Jahrbuch für
Geschichte,
Sprache und
Literatur
Elsass-LothrL
Strassburg
(Germany).
Historisch-Littera.
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JAHRBUCH
FÜR
GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR
ELSASS-LOTHRINGENS
HERAUSGEGEBEN
■
VON DEM
HISTORISCH-LITERARISCHEN ZWEIGVEREIN
DES
VOGESEN-CLUBS
XXIV. JAHRGANG.
STRASSBURG
J. H. ED. HEITZ (H EITZ & MÜNDEL)
1908.
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STANFORD UMIVERSITY
LIBRARIES
NOV 2 2i9 8 3
Inhalt.
Seile
I. Gedichte von Christian Schmitt , , , , . s . 1
II. Joliann Friedricli Oberlin von K. M. Mit Silhouette . . 4
III. Ein angebliches Blutrecht obcrelsiissischcr Grundherren
vor der französischen Revolution von Alfred
Jacoby 0
IV. Streit zwischen Tagende» und Lastern. (Eine mittelhoch-
deutsche Handschrift.) Mitgeteilt und übersetzt von
H e i n r i c h II e in in p, r lü
V. Der Zug Strasburgs gegen Graf Philipp III, von Hanau-
Lichtenberg 1~r2i\ von Dr. Johannes Keiner t 33
VI. Sagen aus dem krummen Elsaß, gesammelt von Lehrern
und Lehrerinnen der Schulinspektion Saarunion, ver-
öffentlicht von Kreisschulinspektor Monges . . . 40
VII. Wibelsbach. Ein Beitrag zur Geschichte der elsässiachen
Gedungen von Theobald Walter ■">(.)
VIII. Die Spiele der Jugend aus Fischarts Gargautua cap.
XXV von Heinrich A. Rausch , . . , ü
IX. Das Tagebuch des cand. theol. Magisters Philipp Hein-
rich Patrick aus Straßburg von Th. Renaud . . 14 (i
X. Gedichte für A. M Baron von Blobsheim, Kaiserl. Feld-
marschallientcnant, mitgeteilt von E. Martin . . 225
XT. Moßt.i und Kirwc im Elsaß von Dr. Kassel in Hoch-
felden 22*
XTI. Chronik für 1907 33Ü
XIII. Sitzungsberichte 338
Das Inhaltsverzeichnis zu Bd. 13—24 kann erst im Bd. 25
gegeben werden.
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I.
Gedichte.
-
Von
Christian Schmitt.
Isola bella.
(Lago maggiore.)
I.
Was wollt ihr mich, ihr schwärmenden Gedanken,
Znr blanen Ferne schmeichlerisch entführen?
Wie linde Südluft will es mich berühren,
Und schaukelnd wiegt mich sanftes Wellenschwanken.
So führ ich auf der Flut, der sonntagblanken,
Hin duroh die hochgebauten Felsentüren.
Den frühlenzfrischen Duft noch kann ich spüren
Von der umgrünten Ufer Blütenranken.
Aus Intra trägt das Schiff uns rauschend weiter.
Pallanza glänzt, wie weiße Rosen leuchten,
Am See die Perle, rein und ewig heiter.
Entzückt und staunend will der Blick sich feuchten,
So holde Bilder sind der Fahrt Begleiter.
0 daß sie Pflicht und Sorge nie verscheuchten!
IL
Auf breiter Bucht, drin Kuppe sich an Kuppe
Weißhäuptig spiegelt unterm Strandwegsaume,
Schwimmt, wie gebannt von einem Härchentraume,
Der ruhmumkränzten Inseln Dreizahlgruppe.
Ein Jungvolk kommt in treibender Schaluppe
Von Madre her, uniblitzt vom Rüderschaume,
Zum Fischereiland, laut auf engem Räume
Begrüßt von der Gespielen buntem Truppe.
Auch uns jauchzt zu der barfußmuntre Haufe,
Da sich an Decl^ schon jeder nach Gefallen
Bemüht, wie er den freisten Blick erkaufe.
Und sieh, nun wächst mit frischumlaubten Hallen,
Verjüngt im Schimmer reichster Sonnentaufe,
Glanzvoll herauf die Herrlichste von allen!
IN.
Versonnen steht an dunkeln Staffelhängen
Lorbeerumhegt das Schloß der alten Grafen,
Die still in kühler Hauskapelle schlafen,
Müd von des Lebens buntverwirrten Gängen.
Dem Weltstreit fern und seinen Haderklängen
Fand ihre Sehnsucht hier den sichern Hafen,
Wo sie noch ungestörten Frieden trafen
Und Ruh für ihres Herzens dunkles Drängen.
Kunstreich erstand in breitgebauten Massen
Die Burg, und weite Wandelgärten stiegen
Aus Fels und Flut in wachsenden Terrassen.
Solch edle Pracht hilft jeden Schmerz besiegen.
Die trüben Schatten in der Brust verblassen,
Und vor dem Licht muß alles Leid verfliegen.
IV.
An dieser Wunderstätte, wo den Toten
Einst Stärkung floß aus himmlischen Gefäßen,
Sind viele Tausende seitdem genesen
Von Wunden, die ihr Innerstes bedrohten.
Wer zählt die Feuer, die geheim verlohten
Auf diesen Dämmerpfaden, auserlesen
Zur Heilung allem kranken Sinn und Wesen
Und unsichtbar bewacht von Götterboten?
Die Moscheigrotten dort sahn, vor den Blicken
Des grellen Tags gedeckt, im Sturz der Tränen
Wie oft den Aufschrei tiefsten Wehs ersticken!
Und auf den Wassern, die sich friedlich dehnen,
So manchem Kammer brachten süß Erquicken
Des Trostes Engel in der Hoffnung Kähnen.
V.
Ich auch, ich trank mit heiß, erregten Zügen
Aus Duft und Kühle, die sich rings ergossen,
Und aus der Schönheit, um mich aufgeschlossen,
Voll starken Muts ein innigstes Genügen. —
Längst kam ich heim von meinen Wanderiiügen.
Nur auf der Phantasie zaumfreien Rossen
Erreich' ich noch den Ort, wo ich genossen
Den Trunk des Glücks aus unerschöpften Krügen.
Doch bin ich auch in Sorgen hier und Plagen
Verwoben neu ins Netz des Alltagwebens,
Von reinstem Dank ist all mein Tun getragen.
Erinnrung weiht die Wege meines Strebens,
Und froh der Frucht aus weit entrückten Tagen
Grüß' ich die schöne Insel meines Lebens.
II.
Johann Friedrich Oberlin,
dessen Silhouette wir Herrn Kunstmaler Theodor Knorr ver-
danken, ist nach seinem Leben und Wesen so allgemein be-
kannt, daß wenige Worte genügen werden, um sein geistiges
Dild wieder beim Leser hervorzurufen. Oberlin ist der Wohl-
täter des Steintals. 1740 zu Straßburg geboren, lebte er als
Pfarrer in Waldersbach von 1767 an bis zu seinem Tode 1820.
Seine geistliche Wirksamkeit im Sinne eines tätigen Christentums
begründete er durch eine weitschauende, allseitige Fürsorge
für die sittliche und wirtschaftliche Entwickelung seiner Pfarr-
kinder, wobei er auch nach anderen Gegenden hin durch Bei-
spiel und Rat Einfluß übte. Landwirtschaft, Obstzucht, Wege-
bau förderte er unermüdlich. Vor allem aber sorgte er für die
Erziehung der Jugend. Da er das von den Bauern allein ge-
sprochene romanische Patois als ein besonderes Hemmnis für
den geistigen Fortschritt ansah, ließ er die Bauernkinder von
früh an durch Lehrerinnen im reinen Französisch unterrichten.
Diese Einrichtung ist dann später durch die sali es d'asyle
auch in deutschsprechenden Gegenden verwendet worden und
hat sehr zur Ausbreitung des Französischen im Elsaß beigetragen.
In der Revolutionszeit setzte Oberlin seine Tätigkeit fort, indem
er seine Kirche in einen Klub verwandelte und hier als Bruder
Redner auftrat. In den Kriegen der französischen Republik
verlor er seinen ältesten Sohn, Unter der Schreckensherrschaft
angeklagt, kam er nach deren Sturz in alter Weise seinem Amte
nach. Er fand mehr und mehr in weitesten Kreisen Aner-
kennung, auch bei den Angehörigen anderer Konfessionen. Kaiser
Alexander, auch das wiederhergestellte Königtum in Frankreich
ehrten ihn. In der blühenden Industrie des Steintals hat Ober-
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lins Werk seine Fortsetzung gefunden, auch seine religiöse
Auffassung hat sieh teilweise hier erhalten ; in dieser hatten
ihm Lavaler und Jung Stilling besonders nahe gestanden. Der
unglückliche Dichter Lenz suchte bei Oberlin Zuflucht gegen
den über ihn hereinbrechenden Wahnsinn ; einen ergreifenden
Bericht über seine Erkrankung sandte Oberlin an Goethes
Schwager Schlosser, bei dem Lenz endlich Ruhe fand.
E. M.
I
-
III.
Ein angebliches
Blutrecht oberelsässischer Grundherren
vor der französischen Revolution.
■ Von
Adolf Jacoby
(Weitersweiler).
De Ferneres erzählt in seinen Memoires* einen interessan-
ten Zwischenfall der Verhandlungen der Constituante, der durch
die Behauptungen einiger Abgeordneten über ganz unglaublich
rohe Gewohnheitsrechte der feudalen Grundherrn einiger Gegen-
den des Landes hervorgerufen wurde. Es war der Abgeordnete
der Franche-Comte, Lapoule, der unter anderm der Versamm-
lung darüber berichtete, daß in gewissen Distrikten der Grund-
herr bei der Rückkehr von der Jagd zwei seiner
Leibeigenen zu töten und ihnen den Bauch auf-
schlitzen zu lassen das Recht habe, um dann in
die blutigen Leiber seineFüße hineinzustecken
und sich so von der Müdigkeit zu befreien. De
Ferneres, der diese Berichte als plumpen Betrug kennzeichnet,
sagt, daß man natürlich Lapoule wie den Abgeordneten der
Basse-Brelagne Le Guen de Kerangal, der ähnliche, wenn auch
nicht ganz so ungeheuerliche Rechte geschildert hatte, mit ge-
rechter und stürmischer Entrüstung aufforderte, für diese Be-
hauptungen den Beweis anzutreten. Durch die Erregung der
Versammlung eingeschüchtert, zog sich aber Lapoule, ohne
weitere Mitteilungen zu machen, zurück.
i Vgl. Bd. I. S. 187.
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— 7 —
Es gelang mir nur mit Mühe, den zweiten Gewährsmann
für dieses «Recht», Dulaure, der sich in seinen Esquisses hi-
storiques des principaux evenements de la revolution francaise
mit dem «Recht» beschäftig!, unter die Hand zu bekommen,
während mir dessen Hauptquelle, das Buch von Clerget, von,
dem unten die Rede ist, leider unzugänglich blieb. Dulaures
Buch, dessen zweite Ausgabe von 4825 ich benutzen konnte,
schreibt im Anschluß an de Ferneres:* cM r Lapoule, depute
de la Franche-Comle, succede ä la tribune ä M r Legrand. II
fait comme le paysan bas-Breton (Le Guen) le tableau de divers
genres d'cppression que les seigneurs de la province exercaient
sur les hommes, qui avaient le malheur d'etre leurs sujets. II
parle «de la main morte, tant reelle que personnelle, de l'obli-
gation imposee ä quelques vassaux de nourrir les chiens de leurs
seigneurs, et de cet horrible droit, relegue sans doute depuis
des siecles dans les poudreux monumens de la barbarie de nos
peres, par lequel le seigneur etait autorise, dans certains can-
tons, ä faire eventrer deux de ses vassaux ä son
retour de la chasse pour se delasse r, en mettant
ses pieds dans les corps sanglans de ces mal-
heu reu x . . . Des cris d'horreur et d'indignation inter-
rompent l'orateur ; on l'accuse d'exageration, d'imposture, et
on lui demande la preuve de cette atrocite. Le tumulte en sens
divers est si grand que M. Lapoule, inlimide, renonce ä la
tribune.»
In einer Anmerkung bemerkt nun Dulaure dazu : «Les
notions que j'ai recueillies sur cette coutume abominable m'ob-
ligentädire qu* eile a existe, mais qu'elle n'est pas
ici exactement exposee. Elle parait n'avoir ete en vigueur que
dans quelques cantons de la Franche-Comte et de la Haute-
Alsace, et ce n'etait point au retour de la chasse ni pour se
delasser, que les seigneurs se livraient ä cet acte de cruaute ;
voici les faits.
Les comtes de Montjoie, les seigneurs de Meches et quelques
autres de ces cantons, lorsque suivis de leurs chiens et de leurs
paysans serfs, ils chassaient pendant l'hiver, et qu'ils se sentaient
les pieds froids, pouvaient pour se rechauffer, faire eventrer
quelques-uns de ces paysans et placer leurs pieds dans leurs
entrailles fumantes.
M. le eure Clerget, deputö de l'Assemblee Constituante dans
un ouvrage sur les droits feodaux, intitule le Cri de la raison,
publie ä Besancon en 4789, est mon autorite. Voici ce qu'il
dit (liv. 2 chap. VIII) : «II est des seigneurs qui se sont arroge
i Vgl. Bd. I, S. 258.
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— 8 —
le droit de faire, pendant l'hiver ä la chas.se eventrer leurs serfs
pour se rechauffer leurs pieds dans leurs entrailles palpitantes.
M. le comte de ajoute-t-il, plaidait au parlement,
il s'agissait de plusieurs droits feodaux qui lui etaient contestes
par ses sujets. Ceux-ci pretendaient que l'abonnement qui avait
etabli, en faveur du seigneur, les diverses prestations exigees
par lui, n'avaient plus de valeur, parce que le terme de sa
duree etait expire depuis long-lemps. L'acte d'abonnement fut
produit et sa date verifiee. On y vit avec horreur que les ha-
bitans de ... . s'etaient soumis ä des corvees ä bras, et avaient
promis de payer, dans le cours de soixante ans, des redevances
en ble et en avoine, ä condition que le seigneur, de son cöte,
renoncerait pendant le cours de cet abonnement ä son droit de
les conduire ä la chasse et de les faire eventrer .en hiver pour
se rechauffer les pieds dans leurs entrailles.»
Le magistrat, rapporteur de ce proces, indigne ä la vue
de cette piece, dit au comte, ajoute M. Clerget : J'ignore com-
ment vos aieux vous ont acquis un droit si etrange, mais je
sais qu'il rend fort suspects ä mes yeux vos autres droits sei-
gneuriaux.»
Diese Vorgänge hat kürzlich 0. Stoll, Professor der Geo-
graphie und Ethnologie an der Universität Zürich, zugleich
Mediziner, in seinem wer! vollen Buche «Suggestion und Hyp-
notismus in der Volkspsychologie» 1 behandelt und ist dabei,
unter Annahme des wirklichen Geschehens dieser Greuel, zu
dem Schlüsse gekommen, «daß die Psychologie derartiger Er-
scheinungen ganz auf pathologischem Gebiet liege und zwar
auf dem des sogen. «Sadismus», der Verbindung von Grausam-
keit und Wollust.»
Es ist nicht zu leugnen, daß die Nachrichten über diese
Greuel mit großer Bestimmtheit und dem Scheine unbedingter
geschichtlicher Wahrheit auftreten. Aber die Geschichte des
bekannten andern «Rechtes», des berüchtigten jus primae noctis,
das selbstverständlich unter den Vorhaltungen, die Le Guen de
Kerangal den Adligen macht, nicht fehlt und das doch, soweit
wir sehen können, auf Glaubwürdigkeit keinen Anspruch machen
kann,* erregt auch gegen die anderen Vorwürfe begründete
Bedenken. Man wird, wo es sich um tief erregte Zeiten han-
delt, damit rechnen müssen, daß Uebertreibungen und Er-
findungen nicht zu selten sind. Der oben erwähnte Dulaure
hat anderwärts 3 den kennzeichnenden Satz geschrieben: «Auf
1 Vgl. zweite Auflage 1904, S. 615 ff.
2 Vgl. Zeitschrift für Ethnologie XVI (1884), S. 18 ff.
s Vgl. Kritische Geschichte des Adels, 1792, S. 235.
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— 9 —
dem Lande hat eine mündliche Tradition das Andenken mehrerer
Grausamkeiten dieser Art (es sind im Vorhergehenden geschil-
dert u. a. das bekannte Verjagen der Frösche, das jus primae
noctis, aber nicht das uns hier beschäftigende angebliche Recht)
aufbewahrt ; und die gehässigen Taten der adeligen Tyrannen
machen bei den Bauern noch den Stoff ihrer Unterhaltungen
aus.» Wer etwas Erfahrung hat, weiß, wieviel er durch-
schnittlich von solcher mündlichen Tradition und solchen Unter-
haltungen zu halten hat. Vorsicht ist also jenen Nachrichten
gegenüber gewiß am Platze.
Aber selbst wenn wir die Geschichtlichkeit jener berichteten
Tatsachen annehmen müßten, würde die Geschichte dieses Blut-
brauchs nicht sadistischen Neigungen des Adels zur Last fallen,
sondern einer weitverbreiteten medizinischen Meinung der Ver-
gangenheit.
Was von jenem «Recht» des oberelsässischen Adels und
den Grundherren der Franche-Comte gesagt wird, steht in der
Völkergeschichte nicht vereinzelt da. Es war für mich eine
interessante Uebei raschung, als ich bei Gelegenheit ganz anderer
Studien in der Geschichte der Mongolen auf die Erzählung von
der Bekehrung des Mongolenfürsten Chutuktai Ssetsen und
seines Oheims Altan Ghaghan zum Lamaismus stieß. Die Ur-
sache dieser Bekehrung soll eine Erscheinung des im Dalai Lama
verkörperten Buddha gewesen sein, die unter de» re4ge»de»
merkwürdigen Umständen vor sich gegangen sei :* «Unter der
Regierung des großen Altan-Chan (der aus der sibirischen Ge-
schichte bekannt genug ist) war anfangs die lamaische Lehre
bei den westlichen Mongolen noch wenig ausgebreitet. Wegen
der damaligen Unwissenheit wußte man nicht das Podagra zu
heilen, womit Altan-Chan sehr geplagt war. Schamanen rieten
ihm, einem Menschen lebendig den Leib auf-
schlitzen zulassen und seine Füße in dessen
warmen Ein ge weiden zu bähen. Dieses grausame
Mittel mußte allemal am Vollmondstage, abends, bei Aufgang
des Mondes wiederholt werden. Einstmals als Altan-Chan sol-
chergestalt seine podagraischen Füße im Eingeweide eines Mannes
zur Linderung bähte, geriet er in eine Phantasie und vermeinte,
im vollen Monde die Gestalt eines ansehnlichen Lama im vollen
Ornat zu sehen, der zu ihm sprach: Chan! wir heilen der-
gleichen Schmerzen, ohne Menschen das Leben zu nehmen !
sei nicht mehr grausam 1 Der Chan ließ sogleich den Körper
wegnehmen und begraben, wusch seine Füße und ließ seine
i Vgl. Pallas, Sammlungen historischer Nachrichten über die
mongolischen Völkerschaften II, S. 4*25.
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— 10 —
zwei Lamen vor den Thronsitz berufen, deren einer von den
Gelbniützen, der andere von der roten Sekte war und die nur
zum Staat beim Hoflager unterhalten wurden. Der Chan fragte:
Welcher unter euch ist von solchem Ansehen, wie mir er-
schienen ist ? Samtschantschock antwortete : Dalai Lama Jon-
don-dschamzu ist von solcher Gestalt und Anselm,» An diesen
wird nun eine Gesandtschaft geschickt und er zum Hofe des
Chan eingeladen. So soll es geschehen sein um die Mitte des
16. Jahrhunderts.
Koppen » fügt der auch von ihm erwähnten Erzählung
hinzu, daß nach Ssanang Ssetsen, einem mongolischen Chronisten,
für die Kur des Fürsten nicht Menschen, sondern Pferde ge-
schlachtet worden seien. Man könnte in dieser Differenz von
dem andern Bericht eine Abschwächung des ursprünglichen
Tatbestandes sehen ; in jedem Fall beweist sie, daß die Ueber-
lieferung nicht ganz übereinstimmt, was nicht gerade zugunsten
der Glaubwürdigkeit spricht. Die ganze Geschichte hat das
deutliche Aussehen einer frommen Legende. 2
Doch wir begegnen einer analogen Erzählung noch einmal
und zwar in dem türkischen Sittenroman von den vierzig Ve-
zieren. Es handelt sich in dieser Schrift um einen der zahl-
reichen Erzählungszyklen, die in vielfacher Ueberarbeitung sich
weit verbreitet haben. Er ist uns persisch, arabisch, türkisch
und in der Bearbeitung, die vom König und den sieben Weisen
redet, auch griechisch, lateinisch, französisch und deutsch er-
halten. Der Ursprung dieses Zyklus ist im Orient, wohl in
Indien zu suchen.'
In dieser Schrift lautet die Erzählung des zweiunddreißig-
sten Veziers in dem türkischen Erzählungstypus :* «Es ist über-
liefert worden, daß es vor Zeiten einen König gab, aus dessen
Fuß eine beizende Flüssigkeit herausdrang, gegen welche kein
Mittel aufzufinden war. Die Aerzte versammelten sich und
wurden darüber einig, daß man einem Indianerknaben (d. i.
einem indischen Kind) den Leib aufschlitzen und
des Königs Fuß da hineinstecken sollte. Das,
meinten sie, sei das einzige Mittel gegen dieses Uebel l Man
J Vgl. Die lamaische Hierarchie und Kirche, S. 135.
* Ob damit die Bekehrung und Heilung des Mongolenkaisers
vom Aussatz durch Saskya-mähäpandita im 13. Jahrhundert zu-
sammenhängt, kann ich nicht feststellen, da mir A. Grünwedel, My-
thologie des Buddhismus, 1900, nicht zugänglich war.
a Vgl. V. Chauvin, Bibliographie des ouvrages arabes VIII:
Syntipas.
* Vgl. Behrnaner, Die Erzählungen der vierzig Veziere, 1851,
S. 288-289.
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— 11 -
suchte lange, aber es fand sich kein derartiger Knabe, bis man
endlich zu einem in dieser Stadt lebenden indianischen Ehe-
paare kam und bei ihm den gewünschten Knaben antraf. Der
König Heß dessen Eltern zu sich kommen und bot ihnen Gold
an, indem er sprach : Verkauft mir euren Knaben ! Sie er-
widerten: 0 König, was wollen wir tun? Wir brauchen es
gerade heute, denn wir haben nichts ! Gut, wir wollen das
Gold annehmen und dir dafür den Knaben überlassen. Gott
wird uns schon wieder einen andern Knaben geben ! Sie über-
ließen hiermit dem Könige ihren Knaben, nahmen das Gold
und gingen (ort. Man brachte den Knaben vor den König,
um ihm seinen Leib aufzuschlitzen. Da fing der Knabe an zu
lachen. Auf die Frage : Warum in aller Welt lachst du, wo
du weinen solltest? erwiderte er: Wie sollte ich jetzt nicht
lachen? Wenn ein Knabe in Not und Gefahr gerät, so flüchtet
er sich zu seinem Vater ; hilft das nichts, so flüchtet er sich
zu seiner Mutter ; hilft das auch nichts, so flüchtet er sich zu
der Obrigkeit ; hilft auch das nichts, so flüchtet er sich zu den
großmächtigen Gewalthabern und Königen. Wenn mich nun
meine Eltern an den König verkaufen und dieser mich zur
Heilung seines Leidens töten will, um dadurch im gegenwärtigen
Leben gerettet zu werden, was wird er alsdann in jener Welt
vor der Majestät des Höchsten zu seiner Verantwortung sagen ?
Da ich nun weder bei meiner Mutter Zärtlichkeit, noch bei
meinem Vater Barmherzigkeit, noch bei dem Könige Gerechtig-
keit und Billigkeit gefunden habe, wen soll ich dann noch
bitten? Ich flüchte mich zu jenem Gott, der ein allmächtiger
Rächer ist; er wird sich bestimmt wegen der mir zugefügten
Ungerechtigkeit meiner annehmen und mir mein volles Recht
angedeihen lassen! Als der König dies hörte, so überfiel ihn
Furcht ; seine Seele entbrannte vor Liebe zu dem Knaben und
er ließ ihn frei. Vor heftiger Rührung vergoß er heiße Tränen ;
von diesen nahmen die Aerzte und rieben damit das Geschwür
an seinem Fuße. Sogleich verlieh ihm Gott der Erhabene Ge-
nesung und er wurde wieder gesund.»
Zur literarischen Ueberlieferung dieser Erzählung ist zu
bemerken, daß sie sich mit einigen geringen Varianten auch
im «Rosengarten» des Sadi findet. 1 Dort sind die Aerzte
Griechen genannt; die Heilung soll durch die Galle eines
Bauernsohnes vollzogen werden. Die Krankheit sei so schreck-
lich gewesen, daß «es sich nicht ziemt, sie zu nennen». Aehn-
i Vgl. Uebers. von Graf, 1846, S. 45 ff. Sädi Guiistan translated
by Eastwick, S. 55.
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liches enthält der «Vertraute Gefährte des Einsamen», 1 nur soll
da ein zehnjähriger Knabe über der Wunde des Königs ge-
schlachtet werden, so daß das Blut über die kranke Stelle Hießt.
Für die literarischen Verhältnisse ist übrigens Chauvin * zu ver-
gleichen.
Diese Varianten aber zeigen uns auch den Weg zum Ver-
ständnis dieser Geschichten. Sie gehen schließlich alle zurück
auf das dunkle Gebiet des Blutaberglaubens. Das warme
Blut spielte von jeher im Aberglauben die Rolle eines besonders
wirksamen, freilich auch besonders wertvollen und nicht leicht
zu gewinnenden Heilmittels. So tritt es uns schließlich auch
in jenen Vorwürfen gegen den Adel entgegen : es belebt und
nimmt die Müdigkeit hinweg.
Einige Mitteilungen aus der Geschichte dieses Aberglaubens
mögen das noch klarer herausstellen. Schon Plinius erzählt in
seiner Naturgeschichte XXVI, 1, 5: «Die Aegypter wärmten
für dieses eigentümliche Uebel (gemeint ist der Aussatz), das,
wenn es den König traf, den Völkern gar verhängnisvoll wurde,
in den Bädern die Badesessel zur Heilung mit mensch-
lichem Blute.» Meines Wissens kennt freilich die ägyp-
tische Medizin, die uns aus einigen zum Teil recht umfang-
reichen Papyri wie dem Papyrus Ebers und dem Papyrus Hearst
bekannt ist, ein solches Mittel nicht.
Es ist nicht unmöglich, daß diese Behauptung ihren Ur-
sprung in dem merkwürdigen Gebrauch der Medizin in den
Jahrhunderten um die Wende unserer Zeitrechnung hatte, die
Heilmittel mit den sonderbarsten, teilweise recht unheimlich
klingenden Namen zu bezeichnen. So zitiert Kircher 8 nach
Apuleius de plantarum proprielatibus Blut der Athena, des
Kronos, des Ammon, Königsblut (dieses findet sich in mittel-
alterlichen Blutlegenden wieder), Titanenblut usw. Artemidor
im Traumbuch IV, 22 IT. nennt den Tau Jungfrauenmilch und
Sternenblut, schwarze Pfefferkörner aber beißende Mohren. Ein
ganzes Verzeichnis solcher mystischen Geheimnamen enthält
der Leydener Zauberpapyrus V col. 42 a , 13 M
Doch ist zu beachten, daß in der Tat ein alter jüdischer
Midrasch eine Darstellung der Verfolgung der jüdischen Kinder
durch den Pharao (2. Mos. 1) kennt, die auffallend mit des
Plinius Nachricht übereinstimmt. Es heißt im Talmud Traktat
Schemoth rabba 92 d. Targum jerusch. zu Exod. 2, 24: «und
1 Vgl. Uebers. von Flügel, 1829, S. 7.
2 Vgl. a. a. 0., S. 179, (s. auch Hartmanns von der Aue Armer
Heinrich hg. v. Wackernagel S. 203).
s Vgl. Oedipus aegypüacus III, S. 68 ff.
4 Vgl. Papyri Graeci musei ant. publ. Lugduni-Batavi ed. C.
Leemans II, S. 3b f.
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— 13 —
es starb der König von Aegypten das heißt er wurde aussätzig
und ein Aussätziger ist gleich einem Toten ; und es seufzten
die Kinder Israels über ihrer Arbeit, und warum seufzten sie?
weil die Zauberer Aegyptens sagen, es gibt für den König kein
anderes Heilmittel, als daß er von den Kindern der Israeliten
abends hundertundfünfzig und morgens hundertundfünfzig
schlachten lasse und sich zweimal täglich in ihrem Blute zu
baden. » Ist auch die Redaktion dieses Traktats spät — er
gehört dem 11.— 12. Jahrhundert an — (vgl. Haucks Real-
encyclopädie für prot. Theol. u. Kirche XIII 792, über das
Targum a. a. 0., III», 108), so ist Stoff und Erzählung doch alt.
Nicht ohne Zusammenhang mit dieser jüdischen Legende
ist jedenfalls die andere weit interessantere, die sich an den
Namen des ersten christlichen Kaisers von Rom, Konstantin,
geknüpft hat. Als dieser, so erzählt die Legende, noch Heide
und ein Verfolger der Christen (wie Pharao ein solcher der
Juden) war, strafte ihn Gott für sein Verhalten mit dem Aus-
satz. Alle Kunst der Aerzte ist dem Uebel gegenüber umsonst.
Schließlich raten ihm die Priester des kapitolinischen Jupiter,
in einem Teich von Kinderblut zu baden; dadurch würde er
rein und gesund. Aber der Jammer der Mütter rührt den
Kaiser und er verzichtet auf das grausame Mittel. Im Traume
erscheinen ihm die Apostel Petrus und Paulus und weisen ihn
an den Papst Silvester, der Konstantin bekehrt und heilt, in-
dem er ihn tauft. Eine ganze Reihe von Berichterstattern
bringen mit geringen Abweichungen diese Erzählung, die natür-
lich nicht eine Spur von geschichtlichem Untergrund aufzu-
zeigen vermag : Moses von Chorene, der armenische Geschichts-
schreiber, dann die Byzantiner, Simeon Metaphrasles, Michael
Glycas, Nicephorus Kallistus, Kedrenus, der Syrer Gregor Abul-
faradsch, dann die Acta Sanctorum Surius, üecember in der
Silvesterlegende, auch die Legen da aurea des Jacobus a Vora-
gine ed. Graesse 71, eine deutsche Bearbeitung bei Von der
Hagen, Gesamtabenteuer II, 577. III, clii.
Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, daß
auch zwischen jener Bekehrungsgeschichte des Mongolen khans
und der des römischen Kaisers eine innere Verbindung besteht.
Dazu darf man sich natürlich nicht auf das weit verbreitete
Heilmittel, das menschliche Blut, berufen. Aber anders liegt es,
wenn man bedenkt, daß beide Erzählungen in ihrem Ziele auf-
fallend übereinstimmen ; sie sollen beide die Bekehrung des
Fürsten zu einem andern, stärkern Glauben erklären. Zu
diesem Zwecke wird die Krankheit eingeführt. Soll ich weiter
darauf aufmerksam machen, daß den beiden Fürsten ein Traum
beziehungsweise eine Vision nicht das Heilmittel, aber den, der
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— 14 —
heilen kann, angeben? Dort sind es freilich die Apostelfürsten,
hier der Buddha, aber nicht zufallig wird es sein, daß die beiden
Apostel, die Ratgeber und Weiser des Konstantin, ihr Gegen-
stück finden in den beiden Lamen am Hofe des Khans, die
diesem seine Vision erklären und ihn zu dem Helfer weisen.
Der Helfer selbst ist zwar der Buddha, aber der inkorporierte,
der Dalai Lama, wie der Papst der irdische Vertreter der Gott-
heit. Gegenüber allen diesen Parallelen, deren bedeutsamste
die Grundtendenz der Erzählungen ist, kommen die unwesent-
lichen Abweichungen, daß Konstantin seinen Blutbefehl zurück-
nimmt, der Mongole ihn aber bereits mehrfach ausgeübt hat,
nicht auf. Die mongolische Erzählung ist jedenfalls nichts
anderes als eine Nachbildung der Konstantinslegende.
Fragt man sich, wie das möglich sein soll, so mag daran
erinnert werden, daß diese Erzählungsstofle im Mittelalter inter-
nationales Gut gewesen sind und uns oft durch das örtlich
weit getrennte Auftreten überraschen. Ich werde andere Proben
solcher wandernden Geschichten, die in ihrer Isolierung auch
ernste Forscher gelegentlich zu recht abenteuerlichen Vorstel-
lungen geführt haben, gelegentlich an anderm Ort behandeln.
Es genügt, zum Beweise auf die reiche Materialsammtung und
glänzende Bearbeitung derselben in Benfeys Pantschatantra hin-
zuweisen. Das Auftreten des Bades im Kinderblut in dem
chinesischen Roman Han-Kiou-Choan ou Tunion bien assortie,
roman chinois I, 5, auf das Von der Hagen i hindeutet, habe
ich leider, da mir der Roman nicht zugänglich ist, nicht näher
verfolgen können. Uebrigens wird ja wohl das Urteil, das der
Prediger Weber auf dem zweiten internationalen Kongresse für
allgemeine Religionsgeschichte in Basel 1904 * über den Lamais-
mus gefallt hat, er habe gar manches Aeußerliche auch von
der katholischen Kirche in sich aufgenommen und sei eine Ver-
quickung des Buddhismus mit allerlei Unglauben und religiösen
Gebräuchen aus der Nähe und Ferne, zu Recht bestehen.
Eine Mittelform könnte uns gerade in der 32. Erzählung
des Buches von den 40 Vezieren gegeben sein. Es sei nicht
weiter Wert darauf gelegt, daß von einem indischen Knaben
geredet wird, was ja wohl nach Indien als Heimat der Ge-
schichte weisen dürfte. Wichtiger ist vielleicht, daß in Sädis
Gulistan griechische Aerzte genannt sind, wie in der Kon-
stantinslegende bei Nicephorus, während z. B. Kedren von
jüdischen Aerzten redet, wozu das Abendland wieder seine
Parallele kennt. Auch daß die Variante im «Vertrauten Ge-
1 Vgl. Gesammtabenteuer, a. a. 0.
2 Vgl. Verhandlungen 1905, S. 88 ff.
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— 15 —
fährten des Einsamen» ausdrücklich von einem zehnjähri-
gen Knaben spricht, der geschlachtet werden soll, sieht nicht
vereinzelt, wir werden dem nocheinmal, ebenfalls im Abend-
lande, begegnen. Endlich wenn die Tranen des Königs, der
wie Konstantin auf die Opferung des Knaben verzichtet, ihm
Heilung bringen, so ruft das die Erinnerung an die Buße und
Bekehrung und Taufe wach, die den Kaiser genesen laßt. In
den Gesta Romanorum c. Ü4 (ed. Graesse) wird einer aus-
sätzigen Prinzessin geraten, einen bestimmten Stein izu zer-
schlagen und die austretende Feuchtigkeit auf die Wunde zu
streichen. Der Slein versinnbildlicht die menschliche Natur,
die durch Reue und Glauben die Wunderkur vollbringt und
reinigt. » Doch ist der Zug auch gut indisch bezeugt. Ein
Sohn Acokas, der als ein neuer Hippolytos die Versuchungen
seiner Stiefmutter zurückweist und auf deren Veranlassung ge-
blendet wird, findet bei einem Asketen Heilung. Dieser befiehlt
dein Volke, zu seiner Auseinandersetzung über das Gesetz Ge-
fäße mitzubringen, um die Tränen, die sie bei seinen Worten
vergießen würden, darinnen zu sammeln. Als der Asket das
Gesetz nun verkündet, gerät die Menge in Schmerz und weint,
er aber sammelt die Tränen und gießt sie dann in ein Gold-
becken. Mit den Tränen wäscht er den Blinden und dieser
sieht wieder. 8 Auch mit einer andern, gleichfalls dem Gebiet
des Blutaberglaubens angehörenden Geschichte des Samyakt-
vakamundi, also einer indischen Erzählung, bietet die Erzählung
des Veziers auffallende Berührungen
Doch verfolgen wir den Faden weiter. Im Jahre 1492
starb der Papst Innocenz VIII., der in der Geschichte durch
sein Leben und seine Regierung — er war der Mann, der durch
die berüchtigte Hexenbulle den unseligsten Aberglauben in der
Kirche sanktionierte — nicht das beste Andenken hinterließ.
Ihm sagte man nach, daß seine jüdischen Aerzte ihm
Kinderblut verordneten, wozu drei zehnjährige Knaben
geschlachtet wurden ; aber der Papst nahm nach den Haupt-
berichten das Heilmitte) nicht ein.*
Etwa zur nämlichen Zeit gingen die gleichen Gerüchte über
den französischen König Ludwig XI. (1401— 1483). Die Berner
i Darauf macht P. Cassel, Die Symbolik des Blutes, 1882, S. 174,
aufmerksam.
9 Vgl. Stanislas Julien, Voyages des pelerins bouddhistes : Mc-
moires de Hionen-Thsang I, S. 161.
8 Vgl. Weber in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie
der Wissenschaften, 1889, S. 741 ff.
* Vgl. Strack, Das Blut im Glauben und Aberglauben der Mensch-
heit, 1900, S. 97.
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- 16 -
Chronik des bekannten Valerius Anshelm sagt darüber:» «Als er
nun fast krank war, ersucht und versucht er alles, insonders von
wegen der Malacy vil Kinderblut.» Und Daniel 2 sagt nach
seiner Quelle Gaguin (um 1498): «il avoit recours ä tous les
remedes naturels et surnaturels; et pour le guerir, dit un hj-
slorien contemporain, furent faites de terribles et merveilleuses
medecines. Un autre dit plus en particulier, qu'on luy fit
boire du sang, qu'on avoit tire ä plusieurs enfans, dans l'espe-
rance que cette potion pourroit corriger Pacrete du sien et re-
tablir son ancienne vigueur.* 5
Solche Erzählungen erläutern uns jenes Wort, das der
große Anfänger des neueren philosophischen Denkens, der Groß-
kanzler Bacon von Verulam in seiner Historia vilae et mortis
c. 9 niederschrieb : «Es ist von alters her so angenommen, daß
durch Baden in Kinderblut der Aussatz geheilt und das bereits
verdorbene Fleisch wieder erneuert werde. Dergestalt daß
einigen Königen solches beim Volke Haß brachte.»
Davon erfuhr etwas der König Ludwig XV. von Frank-
reich. Jene Gerüchte erneuerten sich stets wieder. Politisch
aufgeregte und wirtschaftlich drückende Zeilen haben ja immer
ein leichtgläubiges Volk, dessen Seele, wenn ein Gerücht das
glimmende Feuer anfacht, sofort in lodernden Flammen steht.
Allerlei unverständliche Vorgänge am Hofe mögen zu jenem
Tumult geführt haben, der ein Vorzeichen der kommenden
Revolution war und Paris in große Erregung versetzte. Er ist
uns außerordentlich lebendig von Louis Blanc in seiner mehr-
fach aufgelegten, umfangreichen Histoire de Ja revolution fran-
caise geschildert worden :* «Des bruits renouveles d'un autre
äge commencerent ä circuler parmi le peuple. On parlait de
bains de sang humain prescrits ä Louis XV comme un
dernier moyen de rallumer sa vie.s Et pour aecrediter Tatrieuse
rumeur, on s'appuyait sur la nature du pouvoir absolu, qui
est de tout oser, se trouvant en des mains perverses. Est-ce
que des exces- n'avaient pas ete d'ejä commis qui depassaient la
nature commune ? Oü etaient les lois protectrices du citoyen ?
Pourquoi un prince effrene dans ses plaisirs s'arreterait-il, quand
il serait question de son existence, devant des crimes contre
lesquels on n'avait d'autre garaniie que leur enormite meme ?
On s'anime, on s'excite par ces discours ä croire aux plus mon-
1 Bern 1825 I, S. 320.
2 Vgl. Histoire de France 1735, IX, S. 413.
s Vpl. Strack, a. a. U., S. 36 ff.
* Ich benatze die Ausgabe von 1S47. Bd I, S. 430 ff.
5 Nach Lacretelle, Histoire de France pendant le XVIII* siecle,
t. in, p. 180.
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— 17 —
strueux complots ; et voilä que soudain Paris se leve en tumulte.
C'en est fait : des enfants ont ete arraches ä leur meres; on
e n a la preuve; oncite des circonstances effra-
yantes; on rapporte des paroles etranges echappees ä l'im-
prudence des ravisseurs. Les places publiques retentissent de
clameurs furieuses, auxquelles se joint le gemissement d'une
foule de rneres eplorees. L*hötel du magistrat, gardien de la
cite, fut. impelueusement envahi. Le lieutenant de la police
dut s'enfuir par des jardins ,menac£* qu'il etait d'ötre £gorge.
L'emeute enfui ne se dissipa que devant un brutal emploi de
la force. Mais la force, depuis, ne cessa de decroitre, ä me-
sure que s'exaltaient les coleres. Un enlevement de vagabonds
avait sufli pour causer cette £pouvante; et qu'elle preuve plus
Crappante de la profondeur que le peuple apportait d'ejä dans
ses defiances et dans sa haine?»
Wir sehen in diesen Worten die ganze Entstehung des
Aufstandes deutlich vor uns. Mit Recht bemerkt der Historiker,
daß die Behauptung von dem Blutbade des Königs in einer
zähen Legende der Vorzeit wurzelt. Aber ein in die aufgeregte
Masse hineingeworfenes Wort genügte, um der unglaublichen
Mär Glauben zu schaffen und die Phantasie sorgt dann schon
Cur die Einzelheiten, die den Beweis für die Wirklichkeit der
vorgegebenen Tatsachen liefern sollen. Die ganze Geschichte
ist ein prächtiges Beispiel für die Macht und Bedeutung der
Suggestion im Völkerleben, die uns Stoll in seinem erwähnten
Buch vor die Augen rückt.
Die Volkssage hat auch andern Königen den gleichen Vor-
wurf gemacht ; Richard von England soll einem jüdischen Arzte
das gleiche Rezept verdankt haben. i Es gibt ein reichliches
Material zu diesem ganzen Blutaberglauben, das z. T. bei Strack
und Cassel gesammelt ist, doch ließe es sich noch stark ver-
mehren. Das Mittelalter sorgte für die weite Verbreitung solcher
Erzählungen und bis in unsere Zeit hinein hat das Volk sich
derartige Geschichten erzählt, die von den Sagenforschern aus
dem Munde des Volkes gesammelt sind. 2
In diesem Zusammenhang aber betrachtet, zerfließt auch
jenes angebliche Recht des Adels in seine ursprünglichen Be-
standteile. Es kann von Sadismus überhaupt keine Rede sein.
Vielmehr handelt es sich um eine Verquickung von Volksglauben
und Volksmedizin, die durch die Jahrhunderte hindurch zum
Ueberlieferungsstoff gehörte und je und je an diese oder jene
1 Vgl. Marbachs Volksbücher, Nr. 21, Hirlanda, S. 6.
« Vgl. z. B. Wolf, Niederländische Sagen, Nr. 434. Rochholz
Aargauer Sagen I, Nr. 14.
2
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18 —
historische Persönlichkeit angeknüpft wurde. Wo der Haß und
die Leidenschaft die Gemüter erregten, da sagte das Gerücht
der verhaßten Gestalt jene unmenschliche Grausamkeit nach,
die unser Legendenstoff uns offenbart hat. Es bleibt auf König-
tum und Feudalismus genug historische Schuld, um solche
Scheußlichkeiten ihnen nicht auch noch aufladen zu müssen.
Wer ähnliche Erscheinungen bis in die Neuzeit hinein
verfolgen will, der denke an den berüchtigten Namen Rohlings
oder an den Xantener Mordprozeß. Die Zähigkeit alten Aber-
glaubens und die suggestive Gewalt desselben auf erregte Köpfe
sind in den Händen eines gewissenlosen Antisemitismus, der
ebenso roh wie unwissend ist, furchtbare Waffen. Oft wider-
legt und als eine grundlose Verdächtigung des Judentums nach-
gewiesen, findet die Behauptung des Ritualmordes stets wieder
Gläubige und die Hetzer lassen es dann gewiß an den beglaubi-
genden «Tatsachen» nicht fehlen.» So können wir die Blul-
beschuldigungen jener entlegenen Zeit noch in unserem Volke
lebendig und wirksam beobachten und unsere Schlüsse auf die
Vergangenheit aus den Erfahrungen der Gegenwart ziehen :
das angebliche Blut recht der oberelsässischen Adligen gehört
ins Gebiet der nicht harmlosen Geschichtslegenden, erwachsen
auf dem Grunde des Glaubens, den Mephistopheles in jenem
Wort an Faust ausspricht :
«Blut ist ein ganz besonderer Saft.»
1 Vgl. zu diesem Stoff H. Hayra, Uebersicht der meist in Deutsch-
land erschienenen Literatur über die angeblich von Juden verübten
Ritualmorde, 1906.
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IV
Streit zwischen Tugenden und Lastern.
(Eine mittelhochdeutsche Handschrift.)
Mitgeteilt und ubersetzt von
Heinrich Hemmer.
Durch Herrn Professor Martin wurden mir aus dem
Privatbesitz des Herrn Dr. Forrer (Straßburg) zwei Pergament-
blätter zur Verfügung gestellt. Sie scheinen aus einem Buch
herausgeschnitten, also Teile einer Sammelhandschrift zu sein.
Jedes Blatt ist etwa 30 cm hoch und 21 1/» cm breit. Nur
die Vorderseiten sind beschrieben, mit Versen in je zwei Spalten
auf je 46 Linien. Je drei Verse sind zu einer Strophe vereinigt,
zwischen den einzelnen Strophen sind leere Zwischenräume. Im
Raunte zwischen den beiden Spalten sind jedesmal in der Höhe
der Strophen Kreise eingezeichnet mit ein- und umgeschriebenen
Worten.
Die Entzifferung der Handschrift war mit nicht geringen
Schwierigkeiten verbunden. Die Schrift ist arg verblaßt und
verwaschen, an manchen Stellen vollständig verschwunden. Auch
die zahlreichen ungewöhnlichen Abkürzungen im Text er-
schwerten das Abschreiben in nicht unerheblicher Weise. Eine
Handhabe bot mir eine von Herrn Professor Martin schon an-
gefertigte diplomatische Abschrift. Immerhin gelang es mir mit
Hilfe der Lupe das meiste zu entziffern, bezw. die Abschrift
des Herrn Professor Martin zu bestätigen, im einzelnen aus-
zuführen und zu ergänzen. Ganz verschwundene Stellen sind
mit bezeichnet, eigene Konjekturen werden durch
eckige [], unklare Stellen durch runde () Klammern ange-
deutet.
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— 20 —
Unsere Handschrift ist eine Kloster handschrift. Da-
rauf deutet die Ueberschrift auf dem einen Blatt hin : Iste'liber
est fratris Daß wir es aber nicht mit dem Original,
sondern mit einer Abschrift zu tun haben, das lassen%er-
schiedene Ungenauigkeiten (unklare Stellen, unmittelbare
Wiederholung derselben Wörter, eingeschobene Wörter) fast
mit Sicherheit vermuten. (S. die Fußnoten.) Wahrscheinlich
konnte der Abschreiber manche Stellen im Original nicht ent-
ziffern und gab sie wieder, wie er sie sich zurechtlegte.
Der Inhalt der Handschrift ist ein Wettstreit zwischen
Tugenden und Lastern. Auf dem einen Blatt (A) werden die
Tugenden (8), auf dem andern (B) die entsprechenden Laster
(7) aufgezahlt. Und zwar so, daß in den schon oben erwähnten
Kreisen eine Haupttugend bezw. ein Hauptlaster genannt wird
und die unter diesen Hauptbegriff fallenden Tugenden bezw.
Laster (gewöhnlich (5) jedesmal rechts und links vom Kreis
mit je einem Vers angebracht sind. Die Namen der Tugenden
und Laster sind in lateinischer Sprache angeführt.
Das Schema der Anordnung ist also folgendes : z. B. BIII.
furtum
rapina
perdicio
Swer stilt
fremdez
gut . .
den ich .
usura
simonia
penunum
Der Dialekt der Handschrift ist das Alemannische, wie
es um 1300 am Oberrhein gesprochen wurde.
Uebcr die engere Heimat der Handschrift gibt vielleicht
eine Inschrift am Schlüsse des Blattes (A) Auskunft. Sie ist in
hebräischen Schriflzeichen abgefaßt und lautet nach den von
Herrn Professor Marlin eingezogenen Erkundigungen : Thoma(s)
von Ro(t)sheim. Vielleicht Hosheim — Kreis Molsheim ? Jedoch
ist sie nicht von unbedingt entscheidendem Wert, da sie viel-
leicht nichts anderes als der Namenszug eines zeitweiligen
Besitzers der Handschrift sein kann.
Ueber die Art des in der Handschrift Mitgeteilten möge
nnch einiges gesagt werden. Wie schon angedeutet, liegt ein
Klostergedicht vor, wie sie Anfang des 14. Jahrhunderls Hand
in Hand mit der aufstrebenden Mystik in Männer- und Frauen-
klöstern verfaßt wurden. Zunächst wohl nur für die Ordens-
mitglieder bestimmt, dann aber auch für einen größeren Leser-
kreis. Daß unser Gedicht nur in einem Männerkloster
(Dominikaner?) entstanden sein kann, dafür zeugt die schon
erwähnte Ueberschrift auf Blatt A. Außerdem können Aeußer-
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— 21 —
ungen wie etwa: Krieg und meineid ich gebir . . . usw. oder:
ich flueche ze aller zit got . . . usw. BV. oder: So ich
trunken gewesen bin, dennoch nach trinken stät min sinn BII.
doch nur für Männer Geltung haben. Ueberhaupt ist der ganze
Ton ziemlich derb und unverblümt.
Ein unsrer Dichtung verwandtes Werk liegt vor im
«Geistlichen Streit, ein mittelhochdeutsches Gedicht» (hergestellt
und erläutert von Fritz Hoepfinger, Straßburg 1907). Daß die
Behandlung des Wettstreites zwischen Tugenden und Lastern
überhaupt im Elsaß während des 13. und 14. Jahrhunderts
sehr beliebt war, das zeigen die verschiedenen Fälle ähnlicher
Darstellungen besonders in Skulpturen und Glasmalereien. Sie
linden sich bei Hoepfinger in § 4 der Erläuterungen S. 76 ff
zusammengestellt und können dort bequem nachgelesen werden.
Erstes Blatt (A), Die Tugenden.
Am Kopfe des Blattes, links und rechts über dem I. Kreis,
befindet sich eine Art Ueberschrift:
jstum librum de secto .... (links)
Jsle Uber est fratris (ch) [christiani] de {uff)i (rechts)
I. Kreis.
Innerhalb des Kreises vielleicht: [castitas]
Am Rande des Kreises steht nur: swer
Links vom Kreis in gleicher Höhe:
ein iglich hercz tut . die schäm rein und gut
Bevcaren sol des herczen hut . daz der wek si
gut
Swer der böse red huld hat . der ist woller
misselat
Ein jedes Herz macht die Scham rein und
gut
Die Wachsamkeit des Herzens soll dafür sorgen,
daß der (Lebens)-weg gut sei
Wer die böse Rede lieb hat, der ist voller
Schlechtigkeit.»
verecundia
(...)» custo-
dia cordis
pudicitia
verborum
cScham . . .
Wachsam-
keit des
Herzens
Sittsamkeit
in der Rede
Rechts vom Kreise steht nichts.
1 Nicht zu entziffern.
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— 22 —
II. Kreis.
Im Kreis: castita[s) «Keuschheil».
Rund um den Kreis:
Stcer fliuhelt unkuscheit dem wirt ein glänz cron bereit
«Wer die Unkeuschheit flieht, dem wird eine glänzende Krone
bereitet.»
Links vom Kreis:
man schol gol vor allen dingen Up haben.
«Man soll Gott über alles lieben»
Rechts vom Kreis:
der tugent sacs \än} 1 wan die bösen sinne loten kan
den Up man A estigen sol . so vertribt man die
sund wol
volgst du den heiigen [son] 1 daz himelrich ist
din Ion
«Der Tugend Satz kann gewißlich die bösen
Sinne töten
Den Leib soll man kasleien. So vertreibt man
die Sünde wohl
Folgst du dem heiligen Sohn(?), das Himmelreich
ist dein Lohn.
Diese 3 Zeilen
münden je in
einen kleinen
Kreis.
.holn..w..s .
. maiano . . .
. . cam . .
[ministe-
rium]
Gefolgschaft
(Christi).»
III. Kreis.
Im Kreis: abstinenlia «Enthaltsamkeit».
Um den Kreis:
der bose glust rastet alte die wil man tastet
«das böse Gelüste (hört auf) erstickt, wenn man fastet».
Links vom Kreis: ,
frugalilas
der kuschlich leben wil der ezze niht ze vil
daz fri ubiger begir . den Mut krenkel mir
diu frdzheil ze helle ziuhel, den der si niht fliuhet.
1 Die Handschrift zeigt ein. Es ist anzunehmen, daß der
Schreiber sich geirrt hat und es ist än(e) einzusetzen, ftn(e) wän =
gewißlich.
2 Die Handschrift läßt nicht genau erkennen, ob san oder son
zu lesen ist. Vielleicht auch frön = Herr? sän = sä = sobald würde
im Reim nicht zu Ion passen.
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«Mäßigkeit
Wer keusch leben will, der esse nicht zu viel.
Die Freiheit eitler Begier kränkt mir die Seele
Die Gefräßigkeit zieht zur Hölle den, der sie
nicht flieht.»
Rechts vom Kreis:
mäze dich der lipnar so uirt Up und sei dar
die nuhlerheil mahl frut, libe und mut
über drinken schadet ser da hdt dich vor: daz
ist min ler.
«Sei mäßig in der Nahrung, so wird Leib und
Seele klar.
Die Nüchternheit macht verständig Leib und
Mut.
Zuviel trinken schadet sehr, davor hüte dich ; das
ist meine Lehre
cibi [mode-
stia]
sobrielas
abstinentia
potus
Mäßigkeit im
Essen
Nüchtern-
heit.
Mäßigkeit im
Trinken.»
mundi
.... (Höhe)
Nachdrück-
lichkeit des
Gebens
Verachtung
der Welt
IV. Kreis.
Im Kreis: largitas «Freigebigkeit».
Um den Kreis:
se din viilil uf erlrich so sendstu sie ze himelrich.
«Säe deine Milde auf Erden aus, so sendest du sie zum
Himmelreich».
Links vom Kreis:
[mla] teil mit armer, lulen dinen solt . so ist dir got holt
[gravitas] Swer snel ist ze geben der dient das ewige
dandi leben
contemptio himel frevd wert ewiclich . die well ist alle
zergenklich.
«Teil armen Leuten deinen Lohn mit, so ist dir
Gott hold.
Wer schnell gibt, der verdient das ewige
Leben.
Himmelsfreude währt ewiglich, die ganze Welt
ist vergänglich.»
Rechts vom Kreis:
die armvt sol sichern sin, schächer, vor den
schlachim [?] din
hast du durch got iht gezall . er gil dirz vsider
hundertfall
umb gut soll du niht sorgen . du stribl heul
oder morgen
paupertas
renumeralio
terrar(?) . . .
abicias
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— 24 —
«Die armen Leute sollen sicher sein, Schacher, Armut
vor deinen Schlägen.
Hast du im Namen Gottes irgend etwas gezahlt, Belohnung
er gibt dir's hundertfach zurück-
Um Gut sollst du nicht sorgen, du stirbst heute Verachtung
oder morgen. der Welt(?)>
V. Kreis.
Im Kreis: (Scltrin)? diligentia «Fleiß».
Um den Kreis:
ich will nimmer treg sin . noch herzen den tregen.
«ich will nimmer träge sein noch den Trägen lieb haben».
Links vom Kreis :
mentis hila- Er sol vrolich wesen, der an tunde ist genesen
rilas
laetitia dem geheizen ist daz himelrich, der freuwe
spirilus sich billich
du 'soll stellen dinen mul nah dem ewigen gut
«Heiterkeit ; Es soll fröhlich sein der, der von der Sünde
der Seele
Freude des
Geistes
genesen ist.
Wer sich auf rechte Art freut, dem ist das
Himmelreich verheißen.
Du sollst deine Seele nach dem ewigen Gut richten.»
Rechts vom Kreis:
Du soll mit sinnen gut/u werk minnen
getrewen got man sol . so xxberwindt man die
weit wol.
gutiu werk vollend gar . so kumst du in der
enyel schar
«Du sollst mit Verstand gute Werke lieben.
Vertrauen soll man auf Gott, so überwindet
man die Welt wohl.
Gute Werke vollende ganz, so kommst du in
der Engel Schar
fiducia ad
bonum
fiducia
in deo.
completio
6 .... •
Vertrauen
zum Guten»
Vertrauen
auf Gott
Erfüllung»
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■
— 25 —
VI. Kreis.
Im Kreis: patientia «Geduld».
Um den Kreis:
■
lidest du arbeil willichlich du gewinnest daz himelrich.
«Nimmst du willig Arbeit auf dich, so gewinnst du das
Himmelreich»
Links vom Kreis:
longanimitas man lat sich nihl wol an ein dink daz zergän sol
der des herzcen wint verderben wil der hat
guter ruw vil.
mansuetudo \ die senften tragent schön die engelische cron .
«Langmut Man tut nicht gut sich einem Ding hinzugeben,
das vergehen soll.
Wer den Sturm des Herzens unterdrücken will,
der hat guter Ruhe viel.
Milde j DieSanften tragen in schöner WeisedieEngelskrone»
Rechts vom Kreis:
senfle red tut . die zornigen wol gemixt
frid ist gut . Ich hazze er ick und unmut
ich kan stillen . die missehellenden willen
«Sanfte Worte machen die Zornigen wohlge-
sinnt.
Friede ist gut. Ich hasse Krieg und Zorn.
Ich kann besänftigen die (verschiedenen) nicht
übereinstimmenden Willen.
lenitas ver-
borum
pax cordis
reconciliatio
discord. . .
Milde der
Worte
Herzens-
friede
Versöhnung
der
| Zwietracht.»
VII. Kreis.
Im Kreis: Caritas «Liebe»
Um den Kreis:
1 on mich gol nit lebs hat wan ich bin an missetat.
«ohne mich Gott kein Leben hat, denn ich bin ohne Schlechtigkeit».
1 Daß der Verfasser dieses Gedichtes von der Mystik (Meister
Eckhart) beeinflußt ist, zeigt dieser Satz deutlich. tGott ist nnr
Liebe nnd nur durch die Liebe».
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Links vorn Kreii
[harmonia]
concordia
cmicitia . . .
€ Brüderlich-
keit
Eintracht
Freund-
schaft
ich kan allen gunsl geben und machen bruderlich
leben.
einmutik ist gut . und git dem mensch hohen mixt
ze gesellen sprich ich wol . nah reden ich
nieman sol.
Ich weiß allen Wohlwollen einzuflößen und ein
brüderliches Leben zu bereiten.
Einmütig sein ist gut und gibt dem Menschen
hohen Mut.
i Zu den Gefährten spreche ich freundlich. Ueble
Nachreden werde ich gegen niemand führen.»
Rechts vom Kreis :
Der mensche sich frewen sol sin nehsten seiden.
daz slät wol.
man sol trösten den betrübten sdn und in leides
er Um
air ist leit daz ieman hat arbeil.
€Der Me nsch soll sich freuen über das Glück seines
Nächsten. Das steht ihm gut an.
Man soll den Beirübten gleich trösten und ihm
Leiden erlassen
Mir ist es leid, daß jemand Mühe hat.
gaudium de
bonisproximi
compassio
rebus. . a. .
compassio
proximi
Freude über
dasGlückdes
Nächsten.
Mitleid mit. .
Mitleid mit
dem Näch-
sten.»
VIII. Kreis.
Im Kreis: humilitas «Demut».
Um den Kreis :
diu hovart gar verdirbt . und swer nah ir wirbt
€Öie Hoffart wird ganz und gar zunichte, auch der, der nach
ihr strebt»
Links vom Kreis:
[oboedientia] \ mit herezen und mit sin ze goles geboten ich
gehorsam bin.
...;>../ hofarl sol man miden . so kumt man niht zu liden.
iaciturnilas Bosen rät ich miden sol . guten immer merken wol.
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«Gehorsam
Schweig-
samkeit
— 27 —
Mit Herz und Sinn bin ich Gottes Geboten gehorsam.
Hoffart soll man meiden, so zieht man sich keine
Leiden zu.
Bösen Rat soll ich meiden, guten aber immer
wohl beachten.»
Rechts vom Kreis:
ich kan niht liegen noch nieman triegen
ich lob mich niht ze (geschit) 1 und mache kein
lop ewig{?)
er ist ein wiser man swer got erkennen kan.
eich kann nicht lügen noch jemand betrügen
(ich halte mich nicht für übermäßig gescheit und
zehre nicht ewig von einem Lob)
Wer Gott erkennen kann, der ist ein weiser Mann.
simplicitas
moäeslia
timor dei
Einfalt
Bescheiden-
heit
Gottes
furcht.»
Am Schluß des Blattes (A) unten rechts finden sich folgende
Schriftzeichen:
Thoma(s) von Rot(s)heim (?)
Zweites Blatt (B), Die Laster.
I. Kreis.
Im Kreis: luxuria «Ueppigkeit».
Um den Kreis:
on er ich (bruch) (?) sin 2 sol, daz ich der hurheii kan dienen
wol .
«Ohne Ehre werde ich ... . sein, daß ich mich der Hurerei
ungestört hingeben kann».
Links vom Kreis:
[praeeipi-
lalio]
amor sui
odium dei
Swem ze gach ist . der hat bösen list
umb mich sorge ich wol, gotes ich nit achten sol
Ich wil die weit liep hän und von gols lieb stän.
1 «geschit» sehr selten in mhd. Texten. Ebenso die Wendung:
wnrf mache kein lop ewig.
8 bruch? (kaum zu lesen). Das Wort «sin» ist zwischen «bruch»
und «sol» eingeschoben.
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I
— 28 —
«[Ueber-
stürzung]
Eigenliebe
Haß auf
Gott
Wer zu ungestüm ist, der ist voll Verschlagenheit
Für mich sorge ich wohl, um Gott werde ich
mich nicht kümmern.
Ich will die Welt lieben und auf Gottes Liebe
verzichten.»
Rechts vom Kreis:
Die sint an sinnen plint . die der hur heil '
diener sint
von unsleticheit bin ich (sind und unwert billich*)
Sne[ler]?* als der winl
die warheil wil ich lan und wil der lugen bislan .
cDie sind an Sinnen blind, die der Hurerei
ergeben sind
Von Unstetigkeit bin ich
Schneller als der Wind
Von der W'ahrheit will ich abstehn und der
Lüge zum Siege verhelfen.
cecitas
mentis
incon-
sianlia
inconside-
ranlia
Blindheit
des Geistes
Unbe-
ständigkeit
Ver-
blendung.»
II. Kreis.
Im Kreis: gula «Völlerei».
Um den Kreis :
daz ich der fräzheit [mag] dienen wol . des ist min herze
freud xol.
«Daß ich mich der Gefräßigkeit ganz hingeben kann, des ist
mein Herz voller Freude.»
Links vom Kreis :
unwert er wesen wil der ze den sachen redz ze vil
der vol wint sin wil der hat tugent niht vil
mit Hb und mit sei bin ich ze der bosheit snel
multiloquiutn
hebetudo
inmundi . . .
«Geschwät-
zigkeit
Stumpfheit
Unangesehen der sein will, der zu den Dingen
zuviel redet
Der voll Drang sein will, der besitzt nicht viel Tugend
Mit Leib und mit Seele bin ich schnell zur Bos-
heit bereit.»
' Unverständlich.
* tSne[ler]? als der wint» ist eingeschoben zwischen die zweite
and dritte Zeile.
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29
Rechts vom Kreis :
So ich trunken gewesen bin . dennoch nach
trinken stal min sinn
dcrzevil istfreudenrich.derwilgernlriegensich(f)
daz ich vol werde . darumb lauf ich täl und berge
tWenn ich hetrunken gewesen bin, dennoch
nach Trinken steht mein Sinn
Der zu reich an Freuden ist, der will gerne
sich betrügen (?)
Damit ich betrunken werde, darum laufe ich
über Tal und Berge.»
Ell . .
pr ,
En
las
las
III. Kreis.
Im Kreis: avaritia «Geiz».
Um den Kreis : nichts.
Links vom Kreis :
furtum
rapina
perdi(cio)?
Swersliltgern dermuz (des muz*)des himelenbern .
fremdezgul ich gehall . ich gibznihtwideron gewall
den ich verdien wil dem zeig ich falscher lieb vil
«Diebstahl Wer gerne stiehlt, der muß den Himmel entbehren.
Raub Fremdes Gut behalte ich, ich gebe es nicht wieder,
wenn man mich nicht dazu zwingt.
Wen ich verraten will, gegen den heuchle ich
viel Liebe.»
Rechts vom Kreis:
ich wil sorgen tegelich . daz ich von wucher vsura
werde rieh
ich sorge nil vil . und gols gab verkoufen ich ivil simonia
Swaz ich swer daz ist nil ««r . tvann die eide periurium
prich ich gar
«Täglich will ich mein Augenmerk darauf richten,
daß ich von Wucher reich werde
Ich plage mich nicht viel ; und Gottes Gaben
will ich verkaufen
Was ich schwöre, das ist nicht wahr ; denn die
Eide brech ich ganz und gar
Wucher
Simonie
Meineid»
* «des muz» unklar. Wiederholung von «der muz»? Ein Ver-
sehen des «Abschreibers»?
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— 30 —
IV. Kreis.
Im Kreis : accidia «Nachlässigkeit».
Ueber dem Kreis: treg ich (Fortsetzung im Kreis)
Im Kreis: bin trurik ist min herze und min sin
«trüg bin ich; niedergeschlagen ist mein Herz und mein Sinn».
Links vom Kreis:
ich wil darnach ringen wie ich schaden muge
bringen
der mir ein cleinz leil tut . dem tun ich (nial)i
kein gut
(Char)* dink ich sere clag . zagheil ich in
herzeen trage .
Ich will danach trachten, wie ich Schaden
bringen könnte.
Wer mir nur ein geringes Leid zufügt, dem tue
ich nichts Gutes an.
........ Zagheit trage ich im Herzen.»
malilia
Rancor
pussilani-
mitas
«Nichts-
würdigkeit
Groll
desperalio
Ver-
zweiflung
Kleinmütig-
keit
Rechts vom Kreis:
zagheit ich vil hän . von allen gedingen ich
muz slän
heil undselden aht ich niht alle tugend ist ein wiht
unsteter mut gevellet mir wol . trurekeit bin ich vol
«Feig bin ich sehr, von allen Hoffnungen muß
ich abstehn
Heil und Glückseligkeit schätze ich nicht. Jede
Tugend ist ein Nichts
Unsteter Sinn gefallt mir sehr, ich bin voll
Traurigkeit.»
V. Kreis.
Im Kreis: ira «Zorn».
Um den Kreis: "
als ich lob in zorn so ist alls gut verlorn
«Wenn ich tobe im Zorn, dann ist alles Gut verloren».
Links vom Kreis :
rixa Krieg und meineid ich gebir daz ist mins herzen gir
clamor Stille ich ni t liden mag . unfrid ich in herezen trag
indignalio j die lule ich smehen wil . ich aht ir nit vil.
1 In der Handschrift «mal» ?
' Char?
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«Rauferei
Geschrei
Schmähung
— 3t —
Krieg und Meineid verursache ich, danach hegehrt
mein Herz.
Die Stille kann ich nicht leiden. Unfrieden trage
ich im Herzen.
Die Leute will ich schmähen, ich achte ihrer
nicht sehr.»
Rechts vom Kreis:
der mir ein »bei tut . dem tun ich nimer gut
ich flueche ze aller zil gol und den heiligen
daz min sit
der zorn ofte tut, daz yekrenkel wirl hoher mal
«Wer mir Uebles antut, dem tue ich niemals
mehr etwas Gutes an
(Zu jeder Zeit) Immer fluche ich Gott und den
Heiligen; das ist meine Art
Der Zorn oft bewirkt, daß die Seele verdorben wird.
contumelia
blas-
phemia
timor ....
Schimpf
Gottes-
lästerung
Furcht ...»
VI. Kreis.
Im Kreis: invidia «Mißgunst».
Um den Kreis:
Unglücke gän ich wol allen luten als ich sol.
«Unglück gönne ich allen Leuten aus ganzem Herzen».
Links vom Kreis:
odium 1 ich sol neman liep hän . weder frauwen noch man
delractio Waz gutes tut iederman . daz heiz ich allez
ubel getan.
discordia uz allen sachen kan ich arck machen.
«Haß Ich werde niemanden lieb haben, weder Frauen
noch Mann.
Schmäh- Was ein jeder Gutes tut, das halte ich alles für
sucht schlecht.
Zwie- Aus allen Sachen kann ich Feindseligkeit machen. »
tracht
Rechts vom Kreis:
ich /reite mich mins nehsle unseld ze darf und
ze feld
so ich min neusten unselk sihe . des frewe ich
mich mer (darumben 1 )
heimlich schilt ich alh gut. daz man in der
uerld tut.
1 Unverständlich. Wahrscheinlich konnte der Abschreiber da»
Wort im Original nicht entziffern und machte selbst eine Conjektur.
gaudium
in adversis
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— 32
eich freue mich über meines Nächsten Unglück
zu Dorf und zu Feld
Wenn ich meinen Nächsten unglückselig sehe,
darüber freue ich mich mehr.(?)
Heimlich tadle ich alles Gute, das man in der
Welt tut.»
Freude im
Unglück
. • •
VII. Kreis.
Im Kreis: superbia «Hochmut».
Um den Kreis:
So ich alle dink erviht dennoch gnugel mich nit.
«Wenn ich alle Dinge erkämpft habe, dennoch befriedigt es
mich nicht»
Links vom Kreis:
inoboedienlia Ungehorsam wil ich sin mit allen den sinnen min
iactantia
[ h)ypocrisis
«Unge-
horsam
Prahlerei
ich r\m mich yrozer dinge die ich doch an mir
niht vinde.
ich lun als ich helik si . doch wönt mir sunde e bi .
Ungehorsam will ich sein mit allen Sinnen mein
Ich rühme mich großer Dinge, deren ich doch
nicht fähig bin.
Ich tue so, als ob ich heilig wäre; doch wohnt
die Sünde bei mir»
Ver-
stellung
Rechts vom Kreis :
swaz daz best isl . daz hdn ich vur ein mist
ho feit bin ich vol . des glicht ich mich gol wol
Sviaz ich böses gedenke . da von ich nimmer wenke
«Was das Beste ist, das halte ich für Mist.
Eingebildet bin ich, so sehr, daß ich mich wohl
Gott gleich machte.
Wenn ich etwas Böses im Sinne habe, davon
stehe ich nie mehr ab.
content io'?)
praesumplio
pertinacia
Wider-
spruch (?)
Anmaßung
Hart-
näckigkeit»
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V.
Der Zug Straßburgs gegen
Graf Philipp III. von Hanau-Lichtenberg
1526*'
Von
t
Dr. Johannes Beinert.
Die Untertanen des strengen und eigenmächtigen Grafen
Philipp III. von Hanau-Lichtenberg hatten seit dem Bauern-
aufstand des vorhergegangenen Jahrs schwer zu leiden. Viele
der Bedrängten fluchteten sich und ihre Habe in die freie Stadt
Straßburg und erhielten hier ein menschenfreundliches Asyl.
Einige wurden sogar zu Bürgern angenommen. Das ärgerte
den Grafen. Die Stadt hatte ihn wiederholt zur Milde ermahnt
und gebeten, doch den Vertrag, den er mit den Bauern während
des Aufstands geschlossen hatte, zu halten. Er kehrte sich
aber nicht daran, sondern verfolgte die Bauern aufs Härteste
und legte ihnen schwere Schalzungen auf.
So erging es einem Untertanen Willsiätter Amts, Jörg
Hörter von Eckartsweier. Er hatte in Straßburg den Bürger-
eid geleistet und wollte aus dem Hanauerland in die Stadt
ziehen. Der Willstätter Amtmann ließ aber den neuen Straß-
burger wegen Verachtung des kürzlich dem Grafen geschwo-
renen Treueids im Turm des Schlosses einkerkern. Dort
schmachtete er nun dritthalb Tage bei schmaler Gefängniskost.
1 Auf Grund der «Akten und gerichtshandelung zwischen
Graven Philipsscn von Hanaw — und Meyster und Rath der statt
Straßburg, den zug gen Willstetten . . belangendt». Archiv der
Stadt Straßburg A A 1723.
3
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— 34 —
Das bewirkte bei der Stadtbehörde keine geringe Ent-
rüstung. Sie faßte die Tat als eine Beeinträchtigung ihres
guten alten Rechts der Freizügigkeit in die Stadt auf und
schrieb sofort, man möge Hörter unverzüglich herausgeben.
Da der Brief aber an den Grafen gerichtet war, so schickte
ihn der Amtmann von Willstätt mit einem Boten nach West-
hofen und erwartete zugleich Antwort. Hierdurch erlitt die
Angelegenheit eine unliebsame Verzögerung.
Die Straßburger Stadtoberhäupter regten sich über das
Ausbleiben einer will fahrigen Antwort noch mehr auf. Sofort
ließen sie ihre Schöffen und den großen Rat bis gegen 300
Mitglieder zusammenkommen, um über den freventlichen Ein-
griff in die städtischen Freiheiten zu beratschlagen. Es wurde
beschlossen, zur Gewalt zu schreiten, denn nach einem alten
kaiserlichen Privileg durfte sich die Stadt gegen ihre Bescbädiger
und Betrüber mit eigener Tat schützen und schirmen, sie ver-
wirkte keine Strafe, wenn sie sich zu Wasser oder zu Lande
selbst half. Darauf gestützt, wollte sie ins Hanauische ziehen
und ihren Bürger befreien. Noch in der Nacht wurden alle
Vorbereitungen für einen reisigen Zug getroffen.
Am Morgen, so früh als das Metzgertor aufging, rückte
die Straßburger Streitmacht zu Roß und zu Fuß etwa C00
Mann stark zur Stadt heraus und zog die Rheinstraße weiter.
Voraus ritten vier Söldner und ein Trompeter, der an seinem
Instrument ein Fähnlein mit dem städtischen Wappen trug.
Dann folgten 40 schwere Reiter unter der Anführung Jörg
Heimenhofers. Die Fußmannschaft mit den Handrohren bildete
den Haupttrupp. Er wurde geführt von dem Oberbefehlshaber
Altammeister Daniel Müh, einem «langen» Mann, und den
Hauptleulen Hans von Matzenheim, Jakob Mayer und Bernhard
Ottfriedrich.
Die Artillerie Alt-Straßburgs folgte zuletzt. Sie bestand
aus zwei groben Geschützen, einer Feldschlange von ungeheurer
Länge, bespannt mit sechs Hengsten, und einer Halbschlange
mit vier Hengsten.
So gings über den Rhein die Willstätter Landstraße ent-
lang. Die vor den einzelnen Abteilungen marschierenden
Trommelschläger machten mit ihrem Trommeln und «Gebossel»
einen solchen Lärm, daß die Einwohner in den Dörfern alle
alarmiert wurden und zusammenliefen.
Bei Neumühl begegnete der Zug einem Amtsboten von
Willstätt. Die Hauptleute hielten ihn an und fragten, wohin
er wolle. Der Bote erklärte, daß er vom Amtmann geschickt
sei und dem Städtemeister einen Brief zu überbringen habe.
«Wir kennen dich wohl», antworteten Daniel Müh und sein
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Begleiter, «fahr hin und lug, daß du den Brief dem Ammeister
gebest*. Damit brachen sie auf, ohne zu ahnen, daß der
Amtmann in diesem Brief über den Jörg berichtete.
Zwischen Odelshofen und Kork kam der Willstätter Amts-
schaffner Felix Icher zu Pferd des Weges daher und wollte
nach Straßburg, um Zinsen zu entrichten. Jörg Heimenhofer
ritt auf ihn zu, bot ihm die Hand und sagte :
«Gib dich gefangen, Schaffner ! »
Dieser antwortete: «Wessen Gefangener bin ich?»
— «Meiner Herren von Straßburg.»
«Ich will ohnedies hinein gen Straßburg reiten.»
«Reit hin, meine Herren sind nit weit,» verabschiedete
ihn Heimenhofer.
Als Icher zu den Hauptleuten beim Fußtrupp kam, sagte
Bernhard Ottfriedrich:
«Schaffner, komm herum, du mußt mit uns gen Will-
stätt reiten.»
In Willstätl angekommen, begaben sich die Befehlshaber
gleich vor das Schloß. Es war niemand darin als der Reiter
Jörg, der Schloßvogt und seine Frau, eine arme Kindbetterin,
ferner Hans vom Wald, der Willstätter Schultheiß und der
Gerichtsbote, die sich der besseren Sicherheit halber hinter die
Fallbrücke gestellt hatten. Der Amtmann war schon früh um
vier Uhr nach Oberkirch geritten und hatte Jörg Hörter be-
reits aus dem Gefängnis entlassen.
Da trat Heimenhofer vor das Schloß und rief :
«Wie ist der Jörg herauskommen?» Der Schultheiß er-
widerte darauf : «Liebe Herren, ich weiß es schier selbst nicht,
ich glaube, er ist heute morgen herausgekommen. Die Amt-
leute sind gen Oberkirch. Jörg hat Urfehde schwören müssen,
wie andere ledige Gefangene.»
«Er muß ledig sein, wie wenn er aus Mutlerleib gekommen
wäre!» riefen die Hauptleute. Sofort wurde ein Bote nach
Eckartsweier abgeschickt; sie wollten den Jörg selbst sehen.
Der Schultheiß aber wurde mit einer Nachricht nach Ober-
kirch abgefertigt. Inzwischen war die Artillerie in den Flecken
eingefahren und hielt vor dem Schloß. Von da bis zum Ecken-
tor lag der ganze Flecken voll Reisige, so daß man sich kaum
in der Straße bewegen konnte. Sogleich wurden die Geschütze
vor dem Schloßgraben aufgestellt und auf den festen Turm in
der Front gerichtet.
Die Angelegenheil war so ziemlich erledigt. Die Straßburger
warteten nur noch auf die Ankunft ihres Bürgers, Hörterjörg.
Weil die Söldner alle einen guten Hunger und Durst von der
frühen Reise mitgebracht hatten, so entstand aus dem Kriegs-
- 36 —
zug eine lustige Zecherei. Zu Gruppen von iO oder 20 Mann
begaben sie sich in die Häuser und Wirtschaften, wo ihnen die
Bewohner Wein, Brot, Schinken, Käse, Butter und Ein-
reichen mußten. Daß es dabei lustig zuging und daß manche
Stichel- und Prahlrede dabei geführt wurde, kann niemand
wundern. Bei dem Wirt Simon Schwarz wurden allein bei
17 Ohmen Wein getrunken. Die Hauptleute hatten sich in
das obere Stäbchen der Wirtschaft Wolf Schulterlins, des
einstigen Bauernluhrers, gesetzt und taten sich gütlich.
Als die Zeit verstrich und der Jörg immer noch nicht er-
schien, da entstand plötzlich vor dem Schloß ein großer Tumult.
Eine Anzahl Söldner, die der Wein mit Kriegsmut erfüllt
hatte, liefen nach dem Schloß. Reiter Jörg und Hans vom
Wald lagen gerade auf den Lehnen der Fallbrücke. Da rief
einer vom großen Geschütz ihnen zu, wenn jemand im Schloß
wäre, der ihnen lieb sei, so sollten sie ihn heraustun, denn
er werde kein Stein auf dem andern bleiben, die Herren hätten
denn den gefangenen Stegjörgen.» Damit fing ein Schnellfeuer
aus den Handrohren an, daß die Ziegel vom Dach des Neu-
baues rasselten und in den Graben fielen, daß die Fensterscheiben
zersplitterten und das Getäfel im großen Saal beschädigt wurde.
Unter einem Fenster der oberen Stube lagen viele Käse zum
trocknen, dahin richteten manche ihre Gewehre, und es hat
den Straßburgern besondere Freude gemacht, die Käse im
Willstätter Schloß in tausend Stücke zu zerschießen. Die
Kindbelterin war inzwischen vom Kellermeister in das Garten-
slübchen in Sicherheit gebracht worden.
Als Felix Icher, der Schaffner, den Ueberlall auf das
Schloß sah, ging er zu den Hauplleuten in der Herberge. Er-
zürnt fuhren diese auf und schrien in die Straße hinab, Ein-
halt zu tun. Alles rannte nach dem Schloß. Jetzt schwang
sich der lange Daniel Müh aufs Pferd und galoppierte nach
der Kampfstätte.
«Was macht ihr da?» rief er den Eifrigen zu, «ist das
euch nicht in euren Eiden befohlen worden ?» (Nämlich, nichts
gegen den Befehl zu tun.) Dennoch schössen sie weiter.
Inzwischen hatten einige Söldner etwas anderes ausfindig
gemacht. Im Schloßhof stand ein Taubenhaus, das voll junger,
fetter Tauben war : Sie schlichen durch den Zwiebelgarlen
hinten in das Schloß hinein und begannen eine Attacke auf
das Taubenhaus. Die Kugeln durchbohrten es und töteten
viele Tiere. Darnach stiegen die Mutwilligen hinein, nahmen
die Eier aus und warfen sie in den Hof. Was an jungen, un-
1 So hieb* Jörg Hörtcr im Volksmund.
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— 37 —
flüggen Tauben drinnen war, fingen sie und drehten ihnen
die Hülse um. Nach dieser Taubenschlacht sah mau nicht
weniger als 16 Paar dieser armen Tiere die Walstatt be-
decken.
Mit Mühe gelang es den Hauptleuten, dem Treiben ein
Ende zu machen und die Söldner in die Ordnung zu bringen.
Jetzt wurde zum Autbruch geblasen. Der Hörterjörg war auch
angekommen, und als die Hauptleute vernahmen, daß er nur
gegen Urfehde und das Versprechen, seine «Turnatzung» zu
bezahlen, freigegeben war, so mußte der Schaffner Icher auf
Antrag Jakob Mayers schwören, als Gefangener mit nach
Straßburg zu ziehen und allda im Goldenen Schaf zu bleiben.
Vor dem Abmarsch mußte der Kornmeister Heinrich Oettel,
ein «klein Männiin», durch den Flecken reiten und ausrufen,
ob noch jemand da wäre, der an Bezahlung Mangel hätte.
Derselbige soll erscheinen, so wolle man ihm alles erstatten.
Neben ihm ging ein Soldknecht, der den Geldsäckel nachtrug.
Als nun beim Abschied am Schwanen die Frau des Schult-
heißen auch ihr Geld für die Zehrungen verlangte, sagte man
ihr, man gebe ihr für diesmal nichts. Jetzt ordnete sich der
Zug zur Abreise. Hörterjörg, den befreiten Straßburger Bürger,
setzten sie auf die große Kanone und fuhren unter lautem
Gejohle, Rufen und Singen aus Willstätt hinaus nach Straßburg.
Vor dem kleinen Rhein machten sie Halt und ließen den
Amtsschaffner beim Brückenhäuschen nocheinmal schwören,
ihr Gefangener bleiben zu wollen und sich in der Herberg
zum Schwanen, dies auf Wunsch Ichers, aufzuhalten. So
war der denkwürdige Kriegszug gegen Hanau füjr diesmal be-
endigt, die Reisigen zogen vergnügt mit ihrem «Stegjörge na in
die Stadt ein.
Aber das böse Nachspiel sollte kommen. Der Graf Philipp
und seine Amtleute waren über diesen Ueberfall und besonders
über den Angriff auf das Willslätter Schloß sehr erbost. Sie
beschuldigten die Stadt des Landfriedensbruches. Zudem wurde
den Söldnern beleidigender Weise nachgesagt, sie hätten ihre
Zechen gar nicht bezahlt. Das machte böses Blut. Die Straß-
burger wollten die Beschuldigung der Zechprellerei nicht
auf sich ruhen lassen. Sie forderten den Schultheißen von
Willstätt auf, die noch ausstehenden Forderungen an sie zu
richten. Das machte nun zwei Pfund Pfennige und einige
Schilling. Es ärgerte die Straßburger vor allem, daß er alle
Kleinigkeiten sich bezahlen ließ und für eine «alte Fläsche»
drei ganze Kreuzer forderte. Ein erzürnter Straßburger meinte
im Verlauf des Prozesses, als gehässige Reden auf beiden
Seiten ausgestoßen wurden:
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— 38 —
«Die Einwohner zu Willslätt möchten wohl leiden und
gern sehen, daß sie alle Monat oder alle Woche einen solchen
Ueberzug hatten, da sie ihre faulen Eier auf keinem Markt
hätten höher verkaufen können.»
Graf Philipp von Hanau klagte nun nach sorgfaltigem Ver-
hör beim Reichskammergericht auf Landfriedensbruch und
Sachbeschädigung. Beiderseits wurden die besten Juristen
aufgeboten. Der Straßburger Anwalt war Reiffsteck. Die Stadt
stützte sich auf ihr altes Privileg der Selbstverteidigung : Der
Graf habe sie an dem Recht der Freizügigkeit geschmälert.
Das Reichskammergericht, das auf die mächtige, protestantische
Stadt Straßburg nicht gut zu sprechen war, führte lange Ver-
handlungen 1527, 1532 und die nächsten Jahre, die wegen
der Anwesenheit der Gesandten der Stadt ungeheure Summen
verschlangen. 1 Endlich am 26. September 1537 wurde das
Urteil «in Sachen des kaiserlichen Penalmandats, auch des
Friedbruchs zwischen Herrn Philippsen, Grafen zu Hanau-
Lichtenberg, Klägern eines und Meister und Rat der Stadt
Straßburg Beklagten andern Teils» verkündet. Es lautete auf
eine Strafe von 50 Mark Gold, zur Hälfte dem Reichskammer-
gericht und zur anderen Hälfte dem Grafen zahlbar.
Die Stadt fand das Urteil unerhört, um so mehr als sie
sich im Recht glaubte. Sie behauptete, die Strafe sei unge-
recht, und die • Kammerrichter wären parteiisch gewesen.
ReifTsteck meinte, die geringfügigen Ausschreitungen der Söldner
seien doch kein Landfriedensbruch gewesen, man solle nicht
aus einer «Mucken» einen «HelfTanten» machen und sich von
dem hanauischen Anwalt keinen «ströhenen Bart» Hechten
lassen. Die Stadt gab sich darauf alle Mühe, das Urteil durch ein
Syndikat umzustoßen. Sie schickte ihre Gesandten Bernhard
"Wurmser, Jakob Sturm und Martin Herlin auf den Städtetag
nach Braunschweig (20. April 1538) und an die Fürstenhöfe
und Kanzleien, um sich über das Reichskammergericht zu
beschweren und für ihre Sache Stimmung zu machen.
Der sächsischen Kanzlei händigte sie 100 fl. ein, 80 den Ge-
lehrten und 20 den Schreibern, ebenso erhielten die hessi-
schen und die lüneburgischen Kanzlisten je 50 fl., 40 die
Gelehrten und 10 die Schreiber, für die Mühe, die Prozeß-
akten zu studieren und Gutachten abzugeben.« Die Stadt
weigerte sich entschieden, die Strafe anzuerkennen und hinter-
legte, um nicht der Ausflüchte wegen der 50 Mark Golds
1 Vergl. auch Virck und Winkelmanu «Politische Korrespondenz
der Stadt Straßburg» II, S. 41, Anm. 2 und I, S. 249.
2 a. a. 0. II, S. 472.
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beschuldigt zu werden, 3000 Goldgulden bei dem Rat der Stadt
Speier.
Die Stadt Straßburg drohte, wenn sie verurteilt würde,
die Prozeßakten durch den Druck zu verbreiten und an die
Reichsfürsten und Städte zu verschicken.* Das beantragte Syn-
dikat wurde aber verschoben und am 27, Januar 1539 vom
Kammergericht trotz aller Einwände der Befehl zur Ausführung
des Urteils gegeben. Der Kurfürst von Mainz schrieb nun
doch das Syndikat auf Drängen Straßburgs nach Speyer auf
den 1. Mai 1539 wiederum aus. Von Basel sollte der berühmte
Jurist Dr. Bonifazius Amorbach als Rechtsbeistand Straßburgs
eintreffen. Am 1. März jedoch und am 8. verlangte die ver-
urteilte Stadt nun ihrerseits selbst Aufschub des Syndikats und
legte die Forderungen dem Kaiser vor, daß u. a. das Kammer-
gericht mit unparteiischen Richtern zu besetzen sei und die
Streitigkeiten auch betreffs des Willstätter Zugs einer Reichs-
versammlung vorgelegt werden sollten. 8 Allein von dem
Frankfurter Städtetag traf die gegenteilige Nachricht ein
(12. März), daß «die Willstettisch sach und fürgenommen
Syndikat» erst recht nicht aufgeschoben werden würde und
somit nicht an die Reichsslände gelange. Straßburg schickte
nun unter großen Kosten nicht allein die Ratsfreunde Bern-
hard Wurmbser und Martin Herlin samt den Anwälten nach
Speyer, sondern lud auch die Fürsten und Kurfürsten und die
protestantischen Reichsstädte unter vielen Bitten ein, nach
Speyer zu kommen und Vertretungen zu senden. Als nun
aber am 1. Mai die Freunde Straßburgs in Speyer ankamen,
fanden sie nicht einen einzigen Menschen der Gegenpartei vor.
Endlich am 6. Mai 1539 erschienen drei Richter und erklärten,
daß der Reichskanzler nicht gewillt sei, wegen der Straßburg
zuerkannten Strafe weiter zu verhandeln. Es blieb nun der Stadt
Straßburg nichts anderes übrig, als den ganzen Verlauf und
die Akten des Prozesses in einer Druckschrift zu veröffentlichen,
was auch geschah. Am 8. Juni beteiligte sich Jakob Sturm an
dem Tag in Worms, wo er den einzelnen Ständen Exemplare
der Druckschrift aushändigte. Der Streit um den freien Zug
wurde erst 1545 im Hagenauer Vertrag zwischen der Stadt
und dem Grafen Philipp IV., dem Jüngeren, von Hanau-
Lichtenberg beigelegt, wodurch Straßburg seine Wünsche er-
füllt sah.
* a. a. 0. II, S. 492.
2 a. a. 0. II, 5G0 Anm. 3.
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VI.
Sagen aus dem krummen Elsaß,
gesammelt von Lehrern und Lehrerinnen der Schul-
inspektion Saarunion,
veröffentlicht von
Kreisschulinspektor Monges.
III. Aus dem Kanton Lützelstein.
184. Das wüste Loch im TiefFenbacher Wald.
Vor langer Zeit gingen drei Männer von Aßweiler nach
Volksberg. Als sie im T i e ff e nbacher Wald an das soge-
nannte «wüste Loch» kamen, sahen sie auf einer lichten
Stelle drei Pferde im Gras weiden, ein weißes, ein schwarzes
und ein braunes. Sie waren alle drei aufgesattelt. Da sagte
einer von den Männern: «Kommt, wir wollen drauf sitzen».
Als sie auf sie zugingen, erhoben alle drei Pferde ein lautes
Lachen, flogen in die Luft und verschwanden.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
185. Der Feuermann von Hinsburg.
In der Umgebung von Hinsburg hielt sich früher ein
Feuermann auf. Er begegnete des Nachts den Leuten und
spielte ihnen gern einen Schabernack. Wer ihn um Hilfe bat,
dem stand er bei ; wer ihn aber neckte, den strafte er.
Einmal fuhr ein Mann von Hinsburg in der Nacht über
den großen Mittelberg. Da ging ihm am Wagen eine «Liene»
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heraus (Achsennagel, der das Abspringen des Rades verhindert).
In der Finsternis konnte er ihn nicht mehr finden. Deshalb
rief er dem Feuermann. Dieser kam sogleich und suchte ihm
den Liene. Beim Zurückgeben bat er den Mann, ihm die
Hand zu reichen. Dieser aber fürchtete sich und hielt ihm
den Peitschenstock hin. Kaum hatle ihn der Feuermann an-
gerührt, so verbrannte er zu Asche.
Ein andermal gingen zwei Männer des Nachts von Hins-
burg nach Puberg. Unterwegs sahen sie den Feuermann von
weitem. Da liefen sie, was sie konnten, in das erste Haus von
Puberg und riefen zum Fenster hinaus :
«Fiirmann, Hawerstroh !
zeig, wie schnell bisch du doU
Gleich darauf schlug es heftig an die Tür. Und als sie am
anderen Morgen hinauskamen, sahen sie daran eine einge-
brannte Hand.
Mitgeteilt von Lehrer Adam zu Straßburg, früher zu Hinsburg.
186. Die glühenden Kohlen und die Scherben.
Vor ungefähr 100 Jahren ging einmal ein Mann von
Rosteig ins Katzental hinüber, um seine Wiesen zu wässern.
Unterwegs stopfte er seine Pfeife und kam eben an den allen
Klostergarten des früheren Klosters Kahlenburg. Dort brannte
ein kleines Feuer. Er nahm eine Kohle, legte sie auf die
Pfeife und schloß sie mit dem Deckel. Gewohnheitsmäßig saugte
er nun an der Peife, ohne gleich zu bemerken, daß der Tabak
nicht brannte. Endlich wurde er es doch inne und nahm den
Deckel ab. Da lag auf dem Tabak ein goldenes Zwanzig-
frankenstück. Nun ging er schnell an den Ort zurück, um
noch mehr solcher Kohlen zu finden. Aber es war alles ver-
schwunden.
Aebnlich erging es einer Frau. Sie sah an dem näm-
lichen Platz schöne Scherben liegen und nahm einen mit sich
zum Spielen für ihr Kind. Als dieses damit spielte, war der
Scherben plötzlich ein Goldstück. Ihr Suchen nach den andern
Scherben war vergeblich.
Mitgeteilt von Lehrer Lavalette zu Rosteig.
187. Das Kind im Brunnen.
Um das Jahr 1845 arbeitete ein Mann von Roste ig mit
seinen Kindern einmal auf dem Felde Kahlenburg, nicht weit
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— 42 —
vom alten Kirchhof. Der Mann bekam Durst und schickte seine
Tochter an die nahe Quelle, um Wasser zu holen. Diese Quelle
soll der Klosterbrunnen gewesen sein, und es sollen die
silbernen Glocken des Klosters darin liegen. Da das Mädchen lange
ausblieb, schaute der Vater nach ihm. Er sah es vor der
Quelle sitzen und rief ihm zu, es möge doch schöpfen. Doch
das Mädchen kehrte mit leerer Flasche zurück und erzählte,
es hätte ein schönes eingewickeltes Kind in dem Brunnen auf-
und absteigen sehen. Man glaubte ihm nicht, und alle gingen
zur Quelle. Das Mädchen sah das Kind wieder. Die andern
aber konnten nichts bemerken. Kurze Zeit darauf starb das
Mädchen im Alter von 21 Jahren.
Mitgeteilt von Lehrer Lavalette zu Rosteig.
188. Das wütende Heer.
In Reiperts weiter erzählen die Leute viel vom
«Wideheer» oder von der wilden Jagd. Manche wollen zu
bestimmten Zeiten in der Nacht ein Rossein und Klingeln ge-
hört haben, das sich wie Gesang und Musik anhörte. Dabei
vernahmen sie oft den Ruf «Hotatalo Wer auf diesen Ruf
Antwort gab, kam nicht ohne Schaden davon.
Mitgeteilt von der früheren Lehrerin Strub zu Reipertsweiler.
189. Der feurige Mann bei Reipertsweiler.
Früher haben die Leute von Reipertsweiler am Bühl oft
einen feurigen Mann auf dem Felde gesehen. Dann haben
sie gerufen :
Firiger Mann, Hawerstrohl
Komm doher un zing (zünde) mer do!
Wenn aber der feurige Mann kam und ihnen zünden wollte,
haben sie die Tür vor ihm zugeschlagen. Dann hat er an die
Tür geklopft. Und man hat die Spuren seiner feurigen Hand
noch lange an der Tür gesehen.
Der feurige Mann hat immer einen großen Stein in der
Hand getragen und gerufen: «Wo soll ich ihn hinstellen?»
Einmal gab ihm ein herzhafter Mann die Antwort : «Dorthin,
wo du ihn geholt hast !» Jefzt verschwand der feurige Mann
und wurde nicht mehr gesehen.
Mitgeteilt von Lehrer Martzolff in Reipertsweiler.
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190. Der Heiler an dem Totenberg.
Ein Mann von Reipertsw eiler ging einmal nach
Lichtenberg. Als er an den Tolenberg 1 kam, lag da ein dicker
eichener Heiler (Knüppel). Da dachle der Mann : Dich nehme
ich mit ! Je länger er ihn aber trug, desto schwerer wurde
er ihm. Und als er unten an Lichtenberg an das Kreuz kam,
sprang ihm der Heiler vom Rücken und klatschte in die Hände.
Mitgeteilt von Lehrer MartzolfT zu Reipertsweiler.
191. Der goldene Becher.
Ein Mann von Reipertsweiler kehrte einmal in der
Nacht zurück vom Lande. Als er oben an die Champagne
bei Lichtenberg kam, war da ein lustiger Tanz. Eine bekannte
Dame aus Buchsweiler reichte ihm ihren goldenen Becher. Er
sagte: «Gesundheit!» Da war alles vor seinen Augen verschwun-
den. Den Becher aber hatte er noch in der Hand, und er nahm
ihn mit nach Hause. Des andern Morgens in der Frühe kam
von ßuchsweiler ein Diener, um den Becher zu holen, damit,
der Mann jener Dame nicht dahinter komme.
Mitgeteilt von Lehrer MartzolfT zu Reipertsweiler.
192. Die Blume beim Tierkirchlein.
Zwischen Lichtenberg und Ingweiler liegt mitten im
Gebirgswald die Ruine einer früheren Kirche, Tierkirchlein
genannt. Sie soll mit dem nahen Kloster Selbof durch einen
langen unterirdischen Gang verbunden gewesen sein. Im
Volksmunde gehen noch allerlei Sagen vom Tierkirchlein.
a) Einst ging ein Wanderer zur Winterszeit an der Ruine
vorbei und sah zwischen dem Gemäuer eine herrliche Blume
blühen. Er vernahm von ihr die Worte: Brich mich abl
Brich mich abl Aber er ging vorüber, ohne der Mahnung zu
folgen. Als er eine kurze Strecke weiter war, hörte er hinter
sich rufen : Hättest du mich gebrochen, so hättest du einen
großen Schatz gefunden, der unter dem Steingeröll verborgen
liegt !
Mitgeteilt von Lehrer Gary zu Lichtenberg.
1 Der Totenberg ist dtr Bergabhang zwischen Lichtenberg und
Reipertsweiler. Er soll seinen Namen deshalb tragen, weil in alter
Zeit, als Lichtenberg noch keine Kirche und keinen Kirchhof hatte
and seine Toten in Reipertsweiler begraben wurden, diese über den
Totenberg hinunter getragen werden mußten.
b) Einmal waren Holzhauer aus Lichtenberg in der Nähe
des Tierkirchleins beschäftigt. Zur Mittagszeit brieten sie sich
Kartoffeln in der Asche eines Kohlenfeuers. Ein vierzehn-
jähriger Junge ging mit einem steinernen Krug hinab ins
«Brüdertal» und holte am «Glockenbrunnen» frisches Wasser.
Gemütlich den Weg wieder heranschlendernd, gewahrte er am
Wegrand ein schönes Himmelsschlüsselchen. Gleich pflockte
er es ab und steckte es in den Mund. Nach einigen Schritten
nahm er den Krug zur Abwechslung aus der rechten in die
linke Hand. Dabei geschah es, daß er unwillkürlich stark auf
den Stiel des Blümchens biß, da war er durch. In diesem
Augenblick stand eine weiße Dame vor ihm und sprach: «0 !
jetzt hast du den Schlüssel gebrochen, mit dem du zu großen
Schätzen gekommen wärest ! s> Und Dame und Blume waren
verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrer Brockly in Eberbach.
193. Der Name des Dorfes Wimmenau
Vor vielen hundert Jahren ritt einmal ein Krieger das
Modertal hinauf. Manche sagen, es sei der Teufel gewesen.
Der Reiter hatte Mühe, sein Pferd vorwärts zu bringen ; denn
der Weg war tief sandig, und ein heftiger Wind trieb große
Staubwolken in die Höhe. Da, wo jetzt Wimmenau steht,
wehte der Wirbelwind dem Reitersmann eine solche Menge
Sand in das Gesicht, daß ihm Hören und Sehen verging. Ein
Auge konnte er vor Schmerz gar nicht mehr öffnen. Er rieb
es sich mit der Hand, indem er immer wieder rief: «Weh
min Au! Weh min Au!» Daher hat der Ort den Namen
Wimmenau erhalten.
Mitgeteilt von Lehrerin Loegel zu Offweiler,
früher zu Wimmenau.
194. Der geisterhafte Sack.
Ein Fuhrmann aus Wimmenau, der Holz gefahren
hatte, sah auf der Heimreise zwischen Buchsweiler und Nieder-
sulzbach einen Sack am Wege liegen. Da er noch gut war, hob
er ihn auf, nahm ihn mit heim und legte ihn in den Hausgang.
Als er aber der Frau den Sack zeigen wollte, sprang ein Mann
die Treppe hinauf und klatschte in die Hände. Des Nachts
hörten sie ihn oft.
Da verkauften sie ihr Haus und zogen nach Amerika,
nahmen aber auch den Sack mit. Nachdem sie mehrere
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Wochen dort waren, schrieben sie ihren Freunden, daß er
ihnen auch in Amerika keine Ruhe lasse. Die Leute behaupteten,
die Familie habe den Mann «gekauft», indem sie den Sack
behielt.
Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim.
195. Der Geist unter dem Backofenf eisen.
In einem Hause zu Er ka r t s w ei ler war es früher
nicht ganz geheuer. Die Bewohner hörten des Nachts lautes
Jammern und Poltern. Da ließen sie einen Kapuziner kommen.
Dieser nahm den Geist gefangen und setzte ihn unter den
Stubenfelsen auf dem nahen Forlen köpf.
Drei Tage war nun in dem Hause Ruhe. Aber danach
fing das Jammern und Poltern von neuem an. Der Kapuziner
wurde abermals herbeigerufen. Er fragte den Geist, warum
er nicht unter dem Stubenfelsen geblieben wäre, und erhielt
zur Antwort : «Ich will weder Knecht noch Magd eines andern
sein; denn unter dem Stubenfelsen wohnt schon ein anderer
Geist».
Wieder fing der Kapuziner den Unruhestifter und führte
ihn jetzt unter den Backofenfelsen im Moostal. Der Haus-
besitzer ließ die Felsenhöhlung weiß austünchen, damit dem
Geiste die neue Wohnung gefalle. Von der Zeit an hörte der
Spuk auf.
Mitgeteilt von Lehrer Wanner zu Erkarlsweiler.
196. Das Feuer mit der blauen Flamme.
Ein Bürger von Erkart s wei 1 er , der einen Stelzfuß
trug, ging beim Anbruch der Nacht neben einem Wagen voll
Gras aus der Meisenbach herauf. Als er an den Platz kam,
wo heute das Forst haus Vorderkopf steht, sah er am Wege ein
kleines Feuer mit blauer Flamme brennen. Er tat einen Schritt
darüber und streifte dabei mit dem Stelzfuß einige Kohlen-
stückchen hinweg. Am andern Morgen fand man an der
Stelle alte Geldstücke.
Mitgeteilt von Lehrer Wanner zu Erkarlsweiler.
197. Die zwei weißen Frauen.
Zwei- Brüder von L ü U e 1 s t e i n begaben sich einmal
morgens um zwei Uhr in ein Wiesental, um zu mähen. Als
sie eine Strecke den Mühlweg hinunter gegangen waren, drehte
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sich der ältere Bruder um und sagte zu dein jüngeren, der
ihm folgte: «Siehst du nichts?» Dieser antwortete: «Ich sehe
es schon lange!» Vor ihnen her schritten zwei weiße Gestalten.
Sobald die Männer schneller gingen, beschleunigten auch die
weißen Frauen ihren Schritt. Als sie an den Bärenberg kamen,
bogen die Frauen in denselben ein. Die beiden Brüder aber
gingen weiter. Da sprach der ältere zu dem jüngeren: «Jetzt
wollen wir doch auskundschaften, was das ist!» Sie kehrten
um und schlugen den nämlichen Weg ein. Aber von den
Frauen fanden sie keine Spur mehr.
Mitgeteilt von Lehrerin Mugler zu Lützelstein.
198. Eine Holzfuhre und ihr Hindernis.
Ein alter Mann von Lützelstein fuhr als dreizehn-
jähriger Knabe einmal mit einem Knecht auf den Mittelberg,
um Holz zu holen. Sie hatten zwei starke Ochsen und ein
Pferd vorgespannt. Der Knecht lud ein halbes Klafter Holz
auf. Als sie die «Kirschbamer Dele» herabfuhren, blieben die
Tiere auf einmal stehen. Kein Zuruf konnte sie von der Stelle
bringen. Da lud der Knecht die Hälfte des Holzes ab, um-
sonst! Auch jetzt zogen die Tiere keinen Strang an.
Nun ging der Knecht in ein Gebüsch, um einen Stock
zu schneiden. Auf einmal erblickte er in einiger Entfernung
ein altes Bettel weib. «So, bist du da, alte Hexe», rief er aus
und tat mit einem derben Fluch einige Schritte auf das Weib
zu. Dieses aber machte sich eiligst davon. Der Knecht kehrte
zu seinem Wagen zurück. Das abgeladene Holz wurde wieder
aufgeladen. Jetzt zogen die Tiere an, und ohne weiteres Hin-
dernis fuhren sie nach Hause.
Mitgeteilt von Lehrerin Mugler zu Lützelstein.
199. Der Rentmeister im Finstertal.
Unweit des Mühlweihers von Eschburg öfFnet sich
ein enges, düsteres Waldlälchen, das Finstertal. In seinem
Hintergrunde sprudelt im geheimnisvollen Schatten mächtiger
Buchen eine klare Quelle aus dem weichen Waldboden hervor.
Wenn im heißen Sommer die Sonnenstrahlen sengend auf dem
gewaltigen Blätterdache lagern, sieht der einsame Wanderer hier
eine große, dunkle Gestalt über das murmelnde Wässerlein
gebeugt. Und vernehmlich dringen die eintönigen Worte an
sein Ohr: «Ein Schoppen Wasser und drei Schoppen Wein
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geben auch ein Maß». Dieses gespensterhafte Wesen ist der
Rentmeister im Finstertal.
Früher war er der glücklichste Besitzer einer gut be-
suchten Gastwirtschaft. Er setzte aber seinem Wein ein gut
Teil Wasser zu und betrieb ausgedehnte Geldgeschäfte, um
rasch zu Reichtum und Ansehen zu gelangen. Den Geld-
geschäften verdankt er seinen Namen. Und wegen der Ver-
fälschung der edlen Goltesgabe hat ihn der liebe Gott zum
warnenden Beispiel für alle Weinfalscher in das Finstertal
verbannt. Hier muß er an dem klaren Wässerlein das Sprüch-
lein, das einst sein Leitstern gewesen, bis in alle Ewigkeit
murmeln.
Mitgeteilt von Lehrer Erdmann zu Eschbuig.
200. Der Vier-Gemeinden- Wald.
Vor langer, langer Zeit ging einmal ein Graf mit seiner
Frau im Sommer spazieren. Es war so heiß, daß der Graf
fast verschmachtete. Da erbot sich die Gräfin, ihm Kühlung
zu verschaffen. Sogleich brach ein gewaltiger Sturm los. Er
brachte ein furchtbares Hagelwetter, das die Banne der vier
Gemeinden Steinburg, Eckartsweiler, Ernolsheim und Dossen-
heim zerschlug.
Als diese später erfuhren, wer an dem Unwetter schuld
war, forderten sie von dem Grafen Ersatz. Um sie zufrieden
zu stellen, gab er ihnen auf dem rechten Zinselufer des Dos-
senheimer Tales einen großen Wald, an dem alle vier
Gemeinden Teil haben und der darum der Viergemeindewald
genannt wurde. Seine Frau aber ließ der Graf töten, weil er
sie als eine Hexe ansah.
Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim,
früher zu Pfalzweier.
201. Der Räuber vom Hirteneck.
Ein besonderes Mitglied der Räuberbande von der «Diebes-
schelle» im Grauftal war ein junger Hirt, der im soge-
nannten Hirteneck wohnte, d. i. in den Felsen rechts von der
Zinsel, wo die Hirten früher bei Unwetter Schutz suchten. Da
er schön und angenehm war, schickte ihn der Räuberhauptmann
hie und da aus seinem sicheren Versteck hinaus in die elsäs-
sische Ebene. Von dort lockte er durch sein einnehmendes
Wesen zahlreiche Opfer in das Zinseltal, wo sie von den
Räubern überfallen wurden.
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Einmal gelang es ihm, eine vornehme Jungfrau zur Flucht
zu betören. Sie verließ heimlich das Haus ihrer Eltern und
zog mit ihm in die Berge. Er überlieferte sie aber nicht den
Räubern, sondern behielt sie als Lebensgefährtin bei sich.
Als der Hauptmann von diesem Ungehorsam erfuhr, ließ er
beide ums Leben bringen.
Seither wandelt die Jungfrau oft trauernd im weißen Ge-
wände und mit gesenktem Haupte vom Hirteneck hinüber nach
der Pfalzburger Genend. Auch .andere Leidensgenossinnen
halten sich im Hirteneck auf, kommen in der Nacht zusammen
und sitzen auf den «r Hexensessel n», den ausgewaschenen Sand-
stein felsen.
Mitgeteilt von Lehrer Ulrich zu Schaflhausen,
früher zu Grauftal.
202. Der schwarze Hund in Pfalzweier.
Im Jahre 18t)3 wurde in P f a I z w e i e r der Kirche gegen-
über ein kleines Haus abgerissen, in dem es nicht geheuer
sein sollte. In dasselbe war ums Jahr 1815 der «Schnider-Jerri»
(Schneider Georg) gezogen. Er war ein Ungar und im Kriege
mit den Russen hierher gekommen.
Obwohl er lange Zeit «das Mensch» (der Geliebte) eines
Mädchens war und ihm das Heiraten versprochen halte,
heiratete er doch eine andere. Als man nun in der Nacht
noch beim Hochzeitsschmause saß, stellte sich ein großer,
schwarzer Hund vors Fenster und ließ sich nicht vertreiben.
Als die Tür aufging, sprang er hinein und setzte sich dem
Hocbzeiter zwischen die Füße. Diesem blieb nichts anderes
übrig, als mit dem Hund hinaus unter den Schuppen zu
gehen. Nachdem er ihn gestreichelt und ihm flattiert hatte,
lief er wieder fort.
Von jener Zeit an sagten die Leute, beim Schnider-Jerri
sei nicht alles richtig. Und jedermann gruselte es, wenn er
einmal in das Haus mußte. Im Jahre 1834 wanderte der
Schnider-Jerri nach Amerika aus.
Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim,
früher zu Pfalzweier.
203. Das Nonnenbrünnel.
Ungefähr in der Mitte des steilen Waldweges zwischen
Schönburg und Grauftal sprudelt nicht weit von dem Weg
eine kleine Quelle hervor, die das Nonnenbrünnel genannt wird.
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Niemand geht hier gern vorbei, wenn es dunkel geworden ist.
Denn jede Nacht führen die Nonnen des früheren Klosters
Grauftal ihre geisterhaften Tänze auf. Wehe dem, der sie
dabei stört ! Sie eilen auf ihn zu, fassen sich an den Händen
und führen einen Reigen urn ihn auf. Dabei flattern ihre
langen, weißen Gewänder um den Unglücklichen, so daß ihm
zuletzt ganz schwindlich wird. Immer enger ziehen die Nonnen
den Kreis, immer schneller werden ihre Bewegungen. Endlich
packen sie ihn und stürzen ihn in den Abgrund.
Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hohfrankenheim.
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VII.
Wibelsbach.
Ein Beitrag zur Geschichte der clsässischen Oedungen
von
Theobald Walter.
Ein aller Zinsrodel des ehemaligen Basler Klosters Klingen-
thal, 1 der aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts stammt, be-
richtet u. a. Diz ist dazgüt ze W i h e I isbac h : Zern
ersten in dem banne ze Wezeishein 2 fvnf schätze
in Beckendal nebent Herrn Dietrichs Svnen
von Blienswili-3 vnd drie schätze ze Beche
nebint Heinzeline von Blienswilre vnd ein
schaz an dem Ergestal nebint Hern Dietriches
von Blienswilr.
Diz sint die pfenning zinse ze Wibelsbach:
Zern ersten Cvnrat von Wibelisbach drie
Schilling von simeHof vndeime garten, der dar
zuhöret. Heinrich Trunggellt drie Schillinge
von einre geteildedes vorgenanlen Hofes vnd
von eime garten vnd derselbe Heinrich einen
Schilling vnd ein Cappen von eime schaze nebint
der Linde vnd von drien schazen an dem Wüsl-
1 Staatsarchiv Basel, H 3.
2 Wettolsheini.
3 Bliensweiler ist ein abgegangener Ort mit Wasserschloß
zwischen Colmar and Heiligkreuz. Vgl. Straub. Les vi Hages disparus
en Alsacc. — Dietrich von Bl. starb am 1. Febr. 1290 und liegt in
Pairis begraben.
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51 —
acker nebint des Kilchherren güt v n d aber
Gfinrat von Wibelsbach eine gans von vier
schätzen ze Mittelhvsereni nebent Heinrich
in dem Wiger.
Der Name Wibelsbach ist heute in den Gemarkungen von
Wettolsheim und Egisheim nicht mehr nachzuweisen ; und
dennoch bezeichnete er eine Siedelung inmitten der Reb-
hügel am Fuße -der Dreiexen. Fügt doch eine spätere Hand
etwa am Anfange des 16. Jahrh. zu obigem Gültenverzeichnis
den Randvermerk: Dis Dorff ist zwischen Egiß-
heim vnd Häusern gelegen gewest, jetzt zer-
stört.
Das alte Urbarbuch der Straßburger Kirche, 2 das eben-
falls Verhältnisse aus dem beginnenden 14. Jahrh. wieder-
gibt, kennt unser Wibelsbach auch. Auf Blatt 88 lesen wir
nämlich: Item Cuntzeman von Andelah hetahte
Schetze reben nebent dem kirsegarten zu
W r i b e 1 s b a c h in Egensheim banne. Item ante
Schetze nebent der kalgmatten zü Wibelsbach
vnd nebent der von Unterlinden. — Desgleichen
waren dort begütert St. Kreuz im 14. Jahrh. und Marbach
noch 1488.3
Merkwürdigerweise sind die Flurnamen Wüstacker, Linde,
Kirchgarten und Kalkmatte, die zur genauen Bestimmung der
Oertlichkeil beitragen könnten, nicht mehr vorhanden.
Daß der Ort auch seine Adelsfamilie besaß, beweist ein
Schriftstück des Klosters Pairis. 4 Margreth von Wibelsbach, die
Witwe des Edelknechtes Großberschin von Bliensweiler schenkte
1334 allerlei Güter an das Kloster im obern Weißtale; sie be-
wohnte Wibelsbach jedoch nicht mehr, sondern hatte ihr Heim
in Egisheim prope portam inferiorem. Der vorgenannte
Conradus von Wibelisbach gehörte wohl zu demselben Ge-
schlechte. Wann der Ort, der nie von großer Bedeutung
gewesen sein mag, zugrunde ging, ist nicht nachweisbar.
Eine alte Sage behauptete Wibelsbach und Mittelhäusern
hätten in wilder Fehde die Dreiexen und sich selbst ver-
i Ein abgegangener Ort bei dem heutigen Häusern, der wie
Wibelsbach in Stranbs Verzeichnis fehlt.
* Bezirksarchiv Straßbarg G, 377.
» Stoffel (Hist.-Topogr. Wörterbuch S. 590) vermerkt den Namen
nur als Flnrname.
* Bezirksarchiv Colmar. Pairis 8. 4. — Margareta de Wiblis-
bach relicta quondam dicti Grosberzschin de Blienswilr arrai-
geri . . .
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— 52 —
nichtet;i urkundliche Nachrichten fehlen leider gänzlich.
Aller Wahrscheinlichkeit nach verschwanden beide schon in
den kriegerischen Wirren der Engländereinfalle 13ü5 und
1375, die unzählige unserer Weiler auf immer niedergelegt
haben.
1 Vgl. Scherten. Die Herren von Hattstatt usw. S. 15ö.
VIII.
Die Spiele der Jugend
aus Fischarts Gargan tua cap. XXV.
Von
Heinrich A. Rausch.
Das Verzeichnis der Spiele, welche Fischart den jungen
Gargantua spielen läßt, stellt eines der wunderlichsten Denk-
mäler elsässischer Kulturgeschichte dar.
Denn Fischarl beschränkte sich nicht darauf, in sein «Spiel-
verzeichnis» die wirklichen Kinderspiele seiner Zeit aufzunehmen,
sondern in buntem, phantastischem Durcheinander folgen sich
Kinderspiele, Kinderlieder, Karten-, Würfel- und Brettspiele,
Gesellschaftsspiele, Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten,
Liedanlange, Rätsel und Scherzreime, seihst Volkstänze.
Trotzdem Fischart eine Reihe von Spielnamen seiner Vor-
lage, dem Gargantua des Rabelais und ebenso dem Nomen-
clator des Hadrianus Junius entlehnt hat, so bleibt uns immer
noch eine stattliche Anzahl von Ausdrücken, die uns ein schönes
Bild von den Vergnügungen der Alten und Jungen Fischart-
scher Zeit geben.
Leider gestattet uns der beschränkte Raum nur die Jugend-
spiele, Lieder, Rätsel und Scherzreime und die Volkstänze einer
näheren Betrachtung zu unterwerfen.
Nach diesen Kinderspielen und Liedern, welche die Spiele
begleiteten, wollen wir nun in unserem umfangreichen Ver-
zeichnisse forschen.
Da Rabelais' Verzeichnis nur reine Spiele, sowohl solche
Erwachsener als auch der Kinder enthält, so ist es natürlich,
daß gerade in diesem Teil die Benutzung Rabelais' durch Fi-
— 54 —
schart in ihrem ganzen Umfange zutage tritt, noch deutlicher
als bei den Karten-, Würfel- und Brettspielen.
Ebenso wurde Junius auch nicht verschont ; er lieferte
Fischart, was er nur eben bieten konnte.
Bevor wir an die Einteilung dieser zahlreichen Spiele gehen,
stellen wir sie zunächst in einer Tabelle zusammen, wie sie
sich uns der Reihe nach darbieten :
Tabelle der Jugendspiele,
welche in dein Verzeichnisse Fischarts genannt sind.
R = Rabelais : Fr. Rabelais : La vie de Gargantua et de Panta-
gruel. Edit. Esmangart et E. Johanneau, Paris 1823. J = Junius :
Hadrianus Junius : Xomenclator omnium rerum propria nomina variis
Unguis explicata etc. 1602. Fi — Fischart : Joh. Fischart : Geschicht-
klitterung (Gargantua). Hrsg. A. Alsleben. 1891. Die eingeklammer-
ten Zahlen beziehen sich auf das ganze Spielverzeichnis, a = 1. Aus-
gabe der €Geschichtklitterung» von 1575. b = 2. Ausg. von 1582.
c = 3. Ausg. von 1590.
1 (20) Plinden mAuß. 2 ('21 ) Eselin beschlagen. 3 (25)
(b) Dü der Haß, ich der Wind. 4 (26) (b) Ich hang, ich
haffte. 5 (27) (b) In Himmel, in d' HÖH. 6 (28) (b) Der
Wolff hat mir ein Schäflein gestolen, weil ich KÄß und Brot
will holn. 7 (32) Der Unfur. 8 (47) Königs lösen J? 9
(50) (b) Wer hat dich geschlagen, ist mir leid för den schaden,
ich reche mein Unschuld. 10 (60) Der Bönen R. 11 (70)
Nun fah den Ball, eh er fall. 12 (72) Des Plättlins R. 13
(73) Vber eck ins bein. 14 (74) Der hupfelrei. 15 (75)
Ballenripotei. 16 (81) Tölpeltrei. 17 (84) Der Girlande. 18
(88) Des Kolbens. 19 (93) (b) Nadel on fadem in Hoff tragen.
20 (94) (c) Pferdlin woll bereit J. 21 (95) (c) Cock, Cock ey
wil J. 22 (96) (c) Lausen oder Noppen J. 23 (97) (c) Finger-
schnellen J. 24 (108) (b) Des Untreuen baurens R. 25 (121)
Inn die Höll (nur in a). 26 (122) Des kftschwantzes R. 27
(125) Der nickenocke R. 28 (133) (b) Der geschrenckten Schenckel.
29 (135) (b) Was für Blumen gebt ihr mir zum krantz? 30
(141) AuflT den Berg faren. 31 (142) Ein rusigen Dib fahen.
32 (147) Gott verleugnen R. 33 (150) Der Baboben R. 34
(151) Primus secundus R. 35 (152) Zu underst des messers R.
36 (154) Des freien Karrens R. 37 (155) Grad oder ungrad R.
38 (J56) Kreutz oder phlttlin R. 39 (159) Härlin zupffen.
40 (160) Ich fisch in meines Herrn tauch. 41 (161) Des schulins.
42 (162) Heimlich seitenspiel ungelacht. 43 (165) Ist Weichsel
reitr. 44 (166) Steyn außgeben. 45 (168) Martres R. 46 (169)
Pingres R. 47 (171) 0>) Haspeln. 48 (173) (b) Ich bin König,
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— 55 -
du bist Knecht. 49 (174) (b) Des deitens on reden. 50 (179)
Schlägels.
51 (181) Häublins. 52 (182) Der weissen Tauben. 53
(185) Des Schupletzers R. 54 (186) Hibu R. 55 (187) Dorelot
häßlin R. 50 (188) Tirelitantine R. 52 (189) Färcklin gang
du vor R. 58 (191) Des weitlochs R. 59 (192) Des Habern
verkauffens R. 00 (193) (c) Der blinden Ku J. ül (194) (c)
Hhat der finger J. 62 (195) (c) Pick Olyet oflfte graef J. 02
(196) (c) Nacht oder lag J. 04 (197) (c) Vergebens machen J?.
65 (198) Gäulchen laß dich beschlagen. 6ß (199) Das eisen
auß der Eß zihen R. 62 (200) Den falschen bauren R. 68
(201) Der heilig ist gefunden R. 69 (204) Burri burrisu R.
20 (205) Ich setz mich R. II (208) (b) Meister hemmerleins
nachfahr. 22 (212) (b) Der Contra teilischen geberden. 23
(214) Mal das Morlin. 24 (215) Der Sau R. 25 (216) Bauch
wider Bauch R. 26 (218) Hühu Eulen R. 22 (219) Der
Himmel hat sich umbgelegt. 28 (220) Der prailen kugel, halben
kugel, kurzen kugel (nur in a) R. 29 (221) Nun geht davon.
80 (2*24) Handwercksmann, was gibst du darzu ? 81 (225) Ochs
inn den Veiolen R. 82 (226) Duck dich Hänßlin duck~dich R?.
83 (228) Eisen abwerffen R. 84 (229) Des barbedoribus R.
85(23J) Bratspißwenden R. 86 (231) Gevatter leihet mir euer
sack B. 82 (232) Esel zemmen. 88 (233) Der Widershoden R.
89 (2Ü4) Der Feigen von Marsilien R. 90 (235) Des Fuchs-
streiffens R. 91 (236) Kohlen ausblasen R. 92 (238) (b) Was
stilstu? Thaler, Thaler. 93 (239) (b) Was seind wir? Stock-
fisch. 94 (241 ) (b) Das Abc reimen. 95 (242) Zum lebendigen
und toden Richter. 96 (243) Des Hogerigen Hofmans R. 92
(244) Des pimpompens R. 08 (245) Des körblin rnachens.
99 (247) Kram außlegen. 1DÜ (248) Der Abereh R. 101 (252)
Der Spindel R. 102 (253) W'ickerlin, wickerlin, wilt mit mir
essen bring ein Messer.
im (254) Ungelacht pfetz ich dich R. 104 (255) Der
Pickarome R. IM (256) Des Roten Rauhen Trecks R. 106
(257) Des Engelarts R. 102 (258) Des Rekockillechen R.
108 (259) Brich den Hafen R. 109 (200) Monlalant R.
llü (263) (b) Des Bräutgams. 111 (264) Die faule prucken
(nur in a). 112 (205) Des kurtzen Steckens R. 113 (206)
Pire vollet R. 114 (267) Kline musettecken R. 115 (208)
Des grübleins R. 110 (269) Deß schnauffers R. 112 (276)
Zur Trompe R. 118 (278) Deß Mönchs R. 110 (279) Tene-
bei R. 120 (280) Das wunder R. 121 (281) Naschettechen,
Nauettechen R. 122 (282) Fessart, Kerbart R. 123 (283)
Sanct Kosman ich rfiff dich an R. 124 (284) Der Braunen
schroter R. 125 (285) Ich fang euch oa ein Meyen R. 120
- 5(5 —
(280) Ich fang euch, wo ich euch ünd. 122 (287) Wo) und
voll vergeht die Fasten R. 128 (288) Der gabeligen eychen R.
129 (289) Deß gegossenen Gauls R. 13ü (290) Deß Wolff-
schwantzes R. 131 (291) Deß furtz inn halß R. 132 (292)
Willhelm lang mir den spiß R. 132 (293) Der Brandelle R.
134 (294) Deß Muckenwadels R. 135 (295) Mein Oechßlin,
mein Oechßlin R. 136 (296) A propoß R. 132 (297) Der neun
Hend R. 138 (298) Chapifon Narrene kopff R. 139 (299)
Der zerfallenen Brucken R. 140 (300) Deß gezäumten schmid
TolinsR. (Colins, ab.) IM (302) (b) Das Handwerck außschreien
R?. 142 (303) (b) Deß Teuffels Music. 143 (304) (b) Wie
vil deß krauts umb ein Heller ? IM (300) (b) Deß Bilgram
steurens. 145 (307) Deß Grolle Gollhammers R. 146 (309)
Deß Kockantins R. 141 (310) Deß Mirelimufle R. 148 (311)
Mouschart R. 149 (312) Der Krotten R. 150 (313) Des Bi-
schofsstabs R. IM (315) Bille bocket R. 152 (310) Der
Königin R.
153 (317) Kopf zu köpf anrechen R. 154 (319) Malle
mort R. 155 (320) Krockmolle R. 15ß (321) Frau wollen wir
die Kuff Wäschen R. 152 (322) Belusteol R. 158 (323) Den
Habern seyen R. 159 (324) Deß Deflendo R. Ifiü (325) Im
mulchen R. lfil (32(3) Des Frases R. i62 (327)' Virevoste R.
163 (328) Deß Bacule R. 1£4 (329) Deß Bauren R. 165 (330)
Die unsinnige esconblelte R. 166 (331) Das tod Thier R. 162
(332) Steig, steig auffs leiterlin R. 168 (333) Der Toden
Sau R. im (334) Deß gesaltzenen arß R, 12ü (335) Des Täub-
lins R. 121 (338) (b) Deß Mörselstein tragens. 122 (339) (b)
Deß Venus Tempels. 123 (343) Deß Besems R. 124 (344)
Spring auß dein husch R. 175 (345) Der verborgenen Kutten R.
126 (340) ßulgen und Seckel im Arß R. 122 (347) O bohe
das Habichnest R. 128 (348) Passauant, Passefort R. 129
(349) Der Petarrade R. 130 (350) Raht wer hat dich ge-
schlagen ? 131 (351) Der Senffsternpflel R. 132 (352) Cam-
bos R. 133 (353) Für sich, hinter sich R ?. 134 (355) Pi-
candeau R. 185 (350) Krocketeste, Hackenkopf R. 136 (357)
Deß Kranchs R. 132 (358) Taillecop R. 138(359) Nasenkönig
Nasart R. 139 (360) Der Lerchen R. 190 (361) Der Stirn-
schnallen R. [Ql (304) Es brent, ich lesch. 1112 (365) Jung-
frau küssen. 103 (366) Im sack verbergen. 124 (367) Der
schönsten den stein. 195 (373) Den Kessel auff dem Leilach
rucken. 196(375) Rahtet jhr, was stund im briefl? Wl (382)
Wer das nicht kan, kan nicht vil. 1118 (383) Teller im Kübel
abschlagen. 19i> (384) Deß Sack zuckens. 200 (386) Fudum
(b die Mor ist im Kessel). 201 (389) Der Geyß hüten.
202 (391) Sie thaten all also. 203 (393) Ich hafft, ich hang.
— 57 —
204 (394) Rindenpfeiflin, Weidenböglin. 205 (395) Vögel auß-
nemmen. 206 (397) Jeder Vogel inn sein Nesl. 202 (398) (b)
Der Verzäuberin. 208 (399) Hurnaus (nur in a). 209 (400)
Den Zweck holen (nur in a). 210 (402) Hup« inn Klee. 211
(404) (b) Teller von der Stangen schlagen. 212 (405) (b) Aufl
dem Gsäß mit gebunden Händen und füssen thurnieren, das
recht ohr inn die lincke Hand, und den arm dardurch ge-
schleift!. 213 (400) (b) Vnser Han der König, der streit ist
gewonnen. 214 (409) Der Baur schickt sein Jockel auß. 215
(410) Frosch fangen. 210 (411) (b) Deß Apts unnd seiner Bruder?
211 (412) Habergaiß zihen (nur in a). 918 (413) Sau treiben
(nur in a). 213 (414) Kluckern, schnellkugeln. 220 (415)
Knopflf oder spitz. 221 (416) Inn kauten, kautenfaul. 222
(418) AufT der brücken suppere inn glorie. 223 (419) Auflf
lellern mit händen gahn. 224 (421) Vber das kreißle. 225
(423) Züll wann ichs trift* (nur in a). 220 (425) Murr murr
nur nicht R V. 222 (420) Den klos und topf werfen (nur in a).
22£ (4i>7) Ritter durchs gitter. 229 (428) Das spill ich auch,
ich auch, die Sau aß ein treck, ich auch. 230 (429) Poselleieh.
231 (449) Durch den Sträl Schalmeien. 232 (452) Pfenning aus
dem krais topfstechen oder nußwerfen (nur in a). 233 (455)
Adam hett siben Sön. 234 (450) Widerfüren. 235 (457) Der
letzt der ists. 230 (462) Hirt sez gais auf (nur in a). 232
(463) Stein verbergen. 238 (464) Schüchle bergen. 239 (465)
Plöchlin machen. 210 (466) Zum zwire, zum zware, der Vogel
ist gefangen. 241 (474) Faul eisen. 242 (476) Der letzt ein
Schelm. 243 (478) Häubeln. 244 (479) Der Braut. 245 (480)
Schuch pletzen. 240 (481) Schelmen» rager. 242 (484) Stecken
stocken. 248 (485) Nestel vom Messer blasen. 249 (486) Nussen-
spicken. 25ü (487) Nestel aus dem krais klosstechen (nur in a).
251 (488) Wie vil schiesest mir auß' ein Nestel.
252 (489) Plöchlin stellen fällen. 253 (490) Zeichen oder
unzeichen. 254 (491) Pfenning im Buch pletern. 255 (493)
Helmlin zihen. 250 (494) Verbergens. 252 (495) Kinder auß-
theilen. 258(496) Schleiften (nur in a). 259 (497) Käß trucken.
2üü (498) Roß machen (nur in a). 2Ü1 (501) Der Träum.
2fi2 (502) Deß beichtens. 163 (503) Deß Schälmeisters mit der
langen Nasen. 204 (505) (b) Der Sunden büß. 205 (51C>) Wer
ja und Nein sagt. 200 (518) Faden umb die händ in vil ge-
stait winden. 202 (521) Mönchsgebelt. 208 (524) Wessen ist
die hand, der finger? 209 (525) Der erst herauß, der letzt
drinnen. 220 (530) Wie gibst den Finken. 221 (531) Wer
was weiß der sags. 222 (536) Den Katzenstrigel. 223 (538) (b)
PfeifTt oder ich such euch nicht J. 224 (539) (b) Kapp komm
auß dem Häußcken J. 225 (542) Bierenbaum schütteln R ?.
- 58 —
276 (543) Knie, kühele gump nit. 277 (545) Trag Heu Knaben.
278 (549) Hütlin, hütlin durch die bein. 279 (550) Rebecca
ruck den slul. 280 (575) Pferdlin wol bereit J. 281 (576)
Ritscben J?. 282 (577) Pfeift! oder ich such euch nicht J.
283 (578; Schulwinckel J. 28-1 (579) Hol oder voll J. 285
(580) Hänlin komm aus dem winckelein J. 286 (581) Das
HAnlin, hänlin hat gelegt J. 287 (590) Wolf beiß mich nicht.
Im Schluß des 25. Kapitels führt Fischart noch eine Reihe
von Spielen an, tdie inns Feld gehörten zuuben».
288 (604) Nestel auß dem Kreiß. 289 (605) Kloßstechen.
290 (606) SchleifTen . 291 (607) schleimen. 292 (608) Ritschen.
293 (609) Roßmachen. 294 (610) Habergaiß ziehen. 295 (611)
Züll wann ichs triff. 296 (612) Böllen räumen. 297 (613)
VmbspÄnnlin. 298 (614) Pfenning vom blöchlin werften. 299
(615) Nuß auß dem Ring dopflwerflen. 300 (616) Den Stecken
auß dem Leimen siechen. 301 (617) Hirt setz Geyß aufF. 302
(618) Hurrnauß. 303 (619) Häubleins. 304 (620) Stecken
steckens. 305 (621) den Zweck holen. 306 (622) Zum zwire
zum zware, der Vogel ist gefangen (nur in b). 307 (623) Zum
ziel schocken. 308 (624) Der weissen Tauben. 309 (625) Der
breiten und halben Kugel. 310 (626) Der faulen Brucken. 311
(627) Zehen paß fünfT Sprung auff eim Fuß.
Alle diese Ausdrücke haben wir in unser Verzeichnis auch
aufgenommen, denn manche von ihnen sind im eigentlichen
Verzeichnisse in den verschiedenen Ausgaben zu finden. Es
sind Knabenspiele und erfreulicherweise nur solche, die Fischart
aus nächster Nähe gesammelt haben wird.
Unsere Tabelle enthält somit diejenigen Spiele, die, streng
genommen allein aufzunehmen Fischart berechtigt gewesen
wäre, nämlich die Spiele, wie sie ein junger Bursche im Alter
des (larganlua wohl hätte spielen können.
Aber auch aus dieser Reihe von Ausdrucken sind noch die-
jenigen auszusondern, die nur Mädchenspiele bedeuten, die aus
Itabeiais und Junius abgeschrieben sind. Sehen wir diese Spiele
als unberechtigt an, in dem Verzeichnisse geführt zu werden,
ziehen wir die Wiederholungen eines und desselben Spieles
unter die gemeinsame Hauptbezeichnung zusammen, dann
erst werden wir eine ziemlich zuverlässige Liste von Spielen
haben, an denen sich die Jugend des Fischartischen Zeitalters
ergötzte.
Streng und prinzipiell alle Mädchen- und Knabenspiele
trennen zu wollen wäre Pedanterie; denn wir können das bei
unserer Jugend heute noch beobachten, daß an den eigentlichen
Mädebenspielen, den Reigenspielen, auch oft Knaben beteiligt
sind. Nicht immer, doch oft; wie überhaupt die Beobachtung
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— 59 —
zu machen ist, daß die Knaben häufiger in das Spielgebiet der
Mädchen einfallen als umgekehrt.
Auf diesem Gebiete haben sich die Mädchen immer noch nicht
emanzipiert. Dafür sorgt ein gutes Heilmittel, der gegenseitige
Spott. Man wird mich verstehen, wenn ich nur zwei Aus-
drücke anführe, die der elsässischen Kindersprache nur zu gut
bekannt sind : «Büweschmeckere» einerseits und «Maidel-
schmecker» andererseits. Die unverfälschte Natur, der ursprüng-
liche kunstlose Wille der Natur spricht aus der Kinderseele,
und Tieferes, als man vielleicht anzunehmen neigt, hegt in
diesen beiden Worten, die sich die Gattung «Kind» zum Selbst-
schutz geprägt hat.
Das Mädchen soll ein Mädchen bleiben und der Knabe ein
Knabe. Das zeigt sich in dem Umstände, daß die Kinder selbst
jeden Uebergriff verspotten. Das Gebiet des Knaben ist nicht
das des Mädchens, und unglückliche Folgen kann es nur haben,
wenn die sozialen Verhältnisse einen Mischmasch von Mann
und Weib erzeugen, ein unbrauchbares Werkzeug des Xatur-
willens, ein unschönes Zwittergeschöpf.
Durch das Kind heute noch können die Allen lernen, und
der Staat der Erwachsenen stände der Natürlichkeit, der ge-
sunden Ursprünglichkeit näher, wenn er die Verfassung des
Kinderstaates sich zum Muster nehmen würde; und so möchten
wir in übertragenem Sinne den Salz gelten lassen :
«In manchen Spielen können Knaben und Mädchen zu-
sammen sich tummeln, aber in allen dürfen sie es nicht.»
Da wo es uns nun bei der folgenden genaueren Betrach-
tung dieser Spiele möglich ist, werden wir nicht versäumen
anzugeben, ob das betreffende Spiel ein reines Mädchen- oder
Knabenspiel ist.
Um Klarheit in dem Wust von Ausdrücken zu schaffen,
wie uns das Verzeichnis dieser Spiele erscheint, wenn wir nicht
daran denken würden, daß ein kleiner Teil aus Junius abge-
schrieben, der größere Teil der Ausdrücke aber tolle Ueber-
tragungen Rabelaisscher Phrasen darstellt, wollen wir zunächst
diese beiden Gruppen für sich betrachten. Daran anschließend,
werden wir die deutschen Ausdrücke zu erklären versuchen
und gelegentlich die Identität des einen odir andern wirk-
lichen deutschen Spieles mit dem französischen Spiele
nachweisen.
Der «deutsche» Ausdruck Fischarts, der nur oft das ver-
zerrte Bild eines französischen Ausdrucks darstellt, wird uns
nur als Brücke dienen, um zu dem französischen Spiele zu ge-
langen.
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— 60 —
1. Abschnitt.
Die deutschen Ausdrücke, welche auf franzö-
sische Phrasen zurückzuführen sind.
Das Maß der Fischartischen Benutzung des Rabelaisschen
Verzeichnisses für unsere Spielgruppe wird durch die obige
Tabelle veranschaulicht.
Das Folgende wird nun der Beweis sein für die Behaup-
tung, die wir mit unserer Tabelle aufstellten.
Rabelais ist konsequenter und wahrheitsliebender bei der
Aufstellung seiner Spieltabelle geblieben, insofern als gewisser-
maßen alle Ausdrücke, mit Ausnahme der Karten-, Würfel-,
Brettspiele, wirkliche Spiele, fast ausschließlich Kinderspiele be-
deuten.
Auch fehlt bei ihm das Phantastische, das Abenteuerliche,
die Absicht, die Nachwelt zu verwirren, die aus Fischarts Ver-
zeichnis zu uns spricht.
Dieser Umstand würde eine spezielle französische Arbeit
über die Rabelaisschen Spiele und ihre Bedeutung sehr erleichtern,
weil hier eine «Textkritik» unnötig ist. Bevor wir an die Auf-
stellung der wirklichen Spiele bei Fischart gehen können, ist
uns die schwere Aufgabe gestellt, erst die Spielausdrücke zu
erkennen. Sie bilden den Kern, den wir herausschälen müssen
aus einer harten, wissenschaftlich ungenießbaren Frucht.
Auch in dieser Hinsicht wird meine Arbeit das Mögliche
versuchen.
Fi 60 «Der Bönen» = Ra 28 «aax luettes».
Es ist nicht ausgeschlossen, 'laß Fischart eine Vorstellung
von diesem französischen Spiele gehabt hat; denn, ohne den
Ausdruck zu übersetzen, faßte er ihn ganz richtig als das Kinder-
spiel auf, das unsere Buben heute noch mit Bohnen, kleinen
Steinchen, Knöpfen usw. auf den Straßen und Bürgersteigen
spielen.
Ueber die Bedeutung von «aux luettes» schwanken die An-
sichten der französischen Kommentatoren.
Esm. et Eloy Johanneau i kennen aus Saintonge ein «la
luefte» genanntes Kartenspiel der Matrosen. Doch scheint uns
Le Duchat (bei Esm. et E. Johanneau) die Bedeutung zu geben,
wenn er sagt : iOn appelle luettes en Bretagne, le jeu de la
fossette, et ce jeu est commun a Nantes comme ä Bordeaux
1 Esm. et Eloy Johanneau, note 28.
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- 61 -
parceque les enfants y jouent volontiere sur le gravier, avec
des coquilles que le rivage leur fournit en abondanee.» (Ver-
gleiche das Spiel «Des grübleins», mit dem es oflenbar iden-
tisch ist.)
Es ist im ganzen Elsaß gebräuchlich mit den verschieden-
sten Gegenständen und bildet eine Variation des bekannten
«Gstunzes», das Spiel, das mit den «Gstunzen» gespielt «Kiweles»
genannt wird, weil die Klicker in ein «Kiwele» (kleines Grüb-
chen im Boden) zu werfen sind.
Die Bezeichnung «Böhnein» oder «Böhnels» ist auch im
Elsaß zu finden, wie auch in der Schweiz das «Böhnein» ein
beliebtes Spiel ist.'
Fi 72 «Des PlÄttlins» = Ra 111 «au palet».
Wenn es sich auch hier um eine wahrscheinliche Ueber-
Iragung handelt, so ist es doch möglich, daß «Des Plättlins»
als ein sehr bekanntes Knabenspiel Fischart bekannt gewesen
ist. Es ist leicht verfänglich, Fischarts Autorschaft nahe zu
treten, weil seine ganze Behandlung der französischen Spiele
uns zu einem skeptischen Verhalten gegen ihn zwingt. — Es
ist merkwürdig, wie Jahrhunderte hindurch dieses einfache
Spiel sich unverändert erhalten hat, vorausgesetzt, daß die
französischen Kommentatoren Recht mit ihrer Definition
haben :
«Un des joueurs jette un petit ecu, qui est comme le but,
chacun jette ensuite son ecu ou palet, celui qui s'est place le plus
pres du bout, gagne.»*
Dieser Beschreibung können wir nichts hinzufügen als die
Bemerkung, daß das Spiel bei unseren Knaben allgemein in
Gebrauch ist. Es werden entweder Pfennige oder sonstige
Gegenstände benutzt.
Wir nannten das Spiel «Pfennjeles» oder «ßlättels».
In Frankreich führt auch noch ein anderes Spiel, das dem
Fischartischen Spiele Nr. 489 «Plöchlin stellen fällen» gleich-
kommt, diesen Namen.
Diese Internationalität der Kinderspiele ist eine merkwürdige
und zugleich wunderbare Erscheinung.»
1 R o c h h o 1 z : Alemann. Kinderl. und Kinderspiel in der Schweiz,
p. 428, Nr. 47.
* Esra. et E. Joh., note 90.
8 Nach dem Gesagten können wir Rochholzens Meinung auf
p. 465 nicht teilen, wonach Fischarts «Des Plättlins» das «Scherben
über Wasser tanzen lassen» bedeuten soll, also unser «Wasser-
stipperles».
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- 62 —
Fi 108 «Des Untreuen baurens» w . afi , „, .„..
«• o/w* n. * i i- l. , = Ra98 «aufaulx villain».
Fi 200 «Den falschen bauren» |
Fi 108 ist Zusatz der 2. Ausgabe von 1582, während Fi
200 sich bereits in der ersten Ausgabe von 1575 findet.
Es liegt die Annahme nahe, daß die beiden deutschen
Ausdrücke identisch sind und folglich auch mit dem franzö-
sischen, denn Fi £00 ist eine möglichst falsche und unsinnige
Uebersetzung des Rabelaisschen Spieles, zu dem übrigens die
französischen Kommentatoren schweigen.
Fi 122 «Deä k&schwantzes» = Ra 40 «aux vast:hes>.
Hier haben wir die Antwort auf unsere Frage, was wohl
Fischarts Ausdruck bedeuten mag, eine Antwort, die an Derb-
heit nichts zu wünschen übrig läßt. Um die Abschreiberei zu
verbergen, überträgt Fischart «aux vasches» statt richtig mit
«zu den kühen» mit einem «Teil der Kuh», mit dem «Kuh-
schwantz».
Die Reihe der größten Ungeheuerlichkeiten Fischartischer
Ueberlragungskunst nimmt damit einen würdigen Anfang.
Esm. et E. Joh.i berichten darüber:
«C'est un jeu d'enfant oü Ton dit, selon Furetiere, p ort er
ä la vache tnorte, quand on porte quelqu'un sur son dos,
avec la töte pendante en bas.»
Vielleicht ist nach ihnen das Spiel identisch mit Rabelais
191 «ä la beste morte» = Fi 331 «Das tod Thier».
Fi 125 «Der nickenocke» - Ra 45 <a la nicqne nocqne».
Aus dem unverstandenen französischen Ausdruck scheut
sich Fischart nicht einen deutschen gleichlautenden zu machen,
der in dieser Form gar nichts bedeuten kann.
Da der «deutsche» Ausdruck vollständig entwertet ist infolge
seiner Herkunft, sogeben wir nur hier, wie bei den andern Phrasen,
einige Erklärungen der französischen Herausgeber wieder:
«Ce jeu doit faire un double emploi avec ceux aux croquinolles,
ä la nazarde, aux chiquenaudes. La chiquenaude consiste ä
appuyer ferme le bout du doigt du milieu sur le bout du pouce,
et ä desserrer, avec efTort, le doigt du milieu contre le nez ou
le front de quelqu'un.»«
Damit bezeichneten also vier verschiedene Ausdrücke, die
auch alle bei Fischart entsprechend zu finden sind, ein einziges
spielartiges Vergnügen der Kinder, das auch im Elsaß bekannt
J Esm. et E. Joh., note 39.
2 Esm. et E. Joh., note 44.
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— 63 -
ist. Ich erinnere mich, wie wir uns damit vergnügten einem
andern ein «Nasestibberle» (Nasenstüber) zu machen oder
«Nabüe mache» zu spielen.
Fi 147 cGott veii&ugnen» = Ra 52 <au reniguebieu».
Es ist merkwürdig, daß Fischart den Sinn des französischen
Ausdruckes richtig erfaßt und wiedergegeben hat. Zweifellos
hat er sich auf irgend eine Weise den Ausdruck zu erklären
verstanden, was man bei einer oberflächlichen Kenntnis der
französischen Sprache, die ihm vorgeworfen wird, nicht er-
warten sollte. Welches Spiel der französische Ausdruck be-
zeichnet, gehl aus den kurzen Bemerkungen Esm. et Eloy. Joh.'s
nicht hervor. Reniguebieu bedeutet soviel als je renie Dieu.
Es ist immerhin sonderbar, daß Fischart das bereits ent-
stellte Wort in seiner ursprünglichen Form zu erkennen ver-
mochte.
Fi 150 *Der Baboben» = Ra 55 <a la babou».
Es ist unsicher, ob Fischart sinnlos den französischen
Ausdruck wiedergegeben hat, da «babe, bobe» in der allern
Zeit soviel als «altes Weib» bedeutet.«
Oder wußle Fischart mit tbabou» nichls anzufangen und
setzte das ähnlich klingende Wort, oder steht das französische
Wort «babou» mil dem deutschen «haben, hoben» in irgend
welcher Verbindung?
Ist «Baboben» vielleicht ein Lehnwort aus dem Romanischen,
vielleicht gar auf das gleiche Spiel der Kinder hinweisend ?
«Babou ist in Frankreich ein Maskerade-Spiel der Kinder.
In dem Dictionnaire de Trevoux ist zu finden:
«Babau (zu sprechen babaou) est je ne sais quel fantöme
imaginaire dont les nourrices de Languedoc et pays voisins se
servent pour faire peur aux petits enfants.»*
Damit steht das was Adry sagt in enger Verbindung:
«Sur plusieurs pierres gravees antiques on trouve, entre
autre jeux d'enfants, celui oü un petit enfant se couvre la tete
avec un masque hideux qui fait fuir ses camarades.»^
Ohne dem Spiele einen absoluten Namen gegeben zu haben,
erinnere ich mich, daß wir es oft spielten.
Vielleicht besagt Fi 142 «Ein rusigen Dib fahen» ein ähn-
liches Spiel, worin sich der Gebrauch der Diebe, sich zur Un-
kenntlichmachung das Gesicht zu schwärzen, wiederspiegelt.
1 Grimm: D. Wörterbuch.
2 Esm. et E. Jon., note 52.
» Vgl. Henry d'AUemagne II, 276 fif.
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- 64 -
Fi 151 «Primas Hecandas = Ra 61 «a primus secnndug>.
Die Phrase ist unverändert nus Rabelais übernommen. Le
Duchat bemerkt zu dem Ausdruck bei Rabelais :
«C'est un jeu que deux ecoliers jouent tele ä tete, en
tournant les feuillets d'un livre dans lequel ils auront cache
quelque chose qu'ils veulent jouer.» 1
Dieses Spielvergnügen ist auch im Elsaß heute noch überall
bekannt. Wir vergnügten uns damit auf dem Wege von und
zur Schule, d. h. dann, wenn wir Bücher bei uns trugen. Alle
möglichen dünnen Gegenstände, Briefmarken, Silberblättchen,
Bilder wurden in dem Buche versteckt, in dem man mit dem
Finger oder einer Nadel «stechen^ mußte.
Eine Variation dieses Spieles erwähnt Fischart Nr. 491
«Pfenning im Buch pletern». Ob die französische Bezeichnung
auch im Elsaß galt, ist fraglich.
Fi 152 «Zu änderst des messen > = Ra 57 «an pied du
coasteau».
Der Ausdruck ist ziemlich genau übertragen. Es genügt
für uns den Verlauf des Spieles anzugeben mit der Erklärung
Adry's :
«Le jeu parait etre celui oü Ton pique un couteau, et
quelquefois un chou, au bord d'une table, au milieu d'un des
cötes : les joueurs jettent leur palet ou ecu, et celui qui est le
plus proche du pied du couteau, gagne, pourvu que son ecu
ne tombe point ä terre.»*
Dieses Spiel ist noch heute auf den Jahrmärkten bei uns
anzutreffen.
Fi 154 «Des freien Rarrens» = Ra 59 «an franc da qaarreaa».
Dieser Ausdruck gehört einer ununterbrochenen Reihe von
Ausdrücken an, die alle aus Rabelais stammen.
Fischart hat den französischen Ausdruck nicht verstanden
und ihn daher nur dem Wortlaute nach, um ihn recht «deutsch»
klingend zu machen, in der sinnlosesten Art übertragen. Die-
jenigen, die Fischart einen Uebersetzer nennen, müßten Fischart
angesichts dieses tollen Gebildes eine größtmögliche geistige
Beschränktheit und Unkenntnis der französischen Sprache vor-
werfen. Ob wohl Fischarts französische Kenntnisse so miserabel
waren, daß er nicht einmal wußte, was quarreau, ein alltäg-
licher Ausdruck, zu bedeuten hat? Und spricht nicht aus dieser
1 Esm. et E. Joh., note 53.
2 Esm. et E. Joh., note 54.
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— 65 -
haarsträubenden Ueberlragung, wie aus der ganzen Behandlung
das Gegenteil, nämlich eine gründliche Kenntnis der französi-
schen Sprache und zugleich der Wille Fischarts, den Ausdruck
durch die absonderlichsten Verdrehungen möglichst als einen
deutschen Spielnamen erscheinen zu lassen? (Was hat ein
«Karren» mit «quarreau» zu tun; und dann dieser Unsinn:
«Des freien Karrens.»!?)
Der Verlauf des französischen Spieles geht aus den An-
gaben hei Ksm. ei E. Joh. deutlich hervor:
«Jeu oü Ton jette une piece de monnaie en guise de pallet
sur un quarre qu'on a trace en terre, et divise par ses diametres
et diagonales.» (Le Duchat.)»
Das Spiel war in Frankreich sehr verbreitet und wurde
von Erwachsenen und Kindern (Knaben) gespielt.
Näheres darüber mit Abbildung des Spieles auf einem alten
Stich hei Henry d'Allemagne I, p. 315. 2 In dem Spiele wurde
auf dem Boden hald ein Viereck, bald ein Kreis gezeichnet. In
der letzten Form ist es ein sehr bekanntes und beliebtes Spiel
unserer Knaben, schlechtweg «Pfennjeles» genannt, weil man
gewöhnlich mit Pfennigen spielte.
Fi 155 «Grad oder ungrad» = Fi 60 *a pair ou non».
Dieser Ausdruck bildet eines der wenigen Beispiele, in denen
Fischart den französischen Ausdruck richtig mit einem gleich-
bedeutenden deutschen Ausdruck wiedergegeben hat.
Wie auch heute noch jeder Knabe weiß, was mit «Grad
oder ungrad» gemeint ist, so scheint auch schon zu Fischarts
Zeiten das Spiel weit verbreitet gewesen zu sein. Ein Knabe
nimmt eine Anzahl Klicker oder Knöpfe («Gstunze» oder «Knepf»)
in die Hand und läßt einen andern die Anzahl erraten. VVird
«grad» geraten, so hat man gewonnen, im andern Falle verloren.
Seit ältester Zeit ist das Spiel bekannt. Schon Horaz spricht
von dem Spiele «ludere par impar». Ebenso Piaton, Aristoteles
und Aristophanes. (Esm. et E. Joh., note 57.)
In Frankreich ist es allgemein üblich unter dem Namen
«a pair ou non» oder «pair et impair» 3
Fi 156 «Kreutz oder plättlin» = Ra 61 <a croix ou pile».
Auch dieser Ausdruck ist richtig wiedergegeben. Sowohl
das französische als auch das deutsche Spiel haben mit dem
1 Esm. et E. Joh., note 56.
* Musee retrospectif de la classe. 100 jeux. A l'exposition.
Paris 1900.
» Littre: Dict. de la 1. fr. Henry d'Allem. II, 146.
5
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- 66 —
vorhergehenden entsprechenden Namen gemeinsam, daß sie oft
bei größeren Spielen als ein spielartiger Gebrauch den Knaben
dienen, den «Anfangenden» zu bezeichnen.
Es ist nicht unmöglich, daß der Ausdruck Fischarts auch
üblich war und somit das bedeutete, was heute unsere Buben
«Knopf oder Spitz», «Kopf oder Minz» nennen, ein Spiel, wo-
bei ein Geldstück in die Höhe geworfen wird. Der eine sagt
«Kopf», der andere «Minzr. Fällt nun die Münze mit dem
Bilde nach oben, so hat «Kopf» gewonnen und umgekehrt.
An späterer Stelle werden wir noch einer anderen Bezeich-
nung für dieses Spiel begegnen, die Fischart aus Junius abge-
schrieben hat.
lieber das französische Spiel, das den gleichen Verlauf
zeigt, finden wir Ausführliches bei Esm. et E. Jon., note 58.
wo auch gesagt wird, daß das Spiel in Italien, England,
Spanien und Frankreich gleich bekannt ist und bei Henry d'A. m
II, 147.
Fi 168 «Martres» =. Ra 62 «aux martres».
Fi 169 «Pingres» = Ra 63 «aux pingres».
Beide Ausdrücke finden sich bei Fischart unverändert mit
französischem Wortlaut.
Le Duchats (Esm. et E. Jon., note 59. 60) Angaben müssen
uns genügen :
«On joue aux martres avec de petiles pierres rondes qu'on
jetle en l'air comme les osselets.»
Bei den obigen Kommentatoren ist Näheres zu finden, auch
über das Verhältnis von «Martres : Pingres : osselels», die dem-
nach als ähnliche Spiele anzusehen sind. (Siehe auch Henry
d'A. II, 75, 97.)
Fi 185 «De» Schupletzers» =. Ra 65 «au savatier».
Fischart hat diesen Spielnamen ganz korrekt übertragen,
ohne das französische Spiel zu kennen, das offenbar identisch
ist mit seinem «Des schülins», was aus der Beschreibung bei
Esm. et E. Joh. (note 61) hervorgeht:
«Plusieurs enfants sont assis en rond, les genoux leves ;
Tun d'eux est debout au milieu, et cherche une savate que les
autres se passent sous leurs jarrets, couverls de leurs habits,
et dont ils le frappent quand il a le dos tourne. Celui entre
les mains duquel il prend la savale, se met ä sa place et ta
cherche ä son lour.»
Ganz genau so wird heute noch ein Spiel gespielt. Siehe
unter «Des schülins».
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- 67 -
Fi 186 «Hilm» = Ra 66 «au uybou>.
Rabelais Spiel ist mir unklar geblieben. Fischart nahm
den Ausdruck auf, indem er ihm einen deutschen Anstrich zu
geben versuchte.
Esmangarl et Eloy Johanneau (note 62. 67) vermuten die
Identität dieses Ausdrucks mit Ra 73 «a la chevesche», dem
bei Fischart Nr. 218 «Huhu Eulen» entspricht. Zu «a la che-
vesche» bemerken die französischen Kommentatoren, daß im
Piquet der Ausdruck «faire la chouette» vorkommt.
Ob hier ein Zusammenhang besiehe, sei zweifelhaft.
Fi 187 «Dorelot häßlin» = Ra 67 «au dorelot du lievre».
Fischart hat den Ausdruck nur in seinem zweiten Teil
übersetzt.
Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 63) bedeutet die
Phrase soviel als im Spiel «imiler la chasse du lievre». Ich
vermute, daß sogar der andere Ausdruck bei Fischart Nr. 226
«Duck dich Hänßlin duck dich», der in der ersten Ausgabe
von 1575 (a) lautet «Duck dich häslin duck dich» unter dem
Einflüsse der unverstandenen Phrase Rabelais' entstanden ist,
eben wegen seiner Form in der ersten Ausgabe.
Vielleicht hat Fischart «Hänßlin» aus «Häslin» in den fol-
genden Ausgaben mit der Absicht gemacht, den Leser irre zu
führen.
Esm. et Eloy Joh. ergehen sich in Meditationen über das
Wort «dorelot», ohne von dem Spiele zu reden.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rabelais mit seinem Aus-
drucke, vielleicht auch Fischart mit Nr. 226 (wenn er nicht
unter Rabelais Einfluß steht) ein Spiel geraeint hat, das heute
noch als Reigenspiel vielfach bekannt ist, bei dem die Kinder
(vorwiegend Mädchen) folgendes Lied singen :
«Häslein in der Grube saß und schlief.
Armes Häslein bist so krank,
DaJJ du nicht mehr hüpfen kannst:
Häslein hüpf, Häslein hüpf.»
Ein Kind sitzt geduckt in der Mitte des Kreises. Die
andern fassen .sich an den Händen und tanzen um das «Häs-
lein», obiges Lied singend, herum.
Fi 188 «Tirelitantine» = Ra 68 «a la tirelitantaine».
Es besieht hier wohl kein Zweifel darüber, wo Fisch art
seinen Spielnamen hergenommen hat. (Esm. et E. Joh.,
note 63.)
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- 08 -
«Ce doit Otre un jeu ä se tiraillcr Tun Fautre.»
Was Fischart sich wohl hei allen diesen Namen «gedacht»
hahen mag?
Fi 189 «Fftrcklin gang da vor» = Ra 69 <a cochonnet va devant».
Genau aus Rahelais übertrafen. Den Verlauf des Spieles
beschreibt Le Duchat (Esm. et E. .loh. note 65):
«Jeu de boule ou de palet auquel Fendroit oü s'arrete la
boule ou le palet de celui qui joue le premier sert de but pour
lui-meme et pour les autres».
Das allgemein bekannte Spiel, das wir auf dem Wege von
und zu der Schule spielten, nannten wir «Söujtriwerles». (Einer
trieb den andern voran.)
In Frankreich ist es ebenso gebräuchlich wie bei uns.
(Henry d'A. I, 204, 227, 232, 243, 248.) Das Spiel hat Ärm-
lichkeit mit Ha 107 «a la truye», das identisch ist mit unserm
«Söujball» oder «d'Mor triwe*. Auch bei Fischart finden wir
dieses Spiel.
Fi 191 «Des weitlochs» = R«, 77 «a la jautru».
Hat vielleicht Fischart seinen deutschen Ausdruck an die
Stelle des französischen gesetzt, indem er «tru» als trou
verstand ?
Das Elsässische Wörterbuch weist das Wort «weidloch»
für After auf ; doch habe ich keine Beziehung zu einem Spiele
konstatieren können.
Fi 192 «Des Habern verkauften*» = Ra «a vendre l'avoine».
Fi 199 «Das eisen auß der Eß Zilien» = Ra 97 «a tirer les
fers du four».
Fi 201 «Der heilig ist gefunden» = Ra 101 «a sainet trouve».
• Alle drei Ausdrücke stammen aus Rabelais. Leber die
Bedeutung der französischen Spiele schweigen die Kommenta-
toren des Rabelais.
Fi 204 c Barrl burrisa» = Ra 78 «au bourry bourry zou».
Auch möglichste Deutschgestaltung der Worte kann uns
nicht über den Ursprung hinwegtäuschen.
Le Duchat (Esm. et E. Job. note 70) erklärt das Spiel:
«Jeu ou Fun des joueurs, qui se cache, est cherche par
les autres, qui souvent le laissent lä, et s'en vont.»
Somit ist es das gleiche wie unser «Versteckels», das
Fischart schon als «Verbergens» anführt.
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— 69 —
Fi 205 «Ich setz mich» = Ra 79 <a je w'assis».
Für uns kommt der Ausdruck als nichtdeutsches Spiel
nicht in Betracht.
Fi 215 «Der Sau» = Ra 107 «a la truye»i
Auch dieser Ausdruck ist eine wörtliche Uebertragung von
«a la truye». (Siehe Fi 189, Ra 69.)
Im Elsaß war dies Spiel zu Fischarts Zeiten ebenfalls be-
kannt, was sein Spiel Nr. 386 «Fudum die Mor ist im Kessel»
beweist.
Bis heute hat es sich bei uns erhalten.
Fi 216 «Bauch wider Bauch» = Ra 108 «a ventre
contre ventre».
Die Uebertragung aus Ra bedarf keines Beweises.
Esm. et E. Joh. erwähnen nichts zu diesem Ausdruck.
Fi 220 «Der praiten kugel, | Ra 116 «a la boule plate»
halben kugel, kurzen kugel» | Ra 121 «a la courte boulle».
Wir haben hier die merkwürdige Erscheinung, daß Fischart
zwei Rabelaissche Ausdrücke unter Zusatz von «halben kugel»
in einen deutschen Ausdruck zusammengezogen hat.
Die Fischarlische Phrase kommt aber sonderbarerweise nur
in der ersten Ausgabe von 1575 (a) vor, während sie in b
und c im Verzeichnisse fehlt. Dagegen finden wir am Ende
des Kapitels 25 unter einer Reihe von Spielen als Zusatz in b
genannt «der breiten vnnd halben Kugel». Die Phrase hat also
verkürzt einfach den Platz gewechselt.
Die französischen Ausdrücke bedeuten Kugelspiele.
Zu Ra 121 bemerken die beiden Kommentatoren : (Esm.
et E. Joh. note 100),
«Jeu de boule dont l'espace est fort court et fort limite,
pour le distinguer du jeu de la longue boule.»
Die Spiele mit Kugeln sind in zahllosen Variationen im
Elsaß verbreitet. An geeigneter Stelle werde ich davon be-
richten.
Fi 225 «Ochs inn den Veiolen» = Ra 72 «au beuf viole».
Sinnlos und gedankenlos (wie Fi 154) hat Fischart aus dem
ihm unverständlichen französischen Spielnamen einen deutschen
Ausdruck geschaffen, ein Monstrum von Fastnachtslaune und
toller Absichtlichkeit.
» Esm. et Eloy Joh., note 88. Henry d'Allem. I, 206.
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- 70 —
«Veiolen» können wir ebensogut als cVeilchen oder
«Flaschen» betrachten. Es ist gleich, für welchen Sinn wir uns
entscheiden, die unsinnige Monstruosität wird nicht beein-
trächtigt.
Das Spiel ist eine Nachahmung eines volkstümlichen Ge-
brauches :
Nach Le Duchat: (Esm. et E. Joh. note 66):
«II y a de l'apparence, qu'au jeu de boeuf viole des enfants
imitant cette coutume (die vorher genau beschrieben zu finden
ist : d'orner la tele du boeuf gras et de le conduire par la ville
au son de la viole ou de la vielle) ornaient de fleurs la töte
d'un de leurs camarades et le conduisaient en cet etat par les
principales rues du lieu de leur demeure au son de quelques
instruments, et faisaient ensuite semblant de le tuer, comrne ä
un autre de leurs jeux appele par Rabelais, au pourceau
mory». (Siehe dieses Spiel.)
Fi 228 «Eisen abwerffen» = Ra 76 «a deferrer l'asne».
Es ist wohl anzunehmen, daß dieser Ausdruck Fischarts
abhängig zu machen ist als eine absichtliche Verunstaltung von
dem französischen Namen.
«Abwerflen» ist eine ungefähre Uebertragung von «deferrer».
Ob auch Fi 232 «Esel zemmen» mit Ra 76 in irgend einen
Konnex zu bringen möglich ist, vermag ich nicht zu entscheiden.
Lieber das französische Spiel sind die Kommentatoren Ra-
belais' selbst im Zweifel (Esm. et E. Joh., note 69) :
«Serait-ce de feindre, en jouant, d'öter le soulier, en levant
le pied ä un enfant, comme on leve au cheval pour lui öter
son fer ou lui en meltre un?» (Dieses Spiel erinnere ich mich
gespielt zu haben, ohne daß es einen besonderen Namen ge-
habt hätte.)
Vielleicht ist dem französischen Ausdruck auch eine sprich-
wörtliche Bedeutung beizumessen. Denn in Frankreich sagt
man von einem, der sich überall unberechtigt einmischt : «II
se rnele des fers ä l'äne.» Zur Begründung dessen finden wir
Note 69 die Glosse: «Tout le monde sait qu'on ne ferre pas
les änes.»
Diese Bedeutung scheint auch das Fischartische Fi 21
«Eselin beschlagen» zu haben.
Rochholz 434 setzt dieses Spiel gleich mit seinem «Finger-
spiel» auf Grund der in der Schweiz üblichen Frage: «Will
der Schmied das Roß beschlagen : wieviel Nägel muß er haben ?»i
1 Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel in der Schweiz.
Leipzig 1857.
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Ist diese Zusammenstellung schon gewagt, so ist seine Behaup-
tung, das Fischarlische «Leuß oder Niß» sei ein anderer Aus-
druck dafür, einfach falsch.
Fi 229 «Des barbedoribas» =.- Ra 80 «a la barbe d'oribus».
Das Nichtverstehen von Ra 80 hindert Fischarts Laune
keineswegs, daraus einen deutschen Spielnamen durch Kon-
traktion zu bilden. Esm. et E. Joh. nole 71 : «Jeu oü l'on
bände les yeux de quelqu'un de la compagnie, puis, sous ombre
de vouloir lui faire une barbe doree, on le barbouille avec de
Tordure.»
Ein schmutzigeres, sogar sehr gemeines Spiel habe ich
früher einmal zufällig beobachten können, das die Buben «Stabs-
trumpeteiles» nannten.
Das abergläubische «Wäjschisser am Au» läßt uns wissen,
daß die Knaben es nicht für eine allzugroße Schande hielten,
wenn sie an irgend einem Tor einer etwas verlassenen Straße
einem natürlichen Drange folgten. An solchen Stellen wurde
der teuflische Spaß mit einem Unbefangenen gespielt. Man
verband ihm die Augen, setzte ihn auf den Rücken eines anderen,
gab ihm einen Stab (die Trompete) in die Hand, dessen Ende
man vorher in die Exkremente getaucht hatte und ließ ihn nun
auf Kommando blasen. Er bließ nicht lange. «Un wenns erüß
kumme-n-isch», da fühlte mancher der kleinen Teufel seinen
Buckel unter den Hieben des Vaters des ekelhaft Angeführten.
Das «Spiel» ist ein merkwürdiger Auswuchs an dem sonst so
natürlich reinen Spielkörper.
Fi 230 « Brat spiß wenden» - Ra 82 «a tire la broche».
Der Ausdruck Ra 82 erscheint uns hier ziemlich sinn-
gemäß wiedergegeben, was auf ein Verstehen der französischen
Sprache zurückgeführt werden muß.
Vielleicht ahmten die Kinder in diesem Spiele das Dreh»
des Bratspießes nach.
Fi 231 «Gevatter leihet mir euer sack» = Ra 84 «a compere
prestez moy vostre sac>.
Die Uebertragung ist korrekt. Esm. et E. Joh. äußern
sich nicht zu dem Spiele.
Fi 233 «Der Widershoden» - Ra 85 «a la couille de belier».
Derartige Ausdrücke, die einen gewissen Beigeschmack
haben, sind Fischart stets willkommen. (Couille = Hode.) Also
richtige Ueberlragung nur im plural statt im singular. Esm.
el E. Joh., note 74.
«Jeu de ballon, auquel on joue avec la bourse des testi-
cules d'un belier.» 1
Fi 234 «Der Feigen von Marsilien» = Ra 87 «a figues de
Marseille».
Die Uebertragung ist richtig und augenscheinlich.
Fi 235 <Des FachsstreifFens» = Ra 90 «a escorcher le regnard».
Ra 90 ist hier mit einem deutschen entsprechenden Namen
richtig wiedergegeben, so daß die Vermutung naheliegt, daß
Fischart den Sinn erraten hat.
Ueber das Spiel wissen die Kommentatoren nichts zu sagen,
ebenso nicht Le Duchat. Der französische Ausdruck scheint
auch mehr sprichwörtlicher Art zu sein («Fuchsst reißen» be-
sagt soviel als dem Fuchs die Haut abziehen) : Esm. et E. Joh.,
note 77.
«Ecorcher le renard» est une locution proverbiale, qui si-
gnifie vomir apres avoir bu .... mais nous ne savons pas non
plus en quoi consislait le jeu du meme nom.»
Daß Fischart ein Spiel «Des Fuchsstreiffens» gekannt hat,
ist unwahrscheinlich. Bei ihm scheint der Ausdruck auch schon
mehr eine sprichwörtliche Redensart gewesen zu sein.
Es ist wohl anzunehmen, daß der Ausdruck «Fuchssireiffens»
zu Fischarts Zeiten üblich war ; denn er kommt noch an anderer
Stelle des Gargantua vor. So cap. 8, p. 149. «Das ist Jäger-
recht; die Fuchs nur dapffer gestreifft : wer kaufft disen Fuchs-
balg.» — Hier hat wohl dieses wirre Gerede des «Trunckenen»
die gleiche Bedeutung wie im Französischen. Darauf deutet
auch die Stelle Gargantua cap. 14, p. 201 hin : «Alle Morgen
sang er die truncken Metten, streiftet den Fuchs usw.»
Daß der Ausdruck ein wirklich deutscher ist, beweist uns
das Vorkommen im 8. Kapitel, das gänzlich unabhängig von
Rabelais entstanden ist. Da es unklar ist, ob wir es bei «Des
Fuchsstreiffens» mit einem Spiele zu tun haben, so ist Roch-
holz, p. 412, nicht berechtigt, den Ausdruck einfach mit seinem
Spiel «Fuchs aus dem Loche» (Nr. 29) zu identifizieren.
Die Anwendung als sprichwörtliche Redensart zeugt gegen
die Identität mit dem schweizerischen Spiele, dem unsere Spiele
«Fuchs üs d'r Hei» oder «D'r Deifel kummt allan erüs, ans,
zwai, drei» entsprechen.
1 Vergleiche: Henry d'A. I. p. 126. II, p. 246.
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— 73 —
Mir ist unverständlich, wenn Rochholz das Spiel zitiert:
<rZehen Paß fünff Sprung auff eim Fuß, deß Fuchsstreiflens».
Im ganzen Gargantua kommt diese Zusammenstellung nicht vor.
«Des Fuchsstreiflens» ist alleinstehend zu finden in der
ersten Ausgabe (a), unserer Tabelle nach dem französischen
Ausdrucke gegenüber, was schon gegen die einfache Annahme
als deutsches Spiel sprechen würde.
Erst in der zweiten Ausgabe ist am Ende des l 2ö. Kapitels
(nicht im Verzeichnisse) der Ausdruck czehen paß funff Sprung
auff eim Fuß» auch alleinstehend zu finden. Dieser letztere
Ausdruck kann wohl ganz gut auf das Spiel Rochholzens und
unsere beiden vorhin erwähnten hindeuien. Aber diese ober-
flächliche Zusammenziehung von Ausdrücken ist nicht angängig,
weil sie nur verwirrend wirkt.
Sind die beiden «Spiele» wirklich identisch, so hat Fischart
dafür noch einen drillen Ausdruck Nr. 590 «Wolf beiß mich
nicht» ; dann würde das Spiel weiterleben als unser oben er-
wähntes Spiel und den gleichen Verlauf haben, wie das schweize-
rische Spiel bei Rochholz: «Fuchs aus dem Loche», ein Aus-
druck, der übrigens auch im Elsaß bekannt ist.
Fi 236 «Kohlen auffblasen» = Ra 94 <a Bouffier le charbon».
Deutsch hat Fischart den Ausdruck wohl gestaltet, aber
nicht «Fischartdeutsch» genug, um uns nicht die Herkunft zu
verraten. Ich kenne das französische Spiel nicht.
Fi 242 «Zum lebendigen und toden Richter» = Ra 96 «au jage
vif et juge mort».
Von diesem Ausdruck kann ich nur das Gleiche wie vom
vorigen sagen.
Fi 243 «Des Hogerigen Hof maus» = Ra 100 «au bossu anlican>.
Mit dieser richtigen Uebei tragung haben wir einen sonder-
baren Fall des Nachweises der wirklichen Bedeutung des fran-
zösischen Ausdruckes durch eine Ueberl ragung ins Deutsche
und damit den noch sonderbareren Fall, daß ein deutscher
Schriftsteller, dem wir nichts weniger als philologische Ge-
nauigkeit in der Behandlung französischer Phrasen nachsagen
können, offenbar die Etymologie des Wortes besser verstanden
hat als ein französischer Kommentator.
Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 82) hält «au bossu au-
lican» für eine Korruption von aau bossu mal ingambe». Von
«aulican» auf «mal ingambe» ist ein rechter Saliomortale.
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_ 74 —
Das Richtige geben uns Esm. et E. Joh. :
«Aulican peut venir du latin aulicus, de cour, courtisan;
ce serait alors un bossu ou un fou de cour.»
Es ist sehr merkwürdig, daß Fischart diesen Sinn heraus-
gefunden hat, was seine Wiedergabe schön beweist.
Als eine Abirrung vom Richtigen ist sicher wieder die
weitere Bemerkung Esm. et E. Joh. 's zu betrachten, «aulican
peut s'etre dit aussi pour a u I i t c a m p, au lit de camp». Ich
glaube dieses letztere als einen etymologischen Scherz ansehen
zu dürfen.
Es wird sich wohl bei diesem Spiel, wie auch Esm. et E.
Joh. zugeben, darum gehandelt haben einen Buckligen nach-
zuahmen.
Fi 244 «Des pimpompens» = Ra 104 «a pinpompet».
Fi 244 liefert uns den Beweis für die Geschicklichkeit
Fischarts aus französischen Ausdrücken «deutsche» herzu-
stellen.
Ueber die Worterklärung siehe Esm. et E. Joh., note 85.
Nach ihnen besagt der Ausdruck ein ähnliches Spiel wie «ä
l'epousee du mois de mai, espece de jeu oü les petiles filles
paient une d'elles comme uue mariee».
Fi 248 «Der Abereh» — Ra 95 «aux responsailles».
«cAbereh» = «Wiederehe» = sich nochmals verheiraten.
Fischart hat richtig den Sinn aus Ra 95 herausgefunden und
ihn durch ein freigebildetes Wort wiedergegeben. Die Richtig-
keit der Fischarlischen Uebertragung beweisen die Angaben
Le Duchats (bei Esm. et E. Joh., note 80) :
«A se remarier ensemble, ä se repouser, dit le Rabelms
anglais. De sponsalia on aura donc d'abord fait spon-
s a i 1 1 e s».
Fi 252 «Der Spindel» = Ra 117 «au vireton».
«Virer» heißt in der Seemannssprache «drehen» ; «vireton»
ist ganz korrekt übertragen mit «Spindel» = soviel als W T alze.
Von der Bedeutung als Spiel hatte Fischart keine Ahnung.
Die Ansicht Le Duchats und Esm. et E. Joh. 's, note 96,
stehen sich hierin entgegen. Le Duchat hält «au vireton» für
das bekannte Spiel «tourner un peson sur une petite cheville
qui le traverse».
Esm. et E. Joh. definieren «vireton» als «une petite fieche,
un petit trait d'arbalete, parcequ'elle iournait et virait en Fair,
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— 75 -
ä cause des ailerons qui y etaient attaches. (Vgl. Henry d'A.
I, 77.)
Dieses Spiel haben wir Knaben häufig gespielt ; es ist
noch überall bekannt.
Fi 254 «Ungelacht pfetz ich dich» = Ra 74 <a je te pince
sans rire».
In der ersten Ausgabe hat der Ausdruck die Form einer
wörtlichen Uebertragung «ich pfez dich on lachen».
Die Herkunft seines Spieles suchte Fischart in b zu ver-
wischen durch eine Veränderung der Phrase. Es ist nicht aus-
geschlossen, daß ein derartiges Spiel im Elsaß, vielleicht unter
seinem neuen Namen, Fischart in der Zeit von 4575—1582-
bekannt geworden ist.
Aus dem Wortlaut geht der Verlauf des Spieles hervor,
Esm. et E. Joh., note 68 :
«Chacun pince le nez ou le menton de son voisin ä droite ;
et s'il rit, il donne un gage.»
Rochholz p. 431 ist demnach wieder nicht berechtigt «Un-
gelacht pfetz ich dich» zu zitieren, da es eine Uebertragung
des französischen Ausdruckes darstellt. Als Spiele Fischarts
dürfen wir nur diejenigen Phrasen ansehen, die weder mit
einem französischen noch einem niederländischen Spiele in
Verbindung stehen und Uebert ragungen sind.
Fischart hat ein ähnliches Spiel Fi 51ö, das Rochholz hätte
zitieren dürfen.
Fi 255 «Der Pickarome» = Ra 118 «au picquarome».
Fischart hat den Ausdruck nicht verstanden. Der franzö-
sische Name bedeutet zwei verschiedene Spiele.
Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 97) berichtet darüber:
«Ce jeu consiste ä s'asseoir sur son camarade comme sur un
cheval, et ä lui donner du talon dans les flancs, en faisant
semblant d'aller ä Rome.»
Die zweite Bedeutung zeigt uns ein Spiel, das wir unter
dem Namen «Spickhewels» spielten und schon Fischart unter
verschiedenen Namen bekannt war, z. ß. «stecken stocken».
Nach Esm. et E. Joh. :
«Jeu dans lequel on pique un petit bäton pointu en terre,
et on envoie ä Rome celui don le piquet a ete arrache en lancant
ce piquet plus loin qu'on peut.»
An späterer Stelle werden wir von dem wirklichen Spiele
Fischarts noch zu reden haben.
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— TG —
Fi 256 «Des Roten Rauhen Treck«» = Ra 119 «a tonchemerde>.
Die französischen Kommentatoren bemerken nichts zu diesem
Spiele.
Ich vermute, daß der französische Ausdruck jenes schmutzige
Spiel bedeutet, das ich oben unter Fi 229 erwähnte. Diese
Bedeutung kann aus dem Wortlaute hervorgehen (Toucher be-
rühren ; merde Fäkalien).
Fischart hat seinen Ausdruck willkürlich gebildet und nur
«merde» darin «vertut».
Fi 257 «Des Engelarts» = Ra 120 «a angenart».
Eine komische Wiedergabe, unter Uebertragung des ersten
Wortteiles und Beibehaltung des zweiten in seiner französischen
Lautung.
Esm. et E. .loh. gehen auf die Etymologie von «angenart»
ein, ohne das Spiel zu kennen. (Note 99.)
Fi 258 «Des Rekockillechen» - Ra 123 «a la requoquil!ette>.
Ein Beispiel dafür, wie Fischnrl den französischen Aus-
drücken ein deutsches Mäntelchen umzuhängen verstand.
Fi 259 «Brich den Hafen» = Ra 124 «au casse pot».
Im Wortlaut freie, wenn auch durchaus sinngemäße Wieder-
gabe.
Aus den Angaben Le Duchats und Esm. et E. Jon. 's folgt
der Gang des Spieles und damit der gleiche Verlauf mit dem
bekannten «Topfschlagen », das Fischart auch als «topfstechen»
anführt. (Besprechung unter den wirklichen elsässischen Spielen
bei Fischart.)
Diesem am ähnlichsten ist die Beschreibung bei Le Duchat :
«On pend au plancher, avec une corde, un vieux pot de
terre, puis on bände les yeux ä tous ceux de la compagnie,
lesquels en cet etat vont tour-ä-tour, un bälon ä la main, tächer
d'atteindre ce pot.»
Ein einfacheres Spiel, das auch den Buben im Elsaß all-
gemein bekannt ist, beschreiben Esm. et E. Job. (nach Adry) :
«Peut-etre ne s*agit-il que d'un pot feie ou un peu ebreche,
que des enfants placent sur une hauteur, et achevent de casser
en jetant des pierres d'une certaine distance.»
Fi 260 «Montalant» = Ra 125 <a montalant».
Unübertragen aufgenommen.
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Fi 260 «Des kurtzen steckens> = Ra 128 «au court baston».
Korrekt übertragen. Hat das Spiel nicht vielleicht Aehn-
lichkeit mit «au picquarome* ? Esm. et E. Joh., note 107.
scheinen daran nicht gedacht zu haben, wenn sie es mit Stella
anders beschreiben als :
«rDeux enfants assis face en face empoignent un bäton, cha-
cun tire de son cöte, et s'eflbrce d'enlever de terre son coin-
pagnon.»
Fi 266 «Pire vollet» = Ra 129 «a pirevollet».
Der Ursprung des Fischarlisehen Wortes fällt sofort in die
Augen .
lieber die Bedeutung des französischen Ausdruckes sind die
Kommentatoren nicht einig.
Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 108) sieht darin eine Art
Topfspiel : «Je crois que c'est proprement ä faire voler sa toupie
du pave ou du plancher sur la pautne de la main.»
Anders Esm. et E. Joh. : «ce jeu consiste ä lancer en
l'air un batonnet ä Pextremite duquel sunt implantees deux
plumes de coq, et ä le faire retomber en pirouettant sur sa
pointe.»
Eine nähere Untersuchung darüber ist nicht unsere Auf-
gabe.
Fi 267 «Kline mnsettecken» = Ra 130 «a cline mucette».
Vergeblich hat Fischart versucht, durch den deutschklingen-
den Schwanz des zweiten Wortes uns zu täuschen. Esm. et
E. Joh., note 1Ö0: Nach dem Dictionnaire de Trevoux ist es
eine Art Blindekuhspiel : «Tun d'eux ferme les yeux, tandis que
les autres se cachent en divers endroits, oü il est ohlige de les
chercher pour les prendre.»
Fi 268 «Des grftbleins» = Ra 137 «a la foussette».
Richtig übertragen. Das Spiel gehört zu der zahlreichen
Klasse der Kugelspiele und ist identisch mit unserem «Gstunzen»-
Spiel «Kiweles», wobei es gilt. Klicker in ein Grübchen in der
Erde zu werfen. Die daneben fallenden «Gstunzen» ent-
scheiden über Gewinn und Verlust. Ist ihre Anzahl gerade,
so gewinnt der Werfende, ist sie ungerade der zweite Spieler.
So wie es bei Esm. et E. Joh., note 116, beschrieben wird,
ist es auch im Elsaß gebräuchlich : «On y joue avec une
balle dans neuf trous, espaces comme les quilles au jeu de
boule.»
78
Fi 269 «Deß schnauffers» = Ra 138 «au ronflart*.
Auch hier ist die Uebertragung durchaus korrekt, beweist
aber, daß Fischart das Spiel nicht gekannt hat. Esm. et E.
Joh., note 117:
«C'est dit-on le sabot qu'on tire avec une corde.» (Siehe
Henry d'A. I, 35.)
Das Spiel mit dem Brummkreisel ist bei Fischart auch ge-
nannt als «Hurrnaus» und «Habergais».
Fi 276 «Zur Trompe» 1 ■= Ra 139 «a la trompe».
Es war Fischart wenig daran gelegen, dem Sinne des
französischen Spieles nachzugehen. Mit «trompe» wußte er
nichts anderes anzufangen als es unverändert in sein Verzeich-
nis zu setzen. (Ebenso das oben genannte und das folgende
Spiel.) Das Spiel ist mit dem vorhergehenden und dem folgen-
den identisch. Esm. et E. Joh., note 118: «au sabot, sorte de
toupie.»
Fi 278 «Deß Mönchs» = Ra 140 «au moyne».
Le Duchat (Esm. et E. Job., note 119) scheint doch das
Richtige anzugeben, wenn er sagt, daß in der Daupbine «cjouer
au moine» das Spiel mit dem «sabol» ist. Vielleicht ist «au
moyne» das einfache Kreiselspiel, aber immerhin ist es unver-
ständlich, wenn Esm. et E. Joh. die Definition Le Duchats be-
streiten mit einer nichtssagenden Redensart, die uns ihre Meinung
weder klarlegt noch beweist.
Fi 279 «Tenebei» = Ra 141 «au tenebry»
ist eine willkürliche Entstellung, die den Sinn bei alleiniger
Betrachtung nicht erraten lassen würde.
Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 120) : «Ce jeu con-
siste a contrefaire l'esprit follet.»
Es ist eine besondere Vorliebe der Kinder, das Unheim-
liche zum Gegenstand von Spielen zu machen ; und «Geischter-
les» oder «Gschpenschterles» waren uns bekannte Spiele.
Fi 280 «Das wunder» = Ra 142 «a l'esbahy».
Ohne Zweifel entspricht Fischarts Ausdruck, der in einer
ununterbrochenen Reihe von aus Rabelais stammenden Spielen
zu finden ist, dein französischen Namen, dessen Sinn er an-
gehend wiedergibt.
• Wird von Rochholz mit Unrecht als Fischartisches Spiel zi-
tiert (p. 420).
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Nach Esm. et E. Joh., note 424, bedeutet «esbahi» soviel
als «etonne», «surpris». Das Spiel wird von ihnen genau be-
schrieben :
«On met de la farine dans une assiette dont on forme une
pile avec un verre ä liqueur ; on relire le verre, on met dessus
une piece de monnaie. Chaque joueur avec un couteau enleve
un peu de farine, celui qui ä la fin fait ecrouler la pile et la
piece est tenu d'enlever avec ses dents la piece : ce qui lui bar-
bouille le visage de farine.»
Dieses Spiel trägt schon mehr den Charakter eines Gesell-
schaftsspieles.
Fi 281 «Naschettechen, Nauettechen» - Ra 144 «a la navette >
Die Absicht Fischarts, den Ursprung «seines Spieles» zu
verbergen, tritt auch hier deutlich zutage. «Navette» gibt er
mit dem deutschklingenden «Nauettechen» wieder und schmückt
es mit einem erfundenen Wortspiele «Naschettechen». Er hat
das Spiel nicht verstanden, und uns geht es gerade so.
Fi 282 «Fessart, Kerbart» = Ra 145 «a fessart».
Den Versuch, den uns das vorige «Spiel» zeigte, finden wir
von Fischart wiederholt: «Kerbart» ist auch hier ein auf «Fes-
sart» reimender wortspielerischer Zusatz.
Fi 283 «Sanct Kosman ich raff dich an» = Ra 147 «a sainct
Cosme je te viens t'adorer>.
Bei seinen Uebertragungen läßt Fischart manchmal sogar
seine Vernunft walten, wenn auch- eine Kenntnis des Spieles
in diesem Falle nicht anzunehmen ist.
Das Spiel hat Aehnlichkeit mit Nr. 229 und wohl auch
mit 256.
Nach Le Duchal (Esm. et E. Joh., note 424): «On bände
les yeux ä quelqu'un qu'on a fait asseoir dans un fauteuil.
S a i n t C 6 m e, je t e v i e n s t'a d o r e r lui dit un autre qui . . .
lui presente au visage une chandelle allumee. Celui-ci veut
l'empoigner, mais ä la place de ce cierge, on coule dans la
main du personnage un baton tout enduit d'ordure.»
Fi 284 «Der Braunen Schröter» - Ra 148 «a escarbot le bruu».
Escarbot = Käfer. Schröter ist ein alter Name für Käfer.»
Der Ausdruck ist also richtig übertragen.
• Grimm: D. Wb. 9. 1791.
- 80 -
Das Spiel ist mir unbekannt. Vgl. Garg. cap. 14, p. 197 :
«Lief! {fern nach den Schrötern, Meikafern, vnd für-
nemlich den Farfallischen Baumfaltern etc.»
Fi 285 «Ich fang euch on ein Meyen» = Ra 149 «a je vous
prens sans verd »
Meyen (Reis) bedeutet hier grüner Baumzweig. Die lieber^
tragung ist demnach richtig. Doch ist der eigentliche Sinn aus
dem Fischartischen Ausdruck nicht genau herauszufinden, weil
«on ein Meyen» von «ich» hei ihm abhängig ist, in Wirklich-
keit gehört es zu «euch» [a je vous prens (vous qui etes) sans
verd.]
Diese Bedeutung ergibt sich aus der Definition Esm. et
K. Job. 's, nole 125 :
«ce jeu consiste ä convenir entre personnes d'une meine
societe que celui (ju'on surprendra sans verd, c'est-ä-dire sans
une brauche de verdure, pendant le moi de mai, paiera une
amende ou donnera un gage.»
Das Spiel stammt somit aus einem alten Gebrauch zur
Maienzeit.
Fi 287 «Wol und voll vergebt die Fasten» - Ra 150 «A bien
et beau s'en va quaresme».
Sinngemäße durchaus korrekte Wiedergabe. «Wol und voll»
scheint zu Fischarts Zeiten wohl eine gebräuchliche Redensart
gewesen zu sein.
Ueber das französische Spiel sagt Le Duchat, Esm. et E.
Job., nole 126, weiter nichts, als daß es am Ende der Fasten-
zeit gespielt wurde.
Vielleicht ist es die Nachahmung eines Gebrauches aus der
Fastenzeit.
Fi 288 «Der gabeligen eychen» = Ra 151 «au chesne forcku».
Diese Genauigkeit des Sichanschließens an die Bedeutung
des Original wortes ist bei Fischarl selten.
Das Spiel ist unter den Knaben sehr bekannt und ist mehr
eine körperliche Uebung der Geschicklichkeit, ein Turnspiel,
als ein eigentliches Spiel.
Nach Le Duchal, Esm. et E. Jon., note 127: «Un petit
garcon appuye sur ses rnains se tient debout sur sa tete et
ecarte les jambes. Par derriere en vient un autre qui s'elance
au travers de l'autre cöte, et il prend expres cette route, de
peur que, venant ä faire mal son saut, celui qui contrefait le
chene fourchu ne vienne ä recevoir quelque coup de pied dans
le venire ou dans les bourses».
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- 81
In seinem ersten Teile (ohne das Springen) gleicht es einem
Turnvergnügen unserer Buben, das sie nennen : «De Hochstand
machei oder einfach «Kopfstehn».
Fi 289 «Deß gegossenen Gauls» = Ra 152 «an chevau fondu».
Ein bekanntes Spiel der Knaben. Esm. et E. Jon., note 128:
«A ce jeu un enfanl se baisse et presente son dos sur le-
quel monte un de ses camarades qui se fait porter ainsi».
In dieser Ausfuhrung ist es das gleiche Spiel wie unser
«Rilterles» oder «Rössels», bei Fischart an anderer Stelle « Roß-
macben» genannt.
Ein komplizierteres Spiel, das große Geschicklichkeit er-
fordert, beschreibt Stella unter dem gleichenjNamen : «Le cheval
fondu est celui oü plusieurs enfants courbes ä la file, et le pre-
mier, appuye sur un mur ou sur un banc, recoivent leurs ca-
marades sur leur dos ou leur Croupe».
Abbildungen dieses Spieles bei HenryJd'A. I, 323.
Aus Bischweier ist mir ein Spiel bekannt geworden, das
diesem entspricht, leider bei uns zu verschwinden scheint. Es
heißt dort «Eins zwei drei postemetri» und wird von 6, 8 oder
10 Knaben gespielt : Ein Knabe stellt sich rückwärts an eine
Wand, hält seine Hände geschlossen nach unten, in die ein
zweiter Knabe seinen Kopf legt. Noch ein dritter Knabe stellt
sich hinter diesen mit gekrümmtem Rücken und hält sich an
dem zweiten fest. Die andern drei (bei sechs Spielern) springen
auf diesen lebenden Sattel. Der letzte hat einen ziemlich schweren
Sprung zu machen. Er klatscht in die Hände und ruft, wenn
er ihm gelungen ist : «Eins, zwei, drei postemetri». [Dieses
Wort bedeutet wahrscheinlich «pose du maitre».]
Fi 290 «Deß Wolffschwantzes» = Ra 153 «a la queue
au loup».
Auch diesen Ausdruck hat Fischart genau nach Rabelais
gebildet. Es muß in Frankreich ein sehr bekanntes Spiel sein,
denn Esm. et E. Joh. halten eine Erklärung nicht der Mühe
wert.
Fi 291 «Deß furtz inn halß = Ra 154 «a pet en gueulle».
Richtig übertragen. Ohne genaue Beschreibung zu liefern,
deuten Esm. et E. Joh., note 130, doch auf den Verlauf des
Spieles der Knaben hin mit den Worten : «et s'il y a quelque-
chose ä craindre pour les joueurs c'est quelque manvais vent,
dont il leur est diffieile de se garantir».
6
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82 -
Man wird dies verstehen, wenn man die Abbildung des
Spieles bei Henry d'A. 1, 328 betrachtet. Es ist ein. sonderbares
und ziemliche Gewandtheit erforderndes Spiel.
Zwei Knaben halten sich so umschlungen, daß der eine
aufrecht, der andere auf dem Kopfe steht, wobei Kopf und
Hinterteil in die obenangedeutete unangenehme Lage kommen,
die ja auch schon der Ausdruck angibt. Ein dritter Knabe kniet
auf der Erde, und die beiden lassen sich über dessen Rücken
fallen, so daß immer der andere auf die Beine zu slehen
kommt.
Fi 292 «Wilhelm lang mir den spiß» = Ra 155 «a Guillemin
baille my ma lance».
Das französische Spiel ist das gleiche wie das unschöne
Spiel unserer Knaben, welches ich oben als «Slabslrumpeterles»
beschrieben habe, nur daß jenes noch etwas derber ist, da dort
der Betreffende, d. h. der Angeführte den Stab als Trompete
zum Munde führt, während er hier die «rLanze» nur berühren
muß und sich die Hände beschmiert. Immerhin ekelhaft
genug.
Fi 293 «Der Brandelle» = Ra 156 «a la brandeile».
Wir haben bis jetzt schon die Neigung Fischarts beobach-
ten können, den französischen Ausdruck zu übertragen, wie es
ihm gerade gefiel, genau oder ungenau, oder ihn einfach in
seinem ursprünglichen romanischen Wortlaut in sein Verzeichnis
zu verpflanzen. So auch hier.
Nach Esm. et E. Joh., nole 132, ist das Spiel das « jeu
de la brandilloire», das Schau kelspiel. (Bei Henry d'A.
II, 322.)
Fi 294 «Deß Muckenwadels» = Ra 159 «a la monsche».
Mouche = Fliege. Es dient auch als Kosewort für ein
niedliches, hübsches Mädchen. Diese Bedeutung hat Fischart
mit dem entsprechenden deutschen Wort, das ebenfalls als
Scbmeichelwort für Mädchen angewandt wurde, ganz richtig
wiedergegeben. Die Uebertragung zeigt uns auch wieder die
Absicht Fischarts Ausdrücke zu schaffen, ob sie ein
Spiel bedeuteten oder nicht.
Die französischen Kommentatoren verweisen zur Erklärung
des Spieles auf mehrere französische Werke, die mir nicht zu- '
gänglich sind (Dict. des jeux de l'Encyclopedie, p. 184. Diel.
d'Adry, p. 176. 181. Dict. de Trevoux).
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- 83 -
Fi 295 «Mein Oechßlin. mein Oechßlin» = Ra 160 «a la
inigne niigne beuf».
Der Versuch Fischarts, uns ilie Uebertragung aus Rabelais
zu verbergen, ist auch hier mißlungen. Er hat sich sicher bei
seinem Ausdruck nichts denken können und wollen. Ra ICO
ist ein Teil aus einem Abzähllied, das die Kinder vor Beginn
des Versteckspieles, des «jeu de cache-cache», zur Bestimmung
des Suchenden zu singen pflegten. Siehe ein solches bei Esm.
et E. Jon., note 130.
Die Diminutivform «Oechßlin» deutet darauf hin, daß Fischart
unsinnigerweise «mignex» als klein autgefaßt hat, sicher aus
Nachlässigkeit. Denn ctmigne beuf» bedeutet soviel als mine
bceuf = mine de bceuf. Diesen Sinn beweisen Esm. et E. Joh.
in längern Erörterungen.
Fi 296 cA propoß» = Ra 161 «au propous».
Fischart kann es mit dieser oberflächlichen Nachahmung
von Ra 161 nicht ernst gemeint haben.
In Frankreich ist es ein bekanntes Kinderspiel, doch Esm.
et E. Joh., note 137, nennen es nicht. (Vgl. Henry d'A. I, 50.)
Fi 297 «Der nenu Hend» = Ra 162 «a nenf mains».
Eine wörtliche Uebertragung. In Frankreich (nach Esm.
et E. Joh., note 138) lebt das Spiel noch unter dem Namen
«au pied de bceuf».
Eine nähere Beschreibung ist zu linden bei Henrv d'A.
II, 205.
Das spielartige Vergnügen, das darin besteht, daß eine
Reihe von Kindern der Reihe nach ihre Hände übereinander
legen, abwechselnd sie oben auflegen mit einem Schlage auf
die darunterliegende Hand, ist überall bekannt.
Fi 298 «Chapifon Nareue kopff» (in a b Narrenkopff) =
Ra 163 «an chapifon».
Den Wortsinn von chapifou hat Fischart wohl verstanden
und richtig mit «Narrenkopf» wiedergegeben. Chapifou, capifol,
f-apifolle = tete folle. (Esm. et E. Joh.) Um nun den Aus-
druck zu einem deutschen zu machen, verwandelt er «fou» in
«fon» und setzt doch richtig die Uebertragung von chapifou =
Narren kopff noch hinzu. Damit nicht genug, entstellt er in
der dritten Ausgabe c (1590) den klaren Ausdruck «Narren-
koplF», der in a und b zu finden ist, durch Trennung zu
«Narrene kopfl». Alle diese Fälle sind bezeichnend für Fi-
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— 84 -
scharls Wesen. Nach Le Duchat (Esm. et F. Joh., note 13ü)
ist das Spiel identisch mit dem «colin-maillard», einer Art
Blindekuhspiel. Damit bezeichnen die Ausdrücke au chapifou,
a la mousque (das vielleicht «a la mousche» 1 gleichkommt),
colin-maillard, colin- bride, le jeu de cligne mucette, wenn nicht
das gleiche, doch verwandte Spiele, weil sie das Augenverbinden
gemeinsam haben. (Vgl. darüber Henry d'A. I, 68.)
Fi 299 «Der zerfallenen Brucken» = Ra 164 «au pontz cheuz».
Die Richtigkeit der Uebertragung mag uns in diesem Falle
auf den Gedanken bringen, daß Fischart dieses Spiel gekannt
haben wird. Diese Phrase finden wir bereits in der ersten
Ausgabe, in der auch ein wirklich deutscher Name tür dieses
Spiel Nr. 264 «Die faule prucken» zu finden ist. Dali er diesen
deutschen Ausdruck dann in den folgenden Ausgaben im Ver-
zeichnisse strich, ist ein Beweis für die Kenntnis des franzö-
sischen Spieles ; doch ist wieder befremdlich der Umstand, daß
Fischart an Stelle des guten deutschen Namens eine Ueber-
tragung in sein Verzeichnis aufnahm. «Der faulen prucken»
ist dann in b als Zusatz im Schlüsse des 25. Kapitels zu finden.
Da noch mehrere Ausdrücke im Verzeichnis für dieses Spiel
zu finden sind, besprechen wir es erst an späterer Stelle, wo
von den wirklichen Fischartischen Spielen berichtet werden
wird.
Das Spiel wird wohl in Frankreich und in Deutschland
den gleichen Verlauf haben.
Fi 300 «Deß gezäumten schmid Toi ins» = Ra 165 <a colin
bride».
Eine phantastische Wiedergabe, in der nur der Sinn von
o bride» richtig gegeben ist. (bride, part. v. inf. brider zäumen,
la bride, der Zaum.)
Weniger entstellt ist der Ausdruck in der ersten und zweiten
Ausgabe, wo richtiger «Colins» zu linden ist ; «schmid» ist ein
willkürlicher Zusatz Fischarts. Fischart hat das französische
Spiel nicht gekannt. Es ist wohl identisch mit «colin-maillard».
(Esm. et E. Joh., note 140. Siehe Nr. 298.)
Fi 302 «Das Handwerck aufschreien» = Ra 176 «aus me Stiers».
Mit dieser Gegenüberstellung will ich nicht behaupten, daß
Fischart seinen Ausdruck aus Rabelais frei gebildet habe, daß
er also nicht als deutscher Spielname anzusehen sei, sondern
1 Siehe darüber Rochholz, p. 4.J2. Bei den Griechen Myinda
genannt. Pollux IX, 122 ff.
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— 65 —
sie mag zu dem Gedanken Anlaß geben, daß Fischart durch
den gleichbedeutenden französischen Ausdruck wohl an das im
Elsaß auch übliche Spiel «Das Handwerck außschreien» er-
innert worden ist. Es ist möglich, wenn auch sein Ausdruck
erst als Zusatz in b im Verzeichnisse auftaucht.
«Das Handwerck außschreien» ist ein altes Spiel unserer
Knaben, das heute noch als «Handwerkeries» überall im Elsaß
bekannt ist. («Handwerkeries» und «Gasseroteries».)
Zwei Knaben geben mit pantomimischen Gebärden ein Hand-
werk an, das die andern zu erraten suchen. Ich kann die
Meinung llochholzens, p, 436 nicht teilen, wonach Fi 173
«Ich bin König, du" bist Knecht», Fi 224 «Handwercksmann,
was gibst dazu», Fi 302 «Das Handwerck außschreien» ein
Spiel bedeuten sollen. Die Bedeutung von Fi 302 habe ich
dargelegt und von Fi 224 behaupte ich, daß es ebensogut ein
anderes Spiel bedeuten kann oder gar eine Frage aus einem
Spiele.
Vielleicht ist gar Fi 302 eine willkürliche Wiedergabe und
hat im Elsaß nie ein Spiel bezeichnet!
Fi 307 «Deß Grolle Gollhammers» = Ra 166 «a la grolle>.
Der Zusatz «Gollhammers», der die Sinnlosigkeit nur er-
höhen kann, ist das Produkt der Willkür Fischartischer Ver-
bergekunst. Grolle = corbeau, Corneille (nach Esm. et E. Joh.).
Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 141) könnte das
Spiel gleich «tirer au blanc» sein, was er aus einer andern
Stelle bei Rabelais herleitet (liv. IV, chap. LH.)
Es ist aber nicht unmöglich, daß doch «Gollhammer» wirk-
lich ein Fischart bekanntes Spiel gewesen ist, das er wegen des
ähnlichen Lautes des ersten Teiles mit dem französischen Wort
willkürlich verbunden hat. Das mag hervorgehen aus der Be-
schreibung Rochholzens, p. 457, von «Das Keil klotzen». Uebrigens
zitiert Rochholz falsch «Gollhammer» als «Grollhammer».
Fi 309 «Deß Kockantins» Ra 167 «au cocquantin».
Der Ursprung ist klar. Fischart war das Spiel unbekannt,
das Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 142) beschreibt :
«On appelle cocquantin dans le Maine ce qu'on nomme
ä Paris un volant.» (Abbildungen bei Henry d'A. I, 211.) Es
ist also das gleiche Spiel, das Raibeiais «a la griesche», «au
picandeau» (Esm. et E. Joh., note 101, 169) nennt, wenigstens
sind sich diese Spiele ähnlich. Dieses letztere hat auch Fischart
unverändert aufgenommen.
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Fi 355 «Picandeau» = Ra 209 <au picandeau».
Fi 310 «Deß Mirelimuffle» = Ra 169 <a raire Ii motte».
Mit Veränderung eines einzigen Buchstabens aus Rabelais
herübergenommen. Esm. et E. Joh. können das Spiel nicht
erklären, vermuten aber, daß der Name zusammengezogen be-
deutet : «mire lui le mouffle».
Rochholz (p. 432) hat sich bei der Besprechung seines
Spieles «Feistermüslen» (Nr. 51) geirrt, wenn er behauptet,
«Mirelimusle» sei identisch mit dem Blindekuhspiel. Nach Als-
leben kommt diese Schreibart «Mirelimusle» in den drei
ersten Ausgaben der Geschichtsklitterung überhaupt nicht vor;
hier heißt das Wort unverändert «deß Mirelimuffle». Es ist
wohl nicht anzunehmen, daß Rochholz hier einen Druckfehler
zu seinen Gunsten angenommen hat ; vielleicht hat er eine
spätere fehlerhafte Ausgabe benützt, auf jedenfall ist seine Be-
hauptung haltlos, erstens, weil der Ausdruck «Mirelimuffle»
lautet und mit einem «musle» (Maus nach seinem Gedanken-
gang) gar nichts zu tun hat, zweitens, weil das Wort aus
dem Französischen entlehnt ist, also keinen deutschen Spiel-
namen darstellt.
Fischarts Spiel «deß Mirelimuffle» hat keine Daseinsberech-
tigung. An eine Herkunft aus Rabelais hat Rochholz nicht
gedacht.
Trotz aller Verehrung für sein wunderbares Werk, muß
ich Rochholz noch einen Fehler vorwerfen, wenn er Fi 222
falsch zitiert als «Es laufit eine Mauß die Mauer auftV
In den drei erslen von Fischart selbst redigierten Ausgaben
steht : «Es laufTt eine weise mauß die maur aufl».
Und dann bedeutet dieser Ausdruck sicher kein Spiel, wie
es Rochholz meint.
Wir haben damit klar bewiesen, daß es eine unrichtige
Konstellation ist, in der nach Rochholz diese Ausdrücke «deß
Mirelimuffle» und der eben genannte erscheinen.
Fi 311 «Monschart» = Ra 170 «a mouschart».
Ueber das französische Spiel habe ich ebensowenig in Er-
fahrung bringen können wie seinerzeit Fischart.
Fi 312 «Der Klotten» = Ra 171 «au crapanlt>.
Nach Burgaud des Marets et Rathery (Oeuvres de Fr. Ra-
belais. Paris 1870) ist es ein «jeu dans lequel on fait sauter un
jeton sur l'autre, ä l'aide d'une troisieme que Ton appuie
dessus».
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— f- 8 i —
Fi 313 «Deß Bischofsstabs > = Ra 172 «a la crosse».
Fischarls wörtliche Uebertragung entfernt uns von der
eigentlichen Bedeutung, statt sie uns zu erklären. Crosse ist der
Stab, womit man den Ball schlug, wie in Fi 215 «Der Sau» =
Ha 107 «a la truye»,
Ueberhaupt ist nach meiner Meinung darunter das Spiel
Nr. 107 aa la truye» zu verstehen, nur daß in dem einen Fall
das Spiel den Namen tragt von dem Ball (Sau, truye) und das
andere Mal von dem Schläger (crosse). Esm. et E. Job., note
144.
«On joue ä la crosse avec une boule qu'on pousse de toute
sa force avec un baton courbe par un bout en forme de crosse.»
(Le Duchat.)
Näheres bei Esm. et E. .loh., note 144 und Abbildung bei
Henry d'A. I, 196.
Fi 315 cBille bocket» = Ra 174 «au bille boucqaet>.
Fischart hat vergeblich versucht seinem Ausdruck einen
deutschen Anstrich zu geben.
In früheren Zeiten trieben auch Erwachsene dieses Spiel.
Selbst von Heinrich III. von Frankreich wird das berichtet. Esm.
et E, Jon., note 145 :
«On appelle communement billeboquet un bäton court,
creuse en rond par les deux bouts, et au milieu duquel est une
corde ä laquelie est attachee une balle de plomb qu'on jette en
l'air et qu'on recoit alternativement dans les concavites des deux
bouts.» (Abbildung bei Henry d'A, I, 114.)
Fi 316 «Der Königin» = Ra 175 «aux roynes».
Es kann wohl kaum geleugnet werden, daß Fischarls Spiel-
name eine Uebertragung des französischen ist, nur daß er den
französischen Plural mit dem Singular wiedergab (royne = afr.
für reine = Königin). Wenn dem so ist, dann ist das Spiel
vielleicht identisch mit Ra 47 «a la renette», von welchem nach
note 46 Esm. et E. Joh. behaupten, daß es eine besondere Art
des triclrac-Spieles sei ; es wäre also zu den Würfel- bezw.
Brettspielen zu rechnen.
Fi 317 «Kopf zn köpf anrechen» = Ra 177 «a teste a teste
bechevel».
Auch diese, wenn auch ziemlich entsprechende Wiedergabe
läßt an Unklarheit nichts zu wünschen übrig. Esm. et E. Joh.,
note 147, beschreiben ausführlich das Spiel: «Jeu quo les en-
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fants jouent avec deux epingles, que Tun d'eux cache dans sa
main : apres quoi il donne ä deviner ä l'autre, si ces epingles
sont places ou tete ä tete, ou a bechevet, c'est-ä-dire ä con-
Iresens . . . etc ».
(Siehe Henry d'A. II, 96. Burg. d. Marets el Rathery, p.
169, note 4.)
Fi 319 «Malle mort» = Ra 179 <a male mort».
Fischart hat den Ausdruck nicht verstanden, auch die fran-
zösischen Kommenlatoren schweigen darüber.
Esm. et E. Joh., note 149, definieren «malemort» mit «m a I a
m o r s, mort funeste.
Fi 320 «Krockmolle> = Ra 180 «aux croqninolles».
Wenn wir diese Mißhandlung des französischen Wortes
betrachten, so haben wir einen Beweis, wie wenig Fischart sich
Mühe gab, korrekt zu übertragen.
In der ersten Ausgabe (a) von 1575 ist noch ganz folge-
richtig «Krockinolle» zu finden. In den folgenden verschwindet
der i- Punkt, und das n wird zu m.
Nach Esm. et E. Joh. ist das Spiel das gleiche wie das
spätere «aux chiquenaudes» (note 150).
«C'est la chiquenaude qu'on donne sur la tete avec le se-
cond et le troisieme doigt ferme ou tendu avec ressort.»
Es kommt also unserm «Nasestipperies» gleich.
Fi 321 «Frau wollen wir die Kaff Wäschen» = Ra 181
<a laver la coiffe madante».
Wieder ein Beispiel für Fischarts tolles Spiel mit den
Worten. Coitfe (r=r Haube und Kopfhaut) überträgt er in der
unsinnigsten Weise mit Kuff (=: Botlich ; Schwei nelrog), nur
auf Grund eines ganz oberflächlichen Gleichklanges.
Den Sinn des Ausdruckes habeich nicht erkennen können.
Fi 322 «Belusteol» = Ra 182 «an belusteau».
Dieser von Fischart entstellte Name bedeutet ein sehr ein-
faches Spiel vergnügen, welches Le Ducbat (Esm. et. Joh., note
151) beschreibt :
«Deux enfants se placent face ä face l'un de l'autre, ils se
poussent tous les deux tour-ä-tour, en sorte qu'ils semblent
bluter.»
Ein gleich einfaches Bewegungsspiel unserer Knaben mag
hier genannt werden, das «Budelleschwenke». Zwei Knaben
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stellen sich mit dem Rücken gegeneinander und verschlingen
fest ihre Arme. Jeder bückt sich nun abwechslungsweise, wo-
durch eine schaukelnde Bewegung entsteht.
Fi 323 tDen Habern seyen» = Ra 183 «a seiner Tavoyne«.
Ohne Verzerrung ist dieser Ausdruck übertragen. Das Spiel
wird wohl darin bestanden haben, daß die Kinder das Säen des
Hafers nachmachten. Noch heute ist ein Reigenspiel bei den
Mädchen im Elsaß bekannt, bei dem die Kinder unter anderm
singen, indem sie verschiedene Bewegungen mit einer Hand-
gebärde nachmachen :
«Wollt ihr wissen, wollt ihr wissen
Wie der Bauer seinen Hafer aussät» usw.
Fi 324 «DeB Deffendo» = Ra 186 <a defendo».
Wörtlich aus Ra herübergenommen. Der Ausdruck ist bei
Fangspielen üblich und bedeutet vielleicht selbst das «jeu de
cache-caehe». (Esm. et E. Jon., note 154. Burg, des Marets et
Rathery, p* 169 n. 5). In diesem wie im andern Spiele sagen
die Kinder, wenn sie nicht gefangen werden wollen : «je m'en
defends».
Fi 325 «Im mölcheu» = Ra 185 tau molinet».
Sogar den Artikel hat Fischart hierbei richtig und zugleich
falsch dem Sinne nach übertragen, während sonst das korrekte
«deß» bezw. «des» zu finden ist.
Der Ausdruck bedeutet den Gegenstand, mit dem die Kinder
sich vergnügen. Esm. et E. Jon., note 153:
«Des enfants se divertissent ä courir contre le vent avec
de petits moulinets qu'ils font de deux morceaux de cartes ä
jouer ou avec deux petits ais croises Tun sur l'autre, et atta-
ches avec une epingle ou bout d'un bäton» (Le Duchat.) [Siehe
Henry d'A. 1, 237. II, 97, 358.J .
Dieses Vergnügen der Kinder ist überall zu tinden. Auf
«Kirmessen» wird das «Mühlchen» regelmäßig zum Verkauf
angeboten, und man sieht in toller Freude unsere Kleinen durch
die Gassen rennen, damit ihre Mühle sich ordentlich drehe.
Uns Straßburgern ist allen der Typus einer armen Lumpenhänd-
lerin unvergeßlich, die von Zeit zu Zeit auftaucht mit einem
Wagen, auf den ein Haufen Lumpen, ein armseliges Kind und
eine Reihe von «Mühlen» gepackt sind. Diese selbsthergestellte
billige Ware tauscht sie gegen Lumpen ein, die ihr die Kinder
mit freudigem Eifer herbeischleppen. Stolz lassen sie dann den
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Lohn ihrer menschenfreundlichen Geschäftigkeit jauchzend in
den Lüften flattern.
Wir kannten noch eine andere Art von Mühlen ; den Ge-
genstand nannten wir bald «Miehl» bald «Rädel» ; er bestand
aus einem aus steifem Papier hergestellten Rad, dessen mittlerer
Teil nach außen gebogen wurde und den Windfang bildete.
Das «Rädel» ließen wir von dem Winde auf dem Boden hin-
treiben Jetzt scheint das Spiel ziemlich vergessen.
Fischart erwähnt dieses Spiel im cap. 14, p. 202: («Auch
damit dem Kind nichts an kurtzweil abgieng, macht man jlim
ein Flinderlestecken, vnd fornen dran ein Windspiel von den
Hügeln einer Windmül auß Francken : damit lieflf er auff vnnd
ab die Gaß, vnnd Thürnieret den Leuten die fenster auß».
Von dem sich herumtollenden «Kampfkeib» sagt er cap. 38,
p. 366, daß er «ntdlenspielet», d h. sicli wirbelnd wie ein
Rädchen herumdrehte.
Fi 326 «Deli Frases» = Ra 184 <a briffault».
Brifer = verschlingen, gierig fressen.
Brifeur = Freßsack. „
Den Sinn des Wortes hat Fischart nur so obenhin ange-
deutet, denn nach Esm, et E. Jon., note 152 ist «briftaut ad-
jeclif derive de brilTer signifiant vorace ou grand mangeur».
Doch das Spiel ?
Fi 327 cViievoste» = Ra 187 «a la vhevolte».
Die Schreibung «Virevolte» wechselt mit «virevoute» und
«virevouste», sodaß Fischart also eine Ausgabe des Rabelais
benutzt hat, die «virevouste» hatte. Sein Wort ist die kaum ver-
änderte Wiedergabe dieses französischen Ausdruckes.
Nach Adry ist es das gleiche Spiel wie «a la pirouette» und
«au vireton». (Esm. et E. Job., note 155. Henry d'A. I, 51 be-
schreibt «a la pirouette».)
Fi 328 «Deii Bacule» = Ra 189 «a la bacule».
*
Diese sinnlose Uebernahme des W r ortes sollte darauf hin-
deuten, daß P'ischart ein so alltägliches Wort nicht verstanden
habe? Wäre es ihm nicht, wenn er die Absicht gehabt hätte,
leicht gewesen sich über die Bedeutung des Wortes zu infor-
mieren? Uns ist dieser Ausdruck wieder ein Beweis für Fischarts
absichtlicher Oberflächlichkeit, mit der er die Wirkung seiner
Satire erhöht.
Bacule = bascule = die Schaukel, die allen Kindern be-
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kannt ist, sodaß es nicht nötig- ist das Spiel zu beschreiben.
(Näheres bei Esm. et E. Jon., note 157 und Abbildungen bei
Henry d'A. II, 333.)
Fi 329 <Deß Bauren» = Ra 190 «au laboureur».
Fischart hat sich mit diesem Wort ziemlich an das Original
gehalten.
Fi 330 cDie unsinnige esconblette» = Ra 188 «aux
escoublettes enraigees».
Hier triumphiert wieder Fischarts «Ueberselzungskunst» in
ihrer nackten Schadenfreude. Ebenso «unsinnig» (enraigees) als
Fischarts «esconblette» (escoublettes) ist seine Uebertragung.
Das Spiel besteht darin «ä se heurter de la tete Pun Fau-
tre, comme tont les beliers». (Esm. et E. Joh., note 15(3.)
Fi 331 «Das tod Thier» = Ra 191 «a la beste morte».
Das Wort ist eine ganz korrekte Wiedergabe, die sogar
einem «üebersetzer» nicht übel genommen werden könnte.
Fi 332 «Steig, steig auffs leiterlin» = Ra 192 «a monte
raonte l'eschelette».
Auch bei dieser Uebertragung kann man nicht umhin die
Korrektheit zu würdigen, zugleich aber wird der Ausdruck
Fischarts für uns wertlos, da es kein Spiel unserer Knaben ist.
(Esm. et E. Job., note 158.)
«Ce jeu consiste ä faire monter successivement un enfant
du cou de pied aux genoux et des genoux sur les epaules.»
So spielen bei uns auch oft die Erwachsenen mit den Kleinen.
Fi 333 «Der Toden Sau» = Ra 193 «au pourceau mory».
Die Uebertragung ist korrekt. Das französische Spiel ahmt
nach Le Duchat, (Esm. et E. Joh., note 159) die tote Sau nach
oder das Töten des Schweines. Das Spiel wird also wohl iden-
tisch sein mit Nr. 331 «Das tod Thier» = Ra 491 «a la beste
morte».
Fi 334 «Deß gesaltzenen arß» = Ra 194 «au cul salle>.
Solche pikanten Ausdrücke zu übertragen, läßt sich Fischart
nicht nehmen.
Ueber das französische Spiel äußern sich Esm. et E. Jo-
hanneau sowie Burgand des Marets et Rathery nicht. Vielleicht
ist es das Spiel, das Larousse 1 «cul-bas» nennt, «qui est une
espece de qui perd gagne du jeu du commerce?» «Cul» ist
noch in verschiedenen Spielausdrücken zu finden, z. B.
«Baiser le cul de la vieille» und «jeu ä cul Iev6».
Es ist die Aufgabe eines französischen Werkes diesem
Spiele nachzuforschen.
Fi 335 «Des TAublins» = Ra 195 «au pigeonnet».
Das Fischartische Wort zeigt das Verstehen des entsprechen-
den französischen. Das Spiel ist wohl identisch mit «a pigeon
vole». (Esm. et E. .loh., note 160. Vergl. Henry d'A. II, 198.)
Fi 343 «Deß Besems» = Ra 146 -au ballay».
nichtig wie der vorhergehende Ausdruck übertragen.
Esm. et E. Job., note 12:3, vermuten über das Spiel «ce jeu
consisterait-il ä aller ä cheval sur au balai?«
Ist dies der Fall, dann ist das Spiel allgemein bekannt.
Fi 344 «Spring auß dem busch» = Ra 198 «au sault
du buisson».
An Stelle der substantivischen Form des Ausdruckes (fran-
zösisch «Sprang aus dem Busch») finden wir eine imperativische
Ausdrucksweise bei Fischart. Bei Esm. et E. Joh , note 162,
linden wir die Beschreibung des einfachen Spielvergnügens der
Kinder :
«Les entants jouent ä ce jeu en sautant sur un petit buis-
son ou ce qui est moins «langereux sur im petit monticule de
sable.»
Fi 345 «Der verborgenen Kutten» = Ra 200 <a la
cutte cache».
Die Unsinnigkeit des möglichst deutsch gestalteten Fischar-
tischen Ausdrucks ergibt sich aus der Wiedergabe von cutte
mit dem die gleichen Buchstaben zufällig besitzenden «Kulte».
Fischart hat sich gar keine Mühe gegeben, die Bedeutung von
«cutte» zu erforschen ; ihm kommt es ja nur darauf an mög-
lichst viele und absonderliche Spielnamen zu konstruieren, ein
Fastnachtskostüm zusammenzuflicken aus den unpassendsten
Worten und Wörtchen. Ueber die eigentliche Bedeutung streiten
sich Esm. et E. Job. und Le Duchat, note 1Ü4. Wahrscheinlich
ist es eine Art «jeu de cache-cache nicolas».
1 Larousse: Dictionnaire de la langue fran<;aise.
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Fi 346 «Balgen und Seckel im Arß» = Ra 201 «a la maille
bourse en cul>.
Von diesem französischen Spiele hat Fischart nichts ver-
standen. Das beweist seine Bezeichnung, die eine ganz niedrige
obszöne Phrase darstellt im Stile der «Trunckenen Litanei» des
8. Kapitels. Sein Ausdruck ist die Ausgeburt einer grenzen-
los phantastischen Behandlung der französischen Worte, die
wohl, abgesehen von cul, das richtig wiedergegeben ist, diese
Nebenbedeutung gehabt haben können. «Bourse» entspricht
«Seckeb. Ob aber Fischart die harmlose Bedeutung dieses
Wortes im Auge hatte, ist fraglich. Meiner Meinung nach hat
Fischart eine zotige Bemerkung uns zu geben beabsichtigt, zum
wenigsten aber eine doppelsinnige.
Aus den Angaben der französischen Kommentatoren (Esm.
et E. Jon., note 465 ; Burg. p. 169, note 12) geht der Verlauf
des Spieles nicht hervor.
Fi 347 «O bohe das Habichnest» • = Ra 202 «au nid de la
bondree».
Die Interjektion, die Fischart seiner sonst korrekten Ueber-
tragung voransetzt, kann uns nicht über die Authentizität seines
Ausdrucks hinwegtäuschen.
Fi 348 «Pasaanant, Passefort» = Ra 203 «au passavant>.
«Passefort* ist ein willkürlicher Zusatz auf Grund der be-
kannten Absicht Fischarts. Nur ist es wirklieh von einer sonder-
baren Komik, wenn in uns durch diesen Ausdruck die Meinung
wachgerufen werden kann, er sei eine regelrechte Uebertragung,
die aber wieder zerstört wird durch das «t», das auch eine nach-
lässige Schreibung sein kann, immerhin dazu geeignet ist, uns
zu düpieren.
Die tolle Wortspielerei, die Fischart betreffs dieses Wortes
sieh leistet, erreicht ihren Höhepunkt in seiner späteren Phrase
Nr. 353 «Für sich, hinder sich», die weiter nichts als eine
zweite Uebertragung des W T ortes ist. Der Ausdruck «au passa-
vant» hat also eine seltsame Entwicklung durchgemacht. Er
lieferte Fischarts «Passauant, Passeforl» und dieses wurde noch-
mals variiert zu einem «deutschen» Ausdruck «Für sich, hinder
sich». Esm. et E. Joh., note 116: «Au passavant» ist eine
Art «au cheval fondu», das oben beschrieben ist, hatte also
Aehnlichkeit mit unserm «Bockspringeries», das in vielen Va-
riationen vorkommt. Vgl. Henry d'A. 320 ff. «saute- mouton».
Fi 349 «Der Petarrade» = Ra 205 «aux petariades».
Petarrade = Gefarz, Salve von Fürzen.
— 94
Fi 351 <Der Seiiffsterupffel» = Ra 206 «a pile moustarde».
Der Sinn der Worte Rahelais' ist durchaus richtig wieder-
gesehen.
Nach Esm. et E. Joh., note 167, bedeutet «camhos» soviel
als campos = champs und donner campos = donner eonge
aux ecoliers de sortir, d'aller aux champs. Wenn man bedenkt,
daß heute noch im. Elsaß ein Kartenspiel weit verbreitet ist,
das den Namen trägt «UlTs Land» und «Landnüslriwerles», so
könnten wir die Hypothese aufstellen, daß vielleicht Rabelais'
Ausdruck dieses oder ein ähnliches Kartenspiel bedeutet.
Fi 355 «Picaudeau» = Ra 209 «au picandeau».
Der französische Ausdruck bedeutet in der Lyonnai de
volant», das uns oben schon bekannt geworden ist (Esm. et E.
Joh., note 100, Burg. d. M. et Rathen*, p. 409, note 13).
Fi 356 «Krocketeste, Hackenkopf» = Ra 210 ca crocqne teste».
Croc — Haken. Fischarls Ausdruck besteht aus dem fran-
zösischen Ausdruck, den er zu einem W 7 orle zusammengezogen
hat und dessen wörtlicher Uebert Tagung, die so wörtlich ist, daß
sie den Sinn des Spieles niemals erraten lassen würde. Fischart
treibt ein tolles Spiel mit den Rabelaisschen Ausdrücken, die
er wirklich recht «lustig in einen Teutschen Model vergossen»
hat. Das Spiel ist wieder unser «Bockspringeries», eine Art
des französischen «saut de mouton». (Esm. et E. Joh , note 170.)
Crocque hat hier mit Haken nichts zu tun, sondern es bedeutet
in dem Zurufe des Springenden «crocque-tete» für den zweiten
Knaben den Kopf niederzubeugen.
Fi 357 «Deß Kranchs» = Ra 211 «a la grne*.
Die Uebertragung ist richtig. Esm. et E. Joh., note 171,
vermuten, daß «a la grue» das Spiel sei, wo die Kinder sich
streiten, wer am längsten auf einem Beine stehen könne.
Fi 358 «Taillecop» = Ra 212 «au taille-coup».
Der Fischartische Name weicht vorn Rabelaisschen nur in
der Schreibung «o» statt «ou» ab.
Tailler ist ein Ausdruck aus dem Kartenspiel. (Littre :
Dict. de 1. I. fr.) Ob auch hei Rabelais' Ausdruck das der Fall
ist, vermag ich nicht zu sagen.
Fi 352 «Cambos» = Ra 207 <a cambos».
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— 95 -
Fi 359 «Nasenkönig Nasart» = Ra 213 «aux nazardes».
Fischarts Phrase ist ein ganz willkürliches Gebilde, das
eigentlich gar nichts bedeuten kann. «Nasenkönig» ist wohl
seinerzeit eine spöttische Bezeichnung des Besitzers einer allzu
länglichen Nase gewesen. Das besagt uns die Stelle in der
Geschichtsklilterung cap. 8 p. 135 «Sieh Nasen König, wie die
Naß drein steckst». (Vielleicht sogar der Teil eines Spollliedes
der Trinker mit dem Sinne, ^Jaß es schwierig ist, eine lange
Nase beim Trinken nicht tief in den Becher zu stecken.)
Eine andere Bedeutung hat Rabelais' Ausdruck, der iden-
tisch ist mit dem frühern «aux crocquitfnoles» und dem später
genannten «aux chinquenaudes». Siehe diese Ausdrücke. Esm.
et E. Joh., nole 172. B. d. Marets et Bathery, p. 170, note 2.
Fi 360 «Der Lerchen» = Ra 214 «aux allouettes».
Richtig übertrafen. Doch welches Spiel"?
Fi 361 «Der Stirnschnallen» = Ra 215 «aux cuinquenaudes».
Dieser Ausdruck ist mit dem des Rabelais zusammenzu-
bringen und beweist uns die seltene Tatsache, daß Fischart das
Spiel gekannt und mit dem entsprechenden, ihm auch bekannten
deutschen Ausdruck wiedergegeben hat. (Ra 215 = Ra 213.)
Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 173) bestreitet diese Be-
deutung von «aux chinquenaudes».
Doch scheint mir Fischarts Ueberlragung den Gegenbeweis
zu führen und im voraus die Definition Esm. et E. Joh. und
B. d. Marets et Ratherys zu bestätigen.
Es sei noch bemerkt, daß «chiques» die Bedeutung von
Klicker hat, so daß mir Le Duchats Absicht chique, chinque
mit cinq zusammenzubringen unhaltbar zu sein scheint.
Fi 542 «Bierenbaum schötteln» - Ra 103 «an poirier».
Fischarts Ausdruck stellt ohne Zweifel eine Nachbildung
des Rabelaisschen «au poirier» dar. (Esm. et E.Job., note 84.
Henry d'A. I, 333.) Dieser Name bedeutet das gleiche Spiel
wie «au chene fourchu», unser «Kopfslehn».
Damit hatten wir versucht, diejenigen Spiele in der Tabelle
zu erkennen, welche als von Babelais stammend zu betrachten
sind.
Rabelais' Verzeichnis umfaßt 215 Spielnamen, nicht 214
wie Burg. d. Marets et Bathery, p. 165, note 1, zählen.
Davon sind bei Fischart nachweisbar 161, vielleicht, wenn
wir die folgende Hypothese aufzustellen berechtigt sind, 162
Spiele in mancherlei Formen wieder zu finden, sowohl Karten-,
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- 96 —
Würfel-, Brettspiele als auch Jugendspiele. Der größte Teil
dieser ersteren Kategorie bei Fischart ist Habelais entliehen.
Vielleicht ist auch noch Fi 425 «Murr murr nur nicht»
als eine willkürliche Entstellung des bekannten Rabelaisschen
Spieles Ra 36 «a la mourre» zu betrachten. An Beispielen, um
diese Behauptung zu stützen, fehlt es uns in Fischarts Ueber-
tragungen nicht. Diese Meinung mag noch befestigt werden,
wenn wir uns immer vor Augen halten, daß Fischarts Absicht
gar nicht ist, möglichst korrekt die französischen Ausdrücke
wiederzugeben, sondern daß er der größtmöglichsten Unklarheit
und Verdrehung der Ausdrücke sich befleißigt hat, um sie, sei
es auf Kosten des Verständnisses und des wahren Sinnes, zu
seinen Spielen, zu den Spielen seines «Gargantuwalts» zu
machen.
Es bleiben also scheinbar von Fischart unbenutzt (>5 Spiele,
von denen wir ruhig annehmen können, daß Fischart sie in
ein solches Narrenkleid versteckt hat, daß es wohl der Forschung
unmöglich sein wird, sie zu erkennen. Denn 65 Spiele nicht
zu verwenden, das ist einem Fischart wohl sehr schwer ge-
worden .
2. Abschnitt.
Die Ausdrücke, welche Jugendspiele bedeutend,
auf die Spielnamen bei Junius zurückzuführen
sind.
Die Zahl der Karten-, Würfel- und Brettspiele, die Fischart
aus dem Nomenciator des Junius entnommen hat, steht weit
hinter der Zahl der entsprechenden aus Rabelais entlehnten
Ausdrücke zurück.
Ks mag etwas komisch klingen, wenn wir sagen, daß
der Grund einfach in der geringem Anzahl Spiele besteht, die
Fischart im Nomenciator überhaupt finden konnte. Hätte Junius
ein größeres Verzeichnis aufgeführt, ich glaube Fischarts Ver-
zeichnis wäre noch umfangreicher geworden. Die gleiche will-
kürliche Behandlung wie den Rabelaisschen Phrasen ließ Fischart
auch denjenigen des Junius zuteil werden, wie uns auch die
Besprechung der aus Junius abgeschriebenen Jugendspiele zeigen
wird.
Durch einen Zufall bin ich auf diese Quelle aufmerksam
geworden, die ich in dem groß angelegten Werke über Nieder-
ländisches Kinderspiel von De Cock en Teirlinck 1 kennen lernte,
1 A. de Cock en Js. Teirlinck: Kinderspel cn Kinder
tust in Zuid-Nederland Gent, 1W2 — 1903.
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noch ohne von einer Beziehung Fischarts zu ihr etwas erfahren
zu haben. Eine zufällige Neugierde ließ mich eine gründliche
Benätzung dieses Nornenclators durch Fischart erkennen. Der
Umstand, daß mir das Buch durch sein Vorhandensein auf der
Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek zugänglich wurde,
erleichterte mir den folgenden Beweis. Erst nachträglich habe
ich in Erfahrung gebracht, daß schon Holtmann von Fallers-
leben in Horae belgicse VI, p. 183 eine Andeutung macht, wo-
nach es «selbst dem wohlbekannten Herausgeber Fischarts nicht
gelingen dürfte, für das «Pick Olyet offte graefl», «Hilteckes»,
«PfeifTt oder ich such euch nicht» eine andere Quelle als den
gedruckten Nomenclator Hadr. Junii (1567) nachzuweisen.»
Wir werden nun beweisen, daß dies nicht allein für diese
drei Spiele, sondern für eine ganze Keine von Spielen zutrifft.
Fi 94 «Pferdlin woll bereit» = J 29 <Peertgen
wel bereyt».
Schon in der ersten Ausgabe Gnden wir bei Fischart Nr.
575 «Pferdlin wol bereit». Er macht sich nicht viel daraus, das
gleiche Spiel nochmals an einer anderen Stelle (Fi 94) in der
dritten Ausgabe einzufügen.
Es ist überhaupt Fischart unendlich gleichgültig, ob er ein
Spiel zweimal oder mehrere Male nennt, wie wir schon früher
sahen und später noch sehen werden.
Die Uebertragung ist Fischart leicht geworden, da er Kennt-
nisse in der niederländischen Sprache besaß. Das Spiel ist eine
besondere Art des niederländischen «Hamele damele» r das un-
serm «1, 2, 3 Postemetri» gleichkommt und zu dem «Bock-
springeries» zu zählen ist. (De Cock en Teirlinck I, 303, 307,
308). Entweder springt man nur auf oder auch über den Rücken
eines anderen, oder man springt und läßt, auf dem Rücken
des andern sitzend, diesen raten, wieviele Finger man in die
Höhe streckt. Beide Spiele sind im Elsaß sehr verbreitet : beim
letzleren lautet die Frage der Buben bei uns : «Rumpelti pum-
pelti Holderstock, wieviel Hoerner streckt der Bock?»
Wir sahen, daß Fischart diesen Ausdruck zweimal in sein
Verzeichnis aufnahm. Umsomehr sind wir erstaunt, wenn er
es fertig bringt, aus Junius auch noch die anderen Bezeich-
nungen für dieses gleiche Spiel abzuschreiben und nicht nur
die beiden weiteren niederländischen, sondern auch den deut-
schen Ausdruck, welche alle unter dem Namen «Micare digitis*.
zu finden sind.
Zu deutsch heißt das Spiel, nach Junius J 29 «Die Finger
; herfür werffen / vnnd schnellen». Danach hat Fischart sein Fi 97
, «Fingerschnellen» gebildet, welches als Zusatz in c zu finden ist.
7
— 98 -
Ferner gibt Junius noch zwei niederländische Ausdrücke,
die bei Fischart zu finden sind :
In cPick olye ofle graef» = Fi 195 tPick Olyct oftle graef».
(De Gock en Teirlinck I, 317, 308) und
in «Cock cock rij web (De Cock en Teirlinck I, 306) = Fi
95 «Cock cock ey wil», im letzten Teile eine willkürliche Ueber-
tragung und Entstellung.
Damit hat aber die Benutzung des Junius seinen Ab-
schluß noch nicht gefunden. Die lateinische Erklärung von «mi-
care digitis» resp. der niederländischen Phrasen «quo puer ob-
structis oculis diuinat quot alter digitos erectos habeat» hat
weiter zur Bildung des Fi schartischen Fi 194 «Rhat der Gnger»
geholfen, ein Ausdruck der allerdings auch in dieser Form im
Elsaß üblich gewesen sein wird, aber immerhin als unter dem
Einflüsse der Erklärung bei Junius entstanden anzusehen ist,
denn auch er ist zu finden in einer aus Junius entlehnten Gruppe
von mehreren Spielen und zwar als Zusatz in c.
Wir haben somit bewiesen, daß sechs Ausdrücke bei
Fischatt auf ein einziges Spiel bezüglich sind und für uns als
ein Spiel gelten müssen.
Fi 96 «Lausen oder Noppen» = J 33 «Luysen oft noppen».
Auch diese Wiedergabe, so deutsch sie klingen mag, ist
ein Produkt toller Spielerei. Fischart gibt sich keine Mühe dem
Sinn nachzuspüren, oder besser, seine Ausdrücke lassen den
Sinn nicht erkennen. Dieser Arsdruck stammt aus den Erklär-
ungen des Junius von «Ostracinda».
«Hol oft b o 1 | quod est Canum ne an planum : vel
luysen oft noppen: velut olim is diuinan dum obtinebat,
Nox an dies.»
Hier haben wir die gleiche Erscheinung wie oben. Auch
den zweiten niederländischen Ausdruck «Hol oft bol» ßnden
wir bei Fischart als
Fi 579 «Hol oder voll», diesmal keine willkürliche, sinn-
lose Bildung, sondern Fischart scheint sich hier die lateinische
Erklärung «canum ne an planum» zunutze gemacht zu haben.
Damit nicht genug, er übersetzt auch den lateinischen Aus-
druck «Nox an dies» mit Fi 196 «Nacht oder tag».
Irrtümlicherweise sieht Ilochholz Fi 579 als einen Fischar-
tischen Ausdruck an auf p. 424.
Fischart gibt uns also auch hier drei verschiedene Aus-
drücke für ein Spiel, die er noch dazu sämtlich entlehnt hat.
Die Spielnamen bedeuten alle den spielartigen Gebrauch
der Kinder, den Fischart schon als Fi 155 «Grad oder ungrad»
und Fi 156 «Kreutz oder plättlin» bezeichnet, und der den
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Zweck bat, einen oder mehrere zu bestimmen, die das Spiel
eröffnen. De Cock en Teirlinck III, 109 :
«Men werpt eenige muntstukken omhoog en laat raden
kop ofletter; meestal echter houdt men ze in de hand en laat
raden paar of onpaar. Soms werpt men de muts omhoog en
men raadt h o 1 (opening naar boven) of b o 1».
Fi 193 «Der blinden Ku» = J 30 «T'blindeken,
t'blindenspel». 1
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Fischart durch Junius
30 «Myinda», wo diese niederländische Bezeichnungen zu finden
smd, an dieses bekannte Spiel erinnert worden ist, gerade da
der Fischarlische Ausdruck eine Zusatzserie in c eröffnet.
Fischart hat also wohl den niederländischen Spielnamen
verstanden und durch den ihm bekannten und entsprechenden
Namen wiedergegeben.
Das gleiche Spiel heißt bei ihm auch noch an anderer Stelle
Fi 20 «Plindenmäuß», das wir später (im nächsten Abschnitt)
zu besprechen haben.
Fi 538 «Pfeifft oder ich such euch nicht» = J 1 «Pijpt oft
ick en soeck v niet».*
Der Ausdruck Fischarts ist eine korrekte Uebertragung des
niederländischen Spielnamens. Auch dieses Spiel nennt Fischart
zweimal, denn es ist bereits in der ersten Ausgabe von 1575
(a) zu finden, Fi 577, und nochmals im Verzeichnisse als Zusatz
in b (1582) = Fi 538.
So erstreckt sich also die Benützung der Namen auf alle
drei Ausgaben.
Unter «Apodidrascinda» gibt Junius folgende niederländi-
sche Ausdrücke für dieses Spiel an, das unserm «Versteckels»
entspricht.
«Apodidrascinda :B. Schuylvvinckgen, schuylhoecxken
| duykerken. Flandris, Coppencomtwt den hoecke.
Brab. item pijpt oft ick en soeck v niet».
Alle die drei Hauptbezeichnungen des gleichen Spieles hat
auch Fischart in sein Verzeichnis aufgenommen. «Schuylwinck-
gen» verdreht er zu Fi 578 «Schul winkel», wodurch er einen
falschen Sinn erzeugt, da man versucht ist «Schul» als «Schule»
aufzufassen. «Schuyb hat mit «Schule» gar nichts zu tun, denn
«schuylen» heißt hier soviel als «verbergen». 3
1 De Cock en Teirlinck I, 118.
2 De Cock en Teirlinck I, 155.
3 Joh. Franck: Etymologisch Woordenboek der Nederland-
ßche Taal.
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- 100 —
«Schul winkel» kann also niemals als ein deutsches Spiel
angesehen werden, das Fischart als solches aus dem Elsaß be-
kannt geworden wäre, deshalb ist es unrichtig, wenn Rochholz
p. 404 das Spiel «Blinzimus» als bei Fischart «Schulwinkel»
genannt zitiert.
Auch De Cock en Teirlinck (I, 152) zitieren nach Böhme,
Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, 562, das Fischarfische
«Schulwinkel» zu Unrecht. Fischart ist es in diesem Falle wirk-
lich gelungen die Nachwelt irre zu leiten. Der Reihe nach
wurde «Schulwinkel» als ein Fischarlisches Spiel angesehen von
Rochholz, Böhme, De Cock en Teirlinck.
Den zweiten niederländischen Namen hat Fischart als
Fi 539 «Kapp komm auß dem H&aftcken*
wobei er «hoecke» = Winkel, Ecke falsch mit «Häußcken»
überträgt; und als
Fi 580 «Hänlein komme aus dem winckelein», eine ganz
richtige Ueberlragung. Dieser letztere Ausdruck steht bereits
in der ersten Ausgabe. Der andere, Fi 539, erscheint mit dem
dritten aus Junius stammenden Ausdruck Fi 538 als Zusatz in
der zweiten Ausgabe, so daß wir folgende Konstellation er-
halten.
Fi 538 (b) = Fi 577 (a).
Fi 538 = Fi 539 (b) = Fi 580 (a) = Fi 578 (a).
Also wieder fünf Ausdrücke für ein einziges Spiel.
Heute heißt das Spiel in den Niederlanden «Verstopperl je».
Zahllose Variationen dieses Spieles geben De Cock en Teirlinck
I, p. 140 ff.
Fi 581 «Das UAnlin, hanlin bat gelegt» = J 43 «Cop cop heeft
geleyt».
Der Ausdruck ist richtig übertragen, nur daß für Huhn
(Henne) die Diminutivform «hänlin» gesetzt ist.
Junius beschreibt das Spiel unter «Schoenophilinda».
Es ist das niederländische «Neusdoeksken-achter-'t gat»,
eine Art «Plumpsack»-Spiel, das überall bekannt ist. (De Cock
en Teirlinck 1, p. 193 ; 184.)
Bei folgenden Ausdrücken ist es zweifelhaft, ob sie in Be-
ziehung zu Junius stehen.
Fi 197 «Vergebens machen» ; bedeutet irgend eine willkür-
lich von Fischart eingesetzte Phrase, vielleicht mit dem Sinne
von «Steinausgeben».
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- 101 -
Einen merkwürdigen Fall, der wahrscheinlich mit Junius
in Zusammenhang zu bringen ist, bietet uns :
Fi 576 <Ritschen>.
Dieser Ausdruck kommt in einer fortlaufenden Reihe aus
Junius abgeschriebener Spiele vor. Ks liegt so der Gedanke
nahe, daß «Rilschen» eine unrichtige Wiedergabe von «Ritzen»
ist, das Junius unter «Oscillum» erwähnt.
Ein Mißverständnis Fischarts ist wegen der vorhandenen
ausführlichen Beschreibung bei Junius ausgeschlossen. Somit
bleibt nur die Annahme einer absichtlichen Wiedergabe von
«Ritzen» = schaukeln mit dem etwas ganz anderes bedeuten-
den «Ritschen» = gleiten auf dem Eise (unser «Rutschen»),
für das Fischart noch zwei andere Ausdrücke am Schlüsse von
cap. 25 erwähnt : «Schleißen, schleimen». (Siehe unten.)
Vielleicht ist auch
Fi 47 c Königs lösen»
unter dem Einflüsse der Erklärung des Junius von «Basilinda»
entstanden, das niederländisch «T conincxken speelen j een
coninck maken» heißt (De Cock en Teirlinck I, p. 102), ein
Spiel (deren es übrigens viele gibt), darin die Kinder einen
König wählen, ihn «auslosen», wie z. B. in Fischarts Fi 173
«Ich bin König, du bist Knecht».
Wir sahen, daß unsern Fischart auch hei der Benützung
des Nomenciators «keine Skrupel noch Zweifel plagten», er nahm,
was er nehmen konnte, und gab uns ein tolles Gewirr, wie er
es nur geben konnte.
Der Rest der Spiele unserer Tabelle der Jugendspiele kann
als Spiele betrachtet werden, die eigentlich allein für uns
in Betracht kommen, da sie wahrscheinlich von Fischart aus
dem Elsaß gesammelt worden sind. Diese nun zu besprechende
Spielgruppe umfaßt die Ausdrücke, die man als wirkliche Kinder-
spiele ansehen darf. Wir werden sehen, daß ihre Anzahl gar
nicht so erschrecklich groß ist, im Verhältnis zu dem 629 Aus-
drücke umfassenden Gesamtverzeichnis, aber immerhin bedeut-
sam genug.
Zur bessern Uebersichtlichkeit werden wir uns bemühen,
die Spiele ungefähr nach ihrer Art einzuteilen.
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- 102 —
3. Abschnitt.
Die Spiele, die Fischart wohl nicht abgeschrie-
ben, sondern aus dem Elsaß und auch wohl
aus den Nachbarländern gesammelt hat.
a) Die Lauf-, Spring- und Fangspiele.
Wir besprechen diese Spiele so wie sie sich der Reihe nach
aus unserer Tabelle der Jugendspiele ergeben.
Wir ziehen diese Spiele in einen Abschnitt zusammen,
erstens, weil sie doch oft nicht so scharf getrennt werden können
und zweitens, weil ihre Anzahl nicht so groß ist, als daß eine
genaue Trennung, wie z. B. bei Rochholz und De Cock en Teir-
linck, notwendig erscheinen könnte.
Fi 20 «Plinden mftuß».
Als «Biindmisels» und «Blindiküh» ist das Spiel im ganzen
Elsaß bekann I. Es besteht gewöhnlich darin, daß man einem
Kinde die Augen verbindet, welches nun darnach trachten muß,
einen der Umhertanzenden zu fassen und seinen Namen zu er-
raten. Knaben und Mädchen beteiligen sich an diesem Spiele.
(Fi 20 ist also identisch mit Fi 193.) Daraus ergibt sich auch
die gleiche Bedeutung von
Fi 524 «Wessen ist die Hand, der Finger?»
Fi 25 -Du der Haß, ich der Wind».
Die Phrase bezeichnet das allgemein bekannte Fangspiel
«Fanges» oder «Fanged Issels» und scheint auf einen Wettlauf
zwischen Wind und Hase zurückzuführen zu sein.
Als auf das «Fangedissels» oder «Versteckels» bezüglich ist
auch anzusehen :
Fi 286 «Ich fang euch wo ich euch find».
Dieser Ausdruck ist eine Parallelbildung zu Fi 285, das er aus
Rabelais abgeschrieben hat.
Fi 27 «In Himmel, in d'H6U> = Fi 121 «Inn die Holl».
Der zweite Ausdruck ist nur in a zu finden, während die
vollständigere Form als Zusatz in b zu finden ist. Der Aus-
druck bedeutet das bekannte Hüpfspiel «Himmel un Hell» oder
auch «Paradieseis» genannt. Zahlreiche Variationen sind ge-
bräuchlich z. B. «Sunda, Monda . . .», «E Juddespiel».
Einer größern Arbeit bleibt es vorbehalten, alle diese ver-
schiedenen Namen zusammenzustellen.
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Auf Straßen und Burgersteigen begegnen wir oft diesem
Spiel der Kinder,. oder mit Kreide gezeichnete oder in den Sand
gekratzte Figuren deuten darauf hin, daß man das Spiel soeben
gespielt hatte.
Im Niederländischen heißt es «Hinkspei». De Cock en Teir-
linck I, 309 ff. veranschaulichen durch zahlreiche Zeichnungen
diese Figuren. Die gebräuchlichste Figur bei uns ist die folgende :
40
;
g
r
Es gilt dabei einen kleinen Gegenstand der Reihe nach in jedes
der Kästchen zu werfen, ihm auf einem Bein nachzuhüpfen
und ihn wieder zu holen.
Fi 28 «Der Wolff hat mir ein Schaflein gestolen, weil ich Käß
und Brot will holn».
Dieses Spiel ist das bei uns sehr gebräuchliche Fangspiel,
wo der Hirte seine Schäfchen heimruft : «Schäfele kumme alli
ham.»
Die Schäfchen : «Mr kenne nit.»
D. H. : «Warum nit ?»
D. Sch.: «Wejem Wolf!»
D. H. : «Was frißt V?»
Sch. : «Grien' Gras !»
H. : «Was süfft'r?»
Sch.: «Blöji Wolke!»
H. : «Schäfele kumme alli ham!»
Diese laufen alle zum Hirten und der «Wolf», der sich
versteckt gehalten hat, sucht eines zu erhaschen. Vgl. : Roch-
holz, p. 408, Nr. 25 «Schöf-us ! Wolf-g'seh!»
Fi 70 «Nun fall den Ball, eh er fall».
Dieser Ausdruck deutet allgemein auf das Ballspiel hin,
das überall in mancherlei Arten von Knaben und Mädchen ge-
- 104 —
spielt wird : z. B. das gewöhnliche ; «pelote au mur» («Blode-
mür»), «Schlaballes», «Ritterhalles» oder «Ballerilterles», «Riwer
un niwer», «Kinni wer wirft, kinni wer wirft», «Löchelspiel»,
«Strifteballis», «Dachballis», einen Namen, den schon Fischart
kennt, cap. 39, p. 369: «Die so jm Schloß waren und ein weil
mit dem Tachb allen kurtzweilten» ; alles Spiele der Knaben
neben den zahlreichen Mädchenballspielen. Siehe E. Martin-
Lienhart : Elsass. Worterb. Rochholz, p. 383 ff.
Auf das Ballspiel weist auch hin
Fi 75 «Balleniipotei».
Ripotei vom französischen Tripot = Ballspiel — Ballhaus,
Ballspielhaus gebildet.
Es ist unwahrscheinlich, daß zu Fischarts Zeiten das Ball-
spiel schon so üblich bei den Kindein war wie heute. Seine
Ausdrücke scheinen mehr das Ballspiel zu bezeichnen, wie es
von den Erwachsenen in den Ballspielhäusern betrieben wurde,
die allerorts bestanden. (Straßburg: Ballhausgasse. Siehe Sey-
both : Le vieux Strasbourg.) Eine Beschreibung dieses Spieles
findet sich bei Fischart selbst, cap. 57 p. 459. Gewöhnlich
wurde der Ball mit dem Racket geschlagen: cap. 3 p. 57 und
auch mit dem «britschahl» : Daniel Martin, Parlement Nouveau,
Straßb. 1637.
Zu den Ballspielen ist auch
Fi 411 cDeß Apts und seiner Br6der>,
das nach Rochholz (p. 440) identisch ist mit «Der Abt von
St. Gallen» zu rechnen.
Man schlug auch den Ball mit einem Kolben, worauf Fischarts
Fi 88 «Des Kolbens»
hindeutet.
Fi 74 «Der hupfelrei»
ist ein Kollektivname für die Hüpfspiele wie Fi 75 für die Ball-
spiele.
Fi 142 «Ein rasigen Dib fahen».
Ist wohl ein Fangspiel, bei dem es ^ilt einen andern, der
sich das Gesicht geschwärzt hat, wie das ein Trick zur Un-
kenntlichmachung der Diebe ist, zu fangen. (Vielleicht hat das
Spiel Aehnlichkeit mit Rochholzens «.Schwarzer Mann», p. 376,
welches auch bei uns als «Schwarzer Mann» oder «Wißmannier,
Schwarzmannier» bekannt ist.)
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105 —
Fi 221 «Nun geht dauoa».
Vermutlich bezieht sich der Ausdruck auf ein Spiel, in dem
<iie Kinder aufgefordert werden oder sich aullordern, fortzu-
laufen, um gefangen zu werden. Marlin Luther kennt ein Sprich-
wort : «Wischt das Maul vnd geht dauon.» 1 Unmöglich ist
es nicht, daß Fi 221 das Fragment eines derartigen Sprich-
wortes ist. Wegen der sehr knappen Form des Ausdruckes
ist es schwer, hier einen endgülligen Entscheid zu geben.
Fi 338 «Deß Mörselstein tragens».
Fi 339 «Deß Venus Tempels».
Beide Ausdrücke bezeichnen das gleiche Spiel wie Fi 27
und Fi 121, Der Mörselslein ist eben der Stein» der geworfen
wird und auch auf dem Fuße durch alle Felder getragen werden
muß.
Fi 397 «Jeder Vogel inn sein Nest».
Fi 550 «Rebecca rnck den stul».
Diese beiden Phrasen weisen auf das allbekannte Spiel hin
«Wo laft d 'Scher? — Dort, laft sie lerl»
Rochholz, p. 449, Nr. 73, hat die Identität mit seinem
ausführlich beschriebenen Spiele «Platzwechseln» richtig er-
kannt.
Fi 398 «Der Verzäuberin».
Dies ist unser Spiel «D'Hex im Keller». Die Mutter schickt
ein Kind in den Keller, Butler zu holen. Es kommt voller
Angst zurück und sagt: «'S isch e Hex im Keller!» Einem
zweiten und dritten Kind geht es ebenso. Die Mutter geht nun
selbst mit den Kindern und zeigt ihnen, daß ihre Furcht un-
begründet war. Man geht aus dem Keller heraus, um einen
Spaziergang zu machen. Ein Kind wird gezupft (von der folgen-
den Hexe) uud sagt : «Mamme 's zopft mich jehme.» Die
Mutter: «'s isch d'r Wind !» Die andern klagen ebenso, und
nun sagt die Hexe : «Bonjour welle ihr e Priß?» und hält ein
Büchschen Sand hin. Alle nehmen und laufen nun der Hexe
rufend nach : «Hexepriß, Hexepriß». Die Hexe wird gefangen
und verbrannt.
Das Spiel ist überall bekannt.
Fi 402 «Hupff in Klee»
ist die Bezeichnung für das Herumlaufen der Kinder auf dem
Felde draußen.
i Luthers Sprichwörtersammlung. Von Ernst Thiele. Weimar.
1900.
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- 106
Fi 406 «Unser Han der König, der streit ist gewonnen».
Im cap. 28, p. 307 der Geschichtklitterung spricht Fischart
von der Herkunft des «knobloch hetzend Hanenkempflen». Hier
meint er den wirklichen Hahnenkampf, jenes unschöne Ver-
gnügen des Mittelalters. Ich glaube nicht, daß sein Spielname
noch diese ursprüngliche Bedeutung hat, sondern daß er bereits
das Spiel der Knaben besagen will, das heute noch «Hahne-
kamp!» genannt wird.
Es bilden sich zwei Parteien, die je einen «Hahn» stellen,
die sich nun, auf einem Beine hüpfend, die Arme über der
Brust gekreuzt, bekämpfen müssen. Ist einer durch den Stoß
gezwungen sich auf beide Beine zu stützen, so hat er vorloren.
Fischart nennt das Spiel nochmals cap. 26, p. 274 «des
einbeinigen Thurniers».
Fi 456 «Widerfftren».
Es ist uns ein Spiel bekannt, das wir «Söjtriwerles» nann-
ten. Einem Knaben banden wir einen Strick um den Fuß (ge-
rade wie die Metzger und Bauern die Schweine führen) und
trieben ihn vor uns her. Zog man fester an, so fiel der An-
gebundene wohl auch oft zu Boden. Ein ähnliches Spiel besagt
sicher der Ausdruck Fischarts.
Fi 457 «Der letzt der ista».
Der Ausdruck ist ein bekannter Ausspruch im «Fanges»
(beim Abschlagen) und «Versteckels». Derjenige, der zuletzt
ankommt, muß suchen : «D'r letscht isch's». Das gleiche be-
deuten die Fischartischen Phrasen
Fi 525 «Der erat heraaß, der letzt drinnen»,
und Fi 476 «Der letzt ein Schelm».
Fi 466 «Znm zwire zum zware, der Vogel ist gefangen». 1
So riefen die Kinder bei einem besonderen Fangspiel, das
wir «Vögelverkaufen» nannten und einfach auch als «Vejeles»
bekannt ist ;
Den Kindern gibt man Vogelnamen. Ein Käufer kommt,
will kaufen und muß den Vogel erraten. Während er mit Hand-
schlägen bezahlt, sucht der Vogel wieder zu dem Verkäufer zu
kommen. Der Käufer sucht ihn wieder einzufangen.
Auf dieses Spiel weist auch die Frage hin
Fi 530 «Wie gibst den Fincken»,
d. h. «wie teuer verkaufst du den Finken?»
i Nur ia b ist dieser Ausdruck auch im Schlüsse von cap. 25
zu finden.
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Fi 494 «Verbergen»».
Unser allbekanntes «Versteckels».
Fi 495 «Kioder außtheilen».
Dies ist ein bekanntes Spiel. Eine Anzahl Kinder stellt sich
im Kreise auf. Jedes hat noch ein Kind vor sich. Nun geht
der Käufer umher und fragt irgend eines der hinten Stehenden :
«Frau, wollt ihr euer Kind verkaufen?» Antwort: «Viel lieber
raöcht' ich betteln laufen». Kaum ist die Antwort gegeben, so
laufen die Kinder in entgegengesetzter Richtung um den Kreis
herum. Wer zuerst bei dem verlassenen Kinde ankommt, ist
Sieger und darf stehen bleiben.
Fi 498 «Roß machen».
Dieser Ausdruck ist nur in a im Verzeichnis zu finden,
erscheint aber wieder als Zusatz in b Ende cap. 25. Das Spiel
besteht darin, daß einer den anderen auf dem Rücken fortträgt.
Bei uns : «Rössels», «Ritlerles».
Rochholz 466, Nr. 93 irrt sich, wenn er es identifiziert mit
dem «Steckenpferd»-Spiel. Unberechtigt ist noch mehr, wenn
er sein Spiel als das Fischart ische «Pferdlin wolbereit» definiert,
denn wir haben bewiesen, daß dies nicht von Fischart stammt
und noch viel weniger das «Sleckenpferd»-Spiel bedeutet.
Ganz unverständlich ist mir der weitere Ausdruck bei
Rochholz «Ritschenroßmachen», das er auch als gleichbedeutend
aus Fischart zitiert. Der Ausdruck ist bei Rochholz ein Wort.
Im ganzen Verzeichnisse folgen die beiden Ausdrücke nicht auf-
einander, was vielleicht Rochholz hätte irreführen können.
Aber am Ende von cap. 25 finden wir «Ritschen» (erst in
c), «Roßmachen» zwei ganz verschiedene Spiele. Die Kontrak-
tion «Ritschenroßmachen» deutet auf ein Mißverständnis Roch-
holzens.
Fi 543 «Kfrle, kühele gump nit».
Vielleicht liegt in diesem Ausdruck irgend ein Springspiel
der Kinder, deren wir ja heute noch viele bezitzen, z. B. das
«Seilspringen» oder «Seilgumpen» (Rochholz, p. 456. p. 82).
Fi 590 «Wolf beiß mich nicht».
Das ist unser Spiel «Fuchs Fuchs üß d'r Hehl» oder «d'r
Deifel kummt allan erüß, eins, zwei, dreij» und das Rochholz
p. 411, Nr. 29 unter «Fuchs aus dem Loche» beschreibt.
b. Die Reigen spiele.
Gewöhnlich werden diese nur von Mädchen ausgeführt und
sind von Gesangen begleitet, von welchen die zur Bezeichnung
des Spieles dienenden Ausdrücke Teile darstellen.
108 —
Fi 219 «Der Himmel hat -sich uinbgelegt>. 1
Fi 418 «Aoff der brücken suppern inn glorie».
Fi 427 «Ritter durchs gitter».
Fi 264 «Die faule prucken», 2
nur in a und dann Ende cap. 25 in b. Siehe Nr. 026.
Vergleicht man damit das identische Spiel Fi 299 «Der zer-
fallenen Brucken», das aus Rabelais stammt, so haben wir fünf
verschiedene Bezeichnungen für das bekannte Spiel, das auch
«die goldene Brücke» genannt wird.
Rochholz beschreibt das Spiel ausführlich (p. 373).
Unsere Kinder begleiten jetzt das Spiel mit einem Art Ge-
sang, dessen Text vielfach französischen Ursprungs ist, und da
er von den Kindern nicht verstanden worden ist, in der drol-
ligsten Weise verzerrt wurde. So hören wir den Singsang;
«Passe pare silie, passe par )ä
Üirlorlosche restez ra!» =
(= Passe par ici, passe par lä
la derniere y restera.) Straßburg.
Oder: «Servela-serüri, mV schlupfe durch e Loch, e Loch».
«Servela-serüri» ist köstlich entstellt aus «fermez la serrure».
Schlettsladl.
Das letzte gefangene Kind wird, indem es sich auf die
Arme der die Brücke oder das Tor bildenden legt, gefragt, zu
welchem von beiden es wolle, und jenachdem muß es sich
hinter einen der «Brückenpfeiler» stellen. Der eine ist der
Himmel, der andere ist die Hölle. Am Schlüsse verspotten die
Engel die Teufel und singen :
«D'Engele werde getrawe,
d'Teifele werde geblotzt» ;
was dann auch geschieht. Zu dem Biüekenspiel sind auch die
beiden Spiele Fi 481 «Schelment rager» (siehe die Be-
schreibung : «Teifele werde geplotzt») und Fi 545 «Trag den
Knaben» zu rechnen. Das letztere kann auch ganz gut unser
«Bäbähäfele» bedeuten, das darin besteht, daß zwei Kinder auf
ihren Händen ein drittes tragen, indem sie dazu singen ; «Bä-
bähäfele, schiß ins Pfännele».
Das Brückenspiel ist eines der zahllosen Reigenspiele, die
im Elsaß gespielt werden. Ich gebe noch einige mir bekannte
Begleittexte an, die interessant wegen ihres französischen Wort-
lautes sind :
Die Kinder singen und tanzen im Ringelreihen:
» Rochholz 371.
2 Nochmals Garg. p. 6/1 14, cap, 34;341.
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«Reso, reso bonmarschelele
Quatro, quatro vingt Daniellele
Celui ci, celui lä, Madmoiselle X. se türlatra».
Verderbt aus :
«Raisins, raisins, bon-marches!
Quatre-vingts pour un denier
Celui-ci, celui-lä, Mademoiselle X. se lournera».
Eine weitere interessante Verketzerung dieses Spruches ist :
«Rose, rose bonmerschele
Quatre in dürenderele
Silesi, silesa Mamsell X. se türlüra».
Ein anderer Singsang:
1. Ring
Sehe a beau chateau (j'ai un beau . . .)
Madame, Madame Mirabeau
2. Ring
Laquelle prendrez-vous de ces jeunes demoiselles?
1. Ring
La plus belle (oder la plus sötte) qui s'appelle X.
Das trieb man so weiter, bis alle in einem Kreis standen.
In deutscher Sprache, die leider diese humorvollen Ver-
drehungen verdrängt, werden im Elsaß eine große Zahl der
Reigenspiele gespielt, die Rühme aufgezählt hat. Diese Spiele
sind international und können nicht spezifisch elsässisch genannt
werden .
Solche sind : «Es steht ein Bauer im Feld» «Es kommt
der Herr mit ei'm Pantoffel». «Es kam ein Bauer vom Berges-
land».
Fi 364 «Es brent, ich lesen».
Vielleicht weist dieser Ausdruck auf das ebengenannte
Heigenspiel «Es kommt ein Herr mit ei'm Pantoffel», (Rochholz
p. 379) worin nach manchem Hin- und Herreden die Be-
gleiter des Werbenden den Vater und die Begleiter der Braut
bedrohen, ihnen das Haus anzustecken, worauf diese erwidern,
«dann löschen wir's mit Wasser aus». Da das Spiel auch viel-
fach «Braut und Bräutigam» genannt wird, vermute ich, daß
Fi 263 «Des Bräutgams» und Fi 479 «Der Braut» das gleiche
Spiel bedeuten.
In den Kunkelstuben sind die Braut und der Bräutigam
auch häufig handelnde Personen. Ein endgültiger Entscheid ist
daher schwer zu treffen.
Betreffend «Des Bräutigam?» hat Rochholz, p. 380, diese
Meinung auch.
- 110 —
Fi 391 «Sie thaten ml] ateo».
Auch dieser Aufdruck bezeichnet ein heute noch weitver-
breitetes Reigenspiel. In diesem Reihenspiel werden pantomi-
misch Vorgänge aus dem tätlichen Leben angegeben, in dem
die Kinder sinkend im Kreise herumtanzen.
Zu diesen Reigenspielen gebort auch das bekannte
«Fi 409 Der Baar scaiekt seia Joekel «aß».
(Fr. M. Böhme, p. S64.) Rochbolz rechnet dieses alte Märchen
vom Jockele zu den Spieltexten. Es ist vielmehr der Text zu
einem Reigenlied der Kinder. Siebe näheres bei Rochholz und
Böhme.
Fi 391 scheint ein Teil les Reigenlied textes zu sein, der
beginnt mit
Fi 455 «Adam hett sibea Son»
(Fr. M. Böhme, p. 494) und bei uns lautet:
Adam hatte sieben Söhne,
sieben Söhne hatt* Adam.
Sie aßen nicht, sie tranken nicht,
sie machten alle so wie ich :
Mit den Köpfchen nick, nick, nick.
mit den Fingern tip, tip, tip,
mit den Füßchen trapp, trapp, trapp,
mit den Händchen klapp, klapp, klapp.
Jedesmal werden die entsprechenden Bewegungen gemacht.
Rochholz behauptet auf p. 378, daß der Sprung beim Totentanz
(Fi 318 cDeß Todendantzes») nach der Melodie von (Fi 455)
«Adam hett siben Son» geschehen sei und daß dieser Tanzspruch
gleich mit dem edes Totentanzes» stehe. Diese Behauptung
ist mehr als zweifelhaft, und es ist mir vollständig unklar, wie
Rochholz Fi 318 mit Fi 455 zusammenbringen konnte. In der
heutigen Form erinnert doch dieser harmlose Kinderreigen an
keinen (Totentanz) mehr.
Bei den fortwährenden Veränderungen, denen gerade diese
Reigenspiele ausgesetzt sind, bei den ungenauen Angaben Fi-
scharts ist es eben sehr schwierig, manche Phrase aus diesem
Teile unumstößlich zu definieren, Doch müssen wir uns ein-
mal entscheiden, sonst werden wir nie zur Erkenntnis kommen
und immer im Ungewissen bleiben. Hier erwähne ich
Fi 253 «Wickerlin. weekerlin, wilt mit mir essen
bring ein Messer.
Die einzige Phrase Fischarts, die sich auf einen Reimspruch
der Kinder bezieht, also kein eigentliches Spiel bedeutet. Vgl.
A. St Ob er, Elsaß. Volksbüchlein 1842, p. 20, Nr. 30.
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An den Schluß dieses Teiles setzen wir den Ausdruck
Fi 408 «Es giengen drey Jungfrau wen».
Er bezieht sich auf den größeren Spieltext «Die drey Mareien»
Rochholzens, den er p. 139 in ausführlicher Weise bespricht,
und dessen mythologischen Ursprung er in schöner Weise dar-
legt. Rochholz stellt ihn an die Seite des Spieles «Joggeli»
(= Der Bauer schickt sein Jockel aus).
Bei uns ist der Spruch heute noch als «Abzählreim» und
auch als Spieltext üblich. Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 30,
erwähnt einen Spielreim, in dem von drei Jungfrauen die
Rede ist.
c) Die einfacheren Spiele und die Spiele, die
«i n n s Feld gehörten z u ü b e n».
Wir vermeiden absichtlich eine genauere Einteilung, weil
es uns zu pedantisch erscheint, die Kinderspiele, diese Blüte
kindlichen Betätigungsdranges, von spitzfindigen Gesichtspunkten
aus zu betrachten.
Fi 32 «Der Vnfur» und Fi 81 «Tölpeltrei».
Sie sind die allgemeinste Bezeichnung der Tollheiten, die
den Buben oft das größte Vergnügen bereiten. Im cap. 5,
p. 99, finden wir ein Beispiel hierfür : «Bei den Oren aufTheben
und Rom zeigen». Heute heißt das: «'s Fier im Schwarzwald
zeije».
Fi 84 «Der Girlande».
In diesem Ausdruck glauben wir das bekannte Spiel «Das
Kranzwinden» erkennen zu dürfen, das in manchen Spielliedern
verherrlicht wird. Das gleiche besagt auch wohl die Frage:
Fi 135 «Was für Blumen gebt ihr mir znm krantz ?>
Im Elsaß spielen die Kinder, eigentlich nur die Mädchen,
ein Spiel, das «Sträußchen binden» oder «Strissele mache».
Auch Fi 159 «Hürlinzupffen»» ist ein bekanntes
i Vgl. darüber Rochholz, p. 458. Er zitiert aus Geiler v. K.,
«Evangelibuch», Bl. 188 b:
«Hast du nie gesehen das die bnoben in der schnol wetten
etwan mit eim, sie wellen im drei oder vier har vßziehen vnd muß
er sie nit enpfinden, vnd wen er ziehen wil, so schlecht er in vor
an ein backen, vnd der streich thuot im so wee. daz er der har nit
enpfindet vßzeziehen». Dies kann ganz gut auch das Fischartische
«H&rlin zupffen> bedeuten. Aber welchen Zusammenhang sich Roch-
— 112 —
Spiel vergnügen, das die Kinder heute noch «Härelezupfe»
nennen.
■ Fi 160 «Ich flach in meines Herrn täuch*.
Mehrere Kinder sitzen um einen Tisch herum und strecken
nach einem Punkte hin je einen Finger zustimmen. Ein anderes
spricht die Formel : «Fische, fische, auf meines Herren Tische,
ich hab' die ganze Nacht gefischt und keinen einzigen Fisch
erwischt.» Beim letzten Wort sucht der Sprechende einen
Finger zu erhaschen. Diese Art des Spruches zeigt uns, wie
«Teich» bereits sinnlos zu «Tisch» geworden ist.
Fi 161 «De» scbftlins».
Dieses Spiel ist das gleiche wie Fi 185 «Des Schupletzers»
= Ra 05 «au savatier».
Im Elsaß ist es sehr bekannt unter dem Namen «Schlappe
süeche» oder «Schiappels» (Heiligenstein). Wir nannten es mit
dem Anfange des Liedes, das wir dabei sangen : «Schakebl,
Schakebl, d'r Schüeh isch gebebbelt, V lejt schun lang im
Lumpesack.» Anderwärts heißt des Spiel ebenfalls nach einem
Ausrufe dabei : «Gottlob, gottlob, der Schüeh isch fertig !»
Fischart nennt es nochmals
Fi 464 «Schüchle bergen».
Mehrere Knaben setzen sich in einem Kreis zusammen auf
den Boden, ziehen die Kniee krumm und verbergen darunter
ihre Hände. Sie stecken sich unsichtbar für den Suchenden
einen Schuh, einen Pantoffel oder einen Socken zu, den ein
anderer zu finden trachtet. Dabei werden obige Aussprüche
benutzt, um den Suchenden anzufeuern.
Das gleiche Spiel heißt auch
Fi 480 «Sehnen pletzen».
Rochholz, p. 411), irrt sieh, wenn er «Schüchle bergen»
nur wegen eines ähnlichen Vorganges bei seinem Spiel «Hülin-
lein braten» mit diesem gleichsetzt.
Nehmen wir noch den aus Rabelais übertragenen Ausdruck
hinzu, so haben wir wieder vier Namen für ein Spiel.
holz mit «Keilklotzen» gedacht hat, ist mir unklar. Rochholz scheint
sich hier zu irren. Falsch ist es direkt, wenn er es gleichsetzt mit
Fischarts «Rhat, wer hat dich geschlagen». Das hat doch mit «Här-
lin zupffen» nichts zu tun und dieses nichts mit «Keilklotzen».
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Fi 162 «Heimlich seitenspil ungelacht».
Dieses bekannte Vergnügen nannten wir «Slummelemüsik»
und bestand darin, daß wir, eine ganze Gesellschaft, uns zu-
sammensetzten und nun unier den komischsten Gebärden die
verschiedensten Instrumente «stumm» spielten. Wer lachte,
mußte ein Pfand geben.
Daß das Spiel weil verbreitet war, beweist sein Vorkommen
und seine ausführliche Beschreibung in einem kleinen Büchlein,
das mir durch Zufall in die Hände fiel. Bruder Lustigen:
Alle Arten von Scherz- und Pfänderspielen, Nr. 23, p. (53. 0. J.
Fi 303 «Deß Teuffels Music».
Das Spiel ist das Gegenstück zu dem eben genannten. Gilt
es dort zu schweigen, so hat man bei diesem das größte Ver-
gnügen daran, den tollsten Lärm auf Deckeln, Blechkannen,
Trommeln zu vollführen. Oft wird dieses ohrbetäubende Ver-
gnügen auch «Katzemüsik» genannt.
Fi 165 «Ist Weichsel reiff».
Ich glaube, daß dieser Ausdruck das gleiche Spiel bezeichnet,
das im Elsaß gebräuchlich ist unter dem Namen «D'r Pfeiler
isch gewachse, eins, zwei, drei» oder «Gepuffert, gepfeffert, d'r
Has het g'lail». (Heiligenstein.)
Dabei gilt es irgend einen versteckten Gegenstand zu finden.
Fi 166 «Steyn ausgeben».
Die Kinder sitzen in einer Reihe. Eines geht die Reihe
entlang und gibt scheinbar jedem einen in der Hand verborgenen
Stein. Ein zweites Kind darf dreimal den unbekannten Em-
pfänger des Steines erraten. Darauf vergibt das Kind den Stein
nochmals. Das Suchende ist erlöst, wenn es den Stein findet.
Das Spiel wird besonders von Mädchen gespielt und heißt bei
uns «Jungfrau such den Edelstein».
Fi 463 «Stein verbergen».
ist das gleiche Spiel. Fischart spricht nochmals davon cap. 20,
p. 233, wo er es herleilet aus der Sage von Paris und dem
goldenen Apfel. Damit hängt auch der weitere Ausdruck für
das Spiel zusammen :
Fi 367 «Der schönsten den stein>.
Fi 171 «Haspeln».
Besagt wohl das allgemeine Klettern der Buben auf Bäume
und an Stangen hinauf, wie es heute noch auf den Jahrmärkten
üblich ist. Im cap. 2ü, p. 274, erwähnt Fischart eine Reihe
8
von Bewegungsspielen. Da «Haspel» auch die Garnwinde am
Spinnrocken bedeutet und Fischart hier von dem Spiel «der
Garn wind» redet, das bei uns «Garnwinden» und «Schlängeis»
heißt, ist es möglich, daß Fi 171 auf dieses Spiel zu beziehen
ist. Die Kinder bilden eine Kette. Das Kind an einem Ende
bleibt stehen, und die andern werden «aufgewunden». Das
«Abwinden» geht sehr schnell, wobei die Kinder oft zu Falle
kommen.
Fi 173 «Ich bin König, dn bist Knecht».
Ks ist das gleiche Spiel, das Geiler von Kaysersberg «Herr,
der kunig, ich diente gern !» nennt und über welches er im
Jahre 1507 Predigten hielt.
Ausführliche Beschreibung bei Rc- hholz, p. 435.
Fi 174 «Des deitens on reden».
Zwei Kinder machen vor einer Gesellschaft pantomimische
Gebärden von irgend welchen Gebräuchen, welche diese nun
zu erraten suchen.
Bei uns heißt das Spiel gewöhnlich «Handwerkeries». Die
Kinder deuten ein Handwerk an, das die andern erraten müssen.
(Siehe oben Abschnitt 1, Fi 302.) Das gleiche besagt:
Fi 212 «Der Contrafeitischen Geberden».
Die Bedeutung liegt im Ausdruck. Auf dieses Ratespiel oder
ein ähnliches ist auch
Fi 531 «Wer was weiß der sags>
bezüglich.
Fi 179 «Schlägels».
Es ist möglich, daß Fischart damit unser allbekanntes Knaben-
spiel meint, das jeder Knabe als «Kinne» kennt. Andere Namen
sind «Bämberlis» (Bischweiler), «Knüpphölzel» (Niedersteinbach).
Der «Kinne» ist ein an beiden Enden zugespitztes Holzstäbchen.
Mit einem längeren Stock, «d'r El», wird er fortgeschlagen.
In der Stadt ist das Spiel verboten worden ; draußen auf
dem Lande ist es aber noch zu finden.
Fi 198 «Gäulchen laß dich beschlagen».
Der Ausdruck sagt schon, worin das spielartige Vergnügen
besteht. Die Buben ahmen ja .so gern den Beruf der Alten in»
Spiele nach. So auch hier. Das Vergnügen ist überall bekannt.
Wir nannten es «das Rössel b'schlawe».
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Fi 208 «Meister hemmerleins nachfahr>.
Hierin zeigt sich ein Anklang an die Geschichte vom Meister
Hämmerlein, der überall etwas zu flicken hatte. Wir ahmten
ihn im Spiele nach und sagten, wir wollen «Meister Hämmer-
lein spielen».
Es ist kein rechtes Spiel, sondern mehr ein spielartiges
Vergnügen, eine Art Zeitvertreib.
Fi 214 «Mal das M6rlin>.
Der Ausdruck bedeutet «zeichne (male) das Schweinchen».
Damit haben wir die sonderbare Erscheinung, daß ein sehr ein-
faches Spielvergnügen sich Jahrhunderte hindurch erhalten hat.
Es ist heute noch ein weit verbreitetes Spiel, das sich folgen-
dermaßen abspielt : Während folgender Hede zeichnet ein Kind
immer das, was es sagt :
«Da steht ein Wirtshaus» : (Es zeichnet ein Dreieck) /\
«Da sitzt ein Mann drinnen, der sich volltrinkt»: y\
(Ein Punkt im Dreieck.) L * ±
«Der Mann geht fort» : (Ein Strich am Dreieck.)
«Er stürzt in ein Loch» : /*\ — j
«Er legt sich lang hin» :
«Er steht wieder auf» ; «^\-^
«Er geht weiter» :
'» ! > // *\ -y - U. S. W.,
bis er viermal hingefallen und wieder aufgestanden ist und
folgende Figur entsteht :
u — u
Dann geht er weiter und muß sich plötzlich übergeben, und
— 116 -
mit einem Bogen nach der Spitze des Wirtshauses zu zeigt das
Kind im Bilde, was ein solcher Mann ist.
Diese Spielerei scheint also schon Fisehart gekannt zu haben.
Fi 238 «Was stilstn? Thaler, Taler.»
Fi 239 «Was seind wir? Stockfisch.»
Diese Fragen weisen auf eine Art Vexierspiel hin wie Fi 428
«Das spill ich auch, ich auch, die Sau aß ein
treck, ich auch», das heute noch üblich ist. Kin Kind
muß auf die Bede eines andern immer mit «ich auch» ant-
worten, wodurch gewöhnlich heitere Situationen entstehen. Den
gleichen Charakter trägt auch das sehr bekannte Spiel «Alle
Vögel fliegen hoch !» Dieses ruft ein Kind, und alle andern
müssen die Hände hoch heben, solange das eine Kind ein Tier
nennt, das fliegen kann. Bufl es aber plötzlich z. B. «Ochs»,
so muß das Kind, das nicht aufgepaßt und die Hände in die
Höhe gehalten hat, ein Pfand geben.
Alle diese Spiele will Fisehart mit seinem Ausdruck
Fi 429 «Poselleich»
bezeichnen.
Ueberall bekannte einfache Spiele sind Fi 245 «Des kör b-
1 i n in aehen s», dessen Bedeutung aus dem Ausdruck her-
vorgeht. Blätter und Kletten werden dazu verwendet.
Ebenso Fi 247 «Kram a u ß I e g e n», das die Kinder «Ver-
kaufes» nennen. Alle möglichen Waren, «Kieehele» aus Sand
und «Mehl, Salz, Pfeffer» aus gestampften, zerriebenen Ziegel-
steinen weiden hierbei zum Verkaufe ausgeboten.. (Bei Roch-
holz, p. 423: Geiler von Kaysersberg «Von den 15 staffeln»
Brösa m Ii n.)
Fi 383 «Teller im K6bel abschlagen». 1
Fi 404 «Teller von der stangen schlagen».
Beide Ausdrücke besagen wohl ein Spiel, das bekannte
«Topfschlagen», das auf den Jahrmärkten noch anzutreffen
' An die Stelle des Tellers tritt oft ein «Topf», worauf Rabe-
lais 1 Ausdruck «au casse pot» hinweist. Doch ist Rochholz, p. 447,
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- 117 -
ist.» Eine Keine solcher Spiele führt Fischart cap. 2G, p. 281, an,
unter andern auch das hekannte «Eierlaufen». Die Spiele sind
zu bekannt, sodaß wir über eine Beschreibung hinweggehen
können.
Auch Fischarts
Fi 384 «Den 1 Sackznckens»,
das Wettlaufen in einem Sacke stehend, ist bei Jahrmärkten
und Vereinsfestlichkeiten zu beobachten.
Fi 304 «Wie viel deß krauts umb ein Heller?»
Diese Frage stammt aus dem «Verkaulespiel» der Kinder,
wie es allerorts anzutreiben ist. Es ist also zu Fi 247 zu zählen.
(Kochholz, p. 423.)
Fi 306 «Deß Bilgramstenrens».
Rochbolz, p. 438, erwähnt, daß das «Pilgram aussteuern»
noch in Schlesien gilt : «Der Pilger muß den Pförtner des
heiligen Grabes erraten, sonst wird er zum gelobten Lande
hinausgeplumpsackt». Er zitiert diese Beschreibung nach G u s t.
Fr i t z, Gesellige Kinderwelt, Breslau 1850, 30. Es ist schwer
zu sagen, ob das Spiel auch so bei uns benannt wurde.
Fi 350 «Raht wer hat dich geschlagen?»
Ein heute noch überall gebräuchliches Spiel, das wir in
Straßburg oft genug geradeso spielten, wie es mir aus Reiperls-
weiler bekannt geworden ist.
Ein Kind legt seinen Kopf in den Schoß des andern. Ein
drittes schlägt ihm auf den Kücken und frägt : «Kate, wer hat
dich geschlagen ?» Hat das Kind recht geraten, so muß das
dritte an seine Stelle knieen.
Das gleiche Spiel nennt Fiscbarl in etwas umständlicherer
Form :
Fi 50 «Wer hat dich geschlagen, ist mir leid für den schaden,
ich reche mein anschuld.»
Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 29, Nr. 49.
nicht berechtigt für sein «Geschirr- oder Topfschlagen» Fischarts
Fi 259 «Brich den Hafen» zu zitieren, da dieser Ausdruck aus Ra-
belais übertragen ist, somit nicht der Name eines deutschen Spieles
bedeutet.
1 Dort ist auch noch das bekannte Eierlaufen üblich, das auch
Fischart kennt, cap. 28, p. 81U: «daß man vmb die Eyer wettlauffet».
Kochholz, p. 4Ö6.
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— 118 —
Fi 365 «Jungfrau küssen».
Bei gewissen Spielen müssen die Kinder Pfänder geben,
die sie durch verschiedene ihnen auferlegte Aufgaben einzu-
lösen haben. Häufig muß das eine dem andern einen Kuß
geben .
Fi 375 «Rahtet jhr, was stund im brieff?»
Ein Gesellschaftsspiel bei uns heißt «Briefträgerles». Mit
diesem wird wohl Fi 375 identisch sein. Rochholz irrt sich,
wenn er auf p. 380 behauptet, das Spiel sei identisch mit dem
Reigenspiel «Es kommt ein Herr mit eim Pantoffel». (Fi 364).
Seine Behauptung gründet sich auf den Umstand, daß in
dem schweizerischen Spieltext vom « Briefschreiben» die Rede ist.
Fi 382 «Wer das nicht kau. kan nicht vil».
Die Kinder sitzen in einem Kreis herum. Das eine macht
irgend eine Gebärde, die nun die andern nachzumachen haben,
indem es spricht : «Lirum larum Löffelstiel, wer das nicht kann,
der kann nicht viel.» (Rochholz, p. 28.)
Bevor wir nun zu den besonderen Spielen mit bestimmten
Gegenständen kommen, wollen wir die wenigen Ausdrücke auf-
suchen, die eine Art Wortspiel bedeuten, und die dazu dienen,
gewöhnlich den «Anfangenden» zu bestimmen. Zu der unge-
heuren Anzahl von Abzählreimen (deren ich eine Menge ge-
sammelt habe und deren viele in Stöbers Volksbüchlein zu finden
sind) gehört
Fi 241 «Das Abc reimen».
Der entsprechende Zählspruch heißt:
«A b c die Katz lejt im Schnee,
D'r Schnee geht evveg
Die Katz lejt im Dreck.»
Ein Spiel für sich und zugleich ein Vorspiel zu andern
Spielen ist auch
Fi 415 «Knopff oder spitz».
Siehe Fi 155 «Grad oder ungrad», Fi 45G «Kreutz oder
plättlin» und Fi 196 «Nacht oder tag». Alle diese Ausdrücke
sind identisch. Dazu gehört auch
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Fi 490 «Zeichen oder aaseichen».
Ebenso als selbständiges Spiel wie auch als Mittel zur
Bestimmung eines «Ersten» ist
Fi 493 «Helmlin zihen»
anzusehen.
Hülmchen von verschiedener Länge werden mit der Hand
oder mit der Schürze bedeckt. Wer das längste herauszieht,
ist Sieger. (Redensart : «Den Kürzeren ziehen.») Das Spiel ist
sehr alt. Meister Altswert nennt es «Zwei spilten greselis».
Fi 49 1 c Pfenning im Bach pletern».
Ein Knabe versteckt in einem Buche einen Pfennig, ein
Stückchen Silberpapier oder eine Briefmarke und läßt einen
andern darnach «stechen» mit dem Finger oder einer Nadel.
Das Spiel kennt fast jeder Knabe. Vgl. Rabelais 56 (Fi 151)
«a primus secundus».
Fi 497 «Käß trocken».
Rochholz beschreibt das Spiel richtig: «Zwei Parteien, in
einer Linie stehend oder sitzend, suchen einander aus der Stellung
zu schieben».
Bei Rahelais heißt das Spiel «a la boutte foyre» und «a
honte hors». (Esm. et E. Jon., note 73.) Bereits als sprich-
wörtliche Redensart bei Fischart cap. 8, p. 146 zu finden :
«Was truckst den Käß? es gehn vil gut Schaf in einen engen
stall.»
474 «Fan) eisen».
Ist das unser Spiel «Vaddr, i hab kan Ise meb», das auch
in der Schweiz so heißt und ein Fangspiel bedeutet ? (Roch-
holz, p. 406.)
Fi 501 «Der Träum».
Ein Spiel, bei dem sich die Kinder die Träume erzählen
und deuten ?
Fi 502 «De» beichten»».
Ein Kind geht vor die Türe. Die übrigen überlegen sich
drei Gewissensfragen. Dann holt man das Kind herein und
läßt es dreimal mit «Ja» oder «Nein» antworten, ohne ihm vor
der Antwort die Frage mitzuteilen. Dabei gibt es komische
Komplikationen.
Einen religiösen Hintergrund hat auch
- 120 —
Fi 505 «Der Sünden büß»
Das büßende Kind muß sich auf einen Stuhl (das Laster-
stühlchen) stellen. Die anderen treten hinzu und lassen es allerlei
Bewegungen ausführen ; z. B. eine lange Nase machen, ein Bein
in die Höhe heben usw. Das Büßende muß sich alles gefallen
lassen.
Eben solchen Charakters ist
Fi 521 «3Iönchsgebett»,
wobei die Kinder das Beten der Mönche nachahmen.
Fi 516 «Wer Ja und Nein sagt».
Dieser Ausdruck bezeichnet einen Teil aus der Rede bei
einem heute noch überall bekannten Gesellschaftsspiele (vor-
nehmlich der Mädchen). Ich erinnere mich der Rede :
«Es kommt ein Jude aus Paris, hat wunderschöne Sachen,
verbietet ja und nein zu sagen, das Weinen und das Lachen.»
Dabei sucht der Verkäufer die andern zu diesem Verbotenen zu
verleiten. Die Strafe dafür ist ein Pfand, das nachher ausgelöst
wird. Auch elsässisch :
«Köijelhopf ufTm Dach
Wer schmollt odder lacht,
D'Zähn pfleckt,
D'Zung erüß streckt,
Der müeß e Pfand gänn.»
(Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 28, Nr. 48.) Vielleicht hat
Rochholz Recht, wenn er Fi 308 «Seit ir die braut von Schmollen,
so lacht mir eins» als das Spiel «Lachen verhalten, Gramüseli
macheu» ansieht.
Ein Verspottungsspiel scheint
Fi 503 «Deß Schulmeisters mit der langen Nasen»
zu sein, wobei die Kinder den typischen Schulmeister mit der
allzu langen Nase parodieren.
Fi 549 «Hfitlin, hütlin durch die bein». >
Es ist das Spiel, das wir «Sch wäl wäles» nannten. Mit
dem geknoteten Taschentuche oder unsern Mützen galt es mög-
lichst weit unter den gespreizten Beinen eines Knaben hindurch
zu werfen.
1 Einen anderen Namen finden wir cap. 26, p. 274: «des Jung-
frau wurffs durch die bein». Nochmals genannt p. 16: «Blindmeuß
und Hfttlinspiler».
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— 121 -
Vielleicht sind als solche Spiele auch die folgenden Aus-
drücke zu betrachten :
Fi 26 «Ich h a 11 g, i e h ha f f t e» (als Zusatz in b) ; noch-
mals genannt Fi 393. Ohne einen besonderen Namen zu kennen,
erinnere ich mich eines Spieles, bei dem wir einem andern,
der uns fangen sollte, zuriefen «Ich hang, ich häng» und uns.
stellten, als kämen wir nicht los. Näherte er sich uns, so liefen
wir davon, um nicht eine «Batseh» zu bekommen.
Unklar sind mir die nur in a im Verzeichnisse vorkommen-
den Ausdrücke Fi 181 «Haublins» (bereits in a ist auch Fi 4'<8
«Häubeln» zu finden, das mit diesem «Haublins» wohl identisch
sein wird), Fi 182 «Der weissen Tauben» geblieben. Fi 181
= Fi 609 «Haublins» (am Ende von cap 25). Danach ist es
ein Spiel, das im Freien gespielt wurde. Ebenso ist an dieser
Stelle (Fi 624) nochmals Fi 182 genannt.
Auf ein Versteckspiel weist auch Fi 366 «Im sack ver-
bergen» hin; der Ausdruck ist so allgemein gehalten, daß
es schwer ist, in ihm ein besonderes Spiel zu erkennen.
Damit kommen wir nun zu einer Gruppe von Knabenspielen,
die draußen im Freien gespielt wurden.
Fi 386 <Fudum> (in b die Mol* ist im Kessel).
Fi 413 «Sau treiben». »
Beide Ausdrücke bezeichnen das gleiche Spiel, das noch
an anderer Stelle Fi 215 «Der Sau» genannt wird. (Siehe Fi
313 «Deß Bischofsstabs».)
Wir nennen das bekannte Spiel heute «Söjballes» oder
«Mortriwe». Es wird geradeso gespielt wie das schweizerische
«Moor-um» oder «das Morenjagen», das Nochholz ausführlich
besenreibt. Unter den Spielen, die auf der Gallenmatle zu
Straßburg bei Gelegenheit des Kongresses für Jugendspiele 1907
abgehallen wurden, konnten wir das Spiel «Sauball» auch be-
obachten.
Ein weiteres beliebtes Spiel der Knaben ist
Fi 389 «Der Geyß h fiten»,
auch als «Geiswerfe» und «GeisufTsetzers» heute noch bekannt.
Am Schlüsse von cap. 25 nennt Fischart es nochmals Fi 617
«Hirt setz Geyß auiT» (Zusatz in b). Nur in a ist Fi 462 «Hirt
sez gais auf» zu finden. In der ersten Ausgabe also standen
Fi 389 und Fi 462. Das Spiel gehört zu unsern ältesten Heimat-
spielen. Zu finden ist es auch im Pfingstmontag von Arnold
III, 1 unter andern bekannten Vergnügungen unserer Knaben.
i E. W. I, 103 «D'Mohr süeche». Bochholz, p. 395.
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— 122 —
Dieses Knabenspiel gab schon Thomas Murner (Narren-
besch wörun*:) Anlaß zu einer allegorischen Betrachtung über
«Mit gott der geiß hielten», wobei er nähere Angaben über das
Spiel macht, die wir aus folgenden Zeilen zusammenstellen
wollen :
V. 10 «Springt die geiß, dü maßt sy suchen».
V. 13 «Wen du die geiß gesetzet hast».
V. 15 «Hiß wir sy werflendt wider vmb».
V. 27 «Und du in vffrecht stellest wider».
V. 54 «Do du der geiß nym hielten kundst».
V. 84 ff. «Wann du es aber Hieltest nit,
Erloufll er dich in glychem trit,
Und riert dich mit sym stecken an,
Dann miestu selbs an die arbeit stan
Und hietten also lang als er.»
Bis heute hat sich das Spiel in dieser Art erhalten, was
aus der Schilderung bei Martin-Lienbart, Elsäss. Wörlerb. I,
230, hervorgeht. Es ist von Interesse, die beiden Beschreibungen,
die mehrere Jahrhunderle auseinanderliegen, einander gegen-
überzustellen.
«Ein Gestell, von einer Weide abgeschnitten, bei der drei
Aeste von einem Punkte ausgehen. Das Gestell wird über einen
Stein gestellt, der den Melkkübel darstellt ; dann werfen die
Knaben darnach, einer hütet und muß die umgeworfene Geis
immer wieder aufstellen. Während dessen holen die andern
ihre Stöcke wieder ; berührt der Hüter dabei aber einen mit
seinem Stock, so muß dieser seine Stelle einnehmen.»
Das Pendant zu diesem Spiele der Knaben auf dem Lande
ist unser städtisches Spiel «Sleinböckels», wobei es gilt einen
Stein umzuwerfen. Sonst genau wie «Gaisuflfsetzers».
In der Schweiz ist das Spiel auch bekannt als «das Geißen».
Rochholz, p. 446.
Hat der Ausdruck schon bei Murner eine Verwendung im
über tragenen Sinne gefunden, so ist er heute schon in das Ge-
biet der sprichwörtlichen Redensarten eingedrungen, z. B. «Wie
mV d'Gais annimmt, mueß mV si au hüete.» (Eis. Wörterbuch
I, 236. E. Stöber, Neujahrsbüchl. 1824, 21.)
Fi 399 «Hurnaus*
(Nur in der ersten Ausgabe an dieser Stelle.) Als «Hurr-
nauß» (Fi 618) kehrt das Spiel als Zusatz in b wieder ; hier
begegnen wir auch einem andern Namen Fi 610 «Habergaiß
ziehen», 1 das im Verzeichnisse nur in der ersten Ausgabe
i GaTg. cap. 38. p. 3t$C: «Tftdelt wol hundertmal hcrumb, wie
ein Habergeiß».
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(a) zu finden ist. (Fi 412). Fi 399 und Fi 412 sind also aus
dem Verzeichnisse in den Schluß von cap. 25 gewandert.
Die Ausdrücke «Hurnaus» und «Hawergais» (Arnold, Pfingst-
montag III, 1) sind heute noch im Elsaß üblich. Die «Hawer-
gais» ist eine Art Brummkreisel ; daher auch «Hurnaus» =
Hornisse genannt wegen des Brummens. Darauf deutet auch
die Stelle Garg. cap. 7, p. 122: «Hurnausenstürmig und Brämen-
schwirmig». Nochmals sind beide Ausdrücke genannt cap. 2,*
p. 51 :
«Hort, langt mir für solch hurnausköbff, Ti schnür
zu klos, tobff, hawergaisen, Ich will sie schnurren, murren
weisen.» Hier haben wir die a u c h heute noch alle ge-
bräuchlichen Ausdrücke für das Spiel mit dem Kreisel
vereinigt. (In Heiliyenstein sind die Ausdrücke gebräuchlich
«Dopfes, Hawerkiesel, Kloß, Hürlebü.)
Rochholz, p. 452. In der Schweiz bedeutet «das Hornissen»
ein ganz anderes Spiel, welches mir im Elsaß als das Spiel
«Jick Jack» bekannt geworden ist, nur daß an Stelle der Scheibe
ein kleiner Knüppel fortgeschleudert wurde. (Niederstem bach,
vor 50 Jahren.)
Diese Bedeutung hat das Fischartische Spiel nicht.
Mit «Habergais» und «Hurrnaus» bezeichnet man das Spiel
mit einer besonderen Art Kreisel, der mit Hilfe einer Schnur
in Rotation versetzt wird. Eine Abbildung dieses Spieles mit
einer Beschreibung in Versen allegorischen Inhaltes finden wir
auf einem einfachen Blatt aus dem Jahre 1632, das auf der
Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek mir bekannt
geworden ist. Es trägt den Titel «Kinderspiel oder Spiegel
dieser Zeiten. Straßburg 1632.» Am Kopfe befindet sich ein
Holzschnitt, der im Vordergrund spielende Kinder, im Hinter-
grund uns das Straßburger Münster zeigt. Das Blatt ist außer-
ordentlich interessant, zumal es Spiele aus dem alten Straßburg
veranschaulicht.
Fi 414 «Kluekern, schnellkngeln»
ist das bekannte, in zahlreichen Variationen vorkommende Spiel,
dessen hauptsächlichsten Namen bei uns sind :
«Schneller, Stunze, Kejele, G'slinge». Besondere Spiele
sind : «Bläbbers ; Kiweles ; grad oder ungrad ; wickele wackele
in wellere Hand; Wändeis; zeh, zwanzig, drissig; Bureaus» usw.
Auf dieses spezielle Spiel weist Fischarts weitere Phrase
Fi 416 «Inn kauten, kautenfaul».
Kaute = Kutte = Grube; in die die Klicker geworfen werden.
«Klos», «Topf», «Kreisel», sind die üblichen Ausdrücke für
— 124 -
das gewöhnliche Spiel mit «lern Kreisel. Fischart erwähnt dieses
Spiel als
Fi 421 -Vber das kreißle».
Fi 426 «Den klos und topf werfen» (nur in a).
Feiner scheinen mir die Namen «topfstechen» und «klos-
stechen», die in den Ausdrücken Fi 452 und Fi «487 zu finden
sind, beide nur in a im Verzeichnisse, sich auf dieses Spiel
zu beziehen. Wir hätten demnach fünf verschiedene deutsche
Bezeichnungen dieses Spieles. (Abgesehen von «zur Trompe»
und «deß Mönchs», die aus Rahelais stammen.) Fi 605 (Zusatz
in b) «Kloßstechen» nochmals allein aufgeführt.
«Kloßstechen» ist also aus dem Ausdruck Fi 487, der zwei
Spiele bedeutet und falsch zusammengezogen ist, herauszulösen.
Ebenso «topfstechen» aus Fi 452, das sogar eine falsche Kon-
traktion von drei Spielen, die nichts mit einander zu tun haben,
darstellt.
Fi 400 «Den zweck holen».
Im Verzeichnisse nur in a und dann in b am Schlüsse von
cap. 25. Es ist die Strafe des Verlierenden in unserm «Messer-
spickerles» oder einfach «Messeriis» genannten Spieleder Knaben.
In einen kleinen Erdhaufen wird der Reihe nach auf ver-
schiedene Arten das Messer geworfen. Es darf nicht umfallen,
sonst kommt der nächste an die Reihe. Wer zuletzt nicht alle
Hebungen gemacht hat, muß den «Zweck (Stift) holen», den
der, der zuerst fertig war, in Gestalt eines Hölzchens in den
Sandhaufen steckt. Der Verlierer muß diesen mit den Zähnen
holen, wobei man ihm die Nase in den Sand stößt unter all-
gemeinem Freudengeheul. Ein weiterer De weis, daß Fischart
dieses Spiel gemeint hat und dafür, daß er es wohl kannte im
cap. 9, p. 157 :
«Weichs dannach schrecklich ist zu gedencken, wann die
zullspilenden Buben, so sies spil verlieren, zur strafTden zweck
mit den schönen zänen aus dem treck müssen auf Niderhtndisch
trecken und schlecken.»
Fi 423 «Zull wann ich's triff».
Im Spielvetzeichnis ist dieser Ausdruck nur in a anzu-
treffen, in den späteren Ausgaben verschwindet er von hier
und taucht dann als Zusatz in b am Ende von cap. 25 auf.
Den Sinn kann man wohl erraten, aber ein genaues Spiel
anzugeben ist mir unmöglich, da der Ausdruck, so wie er
lautet, in vielen Spielen gebraucht worden sein kann. Viel-
leicht ist er identisch mit Fi 400.
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- 125 —
Fi 452 «Pfenning aus dem krais topfstechen oder nußwerfen»
lieber « topfstechen » siehe ol)en Fi 421. «Xußwerfen» ist
auch ein besonderes Spiel für sich.
Das gleiche Spiel heißt an anderer Stelle Fi 487 «Nestel
aus dem krais — klossteche n». (Ueber den letzteren
Ausdruck siehe Fi 421.) Fi 452 und Fi 487 (siehe oben) sind
nur in a im Verzeichnisse. In b linden wir Fi 604 «Nestel
auß dem Kreiß» wieder.
Das Spiel ist im Elsaß überall bekannt, gewöhnlich unter
dem Namen «Pfennjeles». Man sucht von einer gewissen Ent-
fernung aus ein Geldstück oder einen sonstigen Gegenstand in
einen Kreis zu werfen, und umgekehrt gilt es den Pfennig aus
dem Kreise hinauszuwerfen, indem man einen andern Pfennig
oder eine «G'stunz» darauf «spickt». Dies nennen die Buben
auch «Geldspickerles».
Ob Fi 488 «Wie vil schiesest mir auff ein Nestel» damit
in Verbindung gebracht werden kann, vermag ich nicht zu
sagen.
Fi 465 «PlÄculin machen» '
Fi 489 «Plöchlin stellen fallen».
Ploch = kleines Holzstückchen. Das Spiel bestand wohl
darin, kleine Holzklötzchen aufzustellen und mit einer Kugel
oder sonstigem Spielzeug umzuwerfen. In der Schweiz heißt
das Spiel «Stözlen, Stöckeln, Blättlen». (Hochholz, p. 42G, Nr. 44.)
Eine besondere Art, aber gerade so gut das gleiche Spiel, ist
Fi 614 «Pfenning vom blöchlein werffen». (Ende cap. 25, Zu-
satz in b). Man legte ein Geldstück auf das Klötzchen und
suchte es umzuwerfen. Der, dem dies gelungen war, wird wohl
gewonnen haben.
Fi 484 «Stecken Stöcken»
ist das gleiche Spiel, das Fischart noch zweimal am Schluß von
cap. 25 nennt
Fi 616 «Den Stecken auß dem Leimen stechen»
und
Fi 620 «Stecken Steckens».
Das Spiel ist sehr bekannt. Wir nannten es «Spickhewels».
Kurze Stöcke trieben wir nacheinander in den weichen Boden.
Jeder sucht (zwei bis «bei Knaben spielen zusammen) den Stock
des andern umzuwerfen. Gelingt ihm dies, so darf er den
1 Ch. Schmidt, Histor. Wörterb. der elsäss. Mundart. Straßburg
1901. Ch. Schmidt, Wörterb. d. StraKb. Mundart. StralU>. IWHi.
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— 126 —
Stock des Gegners soweit wie möglich schleudern. Während
der andere nun den Stock eiligst wieder holt, muß er seinen
Stock dreimal in die Erde treiben, sonst wird sein Stock fort-
geschleudert. In der Schweiz tragt es den Namen «Das Pflöckli-
spiel und Hecken». (Kochholz, p. 451.) Doch ist Fischarts
«Kloßstechen» nicht auf dieses Spiel bezüglich, wie Rochholz
behauptet.
Fi 485 «Nestel vom Messer blasen».
Es ist mir nicht gelungen von «Nestel» eine andere Be-
deutung als Schnur, Riemen zu entdecken, weshalb mir auch
das Fischartische Spiel zu definieren unmöglich ist.
Fi 486 « Nüsse nspiekeu».
ist das bekannte Spiel mit Nüssen. Die Knaben bilden
Häufchen von (gewöhnlich vier) Nüssen. Wer eines umwirft,
gewinnt es.' Es wird auch so gespielt, daß man (wie bei einem
unserer «Gstunzen»-Spiele) auf den Boden ein Quadrat oder
einen Kreis zeichnet, in den man eine gewisse Anzahl Nüsse
legt. Aus einer bestimmten Entfernung wird danach geworfen.
Fischart nennt dieses Spiel am Schlüsse von cap. 25 (Zu-
satz in b) Fi 615 «Nuß aus dem Ring dopfifweHTen». 2 «DopfF-
werffen» ist wieder loszulösen, denn es bezeichnet das obige
Spiel Fi 421 und hat mit «Nussenspicken» nichts zu tun. Diese
falschen Kontraktionen scheinen wohl mehr auf einen schlechten
Druck zurückzuführen zu sein als auf die Willkür Fischarts.
Doch ist es immerhin sonderbar, daß Alsleben in seiner
kritischen Ausgabe nicht imstande war, die Spielausdrücke zu
trennen.
Fi 536 «Den Katzenstrigel».
Es ist das gleiche Spiel, das Rochholz, p. 455, als «Katzen-
striegel» beschreibt: «Zwei lassen sich auf Knie und Hand
nieder, strecken die Köpfe zusammen und schlingen sich beide
ein geschlossenes Seil um den Hals. Nun zieht jeder rückwärts,
um den andern vom Platze zu bringen.» Ich weiß nicht, ob
das Spiel bei uns noch üblich ist. Jedenfalls ist die Erscheinung,
daß der Ausdruck sich unverändert bis heute konserviert hat,
sehr interessant. Fischarts Spielverzeichnis enthält auch neben
diesen Spielen, die wir im letzfen Teile kennen gelernt haben,
einige auf Kunstfertigkeiten bezügliche Ausdrücke.
> Siehe auch Martin-Lienhart, E. W. I, 309 «Hüflis». E. W. I,
308 «Bockhüfel».
* Auf p. 420 begeht Rochholz den gleichen Fehler, wenn er
zitiert «Nuß auß dem Ringdopff werffen». In dieser Form hat der
Ausdruck gar keinen Sinn.
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d) Kindliche Kunstfertigkeiten.
Irgend eine Beinverrenkung, vielleicht mit einem Sprung
verbunden, stellt
Fi 73 «Vber eck ins bein»
dar.
Fi 93 c Nadel on fadem in Hoff tragen >,
Ein heliebtes Spiel, sich eine Nadel durch die Haut zu
stechen und sie so ohne Faden zu tragen.
Fi 133 «Der geschrenckten Schenckel».
Mit Vorliebe trieben wir ein solches Spiel, indem wir irgend
jemanden aufforderten, seine Beine um einen Pfahl zu schlingen
und sich niederzusetzen. Für den Betreffenden war es unmög-
lich, wieder allein aufzustehen.
Fi 373 «Den Kessel anf dem Leilach rucken >.
Die Bedeutung geht aus dem Wortlaute hervor.
Etwas schwieliger ist
Fi 403 «Auff dem Gesäß mit gebunden Händen nnd fassen
thurnieren, das recht obr inn die lincke Hand, und den arm
dardurch geschleifft».
Es ist nicht ganz klar, welche Uebung damit Fischart wohl
gemeint hat.
Fi 419 «Auff teil er n mit h&nden gahn».
Aehnlich dem Kunststück «auf dem Kopf stehn», «de Hoch-
stand mache». Die Bedeutung ist klar.
Fi 449 «Durch den Sträl Schalmeien».
Ein beliebtes Spiel unserer Knaben. Die Kinder blasen
durch die Zinken eines Kammes, wodurch Töne entstehen. Das
Gleiche erzeugen sie auch oft durch Blasen auf die Kante eines
Blattes Papier oder eines Heftes.
Fi 518 «Faden umb die händ in vil gestalt winden».
Das Spiel wird hauptsächlich von den Mädchen geübt, die
sich darin gefallen, in allen möglichen Arten den Faden urn
ihre Hände zu wickeln. «Abhewerles» ist jedem Mädchen, auch
oft den Knaben, bekannt. Siehe dessen Abbildung bei De Cock
en Teirlinck III, 209.
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e) S p 1 e 1 a r t i g e V e r g n ü g u n g e n der Kinde r.
Wenn im Frühjahr der Satt in die Weiden steigt, dann
ziehen unsere Buben an schulfreien Tagen hinaus in den Wald,
schneiden Stöcke ab und machen sich einen Bogen davon, mit
dem sie Pfeile aus « Licht reerle» (Schilfrohr), deren Spitze mit
Wagenschmiere beschwert oder mit einem Käppchen aus Hol-
lunderrohr versehen wird, hoch in die Lüfte schnellen. «Wide-
pfifle» und « Holderbichse» werden hergestellt, mit denen man
wieder triumphierend heimwärts pilgert. Diese Vergnügen, die
sich unsere Buben nicht nehmen lassen, ebensowenig wie das
mit halsbrecherischen Klettereien verbundene «Vögelausheben»,
auch «Neschtersüeche» oder «Neschterüshewe» 1 genannt, sind
so alt als der Wald, die Vögel es sind und so alt als es junge
Menschen gab, Kinder, die in freiem fröhlichen Uebermute sich
im Walde herumtrieben. Fischart hat diese Vergnügen und
nicht anderes mit seinen Ausdrücken gemeint.
Fi 394 «Rindenpfeifiin, Weidenbüglin» 2 und Fi 395 «Vögelauß-
nemmen».
Alle, die diese Jugendfreuden und Jugendstreiche mitge-
trieben, fühlen bis in ihr Alter die Wohltat dieser freien, sich
selbst genügenden Freude. Mit welcher Vorsicht wurde vor-
gegangen, wenn es hieß, «jetz welle m'r Fresch fange». Eine
Angel (ein Stecken mit einer Schnur, daran wir ein rotes Läpp-
chen banden) war das Werkzeug, mit welchem wir die Frösche,
denen wir auflauerten, . . . nicht fingen, denn sie waren nicht
so dumm, wie wir meinten, sich daran festzubeißen. 0 glück-
liche Einfalt ! Hatten wir aber welche, so wurden sie in feier-
licher Beratung zum Tode verurteilt und mittels eines «alten
k'nippen» von ihrem Sumpfleben zum Tode befördert, «ab-
gebeizt» und gebraten, d. h. ihre Schenkel. Fischart hat das
Vergnügen auch gekannt. Beweis sein Ausdruck : Fi 410
«F ro sc Ii fa n gen».
Im Winter tummeln sich die Kinder, wie im Sommer im
warmen Sonnenschein, im wilden Schneegestöber, fahren im
Schlitten eine Erhöhung hinauf und sausen mit fliegenden
Haaren, glühenden Wangen und leuchtenden Augen in toller
1 Arnold, Pfingstmontag III, 1.
2 Ich habe mich schon an manchen frühern Stellen nicht mit
der Behandlung der Fischartischen Spiele durch Rochholz einver-
standen erklären können. So auch nicht mit seiner Behauptung auf
p. 392. wo er Fi 3i>4 mit dem Plumpsack-Spiel «Der Lunzi chunt»
identifizieren will.
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Fahrt den Hang hinunter, jauchzen und schreien je mehr, je
schneller es geht in den weichen Schneehaufen hinein.
Fi 141 «Auff den Berg faren».
Oder «E Rutsch wurd angetriwe» auf dem festgetretenen
Schnee oder dem zugefrorenen Teich. Die wichtigsten Ausdrücke
für das Gleiten auf dem Eise sind : «Schliffe, schlimmem, ritsche
oder rutsche».
In der ersten Ausgabe allein steht im Verzeichnis Fi 49Ö
«Schleiften». Am Ende des cap. 25 finden wir alle drei heute
noch bekannten Namen : Fi 606 «Schleiften». Fi 607 «schleimen».
Fi 608 «Rüschen» (erst in der dritten Ausgabe c; im Ver-
zeichnis Fi 576).
Alle diese eben besprochenen Spiele sind der eigentliche
Kern des Fischartischen bunten Verzeichnisses von Ausdrücken ;
denn sie bezeichnen die wirklichen Kinderspiele, die fast alle
heute noch bekannt sind, sich also jahrhundertelang erhalten
haben. Wir können die Beobachtung machen, daß dies gerade
die einfachsten, kunstlosesten Vergnügungen sind.
Neun, nicht im Spielverzeichnis genannte Spiele, nennt Fi-
schart im Schluß von cap. 25. Diese sind
Fi 612 «Rotten räumen».
Fi 613 «Vmbspännlin».
Fi 623 «Zum ziel schocken».
Fi 625 «Der breiten und halben Kugel». (Siehe
Fi 220.)
Nur in a im Verzeichnis und dann wieder cap. 25, Ende.
Der Ausdruck stammt aus Rabelais. Deshalb scheint es mir
fraglich, ob Rochholz das Recht hat, p. 459 diesen Ausdruck
als «bestimmte Wurfarten» anzusehen, die Fischart damit ge-
meint hat, denn die Herkunft des Ausdruckes ist zu klar.
Fi 627 «Zehen paß fünflf Sprung auff eim Fuß».
Zu Fi 623 kann ich nur bemerken, daß es ein Spiel be-
deuten kann, bei dem die Kinder nach einem bestimmten Ziele
zu werfen suchen. Solcher Spiele gibt es zahlreiche.
Zu Fi 627: Nur in der ersten Ausgabe (a) finden wir als
Nr. 37 «Zehen paß», das Ra 11 «a passe dix» entspricht und
ein Würfelspiel bedeutet. Es ist nun nicht möglich, daß dieser
Ausdruck mit dem Zusatz in b (Ende cap. 25) in Zusammenhang
steht, daß Fischart willkürlich oder auch weil er «zehen paß»,
d. h. «a passe dix» falsch gedeutet hat, den Zusatz «fünflf SprAng
auff eim Fuß» gemacht habe, das als ein besonderes Spring-
spiel der Knaben gelten kann, wie Fischart deren eine Reihe
cap. 26, p. 281 erwähnt, unter andern «mit drei Passen ein
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sprung, auiT eim Fuß schupften» und auch cap. 26, p. 274:
«Rucksprung, des Heuschreckensprungs, der funflf SprAng der
weitest».
Die Gesamtzahl dieser Jugendspiele umfaßt die Zahl 311 ,
sehen wir von den Zusätzen am Ende von cap. 25 ab, so er-
gibt sich für uns nach unserer Tabelle eine Zahl von 287 Jugend-
spielen, von denen 120 aus Rabelais und 48 aus Junius ent-
lehnt sind.
Fischart ist immerhin die stattliche Zahl von 167 Jugend-
spielen zuzuschreiben, solange es nicht gelingt, eine andere
Quelle als seine persönliche Erfahrung zu entdecken.
Wir kommen nun zu der Besprechung derjenigen Aus-
drücke im Fischartischen Spielverzeichnisse, die wohl als Lieder
anzusehen sind, wenigstens als Teile oder Anlange von Liedern.
Tragen darunter auch eine Reihe den Charakter von zotigen
Wii tshausliedern im Stile der «Trunckenen Litanei» des achteo
Kapitels, so werden wir auch manchen Ausdrücken begeg-
nen, die ganz gut Anfänge oder Teile aus Reigenliedern oder
selbständigen Kinderliedern sein können. Die erstere Art
wäre dann zu den zum Teil derben Volksliedern zu rechnen.
Die Schwierigkeit der Feststellung mag eine mehr oder weniger
gewagte Behauptung entschuldigen, der eine mag diese An-
sicht haben, der andere jene. Jedem es recht zu machen
ist bei einer Arbeit, wie sie der folgende Teil darstellt, unge-
mein schwer, denn wo wir keine absolut sichern und unum-
stößlichen Beweismittel haben, müssen wir ein rein individuelles
Urleil fällen auf Grund eines gewissen Gefühles, das uns auch
irreleiten kann. Individuelle Urteile sind veränderlich, und es
gibt deren so viele als es Denkungsarten gibt. Was mich be-
trifft, so werde ich an den geeigneten Stellen versuchen, meine
Ansicht zu begründen, ohne sie als authentische Norm auf-
stellen zu wollen, als besäßen meine Auslegungen unbedingte
absolute Priorität. Der Umstand, daß eben manchmal nur in-
dividuelle Urleile vorliegen, mag die Freiheit des «Ich- Stiles»
entschuldigen.
4. Abschnitt.
Die Lieder.
Als Kinder- oder Volkslieder sind folgende Ausdrücke zu
betrachten :
Fi 76 «Tochter laß die Rosen ligen>.
Fi 77 «Schwartzer Dorn ist worden weiß».
Fi 128 «Wunu ich mein H6rnlein plus».
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Fi 134 c Womit dienstu deim bulen?».
(Kann aber auch eine Spielfrage aus irgend einem Kunkel-
stubenspiel sein. «Bulen» deutet darauf hin, daß es eher ein
Spiel erwachsener Burschen und Mädchen ist, also ein Kunkel-
stubenspiel.)
Fi 139 «O mein hertz verschwind».
Fi 175 «Wo schlafft des Wirts TÖchterlein>.
Fi 177 «Meidlin thn den Laden zu, laß den Ladennagel
hangen».
(Um dem liehenden Burschen das Einsteigen des Nachts
zu erleichtern.)
Fi 206 «Disen angel mein Frau».
Angel=Dorn, Stachel. 1 Es ist nicht unmöglich, daß dieser
Ausdruck auf ein zotiges Schlernmerlied hinweist, in dem «angel»
den Sinn von penis haben mag.
Fi 246 «Meidlin sind dir die Schnh recht».
Sicher ist der Ausdruck der Teil eines Volksliedes, viel-
leicht gar der Anfang. Er ist genannt im 8. Kapitel «Von der
Trunckenen Litanei». Auf Seite 130 finden wir eine Reihe
Lieder, unter andern :
«Mevdlin sind dir die Schuh recht,
bei nachte, bei nachte, halt dich Annele feste».
Ob das Vorhergehende und Folgende wieder neue Lieder
sind oder ob sie Anfang und Fortsetzung unseres Liedes sind,
ist schwer zu entscheiden, da Fischart die Liedtexte in Prosa-
form gesetzt hat.
Fi 277 «Der Haber im Sack».
Ueher den Sinn dieses letzteren Ausdruckes finden wir
wieder Autklärung im Gargant ua und zwar im cap. 1, p. 34.
In einem «säubern» Liede heißt es :
«Es wohnt ein Müller vor jenem Holtz,
hat ein Töchterlin das war stoltz,
zu der ließ sich ein Keiler strack,
tragen inn eim Mullersack,
zu Nacht rührt sich der Haber im Sack».
i Fischart: Flöhhaz: Weiberveraiitwortung : V. 266<J : «Was
thfit die hurnaus mit dem angel».
— 132 —
Das Lied ist so leichtsinnig wie das folgende an gleicher
Stelle zu findende:
«Brauns Mägdelin zih dein Hemhdlin ab, vnnd leg dich
her zu mir».
Diese «Geuchlieder», wie sie Fischarl selbst nennt, zeigen
uns, was Fischart mit «Haber im Sack» meint, der «Haber»
ist im obigen Lied nicht nur der Ritter.
Fi 337 «Gott groß ench schöne».
Fi 369 «Mein Tochter ist heurahts zeit».
Auch wieder im 8. Kapitel, p. 128: «Mein Tochter ist
Heuratszeit, ich gib jr einen Mann».
Das Folgende (im 8. Kapitel) gehört nicht zu diesem Liede.
Fi 387 «Meidlin laß dir's wohl thun».
Derbes Volkslied. Den Sinn wird man wohl erraten, wenn
man an ein anderes im 8. Kapitel zu findendes Lied denkt :
(pag. 130)
«Hopfaho, sind die vnfläter do,
Er führet sie hinder Rauten,
er wolt sie gern . . . proho . . .
braune Kleyder trägt sie gern . . . Müho . . .
Mönchen ist eine schone Statt,
dummel dich gut Pärchen, (Pirchen, ab)
Eschenfarb vnd blaw,
Eschenfarb und Leberfarb,
Von der Nipp von der Xippedei».
Vielleicht bedeuten die vier ersten Zeilen ein Lied für sich.
Im letzten Teile begegnen wir einem Ausdrucke, der auch im
Verzeichnisse zu finden ist als :
Fi 19 «Dummel dich gut Birche».
Dieses ist 3lso auch als Teil eines Volksliedes anzuerkennen.
Auf ein derberes Volkslied mit satirischer Tendenz betref-
fend einen unwürdigen Zustand des Ehegalten, die Hahnrei-
schaft, weist folgender Anfang eines Liedes hin :
Fi 420 «Mein Man ist ein Gauch, mein Gauch ein Man».
Auch ü!>er den Charakter und die Bedeutung von
Fi 432 «Pumpimperlein pump»
gibt uns das 8. Kapitel des Gargantua Aufschluß. Es bildet den
Refrain eines Liedes der Trinker, das aut p. 124 zu finden ist :
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«Ks geht gen diesem Summer,
Oho laß einher gahn,
Die Ochssentreiber kommen, do do,
Oho laß einher gahn,
Diri diri dein, laß einher gahn,
Pum Pim perlin Pump».
Den Charakter eines Liedes trafen auch die Ausdrücke:
Fi 499 «Da sitz ich fein, da ward ich dein»
und
Fi 500 «Ich gang, ich komm, ich komm, ich gang>.
Fi 507 «Ich gieng durch ein enges Gäßlein, begegnet
mir ein seh wart z Pfftflin» etc.
Ein sehr derbes Lied, ein zotiges Wirtshauslied, dessen
Sinn noch der Ausdruck cap. 8, p. 125 «Es hat .mir ja nie
keine hinein gewisen» erläutert, ist
Fi 508 «Es wolt ein Jnngfraw zfichtig sein, nam jhn
inn die band nnd wiß jhn drein» etc.
Einen ähnlichen obseönen Sinn enthält
Fi 509 «Ich legt mein Bauch auf sein Bauch».
Mit diesen 21 Ausdrücken geben wir die Lieder, die ohne
Zweifel als solche anzuerkennen sind. Zu diesen derben Liedern
ist wohl auch
Fi 118 «Znck nit mein lieb, ist ein billich sach»
zu zählen.
Was der Ausdruck «billich sach» besagt kann man denken,
doch nicht aussprechen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß
der Ausdruck auch eine zotige Redensart darstellt.
5. Abschnitt.
Die Sprichwörter und sprichwörtlichen
Redensarten. Die Wortspiele.
Bei dem engen Zusammenhang dieser drei Kategorien wird
meine zusammenfassende Betrachtung zu entschuldigen sein.
Ebenso kann ich eine scharfe Trennung der Wortspiele Er-
wachsener und der Kinder mit gutem Gewissen nicht vorneh-
men, wenn das bei dem Durcheinander Fischarlischer Phrasen
überhaupt möglich ist. Folgen wir einer weniger detaillierten
- 134 -
Betrachtungsweise, so ist die Möglichkeit des irrtümlichen Ur-
teils reduziert. Diese Erwähnung, die als eine Art Entschuldi-
gung gelten mag, wird demjenigen nicht Zeichen einer ohn-
mächtigen Schwäche sein, der die ungeheure Schwierigkeit der
Aufklärung dieses Phrasen wüstes Fischarts zu werten und zu
erkennen vermag. Wo es mir möglich ist, werde ich den Be-
weis, daß wir es mit einem Sprichwort zu tun haben, erbringen.
Fi 30 «Vier Wachtel im Sack». 1
«In einem Lügenmärchen aus dem 14. Jahrhundert (Wacker-
nagel : Altdeutsches Lesebuch 5. 1149 fl.) schließt jede Strophe
mit den Worten ein, zwö usw. walltet in den sac ! Die W T achtel
galt wohl als verlogen.»
Hierauf bezieht sich eine andere Stelle im Gargantua, cap.
15, p. 206: «jetz haben wr den Mönch im Sack, ja trei Wach-
teln im löcherigen Sack». Der Sinn ist wohl : «jetzt sind wir
betrogen worden». (Das gesperrt Gedruckte ist Zusatz in b, so
daß ursprünglich dei Ausdruck dem im Verzeichnisse genannten
in der Form nahe kommt.)
Fi 51 «Burckhart mit der Nasen, komm helff mir grasen».
Vielleicht eine spöttische Redensart der Kinder über die
langen Nasen.
Fi 52 «Wolauff des walts Gott nider» 2
«Das walte Gott» ist eine übliche Redensart am Ende eines
Wunsches.
Fi 54 «Mit wem hat man gekallt».
Fi 55 «Wir geben und nemmen einander».
Fi 79 «Zipffelzehezapffen>.
Wahrscheinlich ein alliterierendes Wortspiel der Kinder wie
Fi 103 «Meiner Mater Magd macht mir mein Maß, mit
meiner Mater M51».
Dieses Wortspiel existiert heute noch allerorts.
Zu diesen Wortspielen gehört auch das Zitat Rochholzens
aus Fischart (p. 33) «Wisch wasch» usw.
Fi 91 «Wa geht der Dantz hin Eselmut?» =
«Wohin des Wegs?» Vergleiche unser: «Jetzt geht der
Tanz los».
» Grimm: Deutsches Wörterbuch XIII, sp. 17. r >. Bedeutg. 2.
* Johann Ag-ricola .">%: Siebenhundert vnd funfftzig Deutscher
Sprichwörter. Wittenberg 1">92.
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— 135 —
Fi 98 «Den verkauften gabelochsseu mit Wasser zahln».
Ein Sprichwort.
Fi 59 «Jeder bab de« Manls acht».
Wander, III, 507 rto: «Nimm das Maul in Acht, daß es
keinen Schaden macht».
Fi 103 ist auch hei uns üblich in der Form, in der es
Rochholz, p. 29 erwähnt, wenn auch etwas variiert.
Ein bei uns allgemein bekanntes dialektisches Lautspiel ist :
«Hinter's Hanse Hasehüß
Henke hundert Hase büß
Hundert Hase henke hüß,
Hinter's Hanse Hasehüß».
Zu den alliterierenden Redensarten sind auch zu rechnen
Fi 446 «Hanß hau dich nicht».
(Eine Ermahnung zur Aufmerksamkeit) ; und
Fi 447 «Liendel laß dir die Joppen blacken».
(Ein spöttischer Hinweis auf den zerrissenen Rock.)
Ebensolche Reimspielereien sind die folgenden Ausdrücke,
die auch von Erwachsenen gebraucht worden sein mögen.
Fi 112 «Das Alefrentzlin greiff ans schwentzlin».
(Alefrentz = Alefanz, abenteuerliche Gestalt?) (Ueber das
Vorkommen des Ausdrucks im Sprichwort : Wander : Sprich-
wörter Lexikon 1, 43. «Alefanz mach die Schuhe ganz».)
Fi 113 «Das zftnglinspitzlin, fritzenschmitzlin».
Fi 114 «Das Zeißlin, M&ußlin».
Fi 115 «Klänßlin, kom inns häußlin, wftrff ein däußlin».
Diese reimspielerische Aufforderung zum Würfelspiele legt
Rochholz 447 falsch aus, wenn er meint, der Ausdruck bezöge
sich auf das «Knöchel »-Spiel der Kinder. Ebenso falsch ist es,
wenn er die spieltechnischen Ausdrücke (die einen besonderen
Wurf im Würfelspiel bedeuten) «All zinck, Seß-eß» damit gleich-
stellt an dieser Stelle.
Fi 116 «Trotzentratzlin, wie ein Lätzlin».
Fi 117 «Susa seußlin, flusa fleußlin».
Fi 119 «Matz werffs der Metzen za».
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— 136 -
Hierher gehört auch :
Fi 213 «Das bottensäcklin, schlotterpäcklin»
und
Fi 314 «Hämmerlin, hinimerlin»,
das auch zu •
Fi 208 «Meister hemmerleins nachfahr»
in Beziehung stehen und einen Spruch darstellen kann, der
bei diesem Nachahmespiel der Kinder leicht in Anwendung
kommen konnte.
Auch als Sprichwörter oder sprichwörtliche Redensarten
sind zu betrachten:
Fi 129 «Loch zu Loch».
Fi 130 «Es miet mich*.
Fi 135 «Inn die Wiirst faren».
Fi 143 «Der untren under dem Mäntlin spilen>.
Ein bekanntes Sprichwort. Siehe Wander III, 455 s : «Unter
dem Mäntelein spielen». cUnter dem hütlin
spilen» bei Agricola und Murner (Wander II, 952, 953).
Fi 157 «Faul fandet >,
Fi 158 «Laußknickel»
sind sprichwörtliche Redensarten. Der letztere Ausdruck be-
deutet «schlechter» oder «frecher» Kerl. Elsassisch «Lüsknickel»,
«Lüsangeb.
Fi 163 «Vmb den Gänstreck füren».
Heute noch im Elsaß bekanntes Sprichwort für einen be-
trügen, einen anführen. (Martin-Lienhart, Eis. Wörterbuch.
Charles Schmidt, Straßb. Wörtern. 38: «Einen iwwer de
gän sd r ec k fi ere».)
Fi 167 «Gickel hin, waranff gi ekelst».
Sprichwörtliche Redensart auf einen, der nach allem gafft?
Fi 172 «Geb Arß, Nenini Arß».
Ein Sprichwort, das bei Agricola zu finden ist, aber nicht
mehr bekannt zu sein scheint, denn Wander erwähnt es in dem
großen Sprich wörterlexikon nicht. Agricola, p. 67, Nr. 153 :
«Dis wort ist breuchlich vnter den Kindern welche aus
vnbestendigkeit vnd wanckelmut einander etwas geben / vnd
bald wider nemen darumb wie ein kind des andern spottet /
solchs wanckelmuts halben / so sagt es / Geb arß / nem aiß.>
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- 137 —
Fi 178 «Die Floh laufft im hemd>.
Spöttische Redensart, wie es ja deren über diesen Gegen-
stand viele gibt. (Wander, Sprichwörterlexikon.)
Fi 203 «Von Wollen auf die Wellen».
Ein Sprichwort.
Fi 222 «Es laufft ein weise mauß die maur auff».
Erstens zitiert Rochholz diesen Ausdruck falsch, p. 432, in-
dem er «weise» wegläßt, das in den drei ersten Ausgaben steht
(nach Aisleben), zweitens irrt er sich, wenn er ihn identifiziert mit
seinem Spiel «Feislermüslen», (Siehe oben unter «Fangspiele».)
Der Ausdruck scheint mir ein Sprichwort zu sein. (Vergl.
Wander III, 537, 106, 107.)
Fi 223 «Die Gans gabt anf den Predigstul».
Vielleicht bedeutet dieser Ausdruck noch das alte Kunkel-
stubenspiel, auf welches Fischart, p. 16, hinweist : «Kun c k e I-
stubische Gdnsp red iger». Jedenfalls hat der Aus-
druck dann auch sprichwörtliche Bedeutung gefunden, wie uns
zahlreiche Sprichwörter beweisen, z. ß. «Den Gänsen
predigen». (Siehe Wander, Sprichwörterlexikon.)
Fi 227 «Alstreiffen».
Nach einer anderen Stelle im Gargantua, cap. 24, p. 255 :
«Das ist, Wurst stellet den Meidlin den Durst und greiften all,
gern nach dem AI, und streichen kein Sand doch in die hand»
ist es leicht zu erraten, was dieser Ausdruck zu bedeuten hat.
Sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter sind auch
die Phrasen :
Fi 275 «Was gibt ein groß Maul guts?»
Fi 336 «Jeder trott nnd tritt>.
Die Bedeutung einer sprichwörtlichen Redensart geht aus
cap. 16, p. 212, hervor : «Zujedem ock und tritt und
trott ein Fürtzlein, horcha».
Darauf folgt eine Reihe von abenteuerlichen Wortspielen.
Fi 342 «Deß bösen, das es gut werd».
Fi 868 «Die finger krachen, die Männer wachen».
Ein Spruch mit abergläubischem Hintergrund. Heute noch
treiben die Mädchen dieses Spiel, indem sie an den Fingern
ziehen. So vielmal sie krachen, so viele Jahre muß man noch
bis zum Heiraten warten.
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— 138 —
Fi 442 «Desperat».
Wie Fi 519 heute noch übliche Redensart für «außer sich
sein». «Er isch dischberat.»
Fi 450 «Den Sehnen außtretten».
Eine Redensart.
Fi 517 «Keller und Koch, bloß ins Ioch>.
Sprichwörtliche Redensart, gereimt und alliterierend mit
spöttischem Sinn.
Fi 519 «Grandmercy».
Eine heute noch im Elsaß übliche Redensart für «ich danke
schön».»
Fi 527 «Harnisch fegen».
Ein bekanntes Sprichwort. (Ch. Schmidt, Etymologisches
Wörterb. Murner, Narrenbeschwörung, 94; Wander II.)
Fi 528 «Fasten auf der Karten».
Redensart aus dem Kartenspiel entstanden mit satirischem
Beigeschmack.
Fi 529 «Teterint tractro, stampf ins Stro».
Fi 534 «Spitz das »Iündliu».
Ein derbes Sprichwort, dessen Sinn klar ist, haben wir in
Fi 685 «Wer kans wissen, wievil die Magd hat geschissen».
Fi 551 «Leuß oder Niß».
Beide Ausdrücke synonym. Redensart.
Für sprichwörtliche Rätselfragen halte ich die Ausdrücke :
Fi 552 «Wie rentst die Sau, daß sie nicht haw».
Fi 553 «Im Winter auß, im Sommer an».
Fi 561 «Trey wonach auff eim stiel».
Eine Redensart bezüglich auf einen, der zuviel auf einmal
will.
Fi 566 «Ists Esel oder Edel?»
1 Nochmals cap. 12, p. 188. wo Fischart «Grandmercy» wort-
spielerisch entstellt zu «ein langer Kramer», ähnlich einer Reihe von
unsinnigen Wortverdrehungen, welche die «Genicrckreime» des
Gurgelgrossa bildeten.
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Eine Redensart erblicke ich in
Fi 560 «Wfinsch das beyden nutzt >
(In a: «Ich wünsch das uns beyden nutz ist»). Das gleiche
Sprichwort nennt Fischart nochmals in anderer Form:
Fi 599 «Was ich wfinsch sey dein halb».
(Ueber «Wünschen» zahlreiche Sprichwörter bei Wander V, 454.)
Fi 567 «Inn was gestalt dir die Wandlung gefallt».
Vielleicht deutet dieser Ausdruck auf ein Verkleidespiel.
Fi 569 «Ich und mein Knecht tragen ein Harnisch feyl».
Fi 570 «Fnrtz im Bad, oben anß, nirgend an».
Agricola* kennt das Sprichwort «Oben auß vnd nirgend
an.»
«Dis belanget die eigensinnige köpfte die jnen weder
singen noch sagen lassen / denn desselben spottet man / das
sie sich das vnterstehn / das jhnen schedlich ist / Hui oben
aus / vnd nirgend an,»
«Oben auß, nirgend an», aus einem Hexenspruch. Einem
freundlichen Hinweis von Professor Ernst Martin verdanke ich
die Bemerkung, daß Goethe das Bild vom «Furlz im Bad» auch
kannte. Seuffert^ Literar. Denkmäler, Nr. 14. Goethe, Ephe-
merides : «Altum petit ut crepitus in balneo redditus».
Fi 583 «Es beißt baß».
Fi 584 «Der kleiner ziehet den grossen».
lieber das Verhältnis von «Klein» und «Groß» gibt er zahl-
lose Sprichwörter (siehe W 7 ander).
Unserm Sprichwort kommt Nr. 10 bei Wander am näch-
sten (Wander II, 1387 (T.) : «Die Kleinen jagen die Großen»,
«eine Redensart beim Kartenspiel, in Bezug auf die kleinen
Trümpfe». Bei Fischart hat der Ausdruck schon allgemeinere
Bedeutung.
Fi 585 «Tantz oder pfeiff».
Die sprichwörtliche Redensart, «nach der Pfeife tanzen»,
mit der dieser Ausdruck zusammenhängen mag, ist bekannt.«
1 Agricola, p. 98 b. Nr. 217.
« Siehe Wauder III, 1258 3t .
— 140 —
Sprichwörter sind ferner:
Fi 586 «Wa klebt der SenAV
Fi 587 «Iß Heues vil, so iß des meher».
Fi 588 «Den grindigen Gauch berüpffen». 1
Fi 589 «Kätzlin mach ein hasentäplin».
Fi 591 «Der schmach und raach».
Wander fuhrt ein Sprichwort an : «Schmach sucht räch»,
mit dem Fi 591 wohl identisch ist. Lateinisch heißt das Sprich-
wort : «Contumelia quacvis aculeum habet».*
Fi 593 «Des Promooirens inn der Lehr der Lieb»
bedeutet soviel als die höhere Liebeskunst erlernen, die Hoch-
schule der Liebe absolvieren, in der «ars amandi» zu promo-
vieren.
Fi 595 «Was krnselt sich, was mauset sich».
Fi 596 «Ist nahe dar bei, baß auff den Esel».
Vielleicht von der Art wie das bei Wander II, 866: «Nahe-
dabey ist nicht getroffen».
Fi 597 «Soll ich, bin ich».
«Soll's Sein, so schickt's sich» ist ein Sprichwort bei Wander
IV, 604 8 .
Fi 598 «Dem Blinden opfferen».
Fi 600 «Immen wigen».
Es ist bemerkenswert, daß Fischart diese Wortspiele, Sprich-
wörter und sprichwörtlichen Redensarten, deren Zahl sich auf
72 belauft, gegen Schluß des Verzeichnisses häufte. Der Sinn
der nicht mit Erklärungen versehenen Ausdrücke geht aus dem
Wortlaute hervor. In Ermangelung eines bessern Beweises
müssen wir uns damit begnügen. Es ist ungemein schwer,
Spielphrasen und sprichwörtliche Redensarten zu trennen, da
häufig Redensarten, die dem Spiele sonst noch angehören, schon
zu sprichwörtlicher Bedeutung fortgeschritten sind.
1 Marner: Geuchmatt.
« Wander IV,
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- 141 -
6. Abschnitt.
Rätsel, Scherz- und Spielfragen.
Es mag nicht Verwunderung erregen, daß in diesem Ab-
schnitte nochmals die Rede sein soll von Spielfragen, die eigent-
lich in dem Kapitel von den Jugendspielen ihre Berücksichti-
gung hätten finden sollen. Ich glaube mich mit dem Hin-
weise entschuldigen zu können und zu dürfen, daß es ihrer so
wenige sind, daß die früher behandelten Ausdrücke zugleich
auch den Namen oder den Verlauf des Spieles angaben, daß
diese hier anzugebenden Fragen als einzelne Fragen,
zum Teil scherzhafter und rätselartiger Natur, zu erkennen
sind.
Zunächst einige allgemeine Hinweise auf das Vergnügen
der Kinder und Erwachsenen, sich Rätsel aufzugeben. Solche
Phrasen, die auf kein bestimmtes Rätsel hinweisen, sind :
Fi 211 «Löß mir ein frag, die ich dir sag etc>.
Fi 354 «Habt was ist das?»
Fi 379 «Ich raht».
Fi 459 «Raters».
Die eigentlichen Rätsel und Scherzfragen sehen wir in den
folgenden Ausdrücken :
Fi 104 «VVarzu sind lang Nasen gut?»
Fi 144 «Was ist diß, fornen wie ein gabel, in der mitten wie
ein Faß, das hinderst wie eim besen?»
Die Antwort gibt Fischart selber: «Ku». Rochholz, p.l99ff.,
bespricht und nennt eine Menge derartiger Rätsel. In etwas
variierter Form kommt dieses Rätsel auch in der Schweiz vor.
.Fi 145 «Was geht au ff dem kopff in bach?>
(Antwort : Das Spiegelbild eines jeden Wesens.)
Fi 237 «Ein Ey, zwey halb, unnd ein halb Ey, wie viel seinds?»
Dieses Rätsel habe ich vor Zeiten in anderer Form einen
Straßenkehrer einem andern stellen hören : «Ein Ei und noch
ein Ei, wievil sin dis?» Ich glaube, daß hierbei die Silbe «ei*
gezählt wird. Im ersten Rätsel wären es dann fünf, im zweiten
Fall vier «ei».
Fi 454 «Wa zu ist stro gut?»
— 142 —
Scherz- und Spiel fragen sind : .
Fi 467 «Weichs sind der Baier groste thorheiten ?»
Fi 468 «Wie heissen des Wirts Kammern?»
Fi 469 «Was schenckat mir inn das hauß ?»
Als Rälsel sind wieder anzusehen :
Fi 510 «Wann ich dirs nenn, und dn so grosser Narr bist,
und nicht weist was das ist».
Vergleiche damit Rochholz, p. 272, Nr. 205, das alte Rätsel
von der Tenne, das schon im Reterbuchlein, durch Nie. Basse
und S. Feyrabend, Frankfurt 1562 vorkommt: «tenn nenn is,
tenn säg is. wann man es euch schon nennt, daß ihr es doch
nicht kennt.» Die Schweizerische Rätselformel enthält sogar
fast wörtlich einen Satz des Fischartischen Rätsels. In der
Schweiz heißt es:
«Tenn' nenn i's, tenn säg i's,
denn du nit weißt, was tenn' i's,
Denn du en große Nar bis.»
Die Lösung des Fischartischen Vexier-Rätsels ist «wann».
Sie wird mit dem Rätsel gegeben.
Ein bekanntes Rätsel ist :
Fi 511 «Wickerlin, weckerlein, lanfft nbers Aeckerlein, hat
mehr bein, denn meiner Hund kein».
Lösung: Die Egge.
Fi 556 «Vier bein zwey bein».
Im Rätsel stellt gewöhnlich der Mensch das «Zweibein» vor
und der Hund das «Vierbein».
Fischarts Angabe ist unvollkommen und ein Fragment.
Fi 556 bedeutet ein gleiches Rätsel, wie dasjenige Rochholzens
auf p. 257, Nr. 107.
In der Schweiz lautet das Rätsel :
«Zweübei sitzt uf em Dreibei
und naget am ene Saübei.
Do chunt s'Vierbei
und nimmt dem Zweübei sis Saübei.
Do schldht's Zweübei sis Dreibei dem Vierbei nöh.
aß s'Vierbei sis Saübei het lo falle 16.»
Bei uns :
«Zweibein saß auf einem Dreibein
und aß Einbein. Da kam Vierbein
und nahm Zweibein das Einbein weg.»
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Fi 557 «Wa lanffen die Seck selbs berauß?»
Fi 558 cHinden rauch, fornen kal».
Fi 559 «Wa thnn all hfipsch Frawen hin?»
Scheint einen derberen Sinn zu haben, ähnlich der Frage
im cap. 19, p. 232:
«Aber rhalet, was ist diß, einer geht hinein, die andern
zvven bleiben herauß hencken?»
Fi 562 «Mein Vatter Heng ein Fisch, wie lang?»
Dieser Ausdruck kann sich auch auf das Spiel Fi 160
«Ich fisch in meines Herrn tduch» beziehen. (Siehe oben unter
den Kinderspielen, Teil c).
Wir können mit Sicherheit behaupten, daß alle diese 19
Phrasen das bedeuten, was wir soeben gezeigt haben.
7. Abseh tritt.
Die Tänze.
Wir nähern uns dem Schluß unserer Arbeit, die sich die
Aufgabe gestellt hat, Klarheit in dem Chaos von Sentenzen zu
schaffen, aus denen das Verzeichnis besteht. Im folgenden, letzten
Abschnitte stellen wir die Phrasen zusammen, die auf den Tanz
irn allgemeinen und auf bestimmte Volkstänze hinweisen. Dies
sind die folgenden Ausdrücke :
Fi 17 «Hupf aufif, dupff auf».
Fi 18 «Wintertrost».
Dies bedeutet das Tanzvergnügen, das den jungen Burschen
und Mädchen ein Trost in der Winterszeit ist.
Fi 40 «Par mit dem Dantz».
Auf wirkliche Tänze sind die Ausdrücke zu beziehen
Fi 200 «Wechsseldantz».
Fi 210 «Allemant damonr».
1578 erschien Fischarts «Philosophisches Ehezuchtbüchlein»;
ein «künstlich und lehr- reich Tanz-Liedlin, das etwan eynem
zu Hochzeitlichen fräuden durch S. F. G. M. gemacht worden
— vnd ist. inn dem thon des Allemant d'amour Tanz gestellet».
(Wackernagel : «Job. Fischart», p. 125.) Der Tanz war also
Fischart wohl bekannt.
- 144
Fi 318 «Peß Todendautjses».
An die alten Totentänze erinnert heute noch das bei den
Kindern übliche Fangspiel «der schwarze Mann». 1 (Siehe \V.
Wackernagel in Haupts Zeitschrift 9. 314, 338.)
Diesen alten, im Kochersberg-Gebiet üblichen Volkstanz
erwähnt Stöber in seinem Büchlein «Der Kochersberg».
Aus Rabelais hat Fischart zwei Tänze abgeschrieben
Fi 249 «Triori» = Ra 105 «au triori >,
Fi 250 «Des Zirckels» = Ra 106 «au cercle».
Der erste Ausdruck ist unverändert geblieben, während
Fischart den zweiten übertragen hat.
Martin-Lienhart : E. \V. II, 695 erwähnen eine große Zahl
von Tänzen, von denen einige auch bei Fischart bereits genannt
sind. So z. B. der Wechseltanz, der Morisgentanz, der Scharrer,
der Zäuner. (Siehe Garg. cap. 6, p. 122 unten.)
Mit den neuen Fischarlischen Tänzen bilden diese alten
Volkstänze eine stattliche Anzahl, die wohl der Erklärung und
genauen Beschreibung wert wären, umsomehr als sie mit der
Zeit aussterben und bald ganz vergessen sein werden.
Von diesen zehn Ausdrücken sind also sieben wirkliche
Volkstänze, wie Fischart nochmals an anderer Stelle deren eine
Reihe anführt, deren Erklärung und Beschreibung fast unmög-
lich ist, da diese Tänze heute nicht mehr üblich sind.
Im cap. 6, p. 122 sind zu finden :
«Hie gilts den Scharrer; den Zäuner; den Kotzendantz ;
den Moriscen (im Verzeichnis) ; den schwarlzen Knaben (Toten-
tanz), der gern das braun Meidlin wolt haben«) etc.
Es ist zu bedauern, daß diese alten Tänze immer mehr
aussterben. An ihre Stelle treten überall die modernen Tänze,
die in den Salons entstanden ; und wenn man heute im Elsaß
über die Jahrmärkte geht, so findet man wohl einen improvi-
sierten Tanzboden, aber an Stelle der Lieder, die gewöhnlich
diese oft wilden Volkstänze begleiteten, schallen uns mehr
oder weniger falsche Töne einer schlechten Dorfkapelle schnei-
dend in die Ohren : abgeschmackte Tanzweisen, die zu unsern
modernen unschönen und unbequemen Schwindeltänzen her-
untergeleiert werden. Die Lieder sind verklungen, die Beifalls-
i Rochholz, p. :i7(i. Ist mir in Heiligenstein bekannt geworden.
Fi 448 «Moriscendantz».
Fi 251 «Kocherspergerdantz>.
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rufe der Zuschauer sind verhallt, die einen hesonders schön
ausgeführten Tanz oder einen kraftvollen, kühnen Sprung eines
strammen Burschen belohnten; kein wilder Schrei der stämmi-
gen Burschen, kein Jauchzen der freuderfüllten Mädchenbrust,
kein Flattern und Fliegen schneeweißer Spitzenröcke und bunter
anmutiger Trachten ist mehr — alles ist grau — abgeschmackt
— modern.
So gut es mir eben gelungen ist, habe ich in der vorlie-
genden Arbeit alle die vielen Phrasen, die das Spielverzeichnis
des jungen absonderlichen Gargantua ausmachen, klassifiziert.
Ein toller, göttlicher Humor liegt über dem Ganzen, durch-
weht mit teuflischer Satire Fischartischer Spottlust.
Die Schwierigkeit des Stoffes, die gesteigert wird durch die
üngenauigkeit der Fischartischen Angaben, mag Fehler ent-
schuldigen.
Die Darstellung wird immer das Siegel der Individualität
tragen, und der Darsteller wird nie den Anspruch für seine
einzelnen Urleile erheben, als seien sie allgemeingültige Postu-
late. Was die Erschöpfung eines derartigen ausgedehnten Ge-
biefes, wie das der Spiele ist, angeht, so ist es selbstverständ-
lich, daß schon bei annähernder Gründlichkeit für die Behand-
lung einer einzigen Spielart, deren Fischart ja eine ganze Menge
zusammengebracht hat, eine vielleicht jahrelange Forschungs-
arbeit notwendig ist, eine Zeit, die mir vorläufig nicht zur Ver-
fügung steht.
Ueber jeden unserer Abschnitte könnte eine besondere
Arbeit erst erschöpfend sein, wie überhaupt als kulturgeschicht-
liches Denkmal Fischarts Werke und insbesondere der «Gar-
gantua» eine fast unerschöpfliche Quelle sind, ein Born, aus
dem in unvergleichlicher Fülle und Anschaulichkeit die Sitten
und Gebräuche vergangener Zeiten fließen.
Wenn es mir gelungen ist Licht in das Chaos von Phan-
tasie und Realität gebracht zu haben, so hat meine Arbeit ihren
Zweck erfüllt, noch mehr allerdings, wenn sie die Anregung
sein wird zu neuen kulturgeschichtlichen Arbeiten, um deren
Gegenstand man im «Gargantua» nioht verlegen sein wird, Ar-
beiten, welche unserm großen Landsmann zur vollen Würdigung
und Verehrung verhelfen können.
10
IX.
Das Tagebuch des cand. theol.
Magisters Philipp Heinrich Patrick
aus Straßburg.
Von
Th. Renaud.
Erster Teil.
Vorwort.
.A.m Schlüsse der Mitteilung dieses Tagebuches im Jahr-
buche von HXK> 1 steht der Satz; «Inzwischen haben sich noch
weitere Hefte, die vorhergehenden, gefunden (bei Hrn. Pfarrer
Bruns in Kronen bürg).» Er hat sie auf seiner früheren Pfarrei
Altweiler von einer Frau Witwe Wiekersheini bekommen. Nur
e i n Heft fehlt und wird wohl ganz verloren sein. Die er-
haltenen sind zum Teil, wenigstens die ersten Blätter, arg
durchlöchert (Mäusezahn!); auch ist die Tinte öfters bis zur
Unleserlirhkeit verblaßt.
Herr Bruns hatte die Güte, sie mir zur nachträglichen
VerölVeiitlichung zu überlassen.
Der zweite Teil hat zur Bewahrung des ersten beigetragen;
so möge denn dieser aus Dankbarkeit dem zweiten folgen ! Wer
|t gelesen hat, wird auch A lesen.
i Der dort S. 17t"> Zeile 1 genannte Ort heißt Haag, mundart-
lich Hortir- Hüititff Mitteilung des Hrn. Reg.-Kats Reubold in Ans-
bach.)
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— 147 —
Heft 1.
Das erste Blatt (Umschlag) ist nur ein Fetzen, aut
dem noch lesbar ist :
«Weiß . . bürg, Landau, Mannheim, Maynz . . . Eisenach,
Gotha, Erfurt, Weimar . . . Leipzig, Halle.»
Merz, Aprill bis auf den Anfang des Mai.
Auch das zweite Blatt ist zum Teil durchlöchert, ich
lese noch (und klammere leicht Ersetzbares ein) :
Mannheim.
Samstag 12 Merz 1774 de* Morgens . . . halb neun (schrieb
ich dieses Journal)
(Donnerstag) 10. um 8 Uhr precise rei(sete) .... mit
schwerem Herzen (welches . . . durch (?) d(ie) Thränen sich
aufs . . . rn suchet) von Straß(burg) . . . theils ich, theils
meine . . . (we)lche mich zum Theil bis an . . . begleiteten :
M. Redslob . . . Stein (?) Krug, Silberarbeiter, Schmid . . .
(aus) Fridberg bei Frankfurt . . . Verwandte dem Schutze (des
allmächtigen, weisesten und gü(tig)en (Got)tes, des Vaters Jesu
Christi mich (emp)fohlen hatten. Die Gesellschaft in (der dih-
gence) bestünde aus 1) Hr. Diebau, (Kau)fm(a)nn zu Straßburg
aus der Schweilz 2) Hr. Leidecker Kaufmann von Neuchatel
3) Hr. Kaidarini (auf d)eutsch Kessel von Mayland, Kaufmann
4) . . . Matzen, Italiäner, angehender (Kau)fmann. — Hr. Diebau
ist ein großer honnete homme. Er begegnete mir besonders
höflich und freundschaftlich ; und ich lernte allerlei an seinen
Heden. Von dem wahren Christenthum hat er aber leider gar
keine Erfahrung. Hr. Leidecker war ein angenehmer, freund-
schaftlicher Mann, und gehet mir wohl, (so la)ng er nicht aut
seine Hauptbegierde, (O)eischliche Wollust, kam ; dann da wurde
(dieser) Mann auf einmal schmutzig . . . Diebau enthielt sich
davon ziemlich ... Ich muß ihm aber Gerechligkeit wider-
fahren lassen, daß er . . . (sel)ten von wollüstigen Begierden
.... (sprach). Hr. Kaidarini hatte beim Einsteigen einen)
starken schwarzen Bart . . . (welches ihn dem Ansehn nach
zu (einem gefährlichen Menschen verstellte . . . (er) saß, ohne
ein Wort . . . oder doch ... gar ... zu reden ; so war ich
gegen (ihn mißtrauisch. Allein der abgeno(mmene) Bart machte
auf einmal einen noch ziemlich artigen Mann aus ihm . . .
(Er) redete kein Wort, bis ich gegen Abend erfuhr, daß er
kein Wort teutsch, noch französisch sprach. Ich redete mit
ihm lateinisch, welches er zwar fertig, doch nicht zierlich und
mit öfterer Verwechslung der generum gesprochen hat. Er
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verstünde auch griechisch. Meine Gesellschaft war mir ange-
nehm in Vergleich mit der ordentlichen (= gewöhnlichen),
welche man sonst anzutreffen pflegt auf (öffent)liehen Wagen. —
Freitag den 11. ej. Morgens nach halb sechs Uhr giengen
wir von W e i ß e n h u r g (m)it geöfneler Pforte, vor welcher
wir aber, da (= so lange) sie geschlossen war, unsere Gedull
zu üben Gelegenheit hatten. Ich sprach den Abend vorher mit
Hr. Pfarrei"
(Drittes Bl a 1 1 , gleichfalls stellenweise durchlöchert.)
Gambs, 1 welcher mich sehr höflich empfangen, zum Nacht-
essen oder doch zum wenigsten zum caflee lüde auf den folgen-
den Morgen, da ich das Nachtessen abgeschlagen hatte, und
den caflee nah(m) i(ch) nicht an, wobei er bezeugte, daß (kei)n
fremder und besonders kein Straßburger so trocken von ihm
gegangen. Wann ich etwas christliches zu reden (Gele)genheit
geben wolle, so sprung (er) bald ab, daß ich von seinem inneren
(g)ar kein Urteil fällen kau. Hin. Seniorem Müh Iberger (7)
in Landau habe ganz anders gefunden. Wir waren nach
abgelegten complimenten auf einem erbaulichen discours. Allein
da er, seinen Mantel und Kragen an und um sich, eben irn
ßegrif war, mit einer Leiche zu gehen, so hatte ich dieses Ver-
gnügen nur auf einige Augenblicke. Doch rufte er seiner Frau
Liebsten, einer leutseeligen und gefälligen Frau, welche recht
in Christo lebte und welche ich gerne länger genossen hätte,
wann mich nicht die Furcht, die Diligence möchte abfahren,
geheißen hätte, Abschied zu nehmen. Von Landau bis Neu-
statt war der Weg sehr schlimm, und deswegen bekamen wir
in Landau eine andere Dil. ; allein der liebe Gott hat uns sämt-
lich bewahret, da ich mehr als einmal meinte, umgeworfen zu
werden. Zu Neustatt änderte man unsere dil. noch mahlen zu
unserrn sämtlichen Vergnügen, weil die von Landau aus gar
schlecht beschaffen war. Und zugleich wurde unsere Gesell-
schaft vermehret mit einem, der ... 6 Jahr bei den ehemaligen
Jesuiten . . . Philosophie gelehret hatte, welches er durch seine
immer gebrauchten distinctiones (phy)sica und metaphysica etc.
bestätigte. Ich zog ihn ein wenig darüber auf, und seine di-
stinctionen waren weg. Wir geriethen auf den discours von
Pietisten. Sie wurden einstimmig verworfen, ohne daß sie
jemand kenneie. Nemlich man hielte bald die Herrnhuter,
bald die Jansenisten, bald Heuchler für diejenigen, welche Pie-
tisten genennet werden. Ich beschrieb ihnen die Kennzeichen
eines echten Pietisten. Man billigte meine Beschreibung ; allein
1 Wahrscheinlich Joh. Mich. Ganibs aus Straßburg, 1755 Pfarrer
in Lembach (K. V. Blatt Kiö). ,
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— 141) —
man wolle mir von allen Seilen behaupten, es gäbe keine sol-
chen Menschen. Ich zeigte den großen Unterschied unter einem
Menschen und einem guten Engel und sagte dabei : «Meine
Herren, alle Heiligen von Anfang der Well hatten noch manche
Fehler an sich gehabt; die Ursache aber, warum diese Heiligen
durchgehend» so hoch geehret würden, wäre keine andere, als
weil sie lange
(Viertes Blatt, auch noch etwas durchlöchert.)
vor uns gelebet, und wir mehr von ihrer Gottseeligkeit, als
von ihren Fehlern aufgezeichnet fänden.» — Meine Gesellschaft
wurde nicht ganz überzeugt; doch sähe ich hier abermahl, wie
schön die echte Gottseeligkeit (selbst in) derer Augen ist, welche
ihr im (Herzen) zuwider sind. Mit der größten Hochachtung
und Ernsthaftigkeit versicherten die wollüstigen Leute, daß ein
Mann, der Gott von Herzen liebt und darinnen immer weiter
zu gehen suchet, ein recht edler und ehrwürdiger Mann wäre;
allein, dann man bestund darauf, es gäbe dergleichen nicht.
Uiber dem Nachtessen Freitag 11. fiel die Hede von dem in-
diflferenlismus. Er solte, sagte man, überall herrschen. Ich
sagte und endigte hiermit den Streit, Einer, dem alle Religionen
gleichgültig wären, könnte ohnmöglich selbslen Religion haben.
Uibrigens wurde gar vieles in der dilig., über Tisch, bei Be-
suchen geredet und berühret, welches ich nicht gewußt und
doch hätte wissen sollen. Mein Gott, verzeihe mir alle meine
Sünden um Jesu Blutes willen. Wie viele» gute hätte ich mit
Wissenschaft ausrichten können ! —
(Mannheim) Samstag 12. Vormittags richtete ich meine
Aufträge aus bei Hrn. Hofr. Larney.' Da er in der academie
war, so überreichte ich das mitgebrachte der Frau Hofrälhin,
welche mich gegen 2 Uhr wieder kommen hieß. Dem Hofbuch-
liändler Hrn. Schwan* überlieferte ich etwas weniges. Dem
Hrn. Pfarrer P e 1 1 o n (vgl. 13. III) solte ein compüment bringen;
allein wie ich hörte, daß er seine Predigt studierte, so wolte
ich ihm nicht beschwerlich fallen, obgleich die Fr. Pfarrerin
mich freundlich bäte. Ich versprach, den Sonntag Nachmittag
wieder zu kommen. Darauf besähe ich die ehmahlige Jes.
Kirche, ein majestätisch Gebäude von ausen und innen. Das
Churfürstliche Sc h I oß ist groß und herrlich mit zweien
Schloßkirchen an beiden Flügeln. Hinter dem Hauptgebäude
1 Vgl. 30. IV. im Jahrb. 190(> und die Anmerkung zum zweiten
Be6nch.
2 Der Verleger von Schillers Räubern. «Es war im Werk,
daß Schiller eine Tochter des spekulativen Hr. Schwan heiraten
sollte.» (ScharfFenstcin in «Schillers Jugendfreunde> von Hartmann,
S. 155.)
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— 150 —
is( ein nicht fürstlicher Garten. Des Mittags über Tisch mußte
ich ein collegium exegeticum von meinem Wirt he Hrn. Frölich
anhören. Er sagte, Noah wäre ein Esel gewesen, daß er den
Cham, seinen Sohn, verfluchet habe mit allen seihen Nach-
kommen ; zugleich wäre es auch ein gottloses Verfahren ge-
wesen. Seine Frau war ganz stille dazu (eine recht artige und
gefällige junge Persohn). Ein katholischer doctorandus medicus
wußte sich nicht zu vertheidigen, und meine Meinung, daß es
prophetisch zu nehmen sei, verlachte er. Darauf erklärte er
die Geschichte Jonä im Bauch eines Fisches also :
(Blatt 5)
Jonas wäre ein liederlicher Mann gewesen, welcher 3 Täge
und 3 Nächte in einem Wirthshause sein Geld verzehrte mit
Fressen und Saufen etc. und sich deswegen einige Zeit ge-
schämet, unter die Leute zu gehen. Ich zeigte ihm, daß die
Allmacht Gottes zu zeigen, nicht der Hauptzweck dieser Ge-
schichte sei. Auch gab ich ihm zu, daß der Fisch kein Wall-
lisch gewesen, sondern der, die Liebe, Erbarmung, Langmttth
Gottes zu bestätigen. Dis war nicht nach seinem Geschmack,
sondern nur zu spotten und Zweifel zu erregon. z. E. der Fisch
mußte doch zum mindesten 10 mahl so groß gewesen sein als
ein Mensch; nun aber wie hat ein solcher an das Land kommen
können ? Ich suchte die Sache zu erklären mit der Fluth und
Ebbe; allein ich t hat weder ihm, noch mir selber damit ein
Genüge und gestünde meine Unwissenheit. Da er sich theils
vorher, theils nach diesen) öffentlich erklärte ohne Scheu, daß
er die Bibel für kein göttliches, sondern zusammengetragenes
blos menschliches Buch hielte, so sagte ich ihm, nach einiger
Uiber Windung der Menschenfurcht: «Mein Herr, wenn sie wollen
glucklich worden, so müssen sie ganz andere Begriffe von der
Bibel bei tommen, Suchen sie einmal gewissenhaft und redlich,
nach diesem Buche zu lel>en, so werden sie eine Kraft aus dem-
selben in ihr Herz bekommen, welche sie von der Göttlichkeit
der Bibel deutlich genug überzeugen wird.» . . . Nacli Tisch
kam ein stummer, da wir eben aufstellen wolten, welcher durch
Winken und schreiben mit den Fingern sich zu verstehen gab.
Sein Vater zog ihn mehrere Jahre zum Kieferhandwerk auf;
nach welches Tode er Freiheit bekam seiner von Jugend an
geäußerten Neigung, ein Mahl er zu werden. Mein Hr. Wirth
redete mit ihm durch Bewegung der Lippen, winken und
schreiben. Dieser Mensch heißt Meier. . . . Der Hr. Wirth
sagte mir nachher, er wäre sehr verliebt und sehr geschickt
im Mahlen und Schreiben. — In der nemlichen Stunde bekam
einen Briet von Hr. Stein, Buchhr. in S t r ß b. durch den
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— 151 —
Hr. Hofbuchhr. Schwan in Mannh., in welchem ein andrer
an den Hr. Löffler Bchhr. ibidem eingeschlagen war. Ich
trug ihn hin. Und darauf gienge zu Hr. Hofr. Lamey.» Er
empfing mich leutseelig und besprach sich von allerlei. Er
schenkte mir Etrennes Palatines 1774 in 12, und da ich ihn
zugleich beim Weggehen um ein historisch Buch bäte, so gab
er mir Medicus,* Zustand der Bevölkerung in der Pfalz und
Mannheim besonders, in 8 Frkf. u. Leipz. 1769. Ein Buch,
welches gut und dreist geschrieben ist und die Aufhebung des
Gassenbettels nach sich gezogen hat. (Dann Besuch des N a-
tura lienkabinets und aim Gange vor» des «cabinets ver-
schiedner Antiq.» — Für die Bibliothek war es zu spät.)
Bis es dunkel wurde, besähe die Rhein brücke und spat-
zierte auf dem Wall und lief hernach ein halbe Stunde irre
in der Stadt herum.
S o n n t a g 1 3. März (Vorm. Besuch der l u t h. K i r c h e.
Die Predigt des Pfarrers P i 1 1 o n 8 «war meist Heu und Stroh».
. . . Nachm. in der ref. Kirche. Die Predigt des cand.
theol. Biel er «gefiel mir sehr wohl» . . .) Von Music weis
man nichts in den hiesigen Kirchen. Das Singen wird schreck-
lich gedähnt, daß ich viele Secunden warten mußte, bis die
folg. Zeile angefangen wurde. Die Prediger sind äuserlich sehr
andächtig, wie auch die Gemeine, besonders die Weibsleute,
welche großenlheils für sich auf dem Stuhl liegend und knieend
1 Joh. Sigisni. Lorenz schrieb am 4. III. 1774 an Lamey :
«Endlich, theuerster Freund, ergreife ich auch wieder die Gelegen-
heit, die mir die Reise eines sehr rechtschaffenen Can-
didaten an die Hand gibt. . . . Die hiesigen Neuigkeiten werden
Sie von dem Ueberbriuger Hr. M. Patrick selbst erfahren kön-
nen etc. Nachschrift: «Hr. M. Patrick ist ein sehr treuer, frommer,
fleißiger Candidat». Und am 27. Juli 1775 : «Mögen auch die lieben
Ihrigen in lebendiger Gottesfurcht . . . aufwachsen ! Ein treuer, vom
Geiste Gottes belebter Informator dient dazu vortrefflich. Wo Sie
nicht schon mit einem Hauslehrer versorgt wären, würde Ihnen Hr.
M. Patrick, der nun wieder bei uns und voll Geist und
Leben ist, treffliche Dienste thun». (Briefe an Lamey in Mann-
heim von Joh. Sigism. und Joh. Mich. Lorenz, Handschriftenver-
zeichnis der hiesigen Univers.-Bibliothek von Barack, S. 160, Nr. 120.)
Auch von Prof. Jer. Jak. 0 b er 1 i n überbrachte Patrick einen Brief
(v. 7. III. 1774): «Monsieur 1 Le porteur de la presente, Mr. Pa-
trick, cand. en theologie, partant pour Halle en Saxe, m'a teinoigne
avoir grand envie, comme de raison, de faire votre connaissance en
passant par Manheim. Je vous connais trop galant homme, pour
vous refuser ä ses souhaits.> (Ebenda, S. 161. Nr. 136.)
2 Fr. Casimir Medicus 1764—1809 Garnisonsphysikus etc. in
Mannheim, Kollege Lameys als Mitglied der dortigen Akademie der
Wissenschaften.
3 Joh. Heinr. Piton aus Straßburg, geb. 1716.
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— 152 -
das jedesmalige Gebet verrichten. Die Stimme der Prediger
verändert sich nicht viel ; auch ist die Bewegung der Hand
sehr einfach, welches hei mir Eckel erregete . . , Die Prediger
gehen hier in Mantel und Kragen (Nach der Predigt in der
ref. Kirche fand eine Taufe statt). Die Hebamme, eine sehr
alte Frau, vor welcher man sich in Straßburg segnen wurde,
trug das Kind (Beschreibung des Taufaktes)* Wie ich aus der
ref. Kirche weg vor der C at h o 1. Pfarrkirche vorhei ging,
so hörte ich predigen. Ich gieng hinein und hörte dem Hr.
Decano (seinen Namen weiß ich nicht) eine 4 tel Stunde zu.
(Mitteilung über die Predigt.) Kr hatte eine 4 eckigte schwarze
advocaten Kappe auf mit einem schwarzen Kragen um den
Hals — ein Straßburger pellerinel — über dem weisen Hemde.
(Besuch bei Pfarrer Pitton, der sehr credsprächig» war . . .)
Er sogte mir, die Gatholischen wären hier die ärmsten, die
Lutherischen mittelmäßig, die Reformirten die reichsten . . .
Von ihm weg — es war 6 Uhr Abends — gienge zum Hr.
Hofrath Lainey, woselbst ich den Hr. Baron Rudbeck
und seinen Hofmeister Hrn. Pivern stahl, heide Schweden,
antraf. Ich erzählte eine Begebenheit des Hr. Pivernstahl mit
dem Hr. Prof. Scherer' in S t r a ß b u r g, ohne zu wissen,
daß dieser Herr gegenwärtig wäre, bis er sich endlich zu er-
kennen gab. Es ist ein artiger Mann, aber etwas hochgetragen
und sehr geschickt in den Sprachen. Er arbeitet fleißig im
Arabischen auf der Bibliothec in Mannheim und gab mir seinen
Namen mit etwas Beigeschriebenem an den Hr. Prof. Thu-
manna in Halle. . . . Sonst redete man von dem Codex
Lauresamensis,3 dessen Geschichte Hr. Hofr. Lamey er-
zählele . . . von den Reisen, die Hr. Pivernstahl nun ins 7 te
Jahr thut . . . (Auf dem Heimweg) lief ich fast eine halbe Stunde
im finstern herum und kam endlich ein wenig vor 8 Uhr nach
Hauß. (Schreiben am «Journal» bis »f 4 12 U.)
Montag den 14. März. (Besuch der Bib 1 iot hek
1 Joh. Fr. Scherer (vgl. 24. V. im Jahrbuch 1906). Professor
Oberlin schreibt am 6. XII. 1773 und am 24. VI. 1774 an Lamey
von einem Schweden B j o rn stahl. Mitglied der Akademie von Upsala.
Das wird der Pivernstahl Patricks sein. (Vgl. Barack, Handschriften-
verzeichnis, S. 161, Nr. 136.)
2 Thumann war Schwede (vgl. 30. I. und 21. II. im Jahrbuch
1906).
3 Codex principis olim Laureshamensis Abbatiae diplomaticus
ex aevo maxime Carolingico (3 Bd. 1768—77) von Lnmey veröffent-
licht. Laurisham = Lorsch (Hessen). Prof. Joh. Michael Lorenz
schreibt am 4. X. 1771: «J'ai rec,u par la diligence le code diplo-
matique de Laurisheim. Mr. Koch vous en reraettra le prix». (Barack,
S. 160, Nr. 120.)
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und Beschreibung derselben : «ein Schall für die Gelehrsam-
keit und würdig der Stiftung eines Churfürsten»). Uiber dem
Mittagessen wurde mir Luthe rus in Kupfer nebst Vater und
Muter geschenket von einem catholischen Tischgesellschafter,
ein geb. Franzos, der aber gut teutsch sprach, Namens Chateau.
Einige Tage vorher sagte er, Lutherus wäre ein Spitzbube ge-
wesen en moral. Es war ein Mensch, der nicht viel zu reden
wußte, wann von etwas anderm als spielen, essen, trinken,
Mädchen gesprochen wurde, und dabei sehr eingenommen war
für seine Religion, aber freilich ohne Gründe . . . Beim Nacht-
essen träfe nebst drei neuen unbekannten Fremden Hr. Feri u s
von Straßburg an, einen Weinhändler. Ich kannte den
Mann auf einer liederlichen Seite und erstaunte fast, daß er
mit großer Ehrerbietung von der Hl. Schrift redete . . .
Dienstag, 15. Merz reisete im Namen meines Gottes
von Mannheim weg auf dem Kays. Poste in Gesellschaft
eines, wie es schiene, schlechten Frauenzimmers. Ich war nicht
ohne Lüsten bei ihr ; doch dank seie meinem gnädigen Gott,
der meine Seufzer erhörte, daß . . . ich die Lüsten unter-
drücken konte ... Zu Oppersheim, 1 eine Stunde von
Mannheim, ein Dorf, ist das Sommerschloß der Ghurfürstin von
der Pfalz (wie des Ghurfürsten zu Schwetzingen) . . . Zu
Worms verlohr ich meine gefahrliche Gesellschafterin . . .
diese Stadt empfindet noch die Folgen des Krieges an Kirchen
und andern Häusern und die Vorstädte sind gar nicht ange-
baut» . . . Das Kloster Maienmünster rechter Hand seie,
nach einem Sprichwort, 3 Heller ärmer als die Stadt . . .
Ich reisete ohne Gesellschaft weg ziemlich langweilig bis nach
Oppenheim, allwo ein Peruquenmachers Gesell von Straß-
burg, ein Sohn des cath. kleinen Buchhändlers La röche für
4 Batzen, dem postillon gegeben, auch hereinsaß. Ein junger
Mensch, der anfängt sich zu verderben. Er gieng von Mann-
heim nach Frankfurt, wo er in der Messe vieles zu ver-
dienen hotfete. Er sagte, man könne es in dieser Zeit bei
seiner profession bis auf 2 Louisd'or bringen. Oppenheim
ist eine große Stadt, auf einem Berge angelegt. Unterhalb
derselben fahrt man auf einer fliegenden Brücke über den
Rhein. Zu Worms habe ich die vornehmsten wie die gering-
sten Leute, selbst auf der Straße und Gassen, sehen tabac
rauchen 4 . . Abends gegen 7 Uhr kam ich . . . in M a y n z
1 Oggersheim linksrheinisch. 1742 Aufenthalt Schillers nach
der Flucht aus der Karlsschule.
2 Worms ist am 31. Mai 1689 von den Franzosen niedergebrannt
worden.
154 —
an und nahm meinen Aufenthalt im Elephanten, wo Hr. Die
haud von Straßburg auch war (vgl. 12. III) . . .
Mittw. den 16. Merz. Schriebe nach verrichtetem Ge-
bet dieses journal . . . (Besuch der Messe, «die, wie man mir
sagte, abnimmt» ; der Kirche zur lieben Frauen, des «Platzes,
wo die Schiffe liegen», des «Crans», des Kaufhauses, des Domes,
und Nachm. des «Creutzganges bei den Carthausern» mit den
«schönen Gemälden und steinernen Bildnissen». Beschreibung
derselben: «der Maler heißt Mölber».) Aus der Kirche (der
Karthäuser) stiege ich auf die Bi bl ioth ec (Beschreibung) . . .
Heurathen dürfen die Erzbischöfe nicht ; aber ich glaube nicht,
daß die vielen fast ganz nacketen steinernen Bilder im Garten
von der Keuschheit hineingesetzet worden sind . . . Das Schloß
und Garten und die Karthause liegen auser der Stadt an ein-
ander. Einer der Herren patrum Garth. that mir die Ehre an,
etwas weniges und freundlich mit mir zu reden beim Aus-
gange ... Es schien mir, daß diese Herren nicht so strenge
lebten, als an anderen Orten, indem aus verschiedenen Cellen
einen, zween, drei in Degen und ohne Degen habe sehen her-
ausgehen, welche auf einen Besuch da gewesen waren . . . .
(Der Domprobst von Eitz hat, «so viel ich mich erinnere», über
40 000 fl. Einkünfte, ist aber sehr wohltätig. — Bei einem
Buchbinder, «der rohe und gebundene Bücher, gleich einem
kleinen Buchhändler verkauft», waren auch protest. Bücher an-
zutreffen . . .)
Donnerstag 17. Merz (Besuch und Beschreibung der
«vor einem Jahr fertig gewordenen» Augustinerkirche.) Um
7 Uhr gienge, nach freundschaftlichem Abschied und Kuß von
Hr. Diebaud, nach dem Marktschiffe (bunte Gesell-
schaft). Es ist lang und ziemlich räumlich mit kleinen Fenstern
und hat eine dreifache Abtheilung. Ich blieb in der ersten
grösesten. In dieser stund ein mäßiger gegossener Ofen mit
einem Rohr, in welchem gefeuert wurde. Wir bekamen bald
eine Frau zu uns, welche mürbes Brod, Wein und Brantenwein
verkaufte. In der 2ten und 3ten (der) kleinen Abtheilungen
war ein französisch gekleidet 1 liederliches teutsches Frauen-
zimmer mit etlichen Herren, welche spielten und andere sünd-
liche Sachen und Scherze trieben. Auch waren dergleichen
liederliche Weibsleute in meiner Abtheilung mit liederlichen
Mannsleuten, unter welchen 5 auch eine Jüdin war, so liederlich
als die andern. Abends um halb 6 Uhr stiege ich ... aus
dem Marktschiffe ans Land in Frankfurt. Am Ufer standen
1 In Straßburg erhielt sich in der Bürgerschaft die deutsche
Frauentracht bis in die Tage der Schreckensherrschaft.
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— 155 -
einige unterofficiers mit Spiesen, deren einer mich höflichst
nach meinem Stande, Namen und logis fragte. Ich logirte mich
in die weise Schlange und unerreichte dem Hr. Hofrath Schmidt
einen Brief von Hr. Oberlin 1 aus Straß bürg. Dem Hr.
Pfarrer Glaus* wolle auch gleich das mitgebrachte über-
reichen, mein Hr. Wirlh, Hr. Stritter, aber sagte, es würde
mir zu spate werden ... ich besähe . . . den Roßmarkt
und den Spatziergang dabei, welcher dem S t r a ß b u r g e r
Broglio nicht unähnlich ist . . . den parade Platz,
welcher gerade schmale Zeilen von Stein hat, nach welchen die
Soldaten sich stellen müßen, den Markt mit dem Brunnen . . .
die Metzig, den Anfang der Judengasse etc. Nämlich die
Juden haben hier, wie auch in Mannheim, eine eigene
Gasse ... die Frankf. Juden tragen einen schwarzen Mantel
und kurzen weisen Kragen. Ich gieng fast für keinem vorbei,
der mich nicht beunruhigte* Die Gassen sind ziemlich breit,
besonders die sogenannte Zeile; die Wirthshauser zum rothen
Hause, zum römischen Kayser etc. stehen als Paläste. Ueber-
haupt sind die Häuser hoch, groß und schön, besonders die
neuen, welche ohne Uiberhänge meist von Stein mit einem
gröseren und kleineren Thurm darauf erbauet werden. Die
Dächer sind mit Schiefer belegt. Da ich wieder nach Hause
kam, setzte ich mich einige Zeit in die Gaststube und sähe die
von sich eingenommene, sehr cärimonielle Rom. Kays, freie
Reichsbürger trinken und spielen . . .
Freitag den 18. Merz . . . Um 11 Uhr gienge nach
Sachsenhausen über die kostbare, veste, lange, steinerne
Brücke nach der Wohnung des Hr. Pfarrers Claus, welchen
aber nicht anträfe . . . Nach Tisch gienge zu Hr. Dr.
Göthe und Hr. Dr. Dielz, traf aber niemand an. Die Frau
Vog e 1 i n, die Schwester des Hr. Krug, Silberarb. in Straß-
burg, habe in kränklichen Umständen und übel hörend an-
getroffen. Noch vorher stieg ich auf den dicken Thurm der
S. Barth olomai Kirch oder des T h u in s. Der Kunst
nach kommt er in gar keine Vergleichung mit dem Straß-
burger, und ich weiß nicht, ob er wirklich so hoch ist, als der
breite Platz (Plattform) des Slraßb. Die Aussicht war schön
und durch die mir gereichte perspective wurde sie noch schöner
. . . (Um 4 Uhr Besuch der Abend-Betstunde «in der Ca-
1 Jcr. Jakob Oberlin (1778 außerord. Professor der Philosophie)
K. V. Blatt 7. f 180« (vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 3. Teil,
1. Buch>.
i Pfr. Claus scheint der Hauptleiter der Frankf. Pietisten ge-
wesen zu sein. Frankfurt war durch Speners Wirksamkeit daselbst
die Gebartsstadt des deutschen Pietismus geworden.
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- 156 —
tharinen-Kirch» ; Pfarrer Reichard ; Schilderung des Gottes-
dienstes.) Aus der Kirche gieng ich . . . über den schönen
Wall, Würzmühl . . . (die der Stadt gehört und für 100 Louis-
d'or jahrlich verpachtet wird) . . . Mich vergnügte die Stiftung
der Fräulein von Cron statt, welche vor etwa 40 Jahren für
12 adeliche arme Fräulein geschehen ist. Sie wohnen bei-
sammen in dem Hause der Stiflerin und können heraus heu-
rat hen. (Um 6 Uhr trifft er Pfr. Claus an und über-
reicht ihm «das mitgebrachte von Hr. Dr. Lorenz in St ra ß-
burg»; geistliches Gespräch.) Um 7 Uhr führte er mich in
ein christliches Haus i.e. zu dem Hr. D e b u s, Gattunplätter,
so unter dem Namen Jacob bekannt ist. Er war nicht zu
Hause . . . von da führte er mich in eine Gesellschaft von
Kindern Gottes . . .
Samstag den 19. Merz . . . richtete hei Hr. Dr.
Goethe das compliment von Hr. M. L e y p o I d i von
Straßh urg aus, und in dem Hause des Hr. Dr. Dietz
hinterließ ich das comp!, von Hr. Prof. Stoeber* von Straß-
burg dem Bedienten, weil ich nach Offenbach zum Mittag-
essen gieng ... Ich sähe die Cerimonieen der Beicht in der
Barfüßer Kirche (Beschreibung). Das Bernahlen der
Häuser und die Ueberhänge derselben nimmt nach und nach
ab. Allemal das 2te Haus hat eine 4 eckigte etwas grose gläserne
L a t er n e an einem eisernen Arme befestigt, welches des Nachts
angezunden werden. 3 Sachsen hausen über der Brücke
ist ein mäsig groser Ort, aber einem Dorfe ähnlicher als einer
Stadt in Ansehung der Unsauberkeit der Gassen. Oberrode,*
ein Dorf eine halbe Stunde von Frankf. ist sauber und die
Straße dadurch gepflastert. Noch schöner aber ist 0 ffen bacb,
eine Stunde weit von Frcf. Die meisten Häuser sind von Stein
und haben steinerne Stallen. Hr. Bernhard von Straß-
burg baut, und der Bau wird groß werden. Er hat einen
1 «Jean Leypold, naquit ä Strasbourg 1730» (bereiste, von
Schöpflin begünstigt- Italien, die Schwei/, und Holland. 1760 ans
Gymn. Selbst dichterisch veranlagt, il explicait les poetes latins
avec une grande sagacitä. V. le progr. de 1792 par J. J. Oberlin»
(Strobel, hist. du gymn. prot.). — Mag. Johannes Leypold, «Schul-
lehrer bei allhiesigem Gymnasio» -{- 1792 (Straßburgische Zeitung,
Nr. 232 von 1792). Er war Mitglied der «Uebungsgesellschaft» des
Aktuars Salzmann, der bekanntlich auch Goethe angehörte (vgl.
Alsatia 1853, S. 29 und 1862— «7, S. 177).
2 Elias Stöber (vgl. 24. Mai im Jahrbuch 1906).
5 In Straßburg erst 1779: in jeder Straße zwei Laternen! (vgl.
Wolff, Chronik von Dossenheim. S. 119). Noch um 1840 eine alle
100 Meter (Teutsch, Straßb. Bilder, S. 47).
* Oberrad.
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— 157 —
schönen Garten und eine Tabacfabrieke. Hr. Beck, der oncle
der jungen Frau Baß Schatzini i n Straßburg, der mich
zum Mittagessen lud, wurde vor «neiner Ankunft nach Frank-
furt berufen; ich speißte aber in Gesellschaft der Frau Beckin,
welche ihrer Schwester, der Mutter erstgenannter Frau Sch.,
gar ähnlich sieht, und des Sohnes des jungen Hr. Becks von
etwa 30 Jahren : ein artiger, freundschaftlicher, leutseeliger
Mensch. (Spaziergang im Garten etc.) Zu Hause zeigte mir
Hr. Beck verschiedene hübsche gelriebene Arbeiten von Silber
in Form kleiner Täfelein, auch künstlich durchgebrochene silberne
verguldete Degengefäße nach pariser Art aus seiner Arbeit ;
auch silberne Schnallen, welche von 2 ihrer Gesellen auser dem
Hause gemacht werden. Der Schwertfeger Geselle im Hause
Namens Zittele ist von Straßburg aus den 3 Caminen
vor dem Metzger Thor, ein Mensch schon bei Jahren und welcher
schon allerlei gewesen und gar nicht ruhig ist ; scheint wegen
meiner des Morgens spatzieren gegangen zu sein, so daß ich
ihn nicht zu sehen bekam. (Auf dem Rückweg Besuch der
«Cattunfabricke» vor OfTenbach, die, wie Opfenbach selbst,
«Ysenburgisch ist»; nach der Rückkehr «in aller Eile in eine
Gesellschaft der Frommen». Wenn er sich «mit den lebendigen
Frankfurter Christen» vergleicht, ist bei ihm «alles todt und
kalt») . . .
So n tag, den 20. Merz . . . (Besuch zweier Predigten)
die Frankfurter singen schrecklich lange, öfters über 20 Verse
. . . die Mannsleute haben ihre Hüte auf, welche sie nicht oft
abziehen. Nach der Predigt wird gebetet, die Absolution ge-
sprochen nebst dem Bann, ohne vorhergehenden Spruch, wie
in Straß bürg . . . Die Kinder in BYankfurt sind durch-
gehends höflicher und besser erzogen als in Straß bürg.
(Beschreibung der Kirche in Sachsenhausen und einer
Kinderlehre des Pfarrers Claus.) Ich ging von da, es war
5 Uhr, in die Gesellschaft der Heiligen bei Hr. Capl (Beschreibung
dieses Konventikels) . . .
M o n ta g d e n 21. Merz. (Lesen von Erbauungsschriften ;
darunter eine in Frankfurt gedruckte Predigt von Lorenz« in
Straßburg: «die Herrlichkeit des großen Auferstehungstages»
1774. Dann mit Hr. Kraus «zum Gallen Thor hinaus und zum
neuen Thor herein».) Ich sähe die angenehmsten Gärten und
Lustgärten und Felder, welche gleich (den) Gärten in Straßburg
gebauet werden. Unter vielen Dingen erzählte er mir, daß
• Tante Schatziii. 7. V. des Jahrbuches 1906, wo — Druckfehler
— «Schetzer» steht.
* Loren/. Sigm. Vgl. 24. IV. u. a. des Jahrb. 190(>.
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— 158
keinem Juden erlaubt sei, in den Alleen zu gehen weder in
der Stadt, noch auserhall) ; noch auch tahac zu rauchen hei
den Alleen. (Besuch der Betstunde des Pfarrers Lauer in
der Peterskirche und Beschreibung der letzteren.) Die
meisten Weibsleute, die nur ein wenig etwas vorstehen wollen,
gehen französisch, ohne oft ein Wort franz. reden zu können.
Die Sitten in Frankfurt scheinen mir nicht so verdorben
zu sein, als zu Mannheim . . . (Besuch und Beschreibung
einer Andachtsversammlung «in Hr. Capls Hause», wo ein «Hr.
Actuarius Feuerbach 1 die Hauptrolle spielte, der ihm auch
auf dem Heimweg allerlei über die «Gesellschaften v> erzählte) . . .
Dienstag, 22. Merz . . . ein wenig vor 1 1 Uhr hatte
ich das Glück, Hr. Dr. Mose he,* Senior, zu sprechen. Er
ist ein riesenmäsiger starker Mann, gegen welchen ich wie ein
Kind mir selhsten vorkam. Er war gegen mich sehr höflich
und leutseelig und gesprächig und scherzhaft. Er fragte mich,
wie es um Straßburg stünde und was ich für collegia ge-
hört hätte etc. ... er rieth mir besonders exegetica an und
sagte, zu calecheticis wäre im Waysenhaus (zu Halle) gute Ge-
legenheit. Beim Fortgehen schenkte er mir sein Spec. Inaugur.
de Theologia populari. Ob er gleich von der Kraft des Blutes
Jesu an seinem Herzen noch keine Erfahrung zu haben scheint,
so ist er mir doch rein in der Lehre vorgekommen und dafür
wird er auch gehalten . . . (Besuch von Fe u erb ach, der
ihm seinen Sohn nach Jena mitgeben will, und bei Pfr.
Claus in Sachsenhausen; abends ij 2 7 Uhr «in die kleine
ausgesuchte Gesellschaft bei Hr. Hahn», wo er durch «das
Reden und Beten» dieser Frommen «beschämt» wird) . . .
Mittwoch den 23. Merz . . . (Besuch der «Raths-
bibliothec» ; bei Tisch im Gasthause neue Gäste, die «unehr-
erbietige Reden» führten.) Hr. Pfarrer Be cht hold (in der
Barfüßerkirche), den ich diesen Morgen gehört habe, kommt,
meiner Meinung nach, ziemlich überein mit Hr. diac. Sen.
Fritz' in Straßburg zum jungen S. Peter : Unordnungen,
Wiederholungen, zum Theil niedrige Ausdrücke .... Die
W i r t h s h ä us e r, welche keinen Schild haben, haben einen
wachsenden Tannenbaum, welches in M a y n z durchgängig, ja
gar zwei dergleichen, gesehen wird. Die Schüler aus den
1 Ein Bruder des berühmten Juristen Anselm Feuerbach ? Dieser
ließ sich 1770 in Frankfurt nieder. — Vgl. 2. u. 7. I. des Jahr-
buches 1900.
» Mosche, Benjam. 1723—01. Seit 1773 Senior des geistlichen
Ministeriums in Frankfurt.
8 M. Carol. Maxim. Fritz Arg., zuvor Pfarrer zu Eckboisheim,
f 1793 (K. V. Bl. 50 u. 104).
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G Klassen tragen blaue Mantel und singen bisweilen vor den
Häusern, ein- oder zweimal, wenn man es bezahlt. Sie stellen
sich alsdann in einem halben Circul, die grösern in die Mitte
und die kleinern an beiden Enden. Das Gesang ist musicalisch.
Leichpredigten sind in Frankf. fast gänzlich abgekommen . . .
(Um -4 Uhr Besuch der Betstunde des Pfr. Claus in Sachsen-
hausen, der ihn hernach «in seinem habiU nach Frankfurt zu
begleitete.) Auf dem halben Weg auf dem Wall begegnete
uns der ih den Mendelsohnischen Streitigkeiten 1 be-
rühmte Hr. Kol bei e, in sehr elender und schwächlicher Ge-
stalt ... Er redete gar artig mit Hr. Pfr. Claus vom Sterben.
Und es verdroß mich, daß ich erst nach dem Abschied hörte,
wer der Mann wäre . . .
Donnerstag den 24. Merz. Gegen halb 42 Uhr
mußte aus meinem besseren Zimmer nro 15 in ein schlechteres
eine Stiege höher nro 9. Und kaum war ich eingerichtet, so
hörte, daß Hr. Act. Feuerbach mich zum Mittageßen ab-
holen wolle. (Hahn «ein Handelsmann» — vgl. 22. 3. —
war auch geladen.) Die Frau Akt. ist eine sehr schwarze,
gar nicht angenehme Persohn von Gesicht. Ihre Reden und
Aufführung aber gefielen mir. Der junge Hr. Feuerbach, der
mit mir reisen soll, ist leider ein elender Mensch an Seel
und Leib. Gott erbarme sich seiner, daß er nicht zeitlich und
ewig unglücklich werde . . . Uiber dem Nachtessen (im Gast-
hause) wurde von der Verschwendung, man nennte sie aber
generosite, närrischen und unsinnigen Aufführung des bekann-
ten Hauptmanns 0 e r i von Z ü r c h geredet. Sein Vater hinter-
ließ ihm einen sehr großen Reichthum, aber keine Auferziehung.
Er hat etwa eine halbe Million Gulden durchgebracht., und jetzo
ist er blind und lebt auf dem Lande bei Z ü r c h von seinen
noch übrigen 60 tausend Gulden . . .
Freitag den 25. Merz ... Die Gossen werden nur
zweimal gekehret mit Besen ohne Stiel Mittwoch und Samstag.
Die große Glocke in der Barth. Kirche hat den Ton fast der
Schlagglocke des Münsters zu Straßburg . . . Der Burger
muß nach der Giöße seines Hauses 2—10 fl. geben und auf
diese Art die Laternen (vgl. 19. III.) erhalten; der inspector
über diese Lampen, wie man sie nennet, hat jährlich 300 fl.
1 Lavater hatte 1761) Mendelsohn seine Uebersetzung von Bonnets
«Palingenesie philosophiquc» gewidmet mit der Aufforderung, die
Beweise Bonncts für die Wahrheit des Christentums öffentlich zu
widerlegen oder sich zum Christentum zu bekehren. — Job. Balth.
Kölbele, Dr. jur., bemühte sich, die Juden zu Christen zu machen,
f 1778. Seine Schriften in Meusels Lex. VII, 180.
— 160 —
und jeder Lampenfüller 2*1* fl. wöchentlich . . (Besuch in
Berum* und einer Predigt des Pfarreis Dörr) . . . (Um
2 Uhr «in dem Saal wo die examina discipulorum classi-
corum (7) gehalten werden publice». Die 3. Klasse war an der
Reihe; Beschreibung der Prüfung) . . . (Beschreibung der
Kirche in Berum, deren sich «keine Sladt schämen
dürfte») . . .
Samstag 26. Merz . . . läse das Maynzische
a beBuch und die Erläuterung darüber, beide in 8, Maynz
1772, so ich in Maynz gekauft . . . (Besuch und Beschreibung
der Rath sbibl iothek) . . . (Mittag bei Feuerbachs; dann
Spaziergang mit ihm.) Beim Hereingehen am Thor hatte ich
das sonderbare Vergnügen, zween alte Christen anzutreffen als
Zöllner oder An weiser, Namens Hr. Nicolai, ein besonders
redlicher Mann bei 80 Jahren, welcher seinen collegen Hr. D i e h I,
auch zu Christo geführet bat . . . (Besuch der «Gesell-
schaft bei Pfr. Claus.) Mein Gott, was haben die Christen
in Frankfurt für grose Gnade l (Ein Bierbrauer Hart mann
und ein Spengler Wilhelm sind besonders hervorragende
Beter) ...
Sonntag den 27. Merz . . . (Von 6-9 Uhr
Schreiben des Tagebuchs) . . . (Besuch der Kalh. Kirche, wo
Stark predigte, «ein schöner Mann».) . . . (Mittag bei Claus;
mehrere Gäste, die alle L a v a t e r «verwarfen wegen einem
noch nicht alten einzlen Hochzeitsgedicht, welches ganz läp-
pisch und abgeschmackt sein soll».) . . . (Um 5 Uhr Besuch
einer Gesellschaft «bei Hr. W.» = Wilhelm 7 vgl.
20. III. — wo «auf gegebene Veranlassung diejenigen anfingen,
ihre gehabten Empfindungen und Gedanken und Seufzer zu
sagen, die vormittag das H. Abendmahl genossen hatten») . . .
Montag den 28. Merz. . . (Umzug aus der weißen
Schlange in den schwarzen Bock nach Sachsenhausen in der
Nähe des Feuei bachischen Hauses) . . . (Nach 6 Uhr bei Hr.
D e b u s in der «Gesellschaft der Frommen», der
«dabei so recht kindlich ist und alle Augenblick die Worte
braucht: Seht, Kinner!») . . .
Dienstag den 29. Merz . . . (allerlei Gelesenes).
Mittwoch den 30. M e r z . . . (Strilter, der W r irt
aus der weißen Schlange, besucht ihn) . . . (Mittagessen bei Hr.
H. = Hartmann ? vgl. 26. III.) Der Frau H. Schönheit, reilzende
Gestalt und Größe erregten meine Lüsten. Ach, mein Jesu,
welch Verderben wohnet nicht in meiner Brust ! . . . (Be-
schreibung des Leichenbegängnisses einer «Christin», der Frau
' Bornheini, jetzt in Frankfurt eingemeindet.
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Kalz) . . . Die Soldaten haben (liier) verschiedene be-
sondere Sachen mit trommeln, marchiren etc. Die officiers
haben nebst den unlei officiers noch Spiese und Schnüre auf
einer Schulter herabhängend und ziehen mitten im marchiren,
in einer Hand den Spieß haltend, mit der andern den Hut ab,
wenn sie theils selbst grüßen, theils gegrüßet werden. Der
T Ii u r ra e r auf der Gath. Kirche blaset eine Posaune, seine
Magd und eine andere Weibspersohn eine jede eine Clarinette
des Mittags und abends nach 8 Uhr ; auch wenn er Hochzeiten
erfährt oder eine Leiche vorübergeht . . . (Mittags bei Claus ;
er kommt aber zu spät, weil er «die VV a c h e, die am G e -
j e i t s t a g nach Sachsenhausen an das Thor gestellet wird,
eist abziehen sähe») . . . Nach 2 Uhr gienge nach Ober-
r o d, 1 um das Nürnberger Geleit ankommen zu
sehen, und dies dauerte bis nach halb 6 Uhr. Der Depulirte
von Nürnberg zu Pferd dorfte nur bis an den am Ende des
Dorfes befindlichen Schlagbaum reuten, innerhalb welches der
Rathsherr Bauer von Frankfurt in einem violetten, über und
über mit Gold besetzten Kleide und Federhut auf einem schönen
und schön geschmückten Pferde saß. Der Nürnb. Dep. that
eine Anrede, davon ich fast gar nichts verstanden, in aller Unter-
thänigkeil. Hr. Rathsherr B. antwortete mit Majestätischen
Gebärden und Stimme — er sähe in allem meinem Hr. oncle
Rathherren D ü r n i n g e r 2 in S t r a ß b u r g sehr ähnlich
— wovon ich hin und wieder ein Wort verstanden. Den Schluß
machte er mit diesen Worten : «Es ist mir angenehm, bei dieser
Gelegenheit mit Ihro Hoheit bekannt zu werden.» W'orauf auf
beiden Seilen in große Kelche Wein geschenket und Gesund-
heiten getrunken wurden Ich glaube, daß jeder über eine
halbe Maß geleeret hat. Es mußte aber der Nürnb. Dep. mit
seinen 5 bis 6 Begleitern wieder umkehren. Und da kam die
Nürnb. Kutsche, eine Art von LandkulSchen mit 8 Pferden,
davon die 4 hinleren weis waren, mit zwei vorausreutenden Ge-
leitsreutern. Die Soldaten stunden überall in Linien und prae-
sentirten das Gewehr, wogegen die Geleitsreuter und die in der
Kutsche jedesmal ihre Hüte ahnahmen nebst den Fuhrleuten . . .
Donnerstag, 31. Merz vollendete die Briefe an
Hr. 0 e r t e l,s Hr. B i r r oncle, und Mag. K e d s I o b *
» Oberrad.
2 Patricks Mutter war eine geb. Dürninger. — Ein Jakob Dür-
ninger war der letzte Schöffe in der Zunft der Tucher (vgl. Patriot.
Wochenblatt, Frühpost 13. VIII. 1789).
3 Mag. Oertel (?) 1771 Abendprediger an St. Wilhelm und in
Lingolsheim (K. V. Xr. .'14].
* Redslob. der jüngere; vgl. 21. I. im Jahrb. li»ÜG.
11
— 162
nach Straßburg und trug sie nach halb 8 Uhr auf die poste . . .
(Lesen von «vita Franc. J u n i i 1 mit Vergnügen und Nutzen»).
Nach dem Mittagessen war ein wenig bei meiner Wirthin, Frau
Zippin, welche, nachdem sie mich nach meinem Namen
fragte, mir mehr von meines Vaters Verwandtschaft sagte, als
ich selbst wußte . . .
Freitagl. Aprilis... Nach dem Mittagessen hatte
mit dem packen zu thun. Und Hr. G o u 1 I e t, condiscipulus,
den in 6—7 Jahren nicht gesehen, empfahl mir eine junge
Tochter von etwa zehn Jahren, welche Morgen in der nemlichen
Kutsche mit mir fahren solle. Des Vormittags habe Hr. Geng,
Bordenhändler, gesprochen in der Kirche und Hr. Lic. Spiel-
mann auf der Gasse, beide von S t r a ß b u r g. (Abschied
von C 1 a u s u. a.) . . .
Samstag 2. Apr. trank noch caflee bei Hr. Akt.
Feuerbach . . . und fuhr in Gottes Namen ab 1) mit
dem jungen Hr. Feuerbach 2) Jgfr. La Lance v. Montbeliard
3) einem apotheker Gesellen in der Gegend von Alsfeld 4) einer
jungen Catholischen Weibsperson. Wir schliefen den ersten
Tag zu Hungen,* wo wir das Nachtessen theUer zahlen
mußten . . .
Sonntag 3. Apr. aßen wir zu Mittag zu Emme-
r o d e8 billig, und noch billiger zu Nacht zu E i f . *
(M o n t a g) 4. Apr. gut zu Asbach 5 zu Mittag und
schlecht zu S t e n (?) Ä zu Nacht.
(Dienstag) 5. A p r. speißten wir gut und billig zu
Mittag zu Eisenach und zu Nacht zu Gotha gut. leb
habe diese Tage über manche Sünden begangen mit Gedanken,
Geberden und Worten, die mir Gott um Jesu Christi willen
verzeihen wolle und (etc.). Am 3. Apr. gegen Abend hat uns
der eingezogene feine, aber nur natürliche? Apoth. Gesell ver-
lassen. Sein Name ist J e r i c h o. An dessen Platz saß zu
uns in die Kutsche die Calholische Weibspersohn von Mos-
bach in dem Odenwald in der Pfalz bei M a n n h e i m, die
bisher auf dem Bock war . . . Heule 5. Apr., sobald wir zu
Gotha gegen den dunklen Abend angekommen waren, so
' Franciscus Junius (du Jon) franz. ref. Theolog 1545—1602.
Seine Werke. 1607 und 1613 in Genf herausgegeben, beginnen mit
der eigenen Lebensbeschreibung.
2 Hungen, Kreis Gießen.
• Elpenrod, Kreis Alsfeld.
4 Eifa desgl.
* Asbach, Kreis Hersfeld.
r » Wohl See (Großensee) vor Eisenach.
7 Natürlich = unberührt vom Geiste Gottes (der c naturliche
Mensch»..
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fiberreichte dem Hr. Hofr. Schläger 1 das mitgebrachte von
Hr. Prof. Stoeberin Straßburg, welcher ihm schon in
einem Briefe meine Ankunft gemeldet hatte. Es ist ein alter
Mann, allein er war doch freundschaftlich und sehr redsprachig.
Er fragte mich von Hr. Prof. S t oe b e r, Hr. Mag. Ober-
1 i n etc. in Straßburg. Er erzählete mir, daß man in 4 Wochen
gut hebräisch lernen könnte, daß er selbst en als Prof. linguarum
in Heimstatt das collegium hebraicum nicht länger als
6 Wochen zu lesen nöthig gehabt habe; daß die hebr. und die
griech. Buchstaben einander völlig ähnlich wären ; daß man in
collegiis nichts nachschreiben und nichts dictiren solle ; daß die
Bibliothec aus 50000 Büchern und 100 000 Stöcken *
bestehe . . . daß die Naturalienkammer noch erst
die vorige Woche durch den Herzog mit etlichen Stücken für
eine große Summe wäre vermehret worden ; daß er unpaß wäre
und der Bibliothecarius auch; daß ich also nicht viel würde
sehen können, wenn ich auch gleich länger bleiben könnte.
Jch gieng also heute,
(Mittwoch) 6. Apr. von Gotha weg, der schönen
Stadt mit höflichen Inwohnern. Das Schloß habe ich dem
Mannheimer gleich gefunden; es liegt auf einer Höhe und zeigt
sich schön. Der größte Thurm ist auf dem Rathhaus...
(Schläger hat auch angeboten, über ihn nach Straßburg
zu schreiben ; er schreibe wöchentlich dorthin an den Buch-
händler Bauer.) (Auf der Fahrt nach Gotha hat ihm «über
Hirschfeld» gegen Abend «der Silingswald» 3
Furcht und Angst und Seufzer erreget».) . . ..(Nachtrag
von Eisenach etc. : Gegen Mittag (am 5.) besuchte ich
die Wartburg nahe bei mit sehr vielem Schweiß. Man
wieß mir alte canonen, Flinten, Panzer, Turnierspiese etc., die
Schloßkirche etc. Das Zimmer aber, wo Luther gesessen
ist, konnte ich, da ich doch darum hinaufgestiegen war, nicht
zu sehen bekommen, weil ein Gefangener drinnen säße. Zu
H i r s c h f e I d waren — 4. Apr. — die Thore verschlossen
und der Schlagbaum zugemacht, weil eben Gottesdienst gehalten
wurde.) — Weimar ist eine schöne Stadt und reinlich ge-
halten und Laternen vor den Häusern . . . Noch etwas zur
Wartburg: man verehrete mir alda die Beschreibung der
Wartburg auf zween Bugen in 4 mit rothem Papier überzogen.
1 Jul. Karl Schläger, Namismatiker 1706-86.
2 Stücke = Münzen etc.
3 Das können nur die Hörseiberge sein (Venusberg, Tannhäuser,
wilde Jagd). Patricks «Seufzen» war so stark, daß er von einem
Orte Hirschfeld schreibt, den es hier gar nicht gibt. Er meint wohl
Schönau a. H. oder Kälberfeld.
— 164 -
Den (). Apr. gegen Mittag kam ich zu Erfurt an. Die Stadt
ist groß und artig mit einigen besonders schönen Häusern z. E.
die Statlhallerey ; das Kaufhaus, genannt die Wage etc. Auch
sind schöne Garten in der Gegend herum. Da ich das Bene-
diktiner Cluster auf dem P e t e r s )> e r g e vor der Stadt be-
sehen wolle, so machte mir der Korporal der Wache allerlei
Schwierigkeiten, welche ich mit Gelde nicht heben wolte und
also wieder unverrichleler Sache zurückgieng . . . Von hier
mußte ich den Weg über Jena nehmen wegen dem Herrn
F e u e r b a c h, der sich auf einmal entschlossen hatte,
mit dieser Kutsche, in welcher wir von Frank f. bis hierher
gewesen waren, nach Jena zu fahren. Wir blieben über Nacht
zu Kö tschau, einem Dorfe ohngefehr zwo Stunden von Jena.
Ks hatte unser Wirthshaus den Schild zum güldenen Creulze,
und der Name des Wirthes ist (Iramer. Bisher habe ich noch
kein Helle so gut gebäht und keine so höfliche Leute ange-
troffen, als diese. Auch waren sie ganz billig in Ansehung der
Rechnung. Heute
Donnerstag d e n 7. A p r. kamen wir um 7 Uhr
nreh Jena. Man sagte mir: es wäre zu früh, einen Besuch
bei Professoribus zu machen. Ich sähe die Burschen in
ihren zusammengedrückten kleinen Hüten, "langen Röcken und
Stiefeln und pommadirten über die halben Wangen herab-
hängenden einfachen Locken ohne Stock und Degen, allein ein
oder auch zwei Bücher unter dem Arme, auf dem Markte be-
sonders hemmspatzieren. Dieser Markt ist viereckigt, mit
schönen Häusern umgeben und reinlich. (Abschied von dein
jungen Feuerbach und Ermahnung an ihn. Beschreibung der
Michaeliskirche und einer Betstunde darin.) In Naumburg
.sind nur mäßige Hänser. Hier taugen die Pelzkappen an bei
Manns- und Weibsleuten, und die verbundenen Köpfe und
Mäntel der Weihsleute dauern hier noch immer fort. In der
Dämmerung hin ich zu W e i s e n f e I s i angelangt ....
(Die T inte der folgenden 7 > u Seiten ist größtenteils
v ö 1 1 i g v e r b I a ß t. Was noch lesbar, wird unverkürzt
wiedergegeben.)
Freitag 8. A p r. um den Mittag bin ich in L e i p z i g
angelangt. Ich sprach nach dem Essen oder vielmehr gegen
Abend erst Hr. Dr. E r nest i.* und gab ihm . . . großen
Pack in seine Hände von Hr. Dr. M. (Senior M o s c h e vgl.
4 22. III.) in Frkf. Er rühmete mir das eigne Nachdenken in
1 WeilWnffb. .12 Kil. von Hallo.
2 Eruesti vgl. 21. XII. u. a. 0. im Jahrbuch von HH)G.
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— 165 —
allen Stücken und erzählete unter anderm, wie er durch Schen-
kung allerlei geometrischer Figuren von Holz einem Knaben die
Geometrie beigebracht. Bei Erzählung eines Einfalles eines
6jährigen Knaben : «Du Dummer, ha, wie hast du denn glauben
können, daß Aepfel klug machen ! Ja, wenn Aepfel klug mach-
ten, so wollte ich deren genug essen !», erwähnete er seine Er-
klärung dieser Stelle (1. Mos. 3, 5 — 6), die ich aber nebst den
meisten übrigen wieder vergessen, weil ich dieses erst heute
Montag den 11. A p r. aufgeschrieben habe, lieber das
Catechesiren, worüber ich kein collegium halten (hören) solte.
Kerner: die Verteidigung der christl. Religion gehöre nicht
auf die Canzel ; der gemeine Mann zweille nicht daran und
werde dadurch nur irre gemacht, und für andere wären die
Bücher besser. Item der «Bibel freund.) des Hr. Dr. M (Masche)
wäre in die holländische Sprache übersetzt worden, und dieses
U ibersetzen geschehe heutiges Tages öfters, weil in Holland
alle Iheologi nichts anderes dächten, als an die Verlheidigung
der christlichen Religion. — Das was ich an den Hr. Baron
von H o h e n t h a I von Hr. D. L. (L o r e n z) in S tr a ß-
b u r g mitgebracht, habe irn Intelligenz comtoir abgegeben, da
Hr. von H. nicht in Leipzig war.
(S a m s t a g) 0. A p r. Morgens hatte allerlei zu laufen
und zu schreiben wegen einem coflYe Zettul, welchen ich schrieb
und welcher auf der Wage unterschrieben wurde. Sehr an-
genehm war mir der Besuch des M a g. B I e s s i g
aus Straß bürg, der in der Nacht vorher von einer
kleinen Reise nach Jena, E i s e n a c h etc. wieder zurück-
gekommen war. Wenn nicht schon alles zum abfahren be-
stellet und gerüstet gehabt hätte, so wäre ich noch länger in
Leipzig geblieben. Doch versprach ich (ihm?), in einigen Tagen
wieder bei ihm zu sein. Denselbigen Morgen über dem Morgen-
tfebet und schon den voi herigen Abend war ich so sehr an-
gegriffen über dem Abschiede (von demoiselle?) La Lance
(vgl. 2. IV.), daß ich mich der Thränen (nicht) enthalten konnte,
welche wirklich (= jetzt) wieder über meine Wangen rollen.
Die Ursache ist, weil dieselbe eine junge, artige, unschuldige,
edle, Vater- und Mutterlose Waise war. Ich überdachte die
Gefahr und Verdruß, denen sie auf der Reise bis Dresden
noch könnte ausgesetzt sein, und an das viele unschuldige Ver-
gnügen, so ich in ihrer Gesellschaft (gehabt ?) und an den
geistlichen und leiblichen Rath, den ich ihr sonst schon, aber
besonders den Tag vorher nach dem Abschiede des Hr. Feuer-
bach gegeben hatte, da ich ganz alleine (mit) zweien Frauen-
zimmern in der Kutsche war. Der Herr Jesus sei gelobet, daß
er (mich) vor Sünden behütet hat ! Die andere Weibspersohn
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— 166
von Mosbach in Churpfalz (vgl. 2. u. 5. IV.) hatte nach
ihrem Vorgeben das (in ihre) Rockfalten eingenähete Geld ver-
loren und war (? . . .) niedergeschlagen dem Ansehen nach.
Ich (schenkte ihr . . .?) sechs Livres Thaler und ließ sie mit
mir zu Mittag essen, was (sie mit . . .?) Thränen und Be-
wegung annahm. Sie ist catholisch. Ich sagte ihr, wenn sie
(in Schlesien? nach Jauer?) käme zu ihrem oncle und Tante
und die Umstände so gut anträfe, wie sie mir vorher in der
Kutsche gesagt halte, so sollte sie mir es wieder schicken nach
L. (Leipzig) an Hr. Yor k, 1 den Kutscher und Gastgeber zu
den drei Rosen neben dem hotel de Baviere. Ich hofte aber
nichts etc. Sie versprach, es wieder zu schicken. Gegen
den Mittag fuhr ich auf dem Halleschen Wagen ab nach Halle
mit einer einzigen (schönen ?) Weibspersohn aus Halle, mit
welcher eben deswegen nicht viel sprechen durfte. Und (er-
fuhr ich?) den Beistand Gottes abermahlen. Das Eingeweide
hätte einem auf diesem Wege vielemahle auf den langen ge-
pflasterten Straßen abreisen mögen bei dem schrecklichen Er-
schüttern des Wagens. Gegen 8 Uhr kamen wir an das Thor
in Halle: aufgemacht wurde ohne Entgeld. Auf Bitte wurde
(mein großer?) Pack nach vorheriger nicht ganz scharfer Durch-
suchung mir erlaubet mit nach Hause zu nehmen, den coffre
und Mantelsack mußte auf der Wage lassen und konnte bei
(. . . uniern?) Garde nicht einmal meine Pantoffel erlangen,
die doch nicht in dem (verschloßenen ? Mmtelsack?) waren.
Ein soldat trug mir den Pack in den güldenen Löwen, welcher
sich nachher meldete und zween Groschen erhielt. Den gestrigen
Sonntag, 10. A p r. habe ich in (Zerstreuung?) und
eilein Reden zugebracht und mit dem holen und auspacken
des coffres (und wieder einpackens?) bis auf die mir zum
wenigsten (erbauliche?) Predigt des M. Walters in der
Nacb(rnittags)kirche und zwei zu Haus gesungene und etliche
gelesene Gesänge aus dein Straßb. und (Woltersdorfischen?*)
Ges. Büchern. Die Predigt, die Hr. Mag. W. hielte in der
Lieben Frauenkirche (. . . Marktkirche?) [welche groß ist mit
Greutzbogen und (hoch ?) nebst einer schönen großen Orgel :
auf dem Altar sähe es durch das kleine crucifix (zwei große?)
Leuchter und einer Art von ßlu(menkranz ?) ganz catholisch
aus. Nicht (gerecht?) in der Milte der Kirche (ragt?) ein
größeres crucifix, daran die Haare ganz natürlich (scheinen?)
1 Bei York wohnte er im Winter 1774/75 (vgl. 10. I. u. a. im
Jahrbach 19<M).
* Ernst Gottl. Woltersdorff, geb. 1725, f 17G1 als Prediger in
Bunzlau. dichtete «himmella^ige» geistliche Lieder. Eines von der
Kirche hat 2G3 Strophen! Vgl. Ritsehl, Gesch. des Piet. II, 483 ff.
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herabzuhängen.] handelte von der Uiberwindung der Welt,
welches er so auslegete, als hätte er etwas davon erfahren.
Ich hörete heute, daß er ein collegium läse über die hebräischen
Psalme. Des Vormittags — 10. Apr. — war bei Hr. Dr.
Freiling hausen' und übergab ihm das in einem Brief
(. . . in Leipzig . . . versiegelte) mitgebrachte Geld für die
Mission in Ostindien. Er sagte, ich würde mich wohl auch
(in . . .?) hier in Halle üben wollen. Worauf ich Antwort
gab: «Wann ich es (nur schon?) hätte 1» Hierauf übergab dem
Hr. Dr. Noessell» die Disput, von Hr. Dr. M. (Mosche) in
Frankfurt. Es ist dieses ein sehr (. . .?) junger Mann und
wirklicher (= derzeitiger) prorector. Ich brachte ihm auch
ein compliment von Hr. G n i I i u s 3 in Slraßburg und
M. ßl. (B 1 e s s i g) in Leipzig. Uiber dem Mittagessen ließ
Hr. (Inspektor?) W i t l e* das abholen, was für ihn mit-
gebracht, (da?) er durch Hr. Prof. Fr. (Freilinghausen) davon
Nachricht bekommen. Es war ein paquet von Hr. Dr. M.
(Mosche) in Frkf. und ein Brief von eben (dem) Hr. M. Gn.
(Gnilius) aus Straßburg. Item über (dem prandio?) be-
suchte mich Hr. M a y e r aus schwäbisch Halle,
der schon vor einem halben Jahr hier in Halle die Theologie
(angefangen?) hat. Ich war zweimal vorher dort in seinem
logis wegen einem Brief, so von (einem ?) Handlungsbedienste-
ten Horlacher bei Hr. cousin B i r r in Straßburg
mitgebracht, ohne (ihn) anzutreffen. Er bot mir seine Dienste
an und lud '(mich) auf diesen Morgen zum (caffee?), welches
auch heute angenommen (und eine) Pfeife tabac dazu geraucht
habe (um 9 Uhr ?), nachdem ich gerade vorher (aus dem gül-
denen) Löwen in Herrn (Bimblings?), eines Kaufmanns Hause
in der (Märten?) Slraße, mich mit meinen Habseligkeiten (be-
geben hatte im dritten (Stocke?) auf die Gaße heraus. Nach
dem caffee giengen wir (auf den ?) Saal im Waysenhause,
in welchem (das . . .?) halbjährigen examen bei vielen Zu-
schauern gehalten wurde. Wann ich das Waysenhaus, welches
einer (großen . . .?) Sladt ähnlich siehet, näher (kennen werde?)
so will ich es auch beschreiben. (Wir giengen um? halb
12 Uhr?) weg und nach Hause, (von wo mich?) Hr. M. (und
. . . ? vorn Waysenhause) zum traiteur führten, (um dort?)
zu speisen, welches ich für (. . . ?) bezahlete. Das Essen ist
gut und (genügt?), sich satt zu essen nebst einem großen
1 Freylinghausen, Gottl. Anast., 1710—85 ord. Prof. der Theol.
und Direktor der Waisenhausanstalten (vgl. 30. I. im Jahrb. 190*5).
2 Noesselt (vgl. 30. I. im Jahrb. 190G;.
3 Gnilius (vgl. 21. I. ebenda).
4 Witte (vgl. 15. XII. ebenda).
— 168 —
(Kruge Hier?). Nach dem Essen bestellten (vgl. 12. IV.) wir die
Hallische Kutsche (. . .?) oder für 12 Ggr. nebst (Mantel-
säcken?). Zu Hause packte ich ein wenig aus, nachdem ich
schon vor 12 Uhr der Wäscherin, die grade im Hause war, die
schwarze Wasch gegeben halte. Nachgehends gienge um 2 Uhr
zu Hr. Dr. Seniler, 1 welcher mich sehr freundschaftlich
aufnahm, da ich ihm ein compliment von Hr. M. Hl. (Klessig)
in Leipzig brachte. Ich hielte mich lange bei ihm auf und
widersprach?) ihm ziemlich herzhaft, ohne daß er (zürnte?),
da er vom canone zu reden anfing. Er redete ganz artig von
dem (Gewissen ?), von Gott, von Christo, von der Wahrheit
und der Freiheit der Meinungen, von den Bewegungen, die
das Wort Gottes machet, wenn es recht vorgetragen wird, von
seiner guten Sache und Redlichkeit etc., so daß, wann seine
Sätze nicht ganz offenbar alles, (was göttlich ist?), umschmissen,
und ich nicht so sehr gar (dawider??) eingenommen gewesen
(wäre?), und mir Gott nicht beigestanden wäre, ich (leichllich ?)
seine Meinungen angenommen hätte. Aber Gott und der Vater
unsers Herrn Jesu Christi bewahre mich durch seinen H. Geist
für diesem gefährlichen Manne, der sich so fein in einen Engel
des Lichtes verstellen kan ! Er ist übrigens (ein langer?), nicht
dicker Mann und ist mir gleich beim ersten Anblick als ein
(sehr sonderbarer?) Mann fürgekommen . Ich yieine, daß es
ihm was gekostet, so Meister über seine affecte zu werden,
dem Aeusern nach zum wenigsten; (denn?) ohne aflecten ist
er doch sonst nicht. Heim Abschiede entschuldigte ich mich
meines (Widerspruchs?) halber, wogegen er ganz freundlich
sagte, das nehme er nicht übel, im Gegentheil, so solle es sein,
und mich auf weiteren Besuch einlud, worüber ich mich aber
(noch bedenken werde?) und vielleicht (so lange bedenken) werde,
als ich in Halle bin. Du (. . . Gemeine?), o Gott, und errette
sie vor (solchen Menschen?), wie dieser ist! Amen. (Von da
weg?) gienge zu Hr. Prof. Schulze« und brachte ihm (ein
compliment) von Hr. Prof. Sloeber in Straßb. und Hr.
M. (Mosche) in Frkf. Er war höflich gegen mich und bot mir
(seine Dienste ?) an. Auch fragte er mich, ob ich (nicht) do-
cendo mich üben wolle. Ich sagte, ich wolle eine Weile zu-
sehen und zuerst die (doeejiten ?) besser kennen lernen. Unter
(anderm?) sagte er ebenfalls, da ich von dem (Theodoret), dessen
5. Theil unter völliger Arbeit ist, zu reden anfieng, daß Hr.
» Semler (vgl. 2. I. u. a. ebenda im Jahrb. 1900).
2 J. L. Schulze gab mit Noesselt die Werke Theodorets (Exeget
und Fortsetzer des Kirchenhist. Eusebius) neu heraus. Halle 17(59— Y4.
Sechs Bände.
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— 169 —
Mag. Lobstein, 1 der (hier?) in Halle laudaUir ab (hisV),
culpatur ab illis (. . . ihm?) von Paris aus einen codicem
(. . . von) einem Franzosen (conferirt ?) zugeschickt habe, wel-
chen ein Teutscher (besser würde conferirt?) haben ; der codex
seie (sonsten ?) gut. Hr. Pastor Schulze habe (nicht an-
getroffen ?), so von Hr. Mag. G n i I i u s (in Slraßburg mir
empfohlen war??). Ich sagte der Magd, ich (würde mich wieder-
sehen lassen?? . . . ??) Schriebe zu Hause (um 4?) Uhr
heute
Montag 11. Apr. dieses journal bis nach 6 Uhr abends,
da (der junge Hr. Birgling?) von der dritten Klasse von (. . . ?
auf dem?) Paedagogio mich besuchte, (ich meine, im Namen
seiner Eltern?), ein feiner junger Mensch. Ich habe es schon
oben angemerkt, daß die K i n d e r z u c h t in Teutschland besser
ist als in Straßburg. Nach halb 7 Uhr kam Hr. M., (mit
welchem ich in den ?) Speisesaal des Waysenhauses gieng,
an seinem Arme geführt. Hier speißten nach meiner Rechnung
4 bis 5 hundert Studiosi und Schüler. Es wurde von einein
Schüler auf (einem ?) Catheder gebetet das ordentliche Tisch-
gebet (und Vater Unser?) und hernach was erbauliches gelesen
von dem innern rechtschaffenen Wesen, wovon aber gar vieles
nicht verstanden wegen dem (Getöse?), ohngeachtet alles sehr
stille sein solte und auch dem ohngeachtet war ; denn laut
durfte keiner reden. Ein Inspector gieng auf und ab und be-
obachtete alle. Ein Jurist wurde (wieder?) hinausgeführt,
welcher sich eingeschlichen hatte. Dieses erregte einen großen
Aufstand und spöttisches Gelächter. Ein jeder mußte Löffel
und Messer mitbringen zu der Biersuppe, welche (mir so gar
nicht?) schmeckte, daß ich kaum zween kleine (Löffel voll?)
hinunterbrachte; und Brod, davon (ein jeder?) schneiden
konnte, wie viel er wolte ; (und eine mäßige?) portion
Butter, wobei Salz auf dem Tische stunde. Nach dem Essen
wurde (wieder gebetet?) von dem Schüler und gesungen, (her-
nach von einem?) Studioso gebetet ex tempore (und abermahlen?)
gesungen. Jedesmal vor und nach dem Essen wird ein Zeichen
mit einer Schelle gegeben zum Gebet. Ich betrübte (mich
über?) diese Studiosos, davon kaum einer um mich herum die
Hände fältele und das Gebet nachsprach. Die übrigen
schwatzten, (schnitten Brod, strichen Butter?) langten Bier
herum etc. Auf das (Lesen?) wurde auch nicht geachtet. (Ach
Gott, denke an deine Gemeine?), die mit Jesu Blut erlöset ist,
(welcher?) solche Leute alle sollen als Lehrer vorstehen (wenn
i Lobstein, Joh. Mich. (1770 Prof. in Gießen, vgl. 12. VT. im
Jahrb. lt>06).
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— 170
sie am Leben bleiben ?) ! (. . . ?) zu Hause um 8 Uhr schrieb
dieses j. (Journal) bis (. . . ?) da ich mich eben mit der (Zu-
bereitung auf die morgige) Abreise nach L. (Leipzig) beschäf-
tigen (mußte?), um Hr. M. Bl. (Blessig) zu besuchen. Ich
erbaute mich singend, betete und gieng schlafen. (Von hier
an wird das Tagebuch wieder leserlich.)
Dienstag 12. Apr. (Packerei; Abfahrt «auf dem hal-
lischen Wagen» nach i| 2 9 Uhr «in Gesellschaft des Hr. M.»
und eines 13 jährigen Kaufmannssohn aus Leipzig, nameus
Wapler, der 3 Monate im Waisenhaus gewesen war ; Ankunft
«gegen 6 Uhr Abend») . . .
Mittwoch 13. Apr. Morgens läse in den Danziger
Tbeol. Berichten, deren 105— 108 tes Stück ich gekauft habe
(den Abend vorher bei Iunius, bis gegen 9 Uhr. Besuch bei
Prof. Clodiusi)» dem «ich ein compliment von Hr. M. adj.
Schweighäuser 1 in Straßb. nebst einer Frage brachte»)
Von ihm weg gienge zu M. Bl. (B I e s s i g), welcher mich
gegen II Uhr zu Hr. Prof. Er n e sti führte, wo ich Hr. Sko
aus Dänemark antraf. Und vorher bei M. Bl. den Hr. H i m mli
aus Straßburg, einen artigen Kaufmannsdiener, kennen
lernte. Zwischen 3 und 4 Uhr trinkt in Leipzig jederman
caflee. Weil aber dis noch nicht wußte, so mußte von Hr.
Dr. C r u s i u s 3 wieder fortgehen . . . Ich gieng darauf
grades Wegs durch die schöne Maulbeeren- und andere Baum-
alleen um die ganze Stadl herum bis halb 7 Uhr, da ich in
Dnnz. Theol. Bor. fortlase. Allein durch die angenehme Gegen-
wart des M. Bl. nach 7 Uhr wurde darin gestört. Heute
Donnerstagden 14. Apr.... um 8 Uhr gienge
zu M. Bl., welcher mich in das collegium des Hr. Dr. Ernesti
führte. Er läse über Ne u m a n n 4 compendium Dogmatic.
und zwar über den art. de resurrectione mortuorum etc. Hr.
Dr Em. wurde von uns beiden in den collegien Saal begleitet,
da wir ihn eben auf dem Wege antrafen. Im Saale saß er auf
einer cathedra und die große Menge auditorum auf gefütterten
Seßeln. Er trug viele mir ganz unverdauliche Sätze vor z. E.
daß die Menschen nach der Auferstehung die partes genitales,
ventriculorum intestini et partes corporis omnes haben werden ;
daß die Menschen noch die nämliche Stimme haben werden,
die sie auf Erden hatten ; daß owjj.cz zvsu;jiaTtxov nur einen voll-
kommeren Leib bedeutete ; daß die Teufel keine größere weitere
1 Clodias vgl. 17. III. im Jahrb. 1906.
2 Joh. Schweighäuser Arg. 1778 prof. lingoarum Orient. fl777.
8 Crusius vgl. 15. XII. im Jahrb. 190G.
* Wohl Joh. Georg Neumann HttH— 1709; Prof. in Wittenberg
l()9i>, Hauptgegner Speners. .
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— 171 —
Strafe zu befürchten hatten, als sie jetzt schon empfänden etc.
Nach dem collegio trunke calTee und rauchte tabac bei M.
Blessig, wohin auch Hr. Hasselblatt aus L i e f I a n d
ging. Auch kam auf die Stube Hr. K o e r n e r, ein Sohn des
Leipz. Dr. Theo! Nach 10 Uhr führte mich M. Bl. zu Hr.
Prof. Morus .'. . Hier muß ich geslehen, daß ich von den
Besuchen der Herren Professoren in Gesellschaft des M. Bl.
gar wenig Nutzen hatte, da ich doch gröseren hätte haben
sollen, als wenn ich alleine gegangen wäre. Es wurde nur
immer gespaßet und kein gelehrter oder sonst ernsthafter
discours angefangen. (Besuch einer Vorlesung des Prof.
Crusius über den 106. Psalm). Zu Mittag speiste ich bei
Hr. Prof. C 1 o d i u s durch die Vermittlung des M. Blessig
(in größerer Gesellschaft ; es wurde «michts ernsthaftes und
brauchbares besprochen» ; nach Tisch besuchte man am Ran-
städter Thor die beiden Comödiensäle»; der eine war
noch nicht fertig, der andere dagegen «wohl eingerichtet»).
Besonders hatte er einen Vorhang, auf welchem ein vortreffliches
Gemähide vonOesern* hier in Leipzig war. Es waren droben
Sophocles, Socrates, die nackete Säule der Wahrheit etc. Um
drei Uhr giengen wir auseinander, und ich mit M. B l e s s i g
nach Hause, caffee zu trinken und tabac zu rauchen. (Besuch
bei Lic. Thalemann, > dem er das «compl. des Hr.
M. Weber» in Straßburg» überbringt, der «hier und überall,
wo er sonsten gewesen, in bestem Andenken steht».) — (Von
dem Blatt ist ein zwei Finger starkes
Stück der Außenseite abgerissen.) — (Thale-
mann macht auf verschiedene Bücher aufmerksam ; auch von
dem «elenden Charakter des Wiela nd»* war die Rede.)
Heute
F r e i t a g d e n 15. Apr. . . . Leipzig ist durchgehends
mit hohen schönen Häusern, vielmehr Pallästen bebauet und
wird des Nachts mit Laternen erleuchtet, fast gänzlich wie in
Krankfurt . . . (Wenig Staub ; «alles sauber», die Professoren
«sehr dienstfertig», die Studenten «ordentlich und manierlich»). ..
(Die folgenden 7 if* Seiten sind wieder sehr verblaßt
und stellenweise ganz unerleserlich) . . . (Bis 10 Vorm. bei
B I e s s i g. — Beschreibung einer Vorlesung des Prof. C r u-
1 Adam Fried. Oeser 1717—94 aus Preßburg, seit 1763 Dir. der
Akademie in Leipzig (früher, in Dresden, Lehrer Winkelnianns).
vgl 18. IV. und Goethe «Dichtung und Wahrheit» 8. Buch.
2 Thalemaun vgl. 26. XII. im Jahrb. 1906.
» Weber vgl. 27. IV.
* Wieland war seit 1772 in Weimar. Dort gab er von 1773 bis
89 den «deutschen Merkur» heraus.
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- 172 -
s i u s über Moral auf Grund seines Handbuches darüber. —
Vier Briefe nach F ra n k f 11 r t.) Gegen 6 Uhr zu M. Bl essig,
um mit ihm den Hr. Dr. H e i s k e 1 zu sprechen und ihm das
compliment von Hr. M. Weber in Slraßb. zu bringen. Bis hierher
habe noch keinen so sonderbaren Mann gesehen, als diesen. Kr
ist mittelmäßiger Statur und hager. Er praesenttrte sich den mit
einer Schnur zusammengebundenen Haaren nach wie in Strati-
burg ein schlechter Handwerksbursche. Er war ohne Kappe
oder dergleichen etwas und hatte einen zerrißenen Nachtrook
an, in dessen Busen er sein schlechtes Nastuch steckte. Naoh-
dem'er mich so ziemlich in der Ordnung empfangen hatte und
ein und anderes mit M. B I e ss ig gesprochen, wozu ich sehr
wenig redete, so redete er mich an und fragte, warum ich eben
Halle gewählet und ficng an, allerlei zu sagen (wider das?)
Waysenhaus, wider den seel. (Aug. Herrn.) Eranck»
(= Frankel und auch (wider den seel.) Bengel etc. Er schalte
diese (. . . ?) Leute Träumer, Heuchler etc. Er sagte (sprach)
unter andern auch von sich selber und Hr. Hofr. Michaelis 2
in Güttingen' und schloß zugleich jeden anderen mit ein,
daß alle diejenigen, welche in der Jugend (viel leisteten?) und
viel Religion hätten, nachgehends atheisten würden, wenn sie
zu ('. . . ?) Jahren kämen elc Seine Frau war von Anfang
bis zu Ende in der Stube ; sie ist ziemlich hübsche von Gesicht
und munter im Umgange und (opfert sich ?) ihrem Manne ganz
auf, dem zu Gefallen sie griechisch gelernt hat und es wohl
versteht ; auch schreibt sie arabisch. (Sie macht) ihrem Mann
die Register zu seinen Rüchern und ist mit einem Wort sein
Gehilfe
Samstag den 16. Apr... . Gegen 10 Uhr zu
M. B 1 e s s i g, welcher mir sagte, daß er einen Brief von
M. Hacke) in St ra ßb u rg durch Rauchhänder (Stehling?)
von Straßb. erhalten hätte. Ei' erzählte mir daraus, daß der
ältere Sohn des ;Prof. ling. Orient. Seh erers doch (. . .?
wieder) zum Professore gemacht worden. Von ihm lief ich eine
gute halbe Stunde müd und matt in der Irre herum, nach
dein P a u I i n o auf die U n i v. B i b I. zu kommen, weil
ich Tropf nicht alle Augenblicke fragen wolte. Endlich um
halb lti Uhr käme hinauf auf die u n i v e r s i t a e t s
B i b 1 i o t h e c, deren Bücher mit eisernen Drathgittern ein-
geschlossen und nicht in der besten Ordnung (. . .) sind. Es
1 Keiske Job. Jak. Prof. des Arab. 17 16 — Aug. 74. Er war
4 Jahre Zögling des Hallischen Waisenhauses gewesen. Seine Frau
Ernestine Christiane war durch ihre Gelehrsamkeit berühmt.
2 Michaelis vgl. 3. I. des Jahrb. 1906.
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sind schöne Portrait« von allerlei Gelehrten auf dieser Bihliothec
nehst allerlei jüdischen Sachen in einem besonderen Zimmer ;
auch ein Bergwerk; ein Mönch in einem' Eck etc. Durch die
Unterschriften an den jedesmaligen Thüren muß man sich
nicht betrügen lassen, indem die (meisten?) Bücher versetzt
worden sind. Unter (andern) portraits ist M e I a n c Ii t Ii o n
(und Jonas?) Luther; Gottsched macht ein (blühen-
des?) Gesicht, die Gottschedin ist zu entblößt (. . . ?)
etc. Ich habe schöne Zeichnungen von römischen Gottheiten
und Alterthümern und dgl. gesehen nebst (den . . . Winkel-
mann ? ?) in ihnen. Vorzüglich (haben mir?) gefallen die
Muscheln und (Schwämme?) in größtem Folio Teutsch und
französisch, Coppenhagen 1758, von (Regenf. . . . ?) gemalet.
Es sind (meisterstücke ?). Ein Engländer hat vor einiger Zeil
eine vortrefliche Ausgabe von M i 1 t o n (doch ?) in englischer
Sprache hierher (verehret??), welche auch noch gesehen. —
Nach dem Essen (habe?) Hr. M. ein wenig (gesprochen?);
hernach suchte ich den (Ratsherrn ? S t r o h I ?) von Straß-
burg auf, welcher bei Hr. Reither?) im Brühl nicht
weit vom (roten Stiefel?) logirte. Er gab mir einen Brief von
Hr. M. Weber 1 in Straßburg, welchem ich verschiedene
Sachen kauften mußte i. e. Bücher von Dr. E r n e s t i und
Prof. Fischer, 2 welche zum Theil schon einige Tage hatte,
zum Theil gleich kaufte. Auch der Beaumont * für junge Leute
und Frauenzimmer und Jan n e w a y* Exempelbuch für
(Rhin Stu.?) mitnahm und gleich (hinterlassen?) wolle, aber
mit nach Hause nehmen mußte, weil ihn nicht angetroffen. —
Nach 3 Uhr (gienge?) auf die Raths Bihliothec auf
der Wage. Diese stehet prächtig in einem sehr großen hellen
weisen Saal mit den vortreflichsten Gemählden und Portraits
geziert. Die Bücherzahl ist groß und recht wohl geordnet. Sie
stehen auf beiden Seiten an der Wand herum, und in der
Mitte des Saals stehen zwo (Zeilen?), doch so, daß man jedes
Buch sehen kan und einander in den breiten Gängen da
zwischen den Bücherschränken völlig ausweichen kan. Die
Bücher sind auch hier mit Gittern verschlossen. In der (Mitte?)
steht ein Tisch im Saale. Unter andern haben wir die Portraits
» Weber Georg Friedr. Prof. der Theol. seit 1784. f 1*20. Er
war der letzte Präsident des «Kirchenkonvents».
* Edm. Rud. Fischer Gen. Superint. zu Koburg lt>87 — 177(5.
3 Magasin des adolescentes. Londres 17»>ü. deutsch 3. Auti.
Leipzig 1 7GG und Instr. pour les jeunes danies Londres 17U4,
deutsch Leipzig 17i>s von der .rugenschriftstcllerin Marie de Beau-
mont 1711—80.
* Janneway ? —
— 174 —
— ich weiß nicht, von was sie gemacht sind, ob es (aus . . .
Holz ist ?) — gefallen von dem Kayser Ferdinand,
Carol us Quint us, Albertus Dürer, Luther, M e-
lanchthon, Erasmus Roterodamus etc., welche ganz
klein und zierlich beisammen an der Wand, (ich meine?) in
einem Glase hängen. Ich habe sehr viele Titul gelesen (von den)
Büchern an den Wanden auf beiden Seiten und der halben
(Zeile?) linker Hand, wenn man hineinkommt. Um 4 Uhr zu
Hause händigte mir eine Frau, wohnend im Hofe des goldenen
Strauses, einen Brief ein, so Herr Theuerdank von
Straßburg, ein Rauchhändler, mitgebracht hatte. Es
waren die Lehensachen und Rechnungen etc. nebst einem
Schreiben des Herrn Assessors Patrick in
Z w e 1 b r ü c k en. Dieses Paquet war den 11 ten Merz, gleich
den Tag nach meiner Abreise von Strsb. in S t r a ß b. an-
gelangt. Die Frau Ö e r t e I hat ein Schreiben beigelegt,
welches mir sehr angenehm war. Ich kaufte noch etwas für
Hr. M. Weber in Straßburg und traf auf dem Wege den
Hr. Prof. Morus 1 an, den artigsten Mann, welcher mich
anredete und unter anderm mich hötlich einlud, zu ihm zu
kommen. — Nochmahlen zu Hause um (5?) Uhr, schrieb dieses
journal bis nach 7 Uhr, da zu M. B 1 e s s i g gieng und ihm
unter anderm besonders sagle, auch lesen ließe, was Hr. M.
Weber seinetwegen geschrieben hatte. Auch aß ich auf sein
einladen mit ihm zu Nacht in Gesellschaft des Hr. (Tounefort ?)
und eines adelichen feinen jungen Herrn von Haugwitz.)
Nach 10 Uhr (gienge nach) Hause und schrieb noch dieses
journal bei einem Krug Bier und Pfeife tabac, weil ich nöthig
hatte zu trinken, da das (Nachtessen aus Käß?) und Butter und
Punsch (beslanden ?), (wovon ich wegen?) der Süße nicht (viel
Irinken konnte?), bis gegen 11 Uhr, da ich noch anfieng, in
Dr. E r n e s t i s neusten Theo). Bibl. 3teu Bd. (ein Stück?)
zu lesen bis gegen 1 Uhr, (welches dann ?) leider die Ursache
war, daß heute
Sonntag den 17. Apr. erst um halb 8 Uhr auf-
stünde. Auch (habe ich ?) schändlich das Morgengebet (unter-
lassen?); doch sänge ich das schöne Lied auswendig: «0 Jesu,
süses Licht» und 7 Verse aus dem Lied: «Lehre mich dein
Blut betrachten» in dem mir schon so ofte gesegneten Wolters-
dorfschen Gesangbuch. Und so gienge nach 9 Uhr in die
P a u 1 i n e r Kirche. (C r u s i u s predigte ; Beschreibung
» Morus vgl. 22. XII. im Jahrb. 1906.
* Vielleicht der spätere preuß. Minister geb. 1752. Er hatte
1770 in Halle studiert.
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des Gottesdienstes und der Kirche. «Er kommt so ziemlich
ähnlich dem Dr. Luft 1 in Straßburg). ,., (Von hier an
ist die Tinte wieder dunkel)... (Um 2 Uhr
hei Zollikofer* in der «neugebauten Kirche der Refor-
mirten oder vielmehr Saal» ; Beschreibung) . . . (Besuch bei
Prof. G r u s i u s ; «er redete von den Neuerern der Lehre»
und empfahl ihm u. a. Müllers 9 in Halle «Widerlegung
des Semlerischen canons 1774»). Ich bat ihn um Erlaubnuß in
sein coli, morale kommen zu dörfen, so lang ich noch hier
wäre ... er sagte : es würde eine große Ehre für ihn sein.
(«Zu Hause um 6 Uhr meine Zeit schlecht zugebracht.» Stoß-
seufzer) . . .
M o n I a g 18. Apr. (Lesen in Ernestis theol. Bibl. etc.
Nach 9 Uhr zu B I e s s i g und mit ihm zum Ratsherrn
Stroh I* von S t r a ß b u r g). Nach 10 Uhr gienge M. Bl.,
Hr. Tounefort und ich zu Hr. Prof. Oeser,» dem berühmten
Mahler etc., bei welchem manches hörte und sähe, welches
mich den Gang nicht gereut gelhan zu haben. Er zeigte ein
altes sehr verderbtes großenteils unkenntliches Gemähide, aber
gewis ein Meisterstück auf Holz, für welches man bei allem
dem 12 hundert Thaler forderte ; item wiese er ein Gemähide
von Rubens etc., gar viele vortrefliche Stücke. Durch diesen
einigen Gang hat mich M. B 1 e s s i g ihme sehr verbunden.
Hr. Prof. 0 e s e r wohnt in der P 1 e i ß e n b u r g, in welcher
wir auch die Carlen fabrique beschaueten. Die P 1 e i ß e n-
b u r g ist ein altes sehr vestes quadrat mit einem dergleichen
Thurm und in der Mitte ein großer Hof, in welchem Kugeln
lagen etc. Es ist eine Art von citadelle, ziemlich weitläufig.
(Bes. des coli, morale von Crusius)... In Leipzig
ist es mode, daß der Nachtwächter die Stunden ruft
von 10 Uhr an mit diesen Gesänge: Ihr, ihr Herren, lasset
euch sagen, der Finger hat 10 etc. geschlagen ; bewahret das
Feuer und auch das Licht, das kein Schaden geschieht.» Früh
und Nachm. zwischen 3 und 4 Uhr trinkt jedermann Kaffee.
Die verbundenen Köpfe sind in Leipzig selbst bei niemand
inode, auser des Nachts ; L. scheint mir, und ich meine mit
Hecht, sehr wollüstig zu sein. Wer salade in der Stadt herum
trägt zum Verkauf, der ruft (i, 8, auch 12 mal hintereinander
salade und so auch mit den Aepfeln : Aeppel, Aeppel, Aeppel
1 M. Joh. Pet. Lufft von Schmorsdorf, Freiprediger, 1742 Prof.
der Theol. (K. V. Bl. 28).
* Zollikofer vgl. 5. III im Jahrb. 1906.
3 Der «adj.» Müller ? vgl. 28. 29. und 30. III. im Jahrb. 1906.
* Strohl vgl. 30. IV. u. a. im Jahrb. 1906.
* Vgl. oben 14. IV.
— 176 —
etc. Das Fl eise Ii, Würste, Füße etc. wird alle Markttage in
Menge auf Wägen in die Stadt gebracht und unter freyein Himmel
verkaufet. Noch nirgends habe eine solche Menge Schuhe
für beide Geschlechter von allerlei Alter und auch recht schöne
darunter feil gesellen, als hier an den Marktagen wöchentlich
3 mal. (Kr bringt die für M. Webe r gekauften Bücher zum
Rathsherrn S t r o h 1 und erhält das Geld dafür) . . .
Dienstag 19. Apr. (Lesen in Ernestis theol. Bibl.
u. a.) . . . Ich war willens, zu Hr. Dr. Koern er 1 zu gehen;
wie ich aber im Vorbeigehen in der N i k o I a i k i r c h e läuten
hörte, so gienge hinein. (Ausführliche Beschreibung der Bet-
stunde u. der Kirche) . . . (Gegen 5 Uhr Besuch bei Koern er).
Er ist ein ziemlich dicker besetzter Mann, dem verstorbenen
Pfr. Vasco» zu Ittenheim bei Straßburg ähnlich, dessen
ganz guter Freund er auch gewesen ist. Er fragte von Straß-
burg, besonders auch von M. Weber, von welchem ich ihm
ein compliment brachte; in der Woche quasimodogeniti seien
ganz keine copulationen hier in L. ; er (habe) manchmal von
8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends Beicht , so daß er nur eine
Suppe äse des mittags, welches 3 — 4 Minuten daure ; bei
solcher Beicht gehe es die ersten 4, auch 5 Stunden noch so
ziemlich an, daß man seinen Kopf brauchen könne, aber her-
nach werde man vom vielerlei denken und anstrengen wie ver-
wirrt ; doch helfe der liebe Gott, und man werde auch bisweilen
sonsten erquickt durch ein herzliches Bekenntniß, Vorsatz etc.
des Beichtenden. Die Meßgewande u. dgl. bei dem Gottesdienst
käme noch vorn inlerim her ; die universitaet hätte in vorigen
Zeiten besser gestanden als jetzo e. g. bei einem He beii-
st reit,» Deyling 4 etc. — Um () Uhr ging für einige
Augenblicke zu M. Blessig, welcher mir aus einem Briefe
von M. Kolb 5 in Straß bürg vorlas, daß M. Fuchs 6 auf
gewiße Art Feldprediger worden seie unter dem Reg. Royal-
Suedois an Hr. Eisen 7 Platz ....
Mittwoch 20. Apr. . . . Nach dem Mittagessen träfe
i Körner, Pfarrer vgl. 1) IV. u. 7. V. im Jahrb. 19C6.
* «M. Joh. Sam. Fasco Argent.» in Ittenheim seit 17*il, gest. im
hiesigen Spital 1772 «als reicher Pfründner» (K. V. Bl. 10;">).
3 Dr. Joh. Ohrist. Hebenstreit lüSti— 17ö<>, nach Deylings Tod
<erster Prof.» der Theol.
< Dr. Sal. Deyling 1077-175") vgl. 7. III. im Jahrb. l ( J0ti.
5 M. Joh. Fried. Kolb Abendprediger an St. Wilhelm, 1770 am
Spital (K. V. Bl. H4J.
« M. Joh. Mich. Fuchs ludim. Willi., 1777 Pfr. zu Kaufeuhcim
(K. V. Rückseite Bl. HHi).
7 «M. Georg Jak. Eisen. Feldprediger unter Schwed.» (K. V. Bl. 106 .
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endlich den Hr. Assessor Seeger 1 an. Er ist ein junger
Mann, ausnehmend höflich, leutseelig, gesprächig, gelehrt. Beim
Weggehen überschüttete er mich recht mit den tiefsten Ver-
beugungen, daß mich innerlich schämte, dergleichen von einem
so berühmten Manne zu empfangen. Ich richtete den Auftrag
von Prof. und Dr. Kugler 2 in Straßburg wegen N einem
Buch oder Disput, aus, ob es nämlich gedruckt seie oder nicht.
Er sagte, es wäre nicht herausgekommen, es würde abir die
a. 1760 gedruckte historia juris romani de tutelis et curatelis
auf künftige Michaelis Messe in Form eines Buches heraus-
kommen und in demselben auch von der tutela cessitias —
von dieser war eigentlich die Rede — handien ; er würde die
Ehre haben, dem Hr. Prof. Kugler mit einem exemplare
selbsten aufzuwarten, sobald die Schrift gedruckt seie; ,"unter-
deßen solle ich nur dem Hr. Prof. Kugler seine gehorsamste
Empfehlung machen, wann ich schriebe. Er fragte nach den
Umständen von Straßburg und beschämte mich durch die
Frage, ob des Hr. Adjunct. M. Oberl i n in Straßburg Gellius
gedruckt seie, wovon ich leider gar nichts wußte; er hätte
nach dem, was er von dem Werke gehört, ein gutes Vorurteil
für dasselbe, und Hr. M. Oberlin hätte in Leipzig einzelne
Schriften aufkaufen lassen zu seiner Arbeit, welche er in
Straßburg nicht so leicht haben konnte. Er redete von Doktor
Sem ler n , welcher mit seinen Schriften bei ihm in ziemlichem
Ansehen steht und von ihm für einen ehrlichen Mann mit
einem guten Herzen gehalten wird ; auch erzählte er mir ganz
ausführlich die Begebenheiten des Hr. Faber, fllii Consulis,
welcher catholisch worden und jelzo als Hofmeister unter dem
Namen von Legations Secretaire bei dem französischen Ge-
sandten Grafen von Neuberg in Frankfurt am Mayn
stehet. — ... Ich zog aus den 3 Bosen in der Petersstraße
zu dem Traiteur Horn in das Gewandgäßchen 3 Treppen hoch
in den Hof hinaus in ein ganz kleines Zimmer, doch theuer
genug. (Abends zu Haus Lesen in theol. Büchern) . . .
Donnerstag s l\. Apr. . . . gienge zu M. Blessig
bis nach halb 10 Uhr . . , (Besuch bei Prof. Tha lern an n.*
Gespräch. Empfehlung an M. Weber in Straßburg.) Ich
gienge ein wenig in der Messe herum . . . und kaufte ge-
1 Seeger? Ein Inspektor Seeger ist am 7. II erwähnt
(Jahrb. 1906].
* Kugler vgl. 21. I. im Jahrb. 190«.
* tutela Vormundschaft, curatio Pflegschaft; cessicius i Juristen-
latein): zom üeberlassen gehörig. Is, cui ceditur tutela. cessicius
tutor vocatur.
« Thalemann vgl. 26. XII. im Jahrb. 1906.
12
- 178 —
bunden : Watts Tod und Himmel in 8 Halle 1727, Pomponius
Mela 1 in 8 Lips. 1773, Justinii Martyris apologia Graece in 8
Lips. 1755, und roh : die Wichtigkeit des Ehestands von Sal-
mon in 8 Leipzig 1738, der rechte Gebrauch und Mißbrauch
des Ehebettes ib. 1740 ... Es ist alles mögliche hier anzu-
treffen und allemal die Waaren etc. beisammen in der schönsten
Ordnung . . . Ich habe nachzuholen, daß M. Blessig unter
anderm mir diesen Morgen sagte von dem Tode des Professors
Faber, des jungen und gelehrten und noch (vieles ver-
sprechenden jMannes .... item, daß ich Hr. Bügling,
meinen Hausherrn in Halle, in der Messe angetroffen habe
. . . (Brief nach Straß bürg an M. Weber; Besuch bei
dem Slraßburger Ratsherrn St roh 1 nach dem Abendessen) . . .
Freitag, 22. Apr.... fing an, Briefe zu schreiben
den ganzen Tag, ohne mich anzukleiden bis etwa um 7 Uhr
abends. Nach dem Nachtessen besuchte ich M. Blessig, bei
welchem ich M. Wichmann antraf, der schon gar vielerlei
geschrieben hat; wozu noch Hr. Kapp Dr. med. kam und
endlich, aus der Comödie, der Hr. Tournefort. Unter den
vielen lustigen und ernsten Reden prieße M. Blessig sehr
an: «die Spaziergänge» von Blum* in Berlin, welches Buch
er für sein Morgen- und Abend gebet buch brauchte, und «die
Gedanken über das Herz», deren auetor unbekannt ist. Beide
sind ganz neu. Um 10 Uhr zu Hause redete ich allerlei mit
Hr. M. Held von Regensburg in der Gaststube . . .
S a m s t a g 23. Apr. . . . Gegen halb 12 -Uhr mit
M. Blessig nach dem auditorio philosophico und hörte noch
ein Stück von der Rede des neuerwählten Rectoris mag-
n i f i c i Prot. E r n e s t i. Der Hr. Rektor war im Degen,
wie die übrigen facultatis philosophicae und schwarz gekleidet
ohne Uiberschlag und Mantel, und über diesem Kleide hatte
der Hr. Rektor einen kurzen sammeten oder gar purpurnen
kleinen gefütterten rothen Mantel, der bis an die Ehlenbogen
reichte. Zween Pedellen hielten in rothen Kleidern mit schmalen
goldenen Tressen und dergleichen Mantel zween zum wenigstens
verguldete schöne Scepter. Aus dem auditorio philosophico
giengen die Herren sämtlich in ein klein Häuschen, daran ein
Garten war, und der Hr. Rektor kleidete sich da aus. Worauf
einer nach dem andern nach Hause gieng. Unter anderm hatte
Hr. Dr. Grusius eine kleine medaille vornen in einem
Knopfloch hängen als canonicus von Meißen. . . . (Abends
1 Mela Pomponius, Geograph um 50 n. Chr.
2 Joach. Christ. Blum 173 ( .)- 1790 aus Rathenow in der Mittel-
mark. («Spaziergänge». Stendal 1774.)
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Besuch bei dem Hallischen Wirt Bügling) . . . Nach 10 Uhr,
da ich schon im Bette lag, verfiele wieder in die abscheuliche
Gewohnheitssunde (. . . Gebets vvorte). Diese Sünde war Ur-
sache, daß ich
S o n n ( a g (1 e n 24. Apr. erst um 7 Uhr aufstunde und
auch den ganzen übrigen Tag in der größten Zerstreuung und
eitlen Reden zubrachte. (Besuch der Nikolaikirche:
Dr. E i c h I e r i liest ceine vortrefliche Predigt» über, das
Ev. : cUeber ein Kleines» etc.) Man sagte mir, er hätte kein
Gedächtniß mehr . . . (Beim Gebet um Sündenvergebung nach
der Predigt hielten die Manner «die Hüte vors Gesicht», die
Frauen «die Augen zu mit zween Fingern oder den Schlupfer
vor das ganze Gesicht» . . .) Das h. Abendmahl wurde
consecriret fast wie in einer catholischen Messe mit klingenden
Schellen, wobei jedesmal die Chorknaben auf ihre Angesichte
fielen. Derjenige, welcher consecrirte, war über dem weisen
Chorhemde mit grünem, ich glaube. Sammet bedeckt, woran
breite goldene Tressen, eine Kappe und eine Quast von Gold
auf dem Rücken waren. Die Chorknaben waren ebenso ge-
kleidet und hatten runde Kappen auf mit Pelz oder mit einem
Blumenkranz umgeben. Es war mit einem Worte alles grün
bedecket, was man sonst zu bedecken pflegt als nemlich Canzel,
Allar, Pult am Gitter, die beiden Wände des Chors; auch
lag ein grün Tuch oder gar Sammet, eben wie alles übrige, »
mit goldnen breiten Tressen auf den 4 Staflen des Altars,
welches noch weit ins Chor hinein lag, auf dem Boden. Bei
dem Gebet bei consecrirung des h. Abendmahls und nachdem
dasselbige gänzlich ausgespendet war, knieete, ich glaube, zum
wenigsten Hr. Dr. Eichler, welcher gepredigt hatte, nieder
mit dem Gesichte gegen den Allar und ebenso hinter ihm die
4 Chorknaben. Und der Meßpriester, ich will ihn einmal so
nennen, im grünen Kleide betele stehend nicht gar mitten am
Altar aus dem Buche. Der Meßpriester stunde, da das h. Abend-
mahl ausgespendet wurde, an dem einen Ecke des Allars und
reichte die Hostie, da dann der communicant hinten um den
Altar herumgieng und von dem im Chorhemde und Krös den
Kelch empfieng. Zu beiden Seiten dieser beiden Herren stunden
bei jedem zween Chorknaben und hielten ein etwas langes,
nicht gar breites grünes Tuch oder auch Sammet mit breiten
goldenen Tressen und goldenen Quasten unter, damit allenfalls
weder Hostie noch Wein auf den Boden fallen möchte. (Tracht
der Kommunikanten)... (Um >| 2 10 Uhr in derPauliner-
» Eichler Chr. Gottl. Dr. theol., Pfarrer f 1785.
— 180 —
k i r c h e : Dr. Richter 1 predigt . auch über das Ev. . . .) Das
lange Singen macht, daß gar viele Leute nicht zur Kirche
kommen oder doch gar wenige bis zu Ende bleiben. («Viele
monumenta sepulcralia im Chor» . . . Gesang und Tracht der
Thomasschüler. «Die gewissen Familien eignen Begräbnis plätze
auf dem Gottesacker an der Kirche»). Um 1 Uhr gienge in
die Thomaskirche (Beschreibung derselben) . . . (Von i
bis 6 Uhr bei Blessig). Ein wenig vor 9 Uhr auf meinem
Zimmer sunge viele Gesänge mit lauter Stimme, fast eine ganze
Stunde lang.
Montag den 25. Apr.... gieng zu M. Blessig
(vergeblicher Besuch bei Rauchhändler Theuerkauf von
S t r a ß b u r g)» . . . (Besuch bei Ernesti, der ihm das
hebr. Wörterbuch von Coccejus und das griech. zum N. T.
von Schoeltgen empfiehlt). Nach dem Essen läse den Meßcata-
logum durch und verfiele leider . . . wiederum in die schreck-
liche Sünde . . . (Von 5 Uhr an eine Stunde bei Crusius).
Er hätte mich bald abwendig gemacht, nach Halle zu
gehen und sagte u. a. : . . . ich solle lieber wieder umkehren
nach Straß bürg; dann ich würde völlig meines Zwecks ver-
fehlen und anstatt Theologie zu lernen, vielmehr das verlernen, was
ich davon wußte ; hei Dr. Seraler, Prof. Griesbach, 3 AHj.
Vogel, selbst bei Hr. Dr. N oessei t* solte ich keine collegia
hören; er bedaure mich; ins Waysenhaus zu gehen, wolle er
mir auch gar nicht rathen, ich könnte alles besser in Leipzig
hören, wobei er mir eine Stube in seinem Hause zwo Treppen
hoch auf die Gasse hinaus für *20 Thaler anbot etc. . . . Den
Studenten zu Gefallen müsse man t e u t s c h schreiben und
lesen ; denn das lateinische verstünden sie nicht ... Er re-
commandirle mir besonders den Hr. Adjunctum Müllerin
Halle. — Gegen 6 Uhr besuchte ein wenig meine vorige
Wirthin in den dreien Rosen, Frau Y o r k i n und gienge zu
M. Blessig, welcher mir sagte, daß die Straßburger
Rauch händler alle schon gepackt hätten, worauf ich in
Bestürzung in des Rathsherrn S t r o h 1 Wohnung gieng (er
trifft ihn nicht und schrieb nun daheim die «addresses und
versiegelte die Briefe» ; er geht mit dem Packet wieder um-
sonst zu Stroh! und dann bis 40 Uhr zu Blessig). .
1 Richter vgl. 25. XII. u a. im Jahrb. 1906.
2 Zwei Theuerkauf, Jon. Friedr. und Jon. Michael, wurden am
13. Aug. 1781) als (die letzten) Schöffen der Kürschnerzunft gewählt.
(Patriot. Wochenblatt, Frühpost 13 VIII.)
3 Griesbach Joh. Jak. aus Hessen-Darmstadt geb. 1745 f in
Jena 1812; in Halle seit 1703, neutest. Kritiker und Exeget.
* Noessclt. vgl. Jahrb. 190«, 30. I.
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Dienstag den 26. Apr. . . . noch vor 7 Uhr zu
Rthsh. S t r o Ii I, der angekleidet an der Thür auf der Gasse
stund. Er ijahm das mitgebrachte gern und recht freundschaft-
lich an. (Abschied von Th e ue r ka u f; Besuch beißlessig;
erst um 9 Uhr zu Hause «caffee* ; nach Tisch noch einmal zu
S t r o h 1,- der ihm «Danziger Goldwasser zu trinken gab».
Abschied). Die Briefe en paquet nach Straßburg waren : 1. an
Hr. M.Weber. 2. Hr. Oertel. 3. B i r r oncle. 4. M.
R e d s I o b. 5. Hr. Prof. S t o e b e r. 6. Hr. Dr. Loren z.
7. Hr. Dr. Kugle r. 8. Hr. Prof. Lorenz, u. einige Zeilen
an Hr. Horlacher Handlungsbedienten von schwäbisch
Halle bei Hr. Bin* cousin in Slraßb. . . . (Besuch bei Prof
Morus; Gesprach über die Slraßburger: M. Webe r und
Engel, 1 tdie Lebensart der Stud. auf univers.» und Theo-
logisches) . . . (Zwei Besuche bei ß I e s s i g : «ich erzählte
ihm von Straßb. und besonders vom letzten Magisterio») . . .
Mittwoch den 27. Apr.... besorgte meinen
Mantelsack und gien«e zu M. B I e s s i g. Er gab mir einen
unversiegelten Brief an Dr. Se m 1 e r, welchen ich versieglet!
solte in Halle. Er sagte: wenn er was in Halle zu bestellen
hätte, so wolte er sich an mich wenden, und es würde ihm sehr
angenehm sein, wenn ich und andere in S t r a ß b u r g,
welche mit ihme nicht einstimmig dächten, mit einander corre-
spondiren und einer gegen den andern sich erklären würde ;
dann sonst, wo es so fort gienge in Strasburg, wie es
jetzo geht, daß man so verschiedene Denkungsart hätle im
predigen elc, so könnte an keine, doch so nothwendige Ver-
besserung gedacht werden. Er küßle mich beim Abschied und
begleitete mich bis an die Thür, und ich sagte ihm, auser
den Wünschen, herzlichen und schuldigen Dank für das, was
er mir erwiesen. (Die Kutsche fuhr mit einer Stunde Ver-
spätung ab um 10 Uhr ; er hatte «den Platz auf dem Bock ge-
dungen» ; Ankunft in H a I 1 e Abends nach 7 Uhr), Ich mußte
eine ziemlich scharfe Durchsuchung meines Mantelsacks, ja
selbst meines Rocklors* und Rocksäcke ausstehen. Hr. Büch-
1 i n g, 3 eine niece von ihm und sein Sohn kamen auf
meine Stube und bewillkommten mich. Ich aß zu Nacht im
blauen Hechten. (Dann noch «eine Pfeife Tabak» auf
Buchlings Stube mit «Hr. von der Heide, einem armen
Studioso aus der Pfalz», der auch hier wohnte und dem er
1 Phil. Jak. Engel. Abemlprediger an St. Wilhelm, «Diakonus
zu Eckboisheim und Scharrachbergen» (K. V. Bl. IM Rückseite).
2 Rocklor = Roqnelaure« Rcisemantel vgl. lö. VI. im Jahrb. 1906.
3 Büdding = Biigling; vgl. 21. IV.; auch 28. I. im Jahrb. 1906.
- 182 —
seine «Gesinnung in Ansehung» Sem I e r s «ziemlich deut-
lich entdeckt».)
D o n n e r s t a g d e n l 28. Apr. («Auspacken und Hin-
richten» ; nach Tisch mit B I e s s i g s Brief zu Semler). . .
Er läse ihn und wolle verschiedene Mahle allerlei Gelegenheit
geben zu reden ; ich ließ mich aber gar nicht ein mit Hiesein
Manne. (Prof. Griesbach wohnl in Semlers Hause, war
aber nicht daheim). Dem Hr. Prof. Thunmann über-
reichte die Charte, welche Hr. Pivern stahl in Mann-
heim geschrieben hatte nebst dem Hr. Baron Rudbeck
(vgl. 13. HL). Er ist ein junger, sehr artiger Mann ... Es
war bei ihm Hr. M. Graffmann und Hr. H u m b I a,
welchen ich ein compl. von M. B I e s s i g ausrichtete. Es
that mir webe, daß ich diese Herrn gar nicht nutzen konnte,
da sie alle drei eben im Begrif waren auf das reformirte Gymna-
sium zu gehen, um die dasigen Bedeübungen anzuhören. Am
schwarzen Brett läse ich das angeschlagen ; es betraf theils
die collegia, theils die Aufführung der Studiosorum mit den Heiz-
peitschen, hazardspielen, Landsmannschaften etc. . . («An der
Thüre der Wage gleich neben dem schwarzen Brett» waren viele
gebundene Bücher angezeigt ; er kauft einige ungebundene
«bei Frau H e n d e I i n, der Muter des universit. Buch-
druckers», darunter für sich und Blessig «Ür. Semlers
Leben und seiner ersten Frau» in 8, 177*2 . . .
Freita«f den 2J. Apr. . . (Der Stud . v . d. Heide
besuchte ihn und erzählte von «seinen dürftigen Umständen» ;
er war ein Pfarrerssohn aus Sinsheim und bisher nur von
seinem Valer unterrichtet worden. Neuer Bücherkauf bei der
Hendel; Spaziergang «zum Steint hör hinaus» in die
blühenden Bäumt' . . .
Samstag den 30. Apr. (Gegenbesuch bei v. d.
Heid e, dem er «einen zinnernen Löffel schenkt» und dritter
Einkauf bei der Hendel; hiev lernt er einen Hr. H e 1 c k
«aus dem seminario» kennen, dessen Vater ein Slraßbur^er
war . . .) Wir redeten u. a. auch von Hr. D i e m e r, so
als missionarius aus dem Waysenhaus gegangen ist und in
c o 1 I e g i o Wilhelm, zu S t r a ß h. gewesen war. 1 . . .
Sonntag den 1. May (Um 8 Uhr in die Ulrichs-
kirche: Liturgie; man sang 40 — 50 Verse, «welches nur
schrecklich viel ist» ; der Prediger Pastor G i nc k e «that sehr
' Jon. Sigism. Lorenz an Lamey (Mannheim; am 15. II. 1 773 :
«Einer meiner Auditores, namens I) i c m e r geht nun zu der neu-
gepflanzten cv. luth. Gemeine in Amerika als ordentlich berufener
Pfarrer> (Barack, Handschriftenverzeichnis S. 1G0. Nr. 120).
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-- 183 —
andächtig, wie es so hierum durcligehends eingeführet ist»
(Beschreibung des Gottesdienstes und der Abend mahlsfeier)
. . . (Nachm . in der Moritzkirche: Böttic her
«gewesener Insp. auf dem Waysenhaus» predigte).
(Das folgende, zweite lieft fehlt: = Seite 100 - 225 ;
das dritte beginnt mit dem 27 Juli und trägt die »teilen-
weise ausgerissene üeberschrift : «Diarium M.... Henrici
Patrick... theol. Arg. 1774, Julius versus finem Halle in
Magdeb. item Wernigerode, Halberstadt, Magdeburg, Barby,
Leipzig, Doelitseh, Döbernitz eto — Iiier beginnen auch
die aus der Mitteilung im Jahre 1906 bekannten Inhaltsan-
gaben am Rande).
Ich nahm das Anerbieten (mit der Frau Hofrat Becker, Mittwochjuiius
der Schwiegermutter des Dr. Noesselt, zu fahren) ohne 'Antrag wegen'
vieles Bedenken an. (Die untere kleinereHälfte dieses e wern?g"ode. h
ersten Blattes ist abgerissen) . . .
. . . (Besuch bei Noesselt, der ihm «compl. nach Do . n 8 n y*, 1 "* 1
Halberstadt, Wernigerode und Magdeburg» mitgab und mit Rci>e nach w.
ihm «auf dem Platz vor den Stuben — Hausehren 1 — auf
und nieder» ging.) Hr. Noesselt fuhr (um 9 Uhr) mit eine
Stunde weit bis nach Drode* ... es wurde allerlei von Porf Drode.
Reisen geredet, von dein Blocksberge und den Aben-
theuern davon . . . (N. geht zu Fuß zurück). Nun war
ich allein mit der Fr. Hofräthin (ihr gehörte die Kutsche ;
«die Pferde aber waren extra poste» ; das Gespräch war
«theils von göttlichen Dingen», besonders nachdem er aus?
Bogatz kys> «goldenem Schatzkästlein» vorgelesen hatte;
die Gegend «ganz offen und angenehm» ; (über Nacht «zu
Aschers leben in der Vorstadt»; zur freien Fahrt kam Freies Essen,
freies Quartier) . . .
. . . (Weilerreise ; «schlimmer Weg von vielem Regen»; Freitag. 'J9.juii.
in Halberstadt «trunken wir caflfee anstatt des Mittag- Haiberstadt,
essen s ; gegen 5 Uhr in Wernigerode; die Verwandten Wernigerode,
der Frau Hofrat mit ihrem Schwiegersohn, Secretarius
Tympe, und ihre 80jährige Mutter waren «derselben vor
dem Thore entgegengekommen und setzten sich zum Theil
in die Kutsche) Der Hr. Hof rat Becker . . . war so gütig,
mich in sein Haus aufzunehmen . . . Die Mutter der Frau
Hofrälin . . . noch bei guten Kräften des Leibes erquickte
1 Aehre mundartlich) = Flur (Haasäre vom lat. area;
franz. aire.
2 Trotha.
3 Bogatzky vgl. 21. I. im Jahrb. 1906.
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- 184 -
mich insonderheit durch ihr großes geistliches Leben und
Munterkeit. (Er saß beim Nachlessen neben ihr.) Ihr Mann
ist Oberberg meister Harzig . . . (eine zweite Tochter,
«Frau Räthin Oppermann», speiste auch mit) . . .
Samstag, . . . (Hofrai B., «ein redlicher und lebendiger Christ»,
30 Juh gibt ihm theol. Bücher zum Lesen) . . . darauf kleidete ich
mich an und besuchte den Hr. Gonsistorialrath Hilde-
brand und brachte ihm zwei complimente von Hr. Insp.
F a b r i c i u s und Witte 1 in Halle (Mitteilung des Ge-
sprächs) . . . (Nach Tisch mit Hofrat B. aufs Schloß in die
Die Bibliothek. B i b Ii o th ek). Diese gräfl. Stollbergische, von dem vorigen
seeligen Grafen Christian Ernst etwa zwischen 1730 und
17^0 angelegte Bibliothek ist größer und vorzuglicher als die
churfürstl. in Mannheim. (Beschreibung; Bibliothekar
ist «Hr. Rassmann», Prof. am Gymnasium) . . .
Sonntag,3i Juli. ... da ich über dem Gebet war, so rufte mir Hr. Hof-
rath Becker zum caffee, nach welchem ich im Gebet fort-
fuhr . . . (Besuch der Schloßkirche; Hofprediger Sch midt;
Kirche und Gottesdienst werden beschrieben ; ebenso das
Schloß; Gespräch mit dem Hofprediger) . . . (Nachmittag
s. Johannis- mil j^ofr. Becker in die Johanniskirche, wo
M. Propst predigte; kurze Beschreibung) . . . (Nach-
mittagskaffee im Familienkreis bei Frau Harzig) . . . Nach
dem Nachtessen war wie bisher Hr. Hofr. B. mein Gesell-
schafter, der mir . . . wichtige Dinge sagte, besonders in
Ansehung eines Königl. preuß. edicts wegen den Huren . . .
Montag, i. au- . . . war in der Betstunde in der dem Hause gegenüber
SyiveswV- stehenden Sylvester- oder Oberpfarrkirche (Pastor Plessi nk . . .)
Kirö p f y re 0ber - besuchte um 9 Uhr Hr. Pastor Hermes. Er ist ein
kleiner Mann zwischen 50 und 60, aber ein Gelehrter . . •
(Mittag beim Hofrat Fritsch auf dem Schloß, wo «von
erbaulichen und guten Dingen gesprochen» wurde; dann
mit Hofprediger Schmidt «in die Conferenz der hiesigen
redlichen Knechte Gottes», diesmal in Cons. Rats Hi Ide-
bra n d Haus; Anwesend die Pastoren: Kaiisch, Breit baupt,
Pleschink, Schmidt, Hermes, also kein Konventikel, sondern
ein pietistisches Pfarrerkränzchen.) . . . (Wandelgespräch
mit Hofrat Becker «von den Ehegesetzen Mosis») . . .
Dienstag. . . . (Paslor Breithaupt, an 70 Jahre alt, e,D
2 Aug «weitloser Anverwandter des seligen Hr. Abtes Breithaupt» i
Betstunde im Waisenhaus ; Pastor Kaiisch, Superinten-
dent Ziegler, «der redliche Schulmeister» Ho topp von
Schwarzau; gemeinsames Gebet mit Hotrat Becker)
i Insp. Witte vgl. lö. XII. im Jahrb. 1906.
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. . . rüstete mich auf die Reise ... Hr. Hofr. B. hl £ n £°* h '
schenkte mir einen dänischen Dukaten von 1(366 . . . (Ab-
schied) Die Poste hatte Hr. Hofr. B. ebenfalls noch gestern
Abend bestellen und bezahlen lassen . . . (Abfahrt 8 Uhr ;
Ankunft in Halberstadt halb 11 Uhr; Mittag bei Pastor Haiberstadt.
Streithorst; Besuch bei Consistorialrat Struensee
und der D o m k i r ch e). Sie ist dem h. Slephano gewidmet DicDomkirchc.
und inwendig größtenteils wie das Münster in Straßburg . ..
Ich sähe zwischen 30 und 40 theils wirkliche Domherren, DieDomherren.
theils vicarios im Chor. Sie hatten ihre gewöhnlichen
Kleider an und, wie sie sonst giengen, mit perruques, Haar-
beuteln, rundem Haar, Zöpfen. Lieber diesem ihrem Kleide
hatten sie einen schwarzen Uiberrock und über diesem ein
.weises Chorhemd, welches bei den adelichen mit rothem
Sammet und bei den andern mif schwarzem eingefaßet war
um den Hals herum. Bei manchen hieng noch eine Art
von dergleichen Kappe hinten herunter. Sie stunden größten-
teils auf beiden Seiten in ihren Stülen. Die übrigen
stunden je drei auf beiden Seilen an einem Pulte, worauf
das Breviarium Romanum in folio lag. Noch einer war
allein an einem ganz großen Pulle. Es wurde gelesen, ge-
sungen und so immerfort mit darzwischen spielender Orgel
und allerlei Abwechselungen, da sie bald sasen, bald stunden
etc. Ein jeder hatle anstatt des Hutes ein kleines schwarzes
Baretlein, rothgefüttert. Gegen 3 Uhr halle dieses ein Ende,
da dann ein jeder im Creutzgange seinen besondern kleinen
Schrank hatte, in welchen er seine ausgezogene gottesdienst-
liche Kleider legte. (Besuch beim Generalsup. Jacob i,
«welcher mir nicht richtig zu denken scheint») . . . Ich
logierte mich in den König von Pohlen zu Hr. Himmel .
wolte mich auf die Poste einschreiben lassen für morgen
früh nach Magdeburg. Weil aber die 6 ^ Stücke nicht
angenommen wurden von dem Secretaire, so entschloß ich
mich zu Fuß zu gehen, indem es mich däuchte, gar viel
Geld zu sein : 1 Thaler 12 Groschen, ohngeachlet ich wirk-
lich (= zur Zeit) schon 2 Groschenstücke eingewechselt
hatte. (Abendessen bei Struensee; dann in einem
Nebenzimmer eine Andachtsversammlung von etwa «12 Bür-
gern». Es wurde gelesen, betrachtet und gesungen). Plötz-
lich stand er auf und sagte : «Herr Patrick, sie beten
mit uns und für uns!» Alle anwesende würfen sich auf
ihre Knie und ich desgleichen und betete laut. Ich kann
nicht sagen, wie große Gnade mir Gott geschenket hat in
diesem ganz unvermutheten Fall . . . (einer der Teilnehmer,
Kaufmann S p i e 1 k e , gab ihm einen Brief an seinen
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«To«:hteriiiann», den Pastor Werner in Buckau) Die
Magd (des Spielke), die mich nach meinem Wirtshause führte,
hat mich durch ihr erbauliches Gespräch vergnüget und er-
muntert . . .
Donnerstag, > # > stund auf vor 4 Uhr . . . und ging gegen halb
6 Uhr fort. Unterwegens läse ich in Bog. Schatzk. (I i| f Stun-
den Rast in Hadm er sieben; «das Gasthaus ist Anhalt-
Dessauisch») . . . Etwa um halb 12 Uhr gieng ich weiter
und kehrte ein in Wansleben im Ralhskeller. (Am
Rand: «Wansleben, ein Städlchen. Der Ratskeller ist das
einzige Gebäude in demselben, das man ein Haus nennen
icbJn%in U Dorf. kann ») • • • In Gros-Oltersieben* Irunke ich das
ersle bittere Magdeburger Bier . . . (nach 8 Uhr Ankunft
Magdeburg. in Buckau bei Magdeburg, Übernacht bei Pfarrer Wer-
ner, wo er sich «mit dem Ausziehen seiner Stiefel sehr
ermüdet») . . .
F Das a Clo«Uc U r S * * ' NaC " (Je " 1 MEssen l» nr,e m ' cl1 Hr. Pastor W.
Hergen. nach dem Closter Bergen« (Besichtigung der Bibliothek
und des Gartens, der «fast ganz Natur ist», und des Na-
turalienkabinctts) . . .
Samsiag.6.Aug. . . . gieng nach der Stadt Magdeburg und spat-
Magdcburg. . * " . . n " *
zierte herum, bie ist ziemlich groß und regelmäßig gebauet,
die Häuser durchgehends groß und dauerhaft. Der breite
Weg ist die breiteste Gasse und gehet mitten durch von
einem Thor zum andern . . . Die Stadt wird durch
3 Veslungen beschützt, welche aber kein Fremder ohne
Der Dom Paß zu sehen bekömmt. Der Dom von beinahe 900 Jahren
ist sehr solid ; hat vornher 2 große Thürme und hinten
einen ganz kleinen. Uebrigens ist er wie dergleichen Ge-
bäude von Gothischer Bauart. Die Kunst des St raß-
burger Münsters muß man nicht an ihm suchen.
(Mittag im «weisen Schwanen»; Besuch bei dem «christlichen»
Handelsmann Fritze und im Kloster bei den I^ehrern
Zerenner und S p i e I k e.) Es wurde mir da fast
wehe, und ich meinte, ich müßte mich ergeben. Und
hier will ich zu meiner künftigen Warnung und desto
größerer Vorsicht, wenn mir anders Gott Leben und Ge-
sundheit wiederschenken und noch länger verleihen wird,
die Ursachen hersetzen von dieser Schwäche und Wehe.
Es können folgende sein : 1) die Erhitzung im Gehen von
Halberstadt bis Magdeburg l 2) ein Gurkensalat! am Freitag
> Groß Ottersleben.
2 Benediktinerkloster, gest. 937 von Kaiser Otto dem Großen,
lf)Gr> protestantisch und Erziehungsanstalt.
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— 187 —
nachts, davon ich ziemlich gegessen 3) einige ringlots, i grüne
Pflaumen, etwa eine Stunde nach dein caflee heut morgens
4) ein Theil des Mittagessens im weisen Schwanen, da ich
u. a. ase gerösteten Speck mit Eiern und eine Eierbretzel
5) nahe beim Closter Bergen kaufte saure Kirschen s. ama-
relles und ase einige davon 6) im Closter selbst rauchte ich
labac und trunke bei 3 Kelche weisen mit rothem vermengten
Wein 7) und endlich rauchte ich noch eine Pfeife tabac eben
im Kloster, worüber es mir anfieng, webe zu werden. Auf
dem Wege nach Hause so spührte ich abwechselnd Frost
und Hitze . . . gieng mit Thee zu Bette. Die Frost wurde
stärker, wie auch die Hitze, und ich schlief sehr unruhig.
Des Morgens war ich sehr durstig und schwach ; ich Sonntag, 7.Aug.
trunke Thee und konnte den ganzen Tag kaum einige
Augenblicke auser dem Bette sein. Um 9 Uhr mußte ich
mich ergeben zum erstenmal, nach Mitlag zum zweitenmal,
ob ich gleich nur ein wenig Habergrütze gegessen halte, so
aber freilich nach hiesiger Zubereitung säuerlich war ; und
elwa um 6 Uhr zum dritten Mahle, ohngeachtet ich vorher
Nußbranntwein getrunken halte . . . (einige Zeit in» Sessel,
dann wieder ins Bett, noch einmal Nußbranntwein, trockene
Hitze, ziemlich ruhiger Schlaf, gegen Tag «einiger Schweiß».)
Heule stunde auf etwa um 7 Uhr, stärker als gestern Montag. s. Aug.
. . . doch wird mir das Beden sehr sauer; auch hört der
Durchbruch bis jelzo noch nicht auf . . . (Schreiben «dieses
journals» und Lesen) . . . (Abendspaziergang mit Werners)
zur hintern Gartenthür hinaus, wo wir einen schönen Wald,
das Dorf F a rme'r sieben,* den Fluß Sülze,» eine
schöne Wiese, Felder etc. im Gesichte hatten . . .
(Trotz plötzlichen Schweißes und noch vorhandener Mal- Dienstag,
tigkeit Weiterreise gegen halb 11 Uhr.) Die Frau Pastor
ließ mir noch Habergrütze kochen und packte mir Butlerbrod
und Fleisch in Papier . . . Ich hatte Thränen in den Augen,
und das Herz war mir schwer. Sie beide selbst waren auch
ziemlich gerührt . . . Und so gieng ich ganz schwach und
Schritt vor Schritt bis in das Dorf Weslerriede* 1 »12 DorfWcster-
Stunden etwa von Buckau. Daselbst speißle ich zu Mittag
gebratene Bratwurst, ein klein wenig Salade, ein Bißgen
Brod und nicht ganz einen Straßburger Schoppen B r i h a n *
und zum Schluß ein wenig Brantwein, weil ich gar keinen
1 reine-claudes.
2 Farslebcn.
3 Links in die Elbe.
* Westerhüsen.
5 Breihahn. Weizenbier.
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— 188 —
Schornstein-
feger.
Die Stadt
Schönenbeck.
appetit halte. Nach dem Essen war ich schwächer als vor-
her, daß ich mich bald in den Schallen der Weidenbäume
niedersetzen mußte. Wie ich mich ein wenig erholet hatte,
so läse ich etwas in Bog. Schtzk. Uiberdem kam ein Schorn-
steinfeger herzu mit seinem Bündel auf dem Buckel, welcher
schon einige Wochen herumlauft, gebürtig aus Regens-
burg und catholisch ; doch schien er nicht dumm zu sein.
Er setzte sich ein wenig zu mir, und wir giengen hernach
miteinander ganz angenehm bis S c h ö n e n b e c k , wo
er sein Geschenk holte.» (Großer Durst; Milch; «dieser
aber ranne im Magen zusammen», große Schmerzen; Er-
Si"a da 7 U jihr« brechen ; endlich nach mehrfachem «x\iedersitzen» Ankunft
von einer Bru- i n Giudau,) Da ich einen Brunnen sähe, so irunke ich
dergemeinde
angeiegtesDorf Wasser daraus. Sobald ich im Gasthofe war, ließ ich mir
st°rVu7d 0 eln?m Wasser und Ü mal Brantwein geben. (Unruhige Nacht) . . .
Wirthshaus. Ueber dem cafl'ee gab ich mich gegen den Wirth und einen
andern Bruder (Herrnhuler) als einen neveu der 3 Herrn
Dürninger (vgl. 30. III) zu erkennen. Des Bruders seine
Frau bezeugte mir viel Liebe und gab mir Magentropfen (gute
Wirkung) . . . (Besuch des Ordinarius Pastors Hasset;
Hr. Ordinarius Gespräch über die Brüdergemeinde und ihre Missionen; Be-
Hülset
siehtigung des Gemeindesaales. Weiterreise nach Tisch;
aber immer noch «Schritt vor Schritt». Doch kam er «ge-
stärkt und ohne Mattigkeit in Ba rby an.) Ich hielte mich
beim Buchbinder H e r k e auf und sähe mich in den vor
mir liegenden Büchern der Brüdergemeinde um. (Er findet
«nichts Irriges» darin und kauft «Kurzgef. Nachricht von
der Bd. Gem. 1774 von Spangen b e r g » 8 , den er
hei nach auf dem Schloß besuchte.) Wir wurden bald ver-
traut . , . er ist ein ganz aufrichtiger Liebhaber Jesu und
dabei sehr leutseelig und gelehrt. U. a. recommandirte er
mir in Absicht auf das jus canonicum Briefe, welche Hr.
Hofrath Carl Bretschneider mit dem Hr. Geheimden-
rath von Moser 3 gewechselt hat. (Auf dein Weg zum
Gasthause Nasenbluten, das am nächsten Moigen wieder-
kehrt) . . .
. . . (Frühstück bei Spange nberg und Frau,
die «eine ganz artige Persohn») ... er gab mir ganz an-
genehme und unbekannte Nachrichten von meinen
Mittwoch,
10. Aug.
Die Stadt
Barby.
Spangenberg,
Bischof der
Brüder-
gemeinde.
Donnerstag,
11 Aug.
1 Von der Zunft.
2 Spangenberg Aug. Gottl , Bischof der Brüdergem. 1704 bis
1792, Biograph Zinzendorfs Bände).
3 Jon. Jak. v. Moser aus Stuttgart 1701—1785, der bekannte
«Landschaftsconsulent>.
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— 189 —
verstorbenen dreien Hr. oncles Dür - Mei " e Herren
Onclcs
ninge'r. Sie wären alle drei recht redliche Leute ge- Düringer.
wesen, besonders aber Abraham, der auch sonst weit und
breit wegen dieser seiner Redlichkeit und großen Einsichten
bekannt und im Ansehen war und noch ist. In Absicht auf
seine Handlung besonders hatte er diesen Grundsalz: ich
suche dadurch meinem Heiland und meinem Nächsten zu
dienen. Wem es also kein wirklicher Dienst wäre, der
solle nicht bei ihm kauten . . . Sein Stiefsohn Obermüller
... ist sehr schwächlich und noch auf dem Comloir ; denn
nicht nur seine Handlung geht fort, sondern noch immer
unter dem alten Namen, als wenn er noch lebete . . .
(Spangen berg hat die Zeche im Gasthof bezahlt.
Weitermarsch bei Regenweiter über Kalbe, 1 «eine ganz DieStadtKaibe.
artige Stadt» nach N i e m b u r g ; 2 vor der Stadt im Die Stadt
01 . .v Niemburg.
Schwanen Nachtquartier).
... >U nach 6 Uhr verließ ich meine Herberge. Ich wurde Freitag Aug.
gewarnet, durch die Stadt zu gehen wegen der schlechten
Steigen über das Wasser. Doch schiene mir die Stadt ziemlich
gut gebauet; nur siehet man hin und wieder, daß der grau-
sa nie Mars auch ein mal da gewesen. Bernburg liegt B^nSurg 1
eine kleine Meile von Niemburg und sieht ganz gut aus.
(Fürstliche Schlösser und Gärten ; schöne Brücke über die
Saale ; eine große Kirche mit gemalten Fenstern.) In dem
Dessauischen Flecken B r e i c h 1 i t z oder G r e i b z i g s
speißte ich zu Mittag, so wie ichs haben konnte. Es war da
eine Weibspersohn in ganz elenden Umständen, die aber
ausnehmend schwatzen konnte. Sie erzählte, daß sie von
Prag herkäme und beim Kaiser in Wien eine Supplique
eingegeben hätte etc. . . . gienge alle Augenblicke irre und
hatte sehr schlimmen Weg, so daß ich um 8 Uhr ganz er-
müdet im Dorfe Oppin einkehrte zur grünen Tanne- DasDorf Oppin.
Der Wirlh fragte mich ganz genau, wo ich herkäme, wo
ich hin wolle, ob ich meinen Paß hätte etc., daß ich endlich
ganz ungeduldig und böse wurde und etwas hitzig fragte :
«Kann ich endlich hier zu Nacht bleiben?» Nun ja, sagte
er darauf, und war alles ganz gut (der Wirt erzählt «von
seinen Taten im letzten Kriege», und daß das oben er-
wähnte Weib auch bei ihm «sich hochmüthig bezeuget
hätte», obgleich sie sich die Zeche erst im Dorf habe «er-
betteln müssen»).
i Calbe.
* Nienburg.
: * Gröbzig.
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— 190 —
Samstag,
13. Aug.
Sonntag,
14. Aug.
Halle.
Montag.15.Aug.
Dienstag,
16. Aug.
Mittwoch,
17. Aug.
Donnerstag,
18. Aug
Botin, Gesch.
der schwed.
Nation im
Grundriü.
Freitag, 19.Aug
Aufsagung de;
logis.
(Um 6 Uhr Aufbruch, Wiederankunft in Halle
8 Uhr Dankgebet) ; Den Hr. von der Heiden (vgl. 27.
IV, ff.) ließ ich mit mir caflee trinken und suchte mich
durch Wasser etc. zu erholen . . . schrieb dieses jourual. . .
und die Ausgaben aus der Schreibtafel ins Buch . . .
. . . trödelte herum so lang, daß ich erst um , fill Uhr
angekleidet war . . . sagte dem traiteur auf dem Waysen-
hause, daß ich wieder zu Tisch kommen würde . . . (Erst
Nachm. in der Kirche : ocGIauchischen Kirche» ; Diakon
Niemeyer 1 predigte ; Kirchenschlaf) . . . legte mich zu
Bett etwa um halb 11 Uhr ohne Gebet.
. . . von 6 — 8 in collegiis, doch ohne etwas nachzu-
schreiben (desgl. von i) — 10 Uhr) . . . läse politische
franz. Zeitungen 4 und gelehrte Jenaische zwo bis 4 Uhr.
(Nach dem Abendessen Spaziergang «im Feldgarten») . . .
. . . jetzo werde ich anfangen, Briefe zu schreiben . . .
(Lesen in Boti n s* Geschichte von Schweden, bis ich zwo
gelehrte und eine polit. franz. Zeitung bekam . . . (das
Abendgebet «rauf dem Bette ganz kalt und ohne Emptindung
eines Betenden»).
. . . weckte Hr. von der Heide und Oehlschläger !
nahm poudre d'A. ein nach vorhergegangenem demüthigen
Gebet (!), und Gott segnete es auch nach seiner großen
Gnade gegen mir . . . der Peruquenmacher schnitte mir
die Haare . . . (Lesen in Botin noch nach dem Abend-
essen bei Licht.)
. . . (6—8 Kolleg ; dann Lesen in Botin bis zu
Ende) das Buch ist unparteiisch und gründlich geschrieben
mit vielem Verstände und kurz . . . Sodann nahm ich vor
mich : Kritische Sammlungen zur neuesten Ge-
schichte der Gelehrsamkeit 1. Bd. 1. Stück in 8 Bützow
und Wismar 1774 (Hauplmitarbeiler ist Kons. Rat Rein-
hard t in Bülzow. Dieses «journal» ist gut) . . .
(Vorm. im Kolleg ; Nachm. bei Seeg er . . . hatte mit
meinem Branntenwein und rasiren zu thun und besuchte Hr.
M. Müller. . . gienge zu Hr. Büch I in g . . . dem ich
sagte, daß ich nicht wüßte, ob ich noch nach Michaelis in
Halle sein würde und, wenn ich noch hier wäre, so
wäre mir das logis zu theuer. Darauf that er mir den Antrag:
das Zimmer, Aufwartung und Holz frei zu geben, wann
1 Niemeyer Gotth. Ant. 1757 - 1809 aas und in Glaucha
(ehem. besondere Stadt, jetzt mit Halle vereinigt).
2 Andreas von Botin f 1790 in Stockholm. Seine schwedische
Geschichte erschien 1767 deutsch (von Backmeister) in Riga und
Leipzig, 2 Bände.
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ich seinen Sohn täglich eine Stunde unterrichten würde,
welches ich in so fern annahm . . .
. . . (Am Rand : Drei Schriften nach Werni^e- % m \$jj'
rode nebst einem offenen Brief an Hr. Superintendent
Z i e g I e r) nemlich : 1. ein exemplar von S e m ! e r s
Leben an den Hr. Superint. selbst. 2. Das zweite (davon) *
an Hr. Hofr.. Becker oder an jemand anders 3. Silber-
sehl a g («Gedächtnismahl des Herrn Jesu») an Frau Ober-
bergmeisterin H a rz i g i n . . . (Nachm.) suchte bei
der Frau K r e b s i n einige Disputationen für Hr. Prof.
S t o e b e r (in Straßburg) . . .
Ich stunde auf gegen 8 Uhr und trödelte leider, wie ^"JJg'
gewöhnlich, herum, daß ich erst gegen 10 Uhr angekleidet
war und in die Garnisonskirche gieng, wo ich
den neuen Feldprediger Hr. Matusson hörte. (Er hat) di g£ r Malussen,
geringe Gaben und auch einen schwachen Cörper, doch ist
sein Vortrag orthodoxe, da der vorige, T i e d e, nur Moral
vorgetragen ... Zu Hause nach halb 11 Uhr sunge ich
einige Lieder mit lauter Stimme, darüber sich eine Stube
voll Studenten gegen mir über aufhielte . . . (Um 2 Uhr
in der Ulrichskirche; Prediger : M. Sc h u I z ) . . .
Hr. Müller machte mich mit Hr. Bickelhaub, Wein-
händler, bekannt, einem geborenen Straßburger . . .
(Mit Müller in «Wagenführers Garten») . . ,
. . . Nach dem Nachtessen läse bei Buchbinder H o f- Montag,22.Aug.
mann im 3. Theil der «Leitungen des Höchsten nach
seinem Rath» von M. Stephan Schulze, besonders die
Nachricht von Straßburg, welche ganz seichte und
fälschlich ist, fast so viele Unrichtigkeiten, als Zeilen.
(Am Rand : Brief an Hr. Pastor Werner in Buckau, so
ich am 23. Aug. fortschickte.) . . .
. . . (Lesen im 4. St. des 3. Bd. von E r n e s I i s ?4 e Aug g '
neuester Theol. Bibl.) . . . läse die franz. pol. Zeitung,
Hickte Strümpfe . . . betete und legte mich um 11 Uhr.
. . . läse einige Briefe von Z w e i b r ü c k e n, so ich ^"Tug.'
schon d. 16. april in Leipzig emptieng und schrieb die
Antwort darauf, (an Assessor Patrick vgl. 16. IV.) Nach Der große u
dein Mittagessen . . . wiese mir Hr. M ü n c h den großen wdne^Bettsaai
Bettsaal von 120 Bettstellen etwa und den kleinen von 42 . . . eS hauses
(Mit v. d. Heide Spaziergang im Wfh. Feldgarten) . . .
. . . (Lesen in Trinius» «Schrift- und Vernunft- D g n A r *£ ff>
1 Trinius Joh. Ant. ev. Pfarrer 1722 — 84. Die erwähnte
Schrift war 1750 in Leipzig erschienen und richtete sich be-
sonders gegen den Mißbrauch der Sprüchwörter zur Beschönigung
von Fehlern etc.
- 192 -
mäßige Betrachtung über einige Spruch Wörter» und in der
«Wichtigkeit des Ehestandes») Schreibung und Sieglung der
adqVesses zu Briefen 1. nach Gotha (an Hofr. Schläger
(vgl. 6. IV.), 2. nach Straßburg (an S t o e b er und
Onkel B i r r), 4. nach Zweibrücken (an Assessor
Patrick), so ich am 26. Aug. fortschickte . . .
Freitag 26Aug . • • (Bes. bei Inspektor Fleisch mann:» «der
Mann hat mich vergnüget») . . . (Besuch bei Diakonus
N i e m e y e r .) er gab mir Bier und darauf caffee ohne
Milch. Die Hede betraf Wernigerode, meine collejria,
Straßburg etc. Unter anderm mußte ich ihm meine
Bekehrung erzählen. Der Mann ist aufrichtig und
freundlich, scheint aber nicht viele Lebensart und keine
«roßen Gaben zu haben. Von da weg gieng ich zu Hr.
Gray, um ihm Seilers* Dogmatic zu bringen . . .
5 bis 6 andere Studiosi kamen dazu ... es wurde ge-
sprochen von den Colonien in Preußischen Landen, von den
Die Drevhaup- Werbungen, von den Münzjuden elc. . . . gieng die Drey-
tische L.nroniK. . ( . _
h a u p 1 isclie 5 Chronik 2 ten Theil durch in folio . . .
Samstag. . . , >; ac |, [ Uhr auf die Way sen h a usb iblio-
*rj A u tr
thek und läse etwas in Origenes Philocalia * in 4 lo
Lut. Paris. 4624 und in C Ii r y s o s t o m u s (in epistolas
Pauli commentarius) über Kor. 1, 7 in folio apud Come-
niurn 15)6. (Dann bei v. d. Heide in Alexandri
Rosei Christiades Virgiliana in 12 Lips. 173(?)) Das Buch
ist wirklich lesenswürdig neben dem schönen virgilianischen
latein besonders wegen der Religion so darinnen herrschet. . .
Sonntag. • • • ^ ase m S t a t i u s* Schatzkammer in 12 Löin-
2«. Aug. j )U| .g |(jg7 m (i n der Garnison kirche predigt
M. W a I t e i zu niemands Zufriedenheit ; nach der Kirche
mit Müller cauf dem Markt auf und ab und ein wenig
auf den Pa radeplat z») . . . (Besuch bei lnsp. Fa-
b r i c i u s). Unter anderm tbat er mir den Antrag, oh ich
Antrag, als ' . B .
missionarius nicht wolte als Missionarius nach Indien*
nach Indien zu , t 1 u i
gehen. gehen . . . Ich antwortete, — mein Herz war mir schwer —
' Fleischmann vgl. 2. I. und 7. II. im Jahrb. 1906.
* Seiler Prof. in Erlangen vgl. 3. 1. u. a. im Jahrb. 1906.
8 Joh. Christoph von Dreyhaupt geb. IG99 in Halle, gelehrter
Rechtsanwalt, der Schöpflin seiner Heimat, f 1768.
4 Philocalia, a Basilio et Gregorio ex variis Origenis com
mentariis excerpta griech. herausgeg. von Jo. Turinus, Paris 161)?.
* Statius vgl. 14. XII. im Jahrb. 1906.
6 Nach Trankebar. damals dänisch (seit 184ö englisch)
König Friedr. IV. hatte von Franke schon 1705 Missionäre er-
beten. Von Halle ging darauf der erste prot. deutsche Missionar,
Ziegenbalg, nach Ostindien.
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- 193 —
■wann ich überzeugt wäre, daß der Ruf von Gott seie . . .
so würde ich sagen : «Wie Gott mich führt, so will ich
jreh'n» . . . Wie ich vom Nachtessen nach Hause wolte,
so lief mir Hr. Seeger in die Hände, dem ich mein An-
Jiegen entdeckte. Er schenkte mir einige Birnen und sagte,
<iie Studiosi hätten schon lange unter sich davon gesprochen,
daß ich missionarius würde . . .
. . . (Dr. N o e s s e 1 t liest nicht wegen Krankheit). Montag,29.Au£.
Zu Haus beschnitte ich einen Nagel des großen Zehes und
llickte einen Strumpf . . . (Nachm. kommt G ray vgl. 26.
VIII.). Wir redeten von einer Heise, von Hr. Prof.
S c Ii o e p f I i n, von Hr. Insp. D i e in e r etc. . . . (Das
Buch : «Die Wichtigkeit des Ehestandes
Leipzig 1738» wird beendet) Besonders haben mir die ange-
hängten Hochzeit>»gebräuche älterer und neuerer Völker
wohl gefallen. Das aber hat mich befremdet, daß in dem
Anhang die Polygamie und die Ehescheidung wegen der
Unfruchtbarkeit des Weibes vertheidiget worden von dem
gelehrten Bischof B u r n e t 1
. . . besuchte Hr. Oelschläger . . . wir redeten
diesesmal von der schlechten Bestellung der meisten
DieWichtijfkeit
des Ehestandes
aus dem eng-
landisehen des
Salmon.
Dienstag,
30. Aug.
Gymnasiorum in den Preußischen Landen ; darunter rühmte
er aber Z ü 1 I i c h a u als ein gutes gyrnnasiurn ; dabei
gab es dann Gelegenheit, von Straßburg zu reden.
Darauf läse ich in dem «Gebrauche und Mißbrauch des Ehe-
bettes» aus dem engländischen in 8. Leipzig 1740 . . .
<Be.such bei Direktor Freylinghausen. Am Rande
«Förmlicher und zweiter Antrag als Missionarius
nach Indien». Antwort wie beim ersten Antrag) . . . (Spa-
ziergang mit Freunden zum Ranstädter Tor hinaus. Man
sprach von dem vorigen Könige in Preußen 2 be-
sonders in Ansehung seiner Briefe an Joachim La n ge»). . .
. . . (Nach dem Morgengebet wurde er gewiß, daß
ihn Gott nicht zum Missionär berufe) . . . (Lesen in der
Bibliothek des Waisenhauses : u. a. Melanchthon, Erasmus).
. . . (Endgültige Absage bei Freylinghausen). . .
Nach dem Nachtessen gieng ich zu Hr. B ü c h 1 i n g. weil
<lie unter mir wohnenden Studiosi mit ihrem Hofmeister
geigten und tanzten, daß ich . . . mich ärgerte . . .
. . . endete «den rechten Gebrauch» etc. (s. o. 30. V1IL). Freitag. i Sept.
Mittwoch
31. Aug.
Donnerstag,
1. Sept.
1 Buruet Gilbert, Bischof v. Salisbury 1643—1715.
* Fr. Wilhelm I.
» Joachim Lange 1670-1744, Prof. der Theol. in Halle,
Verteidiger des Pietismus gegen den Philosophen Wolff. Eigne
Lebensbeschreibung: Leipzig 1744.
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- 194 -
Der unbekannte Verfasser ist nicht ganz ordentlich im
Vortrag, bezeugt aber große Ehrerbietung gegen Golfes
Wort nebst großer Keuschheit . Ich wünschte, daß das Buch
mehr bekannt wäre, noch mehr aber, daß die darin ernst-
lich bestraften Greuel nach und nach unbekannt werden
möchten unter einem christlichen Volke . . . Von 3—4 Uhr
habe ich getändelt mit eher Pfeife, die ich ausbrennen
wolle, mit welcher ich halb glücklich war . . . (Beschreib-
ung eines Feuerwerks vor dem Steintor) . . .
Samstag, . . . (Lesen von M ascho' «Unterricht von der bibl.
3. Sept. Tropen und Figuren», Halle 1773 und auf der Waisenhaus-
bibl. in Olearius» de stylo N. T. 16138) . . .
Sonntag, 4Se Pl . . . . (Lesen «des herrlichen Büchleins» : «Einige BV
wegungsgründe zu einer frühzeitigen Bekehrung der lugend»
von «F 1 e s s a 3 prof. theol. zu Altona, Bai reut h 1742) . . .
Der Zeitnngsträger gab mir das 07. Stück der gel. Jen.
r sUrM 6 " e Zeitung, in welchem der. Tod des Hr. Prof. K e i s k e,
f den Ii. Aug. an einer Auszehrung, gemeldet wurde
(vgl. !5. IV.) . . . (Lesen von Gruners* prakt. Ein-
leitung in die Religion der Hl. Schrift in gr. 8 Halle
1773 . . .) Für mich ist das kein Buch. (Hr. Seeger
«proponirti, im kleinen Saal des Waisenhauses
über das Thema : die Befreiung von allem Uebel ; 8 Knaben-
und ebensoviel Mädchenklassen waren zugegen. Am Rand:
Die Schulkinder aus der Stadt müssen auch am Sonntag auf
das Waysenhaus) ...
Montag,5.Sept ... v. 10—11 Uhr hörte ich Hr. Prof. Gries-
Hr P bach Gri ° S lj a c n als nos P es über (1 > e Einleitung in das N. T. (In-
haltsangabe dieses Kollegs). Er hat eine vorzügliche Gabe,
zu lehren . . .
Dienstag, . . . (Lesen verschiedener Bücher) . . .
Mittwoch, • • • (Bücher bei Buchbinder Hofmannn eingesehen
7. Sept. um i Lesen auf der Waisenhausbibliothek ; später : Schmidt,
Melhodus catechizandi in gr. 8. Bambergae et Wirceburgi
1 Mascho Fried. Wilh ; Schulmann f 1784 in Hamburg:.
2 Jon. Olearius .Oehlschläger) Prof. in Leipzig geb. 1639 in
Halle) f 1713. «Diss. de stylo N. T. pro Licentia 1668».
* Flcssa Joh. Adam aus Goldkronach 1694, vom Gymn. in
Baireuth 1741 nach Altona berufen als Dir. des Gymn. mit dem
«Charakter» eines Prof. der Theol. Der volle Titel der Schrift
• lautet: Einige etc. absonderlich aber der studirenden. 1. Aufl.
Baireuth 1732.
4 Gruner, Joh. Fr. aus Coburg 1723—78 von Seniler nach
Halle empfohlen. «Rationalist» , «die prakt. Einl > etc. war dem
Minister von Zedlitz gewidmet (vgl. Sehrader Gesch. der Univ.
Halle I. 303 u. 472).
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17G9.) . . . (Büchling erzählt eine lange Geschichte «als
Exernpel der strafenden Gerechtigkeit Gottes** von einer
heruntergekommenen «Familie Büschel aus Dölitsch bei
Leipzig») . . .
. . f Verschiedene Besuche) . . . Donnerstag.
. rüstete mich zur Heise nach Döbernitz*... .' p *
. , o. j • , Freitag, 9. Sept.
Wie ich etwa eine gute Stunde gegangen war, so war ich
nicht weit vom M o ri t z t Ii o r und also förmlich im Circul
herum gegangen, und dis geschah mir zum zweiten mahle,
sodaß ich erst um halb 2 Uhr nach Si ntsch» kam ...
Etwa um Ü Uhr war ich in Döbernitz (am Rand: Dorf D. ; sintschfsäch-
sachsisch). Nachdem ich mich durch einen Bedienten bei dem siscn
Hr. Baron von HohenihaU hatte melden lassen, so H^^on
wurde ich hereingeiufen (und zunächst von dem älteren von Hohentnai.
Sohn empfangen). Er mag zwischen 20 und 30 Jahr alt
sein und ist Justi/rat in G a r I s r u h (Gespräch mit dem
artigen Herrn; um 7 Uhr zum Vater; lange Mitteilung über
die Unterredung mit ihm. Auf die Frage, ob er bald von
Halle fortgehen wolle, erwidert er, dort habe er für einige
Stunden «freien Tisch und logis» ; für Leipzig fehle es
ihm an den Mitteln ; docli möchte er gerne dorthin, be-
sonders um bei C r u s i u s zu hören. Er wurde zum Essen
eingeladen. Der Baron fragte ihn, ob er mit Abraham
D ü r n i n g e r verwandt sei — vgl. 11. VIII. — und sagte,
als das bejaht wurde: «0, da hab ich Sie noch einmal so
lieb!» D. sei ein «grundehrlicher und kluger Mann» gewesen
und dabei so demüthig. Noch 1772, im Jahr vor seinem
Tode, sei er bei ihm hier in Döbernitz gewesen etc.) . . .
Ich stand auf vor 6 Uhr, betete und läse in den mit- Samstag,
gebrachten Pensees de M. Pascal sur la religion in 12. 10, Scpt
Amsterdam 1688 (Der junge Baron besucht ihn ; dann Gegen-
besuch ; Mitteilung des Gespräches; der Baron gestattet, daß
sein Diener ihn pudere; Patrick speist dann mit der Familie
zu Mittag; die Frau «Viccpräsident» und die Töchter sind
freundlich gegen ihn. Geredet wurde u. A. von der «Re-
alschule in Berlin»,* nach deren Muster die Schulen
auf den Hohenthalischen Gütern eingerichtet seien, von Abt
F e 1 b i g e r , * vorn «Catechismns des Hr. Schmidt in
» Döbernitz, Pfarrdorf, Kreis Delitsch.
2 Sietzsch.
3 von Hohenthal vgl. 6. I. u. a. im Jahrb. liXW.
4 Gemeint ist die «Oekonomisch-Mathematische Realschule»
(heute: Kaiser Wilhelm-Realgymnasium), von Jon. Jul. Hecker
1745 gegründet. Sie gilt als die Stammutter unserer Realschulen.
ä Felbiger vgl. 1. V. im Jahrb. 1906.
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— lOd -
Halle.
Würzbu r g;< vgl. 7. 9.) . . . (Auf dem Heimweg nach
Halle verirrt sich Patrick wieder einmal, bis er von den
Türmen 9 Uhr schlafen hörte.) Ich richtete mich nach dem
Klang der Glocken und hielte mich deswegen immer links.
Da hatte ich zur Hechten einen Garlen mit einer Wand von
Anfall von etwa Krde# Auf einmal ich etwas nur einige Schritte
zwanzig Man- weit von mir weg auf einer kleinen Anhöhe. Ich sähe dahin,
Acdscnahc bei schon erschrocken, und wurde es noch mehr, da das schwarze,
was ich sah, sich bewegte und zum Theil aufrichtete. Ich
weis nicht mehr, ob ich gefragt : was ist das ? oder ob man
mir so was gesagt. Kurz, eh ich mich versah, so war ich
von etwa 120 Männern mit Flinten, Prügeln etc. umgeben,
die auf mich zufuhren, wie die hungrigen Hunde, mir starr
unter das Gesicht schaueten, mich ganz leise fragten, wo ich
herkäme, ob ich was bei mir hätte. Darauf (mußte?) der
visitalor (namens) Bürger visitiren, welches er that in aller
Kilo und Eifer. Dieser visilator hatle seine haarichte schwarze
Mütze auf, wie auch zum Theil die übrigen ; andere hatten
Hüte und darunter einige silberne Borden darum. Ihre
Kleider waren blau, und die meisten hatten blaue Uiber-
röcke an ; einer darunter einen weisen Rock und keinen
Uiberrock. Wie nun der visilator meine Schuhe, mein
Hemd, ineine Strümpfe, meine Mützen etc. aus dem Sack
gezogen i. e. gerissen hatle, so hörte ich von einem, ich
bleibe (bliebe) die Nacht bei ihnen. Als ich hierauf noch
mehr erschrack und so ganz furchtsam fragte : «Ich werde
doch unter ehrlichen Leuten sein?» so mußte ich von einem
andern vernehmen, der mir zur linken stund : crHund s;
Nur, wenn du ein Wort redst — kein Wort geredt oder
wir schlagen dich todt !» Bald darauf bekam ich meine
Sachen wieder in den Sack, mußte aber von Zeit zu Zeit
hören : «Weil sie (Sie) sich verdächtig gemacht haben und
daher gekommen sind, so haben sie die plaisir, daß sie mit
uns wachen !» Wie einer und andere anfiengen, ein wenig
gut mit mir zu reden, und mein Herz um etwas leichter
wurde, so wurde ich auf Neue geängstigel, daß ich wiederum
nicht wußte, unter was für Volk ich wäre. Nemlich : es
wurde mir befohlen, meinen Hirschfänger abzulegen. Da
dieses geschehen war, so mußte ich auch meinen Uiberrock
ausziehen. Unterdessen hatten sich immer, bald hier, bald
da, einige berat hsch läget, bis ich wieder hören mußte, daß
ich die Nacht über da bliebe. Hierauf antwortete ich: «Ich
schwitze so sehr, daß ich durch und durch naß bin ; wann
ich nun so auf dem Felde sein solte, so würde es mir
schaden.}» Auf dieses antwortete einer ganz hart: «Das gilt
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uns gleich.» Nun war ich vollends stille, ohne daß ich Ant-
wort gab auf die vielen und bisweilen verfänglichen Fragen.
Endlich sagte der kleine, der auch Silber um seinen innern
Hut herum hatte, man solte mir meinen Hirschlänger und
Uiberrock geben, und der visit. öirger solte mit gehen;
wenn ich in B ü c Ii I i n g s Haus wohnte, so seie es gut;
wo nicht, so solte Birger den Hirschfänger und Uiberrock
zurückbringen, und wer weis, wo i c h geblieben wäre !
Wie ich förtgieng, machte ich meinen... 1 ein höflich com-
pliment, da doch einige so höflich waren und dankten münd-
lich mit Bücken, andere nahmen auch den Hut ab. Eine
Zeil lang giengen wir beide, Visitalor und ich, ohne zu reden;
nach und nacli redele er, da ich ihm dann antwortete. Ja,
er sagte sogar, wie wir in der Sladt waren : «Ich glaube
wohl, daß sie (Sie) erschrocken sind.» Zu Haus ließ ich
durch die Magd in der Küche den Hr. B ü c h I i n g heraus-
rufen. Sobald Hr. Büchling sagte, daß er mich kenne und
daß ich bei ihm wohne, so war der visitator ganz höflich
und gieng weiter. Hr. Büchling gieng noch mit ihm und
redete noch etwas mit ihm vor der Hausthür. Ich fragte
Hr. Büchling gleich und in einiger Zeit nochmals, ob er
dem visilalor etwas gegeben hätte ; er sagte aber beidemale :
nein, üa ich nun einige Augenblicke in Hr. Büddings Stube
sase, so kam ich nach und nach wieder heßer zu mir und
hiermit lieng ich an zu weinen. Hr. Büchling war so
sorgfältig, mir rolhes Waysenhäuser Pulver zu geben in
Wasser, das Geblüt niederzuschlagen ... Im Belt loble ich
und dankte ich Gott mit lauter Stimme und schlief bald ein.
... (In der Glauchischen Kirche predigt Pastor Weis) ??. n sLpf:
. . . (Besuche bei Insp. Witte, der ihn «ermuntert», doch
nach Leipzig zu gehen, und bei Mag. Müller, mit
dem er den Diakonus R i t t e m a y e r in der Ulrichs-
kirche hört) Durauf spazierten wir vors Thor, um meinen
Angstplalz zu suchen, aber ohne ihn völlig zu finden . . .
. . . (Am Rand : «Hr. Stoephasius zeigt die Na- Montag,i2.Sept.
turalien-Kammer des Wavsenhauses». Ausführliche Beschrei-
bung) ... (Zu Hr. Richter in Begleitung seines Lands-
mannes Vogel.) Es kam auch Hr. Schütz, ein schlechter
Mensch, der den folgenden Tag ein Duel haben wird. Da Ein Duei.
er nun kein Geld hat, so mußte ihm Hr. Vogel seine he-
bräische Bibel in zwei Theilen in 8 geben, um dieselbe zu
versetzen und so 4 Groschen zu bekommen. Denn so viel
i Die Punkte stehen im Text und verdecken einen jeden-
falls nicht sehr «christlichen» Ausdruck.
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bezahlt man dem Schwerd feger, wenn man einen
Degen borgt, und hernach wieder so viel, wenn man die
etwaigen Scharten herausschleifen läßt. Dieses d u e I -
I i r e n ist hier sehr stark mode, da in der vorigen Woche
5 duelle gewesen sind. Und doch verfährt der Hr. Doctor
Gruner, Prorector, (vgl. 4. IX.) sehr scharf mit ihnen,
wann ers erfährt . . . (Abends bei B ü c h 1 i n g ; sie
sprechen u. a. über die K a l e c h i s m u s p r e d i g t e n
in Halle und in St raßburg) . . .
Dienstag. . . . schrieb den ganzen Vormittag an diesem jour-
13. Sept.
nal . . .
Mi^och. ... es regnete gar sehr ... Ich fröre und fand mich
ganz untüchtig zum Gebet, so daß ichs unterliese.
Donn|rstag, . . . sagte Herrn B ü c h 1 i n g , daß ich vest ent-
ep schlössen wäre, nach Leipzig zu gehen, welche Ent-
deckung ihm Mühe machte . . .
Freitag.io.Sept. . . (Lesen und Kollegien) . . .
. . . (Bei 0 e h I s c h 1 ä g e r «zum eaffee» Morgens.)
Ein großer Theil der Zeit wurde hingebracht mit Vorlesung
aus der französischen und Kayserhi.storie (von Niemeyer? 1 )
. . . (Nachm. zu S e e g e r «auf eafl'ee und labae», wo
mehrere Gäste waren.) Diese Menge hinderte, daß wir auf
keinen rechten discours kamen, weil sie von ungleicher Ge-
sinnung waren. Es wurde hauptsächlich geredel von der
schlechten Aufführung der mehresten Reichsländer, 2 und ich
erzählele etwas von S 1 e i d a n o , Jacob Sturm und sonst
verschiedenes von S t r a ß b u r g . . . Ein orphanus (im
Waisenhaus) hat einen catholischen Vater in P c r I e b e r g
. . . (Am Rand : «Ein römisch Catholischer Vater läßt seinen
Sohn lutherisch auferziehen, welches in Preußen erlaube!
ist».) . . .
Samstag. . . . Als ich um '/2 8 Uhr erwachet war, so hatte ich
Thränen in den Augen, und mein Herz war ganz weich.
(Ursache: ein Traum.) Es dunkele mich, die Frau
Prof. Kugleri n in S t r a ß b u r g ganz in ihrem ne-
gligee sehr bestürzt vor mir zu sehen. «Ich wolte nicht
gleich nach der Ursache fragen, sondern sagte nur: «Wie
befinden sie sich?» Ganz nach ihrer Gewohnheit antwortete
sie mir sehr leise : o so ! Und sähe mich zugleich sehr
wehmütig an, sagend : «Gott hat mein Madlenel zu sich ge-
holt.» Augenblicklich fieng sie an zu weinen und ich auch,
17. Sept.
1 Ein NiemeierJoh. Ant. war Aufseher des K Pädagogiums in
Halle und Historiker f 17G5.
2 Wohl die nichtpreußischen Studenten «aus dem Reich».
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— 199 —
welches mich vollends aufweckte . . . (Am Rand : Ein mir
zum wenigsten merkwürdiger Traum. Im folgenden Monate,
Dienstag, 11. Oktober, erfuhr ich aus einem Briefe meines
Hr. cousin Birr den mir schmerzlichen Tod meiner Wohl-
thäterin Frau tante Birr, so eben um die Zeit meines Trau-
mes in Straßburg gestorben ist. (vgl. 11. 10.) . . .
{Pastor Senf predigt in der Moritzkirche) ...
w c i H riefe
Nach dem MEssen holte ich einen Brief aus Straß- welche mein
bürg beim Briefträger, der mirs vorher auf der Straße V LeVp^g'™^
gesagt hatte. Er war von meinem cousin Hr. Birr, der e ehen - Hingen,
mir darinnen den Tod des Hr. Lob st eins, seines Schwie-
gervaters, und die elenden Umstände meines Hr. oncle
Birr 1 meldete. Sonst lag darinnen ein Wechselbrief von
6 Louis d'or . . . und ein kleinerer Brief von Hr. M.
Weber. . . (Bei Mag. M ü I 1 e r mit drei andern Streit Ein streit
über seinen Trau m.) Ich schriebe der Seele des Menschen Wirkungen der
<las Vermögen zu, auf eine Zeitlang gleichsam ihren Leib zu e tvas e aus b Dr.
verlassen und an einen andern Ort zu sehen, welches er . Cru , sius Ab "
r ' handlung vom
mit den übrigen bestritte ; es könne dieses nicht geschehen, Aberglauben
t i • - , .. r~< • , i • . ■ vorgelegen
sondern hier waren die bösen Geister geschäftig etc. Dieses wurde,
dauerte von etwa 5 Uhr an bis nach halb 7 Uhr . . .
(Abends erzählt er dem Hausherrn B ü c h 1 i n g den Traum,
der ihm dann «verschiedene Exempel der gleichen Art aus
seiner Erfahrung» mitteilt.) . . .
Ich erwachte um 7 Uhr, eben da man einen Studiosum Montag.iw.sept.
als einen Dieb vorbeiführte. (Am Rand : «Er hat bei Hr.
Insp. S t o p p e f b e r g einbrechen wollen. Sein Name ist
Nascovius, eines Predigers Sohn aus Schlesien») . . . rüstete
mich auf die Reise nach Leipzig... Es regnet
zwar, aber ich kann diese Reise nicht länger mehr auf-
schieben. Lieber Gott und Vater, gib du Segen zu dieser
Reise, amen ! Zu Schkeuditz* trunke ich caffee und
aße ein wenig Brod. Ich träfe da einen Goldschmidts Ge- Gol ^euo. dts "
seilen von H a I 1 e an, der schon in das (i Je Jahr herum-
reiset und seiner Aussage nach schon schöne Reisen gethan
hat. Er ist nach B r e s s 1 a u beschrieben, wohin er von
Leipzig, wo er jetzto in condition ist, auf Michaeli gehen Leipzig,
wird. Ein ganz artiger Mensch, der auch in Straßburg
2 Jahre lang bei Hr. B öh m gearbeitet hat. Mit der Glocke
i vgl. 7. N. und 1. V. im Jahrb. 1906. — «Birr, Kaufmann
unter der großen Gewerbslaube» (1794), wohl
der «cousin Birr» (vgl. Sammlung authentischer Belegschriften
2ur Rev. Gesch. von Straßburg II 191 ; auf der Univ.-Bibl.)
* Schkeuditz, noch Landkreis Halle.
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4 kam ich unter das Thor in L e i p z i g. Daselbst logierte
ich mich in mein alt loj»is zu den 3 Rosen in der
Petersstraße . . .
2ofsep?' * ' * w5re £ erne zum Besuch gegangen, wenn ich ge-
poudert gewesen wäre. Weil ich nun keine Quaste be-
kommen konnte, so kaufte ich mir endlich einen poudre
Beutel . . . Nach langem Suchen fand ich endlich den
Hr. Barth, Banquier in der Peterstraße, bei dem ich
meinen Wechsel holte von 6 louisd'or. Ich glaube aber zu
wenig bekommen zu haben. Eine Carolin gilt ordentlich
6 Thaler 4 Groschen. Also hätte ich bekommen sollen
38 Thaler. Und doch bekam ich nur 35 Thaler 18 Groschen.
Zu' Haus hielt ich mich mit dem Geldzählen ziemlich
auf . . .
Mittwoch, . . . ([j m 9 Uhr Kolleg bei G r u s i u s «über sein
Hr.br. Crusius. Buch vom Plan des Reiches Gottes». Kr besucht den Pro-
fessor.) Ich entdeckte ihm aufs Neue meine Umstände. Er
wiese mich an den Hr. Vicepraesidenten Baron von H o-
h e n t h a 1 nach Doebernitz (vgl. 9. IX.) und versprach,
sich meiner anzunehmen durch Fürsprache. Meinen Auf-
Präsent von 2 enthalt in Leipzig zu erleichtern, schenkte er mir zween
Gulden. Um 11 Uhr war ich wieder im collegio bei Hr.
Dr. Crusius über die Erläuterung der Religion aus der
Geschichte, darinnen u. a. H e s s » mit seiner Geschichte
der 3 letzten Lebensjahre Jesu sehr heruntergesetzt wurde
. . . (Besuch bei Mag. H e m p e 1 , 2 wo man u. a. von
Prof. Lorenz in Slraßburg sprach, und bei Prof. P e -
Hr.ProiPezoid. z o 1 d ; s Angabe des Gespräches) . . .
Donnerstag (Reise nach Doebernitz zu Hr. v. H o h e n t h a 1). . .
Sept
FreUag,?3Sept. . . . «Audienz» bei ihm gegen 1 Uhr ; Patrick teilt ihm
seinen Entschluß mit, nicht in Leipzig zu bleiben, sondern
gleich heimzureisen, was der Baron mißbilligte. Dessen
Sohn, der Justizrat, nimmt ihn mit zu seinem wöchentlichen
Besuch der Dorfschule, die «nach der Berliner Real-
schule eingerichtet ist», (vgl. 9. und 10. X.) «oder eigentlich
nach der neuen sächsischen Schulordnung, so voriges Jahr
herausgekommen».) . . .
1 Joh. Jak. Heß, Antistes in Zürich 1741-1828. Zwei bissige
orthodoxe Streitschriften gegen ihn waren : «Gedanken eine*
sächs. Predigers über die Gesch. der drei letzten Lebensjahre
Jesu, so in diesem Jahr 1774 zum drittenmal in Zürich heraus-
gekommen» und «Nötige Erinnerungen über Hr. J. J. Heß Gesch.
etc.» Leipzig und Frankf 1774. — Crusius war wohl der Ver-
fasser oder Inspirator einer derselben, wenn nicht beider.
2 Hempel vgl. 18. XII. u. a. im Jahrb. 1906.
3 Pezold desgl. 14. XII. u. a.
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(Die Tinte des letzten Blattes ist wieder Samstag,
sehr verblaßt.) Ich gienge (um 9 Uhr) nach
Halle, ohne unterwegs etwas zu essen, langte nach Haue.
3 Uhr an . . .
(Hier endet Heft 3. Das 4. Heft trägt die Ueberschrift :
Diarium M. Philippi Henrici Patrick cand. theol. Aug. 1774.
September veraas finem usque ad medium Decembris. Halle
im Magdeb. und Leipzig.)
. . . trödelte abermals mit dem Anziehen herum, daß ^"sepf'
ich nach halb 10 Uhr erst fertig wurde und in die Gar-
nisonkirche mußte (Insp. W i n c k 1 e r predigt . .)
So eine trockene Moral habe ich bald noch nie gehört . . .
(Der Hausherr ßüchling sagte auf Befragen, daß er noch
über Michaelis in der Wohnung bleiben könne) ...
. . . (Allerlei Lesen und Schreiben ins ocjournal».) Montag.Lo.Sept.
. . . (Pascals Pensees geendigt ; Lob des Buches) . . . Dienstag,
(viel Regen und Kuhle) ... "'' ept *
. . . Versuchungen zur Unreinigkeit waren 'an diesem ^"g. oc t h '
Morgen stark, dabei ich nicht unüberwunden blieb ... " ept '
(tteisegedanken ; . . . Müllers «Einfalt und Bosheit der
Religionsspölter» in 8 Frkf. a. M. 1748» zu lesen be-
gonnen) . . .
. . . (Besuche. — Abends sind v. d. Heyden und der Donnerstag,
Diener bei Büchling d. h. sein «Commis», auf Patricks 2) ' Sept "
Zimmer) da wir dann teils tabac rauchten, teils von der
besten Welt disputirten, teils allerlei lustige Schwenke
erzählten.
... bei Hr. Schwarz in der Cansleinischen Bibel- Freitag,3ö.Sept.
anstatt. * Hier hörte ich u. A., daß Hr. Missionarius
D i e m e r (vgl. oben 30. IV.) unter dem 8. April von
St. Jago aus geschrieben habe, daß er ganz freudig und
gutes Muthes wäre . . . (Mag. Müller und T h u I o n,
«gewesener Missionarius beim jüdischen instituto» 8 reden
ihm zu, doch nach L e i p z i g zu gehen.). . . (Mit diesen
und den Waise ninspekloren Stoephasius und Münch
in Flörikens Garten zur Sternwarte des Barons Die Sternwarte
W . n des Hr. Baron
Oll)... v. Wolf.
1 Seit 1728 in einem eigenen Gebäude und vom Waisen-
hause verwaltet. Ihr Gründer, der Freiherr von Canstein, ein
Freund Speners und A. H. Frankes 1667 — 1719. («Gesch. der
Canst. Bibelanstalt» von Dr. A. H. Niemeyer. Halle 1827).
2 Das «Jüdische Institut» in Halle, gegründet 1728 von
Callenberg, Prof. der Theol, 1694— 1760 (jüdisch - deutsche
Druckerei) das erste deutsche Mis6ionsseminar für Judenbe-
kehrung. ,
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Samstag. . . # rüstete mich mit Gesang und Gebet zur Beichte
1. Oktober. . ....
in der Glauchischen Kirche . . . (nach dem Gesang) gieng
einer nach dem andern, Mleute und Wieute durcheinander,
in die Beichtstube. Ich wartete so lang, bis ich der zweite
vom letzten hineingieng. Hr. Pastor Weis saß an einem
Tische, auf welchem Feder, Dinten und Papier vor ihm
stunden. Er empfieng mich sehr freundlich und hieß mich
sitzen auf einem Stuhl am nemlichen Tische. Ich that ein
Gebet, darauf betete er auch, aber viel kräftiger und inniger
als ich; ertheilte mir, die Hand auf meinen Kopf haltend,
die Absolution und Segen ... Zu Haus überdachte ich,
indem ich in der Stube auf und abgieng, meine Umstände
auf das ernstlichste und entschloß mich, neuerdings nach
Leipzig zu gehen und da zu bleiben etwa 3 oder
4 Monate, so lange nemlich mein dazu bestimmtes Geld
von etwa 10 Louisd'or dauern würde . . .
Sonntag 2. Okt. . . . (Erndtefest ; \\ e i s predigt ; Communion). . .
Zu Hauß nach 11 Uhr bab ich mit singen zugebracht bis
Mittag. Wie ich das Gesangbuch wirklich (= eben) weg-
gelegt, ... so rief ein Studiosus vermulhlich, ich weiß
nicht aus welchem Hause: «Herr Gantor, halls Maul!»
Wobei ich mich darüber billig freuete, daß ihn der alles
% tw.t'cs" 1 * regierende Gott nicht eher hat reden lassen, bis ich wirklich
fertig war, ohne also seinetwegen aufzuhören . . . (Nachm.
in der Moritz kirche ; Diak. Bö t t i c h e r predigt) . . .
Montag, 3. Okt. . , . fienge an, meine Sachen in eine Kiste zu
packen . . . habe einige Zeit verderbet über einer
Pfeife, die sich verstopfet hatte . . .
nknstag,4.0kt. . . . (Abschied bei Prof. T h u m a n n und Pastor
W e i s) welcher mir einen Brief, von Hr. Dr. Spene r
eigenhändig geschrieben, zeigte, da derselbe von Frkf. am
Mayn nach Dresden gehen solle a. 1686 . . . Endlich gab
er mir verschiedene complimenten mit nach St r a ß b u i g
(das Gleiche tat Prof. Freilinghausen, welcher bedauerte,
daß Patrick das Erlebnis mit den Zöllnern vom 10. IX.
nicht dem Prorektor angezeigt habe. Die Professoren suchten
schon lange «Ursache und Gelegenheit, an sie zu kommen ;»
eine Anzeige dieses Vorfalles hätte «besonders gute Wirkung
gehabt, da seit 14 Tage gar viele Klagen nach Berlin um-
gelnffen» seien . . . Andere Abschiedsbesuche) . . .
Mittwoch,5.0kt. . . . Endlich war ich ganz reisefertig und sehr
schweren Herzens, so daß ich weinte bei Hr. 0 e 1-
s c h I ä g e r und der Aufwärterin und dem Zeitungsträger
und dem Perruquier. Mit thränenden Augen gieng ich zu
Hr. B ü c h I i n g, welcher mir noch einen Kelch Mallaga-
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Wein nebst Brod gab . . . und sagte, er würde an mich
denken, so lange ihm die Augen offen stünden, und ich
möchte doch an ihn .schreiben auch noch von Straßburg
aus, wann ich schon etablirt wäre . . . (P. konnte nur
«gebrochen und mit Seufzern» antworten ; ebenso beim Ab-
schied von v. d. Heyden, der ihn noch «i?ine Strecke vors
Thor» begleitet hatte). Uiber eine Stunde zerfloß ich fast in
Thränen, daß mein Schnupftuch ganz naß wurde und ich
ganz langsam gehen mußte. Zu Schkeuditz kehrte
ich ein und langte etwa um halb 6 Uhr in den drei Rosen
in Leipzig an. Ich wolte gleich Hr. Rathsherrn S t r o h I Leipzig,
von Straßburg sprechen ; allein ich hörte, er wäre
einige Meilen von Straßburg auf der Reise krank geworden,
und das Geruchte wäre gegangen, daß er gestorben sei . . .
kaufte den messkatalogus . . .
. . .(Besuch bei den Prof. Crusius und Pezold; Donng-stag.
Einmiethung in den drei Rosen) ...
. . . schlug meine Kiste auf und stellte die Bücher Freitag, i. Okt.
auf den Schrank in einer schlechten Kammer, in welcher
ich sein muß bis nach der Mitte der folgenden Woche ...
. . . kaufte Pfeifen auf der Messe . . . (Lesen). Samstag. 8. Okt.
. . . [Crusius predigt ind er Pauliner kirche) . . . Sonntag, 9. Okt.
Nachm. spatzierte in den schönen Baumgängen von Linden
und Maulbeerbäumen um die Stadt herum (Abends bei
Mag. Hempel am Familientisch. Man sprach u. A. von
einem Mann, namens Schrepfer, der sich, angeblich
ein franz. Oberst, gestern im Rosenthal erschossen habe
(vgl. 34. X., sowie 0. I. im Jahrb. 4906).
. . . schrieb in aller Eile nach Straßburg 4. an Hr. Montag. lo.okt.
M. Weber nebst dem teutschen lect. catalogo, 2. an Hr.
Cousin Birr, 3. inwendig auf das Couvert an Hr. Oertel,
und trug das paquet auf die poste . . . (Bei Pezold mit
M. Möller aus Halle und M. Hempel; man sprach
u. A. über Klopstocks gelehrte Republic 1 ) . . .
. . . läse (im Colleg bei Pezold) die höchst traurige
Nachricht vom Tode meiner wertheslen Tante Birr, so
den 48. Sept. morgens erfolgt ist und welche mir Hr.
cousin Birr, ihr betrübter Sohn, berichtet hat nach Halle,
von da der Brief nach Leipzig an Hr. Prof. Pezold
geschickt worden ist . . . (Briefe nach Halle an Büdding,
v. d. H e y d e n, Oelschläger, Weis) . . .
i «Die deutsche Gelehrtenrepublik» 1774 auf Subskription
gedruckt (Prosa). \g\. Goethe «Dichtung und Wahrheit», 3. Teil,
12. Buch.
Dienstag,
11. Okt.
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— 204 -
Ä !? U Okt h ' ' ' l^ esucn ^ei Pezold). Es wurde gesprochen
Hr. Prof. Hof- von Hol" ni u n n, dem Lehrer des Hr. Dr. C r u s i u s
in der Philosophie, daß er sich mit einer schlechten Weibs-
persohn eingelassen und durch dieselbe höchst unglücklich
worden seie, da er sie hat müssen heurathen, so «laß er in
dem 30 sten Jahr seines Alters und in den elendesten Uni-
sländen an der Schwindsucht gestorben ist. Er hätte übrigens
einen sehr guten Kopf und weit ausgebreitete Kennlniße
gehallt. Auch ist er einmal auf den Sprung gewesen,
Professor in Halle zu werden, um wider die Wo I fische
Philosophie zu arbeiten. Da er aber unterdessen durch ein
Kollegium (?) über eines Prolessoris disputation zu Leipzig
h.»t in den carcer wandern müßen, so wurde nichts daraus.
Im carcer hat er ein Buch wider W o l f geschrieben in l k 2
etc. . . . Angenehm war es mir, daß ich (hier) auch den
Hr seehg tor Hl * Lek,or S ee 1 i g, 1 so sich als Jude in seinem 10. Jahr
hat taufenjlassen, kennen lernte ... er redete von den
abbreviaturis Hebraicis. deren er zwischen 4000 und 5000
herausgeben wolle (ß r e i t k o p f habe den Verlag ver-
sprochen, mache jetzt aber Schwierigkeiten) . . . Nach dem
M Esse n hatte ich allerlei zu reden und zu laufen mit einem
Ein Abbe au> französischen Abbe aus der Provence, so sich einige
ucr Provence
Tage hier aufgehalten hat und nun nach Ber 1 i n gereiset
ist, um von da nach Pohlen, ich meine W a r s c h a u, zu
gehen . . .
Donnerstag, . . . (Mag. M ü I 1 er geht nach Halle zurück;
P. begleitet ihn bis Wahren). . .
Freitag, u.Okt. . . . nahm pourdre d'A . . . Abends überfiel Frau
Yorkin eine Ohnmacht über dem Spielen, das man meinte,
sie wäre todt .[. .
Samstag, . . . nahm wieder poudre d'A . . . läse in Gellerls
io. Okt. Comödie vonfjdem Loos in der Lotterie 2 .
Sonntag io.Okt. . . . (Prof. Dr. Richter predigt in der P a u I i n e r-
kirche) . . . Nach dem Messen gab ich Hrn. Meyer,
Hofzabnarzt zu Bayreuth, das Buch vom Gebrauch elc.
des Ehebettes . . . (Nachm. in der Peterskirche.
Beschreibung derselben) . . .
Montag, 17 Okt. . . . hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen wegen
einem Bai grade gegenüber, welcher ... bis heute mor-
gens um 7 Uhr gedauert hat mit heftigem Lermen . . .
(Am Rand : die Gärimonien der R e k t o r w a h I:) Der ab-
1 Seelig vgl. 18. und 20. XII. im Jahrb. ISOti.
2 «Das Los in der Lotterie» Heilerts Lustspiele, Leipzig:
3. Aufl. 1774).
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- 205 —
gehende Rektor Hr. Prot". Ernesli hielt eine Rede, nach
deren Endigung die Thüren geschlossen wurden. (Am Rand:
In dieser Rede forderte er am Ende ein Urteil über seine
Verwaltung von den 4 Senioribus der -4 Nationen
... Er redet sehr schön latein und gesetzO. Noch vorher
aber geschähe, was folgt : An dem Hauße, worinnen das
philosophische Auditorium war und die Wahl geschähe, ist eine
Treppe, auf welche man aus dem Hofe gleich hinaufsteigt.
An dem Ende der Treppe ist eine Art von Erker, an wel-
chem ein blaues Tuch von TafTet herabhieng. In diesem
Erker stand Hr. Prof. E r n e s t i in seinem Rektorhabit,
so churfürstlich aussiehet. Neben ihm stund Hr. (eine Lücke),
welcher etwas lateinisches herlas von Gesetzen etc., so ich
aber größtenteils nicht verstanden habe nebst noch einigen
anderen Herren. Unten an der Treppe stunden die zween
Pedellen mit ihren rothen Uiberröcken, mit Gold besetzt, und
gläsernen, verguldeten, schön gezierten Sceptern. Nach
langer Weile kam Hr. J)r. Ernesli mit Hr. Prof.
C I o d i u s etc. auf diesen Erker und kündete an, daß in
der dritten Wahl zur Rektorswahl erwählet, worden, 4. für
die polnische Nation Hr. Ur. Büscher* und Hr. Prof.
(eine Lücke), 2. für die meißnische Hr. (eine Lücke,) 3. für
die sächsische er, Hr. Dr. E r n e s t i selbst und 4. für die
bayrische Hr. Hofrath Bei. 8 Mit welcher Wahl die Studiosi,
so in Menge unten im Hofe stunden, zufrieden zu sein ge-
beten wurden. Wiederum nach langem Warten erschien
Hr. Dr. E r n e st i zum zweitenmale, den ich aber diesmal
weder selbst noch seine Hr. Collegen sehen konnte. Er
verkündigte, das Hr. Prof. Morus» zum Rektor erwählet h */J™k*£™ s
worden. Er ermahnte die Studiosos zum Gehorsam etc.,
worauf bald der, bald jener aus dem auditorio 'durch den
Hof die Treppe hinauf und wieder so zurückgieng, bis endlich
die Thüren wieder geöfnet wurden. Der neue Hr. Rektor
hielt eine Rede in schönem latein und mit ganz bescheidener
Stimme etc. Uibrigens muß ich mich freuen, daß die
sämtlichen Hr. Prolessores so viele Religion in ihren Reden
zeigen. Bald darauf giengen sie heraus über den Hof in
die Gartenhäuslein und so hatte alles ein Ende . . .
. . . nach dem collegio begegnete mir Hr. Inspektor ™ en ok a t g '
W T i t t e in der Waysenhäuser Buchhandlung in Halle,
mit welchem ich in sein logis gieng. Er gab mir zween ein-
i Burscher vgl. 27. X.
* Bei Karl Andr. Dr. jur. o'rd. Prof der Poesie 1717—82,
{hatte auch in Straftb. studiert, wo ihn Schöpflin förderte.)
* Morus vgl. 22. XII. u. a. im Jahrb. UKKi.
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206 —
zelne Briefe von 1. Hr. Dr. und 2. Hr. Prot. Loren z
nebst einem Paquet. Darinnen waren Briefe 3. von der
Fr. 0 e r t e I i n , 4. M. Redslob, 5. Hr. M. Ober-
Ii n, nebst zwo Dissertationen, alle von S t r a ß b u r jr .
Auel) befand sich darinnen 6. ein Brief von Hr. Frö-
1 i c Ii nach Berlin, welchen ich Mittw. den 9. Mor-
gens auf die Poste trug, ohne zu franquiren, 7. ein Brief an
Hr. Dr. I'» e i s k e , so unterdessen gestorben (vgl. 4. IX.).
Diese Briete und Paquetssind lange unterwegens gewesen und
an Hr. Insp. Witte hierher gesendet worden von
Frankfurt am Mayn aus ... Sie waren alle (noch)
nach Halle addr-essirt . . . (Spaziergang mit Witte in
den Garten des Fürsten Jablonpwsky) . . . brachte
der verwitweten Fr. Dr. Reiske den Brief von Straß-
burg, c o von Hr. Schneider geschrieben worden
. . . Gleich anfangs sagte sie mir, daß Hr. M. B I e s s i g,
jelzo in Göttinnen seie. Die Frau scheint übrigens
noch Lust zu einer andern Heurath zu haben. Sie ist lieb-
reicher in Geberden und auch etwas freier gekleidet, als da
ihr Mann noch lebete . . . (Briefe nach Halle).. . Nach-
trag zum 17: Uiber dem Beten, so ich gewöhnlich laut
zu verrichten pflege, klopfte jemand an eine Thür und
suchte sie aufzumachen. Ich, erschrocken, hielte innen im
Gebet und das zu verschiedenen Mahlen, bis ich eine deutliche
Stimme dreimal rufen hörte: «Nur fortgebetet, nur fortge-
betet, nur fortgebetet !» Hierauf achtete ich nicht gleich,
meinend, es spottete jemand über mich. W T ie ich aber
schon zu Bette lag, so gab mir dieses einen tiefen Eindruck,
und ich wurde, ich weiß nicht wie, vollkommen überzeugt,
daß es Gottes oder eines Engels Stimme gewesen, da ich
dann mit sehr gerührtem Herzen aufs Neue betete.
M>»woch, . . . (Collegien) . . . Nach dem M Essen gieng ich zu
dem Hr. Rektor Moru s, (am Rande : hier habe ich vielerlei
Fehler begangen) um mich in die Matriculami ein-
zuschreiben . . . speißte zu Nacht Butterbrod mit Wasser
und Branntenwein, läse in Crusii logic . . .
D T U 0kt afer ' * * * Detete sehr ka^sinnig . . . (Besuch bei Baron
von B r o w n aus W e r n i n g e r o d e , der «ein ge-
meiner Herr und wahrhaft christlich ist». Bei ihm lernt
er den Advokaten Duschewsky kennen, der vor 10 Jahren
in Leipzig protestantisch wurde, nachdem er vorher «ein
Dominikanermönch in Pohlen» gewesen. Desgleichen einen
i Die «jüngere Matrikel» der Univ. Leipzig 1550—1809 ist
noch nicht herausgegeben.
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207
studiosum aus B e r 1 i n,» Namens J a e n i k e 1 , der «fertig
böhmisch sprach» und «schon als böhmischer Catechet in
Dresden gestanden.») . . .
. . . gieng bald nach 8 Uhr weg und bald da, bald E™^^:
dorthin, weil ich die Mißethäterin und die Gaeri- taiis an einer
nionien dabei sehen wolle, soviel möglich war. Endlich
gieng ich vor das Thor. Nach 10 Uhr kam die Mißethä-
terin. Wie ich gegen 9 Uhr auf dem Markte war, so
war der Gatter am Rathause zugeschlossen ; auf der
Treppe stunden einige Stadtsoldaten ; ausen auf dem Markte
die Schaar in zwo Reihen mit langen Spießen und mit
Degen. Der Zug selbst war lange. 1. kamen Stadtsolda-
ten, 2. drei geharnischte Knechte zu Pferd, 3. die Schaar,
4. die Thomas- und andere Schüler mit Gesang, 4. gehar-
nischte Knechte zu Fuß, 5. die Mißethäterin mit
zwei Priestern und zwei anderen Geistlichen, 6. Jäger, För-
ster etc., 7. einige Kutschen vom Magistrat. Die Miße-
t h ä t e r i n war weis gekleidet mit einem schwarzen
Kopfzeuge und gieng zu Fuß. Sie war herzhaft, soviel ich
sehen konnte. (Am Rand : Vor dem Thore hatten die
Stadtsoldaten um den Gerichfsplatz einen großen Kreis ge-
schlossen. Innerhalb desselben war ein Gerüste aufgeschlagen
für einige obrigkeitliche Personen). Auf den Gerichtsptatz
stieg sie ganz frisch und sähe sich um, kniete nieder, wo-
rauf sie die beiden Priester einer nach dem anderen ein-
segneten; darnach setzte sie sich auf den Stuhl, nachdem sie
vorher von allen auf dem Platze Abschied genommen hafte,
den Scharfrichter nicht ausgenommen. Sie hat sich selbst
noch am Halse entblösen helfen. Der Kopf wurde gut ab-
geschlagen, ohne daß er gehalten wurde. Der Scharfrichter
hatte einen Treßenhut auf, einen grünen Rock, rolhes
Camisol und weise, seidene Strümpfe an nebst einem Degen,
und so richtete er. Das Verbrechen der Persohn war ein
Mord an einem fremden Kinde schon 1773, welchen sie
selbst am Rathhause gleich nach der That angegeben halte.
Dafür wurde sie heute geköpft und auf ein Rad geflochten
und der Kopf angenagelt. Sie soll schon im loten Jahre das
Hurenleben angefangen haben, von welchem sie die ge-
wöhnliche, schändliche Krankheit davongetragen hat, an
1 Joh. Jänicke 1748— 1827 Prediger au der böhmischen
Kirchein Berlin; war dort in Heckers «Realschule» und giug <>7
als Weber auf die Wanderschaft; 1771 von Dresden, wo er
«böhm. Schulmeister» gewesen, auf die Univ. nach Leipzig. 18*4
Gründer der »preuß. Bibelgesellschaft und früher einer Missions-
schule. (Vgl. 23. X. u. 7. XI.)
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welcher sie während der Gefangenschaft im Lazareth hat
müßen curiret werden. Sie soll im Anfange ganz roh und
unwissend gewesen sein. Es wird aher besonders Hr.
Schirnau, Lazareth prediger, gerühmet wegen der Mühe,
die er sich um sie gegeben hat, wodurch er es soweit
brachte, daß sie doch lesen lernte und einige Kenntnissein
der Religion bekam. Diesen Hr. Schirnau hat sie nach ge-
sprochenem Todesurl heil auch gleich begehret, welchem Hr.
M a t I Ii e s i u s zugesellet wurde. Gegen halb 12 I hr zu
Haus ganz voll Koth . . . (Gewohnheitssünde, Gebet ;
am Rand: «schändliches Laster»).
Samstag, . . . (Kollegien) . . . läse in Crusii logic, über welcher
ich in schändliche Werke ausbrach . . .
Sonntag.23.Okt. Heute stunde ich auf gleich nach 7 Uhr, machte mir
aber mit Säuberung der Schnallen, des Degens und des
Stockes etc. so viele Arbeit, daß erst um 10 Uhr in die
P a u l i n e r kirche kam, da schon das Thema vorbei war.
(P e z o l d predigt ; «Steuer für das abgebrannte Städtchen
Zedlitz an der böhmischen Grenze » . . . Von 1 —2 Uhr
gieng ich um die Stadt herum. Einige Zeit vor 2 Uhr hahe
ich sündlich zugebracht. Von 2—3 Uhr hörte ich Hr. M.
Einsiedel (predigen; hernach noch in der Paulinerk.
«einen vermutlichen Candilaten» Schmied er) . . .
(Mit Hr. von Brown zu Frau Löwin, bei der mit
Sn SchuTmeC J a e n i k e, Lehrer Lehmann, dem «christlichen Arzt»
ster, so (seit Dr. Lehmann und Frau aerbaulich» gesprochen und
cfner Armen" gesungen wurde, wozu «die Uhr die Melodien vorspielte»)...
Kosten 1 des U Hr. Hrn. J a e n i k e naDe ich nun vö,,i S als einen bekehrten
v. Honenthai. Studiosurn Theologiae kennen lernen, der recht in Jesu
lebet . . . (Lesen, Singen geistlicher Lieder vor dem
Schlafengehen gegen 12 Uhr .
Montap.24.Okt. . . , brachte Hr. Baron von Brown des Hr. Dr.
Lorenz Predigt : «Die Herrlichkeit des großen Aufersteh-
ungstages» . . . Nach dem M Essen läse ich den Brief von
E stra"burg° n Hr. M. Weber in Straßburg, die collegia und
Stip. Otton. 2 betreffend, so ganz freimülhig geschrieben
ist . . . endigte nach dem Nachtessen K i p p i n g * (de
cruce und cruciariis, Bremen 1671), daraus verschiedenes
nützliche kan gelernet werden, die Art der Kreuzigung be-
treffend . . .
1 Zedtlitz bei Borna, Kreis Leipzig, ist der einzigeJOrt dieses
Namens in Sachsen.
2 Otto vgl. 21. I. im Jahrb. 190(5.
3 Kipping Heinr. aas Rostock f 1(578 als Rektor des Gymn.
in Bremen. Cruciarius : der Gekreuzigte.
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- 209 —
. . . speißte in dem Schlosse zu Mittag Suppe, Fleisch D ^ n out'
und Brod an dem Tische, so Hr. Biron v. Hohen I hal
hier hält für 90 arme Studiosos in allen Wissenschaften.
(Am Rand : Ordentlich hat man an demselben nur Suppe
und Gemüße) Die Gelegenheil war: weil Hr. Inspektor
D e y d r i c h mich gerne sprechen wolte (Am Rand : Er Hr - ^j^ h Dev "
hat eine besondere Liebe zu Slraßburgern, weil er bei Hrn.
Rathsh. Weyher, Hrn. Dr. C o r v i n u s etc. viele Wohl-
taten genossen). Er ist ein mediciner, so in 5 Wochen etwa
den Gradum doctoris nehmen und gleich nach B a r u t h
als Stadtphysikus abgehen wird. Vor 5 Jahren ist er von
Straß bürg hierher gereiset, nachdem er 2 Jahre da-
selbst die Chirurgie studiret hatte. Er war so gütig gegen
mich, daß er mir auch morgen erlaubte, zu Tische zu kom-
men. Uibrigens ist er arm und seine Gesinnung scheint
schlecht (d. h. «unchristlich») zu sein. Von Persohn ist er
klein. Nach dem MEssen gieng ich mit demselben um die
Stadt herum und hernach in sein logis in dem Hohentha-
lischen Hauße, 5 nicht kleine Treppen hoch . . .
. . . («Aufschreiben der empfangenen und abgelassenen ^"oSt 1 *'
Briefe) . . . (Besuche etc.).
. . . hörte bei Hr. Dr. Burscher die Universal- D™"^ 1 »»«
historie. Er handelte von den Kaysern Claudius und Nero.
Der Vortrag an sich ist gut. Allein die Art ist etwas sonder-
bar, mit großem Geschrei wie ein Charlatan . . .
. . . läse einen Brief von Hr. Prof. Thunmann Freitag. 28. Oki.
in Halle, der sehr zärtlich und freundschaftlich war.
Uibrigens betraf er Hr. M. Adj. Oberlin in Straß-
bürg...
. . . (Kolleg bei Prof. B o s s e c k 1 über alttest. !$ m o k T'
Sprüche im N. T.). Der Mann sieht dem verstorbenen Hr.
Prof. Heus 2 in Straßburg in manchem ähnlich. . .
. . . (M. Anton 8 predigt in der Paulinerkirche) . . . Sunntag,3>.Okt.
Nachm. war ich abermals ein Sklave meiner Lust (längere
Betrachtung seiner Schwachheit und Gebet) . . .
. . . (Superint. Bah rdt* predigt in der Thomas- Montag, ai.Okt.
... , , i ~» o/> f • - i • «I i- i Reformations
kircne über Jon. 12, ob «ganz treimulhig über die Greuel fest,
des Papstthums und die Wohlthaten der Reformation.») . . .
(Jn der Paulinerkirche ; M. Hempel predigt) . . . (Be-
1 Bosseck Joh. Gottl. 1718—98 a. o. Prof. des Hebräischen.
Sein Bruder H. Otto war prakt. Arzt, vgl. 10. V. im Jahrb. 190G.
2 Heus Joh. Matthias Arg. Prof. Log. et Metaph. f 17G8
(K. V. Bl. 6 Rückseite).
3 Vgl. 1. I. im Jahrb. 1906.
« Bahrdt Joh. Fried, vgl. 13. III. im Jahrb. 1901).
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210 -
Dienstag.
1. Nov.
Ein schelmi-
scher Edel-
mann.
Mittwoch,
Nov.
Donnerstag,
3. Nov.
Freitag, 4. Nov
Samstag 3 N\>>
Sonntag, t\N\v.
Vir<.lumnit»
vier Kirche.
Schreibung «1er «Prozession» der Professoren zur Reforma-
tionsfeier aus der Nikolai- in die Paulinerkirehe am Nachm.
M. \V o I f hält eine lat. Hede) . . . («Katechisation» in
der Peterskirche) . . . (Bei Pezold langes Gespräch über
«b c h re p f e r si Zauberei» und Geisterbeschwörungen in
Dresden, «so sich um 8. Okt. erschossen hal» vgl. 8.
X.). Den Seligen Geliert konnte er nie citieren . . .
Es sollen solche Zauberer mehrere sein in Dresden . . . ase
bei der Y o r k i n Grundbirnen in der monlure 2 . . .
. . . (Schreiben ins Tagebuch) . . . (bei Frau York)
bis eine Krau dazu kam wegen einem Pferd von Seiten des
Hr. von Linde n, so auch im Hauße wohnt. Dieser ist
ein so durchtriebener Schelm als irgend einer (im Pferde-
handel?) . . . schriebe an Hr. M. \V eher (in Straßburg)
bis nach \2 Uhr.
. . . schriebe an Hr. Dr. Lorenz (Nach Tisch an
Prof. T h u m a n n in Halle und Abends an andere dortige
Freunde) . . .
. . . endigte den Brief an Hr. Dr. Lorenz. . .
Jetzt (Abends) werde ich noch an Hr..cousin Birr
schreiben. Dies dauerte bis nach 12 Uhr. Ich betete im
Bette.
. . . schriel>e an M. P\ e d s 1 o b (in Straßburg) . . .
an Hr. Hertel . . . und Hr. M. Ob erlin (beide eben-
da) . . .
. . . kaufte ein hiesiges Gesangbuch (von A—o im
Kolleg «halb schlafend und halb wachend») . . . (Briefe
an . . . Dr. Beykert,* erst in der Gaststube, dann
ivuuf meiner kalten StuGe») . . .
. . . frühstückte, sunge die zwei Lieder: 1. Hilf uns,
Herr, injallen Dingen» "2. Gedult ist euch vonnöthen etc.
Darüber und bei dem ferneren rüsten veryieng die Zeit,
daß ich in keine Kirche konnte; ich betete und gieng im
Schloß zum Mittagessen. Nach demselben habe ich meinen
allerliebsten Gott wiederum beleidigt mit meiner Gewohn-
heitssunde (Gebet) . . . Nach dieser verahscheuungswürdigen
That schiieb ich dieses Journal . . . (Besuch bei P e z o I d).
Kr sprach (u . A.) von seinem Vorsatz, eine Art von Kr-
hauungsst unde zu halten mit den 7 Studiosis des Hohen-
thalischen Tisches, die auser demselben monatlich noch
i V
6. I. eben Ja.
= K:\rtortVln in der Sehale.
3 Keveken j\>h. Phil. Art. 177:? Prot, theol. 17til Gvmna-
siavcM 7 17>7 K. V. Bl. i> Kücks.) Er war Klessigs Schwieger-
vater.
L/iyi
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— 211 -
einen Thaler bekommen, dafür sie aber allemal was aus-
arbeiten müßten . . . (Um .3 Uhr mit Pezold in die
P a u 1 i n e r kirche) . . . Wie ich (aus der Gaststube) vor
meiner Thür war, löschte der Wind nif»in Licht. (Deshalb
gleich zu fielt und «langes Gebet»).
. . . läse zween erfreuliche Briefe 1) von Hr. Pfarrer Montag, 7. Nov.
Glaus in Frcf. am Mayn, so erst nach Halle geloflen war
2) von Hr. Ins». F a b r i c i u s in Halle . . . fienge an,
eine Supplique aufzusetzen für das Otlon. Stip. in S t r a ß-
1> u i "g (Am Rand : Um 12 Uhr, wie ich aus dem eollegio
j^ieng, sagte mir Hr. Jaenike, der zum Inspektor » ver-
ordnet ist, daß der gnädige Hr. Vicepräsident — von Ho-
h e n t Ii a 1 — mir seinen Tisch hätte antragen lassen) . . .
endigte und besserte die Supplique aus bis elwa halb 12 Uhr
(Abends ; Pezold hatte ihm gesagt, «es könnte verschie-
denes lalinius ausgedrückt sein».) . . .
. . . (Pezold sieht eine* «Supplique» durch) welche ich Dienstag,
(dann) zu Hause corrigirle . . . Von 5 bis 6 Uhr und auch
hernach versäumte ich (die Zeit) mit dem rauchenden Ofen,
so ich nun zum erstenmahle gesetzt bekam . . . Nach dem ^
v euer dfcis erstö*
N Essen schriebe ich zwo Suppliques ab für das Otlon. und mahroder
Schenkbecherische Stipendiat Darauf einen Brief an Hr. besser Rauch '
Fiscal Ca p p a u n , alsdann adresses und siegelte Briefe
nach S t r a ß b u r g bis nach l Uhr und betete im Bette.
. . . schrieb noch einen Zettel, darinnen ich meldete, Mittwoch.
9. Nov.
daß ich den Datum vergessen hätte und bat, denselben selbst
hinzusetzen und legte (ihn) in das couvert, welches ich auf-
brach und neu siegelte (!) . . . (Jaenike teilt ihm mil,
daß er «künftigen Sonntag als rnembrum ordinarium an den
Hohenthalischen Tisch kommen könnte») . . . trug (Nachm.)
das paquet nach S l r a ß b u r g auf die Poste, welches mil
25 Groschen oder 4 Livrcs weniger 8 deniers bezahlen TheuresPaquct.
mußte. (Es waren außer den 2 «suppliques» Briefe darinnen ;
an Dr. und Prof. Lorenz,' an «cousin B i r r», M.
H e d s I o b , Hr. 0 e r l e I , M. 0 b e r I i n , Dr. Renck-
1 i n , * Dr. ß e y k e r t , Prof. Brackenhoffer 5 und
«Lct. Fiscal» C a p p a u n) . . .
. . . gieng spatzieren um die Stadt herum mit einem Donnerstag,
° r 10. Nov.
1 vgl. 15. XII. u. a. im Jahrb. 1906.
2 Beide heute noch vom Thomasstift verwaltet.
3 lieber die zwei Lorenz vgl. 21. u. 24. XII. im Jahrb. 15»0G.
4 Wohl: Reuchlin Fr. Jak. Piäpositus der thcoJ. Facult.
t 1788. (K. V. Bl. 8 Rücks.i
5 Brackenhoffer Joh. Jerem. prof. mathem. f 1789. (K. V.
Bl. 16.,
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Samstag,
12. Nov.
jungen Hunde . . . (Hr. Haß aus Hof) rühmte mir als
einen vortrefflichen Christen den Hrn. Superintendent Weiß
zu H o f im Bayreuthischen . . .
F,C Bultag' 0V ' * ' " * B u r * s c " e r K^'c 1 »n «'er Paulinerkirclie)
... das Vater Unser wurde von allen kuieend gebetet . . .
Noch nie hahe ich so viele Leute in der hiesigen Kirche
gesehen. (Zu Mittag ißt man am Bußtag Fische) . . . (Nach-
mittag in der Thomaskirche, wo Dr. Koerner predigt
und in der Nikolaikirche) Die Weiher haben doppelte Sitze
in ihren Stühlen (vor der Predigt saßen sie «gegen den
l, 5SSw. crA,,ar »' dann «kehren sie sich gegen die Canzel».) Es pre-
digte Hr. Lic. Thalemann . . . Nach 4 Uhr gieng ich
noch in die neue Kirche (Beschreibung derselben und noch-
maliger Besuch der Thomaskirche) . . . auf meinem Zimmer
läse ich : Job. Georg Wale h s i «vom Glauben der Kinder
im Multerleibe» in 8 aus dem latein. ed. rda. Jena 1733. . .
. . . Hr. Insp. Deytrich im Intelligenzcomtoir (am
Rande: «ein Bruder des p. 390» = 25. Okt.) gab mir einen
Zettel, dadurch ich an den Hohenthalischen Tisch komme,
schenkte mir ein Intelligenzblatt auf ordre des Hr. Vice-
präsidenten, darinnen die Anstalten im S t e i n t h a I ge-
druckt stehen, so weit es mit denselben gekommen unter
dem Hr. Diaconus Stuber* an der Thomaskirche in
Straßburg bis 1767 . . . brachte dem Hr. Prof. Pe-
CrusH Meta- zold Crusii logic wiederum und borgte dagegen desselben
wurf S der noth- i. e. Crusi i Metaphysic ed. 3. in 8. (vgl. 30. XI. und
^unftwahr- r " 6 - XI1 -) • • • endigte Walch «vom Glauben der Kinder im
Mutterleibe». (L'ebersetzer dieses «gelehrt, deutlich und sanll
geschriebenen» Buches ist M. Adam Lebrecht Müller) . . .
. . . (Feuer mit Rauch !) . . . (In der Paulinerkirche
predigt M. Lohdius «ganz gut». Mittags zum ersten
Mal am Hohenthalischen Tisch.) . . . Hr. .1 a e n i c k e
wohnet vor dem Ranstädter Thor in Hr. Teichs Hauße,
eines Wachsbleichers, mit dem Schulmeister, Hr. L e h -
m a n n, (vgl. 23. X.) auf einer Stube. Hr. Vicepräsident
von H o h e n t h a 1 hat da eine F r e i s c h u I e er-
richtet ; derselbe bezahlet für die Stube des Schulmeisters
und die Schulstube 47 Thaler. Die Bänke in der Schul-
stube, deren immer einer höher ist, als der andere, kosten
24 Thaler. Der Schulmeister hat monatlich 6 Thaler. Ge^en-
Sonntag:,
13. Nov.
Ftcischule.
» J. G. Walch ans Meiningen 1G93— 1775. seit 1716 Prof. in
Jena (Dogrm.- u. Kirchengesch.) Herausgeber von Luthers Werken
in 21 Bänden (1740—1752).
2 «Joh. Georg Stuber Arg. zuvor Pfr. in Waltersbach im
Steinthal f 17V>7» (K. V. Bl. 4U). Er war Oberlins Vorgänger.
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Dienstag,
15. Nov.
Mittwoch,
lt.. Nov.
wärtig sind 80 Kinder in dieser Schule, wozu sich schon
wieder *23 gemeldet hahen. Die Kinde? bekommen Unter-
richt und Bücher frei. Bei Hrn. J a e n i c k e lernte ich
kennen die Hr. X a d e r und Weinet . . . (Nachmittag
predigt in der Paul. Kirche M. H u n d ») . . .
(Nichts von Bedeutimg.) Montaji.u.Xov.
(Desgleichen.)
. . . schrieb dieses journal . . . Hr. Prof. Pezold
gab mir die 8 Groschen H o 1 z g e I d (fürs Kolleg ?) wieder,
so ich um 5 Uhr seinem famulo gegeben hatte (Gespräch
mit ihm). Beim Weggehen gab er mir zum Durchlesen
1) Schreiber, den Besuch Hr. Dr. Semlers bei «ler
Brüdergemeinde in B a r b y betreffend, nebst einem hei
dieser Gelegenheit geschriebenen Briete des berühmten Hr.
Dr. S t a u z i u s 2 in 8 Frcf. und Leipzig 1774, ein Bogen.
Diese Schrift ist spitz genug geschrieben und beißend ; aber
noch viel witziger, schärfer und zugleich mit Ehrfurcht und
Verteidigung der christlichen Religion ist verfertiget: 2) Send-
schreiben an den Verfasser des Lebens und der Meinungen
des Hr. Magister S e b a I d u s N o t h a n k e r 3 von
dessen weiland untergebenen Schulmeister. Zur Bestellung
abgegeben in der Michaelis Messe 1074 in 8 drei Bögen 4 . ..
. . . läse (nach dem Abendessen) in dem Brief Pauli
an die Galater, welches leider, so viel ich mich erinnere,
das erste Bibellesen in Leipzig ist. Gnädiger Gott, räche
nicht die schreckliche Verachtung deines Wortes, um Jesu
Christi willen ; amen . . .
. . . (Nach dem Abendessen machte er «zur Erholung Freitag is.Nov.
eine Stunde lang klein Holz») . . .
. . . (Lesen in der Metaphysik von Crusius und im
N. T.) ...
. . . (In der Paul. Kirche predigt M. Bock.) Weil
er auf ein Dorf als Pastor kommt, so that er seine Ab--
schiedspredigt. (Er war 9 Jahre in Leipzig gewesen.) . . .
(In der Nik. Kirche predigt am Nachmittag : ein Studiosus
Richter mit «vielen Gaben». Schluß des Kirchenjahrs mit
«schöner Vocalmusic» der Thomasschüler ; dann aCatachesis
vor der Kanzel auf einem grünen Seßeb an «etwa 8 Knaben».)
Donnerstag,
17. Nov.
Bibellesen.
Samstag,
19. Nov.
Sonntag,
'20. Nov.
J Hand vgl. 19. II. im Jahrb. 1906.
2 Staazius?
3 Das Leben und die Meinungen des Hrn. Magister S c -
baldns Not hanker von Nicolai mit Titelkupfer von
Chodowieki (Berlin 1773 ff.), ein rationalistischer Roman gegen
heuchlerische Orthodoxie, der großes Aufsehen erregte.
4 = 4S Seiten vgl. Goedeke IV, 170.
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Schlitten.
Dienstag,
22. Nov.
- 214 —
. . . (Am 1 lande : Uiber dem NEssen — in der Gaststube
— wurde ich, wie schon mehrmahlen, spöttisch beschimpft
von Hr. Kraus, einem mediciner) . . -
Montajf.2i.Nov. , % hospes bei Hr. Prot*. C I o d i u s über die ep. Ci-
ceronis ad Atticum von 3 — 4 l'hr . . . legte mich nach
hall) 12 Uhr. In dieser Nacht und schon den Nachmittag
sähe und hörte ich Schlitten fahren. Sie sind gemacht wie
die in Straß bürg. Ks dart aber niemand mit Fackeln
fahren. Die Stunde wird mit einem Thaler bezahlet.
. . . Nach dem M Essen trunke ich in der Gaststube.
Hier erzahlte mir ein Kutscher aus Frankfurt am Mayn,
Hr. Scharr, daß die Contrebandei in Frank-
reich abgeschaft sein soll nach Briefen, welche Kaufleute
in Frankfurt a. M. .sollen erhalten haben . . . Diesen Nach-
mittag und besonders diesen Abend wird ganz rasend mit
Schlitten gefahren, meistens von Studenten (am Rand;
mit wildem Knallen) . . .
. . . (Besuch bei Prof. Boss eck:) Wir redeten von
Hr. Prof. Stocher (in Straß hur?), mit welchem Hr.
Prof. B. hier in Leipzig studiret hat; von der zu hollenden
gewißen Bekehrung Israels, die u. a. besonders aus dem
Ezechiel bewiesen werden kann ; von der versione Alexan-
drina, 1 die im N. T. nie citirt würde, und daß wir nicht
einmal wüßten, was eigentlich diese version seie, da es
O r i g e n e s schon nicht gewußt bat etc. . . . (Nachm.
Spaziergang um die Stadt "bei sehr heftiger Kälte» . . .
Von 4-5 Uhr war im coli, und saß zum erstenmal ordentlich
auf einem Seßel, den mir der famulus des Hrn. Prot.
P ez o I d , Hr. Ludovici, so zu reden, aufgedrungen hat, und
umsonst . . . (Bei Pezold im Hause wurde auch von der
LXX geredet). Man könne nicht einmal beweisen, daß
diese versio in Königs Plolemaei Zeit verfertigt worden,
sondern nur dis seie gewis. daß die ebräische Bibel V. T.
darnalen mit griechischen Buchslaben seie geschrieben wor-
den mit Aenderungen an 13 Stellen. (Ferner wurde ge-
Mitlwuch,
23. Nov.
1 Genieint ist wohl (in — n a c h Frankreich) die Verlegung
der französischen Zollgrenze an den Rhein, die aber erst in der
Revolutionszeit (Okt. lil>0) erfolgte (Aufhebung aller Binnenzölle
v. 1. I. 1>1 an) Dadurch wurden die bisherigen freien Handels-
beziehungen zwischen Elsaß und Deutschland unterbunden.
2 oder «Septuaginta», die nach der Sage auf Befohl des
Königs Ptolemaeus Philadelphos (2*.">-47 v. Chr.) von 70 jüdi-
schen Gelehrten in Alexandria besorgte t'cbersctzung des alten
Testamentes ins Griechische Origeues lernte hebräisch, um den
Urtext mit der Uebersetzung zu vergleichen und diese berichtigen
zu können.
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sprochen) von . . . Prof. L i n g g in Wittenberg und
seiner Geschicklichkeit, von Hr. Lic. Thalemanns Be-
rufung (dorthin) als Gen. Superintendet (Dr. Koerner
hatte sie ausgeschlafen); daß ein Prof. extraord. in Leip-
z i g gar keine Besoldung habe, daß ein 'Prof. Ordinarius
3 bis 400 Thaler habe, noch auf dem alten Fuß, wo dieses
eine große Summe war ; denn es stehet in der Verordnung :
ut professores possint laute vivere ; von den hiesigen colle-
giis, so nicht vom Hot' dependiren I. die der Universitaet
gehören 1) Paulinum 2) das Fürstencollegium, aus welchem
die Hrn. Protessores mit besoldet werden II. die für sich
sind 1) das große Fürstencollegium, *2) das kleine Fürsten-
collegium 3) das rothe collegium. In diesen sind mehren-
theils 8 Glieder entweder Protessores oder Magistri habili-
tati entweder von allen vier Nationen oder nur von einer
allein e. g. gebohrne Preußen und Pohlen. Die Gliede,
leben von dem, was die Güter und Häußer, so zu jedem
collegio gehören, eintragen . . . (Am Rand : Hr. Prof.
P »> z o I d hätte gerne die Disp. des Hr. Dr. Lorenz
in Straßburg de induratione Israelis) . . .
. . . schlug lange Feuer . . . (Besuch hei Hrn. Prof. D ?,J n j[oJ ag '
s. Lic. T Ii a l e in a n n» ; das Gesprach mit ihm) . . .
schrieb an diesem journal . . . (Abends um 9 Uhr uner-
warteter Besuch von 5 Bekannten aus Halle), welche zu Helu ward es
Fuß hierher gekommen waren in groser Kälte. (Sie wohn- noch kalter als
iT- t- i r> -i i \ {Testern.
ten «im rothen Löwen aut dem tirinl») . . .
. . . (Mittag mit ihnen «für mein Geld» in ihrem Freitap.25 Nov.
Gasthof.) Die Aufwartung ist ohngefähr ebenso oder ebenso
schlecht, wie bei mir in 3 Rosen . . .
. . . Nach dem MEssen war ich im rothen Löwen bei % m xo?'
tabac; nach halb 3 Uhr führte ich 4 Hällische Studiosos
auf die R a t h s b i b I i o t h e c und wieder in den rothen
Löwen . . . (mit Pezold Besuch bei M. Hempel ; das Ge-
spräch u. A. vom jüngsten Tag) . . .
. . . (In der Paul. Kirche predigt G r u s i u s über Sonntag,
das Evangelium; «schöne Music mit Pauken, Trompeten,
Geigen, Clarinetten» und Gesang der «Thomas Schüler,
Ghoralisten») . . . (Nach 2 Uhr in die reform. Kirche
zu Z o t I i k o fe r 1 . Als Redner verdient er vielen Beifall
und Lob ; als Prediger kann ich ihn nicht hoch-
schätzen, indem er mir sehr naturalistisch vorkommt . . .
(Abendessen im roten Löwen) Die übrigen aus Halle
hatten schon gegessen und waren betrunken ; besonders Trunkenheit.
» Zollikofer vgl 5. III. und I. V. im Jahrb. 190l>.
— 216 -
Montag,28Nov.
Dienstag,
29. Nov.
Mittwoch,
30. Nov.
Holz in der
Stube.
Donnerstag,
1. Dez.
wußte sich Hr. Schlingmann und Hr. Richter nicht zu
halten, sondern machten allerlei Aufsehen und Lermen.
Nach dem NEssen rauchte ich- 3 oder 4 Pfeifen tahac, dabei
dann von der Kesten Welt, von der hl. Schrift etc. geredet
und gestritten wurde. Um halh 10 Uhr nahm ich Ab-
schied und wünschte ihnen sämtlich die Begleitung Got-
tes .. .
. . . läse weiter von 5 bis nach 7 Uhr in Grusii Me-
laph. (Das «Capitel von der Bewegung»). Ich weiß nicht,
oh mir nicht wohl gewesen, oder ob dieses Capitel schwer
vorgetragen wird, oder ob es nur mir schwer seie ; ich
habe wenig daraus verstanden vor dem NEssen und in beiden
Stunden vorher; nach dem Nossen gierig es etwas bes-
ser < . •
. . . Am Rand : «Neuer Schnee in groser Menge») . . .
. . . Von 9—10 Uhr wurde nicht gelesen wegen der
Rede vor dem oder von dem Rectoie Magniuco, davon ich
nichts wußte. Vor 9 Uhr ließ ich mir die Haare schneiden
. . . Nach dem MEssen hatte ich mit einem halben Klafter
Fließholz zu schaffen, das ich in die Stube tragen ließ auf
Zureden meiner Wirthin und hernach legte; dabei machte
ich auch klein Holz. Von 4—5 Uhr war im coli. Von da
an bis halb 6 Uhr hatte ich mit meinen Haaren zu thun;
dann läse ich in Gr. Met., auch nach dem NEssen, und
endigte dieselbe um 11 Uhr. Doch habe ich vorher manche
Zeit mit Ausbrennung G kleiner tabaespfeifen zugebracht.
Aus dieser Metaphysic habe ich viele richtige Begriffe be-
kommen. Manches war mir zu schwer zu begreifen und
manches will mir nicht gefallen. Uibrigens ist es die beste
Metaphysic, die mir bekannt ist . . .
. . . half meiner Thüre, sie leichter auf und zuzumachen
. . . Nach dem MEssen half ich der Thüre weiter und läse
fort in Roos' (Einleitung in die bibl. Gesch.) Uiber dem
MEssen verehrte mir Hr. D e y t r i c h, Insp. des Hohenth.
Tisches, seine Disputation pro gradu Doctoris medicinae, so
morgen soll gehalten werden : de morbis mentis delicta ex-
cusantibus, 31 Seiten ohne die Dedicationen und Titel nebst
dem beigedruckten Diplomate von 16 Seiten . . . speißte
zu Nacht und machte klein Holz bis nach 8 Uhr . . •
schrieb Briefe bis gegen 12 Uhr ; läse einige Capitel in der
Apocalypsis, betete und legte mich nach halb 1 Uhr.
1 Roos vgl. 8. und 11. VI. im Jahrb. 1906. Die «Einleitung
in die bibl. Geschichten», erste Aufl. 1774, ist 1876 von Steudel
neu herausgegeben worden.
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217 —
. . . von 9 — 11 Uhr in einer m e d i c. D i s p u t a - Freitag, 2. Dez.
t i o n. Hr. Dr. Bose 1 war in gefärbtem Kleid und Degen;
der Respondens Hr. D e y t r i c h ebenfalls so, wie auch
die Opponenten. Die Disp. gieng ganz ruhig von Statten.
(Am Rand : Uiber dieser Disp. versäumte ich zum ersten-
mal ein hiesiges collegium) Der Präses gieng vom calhe-
der und Hr. Prof. Pohl 2 als Procancellarius in rothein
sammetem Mäntelchen, mit Pelz gefüttert, und schwarzem,
taffetem Mantel oder Rock trat hinauf, legte einen rothen,
sammeten Hut, gleich einem Churhute, neben sich und läse
eine Rede de institutis criticorum in medicina imitandis
und den Lebenslauf des Candidaten. Darauf trat der Pedell
neben den Candidaten und läse ihm diejenigen punete vor,
die derselbe mit aufgehobenem Finger beschwörete. Und
so giengen sie fort in das Auditorium Philosophicum, wo dem
Candidaten noch graluliret wurde von einem nach dein
anderen aus der medieinisehen Fakultaet. Uiber dem M Es-
sen bekam ich 2 exemplare des carminis, so der Freitisch
des Hrn. v. H o h e n t h a I hatte machen lassen, davon
ich doch vorher nichts gewußt hatte (Am Rand: Carmen
teutsch. Der Verf. ist Hr. Rockstrom* am Hohenth.
Tisch, ein Mediciner.) Ein anderes Carmen haben des Can-
didaten Freunde machen lassen . . .
. . . Nach dem MEssen ase ich Käß und trunke in der Samstag, 3.Der.
Gaststube bis gegen 2 Uhr; gieng um die Stadt herum zur
Bewegung bis gegen 3 Uhr ...
. . . (H e m p e 1 predigt in der Paul. Kirche über das Sonntag. 4. Dez.
Ev.) Nach der Kirche wolte ich Hr. Prof. P e z o 1 d be-
suchen ; er gab mir aber zu verstehen, daß es ihm jetzt
nicht angenehm wäre, da er sich ankleiden müßte, um zu
Gast zu essen; ich möchte nach Tisch wieder kommen.
Das MEssen hatte heute Hr. Doctor. D e y t r i c h, bis-
heriger Insp., gegeben : 1) Suppe, 2) gebratene Gans
3) Merseburger Bier. Dis machte dann, daß wir bis nach
halb ein Uhr beisammen waren, da wir sonst am Sonntage
schon vor 12 Uhr fertig sind. (Nach dem Essen hielt
Deytrich «eine kleine Anrede» und stellte (vgl. 7. XI.)
J a e n i c k e «als künftigen Inspektor vor) . . .
. . . nahm Abschied von Hr. Dr. Deytrich im Montag, 5. Dez.
Hohenthalischen Hauße am Markte . . . v. 10—11 Uhr hatte
» Bose vgl. 20. XII. u. a. im Jahrb. 1000.
2 Pohl ebenda 22. XII.
3 Rockstrom bzw. Rockstroh ebenda 11. 23. und 26. II. sowie
1. und 2. III.
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218 -
ich viel mit dem Hauch zu schallen . . . (Lesen dreier hei
Pezold entlehnter Schritten, darunter: Lectio publica,
in qua illustratur locus 1. Sani. VI 10 de Bethsemitis 1 . . .)
Dienstag.ö.Dez . . . (Bücher zurück an Pezold; neu entlehnt:
oO r u s i u s N a t u r I e h r e, Anleitung über natu» liehe
Begebenheiten ordentlich und vorsichtig nachzudrucken» ed.
2 da vermehrt in 8. Leipzig 1774; 708 Seiten ohne die
starke Vorrede zur ersten Auflage*). Es wurde geredet von
der Jgfr. W e y h e r i n, die 177.3 vom Platz des M ü n s t e rs
in S t r a ß b u r g hei unlergefallen ; s von den Wirkungen
der Bekehrung, besonders im Anfang; von Hr. Dr. Dose,
Prof. anatomiae, welche Stelle allemal der 3 te Prof. in der
medic. Facultät hat; dieser seie kein tiefdenkender Mann
und besonders im Sommer pflege er in seinen Vorlesungen
nach Tische bisweilen einzuschlafen; von Hr. Prof. Pohl;
derselbe seie zwar ein ehrlicher Mann, aber in seiner
Wissenschaft schlecht bewandert, so daß er keine Disputa-
tien, Rede etc. aus Mangel des lateins selbst machen kau,
.sondern solche allemal durch andere machen laßt. Eine
Probe seines lateins e. g. ist : quo modo sonant musculi
i. e. wie heißen dieMusceln? Da er noch Prof. anatomiae
war, so mußte ein anderer allemal die Theile vorlegen und
erklären, weil er sie nicht erkannte. Da geschähe es nun
bisweilen, daß er sich vergriffe und einen Theil für den
andern nahm, und wann er vollends sein coneept nicht hei
sich hatte, so konnte er nicht lesen, sondern mußte erst
nach Hauße laufen ; von dem Buchhändler König in
S t r a ß b u r g (am Rand : ein Landsmann von Hr. Prof.
P ez o 1 d) * etc. . . .
Mittwoch,7.Dcz . . . Nach dem MEssen hielte mich auf mit Oefnung
eines sehr hart eingefrorenen Fensters . . . wir (Jaenicke
und zwei andere) disputirten zusammen lateinisch de d i vi-
nitate Script, sac . . .
i Vgl. Reuss «Das alte Test.> I. S. 1»2, Anin. .">.
* Vgl. 14. XII. im Jahrb. 11*06.
3 «Die hiesige Burgers Tochter, Namens Weiheriii, eine
Kaufmannstochter, gieng mit etlichen guten Freunden, die nicht
von hier waren, aufs Münster. Um ihnen etwas zu zeigen, lag
sie etwas zu weit über das Geländer hinaus und stürzte Nachm.
zwischen der Abendpredigt ein viertel vor 4 Uhr herunter vor
der großen Thür, so daß "die Scheukelbeiner an den Hüften oben
herausgestanden. Hätte sich der Wind nicht unter den Kleidern
gesteckt, so hätte man sie müssen zusammenfegen. Dis ist ge-
schehen anno 1773 am Charfrevtag». fCatalogus des Straßb. Mini-
sterii, S 401. Auf der Univ. BiblA
4 Pezold war aus Wiedemar bei Delitzsch.
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— 219 -
. . . Nach dem MEssen öfnete ich mit Mühe ein ein- Do J n g" e s .J a s-
gefrorenes Fenster ...
. . . läse in Crusii Physic . . . nach Hern colleg gab Freitag. 9. Dez.
mir Hr. Prof. Pezold zum Durchlesen eine gründliche
Antwort die Schröpferische Zauberei betr. (vgl. 31. X.) von
Hr. Dr. Crusius . . . Weil icli (Abends) kein Bier herauf-
bekommen hatte, so gieng ich in die Gaststube, wo ich
mich über eine Stunde aufhielte, weil von Seeschiffen,
Wallfischfang, Seehundefang etc. geredet wurde . . .
. . . (Briete nach Halle «en paquet auf die poste»). . . Samstag.to.Dez.
Insp. Deytrich (auf dem Int. Comptoir, wo P. einen Hr. in*p. Dey-
Brief an den Vizepräs, von Hohenthal abgegeben hatte) bot triC mifh gen
mir einen Tragkorb voll Holz an, welches ich aber aus-
schlug . . .
. . . (Burscher predigt in der Paul. Kirche) . . . sonmajf.n.Dez.
Nach dem M Essen brachte ich liederlich zwo ganze Stunden dun^ rS dcr V Zeu.
zu in der Gaststube . . . (Nachm. in der Peterskirche). Um
4 Uhr holte ich Hr. Prof. Pezold ab zu Hr. M. F risch
am Zuchthause auf caflee und tabac (Gespräch) . . .
. . . Mach dem M Essen fand ich Briefe zu Hauß : Montag, 12. Dez.
1) von M. R e d s l 0 b, 2) von Hr. Dr. Lorenz, 3) von J s?raßburg. n
Hr. C a s e 1 m a n n, 4) von Hr. S c h w e i g Ii ä u s s e r,
5) von dem 0 e r t e I Grethel von Straß hur g. Alle
waren voll von Liebe, Freundschaft, christlicher Gesinnung
und Neuigkeiten. Darunter aber ist besonders eine Propo-
sition an mich wegen einer Informator-Stelle nach M ü h I-
h e i m am Rhein bei Cölln zu einem Commissionsrath,
wo Hr. Burgmann jetzo Evangel. Pfarrer ist, der zuvor zu
London stunde an der S a v o y 1 . . . (Besuch bei Prof.
C r u s i u s) . . . Das übrige Gespräche betraf eine fort-
gesetzte Erzählung von dem Selbstmorde des jungen J er u-
s a I e m s — ich meine — in Weimar um einer Frau
willen, die er schon als Braut geliebet hatte, und zu welcher
ihm nun der Ehemann den Zutritt versagte. Es verursachte
diese Begebenheit eine gottlose Schrift : «Die Leiden Dk Leiden de*
d e s j u n g e n Wärter s», * in welcher, wann ich nicht jungen warters
irre, der Selbstmord unter andern damit vertheidigt wird :
Gott könne den Selbstmörder nicht anders ansehen, als
wann ein Sohn etwa acht Tage früher nach Hauße kommt
1 Ein Stadtteil Londons, so genannt nach einem Prinzen
Peter von Savoyen. Oheim der Königin Eleonore, der sich in
England angesiedelt.
* «Die Leiden des jungen W.» 1. und 2. Teil, Leipzig in
der Wcygandschen Buchh. 1774. Vgl. das verständige Urteil des
Wandsbecker Boten über das Buch (Claudius I. 51).
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— 220 -
von der Heise, als ihn der Vater erwartete . . . Zwei
Exempel von der Vorsehung Gottes (in diesem Gespräch)
waren mir besonders merkwürdig. (Sie sind so abgeschmackt,
daß ich sie weglasse.)
D ia n Dez g ' * ' ' niacn,e zwo Commissionen aus S t r a ß I) u r g
für Hr. Dr. Lorenz bei dem Buchhändler Sommer und
für M. R e d s I o b s. Frau Weberin bei der Buchh.
Georgi . . . schrieb vor und nach dem N Essen bis halb
3 Uhr zwo lange Briefe: I) an Hr. Dr. Lorenz mit
Intel!. Blatt, und 1 Bogen aus Cr. Cosmologie, 2) an M.
R e d s I o b, 3) an das Oertel Gr et hei nach Straß-
burg. . . legte mich gegen 3 Uhr.
M i4 l D°e C z h ' ' * * brachte zu ljis 11 Unr nocn mit schreiben und
siegeln, darüber ich also 2 coli, versäumt. Vor 10 Uhr war
Hr. Georgi bei mir (am Rand : Hr. Georgi der Sohn, so
in S t r a ß b u r g war bei Lincker und Stein, Buchhändler)
und versprach, der Frau Weberin in Straßburg auf
künftige Neuj. Meße entweder den verlangten defect oder
das Geld zu schicken. Von 11 — war im coli. Nach dem
M Essen trug ich das Paquel nach Straßburg auf die Poste
und läse zum (Hier bricht dieses Heft ab und
beginnt das 5 t e b e z w . das im vorigen
Jahr mitgeteilte Tagebuch.) —
Xachwo r t.
Im Besitze des Hrn. Pfarrers Bruns in Kronenburg
befand sich auch (und ist von ihm, wie das Tagebuch selbst,
der Univ. und Landesbibliolhek geschenkt worden) ein dickes
gebundenes Quarlheft mit dem Eintrag auf der ersten Seite:
Patrick 16. Mai 1767. Dann folgt ein Bücherverzeichnis:
«Libri, quos possidet Philippus Henricus Patrick Ph. Stud.
1767 sq.», vielfach mit Preisangabe oder Namhaflmachung
einiger Schenker. Es ist eine ganz stattliche Bibliothek von
fast ausschließlich theol. und religiösen Werken. 1 «Heinr.
Müllers Erquickstunden 8 Tübingen 1750» sind bezeichnet
als «Present de Mdm. Oertel, mon hotesse». Die mehr-
mals im Tagebuch vorkommende Frau Oertel* war also
1 Als Saul unter den Propheten : Poesies du Philosophe de
Sans-souci (j. fr.
2 Auch ein Herr Oertel kommt im Tagebuch vor. Ein Joh.
Heinr. Oertel. Silberarbeiter, war neben dem Buchhändler Friedr.
Kud. Saltzmann der letzte Schöffe der Zunft, «zum Stelz» (Patr.
Wochenbl. Frühpost 13. VIII. 178W.
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seine Straßburger Hauswirtin und «das Oertel Grethel» wohl
deren Tochter. An das Bücherverzeichnis schließt sich von an-
derer, anscheinend weihlicher Hand eine Reihe von Gedichten
an und daran wieder, meist in lat. Schrift von dritter und
vierter Hand, eine Sammlung haus- und landwirtschaftlicher
Rezepte. Diese Einträge sind offenbar später gemacht worden
auf den Seilen, welche Patrick für die Forlsetzung seines
Bücherverzeichnisses leer gelassen hatte. Denn mitten unter
den Rezepten steht wieder von seiner Hand ein Verzeichnis :
«Land- Charten, jede zu 8 S.» und auf die dann
folgenden weiteren Rezepte kommen viele unbeschriebene Blät-
ter, bis wir wieder auf einen Eintrag von ihm stoßen mit der
Ueberschrift .Sachen, sodie Freundschaft (=
Verwandtschaft) angehen 1769. Dieser Abschnitt sei hier
mitgeteilt :
1769.
28. Febr. Hr. Hummel mit Jgfr. Birrin Hochzeit.
7. Aug. Brief vom Vater in Amerika in Süd -Carolina.
Das ist der zweite, da den ersten 1768 auch um diese
Zeit bekommen.
14. Aug. Ankunft meines Bruders von Basel nach Straß -
bürg.
29, ej. Abreise ej. (des Bruders) über Paris nach London mit
der Pariser Land-Kutsche vor 12 L.
1. Nov. von London nach Charles Town in Süd-
Carolina.
18. Decembris angekommen in America.
1770.
3. Julii Brief patris et fratris cum diversis aliis 9 L.
1766.
13. Martii Hochzeit Hr. Birr mit Jgfr. Lob st ein in.
1772.
In der Nacht vom 5 auf den 6 ten Mai gegen Morgen um
2 Uhr starb dem Hr. Birr, Sohn, sein 3tes Kind Louise,
ein Mägdlein ohngefehr von 7 vierlhel-Jahren, das in seinem
Leben fast keine gesunde Stunde hatte.
1774.
d (= ditto) 18 September Sonntag Morgens nach 7 Uhr
starb Frau Tante Birr auf gewiße Weise plötzlich, welche
ich als Mutter zu ehren habe. Ich war in Halle Magd. (Magde-
burg); der Abschied derselben aber ist mir erst d. 11. Okt. in
Leipzig bekannt worden, wo ich um Sie trauerte.
— 222 —
1774.
Im Julius oder August starb Hr. Lobstein, der Vater
der Frau Cousine Birr.
1774.
Um die nämliche Zeit wurde dem Hr. Cousin Birr ein
Mägdlein geboren Namens Louise.
1773.
Ist die Frau Cousine Hummel (vj-l. o. 1700) mit der Ca-
roline niedergekommen.
177o.
Den 4. oder 5. Mai ist mein Theurer Hr. Oncle und
Vormund Birr gestorben. Seinen Tod habe ich erst nach
Pfingsten in Tübingen erfahren. Den 17. Julius habe ich die
Trauerkleider angelegt, welche ich so lange tragen werde, als
wie wenn ich sein Kind gewesen wäre.
1774.
Etwa um Weihnachten hat Jungfer Riedlinin Hrn. Grün,
Knojifmacher, geheurathet.
1775.
In einem Brief, im December 1774 geschrieben, so ich zu
Ende Aprils oder Anfang des Mai in Leipzig von Straßburg
aus erhallen, berichtet mir mein Bruder, daß er sich verheu-
rathet a. 1773 mit Jungfer Cobin, eines Metzgers Tochter aus
Landau, daß er wegen großen Verdrießlichkeiten sich von dem
Vater getrennet und nun seine Haushaltung in Charles-Town
führe.
• ♦
»
Nach einer Reihe leerer Blätter folgt nun das «Ver-
zeichnis des Getüchs, s o m i r von meiner ver-
storbenen Mutter zugefallen», worin aber gegen das
Ende auch zinnene Schüsseln, Teller u. dgl. aufgezählt sind.
Zum Schluß stehen 92 Seiten : «Varia notatu non indigna»,
eine Sammlung von Lesefrüchten aller Art, darunter eine Menge
von Nachrichten, wie man sie heute, besonders zur Zeit der
sauein Gurken, unter «Vermischtes» in den Zeitungen liest.
S. 54 wird Ausführlicheres über die im Tagebuch erwähnte
Berliner «Realschule» des Oberkonsistoriahats Hecker etc. mit-
geteilt.
Bei Hr. Pfarrer Bruns lag auch der '(Lehr Brie ff
vor Johann Heinrich Patrick gebürthig von Trarbach
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an der Mosel». Darin bescheinigt am 4. April 1741 (es ist eine
hübsche Urkunde) «Nicolaus Wilhelm Schür mann, Burger
und Handelsmann» in Heidelberg, daß «Vorzeiger dieses, der
Ehrbare und bescheidene Johann Heinrich Patrick,
des Wohl Eitlen Hochgelahrten und Großachtbaren Herrn Jo-
hann Daniel Patrick, geweßner Hertzoglich- Bircken-
feldischen und Margräfllich Baaden- Baadischen gemeinschaft-
lichen Fiscals und stifTtsschafTners zu Wölfl" von Trarbach an
der Moßel Ehe- Leiblicher Sohn» von der Frankfurter Ost er-
messe 1737 bis dahin 1741 bei ihm die Tuch hand hing
«aufrichtig erlernet» habe (folgt ein großes Lob über das Be-
tragen des Lehrlings und warme Empfehlung desselben «an
alle und jede, weß Standes, Condition und Würden sie seyns>).
— Dieser Tuchhändler Joh. Heinrich Patrick ist der Vater
unsers Magisters. Er hatte sich in Straßburg niedergelassen,
das Bürgerrecht erworben und eine Straßburgei in ' geheiratet.
Noch zu Lebzeiten seiner Frau wanderte er, infolge schlechter
Geschäfte mit ihr zerfallen, als bankerotter Mann nach Amerika
aus (1753),» wohin ihm (die xMutter scheint noch in den fünf-
ziger Jahren gestorben zu sein) 1769 der ältere Sohn Casimir,
seines Zeichens Schneider, nachfolgte, während Philipp Heinrich
unter der Vormundschaft des concle Bin » in der Heimat blieb.»
Im Oktober Ii 80 hat sich «der Pfarrer Patrick von Ro-
mansweilei» verheiratet mit «Cuthanna Magdalena Ehemännin,
Herrn Johann Peter Ehemann, des Barchelhändlers und Burgers
dahier» ehelicher Tochter. Als Morgengabe erhielt sie von
ihrem Manne 150 fl. und brachte «als Ehesteuer auser ver-
schiedeneu hausrätlichen Mobilien und Effekten 1000 Gulden
hiesig courrent» ins Pfarrhaus. So zu lesen im Ehevertrag vom
4. Okt. 1780 vor Notar Zimmer in Straßburg.
Ueber die weiteren Schicksale Patricks habe ich nichts Nä-
heres ermitteln können. Jedenfalls war er in der Schreckenszeit
noch in Romansweiler. Denn im Verzeichnisse der im hiesigen
Seminar Eingesperrten («Gefängnißgeschichten und Aktenstücke
zur Bobespierr'schen Tyrannei», auf der L'niv.-Bibl.) steht S. o5 :
1 Maria Dürninger. Vgl. den Taufakt der Neuen Kirche von
Diakonus Valentin Holtzbergcr (Stadtarchiv X 22it 8. 261): «Diens-
tag den 27 Juni (1747) nachts gegen 12 Uhr ist Hr. Johann Heinrich
Patricks, Handelsmann und Bürger allhier, Ehel. Haußfrau Anna
Maria Dürningerin, eines Söhnleins genesen, so Donneistag darauff
getaufft und Philipp Heinrich genannt worden».
2 Brief an seinen Bruder in Annweiler vom 23. Juli 17.x» aus
Rotterdam.
3 I m m a tr i k u Her t wurde er am 6. April 1763 als stud. phil.,
am 18. Mai 1768 als cand. magisterii, am 18. April 1767 (mit Blessi^j
als stud. theol. (Knod, die alten Straßb. Matrikeln).
— 224 —
Ph. Heinr. Patrick, prot. Pfarrer von Romansweiler. Außer
ihm von ebendort : der Lehrer Moßbach und drei Israeliten,
sämtlich im Thermidor 1794 gefangen gesetzt.
Patricks Vater hatte sich in Amerika (Südcarolina) noch
einmal verheiratet und zu Wohlstand emporgearbeitet. Er
wurde sogar kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg mit England
Mitglied der dortigen Regierung. Während des Krieges erlitt
er große Verluste und mußte wieder von vorne anfangen. Er
hatte aus der zweiten Ehe sieben Kinder und heiratete, als er
1780 wieder Witwer geworden, zum dritten Mal. Er starb
am 12. April 1785, nachdem er die Kinder zweiter Ehe zu
Erben eingesetzt hatte. Casimir (der auch ein wohlhabender
Kaufmann geworden) und Philipp Heinrich bekamen nur jeder
5 Pfund englisch und 4 — Sklaven. Was der Pfarrer von Ro-
mansweiler mit dieser schwarzen lebendigen Erbschaft ange-
fangen hat, ist unbekannt !
Der Lehrbrief des Vaters, der Eheverl rag unseres Patrick
und 12 Familienbriefe an ihn, darunter 4 des Vaters und einer
des Bruders Casimir aus Amerika, denen ich die vorstehenden
Mitteilungen entnahm, sind von Hr. Pfarrer Bruns auch der
llniversitäts-Bibliothek übergeben worden.
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X.
Gedichte für
A. M. Baron Zorn von Blobsheim
Kaiserl. Feldmarschallietitenant.
Mitgeteilt von
E. Martin.
Durch die Güte S. Exzellenz des Herrn Unterslaatssekrelärs
Baron Zorn von Bulach erhielt ich, von Herrn Dr. Kiener ver-
mittelt, Einsicht in zehn poetische Huldigungen, welche dem
Kaiserl. Oherst, später General Feld Wachtmeister und General-Feld -
marschalleutnant, Maximilian August Baron Zorn von Blobsheim
(geh. 1714 zu Nürtingen, gest. 4774 in Galizien, wohin er Mll
kam), besonders zu Neujahr oder zum Namenstag von seinen
militärischen Untergebenen dargebracht worden waren. Als
Verfasser nennen sich Christian Gottfried Federlin, Gemeiner
von der LeibCompag., Mathäus Schönleben, Gottfried Meischnei ,
ein Wienner, Carl Wilhelm Dornheck, Fuselier v. des Hhptm.
Kuntz Compag., dieser auch im Namen der Comischen Gesell-
schaft, endlich Johannes Fronneck, Bedienter, dieser mit dem
Datum Schlos Shinava etc. 12. 8bris. 1773. Eine besondere
Stelle nimmt ein die
Abschieds-Ode
Bey
der Reiße nach Galliczien,
Deß
K. K. HErrn General-Feld-Marsehaln-
Lieutenants Baron Zorn von Blopsheim
Ihres geliebtesten HErrn Bruders
15
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Von
Sophia Louisa von Reischach,
Einer verwittibten Obrislin von
dem löbl. Schwab. Crevß.
Rieth
In dem Herzogthum Wiirtemberjr
den 2Ut«° Jun. 1773.
Wie die verlaßne Turteltaube
Den ungewißen Auffenthalt
Bald in dem nächsten besten Wald,
Bald in der längst durchlauschten Laube
Mit ängsten sucht, mit schmertzen findet,
Und da sie immer fremde ist,
Mit beyden Fittichen gerüst
Den Wechßel mit der Noth verbindet,
So wählt das Schicksal mich zum Bilde
Der Glantz von jenem frohen Hayn
Ist nun ein dunckler, matter Schein.
Beynahe fallen Helm und Schilde
Selbst in den Grauß der Glücksruinen.
Mir, Himmel! solle hier und dort
Bald dieser und bald jener Ort
Zum Denkmal neuen Kummers dienen.
Jedoch ist gleich mein Kahn verlaßen
Und ietzo nur der Wellen Spiel,
Mein Hertze weißt bey dem Gefühl
Deß bangen Unglücks sich zu faßen
Und mit Gedult den Weeg zu bahnen,
Wo biß zu meinem Wittwen-Grab
Ich dieße frohe Ancker hab:
Gott und die Ehre meiner Ahnen.
Mein Bruder steigt bey meinem Fallen
Auf Stützen des Verdienstes fort.
Ihm jauchzet jeder Landesort,
Ihm bringet der Carthaunen Knallen
So. wie der Gattin Kuß, den Segen:
Den Ruhm, ehmals aus Dannens Mund,
Macht nun ein großer Joseph kund,
Und schreibet ihn auf Seinen Degen.
Ein Werck der Vorsicht solt es bleiben
Um den still abgefaßten Plan
Schon von dem neunten Jahre an
Stets in das Größere zu treiben:
Ihr Liebling folgt durch alle Scenen
Im Glück und Unglück cinerley.
Gott und der Fahne stet» getreu
Als Muster ächter Martis-Söhnen.
— 227 -
Geprüft an Weißheit, Muth und Treue,
Genug, von Joseph Selbst gewählt,
Auch nur allein für Ihn beseelt,
Rafft ihm die Vorsicht auf das neue
An Sieg gewohnte Heeres-Spitzen,
Gallicziens Entferntes Land
Und bey solch an vertrautem Pfand
Die Adler Oesterreichs zu schützen.
Heil der Bestimmung! Heil dem Pfade
Deß besten Bruders. Wo er geht
Und in des Himmels Segen steht,
Da folge deß Monarchen Gnade,
Da folge auch die Abschieds-Thräne.
Die Eine treue Schwester weint,
Biß uns einst jener Tag vereint,
Nach welchem ich mich hertzlich sehne.
Hier schaut ein ehmals wohl bekannter
Auf meinen Schwesterlichen Sinn
Sowie auf diese Reime hin ;
Doch bleibt er nicht ein ungenannter,
Vielmehr aus seinen Ehrfurchts-Rechten
Zählt er sich, wird's vergönnet seyn.
Als ein Devoter Scharffenstein
Zu meinen und des Bruders Knechten.
Der Name Scharffenstein ist aus Schillers Jugend wohlbe-
kannt ; natürlich kann der Dichter nur ein Verwandter von
Schillers Freund sein.
Die übrigen Dichter, halten sich meist an den Alexandriner
und dessen steiferen Stil. Dafür zieren sie zum Teil ihre Car-
mina mit Bildern, welche besonders kriegerische Embleme,
auch das Wappen des gefeierten musenfreundlichen Vorgesetzten
darstellen. Selbst ein Akrostichon in Distichen mit dessen
Namen fehlt nicht.
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XL
Moßü und Kirwe im Elsaß.
Von
Dr. Katsel in Hochfeldeii.
(Schluli.>
Der Fangti-Öwe zu Hördt.
In eigenartiger Weise wird noch heute der Sonntagabend
vor dem Meßti in Hördt begangen. Es ist der sogenannte Fangti-
öwe, Fanglagahend. Die Burschen suchen ihre Geliebten oder
solche, die es werden sollen, zu fangen. Kurz vor Einbruch der
Dunkelheit linden sich die Maiden in den Höfen, unter den
Toren und Türen der Gehöfte ein. Sie verstecken sich anschei-
nend vor den Nachstellungen der Burschen, doch diese haben
sie bald auf die Straße herausgelockt. Und nun beginnt ein
Singen und ein Springen, ein Schreien und Lachen, daß du*
ganze Dorf davon widerhallt. Oft meint man, es sei ein Regi-
ment Soldaten da. Dieses Durcheinander dauert bis in die Nacht
hinein, und schließlich geht die ganze Gesellschaft friedlich ver-
eint, Arm in Arm ins Tanzwirtshaus, wo noch ein kleines Tänzchen
gemacht wird. Dann werden die Maiden nach Hause begleitet.
Der Tanz ist übrigens in den letzten Jahren in Wegfall gekommen.
Es handelt sich hier um die altertümliche Sitte des Mäd-
chenraubs. Aehnliches findet in Mülbach (Kr. Saarlouis) statt,
wo jeder Bursche am Kirch weihfeste, nachmittags nach der
Vesper dasjenige Mädchen raubt, das er an diesem Abend und
das ganze Jahr zum Tanze fuhren will.i Die Sitte des Mädchen-
* Zeitschrift für deutsche Mythologie. I, 80, 3.
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raubs stammt aus den Frühlingsgebräuchen und kommt als
Mailehen in weiter Verbreitung durch Mitteleuropa vor. Wie
sie sich aus den altgermanischen Anschauungen über die Vege-
tationsgeister und das Mai-Brautpaar erklären läßt und dann
als Anfang des Brautstandes aufgefaßt wurde, ist bei M a n n-
hardt 1 nachzulesen. Im Elsaß tritt sie nur ganz vereinzelt auf.
Der Meßtimaien. Der Kirwestrauß.
Soweit die mündliche Uebetlieferung zurückreicht, linden
wir in unserem ganzen Gebiete die Verwendung des Maiens bei
den Kirchweihfestlichkeiten. Es ist das, ganz abgesehen von
seiner ursprünglichen Bedeutung als altgermanischer Maibaum,
nicht zu verwundern. Wird doch der Maien, worunter man
gewöhnlich einen frisch grünenden Baum oder größeren Baum-
ast versteht, weit und breit als Wahrzeichen der Freude, der
Ehrung bei den verschiedensten Gelegenheiten benutzt. Und so
auch beim Kirch weih fest.
Am Nachmittag vor dem Feste versammeln sich die Bur-
schen im Tanzwirlshaus. Zu einem gemeinsamen Trunk auf
Kosten des Meßt ibui sehen langt es gewöhnlich noch, so viel ist
vom «Vertrinken») des Meßti noch übrig geblieben. Dann gehl
es in den Wald, wo ein solcher vorhanden ist, und es wird ein
Birken- oder ein Tannenstämmchen geholt. In der Begel hat man
sich mit dem Besitzer verständigt und den Baum gekauft. Nicht
selten wählt der Förster selbst den Baum aus. Zu Welz-
heim und Hordt geschieht das Abholen bei gutem Wetter in
feierlicher Weise. Im Gebiete des Meßti wird aber vielfach nach
altem Brauch der Meßtimaien im Nachbarbann nächtlicher
Weise gestohlen und alsdaun auch mit einer Pappel oder Akazie
vorlieh genommen. Wenn der Besitzer des Baumes sich meldet
und auf seinem Eigentumsrechte besteht, wird er bezahlt. Klage
erfolgt gewöhnlich nicht. Bisweilen übt jedoch der Bestoh-
lene Erpressung und läßt sich sein Stillschweigen mit schwerem
Geld bezahlen.
In Quat:enheim y wo weit und breit kein Wald ist, geht
das Holen des Meßtibaums besonders umständlich vor sich. Die
Burschen haben sich im Tanzwirtshaus versammelt, wo jeder
einen Liter Wein erhält. Nach Feierabend setzen sie sich auf
bereitgehaltene Wagen und fahren oft weite Strecken in einen
i Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer
Xachbarstämme. Berlin, 1875. S. 422 ff., besonders S. 454 f.
— 230 —
fremden Bann, bis sie den Baum erreichen, den ein Bursche
schon im voraus als geeignet ausgesucht hat. Der Meßtihüter
hat sich der Gesellschaft angeschlossen und sein Gewehr «zur
Verteidigung» mitgenommen. Ein Bursche hat eine Laterne, ein
anderer eine Harmonika, ein dritter eine Axt oder eine Säge.
Lautlos geht es an die Arbeit des Fällens, und der zur Strecke
gebrachte Baum wird mit den Klängen der Harmonika begrüßt.
Dann wird er aufgeladen, und in flottem Trabe geht es nach
Hause zurück, wo im Tanzwirtshaus weiter gezecht wird.
Im Ki rwegebiet nördlich des Hagenauer Forstes nimmt man
ein etwa mannshohes Tännchen. In Steinselz nennt man den
Vorgang das «Holen der Kirwe». Zu Lembach wird dabei ein
Fäßchen Bier getrunken. Auf die Ausschmückung des Tänn-
chens legt man besondere Sorgfalt. Der Stamm wird ganz oder
spiralförmig geschält und mit vielen Bändern, Papierflittern und
künstlichen Blumen behangen. Vor 1870 waren vielfach Bänder
in französischen Farben dabei, z. B. in Hölschloch. Auch nach
dem Kriege wurden noch mehrere Jahre lang blau-weiß-rote
Bünder in Lobsann verwendet, bis sie durch die Gendarmerie
entfernt und verboten wurden.
Die Herrichtung des Tännchens oder, wie es im Volksmunde
heißt, des Straußes (in Nehweiler bei Wörth, Fröschweiler und
Jagertal ist es ein «Maien», in Stundtveiler ein «Tännel»)
geschieht in mehr oder weniger idealer Weise am Samstag
Abend oder Nachmittag. In Langensulzbach putzen die Maiden
den Strauß, in Görsdorf haben die beiden Meßtimaiden das
Vorrecht. Die Drachenbronncr und Steinsetzer Maiden sind so
liebenswürdig, die nötigen Bander zu schenken, während die
Burschen den Strauß selber schmücken, um sich einen Frei-
trunk zu sichern. Dasselbe geschah (bis 1862) in Memmeishofen
und Meisental. Zu Ilohweiler ziert ihn der Wirt. Meistens
besorgen das die Burschen im Wirtshaus oder in einem Pri-
vathaus, zu Wingen beim Bürgermeister. Vereinzelter Weise
ist es in Weitersweiler und Sparsbach, also weitab vom Kirwe-
gebiet, ebenfalls gebräuchlich, daß die Maiden am Meßtisamstag
im Tanzsaal einen Maien schmücken. Wie dieser Brauch gerade
nach Weitersweiler und Sparsbach kam, ließ sich nicht er-
mitteln. Lothringer Sitte ist es nicht.
Der Strauß wird in der Vornacht zur Kirwe gewöhnlich
im Kirwewirlshaus aufbewahrt, so in Langensulzbach, oder in
der Scheune eines Conscrits (Niedersteinbach), oder am Ende
des Dorfs (Lembach), auch wohl im Keller des Bürgermeisters
(Oberhofen, Wingen).
Kr dient dazu, an der Wirtschaft ausgesteckl zu werden,
worin getanzt wird. Die Gesamtheit der Dorfburschen gibt da-
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durch zu erkennen, daß sie es ist, die die Kirwe veranstaltet,
sie kennzeichnet die von ihr ausgewählte und gewürdigte Wirt-
schaft und ehrt sie zugleich. Der Strauß bleibt aber nicht allein
während der Kirwe, sondern solange wie er überhaupt hält. Die
Blumen verblassen, die Bänder zerfetzen sich, die Nadeln verlieren
ihr Grün und fallen ab, aber der Strauß bleibt, bis ihn ein Wind-
stoß mitnimmt, nicht selten bis zur nächsten Kirwe. Schön
sieht das nicht gerade aus. Bis vor wenigen Jahren gab es noch
viele Wirtschaften, die kein Schild hatten, und der Strauß diente
alsdann dazu, die Dorf wir tschaft als solche überhaupt kenntlich
zu machen. Dies ist wohl der Grund, weshalb in den größeren
Dörfern, wo mehr als eine Wirtschaft bestand, alle Wirte sich
einen Strauß aufstecken ließen. So in Kleeburg und Lobsann
(bis 1885). Seitdem das Gesetz für jede Wirtschaft ein Namens-
schild vorschreibt, hat der Strauß seine praktische Bedeutung
eingebüßt. Seit einigen Jahren wird er denn auch immer kleiner
und formloser und dürfte bald zu einem wirklichen Strauß zu-
sammengeschrumpft sein. Seine volkstümliche Bedeutung wird
aber um so größer, je mehr der Brauch des Aufsteckens in Ab-
gang kommt, namentlich weil im Gebiet der Kirwe die Verwen-
dung von gepflanzten Maien nicht bekannt zu sein scheint. Nur
in Preuschdorf fand sich die Spur eines gepflanzten Maibaums.
Er wurde zuletzt 183*2 beim Vortanz und zum Stangenklettern
der Buben benutzt.
Das Aufstecken des Straußes erfolgt zum Teil bereits am
Samstagabend ohne alle Feierlichkeit. Der Kirwebursche be-
steigt eine Leiter und befestigt ihn in einem bereits vorhandenen
Gestell, nachdem er den Strauß des Vorjahrs entfernt hat.
Oder er nagelt ihn einfach an den Eckbalken an, so daß er
mit der Spitze weit hinaus auf die Straße ragt. Diesem Auf-
stecken folgt eine Trinkerei, die entweder der Kirwebursche
seinen getreuen Milsteigerern spendet oder die der Wirt zum
besten gibt. Manchmal, so in Kleeburg (bis etwa 1870), ist ein
Essen auf Kosten des Wirts damit verbunden. In lngolsheim
wird am Samstagabend der Kirwekuchen versucht. Dieses
Trinkgelage ist allmählich zur Hauptsache geworden, so daß in
vielen Ortschaften das Aufstecken des Straußes nicht mehr als
Sitte und leider oft als eins der spärlichsten Ueberbleibsel der
alten Kirwe, sondern als Mittel zur Erlangung eines Freitrunks
angesehen wird. So in Keffenach und Reimersweiler. Zu Bir-
lenbach sind die Burschen schon zufrieden mit einem Glas
Bier, während früher (bis 1877) auf jeden Tisch eine Flasche
Wein kam. In Neeweiler a. d. Lauter, Schaff hausen, Ober- und
Niederrödern. Hofen, Halten (1878), Rittershofen, Kröttweiler
(1883) und Stund weiter ist die früher blühende Sitte abgekommen.
— 232 -
In einigen Dörfern, i. B, Hunspach, Xiederlanterbach ,
Weiler t Scheibenhardt war ein Strauß seil Menschengedenken
nicht im Gehrauch.
Wesentlich andere Formen hat der Maibaum im Meßtigebiet
angenommen. Dort wird gewöhnlich eine schlank gewachsene
Birke als «Meßtimaien» oder «Meßtibaum» gewählt. Da, wo
noch die Sitte des Kletterbaums üblich ist, gibt man der Pappel
den Vorzug. Ist der Maien eingebracht, so schmücken ihn die
Burschen mit frischen Blumen, Bandern und Goldßittern, manch-
mal mit einer Fahne. In Dunzenheim bammeln regelmäßig einige
Kettige daran, in Meisheim Gurken oder Kürbisse. Der Mels-
heimer Meßti wird (iaher spottweise der «Meisner Gagummer-
meßt i » genannt. Der Meßtimaien als Kletlerbaum wird geschält
und mit allerlei Gaben (Göwe) für die schulpflichtigen Jungen
behängen : Hosenträger, Strümpfe, Taschentücher, ein Porte-
monnaie, eine Mütze, ferner Eßwaren, Knackwürste, ein
Kranz «Servila» ((Zervelatwürste), eine ganze Lionerwurst,
Wecken, Kuchen und ßretzeln. In manchen Gemeinden sieht
man auch das zum Heraustanzen bestimmte Halstuch daran,
z. B. in liläsheim 1886. Nicht seJlen wird der Maien mit Eiern
behangen, und groß ist nachher die Enttäuschung des kletter-
gewandten Buben, wenn er die Entdeckung macht, daß sie aus-
geblasen sind. In Kolbsheim fanden die Buben 190ü leere Soda-
fläschchen, statt der erhofften Limonade. Oft ist der Preis die
Mühe des Hinaufkletterns nicht wert: aber manchmal hängen
auch schöne Gaben dran, so in Schiltigheim in den letzten
Jahren regelmäßig ein stattlicher Schinken.
Der Meßtimaien wird ohne weitere Feierlichkeit auf der
Tanzwiese oder auf «einem freien Platz im Dorfe oder mitten
auf der Straße gesetzt, wo regelmäßig auch nachher der Vor-
tanz stattfindet und an den sich die schönsten Erinnerungen
der Alten knüpfen. Oft ist es der Platz vor dem Gemeinde -
hause, so in Lampertheim, Dunzenheim, [Wingendorf. In
Schiveighausen findet der Maien seinen Platz im Hofe der Tanz-
wirtschaft. In Meisheim, wo die Kirche gegenüber dem Ge-
meindehaus steht, erhob der Pfarrer mehrmals Widerspruch
wegen des unpassenden Platzes. Nach einigem Widerstand wurde
der Maien schließlich ans Dorfende verpflanzt. In Winzenheim
werden unter dem Maien einige Flaschen Wein vergraben und
nachher beim Entfernen des Baums ausgetrunken.
Nachdem der Maien gesetzt ist, begeben sich die Bur-
schen unter Jauchzen und Freudengeschrei nochmals ins Tanz-
wirtshaus zurück, wo sie den Abend mit einem Trunk be-
schließen.
Aber während der Nacht muß der Meßtibaum von einer
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zuverlässigen Person bewacht werden, sonst klettern die Buben
hinauf und plündern ihn ohne weiteres. Die Sitte des Maien-
setzens ist in der letzten Zeit schon ganz erheblich in Abgang
gekommen. Manchmal haben die Wegemeister sicli in klein-
licher Weise wegen Beschädigung der Straße beschwert, so 181)9
in Hangenbieten, Bei der Errichtung eines Kletterbaumes denkt
man gewöhnlich überhaupt nicht mehr an die alle Sitte des
Meßtibaums.
Unabhängig vom Meßtimaien hat der Tanzwirt, oft auch
die andern Wirte, einen mächtigen Maien vor dem Hause auf-
gepflanzt.
Beim Aufziehen des Meßti wird im Meßligebiet ein Maien
im allgemeinen nicht milgeführt. Vereinzelt geschieht dies in
Biäsheim, ferner in Buchsiveiler, wo der Zug durch zwei Maien-
träger rechts und links von der Musik eröffnet und durch einen
Maienträger geschlossen wird, außerdem in Weitersiveüer und
Sparsbach, wo man ihn nachher auf dem Dach des Tanzhauses
aufsteckt.
Gleich nach Beendigung des Festes wird der Meßlibaum
von den Angehörigen des Meßtiburschen oder dem Tanzwirt
oder irgend einem armen Mann, dem er geschenkt wurde, ent-
fernt und der Boden wieder eingeebnet.
Andern Festschmuck als den Maien zeigen die Dorfstraßen
am Meßti nicht. Was sonst noch etwa in dieser Hinsicht ge-
schieht, ist neuzeitliche Zutat, gewöhnlich Wirtsreklame, und
hat keinen Wert für die Sitte.
Das Fest in der Familie.
Die Gastfreundschaft war von jeher einer der hervor-
stechendsten Charakterzüge des Elsässers. Der elsässische Land-
bewohner bewirtet gern, aber nicht oft, und der Meßli ist bei
vieJen das einzige Freuden- und Erholungsfest, das Verwandten
und Bekannten von nah und fern die Gelegenheit bietet, sich
den seltenen Tafelgenüssen hinzugeben. Wenn nach außen der
Meßti schon ganz verschwunden ist, sind die Tischfreuden noch
das einzige Ueberbleibsel aus früherer Zeit. Es läßt sich aber
nicht leugnen, daß die Sitte, sich am Meßti-Sonntag zu fest-
lichem Familienessen zu versammeln, schon erheblich zurück-
gegangen ist. Einzelne Striche unseres Gebiets sind dafür be-
kannt, daß dort noch viel Auswärtige am Familientisch er-
scheinen, so insbesondere die* lothringischen Gebirgsdörfer, die
althanauischen Dörfer zwischen Buchsweiler und Niederbronn,
die Gegend um lngolsheim und Oberseebach, sowie der ge-
birgige Teil des Kreises Molsheim, wo auch immer Gäste aus
Frankreich geladen sind. Sonst pflegt man einen Meßli nicht regel-
mäßig zu «geben», sondern bloß von Zeit zu Zeit und namenl-
lieh wenn heiratsfähige junge Leute in der Familie sind.
Vom Volk werden alle auswärtigen Gäste, selbst wenn es
nahe Verwandte sind, als «Fremde> bezeichnet. Fremde sind
wohl am Meßti stets da, schon die Hanauische Kirchenordnung
von 1G59 erwähnt (S. 92) die Freunde und Gäste. Aber die
großen üppigen Essen gehen im allgemeinen zurück. Die An-
schauung, daß es eine Schande ist, am Meßli keine Gäste zu
habeu, ist allmählich Erwägungen materieller Art gewichen.
Die Zeiten sind vorbei, wo die Fremden in solcher Menge er-
schienen, daß sie in den Stuben auf dem Fußboden schlafen
mußten. Während man sich früher eine Ehre daraus machte,
die Verwandten aus der näheren Nachbarschaft am Sonntag vor
dem Meßti persönlich einzuladen, geschieht dies heute durch
eine Postkarte. Eine besondere Art von Gästen sind für die
Wille die Lieferanten, der Biersieder und der Metzger. Es
sind gewöhnlich trinkfeste Herren, die die Gesellschaft erhei-
tern und natürlich die Gelegenheit benützen, um recht viel
zu verzehren. I m sie scharen sich in der Regel alle die,
die ihren eigenen Geldbeutel nicht gern öffnen, aber um so
lieber trinken und lachen, und sie kommen dabei reichlich auf
ihre Rechnung.
Wenn eine Familie einen Meßti «gibt», so geschieht dies
am Meßti-Sonntag, der überhaupt der Tag der «Fremden» ist.
Das Mittagmahi ist dann ein großartiges, ja ein verschwende-
risches Essen, wie bei einer großen Hochzeit. Die Bewirtung
der Gäste geschieht im Uebermaß und kennt keine Grenzen.
Es wird aufgetragen, daß die Tische beinahe brechen. Die
hanauischen Presbyterialprotokolle des 18. Jahrhunderts wim-
meln von den beiden geläufigen Ausdrücken «Fressen und
Saufen», und schon die Hanauische Kirchenordnung von 4659
erwähnt bei den Meßtagen (S. 91) «das üppige fressen und
sauflen» und (S. 96) die «immodicae commessationes et ingur-
gitationes in tabernis». An diesem Tage werden alle Lieblings-
speisen des Landbewohners aufgetragen. Suppe und Rindfleisch
mit Meerrettig, Bratwurst mit Kohl, Kalbs- und Schweinekeule
fehlen wohl nie. Im Kreis Weißenburg werden nach dem
Rindfleisch die unvermeidlichen Fleischknöpfle mit weißer Sauce
gegessen, im Hanauischen gibt es meistens Markknöp'fle in der
Suppe. Früher öfters als jetzt wurden alle Genüsse des Schlacht-
festes mit dem Meßti verbunden. Es haben aber noch die altha-
nauischen Dörfer den Ruf des außergewöhnlich fetten Essens
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und der vielen Gänge. Beliebte Gänge sind außer den bereits
aufgezahlten : Frieasse, Colelettes, in der Jagdzeit Hasenpfeffer,
in Lotliringen Geflügel, und besonders häufig in der letzten
Zeit Kaninchen. Und schon dringt die «Herrenmode» in die
bäuerlichen Küchen ein, so daß «Suppenpastetchen» und Filet
ä la jardiniere nicht mehr zu den Seltenheiten gehören. Bei
diesen allgemeinen Andeutungen mag es sein Bewenden haben,
lieber das Gebäck war schon die Bede.
In manchen Dörfern wird der den Taglöhnern zukommende
Erntebraten, der auch vielfach Erntegans genannt wird, mit
dem Meßti verbunden. Die Taglöhner erhöhen dann ihre
Festesfreude durch ein gutes Essen, das ihnen sonst versagt
geblieben wäre, und bei der Dienstherrschaft geht es «in einem
hin». So sind beide Teile zufrieden. Im Unterland kommen
die «Wingertsleute», die Leute, die in andern und oft entfernten
Gemeindebännen die Reben bauen, am Kirwe-Sonntag, um
ihren Reblohn in Empfang zu nehmen. Sie werden regelmäßig
zum Essen zugezogen, auch ohne vorhergegangene Einladung.
Ist das Essen vorbei — oft war es eine lange Sitzung — ,
so gehen die Frauen spazieren, sie besuchen Bekannte im
Dorf oder sie plaudern im Hause selbst oder im Garten. Die
Männer besichtigen die Stalle und die Scheunen, dann gehen
sie ins Wirtshaus, wohin ihnen die tanzlustige Jugend schon
vorausgeeilt ist. Dort wird Bier getrunken, eine Zigarre ge-
raucht und über Landwirtschaft geplaudert. Selten bleiben
heutzutage «Fremde» über Nacht, denn am nächsten Tage
müssen sie wieder im Feld arbeiten. Noch ein kurzer Imbiß
in der Familie, und man fahrt oder geht wieder ins Heimats-
dorf zurück. Jede auswärtige Familie erhält als Geschenk
einen Kugelhopf oder einen Kuchen, manchmal auch eine
Torte, die in eine «Salfete» gebunden oder in ein «Säckel» ge-
steckt werden.
Die Gastfreundschaft erstreckt sich auch auf Ortsarme und
zufällig oder absichtlich des Wegs ziehende Bettler. Man gibt
ihnen Kuchen, Fleisch und Wein in der Küche oder in der
«Hausere», dem Hausgan«*. Sogar die verhaßten Zigeuner, die
in den letzten Jahren den Bauer so sehr belästigen, werden
am Meßti nicht abgewiesen und ebenfalls beschenkt, aber vor-
sichtigerweise mit dem Essen sogleich höflich aus dem Hofe
gewiesen.
Zu Hördt werden die fremden Gäste im Wirtshaus bewirtet.
In Lothringen, so besonders in St. Johann-Kuvzerode ,
laden sich die Familien desselben Dorfes gegenseitig zum Essen
ein, und die Schmausereien dauern oft die ganze W r oche hin-
durch bis zum Nachmeßti-Sonntag.
— 23« -
Gottesdienst für die Verstorbenen.
Im katholischen Sundgau und in Lothringen herrscht viel-
fach der Brauch, daß am ersten oder zweiten Festtage vor
Beginn der weltlichen Freuden eine kirchliche Totenfeier, ähn-
lich wie an Allerheiligen und Allerseelen, abgehalten wird.
Die Feier wird durch TrauergelAute am Vorabend eingeleitet
und mit dem Besuch der frisch geschmückten Gräber be-
schlossen. Möglicherweise handelt es sich hier vorzugsweise
um das von Pius VII. angeordnete allgemeine Kirchweihfest
(anniversarium dedicalionis tempiorum). Nähere Nachforschungen
würden die Grenzen dieser Arbeit überschreiten. Nur in
Medt rro'ffr.i besteht die Sitte, am zweiten Kii wetag morgens
ein feierliches Seelenamt tür alle Abgestorbenen der Pfarrei
abzuhalten.
Das Holen der Kirwe. Das Aufziehen. Der Meßti-
hammel. Der Geschenklebkuchen. Der Vor-
tanz. Der Kletterbaum. Das Aufstecken des
Straußes.
Der Verlauf des «Aufziehens» ist im ganzen 19. Jahr-
hundert und noch heute kurz der : Vom Tanzhaus zum Bürger-
meister, hierauf Vortanz, dann zum Tanzhaus zurück. Innerhalb
dieses Rahmens haben sich im Laufe der Zeit verschiedene
Sitten verschmolzen, die sich innerlich nicht trennen lassen
und die auch vielfach vom Volke unter dem Gesa ml begriff
«Aufziehen», nach Stöber 1 1857 «Umgang», vereinigt werden.
Das Aufziehen ist zuerst nachgewiesen in Zaber n.* und zwar
lange vor 1051, auf dem Lande erstmalig 1737 zu Alteckendorf *
Im Gebiet der Kirwe, ferner in den Meßtidörfern Weiters-
weiler (bis 1876), Sparsbach und Bedingen wird bereits am
Vorabend die Kirwe «versteckt» oder «vergraben». Ein Bursche
vergräbt heimlich auf einer Wiese oder in einem Garten eine
mit Wein gefüllte Flasche, früher einen Krug. Am Sonntag
nach dem Nachmittagsgottesdienst versammeln sich die Burschen
im Tanzhaus. Nach kurzem Trunk ziehen sie mit dem StrauiJ
und der Musik aus, die Schulkinder hinten drein, um die «Kirwe
1 Stober, Der Kochersberg, Mülhausen, Risler, 1857. S. ")7, —
2 Adam, Der Zaberner Meßtag, Zabern, Gilliot. 1901, S. 3ö. —
3 Presbyterialprotokoll vom 5. Nov. 1737 im dortigen Pfarrarchiv.
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237 -
zu holen». Am Strauß sind die Gegenstände befestigt, die am
zweiten Kirwetag ausgetanzt werden sollen, in der Hegel ein
Halstuch und ein Hut, so in Hatten bis 1853, Schwabweile)'
bis 1862. Hölschloch vor 1870, Trimbach bis 1882, Kühlen-
dorf bis 1899, Wilschdorf bis 1900, in Görsdorf noch heute.
In Oberseebach (bis 1840) und in Surbury (bis 1853) hing
außer dem seidenen Halstuch noch die damals modische kost-
bare Pelzkappe am Strauß. Die Burschen springen und
schwenken ihre Hüte. Einer von ihnen hat eine Hacke. In
Lembach wird außerdem ein Kuchenbrett» milgeführt, woran
ein Zimmtkuchen genagelt ist, ferner ein Backofenbesen und
ein Kugelhopf. Gewöhnlich haben die Burschen weingefüllte
Flaschen, und alle Gegenstände sind mit roten Bändern ge-
schmückt.
Die Flasche wird rasch ausgegraben. Nicht selten gibt
es aber eine Enttäuschung, wenn nämlich von pfiffigen Jungen
die Begräbnisstelle vorher erspäht, ihres Inhalts beraubt und
wieder sorgfältig zugedeckt war. Mit der Flasche geht der Zug
zum Bürgermeister, wo wir ihm später wieder begegnen
werden, und macht ihm Meldung, daß die Kirwe «geholt» ist.
Das Ausgraben der Kirwe ist auch in der Pfalz und in Loth-
ringen gebräuchlich.
In einzelnen Kirwedörfern, so in Niederlauterbach und
Kl im back, ist das Holen der Kirwe in Abgang geraten. Im
Meßligebiet ist der Brauch überhaupt unbekannt, und dort wird
gleich nach der Kirche der Meßti vom Tanzhause aus «aufge-
zogen». Das ist das erste Haupt- und Schaustück des Festes,
das in unserem ganzen Gebiet üblich ist. Der Zug nimmt
vor dem Tanzhause Aufstellung. An die Spitze tritt der Meßti-
hüler. Er geht in Hemdärmeln und in weißer Schürze (Wand-
fürlüchel oder Meßtischürzel), trägt ein Gewehr und hat im
Knopfloch einen LötTel. Gewehr und Löffel sind mit einem
roten Band oder einem Blumensträußchen geschmückt. Seltener
bat er einen reichverzierten Tambourmajorstock, so in Büs-
xveiler Hinler ihm kommt ein Bursche mit einer zinnernen
Platte und dem Geschenklebkuchen oder dem statt dessen üb-
lichen Geschenk für den Bürgermeister. In manchen Dörfern
trägt er das zum Heraustanzen bestimmte Halstuch und den
Hut voraus.
Früher allgemeiner als jetzt wurde der Meßtihammel an
der Spitze des Zuges geführt. Er ist mit Blumen und Bändern
bekränzt und gleichfalls zum Heraustanzen oder zum Ausspielen
1 So auch in Mühlhausen bei Wiesloch in Baden (E. H. Meyer,
Deutsche Volkskunde, Straßburg, Triibner, 18 L J8. S. 232).
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— 238 —
Stimmt. In diesem Zusammenbange werden wir ihm später
wieder begegnen. Der Hammel war wohl früher ein heidnisches
Opfertier, dient aber in der neueren Zeit einfach zur Schau-
stellung im Hinblick auf das Heraustanzen. Heute wird er
wohl bloß noch in Winzenheim und in Buchsiceiler milgeführt,
früher auch u. a. in Vendenheim, Wolßsheim, Lampertheim,
Schiltigheim, Bischheim, Grafenstaden und Biberkirch. In
Bucht weiter ist der Gedanke an die Verspeisung des Hammels
noch weiter entwickelt, indem er durch vier Burschen mit
Melzgergeräten geführt wird. Zu Kolbsheim fand einmal der
Meßtihammel keinen Geschmack am Lärm und an der Musik.
Er riß sich los und lief weg. Seitdem ist die Sitte dort abge-
kommen.
Nun kommt die Musik, ebenfalls mit Löffeln im Knopfloch
und mit bändergeschmückten Instrumenten. Es folgt der
Meßtibursch i mit einem großen künstlichen Strauß am Hut,
weißer Schürze und Löffel im Knopfloch. Er führt am Arm
das Meßtimaide in weißer Schürze, das durch Bander oder
durch einen auf der Brust weithin leuchtenden Stern von grön
und rot gesträußeltem Sammet, nicht selten 5 Ellen, kenntlich
ist. Alle Anschaffungen hat der Meßtibursch gemacht, nur der
Strauß ist ein Geschenk des Meßtimaide. Auch die Löffel
sind sein. Die Musikanten nehmen aber gewöhnlich die ihrigen
mit nach Hause. Die Bedeutung der Löffel ist dunkel. Hinten
drein kommen die Burschen in breiten Reihen, dann die
Maiden ebenso, Arm in Arm.
Ein Schuß des Meßtihüters, und unter den Klängen eines
flotten Marsches, mit Jauchzen und Jubelgeschrei setzt sich
der fröhliche Zug in Bewegung. In manchen Gemeinden, so
in Balbronn und E)>zheim, marschieren die Gestellungspflich-
tigen der Jahresklasse geschlossen und in weißen Hosen an der
Spitze des Zuges, in Kaltenhausen hatten sie früher das
alleinige Vorrecht des Aufziehens. Jn Niederbronn und Brumath
und wohl noch in anderen Gemeinden beteiligte sich in den
1830er und 1840er Jahren die Garde nationale am Aufziehen.
Zu Klingenthal, wo früher eine staatliche Waffenfabrik bestand,
trugen alle Burschen schwarzen Rock und Zylinder, und eine Ab-
teilung mit Gewehr gab während des Zuges Freudenschüsse ab.
Jeder Bursche hat eine mit Wein gefüllte Flasche oder Karafe mit
rotein Bündchen und darüber gestülptem Trinkglas. Früherwaren
1 Nachträglich sei hier darauf hingewiesen, daß in EnzMösterle
in Schwaben, ähnlich wie im Elsaß, die Stelle eines «Kirbebua»
versteigert wird i B i r 1 i n g e r . Aus Schwaben. Wiesbaden,
Killinger, 1874. II, S. 127 f.\
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es Zinnkannen, beute sind es schon Wirtsflaschen. Die Burschen
binden manchmal ihr Taschentuch um den Flaschenhals und
schwingen die Flasche im Kreise herum, und sie gelten als be-
sonders geschickt, wenn kein Tropfen herausfließt. Während
des Marsches wird dem Wein tüchtig zugesprochen, denn
über dem Jauchzen bekommt man Durst, und nach einem
gutem Schluck kann man auch wieder besser jauchzen. Und
im Vorübergehen bieten die Burschen dem oder jenem einen
flüchtigen Trunk an, und geizige Zuschauer bekommen nicht
selten unter maßlosem Gelächter der ganzen Burschenschaft
Wasser oder Essig zu trinken.
Und weiter geht der Zug, die Schuljugend singend und
jauchzend hinten drein. Die Fenster fliegen auf, hie und da fällt
wohl ein Blumentopf heraus und geht unter unbändiger Heiter-
keit in tausend Scherben. Ueberall sieht man fröhliche Ge-
sichter, hört man Lachen und Scherzen und freudige Zurufe.
Am Alltage pflegt jeder Dorfbewohner für sich zu gehn, jeder
hat seine Arbeit, und man kann sagen, daß unsere elsässischen
Bauern ihre Pflicht tun. Die Straßen hallen von Peitschenknall
und den Hufen der Arbeit wieder, welche fleißige Menschen
an ihren Geräten und Gespannen ausstoßen, und sogar der
ländliche Gruß atmet nichts als Arbeit und Fleiß. Heute ist
es anders! Bauschende Musik schlägt an das Ohr. Freude
und Lust überall! Die Jugend ist einträchtig, Arm in Arm,
und selbst um die bedächtigen Alten schlingt sich heute ein
gemeinsames Band, das Band der Freude, des Frohsinns, der
Lust. Saure Wochen, frohe Feste !
Jetzt biegt der fröhliche Zug in den Hof des Bürgermeisters
ein. Ein Schuß des Meßtihüters, und die Musik spielt draußen
im Hof eine «Serenade» 1 , während der Meßtibursch und das Meßti-
maide, Burschen und Maiden in die Wohnstube des würdigen
Dorfoberhauptes eintreten. Bei schlechtem Wetter geht die
Musik mit hinein. Der Bürgermeister hat sein Gesicht schon
zu freudigem Lächeln verklärt, und alsbald überreicht ihm der
Meßtibursch mit einer artigen Ansprache eine zinnerne Platte
mit eingravierten Anfangsbuchstaben, darauf einen großen
Lebkuchen , das Meßtiangebinde der Dorfburschenschaft.
Manchmal, so in Ingenheini , erhält auch die Frau des
Bürgermeisters einen Kuchen. Dann schenken die Burschen
aus ihren Flaschen ein und trinken mit dem Bürgermeister
Gesundheit. Dieser dankt und gibt dem Meßtiburschen ein
Trinkgeld, z. B. 3 — 5 Mark. Wiederum setzt die Musik ein,
i Vgl. Kassel, Die Serenade, iu der Eis. Lothr. Gesang- n.
Mosikzeitung 1908, S. 205 ff, mit Musikproben.
und der Bürgermeister tanzt mit dem Meßtimaide «drei allein».
Nun gibt er die offizielle Erlaubnis zum Abhalten des Meßti,
der dadurch eröffnet ist. Fragt ihn der Meßlibursch nach der
Feierabendstunde, so erwidert er nicht selten in wohlwollender
Weise, die jungen Leute mögen nur tanzen, solange sie wollen,
aber keine «Sauerei» machen. Darunter versteht er Streit und
übermüßigen Lärm. Nachdem noch die Flaschen aufs Neue
gefüllt sind, zieht man mit vielem Dank von dannen zum Bei-
geordneten, wo sich das nämliche Spiel wiederholt. In Bal-
bronn (1900) rücken die Burschen mit leeren Weinkannen an.
Sie lassen sie sich zuerst füllen und nehmen einen Trunk in
die Runde, ehe die Serenade beginnl.
Früher bekam auch der Ortspfarrer eine Serenade, die
sich in etwas einfacherer Form auf der Straße hielt, so lüs
1836 in Chhveiler, bis 1853 in Weyersheim, bis 1859 in
Dundenheim, bis 1882 in Ober modern und bis in die aller-
letzten Jahre in Hördt, Lichtenberg und Mielesheim. Der
Meßlibursch erhielt dafür das übliche Trinkgeld. Der Dttnzen-
heimer Pfarrer, mein verstorbener Großvater (f 1 859), pflegte
dann herauszutreten, den jungen Leuten einen fröhlichen Taji
und viel Vergnügen zu wünschen und sie in väterlicher Weise
vor Ausschreitungen zu warnen. Uebrigens wurde 1905 die
Serenade in Dunzenheim wieder eingeführt und angenommen.
Auch der Lehrer bekommt manchmal eine Serenade, in Gorn-
dorf regelmäßig der Förster.
Wir verweilen hier bei dem Lebkuchen, der südlich der
Breusch als Geschenklebkuchen, seltener Geschenkkuchen be-
zeichnet wird. Er war früher nebst der Zinnplatte das allge-
mein übliche Geschenk in unserem Gebiet. Der Brauch be-
steht seil Menschengedenken, und wir gehen wohl nicht fehl,
wenn wir ihn als ein Ueberbleibsel der Abgabe ansehen, die
die Herrschaft für die Verleihung des Kirchweihschutzes zu
beanspruchen hatte. Die feierliche Ueberreichung an den
Bürgermeister als den Vertreter der Herrschaft ist dann im
Laufe der Zeit dem Volksbewußtsein in ihrer Bedeutung ver-
loren gegangen und als Mittel zum Zwecke des Gelderwerbs
umgedeutet worden. Auf diese Weise trat das Trinkgeld der
Besckenkten in den Vordergrund und ließ die Sitte verblassen
oder entarten. So bringen die Meßti burschen von Birkenwald
und von Fröschweiler dem Bürgermeister und dem Beigeord-
neten in aller Stille den Lebkuchen. In Allenweiler tun dies
mehrere Burschen und bringen überdies noch ihre leeien
Flaschen zum Füllen mit. Zu Mittelberg heim überreicht ihn
der Gemeindediener unter Vorantritt der Musik. Fast allent-
halben ist die Zinnplatte in Wegfall gekommen. Auf einem
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241
gewöhnlichen Teller wird der Lebkuchen in Morsbronn (bis
1882) überreicht, und in OltvisJieim bekommt der Bürger-
meister zwar noch seine Serenade, aber kein Geschenk mehr.
Andererseits ist im südlichen Teil unseres Gebietes die
Ueberreichung von Lebkuchen vervielfältigt worden und mancher
Orten geradezu in einen Unfug ausgeartet. Jeder, der ein Trink-
geld gibt, bekommt einen Lebkuchen, dessen sinnige Bedeutung
somit ganz verwischt wurde, und so sank auch der begleitende
Meßtizug zu einem bloßen Musikständchen ohne andere Sitte
herab. Einen besonders großen Betrieb im Absetzen solcher
Lebkuchen zeigen Dorlisheim und Grendelbruch . ferner
Hangenbieten (noch 1891)), Bläsheim, Kolbsheim, Klimjenthal,
Mühlbach und Lingohheim. Da bekommen die sämtlichen
Ratsmitglieder, der Pfarrer, der Lehrer, die Beamten und
wohlhabenden Bürger und die Wirte Lebkuchen, die in mehre-
ren großen Waschkörben im Festzuge inilgefübrt werden. In
Lingolsheim, wo die Namen der zu Beschenkenden in Zucker-
buchstaben auf dem Lebkuchen prangten, setzte 1897 -—1903
der Meßtisteigerer 150—200 Stück ab und erhielt durchschnitt-
lich 3 M. Trinkgeld. 1904 wurde der Unfug abgeschaffl. In
Klingenlhal gab es gar G— 15 M. Trinkgeld. Zu Winzenheim
erhält der Bürgermeister einen Lebkuchen, der den halben
Tisch bedeckt.
Immer mehr aber kommt, da es sich ja bloß um ein
Trinkgeld handelt, der Brauch auf, ein beliebiges Geschenk zu
inachen. Man läßt den Lebkuchen, der nicht in jedem Dorf
gebacken werden kann, im Stich und schenkt eine Biskuittorte,
in Buchsweiler einen Kugelhopf, im Ackerland ganz allgemein
Geschirr, so in Qtialzenlieim Teller oder ein Krügel, in Hcrs'elt
ein Bier-, Wein-, Kattee- oder Liqueurservice.
Und nun geht der Zug, nachdem die Lebkuchen über-
reicht sind, in ungebrochener Fröhlichkeit nach dem Meßti-
baum, wo liereils eine große Znschauermenge versammelt ist.
Nicht selten steht der Baum auf einer Wiese, so noch heute
in Alteckendorf und Schivindrutzheim. Die Musik schwenkt
ein, der Kreis schließt sich, die Burschen stärken sich. Ein
Schuß des Meßtihüters, es beginnt der Vorlanz. Darunter ist
der erste Tanz zu verstehen. Zunächst tanzt der Meßtibursch mit
dem Meßtimaide «drei allein», dann erfolgen drei allgemeine
Tänze, oft auch noch mehr. Die Burschen holen ihre Tänze-
rinnen nicht selbst, sondern lassen sie sich durch den Meßti-
hüter aus der Reihe zuführen. Fr bekommt dafür ein Trink-
geld. Kein Maide darf ihm absagen, auch wenn es nicht ahnen
mag, mit wem es tanzen soll. Unter den Maiden ist die
Spannung, wem sie zum Tanze zugeführt werden, oft sehr
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groß, denn es ist eine Ehre, «in den Vortanz tanzen» zu
dürfen. Holt der Meßtihüter das Meßtimaide, so gibt er einen
Freudenschuß ab, wofür ihm ein besonderes Trinkgeld zusieht.
Manchmal macht er auch seine Spaßchen, nimmt eine ganze
Anzahl von Maiden heraus, läßt die Musik einsetzen und läßt
dann die Maiden mit einer entsetzlich dummen Gebärde wieder
laufen. Allgemeines Gelächterl Aber niemand nimmt es ihm
übel, am allerwenigsten die Maiden selber. Manchmal er-
scheint auch ein berittener Bursche und läßt sein Pferd im
Takte der Musik «cmittanzen», was vielen Anklang findet.
Der Vortanz ist ein sehr malerischer Vorgang, hauptsäch-
lich durch die Tracht, die überhaupt beim Meßti eine wichtige
Rolle spielt. Die Maiden haben oft nagelneue Kleider an, und
da wo mehrere Röcke in verschiedenen Farben Mode sind,
verabreden sie sich in der Regel, einheitlich zu gehen, z. B.
alle in blau oder alle in grün. Wie armselig nehmen sich dem-
gegenüber die Maiden ohne Tracht aus ! Unter den Burschen war
in den 1830 er bis 1850 er Jahren die weiße Zipfeikappe beim
Vortanz Mode, stellenweise auch die ebenso bequemen Rund-
kappchen statt des unbequemen breit ki am pigen Hutes.
Der Vortanz ist möglicherweise als eine Einweihung des
Tanzplatzes anzusehen, und der Tanzplatz ist vielleicht als ein
Uebei bleibsel des Opferplatzes in der heidnischen Gemeinde
aufzufassen. Aehnliche Vorgänge in andern Gegenden Deutsch-
lands 1 lassen diese Vermutungen zu. Jedoch ist hervorzuheben,
daß wir den Brauch im alten Elsaß nicht nachzuweisen ver-
mögen. Die erste Kunde vom Vortanz wird uns im Pfarr-
archiv von Alleckendorf.*
Ist der Vortanz beendet, so wird der mit Gaben behangene
Meßtibaum durch die Schulbuben geleert. Es macht immer
wieder Vergnügen, wenn die Jungen hinaufklettern und wenn
die Kralle sie verlassen im Augenblick, wo sie die Gabe zu
erhaschen glauben. An Zurufen der Ermunterung und der
Verhöhnung, manchmal auch an Versprechungen fehlt es nicht.
Natürlich wurde der Baum vorher sorgfaltig geglättet und mit
Seile bestrichen, wozu sich besonders eine geschälte Pappe)
eignet. Aber die Jungen wissen sich zu helfen, indem sie
Holzasche oder Sägemehl in den Taschen oder in einem Säck-
chen um den Hals mitführen. So gelingt es schließlich, die
Gaben herabzuholen. Aber mancher Kletterer holt sich dabei
auch zerschundene Hände und verdorbene Kleider, nicht selten
ist er der Erschöpfung nahe. Das Stangen klettern, das
1 P f a n n e n s c h in i d , Germanische Erntefeste. Hannover.
Halm, 1878. S. 287. — * Presbyterialprotokoll vom ö. November 1737.
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übrigens nicht ganz ungefährlich ist, ist wohl größtenteils
abgekommen. 1900 war es zum letzten Male in Hangenbielen
im Gebrauch. Noch heute besteht es u. a. in Scliiltigheim,
Hördt, Eckwersheim, Kolbaheim und Winzenheim.
Wiederum ordnet sich der Zug und bewegt sich durch
die Dorfstraßen nach dem Tanzhause. Jetzt haben die Burschen
ihre Maiden am Arm, außerdem aber ziehen noch Reihen von
jüngeren Burschen und Maiden getrennt hinter her. Ausge-
lassener denn je ist die fröhliche Gesellschaft, und wahrlich bei
schönem Wetter ist es ein unvergleichlich schönes Schauspiel,
die Blüte der ländlichen Jugend in ihrem Freudengenusse
daherschreiten zu sehen. Ist es heiß, so geht alles hemdärmlich.
Die Burschen schwenken ihre Hüle und leeren unterwegs die
Flaschen, die Maiden hüpfen leichtfüßig mit weißen Strümpfen
und niedlichen Tanzschuhen im Takte der Musik einher, —
ein prächtiges, zum Malen schönes Bild. Aber wehe, wenn
sich ein Maide auf der Straße blicken läßt, das dem Meßli-
treiben fernblieb, es sei denn, daß es durch besondere Um-
stände abgehalten wurde, z. B. durch Trauer. Ohne weiteres
wird es durch einen Burschen am Arm herbeigezogen, und wäre
es in Stallkleidern und Holzschuhen, und mit Gewalt in dem
Strudel des Zuges mitgeschleppt unter dem Gelächter der ehr-
lichen Meßtijugend und als warnendes Beispiel für geizige
Meßt i verächler.
Mit dem Ginzug in das Tanzhaus schließt das eigentliche
Aufziehen.
Im Kirwegebiet wird aber vor dem jetzt beginnenden
Tanzvergnügen noch «der Strauß aufgesteckt». In manchen
Dörfern geschah dies, wie wir gesehen haben, bereits am Vor-
abend. Häufiger ist jedoch das Aufstecken am Kirwe-Sonntag.
Der Kirwebursch besteigt eine Leiter, und unter den Klängen
der Musik und Abschießen von Freudenschüssen wird der
Strauß befestigt. Vorher sind Halstuch und Hut vom Strauß ent-
fernt und in das Tanzhaus gebracht worden, in Preuschdorf
wurden sie (bis 1882) am Wirtsschildöflentlieh ausgehängt.
Im Verlauf und in der Anordnung der einzelnen Teile des
Aufziehens kommen eine Reihe örtlicher Eigentümlichkeiten
vor. So bringt in Klingenthal die Musik bereits am Meßli-
Samstag dem Bürgermeister und den Gemeinderatsmitgliedern
eine Serenade, und «Kalzenköpfe» (Mörser) verkünden vorn
Berge her den Beginn des Festes. In Dettweiler bildete früher
das Abholen der Jugend aus dem freundnachbarlichen Gottes-
heim einen wesentlichen Teil des Festes. Dieser Vorgang wurde
vom Gottesheimer Dorfende aus in das Aufziehen einbezogen,
und noch bis in die 1860er Jahre trugen die Dettweiler Bur-
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sehen dabei weiße Zipfelmützen. Audi in Pfaffenhofen ließen
früher die Wirte die jungen Leute aus den Nachbardörfern mit
Musik abholen.
Hie und da wird beim Aufziehen geritten, so in Baibronn
und auch in Wolfisheim, wo der Meßlibursch hoch zu Roß
den Zug eröffnet und den herauszutanzenden Hut auf einer
langen, hellehardenarlig gehaltenen Stange zur Schau tragt.
Sehr oft kommt es vor, daß zwei oder drei Dorfparteien
einen getrennten Meßli abhalten. Der Bürgermeister erhält
darin auch 2 oder 3 Lebkuchen und Platten. Zu Gumbrechls-
hofen findet das Gegenteil statt, indem dort die einige Dorl-
burschenschaft den Meßli bei zwei Bürgermeistern aufziehen
muß. Es kommt dies daher, daß Gumbreehtshofen-Siederbronw
früher zu Hanau-Lichtenberg, Gumbrcchtshofen-Oberbronn zu
Leiningen- Westerburg gehörte. Die beiden Dörfer, die bloß
durch die Zinzel getrennt sind, feiern ihren Meßli gemeinsam.
In Mietesheim genießt das Meßlimaide das Vorrecht, dem
Bürgermeister den Lebkuchen überreichen zu dürfen. 11)02
wußte der Meßlibursche kein Meßtimaide zu finden Da ver-
kleidete sich ein Bursche als Maide, und er machte seine Sache
so gut, daß der Bürgermeister nichts gemerkt haben soll.
Zu Kaltenhausen war früher der erste Tanz um den
Maien allein für die Geslellungsptlichtigen der Jahresklasse, die
dort «die Meßliburschen» beißen. Der 2. Tanz galt der «Nach-
lasse», d. h. den Burschen, die erst im nächsten Jahr in die
Musterung kamen.
In den '1850er Jahren schlössen sich zu ßoofzheim nach
Empfang des Geschenklebkuchens der Pfarrer und die Pfarrlrau
dem Meßtiaufzuge an. Beide tanzten in der Tanzbütte zuerst
(«drei allein» und tranken den Ehrenwein. Dann übergab der
Pfarrer den Burschen den Meßti mit einer kleinen Ansprache
und wünschte ihnen Vergnügen in Ehren. Dessen Nachfolger
fügte sich ein Mal der Sitte, aber der /.weite Nachfolger wies
das Ansinnen der Burschen, den Meßti zu eröflnen, schroff ah.
In manchen Gemeinden ist der Weg, den der Aufzug
nimmt, verschieden. Vielfach wird vom Tanzhause aus zuerst
das Meßtimaide abgeholt. Häufig begegnet man der Sitte, zu-
nächst das Meßtimaide und dann — was meistens erst am
zweiten Tage üblich ist — die übrigen Maiden feierlich
Musik abzuholen. Nach Stöbert war dieser Verlauf 1857 im
Kochersberg gebräuchlich, bis 1870 galt er in Venden/teim,
und 4901 finden wir ihn noch in Weitbruclt. Es wird dabei
in jedem Haus getrunken, und das Abholen zieht sich oft so in
i Stöber. Der Kochersberg. Mülhausen. Risler, 18.")7 S. 57.
I
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die Länge, daß man erst am Abend zum Vortanz kommt. In
Ittenheim findet das Aufziehen erst am Meßt i- Montag statt.
Der Brauch, den Meßti durch einen feierlichen Umzug:
ohne jede andere Sitte einzuleiten, muß besonders erwähnt
werden. Aus Zabern 1 ist uns die älteste Kunde von einem
Umzug im Jahre 1651 überliefert mit dem Vermerk, daß er
«von Alters her bräuchlich gewesen» Kr verlief in Zabern bis
lief ins 49. Jahrhundert hinein mit großer Feierlichkeit. Daran
beteiligten sich vor der Revolution, die Vertreter des Bistums,
die Vorgesetzten und der Rat der Stadt, Trommler und Musi-
kanten, die Meßtagshüter und Burger mit Gewehren und
Fahnen, wahrscheinlich den Zunftfahnen. Noch aus dem Jahre
1848 erfahren wir» von einem großen Umzug, an dem die
Garde nationale mit Musik, der Unterpräfekt, 2 Beigeordnete
und die Beamten vom Stadthause aus teilnahmen. Gendarmen
und Polizeidiener schrillen an der Spitze. Der Zug ging zum
Schluß in die «Madamenhütle», wo die höhere Gesellschaft be-
reits versammelt war. Die Beamten, auch die höchsten, tanzten
«drei allein». Dann begab man sich nach der «Bauernhütte»,
wo derselbe Vorgang sich wiedelholte, und damit war der Meßti
eröffnet. In ähnlicher Weise wurde der Meßti zu Oberbronn
(vor 1870) durch einen Umzug der beiden Musikgesellschaften
«Fanfare» und «Choräle» eingeleitet.
Kine weitere Gattung von Umzügen sind diejenigen Züge,
die anläßlich des Meßti stattlinden, die sich aber im Laufe der
Zeit immer mehr vom eigentlichen Meßtigeiste losgelöst haben.
Schitligheini ist für sie vorbildlich geworden, und es wird in
einem besonderen Kapitel von ihnen die Rede sein müssen.
Ueberhaupt weicht das sillengemäße Eröffnen des Meßti
immer mehr einein marktschreierischen Lärmen durch die
Dorfstraßen von einem Wirtshaus zum anderen. Die rauschende
Musik soll dem jungen Volk Beine machen und die Bevölkerung
zu den Stätten locken, wo Genuß und Frohsinn ihrer harren.
Der Niedergang des Meßti zeigt sich hauptsächlich in der Ver-
kümmerung des Aufziehens im Ganzen und in seinen einzelnen,
sinnigen und kulturgeschichtlich bedeutsamen Abschnitten,
Bei Regenwetter ist ohnedies kein rechter Trieb zum
Umzug vorhanden. Man will die Stube des Bürgermeisters
nicht beschmutzen, und zur Schonung der Kleider wird der
Vortanz im Freien abgekürzt, oft auch ganz unterlassen. In
vielen Gemeinden findet der Vortanz überhaupt stets beim
Bürgermeister statt, sei es im Hof — so meistens im Kirwe-
1 Adam, Der Zaberuer Meßtag. Zabern, Gilliot, 181U. S. 35 ff.
— 2 Klein, Saverne et ses environs. Strasbourg, Silbermann, 184i>.
p. 216.
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246 -
gebiet — sei es in der Stube, und es ist merkwürdig anzusehen,
wie sich die tanzenden Paare auch auf engem Raum und in wir-
belndem Walzer gegenseitig nicht zusarnmenrennen. In anHe-
ren Dörfern fallt der Vortanz aus, wenn der Meßtisteigerer ver-
heiratet ist, es sei denn, daß er die Vortanzrechte einem ledi-
gen Burschen abtritt, was aber aus Mangel an Liebe zur Sitte
nicht immer möglich ist. In Lingohheim beschränkt man
sich gar darauf, dem Bürgermeister und Beigeordneten ein
Ständchen bringen zu lassen, und damit ein einigermaßen sin-
niger Rahmen hergestellt wird, schickt man ihm die Militär-
inusik auf festlich bekränztem Wagen.
Bedenklich sind schon gewisse Mittel, deren man sich hie
und da bedienen muß, um den geschwundenen Reiz des Auf-
ziehens künstlich wieder zu beleben. So kommt es oft vor,
daß der Wirt in Ermangelung von Teilnehmern und sogar
eines Meßtiburschen seine Söhne oder Verwandten und die
Aufwärter mitziehen heißt und daß diese alle möglichen Sprünge
und Possen machen. So hatte 1904 in Höh franken heim ein
Aufwärter einen breitkrämpigen Frauenhut auf. Ein anderer
hatte einen Kaninchenpelz an einem Besen angebunden, den er
beim Aufziehen wie einen Tambourmajorstock schwang. Beim
Vortanz schlug er den Pelz der Reihe nach allen Umstehenden
ins Gesicht und rief dabei : «Er hart sich!» Dieser Ausruf
wurde den ganzen Meßli hindurch als geflügeltes Wort gebraucht
und viel belacht. In Büsweiler hatte man 1904 dem Meßlihüter
eine lange graue Bluse angezogen und einen Zylinderhut auf-
gesetzt. Den Gänsehirlen wußte man zu bewegen, sich ein
Plakat mit der Aufschrift «Der Mann für alle» auf dem Rücken
befestigen zu lassen. Er tat, als ob er nichts davon wüßte,
machte ein möglichst dummes Gesicht, und so war der Spaß
ein ganz ungeheurer, und es zogen in der Tat viele Burschen
mit. In Zutzendorf führten 1903 drei Burschen auf eigene
Faust einen Privatzug zu Pferde auf. Einer von ihnen ritt in
Soldatenkleidern mit einer großen Brille als Herold voraus und
stimmte den Bürgermeister günstig. Dieser ging auf den Scherz
ein, und da die Burschen einen Lebkuchen mitbrachten, er-
hielten sie das ersehnte Krügel Wein.
Und so wie die Teilnehmer, so haben auch die Zuschauer
wenig Achtung mehr vor dem alten Brauch. Während in den
Wirtschaften getanzt wird, leeren halbwüchsige Burschen und
Schuljungen die Weingläser der Tänzer. Kaum ist aber die
Meßtigesellschaft von dannen gezogen, so fallen sie über die
Reste in Gläsern und Flaschen her, als ob es ein verdienst-
volles Werk wäre, sich möglichst schnell zu betrinken.
Solche und ähnliche Zeichen der Verhöhnung des alten
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Brauches- sind in der Rejiel der Anfang vom Ende. Sie stoßen
die wenigen jungen Leute, die noch mitmachen, vollends ab
und verbannen die ehrbare Meßtisitte in. die unteren Schichten,
wo sie alsbald der Verachtung und dem Untergange verfallt.
So ging in Vendenheim, einem Bollsverk des alten Meßti,
1903 das Aufziehen des Meßti ein. Die Burschen wurden der
Sache überdrüssig, nachdem sie sich schon seit mehreren Jahren
auf einen bloßen Umzug mit Musik beschränkt hatten. Im Ki rwe-
gebiet hat die Freude am Aufziehen schon längst nachgelassen.
Von den wenigen Ortschaften, wo die Kirwe noch geholt wird,
sind hauptsächlich zu nennen Oberhofen (Kanton Weißenburg),
Rott) Lembach und Görsdorf. Im großen und ganzen übt auch
das Trinkgeld der Dorfgrößen eine geringere Anziehungskraft aus.
In Lothringen herrschte, soweit sich übersehen läßt, die
Sitte des Aufziehens und des Gesehen kkuchens überhaupt nie.
Die Stätte des Tanzes.
Heutzutage haben die ineisten Wirte, die auf den Meßti
Ansprüche machen, eigens dafür eingerichtete Tanzsäle, die den
baupolizeilichen Bestimmungen entsprechen. Auch das Meßtivolk
bevorzugt geräumige, gut gelüftete, zugfreie Säle, die zugleich
einige Bequemlichkeit und auch etwas für das Auge bieten.
Früher war man in dieser Hinsicht nicht wählerisch. Bei
gutem Wetter wurde bis tief in die Nacht auf der Wiese ge-
tanzt, so in UhUveiler bis 1837, in Erberbach bei Wörth bis
1840. Zu Wickersheim bildete 1847 ein schattiger Obstgarten
die Tanzstätte und in Gunstett tor 1870 gar die offene Dorfstraße.
Die Scheunen waren wegen ihrer Kühle und Luftigkeit, ferner
wegen des nahezu geräuschlosen Tanzens und beim jungen
Tanzvolk außerdem noch wegen ihrer geheimen Winkel be-
sonders beliebt. In alten Zeiten, wo die Wirtschaften auf
dem Dorfe wenig einträglich waren, tanzte man auch oft in
Privathäusern. Da gab es, häufiger als jetzt, über den Ställen
oder sonstwo große Kammern, die sonst zur Aufbewahrung von
gedroschenem Getreide, Holz und W T ellen, zum Aufhängen und
Trocknen der Wäsche und zu andern Zwecken dienten. Noch
heute zeigt man solche Räumlichkeiten in Ettendorf) Minvers-
heim, Zöbersdorf und Scherlenheim^ wo in den 1820er und
1830er Jahren getanzt wurde. Der Volksmund nennt sie, wie
auch anderwärts in Deutschland, so 1396 in Augsburg und
Heidelberg,» Tanzhäuser und hat diese Bezeichnung auch auf
' Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. I, S. 82.
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die neuzeitlichen Tanzslätten übertragen. In Dunzenheim diente
eine Zeitlang eine ausgeräumte Wagnerwerkstatt als Tanzsaal,
und zu Höh franker, heim wird der Tanzsaal nach seiner Be-
nützung wieder durch einen Bretterverschlag in einen Spezerei-
laden und eine Schreinerwerkstätte geteilt.
Die wirklichen Tanzsäle der Wirte waren ehedem nichts
weniger als zweckmäßig. Aus Sparsamkeitsrücksichten wurden
sie von vornherein schon niedrig gebaut, wie früher alle Räume
im ländlichen Hause. Im Sommer staute sich da bei großem
Menschenandrange eine abscheuliche, schwüle Luft an, die bei
Nacht durch den Geruch der Oelfunzeln geradezu erstickend
wirkte. Und doch waren diese Tanzsäle ehrwürdig und an
Erinnerungen reich, und mit Stolz erzählen noch die Alten,
wie sie dort manchmal «einen geschwitzt» haben.
So ist in mancher Hinsicht eine Tanzhütte, die nach dem
Feste wieder entfernt wird, von Vorteil. Und wenn sie den
Unbilden der Witterung einigermaßen widersteht, ist sie trotz
der hohen Unkosten wohl der beste Ersatz für den fehlenden
Tanzsaal. Es scheint, daß sie in älteren Zeiten die Hegel bildete.
Sie wird von einem Wirt im Einvernehmen mit dem Meßti-
burschen oder von diesem auf eigene Faust aufgeschlagen, und
wohl dem, der im eigenen Hof oder Garten oder auf einer
Wiese Platz genug hat ! Ist dies nicht der Fall, so ist die Ab-
hilfe nicht schwer. Man baut die Tanzhütte einfach auf die
Straße. Dies geschieht noch in unseren Tagen in unzähligen
Dörfern. Sogar in der alten Residenzstadt Buchsweilrr gab es
bis 1882 nur einen einzigen Tanzsaal, in der «Linde». Die
Wirte zur «Sonne», zum «Rindsfuß» und zum «Bären» ließen
Tanzhütten auf der Straße aufschlagen, die den Verkehr stark
behinderten, ohne daß jedoch Klage geführt wurde. Glückliche
Zeiten und glückliche Menschen ! Noch heute erhält der dortige
Meßtisteigerer, falls er keinen Tanzsaal besitzt, die Erlaubnis,
eine Tanzhütte auf dem geräumigen Schloßplatz aufzuschlagen,
worin er auch die Schenke unterbringen muß, während bis vor
wenigen Jahren die Schulsäle in Trinkhallen umgewandelt waren.
Besonders wirkungsvoll nahm sich bis in 1880er Jahre die
Tanzhütte in Bläsheim aus, die regelmäßig unter den drei ehr-
würdigen Freiheitslinden von 18-48 stand.
Aber nicht alle Tanzhütten gewährten hinreichenden Schutz,
wie etwa die geschichtliche Madamenhütte und die Bauernhötte
zu Zabern oder ihre Nachfolgerin im Hofe der Fruchthalle. Es
gab auch elende Hütten, die mit Stroh gedeckt und nach außen
notdürftig durch Baumzweige abgeschlossen waren, so noch
18(59 in Hochfelden.
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- 249 -
Das Tanzgeld.
Von alters her gehörte «las Tanzgeld vollständig der Musik.
Das war die Löhnung der Musikanten, die außerdem zehr-
und zechfrei waren. Sie hatten dadurch eine glänzende Kin-
nahme, und mancher Musikant ist durch das Tanzgeld zum
wohlhabenden Manne geworden. Es betrug für jeden männ-
lichen Tänzer in den 1840er bis 1870er Jahren 15—20 Su, früher
4—10 Su, später 1—2 M. und so noch heute, und zwar für
jeden Tag. Seltener wird für den ganzen Meßli hindurch ein
fester Betrag gezahlt, so in Winzenheim 2 M. Die Maiden
hatten in älterer Zeit 2 Su zu entrichten, und diese Sitte hat
sich bis zum heutigen Tage auf dem Buclitweiler Maimarkt
erhalten. Sonst bezahlen sie jetzt allgemein 50 Pf. für
den Tag.
Die Erhebung des Tanzgeldes geschah früher auf drei ver-
schiedene Arten. Auf kleineren Meßtitänzen, die einen sicheren
Ueberblick gestatteten, verzichtete man auf einen Türsteher.
Die Musikanten hatten zwar ein wachsames Auge, aber die
einheimischen Burschen zahlten unaufgefordert. Hatte ein
Fremder nur ein Mal getanzt, so kam unfehlbar ein Musikant
mit der zu diesem Zweck sehr geeigneten Zinnkanne, in
späteren Zeiten mit einem Teller. Sich um das Tanzgeld zu
drücken, galt als eine Schande und hatte schlimme Folgen für
die Fremden. Von ihnen erwarteten es die Musikanten als
selbstverständlich, daß sie mehr als üblich bezahlten, und sie
bekamen dann «drei allein» gespielt.
Am häutigsten wurde das Tanzgeld durch einen Türsteher
eingezogen, den die Musikanten aus ihrer Mitte bestellten und
der wenigstens bei Beginn des Tanzes am Eingang des
Saales stand, später aber auch vom Musikantentisch aus scharf
aufpaßte. Natürlich war es nicht gerade der beste Musiker,
den seine Kollegen zu diesem Amle auswählten. Aber es war
doch manchem Musikstümper, wie man sich erzählt, nicht un-
willkommen, der in weitherziger Auslegung der ländlichen
Moral seine eigene Hosentasche mit der ihm anvertrauten
Zinnkanne verwechselte. Solche PrivatgritTe zu erschweren,
war ein Vorteil der tiefen, für eine Männerfaust kaum durch-
lässigen Zinnkannen. Ein Musikant, dessen ganze Meßtitätig-
keit vorwiegend im Geldeinsammeln bestand, lebte in den
1830 er Jahren zu Uhlweiler unter dem Namen «Der Vier-Su-
Michel».
Die dritte Art der Erhebung von Tanzgebühren bestand
im «Aufstecken» am Ende eines jeden Tanztages. Von dieser
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- 250
Sitte, die ein besonders altväterliches und kameradschaftliches
Verhältnis der Burschen zu den Musikanten voraussetzt, wird
ein späteres Kapitel handeln.
Es war üblich, daß der Meßtibursch ein größeres Tanz-
geld als die Burschen entrichtete, und ein stolzer Meßtibursch
hätte sich diesen Vorzug nicht nehmen lassen.
Außer dem Tanzgeld halte jeder, der sich mit einem
Maide am Arm auf dem Tanzboden authielt, selbst wenn er
nicht tanzte, dein Meßtiburschen 1 fr., später 1 M. zu geben.
Dafür händigte dieser unaufgefordert dem Maide ein Dutzend
Lebkuchen ein, und so an jedem Tag. Notorische Nichttänzer,
z. B. Krüppel, wurden als Zuschauer gegen ein geringes Trink-
geld zugelassen.
Als mit der Zeit die Wirte einsehen lernten, daß gewallige
Summen in die Taschen der Musikanten flössen, während sie
selbst ungleich größere Lasten und mehr Arbeit hatten, zogen
sie das Tanzgeld selber an sich und entlohnten die Musikanten
mit 8 — 10 — 12 M. auf den Kopf und Tag. Diese Aenderunj> ge-
schah in den 1860er und 1870 er Jahren. Doch gab es bis in
die neueste Zeit einzelne Dörfer, in welchen die Musikanten im
Besitze ihres allen Rechtes belassen wurden, so in Weiler bei
Weißenburg (noch 1905). In Mielesheim werden sie am ersten
Tag von den fremden, am zweiten Tag von den einheimischen
Burschen bezahlt. In vielen Dörfern hat man den Musikanten nicht
gleich alles Tanzgeld entzogen, sondern sie behielten noch die
Einnahme eines Tages, gewöhnlich des letzten, bisweilen auch
dos ersten. Doch auch dieser Brauch dürfte heute selten sein.
Häufiger war es schon, daß in der guten alten Zeit der Wirt
sich das Tanzgeld der Maiden sicherte unter dem Vorwand,
daß er damit die 6 fr. für die Gemeinde decken müsse, und
die Musikanten erhoben wegen des geringfügigen Betrags
keinen Einspruch. Welche Summe ein Meßti manchmal ein-
brachte, erhellt aus dem Beispiel von Vendenheim^ wo der
Rappenwirt 1809 an den zwei ersten Tagen über 400 fr. ein-
nahm, nachdem er einen neuen Tanzsaal gebaut hatte.
Heute werden vielfach schon Eintrittskarten verabfolgt, ge-
wöhnlich mit dem Stempel des Wirts. Findige Wirte drucken,
um einem Mißbrauch vorzubeugen, ihren Stempel auf das
Taschentuch der Tänzer oder, um ganz sicher zu sein, auf ihren
Handrücken, vorausgesetzt, daß sie es sich gefallen lassen. In
der Tanzhütle des Zaberner Meßti wird ein Einzeltanzgeld von
10 Pf. für das Paar, welches mit Hilfe einer Schnur abgefangen
wird, erhoben. Dieses Verfahren ist ja bei dem nicht sitten-
gemäßen Volkstanz in der Stadt bekannt.
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-
- 25t —
Allgemeines über den Tanz früher und jetzt.
Das Leben auf dem Tanzboden. Das Volks-
lied.
Der Meßli ist nun aufgezogen, die Kirsve geholt, der Zug
kommt beim Tanzhanse an. Manchmal werden vor dem Hause
noch drei Tänze getanzt, so früher in Dossenheim, dann
strömt alles hinein in den Tanzsaal. Es beginnt das zweite
Hauptslück des Meßli, der Tanz.
Zunächst einige Worte über die Geschichte des Tanzes.
Das ganze Mittelalter hindurch wurde im Elsaß, wie auch
sonst in Deutschland und in Frankreich, viel häufiger und viel
maßloser getanzt als heute. Sebastian Braut»
stellt fest :
Viel warten auflf den Tanlz lang ze»t,
Die doch der Tantz ersettiget neit.
Und die Kirchenarchive des 16., 17. und 18. Jahrhunderts
sind voller Klagen über das unmäßige Tanzen. Daß man ins-
besondere in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg gerade an hohen
Feiertagen am unbändigsten und am ausgelassensten tanzte, und
daß die geistlichen und weltlichen Behörden vergeblich durch
Verordnungen und Strafen Wandel zu schaffen suchten, wurde
bereits oben ausgeführt. Nur wenige bezeichnende Belege er-
scheinen hier angebracht.
Aus den Statuten und Ordnungen von Hochfelden 1512:*
«Vom Danntzen. — Item wann man zu Vesper leuth am
viertag so soll man vff hören zu danzen bei 10 ß ^ vnd sol
auch Keiner Kein» mehr an dem Danz herumb werflen bey
der genanten Pen Als dieckh* das geschieht ohne Alle gnad
so man das niemants faren lassen ...» Bei der 1. Kirchen -
Visitation in Dettweiler (1535) wurde Klage geführt, daß die
Jugend dem Tanze sehr huldige.» In Borsch* wurde 1616 be-
stimmt, daß vor dem Tanz die Kinderlehre und die Vesper be-
sucht werden soll, woraus hervorgeht, daß man dies sonst nicht
zu tun für nötig fand. Ein Dekret der hanauischen Regierung
vom 24. April 1717 ? ermahnt «zu ernster Abstellung des an
vielen Orthen so wohl in der H. Advents als Passions Zeit
> Narrehschiff, in Scheibles Kloster. Stuttgart 1845. I, S. 55.'5.
— 2 Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, E 959 (Abschrift). — 3 = keine
Tänzerin. — * = so oft. — * Wolff, Chronik der Gebirgsgemeinde
Dossenheim Straßburg, Druckerei der «Heimat». 18%, S. 29. —
e Ratsprotokoll vom 4. Juni llilti im dortigen Gemeindearchiv'. -
' Pfarrarchiv von Alteckendorf.
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- 252 -
bißher von den jungen Leulten verübten üppigen Tanlzens».
Erst im 19. Jahrhundert wird das Tanzbedürfnis auf besondere
Gelegenheiten, namentlich auf den Meßti, aufgespeichert.
Hand in Hand mit dem maßlosen Tanzen geht in älterer
Zeit das unordentliche und anstößige Tanzen. Das Empor-
schwingen der Tänzerin, das noch heule geübt wird und als
ein Zeichen besonderer Geschicklichkeit und Kraft gilt, hatte
in jener Zeit der kurzen Gewandung eine geradezu schamlose
Wirkung. So lesen wir bei S e ha s t. i a n Brant:«
Aull* Kirch weih . . .
Da tantzen Pfaflen, Mönch vnd Leien
Die Kut muß sich dahinden reien,
Da laufTt man vnd wirfft vmbher ein
Das man hoch sieht die blossen bein.
Geiler von Kaysersberg berichtet, * daß die
Männer die Weiber ocaufschwencken» und lerner:» «Darnach
lindt man Klotz, die tanzen also säuisch und unflätig, daß *ie
die Weiber und Jungfrauen dermassen herumschwenken und
in die Höhe werfen, daß man ihnen hinten und vornen hinaut-
siehet bis in die weich». Und Spangen berg 4 ruft ent-
rüstet aus : «Denn was ist da anders, dann ein wildes un-
gehewr viechisches rennen, lauften und durch einander zwirbeln,
da siehet man ein solch unzüchtig auffwerfen und entblößen
der mägdlein usw.»
Eine bischöflich Straßburgische Polizeiordnung, die 1562
für Dambach& erlassen wurde, aber jedenfalls auch für andere
bischöfliche Orte güllig war, besagt uns folgendes: «Vom
Dantzen. — Demnach seyther allenthalben under gemeiuer
Danntz lauben und Plätzen, unzüchtige Däntzt, mit sehendtlichenn
greiften, springen und umb schweyfTen auch nach tag Zeit, von
Knaben und Döchtern gehalten, Jhe zwey für das ander ye-
loflen, und on ein Rockh oder mantel dantzt haben usw.» Auch
im Stadtbuch von Benfeld (1557) ist des Tanzens ohne Rock
Erwähnung getan. Vielleicht läßt sich mit dieser Übeln Ge-
wohnheit die Sitte zusammenbringen, die bis vor kurzem auf
dem Hochfelder Meßti üblich war. Gegen Abend zogen die
Maiden ihre Röcke aus und tanzten im trachtmäßigen Flanell-
Unterrock, der mit großen roten, grünen und schwarzen
1 NarreDschiff in Sc he i b I e s Kloster. I, S. 552. — 2 Brosaiulin
Dr. Kaiserspergs, nachgeschrieben vom Frater Paulin. Straß-
burg 1517. S. ö.'i. — 3 Predigten in Scheibles Schaltjahr. Stutt-
gart, 1840. I. S. 544. - 4 Cyriacus Spangenberg, Ehespiegel.
Straßbuvg, 1570. S. 285. — * Gemeindearchiv von Dambach, Kantoo
Barr.
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Schnörkeln und Siemen verziert war, was sich nicht unschön
ausnahm.
Aus Zubern erfahren wir, t daß der dortige Stadtrat 163i
beschloß, daß die jungen Gesellen «furthien die hishero unge-
wöhnliche ärgerliche Dentz vermilen und underlassen sollen,
sonder in aller Zucht und Ehrbarkeit und also dantzen sollten,
damit Niemand daran ein Aergernuß nemrnen». Und von Ali-
eckendorf * wird uns gemeldet, daß beim Meßtagstanz 1743
die jungen Leute «auflf ein gantz entsezliche Weise gejehlel
und geschrien, auch sonsten allerley Unordnungen getrieben».
Das 19. Jahrhundert brachte auch in dieser Hinsicht
ordentlichere Sitten.
Ueber die Berechtigung und den Wert des Tanzes sind
die Meinungen geteilt. Die mittelalterliche Ansicht, daß der
Tanz vom Teufel erfunden sei, um die Seelen zu verderben,
gilt zwar heute nicht mehr. Trotzdem wird von vielen ernst-
haften Leulen nichts gutes am Tanze gelassen. Es ist ja
richtig, daß durch den Tanz, auch ohne Alkohol, die Sinnlich-
keit erregt und die Sittlichkeit gefährdet wird. Das kann aber
schließlich durch jedes Beisammensein der beiden Geschlechter
geschehen. Der Tanz ist vor allem ein bemerkenswerter Teil
der Kunst und hat sich als solcher im Els^ß das ganze 19.
Jahrhundert hindurch bewährt. Zugleich ist der Tanz für die
bäuerliche Jugend der Gipfel der Lust, und hierbei kommen die
natürliche Anziehung der beiden Geschlechter und der Genuß der
.so selten genossenen Klänge der Musik in erster Linie in Betracht.
Erst durch den Tanz bekommen Meßti und Kirwe den rechten
Festesinhalt und werden zur anziehendsten Sitle des ganzen
Jahres. Darum selzen ihre Gegner auch immer den Hebel am
Tanze au. Der Tanz ist außerdem eine gleichmäßige und
gesunde Körperbewegung. Er stimmt fröhlich und vermittelt
otl Bekanntschaften und eheliche Verbindungen. Dazu ist er
auf dem Dorfe leicht und billig zu erlernen.
Eine eigentliche Tanzstunde gibt und gab es im ländlichen
Elsaß nicht. Der Tanz liegt so in der Lebenslust des Bauern
begründet, daß er ihn sozusagen von selbst erlernt. So wie das
Kind aus Freude hüpft, so hebt die Dortjugend von selbst die
Füße und setzt sie unter Gesang- oder Harmonikabegleitung
ungekünstelt in die richtige Bewegung. Das geschieht beim
sonntäglichen Abendmarkt draußen vor dem Dorf, in der
Kuukelstube und auf dem Meßti selber, Gelegenheiten, wo
beide Geschlechter unter tiein starken Schirm aller Silte un-
1 Adam, der Zaberncr Meßtag. Zaber». Gilliot. li*01. S. 40. -
8 Presbyteiialprotokull vom h"». Aug. 174.J im dortigen Pfarrarchiv.
— 254
gezwungen miteinander verkehren. Die natürliche Gewand-
heit und die Anmut, mit der namentlich junge Mädchen
tanzen, sind ja Tür das Elsaß bekannt.
Mit dem Verfall des Meßti ist auch das Tanzbedürfnis
zurückgegangen. Es ist merkwürdig zu sehen, wie die jungen
Leute da, wo Tanz und Meßti hauptsächlich von der Geistlich-
keit niedergehalten werden, immer und immer wieder von
selbst tanzen lernen, während sie in denjenigen Ortschaften,
wo auch die Volksmeinung den Tanz als eine Sünde ansieht,
überhaupt nicht mehr tanzen können und sich dessen auch
gar nicht schämen. So sind auch die flotten Tänzer und
Tänzerinnen, die gar oft einen gewaltigen Zug in den Dorl-
n.eßti brachten, im ganzen seltener geworden als früher.
Das Engagieren geschieht auf dem Lande einfach und
natürlich. Der Bursche ergreift mit der ganzen Hand fest die
Hand des Maide und zieht dieses an sich. Er sagt auch wohl
dazu: «Gehst du mit mir?» — «Tanz'st du mit mir?» oder:
«Alle hop ! Wolle mer eine trele?» Und wenn das Maide nicht
will, so antwortet es eben so ungekünstelt : «Ich will aher
nicht!]» oder: «Loß mich mit Friede!», ohne daß es aber
darum böse ist. Beim Walzer wurde, so lange er als Ringeltanz
getanzt wurde, anders engagiert. Der Bursche hob seinen
Jangen Plügelmutzen beiderseits leicht in die Höhe und
tänzle vor dem Maide. Dieses stand auf und tanzte ebenfalls,
indem es den Rock beiderseits hob. Dann gab man sich die
Hand und tanzte gleich weiter.
Ergeht sich ein Paar auf dem Tanzboden, so umfaßt der
Bursche das Maide weit um die Taille herum, und dieses tut
nicht selten dasselbe. Oder der Bursche legt ihr den rechten
Arm auf ihre rechle Schulter, bis tief hinab, während die
beiden linken Hände ineinandergeschlungen sind. Oder das
Maide legt seinen Vorderarm auf die Schulter des Burschen.
Häutig ist auch das Einhaken der beiderseitigen Kleintinger
und das Schlenkern der ungleichen Arme während des Gehens.
Erst in der letzten Zeit gibt auch die ländliche Tänzerin, wie
ihre städtische Kollegin, dem Burschen den Arm.
Ist der Tanz vorbei, so läßt der Bursche seine Tänzerin
mit oder ohne Dankesworte wieder gehn, oder sie reißt sich
von ihm los und läuft von danner.. Hat er aber ein festes
Verhältnis oder bahnt sich ein solches an, so tanzt er in der
Regel den ganzen Meßti hindurch nur mit seiner Liebsten.
Am Meßtitanz beteiligen sich in unserer Zeit fast ausschließ-
lich ledige junge Leute, allenfalls junge Ehepaare. Früher
gingen Verheiratete regelmäßig auf den Tanz, wenn sie nur
jemand fanden, der die Kinder zu Hause hütete. Selbst ältere
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Leute schämten sich mcbl zu tanzen, während dies heutzutage
nur noch vereinzelt und in scherzhafter Laune geschieht.
Niemals gingen Eltern oder Mütter auf den Tanzboden, um
ihre Kinder zu überwachen, sondern nur um zu tanzen,
während die Kinder sonst sich selber überlassen blieben.
Der erste Tanz gebührt dem Meßtiburschen und dem
Meßlimaide, es sind «drei allein».
Unterdessen haben die Maiden an einer Wand in langer
Keihe Aufstellung genommen, neben und hinter ihnen die
Burschen. Oft sind an den Wänden Bänke angebracht, die als-
bald von den Maiden eingenommen werden. Auch junge Frauen
setzen sich «auf das BänkeU. Im Kreise Weißenburg, so in
Hunspach, Hofen und Oberseebach ist es Sitte, daß sich aus
Mangel an Bänken die Burschen gleich vom Anfang des Tanzes
an den Maideu auf denSchoß setzen oder umgekehrt. Klopfenden
Herzens stehn in einer Ecke die jüngeren Maiden, die zum
ersten Mal auf öffentlichem Tanz erscheinen. Die meisten haben
schon mehrere Nächte nicht schlafen können. Mit glühenden
Wangen und freudestrahlenden Augen, sorgfaltig gestrichen
und herausgeputzt und mit «Lauf-mir-nach» parfümiert,
harren sie der Burschen, oft schon des Liebsten. Auf dem
Lande beginnt ja der Verkehr zwischen den Geschlechtern sehr
frühe. Kaum der Schule entwachsen tanzen die Mädchen schon
öffentlich, trotz der polizeilichen Vorschrift, die das 16. Lebens-
jahr als untere Grenze vorschreibt. Die Eltern dulden's, denn
sie haben's in ihrer Jugend selber so gehalten.
Bald ist der Tanz in vollem Gang, und es bietel sich dem
Auge ein malerisches, farbenreiches Bild. Wir wollen uns
nicht in weitläufige Trachtenbeschreibungen einlassen, sondern
bloß einige auffällige Einzelheiten aus alter Zeit festhalten.
Noch bis in die 1830er Jahre kam Alt und Jung in Holz-
schuhen auf den Tanz. Auf der Straße oder auf der Wiese
ging das noch an, aber in einer gedielten Tanzstube gab es
ein fürchterliches Geklapper, und der Vorteil, daß man in
Holzschuhen vlen Walzer nach ländlicher Art besser tanzen —
schleifen — lernte, wog den entsetzlichen Lärm gewiß nicht
auf. Von etwa 1820 bis in die 1850er Jahre gehörte die weiße
gezwickelle Zipfelkappe zu der Tanzlracht. Sie wuchs sich aus
und wurde bis 1 Meter lang, so daß man den Zipfel in den
umgeschlagenen Rand stecken mußte. Auf jeden Fall war
sie zum Tanze wie geschaffen und dem alten breitkrämpigen
Hut bei weitem vorzuziehen. Das ganze 10. Jahrhundert hin-
durch und vereinzelt noch heute, z. B. in Mietesheim < tragen
die Burschen die spitzenbesetzle kurze Schürze, das Wandfür-
tüchel. Mit dem roten Brusttuch nahm es sich früher sehr
— 256 —
malerisch aus. Jetzt kommen die Burschen in ihrem gewöhn-
lichen Sonntagsanzuge, sie behalten dabei den Hut auf, und
die Maiden tragen außer der weißen Schürze, die übrigens auch
am Abgang ist, nichts besonderes. Natürlich tanzt bei heißer
Witterung alles hemdärmlig.
Auch dem Psychologen und Volksfreund bietet der Meßti-
tanz genug des Anziehenden, nämlich ein vielverschlungenes
Bild von Freude und Lust, von Falschheit, Treulosigkeit, Bos-
heit, Neid, Bachsucht und Schadenfreude, die mit dem Fort-
schreiten des Festes immer mehr offenbar werden. Der Alko-
hol tut das seinige zur Belebung der Stimmung. In alter Zeit
wurde bei dieser Gelegenheit kein Tropfen Bier verzapft. Ein
Bursche hätte sich geschämt, überhaupt Bier zu verlangen. Der
Wein beherrschte damals den Tanzboden ausschließlich, und
nach dem billigen Wein für 6 und 8 Su den Liter ging man
gar bald zum «Stöpferle» über. Heute sind die Wirte froh,
wenn sie ihr Bier los werden. Höchstenfalls wagt es hie und
da ein W r irt, gegen Abend bekannt zu machen, daß das Faß
jetzt leer ist und daher bloß noch Wein ausgeschenkt werde.
Denn der Wein ist heutzutage eine große Ausgabe.
Immer lauter wird die Unterhaltung. Das unersättliche
Tanzvolk wogt hin und her, bald in zierlichen Drehungen an-
mutsvoll schwebend, bald lustwandelnd, kosend und lachend.
Lust und Jubel beflügeln die leichtbeschuhten Füße, und Scherz-
worte fliegen von Mund zu Mund im sorglosen Kreise der liebe-
durstigen, freudeseligen .lugend, bis die berückenden Klänge der
Musik aufs Neue zum fröhlichen Reigen mahnen. Da ist alles
Natur und Einfachheit. Die Meßtigemeinde wird weder durch
Tanzordnung noch durch Anstandsregeln belästigt, kaum daß da
und dort der Meßlibursch mit seinem grell leuchtenden Strauß
erscheint, um die Streitsüchtigen dieser ausgelassenen Gesell-
schaft zu überwachen. Die Burschen jauchzen und schreien vor
überschäumender Lebenslust. Während des Tanzes stampfen
sie öfters mit den Füßen, genau so wie zu Zeiten Xeidharts. 1
Das nennt man «einen treten», l'nd wenn auch der Saal so
vollgepfropft ist, daß die Paare sich «lüpfen» oder «tragen», so
bewegt sich doch jeder einzelne kunstvoll, und kein Paar rennt
das andere zusammen. In der Mitte des Kreises tanzen in der
Regel die jugendlichen Paare. Man läßt sich allmählich gehn.
Der Bursche schämt sich nicht, während des Walzers seinem
Maide einen herzhalten Kuß zu geben, und dieses wehrt
nicht allzusehr ab, wenn das Verhältnis ernst werden soll.
l'nd wählend die jüngeren Leute sich so in angeregtester
1 Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. I, S.
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Unterhaltung und in fröhlicher Ausgelassenheit dem Vergnügen
hingeben, tanzen auch draußen auf der Straße, im Hof, auf
den Gängen oder in irgend einer abgelegenen Ecke sogar die
schulpflichtigen Mädchen paarweise. Sie lernens früh und mit
erstaunlicher Leichtigkeit. Auch die Buben hopsen da herum,
ihr Aussehen ist weniger vorteilhaft. Die Neugierde trieb sie
an die geheiligte Tür des Tanzsaales, doch die unreifen Bürsch-
chen sind gewöhnlich sehr bald betrunken. Die Zigarette, die
natürlich nicht fehlen darf, macht sie noch vollends krank. Die
Alten aber bringen den Tag mit ihren Güsten in der Wirts-
stube zu. Sie unterhalten sich laut über die stets notleidende
Landwirtschaft, über die gute alte Zeit, auch wohl über Politik.
Dabei trinken und rauchen sie übermäßig, oder sie spielen
Karten. Das ist ihr Meßti.
Und so wie die Tänze gewissenhaft durchgetanzt werden,
so ist das fröhliche Meßtivolk auch daraut bedacht, die Tanz-
• pausen auszufüllen. Das geschieht durch das Volkslied. Die
Paare stellen sich in der Milte des Saales im Kreise auf, Arm
in Arm. Die Burschen sorgen für Wein, jeder hat der Reihe
nach einen Liter zu bezahlen. Dann ertönen zweistimmig die
getragenen, oft wehmütigen Weisen. Noch setzt die Jugend
einen Stolz darein, recht viele Texte auswendig zu kennen.
Meßti und Kirwe sind ja die Pflegestätte und oft genug die
Geburtsstätte des Volksliedes. Vor 1870 hörte man hie und da
auch französische Gesänge, namentlich die Marseillaise und den
«Parlewa». So hieß im Volksmunde der «Choeur des Giron-
dins» wegen seines Anfangs : «Par la voix du canon d'alarme».
Wenn ein oder zwei Lieder gesungen *ind, wird wieder getanzt,
dann wieder gesungen, und so fort. In einigen Dörfern werden
während des Tanzes die Gläser und Flaschen auf ein erhöhtes,
eigens zu diesem Zweck an der Wand angebrachtes Gestell ge-
setzt. Zu Steinselz, Oberhofen, Oberseebaclt, Kleeburg und
Umgegend schleudern die Burschen sehr geschickt die leeren
Flaschen mit der Kante auf den Boden, so daß sie nicht zer-
brechen. Es ist dies ein Zeichen, daß sie wieder gefüllt werden
sollen. Und je weiter die Stunde vorrückt, desto heiterer
werden die Lieder, desto kleiner die Anzahl der Strophen. Man
sagt sich dann beschönigend, daß die Zigeuner und Spengler
die Lieder aussingen, und begnügt sich mit einer Strophe.
Während anfangs ernste Sachen, «Arien» erklingen, werden
schließlich scherzhafte, ja schlüpferige Verse in der Mundart
vorgetragen, von einzelnen und von ganzen Gruppen.
Mit dem Niedergang jeglichen Brauches ist auch das
Volkslied verstummt. Man hört kaum noch neuere Soldaten-
lieder auf dem Tanzboden. Gewöhnlich laufen aber die Bur-
17
— 258 -
sehen in den Pausen fort, um zu trinken. Ein bekannter
Scherz besteht darin, daß sie sich von hinten an die Maiden
heranschleichen und ihnen die Schürze oder den Rock mit
Bindfaden zusammenbinden.
Gegen Abend tritt eine größere Unterbrechung ein, damit
die Musikanten essen können. Die Einheimischen gehen auch
nach Hause, um zu essen und das Vieh zu füttern. Die Aus-
wärtigen, soweit sie nicht «auf den Meßti geladen» sind, speisen
im Wirtshaus oder überhaupt nicht. Das Meßtivergnügen hält
die Sinne der Tänzer nicht selten dermaßen umfangen, daß sie
an eine Nahrungsaufnahme gar nicht denken.
Es ist nun dunkel geworden. Allmählich füllt sich der
Saal wieder, die Musikanten spielen einen wirbelnden Walzer,
und mit erneuter Kraft ergibt man sich dem berauschenden
Tanze. Bei Nacht zu tanzen, war früher gar traurig. An einem
Balken hingen einfache Oellampen, später Petroleumlampen,
denen höchtenfalls ein blank geputztes Stück Blech als Reflektor
diente. Noch heute gibt es solche schlecht erleuchtete" Stuben,
aber auch schon solche mit bestem Azetylenlicht.
Nach weiteren *2 oder Stunden wird die Stimmung schon
etwas gedrückter. Die Buben und Mädchen haben das Feld
längst geräumt. Die Alten in der Wirtsslube wenden sich eben-
falls mit schweren Köpfen und schwankenden Beinen ihrer
Schlafstätte zu. Ein kleiner Schwips ist am Meßti erlaubt oder
auch — ein gehöriger Rausch. Die jungen Leute aber brauchen
jetzt Abwechselung, die ihnen auch auf dem Tanzboden und in
den Kammern in reichlichem Maße zuteil wird, bis sich end-
lich die Tür hinter dem letzten Tanzburschen geschlossen hat.
Die große Fülle und Mannigfaltigkeit des Stoffes nötigt
uns, in den folgenden Kapiteln die wichtigen Teilerscheinungen
und besonderen Veranstaltungen des ersten Meßtitages bis zu
seinem sittenmäßigen Schluß getrennt zu betrachten. Darunter
finden sich wesentliche Bestandteile des alten schönen Meßti,
die jedenfalls vor den öden Kneipereien und den sinnlosen
Gassenhauern der Neuzeit den Vorzug verdienen.
Die Pfeiferbrüder.
Der Pfeifertag in Bischweiler.
Schon in alter Zeit waren die Spielleute des Elsaß zu einer
Art Zunft vereinigt. In einer Urkunde Schmaßmanns I. von
Rappoltstein aus dem Jahre 1400 * werden sie als «varende
1 Abgedruckt in Barre, Ueber die Bruderschaft der Pfeifer.
Colmar, Barth, 1873. S 47 ff; sowie in Nr. 9 vom 1. 6. 1908 der
Els.-lothr. Gesang- und Musikzeitung.
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- 259 —
>
lute» bezeichnet, und wir erfahren darin außerdem, daß die
Rappoltsteiner «als lange, das nieman verdencket» das König-
reich fahrender Leute zwischen Hagenauer Forst und der
Birs, dem Rhein und der First des Wasgaus vom Reiche als
Erblehen besaßen. In einer Urkunde Schmaßmanns von 1434»
heißen sie «pßfer und farende lüte», und in einem Lehnsbrief
Kaiser Friedrichs III. von 1481* Spielleute. Später bürgerte
sich der Name «Pfeifer» allgemein ein. Es sind darunter nicht
nur eigentliche Pfeifer, also Flötenbläser zu verstehen, sondern,
wie aus einer Urkunde Eberharts von Rappoltstein von 1606*
hervorgeht, überhaupt alle Musikmacher. Ob in früheren
Zeiten, wie man wohl aus der Benennung «fahrende Leute»
schließen muß, auch Schauspieler und Gaukler unter den
Pfeifern waren, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist es» denn
in jenen fernen Zeiten war die Kunst des Musizierens mit der
des Gesanges und der schauspielerischen Gebärden sicherlich
eng verschmolzen. Noch bis in unsere Tage sind ja die Dorf-
musikanten noch vielfach Liedersänger und beliebte Possen-
reißer. Jedenfalls vertraten die Pfeifer die niedere Kunst im
Gegensatz zu den vornehmeren Meistersängern.
Die Vereinigung der Pfeifer, die 1400 Königreich* und
1458 erstmalig Bruderschaft* heißt, hat die letztere Bezeichnung
behalten. An ihrer Spitze standen der Pfeiferkönig oder Schult-
heiß und das Pfeifergericht. Sie hatten besondere Statuten, die
beispielsweise 1606 erneuert wurden, und gewährten ihren Mit-
gliedern das Vorrecht, ihre Kunst im Elsaß auszuüben, wäh-
rend dies den außenstehenden Pfeifern verboten war. Außer-
dem besaß die Pfeiferbruderschaft eine eigene Gerichtsbarkeit.
Die Pflichten der Pfeifer bestanden in der Entrichtung von
Beiträgen und im alljährlichen Besuche des Pfeifertages.
Die Blütezeit der Bruderschaft ist in das 15. und 16.
Jahrhundert zu setzen. Schon frühe trennte sie sich in drei
Kreise, die obere, die mittlere und die untere Bruderschaft,
die ihre Pfeifertage in Altthann, Rappoltsweiler und Rosheim
oder Mutzig abhielten. Jedoch war diese Scheidung rein
äußerlich, nur zur Erleichterung des Besuches der Pfeifertage.
Die Oberhoheit über die gesamte Bruderschaft 6 halten die
Herren von Rappoltstein und nach ihrem Ausstorben 1673
1 Abgedruckt in Barre, S. 54. — * A. a. 0., S. 49. — 3 A. a.
0., S. 12. - ■» A. a. a. 0, S. 47. - 5 A. a. 0., S. 10, Anm.
— • Näheres über die gesamte Pfeiferbruderschaft findet sich bei
Barre, a. a. 0., 54 Seiten. — Lobstein, Beiträge zur Geschichte
der Musik im Elsaß. Straßburg, Dannbach, 1840. S. 18—23. —
H e it z in Stöbers Alsatia, 1856-57. S. 5-33. In diesen Abhand-
lungen sind noch weitere Quellen angegeben.
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die Pfalzgrafen von Birkenfeld. Sie ernannten den Pfeifel-
könig, werden nicht selten auch selbst als Pfeiferkönige be-
zeichnet. Durch den Westfälischen Frieden war die Lehens-
herrschaft über die Bruderschaft an die Krone Frankreichs
übergegangen, und Ludwig XIV. nennt sich selbst einmal 1
«Roi des violons». Auf Ansuchen des Pfalzgrafen Christian II.
verlegte er 1687 den Pfeifertag der unteren Bruderschaft, die
von Epfig bis zum Hagenauer Forst reichte und für unser
Gebiet allein in Betracht kommt, nach Buchweiler und ver-
band ihn mit einem Jahrmarkt. 2 Pfalz-Birkenfeld hatte da-
mals die Pfandherrschaft über BiSchweiler, das 1734 in ihren
Besitz überging.
Bei einem Pfeifertage ordneten sich die Pfeifer auf dem
Bisch weiler Markl platz zum Festzuge, der sich, oft 300 Köpfe
stark, mit einer wüsten Musik — jeder spielte sein Instrument
nach Belieben — die Oberen an der Spitze, in die Kirche des
benachbarten Hanhofen begab. Dort las der Priester die Messe,
dann zog man nach dem grällichen Schloß, wo altertümliche
Spiele und Festgebräuche, wie Fahnensch wen ken und Eier-
werfen, stattfanden. Es wurde aus einem besonderen Becher
auf das Wohl des Pfalzgrafen getrunken, dann ging es mit
wilder Musik zurück nach dem Marktplatz, in das Zunflhaus,
wo das Pfeifergericht tagte, und nachher in andere Wirtshäuser.
Die Pfeiterbrüder hielten einen festlichen Schmaus und eilten
dann zum Tanz. Noch 1786 wurde mit großer Pracht das Jahr-
hundertfest des ersten Bischweier Pfeiferlags gefeiert. In der
Revolution ging das Fest zu Grunde. In den 1860er Jahren
kam es wieder auf und besteht noch heute unter obiger Be-
zeichnung. Es wird am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag
nach Maria Himmelfahrt gefeiert und hat die Gestalt eines neu-
zeitlichen Meßti angenommen, a Ein «Pfeifertag» besteht be-
kanntlich auch zu Rappoltsweiler unter dem Bild einer ge-
wöhnlichen Kilbe.
Die untere Bruderschaft scheint mit einer ähnlichen Ver-
einigung in Verbindung gestanden zu haben, die zu Straßburg
unter dem Namen der Bruderschaft «der Cronen» bestand und
schon in einem Ratsprotokoll von 1511 4 als «mit vil gutter
i Barre, S. 20, Anm. — 2 Ordonnances d'Alsace. T. I, p. 1G0.
— 3 Ausführlicheres über den Bisch weiler Pfeifertag findet sich
im Straßburg-er «Bürgerfreund> von 177G, S. 017—623. — Col-
in a n n, Geschichte von Bisch weiler. Strasburg, Heitz, IS26. S.
H4 ff. — Dr. Bourguignon. Bischwüler depuis cent ans.
Bischwiller, Posth, IST."», p. 7f>. — Auszüge aus den Archiven der
Stadt Bischweiler. BiSchweiler, Posth; 0. Verf. u. Dat. — Uhl-
horn im «Bischweiler Wochenblatt» 1S!U, Nr. 28 ff. — « Heitz,
in der Alsatia 18.">*> — 57, S. 2t).
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— 261 —
ordnunge vnnd artickelen verbriefte versigelt vnnd ebenlang
harbrocht» bezeichnet wird. Einige Male und namentlich
1697 fand nämlich der Pfeifertag der unleren Bruderschaft
zu Straßburg statt.' 1745 bestand sie aus 400 Pfeifern ,«
während die obere Bruderschaft deren bloß IUI und die mitt-
lere nur 190 hatte. Diese starke Mitgliederzahl ist nur durch
die Einrechnung der Straßburger Pfeiferbrüder erklärlich. Als
letzten Slraßburger Pfeiferbruder erwähnt Lobslein' den
Geiger Franz Lorenz Chappuy, der, 87 Jahre alt, 1838 starb.*
Die Musikanten.
Die Ursprünglichkeit und die Genügsamkeit der bäuer-
lichen Bevölkerung treten im ländlichen Musikwesen besonders
klar zutage, und manches herzerfrischende und belustigende
Vorkommnis steht mit den Landmusikanten im Zusammenhang.
Wenn darüber hier etwas ausführlicher berichtet wird, so
geschieht es deshalb, weil das entworfene Bild nicht nur für
das 19. Jahrhunderl bis in die 1860er Jahre zutrifft, sondern
im allgemeinen auch für die letzten Jahrzehnte des Bestehens
der unleren Pfeiferbruderschaft gilt. Die Absicht einer Ver-
spottung unserer ehrbaren Dortmusikleute, dieser wertvollen
Stützen alter Meßtisitte, liegt uns völlig fern.
Die Musik fand früher im ländlichen Elsaß eine viel aus-
gedehntere Verwendung als heute. Kindtaufen, Verschreibungen
(Verlobungen) und Hochzeiten verliefen bei einigermaßen wohl-
habenden Bauern nie ohne Musik. Und wo Musik und junges
Volk versammelt waren, da fehlte auch nie der Tanz, der sich
oft über mehrere Tage ausdehnte. Sogar beim Kirchgang und
in der Kirche wirkte die Musik nicht selten mit, denn es ist
noch nicht viel über ein halbes Jahrhundert her, daß die über-
wiegende Mehrzahl der Dörfer keine Orgel hatte. Die Haupt-
gelegenheit, bei der die Musik in Tätigkeit tritt, ist der Meßti,
die Kirwe.
Die Musikanten sind einfache Dorfbewohner, biedere
Bauern oder Handwerker, die das Musizieren nicht als eine
Kunst, sondern als Handwerk betreiben, um Geld zu ver-
dienen. Im Volksmund heißt der Musikant am Gebirge ent-
lang auch Spielmann, abgeschliffen Spielme, in der Mehrzahl
Spielmänner. Er erlernt sein Instrument in einfacher Weise
i A. a. 0 , S. 25. — A. a. 0., S. 27. - Hobstein, a a.
0., S. 20. — * Weiteres über die Straßburger Musikverhältnisse:
Ludwig, Straßburg vor 100 Jahren. Stuttgart, Frommann, 1888.
S. 151 f. und S. 315 f. — «Straßburger Post» liiOG, }r, IG0_.
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— 262 —
in seinem Heimats- oder in einem Nachbarsdorf bei einem
älteren Musikanten. Es gibt Ortschaften, wo ganze Familien seit
Jahrzehnten das Musikanlenhandwerk betreiben, so in Bläsheim
die Rieb, in Detlweiler die Glass, die Stricker und die Schlupp,
in Büsweiler die Mathis, in Pfaffenhofen die Schwing, in
Mühlhausen die Schnepp, in Bachsweiler die Müller und Honig,
in Geuderlheim die Roser, in Weyersheim die Jung, in Eck-
iversheim die Mobs und die Jundt, in Langensulzbach die
Haller, in Humpach die Weingärtner, in Kleeburg die Wüst.
Mühlhausen, Geuderlheim und Eckwersheim sind als musika-
lische Dörfer besonders berühmt.
Unter solchen Verhältnissen genoß natürlich der Nachwuchs
früher eine gute Ausbildung, während vereinzelte Musiker, an
denen es in keinem Dorfe fehlte, gewöhnlich nur das allernot-
dürftigste spielen konnten. Viele vermochten kaum Noten zu
lesen und überhaupt keine zu schreiben. Sie spielten alles aus
dem Gedächtnis. Noch heute sehen viele Bauern einen Vorzug
darin, daß ihre Musikanten keine Noten brauchen und doch
besser spielen als die Siadtmusiker. So wird von einem DeU-
weüer Musikanten berichtet, der eine einzige Polka spielen
konnte und von einem aus Imbsheim, dessen ganze Kunst sich
auf zwei Walzer und zwei Hoppler erstreckte. Viele Musikanten
spielten nur in den einfachen Tonarten : C y G, F, allenfalls D;
B, A, oder gar Es war schon etwas außerordentliches. Gar
ott kamen sie über den Umfang der Quint oder der Sext nicht
hinaus. Von verschiedener Tonfärbung war natürlich keine Rede.
Die Saiteninstrumente wurden häufig um das Transponieren
zu ersparen, auf die Klarinetten und Blechinstrumente ge-
stimint.
In alter Zeit wurden die Musikanten vom Tanzwirt ent-
weder einzeln bestellt, oder ein Musikant bekam den Auftrag
und besorgte dann das Weitere. Das war mitunter nicht leicht,
wenn nämlich mehrere Meßti auf denselben Tag fielen. So kam
es, daß die Musikanten bisweilen 30 Kilometer von ihrem Wohn-
ort spielten. Sie rückten einzeln zu Fuß an, oder sie wurden,
als die Chars-ä-bancs aufkamen, vom Wirte geholt, und wie sie
gekommen, zogen sie auch wieder weg. Als Bekannte des Wirts
und als Seinesgleichen aßen sie bei ihm am Familientisch. Da
aber der Wirt alle seine Räumlichkeiten brauchte, fanden sie
keine Schlafstätte bei ihm, sondern gingen ins Nachbars Haus,
oder sie schliefen in der Scheune, auf einer Bank oder gar
draußen im Freien. Man nahm das früher nicht so genau. Da
sah man in der Regel eine bunt zusammengewürfelte Gesell-
schaft. Der eine hatle z. B. ein kurzes schwarzes Kamisol
und eine Dächeiskappe, der andere einen braunen Angläßrock
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— 263 —
mit hohem steifem Filzhülchen, der dritte eine lange graue
Bluse bis auf den Boden und eine blau wollene Zipfelskappe
mit weißem Zipfel, der vierte einen breitkrämpigen Hut und
Jangen Flügelmulzen nebst gewalligem Vatermörder.
Man konnte auch und kann noch beute merkwürdige Blech-
instrumente sehen, die schon vielfach in den Museen aufbewahrt
oder in ländliche Rumpelkammern verbannt sind : das Bombardon,
ein scharftönendes Baßinstrument mit drei Zylindern, ohne
Klappen, schon als Holzinstrument mit Baßton erwähnt ; 1
das Ophikleid, ein deutsches Baßinstrument mit 6 Tonlöchern
und 4 Klappen, das um 1820 in den französischen Militär-
kapellen Eingang fand ; das Waldhorn; das Bügle oder Bügel-
horn mit oder ohne Klappen, mit starkem Ton, aber schlechtem
Klan», das viele Umgestaltungen erlebte. Auch Trompeten
mit Löchern und Posthörner, die mit der Faust gestopft
wurden und nur wenige Töne hervorbrachten, gehörten früher
nicht zu den Seltenheiten.
Die Geige galt immer als etwas feines. Sehr beliebt war
die Baßgeige, die auch beim Aufziehen mitgetragen wurde.
Das volkstümlichste Instrument ist bis heute die Klarinette
wegen ihres klaren, vollen, durchdringenden und doch weichen
Tones und wegen ihrer Fähigkeit, schnelle Tonläufe zu er-
zeugen und die Melodien zu verschnörkeln. Der Bauer hat sie
denn auch mit Scherznamen belegt, z. B. Krautslorzen, Wind-
hebel, ja sogar Zwetschgenbaum. Bemerkenswert ist, daß noch
bis in die 1860er Jahre deutsche Bezeichnungen gebraucht
wurden, also B- und Dis-Clarinette statt Si-bemol- und Mi-
bemol-Klarinette, wie sie noch heule heißen.
Unter den Musikanten, die wir durchschnittlich als ehr-
liche, brave Handwerksmusiker ansehen müssen, gab es früher
auch minderwertige Elemente, denen eine große Einnahme über
alles andere ging, die sich untereinander mit geschäftsneidischen
Blicken maßen und im Rausche nicht selten grob wurden.
Doch waren dies Ausnahmen. Häufiger begegnen wir in ihren
Reihen einer gewissen Aristokratie, die es auch sonst im Leben
zu Ansehen und Ehren brachte. So war der jetzige Bürger-
meister Schnepp von Mühlhausen 20 Jahre lang ausübender
Musiker. Dessen Vater, der auch durch eine vielbemerkte
Streitschrift* bekannt wurde, spielte noch als Maire in den
1860er Jahren Geige. Mehr als einer fand den Weg zur
Kunst und machte als Militärkapellmeister eine glänzende
1 L o b s t e i n, Beiträge zur Geschichte der Musik im Elsaß,
Straßburg, Dannbach, 1840. S. 145. — - Johann Schnepp. Ist
auch alles wahr, was die Alt-Lutheraner schreiben? BiSchweiler.
Posth, 1885.
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Laufbahn, so Geor^ Groß aus Schwind ratz heim , Kapellmeister
lies 11. Artillerie-Regiments zu Poitiers und des 125. Linien-
regiments zu Paris und Rennes, Ritter der Ehrenlegion, ge-
storben in Pension H>05, und Johann Wüst aus Kleeburg,
Kapellmeister des 1)7. Linienregiments in Chambery, Direktor
des Musikkonser vatoriums zu Chambery, Ritter der Ehrenlegion
und Otficier d'Academie, gestorben im April 11H38.
Was nun die Besetzung betrifft, so spielten auf einem großen
Meßli gewöhnlich 5 Mann : 2 Klarinetten, Geige, Schello und
Posaune oder: Klarinette, Flöte, Geige, Horn, Baß. Aber nicht
immer war es so gut mit der Musik bestellt, zumal aus den
fünfen oft ein Mann als Geldsammler abgegeben wurde. Die
Musikanten selbst liebten die grüßen Besetzungen nicht. Bekam
einer von einem Wirt einen Auftrag, so suchte er möglichst
viel für sich herauszuschlagen. In der alten Zeit gehörte ja die
ganze Einnahme den Musikanten, und da machte allerdings
ein Mann weniger schon viel aus. Auf die Art der Instrumente
kam es da weniger an. Gut w;ir z. B. die Besetzung : Klari-
nette, Violine und Baßgeige. Aber der bäuerliche Tänzer be-
gnügte sich auch mit wunderlichen Besetzungen, z. B. Klan-
net le, Geige und Flöte, ohne Baß. Und ebenso ließ er sich
zwei Instrumente gefallen. So spielten einmal in den 1830 er
Jahren eine Klarinette und eine Baßgeige den ganzen Meßti zu
Ohlungen, dazu konnte der Klarinettist bloß Wal 'er spielen.
Ja selbst ein einziges Instrument vermochte noch die
Tänzer in Bewegung zu setzen. Schon aus älteren Zeiten ist
wiederholt von «einem» Spielmann berichtet, so aus Ober-
modern* 1738. In den 1850er Jahren spielten einmal zu
Ingenheim ein Klarinettist und ein Pistonist. Die Tanzstube
hatte keine Fenster, und es herrschte eine außergewöhnliche
Kälte, so daß immer der eine Musikant sich die Hände wärmte,
während der andere spielte. Und es ging auch. Auf dem Alt-
eckendörfer Meßti sollte einmal in den lfc40er Jahren der Naz
von Dottendorf mit noch einem Kameraden, einem Posaunen-
bläser, spielen. Der Naz erschien allein. Man bestürmte ihn mit
Frayen, wie es denn komme, daß sein Kamerad nicht da sei.
Er fand allerlei Ausreden, sah selbst nach, kam wieder achsel-
zuckend zurück usw. Schließlich sagle er : «Wir können einmal
essen !» Als er gegessen hatte, meinte er: «Wir können einmal
anfangen 1» Der Meßti wurde aufgezogen, der Naz mit seiner
Geige an der Spitze. Als dann die Burschen ihre Maiden
hatten, fragte niemand mehr nach der Musik. Der Tanz ging
» Presbyterialprotokolle vom 14. Jan. 1738 und vom 6. Mai 1738
im dortigen Pfarrarchiv.
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prächtig, der Naz spielte den ganzen Meßti allein, strich jeden
Tag schmunzelnd seine 60 Fr. ein und befestigte aufs Neue
seinen Ruhm als hervorragender Geiger.
Baß man auch ohne Musik tanzen kann, erscheint vielleicht
unglaublich. Und doch geschah dies einmal am Anfang des
18. Jahrhunderts zu Eckartsweiler, wo damals zwei Wirt-
schaften einander gegenüber lagen. Die beiden Wirte hielten
sich gemeinsam einen Klarinettisten. Zuerst spielte er in der
einen Wirtschaft einige Takte, die sogleich von dem Getrampel
der Holzschuhe übertönt wurden. Als dann der Tanz im Gange
war, sprang er schnell in die andere Wirtschaft, um dasselbe
Spiel zu wiederholen und nachher wieder auf den ersten Tanz-
boden zurückzukehren und so fort.
Die Musikanten hatten auf den ländlichen Tanzsälen viel-
fach einen schlechten Stand. Gewöhnlich gab man ihnen einen
Tisch, weniger für die Noten als für Flaschen und Gläser. Es
war das Musikanlentischchep oder «es* Spielmetischb. Aber
nur gar zu oft mußten sie in einer Ecke auf Bierfäßern, leeren
Kisten oder Wellen oder auf dem Kreuzstock eines Fensters
sitzen und wurden nicht selten von den Tänzern zusammen-
gerannt. Gläser und Flaschen stellten sie einfach auf den
Boden. Bisweilen war der Saal so niedrig, daß die Baßgeige
überhaupt nicht gestellt, sondern mit einem Strick festgebunden
werden mußte, um nicht auszugleiten. Und wenn in einer
Scheune getanzt wurde, war es für sie lebensgefahrlich, auf
der Gerüstleiter zum Heustock hinauf und wieder herabzu-
klettern.
Einen Dirigenten gab es bei ländlichen Musiken nicht.
Waren sie unter sich einig, so sagte der Klarinettist oder der
Geiger : «Alle hop !» Er sah sich in der Runde um und machte
mit dem Instrument einige taktmäßige. Bewegungen, indem
er zugleich die ersten Takte spielte. Die andern fielen dann
ein. Waren aber mehrere führende Instrumente da, so gab
es oft Streit, denn jeder wollte die Ehre des Vorspiels haben.
Auch mit dem richtigen Spiel und Zusammenspiel haperte
es manchmal. Oft waren die Blechinstrumente falsch gestimmt,
und am Anfang der Meßtizeit hatten die Bläser wunde und
blutige Lippen und spielten falsch. Nicht selten war die Baß-
note den ganzen Meßti über falsch. In Wietersheim wurde
einmal so entsetzlich falsch gespielt, daß der Pistonist den Augen-
blick herankommen sah, wo er mit seinen Kollegen würde
hinausgeworfen werden. In der Tat erschien plötzlich der Wirt.
Aber er lächelte, drückte jedem Musikanten freundlich die
Hand und sagte : «Man meint, daß ihr alle Tage spielt/so exakt
gehts!» Und er holte zur Belohnung eine gute Flasche Wein.
— 266 -
Auf alle diese Ungehörigkeiten achlete der Bauer wenig.
Die Tanzmusik auf dem Dorfe soll ja keine musikalische
Leistung sein, und auf ländlichen Tanzboden kann man weder
Harmonielehre lernen noch die Meisterwerke der Tonkunst
hören. Wenn nur der Takt beobachtet und einigermaßen laut
gespielt wurde, alles andere war nebensächlich.
Früher tranken die Musikanten bloß Wein, gewöhnlich
Zehner, d. h. den Liter für 10 Su, später 16 er, eine bessere
Marke, in der Regel Roten. Der Zwanziger war schon guler
Wolxheimer. Diese Sorte und den Oberländer «Stöpferle»
(Flaschenwein) lieferte nicht der Wirt, sondern die Tanzburschen.
Und die Musikanten wußten sie sich zu verschaffen, indem sie
einfach so lange streikten, bis man ihnen (willfährig war.
Die stolzen Dorfburschen der guten alten Zeit ließen sich aber
nie lange bitten. Und so konnte es nicht fehlen, daß die
Musikanten bald in die angeregteste Stimmung gerieten, ob-
wohl sie als trinkfest bekannt sipd. Dann erschienen sie als
eine malerische Ecke in dem heiteren Bilde der allgemeinen
Weinseligkeit, und ihr Benehmen war eben so ungezwungen
und natürlich, wie das der gesamten Meßtigemeinde. Sie
setzten sich hemdärmelig hin, entfernten das Halstuch und
öffneten den Kragen. Nicht selten stülpten sie die Hemdärmel
hinauf und öffneten den ganzen Busen. Ländlich, sittlich ! Das
harmonische Zusainmenspiel war bald erschwert, die einzelnen
Musikanten spielten falsch, legten auch wohl ihr Instrument
beiseite, wenn der Tanz im Gang war. Der eine oder der an-
dere sang, statt zu spielen oder mischte sich unter die Tänzer.
Die Augen wurden blöde, der Blick stumpfsinnig, und in den
Tanzpausen neigle der oder jener seinen schweren Kopf und
nickte sanft ein Manchmal wurde stundenlang nichts als
Walzer gespielt, oft zwei oder drei Mal hintereinander dieselbe
Melodie. Niemals wäre es einem Tänzer eingefallen, einem
Musikanten den geringsten Vorwurf zu machen, und wenn der
Takt zu verklingen drohte, halfen die Burschen durch Stampfen
nach. Und alles verlief in ungetrübter Eintracht. Die Musi-
kanten und die Burschen, vorab der Meßtibursch, hielten doch
immer wieder treu zusammen, denn sie waren aufeinander an-
gewiesen, und sie besiegelten das kameradschaftliche Einver-
nehmen durch unzählige Flaschen. Gern ließen sich darum
die Musikanten gewisse Spitznamen gefallen. So hießen zwei
bekannte Spielleute der Lauterbacher und der Herr Stöpperle
und ein Klarinetlist der Weidenhebel.
Und eben so willig gaben sie sich in vorgerückter Stunde
für allerhand Spaß her, zu allgemeiner Ergötzlichkeit, aber
auch wieder zu ihrem eigenen Geldvorleil. So kam es oft
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vor, daß Wein oder Bier in ein Blechinstrument gegossen
wurde. Blies dann der Musikant hinein, so spritzte es nach
allen Richtungen, und das Tanzvolk brach in ein unbändiges
Gelächter ;ius. Schon harmloser war es, wenn man ein Stück
Kuchen oder ein Küchel in ein Instrument steckte. Der Musi-
kannt stellte sich natürlich so, als wenn er den Spaß vorher
nicht gemerkt hätte. Allgemein bekannt ist der Witz mit
dem Bogen der Posaune. Doch machte es jedesmal wieder
Vergnügen, wenn ein besonders scherzhaft angelegter Bursche
an den Posaunenbläser herantrat und sich mit möglichst
dummem Gesicht anbot, ihm beim Herausziehen des Bogens
behilflich sein zu dürfen.
War einmal die Haupteinnahme des Tages verteilt, was
bei der Anwesenheit eines weniger gewissenhaften Musikanten
nicht ohne Streit vor sich ging, so fühlte sich das Musikvolk
etwas freier. Einzelne Musikanten verschwanden dann unter
allerlei Vorwänden oder auch sang- und klanglos. In den
1840er Jahren ging es einmal zu lmbsheim folgendermaßen
zu. Der unfähige Bassist nahm das Geld ein. Der eine Klari-
nettist spielte noch ein wenig, dann machte er einen Rund-
gang ins Dorf, wurde überall gut bewirtet und kam abends
völlig betrunken und zum Spielen unfähig zurück. Der Geiger
war bald bezecht, taumelte zur Hintertür hinaus und legte sich
in eine Ackerfurche schlafen. Dort fand ihn am andern Morgen
ein heimkehrender, fremder Bursche halb erfroren vor. Es
blieben noch ein spiel- und trinkfester Pistonist und der zweite
Klarinettist, der aber nur eine Polka spielen konnte. Diese
beiden wackeren Blaser hielten die ganze Nacht aus und be-
sorgten auch das «Aufstecken». Beschwert hat sich niemand,
weder der Wirt noch die Tänzer. Die Musikanten waren so-
gar noch kameradschaftlich genug, andern Tags die Mehr-
einnahme mit ihren beiden ungetreuen Kollegen zu teilen.
War der Beruf der Musikanten schon während des Tanzes
kein leichter, so war ihr Leben nachher noch schwerer. Nur
zu oft — wir müssen hier schon etwas vorgreifen — gelang
es ihnen nicht, ihr ersehntes Ruhelager aufzusuchen. Vom
Tanzhause weg wurden sie von den Burschen mitgeschleppt,
uud diese ließen sie bis zum frühen Morgen im Dorfe herum
vor den Häusern der verschiedenen Angebeteten nächtliche
Serenaden spielen, bis dann eine andere Partei Burschen kam,
die bereits geschlafen hatten, und die Rundreise im Dorf und
in die Wirtshäuser fortsetzte. So kamen die Musikanten oft
mehrere Tage aus dem Trinken nicht heraus und in den Schlaf
nicht hinein, und die Vorsichtigen unter ihnen wußten wohl,
weshalb sie ihre Schlafstätten geheim hielten.
- 268 -
Eine hübsche Leistung vollführte auch der unter dem
Namen «der Martin von Geudertheimn bekannte Weber,
Hänfer, Musikant und Zeichenkünstler 1 Martin Lorentz, der
zugleich Lehrer in Bietlenheim war. In den 1850er Jahren
spielte er auf dem Alteckendörfer Meßti den Sonntag und die
ganze Nacht hindurch. Am Montag ging er zu Fuß nach dem
18 km entfernten Bietlenheim, um bei einer Beerdigung zu
singen, kam dann wieder zurück, spielte am Montag die ganze
Nacht und noch Dienstag Tag und Nacht durch, ohne ein Bett
zu sehen.
Zu was sich die Musikanten manchmal hergeben mußten,
beweist ein Vorkommnis auf dem Hochfelder Meßti aus den
1850er Jahren. Die Burschen verkleideten sie teils als Dudel-
sackpfeifer, teils als Bären, und so zog die Gesellschaft den
ganzen Meßti-Dienstag von Wirtschaft zu Wirtschaft. Die Baren
mußten brüllen und bekamen aus Krippen zu fressen und zu
saufen, und das Meßtivolk tanzte beim Klang einer gedämpften
Geige und einer Oboe.
Endlich noch ein Beispiel, das uns lehrt, wie die Musi-
kanten ihren Vorteil wahrzunehmen wußten. In Dunzenheim
lebte in den 1860er Jahren ein alter Soldat, der 14 Jahre bei
den Carabiniers gedient hatte. Als nun die Musikanten am
zweiten Meßtitage den Rundgang durchs Dorf machten, bließ
der Pistonist «zum Satteln». Jener Alte kam sofort begeistert
heraus und nahm die Musikanten zu sich. Alle Militärsignale
wurden durchgeblasen, manches Erlebnis aus der Soldatenzeit
aufgefrischt und dabei manches Krügel Wein geleert. Und am
Abend kam der alte Carabinier auf den Tanz und tanzte unter
allgemeinem Jubel «drei allein».
Das Musikantenhandwerk war besonders unter Napoleon III.
sehr einträglich. Jene Zeit war ja für den elsässischen Bauern
eine Zeit des Wohlstandes, wo viel Geld unter den Leuten
war, und an die noch mancher Musikant mit Wehmut zurück»
denkt, der durch sein Instrument zum wohlhabenden Manne
wurde. War der Meßti gut besucht, so lebten die Musikanten
nicht nur wie die Vögel im Hanfsamen, sondern sie kamen
mit gefüllten Taschen nach Hause, 50—70—100 fr. auf den
Mann. Naturgemäß wurden die Wirte ihrer allmählich über-
drüssig, denn die Zehrkosten der Musikanten pflegten nicht
gering zu sein.
Der Volkswitz drückt die Stimmung des Wirtes sehr zu-
treffend wie folgt aus. Der Wirt empfangt die ankommenden
Musikanten: «Sin ihr do, ihr Herre? Mer han schon lang uf
1 Vgl. Kassel in Band XXI dieses Jahrbuchs, S. 278f.
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i (euch) gewart. Jetz komme numme, sitzen an, mer han i
e guets Esse gerüsl». Am zweiten Tag sagt der Wirt zu
seiner Frau : «Krau, gib dene Müsikante ze-n-esse, daß se-n-uf
d'Tanzstub komme». Am dritten Tag waren es «die Männer
do», das Essen mußten sie schon verlangen. Am vierten Tag
fuhr sie der Wirt an: «Was dürmeln ihr als noch do herum?
Mache, daß ihr fortkomme, ihr Lumpe, mit euerem Gedudels.
Ich hab e Kopf wie e Sester so dick 1» Zu essen bekamen sie
überhaupt nichts mehr. Doch tat dieser unglimpfliche Abschluß
der Freundschaft keinen Abbruch, im nächsten Jahre waren
beide Parleien froh, wenn sie wieder zusammenkamen.
Bei schlechtem Wetter machten aber die Musikanten
schlechte Geschäfte. Sie gingen mit leeren Taschen von dannen
und trösteten sich oft einen ganzen Tag lang in anderen Dörfern,
so daß sie schließlich noch von ihrem Geld zusetzen mußten.
Noch sind diese biederen, der Poesie nicht entbehrenden
Dorfmusikanten nicht ausgestorben, und mancher Wirt sähe es
als eine Schande an, sie zu verstoßen. Doch immer mehr wird
ihnen eine tötliche Konkurrenz durch die Militärmusiker ge-
macht, die der Wirt einfach durch Postkarte bestellt, und die
allerdings eine tadellose Musik liefern. Bei einem kleinen und
verkümmerten Meßti genügt aber ein Spengler mit einer Zieh-
harmonika oder — ein Zigeuner mit seiner Geige. Der Zigeuner
ist zwar billiger und hat auch den Vorzug der Nüchternheit,
dafür füllen aber seine im Meßtigewoge auftauchenden zahl-
reichen Stammesgenossen ihre Taschen um so gründlicher.
Die Musikweisen. Besonderes über die Tänze.
Das Landvolk legte früher kein großes Gewicht auf ausge-
wählte Melodien. Die Musik war ihm auch in ihrer einfach-
sten Art anziehend und willkommen. Natürlich hing es be-
sonders an seinen Lieblingsweisen und verlangte von den
Musikanten, daß diese vorzugsweise «aufgemacht» oder «her-
untergemeißelt» wurden.
Wir haben schon öfters die Serenade erwähnt. Unter
einer Serenade, in der Mundart «Sernäd», versteht man ein
Ständchen, das zur Ehrung bei verschiedenen Gelegenheiten
gespielt wird. Im Kreise Weißenburg nennt man es Leib-
stückel, in Lothringen Ambard (vom frz. aubade, Morgenständ-
chen, nicht von frz. ä part und nicht von ahd. ambacht = Amt).
Die Serenade steht namentlich bei älteren Leuten in hohem
Ansehen. Sie besteht aus einem langsamen, getragenen Teil
und aus einem schnellen Teil. Letzterer ist in der Regel ein
SaU im *| 4 - oder «f 8 -Takt. Ersterer besteht meistens aus einem
— 27U —
Volkslied, einer «Arie» religiösen oder ernsten Inhalts. Be-
sonderer Beliebtheit erfreut sich ein als «Apfelgrüner Marsch»
bekanntes geistliches Volkslied. 1 Da die Serenaden vielfach
aufgezeichnet wurden, so sind uns in alten Musikbüchern die
Weisen zahlreicher Volkslieder erhalten.
Die Melodien der Tänze haben die alten Musikanten zum
Teil selber komponiert. Ein bekannter Komponist war der
alte Johann Schnepp aus Mühlhausen y dessen I^ndler noch
jetzt bis nach Bläsheim hin als «Schneppenwalzer» hie und Ha
gespielt werden. Nicht selten aber schrieben sie aus einem
gedruckten Musikhefte, namentlich von einer französischen
Militärmusik ab und gaben dies dann als eigenes Erzeugnis aus.
Bisweilen wurden sie von mißtrauischen Kameraden beim Pla-
giat erwischt, oder sie gestanden es selber in einer schwachen
Stunde. Solche angeblich neue Sachen wurden freiweg mit
einem kühnen Namen belegt, und so entstanden eine Reihe von
«Kochersbergern», der Dunzenheimer Walzer, der Marie-Louise-
Walzer (der Karneval von Venedig) und viele andere. Femer
schrieben die Musikanten auch von einander ab, und hierbei
wurde manches verändert, genau wie beim Texte der Volks-
lieder. Andererseits bekamen bekannte Tänze einen volkstüm-
lichen Text, oft unsittlicher Art untergeschoben und wurden
dann unter diesem Namen bekannt. So heißt der bekannte
Walzer «0 du mein himmlisches Kind» nach einem Vorkomm-
nis auf dem Meßti zu Obermodern («0 wann ich numme
s'Lämmer-Mejl 8 hält'») allgemein der «Lämmer-Mejl-Walzer».
Leider wurden viele Musikalien im Nachlaß verstorbener Musi-
kanten von den Hinterbliebenen nicht genug gewürdigt, son-
dern verschleudert und verbrannt
Was nun das Tanzen selbst betrifft, so kannte man auf
dem Lande bis in die 1840er Jahre von Rundtänzen bloß den
Walzer und den Hoppler.
Der Walzer war von jeher, wohl seit Jahrhunderten, der
beliebteste Tanz. Noch heute wird er auf dem Dorf mit un-
übertrefflicher Anmut getanzt. Die Tänzer schwelgen förmlich
in den wonnigen Gefühlen der Liebe. In der Regel spielte man
*2 Walzer und t Hoppler, oft wurde aber auch stundenlang
bloß Walzer getanzt. Der Ländler 3 hatte im Elsaß bloß eine
1 Der Name kommt wahrscheinlich vom Regiment Appelgrehn,
das 1740 in Straßburg lag uud seinen Werbeplatz im Elsaß hatte.
Oberstleutnant Peter Appelgrehn, ein Schwede, befehligte es von
1734 — 1742. Text und Melodie sind vom Verf. in Nr. 1 (1907), S. 11
der Els.-lothr. Gesang- und Musikzeitung veröffentlicht. — 2 Die
Maria Lämmer. — * Vgl. auch; Kassel, Der Ländler im Elsaß
in Nr. 6, S. Iii) ff. der Els.-lothr Gesang- und Musikzeitung, mit
Notenbeispielen.
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musikalische Bedeutung. Man verstand darunter einen Walzer
mit verschnörkelter Tonfolge nach Art des Jodlers. Er blähte
von 1810 bis etwa 1860. Sein Tanzschritt war eher schneller
als der des Walzers, während der im nördlichen Unterelsaß
noch in den 1860er Jahren vielfach übliche c bayerische Dre-
her» langsamer getanzt wurde. Eine besondere Art des Wal-
zerschrittes besteht darin, daß das Paar, ohne sich zu drehen,
auf die 3. Note des 2. und die 1. Note des 3. Taktes, dann
auf die 3. Note des 4. und die 1. Note des 5. Taktes usw.
zwei Schritte nach vorwärts macht. Man tanzt diese Art, um
sich auszuruhen, während höchstens eines Satzes mit Wieder-
holung.
Der Walzer wurde, soweit sich durch mündliche Ueber-
lieferung feststellen läßt, in der '2. Hälfte des 18. Jahrhun-
derts und am Anfang des 19. Jahrhunderts als «Ringeltanz»
ausgeführt. Der Bursche faßte mit seiner Rechten die Linke
des Maide und hob sie in die Höhe. Beide Tänzer wiegten
den Körper mit großer Anmut seitlich in verschiedene Lagen,
indem die Knie, das Gesäß und die Schultern fortwährend ihre
Stellung wechselten. Zugleich drehte sich jeder der beiden
Tänzer um die hochgehobenen Hände im Kreise herum. Die
Kenner des alten Ringeltanzes sind sich darin einig, daß die
persönliche Tanzkunst dabei mehr zur Geltung kam, als beim
Tanz durch Anfassen. Letzterer kam in den Landgemeinden
in den 1830er und 1841er Jahren auf. Der Ringeltanz ver-
schwand aber erst Ende der 1850er Jahre vollständig. Nur in
Hunspach y Ingolsheim und Umgegend wird noch hie und da
das «Schlüpfte» (Verkleinerungswort des Zeitworts schlupfe =
schlüpfen) getanzt. Zuerst tanzt das Maide einen Ringeltanz
um den Burschen herum. Dann faßt es ihn an seinem hoch-
erhobenen Zeigefinger und tanzt den Ringeltanz unter dessen
Arm immer weiter, während der Bursche im Tanzschritt ge-
radeaus geht. Jeder Tanz, nicht allein der Walzer, kann ge-
schlüpfelt werden.
Der Hoppler (hoppeln = springen), in Ittenheim und Um-
gegend Springer, im Kochersberg Hopser genannt, war ein
Galopp. Er verkörperte die überschäumende Fröhlichkeit und
Ausgelassenheit des Tanzvolkes und war daher eher Sache
der übermütigen Burschen, während die Maiden mehr am
Walzer Wohlgefallen fanden. Er wurde mit Anfassen getanzt.
Der «Hoppeltanz» war schon im 13. und 14. Jahrhundert
bekannt, zwei Tänze dieser Art hießen Hoppelrei und Hop-
paldei.i
1 Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland, I, 257.
— 272 -
Bei diesen allen Tänzen ging die Musik immer in dem-
selben Ton weiter, gewöhnlich waren es bloß zwei Sülze.
Ende der 1840er Jahre kam auf dem Lande die Polka (in
der Mundart : der Polka) auf, die sich kurz vorher in der
Stadt eingebürgert hatte. Anfangs wollte sie den Bauern gar
nicht behagen, man sagte ihr sogar nach, daß von ihr als
Strafe des Himmels die Cholera uud die KartofTelkrankheit
herrühren.» Es erregte ungeheures Aufsehen, als anfangs
der 1850er Jahre auf dem Hochfelder Meßti von einer Straß-
burger Musikgesellschatt unter Leitung des Instrumentenmachers
Roth zum ersten Mal Polka gespielt und dazu getanzt wurde.
Noch heule lebt in Schwindratzheim ein Schneider, der da-
mals den jungen Mädchen Polkastunden gab, und der den Bei-
namen der Polkaschneider behalten hat. Mehrere elsässische
Volkslieder besingen auch die Polka. Nach Einführung der Polka
kam der Hoppler allmählich ab und ist heute ganz vergessen.
Etwas später als die Polka trat die Mazurka auf, im Volks-
mund anfangs Masüriana, Marsivienne und Marseillena, heute
Masürkä genannt. Es folgte der Schottisch oder deutsche Polka
(Rheinländer), wahrend die Polka «der französische Polka»
hieß. Doch nannten die französischen Musikbücher die Polka
umgekehrt «Allemande», und so sind die ältesten Polkatänze
auch in elsässischen Notenheflen bezeichnet. Der Schottisch
wird heute auch so gelanzt, daß auf jede Viertelsnole eine halbe
Kreisdrehung kommt. Diese schwindelerregende Geschwindigkeit
hält man aber nicht lange aus.
Das Menneweh (Menuett) und der Wissewie (vis-ä-vis)
scheinen in den 1840 er Jahren nur vorübergehende Bedeutung
gehabt zu haben. Wahrscheinlich beruhten sie bloß auf dem
Bestreben, irgend einen willkürlichen Tanzschritt mit einem
stadtmodischen Namen zu benennen. Das Menuett soll ein
wilder Tanz gewesen sein. Auch der Kochersberger, der Ins
um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kochersbergeria nd ge-
tanzt würde, soll ein wilder und zugleich anmutiger Tanz ge-
wesen sein, der an die Tanzkunst große Anforderungen stellte.
Am Anfang des lt). Jahrhunderts scheinen auch Dreier- und
Vierertänze im Hopplertempo üblich gewesen zu sein. So
wurden in Fürdenheim um 1810 Ringeltänze zu 3 und 4 ge-
tanzt, bis einmal 182t ein Maide infolge allzu tollen Tanzens
auf dem Meßti tot umliel. Ende der 1850er Jahre wurde zu
Scfnvindraizheim russisch und walachisch getanzt. Es waren
jedenfalls scherzhafte Tänze im Anschluß an den Krimkrieg.
Die Singtänze, Tanzlieder und Tanzreime, Gesellschafis-
1 Stober, Der Kochersberg. S. 49.
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— 273 —
spiele und Kunstslücke, ferner die leichtbeschwingten Reime-
reien der vorgerückten Stunde, behalten wir einer besonderen
Veröffentlichung vor, die letzteren jedenfalls in Verbindung mit
dem Volkslied, von dem sie sich nicht leicht scheiden lassen.
Obwohl es sich auf diesem Gebiet bloß noch um Trümmer
handelt, ist es doch noch recht ansehnlich.
Die Tänze sind heutzutage dieselben wie die allgemein
üblichen. Die Tanzfolge bestimmt der Meßtibursch oder die
Musik selbst.
Beim Anfassen der Paare in der jetzt allgemein üblichen
Weise gilt als Regel, daß das Maide möglichst innig und fest
umschlungen wird. Jeder Tänzer tut dies, wie es ihm paßt,
so daß man von einer einheitlichen Haltung nicht sprechen
kann. Entweder umfängt der Bursche das Maide mit beiden
Armen und oft mit fest zusammengefalteten Händen hinten um
die Taille, während das Maide beide Hände von seitwärts auf
die Schultern des Burschen legt. Oder beide legen sich gegen-
seitig die im Ellbogen gebeugten Vorderarme seitlich an die
Oberarme oder hinten auf beide Schulterblätter oder seit-
lich unter den Armen an den Brustkorb. In dieser letzteren
Stellung ist es dem Burschen möglich, das Maide während
des Tanzes in die Höhe zu heben. Neben diesen Arten des
Tanzens ist auch die allgemein gebräuchliche Haltung üblich,
wobei nicht selten, die Arme in außergewöhnlicher Weise in
die Höhe oder seitlich hinausgestreckt werden oder die Tänzerin
ihren linken Arm dem Burschen fest um den Hals schlingt.
Als besondere Geschicklichkeit gilt es, «links herum» zu tanzen.
Was die neuzeitlichen Tanzweisen betrifft, so werden sie
von den Alten vielfach verachtet: die Tänze waren früher
schöner und besser, die Stadtmusikanten können nichts, und
was sie spielen, ist eine Leier. Aber das junge, durch die
Stadtmode angesteckte Landvolk verlangt schon die neueren
Tänze und Gassenhauer und singt kräftig mit, und wenn heut-
zutage eine Musik die «lustige Witwe» nicht spielen kann, so
gilt sie ihm als rückständig.
Der Zuckerstand. Die Lebkuchen.
Von besonderer Bedeutung ist von Alters her der Zucker-
stand oder der Lebkuchenstand. Es ist eine Krambude oder
auch ein einfacher Tisch, wo man die gewöhnlichen Süßigkeiten
kaufen kann, Zuckerstängel, Krachmandeln und Schokolade für
die Kinder, «Pappeljuten» (frz. papillotes) und Lebkuchen für
die Maiden. Seit dem Vordringen des neuzeitlichen Meßti mit
seinen Buden auch ins kleinste Dorf hat der früher so bedeut-
18
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— 274 —
same Zuckerstand seine Wichtigkeit eingebüßt. Der alte Bauern-
meßti hatte bloß den einen Zuckerstandy der entweder auf der
Straße oder im Hof, in der Scheune, unter der Durchfuhre
aufgeschlagen wurde und zur Zuständigkeit des Meßtiburschen
gehörte. Er ließ die Lebkuchen im Dorfe selbst oder auswärts
backen, oft einen ganzen Bennenwagen voll. Sie waren nicht
verzuckert, meistens rund, hatten etwa 12 cm im Durchmesser
und in der Mitte eine geschälte Mandel. Das Stück kostete, den
Meßtiburschen 1 Su, er bekam aber 14 oder 15 ins Dutzend
und verkaufte es für 1 Mark, früher 1 fr. Oft wurden große
Mengen Lebkuchen abgesetzt, bei schlechtem Wetter und
schwacher Beteiligung blieben aber dem Meßtiburschen viele
übrig, die er dann im Dorf zu verkaufen suchte. So kaufte
1902 der Griesbacher Meßlibursch 72 Dutzend in Wörth, 1895
fingen in Ringendorf 157 Dutzend ab, utfd in Alteckendorf
•Verden noch heute nicht selten bis 200 Dutzend vertrieben.
Die Lebkuchen sind ein Leckerhissen für den Bauern, sie
dienen aber auch dutzendweise als Geschenk für die Tanz-
maiden. Ein solches Geschenk wird z. B. von einem Fremden,
auch von einem eingeladenen Städler für die Töchter des Hauses
erwartet. Als besonders sinniges Geschenk wird der Tänzerin
ein Herzlebkuchen verehrt. Das ist ein Lebkuchen in Herz-
form mit einem Mädchenbilde oder Blumen und dazu passen-
dem Spruch.
Die Papilloten, etwa handtellergroße Stücke Malzzucker
oder Karamel, waren früher sehr beliebt. Der Bursche kaufte
zwischen zwei Tänzen seinem Maide eine Papillote und sonstiges
«Zuckerdings», damit sie «süßer lugt». Die Papillote war in
Goldpapier eingewickelt und hatte ebenfalls einen sinnigen
Reimspruch. Das Maide ließ den Spruch des Lebkuchens oder
der Papillote einrahmen und hängte das Bild in seinem Schlaf-
zimmer unter dem Spiegel auf. Noch heute gehören solche
Sprüche aus den 1850 er und 1860 er Jahren zu den sorgfaltig
gehüteten Andenken an die goldene Jugendzeit. Da sie schon
seit mehreren Jahrzehnten immer seltener werden, mögen hier
zwei Sprüche aus dem Jahre 1845 Platz finden. Von einer Pa-
pillote, in einem Blumenkranz in Herzform :
Andenken.
Im Herzen will ich Dir ein Denkmal bauen,
Du aber schenke mir stets Dein Vertrauen !
Du bist nun ewig mein, nichts soll uns trennen,
Wirst Du mich nur allein als liebend nennen.
Von einem Herzlebkuchen, unter einem Mädchen in
städtischer Tracht :
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Marie.
Ach, dahin sind alle meine Freuden,
Wenn ich jemals Dich verlassen muß.
Nein, das Schicksal darf uns niemals scheiden,
Denn das Herz bricht mir der Scheidekuß.
Spiele. Preiskegeln und Preisschießen.
Lotterien. Wettläufe. Kinaerbelustigungen.
Es ist bekannt, daß der elsässische Landmann eine be-
sondere Schwäche für das Glücksspiel, für Lotterien, Versteige-
rungen und Wetlen hat und sich dabei nicht selten stark auf-
regt. Unzählig sind in alter Zeit die Verordnungen, die sich
gegen die Spielwut richten, und wir dürfen auch wohl an-
nehmen, daß gerade am Meßti das Spiel in erheblichem Um-
fange betrieben wurde. Welche Spiele und wie sie am Meßti
gespielt wurden, darüber Hießen die Quellen recht spärlich.
1414 spielte man auf der Johannismesse zu Straßburg i in
einem besonders dazu eingerichteten Hause «den heißen Stein».
Ferner war erlaubt zu «waben», im Brett (Tricktrack) und mit
Karten zu spielen. 1558 ist auf dem Zaberner Meßtag 8 das
«Lustlinsspiel mit Bocken oder anderem Würfelspiel» als ver-
boten bezeichnet, erlaubt waren das Brettspiel, «Bauern, Eins
und Hundert, Flüssen». 1592 finden wir dort «das groß über
Pfenning und Kreuzer Spill» und 1724 «das Karten- und
Würfelspiel, über Pfenning und Kreuzer». 1655 waren in Borsch*
«ein Brett mit 12 bleiernen Kugeln» und «ein Brett mit 12
Zahlpfenningen» erlaubt. 1737 wurden in Alteckendorf* Würfel-
und andere Spiele gehalten. Welches diese Spiele waren, ist
leider nicht gesagt. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts
scheint das Würfelspiel am Meßti die Oberhand unter den Spielen
gewonnen zu haben. In einem Dekret der hanauischen Re-
gierung vom 15. Juni 1740» heißt es das teuflische Würfel-
spiel, während das Kartenspiel bloß sündig und das Kegelspiel
ärgerlich und unschicklich ist. Im Gegensatz zu dieser von
religiösem Geiste geleiteten Regierung beschützte die bischöfliche
Stadt Zabern das Spiel, indem sie schon im 17. Jahrhundert
den Meßtaghütern vorschrieb, daß sie «3 Bäsch gute gleichlinge
Würfel» zu halten haben.«
1 Strobel, Vaterländische Geschichte des Elsaß. Straßburg,
Schmidt u. Grucker, 1843. B. III, S. 103. — * Adam, Der
Zaberner JIeßtag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 42, — 3 Ratsprotokolle
inj dortigen Gemeindearchiv. — 4 Presbyterialprotokoll vom ö. Nov.
1737 im dortigen Pfarrarchiv. — 5 Pfarrarchiv von Schicindrateheim.
- 6 Ada m, a. a. 0.. S. 30.
— 276 —
Mit Würfeln wurde vor allem um Geld gespielt, und zwar
geschah dies in Wannen, die zuerst 1528 in Zahern, 1 dann
1602 und 1614 in Borsch, * wo sie verboten wurden, 1638 und
1639 in Zabern* und 1737 in Alteckendorf 8 erwähnt sind. Bis
in die 1870 er Jahre würfelte man allgemein auf dem ländli-
chen Meßti. Als starke Würfeldörfer waren bekannt: Preusch-
dorf, Schwabweiler, Walburg, Griesbach, Schweig hausen,
Weyer sheim y * Wüwisheim, Kilstett, Wanzenau, Reilweiler,
Klingenthal, Grendelbnich, St. Louh (Kanton Pfalzburg) uqd
St. Johann- Kurzerode. Sie wurden von weither besucht, Reit-
weiler /.. B. bis von Erstein. Da spielte man oft ganze Nächte
hindurch. Die Wannen — zwei und mehr — standen im Hof,
in der Scheune oder unter einem Schuppen. Nicht selten
spielte man aber auch auf einem Tisch in einein Nebenzimmer
oder in einem Privathaus, besonders im Hause des Steigerers.
Auch Maiden und Frauen beteiligten sich an dem Spiel. In
der letzten Zeit seines Bestehens wurde es, wie folgt, gespielt.
Man würfelte zu zweien mit drei Würfeln über 11 und
unter 11. Der eine sagte «über 11», der andere «ich halts»
oder «'s gilt!» Der Einsatz, der bar auf die Wanne gesetzt
wurde, betrug 1 — 20 Franken oder Mark. Davon hatte der
Meßtibursch 10 o/ 0 , «vom Franken e Grosche», später «vom
Marik e Nickel», die er sofort abzog. Wurde 11 geworfen,
so strich der Meßtibursch den ganzen Einsatz ein : die beiden
Spieler hatten «geschollert» («schollern» — zu «schalten»,
schieben). Oft spielten die Zuschauer mit, indem sie offen
oder heimlich auf Treffer oder Verlierer wetteten. In diesem
Fall, der dem Zehnten nicht unterworfen war, kam der Meßti-
bursch um seinen Gewinn. Wenn einer verlor, sagte er
manchmal «Paroli !», dann gings ums doppelte. Und wenn
er so mehrere Male hintereinander verloren hatte, war er oft
in kürzester Zeit ausgeplündert. Ein flotter Bursche tröstete
sich dann mit den Worten : Ob man das Geld so oder so aus-
gibt, fort geht es doch ! Von dem bedeutsamen Ausdruck
«Paroli», der schon so manchen Spiel-Hansrnichel ins Unglück
gestürzt hat, bekam , in manchen Dörfern, besonders in Loth-
ringen, das ganze Spiel seinen Namen. Es wurde gewöhnlich
mit großer Leidenschaft gespielt, und der Alkohol trug das
seinige zur Erhöhung der Spielwut, leider auch oft zum Betrug
i Adam, a. a. 0., S. 4t. — « Ratsprotokollc im dortigen Gc-
mcindcarchiv. — s Presbyterialprotokoll vom ö. Nov. 1737 im dor-
tigen Pfarrarchiv. — * Schon 147« wurde der Weber Mathias von
Weyersheim ans Halseisen gestellt und dann mit Ruten zu Straßburg
hinausgepeitscht, weil er am Karfreitag um .Geld gewürfelt hatte
(Notiz, der «Straßburger Post». Nr. 112« von 1906).
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— 277 —
bei. Versessene Spieler, die gewöhnlich nicht zu den Klügsten
gehören, hielten mitunter die ganze Nacht aus, ohne einen
Schluck zu trinken oder einen Bissen zu essen. Da gingen
oft große Summen, manchmal mehrere hundert Franken ver-
loren, freilich war früher auch mehr Geld unter den Leuten.
Der Ertrag des Würfelspiels war für den Meßtisteigerer
bezw. den Meßtiburschen eine bedeutende Einnahme, und
es lohnte sich für ihn sehr wohl, einen vertrauten Freund mit
seiner Vertretung bei den Wannen zu beauftragen. Niemand
außer dem Steigerer hatte das Recht, Spiele zu halten. Auf
dem allen Hochfelder Meßtag mußte der Uebertreter dieser
Vorschrift dem Steigerer seinen Verlust ersetzen, und der
Steigerer durfte den Verlust selber angeben. 1 Auf dem alten
Zaberner Meßtag (1741) fiel der Erlös des Würfelspiels an die
Meßtagshüter.*
Anfangs der 1870er Jahre wurde das Würfelspiel um Geld
durch die Polizei unterdrückt. Zuerst sahen die Gendarmen,
weil es tief eingewurzelter Brauch war, durch die Finger, aber
später wurde das Verbot streng durchgeführt. Die Wirte und
die Gemeinden bedauerten es sehr, denn das Würfeln in
Wannen übte slets eine große Anziehungskraft auf die Fremden
aus. Am meisten aber wurde der Meßlibursch geschädigt, der
nicht seilen seine Taschen füllte. So gab z. B. der Heilweiler
Meßtibursch einmal in der Meßti - Sonntagnacht der Wirtin
500 fr. zum Aufheben, weil er fürchtete, daß sie ihm wieder
abgenommen würden.
Von diesem Spiel um Geld ist das harmlose Würfeln
um Geschirr wohl zu unterscheiden. W T ir sind ihm bereit» an
den Spielsonntagen vor dem Feste begegnet. Schon 1766 ließ
der Meßlagsbursche von Übermodern 3 Teller ausspielen. In
der Regel warf man um weiße Teller und Krügeln oder um
eine Suppenschüssel, in letzter Zeit auch um Glasgeschirr, in
Bläsheim um ein seidenes Halstuch. Gemeinsam mit dem
Geschirr oder an getrennten Tagen wurden auch Lebkuchen
herausgewürfelt, besonders südlich der Breusch, und zwar
einzeln oder dutzendweise, auch Herzlebkuchen. Wenn der
Tanz im Gang ist, macht der Meßtibursch oder sein Vertreter,
so lange es hell ist, mit einem Krügel in der Hand einen
Rundgang im ganzen Tanzhaus, insbesondere auch in den
Kammern, von Tisch zu Tisch, oft auch im Hof und selbst
auf der Straße. Er schüttelt das Krügel, daß die Würfel da-
1 Gemeinderatsprotokoll vom 14. Fructidor XI (= 'M. August
1803). — 2 Ad am, a. a. 0 , S 41. — » Presbyterialprotokoll vom
22. Febr. 1767 im dortigen Pfarrarchiv.
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rin rappeln, und den Spielern ist diese Aufforderung wohl
bekannt. Das Spiel geht vonstatten, wenn sich ein ganzer
Tisch, 4—8 Personen beteiligen. Der Einsatz ist 4—10 Pf.,
die höchste Nummer oder der höchste Pasch gewinnt. Der
Gewinner bekommt einen großen Lebkuchen oder einen «Bon»
aus Blech und dann für mehrere Bons ein Stück Geschirr.
Sowohl die Lebkuchen als das Geschirr wurden den Maiden
geschenkt. Wer Geschirr gewinnt, bezahlt in manchen Dörfern
des Kirwegebiets einen Teller voll «Hirzhörnle» für die Kame-
raden desselben Tisches. Der Kirwebursch liefert sie für 60 Pf.
Ist der Gewinner ein verheirateter Mann, so übt er solche
Freigebigkeit nicht.
In Zellweiler würfelt die Jugend um Kuchen und Bretzeln,
früher um Kugelhopf und um gebratene Würste, eine dortige
Besonderheit.
Bisweilen wird das Würfeln um Geschirr noch mehrere
Sonntage fortgesetzt. Heute ist es fast allenthalben in Abgang
geraten. Streit und Aufregung mögen nicht zum geringen Teil
daran schuld sein. Nur in einem Streifen Land am Westrande
unseres Gebiets, dessen Grenzen im vorletzten Abschnitt ange-
geben werden sollen, wird das Hecht, «um Kuchen und um Ge-
schirr zu spielen», versteigert, und es herrscht dort ein großer
Betrieb. Lebkuchen und Geschirr werden teils in den Wirt-
schaften, teils an einem SUnd herausgewürfelt, und der Bür-
germeister gibt noch einen 3. Spieltag zu, wenn die Gegen-
stände in *2 Tagen keinen Absatz fanden. Mancherorts, so in
Binsheim und Oberhaslach, haben die Conscrits das Recht,
Lebkuchen auswürfeln zu lassen, und sie gehen dann zu je
zweien mit Sträußen und Bändern am Hut in den Wirtschaften
herum.
Das Kegelspiel ist, heutzutage wenigstens, lothringische
Eigenart. Es wird entweder um Geld oder um einen Gegen-
stand gespielt : Hammel (Hommert) y Hahn (Hommert, St. Louis
bei Saarburg), Hase, Kaninchen, Gans, Unterjacke, Foulard. In
Walscheid pflegt man das «kleine Kegelspiel» auf der schiefen
Ebene. Die Spieler müssen an den Unternehmer für jede Partie
etwas zahlen. In früherer Zeit wurde zu Zabern eifrig geke-
gelt. 1750 ersuchten die Meßtagshüter den Stadtrat, zwei Kegel-
buben anzustellen, «damit kein Unglück geschehe, daß man
den Spielern oder Meßtaghütern schier die Beine entzwei ge-
worfen.» 1 Noch 1849 wurde dort ein Hammel herausgekegelt,*
desgleichen in Pfaffenhofen vor 1870. Das Preiskegeln in
» Adam. a. a. 0., S. :V2. — 2 Klein. Saverne et ses environs.
^trasboursr. Silbcrmaun. 1S4;>. p. 22b.
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Grüneberg (1900), Königshofen und Musau (1004) hat keine
silten mäßige Bedeutung.
Ebeufalls ' in Lothringen, besonders in der Dagsburger
Gegend, war das Preisschießen üblich, gewöhnlich um einen
Hammel. Es kam aber allmählich ab, da die polizeilichen Vor-
schriften über die Beschaffenheit des Schießstandes nicht er-
füllt werden konnten. Zuletzt wurde wohl 1904 in St. Louis
(Kr. Saarburg) geschossen. Im Elsaß gab es ebenfalls hie und
da aus Anlaß des Meßti ein Scheibenschießen, so öfters in
Klingenthal um einen Hammel, ein Gewehr oder eine Uhr, in
Dorlislieim um ein Weinfaß, in Wisch und in den 1840er
Jahren wiederholt zu Schwindratzheim um einen Hammel.
Bis in die 1860er Jahre schoß man vielfach um die Wette
nach einer hölzernen Ente auf der Spitze des Meßtibaums.
Weltläufe von Männern und Frauen um Halstücher oder
Taschentücher wurden bis 1870 vielfach veranstaltet, nament-
lich in Grafensladen und Halten.
Von volkstümlichen Glücksspielen hat das Messerspiel in
Lothringen die größte Verbreitung gefunden. Mit Rücksicht
auf die ausgedehnten Fleischsch mausereien in der dortigen
Gegend ist ein gutes Messer, das der Bauer bekanntlich bei
sich trägt, besonders dienlich. So kam alljährlich auch ein
Messerschmied aus dem krummen Elsaß auf den Dossenheimer
Meßti, um in der Nähe des Tanzhauses seinen Stand aufzu-
schlagen. Der Spielhalter läßt in hohlen Zäpfchen verborgene,
zusammengerollte Spielkarten aus einem Sack ziehen. Auf 50
leere Karten kommen 12 Bilder. Das Bild gewinnt, und die
Qualität des Messers ist nach der Reihenfolge König, Dame,
Bube verschieden. Gewöhnlich kostet dreimaliges Ziehen 50 Pf.,
8 maliges 1 M. In gleicher Weise wird auch hie und da um
Teller, Tassen und*Krügeln gespielt, die der Spielhalter in einem
Korbe mitträgt. Er geht damit in die Wirtschaften und in die
Privathäuser. Aehnlich wurden früher zu Schleithal am «Lotter-
tiscliD allerlei nützliche Gegenstände durch Papiere mit Nieten in
einem Sack ausgespielt. Wahrscheinlich war auch das Puppaper-
spiel auf dem alten Zaberner Meßtag 1 ein ähnliches Ziehspiel.
In Oberhaslach lassen die Gonscrits in ihrer Tracht (weiße
Hosen, Hut mit Strauß und Bändern) mit behördlicher Er-
laubnis einen Gegenstand im Werte von 6—20 M. ausspielen.
In Dorlisheim wurde 1902 eine Lotterie von 3000 Losen zu
25 Pf. ausgespielt. Der Hauptgewinn war ein großes Faß, das
am Meßti-Sonnlag in Begleitung von 40 stattlichen Reitern in
alter Landestracht durch das Dorf gefahren wurde. In Mundols-
i Adam, a. a. O.. S. 33.
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heim wird regelmäßig ein Kaffeeservice, in Wimmenau ein
* Halsluch, in Win Senheim mehrere Gegenstände ausgelost, so
1897 ein halböhmiges Fäßchen, ein Hammel, ein Foulard, 'ein
Regenschirm und ein Kaffeeservice. Auch in den Arbeiler-
dörfern Montweiler, Eckur Isweiler, Ottersthal und St. Johann
bei Zabern findet stets eine Zetteilotterie um eine Uhr oder
einen Regenschirm statt. Endlich seien die anläßlich des Meßti
veranstalteten Armenlotterien erwähnt in Grüneberg 19(0 (um
ein Schwein), lllkirch- Grafenstaden 1904, Bischheim 1902
(um einen Hammel), 1905, 1906 und 1908.
Besondere Erpötzlichkeiten für die Kinder sind, abgesehen
vom Kletterbaum, selten. Vor 1852 verteilte einmal der Bürger-
meister von Stotzheim Baron Josef von Andlau abends Leb-
kuchen, Würste und Obst unter die Dorfkinder. Eierlaufen,
Sackspielen und Wurstschnappen wurden auf den Straßburger
Vorortsmeßti häufig gesehen. Eine Schiltigheimer Besonder-
heit ist das Wettessen von trockenen Wecken (Semmeln) um
den Siegespreis von 10 Pf. Daselbst wurden auch in den 1880 er
Jahren folgende Veranstaltungen getroffen. Auf einem Pritschen-
wagen stand ein Teller mit Mehl, worin Geldstücke lagen. Eine
Anzahl von Junten mußte, die Hände auf dem Rücken, mit
dem Munde die Geldstücke herausholen. In gleicher Weise
wurde ein Bippeleskäs-(Quark-)Essen abgehalten. Beim Ver-
tilgen dieser beliebten Speise beschmierten sich die Kinder die
Gesichter, bekamen auch oft Streit und bedienten sich dann
des Käses als Waffe. Da diese Aufführungen während einer
holperigen Fahrt durchs Dorf stattfanden, erregten sie die
größte Heiterkeit der Zuschauer.
«Drei allein» tanzen.
Mitten im fröhlichsten Meßtitreiben verkündet plötzlich der
Meßtibursch «drei allein !» Die Tanzgesellschafl stellt sich im
Kreise herum auf, die Musik setzt ein und spielt dem ange-
sagten Paare drei Tänze allein, gewöhnlich zwei Walzer und
eine Polka. Die drei Tänze sind kurz, sie bestehen aus dem
1. Satz, dem 2. Satz und dem Trio, oft ohne Wiederholung.
Dazu ist vielfach der Brauch eingerissen, daß nicht 3, sondern
2 Tänze gewährt werden, so in Ringendorf und Winzenheim,
oder gar bloß einer, wie in Dunzenheim, vorausgesetzt daß die
Allein-Tänzer es sich gefallen lassen. In Ringendorf haben
Meßtibursch und Meßtimaide, wie es scheint in vereinzelter
Weise, das Vorrecht, bei «drei allein» milzutanzen.
Ob wir «drei allein» als Ueberbleibsel alter Tänze, ins-
besondere des Hahnentanzes anzusehen haben, steht dahin. Der
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Gedanke, der ihm zu Grunde liegt, ist so einfach und natürlich,
daß wir füglich keine abseilsliegenden Vermutungen aufzustellen
brauchen, sondern die Sitte ganz gut aus sich selbst heraus
erklären können. «Drei allein» sind eine Ehrung für den einen
oder für beide Tänzer. Als einem Vorrechte des Meßtiburschen
und des Meßtimaide sind wir dem Brauche schon begegnet.
In der Regel sind es drei Tänze zu Ehren eines Maide. Der
Bursche will dem versammelten Tanzvolke zeigen, wer seine
Angebetete ist. In diesem Sinne ist schon 1627 vorn Meßti
von Rosenweiler 1 bei Rosheim über ein Paar berichtet, das
«Einen danz drey gethan». Oder der Gast aus dem Herren-
stande tanzt mit seiner Gastgeberin oder deren Tochter, und
hier reichen sich Anstand und Sitte die Hand. Seltener gilt die
Ehrung dem männlichen Teil, z. B. dem Bürgermeister, ge-
wöhnlich einer Mehrheit. So werden vielfach den Gestellungs-
pflichtigen der Jahresklasse oder den verheirateten Männern
oder den Burschen aus einem Nachbarsdorfe oder den Fremden
insgesamt, in Buchsweiler den 4 Burschen, die den Meßti-
hammel führten, drei allein gewährt. Auf dem Alteckendörfer
Meßti 1906 bot mir der Meßtibursch das Meßtimaide zum drei
allein tanzen an als Dank dafür, daß ich das Meßtitanzvolk
mehrmals hatte photographieren lassen. Und fast auf jedem
Meßti leistet sich ein Mann, selbst ein Greis, in fröhlicher
Laune das Vergnügen, drei allein zu tanzen, zur großen Heiter-
keit der Meßtigemeinde. Es ist zwar ein Spaß, und es wird
auch eine scherzhaft aufgelegte Tänzerin dazu gewählt, aber
im Grunde genommen liegt doch eine gewisse Anhänglichkeit
an die alte Sitte darin.
Der Brauch hat aber auch seine praktische Seite. Denn
einerseits wird die Dorfburschenschaft in der ungeschmälerten
Ausnutzung ihres Tanzrechtes beschnitten, andererseits führt
die Musik nach ihrer Auflassung eine Sonderleistung aus.
Beide Opfer wollen entschädigt werden, und dies geschieht
durch Vermitfelung des Meßtiburschen, der dafür nicht selten
ein besonderes Trinkgeld beansprucht, z. B. 1 — 2 M. Die
Kosten rirhten sich nach den Verhältnissen. Tanzt z. B. ein
Bursche mit seinem Maide drei allein, so bekommt der Meßti-
bursch 2 — 3 M., die er in Wein für die Burschenschaft um-
setzt, die Musikanten haben Anspruch auf 3 Liter Wein. Oder
die Burschen erhallen 5 Liter Wein und die Musikanten einen
Taler, den sie verteilen. Oder der Meßtibursche läßt sich
8—10 M. oder mehr geben und befriedigt dann alle Beteiligten.
Außerdem bekommt die Tänzerin unaufgefordert vom Meßti-
1 Stöber, Neue Alsatia. Mülhausen, Petry, 1885. S. 136.
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hurschcn ein Dutzend Lebkuchen für 1 M. Bei einem großen
Meßti war das Drei-allein-Tanzen oft ein kostspieliges Ver-
gnügen, und die Musikanten übten nicht selten eine unerhörte
Tyrannei aus. Aber der ehrbare Bursche der guten alten Zeit
wäre selbst vor einem Napoleond'or nicht zurückgeschreckt.
So mußte einmal ein Bursche auf der Kleeburger Kirwe 40 fr.
bezahlen. Und die Ackerländer Burschen machten sich stets
einen Stolz daraus, die Musikanten mit Champagner zu be-
wirten und die Pfropfen recht knallen zu lassen. Dieser Brauch
war vor 1870 so eingerissen, daß pfiffige Wirte besonderen
Meßtichampagner aus Apfelwein und Weinsteinsäure bereiteten.
Hingegen kann man auf einem neuzeitlichen, verkümmerten
Meßli schon um ein paar Glas Bier drei allein tanzen.
Wesentlich anders war das Verfahren bei den bereits früher
erwähnten Gruppen von Drei-allein-Tänzern. Diese hatten schon
im voraus ihr Wohlwollen für Musik und Dorfburschen dadurch
bezeigt, daß sie reichlich W r ein anfahren ließen, und wehe den
fremden Burschen, die dies versäumt hätten ! Man bewilligte
dann drei allein gewissermaßen ehrenhalber.
Ks ist natürlich, daß Musikanten und Meßtibursch ein-
ander in die Hand arbeiteten, und dies trug wiederum zur
Befestigung des kameradschafl liehen Bandes bei.
Das Drei-allein-Tanzen hat aber auch seine Schattenseiten.
Oft genug gibt es unter den Burschen Reibereien und Eifer-
suchtsauflritte, selbst Schlägereien. Und wenn der Meßtibursch
die Gunst seiner Kameraden nicht in vollem Maße besitzt, so
widersetzen sie sich dem Brauch und stören ihn, indem sie
darauf bestehen, daß keiner mehr gelten soll als der andere.
Hier sei ein Vorkommnis erwähnt, das zwar ganz ver-
einzelt dasteht, aber von der tiefen Empfindung eines länd-
lichen Herzens zeugt.
Es war auf einem Meßti in oder bei Gundershofen 1902.
Der Meßtibursch kündet «drei allein» an, die Tanzgesellschaft
stellt sich im Kreise herum auf, die Musik beginnt. Aber nicht
sind es die wiegenden Töne eines Walzers, es erklingt die ge-
tragene Weise einer ernsten Melodie. Totenstille! Die Fest-
genossen sehen einander an, es erscheint niemand zum
Tanz. In einer Ecke aber steht sinnend und stillbetrübt ein
junger Mann. Beim vorigen Meßti hat er auf demselben Tanz-
boden als glücklicher Bräutigam seine Braut im munteren
Tanze geschwenkt. Stolz, dem versammelten Meßtivolke ein
blühendes Maide als seine Herzensauserkorene vorstellen zu
können, hat er drei allein mit ihr getanzt, und der Neider
über das schöne Paar waren gar viele. Bald fand die Hochzeit
statt, aber das eheliche Glück sollte von kurzer Dauer sein.
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Des Todes kalte Hand streckte sich nach der jungen Frau aus
und zog sie hinab in das Grab. Und nun ehrt der junge
Witwer sein angebetetes Weib noch unter dem Totenkranz und
läßt ihr drei allein als Trauerserenade spielen. Manches junge
Herz erschauert im Andenken an die dahingeschiedene Freundin.
Die Gesellschaft ist tief ergriffen, und es dauert geraume Zeit,
bis Lust und Freude wieder in ihr Recht treten. »
Mutwille. Das Tellerzertrummern.
Mummeiis in Weyersheim.
ß e r d e I 1 e singt im cHagenauer Wochenblatt» vom 31.
Oktober 1863 :
Es gibt uf unsre Kirwe,
Wann alles luschtig isch,
Brav Fetzen un brav Schirwe
Um d'Wett uf jedem Tisch.
Wann der Win ins Hirn thuet stejje,
Gehls ans Klopfen un Verhejje,
's Geld, wo's kost't, thuet kenne ghejje . . .
So ist es in der Tat, zum Teil noch heute. Aus reinem
Uebermut zerwirft der Bursche Gläser und Flaschen in allen
Teilen des Meßti, beim Aufziehen, auf der Wiese, auf der
Straße auf dem Tanzboden und in der Wirtsstube. Früher
gingen die Burschen noch höher dran, denn sie hatten mehr
Gold als jetzt Silber.
Auf dem ßrumather Meßti kamen einmal in den 1860er
Jahren zwei reiche Burschen aus Geudertlieim in die Wirt-
schaft Krebs, wo eine große Tafel gedeckt war und fertig zum
Ansitzen bereit stand. Da sagte der eine zum andern :
«Michel, stipper e bissei U Ein Blick, ein Griff, — der Michel
stemmte so gut, daß im nächsten Augenblick die sämtlichen
Schusseln und Teller und Flaschen samt ihrem Inhalt unter
fürchterlichem Getöse auf den Boden flogen. Die Aufwärter
und der Wirt eilten herbei, doch die Burschen zahlten ohne
Widerrede und zogen vergnügt und stolz von dannen. Eben-
falls in den 1860er Jahren riß auf dem Hochfelder Meßti ein
Bursche einen ganzen Stand samt seinem Inhalt an Zucker-
zeug und Lebkuchen um. Lächelnd zog er seinen Geldbeutel
1 Diese Begebenheit hat ein mir Unbekannter in Verse gesetzt
und mir anonym zugeschickt. Leider konnte ich den Verfasser
nicht ermitteln. Der Brief trug den Poststempel Gundershofen 12.
11. 1904.
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heraus mit den Worten : «Was kost'ts?» Er zahlte bar, und noch
lange nachher sprach man in der ganzen Umgegend von ihm
mit der höchsten Bewunderung und mit einem dem Bauern
eigenen Stolze.
Aehnliche Vorgänge kamen früher auf jedem Meßti vor.
Insbesondere ist aber die Sitte des Tellerzertrümmerns ver-
breitet. Auch sie ist der Ausdruck eines gewaltigen Taten-
dranges, und der Bursche verschafft seinen angespannten
Kräften nach außen Luft. Noch heule genießen die Hördter
Burschen den Ruf unverwüstlicher Tellerzertrümmerer am Orte
selbst und auswärts. Wenn sie auf einen benachbarten Meßti
kommen, so hat der Meßtibursch regelmäßig einige Tische
voll Teller bereit, die eigens diesem Zwecke dienen sollen,
gewöhnlich alte und minderwertige oder auch die im Wärfei-
spiel gewonnenen Teller. Gegen Ende des Tages geht es dann
an die Arbeit. * Die Teller werden in einer Kammer odei im
Tanzsaale selbst auf den Fußboden gestellt, und nun wird dar-
auf herumgetrampelt, daß sie in tausend Scherben, gehen. Und
wer am meisten zertreten hat — es waren oft mehrere Dutzend
— ist stolz darauf, wie auf eine Heldentat. Natürlich muß für
die angerichtete Zerstörung ganz gehörig bezahlt werden, und
dies ist wiederum ein Anlaß, stolz zu sein, denn je mehr es
kostet, umso lieber ist es den Burschen. Auch Wanzenau
und Mietesheim waren früher als Tellerdörfer bekannt. Die
Unsitte ist so in das Volksbewußlsein eingedrungen, daß ein
schadhafter Teller vielfach ein Meßtiteller heißt.
Vielleicht ist es nicht müßig, in diesem Zusammenhange
daran zu erinnern, daß der Kardinal-Fürstbischof Louis Rene
Edouard von Rohan-Guemenee in den 1780er Jahren einmal im
vierspännigen Wagen über die Töpferwaren auf dem Fronhof
in Straßburg fuhr, daß sie in tausend Scherben gingen.
Er warf dann den entsetzten Weibern Goldstücke an den
Kopf mit den lachenden Worten: «Ce sont lä jeux de prince 1»
In Weyersheim wird am Meßti das Mummelisspiel (Mum-
mel = Stier) mit besonderem Eifer gepflogen. Es besteht darin,
daß sich zwei Burschen oder Männer mit den Köpfen anrennen,
sei es in der freien Stube, sei es über den Tisch hinüber, wo-
bei nicht selten Gläser zerbrochen werden und Teller in Scher-
ben gehn. Sie Beteiligten zielen nicht nur auf den Schädel,
sondern auch auf Lippe, Nase und Augen, so daß mancher
mit entstelltem Gesicht aus dem Kampfe hervorgeht. Regeln gibt
es dabei nicht, Preise auch nicht ; es gilt bloß um die Ehre,
den Gegner möglichst übel zuzurichten. Auch ist es verboten,
dem Sieger böse zu sein, und trotz der erlittenen Beulen,
Püffe und Stöße muß man am Ende friedlich auseinandergehn.
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— 285 —
Die Meßtipredigt.
In vorgerückter Stunde, wenn die Tanzlust allmählich
nachläßt, erhebt sich plötzlich ein besonders witziger Bursche,
der über einen Vorrat von Schnurren, Fratzen und Faxen
verfügt, und hält von einem Stuhl herab weithin vernehmlich
eine in Knittelversen verfaßte scherzhafte Rede, eine Meßtipre-
di-it. Namentlich waren die alten Musikanten Meister auf
diesem Gebiet. Unter ihnen haben sich die Hördter und
Eddersheim er einen gewissen Ruhm erworben. Die Palme
gebührt unstreitig dem bereits erwähnten Klarinettisten Martin
Lorenz aus Geudertheim, der an witzigen Einfallen und an
drolliger Beleuchtung der Vorkommnisse aus dem bäuerlichen
Leben geradezu unerschöpflich war.
Die von S t ö b e r veröffentlichte» Meßtipredigt, 8 Acht-
zeiler, ist lange Zeit die bekannteste gewesen, noch jetzt lebt
sie bruchstückweise im Volksmund. Ich selbst besitze mehrere
solcher Reimereien, die im äußeren Gewände des Volksliedes
ein herschreiten, aber mit Rücksicht auf noch Lebende einst-
weilen unveröffentlicht bleiben müssen. Auch französische
Meßti predigten wurden vor 1870 hie und da gehalten, gewöhn-
lich von ehemaligen Soldaten oder von Soldaten auf Urlaub.
Sie brachten stets einen flotten Zug in den alten Dorfmeßti und
erregten ungeteiltes Aufsehen und Bewunderung, auch von
solchen, die kein Wort französisch verstanden.
Im allgemeinen wurden die Meßtipredigten früher sehr
beifällig aufgenommen und riefen oft schallendes Gelächter
hervor. An Spott und an derben Sachen fehlte es darin nie-
mals. Die Sitte ist heute wohl gänzlich erloschen.
Die Kammern. Das Aufstecken.
Schon vor dem Anfang des Tanzes tun sich engbefreundete
Burschen und Maiden, sogenannte Kameradschaften zusammen
und belegen für sich getrennte Tische. Dies geschieht in den
Stuben (Weißenburger Gegend) oder Kammern (sonst). Es
sind dies die Privatgemächer des Wirtes einschließlich der
Schlafzimmer, die nicht selten auch ausgeräumt werden. Dies
verlangen die jungen Tanzpaare jedoch nicht. Oft schlafen die
Wirtsleute den Meßti über auf dem Boden, in irgend einer
» Stöber, I»er Kochersberg. Mülhausen. Rißler, 1857. S.
54—57. Eine Melodie dazu gibt Weckerlin, Chansons popu-
laires d'Alsace. Paris, Maisonneuve. 1883. t I, p. 8(i ff.
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Ecke, nur um möglichst viel Platz zu bekommen. In den
Kammern sind lange Tische, Bänke und Stühle aufgestellt, und
der Wirt fährt Buch über die einzelnen Tische als Einheiten.
Will ein Bursche während des Tanzes einen Augenblick
mit seinem Maide ungestört plaudern, so führt er es in die
Kammer. Nimmt das Maide im Kreise Weißenburg die Ein-
ladung zum Kaffee an, so ist es ein günstiges Zeichen für eine
bevorstehende eheliche Verbindung. Der Zug in die Kammern
geschieht gegen Abend häufiger, und in später Stunde bei all-
gemeiner Abspannung hat sich allmählich die ganze Kamerad-
schaft dort versammelt. Jedes Maide erhält dann vom Meßti-
burschen ein Dutzend Lebkuchen auf Kosten seines Tänzers.
Freilich verschwinden auch wieder einzelne Pärchen auf den
Tanzboden oder ins Freie. In den Kammern herrscht rück-
haltslose Freundschaft, keiner hat vor dem anderen etwas hehl,
von Eifersucht ist keine Spur.
Die Burschen trinken Wein, die Maiden Kaffee, Syrup
oder Limonade. Von Likören sind aus der französischen Zeit
Anisette und Parfait-amour beliebt, in den 1840er bis 1860er
Jahren trank man allgemein «Lodiolo» (de PEau de noyaux).
Trinkt ein Maide Rotwein, was früher öfters geschah, so tut
ihm der Bursche einige Stücke Zucker hinein, damit es «süßer
lugt». Zu diesem Zweck steht auf jedem Tisch ein Teller voll
Zucker, zwanzig Stückchen für 20 Su oder 1 Mark. Im
Ackerland, wo die Sitte des Zuckerweins üppig blühte, kam
früher mit jedem Liter Wein ohne weiteres ein Teller voll
Zucker auf den Tisch, und der Wirt verdiente viel Geld
daran. Dort schüttete der Bursche seiner Liebsten nicht sel-
ten einen ganzen Teller voll Zucker in die Tasche, in die
Schürze oder hinter das Hemd in den nackten Busen. Als
Zeichen besonderer Liebe steckt er ihr hie und da ein Stück-
chen Zucker in den Mund, und sie tut dasselbe, wenn sie seine
Liebe erwidert. Seit den 1870er Jahren ist die Sitte des
Zuckertellers sozusagen gänzlich abgekommen.
Gegen Mitternacht ist der Tanzsaal fast ganz verödet. Aus
den Kammern ertönt der fröhliche Gesang größerer und
kleinerer Gruppen. Da sehen wir einen ganzen Tisch mit
lachenden und scherzenden Burschen und Maiden einträchtig
beisammen. In einer Ecke sitzt ein Bursche in traulichem Ge-
spräch mit seiner Liebsten. Er sieht sie zärtlich an und flü-
stert ihr Schmeichelworte zu, sie schlägt die Augen nieder und
läßt es willenlos, in seligem Entzücken über sich ergehen,
wenn er sie sanft umfaßt und ihre Hand drückt. In einer
anderen Ecke steht ein Krakehler, den Hut im Genick, mit
zerzaustem Haar. Er ist der «stärkste Mann im ganzen Dorf»
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und will mit jedem Streit anfangen. Ein anderer Bursche,
dem die Liebste den Lautpaß gab, geht mit finsteren Blicken
hin und her und blickt neidisch auf die glücklichen Liebes-
paare, brütend, wie' er sich wohl an seinem Nebenbuhler
rächen kann. Und wieder ein anderer Bursche stolpert lallend
von Tisch zu Tisch. Er ist zu dumm, eine eigene Liebste zu
besitzen, zu gutmütig, um von seinen Kameraden ausgebeutet
zu werden, aber gerade gut genug, um als Zielscheibe schlech-
ter Witze und derber Foppereien zu dienen, und darauf ist er
noch obendrein stolz.
Jetzt erscheinen die Musikanten zum «Aufstecken», einer
Sitte, die für das ganze 19. Jahrhundert nachgewiesen werden
kann. Die Benennung kommt vom Aufstecken der Noten auf
die Musikinstrumente. Das Aufstecken ist einfach eine Sere-
nade im Stehen. Wie diese in so vorgerückter Stunde aus-
fällt, läßt sich leicht denken. Die Musikanten geben sich wohl
alle Mühe, ihr bestes zu leisten, aber im Grunde genommen ist
es ihnen bloß um eine bequeme Sondereinnahme zu tun. An-
dererseits hört die lustige und ausgelassene Jugend die Musik
gar nicht sonderlich an, sondern läßt das Gespräch ruhig
weiter gehen, singt vielleicht sogar ein Lied dazwischen. Nach
der Serenade reicht einer der Musikanten den Teller herum,
und die Burschen legen ihre Gaben hinein, 1 M. oder 50 Pfg.
früher 1 fr. oder 10 Su. Ein beliebtes Mittel, die Einnahme
zu erhöhen, besteht darin, daß sich die Musik mit einem ver-
schwiegenen Burschen in Verbindung setzt, dem nun der Teller
zuerst vorgesetzt wird und der in auffälliger Weise etwa ein
Zweimarkstück darauf wirft. Natürlich will kein Bur-
sche zurückstehen, das läßt nun einmal der Bauernstolz nicht
zu, und die ganze Stube legt Zweimarkstücke auf den Teller.
Wenn sich aber einer oder der andere drücken kann, so tut
er es auch und verschwindet in eine andere Stube; um dort
dasselbe Spiel zu wiederholen. Selbstverständlich erhält der
zuerst erwähnte Bursche seine 2 M. zurück, nachdem sie
ihre Wirkung getan haben. Obwohl eigentlich dieses Kunst-
stück in Bauernkreisen bekannt ist, pflegt es doch immer
wieder zu ziehen, und dazu trägt nicht am wenigsten die an-
geheiterte Verfassung und die Feslesfreude, ja der Leichtsinn
und in früheren Jahren vor allem der größere allgemeine
Wohlstand bei. In manchen Dörfern wird für alle Meßtileute
aufgesteckt, in anderen, so in Mühlhausen und Mietesheim,
stellen die Musikanten den Teller bloß in den Kammern, wo
verheiratete Leute sind. Wieder in anderen Ortschaften, so in
Weitbruch, geht der Teller herum, ohne daß die Musikanten
darauf Einfluß haben.
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Außer dem Aufstecken für eine ganze Stube ist auch das
Aufstecken für einzelne Personen üblich und manchmal in
hohem Schwung. Und hier müssen wiederum die Fremden
herhalten, denen man meist aufsteckt, ohne daß sie es ver-
langt haben. Der Anstand und die kluge Vorsicht erheischen,
daß sie diese Ehrung nicht nur annehmen, sondern auch auf
dem offen dastehenden Teller ein gutes Trinkgeld für die Musik
abgeben, z. B. 2 M. Eine ganz besondere und in diesem Fall
eine wirkliche Ehrung läßt ein Bursche manchmal seiner
Liebsten erweisen, indem er für sie alle n aufstecken läßt und
dann in augenfälliger Weise ein großes Trinkgeld, z. B. 5 M.,
auf den Teller legt.
Haben die Musikanten das Aufstecken in allen Kammern
beendigt, was einschließlich des damit verbundenen Trunkes
mitunter li| 2 Stunden dauert, so begeben sie sich wieder in
den Tanzsaal, wo ungeduldige Tänzer schon sehnsüchtig auf sie
warten. Nicht selten, so allgemein im Nordhanauischen, bildet
aber das Aufstecken den Schluß des Tages
Das Hin- und Herwogen vom Tanzsaal in die Kammern
und der fortwährende Personenwechsel bringen es mit sich,
daß Unberufene in die Kammern eindringen und schnell die
Gläser und die Teller mit dem Zucker und den Lebkuchen
leeren. Sogar Weiber tun dies, und der Wirt drückt beide
Augen zu, denn es ist sein Vorteil, wenn bald wieder frische
Getränke bestellt werden. Weniger angenehm ist es ihm aber,
wenn halbwüchsige Buben rasch hereinlaufen und Messer,
Kaffeelöffel und Gläser mitnehmen, um schnell wieder im all-
gemeinen Durcheinander zu verschwinden. Dies kam z. B. in
Vendenheim in den 1860 er Jahren bei jedem Meßti vor. Schon
harmloser war früher die Gepflogenheit der Dunzenheimer
Burschen und verheirateten Männern, den fremden Burschen
den Wein und den vin-chaud auszutrinken, während diese tanz-
ten. In Schwindratzheim leerte vor Zeiten gar der Meßtihüter
die Teller während des Tanzes und ließ alles in eigens her-
gerichtelen großen Taschen verschwinden.
Der Kehraus. Das Heimführen.
In der Rege) geht die Abmachung mit den Musikanten
dahin, daß von 2 bis 2 Uhr gespielt wird. Diese Bestimmung
wird aber nie streng innegehalten, und namentlich früher
dauerte der Tanz oft bis zum hellen Morgen. Da wo das Auf-
stecken nicht den natürlichen Abschluß zu bilden pflegt,
kehren Musik und Tänzer nachher auf den Tanzboden zurück,
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den nunmehr die Jugend unbestritten beherrscht. Die Ver-
heirateten fanden es für passend, nicht bis zum Schluß auszu-
halten, und die Alten haben schon längst ihren Festrausch
nach Hause getragen.
In alter Zeit war das anders. 13a war das nächtliche Tanzen
den verheirateten Leuten vorbehalten, insbesondere durften die
Maiden nicht bei Nacht tanzen. So ist vom Bosenweilev Meßti
1627 berichtet : » «In deme es Aubendt worden, daß die
Maidlin heimgangen.» Am 11. November 1739 erschienen zwei
Maiden von Obermodern vor dem dortigen Presbyterium 3 und
wurden dem hochfürstlichen Konsistorium zu Buchsweiler zur
Bestrafung gemeldet, «weil sie sich am Meßtag (aus wessen
Erlaubnis, ist uns unbekannt) bis gegen Tag im Wirtshaus
aufgehalten». Und noch 1836 mußten die Maiden auf dem Uhl-
weiler Meßti beim Läuten der Nachlglocke den Tanzplatz ver-
lassen. 8 Im allgemeinen aber tanzen die Maiden das ganze
19. Jahrhundert hindurch unbehelligt bei Tag und bei Nacht. In
Mittelbergheim gingen gar die jungen Leute früher überhaupt
nicht bei Tag, sondern erst nach dem Nachtessen, zum Tanz.
Allmählich lichtet sich die Gesellschaft, und der «Kehraus»
bildet den Schluß. Es ist ein schnell gespielter Hoppler, aut
dessen Weise das Volk eine Reihe von Sprüchlein* singt.
Wohl der älteste dieser Tanzverse, der an die alte Sitte des
frühen Heimkehrens erinnert, ist dieser:
Der Kehrus, der Kehrus, die Maide g'höre heim,
Un wann se bravi Maide wäre, ze wäre se schon d'heim.
Der Kehraus wurde nach Uebereinkunft der Burschen und
der Musik gespielt. Ist die Musik müde und unwillig, so
macht sie kurzen Prozeß und spielt ihn aus eigenem Antrieb,
wenn es sich das Tanzvolk gefallen läßt. Früher galt es für
die Maiden als eine Schande, noch nach dtnn Kehraus auf dem
Tanzboden zu bleiben, und diejenigen, die alsdann nicht nach
Hause gingen, bekamen Stroh gezettelt (gestreut). Oft setzten
sie sich aber über diesen Schimpf hinweg und tanzten um so
unbändiger auf dem Stroh, auch ohne Musik.
Wir hatten schon mehrmals Gelegenheit, über Dinge zu
belichten, die sittlich zu verwerfen sind. Der Landmann,
i Stob er, Neue Alsatia. Mülhausen, Petry, 1885. S. 1.%. —
* Prcsbyterialprotokoll im dortigen Pfarrarchiv. — * Im Kreis Prüm
in der Rheinprovinz wird bloß bis Sonnenuntergang getanzt. In
Thüringen endet der Tanz um 10 Uhr. Vgl. Pfannenschmid,
Germanische Erntefeste Hannover, Hahn, 1878. S. 288 f. - 4 Nähere
Ausführungen hierüber werden einer besonderen Veröffentlichung
über Singtänze und Tanzlieder vorbehalten. Vgl. S. 272 f.
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der in engem Zusammenhange mit der Natur lebt, gibt
sich beim Meßli so natürlich wie er ist, wie er denkt und
empfindet, und darum kommt ihm manches natürlich vor,
was der verfeinerte Mensch als Verderbnis und sittliche Ver-
kommenheit ansieht, was insbesondere den geistlichen Herren
unablässig Anlaß zu Klagen gibt. Auch wir beklagen die Zu-
lassung von Kindern auf den Tanzboden, deren Ohren und
Augen noch nicht reif sind für das, was sie dort wahrnehmen
müssen, wir beklagen den allzufrühen ungezwungenen Verkehr
der beiden Geschlechter, die mangelhafte Aufsicht durch die
Eltern und die Dienstherrschaft, die durch den Tanz und die
geistigen Getränke gesteigerte, unverhüllte Sinnlichkeit. Aber
wir begreifen alle diese Gepflogenheiten, die tief im Volke ein-
gewurzelt sind und in früheren Jahrhunderten gewiß viel
schlimmer waren.
Nun kommt noch ein Umstand hinzu, vielleicht der wich-
tigste von allen, das ist die Dunkelheit. Gerade die Finsternis
und der plötzliche Uebergang aus dem rauschenden Gewoge des
Tanzhauses in die stille Einsamkeit der Nacht sind besonders
geeignet zur Verführung. Für den Burschen ist es um so
leichter, seine letzten Wünsche zu erreichen — und sie gelten
am Meßti fast als selbstverständlich — , wenn von der Familie
des Maide kein allzugroßer Widerstand entgegengesetzt wird.
Manche biedere Bauernfrau ist stolz darauf, wenn ihre jugend-
liche Tochter schon einen Freier hat und mit ihm tanzt, und
durchaus nicht selten ist diese ihre Mahnung : cDaß Du ihm
nichts abschlägst!* Ueber alles Unerlaubte tröstet man sich
aber mit der Entschuldigung : es geht in den Meßti I
So wird denn auch das «Heimführen» der Tänzerin in
später Nacht trotz der damit verbundenen Gefahren auf dem
Lande durchaus nicht als unsittlich, sondern als etwas selbst-
verständliches angesehen, und das wahre Wort jenes Pfarrers
wird mehr belacht als beherzigt : «Das Tanzen tut nichts,
wenn nur das verd . . . Heimführen nicht wäre!» Die Be-
zeichnung c Heimführer» in folgendem Zusammenhang «dem
Gietel sein Heimführer vom Zaberner Meßti» hat durchaus
keinen Übeln Nebensinn.
Hat ein Bursche eine «feste Liebschaft» und wohnt das
Maide in einem fremden Dorf, so verschwindet das Pärchen
schon frühe und wandelt innig umschlungen und langsam nach
dem Heim des Maide. Ein später Meßti hat in dieser Hinsicht
einen besonderen Heiz, weil es früh Nacht wird und länger
dunkel bleibt. Wohnt aber das Maide im Meßtidorfe selbst, so
wird gewöhnlich der Kehraus abgewartet, ehe man ans Heim-
führen denkt. Doch auch wenn das Maide schon in seiner
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Kammer weilt, fehlt es nicht an Beweisen treuer Liehe. Ein
guter Kamerad hilft dem Burschen die Leiter «teilen und paßt
auf, während dieser den gefährlichen Aufstieg zu der sehnsüchtig
harrenden Liebsten unternimmt. Einer glücklichen Braut aber
läßt der Bräutigam nach dem Weggang der Gendarmen eine
Serenade bringen, wenn er vermutet, daß sie im Bette liegt,
und nicht selten erhalten mehrere Maiden hintereinander Sere-
naden, ohne zu wissen, auf wessen Veranlassung.
Ist das Tanzwirtshaus noch offen, so treffen nachher die
Heimführer wieder dort ein. Sie geben ihre Erlebnisse zum
besten und schwelgen in süßen Erinnerungen und erregen oft
die Eifersucht ihrer weniger glücklichen Kameraden, mit oder
ohne Grund. Mancher Bursche kommt aber nicht wieder zurück.
Er ist samt seiner Liebsten überfallen worden, oder er hat auf
weitem Umweg sein Elternhaus glücklich erreicht, oder der
auflauernde Nebenbuhler gab ihm einen Grund oder einen
willkommenen Vorwand, im fremden Dorfe zu übernachten.
Streit und Schlägereien.
Der Meßti mit seinen vielfachen Aufregungen gibt nicht
selten Anlaß zu Streitigkeiten. Sind einmal die Köpfe erhitzt
und hat der Alkohol die Zungen gelöst, so bringen die Burschen
alles aufs Tapet, was sie auf dem Herzen haben. Alle alten
Sachen werden ausgekramt, Familienstreitigkeiten aufgerührt,
die den einzelnen vielleicht gar nichts angehn, und dabei wird
furchtbar geschrieen und in der Luft herumgefuchtelt. Schließ-
lich ist die Schieberei da, die in Tätlichkeiten übergeht.
Manchmal mischt sich ein älterer, anerkannt starker Mann in
den Streit, erscheint mit einem tüchtigen Hebel oder mit ge-
ballter Faust und droht dreinzuschlagen, wenn es keine Ruhe
gibt. Die Furcht vor der überlegenen Gewalt verhindert denn
auch den Ausbruch manches Schlaghändels.
Insbesondere begründet die Anwesenheit der Fremden sehr
oft eine gewisse Spannung. Die Dorfburschen halten an dem
Gedanken fest, daß sie auf ihrem Meßti die Herren sind und
daß jeder fremde Bursohe bloß geduldet ist. Der Umstand daß
mancher kleine Meßti, so in Büsweiler y Wernburg, Uttenhofen,
Merzweiler, Leitersweiler , ohne die Unterstützung durch die
Fremden nicht bestehen kann, kommt hier nicht in Betracht,
und auch . engere Dorfbeziehungen,. wie z. B. zwischen Dell-
weiler und Gottesheim (bis 1870) werden nicht beachtet, so-
bald die Eifersucht des einzelnen in Betracht kommt. Die Be-
rechnung auf den Geldbeutel und das Austeilen von Prügeln
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schließen sieh nicht aus. Auch junge Leute aus dem Herren-
Stand machen hierin keine Ausnahme, und sie tun gut, den
allen Spruch zu beherzigen :
Wer will halten seinen Schädel ganz,
Der laß 1 den Bauern ihren Tanz.
Die hanauische Regierung handelte daher sehr weise, in-
dem sie den Besuch auswärtiger Meßtage in der Kirchenord-
nung von 1659» sowie durch ein Dekret vom 21. April 1733«
verbot» und hei der Erneuerung der Preshyterien 1736 die
Kirchenzensoren mit der Aufsicht auf fremden Meßtagen be-
traute. 3 Alles natürlich ohne Erfolg.*
Die Fremden wissen sehr wohl, daß sie bloß geduldet sind
und manches über sich ergehen lassen müssen. Aber gerade
das ist ein Sporn, einen Meßli erst recht zu besuchen. Zu
Hause zu bleiben, wäre ein Zeichen der Feigheit. Wenn gar
Zwistigkeilen zwischen den Burschen ganzer Dörfer bestehen,
so ist es fast eine Ehrensache für beide Parteien, Vergeltung
zu suchen und solche zu geben. Hier stellt der Dorfstolz auf
dem Spiel, mögen auch einzelne Burschen sonst persönliche
Freunde sein. Ein Anlaß zu Reibereien ist bald gefunden.
Sticheleien fliegen hin und her, und die Anwesenheit der
Maiden ist ein Grund, möglichst herausfordernd aufzutreten
und sich nichts gefallen zu lassen. Es wird aufgepaßt, mit wem
der und jener tanzt oder unautlällig verschwindet, die Köpfe
weiden zusammengesteckt, und mau hört mehr oder weniger
oflene Drohungen : « Hüt verwitscht se noch einer ! » oder
« Hinicht mueß noch einer verrecke !» Oft gibt ein klein-
licher Umstand den Anlaß zum Ausbruch der Tätlich-
keiten. So waren einmal die Wickersheimer Burschen auf
dem Hochfelder Meßti recht vergnügt und sangen nach Herzens-
lust. Die Hochfelder ärgerte es % daß jene mehr Strophen
konnten als sie selbst. Ein Hochfelder trat hervor und rief
erregt: «Was han ihr do ze singe?», und alsbald gab es eine
gewaltige Prügelei. Mangels eines auch noch so nichtigen Vor-
wandes stellt einfach ein Bursche dem andern während des
Tanzes das Bein. Das ist eine belieble und deutliche Heraus-
forderung. Mag der- betreffende wollen oder nicht, er wird
schließlich zu Falle gebracht und ausgelacht, und nun muß ei
reagieren.
Die Anwesenheit von Soldaten im Manöverquartier gibt
i S 87. — 2 Pfarrarchiv von Alteckemiorf. — 3 Pfarrarchiv von
Schwindratzheim. — * Presbyterialprotokolle vom 5. Februar 1787
und 6. August 1737 in Alteckendorf sowie vom 5. April 1774 und
von 177») in Obermodern,
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fast stets Anlaß zu Reibereien, so daß in den letzten Jahren
einsichtige Bürgermeister in solchen Fällen den Meßli zu
verlegen pflegen.
Unstreitig die häutigste, wenn auch nicht die ehrenhafteste
Art der Austragung des Streites ist das «auf den Weg Stehen».
Der heimkehrende, fremde Bursche wird von einem oder
mehreren andern erwartet. Hinter einem Baume oder einer
Brücke oder aus einem Graben hervor überfällt der Angreifer
den Nichtsahnenden, und e: weiß es so einzurichten, daß dieser
unterliegen muß. In der neuesten Zeit werden die radfahren-
den Burschen von ihren Bädern geworfen oder durch Streuen
von Schuhnägeln zum Absteigen veranlaßt und dann übel zu-
gerichtet. Der fremde Bursche ist eigentlich erst sicher gebor-
gen, wenn er in seinem Gehöft angelangt ist. Bis dahin muß
er bedenken, daß er «noch nicht vom Meßti daheim» ist. So
lautet eine bekannte, auch in übertragenem Sinne geläufige
Redensart.
Größere Raufereien mit schweren Verletzungen kamen
vor auf dem Meßti von Süsohheim 1808 und Ueberach 1854
sowie auf der Kirvve von Kulzenhausoi 1874. Von Schlag-
händeln mit dem Militär sind am bekanntesten die zu Hingen-
dorf -1896, besonders aber in der HuprecfUaau 1886, die einer
wahren Schlacht glich und üble Folgen hatte. Von Schlägereien
mit töllichem Ausgang sind folgende bekannt. 1597 wurde auf
dem Pfaffen höfener Mcßti der Ingweiler Naehrichler vom
Rietlheimer Henker erstochen. 1 1627 fand ein Dorlisheimer
Bursche auf dem Jiosenweiler Meßti seinen Tod. « 1070 wurde
ein Mittelhauser Bursche auf dem Gttgenheimer Meßti tötlich
verletzt. » 1827, 1839 und 1874 wurden Burschen erstochen in
Wingerts heim, Issenhausen und Forstheim.
Die meisten Gewalttätigkeiten geschehen im letztem Grunde
aus Eifersucht.
Der 2., 3. und 4. Tag.
Vom alten Meßti sagt ein bekannter Singspruch :
Hit isch Meßti, morjen isch Meßli, bis am Mittwoch Owe;
Wann ich zue mim Schälzele komm', sa' ich: Gueten Owe!
Er dauerte vier Tage. Die allgemeine Ordnung war die :
Der Sonnlag war gewissermaßen das offizielle Fest, er galt
1 Begräbnis register von Ingweiler, 29. Juni 1597. — * Stöber,
Neue Alsatia. Mülhausen. Petry, 1885, S. 137. — * Begräbnisregister
von Mutelhausen, 28. Aug. 1670.
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den Einheimischen und Fremden, am Montag war der Hahnentanz,
der Dienstag brachte allerlei Scherz und lustige Sch.mausereien,
am Mittwoch wurde der Meßti begraben. Diese Einteilung ist
längst durchbrochen. Seitdem der Meßti abgekürzt und schließ-
lich auf zwei Tage beschränkt wurde, hat sich alles zusammen-
gedrängt. Es ist für die alten Gebräuche wenig Zeit, darum
werden sie jetzt auf den Sonntag oder den Montag verlegt, so
gut es eben geht. Eine strenge Trennung nach Tagen ist da-
her auch bei den vorliegenden Betrachlungen nicht gut
möglich .
Am Montag Morgen gegen 9 Uhr erscheint der Meßtibursch
mit seinem in Stand gesetzten Strauß. Er ruft die Musikanten
zusammen, allmählich rücken auch die Burschen an, und nach
einem kühlen Trunk im Tanzwirlshaus geht es mit schmettern-
der Musik unter Jauchzen und Jubeln zum Meßtimaide, welches
eine Serenade bekommt, während die Burschen ins Haus treten
und mit Wein und Kuchen bewirtet werden. Die Musikanten
werden dabei nicht vergessen. Und nun zieht man mit Sang
und Klang zr.m «Abholen» der Maide von Haus zu Haus. Jedes
Maide erhält eine Serenade, und in allen Häusern bekommen
die jugendlichen Gäste tüchtig eingeschenkt. Die Ehre ist für den
Bauern ebenso groß, wenn die Magd abgeholt wird, wie wenn
es seiner eigenen Tochter gilt, deren Liebster vielleicht unter
den Burschen weilt. Und überall wird getanzt. Heute freilich
würde es sich mancher verbitten, daß man wegen der Magd
ins Gehöft eindringt und ihm «Unkosten» macht. Ist der
Dorfkehr groß, so sind die Serenaden kurz, denn der Wirt
will ja die Musikanten auch wieder haben. Oft hält man sich
aber lange bei den Maiden auf, vergißt das Mittagessen, scherzt
und tanzt und trinkt umsonst, so daß der Rundgang sich bis
zum späten Nachmittag ausdehnt und alles mehr oder weniger
angeduselt ist. Nicht selten sind die Musikanten schon vor
Mittag völlig betrunken.
Ein sinniger Brauch wird in Hördt geübt. Jeder Bursche,
der seine Tänzerin abholt, erhält von dieser ein Wandfürtüchel,
das er den ganzen Meßti über trägt. So auch früher in
Kaltenhausen.
In der Hegel beginnt der Tanz wiederum um 2 Uhr. Wo
die Maiden bereits am Morgen abgeholt wurden, erscheinen
sie ohne weiteres oder am Arm des Tänzers. Ein Maide, das
keine Serenade bekam, und sei es aus Versehen, fühlt sicli
beleidigt und erscheint nicht zum Tanz.
In manchen Ortschaften ist das Abholen der Maiden am
Morgen nicht üblich. Die jungen Leute haben im Hof und
Feld zu tun, futtern das Vieh, ruhen sich aus und setzen ihre
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Kleider wieder in Stand. Alsdann werden sie nachmittags
durch einen Aufzug der Burschen mit Musik abgeholt, das
Meßtimaide zuerst. Unter der Hoftüre erwarten sie ihren
Tänzer, der sie schnell mit sich fort zieht, und dann geht
es ohne Aufenthalt zum Tanzhause zurück. In manchen Ort-
schaften wurde früher bei diesem Zuge der Hahn mitgenommen,
den man am Abend heraustanzte. So in Dunzenheim (bis "1857),
wo ihn ein Bursche auf dem Arm vorne hinaus trug, in
Walten heim (bis 1870), wo er auf einem Stecken festgebunden
war, in Pful-griesheim und Lampertheim (noch 1900), wo
man ihn in einem Rückkorb hinten nachtrug. Diese Sitte am
Meßlimontag hat in mehreren Dörfern überhaupt -das Aussehen
des Aufziehens angenommen, das alsdann am Sonntag nicht
stattfindet, so in Idenheim und Obermodern. Letzteres Dorf
ist wohl das einzige unseres Gebiets, wo hierbei noch um die
alle Dorflinde getanzt wird, ein Brauch der früher im Elsaß
in größerer Ausdehnung bestand » und noch heute in Alt-
deutschland* hie und da geübt wird. Die Linde war ja im
heidnischen Altertum die Wohnstätte des geisterartig gedachten
Schutzwesens des Ortes.
Und wiederum erfüllen die berauschenden Töne der Musik
den Tanzboden, und die Paare drehen sich im fröhlichen
Reigen, unverdrossen und nicht mehr eingedenk der Strapazen
der verflossenen Nacht.
Das große Ereignis des Meßtimontags ist der Hahnentanz,
dem der folgende Abschnitt gewidmet ist. Im übrigen bietet
sein Verlauf dasselbe Bild wie der Sonntag : Tanz, Gesang,
Spezialtänze, Aufslecken, Kehraus, Heimführen. Die letzten
Kämpen auf der Wahlstatt sind diesmal die übriggebliebenen
Burschen, denen das unbarmherzige Schicksal eine Liebste ver-
sagt hat. Und wenn sie nachher eine nächtliche Runde durchs
Dorf machen und einzelnen Maiden Serenaden spielen lassen,
so wissen diese wohl, welchen Gefühlen diese Ständchen ent-
sprangen, und sie ärgern sich oder lachen sich im Bette still-
vergnügt ins Fäustchen.
Auch der Morgen des Meßlidienstag wird, wie der Montag,
mit Serenaden im Dorf ausgefüllt. Aber es liegt nichts feier-
liches, kein Ernst mehr darin. Die Burschen sind nur noch
zu Unsinn aufgelegt. «Sie mache Plan, taubs Dings, 's Vieh».
Immer mehr reißt in neuester Zeit die geschmacklose Sitte der
Verkleidungen und Vermummungen ein. Wir konnten sie
l Reuss. L'Alsace au 17«? siede. II, p. 88. — 2 Pfanneu-
schmid, Germanische Erntefeste Hannover, Hahn, 1878. S. 257,
271, 273, 284 f, 288.
- 296 —
von Jngolsheim bis nach Vnnatl nachweisen. Besonders be-
lieht ist Weiberkleidung und die Militäruni form. In Wolfisheini
sind Schlaraffen üblich, in Balbronn lieben es die Burschen zu
reiten. In Dossenheim ist der Brauch des Verkleidens so im
Schwung, daß wohl kein Bursche den ganzen Tag über ohne
Verkleidung geht.
Auch sonstiger Schaberna k wird vielfach getrieben, so ein-
mal in Pfidgriesheim mit dem Esel eines Budenbesitzers von
Grüneberg, der einen Ungeheuern Jubel hervorrief. In neuester
Zeit sind Ansichtspostkarten im Schwung. Es wird sogar
schon Unfug dadurch verübt, daß Burschen oder Maiden in
andern Dörfern ans Telephon gerufen und durch erdichtete
Liebesnachrichten und andere aufregende Mitteilungen gefoppt
werden .
In den 1840er und 1850 er Jahren arteten die Rundgänge
bei den Maiden in wahre Raubzüge ans. Nicht nur daß
Burschen und Musikanten den Kirwekuchen, den Kugelhopf
und Motz vom Tische weg in einem Rückkorbe mitnahmen, es
wurden auch von besonders flinken Burschen Kamine und
Speisekammern durchsucht, Speck und Rauchwürste mitge-
nommen und nachher an langen Stecken von Haus zu Haus
getragen. In Qborödern, Kleeburg und Schwindratzheim
blühte diese Sitte besonders üppig, und noch 1882 wurden in
Preuschdorf Kaninchen mitgenommen oder gekauft. Es kann
nicht Wunder nehmen, daß man beim Einsammeln solch frei-
willig-erzwungener Gaben auch an die Eier denkt. Dies ist
besonders im Kreise Weißenburg der Fall, wo es mit ver-
schiedenartigen Gebräuchen verwoben ist, namentlich mit dem
Pfingstendreck, ferner mit dem Retschen und Klappern in der
Karwoche, mit dem Einläuten des 1. Mai und mit den aus-
gelassenen Zügen der «conscrils».
Noch 1870 wurden auf der Kirwe zu Rott und Ke([enach,
in Hermersweüer noch 1807 Eier gesammelt. In den Dörfern
des Meßtigebiels ist, abgesehen von Weiter stoeiler, wo der
Pfingstmontag als 1. Meßtitag galt, nur in Detlweüer (bis 1870)
dieser Brauch nachzuweisen.
Nachher gehen Burschen und Musikanten ins Tanzwirls-
haus, verteilen ihre Beute kameradschaftlich und verzehren sie.
Niemals fehlt hier das beliebte Gericht der Speckeier. Dieses
Schauspiel zieht regelmäßig viele Kinder und Schmarotzer an.
Von solchen Schmausereien sind die festlichen Gelage wohl
zu unterscheiden, die noch anfangs der 1860er Jahren zu Klee-
bürg und bis in die 1890 er Jahre zu Hunspach stattfanden.
Es wurde in den Häusern der Maiden aufgetragen, daß die
Tische beinahe brachen, die Leute überboten sich gegenseitig,
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und jedermann aß, was er nur konnte, besonders Bratwurst.
Zu Kleeburg bevorzugte man besonders gebratene Kastanien,
Käse und Obst. Dem Wein wurde tüchtig zugesprochen. Das
waren ehrliche und fröhliche Gelage, die bei Musik und Tanz
bis zum späten Nachmittag dauerten, und an die alle Teil-
nehmer mit Wonne zurückdenken.
Auch der Meßtidienstag schließt mit dem Autstecken und
diesmal mit dem großen Kehraus.
Am 4. Tag wird der Meßti begraben, worüber besonders
zu berichten sein wird. Nicht selten ziehen die Musikanten
am Morgen auf eigene Faust im Dorfe herum, um noch etwas
zu verdienen.
Einige örtliche Besonderheiten ! In der Walk ist der Meßti-
montag den Pfaffenhofen, in DettweiUr (früher) den Zabernern
vorbehalten. In Uochfelden gehört der Meßtidienstagabend den
Hochfelder Bürgern, und die Bäcker backen kein Brot. Bis
1870 galt der Mittwoch den Aufwärtern und Dienstboten
der Wirte, die mit Musik abgeholt wurden und dann gemein-
sam tanzten.
Von den Hördtern behaupten böse Zungen, daß sie ihre
Gäste am Meßtisonntag ins Wirtshaus führen, um sich bezahlen
zu lassen. So viel ist sicher, daß die Hördter Maiden am Diens-
tag die Ehre haben, ihre Burschen zehrfrei zu halten. In
früheren Jahren ging es dabei hoch her, und manches Maide
wurde an dem einen Tage ICO Fr. los.
Der Hahnen tanz. Das Heraustanzen.
Das Hahnenschlagen.
Der Hahnentanz ist wohl ein Ueberbleibsel der Zeremonien,
die der feierlichen Schlachtung des Hahnes und dem Opfer-
mahle zu Ehren des in Hahnengestalt gedachten Vegetations- ^
dämons vorangingen. Im Laufe der Zeit haben sich diese Ge-
bräuche vom Ernteopfer losgelöst und fanden, in Spiele umge-
wandelt, Anschluß an das fröhliche Kirchweihfest.
Im Elsaß wird der Hahnentanz von Geiler von Kaysersberg
und Fischart öfters erwähnt, Einzelheiten wissen wir jedoch
nicht. Noch das ganze 18. Jahrhundert hindurch scheint er
überall im Elsaß üblich gewesen zu sein. Dann kam er langsam
aß, so daß das 19. Jahrhundert nur noch seine Trümmer auf-
zuweisen vermag. So hat man einen leibhaftigen Hahn zuletzt
gebraucht : zu Mietesheim in den 1 SSO er Jahren, zu Huns-
paclu Niederbronn, Mtrzweiler, Gundtrshofen, Mühl hausen
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— 298
und Ernolsheim bei Zabern in den 1840 er Jahren, in Wal-
burg 1860, in Gries 1862, in Kleeburg, Waltenheim, Schweig-
hausen, Kaltenhausen, Rothbach und Zabern gegen 1870. Zu
lYtedselz wurde vor 1870 airi Napoleonsfest um einen Hahn
getanzt. Die Angabe Slöbers* aus dem Jahre 1857, daß der
Hahnenlanz im Kochersberg und in den angrenzenden Land-
schaften und sonstwo im Elsaß üblich ist, hat uns viel Mühe
verursacht. Wir können sie leider, auch in dieser allgemein ge-
haltenen Form, nicht bestätigen. Die Verwendung eines Hah-
nes hatte überall schon erheblich früher aufgehört. Nach 1870
wurde noch um einen wirklichen Hahn getanzt in Offweiler
(bis 1897), vereinzelt bis in die 1890er Jahre zu Drachen-
bronn, bis 1901 in Weitbruch nach einer Unterbrechung von 7
Jahren. In zwei Dörfern unseres Gebiets geschieht dies noch
heute, in Alleckendorf und Schwindratzheim. Der angebliche
Hahnentanz in Dossenheim wird unter dem Gesichtspunkte des
Hahnenschlagen? beurteilt werden.
Ueber den Verlauf des Tanzes um den Hahn, ist folgendes
zu erwähnen.
Nach allem Brauch wurde der Hahn, den der Meßtibursch
zu beschaffen hatte, mit Blumen und Bändern verziert. Letztere
waren früher in den französischen Farben gehalten. Der leben-
dige Hahn saß auf einem Querbalken in einer Schüsse), oder
ein Bursche hielt ihn auf seinem Arme fest, oder er wurde
mit zusammengebundenen Füßen während des Tanzes irgendwo
in der Höhe befestigt.
Auch die breilkrämpigen Hüte der Burschen wurden in
den 1830er Jahren zu Hunspach und noch anfangs der 1860er
Jahre zu Kleeburg mit Bändern und Rosmarin geschmückt,
und zwar von den Hahnentänzerinnen. Sie waren so schwer,
daß man sie mit Bändern unter dem Kinn befestigen mußte.
Nach dem Kehraus hängten sie die Burschen bis zur Nach-
kirwe im Tanzsaal auf, und es war eine Ehre für den Bur-
schen, wie für das Maide, den schönsten Hut zu haben.
Das Heraustanzen, das nach einem besonderen Verfahren
bei Licht geschah, erfolgte im Hanauerland nach einer be-
stimmten Melodie 2 mit bestimmten Worten, die von den An-
wesenden mitgesungen wurden. Ein besonderer Tanzschritt ist
nicht nachzuweisen, jedoch ist es wahrscheinlich, daß auch der
Hahnentanz früher ein Singlanz war und demgemäß einen eige-
nen Tanzschritt hatte. Hier die Worte, von denen mehrere
Varianten vorkommen :
i S t ö b e r, Der Kochersberg. S. 40. - 2 Vgl. die Anm. 4, S. 289.
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— 299 —
1. Komm', komm', Bippele, 1 komm!
Ich will dir e Hämpfele 2 Fresse ge'n,
Ich hab dich jo schon lang nimm 5 g'sehn.
2. Lej' mir en Ei oder zwei,
Lej' mir'.s in e Hampfeie Slroh,
Wann i komm', ze bin i froh.
Während aber der llahnentanz nach seiner eintönigen
Melodie getanzt wurde, herrschte große Freude unter dem
jungen Volk. Bei den Worten «Ich hab' dich jo schon lang
nimm g'sehn« wurden nämlich die Maiden unter unendlichem
Jubel abgeküßt, daß es im ganzen Tanzraum laut widerhallte.
Die Burschen aber, die nicht tanzten, beschäftigten sich mit
dem Hahn. Man reichte das Tier herum, streichelte und lieb-
koste es und unterhielt sich mit ihm, wie wenn es die Liebste
wäre. Allgemein goß man dem Hahn Wein in den geöffneten
Schnabel, zupfte ihn an den Federn und zerrte ihn am Schna-
bel, man kniff ihm in das Fleisch, <bß er laut schrie und
schonte ihn sogar nicht, wenn er sich heiser geschrien hatte.
Die Freude der meist angetrunkenen Tanzgesellschaft an den
Quälereien des wehrlosen Tieres ist einer der dunkeln Punkte
in der Geschichte unseres Dorfipeßli, sie erinnert lebhaft an
die Tierkämpfe im alten Rom. Der Gewinner nahm den Hahn
in Empfang und tanzte nun, indem er ihn hoch in die Höhe
hob und schwenkte, mit seinem Maide drei allein. Dieser
Brauch ist all, wie aus einem Kinderliedchen hervorgeht, das
noch in Pfulgriexheim erhalten ist :
Papier ! Papier !
d'Maidle gehn in d'Schir,
Han alli rothi Schläpplen an
Un tanze mit dem Guckelhahn.
Die «Schläpple», weit ausgeschnittene Schuhe, wurden in den
1830er Jahren Mode.*
In Merzweiler, Gundershofen, Mühlhamen und EraoU-
heim war es in der letzten Zeit des Hahnentanzes üblich, daß
der Bursche dem Maide ein Hemd mit Spitzenärmeln, dieses
aber dem Burschen ein seidenes Halstuch schenkte. Da der
Brauch offenbar eingeführt wurde, als diese Trachtstücke neue
Bauernmode 5 waren, ist es uns möglich, die Zeit des letzten
Hahnentanzes in der dortigen Gegend festzustellen, es sind die
1840er Jahre.
1 Koseform = Hühnchen. — 2 Verkleinerungsform zu Hampfel
= Hand voll. — 3 = nicht mehr. — 4 Vgl. Kassel, Ueber elsäs-
sische Trachten. Straßburg, 1VK)7. S. 19 — 5 a. a. 0., S. 8 u. 17.
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Nach dem Hahnenlanz wurde das Tier auf dem Tanzboden
geschlachtet. Solange es blutete und zappelte, wurde eine
Trauerserenade gespielt. Dann übergab man es dem Wirt. Der
Gewinner aber bewirtete die Hahnentänzer mit Zuckerwein
und hatte ihnen außerdem den «Hahnenimbs» zu spenden, wo-
rüber später. Eine feierliche Schlachtung des Hahnes scheint
nicht gebräuchlich gewesen zu sein.
In Kleeburg ließ der Mann, der den Hahn während des
Tanzes festhielt, das Tier im Augenblick des Gewinnes laufen,
und der Gewinner mußte es noch selbst fangen, was jedesmal
einen großen Spaß gab. In Hunspach und Rothbach wurde
der Hahn nicht weiter behelligt, man ließ ihn einfach wieder
los. Aus den Anfangsworten eines Tanzliedchens «Heb de
Gülleri», das in den 1850er Jahren in der Gegend von Zöbers-
doif gesungen wurde, läßt sich vielleicht schließen, daß das
Fangen des Hahnes früher in größerem Umfange Sitte war.
Der Tanz um einen leibhaftigen Hahn hat sich nur in
Alteckendcrf ununterbrochen durch alle Meßti hindurch bis
heute erhalten. Aber da der Meßti dort mehrfach ausfiel, so
z. B. 1904 und 1005, hat die Ueberlieferung notgelitten. Es
war nicht möglich, die Sitte nach dem Brauche von Nachbar-
dörfern in ihrer alten Ausführung weiter zu vererben, und so
ist es gekommen, daß ihre Bestandteile gelockert sind, und daß
sie im ganzen entartet ist, weil niemand recht Bescheid weiß.
Am Montagnachmiltag zieht das Meßtivölkchen mit Musik vom
Tanzwirtshause aus auf eine Wiese. Hinter dem Meßtihüter
trä^t ein Schuljunge mit weißer Schürze den blumengeschmück-
ten Hahn, in der anderen Hand ein Schlacht messer. Der
Meßtibursch und das Meßtimaide tanzen drei allein, es folgen
3 allgemeine Tänze, dann wird nach dem unten zu schildern-
den Verfahren der Hahn herausgetanzt. Der Gewinner be-
kommt mit seinem Maide drei allein und hebt den Hahn mit
der Rechten hoch empor. Dann wird die Meßtiplatte heraus-
getanzt. Nach dem Gewinner bekommen auch die verheirateten
Männer ihre «drei allein». Unterdessen haben sich die Schul-
jungen zu ihrem Kameraden mit dem Schlachtmesser gesellt
und den Hahn mit einem Schlage geköpft. Der Zug geht wieder
ins Dorf zurück, an der Spitze der geköpfte Hahn, von Wirts-
haus zu Wirtshaus und schließlich in die Tanzwirtschafl.
In früheren Jahren fand dann am Abend der Hahnenim bs
statt. Heute wird das Schlachtopfer mit nach Hause ge-
nommen oder einfach im Stich gelassen. Der Gewinner ver-
langt ihn oft gar nicht, denn der Meßtibursch hat in der Reyel
ein etwas mageres Tier gewählt.
Auch in Schwindratzheim wurde von 1897 — 1907 um
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einen lebenden Hahn getanzt. Dies geschah nach über 50 jähriger
Unterbrechung, als Nachahmung des Hahnenlanzes im benach-
barten Alteckendorf, und zwar 1897 — 190(5 am Dienstag Nach-
mittag. Der ungeschmückte Hahn wurde 1897 — 1899 an der
Spitze des Meßtizuges, hegleitet von einem als Metzger und
einem als Frau verkleideten Burschen, auf die Festwiese ge-
bracht. Drei Tänze um den Meß ti bäum wurden aufgeführt,
und ein Alter rief sogleich in Erinnerung an frühere Zeilen :
«Pfelz'ne, daß er brüelt !» Und der Hahn wurde gekniffen, daß
er laut schrie. Dann wurde ihm mit hochgezücktem Schlacht-
messer der Kopf abgehauen. Man brachte ihn nachher im
Triumph zum Tanzhaus zurück, wo er am Abend herausge-
tan/.t und verspeist wurde. Seit 1900 hat sich die Sitte etwas
verschönert. Der blumengezierte Hahn wird in einem sauber
geputzten Käfig nach der Festwiese gebracht, wo der Meßti-
buisch mit dem Tiere drei allein tanzt und es dabei streichelt.
Nachdem die Meßtigesellschafl, wie sonst üblich, getanzt,
zieiil sie mit dem noch lebenden Hahn nach dem Tanz-
hause zurück, wo er am Abend herausgelanzl, in aller Stille
geschlachtet und gegessen wird. Seit 1907 ist in Schwindratz-
heiin der Meßti auf zwei Tage beschränkt, und da am Meßli-
montag ganz Schwindratzheim auf den gleichzeitig stattfinden-
den Hochfeldet Meßti zieht, ist wohl das Schicksal des Hahnen-
tanzes in Schwindratzheini besiegelt. Wohl wurde auch 1907
noch um den Hahn getanzt, aber dies konnte nur geschehen,
weil der Meßti wegen starker Einquartierung verlegt wurde.
Der Hahnentanz fiel übrigens nicht besonders gut aus. Dem
Tanzwirt gelang es erst am Meßtisonntagmorgen, einen Meßti-
burschen Zugewinnen, einen eben erst entlassenen Reservisten,
und dieser entschloß sich erst am Montag um 11 Uhr, den
Hahnentanz zu veranstalten, um die Leute anzuziehen.
Der Grund des allgemeinen Niedergangs des Tanzes um
den Hahn war das völlige Verschwinden seiner Bedeutung aus
dem Volksbewußtsein. Man betrachtete den Hahn nur noch als
Gewinn»egenstand. Und da es der Bauer vielfach schon längst
verlernt hat, Geflügel zu essen, das ihm auf dem Markt ein
gut Stück Geld einträgt, so ersetzte er den Hahn einfach durch
einen anderen Tanzgewinn. So ist es gekommen, daß der
Hahn abgeschafft wurde, während die Benennung Hahnentanz
blieb. Namentlich ist die Bezeichnung «um den Hahnen tanzen»
im Kirwegebiet üblich. Es lag nahe, nunmehr als Preis einen
Gegenstand zu bestimmen, der beim Meßti in die Augen sprang
und daher besonders begehrenswert war, und das war die Tracht.
So wählte mau denn in unserem ganzen Gebiet ein männliches
und ein weibliches Trachtstück : den Hut und das Halstuch.
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Dieser Umstand, insbesondere die Verbindung von Hut
und Halstuch, läßt einigermaßen einen Schluß über den Zeit-
punkt zu, wann der Hahn als Tanzgewinn zuerst wegfiel.
Während nämlich 1 der elsässische Bauer vom Ende des 17.
Jahrhunderts ab einen Hut trug, legte die Bäuerin erst in den
17£0 er Jahren ein anfänglich Flor genanntes Halstuch an, das
um die Mitte des 19. Jahrhunderts in kostbarer Ausführung
Mode wurde. Und in der Tat berichtet uns die mündliche
Ueberlieferung, daß «früher» um einen Hahn getanzt wurde oder
auch, daß man seit Menschengedenken um Halstuch und Hut
tanzte. Vergleichen wir damit das, was man unter Menschen-
gedenken zu verstehen hat, nämlich die Jugenderinnerung des
Großvaters des ältesten lebenden Mannes, die erfahrungsgemäß
um etwa 110 Jahre zurückführt, so kommen wir gerade in
jene Uebergangszeit vom Hahn zum Halstuch. Es ist also mit
Sicherheil anzunehmen, daß am Ende des 18. Jahrhunderts
das Heraustanzen von Hut und Halstuch zuerst üblich wurde.
Als dann die für die Meßtifreuden wenig geeigneten Zeiten der
Revolution und Napoleons I. vorbei waren, wurden Hut und
Halstuch — hier früher, dort später — allgemein gebräuchlich
und blieben es bis tief ins 19. Jahrhundert und zum Teil noch
heute. Und die Blütezeit des Tanzes um das reiche Halstuch
fallt genau mit dessen Herrschaft in der Bauernrnode zusammen.
Statt des Halstuches und des Hutes, namentlich seitdem
dieser von den 1830 er Jahren ab unansehnlich geworden war,
wurden in einzelnen Ortschaften, je nach dem Stand der
Tracht undjder Liebhaberei der Beteiligten, auch andere Tracht-
oder Kleidungsstücke herausgetanzt. Als aber das Trachten-
wesen immer, mehr verfiel, sah man sich nach zeitgemäßeren
Preisgegenständen um und wählte ein anderes Glanzstück des
Meßti, die bürgermeisterliche Meßtiplatte oder einen beliebigen
zugkräftigen Gegenstand. Oder aber die Sitte des Heraustanzens
ging überhaupt ein, oder sie wurde durch eine Zettellott er ie
verdrängt (Winzenheim 1897, Wimmenau 1904). Das sind in
Kürze die letzten Schicksale des Hahnentanzes im Elsaß.
Von den zahlreichen örtlichen Verschiedenheiten, die
hauptsächlich in der Entwicklungsgeschichte der Tracht be-
gründet liegen, sind einige erwähnenswert.
Zunächst ist es auffällig, daß im Kirwegebiet, wo die Be-
zeichnung Hahnentanz noch heule lebt, vielfach schon längst
der Brauch des Ersatz-Hahnentanzes abgekommen ist, während
in den protestantischen Meßtidörfern des Elsaß noch fast aus-
1 Näheres hierüber in Kassel, Ueber elsässische Trachten.
Straßburg, Du Mont Schauberg, 1907. S. 12, 16, 20 ff.
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nahmslosam Meßtimontag ein Preis herausgetanzt wird. So ging
der Hahnentanz in folgenden Gemeinden ein : in Winzenbach
und Neeweiler a. d. Lauter um 1830, in Salmbach in den
1830er Jahren, Oberseebach 1840, Altenstadt 1842, Nieder-
lauterbach 1844, Aschbach 1848, Scheibenhardt, Hatten und
Surburg 1853, Siegen um 1854, Diefenbach bei Wörth 1857,
Oberrödern 1850er Jahre, Niederrödern und Obclauterbach
1860, Memmeishofen, Meisenthal und Ingolsheim 1862, $<t/nd-
weiler 1863, Nicderbetschdorf 1866, Hofen in den 1860er Jahren
(zuletzi Hut und Geschirr), Schleithal und Niederseebach vor
1870, Hoelschloch und Kleeburg kurz vor 1870, Riedselz und
Leitersweilcr 1870, Weitfcrwc/t 1876 (der Tanz um den wirk-
lichen Hahn erst 1901), Trimbach um 1870, Hohweiler und
Oberbetschdorf 1888, Hermersweiler 1893, Hunspach und
Kühlendorf 1899, Reitweiler 1902, Mietesheim 1905. Das
Jahr des Abkommens des Hahnentanzes ließ sich nicht mehr
feststellen für Langensulzbach , Wilschdorf, Reimersweiler,
Rittershofen, Mothem, Kröltweiler und Eng weiter.
Statt des Hutes wurde früher die seit dem Anfang des
19. Jahrhunderls modische, teure Pelzkappe herausgetanzt in
Oberseebach, Aschbach, Surburg, Stundweiler und Hunspach,
was den Gewinner nicht selten 40 Franken oder Mark kostete.
Ferner wurden herausgetanzt : in /litensiacf* ein Leibchen, in
Aschbach, Stundweiler und Schleithal eine Schürze, in Sc A£et-
thal außerdem ein teures Männerbrusttuch und ein oder zwei
seidene Männerhalstücher (Flore), in Trimbach ein ganzes
Kleid, in Hofen Geschirr, in Wörth öfters ein Kaffeeservice.
Im Meßtigebiet, das sich größtenteils mit dem Machtbereich
der Schlaufkappe deckt, wird vielfach diese letztere als Tanz-
preis bestimmt, so besonders im Ackerland, zu Pfulgriesheim,
Olwislieim, ' Mundolsheim und Lampertheim. Im Nordhanau-
ischen zwischen Ringendorf und Mietesheim schwärmt man
für die modischen kleinen Halstücher oder Foulards, die jetzt
das Entzücken der dortigen Trachtenleute bilden. Der belang-
lose Mannshut ist fast überall unbeliebt geworden. Man bevor-
zugt heute die Meßtiplatten, ferner Kaffee-, Wein- und Bier-
service, die dann den neuzeitlichen bäuerlichen Stuben als Aus-
stattungsstücke dienen. In Quulzenheim wurde unlängst eine
Stehlampe, in der Walk eine Taschenuhr, in Furchhausen
und Winzenheim ein Regenschirm, in Winzenheim außerdem
ein halböhmiges Fäßchen herausgetanzt.
Eigentümlich ist der Brauch mehrerer hanauischer Dörfer,
außer den Trachtstücken, und zwar am Meßtidienslag, gläserne
«Salzbüchsle» herauszutanzen. Um diesen Preis, ein Geschenk
des Meßtiburschen, tanzen nur die Maiden. Diese Sitte besteht
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noch u. a. in Schillersdorf, Rothbach und Mieteshehn, früher
bestand sie auch in Menchhofen und Mühlhausen, bis 1847 in
Wickersheirn und bis in die 1860 er Jahre in Zöbersdorf.
Weshalb gerade Salzbüchschen den Beifall der Maiden fanden
und noch finden, ist schwer zu sagen.
Aber schon beginnt das Heraustanzen an sich in Abgang
zu kommen, so in Uhrweiler, wo man 1904 die ganze Sitte
fallen ließ. Im Städtchen Niederbronn ging sie schon 187/ ein.
Im Anschluß an den Hahnentanz muß auch der Hammel-
tanz erwähnt werden. Wenn es auch keinem Zweifel unter-
liegt, daß wir im Hammel ursprünglich ein Herbstopfertier zu
erblicken haben, so kommt doch dem Hammeltanz im Elsaß*
nicht die sitlenmäßige Bedeutung zu, die er vielfach in Alt-
deulschland und insbesondere in der Baar * genießt. So weit
die mündliche Ueberlieferung reicht, war und ist er einfach ein
Preistanz wie ein anderer. Der Hammel ist, für frühere Jahr-
zehnte freilich, lediglich vom Gesichtspunkte des Schmauses zu
betrachten, wo wir ihm im nächsten Abschnitte begegnen
weiden. In neuerer Zeit ist es vielfach Brauch geworden, daß
der Gewinner ihn mit nach Hause nimmt. So war es schon
1872 in Lingolsheim Sitte, daß man ihn am Nachmeßti-Montaj;
dem künftigen Besitzer feierlich übergab. Das Heraustanzen
eines Hammels ist noch gebräuchlich in Lichtenberg, Ing-
weiler, Buchmeiler, Lampertheim, Wolfisheim, Winzenheim
und wurde bis in «tie allerletzten Jahre u. a. betrieben in
Wörth, Vendenheim, Ohvislieim, Eckboisheim (1902 sogar
zwei Hammel) und Bischheim, bis 1802 auch in Gambtheiin.
Die Anschaffung der Gewinngegenstände ist Sache des
Meßtiburschen. In Stotzheim stiftete sie früher der Bürger-
meister Baron v. Andlau. In Hunspach, wo in der letzten
Zeit kein Kirwebursch mehr war, schallte der Wirt die Pelz-
kappe und das Halstuch an. Das gewinnende Paar erhielt
beides. Die Hahnentänzer bezahlten ihren Anteil an den An-
sehaft'ungskosten, die ganze Stube aber trank auf Rechnung
des Gewinners.
In einzelnen Gemeinden wurden die herauszutanzenden
Gegenstände in merkwürdiger Weise zusammengestellt. So
tanzte man in Kleeburg in den 1800er Jahren einen Hahn und
ein Halsluch heraus. Zu Alteckendorf wird noch heute aut
der Wiese der Hahn und die Meßtiplatte und nachts im Tanz-
wirtshaus Hut und Halsluch herausgetanzt.
* Für den Kochersberg vgl. S t ö b e r , Der Kochersberg, S. .V2.
für das Oberelsaß: Pf a n n en s c h m i d . a. a. 0., S. 558 ff. —
* Birlinger, Aus Schwaben. Wiesbaden. Killinger, J874. II. S.
214 f. — E. H. Meyer. Badische Volkskunde, S. 233 u. 237.
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Auch die Verteilung der verschiedenen Preisgegenstände
auf zwei oder drei Tage ist hie und da üblich. So wird in
Mietesheim am ersten Tag ein großes Halstuch für 40—64 M.,
am zweiten ein oder zwei kleine Halstücher, am dritten Salz-
hüchsle herausgetanzt, in Weitbrach am zweiten Tag Meßti-
platte und Teller, am dritten Tag Hahn, Hut und Halstuch,
in Morsbronn (bis 1882) am ersten Tag Halstuch, am zweiten
ein Dutzend Teller.
Die ganze Veranstaltung wird aber schon mit verhöhnenden
Bemerkungen begleitet in Gundershofen, wo allerdings das
Meßtivolk größtenteils aus den Eisenarbeitern des Zinsweiler
Werkes besteht.
Was nun endlich das Verfahren des Heraustanzens betrifft,
so ist es seit Menschengedenken im großen und ganzen das-
selbe. Auf einem Balken der Tanzhütte oder auf dem Musi-
kantenlisch brennt eine Stearinkerze, die mit einem Bindfaden
umwickelt ist, woran ein Trinkglas hängt. Früher war es ein
Talglicht in einem Laternengestell, das man an der Wand oder *
am Pfosten in der Mitte des Saales oder an einem Baum
der Tanzwiese aufhängte. Das Licht wird angezündet, und der
Tanz beginnt. Ist nun die Kerze bis an den Bindfaden herab-
gebrannt, so fällt das Glas zu Boden. Das ist der Augenblick
des Gewinnes. Klein 1 gibt für den Zaberner Meßti vor 1849
und StÖber» für den Kochersberg vor 1857 das nämliche Ver-
fahren an. Statt des Glases wurde jedoch in Zaber n eine Flinten-
kugel, im Kochersberg eine Bleikugel verwendet. Trotz eifriger
Fahndung nach dieser Kugel ist es uns nicht gelungen, ihr
Vorkommen im Kochersberg bestätigt zu finden. Dieses Ver-
fahren wurde von Ca Imberg nach Stöbers Angaben dramatisch 8
verwertet, er läßt eine faustgroße Bleikugel auf eine Blechkanne
fallen. Für die von Calmberg angegebene Zeit, das Jahr 1872,
trilft es aber sicher nicht zu. In Kleebarn hatte man früher
statt eines Glases eine ^'Literflasche. ^ n Lothringen steckt
die an der Decke befestigte Kerze in einer Flasche.
Die Bestimmung desjenigen Tanzpaares, das beim Fallen
des Glases als Gewinner zu gelten hat, geschieht auf ver-
schiedene Weise. Zunächst numeriert der Meßlibursch die Paare,
entweder in seinem Notizbuch, oder durch Einhändigung von
Zetteln an die Burschen (Schweighausen, Schwabweiler, Flöth-
bach ), in Ringendorf eine Zeitlang durch Kreidezahlen auf
1 Klein, Saverne et ses environs. Strasbourg, Silbermann, 184t>,
p. 224. - i Stöber, Der Kochersberg. ö. 49 f. — » Calmberg,
Das Röschea vom Kochersberg, elsässisches Lebensbild in fünf Auf-
zügen. Leipzig und Zürich, 1875. 2. Autl. S. 3 f. und 20.
20
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dem Rücken der Tänzer. Nun wird getanzt, bis das Glas fällt,
oft eine Stunde lang. Es ist ein aufregender Tanz, denn
niemand will zurückstehn. Nach dem alten Zaberner und
Kocbersberger Verfahren bekam das erste Paar einen Blumen-
strauß in die Hand, den es dem nächstfolgenden Paar übergab,
sobald es stille stehen mußte, um Atem zu schöpfen. Wer den
Strauß in der Hand hatte, als die Kugel fiel, hatte gewonnen.
Die Musik spielte sehr schnell, um die Tänzer außer Atem zu
bringen und einen öfteren Wechsel des Straußes zu bewirken.
Nach dem jetzt üblichen Verfahren wird der Strauß nach An-
weisung des Meßtiburschen alle 1 — 3 Runden an einer mit
Kreide bezeichneten Stelle des Tanzbodens oder alle halbe oder
ganze Minute durch Ausrufen der Nummern gewechselt. Dieser
Strauß bat aber heutzutage wohl allenthalben die Gestalt eines
Rosmarinsträußchens, des Wahrzeichens treuer Sitte, ange-
nommen, das in den Mund gesteckt wird und manchmal mit
einem roten Bändchen versehen ist. Schon 1849 wurde in
Buchsweiler ein Rosmarinstengel verwendet, hingegen noch
1853 ein Blumenstrauß in Hatten und 1876 in St. Johann-
Kurzerode. Auch im Oberelsaß war noch bis 1878 ein Strauß
im Munde die Regel. * Nach dem Rosmarinsträußehen wurde
in Lingohheim (bis 1872) das Heraustanzen geradezu als Ros-
marintanz bezeichnet.
Als vereinzelte örtliche Entscheidungszeichen, die von Paar
zu Paar wanderten, sind zu nennen : in Weiters weiter und
Dossenheim der Hut des Meßtiburschen, der ja auch einen
Strauß hatte, in Ittenkeim ein Schlüssel, in Weitbruch der
Hahn selbst, in Geudertheim die Meßtiplatte.
Zu Buchsweiler gewann in den 18Ö0 er Jahren das Paar,
das sich beim Fallen des Glases unter dem Talglichte befand.
In Kleeburg (vor 1860), Memmeishofen (bis 1862) und Stund-
weiler (bis 1863) war von einem Pfosten in der Hütte nach
der einen Wand eine Stange in der Weise gelegt, daß immer
bloß ein Paar zugleich darüber tanzen konnte. Wer auf der
Stange war, als das Glas fiel, hatte gewonnen. Da war dann
in der Nähe immer ein Gedränge. War ein Paar auf der
Stange, so tanzte es möglichst lange darauf, die andern Tänzer
drängten nach, und es gab eine Schieberei. Brannte aber das
Licht nahe an der Schnur, so hielt man sich etwas zurück,
um im entscheidenden Augenblick schnell auf die Stange
treten zu können, und es gab wieder ein Gedränge. Da war
es oft für die beiden Kirweburschen, die die Laterne und die
Stange im Auge behielten, schwer, eine Entscheidung zu
1 Pfannenschmid, a. a. 0. S. 5"»1>.
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treffen. Nicht selten auch tanzte beim Fallen des Glases niemand
auf der Stange.
Das im Elsaß übliche Verfahren beim Hahnentanz und
dem aus ihm hervorgegangenen Heraustanzen hat viel Aehnlich-
keit mit dem Hammeltanz zu Hornberg in Baden* und mit
dem Hahnenlanz in der Baar,i insbesondere in Urach, Teinach
und Markgröningen. * Auch dort gilt das Fallen oder das
schwierige Herabstoßen eines Glases als Zeichen des Gewinnes.
Vielleicht ist dieser Hahnentanz aus einem deutschen Bauern-
lanz des 15. Jahrhunderts hervorgegangen, bei dem der Bursche
ein Glas auf dem Kopf balancieren mußte. Wer das am besten
tat, der erhielt als Preis einen Hahn.' Hahnentänze mit anderem
Gewinnverfahren sind von Böhme* belegt für Wien 1801, bis
1840 in Höslach in Schwaben, bis 1850 in Allgäu, bis in
unsere Tage im badischen Schwarzwald. 5 Auch in Teinach
und Augsburg war noch 1874 der Hahnentanz üblich,« in
Augsburg schon 1519.7 Ob auch im Elsaß im 18. Jahrhundert
oder früher die persönliche Geschicklichkeit beim Tanzen in
Betracht kam, wissen wir nicht.
Wer den Landmann kennt, den wird es nicht befremden
zu erfahren, daß beim Heraustanzen nicht immer der Zufall
entscheidet. Es wäre aber ganz verkehrt, von verwerflichem
Betrug zu sprechen, sondern List und Verschlagenheit haben
mit der Zeit den natürlichen Gang des Heraustanzens beein-
flußt, und die so geschaffene Veränderung ist nun selbst zur
Sitte geworden. Seit einigen Jahrzehnten ist es überall ge-
bräuchlich, daß das Glas nicht auf natürliche Weise herunter-
fallt, sondern daß es absichtlich heruntergestoßen wird, und
zwar vom Meßtiburschen oder einem seiner Freunde oder von
einem der Musikanten, denen es nie schnell genug geht. Der Ge-
winner aber hat vorher mit dem Meßtiburschen «geredet», und
dieser hat demjenigen Burschen den Gewinn zugedacht, der
ihm das größte Trinkgeld gab und am meisten Wein guthieß,
z. B. 3 — 5 M. und 4 Liter Wein für die Musik. Die Dorf-
burschen kennen gewöhnlich den Gewinner im voraus, aber
sie sind mit dem Ergebnis einverstanden, weil sie dafür vom
Meßtiburschen tüchtig zu trinken bekommen. In der Regel
1 Reinsbcrg-Düringsfcld, Das festliche Jahr. Leipzig,
Barsdorf, 1898. S. 299. — * Gartenlaube von 1884, S. 632 ff., wo
auch das Gemälde von H. Schaumann wiedergegeben ist. —
: * Schultz, Deutsches Leben im 14. und lö. Jahrhundert. Wien,
Prag und Leipzig. 1892. II, S. 495. — * Böhme, Geschichte des
Tanzes in Deutschland. Leipzig, Breitkopf und Härtel. I. S. 171 ff.
— & E. H. Meyer, Badische Volkskunde. S. 190. — 6 Bir-
linger, Aus Schwaben. II, S. 213 f. und 220. — ' A. a. 0. S. 227.
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ist es ein Bräutigam, der seiner Braut das Halstuch schenkt,
und nicht seilen hat er es vorher sogar selbst ausgesucht. Be-
wirbt sich ein Angehöriger des Herrenstandes um das Meßti-
halsluch, so muß er gehörig bezahlen, z. B. 10 M. oder
10 Liter Wein. In einem solchen Falle zieht der Meßtibursch
gewöhnlich seine Kameraden zu Rate. Bei diesem .neuzeit-
lichen, entarteten Hahnentanz ist es die Sorge des Meßtiburschen,
das Glas möglichst schnell zu Falle zu bringen, damit dies
nicht durch die «Dummheit» eines andern Burschen geschieht,
und er pflegt sich dann auch nicht an eine bestimmte Reihen-
folge unter den Tanzpaaren zu kehren. In Alleckendorf ist
die Sache einfach die, daß ein Freund des Meßtiburschen auf
der Festwiese ein Glas auf einen Stein wirft, wenn der rich-
tige Bursche das Rosmarinsträußehen im Munde hat. Der
Meßtibursch ruft dann: «Het, wer het?» Der Gewinner hält
das Sträußchen in die Höhe und bekommt nun den Hahn. Das
ist freilich schon ein Stück Hohn auf die alte Sitte.
Der Verlauf der ganzen Veranstaltung ist nunmehr folgen-
der. Gleich nach dem Abendessen geht der Meßtibursch herum
und läßt sich «setzen». Die Burschen, die sich beteiligen
wollen, setzen je nach ihrer Zahl und dem Wert des Gegen-
standes 20 Pf. bis 1 M., bisweilen auch 2 M. In manchen
Dörfern, so in Ernolsheim und Alleckendorf, sind die Burschen
zum Einsatz verpflichtet als Entschädigung für das Vertrinken des
Meßti, und dort erhebt der Meßtibursch einfach I1J2— 2 M.
Manchmal setzen auch die Maiden «ins Halstuch». Dies ist
z. B. in Dossenheim gebräuchlich, und in gewissen Dörfern,
so in Ringendorf, ist es Sitte, daß bloß Maiden um das
kleine Halstuch tanzen. Ebenfalls in Ringendorf herrscht der
Brauch, daß der Meßtibursch mit einer brennenden Kerze an
den unteren Rockrand der einzelnen Tänzerinnen leuchtet, an-
geblich um an der Bewegung der Beine zu sehen, ob sie auch
gut tanzt. Dies tut er trotz seiner gebeugten Hallung und
selbst tanzend mit großer Gewandheit, so daß das Licht durch
den Luftzug des fliegenden Rocks nicht ausgelöcht wird. Bis
in die 1860er Jahre herrschte dieser Brauch im Hanauerland,
und oft tanzten mehrere Burschen hintereinander mit den
Talglichtern. Sobald das Glas fallt, hört die Musik auf, und
der Gewinn wird überreicht. Oft legt der Gewinner des
Halsluches dieses selbst zum Scherz an, gewöhnlich hängt er es
aber seiner Tänzerin um. Ist es zu heiß, oder sollen die Tanz-
kleider geschont werden, so kennzeichnet der Meßtibursch die
gluckliche Gewinnerin dadurch, daß er ihr ein rotes Band um
den rechten Oberarm anlegt. Für jeden Gegenstand erhält das
gewinnende Paar drei allein, und nicht selten lassen sich Meßti-
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bursch und Musik dafür nach allgemeinem Brauch noch durch
einige Maß Wein entschädigen.
Nicht immer gelingt es, für die Meßtigewinne Liebhaber
zu finden, eben wegen der großen Kosten. Dann geht es auch
wohl ausnahmsweise ehrlich zu, und nötigenfalls läßt der Wirt
seine Aufwürter und Aufwärterinnen mitsetzen, damit der
Meßtibursch wenigstens zu seinen Auslagen kommt. Ein be-
sonderer Spaß ist es für die Burschen, einen angeheiterten
Mann zum Setzen zu veranlassen. Oft ist es ein alter Mann,
der aus seinem Rausch erst erwacht, wenn das herabrollende
Glas ihm den Gewinn, aber auch die bedeutenden Unkosten
des Drei-allein-Tanzens ankündigt. Mit Vorliebe bereiten die
Burschen diese Ueberraschung einem vorwitzigen Fremden
oder einem vertrauensseligen Tänzer aus dem Herrenstande.
Auf dem Dunzenheimer Meßli ließ einmal in den 1850er
Jahren ein Mann aus Ingenheim in fröhlicher Weinlaune seine
Großmutter heraustanzen, die den Fehler halte, zu lange zu
leben. Wie vorauszusehen war, gewann er sie wieder und
mußte unter ungeheurer Heiterkeit eine Menge Wein be-
zahlen.
Oft gibt der Hahnentanz Anlaß zum Streit. Sind mehrere
Burschen mit festen Liebsten da, die alle gern das Halstuch
hätten, so entstehen von vorneherein Reibereien. Beim
Heraustanzen sucht dann der Anhang eines jeden Burschen
das Licht samt dem Glas herunterzuwerfen, trotzdem das
Halstuch bereits einem bestimmten Burschen zugesichert ist.
Manchmal geht das Büchlein mit den Namen und Nummern
der Hahnentänzer verloren, und es kam schon öfters vor, daß
der Meßtihammel aus dem Stall verschwunden war, wenn ihn
der Gewinner abholen wollte. Besonders müssen hierbei die
Auswärtigen vorsichtig sein. Mehr als einmal bekam eiti Fremder
im entscheidenden Augenblick das Rosmarinsträußehen von
einem einheimischen Burschen einfach aus dem Munde ge-
rissen. Um diesem Schicksal zu entgehen, warf einmal ein
Ernolsheimer Bursche auf dem Dossenheimer Meßti auf den
Rat des Meßtiburschen das Sträußchen zum Fenster hinaus.
Als das Glas fiel, konnte sich niemand anders melden,
da keiner den Rosmarin hatte, und so erhielt der Ernolsheimer
das Halstuch für seine Braut.
Eine zweite Form der Verwendung eines Hahnes ist das
Hahnenschlagen. Diese Sitte ist in Deutschland weit verbrei-
tet. Sie kommt auch im Böhmerwald » und in England und
1 Reinsberg-Dürings feld, Das festliche Jahr. 2.
Aufl. Leipzig, Barsdorf, 1898. S. 370.
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sogar in Madrid i vor. Es liegt ihr die altgermanische An-
schauung zu Grunde, daß in dem Getreide auf dem Feld ein
geisterhaftes Wesen in Gestalt eines Hahnes * haust, das durch
das Abschneiden der letzten Garbe getötet wird.» Diese Tö-
tung wurde in sinnbildlicher Weise mit einem wirklichen
Hahn unmittelbar nach der Ernte vorgenommen. In späterer
Zeit löste sie sich vom Ernteakt los und wurde als Hahnschla-
gen, Topfschlagen und Hahnreiten zur selbständigen Volksbelu-
stigung in verschiedenen Zeiten des Jahres.* Dieses Spiel hat
sich im Elsaß mit dem Kirch weih feste verbunden oder
wurde mit ihm als einem Erntefeste aus altersgrauer Vorzeit
überliefert.
Das Hahnenschlagen ist im Meßtigebiet nachzuweisen in
Weitersweiler bis 1876, in St. Johann- Kurzerode bis 1877,
in Neuweiler bis 1899, in Dossenheim bei Zabern besteht
es noch.
Die in Dossenheim übliche Art des Hahnenschlagens ist
folgende. Am Meßtidienstag nachmittag zieht das Meßtivolkauf
eine Wiese. Ein Bursche trägt den lebenden Hahn in einem
Röckkorb mit. Man hängt ihn draußen an einer zwischen
zwei Bohnenstangen ausgespannten Schnur auf. Nacheinan-
der tanzen die Burschen um den Hahn herum «den Hahnen-
tanz». Sie bekommen einen Säbel in die Hand und müssen
nun mit verbundenen Augen die Schnur zu durchhauen
suchen. Wem es gelingt, der gewinnt den Hahn und tanzt
mit seinem Maide und dem Hahn drei allein. Wie beim
Heraustanzen, war der Gewinner schon im voraus bestimmt.
Das Hauen nach dem Seil ist eine Milderung der früheren
Sitte des Schlagens nach dem Hahn selbst, die auch in St.
Johann- Kurzerode üblich war und noch im Kreise Bolchen
mit einem Stocke geschieht. Dann zieht die Gesellschaft nach
dem Tanzhause. Vor diesem tanzt das Gewinnerpaar wieder-
um drei allein, wie vorher. Dann wird der Hahn geschlachtet.
Solange er blutet, spielt die Musik eine Trauerserenade. Das
Blut wird in einer Schüssel aufgefangen und wurde früher von
den Burschen getrunken. Heutzutage wird es durch Rotwein
versinnbildlicht, und der Bursche, der den Hahn geschlachtet
oder ihm mit dem Säbel den Kopf abgehauen hat, begleitet
die Aufforderung zum Trinken scherzweise mit der Frage :
9 Wer hat Courage?» Sollte dieser Brauch, der übrigens im Elsaß
einzig dasteht, nicht auf ein altes Tieropfer mit AufTangen des
1 Fahne, Der Carneval. Köln u. Bonn. Heberle. 1851. S. 149.
2 Mannhardt, Die Korndämonen. Berlin. Dümmler. 18G8.
S. 1. - 3 A. a. 0. S. ö. - « A. a. 0. S. 16.
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Blutes in einem Opferkessel und einer gemeinschaftlichen Opfer-
mahlzeit hindeuten? In den Dossenheimer Gebräuchen ist
1906 und 1907 insofern eine Aenderung eingetreten, als der auf
die Wiese mitgebrachte Hahn schon vorher geschlachtet war
und dann vor dem Wirtshaus eine Scheinschlachtung stattfand.
Eine andere Form des Hahnenschlagens ist das in
Weitersweiler und Neuweiler üblich gewesene «Ausbauen».
Zu Weitersweiler wurde am 2. Meßtitage ein geschlachteter
Hahn mit den Füßen an einer langen Stange angebunden und
zum Fenster des Tanzwirlshauses hinausgehängt, 1 in Neuweiler
band man einen lebenden Hahn mit den Füßen an eine Pla-
tane im Hofe der Wirtschaft. Der Reihe nach hieb nun jeder
Bursche mit einem Säbel und verbundenen Augen dreimal
nach dem Tier. Wer den Kopf abhieb, hatte gewonnen. In
ähnlicher Weise wurde früher im Kreise Chäteau-Salins
nach einem eingegrabenen Hahn, im Kreis Bolchen nach
einem Ei geschlagen. In allen Fällen mußte der Gewinner
den Hahn zubereiten lassen. Darüber im nächsten Abschnitt.
Die Silte des Hahnenschlagens schließt übrigens die des
Hahnentanzes, d. h. des Tanzes um Hut und Halstuch nicht
aus.
Der Hahnenimbs.
Schmausereien im Wirtshaus.
Im Hahnenimbs haben wir wohl die Ueberreste eines
Opfermahles zu erblicken, das abgehalten wurde, um dem im
Getreide gedachten Vegetationsgeisle, dem Getreidehahn, nach
1 Ueber die Entstehung dieser Sitte erzählt man sich in Wei-
tersweiler folgende lustige Geschichte. Es flog einmal ein fremder
Vogel ins Dorf, der nur immer «Kuckuck» rief. Man brachte das
seltsame Tier, das niemand kannte, aufs Gemeindehaus, wo es auf
Kosten der Gemeinde verpflegt wurde. Da dies aber zu kostspielig
wurde, beschlossen die Räte, daß der Vogel der Reihe nach zu
allen Bürgern geschickt und von diesen gefüttert werden sollte.
Derjenige aber, bei dem der Vogel wegen schlechter Verpflegung ver-
enden würde, sollte der Gemeinde die sämtlichen Fütterungskosten
vergüten. Eines Tages verendete das Tier bei einem Schuster, der
auch im Gemeinderat war. Um nun der festgesetzten Strafe zu
entgehen, schlug der Schuster vor, der Jugend eine Freude zu be-
reiten, den Vogel zu töten und auf die jetzt noch übliche Weise
«aushauen» zu lassen. Der Gewinner solle den Vogel zu einem
Imbiß zurüsten lassen und die Kosten bezahlen. Der Rat ging auf
den Vorschlag ein, und zum Andenken >vird seitdem am 2. Meßti-
tage ein Kuckuck oder in Ermangelung desselben ein Hahn «ausge-
hauen». Daher stammt auch der Uebername der Weitersweilcrer :
die Kuckucke. Die Geschichte beweist weiter nichts, als daß die
Sitte schon recht alt ist.
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glucklich eingebrachter Ernte zu danken und seine Gunst wei-
terhin sich zu sichern.
Ks liegt nahe, anzunehmen, daß in der Blutezeit des
Tanzes um einen leibhaftigen Hahn dieser auch von den be-
teiligten Tänzern verspeist wurde. Ein wirklicher Hahn wurde
in den letzten Jahren nur noch gemessen in Alieckendorf,
Schwindrat: heim, Lampertheim und Dossenheim, ferner bis
gegen 1870 in Walten heim und Kleeburg und bis 1894 in
Weitbruch. Mit Ausnahme von Lampertheim sind das lauter
Dörfer, wo man auch um einen wirklichen Hahn tanzte. In
Mietesheim wurde aber schon in den 1820er Jahren der heraus-
getanzte Hahn nicht mehr verspeist, in Hunspach ebenfalls
nicht, wo man zwischen 1835 und 1840 statt dessen Gänse-
braten aß. Auch in den eben erwähnten Dörfern legt mnn
kein Gewicht mehr auf das Hahnenessen. Nur die Dossen-
heimer Jugend scheint einen guten Hahnenbraten zu lieben,
denn es werden dort außer dem Preishahn noch andere Hähne
dazugekauft und gemeinsam verspeist.
Im übrigen erging es dem Hahnenimbs wie dem Hahnen-
tanz. Der Hahn verschwand vom Tische, und der Hahnenimbs
hat sich allmählich zu einem gewöhnlichen Essen gestaltet,
während der Name Hahnenimbs blieb. Am meisten ist er
in dieser Form noch im Nordhanauischen im Schwung, etwa
von Alteckendorf und Obermodern ab nördlich. In Obersee-
bach kam er schon um 1840 ab, in Gunsten 1869, in Wei-
tenweiler 1870, in Morsbronn 1882, in Hunspach y wo man
am Nachkirwe-Sonntag noch an den «Habnentisch» ging, 1899,
in Milse hdorf vor wenigen Jahren. Am Hahnenessen beteiligen
sich diejenigen Paare, die am Hahnentanz teilgenommen
haben. Nach altem Brauch muß der Bursche, welcher den
Hahn bezw. das Halstuch gewonnen hat, den Imbs be-
zahlen, wofür er am Hahnentisch oben ansitzen darf. Den
Wein liefern die Burschen selbst. Umgekehrt war der Ge-
winner im Hahnentanze zu Schillersdorf vor 1870 mit seinem
Maide zehrfrei, mußte aber der Musik 5 Fr. geben.
In Mietesheim, wo der Hahnenimbs noch am ausgepräg-
testen ist, geht «r, wie folgt, vor sich. Schon am Sonntag beim
Feierabend setzt der Meßtibursch jedem Maide, das an den
Hahnentisch kommen soll, zwei neue Blumenteller zum Mit-
nehmen vor. Der Bursche muß sie bezahlen, dabei wird der
Kaffee getrunken. Am Montag um Mitternacht stellt er wieder
zwei Teller hin. Dann setzt man sich an den Hahnentisch.
Es gibt ein «vollständiges Essen» : Suppe und Rindfleisch,
Bratwürste mit Weißkraut, Kalbsbraten und Salat. Kuchen
und Torte werden zum Mitnehmen «eingebunden». Am
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Dienstag Abend beim Kaffee erhält jedes Maide, das am Hahnen-
tisch war, nochmals zwei Blumenteller, so daß es nunmehr
ein halbes Dutzend hat. Das Paar kostet 24 Su. Der Hahnen-
imbs, mit allem, was drum und dran hängt, ist also eine
kostspielige Sache. Deshalb führt auch der Bursche sein
Maide in der Regel nur dann an den Hahnentisch, wenn er
ernste Absichten hat, und darauf wird von den andern Burschen
geachtet.
Entgegen dem Hahn wird das andere Opfertier, der
Hammel, wie auch anderwärts in Deutschland,» noch häufig
verspeist, lediglich wohl nur deshalb, weil es sich für eine
größere Beteiligung sehr gut eignet, was man vom Hahne nicht
sagen kann.
Im allgemeinen ist sonst der Zusammenhalt der Hahnen-
tänzer schon sehr gelockert. Doch findet man hie und da noch
Reste des gemeinsamen Hahnenimbses, so in Oberseebach, wo
die Burschen mit festen Liebschaften im Wirtshause zu Nacht
speisen und für sie eigens Torten zum Mitnehmen backen lassen,
ferner in Engweiler, wo jeder Bursche ein Kaninchen mit-
bringt und der Meßti mit einem gewaltigen Essen von oft 30
Kaninchen beschlossen wird, und in der Walk, wo sich die
Jugend der benachbarten protestantischen Dörfer schon am
Sonntag Nacht zusammenschließt und erst bei Tagesanbruch
vom Tische aufsteht, um ans Heimführen zu denken. Diese
Schmausereien beschränken sich nicht mehr auf die Hahnen-
tänzer, doch gilt für die Burschen die untere Altersgrenze von
17 Jahren.
Aber gewöhnlich ist das Mahl im Tanzwirtshause jeder-
mann zugänglich, vorausgesetzt daß überhaupt Sinn und Geld
für solche Schmausereien vorhanden ist. Deüweiler und Ven-
denheim genossen früher in dieser Hinsicht weit und breit
einen berechtigten Ruf. Nicht seilen mußten mehrere Schweine
geschlachtet werden, 60 und mehr Kugelhopfe, 30 Torten und
ganze Körbe voll Hirzhörnle wurden gegessen und nachher
Zuckerwein getrunken. In Geitdertheim ist es zur Sitte ge-
worden, daß auch verheiratete Einheimische im Wirtshaus
essen. Heutzutage begnügen sich Bursche und Maide vielfach
schon mit einem Paar Knackwürstchen oder einem «Serwila»
(frz. cervelal) oder einem Stückchen Käse, und dazu trinkt man
ein Glas Bier.
» Pfanne nschmid, a. a. 0. S. 292, wo noch weitere Lite-
ratur angegeben ist. — Reins berg-Düringsfeld, a.a.O.
S. 362.
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Das Begraben, Verbrennen, Ertränken.
Der Meßtibär.
Den Schluß des Hauptmeßti bilden gewisse Veranstaltungen,
die in scherzhaft-feierlicher Weise verlaufen, aber ursprünglich
einen tieteren religiösen Sinn hatten. Sie sind wohl als
Ueberreste alter Opferfeste und Grabgeschenke an die die
Vegetation schaffenden, verschiedengestaltigen Geisler aufzu-
fassen.* Wir linden sie in irgend einer Form, durch ganz
Deutschland : Vergraben eines Hoßschädels, einer Puppe, der
gefüllten Kirmeßflasche, zerschlagener Gefäße oder anderer
Kirchweihgegenstände, Verbrennen einer Puppe oder eines
Bundes Stroh, Herumführen eines Vermummten, «der krank
gewordenen Kirmeß», Versenken einer Puppe ins Wasser.»
Auch im Elsaß hat die sinnbildliche Beendigung des Festes
verschiedene Gestalten angenommen. Sie hat sich noch bis in
die allerletzte Zeit erhalten in Westhofen, Garburg. Heinrichs-
dorf, Mundolsheim, Hurtiyheim, Hördt und Oberhofen bei
Weißenburg.
Am häufigsten ßnden wir das Begraben des Meßti. Am
Nachmittag des letzten Meßtitages, Dienstag, Mittwoch oder
Donnerstag, zieht die ganze Meßtigemeinde mit Musik hinaus
vor das Dorf, auf eine Wiese oder in einen abgelegenen Winkel.
Ein Teilnehmer, der ursprünglich den Vegetationsgeist vor-
stellen sollte, ist in besonders drolliger Art verkleidet, er wird
auf einem Schubkarren gefahren oder geht zu Fuß mit. In
Dossenheim (bis 1890) hatte man ihm z. B. das Hemd über
die Kleider gezogen und eine alte lothringische «Nebelskappe»
oder einen Dreispitz aufgeselzt. In Oberbronn (1897) trug er
Kaminfegerskleider oder einen alten Hut mit einer Strohschärpe.
In Weitersweiler (bis 1870) setzte man ihn in einen Korb und
gab ihm einen Kugelhopf. Auch in Hölschloch, Hochfelden
und Dettweiler (vor 1870) ging ein vermummter Bursche mit.
Sehr beliebt ist bei diesem Aufzuge die volkstümliche Gestalt
des Bärs. Ein armer Teufel, dem man einige Groschen und
tüchtig zu «saufen» gibt, wird in eine Verkleidung gesteckt. Man
zieht ihm einen Schafspelz an oder Weiberkleider, einen alten
1 Ausführliches hierüber bei Pfanne nschmid, a. a. 0.
S. 308 fT — * Näheres bei Pf annen sc hmid, a. a. 0. S. 302 ff.,
wo auch Literatur zu finden ist. — Rheinsberg-Dürings-
f c 1 d , a. a. 0. S. 3<52 ff. — Montauus. Die deutschen Volksfeste.
Iserlohn und Elberfeld, Bädecker, 18.">4. S. 59 f.
V
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- 315 —
mit Stroh ausgestopften Mantel, ein Hanswurstkleid, einen alt-
modischen Bauernrock mit dem Schippen-Aß oder ein Paar
Ohrenkappen, man schwärzt ihm auch wohl das Gesicht. Als
Kennzeichen des Bärs hat er einen Stock und wird an einer
Kette durchs Dorf geführt. Seine Rolle, das Tanzen, Brummen,
Brüllen und Fauchen, spielt er in täusctiendei Weise, und die
Zuschauer kommen aus dem Lachen über seine drolligen Sprünge
nicht heraus, besonders wenn er wegen seiner Ungeschicklich-
keit vom Bärenführer noch reichlich Prügel bekommt und gar
auf dem Boden herumgerollt wird. In diesem lustigen Aufzuge
trägt der Meßtibursch eine Flasche Wein oder ein leeres Bier-
glas, zwei andere Burschen Hacke und Schaufel. Während sie
ein Loch graben, spielt die Musik eine Mark und Bein erschüt-
ternde Trauerarie, und die Anwesenden stimmen in ein mög-
lichst klägliches Heulen, Schluchzen und Weinen ein. Einer
der Burschen hält dann auf den verstorbenen Meßti eine er-
greifende Trauerrede, zum letzten Male wird die Flasche her-
umgegeben und geleert und dann in die Grube geworfen. In
Kaltenhausen wurde früher an allen vier Ecken des Dorfes
eine Vertiefung gegraben. Man nahm ein Faß Bier mit, das
während der Veranstaltung geleert wurde, und goß in jedes
Loch ein Liter Bier. Zum Schluß wurde dasselbe schnell zuge-
deckt und über dem «Grab» ein Galopp im Kreise getanzt.
Dann ging es nach dem Tanzhause zurück, wo der Rest des
Tages mit Trinken, manchmal auch beim Tanze zugebracht
wurde.
In Heinrichsdorf verkleiden sich alle Burschen. Sie fahren
ein Fäßchen Bier auf eine Anhöhe vor dem Dorf, wo sie den
Meßti beweinen und das Bier austrinken. Dabei wird der Meßli
in Gestalt eines Stückes Holz begraben.
Beim Begraben wird und wurde unseres Wissens im Elsaß
ein Strohmann als Vertreter des vermummten Menschen nicht
verwendet. Hingegen hat sich die Gestalt des Bärs von der
Handlung des Begrabens vielfach losgelöst und wird nun zum
Beschluß des Meßti durch alle Dorfgassen geführt, so nament-
lich in Weyersheim (bis 1853), in Kaltenhausen (vor 1890),
in Mühlhausen (vor 1890), wo der Bär mit zwei eisernen Hafen-
deckeln einen Höllenlärm verführte, in Mundohheim und
Hurtigheim noch heute. Namentlich jn Hurtig heim ist der
Meßtibär noch sehr im Schwünge. Er sammelt sogar Geld
auf einem Teller und macht dabei ein ganz gutes Geschäft.
Und in Schiltig heim konnte man 1905 im Meßtizuge einen
Meßtibär sehen, den sein Pelz so in Schweiß brachte, daß er
bald zu seiner Haut hinausfuhr.
Eine zweite, seltenere Form der Beendigung des Meßti ist
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316 -
das Verbrennen. Man verwendet hierbei einen Sirohmann oder
eine Puppe, die auf einer Leiter feierlich hinausgetragen wird,
so in Gumtett (noch 1894), Kirweihr (noch nach 1870),
Obermodern (bis in die 1860 er Jahre). In Meisheim war
schon in den 1840er Jahren der Strohmann zu einem Bosen
Stroh verkümmert, desgleichen in Mühlhausen in den 1860 er
Jahren und in Schwindratzheim, wo der Meßti 1897 zum letzten
Mal verbrannt wurde. Die Asche wurde nebst einer Flasche
Wein in ein Loch vergraben, letztere auch einmal mit einem
Gewehr zerschossen. Im übrigen waren die Gebräuche die-
selben wie beim Begraben.
Das Verscharren einer Flasche Wein ist weit verbreitet,
namentlich im Kirwegebiet. Da sie aber natürlich sofort nach-
her von andern Burschen wieder herausgehackt und geleert
wird und demnach ihren ursprünglichen Zweck, die die Vege-
tation befördernden Geister durch ein Opfer zu erfreuen und
während des Winters zu stärken, nicht erfüllen kann, so wird
das Vergraben vor dem «Holen» der nächstjährigen Kirwe
wiederholt, wie wir bereits früher gesehen haben.
Das «Vertränken» des Meßti steht in unserem Gebiete ganz
vereinzelt in Geudertheim da (bis 1902). In feierlichem Auf-
zug wird ein Strohmann mit großem Hut an die Zorn getragen
und hineingeworfen. Während er fortschwimmt, tanzt die
fröhliche Gesellschaft am Ufer und zieht nachher zum Tanz-
hause zurück. Im Kilbegebiet herrschte derselbe Gebrauch
früher in Rufach* und Reichenweier, 8 Um eine Stufe höher
steht die ateTche Veranstaltung zu Hördt. Dort wird das sehr
lebhaft betriebene Herumführen des Bars dadurch beendigt, daß
man ihn in die Dorfschwemme wirft, wo er gewaschen wird und
«durch baden» muß. Dieser Vorgang wurde vor wenigen Jahren
einmal mit solcher Roheit ausgeführt, daß der Gendarm ein
Protokoll darüber aufnahm. Nach Belehrung durch den
Bürgermeister unterließ er aber die Meldung. Auch in Andols-
heim im Oberelsaß wurde früher ein leibhaftiger Mann in eine
Pfütze geworfen. 3
Das Begraben, Verbrennen und Ertränken des Meßti ist
seit der Einschränkung der Meßtidauer immer mehr zurück-
gegangen und auch im einzelnen verkümmert. In Garburg
verkleiden sich am Meßlidienstag einige Burschen, setzen
Schlaraflen auf, machen allerlei Sprünge und Faxen im Dorf,
sammeln Eier upd Geld, und das nennen sie das Begraben
des Meßti. In Hoch fehlen sprangen in den 1870er Jahren
> Pfannens chmid, a. a. 0. S. f»61 f. - * S. 563.
8 S. 5G2.
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— 317 —
betrunkene Burschen auf der Straße herum und ergötzten sich
an einem Kameraden, der bis an den Hals in einem Sack
steckte. Er sprang herum, bekam Bier eingegossen und
Knackwürste zu essen, wobei er unheimliche Fratzen schnitt,
und die ganze Gesellschaft sang bis zum Ueberdruß, wohl
hundert Mal :
0 jerum, o jerum !
Der Meßti isch herum !
Wenn man heutzutage vom Meß Ii -Begraben spricht, so
versteht man darunter : den Meßti mit einem gewaltigen Trunk
beendigen. Ja dieser Ausdruck ist im Elsaß weil und breit,
auch außerhalb des Meßti, geläufig im Sinne von Trinken bis
zur Bewußtlosigkeit.
Diese Meßtisitte hat auch verschiedentlich Anlaß zu un-
liebsamen Vorkommnissen gegeben. Es liegt nahe, angesichts
des Ausdruckes «Begraben» an die religiöse Zeremonie der
Beerdigung zu denken und sie in der übermütigen Laune
des Rausches oder des Katzenjammers nachzuahmen und noch
andere kirchliche Gebräuche dazu zu verspotten. So wurde 4843
beim Begraben des Kilstetter Meßti die Kreuzigung Christi ver-
höhnt. Die Burschen führten eine Leiter auf einem Schub-
karren herum. «Christus» stieg auf die Leiter, bekam Mist-
jauche zu trinken und sagte dann: «Es ist vollbracht!» Auf
dem Hatlmatter Meßti leitete in den 1860er Jahren ein Buchs-
weiler Musikant das Begraben mit einem katholischen Kirchen-
lied und einem protestantischen Gesangbuchvers ein und hielt
dann eine seichte «Grabrede». Dieses Vorkommnis trug ihm
den Spitznamen «der Vicari» ein. Vor 1870 beschimpften
mehrere Burschen und Musikanten auf dem Kirweiler Meßti
die jüdischen Zeremonien durch eine förmliche dramatische
Behandlung des Bestattens. 1877 wurde der Meßti von Wesch-
heim und später derjenige von Jireitenbach bei Weiler unter
Verhöhnung kirchlicher Gebräuche begraben.
In allen diesen Fällen wurden die Beteiligten zu empfind-
lichen Gefängnisstrafen verurteilt.
Zwar nicht am Meßti, aber doch um das Begraben des
Meßti nachzuahmen, fand 1904 am Aschermittwoch zu Bisch-
heim ein vollständiger Leichenzug statt. Er wurde durch einen
Harmonikaspieler eröffnet, ein ehemaliger Meßdiener sang die
Totenmesse, und der Verstorbene wurde durch eine Puppe
auf einer Tragbahre dargestellt. Die Veranstalter kamen mit je
20 M. Geldstrafe davon.
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318 -
Das Ende des Festes.
Ist einmal der Meßti begraben, so hat das weitere Zu-
sammensein des Meßtivolkes jeden festlichen Anstrich verloren.
Man ist müde und abgespannt, und mancher ist auch mit seinen
Mitteln zu Ende. Hie und da finden sich noch einige Tanz-
paare zusammen, wenn die Musikanten ihnen willfahrig sind,
aber es ist kein Ernst mehr vorhanden. Auf dem Tanzboden
zeigen einige Burschen ihre Geschicklichkeit im Springen und
Ringen und führen Kraftproben vor, die schon mehr als ein-
mal in Schlägereien ausarteten. Die Zahl der «starken Männer»
ist ja auf dem Lande, besonders bei solchen Gelegenheiten,
immer groß, und der Ruf eines starken Mannes ein begehrens-
werter Vorzug, namentlich in den Augen der Maiden. 1908
kam ein Bursche in Mietesheim auf den Gedanken, auf einer
eisernen Verbindungsstange des Tanzsaales in 3 Meter Höhe
einen Walzer zu tanzen. Er verlor aber das Gleichgewicht und
brach einen Arm.
Wenn sich dann jede Ordnung von selbst aufgelöst hat
und die Maiden längst in den Federn ruhen, vertreiben sich
die Unverwüstlichen die letzten Stunden beim Glase, so lange
sie der Wirt behält. Es erscheinen auch die Schmarotzer und
die alten Unfüllbaren des Dorfes, die sich überall da zusam-
menziehen, wo es umsonst zu trinken gibt. Sie berauschen
sich auf Kosten der Burschen und müssen sich dafür zur all-
gemeinen Ergötzung die derbsten Spässe gefallen lassen, in
denen man ja auf dem Lande unerschöpflich ist.
Oft ist es schon heiter heller Tag, wenn die allerletzten
nach Hause wanken. Noch einige Zeit «steckt ihnen der Meßti
in den Rippen», und mancher findet die ganze Meßtiwoche hin-
durch keinen rechten Anfang zur Arbeit, bis der Nachmeßli in
seine Rechte tritt.
Die Jahrmärkte.
Die Bedeutung der Jahrmärkte hängt auf das engste mit
den Verkehrsverhältnissen ihrer Zeit zusammen. Während sie
im 14. bis 18. Jahrhundert die wichtigste und oft die einzige
Gelegenheit bildeten zum Umsatz gewisser Waren, insbesondere
von Verbrauchs-, Haushaltungs- und Bekleidungsgegenständen
beim Landvolk, nahm ihre Wichtigkeit mit der zunehmenden
Erleichterung des Verkehrs durch gut fahrbare Straßen, durch
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— 319 —
Eisenbahn und Post, mit der Verbesserung der Verkehrsmittel
und in neuester Zeit mit der Ausdehnung des Hausierhandels
stetig ab. Auf den Jahrmärkten strömten die Menschen nach
Tausenden zusammen, und darum waren sie für die betreffen-
den Gemeinden eine ergiebige Einnahmequelle, die von der
Gunst weltlicher und geistlicher Fürsten viel begehrt wurde.
Diese versahen die Jahrmärkte, um ihre Einträglichkeit noch
zu erhöhen, mit allerlei Vorrechten, so mit Sicherheit für Leib
und Gut der Teilnehmer, mit der Befreiung von Zöllen und
Abgaben, mit der Beschleunigung des Verfahrens bei Prozessen
und anderen Vergünstigungen.
Die Handelsbeziehungen der freien Reichsstadt Strasburg
mit Venedig, der Lombardei, Antwerpen, Flandern, Lyon, Reims.
Nanzig, Köln, Mainz, Frankfurt, Trier, Regensburg, Augsburg,
Nürnberg, Basel und vielen anderen Städten 1 ermöglichten es,
die elsässischen Jahrmärkte mit den auserlesensten Waren und
Stoffen reichlich zu versehen. * Aber auch an einheimischen
Erzeugnissen fehlte es nicht. So wurde beispielsweise im 16.
und 17. Jahrhundert die Wolle der Grafschaft Hanau-Lichten-
berg diesseits des Rheins auf den beiden Jahrmärkten zu
Pfaffenhofen feifgehalten. Die Bedeutung dieser Wollmärkte
wurde dadurch erhöht, daß auf Befehl des Grafen Johann
Reinhard I. von 1602 dessen Untertanen bei Vermeidung
schwerer Strafe alle ihre Wolle bringen mußten und sie sonst
an keinem Ort verkaufen durften. »
Die Jahrmärkte fanden in der Regel an Wochentagen st;«1t.
In welchem Umfange solche auch an Sonntagen abgehalten
wurden, davon konnten wir keine andere Spur finden als das
Zeugnis der Haqauischen vermehrten Kirchenordnung von
1659, die (S. 88) entrüstet ausruft : «Ich glaub, daß der leidige
Teuffei die Jahrmärckte auff den Sontag verordnet hat, GOtt
dem HErrn zu spott, daß Gottes Werck verhindert werde !» Die
Jahrmärkte waren oft in eigentümlicher Weise festgelegt, ge-
wöhnlich unter Bezugnahme auf Heiligentage oder kirchliche
Festtage. Sie waren aber, wie die Kirch weihfeste, 'so einge-
richtet, daß sie mit anderen Jahrmärkten im Umkreis von
30—40 Kilometern nicht zusammenfielen und ihnen nicht
schadeten. So wurden die beiden Jahrmärkte zu Reichshofen
auf den 2. Dienstag nach Michaelis und den 1. Dienstag nach
Georgi, die zu Hagenau aber auf den 1. Dienstag nach Micha-
1 Revue d'Alsacc. 1850, p. 65 ff. — 2 üeber diese Verhältnisse
finden sich gewiß in manchen Archiven zerstreute Aufzeichnungen,
die in volkswirtschaftlicher Hinsicht wertvoll sind. — 3 Kiefer,
Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, S. 30f>.
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elis und den 2. Dienstag nach Georgi, jeweils auf 7 Tage fest-
gesetzt. 1 Die Buchsweiler Jahrmarkte fanden vor der Revolu-
tion während 2 Tagen statt: am 4. Dienstag im März, am
Dienstag vor dem Fronleichnamstag, am Dienstag vor Maria
Gehurt und am Dienstag nach St. Nikolaus. Als mit der Ein-
führung des Revolulionskalenders andere Bezeichnungen not-
wendig wurden, stellten sich Unzuträglichkeiten ein, und 1806
mußte der alte Zustand wiederhergestellt werden.» Die Ver-
legung der alten Straßburyer Martinimesse auf Johanni (1414)
war sogar von so einschneidender Bedeutung, daß die Stadt dem
Kaiser Sigismund dafür 2000 Goldgulden (nach heutigem Geld-
wert 66000 M.) verehrte. » Und solcher Widerstreite, von
denen derjenige zwischen Hagenau und Bischweier wegen des
Pfeiferjahrmarktes 1749 hesonders bekannt ist,* fanden bis in
die neueste Zeit viele statt.
Denn auch heutzutage halten die Gemeinden noch an den
Jahrmärkten, trotz ihrer Nachteile, die hauptsächlich im aus-
wärtigen Wettbewerb und oft genug in minderwertiger Ware
bestehen. Manche Jahrmärkte sind durch einen jahrhunderte-
langen ruhmvollen Bestand so in dem Volksbewußtsein einge-
wurzelt, daß es schwer halten würde, sie abzuschaffen. Noch
heute üben der Buchsweiler Maimarkt, der Hochfelder Meßti
und der Pfaffenhnfer Petersmarkt eine solche Anziehungskraft
aus, daß bis auf zwei Wegstunden im Umkreis alles hinströmt.
Knechte und Mägde füttern des Morgens das Vieh, dann ar-
beiten sie nichts mehr und ziehen bereits gegen 10 Uhr in
hellen Haufen zu den Jahrmarktsfreuden. Nicht selten wird
diese Freiheit beim Dienstantritt ausdrücklich ausbedungen.
Ueber die Entstehungsweise der Jahrmärkte besteht kein
Zweifel. Sie bildeten sich von selbst oder durch Bewilligung der
Regierungen infolge der Bedürfnisse des Handels und Verkehrs,
also vorwiegend in Städten und Marktflecken, nur vereinzelt in
Dörfern Mit Ausnahme von Slraßburg setzten sie sich wohl
überall an die Meßtage und Kirchweihen dergestalt an, daß
sie mit ihnen eine größere Veranstaltung von mehrtägiger
Dauer bildeten, die eine kirchliche Feier, weltliche Vergnüg-
ungen und Handelsgeschäfte umfaßte. Der Jahrmarkt ging in
dieser Veranstaltung ganz auf, die die Gesamtbezeichnung
Meßtag oder Kirchweih behielt. Das geht u. a. aus einem
* Gemeindearchiv zu Reichshofen. — 8 Stadtarchiv von Buchs-
weiler, Gemeinderatsbeschluß vom 27. 1. 1806 — 3 Strohe 1,
Vaterländische Geschichte des Elsaß. Straßburg, 1843. B. III, S.
102. — * Auszüge aus den Archiven der Stadt Bischweiler. Bisch-
weiler, Posth., o. J. ( S. 11.
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Kanzleiprolokoll der Buchsweiler Regierung von 1565 hervor, 1
wonach man «in allen ämtern, da kein jarmarkt sind, die
meßtag abstellen soll, und bleiben meßtäg zu Buchsweiler %
Neuweiler, Pfaffenhofen, übermodern, Westhofen und
Hatten.*
Da wo mehrere Jahrmarkte stattfanden, wurde der eine
mit Meßtag oder Kirch weih bezeichnet, der oder die anderen
nach der Jahreszeit oder einem Heiligen, z. B. in Buchs-
weiler Halbfasten-, Mai-, Meßti- und Christkindelsmarkt. Erstere
Benennung blieb auch für die mit der weltlichen Kirchweih
verbundenen Jahrmärkte derjenigen Gemeinden, wo seit dem
19. Jahrhundert das kirchliche Kirch weihfest als Patron.stag
gefeiert wird. So werden im Volksmunde die Kram-, Zwiebel-
und Viehmärkle zu Zabern und Wasselnheim von Alters her
unler dem Namen Meßti zusammengefaßt. Brumath hält 1(303
«Meßtag uf Invocavit und uf Bartholomäi Jahrmarkt.»* Noch
heute richtet sich der Brumather Meßti nach Bartholomäi, der
Jahrmarkt findet 4 Wochen später statt. Die Niederbronner
Kirwe wird zusammen mit dem Spätjahrsjahrmarkt am The-
resentag abgehalten. Alle diese Veranstaltungen, wie sie auch
benannt werden, verlaufen unter demselben äußeren Bilde. In
den wenigen Städten, wo kein Meßti oder keine Kirwe nach-
gewiesen werden kann, so Barr und Weißenburg, gibt es
nur «Jahrmärkte». Der Begrilf Meßtag wurde aber erklär-
licherweise auch hie und da dem Begriff Jahrmarkt gleichge-
setzt. So lesen wir in einer Ordnung von 1544, daß Gral
Philipp IV. der Gemeinde Pfaffenhofen «auf das Standgeld an
beiden Jahrmärkten Peter und Paul und St. Lucä gegen 1 ff
von jedem Meßlag übergab.» Und in Brumath gibt es einen
Meßti schlechtweg und einen G'hansmeßli, in Hochfelden einen
Meßti und einen Pfingstmeßti.
Der älteste Jahrmarkt» scheint der von Straßbury zu sein,
1 Kiefer, Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, S. 44.
— * A. a. 0. S. 141. — 3 Die Angabe von Charles Gerard
(Revue d'Alsace, 1800. p. G7), daß Atullau im Jahre 1004 das Privi-
leg eines Jahrmarktes bekommen habe, der somit der älteste nach-
weisbare Jahrmarkt des Elsaß wäre, ist nicht richtig. Die bei
Grandidicr (Histoire d'Alsace, p. CXCVI1) abgedruckte Urkunde
betrifft vielmehr einen Wochenmarkt. "Wenn man über den Sinn
der Worte «mercatum siye emporium» streiten könnte, so ist jeder
Zweifel durch die Lettres Patentes Ludwigs XIV. ausgeschlossen,
worin gesagt ist (Ordonnanccs d'Alsace, 1. 1, p 1">9): « . . un Marche
public .... comme il lui a 6t6 aeeorde par l'Empereur Henry II
en l'an 1004, et selon que les Abbesses de ladite Abbaye en ont
joui jusqu'ä present.» Ein Jahrmarkt besteht übrigens in Amilau
heute nicht und scheint auch in jüngerer Zeit nicht bestanden z.u
haben.
21
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er ist schon 1153 erwähnt. Gregor IX. erneuerte das Recht,
eine Messe abzuhalten, 1228.» Sehr alt ist auch der Jahrmarkt
von Zabern. Zwar wissen wir nichts über seine Entstehung,
aber die große räumliche Ausdehnung, die er schon am Anfang
des 14. Jahrhunderts hatte, und die günstige Lage Zaberns für
den Handel berechtigen uns zu dem Schlüsse, daß er schon
lange vorher bestanden haben muß. Etwas genauere Angaben
besitzen wir über Lauterburg, das bald nach 1254 das Recht
erhielt» zwei große Jahrmärkte abzuhalten. 3 Reichshofen be-
kam zugleich mit der Erhebung zur Stadt durch Rudolf von
Habsburg 1280 zwei Jahrmärkte von je 7tägiger Dauer. Aus
der Verleihungsurkunde, die der Stadl Reichshofen dieselben
Rechte wie Hagenau zuteilt, erfahren wir, daß damals in
Hagenau bereits zwei Jahrmärkte bestanden. ' 1310 erhielt
Hagenau durch Privileg Heinrichs VII. zwei Jahrmärkte von
je 14 Tagen.* 1336 folgt wieder Strasburg,'* dem Kaiser Lud-
wig der Bayer eine 4wöchige Messe bewilligte. Sie wurde
1379 durch Wenzel und 1413 durch Sigismund bestätigt. 1436
wurde ihre Dauer auf 14 Tage beschränkt und also von Kaiser
Friedrich III. durch Urkunde von 1441, 1442 und 1452
bestätigt. Das war die berühmte G'hansmesse, die 1869 einging.
Der St. Gallen-Jahrmarkt von Oberehnheim wurde 1440 durch
Kaiser Karl IV. bewilligt.« Weißenburg erhielt 1471 drei
Jahrmärkte von je 14 Tagen, wozu 1570 noch weitere Verlei-
hungen durch Maximilian II. kamen. In Bischweiler läßt sich
der eine der beiden Jahrmärkte * schon 1499 nachweisen. Er
wurde 1603 erneuert und von Ludwig XIV. durch Lellres
Patentes von 1687 mit dem Pfeifertag vereinigt.» Buchsweiler
wurde 1503 durch Maximilian I. mit einem Jahrmarkt begabt. 9
Die beiden Jahrmärkte von Pfaffenhofen^ sind zum ersten Mal
1544 erwähnt, 1578 bat die Gemeinde um einen dritten, der
jedoch erst 1738 bewilligt wurde. Für Hochfelden erlaubte die
österreichische Regierung in Ensisheim 1596 drei Jahrmärkte,
die von Kaiser Ferdinand II. bestätigt wurden.» Durch kaiser-
liches Dekret vom 16. März 1807 behielt es nur noch einen
» Stöber, Neue Alsatia, Petry, 1885. S. 256. Daselbst über
die Straßburger Messen: S. 253— 2(>5. — 2 A. Meyer, Geschichte
der Stadt Lauterburg. Weißenburg, Ackermann, 1898. S. 17. —
s Stadtarchiv von Reichshofen. — 4 Das Reichsland Elsaß-Lothringen.
Straßburg, Heitz, 1901-03. III. S. 381. - 5 Revue d'Alsace, Colmar,
1850. p. 6(>. — ß Gyss, Urkundliche Geschichte der Stadt Oberehn-
heim. Straßburg, 1805. S. 120 f. — 7 Auszüge aus den Archiven der
Stadt Bischweiler. Bischweiler, Buchdruckerei Posth, o. D., S. 11. —
8 Ordonnances d'Alsace, t. I. p. 1GG. — 9 Kiefer, Pfarrbuch der
Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Straßburg, Heitz, 1890. S. 30. —
»o A. a. 0., S. 304 f. — » Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, C. 120.
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Jahrmarkt, 1 zu dem aber seit 1875 wieder ein zweiter, der
Pfingstjahrmarkt, gekommen ist. 1603 bestimmte Graf Johann
Reinhard I. den Brumalher Jahrmarkt auf Bartholornäi,* Auch
der Rosheimer Jahrmarkt ist alt.» Der Jahrmarkt von Selz,
der seit unvordenklicher Zeit bestand, wurde durch kaiserliches
Dekret vom 16. März 1807 und durch königliche Ordonnanz
vom 3. März 1825 erneuert.* In Ingweiler wurden durch
königliche Ordonnanz vom 17. Februar 1819 drei Jahrmärkte
bestimmt, wozu durch Bezirkspräsidial -Beschluß vom 27. De-
zember 1897 noch ein vierter hinzukam.* Niederrödern end-
lich bekam einen Jahrmarkt durch königliche Ordonnanz vom
6. Dezember 1826.« Ueber das Alter der Jahrmärkte von
Pfalzburg, Niederbronn, Beinheim, Hallen, Lembach, Wörth,
Sulz u. IV., Drusenheim, Maursmünster, Wasselnheirn, Mols-
heim, Mutzig und Barr fehlen uns geschichtliche und archi-
valische Nachweise.
Im Laufe der Zeit hat sich naturlich manches an den
Jahrmärkten geändert, sowohl an der Zeit ihrer Abhaltung wie
an ihrer Zahl, ja an ihrem Bestehen überhaupt. So wird uns
z. B. von der alten Slraßburger G'hansmesse berichtet, daß
sie 1831 ganz bedeutungslos war.' 1855 hatte sie wieder einen
kleinen Aufschwung genommen.» In einem Schreiben an den
Grafen Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg vom Jahre 1544
melden die Einwohner von Pfaffenhofen, daß von ihrem
Flecken das Spruchwort gehe, «daß seines gleichen, nit an
Reichthum, sondern einen tapferen aufrüstigen Markts zwischen
Bingen und Basel nit funden werde».» Von der Bedeutung
des Buek*weiler und des Zaberner Meßtages zeugt eine
Bestimmung der Roßhirtenordnung von Dossenheim (Kr. Zabern)
vom Jahre 1612. Demnach durfte man die Pferde von Pfingsten
bis zum Buchsweiler Meßtag nicht einspannen. «Da fahrt man
wider an vnndt spannet die Pferdt biß vf Maria Geburt dz Jst
Zabern Meßtag. » ,0 Und in der «Fleischtax von Dossenheim»
vom Jahr» 1603 ist bestimmt, daß das Lamm- und Hammel-
fleisch vor dem Buchsweiler Meßtag 0 Pf., nachher 5 Pf. kosten
soll, das Schaffleisch vorher 5 Pf., nachher 4 l |* Pf. das Pfund. "*
i Gemeindearchiv von Hochfelden. — * Bostetter, Geschicht-
liche Notizen über die Stadt Brumath. Straßburg, 1896. S. 83. —
3 Revue d'AUace, 1850. S. 67. — * Gemeindearchiv von Selz. —
5 Gemeindearchiv von Ingweiler. — 6 Gemeindearchiv von Nieder-
rödern. — 7 Strasbourg, ses monuments et curiosites. Strasbourg,
Lagier, 1831, p. XXII. — 8 Annales du Journal d'Alsace-Lorraine
1903, Nr. 24. — 9 K i c f e r , Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lich-
tenberg. Straßburg, 1890. S. 304. — "> «Schnallenbuch» im Ge-
meindearchiv von Dossenheim. — " Daselbst, S. 71.
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— 324 -
Andererseits sind die um Adelphi und in der Osterwoche 1
stattfindenden Straßburger Jahrmärkte jedenfalls schon vor
der Revolution zugrunde gegangen, die Kirchweihe vom Jungen
St. Peter gar schon 1481 ; 8 und nur der Christkindelsmarkt,
der zuerst 1611 nachgewiesen ist, blüht noch heute. Auch der
Nonmeßtag und der Herrgottsmeßtag zu Zubern sind schon
längst vergessen.»
Von heute noch vielbesuchten Jahrmärkten sind haupt-
sächlich zu nennen die Meßli in Zabern, Buchsweiler, Hage-
nau, Hoch f eitlen, Brumath, Waaseinheim, Mutzig und Nieder-
haslach. Letzterer hat sich an das mit einer Wallfahrt ver-
bundene kirchliche Florentiusfest angesetzt. Die hervorragendsten
Zwiebelmärkte mit oft 100 Wagenladungen finden statt in
Zubern, Buchsweiler, Ingweiler, Niederbronn, Hagenau,
Brumath, Hochfelden, Wassel n heim, Maursmünster und
Mulzig. Starken Besuches erfreuen sich ferner die Rindvieh-
märkte in Zubern, Wusseinheim, Sulz u, W. und Weißenburg,
die Schweine- und Ferkel markte in Zubern, Ingweiler, Ha-
genau, Wasselnheim und Mulzig sowie die Pferdemärkte von
Hagenau, Wasselnheim und Zubern. Großen Zulauf hatten
im Hinblick auf ein gutes Weinjahr die spätfallenden Meßti
wegen der Böttcherwaren und Leitern. «Der Holzmann kommt,
jetzt Geld heraus ! » rief dann der Bauer in weitem Um-
kreis aus. Der Wollmärkte zu Pfaffenhofen wurde bereits
gedacht. Alle diese Märkte bilden einen Teil der allgemeinen
Jahrmärkte. Ihre Dauer und den Zeitpunkt ihrer Abhaltung über-
geben wir hier als außerhalb des Rahmens der Arbeit liegend.
Aber die Jahrmärkte sind nicht allein Märkte für Bedürfnisse
des Handels und der Haushaltung, sondern sie bieten auch
einen breiten Raum für die Schaulust, für Merkwürdigkeiten
aller Art, für das Vergnügen und für die Bedürfnisse des
Magens. Daher bilden sie den Sammelpunkt der Kinder und
der tanzlustigen Jugend wie der Erwachsenen, die mit der Ab-
wickelung der Geschäfte auch ein Stündchen des*Frohsinns
verbinden. Seit Jahrhunderlen war es so und wird mutmaßlich
noch geraume Zeit so bleiben.
Da sehen wir «Stand» oder Buden, die aus Holz und
Leinwand aufgebaut sind und die im Wechsel der Zeilen ver-
schiedenartige Dinge vor Augen führen oder zum Verkauf aus-
stellen. Da sind die verschiedenen Zuckerwaren- und Leb-
kuchenslände, das Entzücken der Kinder. Hie und da weht
i Revue d'Alsace. 1H50. p. (»G. — 2 Stöber, Neue Alsatia.
Mülhausen. Petrv. 18Mf>. S. 2l>2 ff. — 3 Adam, Der Zaberner Meß-
tag. Zabern, 11H)1. S ö< ff.
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uns der Duft heißer Knackwürste entgegen, eines Lieblings-
gerichtes des Bauern. Schon 153(5 machten auf dem Zaberner
Meßti die Brätler gute Geschäfte. 1 Dann sehen wir das Heer
der Spielwaren für Kinder, dazu eine Anzahl von Geschirr-
ständen. Letztere sind oft mit Spielrädern versehen, die sich
durch zahlreiche Nieten auszeichnen. Dann finden wir die ver-
schiedenen Schießhuden mit Flobert- und pneumatischen Ge-
wehren. Der Kraftmesser mit dem Holzhammer oder «Michel-
hau-drub und die Puppen, die man mit Bällen umwerfen
kann, locken namentlich jüngere Burschen an, die ihre Knopf-
löcher mit den leicht gewonnenen Erinnerungsmedaillen an
längst verklungene Ereignisse und mit bunten Sträußehen
schmücken. Dann kommen die Panoramen, die Hänneschen-
theater, neuerdings auch «Elsässische Theater» genannt, die
Photographenstände, die Kinematographen, Grammophone und
SchifTsschaukeln, die weissagenden Vögel, welche gedruckte
Glücksverheißungen aus einem Korbe herauspicken. Ferner
ist die große Zahl der verschiedenen Theater zu erwähnen,
der Zirkus, die Menagerie, die Kunstarena, die Ringkämpfer,
die Riesendamea, die Seiltänzer, hie und da sogar ein Luft-
ballon. Eines regen Zuspruchs ertreuen sich von altersher
die verschiedenen Glücksspiele mit mehr oder weniger Betrug
und Spitzfindigkeit, worauf die Polizei ein wachsames Auge
hat, Blanc-et-noir, das Spiel mit dem Lederriemen, das Hinge-
werfen nach aufgespießten Messern, früher auch die elektrischen
Kraftmesser, womit vorwitzige Bauernburschen regelmäßig
hereinfielen. Es gibt auch hie und da Buden, hinter deren
Zelttüchern recht zweideutige Darbietungen stattfinden, die nicht
alle das helle Tageslicht vertragen.
Sehr alt sind die «Mordtaten», große, mit Oelfarben ge-
malte Darstellungen blutiger Szenen, deren Erläuterung dein
staunenden Zuschauer in Worten und durch herzerweichenden
Gesang gegeben wird. Ihre Besitzer machen gute Geschäfte
durch Sammeln von Geld und durch Verkauf der Beschreibungen,
die der Landbewohner auch später noch gern liest und sorg-
faltig aufbewahrt. Schon 1675 wurden in Altkirch Mordtaten
ausgestellt. *
Von der allergrößten Bedeutung ist seit der Mitte des
18. Jahrhunderts das «Caroussel», im Volksmunde Ringelspiel,
Rösselspiel, Meßtirößle, Meßtikütschle und Kütschle genannt.
Jung und Alt, kleine und große Kinder geben sich dem Ver-
1 Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabern, Gilliot, 1001. S. 11.
— 2 R. Reuß, L'Alsace au 17 « siecle. Paris, Bouillon, 1897-98.
T. I, p. 675.
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326 —
gnügen des Karusselfahrens hin, in längst vergangenen Zeiten,
wo Jas Fahrzeug durch ein starkes Pferd gezogen und nachts mit
bescheidenen Oellichtern erleuchtet wurde, mit eben solchem
Eifer wie in unsern Tagen, die uns wahre Prachtstücke vor
Augen fuhren, mit elektrischer Beleuchtung und Kraftbewegung
und aller möglichen Bequemlichkeit und Abwechselung. Bis
in die 1870er Jahre wurde das Ringelstechen dabei betrieben.
Die äußere Reihe der Reiter bekam je einen Holzstab, womit
während der Fahrt ein eiserner Ring «gestochen» werden
mußte, der an einem Gestell lose befestigt war. Der Gewinner
bekam sein Fahrgeld zurück.
Bei gutem Wetter ziehen Hunderte von Wagen und
Tausende von Fußgängern auf den Jahrmarkt. Da sieht man
lauter fröhliche Gesichter und zufriedene Menschen, die Alten
mit ihren Pfeifen oder Zigarren, die Frauen mit dem Blumen-
säckchen, die Burschen mit der Zigarette, die jungen Mädchen
mit geröteten W T angen, mit dem Excusekörbchen oder dem
«reticule». Gar manches Liebesabenteuer bereitet sich da vor,
gar manche Verbindung fürs Leben wird geschlossen. Und
alle .stürzen sich in den Strudel des Meßtitreibens. Durch
das dumpfe Gewoge der Menge erklingen die Töne der ver-
schiedenen Drehorgeln, von Zeil zu Zeit Trompetenstöße und
Trommelwirbel, der ohrenbetäubende Lärm der tönenden
Kinderspielzeuge, das schmetternde oder heisere Kreischen der
ihre Leistungen anpreisenden Budenbesitzer : «Immer herein,
meine Herrschaften!» — «Rappeltikatz ! Weis gewinnt, der
hats!», dann wieder die dröhnenden Schläge des «Michel-hau-
druf», das Geknatter der Flobert- und Luftgewehre und das
Brüllen des Löwen im Schießstand, der heitere Gesang ausge-
lassener oder halbtrunkener Menschen auf den Straßen und in
den Wirtshäusern, hie und da auch Streit und Zank.
Ein neuzeitlicher Meßti bietet besonders bei Nacht einen zau-
berhaften Anblick. Die Buden sind schon zu wahren Budenpalästen
geworden, die, mit Gdd- und Silberzierwerk Übergossen, einem
gleißenden Lichtmeere von Azetylen und Elektrizität gleichen,
in ihrer Art wahre Meisterstücke des leichten Holzbaus.
Dieses Bild übt einen unwiderstehlichen Zauber auf den
Landbewohner aus, und gerne gönnen wir es auch dem armen
Teufel, wenn er sich ein Mal im Jahre, sein Liebchen im Arm,
auf dem Rösselspiel im Kreise wiegen kann und sich dann
eben so glücklich dünkt wie der reiche Stadtherr, dessen Geld
auch nicht runder ist als das seinige. Das Volk ist ja eigent-
lich schon mit bescheidenen Darbietungen zufrieden. Wahre
Kunst und Gediegenheit wird man vergeblich in den Jahr-
marktsbuden suchen, und manche Waren sind auch nicht ge-
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rade erster Qualität. Das ist auch nicht nötig. Das Kind des
Landmanns vergnügt sich eben so mit veraltetem Spielzeug wie
mit hochmodernem, und der einfache Landmann staunt einen
elenden Kinematographen, der einem die Augen zugrunde richtet,
genau so an, wie einen tadellos neuen.
Zu den ständigen Sitten gehört es, daß der auswärtige
Meßtibesucher seinen zu Hause gebliebenen Kindern und Ange-
hörigen einen «Meßtikram», ein kleines Geschenk, mitbringt.
Schon 1521 bekamen auf dem Zaberner Meßtag der Unter-
schultheiß, der Stadtschreiber, beide Lohnherren und beide
Büttel von der Stadt einen «Meßtagkram», nämlich ein Dutzend
Nestel. 1
Ist es auf dem Jahrmarkt schlechtes Wetter, so bietet sich
dem Auge ein überaus trauriges Bild dar, und nicht selten wird
ein Stand durch den Wind umgeworfen oder gar vom Regen
weggeschwemmt. Fremde Händler packen dann bald ein und
ziehen fort.
Der Buchsweiler Jahrmarkt ist dadurch bekannt, daß es
gewöhnlich regnet. Der Volksüberlieferung nach hat dies seinen
Grund in folgendem Vorkommnis. Vor langer Zeit wurden
einmal einer Buchsweiler Familie silberne Löffel von großem
Wert gestohlen. Die Magd geriet in den Verdacht des Diebstahls
und wurde zum Tod arn Galgen verurteilt. Vor der Hinrichtung
auf dem Bastberg, die zum abschreckenden Beispiel am Jahr-
markt stattfand, rief sie : «Wenn sich niemand über mich er-
barmt, mag sich der Himmel über mich erbarmen 1» Da geschah
es, daß es vom heiteren Himmel regnete. Später fanden sich
beim Abdecken eines Daches die Löffel, welche von Elstern ge-
stohlen worden waren. Und seitdem regnet es an jedem Jahr-
markt. Der Volksmund meint, der Himmel wolle dadurch noch
heute bezeugen, daß jene Magd unschuldig gehenkt wurde.
Besondere Gebräuche waren und sind mit dem Jahrmarkt
nicht verbunden. In Reichshofen brachte die Stadtkapelle, so
lange sie bestand, dem Bürgermeister ein Morgenständchen. In
Mutzig wird der Meßti durch die Stadtmusik «aufgezogen».
Der Polizeidiener schreitet vorne her und verkündet von Zeit
zu Zeit, daß der Jahrmarkt eröffnet ist und jedermann kaufen
und verkaufen kann. Das ist alles.
Meßtizüge.
Wenn von Meßtizügen die Rede ist, denkt jeder Elsässer
und zumal jeder Straßburger sofort an Schiliigheim. Die «See-
i Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 51.
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— 328 —
stadf» Schiltigheim ist seit zwei Jahrhunderten ein beliebter
Ausflugsort für die Straßburger, heute kann sie wohl schon
als Vorstadt Straßburgs betrachtet werden.
Die Schiltigheirner sind sehr stolz auf ihre Festzöge. Man
begegnet dort vielfach der Meinung, daß sie bis in die graue
Vorzeit zui ückreh hen. Wir erblicken in den Schiltigheirner
Meßtizügen einfach Ableger der Aufzuge, die die altstraßbur-
gischen Handwerkszünfte aus Anlaß ihrer 'besonderen Teste in
Straßburg veranstalteten. Es ist begreiflich und natürlich, daß
sich diese den Straßburgcrn vertrauten und durch die Revolution
weggefegten Züge mit den auf dem Land und also auch in
Schiltigheim blühenden Meßtiaufzügen verschmolzen. Dies mag
am Anfang des 19. Jahrhunderts geschehen sein. Dafür spricht
der Umstand, daß der älteste uns bekannte Festzug vom
11. August 1839 ganz einem Zunflaufzuge glich. Uebrigens be-
standen auch in Wasselnheim und in Buchsweiler um jene
Zeit ahnliche Feslzüge, so daß es nicht einmal sicher ist, ob
Schiltigheim das Erstlingsrecht zukommt.
Die Beschreibung des eben erwähnten Zuges i entrollt uns
ein schönes, farbenreiches Bild. Die Landwirtschaft und alle
Gewerbe ziehen in ihren Trachten und mit ihren Werkzeugen
an uns vorbei. Der Zug wird, mit Musikern und Trommlern
an der Spitze, durch eine Abteilung der Nalionalgarde eröffnet
und beschlossen. Die beiden Schlußgruppen sind, wie folgt, be-
schrieben : «23. Weißgekleidete Mädchen, mit Escharpen, eine
große und lange Eichen -Guirlande tragend, in dessen Mitte die
Autoritäten, Maire und Adjunkten, die Munizipal-Mitglieder,
die Offiziere der Garde National gehen, und zu beyden Seiten
achtbare Bürger von jedem Stande und Gewerbe, zum Beweise
daß alle gleichen Schutz genießen. — 24. Der Meßtag-Herr
wird begleitet von Meßtag- Burschen, und junge weißgekleidete
Mädchen, welche in kleinen weißen Körbchen Blumen tragen.»
Solche Züge fanden in den 1840 er bis 1800 er Jahren von
Zeit zu Zeit statt. Sie hatten immer denselben Grundgedanken :
Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie im malerischen Rahmen
der friedlichen Gemeinschaft und des altväterlichen Idealismus.
Stets ging der Bürgermeister im Festzuge mit, und die Garde
nationale fehlte nicht bis in die Kaiserzeit. Ein Meßtizug in
den 1840 er Jahren wurde von einem Kreise weißgekleideter
Jungfrauen eröffnet, die eine Guirlande trugen und mit weißen
Schäferhütchen bedeckt waren, an denen blau- weiß-rote Bänder
flatterten. Im Kreise schritten der Bürgermeister und der
Beigeordnete mit der Amtsschärpe, dahinter der Gemeinderat,
Gemeindearchiv von Schiltigheim.
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dann die Burschen mit weißer Schürze und in weißer Zipfel-
mütze mit blau- weiß-roter Kokarde. Hinter den Handwerkern
kam die Schuljugend. Die Buben trugen graue Blusen, schwarze
Ledergürtel und weiße Hüte mit Trikolore. Die Mädchen hatten
weiße Röcke mit dreifarbiger Schärpe, sie streuten aus ihren
Körbchen Blumen und verteilten Zuckererbsen (dragees).
Fand aber kein Gewerbezug statt, so setzle der Meßti-
steigerer auf einen bekränzten Wagen einige Musikanten
und einen drollig gekleideten Spaßmacher, der dem staunenden
Publikum zurief: «Kommen, ihr Lüt ! In Schilken isch Meßti!»
Und es ging auch, -und die Leute kamen und vergnügten sich.
Nach dem Krieg fanden wieder Gewerbe- und Industrie-
züge statt 1873, 1875 und 1878. In den beiden erstgenannten
wurden aus der Eisengießerei von G. Rhein Meßti-Denkmünzen
unter die Zuschauer geworfen. i878 wurde ein Brunnen mit drei
Ausflußröhren mitgeführt, woraus Wasser, Bier und Wein flössen.
An Bier und Wein wurden je 50 Liter unentgeltlich abgegeben.
Noch 1889 fand ein großartiger Industrie- und landwirtschaft-
licher Zug mit 80 Gruppen statt, worunter sich der Schah von
Persien und als letzte Gruppe die «leichtsinnige» und die «lieder-
liche Arbeitsklasse» befand. Nach diesen stellenweise witzigen
Ansätzen entstand plötzlich 1890 ein Meßtizug unter einem
scherzhaften Leitgedanken. Der damalige Präsident der «Fan-
fare», Gemeinderatsmitglied Alfred M ü h I e i s e n, hat diesen
Zug ersonnen und geleitet. Und nun folgen jedes Jahr jene
humorvollen Meßtizüge, die Schiltigheim eine gewisse Berühmt-
heit eingetragen haben und ihm alljährlich einen großen Frem-
denstrom zuführen . Die meisten von ihnen hat gleichfalls Herr
Mühleisen offiziell organisiert.
Folgendes sind die Leitgedanken der letzten Meßtizüge. 1890
Zusammentreffen von Stanley mit Emin Pascha in Afrika, Neger-
musik, Negervolk, 200 Personen. 1891 verschiedene Musik-
korps auf Wagen und die Schiltigheimer Vereine. 1892
kein Zug. 1893 die Meßligöttin und die vier Jahreszeiten.
Wettrennen von Orgelmännern und Sackträgern, Last : 1
Doppelzentner. 1894 Blumenkorso, Blumen- und Confettischlacht.
1895 als Parodie der Straßburger Industrie- und Gewerbeaus-
stellung: eine Industrie-, Gewerbe-, Kunst-, Altertums-,
Blumen- und Hundeausstellung. 1896 Besuch Li-Hung-Tschangs
mit Gefolge auf seiner Rundreise bei den europäischen Höfen.
Während seiner Anwesenheit darf nur chinesisch gesprochen
werden. 1897 landwirtschaftlicher und industrieller Zug. 1&98
Triumphzug der Frauenemanzipation (Weibermeßli). Alles geht
als Dame. Man sieht auch Frauen mit Haaren auf den Zähnen
und sogar die verschleierte Dame aus dem Dreyfus- Prozeß.
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1899 Meßtikomitee mit Gefolge, Musik und Vereine. 4900 Bauern-
hochzeit in der Tracht von Uhrweiler, 300 Personen. 190i
Preis-Blumenkorso. 4902 Verhaftung der Millionenschwindler-
Familie Humbert-d'Aurignac durch die Schiltigheimer Geheim-
polizei. Sie werden in einem Käfig durch Hunderte von Schutz-
leuten bewacht, sogar eine Schutzleute-Musik ist da. Die Gebrüder
Crawford, zwei Strohpuppen, werden im Landauer nachgefahren.
Die Hundertmarkscheine fliegen packet weise den Leuten an den
Kopf. Beim Nachmeßti kommt Präsident Emile Loubet mit glän-
zendem Gefolge, um im Namen der französischen Republik zu
danken. 1903 Preis-Blumenkorso, veranstaltet durch den Velo,
klub. 4904 Einzug des letzten Lehnsherrn Georg von Schiltig-
heim mit den Häuptern des elsässischen Adels und sonstigem
Gefolge und Troß. 4905 im Anschluß an die Zigeunerplage :
Hochzeitszug des ungarischen Zigeunerfürsten Attila VII und
einer italienischen Zigeunerprinzessin. Bersaglieri-Musik. Alle
Zigeuner des Landes sind als Gäste da. . Gendarmen schieben
die ganze Gesellschaft zu Schiltigheim hinaus und lösen so die
Zigeunerfrage — für Schiltigheim. 4906 Besuch der Friedens-
konferenz von Marokko auf Einladung des Vertreters der «Daily
News of Shiltigheim» in Algeciras. Es erscheint auch der in
seiner Fürstenehre gekränkte Kaiser der Sahara, Jacques \ }
um gegen seine Nichteinladung Einspruch zu erheben. Alle
Mächte, dargestellt durch hübsche Damen in den Landestrachten,
huldigen der Friedensgöttin. 1907 Gewerbe- und Handwerkszug,
53 Wagen. 1908 naturgetreues Abbild des Schiltigheimer Meßti-
aufzuges von 1820.
Alle diese Züge boten ein malerisches Farben- und Trachten-
bild und verschafften der Gemeinde und den Geschäftsleuten reiche
Einnahmen. Was wunders, daß sie auch in den andern Ortschaften
Anklang und Nachahmung fanden ? So wurde im Nachbars-
dorfe Bischheim schon in den 18i0er Jahren ein Gewerbezug
in den hergebrachten Meßliaufzug hineingewoben. Merkwürdig
war u. a. ein mit reifen Trauben behangenes Gartenhäuschen,
worin weißgekleidete Mädchen mit dreifarbigen Schürzen saßen.
Auch sonst kam der vaterländische Gedanke durch die fran-
zösischen Farben zum Ausdruck : die berittenen Burschen
trugen weiße Hosen, blaue Gilets und rote Bänder an den
Mützen, die weißgekleideten Maiden hatten blaue Schürzen und
rote Halstücher. Gewerbezüge, in denen namentlich die Land-
wirtschaft und die Tracht zur Geltung kamen, wurden vor
4870 öfters in Wasselnheim abgehalten, ferner hie und da
auf Dörfern, so in Mittelhausbergen 1894, Grafenstaden 4904,
Ittenheim, Bremchwickersheim, Hangenbieten und Herlisheim
4900, Eckbohheim 1902. In Lingohheim finden öfters Züge
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der Berufsstände, in der Gärlnervorstadt Ruprechtsau Gärtnerei-
umzüge statt.
Immer mehr aber machen sich scherzhafte und spotlende
Umstünde geltend. Man sucht es Schiltigheim nachzumachen,
es gelingt aber nicht immer. So brachte der «Bruemtersträßler-
Meßti», ein Sondermeßti in der abgelegenen Brumatherslraße
zu Schiltigheim, 1905 den Gegenbesuch des Sultans von Ma-
rokko, 1906 den Besuch des Königs Sisowalh von Kambodscha,
1907 die friedliche Zusammenkunft der Armeen sämtlicher
Länder. In Bischheim sah man 1902 einen geschäftlichen Fest-
zug, vom 15. Jahrhundert ab, in dem u. a. die Zukunft durch
einen dicht verhüllten Wagen dargestellt war, 1904 einen alten
Bauernmeßti, 1905 als nachträgliche Schillerfeier das «Lied von
der Glocke» in 21 lebenden Bildern, 1906 die vier Jahreszeiten
in lebenden Bildern, 1907 heitere Bilder aus der Menschen
Streben während der 7 Wochentage, 1903 ein buntes Allerlei
von Ernst und Scherz. Kronenburg brachte 190(3 u. a. das
Glückhaft Schiff mit einer Wurstwurfmasehine und* die Friedens-
kauone vom Haag, welche Wecken und Zuckererbsen schoß,
1907 Raisuli und seine Braut auf der Flucht, lllkirch-Grafen-
Staden 1905 Bilder aus dem russisch-japanischen Krieg, einen
Storchwagen, den Wildwest, eine Prägeanstalt, die unentgelt-
lich (papierene) Zuschlagspfennige ausgab, B reuschwickersheim
1901 einen Koch, der Knödel kochte und unentgeltlich ver-
teilte, einen Zigeunerwagen und den Karren des Handels-
juden. Im Buchsweiler Meßtizuge von 1902 sah man u. a.
den Menschen, der die Arbeil erfand, am Galgen baumeln ;
auf einem Ochsenwagen zechend die durchgefallenen Gemeinde-
ratsrnilglieder ; zwei Burengenerale, die dort ihre Pension ver-
zehren ; fünf Männer, die noch keine Sünde begangen, nämlich
die Wirte. Endlich wurde 190i in einem Dorfe, das besser un-
genannt bleibt, ein Zug zur Verhöhnung des Ortspfarrers ver-
anstaltet. Und auf dem Lande ist noch sonst mancherlei Derbes
und Ungehöriges in die Meßtizü^e hineingeflochten worden.
Es ist anzunehmen, daß im Zeitalter des Verkehrs und
der Zeitungen scherzhafte Meßtizüge auch auf dem Dorfe einen
noch größeren Umfang annehmen werden. Die sinnige Sitte
geht zurück, die Vergnügungssucht nimmt zu. Leider !
Das neuzeitliche Fest.
Es wurde im Vorhergehenden fast auf jedem Blatte vom
örtlichen und zeitlichen Rückgang des Meßti berichtet, so daß
sich die Frage nunmehr aufdrängt: Was ist im großen und
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ganzen vom allen Meßli übriggeblieben? Die Antworf lautet
kurz : Es sind nur noch die Trümmer eines ehrwürdigen und
stolzen Gebäudes, und darin teilt der Meßti das Schicksal aller
ländlichen Eigenart.
Wenn wir die Dorfer übersehen, wo noch Meßli gefeiert
wird, so sieben sie im einzelnen auf einer verschiedenen Stufe
der Verkümmerung. Dieser allgemeine Rückgang nimmt ge-
wöhnlich folgenden Verlauf. Allmählich ziehen sich die ver-
heirateten Leute zurück, die sich unter den tanzenden Knechten
und allzu jugendlichen Burschen nicht mehr wohl fühlen. Der
Meßti schrumpft auf zwei Tage zusammen. Statt der großen
Musik gibt es bloß noch eine Harmonika, der Meßtibursch
verschwindet, die Fremden bleiben weg. Der Meßtimontag
dient noch eine Zeitlang als besserer blauer Montag. Manchmal
tanzt man noch in einem Privatbaus oder in einer Scheune.
Dann fallt der Tanz auch am Sonntag weg, den einige leicht-
fertige Burschen und Männer in Erinnerung an den alten
Meßli im Wirtshaus verbringen, nachdem man zu Hause ein
besseres Essen eingenommen hat. Schließlich erinnert sich
kaum noch ein Alter, daß an dem betreffenden Tage früher
Meßti war, und endlich erlischt auch diese Erinnerung.
Außer dieser Verkümmerung des Meßti ist in jüngster
Zeit eine andere Beeinflussung seines sittenmäßigen Verlaufes
aufgetreten, nämlich das Uebergreifen des slädlischen Meßti-
treibens auf das Land. Obwohl wir vom volkstümlichem Stand-
punkt aus diese Erscheinung als eine dorffremde Einpflanzung
aufTassen müssen, läßt sich doch nicht leugnen, daß mancher
wankende Meßti durch sie eine willkommene Stütze erhielt
und mehr als ein verwelkter Meßti zu neuem Leben erblühte.
Es ist dies eine der vielen Erscheinungen, die im Wandel der
Zeiten von der Stadt aus in die ländlichen Gemeinden wandern,
und denen sich der neuzeitliche Bauer durchschnittlich nicht
mehr abgeneigt zeigt. Das Bild dieses Meßti, der das Grab
der traulichen Tanzbodenpoesie und der kameradschaftlichen
Eintracht der Dorfjugend wurde, ist ein wesentlich anderes.
Es ist kein Dorf so klein, in das nicht das Karussell und die
verschiedenartigen Schießbuden, Zucker- und andere Stände
ihren Weg fänden. Fahrende Leute besuchen auch sonst im
Laufe des Jahres die Landgemeinden, und die Dorfbürger-
meister lassen sich gar oft erweichen, den Karussells, Schiffs-
schaukeln und allerlei «Theatern» die Betriebserlaubnis zu er-
teilen, mehr als nötig wäre. So hat sich der Begriff des Ver-
gnügens auch auf dem Lande langsam geändert. Es ist in
dieser Hinsicht bezeichnend, daß solche neuzeitlichen Ver-
gnügungsmittel sich schon vielfach an die katholischen Patrons-
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- 333 -
tage angesetzt haben, ja daß der Trinitatissonntag, an dem der
zuständige Pfarrer von Hagen in der der hl. Dreifaltigkeit ge-
weihten Kapelle auf dem Hoh-Barr eine Messe liest, geradezu
der Hoh-Barrer Meßti heißt und seit einigen Jahren viel be-
sucht und aueh mit Tanz zugebracht wird.
Die Hochburg dieses modernen Meßti, bei dem auch die
Kinder auf ihre Rechnung kommen, und der jetzt allgemein
als «Volksfest» bezeichnet wird, bilden die Straßburger Vororte
Ruprechtsau, Neudorf, Königsliofen, Kronenburg, Musau
und der «Benjamin» unter den Vorortsmeßli : Grüneberg. Man
kann ihnen in den letzten Jahren auch die Meßti von Bisch-
heim, Hönheim^ Schiltigheim, Eckboisheim sowie denBruem-
terslräßler Meßli hinzurechnen. Letzterer wird seit 1904 von
den Ein- und Anwohnern -der Brumalherslraße zu Schiltigheim
gefeiert, die vom Schauplatz des dortigen Meßti abgelegen sind
und etwa 1/3 der Gemeinde ausmachen. Die übrigen Vororts-
meßti bekamen, mit Ausnahme von Schiltigheim, ihre jetzige
Bedeutung erst seil den 1870er Jahren, nachdem 1869 zugleich
die alte G'hansmesse und eine Art Meßti eingegangen war, der
einige Jahre hindurch vom Napoleonstag ab 14 Tage lang auf
dem Lenötre -Platz stattfand.
Wir können nun in unserem Gebiete heute mehrere
Formen des Meßti unterscheiden, denen allen einige Stände,
Wirtshausbesuch und zu Hause ein besseres Essen gemein-
sam ist.
Zunächst der «Stand meßti», auch die kleine Kirwe ge-
nannt. Außer den erwähnten Merkmalen wird er durch einen
formlosen Tanz, meistens mit einer Harmonika, und im Kirwe-
gebiet durch das Maienaufstecken gekennzeichnet. Er ist üblich
in dem Gebiet rheinabwärts von Weyersheim und Gambsheim.
Die Grenze läuft über Rohrweiler, Oberhofen und Schirrhein
dem Hagenauer Forst entlang, dann von Schwabweiler und
Reimersweiler über Hohweiler, Slundweiler und Trimbach
bis zur Pfälzer Grenze bei Salmbach. Als vereinzelte Dorf-
gruppen sind zu nennen: Oberhofen bei Weißenburg, Rott und
Weiler; Ürachenbronn, Birlenbach; Obersteinbach, Neun-
hofen, Dürnbach, Windstein, Jägerthal; Kindiveiler, Bitseh-
hofen. Der Tanz wird von der Geistlichkeit stillschweigend ge-
duldet. Wollten die Bürgermeister ihn abschaffen, so erhöbe
sich Widerspruch. Hie und da gibt es sogar große Musik, so
z. B. in Offendorf % wo 1901 in vier Wirtschaften gespielt
wurde und zwei Tanzhütten erbaut waren.
Der «Spielmeßti» ist an der westlichen Grenze des Meßti-
gebiels gebräuchlich, und zwar von Eckartsweiler und St. Jo-
hann bei Zahern südwärts mit folgenden östlichen Grenz-
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dörfern : Monsweiler, Ottersiveiler, Singrist, Koßweiler, Dins-
heim, Klingenthal, Goxweiler, Burgheini und Mittelberg -
heim. Sein Kennzeichen ist das vorwiegende Herauswürfeln von
Lebkuchen und Geschirr und das Auslosen von Gewinnen.
Manchmal tanzen auch einige Paare zwischen den Tischen
und Stuhlen der Wirtsstube nach den Klängen einer Zieh-
harmonika. Auf der v Ottersweiler Höhe» wird am dortigen
Meßti mit Rücksicht auf die nahe Zaberner Garnison mit großer
Musik getanzt. Dazu wird südlich des Haselbachs und im
lothringischen Teil Gastfreundschaft in außergewöhnlichem Maß
geübt, im Elsaß ist außerdem der Geschenklebkuchen ge-
bräuchlich. Hie und da überwiegt der Wirtshausbesuch, und
alsdann müssen sich die jungen Mädchen mit Karussell und
Buden begnügen, so in Harzweiler und Haselburg.
Der «Tanzmeßti» ist in den meisten protestantischen
Dörfern zwischen dem Gebiete des Standmeßti und des Spiel-
meßti üblich, also hauptsächlich im Ackerland, im Kochersberg,
im Hanauerland und im Kreis Weißenburg, wo er die große
Kirwe heißt. Sein Kennzeichen ist die große Musik und ein
mehr oder weniger sittenmäßiges Bruchstück der alten Tanz-
bodenherrlichkeit mit Auf- und Umzügen. Wo der Tanz im
Vordergrund steht, sind Karussell und Stände vorwiegend auf
die Kinderwelt angewiesen. Dieser alle sittenmäßige Meßti
gebt von Jahr zu Jahr zurück. Es ist merkwürdig, wie seine
einzelnen Bestandteile oft wegen geringfügiger, ja lächerlicher
Vorkommnisse losbröckeln. So kam z. B. 1889 das Aufziehen
in Dossenheim ab, weil das junge Volk dem Bürgermeister
bei schmutzigem Wetter die Stube zu sehr verunreinigte. Aus
demselben Grunde nahm der Flothbacher Bürgermeister in den
1890er.Jahren den Lebkuchen nicht mehr an. In Hunspach
kam der Hahnentanz ab, weil die Burschen, die an der Reihe
waren, beim Militär dienten. Die jüngeren Burschen konnten
den Hahnentanz nicht tanzen, und die älteren wollten es nach
ihrer Rückkehr nicht. Wenn durch solche Vorfalle die Ueber-
lieferung mehrere Jahre unterbrochen ist, wenn auch die
Durfmusikanten, diese festen Säulen alter Sitte und Art nicht
mehr raten können, weil man ihnen die Militärmusiker vorzieht,
so streift der Landmeßti allmählich alles Sittenmäßige ab.
Der heutige Meßti ist nur noch ein Schatten des alten .
«Es gibt keinen Meßti mehr ! » hört man leider nur zu oft
sagen. Ein Bollwerk des alten Meßli nach dem andern wird
niedergelegt. Immer größer wird die Liste der ehemals viel-
besuchten und blühenden Kirwen und Meßti, wo es früher noch
am Donnerstag hoch herging und die heute nur noch in der
Erinnerung der Alten fortleben : Schleithal, Oberrödern,
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Preuschdorf, Dürrenbach, Walburg, Morsbronn, Uhlweiler,
Weitersweiler, Ultweiler, Wickersheim,' Hattmatt, Griesbach^
Imbsheim, Prinzheim, Gottesheim, Furchhausen und andere.
Noch größer ist die Zahl der entarteten, so Obersteinbach,
Kleeburg, Oberseebach, Schweig hausen, Nieder schä ff olsheim,
Daisendorf, Weyersheim, Wanzenau, Still und viele andere.
Am treuesten hat sich das Meßliwesen nach altländlicher Arl
noch erhalten in Lembach, Görsdorf, Hunspach, Mietesheim,
Obermodern, Düsweiler, Ringendorf, Alteckendorf, Geudert-
heim, Hördt, Meisheim, Ingenheim, Dunzenheim, Fitrden-
heim, Quatzenheim, Uten heim, Enzheim, Klingenthal.
Ausblick in die Zukunft.
Langsam, aber unaufhörlich wird dieser alte Bauernmeßti
vom neuzeitlichen Geiste durchdrungen, die kernhafte Sitte
wird durch andere Belustigungen und andere Genüsse verdrängt,
die dem ländlichen Freudenfeste ein ganz anderes Aussehen
verleihen. Und der Bauer, vorab die Jugend, wird sich dabei
auch ganz glücklich fühlen. Ein vergebliches Unterfangen wäre
es, diese Entwicklung der Dinge, die sich auch auf anderen
Gebieten des Dorftums wie ein Naturgesetz vollzieht, auf die
Dauer aufhalten zu wollen. Wollte man etwa dem Meßti das
duftende und schimmernde Gewand des allen Brauches wieder
anziehen, die Alten hätten ihre helle Freude daran und würden
in wehmütiger Begeisterung schwelgen, aber bei der Meßtijugend
wäre er bald der Lächerlichkeit verfallen, jenem sicheren Grabe
alter Sitte. Wohl könnte aber hie und da in den bekannten
Dörfern, die sich auch sonst noch der alten Sitte geneigt zeigen,
eine verständige Obrigkeit und der wahre Volksfreund den
jetzigen Stand des Festes noch eine Zeitlang erhalten und da-
durch der Landflucht und anderen unerfreulichen Erschei-
nungen der Neuzeit steuern.
Im allgemeinen wird al»er das 20. Jahrhundert die Ueber-
lieferung vieler Jahrhunderte aus dem blühenden Volksleben in
den Besitzstand von Forschung und Wissenschaft verbannen.
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XII.
Chronik für 1907.
4. Januar : stirbt in Brighton Alfred Touchemolin, gel-.
9. Nov. 18*29 zu Strasburg, Schlachtenmaler, beteiligt an Pilon.
Strasbourg Illustre.
19. Januar : stirbt in Straßburg Heinrich Loux, geb.
20. Febr. 1873 zu Auenbeirn, Maler elsässischer Dorfezenen
(s. Jahrb. 23, 134).
7. Februar stirbt Victor Henry, geb. 17. Aug. 1830 zu
Colmar, Professor an der Sorbonne zu Paris, Sprachforscher,
auch um elsäss. Dialektkunde verdient.
27. -30. April : Der Kaiser in Straßburg und auf der
Hohkönigsburg. Die Brücken hinter der Garnisonskirche, mit
Standbildern von dem Bildhauer Marzolff» werden dem Verkehr
übergeben.
1. Mai: Eröffnung der Bergbahn Münster-Schlucht.
14. Mai : Elsässisches Museum zu Straßburg eröffnet.
25. Mai : stirbt zu Freiburg i. B. Freiherr Franz v. Roggen-
hach, geb. 1825 in Mannheim, badischer Staatsminister, Or-
ganisator der neuen Universität zu Straßburg.
1. — 3. Juni: II. Elsaß- lothringisches Musikfest in Straß-
hurji.
2. Juni : stirbt zu Straßburg Kommerzienrat Dr. Karl
Ignaz Trübner, geb. 2u Heidelberg 6. Juli 1846, seit 1872 in
Straßburg als Buchhändler ; erwarb die Manessische Liederhand-
schrift für Heidelberg zurück.
9. Juni : Einweihung des Denkmals für J. M. Moscherosch
zu Wilslädt.
16. Juni: Jahresversammlung des Vogesenclubs in Ober-
ebnheim.
1. Juli: Musikfest in Mülhausen.
4.-8. August : 38. Versammlung der deutschen Anthro-
pologischen Gesellschaft in Straßburg.
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— 337 —
10. August: stirbt zu Paris der Blumen- und Genremaler
Gabriel Th urner, geb. zu Mülhausen i. E. 1840.
7. September : stirbt Adolf Seyboth, Museumsdirektor in
Straßburg, 59 Jahre alt (Verf. des «Alten Straßburg»).
9.— 11. September: Deutscher Gewerk- und Handwerker-
lag in Straßburg.
30. September : Der bisherige Kaiserliche Statthalter Fürst
Hermann zu Hohenlohe-Langenburg tritt zurück. Seine Stelle
übernimmt Graf Karl von Wedel.
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XIII.
Sitzungsberichte.
1. Vorstandssitzung
am 17. November 1907, vormittags 10 Uhr, im germanistischen
Seminar der Universität.
Anwesend die Herren Beemelmans, v. Borries, Euling,
Huber, Lienhart, Luthmer, Martin, Menges, Renaud, (Ihr.
Schmitt, Stehle, Waller, Wiegand. — Entschuldigt die Herren
Kassel, v. Schlumberger.
Der Vorsitzende teilt mit, daß ein Abzug des Jahrbuchs
an Se. Exzellenz den Herrn Staatssekretär abgegeben und der
übliche Beitrag zu den Druckkosten des nächsten Jahrbuches
wieder in Aussicht gestellt worden sei. Ferner schlägt er vor,
wie bisher so auch in Zukunft dem abgehenden Fürsten Stalt-
halter von Hohenlohe - Langenburg alljährlich das laufende
Exemplar unsres Jahrbuches gebunden zugehen zu lassen und
verliest das Begleitschreiben, welches dem falligen Bande bei-
gefügt werden soll. Der Vorschlag wird einstimmig angenommen.
Es werden sodann die eingelaufenen Schriften und Druck-
sachen verschiedener auswärtiger Vereine und gelehrter Gesell-
schaften zur Kenntnisnahme vorgelegt, u. a. die Mitteilungen
des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde, ferner eine
Einladung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und
Altertumsvereine zur Hauptversammlung nach Mannheim im
September 1907, sodann ein Flurnamenverzeichnis mit Karten-
skizze der Gemarkung Riedselz im Unter-Elsaß, sowie eine
Einladung zur achten Tagung für Denkmalpflege am 19. und
20. September. Die Erledigung dieser Angelegenheiten durch den
Vorsitzenden wird nachträglich gutgeheißen.
Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge
werden kurz besprochen und zur Begutachtung an einzelne
Vorstandsmitglieder verteilt.
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— 359 —
Der Kassenwart gibt darauf eine Uebersicht über den
Stand der Kasse und wird ermächtigt, sich mit dein Buch-
handler Herrn Heitz in Verbindung zu setzen wegen des
Preises, der von letzterem für seine dem Umschlag des Jahr-
buches regelmäßig beigedruckten Verlagsanzeigen zu zahlen sei.
Zum Schluß berichtet der Vorsitzende über die Schritte,
die er gemäß dem ihm in der Märzsilzung erteilten Auftrag betr.
den Kostenpunkt bei der Herstellung des Jahrbuches getan
hat, und zeigt, daß und warum es sich empfiehlt, den Druck
auch fernerhin durch die Firma Heitz und Mündel besorgen
zu lassen.
Es folgt darauf um 11 Uhr die
Allgemeine Sitzung,
welche der Vorsitzende mit einer Begrüßung der Anwesenden
eröffnet, an die sich der Bericht über das abgelaufene Geschäfts-
jahr anschließt. Aus demselben ist ersichtlich, daß sich im
Gegensatz zum Vorjahre die Finanzlage des Vereins dank einem
erhöhten Zuschüsse aus dem Dispositionsfonds des Statthalters
wesentlich gebessert hat. Die weitere Besserung soll für das
nächste Jahr insofern angestrebt werden, als das Jahrbuch im
Umfang verringert und von 22 Bogen auf etwa 17 herabgesetzt
werde, so daß der augenblicklich vorhandene kleine Ueber-
schuß erhöht und für das folgende Jahr wiederum ein umfang-
reicheres Jahrbuch in Erwägung gezogen werden könne. So-
dann zeigt der Vorsitzende an, daß die zu Beginn der Sitzung
von den Mitgliedern HH. Adrian Meyer und Direktor Dr.
Hertel vorgenommene Rechnungsprüfung vollendet und richtig
befunden worden sei, wofür er ihnen sowie dem Kassenwart
den Dank des Vereins ausspricht.
Unter Hinweis auf den in der Märzsitzung vom Vorstand
gefaßten Beschluß, über die Möglichkeit einer Ermäßigung der
Druckkosten des Jahrbuches Untersuchungen anzustellen, legt der
Vorsitzende die Gründe dar, nach denen es durchaus wünschens-
wert sei, die geschäftlichen Beziehungen zur Druckerei Heitz
und Mündel nicht zugunsten einer anderen zu lösen, zumal da
dieselbe neben dem Druck auch noch die nicht unerheblichen
buchhändlerischen Geschäfte mit erledigt. Die Versammlung
ist mit seinen Ausführungen einverstanden, und es erhebt sich
auch kein Widerspruch gegen seinen Vorschlag, mit Rücksicht
auf den zu erwartenden Mitgliederzuwachs statt der bisherigen
3000 Abzüge von nun ab bis auf weiteres 3200 herstellen zu
lassen. Für den nächsten Band stellt er eine dem 12. ent-
sprechende Inhaltsübersicht der Bände 13—24 in Aussicht.
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— 340
Vor der Neuwahl des Vorstandes spricht Herr Geheimrat
Hering dem bisherigen Vorstände den Dank- des Vereins für
seine Geschäftsführung aus und schlägt die Wiederwahl des
alten Vorstandes durch Zuruf vor. Da sich kein Widerspruch
dagegen erhebt, nimmt der Vorsitzende namens des Gesamt-
vorstandes die Neuwahl an und dankt der Versammlung für
das bewiesene Vertrauen.
Hierauf erteilte der Vorsitzende das Wort Herrn Prof. Dr.
Henning, der in längerer Auseinandersetzung über seine Tätig-
keit bei der Sammlung der elsässischen Volkslieder berichtet,
worauf der Vorsitzende dem Herrn Berichterstalter vorschlägt,
die Volksliederkommission zur nächsten Märzsitzung einzuladen.
Herr Prof. Henning erklärt sich damit einverstanden.
Zum Schluß hielt Herr Prof. Follmann den angekündigten
Vortrag über «Die Herkunft der Siebenbürger Sachsen und ihre
Verwandtschaft mit den Mosel franken».
Schluß der allgemeinen Sitzung : 12 » Uhr.
2. Vorstandssitzung
am 4. März 1908, nachmittags 3 Uhr, im germanistischen
Seminar der Universität.
Anwesend die Herren v. Bornes, Harbordl, Kassel, Lempfrid,
Lienhart, Luthmer, Martin, ttenaud, Chr. Schmitt, Stehle. —
Entschuldigt die Herren Beemelmans, Euting, Huber, Menges,
Wiegand.
Der Vorsitzende verliest ein Schreiben des früheren Statt-
halters Sr. Durchlaucht des Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg,
in welchem der Dank des Fürsten für das erhaltene Jahrbuch
ausgedrückt ist ; ferner ein Schreiben des jetzigen Statthalters
Grafen v. Wedel mit der Mitteilung, daß zur Deckung eines
Teiles der Unkosten des neuen Jahrbuchs ein Beitrag von
600 M. bewilligt worden sei.
Der Vorsitzende legt weiterhin einige Druckschriften vor,
u. a. von der Lese- und Bedehalle der deutschen Studenten
zu Prag, welche um unentgeltliche Ueberlassung eines Exem-
plars des Jahrbuchs bittet: wird einstimmig bewilligt. Die
Societe archeologique de Namur will mit dem Verein in
Schriftenaustausch treten : das soll nach dem Beschluß des
Vorstandes vom nächsten Jahrbuch ab geschehen.
Es folgt sodann die Besprechung der für das neue Jahr-
buch eingelaufenen Beiträge sowie die Feststellung der Chronik.
Es erfolgt zum Schluß ein lebhafter Gedankenaustausch
über die Frage, wie das Unternehmen in betretT des elsässi-
«
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sehen Volksliedes, dessen wissenschaftliche Bearbeitung und
Veröffentlichung vor Jahren von Prof. Henning im Verein an-
geregt wurde, zu fördern sei. Allgemeine Zustimmung fand
schließlich der Antrag Luthmer, nach welchem an den der-
zeitigen Vorsitzenden des Liederausschusses Herrn Prof. Dr.
Henning «las Ersuchen zu richten sei, eine Sitzung des aus der
Mitte des Vereins gewählten Ausschusses zusammen zu berufen,
um ül>er den Plan der weiteren gemeinsamen Arbeit zu be-
raten und über das Ergebnis dieser Beratungen in der nächsten
Novembersitzung Bericht zu erstatten.
Schluß der Sitzung : 4«* Uhr.
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DATE DUE
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STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES
STANFORD, CALIFORNIA 94305