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Full text of "Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elsass-Lothringen"

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Beiträge zur 
Landes- und 
Volkeskunde 




Elsass-Lothri 






HatfmtU (College Htbraru 



JOHN AMORY LOW ELL, 

(Glas» of 

This fund is $20,000, aud of its income three quarters 
shall be spent for books and otic quarter 
bc ndded to thc principal. 



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o BEITRAGE 



ZUR 



I AN 1)1 S- UND VOLK t-SK l 'N!) ! 



VON 



ELSASS-LOTHRINGEN 



IV. HEFT 



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EIN URKUNDLICHER KOMMENTAR 
ZU GCETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT 

MIT EINEM PORTRÄT ARAMINTA's 
IN FARBIGEM LICHTDRUCK 
UND IHREM FACSIMILE AUS DEM I.ENZ-STAMMBUCH 

VON 

Dr. JOH. FROITZHEIM 
Oberlehrer an der Neuen Realschule in Strassburg. 



STRASSBURG 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 



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LANDES- UND VOLKESKUNDE 



eftMi Verlagshandlung 



VON 



ELSA SS-LOTHRINGEN 



in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen 
aus dem Gebiete der Geschichte und Literatur- 
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur 
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- 
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner 
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in 
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner 
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen 
daneben selten gewordene litterarische Denkmäler 
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, 
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über 
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch 
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen, 
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher 
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- 
lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner- 
bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm- 



siehe dritte Seite des Umschlags. 



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II Ld. Heitz. iHk.iti • MÜNnEU SlrasRburg. 



Lichtdruck von A1.BKRT rltisui in Herh 



LENZ, GOETHE 

INI» 

CLEOPHE FIBICH 

VON STRASSBURG. 



EIN URKUNDLICHER KOMMENTAR 
ZU GCETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT 

MIT EIN KM HH.riK ARAMINTA's 
t*NI) IHREM I AI.SIMILK AI S DKM I.KNZ-STAMMHl'CII 

VON 

Dr. JOH. FROITZHEIM 

Oberlehrer an der Neuen Realschule in Strassbuig. 



STRASSBURG 

J. H. Ed. HEITZ (HEITZ & MI NDEU). 

1888. 



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VORREDE. 



Folgende Studien bieten den Literatur freunden einen 
aus urkundlichem Material erarbeiteten Kommentar zum 
Eingang des 14. Buches von Goethes Dichtung und Wahrheit, 
welcher stets als eine der klassischen Stellen für die Geschichte 
der Sturm- und Drangperiode erachtet worden ist. 

Indem ich mit diesen Forschungen dem Beispiele 
Aug. Strebers folge, bemerke ich, dass mir dieselben schwerer 
fielen als ihm. Stceber lebte und schrieb zu einer Zeil, wo 
noch lebendigere Ueberlieferungen Ober die Vergangenheit 
des Elsass und reiche handschriftliche Schätze in Strasslnrrg 
vorhanden waren, welche letztere im Laufe der Zeit entwe- 
der durch den Brand von 1870 oder aus Unkenntnis ihres 
Wertes vernichtet worden sind; andere literarische Beti- 
quien sind von ausgewanderten Enkeln mit nach Frankreich 
hinübergenommen worden. Auch war Stieber Landeskind ; 
ihm öffneten sich die Familienarchive leichter als einem 
Fremden. 

Und dennoch würde ich ungerecht sein, wollte ich nicht 
freudig bekennen, tvie zuvorkommende Aufnahme auch ich 
allmählich bei einheimischen Familien gefunden, wenn ich 
mit den Namen Goethe, Lenz, Bo'derer, Ott, Fibich leise 
anzuklopfen wagte und Erinnerungen zu wecken begann, die 
denselben als tätigst vergessene Erzählungen ihrer Eltern 
und Grosseltem ans Ohr klangen. 

« Ihr Brief kommt mir vor wie aus einer anderen Welt, 
wie beschämt bin ich, dass fremde Leute mehr wissen über 



- 4 — 

unsere Familie ah tvir selbst », so schrieb mir die Gross- 
nichte von Lenzens Araminta und sandte mir mit über- 
raschender Zuvorkommenheit sämmtliche Familienbilder zur 
Ansicht, unter ihnen jenes schöne, mit dessen Abdruck ich 
meine Arbeit schmücken durfte. 

Zu grossem Danke bin ich deshalb Herrn Pfarrer Jacob 
und seiner Schwester Fräulein Jacob, der Familie Michel- 
Ott und den Enkelinnen des trefflichen Theologen Johann 
Gottfried Rwderer, welcher der treuesie Freund des unglück- 
lichen Dichters Lenz gewesen, für ihre Mitteilungen ver- 
jt fliehtet, Möge)( mit mir auch die deutschen Literaturhisto- 
riker das Entgegenkommen denselben dadurch vergelten, 
dass sie das Andenken ihrer Vorfahren in Ehren hallen! — 
Nicht mindere Erkenntlichkeit schulde ich Herrn Müller, dem 
Bureauvarsteher des Strassburger Standesamtes, der mich 
in den Schätzen des ihm unterstellten Archivs mit steter 
Gefälligkeit zu rechtwies . 

Die grösste Anerkennung jedoch verdient Herr V. Th. Falck 
in Riga, der unermüdliche Lenz- Forscher, der mit einer 
Uneigennnlzigkeit und Hingabe ohne Gleichen meine Arbeil 
gefördert hat. 

Strassbnrg, den 1. August 1887. 

Dr. J. FROITZHEIM. 



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Wie der reife Mann sich mit Liebe in die Erinnerung 
seiner Jugendjahre, da es wie Most in ihm gährte und schäumte, 
zurückversenkt, so wird auch das heutige Deutschland in seiner 
Macht und Grösse das Andenken jener Sturm- und Drang- 
periode nicht vernachlässigen, in welcher die politische Wieder- 
geburt Deutschlands durch die Wiedergewinnung seiner geistigen 
Selbstständigkeit gegenüber französischem Eintlusse vorbereitet 
und gefestigt wurde. Nicht allen ist es bekannt, dass gerade 
in Strassburg am Anfang der siebenziger .Jahr«; des vorigen 
Jahrhunderts sich dieser geistige Befrei ungsproeess vollzog ; und 
doch hat der Anblick von Erwins deutschem Riesendome auf 
Gethe und seine Genossen den entscheidenden Kintlnss geübt." 

Ehre den jugendlichen Stürmern und Drängern, die für 
den Sieg der deutschen Sprache und Sache die Waffen ihres 
Geistes erhoben ! Rechne man ihnen doch nicht immer jenes 
übertriebene Pathos, jene grenzenlose Schwärmerei wie zum 
Verbrechen an ! Das dunkle Gefühl, Träger einer wellbewegenden 
Mission zu sein, musste jene Jugend mit berechtigtem Stolze 
erfüllen, der jeder Schranke, jeder Selbstbeherrschung spottete. 
Und warum nur die Auswüchse ihrer Kraftleistungen tadeln, 
ohne mit Genuglhuung anzuerkennen, dass Ueberkraft die 
unerlässliche Vorbedingung einer späteren gesunden Blüte war ! 

Jene Zeit des Sturmes und Dranges war zweifelsohne eine 
gewaltig erregende. Nicht alle besassen, wie G<ethe, stählerne 
Nerven, um solche Erschütterungen ungefährdet zu bestehen 
und der Periode der heftigsten Gemütsbewegung eine zweite 
rulliger, künstlerischer Gestaltung folgen zu lassen. Zartere 
Naturen sind diesen Anstrengungen erlegen, so der unglückliche 
Dichter Lenz, dessen merkwürdige Lebenssehicksale in neuester 
Zeit ein grösseres Interesse erweckt haben. 



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I. Abriss des Dichterlebens. 1 



Jakob Michael Reinliold Lenz, neben Giethe der talentvollste 
Lyriker und Dramatiker der siebenziger Jahre des vorigen Jahr- 
hunderts, der plötzlich wie ein glänzend Meteor am deutschen 
Lileraturhimmel emporstieg, um spurlos in die Nacht des Wahn- 
sinns zu versinken, wurde am VI. Januar 1751 zu Sesswegen 
in Livland als Sohn des damaligen Pastors, späteren General- 
supcrintendenten, David Lenz geboren. * Nachdem die Eltern 
im Jahn; 1751) nach Dorpat übergesiedelt waren, bezog Jakob 
1768 als Student der Theologie die Universität Königsberg und 
kam von dort nach kurzem Aufenthalte in Berlin und Leipzig 
als Reisebegleiter und Freund zweier kurländischen Edelleute 
von Kleist im April 1771 nach Strassburg, wo ihn Goethe in 
seinem letzten Semester kennen lernte. 

« Wir sahen uns selten, schreibt Gcethe, s seine Gesellschaft war 
nicht die meine; aber wir suchten doch Gelegenheit uns zu treffen 
und thcilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Jüng- 
linge, ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber nett von Gestalt, 
ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form niedliche, etwas 
abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen : blaue Augen, blonde 
Haare, kurz, ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen 
von Zeit zn Zeit eins begegnet ist : einen sanften, gleichsam vor- 
sichtigen Schritt, eine angenehme, nicht ganz fliessende Sprache und 
ein Betragen, das, zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich 
bewegend, einem jungen Manne gar wohl anstand. Für seine Sinnes- 
art wüsste ich nur das englische Wort whimsical, welches, wie das 
Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in einem Begriff 
zusammenfasst. » 

Nachdem Lenz sich bereits früh als Dichter versucht hatte, 
schloss er sich bei seiner Ankunft in Strassburg an die von 
dem würdigen Aktuarius Salzmann geleitete literarische Gesell- 
schaft, der bereits Gcethe, Jung-Stilling, Lerse, Reederei-, Haftner, 
Ott u. A. angehörten und Herder nahe stand, mit Eifer an. 

* Dieser Abriss diene dazu, das Interesse an dem sonst wenig ge- 
kannten Dichter in weitere Kreise zu tragen. 

* P. Th. Falck. Der Dichter J. M. R. Lenz in Livland. Wiuterthur 18*78. 
3 Dichtung und Wahrheit III. 11. S. 40. Ich citiere die Seitenzahl nach 

der Herapel'schen Ausgabe. 



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- 7 - 



Shakespeare war damals der Held, unter dessen Banner die 
deutsche Jugend zürn Siege auszog. 

« Will jemand unmittelbar erfahren, schreibt Goethe, was damals 
in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt 
worden, der lese den Aufsatz Herder's über Shakespeare in dem 
Hefte « Von deutscher Art und Kunst », ferner Leiwens « Anmer- 
kungen übers Theater ». denen eine Uebersetzung von Love's labour's 
lost hinzugefügt war Herder dringt in das Tiefere von Shakespeare's 
Wesen und stellt es herrlich dar ; Lenz beträgt sich mehr bilder- 
8türmerisch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters und will denn 
eben all und überall nach Shakespeare'scher Weise gehandelt haben.» 

Ohne Zweifel war Lenz das verdienstvollste Mitglied jener 
«Gesellschaft der schönen Wissenschaften)). Sein Bemühen, den 
unbestimmten Bestrebungen derselben festere Ziele zu setzen, 
wurde mit Erfolg gekrönt und am November 177.*> in dem 
Hause des Aktuarius Saizmann zur Eröffnung einer «Gesellschaft 
deutscher Sprache» geschritten. 1 

Wohl mochte die neue Verabredung der Mitglieder, keine 
andere als deutsche Aufsätze vorzulesen , auf französischem 
Boden seltsam erscheinen, aber Lenz bewies die Vorzöge der 
deutschen vor der französischen Sprache in wissenschaftlichen 
Aufsätzen 2 und rief als Deutsch-Kusse, den der Vorwurf 
deutschen Chauvinismus nicht tieften konnte, den Elsässern mit 
Ermunterung ins Gewissen : 3 

« Wir alle sind Deutsche. Mit Vergnügen, aber mit heimlichem, 
habe ich bisher aus einigen Ihrer Vorlesungen gesehen, dass selbst 
die Obermacht einer herrschenden, und was noch weit mehr i 3t. 
verfeinerten Sprache den alten Hang zu dein mütterlichen Boden 
Ihres Geistes, ich meine, zu unserer nervigten deutschen Sprache 
nicht habe ersticken können. Bleiben Sie ihm treu. Alle Ihre kindi- 
schen und nachher männlichen Vorstellungen und Gefühle sind auf 
diesem Boden erwachsen. Der Geist, meine Herren, leidet keine 
Naturalisationen, der Deutsche wird an der Küste der Kaffern so 
gut als in Diderots Insel der Glückseligkeit immer Deutscher bleiben 
und der Franzose Franzos. » 

1 Alsatia 1868, S 174, wo das Protokoll von A. Steuer veröffentlicht ist. 
Da der Abdruck desselben trotz Stoibers Behauptung ungenau ist und derselbe 
das S. 175 erwähnte Mitgliederverzeichnis gan? vergessen hat, so habe ich mich 
zu einer neuen Herausgabe des Protokolls entschlossen, welche durch mehrere 
bisher ungedruckte Briefe des Salzraonn schen Kreises vermehrt werden soll 

• Lenz' Sch.-ihen von L. Tieck II, S. 32(5. vgl. Protokoll S. 175. 

3 Ibid. II S. 318. 



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— 8 — 



Als schönste Frucht jener Deutschen Gesellschaft, aber 
auch als letzte deutschen Geistes vor der Revolution ist die 
Herausgahe einer von wackerer Gesinnung geleiteten Strass- 
burger Wochenschrift «des Bürgerfreundes» zu verzeichnen. 
Mit Lenzens Uebersiedelung nach Weimar geriet dies Unter- 
nehmen ins Stocken. Revolution und Kaiserreich vernichteten 
die Regungen deutschen Lebens im Elsass. So blieb es bis 
zum Jahr 1870. Wenn man aber in Zukunft einmal die Pioniere 
des Deutschtums im Elsass des nationalen Dankes würdigen 
wird, so möge man auch den Dichter Lenz nicht vergessen, 
der bereits vor 400 Jahren, inmitten zunehmender Vervvälschung, 
in Strassburg die Fahne deutscher Gesinnung hochgehalten hat. 

Lenz war ohne Frage ein hochbegabtes Dichtertalent. 
Wieland nennt ihn mit Entzücken « einen Dichter ä triple 
carillon». 1 et Aus wahrhafter Tiefe, aus unerschöpflicher Pro- 
duktivität ging sein Talent hervor, in welchem Zartheit, Beweg- 
lichkeit und Spitzfindigkeit mit einander wetteiferten » — 
dieses Goethe'sche Urteil 2 wird trotz aller nachfolgenden Ein- 
schränkungen Lenz für alle Zeilen als einen Dichter von Gottes 
Gnaden erscheinen lassen. 

Lenzens Lyrik ist, wie die -Goethe'sche, nicht gelehrte, 
sondern unmittelbar dem Herzen entquillende Gelegenheitspoesie. 
Ware doch sein herrliches Talent selbst auf der Höhe seines 
Schaffens nicht schon von den vorauseilenden Schatten zukünf- 
tigen Wahnsinns getrübt gewesen!' «Der neblichte Blick, das 
Maulwurfsgefühl)», das ihm einmal Wieland nachsagt,» hindert 
wohl sein dichterisches Vermögen sich zur Klarheit des Gedan- 
kens sowie des Ausdrucks durchzuringen. 

Als Perle seiner Lyrik wird stets sein Gedicht* auf die 
verlassene Friederike genannt werden dürfen, in welchem er 
sich selbst vor der Verbindung mit einem Wesen warnt, das 
ihm nur gezwungen folgen, niemals aber innerlich würde ange- 
hören können. 

* 

1 Brief« an »md von J. H. Merck, herausg. von K. Wagner, 1835 und 
1838. s. Brief Wielands vom 13. Mai 17*76. 

* Dichtung und Wahrheit III, 14, S. 144. 

: * Briefe an und von J. H. Merck, herausg. von Wagner, s. Brief Wie- 
lands vom 9. Sept. 1"*76. 

4 Ich citiere dasselbe in der knapperen, aber dichterisch schöneren 
Fassung, welche Urlichs nach dem im Besitz Falcks befindlichen Originale 
im Archiv für Litteraturgescbichte VIII, S. 1(56 herausgegeben hat. 



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— 9 — 
Die Liebe auf dem Lande. 

- 

Ein schlechtgenährter Kandidat 
Der oftmals einen Fehltritt that 
Und den verbotnen Liebestrieb 
In lauter Predigten verschrieb, 
Kehrte einst bey einem Pfarrer ein 
Den Sonntag sein Gehülf zu seyn. 

# 

Der hat ein Kind, zwar still und bleich, 

Von Kummer krank, doch Engeln gleich. — 

Sie hielt im halberloschnen Blick 

Noch Flamen ohne Maass zurück, 

All itzt in Andacht eingehüllt, 

Schön wie ein marmorn Heiligenbild. — 

t 

War nicht umsonst so still uud schwach 
Verlassene Liebe trug sie nach. 
In ihrer kleinen Kammer hoch 
Sie stets an der Erinnerung sog ; 
An ihrem Brodschrank an der Wand 
Er immer, immer vor ihr stand, 
Und wenn ein Schlaf sie übernam, 
Im Traum er immer wieder kam. 

Für ihn sie noch das Härlein stutzt 1 t 
Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt, 
All' ihre Schürzen anprobirt 
Und ihre schönen Lätzchen schnürt, 
Und von dem Spiegel nur allein 
Verlangt, er soll ihr Schmeichler seyn. 
Kam aber etwas fremds iifs Haus, 
That. sie sich schlecht und häuslich aus, 

Denn immer, immer, immer doch 
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch 
Von einem Menschen, welcher kam 
Und ihr als Kind das Herze nam. 
Fast ausgelöscht ist sein Gesicht, 
Doch seiner Worte Kraft noch nicht 

t 

1 In der Handschrift «stützt., ohne Zweifel ein lapsus caUnu, Vrotx 
Urlichs Erklärungsversuch. 



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- 10 — 



Und jener Stunden Seligkeit 

Und jener Träume Wirklichkeit 

Die, angeboren jedermann 

Kein Mensch sich wirklich machen kann. 

Ach Männer, Männer seid nicht stolz 
Als wär't nur ihr das grüne Holz, 
Der Weiber Gut' und Duldsamkeit 
Ist grenzenlos wie Ewigkeit. 

Wenn irgend ein Dichter der Sturm- und Drangperiode, 
so war gerade Lenz von der Ueberzeugung erfüllt, dass die 
deutsche Nation nur durch das Drama in Bewegung gesetzt 
werden könne. Leider kam er über die Shakespearomanie nicht 
hinaus ; daher denn das Abgerissene der Scenen, die Verken- 
nung jeder bühnengemässen Forderung, der Cynismus der 
Anschauung, der unser sittliches Gefühl empört, aber vor dem 
Ausbruch der französischen Revolution die vorhandene Gab- 
lung gegen alles Unwahre bezeichnet. 

Zu spät erkannte Lenz, dass die Nation durch die Regel- 
losigkeit dramatischer Gebilde auf die Dauer nicht zu fesseln 
sei, dass es noch etwas höheres als ^Nesseln vorweg zu hauen» 1 
gäbe, aber er leiht uns auch den Schlüssel der Erkenntnis, 
warum auf Sturm und Drang nicht Sonnenschein habe folgen 
können. Von seinem Vater in jungen Jahren ohne jede mate- 
rielle Unterstützung gelassen, musste sich der Arme kümmer- 
lich durch die Welt schlagen. 

« Mir fehlt zum Dichten Müsse, klagt er, und warme Luft und 
Glückseligkeit des Herzens, das bei mir tief auf den kalten Nesseln 
meines Schicksals halb in Schlamm versunken liegt und sich nur 
mit Verzweiflung emporarbeiten kann. > 2 

Und doch, welche Goldkörner neben hässlichcn Schlacken 
auch hier, welche packende Gewalt der Empfindung, welche 
scharfe Charakteristik und lebendige Sprache! Gewiss hat Lenz 
aus dem Umgang mit Goethe geistigen Nutzen gezogen, aber 
die Mitteilung beruhte auf Gegenseitigkeit : Stolzius in den 
« Soldaten » ist mit Lenzens Charakter Vorbild zu Brakenburg 
geworden , der kurze, aber wirkungsvolle Monolog der Marie 
in eben demselben Drama erinnert an Gretchen und Klärchen. 

» Dorer-Egioff, J. M. R. Lenz und seine Schriften, Baden 1857, S. 183. 
* K. Wugner, Briefe von und an Merck. Brief vom 14. Marz 1775 au 
Merck. 



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11 — 



Lenz 1 Soldaten I, Sc. 6. 
Marie (küsst ihrem Vater die 
Hand) Gute Nacht Pappuschka ! 
(Da er fort ist, thut sie einen 
tiefen Seufzer und tritt ans 
Fenster, indem sie sich auf- 
schnürt) Das Herz ist mir so 
schwer. Ich glaube, es wird ge- 
wittern die Nacht. Wenn es ein- 
schlüge — (sieht in die Höhe, die 
Hände über ihre offene Brust 
schlagend) Gott ! Was hab' ich 

denn Böses gethan? Stolzius 

ich lieb' dich ja noch — 

aber wenn ich nun mein Glück 
besser machen kann — und Papa 
selber mir den Rath giebt (zieht 
die Gardinen vor), trifft michs, 
so trifft michs, ich sterb' nicht 
anders als gerne (löscht ihr Licht 
aus). 



Gcetho's Faust. 
Margarethe : 

Es ist so schwül, so dumpfig 
[hie (Sie macht das Fenster auf ) 
Und ist doch eben so warm nicht 

[drauss. 

Es wird mir so, ich weiss nicht 

[wie — 

Ich wollt, die Mutter kam nach 

[Haus. 

Mir läuft ein Schauer übern Leib — 
Bin doch ein thöricht furchtsam 

[Weib ! 



Clürchen, Hl. Aktschluss : So lass 
mich sterben! Die Welt hat keine 
Freuden auf diese ! 
V. Akt : (Die Lampe, welche Bra- 
ckenburg auszulöschen verges- 
sen, flammt noch einmal auf. 
dann erlischt sie). 



Gorade in kleinen Zügen w 
sagt von ihm, «die Poesie, die 
wusste, setzte mich oft in Ersta 
mag Garthe in seine Dichtungen übertragen haben. Ich bemerke 
noch folgende Parallelstelle : 



ar Lenz unerschöpflich. Goethe 
er in das Gemeinste zu legen 
unen». Manchen solcher Zfure 



Lenz' Tagebuch, S. 278 : 
Ich hatte ihr Nachtkleid gelobt 
— die Mutter hiess sie einigemal 
sich ankleiden, sie wollte nicht. 



Egmont I, 3. 

Mutter : Ziehst du dich nicht ein 
wenig besser an ? 
Klare : Vielleicht Matter, wenn 
ich Langeweile habe. 



Garthe hatte Strasbourg bereits im August 1771 verlassen, 
während Lenz bis in den Marz 1770 daselbst verblieb. Im 
Frühjahr 1772 begleitete er den zweiten Baron von Kleist mit 
seinem Regimente erst nach Fort-Louis, dann nach der Festung 
Landau, um im Herbste zu dem ältesten Baron nach Sfrass- 
burg zurückzukehren. Bald darauf wurde letzterer, der sich 
unterdessen mit einer Strassburger Bürgerstochter verlobt hatte. 



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— 12 — 

von seinem Vater nach Kurland zurückgerufen. Aber noch vor 
seiner Abreise traf auch der dritte und jüngste Bruder in Stras- 
burg ein. Zwischen ihm und Lenz erfolgte im Herbste 1774 
über die Einmischung des letzteren in jene Liel>esangelcgenheit 
des ältesten Barons ein Bruch. Lenz trennte sich von demselben, 
bezog ein anderes Quartier in der Sladt und führte von nun an 
csein SchifTlein selbst.» Indessen wenn er auch, carm wie eine 
Kirchenmaus» und «gehetzt wie ein Postpferd», gleich anderen 
bedürftigen Studenten der Theologie in der Stadt herumlaufen 
musste, um durch Schanzen sein Brod zu verdienen, es war 
doch die freiestc und für seine Muse ergiebigste Zeit seines 
Lebens. 

Goethe, der seit dem Erscheinen des Gölz in lebhafterem 
brieflichen Verkehr mit ihm gestanden, unterbrach die Genie- 
reise, die er im Sommer 1775 mit den beiden Grafen Stolberg 
nach der Schweiz unternahm, durch einen Abstecher nach Strass- 
burg, ausdrücklich, wie er dem dort studierenden Erbprinzen 
Karl August von Sachsen - Meiningen mitteilte, 1 um seinen 
Freund Lenz zu besuchen. Dem Andenken an den ersten 
Besuch in der Pfingstwoche den 24. Mai 1775 widmete Lenz 
in einem Wirtshausgarten vor dem Fischerthor die Verse : 

Der Wasserzell, Denkmahl der Freundschaft. 2 

« Ihr stummen Bäume, meine Zeugen, 
Ach! kam er ohngefehr 
Hier, wo wir sassen, wieder her. 
t Könnt ihr von meinen Thränen schweigen ? 

L. an 0. 

1 L. Bechstein, Mitteilungen aus dem Leben der Herzoge zu Sachsen- 
Meiniogen. Halle 185G. S. 106. 

2 Iris 1775. IV, 2 S. 147 vergl. J. v. Sivers J. M. U. Lenz in der 
Baltischen Monatsschrift 1879 S. 356, wo auch die Uebersetzuug : 

Arbres muets, temoins d'un Souvenir 

Dont le regret trouble les charmes 

Ah! dans ces lieux jaraais s : il pouvait revenir 

Pourtez vous lui taire mes larmes ! 
Unter jenen Bäumen schrieb Garthe au Johanna Fablmer nach Frankfurt : 

Liebe Tante! In freyer LuiFt ! einem Uralten Spaziergang hoher vielreih 
kreuzender Linden, Wiese dazwischen das Mctnster dort! dort die III. Und 
Lenz lauft den Augenblick nach der Stadt. Icü habe schon ein Mittagessen 
bestellt hier nah bey u. s. w. er kommt wieder etc. — Diese alte Gegend, 
iezt wieder so neu ! — Mittwoch den 24. May 1775 — eine Viertelstunde 
von Strasburg. G. (Hirzel-Bernays der junge Goethe III 88). 



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- 13 - 



Goethe verabschiedete sich von dem Freunde mit dem 
Stammbuchverse: 

Zur Erinnrung guter Stunden, 
Aller Freuden, aller Wunden, 
Aller Sorgen, aller Schmerzen. 
In zwei tollen Dichter Herzen 
Noch im letzen Augenblick 
Lass ich Lenzzen dies zurück. 1 

Damals stand die Freundschaft beider Dichter, welche neben 
einander auf dem deutschen Parnass genannt zu werden 
pflegten, im Zenith. 

Im November 1775 wurde Goethe von dem Herzog K;irl 
August nach Weimar berufen. Lenz verblieb den Winter in 
Strassburg und erfüllte damals sein Herz mit einer neuen Liebe 
zu Henriette Waldner von Freundstein, der späteren Frau von 
Oberkirch. 

Endlich im März 1776 riss er sich aus den Strass- 
burger Verhältnissen los. Not einerseits, andererseits die schmei- 
chelhafte Hoffnung, eine ähnliche Stellung wie Goethe zu er- 
ringen, trieben ihn nach Weimar. Er war dem Herzog bei dessen 
Autenthalte in Strassburg vorgestellt worden und träumte sich 
in den Gedanken, durch eine Schrift über Soldatenehen der 
Regenerator des sächsischen Kriegswesens zu werden, sowie 
der Dichter Goethe sich dem Herzog bereits durch seine juris- 
tischen Kenntnisse nützlich zu machen gewusst hatte. 

Lenzens Ruhm befand sich damals auf dem Gipfel. Mit den 
bedeutendsten Männern seiner Zeit, mit Lavater, Pfenninger, 
Zimmermann, Merck, Herder, Jacobi stand er in persönlichem 
oder brieflichem Verkehr ; seine Fehde mit Wieland, die er 
bei seiner Uebersiedelung nach Weimar beizulegen suchte, 
halte nicht zum geringen Teile zu seiner Berühmtheit beige- 
tragen. 

Von Merck in Darmstadt, freundlich empfangen, von Klinger 
in Frankfurt mit fürstlichen Ehren eingeholt und bei der Frau 
Rat aufs trefllichste bewirtet, erhielt Lenz auf dem Wege nach 
Weimar die Trauerbotschaft, dass Fräulein von Waldner die 
Braut des Herrn von Oberkirch geworden sei. Seine Erregung 
spiegelt sich in jenem Briefe an Lavater wieder, in welchem er 
dem väterlichen Freunde die eigentümliche Zumutung stellt, der 

i lieber diesen Stammbucheintrag siehe weiter uuten. 



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— 14 — 



ihm wenig oder gar nicht bekannten Dame in aller Form von 
solcher Verbindung abzuraten. 1 

Am Musenhof in Weimar wurde der unberufene Gast mit 
Wohlwollen aufgenommen. Bald war er verschlungen vom an- 
genehmen Strudel des Hofes, war den ganzen Tag toben beim 
Herzog» und durfte ihm Lavaters Schriften vorlesen. Allein dieser 
glatte Boden war für den unerfahrenen Jüngling, der Taktlosig- 
keiten für Geniestreiche ansah, auf die Dauer zu gefahrlich.« 

Bereits am 24. April hatte Lenz nach Go;thes Ausdruck 
eine Eselei begangen, da er uneingeladen auf dem Hofball er- 
schien und eine Adlige zum Tanz zu führen sich anschickte. 
Am 29. Nov. verzeichnet Goethe eine neue «Eselei Lenzens» in 
sein Tagebuch. Die Sache war so schlimm, lass der Dichter 
vom Herzog binnen 24 Stunden des Landes verwiesen wurde. 

Was die Ursache dieser strengen Massregel gewesen, ist, 
wie bei Ovids Verbannung, bis jetzt geheim geblieben, da sich 
die Beteiligten , wie es scheint, unverbrüchliches Stillschweigen 
gelobt haben. Ohne Zweifel waren Geithe und die Frau von 
Stein angegriffen. Von Goethe gesteht es Lenz selbst in seinem 
Briefe an Herder den 30. Nov. 1776. » Auf Frau von Stein, auf 
deren Gute Lenz im September und Oktober 5 Wochen hatte 
verweilen dürfen, deuten folgende abgerissene Sätze, welche 
Lenz seiner Gewohnheit nach auf das Kouvert eines Briefes von 
Kcederer hingeschrieben hat. Die Mitteilung derselben verdanke 
ich der Güte Falcks : 

« Hat sie mich davon vorher warnen lassen durch ihn ? * Und 
ich suchte das nicht zu hindern». 

«Nur wenn alles gethan ist den letzten Genuss um ihr sagen 
dass ich sie erwarte». 

* schändlich kalte Tugend, die uns zwingt Aufopferungen gegen 
♦»inen Freund zu machen den wir hernach dafür nicht lieben können ». 

* der alles hingiebt, zuletzt das Leben und nichts thut, weil es 
nicht das Herz hat ... » 

' Dorer-Egloff S. 161. 

* Brief Wielands an Merck vom 13. Mai: Lenz am Höfel — Was 
dankt euch dazu? Seit er hier ist, ist kaum ein Tag vergangen, wo er 
nicht einen oder den andern Streich ausgeführt, der jeden andern als ihn in 
<üe Luft gesprengt hatte. Dafür wird er nun freilich auch was Rechtes 
geschoren. 

:1 Aus Herders Nachlass I, S. 245. 

*) Ebenso Lenz im Briefe an Herder (Aus Herders Nachlass I, S. 244): 
«Hätte ich Grethens Winke nur eher verstanden! Sag' ihm das.» 



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— 15 



€ stum den Weg zum Vater >. 1 

« Sobald mein Platz «in anderer ausfüllen kann, warum ihn 
nicht verlassen? Sobald aber dies gethan ist, gehe ich. Es ist Gott, 
der mich ruft. Im Frieden ist auch im Mil.» nichts zu thun für mich ». 

« Quisquis ubique habitat maxime nusquam habitat ». 

Die Worte Goethes an die Frau von Stein 3 «die Sache reissl 
so an meinem Innersten, dass ich dadran wieder spüre, wie 
tüchtig es ist und was aushalten kann» lassen die Schwere des 
Vorfalls erkennen. 

Der Streich, den sich Lenz hatte zu Schulden kommen 
lassen, war gewiss kein sittlich tadelnswerter ; wie hatte sonst 
der Theologe Herder die Vermittelung übernehmen können. 
Goethe spricht von einer «Eselei», Wieland sogar nur von einer 
«Impertinenz».* Deshalb konnte auch Lenz, indem er eine von 
unbekannter Hand dargebotene Unterstützung mit Stolz zurück- 
wies, von einem « unbewussten Verbrechen » reden und um 
«Gerechtigkeit» bitten. Allein die Taktlosigkeit war nun einmal 
begangen, die seinen weiteren Aufenthalt in Weimar unmöglich 
machte. 

Am 1. Dez. 1776 verliess Lenz Weimar, um bei seinem 
treuen Freunde Schlosser, Goethes Schwager, in Emmendingen 
bei Freiburg eine Zufluchtsstätte zu suchen. Aber ruhelos 
schweifte er am Oberrhein umher. Wir finden ihn bei Lavater 
in Zürich oder auf Gebirgsreisen in der Schweiz. Nachdem 
hei Kaufmann in Winterthur Herbst 1777 der erste eigentliche 
Wahnsinnsausbruch erfolgt war, tauchte er plötzlich bei Frie- 
derike in Sesenheim auf und wird von da als tobsüchtig nach 
Strassburg geschafft.» Den 20. Januar 1778 erscheint er in 
bitterer Winterkälte vor der Thür des Menschenfreundes Ober- 
lin im Steinthal, um aufs neue nach herzzerreissenden Selbsl- 

• Vergl. das Gedicht «An meinen Vater. Von einem Reisenden., Tietk, 
Lenz' Schriften III, S. 266. 

8 Vergl. Brief Lenzens an Salzmann aus Kochberg 23. Oct. 1*76 
(Stcober. Der Dichter Lenz S. 84) : Vielleicht sehen Sie mich einmal in her- 
zoglich sachsischer Uniform wieder. Doch das unter uns. 

3 GoBthes Briefe an Frau v. Stein I, S. 72. 

4 Deutscher Merkur 1777 Juli S. 11. 

— Der Junker zieht 
Wie« Bruder L(enz) 
Sich aus der ersten • 
Impertinenz 
Durch eine zweite. 

& Gathe, Biographische Einzelheiten. Vgl. Falck, Friederike Brion S. 69. 



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- 1(i - 

mordssreiien 1 nach Strasburg und v«n da durch seinen Freund 
Reederei' zu Schlosser nach Emmendingen gebracht zu werden. 
Hier erreichten Lenzens Wahnsinnsausbruche den höchsten 
Grad. Nachdem Klinger vergebens eine Kaltwasserkur mit dem 
Unglücklichen versucht,» musste Schlosser den 8 April 1778 
an Reederei* berichten : s 

< Lenz hat ein Recidiv bekommen und ist nun ganz rasend. Er 
mnss an Ketten liegen und wird täglich und Nachts von 2 Mann 
bewacht Da sein Puls dabey ganz natürlich geht, so müssen wir 
und der Arzt seine Manie für unheilbar halten. Wir sind nun ent- 
schlossen ihn ins Frankfurter Tollhaus zu bringen, das mehr ein 
Spital, als ein Tollhaus ist. Da soll wöchentlich 3 Gulden für gezahlt 
werden. Rechne ich die Nebenkosten, seine bessere Verpflegung 
dazu, so kans auf 20 Louisdor kommen. Ich werde in der Schweiz 
und Colmar dafür Subscriptionen sammlen ; auch habe ich darüber 
nach Weimar geschrieben. Suchen Sie doch auch in Strassburg durch 
Sich oHer Salzmann was zu erhalten. Ich habe in der Zeit, als er 
bey mir war. erstaunlich gelitten. Sein Tod würde mir der grösste 
Trost seyn. » 

Doch Hess Schlosser den Gedanken an das Frankfurter 
Tollhaus lallen, als sich die Tobsucht in Truhsinn abschwächte. 
Seitdem wurde Lenz auf Kosten seiner Freunde, zu denen 
auch der Herzog von Weimar einen Beitrag stellte, zuerst 
einem Chirurgus, später einem Schuhmacher Süss zur Pflege 
übergeben, zu dessen Sohne Konrad der Arme eine unendlich 
rührende Neigung gewann. 

Endlich im Sommer 1779 rührte sich Lenzens Familie, an 
welche sich Schlosser bereits das Jahr zuvor ohne Erfolg ge- 
wandt hatle. Man kann es ihm, der soviel für den Unglück- 
lichen gethan , wahrlich nicht verübeln , dass er in einem 
Briefe an Sarasin seinem Unmut über das Verhalten des Super- 
intendenten Lenz die Zügel schiessen Hess. «Der Herzog von 
Weimar, schreibt er,* bezahlt die Kost. Aber sein Vater ist 
ein eingefleischter Schurke, der mir gar nicht mehr antworte!, 
seitdem ich ihm sagte, dass seine Schuldigkeit erfordere, Sorge 
für seinen Sohn zu tragen.» Erst im Juli 1779 kam der ältere 

1 A. Sta-ber. Der Dichter Lenz S. tl ff. 
* M. Rieger, Klinger S. 259. 

: * A. Stn'ber, J. G. Roederer und seiüe Freunde S. 69. 
4 R. R. Ilagenbach, Jakob Sarasin und seine Freunde in den Beiträgen 
zur vaterlandischen Geschichte IV, Basel 1850 S. 102. 



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I 

r 



— 17 — 

Bruder Karl Heinrich Goltlieb Lenz, um den Unglücklichen 
über Lübeck nach Riga heimzuführen. Er fand ihn bis auf 
eine unglaubliche Schüchternheit wieder hergestellt. Strass- 
burg aber musste er, so leid es ihm that, mit ihm vermeiden. 
Mit welchen Gefühlen er die Thürme von Riga wieder erblickte, 
schildert der Arme in einem bewegten Abschiedsbriefe an Frie- 
derike von Sesenheim. 1 

Von da ab verliert sich unsere Kenntnis von des Dichters 
Schicksal ins Ungewisse. Vergebens machte sich Lenz Hoff- 
nung auf das Rektorat der Rigenser Domschule , auch die 
Familie suchte sich seiner zu entledigen. Von Riga kam er 
nach Petersburg, von dort nach Moskau, wo er eine kurze Zeit 
als Hauslehrer lebte, um in immer tieferes Elend zu ver- 
sinken. Man nannte ihn den kleinen oder verruckten Lenz; er 
trank, machte Schulden, Anfälle von Wahnsinn wiederholten 
sich, zuletzt hatte er keine feste Wohnung mehr. So fand man 
ihn in einen alten zerrissenen Mantel eingehüllt am Morgen 
des 24. Mai 1792 todt in den Gassen von Moskau. * 

So starb ein grossbeanlagter Dichter, der eine Zeitlang neben 
Goethe auf dem deutschen Parnass geglänzt hatte, als ein Opfer 
der Sturm- und Drangperiode, deren eigentlicher Typus er noch 
seinen Verdiensten und Schwächen genannt werden darf. 

«Von allen verkannt, sagt sein Nekrolog, 3 gegen Mangel und 
Dürftigkeit kämpfend, entfernt von allem, was ihm theuer war, 
verlor er doch nie das Gefühl seines Wcrthes; sein Stolz wurde 
durch nnzählige Demüthigungen noch mehr gereizt, und artete 
endlich in jenen Trotz aus, der gewöhnlich der Gefährte der edeln 
Arrauth ist. Er lebte von Almosen, aber er nahm nicht von Jedem 
Wohlthaten an und wurde beleidigt, wenn man ihm ungefordert 
Geld oder Unterstützungen anbot, da doch seine Gestalt und sein 
ganzes Aeussere die dringendste Aufforderung zur Wohlthätigkeit . 
waren.» 

II. Goethes Urteil Uber Lenz. 

Der Erste, welcher Lenzens Andenken der Vergessenheit 
entriss, war Ludwig Tieck, welcher 1828 seine gesammelten 
"Werke in einer allerdings unzulänglichen Ausgabe verölTent- 

• Falck, Friederike Brion, Berlin 1884, S. "73. 
Jegor v. Sievers, J. M. R. Lenz. Riga 1819. 
Allgemeine Literaturzeitung 1792. Intelligenzblatt Nr. 99. 

2 

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— 18 — 

lichte. Nach ihm haben Studier, Düntzcr, Dorer-Egloff, Falck, 
Sivers und andere aus bisher ungedruckten Quellen das Lebens- 
bild des Dichters zu vervollständigen sich bemüht. 

Dennoch gilt noch heute von Lenz das geflügelte Wort: 
«Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein 
Charakterbild in der Geschichte.» Nachdem Gervinus in seiner 
Literaturgeschichte 1 den Armen in dem Bewusstsein eines 
Mannes, der auf den Schultern anderer steht, mit catonischer 
Strenge abgekanzelt, leistete Gruppe, dem Vorgang Dorer-Eglofls 
folgend, in einer phantasiereichen Monographie« dem unglück- 
lichen Dichter den schlechten Dienst, Lenz über Lenz selbst 
erheben zu wollen. In neuester Zeit hat Hettner in seiner Lite- 
raturgeschichte des 18. Jahrhunderts das von Gervinus gefällte 
Urteil im wesentlichen wiederholt,» dagegen Falck, Urlichs* und 
Erich Schmidt^ den Wert des Menschen und Dichters in ein 
besseres Licht zu rücken gesucht. 

Immerhin ist eine schon von Goethe« ersehnte Darstellung 
des Lenzischen Lebens und Dichtens in einer erschöpfenden 
Arbeit noch nicht erschienen und kann naturgemäss so lange 
nicht erscheinen, als der umfangreiche biographische und lite- 
rarische Nachlass des Dichters, der vor und nach seinem Tode 
verzettelt wurde, noch immer in Privathänden ruht. 

Möchten doch die glücklichen Besitzer desselben ihre hand- 
schriftlichen Schätze, auf deren Veröffentlichung die literarische 
Welt nun so lange gespannt ist, ohne jede Anmerkung sofort 
herausgeben. ' Es wäre damit der Wissenschaft ein ungleich 
besserer Dienst geleistet, als mit jenen Angriffen, wie sie neuer- 
dings auf die verdienstlichen Publicationen Falcks unternommen 
worden sind. Denn verdienstlich ist jede Publication, welche 
neues Material herbeischafft ; auf die Sicherung des Urleils 
kommt es erst in zweiter Instanz an, und wird noch manches 
Wasser ins Meer fliessen, ehe ein abschliessendes Votum in 

J IV, S. 656 ff. 

* Reinhold, Lenz Leben und Werke. Berlin 1861. 

3 III, 1. S. 235 ff. 

4 Deutsche Rundschau 1811, S. 254-292 : Etwas von Lenz. 

•*» Lenz und Klinger, Zwei Dichter der Geniezeit. Berlin 18*78 
6 Dichtung und Wahrheit III, 14. S. 146. 

" In der Alsatia 1868 S. 1*74 verkündet Aug. Stoeber, dass Freiherr vnn 
Maitzahn schon seit längerer Zeit eine Sammlung von Lenz' Gedichten und 
kleinen Schrillen vorbereite. Heute schreiben wir 1887, ohne dass diese 
Sammlung erschienen ist. 



— 19 - 

<ler selbst von Garthe als schwierig bezeichneten Lenz-Frage 
erfolgen kann. 

Da mithin die Quellen noch nicht abgeschlossen sind, kann 
es auch nicht Zweck dieser Arbeil sein, eine auf die Erwägung 
aller einschlägigen Momente gegründete Beurteilung des Dichters 
Lenz zu geben ; nur einige wichtige Bausteine zu einer zu- 
künftigen Biographie und zum Verständnis seiner in Strassburg 
entstandenen Werke gedenke ich beizutragen, die, da sie aus 
urkundlichem Materiale bestehen, ihren Wert in sich selber 
bergen. Leicht mag es den glücklichen Besitzern des Lenz-Nach- 
lasses sein, über Ereignisse seines Lebens sich kurzer Hand aus 
den Papieren des Dichters zu belehren, schwerer wird es dem 
Forscher in fremdem Lande, die Urkunden selbst erst aufzu- 
spüren, aus denen sichere Schlüsse gewonnen werden können. 

Für die Charakterisierung des Dichters Lenz ist von jeher 
der Anfang des 14. Buches von Gerthes Dichtung und Wahr- 
heit als klassischer Ausgangspunkt angesehen worden. Welche 
Mühe hat sich hier der Meister psychologischer Malerei gegeben, 
um das indefmible Wesen Lenzens in einen einigermassen si- 
cheren Rahmen zu bannen. Goethe sagt dem früheren Freunde 
einen entschiedenen Hang zu zweckloser Intrigue nach und 
führt wie zum Beweise folgende seltsame Geschichte aus seinem 
Leben an: 

< Man hatte ihn mit livländischen Kavalieren 1 nach Strasshurg 
gesandt und einen Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können. 
Der ältere Baron ging für einige Zeit ins Vaterland zurück und 
hinterliess eine Geliebte, an die er fest geknüpft war. Lenz, um den 
zweiten Bruder, der auch um dieses Frauenzimmer warb, und andere 
Liebhaber zurückzudrängen und das kostbare Herz seinem abwe- 
senden Freunde zu erhalten, beschloss nun selbst sich in die Schöne 
verliebt zu stellen oder, wenn man will, zu verlieben Er setzte diese 
seine These mit der hartnäckigsten Anhänglichkeit an das Ideal, das 
er sich von ihr gemacht hatte, durch, ohne gewahr werden zu 
wollen, dass er so gut als die Uebrigen ihr nur zum Scherz und 
zur Unterhaltung diene Desto besser für ihn ! Denn bei ihm war es 
auch nur Spiel, welches desto länger andauern konnte, als sie es 
ihm gleichfalls spielend erwiderte, ihn bald anzog, bald abstiess, 
bald hervorrief, bald hintansetzte. Man sei überzeugt, dass wenn er 
zum Bewusstsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen 

1 In den biographischen Einzelheiten unter «Lenz« schreibt Goethe richtig: 
• kurlündischen Edelleuten. . 



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pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Glück 
gewünscht habe. 

« Mündlich und nachher schriftlich hatte er mir die sämmtlichen 
Irrgänge seiner Kreuz- und Querbewegungen in Bezug auf jenes 
Frauenzimmer vertraut; die Poesie, die er in das Gemeinste zu legen 
wusste, setzte mich oft in Erstaunen, so dass ich ihn dringend bat. 
den Kein dieses weitschweifigen Abenteuers geistreich zu befruchten 
und einen kleinen Roman daraus zu bilden ; aber es war nicht seine 
Sache, ihm konnte nicht wohl werden, als wenn er sich grenzenlos 
im Einzelnen verfloss und sich an einem unendlichen Faden ohne 
Absicht hinspann. > 

Es ist erklärlich, dass man an die Existenz jener verliebten 
Kreuz- und Querzüge, bei welchen Lenz eine wenig glänzende 
Rolle spielte, im Interesse des Dichters nicht recht glauben 
wollte. Gruppe ignorirt sie, Dorer-Egloff meint S. 155 : In die- 
ser Erzählung scheint so viel Kombination zu liegen, dass man 
es wohl niemanden verargen wird, wenn er in die Wahrheit 
derselben einigen Zweifel setzt und glaubt, dass in der Erzäh- 
lung nur ein Plan für einen zu schreibenden Roman, nicht aber 
geschichtliche Wahrheit enthalten sei ; auch Erich Schmidt fühlt 
sich geneigt, von einer «romanhaften Beichte» zu sprechen, i 

Bei solchen Zweifeln ist es wohl gerechtfertigt, eine genaue 
historische Untersuchung anzustellen ; handelt es sich doch nicht 
nur um die Glaubwürdigkeit der Gcethe'schen Kritilj an einer 
einzigen Stelle, sondern, da dieselbe einen Ausgangspunkt für die 
ganze Beurteilung bildet , die man Lenz hat zu teil werden 
lassen, um die Sicherung des Goethe'schen Urteils über Lenz 
überhaupt. 

III. Bisherige Dokumente. 

Den zunächst zu liefernden Beweis, dass ein solches Liebes- 
verhältnis des kurläudischen Barons in Wirklichkeit vorhanden, 
hatte schon Dorer-Egloff in Händen. S. 179 seiner Schrift ci- 
tiert er folgenden Brief Lenzens an Lavater vom Juni 1774, als 
letzterer sich zur Badereise über Strassburg und Frankfurt nach 
Schwalbach aufmachen wollte 



' Lenz und Klinger S. 14. 

a Ich gebe das Briefexcerpt nach der von Falck genommenen Abschrift 
des Originalbriefe». 




— 21 — 



« Ich bin Gesellschafter eines Kurländischen Cavaliers der im 
Bcgrif steht nach Hanse zurückzugehn, mich hier zu lassen. Ich 
zählte darauf wen du laut deiner vorigen Briefe in drey— vier 
Wochen abreisetest, er würde gegen diese Zeit verreist und ich frey 
seyn. Also würden wir dir förmlich entgegen reisen, dich herholen 
können etc. So aber muss grad itzt das Schicksal seinen jüngern 
Bruder der bey einem andern Regiment steht mit seinem Regiment 
gegen den Tag deiner Abreise hieherführen (den 11. haben sie Ordre 
erhalten auszumarschiren) der Bruder erwartet ihn, um ihn noch 
das letzte mal vor seiner Heimreise hier zu sprechen und ich in die 
allergeringsten ihrer beyden Geschäfte verwickelt darf mich nicht 
von ihnen trennen — besonders da diese Reise in dem ganzen 
Lebenslauf des ältesten Epoque macht. » 

Die geheimnisvollen Schlussworte, bezogen auf Gtethcs 
Aeusserung «der ältere Baron ging für einige Zeil ins Vater- 
land zurück und hinterliess eine Geliebte, an die er fest ge- 
knüpft war» konnten Dorer-Egloff zu dem Schlüsse führen, dass 
es sich bei jener Reise um die Einwilligung der Eltern in die 
bürgerliche Ehe ihres Sohnes gehandelt haben möchte. .Ia, die 
bezeichnenden Worte Garthes «er hinterliess eine Geliebte, an 
die er fest geknüpft war,» konnten ihn zu der Vermutung 
leiten, dass hier mehr als ein mündliches Versprechen gegeben 
war. Und wirklich hat dies schriftliche Eheversprechen des Herrn 
von Kleist auf Lenzens Einbildungskraft so grossen Eindruck 
geübt, dass er, der, wie die Dichter jener Zeit überhaupt, seinen 
Dichtungen reale Erlebnisse zu Grunde legte, dasselbe in seinem 
Drama, «die Soldaten» und in dem kleinen Roman «Zerbin oder 
die neuere Philosophie» verwertet hat. 

Die Soldaten spielen eigentlich in Strassburg. Die nur auf 
Strassburg passende «Rheinluft» 1 verrät dies, trotzdem zur Ver- 
schleierung der Thatsachen als offizielle Oertlichkeiten Lille und 
Annentieres figurieren. In Strassburg also liebt die bürgerliche 
Marie Wesener den adligen Offizier Desportes, der zu ihren 
Gunsten ein versiegeltes Eheversprechen bei einein Notar hinter- 
legt hat, sie aber schmählich im Stich lässt. Marie geht in Lei- 
denschaft und Elend zu Grunde, Desportes aber, der das Schick- 
sal Weisslingens teilt, wird von Stolzius, Mariens verschmähtem 
Bräutigam, der mit Lenz zusammen unverkennbare Züge zu 
Brakenburg geliefert hat, aus Rache vergiftet. 

1 Akt 11 Sc. 2. 



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Zerbin ist Lenz selbst. Von Geliert empfohlen, wird der 
junge Magister der Mathematik Mentor eines Grafen Altheim in 
Leipzig, bei dem er, wie Lenz bei seinen kurländischen Baro- 
nen, Wohnung und Tisch frei hat. Ihn und den sachsischen 
Officier Hohendorf unterrichtet Zerbin in Mathematik und dop- 
pelter Baukunst, wie denn auch Lenz sinh gern als einen Ken- 
ner artilleristischer Wissenschaft ausgab. Nach allen dreien 
wirft Renata Freundlach ihre Netze aus. Allein Hohendorf 
zieht sich langsam zurück, cda er schon eine Frau hatte, 
zwar nur von der linken Seite, der er aber ein besiegeltes 
Versprechen, sie gleich nach seines Vaters Tode zu heirathen, 
in den Händen eines königlichen Notars hinterlassen hatte.» 
u. s. \v. 

Wie Lenz in Zerbin, die beiden Kleist in Altheim und 
Hohenthal, die Braut des ältesten Kleist in Renata wiederzu- 
finden ist, so spielt in den Soldaten Lenz die Rolle des Feld- 
und Sittenpredigers Eisenhardt, die Offiziere Desportes und 
Mary sind die beiden Kleist, die Braut heisst hier Marie 
Wesener. 

Bei dieser quellenmässigen Uebereinstimmung — hier wie 
dort wird die Liebesgeschichte und das notarielle Eheverspre- 
chen des Kurländers der Angelpunkt des Ganzen — an der 
Existenz jenes Eheversprechens zweifeln zu wollen, ist unstatt- 
haft. Ueberdies schreibt Lenz im März 1776, nachdem er Strass- 
burg verlassen hatte, aus Darmstadt an Herder,* dem er seine 
Soldaten im Juli 1775 zugeschickt hatte: 

Sub iuramento mysterii. 

< Ich will Dir alles sagen, Herder ! Das Mädchen, das die Haupt- 
figur meiner « Soldaten » ausmacht, lebt gegenwärtig in der süssen 
Erwartung, ihren Bräutigam, das (sie !) ein Offizier ist, getreu wieder- 
kehren zu sehen. Ob der's thut oder sie betrügt, steht bei Gott. 
Betrügt er sie, so könnten die « Soldaten » nicht bald genug bekannt 
gemacht werden, um den Menschen zu zerscheitern oder zu seiner 
Pflicht vielleicht noch zurückzupeitschen. Betrügt er sie nicht, so 
könnte vielleicht das Stück ihr ganzes Olück und ihre Ehre ver- 
derben, obschon nichts als einige Farben des Details von ihr entlehnt 
sind und ich das Ganze zusammengelogen habe — Das ist die 
Bewandtniss : nun entscheide ! 



1 Aus Herders Nachlass, herausg. v. Düntzer u. Herder I. S. 239. 



— 23 - 

Wenigstens müsste in ein Zeitangsblatt gesetzt werden, das 
Stück wäre von einem gewissen Theobald Steenkerk aus Amsterdam 
geschrieben worden, damit wenigstens bei den Stadtwäschern, die 
nichts weiter als Detail drin sehen, vor zu grossen Unverschämtheiten 
eine Sperrkegel gelegt würde. Meine Exemplare kommen nicht aus 
den Händen. » 

« Dürfte ich doch fragen, ob Zimmermann oder Merck die Exem- 
plare von « den Soldaten > bekommen hat, schreibt Lenz an Herder 
aus Weimar den 9ten Juni 177B. * Ich habe selbst keins, auch 
niemand schicken können und hier sind sie auch im Buchladen 
nicht. Nach Strassburg dürfen sie nicht gehen. » 

Endlich, als Lenz nach der Weimarer Katastrophe sich dem 
Elsass wieder nähert, weiss derselbe seinen stärkeren Freund 
Klinger, <lem es, wie er ihn kannte, eine Kleinigkeit sein 
musste, sich mit einigen französischen Offizieren zu duellieren, 
durch Bitten zu bewegen, die Autorschaft der bereits gedruckten 
«Soldaten» auf sich zu nehmen. 

Am 6. Marz 1777 schreibt letzterer an den Leipziger Ver- 
leger Reich.« «Ich bin gegenwärtig genöthigt, Ew. Hoch. Edl. 
zu melden, dass nicht Lenz, sondern Ich Verfasser der Soldaten 
bin.» 

Schon das Schablonenhafte dieser Erklärung lässt die Un- 
wahrheit des Gesagten erkennen. Auch that Reich, der das 
Lenz'sche Manuscript soeben gedruckt hatte, dem vermeint- 
lichen Autor den Gefallen nicht, dessen Namen statt desjenigen 
des Lenz zur Angabe der Autorschaft in den nächsten Messka- 
talog zu setzen. Der berühmte Arzt Zimmermann, welcher im 
Verein mit Herder den Druck bei Reich vermittelt hatte, kannte 
den Grund, der Klinger auf Bitten seines schwächeren Freundes 
veranlasst hatte, die gefährlichen Folgen der Autorschaft auf sich 
zu nehmen. «Vermuthlich waren die Originale, schreibt er, in 
Strassburg, wo er bis hierher gelebt hat und wo dieses sehr 
unangenehme Folgen bei den dasigen Officiers für ihn hätte 
haben können.» 

Uebrigens hat später Klinger selbst am 17. Oktober 1819 
in einem Schreiben an den durch seine Beschäftigung mit Lenz 
bekannt gewordenen D r Dumpf in Euseküll in aller Form die 
erheuchelte Autorschaft widerrufen :» 

» Aus Herders Nachloss, I, S. 242. 

2 M. Rieger, Klinger S.406; vgl. Archiv für Literaturgeschichte II, 245 IT. 

3 M. Rieger, Klinger in der Sturm- und Drangperiode 1880 S. 222. 



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— 24 — 



« Lenz war in Strassburg und hatte die Soldaten, ein Lastspiel, 
geschrieben. Auf einmal glaubte er wirklich Ursache zu haben oder 
bildete es sich nur ein, er habe durch seine Comedie das franzö- 
sische Militair sehr beleidigt, und dieses ginge mit dem Gedanken 
am, Rache dafür an ihm zu nehmen. Er schrieb mir sehr ängstlich 
and bat mich dringend, seinem Verleger zu schreiben, ich sey der 
Autor des Stüks und er habe schon ohne meine Erlaubniss in 
Strassburg dasselbe ausgebreitet. Weil ich nun glaubte, ihn am 
besten von seiner Angst zu heilen, wenn ich seinen Wunsch erfüllte, 
so schrieb ich an seinen Verleger und meine Antwort zeigt Lenzen 
das Misstrauen, welches mir von seiner Seite diese Erfüllung ein- 
Üös8te. Indessen der Verleger that nichts davon, das Militair dachte 
nicht an Lenz und er hielt sich für sicher. > 

Beziehen sich nun auch die von Lenz gefürchteten Folgen 
lediglich auf die Schilderung: des lockeren I^ebens der Strass- 
burger Offiziere, wie sie uns in den Nebenscenen der Soldalen 
entgegentritt, so ist doch aus den erwähnten Briefen Lenzens 
an Herder nicht, minder ersichtlich, dass auch der Kteist'sche 
Liebeshandel, den er dramatisiert hatte, ihm Sorge verursachte. 
Deshalb sollten die Soldaten, wie Lenz am 20. November 1775 
an Herder von Strassburg schrieb, 1 nicht binnen Jahresfrist 
gedruckt werden, weil erst nach Ablauf dieses Termines das 
Glück jener Sti-assburger Dame, der Braut des Barons von 
Kleist, gesichert schien. 

Nach diesen Ausführungen ist das Kleist'sche Eheverspre- 
ehen, welches den Lenz'schen Dichtungen zu Grunde liegi, eine 
historisch beglaubigte Thatsache. Dass aber Gcethe nicht nur 
das Eheversprechen kannte, sondern auch über Lenzens seltsames 
Eingreifen in diese Liebesangelegenheit so genau unterrichtet sein 
konnte, wie er in Dichtung und Wahrheit verrät, dafür haben 
wir seit 1877 eine ausführliche Urkunde an dem Tagebuch des 
Dichters Lenz aus dem Jahre 1774, welches, in langjährigem Be- 
sitze GaMhes, sämmtliche Irrgänge der Kreuz- und Querbe- 
wegungen mit jener Strassburger Bürgerstochter enthält. 

Ohne Zweifel hat sich jenes Tagebuch unter denjenigen 
Lenziana befunden, welche G^lhe im Jahre 1797 zur Veröffent- 
lichung an Schiller geschickt hat. Der kleine Boman «Der Wald- 
bruder ein Pendant zu Werthers Leiden» erschien in den 
Hören 1797, «Die Liebe auf dem Lande» im Musenalmanach 
1798; das Tagebuch jedoch blieb liegen, bis es Urlichs in der 

1 Aus Herders Nachlass I, S 234. 



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— 25 — 

Originalhandschrift des Dichters im Schillerarchiv zu Greifen - 
stein entdeckte und in der deutschen Rundschau 1877 ver- 
öffentlichte. 

Das ursprunglich, wie Lenz selbst angriebt, in fremder, 
wahrscheinlich in italienischer, Sprache abgefasste und dann für 
Goethe ins Deutsche übersetzte Tagebuch, umfasste 30 Herbst- 
tage des Jahres 1774. Wer noch irgend einen Zweifel an der 
Existenz jenes Kleist'schen Verlöbnisses hegen wollte, musste 
schon durch die Einleitung eines Besseren belehrt werden. 

Nach dieser hatte der verliebte Baron, dem Lenz den ehren- 
vollen Namen «Scipio a verleiht, als ein Freier für «Araminta» 
erschien, sie und die Eltern durch ein schriftliches Eheverspre- 
chen und Verschreibung einer ungemein hohen Summe Geldes 
zur Sicherheit, welche Verschreibung bei einem königlichen 
Notar versiegelt niedergelegt ward, dahin gebracht, letzterem 
den Abschied zu geben. In dem Eheversprechen hatte er unter 
anderem sich verpflichtet, in höchstens einem Jahre zu seinem 
Vater zu reisen und dessen Einwilligung auszuwirken. 

Im übrigen enthält das Tagebuch folgende historisch lixir- 
bare Einzelheiten: Die Ereignisse spielen in Strassburg. Das 
Haus, in welchem Aramintens Eltern wohnen, steht am Parade- 
platz 1 (dem heutigen Kleberplatz). Auf diesem Platze unter 
Aramintens Fenstern spaziert Lenz mit einem guten Freunde 
S— n (Salzmann) auf und ab. * Am Abend des '24. Tages ist 
er mit dem Freiherrn von Hompesch und dessen Mentor, dem 
Dichter Werthes, im Hotel zum Geist an der Nikolausbrücke 
zusammen 3 und schreibt am 30. Tage einen Brief an Goethe 
aus Jungfer Lauths Hause in der Krämergasse. * ' 

Wie Ulrichs nachgewiesen, spielen die Ereignisse im Sep- 
tember und Oktober 1774. * Das Jahr lässt sich aus Jacobis 
Briefwechsel durch die Anwesenheit jenes Freiherrn von Hom- 
pesch in Strassburg, der Monat durch die in dem Tagebuch 
erwähnte Weinlese bestimmen. Dass die Barone, deren Gesell- 
schafter Lenz war, von Kleist hiessen, ergeben die Briefe des 
Dichters an Salzmann. 6 «Es sind ihrer drei, » bemerkt Lenz 
selbst im Tagebuch, i Der älteste, mit dem Beinamen Scipio, 
war der Bräutigam, mit dem zweiten hatte Lenz den Sommer 
1772 in Fort- Louis und Landau zugebracht, der jüngste wird 

> S. 280. * S. 275. 3 s. 285. 4 s. 292. '> S. 255 
6 A. Stoeber, Der Dichter Lenz. "> S. 284. 



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_ 26 — 



n dem Tagebuch unter dem Namen «Schwager» eingeführt. 
Den Namen der Eltern der Braut erfahren wir ebenso wenig, 
wie denjenigen der älteren Schwester, die als eine gefeierte 
Konzertsängerin in Strassburg erwähnt wird. Die Braut selbst 
wird zwar im Tagebuch «Araminta» genannt, doch ist dieser 
Name gewiss el>enso erfunden, wie derjenige «Scipio» für 
ihren Bräutigam. Nur an einer einzigen Stelle (S. 277) nennt 
Lenz aus Absicht oder Vergesslichkeit % Araminta auch «Cleph- 
<-hen» ; ob letzterer der wahre Name sei, bleibt einstweilen 
dahingestellt. 

Der indirekte Beweis also, dass jenes Kleist'sche Verlöb- 
nis in Wirklichkeit existiert habe, ist somit erbracht. Wenn 
demgemäss aber v. Löper in Anm. 524 zu Dichtung und Wahr- 
heit erklärt : «das Thatsäehliche der ferneren Erzählung von 
Lenz und der Kurländer Liebesverhältniss ist nicht ermittelt,» 
so reizt er dadurch den Historiker, auch den direkten Beweis 
der Thatsachen zu erbringen. 

Wäre es nicht möglich, so fragte ich mich, die bisher 
unbekannten Namen und Lebensschicksale der Beteiligten zu 
erforschen, damit die geschichtlichen Voraussetzungen des 
Ga»the'schen Urteils über Lenz für alle Zeiten beglaubigt würden? 
Manche Beweismittel für jene entfernte Zeit sind zwar in den 
Revolutionsstürmen von 1793 und im Bombardement von 1870 
für immer zu Grunde gegangen, allein es bleiben uns noch 
Standesregister, Stadtplan von 1765, die Akten des städtischen 
und des Bezirksarchivs sowie die reichen Hülfsmittel der in 
der hiesigen Universitäts- und Landesbibliothek enthaltenen 
Heitz'schen Bücher- und Handschriften-Sammlung. Versuchen 
wir es deshalb, Alt-Strassburg vor 100 Jahren von den Toten 
zu erwecken, vielleicht ist der Erfolg der Bemühungen wert ! 

IV. Neue Dokumente. 
1. Name und Wohnung der Familie. 

Pllegte Lenz nach seinen eigenen Worten die Details seiner 
Dichtungen der Wirklichkeit zu entlehnen, so ist der Vater der 
Braut nach dem Tagebuch Kaufmann, nach dem Personenver- 
zeichnis der Soldaten Galanteriehändler, nach dem Inhalt des 
Stückes aber Juwelier gewesen. 



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- -27 



Akt I Sc. 8 : 



Wesener : Wie befinden sich denn die werthen Eltern, w erden 

die Tabatieren doch erhalten haben — 
Desportes: Ohne Zweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen. Wir 

werden auch noch eine Rechnung miteinander haben, Vaterchen. 
Wesener : 0 das hat gute Wege, es ist ja nicht das erstemal. 

Desportes : Apropos, lieber Wesener ! wollten Sie mir doch nicht 

einige von Ihren Zitternadeln weisen ? 
Wesener : Sogleich (geht hinaus). 

(Wesener kotnml mit eiuer grossen Schachtel Zitternadeln). 
Wesener: Sehen Sie, da sind zu allen Preisen — diese zu 

100 Thaler. diese zu fünfzig, diese zu hundertfunfzig, wie es 

befehlen. 

Der Juwelierladen befand sich in demselben Hause. 
Akt II Sc. 3 : 

Wesener : Zeig mir her den Brief — ich will ihn unten im Laden 
lesen. 

Im Tagebuch ist die allere der beiden Schwestern eine 
gefeierte Konzertsängerin in Strassburg ; sie singt italienische 
Arien, deren Text Lenz übersetzt. «Ich traf auf den Vater, 
schreibt Lenz S. 27^, dem ich einige Höflichkeiten machte 
wegen des Vergnügens, das uns gestern seine älteste Tochter 
gegeben, die das erstemal öffentlich zum Bezaubern gesungen 
hatte.» 

Dass das Tagebuch Ereignisse des Septembers 1774 berich- 
tet, wurde oben erwähnt. Nun erzählt der Erbprinz Karl 
August zu Sachsen- Meiningen, welcher im Jahre 1775 mit 
seinem jüngeren Bruder Georg zu seiner Ausbildung in Strass- 
burg verweilte, in seinem Tagebuch 1 manches über Strassburger 
MusikaufTührungcn, zum Beispiel unter dem Datum Ostersonntag 
den lü. April folgendes : 

« Um 5 Uhr fuhren wir nach dem Boeil 2 des Cordonniers wo 
eine Gesellschaft von Musikliebhabern worunter auch grosse Meister 
waren ein Concert Spirituel gab Zur Bestreitung der Unkosten, 

1 Dieses interessante Tagebuch, aus welchem L. Hechstein, in seinen 
• Mitteilungen aus dem Leben der Herzoge zu Sachsen-Meiningen, Halle 
1856., einige Bruchstücke veröffentlichte, wird, nachdem mir Seine Hoheit 




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— 28 — 



indem sie den grossen Saal haben decoriren lassen und viele neue 
Musik hatten kommen lassen, musste die Person für die Entree 
3 Livres bezahlen. Beim Eintritt in den Saal wurden gedruckte 
Verzeichnisse von Stücken gegeben so gespielt wurden, und ich 
schicke hier ein solches mit. Niemand hatte sich von dem Concert 
eine grosse Idee gemacht da die von den vorigen Jahren schlecht 
gewesen waren und da man überhaupt hier gegen die deutsche 
Musik eingenommen ist die diese Gesellschaft im gusto bringen will. 
Von der Noblesse waren auch aus diesen Ursachen nur 2 Damens 
nehml. Madame de St-Marcin und Madame de Barbies de Sinon da, 
das andere waren lauter Offiziers und viele Personen von Condition 
aus der Stadt so dass doch über 200 Zuschauer waren. Es war 
schon so voll als wir hinkamen dass wir keine Plätze mehr fanden. 
Doch durch die Höflichkeit zweier Offiziers von Cravatte bekam ich 
einen Stuhl und ich fand dass ich neben diesen 2 Herrens sehr gut 
placiret war denn sie hatten Verstand und Artigkeit Das Concert 
selbst war so ausserordentlich schön dass es niemand bereute da 
gowesen zu sein. Alles war entzückt als Stamniz und Richter nebst 
andern vortreflichen Meistern sich hören Hessen und besonders da 
Mademoiselle fibig eine Goldschmidtstochter von hier die nur 
6 Monathe gelernt hat ihre ganz ausserordentlich vortrefliche 
Stimme in einer Italiänischen Arie von Piccini hören Hess. Es waren 
sehr viele Offiziers bei dem Orchester welches alles fast Virtuosen 
sind, das Orchester war über 40 Personen stark. Das Concert währte 
bis l ji 10 Uhr Abends da man denn sehr zufrieden nach Hause 
kehrte. Es haben sich sehr viele Leute geärgert dass sie nicht 
haben wollen hineingehen und man hoft dass die Gesellschaft bald 
wieder eins geben wird. Ich war sehr froh dass ich dieses Vortref- 
liche gehört habe welches so schön ist dass es über alle Vorstellung 
geht. » 

Dass sich der Erbprinz in dem Namen der Sängerin nicht 
geirrt, beweist eine Stelle in einem Briefe Blossins an Heederer 
nach Göttingen, Strassburg den 9. December 1776 M 

« Manch schönes Weib singt hier seine Arien. Bei Gelegenheit 
von Singen mus ich Ihnen sagen, dass das Concert auf der Möhrin 2 
so vortrefflich seye, als möglich, und dass unter anderen Mdlle. Fibich 
neulich mit lautem allgemeinem bewundernden Beyfall gesungen haben.» 

1 Aug. Sueber, J. G. Heederer und seine Freunde S. 156. 

4 Hautemer, Description de la Ville de Strasbourg 1*785 p. 106 • Le poele 
de la Mauresse. On teuoit encore dans cette salle les asseinblees de musi<|ue 
ou Concerts • Heutiges Cate de la Mauresse auf dein Alten Fischmarkt. Die 
Universitätsbibliothek zu Strasshurg besitzt in der Heitz'sohen Ausichten- 
sammlung ein altes Aquarell, welches das Gebftude im wesenilicheu so dar- 
stellt, wie es noch heule aussieht. 



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— 29 — 



Die Vermutung, dass die Strassburger Familie, in welcher 
Lenz und die Kleists verkehrten, die Familie des Goldschmieds 
Fibich gewesen, lag mithin sehr nahe. 

Da nach dem Tagebuch das Haus derselben am Paradeplatz 
(Kleberplatz) gestanden haben soll, so nahm ich auf dem hie- 
sigen Stadthause das älteste, bis ins Jahr 1791 zurückreichende 
Grundbuch des vorigen Jahrhunderls zur Hand, in der Vor- 
aussetzung, dass ein Juwelier nach den Verhältnissen jener Zeit 
auch Hauseigentümer gewesen sein müsse, und fand nach 
längerem Suchen, indem ich die Strassen der Stadt durch- 
musterte, als Besitzer des Hauses Rue du Dome nr. 3 (nach 
der amtlichen Vergleichungstabelle 1 heutige Nr. 22 in der 
Münstergasse) eingetragen Fibich Jean Philippe Jouaillier de- 
meurant dans la rue de l'Outre nr. 1 (heutige nr. 1 Schlauch- 
gasse). Letztere Gasse mündet bekanntlich von Osten auf den 
Kleberplatz. 

Da nun in demselben Grundbuch unter nr. 42 Rue vis-a- 
vis de la Place d'armes (jetzige nr. 15 an den Gewerbslauben) 
nichts anderes eingetragen steht als maison comprise au nr. 1 
rue de l'Outre, so ist bewiesen, dass nr. 15 an dem Kleber- 
platz und nr. 1 in der Schlauchgasse, welche noch heute zu- 
sammen ein Eckhaus ausmachen, auch im vorigen Jahrhundert 
ein und dasselbe Anwesen waren, was auch durch den 
Blondeischen Stadtplan von 1765 bestätigt wird. Noch heule 
hat das Haus Kleberplatz 15 seinen Treppenaufgang Schlauch - 
gasse nr. 1. 

Trotzdem Juwelier Fibich ein eigenes Haus in der Mün- 
stergasse besass, hatte er doch für sein Geschäft die coneur- 
renzfreie Lage am Parade- oder Kleber- oder Barfüsserplatz vorge- 
zogen und daselbst im Eckhaus an der Schlauchgasse den Laden 
und zur Wohnung die zweite Etage mit den darüber befindlichen 
M.insardekammern von dem Banquier Johannes Braun gemietet. 
Diese Lehnung, stets erneuert, zieht sich, wie ich fand, durch 
die Kontraktbücher * des Stadtarchivs a. 1748 Fol. 568a, a. 1751 
fol. 548, a. 1760 fol. 159a, a. 1772 fol. 417 b. 

' Tableau concernant l'Etat ancien des Inscriptions des rues et du 
Num^rotage des Maisons, puhlie" d 'apres les documents fournis par l'Admi- 
nistratioo municipale. Strasbourg 1858. 

? Die Kontraktstube des Kathauses, in welcher abwechselnd zwei von 
der Stadt angestellte Notare beschäftigt waren, diente den Bürgern zur Ab- 
schliessung notarieller Akten. 



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- 30 - 



Kontraktbuch 1772 fol. 417 b. 

Erschienen Hr. Exsenator Johannes Brann der Banquier dahier, 
dieser hat in gegenseyn H. Rathherr Johann Philipp Fibich des 
Juweliers angezeigt and bekannt, das er H. Braun vor sich, seine 
Erben ihrae H. Fibich aufrichtig und redlich verliehen, der auch für 
sich und seine Erben gleicher gestalten entlehnt zu haben bekannt- 
lich wäre In sein H. Verlehners eigentümlich zuständig allhie zu 
Strasburg gegen dem barfüsser platz über ane der Schlauch gass 
gelegenen Behaussung unten auf dem Boden die zwey an einander, 
stossende Laden nebst der Kuchen darinnen sich die Ess befindet, 
ferner auf dem zweyten Stock des Vordem Hauses Eine Stub, 
Kaminkammer, Kinderstüblein, Kuchen und Haussehren, in der 
Mansarde darüber fünf Cammern und einen theil des aschkastens 
wie auch den gebrauch des Haussehrens. Item auf der ersten Bühn 
dieses Stocks die in den Hof gehende schwarze getüch Cammer, 
Item in dem Hinterhauss den Vorkeller etc. etc. 

Jenes Haus, Nr. io am heutigen Kleberplatz und gleich- 
zeitig Nr. I in der Schlauchgasse, in dessen unterem 
Stock sich seit mehreren Jahren ein grosses Kleidergeschäft be- 
findet, ist eines der vielen Häuser Strassburgs, deren Facade 
noch heute den Baustil der Zeit Ludwigs XV. verrät. Dieser 
Stil ist vor allem durch die Form der Fenstern kenntlich, an 
deren geschweiftem Oberrande ein verzierter Mittelstein einge- 
fügt ist. Solche Häuser giebt es in Strassburg sehr viele; sie 
beweisen dem aufmerksamen Beobachter, welchen baulichen 
Aufschwung Strassburg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts 
genommen hat, so dass die oft belächelte Benennung der «wun- 
derschönen Stadt» für jene Zeit ihre Berechtigung verdient. 1 

4 

l In einem Zeitraum von kaum 40 Jahren (1720-1755) entstanden das 
ehemalige bischöfliche Palais (das heutige Schloss- oder Bibliotheksgebäude , 
das Hessen-Darmstädtische Palais (das heutige Stadthaus), welches Landgraf 
Ludwig VIII. nach Besitzergreifung der ererbten elsässischen Grafschaft 
Hanau- Lichtenberg 1736 hat erbauen lassen, das Palais des Prätors Gayot 
(der spätere ZweibTückerhof), das Palais des Prätors Klinglin (die spätere 
Intendanz und Präfektur, das heutige Statthaltergebäude), der Dompropsteihof 
(das heutige Gouvernement in der Blauwolkengasse), das damalige Gouverne- 
ment (an der Stelle des beutigen Justizgebäudes in der Blauwolkengasse), der 
Neuweiler Hof (heutiges Postgebäude am Pariser Staden), der Hof des Abts 
von Mauersmünster (die heutige Polizeidirektion in der Brandgasse), das 
Jesuitenkollegium (heutiges Lyceum) und die königliche Reitbahn (das heutige 
LendesgesUU in der Elisabethgasse). Siehe Hermanu, Notices historiques sur 
la ville de Strasbourg, 1817. 



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— 31 — 

Die gesteigerte private Bauthiitigkeit und der Zusammen - 
fluss vieler Fremden in Strassburg veranlasste schliesslich den 
Magistrat, sich den Architekten Ludwigs XV. Professor J. F. 
Blondel aus Paris kommen zu lassen, welcher den Auftrag er- 
hielt, die noch mittelalterliche, "krumme und winklige Stadt nach 
einem neuen Alignement gerade zu legen. Go'the, der als Stu- 
dent diese Umwandlung miterlebte, welche manche heitere Be- 
merkung im Kreise seiner Kommilitonen hervorrief, erzählt uns 
in Dichtung und Wahrheit über Blondeis Vorschlag : 1 

< Dieser genehmigte, aber nicht auf einmal in Ausführung zu 
bringende Plan sollte durch die Zeit seiner Vollständigkeit entgegen- 
wachsen, indessen die Stadt wunderlich genug zwischen Form und 
Unform schwankte. Sollte zum Beispiel eine eingebogene Strassen- 
seite gerad werden, so rückte der erste Baulustige auf die bestimmte 
Linie vor, vielleicht sein nächster Nachbar, vielleicht aber auch der 
dritte, vierte Besitzer von da, durch welche Vorsprünge die unge- 
schicktesten Vertiefungen als Vorhöfe der hinterliegenden Häuser 
zurückblieben. Gewalt wollte man nicht gebrauchen, aber ohne 
Nöthigung wäre man nicht vorwärts gekommen, deswegen durfte 
Niemand an seinem einmal verurtheilten Hause etwas bessern oder 
herstellen, was sich auf die Strasse bezog. > 

<In wieweit jener Vorsatz, so schliesst Goethe seinen Bericht, 
durch die lange Zeit begünstigt worden, wüsste ich nicht zu sagen. » 

Wir sind in der Lage, darauf zu antworten, dassdie Pläne 
Blondels schon aus Gründen enormer Kostspieligkeit nicht in dem 
Maasse, als dieser erwartet halte, verwirklicht werden konnten. 8 
Wohl verdankt die nördliche Langseite des Kleherplatzes mit 
der Hauptwache und der Auhette den Bemühungen Blondels 
ihre Entstehung, während bis dahin Reste des ehemaligen 
Barfüsserklosters den Platz verunziert hatten und der Pfennig- 
turm die Verbindung zwischen Gewerbslauben und Meisengasse 
verengte. Allein noch stehen beispielsweise die Häuser Nr. 27 
am Kleberplatz, Nr. 29 an den Gewerbslauben untl Nr. 12 am 
Alten Kornmarkt, letzteres mit der Jahreszahl 1768 und dem 
Bilde Friedrichs des Grossen, des königlichen Flötenbläsers, in 

1 II, 9. S. 149. v. Löper Anm. 341 bedauert ; «Das vermutblich archi- 
tektonische Werk, dem Garthe seine so genauen Angaben über den damaligen 
Bauplan der Stadt entnommen, haben wir nicht ermittelt.» Dem gegenober 
bemerke ich, dass Guethe die Blondelschen Plane vom J. 1765 vorgelegen 
haben werden, von denen ein Exemplar sich in der Strassburger Universitäts- 
bibliothek, ein anderes vollst&nüigeres auf dem Städtischen Bauamte beGndet. 

2 Vergl. Hermann, Notices historiques 1, S. 310 u. 377. 



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- 32 — 



der Fensterrosette geschmückt, ganz allein in die von Blondel 
gezogene Strassenlinie hinausgeruckt, während ihre Nachbaren 
die alte Strassenflucht und damit ein breiteres Trottoir zu be- 
halten vorzogen. 

Auch das von der Familie Fibicb bewohnte Braun'schc 
Haus an der Ecke des Paradeplalzes, welches auf dem Blon- 
delschen Plane von 1765 zu gunsten einer Gradlegung der 
gewundenen Schlauchgasse ein bedeutendes Eckstück hätte ver- 
lieren sollen, blieb von einem Umbau verschont und in seiner 
früheren Gestalt bis auf unsere Tage erhalten. 

Ein in der Heitz'schen Ansichtensammlung der hiesigen 
Universitätsbibliothek erhaltenes Aquarell, welches die Nord- und 
0>tseite des Paradeplatzes vor seiner Urngestaltung durch Blon- 
del darstellt, zeigt uns nicht nur das Barfüsserkloster und den 
Piennigthurm, sondern auch die Fibich'sche Wohnung an der Ecke 
der Schlauchgasse mit derselben Etagenzahl und Dachformation 
wie heute. 

2. Die Mitglieder der Familie Fibich. 

Nachdem somit die Fibich'sche Wohnung am Kleberplalz 
gefunden war, vertierte ich mich, in der Gewissheit, dass 
Baron v. Kleist, aus jener kurländischen, ursprünglich pommer- 
schen Adelsfamilie, Protestant gewesen und in der Annahme, 
dass die Familie seiner Braut, weil nichts anderes bemerkt ist, 
dieselbe Religion geteilt haben möchte, in die protestantischen 
Kopulations- Tauf- und Sterberegister der Stadt Strassburg. Dass 
die sammtlichen Pfarrbücher seit der französischen Revolution 
auf dem Stadthause vereinigt worden, erleichtert die Untersu- 
chung, wenn auch andererseits der Umstand, dass die Prote- 
stanten nicht wie die Katholiken in besondere Kirchen einge- 
pfarrt waren, die Forschung wiederum erschwert. Dennoch fand 
ich nach längerem Suchen allmählich die ganze Familie Fibich : 

Nach dem Hochzeitsregister von St. Thomas Bd. 123 * 
fol. 70« sind am Mittwoch d. 12. Febr. 1749 copuliret und ein- 
gesegnet worden Herr Johann Philipp Fibich, lediger Gold- 
arbeiter, weyl. Herrn Jacob Fibich, gewesenen treu eifrigen 
Diaconi, der Evangel. Gemeind zu St. Aurelien hinterlassener 
ehl. Sohn und Jungfr. Susanna Catharina Sebischin, weyl Herrn 

l Ich citiere die Register zur Erleichterung der Kontrolle nach der 
laufenden Bandezahl. 

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■ V'tiH'frtiir 



- 33 — 



Georg Friderich Sebisch, gewesenen Handelsmanns und Burgers 
allhier hinterlassene eheliche Tochter. Johann Philipp Fibich als 
Hochzeiter, Susanna Catharina Sebischin als Hochzeiterin, Jacob 
Daniel Fibich als Bruder, Simon Kürssner als beystand, M. Jon. 
Phil. Jnng diac. Thom. m. p. p. 

Dieser Ehe entsprossen im ganzen 6 Kinder: 

1) Louise Catharina Fibich, geb. d. 4. März 1750. 

Taufregister von St. Thomas Bd. 254 fol. 350 a : Mittwoch 
den 4. Marth Abends um halb 6 Uhr ist gebohren und Freitag 
den 6 ejusd. getauft worden ein Töchterlein mit nahmen Louisa 
Catharina Dessen Eltern seind Hr Johann Philipp Fibich. Gold- 
arbeiter und Burger allhie u. Fr. Susanna Catharina, gebohrene 
Sebischin, seine ehel. Hausfrau. Die Taufzeugen sind H Nicolaus 
Daniel Sebisch, lediger Handelsmann, weyl. H. Georg Friderich 
Sebisch, gewesenen Handelsmanns und Burgers allhie hinterlass- 
sener ehel. Sohn. Fr. Anna Louisa H. Jacob Daniel Fibich. 
Caffetier und Burgers allhie ehel. Hausfr. u. Jungfr. Marie Cleophe 
Kamin, Herrn Johannes Kamm Gastgebers u. Burgers allhie 
eheL Tochter Folgen die Unterschriften, zuletzt M. Johannes 
Georgius Schweighäuser Diac Thom. m. p. 

2) Johann Philipp Fibich, geb. d. 19. April 1751. 

Taufregister der Neuen Kirche Bd 229 fol 595: Montag 
d. 19. Apr. morgens um 8 Uhr ist H. Joh. philipp Fibich Gold- 
arbeiters u. Bürgers allhie ehl Hausfr. Anna Catharina g Sebi- 
schin eines Söhnleins genesen welches folgenden Mitwoch getauft 
undt Joh. Philipp genennt worden Patr. H. Eberhard Capaun 
Amtsschreiber und Burger allhie, H. Joh. Martin Lentz, Burger 
allhie undt Jfr. Catharina Margaretha weyl. H. Georg Friederich 
Sebisch Handelsmann und Burgers allhier ehl. Tochter. Folgen 
die Unterschriften, zuletzt Georgias Valentinas Holzburger, Diac. 

3) Susanna Cleophe Fibich, geb 13. Nov. 1764. 

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 foL 78 : Mittwoch 
d. 13. Nov. morgens gegen 8 Uhr ist Hr. Joh. philipp fibich 
Goldarbeiters u. B. allh. ehl. Hausfr. Susanna Catharina g. Sebi- 
schin eines Töchterleins genesen, welches folgenden freytag 
getauft und Susanna Cleophe genennet worden. Patr. H. Joh. 
Daniel Braun ledigen Handelsm. H. Joh. Braunen E. E. grosen 
Raths alten Beysitzers ehl. Sohn. Fr. anna Maria g Schätzelin 
H. Georg Heinrich Baeren M. D. u. Practici ehl. Hausfr. Jfr. 
4 Susanna Margaretha weyl. H. Joh. Jacob Walthers Handelsm 
u. B. allh. ehl. Tochter. Folgen die Unterschriften, zuletzt Joh. 
Fried. Griesinger Diac. 

3 



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- 34 — 

4) Margaretha Elisabeth Fibich, geb. d. 2. Aug. 1756. 

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 220 : Montag 
d. 2. Aug morgens um C Uhr ist H. Joh. philipp Fibichs Gold- 
arbeiters und B. allhier ehl. Hausfr. Susanna Catharina g. Sebi- 
schin eines Töchterl genesen welches folgenden Dienstag getauft 
und Margaretha Elisabeth genennt worden. Patr. H. abraham 
Braun lediger Handelsm. weyl. H. Joh. Daniel Braunen Handclsm. 
u. E. E. grosen Raths alten Beysitzers ehl. Sohn. Fr. Marga- 
retha Elisabeth g. Silberadin H. Joh. Martin Lentzen 1 B allhie 
ehl. Hausfr. Jfr. Catharina Margaretha H. Joh Kamm Gast- 
gebers undt E. E. grosen Raths Beysitzers ehl. Tochter. Folgen 
die Unterschriften, zuletzt: Georgius Valentinus Holtzburger, 
Diac. 

5) Joh. Daniel Fibich, geb. 23. Apr. 1759. 

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 439 : Montag 
d. 23. April morgens gegen 3 Uhr ist H. Joh. philipp Fibich 
Goldarbeiters und B. allh ehl. Hausfr. Susanna Catharina 
g. Sebischin eines Söhnleins genesen welches folgenden Dienstag 
getauft und Joh. Daniel genennt worden. Patr. H. Joh. Friedr. 
Lobstein Not jur. und B. allh. H Joh. daniel Schweickhäuser 
not jur. und B. allh. Fr. Catharina Elisabeth g. roedererin, 
H. Georg frieder. Imlins Goldarbeiters u. B. allh. ehl. Hausfrau. 
Folgen die Unterschriften, zuletzt : Joh. Frid. Griesinger, Diac. 

6) Dorothea Friderika Fibich, geb. 24. Febr. 1765. 

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 231 fol. 356 : Zur Noth 
getauft und verstorben. Im Jahr Christi Ein Tausend Sieben 
Hundert sechzig und fünf Sontag den Vier und zwanzigsten 
Februarii morgens um 10 Ühr wurde ein Töchterlein gebohren, 
ao wegen groser Schwachheit zu Haus getauft und Dorothea 
Friederica genennt worden. Dieses Kind verstarb den folgenden 
Tag und wurde also in öffentlicher Gemeinde nicht fürgetragen. 
Die Eltern desselben sind : Herr Johann Philipp Fibich Gold- 
arbeiter und Burger allhier : und dessen Ehefrau Susanna 
Catharina gebohrene Sebischin. Testatur J. P. Fibich als Vatter. 
M. Johannes Hermann Diaconus m. p. 

1 Joh. Martin Lentz, der zweimal bei den Fibisch 'sehen Kindero als 
Taufpathe vorkommt, war .Bestatter im Kaufhause, und erstand laut Kmitrakt- 
buch a. 1758 fol. 80 b mit Fibich und Mettger Johann Daniel Pftrllinger 
• Lustbaus und Menagerie» des unglücklichen Prütors Klingiin vor dem Melzger- 
thore. Joh. Martin Lentz war den 28. Sept. 1722 (Wilh. Kirche!, sei» Vater 
Andreas Lentz 1665 (Jung St. Peter) geboren, auch der Grossvater Hans 
Michael Lentz war bereits Strassburger Bürger. Demnach ist eine Verwandt- 
schaft mit dem Dichter Lenz, an die ich zuerst dachte, wohl von der Uacd 
zu weisen. 



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— 35 — 

Der Sterbeakt steht eingetragen Sterberegister d. N. K. Bd. 
184 Fol 29. Auch die Leiden vorher geborenen Kinder starben 
in jugendlichem Alter : Margaretha Elisabeth, 2 M. 4 T. alt d. 
7. Okt. 17561 und Johann Daniel, 9 Jahr 2 M. u. 20 T. alt 
am 19. Juli 1768 Mithin waren zu Lenzischer Zeit in Strass- 
burg (1771-1776) nur noch die drei ältesten Kinder am Leben, 
nämlich : 

1) Luise Katharina, gest. d. 17. ApriH805 (27 Germ. XIII). 3 

2) Johann Philipp, gest. d. 10 Dez. 1804 (19 Frim. XIII). * 

3) Susanna Cleophe, gest. d. 24. Dez. 1820.« 

Luise Katharina, die älteste Tochter, ist die gefeierte Sän- 
gerin, Cleophe ist das Clephchen des Tagebuchs und der Bru- 
der Johann Philipp kommt, wenn auch nur an einer einzigen 
Stelle, in den Soldaten zur Erwähnung, da der alte Wesener 
Akt V. Sc. 1. ausruft: 

« Mein armes Kind hat mich genng gekostet, ehe sie zur Gräfin 
kam, dass mnsste immer die Statsdame gemacht sein nnd Bruder 
und Schwester sollen's ihr nicht vorzuwerfen haben. » 

Eine verheiratete Schwester wie Urlichs S. 257 aus dem 
Tagebuch S. 273 geschlossen, ist neben Katharina und Cleophe 
niemals vorhanden gewesen. Der kleine Neffe, den letztere zum 
Konzert anputzt, muss — eine nahe liegende Verwechselung — 
ein kleiner Vetter gewesen sein. Auch Weseners alte Mutter, 
welche am Schluss des 2. Aktes der Soldaten auftritt, war zur 
Zeit, als das Drama entstand, nicht mehr am Leben, da sie 
bereits im Sterbeakt ihres älteren Sohnes Jacob Daniel Fibich 
vom 12. März 1769 als gestorben erwähnt wird. 

3. Der Ehekontrakt. 

Nachdem ich somit das Haus, in welchem der Stoff zum 
Tagebuch erlebt wurde, sowie den Namen und die Mitglieder 
der Familie Fibich gefunden hatte, konnte ich mich der Hoff- 
nung nicht entschlagen, zu guter letzt auch das Kleistsche Ehe- 

1 Sterbregister der N. K. Bd. 181 fol. 80. 

2 Ebendaselbst Bd. 183 fol. 209b. Dieser Akt enthält die in jener Zeit 
noch sehr seltene Angabe des Sterbehanses : «hat domicilirt im H. Roth Brau- 
nen Haus ane der Schlauch Gass. > 

3 Sterbregister der Mairie Bd. 287 fol. 11a. 
■* Ebendaselbst Bd. 286 fol. 81a. 

5 Ebendaselbst Bd. a. 1820 fol. 450a. 



4 



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versprechen, welches bei einem Königlichen Notar in Stras- 
burg hinterlegt sein sollte, wieder aufzufinden. 

Königliche Notare in Strassburg waren in den Jahren 1771- 
1776 nur zwei, nämlich Lacomhe und Laquiante. Die Akten 
derselben, welche das Bombardement von 1870 glücklich über- 
dauert haben, befinden sich heutzutage im Bezirksarchiv zu 
Strassburg. Da Lacombe von beiden der am meisten genannte 
ist, so nahm ich zunächst dessen Akten aus den Jahren 
1772-74 zur Hand. Ks war ein ungewisses Suchen, da kein 
Inventar vorhanden ist, und schon öfters wollte ich die, wie 
es schien, unfruchtbare Arbeit aufgeben. Doch fand ich manche 
Akten der Familie Fibich, teils Lehnsehaften, teils Obliga- 
tionen, welche mir die Gewissheit verschafften, dass Notar La- 
combe notarielle Geschäfte für jene Familie zu vollziehen pflegte. 

Wer aber begreift meine Freude, als ich in der zweiten 
Woche meines Suchens den ersehnten Akt wirklich entdeckte ! 
Derselbe zerfällt in 3 Schriftstücke, das Eheversprechen, das 
Kouvert mit dem Depotakt, in welchem jenes versiegelt gewesen 
war, und den Eröffnungsakt. 

Der Ehekontrakt, in deutscher Sprache abgefasst, nimmt 
über drei Folioseitenein, ist vom 27. Oktober 1773 datiert, und 
trägt der Reihe nach die Unterschriften und Siegel von Fried- 
rich George Baron de Kleist, J. P. Fibich, Susanna Katharina 
Fibichin (Mutter) und Susanna Cleophea Fibichin (Braut). Das 
Kleist' sehe Siegel zeigt wie in Siebmachers Wappenbuch HI. 2, 
1 vgl. Tafel 249 einen von Decken umgebenen und durch einen 
Querbalken getrennten Schild, auf dessen oberer und unterer 
Hälfte je ein Wolf im Laufe nach links dargestellt ist; über 
dem Schild thront ein von 3 Rosen gekrönter Helm, auf welche 
3 Jagdspiesse gestürzt sind. Die Siegel von Vater und Mutter 
bieten nichts bemerkenswertes. Interessant dagegen ist das- 
jenige der neckischen Cleophe, welches mit der Umschrift 
«toujours brouilant» einen Amor darstellt, der in eine empor- 
züngelnde Flamme zu giessen scheint. 

Was mich jedoch am meisten fesselte, war die besondere 
Form des Schriftstücks. Dasselbe ist «von einer fliessenden Hand 
auf geringes Konceptpapier geschrieben, ohne den mindesten 
Rand, oben, unten und an den Seiten zu lassen.» Diese 
Govthe'sche Charakteristik der Lenz'schen Schreibweise * legte 

1 Dichtung und Wahrheit III, 11, Seite 47; ferner III, I I, S. 156. 



Dig 



mir die Wahrscheinlichkeit nahe, dass hier ein Autograph 
Lenzens vorläge, eine Vermutung, welche sich fast zur Gewiss - 
heit steigerte, als ich jene Handschrift mit einer echten Lenz- 
Handschrift vergleichen konnte, die mir Falk mit ausserordent- 
licher Zuvorkommenheit zur Verfügung gestellt hatte. Wohl 
machte mich die eigentümliche Form des grossen T- Buchstaben, 
welche ich in Strassburger Taufregistern des vorigen Jahrhun- 
derts bemerkt hatte, noch einen Augenblick stutzig, da eine 
solche sich an der einzig in betracht kommenden Stelle jener 
unzweifelhaft echten Handschrift nicht vorfand, allein der in 
Götz «Geliebte Schatten» 1 autographierte Brief Lenzens an Salz- 
niann vom 3. Juni 1772 zeigte mir gleich am Anfang jene 
eigentümliche Buchstabenform, so dass nunmehr auch nach dem 
Urteile Schriftverständiger jeder Zweifel gehoben ist. 

Lenz, der nach seinen eigenen Worten 3 mit dem Baron 
von Kleist vor Verfertigung des Eheversprechens die Rechte 
seines Vaterlands untersucht hatte, der «in die kleinste seiner 
Angelegenheiten verwickelt war,» des jüngsten Kleist «seiten- 
langes Geschmier verbesserte» und selbst Vater Fibich in 
dieser Angelegenheit schriftstellerische Hülfe angedeihen liess, 
hat, wie natürlich, auch dieses wichtige Schriftstück, dass « in 
«lern Leben seines Herrn Epoche machen sollte», mit eigener 
Hand niedergeschrieben. Daher der flüssige Stil des Ganzen, 
wenn auch nach den notariellen Ausdrücken und der Berück- 
sichtigung aller einschlägigen juristischen Momente zu schliessen 
ist, dass Lenz nur die stilistische Ausarbeitung eines ursprüng- 
lich mit juristischer Beihülfe gefertigten Entwurfes besorgt hat. 

Hier das Schriftstück : 

Strasburg den 27tcn October 1773. 

Heute dato sind wir Unterschriebene mit einander auf 
folgende Bedingungen übereinkommen. 

Erstlich bekennet Herr Baron von Kleist älterer, geburtig 
aus Curland, Officicr, beym Regiment Schoubcrg, gegen Herrn 
Fibich Juwelier und grossen Rathherrn, wie derselbe schon in 
die zwey Jahr eine tugendhafte Neigung für dessen jüngste 
Jungfer Tochter Susanna Cleophea Fibichin gefasst und da er 
befunden, dass sie persöhnliche liebenswürdige Eigenschaften 



1 Mannheim 1858. 

2 Einleitung zum Tagebuch S. 271-2*73. 



— 38 — 



genug besitzt ihn glücklich zn machen, sich fest und unwider- 
ruflich entschlossen, mit derselben in eine eheliche Verbindung 
zu treten, ohne auf irgend einen Fond Rücksicht zu nehmen, 
den Herr Fibich seiner Tochter ausmachen könnte sondern, da 
er soviel von Hause hat, seinem Stande gemäss zu leben, so 
deklarirt er, gar keinen Fond vom Herrn Fibich jemals zu fodern 
oder zu bestimmen, sondern stellt es völlig seiner Willkühr 
anheim, wenn er seiner Tochter etwas geben will. 

Zweitens hat Herr Fibich dem Herrn Baron die Vorstellung 
gethan nachdem der Herr Baron förmlich bey Herrn Fibich um 
dessen Jungfer Tochter angehalten und er in Erwägung gezogen, 
dass die Ungleichheit des Standes einige Schwürigkeiten in den 
Weg legen dürfte, dass, obschon der Herr Fibich sich seiner 
Familie nicht schämen darf, auch in Absicht seines Gewerbes 
und Ehrenstellen im bürgerlichen Stande nicht höher begehren 
kann, so würde es doch von Seiten des Herrn Baron vielleicht 
schwer halten, die Einwilligung seiner Eltern zu erhalten, wie 
er denn auch eben sowohl genöthigt ist, als Officier die Erlaub- 
niss seiner Oberen dazu zu suchen : als deklarirt der Herr 
Baron : 

Drittens, dass er nach den Curischen Gesetzen als welche 
zur Majorennität ein und zwanzig Jahr erfodem, der Herr Baron 
aber sich fünf und zwanzig Jahr declariret, also auch nach den 
Strasburger Rechten majorenn ist, dass also Herr Fibich sich 
desto weniger einen Verweis zu gewarten hat, weil er nach 
beyder Landesart majorenn ist: dass er, Herr Baron, ferner, 
nach eben diesen Gesetzen zwar um die Erlaubniss seiner Eltern 
anzusuchen gehalten sey, sie ihm diese aber nicht refusiren, 
noch das was ihm von seinem Vermögen nach den Gesetzen 
zukommt entziehen können, es sey denn, dass es eine Person 
von solchem Geschlecht oder Stande sey, die express in den 
Curländischen Gesetzen zu heyrathen verboten wäre : ferner, 
dass er über Jahr oder Tag schon diese Sache mit reifer Ueber- 
legung und Hinzuziehung seines Herrn Bruders Officier beym 
Regiment Anhalt, der gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben 
und alle mögliche Beyhülfe versprochen, überdacht und beschlossen 
habe, dass er also zu dem Ende 

Viertens sich vorgesetzt, längstens bis nächstkommenden 
St. Johannis eine Reise nach Curland zu machen, bey seinen 
geliebten Eltern um dero Conscns anzuhalten und wegen seines 
Vermögens alle Einrichtungen zu machen, um in keinem Stück 
einigen Mangel zu besorgen zu haben. Da aber Herr von Kleist 
mehrerer Sicherheit und Lebens und Sterbens halber vom Herrn 
Fibich begehrt, mit einander schriftlich zu tractiren und einer 
den andern wechselsweise zu binden: als sind beyde Partheyen 



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— 3<> — 



mit einander übereinkommen, dass derjenige, so von seiner 
Parole abstehen wollte, er möchte Namen oder Ursachen vor- 
bringen welche er auch wollte, gehalten und verbunden sey, 
dem andern Theil eine Entschädigung von vierzehntausend 
Livres zu bezahlen. So es der Herr von Kleist nicht halten, war 
er verbunden neben dieser Summe noch a part drey hundert 
Livres an die Armen in seinem Lande zu bezahlen, wo es dessen 
Obrigkeit am besten findet, sie zu placiren : und so der Herr 
Fibich davon abstünde, wäre derselbe gleichfalls angehalten, 
noch drey hundert Livres a part, die eine Hälfte dem Waysen- 
hause und die andere Hälfte dem Armenhause in Strasburg 
auszuzahlen. Und damit der Herr Fibich keine Hauptursache 
vorbringen könne, es wolle sich seine Frau Liebste oder Jungfer 
Tochter nicht dazu ontschliessen, so hat derselbe zu mehrerer 
Sicherheit beyde benahmte Personen mit unterschreiben lassen, 
dass es mit beyder Consens geschieht Ferner declarirt sich Herr 
von Kleist verbunden, seinen Richter nach seinen angegebenen 
Rechten in Curland zu erkennen, sich von demselben recht 
sprechen und condemniren zu lassen, wie auch den Richter im 
Elsass für solchen zu erkennen, und jede Parthey, so diesen 
ihren Verspruch nicht hält, sich von demselben condemniren 
und executiren zu lassen. 

Fünftens, da dieser Vergleich von beyden Theilen unter- 
siegelt und in Gegenwart von Zeugen beym Herrn la Combe 
königlichen Notarius soll deponiret worden : so ist von beyden 
Seiten eine gewisse Zeit bestimmt und festgesetzt worden, um 
diesen Vergleich zu eröfnen und die darin enthaltenen Bedin- 
gungen zu declariren, welches nicht eher als in fünfzehn Monathen 
geschehon soll, es sey denn dass beide Partheyen darin willigten. 
So aber dieso fünfzehn Monathe verflossen, soll jede Parthey a 
part berechtigt seyn mit gehörigen Zeugen zu eröfnen und 
einen Extract davon zu begehreu : auch soll bis dahin der Ehe- 
contract förmlich gemacht werden und längstens von dato in 
zwey Jahren die Trauung geschehen. Und sollte nach Verfliessung 
fünfzehn Monathen der Ehekontrackt nicht zu Stande kommen, 
so soll diejenige Parthey, welche nicht darin consentirte, be- 
nannte Summe von vierzehn tausend dreyhundert Livres verbunden 
seyn, nach dem Artikel vier auszuzahlen, nach dessen Richtigkeit 
eine Parthey von der andern lossgeschlagen sein soll und weiter 
keine Prätensionen zu machen haben, sollte aber mit beyder 
Consens die Zeit verlängert werden, so steht dieses alsdenn in 
beyder Partheyen Belieben. 

Sechstens sind beyde Partheyen schon vorläuffig in Ansehung 
des nach fünfzehn Monaten zu errichtenden Ehecontrakts über- 
eingekommen, dass Herr von Kleist sich in demselben express 



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— 40 — 

obligireu will, seiner Jungfer Braut eine Summe von vierzehn- 
tansend Livres zum Voraus zu vermachen, worüber sie nach 
Gefallen disponiren kann : auch, so es die Umstände crfoderten 
oder sie sich nicht entschliessen könnte, als seine Gemalin ihn 
nach Curland zu begleiten, so giebt er derselben drey Jahr Be- 
denkzeit und könnte sie sich alsdenn noch nicht dazu ent- 
schliessen, so obligirt sich Herr von Kleist, bestimmte vierzehn 
tausend Livres so ihr im Voraus vermacht, in Strasburg anzu- 
legen und ihr Standesgemässen Unterhalt zu geben, über die 
Kinder aber, so beyde erzeugen sollten, hat der Herr von Kleist 
zu disponiren, sie hier, oder in Curland erziehen zu lassen. 
Geschrieben und unterschrieben nebst eines jeden Insigel 

Strasburg den 27 October 1773. 

Friedrich George Baron de Kleist 
J. P. Fibich 

Susanna, Catharina, Fibichin 
Susanna Cleophea Fibichin. 

Paraphe ne varietur au desir au acte 
proces verbal dresse par le soussigne 
notaire Royal ä Strasbourg le 12 may 1777 

J. P. Fibich 

Maire 

f. Maire Lacombe 

n. r. 

Dieses Eheversprechen, 1 welches nach Lenzens eigenen 
Worten eher ein Ehekontrakt genannt werden kann, ist am 
11. November 1773 mit den Siegeln des Barons von Kleist, 
des Herrn Fibich und des Notars Lacombe im Beisein von 
Zeugen geschlossen und notariell hinterlegt worden. Nach dem 
Depotakt, welcher wie bei Testamenten auf das versiegelte 
Kouvert unter Zuziehung der vorgeschriebenen Zeugen geschrie- 
ben worden war, konnte das den Kontrakt enthaltende Kouvert 
nach Verlauf von 15 Monaten, vom 27. Oktober 1773 an ge- 
rechnet, auf Verlangen eines der beiden Kontrahenten geöffnet 
werden, nachdem heide Teile sich für die Ausführung der in 
ihm enthaltenen Bestimmungen von vorn herein mit all ihrer 
gegenwärtigen und zukünftigen Habe verpflichtet erklärt hatten. 

1 Zur Verhütung falscher Schlussfolgerungen bemerke ich, dass solche 
notarielle Promesses de tnariage damals in Strassburg üblich waren. Der 
Zuzug vieler fremden Elemente machte solche Sicherung notwendig. Ich finde 
mehrere ähnliche bei Lacombe im Jahre 1 774 so Bd. A 29. Marz, Bd. B 19. 
Mai, Bd. D 1. November und sonst. 



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- H - 

Der Depotakt lautet : 

Ce jourd'hni onzieme novembre Mil sept cent soixante treize 
apres inidy par devant le notaire royal Immatricule au Conscil 
souverain d'Alsace resident ä Strasbourg Soussignä sont com- 
paru M r " fr6deric Baron de Kleist Courlendois se disant majeur 
d'ans officier au rSgiment de Schonberg dragon, elant presente- 
ment au dit Strasbourg et le Sieur Jean philippe Fibich, con- 
seiller au grand senat de cette ville y demeurant les quels ont 
remis et depose au dit Notaire la presente enveloppe qu'ils ont 
close et ferme au moyen de leur cachets ordinairs, que chacun 
d'eux a appose en deux endroits, au milieu des quels cachets 
s'est egalement appose celuy du notaire. dans laquelle enveloppe 
les Sieurs couiparants ont dit etre renfermö un contract et Con- 
vention qu'ils ont fait ensemblc le vingt sept octobre dernier et 
qui a ete signe des parties en bonne et düe forme pour etre 
executees . suivant leur forme et teneur entre elles, a peine de 
tous depens dommages et interets sous 1 Obligation et hypo- 
theque generale de tous leurs biens meubles et immeubles 
presens et futurs : requerant le dit notaire de prendre garder 
et retenir la dite enveloppe en son Etüde a teile fin que de 
raison: de laquelle dite enveloppe l'ouverture ne pourra cepcn'dant 
etre faite que dans quinze mois a compter du dit. Jour vingt 
sept octobre dernier a moins que Tun et Tautre et de concert 
les dits comparants n'en requierent l'ouverture. Mais passe les 
dits quinze mois a compter du dit Jour vingt sept octobre der- 
nier il sera libre a l'une et ä l'autre des parties et separement 
d'en requerir l'ouverture sans qu'il soit besoin qu'ils soient tous 
deux pr6sens mais alors il en sera dresse proces verbal en 
forme pour etre comrae dit est c'y dessus la dite Convention 
ex6cut6e et suivi et y celle valloir comme si elles cussent 6t6 
passöes devant le dit Notaire et signees de luy. duquol depot 
oui declaration et reserves les comparants ont requis acte ä 
eux accordö. fait lu et pas.s6 au dit Strasbourg les heures jour 
mois et an susdits en presence de felix Lex et George Tuch- 
fscrber juristes y demeurants temoins requis qui ont signe avec 
les comparants et le dit Notaire 

Lex Le de Kleist J P. Fibich Tuchfierber 
Lacombe, not. roy. 

Am 1 4 2. Mai 1777 endlich wurde auf Anstehen des Vaters 
Fibich das versiegelte Kouvert im Beisein des Notars und der 
gesetzlich vorgeschriebenen Zeugen eröffnet und der in ihm 
enthaltene Ehekontrakt, der noch die Spuren der Brüche auf- 
weist, entfaltet. Der darüber aufgenommene Eröffnung sakt lautet : 



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- 42 - 



L'an Mil sept cent soixante et dix sept le douzieme Jour 
du mois de May apred midy, pardevant le Notaire Royal Imma- 
tricule au conseil souverain d'Alsace resident a Strasbourg 
soussigne, fut present le Sieur Jean Philippe Fibich conseiller 
au Grand senat de Strasbourg y demeurant le quel a dit que 
le onzieme Novembre mil sept cent soixante et treize il auroit 
avec le Sieur Baron de Kleist Courlendois officier au Regiment 
de Schömberg dragon, depose au dit Notaire une Enveloppe 
avec pouvoir ä l'une et ä Tautre des deux parties, apres l'Ex- 
piration de quinze mois a datte du vingt sept octobre mil sept 
cent soixante et treize d'en requerrir Touverture, pour les 
pieces et actes renfermees dans la dite enveloppe etre exe- 
cutees en tout leur Contenu qu'y ayant maintenant quarante 
deux mois passes que le dit depot a et6 fait, il requerroit le 
dit Notaire de faire Touverture de la dite Enveloppe pour les 
pieces renfermees sous y celle demeurer jointes au present 
proces verbal paraphees ne varientur et lui en etre delivrees 
des Expeditions. Snr quoi apres avoir donne lecture aux deux 
temoins c'y apres nommes et c'y presents de Tacte de depot 
dress6 par le dit Notaire snr la dite enveloppe, et apres que 
tant le dit Sieur Fibich que les dits temoins ont eu Reconnu 
que les cachets, dont la dite enveloppe est close sont sains et 
entiers, le dit Notaire en a fait l'ouverture dans la quelle dite 
enveloppe il s'est trouvee 

un acte sous seing prive ecrit sur deux feuilles de papier 
contenu en trois pages et trois lignes sur la quatrieme non y 
comprises les signatures commencant par ces mots Heute dato 
sind wir unterschriebene auf folgende Bedingungen überein 
kommen etc. et se terminant par ces geschrieben und unter- 
schrieben Nebst eines jeden Insigel Strasburg den 27ten 8 bris 1773 
et quatre signatures scavoir 

frederic George Baron de Kleist Susanna Catharina fibichin 
J. ph. Fibich Susanna Cleophe fibichin. 

Maire J. P. fibich 

f. Maire Lacombe. 

avec quatre cachets sur cire d'Espagne rouge, le quel acte 
aussitotque tire' de la dite Enveloppe acte paraphe ne varientur 
par les temoins le Sieur Fibich et le dit Notaire. De tout quoi 
a ete dresse le present proces verbal ä la requisition du dit 
Sieur fibich. fait lu et passe au dit Strasbourg le jour mois et 
an susdits en presence des Sieurs Joseph Maire pere et francois 
maire fils faisants de sains Bourgeois de cette ville y demeurants 
temoins requis qui ont signe avec la partie et le dit notaire 

Maire P. J. Fibich 

f. Maire Lacombe, not. roy. 



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— 43 — 

Mit diesem letzten Funde waren meine archivalischen 
Forschungen über die für Lenzens Lehen und Dichtungen be- 
deutsame Familie Fihich einstweilen erschöpft; weitere Resul- 
tate konnten nur dann erzielt werden, wenn es mir gelang, 
die heutigen Nachkommen jener Familie zu entdecken. Den 
unfehlbaren Wegweiser boten mir auch hier die Register des 
Strassburger Standesamts. 

4. Die Nachkommen. 

Die Mutter Susanna Katharina Fihich geh. Sebisch starb 
den 15. Mai 1778, i Vater Fihich den 28. Sept. 1795.2 Von 
den drei überlebenden Kindern starb Cleophe, die Braut des 
Barons v. Kleist, die Araminta des Dichters Lenz, am 24. Dez. 
1820 Gedeckte Brücken Nr. 52, welches kleine Haus nebst 
Gärtchen sie nach Ausweis des Grundbuches von 1791 von der 
Witwe Sebisch, ihrer Grossmutter mütterlicherseits , geerbt 
hatte. Dieses kleine Haus wurde 1827 vom Genie gekauft und 
niedergerissen. Was aber das Hauptinteresse erregt, Cleophe 
starb nach dem Zeugnis des Sterbeaktes der Mairie « tum 
mariee». Baron v. Kleist hat also sein Ehevei sprechen nicht 
erfüllt, Cleophe dagegen ist ihrem Geliebten bis an ihr Lebens- 
ende treu geblieben. 

Von den beiden älteren Geschwistern starb Johann Philipp 
mit Hinterlassung einer Tochter den 10. Dez. 1804 als Maler 
in der Weissthurtnstrasse 81 (heutige Nr. 4), die ältere Schwe- 
ster Louise Katharina, jene gefeierte Sängerin, ebenfalls ver- 
heirathet den 17. April 1805. 

Wir wissen aus dem Tagebuch S. 290, dass Ott, Lenzens 
intimer Freund, der in den Briefen des Dichters an Salzmann 
wiederholt genannt wird, 3 sich um die ältere Fihich eifrig be- 
mühte. Dass dieses Verhältnis aus irgend welchem Grunde nicht 
zum Ziele führte, beklagt er selbst in einem Briefe an Salz- 
mann aus Wien den 23. Dez. 1781 mit den Worten : « Hal>e 
ich nicht auch Sie verlassen müssen ? wurde ich nicht schon 
von der Brust einer Geliebten fortgerissen ? » 4 

1 Sterbebuch der Neuen Kirche Bd. 189 fol. 19. 

* Sterberegister der Mairie Bd. 222 fol. 7b: 6. Vendem. IV. 

H Aug Stceber, Der Dichter Lenz S. 50 und sonst. 

4 Aug. Streber, Der Aktuar Satzmann S. 103. 



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— u — 

Der Umstand, dass Lenz nach seinem Bruch mit den Kleist 
seinem Freunde Ott die französische Lektion hei dem jüngsten 
Kleist verschaffte, 1 hat Urlichs S. '256 zu dem Schlüsse ge- 
führt, Ott sei französischer Sprachlehrer gewesen. Ich habe 
auch hier die Slandesregister zu Rate gezogen und gefunden, 
dass der Vater Johann Michael Ott Lehrer am Gymnasium in 
Strassburg und französischer Prediger gewesen. Aus dessen 
den 11. Sept. 1748 geschlossener Ehe «mit Maria Elisabeth 
Eberlin, des Wohl Ehrwürdigen und Wohl Gelehrten Herrn 
Magisters Johann Michael Eberlin Treu Eifrigen und Fleissigen 
Diakoni bey der Kirch zu St. Aurelien eheleiblicher Tochter »2 
gingen ausser mehreren Töchtern zwei Söhne hervor: Johann 
Michael Ott, geb. 11. Januar 1752 und Joseph Ott geb. 28. Mai 
1755.3 Ersterer ist, wie aus dem Verzeichnis der Deutschen 
Gesellschaft zu ersehen,* der Freund des Dichters Lenz ge- 
wesen. Ich finde ihn unter dem Sterbeakt des Vaters vom 
18. Januar 1 77(5 5 als «Juris utr. Licenciatus» unterschrieben. 
Dass er als Student wie Lenz Sprachunterricht erteilte, würde 
trotz seiner juristischen Studien bei dem Sohne eines Lehrers 
und Geistlichen auch heule nicht auflallen. 

Johann Michael Ott gehört zu denjenigen elsässischcn Juri- 
sten der Strassburger Universität, die wegen der Beherrschung 
zweier Sprachen zum diplomatischen Dienste ins Ausland em- 
pfohlen wurden. Erinnern wir uns doch, dass von den Pro- 
fessoren Koch und Obcrlin selbst Goethe Aussicht auf einen 
Kintritt in die deutsche Kanzlei zu Versailles gemacht wurde. 6 

So wurde Heinrich Karl Ilosenstiehl geb. 28. Oktober 1751 
zu Mietesheim im Unterelsass, der Verwandte Fried erikens von 
Sesenheim,? Sekretär im französischen Ministerium, ebender- 
selbe, welcher spater die Kataslrophe des Bastatter Gesandten- 
mordes mit erlebte; so kam der Strassburger Matthieu 8 als 
Sekretär zu Talleyrand und leitete als der einzige in deutschem 

1 Tagebuch S. 290. 

2 Hocbzeitbuch von St-Aurelien Bd. 2 fol. 192 b. 

: » Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 229 f.d. G59 und Bd. 230 fol. 106. 

1 Dieses noch unbekannte Namensverzeichnis trennt die Namen Ludwig 
Wilhelm Otto und Joh. Mich. Ott. 

5 Sterbregister der Neuen Kirche Bd. 188 fol. 18a. 

< 5 Dichtung und Wahrheit III, 11 S. 31. 
Lucius, Friederike Brion S. 139. 

«Stecher, Der Aktuar Salzinann S. 3t: vergl. Alsatia 1868 S. 1"8. 
Matthieu war Mitglied der deutschen Gesellschaft. 



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— 45 — 



Staatsrecht Krfahrene zu Paris das grosse Austheilungsgeschäfl 
der Entschädigungen deutscher Fürsten nach dem Lüneviller 
Frieden,» so wurde Ludwig Wilhelm Otto, aus dem hanau- 
lichtenhergischen Kork hei Kehl, eine glänzende diplomatische 
Lauf bahn im französischen Dienste eröffnet ; 2 so endlich wurde 
auch Johann Michael Ott nach Wien empfohlen und 1782 Trans- 
lateur (secretaire interprete) des Kollegiums der auswärtigen 
Geschäfte in St. Petersburg. 3 Nicht er, sondern sein 1755 ge- 
borener jüngerer Bruder Joseph Ott, welcher das Goldschmiede- 
handwerk erlernt hatte, heiratete am 7. Mai 1781 die um 5 
Jahre ältere Luise Katharine Fibich.* 

Nachkommen der letzteren sind noch jetzt in Strassburg 
vorhanden und das Geschäft, welches Fibich's Schwiegersohn 
begründete, besteht noch heute an den Gewerbslauben \M unter 
der Firma «Michel-Ott, ancienne maison Ott». Die Gemahlin 
des heutigen Geschäftsinhabers ist eine Urenkelin der einst ge- 
feierten Sängerin. Ein 1810 geborener Enkel der letzteren, 
welcher mir das Bild seiner Grossmutter und ihres Gemahls 
zeigte, ist das einzige noch lebende Mitglied der Familie, 
welches Cleophe Fibich als Knabe gekannt hat. Derselbe schil- 
derte sie mir ate sehr gross und schlank, was mit den Worten 
des Tagebuches S. 277: «sie hüpfte vor Freuden, ihre ge- 
wöhnliche Bewegung, die bei ihrer erstaunlichen Länge ihr doch 
so unnachahmlich lässt» vollkommen übereinstimmt. 

Durch die Familie erfuhr ich, dass die Nachkommen des 
Joh. Mich. Ott noch heute im russischen Staatsdienste leben. 
Ausserdem besitzt dieselbe in Abschrift den Mitgiftsvertrag der 
Katharina Fibich vom 26. Sept. 1781 und ein geschriebenes 
Hochzeitsgedicht, « die musikalische Tonleiter ein Quodlibet der 
Fiebich und Ottischen Verbindung gewidmet, mit Kupfern 
Strasburg den 7. Mai 1781 ». 

1 H&usser, Deutsche Geschichte II, S. 34t. 

2 Ludwig Wilhelm Otto, geb. 7. Aug. 1*754. Sohn des Hanau-lichten- 
bergischen Regierungsrats und Amtmanns von Wilstett und Lichtenau Justus 
Jakob Otto, Mitglied der deutschen Gesellschaft zu Strassburg, wurde Ge- 
sandtschaftssekretär in München, später charge" d'af faires in Philadelphia und 
unter Napoleon I., der ihn zum Grafen Mosloy erhob, Gesandter in London, 
Wien und Berlin (s. Biographie universelle). Die Familie Brion war mit 
dem Vater befreundet und machte mit Lenz bei ihm iu Lichteuau Besuche 
(s. A. Sueber, Der Dichter Lenz S. 47 u 49). 

8 Stoeber, Der Aktuar Salzmann S. 102; vergl. auch S. 91. 
4 Hochzeitbuch der Neuen Kirche Bd. 117 fol. 47b. 



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— m — 

> 

Dieses Hochzeitsgedicht aus 36 sechszeiligen Strophen be- 
stehend, zu denen eine eigene Melodie vorhanden, ist das Werk 
eines Komponisten und Knitlelversmachers zugleich. Strophen 
wie folgende mögen einen Begriff von demselben geben : 

21. 

Ut re mi fa sol 

schon mancher hat wohl 

ein Herzel durch Singsang errungen - 

wo ist auch der Ochs 

den Mägdeleins Vox 

nicht einmal im Leben bezwungen? 

22. 

Den Kerl möcht' ich sehn 

der könt 1 wiederstehn 

dem Sang eines reizenden Kindes. 

du zweifelst langohr ! 

lass trillern dir vor 

durch d'Fiebich ein Lied — und empfind es. 

23. 

Wenn dir's nicht gelingt 

durch das, was sie singt 

gerührt und geschmolzen zu werden, 

verdienest du schier 

du zweyfüssiges Thier 

vertilgt zu werden auf Erden. 

24. 

Der Liebe Gebott 

befolgt heut Herr Ott 

noch einmal so gern bey'm Kattel .... 

sie ist Ihm das All 

der Schöpfung zu mal, 

d'Virtuosin in unserem Städtel. 

Zu diesem Gedicht gehören neun Federzeichnungen, welche 
alle unter Wiederholung des bezüglichen Verses numeriert 
sind. Ein nicht numeriertes zehntes Blatt verherrlicht einen 
Glanztag im Leben der Braut: 

An einem Konzertflügel sitzt eine mit Federhut geschmückte 
Dame, ohne Zweifel Katharina Fibich. Auf ihrem Notenpult 
steht in grossen Zügen der Name Gluck geschrieben. Dass aber 



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- M - 

auch die italienische Musik mit der deutschen abwechseln soll, 
beweist ein Programm in der Hand eines der Anwesenden 
mit der Aufschrift Aria del Sgr. Piccini. Somit wäre das Bild 
inhaltlich in das Jahr 1775 zu setzen, da der Erbprinz Karl 
August von Sachsen-Meiningen, wie oben erwähnt, am Oster- 
sonntag jenes Jahres gerade diese Arie von Fräulein Fibich ge- 
hört hat und zwar in einem Konzert, in welchem, wie jener 
hervorhebt, die deutsche Musik, trotz der Voreingenommenheit 
der Strassburger für die italienische, einen durchschlagenden 
Erfolg errang. • 

Wer den damaligen heissen Kampf zwischen der deutschen 
und italienischen Musik, zwischen Gluck und Piccini, in Paris 
verfolgt hat, ersieht leicht, dass der Erbprinz mit der «deut- 
schen» Musik nur Gluck selbst gemeint haben kann. In der 
Stadt Strassburg hatte sich also im Jahr 1775 nicht nur eine 
Gesellschaft zur Pflege deutscher Sprache, sondern, was noch 
nicht bekannt war, auch eine Gesellschaft zur Pflege deutscher 
Musik gebildet. Dies ein neuer interessanter Beitrag zur Ge- 
schichte Strassburgs im vorigen Jahrhundert. 

Erfolgreicher als in jener Familie wurden meine Nach- 
forschungen bei dem Enkel und der Enkelin des Bruders der 
Cleophe. 

Im Besitze des Enkels, eines würdigen Pfarrers, befinden 
sich mehrere Farnilienbilder aus dem vorigen Jahrhundert, 
welche seinen Grossvater, den Maler Johann Philipp Fibich, 
und dessen Tochter darstellen. Ausserdem bewahrt derselbe 
aus dem Nachlass Gleophes einen Nähtisch, ein Kommndchen 
und eine Puppenstube ; ob wohl dieselbe, welche in Lenzens 
Tagebuch S. 287 erwähnt ist ? 

Eigentum der Enkelin, in der ich eine hochgebildete Dame 
schätzen lernte, ist jenes schöne Bildnis Gleophes, mit welchem 
ich zur Freude der Lenz- und Goethe- Verehrer meine Abhand- 
lung schmücken durfte, ein Miniaturbild auf eine Elfenbeinplatle 
gemalt, von unnachahmlicher Zartheit der Farben, welche ganz 
die von Lenz gerühmte « Pfirsichblässe » ihres Gesichtes wieder- 
geben. Das Jahr, in welchem das Bild gernalt wurde, ist un- 
bekannt; da aber Cleophe nicht mehr die im Tagebuch ge- 
rühmten Flechten trägt und auch sonst als eine mehr reife als 
jugendliche Schönheit erscheint, werden wir dies Bild wohl 
an das Ende der siebenziger oder den Anfang der achtziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts setzen müssen. 



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— 48 - 



Die Hauptbegierde, welche ich empfand, jene Gedichte zu 
ermitteln, welche Lenz für den Baron v. Kleist an Cleophe 
dichtete, wurde leider nicht erfüllt, da bis auf Kleinigkeiten 
der Nachlas« Cleophes verloren gegangen ist. 

Ueberhaupt kam meine Forschung insofern um einiges zu 
spät, als die Tochter des Malers Fibich, welche die beste Aus- 
kunft hatte geben können, da sie von Cleophe auferzogen wor- 
den war, betagt im Jahr 1873 das Zeitliche gesegnet hat. 
Allein auch so gelang es mir, noch eine Reihe verbürgter Nach- 
richten zu sammeln, welche im Verlaufe meiner Arbeit ver- 
wertet werden sollen. 

5. Eine Jugendfreundin der Friederike von Sesenheim. 

Aufsehen wird ohne Zweifel die von der Familie einmütig 
versicherte Mitteilung machen , dass Cleophe Fibich eine 
Jugendfreundin der Friederike Brion gewesen sei. Zwei Locken 
von Friederikens Haar waren noch vor etwa 20 Jahren aus 
Cleophes Nachlass vorhanden. Ob es dieselben sind, die ich 
seitdem mit der Grossnichte Cleophes teilen durfte, kann 
dieselbe leider nicht mehr mit voller Bestimmtheit behaupten, 
da nach ihrer — allerdings verblassten — Erinnerung diese 
Locken Friederikens sUberblond gewesen seien, 1 während die 
wieder gefundenen eine mehr goldblonde Farbe tragen. Allein 
vorhanden waren diese Haare mit der Aufschrift «cheveux de 
Frederique de Goethe» sicherlich, ein Umstand, der die bereits 
verbürgte Jugendfreundschaft Friederikens und Cleophes bestätigt. 

Erst nach Feststellung dieser Thatsache wird uns die Ver- 
anlassung klar, welche Lenz und den zweiten Baron v. Kleist 
im Sommer 1772 von Fort Louis Besuche bei der Familie 
Brion in Sesenheim machen Hess. 2 Wie der oben mitgeteilte 
Ehekontrakt besagt, war damals der älteste Baron v. Kleist 
schon längere Zeit mit Cleophe bekannt. Nichts natürlicher, 
als dass der Binder die ihm sich bielende Gelegenheit benutzte, 
die Jugendfreundin Cleophes persönlich kennen zu lernen, wäh- 
rend sich Lenz wohl als einen Freund Goethes eingeführt hat. 

1 So in ihrem zweiten Briefe vom 13. Jan. 1887. In ihrem dritten vom 
21. Jan. dagegen kommt die Dame aus äusseren Gründen zu dem Schlüsse: 
• Je mehr ich nachdenke, jemehr bekräftigt sich in mir der Gedanke, es müssen 
Friederikens Haare sein.» Bei dieser Ueberzeugung ist sie auch in späteren 
Briefen und mündlichen Gesprächen geblieben. 

« Vgl. A. Stceber, Der Dichter Lenz S. 58. 



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49 - 



Die Bekanntschaft der Familien Brion und Fibich ist leicht 
erklärlich. Pfarrer Joh. Jacob Brion 1 wie seine Frau Magdalena 
Salomea Schöll 2 waren von Strassburg gebürtig und hatten 
dort beide eine zahlreiche Verwandtschaft. Dann aber tritt die 
Erscheinung, dass die eingeborenen Familien unter einander 
bekannt und gesellschaftlich verbunden sind, vor allen anderen 
Reichsstädten am meisten in Strassburg zu tage, weil hier «las 
eingeborene deutsch-protestantische Bürgertum sich nach der 
französischen Annexion von 1681 gegen das eindringende fran- 
zösisch-katholische Element zusammenzuschliessen suchte. Zu 
diesem protestantischen Bürgertum intra muros gehörte aber 
und gehört noch heute in engster Verbindung die nächste pro- 
testantische und besonders protestantisch-theologische Umgebung 
extra muros, die auf Strasburgs Gymnasium und Universität 
ihre Bildung erhalten hatte, und an beide Kreise schloss sich 
vor der französischen Revolution das eingeborene Element der 
im Elsass zahlreich gelegenen hessen-darmstädtischen, pfalz- 
zweibrückischen und würtembergischen Territorien an. 

So finde ich in den Taufakten zweier Strassburger Mitglieder 
der Deutschen Gesellschaft sowie des jungem Ott reichsfürstliche 
Beamte als Pathen, bei Johann Siegfried Breu 3 die hessen- 
darmstädtischen Räte Johann Sebastian Otto und Friedrich 
Ludwig Bassy, bei Johann Friedrich Corvinus 4 den hessen-darm- 
städtischen Regierungsrat Franz Rudolf Mollinger, daneben die 
Jungfer Sophie Elisabeth, Herrn Daniel Schöpflins, Kirchen- 
Schaffners im würtem bergischen Reichenweier eheliche Tochter, 
l>ei Joseph Ott* den pfalz-zweibrückischen Hofrat Joh. David 
Papelier. 

1 Joh. Jacob Brion. Sohn des Köhlers Joh. Jac. Brion und der Frau 
Anna Katharina Hahn, wurde nach dem Taufregister von St. Wilhelm Bd. 53 
fol. 137b den 11. April 1117 in Strassburg geboren und nach dem Hochzeits- 
register derselben Kircheden 29. Mai 1743 ebendaselbst copuliert. Derselbe 
hatte, wie ich Bd. 53 fol. 179b. Bd. 54 fol. 12a, 41b, 113a, 174b u. 225a 
ersehe, noch 6 jüngere Geschwister. 

2 Siehe F. Lucius, Friederike Brion S. 40 tf. In den Taufregistern der 
Neuen Kirche Gnde ich drei Töchter des reichsritterschaftlich-ortenauischen 
Amtmanns Theobald Friedrich Schöll, des Bruders der Madame Brion : 
Susanna Dorothea geb. 18/9. 1752, Margaretha Elisabeth geb. 24/11. 1*53 
Eleonore 20/7. 1758, dieselben, an welche Lenz von Petersburg d.$7. Marz 
1780 Grüsse übermitteln lasst (s. Falck, Friederike Brion S. 76). 

3 Geb. 25. Dez. 1739, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 228 fol. I9fl. 

4 Geb 17. Jan. 1751, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 229 fol. 5Ü8b. 

5 Geb. 28. März 1755, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 106. 

4 

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Goethe, der die Verhältnisse im Elsass aus eigener An- 
schauung kannte, konnte deshalb mit Recht in Dichtung und 
Wahrheit * schreiben : 

« Gar manche Einwohner von Strassburg bildeten zwar abge- 
sonderte, aber doch dem Sinne nach verbundene kleine Kreise, 
welche durch die vielen Unterthanen deutscher Fürsten, die unter 
französischer Hoheit ansehnliche Strecken Landes besassen, stets 
vermehrt und rekrutirt wurden; denn Väter und Söhne hielten 
sich Studirens oder Geschäfts wegen länger oder kürzer in Strass- 
burg auf. » 

In besonders engen, weil nachbarlichen, Beziehungen zu 
Strassburg stand das protestantische Buchsweiler im Unter-Elsass, 
die Residenzstadt der Grafschaft Hanau- Lichtenberg, welche 
nach dem Tode Joh. Reinhards HL, des letzten der einheimi- 
schen Landesherrn, im J. 1736 an den Tochtersohn desselben, 
den Erbprinzen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, gefallen 
war. Wahrend der Erbprinz sich in Pirmasenz der Drillung 
seines Grenadierbataillons widmete, hielt seine Gemahlin Hen- 
riette Karoline, geb. Prinzessin von Pfalz-Birkenfeld,* in Buchs- 
weiler Hof, wenn sie es nicht vorzog, den Winter in ihrem 
Palais in Sirassburg, den heutigen Strassburger Stadthause, 
zu verbringen. 

Auch nach der Uebersiedelung der Erbprinzessin und ihres 
Hofstaates nach Darmstadt im J. 1765 blieben die Beziehungen 
des Darmstädter Hofes zum Elsass intim, ja sie wurden noch 
intimer, als nach dem Tode des Landgrafen Ludwigs VIII. d. 
17. Okt. 1768 der Herr des Buchsweiler Landes, Erbprinz Lud- 
wig IX., den Thron in Darmstadt bestieg. Beamte wurden hin- 
über und herüber versetzt. Ein enges Band der Verwandtschaft 
knüpfte sich zwischen dem rechts- und linksrheinischen Lande. 

Dem Beispiel des Geheimerats Hesse in Darmstadt, der 
sich seine Frau aus dem Elsass holte, 3 mögen manche andere 
gefolgt sein ; andererseits fanden damals hanau-lichtenbergische 

i III. 11 S. 34. 

a Sie wurde am 9. Mär? 1 1<?1 zu Strassburg im Rappollsteiner Hofe am 
Finkweiler Staden geboren, woselbst ihr, der Urgrossmutter Kaiser Wilhelms I. 
und der Kaiserin Augusta, auf meine Veranlassung eiue Gedenktafel errichtet 
wurde. 

3 Sie war die zweite Tochter Johann Friedrichs Flachsland, des Amts- und 
Kirchenschaflhers der würtembergischen Grafschaft Horburg und Reichenweier 
im Ober-Elsass, und die Schwester der Karoliae Herder, der Gattin des 
iMchters. 



— 51 — 

Beamtensöhne, wie Engelbach, Lerse, Weyland, i auf der Strass- 
burger Universität engere Fühlung mit der rechtsrheinischen 
studierenden Jugend. 

Goethes Bekanntschaft mit diesen seinen Buchsweiler Freun- 
den ist deshalb auf ganz andere gesellschaftliche Voraussetzungen 
als auf ein zufalliges Zusammentreffen in der bekannten Tisch- 
gesellschaft der Jungfern Lauth zurückzuführen. Nicht nur 
Frankfurter, auch Darmstadter Empfehlungen werden hier zu 
Grunde gelegen halben, welche letztere über die Strassburger 
Zeit hinaus ein engeres Band zwischen Goethe und dem Merck- 
sehen Freundeskreise zu knüpfen im stände waren. 

Dass Goethes Uebersiedelung nach Strassburg bestimmte 
Vorbereitungen voraufgingen, lässt sich erweisen. In Strassburg 
bezog er tein kleines, aber wohlgelegenes und anmutiges Quai- 
tier an der Sommerseite des Fischmarktes, einer schönen langen 
Strasse, wo immerwährende Bewegung jedem unbeschäftigten 
Augenblick zu Hülfe kam.»« Sein Hauswirt Kürschner Johann 
Ludwig Schlag war der Sohn des Schuhmachers Johann Jost 
Schlag, der in seinem Trauungsakt vom 18. Jan. 1702 3 «Sohn 
des Peter Schlag, gewesenen Steinmetzen und Burgers zu Frank- 
fort am Main» genannt wird. Dies Logis war mithin aller Wahr- 
scheinlichkeit nach voraus bestellt. Ebenso war Goethe mit zahl- 
reichen Empfehlungen versehen. Er selbst spricht von solchen 
in Dichtung und Wahrheit II \) S. 133. 

Auch die Bekanntschaft mit der Familie Brion in Sescn- 
heim wird eine vorbereitete, das heisst, auf andern Voraus- 
setzungen als auf lediglich studentischer Einführung beruhende 
gewesen sein. Wie hätte sonst jene Familie den jungen Mann 
wochenlang in ihrem Hause beherbergen und sich misslic- 
bigem Gerede aussetzen mögen. Schon Falck hat nach einer 
Erklärung dieses auffallenden Umstandes gesucht und dieselbe 
in der Annahme einer förmlich vollzogenen Verlobung Goethes 
linden zu müssen geglaubt. * Mir indessen geht aus den Briefen 

1 Alle drei sind aus Buchsweiler gebürtig ; siehe v. Lcopers Autnerk. 42t, 
wo die aus dem Buchsweiler Kirchenbuche gezogenen Geburtsdaten angegeben 
sind. Lerse ! s Mutter war eine geborene Barth, nicht Garth. Weylaud hatte, 
wie wir aus Lucius, Friederike Brion S. 68 wissen, einen Fraukfurter Bürger 
zum Grossvater. 

* Dichtung und Wahrheit II, 9 S. 133. 
3 Siehe den Anhang. 

* Friederike Brion von Sesenheira S. 34. 



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— 52 - 



Goethes an Salzmann i deutlich hervor, dass Goethe einen Land- 
aufenthalt bei Brions genommen, um seine kranke Brust zu 
kurieren. Gute Bekannte oder Verwandte der Familie Brion, an 
welche Goethe empfohlen gewesen sein mag, ich nenne beispiels- 
weise den Kammerrat Engelbach in Buchsweiler, den ritterschaft- 
lichen Syndikus Schöll in Strassburg, mögen Goethe den Land- 
aufenthalt vermittelt haben. 

Goethe hat diesen Empfehlungen nicht völlig entsprochen, 
da er das mit Friederike angeknüpfte Liebesverhältnis brach. 
Dieser Umstand mochte für ihn ein Grund mehr sein, dieselben 
in seiner Selbstbiographie zu verschweigen und seine Bekannt- 
schaft mit der Familie Brion als eine mehr zufällige hinzustellen.» 

Dass bei seiner ausgebreiteten Bekanntschaft in und um 
Strassburg und J>ei der erwähnten Zusammenhörigkeit der ge- 
sellschaftlichen Kreise jener Stadt Goethe unter anderen auch 
die Familie Fibich kennen gelernt habe, dafür besitzen wir 
ausser der bestimmten Ueberlieferung, dass Friederike Brion 
und Cleophe Fibich Jugendfreundinnen gewesen seien, noch 
andere sichere Anzeichen. 

Fibichs Juweliergeschäft, das bedeutendste in Strassburg, 
welches Pretiosen an die deutschen Prinzen und den Adel des 
Oberrheins lieferte, \yar im Centrum der Stadt an dem beleb- 
testen Platze gelegen, wo sich zur Zeit grosser militärischer 
Schaustellungen ganz Strassburg zusammendrängte. Johann 
Philipp Fibich war Hatsherr und machte für damalige Ver- 
hältnisse ein Haus. Seine Töchter waren zu Goethes Zeit schon 
erwachsen. Aus dem Nachlass Cleophes fand sich ein auf weis- 
sen Atlas gedruckter Glückwunsch, welcher beweist, dass sie 
bereits zu Goethes Studienzeit in ihrem 17. Lebensjahre ge- 
feiert war. Derselbe lautet : 



1 Aug. Stoiber, Der Aktuar Salzmann S. 42 ff. ; man vergleiche besonders 
den dritten Brief. — Nur nebenbei bemerke ich, dass die Ueberschrift des 
zweiten Briefes in Lenzens •Waldbruder» (Dorer-Egloll S. 93) «Fräulein 
Schatouilleuse an Rothen [Goethen], der aufs Land gereist war, eine Frühlings- 
kur zu trinken • , Aehnlichkeit mit jener Situation enthält. 

2 Dass Goetho in bezug auf seine Strassburger Vergangenheit gegen alles 
urkundliche Material empfindlich war, welches die von ihm in seiner Selbst- 
biographie gegebene Darstellung verschieben konnte, beweist sein förmlicher 
Protest, als Professor Engelhardt ihn um die Genehmigung zur Veröll'entlichung 
seiner im Salzmann 'sehen Nachlasse gefundenen Briefe ersuchte. Vgl. Aug. 
Stoiber. Der Aktuar Salzmaon S. 118. 



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i] 



%\\ t>em geefjrt mili erfmilic&lteii 

3 U * 0 9 € 8 




St&idnn, 

3)Jein Söuiifd) üor eie foü f)eut allein 

Sin Sörcm sNamen&ftetfe Ut)n, 
$ed)t glütflid) auf ber SBclt ju leöen! 
©Ott rooll i$6r nur 23ergnü<ien ge6en, 
Sluf t>ajj in 3törer £e&ent$ geit , 
9?eid)tfjum, ©lu<f un& Bufriebcu&eit 
Stftanber jietä t>ie |>ant>e reichen! 

^riWmaiictjmalfcöoniiacöSöunfdjnidjtciii/ 
£of 6ie, es wirb &alt> Oeffer fet>it. 
2111 Untfern mutf von 30r unt> 3örem £auge 
weidjen! 

Äurj : mid) niefot langer ju Derweilen, 
£ier i(l mein 2BunfVö in tiefen geilen : 
8c6 <5ie (letö in Gesurfter ftul)! 

(5iebringe36re3a{>rinwa()rer5reut)e;u 
©traiburg, toi 30. 9fpriU. 1771. 

P. J. I). 



i 



3 





Cleophes Glückwunsch, zum Namenstag 30. April 1771. ;S. 52.) 



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• ■ 



* ■ - 



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— 53 - 

Fibichs Wohnung und Geschäft befand sich nach dem oben 
mitgeteilten Mietsvertrage im Hause des Banquiers und Rats- 
herrn Johannes Braun. Diese Banquiersfamilie Braun war eine 
sehr reiche und verzweigte in Strassburg. Ein Bruder des letz- 
teren war der Banquier Johann Daniel Braun, beider Mutter 
eine geborene Margarethe Salome Miville. Eine geborene Anna 
Barbara Miville war auch des Aktuarius Salzmann Mutter. * 

Wenn Grcthe an seinen Studienfreund, den Sohn des Kam- 
merrats Engelbach in Buchsweiler, den JO. Sept. 1770 aus 
Strassburg schreibt : * 

* Im B. Hause fährt man fort angenehm zu sein. Der A. und 
ich werden uns ehestens copuliren lassen. Der ganze Tisch grüsst 
Sie », 

so kann mit dem Tisch nur derjenige der Jungfern Lauth 
in der Krämergasse Nr. 13 (heutige Nr. 7), mit A. nur der 
Tischpräsident Aktuarius Salzmann, dessen unzertrennlicher Be- 
gleiter Grcthe in Strassburg war, und in dieser engen Verbin- 
dung mit dem B. Hause weder das Brion'sche» noch das v. 
Berkheim'sche, * wie man geraten hat, sondern wahrscheinlich 
nur das Braun'sche gemeint sein, zu dem der Aktuarius Salz- 
mann die nächsten verwandtschaftlichen Beziehungen hatte. 

Maria Agnes Braun, eine Tochter des Banquiers Job. Da- 
niel Braun, war die Taufpatin des Johann Michael Ott, ihr 
Bruder Abraham Braun der Taufpate der früh verstorbenen 
Margaretha Elisabeth Fibich, Joh. Daniel Braun Studiosus, der 
Sohn des oben genannten Hauswirts der Familie Fibich, der 
Taufpate der (Meophe Fibich. 

Wer, wie ich, längere Zeit die Geburts- Kopulations- und 
Sterberegister der alten Strassburger Familien durchforschte, 
wird allmählich angemutet, als hätten dieselben eine einzige 
grosse Sippe gebildet, so oft wiederholen sich dieselben Namen 
als Tauf- Trau- und Sterbezeugen. 

Dass Goethe die Familie Fibich persönlich gekannt habe, 
scheint auch aus dem Anteil hervorzugehen, den er an den ver- 

1 Aug. Sucher, Der Aktuar Salzraann S. 13: die Unterschriften siimmt- 
licher Familienmitglieder finden sich unter einem Teilungsakte des Notars 
Lacombe 1774 D 5. Oct. ; den Sterbeakt der Marg. Salome Miville fand ich 
in St. Thomas 1*775 fol. 56. 

2 Hirzel-Bernays, Der junge Goethe I, 242. 

3 Aug. Sucher a. a. 0. S. 48; dagegen schon v. L epers Aninerk. 423. 

* A. Baier, Das Heidenröslein. Heidelb. 1877. S. 34. 



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— 54 — 

Hebten Kreuz- und Querzügen seines Freundes Lenz mit Cleophe 
genommen hat. 

In Lenzens Roman «der Waldbruder», > der, abgesehen von 
einigen äusserlichen Anspielungen an den Weimarer Aufenthalt, 
m wesentlichen Strassburger Erlebnisse wiederspiegelt, findet 
sich sogar eine Stelle, welche auf ein Konzert im Fibich'schen 
Hause gedeutet werden kann, da sie merkwürdige Aehnlich- 
keit mit einer Stelle in Lenzens Tagebuch verrät. Zwei Töchter 
unterhalten die Gäste, wie im Tagebuch, so im Waldbruder 
durch ihren Gesang. In jenem singt die älteste eine der schön- 
sten italienischen Arien mit Blicken, die Lenz wünschen mach- 
ten, er könne sie lieben, 2 im Waldbruder belohnt die eine der 
Töchter Rothen [Grethen] für jede falsche Lobeserhebung mit 
einem feurigen Blick. 3 

Wenn auch der Waldbruder stark satyrisch gefärbt ist, so 
gewinnt doch die Thatsache, dass Goethe einem Konzert in 
der Familie Fibich beigewohnt hat, durch jene Erzählung 
an Wahrscheinlichkeit. Dann würde auch dieser Besuch in 
den Sommer 1775 fallen, wo Goethe zweimal, nämlich im Mai 
und im Juli, auf seiner Schweizerreise während mehrerer Tage 
in Strassburg verweilte und gewiss ein Interesse daran hatte, 
Cleophe zu sehen, beziehungsweise wiederzusehen, nachdem 
ihm sein Freund Lenz So viel von ihr und ihrem Verlöbnis 
mit dem Baron von Kleist gesprochen hatte. 

6. Lenzens dramatischer Nachlass. 

Soweit waren meine Forschungen über die Familie Fibich 
gelangt, als ich in dem von Karl Weinhold 1884 herausgegebenen 
dramatischen Nachlasse des Dichters Lenz zu meiner Freude 
die Bestätigung derselben durch Lenz selbst bemerkte. 

Wir haben schon oben hervorgehoben, dass Lenz, wie die 
andern Dichter der Sturm- und Drangperiode, eigene Erleb- 
nisse zum Vorwurf seiner Dichtungen gewählt hat. Der Mög- 
lichkeit einer Verbindung mit Friederike begegnet er durch 
«die Liebe auf dem Lande», seine Liebe zu Frl. Henriette 
Waldner von Freundstein spiegelt «die Laube» und «der 
Waldbruder » wieder, sein Verhältnis zu Fräulein König in 

1 Dorer-EglolT S. 92 ff. 

* S. 279. 3 Dorer-Egloff S. 100. 



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- 55 - 



Strassburg giebt ihm den Stoff zur «Alten Jungfer». Magister 
Leypold vom Protestantischen Gymnasium tritt als Prototyp des 
alten Moor in Schillers Räubern in dem «Tugendhaften Tauge- 
nichts» mit seinen schulmeisterlichen Flüchen persönlich auf; 
kein Wunder, wenn Lenz auch die in der Familie Fibich er- 
lebten Vorgänge dramatisierte. 

In seinen Entwürfen zu dem Schauspiel «Katharina von 
Siena» ist Katharina ursprünglich keine andere als Katharina 
Fibich, Laura oder, wie sie im Entwurf B genannt wird, Ara- 
minta, wie im Tagebuch, deren jüngere Schwester Cleophe, 
der von Katharinens Laune abgewiesene Freier Trufalo der 
ältere Ott. In Katharina wollte der Dichter eine Stolze dar- 
stellen, welche alle Freier im Uebermut zurückweist, um einen 
armen Maler Rosalbino glücklich zu machen, in dem sie das 
Ideal eines Mannes verwirklicht sieht. Allein Hosalbino, dem 
die Kunst mehr als Liebe gilt, erwidert diese Neigung nicht. 
«Katharina flieht deshalb in die Wildnis und sucht in asketi- 
scher Brautschaft mit Jesus den Frieden, den sie auch gegen 
alle Versuchungen zum Rückfall behauptet. » 

Im Entwürfe ß der «Alten Jungfer» ist Wiedeburg kein 
anderer als Lenz-Kleist, dem sein Freund Ott den Charakter 
Gleophes zu einer Zeit, wo Lenz schon für Fräulein Waldner 
entbrannt ist, ins hellste Licht zu rücken sich bemüht. 

Ott: Was willst du mehr von einer Person, die dich glücklich 
machen soll, als so geliebt zu werden ? 

Wiedeburg: Ich will mehr — und darum bin ich elend. Ich will, 
dass sie sich mir liebenswürdig machen — dass sie eine Waldner 
sein soll 1 — dass 6ie alle meine Sehnsuchten, alle meine Erwar- 
tungen auf sich spannen, dass sie die Belohnung alles meines 
Strebens Ringens Leidens und der Todesgefahr selber sey — ich will 
alles oder nichts ! — sieh, das ist meine Natur, Ott ! und darum 
bin ich ein unglücklicher Mensch ! 

Ott : Sie würde sich nach dir gebildet, sie würde ihre Empfin- 
dungen nach den deinigen umgestimmt haben, sie würde dir alles 
geworden seyn. Du weisst nicht, dass sie seit einiger Zeit erstaunend 
angefangen zu lesen, bloss weil sie merkt, dass du Freude daran 
hast — noch mehr, sie erkundigt sich sorgfältig bey all deinen 
Freunden, welche Bücher du vorzüglich liebst, und liest sie heimlich, 

1 Man vergleiche das weiter unten citierte Gedicht vom 28. Okt. 1775 
und daraus die Zeilen: 'Seit ich nicht mehr in die Tugend, nein, in mehr ver- 
zaubert hin», welche die Liehe zu Cleophe ab- und dejenige zur Waldner 
erschliessen. 



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— 56 



damit sie dich einmal angenehm überraschen kann, wenn von einem 
oder dem andern dieser Bücher die Rede ist. 

Wiedeburg: 0 Satan, Satan, der ich bin! Es ist ausgelöscht, 
ausgelöscht in meinem Herzen die himmlische Flamme ! — Doch 
will ich hin, ich will sie sehen, ich will sie heurathen, ich will alles 
thnn, und — siehe, ich sage es dir — mein ganzes Leben durch 
eine lange Komödie spielen — vor den Engeln selber, vor dem 
Angesicht Gottes selber — aber es bleibt doch immer Komödie. 

Ott : Du machst mich grausen ! 

Wiedeburg : Komm ! — Du solltest weinen und heulen wie eine 
Bettlerswittwe mit zehn Kindern, wenn du in mein Herz sehen 
könntest ! 

6. 

Ihr Krankenbett. 

— Er schwört ihr, dass er keine andere nehmen will und 

heurathen, W(aldner) auch nicht, denn er hatte ihr promesse de 
mariage gegeben und sie sich darauf verlassen. 

Endlich nennt der Entwurf C der «Alten Jungfer» die 
Familie Fibich selbst. Vater Fibich tritt mit Namen auf, Baron 
Wiedeburg ist Lenz, Graf Dönhof stellt Kleist vor, Cleophe 
wird hier Amalia genannt. 

Akt L 

Erste Scene. 

Wiedeburg allein. 
Alles was ich von ihr sehe, alles was ich von ihr höre, jeder 
Schritt, den sie in die Welt thut, ist von einer Rose der Schönheit 
begleitet, die sie in ihren Fusstapfen zurücklässt. 1 Ach und soll 
soviel Herrlichkeit vorübergehen, ohne erkannt, ohne in seinem 
ganzen Werthe erkannt und an diese Brust gedrückt zu werden? 
Amalia — ich liebe dich, Amalia, du sollst dies Wort von mir 
nimmer hören, aber mir selbst, und diesen Wänden will ichs 
tausendmal sagen, um mich unaufhörlich selbst mit dem Gedanken 
aufzuwecken, dass du da bist, und diese himmlische Flamme, die du 
in meiner Brust angezündet hast, nie ausgehen zu lassen. Wenn die» 
ausgienge — wie elend ~ ! liegt seinen Kopf in die Hand und bleibt 
so eine Viertelstunde ohne Bewegung sitzen). 

* Wer erinnert sich nicht bei diesem Bilde des Ga?the'schen Lobes «die 
Poesie, die Lenz in das Gemeinste zu legen wusste, setzte mich oft in 
Erstaunen. > 



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- T - - 



— 57 — 

Fibich kommt herein mit einem Brief in der Hand: Sehen Sie. 
Herr Baron, wie unglücklich es ihrer Freundin geht ! Soll ich's Ihnen 
sagen ? warum nicht ? Sie sind doch unser einziger wahrer Freund ! 

Wiedeburg: Sagen Sie mir alles! 

Fibich (weint): Meine Tochter ist ein unglückliches Mädchen 
lebtäglich ! 

Wiedeburg : Ihre Tochter ? — warum denn ? wodurch denn ? ich 
bitte, weisen Sie mir den Brief. 

Fibich (weinend) : Freilich haben Sie so ein Herz, dass man 
Ihnen alles sagen rauss und die Freundschaft, die Sie meiner Tochter 
von Anfang an bewiesen haben, richtet mich allein auf. Ich armer, 
unglücklicher Mann ! Sie ist betrogen ! Der Graf Donhof zieht sein 
Wort zurück. 

Wiedeburg : Sein Wort zurück ? (reisst ihm den Brief aus der 
Hand). 

Fibich : Er sagt, er hab ihr nie die Ehe versprochen, das was 
er mir schriftlich hinterlassen und die Briefe alle seyn nur ein 
Zeichen seiner Freundschaft gewesen, die er auch immer nach wie 
vor behalten wolle. 

Wiedeburg (den Brief zitternd durchlesend): Sie können ihn 
zwingen, Abtrag zu geben. 

Fibich : Nein, Herr Baron, nimmer — nimmer thu ich das ! es 
sah so aus als ob mein Kind verlegen um einen Mann — 

Wiedeburg : Sie können es ohne Ihre Delikatesse zu beleidigen 
— lassen Sie mir die Sorge, ich verspreche Ihnen, den Process zu 
führen; — noch mehr, beruhigen Sie Ihre Mamsell Tochter, ich 
verspreche ihn durch dieses Mittel zurückzubringen. 

Fibich : Ach gnädiger Herr, Sie haben ein gar zu gutes Herz ! 
Wenn sich nicht noch edle Gemüther fanden, die sich unsrer 
annähmen — 

Wiedeburg : Verlassen Sie sich darauf! lassen Sie mich allein — 
ich will mich sogleich hinsetzen und eine Requete an das Land- 
botengericht aufsetzen. 

Fibich : Gott belohne Sie und schenk Ihnen dafür eine Frau wie 
Sies verdienen. (Ab.) 

Wiedeburg : In was für Händel verwickelt einen nicht das Mit- 
leiden ! Ein guter Wunsch — der Wunsch wars allein werth. — Ach 
Amalie ! 

Folgende Andeutungen über den weiteren Gang der Hand- 
lung, sagt der Herausgeber, sind von Lenz gleichzeitig rasch 
auf die Rückseite des Folioblattes hingeworfen worden, wie die 
Schrift zeigt : 

— verliert den Process, erbietet sich aus Grossmut, sie selbst 
zu heurathen; erfährt hernach, dass er den Process nitht habe 



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— 58 — 

gewinnen können, weil die ganze Promesse de Mariage valsifiirt, 1 
erfanden, nachgeschrieben worden, denn Fibich hat die Pappiere 
allzeit dem Advokaten des W. zugeschickt, weil der nicht Zeit hatte, 
sich soviel darum zu bekümmern. Dass zwar der junge Baron ihr 
von Ehe zugeredt, aber nie etwas schriftliches hinterlassen habe and 
dass eben wegen dieser Falschheit des Vaters die Obrigkeit ihn als 
einen Betrüger, der auf die Art das reiche Vermögen dieses Hauses 
an sich ziehen wollen, angesehen. 

(Darum darf ich das Stück nicht drucken lassen. Wenigstens 
nicht, so lang Fib. unverhenrathet ist.) » 

Der Herausgeber fügt in der Einleitung zu diesem dem 
Jahre 1775 angehörigen Entwürfe S. 195 die Bemerkung bei : 

«Es scheint durch den Zusammenhang, worin diese Worte stehen, 
dass wir hier den Namen des Handelsmanns am Strassburger Parade- 
platz erfahren, mit dessen Tochter, der Mamsell Fibich also, die 
Kleists und Lenz selbst ihre Liebesgeschichten halten, die Lenz im 
Tagebuch Grethen erzählte und die er in den Soldaten zum Theil 
verwerthete. » 

• 

Nun, die von Weinhold ausgesprochene Vermutung ist erst 
durch meine selbständig geführte Forschung zur Gewissheil 
erhohen. Dagegen zeigen die von Lenz hingeworfenen Andeu- 
tungen über den weiteren Gang der Handlung, insbesondere 
die Verneinung der Promesse de mariage, dass Lenz, was sich 
auch, sonst beweisen lässt, Vorgänge des wirklichen Lehens 
nicht immer in unveränderter Gestalt zu dichterischen Ent- 
würfen gewählt habe. 

7. Der Stammbaum der Familie Kleist. 

Bis zum 12. Mai 1777, also nicht 15, sondern 42 Monate, 
hatte die Familie Fibich auf die Erfüllung des Eheversprechens 
vergebens gewartet. Baron Kleist hatte, wie es scheint, bis da- 
hin stets neue Hoffnung genährt. So konnte Lenz noch im 
Febr. 1776 kurz vor seiner Ahreise aus Strassburg an Herder 
schreiben : 2 

«Ich danke dir, dass du die «Soldaten» zum Druck befördert 
hast. Reich wird sie hoffentlich vor Michaelis nicht bekannt machen 

1 So steht fflr «falsifiirt» geschrieben. Doch möchte ich dieses Versehen 
des Dichters nicht wie Weinhold mit einem Ausrufungszeichen begleiten. 
Hechtschreibung war damals noch kein untrüglicher Gradmesser der Bildung 
wie heutzutage. 

* Aus Herders Nachlass I, S 238. 



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- 59 — 

und alsdann wird das mit Fingern deutende Publikum auf nichts 
mehr zu deuten haben.» 

Lenz hatte also gegründete Hoffnung, dass Baron von Kleist 
bis Michaelis 1776 sein Wort eingelöst haben würde, allein der 
Winter 1776—1777 verging, bis endlich, als Cleophe an der 
Schwelle der zweiten Hälfte ihres 23. Lebensjahres angelangt 
war, Vater Fibich das versiegelte Ehe versprechen zur Geltend- 
machung seiner Ansprüche eröffnen Hess. 

Wie die Kleist-Fibich'sche Angelegenheit weiterhin im ein- 
zelnen verlaufen, ist bis jetzt unbekannt, doch darf ich nach 
einer Abschrift des im Museum zu Mitau befindlichen Stamm- 
baums der Familie Kleist 1 schliessen, dass sich der Baron nicht 
gerade cavaliermässig benommen hat. 

Nach jenem Stammbaum war der Vater jener drei Brüder 
Kleists Christian Ewald von Kleist, Majoratsherr auf Kerklingen 
und Dobelsberg, die Mutler eine Katharine Alexandrine von 
Vietinghoff, gen. Scheel. Aus der 1749 »/ 6 geschlossenen Ehe 
gingen 5 Kinder hervor, nämlich: 

1) Agnese Alexandrine, geb. 1750 '6/4, gest. 1813 5/9» 

2) Friedrich Georg, geb. 1751 «/* g«»t- 1800 *>/,. 

3) Ernst Nicolaus, geb. 1752 */ 4 , gest. 1787 '/ 3 . 

4) Christoph Hieronymus Johann, geb. 1753 gest. 1829 ><V 10 . 

5) Marie Charlotte Sophie Eleonore, geb. 1757 gest. 1798 10 /n. 

Friedrich Georg, der Verlobte der Cleophe Fibich, verhei- 
ratete sich nach jenem Stammbaum in erster Ehe 1776 *<>/,, 
mit Anna Margaretha Hedwig von Butenberg aus Weiden geb. 
1760 28/ 7 , gest. 1793 5 *j, 2 , in zweiter Ehel 794 »/io mit Agathe 
Dorothea Elisabeth von Butenberg aus Neu-Autz geb. 1770 »/ 2 , 
gest. 1832 8/7. Auf derselben Stammtafel wird Friedrich Georg 
«Königl. Polnischer Kammerherr und Bitter des Stanislaus- 
ordens, Majoratsherr auf Kerklingen und Dobels berg, Eibherr 
auf Weiden » genannt, der zweite Bruder, mit welchem Lenz 
in Fort Louis und Landau gewesen, als « französischer Kapitain, 

1 Diese Abschrift, welche mir Falck vermittelte und nach der 
Ruchholz 'sehen genealogischen Sammlung baltischer Familien der Rigaer 
Stadtbibliothek ergänzte, verdanke ich der Güte des Herrn Julius Döring, des 
bekannten Malers und Kunsthistorikers, in Mitau. 

2 Vergl. Rudolf Reicke Altpreussische Monatsschrift 1867 S. 654 II.: 
L'Estocq nahm 20. Sepl. 1769 drei dieses Namens, im Index (der Königs- 
herger Universität) als fratres bezeichnet, auf : Friedericus Georgius de Kleist 
Eques Kerklinga-Curonus, Ernestus Nicolaus de Kleist und Christophorus 
Johannes Hieronymus de Kleist. 



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— 00 — 

polnischer Kammerherr und Erbherr auf Subbern» und der 
jüngste Bruder, den Lenz im Hinblick auf die bevorstehende 
Verbindung des ältesten mit Cleophe Fibich den «Schwager» 
nennt, als «französischer Kapitain, später preussischer Kammer- 
herr und gestorben zu Charlottenburg» verzeichnet. 

Zunächst geht aus diesen authentischen Angaben hervor, 
dass Baron Friedrich Georg v. Kleist, um auch nach Strass- 
burger Recht, majorenn zu erscheinen, in dem von ihm unter- 
zeichneten Ehekontrakt sein Lebensalter falschlich auf 25 Jahre 
angegeben hat. Ferner erhalten jetzt Lenzens Worte, «dass das 
Publikum Michaelis 1770 auf nichts mehr werde zu deuten 
haben,» einen besonderen Sinn. Wahrscheinlich hatte Baron 
v. Kleist die Erfüllung seines Eheversprechens der Familie 
Fibich bis zu diesem Termin verheissen, während er bereits 
mit dem Plane umging, sich der Erfüllung dieses Versprechens 
durch die bis dahin geschlossene Ehe mit Fräulein von Rutenberg 
zu entziehen. Dass er einer solchen Handlungsweise fähig war, 
kann leider nicht geleugnet Werden. Denn der Umstand, dass 
Vater Fibich am 12. Mai 1777 den Ehekontrakt eröffnen lassen 
musste, beweist, dass Baron v. Kleist an seinem Vermählungs- 
tage, den 20. Sept. 1770 seinen Verbindlichkeiten gegenüber 
der Familie Fibich nicht gerecht geworden war. 

Was weiter geschah, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass 
Fibich überhaupt auf Grund eines solchen Aktes vor dem russi- 
schen Richter klagen konnte, möchten wir bezweifeln. Immer- 
hin wird das Jahr 1777 der Familie Kummer und Aufregung 
genug verursacht haben. Bereits am 15. Mai 1778 starb im 
Alter von erst 52 Jahren, wie der Sterbeakt besagt «an Fieber, 
Geschwulst und Engigkeit» Mutter Fibich ; * «die gute Mutter» 
nennt sie Lenz im Tagebuch. * Ob ihr Tod durch den voraus- 
gegangenen Herzenskummer beschleunigt worden? 

Auch wie Lenz sich zu dieser fatalen Angelegenheit ver- 
halten, ist unklar. Dass er auch nach der Entzweiung mit dem 
jüngsten v. Kleist mit der Familie seiner ehemaligen Zöglinge 
in Verbindung stand, gesteht er selbst in einem Briefe vom 
10. Dez. 1777 an Sarasin in Basel. 3 Merkwürdiger Weise er- 
bittet er sich durch letzteren schleunigst die Originalbriefe 

1 Sterbregisler der Neuen Kirche Bd. 189 fol. 19. 

2 S. 286. 

3 Dorer-EglofT S. 237. 



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- (51 - 

Ewald v. Kleists, des Heimgegangenen Dichters des Frühlings, 
welche Herr Ratsherr Iselin hesass. 

«Ich bringe sie, schliesst Lenz seinen Brief, aufs heiligst*' 
wieder nngekränkt nach Basel zurück und einen Dank, der nicht 
endigt, Ihnen und nnaerm Iselin zum Ersätze. Die Absicht, wozu ich 
diese Briefe brauche, können Sie sich beide nicht vorstellen, könnte 
ich Ihnen beiden auch nicht begreiflich machen, da ich sie mir selber 
nicht in Worte fassen kann; genug, mir liegt unbegreiflich 
viel daran. » 

So viel geht aus diesen wirren Worten hervor, dass Lenz 
mit jenen Briefen des Dichters Kleist irgend einen Eindruck 
auf jene kurländische Familie zu machen gedenkt. Will er etwa 
der adelsstolzen, welche die Verschwägerung mit der Strass- 
burger Bürgersfamilie abgelehnt hatte, an ihrem eigenen Fleisch 
und Blut zu Gemüte führen, dass es noch etwas Höheres, näm- 
lich das Genie, gebe ? 

Nicht minder aullallend, aber ebenso schwer zu deuten, ist 
ein Brief, den Schlosser Mitte März 1778 an Ruulerer nach 
Strassburg schreibt : 1 

« Sie werden sich freuen lieber Magister, wenn Sie hören, dass 
Lenz hergestellt ist, wenigstens allem menschlichen Ansehen nach. 
— Inliegenden Brief gab er mir kurz nach einem harten Paroxismus 
von Schwermut. Ich vermutete, dass etwas Tolles drin ist, und 
brach ihn auf. um Sie nicht zu erschrecken. Auch finde ich, dass es 
wahr ist; stosen Sie sich aber nicht an seiner Apostrophe. Seine 
Seele ist noch viel zu schwach, auch da zu schwach gewesen. Ich 
hab auch Verehrung für solche Sachen, aber wenn Ihr seel. Vater 
Ihnen jetzt rathen könt, würde er auch rathen. wies die Umstände 
crfodern. Sagen Sie Lenzen und schreiben Sie ihm nicht, dass ich 
den Brief erbrochen und zurückgehalten habe. Schicken Sie ihm 
seine Sachen bald mit Entschuldigung, dass Sie wegen Abwesenheit 

seinen Brief verfehlt hätten, in der Sache aber thun wollten 

was möglich ist. » 

Zu dieser Lücke schreibt der Herausgeber in der Note : 
«Ein abgekürztes und ganz unleserliches Wort)». Diese Lücke 
konnte von Bedeutung werden, wenn hier cFibich'schen» oder 
«Kleist'schen* Sache stand. Es war damit der Beweis geliefert, 
dass die Familie Fibich damals die ihr rechtlich gebührende 
Genugthuung noch nicht erhalten hatte. Diese Annahme wurde 

1 A. Stoiber, J. G. Kccderer und seine Freunde S. 68. 



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1 1 /f' ' r ' ■*!,'••. ; " **' •'•V T;t/v •<?•;* •sfr 1 



- 62 — 

für mich die erste Veranlassung, den Ruedreer'schen Naehlass, 
welchen einst Stoeber benutzte, in Strassburg aufzuspüren. 

Zwei Fräulein Rcederer, Enkelinnen des trefflichen Theo- 
logen, besitzen ihn und halten ihn als ein heiliges Familien- 
vermächtnis in Ehren. Mit welcher Freude begrüssle ich das 
Glück, die kostbaren Papiere, unter denen 2 GuHhe'sche Briefe, 
in Händen halten zu dürfen ! Auch vermochte ich obige Lücke 
mit Hülfe der Besitzerinnen zu enträtseln. Weder Kleist'schen 
noch Fibich' sehen Sache war an jener Stelle zu lesen, sondern in 
der «dortigen» Sache, aus welchen Worten kein bestimmter 
Schluss zu ziehen ist. Auch dass Lenzens Bruder, der den 
scheinbar Wiedergenesenen im Sommer J779 nach Riga ab- 
holte, in einem Briefe an Salzmann mit Bedauern erklärt, dass 
er Strassburg mit seinem Bruder habe vermeiden müssen, 1 
kann nicht mit Sicherheit auf den Umstand zurückgeführt wer- 
den, als ob die Fibieh'sche Angelegenheit damals den Dichter 
noch bewegt habe. 

8. Cleophes Stammbucheintrag. 

Dass sich Baron von Kleist nicht rechtlich in jener Ange- 
legenheit benommen habe, glauben wir behaupten zu müssen. 
Dagegen hat Cleophe dem Verlobten bis an ihr Lebensende die 
Treue bewahrt und diese Gesinnung im Dez. 1774 durch ein 
unverdächtiges Zeugnis bekräftigt. Wir besitzen nämlich im 
Stammbuch Lernens auf der ersten Seite einen anonymen Ein- 
trag von «einer ungenannten, doch wohlbekannten Freundin», 
den zuerst brieflich am 29. Okt. 1883 Falck und gleich darauf 
auch Düntzer öffentlich in der Köln. Zeitung vom 24. Nov. 
1883 III. Blatt als einen Autograph Aramintas erkannten. 

Dieses, wie es schien, längst verschollene Stammbuch des 
Dichters, aus welchem bereits früher einmal «Ii« Eintragungen 
Goethes, Schlossers und seiner Gattin bekannt geworden waren, 
tauchte plötzlich in Fellin in Ljvland auf und zwar im Besitz 
der Tochter des um den Lenz-Nachlass sehr verdienten Dr. 
Dumpf. Herr Gymnasialdirektor Dr. Wald mann daselbst, dessen 
ausserordentlicher Güte ich das beigefügte Facsimile verdanke, 
legte diese Lenz-Reliquie am 5. Okt. 1883 der literarischen Ge- 
sellschaft zu Fellin vor und berichtete eingehend über dieselbe 
in dem Jahresbericht jener Gesellschaft pro 1883 und 1884. 

1 A. Stoeber, Der Dichter Lenz S. 40. 



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Diesem Bericht und einer mir gewordenen brieflichen 
Mitteilung seines Autors zufolge, ist das Stammbuch, dessen 
Höhe 10 i/j und dessen Breite 14 '/s Gtm. beträgt, in 
roten Saffian gebunden, hat Goldschnitt und Goldvensierungen 
auf Rücken und Rand, tragt auf der Vorderseile den Namen 
Lenz, auf der Rückseite die Jahreszahl 1774; Verzierungen, 
Lettern und Ziffern sind von altertümlicher Ausstattung. Das 
Album zählt 63 Blätter eines nach modernen Begriffen höchst 
unansehnlichen weissen Papiers, 21 Blätter sind ausgerissen, 
beschrieben sind nur 4 Seiten. Auf der ersten Seite desselben 
steht die als Facsiinile beigegebene Eintragung. In der Milte 
des Albums finden sich auf drei unmittelbar auf einander fol- 
genden Seiten 3 Kinzeich nurigen : 

1) Zur Erinnrung guter Stunden, 
Aller Freuden, aller Wunden, 
Aller Sorgen, aller Schmerzen, 
In zwei tollen Dichter Herzen 
Noch im letzen Augenblick 
Lass ich Lenzzen dies zurück. 

Goethe. 

2) Si vedrem chiaro poi, come sovente 
Fer le coae dnbbiose altri s'avanza, 
E come spesso indarno si sospira. 

Petrarca. 
C. Schlosser. 

Letztere Eintragung rührt von Giethes Schwester Cornelie, 
der Gattin des Hofrais Schlosser in Emmendingen bei Freiburg, 
her. Schlosser selbst hat sich in das Lenz'sehe Stammbuch in 
folgender Weise eingetragen : 

3) Catharina von Siena. 

J. 0. Schlosser. 

Catharina von Siena ist der Titel jenes oben citierten dra- 
matischen Entwurfes, von «lern der Dichter am 14. März 1776 
fegen Merck äusserte : «es sei schon in seiner pia mater fertig, 
aber noch nicht geschrieben.» Weinhold, der Heiausgeber des 
dramatischen Nachlasses, setzt bei dieser Gelegenheit hinzu : 

«Lenz hatte von dem Drama, das ihn damals beschäftigte, in 
Emmendingen gesprochen und es dem edlen Paare einst vorzulegen 
gedacht. Schlossers Eintragung sieht als Mahnung, nicht wie eine 



Quittung aus. Auf dem Zettel, welcher drei Sätze zur ersten Catharina 
enthält, lesen wir die Worte : so bleibt das Stück immer für Grethen 
und seine Schwester.» 

Weinholds Ansicht von einer Mahnung Schlossers ist auch 
die unsrige; die Eintragung fallt wahrscheinlich Ende Mai 1775, 
da GuHhe seinen Freund Lenz den 27. Mai 1775 von Strass- 
burg nach Emmendingen mitgenommen hatte. * Hat Gcethe wirk- 
lich im letzten Augenblick des Scheidens sich in Lenzens Stamm- 
buch eingetragen, woran nicht zu zweifeln, so ist auch Goethes 
Eintrag in Emmendingen und nicht in Sirassburg erfolgt. 

Was nun den anonymen Vers auf der ersten Seite des 
Stammbuchs betrifft, so haben Falck und Düntzer die ursprüng- 
liche Vermutung, als könne derselbe von Friederike Brion her- 
rühren, widerlegt, indem sie die wahre Verfasserin in Araminta 
erkannten. Düntzer schreibt mit vollem Rechte : 

« Friederike hatte damals, Ende 1774. schon längst jede Aussicht 
auf Goethe aufgegeben und so können wir diese Deutung auch ohne 
Ansicht der Handschrift um so entschiedener ablehnen, als die Dame, 
welche in dem hier vorliegenden Verhältnisse zu Lenz stand, ob wir 
gleich ihren Namen nicht kennen, nachzuweisen vermögen. » 

Folgt der bekannte Hinweis auf den Anfang des 14. Buches 
von Wahrheit und Dichtung und das Lenz'sche Tagebuch. 

Nun, diese bisher dem Namen nach unbekannte Dame ist 
in Cleophe Fibich entdeckt worden, deren handschriftlicher 
Eintrag dadurch an Interesse gewinnt, da er mit demjenigen 
von Goethe, dessen Schwester und Schwager in Lenzens Stamm- 
buch vereinigt ist. 

Dieser Stammbucheintrag Cleophes vom 4. Dezember 1774 



ist unseres Wissens das letzte Glied jener Kette von Kreuz- und 
Querl>ewegungen des Dichters mit ihr. Nach dem Tagebuch 
freilich war bereits Ende Oktober der Bruch zwischen Lenz 
und dem jüngsten Baron v. Kleist erfolgt. Dass die Veranlas- 
sung dazu in jenem Verhältnis zu Cleophe gesucht werden muss, 
lässt die Darstellung desselben nur zu deutlich erkennen. 

Aber Lenz machte wohl noch einen letzten Versuch auf das 
Herz der Geliebten. Was Cleophe oft im Scherz gesagt hatte : 

1 Frl. König in einem unedierten Briefe an Madame Hesse in Darmstadt, 
Buchsweiler 14. Juni 1T75: «Lenz war mit Goethe bei der Schlosserin und 
kann nicht sagen, was für Wunderwürkung sein Anblick auf ihre Seele und 
Körper gemacht haben. • (Mitteilung von Falck.) 



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- 65 - 



sie wünsche sich einen Mann wie Lenz ; wenn ihr Bräutigam 
sie verliesse, solle er seinen Platz einnehmen, 1 hatte den Dichter 
veranlasst, sie heim Wort zu nehmen. Bei diesem Antrag 
jedoch findet Gleophe ihren Ernst wieder und weist den Be- 
werber in die ihm gebührenden Schranken zurück. 

Damit war wohl die Lenz-Araminta Angelegenheit im 
wesentlichen abgethan, wenn auch die «Freundin» noch 
ferneres Wohlwollen für Lenz bewahrt haben mag. In ähnlicher 
Weise ist Lenz auch von dem Baron v. Kleist trotz aller Dif- 
ferenzen, die ihn zum Ausziehen veranlassten, schliesslich doch 
in Frieden geschieden. Noch in Weimar gab Lenz Salzmann 
Aufträge für Fibich, * erhielt er wiederholte Grusse von Herrn 
v. Kleist durch Roederer. s 

Uebrigens schildert Lenz selbst im Tagebuch die Erlebnisse 
des letzten Abends, den er mit Herrn v. Kleist verbrachte, der- 
art, dass wir an einen tragischen Konllikt nicht glauben können. 
Der stark angeheiterte Baron, der in roher Weise seine aus- 
gelassenen Streiche mit dem Dichter getrieben, giebl, vernünftig 
geworden, demselben beim Schlafengehen die schönsten Worte 
von der Welt und war auch am andern Morgen, da Lenz von 
ihm auszog, <rsein bester Freund.» 

An eine Forderung zwischen beiden, wie Urlichs* und Erich 
Schmidts vermuteten, ist deshalb trotz einer dahin bezüglichen 
Ueberschrift eines Lenzischen Gedichtes, von welchem weiter 
unten, keineswegs zu denken. 

V. Aufschluss aus den Werken des 

Dichters. 

1. Die Gedichte. 

Es ist nicht leicht, aus der Zahl gleichgestimmter Gedichte, 
welche dieselbe Stufenleiter der Gefühle von der höchsten Schwär- 
merei bis zur gänzlichen Hoffnungslosigkeit durcheilen, mit voll- 
kommener Gewissheit die zu einem Araminta-Gyklus gehörigen 
zu bezeichnen. Bedenken wir jedoch, dass Lenz das Herz Cleo- 

» Tagebuch S. 276 u. 281 . 

* Weinhold, Dramatischer Nachlass S. 195. 

3 Mitteilung Falcks aus den ungedruckten Rcederer-Briefen ; vgl. auch 
Streber, Der Dichter Lenz S. 84. 

•* S. 259. 5 Lenz und Klinger S. 15. 

5 



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- (36 — 



phes durch sein Liebesspiel vor anderweitigen Gefahren liewah- 
ren zu müssen glaubt, dass ihm, dem ernstlich Verliebten, 
jedoch Gewissensbisse entstehen und Cleophe sowie der Schwager 
ihm Vorwürfe machen, so müssen wir jedenfalls folgende drei 
grösseren Gedichte einem Araminta-Cyklus zusprechen, wenn 
;»uch der Wahrscheinlichkeit gemäss noch manche der kleineren 
Lenz'schen Gedichte demselben zuerkannt werden dürfen. Möchte 
doch die von Frh. v. Maitzahn verheissene Gedichtsammlung 
bald erscheinen, um volle Klarheit in dieser Frage zu ver- 
breiten ! 

L 

Der verlorene Augenblick, die verlorene Seligkeit. » 

(Kiue Predigt über den Text: Die Mahlzeit war bereitet, aber die Gäste waren 

ihrer nicht wcrlb.) 

Von nun an die Sonne in Trauer, 
Von nun an finster der Tag, 
Des Himmels Thore verschlossen ; 
Wer ist der wieder eröffnen, 
Mir wieder entschliessen sie mag ? 
Hier ausgesperret, verloren, 
Sitzt der Verworfne und weint, 
Und kennt im Himmel auf Erden 
Gehässiger nichts, als sich selber, 
Und ist im Himmel auf Erden 
Sein unversöhnlichster Feind. 

Aufgingen die Thore, 

Ich sah die Erscheinung; 

Und war's kein Traum? 

Und war's so fromd mir ? 

Die Tochter der Freude, 

Der Segen des Himmels, 

In weissen Gewölken 

Mit Rosen umschattet, 

Duftete sie hinüber zu mir, 

In Liebe hingesunken, 

Wie schrecklich in Reizen geschmückt 

Schon hatt' ich so selig, so trunken 

Fest an mein Herz sie gedrückt, 

Ich lag im Geist ihr zu Füssen, 

i L. Tieck, Gesammelte Schrillen von J. M. R. Lenz III, 249; vgl. 
A. Sauer in Kürschners Deutseber National- Literatur X, 223. 



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•• • 



— 67 - 

Mein Mund schwebt über ihr, * 

Ach ! diese Lippen zu küssen, 

Und dann mit ewiger Müh 

Den süssen Frevel zu büssen. — 

In dem einzigen Augenblick, 

Grosse Götter, was hielt mich zurück ? 

Kommt er nicht wieder? 

Er kehrt nicht wieder! 

Ach er ist hin, der Augenblick, 

Und der Tod raein einziges Glück. 

Dass er käme! 
Mit bebender Seele 
Wollt ich ihn fassen, 
Wollte mit Angst ihn 
Und mit Entzücken 
Halten ihn, halten 
Und ihn nicht lassen, 
Und drohte die Erde mir 
Unter mir zu brechen, 
Und drohte der Himmel mir 
Die Kühnheit zu rächen, 
Ich hielte, ich fasste dich 
Heilige, Einzige, 
Mit all deiner Wonne 
Mit all deinem Schmerz, 
Presst 1 an den Busen dich! 
Sättigte einmal mich, 
Wähnte du wärst für mich, 
Und in dem W T onnerausch. 
In den Entzückungen 
Bräche mein Herz. 

H. 

Auf eine Papillote ; welche sie mir im Conzert zuwarf. » 

Meynstu mit Zucker willst du meine Qual versüsseu 
Mitleidig göttlich Herz ! wie wenig kennstu sie V 
Wenn sich nach Mitternacht die nassen Augen schliesseu 
Schläft doch mein Herz nicht ein, es wütet spät und früh. 

> R. Zceppritz, Aus F. H. Jacobi's Nachlass 11, 310; vergl. A. Sauer 
4i. a. O. 221 : ich habe die ursprüngliche Schreibart beibehalten. 



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— 68 — 

4 

* 

Vor Tage lieg ich schon and sinn auf mein Verderben 

Und straffe mich oft selbst und nehm' mir Tugend vor 

Und kämpf und ring mit mir und sterb und kann nicht sterben, 

Weil mich mein Unstern nur zum Leben auserkohr. 

Ich soll dich sehn und fliehn ? Dein Lächeln sehn und meiden ? 

Und du verstehst es wohl, wo mir's am wehsten thut. 

Du hassest meine Kuh, es scheint dich freut mein Leiden 

Du wüuschst es grösser noch, es scheint du willst mein Blnt. 

So nimm es göttliche! ein kleines Federmesser 

Eröffnet mir die Brust, wie sanft würd es mir thun? 

Ach tlius, durchbor mein Herz, gewiss dann wird mir besser, 

In deinen Armen will ich dann vom Leben ruhn. 

Ach, welche Süssigkeit! von Lieb und Wollast trunken 

Schläft dann mein mattes Haupt von seiner Unruh ein, 

Auf deinen süssen Schooss verliebt herabgesunken, 

Und büsset sterbend noch die Ursach' seiner Pein. 

Ja thus ! von deiner Hand wie kann der Tod mich schröcken, 

Er ist das grösste Glück, das ich erhalten kann. 

Ein Stoss, so ists geschehn: wie süss wird er mir schmecken, 

Ein kleiner Stoss und dann geht erst mein Leben an. 

Dann will ich zärtlich dir als Geist zur Seite schweben, 

Dann wehrt es niemand mir, du selber wehrst es nicht, 

Dann darf ich ungescheut dem Munde Küsse geben, 

Der so verführisch lacht und so bezaubernd spricht. 

Dann darf so lang ich will mein Auge nach dir sehnen 

Dann hasch ich deinen Blick und schliess ihn in raein Herz. 

Dann wein ich, wenn ich will, und niemand schilt die Tränen. 

Dann seufz ich, wenn ich will, und niemand schilt den Schmerz. 

Dann will ich dir im Traum zu deinen Füssen liegen 

Und wachend horch ich auf, wie dirs im Busen schlägt. 

Bistu vergnügt, o Glück ! so theil ich dein Vergnügen, 

Wo nicht, so theil ich auch was dir Verdruss erregt. 

Dann, mein unschätzbar Gut! dann straft mich das Gewissen 

Für meine Liebe nicht, nur dann, dann steht mirs frey 

Dann fühl ich keinen mehr von den verhassten Bissen 

Als ob ich Frevler Schuld an deiner Unruh sey 

Dann bistu meiner loss, nicht wahr du bist es müde 

Von mir gekränkt zu sein, dann weisstu es nicht mehr 

Was mich schmerzt oder nicht, dann hast du ewig Friede 

Denn nach dem Tode rührt mein Schmerz dich nicht so sehr. 

Selbst ach! dein Glück verlangt's, ich fühl es, ach' mit Zittern, 

Dass ich im Wege bin — so thu es beste Hand! 

Ich muss mir täglich nur das Leben mehr verbittern, 

Und thust du's nicht — dann Gott ! erhalt mir den Verstand ! — 



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• ■ 

- 69 — 

i 

III. 

(Dis ward den Abend vor dem Puell geschr.) » 

Von dir entfernt, dir immer nah, 

0 da mein Leben, Seraphine. 

Ist das ein Traum, was mir geschah? 

Mich tröstet, dass ich's nicht verdiene ? 

Nein selbst dein Zorn verschönert dich 

Und ist das hochte Gut für mich. 

In dieser Einsamkeit, des kurzen Lebens müde 

Das ich doch nicht verlieren kann, 

Da schenkst nur du, mein Glück! dem bangen Herzen Friede 
Das dich auf ewig lieb gewann. 

Wie, wer verbietet mir 1 s, wer kann es mir verbieten? 
Ist das ein Laster, Götterbild? 

Von dir gerührt zu sein ? Wer kann sein Herz behüten 

Wenn selbst der Himmel nicht solch eine Neigung schilt. 

Nein Göttliche ! solch eine Lieb ist Pflicht. 

Für die will ich mein Blut verströmen, 

Man kann mir zwar das Leben nehmen, 

Doch meine Liebe ewig nicht. 

Ich kenne dich nicht erst von heute, 

Ich kenne dich von jeder schönen Seite » 

Ich bete, denk ich noch daran, 

Dank, Sehnsucht, Tränen in den Blicken 

Den, der dich schuf, mit heiligem Entzücken 

Und dich, sein schön Geschöpfe an. 

Ach wieviel Glück ist selbst in diesen Tränen, 

Nach wem kann sich mein Herz sonst sehnen 

Als nur nach dir und stets nach dir 

Und dies — nur dies — verbeut man mir? 

Dis reine Feuer macht ein Bube sich zu rächen 

Mir zu dem schwärzesten Verbrechen ? 

Und du mit ihm? Du die Gerechtigkeit, 

Die Güte selbst? War es Verwegenheit 

Dich anzusehn? Gott ist es eine Sünde 

Wenn ich in dir den Himmel finde 

Mit aller seiner Seeligkeit. 

Schiltst du ein Kind, das dir die Hände küsst. 

Dafür, dass du ihm freundlich bist. 

Hast du mich je in den beglükten Stunden, 

Da ich noch nicht Verstössen war, 

1 Diese Ueberschrift ist im Original durchgestrichen. R. Zceppritz a. a. O. 
II, 312; vergl. A. Sauer a. a. O. 226. 



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- 70 - 

Wohl anders als ein Kind gefanden, 

Und worin lag denn die Gefahr ? 

Ach Seraphine, Seraphine, 

Es tödtet mich, dass ich das nicht verdiene. 

Dass die beiden Gedichte «Der verlorene Augenblick» und 
«Auf eine Papillote» stilistisch, also auch inhaltlich zusammen- 
gehören, liewcisen folgende Parallelstellen: 



Der verlorene Augenblick. 

Ich lag im Geist ihr zu Füssen, 
Mein Mund schwebt über ihr : 
Ach! diese Lippen zu küssen, 
Und dann mit ewiger Müh 1 
Den süssen Frevel zu büssen. — 



Auf eine Papillote. 

Dann will ich dir im Traum zu 

[deinen Füssen liegen 
Dann will ich zärtlich dir als Geist 

[zur Seite schweben 
Dann wehrt es niemand mir, du 

[selber wehrst es nicht; 
Dann darf ich ungescheut dem 

[Munde Küsse geben, 
Der so verführisch lacht und so 

[bezaubernd spricht. 



Nun stimmt das zweite Gedicht an folgender Stelle inhalt- 
lich auch mit dem Tagebuch überein. 



Auf eine Papillote. 

So nimm es, Göttliche! ein kleines 

[Federmesser 
Eröffnet mir die Brust, wie sanft 

[würd' es mir thun? 
Ach thu's, durchbohr mein Herz, 

[gewiss dann wird mir besser, 



Das Tagebuch. 

(S. 281.) 

Ich nahm ihre Hand voll der 
lebhaftesten Empfindung zwischen 
meine beyden und bat sie, mir 
lieber jenes Federmesser ins 
Herz zu drücken, als zu verlangen, 
dass ich mehr sagen sollte. 



Die beiden Gedichte gehören somit dem Araminta-Cyclus 
an und nicht etwa der Weimarer Katastrophe, wie man auf 
den ersten Blick annehmen möchte. 1 Die Starke des Ausdrucks 
ist Gewohnheit der Dichter der Sturm- und Drangperiode und 
gerade bei Lenz nicht immer gleich auf die schlimmsten Kata- 
strophen seines Lebens zu beziehen. 

Diese Wahrnehmung bezieht sich nicht minder auf das 
dritte der citierten Gedichte, welches inhaltlich ebenfalls zur 



1 Gruppe S. 137 und Zoeppritz S. 290 nehmen es an, während Urlichs 
S. 263 sich schon mehr meinem Ergebnisse nähert. 



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Araminta AITaire gehört: Obgleich sich der Dichter im Oktober 
« Verstössen » wähnt, schreibt sich ihm Cleophc im Dezember als 
eine «ungenannte, doch wohlbekannte Freundin» ins Stamm- 
buch. Auch die durchgestrichene Ueberschrift «dies ward den 
Abend vor dem Duell geschrieben » lässt sich viel einfacher auf 
die im Tagebuch erzahlten komisch-ernsten Attacken des jüng- 
sten Kleist, der Lenz im Finstern mit dem Degen angreift, 
während dieser sich nur mit den Armen wehrt, 1 als auf eine 
wirkliche Herausforderung beziehen, die sonst nirgends be- 
glaubigt ist und auch mit den Grössen, die Herr v. Kleist 
später mehrfach an Lenz in Weimar bestellen lässt, in Wider- 
spruch stehen würde. Ueberdies stimmt die Durchstreichung 
obiger Ueberschrift — wie ich sehe, ein beliebtes Mittel jener 
Zeit, um mit einer geheimen Sache zu kokettieren 2 — mit der 
im Tagebuch an Goethe gerichteten Bitte, von jener Raufscene 
nichts verlauten zu lassen, nachdem er sie lang und breit erzählt 
hatte. 

Alle drei Gedichte sind echte und schöne Kinder der Ara- 
minta-Liebe, wenn wir auch kaum begreifen können, wie Lenz 
die Neckereien einer ausgelassenen Mädchenlaune nicht für das 
erkannt habe, was sie in Wirklichkeit sein sollten. 

Nach dem ersten jener Gedichte hat Lenz die Angebetete 
in Balltoilette überrascht und ans Herz gedrückt. 

Das zweite Gedicht beschwichtigt die Vorwürfe, welche ihm 
wegen jener Umarmung gemacht worden waren. Der Dichter 
entschuldigt seine Kühnheit und wünscht sich den Tod von der 
Geliebten Hand, um als seliger Geist Liebkosungen wagen zu 
dürfen, die ihm im Leben als Frevel angerechnet würden, ihm 
selbst Gewissensbisse verursacht hätten. 

Nach dem Inhalt des dritten Gedichtes war auf jene Vor- 
würfe ein ernstlicher Verweis erfolgt. Der zukünftige Schwager 
hatte das Benehmen des Dichters verurteilt und Cleophe «die 
Gerechtigkeit und Güte selbst » ihm beigestimmt. Lenz aber, 
weit entfernt, diesen Verweis hinzunehmen, beruft sich auf sein 

1 Tagebuch S. 291 . 

2 So sind in dem oben bruchstückweise mitgeteilten Hochzeitsgedichtti 
der Katharina Fibich Strophe 30 u. 31 die Namen Fibich und Ott, welche 
sich doch mittelst des Reimes erraten lassen, durchstrichen. So klagt Laiith 
(siebe Ober ihn Stocher, Der Aktuar Salzmann S. 40) in einem ungedruckteu 
Antwortschreiben an J. G. Rußderer in Göttingen d. 23. Jan. 177*7: «Warum 
streichst du Mädchen aus, Mädchen, welches Geschöpf doch meine ganze 
Seele liebet. • 



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— 72 — 

Liebespiel , indem er seine Neigung als die ungefährliche eines 
Kindes hinstellt. 

Jetzt erst verstehen wir jenes eigentümliche Gedicht «An 
Seraphine». Cleophes «Zorn» über seinen Liebesantrag ist für 
ihn «das höchste Gut», da er ihm als Beweis ihrer Treue zu 
ihrem Bräutigam gilt; «der Himmel selbst schilt solche Nei- 
gung nicht,» ja «solch eine Lieb' ist Pflicht,» da der Dichter 
nur auf solche, allerdings sehr seltsame Weise, indem er näm- 
lich sich selbst in sie verliebt oder zu verlieben scheint, das 
Herz Cleophes vor anderweitigen Gefahren behüten zu müssen 
glaubt. Deshalb nennt er dies Liebesfeuer ein «reines» den 
jüngsten Kleist aber einen «Buben», weil er dessen Bewerb- 
ungen, wie das Tagebuch verrät, keine gleich unverfänglichen 
Beweggründe unterzuschieben vermag. 

Indem wir so auf Grund der Gedichte das psychologische 
Verhalten des Dichters in der Araminta-Angelegenheit analy- 
sieren, gelangen wir zur Ueberzeugung, dass Goethe in seiner 
Beurteilung desselben Lenz wahrscheinlich zu nahe getreten ist, 
wenn er inbezug auf seine Zurückweisung durch Cleophe den 
spöttischen Zusatz macht, «man sei überzeugt, dass wenn er 
zum Bewusstsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen 
pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Glück 
gewünscht habe». 

Goethe bleibt den Beweis seiner Behauptung schuldig, die 
lauterste Zeugin der Wahrheit, die echte Lyrik, sagt uns da- 
gegen, dass der Dichter jene Zurückweisung schmerzlich em- 
pfunden habe, und der Verdacht ist nicht abzuweisen, dass 
Goethe sich durch falsch verstandene Verse wie folgende : 

« Nein, selbst dein Zorn verschönert dich 
Und ist das höchste Gut für mich > 

in seiner Beurteilung des Dichters habe täuschen lassen. 

Halbtoll allerdings müssen wir mit Garthe die Idee Lenzens 
bezeichnen, einem abwesenden Freunde das Herz seiner Braut 
dadurch erhalten zu wollen, dass er sich in sie zu verlieben 
scheint oder verliebt, auch trübt Lenz dieses eigentümliche 
Verdienst, da er wie jene Umarmung und die cynische Ueber- 
schrift des ersten der drei Gedichte genugsam beweisen, bei 
Gelegenheiten die Befriedigung seines eigenen sinnlichen Wohl- 
gefallens erstrebte, allein trotz aller dieser Seltsamkeiten haben 
wir keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Lenz, dessen gutes 




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— 73 — 



Herz von allen gerühmt wird,i bei jenem Liebesspiel, das er 
nun einmal für nötig erachtete, im letzten Augenblicke vor dem 
wahren Bräutigam zurückzutreten entschlossen war. 

Man darf deshalb Lenzens Benehmen in der Araminta-Ange- 
legenheit überspannt, ja halb närrisch nennen, aber eine ganz 
zweck- und inhaltlose lntrigue, wie Goethe sie charakterisiert, 
war sie nicht, da Lenz sie im Interesse und für das Glück des 
abwesenden Freundes unternehmen zu müssen glaubte. 

2. Das Tagebuch. 

Zu gleicher Ueberzeugung, wie die Gedichte, führt uns 
auch die Prüfung des schon oben erwähnten Tagebuches. Bevor 
ich jedoch auf eine Kritik des Inhaltes desselben eingehe, sehe 
ich mich genötigt, mich zunächst in betreff des formalen Wertes 
jenes seltsamen Schriftstückes mit der bisher von Urlichs auf- 
gestellten Ansicht auseinanderzusetzen. 

Lenz hat das Tagebuch, wie er selbst sagt, noch unter den 
Augen des jüngsten Kleist, d. h. gleichzeitig mit den Erleb- 
nissen, niedergeschrieben ; daher denn auch die abgerissene, un- 
fertige Gestalt des Ganzen. Denn dass das Machwerk, wie 
Urlichs S. 259 meint, hinreissend schön geschrieben sei, kann 
man höchstens nur inbezug auf Einzelheiten der psycholo- 
gischen Detailmalerei, nicht aber inbezug auf Form und 
Geilankengang behaupten. Fremdartige Ausdrücke, die der 
Uebersetzung ankleben wie «Sie lehrte mich, wie zu machen» 
«sie stellte sich als zu fallen,» «sie setzte ihren Mutwillen noch 
ein etwas fort» bis auf die gemeine Strassburger Apostrophe 
«Warten'r! »* weichen so sehr von der sprachlichen Vollendung 

1 Erich Schmidt, Lenz und Klinger S. 8: «Die verschiedensten Men- 
schen vereinigen sich, ihn gut und liebenswürdig zu nennen, Salzmann, 
Wagner, Miller, Schubart, Herder, Lavater, Schlosser, Cornelie, Pfeflel, 
die Herzogin Amalie, Frau Rath u. s. w. 

2 S. 283. M. v. Waldberg rechnet diesen vollkommen dialektischen Aus- 
druck fälschlich «zu den Elisionen, Sincopen und Verschiebungen, die dem 
Stil der «Sturm- und und Drangperiode» so eigen sind.» (J. M. K. Lenz, Der 
Waldbruder. Berlin 1882 S. 8.) — Wenn doch die Erklärer vorsichtiger 
sein wollten ! So sagt v. Waldberg S. 15 Ober Frl. König, Lenzens und 
Herders Freundin in Strassburg : «Die «Königin» nennt Lenz sie scherzweise 
in einem Briefe an Herder» (Aus Herders Nachlass I, S. 227). Wie scherz- 
haft müssen wohl Herrn v. Waldberg die Tauf-, Kopulations- und Sterbe- 
bücher Strassburgs in den vorigen Jahrhunderten vorkommen, welche alle 
ohne Ausnahme die weiblichen Namen auf «in» endigen lassen. 



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— 1\ — 



der übrigen Prosawerke des Dichters ab und die Handlung irr- 
lichtert dermassen hin und her, dass wir den Schluss ziehen 
müssen : das Tagebuch war nun und nimmermehr zur Ver- 
öffentlichung bestimmt, sondern Grethen zu diskretem Gebrauche 
überlassen. Sagt doch Goethe selbst, dass Lenz ihm den Stoff 
mündlich und nachher schriftlich vertraut habe. Liegt hier 
kein Irrtum in der Ueberlieferung vor, so kann die mündliche 
Mitteilung nur bei Grethes Anwesenheit in Strassburg im Sommer 
1775, die schriftliche, da Lenz im Marz 1776 Strassburg ver- 
liess, nicht lange hernach erfolgt sein. 

Wir vermuten : Lenz, der denselben Stoff bereits benutzt 
hatte, überliess ihn Goethen, weil er ihn für wichtig und er- 
giebig genug hielt, dass auch dieser seine Kraft an ihm erprobe. 
Daher war das Tagebuch nicht zur Veröffentlichung, denn dies 
würde sich Lenz bei der unfertigen Gestalt desselben haben 
verbitten müssen, sondern als Substrat für eine eigene Arbeit 
bestimmt. Ihm genügte es, dem Freunde, dem «r so oft von 
dem Gegenstände geredet, die sämmtlichen Irrgänge jener Ange- 
legenheit in einem formlosen, aber nach seiner Ansicht die 
augenblicklichen Eindrücke wiederspiegelnden Entwürfe zu un- > 
terbreiten, in den sich Goethe leicht hineinleben sollte. Das 
Unfertige des Entwurfes sowie den diskreten Zweck desselben 
bezeichnet daher Lenz selbst am Schlüsse der Einleitung 
mit den Worlen : * Dies war nur Skelett, das dein eigenes 
Genie und Blick ins menschliche Her/ mit Fleisch bekleiden 
wird.» 

Aber wenn Ga*fhe den dargebotenen Stoff verschmähte, da 
ihm der Held desselben, der eine fingierte Liebe dem Glück 
eines Freundes zum Opfer bringt, lächerlich erscheinen musste, 
so hat er selbst nach dem Tode des Verfassers nicht wohl 
daran gethan, jenes ihm zu diskretem Gebrauch überlassene 
Schriftstück aus den Händen zu geben. Denn wenn er auch 
gegen seine eigene Vergangenheit sich oft unempfindlich zeigte, 
so konnte er «loch nicht wissen, ob Lenz und die übrigen 
im Tagebuch auftretenden Personen dieselbe Gesinnung geteilt 
haben würden. Lenz hatte Goethe diese Papiere anvertraut. 
Demnach musste letzterer das Tagebuch entweder Lenz zurück- 
geben oder aber unter Verschluss halten, nicht aber zu even- 
tueller Veröffentlichung an Schiller übersenden. 

Es war freilich die Zeit, in welcher Schiller Mühe und 
Not hatte, den Stoff für die «Hören» zusammenzubringen. Da- 




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— 75 



nials, den 17. Januar 1797 * schrieb er aus Jena an Garthe in 
Weimar. 

«Fällt Ihnen etwas von der Lenzischen Hinterlassenschaft in 
die Hände, so erinnern Sie sich meiner. Wir müssen alles, was wir 
finden, für die Hören zusammenraffen.» 

Garthe antwortete den 1. Februar:« 

«Sie erhalten anch endlich wieder einmal einen Beitrag von 
mir — Auch einige Lenziana liegen bei. Ob und wie etwas davon 
zu brauchen ist, werden Sie beurtheilen. Auf alle Fälle lassen Sie 
diese wunderlichen Hefte liegen, bis wir uns nochmals darüber be- 
sprochen haben.» 

Darauf erwiderte Schiller am 2 Februar : 3 

«Mit der gestrigen Sendung haben Sie mich recht erquickt, 
denn ich bin noch nie so in Not gewesen, die «Hören» flott zu 
erhalten, als jetzt. Die Lenziana, soweit ich bis jetzt hineingesehen, 
enthalten sehr tolles Zeug, aber die Wiedererscheinung dieser Em- 
pfindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherlich nicht ohne Interesse 
sein, besonders da der Tod und das unglückliche Leben des Ver- „ 
fassers allen Neid ausgelöscht hat, und diese Fragmente immer einen 
biographischen und pathologischen Werth haben müssen.» 

Wie weiterhin aus dem Briefwechsel 4 ersichtlich, verwirk- 
lichte Goethe den angekündigten Besuch bei Schiller am 12. 
Februar 1797. Sie haben sich damals unzweifelhaft schlüssig 
gemacht, welche Lenziana veröffentlicht werden, welche un- 
veröffentlicht bleiben sollten. «Den Waldbruder» brachten die 
Hören 1797, «die Liebe auf dem Lande» der Musenalmanach 
1798, das Tagebuch jedoch blieb liegen, wie Urlichs Seite 25T> 
meint : weil die Hören damals eingingen. Ich darf wohl diese 
Ansicht nach jener stattgefundenen Besprechung für willkürlich 
erklaren. Besser begründet ist die Annahme : weil Garthe und 
Schiller das Tagebuch nach Form und Inhalt als zur Veröffent- 
lichung ungeeignet erachteten. 

In der That ist »las Tagebuch, selbst wenn wir von seiner 
unreifen Form absehen, auch inhaltlich ein seltsames Mach- 
werk. Der Dichter ist wohl der Letzte, der ein Tagebuch mil 
geschichtlicher Treue zu führen vermag. Und nun gar ein Lenz, 

> Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, 4. Aufl. Stuttgart 1881 
Bd. I, nr. 267. 

* Ebenda«, nr. 2*73. » ur. 274. * nr. 279. 



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— 7(3 — 

in dessen übergeistiger und überreizter Einbildungskraft sicli 
augenblickliche Eindrücke leicht zur Karrikatur verzerrten, da 
ihnen ruhige Ueberlegung zur Verarbeitung mangelten. Sein 
neuester Herausgeber A. Sauer urteilt ganz treffend * : «Wenn 
Lenz Gefühle darstellt, die er selbst bereits überwunden, 
oder wenn er eines seiner flüchtig hingeworfenen Gedichte 
überarbeitet: dann gelingt ihm Vollendetes.» Dieses Urteil lüsst 
das in augenblicklicher Erregung hingeworfene Tagebuch als 
ein Werk von sehr zweifelhaftem Werte erscheinen. 

Ich lege hier kein Gewicht auf jene eingestreuten Excurse, 
die Urlichs 2 tadeln zu müssen glaubt, die mir aber den Beweis 
verstarken, dass jene Blätter niemals zur Veröffentlichung be- 
stimmt waren, ich spreche nur von der Charakteristik der Per- 
. sonen und dem Gang der Erlebnisse. 

Sich selbst hat Lenz wie im Waldbruder mit vernichten- 
der Offenheit als einen gutmütigen Narren hingestellt. Lenz 
kannte sich zu gut, um hier nicht nach dem Leben zu kopieren. 
Auch hier tritt wie in jenen Gedichten das Widerspiel egoisti- 
scher und selbstloser Tendenzen zu Tage. «Gott, der du meine 
Absichten siehest und dass ich sie nur glücklich will und dass 
für ihr Glück zu sterben mir der angenehmste Augenblick mei- 
nes Lebens sein würde, du musst mir zu Hülfe kommen». 5 
Die Lauterkeit dieses Stossgebetes wird durch die vorangegan- 
genen Liebesscenen mit Araminta cinigermassen getrübt, welche 
der dem abwesenden Freunde geschuldeten Treue nicht gerade 
entsprechen. 

Und doch muss man sagen, dass Lenz, von dem selbst 
ein unparteiischer Zeuge wie Klinger behauptet, * «er sei in 
ewiger Dämmerung» manche Errungenschaft seiner Liebe in 
sein Tagebuch verzeichnete da , wo er offenbar von Cleophes 
übersprudelnden Neckereien gründlich zum besten gehalten wor- 
den ist. Ein Beispiel 5 genüge für viele. 

Cleophe hatte ihn auf der Fahrt zur Weinlese zur Strafe 
für einen unpassenden Scherz in einem Knittelverse vor den 
Eltern und dem zukünftigen Schwager «einen Narren» genannt, 
ihm den Tressenhut des Schwagers aufgesetzt und strengstens 

1 Stürmer und Drünger II, S. VI. 

2 S. 259. 

3 Tagebuch S. 283. 

4 M. Rieger, Klinger S. 149. 
ä Tagebuch S. 218. 



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- 77 — 

anbefohlen, ihr nie wieder, ohne fer a cheval friesiert zu sein, 
unter die Augen zu treten. Schliesslich that es ihrem guten 
Herzen doch leid, mit dem Armen so verfahren zu sein. Aber 
neckisch wie immer, tritt sie in den Reben nahe an ihn heran 
und singt plötzlich mit der süssesten Naivetät ganz leise, ihn 
« göttlich anlächelnd, eine Arie aus dem letzten Konzert : Harre 
auf Gott — Gott mein Gott — wie ein Hirsch schreyet nach 
frischem Wasser, so schreyet meine Seele Gott zu dir. Was 
betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir? 
Harre auf Gott.» 

Und Freund Lenz ? Anstatt diese Anhimmelung als das anzu- 
sehen, als was sie uns noch nach 100 Jahren erscheint, nämlich 
als einen Erguss toller Mädchenlaune, nimmt dieselbe für ein 
unzweideutiges Zeichen aufrichtigster Zuneigung, das ihm noch 
bei späterer Erinnerung an das Erlebnis die Rührung abnötigt : 
<0 Goethe, hier lass mich die Feder weglegen und weinen! » 

Ein Autor, der so, wie hier Lenz, die innerste Gesinnung 
der Menschen verkannte, kann auch in der Charakteristik der- 
selben, vor allem in der Erzählung angeblicher Liebeserfolg** 
nur geringen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. In der 
That widerspricht der Charakter der Heldin in Lenzens Tage- 
buch so sehr der geschichtlichen Ueberlieferung , wie dieselbe 
in der Familie noch heute erhalten ist, dass wir die Lenz'sche 
Darstellung mit Erich Schmidt, welcher von einer «romanhaften 
Beichte» redet, für dichterisch gefärbt erklären müssen. 

Zunächst bemerken wir, dass der gesellschaftliche Verkehr 
in jener Zeit ein viel freierer war als heutzutage, wodurch man- 
ches Vorurteil von selbst verschwindet. Ihrer Reize bewusst 
war Cleophe ohne Zweifel, was bei ihrer grossen Schönheit und 
den glücklichen Verhältnissen, in denen sie erzogen, nicht zu 
verwundern ist. «Je me porte bien», pflegte sie noch in spä- 
teren Jahren mit graziöser Verbeugung zu antworten, wenn 
Jemand sie nach ihrem Alter fragte. Ihre Schwester Katharina, 
welche das Herz des «guten» 1 Ott verschmähte, wird von Lenz 
in der «Katharina von Siena» als die von Genüssen ersättigte 
Tochter des Glücks hingestellt. 

Das Selbstgefühl der beiden Schwestern wurde durch den 
Reichtum und das Ansehen der Familie genährt. Juwelier Fi- 

1 A. Stcßber, Der Dichter Lenz S. 54. 56; Der Aktuar Salzmann S. 9t. 
Uliichs Tagebuch S. 290. 



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- 78 - 



hich lieferte Pretiosen an die deutschen Prinzen und Adligen des 
Oberrheins. Er war Mitglied des Rates ; seinen Namen finde 
ich fast in jedem Bande der Kontraktstube jener Zeit bei Obli- 
gationen und Käufen von grossem Werte. Kein Wunder, wenn 
Katharina an Huldigungen ersältigt wurde, wenn sich Cleophe 
auf einen adligen Bräutigam Hoffnung gemacht hatte. Ein an- 
deres Urteil darf aber nach den übereinstimmenden Angaben 
ihrer Familie, welche mir ganz unbefangen, ohne Ahnung von 
der Existenz des Tagebuches und den Beziehungen ihrer Gross- 
tante zu dem Dichter Lenz, ihre Mitteilungen machte, gewiss 
nicht über sie gefällt werden. Im Gegenteil wird ihr Andenken 
von ihren Verwandten als dasjenige einer Dame von vortreff- 
lichster Gesinnung sehr hoch gehalten. 

Auch Lenz nennt sie in dem Gedicht «An Seraphine» 
selbst da, wo er sich beleidigt glaubt, «die Gerechtigkeit und 
Güte selbst». Dass sie Herz und Verstand auf dem rechten 
Fleck besass, beweist der Stammbucheintrag. Gleophe verbittet 
sich die Bewerbung des Dichters, erinnert ihn daran, dass er 
dem abwesenden Freunde die Treue schlecht lohne, und erklärt 
mit jungfräulichem Stolze, dass sie ihren» Freunde die Treue 
unerschütterlich bewahren werde. Gern erfüllt sie des Dichters 
Wunsch, das neue Stammbuch durch ihre Handschrift einzu- 
weihen. Da sie aber Freund Lenz kennt, vermeidet sie es, sich 
mit ihrem Namen zu unterzeichnen ; denn wer stand ihr dafür, 
wohin einst das Album bei dem unsteten Wandel des Dichters 
gelangen würde. 

Dieses Benehmen zeigt den sichern Takt eines Mädchens, 
welches trotz aller Ausgelassenheit doch Besonnenheit genug 
Inhalt, die Folgen ihrer Handlungsweise im voraus zu be- 
rechnen. Dass Gleophe richtig vorausgesehen, hat die Zukunft 
bewiesen. Das Stammbuch Lenzens mit 21 ausgerissenen Blättern 
und nur 4 Eintragungen ist ein Sinnbild des zerrissenen Dieh- 
lerlebens. Die Braut des Barons v. Kleist halte daher sehr 
wohlgethan, ihren Namenszug nicht dem blinden Ungefähr 
anzuvertrauen. 

Cleophes Charakter gewinnt in unsern Augen noch mehr, 
wenn wir ihre späteren Lebensschicksale erfahren. Sie hält dem 
Verlobten die Treue, selbst als dieser sie gebrochen hat. In 
der Revolutionszeit erfolgte der Zusammenbruch des Fibich'schen 
Geschäftes, der noch heute in der Familie unvergessen ist. 
Juwelen, so heisst es, waren deutschen Prinzen geborgt und 



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— 79 — 



nicht bezahlt worden ; wie viele Kapitalien mögen damals beim 
Ausbruch des Revolutionskrieges für Strassburg verloren ge- 
gangen sein ! Nach dem Sturz des Geschäftes zog der alte Fibich 
mit Cleophe in das Häuschen an den Gedeckten Brücken, wo 
er am 28. Sept. 1795 in der Pflege der Tochter starb. Cleophe 
besorgte ihr kleines Anwesen, Haus und Gärtchen, ohne Magd. 
Kam fremder Besuch des Morgens zu ihr, so pflegte sie zu 
sajjen : die Dame sei nicht zu Hause, man möchte nachmittags 
wieder kommen. 

Eine interessante Geschichte ihrer Erlebnisse während der 
Schreckenszeit ist uns leider nur in den Hauptzügen erhalten. 
Ihr Bruder, Maler Johann Philipp, hatte sich zwar mit voller 
Begeisterung der Revolution in die Arme geworfen, aber infolge 
des Einflusses, den Cleophe auf Eulogius Schneider zu gewinnen 
wusste, manches Opfer, besonders Geistliche, dem Verhängnis 
entrissen. Von diesen ist besonders Pfarrer Küss an Alt St. Peter 
zu nennen, der stets erklärte, dem Bruder der Cleophe sein 
Leben zu verdanken. 

Cleophes Bruder wurde später seihst auf Befehl der Kon- 
ventskommissare verhaftet und mit tausend andern Opfern nur 
durch den Sturz Robespierres vom Schafott errettet. Am 10. 
Dez. 1804 starb er in verhältnismässig frühem Alter, mit 
Hinterlassung eines einjährigen Töchterleins, das er der be- 
sonderen Pflege seiner heissgeliebten Schwester empfahl. In 
einem geheimen Schubfache fand sich nebst anderen kleinen 
Reliquien, z. B. Haaren der Cleophe, ein Recept, auf dessen 
Rückseite der Sterbende mit Bleistift die erschütternden Worte 
gekritzelt hatte: « Liebes Clevel ich hätte es nicht nöth ig gehabt 
Dir dessen gutes Herz ich kenne zu bitten mein armes tröpflein 
nicht zu verlassen dass bitt dich dein sterbender hruder Fibich.» 

Cleophe hat den Wunsch des Sterbenden getreulich erfüllt. 
Von ihr wurde die Nichte erzogen, welche im Jahre 1873 ge- 
storben ist. Wäre sie noch am Leben, so hätten wir aus ihrem 
Munde die ergiebigsten Mitteilungen über die Vergangenheit zu 
erwarten, deren Kunde ich nur noch in spärlichen Resten zu 
sammeln vermochte. 

In den Armen dieser Pflegetochter starb Cleophe am Weih- 
nachtsabend 1820. Schon am 20. Dez. hatte sie ein Rrustfleber 
liefallen, als sie, vom Schnee durchnässt, nach Hause kam. 
« Meine Mutter war klein und schwach, erzählte mir die Gross- 
nichte Cleophes, und die Tante sehr gross und stark. In der 



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— 80 — 



Hitze des Fiebers wollte oie immer fort ; es waren für meine 
Mutter schreckliche Tage uml doch ihr Tod das Ende ihres 
Glücks. » 

Soweit die geschichtlich beglaubigten Nachrichten von dem 
späteren Leben Cleophes, welche alle von der Vortrefflichkeit 
ihres Charakters Zeugnis ablegen. Was wollen auch die wirren 
Mitteilungen des Tagebuchs gegenüber dem eigenen Bekennt- 
nisse des Dichters bedeuten. Es war im Winter 1775, als Lenz 
bei Frl. König geistreiche Briefe der Fraulein Henriette Waldner 
von Freundstein erhaschte, die in ihm eine neue Schwärmerei 
entzündeten. Damals den 28. Okt. 1775 schrieb er die Verse: 

Die Todeswunde tief in meiner Brust, 
Um euch nicht zu betrüben. 
Ihr Freunde, die mich lieben, 
Steh' ich und lache Lust. 

Stille Freuden meiner Jugend 
Ach, wo seid ihr hin? 
Seit ich nicht mehr in die Tugend, 
Nein, in mehr verzaubert bin! 

Diese bereits oben citierten Verse seh) i essen die Araminla- 
Liebe des Dichters versöhnend ab. 

Als unparteiischen Zeugen für Cleophes trefflichen Charak- 
ter können und müssen wir schliesslich Goethe selbst herbei- 
rufen. Schon oben stellten wir die wohlgegründete Behauptung 
auf, dass Goethe die Jugendfreundin seiner Friederike person- 
lich gekannt habe. Dass er sein Urteil über Cleophe nicht auf 
das Tagebuch, sondern auf eigene Anschauung gegründet habe, 
beweist vor allem seine Beteuerung : Lenz und die übrigen Be- 
werber hätten ihr nur zu Scherz und Unterhaltung gedient. 
Diesen Schluss kann Goethe nicht aus dem Tagebuch gewonnen 
haben, in welchem Cleophes Benehmen gegenüber ihrem zu- 
künftigen Schwager von dem eifersüchtigen Lenz in zweideu- 
tigem Lichte dargestellt wird, sondern nur aus eigener Wahr- 
nehmung bei Gelegenheit seiner Slrassburger Besuche im Sommer 
1775, bei welchen er, von Lenz in das Fibich'sche Haus ein- 
geführt, sich von der Lage der Dinge unparteiisch überzeugen 
und das «kostbare Herz» der neckischen Cleophe schätzen 
lernen konnte. 



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3. Die Soldaten, eine Komödie 1776. 

Die Zukunft Cleophe Fibiehs beschäftigte den Dichter noch 
die ganze übrige Zeit seines Strassburger Aufenthaltes, wenn 
sich auch seine Herzensneigung Fräulein Henriette Waldner 
von Freundslein zuwandte. 

Als Frucht jener Sorge müssen seine «Soldaten» angesehen 
werden, die Lenz im Sommer 1775 vollendet zum Druck an 
Herder sandte. In ihnen wandte sich Lenz, wie denn die 
Dramen der Sturm- und Drangperiode mehr politische Pamphlete 
als dramatische Muster sein sollen, erbittert über das Benehmen 
des Herrn v. Kleist, gegen den ganzen privilegierten Stand der 
Soldaten, als den geborenen Feind bürgerlicher Tugend und 
Wohlfahrt. Aus diesem Grunde wäre es falsch, wollte man in 
den» Gang des Lenz'sehen Dramas den Verlauf der Kleist- 
FibichVhen Angelegenheit erblicken. Lenz gesteht selbst in 
seinen Briefen an Herder, 1 dass er nur einige Details der 
Wirklichkeit entlehnt, das Uebrige, mit andern Worten, den 
tragischen Ausgang, «zusammengelogen» habe. Aber selbst 
wegen der Benutzung jener wenigen Details hatte Lenz gegrün- 
dete Angst, er möchte durch voreilige Verollen tl ich ung des 
Stückes das Lebensglück Cleophes, das damals noch gesichert 
schien, mutwillig zerstören. 

Wenn man etwas zur Entschuldigung des Dichters anführen 
will, so ist es der Umstand, dass derselbe mit einer unverant- 
wortlichen Anspielung an familiäre und lokale Strassburger 
Ereignisse nicht allein stand. 

Wie die Lyrik jener Periode echte Gelegenheitslyrik war, 
so ging auch das Drama, wie wir sahen, in einer bis jetzt 
kaum geahnten Weise von thatsächliehen Erlebnissen aus. Die 
Lehre Gerthes : «Greift nur hinein ins volle Menschenleben und 
wo ihr's packt, «la ist es interessant, ») wurde schon damals nur 
zu wörtlich befolgt. 

Ich bin hier genötigt, ein anderes Strassburger Drama des 
Jahres 1770, Wagners «Kindsmörderin», zum Vergleich heranzu- 
ziehen, welches bekanntlich an Lenzens Soldaten anklingt* und 
sich noch weniger als jenes scheut, eine ehrenhafte Strassburger 
Bürgersfamilie auf der Bühne bioszustellen. 

1 Aus Herders Nachlass I, S. 239. 

2 Vgl. Erich Schmidt, Heinr. Leop. Wagner. 1879 S. 87 ff. 

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— 82 — 

Da die Einzelheiten dieses Dramas noch von keinem Histo- 
riker urkundlich festgestellt sind, habe ich mich dieser Mühe 
unterzogen und füge die Ergebnisse meiner Forschungen hier 
vergleichsweise bei : 

Die Kindsmörderin spielt in der Nikolaus-Pfarrei. «Bist du 
nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgässel, » 
fragt Metzgermeister Humbrecht einen der Fausthämmer (Akt V) 
und bezeichnet damit jenes Gasschen am Nikolausstaden Nr. 5, 
welches noch heute den von dem anstossenden adligen Hof 
der Familie Bock von Bläsheim herrührenden Namen trägt. 1 

« Ich frage dich, ob du der nämliche bist, der vergangenes 
Frühjahr ein armes Kind von fünf Jahren vor Bäcker Michels 
Thür unter der grossen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat?» 
fährt der erzürnte Meister fort. Nach dem Kontraktbuch des 
Strassburger Stadtarchivs a. 1771 fol. 76b «verkaufte Jakob 
Michel, der Burger und Weissbeck, an Georg Ludwig Schlag 
den Jüngern, Vöchhändler und Burger, seine zu Strassburg unter 
der Grossen Gewerbslaub bestehende Behaussung. » 

Gröningseck ist « Baieroffizier » von dem damals in Strass- 
burg garnisonierenden Fremdregimente Uoyal Baviere. 2 Sehn- 
süchtig wird er am Abend von Evchen erwartet (Akt IV), «die 
Thore sind längst zu » bemerkt sie traurig. « Wer weiss, tröstet 
die Mutter, kommt er nicht zum Judenthor herein? Es hat ja 
noch nicht eilf geschlagen ! » Nach dem Tagebuch des Erbprinzen 
Karl August zu Sachsen-Meiningen wurden die Thore Strassburgs 
im Sommer um 40 Uhr geschlossen, nur das nach dem Contades, 
einer öffentlichen Promenade, gelegene Judenthor blieb der 
Spaziergänger wegen bis 11 Uhr offen. 

Major Lindsthal erzählt (Akt III) eine aus dem lieben ge- 
griffene Episode, welche sich auf dem noch heute bekannten 
Cafe Spiegel ereignet hatte : Ein ehrlicher Schwyzer Lieutenant 
Wallroth von Salis hat einen andern Offizier vom Regiment 
Lyonnais über falschem Spiel ertappt. Schon wollen die Strei- 
tenden die Degen ziehen, als sie «vom Osterried und seinen 

1 E. Müller. Le Magistrat de la ville de Strasbourg p. 1 21 : • Der adeliche 
Bockische Hof, quai St-Nicolas, 3 [heutige 6], vendu en 1(585 ü Dagobert 
Wurmser de Vendenheim. • Heute gehört der stattliche Hof der Spitalverwal- 
tung. Das anstossende Bocksgässchen, -Ruedu Bcuc» (sie) ist heute vergittert. 

* Vgl. die Stelle in Lenzens Brief an Solzmonn vom 23. Okt. ITTG: «Ist 
eine gewisse Excellenz von Vietinghof durch Strassburg gegangen? Er ist 
ein Vetter von General bei Baviere (s. A. Stceber, Der Dichter Lenz S. 84). 



< * 1 



— 83 — 

Markörs» daran gehindert werden. Hier macht der Herausgeber 
A. Sauer S. 316 die gelehrte Anmerkung «Osterried, gebildet 
nach ital. ostiere Wirth, osteria Wirthshaus.» Dagegen bemerke 
ich : Osterried ist ein in vielen Pfarreien des vorigen Jahr- 
hunderts vorkommender Strassburger Familienname. Diesen 
Osterried finde ich in dem Kopulationsregister von St. Nikolaus 
1768 Bd. 55 fol. 77: 

« Ein Tausend Siebenhundert, acht und Sechzig Mittwoch den 
ersten Brachmonath sind nach ordentlich geschehenen Ausrufungen 
in der Kirch zu St. Nicolai ehelich eingesegnet worden H. Johann 
Osterried, der ledige Caffesieder und Burger allhier, weyl. H. Johann 
Daniel Osterried gewesten Caffeesieders und Burgers allhier, mit 
dessen hinterlassener Wittib Frau Elisabetha, geborner Gaccon, nun- 
raehro H. Philipp Jacob Dürr, des Caffesieders und Burgers allhier, 
Ehefrau, ehelich erzeugter Sohn und Jungfer Catharina Friederica, 
H. Johann Jacob Vogt, des Lang Messerschmidts und Burgers allhier. 
mit dessen Ehefrauen Catharina Margaretha geborner Hattin ehelich 
erzeugte Tochter » 

Noch heute kennt jedes Strassburger Kind jene an der III 
{Telegenen Türme, die unter dem Namen der anstossenden Ponts 
Couverts damals als Militärgefängnis dienten und auch jenen 
falschen Spieler aufnahmen. 

Der Wasserzoll und die Metzgerau, das (Wilhelmer) Klo- 
ster und die Klauskirche, das Hotel zum Raben, die Metzig und 
das Raspelhaus, die Waschbritschen auf der III und die Lange 
Strasse sind bekannte Strassburger Oertlichkeiten. 

Was wird man aber dazu sagen, wenn ich auch Metzger- 
meister Humbrecht unter der französischen Endung Humbert 
und verändertem Vornamen aus eben jenen Registern der Ni- 
kolauspfarrei beschwöre! 

Kopulationsbuch von St. Nicolaus 1746 Bd. 54 fol. 76'': Mitt- 
woch 2 Marth" wurden in den Stand der h. Ehe nach zweimahl vor- 
herbeschehener Proclamation eingesegnet: 

Valentin Humbert der ledige Metzger und Burger allhier Johann 
Georg Humbert des Hufschmids und Burgers zu Hatten hochfürstl. 
Hessen-Hanauischer Herschaft ehel. Sohn, und 

Jgfr. Maria Elisabetha weyl. H. Johann Friedrich Pfeffinger 
gewessten Metzgers und Burgers allhier, hinterlassene ehel. Tochter. 

Meister Humbert starb am 1. Prairial XI (21. mai 1803) * 
im Alter von 83 Jahren 7 Monaten. Da er mithin 1719 geboren 

l Sterberegister Bd. 282 fol. 172. 



i 



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1 



— 84 - 

i 

st, trifft es genau mit der Entstehungszeit des Dramas, anfangs 
der siobenziger Jahre, zusammen, wenn er in demselben (Akt 
II) sich rühmt. «Ich bin 50 Jahr mit Ehren alt geworden, hab' 
keinen Hall gesehen und leb' doch noch.» 

Nach diesen Uebereinstimmungen ist keinen Augenblick 
daran zu zweifeln, dass Wagner den lebenden Metzgermeister 
in seinem Drama copiert hat. Wie hätte auch sonst der in der 
Charakteristik der übrigen Hauptpersonen durchaus nicht tadel- 
freie Autor eine so lebenswahre, köstliche Figur schaffen können, 
welche noch dadurch unser besonderes Interesse erweckt, da 
sie manche Zöge zum Musikus Miller in Schillert Kabale und 
Liebe geliefert hat. 1 

Da somit alle übrigen Details des Wagner'schen Stückes in 
Strassburg nachweisbar sind und Metzgermeister Humbrecht 
wirklich gelebt hatte, so konnte ich nicht anders denken, als 
dass Evchen Humbrecht wirklich das Prototyp zu Gretchen im 
Faust, wirklich jene von Wagner dramatisierte Kindsmörderin 
gewesen sei. Wie hätte es sonst Wagner wagen können, eine 
unbescholtene Strassburger Bürgersfamilie ins Gerede der Leute 
zu biingen. Allein wie erstaunte ich, als ich der Reihe nach die 
(reburts- und Sterbeakten der Kinder des Metzgers Valentin Hum- 
brecht auffand, ohne meine Vermutung bewahrheitet zu sehen. 

Ausser einem gleichnamigen Sohne, der den 7. Jan. 1752 
geboren ward 3 und 4785 heiratete, 3 hatte Metzger Humbrecht 
zwei Töchter, von denen die jüngere, Maria Magdalena, geb. 27. 
Juli 1748* bereits am 6. März 1751 starb, 5 die ältere Susanna 
Dorothea, geb. d. 14. Nov. 1746« als Wittwe des Eigentümers 
Georg Friedrich Gerold d. 8. Sept. 1818 7 das Zeitliche segnete. 
Da andere Kinder des Metzgers Humbrecht in sammtlichen 
Pfarreibüchern Strassburgs nicht vorkommen — übrigens ist 
auch die Mutter erst am 15. Okt. 1785« gestorben — so ist das 
Verbrechen in jene Familie hineingedichtet. 

Wagner hat sich also nicht gescheut, eine wackere Strass- 
burger Bürgersfamilie auf der Bühne zu prostituieren. Auch scheint 

» Vgl. Erich Schmidt, H. Leop. Wagner 1879 S. 86. 
* Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 404b. 
a Kopulationsregister von St. Nicolaus Bd. 56 fol. 1 1 8 b. 

4 Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 243. 

5 Sterberegister von St. Nicolaus B"?. 97 fol. 22 b. 

6 Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 160. 
1 Sterberegister a. 1818 fol. 334 a. 

8 Sterberegister von St. Nicolaus Bd. 101 fol. 1 1 3b. 



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— 85 — 

ihm nach dem Wortlaut des Protokolls der Deutschen Gesell- 
schaft vom 18. Juli 1776 «Hr. Wagner las mit vielem Beifall 
ein Trauerspiel in 5 Aufzügen, die Kindesmörderin,» niemand 
seiner Freunde Vorhaltungen deshalb gemacht zu haben. 

Wie Wagner mit der Familie Humbrechl, so verfuhr Lenz 
gleich rücksichtslos in den «Soldaten» mit der Familie Fibich. 
Was anders berechtigte Lenz eine solche Katastrophe der 
Marie Wesener (Gleophe Fibich), zu ersinnen als seine dich- 
terische Phantasie. Dass Baron v. Kleist sein Eheversprechen 
nicht erfüllte, war schlimm genug, aber kein Vorwurf für die 
Familie Fibich. 

Lenz und Wagner sahen übrigens selbst ein, dass sie mit 
der Anspielung an persönliche Verhältnisse das erlaubte Mass 
überschritten hatten und verliessen deshalb Strassburg so bald 
als möglich. Am 1. April 1776, noch bevor die «Soldaten» ge- 
druckt waren, traf Lenz in Weimar ein und vermied es auch 
später, Strassburg zu berühren; Wagner, der am 28. Aug. 1776 
in Strassburg promovierte, legte bereits am 21. Sept. zu Frank- 
furt den Advokateneid ab und verheiratete sich ebendaselbst am 
7. Okt. 1776. i So haben sich beide Dichter den ihnen in 
Strassburg drohenden Unannehmlichkeiten rechtzeitig entzogen. 

Aber wenn schon Lenz in seinen Briefen an Herder <ie- 
, wissensbisse darüber bezeigte, die Rücksicht auf die ihm so 
befreundete Familie Fibich verletzt zu haben, so ist es doch 
noch viel schlimmer, dass der sonst so bedächtige Aktuarius 
Salzmann, der ebenfalls mit Fibichs bekannt war, 2 in seinem 
Eifer für pädagogische Reform in der so gelesenen Wochenschrift 
«der Bürgerfreund» unter der bezeichnenden Ueberschrift * Frag- 
mente zur Strassburger Kinderzucht» den Strassburger Spiess- 
bürgern einen zusammenhängenden Auszug aus den eben er- 
schienenen «Soldaten» auftischte 3 und den Abdruck so zerlegte, 
dass jene gewiss stadtbekannte «Promesse de mariage» S. 576 
jedem Leser unmittelbar vors Auge gerückt wurde. 

Die Ueberlieferung sagt uns nicht, ob Salzmann wegen 
dieser Veröffentlichung Unannehmlichkeiten hatte. Verdient hätte 
er sie ebenso gut wie Lenz, und wenn es nicht geschah, so hatte er 
diese Unterlassung seinem Alter und seinem Ansehen zu danken. 

1 Erich Schmidt, Heinr. Leop. Wagner 1819 S. 20 ff. 

2 s. Tagebuch S. 276. 

3 1776, S. 569-576, 585-593. 



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— 80 — 

Wir begnügen uns durch unsere Forschungen festgestellt 
•zu haben, dass weder in der Familie Humbrecht noch in der 
Familie Fibich irgend eine Thatsache vorgekommen sein kann, 
die jene Katastrophe der Eva Humbrecht oder der Cleophe 
Fibich (Marie Wesener) begründen könnte. Ohne Zweifel liegt 
hier, wie schon Erich Schmidt vermutet hat, 1 ein zweites, 
bisher nicht festgestelltes Ereignis zu Grunde, das damals in 
Strassburg allgemeine Teilnahme erregte und Goethes Gretchen- 
tragödie, Wagners Kindsmörderin, Lenzens Soldaten und Zer- 
bin beeinflusste. Dies zu entdecken, ist nicht unmöglich, aber 
da die Strassburger Tribunalakten jener Zeit im Bombardement 
von 4870 zu Grunde gegangen sind, eine sehr umständliche 
Untersuchung, welche den Rahmen dieser Arbeit weit uber- 
schreiten würde. 

i 

Der nächste Zweck dieser geschichtlichen Forschung 
bestand darin, eine der Lenz'schen Musen, Cleophe Fibich, 
welche der Dichter unter dem Namen Araminta verherrlichte, 
der Vergessenheit zu entreissen. Wenige Jahre vielleicht, und 
selbst ein schärferes und glücklicheres Auge würde vergeblich 
nach ihr gespäht haben, die nun für alle Zeiten in der Litera- 
turgeschichte des deutschen Volkes leibt und lebt. 

W r ie aber jede selbständige Einzelforschung auch allgemeinen 
Werterhält, so war mit dieser Wiedererweckung auch eine Unter- 
suchung und Kritik des Guethe'schen Urteils über Lenz verbunden. 

Goethes Urtheil lautet : « 

* Lenz hatte einen entschiedenen Hang zur Intrigue, uud zwar 
zur Intrigue an sich, ohne dass er eigentliche Zwecke, verständige, 
selbstische, erreichbare Zwecke dabei gehabt hätte; vielmehr pflegte 
er sich immer etwas Fratzenhaftes vorzusetzen, und eben deswegen 
diente es ihm beständig zur Unterhaltung. Auf diese Weise war er 
zeitlebens ein Schelm in der Einbildung, seine Liebe wie sein Hass 
waren imaginär, mit seinen Vorstellungen und Gefühlen verfuhr er 
willkührlich, damit er immerfort etwas zu thun haben möchte. Durch 
die verkehrtesten Mittel suchte er seinen Neigungen und Abneigungen 
Realität zu geben und vernichtete sein Werk immer selbst ; und so 
hat er niemandem, den er liebte, jemals genützt, Niemandem, den 
er hasste, jemals geschadet, und im Ganzen schien er nur zu sün- 
digen, um sich zu strafen, nur zu intriguiren. um eine neue Fabel 
auf eine alte pfropfen zu können. > 



1 Lenz und Klinger S. 41 . 

* Dichtung und Wahrheit III, t S. 144. 




— 87 — 

Lavater urteilt etwas anders über Lenz. Am 7. Okt. 1775, nach- 
dem kurz zuvor Garthe bei ihm eingesprochen und möglicher Weise 
sein Urteil beeinflusst hatte, schreibt er an Roederer über ihn.» 

« Ich kannte seinen Geist der Intrigae und seine Zerstörungskraft 
nicht Ich sagte immer nur von ihm: «Er verspritzt fast vor Genie.» 

Lavater ist also von Hause aus gesonnen, Lenzens Neigung 
zur Intrigue nicht als einen Ausfluss bösen Willens, sondern als 
ein Spiel seines überreichen und überreizten Geistes anzusehen. 

Wir schliessen uns diesem Urteil Lavaters, der Lenz aus 
persönlichem Umgang mindestens ebenso gut wie Goethe kannte, 
gerne an. Goethes Urleil dagegen wird Lenz nicht ganz 
gerecht, denn einmal rechnet er ihn nicht zu den c redlichen» 
Seelen, andererseits spricht er seiner Neigung zur Intrigue, die 
er selbst zweck- und selbstlos nennt, jeden bösartigen Cha- 
rakter ab. 

Aus diesen Gründen werden die von Goethe aufgestellten 
«Prämissen» * von einem künftigen Biographen des Dichters 
Lenz nur mit Vorsicht zu benutzen sein. Ueberdies hat Goethe 
in seiner Charakteristik viel zu sehr auf das Persönliche, anstatt 
auf die Bedeutung Lenzens im Drama und besonders in der 
Lyrik Gewicht gelegt. Lenzens Verdienste gerecht zu würdigen, 
wird allerdings nur nach einer Herausgabe des gesammten 
handschriftlichen Materials möglich sein. Allein auch ohne 
dieses dürfen wir heute schon die allgemeine Behauptung aus- 
sprechen : 

Wer wie Goethe den Grundcharakter jener für Deutschlands 
geistige Entwickelung so bedeutenden Sturm- und Drangperiode 
nebensächlich dahin charakterisiert : 3 

«Man kennt jene Selbstquälerei, welche, da man von aussen 
und von anderen keine Not hatte, an der Tagesordnung war 
und gerade die vorzüglichsten Geister beunruhigte,» 

der beweist, dass er, auf der Hohe künstlerischer Vollen- 
dung angelangt, das richtige Verständnis einer entschwundenen 
Zeit gewaltiger geistiger und socialer Gährung, obwohl er einst 
von ihr selbst ergriffen war, längst — überwunden hatte. 

1 A. Stecher, J. G. Roederer u. seine Freunde S. 86. 

4 Dichtung und Wahrheit III, 14 S. 146: •Vielleicht wird es dereinst 
möglich, nach diesen Prämissen seinen Lehensgang bis zu der Zeit, da er sich 
in Wahnsinn verlor, auf irgend eine Weise anschaulich zu machen.» 

3 Ebendas. III, 14 S. 143. 



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t»"vt' 




ANHANG. 



Das echte Goethe-Haus am Alten Fischmarkt Nr. 36 

in Strasburg. 1 

Zu französischer Zeit besass Strassburg kein Denkmal der 
Erinnerung an den Allmeister deutscher Dichtkunst. Erst mit 
Wiedergewinnung des Reichslandes bildete sich ein Comite zur 
Errichtung einer Gedenktafel. Am 6. Aug. 1871 war der hun- 
dertjährige Gedenktag der Promotion Goethes in Strassburg. 
Arn 9. August wurde deshalb eine Goethe-Feier veranstaltet, 
bei welcher der ehrwürdige Archivar Ludwig Spach die be- 
geisterte -Festrede hielt. Anknüpfend an die Gründung einer 
neuen Universitätsbibliothek, sagte der Redner: «Indem wir 
die Inauguration der neuen Schöpfung mit Goethes Andenken 
verbinden und an der Wohnung, die er auf dem Fischmarkt 
ihne hatte, eine Gedenktafel stiften, errichten wir ihm ein 
Monument, dessen er in der Fülle seiner Glorie, im hohen 
Ghore der Ruhmesbasilika, wohl entbehren kann, das aber als 
Abschlagszahlung unserer Schuldverschreibung gelten mag. » 

Am 43. Aug. darauf lesen wir in der Slrassburger Zeitung: 
Aus Anlass der Goethe-Feier am 9. August ist an dem Hause 
Nr. 46 an dem Alten Fischmai kt zur Erinnerung an einen 
bedeutungsvollen Lebensabschnitt des grossen deutschen Dich- 
ters eine Marmortafel angebracht worden mit der Inschrift: 
Hier wohnte Goethe 4770—1774. 

Schon längst waren in mir Zweifel entstanden, ob Goethe 
in dem angegebenen Hause gewohnt haben konnte, besonders 
da der Eigentümer keine auf die Echtheit bezüglichen Doku- 
mente aufzuweisen bat und auch keines der noch heute leben- 
den Comitemilglieder die Gründe zu nennen vermag, die gerade 
für jenes Haus entschieden hal>en. 

1 Dasselbe wird demnächst auf meine Veranlassung mit einem Medaillon 
Goethes und einer Inschrift gekennzeichnet werden. 



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— 89 — 

Ohne Zweifel hat man sich damals durch die Angabe bei 
Piton, Strasbourg illustre I Seite 141 leiten lassen : GuHhe lo- 
geait dans la maison du boulanger, nie du Vieux-Marche-aux- 
Poissons, \is-ä-vis du cafe de la Mauresse, ohne zu bedenken, 
dass Piton, der von Haus aus kein kritisch geschulter Forscher, 
sondern nur ein fleissiger Dilettant war, in solchen Dingen 
nur mit Vorsicht zu gebrauchen ist. 

Jene heutige Nr. IG ist nach der amtlichen, bei Levrault 
1858 erschienenen Vergleichungstabelle der Mairie 1 die alte 
Nr. 84. In diesem Hause war während dieses Jahrhunderls 
nach Ausweis des Katasters stets eine Bäckerei. Auch in dem 
ältesten Grundbuche des Katasteramtes, demjenigen von 1791, 
wird als Eigentümer desselben « Philipp Heumann boulanger » 
aufgeführt. Gehen wir weiter rückwärts, so waren nach dem 
Zinsbuch y des Stadtarchivs Bd. II fol. 48!) b Besitzer desselben 2 
zwischen 1740 und 1700 der Reihe nach: Georg Kilian, Job. 
Michael Stahl, David Kilian und jener eben genannte Bäcker 
Johann Philipp Heumann. 

David Kilian, der Weissbeck, kaufte das Haus laut Kontrakt- 
buch fol. 288a im Jahre 1760, bei welcher Gelegenheit eine 
auch im Zinsbuch angeführte Allmendabgabe von 5 Schilling 
für den Brodladen erwähnt wird. Wir haben es also hier mit 
einem alten Bäckerhause zu thun und würde Goethe bei Bäcker 
Kilian oder Heumann gewohnt haben müssen, hätte er wirk- 
lich 1770—1771 in dem heutigen Hause Nr. 10 sein Logis 
gehabt. Dagegen hat er sich eigenhändig in das im Thomas- 
archiv autbewahrte Universitätsregister eingetragen : 

« Joannes Wolfgang Goethe Moeno— Francofurtensis. Logiere bey 
Herrn Schlag auf dem Fischmarkt, d. 19. Aprilis. » 

Ausser Pitons Angabe giebt es nun in der Literatur noch 
eine zweite über Goethes Wohnung, welche, wie ich sehe, in 
v. Loepers Anmerkungen zu Dichtung und Wahrheit s sowie in 

1 Tableau concernant l'Etat ancien des Inscriptions des rues et du Num£- 
rotage des Maisons, publik d apres les documents fouruis par l'Administration 
municipale. Strasbourg 1 858. 

2 Zur Kontrolle bemerke ich, dass das Zinsbuch c des Stadtarchivs die 
im Zinsbuch y angegebene Hausnummer 220 in 84 umsetzt. Diese Nr. 84 
ist dann in jener 1858 erschienenen Tabelle in Nr. 16 verwandelt. Diese 
Bemerkung bezieht sich auch aaf alle späteren Citate des Zinsbuches y. Wir 
haben demnach in Strassburg seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis heute 
3 verschiedene Numerierungen der Häuser zu verzeichnen. 

3 Anmerk. 322. 



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I 



- 90 - 

des Engländers Lewes Goethebiographie 1 übergegangen ist. Aug. 
Stocher nämlich sagt in seiner Schrift über den Aktuar Salz- 
mann 1855 S. 20: «Goethe wohnte auf dem Alten Fischmarkt 
Nr. 80.» Diese Nummer bestand schon im vorigen Jahrhundert 
nach Ausweis des Grundbuches von 1791 aus 2 Häusern, der 
heutigen Nr. 26 und Nr. 24. * Ich habe die mir gütigst von 
den Eigentümern zur Einsicht gestatteten alten Kaufbriefe dieser 
beiden Häuser geprüft, fand aber, dass Haus 26 am 28. Juli 
1742 von Gambs an Recop und Haus 24 am 2. Okt. 1749* 
von Mosseder an Recop verkauft worden ist, welcher Kaufmann 
Recop auch noch im Kataster von 1791 als Besitzer beider 
Häuser erscheint. Von einem Schlag war auch hier keine Spur 
zu finden. 

Dagegen fand ich den Namen Johann Ludwig Schlag in 
jenem von 1740 bis 1790 reichenden Zinsbuche y als Besitzer 
zweier Häuser am Alten Fischmarkt., der Numern 85 (heutige 
14) und 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte). 

Als Besitzer der Nr. 85 werden Bd. II fol. 489a der Reihe 
nach aufgeführt Joh. Jac. Schwingen Erben, Ludwig Schlag, 
Fr. Margaretha Barbara Bärin und Johann Michael Barthel, der 
trippier. 

Allein für die Anwesenheit Goethes in Strassburg 1770 bis 
1771 kommt dieses Haus nicht mehr in Betracht, da dasselbe 
laut Kontraktbuch fol. 42a bereits den 10. Febr. 1761 von 
Fr. Margaretha Barbara Bärin an den Bürger und frippier 
Johann Michael Barthel verkauft wurde. Diese Margaretha Bar- 
bara Bärin hatte dasselbe Haus laut Kontraktbuch fol. 418 b 
den 2. Okt. 1753 von den Schwingischen Erben erkauft, als 
deren Mandatar Ludwig Schlag im Zinsbuch wohl deshalb für 
einige Zeit erscheint, da er nach dem Kopulationsregister der 
Neuen Kirche Bd. 114 fol. 168b am 12. Febr. 1738 in zweiter 
Ehe eine Wittwe Schwing geheiratet hatte. 

Es bleibt deshalb nur das Haus Nr. 74 (heutige Nr. 36 
nördl. Hälfte) übrig, welches mit absoluter Sicherheit das echte 
Goethe- Haus ist. 

Als Besitzer desselben erscheinen von 1740—1790 Bd. II 
fol. 496a der Reihe nach: Joh. Mathias Diehler, Johannes 

» Auflage XV von L. Geifer. Stuttgart 1886 S. 70. 
* 2 Siehe die Vergleichungstabelle von 1858. 

3 Vergl. in den Kontraktbüchern der Jahre 1742 fol. 373 a und 1749 
fol. 581a die Originalien. 



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— 91 — 



Meyer Säcklcr, Johann Ludwig Schlag sen., Maria Elisahetha 
Musselin Wb. und Ludwig Glaus, welcher letzlere dann im 
Grundbuch von 1791 als Besitzer desselben Hauses Nr. 7i 
vorkommt. 

Schon im Jahre 1751 hat Johann Ludwig Schlag sich in 
dieses Haus der Witwe Meyer eingemietet: 

Kontraktbuch 1751 Fol. 24 K 

Erschienen Fr. Anna Margaretha Meyerin gebohrne Nonnen- 
macherin, diese mit heystand ihres Tochtermanns Johann Friderich 
Schmidthenner des Seydenfabrikanten. Die hat in gegenseyn H. Johann 
Lndwig Schlag des Veechhändlers angezeigt und bekannt, dass sie 
demselben aufrichtig und redlich verlühen, der auch auf gleiche 
Weiss entlehnt, zu haben gestandig ist, In ihrer allhier auf dem 
Fischmarkt, einseit neben H. Mamb erger, dem Schwerdtfeger, 1 ander- 
seit neben H Kürssner* uxorio nomine, hinden auf den Ulimer- 
graben stossend. gelegene Behaussung, Erstlich unten auf dem 
Boden den Laden auf die gass gehend samt dem Contor, eine 
Kuchen und den hindersten Keller wie auch die gemeinschaft des 
Hofs, auf dem zweyten Stock eine Stub vornen herauss, und eine 
Kammer dagegen über, samt dem Bühnel so darüber, auf dem 
dritten Stock eine Stub aussehend wie unten und eine kleine Stub 
auf gedachten Graben hinaus, auf dem vierten Stock eine Kammer 
so in den Hof gehet und letztens die gemeinschaft derer Bühnen, 
und ist diese Lehnung getroffen worden auf Neun nacheinander 
folgende Jahre, anfangend auf nächst künftige annunc. Mariae und 
sich endigend auf eben solche Zeit anno 17ö0 um einen jährlichen 
Zinss von Siebenzig fünf pfund Pfennig Strassb. der quartaliter zur 
quart sub hypotheca speciali illatorum et invectorum und unter 
general Verpfändung des Entlehners haab und nahrung ordentlich 
entrichtet werden muss, im übrigen bleybt es bei denen gemeinen 
Lehnungsrechten und hiesigen Ordnungen. Alles getreulich und ohne 
gefährde. Versprochen und unterschrieben auch unterzeichnet actum 
den zwei und zwanzigsten Januarii Ein tausend sieben hundert 
fünfzig eins 

Der Verlehnerin X Handzeichen 
Johann Friderich Schmidthenner 
Johann Ludwig Schlag. 

1 Mamberger Fourbisseur, Nicolas steht noch im Kataster von 1791 als 
Besitzer des Hauses Nr. 73 (heutige Nr. 38) eingetragen. 

* Johanne* Kürschner war Besitzer des Hauses Nr. 75. Das Stadt Zins- 
buch y Bd. II fol. 495b gibt zwischen 1740 und 1790 als Eigentümer der 
Reihe* nach an: Isaac Bury. Johannes Kürschner, H. Ehrenfried Bergmann, 
Georg Friedrich Rosa, Georg Daniel Witt, Joh. Michael Schmidt Handels- 
mann. 



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— 92 — 

Dass aber diese Lehnung nicht im Jahr 1700 erlöschen 
sollte, beweist folgender dem obigen beigefügter Handakt : 

Erschienen verlehnende Fr. Meyerin an einem nnd entlehnender 
Schlag am andern Theil, Beyderseits anzeigende : wie dass sie sich 
vorstehender Lehnung halben dergestalten mit einander verglichen, 
dass selbige beederseits auf die Erben gehen und im Fall die 
Behaussung während der Lehnungszeit verkauft würde, die Entlehnung 
noch ein Jahr lang vom Tag des Verkaufs an gerechnet, darinnen 
zu bleiben befugt seyn solle. 

Act d. 2b. Jan. 1751. 
Der X verlehnerin Johann Ludwig Schlag. 

Zeichen. 

Im Jahre 1765 hat Johann Ludwig Schlag dasselbe Haus 
von der Witwe Meyer gekauft : 

Kontraktbuch 1765 Fol. 427 K 

Erschienen Fr. Anna Margaretha, gebohrene Nonnenraacherin, 
Weyl. Johann Meyer gew. Säcklers Wittib, beyständlich H. Gottfried 
Böhm des Goldarbeiters, mehr H. Johann Meyer der Säckler allhier, 
ferner Fr. Susanna Magdalena Schmidthennerin, geb. Meycrin bey- 
ständlich H. Gottfr. Böhm, Mehr Fr. Anna Dorothea, geb. Meycrin, 
11. Johann Daniel Ehrmann, des Perrückenmachers Ehefrau, von 
demselben hierzu autorisirt, und H. Philipp Jacob Baldner, der 
Perruckenmacher, als Ehevogt Fr. Catharinä Salome geb. Meycrin, 
von derselben hierzu mündlich bevollmächtiget, desswegen er de 
vero, rato et grato sub hypotheca bonorum cavirt, die haben in 
gegenseyn H. Johann Ludwig Schlag hiesigen Burgers und Veech- 
händlers angezeigt und bekannt dass sie samtliche Interessenten vor 
sich, ihre Principalin und allerseits Erben, ihme H. Schlag aufrecht, 
vest und unwiederruflich verkauft und zu kaufen gegeben, der auch 
sich und seinen Erben auf gleiche Weiss erkauft zu haben geständig 
ist, Eine Behaussung Hötiein und Hofstatt, mit allen gebäuden, 
begriffen, Zugehördten, Rechten und gerechtigkeiten, allhier auf dem 
untern Fischmarkt, einseit neben H. Nicolaus Mamberger. gew. 
Schwerdfegers Wittib und Erben, anderseit neben H. Bergmann, dem 
Handelsmann hinten auf den Ulmergraben stossend, gelegen. 

Folgen Allmendzins, Kaufsumme, Zahlungstermine und 
Unterschritten. 

Von 17(35 an war also Johann Ludwig Schlag im Besitze 
<!es Hauses Nr. 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte) am Al- 
len Fischmarkt. Als daher laut Kontraktbuch fol. 745 b AVitt we 



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— 93 — 



Bergmann den 20. Dez. 1766 das anstosscnde Haus Nr. 75 
(heutige Nr. 36 südliche Hälfte) an den Knopfmacher Georg 
Friedrich Rosa verkaufte, der in obigem Zinsbuch y Bd. 11 
fol. 495 b nach Bergmann als Besitzer erscheint, wird dies Ne- 
benhaus angegeben «allhier am Fischmarkt, gegen der Ruttel- 
gass über, einseit neben Schlag, anderseit neben Schauer, dem 
Veechhändler, binden auf den Ullmergraben stossend.» Dieser 
Kürschner Schauer erscheint im Zinsbuch wie im Grundbuch 
von 1791 als Eigentümer des Hauses 76, wodurch wiederum, 
wenn es noch nötig wäre, die Nummer 74 als im Besitz des 
Kürschners Johann Ludwig Schlag befindlich bezeichnet wird. 

Ferner verkaufte der Knopfmacher Georg Friedrich Rosa 
laut Kontraktbuch fol. 176^ den 4. Mai 1786 sein 1766 er- 
kauftes Haus Nr. 75 an den Handelsmann Georg Daniel de 
Heinrich Widt, welcher dann auch im Grundbuch von 1791 als 
Besitzer aufgeführt ist. Auch diesmal wird das Haus N. 75 in 
der Urkunde genau angegeben «am Fischmarkt gegen der Kut- 
telgass über, einseit neben Schlagischen Erben, anderseit neben 
Schauer, dem Veechhändler, binden an den Ullwergrahen stos- 
send.» 

Die Bezeichnung «Schlagische Erben» ist für das Jahr 1786 
richtig, da Johann Ludwig Schlag nach dem Sterberegister der 
Neuen Kirche Bd. WO fol 13» am 11. Dez. 1778 das Zeitliche 
gesegnet hatte. Er hihterliess zwei Kinder, nämlich Georg Lud- 
wig Schlag, Kürschner, und Maria Elisabeth Schlag, verwitwete 
Meusel. Letztere, in erster Ehe 1762 mit Gottlieb Prox, dem 
ledigen Kürschner und Föchhändler von Friedland in Schlesien, 
in zweiter Ehe 1770 mit Jon. Aug. Gotthold Meusel, ledigem 
Bauchwaarenhändler von Radenfeld bei Leipzig gebürtig, ver- 
mählt und 1780 zum zweiten Male verwittwet, gilt \in Zinsbuch 
(Maria Elisabetha Musselin Wittib) und auch in folgendem Ver- 
kaufsakt als Eigentümerin des Hauses, während sich ihr Bru- 
der bereits 1760 (Kontraktbuch fol. 43 a) mietweise und 1771 
(Kontraktbuch fol. 76b) als Eigentümer unter der Grossen 
Gewerbslaube etabliert hatte. 

Am 11. Mai 1787 verkauften die Schlag'scben Erben das 
väterliche Haus am Alten Fischmarkt. 

Kontraktbuch 1787 Fol. 196 a. 

Erschienen Fr. Maria Elisabeta, geborne Schlagin, weyl. H. Johann 
August Gotthold Meusel, gewesten Rauhwaarhändlers und Burgers 



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allhier seel. nachgelassene Wittib, beiständlich H. Georg Ludwig 
Schlag, des Rauchwaarhändlevs und Bürgers allhier, ihres leiblichen 
Bruders, diese hat in Gegenseyn H. Johann Ludwig Claus, des 
Seidenknopfmachers und Bürgers allhier angezeigt und bekannt, 
dass sie vor sich, ihre Erben und Nachkommen aufrichtig, redlich, 
vest und unwiderruflich verkauft und zu kaufen gegeben ihme H. 
Claus, so vor sich und seine Erben erkauft zu haben bekanntlich 
ist, die ihro Verkäuferin zuständige Behausung, Höflein, Bumpbronnen 
und Hofstatt mit all übrigen dero Begriffen, Gebäuden, Weiten, Zu- 
gehörden, Rechten und Gerechtigkeiten N r. 74 am untern Fischmarkt, 
einseit neben weil. H. Niclaus Mannberger, gewessten Schwerdfegers 
Wittib und Erben, anderseit neben H. Georg Friederich Rosa dem 
Seidenhändler und Knopfmacher, hinten auf den Ulmergraben stosend, 
gelegen, von dieser Behausung zalt man jährlich Löblm. Stift St. Marx 
allhier auf Pfingsten 5 P und auf Nativitatis - Mariae 8 P 2 zu- 
sammen 13 P 2 ^ ane ewigem Zinns, ferner Unserm Pfenningthurm 
jeden Jahrs auf Martini Episcopitag 1 8 3 f -J. ane Bodenzinns, 
sonst auser dem Vingtieme und der Einquartierung mit keiner andern 
Realbeschwerde beladen, wol aber in Hauptgut S. T. H. XIII Bracken- 
hofer um 3000 fl. weiters H. Actuario Saltzmann um 300 fl. und 
Weil. Fr. Dr. Ehrmännin geborner Engelhardin seel. nachgelasenen 
Erben um 500 fl. so dann ihme H. Schlag vorgedacht um 1000 fl. 
samtlich ad vier pro Cento verzinnsslich verpfändet, sonst lcdig und 
ihro der Fr. Verkäuferin als ein zum Theil ererbt, theils von ihrem 
H. Bruder vorbenannt in unvertheiltem Erb cedirt erhaltenes Gut 
eigentumlich zuständig. » 

Folgen Kaufsumme und Zahlungstermine, dann heisst es 
weiter : 

< Mit welcher vorbehaltenen auch neuerdingen bedungenen Unter- 
pfandsgerechtigkeit die Fr. Verkäuferin dem H. Käufer sothane Be- 
hausung cum appertinentiis , denen samtlichen Oefen Steinen und 
Rohren, dem Bauchkössel, denen liegerdingen in den beeden vordem 
Kellern, zween Schellen, denen Umhangstänglein in drey verschie- 
denen Zimmern, zweyen Console Tischlein samt dreyen dannenen 
Waarenkästen, die Schäften Leisten, Zapfen und Ladenbänk in der 
Boutiqne allein ausgenommen, abtritt, und mit Uebergab der Feder, 
als Sitt ist, eigentumlich einräumt, um solche Behausung auf Johannis 
Baptistätag instehend, wie lang die Fr. Verkäuferin den Hauszins 
beziehet, dagegen aber auch, wie schon gemelt die samtliche Be- 
schwerde und Capitalzinns auf sich zu leiden hat zu beziehen, dess- 
falls dem H. Häufer sonst gegen männiglich stete und sichere 
Währschaft zu leisten verspricht unter Verpfändung ihres übrigen 
Vermögens. Alles getreulich und ohne Gefährde. Verlesen und unter- 
schrieben. Actum Strasburg den eilften May a" eintausend siebe n- 



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— <)5 — 



hundert achtzig sieben. Maria Elisabetha Meüselin Wittib. 
Georg Ludwig Schlag senior. Johann Ludwig Claus. Hammerer, 
act. mit Handzug. 

Nach diesen erschöpfenden Urkunden war also das Haus 
Nr. 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte) am Alten Fischmarkt 
von 1765 bis 1787 im Besitz der Familie Schlag; in diesem hat 
mithin Gcethe 1770-1771 sein Logis gehabt. Interessant auch 
für weitere Kreise und eine nicht zu unterschätzende Stütze 
für die Bestimmung des Goethe-Hauses ist der im Verkau fsbriefe 
erwähnte Umstand, dass der Aktuarius Salzmann, Goethes väter- 
licher Freund, eine Hypothek von 500 Gulden auf dem Schlag- 
schen Hause stehen hatte. 

Dieses Schlag'sche Haus ist bis auf den heutigen Tag im 
wesentlichen unverändert geblieben. Wenn es auch seit meh- 
reren Jahrzehnten mit dem Nebenhaus Nr. 75 (Nr. 36 südliche 
Hälfte) verbunden ist, wodurch der im Erdgeschoss befindliche 
Laden erweitert werden konnte, so ist doch die ursprüngliche 
Trennung beider Häuser noch heute im äussern und irinern 
deutlich ersichtlich. Noch jetzt sind die im Miets- und Kaufkon- 
trakt des vorigen Jahrhunderts erwähnten Keller in ihrer ehe- 
maligen Trennung vorhanden, sowie die zu ebener Erde gele- 
gene, heute nicht mehr benutzte Küche, in welcher Mutter 
Schlag manchmal für ihren Goethe die Abendmalzeit bereitet 
haben mag. 

Dass Johann Ludwig Schlag der Hauswirt Goethes gewesen 
sein muss , da kein a nderer des Namens Schlag etwa miet- 
weise ein Haus am Alten Fischmarkt bewohnt haben kann, 
geht aus einer andern allerdings sehr umständlichen Nachfor- 
schung hervor. Ich habe nämlich von 1770 bis zum Todesjahr 
Gcethes 1832» bis 1792 alle katholischen und evangelischen 
Pfarrbücher und vom 22. Sept. 1792 die Dezennaltabelle der 
Mairie vorgenommen und nach einer sorgfältigen Durchforschung 
in ganz Strassburg zwischen 1770 und 1832 nur jene einzige 
und zwar evangelische Familie Schlag gefunden, welche aus 
Frankfurt am Main stammt. 

Hochzeitsregister von St. Aurelien Bd. 2 Fol. 45«. 

a. 1702. 

Mittwoch den 18. Januarii wurden nach geschehener zweymaliger 
ausrufung copulirt zu St. Aurelien Johann Jost Schlag der ledige 



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■ 



— 9G — 

Schuster und Burger allhier. weyl. Peter Schlagen, gewesenen Stein- \ 
metzen und Burgers zu Frankfort am Main, nahgelassener ehl. 
Sohn und Jgfr. M. Dorothea weyl. Christoph Hetzeis gewesenen | 
Burgers und Hornpressers allhier nachgelas. ehl. Tochter. ' 

Als einziger Sohn aus dieser Ehe wurde den 30. Nov. 1702» 
geboren Johann Ludwig Schlag. Am 11. Dez. 1778* starb 
Herr Johann Ludwig Schlag, Rauchwaarhändler und Burger 
seines Alters 76 Jahre und 11 Tage. Dessen Sohn Georg Ludwig 
Schlag, geboren d. 4. April 1735 3, starb d. 28. Febr. 1798 
(onzieme ventose VI)* age des 63 ans, ci-devant pelletier, fils 
legitime de feu Jean Louis Schlag pelletier, en sa demeure si- 
tuee Krautenau 100. 

Der gleichnamige Enkel Georg Ludwig Schlag, geboren 
d. 27. Mai 1759» starb d. 22. Oct. 1831,6 ggg de 72 ans 4 
mois 26 jours dans la maison situee Nr. 32 Grandes Arcades, 
Iiis de feu George Louis Schlag, pelletier. Dessen Sterbeakt ist 
unterzeichnet von Louis Felix Schlag, age de 36 ans, negociant, 
fils du rietünt. Dieser letztere starb d. 13. Juli 1847 und des- 
sen einzig noch lebende Tochter ist Frau Ungerer-Schlag, 
Witwe des Mechanikers Ungerer, mit welcher der Name dieser 
ursprünglich aus Frankfurt stammenden Familie dereinst in 
Strassburg erlöschen wird. 

1 Taufregister von St. Aurelien Bd. 3 fol. 173a. 

2 Sterberegister der Neuen Kirche Bd. 190 fol 13a. 
» Taufregister der Neuen Kirche Bd. 227 fol. 400b. 

4 Sterberegister der Maine Bd. 226 fol. 136 b. 

5 Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 415 a. 
n Sterberegister der Mairie Bd. 347 fol. 464 b. 
" Sterberzgister der Mairie Bd. a. 1847 fol. 350b. 



Berichtigungen: Seite 14 Zeile 12: 26. Nov. — S. 14 Z. 11 von unten: 
v/eil er. — S. 26 Z. 12: Wenn trotzdem aber. — S. 41 Z. 15 von unten : 
cy dessus. — S. 41 Z. 14 von unten : icelies valloir. — S. 42 Z. 19 : cy. — 
S. 42 Z. 24: il s'est trouve\ — S. 42 Z. 37 : a 616 paraphe. — S. 60 Z. 17 
von unten : vor dem kurländischen Richter. — S. 64 Z. 18 : als wir die Dame. 




lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter- 
zeichneten jederzeit willkommen sein. 

Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten : 

Heft I. : Die deutsch- französische Sprach- 
grenze in Lothringen von Const. 
This. 8°. 3i S. mit einer Karte 
(1 : 300.000). - M i 50 

Heft II. : Ein andechtig geistliche Badenfahrt 
des hochgelerten Herren Thomas 
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er- 
läuterungen, insbesondere über das 
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr. 
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach 
dem Original. ^2 — 

Heft III. : Die Alamannenschlacht vor Strass- 
burg 357 n. Chr. von Archivdirector 
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit 
einer Karte u. einer Wegskizze. M 1 — 

Heft IV.: Lenz, Goethe und Cleophe Fibich 
von Strassburg. Ein urkundlicher 
Kommentar zu Goethes Dichtung und 
Wahrheit mit einem Porträt Ara- 
minta's in farbigem Lichtdruck und 
ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stamm- 
buch von Dr. Joh. Froitzheim. 

< * „M> 3 — 

In Vorbereitung : 

Holländer, A. Strassburg im französischen 
Kriege 1552. 

Witte, H. Die Ar mag nahen im Elsass. 

Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung, 
nimmt Bestellung an. 

Hochachtungsvoll 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 



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Verlag von J. H. Ed. Ueitz (Heitz & Mündel) 

in Strassburg i./E. 



Baum, Adolf. Magistrat and Reformation in Strassburg bis 
1529. gr. 8. XIII u. 212 S. ^ 4 50 

Jahrbach für Geschichte, Sprache und Litteratar Elsass-Loth- 
ringens, herausgegeben von dem hist.-litt. Zweigverein des Vogesen- 
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 50 

Lupus, B. Die Stadt Syrakus im Alterthnm. Autorisierte 
deutsche Bearbeitung der Cavallari-Holm'schen Topografia archeo- 
logica di Siracusa. gr. 8. 343 S. mit zwei Karten in fol. und 
mehreren Holzschnitten. Jt 10 — 

Institute, die naturwissenschaftlichen und medicinischen der 
Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm- 
lungen der Stadt Strassburg. 4. 148 S. mit vielen Grundrissen 
und flolzschnitten. Jt 3 — 

filsässische Landschaften. Vier Originalradierungen von F. Helms - 
dorf. Neue Ausgabe. Text von Dr. A. Sehr ick er. gr. fol. mit 
4 Blatt Text in Mappe. J( 6 — 

Lucius, Phil. Ferd. Friederike Brion von Sossenheim. 

Geschichtl. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. Jt 5 — 

Rectoratsreden der Universität Strassburg : 

Heitz, £. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität. 

Rede gehalten am 1. Mai 1885. 8. l>7 S. Jt — 60 

Heye, T h. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und 
in der Neuzeit. Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 16 S. uff — 40 

Zoepffel, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der 
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887. 

Jt - 40 



Vogesengriin. Ein elsässischer Familien - Kalender von Maria 
Rebe. Zweiter Jahrgang. 1888. JL 1 50 



Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz {Heitz & Mündel). 



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o 

BEITRÄGE 

ZUR 

LAN DES- UND VOLKESKÜNDF 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

V. HEFT 

I • 1 V Di- I..: In li-f KA\/< 'MhCiiL SIM<A( Ht.KhNXK 

im ( : i v\> s 

VON 

Dr. CONSTANT THIS 
MIT EINER KARTE UND ACHT ZINKATZUNGEN 

STR ASS BÜRG 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 
1888 



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Im Vorlage der unterzeichneten Verlagshandhmg 
erscheint unter dem Titel : 

BEITRÄGE 

zun 

LANDES- UND VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen 
aus dem Gebiete der Geschichte und Literatur- 
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur 
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- 
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner 
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in 
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner 
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen 
daneben selten gewordene litterarisehe Denkmäler 
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, 
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über 
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch 
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen, 
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher 
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- 
lotliringischen Volkskunde befördert werden. Aner- 
bietungen von, in den Kähmen gegenwärtiger Samm- 
lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter- 
zeichneten jederzeit willkommen sein. 

Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten : 

lieft L: Die deutsch- französische Sprach- 
grenze in Lothrinqen von Const. 
This. 8°. 3i S. mit einer Karte 
(l ; 300.000). Jk 1 50 

siehe ärttte Seite des Umschlags. 



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DIB DEUTSCH-FRANZCESISCHB 

SPRACHGRENZE 



IM ELSASS 



nebst einer Karte und acht Zinkätzungen 



VON 



D B CONSTANT THIS. 



STR ASSBURG 
J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL) 

1888. 



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DIE ÖEUTSCH-FRANZ(ESISCHE SPRACHGRENZE 

IM ELSASS. 



I 



4 



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Vorbemerkungen. 



Vorliegende Arbeit bildet die Fortsetzung der vom Verfasser 
begonnenen Darstellung der deutsch- französischen Sprachgrenze. 1 
Sie giebt die Resultate einer zum Zwecke der Feststellung der 
Sprachgrenze in Unter- und Ober-Elsass in den Monaten Au- 
gust, September und Oktober 1887 unternommenen Reise. 

Bei den in der «deutsch-französischen Sprachgrenze in 
Lothringen » erwähnten einschlägigen Arbeiten * war übersehen 
worden ein Aufsatz von H. Kiepert, Die Sprachgrenze in 
Elsass-Lothringen, mit einer Karte. * Kiepert hat zum Teil auf 
Fusswanderungen, meist aber auf Grund der 1872 durch die 
reichsländischen Behörden veranstalteten Erhebungen jene 



1 Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen, nebst 
einer Karte, 1887. (Beiträge znr Landes- und Volkeskunde von Elsass- 
Lothringen. Heft I.) 

2 p. 5 and 6. Nabert's, « Ueber Sprachgrenzen insonderheit die 
deutsch-französischen in den Jahren 1844 — 1847 >, ist erschienen als 
Beilage zum Jahresbericht der höheren Bürgerschule zu Hannover, 
1856. 

8 Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. IX. Band, 
1874, p. 307 ff. 



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- 6 - 



Sprachgrenze festgestellt. Wir werden spater sehen, in welchen 
Punkten vorliegende Arbeit von den Kiepert'schen Resultaten 
abweicht. 

Auch jetzt noch bleibt für den Verfasser bei der Bestim- 
mung der Sprachgrenze die Frage massgebend, wie weit fran- 
zösisches Patois in der Familie gesprochen wird. Als französisch, 
der Nationalität nach, müssen jedoch auch solche Orte ange- 
sehen werden, in denen meist kein Patois mehr gehört wird, 
weil es durch Handel und Industrie allmählich vor der franzö- 
sischen Verkehrssprache zurückgewichen ist, die das einzig 
brauchbare Verständigungsmittel darstellte für Gemeinden mit 
stark von einander abweichenden lothringischen Patois, mit 
denen sie in intensiveren Verkehr traten. Dies ist, z. B., der 
Fall bei Schirmeck und Vorbruck, die in regem Verkehr mit 
Saales, St-Die und anderen südwestlich gelegenen Orten sich 
befinden, wo eine Spielart des Lothringischen geredet wird, die 
den Bewohnern von Schirmeck und Vorbruck nicht leicht ver- 
ständlich sein konnte. 

Was die natürliche Sprachgrenze im Elsass anbetrifft, so 
liegt hier eine schroffere Sprachscheide vor als in Lothringen. 
Eine scharfe Sprachgrenze bilden die höchsten Erhebungen der 
Vogesen für die Thäler der Fecht, der Thür und der Doller, 
wo das Gebirge, nach Westen und Osten steil abfallend, nach 
keiner Seite ein Vordringen begünstigte. Vom Donon bis zum 
Münsterthale gewährte die Bodenbeschaffenheit dem romanischen 
Elemente die Möglichkeit weiter abwärts vorzudringen, aber 
meist nur in die hohen Gebirgsthäler. Wo die Thäler sich 
erweitern, hatte das allemannische Element sich festgesetzt und 
blieb erhallen. So finden wir Romanen in dem oberen Weiss- 
thale und in dem Bechinethale, in den engen Thälern auf dem 
linken Ufer der Leber, in dem oberen Thale des Giessenbaches 
und in dessen engen Nebenthälern, und endlich im oberen 
Breuschthale mit seinen Nebenthälern. 

Während, wie dies natürlich ist, die Allemannen nicht die 
engen Thäler hinaufgezogen sind, breiteten sich die Romanen, 



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I 
I 

1 



— 7 - 

welche in Lothringen auf einem Hochplateau wohnten, nach 
Osten aus Und stiegen weiter in die unbewohnten, oder doch 
nur schwach bevölkerten engen Vogesenthäler hinab. 

In das Breuschlhal sind, zum Beispiel, die Romanen von 
zwei Punkten aus vorgedrungen, von Raon-sur-Plainc - Grand- 
fontaine und von St-Die - Saales her. Beide Gruppen von Ein- 
wanderern, deren Patois sich in gewissen Hauptmerkmalen 
unterschied, trafen in der Nahe von Rothau zusammen. Diese 
Ansicht bestätigt uns die kürzlich erschienene treffliche Arbeit 
von A. Horning, «Die ost französischen Grenzdialekte zwischen 
Metz und Beifort, mit einer Karte»,» aus welcher wir klar 
ersehen, dass mit Rothau südwärts eine neue Dialektgruppe 
beginnt. Auch die Bewohner jener Gegenden sind sich dieses 
Unterschiedes bewusst. 

In dem zwischen Lutzelhausen und Schirmeck liegenden 
Teile des Breuschthales ist eine natürliche Sprachgrenze nicht 
zu erkennen. Hier wohnen im Thale Allemannen und Romanen 
nebeneinander. Die Beschaffenheit des Terrains erklärt diese 
Erscheinung nicht. Da kommt denn wohl ein geschichtliches 
Moment in Erwägung. Sollten dahin nicht lothringische Kolo- 
nisten verpflanzt worden sein ? Die Ortsnamen lehren uns, dass 
hier ursprünglich eine allemannische Bevölkerung sass. Sehen 
wir uns aber den Menschenschlag an, und hören wir dessen 
Sprache, so haben wir meist Lothringer vom echten type 
vosgien vor uns. Dass von Netzenbach - Wisch ab die Leute 
sich selbst auch Lothringer nennen und eine bestimmte Ab- 
neigung gegen den Elsässer bekunden, dürfte nur in letzter 
Linie in Betracht gezogen werden, um so mehr als hier andere 
Beweggründe, z. B. administrativer Art, im Spiele sind. 

Was endlich den südlichen Teil des Elsasses betrifft, den 
Teil von den Vogesen bis zur Schweizer Grenze, so ist die 
natürliche Sprachgrenze hier der ähnlich, die wir in Lothringen 
gefunden haben. Die Grenze bilden zum Teil waldbedeckte 

1 Französische Studien. V Band. 



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— 8 — 



Höhen, zum Teil (zwischen Menglatt und Pfetterhausen) grosse 
Wälder mit darin liegenden Weihern. Diese Höhen bilden auch 
meist die Wasserscheide für die nach Westen dem französisch 
sprechenden und nach Osten dem deutsch sprechenden Gebiete 
zufliessenden Gewässer. 



Für Feststellung der Nationalitätengrenze verdient auch ein 
anderes Moment noch berücksichtigt zu werden, das hier nur 
berührt werden kann. 

Die folgenden Bemerkungen über den Bau des Bauern- 
hauses erheben keinen Anspruch auf eine erschöpfende Dar- 
stellung des Gegenstandes ; sie dienen vielleicht dazu, zu wei- 
teren Studien über das Haus anzuregen. 

Die Bauart des Bauernhauses in dem von mir durchwanderten 
Gebiete ist vorwiegend die frankische. * Allemannische Häuser, 
d. h. Häuser mit der W r ohnung über dem Stalle, findet man 
nur da, wo jetzt noch Allemannen sitzen oder doch ursprüng- 
lich sassen. Dieses fränkische Haus zeigt mannigfache Spielarten. 
Wir finden Gebäude, die ganz aus Holz, und solche, die aus 
Steinen gebaut sind ; Häuser, wo die lange Seite gegen den 
Hof, die Giebelseite gegen die Dorfstrasse, aber auch solche, 
wo die lange Seite gegen die Dorfstrasse gerichtet ist. Ferner 
sehen wir Häuser, wo Wohn- und Wirtschaftsgebäude nicht 
unter einem Dache, und solche, wo beide unter einem Dache 
vereinigt sind. Im ersteren Falle ist das Wirtschaftsgebäude 
entweder an das Wohnhaus angebaut, oder es steht im rechten 
Winkel zum Wohnhause, welches alsdann die Giebelseite des 
Hauses immer nach der Strasse gerichtet hat. 

Ganz von Holz sind im allgemeinen die Gebäude von Ober- 
Sulzbach (Kreis Thann) bis zur Schweizer Grenze. Die Gefache 
der Balken sind mit zaunartigem Flechtwerk ausgefüllt, welches 



1 üeber die Namen der deutschen Häuser vgl. Meitzen, Das 
deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen. 



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- 9 - 



mit Lehm überworfen ist. Seltener ist das Wohngebäude aus 
Steinen aufgebaut (z. B. in Ottendorf, Luffendorf, Winkel). 
Man hält den Holz-Lehmbau für wärmer. 

Eine Mischung von Holz- und Steinbau, wobei letztere 
Bauart vorwiegt, treffen wir an von Ober-Sulzbach bis ins 
Münsterthal, wo auch öfters allemannische Häuser vorkommen. 
Nur Steinbau haben wir vom Weisstbale bis in das Breuschthal. 

Wir finden überall die übliche Dreiteilung des Wohnhauses. 




i i i l 

Treten wir in das Haus, so gelangen wir zunächst auf den 
Hausflur a, durch die Thüre rechts in die Wohnstube b. Ein 
oder zwei Fenster gehn nach der Langseite, eines nach der 
Giebelseite. An der Küchenwand befindet sich der Ofen, welcher 
von der Küche aus geheizt wird. Von der Wohnstube führt 
eine Thüre nach der Kammer c, die meist Schlafstätte und 
durch eine Thüre mit der Küche d verbunden ist. Die der 
Hausthüre gegenüberliegende Thüre führt in die Küche d. Von 
dem Hausflure und von der Küche führt links je eine Thüre 
in die Vorratskammer e. Vom Hausflure führt links eine Treppe 
in das obere Stockwerk. 

Umgekehrt kann auch die Wohnstube sich links und die 
Vorratskammer rechts befinden. Bei Häusern mit der Giebelseite 
gegen die Strasse liegt natürlich die Wohnstube immer nach 
dem der Dorfstrasse zugewendeten Giebel. 

Bei kleineren Häusern bilden 6 und c meist einen Wohn- 
raum, und öfters sind auch Flur und Küche nicht getrennt. 



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— 10 — 



Das Wohnhaus bildet entweder ein Gebäude für sich, oder 
es befindet sich unter einem Dache mit Stallung und Scheune, 
ist aber alsdann durch eine Wand von letzteren getrennt. 

Wo wir fast nur Holzhau antreffen, d.h. von der Schweizer 
Grenze bis Ober-Sulzbach, ist das Wohnhaus vollständig von 
dem Wirtschaftsgebäude geschieden. Das Wohnhaus ist mit 
seiner Giebelseite gegen die Strasse gerichtet. Stallung und 
Scheune stehen im rechten Winkel dazu oder sind an das 
Wohnhaus angebaut, wobei die Stallungen der Wohnung 
zunächst liegen. Tm letzteren Falle ist das ganze Haus oft mit 
der Langseite gegen die Dorfstrasse gerichtet, z. B. in Oden- 
dorf, Winkel. Auf dieser ganzen Strecke sehen wir noch sehr 
viele Fenster mit Butzenscheiben. 

Von Ober-Sulzbach bis ins Münsterthal sind W T ohnung und 
Wirtschaftsgebäude meist unter einem Dache, und zwar in der 
Reihenfolge Wohnung, Stallung, Scheune. Noch ist die Giebel- 
seite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet, aber auch 
schon öfters die Langseite. 

Vom Weissthale ab bis in das Breuschthal sind die Häuser 
aus Stein gebaut, und Wohn- und Wirtschaftsgebäude befinden 
sich unter einem Dache, aber in der Reihenfolge Wohnung, 
Scheune, Stallung. An den Stall schliesst sich oft noch ein 
Schuppen an zur Unterbringung des Holzes und der Wagen im 
Winter. Die Giebelseite ist nicht mehr gegen die Dorfstrasse 
gerichtet. Es fällt der Vorratsraum e meist weg ; im übrigen 
bleibt die Einrichtung der Wohnung, wie sie oben beschrieben ist. 

Die vordere Ansicht eines Bauernhauses ist : A = Wohnung, 
B = Scheune, C — Stallung, D = Schuppen. 




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- Ii - 

Der Grund riss ist folgender : 




über dein Scheunenthor ist gewöhnlich ein Rundbogen, 
neuere Häuser haben einen Querbalken. Über dem Stalle befindet 
sich der Futterboden. 

Ein Haus in Urbeis (Orbey, Kreis Rappolts weder) mit der 
Jahreszahl 1707 hat folgende Vorderansicht : 



a 


r 




i 

m 


'1 1 

ffi 


r 





Wohnung Scheune. Stall Schuppen 



Hier isl der Unterschied, dass das Futter von aussen durch 
die Öffnung a hineingebracht wird. 

Von obiger Bauart unterscheidet sich die Einrichtung des 
Bauernhauses in Lothringen. 1 Dort sind die Häuser meist aus 
Steinen eng aneinander gebaut. Die Vorderseite, die Seite, 
welche man bei minder tiefen Häusjrn Langseite nennt, ist 
immer gegen die Dorfstrasse gerichtet ; Wohnung und Wirt- 



1 Vgl. auch Fr. W. Toussaint, Deutsch-Lothringen und sein 
Ackerbau. Metz, 1875, p 90 u. 91. Das Buch enthält sehr richtige 
Beobachtungen über die Lebensweise des lothringischen Bauern. 



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— 12 — 



schaftsgebäude befinden sich unter einem Dache in der Reihen- 
folge Wohnung, Stallung, Scheune. 

Vorderansicht. 




Grundriss. 



Garten 



Garten 




Treten wir durch die Vorderthüre in das Haus, so gelangen 
wir auf den engen Flur a, welcher, durch die ganze Tiefe des 
Hauses sich hinziehend, durch die Hinterthüre in den an das 
Haus anstossenden Gemüsegarten führt. Von dem Flur gelangen 
wir links in die Küche b, von dort führt eine Thüre links in 
die Wohnstube c und eine andere rechts in die Kammer d. 
Die Küche wird durch den Rauchfang erhellt. In der Wohn- 
stube befindet sich an der Küchenwand der Ofen c 1 , rechts 
vom Fenster der Familientisch c* und links das Ehebett c*. 
Von der Küche gelangen wir durch eine Treppe in das obere 
Stockwerk, wo der Vorratsraum ist, und durch eine andere 
Treppe in den Keller ; letztere Treppe befindet sich oft noch in 
der Wohnstube. Von dem Flure führt rechts eine Thüre in die 



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— 13 — 

Backkammer e, der Küehenthüre gegenüber eine andere in den 
Stall f und aus diesem eine Thüre in die Scheune g. 

An der Giebelseite sind, da Haus an Haus gebaut ist, 
keine Fenster, nicht einmal, wenn die Giebelseite frei steht. 

Sehr oft fehlt die Backkammer und dehnt sich der Stall 
aus bis an die hintere Seite des Hauses. In diesem Falle nimmt 
der Backofen h einen Teil der Kammer ein und die Öffnung 
desselben geht nach der Küche. 

Wir erhalten folgenden Grundriss: 



Garten Garten 




In kleineren Häusern fehlt auch der Flur. Wir treten in 
das Haus durch die Scheune g, von dort in die Küche b und 




in den Stall f> von welchem aus eine Hinterthüre in den 
Garten führt. 



Es erübrigt uns noch einige Bemerkungen über die 
Zusammensetzungen mit «rupt» und «goutte» und deren 
Bedeutung vorauszuschicken. Wir begegnen diesen Zusammen- 
setzungen in den französisch sprechenden Teilen der Vogesen 



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— 14 — 



sowohl auf der östlichen als auf der westlichen Seite. Solche 
Zusammensetzungen sind : Freconrupt, Blancherupt, Ranrupt, 
Fonrupt, Schnarupt, Fenarupt, Fertrupt ; Hautes Gouttes, Rian- 
goufte, Rougigoutte, etc., und die einfachen Goutte und les 
Gouttes. Ueberall da, wo «rupt» vorkommt, erscheint auch 
«goutte». Wenn man an Blancherupt Bliensbach, Fertrupt 
— Fortelbach, Faurupt = Starkenbach, Noirrupt (Bächlein aus 
dem Schwarzen See in die Weiss fliessend) — Schwarzbach, 
Blancrupt (Weiler, Gem. Urbeis) = Weissbach denkt, so er- 
kennt mau leicht, dass «rupt» dem «Bach» entspricht, wie auch 
das Wort für sich in dieser Bedeutung im Patois vorkommt. 
Dasselbe ist von rogium oder rivus abzuleiten i und sollte «ru» 
geschrieben werden, welche Schreibung neben «rux» in Urkun- 
den* vorkommt. Die Schreibung « rupt » finden wir erst sehr 
spät, sie rührt von einer falschen Etymologisierung her. (Ebenso 
wäre Faurupt, Gem. Diedolshausen, = Starkenbach der rich- 
tigen Etymologie gemäss Forru oder mit Vereinfachung Foru 
zu schreiben.) 

Die Zusammensetzungen mit «goutte» bezeichnen meist 
Bächlein, so Bestigoutte, Danigoutte, Harangoutte, Rougigoutte, 
welche Zuflüsse der Rumbäche sind, u. a. Goutte = patois got's 



1 Vgl. dazu Groeber, Miscellanea di Filologia. p. 48, und Horning, 
Zeitschrift für roman. Philol , IX, 510. 

2 Vgl. Stoffel, Topographisches Wörterbuch des Ober-Elsasses 

3 Die bei Patoiswörtern und Patoisnaraen angewandten Zeichen 
haben folgenden Lautwert : 

a) Vokale 

a = langes a in äge. 

a — kurzes a in combat. 

ä — langer Laut des englischen a in man 

i» = a-Nasal in an. 

V = offenes langes e in mere. 

»' = offenes kurzes e in bei 

e — geschlossenes langes e in gelee. 

e' =: derselbe Laut wie e mit kurzem i - Nachklang. 

ß = geschlossenes kurzes e in serat. 

e = kurzer e-Laut in be&om 



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- 15 - 

ist wohl nichts anders als das französische ^outte — 
Tropfen, i 



Z r= e-Nasal in vi«. 

i = langes i. 

i = kurzes i. 

9 = offenes kurzes o in fol. 

° = geschlossenes langes o in rose. 

<> = geschlossenes knrzes o in awssi 

i? = o-Nasal in hon, 

= Tonvokal in seid. 

m ~ Tonvokal in heurewx. 

u =z Tonvokal in pour 

-j = langer ü-Laut in jure, 

i» = kurzer ü-Laut in jwste. 

== Zeichen des Ausfalls eines stummen oder dumpfen e (ej. 

b) Halbkonsonanten, 
w — Laut des englischen w. 

j =: tonloser j-Laut in „jeber", stehend hinter einem harten Konso- 
nanten. 

y = tönender j-Laut, entsprechend dem franz. y in payer, stehend 
hinter einem tönenden Konsonanten oder einem Vokale. 

c) Konsonanten. 

k = Laut des c in car. 
g = Laut des g in ^arcon. 

/ = (f) - Laut vor a oder o. tief in der Kehle gesprochen, etwa 

dem schweizerischen entsprechend, 
'h =: der entsprechende tönende Laut des /, etwa gleich dem 

deutschen „!)". 
-jI = Laut des d) in id). 
s =? tonloser s-Laut in «abre. 
s — Laut des franz. ch (chene . 
7. — Laut des franz. j (jour). 
n = Laut gn in compa^non. 

Die übrigen Zeichen entsprechen in ihrem Lautwerte dem Fran- 
zösischen. 

1 Oder ist es möglich, « goutte > in Zusammenhang zu bringen 
mit dem im Schwarzwalde in Verbindungen vorkommenden «Kutt»? 
Vgl. dazu <Strassburger Post> vom 6. August 1887, zweites Blatt — 
E. Goguel nimmt in den wenigen eigenen Bemerkungen zu seiner 
Übersetzung der Nabert'schen Schrift (Revue d'Alsace. 1859) «goutte» 
fälschlich für das deutsche «Gut». 



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- 16 — 



Das bei Urbeis (Kanton Weiler bei Schlettstadt), St. Kreuz, 
Markirch, Zell vorkommende (richtig so zu schreibende) Faite 
ist nichts anders als fastigium = First, Gebirgsrücken. Es ist 
falsch, wenn wir Fete geschrieben sehn und in Urkunden» 
daneben Feste, Feite lesen. 



Ich teile nun auf den nachfolgenden Blättern die an der 
Sprachgrenze von mir gemachten Erhebungen zugleich in Ver- 
bindung mit Beobachtungen über das elsässische Bauernhaus 
mit. 

Die den Namen der Ortschaften in Klammern beigefügten 
Namen sind die Bezeichnungen des französischen Patois. 



i Vgl. Stoffel a. a. 0. 



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I. UNTER-ELSASS. 
1. KREIS MOLSHEIM. 

a. Das Breuschthal. 
Urmatt 

ist vollständig deutsch. Schule, Predigt und Kinderlehre sind 
ebenfalls deutsch. Wir finden dort eine Mischung von fränki- 
schen und allemannischen Häusern, aber die fränkische Bauart 
ist vorwiegend. Oft befindet sich die Treppe zum oberen Stock- 
werke neben dem Hause. 

Lützelhausen. 

In Lützelhausen hörte ich gewöhnliche Leute auf der Strasse 
und in Wirtschaften deutsch, französisch und auch patois 
sprechen. In Urmatt sagt man, dass in Lützelhausen meist 
deutsch gesprochen werde, auch französisch und etwas patois. 
Auch in Schirmeck wird von Lützelhausen gesagt, es sprächen 
dort fast alle Leute deutsch. Ebenso heisst es in den umliegen- 
den französischen Ortschaften, dass Lützelhausen zum grössten 
Teile deutsch sei; einige Familien nur seien französisch. Es 
wird ein Patois gesprochen, welches sich ganz sonderbar an- 
hört, so dass die umliegenden französischen Ortschaften mit 
Recht behaupten, man erkenne den Lützelhauser überall an 
seiner Sprache. In Mühlbach heisst es, dass in Lützelhausen 
fast alle Leute deutsch sprechen können, wenn man mit ihnen 

2 



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- 18 — 

spricht. Es seien sehr wenige Leute dort, die kein Deutsch 
könnten; aber die Meisten sprächen nicht deutsch. Eine 
Mischung der Bevölkerung ist vorhanden. Zu dieser Mischung 
scheinen die Fabriken beigetragen zu haben. 

Die Kinder kommen daselbst in die Schule und können 
nichts gut sprechen, weder deutsch, noch französisch, noch 
palois. Die Predigt und die Kinderlehre sind französisch. 

Auf dem Kirchhofe sind die Aufschriften alle französisch, 
doch sind die Namen etwa 8 Js deutschen und 7s französischen 
Ursprungs. Die romanischen Namen sind dieselben, welche in 
den französisch sprechenden Orten des Thaies vorkommen ; 
einige Leute sind eingewandert. Aus den Aufschriften ersieht 
man, dass Elsässer und Lothringer sich untereinander verhei- 
rateten. Sehr oft kehren Namen wie Oulman, Schuler, Eigle 
wieder. Interessant ist eine Inschrift aus dem Jahre 1815, auf 
welcher folgendes steht : Ici repose Elisabeth Sheiber, eboux de 
Yguaies Herman. Auch die Schilder auf den Häusern tragen 
meist direkt deutsche Namen. 

In dieser Beziehung ist Lützelhausen mit Albesdorf in Loth- 
ringen zu vergleichen, wo fast zu gleichen Teilen beide Elemente 
vertreten sind, freilich so, dass in Lützelhausen das deutsche 
Element etwas vorwiegt. 

M Uhlbach (Melbe) 

ist vollständig deutsch. In einer Wirtschaft konnte, z. B., die 
Frau beinahe kein Französisch. 

Netzenbach (Natsebo). 

In diesem Annex von Lützelhausen wird Patois gesprochen. 
Von hier an nennen sich die Leute auch nicht mehr Elsässer. 
Ich fand dort zwei kleinere Häuser mit der Wohnung über 
dem Stalle. An einem der letzten Häuser nach Lützelhausen zu 
steht ein Kreuz in deutscher Sprache, welches errichtet worden 



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ist im März 1812 von Joseph Gros aus Mühlbach für seinen an 
dieser Stelle durch Messerstiche ermordeten Sohn. 

Wisch (Vix) 

spricht patois. Die Kirchhofau fschriflen sind alle französisch. 
Freilich ist eine Anzahl rein deutscher Namen darunter; aber 
die alten Autschriften, welche bis in das Jahr 1734 zurück- 
reichen, enthalten französische Namen. Am öftesten kehrt der 
Name Charton wieder. 

Hersbach (Herspo). 

Dieser Annex von Wisch spricht patois. Vor einigen armen 
Häusern sprachen die Kinder deutsch. Die Kirchhofaufschriften 
sind alle französisch, gehen aber nicht über die Mitte dieses 
Jahrhunderts hinaus. Wenige Namen sind direkt deutsch. Eine 
Nebengasse daselbst heisst gos' = Gasse, was wohl ein Beweis 
dafür ist, dass der Ort ursprünglich deutsch war. 

Russ (Ris). 

Der Ort spricht patois. Kinder und erwachsene Leute 
sprachen auf der Strasse patois. Die Leute sprechen nur patois 
und französisch. Etwa 3 Familien, welche aus deutschen Teilen 
eingewandert sind, sprechen deutsch. Die Aufschriften auf dem 
Kirchhofe, von denen die älteste aus dem Jahre 1741 ist, sind 
alle französisch. Am Eingange des Dorfes von Hersbach her 
steht rechts von der Kapelle ein Kreuz mit französischer Inschrift 
aus dem Jahre 1786 errichtet par le sieur Nicolas Charton (vgl. 
Wisch), prevöt de la prevöte de Russ. Ebenso steht an dem 
Wege zwischen Russ und Steinbach etwa 100 Meter von Russ 
entfernt ein Kreuz aus dem Jahre 1733 mit französischer In- 
schrift. 

Der obere Teil des Dorfes heisst Heydey (ebenso in Lützel- 
hausen). Dies bedeutet offenbar «Höhe», wie im deutsch spre- 
chenden Lothringen Höhe = he'id'n ist. 



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— 20 - 



Schwartzbach (Swarsb9). 

Dieser Annex von Russ ist vollständig deutsch. Eben des- 
wegen wurde wohl von Kiepert Russ selbst als vorwiegend 
französisch mit deutscher Mischung bezeichnet. 

Steinbach (Stebe). 
Dieser kleine Annex von Russ (4 Häuser) spricht patois. 

Barelibach (Berebe). 

In diesem Orte wird patois gesprochen. Die Kirchhofauf- 
schriften sind alle französisch ; die älteste stammt aus dem 
Jahre 1767. Die Bevölkerung wird in der Umgegend als ein 
eigenartiger, ziemlich grober Menschenschlag bezeichnet. 

Schirmeck (Sermek) und Vorbruck (Labrok). 

In Schirmeck, ebenso wie in Vorbruck, wird meist fran- 
zösisch gesprochen. Ausser den Beamtenfamilien sind in 
Schirmeck noch etwa 8, in Vorbruck etwa 10 deutsch spre- 
chende Familien. Die zum ersten Male in die Schule kommenden 
Kinder sprechen, abgesehen von den Kindern der deutsch spre- 
chenden Familien, nur französisch, einige auch patois. In Vipu- 
celle, einem Teile von Vorbruck, wird noch meist patois ge- 
sprochen. Die Inschriften auf den Kirchhöfen von Schirmeck 
und Vorbruck sind alle französisch, abgesehen von einigen 
wenigen jüngeren Dalums von Beamtenfamilien. Die Namen 
sind auch meist nicht deutsehen Ursprungs. In dem ganzen 
Thale von Wisch bis Rothau sind die Namen fast immer die- 
selben : Charton, Douvier, Marchai, u. s. w. Auch von Namen 
deutschen Ursprungs kehren manche oft wieder. 

In der Kirche von Labroque beßndet sich links neben der 
Kanzel in die Mauer eingelassen ein Stein mit französischer 
Aufschrift aus dem Jahre 1719; auf demselben heisst der Ort 
Labroc en Lorraine. 



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— '21 — 



Das zu Schirmeck gehörende Wackenbach (Vokenu) hat 
patois. Ebenso reden patois die zu Labroque gehörenden Weiler 
Vipucelle, Maison-Neuve, La Claquette y Albet {Q\b$), Frecon- 
rupt, Vacquenoux. Wir treffen in diesen Ortschaften, beson- 
ders in Albet und Freconrupt, den echten type vosgien an. 

Salm y Quevelles (mit Ausnahme von 2 Familien), Hof 
Malplaqnet sind von deutsch sprechenden Mennoniten bewohnt. 
Auch in dem in der Nähe von Quevelles liegenden, zur Ge- 
meinde Plaine gehörenden Weiler Bambois sind Angehörige 
dieser Sekte; ferner ist von Salm vor nicht langer Zeit eine 
Familie nach Schirmeck verzogen, wo sie Milchwirtschaft be- 
treibt. Ausserdem wohnen noch Mennoniten auf dem Gehölte 
Grand- Pre (Gem. Grandfontaine) und etwa 3 Familien in 
Hautfourneau (Gem. Grandfontaine). Dieselben halten sich einen 
Lehrer, welcher in Quevelles ist. In Salm lebt der frühere 
erste Vorsteher dieser Wiedertäufer, Namens Augsburger. 
Andere Familiennamen in Salm sind : Adam, Beller, Hung, 
Meckert, Schlabach. Die Gehöfte bleiben in der Familie und 
werden nur an Familienmitglieder verpachtet. Es befinden sich 
in dieser Gegend im ganzen ungefähr 20 Mennonitenfarnilien 
mit etwa 100 Seelen. 

Grandfontaine. 

Der Ort mit den dazu gehörenden Weilern Framont, 
Hautfourneau , Minieres und den Gehöften spricht patois, wobei 
wir von den unter Schirmeck bereits erwähnten deutsch spre- 
chenden Mennoniten absehen. Der Ort liegt sehr zerstreut. 
W T ir treffen eine grosse Anzahl abgerissener Häuser an, be- 
sonders in Les Minieres. Der Menschenschlag ist lothringisch. 
Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Die Namen sind 
meist romanischen, einige wenige deutschen Ursprungs ; zu 
der letzteren Gattung gehört Stieffatre, wohl auch Peck. (Diesen 
Namen treffen wir auch in Lützelhausen an.) 



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I 



— 22 — 

Rothau (Rot). 

Die Mehrzahl der Bevölkerung spricht französisch, weniger 
patois. Ausser Beamtenfamilien sollen noch etwa 20 Familien 
elsässischer Abkunft, welche deutsch sprechen, in dem Orte 
wohnen. Die deutsch sprechende Bevölkerung ist wohl früher 
weit grösser gewesen. Mehrere Schilder führen deutsche Namen. 
Rothau ist der erste Ort, in welchem Protestanten wohnen, 
und zwar ist die protestantische Bevölkerung ungefähr in gleicher 
Stärke wie die katholische vertreten. Die Protestanten sind 
wohl eingewandert; sicher sind es die protestantischen Fabrik- 
herren. Für eine derartige Einwanderung spricht folgender Um- 
stand. Der Kirchhof in Rothau ist in zwei Hälften geteilt mit 
gemeinschaftlichem Eingange. Auf der rechten Hälfte werden 
die Katholiken , auf der linken die Protestanten begraben. 
In beiden Teilen findet man nur wenige Denkmäler mit 
deutscher Aufschrift. Auffällig ist aber , dass auf dem protes- 
tantischen Teile die Namen meist rein deutschen Ursprungs 
sind, was auf dem katholischen Teile nicht der Fall ist. Rothau 
bildet den Übergang zum Steinthale. 

b. Das Steinthal. 

Das S t e i n t h a 1 , frz. le Ban-de-la-Roche , besteht aus 
den Ortschaften Fouday (Fuda) mit Trouchy, Solbach (Solbe), 
Wildersbach (Vildr/bo) , 1 Neuweiler (Nyevile) mit Rian- 
goutte* und Haute-Gouite, Waldersbach (Va^trepe), Belmont 
(Bßniö) mit Bambois und La Hütte, Belle fosse (Befos'). 

Diese Ortschaften sprechen alle patois. Es ist ausser Rothau 
die einzige patois resp. französisch sprechende protestantische 



1 In « Billing, Geschichte und Beschreibung des Elsasses. Basel, 
1782» heisst Wildersbach auch Wittisbach. Haute-Goutte Oberrothau, 
Waldersbach Vachtersbay. 

2 «Riaugoutte oder Ringelsbach > in «J. Baquol, L'Alsace ancienne 
et moderne. Strasbourg, 1851 >. 



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— 23 — 



Bevölkerung des Elsasses. Man erzählt in der Gegend darüber 
folgendes. Infolge von Krieg (30 jährig.) und Pest sei die ganze 
Bevölkerung ausgestorben gewesen. Es seien nur noch ein 
Mann und eine Frau (Catherine Mila) in Fouday geblieben. 
Diese Frau habe der Kirche zu Fouday eine Wiese geschenkt, 
die jährlich vier Wagen Heu eintrage. Die ausgestorbene 
Bevölkerung sei ersetzt worden durch eine Colonisation aus 
Montbeliard und der Schweiz. Ferner wird noch erzählt: 
Die südlich vom Steinthale gelegenen Orte Colroy-la-Roche , 
St-Blaise-la-Roche und Bliensbach hätten ursprünglich auch 
zum Ban-de-la-Roche gehört und seien protestantisch gewesen. 
Der Herr von Bellefosse, Rathsamhausen, der in der Kirche 
von Fouday begraben liegen soll, habe einmal an einem Bade- 
orte, es wird Baden-Baden genannt, beim Spiele derart verloren, 
dass er, um seine Schulden zu bezahlen, gezwungen gewesen 
sei jene drei Ortschaften zu verkaufen. Seit jener Zeit seien 
diese Ortschaften katholisch. 

In den Ortschaften des Steinthaies wird patois und fran- 
zösisch gesprochen. Aber es ist sonderbar, dass so viele direkt 
elsässische Wörter in dem Patois vorkommen. Etwa 50 solcher 
Wörter sind mir mitgeteilt worden; von diesen führe ich nur 
einige Beispiele an: bäredräk = jus de reglisse, strumpf- 
vävoer = fouleur de bas, birhef = levure, fräse' =. 
manger en gourmand, hilft' = pleurer, rötseyn = refroi- 
dissement, smuts = baiser, häx = sortiere, häxemejstcer 
= maitre sortier, u. s. w. ; ferner sagt man terles' 1 9» für 
«läche-le». 

Die Aufschriften der Kirchhöfe sind alle französisch. Es 
finden sich aber keine alten Denkmäler. Nur in Fouday be- 
findet sich in der Kirche ein alter Grabstein mit einer kaum 
noch lesbaren Inschrift. 

Das zu Neuweiler gehörende Haute-Goutte heisst in dem 
dortigen Patois » ha e le köY = en haut k la cöte « ; in Wilders- 
bach wird der zu Belmont gehörende Weiler Bambois « Freuden- 
eck » genannt. Zu Wildersbach gehören einige Häuser und 



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— 24 — 



Gehöfte, die «Perheux» genannt werden. Man erzählt daselbst, 
auf jener Höhe seien du temps des ours Büren gewesen. Dar- 
nach wäre Perheux eine Entstellung des deutschen Wortes 
< Bärenhöhe » . 

Im Steinthale, besonders in Wildersbach, wird von den 
Kindern ein französisches Lied gesungen mit einem Refrain, 
welcher entstelltes Deutsch darstellt. Seine Bedeutung kennt 
man dort nicht mehr. Der Anfang des Refrains «E homfoer 
kom , e kom do här » ist das Deutsche : « He ! Jungfer, 
komm, he ! komm daher. » 

Natzweiler. 

Natzweiler, welches von Neuweiler nur durch einen Bach 
getrennt ist, ist vollständig deutsch und katholisch. Es giebt 
keine Familien daselbst, welche nicht Deutsch sprächen. Dass 
Natzweiler vollständig deutsch blieb, rührt daher, dass es zum 
Bistum Strassburg gehörte, während das Steinthal Eigentum 
der protestantischen Herren zum Stein war. Da die Bewohner 
von Natzweiler keinen Verkehr mit den nahe liegenden fran- 
zösisch sprechenden Ortschaften hatten, deutsch katholische 
Ortschaften aber nicht in der Nähe waren, so waren sie voll- 
ständig auf den Verkehr unter sich angewiesen. 

Auf der Strasse nach Rothau steht neben der Kapelle rechts 
ein Kreuz mit französischer und deutscher Inschrift aus dem 
Jahre 1869; am Eingange des Dorfes steht ein anderes doppel- 
sprachiges aus dem Jahre 48*23 , auf welchem die deutsche In- 
schrift an erster Stelle ist. Die meisten Grabmäler auf dem 
Kirchhofe haben eine deutsche Aufschrift. Manche in franzö- 
sischer Sprache sind nicht frei von Fehlern. 

Bliensbach (Byeseri). 
Dieser Ort hat eine Patoisbevölkerung. 



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— 25 — 



Plaine (Pj$n'). 

Plaine, die dazu gehörenden Dörfer Champenay (Säpena), 
Diespach (Dyeyjpä), die Weiler Devant-Fouday , Fosses, Poutay 
(Puta) und die Gehöfte reden patois, ausser dem schon unter 
Schirmeck erwähnten Weiler Bambois mit 25 Einwohnern, 
welche deutsch sprechende Mennoniten sind. Das gesprochene 
Patois ist dasselbe wie in Saulxures, Saales, Bourg-Bruche, St- 
Blaise, Colroy-la-Roche, Ranrupt. 

Saulxures (SasTr') 

mit den zu dieser Gemeinde gehörigen Weilern Goutte, Gout- 
trangoutte (im Patois le bes=les basses), Grandroue, Lombas 
und Gehöften hat patois. Die Kirchhofaufschriften sind, wie in 
Plaine, alle französisch. Links vom Kircheneingange ist ein 
Stein eingemauert, auf welchem von Schnörkeln umgeben die 
Jahreszahl 1587 steht. 

Die jungen Leute beiderlei Geschlechts arbeiten alle in 
französischen Fabriken. Sie gehen am Sonntag Abend fort, 
indem sie ihr Essen, welches zumeist aus Kartoffeln besteht, 
für die ganze Woche mitnehmen , und kehren am Samstag 
Abend zurück. 

St-Blaise (Se Bya>;), 

Colroy-la-Roche (Koro le RoS'), Ranrupt (Räru) mit Weilern 
und Gehöften sprechen patois. Das zu Ranrupt gehörige Mettimpre 
heisst in der Gegend « Etimpre ». Die Kirchhofaufschriften sind 
alle französisch. 

In dem Patois dieser Ortschaften findet man auch einige 
deutsche Wörter, weit weniger aber als in dem Steinthale, z. B. : 
by er lief = levure, fräse' = manger en gourmand. 



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- 26 - 



Bourg-Bruche (Bre/, I9 borg) 

mit den Weilern Bruche, Charasses, Paires und den Gehöften 
Alhan, Ardoise, Chalmeuche , Geligoutte, Grandroue sind 
patois. In Hang, Evreuil und auf dem Hofe Fraise sind 
deutsch sprechende Mennoniten, zusammen etwa 120 Seelen. 

Saales (SöT) 

mit Gehöften spricht patois. 

In Saales, wie in allen an der Strasse Schirmeck-St- 
Die liegenden Ortschaften, wird infolge des Verkehrs mehr oder 
weniger auch französisch gesprochen. 

2. KREIS SCHLETTSTADT. 
Das Giessenthal. 

Steige (Stes'). 

Der Ort wird von Nähert für das Jahr 1844 als deutsch 
bezeichnet. Die Höfe Architte, Bas-des-Monts, Mine, Rose- 
pres , Woisslingoutte aber sind dem Namen nach ursprüng- 
lich patois. 

Heute ist er sicher französisch ; man spricht vornehmlich 
patois. Etwa 50 Personen über 50 Jahre können deutsch. 
Ausserdem sind etwa 5 eingewanderte Familien in Steige, 
welche im Hause deutsch sprechen. 

Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch , bis auf ein 
altes Grabmal aus dem Jahre 1720 in deutscher Sprache. Die 
Namen auf den Kreuzen sind teils französischen, teils deutschen 
Ursprungs. 

Der Ort ist in 4 Quartiere eingeteilt, von denen einer la 
gas' = Gasse genannt wird. 

Auf einem nordöstlich vom Orte liegenden Gehöfte wohnt 
eine deutsch sprechende Mennonitenfamilie. 



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Die Möglichkeit der Romanisierung von Steige war durch 
seine Lage gegeben. Steige liegt in einem engen Thale, eigent- 
lich an einem Abhänge. Unten am Dorfe etwa 100 m hinter 
den letzten Häusern macht das Thal eine plötzliche Biegung 
und erweitert sich bedeutend. 

Meisengott 

ist der erste deutsch sprechende Ort in diesem Nebenthaie des 
Giessens. Der dazu gehörige Weiler Wagenbach heisst in Steige 
Wäbax oder Wabe. 

Wir treffen hier neben der fränkischen Bauart allemannische 
Häuser mit Wohnung über der Stallung. Oft ist auch die 
Giebelseite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet, was in 
Steige noch nicht vorkommt. 

Ferner sind vollständig deutsch Breitenbach , St. Martin, 
Weiler, ausserdem Bassenberg, Neukirch mit dem an das Dort 
Breitenau anstossenden Weiler Breitenau, ferner Diefenbach mit 
Hirtzelbach , Gereuth und der zur Gemeinde Kestenholz ge- 
hörige Weiler Wamel. 

In allen diesen Ortschaften finden wir einige allemannische 
Häuser mit Stallung im Erdgeschoss und Wohnung darüber; 
auch ist öfters die Giebelseite des Hauses gegen die Strasse 
gerichtet. Die Gebäude sind oft ganz aus Holz gebaut. 

Urbeis (ÜErpe). 

Hier wird patois gesprochen. Auch in diesem Patois, ebenso 
wie in dem von Laach, Fouchy, sind einige deutsch -elsässische 
Worter : Vascerstgyn =: evier, forp' = couleur, bwob = 
garcon. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Am Ein- 
gange des Dorfes von Weiler her steht ein Kreuz aus dem 
Jahre 1689 mit französischer Inschrift. 

Die Häuser, welche alle über dem Scheunenthor einen 
Rundbogen haben , tragen über dem Eingange die Jahreszahl 



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- 28 - 



der Erbauung. Die ältesten sind aus dem Jahre 1731 , die 
meisten aber aus den Jahren 1778—1798; die übrigen sind 
späteren Datums. Auch die Kirche ist aus dem Jahre 1789. 

Die zu Urbeis gehörenden Weiler und Gehöfte reden patois, 
ausser Climont, Housserelle , Plaine-Dessus, Maison-Blanche, 
Schlague, wo eine deutsch sprechende Bevölkerung wohnt. Diese 
Bevölkerung verteilt sich unter Wiedertäufer (Mennoniten), 
Lutheraner und Calvinisten. Sie haben auch drei verschiedene 
Kirchhöfe; der eine am südlichen Abhänge des Climont, der 
zweite im Osten und der dritte im Norden des Climont in 
Evreuil (vgl. Bourg-Bruche) ; letzterer ist der Kirchhof der 
Mennoniten. 

Laach (Lela) 

mit Weilern und Gehöften spricht patois. Der in dem Ortschafts- 
verzeichnis als « Beheu », auf der kleinen Generalstabskarte als 
« Abscheu » bezeichnete Hof wird « Ob'ho^ » genannt. Die Kirch- 
hofaufschriften sind alle französisch. 

Grube (Fouchy) 

spricht patois mit den dazu gehörenden Weilern und Gehöften. 
Einige wenige deutsch sprechende Familien sind eingewandert. 
Auch in Schnampt ist eine deutsch sprechende Pächterfamilie 
aus St. Kreuz im Leberthale. Die Aufschriften auf dem Kirch- 
hofe sind alle französisch. Auf dem Wege nach Breitenau steht 
ein Kreuz mit französischer Inschrift aus dem Jahre 1731. 

Breitenau. 

Von diesem Orte sprechen nur patois der Weiler Froide- 
Fontaine und das Gehöft Sechegoutte (Aschigotitte in dem 
Ortschaftsverzeichnisse). Der Ort selbst wird von den französisch 
.sprechenden Ortschaften als ursprünglich ganz deutsch bezeichnet. 
Jeder soll in dem Orte sogar deutsch können. In sehr vielen 
Häusern wird auch deutsch gesprochen ; im übrigen auch patois 



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und französisch. Der erste Eindruck ist der einer deutschen 
Ortschaft. Das Patois ist ein Gemisch von deutsch-elsassisch, 
französisch und patois. Die Leute haben einen sonderbaren 
französischen Accent. Die Schule ist ganz deutsch, Predigt und 
Kinderlehre französisch. 

Dieses Verhältnis erklärt sich wohl daraus, dass bis zum 
Jahre 1868 Breitenau keine Kirche, noch auch einen eigenen 
Kirchhof hatte, sondern die Einwohner nach dem patoi3 spre- 
chenden Fouchy in die Kirche gingen. Dieser häufige Verkehr 
mit Fouchy wird wohl den Ort französiert haben. Dass der auf 
der anderen Seite des Baches liegende, an Dorf Breitenau an- 
stossende, zur Gemeinde Neukirch gehörende Weiler Breitenau 
nur deutsch spricht, erhellt aus dem Umstände, dass die dor- 
tigen Bewohner nach dem deutsch sprechenden Neukirch in 
die Kirche gingen. 

Durch obiges Verhältnis wurde bewirkt, dass in dem Dorfe 
Breitenau kein Idiom richtig und rein gesprochen wird. Der 
Ort durfte als gemischt bezeichnet werden, und zwar wenigstens 
als überwiegend französisch mit Rücksicht auf Froide-Fontaine 
und Sechegoutte und einige patois sprechende Familien in 
Breitenau selbst. Für den deutschen Ursprung spricht auch 
der Umstand, dass einige alte allemannische Häuser mit Woh- 
nung über der Stallung sich vorfinden. 



II. OBER-ELSASS. 
1. KREIS RAPPOLTS WEILER. 

a. Das Leberthal. 

Deutsch-Rumbach . 

Der Ort an sich, ohne Weiler und Gehöfte, mit ungefähr 
1050 Einwohnern, ist sprachlich gemischt, aber so, dass die 
patois sprechende Bevölkerung überwiegt. Etwa Ys spricht 
deutsch. Es sind viele Fabrikarbeiter aus deutschen Teilen ein- 
gewandert; ausserdem können die alten Leute von 70 Jahren 
noch etwas deutsch. 

Dem Namen nach ist der Ort ursprünglich deutsch ge- 
wesen. Die deutsche Sprache ist später wohl dadurch verdrängt 
worden, dass die patois sprechende Bevölkerung des Gebirges 
nach Deutsch-Rumbach zog. Denn die Weiler und Gehöfte, 
welche sich bis zur französischen Grenze hinziehen, reden voll- 
standig patois ; nur in La Hingrie wohnt ein deutsch sprechen- 
der Pächter aus Markirch. Diese Weiler und Gehöfte haben 
auch französische Namen. Die Kirchhofaufschriften in Deutsch- 
Rumbach sind französisch ; man findet aber auf denselben viele 
deutsche Namen. Ich sah in Deutsch-Rumbach 6 Häuser mit 
Wohnung über der Stallung, wobei die Treppe von aussen zur 
Wohnung hinaufführte. 



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- 31 — 



Leber au. 

Etwa Vs der Bevölkerung (ungefähr 750 Einwohner) ist 
deutsch; und zwar sitzt der deutsch sprechende Teil meist in 
Leberau selbst. Die Weiler und Gehöfte sprechen mit geringer 
Ausnahme vollständig patois, ausser Spiemont, wo Mennoniten, 
etwa 20 Seelen, sind. Von diesen heisst es, dass sie ihre Toten 
im Garten zu begraben uud über dem Grabe jedesmal einen 
Baum zu pflanzen pflegten. 

Der Schulunterricht ist zum Teil deutsch, zum Teil fran- 
zösisch. Etwa 1/4 der Kinder spricht deutsch, wenn sie zum 
ersten Male in die Schule kommen. Viele (Je werbtreibende 
(Wirte) und Arbeiter sind aus dem deutschen Teile eingewan- 
dert. Auf der Strasse hört man französisch, wenig patois, aber 
auch sehr oft deutsch sprechen. 

Die Predigt ist französisch ; für die nicht französisch 
sprechende Bevölkerung werden der französischen Predigt einige 
Worte in deutscher Sprache angefügt. 

Die Kirchhofsaufschriften sind französisch ; mehrere Namen 
auf denselben sind rein deutschen Ursprungs. Im Kirchhofe 
auf der rechten Seite der Kirche liegt ein 2,20 m langer und 
1,io m breiter Grabstein mit deutscher Inschrift. Es ist der 
Grabstein der Herren von Eckerich, welche in der Kirche als 
deren Gründer begraben worden waren. Die Inschrift besagt : 
«Hier liegen die von Eckeric im Gotteshaus.» Der Stein wurde 
später als Altarstein benutzt. Jetzt liegt er leider in ganz ver- 
wahrlostem Zustande auf dem Kirchhofe. 

St. Kreuz. 

Der Ort selbst ist fast ganz deutsch, etwa 1900 Einwohner. 
Dagegen sprechen die zur Gemeinde gehörenden im Gebirge 
liegenden Weiler patois. 

In den ursprünglich ganz deutschen Ort sind wohl, durch 
die Fabriken und den Verkehr herbeigezogen, einige französisch 



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— 32 — 



sprechende Familien aus dem Gebirge eingewandert. Man hört 
sehr viel französisch, wenig patois sprechen, aber an der 
Sprache schon ist leicht zu merken, dass das Deutsche die 
Muttersprache ist. Predigt und Kinderlehre sind französisch. 
Die Aufschriften auf dem Kirchhofe sind alle französisch ; der- 
selbe ist nicht alt. Die Namen sind zum grössten Teile rein 
deutsch ; man trifft wohl auch einige lothringische Familien- 
namen an. 

Die bedeutendsten Weiler sind Gross-Rumbach und Klein- 
Rumbach. In beiden lebt eine patois sprechende Bevölkerung, 
ein ganz anderer Typus von Menschen als in St. Kreuz. In 
Gross-Rumbach giebt es noch ganz alte Leute, welche deutsch 
verstehen. Die Kinder können, wenn sie in die Schule kommen, 
nur patois; die Eltern sprechen es meist mit ihnen. In Klein- 
Rumbach, wo auch patois gesprochen wird, sind einige einge- 
wanderte deutsch sprechende Arbeiter, welche in den Webereien 
beschäftigt sind. Ich sah dort 2 Häuser mit Wohnung über 
der Stallung. 

Die Stadt an sich ist fast ganz deutsch ; es sind darin 
wohl wenige Familien, die nicht eigentlich deutschen Ursprungs 
sind. Auf den meisten Schildern stehen un französierte deutsche 
Namen. Die frühere Unterscheidung zwischen dem lothringi- 
schen, französisch sprechenden Markirch auf dem linken Leber- 
ufer und dem deutsch sprechenden auf dem rechten ist fast 
vollständig verwischt. Einen Rest davon mag man noch darin 
erkennen , dass in den auf dem linken Ufer sich befindenden 
Weilern und Gehöften teilweise Patoisfamilien sitzen, so in 
Cöte, Fenampt, Klein-Leberau, Hergaachamps , Champ-de- 
la-Chatte (Katzenacker) Grange-Johe , Gretschy , Haut-de- 
Faite, Pfaffenloch, Wüstenloch, im ganzen etwa 40 Familien. 
Auch in Eckkirch wohnen etwa 6 Patoisfamilien, die aus 
französischer Gegend eingewandert sind. In den auf dem 
rechten Ufer der Leber liegenden Weilern und Gehöften ist 



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— 33 — 

alles deutsch, so dass die meisten sogar kein Französisch ver- 
stehen. Nach Eckkirch hat vor 2 bis 3 Menschenaltern eine 
Einwanderung von Schweizern stattgefunden. Für noch fernere 
Einwanderungen spricht der Umstand , dass in Markirch und 
Umgebung allein eine konfessionell gemischte Bevölkerung sich 
vorfindet. Eine konfessionell gemischte Bevölkerung hat, z. B., 
auch der Weiler Zillhart (St.-Pierre-sur-l'Hätte). In der 
dortigen sehr alten Kirche befinden sich mehrere Grabinschriften 
in deutscher Sprache, darunter eine aus dem Jahre 1563. 
Leider sind diese Grabsteine durch den darauf stehenden Altar 
der Protestanten verdeckt. 

Altweier (frz. Aubure). 

Man unterscheidet das «welsche» Dorf und das «ditsche» 
Dorf. Das welsche Dorf (198 Einwohner = 2/3) spricht patois und 
französisch und ist katholisch ; es bildet den eigentlichen Kern, 
den zusammenhängenden Teil des Dorfes. Die deutsch sprechende 
Bevölkerung (95 Einwohner == 1/3) ist protestantisch und wohnt 
meist auf zerstreuten, gegen Markirch liegenden Gehöften. Auch 
diese Protestanten werden eingewandert sein. Früher waren 
auch Mennoniten in Altweier. 

Auf dem katholischen Kirchhofe sind die Inschriften alle 
französisch, auch die Namen sind mit einer Ausnahme franzö- 
sischen Ursprungs. Auf dem protestantischen Kirchhof sind 
die Inschriften alle deutsch , auch das Missionskreuz, welches 
aus dem Jahre 1862 ist. 

b. Das Be>,hine- und Weissthal. 

Urbach (frz. Freland) 

mit Weilern und Gehöften spricht vollständig patois. Besonders 
in den kleinen Weilern findet man sehr oft Leute, welche gar 
kein Französisch verstehen; es sind dies vorzugsweise Frauen, 
welche niemals ihre Geburtsstätte verlassen haben. 

3 



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— 34 - 



Schnierlach (frz. La Poutroie) 

mit Weilern und Gehöften redet ebenfalls patois. Nur in 
Schnierlach selbst, wo, ebenso wie in Hachimette, sehr viel 
französisch gesprochen wird, sind schon seit wenigstens 20 
Jahren einige deutsch sprechende Familien , besonders aus 
Kaysersberg und Umgegend , eingewandert ; es sind meist 
Gewerbt reibende (Wirte, etc.). In einigen Familien stammt der 
Mann oder die Frau aus einem deutsch sprechenden Orte. 

Biedolshausen. 

Der französische Name Le Bonhomme ist eigentlich der 
Name des Berges und erscheint als Name der Ortschaft erst im 
letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Diedolshausen mit Weilern 
und Gehöften spricht ebenfalls patois. Im Orte selbst wird sehr 
viel französisch gesprochen. Derselbe macht den Eindruck eines 
wohlhabenden Städtchens. 

Zell (frz. La Baroche), 

welches nur aus Weilern und Gehöften besteht, redet vollständig 
patois. 

Urbeis (frz. Orbey) 

mit Weilern und Gehöften spricht patois. Auch hier sind wenige 
deutsch sprechende Familien besonders als Gewerbtreibende 
(Wirte) aus Kaysersberg und Umgegend eingewandert. Da in 
einzelnen Weilern, z. B. in Hautes-Hutles (190 Einwohner) 
Heiraten nur zwischen Ortsansässigen selbst stattfinden, so 
ist begreiflich, dass die Zahl der Idioten und Krüppel nicht 
gering ist. 

Auf den Kirchhöfen dieser französisch sprechenden Ort- 
schaften sind die Aufschriften alle französisch. Man findet aber 
doch einige rein deutsche Namen. Die Kreuze an den Wegen 
haben alle französische Aufschriften; darunter ist eines aus dem 
Jahre 1698. 



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— 35 - 



Das in diesen Thälern gesprochene Patois enthält einige 
elsässische Wörter ; sie beziehen sich auf eine verfeinerte 
Lebensweise, so : v a s ce r s t e y n = evier , k 9 k e 1 h 9 f == 
Kugelhopf, b9toervek = pain au lait, bäredrak = jus 
de reglisse ; ferner hax' = sortiere (aber auch z e n a s '), 
g r a b 1 e l = chätouüler (aber auch k w a 1 1 i). 

Kaysersberg 

mit Alspach, Ammerschweier , Katzenthal, Niedermorscli- 
weier sind vollständig deutsch. 

2. KREIS COLMAR. 

Das Münsterthal. 

Das Münsterlhal, welches durch das Thal der Fecht 
und den Kleinthalbach gebildet ist und sich bis Türkheim aus- 
dehnt, ist vollständig deutsch. Die Sprachgrenze fällt also hier 
mit der politischen Grenze zusammen. 

In den südlich von Münster gelegenen, zur Gemeinde Esch- 
bach gehörigen Häusergruppen Erschlitt mit 45 und Solberg 
mit 31 Einwohnern soll die Bevölkerung ursprünglich patois 
gesprochen haben und aus einem französisch sprechenden Teile 
der Vogesen eingewandert sein. Heute ist von dieser Einwande- 
rung kaum noch eine Spur zu merken. Diese Leute, welche 
Eigentümer sind , antworten in deutscher Sprache , wenn man 
sie französisch anredet. Im Hause selbst wird deutsch gesprochen. 
Ganz alte Leute konnten in Erschlitt früher patois, in Solberg 
können es noch einige Greise. Aber die Kinder sprechen nur 
deutsch. 

Die Bauart ist in dem ganzen Thale zumeist die alleman- 
nische. Wir finden Wohnung über der Stallung sowohl in den 
auf der rechten Fechtseite liegenden Ortschaften als in den auf 
der linken Seite liegenden , an das Französische angrenzenden 



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— 36 



Stossweier und Sulzern. Die Treppe führt von aussen in das 
obere Stockwerk. 

Dass besonders in den grösseren Orten und da, wo Fabriken 
sich befinden (z. B. Mülhausen, Gebweiler), die Leute sich 
viele Mühe geben französisch zu sprechen, ja sehr oft kein 
deutsch zu können vorgeben, ist. allgemein bekannt, nicht nur 
für diesen Teil des Elsasses, sondern so ziemlich für das ganze 
industrielle Elsass überhaupt. Aber das so entstandene Franzö- 
sisch kann ein gewisses elsassisches Gepräge nicht abstreifen, 
und die ursprünglich französisch sprechenden Einwohner des 
Elsasses, zumal des oberen Breuschthales, empfinden den Un- 
terschied recht deutlich. Gewiss erklärt sich diese Erscheinung 
geschichtlich zum Teil aus dem Umstand, dass das Bedürfnis 
einer feineren und gesitteteren Gesellschaftssprache sich bei 
dem lebhaften Verkehr solcher Kreise besonders geltend gemacht 
hat ; da aber der Dialekt in diesen oberallemannischen Gegen- 
den von der deutschen Einheitssprache noch nicht verdrängt 
worden war, so übernahm die Rolle des Hochdeutschen im 
übrigen Deutschland eben das Französische. 

Rein deutsch sind folgende an die französisch sprechenden 
Zell und Urbeis angrenzende Ortschaften : Türkheim, Zimmer- 
bachy Walbach, Weier im Thal, Gimsbach, Hohrod, Sulzern 
mit Weilern und Gehöften. Ferner sind folgende äusserste 
Punkte des Münsterthaies deutsch : Stossweier, Mühlbach und 
Metzerai mit ihren westlichsten Weilern und Gehöften. 

3. KREIS THANN, 
a. St Amarin- oder Thurthal. 

Das St. Amarinthal ist ganz und gar deutsch. Auch hier 
bildet also die politische Grenze zugleich die Sprachgrenze. 

Hüsseren-Wesserling , welches als überwiegend deutsch 
mit französischer Mischung bezeichnet wird, ist vollständig 
deutsch. Schulunterricht, Predigt und Kinderlehre in der katho- 
lischen Kirche sind deutsch. Eine zweite Kirche für die Fabrik- 



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— 37 — 



besitzer, welche aus der Schweiz eingewandert sind, ist protes- 
tantisch. Auf dem Kirchhofe befindet sich zwar nur eine Auf- 
schrift in deutscher Sprache, aber alle Namen sind deutsch; 
manchmal sind auf diesen französischen Inschriften grobe ortho- 
graphische Fehler. 

Hüsseren-Wesserling gehörte früher mit Storkensauen und 
Urbis zur Pfarrei Mollau. 

Die längs der Grenze liegenden äusserslen Punkte sind : 
Wildenstein y Kridh, Odem, Felleringen, Urbis, Storkensauen, 
Mollau. 

b. Das Dollerthal. 

Das Dollerthal ist deutsch, so dass also wiederum die poli- 
tische Grenze mit der Sprachgrenze zusammenfallt. Auch die 
vier als vorwiegend deutsch mit französischer Mischung be- 
zeichneten Ortschaften Oberbruck, Masmünster, Sentheim und 
Morzweiler sind vollständig deutsch. 

In Masmünster sind die Kirchhofaufschriften wenigstens 
zur Hälfte deutsch, aber die Namen sind alle rein deutsch. 
Schule, Predigt, Gebet und Kinderlehre sind deutsch, ebenso 
in Oberbruck, Morzweiler und Sentheim. In Masmünster ist 
jeden Monat eine französische Predigt. 

In Aue sind nur einige Häuser mit Wohnung über dem 
Stalle; sonst finden wir überall die oben (Seite 8 ff.) beschrie- 
bene Bauart. 

Die im Dollerthale liegenden Ortschaften sind: Rimbach 
mit dem Weiler Ermensbach, Sewen, Dollern, Oberbruck, 
Wegscheid, Kirchberg, Niederbruck, Sickert, Masmünster, 
Aue, Sentheim, Morzweiler, Ober- und Nieder-Sulzbach. 

4. KREIS ALTKIRCH. 
Dief matten, 

Stemenberg, Gevenatten, Ober- und Nieder-Traubach sind 
deutsch. Auch Bnlckensweüer, welches bei Nabert ausserhalb 



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— 38 — 

des deutsch sprechenden Gebietes liegt, und bei Kiepert als 
überwiegend deutsch bezeichnet wird, ist vollständig deutsch. 
Die Leute verstehen oft kaum französisch. Die Kreuze an den c 
Strassen und Wegen haben eine deutsche Aufschrift. 

Bretten. 

In etwa 10 Familien, abgesehen von den Beamten, wird 
im Hause deutsch gesprochen. Im übrigen kann ungefähr ein 
jeder etwas deutsch infolge des Verkehrs mit Sternenberg, das 
zur Pfarrei Bretten gehört. Ausserdem ist die Predigt schon 
seit über 20 Jahren abwechselnd französisch und deutsch ; die 
französische Predigt ist für Bretten, die deutsche für Sternen- 
berg. Die Kirchhofaufschriften sind französisch bis auf zwei, 
deren eine von einer Beamtenfamilie herrührt, die andere eine 
in Gevenatten geborene und in Sternenberg gestorbene Person 
betrifft. Hier ebenfalls kehren dieselben meist französischen 
Namen immer wieder; einige sind auch deutschen Ursprungs. c 

Welschensteinbach (frz. Eteimbes) 

redet palois. Zwei aus dem deutschen Teile des Elsasses einge- 
wanderte Männer sind hier verheiratet, diese sprechen mit ihren 
Kindern deutsch; ausserdem fand ich noch eine alte Frau, 
welche kein Wort französisch konnte. Die Kirchhofaufschriften 
sind alle französisch. 

Barons weiler und St. Kosman 

sprechen patois. In St. Kosman wohnen zwei aus Brückensweiler 

eingewanderte Familien. Auf den Kirchhofinschriften beider 

Orte kehren immer dieselben französischen Namen wieder. In , 

St. Kosman, z. B., liest man fast nur den Namen Guittard. 

Die Leute verheiraten sich nur mit Verwandten, damit das 

Vermögen in der Familie bleibe. In der Kirche zu St. Kosman 



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— 39 — 



sind 4 Grabsteine in lateinischer Sprache, von denen der älteste 
aus dem Jahre 1687 datiert. 

Schaffnat am Weiher (Tsavon' tsy l'ete). 

Der Ort spricht patois. Ausser 7 Beamtenfamilien sind einige 
deutsch-elsässische Frauen hier verheiratet. 

Altmünster Ol (Vey- Metrie), 

ursprünglich patois und französisch, ist durch die vielen Be- 
amten sprachlich gemischt geworden. 

JungmÜnsterol (Dibn'-Metrüe), 

Menglatt (M^ni), Willem (Römern), Luttern (L'tra), Gottesthal 
(in den Patoisortschaften Väde, in den deutschen Grüne) reden 
patois. Ausser den Beamtenfamilien sind in jede dieser Ort- 
schaften einige wenige deutsch sprechende Familien eingewandert. 
In Gottesthal sind etwa 5 deutsche Familien. In Luttern, 
welches bei Kiepert als überwiegend deutsch bezeichnet ist, 
befinden sich auf den durchgängig französischen Kirchhofin- 
schriften keine deutschen Namen. Die Leute können hier über- 
all mehr oder weniger deutsch durch den Verkehr mit den 
deutsch redenden Ortschaften ; sie gehen, z. B., wöchentlich auf 
den Markt nach Dammerkirch. Diese französischen Orte kennen 
meist die deutsch sprechenden, während ich umgekehrt in den 
deutsch redenden Orten Leute fand, denen die französischen 
sogar dem Namen nach unbekannt waren, weil sie, wie sie 
sagten, bei den « Welschen » selten oder gar nicht verkehrten. 

Ellbach, Dammerkirch, 

Retzweiler (in den Patoisortschaften Ketivelei), Mansbach mit 



i Vgl. bei Stoffel Ratierviller 1251, Ratieviller 1413. 



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- 40 - 



St. Liggert, Altenach, St. Ulrich, Merzen, Strüth, Hindiingen, 
Friesen, Ueberstrass, Niedersept, Obersept, Moos, Pfetter- 
hausen sind vollständig deutsch. Diese Orte sind von den fran- 
zösisch sprechenden getrennt durch grosse Wälder mit Weihern. 
Die Sprachgrenze fallt auf dieser Strecke mit der politischen 
zusammen. 

Ottendorf (Kotsavö) 

spricht patois. Etwa 8 Familien sind eingewandert und sprechen 
deutsch. Viele Leute können etwas deutsch durch den Verkehr 
mit den angrenzenden deutsch sprechenden Ortschaften. Die 
Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Die meisten Namen 
sind französischen, einige wenige deutschen Ursprungs. 

Luffendorf (L'vöko) 

spricht patois. Etwa 8 Familien, in denen deutsch gesprochen wird, 
sind eingewandert. Auch hier können die meisten Leute etwas 
deutsch infolge des Verkehrs mit den deutsch sprechenden 
Ortschaften. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Auch 
die Namen sind meist französischen, wenige deutschen Ur- 
sprungs. Die Kinder sprechen nur patois und französisch, wenn 
sie in die Schule kommen. 

Lützel 

mit den dazu gehörigen Weilern und Gehöften ist vollständig 
deutsch. Die Leute gehen nach dem ganz deutschen Winkel 
in die Kirche. Auf dem Kirchhofe zu Lützel sind die Aufschrif- 
ten nur zur Hälfte deutsch ; aber die Namen sind alle deutschen 
Ursprungs. Am Eingange des Weilers Glashütte, aus etwa 
5 Häusern bestehend, steht ein Kreuz mit deutscher Inschrift 
aus dem Jahre 1879. 

Dass Lützel als überwiegend französisch bezeichnet werden 
konnte, rührt daher, dass die Arbeiter des jetzt eingestellten 



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— 41 — 



Eisenwerkes meist aus französisch sprechenden Ortschaften der 
Schweiz waren. 

Auf den Gehöften Gross- Kohlberg, Klein-Scholis, St. Peter 
wohnen Mennoniten. Ebenso in den zur Gemeinde Oberlarg 
gehörenden Gehöften Ebourbette, Glashütte, Vacherie, in dem 
zur Gemeinde Lutter gehörenden Gehöfte Blochmont, in dem 
zur Gemeinde Biederthal gehörenden Gehöfte Lenhausen, in 
dem zur Gemeinde Riesbach gehörenden Gehöfte Baumerthof ; 
endlich wohnen noch 2 Familien in Pfirt. 

Im übrigen sind alle zum Kanton Pfirt gehörenden Ort- 
schaften vollständig deutsch. Ich führe nur diejenigen auf, 
welche bis jetzt als vorwiegend deutsch bezeichnet wurden : 
Alt-Pfirt, Bendorf, Bettlach, Buchsweiler, Dürlingsdorf, Ditr- 
menach, Fislis, Kiffis, Köstlach, Liebsdorf, Linsdorf, Lüx- 
dorf, Lutter, Mittelmüspach, Mörnach, Moos, Niedermüspach, 
Oberlarg, Obermüspach, Oltingen, Pfirt, Raedersdorf, Rop- 
penzweiler, Sondersdorf, Werenzhausen, Winkel, Wolsch- 
weiler. 

Aber auch in einer Reihe von Ortschaften des Arrondisse- 
ment de Beifort, vorzüglich in Beifort und Rougemont, treffen 
wir deutsch sprechende Familien an. Die Gründe sind teils 
administrativer, teils socialer Natur. Bis zum Jahre 1870 ge- 
hörte dieses Arrondissement zum Ober-Elsass. Zweitens aber ist 
in diesen dem Verkekr mit dem südlichen Teile des Ober- 
Elsasses leicht zugänglichen Gegenden in neuerer und neuester 
Zeit die Fabrikbevölkerung mannigfach hin und her gewandert. 



Nach diesen Erhebungen ergeben sich folgende Ortschaften 
als gemischt. 

Vorwiegend deutsch sind : 

Im Unter-Elsass, Kreis Molsheim : Lützelhausen ; 
im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : Markircb, 
St. Kreuz im Leberthal. 



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— 42 — 

Vorwiegend französisch sind : 

Im Unter-Elsass, Kreis Schleltstadt : Breitenau; 

im Ober-Elsass , Kreis Rappertsweiler : Altweier, 
Deutsch-Humbach, Leberau ; Kreis Altkirch : Altmünsterol, 
Bretten. 

Die Sprachgrenze wird sich zwischen zwei Linien bewe- 
gen, einer deutschen und einer französischen. Die deutsche 
Linie geht : 

In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen 
nach Muhlbach, Schwartzbach, Grendelbruch, Natzweiler mit 
Stroutthof, Hohwald, Breitenbach, Meisengott, Wagenbach, 
Bassenberg, durch Breitenau über den Bann von Neukirch nach 
Hirtzelbach, Diefenbach, Gereuth, Wanzel ; 

In Ober-Elsass : Durch Deutsch-Rumbach und Leberau nach 
St. Kreuz, Markirch mit Eckkirch, Klein-Leberau und Rauen- 
thal, durch Altweier über Rappoltsweiler Bann auf Reichenweier 
Bann nach Bildsteinthal (Neudörfel) und Ursprung, Alspach, 
Kaysersberg, Ammerschweier, Katzenthal, Niedermorsch weier, 
Türkheim, Zimmerbach, Walbach, Weier im Thal, Günsbach, 
Hohrod, Sulzern, Stossweier, Mühlbach, Metzerai, Mittlach, 
Wildenstein, Krüth, Odern, Felleringen, Urbis, Storkensauen, 
Mollau, Rimbach, Ermensbach, Sewen, Dollern, Kirchberg, 
Niederbruck, Masmünster, Aue, Morzweiler, Ober-Sulzbach, 
Nieder-Sulzbach, Diefmatten, durch Bretten nach Sternenberg, 
Gevenatten, Ober-Traubach, Brückensweiler, Ellbach, Retzweiler, 
Mansbach, Altenach, St. Ulrich, Strüth, Hindiingen, Friesen, 
Ueberstrass, Niedersept, Pfetterhausen, über den Bann von 
Moos nach Liebsdorf, Oberlarg, Lützel. 

Die französische Linie geht : 

In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen 
nach Netzenbach, Wisch, Hersbach, Russ, Steinbach, ßaren- 
bach, Schirmeck, Vorbruck, Rothau, Neuweiler mit Riangoutte 
und Haute-Goutte, Belmont mit Hütte und Bambois, Bellefosse, 
Fonrupt, Ranrupt, Steige, Charbes, Laach, Fouchy, durch 
Breitenau nach Sechcgoutte, Froide-Fontaine ; 



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— 43 — 



In Ober-Elsass : Durch Deutsch-Rumbach und Leberau nach 
Müsloch, Gross-Rumbach , Klein-Rumbach zur französischen 
Grenze, an dieser entlang nach Diedolshausen, durch Altweier 
nach Urbach, Hachimette, über den Schnierlacher Bann nach 
Zell, Urbeis, zur französischen Grenze südlich vom Schwarzen 
See ; an der Grenze entlang bis Welschensteinbach, durch 
Bretten nach Barons weiler, St. Kosman, von da, der französischen 
Grenze nach, bis Schaffnat am Weiher, Gottesthal, Luttern, 
Willern, Menglatt, von da an der französischen und schweize- 
rischen Grenze nach Ottendorf, Luffendorf, Charmoilles (Schweiz). 
— Siehe hierzu die schematische Darstellung der Sprachgrenze. 



Vergleichen wir nun diese Sprachgrenze mit der Naberf- 
sehen, so unterscheidet sie sich von ihr in einigen wesentlichen 
Punkten. Zunächst gilt, wie für Lothringen, auch hier, dass 
Nabert Sprünge, und zwar im Süden macht, so dass man den 
Lauf der Sprachgrenze nicht genau erkennen kann; so nennt 
er Niederlarg nach Ueberstrass, geht alsdann nach Bisel 
zurück, u. s. w. * 

Die Nabert'sche Sprachgrenze unterscheidet sich von der 
obigen in nachstehenden Punkten : 

Von den als deutsch bezeichneten Ortschaften sind : 

1) patois-französisch resp. französisch : Im Unter- Elsass, 



1 Wenn wir die Goguel'sche Uebersetzung des Naberfschen 
Buches ansehen, so konstatieren wir, dass dem Verfasser, welchem 
man für Lothringen seine Unrichtigkeiten verzeihen darf, in dem 
das Elsass behandelnden Teile der Sprachgrenze geradezu Unkenntnis 
seines eigenen Landes vorgeworfen werden muss. War er doch nicht 
imstande, die Verwirrung im Süden zu entwirren. Zwar hat er, was 
sein einziges, aber ein zweifelhaftes Verdienst ist, durch Auslassung 
von Ottendorf, und dadurch dass er Oberlarg statt Larg schrieb, 
eine kleine Verbesserung gebracht, aber durch die Auslassung von 
Moos hat er den Riesensprung bis Pfirt noch um etwa 4 Kilometer 
vergrössert. 



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< 



— 44 — 

Kreis Molsheim : Wisch, Hersbach, Kuss mit Steinbach, Baren- 
bach, Schirmeck, Rothau, Wildersbach ; Kreis Schlettstadt : 
Steige; im Ober-Elsass, Kreis Altkirch: Ottendorf, Luflendorf; 

2) überwiegend französisch mit deutscher Mischung : Im 
Unter-Elsass, Kreis Schlettstadt : Breitenau (welches zu der 
Zeit vielleicht noch deutsch war); im Ober-Elsass, Kreis Alt- 
kirch : Bretten. 

Ausserhalb der deutschen Linie liegen folgende Ort- 
schaften, die 

1) vollständig deutsch sind : Im Ober-Elsass,. Kreis Alt- 
kirch : Brückensweiler, Niedersept, Obersept, Dirlingsdorf, 
Liebsdorf, Bendorf. 

2) Vorwiegend deutsch mit französischer Mischung sind : 
Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz, Markirch. 

Vorwiegend französisch mit deutscher Mischung sind : Im 
Ober-Elsass, Kreis Rappertsweiler : Deutsch-Rumbach, Leberau, 
Altweier. 



H. Kiepert hat zur Feststellung der Sprachgrenze in Elsass- 
Lothringen nicht nur die offiziellen Angaben benutzt, sondern 
auch, wie früher bemerkt, selbst das Land durchwandert. Es 
lohnt, sich deshalb ein Vergleich mit seiner Arbeit um so mehr, 
als er in einigen Punkten von den offiziellen Ermittelungen 
abweicht. 

Folgende Ortschaften werden bezeichnet als : 

1) Ueberwiegend französisch und sind : 

a) vollständig deutsch : Kreis Altkirch : Lützel ; 

b) überwiegend deutsch : Kreis Molsheim : Lützel- 
hausen, aber so dass beide Idiome fast zu gleichen 
Teilen vertreten sind ; Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz, 
Markirch ; 

c) vollständig französisch : Kreis Molsheim : Russ, 
wo Kiepert wahrscheinlich den zur Gemeinde Russ 



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— KD — 



gehörenden, vollständig deutschen Ort Schwartzbach mit- 
gerechnet hat ; 

2) Deutsch und französisch zu fast gleichen Teilen und ist 
vollständig deutsch : Kreis Mölsheim : Natzweiler ; 

3) Ueberwiegend deutsch und sind : 

a) vollständig deutsch : Kreis Mölsheim : Urmatt ; 
Kreis Altkirch : Brückensweiler, Oberlarg; 

b) vollständig französisch : Kreis Altkirch : Luttern ; 

4) Vollständig französisch und sind überwiegend französisch : 
Kreis Schlettstadt : Breitenau. 



Wenn man endlich obige Beobachtungen mit den 1872 
durch die Behörden veranstalteten Ermittelungen i vergleicht, 
so sind die Abweichungen nicht erheblich. In denselben drücken 
sich, wie auch in Lothringen, zum Teil die Ergebnisse von 
Wanderbewegungen jüngeren Datums aus. Die Unterschiede 
sind folgende : 

1) Von den als vollständig französisch bezeichneten Ort- 
schaften sind vorwiegend französisch mit deutscher Mischung : 

Im Unter-Elsass, Kreis Schlettstadt, Kanton Weiler : 
Breitenau ; 

Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler, Kanton Mar- 
kirch : Deutsch-Rumbach. 

2) Von den als überwiegend französisch mit deutscher 
Mischung bezeichneten Ortschaften ist vollständig deutsch : 

Im Ober-Elsass, Kreis Altkirch, Kanton Pfirt: Lützel. 

3) Von den als überwiegend deutsch mit französischer 
Mischung bezeichneten Ortschaften sind vollständig deutsch : 

Im Unter-Elsass, Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck : 
Natzweiler ; 



l Vgl. Statistisches Handbuch für Elsass- Lothringen. Erster 
Jahrgang. 1885, p. 17 ff. 



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— 40 — 



Im Ober-Elsass, Kreis Altkirch, Kanton Pfirt : Alt- 
Pfirt, Bendorf, Bettlach, Buchsweiler, Düringsdorf, 
Dürmenach, Fislis, Kiffis, Köstlach, Liebsdorf, Linsdorf, 
Lüxdorf, Lutter, Mittelmüspach, Mörnach, Moos, Nieder- 
müspach, Oberlarg, Obermüspach, Oltingen, Pfirt, 
Rädersdorf, Roppenzweiler, Sondersdorf, Werenzhausen, 
Winkel, Wolschweiler ; 

Kreis Thann, Kanton St. Amarin : Hüsseren-Wes- 
serling ; Kanton Masmünster : Masmünster, Morzweiler, 
Oberbruck, Sentheim. 



Von einem Exkurse über den deutschen und französischen 
Dialekt, welcher in den einzelnen Ortschaften gesprochen wird, 
sehe ich ab. Eine Einteilung des Deutschen in Gruppen konnte 
ich um so eher beiseite lassen, als, ganz im Gegensätze zu dem 
unerforschten Lothringen, das Elsass in Sprache, Sitten und 
Gebräuchen allgemeiner bekannt ist. Für heute gesprochene 
Mundarten verweise ich auf die Arbeiten von W. Mankel, Die 
Mundart des Münsterthaies 1 und H. Lienhart, Die Mundart des 
mittleren Zornthaies. 8 

Auf der anderen Seite ist vor kurzem eine lehrreiche Arbeit 
von A. H o r n i n g , « Die ostfranzösischen Dialekte zwischen 
Metz und Beifort, mit einer Karte»» erschienen, in welcher die 
Patois von Metz bis Beifort einer sorgfältigen Untersuchung 
unterworfen sind. 

Auf Grund einer Anzahl von charakteristischen, diese Patois 
unterscheidenden Merkmalen hat der Verfasser für unser Gebiet 
vier verschiedene Gruppen aufgestellt, von denen drei dem 



i Strassburger Studien. II. Baud. 

^ Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass- 
Lothringens. II, 112 ff, III, 23 ff. 
3 Französische Studien. V, 4. 



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— 47 — 



lothringischen, eine dem hurgundischen Dialekte angehören. 
Meine nachträglichen Forschungen haben zu gleichen Ergebnissen 
geführt. Die erste dieser Gruppen erstreckt sich bis Kothau, die 
zweite von Rothau bis Deutsch-Rumbach, die dritte von Altweier 
bis Urbeis (Orbey), die vierte endlich von Welschensteinbach 
bis Menglatt. Für die Merkmale, welche die einzelnen Gruppen 
charakterisieren, darf ich auf Horning verweisen. 



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- 48 - 



Anhang. 
Übersicht der Sprachgrenze. 

Die Mittellinie bedeutet die Grenzscheide zwischen den 
Sprachgebieten. Rechts stehen die deutsch sprechenden, links 
die französisch sprechenden, in der Mitte, den geraden Lauf 
der Linie unterbrechend, die gemischten Ortschaften, und zwar 
deutet die offene Seite der gebrochenen Linie auf die über- 
wiegende Sprache. "Wo die Linie einen Ortsnamen ganz um- 
schliesst, ist eine gemischte Ortschaft gemeint, in welcher 
Deutsch und Patois resp. Französisch zu fast gleichen Teilen 
vertreten sind. 

Rechts und links von der Übersicht der Sprachgrenze 
stehen je zwei Rubriken, von welchen die eine .die Territorien 
angiebt, denen diese Orte zugehörten, bevor sie an Frankreich 
kamen, die andere das Jahr, in welchem sie mit Frankreich 
vereinigt wurden. Die beiden links von der Übersicht der 
Sprachgrenze stehenden Rubriken enthalten diese historischen 
Angaben für die französisch sprechenden, die beiden rechts 
stehenden Rubriken für die deutsch sprechenden Ortschaften. 1 



1 Für diese historischen Angaben sind benutzt worden « Statis- 
tisches Handbuch für Elsass-Lothringen », p. 7 ff , und die histo- 
rische Karte von Prof. Dr. Kirchner, « Elsass im Jahre 1789 >. 



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I 
\ 

. 

Heft II.: Ein andechtig geistliche Baden fahrt 
des hoc hg eierten Herren Thomas 
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er- 
läuterungen, insbesondere über das 
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr. 
E. Martin. Mit G Zinkätzungen nach 
dem Original. , Jk 2 — 

Heft III.: Die Alamannenschlacht vor Strass- 
burg 357 n. Chr. von Archivdirector 
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit 
einer Karte u. einer Wegskizze. M 1 

Heft IV. : Lenz, Goethe und Cleophe Fibich 
von Strassburg. Ein urkundlicher 
Kommentar zu Goethes Dichtung und 
Wahrheit mit einem Porträt Ara- 
minta's in farbigem Lichtdruck und 
ihrem Facsirnile aus dem Lenz-Stamm- 
buch von Dr. Joh. Froitzheim. 

M> 2 50 

Heft V. : Die deutsch-französische Sprach- 
grenze im Elsass von Dr. Gonstant 
This. 8°. 48 S. mit Tabelle, Karte 
und acht Zinkätzungen. Jt> 1 50 

Unter der Presse : 

Hollaender, A. Strassburg im französischen 
Kriege 1552. 

In Vorbereitung : 

Witte, H., Dr. Die Armagnaken im Elsass. 

Hertzog, A., Dr. Hechts- und Wirthschaftsver- 
fassung des Abteigebietes Maursmünster 
während des Mittelalters. 

i 

Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung, 
nimmt Bestellung an. 

Hochachtungsvoll 
" Ed. Heit* 'Heitz & Mündel). 



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Verlag von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel/ 

in Strassburg i./E. 



Baum, Adolf Magistrat und Reformation in Strassburg bis- 
1529. gr. 8. XIU u. 212 S. Jt 4 50 

Elsässische Landschaften. Vier Originalradierangen von F. Helms- 
dorf. Neue Aasgabe. Text von Dr. A. Schricker. gr. foL mit 
4 Blatt Text in Mappe. Jt 6 — 

Institute, die naturwissenschaftlichen und medicimschen der 
Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm- 
lungen der Stadt Strassburg. 4. 148 S. mit vielen Grundrissen 
und Holzschnitten. M 3 — 

Irle, Herrmann. Die Festung Bitsch. Mit einer Ansicht von 
Bitsch. 8. 48 S. Jt — 80 

Jahrbuch für Geschichte, Sprache und LHteratur Elsass-Loth- 
ringens, herausgegeben von dem hist-litt Zweigverein des Vogesen- 
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 60 

Lucius, Phil. Ferd, Friederike Brion von Sossenheim. 
Geschichti. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. JL ö — 

Müllenheim-Rechberg. Herrmann Freiherr von. Die 
Annexion des Elsass durch Frankreich und Rückblicke auf 
die Verwaltung des Landes vom Westphälischen Frieden bis 
zum Ryswicker Frieden (1648-1697). Vortrag gehalten am 2. Mai 
1887 im staatswissenschaftlichen Verein zu Strassburg i. E. Jt 1 50 

Bremer, F. P. Franz von Sickingens Fehde gegen Trier und 
ein Gutachten Claudius Cantiunculas über die Rechtsan- 
sprüche der Sickingen'schen Erben, kl. 4. CXV7 und 28 Seiten. 

Ji 4 60 

This, Constant Die Mundart der französischen Ortschaften 
des Kantons Falkenberg (Kreis Bolchen in Lothringen). 8. 
80 S. JC 2 - 

• 

Rectoratsreden der Universität Strassburg: 

Heitz, E. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität, 
Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 27 S. Jt — 60 

Reye, Th. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und 
in der Neuzeit. Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. lb S. Jt — 40 

Z 03 p f fei, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der 
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887. 

Jt - 40 



Vogesengrün. Ein elsässischer Familien-Kalender von Maria 
Rebe. Zweiter Jahrhang. 1888. Jt 1 50 



Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 



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BEITRÄGE 



ZUR 



LANDES- UND VOLKESKUNDE 



VON 



ELSASS-LOTHRINGEN 



vi. HEFT 



STKASSBURG IM FRANZÖSISCHEN KRIEG K 1552 



Dr. A. HOLLAENDER. 



STRASSBURG 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & MUndel) 
'1888 



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i 



Im Verlage der unterzeichneten Verlagshandlung 
-erscheint unter dem Titel : 

BEITRÄGE 

ZUR 

LANDES- UND VOLKESKUNDE 

VON 

ELSASS-LOTHRINGEN 

in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen 
aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur- 
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur 
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- 
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner 
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in 
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner 
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen 
daneben selten gewordene litterarische Denkmäler 
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, 
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über 
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch 
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen, 
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher 
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- 
lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner- 
bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm- 
lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter- 
zeichneten jederzeit willkommen sein. 

Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten: 

Heft L: Die deutsch-französische Sprach- 
grenze in Lothringen von Const. 
This. 8°. 3i S. mit einer Karte 
(1 : 300.000). M 1 50 

siefie dritte Seite des Umschlags, 



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STRASSBURG 

IM 

FRANZÖSISCHEN KRIEGE 

1552. 

VON 

Dr. ALCÜIN HOLLAENDER. 

Motto : « Dieweil an der stat Strasburg als 
aine Siehline Vormauer nit allein dem 
ganzen Rheinstrom, sondern auch deut- 
scher Nation hoch und vil gelegen : das 
pillich menniglich, damit die stat erhalten, 
das best thun soll.» 

Landvogt Andre von Konritz 
an Strassburg. 1552 April 26. 



STRASSBURG 

J. H. ED. HEITZ (HEI TZ & MÜNDEL) 

1888. 



Diai 



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VORWORT. 



Eines der traurigsten Blätter unserer vaterländischen 
Geschichte entrollt uns das Jahr 1552, in welchem eine 
Anzahl deutscher Fürsten in offener Auflehnung gegen ihren 
Kaiser, im Bunde mit dem französischen Könige letzterem 
die Vollmacht erteilten, vom Reiche eine Anzahl zu dem- 
seihen gehöriger Städte loszureissen. An ihnen lag es wahrlich 
nicht, wenn Strassburg, auf dessen Besitzergreifung Hein- 
rich II. es offenbar gleichfalls abgesehen hatte, nicht schon 
damals dasselbe Schicksal erfuhr. 

Von dem grössten Interesse muss es daher für uns sein, 
das Verhalten der in jenem kritischen Augenblicke lediglich 
auf sich selbst angewieseneil Reichsstadt kennen zu lernen 
und uns ein Urteil über die Gesinnung zu bilden, welche 
die Bewohner derselben damals gegenüber den französischen 
Annexionsgelüsten hegten, zumal da man sich jetzt in der 
französischen Geschichtsschreibung vielfach tendenziös darzu- 
legen bemüht, dass Strassburg es gewesen, welches zuerst, und 
zwar schon im 16. Jahrhundert, die Anlehnung an Frank- 
reich gesucht habe. 

Höclist auffallend ist es nun, dass obwohl der treffliche, 
aktenmässige Bericht eines Zeitgenossen, Sleidans, vorliegt, 
in den neueren Barstellungen dieser denkwürdigen Epoche 
der Slrassburger Geschichte die grössten Widersprüche zu 
Tage treten, und sich vielfach eine rein legendarische Be- 
handlung breit macht, welche im Begriffe steht die geschieht- 
liehe Wahrheit gänzlich zu überwuchern. 



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Ich habe daher versucht, unter Benutzung der durch die 
Sleidah*sche Berichterstattung gezogenen Umrisse und gestützt 
auf ein überaus reiches Quellenmaterial, jenes ungehörige 
Ranken- und Blätterwerk zu beseitigen und eine möglichst 
wahrheitsgetreue und anschauliche Darstellung jener denk- 
würdigen Vorgänge zu geben, deren Mittelpunkt Strassburg 
damals gewesen ist. 

Die Bedeutung dieser Stadt, welche, wie neuerdings mehr- 
fach hervorgehoben worden ist, in den beiden ersten Dezen- 
nien der Reformationsperiode die Führerrolle der süd- 
deutschen protestantischen Stände übernommen hatte, tritt 
jetzt noch einmal glänzend hervor. Die Männer, welche in 
jenen stürmischen Zeiten mit Thatkraft und politischer Ein- 
sicht die Geschicke Strassburgs geleitet hatten, fanden jetzt 
noch einmal Gelegenheit, diese Tugenden, und zwar zur Er- 
haltung der Selbständigkeit ihrer Vaterstadt, zu bewähren. 
Auch dürfte die vorliegende Veröffentlichung dazu dienen, 
darauf hinzuweisen, dass, wenn einige protestantische Fürsten 
mit dem Reichsfeinde in verräterische Verbindung traten, 
das protestantische Strassburg eine Ehre darein setzte, eine 
Vormauer des Rheinstromes zu sein und mit Gut und Blut 
für Kaiser und Reich einzustehen. 

Benutzt wurde von mir neben dem Werke Sleidans und 
der ausgedehnten französischen Memoirenlitteratur des 
i6. Jahrhunderts fast ausschliesslich handschriftliches, bisher 
so gut wie unbenutzt gebliebenes Material. Dasselbe stammt 
zum grössten Teile aus dem hiesigen Stadtarchive, so nament- 
lich die wertvollen Protokolle der Herren Räte und XXI, 
einiges aus dem Bezirksarchive des Unter elsasses, dem Thomas- 
archive, sowie dem Statthalterei-Archive zu Innsbruck. Den 
Vorständen derselben, namentlich Herrn Stadt-Archivar 
Brucker, erlaube ich mir an dieser Stelle für ihre Unter- 
stützung meinen besten Dank auszusprechen, ebenso Herrn 
Dr. Reuss, dem Leiter der hiesigen Stadtbibliothek, der mir 
mit grosser Liebenswürdigkeit einen Teil seiner eigenen Ex- 
cerpte zur Verfügung gestellt hat. 

Strassburg, den 10. Januar 1888. 

Dr. A. HOLL AENDE R. 



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Nachdem Karl V. im schmalkaldischen Kriege jede 
nationale und religiöse Auflehnung im Reiche gebrochen hatte, 
hielt er den Zeitpunkt für gekommen, den Gedanken, der ihn 
seine ganze Regierung hindurch erfüllt hatte, zur Ausführung 
zu bringen: sich zum weltlichen Oberhaupte der Christenheit 
in mittelalterlichem Sinne zu machen. Die so erlangte Macht- 
fülle einer konzentrierten weltlich-geistlichen Gewalt wollte er 
dereinst auf seinen Sohn vererben. In eben dem Augenblicke 
aber, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht zu haben glaubte, 
begannen die Stützen seiner Macht ins Wanken zu geraten. 

Die Anwesenheit spanischer Truppen im Reiche, deren An- 
massung alles verletzte, die willkürliche Behandlung der deut- 
schen Fürsten, die Unterdrückung jeder Regung des Protestan- 
tismus, die Belagerung des letzten Hortes desselben, der Stadt 
Magdeburg, die Gefangenhaltung der Häupter des schmalkal- 
dischen Bundes, des Churfürsten Johann Friedrich und des 
Landgrafen Philipp, hatten ihm überall Gegner erweckt. In der 
Zahl der letzteren befand sich auch sein früherer Parteigänger, 
der Kurfürst Moritz von Sachsen. Nachdem alle Gesuche des 
letzteren um Entlassung seines Schwiegervaters aus der Haft, 
für dessen Freiheit er sich einst verbürgt hatte, vom Kaiser 
zurückgewiesen worden waren, beschloss er, durch den Abfall 
von demselben, sein Wort einzulösen, das verlorene Ansehen 
unter seinen Glaubensgenossen zurückzugewinnen und mit einem 
Schlage staatliche und kirchliche Freiheit wiederherzustellen. 

Zu diesem Zwecke verband er sich mit einer Anzahl deut- 
scher Fürsten, die seine Unzufriedenheit teilten, sowie mit dem 
französischen Könige Heinrich II., dem gegen beträchtliche 
Subsidien das Zugeständnis gemacht wurde, sich der Städte 
Metz, Toul, Verdun und Cambray bemächtigen zu dürfen, um 



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- 6 - 



dieselben als Reichsvikar inne zu haben, * Die betreffenden 
Verhandlungen, die das ganze Jahr 1551 hindurch geführt 
wurden, fanden ihren Abschluss im Vertrage von Chambord 
vom 15. Januar 1552. 

Merkwürdigerweise legte der Kaiser, der damals in Inns- 
bruck weilte, um von hier aus auf die Entscheidungen des 
Tridentiner Konzils einzuwirken und gleichzeitig die Angelegen- 
heiten Deutschlands und Italiens im Auge zu behalten, den ihm 
wohl bekannten Gerüchten über die ihn bedrohende Verschwö- 
rung keinen sonderlichen Wert bei. s Jedenfalls besorgte er, 
während er den Feindseligkeiten Frankreichs entgegensah und 

1 Spachs Angabe in seiner Histoire de la Basse-Alsace p. 186 : Des 1551 
Strasbourg envoie des dällgues au monarque francais, pour demander son 
alliance et sa protection ; le stettraeistre Sturm, qui faisait partie de cette am- 
bassade, rapporta les meüleures promesses : «Je viendrai moi-mSme, avait dit 
le roi, briser les Ibrces de l'empereur» ist ebeuso aus der Luft gegriffen, als die 
wohl hierauf zurückgehende Behauptung von Legrelle, Louis XIV et Strasbourg 
p. 42: «En octobre 1551, une arobassade sazo-brandebourgeoise, renforcle 
des deputes de Strasbourg et de Nuremberg, vint ä Foulainebleau lui (seil. 
Heinrich II.) proposer, en behänge de son alliance, quatre villes imperiales de 
langue welche. Cambrai, Verdun, Metz et Toul . , jedenfalls was S trassburg angeht . 
(vgl. auch unten p. 25). Ueberhaupt sucht Legrelle in tendenziöser Weise darzu- 
legen, «que c'est bien la ville qui est venue au-devant de la inonarchie, et non 
la monarchie qui est allee au-devant de la ville • (p. 41). Ungenau ist in dieser 
Beziehung auch seine Benutzung meiner früheren Schrift, Sirassburg im 
Schmalkaldischen Kriege (vgl. die ausf. Rezension von E. Mareks i. d. Gött. 
gel. Anz. 1885 Nr.' 3, p. 117). — Der Rektor Johannes Sturm scheint aller- 
dings wahrend des Jahres 1551 fortwährend in französischem Interesse thfttig 
gewesen zu sein (Ch. Schmidt, Jean Sturm p. 85 f.), indessen ebensowenig wie 
vorher im Schmalkald. Kriege seitens Strassburgs hierzu autorisiert (vgl. auch 
unten p. 5t). Der Stettmeister Jakob Sturm hatte unter der Verwechslung mit 
seinem Namensvetter schon bei seinen Lebzeiten zu leiden (Baumgarten, Jakob 
Sturm p. 33). 

2 Dass man in Innsbruck rechtzeitig von dem drohenden Ungewilter 
unterrichtet war, ist bereits von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der 
Reformation V, 184, Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten 
p. 292 (vgl. auch Katterfeld, Roger Aschara p. 148 u. 149) überzeugend darge- 
legt worden. Ihren Ausführungen fQge ich folgendes auch schon von Schönherr, 
Der Einfall des Churfürsten Moritz in Tirol (Archiv f. Geschichte Tirols IV, 237), 
benutztes Beweisstück aus dem Innsbr. Archiv hinzu : 1552. März 4. Regie- 
rung zu Innsbruck an König Ferdinand : Sie zweifelten nicht, Kö. rat. hatten 
guten bericht, werde auch von der Kay. Mt. gesandten, so diser tag von hie zu 
e. Mt. abgefertigt sein solle, sonder zweifei zu vernemen haben, wie beschwer- 
lich sich die leuf allenthalben da vornen im reich teutscher nation zutragen, das 
auch, wie uns hin und wider anlangt, die jungen landgrafen von Hessen und 
Markgraf Albrecht von Brandenburg in grosser rQstung. So sollen sonst allent- 
halben im reich grosse rflstungeu und wie man vorgebenlich sagt, ein grosser 
pundt mit dem König von Frankreich wider die römisch Kay. Mt. vorhanden 
sein.. (An die Kö. Mt. Bd. XI, f. 47.) 



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— 7 



denselben gegenüber rechtzeitig Anstalten zur Verteidigung traf, 
von den deutschen Fürsten keinen Angriff. 1 

Im Elsass selbst wurde man schon seit Mitte des Jahres 
4551 durch allerhand Kriegsgerüchte in Aufregung gehalten. 

Bereits im Juli wurde dem Strassburger Rate durch kaiser- 
liche Mandate eingeschärft, gegen die Haupt- und Kriegsleute, 
die bei ihnen allerhand Praktiken, Kriegsgewerb und Aufwiege- 
lung trieben, ernstlich einzuschreiten. Im August erschien in 
Strassburg ein kaiserlicher Kriegshauptmann, Asmus von der 
Hauben, mit dem Auftrage, gegen alles Fremden zuziehende 
Kriegsvolk zu streifen und dasselbe niederzuwerfen. Er war in 
der Lage, dem Rate eine Anzahl Bürger zu bezeichnen, die in 
französischen Diensten ständen. 

Anfang November fanden zwischen dem Strassburger Dom- 
kapitel und den bischöflichen Räten zu Zabern Verhandlungen 
statt, ob man nicht, bei den zwischen Kaiser und Frankreich 
entstandenen Verwicklungen, auf dem nächsten Kreistage Vor- 
sorge träfe, dass das Land nicht beschädigt würde. 

In denselben Tagen ging den Landvögten zu Ensisheim 
und in der Ortenau von der oberösterreichischen Regierung zu 
Innsbruck die Mitteilung zu : Da die Zeitumstände gar sorglich, 
der französische König in grosser Rüstung sei, Kriegsvolk an 
die Grenzen legte, auch solches im Reiche anwürbe, und des 
römischen Königs Schlösser, Städte und Flecken so gelegen, 
dass man in wenig Tagen aus Frankreich dazu kommen könnte, 
so sollten sie, die Landvögte, sich miteinander ins Einvernehmen 
setzen und' erforderlichenfalls gegenseitig Hilfe und Beistand 
leisten. 2 

Bald nachher, am 24. November, traf in Strassburg folgen- 
des Ausschreiben des Kaisers ein : Nachdem der König von 
Frankreich sich ungeachtet des Friedens von Crespy ohne Ur- 
sache einer mutwilligen Fehde und Feindschaft gegen ihn an- 

1 Gegenüber der Sorglosigkeit des Kaisers ist sein Bruder Ferdinand 
schon damals für die Sicherheit desselben beniaht. Er schreibt am 1 . März aus 
Pressburg an seine Regierung zu Innsbruck : • Nachdem wir befinden, das die 
leuf u. practiken diser zeit hin und wider geschwind und seltsam seyen, und 
dann die Rö. kay. mt. unser lieber herr und bruder in unsrer grafschaft Tirol 
yetzo anwesend, so bedenken wir sollicher geschwinden practiken und auch 
irer lieb u. kay. mt. persönlichen gegenwertigkeit und derselben merern Sicher- 
heit halben von noten, der enden guets aufsehen zu haben. > flnnsbr. A. von der 
Kö. Mt. X, 338.) 

2 Strassburger Bezirksarchiv G. 217. Nov. 6. 



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— 8 — 

gemasst, ohne jede vorhergehende Warnung sein und des 
Reiches Eigentum in Italien und anderen Orten angegriffen 
und beschädigt hätte, so gedächte er, der Gegenwehr zu ge- 
brauchen. Strassburg sollte sich in gutem Gewahrsam halten, 
für Befolgung seiner Mandate Sorge tragen und gegen alle 
Uebertreter mit strengen Strafen vorgehen. 1 

Der Rat beschtoss hierauf: « So Praktiken vorhanden, die- 
selben abzuschaffen und fleissig ufsehens zu haben.» 

Auch von den Rüstungen des Kurfürsten Moritz von Sachsen 
hatte man im Elsass frühzeitig Nachricht und fasste dieselben 
in bedrohlichem Sinne auf. 

In einem Briefe des reichen Strassburger Kaufherrn Wolf- 
gang Rehlinger vom Ende Dezember, der von der Einnahme 
von Magdeburg berichlet, heisst es: Die Knechte, die davor 
gelegen, liessen sich vernehmen, Herzog Moritz sei ihr Herr ; 
auch in Hessen werde viel Kriegsvolk angeworben. Der Rhein- 
graf soll in Sachsen gesehen worden sein. «Der allmächtige 
Gott,» so schliesst er, «wolle sollichs alles zu Frieden, Ruhe 
und allem Gutem schicken.» 

Mit grossem Eifer suchte damals der Strassburger Rat 
festzustellen, «wohin Herzog Moritz mit seinem Volke den Kopf 
strecke.» Während der Unterlandvogt von Hagenau darüber 
nichts Näheres melden kann, schreibt der Zweibrückensche 
Kanzler, Michel Han, am 28. Dez. : üeber Herzog Moritz giengen 
die verschiedensten Gerüchte ; nach einigen wolle er die Bis- 
tümer Würzburg, Bamberg und Eichstädt angreifen, nach anderen 
Mainz. Daneben solle der Franzos mit einem Haufen in Italiam 
und mit einem ufs Elsass, sodann Herzog Moritz gen Mainz 
und dann in die Niederlande ziehen. Des Rheingrafen Bruder 
(des französischen Königs Diener) sei mit 8000 Mann über 
Lautern und Limpach gezogen, angeblich dem Könige entgegen. 
«Sollen die alle und die grosse französische Macht wieder her- 
auskommen, und die anderen zu ihnen stossen, würd es dem 
armen Landvolk schwer zu stehen kommen.» 

Wohl infolge der von allen Seiten her sich mehrenden 
bedrohlichen Nachrichten ersuchte die bischöfliche Regierung 
zu Zabern Anfang Januar 1552 den Strassburger Rat, seine 
Gesandten zu bevollmächtigen, auf dem nächsten Kreistage von 
einer gemeinsamen «Landsrettung» zu reden. 

1 Str. Stadtarchiv AA, 5"<5. 



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— 9 - 



In Strassburg war man entschieden gegen eine solche. 
Sollte der franzosische König, heisst es in der für die Gesandten 
aufgesetzten Instruktion, * einen förmlichen Angriff beabsichtigen, 
so würde er ihn jedenfalls mit einer so gewaltigen Heeresmacht 
unternehmen, dass ihm das Land keinen Widerstand leisten 
könnte. Lieber sollte man die Städte und Schlösser durch Be- 
festigung und Besetzung vor jenem behüten; von ihnen aus 
würde hernach das Land leichtlich wiederzuerobern sein. 
Aber auch gegen einen blossen Streifzug wäre aus Mangel an 
Reiterei nichts auszurichten. Zudem könnte schon durch die 
Nachricht von einer Landsrettung der König erst recht zu einem 
Angriffe gegen das Elsass veranlasst werden aus dem Gesichts- 
punkte : «dise leut verpünden sich zusamen dir zuwider, wollen 
dir veind sein one verursacht, so mustu sehen, das du inen 
auch leids thust und dich gegen inen als deinen veinden er- 
zeigtest ; da ers sonst villeicht gegen uns stillstehe und sein 
macht uf andere landsart wendete.» Deshalb thäte man besser 
daran, sich etwa durch eine Neutralität vor dem Ueberzuge zu 
bewahren, auch sich zum höchsten zu befleissigen, «nichts gegen 
die, so Frankreich verwandt, vorzunemen.» — Sollte es sich end- 
lich nur um Abwehr von Plackereien und Verwahrung einzelner 
Pässe gegen streifende Banden handeln, so hätte Strassburg 
ein geringes Landgebiet, sei auch zu weit vom Gebirge gelegen, 
«also das nit allein nit thunlich, sondern wo mans schon thun 
wolt, nit erspriesslich sein werde, das Volk aus den Städten her- 
auszuziehen.» Doch wäre man nicht abgeneigt, falls die wenigen 
Dörfer, die der Stadt auf dem Lande zugehörig, hingezogen 
würden, sich an einer Vorsehung letzterer Art zu beteiligen. 

Wenn man nun auch die Richtigkeit der hier ausgespro- 
chenen Ansicht nur anerkennen kann, so verrät doch die Art 
und Weise, wie man jedes gemeinsame Vorgehen von der 
Hand wies, einen damals freilich allen deutschen Ständen eigen- 
tümlichen Sondergeist, der auf Erhaltung des eigenen Territo- 
riums vor allem bedacht, das Wohl der Nachbarn ausser acht 
Hess. Uebrigens finde ich keine Spur, dass es zu der in Aus- 
sicht genommenen Tagsatzung überhaupt gekommen ist. 

Am Hoflager zu Innsbruck schenkte man den Zuständen 
im Elsass fortwährend Aufmerksamkeit. Anfang Februar müssen 

i Str. St. AA. 587. Jan. 18. 



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— 10 — 

daselbst Geruchte über eine Verständigung Strassburgs mit 
Frankreich verbreitet gewesen sein. 1 

Durch kaiserliche Mandate wurde den Strassburger Kauf- 
leuten streng untersagt, dem französischen Könige Geld zuzu- 
führen, ebenso auf den Kopf der in des letzteren Diensten 
stehenden deutschen Kriegshauptleute ein hoher Preis gesetzt.» 
Ende Februar und Anfang März scheinen in Strassburg ebenso 
wie im ganzen Elsass französische Werbungen stattgefunden zu 
haben. 3 Einmal nehmen Reiter der vorder-österreichischen Re- 
gierung 80 Knechte, die de'm Kriegsoberst Schertlin zuliefen, in 
Ottmarsheim gefangen. * 

In eben jenen Tagen wendete sich der Kaiser selbst in 
folgendem Schreiben» an den Patriotismus des Rates der Stadt 
Strassburg : 

Obwohl er nach der Ergebung von Magdeburg und Be- 
zahlung des Kriegsvolkes auf Ruhe im Reiche gehofft, so hätte 
er doch von allerlei «Praktiken und Kriegsgewerb an vielen 
Orten und Enden, daraus alles Unrats und innerlicher Empö- 
rung zu besorgen » gehört, so dass er sich genötigt sehe, den 
Sachen etwas stattlicher zu begegnen. Daneben solle sein «un- 
entsagter» Feind, der König von Frankreich, allenthalben im 

1 Druffel, Beitrüge II, Nr. 975: Bischof von Arras au Königin Marie. 
1552 Febr. 6: «Lazarus adjoucte, que ceulx de Strasbourg ont intelligence et 
correspondance avec le roy de France. • 

2 Str. St. R. u. 2t. Febr. 6 u. 10. 

3 Druffel II nr. 1049. — Ganz, unwahrscheinlich ist hingegen das.. was 
Heideck am 10. März an Kurfürst Moritz berichtet (Druffel II nr. 1089), und 
man wird sich daher hüten müssen, hieraus in betreff der Haltung Strassburgs 
irgend welche Schlüsse zu ziehen. Es heisst dort: «Es ist Asmus von der 
Hauben zu Strassburg gewest, bat ein kaiserlich mandat daselbst den hern 
gebracht und begert ein haussuchen nach den franzosischen knecht zu thon ; 
hat ime der rat die wirtsheuser zu besuchen zugelassen, und zuforderst jeder- 
rnan gemant, sich auf zuheben ; und do er nierannds gefuuden, in furgefordert 
und sagen lassen, das er gedenk und hinfuran nimer kerne, und haben die 
gemein daselbst in und seine reuter, wo man nit abgestilt, nur wollen dot 
schlagen.! Hiervon ist in unsern Akten mit keinem Worte die Bede. Von der 
Hauben war Aug. 1551 in Strassburg. Als die Regierung in Ensisheim 
Marz 1 552 ein Verzeichnis derjenigen sendet, die zu Strassburg den Franzosen 
Knechte angenommen haben, beschliesst der Rat : «die bürger und sonderlich 
die wirt zu beschicken und mit strafe vorzugehen. • 

4 März 11. (Innsbr. A.) — Auf diesen Vorfall beziehen sich wohl die 
Worte Heinrichs II. (Sleidan 24, 361) : « Ensemensibus condonare se, mod> 
quos in vinculis habeant e suis, milites, dimittant. » 

5 Str. St. AA 579. Febr. 29. 



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— 11 — 

Reiche Verleumdungen über ihn ausstreuen, i als ob er, der 
Kaiser, der deutschen Nation gar nicht geneigt, sondern deren 
Liberlät und Freiheit zu unterdrücken gedächte, während doch 
«die viehische und mehr denn türkische Dienstbarkeit» der 
armen Unterthanen des französischen Königs allerwärts bekannt 
sei. Ebenso würde letzterer, wenn es ihm gelänge, im Reiche 
festen Fuss zu fassen, die Deutschen behandeln. Wiewohl er 
nun die Ueberzeugung hegte, es werde in der deutschen Nation, 
bei der von alten Zeiten her Wahrheit, Beständigkeit und Ehr- 
barkeit gegolten, sich niemand wider sein eigenes Vaterland 
verführen lassen, und er sich besonders zu ihnen, «als die 
ihm und dem heiligen Reiche mit aller treuen 
Neigung zugetan,» nicht anders versehen könnte, als dass 
sie bei diesen gefahrlichen Zeiten von ihm sich nicht abwenden, 
sondern ihm als römischem Kaiser, « ihrem ainichen rechten 
herrn, der verwantnus nach, damit sie ihm und dem heiligen 
reiche zugetan» getreulich beistehen und anhängen würden, so 
habe er sie doch warnen wollen, Verleumdungen seiner Person 
Glauben zu schenken oder sich durch fremde Praktiken ab- 
wendig machen zu lassen. Sie sollten ihm von letzteren unver- 
züglich Mitteilung machen und sich in dem allen so erzeigen, 
wie sein Vertrauen zu ihnen stände. Das wollte er gegen sie 
und gemeine Stadt mit allen Gnaden erkennen und in gutem 
nimmer vergessen. 

Die Stadt übersandte hierauf die ausdrückliche Erklärung : 
bei Kaiser und Reich und ihren Freiheiten bleiben zu wollen. 2 
Am 24. März sprach ihr Karl V. seinen Dank für ihr ge- 

1 Ein am letzten Februar in Innsbruck erlassenes Verbot beginnt mit den 
Worten: «Uns langt an. das kurzüchen ain person aus Frankreich, unbekannt 
ires namens, ein tractat in französ. sprach hat usgeen lassen, darin die kay. 
mt. von wegen dem kunig von Frankreich und des gemeinen der Christenheit 
erbfeinds. des Türken, ganz freventlich angezogen worden» (Innsbr. A. Causa 
Dom. VII, f. 151). Dieses angeblich zu Basel gedruckte Pasquill war von 
Ensisheim aus der Innsbrucker Regierung übersandt worden, die es ihrerseits 
am 27. Febr. dem König Ferdinand zuschickte. 

2 Das Schreiben selbst liegt mir nicht vor, dagegen ein anderes vom 
21. Mai (AA 576), in dem Meister und Rat aussprechen : «Sie hatten sich in 
Rüstung begeben, damit sie ihrem schriftlichen gethanen erbieten 
nach bey ihrer Mt. und dem h. reich, auch ihren freiheiten 
bleiben möchten.» Ebenso teilt am 2. April die oberösterreichische 
Regierung dem Könige Ferdinand mit : « Die Kay. Mt. hab die von Strassburg 
zum höchsten ersucht, an seiuer Kay. Mt. zu halten, und die von Strassburg 
sich darauf mit einem schreiben sollichs in unterthenigstem gehorsam tröstlich 
zu thun erboten« (Innsbr. A. An die Kö. Mt. XI, 107]. 



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— 12 — 

horsames und gutwilliges Erbieten aus und zugleich seine feste 
Hoffnung, dass sie sich durch niemand von ihrem Entschlüsse 
würde abwendig machen lassen. 

Und in der That ist Strassburg, wie wir weiter unten sehen 
werden, seinem Versprechen treu und mannhaft nachgekommen. — 

Inzwischen halte Heinrich II. im Februar dem Pariser 
Parlament seinen Entschluss mitgeteilt, den Kaiser mit Krieg 
zu überziehen und alle alten Ansprüche auf Flandern, Mailand 
und Neapel erneuert, i In einem Manifeste erklärte er sich als 
den Beschützer der Freiheit Deutschlands und seiner in der 
Gefangenschaft beßndlichen Fürsten. * Anfang März wurde zu 
Chalons an der Marne ein Heer von 40,000 Mann zusammen- 
gezogen. 

Gleichzeitig waren auch seine deutschen Bundesgenossen 
nach Vollendung ihrer Büstungen im Felde erschienen, um 
sich zunächst in Franken zu vereinigen. In offenen Ausschreiben 
warfen auch sie dem Kaiser den Fehdehandschuh hin. 3 

Noch am 14. März wusste man in Strassburg «nichts eigent- 
lich und sonderlich halben von dieser handlung, denn das ge- 
mein geschrei.»* Unmittelbar darauf trafen von allen Seilen 
genauere Kundschaften ein. So wurde von Speier aus gemeldet, 
dass in Hessen, Sachsen und anderen Orten Truppen zusammen- 
gezogen würden, des Vorhabens, am Bheinstrom sich zu ver- 
einigen und vielleicht denselben einzunehmen; dass auch zwei 
Ausschreiben im Druck ausgegangen seien, das eine vom Könige 
von Frankreich, das andere vom Kurfürsten von Sachsen und 
seinen Genossen, in denen sie sich der kaiserlichen Majestät 
Feinde erklären. Daneben sollte Schertlin bis gegen Ensisheim 

1 Dareste, Histoire de France IV, 87. 

2 Vgl. Druffel, 3, 370 f. — Am 20. März sendet die Innsbrucker Regie- 
rung an König Ferdinand eine Schrift, • so der kunig von Frankreich an die 
chur- und fürsten, stend und stette des heil, reiches teutscher nation ausgeen 
lasset» (Innsbr. Archiv). — Nach Specklin (Coli. T. II, f. 310/318) kamen 
über 1000 Exemplare dieser Proklamation nach Strassburg. Noch Röhrich 
{Gesch. der Reformation im Elsass 3, 27) hat mehrere Exemplare derselben 
gesehen ; im hiesigen Stadtarchive habe ich indessen kein einz ; ges mehr auf- 
finden können. 

a Druffel 3, 374 f. Nach Strassburg scheinen diese nicht gelangt zu sein; 
denn Sleidan (24, 392) schreibt : « Senat is rescribit: scriptum illud a confoe- 
deratis editurn de causa belli, non sibi missam aut exhibitum esse. » 

4 Str. St. R. u. 21. 



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— 13 — 



und weiter hinab gegen Strassburg streifen, i Solches wurde 
auch von der vorderösterreichischen Regierung, sowie vom Grafen 
von Nassau bestätigt und dabei hinzugefügt, dass der Könijr 
von Frankreich hier mit dem Landsknechtoberst sich vereinigen 
wollte. 2 

Auf diese bedrohlichen Nachrichten hin erteilte der Rat 
den Verordneten des Kriegs, den Dreizehnern, feierlichst Befehl 
und Gewalt: «mit Ernst zu widerstehen, ne res publica aliquid 
detrimenti capiat. » * 

Sofort wurden eine Anzahl Verteidigungsmass regeln be- 
schlossen. Man entschied sich für die Anwerbung von zwei 
Fähnlein Kriegsvolk, für deren Unterhalt Stifte und Klöster 
und alle, die in die Stadt fliehen würden, mit aufkommen 
sollten. Auch hatten die Zünfte ihre waffenfähigen Leute anzu- 
geben und aus denselben Hauptleute und andere Befehlshaber 
auszuwählen, die Gemusterten sich mit Harnisch und Hand- 
gewehr zu versehen. Daneben bestellte man eine Anzahl Hand- 
werksgesellen mit Wartegeld. In der Stadt wurden Rats- und 
Taghuten eingerichtet, und geharnischte Bürger auf die Stuben 
gelegt. Die Rheinbrücke, sowie diejenige über die III wurden 
besetzt, den Schiffern und Fischern streng untersagt, zur Nacht- 
zeit jemand in die Stadt hineinzufahren oder herauszulassen. 
Die Zeugherren erhielten den Auftrag, die Befestigungen zu 
besichtigen und festzustellen, in welcher Weise dieselben mit 
Geschütz zu versehen seien, auch die Wassergraben instand- 
zusetzen. Die Gärtner, die im Besitze von Pferden, hatten sich 
bereit zu halten, das Geschütz auf die Wälle zu fahren. End- 
lich erfolgte ein Ausfuhrverbot für Getreide. 

Von Tag zu Tag erhielt man bedenklichere Zeitungen, so 
am 21. März folgende:* «Wir Lothringer und vom Stift Metz 
fürchten, das Spielbrett darlegen zu müssen, dass die Kaiser- 
lichen und Franzosen ihre Wollust drin haben werden. Gott 
erbarms um der armen Leute willen. Wir verhoffen noch, dass 
die Neutralität von dem Kaiser und König wird gehalten wer- 
den. Wir müssen aber den Durchzug leiden.» Der König nehme 
überall Knechte an, würden nach Toul beschieden, und sei die 



l Str. St. AA597. Marz 13. 
* Str. St. R. u. 21. Mttrz 19. 

3 R. u. 21. Marz 19. 

4 Str. St. AA 598. 



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— 14 - 

Rede, dass er herausziehen wolle in das Elsass auf Strassburg zu, 
manche meinten, dem Kriegs volke in Hessen entgegen. Man ver- 
mute, er solle in vierzehn Tagen längstens anrücken. Von den 
Metzern habe er Proviant begehrt, und dass sie sein Volk, wie sie 
zuvor auch dem Kaiser gestattet, durch ihr Gebiet ziehen Hessen. 

Aehnlich schrieb der Graf Philipp von Hanau-Lichtenberg : 
Der Rheingraf, der bei dem französischen Könige wäre, hätte 
erklärt, dass sein Herr auf Elsass-Zabern seinen Zug richten 
werde. Er selbst könnte nun zwar nicht glauben, dass die sächsi- 
schen und hessischen Truppen sich im Elsasse mit den Fran- 
zosen vereinigen würden; nichtsdestoweniger sollte dies aber 
des Königs und seiner Verbündeten Vorhaben sein, und dürfte 
hieraus Strassburg grosse Gefahr erwachsen. 1 

Nach einer seinem Schreiben beigefügten Kundschaft vom 
Grafen von Nassau, der, wie wir anderweitig erfahren, durch 
den Bischof von Metz über alles unterrichtet war, 9 sollte 
Heinrich II. augenblicklich mit 80000 Mann und 12000 Pferden 
bei Toul liegen, des Vorhabens, nächsten Sonntag zu Niclaus- 
port zu sein, darauf gegen Strassburg zu ziehen, um hier über 
den Rhein zu gehen. Uebergang und Pass sollte ihm durch 
Herzog Moritz und seine Verbündeten mit 24 000 Knechten und 
3000 Pferden gesichert werden. Auch die Ensisheimer Regie- 
rung teilte mit, dass der Zug auf Strassburg gehen, und der 
Anschlag sein sollte, wie dasselbe zu erobern. a 

So sah sich denn die Stadt Ende März von drei Seiten 
her bedroht. Der König von Frankreich, die verbündeten 
deutschen Fürsten und das Kriegsvolk Scher tlins schienen, 
allen Nachrichten zufolge, bei Strassburg ihre Vereinigung 
bewirken zu wollen, um sich durch Einnahme der Stadt den 
Rhein Übergang zu sichern. * 

Da vor allem zu befürchten war, dass der bei Basel 
stehende Schertlin einen Handstreich versuchen könnte, so 

1 Str. St. AA 581. 

2 Str. St. AA 577. Michel Han an die XIII. 

3 R. u. 21 . März 26. — Solches meldet« sie auch nach Innsbruck ; 
vgl. unten p. 40. 

4 Dass diese Ansicht auch sonst verbreitet war, geht hervor aus einem 
Briefe der Königin Maria an Kaiser Karl vom 22. Marz (Druffel 2 nr. 1157; : 
• Certain confident a däclaire* que l'iutencion des ennemis est de so saisir de la 
riviere depuis Strassbourg jusques ä Coulogne, ayans espoir de venir au dessus 
dudit Strasbourg par la faveur de la comune. » 



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15 — 

setzte man sich schleunigst mit letzterer Stadt in Verbindung, 
um in Erfahrung zu bringen, wann er ausziehen und welchen 
Weg er einschlagen würde. 

Schon am 26. März erhielt man von dort die Nachricht, 
dass der Oberst am 22. aufgebrochen und durch des Bischofs 
von Basel Land und durch Lothringen dem französischen 
Könige zugezogen sei. «Wohin aber», heisst es in dem Briefe, 
ter und andere ferner ziehen oder was die Handlungen sein, 
wohinaus oder über wen die gehen werden, das ist uns im 
Grund verborgen.» 1 

Jedenfalls hatte man es den «insonders guten Freunden 
und vertrauten lieben Nachbarn» von Basel zu verdanken, 
wenn Schertlin von dem von ihm beabsichtigten Einfalle ins 
Elsass Abstand nahm. 1 

Auch mit den bischöflichen Räten zu Zabern trat man in 
Unterhandlung, «unangesehen, das jene dieser leuf halben noch 
nie nichts geschrieben oder entboten hätten.» Der von dort 
ausgehende Vorschlag, durch gemeinsame Botschaft den franzö- 
sischen König zu ersuchen, Land und Städte zu verschonen, 
erregle in Strassburg Bedenken ; doch erklärte man sich bereit, 
diesen Punkt auf einer in Strassburg abzuhaltenden Versamm- 
lung der unterelsässischen Stände zur Sprache zu bringen. 
Hier gedachte man sich auch wegen der grossen, für Befesti- 
gung und Besatzung der Stadt notwendigen Kosten auseinander- 
zusetzen. Die Seele der im folgenden zu schildernden Verhand- 
lungen war Jakob Sturm, wie aus einem von seiner Hand 

1 Meister u. Rat zu Basel an die XIII (Str. St. AA 589}. Sie setzen u. 
a. hinzu : Ohue Zweifel bestände zwischen Frankreich und etlichen deutschen 
Fürsten ein geheimer Verstand und Anschlag. Es seien in Basel zwei grosse 
Herren aus Frankreich, desgleichen ein Herzog von Mecklenburg und der junge 
Landgraf. (Es waren dies die gegenseitigen Geiseln: Sleidan 24, 354} «In 
summa will uns bedenken, so ein jede oberkeit ires huses treulich warte, das 
werde den besten Ion geben. . 

2 Srbertlin selbst sagt darüber in semer Lebensbeschreibung (ed. Schön- 
huth p. 87} : • Ich hab mein Regiment mit Vergunst derer von Bern und Basel 
mit solcher Mühe zusammengebracht, als mein Lebenlang mir nie bescheben ist. 
Ursach, dass mir die Oesterreichischen im Elsass, Sundgau, Breissgau, Hegau 
und "Wirtemberg alle Pässe dermassen verlegt, dass ich mit aller Marter 
8 schwache Fähnlein Knecht mocht aufbringen. • Mit diesen hätte er nuii 
Elsässer und Sundganer überziehen wollen, aber auf Nötigung von Basel, wo 
er Weib, Haus und Hof gehabt und der 5 eidgenössischen Orte davon Abstand 
nehmen müssen; «denn es waren ihre Kornkästen und geliebte Nachbaren. ■ 
Deshalb sei er durch des Bischofs von Basel Land über Pruntrut, Mömpelgard 
auf Toul zu gezogen. 



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- 16 — 

herrührenden, höchst denkwürdigen Memoriale hervorgeht, in 
welchem alle wesentlichen, zur Beratung kommenden Gesichts- 
punkte betont sind, i 

Am 26. März traten in Strassburg neben den Verordneten 
des Rates, unter ihnen Jakob Sturm, Abgesandte der bischöf- 
lichen Regierung und des Kapitels, der elsassischen Landvogtei 
und des Adels, sowie der Städte Hagenau und Schlettstadt zur 
Beratung zusammen. 3 

üeber mehrere Punkte herrschte keine Meinungsverschie- 
denheit. Dem Gutachten der Kriegsverständigen zufolge gab 
man von vornherein den Gedanken an ein Verlegen der 
Gebirgspässe auf. Ebenso wollte man gar nicht erst den Ver- 
such machen, dem Könige den Marsch über die Rheinbrücke 
zu verwehren, da er solchen wohl erzwingen könnte, ebenso- 
wenig dieselbe abtragen, da hierdurch leicht das Verderben 
des ganzen Landes herbeigeführt werden würde. Auch ihre 
eigenen festen Plätze, erklärten die Bischöflichen, könnten sie 
dem Könige nicht vorenthalten, sondern müssten ihm Durchzug 
und Proviant gewähren. Dagegen seien die Städte Hagenau, 
Schlettstadt und Strassburg, genügend besetzt, wohl imstande, 
wenn der König etwas Unbilliges von ihnen begehren oder sie 
bezwingen wollte, mit Erfolg Widersland zu leisten. 

Hierzu erklärte Jakob Sturm : Sie hätten in Strassburg 
mit dem König in ungutem nichts zu thun. Sollte der- 
selbe aber, was sie nicht hofften, sich der Stadt mit 
Gewalt annehmen oder etwas Ungebührliches 
von ihnen verlangen, so wären sie nicht gesinnt, 
etwas zu bewilligen, das ihren Pflichten zuwider 
wäre oder sie mit Ehren nicht verantworten 
möchten; wollten sich auch deshalb ihrem 
Vermögen nach zur Gegenwehr rüsten. Indessen 
zur Besetzung der ausgedehnten Befestigungen sei ein statt- 
liches Kriegsvolk nötig, das augenblicklich nur schwer zu be- 
kommen und zu besolden wäre; auch fehlte es an Proviant. 
Nun wäre aber dem Lande nicht weniger denn der Stadt daran 

1 St.-. St. V. D. G. lad. 111, nr. 13. Auf dieses, sowie mehrere andere 
wichtige Aktenstücke, die sich, noch nicht inventarisiert, in derselben ladula irn 
Dreizehnergewölbe des Stadtarchivs befinden, hat mich Herr Dr. Wolfram hier- 
selbst freundlichst auimerksam gemacht. 

2 Ueber die Verhandlungen ist zu vgl. R. u. 21. April 1; AA 1854, 
April 1 und 1982 April 2. 



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- 17 - 



gelegen, dass diese Festung nicht in des Fran- 
zosen Hand käme. In solchem Falle werde er die 
sonder Zweifel besetzen und zu behalten ged e n- 
ken; würde nun der Kaiser sich derselben wieder 
annehmen, werde es ei nen ewigen K rieg gebe n, 
und das Land dadurch verderbt werden. 1 Deshalb 
sollte man sich äussern, in welcher Weise man Strassburg zu 
Hülfe kommen wolle. 

Als von einer Seite geäussert %\ird, als ob die Strassburger 
sprächen : Wenn sie der Franzos bei ihrer Religion bleiben 
lassen wollte, wäre er ihnen ein guter Herr, wollten um Kai- 
sers willen unverderbt sein , erklärte Sturm : Das wären etlich 
unnütze Leut, die viel verwendt Wort trieben; da wohl etlich 
schrieen, so wäre doch der mererteil gehorsam. \ 

Indessen trotz alles Hin- und Herredens erhielt man keine 
Zusicherungen. * Die meisten erklärten überhaupt nur zum 
Hören und « Hintersichbringen » bevollmächtigt zu sein. Auch 
hinsichtlich einer gemeinsamen Botschaft an den französischen 
König und einer ebensolchen an den Kaiser kam es zu keiner 
Hinigung. Im Gegensalz zu der Ansicht der Mehrheit erklärten die 
Bischöflichen, jeder sollte für sich schicken, da die Gelegenheit 
der einzelnen Stände verschieden ; so müssten sie manches dem 
Franzosen gestatten, was die drei Städte ihrer Befestigung 
halber nicht brauchten ; auch vermöchten sie nicht, wozu letztere 
wohl imstande wären, den Kaiser der Gegenwehr vertrösten. 
Trotz des Hinwürfe der Strassburger, es bedürfte keiner wei- 
teren Zusicherung, als dass sie die Städte mit verproviantieren 
und besetzen wollten, trotz ihrer Beschwerde, dass man sie, wo 
der Franzose so nahe am Lande liege, ohne jede Vertröstung 
scheiden Hesse, ging man, ohne einen Beschluss gefasst zu 
haben, auseinander, nachdem man auf Drängen Sturms ledig- 
lich {olgende « unvergrittliche » Abrede aufgesetzt hatte: s 

« Zum ersten, dass diese drei Plätze (Strassburg, Sehlett- 
stadt und Hagenau) vor andern ernstlich zu besetzen und zur 
Gegenwehr zu richten, doch daneben andere beschlossene 

1 Genau derselbe Gedankengang findet sich in dem obenerwähnten 
Memoriale. 

2 • Hierauf wuren vielerlei Reden hin und wieder, aber nichts fflrbracht, 
daraus die Verordneten vernehmen konnten, dass sich ein Rat einicher Hälfe zu 
versehen gehabt hatte • AA 1982. März 26. 

: * AA 587. März 2ß. 

2 



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— 18 - 



Flecken nicht zu verlassen seien, sie möchten denn vor Gewalt 
nicht erhalten werden; in solchem Falle solle das daselbst be- 
findliche Kriegsvolk in die oben benannten Städte gelegt wer- 
den. — Zum andern, wer das Seine nach Strassburg flüchten 
oder selbst mit Leib und Gut sich dahin begeben würde, der 
hätte zu den Ausgaben beizutragen ; auch sollte die Nachbar- 
schaft mit ihrem Volk und auf ihre Kosten die Stadt Strassburg 
besetzen helfen, dabei ein jeder sich auf nachbestimmten Tag 
eröffnen, wieviel er thun soll, und sollen alle nächsten 
Freitag Abend wieder in Strassburg erscheinen, um sich hier- 
über und über eine etwaige an den Kaiser und den französi- 
schen König zu sendende Botschaft entschliessen. » 

Immer drohender zogen sich die Wolken zusammen. 

Ein mächtiges Volk, so berichtet ein Agent der Stadt am 
25. März, rücke von Hessen und Thüringen heran, um sich 
bei Schweinfurt zu versammeln. Von da solle es nach dem 
Rheine ziehen, um sich mit den Franzosen daselbst zu verei- 
nigen. «Ich besorg, der Kaiser sei schändlich betrogen, und 
werde schwerlich zu Volk kommen mögen.» Da der König, 
schreibt am '28. März der Zweibrückensche Kanzler Han, mit 
sehr grosser Macht zur Stadt und Rheinbrücke ziehen würde, 
wäre es hoch von Nöten, alle Dinge in guter Achtung und 
Gewahrsam zu halten. Und der Graf Philipp von Hanau, der 
bereits in Strassburg einen Hof hatte bestellen lassen, um bei 
den Kriegszeiten seine Kinder dahin zu senden, erklärte, «da 
die Sage und Rede, als ob die Stadt sollte belagert werden, je 
länger je mehr etwas stark einreisset », von seinem Vorhaben 
zur Zeit noch Abstand nehmen zu müssen. 

Auch in der Bürgerschaft scheint grosse Verwirrung ge- 
herrscht zu haben. Sah sich doch der Am meist er am 26. März 
veranlasst, im Rate die Anfrage zu stellen, wie man sich ver- 
halten wolle, da etliche ihr Bürgerrecht aufsagten und so einen 
Schrecken im Volke verbreiteten. In der Thal sollen trotz 
strengen Verbots 800 Bürger, ohne die Handwerksgesellen, 
damals heimlich hinweggezogen sein. » 

Am 1. April erstattete Jakob Sturm dem Rate über die 
jüngst mit den Nachbarn gepflogenen Verhandlungen Bericht. 
Nach Verlesung der «Abrede» fasste man folgende Beschlüsse : 

1 «Quae sequuntur von dem Köüig von Frankreich., sagt Specklin, dem 
wir diese Nachricht verdanken. 



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- 19 - 



Sollte sich der König nach dem Elsasse wenden, so wäre 
er durch gemeinsame Botschaft zu ersuchen, das Land zu ver- 
schonen; man würde ihm gegen Bezahlung Proviant liefern. 
Den Pass könnte man ihm so wie so nicht wehren. Hinsichtlich 
der Sendung an den Kaiser wolle man sich der Ansicht der 
Mehrzahl anschliessen. Beliebte man indessen eine gemeinsame 
Botschaft, so wäre damit jedenfalls so lange zu warten, bis von 
Frankreich Antwort eingetroffen wäre, damit man diesem nicnt, 
«wie denn nichts verschwiegen bliebe», Ursache zum feindlichen 
Vorgehen gäbe. — Dass ein jeder, wer in die Stadt fliehen 
wurde, dieselbe mit erhalte, sei selbstverständlich. Sollten die 
Nachbarn bereit sein, Landvolk auf ihre Kosten herein zur 
Besatzung zu legen, 1 so sollte dasselbe allein dem Rate schwören 
und nicht abgemahnt werden dürfen. Die Hauptleute könnten 
zwar bei den Ratschlägen zugegen sein, der Entscheid aber 
sollte allein dem Rat, als der Obrigkeit, zustehen. 

Am 2. April traten die Abgesandten der benachbarten 
Stände in Strassburg von neuem zur Beratung zusammen. 

Meister und Rat desselben liessen ihnen zunächst vor- 
stellen : Wie die Dinge lägen, bedürfe man durchaus der 
nachbarlichen Hilfe. Denn wenn man auch bedacht wäre, ver- 
mittelst göttlicher Unterstützung die Stadt vor fremdem Volke 
zu bewahren und als ein gehorsames Glied beim 
heil. Reiche zu bleiben, so dürfte, wenn man ohne aus- 
reichenden Proviant und Besatzung unversehens überfallen 
würde, solches nicht allein Strassburg selbst, sondern ihnen, 
den Nachbarn, ebenfalls zu unwiederbringlichem Schaden 
gereichen. 2 

Darauf erklärten die Bischöflichen: Da sie selbst feste 
Flecken hätten, könnten sie ihr Kriegsvolk nicht entbehren ; 
auch möchte sie der Franzose, falls sie solches nach Strassburg 
legten, durch Verheerung ihres Landes zwingen, dasselbe wie- 
der abzuberufen. Daher wäre es für die Stadt besser, fremde 
Knechte anzunehmen und alle, Bürger und Zugeflohene, mit 
gleicher Steuer zu belegen. Wegen ihrer eigenen Unterthanen 
würde man sich, wenn die Belagerung zu Ende, schon ver- 
gleichen. Auch hätten sie nichts dagegen, wenn die Ihrigen 
auf eigene Faust Strassburg dienten, und letzteres Leute im 

l Sturm üusserte hier starken Zweifel. 
* AA 587. 



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_ 20 - 



Bistum mit Wartegeld bestellte, auch gegen Bezahlung Proviant 
aus demselben bezöge. 

Die Abgesandten des Unterland vogtes, sowie der Städte 
Hagenau und Schlettstadt wollten überhaupt nur zum Hören 
und « Hintersichpringen » abgefertigt sein. 

Auch der Bescheid der Ritterschaft lautete nicht ermutigend. 
Die Gelegenheit der einzelnen, setzte Georg Zorn von Bulach 
auseinander, sei verschieden, viele seien auch durch Lehens - 
pflicht gebunden. Einer gemeinsamen Hilfeleistung wie sie jetzt 
verlangt würde, wären sie bisher überhoben gewesen. Freilich 
wer sich in eine der drei genannten Städte begeben würde, 
der werde sich, wie es einem ehrlichen Adligen geziemte, mit 
der Wehr und in der Zeit der Not mit Darreichung des Gutes 
beweisen. Dass aber einer von ihnen gleich angesessenen Bür- 
gern steuern sollte, dagegen müssten sie sich verwahren, da 
das nicht ihr Herkommen. 

Die Verordneten des Rats suchten die vorgebrachten Ein- 
wände zurückzuweisen. 

Die starke Besetzung von Ortschaften, entgegnete man den 
Bischöflichen, die doch nicht gehalten werden könnten, sei 
überflüssig, das Kriegsvolk daher zu entbehren. Der König 
würde ferner in keinem Falle bei Belagerung Strassburgs das 
umliegende Gebiet schonen. «So muss man den gegen- 
wärtigen Schaden nitso hoch achten, sondern meh r 
auf das Künftige sehen: so die Stadt in des Königs 
Hand käme, was ewige Dienstbarkeit aufgelegt, 
werden würde. Zudem würde ein langwieriger Krieg 
daraus entstehen, und Strassburg der Platz sein, 
um den sich zwei mächtige Herrn, Kaiserund König, 
zanken würden, was zu unwiederbringlicher Zer- 
störung mehr als ein Jahr dienen müssle. » Mit dem- 
selben Rechte könnten ja auch ihre Bürger, die all ihren Be- 
sitz auf dem Lande in die Schanze schlagen müssten, sich 
bewogen fühlen, sich mit dem Könige zu verlragen. — Fremdes 
Kriegsvolk wäre gar nicht zu bekommen, die Besoldung des- 
selben lediglich durch die Bürger, letzteren zu schwer fallen, 
die Schätzung der geflüchteten Güter, als Betten, Kleider und 
Linnen nicht, viel eintragen. Dass man den Unterthanen er- 
lauben wolle, der Stadt für Geld zu dienen und Proviant zu- 
zuführen, sei selbstverständlich. Deshalb bäte man um anderen 
Bescheid. 



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- 21 — 



Den Abgesandten der Ritterschaft erklärte man, da sie in 
Zeiten der Not des Schirms der Stadt gewiss, so sollten sie 
jetzt auch namhaft machen, auf wen man sich verlassen könnte. 

Nachdem sich die Versammlung, «um Bedacht zu nehmen», 
vertagt hat, kommt es zwischen den Strassburgern und Bischöf- 
lichen zu allerhand Auseinandersetzungen. Die letzteren behaup- 
ten : Jene wären so wie so verpflichtet, ihre Stadt zu verwahren 
und sich vor dem Franzosen zu halten ; wofür sie denn sonst 
ihre grossen Befestigungen angelegt, und dass sie sich doch in 
anderen Kriegen, auch in solchen, die sie etwa mit den Bischöfen 
seihst gehabt, wohl zu verleidigen verstanden hätten. Selbst auf 
eine Schätzung ihrer Unterthanen könnten sie nicht eingehen. 

Hierauf antworteten die Strassburger : Ihre früheren Kriege 
mit den Bischöfen seien schlichte gewesen und gar nicht mit 
dem jetzt drohenden zu vergleichen. Ihre Befestigungen kämen 
auch dem Land zu gute, wenn der König sich dadurch vom 
Einmärsche abhalten liesse. Man sähe aber, man würde alle 
Unkosten allein tragen müssen. Was man schuldig sei, würde 
man thun, soviel man könnte ; was man nicht zu erhalten 
vermöchte, müsste man liegen lassen und dem grossen Schaden 
zuvorkommen.» 1 Als die Stände von neuem zusammentreten, 
bleiben alle bei ihrem vorigen Bescheide ; über die an Kaiser 
und König zu entsendende Botschaft soll nach Tisch beraten 
werden. 

Nachmitlags ist bei Wiedereröffnung der Versammlung von 
der Ritterschaft niemand erschienen ; ebenso lassen die Grafen 
von Hanau und Bitsch ihr Ausbleiben entschuldigen, «da sie 
l>ei diesen Sachen nichts zu thun wüssten. » Hinsichtlich der 
Botschaft wird jedem anheimgegeben, nach seiner Gelegenheit 
zu handeln. 

Die Stimmung ist eine durchaus gereizte geworden. Auf 
die Erkundigungen der Abgesandten des Bischofs und des 
Kapitels nach Strassburgs Verteidigungsmassregeln, damit, wer 
sich dahin begeben wollte, sich besser einrichten könnte, wird 

1 Im Merooriale Sturms heisst es darüber: AVo episcopus, capitel nit 
wollen den kosten helfen tragen, sonder es allein uf die statt schlagen, sagen, 
das es einem rat unleidlich und untreglich, werd sich nit destoweniger bewaren 
und den kosten von ihnen habe» wollen. Auch bey der Kays. Mt. sich des 
beklagen, das sy dadurch ursach der gemein mochteu geben, etwas anzufallen, 
das nit gut, so der arm man den kosten allein und sy, die des schirms notturfiig 
weren, nichts wollen geben, u. pro:eslieren. so etwas unrats oder dem reich zu 
Nachteil erfolgt, das es ir und nit eins rats schuld were«. 



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— 22 - 



ihnen zur Antwort : Die bisherigen Schritte hätte man in der 
Erwartung ihrer, Unterstützung unternommen. Unter den jetzigen 
veränderten Umständen aber würde man neue Entschlüsse 
fassen müssen; jedenfalls würde der Rat nichts be- 
will igen , das wider die Ehre, er würde denn ver- 
gewaltigt, dass er nit anders thun möcht. Uebrigens 
würde er nicht jeden, der in die Stadt flüchten wollte, in seine 
EntSchliessungen einweihen. Wer Vertrauen habe, möge kom- 
men, wer nicht, wegbleiben. 

A|s der Dechant des Kapitels» darauf äussert: «Man will 
euch aber helfen, die bei euch wohnen und zu euch kommen, 
sollen das Ihre thun, » entgegnete Sturm : Das verstände sich 
von selbst; daher zweifelte man auch nicht, dass das Kapitel, 
das in der Stadt Häuser, Höfe und Güter hätte, sich an den 
Unkosten, wie es zu thun schuldig wäre, beteiligen würde ; 
man hätte aber das Gleiche auch vom Bischof erwartet. Auf 
den Einwurf des Dechanten: Er und sein Bruder 2 wären das 
ganze Kapitel ; wenn sie fortzögen, wäre solches nicht mehr 
vorhanden, wird ihm erwidert, man vergässe wohl den Bruder- 
hof, Kleinodien, Wein, Korn, Hopfen und andere Güter; auch 
hätte der Bischof hier den Zollkeller und andere Aemter und 
Gefalle, die des Schirms der Stadt nicht minder wie die Bürger 
genössen und bedürften. 

Auf die an die bischöflichen Räte gerichtete Aufforderung 
Sturms, die Streitigkeiten um das Besitzrecht einer Anzahl in 
der Stadt befindlicher geistlicher Niederlassungen in Güte bei- 
zulegen, damit in diesen gefährlichen Zeiten der Unwille 
und das Misstrauen, die zu allerhand Unrat Ursach geben 
müssten, beseitigt würden, erklärten jene, in Abwesenheit ihres 
Herrn nichts abschliessen zu können. 3 

Unverrichteter Sache ging man auseinander. 

Auch seitens des Oberlandvogtes des Elsasses, des Kur- 
fürsten Friedrich II.* von der Pfalz, der durch den Landvogt 

1 Johaun Christof, Graf und Herr zu Zimbern. 

2 Gottfried Christof, Graf und Herr zu Zimbern, Cammerarius (Bezirks- 
archiv G. 217; auch R. u. 21. März 23). 

3 Im Memoriale steht: «Das man auch die spene, die man mit einander 
het, gutlich understend zu verglichen, allen Unwillen ufzuheben.« 

* Ueber ihn vgl. Katterfeld, Roger Aschara p, 220/222. — Die Landvogtei , 
d. h. die Schutzherrschaft über die zehn kaiserlichen Städte im Elsass, war 
bei der Pfalz von 1423/! 558. Vgl. Hertzrg, Edelsasser Chronik VIII, 152. 



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- 23 - 



von Hagenau, Heinrich von Fleckenstein, über die stattgehabten 
Unterhandlungen unterrichtet worden war, erhielt mnn wenig 
tröstlichen Bescheid. Von Hülfe war überhaupt keine Rede. 
Notwendig und ratsam, schrieb er u. a., wäre es freilich, falls 
sich die Franzosen dieser Landsart näherten, der Kay. Mt. dies 
zu berichten und sie zu ersuchen. Er wollte solches auch gern 
thun, besorgte aber, dass wenn die Briefe den Verbündeten in 
die Hand fielen, dieses ihm und anderen Genachbarten im Elsass 
zur Beschwernis geraten könnte. Doch wollte er gern überlegen, 
wie der Kay. Mt. solcher Bericht möchte sicher zugefertigt 
werden. Auch in betreff der Botschaft an den französischen 
König hatte er manche Bedenken. 

Dieselbe schwächliche Politik beobachtete der damals freilich 
srhon hochbetagte Fürst während der ganzen folgenden Zeit.i 

So stand denn Strassburg Anfang April völlig isoliert da, 
ohne sich gegenüber der drohenden Kriegsgefahr irgend welcher 
Unterstützung seitens der Nachbarn vertrösten zu können.« 

Gerade damals trafen zwei Schreiben vom Kaiser ein, in denen 
er Meister und Hat für ihr c gehorsames und gutwilliges* Erbieten 
dankt, dass. sie sich bei diesen sorglichen Zeiten «etwas tröst- 
lich und statlich» erzeigt und sich bei ihm und dem heiligen 
Heiche getreulich zu halten geneigt seien. Sie sollten ihre 
Stadt gut verwahren, damit, falls jemand Unruhe im Lande 
zu erwecken suchte, demselben bei ihnen kein «Raum, OefT- 
nung, Hilf, Beförderung und Fürschub» gestattet werde. Er 
hoffe noch immer durch gütliche Mittel zum Ziele zu kommen, 
andernfalls wollte er alles daransetzen, um Friede, Ruhe und 
Einigkeit im Reiche zu erhalten und sie und andere vor un- 
rechtmässiger Gewalt zu schützen. Uebrigens sollten sie sich 
mit den benachbarten Ständen in gute Korrespondenz und 

1 Die köpf- und mutlose Haltung der Rheinischen Kurfürsten hat Druffel 
(2, VI u. 3, 426] richtig gekennzeichnet. 

2 Meister u. Rat der Stadt fassten die damalige trostlose Lage in einem 
späteren Schreiben an den Kaiser vom 21 . Mai (vgl. oben p. 1 1 ) folgendermassen 
zusammen: t\Vir hatten mit unsern genachbarten Stenden uf zweyen deshalben 
gehaltenen tagen mit allem vleyss dahin gehandelt, damit sy inen selbs und 
dem ganzen land zu gut, zu Verhütung besorgender langwieriger kriegsverü er- 
bung uns ire hilfliche hand bieten uud mit uns vermöge irer kay. mt. begeren 
pute correspondenz halten wolten. Wir hetten aber über allen fürgewenten 
Ueyss aus etlichen von inen erzellen verhinderlichen Ursachen gar geringen 
trost vermerken können, also das der ganze last uns und gem. Stadt fast allein 
ufgetregen hette werden wollen. » 



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— 24 — 



Verständnis begeben, damit ein jeder wisse, wessen er sich im 
Fall der Not beim andern zu getrosten hätte.* 

Da man in Strassburg von anderer Seite keine Hülfe zu 
erwarten hatte, ging man thatkräftig auf eigene Faust vor. 

Nachdem Sturm am 4. April im Rate über die Verhand- 
lungen berichtet hatte, wurde hier erkannt : Dieweil man sieht, 
dass auf die bischöflichen kein Verlass, und von nöten sei, 
sich sonst in die Sachen zu schicken , damit man sich 
als ehrliche Leut halten könnt, sollen die Herren XIII 
bedenken, was zu Befestigung und Versehung der Stadt zu 
geschehen hätte, ob man zu weiteren Anwerbungen schritte, 
Leute im Bistum mit Wartegeld bestellte, etliche Kriegsver- 
sländige, sonderlich vom Adel, aufforderte, sich in die Stadt 
zu begeben, ferner ob und wie man zum Könige von Frank- 
reich schicken und dem Kaiser schreiben wollte ; endlich ob 
und wie es vor Schöffen und Bürgerschaft gebracht würde. 

Zu den beiden früher angenommenen Fähnlein war am 
1. April noch ein drittes angeworben worden. Hauptmann über 
das letztere war ein Strassburger Edelmann, Asmus Böcklin, 
der nahe Beziehungen zum kaiserlichen Hofe hatte. 2 Von den 
Fähnlein wurden zwei vorläufig auf das Land gelegt, das 
dritte aber in der Stadt einquartiert, als Lärmplatz der « Bruch » 
bestimmt. Kine Anzahl Dienstgesellen wurden mit Wartegeld 

• Karl V. an Meister u. Rat. AA. 579 März 19 u. 24. 

a Sein Bruder war kaiserlicher Hofmarschall, sein Schwager der bekannte 
Kriegsoberst und Diplo nat Lazarus Schwendy. Letzterer schrieb ihm am 
24. April (AA 583) : Er hätte gern vernommen , dass Asmus denen von 
Strassburg mit einem Fähnlein diente. • Denn nachdem der Kay. Mt. und dem 
ganzen reich sovil an erhaltung dieser stat gelegen ist, wird euer rum und ehr 
um sovil grösser sein, dass ihr als der fürnemste befehlshaber euern getreuen 
ileiss darzu erzeiget und hab auch deshalben nicht unterlassen, von euer person 
der Kay. Mt. bericht zu thun u. grosse hoHuung zu machen, die dann daran 
nicht zweifelt und sich versieht, ir werdet irer Mt. mit gleichen treuen wie euer 
bruder, der herr marschalk zugethan sein ; das würde auch ir. Mt. um euch und 
die euren mit allen gnaden erkennen. Und dieweil vil an dem gelegen sein will, 
das man alhieam Kays, hof guten bericht habe, wie alle sachen 
bei euch geschaffen, und ob auch vollkommen mittel und weg vorhanden 
seyen. vermelte stat Strasburg zu erhalten oder was fflr mangel, gefarlichkeiten 
und gebrechen furtielen, so bit ich euch, ir wollen mir zum oftmalen alle gelegen- 
heit zuschreiben, so will ich euch gute Correspondenz halten und was ich euch 
und der stat Strassburg zu rum und gutem befurdern kann, mit allem fleiss nichts 
erwind anlassen. Und s dien nit zweifeln, das euch ehr und wolfart aus diesem 
euer beleih, da ir in recht verrichtet, erfolgen werde. Mit meiner person bin 
ich euch als mein lieber schwager und allem vermögen zu dienen ganz geneigt 
und holF, wir wollen einmal selbs znsamenkomeu. • 



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— 25 — 



weiter bestellt, den Schultheissen auf dem Lande befohlen, für 
Ausrüstung ihrer Unterthanen mit Harnisch und Gewehr Sorge 
zu tragen. Die vermögenden Bürger sollten sich mit Mehl, 
gesalzenem Fleisch, Anken (Butter) und Kase versehen. — 

Ende März hatten sich die hessischen und sächsischen 
Truppen mit denen des Markgrafen Albrecht bei Rotenburg 
an der Tauber vereinigt. Von hier aus schlugen sie den Weg 
nach Augsburg ein, das ihnen am 5. April die Thore öffnete. 
Jetzt wendeten sie sich gegen Ulm, das jedoch ihre Aufforde- 
rung zur Uebergabe zurückwies und tapferen Widerstand leistete. 

Gleichzeitig hatte das im März an der Marne, zwischen 
Chalons und Vitry, zusammengezogene französische Heer, unter 
Führung des Konnetabel von Montmorency die Maas über- 
schritten und Toul ohne Schwertstreich genommen. Am 10. April 
erschienen die Franzosen vor Metz, das durch Treubruch über- 
rumpelt wurde. Der König Heinrich II. selbst traf am 12. April 
in Toul und am 44. in Nancy ein, wo er eine neue, ihm 
durchaus ergebene Regentschaft einsetzte. » Am 18. hielt ei- 
sernen Einzug in Metz. Noch am 1. April hatte Jakob Sturm 
im Rate mitgeteilt : Es habe Dr. Hans von Metz * im Namen 
seiner Stadt bei ihnen, den XIII, um Büchsenmeister, Schützen 
und Kriegsvolk angesucht, was man ihm mit Anzeige, dass Strass- 
bu rg selbst in Rüstung, abgeschlagen. Gestern habe er wieder 
gebeten, dass, falls der König auf Metz ziehen würde, 
Strassburg neben dem Pfalzgrafen Kurfürsten, dem Herzog 
Wolfgang und Nassau, die er gleichergestalt ersucht, den König 
für sie wollte bitten, «das er sie als eine alte Stadt 
des Reiches nicht davon und wider ihre Ehre 
dränge», — Proviant wollten sie ihm gern mitteilen — 
und dass sie solches auch bei den genachbarten Ständen, die 
er gleichfalls ansuchen wollte, beförderten ; das wollte sie, die 
von Metz, im Gegenfalle auch thun.s 

1 Piraodan, La reunion de Toul ä la France. Paris 1885. p. 14 f. 

Ä Johann von Nidbruck, gewöhnlich Hans von Metz genannt, auch 
Dr. Bruno, englischer Agent in deutschen Dingen und Sleidans Schwieger- 
vater (Baumgarten, Sleidaus Briefwechsel p. 36). «Le 20 juin 1520 maitre 
Jehan Bruno du Pont-de-Nied est retenu aux appoioternents de 50 livres par 
an. En alleuiand il s'appelait Bruno de Nidbruck» (Abel, Rabelais p. 3~). 

3 Die XIII hatten darauf entschieden : «Sofern Pfalz, herzog Wolfgang 
und Nassau bittenwollen, inen wilfarn und jemand in meiner hn. namen mit- 



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- 26 — 



In Strassburg verfolgte man begreiflicherweise die Bewe- 
gungen der Verbündeten mit der grössten Spannung. Am 
Tl. April erfuhr man, dass Augsburg sich mit den Fürsten 
vertragen hätte, und diese nunmehr gegen Ulm zögen ; gleich- 
zeitig kam aus Zaber n die Nachricht, das von den Franzosen 
angeworbene deutsche Kriegsvolk liege bei Toul, um daselbst 
den Konnetabel zu erwarten. In einer Nachschrift heisst es, 
der letztere sei dort am 5. angekommen, der König gedächte 
am 14. in Nancy einzutreffen ; «es könne aber niemand ge- 
wisslich vernemen, wo hinaus er mit seinem Volk den Anzug 
ferner nehmen werde.» 

In der That herrschte bis Mitte April in Strassburg noch 
die grösste Ungewissheit über die Lage, namentlich ob ein An- 
griff auf die Stadt zu befürchten sei oder nicht. In einer Auf- 
zeichnung von -Jacob Sturm, freilich noch aus den letzten Tagen 
des März, heisst es: «So ist auch, hoff ich , kein Belage- 
rung zu besorgen, sondern acht ich, der König 
wird fortziehen.»' Und Sleidan schrieb am 16. April: 
«Was uns die Zukunft bringen wird, weiss Gott allein. Wir 
sinil hier zwischen zwei Heeren. Von Schwaben her bedrohen 
uns die Fürsten, von Westen der Franzose, der heute in Metz, 
wie es heisst, seinen Einzug halten soll ; der Konnetabel ist 
daselbst bereits am 10. eingerückt. Wohin das französische 
Heer von dort aus seinen Weg nehmen wird, ob nach Speier 
oder hierher, ist noch unbekannt. Wir selbst haben hier 2000 
Mann Kriegsvolk angeworben. »2 

Nur zu bald sollte sich die Situation klären. Am 18. April 
ritt ein französischer Herold, Pietmont, in Strassburg ein, der 
dem Ammeister ein «welsches» Schreiben des Konnetabels aus 
Metz vom 12. des Monats folgenden Inhalts einhändigte : 3 

Die guten Gründe, aus denen der König diesen Kriegszug 
unternommen, seien ihnen jedenfalls bekannt. Derselbe hätte 
ihn mit einem Teile seines Heeres nach Metz vorausgesandt, 
bei dessen Einwohnern er die beste Aufnahme und Bereitwillig- 
keit zur Unterstützung gefunden habe. Da sein Herr aber weiter 

schicken, desglichen morgen auch helfen bei den nachbarn furdern. • Wie 
widersinnig erscheint da die Angabe I.egrelle's a. a. O. 42, dass Strassburger 
Abgesandte dem französischen Könige den Besitz von Metz zugesagt hätten ! 
' ' V. D. G. lad. III, nr. 13. 
4 Baumgarten a. a. Ü. p. 242. 

3 AA, 1854 ; abgedruckt bei Kentiinger, Documenta historiques 1 , 44. 



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— 27 — 

bis an den Rhein zu ziehen gedächte, so ersuchte er sie des- 
halb, Mehl, Brot, Wein und Hafer gegen gebührende Bezahlung 
ins französische Lager zu liefern. Ihren Entschluss, der hoffent- 
lich dem freundschaftlichen Verhaltnisse entsprechen würde, in 
dem sie bisher zu dem französischen Könige und seinen Vor- 
fahren gestanden, sollten sie durch eine besondere Gesandlschaft 
zu erkennen geben. Das gleiche Ersuchen hätte er auch an 
Bischof und Kapitel gerichtet. 1 

Der Rat entschied sich sofort dafür, an den König eine 
Botschaft zu senden und bestimmte zu derselben aus seiner 
Mitte Friedrich von Gottesheim und Peter Sturm, 2 denen er 
den Dr. Heinrich Kopp zuordnete. Denselben wurde folgende 
Instruktion erteilt : s 

Mit Rücksicht auf das bisherige gute nachbarliche Verhält- 
nis und die diesjährige Teurung wären König und Konnetabel 
dringend zu ersuchen, der Stadt und dem Lande den Durchzug 
zu ersparen ; sollte letzterer aber doch durch das Elsass gehen, 
so wäre um grösste Schonung zu bitten. Da ferner infolge der 
Teurung und fremder Aufkäufe es der Stadt an Frucht 
mangele,* bäte der Rat, derselben den begehrten Proviant zu 
erlassen. Man würde solchen ohne Zweifel im Lande bei dem 
Bischof und anderen Herrschaften in ausreichender Menge 
finden. Der Stadt Dörfer sollten ihrem Vermögen nach Zufuhr 
liefern. Hieran würde sich der König hoffentlich genügen lassen 
und den Rat und die ihm Zugehörigen derartig assekurieren, 
«dass sie sich ungnädigen willens und thätlicher Handlung nicht 
besorgen dürften.» Hätte doch Strassburg deshalb, dass es gegen 
den König und seinen Vater sich alles nachbarlichen Willens 
bis daher gehalten und erzeigt, gar viel Ungnade auf sich gc- 

1 Gleiche Werbung war auch an Schlettstadt und an die vier rheinischen 
Kurfürsten ergangen, «welchs Schreibens», wie der Pfalzgraf sich ausdrückt. 
• wir uns nit wenig entsetzt. (Druffel 2. nr. 1333). Als ersteres bei Strassburg 
anfragte, was zu thun sein mocht, antwortete ihm dasselbe, .dass in diesem nit 
wohl zu raten, dieweil es ein Fall, darin man uns selbst nit wohl raten kann; 
dieweil aber die Landvogtei dem Pfalzgrafen Churfürsten zugelhan, mochten 
sie es an denselben gelangen lassen» (R. u. 21. April 18). 

2 Nicht Jakob, wie die meisten Bearbeitungen fälschlich annehmen. 

3 V. D. G. lad. 111, nr. 13. 

4 In der That war auf dem Kreislage zu Molsheim, 29. Jan. 1552, eine 
Fruchtordnung erlassen worden, in der weitere Aufkäufe untersagt wurden, «da 
die frucht dadurch in hohen Aufschlag kommen, und noch höherer zum Schaden 
der Unterthanen zu besorgen» (Str. St. AA 1982). 



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- 28 — 



laden und oft «grosslich» entgelten müssen, weshalb der Hat 
auch verhofft, dass der König die Stadt desto eher gnädig ver- 
schonen werde. Sollten die Franzosen aber auf dem Proviant 
bestehen, so wäre in Erfahrung zu bringen, wohin und wie 
weit derselbe zu führen. Wäre es lediglich zum Durchzuge, so 
sollte man auf 1000 Viertel Mehl unterhandeln. Hafer hätte 
man nicht im Vorrat, ebenso würden sie Wein eher auf dem 
Lande als in der Stadt finden, da dieselbe keinen Weinkeller 
hätte. Brot könnten jene auf den umliegenden Dörfern backen 
lassen. Zur Aushülfe wollte man ihnen gern Bäcker heraus- 
senden oder es ihnen in der Stadt selbst besorgen lassen. 
Würde der Konnetabel mit den 4000 Viertel Mehl nicht zu- 
frieden sein, so dürften sie noch weitere 500 Viertel Hafer oder 
Mehl bewilligen. Sobald man sich aber geeinigt, sollten die 
Gesandten von neuem darauf dringen, dass der König sie ver- 
sicherte, ihnen weder etwas weiteres zumuten, noch « in un- 
gutem» gegen sie vornehmen zu wollen. Ginge aber aus der 
ihnen zu teil werdenden Antwort hervor, dass man sich des 
Ueberzugs zu besorgen hätte, so sollten sie dies, «so Tag so 
Nacht » eilends nach Hause melden, ebenso alles Berichtens- 
werte, was sie auf dem Wege erführen, und am Botenlohne 
nichts sparen. 

Am 19. April wurde die Vertretung der Bürgerschaft, die 
300 Schöffen, die bei allen wichtigen, das Wohl und Wehe 
der Stadt betreffenden Angelegenheiten zu Hate gezogen werden 
mussten, berufen, und ihnen ein Vergriff über die augenblick- 
liche Lage vorgelesen. «Und haben dieselben,» so heisst 
es in den Protokollen, «mit einhellig sagen, mein, b n . 
Reten Gewalt geben und wollen Leib und Leben zu 
ihnen setzen.» 

In der Stadt herrschte die grösste Aufregung Noch immer 
glaubte man, wie aus einem Briefe Sleidans vom 18. hervor- 
geht, eine Vereinigung der deutschen Fürsten mit dem Könige 
bei Strassburg befürchten zu müssen. 1 Und in einem anderen 
Schreiben vom 21. heisst es: «Alles ist in grösster Sorge, was 
die nächsten Tage bringen werden. Unsere Gesandten sind zum 

1 « Metim urbem Gallus tenet, et per vicinum nobis agrum Her faciens volet 
etiam hanc nostram urbem forta-sis videre multumque hoc ad suam gloriani 
pei tiuere putabit, eousque Signa promovisse. Quod si alter exerciius occupata 
Ulma caeterisque domitis ad nos etiara propius aceedet, vides in quanti* simus 
angustiis. Beumgarten a. e. 0. p. 24l>. 



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— 29 - 

» 

französischen Könige abgereist. Alsbald nach ihrer Rückkehr 
wird sich entscheiden, ob wir den Krieg oder den Frieden 
haben werden.» * 

Am 20. April verliessen die drei Strassburger Gesandten 
die Stadt und ritten über die Zaberner Steige .nach Finstingen, 
an welchem Orte sie den König zu erwarten gedachten. Der 
letzlere hatte indessen eine andere, südwestlichere Strasse einge- 
schlagen. Nachdem er am 21. von Metz aufgebrochen war, am 
22. bei Nomeny gelagert hatte, traf er am 25. in Luneville, 
am 26. in Blamont ein. 2 

Als die Strassburger Ratsherren, Sturm und Gottesheim, 
diese Marschrichtung des Königs inne wurden, kehrten sie, 
indem sie vollständig darauf verzichteten, den letzteren doch 
noch aufzusuchen, Sonntags den 24. abends von Finstingen nach 
Strassburg wieder zurück, nachdem sie vorher den Dr. Kopp zu 
einem andern Agenten der Stadt, Dr. Ulrich Geiger, mit einer 
auf letzteren ausgestellten Instruktion nach Widersdorf 3 abge- 
fertigt. Von hier ritt Geiger Montags früh mit 2 Stadtboten 
8 Meilen Wegs nach Luneville in der Hoffnung, den Kon no- 
tabel daselbst anzutreffen und «das, so er von den Gesandten 
in Befehl, zu handeln.» Was ihm da begegnen und was er sonst 
des Ueberzugs halber erfahren würde, wollte er rlurch einen 
seiner Begleiter dem Dr. Kopp mitteilen, der inzwischen nach 
Saarburg zurückgeeilt war, oder aber über den Haselsprung* 
direkt nach Strassburg gelangen lassen. * 

Unwillkürlich drängt sich hier die Krage auf, welche 
Umstände wohl die Strassburger Gesandten bestimmt haben 
mögen, die Reise zum Konnetabel aufzugeben, da sie doch 
ebenso gut wie Dr. Geiger den Weg nach Luneville hätten ein- 
schlagen können. Schon damals erregte ihre plötzliche Rückkehr 
bei den Nachbarn grosse Verwunderung. Schrieb doch am 2ü. 
der Unterlandvogt von Hagenau im Auftrage des Pfalzgrafen 
Friedrich : Lelzterem sei berichtet worden, dass obwohl sie vor 
wenigen Tagen ihre Botschaft an den französischen König 
geschickt, um «liesein die begehrte Proviantienmg, Pässe und 

t Hedio an Erbius ; Bauin, Thesaurus epistol. Reform. Alsaticorum. 
* Ueber den Marsch des Königs vgl. Habutin (Michaud ed Poujoulat 
VII, 411 f.}. 

3 In der Nühe von Dieuze. 

Quelle der Hasel, die am Nollen entspringt. 
5 Vgl. AA, 582. Kopp an die XIII. April 2ß. 



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— 30 — 



anderes zuzusagen, sie jetzt denselben eilends nachgesandt 
hätten, statt solcher Bewilligung sich wieder zurückzubegeben, 
da der Kaiser ihnen gnädigst entboten, sich bis zum neunten 
Tage gegen die « fürstehende Gewalt » zu halten, da ihnen bis 
<lahin von ihm Entsatz kommen würde, worauf sie sich dann 
endlich der Gegenrüstung entschlossen haben sollten. Sie 
möchten doch zurückschreiben, ob die Sache sich derartig 
verhielte. 

Obwohl wir die Strassburger Antwort nicht in den Akten 
finden, können wir, glaube ich, trotzdem den wahren Sach- 
verhalt feststellen. 

Offenbar war der Pfalzgraf schlecht unterrichtet, vor allern 
über den Inhalt der Instruktion. 1 Strassburg selbst war ferner 
von vornherein zum Widerstande entschlossen, noch ehe ein 
Gesandter des Kaisers mit Versprechungen eintraf, was übri- 
gens erst Anfang Mai der Fall war. Endlich sind die beiden 
Ratsherren nicht etwa zurückgerufen worden, sondern aus 
eigener Initiative nach Strassburg heimgeritten. 2 

Jedenfalls hatten sie während ihres Aufenthaltes zu Finstingen 
die Ueberzeugung gewonnen, dass es auf mehr als Proviant- 
Jieferung, dass es auf die Einnahme der Vaterstadt abgesehen 
sei. Anstatt daher mit ihrer bisherigen Instruktion als bevoll- 
mächtigte Ratsbotschaft Strassburgs den Konnetabel aufzusuchen, 
hielten sie es für zweckentsprechender, erst weitere Verhaltungs- 
massregeln beim Rate einzuholen und sandten an ihrer Stelle 
bloss den Agenten Dr. Geiger ab, nicht sowohl um im Namen 
der Stadl zu unterhandeln, als vielmehr über die wahren Ab- 
sichten der Franzosen Kundschaft einzuziehen.» Und in der 
That ist os den uns vorliegenden Aktenstücken zufolge völlig 
ausgeschlossen, dass Dr. Geiger dem Kon notabel irgend welche 
Anerbietungen gemacht hätte.* 

Nach den Briefen, die Dr. Kopp am 26. April aus Saar- 

1 Vgl. oben p. 2~. 

2 Indem Briefe Kopps heisst es ausdrücklich : iAus welchen Ursachen 
die Gesandten wieder nach Hause geritten seien, würden sie, die Herrn XIII, 
von jenen selbst erfahren haben.» 

3 Dr. Kopp schreibt nämlich am 26. April aus Saarburg: «Da der Rat 
nun Bescheid wüsste, wessen man sich vom Könige zu versehen hatte, sei es 
für ihn (seil. Kopp) überflüssig, Dr. Ulrichs Antwort ferner zu erwarten.» 

4 Entschuldigten sich doch die Strassburger Gesandten später ausdrücklich 
beim Konnetabel, warum man ihn nicht gleich auf sein erstes Schreiben hin 
aufgesucht habe. Vgl. unten p. 42. 



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- 31 - 



bürg nach Strassburg sandte, musste man sicli liier in der 
That auf das Aeusserste gefasst machen. 

Er wäre, schrieb er 4 Uhr morgens, in der Nacht in 
Saarburg angelangt. Hier hatte er des Bischofs von Metz Kanzler, 
Dr. Gaillard, angetroffen, der auf Befehl seines Herrn eine 
grosse Kommission ausgerichtet, ebenso Abgesandte von Hage- 
nau und Weissenburg, die mit dem Konnetabel wegen Proviants 
unterhandeln wollten. Allgemein hiesse es, dass dieser Zug, 
a was Gott gnädiglich wende », gegen Strassburg gerichtet, und 
hätte sich der Metzer Kanzler gegenüber dem Junker von 
Lfitzelburg vernehmen lassen, es werde der König die Stadt 
um den Durchzug nicht unversucht, auch an guten und bösen 
Worten nicht fehlen lassen und zuletzt «die Gewalt mit Ernst 
gebrauchen » ,. Ebenso sollte der Rheingraf geäussert haben : 
« Sie brächten Geschütz mit sich, brächen die Mauern nicht 
davon, so würden sie sich doch zum wenigsten biegen.» Er, 
Kopp, hätte auch von etlichen vom Adel und dem Metzer 
Kanzler verstanden, mit welcher Geschwindigkeit der Konne- 
tabel in die Stadt Metz hineingekommen sei « wozu die Disconlia 
der Obrigkeit und Burgerschaft gute Steuer gethan habe»J 
Die Franzosen, die in Besatzung geblieben, « reden ihnen ganz 
übel mit grosser Verachtung, dass sie eine solchegute 
Stadt so leicht lieh aufgegeben». Wenn sie sich zur Wehr 
gesetzt, hätte der König aus Mangel an Proviant nicht über acht 
Tage vor derselben bleiben mögen. — Auch etliche französische 
Hauptleute und Kommissarien hätten sich dahin geäussert, dass 
der König Strassburg durch den Konnetabel bis Sonntag auffordern 
lassen oder mit Gewalt einzunehmen versuchen werde. «In- 
dessen wiewohl die Franzosen ihren gewissen victoriam pro- 
mittieren und fürmalen, so vermerke ich daneben, dass, wenn 
es zu keiner Verräterei oder Meuterei unter Bürgerschaft und 
Knechten kommt, und in der Stadt Einigkeit, dazu Ordnung 
und der Proviant erhalten bleibt, diese Belagerung nicht lange 
währen soll, und des Königs Gelegenheit nicht sein würde, 
sich in die harr davor zu soumen.» 

Einer von des Schertlins Hauptleuten, von Schwalbach, 2 
würde morgen nach Strassburg reiten ; doch hätte er nicht 

1 Auch Thuanus X, 302 sagt : « Duae erant in civitate factiones, senatorum 
et plebejorum.t 

1 Derselbe war Schertlins Oberstlieutenant: vgl. Seb. Schertlin a. a. O. 
p. 91. 



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- 32 



erfahren können, was solcher in der Stadt praktizieren wollte. 
Derselbe hätte ebenfalls sich hören lassen : Der König werde 
bis Samstag Oeflhung begehren, und da solche nicht zu erhal- 
ten, dahin handeln, dass man etliche seines Kriegsvolks rotten- 
weise hineinliesse, allerhand ihrer Gelegenheit nach zu kaufen . 
durch solche Mittel würde er versuchen, was ihm von nöten, 
auszurichten und «so alles fälet», mit seinem schweren Geschütze 
Bresche schiessen. Ebenso hätte er von einem alten franzö- 
sischen Kriegsmanne, der jetzt in des Metzer Bischofs Dienst, 
vernommen, der König werde diese Stadt «durch allerlei 
geschwinde Praktika, heimlichen Verstand, (vulgariter genannt 
Verräterei) » oder mit Gewalt zu erobern versuchen ; verliesse 
sich viel auf sein Geschütz und die Menge zum Sturme geübter 
Knechte. « Es möchten Ew. Gnaden aut den Scnwalbach und 
andere, was ihre Handlung, Kundschaft machen. Der Allmäch- 
tige wolle dieselben samt gem. Stadt vor diesem beschwer- 
lichen, un versehenlichen Ueberfall gnädiglich bewahren und 
erlösen. Amen.» 

Noch besorgniserregender lautete ein zweiter, an demselben 
Tage nachmittags geschriebener Brief des Dr. Kopp. 

«In dieser Stund ist ein Bürger aus Strassburg, Namens 
Cäsar, der ein Franzose und von dem Könige Dienstgeld hat, 
vor meiner Herberge abgestiegen und hat mich, obwohl ich es 
nicht gern gesehen, erblickt und erkannt. Deshalb konnte ich 
es nicht unterlassen, ihn anzusprechen. In seiner Begleitung 
ist ein anderer Franzose, auch Bürger zu Strassburg, genannt 
Pierre Margot, gewesen, der aus Metz gekommen, während 
Cäsar aus dem Lager. Als ich letzterem angezeigt, welche be- 
schwerlichen Reden ich wegen des Ueberzugs vernommen, hat 
er mit vielen Worten und ganz unbescheiden widersprochen : 
Wer solches vorgäbe, sei ein Lügner; der König selbst hätte 
ihm gesagt, er begehrte nichts Thätliches gegen die Stadt vor- 
zunehmen ; er wollte lediglich während seines Aufenthalts zu 
Zabern genügenden Proviant für Geld haben, und dass seine 
Leute ein- und ausgehen und, was ihnen von nöten, kaufen 
dürften. Solches hätte er, Cäsar, laut seiner Kredenz mit Ew. 
Gnaden mündlich zu verhandeln. « Und befand ich also aus 
seiner Anzeige eben die königlichen Praktika, wovon mir der 
Junker von Lützel bürg und Metzer Kanzler gesagt, und ist 
zu besorgen, dieser Cäsar und andere mehr in der Stadt sind 
dem Könige zum Vorteil bestellt. Gott behüte E. Gn. und gem. 



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— 33 — 



Stadt vor Verräterei ! Ew. Gn. sind ohne meinen Rat verständig 
und weise genug, aber dieweil mich so viel hin und wieder 
anlangt, und dem Könige kein Glauben zuzustellen, 
er gebe so gute Worte als er immer mag, so nah 
ich Ew. Gnaden in Eil aus schuldiger Pflicht verwarnen wollen, 
sich vor Cäsar, diesem Bürger und Franzosen und anderen 
mehr in der Stadt, sie seien Deutsche oder Welsche, wohl 
vorruschen, damit keine Verräterei ins Werk gesetzt werde.» 

Endlich heisst es in einem beigelegten Zettel : «Gn. Herren ! 
Post datum habe ich soviel vermerkt, dass der genannte Cäsar 
und seine Gesellen mir ganz verdächtig und zum wenigsten 
Kundschafter, wo nicht ärger sind. Der Allmächtige bewahre 
unsere Stadt vor Verräterei! Es lässt sich ansehen, der König 
werde nichts unterlassen und Welsche und Deutsche dazu 
gebrauchen, also dass man wider heimliche Praktika in der 
Stadt nicht weniger dann gegen die äusserliche Gewalt müsse 
gefasst sein. Mir kommt eine Warnung über die andere, man 
solle des Franzosen guten W T orten keinen Glauben zustellen, 
sei eitel Betrug ; er hat denen von Metz, wie mir der Kanzler 
berichtet, so wohlgestellte Briefe Neutralitatis gegeben und 
andere Zusage gethan, dass sie nicht besser versichert werden 
mögen. Was aber gefolgt, liegt offen am Tage; haben doch 
jene alle Schlüssel über ihre Barschaften, Munition und anderes 
geben müssen.» 

Die Stadt selbst war inzwischen in vollen Verteidigungs- 
zustand versetzt worden. 

Die beiden Fähnlein, die bisher ausserhalb untergebracht 
gewesen waren , wurden hereingelegt, i Den ausgemusterten 
Bürgern wurden Haupt- und andere Befehlsleute zugeordnet, 
und ihnen vier Plätze angewiesen, ebenso den inzwischen mit 
Waffen versehenen Handwerksgesellen. Aber alles dieses erach- 
tete man noch nicht für ausreichend. 

Auf die Anfrage im Rate, ob nicht weitere Knechte anzu- 
werben seien, « falls sich der Franzose dei Stadt annehmen 
sollte,» trat man mit dem Domkapitel in Unterhandlung. Als 
dasselbe wohl Kriegsvolk aufbringen wollte, gleichzeitig aber 
die Befürchtung aussprach, das Bistum möchte deshalb ver- 
brannt werden, wurde ihm zur Antwort : Mit der Stadt wäre 

1 Ihr Lärmplatz war, «wo die armen Leute nach Kronenburg gefuhrt 
werden » . 

3 



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— 34 - 



auch jenes verloren und würde vom Könige zum höchsten 
beschwert werden, wie auch Metz ein strenges Jurament habe 
thun müssen. Daraufhin erklärte das Kapitel sich bereit, 
2000 Mann zu stellen, falls solche in des Rates Namen herge- 
führt würden, überhaupt all sein Vermögen zu demselben zu 
setzen und zu thun, «was dieser wollte, und sie sollten.» 

Aus diesen und anderwärts angeworbenen Mannschaften 
wurden drei neue Fähnlein zusammengestellt, resp. die anderen 
drei verstärkt, so dass die sechs soviel Knechte zählten, als 
sonst in zwölfen zu sein pflegten, darunter eine grosse Anzahl 
von Schützen und Doppel Söldnern. * Daneben unterhielt man, 
wie gesagt, ein starkes Fähnlein Handwerksgesellen und etliche 
Hundert Unterthanen auf dem Lande mit wöchentlich einem 
Gulden Wartegeld.» Die Gesamtstärke des Kriegsvolkes wird 
von Sleidan jedenfalls nicht zu hoch auf 5000 Mann angegeben. 
Der Oberbefehl über diese stattliche Macht, welche, da noch 
die gesamte waffenfähige Bürgerschaft zur Verteidigung mit 
herangezogen werden konnte, für die damaligen Verhältnisse 
stark genug war, einer Belagerung standzuhalten,* wurde 
einem wackeren, erfahrenen Kriegsobersten, Klaus von Hatt- 
stadt,* übertragen, der vom Rate eiligst berufen, «Tag und 

1 Jedes der Fähnlein hatte etwa 600 Mann (K. u. 21. Mai 28) ; nach 
Herzogs, a. O. 2, 175 sogar 700. 

2 Von den letzteren wurden die am weitesten wohnenden in der Stadt 
behalten, die anderen, die man in einem Tage hereinbringen konnte, beurlaubt. 

3 Die französische Besatzung Strassburgs betrug 1870 beim Ausbruche 
des Krieges 7000 Köpfe und stieg in der zweiten Hälfte des August auf etwa 
23,000 Mann «eine zur Verteidigung des Platzes vollständig ausreichende 
Streiterzahl i (Der deutsch-franz. Krieg red. vom Generalstabe II, 1332). 

4 Dieser tapfere Kriegsmann war der letzte jenes mächtigen oberelsässi- 
schen Freiherrngescblechtes. dessen Burg einst auf der Höhe der Vogeseu 
zwischen Sulzbach im Münsterthale und Herlisheim emporragte. 1536 stand er 
als Hauptmann unter Wilhelm von Fürstenberg in französischen, 1539 in säch- 
sischen Diensten (Polit. Korrespondenz d. Stadt Strassburg II, 338 u. 655). 
Ueber das Strassburger Kriegsvolk war er Oberst Ende April und im Mai. 
Letztere Angabe bei Lorenz u. Scherer, Geschichte des Elsasses p. 243, 
seinerzeit von mir bestritten (Deutsche Litteraturzeitung 1885 nr. 50), hat sich 
mir nachträglich nun doch als richtig herausgestellt. — Anfang Juni erhält er 
vom Kaiser den Auftrag, ihm die entlassenen Kriegsknechte zuzuführen und 
machte in seinem Heere die Belagerung von Metz mit. Mai 1553 schreibt König 
Ferdinand : «Aines geschickten kriegserfahrenen hauptraanns halben ist Claus 
von Hattstadt darzue wol zu uemen. (Innsbr. Arch. V. d. Kön. M. X, 535 . 
• Kaiserlicher Landsknechtoberst 1557 bei St-Quentin, 1568 Bürger zu Basel, 
starb er daselbst 1585. Er hatte mit einer Magd drei Söhue und drei Töchter, 
die König Ferdinand 1. 1561 legitimierte« (Kindler v. Knobloch, Der alte Adel 
i. Ober-Elsass p. 35). 



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— 35 — 



Nacht im Sattel,» am 25. in der Stadt eintraf und sofort seine 
Thätigkeit antrat. Neben der Anwerbung von Truppen sorgte 
man durch allerhand Massregeln für Sicherung und Verstärkung 
der Befestigungen der Stadt. Die Schanzkörbe wurden aufge- 
stellt und gefüllt, in der Nacht die « Grendel » 1 auf den Strassen 
und die Gatter an den Brücken geschlossen. Jeder Bürger hatte 
vor seiner Hausthür mit Wasser gefüllte Gefasse aufzustellen. 

Am 19. April wurde den XIII Gewalt gegeben, abzuhauen 
und hin wegzuschaffen, was der Verteidigung irgendwie hinder- 
lich. Demgemäss wurden vor dem Weissturmthore in den 
Gärten verschiedener Bürger, nicht ohne Beschwerde derselben, 
die Bäume niedergelegt, «damit sich kein Volk darin halten 
möge», und das Holz herein geführt. 2 Am gefährdetsten aber 
erschien der auf beiden Seiten des Judenthors gegenüber den 
Schiltigheimer Höhen gelegene Teil der Stadt. Auf den Vortrag 
einer durch etliche Hauptleute und Büchsenmeister verstärkten 
Dreizehnerkommission, in welcher Jacob Sturm den Vorsitz 
führte, wurde vom Rate zunächst angeordnet, dass auf dem 
vor der bezeichneten Strecke gelegenen Schiessrain und Wa- 
seneck neben dem Abholzen der Bäume alle Ziegelöfen und 
Gebäulichkeiten, » darunter die Schiesshäuser der Büchsen- 
und Armbrustschützen,* dem Boden gleich gemacht würden. 
Unmittelbar darauf schritt man zur Anlage einer neuen Befes- 
tigung. Es wurde ein Graben ausgehoben, der von St-Clara- 
Wörth bis an das Rauscherthörlein am Dreizehnergraben reichte. 5 

1 Jedenfalls Vorrichtungen zum Absperren gewisser Strassen. 

2 Aehnliches that man vor den anderen Thoren; so wurden alle «Begräb- 
nisse» und das Herrenbrünn lein vor dem Spitalthore abgebrochen (Schadaus). 

3 Ueber das Einzelne vgl. Silbermann, Lokalgeschichte d. Stadt Strassburg 
p. 1 00, der seinerseits wieder Büheler und Specklin benutzt hat. 

4 Die letzteren erhielten 1558 ein neues Gebäude (Büheler, Bulletin de la 
soc. pour la conserv. des mon. hist. II, 13, 104). Es steht noch heutzutage auf 
dem früheren Klotz'schen Zimmerhofe neben der Judenbrücke. 

3 Silbermann p. 100. Ueber die Art der Ausführung der Arbeit ent- 
halten die Chroniken recht anschauliche Schilderungen . Die Bürgerschaft 
musste frohnen, und zwar jede Zunft an dem ihr angewiesenen Platze. Die 
Zünfte schlugen draussen ihre Zelte auf, unter denen sie im Schatten assen und 
tranken «da es ein warme zeit war, denn das werk währte den ganzen Sommer. » 
Etliche Zünfte verdingten ihren Pla:z auch armen Leuten, «Weib und Mann, 
werkt alles daran, und welcher arme Mensch werken wollte, dem gab man von 
10 Schaltbehren mit Grund zu führen 1 also gieng es dapfer von statt». 
Auch die Landsknechte frohnteu mit, zogen mit Spiel und Gewehr dahin, jeden 
Morgen ein Fähnlein, nachmittags durch ein anderes ersetzt. Vgl. Büheler a. 
a. O. p. 97; auch R. u. 21. Mai 14. 



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— W — 



Es ist dies der noch 1870 bestehende breite Graben vor der 
Hauptenceinte von der St-Clara- Bastion (XV) bis Bastion XIII, 
(d. h. von der heutigen Pionier- bis zur Finkmattkaserne). In 
der Mitte wurde eine Wehre gebaut (später Bastion XIV). Ver- 
mittelst der ausgehobenen Erde errichtete man hinter dem 
Graben einen Wall und versah denselben mit einer Futter- 
mauer.i Da es an Bausteinen fehlte, wurde zu diesem Zwecke, 
wie die Chroniken melden, eine Anzahl baufälliger, meist 
kirchlicher Gebäude abgebrochen, auch unleserlich gewordene 
Grabsteine mit hineingemauert. 2 Das ganze Werk, als dessen 
Lohnherr B. Cogmann genannt wird, unter dem als Werk- 
meister Hans Frauweier stand, wurde erst im Jahre 1556 
fertig. 3 

Mit grosser Geschäftigkeit suchte man sich den nötigen 
Mundvorrat zu sichern, zumal da das Landvolk in hellen 
Scharen in die Stadt flüchtete, «das ein karch oder wagen 
dem andern auf den Strassen nit entweichen kund.» * Weder 
Fleisch noch Getreide Hess man aus der Stadt hinausgehen. 
Um Preissteigerung zu verhüten, durfte niemand mehr als 10 
Viertel Frucht ankaufen. Von den Nachbarn, namentlich aus 
Ottenburg und Gengenbach wurde Mehl in grossen Quantitäten 
herangeführt. 5 Die Melzger hatten ihr Schlachtvieh hereinzu- 

1 Vgl. u. a. Kraus, Kunst u. Altertum I, 326, der von der Wehre 
(Bastion XI Vj sagt : «Es ist das erste Beispiel einer Bastion im eigentlichen 
Sinne in Strassburg. Es steht der Hauptsache nach noch heute (seil. 1876) in 
seiner ursprünglichen Gestalt , » und von dem Walle : • Derselbe war vorn mit 
einer Mauer versehen als anliegendem Revetement und Barbakane. • 

2 Ueber das einzelne vgl. Silbermann p. 101. 

3 Vgl. Specklin, Büheler, Schadäus. — Das durch den Wall führende 
Judenthor erhielt die Inschrift: • Heinrico Galliarum rege militem in Ca- 
rolum V. imp. augustum per hanc Germaniae partem ducente 8. p. q. Argen- 
tinensis portain hanc aggere et fossa muniri fecit. anno Domini MDLII. Mense 
Majo. • Zu beiden Seiten des Thores befanden sich die Worte : « Präsidio 
civibus . . . Terrori bostibus (Silbermann p. 101). Am 21. April 52 schreibt 
Hedio ganz ähnlich : • Die Stadt nimmt Kriegsvolk an • civibus tutandis, bosti- 
bus arcendis» . — Laguille, Histoire de province d'Alsace II, 4, 34/37 sagt 
darüber : «Iis ont meme voulu que cette porte füt un raonutnent de leur fidelitä 
et de leur zele pour l'empereur. • Seine Behauptung: «Ce nouvel 6'Üfice servit 
de pretexte aux Magistrats pour ruiner plusieurs chapelles et plusieurs Monas- 
teres • erscheint mir ungerechtfertigt. 

4 Schadäus — Die Hineingeflohenen mussten schwören : • Der Stadt 
Strassburg trew und hold zu sein, schaden wahren, nutz furdern, geboten und 
verboten gehorsam sein, trewlich helfen retten und das best zuthun, wo ein 
jeder hin beschieden werd» (V. D. G. lad. 111, nr. 13). 

b Offenburg an Strassburg. April 26 u. 30. AA 585. 



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— 37 — 



treiben, an die umliegenden Dörfer Hess man die gleiche Auf- 
forderung ergehen, der Feind würde es ihnen sonst ohne jedes 
tntgelt nehmen. Wasser-, Hand- und Rossmühlen wurden Tag 
und Nacht, in Stadt und Land in Bewegung gesetzt. Sobald 
Mehl von draussen hereinkam, wurde Frucht zum Mahlen 
hinausgesendet. In allen Backöfen wurde Brot in Vorrat ge- 
backen. 1 

Auch gegen die «geschwinden Praktiken», vor denen 
Kopp gewarnt hatte, war man, durch die Metzer Vorgänge 
gewitzigt, auf der Hut. Ganz besondere Sorgfalt widmete man 
der Verwahrung der Thore. Jedes derselben wurde von einer 
Rotte Landsknechte bewacht, deren Hauptmann aus den Zünften 
genommen wurde. Die Schlüssel wurden einzelnen Ratsherren 
anvertraut, welche morgens und abends beim Oeffnen und 
Schliessen durch die Thorhüter zugegen sein mussten. 

In der That fehlte es nicht an Verdächtigungen aller Art. 
Einmal werden etliche Welsche, die Speck aufgekauft und ins 
französische Lager geführt haben sollten, gefänglich eingezogen, 
an demselben Tage drei Leute, die durch Hin- und Herreiten 
sich verdächtig gemacht hatten. Da hatte eine Frau von ihrem 
Manne, der beim französischen Kriegsvolke stand, ein Schreiben 
über das andere erhalten. Als daher einige Weiber, deren Männer 
im französischen Lager, äussern, sie wollten mit Zurücklassung 
ihrer Kinder hinaus, wird ihnen von Rats wegen bedeutet, 
wenn sie sich hinwegthäten, würde man die letzteren ohne 
alle Barmherzigkeit aus der Stadt weisen. Die Wirte mussten 
alle bei ihnen eintreffenden Fremden beim Ammeister anmel- 
den. Den Mitgliedern der aus «Welschen» bestehenden refor- 
mierten Gemeinde 5 wurde durch ihre Predigerund Kirchspiel- 
pfleger angekündigt, dass, wer das Bürgerrecht nicht besässe, 
die Stadt zu verlassen habe, die übrigen aber sich hüten sollten, 
nach dem Lager hin zu korrespondieren oder gar eine Meuterei 
anzurichten. Gleiches wurde auch einigen welschen Pfaffen 
auf dem Stifte, die weder Bürger noch Zunftgenossen, vorge- 
halten. 

1 Als später am 28. Mai die Beckenknechte bitten, ihnen nach altem 
Brauche zu vergönnen, den Montag zu halten und mit Pfeifen, Trommeln und 
dem • Fetzen • (Fahne) ihren Umzug zu halten, wird es ihnen gestattet, dieweil 
sie ihren Fleiss im Backen angewendet ; doch dass sie bescheiden seien und 
f Order mit dem Backen desto fleissiger. 

i Ueber dieselbe vgl. Crichson, L'Eglise fran^aise de Strasbourg au 
seizieme siecle. 1886 



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— 38 - 



Am 24. April wurden die Zünfte selbst versammelt, und 
ihnen folgender Vergriff vorgetragen, in welchejn der Rat seinen 
festen Entschluss aussprach, jeden Angriff auf der Stadt Selb- 
ständigkeit mannhaft zurückzuweisen : 

Obwohl man niemand Ursache gegeben, etwas Thätliches 
gegen die Stadt vorzunehmen, so könnte man doch nicht wissen, 
was bei diesen gefahrlichen Zeiten gesucht werden möchte. 
«Dieweil nun Strassburg also herkommen, und unsere Eltern 
und Vorfahren es bis auf uns so ehrlich hergebracht, dass mit 
beständiger Wahrheit ihnen kein Unehr oder billicher Verweis 
zugelegt werden mag», so hätte der Rat gemeinsam mit Schöffen 
und Amman sich entschlossen, den ehrlichen von den Vor- 
fahren (unterlassenen Namen und Ruhm, auch der Stadt Frei- 
heit und Herkommen, soviel in ihrem Vermögen stände, zu 
erhalten, und ob ihnen jemand etwas zumuten würde, das 
gegen ehrlich Herkommen, der Stadt Freiheit oder gegen 
Pflicht, Ehre und Eid wäre, und sie «über ihre pilliche und 
notwendige entschuldigung und abschlegige antwort mit gewalt 
und der that tringen wollte», — zu Abtreibung desselben und 
von Gott erlaubter Gegenwehr ihr Vermögen darzustrecken, in 
festem Vertrauen, der Allmächtige werde sie in ihrem so ehr- 
baren und löblichen Vorhaben mit seiner Gnade und Hülfe 
nicht verlassen. Der Rat sei der Zuversicht, dass auch sie, die 
Zünfte, bereit wären, die von den Vorfahren überlieferte Ehre 
und Freiheit sich, ihren Weibern, Kindern und Nachkommen 
zu erhalten. Deshalb sollte sich niemand «durch einiche Bere- 
dung, Fürgebung oder in anderen Weg, es geschehe gleich in 
was Schein es wolle, anders bereden, verwenen noch von Rat 
und Schöffen abwenden lassen» sondern in solchem Notfalle 
mit Leib und Gut treu zu Rat und Stadt stehen. Um aber, 
«verrer unrat möglichst zuvorzukommen», sollten sie jeden, 
der dem zuwider handeln würde, sowie auch alle Flüchtigen, 
die bei ihnen eine Unterkunft gefunden, zur Anzeige bringen 
und die Einquartierung der Kriegsknechte mit Geduld ertragen. 

Noch einmal bot man alles auf, um sich auch von aussen 
her Hülfe zu sichern. Von neuem wendete man sich an die 
befreundeten eidgenössischen Städte, damit sie, ebenso wie sie 
vorher den Zug Schertlins von der Stadt abgelenkt hatten, jetzt 
den König bestimmten, dieselbe zu verschonen und sich am 

1 V. D. G. lad. 111, nr. 13. 



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- 39 - 



Durchzuge durch das Land genügen zu lassen. Während aber 
Bern jedes selbständige Vorgehen von der Hand wies, sendete 
Basel, nachdem es anfangs geschwankt, ob es Strassburgs 
Verlangen nachkommen sollte, weil es selbst zu « klein fügig» 
sei, doch schliesslich, da auch die österreichische Landvogtei 
und die übrigen oberelsässischen Stände dasselbe Ansuchen 
stellten, am 28. April seine Ratsbotschaft an den französischen 
König ab, die denselben in Zabern erreichte. 1 

Der Churfürst Pfalzgraf antwortete den Strassburgem auf 
ihre Mitteilung, — dass ihnen mehr als gewiss Bericht gewor- 
den, dass der König von Frankreich "Willens sei, sich der 
Stadt mit Gewalt anzunehmen, — in derselben schwächlichen 
Weise, die sein ganzes Verhalten kennzeichnet : dass ihm ihre 
bedrängte Lage leid thäte, er auch gern durch gütliche Hand- 
lung Abhülfe schaffen wolle, dass solches aber nicht allein 
durch ihn, sondern viel besser durch sämtliche rheinische 
Kurfürsten geschehen müsste. Da letztere nun nebst anderen 
Fürsten am 4. Mai zu Worms zu einer Beratschlagung zusam- 
menkommen würden, wie die Kriegsempörung abzuwenden, und 
sie und ihre Unterthanen vor Schaden zu behüten wären, sollte 
Strassburg ebenfalls dahin seine Ratsbotschaft senden.* 

Von dem Kaiser, der sich damals ohne Truppen und Geld 
in höchst hilfloser Lage zu Innsbruck befand, 3 hatte man seit 
mehreren Wochen nichts mehr gehört. 4 Erst in den ersten 
Tagen des Mai erhielten Meister und Rat zwei Schreiben von 
ihm. » In diesen äusserle er sein Bedauern, dass ihre Unter- 
handlungen mit der elsässischen Ritterschaft, dass diese die 
Verteidigung der Stadt mit übernähme, sich zerschlagen hätten. 
«Dieweil nun nicht allein euch selbst, sondern auch uns und 
dem Reiche zum höchsten daran gelegen ist, dass die Stadt 
Strassburg als ein «<Ortfleck» (Grenzplatz) des letzteren aufs statt- 
lichste verwahrt und vor fremder Gewalt und Ueberfall errettet 
werde, » so begehre er, dass sie solche Verhandlungen zu wirk- 

1 AA 589. April 28. 

4 AA 584. April 28 u. 30. Von Strassburg aus ging nach Worms 
Dr. Bernhard Botzheim. 

3 Vgl. darüber Schönherr a. a. O. p. 258 f. 

4 Baumgarten a. a. O. p. 249. Sleidan an W. Cecil, 18. April: «Quid 
Caesar agat aut ubi sit, nescimus« ; ebenso Hedio an Erbius am 21. April : De 
Caesarea majestate nihil scribere possum.» 

r > AA 579. Innspruck April 22 u. 25. 



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— -40 - 



licher, fürderlicher Vergleichung brächten. Dasselbe Ansuchen 
habe er auch an die Ritterschaft gerichtet. 1 Zugleich sprach 
seine feste Zuversicht aus, dass sie ihrem «mehrfachen Schrei- 
ben und löblichem Erbieten nach» in gegenwärtiger Empö- 
rung gehorsam sich erzeigen würden, ohne ihnen freilich ausser 
der Zusage, sie als treues Glied des Reiches jederzeit in 
Schutz und Schirm halten zu wollen, irgend welche bestimmte 
Hülfe in Aussicht zu stellen. 

Dagegen hatte man mit der Regierung zu Ensisheim die 
ganze Zeit, über in reger Korrespondenz gestanden. 2 Auf die 
Nachricht, dass Heinrich II. auf Zabern zöge, hatten Land- 
vogt und Regenten dem Kaiser und dem Könige sofort mitgeteilt, 
dass sie grosse Fürsorge trügen, dass jener Strassburg verge- 
waltigen möchte, und beide Majestäten dringend gebeten, vor 
allem letztere Stadt, da an ihr am meisten gelegen wäre, zu 
bedenken. Dieselbe sollte zwar mit Fussvolk und sonst zur Not 
dürft gefasst sein, an Reisigen aber Mangel haben. 3 Ehe noch 
Antwort von Innsbruck eintreffen konnte, sicherten sie Stras- 
burg bei seinem ehrlichen Vornehmen Hilfe und Rat, soviel in 
ihren Kräften, zu und forderten auch den Landvogt in der 
Ortenau, Andre von Konritz, auf, alles Kriegsvolk, was er 
irgendwie entbehren könnte, in die Stadt zu schicken. 

Letzterer richtete darauf am 26. April an Meister und Rat 
folgende treuherzige Worte : «Auch unaufgefordert hätte er sich 
verpflichtet gehalten, ihnen zu Hilfe zu kommen, «die weil an 
der stal Strasburg als aine stehline Vormauer ni t 
allein dem ganzen Rheinstrom, sondern auch 
deutscher Nation hoch und vil gelegen: das pillich 
menniglich, damit die stat erhalten, das best thun 
soll.» Leider sei er aber, da die Kriegsfürsten allen Nach- 
richten zufolge die ihm unterstellten Lande bedrohten, augen- 
blicklich ausser stände, ihnen seine Unterstützung zu teil werden 
zu lassen. «Got weiss es, dass ich solches wider allen meinen 

1 AA 579. April 22. Karl V. an Ritterschaft und Adel im Edsass. 

2 oben p. 18 u. 14. 

3 Vgl. Schreiben derselben vom 9. Mai. AA 5*9. — Auf den Bericht 
von Ensisheim hin hatte die Innsbrucker Regierung dem Bischof von Arras 
vorgestellt, dass sie vermuteten, wenn der Franzose Strassburg mit Gewalt oder 
auf andere Weise zu seinen Haiden bringen sollte, er letzteres, das ohnedies 
• von Natur und Gebewen» stark und fest sei, erst recht befestige, so dass es 
alsdann nicht wohl möglich, dasselbe in kurzer Zeit und ohne grosse Kosten 
und Blutvergießen wiederzuerobern (Innsbr. Archiv an die k. raaj. XI, fol 10"). 



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— 41 — 

Willen und ganz ungern thue ; denn euch und gemeiner Stadt 
zu dienen, bin ich von Herzen begierig. Der Allmächtige verleihe 
euch zu eurem männlichen und redlichen Vornehmen seine gött- 
liche Gnade und Kraft; es wird euch und euern Nach- 
kommen in viel Wege ehrlich, rühmlich und nütz- 
lich sein, und sobald dieser Sturmwind bei mir nachlässt, 
sollt ihr an mir einen getreuen, guten Nachbarn im Werk 
befinden. » i 

Am 27. April, an demselben Tage, an welchem der Rat 
die bedrohlichen Nachrichten von Dr. Kopp erhalten hatte, 
wurden ihm zwei Schreiben aus dem französischen Lager über- 
mittelt, das eine vom Könige selbst, das andere vom Konnetabel 
ausgehend.* Darin sprachen dieselben für die dem früheren 
Herolde gegenüber gezeigte Bereitwilligkeit, das französische 
Heer mit Proviant zu unterstützen » (sie !), ihren Dank und 
gleichzeitig die Bitte aus, dem Ueberbringer mitzuteilen, was 
man in dieser Beziehung thun wollte. 

Man entliess den französischen Herold, Pellissier, mit dem 
Bescheide : man wolle dem Könige mit eigener Botschaft antworten. 

An demselben Tage werden die Stadtthore geschlossen, und 
die Knechte erhalten Kraut und Lot (Pulver und Blei). 

Zu Gesandten wird neben Peter Sturm und Gottesheini 
der Licentiat Sleidan bestimmt. Dieselben sollten den Rat aus- 
drücklich dagegen verwahren, dass er sich dem ersten Herolde 
gegenüber zu irgend etwas anderem verpflichtet hätte, als über- 
haupt eine Botschaft zu schicken. Im übrigen hatten sie im 
wesentlichen die alte Instruktion : sie sollten den König bitten, 
die Stadt möglichst mit jeder Proviant lieferung zu verschonen, 
falls er aber darauf bestände, 1000 Viertel Korn und 50 Fuder 
Wein anbieten.* 

» AA 585. April 26. 

2 Vgl. Anhang Nr. 1 und II. Beide sind vom 25. April, das des Königs 
aus dem Lager von Haraucourt, dasjenige des wohl bei der Avautgarde befind- 
lichen Konnetabel aus dem etwas weiter östlich gelegenen Crevy, heute Crevic. 
(Beide Ortschaften liegen zwischen St-Nicolas und Lunäville.) — Nach 
Rabutin traf das französische Heer in letzterer Stadt noch am 25. ein : vgl. 
oben p. 29. 

3 Dass diese Behauptung eine falsche, ergiebt sich aus der weiteren Dar- 
stellung. 

4 Ueber das Folgende sind wir eingehend unterrichtet durch R. u. 21. 
April 30 und Mai 2, sowie den Schöllenvergritr von demselben Tage 



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— 42 - 



Seinem Vortrabe, der am 27. in Saarburg eingetroffen war, 
folgte Heinrich II. am 28. dahin nach. 1 Sein Heer breitete sich 
in der Nähe der Stadt längs einer Anhöhe aus ; im Rucken 
hatte man Wald, vor sich Wiesen, durch die sich die Saar 
schlängelte. Der Konnetabel lag mit der Avantgarde auf Kanonen- 
schussweite davor, in dem grössten Gehöfte eines Dörfchens, 
der König selbst eine halbe Stunde dahinter in einem auf einem 
Hügel gelegenen Schlosse.« 

Auf dem Wege nach Saarburg hatten sich die Strassburger 
Gesandten an den Konnetabel um schriftliches Geleit gewendet, 
worauf er ihnen antwortete : Sie brauchten solches nicht, hätten 
wegen der Freundschaft, die die Stadt mit dem Könige bisher 
gehabt, nichts zu besorgen. Er hoffe, sie würden sich in 
das Bündnis begeben. Aus Italien sei Nachricht gekommen, 
dass der Papst sich mit dem Könige vertragen, und das Konzil 
aufgehoben sei. 

Samstag den 30. gegen Abend trafen die Strassburger im 
französischen Hauptquartiere ein und wurden vom deutschen 
Landsknechtoberst Reckenrod in des Königs Losament geführt, 
«in welchem dieser samt dem Konnetabel, ein Sekretarius und 
noch drei gewesen.» 3 Sleidan erklärte, man wäre bereits auf 
dem Wege zu seiner Majestät gewesen, aber weil man geglaubt, 
sie hätte einen anderen eingeschlagen, wieder umgekehrt. Da 
viele Jahre hindurch Misswachs und Teuerung geherrscht, könnte 
man nichts aus der Stadt entbehren, hoffte aber, der König 
würde auf dem Lande Proviant genug vorfinden. Im übrigen 
gedächte man, wie bisher gute Freundschaft zu halten. 

Hierauf antwortete der Konnetabel : Der König sei auf 
Bitten etlicher Fürsten, dem deutschen Lande zu gutem, im 
Felde erschienen ; er versähe sich daher, sie hätten einen an- 
deren Auftrag, den sie in Kürze anzeigen möchten. Als sie 
hierauf die 1000 Viertel Frucht und 50 Fuder Wein anboten, 
rief jener aus : Das wäre ein Spott ; das dürfe er gar nicht 
vor den König bringen. Wenn sie keine weiteren Anerbie- 

(V. D. G. lad. 111, Dr. 2), während Sleidan 24, 357 über diese erste Gesandt- 
schaft nur wenige Worte enthält. 

l Am 2*7. hatte er in den Ortschaften Ibigny und Sl-Georg unweit von 
Rixingen gelagert. 

* Vgl. Rabutin a. a. O. p. 413. 

3 Der König kann übrigens, wie aus dem Folgenden hervorgeht, nicht bei 
der Verhandlung zugegen gewesen sein. 



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— 43 — 



tungen machen könnten, würde sein Herr feindliche Gesinnungen 
bei ihnen voraussetzen müssen und vielleicht Veranlassung 
nehmen, sich anders gegen die Stadt zu erzeigen und zusehen, 
wie er Proviant und sonstiges bekommen möchte. Er entliess die 
Gesandten mit dem Bescheide, nach Strassburg heimzureiten 
und mit grösseren Anerbietüngen wieder bei ihm zu erscheinen. 

Durch eine Mittelsperson, Michel Bermann, wie es scheint, 
einen im französischen Lager befindlichen Kaufherrn aus Nic- 
lausport, * hatte man noch erfahren, dass der Konnetabel täglich 
200,000 Brote, hundert Fass Wein, Tuch und andere ins Lager 
gehörige « Munition » und forderliche Antwort begehre. 

Nach eiligem Ritte trafen die Gesandten Sonntag Abend 
in Strassburg wieder ein. Hier statteten sie am anderen Morgen 
dem Rate Bericht ab. Im Anschluss daran teilte Jacob Sturm 
mit : Er habe sich inzwischen mit dem Kapitel in Verbindung 
gesetzt. Dasselbe könne aus des Königs Begehren nichts anderes 
entnehmen, als dass er eine Ursache suche, dieStadt 
zu bekriegen. Daher riete es, man sollte sich zur Gegen- 
wehr schicken. Möchte man aber mit leidlichen Dingen einen 
Frieden schaffen, so wollte das Kapitel gern sein Bestes thun 
und all sein Vermögen zur Stadt setzen. 

Daraufhin entschied man sich im Rate : Dieweil das Be- 
gehren des Königs zu erfüllen unmöglich, soll mans zum füg- 
lichsten ablehnen ; vermöchte man es aber so einzurichten, dass 
man mit 3000 Viertel Frucht Frieden schaffen und Sicherheit 
erlangen könnte, dass er gegen die Stadt nichts in ungutem 
vornehmen wollte, so sollte man es thun ; und zwar wäre die 
Vermittlung der Baseler, die augenblicklich im Lager, in An- 
spruch zu nehmen. «Wo dann dies nit helfen will, muss 
man gewarten, was Gott will.» 

Unmittelbar darauf werden zwei französische Edelleute in 
den Versammlungssaal hereingeführt , die dem Stettmeister 
Peter Sturm eine Credenz vom Konnetabel übergeben. Ihr zu- 
folge wurde der Rat aufgefordert, die Gesandten anzuhören, 
ihnen Glauben zu schenken und endgültigen Bescheid zu er- 
teilen. Man erwarte, derselbe werde so ausfallen, dass der 
König daran ein Vergnügen haben werde und in der alten 
Freundschaft verharren könnte. 

1 In Niclausport ansässige Kaufherren dieses Namens werden mehrfach 
erwähnt (Zimmerische Chronik III, 112,255, 256 u. Polit. Korrespondenz der 
Stadt Strassburjr II, 496). 



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— 44 — 



Die Franzosen, deren Werbung ebenso wie vorher ihre 
Credenz durch Sleidan verdolmetscht wurde, trugen folgendes vor : 

Dem König sei ihr Angebot nicht annehmbar. Er sowohl 
wie sein Vater hätten bisher allwegen mit der Stadt gute 
Freundschaft gehalten. Nicht um einige Stände des heiligen 
Reiches zu beleidigen, sei er herausgezogen, sondern auf An- 
regung etlicher deutscher Fürsten, denen er wieder zu ihren 
alten Freiheiten verhelfen wollte. Wer sich aber gegen ihn oder 
dieses Bündnis auflehnen würde, gegen den müsste er thun, 
« was er lieber umging. » Der Rat hätte die Landleute aus der 
ganzen Umgegend und allen Proviant in die Stadt hereinge- 
zogen. Man sollte sich erklären, was man mit Wein, Brot und 
Hafer anfangen wollte. Der König würde morgen in Zabern 
sein. Niclausport, das doch mit Strassburg verglichen, nur ein 
Dorf, hätte 15 Tage hintereinander täglich 7000 Brote ins Lager 
geliefert und ausserdem 1000 Viertel Frucht nach Pont-ä-Mousson 
nachgeführt. Der König habe bei schwerer Strafe anbefohlen, 
dass das Kriegsvolk sich unbeschwerlich hielte, niemandem 
etwas nehme, halt harte Justitien. Weil aber alle Dörfer ge- 
leert, sei es ein Zeichen der Feindschaft, und werde dies dem 
Könige Ursache geben, den Knechten zu gestatten, den Proviant 
zu suchen, wo sie mögen. Die Folgen hätte der Rat zu bedenken. 
Ferner begehre ihr Herr, man solle die Knechte, 
da sie lange im Felde gelegen und allerlei 
Dinge bedürften, in die Stadt einlassen und 
zwar in solcher Stärke, als der Rat es für thun- 
lich erachte, damit sie sich Schnürstiefel, Barett, Linnen 
und Tuch zu ihrer Notdurft kaufen könnten. Auch sollte man 
den Schuhmachern erlauben, um der armen Knechte willen, 
die übel beschuht und bei vorfallendem Unwetter nicht fortkom- 
men könnten, mit Schuh und Stiefel ins Lager zu fahren ; 
man wollte sie versichern. 

Der Rat Hess ihnen antworten : Nach dem Brauche der 
Stadt müsste man vor endgültigem Bescheide, den man durch 
eine eigene Botschaft dem Könige zukommen lassen wollte, erst 
die Gemeinde und den grossen Rat befragen. Man möchte aber 
hierin keinen Aufschub sehen. Uebrigens hätte man niemand 
aufgefordert, sich herein zu fluchten. 1 Das arme Volk wäre 

» 

1 In der Tbat hatte man z. B. den Unter thanen zu Wasselnheira geraten, 
bei ihren Häusern zu bleiben: «werd ihnen so weniger Schaden geschehen, als 
wenn sie hinein sollten.» Dem Amtmann selbst wurde nur auf wiederholte 



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— 45 — 

erschrocken und hätte alter Gewohnheit nach seine Zuflucht 
allwegen, wie jetzt auch, zu der Stadt genaht. Dies wäre dem 
Rate selbst beschwerlich. Was man gethan, sei nicht aus 
Feindschaft gegen den König, sondern deshalb geschehen, weil 
man «scharfe Reden» vernommen hätte. Das Bistum freilich 
besässe ein ausgedehntes Landgebiet, sie Stadt selbst dagegen 
ein beschränktes, und seien in Strassburg nicht so grosse 
Vorräte, als der König vermeinte, dasselbe daher von solchen 
nicht zu entblössen. 

Die Abgesandten erklärten sich mit der Berufung des 
grossen Rates einverstanden. Nachdem sie sofort einen Reiten- 
den an den Konnetabel abgefertigt hatten, nahmen sie in Ge- 
sellschaft einiger Ratsherrn das Mittagsmahl ein. Bezeichnender- 
weise hatte der Rat die dringende Bitte an sie gerichtet, sich 
in ihrer Herberge zu halten; denn das Volk sei «etwas un- 
willig», weil ihm draussen so viel Schaden geschehe. Es würde 
ihm leid thun, falls ihnen etwas widerfahren sollte. 1 

Am Nachmittage wurden die 300 Schöffen berufen und 
ihnen unter Einschärfung strengster Geheimhaltung, damit es 
nicht dem Konnetabel vorzeitig zu Ohren käme, zunächst das 
Ergebnis der Sendung nach Saarburg nebst dem Inhalte der 
neuesten französischen Werbung mitgeteilt und dann hinzugefügt : 

Von dem in Strassburg befindlichen Proviant könnte man 
bei der Menge der Flüchtigen nichts entbehren ; andrerseits 
wäre vielleicht der König durch ein gegen Bezahlung zu liefern- 
des Angebot von Roggen und Wein zufriedenzustellen, und 
zwar könnte man diese Lebensmittel auf dem Lande einkaufen 
und nur das, was so nicht aufzubringen wäre, aus der Stadt 
nehmen, damit man den Zug auf dieselbe abwende, und das 
arme Landvolk nicht so jämmerlich verderbt werde. Freilich 
müssten die Franzosen sich dagegen verpachten, der Stadt und 
den ihr Zugehörigen kein Leids zuzufügen. 

Mit diesem Vorschlage erklärten sich 162, die Mehrheit 
der Schöffen, einverstanden ; 84 stimmten dafür, dass man 
nichts Weiteres geben sollte. 

An demselben Tage, an welchem diese Verhandlungen in 
Strassburg stattfanden, war Heinrich II. von Saarburg autge- 

d ringende Bitten zugestanden, beim Herannahen der Franzosen Ort und Schloss 
verlassen zu dürfen. 

1 Ihr Dolmetscher, der nach ihrem Fortreiten noch in der Stadt zurück- 
geblieben war, wurde sorgfaltig Oberwacht. 



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brochen und hatte zwei Wegstunden östlich davon in Meltebourg 
(Mittelbronn ?) und Andressenty Quartier genommen, i während 
der Konnetabel eine Viertelstunde weiter in Andreoux* lagerte. 
Die Gendarmes gingen noch an demselben Tage weiter bergab 
in die Ebene vor und gelangten teils nach St. Johann, wo 
eine Frauenabtei gelegen, teils nach Zabern selbst. Da alle 
Häuser in den Dörfern verlassen waren, richteten die Soldaten 
grosse Unordnung an. 

Am 3. Mai zog der König mit dem Gros des Heeres die 
Steige hinab. Nur mit grosser Mühe gelang es, Artillerie und 
Wagenpark vorwärts zu schaffen. Der König und der Konne- 
tabel mit dem Hauptquartiere wurden teils in Zabern, teils in 
dessen nächster Umgebung untergebracht.' Das Fussvolk bezog 
ein Lager in der Ebene längs der Gebirgsabhänge, die Kavallerie 
war zwei Stunden weiter vorgeschoben und hatte in grossen 
und wohlhabenden Ortschaften Quartier bezogen. Hier fand 
die Mannschaft reichlich Lebensmittel, dagegen mangelte es 
an Hafer und Heu. 

An demselben Tage hatten sich die Gesandten auf den Weg 
zum Könige gemacht, nachdem sie vorher die Baseler, die in- 
zwischen in Zabern eingetroffen waren, um ihre Vermittlung 
ersucht hatten. In der Nähe von Wasselnheim begegnete ihnen 
der Amtmann des Ortes, der sie daselbst zu übernachten warnte, 
da die Franzosen gedroht hätten, in das dortige Schloss zu 
fallen, wenn ihnen kein guter Bescheid von Strassburg zu teil 
werden sollte. Sie brachten daher die Nacht in Westhofen 
zu. * 

Tags darauf ritten sie nach Zabern, Hessen sich beim 
Konnetabel anmelden und verfügten sich zunächst zu den 
Baselern, die bis dahin noch keine Antwort auf ihre Suppli- 
kation erhalten hatten und sie aufforderten, mit ihrer Werbung 
fortzufahren. Nachmittags begaben sie sich in des Bischofs 
Garten zum Konnetabel. Letzterem zeigte Sleidan zunächst die 

1 Rabutin a. a. 0. 413. 

2 Wohl der Flecken und das Schloss Einartzhausen oder richtiger 
« Einartshausen • , seit 1568 zu der Stadt Pfalzburg erhüben. Thuanus X, 304 
sagt : •Exercitus Andresium usque procedit, comitis Palatini oppidum.» 

3 Nach Schadaus wohnte der König in des Bischofs Lusthaus, « das Bad- 
haus' genannt. — Die Angabe bei Lorenz und Scherer a. a. 0. p. 244 : ^Mit 
Bischof Erasmus vertrug sich der König in Zabern gut», ist unrichtig, da sich 
jener damals gar nicht im Lande befand. (Bezirksarchiv G. 248.) 

* Für das Folgende vgl. R. u. 21. Mai 5 und Sleidan 24, 357 f. 



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Gründe an, weshalb der Rat, obwohl er der Freundschaft zum 
verstorbenen Könige halber alles, was ihm nur möglich, thun 
wolle, weder in der Lage wäre, ein grösseres Proviantgebot 
zu machen, noch «cum Unrat zu vermeiden », die französischen 
Kriegsknechte in die Stadt zu lassen. Das Landvolk übrigens 
hätte sich unaufgefordert hereingeflüchtet. 

Der Konnetabel erwiederte hierauf : Sein Herr habe, um 
den deutschen Landen die Freiheit zu erhalten, diesen Kriegs- 
zug unternommen. Der Kaiser hätte Lütlich, Gamerich (Cam- 
bray) und andere Städte eingezogen, deutsche Fürsten gefangen 
genommen. Darauf sehe man nicht ; man achte allein darauf, 
was der König mit Metz gehandelt, wiewohl der letztere sich 
mehr zu dieser Stadt (seil. Strassburg), als zu anderen im 
Reiche versehen, dass sie ihm behülflich sein sollte. Dass man 
sich hier ganz feindlich verhalte, führe die Seinen ohne Verhör 
gefangen hinein, und obgleich der König nie etwas in ungutem 
gegen die Stadt vorzunehmen begehrt, so werde er doch dazu 
sich genötigt sehen, obwohl er sich gern noch nicht dazu be- 
wegen lassen wollte. Derselbe sei ein mächtiger Herr, ha!>e 
Lothringen eingenommen, lieg ihnen vor der Nasen. So einem 
seiner Diener etwas begegnen sollte, würde er es nicht unge- 
rächt lassen; sollte kein Baum auf dem Lande bleiben. Man 
hielte die Seinen hier übel, Hesse sie nicht in die Stadt. Der 
König würde selbst mit ihnen reden. 

Von den letzterwähnten Vorfallen, entschuldigten sich die 
Gesandten, sei ihnen nichts bekannt, und müssten dieselben 
ohne des Rates Wissen geschehen sein. 1 

Am anderen Morgen wurden sie zum Könige selbst berufen 
In seiner Umgebung befanden sich neben dem Konnetabel der 
Kardinal von Lothringen und der Herzog von Vendome. 2 

Wieder gab Sleidan zunächst eine Uebersicht über die 
bisherigen Verhandlungen und bot dann im Namen der Stadt 
das Doppelte, wie Tags zuvor, nämlich 1000 Viertel Frucht, 
ebensoviel Hafer und eine grössere Quantität Wein, mit der 
Bitte, man wolle, dieweil sich der Rat je wohl und freundlich 
mit Frankreich gehalten, sich damit begnügen. Mehr könne 
die Stadt ihrer starken Besatzung und der vielen Flüchtlinge 
halber nicht entbehren. 

1 Vgl. unten p. 54. 

2 Nicht von Vauderaont, wie Herzog II, 174 berichtet. 



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Nachdem sich der König einige Zeit mit den Seinen be- 
sprochen, entwickelte er den Gesandten eben die Ursachen, 
weshalb er gekommen und wie er sich zu Strassburg versehen, 
es würde ihm behülflich sein ; denn er hätte ein grosses Kriegs- 
volk bei sich, das zu essen haben müsste. Hätte er etwas in 
ungutem gegen die Stadt vorzunehmen beabsichtigt, «wollte er 
es andermal gethan haben » . Mit Frucht sei den Seinigen nicht 
gedient , sie brauchten Brot. Als Sleidan Einwendungen 
macht, ruft der Konnetabel aus : «Sie wären kein Vieh, 
könnten nicht Frucht, müsste n Brot essen ! » Auf diese Worte 
zuckte der König mit dem Aermel hinter sich, als ob jener zu 
viel gesagt, wiederholte aber noch einmal, dass man Brot 
haben müsste. Auf ihre Anfrage, ob der König ihnen gegen 
die Lieferung von Mehl oder Frucht die Zusicherung erteilen 
wollte, gegen die Stadt und die ihr Zugehörigen nichts vorzu- 
nehmen, bemerkt der Konnetabel, ob man weitere Versicherung 
haben wollte, als des Königs Wort und Rede ; und der letztere 
setzt hinzu : Also sei seine Meinung. Als sie noch einmal be- 
tonen, dass sie al>er kein Brot geben könnten, braust der 
Konnetabel auf : Er hörte wohl, vom Könige wollten sie eine 
Versicherung haben, diesen selbst aber nicht versichern. Darauf 
hiess man sie abtreten. 

Bei Tische äusserte ihnen gegenüber ein Herr von Basse- 
fontaine, warum eine so mächtige Stadt dem Könige in seinem 
Begehren nicht willfahren wollte ; sie möchten doch thun, was 
in ihrem Vermögen. Im ganzen hatten die Gesandten den 
Eindruck bekommen, dass man zufrieden sein würde, wenn 
man soviel lieferte, als man vermöchte ; denn am folgenden 
Tage sollte der Proviant in Zabern zu Ende gehen. 1 

Als die Strassburger letzteren Ort verlassen, begleitet sie 
ein königlicher Kommissarius. * 

1 Bei Rabutin a. a. 0. p. 414 heisst es: «De la ville de Strasbourg devers 
Sa Majeste' fut envoyö un «houpemann», c'est-ä-dire en allemand seigneur, 
pour la supplier d'avoir souvenance et esgard a la bonne volonte" qu'ils avoient 
u luv faire Service, et vouloir supporter et soulager leur plat pays le plus que 
seroit possible, offrans vivres et provisions en payant raisonnablement ; ce que 
pleut au Roy, et leur accorda liberaleinent, ainsi que se disoit communement. » 

* In den Memoiren Vieilleville's (Micbaud et Poujoulat IX, 132) findet 
sich folgende romanhafte Ausschmückung : < Le sieur de Lezigoy, sur-iutendant 
gengral des vivres de l'armöe, partit avec lettres du Roy, et vingt ou trente 
cotnmissaires, et aultant de clers de vivres, pour aller a Strasbourg faire sa 
cherge, accompaignö d'ung trompette de Sa Majest6. Et s'estant presente" aux 
portes de la ville, apres que la trompette eust commence" sa chamade de bien 
loing, on leur ouvrit fort courtoisement. > 



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- 49 - 



Noch denselben Abend findet unmittelbar nach ihrer An- 
kunft in Strassburg eine Sitzung des Rates statt, in der sie 
über den Erfolg ihrer Mission berichten. Am anderen Morgen 
tritt derselbe von neuem zusammen ; der Oberst, die Haupt- 
leute und die Vertreter des Kapitels sind hinzugezogen. 

Da die Bäcker sich anheischig machen, neben den Bürgern 
auch dem Könige Brot zu backen, auch das Kapitel erklären 
lässt, man wolle alles aufbieten, um die Franzosen hinwegzu- 
bringen, man hätte in Erstein, Dachstein und Epfig Mehl, so 
beschliesst der Rat mit Rücksicht darauf, dass der kaiserliche 
Gesandte, dessen Ankunft angezeigt war, noch nicht einge- 
troffen, die Verproviantierung des Heeres vom Lande oder von 
der Stadt aus, soweit dies ohne Schädigung der Bürgerschaft 
und Besatzung möglich, zu Wege zu bringen. 

Aber unerwartete Schwierigkeiten entstehen seitens des 
wackern Obersten von Hattstadt. — Derselbe erklärt geradezu : 
«Man muss nit sehen, was nützlich, sondern was ehrlich; darum 
soll man ihm nit einen Korb mit Brot herausschicken, es 
würd gegen alle Fürsten und Herren verweislich, unehrlich 
und schmählich sein, dieweil er gegen die deutsche 
Nation ziehe, und vielleicht auf diese Stadt sehe. So mans 
auf dem Lande haben mag, ging es hin, aber aus der Stadt 
etwas zu geben, könnt er nicht raten, es wäre ihm und anderen 
ehrlichen Gesellen verweislich ; doch sei er ein Diener und 
müsst thun, was ihm gebühr.» Als man ihm entgegnet, man 
hübe, ehe er hereingekommen, es dem Könige zugesagt, und 
sei kein ander Praktik, dass man ihn hereinlass, erwidert der 
01>erst : «rDer Rat möge es wohl nicht für unehrlich halten; 
ihm aber wolle es nicht ehrlich erscheinen ; darum bäte er, 
man sollte ihn Urlauben ; denn ehe ers bewilligte, wollte er 
sich lieber henken lassen.» 

Infolgedessen teilte man dem Kommissarius mit : Man 
könnte ihm aus der Stadt leider kein Brot herausschicken und 
wenn man es schon wollte, so wäre zu besorgen, dass die 
Knechte es nicht zuliessen. Dagegen wollte man ihn auf dem 
Lande fördern, soviel man könnte, auch draussen, soviel als 
möglich, backen lassen. 

In der That machte man die grössten Anstrengungen, 
diesem Versprechen nachzukommen. Von Ottenburg, Wasseln- 
heim und anderen Orten liess man Frucht herbeiführen, in 
Dorlisheim, Geispolsheim und Erstein Brot backen. 

4 



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So war man denn am 7. Mai in der Lage, dem französi- 
schen Kommissarius neben den versprochenen 1000 Viertel 
Hafer, 150 Viertel Mehl und 12000 Brote anzubieten. Gleich- 
zeitig l)eklagte man sich aber bei ihm über die Plünderung von 
drei der Stadt zugehörigen Dörfern, i und dass die Kriegsleute, 
was sie nicht hinweggeführt, verwüstet, dass man im Keller 
im Wein bis über die Waden gewatet. Er möchte beim Könige 
durchsetzen, dass solches abgestellt werde. — Das geschehe 
daher, antwortet jener, weil man nichts zu essen hätte. Er 
selbst, setzte er hinzu, würde hier übel gehalten ; man Hesse 
ihm seine Diener nicht herein, 2 und müsse er es dem König 
und Konnetabel anzeigen ; die würden daran keinen Gefallen 
haben und vielleicht auf Wege denken, dass man diesen ge- 
ringen Proviant, den man ihnen gäbe, entbehre und anders 
verführe. 

Man kommt schliesslich überein, dass der Rat ihm 5 bis 
600 Viertel in Mehl oder Brot gegen Bezahlung zu liefern ver- 
spricht, und zwar wollte er dieses neben dem Hafer und Wein, 
da der König nach Hagenau zöge, in sein Lager, das nach des 
Landes Gelegenheit gehalten werden sollte, teils zu Wagen, 
teils auf dem Rheine nachführen lassen. Als der Kommissarius, 
angeblich um Plünderungen vorzubeugen, die Namen der 
Strassburg zugehörigen Dörfer zu wissen verlangt, werden ihm 
dieselben unter allerlei Ausflüchten verschwiegen. 

Während der König in Zahern lag, weilte übrigens bei 
ihm sein Agent, der Strassburger Rektor Johann Sturm, von 

1 Dess die Soldaten Obel hausten, bestätigt auch Habutin a. a. 0. p. 414. 
Ebenso meldet Schertlin (a. a. O. p. 89) selbst, dass er einem Edelmann, 
Erhart von Wangen, der ihm 6 Jahre vorher zu Hurtenbach übel mitgespielt. 
• ihm die huener, kappanen, indianisch und sonst, pfawen, haber. korn und 
alles er gefunden, gefressen, vil plunders hinweggeliert», zu Mauersmünster 
bei Zabern sein Haus auch wiederum geplündert, «wein, korn, habern uud 
was guts war zugleich in recompensam hinweggeüert. aber die bett, und was 
der irawen zugehörig, ligen lassen ; hab irae mit solcher mass er mir geraessen 
wiederum bezalt.. — Wangen befehligte damals eines der Strassburger 
Fähnlein . 

1 Am 1. Mai heisst es: «Die am Weisseuturn schicken herein, dass einer 
draussen sei mit Briefen an den zum heiligen Geist* (offenbar den Proviant - 
raeister, der in dem gleichnamigen, am Thomasstaden gelegenen Gasthause 
wohnte] « will die brief nit von ihm geben. . Auf Anordnung des Rates wird der 
Bote unter besonderen Vorsichtsmassregeln, «damit ihm nichts beschehe», über 
die gedeckten Brücken beim Stall herum in die Herberge des Kommissarius 
geleitet. 



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— 51 — 



ihm dazu ausersehen, in geheimer Mission nach England zu 
reisen, i 

Am 6. Mai bewerkstelligte Heinrich II. seinen Aufbruch 
von Zabern 2 und rückte mit seinem Heere in der Richtung 
nach Strassburg vor. Am folgenden Tage bezogen die Truppen 
ein Lager in der Umgegend eines grösseren Fleckens (wahr- 
scheinlich Brumath), während der König mit dem Hauptquar- 
tiere in letzterem selbst, namentlich in dem dort befindlichen 
Schlosse, untergebracht war. Seine Gendarmes streiften ?bis 
auf eine kleine Stunde an Strassburg heran. 

Die Bürger Hessen, einem zuverlässigen französischen Be- 
richte zufolge, niemand in die Stadt hinein, gestatteten sogar 
keine grössere Annäherung als auf Kanonenschussweite. » Der 
König selbst soll Strassburg von den Hausbergen aus in Augen- 
schein genommen haben. * 

Zu derselben Zeit «als die Unruhe am grössten gewesen, 
und der König mit allen seinen Haufen, Geschütz und Muni- 
tion zu und um Zabern bis auf zwei kleine Meilen Wegs von 
der Stadt entfernt zerstreut gelegen, »& traf ein kaiserlicher 
Gesandter, Herr von Carondelet, « in Strassburg ein, der im 
Auftrage und auf Kosten seines Herrn 4 Fähnlein Kriegsvolk 
dem Rate zur Verfügung stellte. Letzterer indessen lehnte diese 
ebenso wie später am 11. Mai die beiden, die ihm die Ensis- 
heimer Regierung auf Befehl des Königs Ferdinand anl>ot, 
dankend ab, da man an Truppen zu Fuss und zu Ross keinen 

1 Der diese Angaben enthaltende von Ch. Schmidt, Jean Sturm p. 88 
kurz erwähnte Brief Sturms an Tozites vom 7. Mai stammt aus Zabern, wie 
mir Herr Prof. Schmidt freundlichst mitteilte, und ist ebenso wie ein anderes 
Schreiben desselbeu vom 8. April aus Strassburg, beim Brande der hiesigen 
Bibliothek verloren gegangen. Von da an bis zum 9. Mai 1553 ist Herrn 
Schmidt kein weiterer Brief des Rektors bekannt. Da in unseren Akten Johann 
Sturm mit keinem Worte erwähnt wird, war es mir leider unmöglich, etwas 
Näheres über die eigentümliche Rolle in Erfahrung zu bringen, die derselbe in 
jenen für Strassburg so kritischen Tagen gespielt haben muss. 

2 Vorher hatte er noch nach Herzog 2, 175 eine Musterung seines Heeres 
vorgenommen. 

a Rabutin p. 415. 

4 Vgl. Büheler a. a. O. p. 98. 

s Str. St. AA576 Mai 21. 

6 Jedenfalls der bei Druffel 3, 591 angeführte niederländische Edelmann 
gleichen Namens. Der Strassburger Rat hatte die Gelegenheit benutzt, mit 
demselben wegen einer vom Kaiser zu erlangenden • Generalabsolution » zu 
verhandeln. Thomasarchiv (Tir. 22 Liasse2) 1552 Mai 25. 



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— 52 — 



Mangel hätte, und derzeit nicht mehr Kriegsvolk «on sonder 
geverlichkeit» in die Stadt zu bringen wäre. 1 

In den neueren Behandlungen der elsassischen Geschichte 
tritt in Bezug auf diese Vorgänge eine völlige Mylhenbildung 
zu Tage, die offenbar von der romanhaften, eine Menge falscher 
Thatsachen behauptenden Schilderung des Herausgebers der 
Memoiren des französischen Marschalls Vieilleville ihren Aus- 
gang genommen hat. 2 

Nach letzterer Quelle 3 hätte der Konnelabel dem franzö- 
sischen Intendanten, der in Strassburg Lebensmittel einkaufen 
sollte, den geheimen Auftrag gegeben, sich mit den einfluss- 
reichsten Mitgliedern des Rates wegen der Aufnahme des Königs 
nebst kleinem Gefolge in der Stadt in Verbindung zu setzen, 
ausserdem den Gesandten des Papstes und der Städte Venedig, 
Florenz und Ferrara zu gestatten, dieselbe zu besuchen. Letztere 
hätten sich in der That in Begleitung von 200 auserlesenen, 
als ihre Diener gekleideten Kriegsleuten aufgemacht, denen sich 
noch eine grössere Anzahl anderer angeschlossen ; auf Kanonen- 
schussweite aber wäre der Zug von den Wällen aus mit einer 
Geschützsalve begrüsst worden, die 10 oder 42 Personen ge- 
tötet habe, so dass die übrigen ihr Heil in der Flucht hätten 
suchen müssen. Auf die Beschwerde des Intendanten wäre von 
den Strassburgern erwidert worden, man Hesse sich nicht so 
wie die Metzer täuschen. Als jener die Stadt verlassen, seien 
2 Regimenter Landsknechte und 6 Fähnlein Reiter von der 
Rheinbrücke her in dieselbe einmarschiert, während in der 
Gegend des Zaberner Thores 2000 Arbeiter an den Befestigungs- 

1 A A 5*79. Mai 11. — Am 1 . Mai hatte König Ferdinand aus Linz an 
die Regierung zu Innsbruck geschrieben : • Nachdem wir bei disen geschwin- 
den sorglichen Leufen für ein Notturft erachten, dass die Stadt Strasburg an 
guter Besatzung nit Mangel habe, so ist an euch unser Befehl, das ihr bei dem 
Bischof von Arras Erkundigung haltet, ob die Rö. Kay. Mt. unser lieber 
Bruder und Herr daselbsthin eine Fürsehung gethan und ob und was für ein 
Anzahl Knecht ihre Kay. Mt. in die Besatzung hinein verordnet habe, 
und so ihr befindet, dass von ihrer Kay. Mt. kein sollich Verordnung beschehen, 
alsdann beiliegenden unsern Brief, so wir an unsern Landvogt u. Regenten 
im Oberelsass gefertigt, überschicket und bei ihnen anhaltet, das so wir ihnen 
schreiben u. befehlen aufs ehest zu vollziehen». (Innsbr. Archiv. Von der 
Kön. Mt. ful. 376). Der hier erwähnte Brief beündet sich AA 579. 

2 Die UnglaubwOrdigkeit derselben ist aufs neue von Rahlenbeck, Metz 
et Thionville p. 225/287, überzeugend nachgewiesen worden. 

3 Mem. de Vielleville a. a. O. IX, 132/135. 



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— 53 — 



werken gearbeitet hätten. Nichtsdestoweniger habe der König 
auf den Rat des Konnetabels beschlossen, mit 40 Edelleuten 
und deren Begleitung Strassburg zu besuchen, und erst auf 
das Zureden Vieilleville's diesen gefahrlichen Entschluss auf- 
gegeben. 

Da alle übrigen zeitgenössischen Geschichtsschreiber, fran- 
zösische wie deutsche, von diesen an und für sich schon un- 
wahrscheinlichen Vorgangen ganz und gar nichts melden, auch 
in unseren Akten und sonst recht ausführlichen Chroniken 
nichts davon berichtet wird, 1 werden sie endgültig in das 
Reich der Fal>el verlegt werden müssen, zumal da folgende 
Thatsachen geradezu gegen die Möglichkeit derselben sprechen : 

1 Rabutiu, Tavannes, Brentöme, Thuanus, Sleidan und Schertlin berichten 
nichts davon. — Die Worte Heinrichs II. in einem späteren Briefe an die 
Strapsburger vom 6. November (abgedr. bei Kentzinger I, 40) : «Et vous 
devoit suffire de la sinistre dcmon&tration que vous feistes ä l'endroict de nos 
gens, lorsque notre armee passa pres de votre ville • , werden von Legrelle 
a. a. 0. p. 48 fälschlich auf jene angebliche Kanonade bezogen, während sie 
Laguille II, 4, 39 folgendermassen richtig erklärt : «qu'il devoit leur suffire 
d'avoir fait connoitre leurs sinistres dessins a l'tigard de la France, lorsque son 
armee passa pres de leur ville. • Nach Littre" heisst « sinistre demonstration > 
soviel als • unheildrohendes Verhalten («qui fait craindre des raalheurs«). Damit 
stimmen Oberein die Aeusserungen des Königs über Strassburg am 13. u. 
20. Mai (Sleidan 24, 361): «Tametsi quo tempore cum exercitu erat ad 
ipsorum Gnes, magna fuerit militum eius urbis protervitas in suos et insolentia» 
und «quamquara Argenünensium milites aliquando durius exceperint suos ante 
portas et rejecerint, <|ui forte mercandi gratia eo veaissent. • Während Martin, 
Hist. de France IX, 539 die Darstellung des Verfassers der Memoiren Vieille- 
ville's nur unter Reserve wiedergibt, Dareste IV, 89 sie völlig ignoriert, 
nimmt Legrelle p. 43/48 dieselbe ohne Weiteres au. Von früheren schildern 
Laguille II, 4, 34/37, Röhrich III, 27 und Kentzinger I, 34 den Sachverhalt 
richtig; falsch Friese, Neue vaterländische Gesch. II, 277 81 und Strobel IV, 
89 90. von denen der letztere sogar Kentzinger den Vorwurf macht, « dass er 
deu ganzen Hergang der Sache auf eine sonderbare Weise entstelle«. Gänzlich 
haltlos ist die Darstellung hei Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsasses 
1886 p. 244 : «Als Heinrich II. die Anfrage über den gewünschten Durchzug 
nach Strassburg schickte (!), war man rasch entschieden, auf jede Gefahr ihn 
zu verweigern, aber Sturm und Sleidan gingen in Gesandtschaft zum 
Könige, um alle Unterstützung einer neutralen Macht mit Lebensmitteln für 
das Heer zuzusagen. Auch ward der König eingeladen, persön- 
lich mit vierzig Rittern die Stadt zu besuchen. Bemerkens- 
wert genug, dass die Franzosen dennoch einen Versuch nicht unterliessen, 
die Stadt durch listige Ueberrumpelung gerade bei dieser Gelegenheit zu 
gewinnen ; aber die Vorsicht Strassburgs und seine Kanonen vereitelten den 
Anschlag. Der König musste, wie verabredet mit kleinem Ge- 
folge in die Stadt einreiten und liess sich von dem Rat be- 
wirten Schamröte darüber, dass er mitten unter Freund- 
schaftsheuchelei den offenbaren Ueberfall beabsichtigte, war 
auf der Stirne des Franzosen nicht bemerkbar (!;. 



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— 54 — 



Den UebergrifTen des Kriegsvolkes, dessen Officiere zum 
Teil, wie der Oberst und der Hauptmann Asmus Böcklin, gut 
kaiserlich gesinnt waren, wurde seitens des Rates bei jeder 
Gelegenheit gesteuert. Erhielten doch die am Weissturm- und 
Steinthor wachhaltenden Börger und Landsknechte auf ihre 
Anfrage, was man thun sollte, so sich fremdes Volk näherte, 
ausdrücklich den Befehl, sich gegen dasselbe bescheiden zu 
benehmen. Mehrmals werden Angehörige des französischen 
Heeres gefänglich eingebracht, aber auf Urfehde wieder ent- 
lassen. Als am 7. Mai ein Franzose «mutwillig» erschossen 
wird, erfährt dies scharfe Rüge, «da man sich gleicher unfreund- 
licher Handlung zu besorgen.» > Ferner sind die Gesandten 
Venedigs und Ferraras thatsächlich unbehelligt aus dem Lager 
in die Stadt gekommen und haben sich daselbst mehrere Tage 
aufgehalten.» Endlich steht das, was über den Einmarsch von 
zahlreichem Kriegsvolk über die Rheinbrücke gesagt ist, in 
direktem Widerspruche mit unseren Akten, s 

Uebrigens muss das Gebahren des königlichen Intendanten 
dem Rate in der That verdächtig erschienen sein. Als derselbe 
am 7. Mai, also an dem Tage, an welchem die Franzosen am 
nächsten bei Strassburg lagen, um Erlaubnis einkommt, das 
Münster besteigen zu dürfen, wird ihm solches abgeschlagen: 
man Hesse jetzt niemand hinauf; so seien jetzt die Zeiten, dass 
das Volk des Schadens wegen, der bestehe, erzürnt sei, und 
der Rat deshalb besorgen müsste, dass ihm etwas Unzüchtiges 
zustossen möchte. 

Am 8. Mai, einem Sonntage,* setzte das französische Heer 
seinen Vormarsch fort und langte vor Hagenau an, das anfangs 

1 Aus diesem Vorfalle ist wohl die bei Piton, Strasbourg illustre" l, 44 
erzahlte Legende entstanden : Im Strassburger Arsenal hätten sich verschiedene 
ausserordentlich grosse Geschütze befunden, darunter eine, die Meise ge- 
nannt; «et c'est du nom de la premiere, que les Strasbourgeois regurent le 
sobriquet de pipeurs de mgsange (Meissenlocker). Sa portee £tait teile, que 
lorsque Henri II campa avec son armee sur les hauteurs de Hausbergen, en 
1552, le boulet qu'elle lanca tomba dans son camp, ä cötä de la tente royale(!), 
de lä le dicton de nos aleuz quaod lennemi s'approchait de la place : • Nous 
allons le piper avec notre mesange. » 

4 Baumgarten a. a. O. p. 251. 
3 Vgl. oben p. 51. 

*» Das Landvolk brauchte an diesem Tage nicht in Strassburg zu frohnen, 
sondern sollte in die Kirchen gehen. 



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— 55 — 

den Versuch machte, den Eintritt zu verweigern, gegenüber 
den aufgefahrenen Geschützen aber die Thore öffnete und dem 
Konnetabel Aufnahme gewährte. Tags darauf hielt auch der 
König selbst, der die Nacht in einer in der Nähe liegenden 
Ziegelei zugebracht hatte, seinen feierlichen Einzug in die Stadt. 

Die Strassburger Hessen ihrer Zusage gemäss den von 
allen Seiten her aufgekauften Proviant dem französiscben Heere 
nachführen, zu grosser Unzufriedenheit des Obersten von Hatt- 
stadt, baten aber den fortdauernden Plünderungen ihres Ge- 
bietes und anderen Gewalttätigkeiten gegenüber» um eine 
Assekuration. Als nun am 8. Mai der Konnetabel ihnen darauf- 
bin aus Hagenau die Antwort zugehen liess : Dass, wenn 
der Rat seinem Erbieten nach genug gethan haben werde, es 
alsdann an königl. Majestät gutem Willen nicht mangeln 
würde, 2 schrieb man zurück : Man hätte sich bemüht, zuwege 
zu bringen, was man zugesagt. Nun wären ihnen fünf Dörfer 
geplündert, und Wein und Mehl, die man hätte liefern wollen, 
ausgeschüttet worden ; gleiches wäre mit zwei anderen Dör- 
fern, wo man Proviant hätte holen wollen, noch diese Nacht 
geschehen ; deshalb sollte man sie entschuldigen, wenn sie 
ihren Verpflichtungen nicht nachkommen könnten.* In der 
That liess man nur das, was schon auf dem Wege war, gehen, 
hielt aber mit weiteren Lieferungen inne.* 

Man war sich hierbei wohl bewusst, dass mau sich des- 
wegen auf weitere Feindseligkeilen seitens des Königs gefasst 
machen müsste. Am 9. Mai halten Sturm und Pfarrer ein- 
gehende Beratungen mit dem Obersten und den Hauptleuten, 
damit das angefangene Bollwerk ordentlich ausgezeichnet und 
ausgeführt werde. Der Oberst verlangt die Besetzung der 
«hohen Aemter? bei dem Kriegsvolke. Die Befestigungswerke 
werden in 6 Abschnitte eingeteilt^ und die Fähnlein neu ein- 

1 Dem Amtmann von Wanzenau wurden, als er Frucht ins Lager fahren 
wollte, drei Knechte erstochen, sowie Wagen und Pferde genommen, einem 
Stadtboten Pferd, Wehr und Säckel geraubt. 

2 Praillon an Sleidan (Baumgarten p. 250). 

3 Ratu. 21. Mai 9. 

4 Am 21. Mai teilten sie dem Kaiser mit: -Sie hätten den Franzosen 
zwar eine geringfügige Anzahl Victualien ausserhalb der Stadt bewilligt, aber 
doch, weil er im Abzug gewesen und ihnen 5 oder 6 Dörfer und einen Hof 
geplündert, nit gar geliefert. (Str. St. 576 Mai 21). 

5 Weissturmthor, Steinstrasse, St-Clara-Wörd, Krutenau. Spitalthor, 
gedeckte Brücken. 



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— 50 - 



quartiert, damit sie, so ein Lärmen wurde, naher an den Wehren 
lagen. 

Der König indessen marschierte, ohne einen Angriff auf 
die feste Stadt zu unternehmen, von Hagenau nordwärts nach 
Weissenbui-g, dessen Bewohner grosses Entgegenkommen zeigten. 
Er seihst und das Gros seines Heeres lagen nicht in der Stadt 
seihst, sondern eine kleine Stunde entfernt, hei Altenstadt. Die 
Gendarmes waren auf der Strasse nach Speier vorgeschoben. 

In diesen Tagen trafen verschiedene Umstände zusammen, 
die Heinrich II. zum Ahmarsche aus Deutschland bewogen, vor 
allein die Nachrichten vom Einfalle niederländischer Trappen 
in französisches Gebiet, sodann die ihm am 11. Mai seitens des 
Kurfürsten Moritz zugehende Mitteilung, dass er mit König 
Ferdinand in Unterhandlungen stände, womit die Anfrage ver- 
bunden war, unter welchen Bedingungen Frankreich in einen 
mit dem Kaiser abzusch liessenden Frieden mit einbegriffen 
sein wollte ; endlich wie Sleidan ausdrücklich versichert : 1 weil 
dem Könige seine Pläne hinsichtlich Strassburgs nicht geglückt 
waren, ihm also ein fester Stützpunkt am Rheine fehlte. 

Die Vorstell ungen der Anfang Mai in Worms versammelt 
gewesenen Rheinischen Fürsten haben jedenfalls nicht auf seinen 
Entschluss bestimmend eingewirkt. 2 Die letzteren liessen ihm 
nämlich in seinem Lager bei Weissenburg durch einen Abge- 
sandten folgendes vortragen : 3 Da er vorgäbe, der deutschen 
Libertät halber Krieg zu führen, bäten sie ihn, Land und Leute 
zu verschonen und seinen Vormarsch nicht fortzusetzen, da ein 
solcher dem Reiche den grössten Schaden bringen müsste. 
Den Frieden mit dem Kaiser wollten sie gern vermitteln, ein 
Bündnis aber mit Frankreich könnten sie ohne Verletzung ihrer 
Pflichten nicht eingehen. Auch möchte er das Gebiet der freien 
Reichsstadt Strassburg nicht verletzen. 

Seitens des Königs wurde ihnen darauf zwei Tage später, 
und zwar durch den Kardinal von Lothringen, folgende hoch- 
trabende Antwort zuteil :* Auf Bitten etlicher, nicht geringer 
Fürsten sei er nach Deutschland gezogen, aus welchem er 

1 Sleidan 24, 361 . 

2 Vgl. oben p. 39. — lieber ihre die Monate Mirz und April in Anspruch 
nehmenden Verhandlungen vgl. Druffel 3, 416/426. 

3 Sleidan 3.. 360. 

4 Selbst Rabutin sagt a. a. 0. p. 416: «Auxquels fut rendue la response 
autre et plus haulte quc ne la pourrois asseurer. • 



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— 57 — 



seinen Ursprung habe, um dasselte von der unmenschlichen 
Dienstbarkeit des Kaisers zu befreien. Einiger Schaden sei bei 
dem Durchzuge nicht zu vermeiden gewesen. Von Herzog Moritz 
habe er vernommen, dass der Kaiser die gefangenen Fürsten 
in Freiheit zu setzen und die deutsche Libertät wiederherzu- 
stellen sich nicht weigere. So bedürfe denn die deutsche Nation 
nicht weiterhin seine Hülfe, « welchs sie Gott dem Allmächtigen 
zum ersten und ihme zuzuschreiben hätte, die eines so grossen 
Nutzens Ursacher seien.» Unter diesen Umständen wolle er 
dem kaiserlichen Heere, das in Frankreich eingefallen sei, ent- 
gegenziehen. Sein Wunsch wäre nun, dass die deutschen 
Fürsten und Stände, wenn sie zu Passau zusammen kommen 
würden, «ein solch gross Gut und Libertet, die sie von Gott 
und ihm empfangen hätten, nit von Händen gäben. » J Ihrem 
Gesuche in betreff Strassburgs wollte er willfahren, obwohl, 
während er in der Nähe der Stadt gewesen, das Kriegsvolk der- 
selben den Seinigen gegenüber eine grosse Unverschämtheit an 
den Tag gelegt hätte. * 

Noch an demselben Tage brach das französische Heer das 
Lager ab und zog in drei gesonderten Abteilungen über Vogesen 
und Hardt nach Lothringen zurück.* Die Wiedervereinigung 
fand zu Wallerfangen an der Saar slatt, von wo bald darauf 
der Vormarsch nach der Mosel und dem Luxemburger Lande 
angetreten wurde. 

Vorher hatte der König noch in der Nähe von Zweibrücken 
am 20. Mai eine Gesandtschaft der Eidgenossen empfangen, 
welche für ihre Nachbarn, die Unterthanen der österreichischen 
Regierung zu Ensisheim sowie die Städte Kolmar, SehlettstadJ. 

1 Bezirksarchiv G 248. — Ein anderer Bericht (Str. St. AA 596) ent- 
halt eine weniger hochmütige Fassung. Interessant ist folgende beigefügte 
Mitteilung: An des Königs Hatschier und vornehmsten Diener Kleidern waren 
etlich wachsende Monschein gestickt, mit der Umschrift: «Donec totus impli- 
catur orbis.» Andere hatten an den Kleidern einen Knopf, dabei stand ein Arm 
mit einem Schwert, das hieb in den Knopf und war darin geschrieben: »Gladio 
vir dissolvet.» Das Hess sich ansehen, als ob es des «Gordii nodus* wäre, von 
dem prophezeit war, wer ihn auflöset, der würde ein Monarch der ganzen 
Welt werden. ■ 

2 Sleidan 24, 361. 

3 Während der König mit dem Gros des Heeres den Weg Aber Lemberg. 
Bitsch, Zweibrücken und Saarbrücken einschlug, ging ein rechtes Seiten- 
detachement unter dem Herzog von Aumale durch die Pfalz über das Hardt- 
gebirge, ein linkes unter dem Herzog von Vendome und dem Rheingrafen über 
Hagenau und Lützelstein. 



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— 58 — 



und Strassburg ein gutes Wort einlegten, da sie jeden Schaden, 
der diesen zugefügt würde, selbst schwer empfinden müssten. 
Der König erteilte ihnen einen günstigen Bescheid. Die Ensis- 
heimer, erklärte er, wolle er mit Feindseligkeiten verschonen ; 
doch sollten sie seinen von ihnen in Halt gehaltenen Kriegs- 
leuten die Freiheit wiedergeben. Gegen die übrigen elsässischen 
Stände hätte er überhaupt nichts im Schilde geführt. Zwar 
habe das Strassburger Kriegsvolk die Seinen an den Thoren 
gar unfreundlich behandelt und jeden fortgewiesen, wer etwa 
Einkäufe hätte machen wollen. Doch beabsichtige er deshalb 
nicht, die alten Beziehungen zu der Stadt aufzugeben, zumal 
da er durch den Besitz von Lothringen ihr Nachbar geworden. 
Freilich erwarte er auch von ihr ein gleiches Entgegenkommen. 1 

In Strassburg verharrte man übrigens den ganzen Monat 
Mai in Kriegsrüstung. An dem Werke bei dem Judenthore 
wurde mit Anspannung aller Kräfte gearbeitet, ebenso behielt 
man das angeworbene Kriegsvolk vorläufig noch an der Hand. 
Die vom Kaiser und König Ferdinand zur Verfügung gestellten 
Fähnlein hatte man zwar dankend abgelehnt, die Gelegenheit 
aber ergriffen, beiden Majestäten Mittel vorzuschlagen, durch 
welche die Stadt in ihren schweren, verderblichen Unkosten 
erleichtert werden möchte. 2 Nicht ohne Grund fürchtete man, 
dass die Franzosen über kurz oder lang, wenn die Frucht im 
Felde erwachsen, wieder gegen Strassburg anrücken möchten, 
und alsdann, nachdem man sich an Geld und Proviant erschöpft 
hätte, und das Kriegsvolk ohne bare, gewisse Besoldung nicht 
mehr so «lustig und durstig» sein sollte, die Belagerung be- 
schwerlicher «dann jetzo» fallen würde. 

Doch blieb Strassburg im weiteren Verlaufe des Jahres 
1552 vor feindlichen Angriffen verschont. Am 28. Juli freilich 
richtete Markgraf Albrecht von Brandenburg an den Rat die 
Aufforderung, ihm die Stadt zu öffnen und Besatzung aufzu- 
nehmen. Als ihm aber dies Begehren kurzweg abgeschlagen 
wurde, wagte er es nicht, seinen Worten durch die That Nach- 
druck zu verleihen.* 

1 Sleidan 24, 361. 

2 Str. St. AA576. Mai 11 u. 21. 

3 Hatte doch der Rat zu Strassburg, «damit er die Stadt dem Reiche 
behielte, und dadurch das Laud nit beharrlich oder bleibend in der Franzosen 
Hand komme, mehr als 100,000 Gulden aufgewendet. (Str. St. AA 1983). 

4 Sleidan 24, 392. 



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— 59 - 

Die Unterzeichnung des Passauer Vertrages im Anfang 
August, der Anmarsch des Kaisers im Septemher zur Wieder- 
gewinnung von Metz, bei welcher Gelegenheit er auch Strass- 
burg besuchte, liefreiten die Stadt endgültig von allen Kriegs- 
besorgnissen. 

Die Vorgänge des Jahres 1552 bilden ein Ehrenzeugnis für 
die Gesinnungen, die Rat und Bürgerschaft Strassburgs im 
46. Jahrhundert beseelten. Nicht allein im Gefühle ihrer 
reichsstädtischen Selbständigkeit, sondern auch mit klarem 
Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum Reiche 1 hatten sie durch 
kluges und gleichzeitig kraftvolles Verhalten den Plan Hein- 
richs II., Sirassburg ebenso wie Metz Frankreich einzuverleiben, 
vereitelt. Denn dass dieses ursprünglich die Absicht des Königs 
gewesen ist, müssen wir allen Quellen zufolge annehmen. 8 Er 
gab dieselbe notgedrungen auf, da, wie er sich überzeugen 
musste, eine Ueberrumpelung der durch die Metzer Vorgänge 
gewarnten Bürgerschaft ausgeschlossen war, und ihm eine Be- 
lagerung gegenüber den festen Mauern der Stadt, ihrem treff- 
lichen Geschütz und ihrer ansehnlichen Besatzung aussichtslos 
erscheinen musste. 

Für die Gesinnung der Bürgerschaft selbst ist von der 
grössten Bedeutung die schon mehrfach erwähnte, von Meister 
und Rat am 21. Mai an den Kaiser gerichtete Bittschrift,» in 
welcher sie ihm vorstellen : 

Durch ihre stattliche Gegenrüstung hätten sie — wie 
sie im geheimen glaubwürdig erfahren 4 — des Königs (der 

1 So sagt Rahlenbeck. Metz et Thionville p. 119 : «Strasbourg n'&ait pas, 
comme Metz ou Camhrai, une ville imperiale, francaise de langage et de moenrs ; 
eile tenait, au contraire, par d innomhrables liens au cceur möme de l'Alle- 
inagne; eile ätait, en outre, assise sur les bords du vieux Rhin, — le Vater 
Rhein, — lleuve aussi sacre" au yeux des Germains de tous les teiops, que lest 
le Gange pour les Indous. • 

2 Vgl. auch Anhang III. — Der Einwurf von Legrelle p. 46, dass 
Heinrich II. nicht an eine Unterwerfung Strassburgs gedacht hatte, da ja auch 
Zabern, Hageneu und Weissenburg wieder von ihm aufgegeben worden seien, 
ist hinfällig, da diese Städte ohne den Besitz Strassburgs gar nicht zu behaupten 
waren. 

3 Str. St. AA 576. 

4 »Ein ansehnlicher französischer Kriegsrat hätte sich huren lassen, dass 
seinem Herren nicht thunlich, Strassburg als eine • Ortstatt > (Gränzplatz) hinter 
sich liegen zu lassen» (AA 579. Mai 11). 



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— 60 — 



dieser Stadt halben seinen Zug so hoch ins Elsass genommen) 
beschwerlich Vorhaben und Anschlag merklich gebrochen, 
verhindert und wendig gemacht. Daher mochte er, der Kaiser, 
die treuen, gehorsamen und nützlichen Dienste, so ohne Ruhm 
zu reden, ihrer und der Kön. Majestät sie jelzund bewiesen 
und hinfüro zu thun begierig wären, gnädig zu Gemüt 
und Herzen führen. « Daran würden ir. Kays. Mt. ir selbs, 
auch der Königl. Mt. und dem heil, reich ein heilsamlich gut 
werk thun, diese stadt vor endlichem abgang vernieten und 
s v e zu dester einer starken Vormauer des 
ganzen Keinstroins machen, darzu frembde 
potentaten von solchen gewaltigen Überzügen 
treffenlich abschrecken und den ganzen Reiu- 
ström d a r d u r c h höchlich befriedigen. D a r g e ge n 
w e r e n wir auch begierlich bereit, unser gut 
und blut zu be warung und rettung diser stadt 
darzu zust recken und dieselbe unser s üssersten 
Vermögens bey her Mt. und dem heil, reich auch 
allen ihren hergebrachten I i b e r t e t e n vermittels 
göttlicher genaden zu retten und zu erhalten 
und es darzu in ander weg gegen irer Kay. M t . 
in allerunterthenigstem verdienen.» 

Aller Augen waren in jenem kritischen Momente auf Strass- 
burg gerichtet, und allgemein wurde sein verdienstvolles Ver- 
halten anerkannt, nicht zum mindesten von Karl V. selbst, der 
der Stadl mehrfach schriftlich und bei seinem Durchzuge durch 
dieselbe personlich seinen kaiserlichen Dank aussprach. 1 

In den Ereignissen des Jahres 1552 sehen wir aber zugleich 
auch die glänzendste Verherrlichung des Stettnieisters Jacob 
Sturm, des «pater patriae et ornamentum reipublicae,»* der 
damals mit fester Hand das Schiff des Staates lenkte und das- 
selbe durch die Stürme der Zeit glücklich hindurchführte. Ist 
doch überhaupt mit der politischen Thätigkeit jenes genialen 
Mannes die ruhmreichste Periode der Geschichte Strassburgs 



1 Sieidan III, 399. Schon vorher hatte ihnen König Ferdinand für ihr 
ehrliches, bestandiges und ritterliches Verhalten, das ihnen bei männiglich und 
fürnehmlich allen Ehrliebenden zum höchsten rühmlich sei, gedankt und sie 
ermahnt, den dadurch erlangten Ruhm höher als die erlittenen Schaden zu 
achten (Str St. AA 579. Juni 13}. 

* R. u. 21. 53. Okt. 30. 



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— 61 — 



eng verknüpft; sie beginnt mit seinem Auftreten und findet 
ihren Abschluss mit seinem Tode. 

Hatte sich Sturm während des schmalkaldischen Krieges 
in eine gewisse Passivität zurückgezogen, nicht nur weil er 
die Erfolglosigkeit desselben voraussah, sondern wohl auch 
weil er jeder Entscheidung der religiösen Fragen durch das 
Schwert, und zudem einem Kriege gegen den Kaiser, in dem 
er jederzeit das gesetzliche Oberhaupt des Reiches erblickte, ab- 
geneigt war,* so ist er jetzt, wo es gilt, die Stadt bei letzterem 
zu erhalten, der Mittelpunkt des Widerstandes. Seine Thätig- 
keit können wir überall verfolgen. Er ist die Seele der Ver- 
handlungen mit den benachbarten Standen, er verfasst die 
Instruktionen für die Gesandten, auf ihn gehen die Vergriffe 
an die Schöffen und Gemeinde zurück. Er wird am geeignetsten 
gehalten, Kapitel und die oft schwierigen Kriegshauptleute zu 
Zugeständnissen zu bewegen. Bei jeder Gelegenheit bringt er 
seine gemässigten Ansichten zur Durchführung. 

Daneben hält er sich aber auch nicht zu gut, die kleinsten 
militärischen Anordnungen zu treffen, mag es sich nun um 
Anwerbung und Unterbringung des Kriegsvolkes oder um die 
Anlage von Befestigungen handeln. Ueberall zeigt er ein 
Sachverständnis und eine Einsicht, die ihn selten täuscht. 2 

Da er die feste Ueberzeugung hegte, dass die politische 
und religiöse Unabhängigkeit seiner Vaterstadt durch gewissen- 
hafteste Beobachtung ihrer Verpflichtungen gegenüber Kaiser 
und Reich am besten gewahrt und erhalten würden, betonte 
er auf die erste Kunde von dem Herannahen des französischen 
Heeres : « So der König an die Stadt etwas begehren würde, 
vor allen Dingen die Aussöhnung zu besehen, was wir uns 

1 Sagt er doch einmal geradezu : • Wir haben allerlei exeinpel vergangner 
zeit, do die sach an den orten, do man es mit dem schwert hat wollen usrichten, 
nit wol geraten« Winkelmann, Polit. Korrespondenz der Stadt Strassburg 
II nr. 545. 1538 Okt. 11. — Auch Baumgarten, Jacob Sturm p. 15, glaubt 
annehmen zu müssen, «dass er niemals den Krieg gegen den Kaiser empfohlen 
habet. 

3 Völlig zutreffend ist in dieser Beziehung die Charakteristik, die Johann 
Sturm in seiner • Consolatio ad senatum Argentinensem • von ihm giebt : • Quot 
et quanta fuerunt temporum perturbationes, quam periculosi motus, quam saepe 
novarum perturbationum causae quaesitae sunt, cujusmodi comitia, ibedera, 
bella, in quibus omnibus aut domi consulendo aut l'oris legationibus obeundis 
interfuit, consilium dedit, multa timuit, multa providit, multa praedixit, qua» 
partim evenerunt, partim adhuc impendere videntur. 



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— 02 — 



gegen Kay. Mt. verschrieben,* damit denselben Punkten nichts 
zuwider bewilligt werde.»* Hatte er sich nach der Niederlage 
des schmalkaldisehen Bundes, wenn auch nach hartem Seelen- 
kanipte, schliesslich bereit finden lassen, « den schwersten Ritt 
seines Lebens 9 zu thun, den Kaiser um Verzeihung für seine 
Vaterstadt anzuflehen,* so ist diesmal, wo es sich um die 
Gesandtschaften an den französischen König handelt, l>ezeich- 
nenderweise gar nicht einmal die Rede davon, ihn bei einer 
derselben zu verwenden.* Dagegen sehen wir ihn wenige 
Monate darauf wieder an der Spitze der feierlichen Botschaft, 
die den Kaiser bei seinem Durchzuge durch das Elsass im 
Namen Strassburgs begrüsst und um möglichste Schonung des 
Landes bittet. 

Dass die von Sturm in den von uns geschilderten Tagen 
bewiesene Treue und Gesinnungstüchtigkeit vom Kaiser vollauf 
anerkannt und gewürdigt wurde, beweist das Schreiben, welches 
ihm seitens des Bischofs von Arras Anfang Juni zugestellt 
wurde : 5 «Dass ir Kays. Mt. einem erbaren Rat und gemeiner 
Stadt daselbst, in Ansehung ihres beständigen Gehorsams und 

1 Gemeint ist hiermit jedenfalls der vom Rate am 25. April 1547 abgelegte 
Eid : • Wir Meister u. Rat dieser freien Reichsstadt Strassburg geloben und 
schwören, dass wir sollen und wollen dem allerdurchlauchtigsten Herrn Karin, 
Römischem Kaiser, unserem allergnädigsten einigen rechten Herrn, als eine 
freie Stadt des heiligen Reichs treu und hold sein, auch alles thun, was wir als 
eine freie Stadt des Reichs nach unseren Freiheiten und altem Herkommen zu 
thun schuldig sind, also uns helf Gott und die heiligen Evangelien» (Hollaender, 
Strassburg im Schmalkald. Kriege p. 91). 

2 V. D. G. lad. 111, nr. 13. — In gleicher Weise erklärt er im Juni, 
als Abgesandter der XIII, dem Churförsten von der Pfalz: Dass ein ehrsamer 
Rat zur Zeit der Aussöhnung sich dem Kaiser also verbindlich gemacht hätte, 
dass wir uns mit den KriegsfQrsten nicht einlassen könnten, wir wollten uns 
dann in die Gefährlichkeit begeben, dass uns vorgeworfen werden möchte, wir 
hatten Brief und Siegel nicht zum Besten bedacht, davor uns dann der Allmäch- 
tige gnüdiglich behüten wolle. Denn dieweil unsere Vorfahreu und auch wir, 
ohne" Ruhm zu melden, ihre Zeit und Administration oder bevohlen Amt «also 
uuverdenklichen • hergebracht, dass weder ihnen noch uns, dass sie oder wir 
wider Ehr gehandelt mit Wahrheit zugemessen werden möchte, so wollten wir 
je ungern solches Lob bei unserem Leben mindern oder schwächen und uns und 
unseren Nachkommen einen solchen nachredlichen Verweis und Makel hinter- 
lassen ; »sondern eher unser Vermögen aufsetzen, ehe wir uns und sie mit der- 
roassen unab<terblicher diflamation beschwerten» Str. St. AA 590. 

3 Vgl. Hollaender a. a. O. p. 63. 

4 Wie Spach a. a. O. p. 181 Jacob Sturm franzosen freund liehe Gesin- 
nungen imputieren konnte, ist mir unerfindlich. Vgl. Ober diesen Punkt auch 
Baumgarten, Jacob Sturm p. 33. 

5 Thoroasarchiv 1552 Mai 25. (Tir. 22. Liasse 2 ] 



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- 63 - 



unterthäniger Treue, so sie zu diesen geschwinden gefährlichen 
leuften gegen ir Mt. und dem heyl. reich erzaigen und son- 
derlich auch von wegen euers getreuen unterthanigen 
fleisses, so ir in solchem fall ehrlich und gehorsamlich 
fürwendet, damit gemeine stadt in einem solchen gehorsam 
bestendiglich verharre, mit allen gnaden geneigt, auch solches 
in seiner zeit dermassen gnediglich um euch beide erkennen 
wurdet, das ein gemeine stat und ir insonderheit irer kay. mt. 
gnedigste dankbarkeit spüren und im werke befinden sollet.» 

Diesen Worten fügte Granvella eigenhändig noch Folgendes 
hinzu : « Plurimum benevolentiae vobis conciliaslis apud suam 
Majestatem fortitudine vestra et publice civitas et tu privatim, 
et mihi crede, sie esse confirmatam opinionem, quam de tua 
probitate sua Majestas coneepit, ut omnem henevolum ac pro- 
pensum favorem a sua Majestate expectare possis.» 



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Anhang I. 



Str. St. AA 4834. 

A nos tres chers et bons amys les gouverneurs 
de la ville de Strasbourg. 

Tres chers et bons amis. Nous avons entenda par le herault 
Pietmont, presentement retonrne devers nous, en quelle bomie volunte 
il vous a trouve de nous secourire et accomoder notre armee de vos 
facultes, chose que nous avons receu a tres agreable plaisir, et ne 
voullons faillir a vous mercyer de Thonneste demonstration d'amytie, 
dont vous usez envers nous et que nous mettrons peine de recog- 
noistre en toutes choses qui se pourront offrire pour votre regard. 
Comme nous avons donne cbarge a Pellissier present porteur vous 
dire et declairer plus ampleraent de notre part, auquel nous vous 
pryons adjouster surte autant de foy que vous feriez a nous mesmes, 
priant dien, tres chers et bons amys, vous avoir en sa saincte et 
digne garde. Escript au camp de Haraucourt le 25. jour d'avril 1552. 

Henry 

de l'Aubespine. 



Anhang II. 



Str. St. AA 1854. 
Mess. le bourgueraaistre et conseil de la ville de Strasbourg. 

Messeigneurs! Esperant que suivant ce que je vous ay peus- 
nagueres escript et mande par le herault du Roi et la bonne res- 
ponse que mavez faictes, vous secourrez ceste armee de vivres en 



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— <;r> — 



paiant, j'envoye ce portcur devers vous ponr scavoir de vous ce que 
pourrcz faire en ccla, ainsi qu'il vons dira de ma part dont je vous 
prie Je tenir comme moy mesmes. Estant asseurez que sa majeste 
leeougnaistra ce que vous en aurez faict ainsi que le requiert la 
bonne amitie qu'il vous a tousjours portee et porte. Je conjure notre 
seignenr, raesseigneurs, qu'il vous ait en sa sainte gardo. Escript 
au camp de Crevy (?) le XXY«»^ jour d'avril 1552. 

Votre bon amy 

Monmorency. 



Anhang III. 



Verschiedene Zeitstimmen aus dem 16. und 17. Jahrhundert über die 
Pläne Heinrichs II. hinsichtlich Strassburgs. 

Mem. de Tavanne« (Michaud et Ponjonlat VIII p. 164). 

« Le roy inarche a Strasbourg, ponr y faire de raesme, qu'il 
avoit faict a Metz; enx monstrent rinconvenient de leurs voisins les 
avoir faits sages, et qifil faloit commencer par enx, ou ii mesme 
jour, ce qni eust ete fpeut-estre] en danger de n'avoir ny Tun ny 
l'antre. 

Sleidan 24, 359. 

Creditur enim, spem illos prope certam coneepisse, ut quemad- 
moduni amicitiac quadam ostentatione, Metim ingressi fuerant, sie 
otiam ab Argentorato non excluderentur : cum autem scirent mnni- 
tissimam esse urbem, et tanto praeterea studio viderent ad defen- 
sionem omnia parari, mutato, ut est credibile, consilio deflexerunt. 

Leben und Thaten des Herrn Sebastian Schertlin von 
Bnrtenbach ed. Scbönhuth p. 89. 

« Und als wir verhofft, unns sollte die statt Strassburg uffgethon 
werden, und da wir die inhendig gemacht betten, uss solcher desto 
bas unser intent erlangen mögen, haben sich die von der statt mit 
ü starken fendlin knechten besetzt, uns mit nichten anders, dann 
den könig mit etlichen personen wollen einlassen, (?!) und haben 
daran weisslich gehandelt, dann da wir hinein, w e r e n wir 
mit lieb nimmermer her auskörnen. » 

5 



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— M — 



Z numerische Chronik (1566 abgeschlossen) IV, 67. 

«Im fürstenkrieg do mucst graf Wilhelm Wernher zu Speier 
weichen, sampt mertails allen camergerichlspersonen ; dann künig 
Heinrich von Frankreich ward mit höreskraft üher die Füst (das 
Gebirge) kommen, des verhoffens, man würde im thor und thüren 
allenthalben ufthun. Es het im aber der Allmechtig durch sein güete 
die äugen also verbleut, das er ein klcins für ein groses usser- 
welt, nemlich das er die rcichstat Metz mit listen het ingenommen 
und den jungen herzogen von Luttringen geraubt über alles zusagen 
und küniglichs versprechen. Also, do er Strassburg ansichtig und nit 
anders gedacht, es werc richtig, nun war den bevestigten pauren die 
äugen ufgeen, die beschlossen ir stat und Uesen den künig zu 
Elsass-Zabern und am gebirg umher terminiren. Den fieng erst an 
sein fürnemen zu rewen ; jedoch so war der has im pfeffer etc> 

Thuanus. Historia sui temporis (Ausgabe von 1626) 10,305. 

« Spe potiundae civitatis exclusus rex , relictis Tabernis vexillo 
peditum iter flexit et tertiis castris llaganoam pervenit. > 

Chronikalia über Strassburg und das filsass (um 1660 abge- 
schlossen). 

St, (Kahiu -t/r r StiulthiblUithclt . ) 

p. 4<5i) (offenbar zeitgen, Aufzeichnung) : 
« Anno 1552 da zog der könig von Frankrich angangs im Mayen 
mit einer grossen macht über Zaberner steig heraus in Teutschland 
in einem falschen betrug, wie es sich auch befunden 
und noch täglich bei ihm befinden thut. da fuhren 
die hn. von Strassburg zu und hiewen alle bäum umb Strassburg 
ab, auch vornehme gebäw, was sie vermeinten, ihnen vor der 
Stadt schädlich zu sein und fingen an, dasselbigemal den graben 
und wähl sampt der pasteyen zu machen und ordneten mich, 
B. Cogmann, i darüber zu ihrem unschuldigen diener und lohn- 
herren, etc> 

w r eiter unten p. f>12. : 
1552. «In diesem Jahr hat König Heinrich aus Frankreich Metz. 
Tull und Verdun mit list eingenomen und mit heereskraft in Teutsch- 
land gezogen im schein , den Teutschen zu helfen, aber 
mit betrug umbgangen und mit. schaden wieder 
heimgezogen. > 

1 Ueber diesen Chronisten vgl. Röhrich a. a. O. I, 6 und Dacheux, 
Bulletin de la soci^te" p. la cons. des mon. hist. d'Alsace, II« sene. 13, 29. 



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07 - 



Os. Schadaei (1586/1626) „Strassburgische Cronica". 

StoiltbiblioM.) 

«In disem 1552 jar kam der Franzos in Deutschland und nach- 
dem er die reichstett Metz, Toul und Verdun eingenommen, ver- 
meint er auch Strassburg zu bekomen. Weil aber weder 
der Constabel noch der könig selber die stadt nach seinem gefallen 
fand, auch sähe, dass sich die stadt zur gegenwehr stark präpariert, 
brach er mit seinem Volk den 7. May auf ; musst also ungeschafft 
abziehen.» 

Walther'sche Chronik (abgeschlossen 1676>. 

« Da der Kounetabel merkte, dass es ihnen nicht wie zu Metz 
geschehen, gelingen werde, und unter dem schein guter freund- 
schaft nicht in Strassburg eingelassen werden würde, auch die 
stattliche gegenverfassung und veste der Stadt betrachtete, sind sie, 
nachdem sie etliche tage bei Hausbergen gelegen , den 7. May 
wieder aufgebrochen.» 

Michael Kleinlawel, Strassburgische Chronica (1625 gedruckt). 

p. 148: «Nachdem der Frantzos die Stadt Metz 
Thol Verdun eingenommen 
Ist er auch für Strassburg zuletz 
Mit grosser Kriegsmacht kommen. 
Da rüst man sich zur gegenwehr 
Und wollt ihn nicht einlassen 
Darum musst er mit seinem Heer 
Wieder ziehen sein Strassen. > 



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Nachträgliche Anmerkung zu Seite 36. 



Wie mir während des Druckes der Arbeit seitens des Heim Frei- 
herr» von Müllcnheim-Rechberg freundlichst, mitgeteilt wurde, sind 
bei den Demolirungsarbeiten des Walles am alten Judcnthore Januar 
1881 lediglich zwei Grabsteine mit ebräischer Inschrift aufgefunden 
und von Herrn Professor Euting entziffert worden. Vgl. darüber 
Bulletin de la soc. pour la cons. des mon. bist. d'Alsace, II e serie 
X, 2, 142 u. XII, 2, 2 und Euting in der Festschrift zum 2ö0jähr. 
Bestehen des Strassb. Protestant, Gymnasiums (August 1888) die 
Steine Nr. 2 und 3. 



Strasburg, Druck von .1. H. E<1. Heilz (Heitz .t Mündel). 




Heft II. : Ein andechtig geistliche Badenfahrt 
des hochgelebten Herren Thomas 
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er- 
läuterungen, insbesondere über das 
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr. 
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach 
dem Original. M 2 — 

Heft III.: Die Alamannenschlacht vor Strass- 
burg 357 n. Chr. von Arehivdirector 
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit 
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von Strassburg. Ein urkundlicher 
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Wahrheit mit einem Porträt Ara- 
minta's in farbigem Lichtdruck und 
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buch von Dr. Joh. Froitzheim. 

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und acht Zinkätzungen. S 1 50 

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1552 von Dr. A. Hollaender. 8°. 
68 Seiten. Jk 1 50 

In Vorbereitung : 

Witte, H., Dr. Die Armagnaken im Elsass. 

Hertzog, A., Dr. Rechts- und Wirthschaftsver- 
fassung des Abteigebietes Maursmünster 
während des Mittelalters. 

Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung, 
nimmt Bestellung an. 

Hochachtungsvoll 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 



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in Strassburg i./E. 



Baum, Adolf. Magistrat und Reformation in Strassburg bis 
1529. gr. 8. Xm u. 212 S. JL 4 60 

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dorf. Neue Ausgabe. Text von Dr. A. Schricker. gr. fol. mit 
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Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm- 
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ringens, herausgegeben von dem hist.-litt Zweigverein des Vogesen- 
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 50 

Lucius, Phil. Ferd. Friederike Brion von Sossenheim. 
Geschichtl. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. JL 5 — 



Müllenheim-Rechberg, Herrmann Freiherr von. Die 
Annexion des Elsass durch Frankreich und Rückblicke auT 
die Verwaltung des Landes vom Westphälischen Frieden bis 
zum Ryswicker Frieden (1648-1697). Vortrag gehalten am 2. Mai 
1887 im staatawissenschaftlichen Verein zu Strassburg i. E. J% 1 50 

Bremer, F. P. Frans von Sickingens Fehde gegen Trier und 
ein Gutachten Claudius Cantiunculas über die Rechtsan- 
sprüche der Sickingen'schen Erben, kl. 4. CXVI und 28 Seiten. 

Jk 4 50 

This, Constant. Die Mundart der französischen Ortschaften 
des Kantons Falkenberg (Kreis Bolchen in Lothringen). 8. 
80 S. JL2 — 

• 

Rectoratsreden der Universität Strassburg: 

Heitz, £. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität. 

Rede gehalten am 1. Mai 1885. 8. 27 S. Jt — 60 

Beye, Th. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und 
in der Neuzeit. Bede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 16 S. Jt — 40 

Zcepffel, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der 
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887. 

^ - 40 



Vogesengrün. Ein elsässischer Familien-Kalender von Maria 
Bebe. Zweiter Jahrhang. 1888. Jf 1 50 



Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 



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