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Full text of "Jahrbuch für geschichte, sprache und literatur Elsass-Lothringens;"

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Jahrbuch für 
Geschichte, 
Sprache und 
Literatur 

Elsass-LothrL 



Strassburg 
(Germany). 
Historisch-Littera. 



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JAHRBUCH 

FÜR 



GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR 

ELSASS-LOTHRINGENS 

HERAUSGEGEBEN 

■ 

VON DEM 

HISTORISCH-LITERARISCHEN ZWEIGVEREIN 

DES 

VOGESEN-CLUBS 

XXIV. JAHRGANG. 
STRASSBURG 

J. H. ED. HEITZ (H EITZ & MÜNDEL) 

1908. 

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STANFORD UMIVERSITY 
LIBRARIES 

NOV 2 2i9 8 3 



Inhalt. 



Seile 

I. Gedichte von Christian Schmitt , , , , . s . 1 

II. Joliann Friedricli Oberlin von K. M. Mit Silhouette . . 4 

III. Ein angebliches Blutrecht obcrelsiissischcr Grundherren 

vor der französischen Revolution von Alfred 
Jacoby 0 

IV. Streit zwischen Tagende» und Lastern. (Eine mittelhoch- 

deutsche Handschrift.) Mitgeteilt und übersetzt von 

H e i n r i c h II e in in p, r lü 

V. Der Zug Strasburgs gegen Graf Philipp III, von Hanau- 

Lichtenberg 1~r2i\ von Dr. Johannes Keiner t 33 

VI. Sagen aus dem krummen Elsaß, gesammelt von Lehrern 

und Lehrerinnen der Schulinspektion Saarunion, ver- 
öffentlicht von Kreisschulinspektor Monges . . . 40 
VII. Wibelsbach. Ein Beitrag zur Geschichte der elsässiachen 

Gedungen von Theobald Walter ■">(.) 

VIII. Die Spiele der Jugend aus Fischarts Gargautua cap. 

XXV von Heinrich A. Rausch , . . , ü 

IX. Das Tagebuch des cand. theol. Magisters Philipp Hein- 
rich Patrick aus Straßburg von Th. Renaud . . 14 (i 
X. Gedichte für A. M Baron von Blobsheim, Kaiserl. Feld- 

marschallientcnant, mitgeteilt von E. Martin . . 225 
XT. Moßt.i und Kirwc im Elsaß von Dr. Kassel in Hoch- 

felden 22* 

XTI. Chronik für 1907 33Ü 

XIII. Sitzungsberichte 338 



Das Inhaltsverzeichnis zu Bd. 13—24 kann erst im Bd. 25 

gegeben werden. 



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I. 



Gedichte. 

- 

Von 

Christian Schmitt. 

Isola bella. 

(Lago maggiore.) 

I. 

Was wollt ihr mich, ihr schwärmenden Gedanken, 
Znr blanen Ferne schmeichlerisch entführen? 
Wie linde Südluft will es mich berühren, 
Und schaukelnd wiegt mich sanftes Wellenschwanken. 

So führ ich auf der Flut, der sonntagblanken, 
Hin duroh die hochgebauten Felsentüren. 
Den frühlenzfrischen Duft noch kann ich spüren 
Von der umgrünten Ufer Blütenranken. 

Aus Intra trägt das Schiff uns rauschend weiter. 
Pallanza glänzt, wie weiße Rosen leuchten, 
Am See die Perle, rein und ewig heiter. 

Entzückt und staunend will der Blick sich feuchten, 

So holde Bilder sind der Fahrt Begleiter. 

0 daß sie Pflicht und Sorge nie verscheuchten! 



IL 

Auf breiter Bucht, drin Kuppe sich an Kuppe 
Weißhäuptig spiegelt unterm Strandwegsaume, 
Schwimmt, wie gebannt von einem Härchentraume, 
Der ruhmumkränzten Inseln Dreizahlgruppe. 



Ein Jungvolk kommt in treibender Schaluppe 
Von Madre her, uniblitzt vom Rüderschaume, 
Zum Fischereiland, laut auf engem Räume 
Begrüßt von der Gespielen buntem Truppe. 

Auch uns jauchzt zu der barfußmuntre Haufe, 
Da sich an Decl^ schon jeder nach Gefallen 
Bemüht, wie er den freisten Blick erkaufe. 

Und sieh, nun wächst mit frischumlaubten Hallen, 
Verjüngt im Schimmer reichster Sonnentaufe, 
Glanzvoll herauf die Herrlichste von allen! 



IN. 

Versonnen steht an dunkeln Staffelhängen 
Lorbeerumhegt das Schloß der alten Grafen, 
Die still in kühler Hauskapelle schlafen, 
Müd von des Lebens buntverwirrten Gängen. 

Dem Weltstreit fern und seinen Haderklängen 
Fand ihre Sehnsucht hier den sichern Hafen, 
Wo sie noch ungestörten Frieden trafen 
Und Ruh für ihres Herzens dunkles Drängen. 

Kunstreich erstand in breitgebauten Massen 
Die Burg, und weite Wandelgärten stiegen 
Aus Fels und Flut in wachsenden Terrassen. 

Solch edle Pracht hilft jeden Schmerz besiegen. 
Die trüben Schatten in der Brust verblassen, 
Und vor dem Licht muß alles Leid verfliegen. 

IV. 

An dieser Wunderstätte, wo den Toten 
Einst Stärkung floß aus himmlischen Gefäßen, 
Sind viele Tausende seitdem genesen 
Von Wunden, die ihr Innerstes bedrohten. 

Wer zählt die Feuer, die geheim verlohten 
Auf diesen Dämmerpfaden, auserlesen 
Zur Heilung allem kranken Sinn und Wesen 
Und unsichtbar bewacht von Götterboten? 

Die Moscheigrotten dort sahn, vor den Blicken 
Des grellen Tags gedeckt, im Sturz der Tränen 
Wie oft den Aufschrei tiefsten Wehs ersticken! 



Und auf den Wassern, die sich friedlich dehnen, 
So manchem Kammer brachten süß Erquicken 
Des Trostes Engel in der Hoffnung Kähnen. 

V. 

Ich auch, ich trank mit heiß, erregten Zügen 
Aus Duft und Kühle, die sich rings ergossen, 
Und aus der Schönheit, um mich aufgeschlossen, 
Voll starken Muts ein innigstes Genügen. — 

Längst kam ich heim von meinen Wanderiiügen. 
Nur auf der Phantasie zaumfreien Rossen 
Erreich' ich noch den Ort, wo ich genossen 
Den Trunk des Glücks aus unerschöpften Krügen. 

Doch bin ich auch in Sorgen hier und Plagen 
Verwoben neu ins Netz des Alltagwebens, 
Von reinstem Dank ist all mein Tun getragen. 

Erinnrung weiht die Wege meines Strebens, 
Und froh der Frucht aus weit entrückten Tagen 
Grüß' ich die schöne Insel meines Lebens. 



II. 

Johann Friedrich Oberlin, 

dessen Silhouette wir Herrn Kunstmaler Theodor Knorr ver- 
danken, ist nach seinem Leben und Wesen so allgemein be- 
kannt, daß wenige Worte genügen werden, um sein geistiges 
Dild wieder beim Leser hervorzurufen. Oberlin ist der Wohl- 
täter des Steintals. 1740 zu Straßburg geboren, lebte er als 
Pfarrer in Waldersbach von 1767 an bis zu seinem Tode 1820. 
Seine geistliche Wirksamkeit im Sinne eines tätigen Christentums 
begründete er durch eine weitschauende, allseitige Fürsorge 
für die sittliche und wirtschaftliche Entwickelung seiner Pfarr- 
kinder, wobei er auch nach anderen Gegenden hin durch Bei- 
spiel und Rat Einfluß übte. Landwirtschaft, Obstzucht, Wege- 
bau förderte er unermüdlich. Vor allem aber sorgte er für die 
Erziehung der Jugend. Da er das von den Bauern allein ge- 
sprochene romanische Patois als ein besonderes Hemmnis für 
den geistigen Fortschritt ansah, ließ er die Bauernkinder von 
früh an durch Lehrerinnen im reinen Französisch unterrichten. 
Diese Einrichtung ist dann später durch die sali es d'asyle 
auch in deutschsprechenden Gegenden verwendet worden und 
hat sehr zur Ausbreitung des Französischen im Elsaß beigetragen. 
In der Revolutionszeit setzte Oberlin seine Tätigkeit fort, indem 
er seine Kirche in einen Klub verwandelte und hier als Bruder 
Redner auftrat. In den Kriegen der französischen Republik 
verlor er seinen ältesten Sohn, Unter der Schreckensherrschaft 
angeklagt, kam er nach deren Sturz in alter Weise seinem Amte 
nach. Er fand mehr und mehr in weitesten Kreisen Aner- 
kennung, auch bei den Angehörigen anderer Konfessionen. Kaiser 
Alexander, auch das wiederhergestellte Königtum in Frankreich 
ehrten ihn. In der blühenden Industrie des Steintals hat Ober- 



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lins Werk seine Fortsetzung gefunden, auch seine religiöse 
Auffassung hat sieh teilweise hier erhalten ; in dieser hatten 
ihm Lavaler und Jung Stilling besonders nahe gestanden. Der 
unglückliche Dichter Lenz suchte bei Oberlin Zuflucht gegen 
den über ihn hereinbrechenden Wahnsinn ; einen ergreifenden 
Bericht über seine Erkrankung sandte Oberlin an Goethes 
Schwager Schlosser, bei dem Lenz endlich Ruhe fand. 

E. M. 



I 



- 



III. 

Ein angebliches 
Blutrecht oberelsässischer Grundherren 
vor der französischen Revolution. 

■ Von 

Adolf Jacoby 

(Weitersweiler). 

De Ferneres erzählt in seinen Memoires* einen interessan- 
ten Zwischenfall der Verhandlungen der Constituante, der durch 
die Behauptungen einiger Abgeordneten über ganz unglaublich 
rohe Gewohnheitsrechte der feudalen Grundherrn einiger Gegen- 
den des Landes hervorgerufen wurde. Es war der Abgeordnete 
der Franche-Comte, Lapoule, der unter anderm der Versamm- 
lung darüber berichtete, daß in gewissen Distrikten der Grund- 
herr bei der Rückkehr von der Jagd zwei seiner 
Leibeigenen zu töten und ihnen den Bauch auf- 
schlitzen zu lassen das Recht habe, um dann in 
die blutigen Leiber seineFüße hineinzustecken 
und sich so von der Müdigkeit zu befreien. De 
Ferneres, der diese Berichte als plumpen Betrug kennzeichnet, 
sagt, daß man natürlich Lapoule wie den Abgeordneten der 
Basse-Brelagne Le Guen de Kerangal, der ähnliche, wenn auch 
nicht ganz so ungeheuerliche Rechte geschildert hatte, mit ge- 
rechter und stürmischer Entrüstung aufforderte, für diese Be- 
hauptungen den Beweis anzutreten. Durch die Erregung der 
Versammlung eingeschüchtert, zog sich aber Lapoule, ohne 
weitere Mitteilungen zu machen, zurück. 

i Vgl. Bd. I. S. 187. 



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— 7 — 



Es gelang mir nur mit Mühe, den zweiten Gewährsmann 
für dieses «Recht», Dulaure, der sich in seinen Esquisses hi- 
storiques des principaux evenements de la revolution francaise 
mit dem «Recht» beschäftig!, unter die Hand zu bekommen, 
während mir dessen Hauptquelle, das Buch von Clerget, von, 
dem unten die Rede ist, leider unzugänglich blieb. Dulaures 
Buch, dessen zweite Ausgabe von 4825 ich benutzen konnte, 
schreibt im Anschluß an de Ferneres:* cM r Lapoule, depute 
de la Franche-Comle, succede ä la tribune ä M r Legrand. II 
fait comme le paysan bas-Breton (Le Guen) le tableau de divers 
genres d'cppression que les seigneurs de la province exercaient 
sur les hommes, qui avaient le malheur d'etre leurs sujets. II 
parle «de la main morte, tant reelle que personnelle, de l'obli- 
gation imposee ä quelques vassaux de nourrir les chiens de leurs 
seigneurs, et de cet horrible droit, relegue sans doute depuis 
des siecles dans les poudreux monumens de la barbarie de nos 
peres, par lequel le seigneur etait autorise, dans certains can- 
tons, ä faire eventrer deux de ses vassaux ä son 
retour de la chasse pour se delasse r, en mettant 
ses pieds dans les corps sanglans de ces mal- 
heu reu x . . . Des cris d'horreur et d'indignation inter- 
rompent l'orateur ; on l'accuse d'exageration, d'imposture, et 
on lui demande la preuve de cette atrocite. Le tumulte en sens 
divers est si grand que M. Lapoule, inlimide, renonce ä la 
tribune.» 

In einer Anmerkung bemerkt nun Dulaure dazu : «Les 
notions que j'ai recueillies sur cette coutume abominable m'ob- 
ligentädire qu* eile a existe, mais qu'elle n'est pas 
ici exactement exposee. Elle parait n'avoir ete en vigueur que 
dans quelques cantons de la Franche-Comte et de la Haute- 
Alsace, et ce n'etait point au retour de la chasse ni pour se 
delasser, que les seigneurs se livraient ä cet acte de cruaute ; 
voici les faits. 

Les comtes de Montjoie, les seigneurs de Meches et quelques 
autres de ces cantons, lorsque suivis de leurs chiens et de leurs 
paysans serfs, ils chassaient pendant l'hiver, et qu'ils se sentaient 
les pieds froids, pouvaient pour se rechauffer, faire eventrer 
quelques-uns de ces paysans et placer leurs pieds dans leurs 
entrailles fumantes. 

M. le eure Clerget, deputö de l'Assemblee Constituante dans 
un ouvrage sur les droits feodaux, intitule le Cri de la raison, 
publie ä Besancon en 4789, est mon autorite. Voici ce qu'il 
dit (liv. 2 chap. VIII) : «II est des seigneurs qui se sont arroge 

i Vgl. Bd. I, S. 258. 



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— 8 — 

le droit de faire, pendant l'hiver ä la chas.se eventrer leurs serfs 
pour se rechauffer leurs pieds dans leurs entrailles palpitantes. 

M. le comte de ajoute-t-il, plaidait au parlement, 

il s'agissait de plusieurs droits feodaux qui lui etaient contestes 
par ses sujets. Ceux-ci pretendaient que l'abonnement qui avait 
etabli, en faveur du seigneur, les diverses prestations exigees 
par lui, n'avaient plus de valeur, parce que le terme de sa 
duree etait expire depuis long-lemps. L'acte d'abonnement fut 
produit et sa date verifiee. On y vit avec horreur que les ha- 
bitans de ... . s'etaient soumis ä des corvees ä bras, et avaient 
promis de payer, dans le cours de soixante ans, des redevances 
en ble et en avoine, ä condition que le seigneur, de son cöte, 
renoncerait pendant le cours de cet abonnement ä son droit de 
les conduire ä la chasse et de les faire eventrer .en hiver pour 
se rechauffer les pieds dans leurs entrailles.» 

Le magistrat, rapporteur de ce proces, indigne ä la vue 
de cette piece, dit au comte, ajoute M. Clerget : J'ignore com- 
ment vos aieux vous ont acquis un droit si etrange, mais je 
sais qu'il rend fort suspects ä mes yeux vos autres droits sei- 
gneuriaux.» 

Diese Vorgänge hat kürzlich 0. Stoll, Professor der Geo- 
graphie und Ethnologie an der Universität Zürich, zugleich 
Mediziner, in seinem wer! vollen Buche «Suggestion und Hyp- 
notismus in der Volkspsychologie» 1 behandelt und ist dabei, 
unter Annahme des wirklichen Geschehens dieser Greuel, zu 
dem Schlüsse gekommen, «daß die Psychologie derartiger Er- 
scheinungen ganz auf pathologischem Gebiet liege und zwar 
auf dem des sogen. «Sadismus», der Verbindung von Grausam- 
keit und Wollust.» 

Es ist nicht zu leugnen, daß die Nachrichten über diese 
Greuel mit großer Bestimmtheit und dem Scheine unbedingter 
geschichtlicher Wahrheit auftreten. Aber die Geschichte des 
bekannten andern «Rechtes», des berüchtigten jus primae noctis, 
das selbstverständlich unter den Vorhaltungen, die Le Guen de 
Kerangal den Adligen macht, nicht fehlt und das doch, soweit 
wir sehen können, auf Glaubwürdigkeit keinen Anspruch machen 
kann,* erregt auch gegen die anderen Vorwürfe begründete 
Bedenken. Man wird, wo es sich um tief erregte Zeiten han- 
delt, damit rechnen müssen, daß Uebertreibungen und Er- 
findungen nicht zu selten sind. Der oben erwähnte Dulaure 
hat anderwärts 3 den kennzeichnenden Satz geschrieben: «Auf 



1 Vgl. zweite Auflage 1904, S. 615 ff. 

2 Vgl. Zeitschrift für Ethnologie XVI (1884), S. 18 ff. 
s Vgl. Kritische Geschichte des Adels, 1792, S. 235. 



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— 9 — 

dem Lande hat eine mündliche Tradition das Andenken mehrerer 
Grausamkeiten dieser Art (es sind im Vorhergehenden geschil- 
dert u. a. das bekannte Verjagen der Frösche, das jus primae 
noctis, aber nicht das uns hier beschäftigende angebliche Recht) 
aufbewahrt ; und die gehässigen Taten der adeligen Tyrannen 
machen bei den Bauern noch den Stoff ihrer Unterhaltungen 
aus.» Wer etwas Erfahrung hat, weiß, wieviel er durch- 
schnittlich von solcher mündlichen Tradition und solchen Unter- 
haltungen zu halten hat. Vorsicht ist also jenen Nachrichten 
gegenüber gewiß am Platze. 

Aber selbst wenn wir die Geschichtlichkeit jener berichteten 
Tatsachen annehmen müßten, würde die Geschichte dieses Blut- 
brauchs nicht sadistischen Neigungen des Adels zur Last fallen, 
sondern einer weitverbreiteten medizinischen Meinung der Ver- 
gangenheit. 

Was von jenem «Recht» des oberelsässischen Adels und 
den Grundherren der Franche-Comte gesagt wird, steht in der 
Völkergeschichte nicht vereinzelt da. Es war für mich eine 
interessante Uebei raschung, als ich bei Gelegenheit ganz anderer 
Studien in der Geschichte der Mongolen auf die Erzählung von 
der Bekehrung des Mongolenfürsten Chutuktai Ssetsen und 
seines Oheims Altan Ghaghan zum Lamaismus stieß. Die Ur- 
sache dieser Bekehrung soll eine Erscheinung des im Dalai Lama 
verkörperten Buddha gewesen sein, die unter de» re4ge»de» 
merkwürdigen Umständen vor sich gegangen sei :* «Unter der 
Regierung des großen Altan-Chan (der aus der sibirischen Ge- 
schichte bekannt genug ist) war anfangs die lamaische Lehre 
bei den westlichen Mongolen noch wenig ausgebreitet. Wegen 
der damaligen Unwissenheit wußte man nicht das Podagra zu 
heilen, womit Altan-Chan sehr geplagt war. Schamanen rieten 
ihm, einem Menschen lebendig den Leib auf- 
schlitzen zulassen und seine Füße in dessen 
warmen Ein ge weiden zu bähen. Dieses grausame 
Mittel mußte allemal am Vollmondstage, abends, bei Aufgang 
des Mondes wiederholt werden. Einstmals als Altan-Chan sol- 
chergestalt seine podagraischen Füße im Eingeweide eines Mannes 
zur Linderung bähte, geriet er in eine Phantasie und vermeinte, 
im vollen Monde die Gestalt eines ansehnlichen Lama im vollen 
Ornat zu sehen, der zu ihm sprach: Chan! wir heilen der- 
gleichen Schmerzen, ohne Menschen das Leben zu nehmen ! 
sei nicht mehr grausam 1 Der Chan ließ sogleich den Körper 
wegnehmen und begraben, wusch seine Füße und ließ seine 



i Vgl. Pallas, Sammlungen historischer Nachrichten über die 
mongolischen Völkerschaften II, S. 4*25. 



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— 10 — 



zwei Lamen vor den Thronsitz berufen, deren einer von den 
Gelbniützen, der andere von der roten Sekte war und die nur 
zum Staat beim Hoflager unterhalten wurden. Der Chan fragte: 
Welcher unter euch ist von solchem Ansehen, wie mir er- 
schienen ist ? Samtschantschock antwortete : Dalai Lama Jon- 
don-dschamzu ist von solcher Gestalt und Anselm,» An diesen 
wird nun eine Gesandtschaft geschickt und er zum Hofe des 
Chan eingeladen. So soll es geschehen sein um die Mitte des 
16. Jahrhunderts. 

Koppen » fügt der auch von ihm erwähnten Erzählung 
hinzu, daß nach Ssanang Ssetsen, einem mongolischen Chronisten, 
für die Kur des Fürsten nicht Menschen, sondern Pferde ge- 
schlachtet worden seien. Man könnte in dieser Differenz von 
dem andern Bericht eine Abschwächung des ursprünglichen 
Tatbestandes sehen ; in jedem Fall beweist sie, daß die Ueber- 
lieferung nicht ganz übereinstimmt, was nicht gerade zugunsten 
der Glaubwürdigkeit spricht. Die ganze Geschichte hat das 
deutliche Aussehen einer frommen Legende. 2 

Doch wir begegnen einer analogen Erzählung noch einmal 
und zwar in dem türkischen Sittenroman von den vierzig Ve- 
zieren. Es handelt sich in dieser Schrift um einen der zahl- 
reichen Erzählungszyklen, die in vielfacher Ueberarbeitung sich 
weit verbreitet haben. Er ist uns persisch, arabisch, türkisch 
und in der Bearbeitung, die vom König und den sieben Weisen 
redet, auch griechisch, lateinisch, französisch und deutsch er- 
halten. Der Ursprung dieses Zyklus ist im Orient, wohl in 
Indien zu suchen.' 

In dieser Schrift lautet die Erzählung des zweiunddreißig- 
sten Veziers in dem türkischen Erzählungstypus :* «Es ist über- 
liefert worden, daß es vor Zeiten einen König gab, aus dessen 
Fuß eine beizende Flüssigkeit herausdrang, gegen welche kein 
Mittel aufzufinden war. Die Aerzte versammelten sich und 
wurden darüber einig, daß man einem Indianerknaben (d. i. 
einem indischen Kind) den Leib aufschlitzen und 
des Königs Fuß da hineinstecken sollte. Das, 
meinten sie, sei das einzige Mittel gegen dieses Uebel l Man 



J Vgl. Die lamaische Hierarchie und Kirche, S. 135. 

* Ob damit die Bekehrung und Heilung des Mongolenkaisers 
vom Aussatz durch Saskya-mähäpandita im 13. Jahrhundert zu- 
sammenhängt, kann ich nicht feststellen, da mir A. Grünwedel, My- 
thologie des Buddhismus, 1900, nicht zugänglich war. 

a Vgl. V. Chauvin, Bibliographie des ouvrages arabes VIII: 
Syntipas. 

* Vgl. Behrnaner, Die Erzählungen der vierzig Veziere, 1851, 
S. 288-289. 



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— 11 - 



suchte lange, aber es fand sich kein derartiger Knabe, bis man 
endlich zu einem in dieser Stadt lebenden indianischen Ehe- 
paare kam und bei ihm den gewünschten Knaben antraf. Der 
König Heß dessen Eltern zu sich kommen und bot ihnen Gold 
an, indem er sprach : Verkauft mir euren Knaben ! Sie er- 
widerten: 0 König, was wollen wir tun? Wir brauchen es 
gerade heute, denn wir haben nichts ! Gut, wir wollen das 
Gold annehmen und dir dafür den Knaben überlassen. Gott 
wird uns schon wieder einen andern Knaben geben ! Sie über- 
ließen hiermit dem Könige ihren Knaben, nahmen das Gold 
und gingen (ort. Man brachte den Knaben vor den König, 
um ihm seinen Leib aufzuschlitzen. Da fing der Knabe an zu 
lachen. Auf die Frage : Warum in aller Welt lachst du, wo 
du weinen solltest? erwiderte er: Wie sollte ich jetzt nicht 
lachen? Wenn ein Knabe in Not und Gefahr gerät, so flüchtet 
er sich zu seinem Vater ; hilft das nichts, so flüchtet er sich 
zu seiner Mutter ; hilft das auch nichts, so flüchtet er sich zu 
der Obrigkeit ; hilft auch das nichts, so flüchtet er sich zu den 
großmächtigen Gewalthabern und Königen. Wenn mich nun 
meine Eltern an den König verkaufen und dieser mich zur 
Heilung seines Leidens töten will, um dadurch im gegenwärtigen 
Leben gerettet zu werden, was wird er alsdann in jener Welt 
vor der Majestät des Höchsten zu seiner Verantwortung sagen ? 
Da ich nun weder bei meiner Mutter Zärtlichkeit, noch bei 
meinem Vater Barmherzigkeit, noch bei dem Könige Gerechtig- 
keit und Billigkeit gefunden habe, wen soll ich dann noch 
bitten? Ich flüchte mich zu jenem Gott, der ein allmächtiger 
Rächer ist; er wird sich bestimmt wegen der mir zugefügten 
Ungerechtigkeit meiner annehmen und mir mein volles Recht 
angedeihen lassen! Als der König dies hörte, so überfiel ihn 
Furcht ; seine Seele entbrannte vor Liebe zu dem Knaben und 
er ließ ihn frei. Vor heftiger Rührung vergoß er heiße Tränen ; 
von diesen nahmen die Aerzte und rieben damit das Geschwür 
an seinem Fuße. Sogleich verlieh ihm Gott der Erhabene Ge- 
nesung und er wurde wieder gesund.» 

Zur literarischen Ueberlieferung dieser Erzählung ist zu 
bemerken, daß sie sich mit einigen geringen Varianten auch 
im «Rosengarten» des Sadi findet. 1 Dort sind die Aerzte 
Griechen genannt; die Heilung soll durch die Galle eines 
Bauernsohnes vollzogen werden. Die Krankheit sei so schreck- 
lich gewesen, daß «es sich nicht ziemt, sie zu nennen». Aehn- 



i Vgl. Uebers. von Graf, 1846, S. 45 ff. Sädi Guiistan translated 
by Eastwick, S. 55. 



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liches enthält der «Vertraute Gefährte des Einsamen», 1 nur soll 
da ein zehnjähriger Knabe über der Wunde des Königs ge- 
schlachtet werden, so daß das Blut über die kranke Stelle Hießt. 
Für die literarischen Verhältnisse ist übrigens Chauvin * zu ver- 
gleichen. 

Diese Varianten aber zeigen uns auch den Weg zum Ver- 
ständnis dieser Geschichten. Sie gehen schließlich alle zurück 
auf das dunkle Gebiet des Blutaberglaubens. Das warme 
Blut spielte von jeher im Aberglauben die Rolle eines besonders 
wirksamen, freilich auch besonders wertvollen und nicht leicht 
zu gewinnenden Heilmittels. So tritt es uns schließlich auch 
in jenen Vorwürfen gegen den Adel entgegen : es belebt und 
nimmt die Müdigkeit hinweg. 

Einige Mitteilungen aus der Geschichte dieses Aberglaubens 
mögen das noch klarer herausstellen. Schon Plinius erzählt in 
seiner Naturgeschichte XXVI, 1, 5: «Die Aegypter wärmten 
für dieses eigentümliche Uebel (gemeint ist der Aussatz), das, 
wenn es den König traf, den Völkern gar verhängnisvoll wurde, 
in den Bädern die Badesessel zur Heilung mit mensch- 
lichem Blute.» Meines Wissens kennt freilich die ägyp- 
tische Medizin, die uns aus einigen zum Teil recht umfang- 
reichen Papyri wie dem Papyrus Ebers und dem Papyrus Hearst 
bekannt ist, ein solches Mittel nicht. 

Es ist nicht unmöglich, daß diese Behauptung ihren Ur- 
sprung in dem merkwürdigen Gebrauch der Medizin in den 
Jahrhunderten um die Wende unserer Zeitrechnung hatte, die 
Heilmittel mit den sonderbarsten, teilweise recht unheimlich 
klingenden Namen zu bezeichnen. So zitiert Kircher 8 nach 
Apuleius de plantarum proprielatibus Blut der Athena, des 
Kronos, des Ammon, Königsblut (dieses findet sich in mittel- 
alterlichen Blutlegenden wieder), Titanenblut usw. Artemidor 
im Traumbuch IV, 22 IT. nennt den Tau Jungfrauenmilch und 
Sternenblut, schwarze Pfefferkörner aber beißende Mohren. Ein 
ganzes Verzeichnis solcher mystischen Geheimnamen enthält 
der Leydener Zauberpapyrus V col. 42 a , 13 M 

Doch ist zu beachten, daß in der Tat ein alter jüdischer 
Midrasch eine Darstellung der Verfolgung der jüdischen Kinder 
durch den Pharao (2. Mos. 1) kennt, die auffallend mit des 
Plinius Nachricht übereinstimmt. Es heißt im Talmud Traktat 
Schemoth rabba 92 d. Targum jerusch. zu Exod. 2, 24: «und 

1 Vgl. Uebers. von Flügel, 1829, S. 7. 

2 Vgl. a. a. 0., S. 179, (s. auch Hartmanns von der Aue Armer 
Heinrich hg. v. Wackernagel S. 203). 

s Vgl. Oedipus aegypüacus III, S. 68 ff. 

4 Vgl. Papyri Graeci musei ant. publ. Lugduni-Batavi ed. C. 
Leemans II, S. 3b f. 



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— 13 — 



es starb der König von Aegypten das heißt er wurde aussätzig 
und ein Aussätziger ist gleich einem Toten ; und es seufzten 
die Kinder Israels über ihrer Arbeit, und warum seufzten sie? 
weil die Zauberer Aegyptens sagen, es gibt für den König kein 
anderes Heilmittel, als daß er von den Kindern der Israeliten 
abends hundertundfünfzig und morgens hundertundfünfzig 
schlachten lasse und sich zweimal täglich in ihrem Blute zu 
baden. » Ist auch die Redaktion dieses Traktats spät — er 
gehört dem 11.— 12. Jahrhundert an — (vgl. Haucks Real- 
encyclopädie für prot. Theol. u. Kirche XIII 792, über das 
Targum a. a. 0., III», 108), so ist Stoff und Erzählung doch alt. 

Nicht ohne Zusammenhang mit dieser jüdischen Legende 
ist jedenfalls die andere weit interessantere, die sich an den 
Namen des ersten christlichen Kaisers von Rom, Konstantin, 
geknüpft hat. Als dieser, so erzählt die Legende, noch Heide 
und ein Verfolger der Christen (wie Pharao ein solcher der 
Juden) war, strafte ihn Gott für sein Verhalten mit dem Aus- 
satz. Alle Kunst der Aerzte ist dem Uebel gegenüber umsonst. 
Schließlich raten ihm die Priester des kapitolinischen Jupiter, 
in einem Teich von Kinderblut zu baden; dadurch würde er 
rein und gesund. Aber der Jammer der Mütter rührt den 
Kaiser und er verzichtet auf das grausame Mittel. Im Traume 
erscheinen ihm die Apostel Petrus und Paulus und weisen ihn 
an den Papst Silvester, der Konstantin bekehrt und heilt, in- 
dem er ihn tauft. Eine ganze Reihe von Berichterstattern 
bringen mit geringen Abweichungen diese Erzählung, die natür- 
lich nicht eine Spur von geschichtlichem Untergrund aufzu- 
zeigen vermag : Moses von Chorene, der armenische Geschichts- 
schreiber, dann die Byzantiner, Simeon Metaphrasles, Michael 
Glycas, Nicephorus Kallistus, Kedrenus, der Syrer Gregor Abul- 
faradsch, dann die Acta Sanctorum Surius, üecember in der 
Silvesterlegende, auch die Legen da aurea des Jacobus a Vora- 
gine ed. Graesse 71, eine deutsche Bearbeitung bei Von der 
Hagen, Gesamtabenteuer II, 577. III, clii. 

Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, daß 
auch zwischen jener Bekehrungsgeschichte des Mongolen khans 
und der des römischen Kaisers eine innere Verbindung besteht. 
Dazu darf man sich natürlich nicht auf das weit verbreitete 
Heilmittel, das menschliche Blut, berufen. Aber anders liegt es, 
wenn man bedenkt, daß beide Erzählungen in ihrem Ziele auf- 
fallend übereinstimmen ; sie sollen beide die Bekehrung des 
Fürsten zu einem andern, stärkern Glauben erklären. Zu 
diesem Zwecke wird die Krankheit eingeführt. Soll ich weiter 
darauf aufmerksam machen, daß den beiden Fürsten ein Traum 
beziehungsweise eine Vision nicht das Heilmittel, aber den, der 



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— 14 — 



heilen kann, angeben? Dort sind es freilich die Apostelfürsten, 
hier der Buddha, aber nicht zufallig wird es sein, daß die beiden 
Apostel, die Ratgeber und Weiser des Konstantin, ihr Gegen- 
stück finden in den beiden Lamen am Hofe des Khans, die 
diesem seine Vision erklären und ihn zu dem Helfer weisen. 
Der Helfer selbst ist zwar der Buddha, aber der inkorporierte, 
der Dalai Lama, wie der Papst der irdische Vertreter der Gott- 
heit. Gegenüber allen diesen Parallelen, deren bedeutsamste 
die Grundtendenz der Erzählungen ist, kommen die unwesent- 
lichen Abweichungen, daß Konstantin seinen Blutbefehl zurück- 
nimmt, der Mongole ihn aber bereits mehrfach ausgeübt hat, 
nicht auf. Die mongolische Erzählung ist jedenfalls nichts 
anderes als eine Nachbildung der Konstantinslegende. 

Fragt man sich, wie das möglich sein soll, so mag daran 
erinnert werden, daß diese Erzählungsstofle im Mittelalter inter- 
nationales Gut gewesen sind und uns oft durch das örtlich 
weit getrennte Auftreten überraschen. Ich werde andere Proben 
solcher wandernden Geschichten, die in ihrer Isolierung auch 
ernste Forscher gelegentlich zu recht abenteuerlichen Vorstel- 
lungen geführt haben, gelegentlich an anderm Ort behandeln. 
Es genügt, zum Beweise auf die reiche Materialsammtung und 
glänzende Bearbeitung derselben in Benfeys Pantschatantra hin- 
zuweisen. Das Auftreten des Bades im Kinderblut in dem 
chinesischen Roman Han-Kiou-Choan ou Tunion bien assortie, 
roman chinois I, 5, auf das Von der Hagen i hindeutet, habe 
ich leider, da mir der Roman nicht zugänglich ist, nicht näher 
verfolgen können. Uebrigens wird ja wohl das Urteil, das der 
Prediger Weber auf dem zweiten internationalen Kongresse für 
allgemeine Religionsgeschichte in Basel 1904 * über den Lamais- 
mus gefallt hat, er habe gar manches Aeußerliche auch von 
der katholischen Kirche in sich aufgenommen und sei eine Ver- 
quickung des Buddhismus mit allerlei Unglauben und religiösen 
Gebräuchen aus der Nähe und Ferne, zu Recht bestehen. 

Eine Mittelform könnte uns gerade in der 32. Erzählung 
des Buches von den 40 Vezieren gegeben sein. Es sei nicht 
weiter Wert darauf gelegt, daß von einem indischen Knaben 
geredet wird, was ja wohl nach Indien als Heimat der Ge- 
schichte weisen dürfte. Wichtiger ist vielleicht, daß in Sädis 
Gulistan griechische Aerzte genannt sind, wie in der Kon- 
stantinslegende bei Nicephorus, während z. B. Kedren von 
jüdischen Aerzten redet, wozu das Abendland wieder seine 
Parallele kennt. Auch daß die Variante im «Vertrauten Ge- 



1 Vgl. Gesammtabenteuer, a. a. 0. 

2 Vgl. Verhandlungen 1905, S. 88 ff. 



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— 15 — 

fährten des Einsamen» ausdrücklich von einem zehnjähri- 
gen Knaben spricht, der geschlachtet werden soll, sieht nicht 
vereinzelt, wir werden dem nocheinmal, ebenfalls im Abend- 
lande, begegnen. Endlich wenn die Tranen des Königs, der 
wie Konstantin auf die Opferung des Knaben verzichtet, ihm 
Heilung bringen, so ruft das die Erinnerung an die Buße und 
Bekehrung und Taufe wach, die den Kaiser genesen laßt. In 
den Gesta Romanorum c. Ü4 (ed. Graesse) wird einer aus- 
sätzigen Prinzessin geraten, einen bestimmten Stein izu zer- 
schlagen und die austretende Feuchtigkeit auf die Wunde zu 
streichen. Der Slein versinnbildlicht die menschliche Natur, 
die durch Reue und Glauben die Wunderkur vollbringt und 
reinigt. » Doch ist der Zug auch gut indisch bezeugt. Ein 
Sohn Acokas, der als ein neuer Hippolytos die Versuchungen 
seiner Stiefmutter zurückweist und auf deren Veranlassung ge- 
blendet wird, findet bei einem Asketen Heilung. Dieser befiehlt 
dein Volke, zu seiner Auseinandersetzung über das Gesetz Ge- 
fäße mitzubringen, um die Tränen, die sie bei seinen Worten 
vergießen würden, darinnen zu sammeln. Als der Asket das 
Gesetz nun verkündet, gerät die Menge in Schmerz und weint, 
er aber sammelt die Tränen und gießt sie dann in ein Gold- 
becken. Mit den Tränen wäscht er den Blinden und dieser 
sieht wieder. 8 Auch mit einer andern, gleichfalls dem Gebiet 
des Blutaberglaubens angehörenden Geschichte des Samyakt- 
vakamundi, also einer indischen Erzählung, bietet die Erzählung 
des Veziers auffallende Berührungen 

Doch verfolgen wir den Faden weiter. Im Jahre 1492 
starb der Papst Innocenz VIII., der in der Geschichte durch 
sein Leben und seine Regierung — er war der Mann, der durch 
die berüchtigte Hexenbulle den unseligsten Aberglauben in der 
Kirche sanktionierte — nicht das beste Andenken hinterließ. 
Ihm sagte man nach, daß seine jüdischen Aerzte ihm 
Kinderblut verordneten, wozu drei zehnjährige Knaben 
geschlachtet wurden ; aber der Papst nahm nach den Haupt- 
berichten das Heilmitte) nicht ein.* 

Etwa zur nämlichen Zeit gingen die gleichen Gerüchte über 
den französischen König Ludwig XI. (1401— 1483). Die Berner 



i Darauf macht P. Cassel, Die Symbolik des Blutes, 1882, S. 174, 
aufmerksam. 

9 Vgl. Stanislas Julien, Voyages des pelerins bouddhistes : Mc- 
moires de Hionen-Thsang I, S. 161. 

8 Vgl. Weber in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie 
der Wissenschaften, 1889, S. 741 ff. 

* Vgl. Strack, Das Blut im Glauben und Aberglauben der Mensch- 
heit, 1900, S. 97. 



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- 16 - 

Chronik des bekannten Valerius Anshelm sagt darüber:» «Als er 
nun fast krank war, ersucht und versucht er alles, insonders von 
wegen der Malacy vil Kinderblut.» Und Daniel 2 sagt nach 
seiner Quelle Gaguin (um 1498): «il avoit recours ä tous les 
remedes naturels et surnaturels; et pour le guerir, dit un hj- 
slorien contemporain, furent faites de terribles et merveilleuses 
medecines. Un autre dit plus en particulier, qu'on luy fit 
boire du sang, qu'on avoit tire ä plusieurs enfans, dans l'espe- 
rance que cette potion pourroit corriger Pacrete du sien et re- 
tablir son ancienne vigueur.* 5 

Solche Erzählungen erläutern uns jenes Wort, das der 
große Anfänger des neueren philosophischen Denkens, der Groß- 
kanzler Bacon von Verulam in seiner Historia vilae et mortis 
c. 9 niederschrieb : «Es ist von alters her so angenommen, daß 
durch Baden in Kinderblut der Aussatz geheilt und das bereits 
verdorbene Fleisch wieder erneuert werde. Dergestalt daß 
einigen Königen solches beim Volke Haß brachte.» 

Davon erfuhr etwas der König Ludwig XV. von Frank- 
reich. Jene Gerüchte erneuerten sich stets wieder. Politisch 
aufgeregte und wirtschaftlich drückende Zeilen haben ja immer 
ein leichtgläubiges Volk, dessen Seele, wenn ein Gerücht das 
glimmende Feuer anfacht, sofort in lodernden Flammen steht. 
Allerlei unverständliche Vorgänge am Hofe mögen zu jenem 
Tumult geführt haben, der ein Vorzeichen der kommenden 
Revolution war und Paris in große Erregung versetzte. Er ist 
uns außerordentlich lebendig von Louis Blanc in seiner mehr- 
fach aufgelegten, umfangreichen Histoire de Ja revolution fran- 
caise geschildert worden :* «Des bruits renouveles d'un autre 
äge commencerent ä circuler parmi le peuple. On parlait de 
bains de sang humain prescrits ä Louis XV comme un 
dernier moyen de rallumer sa vie.s Et pour aecrediter Tatrieuse 
rumeur, on s'appuyait sur la nature du pouvoir absolu, qui 
est de tout oser, se trouvant en des mains perverses. Est-ce 
que des exces- n'avaient pas ete d'ejä commis qui depassaient la 
nature commune ? Oü etaient les lois protectrices du citoyen ? 
Pourquoi un prince effrene dans ses plaisirs s'arreterait-il, quand 
il serait question de son existence, devant des crimes contre 
lesquels on n'avait d'autre garaniie que leur enormite meme ? 
On s'anime, on s'excite par ces discours ä croire aux plus mon- 



1 Bern 1825 I, S. 320. 

2 Vgl. Histoire de France 1735, IX, S. 413. 
s Vpl. Strack, a. a. U., S. 36 ff. 

* Ich benatze die Ausgabe von 1S47. Bd I, S. 430 ff. 
5 Nach Lacretelle, Histoire de France pendant le XVIII* siecle, 
t. in, p. 180. 



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— 17 — 



strueux complots ; et voilä que soudain Paris se leve en tumulte. 
C'en est fait : des enfants ont ete arraches ä leur meres; on 
e n a la preuve; oncite des circonstances effra- 
yantes; on rapporte des paroles etranges echappees ä l'im- 
prudence des ravisseurs. Les places publiques retentissent de 
clameurs furieuses, auxquelles se joint le gemissement d'une 
foule de rneres eplorees. L*hötel du magistrat, gardien de la 
cite, fut. impelueusement envahi. Le lieutenant de la police 
dut s'enfuir par des jardins ,menac£* qu'il etait d'ötre £gorge. 
L'emeute enfui ne se dissipa que devant un brutal emploi de 
la force. Mais la force, depuis, ne cessa de decroitre, ä me- 
sure que s'exaltaient les coleres. Un enlevement de vagabonds 
avait sufli pour causer cette £pouvante; et qu'elle preuve plus 
Crappante de la profondeur que le peuple apportait d'ejä dans 
ses defiances et dans sa haine?» 

Wir sehen in diesen Worten die ganze Entstehung des 
Aufstandes deutlich vor uns. Mit Recht bemerkt der Historiker, 
daß die Behauptung von dem Blutbade des Königs in einer 
zähen Legende der Vorzeit wurzelt. Aber ein in die aufgeregte 
Masse hineingeworfenes Wort genügte, um der unglaublichen 
Mär Glauben zu schaffen und die Phantasie sorgt dann schon 
Cur die Einzelheiten, die den Beweis für die Wirklichkeit der 
vorgegebenen Tatsachen liefern sollen. Die ganze Geschichte 
ist ein prächtiges Beispiel für die Macht und Bedeutung der 
Suggestion im Völkerleben, die uns Stoll in seinem erwähnten 
Buch vor die Augen rückt. 

Die Volkssage hat auch andern Königen den gleichen Vor- 
wurf gemacht ; Richard von England soll einem jüdischen Arzte 
das gleiche Rezept verdankt haben. i Es gibt ein reichliches 
Material zu diesem ganzen Blutaberglauben, das z. T. bei Strack 
und Cassel gesammelt ist, doch ließe es sich noch stark ver- 
mehren. Das Mittelalter sorgte für die weite Verbreitung solcher 
Erzählungen und bis in unsere Zeit hinein hat das Volk sich 
derartige Geschichten erzählt, die von den Sagenforschern aus 
dem Munde des Volkes gesammelt sind. 2 

In diesem Zusammenhang aber betrachtet, zerfließt auch 
jenes angebliche Recht des Adels in seine ursprünglichen Be- 
standteile. Es kann von Sadismus überhaupt keine Rede sein. 
Vielmehr handelt es sich um eine Verquickung von Volksglauben 
und Volksmedizin, die durch die Jahrhunderte hindurch zum 
Ueberlieferungsstoff gehörte und je und je an diese oder jene 



1 Vgl. Marbachs Volksbücher, Nr. 21, Hirlanda, S. 6. 
« Vgl. z. B. Wolf, Niederländische Sagen, Nr. 434. Rochholz 
Aargauer Sagen I, Nr. 14. 

2 



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18 — 



historische Persönlichkeit angeknüpft wurde. Wo der Haß und 
die Leidenschaft die Gemüter erregten, da sagte das Gerücht 
der verhaßten Gestalt jene unmenschliche Grausamkeit nach, 
die unser Legendenstoff uns offenbart hat. Es bleibt auf König- 
tum und Feudalismus genug historische Schuld, um solche 
Scheußlichkeiten ihnen nicht auch noch aufladen zu müssen. 

Wer ähnliche Erscheinungen bis in die Neuzeit hinein 
verfolgen will, der denke an den berüchtigten Namen Rohlings 
oder an den Xantener Mordprozeß. Die Zähigkeit alten Aber- 
glaubens und die suggestive Gewalt desselben auf erregte Köpfe 
sind in den Händen eines gewissenlosen Antisemitismus, der 
ebenso roh wie unwissend ist, furchtbare Waffen. Oft wider- 
legt und als eine grundlose Verdächtigung des Judentums nach- 
gewiesen, findet die Behauptung des Ritualmordes stets wieder 
Gläubige und die Hetzer lassen es dann gewiß an den beglaubi- 
genden «Tatsachen» nicht fehlen.» So können wir die Blul- 
beschuldigungen jener entlegenen Zeit noch in unserem Volke 
lebendig und wirksam beobachten und unsere Schlüsse auf die 
Vergangenheit aus den Erfahrungen der Gegenwart ziehen : 
das angebliche Blut recht der oberelsässischen Adligen gehört 
ins Gebiet der nicht harmlosen Geschichtslegenden, erwachsen 
auf dem Grunde des Glaubens, den Mephistopheles in jenem 
Wort an Faust ausspricht : 

«Blut ist ein ganz besonderer Saft.» 



1 Vgl. zu diesem Stoff H. Hayra, Uebersicht der meist in Deutsch- 
land erschienenen Literatur über die angeblich von Juden verübten 
Ritualmorde, 1906. 



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IV 



Streit zwischen Tugenden und Lastern. 

(Eine mittelhochdeutsche Handschrift.) 

Mitgeteilt und ubersetzt von 

Heinrich Hemmer. 

Durch Herrn Professor Martin wurden mir aus dem 
Privatbesitz des Herrn Dr. Forrer (Straßburg) zwei Pergament- 
blätter zur Verfügung gestellt. Sie scheinen aus einem Buch 
herausgeschnitten, also Teile einer Sammelhandschrift zu sein. 
Jedes Blatt ist etwa 30 cm hoch und 21 1/» cm breit. Nur 
die Vorderseiten sind beschrieben, mit Versen in je zwei Spalten 
auf je 46 Linien. Je drei Verse sind zu einer Strophe vereinigt, 
zwischen den einzelnen Strophen sind leere Zwischenräume. Im 
Raunte zwischen den beiden Spalten sind jedesmal in der Höhe 
der Strophen Kreise eingezeichnet mit ein- und umgeschriebenen 
Worten. 

Die Entzifferung der Handschrift war mit nicht geringen 
Schwierigkeiten verbunden. Die Schrift ist arg verblaßt und 
verwaschen, an manchen Stellen vollständig verschwunden. Auch 
die zahlreichen ungewöhnlichen Abkürzungen im Text er- 
schwerten das Abschreiben in nicht unerheblicher Weise. Eine 
Handhabe bot mir eine von Herrn Professor Martin schon an- 
gefertigte diplomatische Abschrift. Immerhin gelang es mir mit 
Hilfe der Lupe das meiste zu entziffern, bezw. die Abschrift 
des Herrn Professor Martin zu bestätigen, im einzelnen aus- 
zuführen und zu ergänzen. Ganz verschwundene Stellen sind 

mit bezeichnet, eigene Konjekturen werden durch 

eckige [], unklare Stellen durch runde () Klammern ange- 
deutet. 



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— 20 — 

Unsere Handschrift ist eine Kloster handschrift. Da- 
rauf deutet die Ueberschrift auf dem einen Blatt hin : Iste'liber 

est fratris Daß wir es aber nicht mit dem Original, 

sondern mit einer Abschrift zu tun haben, das lassen%er- 
schiedene Ungenauigkeiten (unklare Stellen, unmittelbare 
Wiederholung derselben Wörter, eingeschobene Wörter) fast 
mit Sicherheit vermuten. (S. die Fußnoten.) Wahrscheinlich 
konnte der Abschreiber manche Stellen im Original nicht ent- 
ziffern und gab sie wieder, wie er sie sich zurechtlegte. 

Der Inhalt der Handschrift ist ein Wettstreit zwischen 
Tugenden und Lastern. Auf dem einen Blatt (A) werden die 
Tugenden (8), auf dem andern (B) die entsprechenden Laster 
(7) aufgezahlt. Und zwar so, daß in den schon oben erwähnten 
Kreisen eine Haupttugend bezw. ein Hauptlaster genannt wird 
und die unter diesen Hauptbegriff fallenden Tugenden bezw. 
Laster (gewöhnlich (5) jedesmal rechts und links vom Kreis 
mit je einem Vers angebracht sind. Die Namen der Tugenden 
und Laster sind in lateinischer Sprache angeführt. 

Das Schema der Anordnung ist also folgendes : z. B. BIII. 



furtum 
rapina 

perdicio 



Swer stilt 
fremdez 
gut . . 
den ich . 




usura 



simonia 



penunum 



Der Dialekt der Handschrift ist das Alemannische, wie 
es um 1300 am Oberrhein gesprochen wurde. 

Uebcr die engere Heimat der Handschrift gibt vielleicht 
eine Inschrift am Schlüsse des Blattes (A) Auskunft. Sie ist in 
hebräischen Schriflzeichen abgefaßt und lautet nach den von 
Herrn Professor Marlin eingezogenen Erkundigungen : Thoma(s) 
von Ro(t)sheim. Vielleicht Hosheim — Kreis Molsheim ? Jedoch 
ist sie nicht von unbedingt entscheidendem Wert, da sie viel- 
leicht nichts anderes als der Namenszug eines zeitweiligen 
Besitzers der Handschrift sein kann. 

Ueber die Art des in der Handschrift Mitgeteilten möge 
nnch einiges gesagt werden. Wie schon angedeutet, liegt ein 
Klostergedicht vor, wie sie Anfang des 14. Jahrhunderls Hand 
in Hand mit der aufstrebenden Mystik in Männer- und Frauen- 
klöstern verfaßt wurden. Zunächst wohl nur für die Ordens- 
mitglieder bestimmt, dann aber auch für einen größeren Leser- 
kreis. Daß unser Gedicht nur in einem Männerkloster 
(Dominikaner?) entstanden sein kann, dafür zeugt die schon 
erwähnte Ueberschrift auf Blatt A. Außerdem können Aeußer- 



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— 21 — 

ungen wie etwa: Krieg und meineid ich gebir . . . usw. oder: 
ich flueche ze aller zit got . . . usw. BV. oder: So ich 
trunken gewesen bin, dennoch nach trinken stät min sinn BII. 
doch nur für Männer Geltung haben. Ueberhaupt ist der ganze 
Ton ziemlich derb und unverblümt. 

Ein unsrer Dichtung verwandtes Werk liegt vor im 
«Geistlichen Streit, ein mittelhochdeutsches Gedicht» (hergestellt 
und erläutert von Fritz Hoepfinger, Straßburg 1907). Daß die 
Behandlung des Wettstreites zwischen Tugenden und Lastern 
überhaupt im Elsaß während des 13. und 14. Jahrhunderts 
sehr beliebt war, das zeigen die verschiedenen Fälle ähnlicher 
Darstellungen besonders in Skulpturen und Glasmalereien. Sie 
linden sich bei Hoepfinger in § 4 der Erläuterungen S. 76 ff 
zusammengestellt und können dort bequem nachgelesen werden. 



Erstes Blatt (A), Die Tugenden. 

Am Kopfe des Blattes, links und rechts über dem I. Kreis, 
befindet sich eine Art Ueberschrift: 

jstum librum de secto .... (links) 

Jsle Uber est fratris (ch) [christiani] de {uff)i (rechts) 

I. Kreis. 

Innerhalb des Kreises vielleicht: [castitas] 

Am Rande des Kreises steht nur: swer 

Links vom Kreis in gleicher Höhe: 

ein iglich hercz tut . die schäm rein und gut 
Bevcaren sol des herczen hut . daz der wek si 

gut 

Swer der böse red huld hat . der ist woller 

misselat 

Ein jedes Herz macht die Scham rein und 

gut 

Die Wachsamkeit des Herzens soll dafür sorgen, 

daß der (Lebens)-weg gut sei 
Wer die böse Rede lieb hat, der ist voller 

Schlechtigkeit.» 



verecundia 
(...)» custo- 
dia cordis 
pudicitia 
verborum 

cScham . . . 
Wachsam- 
keit des 
Herzens 
Sittsamkeit 
in der Rede 



Rechts vom Kreise steht nichts. 



1 Nicht zu entziffern. 



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— 22 — 



II. Kreis. 

Im Kreis: castita[s) «Keuschheil». 
Rund um den Kreis: 

Stcer fliuhelt unkuscheit dem wirt ein glänz cron bereit 
«Wer die Unkeuschheit flieht, dem wird eine glänzende Krone 
bereitet.» 

Links vom Kreis: 
man schol gol vor allen dingen Up haben. 
«Man soll Gott über alles lieben» 



Rechts vom Kreis: 

der tugent sacs \än} 1 wan die bösen sinne loten kan 
den Up man A estigen sol . so vertribt man die 

sund wol 

volgst du den heiigen [son] 1 daz himelrich ist 

din Ion 

«Der Tugend Satz kann gewißlich die bösen 

Sinne töten 

Den Leib soll man kasleien. So vertreibt man 

die Sünde wohl 
Folgst du dem heiligen Sohn(?), das Himmelreich 

ist dein Lohn. 



Diese 3 Zeilen 
münden je in 
einen kleinen 
Kreis. 

.holn..w..s . 

. maiano . . . 

. . cam . . 

[ministe- 

rium] 



Gefolgschaft 
(Christi).» 



III. Kreis. 



Im Kreis: abstinenlia «Enthaltsamkeit». 

Um den Kreis: 

der bose glust rastet alte die wil man tastet 

«das böse Gelüste (hört auf) erstickt, wenn man fastet». 

Links vom Kreis: , 



frugalilas 



der kuschlich leben wil der ezze niht ze vil 
daz fri ubiger begir . den Mut krenkel mir 
diu frdzheil ze helle ziuhel, den der si niht fliuhet. 



1 Die Handschrift zeigt ein. Es ist anzunehmen, daß der 
Schreiber sich geirrt hat und es ist än(e) einzusetzen, ftn(e) wän = 
gewißlich. 

2 Die Handschrift läßt nicht genau erkennen, ob san oder son 
zu lesen ist. Vielleicht auch frön = Herr? sän = sä = sobald würde 
im Reim nicht zu Ion passen. 



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«Mäßigkeit 



Wer keusch leben will, der esse nicht zu viel. 
Die Freiheit eitler Begier kränkt mir die Seele 
Die Gefräßigkeit zieht zur Hölle den, der sie 

nicht flieht.» 



Rechts vom Kreis: 
mäze dich der lipnar so uirt Up und sei dar 

die nuhlerheil mahl frut, libe und mut 
über drinken schadet ser da hdt dich vor: daz 

ist min ler. 

«Sei mäßig in der Nahrung, so wird Leib und 

Seele klar. 

Die Nüchternheit macht verständig Leib und 

Mut. 

Zuviel trinken schadet sehr, davor hüte dich ; das 

ist meine Lehre 



cibi [mode- 
stia] 
sobrielas 
abstinentia 
potus 

Mäßigkeit im 

Essen 
Nüchtern- 
heit. 
Mäßigkeit im 
Trinken.» 



mundi 

.... (Höhe) 
Nachdrück- 
lichkeit des 

Gebens 
Verachtung 
der Welt 



IV. Kreis. 

Im Kreis: largitas «Freigebigkeit». 
Um den Kreis: 
se din viilil uf erlrich so sendstu sie ze himelrich. 
«Säe deine Milde auf Erden aus, so sendest du sie zum 
Himmelreich». 

Links vom Kreis: 
[mla] teil mit armer, lulen dinen solt . so ist dir got holt 
[gravitas] Swer snel ist ze geben der dient das ewige 

dandi leben 
contemptio himel frevd wert ewiclich . die well ist alle 

zergenklich. 

«Teil armen Leuten deinen Lohn mit, so ist dir 

Gott hold. 

Wer schnell gibt, der verdient das ewige 

Leben. 

Himmelsfreude währt ewiglich, die ganze Welt 

ist vergänglich.» 

Rechts vom Kreis: 
die armvt sol sichern sin, schächer, vor den 

schlachim [?] din 
hast du durch got iht gezall . er gil dirz vsider 

hundertfall 

umb gut soll du niht sorgen . du stribl heul 

oder morgen 



paupertas 

renumeralio 

terrar(?) . . . 
abicias 



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— 24 — 

«Die armen Leute sollen sicher sein, Schacher, Armut 

vor deinen Schlägen. 
Hast du im Namen Gottes irgend etwas gezahlt, Belohnung 

er gibt dir's hundertfach zurück- 
Um Gut sollst du nicht sorgen, du stirbst heute Verachtung 

oder morgen. der Welt(?)> 



V. Kreis. 



Im Kreis: (Scltrin)? diligentia «Fleiß». 

Um den Kreis: 

ich will nimmer treg sin . noch herzen den tregen. 

«ich will nimmer träge sein noch den Trägen lieb haben». 

Links vom Kreis : 

mentis hila- Er sol vrolich wesen, der an tunde ist genesen 
rilas 

laetitia dem geheizen ist daz himelrich, der freuwe 
spirilus sich billich 
du 'soll stellen dinen mul nah dem ewigen gut 

«Heiterkeit ; Es soll fröhlich sein der, der von der Sünde 
der Seele 
Freude des 
Geistes 



genesen ist. 



Wer sich auf rechte Art freut, dem ist das 

Himmelreich verheißen. 
Du sollst deine Seele nach dem ewigen Gut richten.» 



Rechts vom Kreis: 
Du soll mit sinnen gut/u werk minnen 

getrewen got man sol . so xxberwindt man die 

weit wol. 

gutiu werk vollend gar . so kumst du in der 

enyel schar 

«Du sollst mit Verstand gute Werke lieben. 

Vertrauen soll man auf Gott, so überwindet 

man die Welt wohl. 

Gute Werke vollende ganz, so kommst du in 

der Engel Schar 



fiducia ad 
bonum 
fiducia 
in deo. 
completio 
6 .... • 

Vertrauen 
zum Guten» 
Vertrauen 
auf Gott 
Erfüllung» 



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■ 



— 25 — 



VI. Kreis. 

Im Kreis: patientia «Geduld». 
Um den Kreis: 

■ 

lidest du arbeil willichlich du gewinnest daz himelrich. 
«Nimmst du willig Arbeit auf dich, so gewinnst du das 
Himmelreich» 

Links vom Kreis: 

longanimitas man lat sich nihl wol an ein dink daz zergän sol 
der des herzcen wint verderben wil der hat 

guter ruw vil. 

mansuetudo \ die senften tragent schön die engelische cron . 

«Langmut Man tut nicht gut sich einem Ding hinzugeben, 

das vergehen soll. 
Wer den Sturm des Herzens unterdrücken will, 

der hat guter Ruhe viel. 
Milde j DieSanften tragen in schöner WeisedieEngelskrone» 



Rechts vom Kreis: 
senfle red tut . die zornigen wol gemixt 

frid ist gut . Ich hazze er ick und unmut 
ich kan stillen . die missehellenden willen 

«Sanfte Worte machen die Zornigen wohlge- 
sinnt. 

Friede ist gut. Ich hasse Krieg und Zorn. 

Ich kann besänftigen die (verschiedenen) nicht 

übereinstimmenden Willen. 



lenitas ver- 

borum 
pax cordis 
reconciliatio 
discord. . . 

Milde der 

Worte 
Herzens- 
friede 
Versöhnung 
der 

| Zwietracht.» 



VII. Kreis. 

Im Kreis: Caritas «Liebe» 

Um den Kreis: 

1 on mich gol nit lebs hat wan ich bin an missetat. 

«ohne mich Gott kein Leben hat, denn ich bin ohne Schlechtigkeit». 



1 Daß der Verfasser dieses Gedichtes von der Mystik (Meister 
Eckhart) beeinflußt ist, zeigt dieser Satz deutlich. tGott ist nnr 
Liebe nnd nur durch die Liebe». 



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Links vorn Kreii 



[harmonia] 

concordia 
cmicitia . . . 



€ Brüderlich- 
keit 
Eintracht 

Freund- 
schaft 



ich kan allen gunsl geben und machen bruderlich 

leben. 

einmutik ist gut . und git dem mensch hohen mixt 
ze gesellen sprich ich wol . nah reden ich 

nieman sol. 

Ich weiß allen Wohlwollen einzuflößen und ein 

brüderliches Leben zu bereiten. 
Einmütig sein ist gut und gibt dem Menschen 

hohen Mut. 

i Zu den Gefährten spreche ich freundlich. Ueble 
Nachreden werde ich gegen niemand führen.» 



Rechts vom Kreis : 

Der mensche sich frewen sol sin nehsten seiden. 

daz slät wol. 
man sol trösten den betrübten sdn und in leides 

er Um 

air ist leit daz ieman hat arbeil. 



€Der Me nsch soll sich freuen über das Glück seines 

Nächsten. Das steht ihm gut an. 

Man soll den Beirübten gleich trösten und ihm 

Leiden erlassen 
Mir ist es leid, daß jemand Mühe hat. 



gaudium de 
bonisproximi 

compassio 
rebus. . a. . 

compassio 
proximi 

Freude über 
dasGlückdes 

Nächsten. 
Mitleid mit. . 

Mitleid mit 
dem Näch- 
sten.» 



VIII. Kreis. 
Im Kreis: humilitas «Demut». 

Um den Kreis : 
diu hovart gar verdirbt . und swer nah ir wirbt 
€Öie Hoffart wird ganz und gar zunichte, auch der, der nach 
ihr strebt» 

Links vom Kreis: 

[oboedientia] \ mit herezen und mit sin ze goles geboten ich 

gehorsam bin. 

...;>../ hofarl sol man miden . so kumt man niht zu liden. 

iaciturnilas Bosen rät ich miden sol . guten immer merken wol. 



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«Gehorsam 



Schweig- 
samkeit 



— 27 — 

Mit Herz und Sinn bin ich Gottes Geboten gehorsam. 
Hoffart soll man meiden, so zieht man sich keine 

Leiden zu. 

Bösen Rat soll ich meiden, guten aber immer 

wohl beachten.» 



Rechts vom Kreis: 

ich kan niht liegen noch nieman triegen 
ich lob mich niht ze (geschit) 1 und mache kein 

lop ewig{?) 

er ist ein wiser man swer got erkennen kan. 

eich kann nicht lügen noch jemand betrügen 
(ich halte mich nicht für übermäßig gescheit und 

zehre nicht ewig von einem Lob) 
Wer Gott erkennen kann, der ist ein weiser Mann. 



simplicitas 
moäeslia 

timor dei 

Einfalt 
Bescheiden- 
heit 
Gottes 
furcht.» 



Am Schluß des Blattes (A) unten rechts finden sich folgende 
Schriftzeichen: 

Thoma(s) von Rot(s)heim (?) 



Zweites Blatt (B), Die Laster. 

I. Kreis. 

Im Kreis: luxuria «Ueppigkeit». 
Um den Kreis: 

on er ich (bruch) (?) sin 2 sol, daz ich der hurheii kan dienen 
wol . 

«Ohne Ehre werde ich ... . sein, daß ich mich der Hurerei 
ungestört hingeben kann». 

Links vom Kreis: 



[praeeipi- 

lalio] 
amor sui 
odium dei 



Swem ze gach ist . der hat bösen list 

umb mich sorge ich wol, gotes ich nit achten sol 
Ich wil die weit liep hän und von gols lieb stän. 



1 «geschit» sehr selten in mhd. Texten. Ebenso die Wendung: 
wnrf mache kein lop ewig. 

8 bruch? (kaum zu lesen). Das Wort «sin» ist zwischen «bruch» 
und «sol» eingeschoben. 



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I 



— 28 — 



«[Ueber- 
stürzung] 
Eigenliebe 



Haß auf 
Gott 



Wer zu ungestüm ist, der ist voll Verschlagenheit 

Für mich sorge ich wohl, um Gott werde ich 

mich nicht kümmern. 

Ich will die Welt lieben und auf Gottes Liebe 

verzichten.» 



Rechts vom Kreis: 

Die sint an sinnen plint . die der hur heil ' 

diener sint 

von unsleticheit bin ich (sind und unwert billich*) 
Sne[ler]?* als der winl 

die warheil wil ich lan und wil der lugen bislan . 



cDie sind an Sinnen blind, die der Hurerei 

ergeben sind 

Von Unstetigkeit bin ich 

Schneller als der Wind 

Von der W'ahrheit will ich abstehn und der 

Lüge zum Siege verhelfen. 



cecitas 
mentis 
incon- 
sianlia 
inconside- 
ranlia 

Blindheit 
des Geistes 

Unbe- 
ständigkeit 

Ver- 
blendung.» 



II. Kreis. 

Im Kreis: gula «Völlerei». 
Um den Kreis : 

daz ich der fräzheit [mag] dienen wol . des ist min herze 
freud xol. 

«Daß ich mich der Gefräßigkeit ganz hingeben kann, des ist 
mein Herz voller Freude.» 

Links vom Kreis : 

unwert er wesen wil der ze den sachen redz ze vil 
der vol wint sin wil der hat tugent niht vil 
mit Hb und mit sei bin ich ze der bosheit snel 



multiloquiutn 

hebetudo 
inmundi . . . 



«Geschwät- 
zigkeit 
Stumpfheit 



Unangesehen der sein will, der zu den Dingen 

zuviel redet 

Der voll Drang sein will, der besitzt nicht viel Tugend 
Mit Leib und mit Seele bin ich schnell zur Bos- 
heit bereit.» 



' Unverständlich. 

* tSne[ler]? als der wint» ist eingeschoben zwischen die zweite 
and dritte Zeile. 



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29 



Rechts vom Kreis : 

So ich trunken gewesen bin . dennoch nach 

trinken stal min sinn 
dcrzevil istfreudenrich.derwilgernlriegensich(f) 
daz ich vol werde . darumb lauf ich täl und berge 

tWenn ich hetrunken gewesen bin, dennoch 

nach Trinken steht mein Sinn 

Der zu reich an Freuden ist, der will gerne 

sich betrügen (?) 

Damit ich betrunken werde, darum laufe ich 

über Tal und Berge.» 



Ell . . 



pr , 
En 



las 
las 



III. Kreis. 

Im Kreis: avaritia «Geiz». 
Um den Kreis : nichts. 
Links vom Kreis : 



furtum 
rapina 
perdi(cio)? 



Swersliltgern dermuz (des muz*)des himelenbern . 
fremdezgul ich gehall . ich gibznihtwideron gewall 
den ich verdien wil dem zeig ich falscher lieb vil 



«Diebstahl Wer gerne stiehlt, der muß den Himmel entbehren. 
Raub Fremdes Gut behalte ich, ich gebe es nicht wieder, 

wenn man mich nicht dazu zwingt. 
Wen ich verraten will, gegen den heuchle ich 

viel Liebe.» 

Rechts vom Kreis: 

ich wil sorgen tegelich . daz ich von wucher vsura 

werde rieh 

ich sorge nil vil . und gols gab verkoufen ich ivil simonia 
Swaz ich swer daz ist nil ««r . tvann die eide periurium 

prich ich gar 



«Täglich will ich mein Augenmerk darauf richten, 

daß ich von Wucher reich werde 

Ich plage mich nicht viel ; und Gottes Gaben 

will ich verkaufen 

Was ich schwöre, das ist nicht wahr ; denn die 

Eide brech ich ganz und gar 



Wucher 
Simonie 
Meineid» 



* «des muz» unklar. Wiederholung von «der muz»? Ein Ver- 
sehen des «Abschreibers»? 



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— 30 — 



IV. Kreis. 

Im Kreis : accidia «Nachlässigkeit». 
Ueber dem Kreis: treg ich (Fortsetzung im Kreis) 
Im Kreis: bin trurik ist min herze und min sin 
«trüg bin ich; niedergeschlagen ist mein Herz und mein Sinn». 

Links vom Kreis: 

ich wil darnach ringen wie ich schaden muge 

bringen 

der mir ein cleinz leil tut . dem tun ich (nial)i 

kein gut 

(Char)* dink ich sere clag . zagheil ich in 

herzeen trage . 

Ich will danach trachten, wie ich Schaden 

bringen könnte. 
Wer mir nur ein geringes Leid zufügt, dem tue 

ich nichts Gutes an. 
........ Zagheit trage ich im Herzen.» 



malilia 

Rancor 

pussilani- 
mitas 



«Nichts- 
würdigkeit 
Groll 



desperalio 



Ver- 
zweiflung 



Kleinmütig- 
keit 

Rechts vom Kreis: 
zagheit ich vil hän . von allen gedingen ich 

muz slän 

heil undselden aht ich niht alle tugend ist ein wiht 
unsteter mut gevellet mir wol . trurekeit bin ich vol 

«Feig bin ich sehr, von allen Hoffnungen muß 

ich abstehn 

Heil und Glückseligkeit schätze ich nicht. Jede 

Tugend ist ein Nichts 
Unsteter Sinn gefallt mir sehr, ich bin voll 

Traurigkeit.» 

V. Kreis. 
Im Kreis: ira «Zorn». 
Um den Kreis: " 
als ich lob in zorn so ist alls gut verlorn 
«Wenn ich tobe im Zorn, dann ist alles Gut verloren». 
Links vom Kreis : 

rixa Krieg und meineid ich gebir daz ist mins herzen gir 
clamor Stille ich ni t liden mag . unfrid ich in herezen trag 
indignalio j die lule ich smehen wil . ich aht ir nit vil. 



1 In der Handschrift «mal» ? 
' Char? 



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«Rauferei 
Geschrei 
Schmähung 



— 3t — 

Krieg und Meineid verursache ich, danach hegehrt 

mein Herz. 

Die Stille kann ich nicht leiden. Unfrieden trage 

ich im Herzen. 
Die Leute will ich schmähen, ich achte ihrer 

nicht sehr.» 
Rechts vom Kreis: 
der mir ein »bei tut . dem tun ich nimer gut 
ich flueche ze aller zil gol und den heiligen 

daz min sit 

der zorn ofte tut, daz yekrenkel wirl hoher mal 

«Wer mir Uebles antut, dem tue ich niemals 

mehr etwas Gutes an 
(Zu jeder Zeit) Immer fluche ich Gott und den 

Heiligen; das ist meine Art 
Der Zorn oft bewirkt, daß die Seele verdorben wird. 



contumelia 
blas- 
phemia 
timor .... 

Schimpf 

Gottes- 
lästerung 
Furcht ...» 



VI. Kreis. 

Im Kreis: invidia «Mißgunst». 
Um den Kreis: 
Unglücke gän ich wol allen luten als ich sol. 
«Unglück gönne ich allen Leuten aus ganzem Herzen». 

Links vom Kreis: 
odium 1 ich sol neman liep hän . weder frauwen noch man 
delractio Waz gutes tut iederman . daz heiz ich allez 

ubel getan. 

discordia uz allen sachen kan ich arck machen. 

«Haß Ich werde niemanden lieb haben, weder Frauen 

noch Mann. 

Schmäh- Was ein jeder Gutes tut, das halte ich alles für 
sucht schlecht. 
Zwie- Aus allen Sachen kann ich Feindseligkeit machen. » 
tracht 

Rechts vom Kreis: 

ich /reite mich mins nehsle unseld ze darf und 

ze feld 

so ich min neusten unselk sihe . des frewe ich 

mich mer (darumben 1 ) 
heimlich schilt ich alh gut. daz man in der 

uerld tut. 

1 Unverständlich. Wahrscheinlich konnte der Abschreiber da» 
Wort im Original nicht entziffern und machte selbst eine Conjektur. 



gaudium 
in adversis 



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— 32 



eich freue mich über meines Nächsten Unglück 

zu Dorf und zu Feld 

Wenn ich meinen Nächsten unglückselig sehe, 

darüber freue ich mich mehr.(?) 

Heimlich tadle ich alles Gute, das man in der 

Welt tut.» 



Freude im 
Unglück 



. • • 



VII. Kreis. 

Im Kreis: superbia «Hochmut». 
Um den Kreis: 
So ich alle dink erviht dennoch gnugel mich nit. 
«Wenn ich alle Dinge erkämpft habe, dennoch befriedigt es 
mich nicht» 

Links vom Kreis: 
inoboedienlia Ungehorsam wil ich sin mit allen den sinnen min 



iactantia 



[ h)ypocrisis 

«Unge- 
horsam 
Prahlerei 



ich r\m mich yrozer dinge die ich doch an mir 

niht vinde. 

ich lun als ich helik si . doch wönt mir sunde e bi . 
Ungehorsam will ich sein mit allen Sinnen mein 

Ich rühme mich großer Dinge, deren ich doch 

nicht fähig bin. 
Ich tue so, als ob ich heilig wäre; doch wohnt 

die Sünde bei mir» 



Ver- 
stellung 

Rechts vom Kreis : 

swaz daz best isl . daz hdn ich vur ein mist 
ho feit bin ich vol . des glicht ich mich gol wol 
Sviaz ich böses gedenke . da von ich nimmer wenke 

«Was das Beste ist, das halte ich für Mist. 

Eingebildet bin ich, so sehr, daß ich mich wohl 

Gott gleich machte. 

Wenn ich etwas Böses im Sinne habe, davon 

stehe ich nie mehr ab. 



content io'?) 
praesumplio 
pertinacia 

Wider- 
spruch (?) 
Anmaßung 

Hart- 
näckigkeit» 



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V. 

Der Zug Straßburgs gegen 
Graf Philipp III. von Hanau-Lichtenberg 

1526*' 

Von 

t 

Dr. Johannes Beinert. 

Die Untertanen des strengen und eigenmächtigen Grafen 
Philipp III. von Hanau-Lichtenberg hatten seit dem Bauern- 
aufstand des vorhergegangenen Jahrs schwer zu leiden. Viele 
der Bedrängten fluchteten sich und ihre Habe in die freie Stadt 
Straßburg und erhielten hier ein menschenfreundliches Asyl. 
Einige wurden sogar zu Bürgern angenommen. Das ärgerte 
den Grafen. Die Stadt hatte ihn wiederholt zur Milde ermahnt 
und gebeten, doch den Vertrag, den er mit den Bauern während 
des Aufstands geschlossen hatte, zu halten. Er kehrte sich 
aber nicht daran, sondern verfolgte die Bauern aufs Härteste 
und legte ihnen schwere Schalzungen auf. 

So erging es einem Untertanen Willsiätter Amts, Jörg 
Hörter von Eckartsweier. Er hatte in Straßburg den Bürger- 
eid geleistet und wollte aus dem Hanauerland in die Stadt 
ziehen. Der Willstätter Amtmann ließ aber den neuen Straß- 
burger wegen Verachtung des kürzlich dem Grafen geschwo- 
renen Treueids im Turm des Schlosses einkerkern. Dort 
schmachtete er nun dritthalb Tage bei schmaler Gefängniskost. 



1 Auf Grund der «Akten und gerichtshandelung zwischen 
Graven Philipsscn von Hanaw — und Meyster und Rath der statt 
Straßburg, den zug gen Willstetten . . belangendt». Archiv der 
Stadt Straßburg A A 1723. 

3 



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— 34 — 

Das bewirkte bei der Stadtbehörde keine geringe Ent- 
rüstung. Sie faßte die Tat als eine Beeinträchtigung ihres 
guten alten Rechts der Freizügigkeit in die Stadt auf und 
schrieb sofort, man möge Hörter unverzüglich herausgeben. 
Da der Brief aber an den Grafen gerichtet war, so schickte 
ihn der Amtmann von Willstätt mit einem Boten nach West- 
hofen und erwartete zugleich Antwort. Hierdurch erlitt die 
Angelegenheit eine unliebsame Verzögerung. 

Die Straßburger Stadtoberhäupter regten sich über das 
Ausbleiben einer will fahrigen Antwort noch mehr auf. Sofort 
ließen sie ihre Schöffen und den großen Rat bis gegen 300 
Mitglieder zusammenkommen, um über den freventlichen Ein- 
griff in die städtischen Freiheiten zu beratschlagen. Es wurde 
beschlossen, zur Gewalt zu schreiten, denn nach einem alten 
kaiserlichen Privileg durfte sich die Stadt gegen ihre Bescbädiger 
und Betrüber mit eigener Tat schützen und schirmen, sie ver- 
wirkte keine Strafe, wenn sie sich zu Wasser oder zu Lande 
selbst half. Darauf gestützt, wollte sie ins Hanauische ziehen 
und ihren Bürger befreien. Noch in der Nacht wurden alle 
Vorbereitungen für einen reisigen Zug getroffen. 

Am Morgen, so früh als das Metzgertor aufging, rückte 
die Straßburger Streitmacht zu Roß und zu Fuß etwa C00 
Mann stark zur Stadt heraus und zog die Rheinstraße weiter. 
Voraus ritten vier Söldner und ein Trompeter, der an seinem 
Instrument ein Fähnlein mit dem städtischen Wappen trug. 
Dann folgten 40 schwere Reiter unter der Anführung Jörg 
Heimenhofers. Die Fußmannschaft mit den Handrohren bildete 
den Haupttrupp. Er wurde geführt von dem Oberbefehlshaber 
Altammeister Daniel Müh, einem «langen» Mann, und den 
Hauptleulen Hans von Matzenheim, Jakob Mayer und Bernhard 
Ottfriedrich. 

Die Artillerie Alt-Straßburgs folgte zuletzt. Sie bestand 
aus zwei groben Geschützen, einer Feldschlange von ungeheurer 
Länge, bespannt mit sechs Hengsten, und einer Halbschlange 
mit vier Hengsten. 

So gings über den Rhein die Willstätter Landstraße ent- 
lang. Die vor den einzelnen Abteilungen marschierenden 
Trommelschläger machten mit ihrem Trommeln und «Gebossel» 
einen solchen Lärm, daß die Einwohner in den Dörfern alle 
alarmiert wurden und zusammenliefen. 

Bei Neumühl begegnete der Zug einem Amtsboten von 
Willstätt. Die Hauptleute hielten ihn an und fragten, wohin 
er wolle. Der Bote erklärte, daß er vom Amtmann geschickt 
sei und dem Städtemeister einen Brief zu überbringen habe. 
«Wir kennen dich wohl», antworteten Daniel Müh und sein 



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Begleiter, «fahr hin und lug, daß du den Brief dem Ammeister 
gebest*. Damit brachen sie auf, ohne zu ahnen, daß der 
Amtmann in diesem Brief über den Jörg berichtete. 

Zwischen Odelshofen und Kork kam der Willstätter Amts- 
schaffner Felix Icher zu Pferd des Weges daher und wollte 
nach Straßburg, um Zinsen zu entrichten. Jörg Heimenhofer 
ritt auf ihn zu, bot ihm die Hand und sagte : 

«Gib dich gefangen, Schaffner ! » 

Dieser antwortete: «Wessen Gefangener bin ich?» 

— «Meiner Herren von Straßburg.» 

«Ich will ohnedies hinein gen Straßburg reiten.» 

«Reit hin, meine Herren sind nit weit,» verabschiedete 
ihn Heimenhofer. 

Als Icher zu den Hauptleuten beim Fußtrupp kam, sagte 
Bernhard Ottfriedrich: 

«Schaffner, komm herum, du mußt mit uns gen Will- 
stätt reiten.» 

In Willstätl angekommen, begaben sich die Befehlshaber 
gleich vor das Schloß. Es war niemand darin als der Reiter 
Jörg, der Schloßvogt und seine Frau, eine arme Kindbetterin, 
ferner Hans vom Wald, der Willstätter Schultheiß und der 
Gerichtsbote, die sich der besseren Sicherheit halber hinter die 
Fallbrücke gestellt hatten. Der Amtmann war schon früh um 
vier Uhr nach Oberkirch geritten und hatte Jörg Hörter be- 
reits aus dem Gefängnis entlassen. 

Da trat Heimenhofer vor das Schloß und rief : 

«Wie ist der Jörg herauskommen?» Der Schultheiß er- 
widerte darauf : «Liebe Herren, ich weiß es schier selbst nicht, 
ich glaube, er ist heute morgen herausgekommen. Die Amt- 
leute sind gen Oberkirch. Jörg hat Urfehde schwören müssen, 
wie andere ledige Gefangene.» 

«Er muß ledig sein, wie wenn er aus Mutlerleib gekommen 
wäre!» riefen die Hauptleute. Sofort wurde ein Bote nach 
Eckartsweier abgeschickt; sie wollten den Jörg selbst sehen. 
Der Schultheiß aber wurde mit einer Nachricht nach Ober- 
kirch abgefertigt. Inzwischen war die Artillerie in den Flecken 
eingefahren und hielt vor dem Schloß. Von da bis zum Ecken- 
tor lag der ganze Flecken voll Reisige, so daß man sich kaum 
in der Straße bewegen konnte. Sogleich wurden die Geschütze 
vor dem Schloßgraben aufgestellt und auf den festen Turm in 
der Front gerichtet. 

Die Angelegenheil war so ziemlich erledigt. Die Straßburger 
warteten nur noch auf die Ankunft ihres Bürgers, Hörterjörg. 
Weil die Söldner alle einen guten Hunger und Durst von der 
frühen Reise mitgebracht hatten, so entstand aus dem Kriegs- 



- 36 — 



zug eine lustige Zecherei. Zu Gruppen von iO oder 20 Mann 
begaben sie sich in die Häuser und Wirtschaften, wo ihnen die 
Bewohner Wein, Brot, Schinken, Käse, Butter und Ein- 
reichen mußten. Daß es dabei lustig zuging und daß manche 
Stichel- und Prahlrede dabei geführt wurde, kann niemand 
wundern. Bei dem Wirt Simon Schwarz wurden allein bei 
17 Ohmen Wein getrunken. Die Hauptleute hatten sich in 
das obere Stäbchen der Wirtschaft Wolf Schulterlins, des 
einstigen Bauernluhrers, gesetzt und taten sich gütlich. 

Als die Zeit verstrich und der Jörg immer noch nicht er- 
schien, da entstand plötzlich vor dem Schloß ein großer Tumult. 
Eine Anzahl Söldner, die der Wein mit Kriegsmut erfüllt 
hatte, liefen nach dem Schloß. Reiter Jörg und Hans vom 
Wald lagen gerade auf den Lehnen der Fallbrücke. Da rief 
einer vom großen Geschütz ihnen zu, wenn jemand im Schloß 
wäre, der ihnen lieb sei, so sollten sie ihn heraustun, denn 
er werde kein Stein auf dem andern bleiben, die Herren hätten 
denn den gefangenen Stegjörgen.» Damit fing ein Schnellfeuer 
aus den Handrohren an, daß die Ziegel vom Dach des Neu- 
baues rasselten und in den Graben fielen, daß die Fensterscheiben 
zersplitterten und das Getäfel im großen Saal beschädigt wurde. 
Unter einem Fenster der oberen Stube lagen viele Käse zum 
trocknen, dahin richteten manche ihre Gewehre, und es hat 
den Straßburgern besondere Freude gemacht, die Käse im 
Willstätter Schloß in tausend Stücke zu zerschießen. Die 
Kindbelterin war inzwischen vom Kellermeister in das Garten- 
slübchen in Sicherheit gebracht worden. 

Als Felix Icher, der Schaffner, den Ueberlall auf das 
Schloß sah, ging er zu den Hauplleuten in der Herberge. Er- 
zürnt fuhren diese auf und schrien in die Straße hinab, Ein- 
halt zu tun. Alles rannte nach dem Schloß. Jetzt schwang 
sich der lange Daniel Müh aufs Pferd und galoppierte nach 
der Kampfstätte. 

«Was macht ihr da?» rief er den Eifrigen zu, «ist das 
euch nicht in euren Eiden befohlen worden ?» (Nämlich, nichts 
gegen den Befehl zu tun.) Dennoch schössen sie weiter. 

Inzwischen hatten einige Söldner etwas anderes ausfindig 
gemacht. Im Schloßhof stand ein Taubenhaus, das voll junger, 
fetter Tauben war : Sie schlichen durch den Zwiebelgarlen 
hinten in das Schloß hinein und begannen eine Attacke auf 
das Taubenhaus. Die Kugeln durchbohrten es und töteten 
viele Tiere. Darnach stiegen die Mutwilligen hinein, nahmen 
die Eier aus und warfen sie in den Hof. Was an jungen, un- 



1 So hieb* Jörg Hörtcr im Volksmund. 



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— 37 — 



flüggen Tauben drinnen war, fingen sie und drehten ihnen 
die Hülse um. Nach dieser Taubenschlacht sah mau nicht 
weniger als 16 Paar dieser armen Tiere die Walstatt be- 
decken. 

Mit Mühe gelang es den Hauptleuten, dem Treiben ein 
Ende zu machen und die Söldner in die Ordnung zu bringen. 
Jetzt wurde zum Autbruch geblasen. Der Hörterjörg war auch 
angekommen, und als die Hauptleute vernahmen, daß er nur 
gegen Urfehde und das Versprechen, seine «Turnatzung» zu 
bezahlen, freigegeben war, so mußte der Schaffner Icher auf 
Antrag Jakob Mayers schwören, als Gefangener mit nach 
Straßburg zu ziehen und allda im Goldenen Schaf zu bleiben. 

Vor dem Abmarsch mußte der Kornmeister Heinrich Oettel, 
ein «klein Männiin», durch den Flecken reiten und ausrufen, 
ob noch jemand da wäre, der an Bezahlung Mangel hätte. 
Derselbige soll erscheinen, so wolle man ihm alles erstatten. 
Neben ihm ging ein Soldknecht, der den Geldsäckel nachtrug. 

Als nun beim Abschied am Schwanen die Frau des Schult- 
heißen auch ihr Geld für die Zehrungen verlangte, sagte man 
ihr, man gebe ihr für diesmal nichts. Jetzt ordnete sich der 
Zug zur Abreise. Hörterjörg, den befreiten Straßburger Bürger, 
setzten sie auf die große Kanone und fuhren unter lautem 
Gejohle, Rufen und Singen aus Willstätt hinaus nach Straßburg. 
Vor dem kleinen Rhein machten sie Halt und ließen den 
Amtsschaffner beim Brückenhäuschen nocheinmal schwören, 
ihr Gefangener bleiben zu wollen und sich in der Herberg 
zum Schwanen, dies auf Wunsch Ichers, aufzuhalten. So 
war der denkwürdige Kriegszug gegen Hanau füjr diesmal be- 
endigt, die Reisigen zogen vergnügt mit ihrem «Stegjörge na in 
die Stadt ein. 

Aber das böse Nachspiel sollte kommen. Der Graf Philipp 
und seine Amtleute waren über diesen Ueberfall und besonders 
über den Angriff auf das Willslätter Schloß sehr erbost. Sie 
beschuldigten die Stadt des Landfriedensbruches. Zudem wurde 
den Söldnern beleidigender Weise nachgesagt, sie hätten ihre 
Zechen gar nicht bezahlt. Das machte böses Blut. Die Straß- 
burger wollten die Beschuldigung der Zechprellerei nicht 
auf sich ruhen lassen. Sie forderten den Schultheißen von 
Willstätt auf, die noch ausstehenden Forderungen an sie zu 
richten. Das machte nun zwei Pfund Pfennige und einige 
Schilling. Es ärgerte die Straßburger vor allem, daß er alle 
Kleinigkeiten sich bezahlen ließ und für eine «alte Fläsche» 
drei ganze Kreuzer forderte. Ein erzürnter Straßburger meinte 
im Verlauf des Prozesses, als gehässige Reden auf beiden 
Seiten ausgestoßen wurden: 



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— 38 — 



«Die Einwohner zu Willslätt möchten wohl leiden und 
gern sehen, daß sie alle Monat oder alle Woche einen solchen 
Ueberzug hatten, da sie ihre faulen Eier auf keinem Markt 
hätten höher verkaufen können.» 

Graf Philipp von Hanau klagte nun nach sorgfaltigem Ver- 
hör beim Reichskammergericht auf Landfriedensbruch und 
Sachbeschädigung. Beiderseits wurden die besten Juristen 
aufgeboten. Der Straßburger Anwalt war Reiffsteck. Die Stadt 
stützte sich auf ihr altes Privileg der Selbstverteidigung : Der 
Graf habe sie an dem Recht der Freizügigkeit geschmälert. 
Das Reichskammergericht, das auf die mächtige, protestantische 
Stadt Straßburg nicht gut zu sprechen war, führte lange Ver- 
handlungen 1527, 1532 und die nächsten Jahre, die wegen 
der Anwesenheit der Gesandten der Stadt ungeheure Summen 
verschlangen. 1 Endlich am 26. September 1537 wurde das 
Urteil «in Sachen des kaiserlichen Penalmandats, auch des 
Friedbruchs zwischen Herrn Philippsen, Grafen zu Hanau- 
Lichtenberg, Klägern eines und Meister und Rat der Stadt 
Straßburg Beklagten andern Teils» verkündet. Es lautete auf 
eine Strafe von 50 Mark Gold, zur Hälfte dem Reichskammer- 
gericht und zur anderen Hälfte dem Grafen zahlbar. 

Die Stadt fand das Urteil unerhört, um so mehr als sie 
sich im Recht glaubte. Sie behauptete, die Strafe sei unge- 
recht, und die • Kammerrichter wären parteiisch gewesen. 
ReifTsteck meinte, die geringfügigen Ausschreitungen der Söldner 
seien doch kein Landfriedensbruch gewesen, man solle nicht 
aus einer «Mucken» einen «HelfTanten» machen und sich von 
dem hanauischen Anwalt keinen «ströhenen Bart» Hechten 
lassen. Die Stadt gab sich darauf alle Mühe, das Urteil durch ein 
Syndikat umzustoßen. Sie schickte ihre Gesandten Bernhard 
"Wurmser, Jakob Sturm und Martin Herlin auf den Städtetag 
nach Braunschweig (20. April 1538) und an die Fürstenhöfe 
und Kanzleien, um sich über das Reichskammergericht zu 
beschweren und für ihre Sache Stimmung zu machen. 
Der sächsischen Kanzlei händigte sie 100 fl. ein, 80 den Ge- 
lehrten und 20 den Schreibern, ebenso erhielten die hessi- 
schen und die lüneburgischen Kanzlisten je 50 fl., 40 die 
Gelehrten und 10 die Schreiber, für die Mühe, die Prozeß- 
akten zu studieren und Gutachten abzugeben.« Die Stadt 
weigerte sich entschieden, die Strafe anzuerkennen und hinter- 
legte, um nicht der Ausflüchte wegen der 50 Mark Golds 



1 Vergl. auch Virck und Winkelmanu «Politische Korrespondenz 
der Stadt Straßburg» II, S. 41, Anm. 2 und I, S. 249. 

2 a. a. 0. II, S. 472. 



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— 39 — 

beschuldigt zu werden, 3000 Goldgulden bei dem Rat der Stadt 
Speier. 

Die Stadt Straßburg drohte, wenn sie verurteilt würde, 
die Prozeßakten durch den Druck zu verbreiten und an die 
Reichsfürsten und Städte zu verschicken.* Das beantragte Syn- 
dikat wurde aber verschoben und am 27, Januar 1539 vom 
Kammergericht trotz aller Einwände der Befehl zur Ausführung 
des Urteils gegeben. Der Kurfürst von Mainz schrieb nun 
doch das Syndikat auf Drängen Straßburgs nach Speyer auf 
den 1. Mai 1539 wiederum aus. Von Basel sollte der berühmte 
Jurist Dr. Bonifazius Amorbach als Rechtsbeistand Straßburgs 
eintreffen. Am 1. März jedoch und am 8. verlangte die ver- 
urteilte Stadt nun ihrerseits selbst Aufschub des Syndikats und 
legte die Forderungen dem Kaiser vor, daß u. a. das Kammer- 
gericht mit unparteiischen Richtern zu besetzen sei und die 
Streitigkeiten auch betreffs des Willstätter Zugs einer Reichs- 
versammlung vorgelegt werden sollten. 8 Allein von dem 
Frankfurter Städtetag traf die gegenteilige Nachricht ein 
(12. März), daß «die Willstettisch sach und fürgenommen 
Syndikat» erst recht nicht aufgeschoben werden würde und 
somit nicht an die Reichsslände gelange. Straßburg schickte 
nun unter großen Kosten nicht allein die Ratsfreunde Bern- 
hard Wurmbser und Martin Herlin samt den Anwälten nach 
Speyer, sondern lud auch die Fürsten und Kurfürsten und die 
protestantischen Reichsstädte unter vielen Bitten ein, nach 
Speyer zu kommen und Vertretungen zu senden. Als nun 
aber am 1. Mai die Freunde Straßburgs in Speyer ankamen, 
fanden sie nicht einen einzigen Menschen der Gegenpartei vor. 
Endlich am 6. Mai 1539 erschienen drei Richter und erklärten, 
daß der Reichskanzler nicht gewillt sei, wegen der Straßburg 
zuerkannten Strafe weiter zu verhandeln. Es blieb nun der Stadt 
Straßburg nichts anderes übrig, als den ganzen Verlauf und 
die Akten des Prozesses in einer Druckschrift zu veröffentlichen, 
was auch geschah. Am 8. Juni beteiligte sich Jakob Sturm an 
dem Tag in Worms, wo er den einzelnen Ständen Exemplare 
der Druckschrift aushändigte. Der Streit um den freien Zug 
wurde erst 1545 im Hagenauer Vertrag zwischen der Stadt 
und dem Grafen Philipp IV., dem Jüngeren, von Hanau- 
Lichtenberg beigelegt, wodurch Straßburg seine Wünsche er- 
füllt sah. 



* a. a. 0. II, S. 492. 

2 a. a. 0. II, 5G0 Anm. 3. 



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VI. 



Sagen aus dem krummen Elsaß, 

gesammelt von Lehrern und Lehrerinnen der Schul- 
inspektion Saarunion, 

veröffentlicht von 

Kreisschulinspektor Monges. 

III. Aus dem Kanton Lützelstein. 

184. Das wüste Loch im TiefFenbacher Wald. 

Vor langer Zeit gingen drei Männer von Aßweiler nach 
Volksberg. Als sie im T i e ff e nbacher Wald an das soge- 
nannte «wüste Loch» kamen, sahen sie auf einer lichten 
Stelle drei Pferde im Gras weiden, ein weißes, ein schwarzes 
und ein braunes. Sie waren alle drei aufgesattelt. Da sagte 
einer von den Männern: «Kommt, wir wollen drauf sitzen». 
Als sie auf sie zugingen, erhoben alle drei Pferde ein lautes 
Lachen, flogen in die Luft und verschwanden. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 

185. Der Feuermann von Hinsburg. 

In der Umgebung von Hinsburg hielt sich früher ein 
Feuermann auf. Er begegnete des Nachts den Leuten und 
spielte ihnen gern einen Schabernack. Wer ihn um Hilfe bat, 
dem stand er bei ; wer ihn aber neckte, den strafte er. 

Einmal fuhr ein Mann von Hinsburg in der Nacht über 
den großen Mittelberg. Da ging ihm am Wagen eine «Liene» 



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41 



heraus (Achsennagel, der das Abspringen des Rades verhindert). 
In der Finsternis konnte er ihn nicht mehr finden. Deshalb 
rief er dem Feuermann. Dieser kam sogleich und suchte ihm 
den Liene. Beim Zurückgeben bat er den Mann, ihm die 
Hand zu reichen. Dieser aber fürchtete sich und hielt ihm 
den Peitschenstock hin. Kaum hatle ihn der Feuermann an- 
gerührt, so verbrannte er zu Asche. 

Ein andermal gingen zwei Männer des Nachts von Hins- 
burg nach Puberg. Unterwegs sahen sie den Feuermann von 
weitem. Da liefen sie, was sie konnten, in das erste Haus von 
Puberg und riefen zum Fenster hinaus : 

«Fiirmann, Hawerstroh ! 

zeig, wie schnell bisch du doU 

Gleich darauf schlug es heftig an die Tür. Und als sie am 
anderen Morgen hinauskamen, sahen sie daran eine einge- 
brannte Hand. 

Mitgeteilt von Lehrer Adam zu Straßburg, früher zu Hinsburg. 

186. Die glühenden Kohlen und die Scherben. 

Vor ungefähr 100 Jahren ging einmal ein Mann von 
Rosteig ins Katzental hinüber, um seine Wiesen zu wässern. 
Unterwegs stopfte er seine Pfeife und kam eben an den allen 
Klostergarten des früheren Klosters Kahlenburg. Dort brannte 
ein kleines Feuer. Er nahm eine Kohle, legte sie auf die 
Pfeife und schloß sie mit dem Deckel. Gewohnheitsmäßig saugte 
er nun an der Peife, ohne gleich zu bemerken, daß der Tabak 
nicht brannte. Endlich wurde er es doch inne und nahm den 
Deckel ab. Da lag auf dem Tabak ein goldenes Zwanzig- 
frankenstück. Nun ging er schnell an den Ort zurück, um 
noch mehr solcher Kohlen zu finden. Aber es war alles ver- 
schwunden. 

Aebnlich erging es einer Frau. Sie sah an dem näm- 
lichen Platz schöne Scherben liegen und nahm einen mit sich 
zum Spielen für ihr Kind. Als dieses damit spielte, war der 
Scherben plötzlich ein Goldstück. Ihr Suchen nach den andern 
Scherben war vergeblich. 

Mitgeteilt von Lehrer Lavalette zu Rosteig. 

187. Das Kind im Brunnen. 

Um das Jahr 1845 arbeitete ein Mann von Roste ig mit 
seinen Kindern einmal auf dem Felde Kahlenburg, nicht weit 



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— 42 — 

vom alten Kirchhof. Der Mann bekam Durst und schickte seine 
Tochter an die nahe Quelle, um Wasser zu holen. Diese Quelle 
soll der Klosterbrunnen gewesen sein, und es sollen die 
silbernen Glocken des Klosters darin liegen. Da das Mädchen lange 
ausblieb, schaute der Vater nach ihm. Er sah es vor der 
Quelle sitzen und rief ihm zu, es möge doch schöpfen. Doch 
das Mädchen kehrte mit leerer Flasche zurück und erzählte, 
es hätte ein schönes eingewickeltes Kind in dem Brunnen auf- 
und absteigen sehen. Man glaubte ihm nicht, und alle gingen 
zur Quelle. Das Mädchen sah das Kind wieder. Die andern 
aber konnten nichts bemerken. Kurze Zeit darauf starb das 
Mädchen im Alter von 21 Jahren. 

Mitgeteilt von Lehrer Lavalette zu Rosteig. 



188. Das wütende Heer. 

In Reiperts weiter erzählen die Leute viel vom 
«Wideheer» oder von der wilden Jagd. Manche wollen zu 
bestimmten Zeiten in der Nacht ein Rossein und Klingeln ge- 
hört haben, das sich wie Gesang und Musik anhörte. Dabei 
vernahmen sie oft den Ruf «Hotatalo Wer auf diesen Ruf 
Antwort gab, kam nicht ohne Schaden davon. 

Mitgeteilt von der früheren Lehrerin Strub zu Reipertsweiler. 



189. Der feurige Mann bei Reipertsweiler. 

Früher haben die Leute von Reipertsweiler am Bühl oft 
einen feurigen Mann auf dem Felde gesehen. Dann haben 
sie gerufen : 

Firiger Mann, Hawerstrohl 

Komm doher un zing (zünde) mer do! 

Wenn aber der feurige Mann kam und ihnen zünden wollte, 
haben sie die Tür vor ihm zugeschlagen. Dann hat er an die 
Tür geklopft. Und man hat die Spuren seiner feurigen Hand 
noch lange an der Tür gesehen. 

Der feurige Mann hat immer einen großen Stein in der 
Hand getragen und gerufen: «Wo soll ich ihn hinstellen?» 
Einmal gab ihm ein herzhafter Mann die Antwort : «Dorthin, 
wo du ihn geholt hast !» Jefzt verschwand der feurige Mann 
und wurde nicht mehr gesehen. 

Mitgeteilt von Lehrer Martzolff in Reipertsweiler. 



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190. Der Heiler an dem Totenberg. 



Ein Mann von Reipertsw eiler ging einmal nach 
Lichtenberg. Als er an den Tolenberg 1 kam, lag da ein dicker 
eichener Heiler (Knüppel). Da dachle der Mann : Dich nehme 
ich mit ! Je länger er ihn aber trug, desto schwerer wurde 
er ihm. Und als er unten an Lichtenberg an das Kreuz kam, 
sprang ihm der Heiler vom Rücken und klatschte in die Hände. 
Mitgeteilt von Lehrer MartzolfT zu Reipertsweiler. 

191. Der goldene Becher. 

Ein Mann von Reipertsweiler kehrte einmal in der 
Nacht zurück vom Lande. Als er oben an die Champagne 
bei Lichtenberg kam, war da ein lustiger Tanz. Eine bekannte 
Dame aus Buchsweiler reichte ihm ihren goldenen Becher. Er 
sagte: «Gesundheit!» Da war alles vor seinen Augen verschwun- 
den. Den Becher aber hatte er noch in der Hand, und er nahm 
ihn mit nach Hause. Des andern Morgens in der Frühe kam 
von ßuchsweiler ein Diener, um den Becher zu holen, damit, 
der Mann jener Dame nicht dahinter komme. 

Mitgeteilt von Lehrer MartzolfT zu Reipertsweiler. 

192. Die Blume beim Tierkirchlein. 

Zwischen Lichtenberg und Ingweiler liegt mitten im 
Gebirgswald die Ruine einer früheren Kirche, Tierkirchlein 
genannt. Sie soll mit dem nahen Kloster Selbof durch einen 
langen unterirdischen Gang verbunden gewesen sein. Im 
Volksmunde gehen noch allerlei Sagen vom Tierkirchlein. 

a) Einst ging ein Wanderer zur Winterszeit an der Ruine 
vorbei und sah zwischen dem Gemäuer eine herrliche Blume 
blühen. Er vernahm von ihr die Worte: Brich mich abl 
Brich mich abl Aber er ging vorüber, ohne der Mahnung zu 
folgen. Als er eine kurze Strecke weiter war, hörte er hinter 
sich rufen : Hättest du mich gebrochen, so hättest du einen 
großen Schatz gefunden, der unter dem Steingeröll verborgen 
liegt ! 

Mitgeteilt von Lehrer Gary zu Lichtenberg. 



1 Der Totenberg ist dtr Bergabhang zwischen Lichtenberg und 
Reipertsweiler. Er soll seinen Namen deshalb tragen, weil in alter 
Zeit, als Lichtenberg noch keine Kirche und keinen Kirchhof hatte 
and seine Toten in Reipertsweiler begraben wurden, diese über den 
Totenberg hinunter getragen werden mußten. 



b) Einmal waren Holzhauer aus Lichtenberg in der Nähe 
des Tierkirchleins beschäftigt. Zur Mittagszeit brieten sie sich 
Kartoffeln in der Asche eines Kohlenfeuers. Ein vierzehn- 
jähriger Junge ging mit einem steinernen Krug hinab ins 
«Brüdertal» und holte am «Glockenbrunnen» frisches Wasser. 
Gemütlich den Weg wieder heranschlendernd, gewahrte er am 
Wegrand ein schönes Himmelsschlüsselchen. Gleich pflockte 
er es ab und steckte es in den Mund. Nach einigen Schritten 
nahm er den Krug zur Abwechslung aus der rechten in die 
linke Hand. Dabei geschah es, daß er unwillkürlich stark auf 
den Stiel des Blümchens biß, da war er durch. In diesem 
Augenblick stand eine weiße Dame vor ihm und sprach: «0 ! 
jetzt hast du den Schlüssel gebrochen, mit dem du zu großen 
Schätzen gekommen wärest ! s> Und Dame und Blume waren 
verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Brockly in Eberbach. 

193. Der Name des Dorfes Wimmenau 

Vor vielen hundert Jahren ritt einmal ein Krieger das 
Modertal hinauf. Manche sagen, es sei der Teufel gewesen. 
Der Reiter hatte Mühe, sein Pferd vorwärts zu bringen ; denn 
der Weg war tief sandig, und ein heftiger Wind trieb große 
Staubwolken in die Höhe. Da, wo jetzt Wimmenau steht, 
wehte der Wirbelwind dem Reitersmann eine solche Menge 
Sand in das Gesicht, daß ihm Hören und Sehen verging. Ein 
Auge konnte er vor Schmerz gar nicht mehr öffnen. Er rieb 
es sich mit der Hand, indem er immer wieder rief: «Weh 
min Au! Weh min Au!» Daher hat der Ort den Namen 
Wimmenau erhalten. 

Mitgeteilt von Lehrerin Loegel zu Offweiler, 
früher zu Wimmenau. 

194. Der geisterhafte Sack. 

Ein Fuhrmann aus Wimmenau, der Holz gefahren 
hatte, sah auf der Heimreise zwischen Buchsweiler und Nieder- 
sulzbach einen Sack am Wege liegen. Da er noch gut war, hob 
er ihn auf, nahm ihn mit heim und legte ihn in den Hausgang. 
Als er aber der Frau den Sack zeigen wollte, sprang ein Mann 
die Treppe hinauf und klatschte in die Hände. Des Nachts 
hörten sie ihn oft. 

Da verkauften sie ihr Haus und zogen nach Amerika, 
nahmen aber auch den Sack mit. Nachdem sie mehrere 



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45 - 



Wochen dort waren, schrieben sie ihren Freunden, daß er 
ihnen auch in Amerika keine Ruhe lasse. Die Leute behaupteten, 
die Familie habe den Mann «gekauft», indem sie den Sack 
behielt. 

Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim. 

195. Der Geist unter dem Backofenf eisen. 

In einem Hause zu Er ka r t s w ei ler war es früher 
nicht ganz geheuer. Die Bewohner hörten des Nachts lautes 
Jammern und Poltern. Da ließen sie einen Kapuziner kommen. 
Dieser nahm den Geist gefangen und setzte ihn unter den 
Stubenfelsen auf dem nahen Forlen köpf. 

Drei Tage war nun in dem Hause Ruhe. Aber danach 
fing das Jammern und Poltern von neuem an. Der Kapuziner 
wurde abermals herbeigerufen. Er fragte den Geist, warum 
er nicht unter dem Stubenfelsen geblieben wäre, und erhielt 
zur Antwort : «Ich will weder Knecht noch Magd eines andern 
sein; denn unter dem Stubenfelsen wohnt schon ein anderer 
Geist». 

Wieder fing der Kapuziner den Unruhestifter und führte 
ihn jetzt unter den Backofenfelsen im Moostal. Der Haus- 
besitzer ließ die Felsenhöhlung weiß austünchen, damit dem 
Geiste die neue Wohnung gefalle. Von der Zeit an hörte der 
Spuk auf. 

Mitgeteilt von Lehrer Wanner zu Erkarlsweiler. 

196. Das Feuer mit der blauen Flamme. 

Ein Bürger von Erkart s wei 1 er , der einen Stelzfuß 
trug, ging beim Anbruch der Nacht neben einem Wagen voll 
Gras aus der Meisenbach herauf. Als er an den Platz kam, 
wo heute das Forst haus Vorderkopf steht, sah er am Wege ein 
kleines Feuer mit blauer Flamme brennen. Er tat einen Schritt 
darüber und streifte dabei mit dem Stelzfuß einige Kohlen- 
stückchen hinweg. Am andern Morgen fand man an der 
Stelle alte Geldstücke. 

Mitgeteilt von Lehrer Wanner zu Erkarlsweiler. 

197. Die zwei weißen Frauen. 

Zwei- Brüder von L ü U e 1 s t e i n begaben sich einmal 
morgens um zwei Uhr in ein Wiesental, um zu mähen. Als 
sie eine Strecke den Mühlweg hinunter gegangen waren, drehte 



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sich der ältere Bruder um und sagte zu dein jüngeren, der 
ihm folgte: «Siehst du nichts?» Dieser antwortete: «Ich sehe 
es schon lange!» Vor ihnen her schritten zwei weiße Gestalten. 
Sobald die Männer schneller gingen, beschleunigten auch die 
weißen Frauen ihren Schritt. Als sie an den Bärenberg kamen, 
bogen die Frauen in denselben ein. Die beiden Brüder aber 
gingen weiter. Da sprach der ältere zu dem jüngeren: «Jetzt 
wollen wir doch auskundschaften, was das ist!» Sie kehrten 
um und schlugen den nämlichen Weg ein. Aber von den 
Frauen fanden sie keine Spur mehr. 

Mitgeteilt von Lehrerin Mugler zu Lützelstein. 

198. Eine Holzfuhre und ihr Hindernis. 

Ein alter Mann von Lützelstein fuhr als dreizehn- 
jähriger Knabe einmal mit einem Knecht auf den Mittelberg, 
um Holz zu holen. Sie hatten zwei starke Ochsen und ein 
Pferd vorgespannt. Der Knecht lud ein halbes Klafter Holz 
auf. Als sie die «Kirschbamer Dele» herabfuhren, blieben die 
Tiere auf einmal stehen. Kein Zuruf konnte sie von der Stelle 
bringen. Da lud der Knecht die Hälfte des Holzes ab, um- 
sonst! Auch jetzt zogen die Tiere keinen Strang an. 

Nun ging der Knecht in ein Gebüsch, um einen Stock 
zu schneiden. Auf einmal erblickte er in einiger Entfernung 
ein altes Bettel weib. «So, bist du da, alte Hexe», rief er aus 
und tat mit einem derben Fluch einige Schritte auf das Weib 
zu. Dieses aber machte sich eiligst davon. Der Knecht kehrte 
zu seinem Wagen zurück. Das abgeladene Holz wurde wieder 
aufgeladen. Jetzt zogen die Tiere an, und ohne weiteres Hin- 
dernis fuhren sie nach Hause. 

Mitgeteilt von Lehrerin Mugler zu Lützelstein. 

199. Der Rentmeister im Finstertal. 

Unweit des Mühlweihers von Eschburg öfFnet sich 
ein enges, düsteres Waldlälchen, das Finstertal. In seinem 
Hintergrunde sprudelt im geheimnisvollen Schatten mächtiger 
Buchen eine klare Quelle aus dem weichen Waldboden hervor. 
Wenn im heißen Sommer die Sonnenstrahlen sengend auf dem 
gewaltigen Blätterdache lagern, sieht der einsame Wanderer hier 
eine große, dunkle Gestalt über das murmelnde Wässerlein 
gebeugt. Und vernehmlich dringen die eintönigen Worte an 
sein Ohr: «Ein Schoppen Wasser und drei Schoppen Wein 



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47 — 



geben auch ein Maß». Dieses gespensterhafte Wesen ist der 
Rentmeister im Finstertal. 

Früher war er der glücklichste Besitzer einer gut be- 
suchten Gastwirtschaft. Er setzte aber seinem Wein ein gut 
Teil Wasser zu und betrieb ausgedehnte Geldgeschäfte, um 
rasch zu Reichtum und Ansehen zu gelangen. Den Geld- 
geschäften verdankt er seinen Namen. Und wegen der Ver- 
fälschung der edlen Goltesgabe hat ihn der liebe Gott zum 
warnenden Beispiel für alle Weinfalscher in das Finstertal 
verbannt. Hier muß er an dem klaren Wässerlein das Sprüch- 
lein, das einst sein Leitstern gewesen, bis in alle Ewigkeit 
murmeln. 

Mitgeteilt von Lehrer Erdmann zu Eschbuig. 

200. Der Vier-Gemeinden- Wald. 

Vor langer, langer Zeit ging einmal ein Graf mit seiner 
Frau im Sommer spazieren. Es war so heiß, daß der Graf 
fast verschmachtete. Da erbot sich die Gräfin, ihm Kühlung 
zu verschaffen. Sogleich brach ein gewaltiger Sturm los. Er 
brachte ein furchtbares Hagelwetter, das die Banne der vier 
Gemeinden Steinburg, Eckartsweiler, Ernolsheim und Dossen- 
heim zerschlug. 

Als diese später erfuhren, wer an dem Unwetter schuld 
war, forderten sie von dem Grafen Ersatz. Um sie zufrieden 
zu stellen, gab er ihnen auf dem rechten Zinselufer des Dos- 
senheimer Tales einen großen Wald, an dem alle vier 
Gemeinden Teil haben und der darum der Viergemeindewald 
genannt wurde. Seine Frau aber ließ der Graf töten, weil er 
sie als eine Hexe ansah. 

Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim, 
früher zu Pfalzweier. 

201. Der Räuber vom Hirteneck. 

Ein besonderes Mitglied der Räuberbande von der «Diebes- 
schelle» im Grauftal war ein junger Hirt, der im soge- 
nannten Hirteneck wohnte, d. i. in den Felsen rechts von der 
Zinsel, wo die Hirten früher bei Unwetter Schutz suchten. Da 
er schön und angenehm war, schickte ihn der Räuberhauptmann 
hie und da aus seinem sicheren Versteck hinaus in die elsäs- 
sische Ebene. Von dort lockte er durch sein einnehmendes 
Wesen zahlreiche Opfer in das Zinseltal, wo sie von den 
Räubern überfallen wurden. 



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Einmal gelang es ihm, eine vornehme Jungfrau zur Flucht 
zu betören. Sie verließ heimlich das Haus ihrer Eltern und 
zog mit ihm in die Berge. Er überlieferte sie aber nicht den 
Räubern, sondern behielt sie als Lebensgefährtin bei sich. 
Als der Hauptmann von diesem Ungehorsam erfuhr, ließ er 
beide ums Leben bringen. 

Seither wandelt die Jungfrau oft trauernd im weißen Ge- 
wände und mit gesenktem Haupte vom Hirteneck hinüber nach 
der Pfalzburger Genend. Auch .andere Leidensgenossinnen 
halten sich im Hirteneck auf, kommen in der Nacht zusammen 
und sitzen auf den «r Hexensessel n», den ausgewaschenen Sand- 
stein felsen. 

Mitgeteilt von Lehrer Ulrich zu Schaflhausen, 
früher zu Grauftal. 

202. Der schwarze Hund in Pfalzweier. 

Im Jahre 18t)3 wurde in P f a I z w e i e r der Kirche gegen- 
über ein kleines Haus abgerissen, in dem es nicht geheuer 
sein sollte. In dasselbe war ums Jahr 1815 der «Schnider-Jerri» 
(Schneider Georg) gezogen. Er war ein Ungar und im Kriege 
mit den Russen hierher gekommen. 

Obwohl er lange Zeit «das Mensch» (der Geliebte) eines 
Mädchens war und ihm das Heiraten versprochen halte, 
heiratete er doch eine andere. Als man nun in der Nacht 
noch beim Hochzeitsschmause saß, stellte sich ein großer, 
schwarzer Hund vors Fenster und ließ sich nicht vertreiben. 
Als die Tür aufging, sprang er hinein und setzte sich dem 
Hocbzeiter zwischen die Füße. Diesem blieb nichts anderes 
übrig, als mit dem Hund hinaus unter den Schuppen zu 
gehen. Nachdem er ihn gestreichelt und ihm flattiert hatte, 
lief er wieder fort. 

Von jener Zeit an sagten die Leute, beim Schnider-Jerri 
sei nicht alles richtig. Und jedermann gruselte es, wenn er 
einmal in das Haus mußte. Im Jahre 1834 wanderte der 
Schnider-Jerri nach Amerika aus. 

Mitgeteilt von Lehrer North zu Ingenheim, 
früher zu Pfalzweier. 

203. Das Nonnenbrünnel. 

Ungefähr in der Mitte des steilen Waldweges zwischen 
Schönburg und Grauftal sprudelt nicht weit von dem Weg 
eine kleine Quelle hervor, die das Nonnenbrünnel genannt wird. 



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Niemand geht hier gern vorbei, wenn es dunkel geworden ist. 
Denn jede Nacht führen die Nonnen des früheren Klosters 
Grauftal ihre geisterhaften Tänze auf. Wehe dem, der sie 
dabei stört ! Sie eilen auf ihn zu, fassen sich an den Händen 
und führen einen Reigen urn ihn auf. Dabei flattern ihre 
langen, weißen Gewänder um den Unglücklichen, so daß ihm 
zuletzt ganz schwindlich wird. Immer enger ziehen die Nonnen 
den Kreis, immer schneller werden ihre Bewegungen. Endlich 
packen sie ihn und stürzen ihn in den Abgrund. 

Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hohfrankenheim. 



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VII. 

Wibelsbach. 

Ein Beitrag zur Geschichte der clsässischen Oedungen 

von 

Theobald Walter. 

Ein aller Zinsrodel des ehemaligen Basler Klosters Klingen- 
thal, 1 der aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts stammt, be- 
richtet u. a. Diz ist dazgüt ze W i h e I isbac h : Zern 
ersten in dem banne ze Wezeishein 2 fvnf schätze 
in Beckendal nebent Herrn Dietrichs Svnen 
von Blienswili-3 vnd drie schätze ze Beche 
nebint Heinzeline von Blienswilre vnd ein 
schaz an dem Ergestal nebint Hern Dietriches 
von Blienswilr. 

Diz sint die pfenning zinse ze Wibelsbach: 
Zern ersten Cvnrat von Wibelisbach drie 
Schilling von simeHof vndeime garten, der dar 
zuhöret. Heinrich Trunggellt drie Schillinge 
von einre geteildedes vorgenanlen Hofes vnd 
von eime garten vnd derselbe Heinrich einen 
Schilling vnd ein Cappen von eime schaze nebint 
der Linde vnd von drien schazen an dem Wüsl- 



1 Staatsarchiv Basel, H 3. 

2 Wettolsheini. 

3 Bliensweiler ist ein abgegangener Ort mit Wasserschloß 
zwischen Colmar and Heiligkreuz. Vgl. Straub. Les vi Hages disparus 
en Alsacc. — Dietrich von Bl. starb am 1. Febr. 1290 und liegt in 
Pairis begraben. 



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acker nebint des Kilchherren güt v n d aber 
Gfinrat von Wibelsbach eine gans von vier 
schätzen ze Mittelhvsereni nebent Heinrich 
in dem Wiger. 

Der Name Wibelsbach ist heute in den Gemarkungen von 
Wettolsheim und Egisheim nicht mehr nachzuweisen ; und 
dennoch bezeichnete er eine Siedelung inmitten der Reb- 
hügel am Fuße -der Dreiexen. Fügt doch eine spätere Hand 
etwa am Anfange des 16. Jahrh. zu obigem Gültenverzeichnis 
den Randvermerk: Dis Dorff ist zwischen Egiß- 
heim vnd Häusern gelegen gewest, jetzt zer- 
stört. 

Das alte Urbarbuch der Straßburger Kirche, 2 das eben- 
falls Verhältnisse aus dem beginnenden 14. Jahrh. wieder- 
gibt, kennt unser Wibelsbach auch. Auf Blatt 88 lesen wir 
nämlich: Item Cuntzeman von Andelah hetahte 
Schetze reben nebent dem kirsegarten zu 
W r i b e 1 s b a c h in Egensheim banne. Item ante 
Schetze nebent der kalgmatten zü Wibelsbach 
vnd nebent der von Unterlinden. — Desgleichen 
waren dort begütert St. Kreuz im 14. Jahrh. und Marbach 
noch 1488.3 

Merkwürdigerweise sind die Flurnamen Wüstacker, Linde, 
Kirchgarten und Kalkmatte, die zur genauen Bestimmung der 
Oertlichkeil beitragen könnten, nicht mehr vorhanden. 

Daß der Ort auch seine Adelsfamilie besaß, beweist ein 
Schriftstück des Klosters Pairis. 4 Margreth von Wibelsbach, die 
Witwe des Edelknechtes Großberschin von Bliensweiler schenkte 
1334 allerlei Güter an das Kloster im obern Weißtale; sie be- 
wohnte Wibelsbach jedoch nicht mehr, sondern hatte ihr Heim 
in Egisheim prope portam inferiorem. Der vorgenannte 
Conradus von Wibelisbach gehörte wohl zu demselben Ge- 
schlechte. Wann der Ort, der nie von großer Bedeutung 
gewesen sein mag, zugrunde ging, ist nicht nachweisbar. 
Eine alte Sage behauptete Wibelsbach und Mittelhäusern 
hätten in wilder Fehde die Dreiexen und sich selbst ver- 



i Ein abgegangener Ort bei dem heutigen Häusern, der wie 
Wibelsbach in Stranbs Verzeichnis fehlt. 

* Bezirksarchiv Straßbarg G, 377. 

» Stoffel (Hist.-Topogr. Wörterbuch S. 590) vermerkt den Namen 
nur als Flnrname. 

* Bezirksarchiv Colmar. Pairis 8. 4. — Margareta de Wiblis- 
bach relicta quondam dicti Grosberzschin de Blienswilr arrai- 
geri . . . 



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— 52 — 



nichtet;i urkundliche Nachrichten fehlen leider gänzlich. 
Aller Wahrscheinlichkeit nach verschwanden beide schon in 
den kriegerischen Wirren der Engländereinfalle 13ü5 und 
1375, die unzählige unserer Weiler auf immer niedergelegt 
haben. 



1 Vgl. Scherten. Die Herren von Hattstatt usw. S. 15ö. 






VIII. 



Die Spiele der Jugend 

aus Fischarts Gargan tua cap. XXV. 

Von 

Heinrich A. Rausch. 

Das Verzeichnis der Spiele, welche Fischart den jungen 
Gargantua spielen läßt, stellt eines der wunderlichsten Denk- 
mäler elsässischer Kulturgeschichte dar. 

Denn Fischarl beschränkte sich nicht darauf, in sein «Spiel- 
verzeichnis» die wirklichen Kinderspiele seiner Zeit aufzunehmen, 
sondern in buntem, phantastischem Durcheinander folgen sich 
Kinderspiele, Kinderlieder, Karten-, Würfel- und Brettspiele, 
Gesellschaftsspiele, Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten, 
Liedanlange, Rätsel und Scherzreime, seihst Volkstänze. 

Trotzdem Fischart eine Reihe von Spielnamen seiner Vor- 
lage, dem Gargantua des Rabelais und ebenso dem Nomen- 
clator des Hadrianus Junius entlehnt hat, so bleibt uns immer 
noch eine stattliche Anzahl von Ausdrücken, die uns ein schönes 
Bild von den Vergnügungen der Alten und Jungen Fischart- 
scher Zeit geben. 

Leider gestattet uns der beschränkte Raum nur die Jugend- 
spiele, Lieder, Rätsel und Scherzreime und die Volkstänze einer 
näheren Betrachtung zu unterwerfen. 

Nach diesen Kinderspielen und Liedern, welche die Spiele 
begleiteten, wollen wir nun in unserem umfangreichen Ver- 
zeichnisse forschen. 

Da Rabelais' Verzeichnis nur reine Spiele, sowohl solche 
Erwachsener als auch der Kinder enthält, so ist es natürlich, 
daß gerade in diesem Teil die Benutzung Rabelais' durch Fi- 



— 54 — 

schart in ihrem ganzen Umfange zutage tritt, noch deutlicher 
als bei den Karten-, Würfel- und Brettspielen. 

Ebenso wurde Junius auch nicht verschont ; er lieferte 
Fischart, was er nur eben bieten konnte. 

Bevor wir an die Einteilung dieser zahlreichen Spiele gehen, 
stellen wir sie zunächst in einer Tabelle zusammen, wie sie 
sich uns der Reihe nach darbieten : 

Tabelle der Jugendspiele, 
welche in dein Verzeichnisse Fischarts genannt sind. 

R = Rabelais : Fr. Rabelais : La vie de Gargantua et de Panta- 
gruel. Edit. Esmangart et E. Johanneau, Paris 1823. J = Junius : 
Hadrianus Junius : Xomenclator omnium rerum propria nomina variis 
Unguis explicata etc. 1602. Fi — Fischart : Joh. Fischart : Geschicht- 
klitterung (Gargantua). Hrsg. A. Alsleben. 1891. Die eingeklammer- 
ten Zahlen beziehen sich auf das ganze Spielverzeichnis, a = 1. Aus- 
gabe der €Geschichtklitterung» von 1575. b = 2. Ausg. von 1582. 
c = 3. Ausg. von 1590. 

1 (20) Plinden mAuß. 2 ('21 ) Eselin beschlagen. 3 (25) 
(b) Dü der Haß, ich der Wind. 4 (26) (b) Ich hang, ich 
haffte. 5 (27) (b) In Himmel, in d' HÖH. 6 (28) (b) Der 
Wolff hat mir ein Schäflein gestolen, weil ich KÄß und Brot 
will holn. 7 (32) Der Unfur. 8 (47) Königs lösen J? 9 
(50) (b) Wer hat dich geschlagen, ist mir leid för den schaden, 
ich reche mein Unschuld. 10 (60) Der Bönen R. 11 (70) 
Nun fah den Ball, eh er fall. 12 (72) Des Plättlins R. 13 
(73) Vber eck ins bein. 14 (74) Der hupfelrei. 15 (75) 
Ballenripotei. 16 (81) Tölpeltrei. 17 (84) Der Girlande. 18 
(88) Des Kolbens. 19 (93) (b) Nadel on fadem in Hoff tragen. 
20 (94) (c) Pferdlin woll bereit J. 21 (95) (c) Cock, Cock ey 
wil J. 22 (96) (c) Lausen oder Noppen J. 23 (97) (c) Finger- 
schnellen J. 24 (108) (b) Des Untreuen baurens R. 25 (121) 
Inn die Höll (nur in a). 26 (122) Des kftschwantzes R. 27 
(125) Der nickenocke R. 28 (133) (b) Der geschrenckten Schenckel. 
29 (135) (b) Was für Blumen gebt ihr mir zum krantz? 30 
(141) AuflT den Berg faren. 31 (142) Ein rusigen Dib fahen. 
32 (147) Gott verleugnen R. 33 (150) Der Baboben R. 34 
(151) Primus secundus R. 35 (152) Zu underst des messers R. 
36 (154) Des freien Karrens R. 37 (155) Grad oder ungrad R. 
38 (J56) Kreutz oder phlttlin R. 39 (159) Härlin zupffen. 
40 (160) Ich fisch in meines Herrn tauch. 41 (161) Des schulins. 
42 (162) Heimlich seitenspiel ungelacht. 43 (165) Ist Weichsel 
reitr. 44 (166) Steyn außgeben. 45 (168) Martres R. 46 (169) 
Pingres R. 47 (171) 0>) Haspeln. 48 (173) (b) Ich bin König, 



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du bist Knecht. 49 (174) (b) Des deitens on reden. 50 (179) 
Schlägels. 

51 (181) Häublins. 52 (182) Der weissen Tauben. 53 
(185) Des Schupletzers R. 54 (186) Hibu R. 55 (187) Dorelot 
häßlin R. 50 (188) Tirelitantine R. 52 (189) Färcklin gang 
du vor R. 58 (191) Des weitlochs R. 59 (192) Des Habern 
verkauffens R. 00 (193) (c) Der blinden Ku J. ül (194) (c) 
Hhat der finger J. 62 (195) (c) Pick Olyet oflfte graef J. 02 
(196) (c) Nacht oder lag J. 04 (197) (c) Vergebens machen J?. 
65 (198) Gäulchen laß dich beschlagen. 6ß (199) Das eisen 
auß der Eß zihen R. 62 (200) Den falschen bauren R. 68 
(201) Der heilig ist gefunden R. 69 (204) Burri burrisu R. 
20 (205) Ich setz mich R. II (208) (b) Meister hemmerleins 
nachfahr. 22 (212) (b) Der Contra teilischen geberden. 23 
(214) Mal das Morlin. 24 (215) Der Sau R. 25 (216) Bauch 
wider Bauch R. 26 (218) Hühu Eulen R. 22 (219) Der 
Himmel hat sich umbgelegt. 28 (220) Der prailen kugel, halben 
kugel, kurzen kugel (nur in a) R. 29 (221) Nun geht davon. 
80 (2*24) Handwercksmann, was gibst du darzu ? 81 (225) Ochs 
inn den Veiolen R. 82 (226) Duck dich Hänßlin duck~dich R?. 
83 (228) Eisen abwerffen R. 84 (229) Des barbedoribus R. 
85(23J) Bratspißwenden R. 86 (231) Gevatter leihet mir euer 
sack B. 82 (232) Esel zemmen. 88 (233) Der Widershoden R. 
89 (2Ü4) Der Feigen von Marsilien R. 90 (235) Des Fuchs- 
streiffens R. 91 (236) Kohlen ausblasen R. 92 (238) (b) Was 
stilstu? Thaler, Thaler. 93 (239) (b) Was seind wir? Stock- 
fisch. 94 (241 ) (b) Das Abc reimen. 95 (242) Zum lebendigen 
und toden Richter. 96 (243) Des Hogerigen Hofmans R. 92 
(244) Des pimpompens R. 08 (245) Des körblin rnachens. 
99 (247) Kram außlegen. 1DÜ (248) Der Abereh R. 101 (252) 
Der Spindel R. 102 (253) W'ickerlin, wickerlin, wilt mit mir 
essen bring ein Messer. 

im (254) Ungelacht pfetz ich dich R. 104 (255) Der 
Pickarome R. IM (256) Des Roten Rauhen Trecks R. 106 
(257) Des Engelarts R. 102 (258) Des Rekockillechen R. 
108 (259) Brich den Hafen R. 109 (200) Monlalant R. 
llü (263) (b) Des Bräutgams. 111 (264) Die faule prucken 
(nur in a). 112 (205) Des kurtzen Steckens R. 113 (206) 
Pire vollet R. 114 (267) Kline musettecken R. 115 (208) 
Des grübleins R. 110 (269) Deß schnauffers R. 112 (276) 
Zur Trompe R. 118 (278) Deß Mönchs R. 110 (279) Tene- 
bei R. 120 (280) Das wunder R. 121 (281) Naschettechen, 
Nauettechen R. 122 (282) Fessart, Kerbart R. 123 (283) 
Sanct Kosman ich rfiff dich an R. 124 (284) Der Braunen 
schroter R. 125 (285) Ich fang euch oa ein Meyen R. 120 



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(280) Ich fang euch, wo ich euch ünd. 122 (287) Wo) und 
voll vergeht die Fasten R. 128 (288) Der gabeligen eychen R. 
129 (289) Deß gegossenen Gauls R. 13ü (290) Deß Wolff- 
schwantzes R. 131 (291) Deß furtz inn halß R. 132 (292) 
Willhelm lang mir den spiß R. 132 (293) Der Brandelle R. 
134 (294) Deß Muckenwadels R. 135 (295) Mein Oechßlin, 
mein Oechßlin R. 136 (296) A propoß R. 132 (297) Der neun 
Hend R. 138 (298) Chapifon Narrene kopff R. 139 (299) 
Der zerfallenen Brucken R. 140 (300) Deß gezäumten schmid 
TolinsR. (Colins, ab.) IM (302) (b) Das Handwerck außschreien 
R?. 142 (303) (b) Deß Teuffels Music. 143 (304) (b) Wie 
vil deß krauts umb ein Heller ? IM (300) (b) Deß Bilgram 
steurens. 145 (307) Deß Grolle Gollhammers R. 146 (309) 
Deß Kockantins R. 141 (310) Deß Mirelimufle R. 148 (311) 
Mouschart R. 149 (312) Der Krotten R. 150 (313) Des Bi- 
schofsstabs R. IM (315) Bille bocket R. 152 (310) Der 
Königin R. 

153 (317) Kopf zu köpf anrechen R. 154 (319) Malle 
mort R. 155 (320) Krockmolle R. 15ß (321) Frau wollen wir 
die Kuff Wäschen R. 152 (322) Belusteol R. 158 (323) Den 
Habern seyen R. 159 (324) Deß Deflendo R. Ifiü (325) Im 
mulchen R. lfil (32(3) Des Frases R. i62 (327)' Virevoste R. 
163 (328) Deß Bacule R. 1£4 (329) Deß Bauren R. 165 (330) 
Die unsinnige esconblelte R. 166 (331) Das tod Thier R. 162 
(332) Steig, steig auffs leiterlin R. 168 (333) Der Toden 
Sau R. im (334) Deß gesaltzenen arß R, 12ü (335) Des Täub- 
lins R. 121 (338) (b) Deß Mörselstein tragens. 122 (339) (b) 
Deß Venus Tempels. 123 (343) Deß Besems R. 124 (344) 
Spring auß dein husch R. 175 (345) Der verborgenen Kutten R. 
126 (340) ßulgen und Seckel im Arß R. 122 (347) O bohe 
das Habichnest R. 128 (348) Passauant, Passefort R. 129 
(349) Der Petarrade R. 130 (350) Raht wer hat dich ge- 
schlagen ? 131 (351) Der Senffsternpflel R. 132 (352) Cam- 
bos R. 133 (353) Für sich, hinter sich R ?. 134 (355) Pi- 
candeau R. 185 (350) Krocketeste, Hackenkopf R. 136 (357) 
Deß Kranchs R. 132 (358) Taillecop R. 138(359) Nasenkönig 
Nasart R. 139 (360) Der Lerchen R. 190 (361) Der Stirn- 
schnallen R. [Ql (304) Es brent, ich lesch. 1112 (365) Jung- 
frau küssen. 103 (366) Im sack verbergen. 124 (367) Der 
schönsten den stein. 195 (373) Den Kessel auff dem Leilach 
rucken. 196(375) Rahtet jhr, was stund im briefl? Wl (382) 
Wer das nicht kan, kan nicht vil. 1118 (383) Teller im Kübel 
abschlagen. 19i> (384) Deß Sack zuckens. 200 (386) Fudum 
(b die Mor ist im Kessel). 201 (389) Der Geyß hüten. 

202 (391) Sie thaten all also. 203 (393) Ich hafft, ich hang. 



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204 (394) Rindenpfeiflin, Weidenböglin. 205 (395) Vögel auß- 
nemmen. 206 (397) Jeder Vogel inn sein Nesl. 202 (398) (b) 
Der Verzäuberin. 208 (399) Hurnaus (nur in a). 209 (400) 
Den Zweck holen (nur in a). 210 (402) Hup« inn Klee. 211 
(404) (b) Teller von der Stangen schlagen. 212 (405) (b) Aufl 
dem Gsäß mit gebunden Händen und füssen thurnieren, das 
recht ohr inn die lincke Hand, und den arm dardurch ge- 
schleift!. 213 (400) (b) Vnser Han der König, der streit ist 
gewonnen. 214 (409) Der Baur schickt sein Jockel auß. 215 
(410) Frosch fangen. 210 (411) (b) Deß Apts unnd seiner Bruder? 
211 (412) Habergaiß zihen (nur in a). 918 (413) Sau treiben 
(nur in a). 213 (414) Kluckern, schnellkugeln. 220 (415) 
Knopflf oder spitz. 221 (416) Inn kauten, kautenfaul. 222 
(418) AufT der brücken suppere inn glorie. 223 (419) Auflf 
lellern mit händen gahn. 224 (421) Vber das kreißle. 225 
(423) Züll wann ichs trift* (nur in a). 220 (425) Murr murr 
nur nicht R V. 222 (420) Den klos und topf werfen (nur in a). 
22£ (4i>7) Ritter durchs gitter. 229 (428) Das spill ich auch, 
ich auch, die Sau aß ein treck, ich auch. 230 (429) Poselleieh. 
231 (449) Durch den Sträl Schalmeien. 232 (452) Pfenning aus 
dem krais topfstechen oder nußwerfen (nur in a). 233 (455) 
Adam hett siben Sön. 234 (450) Widerfüren. 235 (457) Der 
letzt der ists. 230 (462) Hirt sez gais auf (nur in a). 232 
(463) Stein verbergen. 238 (464) Schüchle bergen. 239 (465) 
Plöchlin machen. 210 (466) Zum zwire, zum zware, der Vogel 
ist gefangen. 241 (474) Faul eisen. 242 (476) Der letzt ein 
Schelm. 243 (478) Häubeln. 244 (479) Der Braut. 245 (480) 
Schuch pletzen. 240 (481) Schelmen» rager. 242 (484) Stecken 
stocken. 248 (485) Nestel vom Messer blasen. 249 (486) Nussen- 
spicken. 25ü (487) Nestel aus dem krais klosstechen (nur in a). 
251 (488) Wie vil schiesest mir auß' ein Nestel. 

252 (489) Plöchlin stellen fällen. 253 (490) Zeichen oder 
unzeichen. 254 (491) Pfenning im Buch pletern. 255 (493) 
Helmlin zihen. 250 (494) Verbergens. 252 (495) Kinder auß- 
theilen. 258(496) Schleiften (nur in a). 259 (497) Käß trucken. 
2üü (498) Roß machen (nur in a). 2Ü1 (501) Der Träum. 
2fi2 (502) Deß beichtens. 163 (503) Deß Schälmeisters mit der 
langen Nasen. 204 (505) (b) Der Sunden büß. 205 (51C>) Wer 
ja und Nein sagt. 200 (518) Faden umb die händ in vil ge- 
stait winden. 202 (521) Mönchsgebelt. 208 (524) Wessen ist 
die hand, der finger? 209 (525) Der erst herauß, der letzt 
drinnen. 220 (530) Wie gibst den Finken. 221 (531) Wer 
was weiß der sags. 222 (536) Den Katzenstrigel. 223 (538) (b) 
PfeifTt oder ich such euch nicht J. 224 (539) (b) Kapp komm 
auß dem Häußcken J. 225 (542) Bierenbaum schütteln R ?. 



- 58 — 



276 (543) Knie, kühele gump nit. 277 (545) Trag Heu Knaben. 
278 (549) Hütlin, hütlin durch die bein. 279 (550) Rebecca 
ruck den slul. 280 (575) Pferdlin wol bereit J. 281 (576) 
Ritscben J?. 282 (577) Pfeift! oder ich such euch nicht J. 
283 (578; Schulwinckel J. 28-1 (579) Hol oder voll J. 285 
(580) Hänlin komm aus dem winckelein J. 286 (581) Das 
HAnlin, hänlin hat gelegt J. 287 (590) Wolf beiß mich nicht. 

Im Schluß des 25. Kapitels führt Fischart noch eine Reihe 
von Spielen an, tdie inns Feld gehörten zuuben». 

288 (604) Nestel auß dem Kreiß. 289 (605) Kloßstechen. 
290 (606) SchleifTen . 291 (607) schleimen. 292 (608) Ritschen. 
293 (609) Roßmachen. 294 (610) Habergaiß ziehen. 295 (611) 
Züll wann ichs triff. 296 (612) Böllen räumen. 297 (613) 
VmbspÄnnlin. 298 (614) Pfenning vom blöchlin werften. 299 
(615) Nuß auß dem Ring dopflwerflen. 300 (616) Den Stecken 
auß dem Leimen siechen. 301 (617) Hirt setz Geyß aufF. 302 
(618) Hurrnauß. 303 (619) Häubleins. 304 (620) Stecken 
steckens. 305 (621) den Zweck holen. 306 (622) Zum zwire 
zum zware, der Vogel ist gefangen (nur in b). 307 (623) Zum 
ziel schocken. 308 (624) Der weissen Tauben. 309 (625) Der 
breiten und halben Kugel. 310 (626) Der faulen Brucken. 311 
(627) Zehen paß fünfT Sprung auff eim Fuß. 

Alle diese Ausdrücke haben wir in unser Verzeichnis auch 
aufgenommen, denn manche von ihnen sind im eigentlichen 
Verzeichnisse in den verschiedenen Ausgaben zu finden. Es 
sind Knabenspiele und erfreulicherweise nur solche, die Fischart 
aus nächster Nähe gesammelt haben wird. 

Unsere Tabelle enthält somit diejenigen Spiele, die, streng 
genommen allein aufzunehmen Fischart berechtigt gewesen 
wäre, nämlich die Spiele, wie sie ein junger Bursche im Alter 
des (larganlua wohl hätte spielen können. 

Aber auch aus dieser Reihe von Ausdrucken sind noch die- 
jenigen auszusondern, die nur Mädchenspiele bedeuten, die aus 
Itabeiais und Junius abgeschrieben sind. Sehen wir diese Spiele 
als unberechtigt an, in dem Verzeichnisse geführt zu werden, 
ziehen wir die Wiederholungen eines und desselben Spieles 
unter die gemeinsame Hauptbezeichnung zusammen, dann 
erst werden wir eine ziemlich zuverlässige Liste von Spielen 
haben, an denen sich die Jugend des Fischartischen Zeitalters 
ergötzte. 

Streng und prinzipiell alle Mädchen- und Knabenspiele 
trennen zu wollen wäre Pedanterie; denn wir können das bei 
unserer Jugend heute noch beobachten, daß an den eigentlichen 
Mädebenspielen, den Reigenspielen, auch oft Knaben beteiligt 
sind. Nicht immer, doch oft; wie überhaupt die Beobachtung 



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zu machen ist, daß die Knaben häufiger in das Spielgebiet der 
Mädchen einfallen als umgekehrt. 

Auf diesem Gebiete haben sich die Mädchen immer noch nicht 
emanzipiert. Dafür sorgt ein gutes Heilmittel, der gegenseitige 
Spott. Man wird mich verstehen, wenn ich nur zwei Aus- 
drücke anführe, die der elsässischen Kindersprache nur zu gut 
bekannt sind : «Büweschmeckere» einerseits und «Maidel- 
schmecker» andererseits. Die unverfälschte Natur, der ursprüng- 
liche kunstlose Wille der Natur spricht aus der Kinderseele, 
und Tieferes, als man vielleicht anzunehmen neigt, hegt in 
diesen beiden Worten, die sich die Gattung «Kind» zum Selbst- 
schutz geprägt hat. 

Das Mädchen soll ein Mädchen bleiben und der Knabe ein 
Knabe. Das zeigt sich in dem Umstände, daß die Kinder selbst 
jeden Uebergriff verspotten. Das Gebiet des Knaben ist nicht 
das des Mädchens, und unglückliche Folgen kann es nur haben, 
wenn die sozialen Verhältnisse einen Mischmasch von Mann 
und Weib erzeugen, ein unbrauchbares Werkzeug des Xatur- 
willens, ein unschönes Zwittergeschöpf. 

Durch das Kind heute noch können die Allen lernen, und 
der Staat der Erwachsenen stände der Natürlichkeit, der ge- 
sunden Ursprünglichkeit näher, wenn er die Verfassung des 
Kinderstaates sich zum Muster nehmen würde; und so möchten 
wir in übertragenem Sinne den Salz gelten lassen : 

«In manchen Spielen können Knaben und Mädchen zu- 
sammen sich tummeln, aber in allen dürfen sie es nicht.» 

Da wo es uns nun bei der folgenden genaueren Betrach- 
tung dieser Spiele möglich ist, werden wir nicht versäumen 
anzugeben, ob das betreffende Spiel ein reines Mädchen- oder 
Knabenspiel ist. 

Um Klarheit in dem Wust von Ausdrücken zu schaffen, 
wie uns das Verzeichnis dieser Spiele erscheint, wenn wir nicht 
daran denken würden, daß ein kleiner Teil aus Junius abge- 
schrieben, der größere Teil der Ausdrücke aber tolle Ueber- 
tragungen Rabelaisscher Phrasen darstellt, wollen wir zunächst 
diese beiden Gruppen für sich betrachten. Daran anschließend, 
werden wir die deutschen Ausdrücke zu erklären versuchen 
und gelegentlich die Identität des einen odir andern wirk- 
lichen deutschen Spieles mit dem französischen Spiele 
nachweisen. 

Der «deutsche» Ausdruck Fischarts, der nur oft das ver- 
zerrte Bild eines französischen Ausdrucks darstellt, wird uns 
nur als Brücke dienen, um zu dem französischen Spiele zu ge- 
langen. 



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— 60 — 



1. Abschnitt. 

Die deutschen Ausdrücke, welche auf franzö- 
sische Phrasen zurückzuführen sind. 

Das Maß der Fischartischen Benutzung des Rabelaisschen 
Verzeichnisses für unsere Spielgruppe wird durch die obige 
Tabelle veranschaulicht. 

Das Folgende wird nun der Beweis sein für die Behaup- 
tung, die wir mit unserer Tabelle aufstellten. 

Rabelais ist konsequenter und wahrheitsliebender bei der 
Aufstellung seiner Spieltabelle geblieben, insofern als gewisser- 
maßen alle Ausdrücke, mit Ausnahme der Karten-, Würfel-, 
Brettspiele, wirkliche Spiele, fast ausschließlich Kinderspiele be- 
deuten. 

Auch fehlt bei ihm das Phantastische, das Abenteuerliche, 
die Absicht, die Nachwelt zu verwirren, die aus Fischarts Ver- 
zeichnis zu uns spricht. 

Dieser Umstand würde eine spezielle französische Arbeit 
über die Rabelaisschen Spiele und ihre Bedeutung sehr erleichtern, 
weil hier eine «Textkritik» unnötig ist. Bevor wir an die Auf- 
stellung der wirklichen Spiele bei Fischart gehen können, ist 
uns die schwere Aufgabe gestellt, erst die Spielausdrücke zu 
erkennen. Sie bilden den Kern, den wir herausschälen müssen 
aus einer harten, wissenschaftlich ungenießbaren Frucht. 

Auch in dieser Hinsicht wird meine Arbeit das Mögliche 
versuchen. 

Fi 60 «Der Bönen» = Ra 28 «aax luettes». 

Es ist nicht ausgeschlossen, 'laß Fischart eine Vorstellung 
von diesem französischen Spiele gehabt hat; denn, ohne den 
Ausdruck zu übersetzen, faßte er ihn ganz richtig als das Kinder- 
spiel auf, das unsere Buben heute noch mit Bohnen, kleinen 
Steinchen, Knöpfen usw. auf den Straßen und Bürgersteigen 
spielen. 

Ueber die Bedeutung von «aux luettes» schwanken die An- 
sichten der französischen Kommentatoren. 

Esm. et Eloy Johanneau i kennen aus Saintonge ein «la 
luefte» genanntes Kartenspiel der Matrosen. Doch scheint uns 
Le Duchat (bei Esm. et E. Johanneau) die Bedeutung zu geben, 
wenn er sagt : iOn appelle luettes en Bretagne, le jeu de la 
fossette, et ce jeu est commun a Nantes comme ä Bordeaux 



1 Esm. et Eloy Johanneau, note 28. 



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- 61 - 



parceque les enfants y jouent volontiere sur le gravier, avec 
des coquilles que le rivage leur fournit en abondanee.» (Ver- 
gleiche das Spiel «Des grübleins», mit dem es oflenbar iden- 
tisch ist.) 

Es ist im ganzen Elsaß gebräuchlich mit den verschieden- 
sten Gegenständen und bildet eine Variation des bekannten 
«Gstunzes», das Spiel, das mit den «Gstunzen» gespielt «Kiweles» 
genannt wird, weil die Klicker in ein «Kiwele» (kleines Grüb- 
chen im Boden) zu werfen sind. 

Die Bezeichnung «Böhnein» oder «Böhnels» ist auch im 
Elsaß zu finden, wie auch in der Schweiz das «Böhnein» ein 
beliebtes Spiel ist.' 

Fi 72 «Des PlÄttlins» = Ra 111 «au palet». 

Wenn es sich auch hier um eine wahrscheinliche Ueber- 
Iragung handelt, so ist es doch möglich, daß «Des Plättlins» 
als ein sehr bekanntes Knabenspiel Fischart bekannt gewesen 
ist. Es ist leicht verfänglich, Fischarts Autorschaft nahe zu 
treten, weil seine ganze Behandlung der französischen Spiele 
uns zu einem skeptischen Verhalten gegen ihn zwingt. — Es 
ist merkwürdig, wie Jahrhunderte hindurch dieses einfache 
Spiel sich unverändert erhalten hat, vorausgesetzt, daß die 
französischen Kommentatoren Recht mit ihrer Definition 
haben : 

«Un des joueurs jette un petit ecu, qui est comme le but, 
chacun jette ensuite son ecu ou palet, celui qui s'est place le plus 
pres du bout, gagne.»* 

Dieser Beschreibung können wir nichts hinzufügen als die 
Bemerkung, daß das Spiel bei unseren Knaben allgemein in 
Gebrauch ist. Es werden entweder Pfennige oder sonstige 
Gegenstände benutzt. 

Wir nannten das Spiel «Pfennjeles» oder «ßlättels». 

In Frankreich führt auch noch ein anderes Spiel, das dem 
Fischartischen Spiele Nr. 489 «Plöchlin stellen fällen» gleich- 
kommt, diesen Namen. 

Diese Internationalität der Kinderspiele ist eine merkwürdige 
und zugleich wunderbare Erscheinung.» 



1 R o c h h o 1 z : Alemann. Kinderl. und Kinderspiel in der Schweiz, 
p. 428, Nr. 47. 

* Esra. et E. Joh., note 90. 

8 Nach dem Gesagten können wir Rochholzens Meinung auf 
p. 465 nicht teilen, wonach Fischarts «Des Plättlins» das «Scherben 
über Wasser tanzen lassen» bedeuten soll, also unser «Wasser- 
stipperles». 



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- 62 — 



Fi 108 «Des Untreuen baurens» w . afi , „, .„.. 
«• o/w* n. * i i- l. , = Ra98 «aufaulx villain». 

Fi 200 «Den falschen bauren» | 

Fi 108 ist Zusatz der 2. Ausgabe von 1582, während Fi 
200 sich bereits in der ersten Ausgabe von 1575 findet. 

Es liegt die Annahme nahe, daß die beiden deutschen 
Ausdrücke identisch sind und folglich auch mit dem franzö- 
sischen, denn Fi £00 ist eine möglichst falsche und unsinnige 
Uebersetzung des Rabelaisschen Spieles, zu dem übrigens die 
französischen Kommentatoren schweigen. 

Fi 122 «Deä k&schwantzes» = Ra 40 «aux vast:hes>. 

Hier haben wir die Antwort auf unsere Frage, was wohl 
Fischarts Ausdruck bedeuten mag, eine Antwort, die an Derb- 
heit nichts zu wünschen übrig läßt. Um die Abschreiberei zu 
verbergen, überträgt Fischart «aux vasches» statt richtig mit 
«zu den kühen» mit einem «Teil der Kuh», mit dem «Kuh- 
schwantz». 

Die Reihe der größten Ungeheuerlichkeiten Fischartischer 
Ueberlragungskunst nimmt damit einen würdigen Anfang. 
Esm. et E. Joh.i berichten darüber: 

«C'est un jeu d'enfant oü Ton dit, selon Furetiere, p ort er 
ä la vache tnorte, quand on porte quelqu'un sur son dos, 
avec la töte pendante en bas.» 

Vielleicht ist nach ihnen das Spiel identisch mit Rabelais 
191 «ä la beste morte» = Fi 331 «Das tod Thier». 

Fi 125 «Der nickenocke» - Ra 45 <a la nicqne nocqne». 

Aus dem unverstandenen französischen Ausdruck scheut 
sich Fischart nicht einen deutschen gleichlautenden zu machen, 
der in dieser Form gar nichts bedeuten kann. 

Da der «deutsche» Ausdruck vollständig entwertet ist infolge 
seiner Herkunft, sogeben wir nur hier, wie bei den andern Phrasen, 
einige Erklärungen der französischen Herausgeber wieder: 

«Ce jeu doit faire un double emploi avec ceux aux croquinolles, 
ä la nazarde, aux chiquenaudes. La chiquenaude consiste ä 
appuyer ferme le bout du doigt du milieu sur le bout du pouce, 
et ä desserrer, avec efTort, le doigt du milieu contre le nez ou 
le front de quelqu'un.»« 

Damit bezeichneten also vier verschiedene Ausdrücke, die 
auch alle bei Fischart entsprechend zu finden sind, ein einziges 
spielartiges Vergnügen der Kinder, das auch im Elsaß bekannt 

J Esm. et E. Joh., note 39. 
2 Esm. et E. Joh., note 44. 



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ist. Ich erinnere mich, wie wir uns damit vergnügten einem 
andern ein «Nasestibberle» (Nasenstüber) zu machen oder 
«Nabüe mache» zu spielen. 

Fi 147 cGott veii&ugnen» = Ra 52 <au reniguebieu». 

Es ist merkwürdig, daß Fischart den Sinn des französischen 
Ausdruckes richtig erfaßt und wiedergegeben hat. Zweifellos 
hat er sich auf irgend eine Weise den Ausdruck zu erklären 
verstanden, was man bei einer oberflächlichen Kenntnis der 
französischen Sprache, die ihm vorgeworfen wird, nicht er- 
warten sollte. Welches Spiel der französische Ausdruck be- 
zeichnet, gehl aus den kurzen Bemerkungen Esm. et Eloy. Joh.'s 
nicht hervor. Reniguebieu bedeutet soviel als je renie Dieu. 

Es ist immerhin sonderbar, daß Fischart das bereits ent- 
stellte Wort in seiner ursprünglichen Form zu erkennen ver- 
mochte. 

Fi 150 *Der Baboben» = Ra 55 <a la babou». 

Es ist unsicher, ob Fischart sinnlos den französischen 
Ausdruck wiedergegeben hat, da «babe, bobe» in der allern 
Zeit soviel als «altes Weib» bedeutet.« 

Oder wußle Fischart mit tbabou» nichls anzufangen und 
setzte das ähnlich klingende Wort, oder steht das französische 
Wort «babou» mil dem deutschen «haben, hoben» in irgend 
welcher Verbindung? 

Ist «Baboben» vielleicht ein Lehnwort aus dem Romanischen, 
vielleicht gar auf das gleiche Spiel der Kinder hinweisend ? 

«Babou ist in Frankreich ein Maskerade-Spiel der Kinder. 

In dem Dictionnaire de Trevoux ist zu finden: 

«Babau (zu sprechen babaou) est je ne sais quel fantöme 
imaginaire dont les nourrices de Languedoc et pays voisins se 
servent pour faire peur aux petits enfants.»* 

Damit steht das was Adry sagt in enger Verbindung: 

«Sur plusieurs pierres gravees antiques on trouve, entre 
autre jeux d'enfants, celui oü un petit enfant se couvre la tete 
avec un masque hideux qui fait fuir ses camarades.»^ 

Ohne dem Spiele einen absoluten Namen gegeben zu haben, 
erinnere ich mich, daß wir es oft spielten. 

Vielleicht besagt Fi 142 «Ein rusigen Dib fahen» ein ähn- 
liches Spiel, worin sich der Gebrauch der Diebe, sich zur Un- 
kenntlichmachung das Gesicht zu schwärzen, wiederspiegelt. 



1 Grimm: D. Wörterbuch. 

2 Esm. et E. Jon., note 52. 

» Vgl. Henry d'AUemagne II, 276 fif. 



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Fi 151 «Primas Hecandas = Ra 61 «a primus secnndug>. 

Die Phrase ist unverändert nus Rabelais übernommen. Le 
Duchat bemerkt zu dem Ausdruck bei Rabelais : 

«C'est un jeu que deux ecoliers jouent tele ä tete, en 
tournant les feuillets d'un livre dans lequel ils auront cache 
quelque chose qu'ils veulent jouer.» 1 

Dieses Spielvergnügen ist auch im Elsaß heute noch überall 
bekannt. Wir vergnügten uns damit auf dem Wege von und 
zur Schule, d. h. dann, wenn wir Bücher bei uns trugen. Alle 
möglichen dünnen Gegenstände, Briefmarken, Silberblättchen, 
Bilder wurden in dem Buche versteckt, in dem man mit dem 
Finger oder einer Nadel «stechen^ mußte. 

Eine Variation dieses Spieles erwähnt Fischart Nr. 491 
«Pfenning im Buch pletern». Ob die französische Bezeichnung 
auch im Elsaß galt, ist fraglich. 

Fi 152 «Zu änderst des messen > = Ra 57 «an pied du 

coasteau». 

Der Ausdruck ist ziemlich genau übertragen. Es genügt 
für uns den Verlauf des Spieles anzugeben mit der Erklärung 
Adry's : 

«Le jeu parait etre celui oü Ton pique un couteau, et 
quelquefois un chou, au bord d'une table, au milieu d'un des 
cötes : les joueurs jettent leur palet ou ecu, et celui qui est le 
plus proche du pied du couteau, gagne, pourvu que son ecu 
ne tombe point ä terre.»* 

Dieses Spiel ist noch heute auf den Jahrmärkten bei uns 
anzutreffen. 

Fi 154 «Des freien Rarrens» = Ra 59 «an franc da qaarreaa». 

Dieser Ausdruck gehört einer ununterbrochenen Reihe von 
Ausdrücken an, die alle aus Rabelais stammen. 

Fischart hat den französischen Ausdruck nicht verstanden 
und ihn daher nur dem Wortlaute nach, um ihn recht «deutsch» 
klingend zu machen, in der sinnlosesten Art übertragen. Die- 
jenigen, die Fischart einen Uebersetzer nennen, müßten Fischart 
angesichts dieses tollen Gebildes eine größtmögliche geistige 
Beschränktheit und Unkenntnis der französischen Sprache vor- 
werfen. Ob wohl Fischarts französische Kenntnisse so miserabel 
waren, daß er nicht einmal wußte, was quarreau, ein alltäg- 
licher Ausdruck, zu bedeuten hat? Und spricht nicht aus dieser 



1 Esm. et E. Joh., note 53. 

2 Esm. et E. Joh., note 54. 



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haarsträubenden Ueberlragung, wie aus der ganzen Behandlung 
das Gegenteil, nämlich eine gründliche Kenntnis der französi- 
schen Sprache und zugleich der Wille Fischarts, den Ausdruck 
durch die absonderlichsten Verdrehungen möglichst als einen 
deutschen Spielnamen erscheinen zu lassen? (Was hat ein 
«Karren» mit «quarreau» zu tun; und dann dieser Unsinn: 
«Des freien Karrens.»!?) 

Der Verlauf des französischen Spieles geht aus den An- 
gaben hei Ksm. ei E. Joh. deutlich hervor: 

«Jeu oü Ton jette une piece de monnaie en guise de pallet 
sur un quarre qu'on a trace en terre, et divise par ses diametres 
et diagonales.» (Le Duchat.)» 

Das Spiel war in Frankreich sehr verbreitet und wurde 
von Erwachsenen und Kindern (Knaben) gespielt. 

Näheres darüber mit Abbildung des Spieles auf einem alten 
Stich hei Henry d'Allemagne I, p. 315. 2 In dem Spiele wurde 
auf dem Boden hald ein Viereck, bald ein Kreis gezeichnet. In 
der letzten Form ist es ein sehr bekanntes und beliebtes Spiel 
unserer Knaben, schlechtweg «Pfennjeles» genannt, weil man 
gewöhnlich mit Pfennigen spielte. 

Fi 155 «Grad oder ungrad» = Fi 60 *a pair ou non». 

Dieser Ausdruck bildet eines der wenigen Beispiele, in denen 
Fischart den französischen Ausdruck richtig mit einem gleich- 
bedeutenden deutschen Ausdruck wiedergegeben hat. 

Wie auch heute noch jeder Knabe weiß, was mit «Grad 
oder ungrad» gemeint ist, so scheint auch schon zu Fischarts 
Zeiten das Spiel weit verbreitet gewesen zu sein. Ein Knabe 
nimmt eine Anzahl Klicker oder Knöpfe («Gstunze» oder «Knepf») 
in die Hand und läßt einen andern die Anzahl erraten. VVird 
«grad» geraten, so hat man gewonnen, im andern Falle verloren. 

Seit ältester Zeit ist das Spiel bekannt. Schon Horaz spricht 
von dem Spiele «ludere par impar». Ebenso Piaton, Aristoteles 
und Aristophanes. (Esm. et E. Joh., note 57.) 

In Frankreich ist es allgemein üblich unter dem Namen 
«a pair ou non» oder «pair et impair» 3 

Fi 156 «Kreutz oder plättlin» = Ra 61 <a croix ou pile». 

Auch dieser Ausdruck ist richtig wiedergegeben. Sowohl 
das französische als auch das deutsche Spiel haben mit dem 

1 Esm. et E. Joh., note 56. 

* Musee retrospectif de la classe. 100 jeux. A l'exposition. 
Paris 1900. 

» Littre: Dict. de la 1. fr. Henry d'Allem. II, 146. 

5 



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vorhergehenden entsprechenden Namen gemeinsam, daß sie oft 
bei größeren Spielen als ein spielartiger Gebrauch den Knaben 
dienen, den «Anfangenden» zu bezeichnen. 

Es ist nicht unmöglich, daß der Ausdruck Fischarts auch 
üblich war und somit das bedeutete, was heute unsere Buben 
«Knopf oder Spitz», «Kopf oder Minz» nennen, ein Spiel, wo- 
bei ein Geldstück in die Höhe geworfen wird. Der eine sagt 
«Kopf», der andere «Minzr. Fällt nun die Münze mit dem 
Bilde nach oben, so hat «Kopf» gewonnen und umgekehrt. 

An späterer Stelle werden wir noch einer anderen Bezeich- 
nung für dieses Spiel begegnen, die Fischart aus Junius abge- 
schrieben hat. 

lieber das französische Spiel, das den gleichen Verlauf 
zeigt, finden wir Ausführliches bei Esm. et E. Jon., note 58. 
wo auch gesagt wird, daß das Spiel in Italien, England, 
Spanien und Frankreich gleich bekannt ist und bei Henry d'A. m 
II, 147. 

Fi 168 «Martres» =. Ra 62 «aux martres». 
Fi 169 «Pingres» = Ra 63 «aux pingres». 

Beide Ausdrücke finden sich bei Fischart unverändert mit 
französischem Wortlaut. 

Le Duchats (Esm. et E. Jon., note 59. 60) Angaben müssen 
uns genügen : 

«On joue aux martres avec de petiles pierres rondes qu'on 
jetle en l'air comme les osselets.» 

Bei den obigen Kommentatoren ist Näheres zu finden, auch 
über das Verhältnis von «Martres : Pingres : osselels», die dem- 
nach als ähnliche Spiele anzusehen sind. (Siehe auch Henry 
d'A. II, 75, 97.) 

Fi 185 «De» Schupletzers» =. Ra 65 «au savatier». 

Fischart hat diesen Spielnamen ganz korrekt übertragen, 
ohne das französische Spiel zu kennen, das offenbar identisch 
ist mit seinem «Des schülins», was aus der Beschreibung bei 
Esm. et E. Joh. (note 61) hervorgeht: 

«Plusieurs enfants sont assis en rond, les genoux leves ; 
Tun d'eux est debout au milieu, et cherche une savate que les 
autres se passent sous leurs jarrets, couverls de leurs habits, 
et dont ils le frappent quand il a le dos tourne. Celui entre 
les mains duquel il prend la savale, se met ä sa place et ta 
cherche ä son lour.» 

Ganz genau so wird heute noch ein Spiel gespielt. Siehe 
unter «Des schülins». 



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- 67 - 



Fi 186 «Hilm» = Ra 66 «au uybou>. 

Rabelais Spiel ist mir unklar geblieben. Fischart nahm 
den Ausdruck auf, indem er ihm einen deutschen Anstrich zu 
geben versuchte. 

Esmangarl et Eloy Johanneau (note 62. 67) vermuten die 
Identität dieses Ausdrucks mit Ra 73 «a la chevesche», dem 
bei Fischart Nr. 218 «Huhu Eulen» entspricht. Zu «a la che- 
vesche» bemerken die französischen Kommentatoren, daß im 
Piquet der Ausdruck «faire la chouette» vorkommt. 

Ob hier ein Zusammenhang besiehe, sei zweifelhaft. 

Fi 187 «Dorelot häßlin» = Ra 67 «au dorelot du lievre». 

Fischart hat den Ausdruck nur in seinem zweiten Teil 
übersetzt. 

Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 63) bedeutet die 
Phrase soviel als im Spiel «imiler la chasse du lievre». Ich 
vermute, daß sogar der andere Ausdruck bei Fischart Nr. 226 
«Duck dich Hänßlin duck dich», der in der ersten Ausgabe 
von 1575 (a) lautet «Duck dich häslin duck dich» unter dem 
Einflüsse der unverstandenen Phrase Rabelais' entstanden ist, 
eben wegen seiner Form in der ersten Ausgabe. 

Vielleicht hat Fischart «Hänßlin» aus «Häslin» in den fol- 
genden Ausgaben mit der Absicht gemacht, den Leser irre zu 
führen. 

Esm. et Eloy Joh. ergehen sich in Meditationen über das 
Wort «dorelot», ohne von dem Spiele zu reden. 

Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rabelais mit seinem Aus- 
drucke, vielleicht auch Fischart mit Nr. 226 (wenn er nicht 
unter Rabelais Einfluß steht) ein Spiel geraeint hat, das heute 
noch als Reigenspiel vielfach bekannt ist, bei dem die Kinder 
(vorwiegend Mädchen) folgendes Lied singen : 

«Häslein in der Grube saß und schlief. 
Armes Häslein bist so krank, 
DaJJ du nicht mehr hüpfen kannst: 
Häslein hüpf, Häslein hüpf.» 

Ein Kind sitzt geduckt in der Mitte des Kreises. Die 
andern fassen .sich an den Händen und tanzen um das «Häs- 
lein», obiges Lied singend, herum. 

Fi 188 «Tirelitantine» = Ra 68 «a la tirelitantaine». 

Es besieht hier wohl kein Zweifel darüber, wo Fisch art 
seinen Spielnamen hergenommen hat. (Esm. et E. Joh., 
note 63.) 



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- 08 - 



«Ce doit Otre un jeu ä se tiraillcr Tun Fautre.» 
Was Fischart sich wohl hei allen diesen Namen «gedacht» 
hahen mag? 

Fi 189 «Fftrcklin gang da vor» = Ra 69 <a cochonnet va devant». 

Genau aus Rahelais übertrafen. Den Verlauf des Spieles 
beschreibt Le Duchat (Esm. et E. .loh. note 65): 

«Jeu de boule ou de palet auquel Fendroit oü s'arrete la 
boule ou le palet de celui qui joue le premier sert de but pour 
lui-meme et pour les autres». 

Das allgemein bekannte Spiel, das wir auf dem Wege von 
und zu der Schule spielten, nannten wir «Söujtriwerles». (Einer 
trieb den andern voran.) 

In Frankreich ist es ebenso gebräuchlich wie bei uns. 
(Henry d'A. I, 204, 227, 232, 243, 248.) Das Spiel hat Ärm- 
lichkeit mit Ha 107 «a la truye», das identisch ist mit unserm 
«Söujball» oder «d'Mor triwe*. Auch bei Fischart finden wir 
dieses Spiel. 

Fi 191 «Des weitlochs» = R«, 77 «a la jautru». 

Hat vielleicht Fischart seinen deutschen Ausdruck an die 
Stelle des französischen gesetzt, indem er «tru» als trou 
verstand ? 

Das Elsässische Wörterbuch weist das Wort «weidloch» 
für After auf ; doch habe ich keine Beziehung zu einem Spiele 
konstatieren können. 

Fi 192 «Des Habern verkauften*» = Ra «a vendre l'avoine». 
Fi 199 «Das eisen auß der Eß Zilien» = Ra 97 «a tirer les 
fers du four». 

Fi 201 «Der heilig ist gefunden» = Ra 101 «a sainet trouve». 

• Alle drei Ausdrücke stammen aus Rabelais. Leber die 
Bedeutung der französischen Spiele schweigen die Kommenta- 
toren des Rabelais. 

Fi 204 c Barrl burrisa» = Ra 78 «au bourry bourry zou». 

Auch möglichste Deutschgestaltung der Worte kann uns 
nicht über den Ursprung hinwegtäuschen. 

Le Duchat (Esm. et E. Job. note 70) erklärt das Spiel: 

«Jeu ou Fun des joueurs, qui se cache, est cherche par 
les autres, qui souvent le laissent lä, et s'en vont.» 

Somit ist es das gleiche wie unser «Versteckels», das 
Fischart schon als «Verbergens» anführt. 



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— 69 — 



Fi 205 «Ich setz mich» = Ra 79 <a je w'assis». 

Für uns kommt der Ausdruck als nichtdeutsches Spiel 
nicht in Betracht. 

Fi 215 «Der Sau» = Ra 107 «a la truye»i 

Auch dieser Ausdruck ist eine wörtliche Uebertragung von 
«a la truye». (Siehe Fi 189, Ra 69.) 

Im Elsaß war dies Spiel zu Fischarts Zeiten ebenfalls be- 
kannt, was sein Spiel Nr. 386 «Fudum die Mor ist im Kessel» 
beweist. 

Bis heute hat es sich bei uns erhalten. 

Fi 216 «Bauch wider Bauch» = Ra 108 «a ventre 

contre ventre». 

Die Uebertragung aus Ra bedarf keines Beweises. 
Esm. et E. Joh. erwähnen nichts zu diesem Ausdruck. 

Fi 220 «Der praiten kugel, | Ra 116 «a la boule plate» 
halben kugel, kurzen kugel» | Ra 121 «a la courte boulle». 

Wir haben hier die merkwürdige Erscheinung, daß Fischart 
zwei Rabelaissche Ausdrücke unter Zusatz von «halben kugel» 
in einen deutschen Ausdruck zusammengezogen hat. 

Die Fischarlische Phrase kommt aber sonderbarerweise nur 
in der ersten Ausgabe von 1575 (a) vor, während sie in b 
und c im Verzeichnisse fehlt. Dagegen finden wir am Ende 
des Kapitels 25 unter einer Reihe von Spielen als Zusatz in b 
genannt «der breiten vnnd halben Kugel». Die Phrase hat also 
verkürzt einfach den Platz gewechselt. 

Die französischen Ausdrücke bedeuten Kugelspiele. 

Zu Ra 121 bemerken die beiden Kommentatoren : (Esm. 
et E. Joh. note 100), 

«Jeu de boule dont l'espace est fort court et fort limite, 
pour le distinguer du jeu de la longue boule.» 

Die Spiele mit Kugeln sind in zahllosen Variationen im 
Elsaß verbreitet. An geeigneter Stelle werde ich davon be- 
richten. 

Fi 225 «Ochs inn den Veiolen» = Ra 72 «au beuf viole». 

Sinnlos und gedankenlos (wie Fi 154) hat Fischart aus dem 
ihm unverständlichen französischen Spielnamen einen deutschen 
Ausdruck geschaffen, ein Monstrum von Fastnachtslaune und 
toller Absichtlichkeit. 



» Esm. et Eloy Joh., note 88. Henry d'Allem. I, 206. 



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- 70 — 



«Veiolen» können wir ebensogut als cVeilchen oder 
«Flaschen» betrachten. Es ist gleich, für welchen Sinn wir uns 
entscheiden, die unsinnige Monstruosität wird nicht beein- 
trächtigt. 

Das Spiel ist eine Nachahmung eines volkstümlichen Ge- 
brauches : 

Nach Le Duchat: (Esm. et E. Joh. note 66): 
«II y a de l'apparence, qu'au jeu de boeuf viole des enfants 
imitant cette coutume (die vorher genau beschrieben zu finden 
ist : d'orner la tele du boeuf gras et de le conduire par la ville 
au son de la viole ou de la vielle) ornaient de fleurs la töte 
d'un de leurs camarades et le conduisaient en cet etat par les 
principales rues du lieu de leur demeure au son de quelques 
instruments, et faisaient ensuite semblant de le tuer, comrne ä 
un autre de leurs jeux appele par Rabelais, au pourceau 
mory». (Siehe dieses Spiel.) 

Fi 228 «Eisen abwerffen» = Ra 76 «a deferrer l'asne». 

Es ist wohl anzunehmen, daß dieser Ausdruck Fischarts 
abhängig zu machen ist als eine absichtliche Verunstaltung von 
dem französischen Namen. 

«Abwerflen» ist eine ungefähre Uebertragung von «deferrer». 

Ob auch Fi 232 «Esel zemmen» mit Ra 76 in irgend einen 
Konnex zu bringen möglich ist, vermag ich nicht zu entscheiden. 

Lieber das französische Spiel sind die Kommentatoren Ra- 
belais' selbst im Zweifel (Esm. et E. Joh., note 69) : 

«Serait-ce de feindre, en jouant, d'öter le soulier, en levant 
le pied ä un enfant, comme on leve au cheval pour lui öter 
son fer ou lui en meltre un?» (Dieses Spiel erinnere ich mich 
gespielt zu haben, ohne daß es einen besonderen Namen ge- 
habt hätte.) 

Vielleicht ist dem französischen Ausdruck auch eine sprich- 
wörtliche Bedeutung beizumessen. Denn in Frankreich sagt 
man von einem, der sich überall unberechtigt einmischt : «II 
se rnele des fers ä l'äne.» Zur Begründung dessen finden wir 
Note 69 die Glosse: «Tout le monde sait qu'on ne ferre pas 
les änes.» 

Diese Bedeutung scheint auch das Fischartische Fi 21 
«Eselin beschlagen» zu haben. 

Rochholz 434 setzt dieses Spiel gleich mit seinem «Finger- 
spiel» auf Grund der in der Schweiz üblichen Frage: «Will 
der Schmied das Roß beschlagen : wieviel Nägel muß er haben ?»i 



1 Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel in der Schweiz. 
Leipzig 1857. 



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Ist diese Zusammenstellung schon gewagt, so ist seine Behaup- 
tung, das Fischarlische «Leuß oder Niß» sei ein anderer Aus- 
druck dafür, einfach falsch. 

Fi 229 «Des barbedoribas» =.- Ra 80 «a la barbe d'oribus». 

Das Nichtverstehen von Ra 80 hindert Fischarts Laune 
keineswegs, daraus einen deutschen Spielnamen durch Kon- 
traktion zu bilden. Esm. et E. Joh. nole 71 : «Jeu oü l'on 
bände les yeux de quelqu'un de la compagnie, puis, sous ombre 
de vouloir lui faire une barbe doree, on le barbouille avec de 
Tordure.» 

Ein schmutzigeres, sogar sehr gemeines Spiel habe ich 
früher einmal zufällig beobachten können, das die Buben «Stabs- 
trumpeteiles» nannten. 

Das abergläubische «Wäjschisser am Au» läßt uns wissen, 
daß die Knaben es nicht für eine allzugroße Schande hielten, 
wenn sie an irgend einem Tor einer etwas verlassenen Straße 
einem natürlichen Drange folgten. An solchen Stellen wurde 
der teuflische Spaß mit einem Unbefangenen gespielt. Man 
verband ihm die Augen, setzte ihn auf den Rücken eines anderen, 
gab ihm einen Stab (die Trompete) in die Hand, dessen Ende 
man vorher in die Exkremente getaucht hatte und ließ ihn nun 
auf Kommando blasen. Er bließ nicht lange. «Un wenns erüß 
kumme-n-isch», da fühlte mancher der kleinen Teufel seinen 
Buckel unter den Hieben des Vaters des ekelhaft Angeführten. 
Das «Spiel» ist ein merkwürdiger Auswuchs an dem sonst so 
natürlich reinen Spielkörper. 

Fi 230 « Brat spiß wenden» - Ra 82 «a tire la broche». 

Der Ausdruck Ra 82 erscheint uns hier ziemlich sinn- 
gemäß wiedergegeben, was auf ein Verstehen der französischen 
Sprache zurückgeführt werden muß. 



Vielleicht ahmten die Kinder in diesem Spiele das Dreh» 
des Bratspießes nach. 




Fi 231 «Gevatter leihet mir euer sack» = Ra 84 «a compere 

prestez moy vostre sac>. 

Die Uebertragung ist korrekt. Esm. et E. Joh. äußern 
sich nicht zu dem Spiele. 

Fi 233 «Der Widershoden» - Ra 85 «a la couille de belier». 

Derartige Ausdrücke, die einen gewissen Beigeschmack 
haben, sind Fischart stets willkommen. (Couille = Hode.) Also 



richtige Ueberlragung nur im plural statt im singular. Esm. 
el E. Joh., note 74. 

«Jeu de ballon, auquel on joue avec la bourse des testi- 
cules d'un belier.» 1 

Fi 234 «Der Feigen von Marsilien» = Ra 87 «a figues de 

Marseille». 

Die Uebertragung ist richtig und augenscheinlich. 

Fi 235 <Des FachsstreifFens» = Ra 90 «a escorcher le regnard». 

Ra 90 ist hier mit einem deutschen entsprechenden Namen 
richtig wiedergegeben, so daß die Vermutung naheliegt, daß 
Fischart den Sinn erraten hat. 

Ueber das Spiel wissen die Kommentatoren nichts zu sagen, 
ebenso nicht Le Duchat. Der französische Ausdruck scheint 
auch mehr sprichwörtlicher Art zu sein («Fuchsst reißen» be- 
sagt soviel als dem Fuchs die Haut abziehen) : Esm. et E. Joh., 
note 77. 

«Ecorcher le renard» est une locution proverbiale, qui si- 
gnifie vomir apres avoir bu .... mais nous ne savons pas non 
plus en quoi consislait le jeu du meme nom.» 

Daß Fischart ein Spiel «Des Fuchsstreiffens» gekannt hat, 
ist unwahrscheinlich. Bei ihm scheint der Ausdruck auch schon 
mehr eine sprichwörtliche Redensart gewesen zu sein. 

Es ist wohl anzunehmen, daß der Ausdruck «Fuchssireiffens» 
zu Fischarts Zeiten üblich war ; denn er kommt noch an anderer 
Stelle des Gargantua vor. So cap. 8, p. 149. «Das ist Jäger- 
recht; die Fuchs nur dapffer gestreifft : wer kaufft disen Fuchs- 
balg.» — Hier hat wohl dieses wirre Gerede des «Trunckenen» 
die gleiche Bedeutung wie im Französischen. Darauf deutet 
auch die Stelle Gargantua cap. 14, p. 201 hin : «Alle Morgen 
sang er die truncken Metten, streiftet den Fuchs usw.» 

Daß der Ausdruck ein wirklich deutscher ist, beweist uns 
das Vorkommen im 8. Kapitel, das gänzlich unabhängig von 
Rabelais entstanden ist. Da es unklar ist, ob wir es bei «Des 
Fuchsstreiffens» mit einem Spiele zu tun haben, so ist Roch- 
holz, p. 412, nicht berechtigt, den Ausdruck einfach mit seinem 
Spiel «Fuchs aus dem Loche» (Nr. 29) zu identifizieren. 

Die Anwendung als sprichwörtliche Redensart zeugt gegen 
die Identität mit dem schweizerischen Spiele, dem unsere Spiele 
«Fuchs üs d'r Hei» oder «D'r Deifel kummt allan erüs, ans, 
zwai, drei» entsprechen. 



1 Vergleiche: Henry d'A. I. p. 126. II, p. 246. 



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— 73 — 



Mir ist unverständlich, wenn Rochholz das Spiel zitiert: 
<rZehen Paß fünff Sprung auff eim Fuß, deß Fuchsstreiflens». 
Im ganzen Gargantua kommt diese Zusammenstellung nicht vor. 

«Des Fuchsstreiflens» ist alleinstehend zu finden in der 
ersten Ausgabe (a), unserer Tabelle nach dem französischen 
Ausdrucke gegenüber, was schon gegen die einfache Annahme 
als deutsches Spiel sprechen würde. 

Erst in der zweiten Ausgabe ist am Ende des l 2ö. Kapitels 
(nicht im Verzeichnisse) der Ausdruck czehen paß funff Sprung 
auff eim Fuß» auch alleinstehend zu finden. Dieser letztere 
Ausdruck kann wohl ganz gut auf das Spiel Rochholzens und 
unsere beiden vorhin erwähnten hindeuien. Aber diese ober- 
flächliche Zusammenziehung von Ausdrücken ist nicht angängig, 
weil sie nur verwirrend wirkt. 

Sind die beiden «Spiele» wirklich identisch, so hat Fischart 
dafür noch einen drillen Ausdruck Nr. 590 «Wolf beiß mich 
nicht» ; dann würde das Spiel weiterleben als unser oben er- 
wähntes Spiel und den gleichen Verlauf haben, wie das schweize- 
rische Spiel bei Rochholz: «Fuchs aus dem Loche», ein Aus- 
druck, der übrigens auch im Elsaß bekannt ist. 

Fi 236 «Kohlen auffblasen» = Ra 94 <a Bouffier le charbon». 

Deutsch hat Fischart den Ausdruck wohl gestaltet, aber 
nicht «Fischartdeutsch» genug, um uns nicht die Herkunft zu 
verraten. Ich kenne das französische Spiel nicht. 

Fi 242 «Zum lebendigen und toden Richter» = Ra 96 «au jage 

vif et juge mort». 

Von diesem Ausdruck kann ich nur das Gleiche wie vom 
vorigen sagen. 

Fi 243 «Des Hogerigen Hof maus» = Ra 100 «au bossu anlican>. 

Mit dieser richtigen Uebei tragung haben wir einen sonder- 
baren Fall des Nachweises der wirklichen Bedeutung des fran- 
zösischen Ausdruckes durch eine Ueberl ragung ins Deutsche 
und damit den noch sonderbareren Fall, daß ein deutscher 
Schriftsteller, dem wir nichts weniger als philologische Ge- 
nauigkeit in der Behandlung französischer Phrasen nachsagen 
können, offenbar die Etymologie des Wortes besser verstanden 
hat als ein französischer Kommentator. 

Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 82) hält «au bossu au- 
lican» für eine Korruption von aau bossu mal ingambe». Von 
«aulican» auf «mal ingambe» ist ein rechter Saliomortale. 



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_ 74 — 



Das Richtige geben uns Esm. et E. Joh. : 

«Aulican peut venir du latin aulicus, de cour, courtisan; 
ce serait alors un bossu ou un fou de cour.» 

Es ist sehr merkwürdig, daß Fischart diesen Sinn heraus- 
gefunden hat, was seine Wiedergabe schön beweist. 

Als eine Abirrung vom Richtigen ist sicher wieder die 
weitere Bemerkung Esm. et E. Joh. 's zu betrachten, «aulican 
peut s'etre dit aussi pour a u I i t c a m p, au lit de camp». Ich 
glaube dieses letztere als einen etymologischen Scherz ansehen 
zu dürfen. 

Es wird sich wohl bei diesem Spiel, wie auch Esm. et E. 
Joh. zugeben, darum gehandelt haben einen Buckligen nach- 
zuahmen. 

Fi 244 «Des pimpompens» = Ra 104 «a pinpompet». 

Fi 244 liefert uns den Beweis für die Geschicklichkeit 
Fischarts aus französischen Ausdrücken «deutsche» herzu- 
stellen. 

Ueber die Worterklärung siehe Esm. et E. Joh., note 85. 
Nach ihnen besagt der Ausdruck ein ähnliches Spiel wie «ä 
l'epousee du mois de mai, espece de jeu oü les petiles filles 
paient une d'elles comme uue mariee». 

Fi 248 «Der Abereh» — Ra 95 «aux responsailles». 

«cAbereh» = «Wiederehe» = sich nochmals verheiraten. 
Fischart hat richtig den Sinn aus Ra 95 herausgefunden und 
ihn durch ein freigebildetes Wort wiedergegeben. Die Richtig- 
keit der Fischarlischen Uebertragung beweisen die Angaben 
Le Duchats (bei Esm. et E. Joh., note 80) : 

«A se remarier ensemble, ä se repouser, dit le Rabelms 
anglais. De sponsalia on aura donc d'abord fait spon- 
s a i 1 1 e s». 

Fi 252 «Der Spindel» = Ra 117 «au vireton». 

«Virer» heißt in der Seemannssprache «drehen» ; «vireton» 
ist ganz korrekt übertragen mit «Spindel» = soviel als W T alze. 
Von der Bedeutung als Spiel hatte Fischart keine Ahnung. 

Die Ansicht Le Duchats und Esm. et E. Joh. 's, note 96, 
stehen sich hierin entgegen. Le Duchat hält «au vireton» für 
das bekannte Spiel «tourner un peson sur une petite cheville 
qui le traverse». 

Esm. et E. Joh. definieren «vireton» als «une petite fieche, 
un petit trait d'arbalete, parcequ'elle iournait et virait en Fair, 



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— 75 - 



ä cause des ailerons qui y etaient attaches. (Vgl. Henry d'A. 
I, 77.) 

Dieses Spiel haben wir Knaben häufig gespielt ; es ist 
noch überall bekannt. 

Fi 254 «Ungelacht pfetz ich dich» = Ra 74 <a je te pince 

sans rire». 

In der ersten Ausgabe hat der Ausdruck die Form einer 
wörtlichen Uebertragung «ich pfez dich on lachen». 

Die Herkunft seines Spieles suchte Fischart in b zu ver- 
wischen durch eine Veränderung der Phrase. Es ist nicht aus- 
geschlossen, daß ein derartiges Spiel im Elsaß, vielleicht unter 
seinem neuen Namen, Fischart in der Zeit von 4575—1582- 
bekannt geworden ist. 

Aus dem Wortlaut geht der Verlauf des Spieles hervor, 
Esm. et E. Joh., note 68 : 

«Chacun pince le nez ou le menton de son voisin ä droite ; 
et s'il rit, il donne un gage.» 

Rochholz p. 431 ist demnach wieder nicht berechtigt «Un- 
gelacht pfetz ich dich» zu zitieren, da es eine Uebertragung 
des französischen Ausdruckes darstellt. Als Spiele Fischarts 
dürfen wir nur diejenigen Phrasen ansehen, die weder mit 
einem französischen noch einem niederländischen Spiele in 
Verbindung stehen und Uebert ragungen sind. 

Fischart hat ein ähnliches Spiel Fi 51ö, das Rochholz hätte 
zitieren dürfen. 

Fi 255 «Der Pickarome» = Ra 118 «au picquarome». 

Fischart hat den Ausdruck nicht verstanden. Der franzö- 
sische Name bedeutet zwei verschiedene Spiele. 

Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 97) berichtet darüber: 
«Ce jeu consiste ä s'asseoir sur son camarade comme sur un 
cheval, et ä lui donner du talon dans les flancs, en faisant 
semblant d'aller ä Rome.» 

Die zweite Bedeutung zeigt uns ein Spiel, das wir unter 
dem Namen «Spickhewels» spielten und schon Fischart unter 
verschiedenen Namen bekannt war, z. ß. «stecken stocken». 
Nach Esm. et E. Joh. : 

«Jeu dans lequel on pique un petit bäton pointu en terre, 
et on envoie ä Rome celui don le piquet a ete arrache en lancant 
ce piquet plus loin qu'on peut.» 

An späterer Stelle werden wir von dem wirklichen Spiele 
Fischarts noch zu reden haben. 



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— TG — 



Fi 256 «Des Roten Rauhen Treck«» = Ra 119 «a tonchemerde>. 

Die französischen Kommentatoren bemerken nichts zu diesem 
Spiele. 

Ich vermute, daß der französische Ausdruck jenes schmutzige 
Spiel bedeutet, das ich oben unter Fi 229 erwähnte. Diese 
Bedeutung kann aus dem Wortlaute hervorgehen (Toucher be- 
rühren ; merde Fäkalien). 

Fischart hat seinen Ausdruck willkürlich gebildet und nur 
«merde» darin «vertut». 

Fi 257 «Des Engelarts» = Ra 120 «a angenart». 

Eine komische Wiedergabe, unter Uebertragung des ersten 
Wortteiles und Beibehaltung des zweiten in seiner französischen 
Lautung. 

Esm. et E. .loh. gehen auf die Etymologie von «angenart» 
ein, ohne das Spiel zu kennen. (Note 99.) 

Fi 258 «Des Rekockillechen» - Ra 123 «a la requoquil!ette>. 

Ein Beispiel dafür, wie Fischnrl den französischen Aus- 
drücken ein deutsches Mäntelchen umzuhängen verstand. 

Fi 259 «Brich den Hafen» = Ra 124 «au casse pot». 

Im Wortlaut freie, wenn auch durchaus sinngemäße Wieder- 
gabe. 

Aus den Angaben Le Duchats und Esm. et E. Jon. 's folgt 
der Gang des Spieles und damit der gleiche Verlauf mit dem 
bekannten «Topfschlagen », das Fischart auch als «topfstechen» 
anführt. (Besprechung unter den wirklichen elsässischen Spielen 
bei Fischart.) 

Diesem am ähnlichsten ist die Beschreibung bei Le Duchat : 
«On pend au plancher, avec une corde, un vieux pot de 
terre, puis on bände les yeux ä tous ceux de la compagnie, 
lesquels en cet etat vont tour-ä-tour, un bälon ä la main, tächer 
d'atteindre ce pot.» 

Ein einfacheres Spiel, das auch den Buben im Elsaß all- 
gemein bekannt ist, beschreiben Esm. et E. Job. (nach Adry) : 

«Peut-etre ne s*agit-il que d'un pot feie ou un peu ebreche, 
que des enfants placent sur une hauteur, et achevent de casser 
en jetant des pierres d'une certaine distance.» 

Fi 260 «Montalant» = Ra 125 <a montalant». 

Unübertragen aufgenommen. 



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Fi 260 «Des kurtzen steckens> = Ra 128 «au court baston». 

Korrekt übertragen. Hat das Spiel nicht vielleicht Aehn- 
lichkeit mit «au picquarome* ? Esm. et E. Joh., note 107. 
scheinen daran nicht gedacht zu haben, wenn sie es mit Stella 
anders beschreiben als : 

«rDeux enfants assis face en face empoignent un bäton, cha- 
cun tire de son cöte, et s'eflbrce d'enlever de terre son coin- 
pagnon.» 

Fi 266 «Pire vollet» = Ra 129 «a pirevollet». 

Der Ursprung des Fischarlisehen Wortes fällt sofort in die 
Augen . 

lieber die Bedeutung des französischen Ausdruckes sind die 
Kommentatoren nicht einig. 

Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 108) sieht darin eine Art 
Topfspiel : «Je crois que c'est proprement ä faire voler sa toupie 
du pave ou du plancher sur la pautne de la main.» 

Anders Esm. et E. Joh. : «ce jeu consiste ä lancer en 
l'air un batonnet ä Pextremite duquel sunt implantees deux 
plumes de coq, et ä le faire retomber en pirouettant sur sa 
pointe.» 

Eine nähere Untersuchung darüber ist nicht unsere Auf- 
gabe. 

Fi 267 «Kline mnsettecken» = Ra 130 «a cline mucette». 

Vergeblich hat Fischart versucht, durch den deutschklingen- 
den Schwanz des zweiten Wortes uns zu täuschen. Esm. et 
E. Joh., note 1Ö0: Nach dem Dictionnaire de Trevoux ist es 
eine Art Blindekuhspiel : «Tun d'eux ferme les yeux, tandis que 
les autres se cachent en divers endroits, oü il est ohlige de les 
chercher pour les prendre.» 

Fi 268 «Des grftbleins» = Ra 137 «a la foussette». 

Richtig übertragen. Das Spiel gehört zu der zahlreichen 
Klasse der Kugelspiele und ist identisch mit unserem «Gstunzen»- 
Spiel «Kiweles», wobei es gilt. Klicker in ein Grübchen in der 
Erde zu werfen. Die daneben fallenden «Gstunzen» ent- 
scheiden über Gewinn und Verlust. Ist ihre Anzahl gerade, 
so gewinnt der Werfende, ist sie ungerade der zweite Spieler. 
So wie es bei Esm. et E. Joh., note 116, beschrieben wird, 
ist es auch im Elsaß gebräuchlich : «On y joue avec une 
balle dans neuf trous, espaces comme les quilles au jeu de 
boule.» 



78 



Fi 269 «Deß schnauffers» = Ra 138 «au ronflart*. 

Auch hier ist die Uebertragung durchaus korrekt, beweist 
aber, daß Fischart das Spiel nicht gekannt hat. Esm. et E. 
Joh., note 117: 

«C'est dit-on le sabot qu'on tire avec une corde.» (Siehe 
Henry d'A. I, 35.) 

Das Spiel mit dem Brummkreisel ist bei Fischart auch ge- 
nannt als «Hurrnaus» und «Habergais». 

Fi 276 «Zur Trompe» 1 ■= Ra 139 «a la trompe». 

Es war Fischart wenig daran gelegen, dem Sinne des 
französischen Spieles nachzugehen. Mit «trompe» wußte er 
nichts anderes anzufangen als es unverändert in sein Verzeich- 
nis zu setzen. (Ebenso das oben genannte und das folgende 
Spiel.) Das Spiel ist mit dem vorhergehenden und dem folgen- 
den identisch. Esm. et E. Joh., note 118: «au sabot, sorte de 
toupie.» 

Fi 278 «Deß Mönchs» = Ra 140 «au moyne». 

Le Duchat (Esm. et E. Job., note 119) scheint doch das 
Richtige anzugeben, wenn er sagt, daß in der Daupbine «cjouer 
au moine» das Spiel mit dem «sabol» ist. Vielleicht ist «au 
moyne» das einfache Kreiselspiel, aber immerhin ist es unver- 
ständlich, wenn Esm. et E. Joh. die Definition Le Duchats be- 
streiten mit einer nichtssagenden Redensart, die uns ihre Meinung 
weder klarlegt noch beweist. 

Fi 279 «Tenebei» = Ra 141 «au tenebry» 

ist eine willkürliche Entstellung, die den Sinn bei alleiniger 
Betrachtung nicht erraten lassen würde. 

Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 120) : «Ce jeu con- 
siste a contrefaire l'esprit follet.» 

Es ist eine besondere Vorliebe der Kinder, das Unheim- 
liche zum Gegenstand von Spielen zu machen ; und «Geischter- 
les» oder «Gschpenschterles» waren uns bekannte Spiele. 

Fi 280 «Das wunder» = Ra 142 «a l'esbahy». 

Ohne Zweifel entspricht Fischarts Ausdruck, der in einer 
ununterbrochenen Reihe von aus Rabelais stammenden Spielen 
zu finden ist, dein französischen Namen, dessen Sinn er an- 
gehend wiedergibt. 

• Wird von Rochholz mit Unrecht als Fischartisches Spiel zi- 
tiert (p. 420). 



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Nach Esm. et E. Joh., note 424, bedeutet «esbahi» soviel 
als «etonne», «surpris». Das Spiel wird von ihnen genau be- 
schrieben : 

«On met de la farine dans une assiette dont on forme une 
pile avec un verre ä liqueur ; on relire le verre, on met dessus 
une piece de monnaie. Chaque joueur avec un couteau enleve 
un peu de farine, celui qui ä la fin fait ecrouler la pile et la 
piece est tenu d'enlever avec ses dents la piece : ce qui lui bar- 
bouille le visage de farine.» 

Dieses Spiel trägt schon mehr den Charakter eines Gesell- 
schaftsspieles. 

Fi 281 «Naschettechen, Nauettechen» - Ra 144 «a la navette > 

Die Absicht Fischarts, den Ursprung «seines Spieles» zu 
verbergen, tritt auch hier deutlich zutage. «Navette» gibt er 
mit dem deutschklingenden «Nauettechen» wieder und schmückt 
es mit einem erfundenen Wortspiele «Naschettechen». Er hat 
das Spiel nicht verstanden, und uns geht es gerade so. 

Fi 282 «Fessart, Kerbart» = Ra 145 «a fessart». 

Den Versuch, den uns das vorige «Spiel» zeigte, finden wir 
von Fischart wiederholt: «Kerbart» ist auch hier ein auf «Fes- 
sart» reimender wortspielerischer Zusatz. 

Fi 283 «Sanct Kosman ich raff dich an» = Ra 147 «a sainct 

Cosme je te viens t'adorer>. 

Bei seinen Uebertragungen läßt Fischart manchmal sogar 
seine Vernunft walten, wenn auch- eine Kenntnis des Spieles 
in diesem Falle nicht anzunehmen ist. 

Das Spiel hat Aehnlichkeit mit Nr. 229 und wohl auch 
mit 256. 

Nach Le Duchal (Esm. et E. Joh., note 424): «On bände 
les yeux ä quelqu'un qu'on a fait asseoir dans un fauteuil. 
S a i n t C 6 m e, je t e v i e n s t'a d o r e r lui dit un autre qui . . . 
lui presente au visage une chandelle allumee. Celui-ci veut 
l'empoigner, mais ä la place de ce cierge, on coule dans la 
main du personnage un baton tout enduit d'ordure.» 

Fi 284 «Der Braunen Schröter» - Ra 148 «a escarbot le bruu». 

Escarbot = Käfer. Schröter ist ein alter Name für Käfer.» 
Der Ausdruck ist also richtig übertragen. 



• Grimm: D. Wb. 9. 1791. 



- 80 - 



Das Spiel ist mir unbekannt. Vgl. Garg. cap. 14, p. 197 : 
«Lief! {fern nach den Schrötern, Meikafern, vnd für- 
nemlich den Farfallischen Baumfaltern etc.» 

Fi 285 «Ich fang euch on ein Meyen» = Ra 149 «a je vous 

prens sans verd » 

Meyen (Reis) bedeutet hier grüner Baumzweig. Die lieber^ 
tragung ist demnach richtig. Doch ist der eigentliche Sinn aus 
dem Fischartischen Ausdruck nicht genau herauszufinden, weil 
«on ein Meyen» von «ich» hei ihm abhängig ist, in Wirklich- 
keit gehört es zu «euch» [a je vous prens (vous qui etes) sans 
verd.] 

Diese Bedeutung ergibt sich aus der Definition Esm. et 
K. Job. 's, nole 125 : 

«ce jeu consiste ä convenir entre personnes d'une meine 
societe que celui (ju'on surprendra sans verd, c'est-ä-dire sans 
une brauche de verdure, pendant le moi de mai, paiera une 
amende ou donnera un gage.» 

Das Spiel stammt somit aus einem alten Gebrauch zur 
Maienzeit. 

Fi 287 «Wol und voll vergebt die Fasten» - Ra 150 «A bien 

et beau s'en va quaresme». 

Sinngemäße durchaus korrekte Wiedergabe. «Wol und voll» 
scheint zu Fischarts Zeiten wohl eine gebräuchliche Redensart 
gewesen zu sein. 

Ueber das französische Spiel sagt Le Duchat, Esm. et E. 
Job., nole 126, weiter nichts, als daß es am Ende der Fasten- 
zeit gespielt wurde. 

Vielleicht ist es die Nachahmung eines Gebrauches aus der 
Fastenzeit. 

Fi 288 «Der gabeligen eychen» = Ra 151 «au chesne forcku». 

Diese Genauigkeit des Sichanschließens an die Bedeutung 
des Original wortes ist bei Fischarl selten. 

Das Spiel ist unter den Knaben sehr bekannt und ist mehr 
eine körperliche Uebung der Geschicklichkeit, ein Turnspiel, 
als ein eigentliches Spiel. 

Nach Le Duchal, Esm. et E. Jon., note 127: «Un petit 
garcon appuye sur ses rnains se tient debout sur sa tete et 
ecarte les jambes. Par derriere en vient un autre qui s'elance 
au travers de l'autre cöte, et il prend expres cette route, de 
peur que, venant ä faire mal son saut, celui qui contrefait le 
chene fourchu ne vienne ä recevoir quelque coup de pied dans 
le venire ou dans les bourses». 



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- 81 



In seinem ersten Teile (ohne das Springen) gleicht es einem 
Turnvergnügen unserer Buben, das sie nennen : «De Hochstand 
machei oder einfach «Kopfstehn». 

Fi 289 «Deß gegossenen Gauls» = Ra 152 «an chevau fondu». 

Ein bekanntes Spiel der Knaben. Esm. et E. Jon., note 128: 

«A ce jeu un enfanl se baisse et presente son dos sur le- 
quel monte un de ses camarades qui se fait porter ainsi». 

In dieser Ausfuhrung ist es das gleiche Spiel wie unser 
«Rilterles» oder «Rössels», bei Fischart an anderer Stelle « Roß- 
macben» genannt. 

Ein komplizierteres Spiel, das große Geschicklichkeit er- 
fordert, beschreibt Stella unter dem gleichenjNamen : «Le cheval 
fondu est celui oü plusieurs enfants courbes ä la file, et le pre- 
mier, appuye sur un mur ou sur un banc, recoivent leurs ca- 
marades sur leur dos ou leur Croupe». 

Abbildungen dieses Spieles bei HenryJd'A. I, 323. 

Aus Bischweier ist mir ein Spiel bekannt geworden, das 
diesem entspricht, leider bei uns zu verschwinden scheint. Es 
heißt dort «Eins zwei drei postemetri» und wird von 6, 8 oder 
10 Knaben gespielt : Ein Knabe stellt sich rückwärts an eine 
Wand, hält seine Hände geschlossen nach unten, in die ein 
zweiter Knabe seinen Kopf legt. Noch ein dritter Knabe stellt 
sich hinter diesen mit gekrümmtem Rücken und hält sich an 
dem zweiten fest. Die andern drei (bei sechs Spielern) springen 
auf diesen lebenden Sattel. Der letzte hat einen ziemlich schweren 
Sprung zu machen. Er klatscht in die Hände und ruft, wenn 
er ihm gelungen ist : «Eins, zwei, drei postemetri». [Dieses 
Wort bedeutet wahrscheinlich «pose du maitre».] 

Fi 290 «Deß Wolffschwantzes» = Ra 153 «a la queue 

au loup». 

Auch diesen Ausdruck hat Fischart genau nach Rabelais 
gebildet. Es muß in Frankreich ein sehr bekanntes Spiel sein, 
denn Esm. et E. Joh. halten eine Erklärung nicht der Mühe 
wert. 

Fi 291 «Deß furtz inn halß = Ra 154 «a pet en gueulle». 

Richtig übertragen. Ohne genaue Beschreibung zu liefern, 
deuten Esm. et E. Joh., note 130, doch auf den Verlauf des 
Spieles der Knaben hin mit den Worten : «et s'il y a quelque- 
chose ä craindre pour les joueurs c'est quelque manvais vent, 
dont il leur est diffieile de se garantir». 

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82 - 



Man wird dies verstehen, wenn man die Abbildung des 
Spieles bei Henry d'A. 1, 328 betrachtet. Es ist ein. sonderbares 
und ziemliche Gewandtheit erforderndes Spiel. 

Zwei Knaben halten sich so umschlungen, daß der eine 
aufrecht, der andere auf dem Kopfe steht, wobei Kopf und 
Hinterteil in die obenangedeutete unangenehme Lage kommen, 
die ja auch schon der Ausdruck angibt. Ein dritter Knabe kniet 
auf der Erde, und die beiden lassen sich über dessen Rücken 
fallen, so daß immer der andere auf die Beine zu slehen 
kommt. 

Fi 292 «Wilhelm lang mir den spiß» = Ra 155 «a Guillemin 

baille my ma lance». 

Das französische Spiel ist das gleiche wie das unschöne 
Spiel unserer Knaben, welches ich oben als «Slabslrumpeterles» 
beschrieben habe, nur daß jenes noch etwas derber ist, da dort 
der Betreffende, d. h. der Angeführte den Stab als Trompete 
zum Munde führt, während er hier die «rLanze» nur berühren 
muß und sich die Hände beschmiert. Immerhin ekelhaft 
genug. 

Fi 293 «Der Brandelle» = Ra 156 «a la brandeile». 

Wir haben bis jetzt schon die Neigung Fischarts beobach- 
ten können, den französischen Ausdruck zu übertragen, wie es 
ihm gerade gefiel, genau oder ungenau, oder ihn einfach in 
seinem ursprünglichen romanischen Wortlaut in sein Verzeichnis 
zu verpflanzen. So auch hier. 

Nach Esm. et E. Joh., nole 132, ist das Spiel das « jeu 
de la brandilloire», das Schau kelspiel. (Bei Henry d'A. 
II, 322.) 

Fi 294 «Deß Muckenwadels» = Ra 159 «a la monsche». 

Mouche = Fliege. Es dient auch als Kosewort für ein 
niedliches, hübsches Mädchen. Diese Bedeutung hat Fischart 
mit dem entsprechenden deutschen Wort, das ebenfalls als 
Scbmeichelwort für Mädchen angewandt wurde, ganz richtig 
wiedergegeben. Die Uebertragung zeigt uns auch wieder die 
Absicht Fischarts Ausdrücke zu schaffen, ob sie ein 
Spiel bedeuteten oder nicht. 

Die französischen Kommentatoren verweisen zur Erklärung 
des Spieles auf mehrere französische Werke, die mir nicht zu- ' 
gänglich sind (Dict. des jeux de l'Encyclopedie, p. 184. Diel. 
d'Adry, p. 176. 181. Dict. de Trevoux). 



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- 83 - 



Fi 295 «Mein Oechßlin. mein Oechßlin» = Ra 160 «a la 

inigne niigne beuf». 

Der Versuch Fischarts, uns ilie Uebertragung aus Rabelais 
zu verbergen, ist auch hier mißlungen. Er hat sich sicher bei 
seinem Ausdruck nichts denken können und wollen. Ra ICO 
ist ein Teil aus einem Abzähllied, das die Kinder vor Beginn 
des Versteckspieles, des «jeu de cache-cache», zur Bestimmung 
des Suchenden zu singen pflegten. Siehe ein solches bei Esm. 
et E. Jon., note 130. 

Die Diminutivform «Oechßlin» deutet darauf hin, daß Fischart 
unsinnigerweise «mignex» als klein autgefaßt hat, sicher aus 
Nachlässigkeit. Denn ctmigne beuf» bedeutet soviel als mine 
bceuf = mine de bceuf. Diesen Sinn beweisen Esm. et E. Joh. 
in längern Erörterungen. 

Fi 296 cA propoß» = Ra 161 «au propous». 

Fischart kann es mit dieser oberflächlichen Nachahmung 
von Ra 161 nicht ernst gemeint haben. 

In Frankreich ist es ein bekanntes Kinderspiel, doch Esm. 
et E. Joh., note 137, nennen es nicht. (Vgl. Henry d'A. I, 50.) 

Fi 297 «Der nenu Hend» = Ra 162 «a nenf mains». 

Eine wörtliche Uebertragung. In Frankreich (nach Esm. 
et E. Joh., note 138) lebt das Spiel noch unter dem Namen 
«au pied de bceuf». 

Eine nähere Beschreibung ist zu linden bei Henrv d'A. 
II, 205. 

Das spielartige Vergnügen, das darin besteht, daß eine 
Reihe von Kindern der Reihe nach ihre Hände übereinander 
legen, abwechselnd sie oben auflegen mit einem Schlage auf 
die darunterliegende Hand, ist überall bekannt. 

Fi 298 «Chapifon Nareue kopff» (in a b Narrenkopff) = 
Ra 163 «an chapifon». 

Den Wortsinn von chapifou hat Fischart wohl verstanden 
und richtig mit «Narrenkopf» wiedergegeben. Chapifou, capifol, 
f-apifolle = tete folle. (Esm. et E. Joh.) Um nun den Aus- 
druck zu einem deutschen zu machen, verwandelt er «fou» in 
«fon» und setzt doch richtig die Uebertragung von chapifou = 
Narren kopff noch hinzu. Damit nicht genug, entstellt er in 
der dritten Ausgabe c (1590) den klaren Ausdruck «Narren- 
koplF», der in a und b zu finden ist, durch Trennung zu 
«Narrene kopfl». Alle diese Fälle sind bezeichnend für Fi- 



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— 84 - 



scharls Wesen. Nach Le Duchat (Esm. et F. Joh., note 13ü) 
ist das Spiel identisch mit dem «colin-maillard», einer Art 
Blindekuhspiel. Damit bezeichnen die Ausdrücke au chapifou, 
a la mousque (das vielleicht «a la mousche» 1 gleichkommt), 
colin-maillard, colin- bride, le jeu de cligne mucette, wenn nicht 
das gleiche, doch verwandte Spiele, weil sie das Augenverbinden 
gemeinsam haben. (Vgl. darüber Henry d'A. I, 68.) 

Fi 299 «Der zerfallenen Brucken» = Ra 164 «au pontz cheuz». 

Die Richtigkeit der Uebertragung mag uns in diesem Falle 
auf den Gedanken bringen, daß Fischart dieses Spiel gekannt 
haben wird. Diese Phrase finden wir bereits in der ersten 
Ausgabe, in der auch ein wirklich deutscher Name tür dieses 
Spiel Nr. 264 «Die faule prucken» zu finden ist. Dali er diesen 
deutschen Ausdruck dann in den folgenden Ausgaben im Ver- 
zeichnisse strich, ist ein Beweis für die Kenntnis des franzö- 
sischen Spieles ; doch ist wieder befremdlich der Umstand, daß 
Fischart an Stelle des guten deutschen Namens eine Ueber- 
tragung in sein Verzeichnis aufnahm. «Der faulen prucken» 
ist dann in b als Zusatz im Schlüsse des 25. Kapitels zu finden. 

Da noch mehrere Ausdrücke im Verzeichnis für dieses Spiel 
zu finden sind, besprechen wir es erst an späterer Stelle, wo 
von den wirklichen Fischartischen Spielen berichtet werden 
wird. 

Das Spiel wird wohl in Frankreich und in Deutschland 
den gleichen Verlauf haben. 

Fi 300 «Deß gezäumten schmid Toi ins» = Ra 165 <a colin 

bride». 

Eine phantastische Wiedergabe, in der nur der Sinn von 
o bride» richtig gegeben ist. (bride, part. v. inf. brider zäumen, 
la bride, der Zaum.) 

Weniger entstellt ist der Ausdruck in der ersten und zweiten 
Ausgabe, wo richtiger «Colins» zu linden ist ; «schmid» ist ein 
willkürlicher Zusatz Fischarts. Fischart hat das französische 
Spiel nicht gekannt. Es ist wohl identisch mit «colin-maillard». 
(Esm. et E. Joh., note 140. Siehe Nr. 298.) 

Fi 302 «Das Handwerck aufschreien» = Ra 176 «aus me Stiers». 

Mit dieser Gegenüberstellung will ich nicht behaupten, daß 
Fischart seinen Ausdruck aus Rabelais frei gebildet habe, daß 
er also nicht als deutscher Spielname anzusehen sei, sondern 

1 Siehe darüber Rochholz, p. 4.J2. Bei den Griechen Myinda 
genannt. Pollux IX, 122 ff. 



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— 65 — 



sie mag zu dem Gedanken Anlaß geben, daß Fischart durch 
den gleichbedeutenden französischen Ausdruck wohl an das im 
Elsaß auch übliche Spiel «Das Handwerck außschreien» er- 
innert worden ist. Es ist möglich, wenn auch sein Ausdruck 
erst als Zusatz in b im Verzeichnisse auftaucht. 

«Das Handwerck außschreien» ist ein altes Spiel unserer 
Knaben, das heute noch als «Handwerkeries» überall im Elsaß 
bekannt ist. («Handwerkeries» und «Gasseroteries».) 

Zwei Knaben geben mit pantomimischen Gebärden ein Hand- 
werk an, das die andern zu erraten suchen. Ich kann die 
Meinung llochholzens, p, 436 nicht teilen, wonach Fi 173 
«Ich bin König, du" bist Knecht», Fi 224 «Handwercksmann, 
was gibst dazu», Fi 302 «Das Handwerck außschreien» ein 
Spiel bedeuten sollen. Die Bedeutung von Fi 302 habe ich 
dargelegt und von Fi 224 behaupte ich, daß es ebensogut ein 
anderes Spiel bedeuten kann oder gar eine Frage aus einem 
Spiele. 

Vielleicht ist gar Fi 302 eine willkürliche Wiedergabe und 
hat im Elsaß nie ein Spiel bezeichnet! 

Fi 307 «Deß Grolle Gollhammers» = Ra 166 «a la grolle>. 

Der Zusatz «Gollhammers», der die Sinnlosigkeit nur er- 
höhen kann, ist das Produkt der Willkür Fischartischer Ver- 
bergekunst. Grolle = corbeau, Corneille (nach Esm. et E. Joh.). 

Nach Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 141) könnte das 
Spiel gleich «tirer au blanc» sein, was er aus einer andern 
Stelle bei Rabelais herleitet (liv. IV, chap. LH.) 

Es ist aber nicht unmöglich, daß doch «Gollhammer» wirk- 
lich ein Fischart bekanntes Spiel gewesen ist, das er wegen des 
ähnlichen Lautes des ersten Teiles mit dem französischen Wort 
willkürlich verbunden hat. Das mag hervorgehen aus der Be- 
schreibung Rochholzens, p. 457, von «Das Keil klotzen». Uebrigens 
zitiert Rochholz falsch «Gollhammer» als «Grollhammer». 

Fi 309 «Deß Kockantins» Ra 167 «au cocquantin». 

Der Ursprung ist klar. Fischart war das Spiel unbekannt, 
das Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 142) beschreibt : 

«On appelle cocquantin dans le Maine ce qu'on nomme 
ä Paris un volant.» (Abbildungen bei Henry d'A. I, 211.) Es 
ist also das gleiche Spiel, das Raibeiais «a la griesche», «au 
picandeau» (Esm. et E. Joh., note 101, 169) nennt, wenigstens 
sind sich diese Spiele ähnlich. Dieses letztere hat auch Fischart 
unverändert aufgenommen. 



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- 86 - 



Fi 355 «Picandeau» = Ra 209 <au picandeau». 

Fi 310 «Deß Mirelimuffle» = Ra 169 <a raire Ii motte». 

Mit Veränderung eines einzigen Buchstabens aus Rabelais 
herübergenommen. Esm. et E. Joh. können das Spiel nicht 
erklären, vermuten aber, daß der Name zusammengezogen be- 
deutet : «mire lui le mouffle». 

Rochholz (p. 432) hat sich bei der Besprechung seines 
Spieles «Feistermüslen» (Nr. 51) geirrt, wenn er behauptet, 
«Mirelimusle» sei identisch mit dem Blindekuhspiel. Nach Als- 
leben kommt diese Schreibart «Mirelimusle» in den drei 
ersten Ausgaben der Geschichtsklitterung überhaupt nicht vor; 
hier heißt das Wort unverändert «deß Mirelimuffle». Es ist 
wohl nicht anzunehmen, daß Rochholz hier einen Druckfehler 
zu seinen Gunsten angenommen hat ; vielleicht hat er eine 
spätere fehlerhafte Ausgabe benützt, auf jedenfall ist seine Be- 
hauptung haltlos, erstens, weil der Ausdruck «Mirelimuffle» 
lautet und mit einem «musle» (Maus nach seinem Gedanken- 
gang) gar nichts zu tun hat, zweitens, weil das Wort aus 
dem Französischen entlehnt ist, also keinen deutschen Spiel- 
namen darstellt. 

Fischarts Spiel «deß Mirelimuffle» hat keine Daseinsberech- 
tigung. An eine Herkunft aus Rabelais hat Rochholz nicht 
gedacht. 

Trotz aller Verehrung für sein wunderbares Werk, muß 
ich Rochholz noch einen Fehler vorwerfen, wenn er Fi 222 
falsch zitiert als «Es laufit eine Mauß die Mauer auftV 

In den drei erslen von Fischart selbst redigierten Ausgaben 
steht : «Es laufTt eine weise mauß die maur aufl». 

Und dann bedeutet dieser Ausdruck sicher kein Spiel, wie 
es Rochholz meint. 

Wir haben damit klar bewiesen, daß es eine unrichtige 
Konstellation ist, in der nach Rochholz diese Ausdrücke «deß 
Mirelimuffle» und der eben genannte erscheinen. 

Fi 311 «Monschart» = Ra 170 «a mouschart». 

Ueber das französische Spiel habe ich ebensowenig in Er- 
fahrung bringen können wie seinerzeit Fischart. 

Fi 312 «Der Klotten» = Ra 171 «au crapanlt>. 

Nach Burgaud des Marets et Rathery (Oeuvres de Fr. Ra- 
belais. Paris 1870) ist es ein «jeu dans lequel on fait sauter un 
jeton sur l'autre, ä l'aide d'une troisieme que Ton appuie 

dessus». 



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— f- 8 i — 

Fi 313 «Deß Bischofsstabs > = Ra 172 «a la crosse». 

Fischarls wörtliche Uebertragung entfernt uns von der 
eigentlichen Bedeutung, statt sie uns zu erklären. Crosse ist der 
Stab, womit man den Ball schlug, wie in Fi 215 «Der Sau» = 
Ha 107 «a la truye», 

Ueberhaupt ist nach meiner Meinung darunter das Spiel 
Nr. 107 aa la truye» zu verstehen, nur daß in dem einen Fall 
das Spiel den Namen tragt von dem Ball (Sau, truye) und das 
andere Mal von dem Schläger (crosse). Esm. et E. Job., note 
144. 

«On joue ä la crosse avec une boule qu'on pousse de toute 
sa force avec un baton courbe par un bout en forme de crosse.» 
(Le Duchat.) 

Näheres bei Esm. et E. .loh., note 144 und Abbildung bei 
Henry d'A. I, 196. 

Fi 315 cBille bocket» = Ra 174 «au bille boucqaet>. 

Fischart hat vergeblich versucht seinem Ausdruck einen 
deutschen Anstrich zu geben. 

In früheren Zeiten trieben auch Erwachsene dieses Spiel. 
Selbst von Heinrich III. von Frankreich wird das berichtet. Esm. 
et E, Jon., note 145 : 

«On appelle communement billeboquet un bäton court, 
creuse en rond par les deux bouts, et au milieu duquel est une 
corde ä laquelie est attachee une balle de plomb qu'on jette en 
l'air et qu'on recoit alternativement dans les concavites des deux 
bouts.» (Abbildung bei Henry d'A, I, 114.) 

Fi 316 «Der Königin» = Ra 175 «aux roynes». 

Es kann wohl kaum geleugnet werden, daß Fischarls Spiel- 
name eine Uebertragung des französischen ist, nur daß er den 
französischen Plural mit dem Singular wiedergab (royne = afr. 
für reine = Königin). Wenn dem so ist, dann ist das Spiel 
vielleicht identisch mit Ra 47 «a la renette», von welchem nach 
note 46 Esm. et E. Joh. behaupten, daß es eine besondere Art 
des triclrac-Spieles sei ; es wäre also zu den Würfel- bezw. 
Brettspielen zu rechnen. 

Fi 317 «Kopf zn köpf anrechen» = Ra 177 «a teste a teste 

bechevel». 

Auch diese, wenn auch ziemlich entsprechende Wiedergabe 
läßt an Unklarheit nichts zu wünschen übrig. Esm. et E. Joh., 
note 147, beschreiben ausführlich das Spiel: «Jeu quo les en- 



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— 88 — 

fants jouent avec deux epingles, que Tun d'eux cache dans sa 
main : apres quoi il donne ä deviner ä l'autre, si ces epingles 
sont places ou tete ä tete, ou a bechevet, c'est-ä-dire ä con- 
Iresens . . . etc ». 

(Siehe Henry d'A. II, 96. Burg. d. Marets el Rathery, p. 
169, note 4.) 

Fi 319 «Malle mort» = Ra 179 <a male mort». 

Fischart hat den Ausdruck nicht verstanden, auch die fran- 
zösischen Kommenlatoren schweigen darüber. 

Esm. et E. Joh., note 149, definieren «malemort» mit «m a I a 
m o r s, mort funeste. 

Fi 320 «Krockmolle> = Ra 180 «aux croqninolles». 

Wenn wir diese Mißhandlung des französischen Wortes 
betrachten, so haben wir einen Beweis, wie wenig Fischart sich 
Mühe gab, korrekt zu übertragen. 

In der ersten Ausgabe (a) von 1575 ist noch ganz folge- 
richtig «Krockinolle» zu finden. In den folgenden verschwindet 
der i- Punkt, und das n wird zu m. 

Nach Esm. et E. Joh. ist das Spiel das gleiche wie das 
spätere «aux chiquenaudes» (note 150). 

«C'est la chiquenaude qu'on donne sur la tete avec le se- 
cond et le troisieme doigt ferme ou tendu avec ressort.» 

Es kommt also unserm «Nasestipperies» gleich. 

Fi 321 «Frau wollen wir die Kaff Wäschen» = Ra 181 
<a laver la coiffe madante». 

Wieder ein Beispiel für Fischarts tolles Spiel mit den 
Worten. Coitfe (r=r Haube und Kopfhaut) überträgt er in der 
unsinnigsten Weise mit Kuff (=: Botlich ; Schwei nelrog), nur 
auf Grund eines ganz oberflächlichen Gleichklanges. 

Den Sinn des Ausdruckes habeich nicht erkennen können. 

Fi 322 «Belusteol» = Ra 182 «an belusteau». 

Dieser von Fischart entstellte Name bedeutet ein sehr ein- 
faches Spiel vergnügen, welches Le Ducbat (Esm. et. Joh., note 
151) beschreibt : 

«Deux enfants se placent face ä face l'un de l'autre, ils se 
poussent tous les deux tour-ä-tour, en sorte qu'ils semblent 
bluter.» 

Ein gleich einfaches Bewegungsspiel unserer Knaben mag 
hier genannt werden, das «Budelleschwenke». Zwei Knaben 



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- 89 — 



stellen sich mit dem Rücken gegeneinander und verschlingen 
fest ihre Arme. Jeder bückt sich nun abwechslungsweise, wo- 
durch eine schaukelnde Bewegung entsteht. 

Fi 323 tDen Habern seyen» = Ra 183 «a seiner Tavoyne«. 

Ohne Verzerrung ist dieser Ausdruck übertragen. Das Spiel 
wird wohl darin bestanden haben, daß die Kinder das Säen des 
Hafers nachmachten. Noch heute ist ein Reigenspiel bei den 
Mädchen im Elsaß bekannt, bei dem die Kinder unter anderm 
singen, indem sie verschiedene Bewegungen mit einer Hand- 
gebärde nachmachen : 

«Wollt ihr wissen, wollt ihr wissen 

Wie der Bauer seinen Hafer aussät» usw. 

Fi 324 «DeB Deffendo» = Ra 186 <a defendo». 

Wörtlich aus Ra herübergenommen. Der Ausdruck ist bei 
Fangspielen üblich und bedeutet vielleicht selbst das «jeu de 
cache-caehe». (Esm. et E. Jon., note 154. Burg, des Marets et 
Rathery, p* 169 n. 5). In diesem wie im andern Spiele sagen 
die Kinder, wenn sie nicht gefangen werden wollen : «je m'en 
defends». 

Fi 325 «Im mölcheu» = Ra 185 tau molinet». 

Sogar den Artikel hat Fischart hierbei richtig und zugleich 
falsch dem Sinne nach übertragen, während sonst das korrekte 
«deß» bezw. «des» zu finden ist. 

Der Ausdruck bedeutet den Gegenstand, mit dem die Kinder 
sich vergnügen. Esm. et E. Jon., note 153: 

«Des enfants se divertissent ä courir contre le vent avec 
de petits moulinets qu'ils font de deux morceaux de cartes ä 
jouer ou avec deux petits ais croises Tun sur l'autre, et atta- 
ches avec une epingle ou bout d'un bäton» (Le Duchat.) [Siehe 
Henry d'A. 1, 237. II, 97, 358.J . 

Dieses Vergnügen der Kinder ist überall zu tinden. Auf 
«Kirmessen» wird das «Mühlchen» regelmäßig zum Verkauf 
angeboten, und man sieht in toller Freude unsere Kleinen durch 
die Gassen rennen, damit ihre Mühle sich ordentlich drehe. 
Uns Straßburgern ist allen der Typus einer armen Lumpenhänd- 
lerin unvergeßlich, die von Zeit zu Zeit auftaucht mit einem 
Wagen, auf den ein Haufen Lumpen, ein armseliges Kind und 
eine Reihe von «Mühlen» gepackt sind. Diese selbsthergestellte 
billige Ware tauscht sie gegen Lumpen ein, die ihr die Kinder 
mit freudigem Eifer herbeischleppen. Stolz lassen sie dann den 



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- 90 - 



Lohn ihrer menschenfreundlichen Geschäftigkeit jauchzend in 
den Lüften flattern. 

Wir kannten noch eine andere Art von Mühlen ; den Ge- 
genstand nannten wir bald «Miehl» bald «Rädel» ; er bestand 
aus einem aus steifem Papier hergestellten Rad, dessen mittlerer 
Teil nach außen gebogen wurde und den Windfang bildete. 
Das «Rädel» ließen wir von dem Winde auf dem Boden hin- 
treiben Jetzt scheint das Spiel ziemlich vergessen. 

Fischart erwähnt dieses Spiel im cap. 14, p. 202: («Auch 
damit dem Kind nichts an kurtzweil abgieng, macht man jlim 
ein Flinderlestecken, vnd fornen dran ein Windspiel von den 
Hügeln einer Windmül auß Francken : damit lieflf er auff vnnd 
ab die Gaß, vnnd Thürnieret den Leuten die fenster auß». 

Von dem sich herumtollenden «Kampfkeib» sagt er cap. 38, 
p. 366, daß er «ntdlenspielet», d h. sicli wirbelnd wie ein 
Rädchen herumdrehte. 

Fi 326 «Deli Frases» = Ra 184 <a briffault». 

Brifer = verschlingen, gierig fressen. 
Brifeur = Freßsack. „ 

Den Sinn des Wortes hat Fischart nur so obenhin ange- 
deutet, denn nach Esm, et E. Jon., note 152 ist «briftaut ad- 
jeclif derive de brilTer signifiant vorace ou grand mangeur». 

Doch das Spiel ? 

Fi 327 cViievoste» = Ra 187 «a la vhevolte». 

Die Schreibung «Virevolte» wechselt mit «virevoute» und 
«virevouste», sodaß Fischart also eine Ausgabe des Rabelais 
benutzt hat, die «virevouste» hatte. Sein Wort ist die kaum ver- 
änderte Wiedergabe dieses französischen Ausdruckes. 

Nach Adry ist es das gleiche Spiel wie «a la pirouette» und 
«au vireton». (Esm. et E. Job., note 155. Henry d'A. I, 51 be- 
schreibt «a la pirouette».) 

Fi 328 «Deii Bacule» = Ra 189 «a la bacule». 

* 

Diese sinnlose Uebernahme des W r ortes sollte darauf hin- 
deuten, daß P'ischart ein so alltägliches Wort nicht verstanden 
habe? Wäre es ihm nicht, wenn er die Absicht gehabt hätte, 
leicht gewesen sich über die Bedeutung des Wortes zu infor- 
mieren? Uns ist dieser Ausdruck wieder ein Beweis für Fischarts 
absichtlicher Oberflächlichkeit, mit der er die Wirkung seiner 
Satire erhöht. 

Bacule = bascule = die Schaukel, die allen Kindern be- 



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kannt ist, sodaß es nicht nötig- ist das Spiel zu beschreiben. 
(Näheres bei Esm. et E. Jon., note 157 und Abbildungen bei 
Henry d'A. II, 333.) 

Fi 329 <Deß Bauren» = Ra 190 «au laboureur». 

Fischart hat sich mit diesem Wort ziemlich an das Original 
gehalten. 

Fi 330 cDie unsinnige esconblette» = Ra 188 «aux 
escoublettes enraigees». 

Hier triumphiert wieder Fischarts «Ueberselzungskunst» in 
ihrer nackten Schadenfreude. Ebenso «unsinnig» (enraigees) als 
Fischarts «esconblette» (escoublettes) ist seine Uebertragung. 

Das Spiel besteht darin «ä se heurter de la tete Pun Fau- 
tre, comme tont les beliers». (Esm. et E. Joh., note 15(3.) 

Fi 331 «Das tod Thier» = Ra 191 «a la beste morte». 

Das Wort ist eine ganz korrekte Wiedergabe, die sogar 
einem «üebersetzer» nicht übel genommen werden könnte. 

Fi 332 «Steig, steig auffs leiterlin» = Ra 192 «a monte 

raonte l'eschelette». 

Auch bei dieser Uebertragung kann man nicht umhin die 
Korrektheit zu würdigen, zugleich aber wird der Ausdruck 
Fischarts für uns wertlos, da es kein Spiel unserer Knaben ist. 
(Esm. et E. Job., note 158.) 

«Ce jeu consiste ä faire monter successivement un enfant 
du cou de pied aux genoux et des genoux sur les epaules.» 

So spielen bei uns auch oft die Erwachsenen mit den Kleinen. 

Fi 333 «Der Toden Sau» = Ra 193 «au pourceau mory». 

Die Uebertragung ist korrekt. Das französische Spiel ahmt 
nach Le Duchat, (Esm. et E. Joh., note 159) die tote Sau nach 
oder das Töten des Schweines. Das Spiel wird also wohl iden- 
tisch sein mit Nr. 331 «Das tod Thier» = Ra 491 «a la beste 
morte». 

Fi 334 «Deß gesaltzenen arß» = Ra 194 «au cul salle>. 

Solche pikanten Ausdrücke zu übertragen, läßt sich Fischart 
nicht nehmen. 

Ueber das französische Spiel äußern sich Esm. et E. Jo- 
hanneau sowie Burgand des Marets et Rathery nicht. Vielleicht 



ist es das Spiel, das Larousse 1 «cul-bas» nennt, «qui est une 
espece de qui perd gagne du jeu du commerce?» «Cul» ist 
noch in verschiedenen Spielausdrücken zu finden, z. B. 
«Baiser le cul de la vieille» und «jeu ä cul Iev6». 
Es ist die Aufgabe eines französischen Werkes diesem 
Spiele nachzuforschen. 

Fi 335 «Des TAublins» = Ra 195 «au pigeonnet». 

Das Fischartische Wort zeigt das Verstehen des entsprechen- 
den französischen. Das Spiel ist wohl identisch mit «a pigeon 
vole». (Esm. et E. .loh., note 160. Vergl. Henry d'A. II, 198.) 

Fi 343 «Deß Besems» = Ra 146 -au ballay». 

nichtig wie der vorhergehende Ausdruck übertragen. 
Esm. et E. Job., note 12:3, vermuten über das Spiel «ce jeu 
consisterait-il ä aller ä cheval sur au balai?« 

Ist dies der Fall, dann ist das Spiel allgemein bekannt. 

Fi 344 «Spring auß dem busch» = Ra 198 «au sault 

du buisson». 

An Stelle der substantivischen Form des Ausdruckes (fran- 
zösisch «Sprang aus dem Busch») finden wir eine imperativische 
Ausdrucksweise bei Fischart. Bei Esm. et E. Joh , note 162, 
linden wir die Beschreibung des einfachen Spielvergnügens der 
Kinder : 

«Les entants jouent ä ce jeu en sautant sur un petit buis- 
son ou ce qui est moins «langereux sur im petit monticule de 

sable.» 

Fi 345 «Der verborgenen Kutten» = Ra 200 <a la 

cutte cache». 

Die Unsinnigkeit des möglichst deutsch gestalteten Fischar- 
tischen Ausdrucks ergibt sich aus der Wiedergabe von cutte 
mit dem die gleichen Buchstaben zufällig besitzenden «Kulte». 
Fischart hat sich gar keine Mühe gegeben, die Bedeutung von 
«cutte» zu erforschen ; ihm kommt es ja nur darauf an mög- 
lichst viele und absonderliche Spielnamen zu konstruieren, ein 
Fastnachtskostüm zusammenzuflicken aus den unpassendsten 
Worten und Wörtchen. Ueber die eigentliche Bedeutung streiten 
sich Esm. et E. Job. und Le Duchat, note 1Ü4. Wahrscheinlich 
ist es eine Art «jeu de cache-cache nicolas». 



1 Larousse: Dictionnaire de la langue fran<;aise. 



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Fi 346 «Balgen und Seckel im Arß» = Ra 201 «a la maille 

bourse en cul>. 

Von diesem französischen Spiele hat Fischart nichts ver- 
standen. Das beweist seine Bezeichnung, die eine ganz niedrige 
obszöne Phrase darstellt im Stile der «Trunckenen Litanei» des 
8. Kapitels. Sein Ausdruck ist die Ausgeburt einer grenzen- 
los phantastischen Behandlung der französischen Worte, die 
wohl, abgesehen von cul, das richtig wiedergegeben ist, diese 
Nebenbedeutung gehabt haben können. «Bourse» entspricht 
«Seckeb. Ob aber Fischart die harmlose Bedeutung dieses 
Wortes im Auge hatte, ist fraglich. Meiner Meinung nach hat 
Fischart eine zotige Bemerkung uns zu geben beabsichtigt, zum 
wenigsten aber eine doppelsinnige. 

Aus den Angaben der französischen Kommentatoren (Esm. 
et E. Jon., note 465 ; Burg. p. 169, note 12) geht der Verlauf 
des Spieles nicht hervor. 

Fi 347 «O bohe das Habichnest» • = Ra 202 «au nid de la 

bondree». 

Die Interjektion, die Fischart seiner sonst korrekten Ueber- 
tragung voransetzt, kann uns nicht über die Authentizität seines 
Ausdrucks hinwegtäuschen. 

Fi 348 «Pasaanant, Passefort» = Ra 203 «au passavant>. 

«Passefort* ist ein willkürlicher Zusatz auf Grund der be- 
kannten Absicht Fischarts. Nur ist es wirklieh von einer sonder- 
baren Komik, wenn in uns durch diesen Ausdruck die Meinung 
wachgerufen werden kann, er sei eine regelrechte Uebertragung, 
die aber wieder zerstört wird durch das «t», das auch eine nach- 
lässige Schreibung sein kann, immerhin dazu geeignet ist, uns 
zu düpieren. 

Die tolle Wortspielerei, die Fischart betreffs dieses Wortes 
sieh leistet, erreicht ihren Höhepunkt in seiner späteren Phrase 
Nr. 353 «Für sich, hinder sich», die weiter nichts als eine 
zweite Uebertragung des W T ortes ist. Der Ausdruck «au passa- 
vant» hat also eine seltsame Entwicklung durchgemacht. Er 
lieferte Fischarts «Passauant, Passeforl» und dieses wurde noch- 
mals variiert zu einem «deutschen» Ausdruck «Für sich, hinder 
sich». Esm. et E. Joh., note 116: «Au passavant» ist eine 
Art «au cheval fondu», das oben beschrieben ist, hatte also 
Aehnlichkeit mit unserm «Bockspringeries», das in vielen Va- 
riationen vorkommt. Vgl. Henry d'A. 320 ff. «saute- mouton». 

Fi 349 «Der Petarrade» = Ra 205 «aux petariades». 

Petarrade = Gefarz, Salve von Fürzen. 



— 94 



Fi 351 <Der Seiiffsterupffel» = Ra 206 «a pile moustarde». 

Der Sinn der Worte Rahelais' ist durchaus richtig wieder- 
gesehen. 



Nach Esm. et E. Joh., note 167, bedeutet «camhos» soviel 
als campos = champs und donner campos = donner eonge 
aux ecoliers de sortir, d'aller aux champs. Wenn man bedenkt, 
daß heute noch im. Elsaß ein Kartenspiel weit verbreitet ist, 
das den Namen trägt «UlTs Land» und «Landnüslriwerles», so 
könnten wir die Hypothese aufstellen, daß vielleicht Rabelais' 
Ausdruck dieses oder ein ähnliches Kartenspiel bedeutet. 



Fi 355 «Picaudeau» = Ra 209 «au picandeau». 

Der französische Ausdruck bedeutet in der Lyonnai de 
volant», das uns oben schon bekannt geworden ist (Esm. et E. 
Joh., note 100, Burg. d. M. et Rathen*, p. 409, note 13). 

Fi 356 «Krocketeste, Hackenkopf» = Ra 210 ca crocqne teste». 

Croc — Haken. Fischarls Ausdruck besteht aus dem fran- 
zösischen Ausdruck, den er zu einem W 7 orle zusammengezogen 
hat und dessen wörtlicher Uebert Tagung, die so wörtlich ist, daß 
sie den Sinn des Spieles niemals erraten lassen würde. Fischart 
treibt ein tolles Spiel mit den Rabelaisschen Ausdrücken, die 
er wirklich recht «lustig in einen Teutschen Model vergossen» 
hat. Das Spiel ist wieder unser «Bockspringeries», eine Art 
des französischen «saut de mouton». (Esm. et E. Joh , note 170.) 
Crocque hat hier mit Haken nichts zu tun, sondern es bedeutet 
in dem Zurufe des Springenden «crocque-tete» für den zweiten 
Knaben den Kopf niederzubeugen. 

Fi 357 «Deß Kranchs» = Ra 211 «a la grne*. 

Die Uebertragung ist richtig. Esm. et E. Joh., note 171, 
vermuten, daß «a la grue» das Spiel sei, wo die Kinder sich 
streiten, wer am längsten auf einem Beine stehen könne. 

Fi 358 «Taillecop» = Ra 212 «au taille-coup». 

Der Fischartische Name weicht vorn Rabelaisschen nur in 
der Schreibung «o» statt «ou» ab. 

Tailler ist ein Ausdruck aus dem Kartenspiel. (Littre : 
Dict. de 1. I. fr.) Ob auch hei Rabelais' Ausdruck das der Fall 
ist, vermag ich nicht zu sagen. 



Fi 352 «Cambos» = Ra 207 <a cambos». 




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— 95 - 



Fi 359 «Nasenkönig Nasart» = Ra 213 «aux nazardes». 

Fischarts Phrase ist ein ganz willkürliches Gebilde, das 
eigentlich gar nichts bedeuten kann. «Nasenkönig» ist wohl 
seinerzeit eine spöttische Bezeichnung des Besitzers einer allzu 
länglichen Nase gewesen. Das besagt uns die Stelle in der 
Geschichtsklilterung cap. 8 p. 135 «Sieh Nasen König, wie die 
Naß drein steckst». (Vielleicht sogar der Teil eines Spollliedes 
der Trinker mit dem Sinne, ^Jaß es schwierig ist, eine lange 
Nase beim Trinken nicht tief in den Becher zu stecken.) 

Eine andere Bedeutung hat Rabelais' Ausdruck, der iden- 
tisch ist mit dem frühern «aux crocquitfnoles» und dem später 
genannten «aux chinquenaudes». Siehe diese Ausdrücke. Esm. 
et E. Joh., nole 172. B. d. Marets et Bathery, p. 170, note 2. 

Fi 360 «Der Lerchen» = Ra 214 «aux allouettes». 

Richtig übertrafen. Doch welches Spiel"? 

Fi 361 «Der Stirnschnallen» = Ra 215 «aux cuinquenaudes». 

Dieser Ausdruck ist mit dem des Rabelais zusammenzu- 
bringen und beweist uns die seltene Tatsache, daß Fischart das 
Spiel gekannt und mit dem entsprechenden, ihm auch bekannten 
deutschen Ausdruck wiedergegeben hat. (Ra 215 = Ra 213.) 

Le Duchat (Esm. et E. Joh., note 173) bestreitet diese Be- 
deutung von «aux chinquenaudes». 

Doch scheint mir Fischarts Ueberlragung den Gegenbeweis 
zu führen und im voraus die Definition Esm. et E. Joh. und 
B. d. Marets et Ratherys zu bestätigen. 

Es sei noch bemerkt, daß «chiques» die Bedeutung von 
Klicker hat, so daß mir Le Duchats Absicht chique, chinque 
mit cinq zusammenzubringen unhaltbar zu sein scheint. 

Fi 542 «Bierenbaum schötteln» - Ra 103 «an poirier». 

Fischarts Ausdruck stellt ohne Zweifel eine Nachbildung 
des Rabelaisschen «au poirier» dar. (Esm. et E.Job., note 84. 
Henry d'A. I, 333.) Dieser Name bedeutet das gleiche Spiel 
wie «au chene fourchu», unser «Kopfslehn». 

Damit hatten wir versucht, diejenigen Spiele in der Tabelle 
zu erkennen, welche als von Babelais stammend zu betrachten 
sind. 

Rabelais' Verzeichnis umfaßt 215 Spielnamen, nicht 214 
wie Burg. d. Marets et Bathery, p. 165, note 1, zählen. 

Davon sind bei Fischart nachweisbar 161, vielleicht, wenn 
wir die folgende Hypothese aufzustellen berechtigt sind, 162 
Spiele in mancherlei Formen wieder zu finden, sowohl Karten-, 



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- 96 — 



Würfel-, Brettspiele als auch Jugendspiele. Der größte Teil 
dieser ersteren Kategorie bei Fischart ist Habelais entliehen. 

Vielleicht ist auch noch Fi 425 «Murr murr nur nicht» 
als eine willkürliche Entstellung des bekannten Rabelaisschen 
Spieles Ra 36 «a la mourre» zu betrachten. An Beispielen, um 
diese Behauptung zu stützen, fehlt es uns in Fischarts Ueber- 
tragungen nicht. Diese Meinung mag noch befestigt werden, 
wenn wir uns immer vor Augen halten, daß Fischarts Absicht 
gar nicht ist, möglichst korrekt die französischen Ausdrücke 
wiederzugeben, sondern daß er der größtmöglichsten Unklarheit 
und Verdrehung der Ausdrücke sich befleißigt hat, um sie, sei 
es auf Kosten des Verständnisses und des wahren Sinnes, zu 
seinen Spielen, zu den Spielen seines «Gargantuwalts» zu 
machen. 

Es bleiben also scheinbar von Fischart unbenutzt (>5 Spiele, 
von denen wir ruhig annehmen können, daß Fischart sie in 
ein solches Narrenkleid versteckt hat, daß es wohl der Forschung 
unmöglich sein wird, sie zu erkennen. Denn 65 Spiele nicht 
zu verwenden, das ist einem Fischart wohl sehr schwer ge- 
worden . 

2. Abschnitt. 

Die Ausdrücke, welche Jugendspiele bedeutend, 
auf die Spielnamen bei Junius zurückzuführen 

sind. 

Die Zahl der Karten-, Würfel- und Brettspiele, die Fischart 
aus dem Nomenciator des Junius entnommen hat, steht weit 
hinter der Zahl der entsprechenden aus Rabelais entlehnten 
Ausdrücke zurück. 

Ks mag etwas komisch klingen, wenn wir sagen, daß 
der Grund einfach in der geringem Anzahl Spiele besteht, die 
Fischart im Nomenciator überhaupt finden konnte. Hätte Junius 
ein größeres Verzeichnis aufgeführt, ich glaube Fischarts Ver- 
zeichnis wäre noch umfangreicher geworden. Die gleiche will- 
kürliche Behandlung wie den Rabelaisschen Phrasen ließ Fischart 
auch denjenigen des Junius zuteil werden, wie uns auch die 
Besprechung der aus Junius abgeschriebenen Jugendspiele zeigen 
wird. 

Durch einen Zufall bin ich auf diese Quelle aufmerksam 
geworden, die ich in dem groß angelegten Werke über Nieder- 
ländisches Kinderspiel von De Cock en Teirlinck 1 kennen lernte, 

1 A. de Cock en Js. Teirlinck: Kinderspel cn Kinder 
tust in Zuid-Nederland Gent, 1W2 — 1903. 



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noch ohne von einer Beziehung Fischarts zu ihr etwas erfahren 
zu haben. Eine zufällige Neugierde ließ mich eine gründliche 
Benätzung dieses Nornenclators durch Fischart erkennen. Der 
Umstand, daß mir das Buch durch sein Vorhandensein auf der 
Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek zugänglich wurde, 
erleichterte mir den folgenden Beweis. Erst nachträglich habe 
ich in Erfahrung gebracht, daß schon Holtmann von Fallers- 
leben in Horae belgicse VI, p. 183 eine Andeutung macht, wo- 
nach es «selbst dem wohlbekannten Herausgeber Fischarts nicht 
gelingen dürfte, für das «Pick Olyet offte graefl», «Hilteckes», 
«PfeifTt oder ich such euch nicht» eine andere Quelle als den 
gedruckten Nomenclator Hadr. Junii (1567) nachzuweisen.» 

Wir werden nun beweisen, daß dies nicht allein für diese 
drei Spiele, sondern für eine ganze Keine von Spielen zutrifft. 

Fi 94 «Pferdlin woll bereit» = J 29 <Peertgen 

wel bereyt». 

Schon in der ersten Ausgabe Gnden wir bei Fischart Nr. 
575 «Pferdlin wol bereit». Er macht sich nicht viel daraus, das 
gleiche Spiel nochmals an einer anderen Stelle (Fi 94) in der 
dritten Ausgabe einzufügen. 

Es ist überhaupt Fischart unendlich gleichgültig, ob er ein 
Spiel zweimal oder mehrere Male nennt, wie wir schon früher 
sahen und später noch sehen werden. 

Die Uebertragung ist Fischart leicht geworden, da er Kennt- 
nisse in der niederländischen Sprache besaß. Das Spiel ist eine 
besondere Art des niederländischen «Hamele damele» r das un- 
serm «1, 2, 3 Postemetri» gleichkommt und zu dem «Bock- 
springeries» zu zählen ist. (De Cock en Teirlinck I, 303, 307, 
308). Entweder springt man nur auf oder auch über den Rücken 
eines anderen, oder man springt und läßt, auf dem Rücken 
des andern sitzend, diesen raten, wieviele Finger man in die 
Höhe streckt. Beide Spiele sind im Elsaß sehr verbreitet : beim 
letzleren lautet die Frage der Buben bei uns : «Rumpelti pum- 
pelti Holderstock, wieviel Hoerner streckt der Bock?» 

Wir sahen, daß Fischart diesen Ausdruck zweimal in sein 
Verzeichnis aufnahm. Umsomehr sind wir erstaunt, wenn er 
es fertig bringt, aus Junius auch noch die anderen Bezeich- 
nungen für dieses gleiche Spiel abzuschreiben und nicht nur 
die beiden weiteren niederländischen, sondern auch den deut- 
schen Ausdruck, welche alle unter dem Namen «Micare digitis*. 
zu finden sind. 

Zu deutsch heißt das Spiel, nach Junius J 29 «Die Finger 
; herfür werffen / vnnd schnellen». Danach hat Fischart sein Fi 97 
, «Fingerschnellen» gebildet, welches als Zusatz in c zu finden ist. 

7 



— 98 - 

Ferner gibt Junius noch zwei niederländische Ausdrücke, 
die bei Fischart zu finden sind : 

In cPick olye ofle graef» = Fi 195 tPick Olyct oftle graef». 
(De Gock en Teirlinck I, 317, 308) und 

in «Cock cock rij web (De Cock en Teirlinck I, 306) = Fi 
95 «Cock cock ey wil», im letzten Teile eine willkürliche Ueber- 
tragung und Entstellung. 

Damit hat aber die Benutzung des Junius seinen Ab- 
schluß noch nicht gefunden. Die lateinische Erklärung von «mi- 
care digitis» resp. der niederländischen Phrasen «quo puer ob- 
structis oculis diuinat quot alter digitos erectos habeat» hat 
weiter zur Bildung des Fi schartischen Fi 194 «Rhat der Gnger» 
geholfen, ein Ausdruck der allerdings auch in dieser Form im 
Elsaß üblich gewesen sein wird, aber immerhin als unter dem 
Einflüsse der Erklärung bei Junius entstanden anzusehen ist, 
denn auch er ist zu finden in einer aus Junius entlehnten Gruppe 
von mehreren Spielen und zwar als Zusatz in c. 

Wir haben somit bewiesen, daß sechs Ausdrücke bei 
Fischatt auf ein einziges Spiel bezüglich sind und für uns als 
ein Spiel gelten müssen. 

Fi 96 «Lausen oder Noppen» = J 33 «Luysen oft noppen». 

Auch diese Wiedergabe, so deutsch sie klingen mag, ist 
ein Produkt toller Spielerei. Fischart gibt sich keine Mühe dem 
Sinn nachzuspüren, oder besser, seine Ausdrücke lassen den 
Sinn nicht erkennen. Dieser Arsdruck stammt aus den Erklär- 
ungen des Junius von «Ostracinda». 

«Hol oft b o 1 | quod est Canum ne an planum : vel 
luysen oft noppen: velut olim is diuinan dum obtinebat, 
Nox an dies.» 

Hier haben wir die gleiche Erscheinung wie oben. Auch 
den zweiten niederländischen Ausdruck «Hol oft bol» ßnden 
wir bei Fischart als 

Fi 579 «Hol oder voll», diesmal keine willkürliche, sinn- 
lose Bildung, sondern Fischart scheint sich hier die lateinische 
Erklärung «canum ne an planum» zunutze gemacht zu haben. 

Damit nicht genug, er übersetzt auch den lateinischen Aus- 
druck «Nox an dies» mit Fi 196 «Nacht oder tag». 

Irrtümlicherweise sieht Ilochholz Fi 579 als einen Fischar- 
tischen Ausdruck an auf p. 424. 

Fischart gibt uns also auch hier drei verschiedene Aus- 
drücke für ein Spiel, die er noch dazu sämtlich entlehnt hat. 

Die Spielnamen bedeuten alle den spielartigen Gebrauch 
der Kinder, den Fischart schon als Fi 155 «Grad oder ungrad» 
und Fi 156 «Kreutz oder plättlin» bezeichnet, und der den 



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- 99 - 



Zweck bat, einen oder mehrere zu bestimmen, die das Spiel 
eröffnen. De Cock en Teirlinck III, 109 : 

«Men werpt eenige muntstukken omhoog en laat raden 
kop ofletter; meestal echter houdt men ze in de hand en laat 
raden paar of onpaar. Soms werpt men de muts omhoog en 
men raadt h o 1 (opening naar boven) of b o 1». 

Fi 193 «Der blinden Ku» = J 30 «T'blindeken, 
t'blindenspel». 1 

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Fischart durch Junius 
30 «Myinda», wo diese niederländische Bezeichnungen zu finden 
smd, an dieses bekannte Spiel erinnert worden ist, gerade da 
der Fischarlische Ausdruck eine Zusatzserie in c eröffnet. 

Fischart hat also wohl den niederländischen Spielnamen 
verstanden und durch den ihm bekannten und entsprechenden 
Namen wiedergegeben. 

Das gleiche Spiel heißt bei ihm auch noch an anderer Stelle 
Fi 20 «Plindenmäuß», das wir später (im nächsten Abschnitt) 
zu besprechen haben. 

Fi 538 «Pfeifft oder ich such euch nicht» = J 1 «Pijpt oft 

ick en soeck v niet».* 

Der Ausdruck Fischarts ist eine korrekte Uebertragung des 
niederländischen Spielnamens. Auch dieses Spiel nennt Fischart 
zweimal, denn es ist bereits in der ersten Ausgabe von 1575 
(a) zu finden, Fi 577, und nochmals im Verzeichnisse als Zusatz 
in b (1582) = Fi 538. 

So erstreckt sich also die Benützung der Namen auf alle 
drei Ausgaben. 

Unter «Apodidrascinda» gibt Junius folgende niederländi- 
sche Ausdrücke für dieses Spiel an, das unserm «Versteckels» 
entspricht. 

«Apodidrascinda :B. Schuylvvinckgen, schuylhoecxken 
| duykerken. Flandris, Coppencomtwt den hoecke. 
Brab. item pijpt oft ick en soeck v niet». 

Alle die drei Hauptbezeichnungen des gleichen Spieles hat 
auch Fischart in sein Verzeichnis aufgenommen. «Schuylwinck- 
gen» verdreht er zu Fi 578 «Schul winkel», wodurch er einen 
falschen Sinn erzeugt, da man versucht ist «Schul» als «Schule» 
aufzufassen. «Schuyb hat mit «Schule» gar nichts zu tun, denn 
«schuylen» heißt hier soviel als «verbergen». 3 

1 De Cock en Teirlinck I, 118. 

2 De Cock en Teirlinck I, 155. 

3 Joh. Franck: Etymologisch Woordenboek der Nederland- 
ßche Taal. 



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- 100 — 



«Schul winkel» kann also niemals als ein deutsches Spiel 
angesehen werden, das Fischart als solches aus dem Elsaß be- 
kannt geworden wäre, deshalb ist es unrichtig, wenn Rochholz 
p. 404 das Spiel «Blinzimus» als bei Fischart «Schulwinkel» 
genannt zitiert. 

Auch De Cock en Teirlinck (I, 152) zitieren nach Böhme, 
Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, 562, das Fischarfische 
«Schulwinkel» zu Unrecht. Fischart ist es in diesem Falle wirk- 
lich gelungen die Nachwelt irre zu leiten. Der Reihe nach 
wurde «Schulwinkel» als ein Fischarlisches Spiel angesehen von 
Rochholz, Böhme, De Cock en Teirlinck. 

Den zweiten niederländischen Namen hat Fischart als 

Fi 539 «Kapp komm auß dem H&aftcken* 

wobei er «hoecke» = Winkel, Ecke falsch mit «Häußcken» 
überträgt; und als 

Fi 580 «Hänlein komme aus dem winckelein», eine ganz 
richtige Ueberlragung. Dieser letztere Ausdruck steht bereits 
in der ersten Ausgabe. Der andere, Fi 539, erscheint mit dem 
dritten aus Junius stammenden Ausdruck Fi 538 als Zusatz in 
der zweiten Ausgabe, so daß wir folgende Konstellation er- 
halten. 

Fi 538 (b) = Fi 577 (a). 
Fi 538 = Fi 539 (b) = Fi 580 (a) = Fi 578 (a). 

Also wieder fünf Ausdrücke für ein einziges Spiel. 

Heute heißt das Spiel in den Niederlanden «Verstopperl je». 
Zahllose Variationen dieses Spieles geben De Cock en Teirlinck 
I, p. 140 ff. 

Fi 581 «Das UAnlin, hanlin bat gelegt» = J 43 «Cop cop heeft 

geleyt». 

Der Ausdruck ist richtig übertragen, nur daß für Huhn 
(Henne) die Diminutivform «hänlin» gesetzt ist. 

Junius beschreibt das Spiel unter «Schoenophilinda». 

Es ist das niederländische «Neusdoeksken-achter-'t gat», 
eine Art «Plumpsack»-Spiel, das überall bekannt ist. (De Cock 
en Teirlinck 1, p. 193 ; 184.) 

Bei folgenden Ausdrücken ist es zweifelhaft, ob sie in Be- 
ziehung zu Junius stehen. 

Fi 197 «Vergebens machen» ; bedeutet irgend eine willkür- 
lich von Fischart eingesetzte Phrase, vielleicht mit dem Sinne 
von «Steinausgeben». 



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- 101 - 

Einen merkwürdigen Fall, der wahrscheinlich mit Junius 
in Zusammenhang zu bringen ist, bietet uns : 

Fi 576 <Ritschen>. 

Dieser Ausdruck kommt in einer fortlaufenden Reihe aus 
Junius abgeschriebener Spiele vor. Ks liegt so der Gedanke 
nahe, daß «Rilschen» eine unrichtige Wiedergabe von «Ritzen» 
ist, das Junius unter «Oscillum» erwähnt. 

Ein Mißverständnis Fischarts ist wegen der vorhandenen 
ausführlichen Beschreibung bei Junius ausgeschlossen. Somit 
bleibt nur die Annahme einer absichtlichen Wiedergabe von 
«Ritzen» = schaukeln mit dem etwas ganz anderes bedeuten- 
den «Ritschen» = gleiten auf dem Eise (unser «Rutschen»), 
für das Fischart noch zwei andere Ausdrücke am Schlüsse von 
cap. 25 erwähnt : «Schleißen, schleimen». (Siehe unten.) 
Vielleicht ist auch 

Fi 47 c Königs lösen» 

unter dem Einflüsse der Erklärung des Junius von «Basilinda» 
entstanden, das niederländisch «T conincxken speelen j een 
coninck maken» heißt (De Cock en Teirlinck I, p. 102), ein 
Spiel (deren es übrigens viele gibt), darin die Kinder einen 
König wählen, ihn «auslosen», wie z. B. in Fischarts Fi 173 
«Ich bin König, du bist Knecht». 

Wir sahen, daß unsern Fischart auch hei der Benützung 
des Nomenciators «keine Skrupel noch Zweifel plagten», er nahm, 
was er nehmen konnte, und gab uns ein tolles Gewirr, wie er 
es nur geben konnte. 

Der Rest der Spiele unserer Tabelle der Jugendspiele kann 
als Spiele betrachtet werden, die eigentlich allein für uns 
in Betracht kommen, da sie wahrscheinlich von Fischart aus 
dem Elsaß gesammelt worden sind. Diese nun zu besprechende 
Spielgruppe umfaßt die Ausdrücke, die man als wirkliche Kinder- 
spiele ansehen darf. Wir werden sehen, daß ihre Anzahl gar 
nicht so erschrecklich groß ist, im Verhältnis zu dem 629 Aus- 
drücke umfassenden Gesamtverzeichnis, aber immerhin bedeut- 
sam genug. 

Zur bessern Uebersichtlichkeit werden wir uns bemühen, 
die Spiele ungefähr nach ihrer Art einzuteilen. 



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- 102 — 



3. Abschnitt. 

Die Spiele, die Fischart wohl nicht abgeschrie- 
ben, sondern aus dem Elsaß und auch wohl 
aus den Nachbarländern gesammelt hat. 

a) Die Lauf-, Spring- und Fangspiele. 

Wir besprechen diese Spiele so wie sie sich der Reihe nach 
aus unserer Tabelle der Jugendspiele ergeben. 

Wir ziehen diese Spiele in einen Abschnitt zusammen, 
erstens, weil sie doch oft nicht so scharf getrennt werden können 
und zweitens, weil ihre Anzahl nicht so groß ist, als daß eine 
genaue Trennung, wie z. B. bei Rochholz und De Cock en Teir- 
linck, notwendig erscheinen könnte. 

Fi 20 «Plinden mftuß». 

Als «Biindmisels» und «Blindiküh» ist das Spiel im ganzen 
Elsaß bekann I. Es besteht gewöhnlich darin, daß man einem 
Kinde die Augen verbindet, welches nun darnach trachten muß, 
einen der Umhertanzenden zu fassen und seinen Namen zu er- 
raten. Knaben und Mädchen beteiligen sich an diesem Spiele. 
(Fi 20 ist also identisch mit Fi 193.) Daraus ergibt sich auch 
die gleiche Bedeutung von 

Fi 524 «Wessen ist die Hand, der Finger?» 
Fi 25 -Du der Haß, ich der Wind». 

Die Phrase bezeichnet das allgemein bekannte Fangspiel 
«Fanges» oder «Fanged Issels» und scheint auf einen Wettlauf 
zwischen Wind und Hase zurückzuführen zu sein. 

Als auf das «Fangedissels» oder «Versteckels» bezüglich ist 
auch anzusehen : 

Fi 286 «Ich fang euch wo ich euch find». 

Dieser Ausdruck ist eine Parallelbildung zu Fi 285, das er aus 
Rabelais abgeschrieben hat. 

Fi 27 «In Himmel, in d'H6U> = Fi 121 «Inn die Holl». 

Der zweite Ausdruck ist nur in a zu finden, während die 
vollständigere Form als Zusatz in b zu finden ist. Der Aus- 
druck bedeutet das bekannte Hüpfspiel «Himmel un Hell» oder 
auch «Paradieseis» genannt. Zahlreiche Variationen sind ge- 
bräuchlich z. B. «Sunda, Monda . . .», «E Juddespiel». 

Einer größern Arbeit bleibt es vorbehalten, alle diese ver- 
schiedenen Namen zusammenzustellen. 



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Auf Straßen und Burgersteigen begegnen wir oft diesem 
Spiel der Kinder,. oder mit Kreide gezeichnete oder in den Sand 
gekratzte Figuren deuten darauf hin, daß man das Spiel soeben 
gespielt hatte. 

Im Niederländischen heißt es «Hinkspei». De Cock en Teir- 
linck I, 309 ff. veranschaulichen durch zahlreiche Zeichnungen 
diese Figuren. Die gebräuchlichste Figur bei uns ist die folgende : 





40 


; 


g 


r 







Es gilt dabei einen kleinen Gegenstand der Reihe nach in jedes 
der Kästchen zu werfen, ihm auf einem Bein nachzuhüpfen 
und ihn wieder zu holen. 

Fi 28 «Der Wolff hat mir ein Schaflein gestolen, weil ich Käß 

und Brot will holn». 

Dieses Spiel ist das bei uns sehr gebräuchliche Fangspiel, 
wo der Hirte seine Schäfchen heimruft : «Schäfele kumme alli 
ham.» 

Die Schäfchen : «Mr kenne nit.» 

D. H. : «Warum nit ?» 

D. Sch.: «Wejem Wolf!» 

D. H. : «Was frißt V?» 

Sch. : «Grien' Gras !» 

H. : «Was süfft'r?» 

Sch.: «Blöji Wolke!» 

H. : «Schäfele kumme alli ham!» 

Diese laufen alle zum Hirten und der «Wolf», der sich 
versteckt gehalten hat, sucht eines zu erhaschen. Vgl. : Roch- 
holz, p. 408, Nr. 25 «Schöf-us ! Wolf-g'seh!» 

Fi 70 «Nun fall den Ball, eh er fall». 

Dieser Ausdruck deutet allgemein auf das Ballspiel hin, 
das überall in mancherlei Arten von Knaben und Mädchen ge- 



- 104 — 

spielt wird : z. B. das gewöhnliche ; «pelote au mur» («Blode- 
mür»), «Schlaballes», «Ritterhalles» oder «Ballerilterles», «Riwer 
un niwer», «Kinni wer wirft, kinni wer wirft», «Löchelspiel», 
«Strifteballis», «Dachballis», einen Namen, den schon Fischart 
kennt, cap. 39, p. 369: «Die so jm Schloß waren und ein weil 
mit dem Tachb allen kurtzweilten» ; alles Spiele der Knaben 
neben den zahlreichen Mädchenballspielen. Siehe E. Martin- 
Lienhart : Elsass. Worterb. Rochholz, p. 383 ff. 
Auf das Ballspiel weist auch hin 

Fi 75 «Balleniipotei». 

Ripotei vom französischen Tripot = Ballspiel — Ballhaus, 
Ballspielhaus gebildet. 

Es ist unwahrscheinlich, daß zu Fischarts Zeiten das Ball- 
spiel schon so üblich bei den Kindein war wie heute. Seine 
Ausdrücke scheinen mehr das Ballspiel zu bezeichnen, wie es 
von den Erwachsenen in den Ballspielhäusern betrieben wurde, 
die allerorts bestanden. (Straßburg: Ballhausgasse. Siehe Sey- 
both : Le vieux Strasbourg.) Eine Beschreibung dieses Spieles 
findet sich bei Fischart selbst, cap. 57 p. 459. Gewöhnlich 
wurde der Ball mit dem Racket geschlagen: cap. 3 p. 57 und 
auch mit dem «britschahl» : Daniel Martin, Parlement Nouveau, 
Straßb. 1637. 

Zu den Ballspielen ist auch 

Fi 411 cDeß Apts und seiner Br6der>, 

das nach Rochholz (p. 440) identisch ist mit «Der Abt von 
St. Gallen» zu rechnen. 

Man schlug auch den Ball mit einem Kolben, worauf Fischarts 

Fi 88 «Des Kolbens» 

hindeutet. 

Fi 74 «Der hupfelrei» 

ist ein Kollektivname für die Hüpfspiele wie Fi 75 für die Ball- 
spiele. 

Fi 142 «Ein rasigen Dib fahen». 

Ist wohl ein Fangspiel, bei dem es ^ilt einen andern, der 
sich das Gesicht geschwärzt hat, wie das ein Trick zur Un- 
kenntlichmachung der Diebe ist, zu fangen. (Vielleicht hat das 
Spiel Aehnlichkeit mit Rochholzens «.Schwarzer Mann», p. 376, 
welches auch bei uns als «Schwarzer Mann» oder «Wißmannier, 
Schwarzmannier» bekannt ist.) 



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105 — 



Fi 221 «Nun geht dauoa». 

Vermutlich bezieht sich der Ausdruck auf ein Spiel, in dem 
<iie Kinder aufgefordert werden oder sich aullordern, fortzu- 
laufen, um gefangen zu werden. Marlin Luther kennt ein Sprich- 
wort : «Wischt das Maul vnd geht dauon.» 1 Unmöglich ist 
es nicht, daß Fi 221 das Fragment eines derartigen Sprich- 
wortes ist. Wegen der sehr knappen Form des Ausdruckes 
ist es schwer, hier einen endgülligen Entscheid zu geben. 

Fi 338 «Deß Mörselstein tragens». 
Fi 339 «Deß Venus Tempels». 

Beide Ausdrücke bezeichnen das gleiche Spiel wie Fi 27 
und Fi 121, Der Mörselslein ist eben der Stein» der geworfen 
wird und auch auf dem Fuße durch alle Felder getragen werden 
muß. 

Fi 397 «Jeder Vogel inn sein Nest». 
Fi 550 «Rebecca rnck den stul». 

Diese beiden Phrasen weisen auf das allbekannte Spiel hin 
«Wo laft d 'Scher? — Dort, laft sie lerl» 

Rochholz, p. 449, Nr. 73, hat die Identität mit seinem 
ausführlich beschriebenen Spiele «Platzwechseln» richtig er- 
kannt. 

Fi 398 «Der Verzäuberin». 

Dies ist unser Spiel «D'Hex im Keller». Die Mutter schickt 
ein Kind in den Keller, Butler zu holen. Es kommt voller 
Angst zurück und sagt: «'S isch e Hex im Keller!» Einem 
zweiten und dritten Kind geht es ebenso. Die Mutter geht nun 
selbst mit den Kindern und zeigt ihnen, daß ihre Furcht un- 
begründet war. Man geht aus dem Keller heraus, um einen 
Spaziergang zu machen. Ein Kind wird gezupft (von der folgen- 
den Hexe) uud sagt : «Mamme 's zopft mich jehme.» Die 
Mutter: «'s isch d'r Wind !» Die andern klagen ebenso, und 
nun sagt die Hexe : «Bonjour welle ihr e Priß?» und hält ein 
Büchschen Sand hin. Alle nehmen und laufen nun der Hexe 
rufend nach : «Hexepriß, Hexepriß». Die Hexe wird gefangen 
und verbrannt. 

Das Spiel ist überall bekannt. 

Fi 402 «Hupff in Klee» 

ist die Bezeichnung für das Herumlaufen der Kinder auf dem 
Felde draußen. 

i Luthers Sprichwörtersammlung. Von Ernst Thiele. Weimar. 

1900. 



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- 106 



Fi 406 «Unser Han der König, der streit ist gewonnen». 

Im cap. 28, p. 307 der Geschichtklitterung spricht Fischart 
von der Herkunft des «knobloch hetzend Hanenkempflen». Hier 
meint er den wirklichen Hahnenkampf, jenes unschöne Ver- 
gnügen des Mittelalters. Ich glaube nicht, daß sein Spielname 
noch diese ursprüngliche Bedeutung hat, sondern daß er bereits 
das Spiel der Knaben besagen will, das heute noch «Hahne- 
kamp!» genannt wird. 

Es bilden sich zwei Parteien, die je einen «Hahn» stellen, 
die sich nun, auf einem Beine hüpfend, die Arme über der 
Brust gekreuzt, bekämpfen müssen. Ist einer durch den Stoß 
gezwungen sich auf beide Beine zu stützen, so hat er vorloren. 

Fischart nennt das Spiel nochmals cap. 26, p. 274 «des 
einbeinigen Thurniers». 

Fi 456 «Widerfftren». 

Es ist uns ein Spiel bekannt, das wir «Söjtriwerles» nann- 
ten. Einem Knaben banden wir einen Strick um den Fuß (ge- 
rade wie die Metzger und Bauern die Schweine führen) und 
trieben ihn vor uns her. Zog man fester an, so fiel der An- 
gebundene wohl auch oft zu Boden. Ein ähnliches Spiel besagt 
sicher der Ausdruck Fischarts. 

Fi 457 «Der letzt der ista». 

Der Ausdruck ist ein bekannter Ausspruch im «Fanges» 
(beim Abschlagen) und «Versteckels». Derjenige, der zuletzt 
ankommt, muß suchen : «D'r letscht isch's». Das gleiche be- 
deuten die Fischartischen Phrasen 

Fi 525 «Der erat heraaß, der letzt drinnen», 
und Fi 476 «Der letzt ein Schelm». 
Fi 466 «Znm zwire zum zware, der Vogel ist gefangen». 1 

So riefen die Kinder bei einem besonderen Fangspiel, das 
wir «Vögelverkaufen» nannten und einfach auch als «Vejeles» 
bekannt ist ; 

Den Kindern gibt man Vogelnamen. Ein Käufer kommt, 
will kaufen und muß den Vogel erraten. Während er mit Hand- 
schlägen bezahlt, sucht der Vogel wieder zu dem Verkäufer zu 
kommen. Der Käufer sucht ihn wieder einzufangen. 

Auf dieses Spiel weist auch die Frage hin 

Fi 530 «Wie gibst den Fincken», 
d. h. «wie teuer verkaufst du den Finken?» 

i Nur ia b ist dieser Ausdruck auch im Schlüsse von cap. 25 
zu finden. 



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Fi 494 «Verbergen»». 

Unser allbekanntes «Versteckels». 

Fi 495 «Kioder außtheilen». 

Dies ist ein bekanntes Spiel. Eine Anzahl Kinder stellt sich 
im Kreise auf. Jedes hat noch ein Kind vor sich. Nun geht 
der Käufer umher und fragt irgend eines der hinten Stehenden : 
«Frau, wollt ihr euer Kind verkaufen?» Antwort: «Viel lieber 
raöcht' ich betteln laufen». Kaum ist die Antwort gegeben, so 
laufen die Kinder in entgegengesetzter Richtung um den Kreis 
herum. Wer zuerst bei dem verlassenen Kinde ankommt, ist 
Sieger und darf stehen bleiben. 

Fi 498 «Roß machen». 

Dieser Ausdruck ist nur in a im Verzeichnis zu finden, 
erscheint aber wieder als Zusatz in b Ende cap. 25. Das Spiel 
besteht darin, daß einer den anderen auf dem Rücken fortträgt. 
Bei uns : «Rössels», «Ritlerles». 

Rochholz 466, Nr. 93 irrt sich, wenn er es identifiziert mit 
dem «Steckenpferd»-Spiel. Unberechtigt ist noch mehr, wenn 
er sein Spiel als das Fischart ische «Pferdlin wolbereit» definiert, 
denn wir haben bewiesen, daß dies nicht von Fischart stammt 
und noch viel weniger das «Sleckenpferd»-Spiel bedeutet. 

Ganz unverständlich ist mir der weitere Ausdruck bei 
Rochholz «Ritschenroßmachen», das er auch als gleichbedeutend 
aus Fischart zitiert. Der Ausdruck ist bei Rochholz ein Wort. 
Im ganzen Verzeichnisse folgen die beiden Ausdrücke nicht auf- 
einander, was vielleicht Rochholz hätte irreführen können. 

Aber am Ende von cap. 25 finden wir «Ritschen» (erst in 
c), «Roßmachen» zwei ganz verschiedene Spiele. Die Kontrak- 
tion «Ritschenroßmachen» deutet auf ein Mißverständnis Roch- 
holzens. 

Fi 543 «Kfrle, kühele gump nit». 

Vielleicht liegt in diesem Ausdruck irgend ein Springspiel 
der Kinder, deren wir ja heute noch viele bezitzen, z. B. das 
«Seilspringen» oder «Seilgumpen» (Rochholz, p. 456. p. 82). 

Fi 590 «Wolf beiß mich nicht». 

Das ist unser Spiel «Fuchs Fuchs üß d'r Hehl» oder «d'r 
Deifel kummt allan erüß, eins, zwei, dreij» und das Rochholz 
p. 411, Nr. 29 unter «Fuchs aus dem Loche» beschreibt. 

b. Die Reigen spiele. 

Gewöhnlich werden diese nur von Mädchen ausgeführt und 
sind von Gesangen begleitet, von welchen die zur Bezeichnung 
des Spieles dienenden Ausdrücke Teile darstellen. 



108 — 



Fi 219 «Der Himmel hat -sich uinbgelegt>. 1 
Fi 418 «Aoff der brücken suppern inn glorie». 
Fi 427 «Ritter durchs gitter». 
Fi 264 «Die faule prucken», 2 

nur in a und dann Ende cap. 25 in b. Siehe Nr. 026. 
Vergleicht man damit das identische Spiel Fi 299 «Der zer- 
fallenen Brucken», das aus Rabelais stammt, so haben wir fünf 
verschiedene Bezeichnungen für das bekannte Spiel, das auch 
«die goldene Brücke» genannt wird. 

Rochholz beschreibt das Spiel ausführlich (p. 373). 
Unsere Kinder begleiten jetzt das Spiel mit einem Art Ge- 
sang, dessen Text vielfach französischen Ursprungs ist, und da 
er von den Kindern nicht verstanden worden ist, in der drol- 
ligsten Weise verzerrt wurde. So hören wir den Singsang; 

«Passe pare silie, passe par )ä 
Üirlorlosche restez ra!» = 
(= Passe par ici, passe par lä 

la derniere y restera.) Straßburg. 
Oder: «Servela-serüri, mV schlupfe durch e Loch, e Loch». 
«Servela-serüri» ist köstlich entstellt aus «fermez la serrure». 
Schlettsladl. 

Das letzte gefangene Kind wird, indem es sich auf die 
Arme der die Brücke oder das Tor bildenden legt, gefragt, zu 
welchem von beiden es wolle, und jenachdem muß es sich 
hinter einen der «Brückenpfeiler» stellen. Der eine ist der 
Himmel, der andere ist die Hölle. Am Schlüsse verspotten die 
Engel die Teufel und singen : 

«D'Engele werde getrawe, 
d'Teifele werde geblotzt» ; 

was dann auch geschieht. Zu dem Biüekenspiel sind auch die 
beiden Spiele Fi 481 «Schelment rager» (siehe die Be- 
schreibung : «Teifele werde geplotzt») und Fi 545 «Trag den 
Knaben» zu rechnen. Das letztere kann auch ganz gut unser 
«Bäbähäfele» bedeuten, das darin besteht, daß zwei Kinder auf 
ihren Händen ein drittes tragen, indem sie dazu singen ; «Bä- 
bähäfele, schiß ins Pfännele». 

Das Brückenspiel ist eines der zahllosen Reigenspiele, die 
im Elsaß gespielt werden. Ich gebe noch einige mir bekannte 
Begleittexte an, die interessant wegen ihres französischen Wort- 
lautes sind : 

Die Kinder singen und tanzen im Ringelreihen: 



» Rochholz 371. 

2 Nochmals Garg. p. 6/1 14, cap, 34;341. 



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«Reso, reso bonmarschelele 

Quatro, quatro vingt Daniellele 

Celui ci, celui lä, Madmoiselle X. se türlatra». 
Verderbt aus : 
«Raisins, raisins, bon-marches! 
Quatre-vingts pour un denier 
Celui-ci, celui-lä, Mademoiselle X. se lournera». 

Eine weitere interessante Verketzerung dieses Spruches ist : 
«Rose, rose bonmerschele 
Quatre in dürenderele 
Silesi, silesa Mamsell X. se türlüra». 

Ein anderer Singsang: 

1. Ring 

Sehe a beau chateau (j'ai un beau . . .) 
Madame, Madame Mirabeau 

2. Ring 

Laquelle prendrez-vous de ces jeunes demoiselles? 
1. Ring 

La plus belle (oder la plus sötte) qui s'appelle X. 

Das trieb man so weiter, bis alle in einem Kreis standen. 

In deutscher Sprache, die leider diese humorvollen Ver- 
drehungen verdrängt, werden im Elsaß eine große Zahl der 
Reigenspiele gespielt, die Rühme aufgezählt hat. Diese Spiele 
sind international und können nicht spezifisch elsässisch genannt 
werden . 

Solche sind : «Es steht ein Bauer im Feld» «Es kommt 
der Herr mit ei'm Pantoffel». «Es kam ein Bauer vom Berges- 
land». 

Fi 364 «Es brent, ich lesen». 

Vielleicht weist dieser Ausdruck auf das ebengenannte 
Heigenspiel «Es kommt ein Herr mit ei'm Pantoffel», (Rochholz 
p. 379) worin nach manchem Hin- und Herreden die Be- 
gleiter des Werbenden den Vater und die Begleiter der Braut 
bedrohen, ihnen das Haus anzustecken, worauf diese erwidern, 
«dann löschen wir's mit Wasser aus». Da das Spiel auch viel- 
fach «Braut und Bräutigam» genannt wird, vermute ich, daß 
Fi 263 «Des Bräutgams» und Fi 479 «Der Braut» das gleiche 
Spiel bedeuten. 

In den Kunkelstuben sind die Braut und der Bräutigam 
auch häufig handelnde Personen. Ein endgültiger Entscheid ist 
daher schwer zu treffen. 

Betreffend «Des Bräutigam?» hat Rochholz, p. 380, diese 
Meinung auch. 



- 110 — 



Fi 391 «Sie thaten ml] ateo». 

Auch dieser Aufdruck bezeichnet ein heute noch weitver- 
breitetes Reigenspiel. In diesem Reihenspiel werden pantomi- 
misch Vorgänge aus dem tätlichen Leben angegeben, in dem 
die Kinder sinkend im Kreise herumtanzen. 

Zu diesen Reigenspielen gebort auch das bekannte 

«Fi 409 Der Baar scaiekt seia Joekel «aß». 

(Fr. M. Böhme, p. S64.) Rochbolz rechnet dieses alte Märchen 
vom Jockele zu den Spieltexten. Es ist vielmehr der Text zu 
einem Reigenlied der Kinder. Siebe näheres bei Rochholz und 
Böhme. 

Fi 391 scheint ein Teil les Reigenlied textes zu sein, der 
beginnt mit 

Fi 455 «Adam hett sibea Son» 

(Fr. M. Böhme, p. 494) und bei uns lautet: 

Adam hatte sieben Söhne, 

sieben Söhne hatt* Adam. 

Sie aßen nicht, sie tranken nicht, 

sie machten alle so wie ich : 

Mit den Köpfchen nick, nick, nick. 

mit den Fingern tip, tip, tip, 

mit den Füßchen trapp, trapp, trapp, 

mit den Händchen klapp, klapp, klapp. 
Jedesmal werden die entsprechenden Bewegungen gemacht. 
Rochholz behauptet auf p. 378, daß der Sprung beim Totentanz 
(Fi 318 cDeß Todendantzes») nach der Melodie von (Fi 455) 
«Adam hett siben Son» geschehen sei und daß dieser Tanzspruch 
gleich mit dem edes Totentanzes» stehe. Diese Behauptung 
ist mehr als zweifelhaft, und es ist mir vollständig unklar, wie 
Rochholz Fi 318 mit Fi 455 zusammenbringen konnte. In der 
heutigen Form erinnert doch dieser harmlose Kinderreigen an 
keinen (Totentanz) mehr. 

Bei den fortwährenden Veränderungen, denen gerade diese 
Reigenspiele ausgesetzt sind, bei den ungenauen Angaben Fi- 
scharts ist es eben sehr schwierig, manche Phrase aus diesem 
Teile unumstößlich zu definieren, Doch müssen wir uns ein- 
mal entscheiden, sonst werden wir nie zur Erkenntnis kommen 
und immer im Ungewissen bleiben. Hier erwähne ich 

Fi 253 «Wickerlin. weekerlin, wilt mit mir essen 
bring ein Messer. 

Die einzige Phrase Fischarts, die sich auf einen Reimspruch 
der Kinder bezieht, also kein eigentliches Spiel bedeutet. Vgl. 
A. St Ob er, Elsaß. Volksbüchlein 1842, p. 20, Nr. 30. 



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An den Schluß dieses Teiles setzen wir den Ausdruck 



Fi 408 «Es giengen drey Jungfrau wen». 

Er bezieht sich auf den größeren Spieltext «Die drey Mareien» 
Rochholzens, den er p. 139 in ausführlicher Weise bespricht, 
und dessen mythologischen Ursprung er in schöner Weise dar- 
legt. Rochholz stellt ihn an die Seite des Spieles «Joggeli» 
(= Der Bauer schickt sein Jockel aus). 

Bei uns ist der Spruch heute noch als «Abzählreim» und 
auch als Spieltext üblich. Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 30, 
erwähnt einen Spielreim, in dem von drei Jungfrauen die 
Rede ist. 

c) Die einfacheren Spiele und die Spiele, die 
«i n n s Feld gehörten z u ü b e n». 

Wir vermeiden absichtlich eine genauere Einteilung, weil 
es uns zu pedantisch erscheint, die Kinderspiele, diese Blüte 
kindlichen Betätigungsdranges, von spitzfindigen Gesichtspunkten 
aus zu betrachten. 

Fi 32 «Der Vnfur» und Fi 81 «Tölpeltrei». 

Sie sind die allgemeinste Bezeichnung der Tollheiten, die 
den Buben oft das größte Vergnügen bereiten. Im cap. 5, 
p. 99, finden wir ein Beispiel hierfür : «Bei den Oren aufTheben 
und Rom zeigen». Heute heißt das: «'s Fier im Schwarzwald 
zeije». 

Fi 84 «Der Girlande». 

In diesem Ausdruck glauben wir das bekannte Spiel «Das 
Kranzwinden» erkennen zu dürfen, das in manchen Spielliedern 
verherrlicht wird. Das gleiche besagt auch wohl die Frage: 

Fi 135 «Was für Blumen gebt ihr mir znm krantz ?> 

Im Elsaß spielen die Kinder, eigentlich nur die Mädchen, 
ein Spiel, das «Sträußchen binden» oder «Strissele mache». 
Auch Fi 159 «Hürlinzupffen»» ist ein bekanntes 



i Vgl. darüber Rochholz, p. 458. Er zitiert aus Geiler v. K., 
«Evangelibuch», Bl. 188 b: 

«Hast du nie gesehen das die bnoben in der schnol wetten 
etwan mit eim, sie wellen im drei oder vier har vßziehen vnd muß 
er sie nit enpfinden, vnd wen er ziehen wil, so schlecht er in vor 
an ein backen, vnd der streich thuot im so wee. daz er der har nit 
enpfindet vßzeziehen». Dies kann ganz gut auch das Fischartische 
«H&rlin zupffen> bedeuten. Aber welchen Zusammenhang sich Roch- 



— 112 — 



Spiel vergnügen, das die Kinder heute noch «Härelezupfe» 
nennen. 

■ Fi 160 «Ich flach in meines Herrn täuch*. 

Mehrere Kinder sitzen um einen Tisch herum und strecken 
nach einem Punkte hin je einen Finger zustimmen. Ein anderes 
spricht die Formel : «Fische, fische, auf meines Herren Tische, 
ich hab' die ganze Nacht gefischt und keinen einzigen Fisch 
erwischt.» Beim letzten Wort sucht der Sprechende einen 
Finger zu erhaschen. Diese Art des Spruches zeigt uns, wie 
«Teich» bereits sinnlos zu «Tisch» geworden ist. 

Fi 161 «De» scbftlins». 

Dieses Spiel ist das gleiche wie Fi 185 «Des Schupletzers» 
= Ra 05 «au savatier». 

Im Elsaß ist es sehr bekannt unter dem Namen «Schlappe 
süeche» oder «Schiappels» (Heiligenstein). Wir nannten es mit 
dem Anfange des Liedes, das wir dabei sangen : «Schakebl, 
Schakebl, d'r Schüeh isch gebebbelt, V lejt schun lang im 
Lumpesack.» Anderwärts heißt des Spiel ebenfalls nach einem 
Ausrufe dabei : «Gottlob, gottlob, der Schüeh isch fertig !» 

Fischart nennt es nochmals 

Fi 464 «Schüchle bergen». 

Mehrere Knaben setzen sich in einem Kreis zusammen auf 
den Boden, ziehen die Kniee krumm und verbergen darunter 
ihre Hände. Sie stecken sich unsichtbar für den Suchenden 
einen Schuh, einen Pantoffel oder einen Socken zu, den ein 
anderer zu finden trachtet. Dabei werden obige Aussprüche 
benutzt, um den Suchenden anzufeuern. 

Das gleiche Spiel heißt auch 

Fi 480 «Sehnen pletzen». 

Rochholz, p. 411), irrt sieh, wenn er «Schüchle bergen» 
nur wegen eines ähnlichen Vorganges bei seinem Spiel «Hülin- 
lein braten» mit diesem gleichsetzt. 

Nehmen wir noch den aus Rabelais übertragenen Ausdruck 
hinzu, so haben wir wieder vier Namen für ein Spiel. 



holz mit «Keilklotzen» gedacht hat, ist mir unklar. Rochholz scheint 
sich hier zu irren. Falsch ist es direkt, wenn er es gleichsetzt mit 
Fischarts «Rhat, wer hat dich geschlagen». Das hat doch mit «Här- 
lin zupffen» nichts zu tun und dieses nichts mit «Keilklotzen». 



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Fi 162 «Heimlich seitenspil ungelacht». 

Dieses bekannte Vergnügen nannten wir «Slummelemüsik» 
und bestand darin, daß wir, eine ganze Gesellschaft, uns zu- 
sammensetzten und nun unier den komischsten Gebärden die 
verschiedensten Instrumente «stumm» spielten. Wer lachte, 
mußte ein Pfand geben. 

Daß das Spiel weil verbreitet war, beweist sein Vorkommen 
und seine ausführliche Beschreibung in einem kleinen Büchlein, 
das mir durch Zufall in die Hände fiel. Bruder Lustigen: 
Alle Arten von Scherz- und Pfänderspielen, Nr. 23, p. (53. 0. J. 

Fi 303 «Deß Teuffels Music». 

Das Spiel ist das Gegenstück zu dem eben genannten. Gilt 
es dort zu schweigen, so hat man bei diesem das größte Ver- 
gnügen daran, den tollsten Lärm auf Deckeln, Blechkannen, 
Trommeln zu vollführen. Oft wird dieses ohrbetäubende Ver- 
gnügen auch «Katzemüsik» genannt. 

Fi 165 «Ist Weichsel reiff». 

Ich glaube, daß dieser Ausdruck das gleiche Spiel bezeichnet, 
das im Elsaß gebräuchlich ist unter dem Namen «D'r Pfeiler 
isch gewachse, eins, zwei, drei» oder «Gepuffert, gepfeffert, d'r 
Has het g'lail». (Heiligenstein.) 

Dabei gilt es irgend einen versteckten Gegenstand zu finden. 

Fi 166 «Steyn ausgeben». 

Die Kinder sitzen in einer Reihe. Eines geht die Reihe 
entlang und gibt scheinbar jedem einen in der Hand verborgenen 
Stein. Ein zweites Kind darf dreimal den unbekannten Em- 
pfänger des Steines erraten. Darauf vergibt das Kind den Stein 
nochmals. Das Suchende ist erlöst, wenn es den Stein findet. 
Das Spiel wird besonders von Mädchen gespielt und heißt bei 
uns «Jungfrau such den Edelstein». 

Fi 463 «Stein verbergen». 

ist das gleiche Spiel. Fischart spricht nochmals davon cap. 20, 
p. 233, wo er es herleilet aus der Sage von Paris und dem 
goldenen Apfel. Damit hängt auch der weitere Ausdruck für 
das Spiel zusammen : 

Fi 367 «Der schönsten den stein>. 
Fi 171 «Haspeln». 

Besagt wohl das allgemeine Klettern der Buben auf Bäume 
und an Stangen hinauf, wie es heute noch auf den Jahrmärkten 
üblich ist. Im cap. 2ü, p. 274, erwähnt Fischart eine Reihe 

8 



von Bewegungsspielen. Da «Haspel» auch die Garnwinde am 
Spinnrocken bedeutet und Fischart hier von dem Spiel «der 
Garn wind» redet, das bei uns «Garnwinden» und «Schlängeis» 
heißt, ist es möglich, daß Fi 171 auf dieses Spiel zu beziehen 
ist. Die Kinder bilden eine Kette. Das Kind an einem Ende 
bleibt stehen, und die andern werden «aufgewunden». Das 
«Abwinden» geht sehr schnell, wobei die Kinder oft zu Falle 
kommen. 

Fi 173 «Ich bin König, dn bist Knecht». 

Ks ist das gleiche Spiel, das Geiler von Kaysersberg «Herr, 
der kunig, ich diente gern !» nennt und über welches er im 
Jahre 1507 Predigten hielt. 

Ausführliche Beschreibung bei Rc- hholz, p. 435. 

Fi 174 «Des deitens on reden». 

Zwei Kinder machen vor einer Gesellschaft pantomimische 
Gebärden von irgend welchen Gebräuchen, welche diese nun 
zu erraten suchen. 

Bei uns heißt das Spiel gewöhnlich «Handwerkeries». Die 
Kinder deuten ein Handwerk an, das die andern erraten müssen. 
(Siehe oben Abschnitt 1, Fi 302.) Das gleiche besagt: 

Fi 212 «Der Contrafeitischen Geberden». 

Die Bedeutung liegt im Ausdruck. Auf dieses Ratespiel oder 
ein ähnliches ist auch 

Fi 531 «Wer was weiß der sags> 

bezüglich. 

Fi 179 «Schlägels». 

Es ist möglich, daß Fischart damit unser allbekanntes Knaben- 
spiel meint, das jeder Knabe als «Kinne» kennt. Andere Namen 
sind «Bämberlis» (Bischweiler), «Knüpphölzel» (Niedersteinbach). 
Der «Kinne» ist ein an beiden Enden zugespitztes Holzstäbchen. 
Mit einem längeren Stock, «d'r El», wird er fortgeschlagen. 

In der Stadt ist das Spiel verboten worden ; draußen auf 
dem Lande ist es aber noch zu finden. 

Fi 198 «Gäulchen laß dich beschlagen». 

Der Ausdruck sagt schon, worin das spielartige Vergnügen 
besteht. Die Buben ahmen ja .so gern den Beruf der Alten in» 
Spiele nach. So auch hier. Das Vergnügen ist überall bekannt. 
Wir nannten es «das Rössel b'schlawe». 



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Fi 208 «Meister hemmerleins nachfahr>. 

Hierin zeigt sich ein Anklang an die Geschichte vom Meister 
Hämmerlein, der überall etwas zu flicken hatte. Wir ahmten 
ihn im Spiele nach und sagten, wir wollen «Meister Hämmer- 
lein spielen». 

Es ist kein rechtes Spiel, sondern mehr ein spielartiges 
Vergnügen, eine Art Zeitvertreib. 

Fi 214 «Mal das M6rlin>. 

Der Ausdruck bedeutet «zeichne (male) das Schweinchen». 
Damit haben wir die sonderbare Erscheinung, daß ein sehr ein- 
faches Spielvergnügen sich Jahrhunderte hindurch erhalten hat. 
Es ist heute noch ein weit verbreitetes Spiel, das sich folgen- 
dermaßen abspielt : Während folgender Hede zeichnet ein Kind 
immer das, was es sagt : 

«Da steht ein Wirtshaus» : (Es zeichnet ein Dreieck) /\ 

«Da sitzt ein Mann drinnen, der sich volltrinkt»: y\ 
(Ein Punkt im Dreieck.) L * ± 

«Der Mann geht fort» : (Ein Strich am Dreieck.) 

«Er stürzt in ein Loch» : /*\ — j 
«Er legt sich lang hin» : 

«Er steht wieder auf» ; «^\-^ 

«Er geht weiter» : 



'» ! > // *\ -y - U. S. W., 



bis er viermal hingefallen und wieder aufgestanden ist und 
folgende Figur entsteht : 



u — u 



Dann geht er weiter und muß sich plötzlich übergeben, und 



— 116 - 



mit einem Bogen nach der Spitze des Wirtshauses zu zeigt das 
Kind im Bilde, was ein solcher Mann ist. 




Diese Spielerei scheint also schon Fisehart gekannt zu haben. 

Fi 238 «Was stilstn? Thaler, Taler.» 
Fi 239 «Was seind wir? Stockfisch.» 

Diese Fragen weisen auf eine Art Vexierspiel hin wie Fi 428 
«Das spill ich auch, ich auch, die Sau aß ein 
treck, ich auch», das heute noch üblich ist. Kin Kind 
muß auf die Bede eines andern immer mit «ich auch» ant- 
worten, wodurch gewöhnlich heitere Situationen entstehen. Den 
gleichen Charakter trägt auch das sehr bekannte Spiel «Alle 
Vögel fliegen hoch !» Dieses ruft ein Kind, und alle andern 
müssen die Hände hoch heben, solange das eine Kind ein Tier 
nennt, das fliegen kann. Bufl es aber plötzlich z. B. «Ochs», 
so muß das Kind, das nicht aufgepaßt und die Hände in die 
Höhe gehalten hat, ein Pfand geben. 

Alle diese Spiele will Fisehart mit seinem Ausdruck 

Fi 429 «Poselleich» 

bezeichnen. 

Ueberall bekannte einfache Spiele sind Fi 245 «Des kör b- 
1 i n in aehen s», dessen Bedeutung aus dem Ausdruck her- 
vorgeht. Blätter und Kletten werden dazu verwendet. 

Ebenso Fi 247 «Kram a u ß I e g e n», das die Kinder «Ver- 
kaufes» nennen. Alle möglichen Waren, «Kieehele» aus Sand 
und «Mehl, Salz, Pfeffer» aus gestampften, zerriebenen Ziegel- 
steinen weiden hierbei zum Verkaufe ausgeboten.. (Bei Roch- 
holz, p. 423: Geiler von Kaysersberg «Von den 15 staffeln» 
Brösa m Ii n.) 

Fi 383 «Teller im K6bel abschlagen». 1 

Fi 404 «Teller von der stangen schlagen». 

Beide Ausdrücke besagen wohl ein Spiel, das bekannte 
«Topfschlagen», das auf den Jahrmärkten noch anzutreffen 

' An die Stelle des Tellers tritt oft ein «Topf», worauf Rabe- 
lais 1 Ausdruck «au casse pot» hinweist. Doch ist Rochholz, p. 447, 



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- 117 - 



ist.» Eine Keine solcher Spiele führt Fischart cap. 2G, p. 281, an, 
unter andern auch das hekannte «Eierlaufen». Die Spiele sind 
zu bekannt, sodaß wir über eine Beschreibung hinweggehen 
können. 

Auch Fischarts 

Fi 384 «Den 1 Sackznckens», 
das Wettlaufen in einem Sacke stehend, ist bei Jahrmärkten 
und Vereinsfestlichkeiten zu beobachten. 

Fi 304 «Wie viel deß krauts umb ein Heller?» 

Diese Frage stammt aus dem «Verkaulespiel» der Kinder, 
wie es allerorts anzutreiben ist. Es ist also zu Fi 247 zu zählen. 
(Kochholz, p. 423.) 

Fi 306 «Deß Bilgramstenrens». 

Rochbolz, p. 438, erwähnt, daß das «Pilgram aussteuern» 
noch in Schlesien gilt : «Der Pilger muß den Pförtner des 
heiligen Grabes erraten, sonst wird er zum gelobten Lande 
hinausgeplumpsackt». Er zitiert diese Beschreibung nach G u s t. 
Fr i t z, Gesellige Kinderwelt, Breslau 1850, 30. Es ist schwer 
zu sagen, ob das Spiel auch so bei uns benannt wurde. 

Fi 350 «Raht wer hat dich geschlagen?» 

Ein heute noch überall gebräuchliches Spiel, das wir in 
Straßburg oft genug geradeso spielten, wie es mir aus Reiperls- 
weiler bekannt geworden ist. 

Ein Kind legt seinen Kopf in den Schoß des andern. Ein 
drittes schlägt ihm auf den Kücken und frägt : «Kate, wer hat 
dich geschlagen ?» Hat das Kind recht geraten, so muß das 
dritte an seine Stelle knieen. 

Das gleiche Spiel nennt Fiscbarl in etwas umständlicherer 
Form : 

Fi 50 «Wer hat dich geschlagen, ist mir leid für den schaden, 

ich reche mein anschuld.» 

Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 29, Nr. 49. 



nicht berechtigt für sein «Geschirr- oder Topfschlagen» Fischarts 
Fi 259 «Brich den Hafen» zu zitieren, da dieser Ausdruck aus Ra- 
belais übertragen ist, somit nicht der Name eines deutschen Spieles 
bedeutet. 

1 Dort ist auch noch das bekannte Eierlaufen üblich, das auch 
Fischart kennt, cap. 28, p. 81U: «daß man vmb die Eyer wettlauffet». 
Kochholz, p. 4Ö6. 



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Fi 365 «Jungfrau küssen». 

Bei gewissen Spielen müssen die Kinder Pfänder geben, 
die sie durch verschiedene ihnen auferlegte Aufgaben einzu- 
lösen haben. Häufig muß das eine dem andern einen Kuß 
geben . 

Fi 375 «Rahtet jhr, was stund im brieff?» 

Ein Gesellschaftsspiel bei uns heißt «Briefträgerles». Mit 
diesem wird wohl Fi 375 identisch sein. Rochholz irrt sich, 
wenn er auf p. 380 behauptet, das Spiel sei identisch mit dem 
Reigenspiel «Es kommt ein Herr mit eim Pantoffel». (Fi 364). 

Seine Behauptung gründet sich auf den Umstand, daß in 
dem schweizerischen Spieltext vom « Briefschreiben» die Rede ist. 

Fi 382 «Wer das nicht kau. kan nicht vil». 

Die Kinder sitzen in einem Kreis herum. Das eine macht 
irgend eine Gebärde, die nun die andern nachzumachen haben, 
indem es spricht : «Lirum larum Löffelstiel, wer das nicht kann, 
der kann nicht viel.» (Rochholz, p. 28.) 



Bevor wir nun zu den besonderen Spielen mit bestimmten 
Gegenständen kommen, wollen wir die wenigen Ausdrücke auf- 
suchen, die eine Art Wortspiel bedeuten, und die dazu dienen, 
gewöhnlich den «Anfangenden» zu bestimmen. Zu der unge- 
heuren Anzahl von Abzählreimen (deren ich eine Menge ge- 
sammelt habe und deren viele in Stöbers Volksbüchlein zu finden 
sind) gehört 

Fi 241 «Das Abc reimen». 

Der entsprechende Zählspruch heißt: 

«A b c die Katz lejt im Schnee, 
D'r Schnee geht evveg 
Die Katz lejt im Dreck.» 

Ein Spiel für sich und zugleich ein Vorspiel zu andern 
Spielen ist auch 

Fi 415 «Knopff oder spitz». 

Siehe Fi 155 «Grad oder ungrad», Fi 45G «Kreutz oder 
plättlin» und Fi 196 «Nacht oder tag». Alle diese Ausdrücke 
sind identisch. Dazu gehört auch 



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Fi 490 «Zeichen oder aaseichen». 

Ebenso als selbständiges Spiel wie auch als Mittel zur 
Bestimmung eines «Ersten» ist 

Fi 493 «Helmlin zihen» 

anzusehen. 

Hülmchen von verschiedener Länge werden mit der Hand 
oder mit der Schürze bedeckt. Wer das längste herauszieht, 
ist Sieger. (Redensart : «Den Kürzeren ziehen.») Das Spiel ist 
sehr alt. Meister Altswert nennt es «Zwei spilten greselis». 

Fi 49 1 c Pfenning im Bach pletern». 

Ein Knabe versteckt in einem Buche einen Pfennig, ein 
Stückchen Silberpapier oder eine Briefmarke und läßt einen 
andern darnach «stechen» mit dem Finger oder einer Nadel. 

Das Spiel kennt fast jeder Knabe. Vgl. Rabelais 56 (Fi 151) 
«a primus secundus». 

Fi 497 «Käß trocken». 

Rochholz beschreibt das Spiel richtig: «Zwei Parteien, in 
einer Linie stehend oder sitzend, suchen einander aus der Stellung 
zu schieben». 

Bei Rahelais heißt das Spiel «a la boutte foyre» und «a 
honte hors». (Esm. et E. Jon., note 73.) Bereits als sprich- 
wörtliche Redensart bei Fischart cap. 8, p. 146 zu finden : 
«Was truckst den Käß? es gehn vil gut Schaf in einen engen 
stall.» 

474 «Fan) eisen». 

Ist das unser Spiel «Vaddr, i hab kan Ise meb», das auch 
in der Schweiz so heißt und ein Fangspiel bedeutet ? (Roch- 
holz, p. 406.) 

Fi 501 «Der Träum». 
Ein Spiel, bei dem sich die Kinder die Träume erzählen 
und deuten ? 

Fi 502 «De» beichten»». 

Ein Kind geht vor die Türe. Die übrigen überlegen sich 
drei Gewissensfragen. Dann holt man das Kind herein und 
läßt es dreimal mit «Ja» oder «Nein» antworten, ohne ihm vor 
der Antwort die Frage mitzuteilen. Dabei gibt es komische 
Komplikationen. 

Einen religiösen Hintergrund hat auch 



- 120 — 



Fi 505 «Der Sünden büß» 

Das büßende Kind muß sich auf einen Stuhl (das Laster- 
stühlchen) stellen. Die anderen treten hinzu und lassen es allerlei 
Bewegungen ausführen ; z. B. eine lange Nase machen, ein Bein 
in die Höhe heben usw. Das Büßende muß sich alles gefallen 
lassen. 

Eben solchen Charakters ist 

Fi 521 «3Iönchsgebett», 

wobei die Kinder das Beten der Mönche nachahmen. 

Fi 516 «Wer Ja und Nein sagt». 

Dieser Ausdruck bezeichnet einen Teil aus der Rede bei 
einem heute noch überall bekannten Gesellschaftsspiele (vor- 
nehmlich der Mädchen). Ich erinnere mich der Rede : 

«Es kommt ein Jude aus Paris, hat wunderschöne Sachen, 
verbietet ja und nein zu sagen, das Weinen und das Lachen.» 
Dabei sucht der Verkäufer die andern zu diesem Verbotenen zu 
verleiten. Die Strafe dafür ist ein Pfand, das nachher ausgelöst 
wird. Auch elsässisch : 

«Köijelhopf ufTm Dach 

Wer schmollt odder lacht, 

D'Zähn pfleckt, 

D'Zung erüß streckt, 

Der müeß e Pfand gänn.» 
(Stöber, Elsaß. Volksbüchlein, p. 28, Nr. 48.) Vielleicht hat 
Rochholz Recht, wenn er Fi 308 «Seit ir die braut von Schmollen, 
so lacht mir eins» als das Spiel «Lachen verhalten, Gramüseli 
macheu» ansieht. 

Ein Verspottungsspiel scheint 

Fi 503 «Deß Schulmeisters mit der langen Nasen» 

zu sein, wobei die Kinder den typischen Schulmeister mit der 
allzu langen Nase parodieren. 

Fi 549 «Hfitlin, hütlin durch die bein». > 

Es ist das Spiel, das wir «Sch wäl wäles» nannten. Mit 
dem geknoteten Taschentuche oder unsern Mützen galt es mög- 
lichst weit unter den gespreizten Beinen eines Knaben hindurch 
zu werfen. 



1 Einen anderen Namen finden wir cap. 26, p. 274: «des Jung- 
frau wurffs durch die bein». Nochmals genannt p. 16: «Blindmeuß 
und Hfttlinspiler». 




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— 121 - 



Vielleicht sind als solche Spiele auch die folgenden Aus- 
drücke zu betrachten : 

Fi 26 «Ich h a 11 g, i e h ha f f t e» (als Zusatz in b) ; noch- 
mals genannt Fi 393. Ohne einen besonderen Namen zu kennen, 
erinnere ich mich eines Spieles, bei dem wir einem andern, 
der uns fangen sollte, zuriefen «Ich hang, ich häng» und uns. 
stellten, als kämen wir nicht los. Näherte er sich uns, so liefen 
wir davon, um nicht eine «Batseh» zu bekommen. 

Unklar sind mir die nur in a im Verzeichnisse vorkommen- 
den Ausdrücke Fi 181 «Haublins» (bereits in a ist auch Fi 4'<8 
«Häubeln» zu finden, das mit diesem «Haublins» wohl identisch 
sein wird), Fi 182 «Der weissen Tauben» geblieben. Fi 181 
= Fi 609 «Haublins» (am Ende von cap 25). Danach ist es 
ein Spiel, das im Freien gespielt wurde. Ebenso ist an dieser 
Stelle (Fi 624) nochmals Fi 182 genannt. 

Auf ein Versteckspiel weist auch Fi 366 «Im sack ver- 
bergen» hin; der Ausdruck ist so allgemein gehalten, daß 
es schwer ist, in ihm ein besonderes Spiel zu erkennen. 

Damit kommen wir nun zu einer Gruppe von Knabenspielen, 
die draußen im Freien gespielt wurden. 

Fi 386 <Fudum> (in b die Mol* ist im Kessel). 
Fi 413 «Sau treiben». » 

Beide Ausdrücke bezeichnen das gleiche Spiel, das noch 
an anderer Stelle Fi 215 «Der Sau» genannt wird. (Siehe Fi 
313 «Deß Bischofsstabs».) 

Wir nennen das bekannte Spiel heute «Söjballes» oder 
«Mortriwe». Es wird geradeso gespielt wie das schweizerische 
«Moor-um» oder «das Morenjagen», das Nochholz ausführlich 
besenreibt. Unter den Spielen, die auf der Gallenmatle zu 
Straßburg bei Gelegenheit des Kongresses für Jugendspiele 1907 
abgehallen wurden, konnten wir das Spiel «Sauball» auch be- 
obachten. 

Ein weiteres beliebtes Spiel der Knaben ist 

Fi 389 «Der Geyß h fiten», 

auch als «Geiswerfe» und «GeisufTsetzers» heute noch bekannt. 
Am Schlüsse von cap. 25 nennt Fischart es nochmals Fi 617 
«Hirt setz Geyß auiT» (Zusatz in b). Nur in a ist Fi 462 «Hirt 
sez gais auf» zu finden. In der ersten Ausgabe also standen 
Fi 389 und Fi 462. Das Spiel gehört zu unsern ältesten Heimat- 
spielen. Zu finden ist es auch im Pfingstmontag von Arnold 
III, 1 unter andern bekannten Vergnügungen unserer Knaben. 

i E. W. I, 103 «D'Mohr süeche». Bochholz, p. 395. 



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Dieses Knabenspiel gab schon Thomas Murner (Narren- 
besch wörun*:) Anlaß zu einer allegorischen Betrachtung über 
«Mit gott der geiß hielten», wobei er nähere Angaben über das 
Spiel macht, die wir aus folgenden Zeilen zusammenstellen 
wollen : 

V. 10 «Springt die geiß, dü maßt sy suchen». 
V. 13 «Wen du die geiß gesetzet hast». 
V. 15 «Hiß wir sy werflendt wider vmb». 
V. 27 «Und du in vffrecht stellest wider». 
V. 54 «Do du der geiß nym hielten kundst». 
V. 84 ff. «Wann du es aber Hieltest nit, 
Erloufll er dich in glychem trit, 
Und riert dich mit sym stecken an, 
Dann miestu selbs an die arbeit stan 
Und hietten also lang als er.» 
Bis heute hat sich das Spiel in dieser Art erhalten, was 
aus der Schilderung bei Martin-Lienbart, Elsäss. Wörlerb. I, 
230, hervorgeht. Es ist von Interesse, die beiden Beschreibungen, 
die mehrere Jahrhunderle auseinanderliegen, einander gegen- 
überzustellen. 

«Ein Gestell, von einer Weide abgeschnitten, bei der drei 
Aeste von einem Punkte ausgehen. Das Gestell wird über einen 
Stein gestellt, der den Melkkübel darstellt ; dann werfen die 
Knaben darnach, einer hütet und muß die umgeworfene Geis 
immer wieder aufstellen. Während dessen holen die andern 
ihre Stöcke wieder ; berührt der Hüter dabei aber einen mit 
seinem Stock, so muß dieser seine Stelle einnehmen.» 

Das Pendant zu diesem Spiele der Knaben auf dem Lande 
ist unser städtisches Spiel «Sleinböckels», wobei es gilt einen 
Stein umzuwerfen. Sonst genau wie «Gaisuflfsetzers». 

In der Schweiz ist das Spiel auch bekannt als «das Geißen». 
Rochholz, p. 446. 

Hat der Ausdruck schon bei Murner eine Verwendung im 
über tragenen Sinne gefunden, so ist er heute schon in das Ge- 
biet der sprichwörtlichen Redensarten eingedrungen, z. B. «Wie 
mV d'Gais annimmt, mueß mV si au hüete.» (Eis. Wörterbuch 
I, 236. E. Stöber, Neujahrsbüchl. 1824, 21.) 

Fi 399 «Hurnaus* 

(Nur in der ersten Ausgabe an dieser Stelle.) Als «Hurr- 
nauß» (Fi 618) kehrt das Spiel als Zusatz in b wieder ; hier 
begegnen wir auch einem andern Namen Fi 610 «Habergaiß 
ziehen», 1 das im Verzeichnisse nur in der ersten Ausgabe 

i GaTg. cap. 38. p. 3t$C: «Tftdelt wol hundertmal hcrumb, wie 
ein Habergeiß». 



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(a) zu finden ist. (Fi 412). Fi 399 und Fi 412 sind also aus 
dem Verzeichnisse in den Schluß von cap. 25 gewandert. 

Die Ausdrücke «Hurnaus» und «Hawergais» (Arnold, Pfingst- 
montag III, 1) sind heute noch im Elsaß üblich. Die «Hawer- 
gais» ist eine Art Brummkreisel ; daher auch «Hurnaus» = 
Hornisse genannt wegen des Brummens. Darauf deutet auch 
die Stelle Garg. cap. 7, p. 122: «Hurnausenstürmig und Brämen- 
schwirmig». Nochmals sind beide Ausdrücke genannt cap. 2,* 
p. 51 : 

«Hort, langt mir für solch hurnausköbff, Ti schnür 
zu klos, tobff, hawergaisen, Ich will sie schnurren, murren 
weisen.» Hier haben wir die a u c h heute noch alle ge- 
bräuchlichen Ausdrücke für das Spiel mit dem Kreisel 
vereinigt. (In Heiliyenstein sind die Ausdrücke gebräuchlich 
«Dopfes, Hawerkiesel, Kloß, Hürlebü.) 

Rochholz, p. 452. In der Schweiz bedeutet «das Hornissen» 
ein ganz anderes Spiel, welches mir im Elsaß als das Spiel 
«Jick Jack» bekannt geworden ist, nur daß an Stelle der Scheibe 
ein kleiner Knüppel fortgeschleudert wurde. (Niederstem bach, 
vor 50 Jahren.) 

Diese Bedeutung hat das Fischartische Spiel nicht. 

Mit «Habergais» und «Hurrnaus» bezeichnet man das Spiel 
mit einer besonderen Art Kreisel, der mit Hilfe einer Schnur 
in Rotation versetzt wird. Eine Abbildung dieses Spieles mit 
einer Beschreibung in Versen allegorischen Inhaltes finden wir 
auf einem einfachen Blatt aus dem Jahre 1632, das auf der 
Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek mir bekannt 
geworden ist. Es trägt den Titel «Kinderspiel oder Spiegel 
dieser Zeiten. Straßburg 1632.» Am Kopfe befindet sich ein 
Holzschnitt, der im Vordergrund spielende Kinder, im Hinter- 
grund uns das Straßburger Münster zeigt. Das Blatt ist außer- 
ordentlich interessant, zumal es Spiele aus dem alten Straßburg 
veranschaulicht. 

Fi 414 «Kluekern, schnellkngeln» 

ist das bekannte, in zahlreichen Variationen vorkommende Spiel, 
dessen hauptsächlichsten Namen bei uns sind : 

«Schneller, Stunze, Kejele, G'slinge». Besondere Spiele 
sind : «Bläbbers ; Kiweles ; grad oder ungrad ; wickele wackele 
in wellere Hand; Wändeis; zeh, zwanzig, drissig; Bureaus» usw. 

Auf dieses spezielle Spiel weist Fischarts weitere Phrase 

Fi 416 «Inn kauten, kautenfaul». 

Kaute = Kutte = Grube; in die die Klicker geworfen werden. 
«Klos», «Topf», «Kreisel», sind die üblichen Ausdrücke für 



— 124 - 



das gewöhnliche Spiel mit «lern Kreisel. Fischart erwähnt dieses 
Spiel als 

Fi 421 -Vber das kreißle». 
Fi 426 «Den klos und topf werfen» (nur in a). 

Feiner scheinen mir die Namen «topfstechen» und «klos- 
stechen», die in den Ausdrücken Fi 452 und Fi «487 zu finden 
sind, beide nur in a im Verzeichnisse, sich auf dieses Spiel 
zu beziehen. Wir hätten demnach fünf verschiedene deutsche 
Bezeichnungen dieses Spieles. (Abgesehen von «zur Trompe» 
und «deß Mönchs», die aus Rahelais stammen.) Fi 605 (Zusatz 
in b) «Kloßstechen» nochmals allein aufgeführt. 

«Kloßstechen» ist also aus dem Ausdruck Fi 487, der zwei 
Spiele bedeutet und falsch zusammengezogen ist, herauszulösen. 
Ebenso «topfstechen» aus Fi 452, das sogar eine falsche Kon- 
traktion von drei Spielen, die nichts mit einander zu tun haben, 
darstellt. 

Fi 400 «Den zweck holen». 

Im Verzeichnisse nur in a und dann in b am Schlüsse von 
cap. 25. Es ist die Strafe des Verlierenden in unserm «Messer- 
spickerles» oder einfach «Messeriis» genannten Spieleder Knaben. 
In einen kleinen Erdhaufen wird der Reihe nach auf ver- 
schiedene Arten das Messer geworfen. Es darf nicht umfallen, 
sonst kommt der nächste an die Reihe. Wer zuletzt nicht alle 
Hebungen gemacht hat, muß den «Zweck (Stift) holen», den 
der, der zuerst fertig war, in Gestalt eines Hölzchens in den 
Sandhaufen steckt. Der Verlierer muß diesen mit den Zähnen 
holen, wobei man ihm die Nase in den Sand stößt unter all- 
gemeinem Freudengeheul. Ein weiterer De weis, daß Fischart 
dieses Spiel gemeint hat und dafür, daß er es wohl kannte im 
cap. 9, p. 157 : 

«Weichs dannach schrecklich ist zu gedencken, wann die 
zullspilenden Buben, so sies spil verlieren, zur strafTden zweck 
mit den schönen zänen aus dem treck müssen auf Niderhtndisch 
trecken und schlecken.» 

Fi 423 «Zull wann ich's triff». 

Im Spielvetzeichnis ist dieser Ausdruck nur in a anzu- 
treffen, in den späteren Ausgaben verschwindet er von hier 
und taucht dann als Zusatz in b am Ende von cap. 25 auf. 

Den Sinn kann man wohl erraten, aber ein genaues Spiel 
anzugeben ist mir unmöglich, da der Ausdruck, so wie er 
lautet, in vielen Spielen gebraucht worden sein kann. Viel- 
leicht ist er identisch mit Fi 400. 



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- 125 — 



Fi 452 «Pfenning aus dem krais topfstechen oder nußwerfen» 

lieber « topfstechen » siehe ol)en Fi 421. «Xußwerfen» ist 
auch ein besonderes Spiel für sich. 

Das gleiche Spiel heißt an anderer Stelle Fi 487 «Nestel 
aus dem krais — klossteche n». (Ueber den letzteren 
Ausdruck siehe Fi 421.) Fi 452 und Fi 487 (siehe oben) sind 
nur in a im Verzeichnisse. In b linden wir Fi 604 «Nestel 
auß dem Kreiß» wieder. 

Das Spiel ist im Elsaß überall bekannt, gewöhnlich unter 
dem Namen «Pfennjeles». Man sucht von einer gewissen Ent- 
fernung aus ein Geldstück oder einen sonstigen Gegenstand in 
einen Kreis zu werfen, und umgekehrt gilt es den Pfennig aus 
dem Kreise hinauszuwerfen, indem man einen andern Pfennig 
oder eine «G'stunz» darauf «spickt». Dies nennen die Buben 
auch «Geldspickerles». 

Ob Fi 488 «Wie vil schiesest mir auff ein Nestel» damit 
in Verbindung gebracht werden kann, vermag ich nicht zu 
sagen. 

Fi 465 «PlÄculin machen» ' 

Fi 489 «Plöchlin stellen fallen». 

Ploch = kleines Holzstückchen. Das Spiel bestand wohl 
darin, kleine Holzklötzchen aufzustellen und mit einer Kugel 
oder sonstigem Spielzeug umzuwerfen. In der Schweiz heißt 
das Spiel «Stözlen, Stöckeln, Blättlen». (Hochholz, p. 42G, Nr. 44.) 
Eine besondere Art, aber gerade so gut das gleiche Spiel, ist 
Fi 614 «Pfenning vom blöchlein werffen». (Ende cap. 25, Zu- 
satz in b). Man legte ein Geldstück auf das Klötzchen und 
suchte es umzuwerfen. Der, dem dies gelungen war, wird wohl 
gewonnen haben. 

Fi 484 «Stecken Stöcken» 

ist das gleiche Spiel, das Fischart noch zweimal am Schluß von 
cap. 25 nennt 

Fi 616 «Den Stecken auß dem Leimen stechen» 

und 

Fi 620 «Stecken Steckens». 

Das Spiel ist sehr bekannt. Wir nannten es «Spickhewels». 
Kurze Stöcke trieben wir nacheinander in den weichen Boden. 
Jeder sucht (zwei bis «bei Knaben spielen zusammen) den Stock 
des andern umzuwerfen. Gelingt ihm dies, so darf er den 

1 Ch. Schmidt, Histor. Wörterb. der elsäss. Mundart. Straßburg 
1901. Ch. Schmidt, Wörterb. d. StraKb. Mundart. StralU>. IWHi. 



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— 126 — 

Stock des Gegners soweit wie möglich schleudern. Während 
der andere nun den Stock eiligst wieder holt, muß er seinen 
Stock dreimal in die Erde treiben, sonst wird sein Stock fort- 
geschleudert. In der Schweiz tragt es den Namen «Das Pflöckli- 
spiel und Hecken». (Kochholz, p. 451.) Doch ist Fischarts 
«Kloßstechen» nicht auf dieses Spiel bezüglich, wie Rochholz 
behauptet. 

Fi 485 «Nestel vom Messer blasen». 

Es ist mir nicht gelungen von «Nestel» eine andere Be- 
deutung als Schnur, Riemen zu entdecken, weshalb mir auch 
das Fischartische Spiel zu definieren unmöglich ist. 

Fi 486 « Nüsse nspiekeu». 

ist das bekannte Spiel mit Nüssen. Die Knaben bilden 
Häufchen von (gewöhnlich vier) Nüssen. Wer eines umwirft, 
gewinnt es.' Es wird auch so gespielt, daß man (wie bei einem 
unserer «Gstunzen»-Spiele) auf den Boden ein Quadrat oder 
einen Kreis zeichnet, in den man eine gewisse Anzahl Nüsse 
legt. Aus einer bestimmten Entfernung wird danach geworfen. 

Fischart nennt dieses Spiel am Schlüsse von cap. 25 (Zu- 
satz in b) Fi 615 «Nuß aus dem Ring dopfifweHTen». 2 «DopfF- 
werffen» ist wieder loszulösen, denn es bezeichnet das obige 
Spiel Fi 421 und hat mit «Nussenspicken» nichts zu tun. Diese 
falschen Kontraktionen scheinen wohl mehr auf einen schlechten 
Druck zurückzuführen zu sein als auf die Willkür Fischarts. 

Doch ist es immerhin sonderbar, daß Alsleben in seiner 
kritischen Ausgabe nicht imstande war, die Spielausdrücke zu 
trennen. 

Fi 536 «Den Katzenstrigel». 

Es ist das gleiche Spiel, das Rochholz, p. 455, als «Katzen- 
striegel» beschreibt: «Zwei lassen sich auf Knie und Hand 
nieder, strecken die Köpfe zusammen und schlingen sich beide 
ein geschlossenes Seil um den Hals. Nun zieht jeder rückwärts, 
um den andern vom Platze zu bringen.» Ich weiß nicht, ob 
das Spiel bei uns noch üblich ist. Jedenfalls ist die Erscheinung, 
daß der Ausdruck sich unverändert bis heute konserviert hat, 
sehr interessant. Fischarts Spielverzeichnis enthält auch neben 
diesen Spielen, die wir im letzfen Teile kennen gelernt haben, 
einige auf Kunstfertigkeiten bezügliche Ausdrücke. 

> Siehe auch Martin-Lienhart, E. W. I, 309 «Hüflis». E. W. I, 
308 «Bockhüfel». 

* Auf p. 420 begeht Rochholz den gleichen Fehler, wenn er 
zitiert «Nuß auß dem Ringdopff werffen». In dieser Form hat der 
Ausdruck gar keinen Sinn. 



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127 



d) Kindliche Kunstfertigkeiten. 

Irgend eine Beinverrenkung, vielleicht mit einem Sprung 
verbunden, stellt 

Fi 73 «Vber eck ins bein» 

dar. 

Fi 93 c Nadel on fadem in Hoff tragen >, 

Ein heliebtes Spiel, sich eine Nadel durch die Haut zu 
stechen und sie so ohne Faden zu tragen. 

Fi 133 «Der geschrenckten Schenckel». 

Mit Vorliebe trieben wir ein solches Spiel, indem wir irgend 
jemanden aufforderten, seine Beine um einen Pfahl zu schlingen 
und sich niederzusetzen. Für den Betreffenden war es unmög- 
lich, wieder allein aufzustehen. 

Fi 373 «Den Kessel anf dem Leilach rucken >. 

Die Bedeutung geht aus dem Wortlaute hervor. 
Etwas schwieliger ist 

Fi 403 «Auff dem Gesäß mit gebunden Händen nnd fassen 
thurnieren, das recht obr inn die lincke Hand, und den arm 

dardurch geschleifft». 

Es ist nicht ganz klar, welche Uebung damit Fischart wohl 
gemeint hat. 

Fi 419 «Auff teil er n mit h&nden gahn». 

Aehnlich dem Kunststück «auf dem Kopf stehn», «de Hoch- 
stand mache». Die Bedeutung ist klar. 

Fi 449 «Durch den Sträl Schalmeien». 

Ein beliebtes Spiel unserer Knaben. Die Kinder blasen 
durch die Zinken eines Kammes, wodurch Töne entstehen. Das 
Gleiche erzeugen sie auch oft durch Blasen auf die Kante eines 
Blattes Papier oder eines Heftes. 

Fi 518 «Faden umb die händ in vil gestalt winden». 

Das Spiel wird hauptsächlich von den Mädchen geübt, die 
sich darin gefallen, in allen möglichen Arten den Faden urn 
ihre Hände zu wickeln. «Abhewerles» ist jedem Mädchen, auch 
oft den Knaben, bekannt. Siehe dessen Abbildung bei De Cock 
en Teirlinck III, 209. 



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- 128 



e) S p 1 e 1 a r t i g e V e r g n ü g u n g e n der Kinde r. 

Wenn im Frühjahr der Satt in die Weiden steigt, dann 
ziehen unsere Buben an schulfreien Tagen hinaus in den Wald, 
schneiden Stöcke ab und machen sich einen Bogen davon, mit 
dem sie Pfeile aus « Licht reerle» (Schilfrohr), deren Spitze mit 
Wagenschmiere beschwert oder mit einem Käppchen aus Hol- 
lunderrohr versehen wird, hoch in die Lüfte schnellen. «Wide- 
pfifle» und « Holderbichse» werden hergestellt, mit denen man 
wieder triumphierend heimwärts pilgert. Diese Vergnügen, die 
sich unsere Buben nicht nehmen lassen, ebensowenig wie das 
mit halsbrecherischen Klettereien verbundene «Vögelausheben», 
auch «Neschtersüeche» oder «Neschterüshewe» 1 genannt, sind 
so alt als der Wald, die Vögel es sind und so alt als es junge 
Menschen gab, Kinder, die in freiem fröhlichen Uebermute sich 
im Walde herumtrieben. Fischart hat diese Vergnügen und 
nicht anderes mit seinen Ausdrücken gemeint. 

Fi 394 «Rindenpfeifiin, Weidenbüglin» 2 und Fi 395 «Vögelauß- 

nemmen». 

Alle, die diese Jugendfreuden und Jugendstreiche mitge- 
trieben, fühlen bis in ihr Alter die Wohltat dieser freien, sich 
selbst genügenden Freude. Mit welcher Vorsicht wurde vor- 
gegangen, wenn es hieß, «jetz welle m'r Fresch fange». Eine 
Angel (ein Stecken mit einer Schnur, daran wir ein rotes Läpp- 
chen banden) war das Werkzeug, mit welchem wir die Frösche, 
denen wir auflauerten, . . . nicht fingen, denn sie waren nicht 
so dumm, wie wir meinten, sich daran festzubeißen. 0 glück- 
liche Einfalt ! Hatten wir aber welche, so wurden sie in feier- 
licher Beratung zum Tode verurteilt und mittels eines «alten 
k'nippen» von ihrem Sumpfleben zum Tode befördert, «ab- 
gebeizt» und gebraten, d. h. ihre Schenkel. Fischart hat das 
Vergnügen auch gekannt. Beweis sein Ausdruck : Fi 410 
«F ro sc Ii fa n gen». 

Im Winter tummeln sich die Kinder, wie im Sommer im 
warmen Sonnenschein, im wilden Schneegestöber, fahren im 
Schlitten eine Erhöhung hinauf und sausen mit fliegenden 
Haaren, glühenden Wangen und leuchtenden Augen in toller 



1 Arnold, Pfingstmontag III, 1. 

2 Ich habe mich schon an manchen frühern Stellen nicht mit 
der Behandlung der Fischartischen Spiele durch Rochholz einver- 
standen erklären können. So auch nicht mit seiner Behauptung auf 
p. 392. wo er Fi 3i>4 mit dem Plumpsack-Spiel «Der Lunzi chunt» 
identifizieren will. 



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— 129 — 

Fahrt den Hang hinunter, jauchzen und schreien je mehr, je 
schneller es geht in den weichen Schneehaufen hinein. 

Fi 141 «Auff den Berg faren». 

Oder «E Rutsch wurd angetriwe» auf dem festgetretenen 
Schnee oder dem zugefrorenen Teich. Die wichtigsten Ausdrücke 
für das Gleiten auf dem Eise sind : «Schliffe, schlimmem, ritsche 
oder rutsche». 

In der ersten Ausgabe allein steht im Verzeichnis Fi 49Ö 
«Schleiften». Am Ende des cap. 25 finden wir alle drei heute 
noch bekannten Namen : Fi 606 «Schleiften». Fi 607 «schleimen». 
Fi 608 «Rüschen» (erst in der dritten Ausgabe c; im Ver- 
zeichnis Fi 576). 

Alle diese eben besprochenen Spiele sind der eigentliche 
Kern des Fischartischen bunten Verzeichnisses von Ausdrücken ; 
denn sie bezeichnen die wirklichen Kinderspiele, die fast alle 
heute noch bekannt sind, sich also jahrhundertelang erhalten 
haben. Wir können die Beobachtung machen, daß dies gerade 
die einfachsten, kunstlosesten Vergnügungen sind. 

Neun, nicht im Spielverzeichnis genannte Spiele, nennt Fi- 
schart im Schluß von cap. 25. Diese sind 

Fi 612 «Rotten räumen». 

Fi 613 «Vmbspännlin». 

Fi 623 «Zum ziel schocken». 

Fi 625 «Der breiten und halben Kugel». (Siehe 
Fi 220.) 

Nur in a im Verzeichnis und dann wieder cap. 25, Ende. 
Der Ausdruck stammt aus Rabelais. Deshalb scheint es mir 
fraglich, ob Rochholz das Recht hat, p. 459 diesen Ausdruck 
als «bestimmte Wurfarten» anzusehen, die Fischart damit ge- 
meint hat, denn die Herkunft des Ausdruckes ist zu klar. 

Fi 627 «Zehen paß fünflf Sprung auff eim Fuß». 

Zu Fi 623 kann ich nur bemerken, daß es ein Spiel be- 
deuten kann, bei dem die Kinder nach einem bestimmten Ziele 
zu werfen suchen. Solcher Spiele gibt es zahlreiche. 

Zu Fi 627: Nur in der ersten Ausgabe (a) finden wir als 
Nr. 37 «Zehen paß», das Ra 11 «a passe dix» entspricht und 
ein Würfelspiel bedeutet. Es ist nun nicht möglich, daß dieser 
Ausdruck mit dem Zusatz in b (Ende cap. 25) in Zusammenhang 
steht, daß Fischart willkürlich oder auch weil er «zehen paß», 
d. h. «a passe dix» falsch gedeutet hat, den Zusatz «fünflf SprAng 
auff eim Fuß» gemacht habe, das als ein besonderes Spring- 
spiel der Knaben gelten kann, wie Fischart deren eine Reihe 
cap. 26, p. 281 erwähnt, unter andern «mit drei Passen ein 



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- 130 - 

sprung, auiT eim Fuß schupften» und auch cap. 26, p. 274: 
«Rucksprung, des Heuschreckensprungs, der funflf SprAng der 
weitest». 

Die Gesamtzahl dieser Jugendspiele umfaßt die Zahl 311 , 
sehen wir von den Zusätzen am Ende von cap. 25 ab, so er- 
gibt sich für uns nach unserer Tabelle eine Zahl von 287 Jugend- 
spielen, von denen 120 aus Rabelais und 48 aus Junius ent- 
lehnt sind. 

Fischart ist immerhin die stattliche Zahl von 167 Jugend- 
spielen zuzuschreiben, solange es nicht gelingt, eine andere 
Quelle als seine persönliche Erfahrung zu entdecken. 

Wir kommen nun zu der Besprechung derjenigen Aus- 
drücke im Fischartischen Spielverzeichnisse, die wohl als Lieder 
anzusehen sind, wenigstens als Teile oder Anlange von Liedern. 
Tragen darunter auch eine Reihe den Charakter von zotigen 
Wii tshausliedern im Stile der «Trunckenen Litanei» des achteo 
Kapitels, so werden wir auch manchen Ausdrücken begeg- 
nen, die ganz gut Anfänge oder Teile aus Reigenliedern oder 
selbständigen Kinderliedern sein können. Die erstere Art 
wäre dann zu den zum Teil derben Volksliedern zu rechnen. 
Die Schwierigkeit der Feststellung mag eine mehr oder weniger 
gewagte Behauptung entschuldigen, der eine mag diese An- 
sicht haben, der andere jene. Jedem es recht zu machen 
ist bei einer Arbeit, wie sie der folgende Teil darstellt, unge- 
mein schwer, denn wo wir keine absolut sichern und unum- 
stößlichen Beweismittel haben, müssen wir ein rein individuelles 
Urleil fällen auf Grund eines gewissen Gefühles, das uns auch 
irreleiten kann. Individuelle Urteile sind veränderlich, und es 
gibt deren so viele als es Denkungsarten gibt. Was mich be- 
trifft, so werde ich an den geeigneten Stellen versuchen, meine 
Ansicht zu begründen, ohne sie als authentische Norm auf- 
stellen zu wollen, als besäßen meine Auslegungen unbedingte 
absolute Priorität. Der Umstand, daß eben manchmal nur in- 
dividuelle Urleile vorliegen, mag die Freiheit des «Ich- Stiles» 
entschuldigen. 

4. Abschnitt. 
Die Lieder. 

Als Kinder- oder Volkslieder sind folgende Ausdrücke zu 
betrachten : 

Fi 76 «Tochter laß die Rosen ligen>. 
Fi 77 «Schwartzer Dorn ist worden weiß». 
Fi 128 «Wunu ich mein H6rnlein plus». 



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Fi 134 c Womit dienstu deim bulen?». 

(Kann aber auch eine Spielfrage aus irgend einem Kunkel- 
stubenspiel sein. «Bulen» deutet darauf hin, daß es eher ein 
Spiel erwachsener Burschen und Mädchen ist, also ein Kunkel- 
stubenspiel.) 

Fi 139 «O mein hertz verschwind». 

Fi 175 «Wo schlafft des Wirts TÖchterlein>. 

Fi 177 «Meidlin thn den Laden zu, laß den Ladennagel 

hangen». 

(Um dem liehenden Burschen das Einsteigen des Nachts 
zu erleichtern.) 

Fi 206 «Disen angel mein Frau». 

Angel=Dorn, Stachel. 1 Es ist nicht unmöglich, daß dieser 
Ausdruck auf ein zotiges Schlernmerlied hinweist, in dem «angel» 
den Sinn von penis haben mag. 

Fi 246 «Meidlin sind dir die Schnh recht». 

Sicher ist der Ausdruck der Teil eines Volksliedes, viel- 
leicht gar der Anfang. Er ist genannt im 8. Kapitel «Von der 
Trunckenen Litanei». Auf Seite 130 finden wir eine Reihe 
Lieder, unter andern : 

«Mevdlin sind dir die Schuh recht, 

bei nachte, bei nachte, halt dich Annele feste». 

Ob das Vorhergehende und Folgende wieder neue Lieder 
sind oder ob sie Anfang und Fortsetzung unseres Liedes sind, 
ist schwer zu entscheiden, da Fischart die Liedtexte in Prosa- 
form gesetzt hat. 

Fi 277 «Der Haber im Sack». 

Ueher den Sinn dieses letzteren Ausdruckes finden wir 
wieder Autklärung im Gargant ua und zwar im cap. 1, p. 34. 
In einem «säubern» Liede heißt es : 

«Es wohnt ein Müller vor jenem Holtz, 

hat ein Töchterlin das war stoltz, 

zu der ließ sich ein Keiler strack, 

tragen inn eim Mullersack, 

zu Nacht rührt sich der Haber im Sack». 



i Fischart: Flöhhaz: Weiberveraiitwortung : V. 266<J : «Was 
thfit die hurnaus mit dem angel». 



— 132 — 



Das Lied ist so leichtsinnig wie das folgende an gleicher 
Stelle zu findende: 

«Brauns Mägdelin zih dein Hemhdlin ab, vnnd leg dich 
her zu mir». 

Diese «Geuchlieder», wie sie Fischarl selbst nennt, zeigen 
uns, was Fischart mit «Haber im Sack» meint, der «Haber» 
ist im obigen Lied nicht nur der Ritter. 

Fi 337 «Gott groß ench schöne». 
Fi 369 «Mein Tochter ist heurahts zeit». 

Auch wieder im 8. Kapitel, p. 128: «Mein Tochter ist 
Heuratszeit, ich gib jr einen Mann». 

Das Folgende (im 8. Kapitel) gehört nicht zu diesem Liede. 

Fi 387 «Meidlin laß dir's wohl thun». 

Derbes Volkslied. Den Sinn wird man wohl erraten, wenn 
man an ein anderes im 8. Kapitel zu findendes Lied denkt : 
(pag. 130) 

«Hopfaho, sind die vnfläter do, 

Er führet sie hinder Rauten, 

er wolt sie gern . . . proho . . . 

braune Kleyder trägt sie gern . . . Müho . . . 

Mönchen ist eine schone Statt, 

dummel dich gut Pärchen, (Pirchen, ab) 

Eschenfarb vnd blaw, 

Eschenfarb und Leberfarb, 

Von der Nipp von der Xippedei». 

Vielleicht bedeuten die vier ersten Zeilen ein Lied für sich. 
Im letzten Teile begegnen wir einem Ausdrucke, der auch im 
Verzeichnisse zu finden ist als : 

Fi 19 «Dummel dich gut Birche». 

Dieses ist 3lso auch als Teil eines Volksliedes anzuerkennen. 

Auf ein derberes Volkslied mit satirischer Tendenz betref- 
fend einen unwürdigen Zustand des Ehegalten, die Hahnrei- 
schaft, weist folgender Anfang eines Liedes hin : 

Fi 420 «Mein Man ist ein Gauch, mein Gauch ein Man». 

Auch ü!>er den Charakter und die Bedeutung von 

Fi 432 «Pumpimperlein pump» 

gibt uns das 8. Kapitel des Gargantua Aufschluß. Es bildet den 
Refrain eines Liedes der Trinker, das aut p. 124 zu finden ist : 



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«Ks geht gen diesem Summer, 

Oho laß einher gahn, 

Die Ochssentreiber kommen, do do, 

Oho laß einher gahn, 

Diri diri dein, laß einher gahn, 

Pum Pim perlin Pump». 

Den Charakter eines Liedes trafen auch die Ausdrücke: 

Fi 499 «Da sitz ich fein, da ward ich dein» 

und 

Fi 500 «Ich gang, ich komm, ich komm, ich gang>. 

Fi 507 «Ich gieng durch ein enges Gäßlein, begegnet 
mir ein seh wart z Pfftflin» etc. 

Ein sehr derbes Lied, ein zotiges Wirtshauslied, dessen 
Sinn noch der Ausdruck cap. 8, p. 125 «Es hat .mir ja nie 
keine hinein gewisen» erläutert, ist 

Fi 508 «Es wolt ein Jnngfraw zfichtig sein, nam jhn 
inn die band nnd wiß jhn drein» etc. 

Einen ähnlichen obseönen Sinn enthält 

Fi 509 «Ich legt mein Bauch auf sein Bauch». 

Mit diesen 21 Ausdrücken geben wir die Lieder, die ohne 
Zweifel als solche anzuerkennen sind. Zu diesen derben Liedern 
ist wohl auch 

Fi 118 «Znck nit mein lieb, ist ein billich sach» 

zu zählen. 

Was der Ausdruck «billich sach» besagt kann man denken, 
doch nicht aussprechen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß 
der Ausdruck auch eine zotige Redensart darstellt. 

5. Abschnitt. 

Die Sprichwörter und sprichwörtlichen 
Redensarten. Die Wortspiele. 

Bei dem engen Zusammenhang dieser drei Kategorien wird 
meine zusammenfassende Betrachtung zu entschuldigen sein. 
Ebenso kann ich eine scharfe Trennung der Wortspiele Er- 
wachsener und der Kinder mit gutem Gewissen nicht vorneh- 
men, wenn das bei dem Durcheinander Fischarlischer Phrasen 
überhaupt möglich ist. Folgen wir einer weniger detaillierten 



- 134 - 



Betrachtungsweise, so ist die Möglichkeit des irrtümlichen Ur- 
teils reduziert. Diese Erwähnung, die als eine Art Entschuldi- 
gung gelten mag, wird demjenigen nicht Zeichen einer ohn- 
mächtigen Schwäche sein, der die ungeheure Schwierigkeit der 
Aufklärung dieses Phrasen wüstes Fischarts zu werten und zu 
erkennen vermag. Wo es mir möglich ist, werde ich den Be- 
weis, daß wir es mit einem Sprichwort zu tun haben, erbringen. 

Fi 30 «Vier Wachtel im Sack». 1 

«In einem Lügenmärchen aus dem 14. Jahrhundert (Wacker- 
nagel : Altdeutsches Lesebuch 5. 1149 fl.) schließt jede Strophe 
mit den Worten ein, zwö usw. walltet in den sac ! Die W T achtel 
galt wohl als verlogen.» 

Hierauf bezieht sich eine andere Stelle im Gargantua, cap. 
15, p. 206: «jetz haben wr den Mönch im Sack, ja trei Wach- 
teln im löcherigen Sack». Der Sinn ist wohl : «jetzt sind wir 
betrogen worden». (Das gesperrt Gedruckte ist Zusatz in b, so 
daß ursprünglich dei Ausdruck dem im Verzeichnisse genannten 
in der Form nahe kommt.) 

Fi 51 «Burckhart mit der Nasen, komm helff mir grasen». 

Vielleicht eine spöttische Redensart der Kinder über die 
langen Nasen. 

Fi 52 «Wolauff des walts Gott nider» 2 

«Das walte Gott» ist eine übliche Redensart am Ende eines 
Wunsches. 

Fi 54 «Mit wem hat man gekallt». 
Fi 55 «Wir geben und nemmen einander». 
Fi 79 «Zipffelzehezapffen>. 

Wahrscheinlich ein alliterierendes Wortspiel der Kinder wie 

Fi 103 «Meiner Mater Magd macht mir mein Maß, mit 

meiner Mater M51». 

Dieses Wortspiel existiert heute noch allerorts. 
Zu diesen Wortspielen gehört auch das Zitat Rochholzens 
aus Fischart (p. 33) «Wisch wasch» usw. 

Fi 91 «Wa geht der Dantz hin Eselmut?» = 

«Wohin des Wegs?» Vergleiche unser: «Jetzt geht der 
Tanz los». 

» Grimm: Deutsches Wörterbuch XIII, sp. 17. r >. Bedeutg. 2. 
* Johann Ag-ricola .">%: Siebenhundert vnd funfftzig Deutscher 
Sprichwörter. Wittenberg 1">92. 



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— 135 — 

Fi 98 «Den verkauften gabelochsseu mit Wasser zahln». 

Ein Sprichwort. 

Fi 59 «Jeder bab de« Manls acht». 

Wander, III, 507 rto: «Nimm das Maul in Acht, daß es 
keinen Schaden macht». 

Fi 103 ist auch hei uns üblich in der Form, in der es 
Rochholz, p. 29 erwähnt, wenn auch etwas variiert. 

Ein bei uns allgemein bekanntes dialektisches Lautspiel ist : 

«Hinter's Hanse Hasehüß 
Henke hundert Hase büß 
Hundert Hase henke hüß, 
Hinter's Hanse Hasehüß». 

Zu den alliterierenden Redensarten sind auch zu rechnen 

Fi 446 «Hanß hau dich nicht». 

(Eine Ermahnung zur Aufmerksamkeit) ; und 

Fi 447 «Liendel laß dir die Joppen blacken». 

(Ein spöttischer Hinweis auf den zerrissenen Rock.) 

Ebensolche Reimspielereien sind die folgenden Ausdrücke, 
die auch von Erwachsenen gebraucht worden sein mögen. 

Fi 112 «Das Alefrentzlin greiff ans schwentzlin». 

(Alefrentz = Alefanz, abenteuerliche Gestalt?) (Ueber das 
Vorkommen des Ausdrucks im Sprichwort : Wander : Sprich- 
wörter Lexikon 1, 43. «Alefanz mach die Schuhe ganz».) 

Fi 113 «Das zftnglinspitzlin, fritzenschmitzlin». 
Fi 114 «Das Zeißlin, M&ußlin». 
Fi 115 «Klänßlin, kom inns häußlin, wftrff ein däußlin». 

Diese reimspielerische Aufforderung zum Würfelspiele legt 
Rochholz 447 falsch aus, wenn er meint, der Ausdruck bezöge 
sich auf das «Knöchel »-Spiel der Kinder. Ebenso falsch ist es, 
wenn er die spieltechnischen Ausdrücke (die einen besonderen 
Wurf im Würfelspiel bedeuten) «All zinck, Seß-eß» damit gleich- 
stellt an dieser Stelle. 

Fi 116 «Trotzentratzlin, wie ein Lätzlin». 
Fi 117 «Susa seußlin, flusa fleußlin». 
Fi 119 «Matz werffs der Metzen za». 



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— 136 - 



Hierher gehört auch : 

Fi 213 «Das bottensäcklin, schlotterpäcklin» 

und 

Fi 314 «Hämmerlin, hinimerlin», 
das auch zu • 

Fi 208 «Meister hemmerleins nachfahr» 

in Beziehung stehen und einen Spruch darstellen kann, der 
bei diesem Nachahmespiel der Kinder leicht in Anwendung 
kommen konnte. 

Auch als Sprichwörter oder sprichwörtliche Redensarten 
sind zu betrachten: 

Fi 129 «Loch zu Loch». 
Fi 130 «Es miet mich*. 
Fi 135 «Inn die Wiirst faren». 
Fi 143 «Der untren under dem Mäntlin spilen>. 

Ein bekanntes Sprichwort. Siehe Wander III, 455 s : «Unter 
dem Mäntelein spielen». cUnter dem hütlin 
spilen» bei Agricola und Murner (Wander II, 952, 953). 

Fi 157 «Faul fandet >, 
Fi 158 «Laußknickel» 

sind sprichwörtliche Redensarten. Der letztere Ausdruck be- 
deutet «schlechter» oder «frecher» Kerl. Elsassisch «Lüsknickel», 
«Lüsangeb. 

Fi 163 «Vmb den Gänstreck füren». 

Heute noch im Elsaß bekanntes Sprichwort für einen be- 
trügen, einen anführen. (Martin-Lienhart, Eis. Wörterbuch. 
Charles Schmidt, Straßb. Wörtern. 38: «Einen iwwer de 
gän sd r ec k fi ere».) 

Fi 167 «Gickel hin, waranff gi ekelst». 

Sprichwörtliche Redensart auf einen, der nach allem gafft? 

Fi 172 «Geb Arß, Nenini Arß». 

Ein Sprichwort, das bei Agricola zu finden ist, aber nicht 
mehr bekannt zu sein scheint, denn Wander erwähnt es in dem 
großen Sprich wörterlexikon nicht. Agricola, p. 67, Nr. 153 : 

«Dis wort ist breuchlich vnter den Kindern welche aus 
vnbestendigkeit vnd wanckelmut einander etwas geben / vnd 
bald wider nemen darumb wie ein kind des andern spottet / 
solchs wanckelmuts halben / so sagt es / Geb arß / nem aiß.> 



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- 137 — 



Fi 178 «Die Floh laufft im hemd>. 

Spöttische Redensart, wie es ja deren über diesen Gegen- 
stand viele gibt. (Wander, Sprichwörterlexikon.) 

Fi 203 «Von Wollen auf die Wellen». 

Ein Sprichwort. 

Fi 222 «Es laufft ein weise mauß die maur auff». 

Erstens zitiert Rochholz diesen Ausdruck falsch, p. 432, in- 
dem er «weise» wegläßt, das in den drei ersten Ausgaben steht 
(nach Aisleben), zweitens irrt er sich, wenn er ihn identifiziert mit 
seinem Spiel «Feislermüslen», (Siehe oben unter «Fangspiele».) 

Der Ausdruck scheint mir ein Sprichwort zu sein. (Vergl. 
Wander III, 537, 106, 107.) 

Fi 223 «Die Gans gabt anf den Predigstul». 

Vielleicht bedeutet dieser Ausdruck noch das alte Kunkel- 
stubenspiel, auf welches Fischart, p. 16, hinweist : «Kun c k e I- 
stubische Gdnsp red iger». Jedenfalls hat der Aus- 
druck dann auch sprichwörtliche Bedeutung gefunden, wie uns 
zahlreiche Sprichwörter beweisen, z. ß. «Den Gänsen 
predigen». (Siehe Wander, Sprichwörterlexikon.) 

Fi 227 «Alstreiffen». 

Nach einer anderen Stelle im Gargantua, cap. 24, p. 255 : 
«Das ist, Wurst stellet den Meidlin den Durst und greiften all, 
gern nach dem AI, und streichen kein Sand doch in die hand» 
ist es leicht zu erraten, was dieser Ausdruck zu bedeuten hat. 

Sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter sind auch 
die Phrasen : 

Fi 275 «Was gibt ein groß Maul guts?» 
Fi 336 «Jeder trott nnd tritt>. 

Die Bedeutung einer sprichwörtlichen Redensart geht aus 
cap. 16, p. 212, hervor : «Zujedem ock und tritt und 
trott ein Fürtzlein, horcha». 

Darauf folgt eine Reihe von abenteuerlichen Wortspielen. 

Fi 342 «Deß bösen, das es gut werd». 
Fi 868 «Die finger krachen, die Männer wachen». 

Ein Spruch mit abergläubischem Hintergrund. Heute noch 
treiben die Mädchen dieses Spiel, indem sie an den Fingern 
ziehen. So vielmal sie krachen, so viele Jahre muß man noch 
bis zum Heiraten warten. 



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— 138 — 
Fi 442 «Desperat». 

Wie Fi 519 heute noch übliche Redensart für «außer sich 
sein». «Er isch dischberat.» 

Fi 450 «Den Sehnen außtretten». 

Eine Redensart. 

Fi 517 «Keller und Koch, bloß ins Ioch>. 

Sprichwörtliche Redensart, gereimt und alliterierend mit 
spöttischem Sinn. 

Fi 519 «Grandmercy». 

Eine heute noch im Elsaß übliche Redensart für «ich danke 
schön».» 

Fi 527 «Harnisch fegen». 

Ein bekanntes Sprichwort. (Ch. Schmidt, Etymologisches 
Wörterb. Murner, Narrenbeschwörung, 94; Wander II.) 

Fi 528 «Fasten auf der Karten». 

Redensart aus dem Kartenspiel entstanden mit satirischem 
Beigeschmack. 

Fi 529 «Teterint tractro, stampf ins Stro». 
Fi 534 «Spitz das »Iündliu». 

Ein derbes Sprichwort, dessen Sinn klar ist, haben wir in 

Fi 685 «Wer kans wissen, wievil die Magd hat geschissen». 

Fi 551 «Leuß oder Niß». 

Beide Ausdrücke synonym. Redensart. 

Für sprichwörtliche Rätselfragen halte ich die Ausdrücke : 

Fi 552 «Wie rentst die Sau, daß sie nicht haw». 
Fi 553 «Im Winter auß, im Sommer an». 
Fi 561 «Trey wonach auff eim stiel». 

Eine Redensart bezüglich auf einen, der zuviel auf einmal 

will. 

Fi 566 «Ists Esel oder Edel?» 



1 Nochmals cap. 12, p. 188. wo Fischart «Grandmercy» wort- 
spielerisch entstellt zu «ein langer Kramer», ähnlich einer Reihe von 
unsinnigen Wortverdrehungen, welche die «Genicrckreime» des 
Gurgelgrossa bildeten. 



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Eine Redensart erblicke ich in 

Fi 560 «Wfinsch das beyden nutzt > 

(In a: «Ich wünsch das uns beyden nutz ist»). Das gleiche 
Sprichwort nennt Fischart nochmals in anderer Form: 

Fi 599 «Was ich wfinsch sey dein halb». 

(Ueber «Wünschen» zahlreiche Sprichwörter bei Wander V, 454.) 

Fi 567 «Inn was gestalt dir die Wandlung gefallt». 

Vielleicht deutet dieser Ausdruck auf ein Verkleidespiel. 

Fi 569 «Ich und mein Knecht tragen ein Harnisch feyl». 
Fi 570 «Fnrtz im Bad, oben anß, nirgend an». 

Agricola* kennt das Sprichwort «Oben auß vnd nirgend 

an.» 

«Dis belanget die eigensinnige köpfte die jnen weder 
singen noch sagen lassen / denn desselben spottet man / das 
sie sich das vnterstehn / das jhnen schedlich ist / Hui oben 
aus / vnd nirgend an,» 

«Oben auß, nirgend an», aus einem Hexenspruch. Einem 
freundlichen Hinweis von Professor Ernst Martin verdanke ich 
die Bemerkung, daß Goethe das Bild vom «Furlz im Bad» auch 
kannte. Seuffert^ Literar. Denkmäler, Nr. 14. Goethe, Ephe- 
merides : «Altum petit ut crepitus in balneo redditus». 

Fi 583 «Es beißt baß». 
Fi 584 «Der kleiner ziehet den grossen». 

lieber das Verhältnis von «Klein» und «Groß» gibt er zahl- 
lose Sprichwörter (siehe W 7 ander). 

Unserm Sprichwort kommt Nr. 10 bei Wander am näch- 
sten (Wander II, 1387 (T.) : «Die Kleinen jagen die Großen», 
«eine Redensart beim Kartenspiel, in Bezug auf die kleinen 
Trümpfe». Bei Fischart hat der Ausdruck schon allgemeinere 
Bedeutung. 

Fi 585 «Tantz oder pfeiff». 

Die sprichwörtliche Redensart, «nach der Pfeife tanzen», 
mit der dieser Ausdruck zusammenhängen mag, ist bekannt.« 



1 Agricola, p. 98 b. Nr. 217. 
« Siehe Wauder III, 1258 3t . 



— 140 — 

Sprichwörter sind ferner: 

Fi 586 «Wa klebt der SenAV 
Fi 587 «Iß Heues vil, so iß des meher». 
Fi 588 «Den grindigen Gauch berüpffen». 1 
Fi 589 «Kätzlin mach ein hasentäplin». 
Fi 591 «Der schmach und raach». 

Wander fuhrt ein Sprichwort an : «Schmach sucht räch», 
mit dem Fi 591 wohl identisch ist. Lateinisch heißt das Sprich- 
wort : «Contumelia quacvis aculeum habet».* 

Fi 593 «Des Promooirens inn der Lehr der Lieb» 

bedeutet soviel als die höhere Liebeskunst erlernen, die Hoch- 
schule der Liebe absolvieren, in der «ars amandi» zu promo- 
vieren. 

Fi 595 «Was krnselt sich, was mauset sich». 
Fi 596 «Ist nahe dar bei, baß auff den Esel». 

Vielleicht von der Art wie das bei Wander II, 866: «Nahe- 
dabey ist nicht getroffen». 

Fi 597 «Soll ich, bin ich». 

«Soll's Sein, so schickt's sich» ist ein Sprichwort bei Wander 
IV, 604 8 . 

Fi 598 «Dem Blinden opfferen». 
Fi 600 «Immen wigen». 

Es ist bemerkenswert, daß Fischart diese Wortspiele, Sprich- 
wörter und sprichwörtlichen Redensarten, deren Zahl sich auf 
72 belauft, gegen Schluß des Verzeichnisses häufte. Der Sinn 
der nicht mit Erklärungen versehenen Ausdrücke geht aus dem 
Wortlaute hervor. In Ermangelung eines bessern Beweises 
müssen wir uns damit begnügen. Es ist ungemein schwer, 
Spielphrasen und sprichwörtliche Redensarten zu trennen, da 
häufig Redensarten, die dem Spiele sonst noch angehören, schon 
zu sprichwörtlicher Bedeutung fortgeschritten sind. 



1 Marner: Geuchmatt. 
« Wander IV, 



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- 141 - 



6. Abschnitt. 

Rätsel, Scherz- und Spielfragen. 

Es mag nicht Verwunderung erregen, daß in diesem Ab- 
schnitte nochmals die Rede sein soll von Spielfragen, die eigent- 
lich in dem Kapitel von den Jugendspielen ihre Berücksichti- 
gung hätten finden sollen. Ich glaube mich mit dem Hin- 
weise entschuldigen zu können und zu dürfen, daß es ihrer so 
wenige sind, daß die früher behandelten Ausdrücke zugleich 
auch den Namen oder den Verlauf des Spieles angaben, daß 
diese hier anzugebenden Fragen als einzelne Fragen, 
zum Teil scherzhafter und rätselartiger Natur, zu erkennen 
sind. 

Zunächst einige allgemeine Hinweise auf das Vergnügen 
der Kinder und Erwachsenen, sich Rätsel aufzugeben. Solche 
Phrasen, die auf kein bestimmtes Rätsel hinweisen, sind : 

Fi 211 «Löß mir ein frag, die ich dir sag etc>. 
Fi 354 «Habt was ist das?» 
Fi 379 «Ich raht». 
Fi 459 «Raters». 

Die eigentlichen Rätsel und Scherzfragen sehen wir in den 
folgenden Ausdrücken : 

Fi 104 «VVarzu sind lang Nasen gut?» 

Fi 144 «Was ist diß, fornen wie ein gabel, in der mitten wie 
ein Faß, das hinderst wie eim besen?» 

Die Antwort gibt Fischart selber: «Ku». Rochholz, p.l99ff., 
bespricht und nennt eine Menge derartiger Rätsel. In etwas 
variierter Form kommt dieses Rätsel auch in der Schweiz vor. 

.Fi 145 «Was geht au ff dem kopff in bach?> 

(Antwort : Das Spiegelbild eines jeden Wesens.) 

Fi 237 «Ein Ey, zwey halb, unnd ein halb Ey, wie viel seinds?» 

Dieses Rätsel habe ich vor Zeiten in anderer Form einen 
Straßenkehrer einem andern stellen hören : «Ein Ei und noch 
ein Ei, wievil sin dis?» Ich glaube, daß hierbei die Silbe «ei* 
gezählt wird. Im ersten Rätsel wären es dann fünf, im zweiten 
Fall vier «ei». 

Fi 454 «Wa zu ist stro gut?» 




— 142 — 



Scherz- und Spiel fragen sind : . 
Fi 467 «Weichs sind der Baier groste thorheiten ?» 
Fi 468 «Wie heissen des Wirts Kammern?» 
Fi 469 «Was schenckat mir inn das hauß ?» 

Als Rälsel sind wieder anzusehen : 

Fi 510 «Wann ich dirs nenn, und dn so grosser Narr bist, 
und nicht weist was das ist». 

Vergleiche damit Rochholz, p. 272, Nr. 205, das alte Rätsel 
von der Tenne, das schon im Reterbuchlein, durch Nie. Basse 
und S. Feyrabend, Frankfurt 1562 vorkommt: «tenn nenn is, 
tenn säg is. wann man es euch schon nennt, daß ihr es doch 
nicht kennt.» Die Schweizerische Rätselformel enthält sogar 
fast wörtlich einen Satz des Fischartischen Rätsels. In der 
Schweiz heißt es: 

«Tenn' nenn i's, tenn säg i's, 
denn du nit weißt, was tenn' i's, 
Denn du en große Nar bis.» 

Die Lösung des Fischartischen Vexier-Rätsels ist «wann». 
Sie wird mit dem Rätsel gegeben. 

Ein bekanntes Rätsel ist : 

Fi 511 «Wickerlin, weckerlein, lanfft nbers Aeckerlein, hat 
mehr bein, denn meiner Hund kein». 

Lösung: Die Egge. 

Fi 556 «Vier bein zwey bein». 

Im Rätsel stellt gewöhnlich der Mensch das «Zweibein» vor 
und der Hund das «Vierbein». 

Fischarts Angabe ist unvollkommen und ein Fragment. 
Fi 556 bedeutet ein gleiches Rätsel, wie dasjenige Rochholzens 
auf p. 257, Nr. 107. 

In der Schweiz lautet das Rätsel : 
«Zweübei sitzt uf em Dreibei 
und naget am ene Saübei. 
Do chunt s'Vierbei 
und nimmt dem Zweübei sis Saübei. 
Do schldht's Zweübei sis Dreibei dem Vierbei nöh. 
aß s'Vierbei sis Saübei het lo falle 16.» 
Bei uns : 

«Zweibein saß auf einem Dreibein 
und aß Einbein. Da kam Vierbein 
und nahm Zweibein das Einbein weg.» 



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Fi 557 «Wa lanffen die Seck selbs berauß?» 

Fi 558 cHinden rauch, fornen kal». 
Fi 559 «Wa thnn all hfipsch Frawen hin?» 

Scheint einen derberen Sinn zu haben, ähnlich der Frage 
im cap. 19, p. 232: 

«Aber rhalet, was ist diß, einer geht hinein, die andern 
zvven bleiben herauß hencken?» 

Fi 562 «Mein Vatter Heng ein Fisch, wie lang?» 

Dieser Ausdruck kann sich auch auf das Spiel Fi 160 
«Ich fisch in meines Herrn tduch» beziehen. (Siehe oben unter 
den Kinderspielen, Teil c). 

Wir können mit Sicherheit behaupten, daß alle diese 19 
Phrasen das bedeuten, was wir soeben gezeigt haben. 

7. Abseh tritt. 
Die Tänze. 

Wir nähern uns dem Schluß unserer Arbeit, die sich die 
Aufgabe gestellt hat, Klarheit in dem Chaos von Sentenzen zu 
schaffen, aus denen das Verzeichnis besteht. Im folgenden, letzten 
Abschnitte stellen wir die Phrasen zusammen, die auf den Tanz 
irn allgemeinen und auf bestimmte Volkstänze hinweisen. Dies 
sind die folgenden Ausdrücke : 

Fi 17 «Hupf aufif, dupff auf». 

Fi 18 «Wintertrost». 

Dies bedeutet das Tanzvergnügen, das den jungen Burschen 
und Mädchen ein Trost in der Winterszeit ist. 

Fi 40 «Par mit dem Dantz». 

Auf wirkliche Tänze sind die Ausdrücke zu beziehen 

Fi 200 «Wechsseldantz». 
Fi 210 «Allemant damonr». 

1578 erschien Fischarts «Philosophisches Ehezuchtbüchlein»; 
ein «künstlich und lehr- reich Tanz-Liedlin, das etwan eynem 
zu Hochzeitlichen fräuden durch S. F. G. M. gemacht worden 
— vnd ist. inn dem thon des Allemant d'amour Tanz gestellet». 
(Wackernagel : «Job. Fischart», p. 125.) Der Tanz war also 
Fischart wohl bekannt. 



- 144 



Fi 318 «Peß Todendautjses». 



An die alten Totentänze erinnert heute noch das bei den 
Kindern übliche Fangspiel «der schwarze Mann». 1 (Siehe \V. 
Wackernagel in Haupts Zeitschrift 9. 314, 338.) 



Diesen alten, im Kochersberg-Gebiet üblichen Volkstanz 
erwähnt Stöber in seinem Büchlein «Der Kochersberg». 

Aus Rabelais hat Fischart zwei Tänze abgeschrieben 
Fi 249 «Triori» = Ra 105 «au triori >, 
Fi 250 «Des Zirckels» = Ra 106 «au cercle». 

Der erste Ausdruck ist unverändert geblieben, während 
Fischart den zweiten übertragen hat. 

Martin-Lienhart : E. \V. II, 695 erwähnen eine große Zahl 
von Tänzen, von denen einige auch bei Fischart bereits genannt 
sind. So z. B. der Wechseltanz, der Morisgentanz, der Scharrer, 
der Zäuner. (Siehe Garg. cap. 6, p. 122 unten.) 

Mit den neuen Fischarlischen Tänzen bilden diese alten 
Volkstänze eine stattliche Anzahl, die wohl der Erklärung und 
genauen Beschreibung wert wären, umsomehr als sie mit der 
Zeit aussterben und bald ganz vergessen sein werden. 

Von diesen zehn Ausdrücken sind also sieben wirkliche 
Volkstänze, wie Fischart nochmals an anderer Stelle deren eine 
Reihe anführt, deren Erklärung und Beschreibung fast unmög- 
lich ist, da diese Tänze heute nicht mehr üblich sind. 

Im cap. 6, p. 122 sind zu finden : 

«Hie gilts den Scharrer; den Zäuner; den Kotzendantz ; 
den Moriscen (im Verzeichnis) ; den schwarlzen Knaben (Toten- 
tanz), der gern das braun Meidlin wolt haben«) etc. 

Es ist zu bedauern, daß diese alten Tänze immer mehr 
aussterben. An ihre Stelle treten überall die modernen Tänze, 
die in den Salons entstanden ; und wenn man heute im Elsaß 
über die Jahrmärkte geht, so findet man wohl einen improvi- 
sierten Tanzboden, aber an Stelle der Lieder, die gewöhnlich 
diese oft wilden Volkstänze begleiteten, schallen uns mehr 
oder weniger falsche Töne einer schlechten Dorfkapelle schnei- 
dend in die Ohren : abgeschmackte Tanzweisen, die zu unsern 
modernen unschönen und unbequemen Schwindeltänzen her- 
untergeleiert werden. Die Lieder sind verklungen, die Beifalls- 

i Rochholz, p. :i7(i. Ist mir in Heiligenstein bekannt geworden. 



Fi 448 «Moriscendantz». 
Fi 251 «Kocherspergerdantz>. 




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rufe der Zuschauer sind verhallt, die einen hesonders schön 
ausgeführten Tanz oder einen kraftvollen, kühnen Sprung eines 
strammen Burschen belohnten; kein wilder Schrei der stämmi- 
gen Burschen, kein Jauchzen der freuderfüllten Mädchenbrust, 
kein Flattern und Fliegen schneeweißer Spitzenröcke und bunter 
anmutiger Trachten ist mehr — alles ist grau — abgeschmackt 
— modern. 

So gut es mir eben gelungen ist, habe ich in der vorlie- 
genden Arbeit alle die vielen Phrasen, die das Spielverzeichnis 
des jungen absonderlichen Gargantua ausmachen, klassifiziert. 

Ein toller, göttlicher Humor liegt über dem Ganzen, durch- 
weht mit teuflischer Satire Fischartischer Spottlust. 

Die Schwierigkeit des Stoffes, die gesteigert wird durch die 
üngenauigkeit der Fischartischen Angaben, mag Fehler ent- 
schuldigen. 

Die Darstellung wird immer das Siegel der Individualität 
tragen, und der Darsteller wird nie den Anspruch für seine 
einzelnen Urleile erheben, als seien sie allgemeingültige Postu- 
late. Was die Erschöpfung eines derartigen ausgedehnten Ge- 
biefes, wie das der Spiele ist, angeht, so ist es selbstverständ- 
lich, daß schon bei annähernder Gründlichkeit für die Behand- 
lung einer einzigen Spielart, deren Fischart ja eine ganze Menge 
zusammengebracht hat, eine vielleicht jahrelange Forschungs- 
arbeit notwendig ist, eine Zeit, die mir vorläufig nicht zur Ver- 
fügung steht. 

Ueber jeden unserer Abschnitte könnte eine besondere 
Arbeit erst erschöpfend sein, wie überhaupt als kulturgeschicht- 
liches Denkmal Fischarts Werke und insbesondere der «Gar- 
gantua» eine fast unerschöpfliche Quelle sind, ein Born, aus 
dem in unvergleichlicher Fülle und Anschaulichkeit die Sitten 
und Gebräuche vergangener Zeiten fließen. 

Wenn es mir gelungen ist Licht in das Chaos von Phan- 
tasie und Realität gebracht zu haben, so hat meine Arbeit ihren 
Zweck erfüllt, noch mehr allerdings, wenn sie die Anregung 
sein wird zu neuen kulturgeschichtlichen Arbeiten, um deren 
Gegenstand man im «Gargantua» nioht verlegen sein wird, Ar- 
beiten, welche unserm großen Landsmann zur vollen Würdigung 
und Verehrung verhelfen können. 



10 



IX. 

Das Tagebuch des cand. theol. 
Magisters Philipp Heinrich Patrick 

aus Straßburg. 

Von 

Th. Renaud. 

Erster Teil. 
Vorwort. 

.A.m Schlüsse der Mitteilung dieses Tagebuches im Jahr- 
buche von HXK> 1 steht der Satz; «Inzwischen haben sich noch 
weitere Hefte, die vorhergehenden, gefunden (bei Hrn. Pfarrer 
Bruns in Kronen bürg).» Er hat sie auf seiner früheren Pfarrei 
Altweiler von einer Frau Witwe Wiekersheini bekommen. Nur 
e i n Heft fehlt und wird wohl ganz verloren sein. Die er- 
haltenen sind zum Teil, wenigstens die ersten Blätter, arg 
durchlöchert (Mäusezahn!); auch ist die Tinte öfters bis zur 
Unleserlirhkeit verblaßt. 

Herr Bruns hatte die Güte, sie mir zur nachträglichen 
VerölVeiitlichung zu überlassen. 

Der zweite Teil hat zur Bewahrung des ersten beigetragen; 
so möge denn dieser aus Dankbarkeit dem zweiten folgen ! Wer 
|t gelesen hat, wird auch A lesen. 

i Der dort S. 17t"> Zeile 1 genannte Ort heißt Haag, mundart- 
lich Hortir- Hüititff Mitteilung des Hrn. Reg.-Kats Reubold in Ans- 
bach.) 



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— 147 — 



Heft 1. 

Das erste Blatt (Umschlag) ist nur ein Fetzen, aut 
dem noch lesbar ist : 

«Weiß . . bürg, Landau, Mannheim, Maynz . . . Eisenach, 
Gotha, Erfurt, Weimar . . . Leipzig, Halle.» 

Merz, Aprill bis auf den Anfang des Mai. 

Auch das zweite Blatt ist zum Teil durchlöchert, ich 
lese noch (und klammere leicht Ersetzbares ein) : 

Mannheim. 

Samstag 12 Merz 1774 de* Morgens . . . halb neun (schrieb 

ich dieses Journal) 

(Donnerstag) 10. um 8 Uhr precise rei(sete) .... mit 
schwerem Herzen (welches . . . durch (?) d(ie) Thränen sich 
aufs . . . rn suchet) von Straß(burg) . . . theils ich, theils 
meine . . . (we)lche mich zum Theil bis an . . . begleiteten : 
M. Redslob . . . Stein (?) Krug, Silberarbeiter, Schmid . . . 
(aus) Fridberg bei Frankfurt . . . Verwandte dem Schutze (des 
allmächtigen, weisesten und gü(tig)en (Got)tes, des Vaters Jesu 
Christi mich (emp)fohlen hatten. Die Gesellschaft in (der dih- 
gence) bestünde aus 1) Hr. Diebau, (Kau)fm(a)nn zu Straßburg 
aus der Schweilz 2) Hr. Leidecker Kaufmann von Neuchatel 

3) Hr. Kaidarini (auf d)eutsch Kessel von Mayland, Kaufmann 

4) . . . Matzen, Italiäner, angehender (Kau)fmann. — Hr. Diebau 
ist ein großer honnete homme. Er begegnete mir besonders 
höflich und freundschaftlich ; und ich lernte allerlei an seinen 
Heden. Von dem wahren Christenthum hat er aber leider gar 
keine Erfahrung. Hr. Leidecker war ein angenehmer, freund- 
schaftlicher Mann, und gehet mir wohl, (so la)ng er nicht aut 
seine Hauptbegierde, (O)eischliche Wollust, kam ; dann da wurde 
(dieser) Mann auf einmal schmutzig . . . Diebau enthielt sich 
davon ziemlich ... Ich muß ihm aber Gerechligkeit wider- 
fahren lassen, daß er . . . (sel)ten von wollüstigen Begierden 
.... (sprach). Hr. Kaidarini hatte beim Einsteigen einen) 
starken schwarzen Bart . . . (welches ihn dem Ansehn nach 
zu (einem gefährlichen Menschen verstellte . . . (er) saß, ohne 
ein Wort . . . oder doch ... gar ... zu reden ; so war ich 
gegen (ihn mißtrauisch. Allein der abgeno(mmene) Bart machte 
auf einmal einen noch ziemlich artigen Mann aus ihm . . . 
(Er) redete kein Wort, bis ich gegen Abend erfuhr, daß er 
kein Wort teutsch, noch französisch sprach. Ich redete mit 
ihm lateinisch, welches er zwar fertig, doch nicht zierlich und 
mit öfterer Verwechslung der generum gesprochen hat. Er 



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verstünde auch griechisch. Meine Gesellschaft war mir ange- 
nehm in Vergleich mit der ordentlichen (= gewöhnlichen), 
welche man sonst anzutreffen pflegt auf (öffent)liehen Wagen. — 
Freitag den 11. ej. Morgens nach halb sechs Uhr giengen 
wir von W e i ß e n h u r g (m)it geöfneler Pforte, vor welcher 
wir aber, da (= so lange) sie geschlossen war, unsere Gedull 
zu üben Gelegenheit hatten. Ich sprach den Abend vorher mit 
Hr. Pfarrei" 

(Drittes Bl a 1 1 , gleichfalls stellenweise durchlöchert.) 
Gambs, 1 welcher mich sehr höflich empfangen, zum Nacht- 
essen oder doch zum wenigsten zum caflee lüde auf den folgen- 
den Morgen, da ich das Nachtessen abgeschlagen hatte, und 
den caflee nah(m) i(ch) nicht an, wobei er bezeugte, daß (kei)n 
fremder und besonders kein Straßburger so trocken von ihm 
gegangen. Wann ich etwas christliches zu reden (Gele)genheit 
geben wolle, so sprung (er) bald ab, daß ich von seinem inneren 
(g)ar kein Urteil fällen kau. Hin. Seniorem Müh Iberger (7) 
in Landau habe ganz anders gefunden. Wir waren nach 
abgelegten complimenten auf einem erbaulichen discours. Allein 
da er, seinen Mantel und Kragen an und um sich, eben irn 
ßegrif war, mit einer Leiche zu gehen, so hatte ich dieses Ver- 
gnügen nur auf einige Augenblicke. Doch rufte er seiner Frau 
Liebsten, einer leutseeligen und gefälligen Frau, welche recht 
in Christo lebte und welche ich gerne länger genossen hätte, 
wann mich nicht die Furcht, die Diligence möchte abfahren, 
geheißen hätte, Abschied zu nehmen. Von Landau bis Neu- 
statt war der Weg sehr schlimm, und deswegen bekamen wir 
in Landau eine andere Dil. ; allein der liebe Gott hat uns sämt- 
lich bewahret, da ich mehr als einmal meinte, umgeworfen zu 
werden. Zu Neustatt änderte man unsere dil. noch mahlen zu 
unserrn sämtlichen Vergnügen, weil die von Landau aus gar 
schlecht beschaffen war. Und zugleich wurde unsere Gesell- 
schaft vermehret mit einem, der ... 6 Jahr bei den ehemaligen 
Jesuiten . . . Philosophie gelehret hatte, welches er durch seine 
immer gebrauchten distinctiones (phy)sica und metaphysica etc. 
bestätigte. Ich zog ihn ein wenig darüber auf, und seine di- 
stinctionen waren weg. Wir geriethen auf den discours von 
Pietisten. Sie wurden einstimmig verworfen, ohne daß sie 
jemand kenneie. Nemlich man hielte bald die Herrnhuter, 
bald die Jansenisten, bald Heuchler für diejenigen, welche Pie- 
tisten genennet werden. Ich beschrieb ihnen die Kennzeichen 
eines echten Pietisten. Man billigte meine Beschreibung ; allein 

1 Wahrscheinlich Joh. Mich. Ganibs aus Straßburg, 1755 Pfarrer 
in Lembach (K. V. Blatt Kiö). , 



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— 141) — 

man wolle mir von allen Seilen behaupten, es gäbe keine sol- 
chen Menschen. Ich zeigte den großen Unterschied unter einem 
Menschen und einem guten Engel und sagte dabei : «Meine 
Herren, alle Heiligen von Anfang der Well hatten noch manche 
Fehler an sich gehabt; die Ursache aber, warum diese Heiligen 
durchgehend» so hoch geehret würden, wäre keine andere, als 
weil sie lange 

(Viertes Blatt, auch noch etwas durchlöchert.) 
vor uns gelebet, und wir mehr von ihrer Gottseeligkeit, als 
von ihren Fehlern aufgezeichnet fänden.» — Meine Gesellschaft 
wurde nicht ganz überzeugt; doch sähe ich hier abermahl, wie 
schön die echte Gottseeligkeit (selbst in) derer Augen ist, welche 
ihr im (Herzen) zuwider sind. Mit der größten Hochachtung 
und Ernsthaftigkeit versicherten die wollüstigen Leute, daß ein 
Mann, der Gott von Herzen liebt und darinnen immer weiter 
zu gehen suchet, ein recht edler und ehrwürdiger Mann wäre; 
allein, dann man bestund darauf, es gäbe dergleichen nicht. 
Uiber dem Nachtessen Freitag 11. fiel die Hede von dem in- 
diflferenlismus. Er solte, sagte man, überall herrschen. Ich 
sagte und endigte hiermit den Streit, Einer, dem alle Religionen 
gleichgültig wären, könnte ohnmöglich selbslen Religion haben. 
Uibrigens wurde gar vieles in der dilig., über Tisch, bei Be- 
suchen geredet und berühret, welches ich nicht gewußt und 
doch hätte wissen sollen. Mein Gott, verzeihe mir alle meine 
Sünden um Jesu Blutes willen. Wie viele» gute hätte ich mit 
Wissenschaft ausrichten können ! — 

(Mannheim) Samstag 12. Vormittags richtete ich meine 
Aufträge aus bei Hrn. Hofr. Larney.' Da er in der academie 
war, so überreichte ich das mitgebrachte der Frau Hofrälhin, 
welche mich gegen 2 Uhr wieder kommen hieß. Dem Hofbuch- 
liändler Hrn. Schwan* überlieferte ich etwas weniges. Dem 
Hrn. Pfarrer P e 1 1 o n (vgl. 13. III) solte ein compüment bringen; 
allein wie ich hörte, daß er seine Predigt studierte, so wolte 
ich ihm nicht beschwerlich fallen, obgleich die Fr. Pfarrerin 
mich freundlich bäte. Ich versprach, den Sonntag Nachmittag 
wieder zu kommen. Darauf besähe ich die ehmahlige Jes. 
Kirche, ein majestätisch Gebäude von ausen und innen. Das 
Churfürstliche Sc h I oß ist groß und herrlich mit zweien 
Schloßkirchen an beiden Flügeln. Hinter dem Hauptgebäude 

1 Vgl. 30. IV. im Jahrb. 190(> und die Anmerkung zum zweiten 
Be6nch. 

2 Der Verleger von Schillers Räubern. «Es war im Werk, 
daß Schiller eine Tochter des spekulativen Hr. Schwan heiraten 
sollte.» (ScharfFenstcin in «Schillers Jugendfreunde> von Hartmann, 
S. 155.) 



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— 150 — 



is( ein nicht fürstlicher Garten. Des Mittags über Tisch mußte 
ich ein collegium exegeticum von meinem Wirt he Hrn. Frölich 
anhören. Er sagte, Noah wäre ein Esel gewesen, daß er den 
Cham, seinen Sohn, verfluchet habe mit allen seihen Nach- 
kommen ; zugleich wäre es auch ein gottloses Verfahren ge- 
wesen. Seine Frau war ganz stille dazu (eine recht artige und 
gefällige junge Persohn). Ein katholischer doctorandus medicus 
wußte sich nicht zu vertheidigen, und meine Meinung, daß es 
prophetisch zu nehmen sei, verlachte er. Darauf erklärte er 
die Geschichte Jonä im Bauch eines Fisches also : 

(Blatt 5) 

Jonas wäre ein liederlicher Mann gewesen, welcher 3 Täge 
und 3 Nächte in einem Wirthshause sein Geld verzehrte mit 
Fressen und Saufen etc. und sich deswegen einige Zeit ge- 
schämet, unter die Leute zu gehen. Ich zeigte ihm, daß die 
Allmacht Gottes zu zeigen, nicht der Hauptzweck dieser Ge- 
schichte sei. Auch gab ich ihm zu, daß der Fisch kein Wall- 
lisch gewesen, sondern der, die Liebe, Erbarmung, Langmttth 
Gottes zu bestätigen. Dis war nicht nach seinem Geschmack, 
sondern nur zu spotten und Zweifel zu erregon. z. E. der Fisch 
mußte doch zum mindesten 10 mahl so groß gewesen sein als 
ein Mensch; nun aber wie hat ein solcher an das Land kommen 
können ? Ich suchte die Sache zu erklären mit der Fluth und 
Ebbe; allein ich t hat weder ihm, noch mir selber damit ein 
Genüge und gestünde meine Unwissenheit. Da er sich theils 
vorher, theils nach diesen) öffentlich erklärte ohne Scheu, daß 
er die Bibel für kein göttliches, sondern zusammengetragenes 
blos menschliches Buch hielte, so sagte ich ihm, nach einiger 
Uiber Windung der Menschenfurcht: «Mein Herr, wenn sie wollen 
glucklich worden, so müssen sie ganz andere Begriffe von der 
Bibel bei tommen, Suchen sie einmal gewissenhaft und redlich, 
nach diesem Buche zu lel>en, so werden sie eine Kraft aus dem- 
selben in ihr Herz bekommen, welche sie von der Göttlichkeit 
der Bibel deutlich genug überzeugen wird.» . . . Nacli Tisch 
kam ein stummer, da wir eben aufstellen wolten, welcher durch 
Winken und schreiben mit den Fingern sich zu verstehen gab. 
Sein Vater zog ihn mehrere Jahre zum Kieferhandwerk auf; 
nach welches Tode er Freiheit bekam seiner von Jugend an 
geäußerten Neigung, ein Mahl er zu werden. Mein Hr. Wirth 
redete mit ihm durch Bewegung der Lippen, winken und 
schreiben. Dieser Mensch heißt Meier. . . . Der Hr. Wirth 
sagte mir nachher, er wäre sehr verliebt und sehr geschickt 
im Mahlen und Schreiben. — In der nemlichen Stunde bekam 
einen Briet von Hr. Stein, Buchhr. in S t r ß b. durch den 



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— 151 — 



Hr. Hofbuchhr. Schwan in Mannh., in welchem ein andrer 
an den Hr. Löffler Bchhr. ibidem eingeschlagen war. Ich 
trug ihn hin. Und darauf gienge zu Hr. Hofr. Lamey.» Er 
empfing mich leutseelig und besprach sich von allerlei. Er 
schenkte mir Etrennes Palatines 1774 in 12, und da ich ihn 
zugleich beim Weggehen um ein historisch Buch bäte, so gab 
er mir Medicus,* Zustand der Bevölkerung in der Pfalz und 
Mannheim besonders, in 8 Frkf. u. Leipz. 1769. Ein Buch, 
welches gut und dreist geschrieben ist und die Aufhebung des 
Gassenbettels nach sich gezogen hat. (Dann Besuch des N a- 
tura lienkabinets und aim Gange vor» des «cabinets ver- 
schiedner Antiq.» — Für die Bibliothek war es zu spät.) 
Bis es dunkel wurde, besähe die Rhein brücke und spat- 
zierte auf dem Wall und lief hernach ein halbe Stunde irre 
in der Stadt herum. 

S o n n t a g 1 3. März (Vorm. Besuch der l u t h. K i r c h e. 
Die Predigt des Pfarrers P i 1 1 o n 8 «war meist Heu und Stroh». 
. . . Nachm. in der ref. Kirche. Die Predigt des cand. 
theol. Biel er «gefiel mir sehr wohl» . . .) Von Music weis 
man nichts in den hiesigen Kirchen. Das Singen wird schreck- 
lich gedähnt, daß ich viele Secunden warten mußte, bis die 
folg. Zeile angefangen wurde. Die Prediger sind äuserlich sehr 
andächtig, wie auch die Gemeine, besonders die Weibsleute, 
welche großenlheils für sich auf dem Stuhl liegend und knieend 



1 Joh. Sigisni. Lorenz schrieb am 4. III. 1774 an Lamey : 
«Endlich, theuerster Freund, ergreife ich auch wieder die Gelegen- 
heit, die mir die Reise eines sehr rechtschaffenen Can- 
didaten an die Hand gibt. . . . Die hiesigen Neuigkeiten werden 
Sie von dem Ueberbriuger Hr. M. Patrick selbst erfahren kön- 
nen etc. Nachschrift: «Hr. M. Patrick ist ein sehr treuer, frommer, 
fleißiger Candidat». Und am 27. Juli 1775 : «Mögen auch die lieben 
Ihrigen in lebendiger Gottesfurcht . . . aufwachsen ! Ein treuer, vom 
Geiste Gottes belebter Informator dient dazu vortrefflich. Wo Sie 
nicht schon mit einem Hauslehrer versorgt wären, würde Ihnen Hr. 
M. Patrick, der nun wieder bei uns und voll Geist und 
Leben ist, treffliche Dienste thun». (Briefe an Lamey in Mann- 
heim von Joh. Sigism. und Joh. Mich. Lorenz, Handschriftenver- 
zeichnis der hiesigen Univers.-Bibliothek von Barack, S. 160, Nr. 120.) 
Auch von Prof. Jer. Jak. 0 b er 1 i n überbrachte Patrick einen Brief 
(v. 7. III. 1774): «Monsieur 1 Le porteur de la presente, Mr. Pa- 
trick, cand. en theologie, partant pour Halle en Saxe, m'a teinoigne 
avoir grand envie, comme de raison, de faire votre connaissance en 
passant par Manheim. Je vous connais trop galant homme, pour 
vous refuser ä ses souhaits.> (Ebenda, S. 161. Nr. 136.) 

2 Fr. Casimir Medicus 1764—1809 Garnisonsphysikus etc. in 
Mannheim, Kollege Lameys als Mitglied der dortigen Akademie der 
Wissenschaften. 

3 Joh. Heinr. Piton aus Straßburg, geb. 1716. 



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— 152 - 



das jedesmalige Gebet verrichten. Die Stimme der Prediger 
verändert sich nicht viel ; auch ist die Bewegung der Hand 
sehr einfach, welches hei mir Eckel erregete . . , Die Prediger 
gehen hier in Mantel und Kragen (Nach der Predigt in der 
ref. Kirche fand eine Taufe statt). Die Hebamme, eine sehr 
alte Frau, vor welcher man sich in Straßburg segnen wurde, 
trug das Kind (Beschreibung des Taufaktes)* Wie ich aus der 
ref. Kirche weg vor der C at h o 1. Pfarrkirche vorhei ging, 
so hörte ich predigen. Ich gieng hinein und hörte dem Hr. 
Decano (seinen Namen weiß ich nicht) eine 4 tel Stunde zu. 
(Mitteilung über die Predigt.) Kr hatte eine 4 eckigte schwarze 
advocaten Kappe auf mit einem schwarzen Kragen um den 
Hals — ein Straßburger pellerinel — über dem weisen Hemde. 
(Besuch bei Pfarrer Pitton, der sehr credsprächig» war . . .) 
Er sogte mir, die Gatholischen wären hier die ärmsten, die 
Lutherischen mittelmäßig, die Reformirten die reichsten . . . 
Von ihm weg — es war 6 Uhr Abends — gienge zum Hr. 
Hofrath Lainey, woselbst ich den Hr. Baron Rudbeck 
und seinen Hofmeister Hrn. Pivern stahl, heide Schweden, 
antraf. Ich erzählte eine Begebenheit des Hr. Pivernstahl mit 
dem Hr. Prof. Scherer' in S t r a ß b u r g, ohne zu wissen, 
daß dieser Herr gegenwärtig wäre, bis er sich endlich zu er- 
kennen gab. Es ist ein artiger Mann, aber etwas hochgetragen 
und sehr geschickt in den Sprachen. Er arbeitet fleißig im 
Arabischen auf der Bibliothec in Mannheim und gab mir seinen 
Namen mit etwas Beigeschriebenem an den Hr. Prof. Thu- 
manna in Halle. . . . Sonst redete man von dem Codex 
Lauresamensis,3 dessen Geschichte Hr. Hofr. Lamey er- 
zählele . . . von den Reisen, die Hr. Pivernstahl nun ins 7 te 
Jahr thut . . . (Auf dem Heimweg) lief ich fast eine halbe Stunde 
im finstern herum und kam endlich ein wenig vor 8 Uhr nach 
Hauß. (Schreiben am «Journal» bis »f 4 12 U.) 

Montag den 14. März. (Besuch der Bib 1 iot hek 



1 Joh. Fr. Scherer (vgl. 24. V. im Jahrbuch 1906). Professor 
Oberlin schreibt am 6. XII. 1773 und am 24. VI. 1774 an Lamey 
von einem Schweden B j o rn stahl. Mitglied der Akademie von Upsala. 
Das wird der Pivernstahl Patricks sein. (Vgl. Barack, Handschriften- 
verzeichnis, S. 161, Nr. 136.) 

2 Thumann war Schwede (vgl. 30. I. und 21. II. im Jahrbuch 
1906). 

3 Codex principis olim Laureshamensis Abbatiae diplomaticus 
ex aevo maxime Carolingico (3 Bd. 1768—77) von Lnmey veröffent- 
licht. Laurisham = Lorsch (Hessen). Prof. Joh. Michael Lorenz 
schreibt am 4. X. 1771: «J'ai rec,u par la diligence le code diplo- 
matique de Laurisheim. Mr. Koch vous en reraettra le prix». (Barack, 
S. 160, Nr. 120.) 



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und Beschreibung derselben : «ein Schall für die Gelehrsam- 
keit und würdig der Stiftung eines Churfürsten»). Uiber dem 
Mittagessen wurde mir Luthe rus in Kupfer nebst Vater und 
Muter geschenket von einem catholischen Tischgesellschafter, 
ein geb. Franzos, der aber gut teutsch sprach, Namens Chateau. 
Einige Tage vorher sagte er, Lutherus wäre ein Spitzbube ge- 
wesen en moral. Es war ein Mensch, der nicht viel zu reden 
wußte, wann von etwas anderm als spielen, essen, trinken, 
Mädchen gesprochen wurde, und dabei sehr eingenommen war 
für seine Religion, aber freilich ohne Gründe . . . Beim Nacht- 
essen träfe nebst drei neuen unbekannten Fremden Hr. Feri u s 
von Straßburg an, einen Weinhändler. Ich kannte den 
Mann auf einer liederlichen Seite und erstaunte fast, daß er 
mit großer Ehrerbietung von der Hl. Schrift redete . . . 

Dienstag, 15. Merz reisete im Namen meines Gottes 
von Mannheim weg auf dem Kays. Poste in Gesellschaft 
eines, wie es schiene, schlechten Frauenzimmers. Ich war nicht 
ohne Lüsten bei ihr ; doch dank seie meinem gnädigen Gott, 
der meine Seufzer erhörte, daß . . . ich die Lüsten unter- 
drücken konte ... Zu Oppersheim, 1 eine Stunde von 
Mannheim, ein Dorf, ist das Sommerschloß der Ghurfürstin von 
der Pfalz (wie des Ghurfürsten zu Schwetzingen) . . . Zu 
Worms verlohr ich meine gefahrliche Gesellschafterin . . . 
diese Stadt empfindet noch die Folgen des Krieges an Kirchen 
und andern Häusern und die Vorstädte sind gar nicht ange- 
baut» . . . Das Kloster Maienmünster rechter Hand seie, 
nach einem Sprichwort, 3 Heller ärmer als die Stadt . . . 
Ich reisete ohne Gesellschaft weg ziemlich langweilig bis nach 
Oppenheim, allwo ein Peruquenmachers Gesell von Straß- 
burg, ein Sohn des cath. kleinen Buchhändlers La röche für 
4 Batzen, dem postillon gegeben, auch hereinsaß. Ein junger 
Mensch, der anfängt sich zu verderben. Er gieng von Mann- 
heim nach Frankfurt, wo er in der Messe vieles zu ver- 
dienen hotfete. Er sagte, man könne es in dieser Zeit bei 
seiner profession bis auf 2 Louisd'or bringen. Oppenheim 
ist eine große Stadt, auf einem Berge angelegt. Unterhalb 
derselben fahrt man auf einer fliegenden Brücke über den 
Rhein. Zu Worms habe ich die vornehmsten wie die gering- 
sten Leute, selbst auf der Straße und Gassen, sehen tabac 
rauchen 4 . . Abends gegen 7 Uhr kam ich . . . in M a y n z 



1 Oggersheim linksrheinisch. 1742 Aufenthalt Schillers nach 
der Flucht aus der Karlsschule. 

2 Worms ist am 31. Mai 1689 von den Franzosen niedergebrannt 
worden. 



154 — 



an und nahm meinen Aufenthalt im Elephanten, wo Hr. Die 
haud von Straßburg auch war (vgl. 12. III) . . . 

Mittw. den 16. Merz. Schriebe nach verrichtetem Ge- 
bet dieses journal . . . (Besuch der Messe, «die, wie man mir 
sagte, abnimmt» ; der Kirche zur lieben Frauen, des «Platzes, 
wo die Schiffe liegen», des «Crans», des Kaufhauses, des Domes, 
und Nachm. des «Creutzganges bei den Carthausern» mit den 
«schönen Gemälden und steinernen Bildnissen». Beschreibung 
derselben: «der Maler heißt Mölber».) Aus der Kirche (der 
Karthäuser) stiege ich auf die Bi bl ioth ec (Beschreibung) . . . 
Heurathen dürfen die Erzbischöfe nicht ; aber ich glaube nicht, 
daß die vielen fast ganz nacketen steinernen Bilder im Garten 
von der Keuschheit hineingesetzet worden sind . . . Das Schloß 
und Garten und die Karthause liegen auser der Stadt an ein- 
ander. Einer der Herren patrum Garth. that mir die Ehre an, 
etwas weniges und freundlich mit mir zu reden beim Aus- 
gange ... Es schien mir, daß diese Herren nicht so strenge 
lebten, als an anderen Orten, indem aus verschiedenen Cellen 
einen, zween, drei in Degen und ohne Degen habe sehen her- 
ausgehen, welche auf einen Besuch da gewesen waren . . . . 
(Der Domprobst von Eitz hat, «so viel ich mich erinnere», über 
40 000 fl. Einkünfte, ist aber sehr wohltätig. — Bei einem 
Buchbinder, «der rohe und gebundene Bücher, gleich einem 
kleinen Buchhändler verkauft», waren auch protest. Bücher an- 
zutreffen . . .) 

Donnerstag 17. Merz (Besuch und Beschreibung der 
«vor einem Jahr fertig gewordenen» Augustinerkirche.) Um 
7 Uhr gienge, nach freundschaftlichem Abschied und Kuß von 
Hr. Diebaud, nach dem Marktschiffe (bunte Gesell- 
schaft). Es ist lang und ziemlich räumlich mit kleinen Fenstern 
und hat eine dreifache Abtheilung. Ich blieb in der ersten 
grösesten. In dieser stund ein mäßiger gegossener Ofen mit 
einem Rohr, in welchem gefeuert wurde. Wir bekamen bald 
eine Frau zu uns, welche mürbes Brod, Wein und Brantenwein 
verkaufte. In der 2ten und 3ten (der) kleinen Abtheilungen 
war ein französisch gekleidet 1 liederliches teutsches Frauen- 
zimmer mit etlichen Herren, welche spielten und andere sünd- 
liche Sachen und Scherze trieben. Auch waren dergleichen 
liederliche Weibsleute in meiner Abtheilung mit liederlichen 
Mannsleuten, unter welchen 5 auch eine Jüdin war, so liederlich 
als die andern. Abends um halb 6 Uhr stiege ich ... aus 
dem Marktschiffe ans Land in Frankfurt. Am Ufer standen 



1 In Straßburg erhielt sich in der Bürgerschaft die deutsche 
Frauentracht bis in die Tage der Schreckensherrschaft. 



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— 155 - 

einige unterofficiers mit Spiesen, deren einer mich höflichst 
nach meinem Stande, Namen und logis fragte. Ich logirte mich 
in die weise Schlange und unerreichte dem Hr. Hofrath Schmidt 
einen Brief von Hr. Oberlin 1 aus Straß bürg. Dem Hr. 
Pfarrer Glaus* wolle auch gleich das mitgebrachte über- 
reichen, mein Hr. Wirlh, Hr. Stritter, aber sagte, es würde 
mir zu spate werden ... ich besähe . . . den Roßmarkt 
und den Spatziergang dabei, welcher dem S t r a ß b u r g e r 
Broglio nicht unähnlich ist . . . den parade Platz, 
welcher gerade schmale Zeilen von Stein hat, nach welchen die 
Soldaten sich stellen müßen, den Markt mit dem Brunnen . . . 
die Metzig, den Anfang der Judengasse etc. Nämlich die 
Juden haben hier, wie auch in Mannheim, eine eigene 
Gasse ... die Frankf. Juden tragen einen schwarzen Mantel 
und kurzen weisen Kragen. Ich gieng fast für keinem vorbei, 
der mich nicht beunruhigte* Die Gassen sind ziemlich breit, 
besonders die sogenannte Zeile; die Wirthshauser zum rothen 
Hause, zum römischen Kayser etc. stehen als Paläste. Ueber- 
haupt sind die Häuser hoch, groß und schön, besonders die 
neuen, welche ohne Uiberhänge meist von Stein mit einem 
gröseren und kleineren Thurm darauf erbauet werden. Die 
Dächer sind mit Schiefer belegt. Da ich wieder nach Hause 
kam, setzte ich mich einige Zeit in die Gaststube und sähe die 
von sich eingenommene, sehr cärimonielle Rom. Kays, freie 
Reichsbürger trinken und spielen . . . 

Freitag den 18. Merz . . . Um 11 Uhr gienge nach 
Sachsenhausen über die kostbare, veste, lange, steinerne 
Brücke nach der Wohnung des Hr. Pfarrers Claus, welchen 
aber nicht anträfe . . . Nach Tisch gienge zu Hr. Dr. 
Göthe und Hr. Dr. Dielz, traf aber niemand an. Die Frau 
Vog e 1 i n, die Schwester des Hr. Krug, Silberarb. in Straß- 
burg, habe in kränklichen Umständen und übel hörend an- 
getroffen. Noch vorher stieg ich auf den dicken Thurm der 
S. Barth olomai Kirch oder des T h u in s. Der Kunst 
nach kommt er in gar keine Vergleichung mit dem Straß- 
burger, und ich weiß nicht, ob er wirklich so hoch ist, als der 
breite Platz (Plattform) des Slraßb. Die Aussicht war schön 
und durch die mir gereichte perspective wurde sie noch schöner 
. . . (Um 4 Uhr Besuch der Abend-Betstunde «in der Ca- 



1 Jcr. Jakob Oberlin (1778 außerord. Professor der Philosophie) 
K. V. Blatt 7. f 180« (vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 
1. Buch>. 

i Pfr. Claus scheint der Hauptleiter der Frankf. Pietisten ge- 
wesen zu sein. Frankfurt war durch Speners Wirksamkeit daselbst 
die Gebartsstadt des deutschen Pietismus geworden. 



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- 156 — 

tharinen-Kirch» ; Pfarrer Reichard ; Schilderung des Gottes- 
dienstes.) Aus der Kirche gieng ich . . . über den schönen 
Wall, Würzmühl . . . (die der Stadt gehört und für 100 Louis- 
d'or jahrlich verpachtet wird) . . . Mich vergnügte die Stiftung 
der Fräulein von Cron statt, welche vor etwa 40 Jahren für 
12 adeliche arme Fräulein geschehen ist. Sie wohnen bei- 
sammen in dem Hause der Stiflerin und können heraus heu- 
rat hen. (Um 6 Uhr trifft er Pfr. Claus an und über- 
reicht ihm «das mitgebrachte von Hr. Dr. Lorenz in St ra ß- 
burg»; geistliches Gespräch.) Um 7 Uhr führte er mich in 
ein christliches Haus i.e. zu dem Hr. D e b u s, Gattunplätter, 
so unter dem Namen Jacob bekannt ist. Er war nicht zu 
Hause . . . von da führte er mich in eine Gesellschaft von 
Kindern Gottes . . . 

Samstag den 19. Merz . . . richtete hei Hr. Dr. 
Goethe das compliment von Hr. M. L e y p o I d i von 
Straßh urg aus, und in dem Hause des Hr. Dr. Dietz 
hinterließ ich das comp!, von Hr. Prof. Stoeber* von Straß- 
burg dem Bedienten, weil ich nach Offenbach zum Mittag- 
essen gieng ... Ich sähe die Cerimonieen der Beicht in der 
Barfüßer Kirche (Beschreibung). Das Bernahlen der 
Häuser und die Ueberhänge derselben nimmt nach und nach 
ab. Allemal das 2te Haus hat eine 4 eckigte etwas grose gläserne 
L a t er n e an einem eisernen Arme befestigt, welches des Nachts 
angezunden werden. 3 Sachsen hausen über der Brücke 
ist ein mäsig groser Ort, aber einem Dorfe ähnlicher als einer 
Stadt in Ansehung der Unsauberkeit der Gassen. Oberrode,* 
ein Dorf eine halbe Stunde von Frankf. ist sauber und die 
Straße dadurch gepflastert. Noch schöner aber ist 0 ffen bacb, 
eine Stunde weit von Frcf. Die meisten Häuser sind von Stein 
und haben steinerne Stallen. Hr. Bernhard von Straß- 
burg baut, und der Bau wird groß werden. Er hat einen 



1 «Jean Leypold, naquit ä Strasbourg 1730» (bereiste, von 
Schöpflin begünstigt- Italien, die Schwei/, und Holland. 1760 ans 
Gymn. Selbst dichterisch veranlagt, il explicait les poetes latins 
avec une grande sagacitä. V. le progr. de 1792 par J. J. Oberlin» 
(Strobel, hist. du gymn. prot.). — Mag. Johannes Leypold, «Schul- 
lehrer bei allhiesigem Gymnasio» -{- 1792 (Straßburgische Zeitung, 
Nr. 232 von 1792). Er war Mitglied der «Uebungsgesellschaft» des 
Aktuars Salzmann, der bekanntlich auch Goethe angehörte (vgl. 
Alsatia 1853, S. 29 und 1862— «7, S. 177). 

2 Elias Stöber (vgl. 24. Mai im Jahrbuch 1906). 

5 In Straßburg erst 1779: in jeder Straße zwei Laternen! (vgl. 
Wolff, Chronik von Dossenheim. S. 119). Noch um 1840 eine alle 
100 Meter (Teutsch, Straßb. Bilder, S. 47). 

* Oberrad. 



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— 157 — 



schönen Garten und eine Tabacfabrieke. Hr. Beck, der oncle 
der jungen Frau Baß Schatzini i n Straßburg, der mich 
zum Mittagessen lud, wurde vor «neiner Ankunft nach Frank- 
furt berufen; ich speißte aber in Gesellschaft der Frau Beckin, 
welche ihrer Schwester, der Mutter erstgenannter Frau Sch., 
gar ähnlich sieht, und des Sohnes des jungen Hr. Becks von 
etwa 30 Jahren : ein artiger, freundschaftlicher, leutseeliger 
Mensch. (Spaziergang im Garten etc.) Zu Hause zeigte mir 
Hr. Beck verschiedene hübsche gelriebene Arbeiten von Silber 
in Form kleiner Täfelein, auch künstlich durchgebrochene silberne 
verguldete Degengefäße nach pariser Art aus seiner Arbeit ; 
auch silberne Schnallen, welche von 2 ihrer Gesellen auser dem 
Hause gemacht werden. Der Schwertfeger Geselle im Hause 
Namens Zittele ist von Straßburg aus den 3 Caminen 
vor dem Metzger Thor, ein Mensch schon bei Jahren und welcher 
schon allerlei gewesen und gar nicht ruhig ist ; scheint wegen 
meiner des Morgens spatzieren gegangen zu sein, so daß ich 
ihn nicht zu sehen bekam. (Auf dem Rückweg Besuch der 
«Cattunfabricke» vor OfTenbach, die, wie Opfenbach selbst, 
«Ysenburgisch ist»; nach der Rückkehr «in aller Eile in eine 
Gesellschaft der Frommen». Wenn er sich «mit den lebendigen 
Frankfurter Christen» vergleicht, ist bei ihm «alles todt und 
kalt») . . . 

So n tag, den 20. Merz . . . (Besuch zweier Predigten) 
die Frankfurter singen schrecklich lange, öfters über 20 Verse 
. . . die Mannsleute haben ihre Hüte auf, welche sie nicht oft 
abziehen. Nach der Predigt wird gebetet, die Absolution ge- 
sprochen nebst dem Bann, ohne vorhergehenden Spruch, wie 
in Straß bürg . . . Die Kinder in BYankfurt sind durch- 
gehends höflicher und besser erzogen als in Straß bürg. 
(Beschreibung der Kirche in Sachsenhausen und einer 
Kinderlehre des Pfarrers Claus.) Ich ging von da, es war 
5 Uhr, in die Gesellschaft der Heiligen bei Hr. Capl (Beschreibung 
dieses Konventikels) . . . 

M o n ta g d e n 21. Merz. (Lesen von Erbauungsschriften ; 
darunter eine in Frankfurt gedruckte Predigt von Lorenz« in 
Straßburg: «die Herrlichkeit des großen Auferstehungstages» 
1774. Dann mit Hr. Kraus «zum Gallen Thor hinaus und zum 
neuen Thor herein».) Ich sähe die angenehmsten Gärten und 
Lustgärten und Felder, welche gleich (den) Gärten in Straßburg 
gebauet werden. Unter vielen Dingen erzählte er mir, daß 

• Tante Schatziii. 7. V. des Jahrbuches 1906, wo — Druckfehler 
— «Schetzer» steht. 

* Loren/. Sigm. Vgl. 24. IV. u. a. des Jahrb. 190(>. 



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— 158 



keinem Juden erlaubt sei, in den Alleen zu gehen weder in 
der Stadt, noch auserhall) ; noch auch tahac zu rauchen hei 
den Alleen. (Besuch der Betstunde des Pfarrers Lauer in 
der Peterskirche und Beschreibung der letzteren.) Die 
meisten Weibsleute, die nur ein wenig etwas vorstehen wollen, 
gehen französisch, ohne oft ein Wort franz. reden zu können. 
Die Sitten in Frankfurt scheinen mir nicht so verdorben 
zu sein, als zu Mannheim . . . (Besuch und Beschreibung 
einer Andachtsversammlung «in Hr. Capls Hause», wo ein «Hr. 
Actuarius Feuerbach 1 die Hauptrolle spielte, der ihm auch 
auf dem Heimweg allerlei über die «Gesellschaften v> erzählte) . . . 

Dienstag, 22. Merz . . . ein wenig vor 1 1 Uhr hatte 
ich das Glück, Hr. Dr. Mose he,* Senior, zu sprechen. Er 
ist ein riesenmäsiger starker Mann, gegen welchen ich wie ein 
Kind mir selhsten vorkam. Er war gegen mich sehr höflich 
und leutseelig und gesprächig und scherzhaft. Er fragte mich, 
wie es um Straßburg stünde und was ich für collegia ge- 
hört hätte etc. ... er rieth mir besonders exegetica an und 
sagte, zu calecheticis wäre im Waysenhaus (zu Halle) gute Ge- 
legenheit. Beim Fortgehen schenkte er mir sein Spec. Inaugur. 
de Theologia populari. Ob er gleich von der Kraft des Blutes 
Jesu an seinem Herzen noch keine Erfahrung zu haben scheint, 
so ist er mir doch rein in der Lehre vorgekommen und dafür 
wird er auch gehalten . . . (Besuch von Fe u erb ach, der 
ihm seinen Sohn nach Jena mitgeben will, und bei Pfr. 
Claus in Sachsenhausen; abends ij 2 7 Uhr «in die kleine 
ausgesuchte Gesellschaft bei Hr. Hahn», wo er durch «das 
Reden und Beten» dieser Frommen «beschämt» wird) . . . 

Mittwoch den 23. Merz . . . (Besuch der «Raths- 
bibliothec» ; bei Tisch im Gasthause neue Gäste, die «unehr- 
erbietige Reden» führten.) Hr. Pfarrer Be cht hold (in der 
Barfüßerkirche), den ich diesen Morgen gehört habe, kommt, 
meiner Meinung nach, ziemlich überein mit Hr. diac. Sen. 
Fritz' in Straßburg zum jungen S. Peter : Unordnungen, 
Wiederholungen, zum Theil niedrige Ausdrücke .... Die 
W i r t h s h ä us e r, welche keinen Schild haben, haben einen 
wachsenden Tannenbaum, welches in M a y n z durchgängig, ja 
gar zwei dergleichen, gesehen wird. Die Schüler aus den 



1 Ein Bruder des berühmten Juristen Anselm Feuerbach ? Dieser 
ließ sich 1770 in Frankfurt nieder. — Vgl. 2. u. 7. I. des Jahr- 
buches 1900. 

» Mosche, Benjam. 1723—01. Seit 1773 Senior des geistlichen 
Ministeriums in Frankfurt. 

8 M. Carol. Maxim. Fritz Arg., zuvor Pfarrer zu Eckboisheim, 
f 1793 (K. V. Bl. 50 u. 104). 



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G Klassen tragen blaue Mantel und singen bisweilen vor den 
Häusern, ein- oder zweimal, wenn man es bezahlt. Sie stellen 
sich alsdann in einem halben Circul, die grösern in die Mitte 
und die kleinern an beiden Enden. Das Gesang ist musicalisch. 
Leichpredigten sind in Frankf. fast gänzlich abgekommen . . . 
(Um -4 Uhr Besuch der Betstunde des Pfr. Claus in Sachsen- 
hausen, der ihn hernach «in seinem habiU nach Frankfurt zu 
begleitete.) Auf dem halben Weg auf dem Wall begegnete 
uns der ih den Mendelsohnischen Streitigkeiten 1 be- 
rühmte Hr. Kol bei e, in sehr elender und schwächlicher Ge- 
stalt ... Er redete gar artig mit Hr. Pfr. Claus vom Sterben. 
Und es verdroß mich, daß ich erst nach dem Abschied hörte, 
wer der Mann wäre . . . 

Donnerstag den 24. Merz. Gegen halb 42 Uhr 
mußte aus meinem besseren Zimmer nro 15 in ein schlechteres 
eine Stiege höher nro 9. Und kaum war ich eingerichtet, so 
hörte, daß Hr. Act. Feuerbach mich zum Mittageßen ab- 
holen wolle. (Hahn «ein Handelsmann» — vgl. 22. 3. — 
war auch geladen.) Die Frau Akt. ist eine sehr schwarze, 
gar nicht angenehme Persohn von Gesicht. Ihre Reden und 
Aufführung aber gefielen mir. Der junge Hr. Feuerbach, der 
mit mir reisen soll, ist leider ein elender Mensch an Seel 
und Leib. Gott erbarme sich seiner, daß er nicht zeitlich und 
ewig unglücklich werde . . . Uiber dem Nachtessen (im Gast- 
hause) wurde von der Verschwendung, man nennte sie aber 
generosite, närrischen und unsinnigen Aufführung des bekann- 
ten Hauptmanns 0 e r i von Z ü r c h geredet. Sein Vater hinter- 
ließ ihm einen sehr großen Reichthum, aber keine Auferziehung. 
Er hat etwa eine halbe Million Gulden durchgebracht., und jetzo 
ist er blind und lebt auf dem Lande bei Z ü r c h von seinen 
noch übrigen 60 tausend Gulden . . . 

Freitag den 25. Merz ... Die Gossen werden nur 
zweimal gekehret mit Besen ohne Stiel Mittwoch und Samstag. 
Die große Glocke in der Barth. Kirche hat den Ton fast der 
Schlagglocke des Münsters zu Straßburg . . . Der Burger 
muß nach der Giöße seines Hauses 2—10 fl. geben und auf 
diese Art die Laternen (vgl. 19. III.) erhalten; der inspector 
über diese Lampen, wie man sie nennet, hat jährlich 300 fl. 



1 Lavater hatte 1761) Mendelsohn seine Uebersetzung von Bonnets 
«Palingenesie philosophiquc» gewidmet mit der Aufforderung, die 
Beweise Bonncts für die Wahrheit des Christentums öffentlich zu 
widerlegen oder sich zum Christentum zu bekehren. — Job. Balth. 
Kölbele, Dr. jur., bemühte sich, die Juden zu Christen zu machen, 
f 1778. Seine Schriften in Meusels Lex. VII, 180. 



— 160 — 

und jeder Lampenfüller 2*1* fl. wöchentlich . . (Besuch in 
Berum* und einer Predigt des Pfarreis Dörr) . . . (Um 
2 Uhr «in dem Saal wo die examina discipulorum classi- 
corum (7) gehalten werden publice». Die 3. Klasse war an der 
Reihe; Beschreibung der Prüfung) . . . (Beschreibung der 
Kirche in Berum, deren sich «keine Sladt schämen 
dürfte») . . . 

Samstag 26. Merz . . . läse das Maynzische 
a beBuch und die Erläuterung darüber, beide in 8, Maynz 
1772, so ich in Maynz gekauft . . . (Besuch und Beschreibung 
der Rath sbibl iothek) . . . (Mittag bei Feuerbachs; dann 
Spaziergang mit ihm.) Beim Hereingehen am Thor hatte ich 
das sonderbare Vergnügen, zween alte Christen anzutreffen als 
Zöllner oder An weiser, Namens Hr. Nicolai, ein besonders 
redlicher Mann bei 80 Jahren, welcher seinen collegen Hr. D i e h I, 
auch zu Christo geführet bat . . . (Besuch der «Gesell- 
schaft bei Pfr. Claus.) Mein Gott, was haben die Christen 
in Frankfurt für grose Gnade l (Ein Bierbrauer Hart mann 
und ein Spengler Wilhelm sind besonders hervorragende 
Beter) ... 

Sonntag den 27. Merz . . . (Von 6-9 Uhr 
Schreiben des Tagebuchs) . . . (Besuch der Kalh. Kirche, wo 
Stark predigte, «ein schöner Mann».) . . . (Mittag bei Claus; 
mehrere Gäste, die alle L a v a t e r «verwarfen wegen einem 
noch nicht alten einzlen Hochzeitsgedicht, welches ganz läp- 
pisch und abgeschmackt sein soll».) . . . (Um 5 Uhr Besuch 
einer Gesellschaft «bei Hr. W.» = Wilhelm 7 vgl. 
20. III. — wo «auf gegebene Veranlassung diejenigen anfingen, 
ihre gehabten Empfindungen und Gedanken und Seufzer zu 
sagen, die vormittag das H. Abendmahl genossen hatten») . . . 

Montag den 28. Merz. . . (Umzug aus der weißen 
Schlange in den schwarzen Bock nach Sachsenhausen in der 
Nähe des Feuei bachischen Hauses) . . . (Nach 6 Uhr bei Hr. 
D e b u s in der «Gesellschaft der Frommen», der 
«dabei so recht kindlich ist und alle Augenblick die Worte 
braucht: Seht, Kinner!») . . . 

Dienstag den 29. Merz . . . (allerlei Gelesenes). 

Mittwoch den 30. M e r z . . . (Strilter, der W r irt 
aus der weißen Schlange, besucht ihn) . . . (Mittagessen bei Hr. 
H. = Hartmann ? vgl. 26. III.) Der Frau H. Schönheit, reilzende 
Gestalt und Größe erregten meine Lüsten. Ach, mein Jesu, 
welch Verderben wohnet nicht in meiner Brust ! . . . (Be- 
schreibung des Leichenbegängnisses einer «Christin», der Frau 

' Bornheini, jetzt in Frankfurt eingemeindet. 



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Kalz) . . . Die Soldaten haben (liier) verschiedene be- 
sondere Sachen mit trommeln, marchiren etc. Die officiers 
haben nebst den unlei officiers noch Spiese und Schnüre auf 
einer Schulter herabhängend und ziehen mitten im marchiren, 
in einer Hand den Spieß haltend, mit der andern den Hut ab, 
wenn sie theils selbst grüßen, theils gegrüßet werden. Der 
T Ii u r ra e r auf der Gath. Kirche blaset eine Posaune, seine 
Magd und eine andere Weibspersohn eine jede eine Clarinette 
des Mittags und abends nach 8 Uhr ; auch wenn er Hochzeiten 
erfährt oder eine Leiche vorübergeht . . . (Mittags bei Claus ; 
er kommt aber zu spät, weil er «die VV a c h e, die am G e - 
j e i t s t a g nach Sachsenhausen an das Thor gestellet wird, 
eist abziehen sähe») . . . Nach 2 Uhr gienge nach Ober- 
r o d, 1 um das Nürnberger Geleit ankommen zu 
sehen, und dies dauerte bis nach halb 6 Uhr. Der Depulirte 
von Nürnberg zu Pferd dorfte nur bis an den am Ende des 
Dorfes befindlichen Schlagbaum reuten, innerhalb welches der 
Rathsherr Bauer von Frankfurt in einem violetten, über und 
über mit Gold besetzten Kleide und Federhut auf einem schönen 
und schön geschmückten Pferde saß. Der Nürnb. Dep. that 
eine Anrede, davon ich fast gar nichts verstanden, in aller Unter- 
thänigkeil. Hr. Rathsherr B. antwortete mit Majestätischen 
Gebärden und Stimme — er sähe in allem meinem Hr. oncle 
Rathherren D ü r n i n g e r 2 in S t r a ß b u r g sehr ähnlich 
— wovon ich hin und wieder ein Wort verstanden. Den Schluß 
machte er mit diesen Worten : «Es ist mir angenehm, bei dieser 
Gelegenheit mit Ihro Hoheit bekannt zu werden.» W'orauf auf 
beiden Seilen in große Kelche Wein geschenket und Gesund- 
heiten getrunken wurden Ich glaube, daß jeder über eine 
halbe Maß geleeret hat. Es mußte aber der Nürnb. Dep. mit 
seinen 5 bis 6 Begleitern wieder umkehren. Und da kam die 
Nürnb. Kutsche, eine Art von LandkulSchen mit 8 Pferden, 
davon die 4 hinleren weis waren, mit zwei vorausreutenden Ge- 
leitsreutern. Die Soldaten stunden überall in Linien und prae- 
sentirten das Gewehr, wogegen die Geleitsreuter und die in der 
Kutsche jedesmal ihre Hüte ahnahmen nebst den Fuhrleuten . . . 

Donnerstag, 31. Merz vollendete die Briefe an 
Hr. 0 e r t e l,s Hr. B i r r oncle, und Mag. K e d s I o b * 



» Oberrad. 

2 Patricks Mutter war eine geb. Dürninger. — Ein Jakob Dür- 
ninger war der letzte Schöffe in der Zunft der Tucher (vgl. Patriot. 
Wochenblatt, Frühpost 13. VIII. 1789). 

3 Mag. Oertel (?) 1771 Abendprediger an St. Wilhelm und in 
Lingolsheim (K. V. Xr. .'14]. 

* Redslob. der jüngere; vgl. 21. I. im Jahrb. li»ÜG. 

11 



— 162 



nach Straßburg und trug sie nach halb 8 Uhr auf die poste . . . 
(Lesen von «vita Franc. J u n i i 1 mit Vergnügen und Nutzen»). 
Nach dem Mittagessen war ein wenig bei meiner Wirthin, Frau 
Zippin, welche, nachdem sie mich nach meinem Namen 
fragte, mir mehr von meines Vaters Verwandtschaft sagte, als 
ich selbst wußte . . . 

Freitagl. Aprilis... Nach dem Mittagessen hatte 
mit dem packen zu thun. Und Hr. G o u 1 I e t, condiscipulus, 
den in 6—7 Jahren nicht gesehen, empfahl mir eine junge 
Tochter von etwa zehn Jahren, welche Morgen in der nemlichen 
Kutsche mit mir fahren solle. Des Vormittags habe Hr. Geng, 
Bordenhändler, gesprochen in der Kirche und Hr. Lic. Spiel- 
mann auf der Gasse, beide von S t r a ß b u r g. (Abschied 
von C 1 a u s u. a.) . . . 

Samstag 2. Apr. trank noch caflee bei Hr. Akt. 
Feuerbach . . . und fuhr in Gottes Namen ab 1) mit 
dem jungen Hr. Feuerbach 2) Jgfr. La Lance v. Montbeliard 
3) einem apotheker Gesellen in der Gegend von Alsfeld 4) einer 
jungen Catholischen Weibsperson. Wir schliefen den ersten 
Tag zu Hungen,* wo wir das Nachtessen theUer zahlen 
mußten . . . 

Sonntag 3. Apr. aßen wir zu Mittag zu Emme- 
r o d e8 billig, und noch billiger zu Nacht zu E i f . * 

(M o n t a g) 4. Apr. gut zu Asbach 5 zu Mittag und 
schlecht zu S t e n (?) Ä zu Nacht. 

(Dienstag) 5. A p r. speißten wir gut und billig zu 
Mittag zu Eisenach und zu Nacht zu Gotha gut. leb 
habe diese Tage über manche Sünden begangen mit Gedanken, 
Geberden und Worten, die mir Gott um Jesu Christi willen 
verzeihen wolle und (etc.). Am 3. Apr. gegen Abend hat uns 
der eingezogene feine, aber nur natürliche? Apoth. Gesell ver- 
lassen. Sein Name ist J e r i c h o. An dessen Platz saß zu 
uns in die Kutsche die Calholische Weibspersohn von Mos- 
bach in dem Odenwald in der Pfalz bei M a n n h e i m, die 
bisher auf dem Bock war . . . Heule 5. Apr., sobald wir zu 
Gotha gegen den dunklen Abend angekommen waren, so 



' Franciscus Junius (du Jon) franz. ref. Theolog 1545—1602. 
Seine Werke. 1607 und 1613 in Genf herausgegeben, beginnen mit 
der eigenen Lebensbeschreibung. 

2 Hungen, Kreis Gießen. 

• Elpenrod, Kreis Alsfeld. 
4 Eifa desgl. 

* Asbach, Kreis Hersfeld. 

r » Wohl See (Großensee) vor Eisenach. 

7 Natürlich = unberührt vom Geiste Gottes (der c naturliche 
Mensch».. 



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fiberreichte dem Hr. Hofr. Schläger 1 das mitgebrachte von 
Hr. Prof. Stoeberin Straßburg, welcher ihm schon in 
einem Briefe meine Ankunft gemeldet hatte. Es ist ein alter 
Mann, allein er war doch freundschaftlich und sehr redsprachig. 
Er fragte mich von Hr. Prof. S t oe b e r, Hr. Mag. Ober- 
1 i n etc. in Straßburg. Er erzählete mir, daß man in 4 Wochen 
gut hebräisch lernen könnte, daß er selbst en als Prof. linguarum 
in Heimstatt das collegium hebraicum nicht länger als 
6 Wochen zu lesen nöthig gehabt habe; daß die hebr. und die 
griech. Buchstaben einander völlig ähnlich wären ; daß man in 
collegiis nichts nachschreiben und nichts dictiren solle ; daß die 
Bibliothec aus 50000 Büchern und 100 000 Stöcken * 
bestehe . . . daß die Naturalienkammer noch erst 
die vorige Woche durch den Herzog mit etlichen Stücken für 
eine große Summe wäre vermehret worden ; daß er unpaß wäre 
und der Bibliothecarius auch; daß ich also nicht viel würde 
sehen können, wenn ich auch gleich länger bleiben könnte. 
Jch gieng also heute, 

(Mittwoch) 6. Apr. von Gotha weg, der schönen 
Stadt mit höflichen Inwohnern. Das Schloß habe ich dem 
Mannheimer gleich gefunden; es liegt auf einer Höhe und zeigt 
sich schön. Der größte Thurm ist auf dem Rathhaus... 
(Schläger hat auch angeboten, über ihn nach Straßburg 
zu schreiben ; er schreibe wöchentlich dorthin an den Buch- 
händler Bauer.) (Auf der Fahrt nach Gotha hat ihm «über 
Hirschfeld» gegen Abend «der Silingswald» 3 
Furcht und Angst und Seufzer erreget».) . . ..(Nachtrag 
von Eisenach etc. : Gegen Mittag (am 5.) besuchte ich 
die Wartburg nahe bei mit sehr vielem Schweiß. Man 
wieß mir alte canonen, Flinten, Panzer, Turnierspiese etc., die 
Schloßkirche etc. Das Zimmer aber, wo Luther gesessen 
ist, konnte ich, da ich doch darum hinaufgestiegen war, nicht 
zu sehen bekommen, weil ein Gefangener drinnen säße. Zu 
H i r s c h f e I d waren — 4. Apr. — die Thore verschlossen 
und der Schlagbaum zugemacht, weil eben Gottesdienst gehalten 
wurde.) — Weimar ist eine schöne Stadt und reinlich ge- 
halten und Laternen vor den Häusern . . . Noch etwas zur 
Wartburg: man verehrete mir alda die Beschreibung der 
Wartburg auf zween Bugen in 4 mit rothem Papier überzogen. 



1 Jul. Karl Schläger, Namismatiker 1706-86. 

2 Stücke = Münzen etc. 

3 Das können nur die Hörseiberge sein (Venusberg, Tannhäuser, 
wilde Jagd). Patricks «Seufzen» war so stark, daß er von einem 
Orte Hirschfeld schreibt, den es hier gar nicht gibt. Er meint wohl 
Schönau a. H. oder Kälberfeld. 



— 164 - 



Den (). Apr. gegen Mittag kam ich zu Erfurt an. Die Stadt 
ist groß und artig mit einigen besonders schönen Häusern z. E. 
die Statlhallerey ; das Kaufhaus, genannt die Wage etc. Auch 
sind schöne Garten in der Gegend herum. Da ich das Bene- 
diktiner Cluster auf dem P e t e r s )> e r g e vor der Stadt be- 
sehen wolle, so machte mir der Korporal der Wache allerlei 
Schwierigkeiten, welche ich mit Gelde nicht heben wolte und 
also wieder unverrichleler Sache zurückgieng . . . Von hier 
mußte ich den Weg über Jena nehmen wegen dem Herrn 
F e u e r b a c h, der sich auf einmal entschlossen hatte, 
mit dieser Kutsche, in welcher wir von Frank f. bis hierher 
gewesen waren, nach Jena zu fahren. Wir blieben über Nacht 
zu Kö tschau, einem Dorfe ohngefehr zwo Stunden von Jena. 
Ks hatte unser Wirthshaus den Schild zum güldenen Creulze, 
und der Name des Wirthes ist (Iramer. Bisher habe ich noch 
kein Helle so gut gebäht und keine so höfliche Leute ange- 
troffen, als diese. Auch waren sie ganz billig in Ansehung der 
Rechnung. Heute 

Donnerstag d e n 7. A p r. kamen wir um 7 Uhr 
nreh Jena. Man sagte mir: es wäre zu früh, einen Besuch 
bei Professoribus zu machen. Ich sähe die Burschen in 
ihren zusammengedrückten kleinen Hüten, "langen Röcken und 
Stiefeln und pommadirten über die halben Wangen herab- 
hängenden einfachen Locken ohne Stock und Degen, allein ein 
oder auch zwei Bücher unter dem Arme, auf dem Markte be- 
sonders hemmspatzieren. Dieser Markt ist viereckigt, mit 
schönen Häusern umgeben und reinlich. (Abschied von dein 
jungen Feuerbach und Ermahnung an ihn. Beschreibung der 
Michaeliskirche und einer Betstunde darin.) In Naumburg 
.sind nur mäßige Hänser. Hier taugen die Pelzkappen an bei 
Manns- und Weibsleuten, und die verbundenen Köpfe und 
Mäntel der Weihsleute dauern hier noch immer fort. In der 
Dämmerung hin ich zu W e i s e n f e I s i angelangt .... 
(Die T inte der folgenden 7 > u Seiten ist größtenteils 
v ö 1 1 i g v e r b I a ß t. Was noch lesbar, wird unverkürzt 
wiedergegeben.) 

Freitag 8. A p r. um den Mittag bin ich in L e i p z i g 
angelangt. Ich sprach nach dem Essen oder vielmehr gegen 
Abend erst Hr. Dr. E r nest i.* und gab ihm . . . großen 
Pack in seine Hände von Hr. Dr. M. (Senior M o s c h e vgl. 
4 22. III.) in Frkf. Er rühmete mir das eigne Nachdenken in 

1 WeilWnffb. .12 Kil. von Hallo. 

2 Eruesti vgl. 21. XII. u. a. 0. im Jahrbuch von HH)G. 



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— 165 — 



allen Stücken und erzählete unter anderm, wie er durch Schen- 
kung allerlei geometrischer Figuren von Holz einem Knaben die 
Geometrie beigebracht. Bei Erzählung eines Einfalles eines 
6jährigen Knaben : «Du Dummer, ha, wie hast du denn glauben 
können, daß Aepfel klug machen ! Ja, wenn Aepfel klug mach- 
ten, so wollte ich deren genug essen !», erwähnete er seine Er- 
klärung dieser Stelle (1. Mos. 3, 5 — 6), die ich aber nebst den 
meisten übrigen wieder vergessen, weil ich dieses erst heute 
Montag den 11. A p r. aufgeschrieben habe, lieber das 
Catechesiren, worüber ich kein collegium halten (hören) solte. 
Kerner: die Verteidigung der christl. Religion gehöre nicht 
auf die Canzel ; der gemeine Mann zweille nicht daran und 
werde dadurch nur irre gemacht, und für andere wären die 
Bücher besser. Item der «Bibel freund.) des Hr. Dr. M (Masche) 
wäre in die holländische Sprache übersetzt worden, und dieses 
U ibersetzen geschehe heutiges Tages öfters, weil in Holland 
alle Iheologi nichts anderes dächten, als an die Verlheidigung 
der christlichen Religion. — Das was ich an den Hr. Baron 
von H o h e n t h a I von Hr. D. L. (L o r e n z) in S tr a ß- 
b u r g mitgebracht, habe irn Intelligenz comtoir abgegeben, da 
Hr. von H. nicht in Leipzig war. 

(S a m s t a g) 0. A p r. Morgens hatte allerlei zu laufen 
und zu schreiben wegen einem coflYe Zettul, welchen ich schrieb 
und welcher auf der Wage unterschrieben wurde. Sehr an- 
genehm war mir der Besuch des M a g. B I e s s i g 
aus Straß bürg, der in der Nacht vorher von einer 
kleinen Reise nach Jena, E i s e n a c h etc. wieder zurück- 
gekommen war. Wenn nicht schon alles zum abfahren be- 
stellet und gerüstet gehabt hätte, so wäre ich noch länger in 
Leipzig geblieben. Doch versprach ich (ihm?), in einigen Tagen 
wieder bei ihm zu sein. Denselbigen Morgen über dem Morgen- 
tfebet und schon den voi herigen Abend war ich so sehr an- 
gegriffen über dem Abschiede (von demoiselle?) La Lance 
(vgl. 2. IV.), daß ich mich der Thränen (nicht) enthalten konnte, 
welche wirklich (= jetzt) wieder über meine Wangen rollen. 
Die Ursache ist, weil dieselbe eine junge, artige, unschuldige, 
edle, Vater- und Mutterlose Waise war. Ich überdachte die 
Gefahr und Verdruß, denen sie auf der Reise bis Dresden 
noch könnte ausgesetzt sein, und an das viele unschuldige Ver- 
gnügen, so ich in ihrer Gesellschaft (gehabt ?) und an den 
geistlichen und leiblichen Rath, den ich ihr sonst schon, aber 
besonders den Tag vorher nach dem Abschiede des Hr. Feuer- 
bach gegeben hatte, da ich ganz alleine (mit) zweien Frauen- 
zimmern in der Kutsche war. Der Herr Jesus sei gelobet, daß 
er (mich) vor Sünden behütet hat ! Die andere Weibspersohn 



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— 166 



von Mosbach in Churpfalz (vgl. 2. u. 5. IV.) hatte nach 
ihrem Vorgeben das (in ihre) Rockfalten eingenähete Geld ver- 
loren und war (? . . .) niedergeschlagen dem Ansehen nach. 
Ich (schenkte ihr . . .?) sechs Livres Thaler und ließ sie mit 
mir zu Mittag essen, was (sie mit . . .?) Thränen und Be- 
wegung annahm. Sie ist catholisch. Ich sagte ihr, wenn sie 
(in Schlesien? nach Jauer?) käme zu ihrem oncle und Tante 
und die Umstände so gut anträfe, wie sie mir vorher in der 
Kutsche gesagt halte, so sollte sie mir es wieder schicken nach 
L. (Leipzig) an Hr. Yor k, 1 den Kutscher und Gastgeber zu 
den drei Rosen neben dem hotel de Baviere. Ich hofte aber 
nichts etc. Sie versprach, es wieder zu schicken. Gegen 
den Mittag fuhr ich auf dem Halleschen Wagen ab nach Halle 
mit einer einzigen (schönen ?) Weibspersohn aus Halle, mit 
welcher eben deswegen nicht viel sprechen durfte. Und (er- 
fuhr ich?) den Beistand Gottes abermahlen. Das Eingeweide 
hätte einem auf diesem Wege vielemahle auf den langen ge- 
pflasterten Straßen abreisen mögen bei dem schrecklichen Er- 
schüttern des Wagens. Gegen 8 Uhr kamen wir an das Thor 
in Halle: aufgemacht wurde ohne Entgeld. Auf Bitte wurde 
(mein großer?) Pack nach vorheriger nicht ganz scharfer Durch- 
suchung mir erlaubet mit nach Hause zu nehmen, den coffre 
und Mantelsack mußte auf der Wage lassen und konnte bei 
(. . . uniern?) Garde nicht einmal meine Pantoffel erlangen, 
die doch nicht in dem (verschloßenen ? Mmtelsack?) waren. 
Ein soldat trug mir den Pack in den güldenen Löwen, welcher 
sich nachher meldete und zween Groschen erhielt. Den gestrigen 
Sonntag, 10. A p r. habe ich in (Zerstreuung?) und 
eilein Reden zugebracht und mit dem holen und auspacken 
des coffres (und wieder einpackens?) bis auf die mir zum 
wenigsten (erbauliche?) Predigt des M. Walters in der 
Nacb(rnittags)kirche und zwei zu Haus gesungene und etliche 
gelesene Gesänge aus dein Straßb. und (Woltersdorfischen?*) 
Ges. Büchern. Die Predigt, die Hr. Mag. W. hielte in der 
Lieben Frauenkirche (. . . Marktkirche?) [welche groß ist mit 
Greutzbogen und (hoch ?) nebst einer schönen großen Orgel : 
auf dem Altar sähe es durch das kleine crucifix (zwei große?) 
Leuchter und einer Art von ßlu(menkranz ?) ganz catholisch 
aus. Nicht (gerecht?) in der Milte der Kirche (ragt?) ein 
größeres crucifix, daran die Haare ganz natürlich (scheinen?) 

1 Bei York wohnte er im Winter 1774/75 (vgl. 10. I. u. a. im 
Jahrbach 19<M). 

* Ernst Gottl. Woltersdorff, geb. 1725, f 17G1 als Prediger in 
Bunzlau. dichtete «himmella^ige» geistliche Lieder. Eines von der 
Kirche hat 2G3 Strophen! Vgl. Ritsehl, Gesch. des Piet. II, 483 ff. 



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herabzuhängen.] handelte von der Uiberwindung der Welt, 
welches er so auslegete, als hätte er etwas davon erfahren. 
Ich hörete heute, daß er ein collegium läse über die hebräischen 
Psalme. Des Vormittags — 10. Apr. — war bei Hr. Dr. 
Freiling hausen' und übergab ihm das in einem Brief 
(. . . in Leipzig . . . versiegelte) mitgebrachte Geld für die 
Mission in Ostindien. Er sagte, ich würde mich wohl auch 
(in . . .?) hier in Halle üben wollen. Worauf ich Antwort 
gab: «Wann ich es (nur schon?) hätte 1» Hierauf übergab dem 
Hr. Dr. Noessell» die Disput, von Hr. Dr. M. (Mosche) in 
Frankfurt. Es ist dieses ein sehr (. . .?) junger Mann und 
wirklicher (= derzeitiger) prorector. Ich brachte ihm auch 
ein compliment von Hr. G n i I i u s 3 in Slraßburg und 
M. ßl. (B 1 e s s i g) in Leipzig. Uiber dem Mittagessen ließ 
Hr. (Inspektor?) W i t l e* das abholen, was für ihn mit- 
gebracht, (da?) er durch Hr. Prof. Fr. (Freilinghausen) davon 
Nachricht bekommen. Es war ein paquet von Hr. Dr. M. 
(Mosche) in Frkf. und ein Brief von eben (dem) Hr. M. Gn. 
(Gnilius) aus Straßburg. Item über (dem prandio?) be- 
suchte mich Hr. M a y e r aus schwäbisch Halle, 
der schon vor einem halben Jahr hier in Halle die Theologie 
(angefangen?) hat. Ich war zweimal vorher dort in seinem 
logis wegen einem Brief, so von (einem ?) Handlungsbedienste- 
ten Horlacher bei Hr. cousin B i r r in Straßburg 
mitgebracht, ohne (ihn) anzutreffen. Er bot mir seine Dienste 
an und lud '(mich) auf diesen Morgen zum (caffee?), welches 
auch heute angenommen (und eine) Pfeife tabac dazu geraucht 
habe (um 9 Uhr ?), nachdem ich gerade vorher (aus dem gül- 
denen) Löwen in Herrn (Bimblings?), eines Kaufmanns Hause 
in der (Märten?) Slraße, mich mit meinen Habseligkeiten (be- 
geben hatte im dritten (Stocke?) auf die Gaße heraus. Nach 
dem caffee giengen wir (auf den ?) Saal im Waysenhause, 
in welchem (das . . .?) halbjährigen examen bei vielen Zu- 
schauern gehalten wurde. Wann ich das Waysenhaus, welches 
einer (großen . . .?) Sladt ähnlich siehet, näher (kennen werde?) 
so will ich es auch beschreiben. (Wir giengen um? halb 
12 Uhr?) weg und nach Hause, (von wo mich?) Hr. M. (und 
. . . ? vorn Waysenhause) zum traiteur führten, (um dort?) 
zu speisen, welches ich für (. . . ?) bezahlete. Das Essen ist 
gut und (genügt?), sich satt zu essen nebst einem großen 

1 Freylinghausen, Gottl. Anast., 1710—85 ord. Prof. der Theol. 
und Direktor der Waisenhausanstalten (vgl. 30. I. im Jahrb. 190*5). 

2 Noesselt (vgl. 30. I. im Jahrb. 190G;. 

3 Gnilius (vgl. 21. I. ebenda). 

4 Witte (vgl. 15. XII. ebenda). 



— 168 — 



(Kruge Hier?). Nach dem Essen bestellten (vgl. 12. IV.) wir die 
Hallische Kutsche (. . .?) oder für 12 Ggr. nebst (Mantel- 
säcken?). Zu Hause packte ich ein wenig aus, nachdem ich 
schon vor 12 Uhr der Wäscherin, die grade im Hause war, die 
schwarze Wasch gegeben halte. Nachgehends gienge um 2 Uhr 
zu Hr. Dr. Seniler, 1 welcher mich sehr freundschaftlich 
aufnahm, da ich ihm ein compliment von Hr. M. Hl. (Klessig) 
in Leipzig brachte. Ich hielte mich lange bei ihm auf und 
widersprach?) ihm ziemlich herzhaft, ohne daß er (zürnte?), 
da er vom canone zu reden anfing. Er redete ganz artig von 
dem (Gewissen ?), von Gott, von Christo, von der Wahrheit 
und der Freiheit der Meinungen, von den Bewegungen, die 
das Wort Gottes machet, wenn es recht vorgetragen wird, von 
seiner guten Sache und Redlichkeit etc., so daß, wann seine 
Sätze nicht ganz offenbar alles, (was göttlich ist?), umschmissen, 
und ich nicht so sehr gar (dawider??) eingenommen gewesen 
(wäre?), und mir Gott nicht beigestanden wäre, ich (leichllich ?) 
seine Meinungen angenommen hätte. Aber Gott und der Vater 
unsers Herrn Jesu Christi bewahre mich durch seinen H. Geist 
für diesem gefährlichen Manne, der sich so fein in einen Engel 
des Lichtes verstellen kan ! Er ist übrigens (ein langer?), nicht 
dicker Mann und ist mir gleich beim ersten Anblick als ein 
(sehr sonderbarer?) Mann fürgekommen . Ich yieine, daß es 
ihm was gekostet, so Meister über seine affecte zu werden, 
dem Aeusern nach zum wenigsten; (denn?) ohne aflecten ist 
er doch sonst nicht. Heim Abschiede entschuldigte ich mich 
meines (Widerspruchs?) halber, wogegen er ganz freundlich 
sagte, das nehme er nicht übel, im Gegentheil, so solle es sein, 
und mich auf weiteren Besuch einlud, worüber ich mich aber 
(noch bedenken werde?) und vielleicht (so lange bedenken) werde, 
als ich in Halle bin. Du (. . . Gemeine?), o Gott, und errette 
sie vor (solchen Menschen?), wie dieser ist! Amen. (Von da 
weg?) gienge zu Hr. Prof. Schulze« und brachte ihm (ein 
compliment) von Hr. Prof. Sloeber in Straßb. und Hr. 
M. (Mosche) in Frkf. Er war höflich gegen mich und bot mir 
(seine Dienste ?) an. Auch fragte er mich, ob ich (nicht) do- 
cendo mich üben wolle. Ich sagte, ich wolle eine Weile zu- 
sehen und zuerst die (doeejiten ?) besser kennen lernen. Unter 
(anderm?) sagte er ebenfalls, da ich von dem (Theodoret), dessen 
5. Theil unter völliger Arbeit ist, zu reden anfieng, daß Hr. 



» Semler (vgl. 2. I. u. a. ebenda im Jahrb. 1900). 

2 J. L. Schulze gab mit Noesselt die Werke Theodorets (Exeget 
und Fortsetzer des Kirchenhist. Eusebius) neu heraus. Halle 17(59— Y4. 
Sechs Bände. 




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— 169 — 



Mag. Lobstein, 1 der (hier?) in Halle laudaUir ab (hisV), 
culpatur ab illis (. . . ihm?) von Paris aus einen codicem 
(. . . von) einem Franzosen (conferirt ?) zugeschickt habe, wel- 
chen ein Teutscher (besser würde conferirt?) haben ; der codex 
seie (sonsten ?) gut. Hr. Pastor Schulze habe (nicht an- 
getroffen ?), so von Hr. Mag. G n i I i u s (in Slraßburg mir 
empfohlen war??). Ich sagte der Magd, ich (würde mich wieder- 
sehen lassen?? . . . ??) Schriebe zu Hause (um 4?) Uhr 
heute 

Montag 11. Apr. dieses journal bis nach 6 Uhr abends, 
da (der junge Hr. Birgling?) von der dritten Klasse von (. . . ? 
auf dem?) Paedagogio mich besuchte, (ich meine, im Namen 
seiner Eltern?), ein feiner junger Mensch. Ich habe es schon 
oben angemerkt, daß die K i n d e r z u c h t in Teutschland besser 
ist als in Straßburg. Nach halb 7 Uhr kam Hr. M., (mit 
welchem ich in den ?) Speisesaal des Waysenhauses gieng, 
an seinem Arme geführt. Hier speißten nach meiner Rechnung 
4 bis 5 hundert Studiosi und Schüler. Es wurde von einein 
Schüler auf (einem ?) Catheder gebetet das ordentliche Tisch- 
gebet (und Vater Unser?) und hernach was erbauliches gelesen 
von dem innern rechtschaffenen Wesen, wovon aber gar vieles 
nicht verstanden wegen dem (Getöse?), ohngeachtet alles sehr 
stille sein solte und auch dem ohngeachtet war ; denn laut 
durfte keiner reden. Ein Inspector gieng auf und ab und be- 
obachtete alle. Ein Jurist wurde (wieder?) hinausgeführt, 
welcher sich eingeschlichen hatte. Dieses erregte einen großen 
Aufstand und spöttisches Gelächter. Ein jeder mußte Löffel 
und Messer mitbringen zu der Biersuppe, welche (mir so gar 
nicht?) schmeckte, daß ich kaum zween kleine (Löffel voll?) 
hinunterbrachte; und Brod, davon (ein jeder?) schneiden 
konnte, wie viel er wolte ; (und eine mäßige?) portion 
Butter, wobei Salz auf dem Tische stunde. Nach dem Essen 
wurde (wieder gebetet?) von dem Schüler und gesungen, (her- 
nach von einem?) Studioso gebetet ex tempore (und abermahlen?) 
gesungen. Jedesmal vor und nach dem Essen wird ein Zeichen 
mit einer Schelle gegeben zum Gebet. Ich betrübte (mich 
über?) diese Studiosos, davon kaum einer um mich herum die 
Hände fältele und das Gebet nachsprach. Die übrigen 
schwatzten, (schnitten Brod, strichen Butter?) langten Bier 
herum etc. Auf das (Lesen?) wurde auch nicht geachtet. (Ach 
Gott, denke an deine Gemeine?), die mit Jesu Blut erlöset ist, 
(welcher?) solche Leute alle sollen als Lehrer vorstehen (wenn 



i Lobstein, Joh. Mich. (1770 Prof. in Gießen, vgl. 12. VT. im 
Jahrb. lt>06). 



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— 170 



sie am Leben bleiben ?) ! (. . . ?) zu Hause um 8 Uhr schrieb 
dieses j. (Journal) bis (. . . ?) da ich mich eben mit der (Zu- 
bereitung auf die morgige) Abreise nach L. (Leipzig) beschäf- 
tigen (mußte?), um Hr. M. Bl. (Blessig) zu besuchen. Ich 
erbaute mich singend, betete und gieng schlafen. (Von hier 
an wird das Tagebuch wieder leserlich.) 

Dienstag 12. Apr. (Packerei; Abfahrt «auf dem hal- 
lischen Wagen» nach i| 2 9 Uhr «in Gesellschaft des Hr. M.» 
und eines 13 jährigen Kaufmannssohn aus Leipzig, nameus 
Wapler, der 3 Monate im Waisenhaus gewesen war ; Ankunft 
«gegen 6 Uhr Abend») . . . 

Mittwoch 13. Apr. Morgens läse in den Danziger 
Tbeol. Berichten, deren 105— 108 tes Stück ich gekauft habe 
(den Abend vorher bei Iunius, bis gegen 9 Uhr. Besuch bei 
Prof. Clodiusi)» dem «ich ein compliment von Hr. M. adj. 
Schweighäuser 1 in Straßb. nebst einer Frage brachte») 
Von ihm weg gienge zu M. Bl. (B I e s s i g), welcher mich 
gegen II Uhr zu Hr. Prof. Er n e sti führte, wo ich Hr. Sko 
aus Dänemark antraf. Und vorher bei M. Bl. den Hr. H i m mli 
aus Straßburg, einen artigen Kaufmannsdiener, kennen 
lernte. Zwischen 3 und 4 Uhr trinkt in Leipzig jederman 
caflee. Weil aber dis noch nicht wußte, so mußte von Hr. 
Dr. C r u s i u s 3 wieder fortgehen . . . Ich gieng darauf 
grades Wegs durch die schöne Maulbeeren- und andere Baum- 
alleen um die ganze Stadl herum bis halb 7 Uhr, da ich in 
Dnnz. Theol. Bor. fortlase. Allein durch die angenehme Gegen- 
wart des M. Bl. nach 7 Uhr wurde darin gestört. Heute 

Donnerstagden 14. Apr.... um 8 Uhr gienge 
zu M. Bl., welcher mich in das collegium des Hr. Dr. Ernesti 
führte. Er läse über Ne u m a n n 4 compendium Dogmatic. 
und zwar über den art. de resurrectione mortuorum etc. Hr. 
Dr Em. wurde von uns beiden in den collegien Saal begleitet, 
da wir ihn eben auf dem Wege antrafen. Im Saale saß er auf 
einer cathedra und die große Menge auditorum auf gefütterten 
Seßeln. Er trug viele mir ganz unverdauliche Sätze vor z. E. 
daß die Menschen nach der Auferstehung die partes genitales, 
ventriculorum intestini et partes corporis omnes haben werden ; 
daß die Menschen noch die nämliche Stimme haben werden, 
die sie auf Erden hatten ; daß owjj.cz zvsu;jiaTtxov nur einen voll- 
kommeren Leib bedeutete ; daß die Teufel keine größere weitere 

1 Clodias vgl. 17. III. im Jahrb. 1906. 

2 Joh. Schweighäuser Arg. 1778 prof. lingoarum Orient. fl777. 
8 Crusius vgl. 15. XII. im Jahrb. 190G. 

* Wohl Joh. Georg Neumann HttH— 1709; Prof. in Wittenberg 
l()9i>, Hauptgegner Speners. . 




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— 171 — 



Strafe zu befürchten hatten, als sie jetzt schon empfänden etc. 
Nach dem collegio trunke calTee und rauchte tabac bei M. 
Blessig, wohin auch Hr. Hasselblatt aus L i e f I a n d 
ging. Auch kam auf die Stube Hr. K o e r n e r, ein Sohn des 

Leipz. Dr. Theo! Nach 10 Uhr führte mich M. Bl. zu Hr. 

Prof. Morus .'. . Hier muß ich geslehen, daß ich von den 
Besuchen der Herren Professoren in Gesellschaft des M. Bl. 
gar wenig Nutzen hatte, da ich doch gröseren hätte haben 
sollen, als wenn ich alleine gegangen wäre. Es wurde nur 
immer gespaßet und kein gelehrter oder sonst ernsthafter 
discours angefangen. (Besuch einer Vorlesung des Prof. 
Crusius über den 106. Psalm). Zu Mittag speiste ich bei 
Hr. Prof. C 1 o d i u s durch die Vermittlung des M. Blessig 
(in größerer Gesellschaft ; es wurde «michts ernsthaftes und 
brauchbares besprochen» ; nach Tisch besuchte man am Ran- 
städter Thor die beiden Comödiensäle»; der eine war 
noch nicht fertig, der andere dagegen «wohl eingerichtet»). 
Besonders hatte er einen Vorhang, auf welchem ein vortreffliches 
Gemähide vonOesern* hier in Leipzig war. Es waren droben 
Sophocles, Socrates, die nackete Säule der Wahrheit etc. Um 
drei Uhr giengen wir auseinander, und ich mit M. B l e s s i g 
nach Hause, caffee zu trinken und tabac zu rauchen. (Besuch 
bei Lic. Thalemann, > dem er das «compl. des Hr. 
M. Weber» in Straßburg» überbringt, der «hier und überall, 
wo er sonsten gewesen, in bestem Andenken steht».) — (Von 
dem Blatt ist ein zwei Finger starkes 
Stück der Außenseite abgerissen.) — (Thale- 
mann macht auf verschiedene Bücher aufmerksam ; auch von 
dem «elenden Charakter des Wiela nd»* war die Rede.) 
Heute 

F r e i t a g d e n 15. Apr. . . . Leipzig ist durchgehends 
mit hohen schönen Häusern, vielmehr Pallästen bebauet und 
wird des Nachts mit Laternen erleuchtet, fast gänzlich wie in 
Krankfurt . . . (Wenig Staub ; «alles sauber», die Professoren 
«sehr dienstfertig», die Studenten «ordentlich und manierlich»). .. 
(Die folgenden 7 if* Seiten sind wieder sehr verblaßt 
und stellenweise ganz unerleserlich) . . . (Bis 10 Vorm. bei 
B I e s s i g. — Beschreibung einer Vorlesung des Prof. C r u- 



1 Adam Fried. Oeser 1717—94 aus Preßburg, seit 1763 Dir. der 
Akademie in Leipzig (früher, in Dresden, Lehrer Winkelnianns). 
vgl 18. IV. und Goethe «Dichtung und Wahrheit» 8. Buch. 

2 Thalemaun vgl. 26. XII. im Jahrb. 1906. 
» Weber vgl. 27. IV. 

* Wieland war seit 1772 in Weimar. Dort gab er von 1773 bis 
89 den «deutschen Merkur» heraus. 



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- 172 - 



s i u s über Moral auf Grund seines Handbuches darüber. — 
Vier Briefe nach F ra n k f 11 r t.) Gegen 6 Uhr zu M. Bl essig, 
um mit ihm den Hr. Dr. H e i s k e 1 zu sprechen und ihm das 
compliment von Hr. M. Weber in Slraßb. zu bringen. Bis hierher 
habe noch keinen so sonderbaren Mann gesehen, als diesen. Kr 
ist mittelmäßiger Statur und hager. Er praesenttrte sich den mit 
einer Schnur zusammengebundenen Haaren nach wie in Strati- 
burg ein schlechter Handwerksbursche. Er war ohne Kappe 
oder dergleichen etwas und hatte einen zerrißenen Nachtrook 
an, in dessen Busen er sein schlechtes Nastuch steckte. Naoh- 
dem'er mich so ziemlich in der Ordnung empfangen hatte und 
ein und anderes mit M. B I e ss ig gesprochen, wozu ich sehr 
wenig redete, so redete er mich an und fragte, warum ich eben 
Halle gewählet und ficng an, allerlei zu sagen (wider das?) 
Waysenhaus, wider den seel. (Aug. Herrn.) Eranck» 
(= Frankel und auch (wider den seel.) Bengel etc. Er schalte 
diese (. . . ?) Leute Träumer, Heuchler etc. Er sagte (sprach) 
unter andern auch von sich selber und Hr. Hofr. Michaelis 2 
in Güttingen' und schloß zugleich jeden anderen mit ein, 
daß alle diejenigen, welche in der Jugend (viel leisteten?) und 
viel Religion hätten, nachgehends atheisten würden, wenn sie 

zu ('. . . ?) Jahren kämen elc Seine Frau war von Anfang 

bis zu Ende in der Stube ; sie ist ziemlich hübsche von Gesicht 
und munter im Umgange und (opfert sich ?) ihrem Manne ganz 
auf, dem zu Gefallen sie griechisch gelernt hat und es wohl 
versteht ; auch schreibt sie arabisch. (Sie macht) ihrem Mann 
die Register zu seinen Rüchern und ist mit einem Wort sein 
Gehilfe 

Samstag den 16. Apr... . Gegen 10 Uhr zu 
M. B 1 e s s i g, welcher mir sagte, daß er einen Brief von 
M. Hacke) in St ra ßb u rg durch Rauchhänder (Stehling?) 
von Straßb. erhalten hätte. Ei' erzählte mir daraus, daß der 
ältere Sohn des ;Prof. ling. Orient. Seh erers doch (. . .? 
wieder) zum Professore gemacht worden. Von ihm lief ich eine 
gute halbe Stunde müd und matt in der Irre herum, nach 
dein P a u I i n o auf die U n i v. B i b I. zu kommen, weil 
ich Tropf nicht alle Augenblicke fragen wolte. Endlich um 
halb lti Uhr käme hinauf auf die u n i v e r s i t a e t s 
B i b 1 i o t h e c, deren Bücher mit eisernen Drathgittern ein- 
geschlossen und nicht in der besten Ordnung (. . .) sind. Es 



1 Keiske Job. Jak. Prof. des Arab. 17 16 — Aug. 74. Er war 
4 Jahre Zögling des Hallischen Waisenhauses gewesen. Seine Frau 
Ernestine Christiane war durch ihre Gelehrsamkeit berühmt. 

2 Michaelis vgl. 3. I. des Jahrb. 1906. 



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sind schöne Portrait« von allerlei Gelehrten auf dieser Bihliothec 
nehst allerlei jüdischen Sachen in einem besonderen Zimmer ; 
auch ein Bergwerk; ein Mönch in einem' Eck etc. Durch die 
Unterschriften an den jedesmaligen Thüren muß man sich 
nicht betrügen lassen, indem die (meisten?) Bücher versetzt 
worden sind. Unter (andern) portraits ist M e I a n c Ii t Ii o n 
(und Jonas?) Luther; Gottsched macht ein (blühen- 
des?) Gesicht, die Gottschedin ist zu entblößt (. . . ?) 
etc. Ich habe schöne Zeichnungen von römischen Gottheiten 
und Alterthümern und dgl. gesehen nebst (den . . . Winkel- 
mann ? ?) in ihnen. Vorzüglich (haben mir?) gefallen die 
Muscheln und (Schwämme?) in größtem Folio Teutsch und 
französisch, Coppenhagen 1758, von (Regenf. . . . ?) gemalet. 
Es sind (meisterstücke ?). Ein Engländer hat vor einiger Zeil 
eine vortrefliche Ausgabe von M i 1 t o n (doch ?) in englischer 
Sprache hierher (verehret??), welche auch noch gesehen. — 
Nach dem Essen (habe?) Hr. M. ein wenig (gesprochen?); 
hernach suchte ich den (Ratsherrn ? S t r o h I ?) von Straß- 
burg auf, welcher bei Hr. Reither?) im Brühl nicht 
weit vom (roten Stiefel?) logirte. Er gab mir einen Brief von 
Hr. M. Weber 1 in Straßburg, welchem ich verschiedene 
Sachen kauften mußte i. e. Bücher von Dr. E r n e s t i und 
Prof. Fischer, 2 welche zum Theil schon einige Tage hatte, 
zum Theil gleich kaufte. Auch der Beaumont * für junge Leute 
und Frauenzimmer und Jan n e w a y* Exempelbuch für 
(Rhin Stu.?) mitnahm und gleich (hinterlassen?) wolle, aber 
mit nach Hause nehmen mußte, weil ihn nicht angetroffen. — 
Nach 3 Uhr (gienge?) auf die Raths Bihliothec auf 
der Wage. Diese stehet prächtig in einem sehr großen hellen 
weisen Saal mit den vortreflichsten Gemählden und Portraits 
geziert. Die Bücherzahl ist groß und recht wohl geordnet. Sie 
stehen auf beiden Seiten an der Wand herum, und in der 
Mitte des Saals stehen zwo (Zeilen?), doch so, daß man jedes 
Buch sehen kan und einander in den breiten Gängen da 
zwischen den Bücherschränken völlig ausweichen kan. Die 
Bücher sind auch hier mit Gittern verschlossen. In der (Mitte?) 
steht ein Tisch im Saale. Unter andern haben wir die Portraits 



» Weber Georg Friedr. Prof. der Theol. seit 1784. f 1*20. Er 
war der letzte Präsident des «Kirchenkonvents». 

* Edm. Rud. Fischer Gen. Superint. zu Koburg lt>87 — 177(5. 

3 Magasin des adolescentes. Londres 17»>ü. deutsch 3. Auti. 
Leipzig 1 7GG und Instr. pour les jeunes danies Londres 17U4, 
deutsch Leipzig 17i>s von der .rugenschriftstcllerin Marie de Beau- 
mont 1711—80. 

* Janneway ? — 



— 174 — 

— ich weiß nicht, von was sie gemacht sind, ob es (aus . . . 
Holz ist ?) — gefallen von dem Kayser Ferdinand, 
Carol us Quint us, Albertus Dürer, Luther, M e- 
lanchthon, Erasmus Roterodamus etc., welche ganz 
klein und zierlich beisammen an der Wand, (ich meine?) in 
einem Glase hängen. Ich habe sehr viele Titul gelesen (von den) 
Büchern an den Wanden auf beiden Seiten und der halben 
(Zeile?) linker Hand, wenn man hineinkommt. Um 4 Uhr zu 
Hause händigte mir eine Frau, wohnend im Hofe des goldenen 
Strauses, einen Brief ein, so Herr Theuerdank von 
Straßburg, ein Rauchhändler, mitgebracht hatte. Es 
waren die Lehensachen und Rechnungen etc. nebst einem 
Schreiben des Herrn Assessors Patrick in 
Z w e 1 b r ü c k en. Dieses Paquet war den 11 ten Merz, gleich 
den Tag nach meiner Abreise von Strsb. in S t r a ß b. an- 
gelangt. Die Frau Ö e r t e I hat ein Schreiben beigelegt, 
welches mir sehr angenehm war. Ich kaufte noch etwas für 
Hr. M. Weber in Straßburg und traf auf dem Wege den 
Hr. Prof. Morus 1 an, den artigsten Mann, welcher mich 
anredete und unter anderm mich hötlich einlud, zu ihm zu 
kommen. — Nochmahlen zu Hause um (5?) Uhr, schrieb dieses 
journal bis nach 7 Uhr, da zu M. B 1 e s s i g gieng und ihm 
unter anderm besonders sagle, auch lesen ließe, was Hr. M. 
Weber seinetwegen geschrieben hatte. Auch aß ich auf sein 
einladen mit ihm zu Nacht in Gesellschaft des Hr. (Tounefort ?) 
und eines adelichen feinen jungen Herrn von Haugwitz.) 
Nach 10 Uhr (gienge nach) Hause und schrieb noch dieses 
journal bei einem Krug Bier und Pfeife tabac, weil ich nöthig 
hatte zu trinken, da das (Nachtessen aus Käß?) und Butter und 
Punsch (beslanden ?), (wovon ich wegen?) der Süße nicht (viel 
Irinken konnte?), bis gegen 11 Uhr, da ich noch anfieng, in 
Dr. E r n e s t i s neusten Theo). Bibl. 3teu Bd. (ein Stück?) 
zu lesen bis gegen 1 Uhr, (welches dann ?) leider die Ursache 
war, daß heute 

Sonntag den 17. Apr. erst um halb 8 Uhr auf- 
stünde. Auch (habe ich ?) schändlich das Morgengebet (unter- 
lassen?); doch sänge ich das schöne Lied auswendig: «0 Jesu, 
süses Licht» und 7 Verse aus dem Lied: «Lehre mich dein 
Blut betrachten» in dem mir schon so ofte gesegneten Wolters- 
dorfschen Gesangbuch. Und so gienge nach 9 Uhr in die 
P a u 1 i n e r Kirche. (C r u s i u s predigte ; Beschreibung 



» Morus vgl. 22. XII. im Jahrb. 1906. 

* Vielleicht der spätere preuß. Minister geb. 1752. Er hatte 
1770 in Halle studiert. 



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des Gottesdienstes und der Kirche. «Er kommt so ziemlich 
ähnlich dem Dr. Luft 1 in Straßburg). ,., (Von hier an 
ist die Tinte wieder dunkel)... (Um 2 Uhr 
hei Zollikofer* in der «neugebauten Kirche der Refor- 
mirten oder vielmehr Saal» ; Beschreibung) . . . (Besuch bei 
Prof. G r u s i u s ; «er redete von den Neuerern der Lehre» 
und empfahl ihm u. a. Müllers 9 in Halle «Widerlegung 
des Semlerischen canons 1774»). Ich bat ihn um Erlaubnuß in 
sein coli, morale kommen zu dörfen, so lang ich noch hier 
wäre ... er sagte : es würde eine große Ehre für ihn sein. 
(«Zu Hause um 6 Uhr meine Zeit schlecht zugebracht.» Stoß- 
seufzer) . . . 

M o n I a g 18. Apr. (Lesen in Ernestis theol. Bibl. etc. 
Nach 9 Uhr zu B I e s s i g und mit ihm zum Ratsherrn 
Stroh I* von S t r a ß b u r g). Nach 10 Uhr gienge M. Bl., 
Hr. Tounefort und ich zu Hr. Prof. Oeser,» dem berühmten 
Mahler etc., bei welchem manches hörte und sähe, welches 
mich den Gang nicht gereut gelhan zu haben. Er zeigte ein 
altes sehr verderbtes großenteils unkenntliches Gemähide, aber 
gewis ein Meisterstück auf Holz, für welches man bei allem 
dem 12 hundert Thaler forderte ; item wiese er ein Gemähide 
von Rubens etc., gar viele vortrefliche Stücke. Durch diesen 
einigen Gang hat mich M. B 1 e s s i g ihme sehr verbunden. 
Hr. Prof. 0 e s e r wohnt in der P 1 e i ß e n b u r g, in welcher 
wir auch die Carlen fabrique beschaueten. Die P 1 e i ß e n- 
b u r g ist ein altes sehr vestes quadrat mit einem dergleichen 
Thurm und in der Mitte ein großer Hof, in welchem Kugeln 
lagen etc. Es ist eine Art von citadelle, ziemlich weitläufig. 
(Bes. des coli, morale von Crusius)... In Leipzig 
ist es mode, daß der Nachtwächter die Stunden ruft 
von 10 Uhr an mit diesen Gesänge: Ihr, ihr Herren, lasset 
euch sagen, der Finger hat 10 etc. geschlagen ; bewahret das 
Feuer und auch das Licht, das kein Schaden geschieht.» Früh 
und Nachm. zwischen 3 und 4 Uhr trinkt jedermann Kaffee. 
Die verbundenen Köpfe sind in Leipzig selbst bei niemand 
inode, auser des Nachts ; L. scheint mir, und ich meine mit 
Hecht, sehr wollüstig zu sein. Wer salade in der Stadt herum 
trägt zum Verkauf, der ruft (i, 8, auch 12 mal hintereinander 
salade und so auch mit den Aepfeln : Aeppel, Aeppel, Aeppel 



1 M. Joh. Pet. Lufft von Schmorsdorf, Freiprediger, 1742 Prof. 
der Theol. (K. V. Bl. 28). 

* Zollikofer vgl. 5. III im Jahrb. 1906. 

3 Der «adj.» Müller ? vgl. 28. 29. und 30. III. im Jahrb. 1906. 

* Strohl vgl. 30. IV. u. a. im Jahrb. 1906. 

* Vgl. oben 14. IV. 



— 176 — 



etc. Das Fl eise Ii, Würste, Füße etc. wird alle Markttage in 
Menge auf Wägen in die Stadt gebracht und unter freyein Himmel 
verkaufet. Noch nirgends habe eine solche Menge Schuhe 
für beide Geschlechter von allerlei Alter und auch recht schöne 
darunter feil gesellen, als hier an den Marktagen wöchentlich 
3 mal. (Kr bringt die für M. Webe r gekauften Bücher zum 
Rathsherrn S t r o h 1 und erhält das Geld dafür) . . . 

Dienstag 19. Apr. (Lesen in Ernestis theol. Bibl. 
u. a.) . . . Ich war willens, zu Hr. Dr. Koern er 1 zu gehen; 
wie ich aber im Vorbeigehen in der N i k o I a i k i r c h e läuten 
hörte, so gienge hinein. (Ausführliche Beschreibung der Bet- 
stunde u. der Kirche) . . . (Gegen 5 Uhr Besuch bei Koern er). 
Er ist ein ziemlich dicker besetzter Mann, dem verstorbenen 
Pfr. Vasco» zu Ittenheim bei Straßburg ähnlich, dessen 
ganz guter Freund er auch gewesen ist. Er fragte von Straß- 
burg, besonders auch von M. Weber, von welchem ich ihm 
ein compliment brachte; in der Woche quasimodogeniti seien 
ganz keine copulationen hier in L. ; er (habe) manchmal von 
8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends Beicht , so daß er nur eine 
Suppe äse des mittags, welches 3 — 4 Minuten daure ; bei 
solcher Beicht gehe es die ersten 4, auch 5 Stunden noch so 
ziemlich an, daß man seinen Kopf brauchen könne, aber her- 
nach werde man vom vielerlei denken und anstrengen wie ver- 
wirrt ; doch helfe der liebe Gott, und man werde auch bisweilen 
sonsten erquickt durch ein herzliches Bekenntniß, Vorsatz etc. 
des Beichtenden. Die Meßgewande u. dgl. bei dem Gottesdienst 
käme noch vorn inlerim her ; die universitaet hätte in vorigen 
Zeiten besser gestanden als jetzo e. g. bei einem He beii- 
st reit,» Deyling 4 etc. — Um () Uhr ging für einige 
Augenblicke zu M. Blessig, welcher mir aus einem Briefe 
von M. Kolb 5 in Straß bürg vorlas, daß M. Fuchs 6 auf 
gewiße Art Feldprediger worden seie unter dem Reg. Royal- 
Suedois an Hr. Eisen 7 Platz .... 

Mittwoch 20. Apr. . . . Nach dem Mittagessen träfe 



i Körner, Pfarrer vgl. 1) IV. u. 7. V. im Jahrb. 19C6. 

* «M. Joh. Sam. Fasco Argent.» in Ittenheim seit 17*il, gest. im 
hiesigen Spital 1772 «als reicher Pfründner» (K. V. Bl. 10;">). 

3 Dr. Joh. Ohrist. Hebenstreit lüSti— 17ö<>, nach Deylings Tod 
<erster Prof.» der Theol. 

< Dr. Sal. Deyling 1077-175") vgl. 7. III. im Jahrb. l ( J0ti. 

5 M. Joh. Fried. Kolb Abendprediger an St. Wilhelm, 1770 am 
Spital (K. V. Bl. H4J. 

« M. Joh. Mich. Fuchs ludim. Willi., 1777 Pfr. zu Kaufeuhcim 
(K. V. Rückseite Bl. HHi). 

7 «M. Georg Jak. Eisen. Feldprediger unter Schwed.» (K. V. Bl. 106 . 



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endlich den Hr. Assessor Seeger 1 an. Er ist ein junger 
Mann, ausnehmend höflich, leutseelig, gesprächig, gelehrt. Beim 
Weggehen überschüttete er mich recht mit den tiefsten Ver- 
beugungen, daß mich innerlich schämte, dergleichen von einem 
so berühmten Manne zu empfangen. Ich richtete den Auftrag 
von Prof. und Dr. Kugler 2 in Straßburg wegen N einem 
Buch oder Disput, aus, ob es nämlich gedruckt seie oder nicht. 
Er sagte, es wäre nicht herausgekommen, es würde abir die 
a. 1760 gedruckte historia juris romani de tutelis et curatelis 
auf künftige Michaelis Messe in Form eines Buches heraus- 
kommen und in demselben auch von der tutela cessitias — 
von dieser war eigentlich die Rede — handien ; er würde die 
Ehre haben, dem Hr. Prof. Kugler mit einem exemplare 
selbsten aufzuwarten, sobald die Schrift gedruckt seie; ,"unter- 
deßen solle ich nur dem Hr. Prof. Kugler seine gehorsamste 
Empfehlung machen, wann ich schriebe. Er fragte nach den 
Umständen von Straßburg und beschämte mich durch die 
Frage, ob des Hr. Adjunct. M. Oberl i n in Straßburg Gellius 
gedruckt seie, wovon ich leider gar nichts wußte; er hätte 
nach dem, was er von dem Werke gehört, ein gutes Vorurteil 
für dasselbe, und Hr. M. Oberlin hätte in Leipzig einzelne 
Schriften aufkaufen lassen zu seiner Arbeit, welche er in 
Straßburg nicht so leicht haben konnte. Er redete von Doktor 
Sem ler n , welcher mit seinen Schriften bei ihm in ziemlichem 
Ansehen steht und von ihm für einen ehrlichen Mann mit 
einem guten Herzen gehalten wird ; auch erzählte er mir ganz 
ausführlich die Begebenheiten des Hr. Faber, fllii Consulis, 
welcher catholisch worden und jelzo als Hofmeister unter dem 
Namen von Legations Secretaire bei dem französischen Ge- 
sandten Grafen von Neuberg in Frankfurt am Mayn 
stehet. — ... Ich zog aus den 3 Bosen in der Petersstraße 
zu dem Traiteur Horn in das Gewandgäßchen 3 Treppen hoch 
in den Hof hinaus in ein ganz kleines Zimmer, doch theuer 
genug. (Abends zu Haus Lesen in theol. Büchern) . . . 

Donnerstag s l\. Apr. . . . gienge zu M. Blessig 
bis nach halb 10 Uhr . . , (Besuch bei Prof. Tha lern an n.* 
Gespräch. Empfehlung an M. Weber in Straßburg.) Ich 
gienge ein wenig in der Messe herum . . . und kaufte ge- 



1 Seeger? Ein Inspektor Seeger ist am 7. II erwähnt 
(Jahrb. 1906]. 

* Kugler vgl. 21. I. im Jahrb. 190«. 

* tutela Vormundschaft, curatio Pflegschaft; cessicius i Juristen- 
latein): zom üeberlassen gehörig. Is, cui ceditur tutela. cessicius 
tutor vocatur. 

« Thalemann vgl. 26. XII. im Jahrb. 1906. 

12 



- 178 — 



bunden : Watts Tod und Himmel in 8 Halle 1727, Pomponius 
Mela 1 in 8 Lips. 1773, Justinii Martyris apologia Graece in 8 
Lips. 1755, und roh : die Wichtigkeit des Ehestands von Sal- 
mon in 8 Leipzig 1738, der rechte Gebrauch und Mißbrauch 
des Ehebettes ib. 1740 ... Es ist alles mögliche hier anzu- 
treffen und allemal die Waaren etc. beisammen in der schönsten 
Ordnung . . . Ich habe nachzuholen, daß M. Blessig unter 
anderm mir diesen Morgen sagte von dem Tode des Professors 
Faber, des jungen und gelehrten und noch (vieles ver- 
sprechenden jMannes .... item, daß ich Hr. Bügling, 
meinen Hausherrn in Halle, in der Messe angetroffen habe 
. . . (Brief nach Straß bürg an M. Weber; Besuch bei 
dem Slraßburger Ratsherrn St roh 1 nach dem Abendessen) . . . 

Freitag, 22. Apr.... fing an, Briefe zu schreiben 
den ganzen Tag, ohne mich anzukleiden bis etwa um 7 Uhr 
abends. Nach dem Nachtessen besuchte ich M. Blessig, bei 
welchem ich M. Wichmann antraf, der schon gar vielerlei 
geschrieben hat; wozu noch Hr. Kapp Dr. med. kam und 
endlich, aus der Comödie, der Hr. Tournefort. Unter den 
vielen lustigen und ernsten Reden prieße M. Blessig sehr 
an: «die Spaziergänge» von Blum* in Berlin, welches Buch 
er für sein Morgen- und Abend gebet buch brauchte, und «die 
Gedanken über das Herz», deren auetor unbekannt ist. Beide 
sind ganz neu. Um 10 Uhr zu Hause redete ich allerlei mit 
Hr. M. Held von Regensburg in der Gaststube . . . 

S a m s t a g 23. Apr. . . . Gegen halb 12 -Uhr mit 
M. Blessig nach dem auditorio philosophico und hörte noch 
ein Stück von der Rede des neuerwählten Rectoris mag- 
n i f i c i Prot. E r n e s t i. Der Hr. Rektor war im Degen, 
wie die übrigen facultatis philosophicae und schwarz gekleidet 
ohne Uiberschlag und Mantel, und über diesem Kleide hatte 
der Hr. Rektor einen kurzen sammeten oder gar purpurnen 
kleinen gefütterten rothen Mantel, der bis an die Ehlenbogen 
reichte. Zween Pedellen hielten in rothen Kleidern mit schmalen 
goldenen Tressen und dergleichen Mantel zween zum wenigstens 
verguldete schöne Scepter. Aus dem auditorio philosophico 
giengen die Herren sämtlich in ein klein Häuschen, daran ein 
Garten war, und der Hr. Rektor kleidete sich da aus. Worauf 
einer nach dem andern nach Hause gieng. Unter anderm hatte 
Hr. Dr. Grusius eine kleine medaille vornen in einem 
Knopfloch hängen als canonicus von Meißen. . . . (Abends 



1 Mela Pomponius, Geograph um 50 n. Chr. 

2 Joach. Christ. Blum 173 ( .)- 1790 aus Rathenow in der Mittel- 
mark. («Spaziergänge». Stendal 1774.) 



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Besuch bei dem Hallischen Wirt Bügling) . . . Nach 10 Uhr, 
da ich schon im Bette lag, verfiele wieder in die abscheuliche 
Gewohnheitssunde (. . . Gebets vvorte). Diese Sünde war Ur- 
sache, daß ich 

S o n n ( a g (1 e n 24. Apr. erst um 7 Uhr aufstunde und 
auch den ganzen übrigen Tag in der größten Zerstreuung und 
eitlen Reden zubrachte. (Besuch der Nikolaikirche: 
Dr. E i c h I e r i liest ceine vortrefliche Predigt» über, das 
Ev. : cUeber ein Kleines» etc.) Man sagte mir, er hätte kein 
Gedächtniß mehr . . . (Beim Gebet um Sündenvergebung nach 
der Predigt hielten die Manner «die Hüte vors Gesicht», die 
Frauen «die Augen zu mit zween Fingern oder den Schlupfer 
vor das ganze Gesicht» . . .) Das h. Abendmahl wurde 
consecriret fast wie in einer catholischen Messe mit klingenden 
Schellen, wobei jedesmal die Chorknaben auf ihre Angesichte 
fielen. Derjenige, welcher consecrirte, war über dem weisen 
Chorhemde mit grünem, ich glaube. Sammet bedeckt, woran 
breite goldene Tressen, eine Kappe und eine Quast von Gold 
auf dem Rücken waren. Die Chorknaben waren ebenso ge- 
kleidet und hatten runde Kappen auf mit Pelz oder mit einem 
Blumenkranz umgeben. Es war mit einem Worte alles grün 
bedecket, was man sonst zu bedecken pflegt als nemlich Canzel, 
Allar, Pult am Gitter, die beiden Wände des Chors; auch 
lag ein grün Tuch oder gar Sammet, eben wie alles übrige, » 
mit goldnen breiten Tressen auf den 4 Staflen des Altars, 
welches noch weit ins Chor hinein lag, auf dem Boden. Bei 
dem Gebet bei consecrirung des h. Abendmahls und nachdem 
dasselbige gänzlich ausgespendet war, knieete, ich glaube, zum 
wenigsten Hr. Dr. Eichler, welcher gepredigt hatte, nieder 
mit dem Gesichte gegen den Allar und ebenso hinter ihm die 
4 Chorknaben. Und der Meßpriester, ich will ihn einmal so 
nennen, im grünen Kleide betele stehend nicht gar mitten am 
Altar aus dem Buche. Der Meßpriester stunde, da das h. Abend- 
mahl ausgespendet wurde, an dem einen Ecke des Allars und 
reichte die Hostie, da dann der communicant hinten um den 
Altar herumgieng und von dem im Chorhemde und Krös den 
Kelch empfieng. Zu beiden Seiten dieser beiden Herren stunden 
bei jedem zween Chorknaben und hielten ein etwas langes, 
nicht gar breites grünes Tuch oder auch Sammet mit breiten 
goldenen Tressen und goldenen Quasten unter, damit allenfalls 
weder Hostie noch Wein auf den Boden fallen möchte. (Tracht 
der Kommunikanten)... (Um >| 2 10 Uhr in derPauliner- 



» Eichler Chr. Gottl. Dr. theol., Pfarrer f 1785. 



— 180 — 



k i r c h e : Dr. Richter 1 predigt . auch über das Ev. . . .) Das 
lange Singen macht, daß gar viele Leute nicht zur Kirche 
kommen oder doch gar wenige bis zu Ende bleiben. («Viele 
monumenta sepulcralia im Chor» . . . Gesang und Tracht der 
Thomasschüler. «Die gewissen Familien eignen Begräbnis plätze 
auf dem Gottesacker an der Kirche»). Um 1 Uhr gienge in 
die Thomaskirche (Beschreibung derselben) . . . (Von i 
bis 6 Uhr bei Blessig). Ein wenig vor 9 Uhr auf meinem 
Zimmer sunge viele Gesänge mit lauter Stimme, fast eine ganze 
Stunde lang. 

Montag den 25. Apr.... gieng zu M. Blessig 
(vergeblicher Besuch bei Rauchhändler Theuerkauf von 
S t r a ß b u r g)» . . . (Besuch bei Ernesti, der ihm das 
hebr. Wörterbuch von Coccejus und das griech. zum N. T. 
von Schoeltgen empfiehlt). Nach dem Essen läse den Meßcata- 
logum durch und verfiele leider . . . wiederum in die schreck- 
liche Sünde . . . (Von 5 Uhr an eine Stunde bei Crusius). 
Er hätte mich bald abwendig gemacht, nach Halle zu 
gehen und sagte u. a. : . . . ich solle lieber wieder umkehren 
nach Straß bürg; dann ich würde völlig meines Zwecks ver- 
fehlen und anstatt Theologie zu lernen, vielmehr das verlernen, was 
ich davon wußte ; hei Dr. Seraler, Prof. Griesbach, 3 AHj. 
Vogel, selbst bei Hr. Dr. N oessei t* solte ich keine collegia 
hören; er bedaure mich; ins Waysenhaus zu gehen, wolle er 
mir auch gar nicht rathen, ich könnte alles besser in Leipzig 
hören, wobei er mir eine Stube in seinem Hause zwo Treppen 
hoch auf die Gasse hinaus für *20 Thaler anbot etc. . . . Den 
Studenten zu Gefallen müsse man t e u t s c h schreiben und 
lesen ; denn das lateinische verstünden sie nicht ... Er re- 
commandirle mir besonders den Hr. Adjunctum Müllerin 
Halle. — Gegen 6 Uhr besuchte ein wenig meine vorige 
Wirthin in den dreien Rosen, Frau Y o r k i n und gienge zu 
M. Blessig, welcher mir sagte, daß die Straßburger 
Rauch händler alle schon gepackt hätten, worauf ich in 
Bestürzung in des Rathsherrn S t r o h 1 Wohnung gieng (er 
trifft ihn nicht und schrieb nun daheim die «addresses und 
versiegelte die Briefe» ; er geht mit dem Packet wieder um- 
sonst zu Stroh! und dann bis 40 Uhr zu Blessig). . 



1 Richter vgl. 25. XII. u a. im Jahrb. 1906. 

2 Zwei Theuerkauf, Jon. Friedr. und Jon. Michael, wurden am 
13. Aug. 1781) als (die letzten) Schöffen der Kürschnerzunft gewählt. 
(Patriot. Wochenblatt, Frühpost 13 VIII.) 

3 Griesbach Joh. Jak. aus Hessen-Darmstadt geb. 1745 f in 
Jena 1812; in Halle seit 1703, neutest. Kritiker und Exeget. 

* Noessclt. vgl. Jahrb. 190«, 30. I. 



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Dienstag den 26. Apr. . . . noch vor 7 Uhr zu 
Rthsh. S t r o Ii I, der angekleidet an der Thür auf der Gasse 
stund. Er ijahm das mitgebrachte gern und recht freundschaft- 
lich an. (Abschied von Th e ue r ka u f; Besuch beißlessig; 
erst um 9 Uhr zu Hause «caffee* ; nach Tisch noch einmal zu 
S t r o h 1,- der ihm «Danziger Goldwasser zu trinken gab». 
Abschied). Die Briefe en paquet nach Straßburg waren : 1. an 
Hr. M.Weber. 2. Hr. Oertel. 3. B i r r oncle. 4. M. 
R e d s I o b. 5. Hr. Prof. S t o e b e r. 6. Hr. Dr. Loren z. 
7. Hr. Dr. Kugle r. 8. Hr. Prof. Lorenz, u. einige Zeilen 
an Hr. Horlacher Handlungsbedienten von schwäbisch 
Halle bei Hr. Bin* cousin in Slraßb. . . . (Besuch bei Prof 
Morus; Gesprach über die Slraßburger: M. Webe r und 
Engel, 1 tdie Lebensart der Stud. auf univers.» und Theo- 
logisches) . . . (Zwei Besuche bei ß I e s s i g : «ich erzählte 
ihm von Straßb. und besonders vom letzten Magisterio») . . . 

Mittwoch den 27. Apr.... besorgte meinen 
Mantelsack und gien«e zu M. B I e s s i g. Er gab mir einen 
unversiegelten Brief an Dr. Se m 1 e r, welchen ich versieglet! 
solte in Halle. Er sagte: wenn er was in Halle zu bestellen 
hätte, so wolte er sich an mich wenden, und es würde ihm sehr 
angenehm sein, wenn ich und andere in S t r a ß b u r g, 
welche mit ihme nicht einstimmig dächten, mit einander corre- 
spondiren und einer gegen den andern sich erklären würde ; 
dann sonst, wo es so fort gienge in Strasburg, wie es 
jetzo geht, daß man so verschiedene Denkungsart hätle im 
predigen elc, so könnte an keine, doch so nothwendige Ver- 
besserung gedacht werden. Er küßle mich beim Abschied und 
begleitete mich bis an die Thür, und ich sagte ihm, auser 
den Wünschen, herzlichen und schuldigen Dank für das, was 
er mir erwiesen. (Die Kutsche fuhr mit einer Stunde Ver- 
spätung ab um 10 Uhr ; er hatte «den Platz auf dem Bock ge- 
dungen» ; Ankunft in H a I 1 e Abends nach 7 Uhr), Ich mußte 
eine ziemlich scharfe Durchsuchung meines Mantelsacks, ja 
selbst meines Rocklors* und Rocksäcke ausstehen. Hr. Büch- 
1 i n g, 3 eine niece von ihm und sein Sohn kamen auf 
meine Stube und bewillkommten mich. Ich aß zu Nacht im 
blauen Hechten. (Dann noch «eine Pfeife Tabak» auf 
Buchlings Stube mit «Hr. von der Heide, einem armen 
Studioso aus der Pfalz», der auch hier wohnte und dem er 



1 Phil. Jak. Engel. Abemlprediger an St. Wilhelm, «Diakonus 
zu Eckboisheim und Scharrachbergen» (K. V. Bl. IM Rückseite). 

2 Rocklor = Roqnelaure« Rcisemantel vgl. lö. VI. im Jahrb. 1906. 

3 Büdding = Biigling; vgl. 21. IV.; auch 28. I. im Jahrb. 1906. 



- 182 — 



seine «Gesinnung in Ansehung» Sem I e r s «ziemlich deut- 
lich entdeckt».) 

D o n n e r s t a g d e n l 28. Apr. («Auspacken und Hin- 
richten» ; nach Tisch mit B I e s s i g s Brief zu Semler). . . 
Er läse ihn und wolle verschiedene Mahle allerlei Gelegenheit 
geben zu reden ; ich ließ mich aber gar nicht ein mit Hiesein 
Manne. (Prof. Griesbach wohnl in Semlers Hause, war 
aber nicht daheim). Dem Hr. Prof. Thunmann über- 
reichte die Charte, welche Hr. Pivern stahl in Mann- 
heim geschrieben hatte nebst dem Hr. Baron Rudbeck 
(vgl. 13. HL). Er ist ein junger, sehr artiger Mann ... Es 
war bei ihm Hr. M. Graffmann und Hr. H u m b I a, 
welchen ich ein compl. von M. B I e s s i g ausrichtete. Es 
that mir webe, daß ich diese Herrn gar nicht nutzen konnte, 
da sie alle drei eben im Begrif waren auf das reformirte Gymna- 
sium zu gehen, um die dasigen Bedeübungen anzuhören. Am 
schwarzen Brett läse ich das angeschlagen ; es betraf theils 
die collegia, theils die Aufführung der Studiosorum mit den Heiz- 
peitschen, hazardspielen, Landsmannschaften etc. . . («An der 
Thüre der Wage gleich neben dem schwarzen Brett» waren viele 
gebundene Bücher angezeigt ; er kauft einige ungebundene 
«bei Frau H e n d e I i n, der Muter des universit. Buch- 
druckers», darunter für sich und Blessig «Ür. Semlers 
Leben und seiner ersten Frau» in 8, 177*2 . . . 

Freita«f den 2J. Apr. . . (Der Stud . v . d. Heide 
besuchte ihn und erzählte von «seinen dürftigen Umständen» ; 
er war ein Pfarrerssohn aus Sinsheim und bisher nur von 
seinem Valer unterrichtet worden. Neuer Bücherkauf bei der 
Hendel; Spaziergang «zum Steint hör hinaus» in die 
blühenden Bäumt' . . . 

Samstag den 30. Apr. (Gegenbesuch bei v. d. 
Heid e, dem er «einen zinnernen Löffel schenkt» und dritter 
Einkauf bei der Hendel; hiev lernt er einen Hr. H e 1 c k 
«aus dem seminario» kennen, dessen Vater ein Slraßbur^er 
war . . .) Wir redeten u. a. auch von Hr. D i e m e r, so 
als missionarius aus dem Waysenhaus gegangen ist und in 
c o 1 I e g i o Wilhelm, zu S t r a ß h. gewesen war. 1 . . . 

Sonntag den 1. May (Um 8 Uhr in die Ulrichs- 
kirche: Liturgie; man sang 40 — 50 Verse, «welches nur 
schrecklich viel ist» ; der Prediger Pastor G i nc k e «that sehr 



' Jon. Sigism. Lorenz an Lamey (Mannheim; am 15. II. 1 773 : 
«Einer meiner Auditores, namens I) i c m e r geht nun zu der neu- 
gepflanzten cv. luth. Gemeine in Amerika als ordentlich berufener 
Pfarrer> (Barack, Handschriftenverzeichnis S. 1G0. Nr. 120). 



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-- 183 — 

andächtig, wie es so hierum durcligehends eingeführet ist» 
(Beschreibung des Gottesdienstes und der Abend mahlsfeier) 
. . . (Nachm . in der Moritzkirche: Böttic her 
«gewesener Insp. auf dem Waysenhaus» predigte). 



(Das folgende, zweite lieft fehlt: = Seite 100 - 225 ; 
das dritte beginnt mit dem 27 Juli und trägt die »teilen- 
weise ausgerissene üeberschrift : «Diarium M.... Henrici 
Patrick... theol. Arg. 1774, Julius versus finem Halle in 
Magdeb. item Wernigerode, Halberstadt, Magdeburg, Barby, 
Leipzig, Doelitseh, Döbernitz eto — Iiier beginnen auch 
die aus der Mitteilung im Jahre 1906 bekannten Inhaltsan- 
gaben am Rande). 

Ich nahm das Anerbieten (mit der Frau Hofrat Becker, Mittwochjuiius 
der Schwiegermutter des Dr. Noesselt, zu fahren) ohne 'Antrag wegen' 
vieles Bedenken an. (Die untere kleinereHälfte dieses e wern?g"ode. h 
ersten Blattes ist abgerissen) . . . 

. . . (Besuch bei Noesselt, der ihm «compl. nach Do . n 8 n y*, 1 "* 1 
Halberstadt, Wernigerode und Magdeburg» mitgab und mit Rci>e nach w. 
ihm «auf dem Platz vor den Stuben — Hausehren 1 — auf 
und nieder» ging.) Hr. Noesselt fuhr (um 9 Uhr) mit eine 
Stunde weit bis nach Drode* ... es wurde allerlei von Porf Drode. 
Reisen geredet, von dein Blocksberge und den Aben- 
theuern davon . . . (N. geht zu Fuß zurück). Nun war 
ich allein mit der Fr. Hofräthin (ihr gehörte die Kutsche ; 
«die Pferde aber waren extra poste» ; das Gespräch war 
«theils von göttlichen Dingen», besonders nachdem er aus? 
Bogatz kys> «goldenem Schatzkästlein» vorgelesen hatte; 
die Gegend «ganz offen und angenehm» ; (über Nacht «zu 
Aschers leben in der Vorstadt»; zur freien Fahrt kam Freies Essen, 
freies Quartier) . . . 

. . . (Weilerreise ; «schlimmer Weg von vielem Regen»; Freitag. 'J9.juii. 
in Halberstadt «trunken wir caflfee anstatt des Mittag- Haiberstadt, 
essen s ; gegen 5 Uhr in Wernigerode; die Verwandten Wernigerode, 
der Frau Hofrat mit ihrem Schwiegersohn, Secretarius 
Tympe, und ihre 80jährige Mutter waren «derselben vor 
dem Thore entgegengekommen und setzten sich zum Theil 
in die Kutsche) Der Hr. Hof rat Becker . . . war so gütig, 
mich in sein Haus aufzunehmen . . . Die Mutter der Frau 
Hofrälin . . . noch bei guten Kräften des Leibes erquickte 

1 Aehre mundartlich) = Flur (Haasäre vom lat. area; 
franz. aire. 

2 Trotha. 

3 Bogatzky vgl. 21. I. im Jahrb. 1906. 



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- 184 - 

mich insonderheit durch ihr großes geistliches Leben und 
Munterkeit. (Er saß beim Nachlessen neben ihr.) Ihr Mann 
ist Oberberg meister Harzig . . . (eine zweite Tochter, 
«Frau Räthin Oppermann», speiste auch mit) . . . 
Samstag, . . . (Hofrai B., «ein redlicher und lebendiger Christ», 

30 Juh gibt ihm theol. Bücher zum Lesen) . . . darauf kleidete ich 
mich an und besuchte den Hr. Gonsistorialrath Hilde- 
brand und brachte ihm zwei complimente von Hr. Insp. 
F a b r i c i u s und Witte 1 in Halle (Mitteilung des Ge- 
sprächs) . . . (Nach Tisch mit Hofrat B. aufs Schloß in die 

Die Bibliothek. B i b Ii o th ek). Diese gräfl. Stollbergische, von dem vorigen 
seeligen Grafen Christian Ernst etwa zwischen 1730 und 
17^0 angelegte Bibliothek ist größer und vorzuglicher als die 
churfürstl. in Mannheim. (Beschreibung; Bibliothekar 
ist «Hr. Rassmann», Prof. am Gymnasium) . . . 

Sonntag,3i Juli. ... da ich über dem Gebet war, so rufte mir Hr. Hof- 
rath Becker zum caffee, nach welchem ich im Gebet fort- 
fuhr . . . (Besuch der Schloßkirche; Hofprediger Sch midt; 
Kirche und Gottesdienst werden beschrieben ; ebenso das 
Schloß; Gespräch mit dem Hofprediger) . . . (Nachmittag 
s. Johannis- mil j^ofr. Becker in die Johanniskirche, wo 
M. Propst predigte; kurze Beschreibung) . . . (Nach- 
mittagskaffee im Familienkreis bei Frau Harzig) . . . Nach 
dem Nachtessen war wie bisher Hr. Hofr. B. mein Gesell- 
schafter, der mir . . . wichtige Dinge sagte, besonders in 
Ansehung eines Königl. preuß. edicts wegen den Huren . . . 

Montag, i. au- . . . war in der Betstunde in der dem Hause gegenüber 
SyiveswV- stehenden Sylvester- oder Oberpfarrkirche (Pastor Plessi nk . . .) 

Kirö p f y re 0ber - besuchte um 9 Uhr Hr. Pastor Hermes. Er ist ein 
kleiner Mann zwischen 50 und 60, aber ein Gelehrter . . • 
(Mittag beim Hofrat Fritsch auf dem Schloß, wo «von 
erbaulichen und guten Dingen gesprochen» wurde; dann 
mit Hofprediger Schmidt «in die Conferenz der hiesigen 
redlichen Knechte Gottes», diesmal in Cons. Rats Hi Ide- 
bra n d Haus; Anwesend die Pastoren: Kaiisch, Breit baupt, 
Pleschink, Schmidt, Hermes, also kein Konventikel, sondern 
ein pietistisches Pfarrerkränzchen.) . . . (Wandelgespräch 
mit Hofrat Becker «von den Ehegesetzen Mosis») . . . 
Dienstag. . . . (Paslor Breithaupt, an 70 Jahre alt, e,D 

2 Aug «weitloser Anverwandter des seligen Hr. Abtes Breithaupt» i 
Betstunde im Waisenhaus ; Pastor Kaiisch, Superinten- 
dent Ziegler, «der redliche Schulmeister» Ho topp von 
Schwarzau; gemeinsames Gebet mit Hotrat Becker) 

i Insp. Witte vgl. lö. XII. im Jahrb. 1906. 



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- 185 - 



. . . rüstete mich auf die Reise ... Hr. Hofr. B. hl £ n £°* h ' 
schenkte mir einen dänischen Dukaten von 1(366 . . . (Ab- 
schied) Die Poste hatte Hr. Hofr. B. ebenfalls noch gestern 
Abend bestellen und bezahlen lassen . . . (Abfahrt 8 Uhr ; 
Ankunft in Halberstadt halb 11 Uhr; Mittag bei Pastor Haiberstadt. 
Streithorst; Besuch bei Consistorialrat Struensee 
und der D o m k i r ch e). Sie ist dem h. Slephano gewidmet DicDomkirchc. 
und inwendig größtenteils wie das Münster in Straßburg . .. 
Ich sähe zwischen 30 und 40 theils wirkliche Domherren, DieDomherren. 
theils vicarios im Chor. Sie hatten ihre gewöhnlichen 
Kleider an und, wie sie sonst giengen, mit perruques, Haar- 
beuteln, rundem Haar, Zöpfen. Lieber diesem ihrem Kleide 
hatten sie einen schwarzen Uiberrock und über diesem ein 
.weises Chorhemd, welches bei den adelichen mit rothem 
Sammet und bei den andern mif schwarzem eingefaßet war 
um den Hals herum. Bei manchen hieng noch eine Art 
von dergleichen Kappe hinten herunter. Sie stunden größten- 
teils auf beiden Seiten in ihren Stülen. Die übrigen 
stunden je drei auf beiden Seilen an einem Pulte, worauf 
das Breviarium Romanum in folio lag. Noch einer war 
allein an einem ganz großen Pulle. Es wurde gelesen, ge- 
sungen und so immerfort mit darzwischen spielender Orgel 
und allerlei Abwechselungen, da sie bald sasen, bald stunden 
etc. Ein jeder hatle anstatt des Hutes ein kleines schwarzes 
Baretlein, rothgefüttert. Gegen 3 Uhr halle dieses ein Ende, 
da dann ein jeder im Creutzgange seinen besondern kleinen 
Schrank hatte, in welchen er seine ausgezogene gottesdienst- 
liche Kleider legte. (Besuch beim Generalsup. Jacob i, 
«welcher mir nicht richtig zu denken scheint») . . . Ich 
logierte mich in den König von Pohlen zu Hr. Himmel . 
wolte mich auf die Poste einschreiben lassen für morgen 
früh nach Magdeburg. Weil aber die 6 ^ Stücke nicht 
angenommen wurden von dem Secretaire, so entschloß ich 
mich zu Fuß zu gehen, indem es mich däuchte, gar viel 
Geld zu sein : 1 Thaler 12 Groschen, ohngeachlet ich wirk- 
lich (= zur Zeit) schon 2 Groschenstücke eingewechselt 
hatte. (Abendessen bei Struensee; dann in einem 
Nebenzimmer eine Andachtsversammlung von etwa «12 Bür- 
gern». Es wurde gelesen, betrachtet und gesungen). Plötz- 
lich stand er auf und sagte : «Herr Patrick, sie beten 
mit uns und für uns!» Alle anwesende würfen sich auf 
ihre Knie und ich desgleichen und betete laut. Ich kann 
nicht sagen, wie große Gnade mir Gott geschenket hat in 
diesem ganz unvermutheten Fall . . . (einer der Teilnehmer, 
Kaufmann S p i e 1 k e , gab ihm einen Brief an seinen 



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«To«:hteriiiann», den Pastor Werner in Buckau) Die 
Magd (des Spielke), die mich nach meinem Wirtshause führte, 
hat mich durch ihr erbauliches Gespräch vergnüget und er- 
muntert . . . 

Donnerstag, > # > stund auf vor 4 Uhr . . . und ging gegen halb 

6 Uhr fort. Unterwegens läse ich in Bog. Schatzk. (I i| f Stun- 
den Rast in Hadm er sieben; «das Gasthaus ist Anhalt- 
Dessauisch») . . . Etwa um halb 12 Uhr gieng ich weiter 
und kehrte ein in Wansleben im Ralhskeller. (Am 
Rand: «Wansleben, ein Städlchen. Der Ratskeller ist das 
einzige Gebäude in demselben, das man ein Haus nennen 

icbJn%in U Dorf. kann ») • • • In Gros-Oltersieben* Irunke ich das 
ersle bittere Magdeburger Bier . . . (nach 8 Uhr Ankunft 
Magdeburg. in Buckau bei Magdeburg, Übernacht bei Pfarrer Wer- 
ner, wo er sich «mit dem Ausziehen seiner Stiefel sehr 
ermüdet») . . . 

F Das a Clo«Uc U r S * * ' NaC " (Je " 1 MEssen l» nr,e m ' cl1 Hr. Pastor W. 

Hergen. nach dem Closter Bergen« (Besichtigung der Bibliothek 

und des Gartens, der «fast ganz Natur ist», und des Na- 

turalienkabinctts) . . . 

Samsiag.6.Aug. . . . gieng nach der Stadt Magdeburg und spat- 
Magdcburg. . * " . . n " * 

zierte herum, bie ist ziemlich groß und regelmäßig gebauet, 

die Häuser durchgehends groß und dauerhaft. Der breite 
Weg ist die breiteste Gasse und gehet mitten durch von 
einem Thor zum andern . . . Die Stadt wird durch 
3 Veslungen beschützt, welche aber kein Fremder ohne 
Der Dom Paß zu sehen bekömmt. Der Dom von beinahe 900 Jahren 
ist sehr solid ; hat vornher 2 große Thürme und hinten 
einen ganz kleinen. Uebrigens ist er wie dergleichen Ge- 
bäude von Gothischer Bauart. Die Kunst des St raß- 
burger Münsters muß man nicht an ihm suchen. 
(Mittag im «weisen Schwanen»; Besuch bei dem «christlichen» 
Handelsmann Fritze und im Kloster bei den I^ehrern 
Zerenner und S p i e I k e.) Es wurde mir da fast 
wehe, und ich meinte, ich müßte mich ergeben. Und 
hier will ich zu meiner künftigen Warnung und desto 
größerer Vorsicht, wenn mir anders Gott Leben und Ge- 
sundheit wiederschenken und noch länger verleihen wird, 
die Ursachen hersetzen von dieser Schwäche und Wehe. 
Es können folgende sein : 1) die Erhitzung im Gehen von 
Halberstadt bis Magdeburg l 2) ein Gurkensalat! am Freitag 



> Groß Ottersleben. 

2 Benediktinerkloster, gest. 937 von Kaiser Otto dem Großen, 
lf)Gr> protestantisch und Erziehungsanstalt. 



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— 187 — 



nachts, davon ich ziemlich gegessen 3) einige ringlots, i grüne 
Pflaumen, etwa eine Stunde nach dein caflee heut morgens 

4) ein Theil des Mittagessens im weisen Schwanen, da ich 
u. a. ase gerösteten Speck mit Eiern und eine Eierbretzel 

5) nahe beim Closter Bergen kaufte saure Kirschen s. ama- 
relles und ase einige davon 6) im Closter selbst rauchte ich 
labac und trunke bei 3 Kelche weisen mit rothem vermengten 
Wein 7) und endlich rauchte ich noch eine Pfeife tabac eben 
im Kloster, worüber es mir anfieng, webe zu werden. Auf 
dem Wege nach Hause so spührte ich abwechselnd Frost 
und Hitze . . . gieng mit Thee zu Bette. Die Frost wurde 
stärker, wie auch die Hitze, und ich schlief sehr unruhig. 

Des Morgens war ich sehr durstig und schwach ; ich Sonntag, 7.Aug. 
trunke Thee und konnte den ganzen Tag kaum einige 
Augenblicke auser dem Bette sein. Um 9 Uhr mußte ich 
mich ergeben zum erstenmal, nach Mitlag zum zweitenmal, 
ob ich gleich nur ein wenig Habergrütze gegessen halte, so 
aber freilich nach hiesiger Zubereitung säuerlich war ; und 
elwa um 6 Uhr zum dritten Mahle, ohngeachtet ich vorher 
Nußbranntwein getrunken halte . . . (einige Zeit in» Sessel, 
dann wieder ins Bett, noch einmal Nußbranntwein, trockene 
Hitze, ziemlich ruhiger Schlaf, gegen Tag «einiger Schweiß».) 

Heule stunde auf etwa um 7 Uhr, stärker als gestern Montag. s. Aug. 
. . . doch wird mir das Beden sehr sauer; auch hört der 
Durchbruch bis jelzo noch nicht auf . . . (Schreiben «dieses 
journals» und Lesen) . . . (Abendspaziergang mit Werners) 
zur hintern Gartenthür hinaus, wo wir einen schönen Wald, 
das Dorf F a rme'r sieben,* den Fluß Sülze,» eine 
schöne Wiese, Felder etc. im Gesichte hatten . . . 

(Trotz plötzlichen Schweißes und noch vorhandener Mal- Dienstag, 
tigkeit Weiterreise gegen halb 11 Uhr.) Die Frau Pastor 
ließ mir noch Habergrütze kochen und packte mir Butlerbrod 
und Fleisch in Papier . . . Ich hatte Thränen in den Augen, 
und das Herz war mir schwer. Sie beide selbst waren auch 
ziemlich gerührt . . . Und so gieng ich ganz schwach und 
Schritt vor Schritt bis in das Dorf Weslerriede* 1 »12 DorfWcster- 
Stunden etwa von Buckau. Daselbst speißle ich zu Mittag 
gebratene Bratwurst, ein klein wenig Salade, ein Bißgen 
Brod und nicht ganz einen Straßburger Schoppen B r i h a n * 
und zum Schluß ein wenig Brantwein, weil ich gar keinen 



1 reine-claudes. 

2 Farslebcn. 

3 Links in die Elbe. 
* Westerhüsen. 

5 Breihahn. Weizenbier. 



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— 188 — 



Schornstein- 
feger. 



Die Stadt 
Schönenbeck. 



appetit halte. Nach dem Essen war ich schwächer als vor- 
her, daß ich mich bald in den Schallen der Weidenbäume 
niedersetzen mußte. Wie ich mich ein wenig erholet hatte, 
so läse ich etwas in Bog. Schtzk. Uiberdem kam ein Schorn- 
steinfeger herzu mit seinem Bündel auf dem Buckel, welcher 
schon einige Wochen herumlauft, gebürtig aus Regens- 
burg und catholisch ; doch schien er nicht dumm zu sein. 
Er setzte sich ein wenig zu mir, und wir giengen hernach 
miteinander ganz angenehm bis S c h ö n e n b e c k , wo 
er sein Geschenk holte.» (Großer Durst; Milch; «dieser 
aber ranne im Magen zusammen», große Schmerzen; Er- 
Si"a da 7 U jihr« brechen ; endlich nach mehrfachem «x\iedersitzen» Ankunft 
von einer Bru- i n Giudau,) Da ich einen Brunnen sähe, so irunke ich 

dergemeinde 

angeiegtesDorf Wasser daraus. Sobald ich im Gasthofe war, ließ ich mir 
st°rVu7d 0 eln?m Wasser und Ü mal Brantwein geben. (Unruhige Nacht) . . . 
Wirthshaus. Ueber dem cafl'ee gab ich mich gegen den Wirth und einen 
andern Bruder (Herrnhuler) als einen neveu der 3 Herrn 
Dürninger (vgl. 30. III) zu erkennen. Des Bruders seine 
Frau bezeugte mir viel Liebe und gab mir Magentropfen (gute 
Wirkung) . . . (Besuch des Ordinarius Pastors Hasset; 
Hr. Ordinarius Gespräch über die Brüdergemeinde und ihre Missionen; Be- 

Hülset 

siehtigung des Gemeindesaales. Weiterreise nach Tisch; 
aber immer noch «Schritt vor Schritt». Doch kam er «ge- 
stärkt und ohne Mattigkeit in Ba rby an.) Ich hielte mich 
beim Buchbinder H e r k e auf und sähe mich in den vor 
mir liegenden Büchern der Brüdergemeinde um. (Er findet 
«nichts Irriges» darin und kauft «Kurzgef. Nachricht von 
der Bd. Gem. 1774 von Spangen b e r g » 8 , den er 
hei nach auf dem Schloß besuchte.) Wir wurden bald ver- 
traut . , . er ist ein ganz aufrichtiger Liebhaber Jesu und 
dabei sehr leutseelig und gelehrt. U. a. recommandirte er 
mir in Absicht auf das jus canonicum Briefe, welche Hr. 
Hofrath Carl Bretschneider mit dem Hr. Geheimden- 
rath von Moser 3 gewechselt hat. (Auf dein Weg zum 
Gasthause Nasenbluten, das am nächsten Moigen wieder- 
kehrt) . . . 

. . . (Frühstück bei Spange nberg und Frau, 
die «eine ganz artige Persohn») ... er gab mir ganz an- 
genehme und unbekannte Nachrichten von meinen 



Mittwoch, 
10. Aug. 



Die Stadt 
Barby. 



Spangenberg, 
Bischof der 
Brüder- 
gemeinde. 



Donnerstag, 
11 Aug. 



1 Von der Zunft. 

2 Spangenberg Aug. Gottl , Bischof der Brüdergem. 1704 bis 
1792, Biograph Zinzendorfs Bände). 

3 Jon. Jak. v. Moser aus Stuttgart 1701—1785, der bekannte 
«Landschaftsconsulent>. 



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— 189 — 



verstorbenen dreien Hr. oncles Dür - Mei " e Herren 

Onclcs 

ninge'r. Sie wären alle drei recht redliche Leute ge- Düringer. 

wesen, besonders aber Abraham, der auch sonst weit und 

breit wegen dieser seiner Redlichkeit und großen Einsichten 

bekannt und im Ansehen war und noch ist. In Absicht auf 

seine Handlung besonders hatte er diesen Grundsalz: ich 

suche dadurch meinem Heiland und meinem Nächsten zu 

dienen. Wem es also kein wirklicher Dienst wäre, der 

solle nicht bei ihm kauten . . . Sein Stiefsohn Obermüller 

... ist sehr schwächlich und noch auf dem Comloir ; denn 

nicht nur seine Handlung geht fort, sondern noch immer 

unter dem alten Namen, als wenn er noch lebete . . . 

(Spangen berg hat die Zeche im Gasthof bezahlt. 

Weitermarsch bei Regenweiter über Kalbe, 1 «eine ganz DieStadtKaibe. 

artige Stadt» nach N i e m b u r g ; 2 vor der Stadt im Die Stadt 

01 . .v Niemburg. 

Schwanen Nachtquartier). 

... >U nach 6 Uhr verließ ich meine Herberge. Ich wurde Freitag Aug. 
gewarnet, durch die Stadt zu gehen wegen der schlechten 
Steigen über das Wasser. Doch schiene mir die Stadt ziemlich 
gut gebauet; nur siehet man hin und wieder, daß der grau- 
sa nie Mars auch ein mal da gewesen. Bernburg liegt B^nSurg 1 
eine kleine Meile von Niemburg und sieht ganz gut aus. 
(Fürstliche Schlösser und Gärten ; schöne Brücke über die 
Saale ; eine große Kirche mit gemalten Fenstern.) In dem 
Dessauischen Flecken B r e i c h 1 i t z oder G r e i b z i g s 
speißte ich zu Mittag, so wie ichs haben konnte. Es war da 
eine Weibspersohn in ganz elenden Umständen, die aber 
ausnehmend schwatzen konnte. Sie erzählte, daß sie von 
Prag herkäme und beim Kaiser in Wien eine Supplique 
eingegeben hätte etc. . . . gienge alle Augenblicke irre und 
hatte sehr schlimmen Weg, so daß ich um 8 Uhr ganz er- 
müdet im Dorfe Oppin einkehrte zur grünen Tanne- DasDorf Oppin. 
Der Wirlh fragte mich ganz genau, wo ich herkäme, wo 
ich hin wolle, ob ich meinen Paß hätte etc., daß ich endlich 
ganz ungeduldig und böse wurde und etwas hitzig fragte : 
«Kann ich endlich hier zu Nacht bleiben?» Nun ja, sagte 
er darauf, und war alles ganz gut (der Wirt erzählt «von 
seinen Taten im letzten Kriege», und daß das oben er- 
wähnte Weib auch bei ihm «sich hochmüthig bezeuget 
hätte», obgleich sie sich die Zeche erst im Dorf habe «er- 
betteln müssen»). 



i Calbe. 
* Nienburg. 
: * Gröbzig. 



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— 190 — 



Samstag, 
13. Aug. 



Sonntag, 
14. Aug. 
Halle. 



Montag.15.Aug. 



Dienstag, 
16. Aug. 



Mittwoch, 
17. Aug. 



Donnerstag, 

18. Aug 
Botin, Gesch. 
der schwed. 
Nation im 
Grundriü. 



Freitag, 19.Aug 



Aufsagung de; 
logis. 



(Um 6 Uhr Aufbruch, Wiederankunft in Halle 
8 Uhr Dankgebet) ; Den Hr. von der Heiden (vgl. 27. 
IV, ff.) ließ ich mit mir caflee trinken und suchte mich 
durch Wasser etc. zu erholen . . . schrieb dieses jourual. . . 
und die Ausgaben aus der Schreibtafel ins Buch . . . 

. . . trödelte herum so lang, daß ich erst um , fill Uhr 
angekleidet war . . . sagte dem traiteur auf dem Waysen- 
hause, daß ich wieder zu Tisch kommen würde . . . (Erst 
Nachm. in der Kirche : ocGIauchischen Kirche» ; Diakon 
Niemeyer 1 predigte ; Kirchenschlaf) . . . legte mich zu 
Bett etwa um halb 11 Uhr ohne Gebet. 

. . . von 6 — 8 in collegiis, doch ohne etwas nachzu- 
schreiben (desgl. von i) — 10 Uhr) . . . läse politische 
franz. Zeitungen 4 und gelehrte Jenaische zwo bis 4 Uhr. 
(Nach dem Abendessen Spaziergang «im Feldgarten») . . . 

. . . jetzo werde ich anfangen, Briefe zu schreiben . . . 
(Lesen in Boti n s* Geschichte von Schweden, bis ich zwo 
gelehrte und eine polit. franz. Zeitung bekam . . . (das 
Abendgebet «rauf dem Bette ganz kalt und ohne Emptindung 
eines Betenden»). 

. . . weckte Hr. von der Heide und Oehlschläger ! 
nahm poudre d'A. ein nach vorhergegangenem demüthigen 
Gebet (!), und Gott segnete es auch nach seiner großen 
Gnade gegen mir . . . der Peruquenmacher schnitte mir 
die Haare . . . (Lesen in Botin noch nach dem Abend- 
essen bei Licht.) 

. . . (6—8 Kolleg ; dann Lesen in Botin bis zu 
Ende) das Buch ist unparteiisch und gründlich geschrieben 
mit vielem Verstände und kurz . . . Sodann nahm ich vor 
mich : Kritische Sammlungen zur neuesten Ge- 
schichte der Gelehrsamkeit 1. Bd. 1. Stück in 8 Bützow 
und Wismar 1774 (Hauplmitarbeiler ist Kons. Rat Rein- 
hard t in Bülzow. Dieses «journal» ist gut) . . . 

(Vorm. im Kolleg ; Nachm. bei Seeg er . . . hatte mit 
meinem Branntenwein und rasiren zu thun und besuchte Hr. 
M. Müller. . . gienge zu Hr. Büch I in g . . . dem ich 
sagte, daß ich nicht wüßte, ob ich noch nach Michaelis in 
Halle sein würde und, wenn ich noch hier wäre, so 
wäre mir das logis zu theuer. Darauf that er mir den Antrag: 
das Zimmer, Aufwartung und Holz frei zu geben, wann 



1 Niemeyer Gotth. Ant. 1757 - 1809 aas und in Glaucha 
(ehem. besondere Stadt, jetzt mit Halle vereinigt). 

2 Andreas von Botin f 1790 in Stockholm. Seine schwedische 
Geschichte erschien 1767 deutsch (von Backmeister) in Riga und 
Leipzig, 2 Bände. 



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ich seinen Sohn täglich eine Stunde unterrichten würde, 
welches ich in so fern annahm . . . 

. . . (Am Rand : Drei Schriften nach Werni^e- % m \$jj' 
rode nebst einem offenen Brief an Hr. Superintendent 
Z i e g I e r) nemlich : 1. ein exemplar von S e m ! e r s 
Leben an den Hr. Superint. selbst. 2. Das zweite (davon) * 
an Hr. Hofr.. Becker oder an jemand anders 3. Silber- 
sehl a g («Gedächtnismahl des Herrn Jesu») an Frau Ober- 
bergmeisterin H a rz i g i n . . . (Nachm.) suchte bei 
der Frau K r e b s i n einige Disputationen für Hr. Prof. 
S t o e b e r (in Straßburg) . . . 

Ich stunde auf gegen 8 Uhr und trödelte leider, wie ^"JJg' 
gewöhnlich, herum, daß ich erst gegen 10 Uhr angekleidet 
war und in die Garnisonskirche gieng, wo ich 
den neuen Feldprediger Hr. Matusson hörte. (Er hat) di g£ r Malussen, 
geringe Gaben und auch einen schwachen Cörper, doch ist 
sein Vortrag orthodoxe, da der vorige, T i e d e, nur Moral 
vorgetragen ... Zu Hause nach halb 11 Uhr sunge ich 
einige Lieder mit lauter Stimme, darüber sich eine Stube 
voll Studenten gegen mir über aufhielte . . . (Um 2 Uhr 
in der Ulrichskirche; Prediger : M. Sc h u I z ) . . . 
Hr. Müller machte mich mit Hr. Bickelhaub, Wein- 
händler, bekannt, einem geborenen Straßburger . . . 
(Mit Müller in «Wagenführers Garten») . . , 

. . . Nach dem Nachtessen läse bei Buchbinder H o f- Montag,22.Aug. 
mann im 3. Theil der «Leitungen des Höchsten nach 
seinem Rath» von M. Stephan Schulze, besonders die 
Nachricht von Straßburg, welche ganz seichte und 
fälschlich ist, fast so viele Unrichtigkeiten, als Zeilen. 
(Am Rand : Brief an Hr. Pastor Werner in Buckau, so 
ich am 23. Aug. fortschickte.) . . . 

. . . (Lesen im 4. St. des 3. Bd. von E r n e s I i s ?4 e Aug g ' 
neuester Theol. Bibl.) . . . läse die franz. pol. Zeitung, 
Hickte Strümpfe . . . betete und legte mich um 11 Uhr. 

. . . läse einige Briefe von Z w e i b r ü c k e n, so ich ^"Tug.' 
schon d. 16. april in Leipzig emptieng und schrieb die 
Antwort darauf, (an Assessor Patrick vgl. 16. IV.) Nach Der große u 
dein Mittagessen . . . wiese mir Hr. M ü n c h den großen wdne^Bettsaai 
Bettsaal von 120 Bettstellen etwa und den kleinen von 42 . . . eS hauses 
(Mit v. d. Heide Spaziergang im Wfh. Feldgarten) . . . 

. . . (Lesen in Trinius» «Schrift- und Vernunft- D g n A r *£ ff> 

1 Trinius Joh. Ant. ev. Pfarrer 1722 — 84. Die erwähnte 
Schrift war 1750 in Leipzig erschienen und richtete sich be- 
sonders gegen den Mißbrauch der Sprüchwörter zur Beschönigung 
von Fehlern etc. 



- 192 - 

mäßige Betrachtung über einige Spruch Wörter» und in der 
«Wichtigkeit des Ehestandes») Schreibung und Sieglung der 
adqVesses zu Briefen 1. nach Gotha (an Hofr. Schläger 
(vgl. 6. IV.), 2. nach Straßburg (an S t o e b er und 
Onkel B i r r), 4. nach Zweibrücken (an Assessor 
Patrick), so ich am 26. Aug. fortschickte . . . 

Freitag 26Aug . • • (Bes. bei Inspektor Fleisch mann:» «der 
Mann hat mich vergnüget») . . . (Besuch bei Diakonus 
N i e m e y e r .) er gab mir Bier und darauf caffee ohne 
Milch. Die Hede betraf Wernigerode, meine collejria, 
Straßburg etc. Unter anderm mußte ich ihm meine 
Bekehrung erzählen. Der Mann ist aufrichtig und 
freundlich, scheint aber nicht viele Lebensart und keine 
«roßen Gaben zu haben. Von da weg gieng ich zu Hr. 
Gray, um ihm Seilers* Dogmatic zu bringen . . . 
5 bis 6 andere Studiosi kamen dazu ... es wurde ge- 
sprochen von den Colonien in Preußischen Landen, von den 

Die Drevhaup- Werbungen, von den Münzjuden elc. . . . gieng die Drey- 

tische L.nroniK. . ( . _ 

h a u p 1 isclie 5 Chronik 2 ten Theil durch in folio . . . 
Samstag. . . , >; ac |, [ Uhr auf die Way sen h a usb iblio- 

*rj A u tr 

thek und läse etwas in Origenes Philocalia * in 4 lo 
Lut. Paris. 4624 und in C Ii r y s o s t o m u s (in epistolas 
Pauli commentarius) über Kor. 1, 7 in folio apud Come- 
niurn 15)6. (Dann bei v. d. Heide in Alexandri 
Rosei Christiades Virgiliana in 12 Lips. 173(?)) Das Buch 
ist wirklich lesenswürdig neben dem schönen virgilianischen 
latein besonders wegen der Religion so darinnen herrschet. . . 
Sonntag. • • • ^ ase m S t a t i u s* Schatzkammer in 12 Löin- 

2«. Aug. j )U| .g |(jg7 m (i n der Garnison kirche predigt 

M. W a I t e i zu niemands Zufriedenheit ; nach der Kirche 
mit Müller cauf dem Markt auf und ab und ein wenig 
auf den Pa radeplat z») . . . (Besuch bei lnsp. Fa- 
b r i c i u s). Unter anderm tbat er mir den Antrag, oh ich 

Antrag, als ' . B . 

missionarius nicht wolte als Missionarius nach Indien* 

nach Indien zu , t 1 u i 

gehen. gehen . . . Ich antwortete, — mein Herz war mir schwer — 



' Fleischmann vgl. 2. I. und 7. II. im Jahrb. 1906. 

* Seiler Prof. in Erlangen vgl. 3. 1. u. a. im Jahrb. 1906. 

8 Joh. Christoph von Dreyhaupt geb. IG99 in Halle, gelehrter 
Rechtsanwalt, der Schöpflin seiner Heimat, f 1768. 

4 Philocalia, a Basilio et Gregorio ex variis Origenis com 
mentariis excerpta griech. herausgeg. von Jo. Turinus, Paris 161)?. 

* Statius vgl. 14. XII. im Jahrb. 1906. 

6 Nach Trankebar. damals dänisch (seit 184ö englisch) 
König Friedr. IV. hatte von Franke schon 1705 Missionäre er- 
beten. Von Halle ging darauf der erste prot. deutsche Missionar, 
Ziegenbalg, nach Ostindien. 



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- 193 — 



■wann ich überzeugt wäre, daß der Ruf von Gott seie . . . 
so würde ich sagen : «Wie Gott mich führt, so will ich 
jreh'n» . . . Wie ich vom Nachtessen nach Hause wolte, 
so lief mir Hr. Seeger in die Hände, dem ich mein An- 
Jiegen entdeckte. Er schenkte mir einige Birnen und sagte, 
<iie Studiosi hätten schon lange unter sich davon gesprochen, 
daß ich missionarius würde . . . 

. . . (Dr. N o e s s e 1 t liest nicht wegen Krankheit). Montag,29.Au£. 
Zu Haus beschnitte ich einen Nagel des großen Zehes und 
llickte einen Strumpf . . . (Nachm. kommt G ray vgl. 26. 
VIII.). Wir redeten von einer Heise, von Hr. Prof. 
S c Ii o e p f I i n, von Hr. Insp. D i e in e r etc. . . . (Das 
Buch : «Die Wichtigkeit des Ehestandes 
Leipzig 1738» wird beendet) Besonders haben mir die ange- 
hängten Hochzeit>»gebräuche älterer und neuerer Völker 
wohl gefallen. Das aber hat mich befremdet, daß in dem 
Anhang die Polygamie und die Ehescheidung wegen der 
Unfruchtbarkeit des Weibes vertheidiget worden von dem 
gelehrten Bischof B u r n e t 1 

. . . besuchte Hr. Oelschläger . . . wir redeten 
diesesmal von der schlechten Bestellung der meisten 



DieWichtijfkeit 
des Ehestandes 
aus dem eng- 
landisehen des 
Salmon. 



Dienstag, 
30. Aug. 



Gymnasiorum in den Preußischen Landen ; darunter rühmte 
er aber Z ü 1 I i c h a u als ein gutes gyrnnasiurn ; dabei 
gab es dann Gelegenheit, von Straßburg zu reden. 
Darauf läse ich in dem «Gebrauche und Mißbrauch des Ehe- 
bettes» aus dem engländischen in 8. Leipzig 1740 . . . 
<Be.such bei Direktor Freylinghausen. Am Rande 
«Förmlicher und zweiter Antrag als Missionarius 
nach Indien». Antwort wie beim ersten Antrag) . . . (Spa- 
ziergang mit Freunden zum Ranstädter Tor hinaus. Man 
sprach von dem vorigen Könige in Preußen 2 be- 
sonders in Ansehung seiner Briefe an Joachim La n ge»). . . 

. . . (Nach dem Morgengebet wurde er gewiß, daß 
ihn Gott nicht zum Missionär berufe) . . . (Lesen in der 
Bibliothek des Waisenhauses : u. a. Melanchthon, Erasmus). 

. . . (Endgültige Absage bei Freylinghausen). . . 
Nach dem Nachtessen gieng ich zu Hr. B ü c h 1 i n g. weil 
<lie unter mir wohnenden Studiosi mit ihrem Hofmeister 
geigten und tanzten, daß ich . . . mich ärgerte . . . 

. . . endete «den rechten Gebrauch» etc. (s. o. 30. V1IL). Freitag. i Sept. 



Mittwoch 
31. Aug. 



Donnerstag, 
1. Sept. 



1 Buruet Gilbert, Bischof v. Salisbury 1643—1715. 
* Fr. Wilhelm I. 

» Joachim Lange 1670-1744, Prof. der Theol. in Halle, 
Verteidiger des Pietismus gegen den Philosophen Wolff. Eigne 
Lebensbeschreibung: Leipzig 1744. 

13 



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- 194 - 



Der unbekannte Verfasser ist nicht ganz ordentlich im 
Vortrag, bezeugt aber große Ehrerbietung gegen Golfes 
Wort nebst großer Keuschheit . Ich wünschte, daß das Buch 
mehr bekannt wäre, noch mehr aber, daß die darin ernst- 
lich bestraften Greuel nach und nach unbekannt werden 
möchten unter einem christlichen Volke . . . Von 3—4 Uhr 
habe ich getändelt mit eher Pfeife, die ich ausbrennen 
wolle, mit welcher ich halb glücklich war . . . (Beschreib- 
ung eines Feuerwerks vor dem Steintor) . . . 
Samstag, . . . (Lesen von M ascho' «Unterricht von der bibl. 

3. Sept. Tropen und Figuren», Halle 1773 und auf der Waisenhaus- 
bibl. in Olearius» de stylo N. T. 16138) . . . 
Sonntag, 4Se Pl . . . . (Lesen «des herrlichen Büchleins» : «Einige BV 
wegungsgründe zu einer frühzeitigen Bekehrung der lugend» 
von «F 1 e s s a 3 prof. theol. zu Altona, Bai reut h 1742) . . . 
Der Zeitnngsträger gab mir das 07. Stück der gel. Jen. 
r sUrM 6 " e Zeitung, in welchem der. Tod des Hr. Prof. K e i s k e, 
f den Ii. Aug. an einer Auszehrung, gemeldet wurde 
(vgl. !5. IV.) . . . (Lesen von Gruners* prakt. Ein- 
leitung in die Religion der Hl. Schrift in gr. 8 Halle 
1773 . . .) Für mich ist das kein Buch. (Hr. Seeger 
«proponirti, im kleinen Saal des Waisenhauses 
über das Thema : die Befreiung von allem Uebel ; 8 Knaben- 
und ebensoviel Mädchenklassen waren zugegen. Am Rand: 
Die Schulkinder aus der Stadt müssen auch am Sonntag auf 
das Waysenhaus) ... 
Montag,5.Sept ... v. 10—11 Uhr hörte ich Hr. Prof. Gries- 
Hr P bach Gri ° S lj a c n als nos P es über (1 > e Einleitung in das N. T. (In- 
haltsangabe dieses Kollegs). Er hat eine vorzügliche Gabe, 
zu lehren . . . 
Dienstag, . . . (Lesen verschiedener Bücher) . . . 

Mittwoch, • • • (Bücher bei Buchbinder Hofmannn eingesehen 

7. Sept. um i Lesen auf der Waisenhausbibliothek ; später : Schmidt, 
Melhodus catechizandi in gr. 8. Bambergae et Wirceburgi 



1 Mascho Fried. Wilh ; Schulmann f 1784 in Hamburg:. 

2 Jon. Olearius .Oehlschläger) Prof. in Leipzig geb. 1639 in 
Halle) f 1713. «Diss. de stylo N. T. pro Licentia 1668». 

* Flcssa Joh. Adam aus Goldkronach 1694, vom Gymn. in 
Baireuth 1741 nach Altona berufen als Dir. des Gymn. mit dem 
«Charakter» eines Prof. der Theol. Der volle Titel der Schrift 
• lautet: Einige etc. absonderlich aber der studirenden. 1. Aufl. 
Baireuth 1732. 

4 Gruner, Joh. Fr. aus Coburg 1723—78 von Seniler nach 
Halle empfohlen. «Rationalist» , «die prakt. Einl > etc. war dem 
Minister von Zedlitz gewidmet (vgl. Sehrader Gesch. der Univ. 
Halle I. 303 u. 472). 



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- 195 — 



17G9.) . . . (Büchling erzählt eine lange Geschichte «als 
Exernpel der strafenden Gerechtigkeit Gottes** von einer 
heruntergekommenen «Familie Büschel aus Dölitsch bei 
Leipzig») . . . 

. . f Verschiedene Besuche) . . . Donnerstag. 
. rüstete mich zur Heise nach Döbernitz*... .' p * 

. , o. j • , Freitag, 9. Sept. 

Wie ich etwa eine gute Stunde gegangen war, so war ich 
nicht weit vom M o ri t z t Ii o r und also förmlich im Circul 
herum gegangen, und dis geschah mir zum zweiten mahle, 
sodaß ich erst um halb 2 Uhr nach Si ntsch» kam ... 
Etwa um Ü Uhr war ich in Döbernitz (am Rand: Dorf D. ; sintschfsäch- 
sachsisch). Nachdem ich mich durch einen Bedienten bei dem siscn 
Hr. Baron von HohenihaU hatte melden lassen, so H^^on 
wurde ich hereingeiufen (und zunächst von dem älteren von Hohentnai. 
Sohn empfangen). Er mag zwischen 20 und 30 Jahr alt 
sein und ist Justi/rat in G a r I s r u h (Gespräch mit dem 
artigen Herrn; um 7 Uhr zum Vater; lange Mitteilung über 
die Unterredung mit ihm. Auf die Frage, ob er bald von 
Halle fortgehen wolle, erwidert er, dort habe er für einige 
Stunden «freien Tisch und logis» ; für Leipzig fehle es 
ihm an den Mitteln ; docli möchte er gerne dorthin, be- 
sonders um bei C r u s i u s zu hören. Er wurde zum Essen 
eingeladen. Der Baron fragte ihn, ob er mit Abraham 
D ü r n i n g e r verwandt sei — vgl. 11. VIII. — und sagte, 
als das bejaht wurde: «0, da hab ich Sie noch einmal so 
lieb!» D. sei ein «grundehrlicher und kluger Mann» gewesen 
und dabei so demüthig. Noch 1772, im Jahr vor seinem 
Tode, sei er bei ihm hier in Döbernitz gewesen etc.) . . . 

Ich stand auf vor 6 Uhr, betete und läse in den mit- Samstag, 
gebrachten Pensees de M. Pascal sur la religion in 12. 10, Scpt 
Amsterdam 1688 (Der junge Baron besucht ihn ; dann Gegen- 
besuch ; Mitteilung des Gespräches; der Baron gestattet, daß 
sein Diener ihn pudere; Patrick speist dann mit der Familie 
zu Mittag; die Frau «Viccpräsident» und die Töchter sind 
freundlich gegen ihn. Geredet wurde u. A. von der «Re- 
alschule in Berlin»,* nach deren Muster die Schulen 
auf den Hohenthalischen Gütern eingerichtet seien, von Abt 
F e 1 b i g e r , * vorn «Catechismns des Hr. Schmidt in 



» Döbernitz, Pfarrdorf, Kreis Delitsch. 

2 Sietzsch. 

3 von Hohenthal vgl. 6. I. u. a. im Jahrb. liXW. 

4 Gemeint ist die «Oekonomisch-Mathematische Realschule» 
(heute: Kaiser Wilhelm-Realgymnasium), von Jon. Jul. Hecker 
1745 gegründet. Sie gilt als die Stammutter unserer Realschulen. 

ä Felbiger vgl. 1. V. im Jahrb. 1906. 



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— lOd - 



Halle. 



Würzbu r g;< vgl. 7. 9.) . . . (Auf dem Heimweg nach 
Halle verirrt sich Patrick wieder einmal, bis er von den 
Türmen 9 Uhr schlafen hörte.) Ich richtete mich nach dem 
Klang der Glocken und hielte mich deswegen immer links. 
Da hatte ich zur Hechten einen Garlen mit einer Wand von 

Anfall von etwa Krde# Auf einmal ich etwas nur einige Schritte 

zwanzig Man- weit von mir weg auf einer kleinen Anhöhe. Ich sähe dahin, 
Acdscnahc bei schon erschrocken, und wurde es noch mehr, da das schwarze, 
was ich sah, sich bewegte und zum Theil aufrichtete. Ich 
weis nicht mehr, ob ich gefragt : was ist das ? oder ob man 
mir so was gesagt. Kurz, eh ich mich versah, so war ich 
von etwa 120 Männern mit Flinten, Prügeln etc. umgeben, 
die auf mich zufuhren, wie die hungrigen Hunde, mir starr 
unter das Gesicht schaueten, mich ganz leise fragten, wo ich 
herkäme, ob ich was bei mir hätte. Darauf (mußte?) der 
visitalor (namens) Bürger visitiren, welches er that in aller 
Kilo und Eifer. Dieser visilator hatle seine haarichte schwarze 
Mütze auf, wie auch zum Theil die übrigen ; andere hatten 
Hüte und darunter einige silberne Borden darum. Ihre 
Kleider waren blau, und die meisten hatten blaue Uiber- 
röcke an ; einer darunter einen weisen Rock und keinen 
Uiberrock. Wie nun der visilator meine Schuhe, mein 
Hemd, ineine Strümpfe, meine Mützen etc. aus dem Sack 
gezogen i. e. gerissen hatle, so hörte ich von einem, ich 
bleibe (bliebe) die Nacht bei ihnen. Als ich hierauf noch 
mehr erschrack und so ganz furchtsam fragte : «Ich werde 
doch unter ehrlichen Leuten sein?» so mußte ich von einem 
andern vernehmen, der mir zur linken stund : crHund s; 

Nur, wenn du ein Wort redst — kein Wort geredt oder 

wir schlagen dich todt !» Bald darauf bekam ich meine 
Sachen wieder in den Sack, mußte aber von Zeit zu Zeit 
hören : «Weil sie (Sie) sich verdächtig gemacht haben und 
daher gekommen sind, so haben sie die plaisir, daß sie mit 
uns wachen !» Wie einer und andere anfiengen, ein wenig 
gut mit mir zu reden, und mein Herz um etwas leichter 
wurde, so wurde ich auf Neue geängstigel, daß ich wiederum 
nicht wußte, unter was für Volk ich wäre. Nemlich : es 
wurde mir befohlen, meinen Hirschfänger abzulegen. Da 
dieses geschehen war, so mußte ich auch meinen Uiberrock 
ausziehen. Unterdessen hatten sich immer, bald hier, bald 
da, einige berat hsch läget, bis ich wieder hören mußte, daß 
ich die Nacht über da bliebe. Hierauf antwortete ich: «Ich 
schwitze so sehr, daß ich durch und durch naß bin ; wann 
ich nun so auf dem Felde sein solte, so würde es mir 
schaden.}» Auf dieses antwortete einer ganz hart: «Das gilt 



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— 197 — 



uns gleich.» Nun war ich vollends stille, ohne daß ich Ant- 
wort gab auf die vielen und bisweilen verfänglichen Fragen. 
Endlich sagte der kleine, der auch Silber um seinen innern 
Hut herum hatte, man solte mir meinen Hirschlänger und 
Uiberrock geben, und der visit. öirger solte mit gehen; 
wenn ich in B ü c Ii I i n g s Haus wohnte, so seie es gut; 
wo nicht, so solte Birger den Hirschfänger und Uiberrock 
zurückbringen, und wer weis, wo i c h geblieben wäre ! 
Wie ich förtgieng, machte ich meinen... 1 ein höflich com- 
pliment, da doch einige so höflich waren und dankten münd- 
lich mit Bücken, andere nahmen auch den Hut ab. Eine 
Zeil lang giengen wir beide, Visitalor und ich, ohne zu reden; 
nach und nacli redele er, da ich ihm dann antwortete. Ja, 
er sagte sogar, wie wir in der Sladt waren : «Ich glaube 
wohl, daß sie (Sie) erschrocken sind.» Zu Haus ließ ich 
durch die Magd in der Küche den Hr. B ü c h I i n g heraus- 
rufen. Sobald Hr. Büchling sagte, daß er mich kenne und 
daß ich bei ihm wohne, so war der visitator ganz höflich 
und gieng weiter. Hr. Büchling gieng noch mit ihm und 
redete noch etwas mit ihm vor der Hausthür. Ich fragte 
Hr. Büchling gleich und in einiger Zeit nochmals, ob er 
dem visilalor etwas gegeben hätte ; er sagte aber beidemale : 
nein, üa ich nun einige Augenblicke in Hr. Büddings Stube 
sase, so kam ich nach und nach wieder heßer zu mir und 
hiermit lieng ich an zu weinen. Hr. Büchling war so 
sorgfältig, mir rolhes Waysenhäuser Pulver zu geben in 
Wasser, das Geblüt niederzuschlagen ... Im Belt loble ich 
und dankte ich Gott mit lauter Stimme und schlief bald ein. 

... (In der Glauchischen Kirche predigt Pastor Weis) ??. n sLpf: 
. . . (Besuche bei Insp. Witte, der ihn «ermuntert», doch 
nach Leipzig zu gehen, und bei Mag. Müller, mit 
dem er den Diakonus R i t t e m a y e r in der Ulrichs- 
kirche hört) Durauf spazierten wir vors Thor, um meinen 
Angstplalz zu suchen, aber ohne ihn völlig zu finden . . . 

. . . (Am Rand : «Hr. Stoephasius zeigt die Na- Montag,i2.Sept. 
turalien-Kammer des Wavsenhauses». Ausführliche Beschrei- 
bung) ... (Zu Hr. Richter in Begleitung seines Lands- 
mannes Vogel.) Es kam auch Hr. Schütz, ein schlechter 
Mensch, der den folgenden Tag ein Duel haben wird. Da Ein Duei. 
er nun kein Geld hat, so mußte ihm Hr. Vogel seine he- 
bräische Bibel in zwei Theilen in 8 geben, um dieselbe zu 
versetzen und so 4 Groschen zu bekommen. Denn so viel 



i Die Punkte stehen im Text und verdecken einen jeden- 
falls nicht sehr «christlichen» Ausdruck. 



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— 198 — 



bezahlt man dem Schwerd feger, wenn man einen 
Degen borgt, und hernach wieder so viel, wenn man die 
etwaigen Scharten herausschleifen läßt. Dieses d u e I - 
I i r e n ist hier sehr stark mode, da in der vorigen Woche 
5 duelle gewesen sind. Und doch verfährt der Hr. Doctor 
Gruner, Prorector, (vgl. 4. IX.) sehr scharf mit ihnen, 
wann ers erfährt . . . (Abends bei B ü c h 1 i n g ; sie 
sprechen u. a. über die K a l e c h i s m u s p r e d i g t e n 
in Halle und in St raßburg) . . . 
Dienstag. . . . schrieb den ganzen Vormittag an diesem jour- 

13. Sept. 

nal . . . 

Mi^och. ... es regnete gar sehr ... Ich fröre und fand mich 

ganz untüchtig zum Gebet, so daß ichs unterliese. 
Donn|rstag, . . . sagte Herrn B ü c h 1 i n g , daß ich vest ent- 
ep schlössen wäre, nach Leipzig zu gehen, welche Ent- 
deckung ihm Mühe machte . . . 
Freitag.io.Sept. . . (Lesen und Kollegien) . . . 

. . . (Bei 0 e h I s c h 1 ä g e r «zum eaffee» Morgens.) 
Ein großer Theil der Zeit wurde hingebracht mit Vorlesung 
aus der französischen und Kayserhi.storie (von Niemeyer? 1 ) 
. . . (Nachm. zu S e e g e r «auf eafl'ee und labae», wo 
mehrere Gäste waren.) Diese Menge hinderte, daß wir auf 
keinen rechten discours kamen, weil sie von ungleicher Ge- 
sinnung waren. Es wurde hauptsächlich geredel von der 
schlechten Aufführung der mehresten Reichsländer, 2 und ich 
erzählele etwas von S 1 e i d a n o , Jacob Sturm und sonst 
verschiedenes von S t r a ß b u r g . . . Ein orphanus (im 
Waisenhaus) hat einen catholischen Vater in P c r I e b e r g 
. . . (Am Rand : «Ein römisch Catholischer Vater läßt seinen 
Sohn lutherisch auferziehen, welches in Preußen erlaube! 
ist».) . . . 

Samstag. . . . Als ich um '/2 8 Uhr erwachet war, so hatte ich 

Thränen in den Augen, und mein Herz war ganz weich. 
(Ursache: ein Traum.) Es dunkele mich, die Frau 
Prof. Kugleri n in S t r a ß b u r g ganz in ihrem ne- 
gligee sehr bestürzt vor mir zu sehen. «Ich wolte nicht 
gleich nach der Ursache fragen, sondern sagte nur: «Wie 
befinden sie sich?» Ganz nach ihrer Gewohnheit antwortete 
sie mir sehr leise : o so ! Und sähe mich zugleich sehr 
wehmütig an, sagend : «Gott hat mein Madlenel zu sich ge- 
holt.» Augenblicklich fieng sie an zu weinen und ich auch, 



17. Sept. 



1 Ein NiemeierJoh. Ant. war Aufseher des K Pädagogiums in 
Halle und Historiker f 17G5. 

2 Wohl die nichtpreußischen Studenten «aus dem Reich». 



- 

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— 199 — 



welches mich vollends aufweckte . . . (Am Rand : Ein mir 
zum wenigsten merkwürdiger Traum. Im folgenden Monate, 
Dienstag, 11. Oktober, erfuhr ich aus einem Briefe meines 
Hr. cousin Birr den mir schmerzlichen Tod meiner Wohl- 
thäterin Frau tante Birr, so eben um die Zeit meines Trau- 
mes in Straßburg gestorben ist. (vgl. 11. 10.) . . . 
{Pastor Senf predigt in der Moritzkirche) ... 

w c i H riefe 

Nach dem MEssen holte ich einen Brief aus Straß- welche mein 
bürg beim Briefträger, der mirs vorher auf der Straße V LeVp^g'™^ 
gesagt hatte. Er war von meinem cousin Hr. Birr, der e ehen - Hingen, 
mir darinnen den Tod des Hr. Lob st eins, seines Schwie- 
gervaters, und die elenden Umstände meines Hr. oncle 
Birr 1 meldete. Sonst lag darinnen ein Wechselbrief von 
6 Louis d'or . . . und ein kleinerer Brief von Hr. M. 
Weber. . . (Bei Mag. M ü I 1 e r mit drei andern Streit Ein streit 
über seinen Trau m.) Ich schriebe der Seele des Menschen Wirkungen der 
<las Vermögen zu, auf eine Zeitlang gleichsam ihren Leib zu e tvas e aus b Dr. 
verlassen und an einen andern Ort zu sehen, welches er . Cru , sius Ab " 

r ' handlung vom 

mit den übrigen bestritte ; es könne dieses nicht geschehen, Aberglauben 

t i • - , .. r~< • , i • . ■ vorgelegen 

sondern hier waren die bösen Geister geschäftig etc. Dieses wurde, 
dauerte von etwa 5 Uhr an bis nach halb 7 Uhr . . . 
(Abends erzählt er dem Hausherrn B ü c h 1 i n g den Traum, 
der ihm dann «verschiedene Exempel der gleichen Art aus 
seiner Erfahrung» mitteilt.) . . . 

Ich erwachte um 7 Uhr, eben da man einen Studiosum Montag.iw.sept. 
als einen Dieb vorbeiführte. (Am Rand : «Er hat bei Hr. 
Insp. S t o p p e f b e r g einbrechen wollen. Sein Name ist 
Nascovius, eines Predigers Sohn aus Schlesien») . . . rüstete 
mich auf die Reise nach Leipzig... Es regnet 
zwar, aber ich kann diese Reise nicht länger mehr auf- 
schieben. Lieber Gott und Vater, gib du Segen zu dieser 
Reise, amen ! Zu Schkeuditz* trunke ich caffee und 
aße ein wenig Brod. Ich träfe da einen Goldschmidts Ge- Gol ^euo. dts " 
seilen von H a I 1 e an, der schon in das (i Je Jahr herum- 
reiset und seiner Aussage nach schon schöne Reisen gethan 
hat. Er ist nach B r e s s 1 a u beschrieben, wohin er von 
Leipzig, wo er jetzto in condition ist, auf Michaeli gehen Leipzig, 
wird. Ein ganz artiger Mensch, der auch in Straßburg 
2 Jahre lang bei Hr. B öh m gearbeitet hat. Mit der Glocke 



i vgl. 7. N. und 1. V. im Jahrb. 1906. — «Birr, Kaufmann 
unter der großen Gewerbslaube» (1794), wohl 
der «cousin Birr» (vgl. Sammlung authentischer Belegschriften 
2ur Rev. Gesch. von Straßburg II 191 ; auf der Univ.-Bibl.) 

* Schkeuditz, noch Landkreis Halle. 



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— 200 — 



4 kam ich unter das Thor in L e i p z i g. Daselbst logierte 
ich mich in mein alt loj»is zu den 3 Rosen in der 
Petersstraße . . . 

2ofsep?' * ' * w5re £ erne zum Besuch gegangen, wenn ich ge- 

poudert gewesen wäre. Weil ich nun keine Quaste be- 
kommen konnte, so kaufte ich mir endlich einen poudre 
Beutel . . . Nach langem Suchen fand ich endlich den 
Hr. Barth, Banquier in der Peterstraße, bei dem ich 
meinen Wechsel holte von 6 louisd'or. Ich glaube aber zu 
wenig bekommen zu haben. Eine Carolin gilt ordentlich 
6 Thaler 4 Groschen. Also hätte ich bekommen sollen 
38 Thaler. Und doch bekam ich nur 35 Thaler 18 Groschen. 
Zu' Haus hielt ich mich mit dem Geldzählen ziemlich 
auf . . . 

Mittwoch, . . . ([j m 9 Uhr Kolleg bei G r u s i u s «über sein 

Hr.br. Crusius. Buch vom Plan des Reiches Gottes». Kr besucht den Pro- 
fessor.) Ich entdeckte ihm aufs Neue meine Umstände. Er 
wiese mich an den Hr. Vicepraesidenten Baron von H o- 
h e n t h a 1 nach Doebernitz (vgl. 9. IX.) und versprach, 
sich meiner anzunehmen durch Fürsprache. Meinen Auf- 
Präsent von 2 enthalt in Leipzig zu erleichtern, schenkte er mir zween 
Gulden. Um 11 Uhr war ich wieder im collegio bei Hr. 
Dr. Crusius über die Erläuterung der Religion aus der 
Geschichte, darinnen u. a. H e s s » mit seiner Geschichte 
der 3 letzten Lebensjahre Jesu sehr heruntergesetzt wurde 
. . . (Besuch bei Mag. H e m p e 1 , 2 wo man u. a. von 
Prof. Lorenz in Slraßburg sprach, und bei Prof. P e - 
Hr.ProiPezoid. z o 1 d ; s Angabe des Gespräches) . . . 
Donnerstag (Reise nach Doebernitz zu Hr. v. H o h e n t h a 1). . . 

Sept 

FreUag,?3Sept. . . . «Audienz» bei ihm gegen 1 Uhr ; Patrick teilt ihm 
seinen Entschluß mit, nicht in Leipzig zu bleiben, sondern 
gleich heimzureisen, was der Baron mißbilligte. Dessen 
Sohn, der Justizrat, nimmt ihn mit zu seinem wöchentlichen 
Besuch der Dorfschule, die «nach der Berliner Real- 
schule eingerichtet ist», (vgl. 9. und 10. X.) «oder eigentlich 
nach der neuen sächsischen Schulordnung, so voriges Jahr 
herausgekommen».) . . . 



1 Joh. Jak. Heß, Antistes in Zürich 1741-1828. Zwei bissige 
orthodoxe Streitschriften gegen ihn waren : «Gedanken eine* 
sächs. Predigers über die Gesch. der drei letzten Lebensjahre 
Jesu, so in diesem Jahr 1774 zum drittenmal in Zürich heraus- 
gekommen» und «Nötige Erinnerungen über Hr. J. J. Heß Gesch. 
etc.» Leipzig und Frankf 1774. — Crusius war wohl der Ver- 
fasser oder Inspirator einer derselben, wenn nicht beider. 

2 Hempel vgl. 18. XII. u. a. im Jahrb. 1906. 

3 Pezold desgl. 14. XII. u. a. 



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— 201 — 



(Die Tinte des letzten Blattes ist wieder Samstag, 

sehr verblaßt.) Ich gienge (um 9 Uhr) nach 

Halle, ohne unterwegs etwas zu essen, langte nach Haue. 
3 Uhr an . . . 

(Hier endet Heft 3. Das 4. Heft trägt die Ueberschrift : 
Diarium M. Philippi Henrici Patrick cand. theol. Aug. 1774. 
September veraas finem usque ad medium Decembris. Halle 
im Magdeb. und Leipzig.) 

. . . trödelte abermals mit dem Anziehen herum, daß ^"sepf' 
ich nach halb 10 Uhr erst fertig wurde und in die Gar- 
nisonkirche mußte (Insp. W i n c k 1 e r predigt . .) 
So eine trockene Moral habe ich bald noch nie gehört . . . 
(Der Hausherr ßüchling sagte auf Befragen, daß er noch 
über Michaelis in der Wohnung bleiben könne) ... 

. . . (Allerlei Lesen und Schreiben ins ocjournal».) Montag.Lo.Sept. 

. . . (Pascals Pensees geendigt ; Lob des Buches) . . . Dienstag, 
(viel Regen und Kuhle) ... "'' ept * 

. . . Versuchungen zur Unreinigkeit waren 'an diesem ^"g. oc t h ' 
Morgen stark, dabei ich nicht unüberwunden blieb ... " ept ' 
(tteisegedanken ; . . . Müllers «Einfalt und Bosheit der 
Religionsspölter» in 8 Frkf. a. M. 1748» zu lesen be- 
gonnen) . . . 

. . . (Besuche. — Abends sind v. d. Heyden und der Donnerstag, 
Diener bei Büchling d. h. sein «Commis», auf Patricks 2) ' Sept " 
Zimmer) da wir dann teils tabac rauchten, teils von der 
besten Welt disputirten, teils allerlei lustige Schwenke 
erzählten. 

... bei Hr. Schwarz in der Cansleinischen Bibel- Freitag,3ö.Sept. 
anstatt. * Hier hörte ich u. A., daß Hr. Missionarius 
D i e m e r (vgl. oben 30. IV.) unter dem 8. April von 
St. Jago aus geschrieben habe, daß er ganz freudig und 
gutes Muthes wäre . . . (Mag. Müller und T h u I o n, 
«gewesener Missionarius beim jüdischen instituto» 8 reden 
ihm zu, doch nach L e i p z i g zu gehen.). . . (Mit diesen 
und den Waise ninspekloren Stoephasius und Münch 
in Flörikens Garten zur Sternwarte des Barons Die Sternwarte 

W . n des Hr. Baron 

Oll)... v. Wolf. 



1 Seit 1728 in einem eigenen Gebäude und vom Waisen- 
hause verwaltet. Ihr Gründer, der Freiherr von Canstein, ein 
Freund Speners und A. H. Frankes 1667 — 1719. («Gesch. der 
Canst. Bibelanstalt» von Dr. A. H. Niemeyer. Halle 1827). 

2 Das «Jüdische Institut» in Halle, gegründet 1728 von 
Callenberg, Prof. der Theol, 1694— 1760 (jüdisch - deutsche 
Druckerei) das erste deutsche Mis6ionsseminar für Judenbe- 
kehrung. , 



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— 202 — 



Samstag. . . # rüstete mich mit Gesang und Gebet zur Beichte 

1. Oktober. . .... 

in der Glauchischen Kirche . . . (nach dem Gesang) gieng 
einer nach dem andern, Mleute und Wieute durcheinander, 
in die Beichtstube. Ich wartete so lang, bis ich der zweite 
vom letzten hineingieng. Hr. Pastor Weis saß an einem 
Tische, auf welchem Feder, Dinten und Papier vor ihm 
stunden. Er empfieng mich sehr freundlich und hieß mich 
sitzen auf einem Stuhl am nemlichen Tische. Ich that ein 
Gebet, darauf betete er auch, aber viel kräftiger und inniger 
als ich; ertheilte mir, die Hand auf meinen Kopf haltend, 
die Absolution und Segen ... Zu Haus überdachte ich, 
indem ich in der Stube auf und abgieng, meine Umstände 
auf das ernstlichste und entschloß mich, neuerdings nach 
Leipzig zu gehen und da zu bleiben etwa 3 oder 
4 Monate, so lange nemlich mein dazu bestimmtes Geld 
von etwa 10 Louisd'or dauern würde . . . 

Sonntag 2. Okt. . . . (Erndtefest ; \\ e i s predigt ; Communion). . . 

Zu Hauß nach 11 Uhr bab ich mit singen zugebracht bis 
Mittag. Wie ich das Gesangbuch wirklich (= eben) weg- 
gelegt, ... so rief ein Studiosus vermulhlich, ich weiß 
nicht aus welchem Hause: «Herr Gantor, halls Maul!» 
Wobei ich mich darüber billig freuete, daß ihn der alles 
% tw.t'cs" 1 * regierende Gott nicht eher hat reden lassen, bis ich wirklich 
fertig war, ohne also seinetwegen aufzuhören . . . (Nachm. 
in der Moritz kirche ; Diak. Bö t t i c h e r predigt) . . . 

Montag, 3. Okt. . , . fienge an, meine Sachen in eine Kiste zu 
packen . . . habe einige Zeit verderbet über einer 
Pfeife, die sich verstopfet hatte . . . 

nknstag,4.0kt. . . . (Abschied bei Prof. T h u m a n n und Pastor 
W e i s) welcher mir einen Brief, von Hr. Dr. Spene r 
eigenhändig geschrieben, zeigte, da derselbe von Frkf. am 
Mayn nach Dresden gehen solle a. 1686 . . . Endlich gab 
er mir verschiedene complimenten mit nach St r a ß b u i g 
(das Gleiche tat Prof. Freilinghausen, welcher bedauerte, 
daß Patrick das Erlebnis mit den Zöllnern vom 10. IX. 
nicht dem Prorektor angezeigt habe. Die Professoren suchten 
schon lange «Ursache und Gelegenheit, an sie zu kommen ;» 
eine Anzeige dieses Vorfalles hätte «besonders gute Wirkung 
gehabt, da seit 14 Tage gar viele Klagen nach Berlin um- 
gelnffen» seien . . . Andere Abschiedsbesuche) . . . 

Mittwoch,5.0kt. . . . Endlich war ich ganz reisefertig und sehr 
schweren Herzens, so daß ich weinte bei Hr. 0 e 1- 
s c h I ä g e r und der Aufwärterin und dem Zeitungsträger 
und dem Perruquier. Mit thränenden Augen gieng ich zu 
Hr. B ü c h I i n g, welcher mir noch einen Kelch Mallaga- 



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— 203 — 



Wein nebst Brod gab . . . und sagte, er würde an mich 
denken, so lange ihm die Augen offen stünden, und ich 
möchte doch an ihn .schreiben auch noch von Straßburg 
aus, wann ich schon etablirt wäre . . . (P. konnte nur 
«gebrochen und mit Seufzern» antworten ; ebenso beim Ab- 
schied von v. d. Heyden, der ihn noch «i?ine Strecke vors 
Thor» begleitet hatte). Uiber eine Stunde zerfloß ich fast in 
Thränen, daß mein Schnupftuch ganz naß wurde und ich 
ganz langsam gehen mußte. Zu Schkeuditz kehrte 
ich ein und langte etwa um halb 6 Uhr in den drei Rosen 
in Leipzig an. Ich wolte gleich Hr. Rathsherrn S t r o h I Leipzig, 
von Straßburg sprechen ; allein ich hörte, er wäre 
einige Meilen von Straßburg auf der Reise krank geworden, 
und das Geruchte wäre gegangen, daß er gestorben sei . . . 
kaufte den messkatalogus . . . 

. . .(Besuch bei den Prof. Crusius und Pezold; Donng-stag. 
Einmiethung in den drei Rosen) ... 

. . . schlug meine Kiste auf und stellte die Bücher Freitag, i. Okt. 
auf den Schrank in einer schlechten Kammer, in welcher 
ich sein muß bis nach der Mitte der folgenden Woche ... 

. . . kaufte Pfeifen auf der Messe . . . (Lesen). Samstag. 8. Okt. 

. . . [Crusius predigt ind er Pauliner kirche) . . . Sonntag, 9. Okt. 
Nachm. spatzierte in den schönen Baumgängen von Linden 
und Maulbeerbäumen um die Stadt herum (Abends bei 
Mag. Hempel am Familientisch. Man sprach u. A. von 
einem Mann, namens Schrepfer, der sich, angeblich 
ein franz. Oberst, gestern im Rosenthal erschossen habe 
(vgl. 34. X., sowie 0. I. im Jahrb. 4906). 

. . . schrieb in aller Eile nach Straßburg 4. an Hr. Montag. lo.okt. 
M. Weber nebst dem teutschen lect. catalogo, 2. an Hr. 
Cousin Birr, 3. inwendig auf das Couvert an Hr. Oertel, 
und trug das paquet auf die poste . . . (Bei Pezold mit 
M. Möller aus Halle und M. Hempel; man sprach 
u. A. über Klopstocks gelehrte Republic 1 ) . . . 

. . . läse (im Colleg bei Pezold) die höchst traurige 
Nachricht vom Tode meiner wertheslen Tante Birr, so 
den 48. Sept. morgens erfolgt ist und welche mir Hr. 
cousin Birr, ihr betrübter Sohn, berichtet hat nach Halle, 
von da der Brief nach Leipzig an Hr. Prof. Pezold 
geschickt worden ist . . . (Briefe nach Halle an Büdding, 
v. d. H e y d e n, Oelschläger, Weis) . . . 



i «Die deutsche Gelehrtenrepublik» 1774 auf Subskription 
gedruckt (Prosa). \g\. Goethe «Dichtung und Wahrheit», 3. Teil, 
12. Buch. 



Dienstag, 
11. Okt. 



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— 204 - 



Ä !? U Okt h ' ' ' l^ esucn ^ei Pezold). Es wurde gesprochen 

Hr. Prof. Hof- von Hol" ni u n n, dem Lehrer des Hr. Dr. C r u s i u s 
in der Philosophie, daß er sich mit einer schlechten Weibs- 
persohn eingelassen und durch dieselbe höchst unglücklich 
worden seie, da er sie hat müssen heurathen, so «laß er in 
dem 30 sten Jahr seines Alters und in den elendesten Uni- 
sländen an der Schwindsucht gestorben ist. Er hätte übrigens 
einen sehr guten Kopf und weit ausgebreitete Kennlniße 
gehallt. Auch ist er einmal auf den Sprung gewesen, 
Professor in Halle zu werden, um wider die Wo I fische 
Philosophie zu arbeiten. Da er aber unterdessen durch ein 
Kollegium (?) über eines Prolessoris disputation zu Leipzig 
h.»t in den carcer wandern müßen, so wurde nichts daraus. 
Im carcer hat er ein Buch wider W o l f geschrieben in l k 2 
etc. . . . Angenehm war es mir, daß ich (hier) auch den 
Hr seehg tor Hl * Lek,or S ee 1 i g, 1 so sich als Jude in seinem 10. Jahr 
hat taufenjlassen, kennen lernte ... er redete von den 
abbreviaturis Hebraicis. deren er zwischen 4000 und 5000 
herausgeben wolle (ß r e i t k o p f habe den Verlag ver- 
sprochen, mache jetzt aber Schwierigkeiten) . . . Nach dem 
M Esse n hatte ich allerlei zu reden und zu laufen mit einem 
Ein Abbe au> französischen Abbe aus der Provence, so sich einige 

ucr Provence 

Tage hier aufgehalten hat und nun nach Ber 1 i n gereiset 
ist, um von da nach Pohlen, ich meine W a r s c h a u, zu 
gehen . . . 

Donnerstag, . . . (Mag. M ü I 1 er geht nach Halle zurück; 

P. begleitet ihn bis Wahren). . . 

Freitag, u.Okt. . . . nahm pourdre d'A . . . Abends überfiel Frau 
Yorkin eine Ohnmacht über dem Spielen, das man meinte, 
sie wäre todt .[. . 
Samstag, . . . nahm wieder poudre d'A . . . läse in Gellerls 

io. Okt. Comödie vonfjdem Loos in der Lotterie 2 . 

Sonntag io.Okt. . . . (Prof. Dr. Richter predigt in der P a u I i n e r- 
kirche) . . . Nach dem Messen gab ich Hrn. Meyer, 
Hofzabnarzt zu Bayreuth, das Buch vom Gebrauch elc. 
des Ehebettes . . . (Nachm. in der Peterskirche. 
Beschreibung derselben) . . . 

Montag, 17 Okt. . . . hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen wegen 
einem Bai grade gegenüber, welcher ... bis heute mor- 
gens um 7 Uhr gedauert hat mit heftigem Lermen . . . 
(Am Rand : die Gärimonien der R e k t o r w a h I:) Der ab- 



1 Seelig vgl. 18. und 20. XII. im Jahrb. ISOti. 

2 «Das Los in der Lotterie» Heilerts Lustspiele, Leipzig: 
3. Aufl. 1774). 



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- 205 — 

gehende Rektor Hr. Prot". Ernesli hielt eine Rede, nach 
deren Endigung die Thüren geschlossen wurden. (Am Rand: 
In dieser Rede forderte er am Ende ein Urteil über seine 
Verwaltung von den 4 Senioribus der -4 Nationen 
... Er redet sehr schön latein und gesetzO. Noch vorher 
aber geschähe, was folgt : An dem Hauße, worinnen das 
philosophische Auditorium war und die Wahl geschähe, ist eine 
Treppe, auf welche man aus dem Hofe gleich hinaufsteigt. 
An dem Ende der Treppe ist eine Art von Erker, an wel- 
chem ein blaues Tuch von TafTet herabhieng. In diesem 
Erker stand Hr. Prof. E r n e s t i in seinem Rektorhabit, 
so churfürstlich aussiehet. Neben ihm stund Hr. (eine Lücke), 
welcher etwas lateinisches herlas von Gesetzen etc., so ich 
aber größtenteils nicht verstanden habe nebst noch einigen 
anderen Herren. Unten an der Treppe stunden die zween 
Pedellen mit ihren rothen Uiberröcken, mit Gold besetzt, und 
gläsernen, verguldeten, schön gezierten Sceptern. Nach 
langer Weile kam Hr. J)r. Ernesli mit Hr. Prof. 
C I o d i u s etc. auf diesen Erker und kündete an, daß in 
der dritten Wahl zur Rektorswahl erwählet, worden, 4. für 
die polnische Nation Hr. Ur. Büscher* und Hr. Prof. 
(eine Lücke), 2. für die meißnische Hr. (eine Lücke,) 3. für 
die sächsische er, Hr. Dr. E r n e s t i selbst und 4. für die 
bayrische Hr. Hofrath Bei. 8 Mit welcher Wahl die Studiosi, 
so in Menge unten im Hofe stunden, zufrieden zu sein ge- 
beten wurden. Wiederum nach langem Warten erschien 
Hr. Dr. E r n e st i zum zweitenmale, den ich aber diesmal 
weder selbst noch seine Hr. Collegen sehen konnte. Er 
verkündigte, das Hr. Prof. Morus» zum Rektor erwählet h */J™k*£™ s 
worden. Er ermahnte die Studiosos zum Gehorsam etc., 
worauf bald der, bald jener aus dem auditorio 'durch den 
Hof die Treppe hinauf und wieder so zurückgieng, bis endlich 
die Thüren wieder geöfnet wurden. Der neue Hr. Rektor 
hielt eine Rede in schönem latein und mit ganz bescheidener 
Stimme etc. Uibrigens muß ich mich freuen, daß die 
sämtlichen Hr. Prolessores so viele Religion in ihren Reden 
zeigen. Bald darauf giengen sie heraus über den Hof in 
die Gartenhäuslein und so hatte alles ein Ende . . . 

. . . nach dem collegio begegnete mir Hr. Inspektor ™ en ok a t g ' 
W T i t t e in der Waysenhäuser Buchhandlung in Halle, 
mit welchem ich in sein logis gieng. Er gab mir zween ein- 



i Burscher vgl. 27. X. 

* Bei Karl Andr. Dr. jur. o'rd. Prof der Poesie 1717—82, 
{hatte auch in Straftb. studiert, wo ihn Schöpflin förderte.) 

* Morus vgl. 22. XII. u. a. im Jahrb. UKKi. 



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206 — 



zelne Briefe von 1. Hr. Dr. und 2. Hr. Prot. Loren z 
nebst einem Paquet. Darinnen waren Briefe 3. von der 
Fr. 0 e r t e I i n , 4. M. Redslob, 5. Hr. M. Ober- 
Ii n, nebst zwo Dissertationen, alle von S t r a ß b u r jr . 
Auel) befand sich darinnen 6. ein Brief von Hr. Frö- 
1 i c Ii nach Berlin, welchen ich Mittw. den 9. Mor- 
gens auf die Poste trug, ohne zu franquiren, 7. ein Brief an 
Hr. Dr. I'» e i s k e , so unterdessen gestorben (vgl. 4. IX.). 
Diese Briete und Paquetssind lange unterwegens gewesen und 
an Hr. Insp. Witte hierher gesendet worden von 
Frankfurt am Mayn aus ... Sie waren alle (noch) 
nach Halle addr-essirt . . . (Spaziergang mit Witte in 
den Garten des Fürsten Jablonpwsky) . . . brachte 
der verwitweten Fr. Dr. Reiske den Brief von Straß- 
burg, c o von Hr. Schneider geschrieben worden 
. . . Gleich anfangs sagte sie mir, daß Hr. M. B I e s s i g, 
jelzo in Göttinnen seie. Die Frau scheint übrigens 
noch Lust zu einer andern Heurath zu haben. Sie ist lieb- 
reicher in Geberden und auch etwas freier gekleidet, als da 
ihr Mann noch lebete . . . (Briefe nach Halle).. . Nach- 
trag zum 17: Uiber dem Beten, so ich gewöhnlich laut 
zu verrichten pflege, klopfte jemand an eine Thür und 
suchte sie aufzumachen. Ich, erschrocken, hielte innen im 
Gebet und das zu verschiedenen Mahlen, bis ich eine deutliche 
Stimme dreimal rufen hörte: «Nur fortgebetet, nur fortge- 
betet, nur fortgebetet !» Hierauf achtete ich nicht gleich, 
meinend, es spottete jemand über mich. W T ie ich aber 
schon zu Bette lag, so gab mir dieses einen tiefen Eindruck, 
und ich wurde, ich weiß nicht wie, vollkommen überzeugt, 
daß es Gottes oder eines Engels Stimme gewesen, da ich 
dann mit sehr gerührtem Herzen aufs Neue betete. 
M>»woch, . . . (Collegien) . . . Nach dem M Essen gieng ich zu 

dem Hr. Rektor Moru s, (am Rande : hier habe ich vielerlei 
Fehler begangen) um mich in die Matriculami ein- 
zuschreiben . . . speißte zu Nacht Butterbrod mit Wasser 
und Branntenwein, läse in Crusii logic . . . 

D T U 0kt afer ' * * * Detete sehr ka^sinnig . . . (Besuch bei Baron 
von B r o w n aus W e r n i n g e r o d e , der «ein ge- 
meiner Herr und wahrhaft christlich ist». Bei ihm lernt 
er den Advokaten Duschewsky kennen, der vor 10 Jahren 
in Leipzig protestantisch wurde, nachdem er vorher «ein 
Dominikanermönch in Pohlen» gewesen. Desgleichen einen 



i Die «jüngere Matrikel» der Univ. Leipzig 1550—1809 ist 
noch nicht herausgegeben. 



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207 



studiosum aus B e r 1 i n,» Namens J a e n i k e 1 , der «fertig 
böhmisch sprach» und «schon als böhmischer Catechet in 
Dresden gestanden.») . . . 

. . . gieng bald nach 8 Uhr weg und bald da, bald E™^^: 
dorthin, weil ich die Mißethäterin und die Gaeri- taiis an einer 
nionien dabei sehen wolle, soviel möglich war. Endlich 
gieng ich vor das Thor. Nach 10 Uhr kam die Mißethä- 
terin. Wie ich gegen 9 Uhr auf dem Markte war, so 
war der Gatter am Rathause zugeschlossen ; auf der 
Treppe stunden einige Stadtsoldaten ; ausen auf dem Markte 
die Schaar in zwo Reihen mit langen Spießen und mit 
Degen. Der Zug selbst war lange. 1. kamen Stadtsolda- 
ten, 2. drei geharnischte Knechte zu Pferd, 3. die Schaar, 
4. die Thomas- und andere Schüler mit Gesang, 4. gehar- 
nischte Knechte zu Fuß, 5. die Mißethäterin mit 
zwei Priestern und zwei anderen Geistlichen, 6. Jäger, För- 
ster etc., 7. einige Kutschen vom Magistrat. Die Miße- 
t h ä t e r i n war weis gekleidet mit einem schwarzen 
Kopfzeuge und gieng zu Fuß. Sie war herzhaft, soviel ich 
sehen konnte. (Am Rand : Vor dem Thore hatten die 
Stadtsoldaten um den Gerichfsplatz einen großen Kreis ge- 
schlossen. Innerhalb desselben war ein Gerüste aufgeschlagen 
für einige obrigkeitliche Personen). Auf den Gerichtsptatz 
stieg sie ganz frisch und sähe sich um, kniete nieder, wo- 
rauf sie die beiden Priester einer nach dem anderen ein- 
segneten; darnach setzte sie sich auf den Stuhl, nachdem sie 
vorher von allen auf dem Platze Abschied genommen hafte, 
den Scharfrichter nicht ausgenommen. Sie hat sich selbst 
noch am Halse entblösen helfen. Der Kopf wurde gut ab- 
geschlagen, ohne daß er gehalten wurde. Der Scharfrichter 
hatte einen Treßenhut auf, einen grünen Rock, rolhes 
Camisol und weise, seidene Strümpfe an nebst einem Degen, 
und so richtete er. Das Verbrechen der Persohn war ein 
Mord an einem fremden Kinde schon 1773, welchen sie 
selbst am Rathhause gleich nach der That angegeben halte. 
Dafür wurde sie heute geköpft und auf ein Rad geflochten 
und der Kopf angenagelt. Sie soll schon im loten Jahre das 
Hurenleben angefangen haben, von welchem sie die ge- 
wöhnliche, schändliche Krankheit davongetragen hat, an 



1 Joh. Jänicke 1748— 1827 Prediger au der böhmischen 
Kirchein Berlin; war dort in Heckers «Realschule» und giug <>7 
als Weber auf die Wanderschaft; 1771 von Dresden, wo er 
«böhm. Schulmeister» gewesen, auf die Univ. nach Leipzig. 18*4 
Gründer der »preuß. Bibelgesellschaft und früher einer Missions- 
schule. (Vgl. 23. X. u. 7. XI.) 



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welcher sie während der Gefangenschaft im Lazareth hat 
müßen curiret werden. Sie soll im Anfange ganz roh und 
unwissend gewesen sein. Es wird aher besonders Hr. 
Schirnau, Lazareth prediger, gerühmet wegen der Mühe, 
die er sich um sie gegeben hat, wodurch er es soweit 
brachte, daß sie doch lesen lernte und einige Kenntnissein 
der Religion bekam. Diesen Hr. Schirnau hat sie nach ge- 
sprochenem Todesurl heil auch gleich begehret, welchem Hr. 
M a t I Ii e s i u s zugesellet wurde. Gegen halb 12 I hr zu 
Haus ganz voll Koth . . . (Gewohnheitssünde, Gebet ; 
am Rand: «schändliches Laster»). 
Samstag, . . . (Kollegien) . . . läse in Crusii logic, über welcher 

ich in schändliche Werke ausbrach . . . 
Sonntag.23.Okt. Heute stunde ich auf gleich nach 7 Uhr, machte mir 
aber mit Säuberung der Schnallen, des Degens und des 
Stockes etc. so viele Arbeit, daß erst um 10 Uhr in die 
P a u l i n e r kirche kam, da schon das Thema vorbei war. 
(P e z o l d predigt ; «Steuer für das abgebrannte Städtchen 
Zedlitz an der böhmischen Grenze » . . . Von 1 —2 Uhr 
gieng ich um die Stadt herum. Einige Zeit vor 2 Uhr hahe 
ich sündlich zugebracht. Von 2—3 Uhr hörte ich Hr. M. 
Einsiedel (predigen; hernach noch in der Paulinerk. 
«einen vermutlichen Candilaten» Schmied er) . . . 
(Mit Hr. von Brown zu Frau Löwin, bei der mit 
Sn SchuTmeC J a e n i k e, Lehrer Lehmann, dem «christlichen Arzt» 
ster, so (seit Dr. Lehmann und Frau aerbaulich» gesprochen und 
cfner Armen" gesungen wurde, wozu «die Uhr die Melodien vorspielte»)... 

Kosten 1 des U Hr. Hrn. J a e n i k e naDe ich nun vö,,i S als einen bekehrten 
v. Honenthai. Studiosurn Theologiae kennen lernen, der recht in Jesu 
lebet . . . (Lesen, Singen geistlicher Lieder vor dem 
Schlafengehen gegen 12 Uhr . 
Montap.24.Okt. . . , brachte Hr. Baron von Brown des Hr. Dr. 

Lorenz Predigt : «Die Herrlichkeit des großen Aufersteh- 
ungstages» . . . Nach dem M Essen läse ich den Brief von 
E stra"burg° n Hr. M. Weber in Straßburg, die collegia und 
Stip. Otton. 2 betreffend, so ganz freimülhig geschrieben 
ist . . . endigte nach dem Nachtessen K i p p i n g * (de 
cruce und cruciariis, Bremen 1671), daraus verschiedenes 
nützliche kan gelernet werden, die Art der Kreuzigung be- 
treffend . . . 



1 Zedtlitz bei Borna, Kreis Leipzig, ist der einzigeJOrt dieses 
Namens in Sachsen. 

2 Otto vgl. 21. I. im Jahrb. 190(5. 

3 Kipping Heinr. aas Rostock f 1(578 als Rektor des Gymn. 
in Bremen. Cruciarius : der Gekreuzigte. 



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- 209 — 

. . . speißte in dem Schlosse zu Mittag Suppe, Fleisch D ^ n out' 
und Brod an dem Tische, so Hr. Biron v. Hohen I hal 
hier hält für 90 arme Studiosos in allen Wissenschaften. 
(Am Rand : Ordentlich hat man an demselben nur Suppe 
und Gemüße) Die Gelegenheil war: weil Hr. Inspektor 
D e y d r i c h mich gerne sprechen wolte (Am Rand : Er Hr - ^j^ h Dev " 
hat eine besondere Liebe zu Slraßburgern, weil er bei Hrn. 
Rathsh. Weyher, Hrn. Dr. C o r v i n u s etc. viele Wohl- 
taten genossen). Er ist ein mediciner, so in 5 Wochen etwa 
den Gradum doctoris nehmen und gleich nach B a r u t h 
als Stadtphysikus abgehen wird. Vor 5 Jahren ist er von 
Straß bürg hierher gereiset, nachdem er 2 Jahre da- 
selbst die Chirurgie studiret hatte. Er war so gütig gegen 
mich, daß er mir auch morgen erlaubte, zu Tische zu kom- 
men. Uibrigens ist er arm und seine Gesinnung scheint 
schlecht (d. h. «unchristlich») zu sein. Von Persohn ist er 
klein. Nach dem MEssen gieng ich mit demselben um die 
Stadt herum und hernach in sein logis in dem Hohentha- 
lischen Hauße, 5 nicht kleine Treppen hoch . . . 

. . . («Aufschreiben der empfangenen und abgelassenen ^"oSt 1 *' 
Briefe) . . . (Besuche etc.). 

. . . hörte bei Hr. Dr. Burscher die Universal- D™"^ 1 »»« 
historie. Er handelte von den Kaysern Claudius und Nero. 
Der Vortrag an sich ist gut. Allein die Art ist etwas sonder- 
bar, mit großem Geschrei wie ein Charlatan . . . 

. . . läse einen Brief von Hr. Prof. Thunmann Freitag. 28. Oki. 
in Halle, der sehr zärtlich und freundschaftlich war. 
Uibrigens betraf er Hr. M. Adj. Oberlin in Straß- 
bürg... 

. . . (Kolleg bei Prof. B o s s e c k 1 über alttest. !$ m o k T' 
Sprüche im N. T.). Der Mann sieht dem verstorbenen Hr. 
Prof. Heus 2 in Straßburg in manchem ähnlich. . . 

. . . (M. Anton 8 predigt in der Paulinerkirche) . . . Sunntag,3>.Okt. 
Nachm. war ich abermals ein Sklave meiner Lust (längere 
Betrachtung seiner Schwachheit und Gebet) . . . 

. . . (Superint. Bah rdt* predigt in der Thomas- Montag, ai.Okt. 

... , , i ~» o/> f • - i • «I i- i Reformations 

kircne über Jon. 12, ob «ganz treimulhig über die Greuel fest, 
des Papstthums und die Wohlthaten der Reformation.») . . . 
(Jn der Paulinerkirche ; M. Hempel predigt) . . . (Be- 



1 Bosseck Joh. Gottl. 1718—98 a. o. Prof. des Hebräischen. 
Sein Bruder H. Otto war prakt. Arzt, vgl. 10. V. im Jahrb. 190G. 

2 Heus Joh. Matthias Arg. Prof. Log. et Metaph. f 17G8 
(K. V. Bl. 6 Rückseite). 

3 Vgl. 1. I. im Jahrb. 1906. 

« Bahrdt Joh. Fried, vgl. 13. III. im Jahrb. 1901). 

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210 - 



Dienstag. 
1. Nov. 



Ein schelmi- 
scher Edel- 
mann. 



Mittwoch, 
Nov. 



Donnerstag, 

3. Nov. 



Freitag, 4. Nov 



Samstag 3 N\>> 



Sonntag, t\N\v. 



Vir<.lumnit» 
vier Kirche. 



Schreibung «1er «Prozession» der Professoren zur Reforma- 
tionsfeier aus der Nikolai- in die Paulinerkirehe am Nachm. 
M. \V o I f hält eine lat. Hede) . . . («Katechisation» in 
der Peterskirche) . . . (Bei Pezold langes Gespräch über 
«b c h re p f e r si Zauberei» und Geisterbeschwörungen in 
Dresden, «so sich um 8. Okt. erschossen hal» vgl. 8. 
X.). Den Seligen Geliert konnte er nie citieren . . . 
Es sollen solche Zauberer mehrere sein in Dresden . . . ase 
bei der Y o r k i n Grundbirnen in der monlure 2 . . . 

. . . (Schreiben ins Tagebuch) . . . (bei Frau York) 
bis eine Krau dazu kam wegen einem Pferd von Seiten des 
Hr. von Linde n, so auch im Hauße wohnt. Dieser ist 
ein so durchtriebener Schelm als irgend einer (im Pferde- 
handel?) . . . schriebe an Hr. M. \V eher (in Straßburg) 
bis nach \2 Uhr. 

. . . schriebe an Hr. Dr. Lorenz (Nach Tisch an 
Prof. T h u m a n n in Halle und Abends an andere dortige 
Freunde) . . . 

. . . endigte den Brief an Hr. Dr. Lorenz. . . 
Jetzt (Abends) werde ich noch an Hr..cousin Birr 
schreiben. Dies dauerte bis nach 12 Uhr. Ich betete im 
Bette. 

. . . schriel>e an M. P\ e d s 1 o b (in Straßburg) . . . 
an Hr. Hertel . . . und Hr. M. Ob erlin (beide eben- 
da) . . . 

. . . kaufte ein hiesiges Gesangbuch (von A—o im 
Kolleg «halb schlafend und halb wachend») . . . (Briefe 
an . . . Dr. Beykert,* erst in der Gaststube, dann 
ivuuf meiner kalten StuGe») . . . 

. . . frühstückte, sunge die zwei Lieder: 1. Hilf uns, 
Herr, injallen Dingen» "2. Gedult ist euch vonnöthen etc. 
Darüber und bei dem ferneren rüsten veryieng die Zeit, 
daß ich in keine Kirche konnte; ich betete und gieng im 
Schloß zum Mittagessen. Nach demselben habe ich meinen 
allerliebsten Gott wiederum beleidigt mit meiner Gewohn- 
heitssunde (Gebet) . . . Nach dieser verahscheuungswürdigen 
That schiieb ich dieses Journal . . . (Besuch bei P e z o I d). 
Kr sprach (u . A.) von seinem Vorsatz, eine Art von Kr- 
hauungsst unde zu halten mit den 7 Studiosis des Hohen- 
thalischen Tisches, die auser demselben monatlich noch 



i V 



6. I. eben Ja. 



= K:\rtortVln in der Sehale. 



3 Keveken j\>h. Phil. Art. 177:? Prot, theol. 17til Gvmna- 
siavcM 7 17>7 K. V. Bl. i> Kücks.) Er war Klessigs Schwieger- 



vater. 



L/iyi 



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— 211 - 



einen Thaler bekommen, dafür sie aber allemal was aus- 
arbeiten müßten . . . (Um .3 Uhr mit Pezold in die 
P a u 1 i n e r kirche) . . . Wie ich (aus der Gaststube) vor 
meiner Thür war, löschte der Wind nif»in Licht. (Deshalb 
gleich zu fielt und «langes Gebet»). 

. . . läse zween erfreuliche Briefe 1) von Hr. Pfarrer Montag, 7. Nov. 
Glaus in Frcf. am Mayn, so erst nach Halle geloflen war 
2) von Hr. Ins». F a b r i c i u s in Halle . . . fienge an, 
eine Supplique aufzusetzen für das Otlon. Stip. in S t r a ß- 
1> u i "g (Am Rand : Um 12 Uhr, wie ich aus dem eollegio 
j^ieng, sagte mir Hr. Jaenike, der zum Inspektor » ver- 
ordnet ist, daß der gnädige Hr. Vicepräsident — von Ho- 
h e n t Ii a 1 — mir seinen Tisch hätte antragen lassen) . . . 
endigte und besserte die Supplique aus bis elwa halb 12 Uhr 
(Abends ; Pezold hatte ihm gesagt, «es könnte verschie- 
denes lalinius ausgedrückt sein».) . . . 

. . . (Pezold sieht eine* «Supplique» durch) welche ich Dienstag, 
(dann) zu Hause corrigirle . . . Von 5 bis 6 Uhr und auch 
hernach versäumte ich (die Zeit) mit dem rauchenden Ofen, 
so ich nun zum erstenmahle gesetzt bekam . . . Nach dem ^ 

v euer dfcis erstö* 

N Essen schriebe ich zwo Suppliques ab für das Otlon. und mahroder 
Schenkbecherische Stipendiat Darauf einen Brief an Hr. besser Rauch ' 
Fiscal Ca p p a u n , alsdann adresses und siegelte Briefe 
nach S t r a ß b u r g bis nach l Uhr und betete im Bette. 

. . . schrieb noch einen Zettel, darinnen ich meldete, Mittwoch. 

9. Nov. 

daß ich den Datum vergessen hätte und bat, denselben selbst 
hinzusetzen und legte (ihn) in das couvert, welches ich auf- 
brach und neu siegelte (!) . . . (Jaenike teilt ihm mil, 
daß er «künftigen Sonntag als rnembrum ordinarium an den 
Hohenthalischen Tisch kommen könnte») . . . trug (Nachm.) 
das paquet nach S l r a ß b u r g auf die Poste, welches mil 
25 Groschen oder 4 Livrcs weniger 8 deniers bezahlen TheuresPaquct. 
mußte. (Es waren außer den 2 «suppliques» Briefe darinnen ; 
an Dr. und Prof. Lorenz,' an «cousin B i r r», M. 
H e d s I o b , Hr. 0 e r l e I , M. 0 b e r I i n , Dr. Renck- 
1 i n , * Dr. ß e y k e r t , Prof. Brackenhoffer 5 und 
«Lct. Fiscal» C a p p a u n) . . . 

. . . gieng spatzieren um die Stadt herum mit einem Donnerstag, 

° r 10. Nov. 



1 vgl. 15. XII. u. a. im Jahrb. 1906. 

2 Beide heute noch vom Thomasstift verwaltet. 

3 lieber die zwei Lorenz vgl. 21. u. 24. XII. im Jahrb. 15»0G. 

4 Wohl: Reuchlin Fr. Jak. Piäpositus der thcoJ. Facult. 
t 1788. (K. V. Bl. 8 Rücks.i 

5 Brackenhoffer Joh. Jerem. prof. mathem. f 1789. (K. V. 
Bl. 16., 



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- 212 - 



Samstag, 
12. Nov. 



jungen Hunde . . . (Hr. Haß aus Hof) rühmte mir als 
einen vortrefflichen Christen den Hrn. Superintendent Weiß 
zu H o f im Bayreuthischen . . . 

F,C Bultag' 0V ' * ' " * B u r * s c " e r K^'c 1 »n «'er Paulinerkirclie) 
... das Vater Unser wurde von allen kuieend gebetet . . . 
Noch nie hahe ich so viele Leute in der hiesigen Kirche 
gesehen. (Zu Mittag ißt man am Bußtag Fische) . . . (Nach- 
mittag in der Thomaskirche, wo Dr. Koerner predigt 
und in der Nikolaikirche) Die Weiher haben doppelte Sitze 
in ihren Stühlen (vor der Predigt saßen sie «gegen den 
l, 5SSw. crA,,ar »' dann «kehren sie sich gegen die Canzel».) Es pre- 
digte Hr. Lic. Thalemann . . . Nach 4 Uhr gieng ich 
noch in die neue Kirche (Beschreibung derselben und noch- 
maliger Besuch der Thomaskirche) . . . auf meinem Zimmer 
läse ich : Job. Georg Wale h s i «vom Glauben der Kinder 
im Multerleibe» in 8 aus dem latein. ed. rda. Jena 1733. . . 

. . . Hr. Insp. Deytrich im Intelligenzcomtoir (am 
Rande: «ein Bruder des p. 390» = 25. Okt.) gab mir einen 
Zettel, dadurch ich an den Hohenthalischen Tisch komme, 
schenkte mir ein Intelligenzblatt auf ordre des Hr. Vice- 
präsidenten, darinnen die Anstalten im S t e i n t h a I ge- 
druckt stehen, so weit es mit denselben gekommen unter 
dem Hr. Diaconus Stuber* an der Thomaskirche in 
Straßburg bis 1767 . . . brachte dem Hr. Prof. Pe- 
CrusH Meta- zold Crusii logic wiederum und borgte dagegen desselben 
wurf S der noth- i. e. Crusi i Metaphysic ed. 3. in 8. (vgl. 30. XI. und 
^unftwahr- r " 6 - XI1 -) • • • endigte Walch «vom Glauben der Kinder im 
Mutterleibe». (L'ebersetzer dieses «gelehrt, deutlich und sanll 
geschriebenen» Buches ist M. Adam Lebrecht Müller) . . . 

. . . (Feuer mit Rauch !) . . . (In der Paulinerkirche 
predigt M. Lohdius «ganz gut». Mittags zum ersten 
Mal am Hohenthalischen Tisch.) . . . Hr. .1 a e n i c k e 
wohnet vor dem Ranstädter Thor in Hr. Teichs Hauße, 
eines Wachsbleichers, mit dem Schulmeister, Hr. L e h - 
m a n n, (vgl. 23. X.) auf einer Stube. Hr. Vicepräsident 
von H o h e n t h a 1 hat da eine F r e i s c h u I e er- 
richtet ; derselbe bezahlet für die Stube des Schulmeisters 
und die Schulstube 47 Thaler. Die Bänke in der Schul- 
stube, deren immer einer höher ist, als der andere, kosten 
24 Thaler. Der Schulmeister hat monatlich 6 Thaler. Ge^en- 



Sonntag:, 
13. Nov. 



Ftcischule. 



» J. G. Walch ans Meiningen 1G93— 1775. seit 1716 Prof. in 
Jena (Dogrm.- u. Kirchengesch.) Herausgeber von Luthers Werken 
in 21 Bänden (1740—1752). 

2 «Joh. Georg Stuber Arg. zuvor Pfr. in Waltersbach im 
Steinthal f 17V>7» (K. V. Bl. 4U). Er war Oberlins Vorgänger. 



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— 213 — 



Dienstag, 
15. Nov. 

Mittwoch, 
lt.. Nov. 



wärtig sind 80 Kinder in dieser Schule, wozu sich schon 
wieder *23 gemeldet hahen. Die Kinde? bekommen Unter- 
richt und Bücher frei. Bei Hrn. J a e n i c k e lernte ich 
kennen die Hr. X a d e r und Weinet . . . (Nachmittag 
predigt in der Paul. Kirche M. H u n d ») . . . 

(Nichts von Bedeutimg.) Montaji.u.Xov. 

(Desgleichen.) 

. . . schrieb dieses journal . . . Hr. Prof. Pezold 
gab mir die 8 Groschen H o 1 z g e I d (fürs Kolleg ?) wieder, 
so ich um 5 Uhr seinem famulo gegeben hatte (Gespräch 
mit ihm). Beim Weggehen gab er mir zum Durchlesen 
1) Schreiber, den Besuch Hr. Dr. Semlers bei «ler 
Brüdergemeinde in B a r b y betreffend, nebst einem hei 
dieser Gelegenheit geschriebenen Briete des berühmten Hr. 
Dr. S t a u z i u s 2 in 8 Frcf. und Leipzig 1774, ein Bogen. 
Diese Schrift ist spitz genug geschrieben und beißend ; aber 
noch viel witziger, schärfer und zugleich mit Ehrfurcht und 
Verteidigung der christlichen Religion ist verfertiget: 2) Send- 
schreiben an den Verfasser des Lebens und der Meinungen 
des Hr. Magister S e b a I d u s N o t h a n k e r 3 von 
dessen weiland untergebenen Schulmeister. Zur Bestellung 
abgegeben in der Michaelis Messe 1074 in 8 drei Bögen 4 . .. 

. . . läse (nach dem Abendessen) in dem Brief Pauli 
an die Galater, welches leider, so viel ich mich erinnere, 
das erste Bibellesen in Leipzig ist. Gnädiger Gott, räche 
nicht die schreckliche Verachtung deines Wortes, um Jesu 
Christi willen ; amen . . . 

. . . (Nach dem Abendessen machte er «zur Erholung Freitag is.Nov. 
eine Stunde lang klein Holz») . . . 

. . . (Lesen in der Metaphysik von Crusius und im 
N. T.) ... 

. . . (In der Paul. Kirche predigt M. Bock.) Weil 
er auf ein Dorf als Pastor kommt, so that er seine Ab-- 
schiedspredigt. (Er war 9 Jahre in Leipzig gewesen.) . . . 
(In der Nik. Kirche predigt am Nachmittag : ein Studiosus 
Richter mit «vielen Gaben». Schluß des Kirchenjahrs mit 
«schöner Vocalmusic» der Thomasschüler ; dann aCatachesis 
vor der Kanzel auf einem grünen Seßeb an «etwa 8 Knaben».) 



Donnerstag, 
17. Nov. 

Bibellesen. 



Samstag, 
19. Nov. 

Sonntag, 
'20. Nov. 



J Hand vgl. 19. II. im Jahrb. 1906. 

2 Staazius? 

3 Das Leben und die Meinungen des Hrn. Magister S c - 
baldns Not hanker von Nicolai mit Titelkupfer von 
Chodowieki (Berlin 1773 ff.), ein rationalistischer Roman gegen 
heuchlerische Orthodoxie, der großes Aufsehen erregte. 

4 = 4S Seiten vgl. Goedeke IV, 170. 



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Schlitten. 



Dienstag, 
22. Nov. 



- 214 — 

. . . (Am 1 lande : Uiber dem NEssen — in der Gaststube 
— wurde ich, wie schon mehrmahlen, spöttisch beschimpft 
von Hr. Kraus, einem mediciner) . . - 
Montajf.2i.Nov. , % hospes bei Hr. Prot*. C I o d i u s über die ep. Ci- 
ceronis ad Atticum von 3 — 4 l'hr . . . legte mich nach 
hall) 12 Uhr. In dieser Nacht und schon den Nachmittag 
sähe und hörte ich Schlitten fahren. Sie sind gemacht wie 
die in Straß bürg. Ks dart aber niemand mit Fackeln 
fahren. Die Stunde wird mit einem Thaler bezahlet. 

. . . Nach dem M Essen trunke ich in der Gaststube. 
Hier erzahlte mir ein Kutscher aus Frankfurt am Mayn, 
Hr. Scharr, daß die Contrebandei in Frank- 
reich abgeschaft sein soll nach Briefen, welche Kaufleute 
in Frankfurt a. M. .sollen erhalten haben . . . Diesen Nach- 
mittag und besonders diesen Abend wird ganz rasend mit 
Schlitten gefahren, meistens von Studenten (am Rand; 
mit wildem Knallen) . . . 

. . . (Besuch bei Prof. Boss eck:) Wir redeten von 
Hr. Prof. Stocher (in Straß hur?), mit welchem Hr. 
Prof. B. hier in Leipzig studiret hat; von der zu hollenden 
gewißen Bekehrung Israels, die u. a. besonders aus dem 
Ezechiel bewiesen werden kann ; von der versione Alexan- 
drina, 1 die im N. T. nie citirt würde, und daß wir nicht 
einmal wüßten, was eigentlich diese version seie, da es 
O r i g e n e s schon nicht gewußt bat etc. . . . (Nachm. 
Spaziergang um die Stadt "bei sehr heftiger Kälte» . . . 
Von 4-5 Uhr war im coli, und saß zum erstenmal ordentlich 
auf einem Seßel, den mir der famulus des Hrn. Prot. 
P ez o I d , Hr. Ludovici, so zu reden, aufgedrungen hat, und 
umsonst . . . (Bei Pezold im Hause wurde auch von der 
LXX geredet). Man könne nicht einmal beweisen, daß 
diese versio in Königs Plolemaei Zeit verfertigt worden, 
sondern nur dis seie gewis. daß die ebräische Bibel V. T. 
darnalen mit griechischen Buchslaben seie geschrieben wor- 
den mit Aenderungen an 13 Stellen. (Ferner wurde ge- 



Mitlwuch, 
23. Nov. 



1 Genieint ist wohl (in — n a c h Frankreich) die Verlegung 
der französischen Zollgrenze an den Rhein, die aber erst in der 
Revolutionszeit (Okt. lil>0) erfolgte (Aufhebung aller Binnenzölle 
v. 1. I. 1>1 an) Dadurch wurden die bisherigen freien Handels- 
beziehungen zwischen Elsaß und Deutschland unterbunden. 

2 oder «Septuaginta», die nach der Sage auf Befohl des 
Königs Ptolemaeus Philadelphos (2*.">-47 v. Chr.) von 70 jüdi- 
schen Gelehrten in Alexandria besorgte t'cbersctzung des alten 
Testamentes ins Griechische Origeues lernte hebräisch, um den 
Urtext mit der Uebersetzung zu vergleichen und diese berichtigen 
zu können. 



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sprochen) von . . . Prof. L i n g g in Wittenberg und 
seiner Geschicklichkeit, von Hr. Lic. Thalemanns Be- 
rufung (dorthin) als Gen. Superintendet (Dr. Koerner 
hatte sie ausgeschlafen); daß ein Prof. extraord. in Leip- 
z i g gar keine Besoldung habe, daß ein 'Prof. Ordinarius 
3 bis 400 Thaler habe, noch auf dem alten Fuß, wo dieses 
eine große Summe war ; denn es stehet in der Verordnung : 
ut professores possint laute vivere ; von den hiesigen colle- 
giis, so nicht vom Hot' dependiren I. die der Universitaet 
gehören 1) Paulinum 2) das Fürstencollegium, aus welchem 
die Hrn. Protessores mit besoldet werden II. die für sich 
sind 1) das große Fürstencollegium, *2) das kleine Fürsten- 
collegium 3) das rothe collegium. In diesen sind mehren- 
theils 8 Glieder entweder Protessores oder Magistri habili- 
tati entweder von allen vier Nationen oder nur von einer 
allein e. g. gebohrne Preußen und Pohlen. Die Gliede, 
leben von dem, was die Güter und Häußer, so zu jedem 
collegio gehören, eintragen . . . (Am Rand : Hr. Prof. 
P »> z o I d hätte gerne die Disp. des Hr. Dr. Lorenz 
in Straßburg de induratione Israelis) . . . 

. . . schlug lange Feuer . . . (Besuch hei Hrn. Prof. D ?,J n j[oJ ag ' 
s. Lic. T Ii a l e in a n n» ; das Gesprach mit ihm) . . . 
schrieb an diesem journal . . . (Abends um 9 Uhr uner- 
warteter Besuch von 5 Bekannten aus Halle), welche zu Helu ward es 
Fuß hierher gekommen waren in groser Kälte. (Sie wohn- noch kalter als 

iT- t- i r> -i i \ {Testern. 

ten «im rothen Löwen aut dem tirinl») . . . 

. . . (Mittag mit ihnen «für mein Geld» in ihrem Freitap.25 Nov. 
Gasthof.) Die Aufwartung ist ohngefähr ebenso oder ebenso 
schlecht, wie bei mir in 3 Rosen . . . 

. . . Nach dem MEssen war ich im rothen Löwen bei % m xo?' 
tabac; nach halb 3 Uhr führte ich 4 Hällische Studiosos 
auf die R a t h s b i b I i o t h e c und wieder in den rothen 
Löwen . . . (mit Pezold Besuch bei M. Hempel ; das Ge- 
spräch u. A. vom jüngsten Tag) . . . 

. . . (In der Paul. Kirche predigt G r u s i u s über Sonntag, 
das Evangelium; «schöne Music mit Pauken, Trompeten, 
Geigen, Clarinetten» und Gesang der «Thomas Schüler, 
Ghoralisten») . . . (Nach 2 Uhr in die reform. Kirche 
zu Z o t I i k o fe r 1 . Als Redner verdient er vielen Beifall 
und Lob ; als Prediger kann ich ihn nicht hoch- 
schätzen, indem er mir sehr naturalistisch vorkommt . . . 
(Abendessen im roten Löwen) Die übrigen aus Halle 
hatten schon gegessen und waren betrunken ; besonders Trunkenheit. 



» Zollikofer vgl 5. III. und I. V. im Jahrb. 190l>. 



— 216 - 



Montag,28Nov. 



Dienstag, 

29. Nov. 
Mittwoch, 

30. Nov. 



Holz in der 
Stube. 



Donnerstag, 
1. Dez. 



wußte sich Hr. Schlingmann und Hr. Richter nicht zu 
halten, sondern machten allerlei Aufsehen und Lermen. 
Nach dem NEssen rauchte ich- 3 oder 4 Pfeifen tahac, dabei 
dann von der Kesten Welt, von der hl. Schrift etc. geredet 
und gestritten wurde. Um halh 10 Uhr nahm ich Ab- 
schied und wünschte ihnen sämtlich die Begleitung Got- 
tes .. . 

. . . läse weiter von 5 bis nach 7 Uhr in Grusii Me- 
laph. (Das «Capitel von der Bewegung»). Ich weiß nicht, 
oh mir nicht wohl gewesen, oder ob dieses Capitel schwer 
vorgetragen wird, oder ob es nur mir schwer seie ; ich 
habe wenig daraus verstanden vor dem NEssen und in beiden 
Stunden vorher; nach dem Nossen gierig es etwas bes- 
ser < . • 

. . . Am Rand : «Neuer Schnee in groser Menge») . . . 

. . . Von 9—10 Uhr wurde nicht gelesen wegen der 
Rede vor dem oder von dem Rectoie Magniuco, davon ich 
nichts wußte. Vor 9 Uhr ließ ich mir die Haare schneiden 
. . . Nach dem MEssen hatte ich mit einem halben Klafter 
Fließholz zu schaffen, das ich in die Stube tragen ließ auf 
Zureden meiner Wirthin und hernach legte; dabei machte 
ich auch klein Holz. Von 4—5 Uhr war im coli. Von da 
an bis halb 6 Uhr hatte ich mit meinen Haaren zu thun; 
dann läse ich in Gr. Met., auch nach dem NEssen, und 
endigte dieselbe um 11 Uhr. Doch habe ich vorher manche 
Zeit mit Ausbrennung G kleiner tabaespfeifen zugebracht. 
Aus dieser Metaphysic habe ich viele richtige Begriffe be- 
kommen. Manches war mir zu schwer zu begreifen und 
manches will mir nicht gefallen. Uibrigens ist es die beste 
Metaphysic, die mir bekannt ist . . . 

. . . half meiner Thüre, sie leichter auf und zuzumachen 
. . . Nach dem MEssen half ich der Thüre weiter und läse 
fort in Roos' (Einleitung in die bibl. Gesch.) Uiber dem 
MEssen verehrte mir Hr. D e y t r i c h, Insp. des Hohenth. 
Tisches, seine Disputation pro gradu Doctoris medicinae, so 
morgen soll gehalten werden : de morbis mentis delicta ex- 
cusantibus, 31 Seiten ohne die Dedicationen und Titel nebst 
dem beigedruckten Diplomate von 16 Seiten . . . speißte 
zu Nacht und machte klein Holz bis nach 8 Uhr . . • 
schrieb Briefe bis gegen 12 Uhr ; läse einige Capitel in der 
Apocalypsis, betete und legte mich nach halb 1 Uhr. 



1 Roos vgl. 8. und 11. VI. im Jahrb. 1906. Die «Einleitung 
in die bibl. Geschichten», erste Aufl. 1774, ist 1876 von Steudel 
neu herausgegeben worden. 



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217 — 



. . . von 9 — 11 Uhr in einer m e d i c. D i s p u t a - Freitag, 2. Dez. 
t i o n. Hr. Dr. Bose 1 war in gefärbtem Kleid und Degen; 
der Respondens Hr. D e y t r i c h ebenfalls so, wie auch 
die Opponenten. Die Disp. gieng ganz ruhig von Statten. 
(Am Rand : Uiber dieser Disp. versäumte ich zum ersten- 
mal ein hiesiges collegium) Der Präses gieng vom calhe- 
der und Hr. Prof. Pohl 2 als Procancellarius in rothein 
sammetem Mäntelchen, mit Pelz gefüttert, und schwarzem, 
taffetem Mantel oder Rock trat hinauf, legte einen rothen, 
sammeten Hut, gleich einem Churhute, neben sich und läse 
eine Rede de institutis criticorum in medicina imitandis 
und den Lebenslauf des Candidaten. Darauf trat der Pedell 
neben den Candidaten und läse ihm diejenigen punete vor, 
die derselbe mit aufgehobenem Finger beschwörete. Und 
so giengen sie fort in das Auditorium Philosophicum, wo dem 
Candidaten noch graluliret wurde von einem nach dein 
anderen aus der medieinisehen Fakultaet. Uiber dem M Es- 
sen bekam ich 2 exemplare des carminis, so der Freitisch 
des Hrn. v. H o h e n t h a I hatte machen lassen, davon 
ich doch vorher nichts gewußt hatte (Am Rand: Carmen 
teutsch. Der Verf. ist Hr. Rockstrom* am Hohenth. 
Tisch, ein Mediciner.) Ein anderes Carmen haben des Can- 
didaten Freunde machen lassen . . . 

. . . Nach dem MEssen ase ich Käß und trunke in der Samstag, 3.Der. 
Gaststube bis gegen 2 Uhr; gieng um die Stadt herum zur 
Bewegung bis gegen 3 Uhr ... 

. . . (H e m p e 1 predigt in der Paul. Kirche über das Sonntag. 4. Dez. 
Ev.) Nach der Kirche wolte ich Hr. Prof. P e z o 1 d be- 
suchen ; er gab mir aber zu verstehen, daß es ihm jetzt 
nicht angenehm wäre, da er sich ankleiden müßte, um zu 
Gast zu essen; ich möchte nach Tisch wieder kommen. 
Das MEssen hatte heute Hr. Doctor. D e y t r i c h, bis- 
heriger Insp., gegeben : 1) Suppe, 2) gebratene Gans 
3) Merseburger Bier. Dis machte dann, daß wir bis nach 
halb ein Uhr beisammen waren, da wir sonst am Sonntage 
schon vor 12 Uhr fertig sind. (Nach dem Essen hielt 
Deytrich «eine kleine Anrede» und stellte (vgl. 7. XI.) 
J a e n i c k e «als künftigen Inspektor vor) . . . 

. . . nahm Abschied von Hr. Dr. Deytrich im Montag, 5. Dez. 
Hohenthalischen Hauße am Markte . . . v. 10—11 Uhr hatte 



» Bose vgl. 20. XII. u. a. im Jahrb. 1000. 

2 Pohl ebenda 22. XII. 

3 Rockstrom bzw. Rockstroh ebenda 11. 23. und 26. II. sowie 
1. und 2. III. 



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218 - 



ich viel mit dem Hauch zu schallen . . . (Lesen dreier hei 
Pezold entlehnter Schritten, darunter: Lectio publica, 
in qua illustratur locus 1. Sani. VI 10 de Bethsemitis 1 . . .) 

Dienstag.ö.Dez . . . (Bücher zurück an Pezold; neu entlehnt: 
oO r u s i u s N a t u r I e h r e, Anleitung über natu» liehe 
Begebenheiten ordentlich und vorsichtig nachzudrucken» ed. 
2 da vermehrt in 8. Leipzig 1774; 708 Seiten ohne die 
starke Vorrede zur ersten Auflage*). Es wurde geredet von 
der Jgfr. W e y h e r i n, die 177.3 vom Platz des M ü n s t e rs 
in S t r a ß b u r g hei unlergefallen ; s von den Wirkungen 
der Bekehrung, besonders im Anfang; von Hr. Dr. Dose, 
Prof. anatomiae, welche Stelle allemal der 3 te Prof. in der 
medic. Facultät hat; dieser seie kein tiefdenkender Mann 
und besonders im Sommer pflege er in seinen Vorlesungen 
nach Tische bisweilen einzuschlafen; von Hr. Prof. Pohl; 
derselbe seie zwar ein ehrlicher Mann, aber in seiner 
Wissenschaft schlecht bewandert, so daß er keine Disputa- 
tien, Rede etc. aus Mangel des lateins selbst machen kau, 
.sondern solche allemal durch andere machen laßt. Eine 
Probe seines lateins e. g. ist : quo modo sonant musculi 
i. e. wie heißen dieMusceln? Da er noch Prof. anatomiae 
war, so mußte ein anderer allemal die Theile vorlegen und 
erklären, weil er sie nicht erkannte. Da geschähe es nun 
bisweilen, daß er sich vergriffe und einen Theil für den 
andern nahm, und wann er vollends sein coneept nicht hei 
sich hatte, so konnte er nicht lesen, sondern mußte erst 
nach Hauße laufen ; von dem Buchhändler König in 
S t r a ß b u r g (am Rand : ein Landsmann von Hr. Prof. 
P ez o 1 d) * etc. . . . 

Mittwoch,7.Dcz . . . Nach dem MEssen hielte mich auf mit Oefnung 
eines sehr hart eingefrorenen Fensters . . . wir (Jaenicke 
und zwei andere) disputirten zusammen lateinisch de d i vi- 
nitate Script, sac . . . 



i Vgl. Reuss «Das alte Test.> I. S. 1»2, Anin. .">. 
* Vgl. 14. XII. im Jahrb. 11*06. 

3 «Die hiesige Burgers Tochter, Namens Weiheriii, eine 
Kaufmannstochter, gieng mit etlichen guten Freunden, die nicht 
von hier waren, aufs Münster. Um ihnen etwas zu zeigen, lag 
sie etwas zu weit über das Geländer hinaus und stürzte Nachm. 
zwischen der Abendpredigt ein viertel vor 4 Uhr herunter vor 
der großen Thür, so daß "die Scheukelbeiner an den Hüften oben 
herausgestanden. Hätte sich der Wind nicht unter den Kleidern 
gesteckt, so hätte man sie müssen zusammenfegen. Dis ist ge- 
schehen anno 1773 am Charfrevtag». fCatalogus des Straßb. Mini- 
sterii, S 401. Auf der Univ. BiblA 

4 Pezold war aus Wiedemar bei Delitzsch. 



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— 219 - 



. . . Nach dem MEssen öfnete ich mit Mühe ein ein- Do J n g" e s .J a s- 
gefrorenes Fenster ... 

. . . läse in Crusii Physic . . . nach Hern colleg gab Freitag. 9. Dez. 
mir Hr. Prof. Pezold zum Durchlesen eine gründliche 
Antwort die Schröpferische Zauberei betr. (vgl. 31. X.) von 
Hr. Dr. Crusius . . . Weil icli (Abends) kein Bier herauf- 
bekommen hatte, so gieng ich in die Gaststube, wo ich 
mich über eine Stunde aufhielte, weil von Seeschiffen, 
Wallfischfang, Seehundefang etc. geredet wurde . . . 

. . . (Briete nach Halle «en paquet auf die poste»). . . Samstag.to.Dez. 
Insp. Deytrich (auf dem Int. Comptoir, wo P. einen Hr. in*p. Dey- 
Brief an den Vizepräs, von Hohenthal abgegeben hatte) bot triC mifh gen 
mir einen Tragkorb voll Holz an, welches ich aber aus- 
schlug . . . 

. . . (Burscher predigt in der Paul. Kirche) . . . sonmajf.n.Dez. 
Nach dem M Essen brachte ich liederlich zwo ganze Stunden dun^ rS dcr V Zeu. 
zu in der Gaststube . . . (Nachm. in der Peterskirche). Um 
4 Uhr holte ich Hr. Prof. Pezold ab zu Hr. M. F risch 
am Zuchthause auf caflee und tabac (Gespräch) . . . 

. . . Mach dem M Essen fand ich Briefe zu Hauß : Montag, 12. Dez. 
1) von M. R e d s l 0 b, 2) von Hr. Dr. Lorenz, 3) von J s?raßburg. n 
Hr. C a s e 1 m a n n, 4) von Hr. S c h w e i g Ii ä u s s e r, 
5) von dem 0 e r t e I Grethel von Straß hur g. Alle 
waren voll von Liebe, Freundschaft, christlicher Gesinnung 
und Neuigkeiten. Darunter aber ist besonders eine Propo- 
sition an mich wegen einer Informator-Stelle nach M ü h I- 
h e i m am Rhein bei Cölln zu einem Commissionsrath, 
wo Hr. Burgmann jetzo Evangel. Pfarrer ist, der zuvor zu 
London stunde an der S a v o y 1 . . . (Besuch bei Prof. 
C r u s i u s) . . . Das übrige Gespräche betraf eine fort- 
gesetzte Erzählung von dem Selbstmorde des jungen J er u- 
s a I e m s — ich meine — in Weimar um einer Frau 
willen, die er schon als Braut geliebet hatte, und zu welcher 
ihm nun der Ehemann den Zutritt versagte. Es verursachte 
diese Begebenheit eine gottlose Schrift : «Die Leiden Dk Leiden de* 
d e s j u n g e n Wärter s», * in welcher, wann ich nicht jungen warters 
irre, der Selbstmord unter andern damit vertheidigt wird : 
Gott könne den Selbstmörder nicht anders ansehen, als 
wann ein Sohn etwa acht Tage früher nach Hauße kommt 



1 Ein Stadtteil Londons, so genannt nach einem Prinzen 
Peter von Savoyen. Oheim der Königin Eleonore, der sich in 
England angesiedelt. 

* «Die Leiden des jungen W.» 1. und 2. Teil, Leipzig in 
der Wcygandschen Buchh. 1774. Vgl. das verständige Urteil des 
Wandsbecker Boten über das Buch (Claudius I. 51). 



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— 220 - 



von der Heise, als ihn der Vater erwartete . . . Zwei 
Exempel von der Vorsehung Gottes (in diesem Gespräch) 
waren mir besonders merkwürdig. (Sie sind so abgeschmackt, 
daß ich sie weglasse.) 

D ia n Dez g ' * ' ' niacn,e zwo Commissionen aus S t r a ß I) u r g 

für Hr. Dr. Lorenz bei dem Buchhändler Sommer und 
für M. R e d s I o b s. Frau Weberin bei der Buchh. 
Georgi . . . schrieb vor und nach dem N Essen bis halb 
3 Uhr zwo lange Briefe: I) an Hr. Dr. Lorenz mit 
Intel!. Blatt, und 1 Bogen aus Cr. Cosmologie, 2) an M. 
R e d s I o b, 3) an das Oertel Gr et hei nach Straß- 
burg. . . legte mich gegen 3 Uhr. 

M i4 l D°e C z h ' ' * * brachte zu ljis 11 Unr nocn mit schreiben und 

siegeln, darüber ich also 2 coli, versäumt. Vor 10 Uhr war 
Hr. Georgi bei mir (am Rand : Hr. Georgi der Sohn, so 
in S t r a ß b u r g war bei Lincker und Stein, Buchhändler) 
und versprach, der Frau Weberin in Straßburg auf 
künftige Neuj. Meße entweder den verlangten defect oder 
das Geld zu schicken. Von 11 — war im coli. Nach dem 
M Essen trug ich das Paquel nach Straßburg auf die Poste 
und läse zum (Hier bricht dieses Heft ab und 
beginnt das 5 t e b e z w . das im vorigen 
Jahr mitgeteilte Tagebuch.) — 



Xachwo r t. 

Im Besitze des Hrn. Pfarrers Bruns in Kronenburg 
befand sich auch (und ist von ihm, wie das Tagebuch selbst, 
der Univ. und Landesbibliolhek geschenkt worden) ein dickes 
gebundenes Quarlheft mit dem Eintrag auf der ersten Seite: 
Patrick 16. Mai 1767. Dann folgt ein Bücherverzeichnis: 
«Libri, quos possidet Philippus Henricus Patrick Ph. Stud. 
1767 sq.», vielfach mit Preisangabe oder Namhaflmachung 
einiger Schenker. Es ist eine ganz stattliche Bibliothek von 
fast ausschließlich theol. und religiösen Werken. 1 «Heinr. 
Müllers Erquickstunden 8 Tübingen 1750» sind bezeichnet 
als «Present de Mdm. Oertel, mon hotesse». Die mehr- 
mals im Tagebuch vorkommende Frau Oertel* war also 

1 Als Saul unter den Propheten : Poesies du Philosophe de 
Sans-souci (j. fr. 

2 Auch ein Herr Oertel kommt im Tagebuch vor. Ein Joh. 
Heinr. Oertel. Silberarbeiter, war neben dem Buchhändler Friedr. 
Kud. Saltzmann der letzte Schöffe der Zunft, «zum Stelz» (Patr. 
Wochenbl. Frühpost 13. VIII. 178W. 



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seine Straßburger Hauswirtin und «das Oertel Grethel» wohl 
deren Tochter. An das Bücherverzeichnis schließt sich von an- 
derer, anscheinend weihlicher Hand eine Reihe von Gedichten 
an und daran wieder, meist in lat. Schrift von dritter und 
vierter Hand, eine Sammlung haus- und landwirtschaftlicher 
Rezepte. Diese Einträge sind offenbar später gemacht worden 
auf den Seilen, welche Patrick für die Forlsetzung seines 
Bücherverzeichnisses leer gelassen hatte. Denn mitten unter 
den Rezepten steht wieder von seiner Hand ein Verzeichnis : 
«Land- Charten, jede zu 8 S.» und auf die dann 
folgenden weiteren Rezepte kommen viele unbeschriebene Blät- 
ter, bis wir wieder auf einen Eintrag von ihm stoßen mit der 
Ueberschrift .Sachen, sodie Freundschaft (= 
Verwandtschaft) angehen 1769. Dieser Abschnitt sei hier 
mitgeteilt : 

1769. 

28. Febr. Hr. Hummel mit Jgfr. Birrin Hochzeit. 

7. Aug. Brief vom Vater in Amerika in Süd -Carolina. 
Das ist der zweite, da den ersten 1768 auch um diese 
Zeit bekommen. 
14. Aug. Ankunft meines Bruders von Basel nach Straß - 
bürg. 

29, ej. Abreise ej. (des Bruders) über Paris nach London mit 

der Pariser Land-Kutsche vor 12 L. 

1. Nov. von London nach Charles Town in Süd- 

Carolina. 

18. Decembris angekommen in America. 

1770. 

3. Julii Brief patris et fratris cum diversis aliis 9 L. 

1766. 

13. Martii Hochzeit Hr. Birr mit Jgfr. Lob st ein in. 

1772. 

In der Nacht vom 5 auf den 6 ten Mai gegen Morgen um 
2 Uhr starb dem Hr. Birr, Sohn, sein 3tes Kind Louise, 
ein Mägdlein ohngefehr von 7 vierlhel-Jahren, das in seinem 
Leben fast keine gesunde Stunde hatte. 

1774. 

d (= ditto) 18 September Sonntag Morgens nach 7 Uhr 
starb Frau Tante Birr auf gewiße Weise plötzlich, welche 
ich als Mutter zu ehren habe. Ich war in Halle Magd. (Magde- 
burg); der Abschied derselben aber ist mir erst d. 11. Okt. in 
Leipzig bekannt worden, wo ich um Sie trauerte. 



— 222 — 



1774. 

Im Julius oder August starb Hr. Lobstein, der Vater 
der Frau Cousine Birr. 

1774. 

Um die nämliche Zeit wurde dem Hr. Cousin Birr ein 
Mägdlein geboren Namens Louise. 

1773. 

Ist die Frau Cousine Hummel (vj-l. o. 1700) mit der Ca- 
roline niedergekommen. 

177o. 

Den 4. oder 5. Mai ist mein Theurer Hr. Oncle und 
Vormund Birr gestorben. Seinen Tod habe ich erst nach 
Pfingsten in Tübingen erfahren. Den 17. Julius habe ich die 
Trauerkleider angelegt, welche ich so lange tragen werde, als 
wie wenn ich sein Kind gewesen wäre. 

1774. 

Etwa um Weihnachten hat Jungfer Riedlinin Hrn. Grün, 
Knojifmacher, geheurathet. 

1775. 

In einem Brief, im December 1774 geschrieben, so ich zu 
Ende Aprils oder Anfang des Mai in Leipzig von Straßburg 
aus erhallen, berichtet mir mein Bruder, daß er sich verheu- 
rathet a. 1773 mit Jungfer Cobin, eines Metzgers Tochter aus 
Landau, daß er wegen großen Verdrießlichkeiten sich von dem 
Vater getrennet und nun seine Haushaltung in Charles-Town 
führe. 

• ♦ 
» 

Nach einer Reihe leerer Blätter folgt nun das «Ver- 
zeichnis des Getüchs, s o m i r von meiner ver- 
storbenen Mutter zugefallen», worin aber gegen das 
Ende auch zinnene Schüsseln, Teller u. dgl. aufgezählt sind. 

Zum Schluß stehen 92 Seiten : «Varia notatu non indigna», 
eine Sammlung von Lesefrüchten aller Art, darunter eine Menge 
von Nachrichten, wie man sie heute, besonders zur Zeit der 
sauein Gurken, unter «Vermischtes» in den Zeitungen liest. 
S. 54 wird Ausführlicheres über die im Tagebuch erwähnte 
Berliner «Realschule» des Oberkonsistoriahats Hecker etc. mit- 
geteilt. 

Bei Hr. Pfarrer Bruns lag auch der '(Lehr Brie ff 
vor Johann Heinrich Patrick gebürthig von Trarbach 



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an der Mosel». Darin bescheinigt am 4. April 1741 (es ist eine 
hübsche Urkunde) «Nicolaus Wilhelm Schür mann, Burger 
und Handelsmann» in Heidelberg, daß «Vorzeiger dieses, der 
Ehrbare und bescheidene Johann Heinrich Patrick, 
des Wohl Eitlen Hochgelahrten und Großachtbaren Herrn Jo- 
hann Daniel Patrick, geweßner Hertzoglich- Bircken- 
feldischen und Margräfllich Baaden- Baadischen gemeinschaft- 
lichen Fiscals und stifTtsschafTners zu Wölfl" von Trarbach an 
der Moßel Ehe- Leiblicher Sohn» von der Frankfurter Ost er- 
messe 1737 bis dahin 1741 bei ihm die Tuch hand hing 
«aufrichtig erlernet» habe (folgt ein großes Lob über das Be- 
tragen des Lehrlings und warme Empfehlung desselben «an 
alle und jede, weß Standes, Condition und Würden sie seyns>). 
— Dieser Tuchhändler Joh. Heinrich Patrick ist der Vater 
unsers Magisters. Er hatte sich in Straßburg niedergelassen, 
das Bürgerrecht erworben und eine Straßburgei in ' geheiratet. 
Noch zu Lebzeiten seiner Frau wanderte er, infolge schlechter 
Geschäfte mit ihr zerfallen, als bankerotter Mann nach Amerika 
aus (1753),» wohin ihm (die xMutter scheint noch in den fünf- 
ziger Jahren gestorben zu sein) 1769 der ältere Sohn Casimir, 
seines Zeichens Schneider, nachfolgte, während Philipp Heinrich 
unter der Vormundschaft des concle Bin » in der Heimat blieb.» 

Im Oktober Ii 80 hat sich «der Pfarrer Patrick von Ro- 
mansweilei» verheiratet mit «Cuthanna Magdalena Ehemännin, 
Herrn Johann Peter Ehemann, des Barchelhändlers und Burgers 
dahier» ehelicher Tochter. Als Morgengabe erhielt sie von 
ihrem Manne 150 fl. und brachte «als Ehesteuer auser ver- 
schiedeneu hausrätlichen Mobilien und Effekten 1000 Gulden 
hiesig courrent» ins Pfarrhaus. So zu lesen im Ehevertrag vom 
4. Okt. 1780 vor Notar Zimmer in Straßburg. 

Ueber die weiteren Schicksale Patricks habe ich nichts Nä- 
heres ermitteln können. Jedenfalls war er in der Schreckenszeit 
noch in Romansweiler. Denn im Verzeichnisse der im hiesigen 
Seminar Eingesperrten («Gefängnißgeschichten und Aktenstücke 
zur Bobespierr'schen Tyrannei», auf der L'niv.-Bibl.) steht S. o5 : 



1 Maria Dürninger. Vgl. den Taufakt der Neuen Kirche von 
Diakonus Valentin Holtzbergcr (Stadtarchiv X 22it 8. 261): «Diens- 
tag den 27 Juni (1747) nachts gegen 12 Uhr ist Hr. Johann Heinrich 
Patricks, Handelsmann und Bürger allhier, Ehel. Haußfrau Anna 
Maria Dürningerin, eines Söhnleins genesen, so Donneistag darauff 
getaufft und Philipp Heinrich genannt worden». 

2 Brief an seinen Bruder in Annweiler vom 23. Juli 17.x» aus 
Rotterdam. 

3 I m m a tr i k u Her t wurde er am 6. April 1763 als stud. phil., 
am 18. Mai 1768 als cand. magisterii, am 18. April 1767 (mit Blessi^j 
als stud. theol. (Knod, die alten Straßb. Matrikeln). 



— 224 — 



Ph. Heinr. Patrick, prot. Pfarrer von Romansweiler. Außer 
ihm von ebendort : der Lehrer Moßbach und drei Israeliten, 
sämtlich im Thermidor 1794 gefangen gesetzt. 

Patricks Vater hatte sich in Amerika (Südcarolina) noch 
einmal verheiratet und zu Wohlstand emporgearbeitet. Er 
wurde sogar kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg mit England 
Mitglied der dortigen Regierung. Während des Krieges erlitt 
er große Verluste und mußte wieder von vorne anfangen. Er 
hatte aus der zweiten Ehe sieben Kinder und heiratete, als er 
1780 wieder Witwer geworden, zum dritten Mal. Er starb 
am 12. April 1785, nachdem er die Kinder zweiter Ehe zu 
Erben eingesetzt hatte. Casimir (der auch ein wohlhabender 
Kaufmann geworden) und Philipp Heinrich bekamen nur jeder 
5 Pfund englisch und 4 — Sklaven. Was der Pfarrer von Ro- 
mansweiler mit dieser schwarzen lebendigen Erbschaft ange- 
fangen hat, ist unbekannt ! 

Der Lehrbrief des Vaters, der Eheverl rag unseres Patrick 
und 12 Familienbriefe an ihn, darunter 4 des Vaters und einer 
des Bruders Casimir aus Amerika, denen ich die vorstehenden 
Mitteilungen entnahm, sind von Hr. Pfarrer Bruns auch der 
llniversitäts-Bibliothek übergeben worden. 



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X. 



Gedichte für 

A. M. Baron Zorn von Blobsheim 

Kaiserl. Feldmarschallietitenant. 

Mitgeteilt von 

E. Martin. 

Durch die Güte S. Exzellenz des Herrn Unterslaatssekrelärs 
Baron Zorn von Bulach erhielt ich, von Herrn Dr. Kiener ver- 
mittelt, Einsicht in zehn poetische Huldigungen, welche dem 
Kaiserl. Oherst, später General Feld Wachtmeister und General-Feld - 
marschalleutnant, Maximilian August Baron Zorn von Blobsheim 
(geh. 1714 zu Nürtingen, gest. 4774 in Galizien, wohin er Mll 
kam), besonders zu Neujahr oder zum Namenstag von seinen 
militärischen Untergebenen dargebracht worden waren. Als 
Verfasser nennen sich Christian Gottfried Federlin, Gemeiner 
von der LeibCompag., Mathäus Schönleben, Gottfried Meischnei , 
ein Wienner, Carl Wilhelm Dornheck, Fuselier v. des Hhptm. 
Kuntz Compag., dieser auch im Namen der Comischen Gesell- 
schaft, endlich Johannes Fronneck, Bedienter, dieser mit dem 
Datum Schlos Shinava etc. 12. 8bris. 1773. Eine besondere 
Stelle nimmt ein die 

Abschieds-Ode 
Bey 

der Reiße nach Galliczien, 
Deß 

K. K. HErrn General-Feld-Marsehaln- 
Lieutenants Baron Zorn von Blopsheim 
Ihres geliebtesten HErrn Bruders 

15 



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Von 

Sophia Louisa von Reischach, 
Einer verwittibten Obrislin von 
dem löbl. Schwab. Crevß. 
Rieth 

In dem Herzogthum Wiirtemberjr 
den 2Ut«° Jun. 1773. 

Wie die verlaßne Turteltaube 
Den ungewißen Auffenthalt 
Bald in dem nächsten besten Wald, 
Bald in der längst durchlauschten Laube 
Mit ängsten sucht, mit schmertzen findet, 
Und da sie immer fremde ist, 
Mit beyden Fittichen gerüst 
Den Wechßel mit der Noth verbindet, 

So wählt das Schicksal mich zum Bilde 
Der Glantz von jenem frohen Hayn 
Ist nun ein dunckler, matter Schein. 
Beynahe fallen Helm und Schilde 
Selbst in den Grauß der Glücksruinen. 
Mir, Himmel! solle hier und dort 
Bald dieser und bald jener Ort 
Zum Denkmal neuen Kummers dienen. 

Jedoch ist gleich mein Kahn verlaßen 
Und ietzo nur der Wellen Spiel, 
Mein Hertze weißt bey dem Gefühl 
Deß bangen Unglücks sich zu faßen 
Und mit Gedult den Weeg zu bahnen, 
Wo biß zu meinem Wittwen-Grab 
Ich dieße frohe Ancker hab: 
Gott und die Ehre meiner Ahnen. 

Mein Bruder steigt bey meinem Fallen 
Auf Stützen des Verdienstes fort. 
Ihm jauchzet jeder Landesort, 
Ihm bringet der Carthaunen Knallen 
So. wie der Gattin Kuß, den Segen: 
Den Ruhm, ehmals aus Dannens Mund, 
Macht nun ein großer Joseph kund, 
Und schreibet ihn auf Seinen Degen. 

Ein Werck der Vorsicht solt es bleiben 
Um den still abgefaßten Plan 
Schon von dem neunten Jahre an 
Stets in das Größere zu treiben: 
Ihr Liebling folgt durch alle Scenen 
Im Glück und Unglück cinerley. 
Gott und der Fahne stet» getreu 
Als Muster ächter Martis-Söhnen. 



— 227 - 

Geprüft an Weißheit, Muth und Treue, 
Genug, von Joseph Selbst gewählt, 
Auch nur allein für Ihn beseelt, 
Rafft ihm die Vorsicht auf das neue 
An Sieg gewohnte Heeres-Spitzen, 
Gallicziens Entferntes Land 
Und bey solch an vertrautem Pfand 
Die Adler Oesterreichs zu schützen. 

Heil der Bestimmung! Heil dem Pfade 
Deß besten Bruders. Wo er geht 
Und in des Himmels Segen steht, 
Da folge deß Monarchen Gnade, 
Da folge auch die Abschieds-Thräne. 
Die Eine treue Schwester weint, 
Biß uns einst jener Tag vereint, 
Nach welchem ich mich hertzlich sehne. 

Hier schaut ein ehmals wohl bekannter 
Auf meinen Schwesterlichen Sinn 
Sowie auf diese Reime hin ; 
Doch bleibt er nicht ein ungenannter, 
Vielmehr aus seinen Ehrfurchts-Rechten 
Zählt er sich, wird's vergönnet seyn. 
Als ein Devoter Scharffenstein 
Zu meinen und des Bruders Knechten. 

Der Name Scharffenstein ist aus Schillers Jugend wohlbe- 
kannt ; natürlich kann der Dichter nur ein Verwandter von 
Schillers Freund sein. 

Die übrigen Dichter, halten sich meist an den Alexandriner 
und dessen steiferen Stil. Dafür zieren sie zum Teil ihre Car- 
mina mit Bildern, welche besonders kriegerische Embleme, 
auch das Wappen des gefeierten musenfreundlichen Vorgesetzten 
darstellen. Selbst ein Akrostichon in Distichen mit dessen 
Namen fehlt nicht. 



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XL 



Moßü und Kirwe im Elsaß. 

Von 

Dr. Katsel in Hochfeldeii. 
(Schluli.> 

Der Fangti-Öwe zu Hördt. 

In eigenartiger Weise wird noch heute der Sonntagabend 
vor dem Meßti in Hördt begangen. Es ist der sogenannte Fangti- 
öwe, Fanglagahend. Die Burschen suchen ihre Geliebten oder 
solche, die es werden sollen, zu fangen. Kurz vor Einbruch der 
Dunkelheit linden sich die Maiden in den Höfen, unter den 
Toren und Türen der Gehöfte ein. Sie verstecken sich anschei- 
nend vor den Nachstellungen der Burschen, doch diese haben 
sie bald auf die Straße herausgelockt. Und nun beginnt ein 
Singen und ein Springen, ein Schreien und Lachen, daß du* 
ganze Dorf davon widerhallt. Oft meint man, es sei ein Regi- 
ment Soldaten da. Dieses Durcheinander dauert bis in die Nacht 
hinein, und schließlich geht die ganze Gesellschaft friedlich ver- 
eint, Arm in Arm ins Tanzwirtshaus, wo noch ein kleines Tänzchen 
gemacht wird. Dann werden die Maiden nach Hause begleitet. 
Der Tanz ist übrigens in den letzten Jahren in Wegfall gekommen. 

Es handelt sich hier um die altertümliche Sitte des Mäd- 
chenraubs. Aehnliches findet in Mülbach (Kr. Saarlouis) statt, 
wo jeder Bursche am Kirch weihfeste, nachmittags nach der 
Vesper dasjenige Mädchen raubt, das er an diesem Abend und 
das ganze Jahr zum Tanze fuhren will.i Die Sitte des Mädchen- 



* Zeitschrift für deutsche Mythologie. I, 80, 3. 



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raubs stammt aus den Frühlingsgebräuchen und kommt als 
Mailehen in weiter Verbreitung durch Mitteleuropa vor. Wie 
sie sich aus den altgermanischen Anschauungen über die Vege- 
tationsgeister und das Mai-Brautpaar erklären läßt und dann 
als Anfang des Brautstandes aufgefaßt wurde, ist bei M a n n- 
hardt 1 nachzulesen. Im Elsaß tritt sie nur ganz vereinzelt auf. 



Der Meßtimaien. Der Kirwestrauß. 

Soweit die mündliche Uebetlieferung zurückreicht, linden 
wir in unserem ganzen Gebiete die Verwendung des Maiens bei 
den Kirchweihfestlichkeiten. Es ist das, ganz abgesehen von 
seiner ursprünglichen Bedeutung als altgermanischer Maibaum, 
nicht zu verwundern. Wird doch der Maien, worunter man 
gewöhnlich einen frisch grünenden Baum oder größeren Baum- 
ast versteht, weit und breit als Wahrzeichen der Freude, der 
Ehrung bei den verschiedensten Gelegenheiten benutzt. Und so 
auch beim Kirch weih fest. 

Am Nachmittag vor dem Feste versammeln sich die Bur- 
schen im Tanzwirlshaus. Zu einem gemeinsamen Trunk auf 
Kosten des Meßt ibui sehen langt es gewöhnlich noch, so viel ist 
vom «Vertrinken») des Meßti noch übrig geblieben. Dann gehl 
es in den Wald, wo ein solcher vorhanden ist, und es wird ein 
Birken- oder ein Tannenstämmchen geholt. In der Begel hat man 
sich mit dem Besitzer verständigt und den Baum gekauft. Nicht 
selten wählt der Förster selbst den Baum aus. Zu Welz- 
heim und Hordt geschieht das Abholen bei gutem Wetter in 
feierlicher Weise. Im Gebiete des Meßti wird aber vielfach nach 
altem Brauch der Meßtimaien im Nachbarbann nächtlicher 
Weise gestohlen und alsdaun auch mit einer Pappel oder Akazie 
vorlieh genommen. Wenn der Besitzer des Baumes sich meldet 
und auf seinem Eigentumsrechte besteht, wird er bezahlt. Klage 
erfolgt gewöhnlich nicht. Bisweilen übt jedoch der Bestoh- 
lene Erpressung und läßt sich sein Stillschweigen mit schwerem 
Geld bezahlen. 

In Quat:enheim y wo weit und breit kein Wald ist, geht 
das Holen des Meßtibaums besonders umständlich vor sich. Die 
Burschen haben sich im Tanzwirtshaus versammelt, wo jeder 
einen Liter Wein erhält. Nach Feierabend setzen sie sich auf 
bereitgehaltene Wagen und fahren oft weite Strecken in einen 



i Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer 
Xachbarstämme. Berlin, 1875. S. 422 ff., besonders S. 454 f. 



— 230 — 

fremden Bann, bis sie den Baum erreichen, den ein Bursche 
schon im voraus als geeignet ausgesucht hat. Der Meßtihüter 
hat sich der Gesellschaft angeschlossen und sein Gewehr «zur 
Verteidigung» mitgenommen. Ein Bursche hat eine Laterne, ein 
anderer eine Harmonika, ein dritter eine Axt oder eine Säge. 
Lautlos geht es an die Arbeit des Fällens, und der zur Strecke 
gebrachte Baum wird mit den Klängen der Harmonika begrüßt. 
Dann wird er aufgeladen, und in flottem Trabe geht es nach 
Hause zurück, wo im Tanzwirtshaus weiter gezecht wird. 

Im Ki rwegebiet nördlich des Hagenauer Forstes nimmt man 
ein etwa mannshohes Tännchen. In Steinselz nennt man den 
Vorgang das «Holen der Kirwe». Zu Lembach wird dabei ein 
Fäßchen Bier getrunken. Auf die Ausschmückung des Tänn- 
chens legt man besondere Sorgfalt. Der Stamm wird ganz oder 
spiralförmig geschält und mit vielen Bändern, Papierflittern und 
künstlichen Blumen behangen. Vor 1870 waren vielfach Bänder 
in französischen Farben dabei, z. B. in Hölschloch. Auch nach 
dem Kriege wurden noch mehrere Jahre lang blau-weiß-rote 
Bünder in Lobsann verwendet, bis sie durch die Gendarmerie 
entfernt und verboten wurden. 

Die Herrichtung des Tännchens oder, wie es im Volksmunde 
heißt, des Straußes (in Nehweiler bei Wörth, Fröschweiler und 
Jagertal ist es ein «Maien», in Stundtveiler ein «Tännel») 
geschieht in mehr oder weniger idealer Weise am Samstag 
Abend oder Nachmittag. In Langensulzbach putzen die Maiden 
den Strauß, in Görsdorf haben die beiden Meßtimaiden das 
Vorrecht. Die Drachenbronncr und Steinsetzer Maiden sind so 
liebenswürdig, die nötigen Bander zu schenken, während die 
Burschen den Strauß selber schmücken, um sich einen Frei- 
trunk zu sichern. Dasselbe geschah (bis 1862) in Memmeishofen 
und Meisental. Zu Ilohweiler ziert ihn der Wirt. Meistens 
besorgen das die Burschen im Wirtshaus oder in einem Pri- 
vathaus, zu Wingen beim Bürgermeister. Vereinzelter Weise 
ist es in Weitersweiler und Sparsbach, also weitab vom Kirwe- 
gebiet, ebenfalls gebräuchlich, daß die Maiden am Meßtisamstag 
im Tanzsaal einen Maien schmücken. Wie dieser Brauch gerade 
nach Weitersweiler und Sparsbach kam, ließ sich nicht er- 
mitteln. Lothringer Sitte ist es nicht. 

Der Strauß wird in der Vornacht zur Kirwe gewöhnlich 
im Kirwewirlshaus aufbewahrt, so in Langensulzbach, oder in 
der Scheune eines Conscrits (Niedersteinbach), oder am Ende 
des Dorfs (Lembach), auch wohl im Keller des Bürgermeisters 
(Oberhofen, Wingen). 

Kr dient dazu, an der Wirtschaft ausgesteckl zu werden, 
worin getanzt wird. Die Gesamtheit der Dorfburschen gibt da- 



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durch zu erkennen, daß sie es ist, die die Kirwe veranstaltet, 
sie kennzeichnet die von ihr ausgewählte und gewürdigte Wirt- 
schaft und ehrt sie zugleich. Der Strauß bleibt aber nicht allein 
während der Kirwe, sondern solange wie er überhaupt hält. Die 
Blumen verblassen, die Bänder zerfetzen sich, die Nadeln verlieren 
ihr Grün und fallen ab, aber der Strauß bleibt, bis ihn ein Wind- 
stoß mitnimmt, nicht selten bis zur nächsten Kirwe. Schön 
sieht das nicht gerade aus. Bis vor wenigen Jahren gab es noch 
viele Wirtschaften, die kein Schild hatten, und der Strauß diente 
alsdann dazu, die Dorf wir tschaft als solche überhaupt kenntlich 
zu machen. Dies ist wohl der Grund, weshalb in den größeren 
Dörfern, wo mehr als eine Wirtschaft bestand, alle Wirte sich 
einen Strauß aufstecken ließen. So in Kleeburg und Lobsann 
(bis 1885). Seitdem das Gesetz für jede Wirtschaft ein Namens- 
schild vorschreibt, hat der Strauß seine praktische Bedeutung 
eingebüßt. Seit einigen Jahren wird er denn auch immer kleiner 
und formloser und dürfte bald zu einem wirklichen Strauß zu- 
sammengeschrumpft sein. Seine volkstümliche Bedeutung wird 
aber um so größer, je mehr der Brauch des Aufsteckens in Ab- 
gang kommt, namentlich weil im Gebiet der Kirwe die Verwen- 
dung von gepflanzten Maien nicht bekannt zu sein scheint. Nur 
in Preuschdorf fand sich die Spur eines gepflanzten Maibaums. 
Er wurde zuletzt 183*2 beim Vortanz und zum Stangenklettern 
der Buben benutzt. 

Das Aufstecken des Straußes erfolgt zum Teil bereits am 
Samstagabend ohne alle Feierlichkeit. Der Kirwebursche be- 
steigt eine Leiter und befestigt ihn in einem bereits vorhandenen 
Gestell, nachdem er den Strauß des Vorjahrs entfernt hat. 
Oder er nagelt ihn einfach an den Eckbalken an, so daß er 
mit der Spitze weit hinaus auf die Straße ragt. Diesem Auf- 
stecken folgt eine Trinkerei, die entweder der Kirwebursche 
seinen getreuen Milsteigerern spendet oder die der Wirt zum 
besten gibt. Manchmal, so in Kleeburg (bis etwa 1870), ist ein 
Essen auf Kosten des Wirts damit verbunden. In lngolsheim 
wird am Samstagabend der Kirwekuchen versucht. Dieses 
Trinkgelage ist allmählich zur Hauptsache geworden, so daß in 
vielen Ortschaften das Aufstecken des Straußes nicht mehr als 
Sitte und leider oft als eins der spärlichsten Ueberbleibsel der 
alten Kirwe, sondern als Mittel zur Erlangung eines Freitrunks 
angesehen wird. So in Keffenach und Reimersweiler. Zu Bir- 
lenbach sind die Burschen schon zufrieden mit einem Glas 
Bier, während früher (bis 1877) auf jeden Tisch eine Flasche 
Wein kam. In Neeweiler a. d. Lauter, Schaff hausen, Ober- und 
Niederrödern. Hofen, Halten (1878), Rittershofen, Kröttweiler 
(1883) und Stund weiter ist die früher blühende Sitte abgekommen. 



— 232 - 



In einigen Dörfern, i. B, Hunspach, Xiederlanterbach , 
Weiler t Scheibenhardt war ein Strauß seil Menschengedenken 
nicht im Gehrauch. 

Wesentlich andere Formen hat der Maibaum im Meßtigebiet 
angenommen. Dort wird gewöhnlich eine schlank gewachsene 
Birke als «Meßtimaien» oder «Meßtibaum» gewählt. Da, wo 
noch die Sitte des Kletterbaums üblich ist, gibt man der Pappel 
den Vorzug. Ist der Maien eingebracht, so schmücken ihn die 
Burschen mit frischen Blumen, Bandern und Goldßittern, manch- 
mal mit einer Fahne. In Dunzenheim bammeln regelmäßig einige 
Kettige daran, in Meisheim Gurken oder Kürbisse. Der Mels- 
heimer Meßti wird (iaher spottweise der «Meisner Gagummer- 
meßt i » genannt. Der Meßtimaien als Kletlerbaum wird geschält 
und mit allerlei Gaben (Göwe) für die schulpflichtigen Jungen 
behängen : Hosenträger, Strümpfe, Taschentücher, ein Porte- 
monnaie, eine Mütze, ferner Eßwaren, Knackwürste, ein 
Kranz «Servila» ((Zervelatwürste), eine ganze Lionerwurst, 
Wecken, Kuchen und ßretzeln. In manchen Gemeinden sieht 
man auch das zum Heraustanzen bestimmte Halstuch daran, 
z. B. in liläsheim 1886. Nicht seJlen wird der Maien mit Eiern 
behangen, und groß ist nachher die Enttäuschung des kletter- 
gewandten Buben, wenn er die Entdeckung macht, daß sie aus- 
geblasen sind. In Kolbsheim fanden die Buben 190ü leere Soda- 
fläschchen, statt der erhofften Limonade. Oft ist der Preis die 
Mühe des Hinaufkletterns nicht wert: aber manchmal hängen 
auch schöne Gaben dran, so in Schiltigheim in den letzten 
Jahren regelmäßig ein stattlicher Schinken. 

Der Meßtimaien wird ohne weitere Feierlichkeit auf der 
Tanzwiese oder auf «einem freien Platz im Dorfe oder mitten 
auf der Straße gesetzt, wo regelmäßig auch nachher der Vor- 
tanz stattfindet und an den sich die schönsten Erinnerungen 
der Alten knüpfen. Oft ist es der Platz vor dem Gemeinde - 
hause, so in Lampertheim, Dunzenheim, [Wingendorf. In 
Schiveighausen findet der Maien seinen Platz im Hofe der Tanz- 
wirtschaft. In Meisheim, wo die Kirche gegenüber dem Ge- 
meindehaus steht, erhob der Pfarrer mehrmals Widerspruch 
wegen des unpassenden Platzes. Nach einigem Widerstand wurde 
der Maien schließlich ans Dorfende verpflanzt. In Winzenheim 
werden unter dem Maien einige Flaschen Wein vergraben und 
nachher beim Entfernen des Baums ausgetrunken. 

Nachdem der Maien gesetzt ist, begeben sich die Bur- 
schen unter Jauchzen und Freudengeschrei nochmals ins Tanz- 
wirtshaus zurück, wo sie den Abend mit einem Trunk be- 
schließen. 

Aber während der Nacht muß der Meßtibaum von einer 



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zuverlässigen Person bewacht werden, sonst klettern die Buben 
hinauf und plündern ihn ohne weiteres. Die Sitte des Maien- 
setzens ist in der letzten Zeit schon ganz erheblich in Abgang 
gekommen. Manchmal haben die Wegemeister sicli in klein- 
licher Weise wegen Beschädigung der Straße beschwert, so 181)9 
in Hangenbieten, Bei der Errichtung eines Kletterbaumes denkt 
man gewöhnlich überhaupt nicht mehr an die alle Sitte des 
Meßtibaums. 

Unabhängig vom Meßtimaien hat der Tanzwirt, oft auch 
die andern Wirte, einen mächtigen Maien vor dem Hause auf- 
gepflanzt. 

Beim Aufziehen des Meßti wird im Meßligebiet ein Maien 
im allgemeinen nicht milgeführt. Vereinzelt geschieht dies in 
Biäsheim, ferner in Buchsiveiler, wo der Zug durch zwei Maien- 
träger rechts und links von der Musik eröffnet und durch einen 
Maienträger geschlossen wird, außerdem in Weitersiveüer und 
Sparsbach, wo man ihn nachher auf dem Dach des Tanzhauses 
aufsteckt. 

Gleich nach Beendigung des Festes wird der Meßlibaum 
von den Angehörigen des Meßtiburschen oder dem Tanzwirt 
oder irgend einem armen Mann, dem er geschenkt wurde, ent- 
fernt und der Boden wieder eingeebnet. 

Andern Festschmuck als den Maien zeigen die Dorfstraßen 
am Meßti nicht. Was sonst noch etwa in dieser Hinsicht ge- 
schieht, ist neuzeitliche Zutat, gewöhnlich Wirtsreklame, und 
hat keinen Wert für die Sitte. 



Das Fest in der Familie. 

Die Gastfreundschaft war von jeher einer der hervor- 
stechendsten Charakterzüge des Elsässers. Der elsässische Land- 
bewohner bewirtet gern, aber nicht oft, und der Meßli ist bei 
vieJen das einzige Freuden- und Erholungsfest, das Verwandten 
und Bekannten von nah und fern die Gelegenheit bietet, sich 
den seltenen Tafelgenüssen hinzugeben. Wenn nach außen der 
Meßti schon ganz verschwunden ist, sind die Tischfreuden noch 
das einzige Ueberbleibsel aus früherer Zeit. Es läßt sich aber 
nicht leugnen, daß die Sitte, sich am Meßti-Sonntag zu fest- 
lichem Familienessen zu versammeln, schon erheblich zurück- 
gegangen ist. Einzelne Striche unseres Gebiets sind dafür be- 
kannt, daß dort noch viel Auswärtige am Familientisch er- 
scheinen, so insbesondere die* lothringischen Gebirgsdörfer, die 
althanauischen Dörfer zwischen Buchsweiler und Niederbronn, 



die Gegend um lngolsheim und Oberseebach, sowie der ge- 
birgige Teil des Kreises Molsheim, wo auch immer Gäste aus 
Frankreich geladen sind. Sonst pflegt man einen Meßli nicht regel- 
mäßig zu «geben», sondern bloß von Zeit zu Zeit und namenl- 
lieh wenn heiratsfähige junge Leute in der Familie sind. 

Vom Volk werden alle auswärtigen Gäste, selbst wenn es 
nahe Verwandte sind, als «Fremde> bezeichnet. Fremde sind 
wohl am Meßti stets da, schon die Hanauische Kirchenordnung 
von 1G59 erwähnt (S. 92) die Freunde und Gäste. Aber die 
großen üppigen Essen gehen im allgemeinen zurück. Die An- 
schauung, daß es eine Schande ist, am Meßli keine Gäste zu 
habeu, ist allmählich Erwägungen materieller Art gewichen. 
Die Zeiten sind vorbei, wo die Fremden in solcher Menge er- 
schienen, daß sie in den Stuben auf dem Fußboden schlafen 
mußten. Während man sich früher eine Ehre daraus machte, 
die Verwandten aus der näheren Nachbarschaft am Sonntag vor 
dem Meßti persönlich einzuladen, geschieht dies heute durch 
eine Postkarte. Eine besondere Art von Gästen sind für die 
Wille die Lieferanten, der Biersieder und der Metzger. Es 
sind gewöhnlich trinkfeste Herren, die die Gesellschaft erhei- 
tern und natürlich die Gelegenheit benützen, um recht viel 
zu verzehren. I m sie scharen sich in der Regel alle die, 
die ihren eigenen Geldbeutel nicht gern öffnen, aber um so 
lieber trinken und lachen, und sie kommen dabei reichlich auf 
ihre Rechnung. 

Wenn eine Familie einen Meßti «gibt», so geschieht dies 
am Meßti-Sonntag, der überhaupt der Tag der «Fremden» ist. 
Das Mittagmahi ist dann ein großartiges, ja ein verschwende- 
risches Essen, wie bei einer großen Hochzeit. Die Bewirtung 
der Gäste geschieht im Uebermaß und kennt keine Grenzen. 
Es wird aufgetragen, daß die Tische beinahe brechen. Die 
hanauischen Presbyterialprotokolle des 18. Jahrhunderts wim- 
meln von den beiden geläufigen Ausdrücken «Fressen und 
Saufen», und schon die Hanauische Kirchenordnung von 4659 
erwähnt bei den Meßtagen (S. 91) «das üppige fressen und 
sauflen» und (S. 96) die «immodicae commessationes et ingur- 
gitationes in tabernis». An diesem Tage werden alle Lieblings- 
speisen des Landbewohners aufgetragen. Suppe und Rindfleisch 
mit Meerrettig, Bratwurst mit Kohl, Kalbs- und Schweinekeule 
fehlen wohl nie. Im Kreis Weißenburg werden nach dem 
Rindfleisch die unvermeidlichen Fleischknöpfle mit weißer Sauce 
gegessen, im Hanauischen gibt es meistens Markknöp'fle in der 
Suppe. Früher öfters als jetzt wurden alle Genüsse des Schlacht- 
festes mit dem Meßti verbunden. Es haben aber noch die altha- 
nauischen Dörfer den Ruf des außergewöhnlich fetten Essens 



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und der vielen Gänge. Beliebte Gänge sind außer den bereits 
aufgezahlten : Frieasse, Colelettes, in der Jagdzeit Hasenpfeffer, 
in Lotliringen Geflügel, und besonders häufig in der letzten 
Zeit Kaninchen. Und schon dringt die «Herrenmode» in die 
bäuerlichen Küchen ein, so daß «Suppenpastetchen» und Filet 
ä la jardiniere nicht mehr zu den Seltenheiten gehören. Bei 
diesen allgemeinen Andeutungen mag es sein Bewenden haben, 
lieber das Gebäck war schon die Bede. 

In manchen Dörfern wird der den Taglöhnern zukommende 
Erntebraten, der auch vielfach Erntegans genannt wird, mit 
dem Meßti verbunden. Die Taglöhner erhöhen dann ihre 
Festesfreude durch ein gutes Essen, das ihnen sonst versagt 
geblieben wäre, und bei der Dienstherrschaft geht es «in einem 
hin». So sind beide Teile zufrieden. Im Unterland kommen 
die «Wingertsleute», die Leute, die in andern und oft entfernten 
Gemeindebännen die Reben bauen, am Kirwe-Sonntag, um 
ihren Reblohn in Empfang zu nehmen. Sie werden regelmäßig 
zum Essen zugezogen, auch ohne vorhergegangene Einladung. 

Ist das Essen vorbei — oft war es eine lange Sitzung — , 
so gehen die Frauen spazieren, sie besuchen Bekannte im 
Dorf oder sie plaudern im Hause selbst oder im Garten. Die 
Männer besichtigen die Stalle und die Scheunen, dann gehen 
sie ins Wirtshaus, wohin ihnen die tanzlustige Jugend schon 
vorausgeeilt ist. Dort wird Bier getrunken, eine Zigarre ge- 
raucht und über Landwirtschaft geplaudert. Selten bleiben 
heutzutage «Fremde» über Nacht, denn am nächsten Tage 
müssen sie wieder im Feld arbeiten. Noch ein kurzer Imbiß 
in der Familie, und man fahrt oder geht wieder ins Heimats- 
dorf zurück. Jede auswärtige Familie erhält als Geschenk 
einen Kugelhopf oder einen Kuchen, manchmal auch eine 
Torte, die in eine «Salfete» gebunden oder in ein «Säckel» ge- 
steckt werden. 

Die Gastfreundschaft erstreckt sich auch auf Ortsarme und 
zufällig oder absichtlich des Wegs ziehende Bettler. Man gibt 
ihnen Kuchen, Fleisch und Wein in der Küche oder in der 
«Hausere», dem Hausgan«*. Sogar die verhaßten Zigeuner, die 
in den letzten Jahren den Bauer so sehr belästigen, werden 
am Meßti nicht abgewiesen und ebenfalls beschenkt, aber vor- 
sichtigerweise mit dem Essen sogleich höflich aus dem Hofe 
gewiesen. 

Zu Hördt werden die fremden Gäste im Wirtshaus bewirtet. 

In Lothringen, so besonders in St. Johann-Kuvzerode , 
laden sich die Familien desselben Dorfes gegenseitig zum Essen 
ein, und die Schmausereien dauern oft die ganze W r oche hin- 
durch bis zum Nachmeßti-Sonntag. 



— 23« - 



Gottesdienst für die Verstorbenen. 

Im katholischen Sundgau und in Lothringen herrscht viel- 
fach der Brauch, daß am ersten oder zweiten Festtage vor 
Beginn der weltlichen Freuden eine kirchliche Totenfeier, ähn- 
lich wie an Allerheiligen und Allerseelen, abgehalten wird. 
Die Feier wird durch TrauergelAute am Vorabend eingeleitet 
und mit dem Besuch der frisch geschmückten Gräber be- 
schlossen. Möglicherweise handelt es sich hier vorzugsweise 
um das von Pius VII. angeordnete allgemeine Kirchweihfest 
(anniversarium dedicalionis tempiorum). Nähere Nachforschungen 
würden die Grenzen dieser Arbeit überschreiten. Nur in 
Medt rro'ffr.i besteht die Sitte, am zweiten Kii wetag morgens 
ein feierliches Seelenamt tür alle Abgestorbenen der Pfarrei 
abzuhalten. 



Das Holen der Kirwe. Das Aufziehen. Der Meßti- 
hammel. Der Geschenklebkuchen. Der Vor- 
tanz. Der Kletterbaum. Das Aufstecken des 
Straußes. 

Der Verlauf des «Aufziehens» ist im ganzen 19. Jahr- 
hundert und noch heute kurz der : Vom Tanzhaus zum Bürger- 
meister, hierauf Vortanz, dann zum Tanzhaus zurück. Innerhalb 
dieses Rahmens haben sich im Laufe der Zeit verschiedene 
Sitten verschmolzen, die sich innerlich nicht trennen lassen 
und die auch vielfach vom Volke unter dem Gesa ml begriff 
«Aufziehen», nach Stöber 1 1857 «Umgang», vereinigt werden. 
Das Aufziehen ist zuerst nachgewiesen in Zaber n.* und zwar 
lange vor 1051, auf dem Lande erstmalig 1737 zu Alteckendorf * 

Im Gebiet der Kirwe, ferner in den Meßtidörfern Weiters- 
weiler (bis 1876), Sparsbach und Bedingen wird bereits am 
Vorabend die Kirwe «versteckt» oder «vergraben». Ein Bursche 
vergräbt heimlich auf einer Wiese oder in einem Garten eine 
mit Wein gefüllte Flasche, früher einen Krug. Am Sonntag 
nach dem Nachmittagsgottesdienst versammeln sich die Burschen 
im Tanzhaus. Nach kurzem Trunk ziehen sie mit dem StrauiJ 
und der Musik aus, die Schulkinder hinten drein, um die «Kirwe 



1 Stober, Der Kochersberg, Mülhausen, Risler, 1857. S. ")7, — 

2 Adam, Der Zaberner Meßtag, Zabern, Gilliot. 1901, S. 3ö. — 

3 Presbyterialprotokoll vom 5. Nov. 1737 im dortigen Pfarrarchiv. 



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237 - 



zu holen». Am Strauß sind die Gegenstände befestigt, die am 
zweiten Kirwetag ausgetanzt werden sollen, in der Hegel ein 
Halstuch und ein Hut, so in Hatten bis 1853, Schwabweile)' 
bis 1862. Hölschloch vor 1870, Trimbach bis 1882, Kühlen- 
dorf bis 1899, Wilschdorf bis 1900, in Görsdorf noch heute. 
In Oberseebach (bis 1840) und in Surbury (bis 1853) hing 
außer dem seidenen Halstuch noch die damals modische kost- 
bare Pelzkappe am Strauß. Die Burschen springen und 
schwenken ihre Hüte. Einer von ihnen hat eine Hacke. In 
Lembach wird außerdem ein Kuchenbrett» milgeführt, woran 
ein Zimmtkuchen genagelt ist, ferner ein Backofenbesen und 
ein Kugelhopf. Gewöhnlich haben die Burschen weingefüllte 
Flaschen, und alle Gegenstände sind mit roten Bändern ge- 
schmückt. 

Die Flasche wird rasch ausgegraben. Nicht selten gibt 
es aber eine Enttäuschung, wenn nämlich von pfiffigen Jungen 
die Begräbnisstelle vorher erspäht, ihres Inhalts beraubt und 
wieder sorgfältig zugedeckt war. Mit der Flasche geht der Zug 
zum Bürgermeister, wo wir ihm später wieder begegnen 
werden, und macht ihm Meldung, daß die Kirwe «geholt» ist. 
Das Ausgraben der Kirwe ist auch in der Pfalz und in Loth- 
ringen gebräuchlich. 

In einzelnen Kirwedörfern, so in Niederlauterbach und 
Kl im back, ist das Holen der Kirwe in Abgang geraten. Im 
Meßligebiet ist der Brauch überhaupt unbekannt, und dort wird 
gleich nach der Kirche der Meßti vom Tanzhause aus «aufge- 
zogen». Das ist das erste Haupt- und Schaustück des Festes, 
das in unserem ganzen Gebiet üblich ist. Der Zug nimmt 
vor dem Tanzhause Aufstellung. An die Spitze tritt der Meßti- 
hüler. Er geht in Hemdärmeln und in weißer Schürze (Wand- 
fürlüchel oder Meßtischürzel), trägt ein Gewehr und hat im 
Knopfloch einen LötTel. Gewehr und Löffel sind mit einem 
roten Band oder einem Blumensträußchen geschmückt. Seltener 
bat er einen reichverzierten Tambourmajorstock, so in Büs- 
xveiler Hinler ihm kommt ein Bursche mit einer zinnernen 
Platte und dem Geschenklebkuchen oder dem statt dessen üb- 
lichen Geschenk für den Bürgermeister. In manchen Dörfern 
trägt er das zum Heraustanzen bestimmte Halstuch und den 
Hut voraus. 

Früher allgemeiner als jetzt wurde der Meßtihammel an 
der Spitze des Zuges geführt. Er ist mit Blumen und Bändern 
bekränzt und gleichfalls zum Heraustanzen oder zum Ausspielen 

1 So auch in Mühlhausen bei Wiesloch in Baden (E. H. Meyer, 
Deutsche Volkskunde, Straßburg, Triibner, 18 L J8. S. 232). 



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— 238 — 



Stimmt. In diesem Zusammenbange werden wir ihm später 
wieder begegnen. Der Hammel war wohl früher ein heidnisches 
Opfertier, dient aber in der neueren Zeit einfach zur Schau- 
stellung im Hinblick auf das Heraustanzen. Heute wird er 
wohl bloß noch in Winzenheim und in Buchsiceiler milgeführt, 
früher auch u. a. in Vendenheim, Wolßsheim, Lampertheim, 
Schiltigheim, Bischheim, Grafenstaden und Biberkirch. In 
Bucht weiter ist der Gedanke an die Verspeisung des Hammels 
noch weiter entwickelt, indem er durch vier Burschen mit 
Melzgergeräten geführt wird. Zu Kolbsheim fand einmal der 
Meßtihammel keinen Geschmack am Lärm und an der Musik. 
Er riß sich los und lief weg. Seitdem ist die Sitte dort abge- 
kommen. 

Nun kommt die Musik, ebenfalls mit Löffeln im Knopfloch 
und mit bändergeschmückten Instrumenten. Es folgt der 
Meßtibursch i mit einem großen künstlichen Strauß am Hut, 
weißer Schürze und Löffel im Knopfloch. Er führt am Arm 
das Meßtimaide in weißer Schürze, das durch Bander oder 
durch einen auf der Brust weithin leuchtenden Stern von grön 
und rot gesträußeltem Sammet, nicht selten 5 Ellen, kenntlich 
ist. Alle Anschaffungen hat der Meßtibursch gemacht, nur der 
Strauß ist ein Geschenk des Meßtimaide. Auch die Löffel 
sind sein. Die Musikanten nehmen aber gewöhnlich die ihrigen 
mit nach Hause. Die Bedeutung der Löffel ist dunkel. Hinten 
drein kommen die Burschen in breiten Reihen, dann die 
Maiden ebenso, Arm in Arm. 

Ein Schuß des Meßtihüters, und unter den Klängen eines 
flotten Marsches, mit Jauchzen und Jubelgeschrei setzt sich 
der fröhliche Zug in Bewegung. In manchen Gemeinden, so 
in Balbronn und E)>zheim, marschieren die Gestellungspflich- 
tigen der Jahresklasse geschlossen und in weißen Hosen an der 
Spitze des Zuges, in Kaltenhausen hatten sie früher das 
alleinige Vorrecht des Aufziehens. Jn Niederbronn und Brumath 
und wohl noch in anderen Gemeinden beteiligte sich in den 
1830er und 1840er Jahren die Garde nationale am Aufziehen. 
Zu Klingenthal, wo früher eine staatliche Waffenfabrik bestand, 
trugen alle Burschen schwarzen Rock und Zylinder, und eine Ab- 
teilung mit Gewehr gab während des Zuges Freudenschüsse ab. 
Jeder Bursche hat eine mit Wein gefüllte Flasche oder Karafe mit 
rotein Bündchen und darüber gestülptem Trinkglas. Früherwaren 

1 Nachträglich sei hier darauf hingewiesen, daß in EnzMösterle 
in Schwaben, ähnlich wie im Elsaß, die Stelle eines «Kirbebua» 
versteigert wird i B i r 1 i n g e r . Aus Schwaben. Wiesbaden, 
Killinger, 1874. II, S. 127 f.\ 



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es Zinnkannen, beute sind es schon Wirtsflaschen. Die Burschen 
binden manchmal ihr Taschentuch um den Flaschenhals und 
schwingen die Flasche im Kreise herum, und sie gelten als be- 
sonders geschickt, wenn kein Tropfen herausfließt. Während 
des Marsches wird dem Wein tüchtig zugesprochen, denn 
über dem Jauchzen bekommt man Durst, und nach einem 
gutem Schluck kann man auch wieder besser jauchzen. Und 
im Vorübergehen bieten die Burschen dem oder jenem einen 
flüchtigen Trunk an, und geizige Zuschauer bekommen nicht 
selten unter maßlosem Gelächter der ganzen Burschenschaft 
Wasser oder Essig zu trinken. 

Und weiter geht der Zug, die Schuljugend singend und 
jauchzend hinten drein. Die Fenster fliegen auf, hie und da fällt 
wohl ein Blumentopf heraus und geht unter unbändiger Heiter- 
keit in tausend Scherben. Ueberall sieht man fröhliche Ge- 
sichter, hört man Lachen und Scherzen und freudige Zurufe. 
Am Alltage pflegt jeder Dorfbewohner für sich zu gehn, jeder 
hat seine Arbeit, und man kann sagen, daß unsere elsässischen 
Bauern ihre Pflicht tun. Die Straßen hallen von Peitschenknall 
und den Hufen der Arbeit wieder, welche fleißige Menschen 
an ihren Geräten und Gespannen ausstoßen, und sogar der 
ländliche Gruß atmet nichts als Arbeit und Fleiß. Heute ist 
es anders! Bauschende Musik schlägt an das Ohr. Freude 
und Lust überall! Die Jugend ist einträchtig, Arm in Arm, 
und selbst um die bedächtigen Alten schlingt sich heute ein 
gemeinsames Band, das Band der Freude, des Frohsinns, der 
Lust. Saure Wochen, frohe Feste ! 

Jetzt biegt der fröhliche Zug in den Hof des Bürgermeisters 
ein. Ein Schuß des Meßtihüters, und die Musik spielt draußen 
im Hof eine «Serenade» 1 , während der Meßtibursch und das Meßti- 
maide, Burschen und Maiden in die Wohnstube des würdigen 
Dorfoberhauptes eintreten. Bei schlechtem Wetter geht die 
Musik mit hinein. Der Bürgermeister hat sein Gesicht schon 
zu freudigem Lächeln verklärt, und alsbald überreicht ihm der 
Meßtibursch mit einer artigen Ansprache eine zinnerne Platte 
mit eingravierten Anfangsbuchstaben, darauf einen großen 
Lebkuchen , das Meßtiangebinde der Dorfburschenschaft. 
Manchmal, so in Ingenheini , erhält auch die Frau des 
Bürgermeisters einen Kuchen. Dann schenken die Burschen 
aus ihren Flaschen ein und trinken mit dem Bürgermeister 
Gesundheit. Dieser dankt und gibt dem Meßtiburschen ein 
Trinkgeld, z. B. 3 — 5 Mark. Wiederum setzt die Musik ein, 



i Vgl. Kassel, Die Serenade, iu der Eis. Lothr. Gesang- n. 
Mosikzeitung 1908, S. 205 ff, mit Musikproben. 



und der Bürgermeister tanzt mit dem Meßtimaide «drei allein». 
Nun gibt er die offizielle Erlaubnis zum Abhalten des Meßti, 
der dadurch eröffnet ist. Fragt ihn der Meßlibursch nach der 
Feierabendstunde, so erwidert er nicht selten in wohlwollender 
Weise, die jungen Leute mögen nur tanzen, solange sie wollen, 
aber keine «Sauerei» machen. Darunter versteht er Streit und 
übermüßigen Lärm. Nachdem noch die Flaschen aufs Neue 
gefüllt sind, zieht man mit vielem Dank von dannen zum Bei- 
geordneten, wo sich das nämliche Spiel wiederholt. In Bal- 
bronn (1900) rücken die Burschen mit leeren Weinkannen an. 
Sie lassen sie sich zuerst füllen und nehmen einen Trunk in 
die Runde, ehe die Serenade beginnl. 

Früher bekam auch der Ortspfarrer eine Serenade, die 
sich in etwas einfacherer Form auf der Straße hielt, so lüs 
1836 in Chhveiler, bis 1853 in Weyersheim, bis 1859 in 
Dundenheim, bis 1882 in Ober modern und bis in die aller- 
letzten Jahre in Hördt, Lichtenberg und Mielesheim. Der 
Meßlibursch erhielt dafür das übliche Trinkgeld. Der Dttnzen- 
heimer Pfarrer, mein verstorbener Großvater (f 1 859), pflegte 
dann herauszutreten, den jungen Leuten einen fröhlichen Taji 
und viel Vergnügen zu wünschen und sie in väterlicher Weise 
vor Ausschreitungen zu warnen. Uebrigens wurde 1905 die 
Serenade in Dunzenheim wieder eingeführt und angenommen. 
Auch der Lehrer bekommt manchmal eine Serenade, in Gorn- 
dorf regelmäßig der Förster. 

Wir verweilen hier bei dem Lebkuchen, der südlich der 
Breusch als Geschenklebkuchen, seltener Geschenkkuchen be- 
zeichnet wird. Er war früher nebst der Zinnplatte das allge- 
mein übliche Geschenk in unserem Gebiet. Der Brauch be- 
steht seil Menschengedenken, und wir gehen wohl nicht fehl, 
wenn wir ihn als ein Ueberbleibsel der Abgabe ansehen, die 
die Herrschaft für die Verleihung des Kirchweihschutzes zu 
beanspruchen hatte. Die feierliche Ueberreichung an den 
Bürgermeister als den Vertreter der Herrschaft ist dann im 
Laufe der Zeit dem Volksbewußtsein in ihrer Bedeutung ver- 
loren gegangen und als Mittel zum Zwecke des Gelderwerbs 
umgedeutet worden. Auf diese Weise trat das Trinkgeld der 
Besckenkten in den Vordergrund und ließ die Sitte verblassen 
oder entarten. So bringen die Meßti burschen von Birkenwald 
und von Fröschweiler dem Bürgermeister und dem Beigeord- 
neten in aller Stille den Lebkuchen. In Allenweiler tun dies 
mehrere Burschen und bringen überdies noch ihre leeien 
Flaschen zum Füllen mit. Zu Mittelberg heim überreicht ihn 
der Gemeindediener unter Vorantritt der Musik. Fast allent- 
halben ist die Zinnplatte in Wegfall gekommen. Auf einem 



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gewöhnlichen Teller wird der Lebkuchen in Morsbronn (bis 
1882) überreicht, und in OltvisJieim bekommt der Bürger- 
meister zwar noch seine Serenade, aber kein Geschenk mehr. 

Andererseits ist im südlichen Teil unseres Gebietes die 
Ueberreichung von Lebkuchen vervielfältigt worden und mancher 
Orten geradezu in einen Unfug ausgeartet. Jeder, der ein Trink- 
geld gibt, bekommt einen Lebkuchen, dessen sinnige Bedeutung 
somit ganz verwischt wurde, und so sank auch der begleitende 
Meßtizug zu einem bloßen Musikständchen ohne andere Sitte 
herab. Einen besonders großen Betrieb im Absetzen solcher 
Lebkuchen zeigen Dorlisheim und Grendelbruch . ferner 
Hangenbieten (noch 1891)), Bläsheim, Kolbsheim, Klimjenthal, 
Mühlbach und Lingohheim. Da bekommen die sämtlichen 
Ratsmitglieder, der Pfarrer, der Lehrer, die Beamten und 
wohlhabenden Bürger und die Wirte Lebkuchen, die in mehre- 
ren großen Waschkörben im Festzuge inilgefübrt werden. In 
Lingolsheim, wo die Namen der zu Beschenkenden in Zucker- 
buchstaben auf dem Lebkuchen prangten, setzte 1897 -—1903 
der Meßtisteigerer 150—200 Stück ab und erhielt durchschnitt- 
lich 3 M. Trinkgeld. 1904 wurde der Unfug abgeschaffl. In 
Klingenlhal gab es gar G— 15 M. Trinkgeld. Zu Winzenheim 
erhält der Bürgermeister einen Lebkuchen, der den halben 
Tisch bedeckt. 

Immer mehr aber kommt, da es sich ja bloß um ein 
Trinkgeld handelt, der Brauch auf, ein beliebiges Geschenk zu 
inachen. Man läßt den Lebkuchen, der nicht in jedem Dorf 
gebacken werden kann, im Stich und schenkt eine Biskuittorte, 
in Buchsweiler einen Kugelhopf, im Ackerland ganz allgemein 
Geschirr, so in Qtialzenlieim Teller oder ein Krügel, in Hcrs'elt 
ein Bier-, Wein-, Kattee- oder Liqueurservice. 

Und nun geht der Zug, nachdem die Lebkuchen über- 
reicht sind, in ungebrochener Fröhlichkeit nach dem Meßti- 
baum, wo liereils eine große Znschauermenge versammelt ist. 
Nicht selten steht der Baum auf einer Wiese, so noch heute 
in Alteckendorf und Schivindrutzheim. Die Musik schwenkt 
ein, der Kreis schließt sich, die Burschen stärken sich. Ein 
Schuß des Meßtihüters, es beginnt der Vorlanz. Darunter ist 
der erste Tanz zu verstehen. Zunächst tanzt der Meßtibursch mit 
dem Meßtimaide «drei allein», dann erfolgen drei allgemeine 
Tänze, oft auch noch mehr. Die Burschen holen ihre Tänze- 
rinnen nicht selbst, sondern lassen sie sich durch den Meßti- 
hüter aus der Reihe zuführen. Fr bekommt dafür ein Trink- 
geld. Kein Maide darf ihm absagen, auch wenn es nicht ahnen 
mag, mit wem es tanzen soll. Unter den Maiden ist die 
Spannung, wem sie zum Tanze zugeführt werden, oft sehr 



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groß, denn es ist eine Ehre, «in den Vortanz tanzen» zu 
dürfen. Holt der Meßtihüter das Meßtimaide, so gibt er einen 
Freudenschuß ab, wofür ihm ein besonderes Trinkgeld zusieht. 
Manchmal macht er auch seine Spaßchen, nimmt eine ganze 
Anzahl von Maiden heraus, läßt die Musik einsetzen und läßt 
dann die Maiden mit einer entsetzlich dummen Gebärde wieder 
laufen. Allgemeines Gelächterl Aber niemand nimmt es ihm 
übel, am allerwenigsten die Maiden selber. Manchmal er- 
scheint auch ein berittener Bursche und läßt sein Pferd im 
Takte der Musik «cmittanzen», was vielen Anklang findet. 

Der Vortanz ist ein sehr malerischer Vorgang, hauptsäch- 
lich durch die Tracht, die überhaupt beim Meßti eine wichtige 
Rolle spielt. Die Maiden haben oft nagelneue Kleider an, und 
da wo mehrere Röcke in verschiedenen Farben Mode sind, 
verabreden sie sich in der Regel, einheitlich zu gehen, z. B. 
alle in blau oder alle in grün. Wie armselig nehmen sich dem- 
gegenüber die Maiden ohne Tracht aus ! Unter den Burschen war 
in den 1830 er bis 1850 er Jahren die weiße Zipfeikappe beim 
Vortanz Mode, stellenweise auch die ebenso bequemen Rund- 
kappchen statt des unbequemen breit ki am pigen Hutes. 

Der Vortanz ist möglicherweise als eine Einweihung des 
Tanzplatzes anzusehen, und der Tanzplatz ist vielleicht als ein 
Uebei bleibsel des Opferplatzes in der heidnischen Gemeinde 
aufzufassen. Aehnliche Vorgänge in andern Gegenden Deutsch- 
lands 1 lassen diese Vermutungen zu. Jedoch ist hervorzuheben, 
daß wir den Brauch im alten Elsaß nicht nachzuweisen ver- 
mögen. Die erste Kunde vom Vortanz wird uns im Pfarr- 
archiv von Alleckendorf.* 

Ist der Vortanz beendet, so wird der mit Gaben behangene 
Meßtibaum durch die Schulbuben geleert. Es macht immer 
wieder Vergnügen, wenn die Jungen hinaufklettern und wenn 
die Kralle sie verlassen im Augenblick, wo sie die Gabe zu 
erhaschen glauben. An Zurufen der Ermunterung und der 
Verhöhnung, manchmal auch an Versprechungen fehlt es nicht. 
Natürlich wurde der Baum vorher sorgfaltig geglättet und mit 
Seile bestrichen, wozu sich besonders eine geschälte Pappe) 
eignet. Aber die Jungen wissen sich zu helfen, indem sie 
Holzasche oder Sägemehl in den Taschen oder in einem Säck- 
chen um den Hals mitführen. So gelingt es schließlich, die 
Gaben herabzuholen. Aber mancher Kletterer holt sich dabei 
auch zerschundene Hände und verdorbene Kleider, nicht selten 
ist er der Erschöpfung nahe. Das Stangen klettern, das 



1 P f a n n e n s c h in i d , Germanische Erntefeste. Hannover. 
Halm, 1878. S. 287. — * Presbyterialprotokoll vom ö. November 1737. 



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243 - 



übrigens nicht ganz ungefährlich ist, ist wohl größtenteils 
abgekommen. 1900 war es zum letzten Male in Hangenbielen 
im Gebrauch. Noch heute besteht es u. a. in Scliiltigheim, 
Hördt, Eckwersheim, Kolbaheim und Winzenheim. 

Wiederum ordnet sich der Zug und bewegt sich durch 
die Dorfstraßen nach dem Tanzhause. Jetzt haben die Burschen 
ihre Maiden am Arm, außerdem aber ziehen noch Reihen von 
jüngeren Burschen und Maiden getrennt hinter her. Ausge- 
lassener denn je ist die fröhliche Gesellschaft, und wahrlich bei 
schönem Wetter ist es ein unvergleichlich schönes Schauspiel, 
die Blüte der ländlichen Jugend in ihrem Freudengenusse 
daherschreiten zu sehen. Ist es heiß, so geht alles hemdärmlich. 
Die Burschen schwenken ihre Hüle und leeren unterwegs die 
Flaschen, die Maiden hüpfen leichtfüßig mit weißen Strümpfen 
und niedlichen Tanzschuhen im Takte der Musik einher, — 
ein prächtiges, zum Malen schönes Bild. Aber wehe, wenn 
sich ein Maide auf der Straße blicken läßt, das dem Meßli- 
treiben fernblieb, es sei denn, daß es durch besondere Um- 
stände abgehalten wurde, z. B. durch Trauer. Ohne weiteres 
wird es durch einen Burschen am Arm herbeigezogen, und wäre 
es in Stallkleidern und Holzschuhen, und mit Gewalt in dem 
Strudel des Zuges mitgeschleppt unter dem Gelächter der ehr- 
lichen Meßtijugend und als warnendes Beispiel für geizige 
Meßt i verächler. 

Mit dem Ginzug in das Tanzhaus schließt das eigentliche 
Aufziehen. 

Im Kirwegebiet wird aber vor dem jetzt beginnenden 
Tanzvergnügen noch «der Strauß aufgesteckt». In manchen 
Dörfern geschah dies, wie wir gesehen haben, bereits am Vor- 
abend. Häufiger ist jedoch das Aufstecken am Kirwe-Sonntag. 
Der Kirwebursch besteigt eine Leiter, und unter den Klängen 
der Musik und Abschießen von Freudenschüssen wird der 
Strauß befestigt. Vorher sind Halstuch und Hut vom Strauß ent- 
fernt und in das Tanzhaus gebracht worden, in Preuschdorf 
wurden sie (bis 1882) am Wirtsschildöflentlieh ausgehängt. 

Im Verlauf und in der Anordnung der einzelnen Teile des 
Aufziehens kommen eine Reihe örtlicher Eigentümlichkeiten 
vor. So bringt in Klingenthal die Musik bereits am Meßli- 
Samstag dem Bürgermeister und den Gemeinderatsmitgliedern 
eine Serenade, und «Kalzenköpfe» (Mörser) verkünden vorn 
Berge her den Beginn des Festes. In Dettweiler bildete früher 
das Abholen der Jugend aus dem freundnachbarlichen Gottes- 
heim einen wesentlichen Teil des Festes. Dieser Vorgang wurde 
vom Gottesheimer Dorfende aus in das Aufziehen einbezogen, 
und noch bis in die 1860er Jahre trugen die Dettweiler Bur- 



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244 



sehen dabei weiße Zipfelmützen. Audi in Pfaffenhofen ließen 
früher die Wirte die jungen Leute aus den Nachbardörfern mit 
Musik abholen. 

Hie und da wird beim Aufziehen geritten, so in Baibronn 
und auch in Wolfisheim, wo der Meßlibursch hoch zu Roß 
den Zug eröffnet und den herauszutanzenden Hut auf einer 
langen, hellehardenarlig gehaltenen Stange zur Schau tragt. 

Sehr oft kommt es vor, daß zwei oder drei Dorfparteien 
einen getrennten Meßli abhalten. Der Bürgermeister erhält 
darin auch 2 oder 3 Lebkuchen und Platten. Zu Gumbrechls- 
hofen findet das Gegenteil statt, indem dort die einige Dorl- 
burschenschaft den Meßli bei zwei Bürgermeistern aufziehen 
muß. Es kommt dies daher, daß Gumbreehtshofen-Siederbronw 
früher zu Hanau-Lichtenberg, Gumbrcchtshofen-Oberbronn zu 
Leiningen- Westerburg gehörte. Die beiden Dörfer, die bloß 
durch die Zinzel getrennt sind, feiern ihren Meßli gemeinsam. 

In Mietesheim genießt das Meßlimaide das Vorrecht, dem 
Bürgermeister den Lebkuchen überreichen zu dürfen. 11)02 
wußte der Meßlibursche kein Meßtimaide zu finden Da ver- 
kleidete sich ein Bursche als Maide, und er machte seine Sache 
so gut, daß der Bürgermeister nichts gemerkt haben soll. 

Zu Kaltenhausen war früher der erste Tanz um den 
Maien allein für die Geslellungsptlichtigen der Jahresklasse, die 
dort «die Meßliburschen» beißen. Der 2. Tanz galt der «Nach- 
lasse», d. h. den Burschen, die erst im nächsten Jahr in die 
Musterung kamen. 

In den '1850er Jahren schlössen sich zu ßoofzheim nach 
Empfang des Geschenklebkuchens der Pfarrer und die Pfarrlrau 
dem Meßtiaufzuge an. Beide tanzten in der Tanzbütte zuerst 
(«drei allein» und tranken den Ehrenwein. Dann übergab der 
Pfarrer den Burschen den Meßti mit einer kleinen Ansprache 
und wünschte ihnen Vergnügen in Ehren. Dessen Nachfolger 
fügte sich ein Mal der Sitte, aber der /.weite Nachfolger wies 
das Ansinnen der Burschen, den Meßti zu eröflnen, schroff ah. 

In manchen Gemeinden ist der Weg, den der Aufzug 
nimmt, verschieden. Vielfach wird vom Tanzhause aus zuerst 
das Meßtimaide abgeholt. Häufig begegnet man der Sitte, zu- 
nächst das Meßtimaide und dann — was meistens erst am 
zweiten Tage üblich ist — die übrigen Maiden feierlich 
Musik abzuholen. Nach Stöbert war dieser Verlauf 1857 im 
Kochersberg gebräuchlich, bis 1870 galt er in Venden/teim, 
und 4901 finden wir ihn noch in Weitbruclt. Es wird dabei 
in jedem Haus getrunken, und das Abholen zieht sich oft so in 

i Stöber. Der Kochersberg. Mülhausen. Risler, 18.")7 S. 57. 



I 

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- 245 - 



die Länge, daß man erst am Abend zum Vortanz kommt. In 
Ittenheim findet das Aufziehen erst am Meßt i- Montag statt. 

Der Brauch, den Meßti durch einen feierlichen Umzug: 
ohne jede andere Sitte einzuleiten, muß besonders erwähnt 
werden. Aus Zabern 1 ist uns die älteste Kunde von einem 
Umzug im Jahre 1651 überliefert mit dem Vermerk, daß er 
«von Alters her bräuchlich gewesen» Kr verlief in Zabern bis 
lief ins 49. Jahrhundert hinein mit großer Feierlichkeit. Daran 
beteiligten sich vor der Revolution, die Vertreter des Bistums, 
die Vorgesetzten und der Rat der Stadt, Trommler und Musi- 
kanten, die Meßtagshüter und Burger mit Gewehren und 
Fahnen, wahrscheinlich den Zunftfahnen. Noch aus dem Jahre 
1848 erfahren wir» von einem großen Umzug, an dem die 
Garde nationale mit Musik, der Unterpräfekt, 2 Beigeordnete 
und die Beamten vom Stadthause aus teilnahmen. Gendarmen 
und Polizeidiener schrillen an der Spitze. Der Zug ging zum 
Schluß in die «Madamenhütle», wo die höhere Gesellschaft be- 
reits versammelt war. Die Beamten, auch die höchsten, tanzten 
«drei allein». Dann begab man sich nach der «Bauernhütte», 
wo derselbe Vorgang sich wiedelholte, und damit war der Meßti 
eröffnet. In ähnlicher Weise wurde der Meßti zu Oberbronn 
(vor 1870) durch einen Umzug der beiden Musikgesellschaften 
«Fanfare» und «Choräle» eingeleitet. 

Kine weitere Gattung von Umzügen sind diejenigen Züge, 
die anläßlich des Meßti stattlinden, die sich aber im Laufe der 
Zeit immer mehr vom eigentlichen Meßtigeiste losgelöst haben. 
Schitligheini ist für sie vorbildlich geworden, und es wird in 
einem besonderen Kapitel von ihnen die Rede sein müssen. 

Ueberhaupt weicht das sillengemäße Eröffnen des Meßti 
immer mehr einein marktschreierischen Lärmen durch die 
Dorfstraßen von einem Wirtshaus zum anderen. Die rauschende 
Musik soll dem jungen Volk Beine machen und die Bevölkerung 
zu den Stätten locken, wo Genuß und Frohsinn ihrer harren. 
Der Niedergang des Meßti zeigt sich hauptsächlich in der Ver- 
kümmerung des Aufziehens im Ganzen und in seinen einzelnen, 
sinnigen und kulturgeschichtlich bedeutsamen Abschnitten, 

Bei Regenwetter ist ohnedies kein rechter Trieb zum 
Umzug vorhanden. Man will die Stube des Bürgermeisters 
nicht beschmutzen, und zur Schonung der Kleider wird der 
Vortanz im Freien abgekürzt, oft auch ganz unterlassen. In 
vielen Gemeinden findet der Vortanz überhaupt stets beim 
Bürgermeister statt, sei es im Hof — so meistens im Kirwe- 

1 Adam, Der Zaberuer Meßtag. Zabern, Gilliot, 181U. S. 35 ff. 
— 2 Klein, Saverne et ses environs. Strasbourg, Silbermann, 184i>. 
p. 216. 



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246 - 



gebiet — sei es in der Stube, und es ist merkwürdig anzusehen, 
wie sich die tanzenden Paare auch auf engem Raum und in wir- 
belndem Walzer gegenseitig nicht zusarnmenrennen. In anHe- 
ren Dörfern fallt der Vortanz aus, wenn der Meßtisteigerer ver- 
heiratet ist, es sei denn, daß er die Vortanzrechte einem ledi- 
gen Burschen abtritt, was aber aus Mangel an Liebe zur Sitte 
nicht immer möglich ist. In Lingohheim beschränkt man 
sich gar darauf, dem Bürgermeister und Beigeordneten ein 
Ständchen bringen zu lassen, und damit ein einigermaßen sin- 
niger Rahmen hergestellt wird, schickt man ihm die Militär- 
inusik auf festlich bekränztem Wagen. 

Bedenklich sind schon gewisse Mittel, deren man sich hie 
und da bedienen muß, um den geschwundenen Reiz des Auf- 
ziehens künstlich wieder zu beleben. So kommt es oft vor, 
daß der Wirt in Ermangelung von Teilnehmern und sogar 
eines Meßtiburschen seine Söhne oder Verwandten und die 
Aufwärter mitziehen heißt und daß diese alle möglichen Sprünge 
und Possen machen. So hatte 1904 in Höh franken heim ein 
Aufwärter einen breitkrämpigen Frauenhut auf. Ein anderer 
hatte einen Kaninchenpelz an einem Besen angebunden, den er 
beim Aufziehen wie einen Tambourmajorstock schwang. Beim 
Vortanz schlug er den Pelz der Reihe nach allen Umstehenden 
ins Gesicht und rief dabei : «Er hart sich!» Dieser Ausruf 
wurde den ganzen Meßli hindurch als geflügeltes Wort gebraucht 
und viel belacht. In Büsweiler hatte man 1904 dem Meßlihüter 
eine lange graue Bluse angezogen und einen Zylinderhut auf- 
gesetzt. Den Gänsehirlen wußte man zu bewegen, sich ein 
Plakat mit der Aufschrift «Der Mann für alle» auf dem Rücken 
befestigen zu lassen. Er tat, als ob er nichts davon wüßte, 
machte ein möglichst dummes Gesicht, und so war der Spaß 
ein ganz ungeheurer, und es zogen in der Tat viele Burschen 
mit. In Zutzendorf führten 1903 drei Burschen auf eigene 
Faust einen Privatzug zu Pferde auf. Einer von ihnen ritt in 
Soldatenkleidern mit einer großen Brille als Herold voraus und 
stimmte den Bürgermeister günstig. Dieser ging auf den Scherz 
ein, und da die Burschen einen Lebkuchen mitbrachten, er- 
hielten sie das ersehnte Krügel Wein. 

Und so wie die Teilnehmer, so haben auch die Zuschauer 
wenig Achtung mehr vor dem alten Brauch. Während in den 
Wirtschaften getanzt wird, leeren halbwüchsige Burschen und 
Schuljungen die Weingläser der Tänzer. Kaum ist aber die 
Meßtigesellschaft von dannen gezogen, so fallen sie über die 
Reste in Gläsern und Flaschen her, als ob es ein verdienst- 
volles Werk wäre, sich möglichst schnell zu betrinken. 

Solche und ähnliche Zeichen der Verhöhnung des alten 



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— 247 — 

Brauches- sind in der Rejiel der Anfang vom Ende. Sie stoßen 
die wenigen jungen Leute, die noch mitmachen, vollends ab 
und verbannen die ehrbare Meßtisitte in. die unteren Schichten, 
wo sie alsbald der Verachtung und dem Untergange verfallt. 

So ging in Vendenheim, einem Bollsverk des alten Meßti, 
1903 das Aufziehen des Meßti ein. Die Burschen wurden der 
Sache überdrüssig, nachdem sie sich schon seit mehreren Jahren 
auf einen bloßen Umzug mit Musik beschränkt hatten. Im Ki rwe- 
gebiet hat die Freude am Aufziehen schon längst nachgelassen. 
Von den wenigen Ortschaften, wo die Kirwe noch geholt wird, 
sind hauptsächlich zu nennen Oberhofen (Kanton Weißenburg), 
Rott) Lembach und Görsdorf. Im großen und ganzen übt auch 
das Trinkgeld der Dorfgrößen eine geringere Anziehungskraft aus. 

In Lothringen herrschte, soweit sich übersehen läßt, die 
Sitte des Aufziehens und des Gesehen kkuchens überhaupt nie. 

Die Stätte des Tanzes. 

Heutzutage haben die ineisten Wirte, die auf den Meßti 
Ansprüche machen, eigens dafür eingerichtete Tanzsäle, die den 
baupolizeilichen Bestimmungen entsprechen. Auch das Meßtivolk 
bevorzugt geräumige, gut gelüftete, zugfreie Säle, die zugleich 
einige Bequemlichkeit und auch etwas für das Auge bieten. 

Früher war man in dieser Hinsicht nicht wählerisch. Bei 
gutem Wetter wurde bis tief in die Nacht auf der Wiese ge- 
tanzt, so in UhUveiler bis 1837, in Erberbach bei Wörth bis 
1840. Zu Wickersheim bildete 1847 ein schattiger Obstgarten 
die Tanzstätte und in Gunstett tor 1870 gar die offene Dorfstraße. 
Die Scheunen waren wegen ihrer Kühle und Luftigkeit, ferner 
wegen des nahezu geräuschlosen Tanzens und beim jungen 
Tanzvolk außerdem noch wegen ihrer geheimen Winkel be- 
sonders beliebt. In alten Zeiten, wo die Wirtschaften auf 
dem Dorfe wenig einträglich waren, tanzte man auch oft in 
Privathäusern. Da gab es, häufiger als jetzt, über den Ställen 
oder sonstwo große Kammern, die sonst zur Aufbewahrung von 
gedroschenem Getreide, Holz und W T ellen, zum Aufhängen und 
Trocknen der Wäsche und zu andern Zwecken dienten. Noch 
heute zeigt man solche Räumlichkeiten in Ettendorf) Minvers- 
heim, Zöbersdorf und Scherlenheim^ wo in den 1820er und 
1830er Jahren getanzt wurde. Der Volksmund nennt sie, wie 
auch anderwärts in Deutschland, so 1396 in Augsburg und 
Heidelberg,» Tanzhäuser und hat diese Bezeichnung auch auf 



' Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. I, S. 82. 



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— 248 — 

die neuzeitlichen Tanzslätten übertragen. In Dunzenheim diente 
eine Zeitlang eine ausgeräumte Wagnerwerkstatt als Tanzsaal, 
und zu Höh franker, heim wird der Tanzsaal nach seiner Be- 
nützung wieder durch einen Bretterverschlag in einen Spezerei- 
laden und eine Schreinerwerkstätte geteilt. 

Die wirklichen Tanzsäle der Wirte waren ehedem nichts 
weniger als zweckmäßig. Aus Sparsamkeitsrücksichten wurden 
sie von vornherein schon niedrig gebaut, wie früher alle Räume 
im ländlichen Hause. Im Sommer staute sich da bei großem 
Menschenandrange eine abscheuliche, schwüle Luft an, die bei 
Nacht durch den Geruch der Oelfunzeln geradezu erstickend 
wirkte. Und doch waren diese Tanzsäle ehrwürdig und an 
Erinnerungen reich, und mit Stolz erzählen noch die Alten, 
wie sie dort manchmal «einen geschwitzt» haben. 

So ist in mancher Hinsicht eine Tanzhütte, die nach dem 
Feste wieder entfernt wird, von Vorteil. Und wenn sie den 
Unbilden der Witterung einigermaßen widersteht, ist sie trotz 
der hohen Unkosten wohl der beste Ersatz für den fehlenden 
Tanzsaal. Es scheint, daß sie in älteren Zeiten die Hegel bildete. 
Sie wird von einem Wirt im Einvernehmen mit dem Meßti- 
burschen oder von diesem auf eigene Faust aufgeschlagen, und 
wohl dem, der im eigenen Hof oder Garten oder auf einer 
Wiese Platz genug hat ! Ist dies nicht der Fall, so ist die Ab- 
hilfe nicht schwer. Man baut die Tanzhütte einfach auf die 
Straße. Dies geschieht noch in unseren Tagen in unzähligen 
Dörfern. Sogar in der alten Residenzstadt Buchsweilrr gab es 
bis 1882 nur einen einzigen Tanzsaal, in der «Linde». Die 
Wirte zur «Sonne», zum «Rindsfuß» und zum «Bären» ließen 
Tanzhütten auf der Straße aufschlagen, die den Verkehr stark 
behinderten, ohne daß jedoch Klage geführt wurde. Glückliche 
Zeiten und glückliche Menschen ! Noch heute erhält der dortige 
Meßtisteigerer, falls er keinen Tanzsaal besitzt, die Erlaubnis, 
eine Tanzhütte auf dem geräumigen Schloßplatz aufzuschlagen, 
worin er auch die Schenke unterbringen muß, während bis vor 
wenigen Jahren die Schulsäle in Trinkhallen umgewandelt waren. 
Besonders wirkungsvoll nahm sich bis in 1880er Jahre die 
Tanzhütte in Bläsheim aus, die regelmäßig unter den drei ehr- 
würdigen Freiheitslinden von 18-48 stand. 

Aber nicht alle Tanzhütten gewährten hinreichenden Schutz, 
wie etwa die geschichtliche Madamenhütte und die Bauernhötte 
zu Zabern oder ihre Nachfolgerin im Hofe der Fruchthalle. Es 
gab auch elende Hütten, die mit Stroh gedeckt und nach außen 
notdürftig durch Baumzweige abgeschlossen waren, so noch 
18(59 in Hochfelden. 



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- 249 - 

Das Tanzgeld. 

Von alters her gehörte «las Tanzgeld vollständig der Musik. 
Das war die Löhnung der Musikanten, die außerdem zehr- 
und zechfrei waren. Sie hatten dadurch eine glänzende Kin- 
nahme, und mancher Musikant ist durch das Tanzgeld zum 
wohlhabenden Manne geworden. Es betrug für jeden männ- 
lichen Tänzer in den 1840er bis 1870er Jahren 15—20 Su, früher 
4—10 Su, später 1—2 M. und so noch heute, und zwar für 
jeden Tag. Seltener wird für den ganzen Meßli hindurch ein 
fester Betrag gezahlt, so in Winzenheim 2 M. Die Maiden 
hatten in älterer Zeit 2 Su zu entrichten, und diese Sitte hat 
sich bis zum heutigen Tage auf dem Buclitweiler Maimarkt 
erhalten. Sonst bezahlen sie jetzt allgemein 50 Pf. für 
den Tag. 

Die Erhebung des Tanzgeldes geschah früher auf drei ver- 
schiedene Arten. Auf kleineren Meßtitänzen, die einen sicheren 
Ueberblick gestatteten, verzichtete man auf einen Türsteher. 
Die Musikanten hatten zwar ein wachsames Auge, aber die 
einheimischen Burschen zahlten unaufgefordert. Hatte ein 
Fremder nur ein Mal getanzt, so kam unfehlbar ein Musikant 
mit der zu diesem Zweck sehr geeigneten Zinnkanne, in 
späteren Zeiten mit einem Teller. Sich um das Tanzgeld zu 
drücken, galt als eine Schande und hatte schlimme Folgen für 
die Fremden. Von ihnen erwarteten es die Musikanten als 
selbstverständlich, daß sie mehr als üblich bezahlten, und sie 
bekamen dann «drei allein» gespielt. 

Am häutigsten wurde das Tanzgeld durch einen Türsteher 
eingezogen, den die Musikanten aus ihrer Mitte bestellten und 
der wenigstens bei Beginn des Tanzes am Eingang des 
Saales stand, später aber auch vom Musikantentisch aus scharf 
aufpaßte. Natürlich war es nicht gerade der beste Musiker, 
den seine Kollegen zu diesem Amle auswählten. Aber es war 
doch manchem Musikstümper, wie man sich erzählt, nicht un- 
willkommen, der in weitherziger Auslegung der ländlichen 
Moral seine eigene Hosentasche mit der ihm anvertrauten 
Zinnkanne verwechselte. Solche PrivatgritTe zu erschweren, 
war ein Vorteil der tiefen, für eine Männerfaust kaum durch- 
lässigen Zinnkannen. Ein Musikant, dessen ganze Meßtitätig- 
keit vorwiegend im Geldeinsammeln bestand, lebte in den 
1830 er Jahren zu Uhlweiler unter dem Namen «Der Vier-Su- 
Michel». 

Die dritte Art der Erhebung von Tanzgebühren bestand 
im «Aufstecken» am Ende eines jeden Tanztages. Von dieser 



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- 250 



Sitte, die ein besonders altväterliches und kameradschaftliches 
Verhältnis der Burschen zu den Musikanten voraussetzt, wird 
ein späteres Kapitel handeln. 

Es war üblich, daß der Meßtibursch ein größeres Tanz- 
geld als die Burschen entrichtete, und ein stolzer Meßtibursch 
hätte sich diesen Vorzug nicht nehmen lassen. 

Außer dem Tanzgeld halte jeder, der sich mit einem 
Maide am Arm auf dem Tanzboden authielt, selbst wenn er 
nicht tanzte, dein Meßtiburschen 1 fr., später 1 M. zu geben. 
Dafür händigte dieser unaufgefordert dem Maide ein Dutzend 
Lebkuchen ein, und so an jedem Tag. Notorische Nichttänzer, 
z. B. Krüppel, wurden als Zuschauer gegen ein geringes Trink- 
geld zugelassen. 

Als mit der Zeit die Wirte einsehen lernten, daß gewallige 
Summen in die Taschen der Musikanten flössen, während sie 
selbst ungleich größere Lasten und mehr Arbeit hatten, zogen 
sie das Tanzgeld selber an sich und entlohnten die Musikanten 
mit 8 — 10 — 12 M. auf den Kopf und Tag. Diese Aenderunj> ge- 
schah in den 1860er und 1870 er Jahren. Doch gab es bis in 
die neueste Zeit einzelne Dörfer, in welchen die Musikanten im 
Besitze ihres allen Rechtes belassen wurden, so in Weiler bei 
Weißenburg (noch 1905). In Mielesheim werden sie am ersten 
Tag von den fremden, am zweiten Tag von den einheimischen 
Burschen bezahlt. In vielen Dörfern hat man den Musikanten nicht 
gleich alles Tanzgeld entzogen, sondern sie behielten noch die 
Einnahme eines Tages, gewöhnlich des letzten, bisweilen auch 
dos ersten. Doch auch dieser Brauch dürfte heute selten sein. 
Häufiger war es schon, daß in der guten alten Zeit der Wirt 
sich das Tanzgeld der Maiden sicherte unter dem Vorwand, 
daß er damit die 6 fr. für die Gemeinde decken müsse, und 
die Musikanten erhoben wegen des geringfügigen Betrags 
keinen Einspruch. Welche Summe ein Meßti manchmal ein- 
brachte, erhellt aus dem Beispiel von Vendenheim^ wo der 
Rappenwirt 1809 an den zwei ersten Tagen über 400 fr. ein- 
nahm, nachdem er einen neuen Tanzsaal gebaut hatte. 

Heute werden vielfach schon Eintrittskarten verabfolgt, ge- 
wöhnlich mit dem Stempel des Wirts. Findige Wirte drucken, 
um einem Mißbrauch vorzubeugen, ihren Stempel auf das 
Taschentuch der Tänzer oder, um ganz sicher zu sein, auf ihren 
Handrücken, vorausgesetzt, daß sie es sich gefallen lassen. In 
der Tanzhütle des Zaberner Meßti wird ein Einzeltanzgeld von 
10 Pf. für das Paar, welches mit Hilfe einer Schnur abgefangen 
wird, erhoben. Dieses Verfahren ist ja bei dem nicht sitten- 
gemäßen Volkstanz in der Stadt bekannt. 



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- 

- 25t — 



Allgemeines über den Tanz früher und jetzt. 
Das Leben auf dem Tanzboden. Das Volks- 
lied. 

Der Meßli ist nun aufgezogen, die Kirsve geholt, der Zug 
kommt beim Tanzhanse an. Manchmal werden vor dem Hause 
noch drei Tänze getanzt, so früher in Dossenheim, dann 
strömt alles hinein in den Tanzsaal. Es beginnt das zweite 
Hauptslück des Meßli, der Tanz. 

Zunächst einige Worte über die Geschichte des Tanzes. 
Das ganze Mittelalter hindurch wurde im Elsaß, wie auch 
sonst in Deutschland und in Frankreich, viel häufiger und viel 
maßloser getanzt als heute. Sebastian Braut» 
stellt fest : 

Viel warten auflf den Tanlz lang ze»t, 
Die doch der Tantz ersettiget neit. 

Und die Kirchenarchive des 16., 17. und 18. Jahrhunderts 
sind voller Klagen über das unmäßige Tanzen. Daß man ins- 
besondere in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg gerade an hohen 
Feiertagen am unbändigsten und am ausgelassensten tanzte, und 
daß die geistlichen und weltlichen Behörden vergeblich durch 
Verordnungen und Strafen Wandel zu schaffen suchten, wurde 
bereits oben ausgeführt. Nur wenige bezeichnende Belege er- 
scheinen hier angebracht. 

Aus den Statuten und Ordnungen von Hochfelden 1512:* 
«Vom Danntzen. — Item wann man zu Vesper leuth am 
viertag so soll man vff hören zu danzen bei 10 ß ^ vnd sol 
auch Keiner Kein» mehr an dem Danz herumb werflen bey 
der genanten Pen Als dieckh* das geschieht ohne Alle gnad 
so man das niemants faren lassen ...» Bei der 1. Kirchen - 
Visitation in Dettweiler (1535) wurde Klage geführt, daß die 
Jugend dem Tanze sehr huldige.» In Borsch* wurde 1616 be- 
stimmt, daß vor dem Tanz die Kinderlehre und die Vesper be- 
sucht werden soll, woraus hervorgeht, daß man dies sonst nicht 
zu tun für nötig fand. Ein Dekret der hanauischen Regierung 
vom 24. April 1717 ? ermahnt «zu ernster Abstellung des an 
vielen Orthen so wohl in der H. Advents als Passions Zeit 



> Narrehschiff, in Scheibles Kloster. Stuttgart 1845. I, S. 55.'5. 
— 2 Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, E 959 (Abschrift). — 3 = keine 
Tänzerin. — * = so oft. — * Wolff, Chronik der Gebirgsgemeinde 
Dossenheim Straßburg, Druckerei der «Heimat». 18%, S. 29. — 
e Ratsprotokoll vom 4. Juni llilti im dortigen Gemeindearchiv'. - 
' Pfarrarchiv von Alteckendorf. 



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- 252 - 



bißher von den jungen Leulten verübten üppigen Tanlzens». 
Erst im 19. Jahrhundert wird das Tanzbedürfnis auf besondere 
Gelegenheiten, namentlich auf den Meßti, aufgespeichert. 

Hand in Hand mit dem maßlosen Tanzen geht in älterer 
Zeit das unordentliche und anstößige Tanzen. Das Empor- 
schwingen der Tänzerin, das noch heule geübt wird und als 
ein Zeichen besonderer Geschicklichkeit und Kraft gilt, hatte 
in jener Zeit der kurzen Gewandung eine geradezu schamlose 
Wirkung. So lesen wir bei S e ha s t. i a n Brant:« 

Aull* Kirch weih . . . 
Da tantzen Pfaflen, Mönch vnd Leien 
Die Kut muß sich dahinden reien, 
Da laufTt man vnd wirfft vmbher ein 
Das man hoch sieht die blossen bein. 

Geiler von Kaysersberg berichtet, * daß die 
Männer die Weiber ocaufschwencken» und lerner:» «Darnach 
lindt man Klotz, die tanzen also säuisch und unflätig, daß *ie 
die Weiber und Jungfrauen dermassen herumschwenken und 
in die Höhe werfen, daß man ihnen hinten und vornen hinaut- 
siehet bis in die weich». Und Spangen berg 4 ruft ent- 
rüstet aus : «Denn was ist da anders, dann ein wildes un- 
gehewr viechisches rennen, lauften und durch einander zwirbeln, 
da siehet man ein solch unzüchtig auffwerfen und entblößen 
der mägdlein usw.» 

Eine bischöflich Straßburgische Polizeiordnung, die 1562 
für Dambach& erlassen wurde, aber jedenfalls auch für andere 
bischöfliche Orte güllig war, besagt uns folgendes: «Vom 
Dantzen. — Demnach seyther allenthalben under gemeiuer 
Danntz lauben und Plätzen, unzüchtige Däntzt, mit sehendtlichenn 
greiften, springen und umb schweyfTen auch nach tag Zeit, von 
Knaben und Döchtern gehalten, Jhe zwey für das ander ye- 
loflen, und on ein Rockh oder mantel dantzt haben usw.» Auch 
im Stadtbuch von Benfeld (1557) ist des Tanzens ohne Rock 
Erwähnung getan. Vielleicht läßt sich mit dieser Übeln Ge- 
wohnheit die Sitte zusammenbringen, die bis vor kurzem auf 
dem Hochfelder Meßti üblich war. Gegen Abend zogen die 
Maiden ihre Röcke aus und tanzten im trachtmäßigen Flanell- 
Unterrock, der mit großen roten, grünen und schwarzen 



1 NarreDschiff in Sc he i b I e s Kloster. I, S. 552. — 2 Brosaiulin 
Dr. Kaiserspergs, nachgeschrieben vom Frater Paulin. Straß- 
burg 1517. S. ö.'i. — 3 Predigten in Scheibles Schaltjahr. Stutt- 
gart, 1840. I. S. 544. - 4 Cyriacus Spangenberg, Ehespiegel. 
Straßbuvg, 1570. S. 285. — * Gemeindearchiv von Dambach, Kantoo 
Barr. 



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Schnörkeln und Siemen verziert war, was sich nicht unschön 
ausnahm. 

Aus Zubern erfahren wir, t daß der dortige Stadtrat 163i 
beschloß, daß die jungen Gesellen «furthien die hishero unge- 
wöhnliche ärgerliche Dentz vermilen und underlassen sollen, 
sonder in aller Zucht und Ehrbarkeit und also dantzen sollten, 
damit Niemand daran ein Aergernuß nemrnen». Und von Ali- 
eckendorf * wird uns gemeldet, daß beim Meßtagstanz 1743 
die jungen Leute «auflf ein gantz entsezliche Weise gejehlel 
und geschrien, auch sonsten allerley Unordnungen getrieben». 

Das 19. Jahrhundert brachte auch in dieser Hinsicht 
ordentlichere Sitten. 

Ueber die Berechtigung und den Wert des Tanzes sind 
die Meinungen geteilt. Die mittelalterliche Ansicht, daß der 
Tanz vom Teufel erfunden sei, um die Seelen zu verderben, 
gilt zwar heute nicht mehr. Trotzdem wird von vielen ernst- 
haften Leulen nichts gutes am Tanze gelassen. Es ist ja 
richtig, daß durch den Tanz, auch ohne Alkohol, die Sinnlich- 
keit erregt und die Sittlichkeit gefährdet wird. Das kann aber 
schließlich durch jedes Beisammensein der beiden Geschlechter 
geschehen. Der Tanz ist vor allem ein bemerkenswerter Teil 
der Kunst und hat sich als solcher im Els^ß das ganze 19. 
Jahrhundert hindurch bewährt. Zugleich ist der Tanz für die 
bäuerliche Jugend der Gipfel der Lust, und hierbei kommen die 
natürliche Anziehung der beiden Geschlechter und der Genuß der 
.so selten genossenen Klänge der Musik in erster Linie in Betracht. 
Erst durch den Tanz bekommen Meßti und Kirwe den rechten 
Festesinhalt und werden zur anziehendsten Sitle des ganzen 
Jahres. Darum selzen ihre Gegner auch immer den Hebel am 
Tanze au. Der Tanz ist außerdem eine gleichmäßige und 
gesunde Körperbewegung. Er stimmt fröhlich und vermittelt 
otl Bekanntschaften und eheliche Verbindungen. Dazu ist er 
auf dem Dorfe leicht und billig zu erlernen. 

Eine eigentliche Tanzstunde gibt und gab es im ländlichen 
Elsaß nicht. Der Tanz liegt so in der Lebenslust des Bauern 
begründet, daß er ihn sozusagen von selbst erlernt. So wie das 
Kind aus Freude hüpft, so hebt die Dortjugend von selbst die 
Füße und setzt sie unter Gesang- oder Harmonikabegleitung 
ungekünstelt in die richtige Bewegung. Das geschieht beim 
sonntäglichen Abendmarkt draußen vor dem Dorf, in der 
Kuukelstube und auf dem Meßti selber, Gelegenheiten, wo 
beide Geschlechter unter tiein starken Schirm aller Silte un- 



1 Adam, der Zaberncr Meßtag. Zaber». Gilliot. li*01. S. 40. - 
8 Presbyteiialprotokull vom h"». Aug. 174.J im dortigen Pfarrarchiv. 



— 254 



gezwungen miteinander verkehren. Die natürliche Gewand- 
heit und die Anmut, mit der namentlich junge Mädchen 
tanzen, sind ja Tür das Elsaß bekannt. 

Mit dem Verfall des Meßti ist auch das Tanzbedürfnis 
zurückgegangen. Es ist merkwürdig zu sehen, wie die jungen 
Leute da, wo Tanz und Meßti hauptsächlich von der Geistlich- 
keit niedergehalten werden, immer und immer wieder von 
selbst tanzen lernen, während sie in denjenigen Ortschaften, 
wo auch die Volksmeinung den Tanz als eine Sünde ansieht, 
überhaupt nicht mehr tanzen können und sich dessen auch 
gar nicht schämen. So sind auch die flotten Tänzer und 
Tänzerinnen, die gar oft einen gewaltigen Zug in den Dorl- 
n.eßti brachten, im ganzen seltener geworden als früher. 

Das Engagieren geschieht auf dem Lande einfach und 
natürlich. Der Bursche ergreift mit der ganzen Hand fest die 
Hand des Maide und zieht dieses an sich. Er sagt auch wohl 
dazu: «Gehst du mit mir?» — «Tanz'st du mit mir?» oder: 
«Alle hop ! Wolle mer eine trele?» Und wenn das Maide nicht 
will, so antwortet es eben so ungekünstelt : «Ich will aher 
nicht!]» oder: «Loß mich mit Friede!», ohne daß es aber 
darum böse ist. Beim Walzer wurde, so lange er als Ringeltanz 
getanzt wurde, anders engagiert. Der Bursche hob seinen 
Jangen Plügelmutzen beiderseits leicht in die Höhe und 
tänzle vor dem Maide. Dieses stand auf und tanzte ebenfalls, 
indem es den Rock beiderseits hob. Dann gab man sich die 
Hand und tanzte gleich weiter. 

Ergeht sich ein Paar auf dem Tanzboden, so umfaßt der 
Bursche das Maide weit um die Taille herum, und dieses tut 
nicht selten dasselbe. Oder der Bursche legt ihr den rechten 
Arm auf ihre rechle Schulter, bis tief hinab, während die 
beiden linken Hände ineinandergeschlungen sind. Oder das 
Maide legt seinen Vorderarm auf die Schulter des Burschen. 
Häutig ist auch das Einhaken der beiderseitigen Kleintinger 
und das Schlenkern der ungleichen Arme während des Gehens. 
Erst in der letzten Zeit gibt auch die ländliche Tänzerin, wie 
ihre städtische Kollegin, dem Burschen den Arm. 

Ist der Tanz vorbei, so läßt der Bursche seine Tänzerin 
mit oder ohne Dankesworte wieder gehn, oder sie reißt sich 
von ihm los und läuft von danner.. Hat er aber ein festes 
Verhältnis oder bahnt sich ein solches an, so tanzt er in der 
Regel den ganzen Meßti hindurch nur mit seiner Liebsten. 

Am Meßtitanz beteiligen sich in unserer Zeit fast ausschließ- 
lich ledige junge Leute, allenfalls junge Ehepaare. Früher 
gingen Verheiratete regelmäßig auf den Tanz, wenn sie nur 
jemand fanden, der die Kinder zu Hause hütete. Selbst ältere 



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Leute schämten sich mcbl zu tanzen, während dies heutzutage 
nur noch vereinzelt und in scherzhafter Laune geschieht. 
Niemals gingen Eltern oder Mütter auf den Tanzboden, um 
ihre Kinder zu überwachen, sondern nur um zu tanzen, 
während die Kinder sonst sich selber überlassen blieben. 

Der erste Tanz gebührt dem Meßtiburschen und dem 
Meßlimaide, es sind «drei allein». 

Unterdessen haben die Maiden an einer Wand in langer 
Keihe Aufstellung genommen, neben und hinter ihnen die 
Burschen. Oft sind an den Wänden Bänke angebracht, die als- 
bald von den Maiden eingenommen werden. Auch junge Frauen 
setzen sich «auf das BänkeU. Im Kreise Weißenburg, so in 
Hunspach, Hofen und Oberseebach ist es Sitte, daß sich aus 
Mangel an Bänken die Burschen gleich vom Anfang des Tanzes 
an den Maideu auf denSchoß setzen oder umgekehrt. Klopfenden 
Herzens stehn in einer Ecke die jüngeren Maiden, die zum 
ersten Mal auf öffentlichem Tanz erscheinen. Die meisten haben 
schon mehrere Nächte nicht schlafen können. Mit glühenden 
Wangen und freudestrahlenden Augen, sorgfaltig gestrichen 
und herausgeputzt und mit «Lauf-mir-nach» parfümiert, 
harren sie der Burschen, oft schon des Liebsten. Auf dem 
Lande beginnt ja der Verkehr zwischen den Geschlechtern sehr 
frühe. Kaum der Schule entwachsen tanzen die Mädchen schon 
öffentlich, trotz der polizeilichen Vorschrift, die das 16. Lebens- 
jahr als untere Grenze vorschreibt. Die Eltern dulden's, denn 
sie haben's in ihrer Jugend selber so gehalten. 

Bald ist der Tanz in vollem Gang, und es bietel sich dem 
Auge ein malerisches, farbenreiches Bild. Wir wollen uns 
nicht in weitläufige Trachtenbeschreibungen einlassen, sondern 
bloß einige auffällige Einzelheiten aus alter Zeit festhalten. 
Noch bis in die 1830er Jahre kam Alt und Jung in Holz- 
schuhen auf den Tanz. Auf der Straße oder auf der Wiese 
ging das noch an, aber in einer gedielten Tanzstube gab es 
ein fürchterliches Geklapper, und der Vorteil, daß man in 
Holzschuhen vlen Walzer nach ländlicher Art besser tanzen — 
schleifen — lernte, wog den entsetzlichen Lärm gewiß nicht 
auf. Von etwa 1820 bis in die 1850er Jahre gehörte die weiße 
gezwickelle Zipfelkappe zu der Tanzlracht. Sie wuchs sich aus 
und wurde bis 1 Meter lang, so daß man den Zipfel in den 
umgeschlagenen Rand stecken mußte. Auf jeden Fall war 
sie zum Tanze wie geschaffen und dem alten breitkrämpigen 
Hut bei weitem vorzuziehen. Das ganze 10. Jahrhundert hin- 
durch und vereinzelt noch heute, z. B. in Mietesheim < tragen 
die Burschen die spitzenbesetzle kurze Schürze, das Wandfür- 
tüchel. Mit dem roten Brusttuch nahm es sich früher sehr 



— 256 — 



malerisch aus. Jetzt kommen die Burschen in ihrem gewöhn- 
lichen Sonntagsanzuge, sie behalten dabei den Hut auf, und 
die Maiden tragen außer der weißen Schürze, die übrigens auch 
am Abgang ist, nichts besonderes. Natürlich tanzt bei heißer 
Witterung alles hemdärmlig. 

Auch dem Psychologen und Volksfreund bietet der Meßti- 
tanz genug des Anziehenden, nämlich ein vielverschlungenes 
Bild von Freude und Lust, von Falschheit, Treulosigkeit, Bos- 
heit, Neid, Bachsucht und Schadenfreude, die mit dem Fort- 
schreiten des Festes immer mehr offenbar werden. Der Alko- 
hol tut das seinige zur Belebung der Stimmung. In alter Zeit 
wurde bei dieser Gelegenheit kein Tropfen Bier verzapft. Ein 
Bursche hätte sich geschämt, überhaupt Bier zu verlangen. Der 
Wein beherrschte damals den Tanzboden ausschließlich, und 
nach dem billigen Wein für 6 und 8 Su den Liter ging man 
gar bald zum «Stöpferle» über. Heute sind die Wirte froh, 
wenn sie ihr Bier los werden. Höchstenfalls wagt es hie und 
da ein W r irt, gegen Abend bekannt zu machen, daß das Faß 
jetzt leer ist und daher bloß noch Wein ausgeschenkt werde. 
Denn der Wein ist heutzutage eine große Ausgabe. 

Immer lauter wird die Unterhaltung. Das unersättliche 
Tanzvolk wogt hin und her, bald in zierlichen Drehungen an- 
mutsvoll schwebend, bald lustwandelnd, kosend und lachend. 
Lust und Jubel beflügeln die leichtbeschuhten Füße, und Scherz- 
worte fliegen von Mund zu Mund im sorglosen Kreise der liebe- 
durstigen, freudeseligen .lugend, bis die berückenden Klänge der 
Musik aufs Neue zum fröhlichen Reigen mahnen. Da ist alles 
Natur und Einfachheit. Die Meßtigemeinde wird weder durch 
Tanzordnung noch durch Anstandsregeln belästigt, kaum daß da 
und dort der Meßlibursch mit seinem grell leuchtenden Strauß 
erscheint, um die Streitsüchtigen dieser ausgelassenen Gesell- 
schaft zu überwachen. Die Burschen jauchzen und schreien vor 
überschäumender Lebenslust. Während des Tanzes stampfen 
sie öfters mit den Füßen, genau so wie zu Zeiten Xeidharts. 1 
Das nennt man «einen treten», l'nd wenn auch der Saal so 
vollgepfropft ist, daß die Paare sich «lüpfen» oder «tragen», so 
bewegt sich doch jeder einzelne kunstvoll, und kein Paar rennt 
das andere zusammen. In der Mitte des Kreises tanzen in der 
Regel die jugendlichen Paare. Man läßt sich allmählich gehn. 
Der Bursche schämt sich nicht, während des Walzers seinem 
Maide einen herzhalten Kuß zu geben, und dieses wehrt 
nicht allzusehr ab, wenn das Verhältnis ernst werden soll. 

l'nd wählend die jüngeren Leute sich so in angeregtester 



1 Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland. I, S. 



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Unterhaltung und in fröhlicher Ausgelassenheit dem Vergnügen 
hingeben, tanzen auch draußen auf der Straße, im Hof, auf 
den Gängen oder in irgend einer abgelegenen Ecke sogar die 
schulpflichtigen Mädchen paarweise. Sie lernens früh und mit 
erstaunlicher Leichtigkeit. Auch die Buben hopsen da herum, 
ihr Aussehen ist weniger vorteilhaft. Die Neugierde trieb sie 
an die geheiligte Tür des Tanzsaales, doch die unreifen Bürsch- 
chen sind gewöhnlich sehr bald betrunken. Die Zigarette, die 
natürlich nicht fehlen darf, macht sie noch vollends krank. Die 
Alten aber bringen den Tag mit ihren Güsten in der Wirts- 
stube zu. Sie unterhalten sich laut über die stets notleidende 
Landwirtschaft, über die gute alte Zeit, auch wohl über Politik. 
Dabei trinken und rauchen sie übermäßig, oder sie spielen 
Karten. Das ist ihr Meßti. 

Und so wie die Tänze gewissenhaft durchgetanzt werden, 
so ist das fröhliche Meßtivolk auch daraut bedacht, die Tanz- 
• pausen auszufüllen. Das geschieht durch das Volkslied. Die 
Paare stellen sich in der Milte des Saales im Kreise auf, Arm 
in Arm. Die Burschen sorgen für Wein, jeder hat der Reihe 
nach einen Liter zu bezahlen. Dann ertönen zweistimmig die 
getragenen, oft wehmütigen Weisen. Noch setzt die Jugend 
einen Stolz darein, recht viele Texte auswendig zu kennen. 
Meßti und Kirwe sind ja die Pflegestätte und oft genug die 
Geburtsstätte des Volksliedes. Vor 1870 hörte man hie und da 
auch französische Gesänge, namentlich die Marseillaise und den 
«Parlewa». So hieß im Volksmunde der «Choeur des Giron- 
dins» wegen seines Anfangs : «Par la voix du canon d'alarme». 
Wenn ein oder zwei Lieder gesungen *ind, wird wieder getanzt, 
dann wieder gesungen, und so fort. In einigen Dörfern werden 
während des Tanzes die Gläser und Flaschen auf ein erhöhtes, 
eigens zu diesem Zweck an der Wand angebrachtes Gestell ge- 
setzt. Zu Steinselz, Oberhofen, Oberseebaclt, Kleeburg und 
Umgegend schleudern die Burschen sehr geschickt die leeren 
Flaschen mit der Kante auf den Boden, so daß sie nicht zer- 
brechen. Es ist dies ein Zeichen, daß sie wieder gefüllt werden 
sollen. Und je weiter die Stunde vorrückt, desto heiterer 
werden die Lieder, desto kleiner die Anzahl der Strophen. Man 
sagt sich dann beschönigend, daß die Zigeuner und Spengler 
die Lieder aussingen, und begnügt sich mit einer Strophe. 
Während anfangs ernste Sachen, «Arien» erklingen, werden 
schließlich scherzhafte, ja schlüpferige Verse in der Mundart 
vorgetragen, von einzelnen und von ganzen Gruppen. 

Mit dem Niedergang jeglichen Brauches ist auch das 
Volkslied verstummt. Man hört kaum noch neuere Soldaten- 
lieder auf dem Tanzboden. Gewöhnlich laufen aber die Bur- 

17 



— 258 - 

sehen in den Pausen fort, um zu trinken. Ein bekannter 
Scherz besteht darin, daß sie sich von hinten an die Maiden 
heranschleichen und ihnen die Schürze oder den Rock mit 
Bindfaden zusammenbinden. 

Gegen Abend tritt eine größere Unterbrechung ein, damit 
die Musikanten essen können. Die Einheimischen gehen auch 
nach Hause, um zu essen und das Vieh zu füttern. Die Aus- 
wärtigen, soweit sie nicht «auf den Meßti geladen» sind, speisen 
im Wirtshaus oder überhaupt nicht. Das Meßtivergnügen hält 
die Sinne der Tänzer nicht selten dermaßen umfangen, daß sie 
an eine Nahrungsaufnahme gar nicht denken. 

Es ist nun dunkel geworden. Allmählich füllt sich der 
Saal wieder, die Musikanten spielen einen wirbelnden Walzer, 
und mit erneuter Kraft ergibt man sich dem berauschenden 
Tanze. Bei Nacht zu tanzen, war früher gar traurig. An einem 
Balken hingen einfache Oellampen, später Petroleumlampen, 
denen höchtenfalls ein blank geputztes Stück Blech als Reflektor 
diente. Noch heute gibt es solche schlecht erleuchtete" Stuben, 
aber auch schon solche mit bestem Azetylenlicht. 

Nach weiteren *2 oder Stunden wird die Stimmung schon 
etwas gedrückter. Die Buben und Mädchen haben das Feld 
längst geräumt. Die Alten in der Wirtsslube wenden sich eben- 
falls mit schweren Köpfen und schwankenden Beinen ihrer 
Schlafstätte zu. Ein kleiner Schwips ist am Meßti erlaubt oder 
auch — ein gehöriger Rausch. Die jungen Leute aber brauchen 
jetzt Abwechselung, die ihnen auch auf dem Tanzboden und in 
den Kammern in reichlichem Maße zuteil wird, bis sich end- 
lich die Tür hinter dem letzten Tanzburschen geschlossen hat. 

Die große Fülle und Mannigfaltigkeit des Stoffes nötigt 
uns, in den folgenden Kapiteln die wichtigen Teilerscheinungen 
und besonderen Veranstaltungen des ersten Meßtitages bis zu 
seinem sittenmäßigen Schluß getrennt zu betrachten. Darunter 
finden sich wesentliche Bestandteile des alten schönen Meßti, 
die jedenfalls vor den öden Kneipereien und den sinnlosen 
Gassenhauern der Neuzeit den Vorzug verdienen. 

Die Pfeiferbrüder. 
Der Pfeifertag in Bischweiler. 

Schon in alter Zeit waren die Spielleute des Elsaß zu einer 
Art Zunft vereinigt. In einer Urkunde Schmaßmanns I. von 
Rappoltstein aus dem Jahre 1400 * werden sie als «varende 



1 Abgedruckt in Barre, Ueber die Bruderschaft der Pfeifer. 
Colmar, Barth, 1873. S 47 ff; sowie in Nr. 9 vom 1. 6. 1908 der 
Els.-lothr. Gesang- und Musikzeitung. 



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- 259 — 

> 

lute» bezeichnet, und wir erfahren darin außerdem, daß die 
Rappoltsteiner «als lange, das nieman verdencket» das König- 
reich fahrender Leute zwischen Hagenauer Forst und der 
Birs, dem Rhein und der First des Wasgaus vom Reiche als 
Erblehen besaßen. In einer Urkunde Schmaßmanns von 1434» 
heißen sie «pßfer und farende lüte», und in einem Lehnsbrief 
Kaiser Friedrichs III. von 1481* Spielleute. Später bürgerte 
sich der Name «Pfeifer» allgemein ein. Es sind darunter nicht 
nur eigentliche Pfeifer, also Flötenbläser zu verstehen, sondern, 
wie aus einer Urkunde Eberharts von Rappoltstein von 1606* 
hervorgeht, überhaupt alle Musikmacher. Ob in früheren 
Zeiten, wie man wohl aus der Benennung «fahrende Leute» 
schließen muß, auch Schauspieler und Gaukler unter den 
Pfeifern waren, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist es» denn 
in jenen fernen Zeiten war die Kunst des Musizierens mit der 
des Gesanges und der schauspielerischen Gebärden sicherlich 
eng verschmolzen. Noch bis in unsere Tage sind ja die Dorf- 
musikanten noch vielfach Liedersänger und beliebte Possen- 
reißer. Jedenfalls vertraten die Pfeifer die niedere Kunst im 
Gegensatz zu den vornehmeren Meistersängern. 

Die Vereinigung der Pfeifer, die 1400 Königreich* und 
1458 erstmalig Bruderschaft* heißt, hat die letztere Bezeichnung 
behalten. An ihrer Spitze standen der Pfeiferkönig oder Schult- 
heiß und das Pfeifergericht. Sie hatten besondere Statuten, die 
beispielsweise 1606 erneuert wurden, und gewährten ihren Mit- 
gliedern das Vorrecht, ihre Kunst im Elsaß auszuüben, wäh- 
rend dies den außenstehenden Pfeifern verboten war. Außer- 
dem besaß die Pfeiferbruderschaft eine eigene Gerichtsbarkeit. 
Die Pflichten der Pfeifer bestanden in der Entrichtung von 
Beiträgen und im alljährlichen Besuche des Pfeifertages. 

Die Blütezeit der Bruderschaft ist in das 15. und 16. 
Jahrhundert zu setzen. Schon frühe trennte sie sich in drei 
Kreise, die obere, die mittlere und die untere Bruderschaft, 
die ihre Pfeifertage in Altthann, Rappoltsweiler und Rosheim 
oder Mutzig abhielten. Jedoch war diese Scheidung rein 
äußerlich, nur zur Erleichterung des Besuches der Pfeifertage. 
Die Oberhoheit über die gesamte Bruderschaft 6 halten die 
Herren von Rappoltstein und nach ihrem Ausstorben 1673 



1 Abgedruckt in Barre, S. 54. — * A. a. 0., S. 49. — 3 A. a. 
0., S. 12. - ■» A. a. a. 0, S. 47. - 5 A. a. 0., S. 10, Anm. 
— • Näheres über die gesamte Pfeiferbruderschaft findet sich bei 
Barre, a. a. 0., 54 Seiten. — Lobstein, Beiträge zur Geschichte 
der Musik im Elsaß. Straßburg, Dannbach, 1840. S. 18—23. — 
H e it z in Stöbers Alsatia, 1856-57. S. 5-33. In diesen Abhand- 
lungen sind noch weitere Quellen angegeben. 



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die Pfalzgrafen von Birkenfeld. Sie ernannten den Pfeifel- 
könig, werden nicht selten auch selbst als Pfeiferkönige be- 
zeichnet. Durch den Westfälischen Frieden war die Lehens- 
herrschaft über die Bruderschaft an die Krone Frankreichs 
übergegangen, und Ludwig XIV. nennt sich selbst einmal 1 
«Roi des violons». Auf Ansuchen des Pfalzgrafen Christian II. 
verlegte er 1687 den Pfeifertag der unteren Bruderschaft, die 
von Epfig bis zum Hagenauer Forst reichte und für unser 
Gebiet allein in Betracht kommt, nach Buchweiler und ver- 
band ihn mit einem Jahrmarkt. 2 Pfalz-Birkenfeld hatte da- 
mals die Pfandherrschaft über BiSchweiler, das 1734 in ihren 
Besitz überging. 

Bei einem Pfeifertage ordneten sich die Pfeifer auf dem 
Bisch weiler Markl platz zum Festzuge, der sich, oft 300 Köpfe 
stark, mit einer wüsten Musik — jeder spielte sein Instrument 
nach Belieben — die Oberen an der Spitze, in die Kirche des 
benachbarten Hanhofen begab. Dort las der Priester die Messe, 
dann zog man nach dem grällichen Schloß, wo altertümliche 
Spiele und Festgebräuche, wie Fahnensch wen ken und Eier- 
werfen, stattfanden. Es wurde aus einem besonderen Becher 
auf das Wohl des Pfalzgrafen getrunken, dann ging es mit 
wilder Musik zurück nach dem Marktplatz, in das Zunflhaus, 
wo das Pfeifergericht tagte, und nachher in andere Wirtshäuser. 
Die Pfeiterbrüder hielten einen festlichen Schmaus und eilten 
dann zum Tanz. Noch 1786 wurde mit großer Pracht das Jahr- 
hundertfest des ersten Bischweier Pfeiferlags gefeiert. In der 
Revolution ging das Fest zu Grunde. In den 1860er Jahren 
kam es wieder auf und besteht noch heute unter obiger Be- 
zeichnung. Es wird am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 
nach Maria Himmelfahrt gefeiert und hat die Gestalt eines neu- 
zeitlichen Meßti angenommen, a Ein «Pfeifertag» besteht be- 
kanntlich auch zu Rappoltsweiler unter dem Bild einer ge- 
wöhnlichen Kilbe. 

Die untere Bruderschaft scheint mit einer ähnlichen Ver- 
einigung in Verbindung gestanden zu haben, die zu Straßburg 
unter dem Namen der Bruderschaft «der Cronen» bestand und 
schon in einem Ratsprotokoll von 1511 4 als «mit vil gutter 



i Barre, S. 20, Anm. — 2 Ordonnances d'Alsace. T. I, p. 1G0. 
— 3 Ausführlicheres über den Bisch weiler Pfeifertag findet sich 
im Straßburg-er «Bürgerfreund> von 177G, S. 017—623. — Col- 
in a n n, Geschichte von Bisch weiler. Strasburg, Heitz, IS26. S. 
H4 ff. — Dr. Bourguignon. Bischwüler depuis cent ans. 
Bischwiller, Posth, IST."», p. 7f>. — Auszüge aus den Archiven der 
Stadt Bischweiler. BiSchweiler, Posth; 0. Verf. u. Dat. — Uhl- 
horn im «Bischweiler Wochenblatt» 1S!U, Nr. 28 ff. — « Heitz, 
in der Alsatia 18.">*> — 57, S. 2t). 



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— 261 — 

ordnunge vnnd artickelen verbriefte versigelt vnnd ebenlang 
harbrocht» bezeichnet wird. Einige Male und namentlich 
1697 fand nämlich der Pfeifertag der unleren Bruderschaft 
zu Straßburg statt.' 1745 bestand sie aus 400 Pfeifern ,« 
während die obere Bruderschaft deren bloß IUI und die mitt- 
lere nur 190 hatte. Diese starke Mitgliederzahl ist nur durch 
die Einrechnung der Straßburger Pfeiferbrüder erklärlich. Als 
letzten Slraßburger Pfeiferbruder erwähnt Lobslein' den 
Geiger Franz Lorenz Chappuy, der, 87 Jahre alt, 1838 starb.* 

Die Musikanten. 

Die Ursprünglichkeit und die Genügsamkeit der bäuer- 
lichen Bevölkerung treten im ländlichen Musikwesen besonders 
klar zutage, und manches herzerfrischende und belustigende 
Vorkommnis steht mit den Landmusikanten im Zusammenhang. 
Wenn darüber hier etwas ausführlicher berichtet wird, so 
geschieht es deshalb, weil das entworfene Bild nicht nur für 
das 19. Jahrhunderl bis in die 1860er Jahre zutrifft, sondern 
im allgemeinen auch für die letzten Jahrzehnte des Bestehens 
der unleren Pfeiferbruderschaft gilt. Die Absicht einer Ver- 
spottung unserer ehrbaren Dortmusikleute, dieser wertvollen 
Stützen alter Meßtisitte, liegt uns völlig fern. 

Die Musik fand früher im ländlichen Elsaß eine viel aus- 
gedehntere Verwendung als heute. Kindtaufen, Verschreibungen 
(Verlobungen) und Hochzeiten verliefen bei einigermaßen wohl- 
habenden Bauern nie ohne Musik. Und wo Musik und junges 
Volk versammelt waren, da fehlte auch nie der Tanz, der sich 
oft über mehrere Tage ausdehnte. Sogar beim Kirchgang und 
in der Kirche wirkte die Musik nicht selten mit, denn es ist 
noch nicht viel über ein halbes Jahrhundert her, daß die über- 
wiegende Mehrzahl der Dörfer keine Orgel hatte. Die Haupt- 
gelegenheit, bei der die Musik in Tätigkeit tritt, ist der Meßti, 
die Kirwe. 

Die Musikanten sind einfache Dorfbewohner, biedere 
Bauern oder Handwerker, die das Musizieren nicht als eine 
Kunst, sondern als Handwerk betreiben, um Geld zu ver- 
dienen. Im Volksmund heißt der Musikant am Gebirge ent- 
lang auch Spielmann, abgeschliffen Spielme, in der Mehrzahl 
Spielmänner. Er erlernt sein Instrument in einfacher Weise 



i A. a. 0 , S. 25. — A. a. 0., S. 27. - Hobstein, a a. 
0., S. 20. — * Weiteres über die Straßburger Musikverhältnisse: 
Ludwig, Straßburg vor 100 Jahren. Stuttgart, Frommann, 1888. 
S. 151 f. und S. 315 f. — «Straßburger Post» liiOG, }r, IG0_. 



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— 262 — 

in seinem Heimats- oder in einem Nachbarsdorf bei einem 
älteren Musikanten. Es gibt Ortschaften, wo ganze Familien seit 
Jahrzehnten das Musikanlenhandwerk betreiben, so in Bläsheim 
die Rieb, in Detlweiler die Glass, die Stricker und die Schlupp, 
in Büsweiler die Mathis, in Pfaffenhofen die Schwing, in 
Mühlhausen die Schnepp, in Bachsweiler die Müller und Honig, 
in Geuderlheim die Roser, in Weyersheim die Jung, in Eck- 
iversheim die Mobs und die Jundt, in Langensulzbach die 
Haller, in Humpach die Weingärtner, in Kleeburg die Wüst. 
Mühlhausen, Geuderlheim und Eckwersheim sind als musika- 
lische Dörfer besonders berühmt. 

Unter solchen Verhältnissen genoß natürlich der Nachwuchs 
früher eine gute Ausbildung, während vereinzelte Musiker, an 
denen es in keinem Dorfe fehlte, gewöhnlich nur das allernot- 
dürftigste spielen konnten. Viele vermochten kaum Noten zu 
lesen und überhaupt keine zu schreiben. Sie spielten alles aus 
dem Gedächtnis. Noch heute sehen viele Bauern einen Vorzug 
darin, daß ihre Musikanten keine Noten brauchen und doch 
besser spielen als die Siadtmusiker. So wird von einem DeU- 
weüer Musikanten berichtet, der eine einzige Polka spielen 
konnte und von einem aus Imbsheim, dessen ganze Kunst sich 
auf zwei Walzer und zwei Hoppler erstreckte. Viele Musikanten 
spielten nur in den einfachen Tonarten : C y G, F, allenfalls D; 
B, A, oder gar Es war schon etwas außerordentliches. Gar 
ott kamen sie über den Umfang der Quint oder der Sext nicht 
hinaus. Von verschiedener Tonfärbung war natürlich keine Rede. 
Die Saiteninstrumente wurden häufig um das Transponieren 
zu ersparen, auf die Klarinetten und Blechinstrumente ge- 
stimint. 

In alter Zeit wurden die Musikanten vom Tanzwirt ent- 
weder einzeln bestellt, oder ein Musikant bekam den Auftrag 
und besorgte dann das Weitere. Das war mitunter nicht leicht, 
wenn nämlich mehrere Meßti auf denselben Tag fielen. So kam 
es, daß die Musikanten bisweilen 30 Kilometer von ihrem Wohn- 
ort spielten. Sie rückten einzeln zu Fuß an, oder sie wurden, 
als die Chars-ä-bancs aufkamen, vom Wirte geholt, und wie sie 
gekommen, zogen sie auch wieder weg. Als Bekannte des Wirts 
und als Seinesgleichen aßen sie bei ihm am Familientisch. Da 
aber der Wirt alle seine Räumlichkeiten brauchte, fanden sie 
keine Schlafstätte bei ihm, sondern gingen ins Nachbars Haus, 
oder sie schliefen in der Scheune, auf einer Bank oder gar 
draußen im Freien. Man nahm das früher nicht so genau. Da 
sah man in der Regel eine bunt zusammengewürfelte Gesell- 
schaft. Der eine hatle z. B. ein kurzes schwarzes Kamisol 
und eine Dächeiskappe, der andere einen braunen Angläßrock 



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— 263 — 

mit hohem steifem Filzhülchen, der dritte eine lange graue 
Bluse bis auf den Boden und eine blau wollene Zipfelskappe 
mit weißem Zipfel, der vierte einen breitkrämpigen Hut und 
Jangen Flügelmulzen nebst gewalligem Vatermörder. 

Man konnte auch und kann noch beute merkwürdige Blech- 
instrumente sehen, die schon vielfach in den Museen aufbewahrt 
oder in ländliche Rumpelkammern verbannt sind : das Bombardon, 
ein scharftönendes Baßinstrument mit drei Zylindern, ohne 
Klappen, schon als Holzinstrument mit Baßton erwähnt ; 1 
das Ophikleid, ein deutsches Baßinstrument mit 6 Tonlöchern 
und 4 Klappen, das um 1820 in den französischen Militär- 
kapellen Eingang fand ; das Waldhorn; das Bügle oder Bügel- 
horn mit oder ohne Klappen, mit starkem Ton, aber schlechtem 
Klan», das viele Umgestaltungen erlebte. Auch Trompeten 
mit Löchern und Posthörner, die mit der Faust gestopft 
wurden und nur wenige Töne hervorbrachten, gehörten früher 
nicht zu den Seltenheiten. 

Die Geige galt immer als etwas feines. Sehr beliebt war 
die Baßgeige, die auch beim Aufziehen mitgetragen wurde. 
Das volkstümlichste Instrument ist bis heute die Klarinette 
wegen ihres klaren, vollen, durchdringenden und doch weichen 
Tones und wegen ihrer Fähigkeit, schnelle Tonläufe zu er- 
zeugen und die Melodien zu verschnörkeln. Der Bauer hat sie 
denn auch mit Scherznamen belegt, z. B. Krautslorzen, Wind- 
hebel, ja sogar Zwetschgenbaum. Bemerkenswert ist, daß noch 
bis in die 1860er Jahre deutsche Bezeichnungen gebraucht 
wurden, also B- und Dis-Clarinette statt Si-bemol- und Mi- 
bemol-Klarinette, wie sie noch heule heißen. 

Unter den Musikanten, die wir durchschnittlich als ehr- 
liche, brave Handwerksmusiker ansehen müssen, gab es früher 
auch minderwertige Elemente, denen eine große Einnahme über 
alles andere ging, die sich untereinander mit geschäftsneidischen 
Blicken maßen und im Rausche nicht selten grob wurden. 
Doch waren dies Ausnahmen. Häufiger begegnen wir in ihren 
Reihen einer gewissen Aristokratie, die es auch sonst im Leben 
zu Ansehen und Ehren brachte. So war der jetzige Bürger- 
meister Schnepp von Mühlhausen 20 Jahre lang ausübender 
Musiker. Dessen Vater, der auch durch eine vielbemerkte 
Streitschrift* bekannt wurde, spielte noch als Maire in den 
1860er Jahren Geige. Mehr als einer fand den Weg zur 
Kunst und machte als Militärkapellmeister eine glänzende 

1 L o b s t e i n, Beiträge zur Geschichte der Musik im Elsaß, 
Straßburg, Dannbach, 1840. S. 145. — - Johann Schnepp. Ist 
auch alles wahr, was die Alt-Lutheraner schreiben? BiSchweiler. 
Posth, 1885. 



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Laufbahn, so Geor^ Groß aus Schwind ratz heim , Kapellmeister 
lies 11. Artillerie-Regiments zu Poitiers und des 125. Linien- 
regiments zu Paris und Rennes, Ritter der Ehrenlegion, ge- 
storben in Pension H>05, und Johann Wüst aus Kleeburg, 
Kapellmeister des 1)7. Linienregiments in Chambery, Direktor 
des Musikkonser vatoriums zu Chambery, Ritter der Ehrenlegion 
und Otficier d'Academie, gestorben im April 11H38. 

Was nun die Besetzung betrifft, so spielten auf einem großen 
Meßli gewöhnlich 5 Mann : 2 Klarinetten, Geige, Schello und 
Posaune oder: Klarinette, Flöte, Geige, Horn, Baß. Aber nicht 
immer war es so gut mit der Musik bestellt, zumal aus den 
fünfen oft ein Mann als Geldsammler abgegeben wurde. Die 
Musikanten selbst liebten die grüßen Besetzungen nicht. Bekam 
einer von einem Wirt einen Auftrag, so suchte er möglichst 
viel für sich herauszuschlagen. In der alten Zeit gehörte ja die 
ganze Einnahme den Musikanten, und da machte allerdings 
ein Mann weniger schon viel aus. Auf die Art der Instrumente 
kam es da weniger an. Gut w;ir z. B. die Besetzung : Klari- 
nette, Violine und Baßgeige. Aber der bäuerliche Tänzer be- 
gnügte sich auch mit wunderlichen Besetzungen, z. B. Klan- 
net le, Geige und Flöte, ohne Baß. Und ebenso ließ er sich 
zwei Instrumente gefallen. So spielten einmal in den 1830 er 
Jahren eine Klarinette und eine Baßgeige den ganzen Meßti zu 
Ohlungen, dazu konnte der Klarinettist bloß Wal 'er spielen. 

Ja selbst ein einziges Instrument vermochte noch die 
Tänzer in Bewegung zu setzen. Schon aus älteren Zeiten ist 
wiederholt von «einem» Spielmann berichtet, so aus Ober- 
modern* 1738. In den 1850er Jahren spielten einmal zu 
Ingenheim ein Klarinettist und ein Pistonist. Die Tanzstube 
hatte keine Fenster, und es herrschte eine außergewöhnliche 
Kälte, so daß immer der eine Musikant sich die Hände wärmte, 
während der andere spielte. Und es ging auch. Auf dem Alt- 
eckendörfer Meßti sollte einmal in den lfc40er Jahren der Naz 
von Dottendorf mit noch einem Kameraden, einem Posaunen- 
bläser, spielen. Der Naz erschien allein. Man bestürmte ihn mit 
Frayen, wie es denn komme, daß sein Kamerad nicht da sei. 
Er fand allerlei Ausreden, sah selbst nach, kam wieder achsel- 
zuckend zurück usw. Schließlich sagle er : «Wir können einmal 
essen !» Als er gegessen hatte, meinte er: «Wir können einmal 
anfangen 1» Der Meßti wurde aufgezogen, der Naz mit seiner 
Geige an der Spitze. Als dann die Burschen ihre Maiden 
hatten, fragte niemand mehr nach der Musik. Der Tanz ging 



» Presbyterialprotokolle vom 14. Jan. 1738 und vom 6. Mai 1738 
im dortigen Pfarrarchiv. 



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prächtig, der Naz spielte den ganzen Meßti allein, strich jeden 
Tag schmunzelnd seine 60 Fr. ein und befestigte aufs Neue 
seinen Ruhm als hervorragender Geiger. 

Baß man auch ohne Musik tanzen kann, erscheint vielleicht 
unglaublich. Und doch geschah dies einmal am Anfang des 
18. Jahrhunderts zu Eckartsweiler, wo damals zwei Wirt- 
schaften einander gegenüber lagen. Die beiden Wirte hielten 
sich gemeinsam einen Klarinettisten. Zuerst spielte er in der 
einen Wirtschaft einige Takte, die sogleich von dem Getrampel 
der Holzschuhe übertönt wurden. Als dann der Tanz im Gange 
war, sprang er schnell in die andere Wirtschaft, um dasselbe 
Spiel zu wiederholen und nachher wieder auf den ersten Tanz- 
boden zurückzukehren und so fort. 

Die Musikanten hatten auf den ländlichen Tanzsälen viel- 
fach einen schlechten Stand. Gewöhnlich gab man ihnen einen 
Tisch, weniger für die Noten als für Flaschen und Gläser. Es 
war das Musikanlentischchep oder «es* Spielmetischb. Aber 
nur gar zu oft mußten sie in einer Ecke auf Bierfäßern, leeren 
Kisten oder Wellen oder auf dem Kreuzstock eines Fensters 
sitzen und wurden nicht selten von den Tänzern zusammen- 
gerannt. Gläser und Flaschen stellten sie einfach auf den 
Boden. Bisweilen war der Saal so niedrig, daß die Baßgeige 
überhaupt nicht gestellt, sondern mit einem Strick festgebunden 
werden mußte, um nicht auszugleiten. Und wenn in einer 
Scheune getanzt wurde, war es für sie lebensgefahrlich, auf 
der Gerüstleiter zum Heustock hinauf und wieder herabzu- 
klettern. 

Einen Dirigenten gab es bei ländlichen Musiken nicht. 
Waren sie unter sich einig, so sagte der Klarinettist oder der 
Geiger : «Alle hop !» Er sah sich in der Runde um und machte 
mit dem Instrument einige taktmäßige. Bewegungen, indem 
er zugleich die ersten Takte spielte. Die andern fielen dann 
ein. Waren aber mehrere führende Instrumente da, so gab 
es oft Streit, denn jeder wollte die Ehre des Vorspiels haben. 

Auch mit dem richtigen Spiel und Zusammenspiel haperte 
es manchmal. Oft waren die Blechinstrumente falsch gestimmt, 
und am Anfang der Meßtizeit hatten die Bläser wunde und 
blutige Lippen und spielten falsch. Nicht selten war die Baß- 
note den ganzen Meßti über falsch. In Wietersheim wurde 
einmal so entsetzlich falsch gespielt, daß der Pistonist den Augen- 
blick herankommen sah, wo er mit seinen Kollegen würde 
hinausgeworfen werden. In der Tat erschien plötzlich der Wirt. 
Aber er lächelte, drückte jedem Musikanten freundlich die 
Hand und sagte : «Man meint, daß ihr alle Tage spielt/so exakt 
gehts!» Und er holte zur Belohnung eine gute Flasche Wein. 



— 266 - 



Auf alle diese Ungehörigkeiten achlete der Bauer wenig. 
Die Tanzmusik auf dem Dorfe soll ja keine musikalische 
Leistung sein, und auf ländlichen Tanzboden kann man weder 
Harmonielehre lernen noch die Meisterwerke der Tonkunst 
hören. Wenn nur der Takt beobachtet und einigermaßen laut 
gespielt wurde, alles andere war nebensächlich. 

Früher tranken die Musikanten bloß Wein, gewöhnlich 
Zehner, d. h. den Liter für 10 Su, später 16 er, eine bessere 
Marke, in der Regel Roten. Der Zwanziger war schon guler 
Wolxheimer. Diese Sorte und den Oberländer «Stöpferle» 
(Flaschenwein) lieferte nicht der Wirt, sondern die Tanzburschen. 
Und die Musikanten wußten sie sich zu verschaffen, indem sie 
einfach so lange streikten, bis man ihnen (willfährig war. 
Die stolzen Dorfburschen der guten alten Zeit ließen sich aber 
nie lange bitten. Und so konnte es nicht fehlen, daß die 
Musikanten bald in die angeregteste Stimmung gerieten, ob- 
wohl sie als trinkfest bekannt sipd. Dann erschienen sie als 
eine malerische Ecke in dem heiteren Bilde der allgemeinen 
Weinseligkeit, und ihr Benehmen war eben so ungezwungen 
und natürlich, wie das der gesamten Meßtigemeinde. Sie 
setzten sich hemdärmelig hin, entfernten das Halstuch und 
öffneten den Kragen. Nicht selten stülpten sie die Hemdärmel 
hinauf und öffneten den ganzen Busen. Ländlich, sittlich ! Das 
harmonische Zusainmenspiel war bald erschwert, die einzelnen 
Musikanten spielten falsch, legten auch wohl ihr Instrument 
beiseite, wenn der Tanz im Gang war. Der eine oder der an- 
dere sang, statt zu spielen oder mischte sich unter die Tänzer. 
Die Augen wurden blöde, der Blick stumpfsinnig, und in den 
Tanzpausen neigle der oder jener seinen schweren Kopf und 
nickte sanft ein Manchmal wurde stundenlang nichts als 
Walzer gespielt, oft zwei oder drei Mal hintereinander dieselbe 
Melodie. Niemals wäre es einem Tänzer eingefallen, einem 
Musikanten den geringsten Vorwurf zu machen, und wenn der 
Takt zu verklingen drohte, halfen die Burschen durch Stampfen 
nach. Und alles verlief in ungetrübter Eintracht. Die Musi- 
kanten und die Burschen, vorab der Meßtibursch, hielten doch 
immer wieder treu zusammen, denn sie waren aufeinander an- 
gewiesen, und sie besiegelten das kameradschaftliche Einver- 
nehmen durch unzählige Flaschen. Gern ließen sich darum 
die Musikanten gewisse Spitznamen gefallen. So hießen zwei 
bekannte Spielleute der Lauterbacher und der Herr Stöpperle 
und ein Klarinetlist der Weidenhebel. 

Und eben so willig gaben sie sich in vorgerückter Stunde 
für allerhand Spaß her, zu allgemeiner Ergötzlichkeit, aber 
auch wieder zu ihrem eigenen Geldvorleil. So kam es oft 



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vor, daß Wein oder Bier in ein Blechinstrument gegossen 
wurde. Blies dann der Musikant hinein, so spritzte es nach 
allen Richtungen, und das Tanzvolk brach in ein unbändiges 
Gelächter ;ius. Schon harmloser war es, wenn man ein Stück 
Kuchen oder ein Küchel in ein Instrument steckte. Der Musi- 
kannt stellte sich natürlich so, als wenn er den Spaß vorher 
nicht gemerkt hätte. Allgemein bekannt ist der Witz mit 
dem Bogen der Posaune. Doch machte es jedesmal wieder 
Vergnügen, wenn ein besonders scherzhaft angelegter Bursche 
an den Posaunenbläser herantrat und sich mit möglichst 
dummem Gesicht anbot, ihm beim Herausziehen des Bogens 
behilflich sein zu dürfen. 

War einmal die Haupteinnahme des Tages verteilt, was 
bei der Anwesenheit eines weniger gewissenhaften Musikanten 
nicht ohne Streit vor sich ging, so fühlte sich das Musikvolk 
etwas freier. Einzelne Musikanten verschwanden dann unter 
allerlei Vorwänden oder auch sang- und klanglos. In den 
1840er Jahren ging es einmal zu lmbsheim folgendermaßen 
zu. Der unfähige Bassist nahm das Geld ein. Der eine Klari- 
nettist spielte noch ein wenig, dann machte er einen Rund- 
gang ins Dorf, wurde überall gut bewirtet und kam abends 
völlig betrunken und zum Spielen unfähig zurück. Der Geiger 
war bald bezecht, taumelte zur Hintertür hinaus und legte sich 
in eine Ackerfurche schlafen. Dort fand ihn am andern Morgen 
ein heimkehrender, fremder Bursche halb erfroren vor. Es 
blieben noch ein spiel- und trinkfester Pistonist und der zweite 
Klarinettist, der aber nur eine Polka spielen konnte. Diese 
beiden wackeren Blaser hielten die ganze Nacht aus und be- 
sorgten auch das «Aufstecken». Beschwert hat sich niemand, 
weder der Wirt noch die Tänzer. Die Musikanten waren so- 
gar noch kameradschaftlich genug, andern Tags die Mehr- 
einnahme mit ihren beiden ungetreuen Kollegen zu teilen. 

War der Beruf der Musikanten schon während des Tanzes 
kein leichter, so war ihr Leben nachher noch schwerer. Nur 
zu oft — wir müssen hier schon etwas vorgreifen — gelang 
es ihnen nicht, ihr ersehntes Ruhelager aufzusuchen. Vom 
Tanzhause weg wurden sie von den Burschen mitgeschleppt, 
uud diese ließen sie bis zum frühen Morgen im Dorfe herum 
vor den Häusern der verschiedenen Angebeteten nächtliche 
Serenaden spielen, bis dann eine andere Partei Burschen kam, 
die bereits geschlafen hatten, und die Rundreise im Dorf und 
in die Wirtshäuser fortsetzte. So kamen die Musikanten oft 
mehrere Tage aus dem Trinken nicht heraus und in den Schlaf 
nicht hinein, und die Vorsichtigen unter ihnen wußten wohl, 
weshalb sie ihre Schlafstätten geheim hielten. 



- 268 - 



Eine hübsche Leistung vollführte auch der unter dem 
Namen «der Martin von Geudertheimn bekannte Weber, 
Hänfer, Musikant und Zeichenkünstler 1 Martin Lorentz, der 
zugleich Lehrer in Bietlenheim war. In den 1850er Jahren 
spielte er auf dem Alteckendörfer Meßti den Sonntag und die 
ganze Nacht hindurch. Am Montag ging er zu Fuß nach dem 
18 km entfernten Bietlenheim, um bei einer Beerdigung zu 
singen, kam dann wieder zurück, spielte am Montag die ganze 
Nacht und noch Dienstag Tag und Nacht durch, ohne ein Bett 
zu sehen. 

Zu was sich die Musikanten manchmal hergeben mußten, 
beweist ein Vorkommnis auf dem Hochfelder Meßti aus den 
1850er Jahren. Die Burschen verkleideten sie teils als Dudel- 
sackpfeifer, teils als Bären, und so zog die Gesellschaft den 
ganzen Meßti-Dienstag von Wirtschaft zu Wirtschaft. Die Baren 
mußten brüllen und bekamen aus Krippen zu fressen und zu 
saufen, und das Meßtivolk tanzte beim Klang einer gedämpften 
Geige und einer Oboe. 

Endlich noch ein Beispiel, das uns lehrt, wie die Musi- 
kanten ihren Vorteil wahrzunehmen wußten. In Dunzenheim 
lebte in den 1860er Jahren ein alter Soldat, der 14 Jahre bei 
den Carabiniers gedient hatte. Als nun die Musikanten am 
zweiten Meßtitage den Rundgang durchs Dorf machten, bließ 
der Pistonist «zum Satteln». Jener Alte kam sofort begeistert 
heraus und nahm die Musikanten zu sich. Alle Militärsignale 
wurden durchgeblasen, manches Erlebnis aus der Soldatenzeit 
aufgefrischt und dabei manches Krügel Wein geleert. Und am 
Abend kam der alte Carabinier auf den Tanz und tanzte unter 
allgemeinem Jubel «drei allein». 

Das Musikantenhandwerk war besonders unter Napoleon III. 
sehr einträglich. Jene Zeit war ja für den elsässischen Bauern 
eine Zeit des Wohlstandes, wo viel Geld unter den Leuten 
war, und an die noch mancher Musikant mit Wehmut zurück» 
denkt, der durch sein Instrument zum wohlhabenden Manne 
wurde. War der Meßti gut besucht, so lebten die Musikanten 
nicht nur wie die Vögel im Hanfsamen, sondern sie kamen 
mit gefüllten Taschen nach Hause, 50—70—100 fr. auf den 
Mann. Naturgemäß wurden die Wirte ihrer allmählich über- 
drüssig, denn die Zehrkosten der Musikanten pflegten nicht 
gering zu sein. 

Der Volkswitz drückt die Stimmung des Wirtes sehr zu- 
treffend wie folgt aus. Der Wirt empfangt die ankommenden 
Musikanten: «Sin ihr do, ihr Herre? Mer han schon lang uf 



1 Vgl. Kassel in Band XXI dieses Jahrbuchs, S. 278f. 



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i (euch) gewart. Jetz komme numme, sitzen an, mer han i 
e guets Esse gerüsl». Am zweiten Tag sagt der Wirt zu 
seiner Frau : «Krau, gib dene Müsikante ze-n-esse, daß se-n-uf 
d'Tanzstub komme». Am dritten Tag waren es «die Männer 
do», das Essen mußten sie schon verlangen. Am vierten Tag 
fuhr sie der Wirt an: «Was dürmeln ihr als noch do herum? 
Mache, daß ihr fortkomme, ihr Lumpe, mit euerem Gedudels. 
Ich hab e Kopf wie e Sester so dick 1» Zu essen bekamen sie 
überhaupt nichts mehr. Doch tat dieser unglimpfliche Abschluß 
der Freundschaft keinen Abbruch, im nächsten Jahre waren 
beide Parleien froh, wenn sie wieder zusammenkamen. 

Bei schlechtem Wetter machten aber die Musikanten 
schlechte Geschäfte. Sie gingen mit leeren Taschen von dannen 
und trösteten sich oft einen ganzen Tag lang in anderen Dörfern, 
so daß sie schließlich noch von ihrem Geld zusetzen mußten. 

Noch sind diese biederen, der Poesie nicht entbehrenden 
Dorfmusikanten nicht ausgestorben, und mancher Wirt sähe es 
als eine Schande an, sie zu verstoßen. Doch immer mehr wird 
ihnen eine tötliche Konkurrenz durch die Militärmusiker ge- 
macht, die der Wirt einfach durch Postkarte bestellt, und die 
allerdings eine tadellose Musik liefern. Bei einem kleinen und 
verkümmerten Meßti genügt aber ein Spengler mit einer Zieh- 
harmonika oder — ein Zigeuner mit seiner Geige. Der Zigeuner 
ist zwar billiger und hat auch den Vorzug der Nüchternheit, 
dafür füllen aber seine im Meßtigewoge auftauchenden zahl- 
reichen Stammesgenossen ihre Taschen um so gründlicher. 

Die Musikweisen. Besonderes über die Tänze. 

Das Landvolk legte früher kein großes Gewicht auf ausge- 
wählte Melodien. Die Musik war ihm auch in ihrer einfach- 
sten Art anziehend und willkommen. Natürlich hing es be- 
sonders an seinen Lieblingsweisen und verlangte von den 
Musikanten, daß diese vorzugsweise «aufgemacht» oder «her- 
untergemeißelt» wurden. 

Wir haben schon öfters die Serenade erwähnt. Unter 
einer Serenade, in der Mundart «Sernäd», versteht man ein 
Ständchen, das zur Ehrung bei verschiedenen Gelegenheiten 
gespielt wird. Im Kreise Weißenburg nennt man es Leib- 
stückel, in Lothringen Ambard (vom frz. aubade, Morgenständ- 
chen, nicht von frz. ä part und nicht von ahd. ambacht = Amt). 
Die Serenade steht namentlich bei älteren Leuten in hohem 
Ansehen. Sie besteht aus einem langsamen, getragenen Teil 
und aus einem schnellen Teil. Letzterer ist in der Regel ein 
SaU im *| 4 - oder «f 8 -Takt. Ersterer besteht meistens aus einem 



— 27U — 

Volkslied, einer «Arie» religiösen oder ernsten Inhalts. Be- 
sonderer Beliebtheit erfreut sich ein als «Apfelgrüner Marsch» 
bekanntes geistliches Volkslied. 1 Da die Serenaden vielfach 
aufgezeichnet wurden, so sind uns in alten Musikbüchern die 
Weisen zahlreicher Volkslieder erhalten. 

Die Melodien der Tänze haben die alten Musikanten zum 
Teil selber komponiert. Ein bekannter Komponist war der 
alte Johann Schnepp aus Mühlhausen y dessen I^ndler noch 
jetzt bis nach Bläsheim hin als «Schneppenwalzer» hie und Ha 
gespielt werden. Nicht selten aber schrieben sie aus einem 
gedruckten Musikhefte, namentlich von einer französischen 
Militärmusik ab und gaben dies dann als eigenes Erzeugnis aus. 
Bisweilen wurden sie von mißtrauischen Kameraden beim Pla- 
giat erwischt, oder sie gestanden es selber in einer schwachen 
Stunde. Solche angeblich neue Sachen wurden freiweg mit 
einem kühnen Namen belegt, und so entstanden eine Reihe von 
«Kochersbergern», der Dunzenheimer Walzer, der Marie-Louise- 
Walzer (der Karneval von Venedig) und viele andere. Femer 
schrieben die Musikanten auch von einander ab, und hierbei 
wurde manches verändert, genau wie beim Texte der Volks- 
lieder. Andererseits bekamen bekannte Tänze einen volkstüm- 
lichen Text, oft unsittlicher Art untergeschoben und wurden 
dann unter diesem Namen bekannt. So heißt der bekannte 
Walzer «0 du mein himmlisches Kind» nach einem Vorkomm- 
nis auf dem Meßti zu Obermodern («0 wann ich numme 
s'Lämmer-Mejl 8 hält'») allgemein der «Lämmer-Mejl-Walzer». 
Leider wurden viele Musikalien im Nachlaß verstorbener Musi- 
kanten von den Hinterbliebenen nicht genug gewürdigt, son- 
dern verschleudert und verbrannt 

Was nun das Tanzen selbst betrifft, so kannte man auf 
dem Lande bis in die 1840er Jahre von Rundtänzen bloß den 
Walzer und den Hoppler. 

Der Walzer war von jeher, wohl seit Jahrhunderten, der 
beliebteste Tanz. Noch heute wird er auf dem Dorf mit un- 
übertrefflicher Anmut getanzt. Die Tänzer schwelgen förmlich 
in den wonnigen Gefühlen der Liebe. In der Regel spielte man 
*2 Walzer und t Hoppler, oft wurde aber auch stundenlang 
bloß Walzer getanzt. Der Ländler 3 hatte im Elsaß bloß eine 

1 Der Name kommt wahrscheinlich vom Regiment Appelgrehn, 
das 1740 in Straßburg lag uud seinen Werbeplatz im Elsaß hatte. 
Oberstleutnant Peter Appelgrehn, ein Schwede, befehligte es von 
1734 — 1742. Text und Melodie sind vom Verf. in Nr. 1 (1907), S. 11 
der Els.-lothr. Gesang- und Musikzeitung veröffentlicht. — 2 Die 
Maria Lämmer. — * Vgl. auch; Kassel, Der Ländler im Elsaß 
in Nr. 6, S. Iii) ff. der Els.-lothr Gesang- und Musikzeitung, mit 
Notenbeispielen. 



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musikalische Bedeutung. Man verstand darunter einen Walzer 
mit verschnörkelter Tonfolge nach Art des Jodlers. Er blähte 
von 1810 bis etwa 1860. Sein Tanzschritt war eher schneller 
als der des Walzers, während der im nördlichen Unterelsaß 
noch in den 1860er Jahren vielfach übliche c bayerische Dre- 
her» langsamer getanzt wurde. Eine besondere Art des Wal- 
zerschrittes besteht darin, daß das Paar, ohne sich zu drehen, 
auf die 3. Note des 2. und die 1. Note des 3. Taktes, dann 
auf die 3. Note des 4. und die 1. Note des 5. Taktes usw. 
zwei Schritte nach vorwärts macht. Man tanzt diese Art, um 
sich auszuruhen, während höchstens eines Satzes mit Wieder- 
holung. 

Der Walzer wurde, soweit sich durch mündliche Ueber- 
lieferung feststellen läßt, in der '2. Hälfte des 18. Jahrhun- 
derts und am Anfang des 19. Jahrhunderts als «Ringeltanz» 
ausgeführt. Der Bursche faßte mit seiner Rechten die Linke 
des Maide und hob sie in die Höhe. Beide Tänzer wiegten 
den Körper mit großer Anmut seitlich in verschiedene Lagen, 
indem die Knie, das Gesäß und die Schultern fortwährend ihre 
Stellung wechselten. Zugleich drehte sich jeder der beiden 
Tänzer um die hochgehobenen Hände im Kreise herum. Die 
Kenner des alten Ringeltanzes sind sich darin einig, daß die 
persönliche Tanzkunst dabei mehr zur Geltung kam, als beim 
Tanz durch Anfassen. Letzterer kam in den Landgemeinden 
in den 1830er und 1841er Jahren auf. Der Ringeltanz ver- 
schwand aber erst Ende der 1850er Jahre vollständig. Nur in 
Hunspach y Ingolsheim und Umgegend wird noch hie und da 
das «Schlüpfte» (Verkleinerungswort des Zeitworts schlupfe = 
schlüpfen) getanzt. Zuerst tanzt das Maide einen Ringeltanz 
um den Burschen herum. Dann faßt es ihn an seinem hoch- 
erhobenen Zeigefinger und tanzt den Ringeltanz unter dessen 
Arm immer weiter, während der Bursche im Tanzschritt ge- 
radeaus geht. Jeder Tanz, nicht allein der Walzer, kann ge- 
schlüpfelt werden. 

Der Hoppler (hoppeln = springen), in Ittenheim und Um- 
gegend Springer, im Kochersberg Hopser genannt, war ein 
Galopp. Er verkörperte die überschäumende Fröhlichkeit und 
Ausgelassenheit des Tanzvolkes und war daher eher Sache 
der übermütigen Burschen, während die Maiden mehr am 
Walzer Wohlgefallen fanden. Er wurde mit Anfassen getanzt. 
Der «Hoppeltanz» war schon im 13. und 14. Jahrhundert 
bekannt, zwei Tänze dieser Art hießen Hoppelrei und Hop- 
paldei.i 



1 Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland, I, 257. 



— 272 - 



Bei diesen allen Tänzen ging die Musik immer in dem- 
selben Ton weiter, gewöhnlich waren es bloß zwei Sülze. 

Ende der 1840er Jahre kam auf dem Lande die Polka (in 
der Mundart : der Polka) auf, die sich kurz vorher in der 
Stadt eingebürgert hatte. Anfangs wollte sie den Bauern gar 
nicht behagen, man sagte ihr sogar nach, daß von ihr als 
Strafe des Himmels die Cholera uud die KartofTelkrankheit 
herrühren.» Es erregte ungeheures Aufsehen, als anfangs 
der 1850er Jahre auf dem Hochfelder Meßti von einer Straß- 
burger Musikgesellschatt unter Leitung des Instrumentenmachers 
Roth zum ersten Mal Polka gespielt und dazu getanzt wurde. 
Noch heule lebt in Schwindratzheim ein Schneider, der da- 
mals den jungen Mädchen Polkastunden gab, und der den Bei- 
namen der Polkaschneider behalten hat. Mehrere elsässische 
Volkslieder besingen auch die Polka. Nach Einführung der Polka 
kam der Hoppler allmählich ab und ist heute ganz vergessen. 

Etwas später als die Polka trat die Mazurka auf, im Volks- 
mund anfangs Masüriana, Marsivienne und Marseillena, heute 
Masürkä genannt. Es folgte der Schottisch oder deutsche Polka 
(Rheinländer), wahrend die Polka «der französische Polka» 
hieß. Doch nannten die französischen Musikbücher die Polka 
umgekehrt «Allemande», und so sind die ältesten Polkatänze 
auch in elsässischen Notenheflen bezeichnet. Der Schottisch 
wird heute auch so gelanzt, daß auf jede Viertelsnole eine halbe 
Kreisdrehung kommt. Diese schwindelerregende Geschwindigkeit 
hält man aber nicht lange aus. 

Das Menneweh (Menuett) und der Wissewie (vis-ä-vis) 
scheinen in den 1840 er Jahren nur vorübergehende Bedeutung 
gehabt zu haben. Wahrscheinlich beruhten sie bloß auf dem 
Bestreben, irgend einen willkürlichen Tanzschritt mit einem 
stadtmodischen Namen zu benennen. Das Menuett soll ein 
wilder Tanz gewesen sein. Auch der Kochersberger, der Ins 
um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kochersbergeria nd ge- 
tanzt würde, soll ein wilder und zugleich anmutiger Tanz ge- 
wesen sein, der an die Tanzkunst große Anforderungen stellte. 
Am Anfang des lt). Jahrhunderts scheinen auch Dreier- und 
Vierertänze im Hopplertempo üblich gewesen zu sein. So 
wurden in Fürdenheim um 1810 Ringeltänze zu 3 und 4 ge- 
tanzt, bis einmal 182t ein Maide infolge allzu tollen Tanzens 
auf dem Meßti tot umliel. Ende der 1850er Jahre wurde zu 
Scfnvindraizheim russisch und walachisch getanzt. Es waren 
jedenfalls scherzhafte Tänze im Anschluß an den Krimkrieg. 

Die Singtänze, Tanzlieder und Tanzreime, Gesellschafis- 



1 Stober, Der Kochersberg. S. 49. 



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— 273 — 



spiele und Kunstslücke, ferner die leichtbeschwingten Reime- 
reien der vorgerückten Stunde, behalten wir einer besonderen 
Veröffentlichung vor, die letzteren jedenfalls in Verbindung mit 
dem Volkslied, von dem sie sich nicht leicht scheiden lassen. 
Obwohl es sich auf diesem Gebiet bloß noch um Trümmer 
handelt, ist es doch noch recht ansehnlich. 

Die Tänze sind heutzutage dieselben wie die allgemein 
üblichen. Die Tanzfolge bestimmt der Meßtibursch oder die 
Musik selbst. 

Beim Anfassen der Paare in der jetzt allgemein üblichen 
Weise gilt als Regel, daß das Maide möglichst innig und fest 
umschlungen wird. Jeder Tänzer tut dies, wie es ihm paßt, 
so daß man von einer einheitlichen Haltung nicht sprechen 
kann. Entweder umfängt der Bursche das Maide mit beiden 
Armen und oft mit fest zusammengefalteten Händen hinten um 
die Taille, während das Maide beide Hände von seitwärts auf 
die Schultern des Burschen legt. Oder beide legen sich gegen- 
seitig die im Ellbogen gebeugten Vorderarme seitlich an die 
Oberarme oder hinten auf beide Schulterblätter oder seit- 
lich unter den Armen an den Brustkorb. In dieser letzteren 
Stellung ist es dem Burschen möglich, das Maide während 
des Tanzes in die Höhe zu heben. Neben diesen Arten des 
Tanzens ist auch die allgemein gebräuchliche Haltung üblich, 
wobei nicht selten, die Arme in außergewöhnlicher Weise in 
die Höhe oder seitlich hinausgestreckt werden oder die Tänzerin 
ihren linken Arm dem Burschen fest um den Hals schlingt. 
Als besondere Geschicklichkeit gilt es, «links herum» zu tanzen. 

Was die neuzeitlichen Tanzweisen betrifft, so werden sie 
von den Alten vielfach verachtet: die Tänze waren früher 
schöner und besser, die Stadtmusikanten können nichts, und 
was sie spielen, ist eine Leier. Aber das junge, durch die 
Stadtmode angesteckte Landvolk verlangt schon die neueren 
Tänze und Gassenhauer und singt kräftig mit, und wenn heut- 
zutage eine Musik die «lustige Witwe» nicht spielen kann, so 
gilt sie ihm als rückständig. 

Der Zuckerstand. Die Lebkuchen. 

Von besonderer Bedeutung ist von Alters her der Zucker- 
stand oder der Lebkuchenstand. Es ist eine Krambude oder 
auch ein einfacher Tisch, wo man die gewöhnlichen Süßigkeiten 
kaufen kann, Zuckerstängel, Krachmandeln und Schokolade für 
die Kinder, «Pappeljuten» (frz. papillotes) und Lebkuchen für 
die Maiden. Seit dem Vordringen des neuzeitlichen Meßti mit 
seinen Buden auch ins kleinste Dorf hat der früher so bedeut- 

18 



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— 274 — 

same Zuckerstand seine Wichtigkeit eingebüßt. Der alte Bauern- 
meßti hatte bloß den einen Zuckerstandy der entweder auf der 
Straße oder im Hof, in der Scheune, unter der Durchfuhre 
aufgeschlagen wurde und zur Zuständigkeit des Meßtiburschen 
gehörte. Er ließ die Lebkuchen im Dorfe selbst oder auswärts 
backen, oft einen ganzen Bennenwagen voll. Sie waren nicht 
verzuckert, meistens rund, hatten etwa 12 cm im Durchmesser 
und in der Mitte eine geschälte Mandel. Das Stück kostete, den 
Meßtiburschen 1 Su, er bekam aber 14 oder 15 ins Dutzend 
und verkaufte es für 1 Mark, früher 1 fr. Oft wurden große 
Mengen Lebkuchen abgesetzt, bei schlechtem Wetter und 
schwacher Beteiligung blieben aber dem Meßtiburschen viele 
übrig, die er dann im Dorf zu verkaufen suchte. So kaufte 
1902 der Griesbacher Meßlibursch 72 Dutzend in Wörth, 1895 
fingen in Ringendorf 157 Dutzend ab, utfd in Alteckendorf 
•Verden noch heute nicht selten bis 200 Dutzend vertrieben. 

Die Lebkuchen sind ein Leckerhissen für den Bauern, sie 
dienen aber auch dutzendweise als Geschenk für die Tanz- 
maiden. Ein solches Geschenk wird z. B. von einem Fremden, 
auch von einem eingeladenen Städler für die Töchter des Hauses 
erwartet. Als besonders sinniges Geschenk wird der Tänzerin 
ein Herzlebkuchen verehrt. Das ist ein Lebkuchen in Herz- 
form mit einem Mädchenbilde oder Blumen und dazu passen- 
dem Spruch. 

Die Papilloten, etwa handtellergroße Stücke Malzzucker 
oder Karamel, waren früher sehr beliebt. Der Bursche kaufte 
zwischen zwei Tänzen seinem Maide eine Papillote und sonstiges 
«Zuckerdings», damit sie «süßer lugt». Die Papillote war in 
Goldpapier eingewickelt und hatte ebenfalls einen sinnigen 
Reimspruch. Das Maide ließ den Spruch des Lebkuchens oder 
der Papillote einrahmen und hängte das Bild in seinem Schlaf- 
zimmer unter dem Spiegel auf. Noch heute gehören solche 
Sprüche aus den 1850 er und 1860 er Jahren zu den sorgfaltig 
gehüteten Andenken an die goldene Jugendzeit. Da sie schon 
seit mehreren Jahrzehnten immer seltener werden, mögen hier 
zwei Sprüche aus dem Jahre 1845 Platz finden. Von einer Pa- 
pillote, in einem Blumenkranz in Herzform : 

Andenken. 

Im Herzen will ich Dir ein Denkmal bauen, 
Du aber schenke mir stets Dein Vertrauen ! 
Du bist nun ewig mein, nichts soll uns trennen, 
Wirst Du mich nur allein als liebend nennen. 

Von einem Herzlebkuchen, unter einem Mädchen in 
städtischer Tracht : 



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Marie. 

Ach, dahin sind alle meine Freuden, 
Wenn ich jemals Dich verlassen muß. 
Nein, das Schicksal darf uns niemals scheiden, 
Denn das Herz bricht mir der Scheidekuß. 

Spiele. Preiskegeln und Preisschießen. 
Lotterien. Wettläufe. Kinaerbelustigungen. 

Es ist bekannt, daß der elsässische Landmann eine be- 
sondere Schwäche für das Glücksspiel, für Lotterien, Versteige- 
rungen und Wetlen hat und sich dabei nicht selten stark auf- 
regt. Unzählig sind in alter Zeit die Verordnungen, die sich 
gegen die Spielwut richten, und wir dürfen auch wohl an- 
nehmen, daß gerade am Meßti das Spiel in erheblichem Um- 
fange betrieben wurde. Welche Spiele und wie sie am Meßti 
gespielt wurden, darüber Hießen die Quellen recht spärlich. 

1414 spielte man auf der Johannismesse zu Straßburg i in 
einem besonders dazu eingerichteten Hause «den heißen Stein». 
Ferner war erlaubt zu «waben», im Brett (Tricktrack) und mit 
Karten zu spielen. 1558 ist auf dem Zaberner Meßtag 8 das 
«Lustlinsspiel mit Bocken oder anderem Würfelspiel» als ver- 
boten bezeichnet, erlaubt waren das Brettspiel, «Bauern, Eins 
und Hundert, Flüssen». 1592 finden wir dort «das groß über 
Pfenning und Kreuzer Spill» und 1724 «das Karten- und 
Würfelspiel, über Pfenning und Kreuzer». 1655 waren in Borsch* 
«ein Brett mit 12 bleiernen Kugeln» und «ein Brett mit 12 
Zahlpfenningen» erlaubt. 1737 wurden in Alteckendorf* Würfel- 
und andere Spiele gehalten. Welches diese Spiele waren, ist 
leider nicht gesagt. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts 
scheint das Würfelspiel am Meßti die Oberhand unter den Spielen 
gewonnen zu haben. In einem Dekret der hanauischen Re- 
gierung vom 15. Juni 1740» heißt es das teuflische Würfel- 
spiel, während das Kartenspiel bloß sündig und das Kegelspiel 
ärgerlich und unschicklich ist. Im Gegensatz zu dieser von 
religiösem Geiste geleiteten Regierung beschützte die bischöfliche 
Stadt Zabern das Spiel, indem sie schon im 17. Jahrhundert 
den Meßtaghütern vorschrieb, daß sie «3 Bäsch gute gleichlinge 
Würfel» zu halten haben.« 



1 Strobel, Vaterländische Geschichte des Elsaß. Straßburg, 
Schmidt u. Grucker, 1843. B. III, S. 103. — * Adam, Der 
Zaberner JIeßtag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 42, — 3 Ratsprotokolle 
inj dortigen Gemeindearchiv. — 4 Presbyterialprotokoll vom ö. Nov. 
1737 im dortigen Pfarrarchiv. — 5 Pfarrarchiv von Schicindrateheim. 
- 6 Ada m, a. a. 0.. S. 30. 



— 276 — 



Mit Würfeln wurde vor allem um Geld gespielt, und zwar 
geschah dies in Wannen, die zuerst 1528 in Zahern, 1 dann 
1602 und 1614 in Borsch, * wo sie verboten wurden, 1638 und 
1639 in Zabern* und 1737 in Alteckendorf 8 erwähnt sind. Bis 
in die 1870 er Jahre würfelte man allgemein auf dem ländli- 
chen Meßti. Als starke Würfeldörfer waren bekannt: Preusch- 
dorf, Schwabweiler, Walburg, Griesbach, Schweig hausen, 
Weyer sheim y * Wüwisheim, Kilstett, Wanzenau, Reilweiler, 
Klingenthal, Grendelbnich, St. Louh (Kanton Pfalzburg) uqd 
St. Johann- Kurzerode. Sie wurden von weither besucht, Reit- 
weiler /.. B. bis von Erstein. Da spielte man oft ganze Nächte 
hindurch. Die Wannen — zwei und mehr — standen im Hof, 
in der Scheune oder unter einem Schuppen. Nicht selten 
spielte man aber auch auf einem Tisch in einein Nebenzimmer 
oder in einem Privathaus, besonders im Hause des Steigerers. 
Auch Maiden und Frauen beteiligten sich an dem Spiel. In 
der letzten Zeit seines Bestehens wurde es, wie folgt, gespielt. 

Man würfelte zu zweien mit drei Würfeln über 11 und 
unter 11. Der eine sagte «über 11», der andere «ich halts» 
oder «'s gilt!» Der Einsatz, der bar auf die Wanne gesetzt 
wurde, betrug 1 — 20 Franken oder Mark. Davon hatte der 
Meßtibursch 10 o/ 0 , «vom Franken e Grosche», später «vom 
Marik e Nickel», die er sofort abzog. Wurde 11 geworfen, 
so strich der Meßtibursch den ganzen Einsatz ein : die beiden 
Spieler hatten «geschollert» («schollern» — zu «schalten», 
schieben). Oft spielten die Zuschauer mit, indem sie offen 
oder heimlich auf Treffer oder Verlierer wetteten. In diesem 
Fall, der dem Zehnten nicht unterworfen war, kam der Meßti- 
bursch um seinen Gewinn. Wenn einer verlor, sagte er 
manchmal «Paroli !», dann gings ums doppelte. Und wenn 
er so mehrere Male hintereinander verloren hatte, war er oft 
in kürzester Zeit ausgeplündert. Ein flotter Bursche tröstete 
sich dann mit den Worten : Ob man das Geld so oder so aus- 
gibt, fort geht es doch ! Von dem bedeutsamen Ausdruck 
«Paroli», der schon so manchen Spiel-Hansrnichel ins Unglück 
gestürzt hat, bekam , in manchen Dörfern, besonders in Loth- 
ringen, das ganze Spiel seinen Namen. Es wurde gewöhnlich 
mit großer Leidenschaft gespielt, und der Alkohol trug das 
seinige zur Erhöhung der Spielwut, leider auch oft zum Betrug 



i Adam, a. a. 0., S. 4t. — « Ratsprotokollc im dortigen Gc- 
mcindcarchiv. — s Presbyterialprotokoll vom ö. Nov. 1737 im dor- 
tigen Pfarrarchiv. — * Schon 147« wurde der Weber Mathias von 
Weyersheim ans Halseisen gestellt und dann mit Ruten zu Straßburg 
hinausgepeitscht, weil er am Karfreitag um .Geld gewürfelt hatte 
(Notiz, der «Straßburger Post». Nr. 112« von 1906). 



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bei. Versessene Spieler, die gewöhnlich nicht zu den Klügsten 
gehören, hielten mitunter die ganze Nacht aus, ohne einen 
Schluck zu trinken oder einen Bissen zu essen. Da gingen 
oft große Summen, manchmal mehrere hundert Franken ver- 
loren, freilich war früher auch mehr Geld unter den Leuten. 

Der Ertrag des Würfelspiels war für den Meßtisteigerer 
bezw. den Meßtiburschen eine bedeutende Einnahme, und 
es lohnte sich für ihn sehr wohl, einen vertrauten Freund mit 
seiner Vertretung bei den Wannen zu beauftragen. Niemand 
außer dem Steigerer hatte das Recht, Spiele zu halten. Auf 
dem allen Hochfelder Meßtag mußte der Uebertreter dieser 
Vorschrift dem Steigerer seinen Verlust ersetzen, und der 
Steigerer durfte den Verlust selber angeben. 1 Auf dem alten 
Zaberner Meßtag (1741) fiel der Erlös des Würfelspiels an die 
Meßtagshüter.* 

Anfangs der 1870er Jahre wurde das Würfelspiel um Geld 
durch die Polizei unterdrückt. Zuerst sahen die Gendarmen, 
weil es tief eingewurzelter Brauch war, durch die Finger, aber 
später wurde das Verbot streng durchgeführt. Die Wirte und 
die Gemeinden bedauerten es sehr, denn das Würfeln in 
Wannen übte slets eine große Anziehungskraft auf die Fremden 
aus. Am meisten aber wurde der Meßlibursch geschädigt, der 
nicht seilen seine Taschen füllte. So gab z. B. der Heilweiler 
Meßtibursch einmal in der Meßti - Sonntagnacht der Wirtin 
500 fr. zum Aufheben, weil er fürchtete, daß sie ihm wieder 
abgenommen würden. 

Von diesem Spiel um Geld ist das harmlose Würfeln 
um Geschirr wohl zu unterscheiden. W T ir sind ihm bereit» an 
den Spielsonntagen vor dem Feste begegnet. Schon 1766 ließ 
der Meßlagsbursche von Übermodern 3 Teller ausspielen. In 
der Regel warf man um weiße Teller und Krügeln oder um 
eine Suppenschüssel, in letzter Zeit auch um Glasgeschirr, in 
Bläsheim um ein seidenes Halstuch. Gemeinsam mit dem 
Geschirr oder an getrennten Tagen wurden auch Lebkuchen 
herausgewürfelt, besonders südlich der Breusch, und zwar 
einzeln oder dutzendweise, auch Herzlebkuchen. Wenn der 
Tanz im Gang ist, macht der Meßtibursch oder sein Vertreter, 
so lange es hell ist, mit einem Krügel in der Hand einen 
Rundgang im ganzen Tanzhaus, insbesondere auch in den 
Kammern, von Tisch zu Tisch, oft auch im Hof und selbst 
auf der Straße. Er schüttelt das Krügel, daß die Würfel da- 



1 Gemeinderatsprotokoll vom 14. Fructidor XI (= 'M. August 
1803). — 2 Ad am, a. a. 0 , S 41. — » Presbyterialprotokoll vom 
22. Febr. 1767 im dortigen Pfarrarchiv. 



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— 278 — 



rin rappeln, und den Spielern ist diese Aufforderung wohl 
bekannt. Das Spiel geht vonstatten, wenn sich ein ganzer 
Tisch, 4—8 Personen beteiligen. Der Einsatz ist 4—10 Pf., 
die höchste Nummer oder der höchste Pasch gewinnt. Der 
Gewinner bekommt einen großen Lebkuchen oder einen «Bon» 
aus Blech und dann für mehrere Bons ein Stück Geschirr. 
Sowohl die Lebkuchen als das Geschirr wurden den Maiden 
geschenkt. Wer Geschirr gewinnt, bezahlt in manchen Dörfern 
des Kirwegebiets einen Teller voll «Hirzhörnle» für die Kame- 
raden desselben Tisches. Der Kirwebursch liefert sie für 60 Pf. 
Ist der Gewinner ein verheirateter Mann, so übt er solche 
Freigebigkeit nicht. 

In Zellweiler würfelt die Jugend um Kuchen und Bretzeln, 
früher um Kugelhopf und um gebratene Würste, eine dortige 
Besonderheit. 

Bisweilen wird das Würfeln um Geschirr noch mehrere 
Sonntage fortgesetzt. Heute ist es fast allenthalben in Abgang 
geraten. Streit und Aufregung mögen nicht zum geringen Teil 
daran schuld sein. Nur in einem Streifen Land am Westrande 
unseres Gebiets, dessen Grenzen im vorletzten Abschnitt ange- 
geben werden sollen, wird das Hecht, «um Kuchen und um Ge- 
schirr zu spielen», versteigert, und es herrscht dort ein großer 
Betrieb. Lebkuchen und Geschirr werden teils in den Wirt- 
schaften, teils an einem SUnd herausgewürfelt, und der Bür- 
germeister gibt noch einen 3. Spieltag zu, wenn die Gegen- 
stände in *2 Tagen keinen Absatz fanden. Mancherorts, so in 
Binsheim und Oberhaslach, haben die Conscrits das Recht, 
Lebkuchen auswürfeln zu lassen, und sie gehen dann zu je 
zweien mit Sträußen und Bändern am Hut in den Wirtschaften 
herum. 

Das Kegelspiel ist, heutzutage wenigstens, lothringische 
Eigenart. Es wird entweder um Geld oder um einen Gegen- 
stand gespielt : Hammel (Hommert) y Hahn (Hommert, St. Louis 
bei Saarburg), Hase, Kaninchen, Gans, Unterjacke, Foulard. In 
Walscheid pflegt man das «kleine Kegelspiel» auf der schiefen 
Ebene. Die Spieler müssen an den Unternehmer für jede Partie 
etwas zahlen. In früherer Zeit wurde zu Zabern eifrig geke- 
gelt. 1750 ersuchten die Meßtagshüter den Stadtrat, zwei Kegel- 
buben anzustellen, «damit kein Unglück geschehe, daß man 
den Spielern oder Meßtaghütern schier die Beine entzwei ge- 
worfen.» 1 Noch 1849 wurde dort ein Hammel herausgekegelt,* 
desgleichen in Pfaffenhofen vor 1870. Das Preiskegeln in 

» Adam. a. a. 0., S. :V2. — 2 Klein. Saverne et ses environs. 
^trasboursr. Silbcrmaun. 1S4;>. p. 22b. 



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— 279 — 



Grüneberg (1900), Königshofen und Musau (1004) hat keine 
silten mäßige Bedeutung. 

Ebeufalls ' in Lothringen, besonders in der Dagsburger 
Gegend, war das Preisschießen üblich, gewöhnlich um einen 
Hammel. Es kam aber allmählich ab, da die polizeilichen Vor- 
schriften über die Beschaffenheit des Schießstandes nicht er- 
füllt werden konnten. Zuletzt wurde wohl 1904 in St. Louis 
(Kr. Saarburg) geschossen. Im Elsaß gab es ebenfalls hie und 
da aus Anlaß des Meßti ein Scheibenschießen, so öfters in 
Klingenthal um einen Hammel, ein Gewehr oder eine Uhr, in 
Dorlislieim um ein Weinfaß, in Wisch und in den 1840er 
Jahren wiederholt zu Schwindratzheim um einen Hammel. 
Bis in die 1860er Jahre schoß man vielfach um die Wette 
nach einer hölzernen Ente auf der Spitze des Meßtibaums. 

Weltläufe von Männern und Frauen um Halstücher oder 
Taschentücher wurden bis 1870 vielfach veranstaltet, nament- 
lich in Grafensladen und Halten. 

Von volkstümlichen Glücksspielen hat das Messerspiel in 
Lothringen die größte Verbreitung gefunden. Mit Rücksicht 
auf die ausgedehnten Fleischsch mausereien in der dortigen 
Gegend ist ein gutes Messer, das der Bauer bekanntlich bei 
sich trägt, besonders dienlich. So kam alljährlich auch ein 
Messerschmied aus dem krummen Elsaß auf den Dossenheimer 
Meßti, um in der Nähe des Tanzhauses seinen Stand aufzu- 
schlagen. Der Spielhalter läßt in hohlen Zäpfchen verborgene, 
zusammengerollte Spielkarten aus einem Sack ziehen. Auf 50 
leere Karten kommen 12 Bilder. Das Bild gewinnt, und die 
Qualität des Messers ist nach der Reihenfolge König, Dame, 
Bube verschieden. Gewöhnlich kostet dreimaliges Ziehen 50 Pf., 
8 maliges 1 M. In gleicher Weise wird auch hie und da um 
Teller, Tassen und*Krügeln gespielt, die der Spielhalter in einem 
Korbe mitträgt. Er geht damit in die Wirtschaften und in die 
Privathäuser. Aehnlich wurden früher zu Schleithal am «Lotter- 
tiscliD allerlei nützliche Gegenstände durch Papiere mit Nieten in 
einem Sack ausgespielt. Wahrscheinlich war auch das Puppaper- 
spiel auf dem alten Zaberner Meßtag 1 ein ähnliches Ziehspiel. 

In Oberhaslach lassen die Gonscrits in ihrer Tracht (weiße 
Hosen, Hut mit Strauß und Bändern) mit behördlicher Er- 
laubnis einen Gegenstand im Werte von 6—20 M. ausspielen. 
In Dorlisheim wurde 1902 eine Lotterie von 3000 Losen zu 
25 Pf. ausgespielt. Der Hauptgewinn war ein großes Faß, das 
am Meßti-Sonnlag in Begleitung von 40 stattlichen Reitern in 
alter Landestracht durch das Dorf gefahren wurde. In Mundols- 



i Adam, a. a. O.. S. 33. 



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heim wird regelmäßig ein Kaffeeservice, in Wimmenau ein 
* Halsluch, in Win Senheim mehrere Gegenstände ausgelost, so 
1897 ein halböhmiges Fäßchen, ein Hammel, ein Foulard, 'ein 
Regenschirm und ein Kaffeeservice. Auch in den Arbeiler- 
dörfern Montweiler, Eckur Isweiler, Ottersthal und St. Johann 
bei Zabern findet stets eine Zetteilotterie um eine Uhr oder 
einen Regenschirm statt. Endlich seien die anläßlich des Meßti 
veranstalteten Armenlotterien erwähnt in Grüneberg 19(0 (um 
ein Schwein), lllkirch- Grafenstaden 1904, Bischheim 1902 
(um einen Hammel), 1905, 1906 und 1908. 

Besondere Erpötzlichkeiten für die Kinder sind, abgesehen 
vom Kletterbaum, selten. Vor 1852 verteilte einmal der Bürger- 
meister von Stotzheim Baron Josef von Andlau abends Leb- 
kuchen, Würste und Obst unter die Dorfkinder. Eierlaufen, 
Sackspielen und Wurstschnappen wurden auf den Straßburger 
Vorortsmeßti häufig gesehen. Eine Schiltigheimer Besonder- 
heit ist das Wettessen von trockenen Wecken (Semmeln) um 
den Siegespreis von 10 Pf. Daselbst wurden auch in den 1880 er 
Jahren folgende Veranstaltungen getroffen. Auf einem Pritschen- 
wagen stand ein Teller mit Mehl, worin Geldstücke lagen. Eine 
Anzahl von Junten mußte, die Hände auf dem Rücken, mit 
dem Munde die Geldstücke herausholen. In gleicher Weise 
wurde ein Bippeleskäs-(Quark-)Essen abgehalten. Beim Ver- 
tilgen dieser beliebten Speise beschmierten sich die Kinder die 
Gesichter, bekamen auch oft Streit und bedienten sich dann 
des Käses als Waffe. Da diese Aufführungen während einer 
holperigen Fahrt durchs Dorf stattfanden, erregten sie die 
größte Heiterkeit der Zuschauer. 

«Drei allein» tanzen. 

Mitten im fröhlichsten Meßtitreiben verkündet plötzlich der 
Meßtibursch «drei allein !» Die Tanzgesellschafl stellt sich im 
Kreise herum auf, die Musik setzt ein und spielt dem ange- 
sagten Paare drei Tänze allein, gewöhnlich zwei Walzer und 
eine Polka. Die drei Tänze sind kurz, sie bestehen aus dem 
1. Satz, dem 2. Satz und dem Trio, oft ohne Wiederholung. 
Dazu ist vielfach der Brauch eingerissen, daß nicht 3, sondern 
2 Tänze gewährt werden, so in Ringendorf und Winzenheim, 
oder gar bloß einer, wie in Dunzenheim, vorausgesetzt daß die 
Allein-Tänzer es sich gefallen lassen. In Ringendorf haben 
Meßtibursch und Meßtimaide, wie es scheint in vereinzelter 
Weise, das Vorrecht, bei «drei allein» milzutanzen. 

Ob wir «drei allein» als Ueberbleibsel alter Tänze, ins- 
besondere des Hahnentanzes anzusehen haben, steht dahin. Der 



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Gedanke, der ihm zu Grunde liegt, ist so einfach und natürlich, 
daß wir füglich keine abseilsliegenden Vermutungen aufzustellen 
brauchen, sondern die Sitte ganz gut aus sich selbst heraus 
erklären können. «Drei allein» sind eine Ehrung für den einen 
oder für beide Tänzer. Als einem Vorrechte des Meßtiburschen 
und des Meßtimaide sind wir dem Brauche schon begegnet. 
In der Regel sind es drei Tänze zu Ehren eines Maide. Der 
Bursche will dem versammelten Tanzvolke zeigen, wer seine 
Angebetete ist. In diesem Sinne ist schon 1627 vorn Meßti 
von Rosenweiler 1 bei Rosheim über ein Paar berichtet, das 
«Einen danz drey gethan». Oder der Gast aus dem Herren- 
stande tanzt mit seiner Gastgeberin oder deren Tochter, und 
hier reichen sich Anstand und Sitte die Hand. Seltener gilt die 
Ehrung dem männlichen Teil, z. B. dem Bürgermeister, ge- 
wöhnlich einer Mehrheit. So werden vielfach den Gestellungs- 
pflichtigen der Jahresklasse oder den verheirateten Männern 
oder den Burschen aus einem Nachbarsdorfe oder den Fremden 
insgesamt, in Buchsweiler den 4 Burschen, die den Meßti- 
hammel führten, drei allein gewährt. Auf dem Alteckendörfer 
Meßti 1906 bot mir der Meßtibursch das Meßtimaide zum drei 
allein tanzen an als Dank dafür, daß ich das Meßtitanzvolk 
mehrmals hatte photographieren lassen. Und fast auf jedem 
Meßti leistet sich ein Mann, selbst ein Greis, in fröhlicher 
Laune das Vergnügen, drei allein zu tanzen, zur großen Heiter- 
keit der Meßtigemeinde. Es ist zwar ein Spaß, und es wird 
auch eine scherzhaft aufgelegte Tänzerin dazu gewählt, aber 
im Grunde genommen liegt doch eine gewisse Anhänglichkeit 
an die alte Sitte darin. 

Der Brauch hat aber auch seine praktische Seite. Denn 
einerseits wird die Dorfburschenschaft in der ungeschmälerten 
Ausnutzung ihres Tanzrechtes beschnitten, andererseits führt 
die Musik nach ihrer Auflassung eine Sonderleistung aus. 
Beide Opfer wollen entschädigt werden, und dies geschieht 
durch Vermitfelung des Meßtiburschen, der dafür nicht selten 
ein besonderes Trinkgeld beansprucht, z. B. 1 — 2 M. Die 
Kosten rirhten sich nach den Verhältnissen. Tanzt z. B. ein 
Bursche mit seinem Maide drei allein, so bekommt der Meßti- 
bursch 2 — 3 M., die er in Wein für die Burschenschaft um- 
setzt, die Musikanten haben Anspruch auf 3 Liter Wein. Oder 
die Burschen erhallen 5 Liter Wein und die Musikanten einen 
Taler, den sie verteilen. Oder der Meßtibursche läßt sich 
8—10 M. oder mehr geben und befriedigt dann alle Beteiligten. 
Außerdem bekommt die Tänzerin unaufgefordert vom Meßti- 



1 Stöber, Neue Alsatia. Mülhausen, Petry, 1885. S. 136. 



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hurschcn ein Dutzend Lebkuchen für 1 M. Bei einem großen 
Meßti war das Drei-allein-Tanzen oft ein kostspieliges Ver- 
gnügen, und die Musikanten übten nicht selten eine unerhörte 
Tyrannei aus. Aber der ehrbare Bursche der guten alten Zeit 
wäre selbst vor einem Napoleond'or nicht zurückgeschreckt. 
So mußte einmal ein Bursche auf der Kleeburger Kirwe 40 fr. 
bezahlen. Und die Ackerländer Burschen machten sich stets 
einen Stolz daraus, die Musikanten mit Champagner zu be- 
wirten und die Pfropfen recht knallen zu lassen. Dieser Brauch 
war vor 1870 so eingerissen, daß pfiffige Wirte besonderen 
Meßtichampagner aus Apfelwein und Weinsteinsäure bereiteten. 
Hingegen kann man auf einem neuzeitlichen, verkümmerten 
Meßli schon um ein paar Glas Bier drei allein tanzen. 

Wesentlich anders war das Verfahren bei den bereits früher 
erwähnten Gruppen von Drei-allein-Tänzern. Diese hatten schon 
im voraus ihr Wohlwollen für Musik und Dorfburschen dadurch 
bezeigt, daß sie reichlich W r ein anfahren ließen, und wehe den 
fremden Burschen, die dies versäumt hätten ! Man bewilligte 
dann drei allein gewissermaßen ehrenhalber. 

Ks ist natürlich, daß Musikanten und Meßtibursch ein- 
ander in die Hand arbeiteten, und dies trug wiederum zur 
Befestigung des kameradschafl liehen Bandes bei. 

Das Drei-allein-Tanzen hat aber auch seine Schattenseiten. 
Oft genug gibt es unter den Burschen Reibereien und Eifer- 
suchtsauflritte, selbst Schlägereien. Und wenn der Meßtibursch 
die Gunst seiner Kameraden nicht in vollem Maße besitzt, so 
widersetzen sie sich dem Brauch und stören ihn, indem sie 
darauf bestehen, daß keiner mehr gelten soll als der andere. 

Hier sei ein Vorkommnis erwähnt, das zwar ganz ver- 
einzelt dasteht, aber von der tiefen Empfindung eines länd- 
lichen Herzens zeugt. 

Es war auf einem Meßti in oder bei Gundershofen 1902. 
Der Meßtibursch kündet «drei allein» an, die Tanzgesellschaft 
stellt sich im Kreise herum auf, die Musik beginnt. Aber nicht 
sind es die wiegenden Töne eines Walzers, es erklingt die ge- 
tragene Weise einer ernsten Melodie. Totenstille! Die Fest- 
genossen sehen einander an, es erscheint niemand zum 
Tanz. In einer Ecke aber steht sinnend und stillbetrübt ein 
junger Mann. Beim vorigen Meßti hat er auf demselben Tanz- 
boden als glücklicher Bräutigam seine Braut im munteren 
Tanze geschwenkt. Stolz, dem versammelten Meßtivolke ein 
blühendes Maide als seine Herzensauserkorene vorstellen zu 
können, hat er drei allein mit ihr getanzt, und der Neider 
über das schöne Paar waren gar viele. Bald fand die Hochzeit 
statt, aber das eheliche Glück sollte von kurzer Dauer sein. 




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Des Todes kalte Hand streckte sich nach der jungen Frau aus 
und zog sie hinab in das Grab. Und nun ehrt der junge 
Witwer sein angebetetes Weib noch unter dem Totenkranz und 
läßt ihr drei allein als Trauerserenade spielen. Manches junge 
Herz erschauert im Andenken an die dahingeschiedene Freundin. 
Die Gesellschaft ist tief ergriffen, und es dauert geraume Zeit, 
bis Lust und Freude wieder in ihr Recht treten. » 

Mutwille. Das Tellerzertrummern. 
Mummeiis in Weyersheim. 

ß e r d e I 1 e singt im cHagenauer Wochenblatt» vom 31. 
Oktober 1863 : 

Es gibt uf unsre Kirwe, 

Wann alles luschtig isch, 

Brav Fetzen un brav Schirwe 

Um d'Wett uf jedem Tisch. 
Wann der Win ins Hirn thuet stejje, 
Gehls ans Klopfen un Verhejje, 
's Geld, wo's kost't, thuet kenne ghejje . . . 

So ist es in der Tat, zum Teil noch heute. Aus reinem 
Uebermut zerwirft der Bursche Gläser und Flaschen in allen 
Teilen des Meßti, beim Aufziehen, auf der Wiese, auf der 
Straße auf dem Tanzboden und in der Wirtsstube. Früher 
gingen die Burschen noch höher dran, denn sie hatten mehr 
Gold als jetzt Silber. 

Auf dem ßrumather Meßti kamen einmal in den 1860er 
Jahren zwei reiche Burschen aus Geudertlieim in die Wirt- 
schaft Krebs, wo eine große Tafel gedeckt war und fertig zum 
Ansitzen bereit stand. Da sagte der eine zum andern : 
«Michel, stipper e bissei U Ein Blick, ein Griff, — der Michel 
stemmte so gut, daß im nächsten Augenblick die sämtlichen 
Schusseln und Teller und Flaschen samt ihrem Inhalt unter 
fürchterlichem Getöse auf den Boden flogen. Die Aufwärter 
und der Wirt eilten herbei, doch die Burschen zahlten ohne 
Widerrede und zogen vergnügt und stolz von dannen. Eben- 
falls in den 1860er Jahren riß auf dem Hochfelder Meßti ein 
Bursche einen ganzen Stand samt seinem Inhalt an Zucker- 
zeug und Lebkuchen um. Lächelnd zog er seinen Geldbeutel 



1 Diese Begebenheit hat ein mir Unbekannter in Verse gesetzt 
und mir anonym zugeschickt. Leider konnte ich den Verfasser 
nicht ermitteln. Der Brief trug den Poststempel Gundershofen 12. 
11. 1904. 



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heraus mit den Worten : «Was kost'ts?» Er zahlte bar, und noch 
lange nachher sprach man in der ganzen Umgegend von ihm 
mit der höchsten Bewunderung und mit einem dem Bauern 
eigenen Stolze. 

Aehnliche Vorgänge kamen früher auf jedem Meßti vor. 
Insbesondere ist aber die Sitte des Tellerzertrümmerns ver- 
breitet. Auch sie ist der Ausdruck eines gewaltigen Taten- 
dranges, und der Bursche verschafft seinen angespannten 
Kräften nach außen Luft. Noch heule genießen die Hördter 
Burschen den Ruf unverwüstlicher Tellerzertrümmerer am Orte 
selbst und auswärts. Wenn sie auf einen benachbarten Meßti 
kommen, so hat der Meßtibursch regelmäßig einige Tische 
voll Teller bereit, die eigens diesem Zwecke dienen sollen, 
gewöhnlich alte und minderwertige oder auch die im Wärfei- 
spiel gewonnenen Teller. Gegen Ende des Tages geht es dann 
an die Arbeit. * Die Teller werden in einer Kammer odei im 
Tanzsaale selbst auf den Fußboden gestellt, und nun wird dar- 
auf herumgetrampelt, daß sie in tausend Scherben, gehen. Und 
wer am meisten zertreten hat — es waren oft mehrere Dutzend 
— ist stolz darauf, wie auf eine Heldentat. Natürlich muß für 
die angerichtete Zerstörung ganz gehörig bezahlt werden, und 
dies ist wiederum ein Anlaß, stolz zu sein, denn je mehr es 
kostet, umso lieber ist es den Burschen. Auch Wanzenau 
und Mietesheim waren früher als Tellerdörfer bekannt. Die 
Unsitte ist so in das Volksbewußlsein eingedrungen, daß ein 
schadhafter Teller vielfach ein Meßtiteller heißt. 

Vielleicht ist es nicht müßig, in diesem Zusammenhange 
daran zu erinnern, daß der Kardinal-Fürstbischof Louis Rene 
Edouard von Rohan-Guemenee in den 1780er Jahren einmal im 
vierspännigen Wagen über die Töpferwaren auf dem Fronhof 
in Straßburg fuhr, daß sie in tausend Scherben gingen. 
Er warf dann den entsetzten Weibern Goldstücke an den 
Kopf mit den lachenden Worten: «Ce sont lä jeux de prince 1» 

In Weyersheim wird am Meßti das Mummelisspiel (Mum- 
mel = Stier) mit besonderem Eifer gepflogen. Es besteht darin, 
daß sich zwei Burschen oder Männer mit den Köpfen anrennen, 
sei es in der freien Stube, sei es über den Tisch hinüber, wo- 
bei nicht selten Gläser zerbrochen werden und Teller in Scher- 
ben gehn. Sie Beteiligten zielen nicht nur auf den Schädel, 
sondern auch auf Lippe, Nase und Augen, so daß mancher 
mit entstelltem Gesicht aus dem Kampfe hervorgeht. Regeln gibt 
es dabei nicht, Preise auch nicht ; es gilt bloß um die Ehre, 
den Gegner möglichst übel zuzurichten. Auch ist es verboten, 
dem Sieger böse zu sein, und trotz der erlittenen Beulen, 
Püffe und Stöße muß man am Ende friedlich auseinandergehn. 



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Die Meßtipredigt. 

In vorgerückter Stunde, wenn die Tanzlust allmählich 
nachläßt, erhebt sich plötzlich ein besonders witziger Bursche, 
der über einen Vorrat von Schnurren, Fratzen und Faxen 
verfügt, und hält von einem Stuhl herab weithin vernehmlich 
eine in Knittelversen verfaßte scherzhafte Rede, eine Meßtipre- 
di-it. Namentlich waren die alten Musikanten Meister auf 
diesem Gebiet. Unter ihnen haben sich die Hördter und 
Eddersheim er einen gewissen Ruhm erworben. Die Palme 
gebührt unstreitig dem bereits erwähnten Klarinettisten Martin 
Lorenz aus Geudertheim, der an witzigen Einfallen und an 
drolliger Beleuchtung der Vorkommnisse aus dem bäuerlichen 
Leben geradezu unerschöpflich war. 

Die von S t ö b e r veröffentlichte» Meßtipredigt, 8 Acht- 
zeiler, ist lange Zeit die bekannteste gewesen, noch jetzt lebt 
sie bruchstückweise im Volksmund. Ich selbst besitze mehrere 
solcher Reimereien, die im äußeren Gewände des Volksliedes 
ein herschreiten, aber mit Rücksicht auf noch Lebende einst- 
weilen unveröffentlicht bleiben müssen. Auch französische 
Meßti predigten wurden vor 1870 hie und da gehalten, gewöhn- 
lich von ehemaligen Soldaten oder von Soldaten auf Urlaub. 
Sie brachten stets einen flotten Zug in den alten Dorfmeßti und 
erregten ungeteiltes Aufsehen und Bewunderung, auch von 
solchen, die kein Wort französisch verstanden. 

Im allgemeinen wurden die Meßtipredigten früher sehr 
beifällig aufgenommen und riefen oft schallendes Gelächter 
hervor. An Spott und an derben Sachen fehlte es darin nie- 
mals. Die Sitte ist heute wohl gänzlich erloschen. 

Die Kammern. Das Aufstecken. 

Schon vor dem Anfang des Tanzes tun sich engbefreundete 
Burschen und Maiden, sogenannte Kameradschaften zusammen 
und belegen für sich getrennte Tische. Dies geschieht in den 
Stuben (Weißenburger Gegend) oder Kammern (sonst). Es 
sind dies die Privatgemächer des Wirtes einschließlich der 
Schlafzimmer, die nicht selten auch ausgeräumt werden. Dies 
verlangen die jungen Tanzpaare jedoch nicht. Oft schlafen die 
Wirtsleute den Meßti über auf dem Boden, in irgend einer 



» Stöber, I»er Kochersberg. Mülhausen. Rißler, 1857. S. 
54—57. Eine Melodie dazu gibt Weckerlin, Chansons popu- 
laires d'Alsace. Paris, Maisonneuve. 1883. t I, p. 8(i ff. 



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Ecke, nur um möglichst viel Platz zu bekommen. In den 
Kammern sind lange Tische, Bänke und Stühle aufgestellt, und 
der Wirt fährt Buch über die einzelnen Tische als Einheiten. 

Will ein Bursche während des Tanzes einen Augenblick 
mit seinem Maide ungestört plaudern, so führt er es in die 
Kammer. Nimmt das Maide im Kreise Weißenburg die Ein- 
ladung zum Kaffee an, so ist es ein günstiges Zeichen für eine 
bevorstehende eheliche Verbindung. Der Zug in die Kammern 
geschieht gegen Abend häufiger, und in später Stunde bei all- 
gemeiner Abspannung hat sich allmählich die ganze Kamerad- 
schaft dort versammelt. Jedes Maide erhält dann vom Meßti- 
burschen ein Dutzend Lebkuchen auf Kosten seines Tänzers. 
Freilich verschwinden auch wieder einzelne Pärchen auf den 
Tanzboden oder ins Freie. In den Kammern herrscht rück- 
haltslose Freundschaft, keiner hat vor dem anderen etwas hehl, 
von Eifersucht ist keine Spur. 

Die Burschen trinken Wein, die Maiden Kaffee, Syrup 
oder Limonade. Von Likören sind aus der französischen Zeit 
Anisette und Parfait-amour beliebt, in den 1840er bis 1860er 
Jahren trank man allgemein «Lodiolo» (de PEau de noyaux). 
Trinkt ein Maide Rotwein, was früher öfters geschah, so tut 
ihm der Bursche einige Stücke Zucker hinein, damit es «süßer 
lugt». Zu diesem Zweck steht auf jedem Tisch ein Teller voll 
Zucker, zwanzig Stückchen für 20 Su oder 1 Mark. Im 
Ackerland, wo die Sitte des Zuckerweins üppig blühte, kam 
früher mit jedem Liter Wein ohne weiteres ein Teller voll 
Zucker auf den Tisch, und der Wirt verdiente viel Geld 
daran. Dort schüttete der Bursche seiner Liebsten nicht sel- 
ten einen ganzen Teller voll Zucker in die Tasche, in die 
Schürze oder hinter das Hemd in den nackten Busen. Als 
Zeichen besonderer Liebe steckt er ihr hie und da ein Stück- 
chen Zucker in den Mund, und sie tut dasselbe, wenn sie seine 
Liebe erwidert. Seit den 1870er Jahren ist die Sitte des 
Zuckertellers sozusagen gänzlich abgekommen. 

Gegen Mitternacht ist der Tanzsaal fast ganz verödet. Aus 
den Kammern ertönt der fröhliche Gesang größerer und 
kleinerer Gruppen. Da sehen wir einen ganzen Tisch mit 
lachenden und scherzenden Burschen und Maiden einträchtig 
beisammen. In einer Ecke sitzt ein Bursche in traulichem Ge- 
spräch mit seiner Liebsten. Er sieht sie zärtlich an und flü- 
stert ihr Schmeichelworte zu, sie schlägt die Augen nieder und 
läßt es willenlos, in seligem Entzücken über sich ergehen, 
wenn er sie sanft umfaßt und ihre Hand drückt. In einer 
anderen Ecke steht ein Krakehler, den Hut im Genick, mit 
zerzaustem Haar. Er ist der «stärkste Mann im ganzen Dorf» 



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287 - 



und will mit jedem Streit anfangen. Ein anderer Bursche, 
dem die Liebste den Lautpaß gab, geht mit finsteren Blicken 
hin und her und blickt neidisch auf die glücklichen Liebes- 
paare, brütend, wie' er sich wohl an seinem Nebenbuhler 
rächen kann. Und wieder ein anderer Bursche stolpert lallend 
von Tisch zu Tisch. Er ist zu dumm, eine eigene Liebste zu 
besitzen, zu gutmütig, um von seinen Kameraden ausgebeutet 
zu werden, aber gerade gut genug, um als Zielscheibe schlech- 
ter Witze und derber Foppereien zu dienen, und darauf ist er 
noch obendrein stolz. 

Jetzt erscheinen die Musikanten zum «Aufstecken», einer 
Sitte, die für das ganze 19. Jahrhundert nachgewiesen werden 
kann. Die Benennung kommt vom Aufstecken der Noten auf 
die Musikinstrumente. Das Aufstecken ist einfach eine Sere- 
nade im Stehen. Wie diese in so vorgerückter Stunde aus- 
fällt, läßt sich leicht denken. Die Musikanten geben sich wohl 
alle Mühe, ihr bestes zu leisten, aber im Grunde genommen ist 
es ihnen bloß um eine bequeme Sondereinnahme zu tun. An- 
dererseits hört die lustige und ausgelassene Jugend die Musik 
gar nicht sonderlich an, sondern läßt das Gespräch ruhig 
weiter gehen, singt vielleicht sogar ein Lied dazwischen. Nach 
der Serenade reicht einer der Musikanten den Teller herum, 
und die Burschen legen ihre Gaben hinein, 1 M. oder 50 Pfg. 
früher 1 fr. oder 10 Su. Ein beliebtes Mittel, die Einnahme 
zu erhöhen, besteht darin, daß sich die Musik mit einem ver- 
schwiegenen Burschen in Verbindung setzt, dem nun der Teller 
zuerst vorgesetzt wird und der in auffälliger Weise etwa ein 
Zweimarkstück darauf wirft. Natürlich will kein Bur- 
sche zurückstehen, das läßt nun einmal der Bauernstolz nicht 
zu, und die ganze Stube legt Zweimarkstücke auf den Teller. 
Wenn sich aber einer oder der andere drücken kann, so tut 
er es auch und verschwindet in eine andere Stube; um dort 
dasselbe Spiel zu wiederholen. Selbstverständlich erhält der 
zuerst erwähnte Bursche seine 2 M. zurück, nachdem sie 
ihre Wirkung getan haben. Obwohl eigentlich dieses Kunst- 
stück in Bauernkreisen bekannt ist, pflegt es doch immer 
wieder zu ziehen, und dazu trägt nicht am wenigsten die an- 
geheiterte Verfassung und die Feslesfreude, ja der Leichtsinn 
und in früheren Jahren vor allem der größere allgemeine 
Wohlstand bei. In manchen Dörfern wird für alle Meßtileute 
aufgesteckt, in anderen, so in Mühlhausen und Mietesheim, 
stellen die Musikanten den Teller bloß in den Kammern, wo 
verheiratete Leute sind. Wieder in anderen Ortschaften, so in 
Weitbruch, geht der Teller herum, ohne daß die Musikanten 
darauf Einfluß haben. 



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- 288 — 

Außer dem Aufstecken für eine ganze Stube ist auch das 
Aufstecken für einzelne Personen üblich und manchmal in 
hohem Schwung. Und hier müssen wiederum die Fremden 
herhalten, denen man meist aufsteckt, ohne daß sie es ver- 
langt haben. Der Anstand und die kluge Vorsicht erheischen, 
daß sie diese Ehrung nicht nur annehmen, sondern auch auf 
dem offen dastehenden Teller ein gutes Trinkgeld für die Musik 
abgeben, z. B. 2 M. Eine ganz besondere und in diesem Fall 
eine wirkliche Ehrung läßt ein Bursche manchmal seiner 
Liebsten erweisen, indem er für sie alle n aufstecken läßt und 
dann in augenfälliger Weise ein großes Trinkgeld, z. B. 5 M., 
auf den Teller legt. 

Haben die Musikanten das Aufstecken in allen Kammern 
beendigt, was einschließlich des damit verbundenen Trunkes 
mitunter li| 2 Stunden dauert, so begeben sie sich wieder in 
den Tanzsaal, wo ungeduldige Tänzer schon sehnsüchtig auf sie 
warten. Nicht selten, so allgemein im Nordhanauischen, bildet 
aber das Aufstecken den Schluß des Tages 

Das Hin- und Herwogen vom Tanzsaal in die Kammern 
und der fortwährende Personenwechsel bringen es mit sich, 
daß Unberufene in die Kammern eindringen und schnell die 
Gläser und die Teller mit dem Zucker und den Lebkuchen 
leeren. Sogar Weiber tun dies, und der Wirt drückt beide 
Augen zu, denn es ist sein Vorteil, wenn bald wieder frische 
Getränke bestellt werden. Weniger angenehm ist es ihm aber, 
wenn halbwüchsige Buben rasch hereinlaufen und Messer, 
Kaffeelöffel und Gläser mitnehmen, um schnell wieder im all- 
gemeinen Durcheinander zu verschwinden. Dies kam z. B. in 
Vendenheim in den 1860 er Jahren bei jedem Meßti vor. Schon 
harmloser war früher die Gepflogenheit der Dunzenheimer 
Burschen und verheirateten Männern, den fremden Burschen 
den Wein und den vin-chaud auszutrinken, während diese tanz- 
ten. In Schwindratzheim leerte vor Zeiten gar der Meßtihüter 
die Teller während des Tanzes und ließ alles in eigens her- 
gerichtelen großen Taschen verschwinden. 

Der Kehraus. Das Heimführen. 

In der Rege) geht die Abmachung mit den Musikanten 
dahin, daß von 2 bis 2 Uhr gespielt wird. Diese Bestimmung 
wird aber nie streng innegehalten, und namentlich früher 
dauerte der Tanz oft bis zum hellen Morgen. Da wo das Auf- 
stecken nicht den natürlichen Abschluß zu bilden pflegt, 
kehren Musik und Tänzer nachher auf den Tanzboden zurück, 



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— 289 - 



den nunmehr die Jugend unbestritten beherrscht. Die Ver- 
heirateten fanden es für passend, nicht bis zum Schluß auszu- 
halten, und die Alten haben schon längst ihren Festrausch 
nach Hause getragen. 

In alter Zeit war das anders. 13a war das nächtliche Tanzen 
den verheirateten Leuten vorbehalten, insbesondere durften die 
Maiden nicht bei Nacht tanzen. So ist vom Bosenweilev Meßti 
1627 berichtet : » «In deme es Aubendt worden, daß die 
Maidlin heimgangen.» Am 11. November 1739 erschienen zwei 
Maiden von Obermodern vor dem dortigen Presbyterium 3 und 
wurden dem hochfürstlichen Konsistorium zu Buchsweiler zur 
Bestrafung gemeldet, «weil sie sich am Meßtag (aus wessen 
Erlaubnis, ist uns unbekannt) bis gegen Tag im Wirtshaus 
aufgehalten». Und noch 1836 mußten die Maiden auf dem Uhl- 
weiler Meßti beim Läuten der Nachlglocke den Tanzplatz ver- 
lassen. 8 Im allgemeinen aber tanzen die Maiden das ganze 
19. Jahrhundert hindurch unbehelligt bei Tag und bei Nacht. In 
Mittelbergheim gingen gar die jungen Leute früher überhaupt 
nicht bei Tag, sondern erst nach dem Nachtessen, zum Tanz. 

Allmählich lichtet sich die Gesellschaft, und der «Kehraus» 
bildet den Schluß. Es ist ein schnell gespielter Hoppler, aut 
dessen Weise das Volk eine Reihe von Sprüchlein* singt. 
Wohl der älteste dieser Tanzverse, der an die alte Sitte des 
frühen Heimkehrens erinnert, ist dieser: 

Der Kehrus, der Kehrus, die Maide g'höre heim, 

Un wann se bravi Maide wäre, ze wäre se schon d'heim. 

Der Kehraus wurde nach Uebereinkunft der Burschen und 
der Musik gespielt. Ist die Musik müde und unwillig, so 
macht sie kurzen Prozeß und spielt ihn aus eigenem Antrieb, 
wenn es sich das Tanzvolk gefallen läßt. Früher galt es für 
die Maiden als eine Schande, noch nach dtnn Kehraus auf dem 
Tanzboden zu bleiben, und diejenigen, die alsdann nicht nach 
Hause gingen, bekamen Stroh gezettelt (gestreut). Oft setzten 
sie sich aber über diesen Schimpf hinweg und tanzten um so 
unbändiger auf dem Stroh, auch ohne Musik. 

Wir hatten schon mehrmals Gelegenheit, über Dinge zu 
belichten, die sittlich zu verwerfen sind. Der Landmann, 



i Stob er, Neue Alsatia. Mülhausen, Petry, 1885. S. 1.%. — 
* Prcsbyterialprotokoll im dortigen Pfarrarchiv. — * Im Kreis Prüm 
in der Rheinprovinz wird bloß bis Sonnenuntergang getanzt. In 
Thüringen endet der Tanz um 10 Uhr. Vgl. Pfannenschmid, 
Germanische Erntefeste Hannover, Hahn, 1878. S. 288 f. - 4 Nähere 
Ausführungen hierüber werden einer besonderen Veröffentlichung 
über Singtänze und Tanzlieder vorbehalten. Vgl. S. 272 f. 

19 



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- 290 - 



der in engem Zusammenhange mit der Natur lebt, gibt 
sich beim Meßli so natürlich wie er ist, wie er denkt und 
empfindet, und darum kommt ihm manches natürlich vor, 
was der verfeinerte Mensch als Verderbnis und sittliche Ver- 
kommenheit ansieht, was insbesondere den geistlichen Herren 
unablässig Anlaß zu Klagen gibt. Auch wir beklagen die Zu- 
lassung von Kindern auf den Tanzboden, deren Ohren und 
Augen noch nicht reif sind für das, was sie dort wahrnehmen 
müssen, wir beklagen den allzufrühen ungezwungenen Verkehr 
der beiden Geschlechter, die mangelhafte Aufsicht durch die 
Eltern und die Dienstherrschaft, die durch den Tanz und die 
geistigen Getränke gesteigerte, unverhüllte Sinnlichkeit. Aber 
wir begreifen alle diese Gepflogenheiten, die tief im Volke ein- 
gewurzelt sind und in früheren Jahrhunderten gewiß viel 
schlimmer waren. 

Nun kommt noch ein Umstand hinzu, vielleicht der wich- 
tigste von allen, das ist die Dunkelheit. Gerade die Finsternis 
und der plötzliche Uebergang aus dem rauschenden Gewoge des 
Tanzhauses in die stille Einsamkeit der Nacht sind besonders 
geeignet zur Verführung. Für den Burschen ist es um so 
leichter, seine letzten Wünsche zu erreichen — und sie gelten 
am Meßti fast als selbstverständlich — , wenn von der Familie 
des Maide kein allzugroßer Widerstand entgegengesetzt wird. 
Manche biedere Bauernfrau ist stolz darauf, wenn ihre jugend- 
liche Tochter schon einen Freier hat und mit ihm tanzt, und 
durchaus nicht selten ist diese ihre Mahnung : cDaß Du ihm 
nichts abschlägst!* Ueber alles Unerlaubte tröstet man sich 
aber mit der Entschuldigung : es geht in den Meßti I 

So wird denn auch das «Heimführen» der Tänzerin in 
später Nacht trotz der damit verbundenen Gefahren auf dem 
Lande durchaus nicht als unsittlich, sondern als etwas selbst- 
verständliches angesehen, und das wahre Wort jenes Pfarrers 
wird mehr belacht als beherzigt : «Das Tanzen tut nichts, 
wenn nur das verd . . . Heimführen nicht wäre!» Die Be- 
zeichnung c Heimführer» in folgendem Zusammenhang «dem 
Gietel sein Heimführer vom Zaberner Meßti» hat durchaus 
keinen Übeln Nebensinn. 

Hat ein Bursche eine «feste Liebschaft» und wohnt das 
Maide in einem fremden Dorf, so verschwindet das Pärchen 
schon frühe und wandelt innig umschlungen und langsam nach 
dem Heim des Maide. Ein später Meßti hat in dieser Hinsicht 
einen besonderen Heiz, weil es früh Nacht wird und länger 
dunkel bleibt. Wohnt aber das Maide im Meßtidorfe selbst, so 
wird gewöhnlich der Kehraus abgewartet, ehe man ans Heim- 
führen denkt. Doch auch wenn das Maide schon in seiner 




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— 291 — 



Kammer weilt, fehlt es nicht an Beweisen treuer Liehe. Ein 
guter Kamerad hilft dem Burschen die Leiter «teilen und paßt 
auf, während dieser den gefährlichen Aufstieg zu der sehnsüchtig 
harrenden Liebsten unternimmt. Einer glücklichen Braut aber 
läßt der Bräutigam nach dem Weggang der Gendarmen eine 
Serenade bringen, wenn er vermutet, daß sie im Bette liegt, 
und nicht selten erhalten mehrere Maiden hintereinander Sere- 
naden, ohne zu wissen, auf wessen Veranlassung. 

Ist das Tanzwirtshaus noch offen, so treffen nachher die 
Heimführer wieder dort ein. Sie geben ihre Erlebnisse zum 
besten und schwelgen in süßen Erinnerungen und erregen oft 
die Eifersucht ihrer weniger glücklichen Kameraden, mit oder 
ohne Grund. Mancher Bursche kommt aber nicht wieder zurück. 
Er ist samt seiner Liebsten überfallen worden, oder er hat auf 
weitem Umweg sein Elternhaus glücklich erreicht, oder der 
auflauernde Nebenbuhler gab ihm einen Grund oder einen 
willkommenen Vorwand, im fremden Dorfe zu übernachten. 

Streit und Schlägereien. 

Der Meßti mit seinen vielfachen Aufregungen gibt nicht 
selten Anlaß zu Streitigkeiten. Sind einmal die Köpfe erhitzt 
und hat der Alkohol die Zungen gelöst, so bringen die Burschen 
alles aufs Tapet, was sie auf dem Herzen haben. Alle alten 
Sachen werden ausgekramt, Familienstreitigkeiten aufgerührt, 
die den einzelnen vielleicht gar nichts angehn, und dabei wird 
furchtbar geschrieen und in der Luft herumgefuchtelt. Schließ- 
lich ist die Schieberei da, die in Tätlichkeiten übergeht. 
Manchmal mischt sich ein älterer, anerkannt starker Mann in 
den Streit, erscheint mit einem tüchtigen Hebel oder mit ge- 
ballter Faust und droht dreinzuschlagen, wenn es keine Ruhe 
gibt. Die Furcht vor der überlegenen Gewalt verhindert denn 
auch den Ausbruch manches Schlaghändels. 

Insbesondere begründet die Anwesenheit der Fremden sehr 
oft eine gewisse Spannung. Die Dorfburschen halten an dem 
Gedanken fest, daß sie auf ihrem Meßti die Herren sind und 
daß jeder fremde Bursohe bloß geduldet ist. Der Umstand daß 
mancher kleine Meßti, so in Büsweiler y Wernburg, Uttenhofen, 
Merzweiler, Leitersweiler , ohne die Unterstützung durch die 
Fremden nicht bestehen kann, kommt hier nicht in Betracht, 
und auch . engere Dorfbeziehungen,. wie z. B. zwischen Dell- 
weiler und Gottesheim (bis 1870) werden nicht beachtet, so- 
bald die Eifersucht des einzelnen in Betracht kommt. Die Be- 
rechnung auf den Geldbeutel und das Austeilen von Prügeln 



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schließen sieh nicht aus. Auch junge Leute aus dem Herren- 
Stand machen hierin keine Ausnahme, und sie tun gut, den 
allen Spruch zu beherzigen : 

Wer will halten seinen Schädel ganz, 
Der laß 1 den Bauern ihren Tanz. 

Die hanauische Regierung handelte daher sehr weise, in- 
dem sie den Besuch auswärtiger Meßtage in der Kirchenord- 
nung von 1659» sowie durch ein Dekret vom 21. April 1733« 
verbot» und hei der Erneuerung der Preshyterien 1736 die 
Kirchenzensoren mit der Aufsicht auf fremden Meßtagen be- 
traute. 3 Alles natürlich ohne Erfolg.* 

Die Fremden wissen sehr wohl, daß sie bloß geduldet sind 
und manches über sich ergehen lassen müssen. Aber gerade 
das ist ein Sporn, einen Meßli erst recht zu besuchen. Zu 
Hause zu bleiben, wäre ein Zeichen der Feigheit. Wenn gar 
Zwistigkeilen zwischen den Burschen ganzer Dörfer bestehen, 
so ist es fast eine Ehrensache für beide Parteien, Vergeltung 
zu suchen und solche zu geben. Hier stellt der Dorfstolz auf 
dem Spiel, mögen auch einzelne Burschen sonst persönliche 
Freunde sein. Ein Anlaß zu Reibereien ist bald gefunden. 
Sticheleien fliegen hin und her, und die Anwesenheit der 
Maiden ist ein Grund, möglichst herausfordernd aufzutreten 
und sich nichts gefallen zu lassen. Es wird aufgepaßt, mit wem 
der und jener tanzt oder unautlällig verschwindet, die Köpfe 
weiden zusammengesteckt, und mau hört mehr oder weniger 
oflene Drohungen : « Hüt verwitscht se noch einer ! » oder 
« Hinicht mueß noch einer verrecke !» Oft gibt ein klein- 
licher Umstand den Anlaß zum Ausbruch der Tätlich- 
keiten. So waren einmal die Wickersheimer Burschen auf 
dem Hochfelder Meßti recht vergnügt und sangen nach Herzens- 
lust. Die Hochfelder ärgerte es % daß jene mehr Strophen 
konnten als sie selbst. Ein Hochfelder trat hervor und rief 
erregt: «Was han ihr do ze singe?», und alsbald gab es eine 
gewaltige Prügelei. Mangels eines auch noch so nichtigen Vor- 
wandes stellt einfach ein Bursche dem andern während des 
Tanzes das Bein. Das ist eine belieble und deutliche Heraus- 
forderung. Mag der- betreffende wollen oder nicht, er wird 
schließlich zu Falle gebracht und ausgelacht, und nun muß ei 
reagieren. 

Die Anwesenheit von Soldaten im Manöverquartier gibt 



i S 87. — 2 Pfarrarchiv von Alteckemiorf. — 3 Pfarrarchiv von 
Schwindratzheim. — * Presbyterialprotokolle vom 5. Februar 1787 
und 6. August 1737 in Alteckendorf sowie vom 5. April 1774 und 
von 177») in Obermodern, 



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- 293 - 



fast stets Anlaß zu Reibereien, so daß in den letzten Jahren 
einsichtige Bürgermeister in solchen Fällen den Meßli zu 
verlegen pflegen. 

Unstreitig die häutigste, wenn auch nicht die ehrenhafteste 
Art der Austragung des Streites ist das «auf den Weg Stehen». 
Der heimkehrende, fremde Bursche wird von einem oder 
mehreren andern erwartet. Hinter einem Baume oder einer 
Brücke oder aus einem Graben hervor überfällt der Angreifer 
den Nichtsahnenden, und e: weiß es so einzurichten, daß dieser 
unterliegen muß. In der neuesten Zeit werden die radfahren- 
den Burschen von ihren Bädern geworfen oder durch Streuen 
von Schuhnägeln zum Absteigen veranlaßt und dann übel zu- 
gerichtet. Der fremde Bursche ist eigentlich erst sicher gebor- 
gen, wenn er in seinem Gehöft angelangt ist. Bis dahin muß 
er bedenken, daß er «noch nicht vom Meßti daheim» ist. So 
lautet eine bekannte, auch in übertragenem Sinne geläufige 
Redensart. 

Größere Raufereien mit schweren Verletzungen kamen 
vor auf dem Meßti von Süsohheim 1808 und Ueberach 1854 
sowie auf der Kirvve von Kulzenhausoi 1874. Von Schlag- 
händeln mit dem Militär sind am bekanntesten die zu Hingen- 
dorf -1896, besonders aber in der HuprecfUaau 1886, die einer 
wahren Schlacht glich und üble Folgen hatte. Von Schlägereien 
mit töllichem Ausgang sind folgende bekannt. 1597 wurde auf 
dem Pfaffen höfener Mcßti der Ingweiler Naehrichler vom 
Rietlheimer Henker erstochen. 1 1627 fand ein Dorlisheimer 
Bursche auf dem Jiosenweiler Meßti seinen Tod. « 1070 wurde 
ein Mittelhauser Bursche auf dem Gttgenheimer Meßti tötlich 
verletzt. » 1827, 1839 und 1874 wurden Burschen erstochen in 
Wingerts heim, Issenhausen und Forstheim. 

Die meisten Gewalttätigkeiten geschehen im letztem Grunde 
aus Eifersucht. 

Der 2., 3. und 4. Tag. 

Vom alten Meßti sagt ein bekannter Singspruch : 

Hit isch Meßti, morjen isch Meßli, bis am Mittwoch Owe; 
Wann ich zue mim Schälzele komm', sa' ich: Gueten Owe! 

Er dauerte vier Tage. Die allgemeine Ordnung war die : 
Der Sonnlag war gewissermaßen das offizielle Fest, er galt 



1 Begräbnis register von Ingweiler, 29. Juni 1597. — * Stöber, 
Neue Alsatia. Mülhausen. Petry, 1885, S. 137. — * Begräbnisregister 
von Mutelhausen, 28. Aug. 1670. 



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— 294 — 



den Einheimischen und Fremden, am Montag war der Hahnentanz, 
der Dienstag brachte allerlei Scherz und lustige Sch.mausereien, 
am Mittwoch wurde der Meßti begraben. Diese Einteilung ist 
längst durchbrochen. Seitdem der Meßti abgekürzt und schließ- 
lich auf zwei Tage beschränkt wurde, hat sich alles zusammen- 
gedrängt. Es ist für die alten Gebräuche wenig Zeit, darum 
werden sie jetzt auf den Sonntag oder den Montag verlegt, so 
gut es eben geht. Eine strenge Trennung nach Tagen ist da- 
her auch bei den vorliegenden Betrachlungen nicht gut 
möglich . 

Am Montag Morgen gegen 9 Uhr erscheint der Meßtibursch 
mit seinem in Stand gesetzten Strauß. Er ruft die Musikanten 
zusammen, allmählich rücken auch die Burschen an, und nach 
einem kühlen Trunk im Tanzwirlshaus geht es mit schmettern- 
der Musik unter Jauchzen und Jubeln zum Meßtimaide, welches 
eine Serenade bekommt, während die Burschen ins Haus treten 
und mit Wein und Kuchen bewirtet werden. Die Musikanten 
werden dabei nicht vergessen. Und nun zieht man mit Sang 
und Klang zr.m «Abholen» der Maide von Haus zu Haus. Jedes 
Maide erhält eine Serenade, und in allen Häusern bekommen 
die jugendlichen Gäste tüchtig eingeschenkt. Die Ehre ist für den 
Bauern ebenso groß, wenn die Magd abgeholt wird, wie wenn 
es seiner eigenen Tochter gilt, deren Liebster vielleicht unter 
den Burschen weilt. Und überall wird getanzt. Heute freilich 
würde es sich mancher verbitten, daß man wegen der Magd 
ins Gehöft eindringt und ihm «Unkosten» macht. Ist der 
Dorfkehr groß, so sind die Serenaden kurz, denn der Wirt 
will ja die Musikanten auch wieder haben. Oft hält man sich 
aber lange bei den Maiden auf, vergißt das Mittagessen, scherzt 
und tanzt und trinkt umsonst, so daß der Rundgang sich bis 
zum späten Nachmittag ausdehnt und alles mehr oder weniger 
angeduselt ist. Nicht selten sind die Musikanten schon vor 
Mittag völlig betrunken. 

Ein sinniger Brauch wird in Hördt geübt. Jeder Bursche, 
der seine Tänzerin abholt, erhält von dieser ein Wandfürtüchel, 
das er den ganzen Meßti über trägt. So auch früher in 
Kaltenhausen. 

In der Hegel beginnt der Tanz wiederum um 2 Uhr. Wo 
die Maiden bereits am Morgen abgeholt wurden, erscheinen 
sie ohne weiteres oder am Arm des Tänzers. Ein Maide, das 
keine Serenade bekam, und sei es aus Versehen, fühlt sicli 
beleidigt und erscheint nicht zum Tanz. 

In manchen Ortschaften ist das Abholen der Maiden am 
Morgen nicht üblich. Die jungen Leute haben im Hof und 
Feld zu tun, futtern das Vieh, ruhen sich aus und setzen ihre 



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Kleider wieder in Stand. Alsdann werden sie nachmittags 
durch einen Aufzug der Burschen mit Musik abgeholt, das 
Meßtimaide zuerst. Unter der Hoftüre erwarten sie ihren 
Tänzer, der sie schnell mit sich fort zieht, und dann geht 
es ohne Aufenthalt zum Tanzhause zurück. In manchen Ort- 
schaften wurde früher bei diesem Zuge der Hahn mitgenommen, 
den man am Abend heraustanzte. So in Dunzenheim (bis "1857), 
wo ihn ein Bursche auf dem Arm vorne hinaus trug, in 
Walten heim (bis 1870), wo er auf einem Stecken festgebunden 
war, in Pful-griesheim und Lampertheim (noch 1900), wo 
man ihn in einem Rückkorb hinten nachtrug. Diese Sitte am 
Meßlimontag hat in mehreren Dörfern überhaupt -das Aussehen 
des Aufziehens angenommen, das alsdann am Sonntag nicht 
stattfindet, so in Idenheim und Obermodern. Letzteres Dorf 
ist wohl das einzige unseres Gebiets, wo hierbei noch um die 
alle Dorflinde getanzt wird, ein Brauch der früher im Elsaß 
in größerer Ausdehnung bestand » und noch heute in Alt- 
deutschland* hie und da geübt wird. Die Linde war ja im 
heidnischen Altertum die Wohnstätte des geisterartig gedachten 
Schutzwesens des Ortes. 

Und wiederum erfüllen die berauschenden Töne der Musik 
den Tanzboden, und die Paare drehen sich im fröhlichen 
Reigen, unverdrossen und nicht mehr eingedenk der Strapazen 
der verflossenen Nacht. 

Das große Ereignis des Meßtimontags ist der Hahnentanz, 
dem der folgende Abschnitt gewidmet ist. Im übrigen bietet 
sein Verlauf dasselbe Bild wie der Sonntag : Tanz, Gesang, 
Spezialtänze, Aufslecken, Kehraus, Heimführen. Die letzten 
Kämpen auf der Wahlstatt sind diesmal die übriggebliebenen 
Burschen, denen das unbarmherzige Schicksal eine Liebste ver- 
sagt hat. Und wenn sie nachher eine nächtliche Runde durchs 
Dorf machen und einzelnen Maiden Serenaden spielen lassen, 
so wissen diese wohl, welchen Gefühlen diese Ständchen ent- 
sprangen, und sie ärgern sich oder lachen sich im Bette still- 
vergnügt ins Fäustchen. 

Auch der Morgen des Meßlidienstag wird, wie der Montag, 
mit Serenaden im Dorf ausgefüllt. Aber es liegt nichts feier- 
liches, kein Ernst mehr darin. Die Burschen sind nur noch 
zu Unsinn aufgelegt. «Sie mache Plan, taubs Dings, 's Vieh». 
Immer mehr reißt in neuester Zeit die geschmacklose Sitte der 
Verkleidungen und Vermummungen ein. Wir konnten sie 



l Reuss. L'Alsace au 17«? siede. II, p. 88. — 2 Pfanneu- 
schmid, Germanische Erntefeste Hannover, Hahn, 1878. S. 257, 
271, 273, 284 f, 288. 



- 296 — 



von Jngolsheim bis nach Vnnatl nachweisen. Besonders be- 
lieht ist Weiberkleidung und die Militäruni form. In Wolfisheini 
sind Schlaraffen üblich, in Balbronn lieben es die Burschen zu 
reiten. In Dossenheim ist der Brauch des Verkleidens so im 
Schwung, daß wohl kein Bursche den ganzen Tag über ohne 
Verkleidung geht. 

Auch sonstiger Schaberna k wird vielfach getrieben, so ein- 
mal in Pfidgriesheim mit dem Esel eines Budenbesitzers von 
Grüneberg, der einen Ungeheuern Jubel hervorrief. In neuester 
Zeit sind Ansichtspostkarten im Schwung. Es wird sogar 
schon Unfug dadurch verübt, daß Burschen oder Maiden in 
andern Dörfern ans Telephon gerufen und durch erdichtete 
Liebesnachrichten und andere aufregende Mitteilungen gefoppt 
werden . 

In den 1840er und 1850 er Jahren arteten die Rundgänge 
bei den Maiden in wahre Raubzüge ans. Nicht nur daß 
Burschen und Musikanten den Kirwekuchen, den Kugelhopf 
und Motz vom Tische weg in einem Rückkorbe mitnahmen, es 
wurden auch von besonders flinken Burschen Kamine und 
Speisekammern durchsucht, Speck und Rauchwürste mitge- 
nommen und nachher an langen Stecken von Haus zu Haus 
getragen. In Qborödern, Kleeburg und Schwindratzheim 
blühte diese Sitte besonders üppig, und noch 1882 wurden in 
Preuschdorf Kaninchen mitgenommen oder gekauft. Es kann 
nicht Wunder nehmen, daß man beim Einsammeln solch frei- 
willig-erzwungener Gaben auch an die Eier denkt. Dies ist 
besonders im Kreise Weißenburg der Fall, wo es mit ver- 
schiedenartigen Gebräuchen verwoben ist, namentlich mit dem 
Pfingstendreck, ferner mit dem Retschen und Klappern in der 
Karwoche, mit dem Einläuten des 1. Mai und mit den aus- 
gelassenen Zügen der «conscrils». 

Noch 1870 wurden auf der Kirwe zu Rott und Ke([enach, 
in Hermersweüer noch 1807 Eier gesammelt. In den Dörfern 
des Meßtigebiels ist, abgesehen von Weiter stoeiler, wo der 
Pfingstmontag als 1. Meßtitag galt, nur in Detlweüer (bis 1870) 
dieser Brauch nachzuweisen. 

Nachher gehen Burschen und Musikanten ins Tanzwirls- 
haus, verteilen ihre Beute kameradschaftlich und verzehren sie. 
Niemals fehlt hier das beliebte Gericht der Speckeier. Dieses 
Schauspiel zieht regelmäßig viele Kinder und Schmarotzer an. 

Von solchen Schmausereien sind die festlichen Gelage wohl 
zu unterscheiden, die noch anfangs der 1860er Jahren zu Klee- 
bürg und bis in die 1890 er Jahre zu Hunspach stattfanden. 
Es wurde in den Häusern der Maiden aufgetragen, daß die 
Tische beinahe brachen, die Leute überboten sich gegenseitig, 



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und jedermann aß, was er nur konnte, besonders Bratwurst. 
Zu Kleeburg bevorzugte man besonders gebratene Kastanien, 
Käse und Obst. Dem Wein wurde tüchtig zugesprochen. Das 
waren ehrliche und fröhliche Gelage, die bei Musik und Tanz 
bis zum späten Nachmittag dauerten, und an die alle Teil- 
nehmer mit Wonne zurückdenken. 

Auch der Meßtidienstag schließt mit dem Autstecken und 
diesmal mit dem großen Kehraus. 

Am 4. Tag wird der Meßti begraben, worüber besonders 
zu berichten sein wird. Nicht selten ziehen die Musikanten 
am Morgen auf eigene Faust im Dorfe herum, um noch etwas 
zu verdienen. 

Einige örtliche Besonderheiten ! In der Walk ist der Meßti- 
montag den Pfaffenhofen, in DettweiUr (früher) den Zabernern 
vorbehalten. In Uochfelden gehört der Meßtidienstagabend den 
Hochfelder Bürgern, und die Bäcker backen kein Brot. Bis 
1870 galt der Mittwoch den Aufwärtern und Dienstboten 
der Wirte, die mit Musik abgeholt wurden und dann gemein- 
sam tanzten. 

Von den Hördtern behaupten böse Zungen, daß sie ihre 
Gäste am Meßtisonntag ins Wirtshaus führen, um sich bezahlen 
zu lassen. So viel ist sicher, daß die Hördter Maiden am Diens- 
tag die Ehre haben, ihre Burschen zehrfrei zu halten. In 
früheren Jahren ging es dabei hoch her, und manches Maide 
wurde an dem einen Tage ICO Fr. los. 



Der Hahnen tanz. Das Heraustanzen. 
Das Hahnenschlagen. 

Der Hahnentanz ist wohl ein Ueberbleibsel der Zeremonien, 
die der feierlichen Schlachtung des Hahnes und dem Opfer- 
mahle zu Ehren des in Hahnengestalt gedachten Vegetations- ^ 
dämons vorangingen. Im Laufe der Zeit haben sich diese Ge- 
bräuche vom Ernteopfer losgelöst und fanden, in Spiele umge- 
wandelt, Anschluß an das fröhliche Kirchweihfest. 

Im Elsaß wird der Hahnentanz von Geiler von Kaysersberg 
und Fischart öfters erwähnt, Einzelheiten wissen wir jedoch 
nicht. Noch das ganze 18. Jahrhundert hindurch scheint er 
überall im Elsaß üblich gewesen zu sein. Dann kam er langsam 
aß, so daß das 19. Jahrhundert nur noch seine Trümmer auf- 
zuweisen vermag. So hat man einen leibhaftigen Hahn zuletzt 
gebraucht : zu Mietesheim in den 1 SSO er Jahren, zu Huns- 
paclu Niederbronn, Mtrzweiler, Gundtrshofen, Mühl hausen 



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— 298 



und Ernolsheim bei Zabern in den 1840 er Jahren, in Wal- 
burg 1860, in Gries 1862, in Kleeburg, Waltenheim, Schweig- 
hausen, Kaltenhausen, Rothbach und Zabern gegen 1870. Zu 
lYtedselz wurde vor 1870 airi Napoleonsfest um einen Hahn 
getanzt. Die Angabe Slöbers* aus dem Jahre 1857, daß der 
Hahnenlanz im Kochersberg und in den angrenzenden Land- 
schaften und sonstwo im Elsaß üblich ist, hat uns viel Mühe 
verursacht. Wir können sie leider, auch in dieser allgemein ge- 
haltenen Form, nicht bestätigen. Die Verwendung eines Hah- 
nes hatte überall schon erheblich früher aufgehört. Nach 1870 
wurde noch um einen wirklichen Hahn getanzt in Offweiler 
(bis 1897), vereinzelt bis in die 1890er Jahre zu Drachen- 
bronn, bis 1901 in Weitbruch nach einer Unterbrechung von 7 
Jahren. In zwei Dörfern unseres Gebiets geschieht dies noch 
heute, in Alleckendorf und Schwindratzheim. Der angebliche 
Hahnentanz in Dossenheim wird unter dem Gesichtspunkte des 
Hahnenschlagen? beurteilt werden. 

Ueber den Verlauf des Tanzes um den Hahn, ist folgendes 
zu erwähnen. 

Nach allem Brauch wurde der Hahn, den der Meßtibursch 
zu beschaffen hatte, mit Blumen und Bändern verziert. Letztere 
waren früher in den französischen Farben gehalten. Der leben- 
dige Hahn saß auf einem Querbalken in einer Schüsse), oder 
ein Bursche hielt ihn auf seinem Arme fest, oder er wurde 
mit zusammengebundenen Füßen während des Tanzes irgendwo 
in der Höhe befestigt. 

Auch die breilkrämpigen Hüte der Burschen wurden in 
den 1830er Jahren zu Hunspach und noch anfangs der 1860er 
Jahre zu Kleeburg mit Bändern und Rosmarin geschmückt, 
und zwar von den Hahnentänzerinnen. Sie waren so schwer, 
daß man sie mit Bändern unter dem Kinn befestigen mußte. 
Nach dem Kehraus hängten sie die Burschen bis zur Nach- 
kirwe im Tanzsaal auf, und es war eine Ehre für den Bur- 
schen, wie für das Maide, den schönsten Hut zu haben. 

Das Heraustanzen, das nach einem besonderen Verfahren 
bei Licht geschah, erfolgte im Hanauerland nach einer be- 
stimmten Melodie 2 mit bestimmten Worten, die von den An- 
wesenden mitgesungen wurden. Ein besonderer Tanzschritt ist 
nicht nachzuweisen, jedoch ist es wahrscheinlich, daß auch der 
Hahnentanz früher ein Singlanz war und demgemäß einen eige- 
nen Tanzschritt hatte. Hier die Worte, von denen mehrere 
Varianten vorkommen : 



i S t ö b e r, Der Kochersberg. S. 40. - 2 Vgl. die Anm. 4, S. 289. 



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1. Komm', komm', Bippele, 1 komm! 
Ich will dir e Hämpfele 2 Fresse ge'n, 

Ich hab dich jo schon lang nimm 5 g'sehn. 

2. Lej' mir en Ei oder zwei, 

Lej' mir'.s in e Hampfeie Slroh, 
Wann i komm', ze bin i froh. 

Während aber der llahnentanz nach seiner eintönigen 
Melodie getanzt wurde, herrschte große Freude unter dem 
jungen Volk. Bei den Worten «Ich hab' dich jo schon lang 
nimm g'sehn« wurden nämlich die Maiden unter unendlichem 
Jubel abgeküßt, daß es im ganzen Tanzraum laut widerhallte. 
Die Burschen aber, die nicht tanzten, beschäftigten sich mit 
dem Hahn. Man reichte das Tier herum, streichelte und lieb- 
koste es und unterhielt sich mit ihm, wie wenn es die Liebste 
wäre. Allgemein goß man dem Hahn Wein in den geöffneten 
Schnabel, zupfte ihn an den Federn und zerrte ihn am Schna- 
bel, man kniff ihm in das Fleisch, <bß er laut schrie und 
schonte ihn sogar nicht, wenn er sich heiser geschrien hatte. 
Die Freude der meist angetrunkenen Tanzgesellschaft an den 
Quälereien des wehrlosen Tieres ist einer der dunkeln Punkte 
in der Geschichte unseres Dorfipeßli, sie erinnert lebhaft an 
die Tierkämpfe im alten Rom. Der Gewinner nahm den Hahn 
in Empfang und tanzte nun, indem er ihn hoch in die Höhe 
hob und schwenkte, mit seinem Maide drei allein. Dieser 
Brauch ist all, wie aus einem Kinderliedchen hervorgeht, das 
noch in Pfulgriexheim erhalten ist : 

Papier ! Papier ! 
d'Maidle gehn in d'Schir, 
Han alli rothi Schläpplen an 
Un tanze mit dem Guckelhahn. 

Die «Schläpple», weit ausgeschnittene Schuhe, wurden in den 
1830er Jahren Mode.* 

In Merzweiler, Gundershofen, Mühlhamen und EraoU- 
heim war es in der letzten Zeit des Hahnentanzes üblich, daß 
der Bursche dem Maide ein Hemd mit Spitzenärmeln, dieses 
aber dem Burschen ein seidenes Halstuch schenkte. Da der 
Brauch offenbar eingeführt wurde, als diese Trachtstücke neue 
Bauernmode 5 waren, ist es uns möglich, die Zeit des letzten 
Hahnentanzes in der dortigen Gegend festzustellen, es sind die 
1840er Jahre. 



1 Koseform = Hühnchen. — 2 Verkleinerungsform zu Hampfel 
= Hand voll. — 3 = nicht mehr. — 4 Vgl. Kassel, Ueber elsäs- 
sische Trachten. Straßburg, 1VK)7. S. 19 — 5 a. a. 0., S. 8 u. 17. 



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- 300 - 



Nach dem Hahnenlanz wurde das Tier auf dem Tanzboden 
geschlachtet. Solange es blutete und zappelte, wurde eine 
Trauerserenade gespielt. Dann übergab man es dem Wirt. Der 
Gewinner aber bewirtete die Hahnentänzer mit Zuckerwein 
und hatte ihnen außerdem den «Hahnenimbs» zu spenden, wo- 
rüber später. Eine feierliche Schlachtung des Hahnes scheint 
nicht gebräuchlich gewesen zu sein. 

In Kleeburg ließ der Mann, der den Hahn während des 
Tanzes festhielt, das Tier im Augenblick des Gewinnes laufen, 
und der Gewinner mußte es noch selbst fangen, was jedesmal 
einen großen Spaß gab. In Hunspach und Rothbach wurde 
der Hahn nicht weiter behelligt, man ließ ihn einfach wieder 
los. Aus den Anfangsworten eines Tanzliedchens «Heb de 
Gülleri», das in den 1850er Jahren in der Gegend von Zöbers- 
doif gesungen wurde, läßt sich vielleicht schließen, daß das 
Fangen des Hahnes früher in größerem Umfange Sitte war. 

Der Tanz um einen leibhaftigen Hahn hat sich nur in 
Alteckendcrf ununterbrochen durch alle Meßti hindurch bis 
heute erhalten. Aber da der Meßti dort mehrfach ausfiel, so 
z. B. 1904 und 1005, hat die Ueberlieferung notgelitten. Es 
war nicht möglich, die Sitte nach dem Brauche von Nachbar- 
dörfern in ihrer alten Ausführung weiter zu vererben, und so 
ist es gekommen, daß ihre Bestandteile gelockert sind, und daß 
sie im ganzen entartet ist, weil niemand recht Bescheid weiß. 
Am Montagnachmiltag zieht das Meßtivölkchen mit Musik vom 
Tanzwirtshause aus auf eine Wiese. Hinter dem Meßtihüter 
trä^t ein Schuljunge mit weißer Schürze den blumengeschmück- 
ten Hahn, in der anderen Hand ein Schlacht messer. Der 
Meßtibursch und das Meßtimaide tanzen drei allein, es folgen 
3 allgemeine Tänze, dann wird nach dem unten zu schildern- 
den Verfahren der Hahn herausgetanzt. Der Gewinner be- 
kommt mit seinem Maide drei allein und hebt den Hahn mit 
der Rechten hoch empor. Dann wird die Meßtiplatte heraus- 
getanzt. Nach dem Gewinner bekommen auch die verheirateten 
Männer ihre «drei allein». Unterdessen haben sich die Schul- 
jungen zu ihrem Kameraden mit dem Schlachtmesser gesellt 
und den Hahn mit einem Schlage geköpft. Der Zug geht wieder 
ins Dorf zurück, an der Spitze der geköpfte Hahn, von Wirts- 
haus zu Wirtshaus und schließlich in die Tanzwirtschafl. 

In früheren Jahren fand dann am Abend der Hahnenim bs 
statt. Heute wird das Schlachtopfer mit nach Hause ge- 
nommen oder einfach im Stich gelassen. Der Gewinner ver- 
langt ihn oft gar nicht, denn der Meßtibursch hat in der Reyel 
ein etwas mageres Tier gewählt. 

Auch in Schwindratzheim wurde von 1897 — 1907 um 



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einen lebenden Hahn getanzt. Dies geschah nach über 50 jähriger 
Unterbrechung, als Nachahmung des Hahnenlanzes im benach- 
barten Alteckendorf, und zwar 1897 — 190(5 am Dienstag Nach- 
mittag. Der ungeschmückte Hahn wurde 1897 — 1899 an der 
Spitze des Meßtizuges, hegleitet von einem als Metzger und 
einem als Frau verkleideten Burschen, auf die Festwiese ge- 
bracht. Drei Tänze um den Meß ti bäum wurden aufgeführt, 
und ein Alter rief sogleich in Erinnerung an frühere Zeilen : 
«Pfelz'ne, daß er brüelt !» Und der Hahn wurde gekniffen, daß 
er laut schrie. Dann wurde ihm mit hochgezücktem Schlacht- 
messer der Kopf abgehauen. Man brachte ihn nachher im 
Triumph zum Tanzhaus zurück, wo er am Abend herausge- 
tan/.t und verspeist wurde. Seit 1900 hat sich die Sitte etwas 
verschönert. Der blumengezierte Hahn wird in einem sauber 
geputzten Käfig nach der Festwiese gebracht, wo der Meßti- 
buisch mit dem Tiere drei allein tanzt und es dabei streichelt. 
Nachdem die Meßtigesellschafl, wie sonst üblich, getanzt, 
zieiil sie mit dem noch lebenden Hahn nach dem Tanz- 
hause zurück, wo er am Abend herausgelanzl, in aller Stille 
geschlachtet und gegessen wird. Seit 1907 ist in Schwindratz- 
heiin der Meßti auf zwei Tage beschränkt, und da am Meßli- 
montag ganz Schwindratzheim auf den gleichzeitig stattfinden- 
den Hochfeldet Meßti zieht, ist wohl das Schicksal des Hahnen- 
tanzes in Schwindratzheini besiegelt. Wohl wurde auch 1907 
noch um den Hahn getanzt, aber dies konnte nur geschehen, 
weil der Meßti wegen starker Einquartierung verlegt wurde. 
Der Hahnentanz fiel übrigens nicht besonders gut aus. Dem 
Tanzwirt gelang es erst am Meßtisonntagmorgen, einen Meßti- 
burschen Zugewinnen, einen eben erst entlassenen Reservisten, 
und dieser entschloß sich erst am Montag um 11 Uhr, den 
Hahnentanz zu veranstalten, um die Leute anzuziehen. 

Der Grund des allgemeinen Niedergangs des Tanzes um 
den Hahn war das völlige Verschwinden seiner Bedeutung aus 
dem Volksbewußtsein. Man betrachtete den Hahn nur noch als 
Gewinn»egenstand. Und da es der Bauer vielfach schon längst 
verlernt hat, Geflügel zu essen, das ihm auf dem Markt ein 
gut Stück Geld einträgt, so ersetzte er den Hahn einfach durch 
einen anderen Tanzgewinn. So ist es gekommen, daß der 
Hahn abgeschafft wurde, während die Benennung Hahnentanz 
blieb. Namentlich ist die Bezeichnung «um den Hahnen tanzen» 
im Kirwegebiet üblich. Es lag nahe, nunmehr als Preis einen 
Gegenstand zu bestimmen, der beim Meßti in die Augen sprang 
und daher besonders begehrenswert war, und das war die Tracht. 
So wählte mau denn in unserem ganzen Gebiet ein männliches 
und ein weibliches Trachtstück : den Hut und das Halstuch. 



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Dieser Umstand, insbesondere die Verbindung von Hut 
und Halstuch, läßt einigermaßen einen Schluß über den Zeit- 
punkt zu, wann der Hahn als Tanzgewinn zuerst wegfiel. 
Während nämlich 1 der elsässische Bauer vom Ende des 17. 
Jahrhunderts ab einen Hut trug, legte die Bäuerin erst in den 
17£0 er Jahren ein anfänglich Flor genanntes Halstuch an, das 
um die Mitte des 19. Jahrhunderts in kostbarer Ausführung 
Mode wurde. Und in der Tat berichtet uns die mündliche 
Ueberlieferung, daß «früher» um einen Hahn getanzt wurde oder 
auch, daß man seit Menschengedenken um Halstuch und Hut 
tanzte. Vergleichen wir damit das, was man unter Menschen- 
gedenken zu verstehen hat, nämlich die Jugenderinnerung des 
Großvaters des ältesten lebenden Mannes, die erfahrungsgemäß 
um etwa 110 Jahre zurückführt, so kommen wir gerade in 
jene Uebergangszeit vom Hahn zum Halstuch. Es ist also mit 
Sicherheil anzunehmen, daß am Ende des 18. Jahrhunderts 
das Heraustanzen von Hut und Halstuch zuerst üblich wurde. 
Als dann die für die Meßtifreuden wenig geeigneten Zeiten der 
Revolution und Napoleons I. vorbei waren, wurden Hut und 
Halstuch — hier früher, dort später — allgemein gebräuchlich 
und blieben es bis tief ins 19. Jahrhundert und zum Teil noch 
heute. Und die Blütezeit des Tanzes um das reiche Halstuch 
fallt genau mit dessen Herrschaft in der Bauernrnode zusammen. 

Statt des Halstuches und des Hutes, namentlich seitdem 
dieser von den 1830 er Jahren ab unansehnlich geworden war, 
wurden in einzelnen Ortschaften, je nach dem Stand der 
Tracht undjder Liebhaberei der Beteiligten, auch andere Tracht- 
oder Kleidungsstücke herausgetanzt. Als aber das Trachten- 
wesen immer, mehr verfiel, sah man sich nach zeitgemäßeren 
Preisgegenständen um und wählte ein anderes Glanzstück des 
Meßti, die bürgermeisterliche Meßtiplatte oder einen beliebigen 
zugkräftigen Gegenstand. Oder aber die Sitte des Heraustanzens 
ging überhaupt ein, oder sie wurde durch eine Zettellott er ie 
verdrängt (Winzenheim 1897, Wimmenau 1904). Das sind in 
Kürze die letzten Schicksale des Hahnentanzes im Elsaß. 

Von den zahlreichen örtlichen Verschiedenheiten, die 
hauptsächlich in der Entwicklungsgeschichte der Tracht be- 
gründet liegen, sind einige erwähnenswert. 

Zunächst ist es auffällig, daß im Kirwegebiet, wo die Be- 
zeichnung Hahnentanz noch heule lebt, vielfach schon längst 
der Brauch des Ersatz-Hahnentanzes abgekommen ist, während 
in den protestantischen Meßtidörfern des Elsaß noch fast aus- 



1 Näheres hierüber in Kassel, Ueber elsässische Trachten. 
Straßburg, Du Mont Schauberg, 1907. S. 12, 16, 20 ff. 



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nahmslosam Meßtimontag ein Preis herausgetanzt wird. So ging 
der Hahnentanz in folgenden Gemeinden ein : in Winzenbach 
und Neeweiler a. d. Lauter um 1830, in Salmbach in den 
1830er Jahren, Oberseebach 1840, Altenstadt 1842, Nieder- 
lauterbach 1844, Aschbach 1848, Scheibenhardt, Hatten und 
Surburg 1853, Siegen um 1854, Diefenbach bei Wörth 1857, 
Oberrödern 1850er Jahre, Niederrödern und Obclauterbach 
1860, Memmeishofen, Meisenthal und Ingolsheim 1862, $<t/nd- 
weiler 1863, Nicderbetschdorf 1866, Hofen in den 1860er Jahren 
(zuletzi Hut und Geschirr), Schleithal und Niederseebach vor 
1870, Hoelschloch und Kleeburg kurz vor 1870, Riedselz und 
Leitersweilcr 1870, Weitfcrwc/t 1876 (der Tanz um den wirk- 
lichen Hahn erst 1901), Trimbach um 1870, Hohweiler und 
Oberbetschdorf 1888, Hermersweiler 1893, Hunspach und 
Kühlendorf 1899, Reitweiler 1902, Mietesheim 1905. Das 
Jahr des Abkommens des Hahnentanzes ließ sich nicht mehr 
feststellen für Langensulzbach , Wilschdorf, Reimersweiler, 
Rittershofen, Mothem, Kröltweiler und Eng weiter. 

Statt des Hutes wurde früher die seit dem Anfang des 
19. Jahrhunderls modische, teure Pelzkappe herausgetanzt in 
Oberseebach, Aschbach, Surburg, Stundweiler und Hunspach, 
was den Gewinner nicht selten 40 Franken oder Mark kostete. 
Ferner wurden herausgetanzt : in /litensiacf* ein Leibchen, in 
Aschbach, Stundweiler und Schleithal eine Schürze, in Sc A£et- 
thal außerdem ein teures Männerbrusttuch und ein oder zwei 
seidene Männerhalstücher (Flore), in Trimbach ein ganzes 
Kleid, in Hofen Geschirr, in Wörth öfters ein Kaffeeservice. 

Im Meßtigebiet, das sich größtenteils mit dem Machtbereich 
der Schlaufkappe deckt, wird vielfach diese letztere als Tanz- 
preis bestimmt, so besonders im Ackerland, zu Pfulgriesheim, 
Olwislieim, ' Mundolsheim und Lampertheim. Im Nordhanau- 
ischen zwischen Ringendorf und Mietesheim schwärmt man 
für die modischen kleinen Halstücher oder Foulards, die jetzt 
das Entzücken der dortigen Trachtenleute bilden. Der belang- 
lose Mannshut ist fast überall unbeliebt geworden. Man bevor- 
zugt heute die Meßtiplatten, ferner Kaffee-, Wein- und Bier- 
service, die dann den neuzeitlichen bäuerlichen Stuben als Aus- 
stattungsstücke dienen. In Quulzenheim wurde unlängst eine 
Stehlampe, in der Walk eine Taschenuhr, in Furchhausen 
und Winzenheim ein Regenschirm, in Winzenheim außerdem 
ein halböhmiges Fäßchen herausgetanzt. 

Eigentümlich ist der Brauch mehrerer hanauischer Dörfer, 
außer den Trachtstücken, und zwar am Meßtidienslag, gläserne 
«Salzbüchsle» herauszutanzen. Um diesen Preis, ein Geschenk 
des Meßtiburschen, tanzen nur die Maiden. Diese Sitte besteht 



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noch u. a. in Schillersdorf, Rothbach und Mieteshehn, früher 
bestand sie auch in Menchhofen und Mühlhausen, bis 1847 in 
Wickersheirn und bis in die 1860 er Jahre in Zöbersdorf. 
Weshalb gerade Salzbüchschen den Beifall der Maiden fanden 
und noch finden, ist schwer zu sagen. 

Aber schon beginnt das Heraustanzen an sich in Abgang 
zu kommen, so in Uhrweiler, wo man 1904 die ganze Sitte 
fallen ließ. Im Städtchen Niederbronn ging sie schon 187/ ein. 

Im Anschluß an den Hahnentanz muß auch der Hammel- 
tanz erwähnt werden. Wenn es auch keinem Zweifel unter- 
liegt, daß wir im Hammel ursprünglich ein Herbstopfertier zu 
erblicken haben, so kommt doch dem Hammeltanz im Elsaß* 
nicht die sitlenmäßige Bedeutung zu, die er vielfach in Alt- 
deulschland und insbesondere in der Baar * genießt. So weit 
die mündliche Ueberlieferung reicht, war und ist er einfach ein 
Preistanz wie ein anderer. Der Hammel ist, für frühere Jahr- 
zehnte freilich, lediglich vom Gesichtspunkte des Schmauses zu 
betrachten, wo wir ihm im nächsten Abschnitte begegnen 
weiden. In neuerer Zeit ist es vielfach Brauch geworden, daß 
der Gewinner ihn mit nach Hause nimmt. So war es schon 
1872 in Lingolsheim Sitte, daß man ihn am Nachmeßti-Montaj; 
dem künftigen Besitzer feierlich übergab. Das Heraustanzen 
eines Hammels ist noch gebräuchlich in Lichtenberg, Ing- 
weiler, Buchmeiler, Lampertheim, Wolfisheim, Winzenheim 
und wurde bis in «tie allerletzten Jahre u. a. betrieben in 
Wörth, Vendenheim, Ohvislieim, Eckboisheim (1902 sogar 
zwei Hammel) und Bischheim, bis 1802 auch in Gambtheiin. 

Die Anschaffung der Gewinngegenstände ist Sache des 
Meßtiburschen. In Stotzheim stiftete sie früher der Bürger- 
meister Baron v. Andlau. In Hunspach, wo in der letzten 
Zeit kein Kirwebursch mehr war, schallte der Wirt die Pelz- 
kappe und das Halstuch an. Das gewinnende Paar erhielt 
beides. Die Hahnentänzer bezahlten ihren Anteil an den An- 
sehaft'ungskosten, die ganze Stube aber trank auf Rechnung 
des Gewinners. 

In einzelnen Gemeinden wurden die herauszutanzenden 
Gegenstände in merkwürdiger Weise zusammengestellt. So 
tanzte man in Kleeburg in den 1800er Jahren einen Hahn und 
ein Halsluch heraus. Zu Alteckendorf wird noch heute aut 
der Wiese der Hahn und die Meßtiplatte und nachts im Tanz- 
wirtshaus Hut und Halsluch herausgetanzt. 

* Für den Kochersberg vgl. S t ö b e r , Der Kochersberg, S. .V2. 
für das Oberelsaß: Pf a n n en s c h m i d . a. a. 0., S. 558 ff. — 
* Birlinger, Aus Schwaben. Wiesbaden. Killinger, J874. II. S. 
214 f. — E. H. Meyer. Badische Volkskunde, S. 233 u. 237. 



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Auch die Verteilung der verschiedenen Preisgegenstände 
auf zwei oder drei Tage ist hie und da üblich. So wird in 
Mietesheim am ersten Tag ein großes Halstuch für 40—64 M., 
am zweiten ein oder zwei kleine Halstücher, am dritten Salz- 
hüchsle herausgetanzt, in Weitbrach am zweiten Tag Meßti- 
platte und Teller, am dritten Tag Hahn, Hut und Halstuch, 
in Morsbronn (bis 1882) am ersten Tag Halstuch, am zweiten 
ein Dutzend Teller. 

Die ganze Veranstaltung wird aber schon mit verhöhnenden 
Bemerkungen begleitet in Gundershofen, wo allerdings das 
Meßtivolk größtenteils aus den Eisenarbeitern des Zinsweiler 
Werkes besteht. 

Was nun endlich das Verfahren des Heraustanzens betrifft, 
so ist es seit Menschengedenken im großen und ganzen das- 
selbe. Auf einem Balken der Tanzhütte oder auf dem Musi- 
kantenlisch brennt eine Stearinkerze, die mit einem Bindfaden 
umwickelt ist, woran ein Trinkglas hängt. Früher war es ein 
Talglicht in einem Laternengestell, das man an der Wand oder * 
am Pfosten in der Mitte des Saales oder an einem Baum 
der Tanzwiese aufhängte. Das Licht wird angezündet, und der 
Tanz beginnt. Ist nun die Kerze bis an den Bindfaden herab- 
gebrannt, so fällt das Glas zu Boden. Das ist der Augenblick 
des Gewinnes. Klein 1 gibt für den Zaberner Meßti vor 1849 
und StÖber» für den Kochersberg vor 1857 das nämliche Ver- 
fahren an. Statt des Glases wurde jedoch in Zaber n eine Flinten- 
kugel, im Kochersberg eine Bleikugel verwendet. Trotz eifriger 
Fahndung nach dieser Kugel ist es uns nicht gelungen, ihr 
Vorkommen im Kochersberg bestätigt zu finden. Dieses Ver- 
fahren wurde von Ca Imberg nach Stöbers Angaben dramatisch 8 
verwertet, er läßt eine faustgroße Bleikugel auf eine Blechkanne 
fallen. Für die von Calmberg angegebene Zeit, das Jahr 1872, 
trilft es aber sicher nicht zu. In Kleebarn hatte man früher 
statt eines Glases eine ^'Literflasche. ^ n Lothringen steckt 
die an der Decke befestigte Kerze in einer Flasche. 

Die Bestimmung desjenigen Tanzpaares, das beim Fallen 
des Glases als Gewinner zu gelten hat, geschieht auf ver- 
schiedene Weise. Zunächst numeriert der Meßlibursch die Paare, 
entweder in seinem Notizbuch, oder durch Einhändigung von 
Zetteln an die Burschen (Schweighausen, Schwabweiler, Flöth- 
bach ), in Ringendorf eine Zeitlang durch Kreidezahlen auf 



1 Klein, Saverne et ses environs. Strasbourg, Silbermann, 184t>, 
p. 224. - i Stöber, Der Kochersberg. ö. 49 f. — » Calmberg, 
Das Röschea vom Kochersberg, elsässisches Lebensbild in fünf Auf- 
zügen. Leipzig und Zürich, 1875. 2. Autl. S. 3 f. und 20. 

20 



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dem Rücken der Tänzer. Nun wird getanzt, bis das Glas fällt, 
oft eine Stunde lang. Es ist ein aufregender Tanz, denn 
niemand will zurückstehn. Nach dem alten Zaberner und 
Kocbersberger Verfahren bekam das erste Paar einen Blumen- 
strauß in die Hand, den es dem nächstfolgenden Paar übergab, 
sobald es stille stehen mußte, um Atem zu schöpfen. Wer den 
Strauß in der Hand hatte, als die Kugel fiel, hatte gewonnen. 
Die Musik spielte sehr schnell, um die Tänzer außer Atem zu 
bringen und einen öfteren Wechsel des Straußes zu bewirken. 
Nach dem jetzt üblichen Verfahren wird der Strauß nach An- 
weisung des Meßtiburschen alle 1 — 3 Runden an einer mit 
Kreide bezeichneten Stelle des Tanzbodens oder alle halbe oder 
ganze Minute durch Ausrufen der Nummern gewechselt. Dieser 
Strauß bat aber heutzutage wohl allenthalben die Gestalt eines 
Rosmarinsträußchens, des Wahrzeichens treuer Sitte, ange- 
nommen, das in den Mund gesteckt wird und manchmal mit 
einem roten Bändchen versehen ist. Schon 1849 wurde in 
Buchsweiler ein Rosmarinstengel verwendet, hingegen noch 
1853 ein Blumenstrauß in Hatten und 1876 in St. Johann- 
Kurzerode. Auch im Oberelsaß war noch bis 1878 ein Strauß 
im Munde die Regel. * Nach dem Rosmarinsträußehen wurde 
in Lingohheim (bis 1872) das Heraustanzen geradezu als Ros- 
marintanz bezeichnet. 

Als vereinzelte örtliche Entscheidungszeichen, die von Paar 
zu Paar wanderten, sind zu nennen : in Weiters weiter und 
Dossenheim der Hut des Meßtiburschen, der ja auch einen 
Strauß hatte, in Ittenkeim ein Schlüssel, in Weitbruch der 
Hahn selbst, in Geudertheim die Meßtiplatte. 

Zu Buchsweiler gewann in den 18Ö0 er Jahren das Paar, 
das sich beim Fallen des Glases unter dem Talglichte befand. 
In Kleeburg (vor 1860), Memmeishofen (bis 1862) und Stund- 
weiler (bis 1863) war von einem Pfosten in der Hütte nach 
der einen Wand eine Stange in der Weise gelegt, daß immer 
bloß ein Paar zugleich darüber tanzen konnte. Wer auf der 
Stange war, als das Glas fiel, hatte gewonnen. Da war dann 
in der Nähe immer ein Gedränge. War ein Paar auf der 
Stange, so tanzte es möglichst lange darauf, die andern Tänzer 
drängten nach, und es gab eine Schieberei. Brannte aber das 
Licht nahe an der Schnur, so hielt man sich etwas zurück, 
um im entscheidenden Augenblick schnell auf die Stange 
treten zu können, und es gab wieder ein Gedränge. Da war 
es oft für die beiden Kirweburschen, die die Laterne und die 
Stange im Auge behielten, schwer, eine Entscheidung zu 

1 Pfannenschmid, a. a. 0. S. 5"»1>. 



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treffen. Nicht selten auch tanzte beim Fallen des Glases niemand 
auf der Stange. 

Das im Elsaß übliche Verfahren beim Hahnentanz und 
dem aus ihm hervorgegangenen Heraustanzen hat viel Aehnlich- 
keit mit dem Hammeltanz zu Hornberg in Baden* und mit 
dem Hahnenlanz in der Baar,i insbesondere in Urach, Teinach 
und Markgröningen. * Auch dort gilt das Fallen oder das 
schwierige Herabstoßen eines Glases als Zeichen des Gewinnes. 
Vielleicht ist dieser Hahnentanz aus einem deutschen Bauern- 
lanz des 15. Jahrhunderts hervorgegangen, bei dem der Bursche 
ein Glas auf dem Kopf balancieren mußte. Wer das am besten 
tat, der erhielt als Preis einen Hahn.' Hahnentänze mit anderem 
Gewinnverfahren sind von Böhme* belegt für Wien 1801, bis 
1840 in Höslach in Schwaben, bis 1850 in Allgäu, bis in 
unsere Tage im badischen Schwarzwald. 5 Auch in Teinach 
und Augsburg war noch 1874 der Hahnentanz üblich,« in 
Augsburg schon 1519.7 Ob auch im Elsaß im 18. Jahrhundert 
oder früher die persönliche Geschicklichkeit beim Tanzen in 
Betracht kam, wissen wir nicht. 

Wer den Landmann kennt, den wird es nicht befremden 
zu erfahren, daß beim Heraustanzen nicht immer der Zufall 
entscheidet. Es wäre aber ganz verkehrt, von verwerflichem 
Betrug zu sprechen, sondern List und Verschlagenheit haben 
mit der Zeit den natürlichen Gang des Heraustanzens beein- 
flußt, und die so geschaffene Veränderung ist nun selbst zur 
Sitte geworden. Seit einigen Jahrzehnten ist es überall ge- 
bräuchlich, daß das Glas nicht auf natürliche Weise herunter- 
fallt, sondern daß es absichtlich heruntergestoßen wird, und 
zwar vom Meßtiburschen oder einem seiner Freunde oder von 
einem der Musikanten, denen es nie schnell genug geht. Der Ge- 
winner aber hat vorher mit dem Meßtiburschen «geredet», und 
dieser hat demjenigen Burschen den Gewinn zugedacht, der 
ihm das größte Trinkgeld gab und am meisten Wein guthieß, 
z. B. 3 — 5 M. und 4 Liter Wein für die Musik. Die Dorf- 
burschen kennen gewöhnlich den Gewinner im voraus, aber 
sie sind mit dem Ergebnis einverstanden, weil sie dafür vom 
Meßtiburschen tüchtig zu trinken bekommen. In der Regel 



1 Reinsbcrg-Düringsfcld, Das festliche Jahr. Leipzig, 
Barsdorf, 1898. S. 299. — * Gartenlaube von 1884, S. 632 ff., wo 
auch das Gemälde von H. Schaumann wiedergegeben ist. — 
: * Schultz, Deutsches Leben im 14. und lö. Jahrhundert. Wien, 
Prag und Leipzig. 1892. II, S. 495. — * Böhme, Geschichte des 
Tanzes in Deutschland. Leipzig, Breitkopf und Härtel. I. S. 171 ff. 
— & E. H. Meyer, Badische Volkskunde. S. 190. — 6 Bir- 
linger, Aus Schwaben. II, S. 213 f. und 220. — ' A. a. 0. S. 227. 



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- 308 - 



ist es ein Bräutigam, der seiner Braut das Halstuch schenkt, 
und nicht seilen hat er es vorher sogar selbst ausgesucht. Be- 
wirbt sich ein Angehöriger des Herrenstandes um das Meßti- 
halsluch, so muß er gehörig bezahlen, z. B. 10 M. oder 
10 Liter Wein. In einem solchen Falle zieht der Meßtibursch 
gewöhnlich seine Kameraden zu Rate. Bei diesem .neuzeit- 
lichen, entarteten Hahnentanz ist es die Sorge des Meßtiburschen, 
das Glas möglichst schnell zu Falle zu bringen, damit dies 
nicht durch die «Dummheit» eines andern Burschen geschieht, 
und er pflegt sich dann auch nicht an eine bestimmte Reihen- 
folge unter den Tanzpaaren zu kehren. In Alleckendorf ist 
die Sache einfach die, daß ein Freund des Meßtiburschen auf 
der Festwiese ein Glas auf einen Stein wirft, wenn der rich- 
tige Bursche das Rosmarinsträußehen im Munde hat. Der 
Meßtibursch ruft dann: «Het, wer het?» Der Gewinner hält 
das Sträußchen in die Höhe und bekommt nun den Hahn. Das 
ist freilich schon ein Stück Hohn auf die alte Sitte. 

Der Verlauf der ganzen Veranstaltung ist nunmehr folgen- 
der. Gleich nach dem Abendessen geht der Meßtibursch herum 
und läßt sich «setzen». Die Burschen, die sich beteiligen 
wollen, setzen je nach ihrer Zahl und dem Wert des Gegen- 
standes 20 Pf. bis 1 M., bisweilen auch 2 M. In manchen 
Dörfern, so in Ernolsheim und Alleckendorf, sind die Burschen 
zum Einsatz verpflichtet als Entschädigung für das Vertrinken des 
Meßti, und dort erhebt der Meßtibursch einfach I1J2— 2 M. 
Manchmal setzen auch die Maiden «ins Halstuch». Dies ist 
z. B. in Dossenheim gebräuchlich, und in gewissen Dörfern, 
so in Ringendorf, ist es Sitte, daß bloß Maiden um das 
kleine Halstuch tanzen. Ebenfalls in Ringendorf herrscht der 
Brauch, daß der Meßtibursch mit einer brennenden Kerze an 
den unteren Rockrand der einzelnen Tänzerinnen leuchtet, an- 
geblich um an der Bewegung der Beine zu sehen, ob sie auch 
gut tanzt. Dies tut er trotz seiner gebeugten Hallung und 
selbst tanzend mit großer Gewandheit, so daß das Licht durch 
den Luftzug des fliegenden Rocks nicht ausgelöcht wird. Bis 
in die 1860er Jahre herrschte dieser Brauch im Hanauerland, 
und oft tanzten mehrere Burschen hintereinander mit den 
Talglichtern. Sobald das Glas fallt, hört die Musik auf, und 
der Gewinn wird überreicht. Oft legt der Gewinner des 
Halsluches dieses selbst zum Scherz an, gewöhnlich hängt er es 
aber seiner Tänzerin um. Ist es zu heiß, oder sollen die Tanz- 
kleider geschont werden, so kennzeichnet der Meßtibursch die 
gluckliche Gewinnerin dadurch, daß er ihr ein rotes Band um 
den rechten Oberarm anlegt. Für jeden Gegenstand erhält das 
gewinnende Paar drei allein, und nicht selten lassen sich Meßti- 



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bursch und Musik dafür nach allgemeinem Brauch noch durch 
einige Maß Wein entschädigen. 

Nicht immer gelingt es, für die Meßtigewinne Liebhaber 
zu finden, eben wegen der großen Kosten. Dann geht es auch 
wohl ausnahmsweise ehrlich zu, und nötigenfalls läßt der Wirt 
seine Aufwürter und Aufwärterinnen mitsetzen, damit der 
Meßtibursch wenigstens zu seinen Auslagen kommt. Ein be- 
sonderer Spaß ist es für die Burschen, einen angeheiterten 
Mann zum Setzen zu veranlassen. Oft ist es ein alter Mann, 
der aus seinem Rausch erst erwacht, wenn das herabrollende 
Glas ihm den Gewinn, aber auch die bedeutenden Unkosten 
des Drei-allein-Tanzens ankündigt. Mit Vorliebe bereiten die 
Burschen diese Ueberraschung einem vorwitzigen Fremden 
oder einem vertrauensseligen Tänzer aus dem Herrenstande. 
Auf dem Dunzenheimer Meßli ließ einmal in den 1850er 
Jahren ein Mann aus Ingenheim in fröhlicher Weinlaune seine 
Großmutter heraustanzen, die den Fehler halte, zu lange zu 
leben. Wie vorauszusehen war, gewann er sie wieder und 
mußte unter ungeheurer Heiterkeit eine Menge Wein be- 
zahlen. 

Oft gibt der Hahnentanz Anlaß zum Streit. Sind mehrere 
Burschen mit festen Liebsten da, die alle gern das Halstuch 
hätten, so entstehen von vorneherein Reibereien. Beim 
Heraustanzen sucht dann der Anhang eines jeden Burschen 
das Licht samt dem Glas herunterzuwerfen, trotzdem das 
Halstuch bereits einem bestimmten Burschen zugesichert ist. 
Manchmal geht das Büchlein mit den Namen und Nummern 
der Hahnentänzer verloren, und es kam schon öfters vor, daß 
der Meßtihammel aus dem Stall verschwunden war, wenn ihn 
der Gewinner abholen wollte. Besonders müssen hierbei die 
Auswärtigen vorsichtig sein. Mehr als einmal bekam eiti Fremder 
im entscheidenden Augenblick das Rosmarinsträußehen von 
einem einheimischen Burschen einfach aus dem Munde ge- 
rissen. Um diesem Schicksal zu entgehen, warf einmal ein 
Ernolsheimer Bursche auf dem Dossenheimer Meßti auf den 
Rat des Meßtiburschen das Sträußchen zum Fenster hinaus. 
Als das Glas fiel, konnte sich niemand anders melden, 
da keiner den Rosmarin hatte, und so erhielt der Ernolsheimer 
das Halstuch für seine Braut. 

Eine zweite Form der Verwendung eines Hahnes ist das 
Hahnenschlagen. Diese Sitte ist in Deutschland weit verbrei- 
tet. Sie kommt auch im Böhmerwald » und in England und 



1 Reinsberg-Dürings feld, Das festliche Jahr. 2. 
Aufl. Leipzig, Barsdorf, 1898. S. 370. 



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— 310 — 



sogar in Madrid i vor. Es liegt ihr die altgermanische An- 
schauung zu Grunde, daß in dem Getreide auf dem Feld ein 
geisterhaftes Wesen in Gestalt eines Hahnes * haust, das durch 
das Abschneiden der letzten Garbe getötet wird.» Diese Tö- 
tung wurde in sinnbildlicher Weise mit einem wirklichen 
Hahn unmittelbar nach der Ernte vorgenommen. In späterer 
Zeit löste sie sich vom Ernteakt los und wurde als Hahnschla- 
gen, Topfschlagen und Hahnreiten zur selbständigen Volksbelu- 
stigung in verschiedenen Zeiten des Jahres.* Dieses Spiel hat 
sich im Elsaß mit dem Kirch weih feste verbunden oder 
wurde mit ihm als einem Erntefeste aus altersgrauer Vorzeit 
überliefert. 

Das Hahnenschlagen ist im Meßtigebiet nachzuweisen in 
Weitersweiler bis 1876, in St. Johann- Kurzerode bis 1877, 
in Neuweiler bis 1899, in Dossenheim bei Zabern besteht 
es noch. 

Die in Dossenheim übliche Art des Hahnenschlagens ist 
folgende. Am Meßtidienstag nachmittag zieht das Meßtivolkauf 
eine Wiese. Ein Bursche trägt den lebenden Hahn in einem 
Röckkorb mit. Man hängt ihn draußen an einer zwischen 
zwei Bohnenstangen ausgespannten Schnur auf. Nacheinan- 
der tanzen die Burschen um den Hahn herum «den Hahnen- 
tanz». Sie bekommen einen Säbel in die Hand und müssen 
nun mit verbundenen Augen die Schnur zu durchhauen 
suchen. Wem es gelingt, der gewinnt den Hahn und tanzt 
mit seinem Maide und dem Hahn drei allein. Wie beim 
Heraustanzen, war der Gewinner schon im voraus bestimmt. 
Das Hauen nach dem Seil ist eine Milderung der früheren 
Sitte des Schlagens nach dem Hahn selbst, die auch in St. 
Johann- Kurzerode üblich war und noch im Kreise Bolchen 
mit einem Stocke geschieht. Dann zieht die Gesellschaft nach 
dem Tanzhause. Vor diesem tanzt das Gewinnerpaar wieder- 
um drei allein, wie vorher. Dann wird der Hahn geschlachtet. 
Solange er blutet, spielt die Musik eine Trauerserenade. Das 
Blut wird in einer Schüssel aufgefangen und wurde früher von 
den Burschen getrunken. Heutzutage wird es durch Rotwein 
versinnbildlicht, und der Bursche, der den Hahn geschlachtet 
oder ihm mit dem Säbel den Kopf abgehauen hat, begleitet 
die Aufforderung zum Trinken scherzweise mit der Frage : 
9 Wer hat Courage?» Sollte dieser Brauch, der übrigens im Elsaß 
einzig dasteht, nicht auf ein altes Tieropfer mit AufTangen des 

1 Fahne, Der Carneval. Köln u. Bonn. Heberle. 1851. S. 149. 
2 Mannhardt, Die Korndämonen. Berlin. Dümmler. 18G8. 
S. 1. - 3 A. a. 0. S. ö. - « A. a. 0. S. 16. 



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311 — 



Blutes in einem Opferkessel und einer gemeinschaftlichen Opfer- 
mahlzeit hindeuten? In den Dossenheimer Gebräuchen ist 
1906 und 1907 insofern eine Aenderung eingetreten, als der auf 
die Wiese mitgebrachte Hahn schon vorher geschlachtet war 
und dann vor dem Wirtshaus eine Scheinschlachtung stattfand. 

Eine andere Form des Hahnenschlagens ist das in 
Weitersweiler und Neuweiler üblich gewesene «Ausbauen». 
Zu Weitersweiler wurde am 2. Meßtitage ein geschlachteter 
Hahn mit den Füßen an einer langen Stange angebunden und 
zum Fenster des Tanzwirlshauses hinausgehängt, 1 in Neuweiler 
band man einen lebenden Hahn mit den Füßen an eine Pla- 
tane im Hofe der Wirtschaft. Der Reihe nach hieb nun jeder 
Bursche mit einem Säbel und verbundenen Augen dreimal 
nach dem Tier. Wer den Kopf abhieb, hatte gewonnen. In 
ähnlicher Weise wurde früher im Kreise Chäteau-Salins 
nach einem eingegrabenen Hahn, im Kreis Bolchen nach 
einem Ei geschlagen. In allen Fällen mußte der Gewinner 
den Hahn zubereiten lassen. Darüber im nächsten Abschnitt. 

Die Silte des Hahnenschlagens schließt übrigens die des 
Hahnentanzes, d. h. des Tanzes um Hut und Halstuch nicht 
aus. 

Der Hahnenimbs. 
Schmausereien im Wirtshaus. 

Im Hahnenimbs haben wir wohl die Ueberreste eines 
Opfermahles zu erblicken, das abgehalten wurde, um dem im 
Getreide gedachten Vegetationsgeisle, dem Getreidehahn, nach 



1 Ueber die Entstehung dieser Sitte erzählt man sich in Wei- 
tersweiler folgende lustige Geschichte. Es flog einmal ein fremder 
Vogel ins Dorf, der nur immer «Kuckuck» rief. Man brachte das 
seltsame Tier, das niemand kannte, aufs Gemeindehaus, wo es auf 
Kosten der Gemeinde verpflegt wurde. Da dies aber zu kostspielig 
wurde, beschlossen die Räte, daß der Vogel der Reihe nach zu 
allen Bürgern geschickt und von diesen gefüttert werden sollte. 
Derjenige aber, bei dem der Vogel wegen schlechter Verpflegung ver- 
enden würde, sollte der Gemeinde die sämtlichen Fütterungskosten 
vergüten. Eines Tages verendete das Tier bei einem Schuster, der 
auch im Gemeinderat war. Um nun der festgesetzten Strafe zu 
entgehen, schlug der Schuster vor, der Jugend eine Freude zu be- 
reiten, den Vogel zu töten und auf die jetzt noch übliche Weise 
«aushauen» zu lassen. Der Gewinner solle den Vogel zu einem 
Imbiß zurüsten lassen und die Kosten bezahlen. Der Rat ging auf 
den Vorschlag ein, und zum Andenken >vird seitdem am 2. Meßti- 
tage ein Kuckuck oder in Ermangelung desselben ein Hahn «ausge- 
hauen». Daher stammt auch der Uebername der Weitersweilcrer : 
die Kuckucke. Die Geschichte beweist weiter nichts, als daß die 
Sitte schon recht alt ist. 



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glucklich eingebrachter Ernte zu danken und seine Gunst wei- 
terhin sich zu sichern. 

Ks liegt nahe, anzunehmen, daß in der Blutezeit des 
Tanzes um einen leibhaftigen Hahn dieser auch von den be- 
teiligten Tänzern verspeist wurde. Ein wirklicher Hahn wurde 
in den letzten Jahren nur noch gemessen in Alieckendorf, 
Schwindrat: heim, Lampertheim und Dossenheim, ferner bis 
gegen 1870 in Walten heim und Kleeburg und bis 1894 in 
Weitbruch. Mit Ausnahme von Lampertheim sind das lauter 
Dörfer, wo man auch um einen wirklichen Hahn tanzte. In 
Mietesheim wurde aber schon in den 1820er Jahren der heraus- 
getanzte Hahn nicht mehr verspeist, in Hunspach ebenfalls 
nicht, wo man zwischen 1835 und 1840 statt dessen Gänse- 
braten aß. Auch in den eben erwähnten Dörfern legt mnn 
kein Gewicht mehr auf das Hahnenessen. Nur die Dossen- 
heimer Jugend scheint einen guten Hahnenbraten zu lieben, 
denn es werden dort außer dem Preishahn noch andere Hähne 
dazugekauft und gemeinsam verspeist. 

Im übrigen erging es dem Hahnenimbs wie dem Hahnen- 
tanz. Der Hahn verschwand vom Tische, und der Hahnenimbs 
hat sich allmählich zu einem gewöhnlichen Essen gestaltet, 
während der Name Hahnenimbs blieb. Am meisten ist er 
in dieser Form noch im Nordhanauischen im Schwung, etwa 
von Alteckendorf und Obermodern ab nördlich. In Obersee- 
bach kam er schon um 1840 ab, in Gunsten 1869, in Wei- 
tenweiler 1870, in Morsbronn 1882, in Hunspach y wo man 
am Nachkirwe-Sonntag noch an den «Habnentisch» ging, 1899, 
in Milse hdorf vor wenigen Jahren. Am Hahnenessen beteiligen 
sich diejenigen Paare, die am Hahnentanz teilgenommen 
haben. Nach altem Brauch muß der Bursche, welcher den 
Hahn bezw. das Halstuch gewonnen hat, den Imbs be- 
zahlen, wofür er am Hahnentisch oben ansitzen darf. Den 
Wein liefern die Burschen selbst. Umgekehrt war der Ge- 
winner im Hahnentanze zu Schillersdorf vor 1870 mit seinem 
Maide zehrfrei, mußte aber der Musik 5 Fr. geben. 

In Mietesheim, wo der Hahnenimbs noch am ausgepräg- 
testen ist, geht «r, wie folgt, vor sich. Schon am Sonntag beim 
Feierabend setzt der Meßtibursch jedem Maide, das an den 
Hahnentisch kommen soll, zwei neue Blumenteller zum Mit- 
nehmen vor. Der Bursche muß sie bezahlen, dabei wird der 
Kaffee getrunken. Am Montag um Mitternacht stellt er wieder 
zwei Teller hin. Dann setzt man sich an den Hahnentisch. 
Es gibt ein «vollständiges Essen» : Suppe und Rindfleisch, 
Bratwürste mit Weißkraut, Kalbsbraten und Salat. Kuchen 
und Torte werden zum Mitnehmen «eingebunden». Am 



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— 313 - 



Dienstag Abend beim Kaffee erhält jedes Maide, das am Hahnen- 
tisch war, nochmals zwei Blumenteller, so daß es nunmehr 
ein halbes Dutzend hat. Das Paar kostet 24 Su. Der Hahnen- 
imbs, mit allem, was drum und dran hängt, ist also eine 
kostspielige Sache. Deshalb führt auch der Bursche sein 
Maide in der Regel nur dann an den Hahnentisch, wenn er 
ernste Absichten hat, und darauf wird von den andern Burschen 
geachtet. 

Entgegen dem Hahn wird das andere Opfertier, der 
Hammel, wie auch anderwärts in Deutschland,» noch häufig 
verspeist, lediglich wohl nur deshalb, weil es sich für eine 
größere Beteiligung sehr gut eignet, was man vom Hahne nicht 
sagen kann. 

Im allgemeinen ist sonst der Zusammenhalt der Hahnen- 
tänzer schon sehr gelockert. Doch findet man hie und da noch 
Reste des gemeinsamen Hahnenimbses, so in Oberseebach, wo 
die Burschen mit festen Liebschaften im Wirtshause zu Nacht 
speisen und für sie eigens Torten zum Mitnehmen backen lassen, 
ferner in Engweiler, wo jeder Bursche ein Kaninchen mit- 
bringt und der Meßti mit einem gewaltigen Essen von oft 30 
Kaninchen beschlossen wird, und in der Walk, wo sich die 
Jugend der benachbarten protestantischen Dörfer schon am 
Sonntag Nacht zusammenschließt und erst bei Tagesanbruch 
vom Tische aufsteht, um ans Heimführen zu denken. Diese 
Schmausereien beschränken sich nicht mehr auf die Hahnen- 
tänzer, doch gilt für die Burschen die untere Altersgrenze von 
17 Jahren. 

Aber gewöhnlich ist das Mahl im Tanzwirtshause jeder- 
mann zugänglich, vorausgesetzt daß überhaupt Sinn und Geld 
für solche Schmausereien vorhanden ist. Deüweiler und Ven- 
denheim genossen früher in dieser Hinsicht weit und breit 
einen berechtigten Ruf. Nicht seilen mußten mehrere Schweine 
geschlachtet werden, 60 und mehr Kugelhopfe, 30 Torten und 
ganze Körbe voll Hirzhörnle wurden gegessen und nachher 
Zuckerwein getrunken. In Geitdertheim ist es zur Sitte ge- 
worden, daß auch verheiratete Einheimische im Wirtshaus 
essen. Heutzutage begnügen sich Bursche und Maide vielfach 
schon mit einem Paar Knackwürstchen oder einem «Serwila» 
(frz. cervelal) oder einem Stückchen Käse, und dazu trinkt man 
ein Glas Bier. 



» Pfanne nschmid, a. a. 0. S. 292, wo noch weitere Lite- 
ratur angegeben ist. — Reins berg-Düringsfeld, a.a.O. 
S. 362. 



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— 314 - 



Das Begraben, Verbrennen, Ertränken. 
Der Meßtibär. 

Den Schluß des Hauptmeßti bilden gewisse Veranstaltungen, 
die in scherzhaft-feierlicher Weise verlaufen, aber ursprünglich 
einen tieteren religiösen Sinn hatten. Sie sind wohl als 
Ueberreste alter Opferfeste und Grabgeschenke an die die 
Vegetation schaffenden, verschiedengestaltigen Geisler aufzu- 
fassen.* Wir linden sie in irgend einer Form, durch ganz 
Deutschland : Vergraben eines Hoßschädels, einer Puppe, der 
gefüllten Kirmeßflasche, zerschlagener Gefäße oder anderer 
Kirchweihgegenstände, Verbrennen einer Puppe oder eines 
Bundes Stroh, Herumführen eines Vermummten, «der krank 
gewordenen Kirmeß», Versenken einer Puppe ins Wasser.» 

Auch im Elsaß hat die sinnbildliche Beendigung des Festes 
verschiedene Gestalten angenommen. Sie hat sich noch bis in 
die allerletzte Zeit erhalten in Westhofen, Garburg. Heinrichs- 
dorf, Mundolsheim, Hurtiyheim, Hördt und Oberhofen bei 
Weißenburg. 

Am häufigsten ßnden wir das Begraben des Meßti. Am 
Nachmittag des letzten Meßtitages, Dienstag, Mittwoch oder 
Donnerstag, zieht die ganze Meßtigemeinde mit Musik hinaus 
vor das Dorf, auf eine Wiese oder in einen abgelegenen Winkel. 
Ein Teilnehmer, der ursprünglich den Vegetationsgeist vor- 
stellen sollte, ist in besonders drolliger Art verkleidet, er wird 
auf einem Schubkarren gefahren oder geht zu Fuß mit. In 
Dossenheim (bis 1890) hatte man ihm z. B. das Hemd über 
die Kleider gezogen und eine alte lothringische «Nebelskappe» 
oder einen Dreispitz aufgeselzt. In Oberbronn (1897) trug er 
Kaminfegerskleider oder einen alten Hut mit einer Strohschärpe. 
In Weitersweiler (bis 1870) setzte man ihn in einen Korb und 
gab ihm einen Kugelhopf. Auch in Hölschloch, Hochfelden 
und Dettweiler (vor 1870) ging ein vermummter Bursche mit. 
Sehr beliebt ist bei diesem Aufzuge die volkstümliche Gestalt 
des Bärs. Ein armer Teufel, dem man einige Groschen und 
tüchtig zu «saufen» gibt, wird in eine Verkleidung gesteckt. Man 
zieht ihm einen Schafspelz an oder Weiberkleider, einen alten 



1 Ausführliches hierüber bei Pfanne nschmid, a. a. 0. 
S. 308 fT — * Näheres bei Pf annen sc hmid, a. a. 0. S. 302 ff., 
wo auch Literatur zu finden ist. — Rheinsberg-Dürings- 
f c 1 d , a. a. 0. S. 3<52 ff. — Montauus. Die deutschen Volksfeste. 
Iserlohn und Elberfeld, Bädecker, 18.">4. S. 59 f. 



V 

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- 315 — 



mit Stroh ausgestopften Mantel, ein Hanswurstkleid, einen alt- 
modischen Bauernrock mit dem Schippen-Aß oder ein Paar 
Ohrenkappen, man schwärzt ihm auch wohl das Gesicht. Als 
Kennzeichen des Bärs hat er einen Stock und wird an einer 
Kette durchs Dorf geführt. Seine Rolle, das Tanzen, Brummen, 
Brüllen und Fauchen, spielt er in täusctiendei Weise, und die 
Zuschauer kommen aus dem Lachen über seine drolligen Sprünge 
nicht heraus, besonders wenn er wegen seiner Ungeschicklich- 
keit vom Bärenführer noch reichlich Prügel bekommt und gar 
auf dem Boden herumgerollt wird. In diesem lustigen Aufzuge 
trägt der Meßtibursch eine Flasche Wein oder ein leeres Bier- 
glas, zwei andere Burschen Hacke und Schaufel. Während sie 
ein Loch graben, spielt die Musik eine Mark und Bein erschüt- 
ternde Trauerarie, und die Anwesenden stimmen in ein mög- 
lichst klägliches Heulen, Schluchzen und Weinen ein. Einer 
der Burschen hält dann auf den verstorbenen Meßti eine er- 
greifende Trauerrede, zum letzten Male wird die Flasche her- 
umgegeben und geleert und dann in die Grube geworfen. In 
Kaltenhausen wurde früher an allen vier Ecken des Dorfes 
eine Vertiefung gegraben. Man nahm ein Faß Bier mit, das 
während der Veranstaltung geleert wurde, und goß in jedes 
Loch ein Liter Bier. Zum Schluß wurde dasselbe schnell zuge- 
deckt und über dem «Grab» ein Galopp im Kreise getanzt. 
Dann ging es nach dem Tanzhause zurück, wo der Rest des 
Tages mit Trinken, manchmal auch beim Tanze zugebracht 
wurde. 

In Heinrichsdorf verkleiden sich alle Burschen. Sie fahren 
ein Fäßchen Bier auf eine Anhöhe vor dem Dorf, wo sie den 
Meßti beweinen und das Bier austrinken. Dabei wird der Meßli 
in Gestalt eines Stückes Holz begraben. 

Beim Begraben wird und wurde unseres Wissens im Elsaß 
ein Strohmann als Vertreter des vermummten Menschen nicht 
verwendet. Hingegen hat sich die Gestalt des Bärs von der 
Handlung des Begrabens vielfach losgelöst und wird nun zum 
Beschluß des Meßti durch alle Dorfgassen geführt, so nament- 
lich in Weyersheim (bis 1853), in Kaltenhausen (vor 1890), 
in Mühlhausen (vor 1890), wo der Bär mit zwei eisernen Hafen- 
deckeln einen Höllenlärm verführte, in Mundohheim und 
Hurtigheim noch heute. Namentlich jn Hurtig heim ist der 
Meßtibär noch sehr im Schwünge. Er sammelt sogar Geld 
auf einem Teller und macht dabei ein ganz gutes Geschäft. 
Und in Schiltig heim konnte man 1905 im Meßtizuge einen 
Meßtibär sehen, den sein Pelz so in Schweiß brachte, daß er 
bald zu seiner Haut hinausfuhr. 

Eine zweite, seltenere Form der Beendigung des Meßti ist 



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316 - 



das Verbrennen. Man verwendet hierbei einen Sirohmann oder 
eine Puppe, die auf einer Leiter feierlich hinausgetragen wird, 
so in Gumtett (noch 1894), Kirweihr (noch nach 1870), 
Obermodern (bis in die 1860 er Jahre). In Meisheim war 
schon in den 1840er Jahren der Strohmann zu einem Bosen 
Stroh verkümmert, desgleichen in Mühlhausen in den 1860 er 
Jahren und in Schwindratzheim, wo der Meßti 1897 zum letzten 
Mal verbrannt wurde. Die Asche wurde nebst einer Flasche 
Wein in ein Loch vergraben, letztere auch einmal mit einem 
Gewehr zerschossen. Im übrigen waren die Gebräuche die- 
selben wie beim Begraben. 

Das Verscharren einer Flasche Wein ist weit verbreitet, 
namentlich im Kirwegebiet. Da sie aber natürlich sofort nach- 
her von andern Burschen wieder herausgehackt und geleert 
wird und demnach ihren ursprünglichen Zweck, die die Vege- 
tation befördernden Geister durch ein Opfer zu erfreuen und 
während des Winters zu stärken, nicht erfüllen kann, so wird 
das Vergraben vor dem «Holen» der nächstjährigen Kirwe 
wiederholt, wie wir bereits früher gesehen haben. 

Das «Vertränken» des Meßti steht in unserem Gebiete ganz 
vereinzelt in Geudertheim da (bis 1902). In feierlichem Auf- 
zug wird ein Strohmann mit großem Hut an die Zorn getragen 
und hineingeworfen. Während er fortschwimmt, tanzt die 
fröhliche Gesellschaft am Ufer und zieht nachher zum Tanz- 
hause zurück. Im Kilbegebiet herrschte derselbe Gebrauch 
früher in Rufach* und Reichenweier, 8 Um eine Stufe höher 
steht die ateTche Veranstaltung zu Hördt. Dort wird das sehr 
lebhaft betriebene Herumführen des Bars dadurch beendigt, daß 
man ihn in die Dorfschwemme wirft, wo er gewaschen wird und 
«durch baden» muß. Dieser Vorgang wurde vor wenigen Jahren 
einmal mit solcher Roheit ausgeführt, daß der Gendarm ein 
Protokoll darüber aufnahm. Nach Belehrung durch den 
Bürgermeister unterließ er aber die Meldung. Auch in Andols- 
heim im Oberelsaß wurde früher ein leibhaftiger Mann in eine 
Pfütze geworfen. 3 

Das Begraben, Verbrennen und Ertränken des Meßti ist 
seit der Einschränkung der Meßtidauer immer mehr zurück- 
gegangen und auch im einzelnen verkümmert. In Garburg 
verkleiden sich am Meßlidienstag einige Burschen, setzen 
Schlaraflen auf, machen allerlei Sprünge und Faxen im Dorf, 
sammeln Eier upd Geld, und das nennen sie das Begraben 
des Meßti. In Hoch fehlen sprangen in den 1870er Jahren 



> Pfannens chmid, a. a. 0. S. f»61 f. - * S. 563. 
8 S. 5G2. 



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— 317 — 



betrunkene Burschen auf der Straße herum und ergötzten sich 
an einem Kameraden, der bis an den Hals in einem Sack 
steckte. Er sprang herum, bekam Bier eingegossen und 
Knackwürste zu essen, wobei er unheimliche Fratzen schnitt, 
und die ganze Gesellschaft sang bis zum Ueberdruß, wohl 
hundert Mal : 

0 jerum, o jerum ! 
Der Meßti isch herum ! 

Wenn man heutzutage vom Meß Ii -Begraben spricht, so 
versteht man darunter : den Meßti mit einem gewaltigen Trunk 
beendigen. Ja dieser Ausdruck ist im Elsaß weil und breit, 
auch außerhalb des Meßti, geläufig im Sinne von Trinken bis 
zur Bewußtlosigkeit. 

Diese Meßtisitte hat auch verschiedentlich Anlaß zu un- 
liebsamen Vorkommnissen gegeben. Es liegt nahe, angesichts 
des Ausdruckes «Begraben» an die religiöse Zeremonie der 
Beerdigung zu denken und sie in der übermütigen Laune 
des Rausches oder des Katzenjammers nachzuahmen und noch 
andere kirchliche Gebräuche dazu zu verspotten. So wurde 4843 
beim Begraben des Kilstetter Meßti die Kreuzigung Christi ver- 
höhnt. Die Burschen führten eine Leiter auf einem Schub- 
karren herum. «Christus» stieg auf die Leiter, bekam Mist- 
jauche zu trinken und sagte dann: «Es ist vollbracht!» Auf 
dem Hatlmatter Meßti leitete in den 1860er Jahren ein Buchs- 
weiler Musikant das Begraben mit einem katholischen Kirchen- 
lied und einem protestantischen Gesangbuchvers ein und hielt 
dann eine seichte «Grabrede». Dieses Vorkommnis trug ihm 
den Spitznamen «der Vicari» ein. Vor 1870 beschimpften 
mehrere Burschen und Musikanten auf dem Kirweiler Meßti 
die jüdischen Zeremonien durch eine förmliche dramatische 
Behandlung des Bestattens. 1877 wurde der Meßti von Wesch- 
heim und später derjenige von Jireitenbach bei Weiler unter 
Verhöhnung kirchlicher Gebräuche begraben. 

In allen diesen Fällen wurden die Beteiligten zu empfind- 
lichen Gefängnisstrafen verurteilt. 

Zwar nicht am Meßti, aber doch um das Begraben des 
Meßti nachzuahmen, fand 1904 am Aschermittwoch zu Bisch- 
heim ein vollständiger Leichenzug statt. Er wurde durch einen 
Harmonikaspieler eröffnet, ein ehemaliger Meßdiener sang die 
Totenmesse, und der Verstorbene wurde durch eine Puppe 
auf einer Tragbahre dargestellt. Die Veranstalter kamen mit je 
20 M. Geldstrafe davon. 



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318 - 



Das Ende des Festes. 

Ist einmal der Meßti begraben, so hat das weitere Zu- 
sammensein des Meßtivolkes jeden festlichen Anstrich verloren. 
Man ist müde und abgespannt, und mancher ist auch mit seinen 
Mitteln zu Ende. Hie und da finden sich noch einige Tanz- 
paare zusammen, wenn die Musikanten ihnen willfahrig sind, 
aber es ist kein Ernst mehr vorhanden. Auf dem Tanzboden 
zeigen einige Burschen ihre Geschicklichkeit im Springen und 
Ringen und führen Kraftproben vor, die schon mehr als ein- 
mal in Schlägereien ausarteten. Die Zahl der «starken Männer» 
ist ja auf dem Lande, besonders bei solchen Gelegenheiten, 
immer groß, und der Ruf eines starken Mannes ein begehrens- 
werter Vorzug, namentlich in den Augen der Maiden. 1908 
kam ein Bursche in Mietesheim auf den Gedanken, auf einer 
eisernen Verbindungsstange des Tanzsaales in 3 Meter Höhe 
einen Walzer zu tanzen. Er verlor aber das Gleichgewicht und 
brach einen Arm. 

Wenn sich dann jede Ordnung von selbst aufgelöst hat 
und die Maiden längst in den Federn ruhen, vertreiben sich 
die Unverwüstlichen die letzten Stunden beim Glase, so lange 
sie der Wirt behält. Es erscheinen auch die Schmarotzer und 
die alten Unfüllbaren des Dorfes, die sich überall da zusam- 
menziehen, wo es umsonst zu trinken gibt. Sie berauschen 
sich auf Kosten der Burschen und müssen sich dafür zur all- 
gemeinen Ergötzung die derbsten Spässe gefallen lassen, in 
denen man ja auf dem Lande unerschöpflich ist. 

Oft ist es schon heiter heller Tag, wenn die allerletzten 
nach Hause wanken. Noch einige Zeit «steckt ihnen der Meßti 
in den Rippen», und mancher findet die ganze Meßtiwoche hin- 
durch keinen rechten Anfang zur Arbeit, bis der Nachmeßli in 
seine Rechte tritt. 



Die Jahrmärkte. 

Die Bedeutung der Jahrmärkte hängt auf das engste mit 
den Verkehrsverhältnissen ihrer Zeit zusammen. Während sie 
im 14. bis 18. Jahrhundert die wichtigste und oft die einzige 
Gelegenheit bildeten zum Umsatz gewisser Waren, insbesondere 
von Verbrauchs-, Haushaltungs- und Bekleidungsgegenständen 
beim Landvolk, nahm ihre Wichtigkeit mit der zunehmenden 
Erleichterung des Verkehrs durch gut fahrbare Straßen, durch 



4 



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— 319 — 



Eisenbahn und Post, mit der Verbesserung der Verkehrsmittel 
und in neuester Zeit mit der Ausdehnung des Hausierhandels 
stetig ab. Auf den Jahrmärkten strömten die Menschen nach 
Tausenden zusammen, und darum waren sie für die betreffen- 
den Gemeinden eine ergiebige Einnahmequelle, die von der 
Gunst weltlicher und geistlicher Fürsten viel begehrt wurde. 
Diese versahen die Jahrmärkte, um ihre Einträglichkeit noch 
zu erhöhen, mit allerlei Vorrechten, so mit Sicherheit für Leib 
und Gut der Teilnehmer, mit der Befreiung von Zöllen und 
Abgaben, mit der Beschleunigung des Verfahrens bei Prozessen 
und anderen Vergünstigungen. 

Die Handelsbeziehungen der freien Reichsstadt Strasburg 
mit Venedig, der Lombardei, Antwerpen, Flandern, Lyon, Reims. 
Nanzig, Köln, Mainz, Frankfurt, Trier, Regensburg, Augsburg, 
Nürnberg, Basel und vielen anderen Städten 1 ermöglichten es, 
die elsässischen Jahrmärkte mit den auserlesensten Waren und 
Stoffen reichlich zu versehen. * Aber auch an einheimischen 
Erzeugnissen fehlte es nicht. So wurde beispielsweise im 16. 
und 17. Jahrhundert die Wolle der Grafschaft Hanau-Lichten- 
berg diesseits des Rheins auf den beiden Jahrmärkten zu 
Pfaffenhofen feifgehalten. Die Bedeutung dieser Wollmärkte 
wurde dadurch erhöht, daß auf Befehl des Grafen Johann 
Reinhard I. von 1602 dessen Untertanen bei Vermeidung 
schwerer Strafe alle ihre Wolle bringen mußten und sie sonst 
an keinem Ort verkaufen durften. » 

Die Jahrmärkte fanden in der Regel an Wochentagen st;«1t. 
In welchem Umfange solche auch an Sonntagen abgehalten 
wurden, davon konnten wir keine andere Spur finden als das 
Zeugnis der Haqauischen vermehrten Kirchenordnung von 
1659, die (S. 88) entrüstet ausruft : «Ich glaub, daß der leidige 
Teuffei die Jahrmärckte auff den Sontag verordnet hat, GOtt 
dem HErrn zu spott, daß Gottes Werck verhindert werde !» Die 
Jahrmärkte waren oft in eigentümlicher Weise festgelegt, ge- 
wöhnlich unter Bezugnahme auf Heiligentage oder kirchliche 
Festtage. Sie waren aber, wie die Kirch weihfeste, 'so einge- 
richtet, daß sie mit anderen Jahrmärkten im Umkreis von 
30—40 Kilometern nicht zusammenfielen und ihnen nicht 
schadeten. So wurden die beiden Jahrmärkte zu Reichshofen 
auf den 2. Dienstag nach Michaelis und den 1. Dienstag nach 
Georgi, die zu Hagenau aber auf den 1. Dienstag nach Micha- 



1 Revue d'Alsacc. 1850, p. 65 ff. — 2 üeber diese Verhältnisse 
finden sich gewiß in manchen Archiven zerstreute Aufzeichnungen, 
die in volkswirtschaftlicher Hinsicht wertvoll sind. — 3 Kiefer, 
Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, S. 30f>. 



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- 320 — 



elis und den 2. Dienstag nach Georgi, jeweils auf 7 Tage fest- 
gesetzt. 1 Die Buchsweiler Jahrmarkte fanden vor der Revolu- 
tion während 2 Tagen statt: am 4. Dienstag im März, am 
Dienstag vor dem Fronleichnamstag, am Dienstag vor Maria 
Gehurt und am Dienstag nach St. Nikolaus. Als mit der Ein- 
führung des Revolulionskalenders andere Bezeichnungen not- 
wendig wurden, stellten sich Unzuträglichkeiten ein, und 1806 
mußte der alte Zustand wiederhergestellt werden.» Die Ver- 
legung der alten Straßburyer Martinimesse auf Johanni (1414) 
war sogar von so einschneidender Bedeutung, daß die Stadt dem 
Kaiser Sigismund dafür 2000 Goldgulden (nach heutigem Geld- 
wert 66000 M.) verehrte. » Und solcher Widerstreite, von 
denen derjenige zwischen Hagenau und Bischweier wegen des 
Pfeiferjahrmarktes 1749 hesonders bekannt ist,* fanden bis in 
die neueste Zeit viele statt. 

Denn auch heutzutage halten die Gemeinden noch an den 
Jahrmärkten, trotz ihrer Nachteile, die hauptsächlich im aus- 
wärtigen Wettbewerb und oft genug in minderwertiger Ware 
bestehen. Manche Jahrmärkte sind durch einen jahrhunderte- 
langen ruhmvollen Bestand so in dem Volksbewußtsein einge- 
wurzelt, daß es schwer halten würde, sie abzuschaffen. Noch 
heute üben der Buchsweiler Maimarkt, der Hochfelder Meßti 
und der Pfaffenhnfer Petersmarkt eine solche Anziehungskraft 
aus, daß bis auf zwei Wegstunden im Umkreis alles hinströmt. 
Knechte und Mägde füttern des Morgens das Vieh, dann ar- 
beiten sie nichts mehr und ziehen bereits gegen 10 Uhr in 
hellen Haufen zu den Jahrmarktsfreuden. Nicht selten wird 
diese Freiheit beim Dienstantritt ausdrücklich ausbedungen. 

Ueber die Entstehungsweise der Jahrmärkte besteht kein 
Zweifel. Sie bildeten sich von selbst oder durch Bewilligung der 
Regierungen infolge der Bedürfnisse des Handels und Verkehrs, 
also vorwiegend in Städten und Marktflecken, nur vereinzelt in 
Dörfern Mit Ausnahme von Slraßburg setzten sie sich wohl 
überall an die Meßtage und Kirchweihen dergestalt an, daß 
sie mit ihnen eine größere Veranstaltung von mehrtägiger 
Dauer bildeten, die eine kirchliche Feier, weltliche Vergnüg- 
ungen und Handelsgeschäfte umfaßte. Der Jahrmarkt ging in 
dieser Veranstaltung ganz auf, die die Gesamtbezeichnung 
Meßtag oder Kirchweih behielt. Das geht u. a. aus einem 



* Gemeindearchiv zu Reichshofen. — 8 Stadtarchiv von Buchs- 
weiler, Gemeinderatsbeschluß vom 27. 1. 1806 — 3 Strohe 1, 
Vaterländische Geschichte des Elsaß. Straßburg, 1843. B. III, S. 
102. — * Auszüge aus den Archiven der Stadt Bischweiler. Bisch- 
weiler, Posth., o. J. ( S. 11. 



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— 321 — 



Kanzleiprolokoll der Buchsweiler Regierung von 1565 hervor, 1 
wonach man «in allen ämtern, da kein jarmarkt sind, die 
meßtag abstellen soll, und bleiben meßtäg zu Buchsweiler % 
Neuweiler, Pfaffenhofen, übermodern, Westhofen und 
Hatten.* 

Da wo mehrere Jahrmarkte stattfanden, wurde der eine 
mit Meßtag oder Kirch weih bezeichnet, der oder die anderen 
nach der Jahreszeit oder einem Heiligen, z. B. in Buchs- 
weiler Halbfasten-, Mai-, Meßti- und Christkindelsmarkt. Erstere 
Benennung blieb auch für die mit der weltlichen Kirchweih 
verbundenen Jahrmärkte derjenigen Gemeinden, wo seit dem 
19. Jahrhundert das kirchliche Kirch weihfest als Patron.stag 
gefeiert wird. So werden im Volksmunde die Kram-, Zwiebel- 
und Viehmärkle zu Zabern und Wasselnheim von Alters her 
unler dem Namen Meßti zusammengefaßt. Brumath hält 1(303 
«Meßtag uf Invocavit und uf Bartholomäi Jahrmarkt.»* Noch 
heute richtet sich der Brumather Meßti nach Bartholomäi, der 
Jahrmarkt findet 4 Wochen später statt. Die Niederbronner 
Kirwe wird zusammen mit dem Spätjahrsjahrmarkt am The- 
resentag abgehalten. Alle diese Veranstaltungen, wie sie auch 
benannt werden, verlaufen unter demselben äußeren Bilde. In 
den wenigen Städten, wo kein Meßti oder keine Kirwe nach- 
gewiesen werden kann, so Barr und Weißenburg, gibt es 
nur «Jahrmärkte». Der Begrilf Meßtag wurde aber erklär- 
licherweise auch hie und da dem Begriff Jahrmarkt gleichge- 
setzt. So lesen wir in einer Ordnung von 1544, daß Gral 
Philipp IV. der Gemeinde Pfaffenhofen «auf das Standgeld an 
beiden Jahrmärkten Peter und Paul und St. Lucä gegen 1 ff 
von jedem Meßlag übergab.» Und in Brumath gibt es einen 
Meßti schlechtweg und einen G'hansmeßli, in Hochfelden einen 
Meßti und einen Pfingstmeßti. 

Der älteste Jahrmarkt» scheint der von Straßbury zu sein, 



1 Kiefer, Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, S. 44. 
— * A. a. 0. S. 141. — 3 Die Angabe von Charles Gerard 
(Revue d'Alsace, 1800. p. G7), daß Atullau im Jahre 1004 das Privi- 
leg eines Jahrmarktes bekommen habe, der somit der älteste nach- 
weisbare Jahrmarkt des Elsaß wäre, ist nicht richtig. Die bei 
Grandidicr (Histoire d'Alsace, p. CXCVI1) abgedruckte Urkunde 
betrifft vielmehr einen Wochenmarkt. "Wenn man über den Sinn 
der Worte «mercatum siye emporium» streiten könnte, so ist jeder 
Zweifel durch die Lettres Patentes Ludwigs XIV. ausgeschlossen, 
worin gesagt ist (Ordonnanccs d'Alsace, 1. 1, p 1">9): « . . un Marche 
public .... comme il lui a 6t6 aeeorde par l'Empereur Henry II 
en l'an 1004, et selon que les Abbesses de ladite Abbaye en ont 
joui jusqu'ä present.» Ein Jahrmarkt besteht übrigens in Amilau 
heute nicht und scheint auch in jüngerer Zeit nicht bestanden z.u 
haben. 

21 



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— 322 — 

er ist schon 1153 erwähnt. Gregor IX. erneuerte das Recht, 
eine Messe abzuhalten, 1228.» Sehr alt ist auch der Jahrmarkt 
von Zabern. Zwar wissen wir nichts über seine Entstehung, 
aber die große räumliche Ausdehnung, die er schon am Anfang 
des 14. Jahrhunderts hatte, und die günstige Lage Zaberns für 
den Handel berechtigen uns zu dem Schlüsse, daß er schon 
lange vorher bestanden haben muß. Etwas genauere Angaben 
besitzen wir über Lauterburg, das bald nach 1254 das Recht 
erhielt» zwei große Jahrmärkte abzuhalten. 3 Reichshofen be- 
kam zugleich mit der Erhebung zur Stadt durch Rudolf von 
Habsburg 1280 zwei Jahrmärkte von je 7tägiger Dauer. Aus 
der Verleihungsurkunde, die der Stadl Reichshofen dieselben 
Rechte wie Hagenau zuteilt, erfahren wir, daß damals in 
Hagenau bereits zwei Jahrmärkte bestanden. ' 1310 erhielt 
Hagenau durch Privileg Heinrichs VII. zwei Jahrmärkte von 
je 14 Tagen.* 1336 folgt wieder Strasburg,'* dem Kaiser Lud- 
wig der Bayer eine 4wöchige Messe bewilligte. Sie wurde 
1379 durch Wenzel und 1413 durch Sigismund bestätigt. 1436 
wurde ihre Dauer auf 14 Tage beschränkt und also von Kaiser 
Friedrich III. durch Urkunde von 1441, 1442 und 1452 
bestätigt. Das war die berühmte G'hansmesse, die 1869 einging. 
Der St. Gallen-Jahrmarkt von Oberehnheim wurde 1440 durch 
Kaiser Karl IV. bewilligt.« Weißenburg erhielt 1471 drei 
Jahrmärkte von je 14 Tagen, wozu 1570 noch weitere Verlei- 
hungen durch Maximilian II. kamen. In Bischweiler läßt sich 
der eine der beiden Jahrmärkte * schon 1499 nachweisen. Er 
wurde 1603 erneuert und von Ludwig XIV. durch Lellres 
Patentes von 1687 mit dem Pfeifertag vereinigt.» Buchsweiler 
wurde 1503 durch Maximilian I. mit einem Jahrmarkt begabt. 9 
Die beiden Jahrmärkte von Pfaffenhofen^ sind zum ersten Mal 
1544 erwähnt, 1578 bat die Gemeinde um einen dritten, der 
jedoch erst 1738 bewilligt wurde. Für Hochfelden erlaubte die 
österreichische Regierung in Ensisheim 1596 drei Jahrmärkte, 
die von Kaiser Ferdinand II. bestätigt wurden.» Durch kaiser- 
liches Dekret vom 16. März 1807 behielt es nur noch einen 



» Stöber, Neue Alsatia, Petry, 1885. S. 256. Daselbst über 
die Straßburger Messen: S. 253— 2(>5. — 2 A. Meyer, Geschichte 
der Stadt Lauterburg. Weißenburg, Ackermann, 1898. S. 17. — 
s Stadtarchiv von Reichshofen. — 4 Das Reichsland Elsaß-Lothringen. 
Straßburg, Heitz, 1901-03. III. S. 381. - 5 Revue d'Alsace, Colmar, 
1850. p. 6(>. — ß Gyss, Urkundliche Geschichte der Stadt Oberehn- 
heim. Straßburg, 1805. S. 120 f. — 7 Auszüge aus den Archiven der 
Stadt Bischweiler. Bischweiler, Buchdruckerei Posth, o. D., S. 11. — 
8 Ordonnances d'Alsace, t. I. p. 1GG. — 9 Kiefer, Pfarrbuch der 
Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Straßburg, Heitz, 1890. S. 30. — 
»o A. a. 0., S. 304 f. — » Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, C. 120. 



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- 323 - 



Jahrmarkt, 1 zu dem aber seit 1875 wieder ein zweiter, der 
Pfingstjahrmarkt, gekommen ist. 1603 bestimmte Graf Johann 
Reinhard I. den Brumalher Jahrmarkt auf Bartholornäi,* Auch 
der Rosheimer Jahrmarkt ist alt.» Der Jahrmarkt von Selz, 
der seit unvordenklicher Zeit bestand, wurde durch kaiserliches 
Dekret vom 16. März 1807 und durch königliche Ordonnanz 
vom 3. März 1825 erneuert.* In Ingweiler wurden durch 
königliche Ordonnanz vom 17. Februar 1819 drei Jahrmärkte 
bestimmt, wozu durch Bezirkspräsidial -Beschluß vom 27. De- 
zember 1897 noch ein vierter hinzukam.* Niederrödern end- 
lich bekam einen Jahrmarkt durch königliche Ordonnanz vom 
6. Dezember 1826.« Ueber das Alter der Jahrmärkte von 
Pfalzburg, Niederbronn, Beinheim, Hallen, Lembach, Wörth, 
Sulz u. IV., Drusenheim, Maursmünster, Wasselnheirn, Mols- 
heim, Mutzig und Barr fehlen uns geschichtliche und archi- 
valische Nachweise. 

Im Laufe der Zeit hat sich naturlich manches an den 
Jahrmärkten geändert, sowohl an der Zeit ihrer Abhaltung wie 
an ihrer Zahl, ja an ihrem Bestehen überhaupt. So wird uns 
z. B. von der alten Slraßburger G'hansmesse berichtet, daß 
sie 1831 ganz bedeutungslos war.' 1855 hatte sie wieder einen 
kleinen Aufschwung genommen.» In einem Schreiben an den 
Grafen Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg vom Jahre 1544 
melden die Einwohner von Pfaffenhofen, daß von ihrem 
Flecken das Spruchwort gehe, «daß seines gleichen, nit an 
Reichthum, sondern einen tapferen aufrüstigen Markts zwischen 
Bingen und Basel nit funden werde».» Von der Bedeutung 
des Buek*weiler und des Zaberner Meßtages zeugt eine 
Bestimmung der Roßhirtenordnung von Dossenheim (Kr. Zabern) 
vom Jahre 1612. Demnach durfte man die Pferde von Pfingsten 
bis zum Buchsweiler Meßtag nicht einspannen. «Da fahrt man 
wider an vnndt spannet die Pferdt biß vf Maria Geburt dz Jst 
Zabern Meßtag. » ,0 Und in der «Fleischtax von Dossenheim» 
vom Jahr» 1603 ist bestimmt, daß das Lamm- und Hammel- 
fleisch vor dem Buchsweiler Meßtag 0 Pf., nachher 5 Pf. kosten 
soll, das Schaffleisch vorher 5 Pf., nachher 4 l |* Pf. das Pfund. "* 



i Gemeindearchiv von Hochfelden. — * Bostetter, Geschicht- 
liche Notizen über die Stadt Brumath. Straßburg, 1896. S. 83. — 
3 Revue d'AUace, 1850. S. 67. — * Gemeindearchiv von Selz. — 
5 Gemeindearchiv von Ingweiler. — 6 Gemeindearchiv von Nieder- 
rödern. — 7 Strasbourg, ses monuments et curiosites. Strasbourg, 
Lagier, 1831, p. XXII. — 8 Annales du Journal d'Alsace-Lorraine 
1903, Nr. 24. — 9 K i c f e r , Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lich- 
tenberg. Straßburg, 1890. S. 304. — "> «Schnallenbuch» im Ge- 
meindearchiv von Dossenheim. — " Daselbst, S. 71. 



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— 324 - 



Andererseits sind die um Adelphi und in der Osterwoche 1 
stattfindenden Straßburger Jahrmärkte jedenfalls schon vor 
der Revolution zugrunde gegangen, die Kirchweihe vom Jungen 
St. Peter gar schon 1481 ; 8 und nur der Christkindelsmarkt, 
der zuerst 1611 nachgewiesen ist, blüht noch heute. Auch der 
Nonmeßtag und der Herrgottsmeßtag zu Zubern sind schon 
längst vergessen.» 

Von heute noch vielbesuchten Jahrmärkten sind haupt- 
sächlich zu nennen die Meßli in Zabern, Buchsweiler, Hage- 
nau, Hoch f eitlen, Brumath, Waaseinheim, Mutzig und Nieder- 
haslach. Letzterer hat sich an das mit einer Wallfahrt ver- 
bundene kirchliche Florentiusfest angesetzt. Die hervorragendsten 
Zwiebelmärkte mit oft 100 Wagenladungen finden statt in 
Zubern, Buchsweiler, Ingweiler, Niederbronn, Hagenau, 
Brumath, Hochfelden, Wassel n heim, Maursmünster und 
Mulzig. Starken Besuches erfreuen sich ferner die Rindvieh- 
märkte in Zubern, Wusseinheim, Sulz u, W. und Weißenburg, 
die Schweine- und Ferkel markte in Zubern, Ingweiler, Ha- 
genau, Wasselnheim und Mulzig sowie die Pferdemärkte von 
Hagenau, Wasselnheim und Zubern. Großen Zulauf hatten 
im Hinblick auf ein gutes Weinjahr die spätfallenden Meßti 
wegen der Böttcherwaren und Leitern. «Der Holzmann kommt, 
jetzt Geld heraus ! » rief dann der Bauer in weitem Um- 
kreis aus. Der Wollmärkte zu Pfaffenhofen wurde bereits 
gedacht. Alle diese Märkte bilden einen Teil der allgemeinen 
Jahrmärkte. Ihre Dauer und den Zeitpunkt ihrer Abhaltung über- 
geben wir hier als außerhalb des Rahmens der Arbeit liegend. 

Aber die Jahrmärkte sind nicht allein Märkte für Bedürfnisse 
des Handels und der Haushaltung, sondern sie bieten auch 
einen breiten Raum für die Schaulust, für Merkwürdigkeiten 
aller Art, für das Vergnügen und für die Bedürfnisse des 
Magens. Daher bilden sie den Sammelpunkt der Kinder und 
der tanzlustigen Jugend wie der Erwachsenen, die mit der Ab- 
wickelung der Geschäfte auch ein Stündchen des*Frohsinns 
verbinden. Seit Jahrhunderlen war es so und wird mutmaßlich 
noch geraume Zeit so bleiben. 

Da sehen wir «Stand» oder Buden, die aus Holz und 
Leinwand aufgebaut sind und die im Wechsel der Zeilen ver- 
schiedenartige Dinge vor Augen führen oder zum Verkauf aus- 
stellen. Da sind die verschiedenen Zuckerwaren- und Leb- 
kuchenslände, das Entzücken der Kinder. Hie und da weht 



i Revue d'Alsace. 1H50. p. (»G. — 2 Stöber, Neue Alsatia. 
Mülhausen. Petrv. 18Mf>. S. 2l>2 ff. — 3 Adam, Der Zaberner Meß- 
tag. Zabern, 11H)1. S ö< ff. 



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— 325 - 



uns der Duft heißer Knackwürste entgegen, eines Lieblings- 
gerichtes des Bauern. Schon 153(5 machten auf dem Zaberner 
Meßti die Brätler gute Geschäfte. 1 Dann sehen wir das Heer 
der Spielwaren für Kinder, dazu eine Anzahl von Geschirr- 
ständen. Letztere sind oft mit Spielrädern versehen, die sich 
durch zahlreiche Nieten auszeichnen. Dann finden wir die ver- 
schiedenen Schießhuden mit Flobert- und pneumatischen Ge- 
wehren. Der Kraftmesser mit dem Holzhammer oder «Michel- 
hau-drub und die Puppen, die man mit Bällen umwerfen 
kann, locken namentlich jüngere Burschen an, die ihre Knopf- 
löcher mit den leicht gewonnenen Erinnerungsmedaillen an 
längst verklungene Ereignisse und mit bunten Sträußehen 
schmücken. Dann kommen die Panoramen, die Hänneschen- 
theater, neuerdings auch «Elsässische Theater» genannt, die 
Photographenstände, die Kinematographen, Grammophone und 
SchifTsschaukeln, die weissagenden Vögel, welche gedruckte 
Glücksverheißungen aus einem Korbe herauspicken. Ferner 
ist die große Zahl der verschiedenen Theater zu erwähnen, 
der Zirkus, die Menagerie, die Kunstarena, die Ringkämpfer, 
die Riesendamea, die Seiltänzer, hie und da sogar ein Luft- 
ballon. Eines regen Zuspruchs ertreuen sich von altersher 
die verschiedenen Glücksspiele mit mehr oder weniger Betrug 
und Spitzfindigkeit, worauf die Polizei ein wachsames Auge 
hat, Blanc-et-noir, das Spiel mit dem Lederriemen, das Hinge- 
werfen nach aufgespießten Messern, früher auch die elektrischen 
Kraftmesser, womit vorwitzige Bauernburschen regelmäßig 
hereinfielen. Es gibt auch hie und da Buden, hinter deren 
Zelttüchern recht zweideutige Darbietungen stattfinden, die nicht 
alle das helle Tageslicht vertragen. 

Sehr alt sind die «Mordtaten», große, mit Oelfarben ge- 
malte Darstellungen blutiger Szenen, deren Erläuterung dein 
staunenden Zuschauer in Worten und durch herzerweichenden 
Gesang gegeben wird. Ihre Besitzer machen gute Geschäfte 
durch Sammeln von Geld und durch Verkauf der Beschreibungen, 
die der Landbewohner auch später noch gern liest und sorg- 
faltig aufbewahrt. Schon 1675 wurden in Altkirch Mordtaten 
ausgestellt. * 

Von der allergrößten Bedeutung ist seit der Mitte des 
18. Jahrhunderts das «Caroussel», im Volksmunde Ringelspiel, 
Rösselspiel, Meßtirößle, Meßtikütschle und Kütschle genannt. 
Jung und Alt, kleine und große Kinder geben sich dem Ver- 



1 Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabern, Gilliot, 1001. S. 11. 
— 2 R. Reuß, L'Alsace au 17 « siecle. Paris, Bouillon, 1897-98. 
T. I, p. 675. 



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326 — 



gnügen des Karusselfahrens hin, in längst vergangenen Zeiten, 
wo Jas Fahrzeug durch ein starkes Pferd gezogen und nachts mit 
bescheidenen Oellichtern erleuchtet wurde, mit eben solchem 
Eifer wie in unsern Tagen, die uns wahre Prachtstücke vor 
Augen fuhren, mit elektrischer Beleuchtung und Kraftbewegung 
und aller möglichen Bequemlichkeit und Abwechselung. Bis 
in die 1870er Jahre wurde das Ringelstechen dabei betrieben. 
Die äußere Reihe der Reiter bekam je einen Holzstab, womit 
während der Fahrt ein eiserner Ring «gestochen» werden 
mußte, der an einem Gestell lose befestigt war. Der Gewinner 
bekam sein Fahrgeld zurück. 

Bei gutem Wetter ziehen Hunderte von Wagen und 
Tausende von Fußgängern auf den Jahrmarkt. Da sieht man 
lauter fröhliche Gesichter und zufriedene Menschen, die Alten 
mit ihren Pfeifen oder Zigarren, die Frauen mit dem Blumen- 
säckchen, die Burschen mit der Zigarette, die jungen Mädchen 
mit geröteten W T angen, mit dem Excusekörbchen oder dem 
«reticule». Gar manches Liebesabenteuer bereitet sich da vor, 
gar manche Verbindung fürs Leben wird geschlossen. Und 
alle .stürzen sich in den Strudel des Meßtitreibens. Durch 
das dumpfe Gewoge der Menge erklingen die Töne der ver- 
schiedenen Drehorgeln, von Zeil zu Zeit Trompetenstöße und 
Trommelwirbel, der ohrenbetäubende Lärm der tönenden 
Kinderspielzeuge, das schmetternde oder heisere Kreischen der 
ihre Leistungen anpreisenden Budenbesitzer : «Immer herein, 
meine Herrschaften!» — «Rappeltikatz ! Weis gewinnt, der 
hats!», dann wieder die dröhnenden Schläge des «Michel-hau- 
druf», das Geknatter der Flobert- und Luftgewehre und das 
Brüllen des Löwen im Schießstand, der heitere Gesang ausge- 
lassener oder halbtrunkener Menschen auf den Straßen und in 
den Wirtshäusern, hie und da auch Streit und Zank. 

Ein neuzeitlicher Meßti bietet besonders bei Nacht einen zau- 
berhaften Anblick. Die Buden sind schon zu wahren Budenpalästen 
geworden, die, mit Gdd- und Silberzierwerk Übergossen, einem 
gleißenden Lichtmeere von Azetylen und Elektrizität gleichen, 
in ihrer Art wahre Meisterstücke des leichten Holzbaus. 
Dieses Bild übt einen unwiderstehlichen Zauber auf den 
Landbewohner aus, und gerne gönnen wir es auch dem armen 
Teufel, wenn er sich ein Mal im Jahre, sein Liebchen im Arm, 
auf dem Rösselspiel im Kreise wiegen kann und sich dann 
eben so glücklich dünkt wie der reiche Stadtherr, dessen Geld 
auch nicht runder ist als das seinige. Das Volk ist ja eigent- 
lich schon mit bescheidenen Darbietungen zufrieden. Wahre 
Kunst und Gediegenheit wird man vergeblich in den Jahr- 
marktsbuden suchen, und manche Waren sind auch nicht ge- 



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— 327 — 



rade erster Qualität. Das ist auch nicht nötig. Das Kind des 
Landmanns vergnügt sich eben so mit veraltetem Spielzeug wie 
mit hochmodernem, und der einfache Landmann staunt einen 
elenden Kinematographen, der einem die Augen zugrunde richtet, 
genau so an, wie einen tadellos neuen. 

Zu den ständigen Sitten gehört es, daß der auswärtige 
Meßtibesucher seinen zu Hause gebliebenen Kindern und Ange- 
hörigen einen «Meßtikram», ein kleines Geschenk, mitbringt. 
Schon 1521 bekamen auf dem Zaberner Meßtag der Unter- 
schultheiß, der Stadtschreiber, beide Lohnherren und beide 
Büttel von der Stadt einen «Meßtagkram», nämlich ein Dutzend 
Nestel. 1 

Ist es auf dem Jahrmarkt schlechtes Wetter, so bietet sich 
dem Auge ein überaus trauriges Bild dar, und nicht selten wird 
ein Stand durch den Wind umgeworfen oder gar vom Regen 
weggeschwemmt. Fremde Händler packen dann bald ein und 
ziehen fort. 

Der Buchsweiler Jahrmarkt ist dadurch bekannt, daß es 
gewöhnlich regnet. Der Volksüberlieferung nach hat dies seinen 
Grund in folgendem Vorkommnis. Vor langer Zeit wurden 
einmal einer Buchsweiler Familie silberne Löffel von großem 
Wert gestohlen. Die Magd geriet in den Verdacht des Diebstahls 
und wurde zum Tod arn Galgen verurteilt. Vor der Hinrichtung 
auf dem Bastberg, die zum abschreckenden Beispiel am Jahr- 
markt stattfand, rief sie : «Wenn sich niemand über mich er- 
barmt, mag sich der Himmel über mich erbarmen 1» Da geschah 
es, daß es vom heiteren Himmel regnete. Später fanden sich 
beim Abdecken eines Daches die Löffel, welche von Elstern ge- 
stohlen worden waren. Und seitdem regnet es an jedem Jahr- 
markt. Der Volksmund meint, der Himmel wolle dadurch noch 
heute bezeugen, daß jene Magd unschuldig gehenkt wurde. 

Besondere Gebräuche waren und sind mit dem Jahrmarkt 
nicht verbunden. In Reichshofen brachte die Stadtkapelle, so 
lange sie bestand, dem Bürgermeister ein Morgenständchen. In 
Mutzig wird der Meßti durch die Stadtmusik «aufgezogen». 
Der Polizeidiener schreitet vorne her und verkündet von Zeit 
zu Zeit, daß der Jahrmarkt eröffnet ist und jedermann kaufen 
und verkaufen kann. Das ist alles. 

Meßtizüge. 

Wenn von Meßtizügen die Rede ist, denkt jeder Elsässer 
und zumal jeder Straßburger sofort an Schiliigheim. Die «See- 



i Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 51. 



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— 328 — 

stadf» Schiltigheim ist seit zwei Jahrhunderten ein beliebter 
Ausflugsort für die Straßburger, heute kann sie wohl schon 
als Vorstadt Straßburgs betrachtet werden. 

Die Schiltigheirner sind sehr stolz auf ihre Festzöge. Man 
begegnet dort vielfach der Meinung, daß sie bis in die graue 
Vorzeit zui ückreh hen. Wir erblicken in den Schiltigheirner 
Meßtizügen einfach Ableger der Aufzuge, die die altstraßbur- 
gischen Handwerkszünfte aus Anlaß ihrer 'besonderen Teste in 
Straßburg veranstalteten. Es ist begreiflich und natürlich, daß 
sich diese den Straßburgcrn vertrauten und durch die Revolution 
weggefegten Züge mit den auf dem Land und also auch in 
Schiltigheim blühenden Meßtiaufzügen verschmolzen. Dies mag 
am Anfang des 19. Jahrhunderts geschehen sein. Dafür spricht 
der Umstand, daß der älteste uns bekannte Festzug vom 
11. August 1839 ganz einem Zunflaufzuge glich. Uebrigens be- 
standen auch in Wasselnheim und in Buchsweiler um jene 
Zeit ahnliche Feslzüge, so daß es nicht einmal sicher ist, ob 
Schiltigheim das Erstlingsrecht zukommt. 

Die Beschreibung des eben erwähnten Zuges i entrollt uns 
ein schönes, farbenreiches Bild. Die Landwirtschaft und alle 
Gewerbe ziehen in ihren Trachten und mit ihren Werkzeugen 
an uns vorbei. Der Zug wird, mit Musikern und Trommlern 
an der Spitze, durch eine Abteilung der Nalionalgarde eröffnet 
und beschlossen. Die beiden Schlußgruppen sind, wie folgt, be- 
schrieben : «23. Weißgekleidete Mädchen, mit Escharpen, eine 
große und lange Eichen -Guirlande tragend, in dessen Mitte die 
Autoritäten, Maire und Adjunkten, die Munizipal-Mitglieder, 
die Offiziere der Garde National gehen, und zu beyden Seiten 
achtbare Bürger von jedem Stande und Gewerbe, zum Beweise 
daß alle gleichen Schutz genießen. — 24. Der Meßtag-Herr 
wird begleitet von Meßtag- Burschen, und junge weißgekleidete 
Mädchen, welche in kleinen weißen Körbchen Blumen tragen.» 

Solche Züge fanden in den 1840 er bis 1800 er Jahren von 
Zeit zu Zeit statt. Sie hatten immer denselben Grundgedanken : 
Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie im malerischen Rahmen 
der friedlichen Gemeinschaft und des altväterlichen Idealismus. 
Stets ging der Bürgermeister im Festzuge mit, und die Garde 
nationale fehlte nicht bis in die Kaiserzeit. Ein Meßtizug in 
den 1840 er Jahren wurde von einem Kreise weißgekleideter 
Jungfrauen eröffnet, die eine Guirlande trugen und mit weißen 
Schäferhütchen bedeckt waren, an denen blau- weiß-rote Bänder 
flatterten. Im Kreise schritten der Bürgermeister und der 
Beigeordnete mit der Amtsschärpe, dahinter der Gemeinderat, 



Gemeindearchiv von Schiltigheim. 



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- 329 - 



dann die Burschen mit weißer Schürze und in weißer Zipfel- 
mütze mit blau- weiß-roter Kokarde. Hinter den Handwerkern 
kam die Schuljugend. Die Buben trugen graue Blusen, schwarze 
Ledergürtel und weiße Hüte mit Trikolore. Die Mädchen hatten 
weiße Röcke mit dreifarbiger Schärpe, sie streuten aus ihren 
Körbchen Blumen und verteilten Zuckererbsen (dragees). 

Fand aber kein Gewerbezug statt, so setzle der Meßti- 
steigerer auf einen bekränzten Wagen einige Musikanten 
und einen drollig gekleideten Spaßmacher, der dem staunenden 
Publikum zurief: «Kommen, ihr Lüt ! In Schilken isch Meßti!» 
Und es ging auch, -und die Leute kamen und vergnügten sich. 

Nach dem Krieg fanden wieder Gewerbe- und Industrie- 
züge statt 1873, 1875 und 1878. In den beiden erstgenannten 
wurden aus der Eisengießerei von G. Rhein Meßti-Denkmünzen 
unter die Zuschauer geworfen. i878 wurde ein Brunnen mit drei 
Ausflußröhren mitgeführt, woraus Wasser, Bier und Wein flössen. 
An Bier und Wein wurden je 50 Liter unentgeltlich abgegeben. 
Noch 1889 fand ein großartiger Industrie- und landwirtschaft- 
licher Zug mit 80 Gruppen statt, worunter sich der Schah von 
Persien und als letzte Gruppe die «leichtsinnige» und die «lieder- 
liche Arbeitsklasse» befand. Nach diesen stellenweise witzigen 
Ansätzen entstand plötzlich 1890 ein Meßtizug unter einem 
scherzhaften Leitgedanken. Der damalige Präsident der «Fan- 
fare», Gemeinderatsmitglied Alfred M ü h I e i s e n, hat diesen 
Zug ersonnen und geleitet. Und nun folgen jedes Jahr jene 
humorvollen Meßtizüge, die Schiltigheim eine gewisse Berühmt- 
heit eingetragen haben und ihm alljährlich einen großen Frem- 
denstrom zuführen . Die meisten von ihnen hat gleichfalls Herr 
Mühleisen offiziell organisiert. 

Folgendes sind die Leitgedanken der letzten Meßtizüge. 1890 
Zusammentreffen von Stanley mit Emin Pascha in Afrika, Neger- 
musik, Negervolk, 200 Personen. 1891 verschiedene Musik- 
korps auf Wagen und die Schiltigheimer Vereine. 1892 
kein Zug. 1893 die Meßligöttin und die vier Jahreszeiten. 
Wettrennen von Orgelmännern und Sackträgern, Last : 1 
Doppelzentner. 1894 Blumenkorso, Blumen- und Confettischlacht. 
1895 als Parodie der Straßburger Industrie- und Gewerbeaus- 
stellung: eine Industrie-, Gewerbe-, Kunst-, Altertums-, 
Blumen- und Hundeausstellung. 1896 Besuch Li-Hung-Tschangs 
mit Gefolge auf seiner Rundreise bei den europäischen Höfen. 
Während seiner Anwesenheit darf nur chinesisch gesprochen 
werden. 1897 landwirtschaftlicher und industrieller Zug. 1&98 
Triumphzug der Frauenemanzipation (Weibermeßli). Alles geht 
als Dame. Man sieht auch Frauen mit Haaren auf den Zähnen 
und sogar die verschleierte Dame aus dem Dreyfus- Prozeß. 



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- 330 — 



1899 Meßtikomitee mit Gefolge, Musik und Vereine. 4900 Bauern- 
hochzeit in der Tracht von Uhrweiler, 300 Personen. 190i 
Preis-Blumenkorso. 4902 Verhaftung der Millionenschwindler- 
Familie Humbert-d'Aurignac durch die Schiltigheimer Geheim- 
polizei. Sie werden in einem Käfig durch Hunderte von Schutz- 
leuten bewacht, sogar eine Schutzleute-Musik ist da. Die Gebrüder 
Crawford, zwei Strohpuppen, werden im Landauer nachgefahren. 
Die Hundertmarkscheine fliegen packet weise den Leuten an den 
Kopf. Beim Nachmeßti kommt Präsident Emile Loubet mit glän- 
zendem Gefolge, um im Namen der französischen Republik zu 
danken. 1903 Preis-Blumenkorso, veranstaltet durch den Velo, 
klub. 4904 Einzug des letzten Lehnsherrn Georg von Schiltig- 
heim mit den Häuptern des elsässischen Adels und sonstigem 
Gefolge und Troß. 4905 im Anschluß an die Zigeunerplage : 
Hochzeitszug des ungarischen Zigeunerfürsten Attila VII und 
einer italienischen Zigeunerprinzessin. Bersaglieri-Musik. Alle 
Zigeuner des Landes sind als Gäste da. . Gendarmen schieben 
die ganze Gesellschaft zu Schiltigheim hinaus und lösen so die 
Zigeunerfrage — für Schiltigheim. 4906 Besuch der Friedens- 
konferenz von Marokko auf Einladung des Vertreters der «Daily 
News of Shiltigheim» in Algeciras. Es erscheint auch der in 
seiner Fürstenehre gekränkte Kaiser der Sahara, Jacques \ } 
um gegen seine Nichteinladung Einspruch zu erheben. Alle 
Mächte, dargestellt durch hübsche Damen in den Landestrachten, 
huldigen der Friedensgöttin. 1907 Gewerbe- und Handwerkszug, 
53 Wagen. 1908 naturgetreues Abbild des Schiltigheimer Meßti- 
aufzuges von 1820. 

Alle diese Züge boten ein malerisches Farben- und Trachten- 
bild und verschafften der Gemeinde und den Geschäftsleuten reiche 
Einnahmen. Was wunders, daß sie auch in den andern Ortschaften 
Anklang und Nachahmung fanden ? So wurde im Nachbars- 
dorfe Bischheim schon in den 18i0er Jahren ein Gewerbezug 
in den hergebrachten Meßliaufzug hineingewoben. Merkwürdig 
war u. a. ein mit reifen Trauben behangenes Gartenhäuschen, 
worin weißgekleidete Mädchen mit dreifarbigen Schürzen saßen. 
Auch sonst kam der vaterländische Gedanke durch die fran- 
zösischen Farben zum Ausdruck : die berittenen Burschen 
trugen weiße Hosen, blaue Gilets und rote Bänder an den 
Mützen, die weißgekleideten Maiden hatten blaue Schürzen und 
rote Halstücher. Gewerbezüge, in denen namentlich die Land- 
wirtschaft und die Tracht zur Geltung kamen, wurden vor 
4870 öfters in Wasselnheim abgehalten, ferner hie und da 
auf Dörfern, so in Mittelhausbergen 1894, Grafenstaden 4904, 
Ittenheim, Bremchwickersheim, Hangenbieten und Herlisheim 
4900, Eckbohheim 1902. In Lingohheim finden öfters Züge 




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— 331 



der Berufsstände, in der Gärlnervorstadt Ruprechtsau Gärtnerei- 
umzüge statt. 

Immer mehr aber machen sich scherzhafte und spotlende 
Umstünde geltend. Man sucht es Schiltigheim nachzumachen, 
es gelingt aber nicht immer. So brachte der «Bruemtersträßler- 
Meßti», ein Sondermeßti in der abgelegenen Brumatherslraße 
zu Schiltigheim, 1905 den Gegenbesuch des Sultans von Ma- 
rokko, 1906 den Besuch des Königs Sisowalh von Kambodscha, 
1907 die friedliche Zusammenkunft der Armeen sämtlicher 
Länder. In Bischheim sah man 1902 einen geschäftlichen Fest- 
zug, vom 15. Jahrhundert ab, in dem u. a. die Zukunft durch 
einen dicht verhüllten Wagen dargestellt war, 1904 einen alten 
Bauernmeßti, 1905 als nachträgliche Schillerfeier das «Lied von 
der Glocke» in 21 lebenden Bildern, 1906 die vier Jahreszeiten 
in lebenden Bildern, 1907 heitere Bilder aus der Menschen 
Streben während der 7 Wochentage, 1903 ein buntes Allerlei 
von Ernst und Scherz. Kronenburg brachte 190(3 u. a. das 
Glückhaft Schiff mit einer Wurstwurfmasehine und* die Friedens- 
kauone vom Haag, welche Wecken und Zuckererbsen schoß, 
1907 Raisuli und seine Braut auf der Flucht, lllkirch-Grafen- 
Staden 1905 Bilder aus dem russisch-japanischen Krieg, einen 
Storchwagen, den Wildwest, eine Prägeanstalt, die unentgelt- 
lich (papierene) Zuschlagspfennige ausgab, B reuschwickersheim 
1901 einen Koch, der Knödel kochte und unentgeltlich ver- 
teilte, einen Zigeunerwagen und den Karren des Handels- 
juden. Im Buchsweiler Meßtizuge von 1902 sah man u. a. 
den Menschen, der die Arbeil erfand, am Galgen baumeln ; 
auf einem Ochsenwagen zechend die durchgefallenen Gemeinde- 
ratsrnilglieder ; zwei Burengenerale, die dort ihre Pension ver- 
zehren ; fünf Männer, die noch keine Sünde begangen, nämlich 
die Wirte. Endlich wurde 190i in einem Dorfe, das besser un- 
genannt bleibt, ein Zug zur Verhöhnung des Ortspfarrers ver- 
anstaltet. Und auf dem Lande ist noch sonst mancherlei Derbes 
und Ungehöriges in die Meßtizü^e hineingeflochten worden. 

Es ist anzunehmen, daß im Zeitalter des Verkehrs und 
der Zeitungen scherzhafte Meßtizüge auch auf dem Dorfe einen 
noch größeren Umfang annehmen werden. Die sinnige Sitte 
geht zurück, die Vergnügungssucht nimmt zu. Leider ! 

Das neuzeitliche Fest. 

Es wurde im Vorhergehenden fast auf jedem Blatte vom 
örtlichen und zeitlichen Rückgang des Meßti berichtet, so daß 
sich die Frage nunmehr aufdrängt: Was ist im großen und 



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332 — 



ganzen vom allen Meßli übriggeblieben? Die Antworf lautet 
kurz : Es sind nur noch die Trümmer eines ehrwürdigen und 
stolzen Gebäudes, und darin teilt der Meßti das Schicksal aller 
ländlichen Eigenart. 

Wenn wir die Dorfer übersehen, wo noch Meßli gefeiert 
wird, so sieben sie im einzelnen auf einer verschiedenen Stufe 
der Verkümmerung. Dieser allgemeine Rückgang nimmt ge- 
wöhnlich folgenden Verlauf. Allmählich ziehen sich die ver- 
heirateten Leute zurück, die sich unter den tanzenden Knechten 
und allzu jugendlichen Burschen nicht mehr wohl fühlen. Der 
Meßti schrumpft auf zwei Tage zusammen. Statt der großen 
Musik gibt es bloß noch eine Harmonika, der Meßtibursch 
verschwindet, die Fremden bleiben weg. Der Meßtimontag 
dient noch eine Zeitlang als besserer blauer Montag. Manchmal 
tanzt man noch in einem Privatbaus oder in einer Scheune. 
Dann fallt der Tanz auch am Sonntag weg, den einige leicht- 
fertige Burschen und Männer in Erinnerung an den alten 
Meßli im Wirtshaus verbringen, nachdem man zu Hause ein 
besseres Essen eingenommen hat. Schließlich erinnert sich 
kaum noch ein Alter, daß an dem betreffenden Tage früher 
Meßti war, und endlich erlischt auch diese Erinnerung. 

Außer dieser Verkümmerung des Meßti ist in jüngster 
Zeit eine andere Beeinflussung seines sittenmäßigen Verlaufes 
aufgetreten, nämlich das Uebergreifen des slädlischen Meßti- 
treibens auf das Land. Obwohl wir vom volkstümlichem Stand- 
punkt aus diese Erscheinung als eine dorffremde Einpflanzung 
aufTassen müssen, läßt sich doch nicht leugnen, daß mancher 
wankende Meßti durch sie eine willkommene Stütze erhielt 
und mehr als ein verwelkter Meßti zu neuem Leben erblühte. 
Es ist dies eine der vielen Erscheinungen, die im Wandel der 
Zeiten von der Stadt aus in die ländlichen Gemeinden wandern, 
und denen sich der neuzeitliche Bauer durchschnittlich nicht 
mehr abgeneigt zeigt. Das Bild dieses Meßti, der das Grab 
der traulichen Tanzbodenpoesie und der kameradschaftlichen 
Eintracht der Dorfjugend wurde, ist ein wesentlich anderes. 
Es ist kein Dorf so klein, in das nicht das Karussell und die 
verschiedenartigen Schießbuden, Zucker- und andere Stände 
ihren Weg fänden. Fahrende Leute besuchen auch sonst im 
Laufe des Jahres die Landgemeinden, und die Dorfbürger- 
meister lassen sich gar oft erweichen, den Karussells, Schiffs- 
schaukeln und allerlei «Theatern» die Betriebserlaubnis zu er- 
teilen, mehr als nötig wäre. So hat sich der Begriff des Ver- 
gnügens auch auf dem Lande langsam geändert. Es ist in 
dieser Hinsicht bezeichnend, daß solche neuzeitlichen Ver- 
gnügungsmittel sich schon vielfach an die katholischen Patrons- 




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tage angesetzt haben, ja daß der Trinitatissonntag, an dem der 
zuständige Pfarrer von Hagen in der der hl. Dreifaltigkeit ge- 
weihten Kapelle auf dem Hoh-Barr eine Messe liest, geradezu 
der Hoh-Barrer Meßti heißt und seit einigen Jahren viel be- 
sucht und aueh mit Tanz zugebracht wird. 

Die Hochburg dieses modernen Meßti, bei dem auch die 
Kinder auf ihre Rechnung kommen, und der jetzt allgemein 
als «Volksfest» bezeichnet wird, bilden die Straßburger Vororte 
Ruprechtsau, Neudorf, Königsliofen, Kronenburg, Musau 
und der «Benjamin» unter den Vorortsmeßli : Grüneberg. Man 
kann ihnen in den letzten Jahren auch die Meßti von Bisch- 
heim, Hönheim^ Schiltigheim, Eckboisheim sowie denBruem- 
terslräßler Meßli hinzurechnen. Letzterer wird seit 1904 von 
den Ein- und Anwohnern -der Brumalherslraße zu Schiltigheim 
gefeiert, die vom Schauplatz des dortigen Meßti abgelegen sind 
und etwa 1/3 der Gemeinde ausmachen. Die übrigen Vororts- 
meßti bekamen, mit Ausnahme von Schiltigheim, ihre jetzige 
Bedeutung erst seil den 1870er Jahren, nachdem 1869 zugleich 
die alte G'hansmesse und eine Art Meßti eingegangen war, der 
einige Jahre hindurch vom Napoleonstag ab 14 Tage lang auf 
dem Lenötre -Platz stattfand. 

Wir können nun in unserem Gebiete heute mehrere 
Formen des Meßti unterscheiden, denen allen einige Stände, 
Wirtshausbesuch und zu Hause ein besseres Essen gemein- 
sam ist. 

Zunächst der «Stand meßti», auch die kleine Kirwe ge- 
nannt. Außer den erwähnten Merkmalen wird er durch einen 
formlosen Tanz, meistens mit einer Harmonika, und im Kirwe- 
gebiet durch das Maienaufstecken gekennzeichnet. Er ist üblich 
in dem Gebiet rheinabwärts von Weyersheim und Gambsheim. 
Die Grenze läuft über Rohrweiler, Oberhofen und Schirrhein 
dem Hagenauer Forst entlang, dann von Schwabweiler und 
Reimersweiler über Hohweiler, Slundweiler und Trimbach 
bis zur Pfälzer Grenze bei Salmbach. Als vereinzelte Dorf- 
gruppen sind zu nennen: Oberhofen bei Weißenburg, Rott und 
Weiler; Ürachenbronn, Birlenbach; Obersteinbach, Neun- 
hofen, Dürnbach, Windstein, Jägerthal; Kindiveiler, Bitseh- 
hofen. Der Tanz wird von der Geistlichkeit stillschweigend ge- 
duldet. Wollten die Bürgermeister ihn abschaffen, so erhöbe 
sich Widerspruch. Hie und da gibt es sogar große Musik, so 
z. B. in Offendorf % wo 1901 in vier Wirtschaften gespielt 
wurde und zwei Tanzhütten erbaut waren. 

Der «Spielmeßti» ist an der westlichen Grenze des Meßti- 
gebiels gebräuchlich, und zwar von Eckartsweiler und St. Jo- 
hann bei Zahern südwärts mit folgenden östlichen Grenz- 



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dörfern : Monsweiler, Ottersiveiler, Singrist, Koßweiler, Dins- 
heim, Klingenthal, Goxweiler, Burgheini und Mittelberg - 
heim. Sein Kennzeichen ist das vorwiegende Herauswürfeln von 
Lebkuchen und Geschirr und das Auslosen von Gewinnen. 
Manchmal tanzen auch einige Paare zwischen den Tischen 
und Stuhlen der Wirtsstube nach den Klängen einer Zieh- 
harmonika. Auf der v Ottersweiler Höhe» wird am dortigen 
Meßti mit Rücksicht auf die nahe Zaberner Garnison mit großer 
Musik getanzt. Dazu wird südlich des Haselbachs und im 
lothringischen Teil Gastfreundschaft in außergewöhnlichem Maß 
geübt, im Elsaß ist außerdem der Geschenklebkuchen ge- 
bräuchlich. Hie und da überwiegt der Wirtshausbesuch, und 
alsdann müssen sich die jungen Mädchen mit Karussell und 
Buden begnügen, so in Harzweiler und Haselburg. 

Der «Tanzmeßti» ist in den meisten protestantischen 
Dörfern zwischen dem Gebiete des Standmeßti und des Spiel- 
meßti üblich, also hauptsächlich im Ackerland, im Kochersberg, 
im Hanauerland und im Kreis Weißenburg, wo er die große 
Kirwe heißt. Sein Kennzeichen ist die große Musik und ein 
mehr oder weniger sittenmäßiges Bruchstück der alten Tanz- 
bodenherrlichkeit mit Auf- und Umzügen. Wo der Tanz im 
Vordergrund steht, sind Karussell und Stände vorwiegend auf 
die Kinderwelt angewiesen. Dieser alle sittenmäßige Meßti 
gebt von Jahr zu Jahr zurück. Es ist merkwürdig, wie seine 
einzelnen Bestandteile oft wegen geringfügiger, ja lächerlicher 
Vorkommnisse losbröckeln. So kam z. B. 1889 das Aufziehen 
in Dossenheim ab, weil das junge Volk dem Bürgermeister 
bei schmutzigem Wetter die Stube zu sehr verunreinigte. Aus 
demselben Grunde nahm der Flothbacher Bürgermeister in den 
1890er.Jahren den Lebkuchen nicht mehr an. In Hunspach 
kam der Hahnentanz ab, weil die Burschen, die an der Reihe 
waren, beim Militär dienten. Die jüngeren Burschen konnten 
den Hahnentanz nicht tanzen, und die älteren wollten es nach 
ihrer Rückkehr nicht. Wenn durch solche Vorfalle die Ueber- 
lieferung mehrere Jahre unterbrochen ist, wenn auch die 
Durfmusikanten, diese festen Säulen alter Sitte und Art nicht 
mehr raten können, weil man ihnen die Militärmusiker vorzieht, 
so streift der Landmeßti allmählich alles Sittenmäßige ab. 

Der heutige Meßti ist nur noch ein Schatten des alten . 
«Es gibt keinen Meßti mehr ! » hört man leider nur zu oft 
sagen. Ein Bollwerk des alten Meßli nach dem andern wird 
niedergelegt. Immer größer wird die Liste der ehemals viel- 
besuchten und blühenden Kirwen und Meßti, wo es früher noch 
am Donnerstag hoch herging und die heute nur noch in der 
Erinnerung der Alten fortleben : Schleithal, Oberrödern, 



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— 335 - 

Preuschdorf, Dürrenbach, Walburg, Morsbronn, Uhlweiler, 
Weitersweiler, Ultweiler, Wickersheim,' Hattmatt, Griesbach^ 
Imbsheim, Prinzheim, Gottesheim, Furchhausen und andere. 
Noch größer ist die Zahl der entarteten, so Obersteinbach, 
Kleeburg, Oberseebach, Schweig hausen, Nieder schä ff olsheim, 
Daisendorf, Weyersheim, Wanzenau, Still und viele andere. 
Am treuesten hat sich das Meßliwesen nach altländlicher Arl 
noch erhalten in Lembach, Görsdorf, Hunspach, Mietesheim, 
Obermodern, Düsweiler, Ringendorf, Alteckendorf, Geudert- 
heim, Hördt, Meisheim, Ingenheim, Dunzenheim, Fitrden- 
heim, Quatzenheim, Uten heim, Enzheim, Klingenthal. 

Ausblick in die Zukunft. 

Langsam, aber unaufhörlich wird dieser alte Bauernmeßti 
vom neuzeitlichen Geiste durchdrungen, die kernhafte Sitte 
wird durch andere Belustigungen und andere Genüsse verdrängt, 
die dem ländlichen Freudenfeste ein ganz anderes Aussehen 
verleihen. Und der Bauer, vorab die Jugend, wird sich dabei 
auch ganz glücklich fühlen. Ein vergebliches Unterfangen wäre 
es, diese Entwicklung der Dinge, die sich auch auf anderen 
Gebieten des Dorftums wie ein Naturgesetz vollzieht, auf die 
Dauer aufhalten zu wollen. Wollte man etwa dem Meßti das 
duftende und schimmernde Gewand des allen Brauches wieder 
anziehen, die Alten hätten ihre helle Freude daran und würden 
in wehmütiger Begeisterung schwelgen, aber bei der Meßtijugend 
wäre er bald der Lächerlichkeit verfallen, jenem sicheren Grabe 
alter Sitte. Wohl könnte aber hie und da in den bekannten 
Dörfern, die sich auch sonst noch der alten Sitte geneigt zeigen, 
eine verständige Obrigkeit und der wahre Volksfreund den 
jetzigen Stand des Festes noch eine Zeitlang erhalten und da- 
durch der Landflucht und anderen unerfreulichen Erschei- 
nungen der Neuzeit steuern. 

Im allgemeinen wird al»er das 20. Jahrhundert die Ueber- 
lieferung vieler Jahrhunderte aus dem blühenden Volksleben in 
den Besitzstand von Forschung und Wissenschaft verbannen. 



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XII. 

Chronik für 1907. 

4. Januar : stirbt in Brighton Alfred Touchemolin, gel-. 
9. Nov. 18*29 zu Strasburg, Schlachtenmaler, beteiligt an Pilon. 
Strasbourg Illustre. 

19. Januar : stirbt in Straßburg Heinrich Loux, geb. 
20. Febr. 1873 zu Auenbeirn, Maler elsässischer Dorfezenen 
(s. Jahrb. 23, 134). 

7. Februar stirbt Victor Henry, geb. 17. Aug. 1830 zu 
Colmar, Professor an der Sorbonne zu Paris, Sprachforscher, 
auch um elsäss. Dialektkunde verdient. 

27. -30. April : Der Kaiser in Straßburg und auf der 
Hohkönigsburg. Die Brücken hinter der Garnisonskirche, mit 
Standbildern von dem Bildhauer Marzolff» werden dem Verkehr 
übergeben. 

1. Mai: Eröffnung der Bergbahn Münster-Schlucht. 

14. Mai : Elsässisches Museum zu Straßburg eröffnet. 

25. Mai : stirbt zu Freiburg i. B. Freiherr Franz v. Roggen- 
hach, geb. 1825 in Mannheim, badischer Staatsminister, Or- 
ganisator der neuen Universität zu Straßburg. 

1. — 3. Juni: II. Elsaß- lothringisches Musikfest in Straß- 
hurji. 

2. Juni : stirbt zu Straßburg Kommerzienrat Dr. Karl 
Ignaz Trübner, geb. 2u Heidelberg 6. Juli 1846, seit 1872 in 
Straßburg als Buchhändler ; erwarb die Manessische Liederhand- 
schrift für Heidelberg zurück. 

9. Juni : Einweihung des Denkmals für J. M. Moscherosch 
zu Wilslädt. 

16. Juni: Jahresversammlung des Vogesenclubs in Ober- 
ebnheim. 

1. Juli: Musikfest in Mülhausen. 

4.-8. August : 38. Versammlung der deutschen Anthro- 
pologischen Gesellschaft in Straßburg. 



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— 337 — 



10. August: stirbt zu Paris der Blumen- und Genremaler 
Gabriel Th urner, geb. zu Mülhausen i. E. 1840. 

7. September : stirbt Adolf Seyboth, Museumsdirektor in 
Straßburg, 59 Jahre alt (Verf. des «Alten Straßburg»). 

9.— 11. September: Deutscher Gewerk- und Handwerker- 
lag in Straßburg. 

30. September : Der bisherige Kaiserliche Statthalter Fürst 
Hermann zu Hohenlohe-Langenburg tritt zurück. Seine Stelle 
übernimmt Graf Karl von Wedel. 



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XIII. 



Sitzungsberichte. 



1. Vorstandssitzung 



am 17. November 1907, vormittags 10 Uhr, im germanistischen 
Seminar der Universität. 

Anwesend die Herren Beemelmans, v. Borries, Euling, 
Huber, Lienhart, Luthmer, Martin, Menges, Renaud, (Ihr. 
Schmitt, Stehle, Waller, Wiegand. — Entschuldigt die Herren 
Kassel, v. Schlumberger. 

Der Vorsitzende teilt mit, daß ein Abzug des Jahrbuchs 
an Se. Exzellenz den Herrn Staatssekretär abgegeben und der 
übliche Beitrag zu den Druckkosten des nächsten Jahrbuches 
wieder in Aussicht gestellt worden sei. Ferner schlägt er vor, 
wie bisher so auch in Zukunft dem abgehenden Fürsten Stalt- 
halter von Hohenlohe - Langenburg alljährlich das laufende 
Exemplar unsres Jahrbuches gebunden zugehen zu lassen und 
verliest das Begleitschreiben, welches dem falligen Bande bei- 
gefügt werden soll. Der Vorschlag wird einstimmig angenommen. 

Es werden sodann die eingelaufenen Schriften und Druck- 
sachen verschiedener auswärtiger Vereine und gelehrter Gesell- 
schaften zur Kenntnisnahme vorgelegt, u. a. die Mitteilungen 
des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde, ferner eine 
Einladung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und 
Altertumsvereine zur Hauptversammlung nach Mannheim im 
September 1907, sodann ein Flurnamenverzeichnis mit Karten- 
skizze der Gemarkung Riedselz im Unter-Elsaß, sowie eine 
Einladung zur achten Tagung für Denkmalpflege am 19. und 
20. September. Die Erledigung dieser Angelegenheiten durch den 
Vorsitzenden wird nachträglich gutgeheißen. 

Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge 
werden kurz besprochen und zur Begutachtung an einzelne 
Vorstandsmitglieder verteilt. 




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— 359 — 



Der Kassenwart gibt darauf eine Uebersicht über den 
Stand der Kasse und wird ermächtigt, sich mit dein Buch- 
handler Herrn Heitz in Verbindung zu setzen wegen des 
Preises, der von letzterem für seine dem Umschlag des Jahr- 
buches regelmäßig beigedruckten Verlagsanzeigen zu zahlen sei. 

Zum Schluß berichtet der Vorsitzende über die Schritte, 
die er gemäß dem ihm in der Märzsilzung erteilten Auftrag betr. 
den Kostenpunkt bei der Herstellung des Jahrbuches getan 
hat, und zeigt, daß und warum es sich empfiehlt, den Druck 
auch fernerhin durch die Firma Heitz und Mündel besorgen 
zu lassen. 

Es folgt darauf um 11 Uhr die 

Allgemeine Sitzung, 

welche der Vorsitzende mit einer Begrüßung der Anwesenden 
eröffnet, an die sich der Bericht über das abgelaufene Geschäfts- 
jahr anschließt. Aus demselben ist ersichtlich, daß sich im 
Gegensatz zum Vorjahre die Finanzlage des Vereins dank einem 
erhöhten Zuschüsse aus dem Dispositionsfonds des Statthalters 
wesentlich gebessert hat. Die weitere Besserung soll für das 
nächste Jahr insofern angestrebt werden, als das Jahrbuch im 
Umfang verringert und von 22 Bogen auf etwa 17 herabgesetzt 
werde, so daß der augenblicklich vorhandene kleine Ueber- 
schuß erhöht und für das folgende Jahr wiederum ein umfang- 
reicheres Jahrbuch in Erwägung gezogen werden könne. So- 
dann zeigt der Vorsitzende an, daß die zu Beginn der Sitzung 
von den Mitgliedern HH. Adrian Meyer und Direktor Dr. 
Hertel vorgenommene Rechnungsprüfung vollendet und richtig 
befunden worden sei, wofür er ihnen sowie dem Kassenwart 
den Dank des Vereins ausspricht. 

Unter Hinweis auf den in der Märzsitzung vom Vorstand 
gefaßten Beschluß, über die Möglichkeit einer Ermäßigung der 
Druckkosten des Jahrbuches Untersuchungen anzustellen, legt der 
Vorsitzende die Gründe dar, nach denen es durchaus wünschens- 
wert sei, die geschäftlichen Beziehungen zur Druckerei Heitz 
und Mündel nicht zugunsten einer anderen zu lösen, zumal da 
dieselbe neben dem Druck auch noch die nicht unerheblichen 
buchhändlerischen Geschäfte mit erledigt. Die Versammlung 
ist mit seinen Ausführungen einverstanden, und es erhebt sich 
auch kein Widerspruch gegen seinen Vorschlag, mit Rücksicht 
auf den zu erwartenden Mitgliederzuwachs statt der bisherigen 
3000 Abzüge von nun ab bis auf weiteres 3200 herstellen zu 
lassen. Für den nächsten Band stellt er eine dem 12. ent- 
sprechende Inhaltsübersicht der Bände 13—24 in Aussicht. 



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— 340 



Vor der Neuwahl des Vorstandes spricht Herr Geheimrat 
Hering dem bisherigen Vorstände den Dank- des Vereins für 
seine Geschäftsführung aus und schlägt die Wiederwahl des 
alten Vorstandes durch Zuruf vor. Da sich kein Widerspruch 
dagegen erhebt, nimmt der Vorsitzende namens des Gesamt- 
vorstandes die Neuwahl an und dankt der Versammlung für 
das bewiesene Vertrauen. 

Hierauf erteilte der Vorsitzende das Wort Herrn Prof. Dr. 
Henning, der in längerer Auseinandersetzung über seine Tätig- 
keit bei der Sammlung der elsässischen Volkslieder berichtet, 
worauf der Vorsitzende dem Herrn Berichterstalter vorschlägt, 
die Volksliederkommission zur nächsten Märzsitzung einzuladen. 
Herr Prof. Henning erklärt sich damit einverstanden. 

Zum Schluß hielt Herr Prof. Follmann den angekündigten 
Vortrag über «Die Herkunft der Siebenbürger Sachsen und ihre 
Verwandtschaft mit den Mosel franken». 

Schluß der allgemeinen Sitzung : 12 » Uhr. 

2. Vorstandssitzung 

am 4. März 1908, nachmittags 3 Uhr, im germanistischen 
Seminar der Universität. 

Anwesend die Herren v. Bornes, Harbordl, Kassel, Lempfrid, 
Lienhart, Luthmer, Martin, ttenaud, Chr. Schmitt, Stehle. — 
Entschuldigt die Herren Beemelmans, Euting, Huber, Menges, 
Wiegand. 

Der Vorsitzende verliest ein Schreiben des früheren Statt- 
halters Sr. Durchlaucht des Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg, 
in welchem der Dank des Fürsten für das erhaltene Jahrbuch 
ausgedrückt ist ; ferner ein Schreiben des jetzigen Statthalters 
Grafen v. Wedel mit der Mitteilung, daß zur Deckung eines 
Teiles der Unkosten des neuen Jahrbuchs ein Beitrag von 
600 M. bewilligt worden sei. 

Der Vorsitzende legt weiterhin einige Druckschriften vor, 
u. a. von der Lese- und Bedehalle der deutschen Studenten 
zu Prag, welche um unentgeltliche Ueberlassung eines Exem- 
plars des Jahrbuchs bittet: wird einstimmig bewilligt. Die 
Societe archeologique de Namur will mit dem Verein in 
Schriftenaustausch treten : das soll nach dem Beschluß des 
Vorstandes vom nächsten Jahrbuch ab geschehen. 

Es folgt sodann die Besprechung der für das neue Jahr- 
buch eingelaufenen Beiträge sowie die Feststellung der Chronik. 

Es erfolgt zum Schluß ein lebhafter Gedankenaustausch 
über die Frage, wie das Unternehmen in betretT des elsässi- 



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sehen Volksliedes, dessen wissenschaftliche Bearbeitung und 
Veröffentlichung vor Jahren von Prof. Henning im Verein an- 
geregt wurde, zu fördern sei. Allgemeine Zustimmung fand 
schließlich der Antrag Luthmer, nach welchem an den der- 
zeitigen Vorsitzenden des Liederausschusses Herrn Prof. Dr. 
Henning «las Ersuchen zu richten sei, eine Sitzung des aus der 
Mitte des Vereins gewählten Ausschusses zusammen zu berufen, 
um ül>er den Plan der weiteren gemeinsamen Arbeit zu be- 
raten und über das Ergebnis dieser Beratungen in der nächsten 
Novembersitzung Bericht zu erstatten. 

Schluß der Sitzung : 4«* Uhr. 



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