Beiträge zur
Landes- und
Volkeskunde
Elsass-Lothri
HatfmtU (College Htbraru
JOHN AMORY LOW ELL,
(Glas» of
This fund is $20,000, aud of its income three quarters
shall be spent for books and otic quarter
bc ndded to thc principal.
, wirf.
o BEITRAGE
ZUR
I AN 1)1 S- UND VOLK t-SK l 'N!) !
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
IV. HEFT
1 [ \/\ < ,( )L IUI ( ND CA R >1\H1 l-üii-
EIN URKUNDLICHER KOMMENTAR
ZU GCETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT
MIT EINEM PORTRÄT ARAMINTA's
IN FARBIGEM LICHTDRUCK
UND IHREM FACSIMILE AUS DEM I.ENZ-STAMMBUCH
VON
Dr. JOH. FROITZHEIM
Oberlehrer an der Neuen Realschule in Strassburg.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
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LANDES- UND VOLKESKUNDE
eftMi Verlagshandlung
VON
ELSA SS-LOTHRINGEN
in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen
aus dem Gebiete der Geschichte und Literatur-
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen-
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen
daneben selten gewordene litterarische Denkmäler
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht,
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen,
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass-
lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner-
bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm-
siehe dritte Seite des Umschlags.
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II Ld. Heitz. iHk.iti • MÜNnEU SlrasRburg.
Lichtdruck von A1.BKRT rltisui in Herh
LENZ, GOETHE
INI»
CLEOPHE FIBICH
VON STRASSBURG.
EIN URKUNDLICHER KOMMENTAR
ZU GCETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT
MIT EIN KM HH.riK ARAMINTA's
t*NI) IHREM I AI.SIMILK AI S DKM I.KNZ-STAMMHl'CII
VON
Dr. JOH. FROITZHEIM
Oberlehrer an der Neuen Realschule in Strassbuig.
STRASSBURG
J. H. Ed. HEITZ (HEITZ & MI NDEU).
1888.
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VORREDE.
Folgende Studien bieten den Literatur freunden einen
aus urkundlichem Material erarbeiteten Kommentar zum
Eingang des 14. Buches von Goethes Dichtung und Wahrheit,
welcher stets als eine der klassischen Stellen für die Geschichte
der Sturm- und Drangperiode erachtet worden ist.
Indem ich mit diesen Forschungen dem Beispiele
Aug. Strebers folge, bemerke ich, dass mir dieselben schwerer
fielen als ihm. Stceber lebte und schrieb zu einer Zeil, wo
noch lebendigere Ueberlieferungen Ober die Vergangenheit
des Elsass und reiche handschriftliche Schätze in Strasslnrrg
vorhanden waren, welche letztere im Laufe der Zeit entwe-
der durch den Brand von 1870 oder aus Unkenntnis ihres
Wertes vernichtet worden sind; andere literarische Beti-
quien sind von ausgewanderten Enkeln mit nach Frankreich
hinübergenommen worden. Auch war Stieber Landeskind ;
ihm öffneten sich die Familienarchive leichter als einem
Fremden.
Und dennoch würde ich ungerecht sein, wollte ich nicht
freudig bekennen, tvie zuvorkommende Aufnahme auch ich
allmählich bei einheimischen Familien gefunden, wenn ich
mit den Namen Goethe, Lenz, Bo'derer, Ott, Fibich leise
anzuklopfen wagte und Erinnerungen zu wecken begann, die
denselben als tätigst vergessene Erzählungen ihrer Eltern
und Grosseltem ans Ohr klangen.
« Ihr Brief kommt mir vor wie aus einer anderen Welt,
wie beschämt bin ich, dass fremde Leute mehr wissen über
- 4 —
unsere Familie ah tvir selbst », so schrieb mir die Gross-
nichte von Lenzens Araminta und sandte mir mit über-
raschender Zuvorkommenheit sämmtliche Familienbilder zur
Ansicht, unter ihnen jenes schöne, mit dessen Abdruck ich
meine Arbeit schmücken durfte.
Zu grossem Danke bin ich deshalb Herrn Pfarrer Jacob
und seiner Schwester Fräulein Jacob, der Familie Michel-
Ott und den Enkelinnen des trefflichen Theologen Johann
Gottfried Rwderer, welcher der treuesie Freund des unglück-
lichen Dichters Lenz gewesen, für ihre Mitteilungen ver-
jt fliehtet, Möge)( mit mir auch die deutschen Literaturhisto-
riker das Entgegenkommen denselben dadurch vergelten,
dass sie das Andenken ihrer Vorfahren in Ehren hallen! —
Nicht mindere Erkenntlichkeit schulde ich Herrn Müller, dem
Bureauvarsteher des Strassburger Standesamtes, der mich
in den Schätzen des ihm unterstellten Archivs mit steter
Gefälligkeit zu rechtwies .
Die grösste Anerkennung jedoch verdient Herr V. Th. Falck
in Riga, der unermüdliche Lenz- Forscher, der mit einer
Uneigennnlzigkeit und Hingabe ohne Gleichen meine Arbeil
gefördert hat.
Strassbnrg, den 1. August 1887.
Dr. J. FROITZHEIM.
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Wie der reife Mann sich mit Liebe in die Erinnerung
seiner Jugendjahre, da es wie Most in ihm gährte und schäumte,
zurückversenkt, so wird auch das heutige Deutschland in seiner
Macht und Grösse das Andenken jener Sturm- und Drang-
periode nicht vernachlässigen, in welcher die politische Wieder-
geburt Deutschlands durch die Wiedergewinnung seiner geistigen
Selbstständigkeit gegenüber französischem Eintlusse vorbereitet
und gefestigt wurde. Nicht allen ist es bekannt, dass gerade
in Strassburg am Anfang der siebenziger .Jahr«; des vorigen
Jahrhunderts sich dieser geistige Befrei ungsproeess vollzog ; und
doch hat der Anblick von Erwins deutschem Riesendome auf
Gethe und seine Genossen den entscheidenden Kintlnss geübt."
Ehre den jugendlichen Stürmern und Drängern, die für
den Sieg der deutschen Sprache und Sache die Waffen ihres
Geistes erhoben ! Rechne man ihnen doch nicht immer jenes
übertriebene Pathos, jene grenzenlose Schwärmerei wie zum
Verbrechen an ! Das dunkle Gefühl, Träger einer wellbewegenden
Mission zu sein, musste jene Jugend mit berechtigtem Stolze
erfüllen, der jeder Schranke, jeder Selbstbeherrschung spottete.
Und warum nur die Auswüchse ihrer Kraftleistungen tadeln,
ohne mit Genuglhuung anzuerkennen, dass Ueberkraft die
unerlässliche Vorbedingung einer späteren gesunden Blüte war !
Jene Zeit des Sturmes und Dranges war zweifelsohne eine
gewaltig erregende. Nicht alle besassen, wie G<ethe, stählerne
Nerven, um solche Erschütterungen ungefährdet zu bestehen
und der Periode der heftigsten Gemütsbewegung eine zweite
rulliger, künstlerischer Gestaltung folgen zu lassen. Zartere
Naturen sind diesen Anstrengungen erlegen, so der unglückliche
Dichter Lenz, dessen merkwürdige Lebenssehicksale in neuester
Zeit ein grösseres Interesse erweckt haben.
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I. Abriss des Dichterlebens. 1
Jakob Michael Reinliold Lenz, neben Giethe der talentvollste
Lyriker und Dramatiker der siebenziger Jahre des vorigen Jahr-
hunderts, der plötzlich wie ein glänzend Meteor am deutschen
Lileraturhimmel emporstieg, um spurlos in die Nacht des Wahn-
sinns zu versinken, wurde am VI. Januar 1751 zu Sesswegen
in Livland als Sohn des damaligen Pastors, späteren General-
supcrintendenten, David Lenz geboren. * Nachdem die Eltern
im Jahn; 1751) nach Dorpat übergesiedelt waren, bezog Jakob
1768 als Student der Theologie die Universität Königsberg und
kam von dort nach kurzem Aufenthalte in Berlin und Leipzig
als Reisebegleiter und Freund zweier kurländischen Edelleute
von Kleist im April 1771 nach Strassburg, wo ihn Goethe in
seinem letzten Semester kennen lernte.
« Wir sahen uns selten, schreibt Gcethe, s seine Gesellschaft war
nicht die meine; aber wir suchten doch Gelegenheit uns zu treffen
und thcilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Jüng-
linge, ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber nett von Gestalt,
ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form niedliche, etwas
abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen : blaue Augen, blonde
Haare, kurz, ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen
von Zeit zn Zeit eins begegnet ist : einen sanften, gleichsam vor-
sichtigen Schritt, eine angenehme, nicht ganz fliessende Sprache und
ein Betragen, das, zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich
bewegend, einem jungen Manne gar wohl anstand. Für seine Sinnes-
art wüsste ich nur das englische Wort whimsical, welches, wie das
Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in einem Begriff
zusammenfasst. »
Nachdem Lenz sich bereits früh als Dichter versucht hatte,
schloss er sich bei seiner Ankunft in Strassburg an die von
dem würdigen Aktuarius Salzmann geleitete literarische Gesell-
schaft, der bereits Gcethe, Jung-Stilling, Lerse, Reederei-, Haftner,
Ott u. A. angehörten und Herder nahe stand, mit Eifer an.
* Dieser Abriss diene dazu, das Interesse an dem sonst wenig ge-
kannten Dichter in weitere Kreise zu tragen.
* P. Th. Falck. Der Dichter J. M. R. Lenz in Livland. Wiuterthur 18*78.
3 Dichtung und Wahrheit III. 11. S. 40. Ich citiere die Seitenzahl nach
der Herapel'schen Ausgabe.
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- 7 -
Shakespeare war damals der Held, unter dessen Banner die
deutsche Jugend zürn Siege auszog.
« Will jemand unmittelbar erfahren, schreibt Goethe, was damals
in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt
worden, der lese den Aufsatz Herder's über Shakespeare in dem
Hefte « Von deutscher Art und Kunst », ferner Leiwens « Anmer-
kungen übers Theater ». denen eine Uebersetzung von Love's labour's
lost hinzugefügt war Herder dringt in das Tiefere von Shakespeare's
Wesen und stellt es herrlich dar ; Lenz beträgt sich mehr bilder-
8türmerisch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters und will denn
eben all und überall nach Shakespeare'scher Weise gehandelt haben.»
Ohne Zweifel war Lenz das verdienstvollste Mitglied jener
«Gesellschaft der schönen Wissenschaften)). Sein Bemühen, den
unbestimmten Bestrebungen derselben festere Ziele zu setzen,
wurde mit Erfolg gekrönt und am November 177.*> in dem
Hause des Aktuarius Saizmann zur Eröffnung einer «Gesellschaft
deutscher Sprache» geschritten. 1
Wohl mochte die neue Verabredung der Mitglieder, keine
andere als deutsche Aufsätze vorzulesen , auf französischem
Boden seltsam erscheinen, aber Lenz bewies die Vorzöge der
deutschen vor der französischen Sprache in wissenschaftlichen
Aufsätzen 2 und rief als Deutsch-Kusse, den der Vorwurf
deutschen Chauvinismus nicht tieften konnte, den Elsässern mit
Ermunterung ins Gewissen : 3
« Wir alle sind Deutsche. Mit Vergnügen, aber mit heimlichem,
habe ich bisher aus einigen Ihrer Vorlesungen gesehen, dass selbst
die Obermacht einer herrschenden, und was noch weit mehr i 3t.
verfeinerten Sprache den alten Hang zu dein mütterlichen Boden
Ihres Geistes, ich meine, zu unserer nervigten deutschen Sprache
nicht habe ersticken können. Bleiben Sie ihm treu. Alle Ihre kindi-
schen und nachher männlichen Vorstellungen und Gefühle sind auf
diesem Boden erwachsen. Der Geist, meine Herren, leidet keine
Naturalisationen, der Deutsche wird an der Küste der Kaffern so
gut als in Diderots Insel der Glückseligkeit immer Deutscher bleiben
und der Franzose Franzos. »
1 Alsatia 1868, S 174, wo das Protokoll von A. Steuer veröffentlicht ist.
Da der Abdruck desselben trotz Stoibers Behauptung ungenau ist und derselbe
das S. 175 erwähnte Mitgliederverzeichnis gan? vergessen hat, so habe ich mich
zu einer neuen Herausgabe des Protokolls entschlossen, welche durch mehrere
bisher ungedruckte Briefe des Salzraonn schen Kreises vermehrt werden soll
• Lenz' Sch.-ihen von L. Tieck II, S. 32(5. vgl. Protokoll S. 175.
3 Ibid. II S. 318.
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— 8 —
Als schönste Frucht jener Deutschen Gesellschaft, aber
auch als letzte deutschen Geistes vor der Revolution ist die
Herausgahe einer von wackerer Gesinnung geleiteten Strass-
burger Wochenschrift «des Bürgerfreundes» zu verzeichnen.
Mit Lenzens Uebersiedelung nach Weimar geriet dies Unter-
nehmen ins Stocken. Revolution und Kaiserreich vernichteten
die Regungen deutschen Lebens im Elsass. So blieb es bis
zum Jahr 1870. Wenn man aber in Zukunft einmal die Pioniere
des Deutschtums im Elsass des nationalen Dankes würdigen
wird, so möge man auch den Dichter Lenz nicht vergessen,
der bereits vor 400 Jahren, inmitten zunehmender Vervvälschung,
in Strassburg die Fahne deutscher Gesinnung hochgehalten hat.
Lenz war ohne Frage ein hochbegabtes Dichtertalent.
Wieland nennt ihn mit Entzücken « einen Dichter ä triple
carillon». 1 et Aus wahrhafter Tiefe, aus unerschöpflicher Pro-
duktivität ging sein Talent hervor, in welchem Zartheit, Beweg-
lichkeit und Spitzfindigkeit mit einander wetteiferten » —
dieses Goethe'sche Urteil 2 wird trotz aller nachfolgenden Ein-
schränkungen Lenz für alle Zeilen als einen Dichter von Gottes
Gnaden erscheinen lassen.
Lenzens Lyrik ist, wie die -Goethe'sche, nicht gelehrte,
sondern unmittelbar dem Herzen entquillende Gelegenheitspoesie.
Ware doch sein herrliches Talent selbst auf der Höhe seines
Schaffens nicht schon von den vorauseilenden Schatten zukünf-
tigen Wahnsinns getrübt gewesen!' «Der neblichte Blick, das
Maulwurfsgefühl)», das ihm einmal Wieland nachsagt,» hindert
wohl sein dichterisches Vermögen sich zur Klarheit des Gedan-
kens sowie des Ausdrucks durchzuringen.
Als Perle seiner Lyrik wird stets sein Gedicht* auf die
verlassene Friederike genannt werden dürfen, in welchem er
sich selbst vor der Verbindung mit einem Wesen warnt, das
ihm nur gezwungen folgen, niemals aber innerlich würde ange-
hören können.
*
1 Brief« an »md von J. H. Merck, herausg. von K. Wagner, 1835 und
1838. s. Brief Wielands vom 13. Mai 17*76.
* Dichtung und Wahrheit III, 14, S. 144.
: * Briefe an und von J. H. Merck, herausg. von Wagner, s. Brief Wie-
lands vom 9. Sept. 1"*76.
4 Ich citiere dasselbe in der knapperen, aber dichterisch schöneren
Fassung, welche Urlichs nach dem im Besitz Falcks befindlichen Originale
im Archiv für Litteraturgescbichte VIII, S. 1(56 herausgegeben hat.
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Mwmwm """"
— 9 —
Die Liebe auf dem Lande.
-
Ein schlechtgenährter Kandidat
Der oftmals einen Fehltritt that
Und den verbotnen Liebestrieb
In lauter Predigten verschrieb,
Kehrte einst bey einem Pfarrer ein
Den Sonntag sein Gehülf zu seyn.
#
Der hat ein Kind, zwar still und bleich,
Von Kummer krank, doch Engeln gleich. —
Sie hielt im halberloschnen Blick
Noch Flamen ohne Maass zurück,
All itzt in Andacht eingehüllt,
Schön wie ein marmorn Heiligenbild. —
t
War nicht umsonst so still uud schwach
Verlassene Liebe trug sie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie stets an der Erinnerung sog ;
An ihrem Brodschrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr stand,
Und wenn ein Schlaf sie übernam,
Im Traum er immer wieder kam.
Für ihn sie noch das Härlein stutzt 1 t
Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt,
All' ihre Schürzen anprobirt
Und ihre schönen Lätzchen schnürt,
Und von dem Spiegel nur allein
Verlangt, er soll ihr Schmeichler seyn.
Kam aber etwas fremds iifs Haus,
That. sie sich schlecht und häuslich aus,
Denn immer, immer, immer doch
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch
Von einem Menschen, welcher kam
Und ihr als Kind das Herze nam.
Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,
Doch seiner Worte Kraft noch nicht
t
1 In der Handschrift «stützt., ohne Zweifel ein lapsus caUnu, Vrotx
Urlichs Erklärungsversuch.
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- 10 —
Und jener Stunden Seligkeit
Und jener Träume Wirklichkeit
Die, angeboren jedermann
Kein Mensch sich wirklich machen kann.
Ach Männer, Männer seid nicht stolz
Als wär't nur ihr das grüne Holz,
Der Weiber Gut' und Duldsamkeit
Ist grenzenlos wie Ewigkeit.
Wenn irgend ein Dichter der Sturm- und Drangperiode,
so war gerade Lenz von der Ueberzeugung erfüllt, dass die
deutsche Nation nur durch das Drama in Bewegung gesetzt
werden könne. Leider kam er über die Shakespearomanie nicht
hinaus ; daher denn das Abgerissene der Scenen, die Verken-
nung jeder bühnengemässen Forderung, der Cynismus der
Anschauung, der unser sittliches Gefühl empört, aber vor dem
Ausbruch der französischen Revolution die vorhandene Gab-
lung gegen alles Unwahre bezeichnet.
Zu spät erkannte Lenz, dass die Nation durch die Regel-
losigkeit dramatischer Gebilde auf die Dauer nicht zu fesseln
sei, dass es noch etwas höheres als ^Nesseln vorweg zu hauen» 1
gäbe, aber er leiht uns auch den Schlüssel der Erkenntnis,
warum auf Sturm und Drang nicht Sonnenschein habe folgen
können. Von seinem Vater in jungen Jahren ohne jede mate-
rielle Unterstützung gelassen, musste sich der Arme kümmer-
lich durch die Welt schlagen.
« Mir fehlt zum Dichten Müsse, klagt er, und warme Luft und
Glückseligkeit des Herzens, das bei mir tief auf den kalten Nesseln
meines Schicksals halb in Schlamm versunken liegt und sich nur
mit Verzweiflung emporarbeiten kann. > 2
Und doch, welche Goldkörner neben hässlichcn Schlacken
auch hier, welche packende Gewalt der Empfindung, welche
scharfe Charakteristik und lebendige Sprache! Gewiss hat Lenz
aus dem Umgang mit Goethe geistigen Nutzen gezogen, aber
die Mitteilung beruhte auf Gegenseitigkeit : Stolzius in den
« Soldaten » ist mit Lenzens Charakter Vorbild zu Brakenburg
geworden , der kurze, aber wirkungsvolle Monolog der Marie
in eben demselben Drama erinnert an Gretchen und Klärchen.
» Dorer-Egioff, J. M. R. Lenz und seine Schriften, Baden 1857, S. 183.
* K. Wugner, Briefe von und an Merck. Brief vom 14. Marz 1775 au
Merck.
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11 —
Lenz 1 Soldaten I, Sc. 6.
Marie (küsst ihrem Vater die
Hand) Gute Nacht Pappuschka !
(Da er fort ist, thut sie einen
tiefen Seufzer und tritt ans
Fenster, indem sie sich auf-
schnürt) Das Herz ist mir so
schwer. Ich glaube, es wird ge-
wittern die Nacht. Wenn es ein-
schlüge — (sieht in die Höhe, die
Hände über ihre offene Brust
schlagend) Gott ! Was hab' ich
denn Böses gethan? Stolzius
ich lieb' dich ja noch —
aber wenn ich nun mein Glück
besser machen kann — und Papa
selber mir den Rath giebt (zieht
die Gardinen vor), trifft michs,
so trifft michs, ich sterb' nicht
anders als gerne (löscht ihr Licht
aus).
Gcetho's Faust.
Margarethe :
Es ist so schwül, so dumpfig
[hie (Sie macht das Fenster auf )
Und ist doch eben so warm nicht
[drauss.
Es wird mir so, ich weiss nicht
[wie —
Ich wollt, die Mutter kam nach
[Haus.
Mir läuft ein Schauer übern Leib —
Bin doch ein thöricht furchtsam
[Weib !
Clürchen, Hl. Aktschluss : So lass
mich sterben! Die Welt hat keine
Freuden auf diese !
V. Akt : (Die Lampe, welche Bra-
ckenburg auszulöschen verges-
sen, flammt noch einmal auf.
dann erlischt sie).
Gorade in kleinen Zügen w
sagt von ihm, «die Poesie, die
wusste, setzte mich oft in Ersta
mag Garthe in seine Dichtungen übertragen haben. Ich bemerke
noch folgende Parallelstelle :
ar Lenz unerschöpflich. Goethe
er in das Gemeinste zu legen
unen». Manchen solcher Zfure
Lenz' Tagebuch, S. 278 :
Ich hatte ihr Nachtkleid gelobt
— die Mutter hiess sie einigemal
sich ankleiden, sie wollte nicht.
Egmont I, 3.
Mutter : Ziehst du dich nicht ein
wenig besser an ?
Klare : Vielleicht Matter, wenn
ich Langeweile habe.
Garthe hatte Strasbourg bereits im August 1771 verlassen,
während Lenz bis in den Marz 1770 daselbst verblieb. Im
Frühjahr 1772 begleitete er den zweiten Baron von Kleist mit
seinem Regimente erst nach Fort-Louis, dann nach der Festung
Landau, um im Herbste zu dem ältesten Baron nach Sfrass-
burg zurückzukehren. Bald darauf wurde letzterer, der sich
unterdessen mit einer Strassburger Bürgerstochter verlobt hatte.
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— 12 —
von seinem Vater nach Kurland zurückgerufen. Aber noch vor
seiner Abreise traf auch der dritte und jüngste Bruder in Stras-
burg ein. Zwischen ihm und Lenz erfolgte im Herbste 1774
über die Einmischung des letzteren in jene Liel>esangelcgenheit
des ältesten Barons ein Bruch. Lenz trennte sich von demselben,
bezog ein anderes Quartier in der Sladt und führte von nun an
csein SchifTlein selbst.» Indessen wenn er auch, carm wie eine
Kirchenmaus» und «gehetzt wie ein Postpferd», gleich anderen
bedürftigen Studenten der Theologie in der Stadt herumlaufen
musste, um durch Schanzen sein Brod zu verdienen, es war
doch die freiestc und für seine Muse ergiebigste Zeit seines
Lebens.
Goethe, der seit dem Erscheinen des Gölz in lebhafterem
brieflichen Verkehr mit ihm gestanden, unterbrach die Genie-
reise, die er im Sommer 1775 mit den beiden Grafen Stolberg
nach der Schweiz unternahm, durch einen Abstecher nach Strass-
burg, ausdrücklich, wie er dem dort studierenden Erbprinzen
Karl August von Sachsen - Meiningen mitteilte, 1 um seinen
Freund Lenz zu besuchen. Dem Andenken an den ersten
Besuch in der Pfingstwoche den 24. Mai 1775 widmete Lenz
in einem Wirtshausgarten vor dem Fischerthor die Verse :
Der Wasserzell, Denkmahl der Freundschaft. 2
« Ihr stummen Bäume, meine Zeugen,
Ach! kam er ohngefehr
Hier, wo wir sassen, wieder her.
t Könnt ihr von meinen Thränen schweigen ?
L. an 0.
1 L. Bechstein, Mitteilungen aus dem Leben der Herzoge zu Sachsen-
Meiniogen. Halle 185G. S. 106.
2 Iris 1775. IV, 2 S. 147 vergl. J. v. Sivers J. M. U. Lenz in der
Baltischen Monatsschrift 1879 S. 356, wo auch die Uebersetzuug :
Arbres muets, temoins d'un Souvenir
Dont le regret trouble les charmes
Ah! dans ces lieux jaraais s : il pouvait revenir
Pourtez vous lui taire mes larmes !
Unter jenen Bäumen schrieb Garthe au Johanna Fablmer nach Frankfurt :
Liebe Tante! In freyer LuiFt ! einem Uralten Spaziergang hoher vielreih
kreuzender Linden, Wiese dazwischen das Mctnster dort! dort die III. Und
Lenz lauft den Augenblick nach der Stadt. Icü habe schon ein Mittagessen
bestellt hier nah bey u. s. w. er kommt wieder etc. — Diese alte Gegend,
iezt wieder so neu ! — Mittwoch den 24. May 1775 — eine Viertelstunde
von Strasburg. G. (Hirzel-Bernays der junge Goethe III 88).
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- 13 -
Goethe verabschiedete sich von dem Freunde mit dem
Stammbuchverse:
Zur Erinnrung guter Stunden,
Aller Freuden, aller Wunden,
Aller Sorgen, aller Schmerzen.
In zwei tollen Dichter Herzen
Noch im letzen Augenblick
Lass ich Lenzzen dies zurück. 1
Damals stand die Freundschaft beider Dichter, welche neben
einander auf dem deutschen Parnass genannt zu werden
pflegten, im Zenith.
Im November 1775 wurde Goethe von dem Herzog K;irl
August nach Weimar berufen. Lenz verblieb den Winter in
Strassburg und erfüllte damals sein Herz mit einer neuen Liebe
zu Henriette Waldner von Freundstein, der späteren Frau von
Oberkirch.
Endlich im März 1776 riss er sich aus den Strass-
burger Verhältnissen los. Not einerseits, andererseits die schmei-
chelhafte Hoffnung, eine ähnliche Stellung wie Goethe zu er-
ringen, trieben ihn nach Weimar. Er war dem Herzog bei dessen
Autenthalte in Strassburg vorgestellt worden und träumte sich
in den Gedanken, durch eine Schrift über Soldatenehen der
Regenerator des sächsischen Kriegswesens zu werden, sowie
der Dichter Goethe sich dem Herzog bereits durch seine juris-
tischen Kenntnisse nützlich zu machen gewusst hatte.
Lenzens Ruhm befand sich damals auf dem Gipfel. Mit den
bedeutendsten Männern seiner Zeit, mit Lavater, Pfenninger,
Zimmermann, Merck, Herder, Jacobi stand er in persönlichem
oder brieflichem Verkehr ; seine Fehde mit Wieland, die er
bei seiner Uebersiedelung nach Weimar beizulegen suchte,
halte nicht zum geringen Teile zu seiner Berühmtheit beige-
tragen.
Von Merck in Darmstadt, freundlich empfangen, von Klinger
in Frankfurt mit fürstlichen Ehren eingeholt und bei der Frau
Rat aufs trefllichste bewirtet, erhielt Lenz auf dem Wege nach
Weimar die Trauerbotschaft, dass Fräulein von Waldner die
Braut des Herrn von Oberkirch geworden sei. Seine Erregung
spiegelt sich in jenem Briefe an Lavater wieder, in welchem er
dem väterlichen Freunde die eigentümliche Zumutung stellt, der
i lieber diesen Stammbucheintrag siehe weiter uuten.
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— 14 —
ihm wenig oder gar nicht bekannten Dame in aller Form von
solcher Verbindung abzuraten. 1
Am Musenhof in Weimar wurde der unberufene Gast mit
Wohlwollen aufgenommen. Bald war er verschlungen vom an-
genehmen Strudel des Hofes, war den ganzen Tag toben beim
Herzog» und durfte ihm Lavaters Schriften vorlesen. Allein dieser
glatte Boden war für den unerfahrenen Jüngling, der Taktlosig-
keiten für Geniestreiche ansah, auf die Dauer zu gefahrlich.«
Bereits am 24. April hatte Lenz nach Go;thes Ausdruck
eine Eselei begangen, da er uneingeladen auf dem Hofball er-
schien und eine Adlige zum Tanz zu führen sich anschickte.
Am 29. Nov. verzeichnet Goethe eine neue «Eselei Lenzens» in
sein Tagebuch. Die Sache war so schlimm, lass der Dichter
vom Herzog binnen 24 Stunden des Landes verwiesen wurde.
Was die Ursache dieser strengen Massregel gewesen, ist,
wie bei Ovids Verbannung, bis jetzt geheim geblieben, da sich
die Beteiligten , wie es scheint, unverbrüchliches Stillschweigen
gelobt haben. Ohne Zweifel waren Geithe und die Frau von
Stein angegriffen. Von Goethe gesteht es Lenz selbst in seinem
Briefe an Herder den 30. Nov. 1776. » Auf Frau von Stein, auf
deren Gute Lenz im September und Oktober 5 Wochen hatte
verweilen dürfen, deuten folgende abgerissene Sätze, welche
Lenz seiner Gewohnheit nach auf das Kouvert eines Briefes von
Kcederer hingeschrieben hat. Die Mitteilung derselben verdanke
ich der Güte Falcks :
« Hat sie mich davon vorher warnen lassen durch ihn ? * Und
ich suchte das nicht zu hindern».
«Nur wenn alles gethan ist den letzten Genuss um ihr sagen
dass ich sie erwarte».
* schändlich kalte Tugend, die uns zwingt Aufopferungen gegen
♦»inen Freund zu machen den wir hernach dafür nicht lieben können ».
* der alles hingiebt, zuletzt das Leben und nichts thut, weil es
nicht das Herz hat ... »
' Dorer-Egloff S. 161.
* Brief Wielands an Merck vom 13. Mai: Lenz am Höfel — Was
dankt euch dazu? Seit er hier ist, ist kaum ein Tag vergangen, wo er
nicht einen oder den andern Streich ausgeführt, der jeden andern als ihn in
<üe Luft gesprengt hatte. Dafür wird er nun freilich auch was Rechtes
geschoren.
:1 Aus Herders Nachlass I, S. 245.
*) Ebenso Lenz im Briefe an Herder (Aus Herders Nachlass I, S. 244):
«Hätte ich Grethens Winke nur eher verstanden! Sag' ihm das.»
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— 15
€ stum den Weg zum Vater >. 1
« Sobald mein Platz «in anderer ausfüllen kann, warum ihn
nicht verlassen? Sobald aber dies gethan ist, gehe ich. Es ist Gott,
der mich ruft. Im Frieden ist auch im Mil.» nichts zu thun für mich ».
« Quisquis ubique habitat maxime nusquam habitat ».
Die Worte Goethes an die Frau von Stein 3 «die Sache reissl
so an meinem Innersten, dass ich dadran wieder spüre, wie
tüchtig es ist und was aushalten kann» lassen die Schwere des
Vorfalls erkennen.
Der Streich, den sich Lenz hatte zu Schulden kommen
lassen, war gewiss kein sittlich tadelnswerter ; wie hatte sonst
der Theologe Herder die Vermittelung übernehmen können.
Goethe spricht von einer «Eselei», Wieland sogar nur von einer
«Impertinenz».* Deshalb konnte auch Lenz, indem er eine von
unbekannter Hand dargebotene Unterstützung mit Stolz zurück-
wies, von einem « unbewussten Verbrechen » reden und um
«Gerechtigkeit» bitten. Allein die Taktlosigkeit war nun einmal
begangen, die seinen weiteren Aufenthalt in Weimar unmöglich
machte.
Am 1. Dez. 1776 verliess Lenz Weimar, um bei seinem
treuen Freunde Schlosser, Goethes Schwager, in Emmendingen
bei Freiburg eine Zufluchtsstätte zu suchen. Aber ruhelos
schweifte er am Oberrhein umher. Wir finden ihn bei Lavater
in Zürich oder auf Gebirgsreisen in der Schweiz. Nachdem
hei Kaufmann in Winterthur Herbst 1777 der erste eigentliche
Wahnsinnsausbruch erfolgt war, tauchte er plötzlich bei Frie-
derike in Sesenheim auf und wird von da als tobsüchtig nach
Strassburg geschafft.» Den 20. Januar 1778 erscheint er in
bitterer Winterkälte vor der Thür des Menschenfreundes Ober-
lin im Steinthal, um aufs neue nach herzzerreissenden Selbsl-
• Vergl. das Gedicht «An meinen Vater. Von einem Reisenden., Tietk,
Lenz' Schriften III, S. 266.
8 Vergl. Brief Lenzens an Salzmann aus Kochberg 23. Oct. 1*76
(Stcober. Der Dichter Lenz S. 84) : Vielleicht sehen Sie mich einmal in her-
zoglich sachsischer Uniform wieder. Doch das unter uns.
3 GoBthes Briefe an Frau v. Stein I, S. 72.
4 Deutscher Merkur 1777 Juli S. 11.
— Der Junker zieht
Wie« Bruder L(enz)
Sich aus der ersten •
Impertinenz
Durch eine zweite.
& Gathe, Biographische Einzelheiten. Vgl. Falck, Friederike Brion S. 69.
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- 1(i -
mordssreiien 1 nach Strasburg und v«n da durch seinen Freund
Reederei' zu Schlosser nach Emmendingen gebracht zu werden.
Hier erreichten Lenzens Wahnsinnsausbruche den höchsten
Grad. Nachdem Klinger vergebens eine Kaltwasserkur mit dem
Unglücklichen versucht,» musste Schlosser den 8 April 1778
an Reederei* berichten : s
< Lenz hat ein Recidiv bekommen und ist nun ganz rasend. Er
mnss an Ketten liegen und wird täglich und Nachts von 2 Mann
bewacht Da sein Puls dabey ganz natürlich geht, so müssen wir
und der Arzt seine Manie für unheilbar halten. Wir sind nun ent-
schlossen ihn ins Frankfurter Tollhaus zu bringen, das mehr ein
Spital, als ein Tollhaus ist. Da soll wöchentlich 3 Gulden für gezahlt
werden. Rechne ich die Nebenkosten, seine bessere Verpflegung
dazu, so kans auf 20 Louisdor kommen. Ich werde in der Schweiz
und Colmar dafür Subscriptionen sammlen ; auch habe ich darüber
nach Weimar geschrieben. Suchen Sie doch auch in Strassburg durch
Sich oHer Salzmann was zu erhalten. Ich habe in der Zeit, als er
bey mir war. erstaunlich gelitten. Sein Tod würde mir der grösste
Trost seyn. »
Doch Hess Schlosser den Gedanken an das Frankfurter
Tollhaus lallen, als sich die Tobsucht in Truhsinn abschwächte.
Seitdem wurde Lenz auf Kosten seiner Freunde, zu denen
auch der Herzog von Weimar einen Beitrag stellte, zuerst
einem Chirurgus, später einem Schuhmacher Süss zur Pflege
übergeben, zu dessen Sohne Konrad der Arme eine unendlich
rührende Neigung gewann.
Endlich im Sommer 1779 rührte sich Lenzens Familie, an
welche sich Schlosser bereits das Jahr zuvor ohne Erfolg ge-
wandt hatle. Man kann es ihm, der soviel für den Unglück-
lichen gethan , wahrlich nicht verübeln , dass er in einem
Briefe an Sarasin seinem Unmut über das Verhalten des Super-
intendenten Lenz die Zügel schiessen Hess. «Der Herzog von
Weimar, schreibt er,* bezahlt die Kost. Aber sein Vater ist
ein eingefleischter Schurke, der mir gar nicht mehr antworte!,
seitdem ich ihm sagte, dass seine Schuldigkeit erfordere, Sorge
für seinen Sohn zu tragen.» Erst im Juli 1779 kam der ältere
1 A. Sta-ber. Der Dichter Lenz S. tl ff.
* M. Rieger, Klinger S. 259.
: * A. Stn'ber, J. G. Roederer und seiüe Freunde S. 69.
4 R. R. Ilagenbach, Jakob Sarasin und seine Freunde in den Beiträgen
zur vaterlandischen Geschichte IV, Basel 1850 S. 102.
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I
r
— 17 —
Bruder Karl Heinrich Goltlieb Lenz, um den Unglücklichen
über Lübeck nach Riga heimzuführen. Er fand ihn bis auf
eine unglaubliche Schüchternheit wieder hergestellt. Strass-
burg aber musste er, so leid es ihm that, mit ihm vermeiden.
Mit welchen Gefühlen er die Thürme von Riga wieder erblickte,
schildert der Arme in einem bewegten Abschiedsbriefe an Frie-
derike von Sesenheim. 1
Von da ab verliert sich unsere Kenntnis von des Dichters
Schicksal ins Ungewisse. Vergebens machte sich Lenz Hoff-
nung auf das Rektorat der Rigenser Domschule , auch die
Familie suchte sich seiner zu entledigen. Von Riga kam er
nach Petersburg, von dort nach Moskau, wo er eine kurze Zeit
als Hauslehrer lebte, um in immer tieferes Elend zu ver-
sinken. Man nannte ihn den kleinen oder verruckten Lenz; er
trank, machte Schulden, Anfälle von Wahnsinn wiederholten
sich, zuletzt hatte er keine feste Wohnung mehr. So fand man
ihn in einen alten zerrissenen Mantel eingehüllt am Morgen
des 24. Mai 1792 todt in den Gassen von Moskau. *
So starb ein grossbeanlagter Dichter, der eine Zeitlang neben
Goethe auf dem deutschen Parnass geglänzt hatte, als ein Opfer
der Sturm- und Drangperiode, deren eigentlicher Typus er noch
seinen Verdiensten und Schwächen genannt werden darf.
«Von allen verkannt, sagt sein Nekrolog, 3 gegen Mangel und
Dürftigkeit kämpfend, entfernt von allem, was ihm theuer war,
verlor er doch nie das Gefühl seines Wcrthes; sein Stolz wurde
durch nnzählige Demüthigungen noch mehr gereizt, und artete
endlich in jenen Trotz aus, der gewöhnlich der Gefährte der edeln
Arrauth ist. Er lebte von Almosen, aber er nahm nicht von Jedem
Wohlthaten an und wurde beleidigt, wenn man ihm ungefordert
Geld oder Unterstützungen anbot, da doch seine Gestalt und sein
ganzes Aeussere die dringendste Aufforderung zur Wohlthätigkeit .
waren.»
II. Goethes Urteil Uber Lenz.
Der Erste, welcher Lenzens Andenken der Vergessenheit
entriss, war Ludwig Tieck, welcher 1828 seine gesammelten
"Werke in einer allerdings unzulänglichen Ausgabe verölTent-
• Falck, Friederike Brion, Berlin 1884, S. "73.
Jegor v. Sievers, J. M. R. Lenz. Riga 1819.
Allgemeine Literaturzeitung 1792. Intelligenzblatt Nr. 99.
2
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— 18 —
lichte. Nach ihm haben Studier, Düntzcr, Dorer-Egloff, Falck,
Sivers und andere aus bisher ungedruckten Quellen das Lebens-
bild des Dichters zu vervollständigen sich bemüht.
Dennoch gilt noch heute von Lenz das geflügelte Wort:
«Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein
Charakterbild in der Geschichte.» Nachdem Gervinus in seiner
Literaturgeschichte 1 den Armen in dem Bewusstsein eines
Mannes, der auf den Schultern anderer steht, mit catonischer
Strenge abgekanzelt, leistete Gruppe, dem Vorgang Dorer-Eglofls
folgend, in einer phantasiereichen Monographie« dem unglück-
lichen Dichter den schlechten Dienst, Lenz über Lenz selbst
erheben zu wollen. In neuester Zeit hat Hettner in seiner Lite-
raturgeschichte des 18. Jahrhunderts das von Gervinus gefällte
Urteil im wesentlichen wiederholt,» dagegen Falck, Urlichs* und
Erich Schmidt^ den Wert des Menschen und Dichters in ein
besseres Licht zu rücken gesucht.
Immerhin ist eine schon von Goethe« ersehnte Darstellung
des Lenzischen Lebens und Dichtens in einer erschöpfenden
Arbeit noch nicht erschienen und kann naturgemäss so lange
nicht erscheinen, als der umfangreiche biographische und lite-
rarische Nachlass des Dichters, der vor und nach seinem Tode
verzettelt wurde, noch immer in Privathänden ruht.
Möchten doch die glücklichen Besitzer desselben ihre hand-
schriftlichen Schätze, auf deren Veröffentlichung die literarische
Welt nun so lange gespannt ist, ohne jede Anmerkung sofort
herausgeben. ' Es wäre damit der Wissenschaft ein ungleich
besserer Dienst geleistet, als mit jenen Angriffen, wie sie neuer-
dings auf die verdienstlichen Publicationen Falcks unternommen
worden sind. Denn verdienstlich ist jede Publication, welche
neues Material herbeischafft ; auf die Sicherung des Urleils
kommt es erst in zweiter Instanz an, und wird noch manches
Wasser ins Meer fliessen, ehe ein abschliessendes Votum in
J IV, S. 656 ff.
* Reinhold, Lenz Leben und Werke. Berlin 1861.
3 III, 1. S. 235 ff.
4 Deutsche Rundschau 1811, S. 254-292 : Etwas von Lenz.
•*» Lenz und Klinger, Zwei Dichter der Geniezeit. Berlin 18*78
6 Dichtung und Wahrheit III, 14. S. 146.
" In der Alsatia 1868 S. 1*74 verkündet Aug. Stoeber, dass Freiherr vnn
Maitzahn schon seit längerer Zeit eine Sammlung von Lenz' Gedichten und
kleinen Schrillen vorbereite. Heute schreiben wir 1887, ohne dass diese
Sammlung erschienen ist.
— 19 -
<ler selbst von Garthe als schwierig bezeichneten Lenz-Frage
erfolgen kann.
Da mithin die Quellen noch nicht abgeschlossen sind, kann
es auch nicht Zweck dieser Arbeil sein, eine auf die Erwägung
aller einschlägigen Momente gegründete Beurteilung des Dichters
Lenz zu geben ; nur einige wichtige Bausteine zu einer zu-
künftigen Biographie und zum Verständnis seiner in Strassburg
entstandenen Werke gedenke ich beizutragen, die, da sie aus
urkundlichem Materiale bestehen, ihren Wert in sich selber
bergen. Leicht mag es den glücklichen Besitzern des Lenz-Nach-
lasses sein, über Ereignisse seines Lebens sich kurzer Hand aus
den Papieren des Dichters zu belehren, schwerer wird es dem
Forscher in fremdem Lande, die Urkunden selbst erst aufzu-
spüren, aus denen sichere Schlüsse gewonnen werden können.
Für die Charakterisierung des Dichters Lenz ist von jeher
der Anfang des 14. Buches von Gerthes Dichtung und Wahr-
heit als klassischer Ausgangspunkt angesehen worden. Welche
Mühe hat sich hier der Meister psychologischer Malerei gegeben,
um das indefmible Wesen Lenzens in einen einigermassen si-
cheren Rahmen zu bannen. Goethe sagt dem früheren Freunde
einen entschiedenen Hang zu zweckloser Intrigue nach und
führt wie zum Beweise folgende seltsame Geschichte aus seinem
Leben an:
< Man hatte ihn mit livländischen Kavalieren 1 nach Strasshurg
gesandt und einen Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können.
Der ältere Baron ging für einige Zeit ins Vaterland zurück und
hinterliess eine Geliebte, an die er fest geknüpft war. Lenz, um den
zweiten Bruder, der auch um dieses Frauenzimmer warb, und andere
Liebhaber zurückzudrängen und das kostbare Herz seinem abwe-
senden Freunde zu erhalten, beschloss nun selbst sich in die Schöne
verliebt zu stellen oder, wenn man will, zu verlieben Er setzte diese
seine These mit der hartnäckigsten Anhänglichkeit an das Ideal, das
er sich von ihr gemacht hatte, durch, ohne gewahr werden zu
wollen, dass er so gut als die Uebrigen ihr nur zum Scherz und
zur Unterhaltung diene Desto besser für ihn ! Denn bei ihm war es
auch nur Spiel, welches desto länger andauern konnte, als sie es
ihm gleichfalls spielend erwiderte, ihn bald anzog, bald abstiess,
bald hervorrief, bald hintansetzte. Man sei überzeugt, dass wenn er
zum Bewusstsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen
1 In den biographischen Einzelheiten unter «Lenz« schreibt Goethe richtig:
• kurlündischen Edelleuten. .
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pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Glück
gewünscht habe.
« Mündlich und nachher schriftlich hatte er mir die sämmtlichen
Irrgänge seiner Kreuz- und Querbewegungen in Bezug auf jenes
Frauenzimmer vertraut; die Poesie, die er in das Gemeinste zu legen
wusste, setzte mich oft in Erstaunen, so dass ich ihn dringend bat.
den Kein dieses weitschweifigen Abenteuers geistreich zu befruchten
und einen kleinen Roman daraus zu bilden ; aber es war nicht seine
Sache, ihm konnte nicht wohl werden, als wenn er sich grenzenlos
im Einzelnen verfloss und sich an einem unendlichen Faden ohne
Absicht hinspann. >
Es ist erklärlich, dass man an die Existenz jener verliebten
Kreuz- und Querzüge, bei welchen Lenz eine wenig glänzende
Rolle spielte, im Interesse des Dichters nicht recht glauben
wollte. Gruppe ignorirt sie, Dorer-Egloff meint S. 155 : In die-
ser Erzählung scheint so viel Kombination zu liegen, dass man
es wohl niemanden verargen wird, wenn er in die Wahrheit
derselben einigen Zweifel setzt und glaubt, dass in der Erzäh-
lung nur ein Plan für einen zu schreibenden Roman, nicht aber
geschichtliche Wahrheit enthalten sei ; auch Erich Schmidt fühlt
sich geneigt, von einer «romanhaften Beichte» zu sprechen, i
Bei solchen Zweifeln ist es wohl gerechtfertigt, eine genaue
historische Untersuchung anzustellen ; handelt es sich doch nicht
nur um die Glaubwürdigkeit der Gcethe'schen Kritilj an einer
einzigen Stelle, sondern, da dieselbe einen Ausgangspunkt für die
ganze Beurteilung bildet , die man Lenz hat zu teil werden
lassen, um die Sicherung des Goethe'schen Urteils über Lenz
überhaupt.
III. Bisherige Dokumente.
Den zunächst zu liefernden Beweis, dass ein solches Liebes-
verhältnis des kurläudischen Barons in Wirklichkeit vorhanden,
hatte schon Dorer-Egloff in Händen. S. 179 seiner Schrift ci-
tiert er folgenden Brief Lenzens an Lavater vom Juni 1774, als
letzterer sich zur Badereise über Strassburg und Frankfurt nach
Schwalbach aufmachen wollte
' Lenz und Klinger S. 14.
a Ich gebe das Briefexcerpt nach der von Falck genommenen Abschrift
des Originalbriefe».
— 21 —
« Ich bin Gesellschafter eines Kurländischen Cavaliers der im
Bcgrif steht nach Hanse zurückzugehn, mich hier zu lassen. Ich
zählte darauf wen du laut deiner vorigen Briefe in drey— vier
Wochen abreisetest, er würde gegen diese Zeit verreist und ich frey
seyn. Also würden wir dir förmlich entgegen reisen, dich herholen
können etc. So aber muss grad itzt das Schicksal seinen jüngern
Bruder der bey einem andern Regiment steht mit seinem Regiment
gegen den Tag deiner Abreise hieherführen (den 11. haben sie Ordre
erhalten auszumarschiren) der Bruder erwartet ihn, um ihn noch
das letzte mal vor seiner Heimreise hier zu sprechen und ich in die
allergeringsten ihrer beyden Geschäfte verwickelt darf mich nicht
von ihnen trennen — besonders da diese Reise in dem ganzen
Lebenslauf des ältesten Epoque macht. »
Die geheimnisvollen Schlussworte, bezogen auf Gtethcs
Aeusserung «der ältere Baron ging für einige Zeil ins Vater-
land zurück und hinterliess eine Geliebte, an die er fest ge-
knüpft war» konnten Dorer-Egloff zu dem Schlüsse führen, dass
es sich bei jener Reise um die Einwilligung der Eltern in die
bürgerliche Ehe ihres Sohnes gehandelt haben möchte. .Ia, die
bezeichnenden Worte Garthes «er hinterliess eine Geliebte, an
die er fest geknüpft war,» konnten ihn zu der Vermutung
leiten, dass hier mehr als ein mündliches Versprechen gegeben
war. Und wirklich hat dies schriftliche Eheversprechen des Herrn
von Kleist auf Lenzens Einbildungskraft so grossen Eindruck
geübt, dass er, der, wie die Dichter jener Zeit überhaupt, seinen
Dichtungen reale Erlebnisse zu Grunde legte, dasselbe in seinem
Drama, «die Soldaten» und in dem kleinen Roman «Zerbin oder
die neuere Philosophie» verwertet hat.
Die Soldaten spielen eigentlich in Strassburg. Die nur auf
Strassburg passende «Rheinluft» 1 verrät dies, trotzdem zur Ver-
schleierung der Thatsachen als offizielle Oertlichkeiten Lille und
Annentieres figurieren. In Strassburg also liebt die bürgerliche
Marie Wesener den adligen Offizier Desportes, der zu ihren
Gunsten ein versiegeltes Eheversprechen bei einein Notar hinter-
legt hat, sie aber schmählich im Stich lässt. Marie geht in Lei-
denschaft und Elend zu Grunde, Desportes aber, der das Schick-
sal Weisslingens teilt, wird von Stolzius, Mariens verschmähtem
Bräutigam, der mit Lenz zusammen unverkennbare Züge zu
Brakenburg geliefert hat, aus Rache vergiftet.
1 Akt 11 Sc. 2.
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Zerbin ist Lenz selbst. Von Geliert empfohlen, wird der
junge Magister der Mathematik Mentor eines Grafen Altheim in
Leipzig, bei dem er, wie Lenz bei seinen kurländischen Baro-
nen, Wohnung und Tisch frei hat. Ihn und den sachsischen
Officier Hohendorf unterrichtet Zerbin in Mathematik und dop-
pelter Baukunst, wie denn auch Lenz sinh gern als einen Ken-
ner artilleristischer Wissenschaft ausgab. Nach allen dreien
wirft Renata Freundlach ihre Netze aus. Allein Hohendorf
zieht sich langsam zurück, cda er schon eine Frau hatte,
zwar nur von der linken Seite, der er aber ein besiegeltes
Versprechen, sie gleich nach seines Vaters Tode zu heirathen,
in den Händen eines königlichen Notars hinterlassen hatte.»
u. s. \v.
Wie Lenz in Zerbin, die beiden Kleist in Altheim und
Hohenthal, die Braut des ältesten Kleist in Renata wiederzu-
finden ist, so spielt in den Soldaten Lenz die Rolle des Feld-
und Sittenpredigers Eisenhardt, die Offiziere Desportes und
Mary sind die beiden Kleist, die Braut heisst hier Marie
Wesener.
Bei dieser quellenmässigen Uebereinstimmung — hier wie
dort wird die Liebesgeschichte und das notarielle Eheverspre-
chen des Kurländers der Angelpunkt des Ganzen — an der
Existenz jenes Eheversprechens zweifeln zu wollen, ist unstatt-
haft. Ueberdies schreibt Lenz im März 1776, nachdem er Strass-
burg verlassen hatte, aus Darmstadt an Herder,* dem er seine
Soldaten im Juli 1775 zugeschickt hatte:
Sub iuramento mysterii.
< Ich will Dir alles sagen, Herder ! Das Mädchen, das die Haupt-
figur meiner « Soldaten » ausmacht, lebt gegenwärtig in der süssen
Erwartung, ihren Bräutigam, das (sie !) ein Offizier ist, getreu wieder-
kehren zu sehen. Ob der's thut oder sie betrügt, steht bei Gott.
Betrügt er sie, so könnten die « Soldaten » nicht bald genug bekannt
gemacht werden, um den Menschen zu zerscheitern oder zu seiner
Pflicht vielleicht noch zurückzupeitschen. Betrügt er sie nicht, so
könnte vielleicht das Stück ihr ganzes Olück und ihre Ehre ver-
derben, obschon nichts als einige Farben des Details von ihr entlehnt
sind und ich das Ganze zusammengelogen habe — Das ist die
Bewandtniss : nun entscheide !
1 Aus Herders Nachlass, herausg. v. Düntzer u. Herder I. S. 239.
— 23 -
Wenigstens müsste in ein Zeitangsblatt gesetzt werden, das
Stück wäre von einem gewissen Theobald Steenkerk aus Amsterdam
geschrieben worden, damit wenigstens bei den Stadtwäschern, die
nichts weiter als Detail drin sehen, vor zu grossen Unverschämtheiten
eine Sperrkegel gelegt würde. Meine Exemplare kommen nicht aus
den Händen. »
« Dürfte ich doch fragen, ob Zimmermann oder Merck die Exem-
plare von « den Soldaten > bekommen hat, schreibt Lenz an Herder
aus Weimar den 9ten Juni 177B. * Ich habe selbst keins, auch
niemand schicken können und hier sind sie auch im Buchladen
nicht. Nach Strassburg dürfen sie nicht gehen. »
Endlich, als Lenz nach der Weimarer Katastrophe sich dem
Elsass wieder nähert, weiss derselbe seinen stärkeren Freund
Klinger, <lem es, wie er ihn kannte, eine Kleinigkeit sein
musste, sich mit einigen französischen Offizieren zu duellieren,
durch Bitten zu bewegen, die Autorschaft der bereits gedruckten
«Soldaten» auf sich zu nehmen.
Am 6. Marz 1777 schreibt letzterer an den Leipziger Ver-
leger Reich.« «Ich bin gegenwärtig genöthigt, Ew. Hoch. Edl.
zu melden, dass nicht Lenz, sondern Ich Verfasser der Soldaten
bin.»
Schon das Schablonenhafte dieser Erklärung lässt die Un-
wahrheit des Gesagten erkennen. Auch that Reich, der das
Lenz'sche Manuscript soeben gedruckt hatte, dem vermeint-
lichen Autor den Gefallen nicht, dessen Namen statt desjenigen
des Lenz zur Angabe der Autorschaft in den nächsten Messka-
talog zu setzen. Der berühmte Arzt Zimmermann, welcher im
Verein mit Herder den Druck bei Reich vermittelt hatte, kannte
den Grund, der Klinger auf Bitten seines schwächeren Freundes
veranlasst hatte, die gefährlichen Folgen der Autorschaft auf sich
zu nehmen. «Vermuthlich waren die Originale, schreibt er, in
Strassburg, wo er bis hierher gelebt hat und wo dieses sehr
unangenehme Folgen bei den dasigen Officiers für ihn hätte
haben können.»
Uebrigens hat später Klinger selbst am 17. Oktober 1819
in einem Schreiben an den durch seine Beschäftigung mit Lenz
bekannt gewordenen D r Dumpf in Euseküll in aller Form die
erheuchelte Autorschaft widerrufen :»
» Aus Herders Nachloss, I, S. 242.
2 M. Rieger, Klinger S.406; vgl. Archiv für Literaturgeschichte II, 245 IT.
3 M. Rieger, Klinger in der Sturm- und Drangperiode 1880 S. 222.
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— 24 —
« Lenz war in Strassburg und hatte die Soldaten, ein Lastspiel,
geschrieben. Auf einmal glaubte er wirklich Ursache zu haben oder
bildete es sich nur ein, er habe durch seine Comedie das franzö-
sische Militair sehr beleidigt, und dieses ginge mit dem Gedanken
am, Rache dafür an ihm zu nehmen. Er schrieb mir sehr ängstlich
and bat mich dringend, seinem Verleger zu schreiben, ich sey der
Autor des Stüks und er habe schon ohne meine Erlaubniss in
Strassburg dasselbe ausgebreitet. Weil ich nun glaubte, ihn am
besten von seiner Angst zu heilen, wenn ich seinen Wunsch erfüllte,
so schrieb ich an seinen Verleger und meine Antwort zeigt Lenzen
das Misstrauen, welches mir von seiner Seite diese Erfüllung ein-
Üös8te. Indessen der Verleger that nichts davon, das Militair dachte
nicht an Lenz und er hielt sich für sicher. >
Beziehen sich nun auch die von Lenz gefürchteten Folgen
lediglich auf die Schilderung: des lockeren I^ebens der Strass-
burger Offiziere, wie sie uns in den Nebenscenen der Soldalen
entgegentritt, so ist doch aus den erwähnten Briefen Lenzens
an Herder nicht, minder ersichtlich, dass auch der Kteist'sche
Liebeshandel, den er dramatisiert hatte, ihm Sorge verursachte.
Deshalb sollten die Soldaten, wie Lenz am 20. November 1775
an Herder von Strassburg schrieb, 1 nicht binnen Jahresfrist
gedruckt werden, weil erst nach Ablauf dieses Termines das
Glück jener Sti-assburger Dame, der Braut des Barons von
Kleist, gesichert schien.
Nach diesen Ausführungen ist das Kleist'sche Eheverspre-
ehen, welches den Lenz'schen Dichtungen zu Grunde liegi, eine
historisch beglaubigte Thatsache. Dass aber Gcethe nicht nur
das Eheversprechen kannte, sondern auch über Lenzens seltsames
Eingreifen in diese Liebesangelegenheit so genau unterrichtet sein
konnte, wie er in Dichtung und Wahrheit verrät, dafür haben
wir seit 1877 eine ausführliche Urkunde an dem Tagebuch des
Dichters Lenz aus dem Jahre 1774, welches, in langjährigem Be-
sitze GaMhes, sämmtliche Irrgänge der Kreuz- und Querbe-
wegungen mit jener Strassburger Bürgerstochter enthält.
Ohne Zweifel hat sich jenes Tagebuch unter denjenigen
Lenziana befunden, welche G^lhe im Jahre 1797 zur Veröffent-
lichung an Schiller geschickt hat. Der kleine Boman «Der Wald-
bruder ein Pendant zu Werthers Leiden» erschien in den
Hören 1797, «Die Liebe auf dem Lande» im Musenalmanach
1798; das Tagebuch jedoch blieb liegen, bis es Urlichs in der
1 Aus Herders Nachlass I, S 234.
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— 25 —
Originalhandschrift des Dichters im Schillerarchiv zu Greifen -
stein entdeckte und in der deutschen Rundschau 1877 ver-
öffentlichte.
Das ursprunglich, wie Lenz selbst angriebt, in fremder,
wahrscheinlich in italienischer, Sprache abgefasste und dann für
Goethe ins Deutsche übersetzte Tagebuch, umfasste 30 Herbst-
tage des Jahres 1774. Wer noch irgend einen Zweifel an der
Existenz jenes Kleist'schen Verlöbnisses hegen wollte, musste
schon durch die Einleitung eines Besseren belehrt werden.
Nach dieser hatte der verliebte Baron, dem Lenz den ehren-
vollen Namen «Scipio a verleiht, als ein Freier für «Araminta»
erschien, sie und die Eltern durch ein schriftliches Eheverspre-
chen und Verschreibung einer ungemein hohen Summe Geldes
zur Sicherheit, welche Verschreibung bei einem königlichen
Notar versiegelt niedergelegt ward, dahin gebracht, letzterem
den Abschied zu geben. In dem Eheversprechen hatte er unter
anderem sich verpflichtet, in höchstens einem Jahre zu seinem
Vater zu reisen und dessen Einwilligung auszuwirken.
Im übrigen enthält das Tagebuch folgende historisch lixir-
bare Einzelheiten: Die Ereignisse spielen in Strassburg. Das
Haus, in welchem Aramintens Eltern wohnen, steht am Parade-
platz 1 (dem heutigen Kleberplatz). Auf diesem Platze unter
Aramintens Fenstern spaziert Lenz mit einem guten Freunde
S— n (Salzmann) auf und ab. * Am Abend des '24. Tages ist
er mit dem Freiherrn von Hompesch und dessen Mentor, dem
Dichter Werthes, im Hotel zum Geist an der Nikolausbrücke
zusammen 3 und schreibt am 30. Tage einen Brief an Goethe
aus Jungfer Lauths Hause in der Krämergasse. * '
Wie Ulrichs nachgewiesen, spielen die Ereignisse im Sep-
tember und Oktober 1774. * Das Jahr lässt sich aus Jacobis
Briefwechsel durch die Anwesenheit jenes Freiherrn von Hom-
pesch in Strassburg, der Monat durch die in dem Tagebuch
erwähnte Weinlese bestimmen. Dass die Barone, deren Gesell-
schafter Lenz war, von Kleist hiessen, ergeben die Briefe des
Dichters an Salzmann. 6 «Es sind ihrer drei, » bemerkt Lenz
selbst im Tagebuch, i Der älteste, mit dem Beinamen Scipio,
war der Bräutigam, mit dem zweiten hatte Lenz den Sommer
1772 in Fort- Louis und Landau zugebracht, der jüngste wird
> S. 280. * S. 275. 3 s. 285. 4 s. 292. '> S. 255
6 A. Stoeber, Der Dichter Lenz. "> S. 284.
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_ 26 —
n dem Tagebuch unter dem Namen «Schwager» eingeführt.
Den Namen der Eltern der Braut erfahren wir ebenso wenig,
wie denjenigen der älteren Schwester, die als eine gefeierte
Konzertsängerin in Strassburg erwähnt wird. Die Braut selbst
wird zwar im Tagebuch «Araminta» genannt, doch ist dieser
Name gewiss el>enso erfunden, wie derjenige «Scipio» für
ihren Bräutigam. Nur an einer einzigen Stelle (S. 277) nennt
Lenz aus Absicht oder Vergesslichkeit % Araminta auch «Cleph-
<-hen» ; ob letzterer der wahre Name sei, bleibt einstweilen
dahingestellt.
Der indirekte Beweis also, dass jenes Kleist'sche Verlöb-
nis in Wirklichkeit existiert habe, ist somit erbracht. Wenn
demgemäss aber v. Löper in Anm. 524 zu Dichtung und Wahr-
heit erklärt : «das Thatsäehliche der ferneren Erzählung von
Lenz und der Kurländer Liebesverhältniss ist nicht ermittelt,»
so reizt er dadurch den Historiker, auch den direkten Beweis
der Thatsachen zu erbringen.
Wäre es nicht möglich, so fragte ich mich, die bisher
unbekannten Namen und Lebensschicksale der Beteiligten zu
erforschen, damit die geschichtlichen Voraussetzungen des
Ga»the'schen Urteils über Lenz für alle Zeiten beglaubigt würden?
Manche Beweismittel für jene entfernte Zeit sind zwar in den
Revolutionsstürmen von 1793 und im Bombardement von 1870
für immer zu Grunde gegangen, allein es bleiben uns noch
Standesregister, Stadtplan von 1765, die Akten des städtischen
und des Bezirksarchivs sowie die reichen Hülfsmittel der in
der hiesigen Universitäts- und Landesbibliothek enthaltenen
Heitz'schen Bücher- und Handschriften-Sammlung. Versuchen
wir es deshalb, Alt-Strassburg vor 100 Jahren von den Toten
zu erwecken, vielleicht ist der Erfolg der Bemühungen wert !
IV. Neue Dokumente.
1. Name und Wohnung der Familie.
Pllegte Lenz nach seinen eigenen Worten die Details seiner
Dichtungen der Wirklichkeit zu entlehnen, so ist der Vater der
Braut nach dem Tagebuch Kaufmann, nach dem Personenver-
zeichnis der Soldaten Galanteriehändler, nach dem Inhalt des
Stückes aber Juwelier gewesen.
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- -27
Akt I Sc. 8 :
Wesener : Wie befinden sich denn die werthen Eltern, w erden
die Tabatieren doch erhalten haben —
Desportes: Ohne Zweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen. Wir
werden auch noch eine Rechnung miteinander haben, Vaterchen.
Wesener : 0 das hat gute Wege, es ist ja nicht das erstemal.
Desportes : Apropos, lieber Wesener ! wollten Sie mir doch nicht
einige von Ihren Zitternadeln weisen ?
Wesener : Sogleich (geht hinaus).
(Wesener kotnml mit eiuer grossen Schachtel Zitternadeln).
Wesener: Sehen Sie, da sind zu allen Preisen — diese zu
100 Thaler. diese zu fünfzig, diese zu hundertfunfzig, wie es
befehlen.
Der Juwelierladen befand sich in demselben Hause.
Akt II Sc. 3 :
Wesener : Zeig mir her den Brief — ich will ihn unten im Laden
lesen.
Im Tagebuch ist die allere der beiden Schwestern eine
gefeierte Konzertsängerin in Strassburg ; sie singt italienische
Arien, deren Text Lenz übersetzt. «Ich traf auf den Vater,
schreibt Lenz S. 27^, dem ich einige Höflichkeiten machte
wegen des Vergnügens, das uns gestern seine älteste Tochter
gegeben, die das erstemal öffentlich zum Bezaubern gesungen
hatte.»
Dass das Tagebuch Ereignisse des Septembers 1774 berich-
tet, wurde oben erwähnt. Nun erzählt der Erbprinz Karl
August zu Sachsen- Meiningen, welcher im Jahre 1775 mit
seinem jüngeren Bruder Georg zu seiner Ausbildung in Strass-
burg verweilte, in seinem Tagebuch 1 manches über Strassburger
MusikaufTührungcn, zum Beispiel unter dem Datum Ostersonntag
den lü. April folgendes :
« Um 5 Uhr fuhren wir nach dem Boeil 2 des Cordonniers wo
eine Gesellschaft von Musikliebhabern worunter auch grosse Meister
waren ein Concert Spirituel gab Zur Bestreitung der Unkosten,
1 Dieses interessante Tagebuch, aus welchem L. Hechstein, in seinen
• Mitteilungen aus dem Leben der Herzoge zu Sachsen-Meiningen, Halle
1856., einige Bruchstücke veröffentlichte, wird, nachdem mir Seine Hoheit
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— 28 —
indem sie den grossen Saal haben decoriren lassen und viele neue
Musik hatten kommen lassen, musste die Person für die Entree
3 Livres bezahlen. Beim Eintritt in den Saal wurden gedruckte
Verzeichnisse von Stücken gegeben so gespielt wurden, und ich
schicke hier ein solches mit. Niemand hatte sich von dem Concert
eine grosse Idee gemacht da die von den vorigen Jahren schlecht
gewesen waren und da man überhaupt hier gegen die deutsche
Musik eingenommen ist die diese Gesellschaft im gusto bringen will.
Von der Noblesse waren auch aus diesen Ursachen nur 2 Damens
nehml. Madame de St-Marcin und Madame de Barbies de Sinon da,
das andere waren lauter Offiziers und viele Personen von Condition
aus der Stadt so dass doch über 200 Zuschauer waren. Es war
schon so voll als wir hinkamen dass wir keine Plätze mehr fanden.
Doch durch die Höflichkeit zweier Offiziers von Cravatte bekam ich
einen Stuhl und ich fand dass ich neben diesen 2 Herrens sehr gut
placiret war denn sie hatten Verstand und Artigkeit Das Concert
selbst war so ausserordentlich schön dass es niemand bereute da
gowesen zu sein. Alles war entzückt als Stamniz und Richter nebst
andern vortreflichen Meistern sich hören Hessen und besonders da
Mademoiselle fibig eine Goldschmidtstochter von hier die nur
6 Monathe gelernt hat ihre ganz ausserordentlich vortrefliche
Stimme in einer Italiänischen Arie von Piccini hören Hess. Es waren
sehr viele Offiziers bei dem Orchester welches alles fast Virtuosen
sind, das Orchester war über 40 Personen stark. Das Concert währte
bis l ji 10 Uhr Abends da man denn sehr zufrieden nach Hause
kehrte. Es haben sich sehr viele Leute geärgert dass sie nicht
haben wollen hineingehen und man hoft dass die Gesellschaft bald
wieder eins geben wird. Ich war sehr froh dass ich dieses Vortref-
liche gehört habe welches so schön ist dass es über alle Vorstellung
geht. »
Dass sich der Erbprinz in dem Namen der Sängerin nicht
geirrt, beweist eine Stelle in einem Briefe Blossins an Heederer
nach Göttingen, Strassburg den 9. December 1776 M
« Manch schönes Weib singt hier seine Arien. Bei Gelegenheit
von Singen mus ich Ihnen sagen, dass das Concert auf der Möhrin 2
so vortrefflich seye, als möglich, und dass unter anderen Mdlle. Fibich
neulich mit lautem allgemeinem bewundernden Beyfall gesungen haben.»
1 Aug. Sueber, J. G. Heederer und seine Freunde S. 156.
4 Hautemer, Description de la Ville de Strasbourg 1*785 p. 106 • Le poele
de la Mauresse. On teuoit encore dans cette salle les asseinblees de musi<|ue
ou Concerts • Heutiges Cate de la Mauresse auf dein Alten Fischmarkt. Die
Universitätsbibliothek zu Strasshurg besitzt in der Heitz'sohen Ausichten-
sammlung ein altes Aquarell, welches das Gebftude im wesenilicheu so dar-
stellt, wie es noch heule aussieht.
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— 29 —
Die Vermutung, dass die Strassburger Familie, in welcher
Lenz und die Kleists verkehrten, die Familie des Goldschmieds
Fibich gewesen, lag mithin sehr nahe.
Da nach dem Tagebuch das Haus derselben am Paradeplatz
(Kleberplatz) gestanden haben soll, so nahm ich auf dem hie-
sigen Stadthause das älteste, bis ins Jahr 1791 zurückreichende
Grundbuch des vorigen Jahrhunderls zur Hand, in der Vor-
aussetzung, dass ein Juwelier nach den Verhältnissen jener Zeit
auch Hauseigentümer gewesen sein müsse, und fand nach
längerem Suchen, indem ich die Strassen der Stadt durch-
musterte, als Besitzer des Hauses Rue du Dome nr. 3 (nach
der amtlichen Vergleichungstabelle 1 heutige Nr. 22 in der
Münstergasse) eingetragen Fibich Jean Philippe Jouaillier de-
meurant dans la rue de l'Outre nr. 1 (heutige nr. 1 Schlauch-
gasse). Letztere Gasse mündet bekanntlich von Osten auf den
Kleberplatz.
Da nun in demselben Grundbuch unter nr. 42 Rue vis-a-
vis de la Place d'armes (jetzige nr. 15 an den Gewerbslauben)
nichts anderes eingetragen steht als maison comprise au nr. 1
rue de l'Outre, so ist bewiesen, dass nr. 15 an dem Kleber-
platz und nr. 1 in der Schlauchgasse, welche noch heute zu-
sammen ein Eckhaus ausmachen, auch im vorigen Jahrhundert
ein und dasselbe Anwesen waren, was auch durch den
Blondeischen Stadtplan von 1765 bestätigt wird. Noch heule
hat das Haus Kleberplatz 15 seinen Treppenaufgang Schlauch -
gasse nr. 1.
Trotzdem Juwelier Fibich ein eigenes Haus in der Mün-
stergasse besass, hatte er doch für sein Geschäft die coneur-
renzfreie Lage am Parade- oder Kleber- oder Barfüsserplatz vorge-
zogen und daselbst im Eckhaus an der Schlauchgasse den Laden
und zur Wohnung die zweite Etage mit den darüber befindlichen
M.insardekammern von dem Banquier Johannes Braun gemietet.
Diese Lehnung, stets erneuert, zieht sich, wie ich fand, durch
die Kontraktbücher * des Stadtarchivs a. 1748 Fol. 568a, a. 1751
fol. 548, a. 1760 fol. 159a, a. 1772 fol. 417 b.
' Tableau concernant l'Etat ancien des Inscriptions des rues et du
Num^rotage des Maisons, puhlie" d 'apres les documents fournis par l'Admi-
nistratioo municipale. Strasbourg 1858.
? Die Kontraktstube des Kathauses, in welcher abwechselnd zwei von
der Stadt angestellte Notare beschäftigt waren, diente den Bürgern zur Ab-
schliessung notarieller Akten.
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- 30 -
Kontraktbuch 1772 fol. 417 b.
Erschienen Hr. Exsenator Johannes Brann der Banquier dahier,
dieser hat in gegenseyn H. Rathherr Johann Philipp Fibich des
Juweliers angezeigt and bekannt, das er H. Braun vor sich, seine
Erben ihrae H. Fibich aufrichtig und redlich verliehen, der auch für
sich und seine Erben gleicher gestalten entlehnt zu haben bekannt-
lich wäre In sein H. Verlehners eigentümlich zuständig allhie zu
Strasburg gegen dem barfüsser platz über ane der Schlauch gass
gelegenen Behaussung unten auf dem Boden die zwey an einander,
stossende Laden nebst der Kuchen darinnen sich die Ess befindet,
ferner auf dem zweyten Stock des Vordem Hauses Eine Stub,
Kaminkammer, Kinderstüblein, Kuchen und Haussehren, in der
Mansarde darüber fünf Cammern und einen theil des aschkastens
wie auch den gebrauch des Haussehrens. Item auf der ersten Bühn
dieses Stocks die in den Hof gehende schwarze getüch Cammer,
Item in dem Hinterhauss den Vorkeller etc. etc.
Jenes Haus, Nr. io am heutigen Kleberplatz und gleich-
zeitig Nr. I in der Schlauchgasse, in dessen unterem
Stock sich seit mehreren Jahren ein grosses Kleidergeschäft be-
findet, ist eines der vielen Häuser Strassburgs, deren Facade
noch heute den Baustil der Zeit Ludwigs XV. verrät. Dieser
Stil ist vor allem durch die Form der Fenstern kenntlich, an
deren geschweiftem Oberrande ein verzierter Mittelstein einge-
fügt ist. Solche Häuser giebt es in Strassburg sehr viele; sie
beweisen dem aufmerksamen Beobachter, welchen baulichen
Aufschwung Strassburg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts
genommen hat, so dass die oft belächelte Benennung der «wun-
derschönen Stadt» für jene Zeit ihre Berechtigung verdient. 1
4
l In einem Zeitraum von kaum 40 Jahren (1720-1755) entstanden das
ehemalige bischöfliche Palais (das heutige Schloss- oder Bibliotheksgebäude ,
das Hessen-Darmstädtische Palais (das heutige Stadthaus), welches Landgraf
Ludwig VIII. nach Besitzergreifung der ererbten elsässischen Grafschaft
Hanau- Lichtenberg 1736 hat erbauen lassen, das Palais des Prätors Gayot
(der spätere ZweibTückerhof), das Palais des Prätors Klinglin (die spätere
Intendanz und Präfektur, das heutige Statthaltergebäude), der Dompropsteihof
(das heutige Gouvernement in der Blauwolkengasse), das damalige Gouverne-
ment (an der Stelle des beutigen Justizgebäudes in der Blauwolkengasse), der
Neuweiler Hof (heutiges Postgebäude am Pariser Staden), der Hof des Abts
von Mauersmünster (die heutige Polizeidirektion in der Brandgasse), das
Jesuitenkollegium (heutiges Lyceum) und die königliche Reitbahn (das heutige
LendesgesUU in der Elisabethgasse). Siehe Hermanu, Notices historiques sur
la ville de Strasbourg, 1817.
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— 31 —
Die gesteigerte private Bauthiitigkeit und der Zusammen -
fluss vieler Fremden in Strassburg veranlasste schliesslich den
Magistrat, sich den Architekten Ludwigs XV. Professor J. F.
Blondel aus Paris kommen zu lassen, welcher den Auftrag er-
hielt, die noch mittelalterliche, "krumme und winklige Stadt nach
einem neuen Alignement gerade zu legen. Go'the, der als Stu-
dent diese Umwandlung miterlebte, welche manche heitere Be-
merkung im Kreise seiner Kommilitonen hervorrief, erzählt uns
in Dichtung und Wahrheit über Blondeis Vorschlag : 1
< Dieser genehmigte, aber nicht auf einmal in Ausführung zu
bringende Plan sollte durch die Zeit seiner Vollständigkeit entgegen-
wachsen, indessen die Stadt wunderlich genug zwischen Form und
Unform schwankte. Sollte zum Beispiel eine eingebogene Strassen-
seite gerad werden, so rückte der erste Baulustige auf die bestimmte
Linie vor, vielleicht sein nächster Nachbar, vielleicht aber auch der
dritte, vierte Besitzer von da, durch welche Vorsprünge die unge-
schicktesten Vertiefungen als Vorhöfe der hinterliegenden Häuser
zurückblieben. Gewalt wollte man nicht gebrauchen, aber ohne
Nöthigung wäre man nicht vorwärts gekommen, deswegen durfte
Niemand an seinem einmal verurtheilten Hause etwas bessern oder
herstellen, was sich auf die Strasse bezog. >
<In wieweit jener Vorsatz, so schliesst Goethe seinen Bericht,
durch die lange Zeit begünstigt worden, wüsste ich nicht zu sagen. »
Wir sind in der Lage, darauf zu antworten, dassdie Pläne
Blondels schon aus Gründen enormer Kostspieligkeit nicht in dem
Maasse, als dieser erwartet halte, verwirklicht werden konnten. 8
Wohl verdankt die nördliche Langseite des Kleherplatzes mit
der Hauptwache und der Auhette den Bemühungen Blondels
ihre Entstehung, während bis dahin Reste des ehemaligen
Barfüsserklosters den Platz verunziert hatten und der Pfennig-
turm die Verbindung zwischen Gewerbslauben und Meisengasse
verengte. Allein noch stehen beispielsweise die Häuser Nr. 27
am Kleberplatz, Nr. 29 an den Gewerbslauben untl Nr. 12 am
Alten Kornmarkt, letzteres mit der Jahreszahl 1768 und dem
Bilde Friedrichs des Grossen, des königlichen Flötenbläsers, in
1 II, 9. S. 149. v. Löper Anm. 341 bedauert ; «Das vermutblich archi-
tektonische Werk, dem Garthe seine so genauen Angaben über den damaligen
Bauplan der Stadt entnommen, haben wir nicht ermittelt.» Dem gegenober
bemerke ich, dass Guethe die Blondelschen Plane vom J. 1765 vorgelegen
haben werden, von denen ein Exemplar sich in der Strassburger Universitäts-
bibliothek, ein anderes vollst&nüigeres auf dem Städtischen Bauamte beGndet.
2 Vergl. Hermann, Notices historiques 1, S. 310 u. 377.
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- 32 —
der Fensterrosette geschmückt, ganz allein in die von Blondel
gezogene Strassenlinie hinausgeruckt, während ihre Nachbaren
die alte Strassenflucht und damit ein breiteres Trottoir zu be-
halten vorzogen.
Auch das von der Familie Fibicb bewohnte Braun'schc
Haus an der Ecke des Paradeplalzes, welches auf dem Blon-
delschen Plane von 1765 zu gunsten einer Gradlegung der
gewundenen Schlauchgasse ein bedeutendes Eckstück hätte ver-
lieren sollen, blieb von einem Umbau verschont und in seiner
früheren Gestalt bis auf unsere Tage erhalten.
Ein in der Heitz'schen Ansichtensammlung der hiesigen
Universitätsbibliothek erhaltenes Aquarell, welches die Nord- und
0>tseite des Paradeplatzes vor seiner Urngestaltung durch Blon-
del darstellt, zeigt uns nicht nur das Barfüsserkloster und den
Piennigthurm, sondern auch die Fibich'sche Wohnung an der Ecke
der Schlauchgasse mit derselben Etagenzahl und Dachformation
wie heute.
2. Die Mitglieder der Familie Fibich.
Nachdem somit die Fibich'sche Wohnung am Kleberplalz
gefunden war, vertierte ich mich, in der Gewissheit, dass
Baron v. Kleist, aus jener kurländischen, ursprünglich pommer-
schen Adelsfamilie, Protestant gewesen und in der Annahme,
dass die Familie seiner Braut, weil nichts anderes bemerkt ist,
dieselbe Religion geteilt haben möchte, in die protestantischen
Kopulations- Tauf- und Sterberegister der Stadt Strassburg. Dass
die sammtlichen Pfarrbücher seit der französischen Revolution
auf dem Stadthause vereinigt worden, erleichtert die Untersu-
chung, wenn auch andererseits der Umstand, dass die Prote-
stanten nicht wie die Katholiken in besondere Kirchen einge-
pfarrt waren, die Forschung wiederum erschwert. Dennoch fand
ich nach längerem Suchen allmählich die ganze Familie Fibich :
Nach dem Hochzeitsregister von St. Thomas Bd. 123 *
fol. 70« sind am Mittwoch d. 12. Febr. 1749 copuliret und ein-
gesegnet worden Herr Johann Philipp Fibich, lediger Gold-
arbeiter, weyl. Herrn Jacob Fibich, gewesenen treu eifrigen
Diaconi, der Evangel. Gemeind zu St. Aurelien hinterlassener
ehl. Sohn und Jungfr. Susanna Catharina Sebischin, weyl Herrn
l Ich citiere die Register zur Erleichterung der Kontrolle nach der
laufenden Bandezahl.
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■ V'tiH'frtiir
- 33 —
Georg Friderich Sebisch, gewesenen Handelsmanns und Burgers
allhier hinterlassene eheliche Tochter. Johann Philipp Fibich als
Hochzeiter, Susanna Catharina Sebischin als Hochzeiterin, Jacob
Daniel Fibich als Bruder, Simon Kürssner als beystand, M. Jon.
Phil. Jnng diac. Thom. m. p. p.
Dieser Ehe entsprossen im ganzen 6 Kinder:
1) Louise Catharina Fibich, geb. d. 4. März 1750.
Taufregister von St. Thomas Bd. 254 fol. 350 a : Mittwoch
den 4. Marth Abends um halb 6 Uhr ist gebohren und Freitag
den 6 ejusd. getauft worden ein Töchterlein mit nahmen Louisa
Catharina Dessen Eltern seind Hr Johann Philipp Fibich. Gold-
arbeiter und Burger allhie u. Fr. Susanna Catharina, gebohrene
Sebischin, seine ehel. Hausfrau. Die Taufzeugen sind H Nicolaus
Daniel Sebisch, lediger Handelsmann, weyl. H. Georg Friderich
Sebisch, gewesenen Handelsmanns und Burgers allhie hinterlass-
sener ehel. Sohn. Fr. Anna Louisa H. Jacob Daniel Fibich.
Caffetier und Burgers allhie ehel. Hausfr. u. Jungfr. Marie Cleophe
Kamin, Herrn Johannes Kamm Gastgebers u. Burgers allhie
eheL Tochter Folgen die Unterschriften, zuletzt M. Johannes
Georgius Schweighäuser Diac Thom. m. p.
2) Johann Philipp Fibich, geb. d. 19. April 1751.
Taufregister der Neuen Kirche Bd 229 fol 595: Montag
d. 19. Apr. morgens um 8 Uhr ist H. Joh. philipp Fibich Gold-
arbeiters u. Bürgers allhie ehl Hausfr. Anna Catharina g Sebi-
schin eines Söhnleins genesen welches folgenden Mitwoch getauft
undt Joh. Philipp genennt worden Patr. H. Eberhard Capaun
Amtsschreiber und Burger allhie, H. Joh. Martin Lentz, Burger
allhie undt Jfr. Catharina Margaretha weyl. H. Georg Friederich
Sebisch Handelsmann und Burgers allhier ehl. Tochter. Folgen
die Unterschriften, zuletzt Georgias Valentinas Holzburger, Diac.
3) Susanna Cleophe Fibich, geb 13. Nov. 1764.
Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 foL 78 : Mittwoch
d. 13. Nov. morgens gegen 8 Uhr ist Hr. Joh. philipp fibich
Goldarbeiters u. B. allh. ehl. Hausfr. Susanna Catharina g. Sebi-
schin eines Töchterleins genesen, welches folgenden freytag
getauft und Susanna Cleophe genennet worden. Patr. H. Joh.
Daniel Braun ledigen Handelsm. H. Joh. Braunen E. E. grosen
Raths alten Beysitzers ehl. Sohn. Fr. anna Maria g Schätzelin
H. Georg Heinrich Baeren M. D. u. Practici ehl. Hausfr. Jfr.
4 Susanna Margaretha weyl. H. Joh. Jacob Walthers Handelsm
u. B. allh. ehl. Tochter. Folgen die Unterschriften, zuletzt Joh.
Fried. Griesinger Diac.
3
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- 34 —
4) Margaretha Elisabeth Fibich, geb. d. 2. Aug. 1756.
Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 220 : Montag
d. 2. Aug morgens um C Uhr ist H. Joh. philipp Fibichs Gold-
arbeiters und B. allhier ehl. Hausfr. Susanna Catharina g. Sebi-
schin eines Töchterl genesen welches folgenden Dienstag getauft
und Margaretha Elisabeth genennt worden. Patr. H. abraham
Braun lediger Handelsm. weyl. H. Joh. Daniel Braunen Handclsm.
u. E. E. grosen Raths alten Beysitzers ehl. Sohn. Fr. Marga-
retha Elisabeth g. Silberadin H. Joh. Martin Lentzen 1 B allhie
ehl. Hausfr. Jfr. Catharina Margaretha H. Joh Kamm Gast-
gebers undt E. E. grosen Raths Beysitzers ehl. Tochter. Folgen
die Unterschriften, zuletzt: Georgius Valentinus Holtzburger,
Diac.
5) Joh. Daniel Fibich, geb. 23. Apr. 1759.
Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 439 : Montag
d. 23. April morgens gegen 3 Uhr ist H. Joh. philipp Fibich
Goldarbeiters und B. allh ehl. Hausfr. Susanna Catharina
g. Sebischin eines Söhnleins genesen welches folgenden Dienstag
getauft und Joh. Daniel genennt worden. Patr. H. Joh. Friedr.
Lobstein Not jur. und B. allh. H Joh. daniel Schweickhäuser
not jur. und B. allh. Fr. Catharina Elisabeth g. roedererin,
H. Georg frieder. Imlins Goldarbeiters u. B. allh. ehl. Hausfrau.
Folgen die Unterschriften, zuletzt : Joh. Frid. Griesinger, Diac.
6) Dorothea Friderika Fibich, geb. 24. Febr. 1765.
Taufregister der Neuen Kirche Bd. 231 fol. 356 : Zur Noth
getauft und verstorben. Im Jahr Christi Ein Tausend Sieben
Hundert sechzig und fünf Sontag den Vier und zwanzigsten
Februarii morgens um 10 Ühr wurde ein Töchterlein gebohren,
ao wegen groser Schwachheit zu Haus getauft und Dorothea
Friederica genennt worden. Dieses Kind verstarb den folgenden
Tag und wurde also in öffentlicher Gemeinde nicht fürgetragen.
Die Eltern desselben sind : Herr Johann Philipp Fibich Gold-
arbeiter und Burger allhier : und dessen Ehefrau Susanna
Catharina gebohrene Sebischin. Testatur J. P. Fibich als Vatter.
M. Johannes Hermann Diaconus m. p.
1 Joh. Martin Lentz, der zweimal bei den Fibisch 'sehen Kindero als
Taufpathe vorkommt, war .Bestatter im Kaufhause, und erstand laut Kmitrakt-
buch a. 1758 fol. 80 b mit Fibich und Mettger Johann Daniel Pftrllinger
• Lustbaus und Menagerie» des unglücklichen Prütors Klingiin vor dem Melzger-
thore. Joh. Martin Lentz war den 28. Sept. 1722 (Wilh. Kirche!, sei» Vater
Andreas Lentz 1665 (Jung St. Peter) geboren, auch der Grossvater Hans
Michael Lentz war bereits Strassburger Bürger. Demnach ist eine Verwandt-
schaft mit dem Dichter Lenz, an die ich zuerst dachte, wohl von der Uacd
zu weisen.
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— 35 —
Der Sterbeakt steht eingetragen Sterberegister d. N. K. Bd.
184 Fol 29. Auch die Leiden vorher geborenen Kinder starben
in jugendlichem Alter : Margaretha Elisabeth, 2 M. 4 T. alt d.
7. Okt. 17561 und Johann Daniel, 9 Jahr 2 M. u. 20 T. alt
am 19. Juli 1768 Mithin waren zu Lenzischer Zeit in Strass-
burg (1771-1776) nur noch die drei ältesten Kinder am Leben,
nämlich :
1) Luise Katharina, gest. d. 17. ApriH805 (27 Germ. XIII). 3
2) Johann Philipp, gest. d. 10 Dez. 1804 (19 Frim. XIII). *
3) Susanna Cleophe, gest. d. 24. Dez. 1820.«
Luise Katharina, die älteste Tochter, ist die gefeierte Sän-
gerin, Cleophe ist das Clephchen des Tagebuchs und der Bru-
der Johann Philipp kommt, wenn auch nur an einer einzigen
Stelle, in den Soldaten zur Erwähnung, da der alte Wesener
Akt V. Sc. 1. ausruft:
« Mein armes Kind hat mich genng gekostet, ehe sie zur Gräfin
kam, dass mnsste immer die Statsdame gemacht sein nnd Bruder
und Schwester sollen's ihr nicht vorzuwerfen haben. »
Eine verheiratete Schwester wie Urlichs S. 257 aus dem
Tagebuch S. 273 geschlossen, ist neben Katharina und Cleophe
niemals vorhanden gewesen. Der kleine Neffe, den letztere zum
Konzert anputzt, muss — eine nahe liegende Verwechselung —
ein kleiner Vetter gewesen sein. Auch Weseners alte Mutter,
welche am Schluss des 2. Aktes der Soldaten auftritt, war zur
Zeit, als das Drama entstand, nicht mehr am Leben, da sie
bereits im Sterbeakt ihres älteren Sohnes Jacob Daniel Fibich
vom 12. März 1769 als gestorben erwähnt wird.
3. Der Ehekontrakt.
Nachdem ich somit das Haus, in welchem der Stoff zum
Tagebuch erlebt wurde, sowie den Namen und die Mitglieder
der Familie Fibich gefunden hatte, konnte ich mich der Hoff-
nung nicht entschlagen, zu guter letzt auch das Kleistsche Ehe-
1 Sterbregister der N. K. Bd. 181 fol. 80.
2 Ebendaselbst Bd. 183 fol. 209b. Dieser Akt enthält die in jener Zeit
noch sehr seltene Angabe des Sterbehanses : «hat domicilirt im H. Roth Brau-
nen Haus ane der Schlauch Gass. >
3 Sterbregister der Mairie Bd. 287 fol. 11a.
■* Ebendaselbst Bd. 286 fol. 81a.
5 Ebendaselbst Bd. a. 1820 fol. 450a.
4
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versprechen, welches bei einem Königlichen Notar in Stras-
burg hinterlegt sein sollte, wieder aufzufinden.
Königliche Notare in Strassburg waren in den Jahren 1771-
1776 nur zwei, nämlich Lacomhe und Laquiante. Die Akten
derselben, welche das Bombardement von 1870 glücklich über-
dauert haben, befinden sich heutzutage im Bezirksarchiv zu
Strassburg. Da Lacombe von beiden der am meisten genannte
ist, so nahm ich zunächst dessen Akten aus den Jahren
1772-74 zur Hand. Ks war ein ungewisses Suchen, da kein
Inventar vorhanden ist, und schon öfters wollte ich die, wie
es schien, unfruchtbare Arbeit aufgeben. Doch fand ich manche
Akten der Familie Fibich, teils Lehnsehaften, teils Obliga-
tionen, welche mir die Gewissheit verschafften, dass Notar La-
combe notarielle Geschäfte für jene Familie zu vollziehen pflegte.
Wer aber begreift meine Freude, als ich in der zweiten
Woche meines Suchens den ersehnten Akt wirklich entdeckte !
Derselbe zerfällt in 3 Schriftstücke, das Eheversprechen, das
Kouvert mit dem Depotakt, in welchem jenes versiegelt gewesen
war, und den Eröffnungsakt.
Der Ehekontrakt, in deutscher Sprache abgefasst, nimmt
über drei Folioseitenein, ist vom 27. Oktober 1773 datiert, und
trägt der Reihe nach die Unterschriften und Siegel von Fried-
rich George Baron de Kleist, J. P. Fibich, Susanna Katharina
Fibichin (Mutter) und Susanna Cleophea Fibichin (Braut). Das
Kleist' sehe Siegel zeigt wie in Siebmachers Wappenbuch HI. 2,
1 vgl. Tafel 249 einen von Decken umgebenen und durch einen
Querbalken getrennten Schild, auf dessen oberer und unterer
Hälfte je ein Wolf im Laufe nach links dargestellt ist; über
dem Schild thront ein von 3 Rosen gekrönter Helm, auf welche
3 Jagdspiesse gestürzt sind. Die Siegel von Vater und Mutter
bieten nichts bemerkenswertes. Interessant dagegen ist das-
jenige der neckischen Cleophe, welches mit der Umschrift
«toujours brouilant» einen Amor darstellt, der in eine empor-
züngelnde Flamme zu giessen scheint.
Was mich jedoch am meisten fesselte, war die besondere
Form des Schriftstücks. Dasselbe ist «von einer fliessenden Hand
auf geringes Konceptpapier geschrieben, ohne den mindesten
Rand, oben, unten und an den Seiten zu lassen.» Diese
Govthe'sche Charakteristik der Lenz'schen Schreibweise * legte
1 Dichtung und Wahrheit III, 11, Seite 47; ferner III, I I, S. 156.
Dig
mir die Wahrscheinlichkeit nahe, dass hier ein Autograph
Lenzens vorläge, eine Vermutung, welche sich fast zur Gewiss -
heit steigerte, als ich jene Handschrift mit einer echten Lenz-
Handschrift vergleichen konnte, die mir Falk mit ausserordent-
licher Zuvorkommenheit zur Verfügung gestellt hatte. Wohl
machte mich die eigentümliche Form des grossen T- Buchstaben,
welche ich in Strassburger Taufregistern des vorigen Jahrhun-
derts bemerkt hatte, noch einen Augenblick stutzig, da eine
solche sich an der einzig in betracht kommenden Stelle jener
unzweifelhaft echten Handschrift nicht vorfand, allein der in
Götz «Geliebte Schatten» 1 autographierte Brief Lenzens an Salz-
niann vom 3. Juni 1772 zeigte mir gleich am Anfang jene
eigentümliche Buchstabenform, so dass nunmehr auch nach dem
Urteile Schriftverständiger jeder Zweifel gehoben ist.
Lenz, der nach seinen eigenen Worten 3 mit dem Baron
von Kleist vor Verfertigung des Eheversprechens die Rechte
seines Vaterlands untersucht hatte, der «in die kleinste seiner
Angelegenheiten verwickelt war,» des jüngsten Kleist «seiten-
langes Geschmier verbesserte» und selbst Vater Fibich in
dieser Angelegenheit schriftstellerische Hülfe angedeihen liess,
hat, wie natürlich, auch dieses wichtige Schriftstück, dass « in
«lern Leben seines Herrn Epoche machen sollte», mit eigener
Hand niedergeschrieben. Daher der flüssige Stil des Ganzen,
wenn auch nach den notariellen Ausdrücken und der Berück-
sichtigung aller einschlägigen juristischen Momente zu schliessen
ist, dass Lenz nur die stilistische Ausarbeitung eines ursprüng-
lich mit juristischer Beihülfe gefertigten Entwurfes besorgt hat.
Hier das Schriftstück :
Strasburg den 27tcn October 1773.
Heute dato sind wir Unterschriebene mit einander auf
folgende Bedingungen übereinkommen.
Erstlich bekennet Herr Baron von Kleist älterer, geburtig
aus Curland, Officicr, beym Regiment Schoubcrg, gegen Herrn
Fibich Juwelier und grossen Rathherrn, wie derselbe schon in
die zwey Jahr eine tugendhafte Neigung für dessen jüngste
Jungfer Tochter Susanna Cleophea Fibichin gefasst und da er
befunden, dass sie persöhnliche liebenswürdige Eigenschaften
1 Mannheim 1858.
2 Einleitung zum Tagebuch S. 271-2*73.
— 38 —
genug besitzt ihn glücklich zn machen, sich fest und unwider-
ruflich entschlossen, mit derselben in eine eheliche Verbindung
zu treten, ohne auf irgend einen Fond Rücksicht zu nehmen,
den Herr Fibich seiner Tochter ausmachen könnte sondern, da
er soviel von Hause hat, seinem Stande gemäss zu leben, so
deklarirt er, gar keinen Fond vom Herrn Fibich jemals zu fodern
oder zu bestimmen, sondern stellt es völlig seiner Willkühr
anheim, wenn er seiner Tochter etwas geben will.
Zweitens hat Herr Fibich dem Herrn Baron die Vorstellung
gethan nachdem der Herr Baron förmlich bey Herrn Fibich um
dessen Jungfer Tochter angehalten und er in Erwägung gezogen,
dass die Ungleichheit des Standes einige Schwürigkeiten in den
Weg legen dürfte, dass, obschon der Herr Fibich sich seiner
Familie nicht schämen darf, auch in Absicht seines Gewerbes
und Ehrenstellen im bürgerlichen Stande nicht höher begehren
kann, so würde es doch von Seiten des Herrn Baron vielleicht
schwer halten, die Einwilligung seiner Eltern zu erhalten, wie
er denn auch eben sowohl genöthigt ist, als Officier die Erlaub-
niss seiner Oberen dazu zu suchen : als deklarirt der Herr
Baron :
Drittens, dass er nach den Curischen Gesetzen als welche
zur Majorennität ein und zwanzig Jahr erfodem, der Herr Baron
aber sich fünf und zwanzig Jahr declariret, also auch nach den
Strasburger Rechten majorenn ist, dass also Herr Fibich sich
desto weniger einen Verweis zu gewarten hat, weil er nach
beyder Landesart majorenn ist: dass er, Herr Baron, ferner,
nach eben diesen Gesetzen zwar um die Erlaubniss seiner Eltern
anzusuchen gehalten sey, sie ihm diese aber nicht refusiren,
noch das was ihm von seinem Vermögen nach den Gesetzen
zukommt entziehen können, es sey denn, dass es eine Person
von solchem Geschlecht oder Stande sey, die express in den
Curländischen Gesetzen zu heyrathen verboten wäre : ferner,
dass er über Jahr oder Tag schon diese Sache mit reifer Ueber-
legung und Hinzuziehung seines Herrn Bruders Officier beym
Regiment Anhalt, der gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben
und alle mögliche Beyhülfe versprochen, überdacht und beschlossen
habe, dass er also zu dem Ende
Viertens sich vorgesetzt, längstens bis nächstkommenden
St. Johannis eine Reise nach Curland zu machen, bey seinen
geliebten Eltern um dero Conscns anzuhalten und wegen seines
Vermögens alle Einrichtungen zu machen, um in keinem Stück
einigen Mangel zu besorgen zu haben. Da aber Herr von Kleist
mehrerer Sicherheit und Lebens und Sterbens halber vom Herrn
Fibich begehrt, mit einander schriftlich zu tractiren und einer
den andern wechselsweise zu binden: als sind beyde Partheyen
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— 3<> —
mit einander übereinkommen, dass derjenige, so von seiner
Parole abstehen wollte, er möchte Namen oder Ursachen vor-
bringen welche er auch wollte, gehalten und verbunden sey,
dem andern Theil eine Entschädigung von vierzehntausend
Livres zu bezahlen. So es der Herr von Kleist nicht halten, war
er verbunden neben dieser Summe noch a part drey hundert
Livres an die Armen in seinem Lande zu bezahlen, wo es dessen
Obrigkeit am besten findet, sie zu placiren : und so der Herr
Fibich davon abstünde, wäre derselbe gleichfalls angehalten,
noch drey hundert Livres a part, die eine Hälfte dem Waysen-
hause und die andere Hälfte dem Armenhause in Strasburg
auszuzahlen. Und damit der Herr Fibich keine Hauptursache
vorbringen könne, es wolle sich seine Frau Liebste oder Jungfer
Tochter nicht dazu ontschliessen, so hat derselbe zu mehrerer
Sicherheit beyde benahmte Personen mit unterschreiben lassen,
dass es mit beyder Consens geschieht Ferner declarirt sich Herr
von Kleist verbunden, seinen Richter nach seinen angegebenen
Rechten in Curland zu erkennen, sich von demselben recht
sprechen und condemniren zu lassen, wie auch den Richter im
Elsass für solchen zu erkennen, und jede Parthey, so diesen
ihren Verspruch nicht hält, sich von demselben condemniren
und executiren zu lassen.
Fünftens, da dieser Vergleich von beyden Theilen unter-
siegelt und in Gegenwart von Zeugen beym Herrn la Combe
königlichen Notarius soll deponiret worden : so ist von beyden
Seiten eine gewisse Zeit bestimmt und festgesetzt worden, um
diesen Vergleich zu eröfnen und die darin enthaltenen Bedin-
gungen zu declariren, welches nicht eher als in fünfzehn Monathen
geschehon soll, es sey denn dass beide Partheyen darin willigten.
So aber dieso fünfzehn Monathe verflossen, soll jede Parthey a
part berechtigt seyn mit gehörigen Zeugen zu eröfnen und
einen Extract davon zu begehreu : auch soll bis dahin der Ehe-
contract förmlich gemacht werden und längstens von dato in
zwey Jahren die Trauung geschehen. Und sollte nach Verfliessung
fünfzehn Monathen der Ehekontrackt nicht zu Stande kommen,
so soll diejenige Parthey, welche nicht darin consentirte, be-
nannte Summe von vierzehn tausend dreyhundert Livres verbunden
seyn, nach dem Artikel vier auszuzahlen, nach dessen Richtigkeit
eine Parthey von der andern lossgeschlagen sein soll und weiter
keine Prätensionen zu machen haben, sollte aber mit beyder
Consens die Zeit verlängert werden, so steht dieses alsdenn in
beyder Partheyen Belieben.
Sechstens sind beyde Partheyen schon vorläuffig in Ansehung
des nach fünfzehn Monaten zu errichtenden Ehecontrakts über-
eingekommen, dass Herr von Kleist sich in demselben express
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— 40 —
obligireu will, seiner Jungfer Braut eine Summe von vierzehn-
tansend Livres zum Voraus zu vermachen, worüber sie nach
Gefallen disponiren kann : auch, so es die Umstände crfoderten
oder sie sich nicht entschliessen könnte, als seine Gemalin ihn
nach Curland zu begleiten, so giebt er derselben drey Jahr Be-
denkzeit und könnte sie sich alsdenn noch nicht dazu ent-
schliessen, so obligirt sich Herr von Kleist, bestimmte vierzehn
tausend Livres so ihr im Voraus vermacht, in Strasburg anzu-
legen und ihr Standesgemässen Unterhalt zu geben, über die
Kinder aber, so beyde erzeugen sollten, hat der Herr von Kleist
zu disponiren, sie hier, oder in Curland erziehen zu lassen.
Geschrieben und unterschrieben nebst eines jeden Insigel
Strasburg den 27 October 1773.
Friedrich George Baron de Kleist
J. P. Fibich
Susanna, Catharina, Fibichin
Susanna Cleophea Fibichin.
Paraphe ne varietur au desir au acte
proces verbal dresse par le soussigne
notaire Royal ä Strasbourg le 12 may 1777
J. P. Fibich
Maire
f. Maire Lacombe
n. r.
Dieses Eheversprechen, 1 welches nach Lenzens eigenen
Worten eher ein Ehekontrakt genannt werden kann, ist am
11. November 1773 mit den Siegeln des Barons von Kleist,
des Herrn Fibich und des Notars Lacombe im Beisein von
Zeugen geschlossen und notariell hinterlegt worden. Nach dem
Depotakt, welcher wie bei Testamenten auf das versiegelte
Kouvert unter Zuziehung der vorgeschriebenen Zeugen geschrie-
ben worden war, konnte das den Kontrakt enthaltende Kouvert
nach Verlauf von 15 Monaten, vom 27. Oktober 1773 an ge-
rechnet, auf Verlangen eines der beiden Kontrahenten geöffnet
werden, nachdem heide Teile sich für die Ausführung der in
ihm enthaltenen Bestimmungen von vorn herein mit all ihrer
gegenwärtigen und zukünftigen Habe verpflichtet erklärt hatten.
1 Zur Verhütung falscher Schlussfolgerungen bemerke ich, dass solche
notarielle Promesses de tnariage damals in Strassburg üblich waren. Der
Zuzug vieler fremden Elemente machte solche Sicherung notwendig. Ich finde
mehrere ähnliche bei Lacombe im Jahre 1 774 so Bd. A 29. Marz, Bd. B 19.
Mai, Bd. D 1. November und sonst.
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- H -
Der Depotakt lautet :
Ce jourd'hni onzieme novembre Mil sept cent soixante treize
apres inidy par devant le notaire royal Immatricule au Conscil
souverain d'Alsace resident ä Strasbourg Soussignä sont com-
paru M r " fr6deric Baron de Kleist Courlendois se disant majeur
d'ans officier au rSgiment de Schonberg dragon, elant presente-
ment au dit Strasbourg et le Sieur Jean philippe Fibich, con-
seiller au grand senat de cette ville y demeurant les quels ont
remis et depose au dit Notaire la presente enveloppe qu'ils ont
close et ferme au moyen de leur cachets ordinairs, que chacun
d'eux a appose en deux endroits, au milieu des quels cachets
s'est egalement appose celuy du notaire. dans laquelle enveloppe
les Sieurs couiparants ont dit etre renfermö un contract et Con-
vention qu'ils ont fait ensemblc le vingt sept octobre dernier et
qui a ete signe des parties en bonne et düe forme pour etre
executees . suivant leur forme et teneur entre elles, a peine de
tous depens dommages et interets sous 1 Obligation et hypo-
theque generale de tous leurs biens meubles et immeubles
presens et futurs : requerant le dit notaire de prendre garder
et retenir la dite enveloppe en son Etüde a teile fin que de
raison: de laquelle dite enveloppe l'ouverture ne pourra cepcn'dant
etre faite que dans quinze mois a compter du dit. Jour vingt
sept octobre dernier a moins que Tun et Tautre et de concert
les dits comparants n'en requierent l'ouverture. Mais passe les
dits quinze mois a compter du dit Jour vingt sept octobre der-
nier il sera libre a l'une et ä l'autre des parties et separement
d'en requerir l'ouverture sans qu'il soit besoin qu'ils soient tous
deux pr6sens mais alors il en sera dresse proces verbal en
forme pour etre comrae dit est c'y dessus la dite Convention
ex6cut6e et suivi et y celle valloir comme si elles cussent 6t6
passöes devant le dit Notaire et signees de luy. duquol depot
oui declaration et reserves les comparants ont requis acte ä
eux accordö. fait lu et pas.s6 au dit Strasbourg les heures jour
mois et an susdits en presence de felix Lex et George Tuch-
fscrber juristes y demeurants temoins requis qui ont signe avec
les comparants et le dit Notaire
Lex Le de Kleist J P. Fibich Tuchfierber
Lacombe, not. roy.
Am 1 4 2. Mai 1777 endlich wurde auf Anstehen des Vaters
Fibich das versiegelte Kouvert im Beisein des Notars und der
gesetzlich vorgeschriebenen Zeugen eröffnet und der in ihm
enthaltene Ehekontrakt, der noch die Spuren der Brüche auf-
weist, entfaltet. Der darüber aufgenommene Eröffnung sakt lautet :
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- 42 -
L'an Mil sept cent soixante et dix sept le douzieme Jour
du mois de May apred midy, pardevant le Notaire Royal Imma-
tricule au conseil souverain d'Alsace resident a Strasbourg
soussigne, fut present le Sieur Jean Philippe Fibich conseiller
au Grand senat de Strasbourg y demeurant le quel a dit que
le onzieme Novembre mil sept cent soixante et treize il auroit
avec le Sieur Baron de Kleist Courlendois officier au Regiment
de Schömberg dragon, depose au dit Notaire une Enveloppe
avec pouvoir ä l'une et ä Tautre des deux parties, apres l'Ex-
piration de quinze mois a datte du vingt sept octobre mil sept
cent soixante et treize d'en requerrir Touverture, pour les
pieces et actes renfermees dans la dite enveloppe etre exe-
cutees en tout leur Contenu qu'y ayant maintenant quarante
deux mois passes que le dit depot a et6 fait, il requerroit le
dit Notaire de faire Touverture de la dite Enveloppe pour les
pieces renfermees sous y celle demeurer jointes au present
proces verbal paraphees ne varientur et lui en etre delivrees
des Expeditions. Snr quoi apres avoir donne lecture aux deux
temoins c'y apres nommes et c'y presents de Tacte de depot
dress6 par le dit Notaire snr la dite enveloppe, et apres que
tant le dit Sieur Fibich que les dits temoins ont eu Reconnu
que les cachets, dont la dite enveloppe est close sont sains et
entiers, le dit Notaire en a fait l'ouverture dans la quelle dite
enveloppe il s'est trouvee
un acte sous seing prive ecrit sur deux feuilles de papier
contenu en trois pages et trois lignes sur la quatrieme non y
comprises les signatures commencant par ces mots Heute dato
sind wir unterschriebene auf folgende Bedingungen überein
kommen etc. et se terminant par ces geschrieben und unter-
schrieben Nebst eines jeden Insigel Strasburg den 27ten 8 bris 1773
et quatre signatures scavoir
frederic George Baron de Kleist Susanna Catharina fibichin
J. ph. Fibich Susanna Cleophe fibichin.
Maire J. P. fibich
f. Maire Lacombe.
avec quatre cachets sur cire d'Espagne rouge, le quel acte
aussitotque tire' de la dite Enveloppe acte paraphe ne varientur
par les temoins le Sieur Fibich et le dit Notaire. De tout quoi
a ete dresse le present proces verbal ä la requisition du dit
Sieur fibich. fait lu et passe au dit Strasbourg le jour mois et
an susdits en presence des Sieurs Joseph Maire pere et francois
maire fils faisants de sains Bourgeois de cette ville y demeurants
temoins requis qui ont signe avec la partie et le dit notaire
Maire P. J. Fibich
f. Maire Lacombe, not. roy.
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— 43 —
Mit diesem letzten Funde waren meine archivalischen
Forschungen über die für Lenzens Lehen und Dichtungen be-
deutsame Familie Fihich einstweilen erschöpft; weitere Resul-
tate konnten nur dann erzielt werden, wenn es mir gelang,
die heutigen Nachkommen jener Familie zu entdecken. Den
unfehlbaren Wegweiser boten mir auch hier die Register des
Strassburger Standesamts.
4. Die Nachkommen.
Die Mutter Susanna Katharina Fihich geh. Sebisch starb
den 15. Mai 1778, i Vater Fihich den 28. Sept. 1795.2 Von
den drei überlebenden Kindern starb Cleophe, die Braut des
Barons v. Kleist, die Araminta des Dichters Lenz, am 24. Dez.
1820 Gedeckte Brücken Nr. 52, welches kleine Haus nebst
Gärtchen sie nach Ausweis des Grundbuches von 1791 von der
Witwe Sebisch, ihrer Grossmutter mütterlicherseits , geerbt
hatte. Dieses kleine Haus wurde 1827 vom Genie gekauft und
niedergerissen. Was aber das Hauptinteresse erregt, Cleophe
starb nach dem Zeugnis des Sterbeaktes der Mairie « tum
mariee». Baron v. Kleist hat also sein Ehevei sprechen nicht
erfüllt, Cleophe dagegen ist ihrem Geliebten bis an ihr Lebens-
ende treu geblieben.
Von den beiden älteren Geschwistern starb Johann Philipp
mit Hinterlassung einer Tochter den 10. Dez. 1804 als Maler
in der Weissthurtnstrasse 81 (heutige Nr. 4), die ältere Schwe-
ster Louise Katharina, jene gefeierte Sängerin, ebenfalls ver-
heirathet den 17. April 1805.
Wir wissen aus dem Tagebuch S. 290, dass Ott, Lenzens
intimer Freund, der in den Briefen des Dichters an Salzmann
wiederholt genannt wird, 3 sich um die ältere Fihich eifrig be-
mühte. Dass dieses Verhältnis aus irgend welchem Grunde nicht
zum Ziele führte, beklagt er selbst in einem Briefe an Salz-
mann aus Wien den 23. Dez. 1781 mit den Worten : « Hal>e
ich nicht auch Sie verlassen müssen ? wurde ich nicht schon
von der Brust einer Geliebten fortgerissen ? » 4
1 Sterbebuch der Neuen Kirche Bd. 189 fol. 19.
* Sterberegister der Mairie Bd. 222 fol. 7b: 6. Vendem. IV.
H Aug Stceber, Der Dichter Lenz S. 50 und sonst.
4 Aug. Streber, Der Aktuar Satzmann S. 103.
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— u —
Der Umstand, dass Lenz nach seinem Bruch mit den Kleist
seinem Freunde Ott die französische Lektion hei dem jüngsten
Kleist verschaffte, 1 hat Urlichs S. '256 zu dem Schlüsse ge-
führt, Ott sei französischer Sprachlehrer gewesen. Ich habe
auch hier die Slandesregister zu Rate gezogen und gefunden,
dass der Vater Johann Michael Ott Lehrer am Gymnasium in
Strassburg und französischer Prediger gewesen. Aus dessen
den 11. Sept. 1748 geschlossener Ehe «mit Maria Elisabeth
Eberlin, des Wohl Ehrwürdigen und Wohl Gelehrten Herrn
Magisters Johann Michael Eberlin Treu Eifrigen und Fleissigen
Diakoni bey der Kirch zu St. Aurelien eheleiblicher Tochter »2
gingen ausser mehreren Töchtern zwei Söhne hervor: Johann
Michael Ott, geb. 11. Januar 1752 und Joseph Ott geb. 28. Mai
1755.3 Ersterer ist, wie aus dem Verzeichnis der Deutschen
Gesellschaft zu ersehen,* der Freund des Dichters Lenz ge-
wesen. Ich finde ihn unter dem Sterbeakt des Vaters vom
18. Januar 1 77(5 5 als «Juris utr. Licenciatus» unterschrieben.
Dass er als Student wie Lenz Sprachunterricht erteilte, würde
trotz seiner juristischen Studien bei dem Sohne eines Lehrers
und Geistlichen auch heule nicht auflallen.
Johann Michael Ott gehört zu denjenigen elsässischcn Juri-
sten der Strassburger Universität, die wegen der Beherrschung
zweier Sprachen zum diplomatischen Dienste ins Ausland em-
pfohlen wurden. Erinnern wir uns doch, dass von den Pro-
fessoren Koch und Obcrlin selbst Goethe Aussicht auf einen
Kintritt in die deutsche Kanzlei zu Versailles gemacht wurde. 6
So wurde Heinrich Karl Ilosenstiehl geb. 28. Oktober 1751
zu Mietesheim im Unterelsass, der Verwandte Fried erikens von
Sesenheim,? Sekretär im französischen Ministerium, ebender-
selbe, welcher spater die Kataslrophe des Bastatter Gesandten-
mordes mit erlebte; so kam der Strassburger Matthieu 8 als
Sekretär zu Talleyrand und leitete als der einzige in deutschem
1 Tagebuch S. 290.
2 Hocbzeitbuch von St-Aurelien Bd. 2 fol. 192 b.
: » Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 229 f.d. G59 und Bd. 230 fol. 106.
1 Dieses noch unbekannte Namensverzeichnis trennt die Namen Ludwig
Wilhelm Otto und Joh. Mich. Ott.
5 Sterbregister der Neuen Kirche Bd. 188 fol. 18a.
< 5 Dichtung und Wahrheit III, 11 S. 31.
Lucius, Friederike Brion S. 139.
«Stecher, Der Aktuar Salzinann S. 3t: vergl. Alsatia 1868 S. 1"8.
Matthieu war Mitglied der deutschen Gesellschaft.
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— 45 —
Staatsrecht Krfahrene zu Paris das grosse Austheilungsgeschäfl
der Entschädigungen deutscher Fürsten nach dem Lüneviller
Frieden,» so wurde Ludwig Wilhelm Otto, aus dem hanau-
lichtenhergischen Kork hei Kehl, eine glänzende diplomatische
Lauf bahn im französischen Dienste eröffnet ; 2 so endlich wurde
auch Johann Michael Ott nach Wien empfohlen und 1782 Trans-
lateur (secretaire interprete) des Kollegiums der auswärtigen
Geschäfte in St. Petersburg. 3 Nicht er, sondern sein 1755 ge-
borener jüngerer Bruder Joseph Ott, welcher das Goldschmiede-
handwerk erlernt hatte, heiratete am 7. Mai 1781 die um 5
Jahre ältere Luise Katharine Fibich.*
Nachkommen der letzteren sind noch jetzt in Strassburg
vorhanden und das Geschäft, welches Fibich's Schwiegersohn
begründete, besteht noch heute an den Gewerbslauben \M unter
der Firma «Michel-Ott, ancienne maison Ott». Die Gemahlin
des heutigen Geschäftsinhabers ist eine Urenkelin der einst ge-
feierten Sängerin. Ein 1810 geborener Enkel der letzteren,
welcher mir das Bild seiner Grossmutter und ihres Gemahls
zeigte, ist das einzige noch lebende Mitglied der Familie,
welches Cleophe Fibich als Knabe gekannt hat. Derselbe schil-
derte sie mir ate sehr gross und schlank, was mit den Worten
des Tagebuches S. 277: «sie hüpfte vor Freuden, ihre ge-
wöhnliche Bewegung, die bei ihrer erstaunlichen Länge ihr doch
so unnachahmlich lässt» vollkommen übereinstimmt.
Durch die Familie erfuhr ich, dass die Nachkommen des
Joh. Mich. Ott noch heute im russischen Staatsdienste leben.
Ausserdem besitzt dieselbe in Abschrift den Mitgiftsvertrag der
Katharina Fibich vom 26. Sept. 1781 und ein geschriebenes
Hochzeitsgedicht, « die musikalische Tonleiter ein Quodlibet der
Fiebich und Ottischen Verbindung gewidmet, mit Kupfern
Strasburg den 7. Mai 1781 ».
1 H&usser, Deutsche Geschichte II, S. 34t.
2 Ludwig Wilhelm Otto, geb. 7. Aug. 1*754. Sohn des Hanau-lichten-
bergischen Regierungsrats und Amtmanns von Wilstett und Lichtenau Justus
Jakob Otto, Mitglied der deutschen Gesellschaft zu Strassburg, wurde Ge-
sandtschaftssekretär in München, später charge" d'af faires in Philadelphia und
unter Napoleon I., der ihn zum Grafen Mosloy erhob, Gesandter in London,
Wien und Berlin (s. Biographie universelle). Die Familie Brion war mit
dem Vater befreundet und machte mit Lenz bei ihm iu Lichteuau Besuche
(s. A. Sueber, Der Dichter Lenz S. 47 u 49).
8 Stoeber, Der Aktuar Salzmann S. 102; vergl. auch S. 91.
4 Hochzeitbuch der Neuen Kirche Bd. 117 fol. 47b.
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— m —
>
Dieses Hochzeitsgedicht aus 36 sechszeiligen Strophen be-
stehend, zu denen eine eigene Melodie vorhanden, ist das Werk
eines Komponisten und Knitlelversmachers zugleich. Strophen
wie folgende mögen einen Begriff von demselben geben :
21.
Ut re mi fa sol
schon mancher hat wohl
ein Herzel durch Singsang errungen -
wo ist auch der Ochs
den Mägdeleins Vox
nicht einmal im Leben bezwungen?
22.
Den Kerl möcht' ich sehn
der könt 1 wiederstehn
dem Sang eines reizenden Kindes.
du zweifelst langohr !
lass trillern dir vor
durch d'Fiebich ein Lied — und empfind es.
23.
Wenn dir's nicht gelingt
durch das, was sie singt
gerührt und geschmolzen zu werden,
verdienest du schier
du zweyfüssiges Thier
vertilgt zu werden auf Erden.
24.
Der Liebe Gebott
befolgt heut Herr Ott
noch einmal so gern bey'm Kattel ....
sie ist Ihm das All
der Schöpfung zu mal,
d'Virtuosin in unserem Städtel.
Zu diesem Gedicht gehören neun Federzeichnungen, welche
alle unter Wiederholung des bezüglichen Verses numeriert
sind. Ein nicht numeriertes zehntes Blatt verherrlicht einen
Glanztag im Leben der Braut:
An einem Konzertflügel sitzt eine mit Federhut geschmückte
Dame, ohne Zweifel Katharina Fibich. Auf ihrem Notenpult
steht in grossen Zügen der Name Gluck geschrieben. Dass aber
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- M -
auch die italienische Musik mit der deutschen abwechseln soll,
beweist ein Programm in der Hand eines der Anwesenden
mit der Aufschrift Aria del Sgr. Piccini. Somit wäre das Bild
inhaltlich in das Jahr 1775 zu setzen, da der Erbprinz Karl
August von Sachsen-Meiningen, wie oben erwähnt, am Oster-
sonntag jenes Jahres gerade diese Arie von Fräulein Fibich ge-
hört hat und zwar in einem Konzert, in welchem, wie jener
hervorhebt, die deutsche Musik, trotz der Voreingenommenheit
der Strassburger für die italienische, einen durchschlagenden
Erfolg errang. •
Wer den damaligen heissen Kampf zwischen der deutschen
und italienischen Musik, zwischen Gluck und Piccini, in Paris
verfolgt hat, ersieht leicht, dass der Erbprinz mit der «deut-
schen» Musik nur Gluck selbst gemeint haben kann. In der
Stadt Strassburg hatte sich also im Jahr 1775 nicht nur eine
Gesellschaft zur Pflege deutscher Sprache, sondern, was noch
nicht bekannt war, auch eine Gesellschaft zur Pflege deutscher
Musik gebildet. Dies ein neuer interessanter Beitrag zur Ge-
schichte Strassburgs im vorigen Jahrhundert.
Erfolgreicher als in jener Familie wurden meine Nach-
forschungen bei dem Enkel und der Enkelin des Bruders der
Cleophe.
Im Besitze des Enkels, eines würdigen Pfarrers, befinden
sich mehrere Farnilienbilder aus dem vorigen Jahrhundert,
welche seinen Grossvater, den Maler Johann Philipp Fibich,
und dessen Tochter darstellen. Ausserdem bewahrt derselbe
aus dem Nachlass Gleophes einen Nähtisch, ein Kommndchen
und eine Puppenstube ; ob wohl dieselbe, welche in Lenzens
Tagebuch S. 287 erwähnt ist ?
Eigentum der Enkelin, in der ich eine hochgebildete Dame
schätzen lernte, ist jenes schöne Bildnis Gleophes, mit welchem
ich zur Freude der Lenz- und Goethe- Verehrer meine Abhand-
lung schmücken durfte, ein Miniaturbild auf eine Elfenbeinplatle
gemalt, von unnachahmlicher Zartheit der Farben, welche ganz
die von Lenz gerühmte « Pfirsichblässe » ihres Gesichtes wieder-
geben. Das Jahr, in welchem das Bild gernalt wurde, ist un-
bekannt; da aber Cleophe nicht mehr die im Tagebuch ge-
rühmten Flechten trägt und auch sonst als eine mehr reife als
jugendliche Schönheit erscheint, werden wir dies Bild wohl
an das Ende der siebenziger oder den Anfang der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts setzen müssen.
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— 48 -
Die Hauptbegierde, welche ich empfand, jene Gedichte zu
ermitteln, welche Lenz für den Baron v. Kleist an Cleophe
dichtete, wurde leider nicht erfüllt, da bis auf Kleinigkeiten
der Nachlas« Cleophes verloren gegangen ist.
Ueberhaupt kam meine Forschung insofern um einiges zu
spät, als die Tochter des Malers Fibich, welche die beste Aus-
kunft hatte geben können, da sie von Cleophe auferzogen wor-
den war, betagt im Jahr 1873 das Zeitliche gesegnet hat.
Allein auch so gelang es mir, noch eine Reihe verbürgter Nach-
richten zu sammeln, welche im Verlaufe meiner Arbeit ver-
wertet werden sollen.
5. Eine Jugendfreundin der Friederike von Sesenheim.
Aufsehen wird ohne Zweifel die von der Familie einmütig
versicherte Mitteilung machen , dass Cleophe Fibich eine
Jugendfreundin der Friederike Brion gewesen sei. Zwei Locken
von Friederikens Haar waren noch vor etwa 20 Jahren aus
Cleophes Nachlass vorhanden. Ob es dieselben sind, die ich
seitdem mit der Grossnichte Cleophes teilen durfte, kann
dieselbe leider nicht mehr mit voller Bestimmtheit behaupten,
da nach ihrer — allerdings verblassten — Erinnerung diese
Locken Friederikens sUberblond gewesen seien, 1 während die
wieder gefundenen eine mehr goldblonde Farbe tragen. Allein
vorhanden waren diese Haare mit der Aufschrift «cheveux de
Frederique de Goethe» sicherlich, ein Umstand, der die bereits
verbürgte Jugendfreundschaft Friederikens und Cleophes bestätigt.
Erst nach Feststellung dieser Thatsache wird uns die Ver-
anlassung klar, welche Lenz und den zweiten Baron v. Kleist
im Sommer 1772 von Fort Louis Besuche bei der Familie
Brion in Sesenheim machen Hess. 2 Wie der oben mitgeteilte
Ehekontrakt besagt, war damals der älteste Baron v. Kleist
schon längere Zeit mit Cleophe bekannt. Nichts natürlicher,
als dass der Binder die ihm sich bielende Gelegenheit benutzte,
die Jugendfreundin Cleophes persönlich kennen zu lernen, wäh-
rend sich Lenz wohl als einen Freund Goethes eingeführt hat.
1 So in ihrem zweiten Briefe vom 13. Jan. 1887. In ihrem dritten vom
21. Jan. dagegen kommt die Dame aus äusseren Gründen zu dem Schlüsse:
• Je mehr ich nachdenke, jemehr bekräftigt sich in mir der Gedanke, es müssen
Friederikens Haare sein.» Bei dieser Ueberzeugung ist sie auch in späteren
Briefen und mündlichen Gesprächen geblieben.
« Vgl. A. Stceber, Der Dichter Lenz S. 58.
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49 -
Die Bekanntschaft der Familien Brion und Fibich ist leicht
erklärlich. Pfarrer Joh. Jacob Brion 1 wie seine Frau Magdalena
Salomea Schöll 2 waren von Strassburg gebürtig und hatten
dort beide eine zahlreiche Verwandtschaft. Dann aber tritt die
Erscheinung, dass die eingeborenen Familien unter einander
bekannt und gesellschaftlich verbunden sind, vor allen anderen
Reichsstädten am meisten in Strassburg zu tage, weil hier «las
eingeborene deutsch-protestantische Bürgertum sich nach der
französischen Annexion von 1681 gegen das eindringende fran-
zösisch-katholische Element zusammenzuschliessen suchte. Zu
diesem protestantischen Bürgertum intra muros gehörte aber
und gehört noch heute in engster Verbindung die nächste pro-
testantische und besonders protestantisch-theologische Umgebung
extra muros, die auf Strasburgs Gymnasium und Universität
ihre Bildung erhalten hatte, und an beide Kreise schloss sich
vor der französischen Revolution das eingeborene Element der
im Elsass zahlreich gelegenen hessen-darmstädtischen, pfalz-
zweibrückischen und würtembergischen Territorien an.
So finde ich in den Taufakten zweier Strassburger Mitglieder
der Deutschen Gesellschaft sowie des jungem Ott reichsfürstliche
Beamte als Pathen, bei Johann Siegfried Breu 3 die hessen-
darmstädtischen Räte Johann Sebastian Otto und Friedrich
Ludwig Bassy, bei Johann Friedrich Corvinus 4 den hessen-darm-
städtischen Regierungsrat Franz Rudolf Mollinger, daneben die
Jungfer Sophie Elisabeth, Herrn Daniel Schöpflins, Kirchen-
Schaffners im würtem bergischen Reichenweier eheliche Tochter,
l>ei Joseph Ott* den pfalz-zweibrückischen Hofrat Joh. David
Papelier.
1 Joh. Jacob Brion. Sohn des Köhlers Joh. Jac. Brion und der Frau
Anna Katharina Hahn, wurde nach dem Taufregister von St. Wilhelm Bd. 53
fol. 137b den 11. April 1117 in Strassburg geboren und nach dem Hochzeits-
register derselben Kircheden 29. Mai 1743 ebendaselbst copuliert. Derselbe
hatte, wie ich Bd. 53 fol. 179b. Bd. 54 fol. 12a, 41b, 113a, 174b u. 225a
ersehe, noch 6 jüngere Geschwister.
2 Siehe F. Lucius, Friederike Brion S. 40 tf. In den Taufregistern der
Neuen Kirche Gnde ich drei Töchter des reichsritterschaftlich-ortenauischen
Amtmanns Theobald Friedrich Schöll, des Bruders der Madame Brion :
Susanna Dorothea geb. 18/9. 1752, Margaretha Elisabeth geb. 24/11. 1*53
Eleonore 20/7. 1758, dieselben, an welche Lenz von Petersburg d.$7. Marz
1780 Grüsse übermitteln lasst (s. Falck, Friederike Brion S. 76).
3 Geb. 25. Dez. 1739, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 228 fol. I9fl.
4 Geb 17. Jan. 1751, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 229 fol. 5Ü8b.
5 Geb. 28. März 1755, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 106.
4
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Goethe, der die Verhältnisse im Elsass aus eigener An-
schauung kannte, konnte deshalb mit Recht in Dichtung und
Wahrheit * schreiben :
« Gar manche Einwohner von Strassburg bildeten zwar abge-
sonderte, aber doch dem Sinne nach verbundene kleine Kreise,
welche durch die vielen Unterthanen deutscher Fürsten, die unter
französischer Hoheit ansehnliche Strecken Landes besassen, stets
vermehrt und rekrutirt wurden; denn Väter und Söhne hielten
sich Studirens oder Geschäfts wegen länger oder kürzer in Strass-
burg auf. »
In besonders engen, weil nachbarlichen, Beziehungen zu
Strassburg stand das protestantische Buchsweiler im Unter-Elsass,
die Residenzstadt der Grafschaft Hanau- Lichtenberg, welche
nach dem Tode Joh. Reinhards HL, des letzten der einheimi-
schen Landesherrn, im J. 1736 an den Tochtersohn desselben,
den Erbprinzen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, gefallen
war. Wahrend der Erbprinz sich in Pirmasenz der Drillung
seines Grenadierbataillons widmete, hielt seine Gemahlin Hen-
riette Karoline, geb. Prinzessin von Pfalz-Birkenfeld,* in Buchs-
weiler Hof, wenn sie es nicht vorzog, den Winter in ihrem
Palais in Sirassburg, den heutigen Strassburger Stadthause,
zu verbringen.
Auch nach der Uebersiedelung der Erbprinzessin und ihres
Hofstaates nach Darmstadt im J. 1765 blieben die Beziehungen
des Darmstädter Hofes zum Elsass intim, ja sie wurden noch
intimer, als nach dem Tode des Landgrafen Ludwigs VIII. d.
17. Okt. 1768 der Herr des Buchsweiler Landes, Erbprinz Lud-
wig IX., den Thron in Darmstadt bestieg. Beamte wurden hin-
über und herüber versetzt. Ein enges Band der Verwandtschaft
knüpfte sich zwischen dem rechts- und linksrheinischen Lande.
Dem Beispiel des Geheimerats Hesse in Darmstadt, der
sich seine Frau aus dem Elsass holte, 3 mögen manche andere
gefolgt sein ; andererseits fanden damals hanau-lichtenbergische
i III. 11 S. 34.
a Sie wurde am 9. Mär? 1 1<?1 zu Strassburg im Rappollsteiner Hofe am
Finkweiler Staden geboren, woselbst ihr, der Urgrossmutter Kaiser Wilhelms I.
und der Kaiserin Augusta, auf meine Veranlassung eiue Gedenktafel errichtet
wurde.
3 Sie war die zweite Tochter Johann Friedrichs Flachsland, des Amts- und
Kirchenschaflhers der würtembergischen Grafschaft Horburg und Reichenweier
im Ober-Elsass, und die Schwester der Karoliae Herder, der Gattin des
iMchters.
— 51 —
Beamtensöhne, wie Engelbach, Lerse, Weyland, i auf der Strass-
burger Universität engere Fühlung mit der rechtsrheinischen
studierenden Jugend.
Goethes Bekanntschaft mit diesen seinen Buchsweiler Freun-
den ist deshalb auf ganz andere gesellschaftliche Voraussetzungen
als auf ein zufalliges Zusammentreffen in der bekannten Tisch-
gesellschaft der Jungfern Lauth zurückzuführen. Nicht nur
Frankfurter, auch Darmstadter Empfehlungen werden hier zu
Grunde gelegen halben, welche letztere über die Strassburger
Zeit hinaus ein engeres Band zwischen Goethe und dem Merck-
sehen Freundeskreise zu knüpfen im stände waren.
Dass Goethes Uebersiedelung nach Strassburg bestimmte
Vorbereitungen voraufgingen, lässt sich erweisen. In Strassburg
bezog er tein kleines, aber wohlgelegenes und anmutiges Quai-
tier an der Sommerseite des Fischmarktes, einer schönen langen
Strasse, wo immerwährende Bewegung jedem unbeschäftigten
Augenblick zu Hülfe kam.»« Sein Hauswirt Kürschner Johann
Ludwig Schlag war der Sohn des Schuhmachers Johann Jost
Schlag, der in seinem Trauungsakt vom 18. Jan. 1702 3 «Sohn
des Peter Schlag, gewesenen Steinmetzen und Burgers zu Frank-
fort am Main» genannt wird. Dies Logis war mithin aller Wahr-
scheinlichkeit nach voraus bestellt. Ebenso war Goethe mit zahl-
reichen Empfehlungen versehen. Er selbst spricht von solchen
in Dichtung und Wahrheit II \) S. 133.
Auch die Bekanntschaft mit der Familie Brion in Sescn-
heim wird eine vorbereitete, das heisst, auf andern Voraus-
setzungen als auf lediglich studentischer Einführung beruhende
gewesen sein. Wie hätte sonst jene Familie den jungen Mann
wochenlang in ihrem Hause beherbergen und sich misslic-
bigem Gerede aussetzen mögen. Schon Falck hat nach einer
Erklärung dieses auffallenden Umstandes gesucht und dieselbe
in der Annahme einer förmlich vollzogenen Verlobung Goethes
linden zu müssen geglaubt. * Mir indessen geht aus den Briefen
1 Alle drei sind aus Buchsweiler gebürtig ; siehe v. Lcopers Autnerk. 42t,
wo die aus dem Buchsweiler Kirchenbuche gezogenen Geburtsdaten angegeben
sind. Lerse ! s Mutter war eine geborene Barth, nicht Garth. Weylaud hatte,
wie wir aus Lucius, Friederike Brion S. 68 wissen, einen Fraukfurter Bürger
zum Grossvater.
* Dichtung und Wahrheit II, 9 S. 133.
3 Siehe den Anhang.
* Friederike Brion von Sesenheira S. 34.
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— 52 -
Goethes an Salzmann i deutlich hervor, dass Goethe einen Land-
aufenthalt bei Brions genommen, um seine kranke Brust zu
kurieren. Gute Bekannte oder Verwandte der Familie Brion, an
welche Goethe empfohlen gewesen sein mag, ich nenne beispiels-
weise den Kammerrat Engelbach in Buchsweiler, den ritterschaft-
lichen Syndikus Schöll in Strassburg, mögen Goethe den Land-
aufenthalt vermittelt haben.
Goethe hat diesen Empfehlungen nicht völlig entsprochen,
da er das mit Friederike angeknüpfte Liebesverhältnis brach.
Dieser Umstand mochte für ihn ein Grund mehr sein, dieselben
in seiner Selbstbiographie zu verschweigen und seine Bekannt-
schaft mit der Familie Brion als eine mehr zufällige hinzustellen.»
Dass bei seiner ausgebreiteten Bekanntschaft in und um
Strassburg und J>ei der erwähnten Zusammenhörigkeit der ge-
sellschaftlichen Kreise jener Stadt Goethe unter anderen auch
die Familie Fibich kennen gelernt habe, dafür besitzen wir
ausser der bestimmten Ueberlieferung, dass Friederike Brion
und Cleophe Fibich Jugendfreundinnen gewesen seien, noch
andere sichere Anzeichen.
Fibichs Juweliergeschäft, das bedeutendste in Strassburg,
welches Pretiosen an die deutschen Prinzen und den Adel des
Oberrheins lieferte, \yar im Centrum der Stadt an dem beleb-
testen Platze gelegen, wo sich zur Zeit grosser militärischer
Schaustellungen ganz Strassburg zusammendrängte. Johann
Philipp Fibich war Hatsherr und machte für damalige Ver-
hältnisse ein Haus. Seine Töchter waren zu Goethes Zeit schon
erwachsen. Aus dem Nachlass Cleophes fand sich ein auf weis-
sen Atlas gedruckter Glückwunsch, welcher beweist, dass sie
bereits zu Goethes Studienzeit in ihrem 17. Lebensjahre ge-
feiert war. Derselbe lautet :
1 Aug. Stoiber, Der Aktuar Salzmann S. 42 ff. ; man vergleiche besonders
den dritten Brief. — Nur nebenbei bemerke ich, dass die Ueberschrift des
zweiten Briefes in Lenzens •Waldbruder» (Dorer-Egloll S. 93) «Fräulein
Schatouilleuse an Rothen [Goethen], der aufs Land gereist war, eine Frühlings-
kur zu trinken • , Aehnlichkeit mit jener Situation enthält.
2 Dass Goetho in bezug auf seine Strassburger Vergangenheit gegen alles
urkundliche Material empfindlich war, welches die von ihm in seiner Selbst-
biographie gegebene Darstellung verschieben konnte, beweist sein förmlicher
Protest, als Professor Engelhardt ihn um die Genehmigung zur Veröll'entlichung
seiner im Salzmann 'sehen Nachlasse gefundenen Briefe ersuchte. Vgl. Aug.
Stoiber. Der Aktuar Salzmaon S. 118.
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i]
%\\ t>em geefjrt mili erfmilic<eii
3 U * 0 9 € 8
St&idnn,
3)Jein Söuiifd) üor eie foü f)eut allein
Sin Sörcm sNamen&ftetfe Ut)n,
$ed)t glütflid) auf ber SBclt ju leöen!
©Ott rooll i$6r nur 23ergnü<ien ge6en,
Sluf t>ajj in 3törer £e&ent$ geit ,
9?eid)tfjum, ©lu<f un& Bufriebcu&eit
Stftanber jietä t>ie |>ant>e reichen!
^riWmaiictjmalfcöoniiacöSöunfdjnidjtciii/
£of 6ie, es wirb &alt> Oeffer fet>it.
2111 Untfern mutf von 30r unt> 3örem £auge
weidjen!
Äurj : mid) niefot langer ju Derweilen,
£ier i(l mein 2BunfVö in tiefen geilen :
8c6 <5ie (letö in Gesurfter ftul)!
(5iebringe36re3a{>rinwa()rer5reut)e;u
©traiburg, toi 30. 9fpriU. 1771.
P. J. I).
i
3
Cleophes Glückwunsch, zum Namenstag 30. April 1771. ;S. 52.)
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• ■
* ■ -
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— 53 -
Fibichs Wohnung und Geschäft befand sich nach dem oben
mitgeteilten Mietsvertrage im Hause des Banquiers und Rats-
herrn Johannes Braun. Diese Banquiersfamilie Braun war eine
sehr reiche und verzweigte in Strassburg. Ein Bruder des letz-
teren war der Banquier Johann Daniel Braun, beider Mutter
eine geborene Margarethe Salome Miville. Eine geborene Anna
Barbara Miville war auch des Aktuarius Salzmann Mutter. *
Wenn Grcthe an seinen Studienfreund, den Sohn des Kam-
merrats Engelbach in Buchsweiler, den JO. Sept. 1770 aus
Strassburg schreibt : *
* Im B. Hause fährt man fort angenehm zu sein. Der A. und
ich werden uns ehestens copuliren lassen. Der ganze Tisch grüsst
Sie »,
so kann mit dem Tisch nur derjenige der Jungfern Lauth
in der Krämergasse Nr. 13 (heutige Nr. 7), mit A. nur der
Tischpräsident Aktuarius Salzmann, dessen unzertrennlicher Be-
gleiter Grcthe in Strassburg war, und in dieser engen Verbin-
dung mit dem B. Hause weder das Brion'sche» noch das v.
Berkheim'sche, * wie man geraten hat, sondern wahrscheinlich
nur das Braun'sche gemeint sein, zu dem der Aktuarius Salz-
mann die nächsten verwandtschaftlichen Beziehungen hatte.
Maria Agnes Braun, eine Tochter des Banquiers Job. Da-
niel Braun, war die Taufpatin des Johann Michael Ott, ihr
Bruder Abraham Braun der Taufpate der früh verstorbenen
Margaretha Elisabeth Fibich, Joh. Daniel Braun Studiosus, der
Sohn des oben genannten Hauswirts der Familie Fibich, der
Taufpate der (Meophe Fibich.
Wer, wie ich, längere Zeit die Geburts- Kopulations- und
Sterberegister der alten Strassburger Familien durchforschte,
wird allmählich angemutet, als hätten dieselben eine einzige
grosse Sippe gebildet, so oft wiederholen sich dieselben Namen
als Tauf- Trau- und Sterbezeugen.
Dass Goethe die Familie Fibich persönlich gekannt habe,
scheint auch aus dem Anteil hervorzugehen, den er an den ver-
1 Aug. Sucher, Der Aktuar Salzraann S. 13: die Unterschriften siimmt-
licher Familienmitglieder finden sich unter einem Teilungsakte des Notars
Lacombe 1774 D 5. Oct. ; den Sterbeakt der Marg. Salome Miville fand ich
in St. Thomas 1*775 fol. 56.
2 Hirzel-Bernays, Der junge Goethe I, 242.
3 Aug. Sucher a. a. 0. S. 48; dagegen schon v. L epers Aninerk. 423.
* A. Baier, Das Heidenröslein. Heidelb. 1877. S. 34.
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— 54 —
Hebten Kreuz- und Querzügen seines Freundes Lenz mit Cleophe
genommen hat.
In Lenzens Roman «der Waldbruder», > der, abgesehen von
einigen äusserlichen Anspielungen an den Weimarer Aufenthalt,
m wesentlichen Strassburger Erlebnisse wiederspiegelt, findet
sich sogar eine Stelle, welche auf ein Konzert im Fibich'schen
Hause gedeutet werden kann, da sie merkwürdige Aehnlich-
keit mit einer Stelle in Lenzens Tagebuch verrät. Zwei Töchter
unterhalten die Gäste, wie im Tagebuch, so im Waldbruder
durch ihren Gesang. In jenem singt die älteste eine der schön-
sten italienischen Arien mit Blicken, die Lenz wünschen mach-
ten, er könne sie lieben, 2 im Waldbruder belohnt die eine der
Töchter Rothen [Grethen] für jede falsche Lobeserhebung mit
einem feurigen Blick. 3
Wenn auch der Waldbruder stark satyrisch gefärbt ist, so
gewinnt doch die Thatsache, dass Goethe einem Konzert in
der Familie Fibich beigewohnt hat, durch jene Erzählung
an Wahrscheinlichkeit. Dann würde auch dieser Besuch in
den Sommer 1775 fallen, wo Goethe zweimal, nämlich im Mai
und im Juli, auf seiner Schweizerreise während mehrerer Tage
in Strassburg verweilte und gewiss ein Interesse daran hatte,
Cleophe zu sehen, beziehungsweise wiederzusehen, nachdem
ihm sein Freund Lenz So viel von ihr und ihrem Verlöbnis
mit dem Baron von Kleist gesprochen hatte.
6. Lenzens dramatischer Nachlass.
Soweit waren meine Forschungen über die Familie Fibich
gelangt, als ich in dem von Karl Weinhold 1884 herausgegebenen
dramatischen Nachlasse des Dichters Lenz zu meiner Freude
die Bestätigung derselben durch Lenz selbst bemerkte.
Wir haben schon oben hervorgehoben, dass Lenz, wie die
andern Dichter der Sturm- und Drangperiode, eigene Erleb-
nisse zum Vorwurf seiner Dichtungen gewählt hat. Der Mög-
lichkeit einer Verbindung mit Friederike begegnet er durch
«die Liebe auf dem Lande», seine Liebe zu Frl. Henriette
Waldner von Freundstein spiegelt «die Laube» und «der
Waldbruder » wieder, sein Verhältnis zu Fräulein König in
1 Dorer-EglolT S. 92 ff.
* S. 279. 3 Dorer-Egloff S. 100.
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- 55 -
Strassburg giebt ihm den Stoff zur «Alten Jungfer». Magister
Leypold vom Protestantischen Gymnasium tritt als Prototyp des
alten Moor in Schillers Räubern in dem «Tugendhaften Tauge-
nichts» mit seinen schulmeisterlichen Flüchen persönlich auf;
kein Wunder, wenn Lenz auch die in der Familie Fibich er-
lebten Vorgänge dramatisierte.
In seinen Entwürfen zu dem Schauspiel «Katharina von
Siena» ist Katharina ursprünglich keine andere als Katharina
Fibich, Laura oder, wie sie im Entwurf B genannt wird, Ara-
minta, wie im Tagebuch, deren jüngere Schwester Cleophe,
der von Katharinens Laune abgewiesene Freier Trufalo der
ältere Ott. In Katharina wollte der Dichter eine Stolze dar-
stellen, welche alle Freier im Uebermut zurückweist, um einen
armen Maler Rosalbino glücklich zu machen, in dem sie das
Ideal eines Mannes verwirklicht sieht. Allein Hosalbino, dem
die Kunst mehr als Liebe gilt, erwidert diese Neigung nicht.
«Katharina flieht deshalb in die Wildnis und sucht in asketi-
scher Brautschaft mit Jesus den Frieden, den sie auch gegen
alle Versuchungen zum Rückfall behauptet. »
Im Entwürfe ß der «Alten Jungfer» ist Wiedeburg kein
anderer als Lenz-Kleist, dem sein Freund Ott den Charakter
Gleophes zu einer Zeit, wo Lenz schon für Fräulein Waldner
entbrannt ist, ins hellste Licht zu rücken sich bemüht.
Ott: Was willst du mehr von einer Person, die dich glücklich
machen soll, als so geliebt zu werden ?
Wiedeburg: Ich will mehr — und darum bin ich elend. Ich will,
dass sie sich mir liebenswürdig machen — dass sie eine Waldner
sein soll 1 — dass 6ie alle meine Sehnsuchten, alle meine Erwar-
tungen auf sich spannen, dass sie die Belohnung alles meines
Strebens Ringens Leidens und der Todesgefahr selber sey — ich will
alles oder nichts ! — sieh, das ist meine Natur, Ott ! und darum
bin ich ein unglücklicher Mensch !
Ott : Sie würde sich nach dir gebildet, sie würde ihre Empfin-
dungen nach den deinigen umgestimmt haben, sie würde dir alles
geworden seyn. Du weisst nicht, dass sie seit einiger Zeit erstaunend
angefangen zu lesen, bloss weil sie merkt, dass du Freude daran
hast — noch mehr, sie erkundigt sich sorgfältig bey all deinen
Freunden, welche Bücher du vorzüglich liebst, und liest sie heimlich,
1 Man vergleiche das weiter unten citierte Gedicht vom 28. Okt. 1775
und daraus die Zeilen: 'Seit ich nicht mehr in die Tugend, nein, in mehr ver-
zaubert hin», welche die Liehe zu Cleophe ab- und dejenige zur Waldner
erschliessen.
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— 56
damit sie dich einmal angenehm überraschen kann, wenn von einem
oder dem andern dieser Bücher die Rede ist.
Wiedeburg: 0 Satan, Satan, der ich bin! Es ist ausgelöscht,
ausgelöscht in meinem Herzen die himmlische Flamme ! — Doch
will ich hin, ich will sie sehen, ich will sie heurathen, ich will alles
thnn, und — siehe, ich sage es dir — mein ganzes Leben durch
eine lange Komödie spielen — vor den Engeln selber, vor dem
Angesicht Gottes selber — aber es bleibt doch immer Komödie.
Ott : Du machst mich grausen !
Wiedeburg : Komm ! — Du solltest weinen und heulen wie eine
Bettlerswittwe mit zehn Kindern, wenn du in mein Herz sehen
könntest !
6.
Ihr Krankenbett.
— Er schwört ihr, dass er keine andere nehmen will und
heurathen, W(aldner) auch nicht, denn er hatte ihr promesse de
mariage gegeben und sie sich darauf verlassen.
Endlich nennt der Entwurf C der «Alten Jungfer» die
Familie Fibich selbst. Vater Fibich tritt mit Namen auf, Baron
Wiedeburg ist Lenz, Graf Dönhof stellt Kleist vor, Cleophe
wird hier Amalia genannt.
Akt L
Erste Scene.
Wiedeburg allein.
Alles was ich von ihr sehe, alles was ich von ihr höre, jeder
Schritt, den sie in die Welt thut, ist von einer Rose der Schönheit
begleitet, die sie in ihren Fusstapfen zurücklässt. 1 Ach und soll
soviel Herrlichkeit vorübergehen, ohne erkannt, ohne in seinem
ganzen Werthe erkannt und an diese Brust gedrückt zu werden?
Amalia — ich liebe dich, Amalia, du sollst dies Wort von mir
nimmer hören, aber mir selbst, und diesen Wänden will ichs
tausendmal sagen, um mich unaufhörlich selbst mit dem Gedanken
aufzuwecken, dass du da bist, und diese himmlische Flamme, die du
in meiner Brust angezündet hast, nie ausgehen zu lassen. Wenn die»
ausgienge — wie elend ~ ! liegt seinen Kopf in die Hand und bleibt
so eine Viertelstunde ohne Bewegung sitzen).
* Wer erinnert sich nicht bei diesem Bilde des Ga?the'schen Lobes «die
Poesie, die Lenz in das Gemeinste zu legen wusste, setzte mich oft in
Erstaunen. >
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- T - -
— 57 —
Fibich kommt herein mit einem Brief in der Hand: Sehen Sie.
Herr Baron, wie unglücklich es ihrer Freundin geht ! Soll ich's Ihnen
sagen ? warum nicht ? Sie sind doch unser einziger wahrer Freund !
Wiedeburg: Sagen Sie mir alles!
Fibich (weint): Meine Tochter ist ein unglückliches Mädchen
lebtäglich !
Wiedeburg : Ihre Tochter ? — warum denn ? wodurch denn ? ich
bitte, weisen Sie mir den Brief.
Fibich (weinend) : Freilich haben Sie so ein Herz, dass man
Ihnen alles sagen rauss und die Freundschaft, die Sie meiner Tochter
von Anfang an bewiesen haben, richtet mich allein auf. Ich armer,
unglücklicher Mann ! Sie ist betrogen ! Der Graf Donhof zieht sein
Wort zurück.
Wiedeburg : Sein Wort zurück ? (reisst ihm den Brief aus der
Hand).
Fibich : Er sagt, er hab ihr nie die Ehe versprochen, das was
er mir schriftlich hinterlassen und die Briefe alle seyn nur ein
Zeichen seiner Freundschaft gewesen, die er auch immer nach wie
vor behalten wolle.
Wiedeburg (den Brief zitternd durchlesend): Sie können ihn
zwingen, Abtrag zu geben.
Fibich : Nein, Herr Baron, nimmer — nimmer thu ich das ! es
sah so aus als ob mein Kind verlegen um einen Mann —
Wiedeburg : Sie können es ohne Ihre Delikatesse zu beleidigen
— lassen Sie mir die Sorge, ich verspreche Ihnen, den Process zu
führen; — noch mehr, beruhigen Sie Ihre Mamsell Tochter, ich
verspreche ihn durch dieses Mittel zurückzubringen.
Fibich : Ach gnädiger Herr, Sie haben ein gar zu gutes Herz !
Wenn sich nicht noch edle Gemüther fanden, die sich unsrer
annähmen —
Wiedeburg : Verlassen Sie sich darauf! lassen Sie mich allein —
ich will mich sogleich hinsetzen und eine Requete an das Land-
botengericht aufsetzen.
Fibich : Gott belohne Sie und schenk Ihnen dafür eine Frau wie
Sies verdienen. (Ab.)
Wiedeburg : In was für Händel verwickelt einen nicht das Mit-
leiden ! Ein guter Wunsch — der Wunsch wars allein werth. — Ach
Amalie !
Folgende Andeutungen über den weiteren Gang der Hand-
lung, sagt der Herausgeber, sind von Lenz gleichzeitig rasch
auf die Rückseite des Folioblattes hingeworfen worden, wie die
Schrift zeigt :
— verliert den Process, erbietet sich aus Grossmut, sie selbst
zu heurathen; erfährt hernach, dass er den Process nitht habe
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— 58 —
gewinnen können, weil die ganze Promesse de Mariage valsifiirt, 1
erfanden, nachgeschrieben worden, denn Fibich hat die Pappiere
allzeit dem Advokaten des W. zugeschickt, weil der nicht Zeit hatte,
sich soviel darum zu bekümmern. Dass zwar der junge Baron ihr
von Ehe zugeredt, aber nie etwas schriftliches hinterlassen habe and
dass eben wegen dieser Falschheit des Vaters die Obrigkeit ihn als
einen Betrüger, der auf die Art das reiche Vermögen dieses Hauses
an sich ziehen wollen, angesehen.
(Darum darf ich das Stück nicht drucken lassen. Wenigstens
nicht, so lang Fib. unverhenrathet ist.) »
Der Herausgeber fügt in der Einleitung zu diesem dem
Jahre 1775 angehörigen Entwürfe S. 195 die Bemerkung bei :
«Es scheint durch den Zusammenhang, worin diese Worte stehen,
dass wir hier den Namen des Handelsmanns am Strassburger Parade-
platz erfahren, mit dessen Tochter, der Mamsell Fibich also, die
Kleists und Lenz selbst ihre Liebesgeschichten halten, die Lenz im
Tagebuch Grethen erzählte und die er in den Soldaten zum Theil
verwerthete. »
•
Nun, die von Weinhold ausgesprochene Vermutung ist erst
durch meine selbständig geführte Forschung zur Gewissheil
erhohen. Dagegen zeigen die von Lenz hingeworfenen Andeu-
tungen über den weiteren Gang der Handlung, insbesondere
die Verneinung der Promesse de mariage, dass Lenz, was sich
auch, sonst beweisen lässt, Vorgänge des wirklichen Lehens
nicht immer in unveränderter Gestalt zu dichterischen Ent-
würfen gewählt habe.
7. Der Stammbaum der Familie Kleist.
Bis zum 12. Mai 1777, also nicht 15, sondern 42 Monate,
hatte die Familie Fibich auf die Erfüllung des Eheversprechens
vergebens gewartet. Baron Kleist hatte, wie es scheint, bis da-
hin stets neue Hoffnung genährt. So konnte Lenz noch im
Febr. 1776 kurz vor seiner Ahreise aus Strassburg an Herder
schreiben : 2
«Ich danke dir, dass du die «Soldaten» zum Druck befördert
hast. Reich wird sie hoffentlich vor Michaelis nicht bekannt machen
1 So steht fflr «falsifiirt» geschrieben. Doch möchte ich dieses Versehen
des Dichters nicht wie Weinhold mit einem Ausrufungszeichen begleiten.
Hechtschreibung war damals noch kein untrüglicher Gradmesser der Bildung
wie heutzutage.
* Aus Herders Nachlass I, S 238.
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- 59 —
und alsdann wird das mit Fingern deutende Publikum auf nichts
mehr zu deuten haben.»
Lenz hatte also gegründete Hoffnung, dass Baron von Kleist
bis Michaelis 1776 sein Wort eingelöst haben würde, allein der
Winter 1776—1777 verging, bis endlich, als Cleophe an der
Schwelle der zweiten Hälfte ihres 23. Lebensjahres angelangt
war, Vater Fibich das versiegelte Ehe versprechen zur Geltend-
machung seiner Ansprüche eröffnen Hess.
Wie die Kleist-Fibich'sche Angelegenheit weiterhin im ein-
zelnen verlaufen, ist bis jetzt unbekannt, doch darf ich nach
einer Abschrift des im Museum zu Mitau befindlichen Stamm-
baums der Familie Kleist 1 schliessen, dass sich der Baron nicht
gerade cavaliermässig benommen hat.
Nach jenem Stammbaum war der Vater jener drei Brüder
Kleists Christian Ewald von Kleist, Majoratsherr auf Kerklingen
und Dobelsberg, die Mutler eine Katharine Alexandrine von
Vietinghoff, gen. Scheel. Aus der 1749 »/ 6 geschlossenen Ehe
gingen 5 Kinder hervor, nämlich:
1) Agnese Alexandrine, geb. 1750 '6/4, gest. 1813 5/9»
2) Friedrich Georg, geb. 1751 «/* g«»t- 1800 *>/,.
3) Ernst Nicolaus, geb. 1752 */ 4 , gest. 1787 '/ 3 .
4) Christoph Hieronymus Johann, geb. 1753 gest. 1829 ><V 10 .
5) Marie Charlotte Sophie Eleonore, geb. 1757 gest. 1798 10 /n.
Friedrich Georg, der Verlobte der Cleophe Fibich, verhei-
ratete sich nach jenem Stammbaum in erster Ehe 1776 *<>/,,
mit Anna Margaretha Hedwig von Butenberg aus Weiden geb.
1760 28/ 7 , gest. 1793 5 *j, 2 , in zweiter Ehel 794 »/io mit Agathe
Dorothea Elisabeth von Butenberg aus Neu-Autz geb. 1770 »/ 2 ,
gest. 1832 8/7. Auf derselben Stammtafel wird Friedrich Georg
«Königl. Polnischer Kammerherr und Bitter des Stanislaus-
ordens, Majoratsherr auf Kerklingen und Dobels berg, Eibherr
auf Weiden » genannt, der zweite Bruder, mit welchem Lenz
in Fort Louis und Landau gewesen, als « französischer Kapitain,
1 Diese Abschrift, welche mir Falck vermittelte und nach der
Ruchholz 'sehen genealogischen Sammlung baltischer Familien der Rigaer
Stadtbibliothek ergänzte, verdanke ich der Güte des Herrn Julius Döring, des
bekannten Malers und Kunsthistorikers, in Mitau.
2 Vergl. Rudolf Reicke Altpreussische Monatsschrift 1867 S. 654 II.:
L'Estocq nahm 20. Sepl. 1769 drei dieses Namens, im Index (der Königs-
herger Universität) als fratres bezeichnet, auf : Friedericus Georgius de Kleist
Eques Kerklinga-Curonus, Ernestus Nicolaus de Kleist und Christophorus
Johannes Hieronymus de Kleist.
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— 00 —
polnischer Kammerherr und Erbherr auf Subbern» und der
jüngste Bruder, den Lenz im Hinblick auf die bevorstehende
Verbindung des ältesten mit Cleophe Fibich den «Schwager»
nennt, als «französischer Kapitain, später preussischer Kammer-
herr und gestorben zu Charlottenburg» verzeichnet.
Zunächst geht aus diesen authentischen Angaben hervor,
dass Baron Friedrich Georg v. Kleist, um auch nach Strass-
burger Recht, majorenn zu erscheinen, in dem von ihm unter-
zeichneten Ehekontrakt sein Lebensalter falschlich auf 25 Jahre
angegeben hat. Ferner erhalten jetzt Lenzens Worte, «dass das
Publikum Michaelis 1770 auf nichts mehr werde zu deuten
haben,» einen besonderen Sinn. Wahrscheinlich hatte Baron
v. Kleist die Erfüllung seines Eheversprechens der Familie
Fibich bis zu diesem Termin verheissen, während er bereits
mit dem Plane umging, sich der Erfüllung dieses Versprechens
durch die bis dahin geschlossene Ehe mit Fräulein von Rutenberg
zu entziehen. Dass er einer solchen Handlungsweise fähig war,
kann leider nicht geleugnet Werden. Denn der Umstand, dass
Vater Fibich am 12. Mai 1777 den Ehekontrakt eröffnen lassen
musste, beweist, dass Baron v. Kleist an seinem Vermählungs-
tage, den 20. Sept. 1770 seinen Verbindlichkeiten gegenüber
der Familie Fibich nicht gerecht geworden war.
Was weiter geschah, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass
Fibich überhaupt auf Grund eines solchen Aktes vor dem russi-
schen Richter klagen konnte, möchten wir bezweifeln. Immer-
hin wird das Jahr 1777 der Familie Kummer und Aufregung
genug verursacht haben. Bereits am 15. Mai 1778 starb im
Alter von erst 52 Jahren, wie der Sterbeakt besagt «an Fieber,
Geschwulst und Engigkeit» Mutter Fibich ; * «die gute Mutter»
nennt sie Lenz im Tagebuch. * Ob ihr Tod durch den voraus-
gegangenen Herzenskummer beschleunigt worden?
Auch wie Lenz sich zu dieser fatalen Angelegenheit ver-
halten, ist unklar. Dass er auch nach der Entzweiung mit dem
jüngsten v. Kleist mit der Familie seiner ehemaligen Zöglinge
in Verbindung stand, gesteht er selbst in einem Briefe vom
10. Dez. 1777 an Sarasin in Basel. 3 Merkwürdiger Weise er-
bittet er sich durch letzteren schleunigst die Originalbriefe
1 Sterbregisler der Neuen Kirche Bd. 189 fol. 19.
2 S. 286.
3 Dorer-EglofT S. 237.
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- (51 -
Ewald v. Kleists, des Heimgegangenen Dichters des Frühlings,
welche Herr Ratsherr Iselin hesass.
«Ich bringe sie, schliesst Lenz seinen Brief, aufs heiligst*'
wieder nngekränkt nach Basel zurück und einen Dank, der nicht
endigt, Ihnen und nnaerm Iselin zum Ersätze. Die Absicht, wozu ich
diese Briefe brauche, können Sie sich beide nicht vorstellen, könnte
ich Ihnen beiden auch nicht begreiflich machen, da ich sie mir selber
nicht in Worte fassen kann; genug, mir liegt unbegreiflich
viel daran. »
So viel geht aus diesen wirren Worten hervor, dass Lenz
mit jenen Briefen des Dichters Kleist irgend einen Eindruck
auf jene kurländische Familie zu machen gedenkt. Will er etwa
der adelsstolzen, welche die Verschwägerung mit der Strass-
burger Bürgersfamilie abgelehnt hatte, an ihrem eigenen Fleisch
und Blut zu Gemüte führen, dass es noch etwas Höheres, näm-
lich das Genie, gebe ?
Nicht minder aullallend, aber ebenso schwer zu deuten, ist
ein Brief, den Schlosser Mitte März 1778 an Ruulerer nach
Strassburg schreibt : 1
« Sie werden sich freuen lieber Magister, wenn Sie hören, dass
Lenz hergestellt ist, wenigstens allem menschlichen Ansehen nach.
— Inliegenden Brief gab er mir kurz nach einem harten Paroxismus
von Schwermut. Ich vermutete, dass etwas Tolles drin ist, und
brach ihn auf. um Sie nicht zu erschrecken. Auch finde ich, dass es
wahr ist; stosen Sie sich aber nicht an seiner Apostrophe. Seine
Seele ist noch viel zu schwach, auch da zu schwach gewesen. Ich
hab auch Verehrung für solche Sachen, aber wenn Ihr seel. Vater
Ihnen jetzt rathen könt, würde er auch rathen. wies die Umstände
crfodern. Sagen Sie Lenzen und schreiben Sie ihm nicht, dass ich
den Brief erbrochen und zurückgehalten habe. Schicken Sie ihm
seine Sachen bald mit Entschuldigung, dass Sie wegen Abwesenheit
seinen Brief verfehlt hätten, in der Sache aber thun wollten
was möglich ist. »
Zu dieser Lücke schreibt der Herausgeber in der Note :
«Ein abgekürztes und ganz unleserliches Wort)». Diese Lücke
konnte von Bedeutung werden, wenn hier cFibich'schen» oder
«Kleist'schen* Sache stand. Es war damit der Beweis geliefert,
dass die Familie Fibich damals die ihr rechtlich gebührende
Genugthuung noch nicht erhalten hatte. Diese Annahme wurde
1 A. Stoiber, J. G. Kccderer und seine Freunde S. 68.
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1 1 /f' ' r ' ■*!,'••. ; " **' •'•V T;t/v •<?•;* •sfr 1
- 62 —
für mich die erste Veranlassung, den Ruedreer'schen Naehlass,
welchen einst Stoeber benutzte, in Strassburg aufzuspüren.
Zwei Fräulein Rcederer, Enkelinnen des trefflichen Theo-
logen, besitzen ihn und halten ihn als ein heiliges Familien-
vermächtnis in Ehren. Mit welcher Freude begrüssle ich das
Glück, die kostbaren Papiere, unter denen 2 GuHhe'sche Briefe,
in Händen halten zu dürfen ! Auch vermochte ich obige Lücke
mit Hülfe der Besitzerinnen zu enträtseln. Weder Kleist'schen
noch Fibich' sehen Sache war an jener Stelle zu lesen, sondern in
der «dortigen» Sache, aus welchen Worten kein bestimmter
Schluss zu ziehen ist. Auch dass Lenzens Bruder, der den
scheinbar Wiedergenesenen im Sommer J779 nach Riga ab-
holte, in einem Briefe an Salzmann mit Bedauern erklärt, dass
er Strassburg mit seinem Bruder habe vermeiden müssen, 1
kann nicht mit Sicherheit auf den Umstand zurückgeführt wer-
den, als ob die Fibieh'sche Angelegenheit damals den Dichter
noch bewegt habe.
8. Cleophes Stammbucheintrag.
Dass sich Baron von Kleist nicht rechtlich in jener Ange-
legenheit benommen habe, glauben wir behaupten zu müssen.
Dagegen hat Cleophe dem Verlobten bis an ihr Lebensende die
Treue bewahrt und diese Gesinnung im Dez. 1774 durch ein
unverdächtiges Zeugnis bekräftigt. Wir besitzen nämlich im
Stammbuch Lernens auf der ersten Seite einen anonymen Ein-
trag von «einer ungenannten, doch wohlbekannten Freundin»,
den zuerst brieflich am 29. Okt. 1883 Falck und gleich darauf
auch Düntzer öffentlich in der Köln. Zeitung vom 24. Nov.
1883 III. Blatt als einen Autograph Aramintas erkannten.
Dieses, wie es schien, längst verschollene Stammbuch des
Dichters, aus welchem bereits früher einmal «Ii« Eintragungen
Goethes, Schlossers und seiner Gattin bekannt geworden waren,
tauchte plötzlich in Fellin in Ljvland auf und zwar im Besitz
der Tochter des um den Lenz-Nachlass sehr verdienten Dr.
Dumpf. Herr Gymnasialdirektor Dr. Wald mann daselbst, dessen
ausserordentlicher Güte ich das beigefügte Facsimile verdanke,
legte diese Lenz-Reliquie am 5. Okt. 1883 der literarischen Ge-
sellschaft zu Fellin vor und berichtete eingehend über dieselbe
in dem Jahresbericht jener Gesellschaft pro 1883 und 1884.
1 A. Stoeber, Der Dichter Lenz S. 40.
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Diesem Bericht und einer mir gewordenen brieflichen
Mitteilung seines Autors zufolge, ist das Stammbuch, dessen
Höhe 10 i/j und dessen Breite 14 '/s Gtm. beträgt, in
roten Saffian gebunden, hat Goldschnitt und Goldvensierungen
auf Rücken und Rand, tragt auf der Vorderseile den Namen
Lenz, auf der Rückseite die Jahreszahl 1774; Verzierungen,
Lettern und Ziffern sind von altertümlicher Ausstattung. Das
Album zählt 63 Blätter eines nach modernen Begriffen höchst
unansehnlichen weissen Papiers, 21 Blätter sind ausgerissen,
beschrieben sind nur 4 Seiten. Auf der ersten Seite desselben
steht die als Facsiinile beigegebene Eintragung. In der Milte
des Albums finden sich auf drei unmittelbar auf einander fol-
genden Seiten 3 Kinzeich nurigen :
1) Zur Erinnrung guter Stunden,
Aller Freuden, aller Wunden,
Aller Sorgen, aller Schmerzen,
In zwei tollen Dichter Herzen
Noch im letzen Augenblick
Lass ich Lenzzen dies zurück.
Goethe.
2) Si vedrem chiaro poi, come sovente
Fer le coae dnbbiose altri s'avanza,
E come spesso indarno si sospira.
Petrarca.
C. Schlosser.
Letztere Eintragung rührt von Giethes Schwester Cornelie,
der Gattin des Hofrais Schlosser in Emmendingen bei Freiburg,
her. Schlosser selbst hat sich in das Lenz'sehe Stammbuch in
folgender Weise eingetragen :
3) Catharina von Siena.
J. 0. Schlosser.
Catharina von Siena ist der Titel jenes oben citierten dra-
matischen Entwurfes, von «lern der Dichter am 14. März 1776
fegen Merck äusserte : «es sei schon in seiner pia mater fertig,
aber noch nicht geschrieben.» Weinhold, der Heiausgeber des
dramatischen Nachlasses, setzt bei dieser Gelegenheit hinzu :
«Lenz hatte von dem Drama, das ihn damals beschäftigte, in
Emmendingen gesprochen und es dem edlen Paare einst vorzulegen
gedacht. Schlossers Eintragung sieht als Mahnung, nicht wie eine
Quittung aus. Auf dem Zettel, welcher drei Sätze zur ersten Catharina
enthält, lesen wir die Worte : so bleibt das Stück immer für Grethen
und seine Schwester.»
Weinholds Ansicht von einer Mahnung Schlossers ist auch
die unsrige; die Eintragung fallt wahrscheinlich Ende Mai 1775,
da GuHhe seinen Freund Lenz den 27. Mai 1775 von Strass-
burg nach Emmendingen mitgenommen hatte. * Hat Gcethe wirk-
lich im letzten Augenblick des Scheidens sich in Lenzens Stamm-
buch eingetragen, woran nicht zu zweifeln, so ist auch Goethes
Eintrag in Emmendingen und nicht in Sirassburg erfolgt.
Was nun den anonymen Vers auf der ersten Seite des
Stammbuchs betrifft, so haben Falck und Düntzer die ursprüng-
liche Vermutung, als könne derselbe von Friederike Brion her-
rühren, widerlegt, indem sie die wahre Verfasserin in Araminta
erkannten. Düntzer schreibt mit vollem Rechte :
« Friederike hatte damals, Ende 1774. schon längst jede Aussicht
auf Goethe aufgegeben und so können wir diese Deutung auch ohne
Ansicht der Handschrift um so entschiedener ablehnen, als die Dame,
welche in dem hier vorliegenden Verhältnisse zu Lenz stand, ob wir
gleich ihren Namen nicht kennen, nachzuweisen vermögen. »
Folgt der bekannte Hinweis auf den Anfang des 14. Buches
von Wahrheit und Dichtung und das Lenz'sche Tagebuch.
Nun, diese bisher dem Namen nach unbekannte Dame ist
in Cleophe Fibich entdeckt worden, deren handschriftlicher
Eintrag dadurch an Interesse gewinnt, da er mit demjenigen
von Goethe, dessen Schwester und Schwager in Lenzens Stamm-
buch vereinigt ist.
Dieser Stammbucheintrag Cleophes vom 4. Dezember 1774
ist unseres Wissens das letzte Glied jener Kette von Kreuz- und
Querl>ewegungen des Dichters mit ihr. Nach dem Tagebuch
freilich war bereits Ende Oktober der Bruch zwischen Lenz
und dem jüngsten Baron v. Kleist erfolgt. Dass die Veranlas-
sung dazu in jenem Verhältnis zu Cleophe gesucht werden muss,
lässt die Darstellung desselben nur zu deutlich erkennen.
Aber Lenz machte wohl noch einen letzten Versuch auf das
Herz der Geliebten. Was Cleophe oft im Scherz gesagt hatte :
1 Frl. König in einem unedierten Briefe an Madame Hesse in Darmstadt,
Buchsweiler 14. Juni 1T75: «Lenz war mit Goethe bei der Schlosserin und
kann nicht sagen, was für Wunderwürkung sein Anblick auf ihre Seele und
Körper gemacht haben. • (Mitteilung von Falck.)
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sie wünsche sich einen Mann wie Lenz ; wenn ihr Bräutigam
sie verliesse, solle er seinen Platz einnehmen, 1 hatte den Dichter
veranlasst, sie heim Wort zu nehmen. Bei diesem Antrag
jedoch findet Gleophe ihren Ernst wieder und weist den Be-
werber in die ihm gebührenden Schranken zurück.
Damit war wohl die Lenz-Araminta Angelegenheit im
wesentlichen abgethan, wenn auch die «Freundin» noch
ferneres Wohlwollen für Lenz bewahrt haben mag. In ähnlicher
Weise ist Lenz auch von dem Baron v. Kleist trotz aller Dif-
ferenzen, die ihn zum Ausziehen veranlassten, schliesslich doch
in Frieden geschieden. Noch in Weimar gab Lenz Salzmann
Aufträge für Fibich, * erhielt er wiederholte Grusse von Herrn
v. Kleist durch Roederer. s
Uebrigens schildert Lenz selbst im Tagebuch die Erlebnisse
des letzten Abends, den er mit Herrn v. Kleist verbrachte, der-
art, dass wir an einen tragischen Konllikt nicht glauben können.
Der stark angeheiterte Baron, der in roher Weise seine aus-
gelassenen Streiche mit dem Dichter getrieben, giebl, vernünftig
geworden, demselben beim Schlafengehen die schönsten Worte
von der Welt und war auch am andern Morgen, da Lenz von
ihm auszog, <rsein bester Freund.»
An eine Forderung zwischen beiden, wie Urlichs* und Erich
Schmidts vermuteten, ist deshalb trotz einer dahin bezüglichen
Ueberschrift eines Lenzischen Gedichtes, von welchem weiter
unten, keineswegs zu denken.
V. Aufschluss aus den Werken des
Dichters.
1. Die Gedichte.
Es ist nicht leicht, aus der Zahl gleichgestimmter Gedichte,
welche dieselbe Stufenleiter der Gefühle von der höchsten Schwär-
merei bis zur gänzlichen Hoffnungslosigkeit durcheilen, mit voll-
kommener Gewissheit die zu einem Araminta-Gyklus gehörigen
zu bezeichnen. Bedenken wir jedoch, dass Lenz das Herz Cleo-
» Tagebuch S. 276 u. 281 .
* Weinhold, Dramatischer Nachlass S. 195.
3 Mitteilung Falcks aus den ungedruckten Rcederer-Briefen ; vgl. auch
Streber, Der Dichter Lenz S. 84.
•* S. 259. 5 Lenz und Klinger S. 15.
5
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- (36 —
phes durch sein Liebesspiel vor anderweitigen Gefahren liewah-
ren zu müssen glaubt, dass ihm, dem ernstlich Verliebten,
jedoch Gewissensbisse entstehen und Cleophe sowie der Schwager
ihm Vorwürfe machen, so müssen wir jedenfalls folgende drei
grösseren Gedichte einem Araminta-Cyklus zusprechen, wenn
;»uch der Wahrscheinlichkeit gemäss noch manche der kleineren
Lenz'schen Gedichte demselben zuerkannt werden dürfen. Möchte
doch die von Frh. v. Maitzahn verheissene Gedichtsammlung
bald erscheinen, um volle Klarheit in dieser Frage zu ver-
breiten !
L
Der verlorene Augenblick, die verlorene Seligkeit. »
(Kiue Predigt über den Text: Die Mahlzeit war bereitet, aber die Gäste waren
ihrer nicht wcrlb.)
Von nun an die Sonne in Trauer,
Von nun an finster der Tag,
Des Himmels Thore verschlossen ;
Wer ist der wieder eröffnen,
Mir wieder entschliessen sie mag ?
Hier ausgesperret, verloren,
Sitzt der Verworfne und weint,
Und kennt im Himmel auf Erden
Gehässiger nichts, als sich selber,
Und ist im Himmel auf Erden
Sein unversöhnlichster Feind.
Aufgingen die Thore,
Ich sah die Erscheinung;
Und war's kein Traum?
Und war's so fromd mir ?
Die Tochter der Freude,
Der Segen des Himmels,
In weissen Gewölken
Mit Rosen umschattet,
Duftete sie hinüber zu mir,
In Liebe hingesunken,
Wie schrecklich in Reizen geschmückt
Schon hatt' ich so selig, so trunken
Fest an mein Herz sie gedrückt,
Ich lag im Geist ihr zu Füssen,
i L. Tieck, Gesammelte Schrillen von J. M. R. Lenz III, 249; vgl.
A. Sauer in Kürschners Deutseber National- Literatur X, 223.
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•• •
— 67 -
Mein Mund schwebt über ihr, *
Ach ! diese Lippen zu küssen,
Und dann mit ewiger Müh
Den süssen Frevel zu büssen. —
In dem einzigen Augenblick,
Grosse Götter, was hielt mich zurück ?
Kommt er nicht wieder?
Er kehrt nicht wieder!
Ach er ist hin, der Augenblick,
Und der Tod raein einziges Glück.
Dass er käme!
Mit bebender Seele
Wollt ich ihn fassen,
Wollte mit Angst ihn
Und mit Entzücken
Halten ihn, halten
Und ihn nicht lassen,
Und drohte die Erde mir
Unter mir zu brechen,
Und drohte der Himmel mir
Die Kühnheit zu rächen,
Ich hielte, ich fasste dich
Heilige, Einzige,
Mit all deiner Wonne
Mit all deinem Schmerz,
Presst 1 an den Busen dich!
Sättigte einmal mich,
Wähnte du wärst für mich,
Und in dem W T onnerausch.
In den Entzückungen
Bräche mein Herz.
H.
Auf eine Papillote ; welche sie mir im Conzert zuwarf. »
Meynstu mit Zucker willst du meine Qual versüsseu
Mitleidig göttlich Herz ! wie wenig kennstu sie V
Wenn sich nach Mitternacht die nassen Augen schliesseu
Schläft doch mein Herz nicht ein, es wütet spät und früh.
> R. Zceppritz, Aus F. H. Jacobi's Nachlass 11, 310; vergl. A. Sauer
4i. a. O. 221 : ich habe die ursprüngliche Schreibart beibehalten.
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— 68 —
4
*
Vor Tage lieg ich schon and sinn auf mein Verderben
Und straffe mich oft selbst und nehm' mir Tugend vor
Und kämpf und ring mit mir und sterb und kann nicht sterben,
Weil mich mein Unstern nur zum Leben auserkohr.
Ich soll dich sehn und fliehn ? Dein Lächeln sehn und meiden ?
Und du verstehst es wohl, wo mir's am wehsten thut.
Du hassest meine Kuh, es scheint dich freut mein Leiden
Du wüuschst es grösser noch, es scheint du willst mein Blnt.
So nimm es göttliche! ein kleines Federmesser
Eröffnet mir die Brust, wie sanft würd es mir thun?
Ach tlius, durchbor mein Herz, gewiss dann wird mir besser,
In deinen Armen will ich dann vom Leben ruhn.
Ach, welche Süssigkeit! von Lieb und Wollast trunken
Schläft dann mein mattes Haupt von seiner Unruh ein,
Auf deinen süssen Schooss verliebt herabgesunken,
Und büsset sterbend noch die Ursach' seiner Pein.
Ja thus ! von deiner Hand wie kann der Tod mich schröcken,
Er ist das grösste Glück, das ich erhalten kann.
Ein Stoss, so ists geschehn: wie süss wird er mir schmecken,
Ein kleiner Stoss und dann geht erst mein Leben an.
Dann will ich zärtlich dir als Geist zur Seite schweben,
Dann wehrt es niemand mir, du selber wehrst es nicht,
Dann darf ich ungescheut dem Munde Küsse geben,
Der so verführisch lacht und so bezaubernd spricht.
Dann darf so lang ich will mein Auge nach dir sehnen
Dann hasch ich deinen Blick und schliess ihn in raein Herz.
Dann wein ich, wenn ich will, und niemand schilt die Tränen.
Dann seufz ich, wenn ich will, und niemand schilt den Schmerz.
Dann will ich dir im Traum zu deinen Füssen liegen
Und wachend horch ich auf, wie dirs im Busen schlägt.
Bistu vergnügt, o Glück ! so theil ich dein Vergnügen,
Wo nicht, so theil ich auch was dir Verdruss erregt.
Dann, mein unschätzbar Gut! dann straft mich das Gewissen
Für meine Liebe nicht, nur dann, dann steht mirs frey
Dann fühl ich keinen mehr von den verhassten Bissen
Als ob ich Frevler Schuld an deiner Unruh sey
Dann bistu meiner loss, nicht wahr du bist es müde
Von mir gekränkt zu sein, dann weisstu es nicht mehr
Was mich schmerzt oder nicht, dann hast du ewig Friede
Denn nach dem Tode rührt mein Schmerz dich nicht so sehr.
Selbst ach! dein Glück verlangt's, ich fühl es, ach' mit Zittern,
Dass ich im Wege bin — so thu es beste Hand!
Ich muss mir täglich nur das Leben mehr verbittern,
Und thust du's nicht — dann Gott ! erhalt mir den Verstand ! —
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• ■
- 69 —
i
III.
(Dis ward den Abend vor dem Puell geschr.) »
Von dir entfernt, dir immer nah,
0 da mein Leben, Seraphine.
Ist das ein Traum, was mir geschah?
Mich tröstet, dass ich's nicht verdiene ?
Nein selbst dein Zorn verschönert dich
Und ist das hochte Gut für mich.
In dieser Einsamkeit, des kurzen Lebens müde
Das ich doch nicht verlieren kann,
Da schenkst nur du, mein Glück! dem bangen Herzen Friede
Das dich auf ewig lieb gewann.
Wie, wer verbietet mir 1 s, wer kann es mir verbieten?
Ist das ein Laster, Götterbild?
Von dir gerührt zu sein ? Wer kann sein Herz behüten
Wenn selbst der Himmel nicht solch eine Neigung schilt.
Nein Göttliche ! solch eine Lieb ist Pflicht.
Für die will ich mein Blut verströmen,
Man kann mir zwar das Leben nehmen,
Doch meine Liebe ewig nicht.
Ich kenne dich nicht erst von heute,
Ich kenne dich von jeder schönen Seite »
Ich bete, denk ich noch daran,
Dank, Sehnsucht, Tränen in den Blicken
Den, der dich schuf, mit heiligem Entzücken
Und dich, sein schön Geschöpfe an.
Ach wieviel Glück ist selbst in diesen Tränen,
Nach wem kann sich mein Herz sonst sehnen
Als nur nach dir und stets nach dir
Und dies — nur dies — verbeut man mir?
Dis reine Feuer macht ein Bube sich zu rächen
Mir zu dem schwärzesten Verbrechen ?
Und du mit ihm? Du die Gerechtigkeit,
Die Güte selbst? War es Verwegenheit
Dich anzusehn? Gott ist es eine Sünde
Wenn ich in dir den Himmel finde
Mit aller seiner Seeligkeit.
Schiltst du ein Kind, das dir die Hände küsst.
Dafür, dass du ihm freundlich bist.
Hast du mich je in den beglükten Stunden,
Da ich noch nicht Verstössen war,
1 Diese Ueberschrift ist im Original durchgestrichen. R. Zceppritz a. a. O.
II, 312; vergl. A. Sauer a. a. O. 226.
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Wohl anders als ein Kind gefanden,
Und worin lag denn die Gefahr ?
Ach Seraphine, Seraphine,
Es tödtet mich, dass ich das nicht verdiene.
Dass die beiden Gedichte «Der verlorene Augenblick» und
«Auf eine Papillote» stilistisch, also auch inhaltlich zusammen-
gehören, liewcisen folgende Parallelstellen:
Der verlorene Augenblick.
Ich lag im Geist ihr zu Füssen,
Mein Mund schwebt über ihr :
Ach! diese Lippen zu küssen,
Und dann mit ewiger Müh 1
Den süssen Frevel zu büssen. —
Auf eine Papillote.
Dann will ich dir im Traum zu
[deinen Füssen liegen
Dann will ich zärtlich dir als Geist
[zur Seite schweben
Dann wehrt es niemand mir, du
[selber wehrst es nicht;
Dann darf ich ungescheut dem
[Munde Küsse geben,
Der so verführisch lacht und so
[bezaubernd spricht.
Nun stimmt das zweite Gedicht an folgender Stelle inhalt-
lich auch mit dem Tagebuch überein.
Auf eine Papillote.
So nimm es, Göttliche! ein kleines
[Federmesser
Eröffnet mir die Brust, wie sanft
[würd' es mir thun?
Ach thu's, durchbohr mein Herz,
[gewiss dann wird mir besser,
Das Tagebuch.
(S. 281.)
Ich nahm ihre Hand voll der
lebhaftesten Empfindung zwischen
meine beyden und bat sie, mir
lieber jenes Federmesser ins
Herz zu drücken, als zu verlangen,
dass ich mehr sagen sollte.
Die beiden Gedichte gehören somit dem Araminta-Cyclus
an und nicht etwa der Weimarer Katastrophe, wie man auf
den ersten Blick annehmen möchte. 1 Die Starke des Ausdrucks
ist Gewohnheit der Dichter der Sturm- und Drangperiode und
gerade bei Lenz nicht immer gleich auf die schlimmsten Kata-
strophen seines Lebens zu beziehen.
Diese Wahrnehmung bezieht sich nicht minder auf das
dritte der citierten Gedichte, welches inhaltlich ebenfalls zur
1 Gruppe S. 137 und Zoeppritz S. 290 nehmen es an, während Urlichs
S. 263 sich schon mehr meinem Ergebnisse nähert.
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Araminta AITaire gehört: Obgleich sich der Dichter im Oktober
« Verstössen » wähnt, schreibt sich ihm Cleophc im Dezember als
eine «ungenannte, doch wohlbekannte Freundin» ins Stamm-
buch. Auch die durchgestrichene Ueberschrift «dies ward den
Abend vor dem Duell geschrieben » lässt sich viel einfacher auf
die im Tagebuch erzahlten komisch-ernsten Attacken des jüng-
sten Kleist, der Lenz im Finstern mit dem Degen angreift,
während dieser sich nur mit den Armen wehrt, 1 als auf eine
wirkliche Herausforderung beziehen, die sonst nirgends be-
glaubigt ist und auch mit den Grössen, die Herr v. Kleist
später mehrfach an Lenz in Weimar bestellen lässt, in Wider-
spruch stehen würde. Ueberdies stimmt die Durchstreichung
obiger Ueberschrift — wie ich sehe, ein beliebtes Mittel jener
Zeit, um mit einer geheimen Sache zu kokettieren 2 — mit der
im Tagebuch an Goethe gerichteten Bitte, von jener Raufscene
nichts verlauten zu lassen, nachdem er sie lang und breit erzählt
hatte.
Alle drei Gedichte sind echte und schöne Kinder der Ara-
minta-Liebe, wenn wir auch kaum begreifen können, wie Lenz
die Neckereien einer ausgelassenen Mädchenlaune nicht für das
erkannt habe, was sie in Wirklichkeit sein sollten.
Nach dem ersten jener Gedichte hat Lenz die Angebetete
in Balltoilette überrascht und ans Herz gedrückt.
Das zweite Gedicht beschwichtigt die Vorwürfe, welche ihm
wegen jener Umarmung gemacht worden waren. Der Dichter
entschuldigt seine Kühnheit und wünscht sich den Tod von der
Geliebten Hand, um als seliger Geist Liebkosungen wagen zu
dürfen, die ihm im Leben als Frevel angerechnet würden, ihm
selbst Gewissensbisse verursacht hätten.
Nach dem Inhalt des dritten Gedichtes war auf jene Vor-
würfe ein ernstlicher Verweis erfolgt. Der zukünftige Schwager
hatte das Benehmen des Dichters verurteilt und Cleophe «die
Gerechtigkeit und Güte selbst » ihm beigestimmt. Lenz aber,
weit entfernt, diesen Verweis hinzunehmen, beruft sich auf sein
1 Tagebuch S. 291 .
2 So sind in dem oben bruchstückweise mitgeteilten Hochzeitsgedichtti
der Katharina Fibich Strophe 30 u. 31 die Namen Fibich und Ott, welche
sich doch mittelst des Reimes erraten lassen, durchstrichen. So klagt Laiith
(siebe Ober ihn Stocher, Der Aktuar Salzmann S. 40) in einem ungedruckteu
Antwortschreiben an J. G. Rußderer in Göttingen d. 23. Jan. 177*7: «Warum
streichst du Mädchen aus, Mädchen, welches Geschöpf doch meine ganze
Seele liebet. •
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• i ' i
— 72 —
Liebespiel , indem er seine Neigung als die ungefährliche eines
Kindes hinstellt.
Jetzt erst verstehen wir jenes eigentümliche Gedicht «An
Seraphine». Cleophes «Zorn» über seinen Liebesantrag ist für
ihn «das höchste Gut», da er ihm als Beweis ihrer Treue zu
ihrem Bräutigam gilt; «der Himmel selbst schilt solche Nei-
gung nicht,» ja «solch eine Lieb' ist Pflicht,» da der Dichter
nur auf solche, allerdings sehr seltsame Weise, indem er näm-
lich sich selbst in sie verliebt oder zu verlieben scheint, das
Herz Cleophes vor anderweitigen Gefahren behüten zu müssen
glaubt. Deshalb nennt er dies Liebesfeuer ein «reines» den
jüngsten Kleist aber einen «Buben», weil er dessen Bewerb-
ungen, wie das Tagebuch verrät, keine gleich unverfänglichen
Beweggründe unterzuschieben vermag.
Indem wir so auf Grund der Gedichte das psychologische
Verhalten des Dichters in der Araminta-Angelegenheit analy-
sieren, gelangen wir zur Ueberzeugung, dass Goethe in seiner
Beurteilung desselben Lenz wahrscheinlich zu nahe getreten ist,
wenn er inbezug auf seine Zurückweisung durch Cleophe den
spöttischen Zusatz macht, «man sei überzeugt, dass wenn er
zum Bewusstsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen
pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Glück
gewünscht habe».
Goethe bleibt den Beweis seiner Behauptung schuldig, die
lauterste Zeugin der Wahrheit, die echte Lyrik, sagt uns da-
gegen, dass der Dichter jene Zurückweisung schmerzlich em-
pfunden habe, und der Verdacht ist nicht abzuweisen, dass
Goethe sich durch falsch verstandene Verse wie folgende :
« Nein, selbst dein Zorn verschönert dich
Und ist das höchste Gut für mich >
in seiner Beurteilung des Dichters habe täuschen lassen.
Halbtoll allerdings müssen wir mit Garthe die Idee Lenzens
bezeichnen, einem abwesenden Freunde das Herz seiner Braut
dadurch erhalten zu wollen, dass er sich in sie zu verlieben
scheint oder verliebt, auch trübt Lenz dieses eigentümliche
Verdienst, da er wie jene Umarmung und die cynische Ueber-
schrift des ersten der drei Gedichte genugsam beweisen, bei
Gelegenheiten die Befriedigung seines eigenen sinnlichen Wohl-
gefallens erstrebte, allein trotz aller dieser Seltsamkeiten haben
wir keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Lenz, dessen gutes
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— 73 —
Herz von allen gerühmt wird,i bei jenem Liebesspiel, das er
nun einmal für nötig erachtete, im letzten Augenblicke vor dem
wahren Bräutigam zurückzutreten entschlossen war.
Man darf deshalb Lenzens Benehmen in der Araminta-Ange-
legenheit überspannt, ja halb närrisch nennen, aber eine ganz
zweck- und inhaltlose lntrigue, wie Goethe sie charakterisiert,
war sie nicht, da Lenz sie im Interesse und für das Glück des
abwesenden Freundes unternehmen zu müssen glaubte.
2. Das Tagebuch.
Zu gleicher Ueberzeugung, wie die Gedichte, führt uns
auch die Prüfung des schon oben erwähnten Tagebuches. Bevor
ich jedoch auf eine Kritik des Inhaltes desselben eingehe, sehe
ich mich genötigt, mich zunächst in betreff des formalen Wertes
jenes seltsamen Schriftstückes mit der bisher von Urlichs auf-
gestellten Ansicht auseinanderzusetzen.
Lenz hat das Tagebuch, wie er selbst sagt, noch unter den
Augen des jüngsten Kleist, d. h. gleichzeitig mit den Erleb-
nissen, niedergeschrieben ; daher denn auch die abgerissene, un-
fertige Gestalt des Ganzen. Denn dass das Machwerk, wie
Urlichs S. 259 meint, hinreissend schön geschrieben sei, kann
man höchstens nur inbezug auf Einzelheiten der psycholo-
gischen Detailmalerei, nicht aber inbezug auf Form und
Geilankengang behaupten. Fremdartige Ausdrücke, die der
Uebersetzung ankleben wie «Sie lehrte mich, wie zu machen»
«sie stellte sich als zu fallen,» «sie setzte ihren Mutwillen noch
ein etwas fort» bis auf die gemeine Strassburger Apostrophe
«Warten'r! »* weichen so sehr von der sprachlichen Vollendung
1 Erich Schmidt, Lenz und Klinger S. 8: «Die verschiedensten Men-
schen vereinigen sich, ihn gut und liebenswürdig zu nennen, Salzmann,
Wagner, Miller, Schubart, Herder, Lavater, Schlosser, Cornelie, Pfeflel,
die Herzogin Amalie, Frau Rath u. s. w.
2 S. 283. M. v. Waldberg rechnet diesen vollkommen dialektischen Aus-
druck fälschlich «zu den Elisionen, Sincopen und Verschiebungen, die dem
Stil der «Sturm- und und Drangperiode» so eigen sind.» (J. M. K. Lenz, Der
Waldbruder. Berlin 1882 S. 8.) — Wenn doch die Erklärer vorsichtiger
sein wollten ! So sagt v. Waldberg S. 15 Ober Frl. König, Lenzens und
Herders Freundin in Strassburg : «Die «Königin» nennt Lenz sie scherzweise
in einem Briefe an Herder» (Aus Herders Nachlass I, S. 227). Wie scherz-
haft müssen wohl Herrn v. Waldberg die Tauf-, Kopulations- und Sterbe-
bücher Strassburgs in den vorigen Jahrhunderten vorkommen, welche alle
ohne Ausnahme die weiblichen Namen auf «in» endigen lassen.
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— 1\ —
der übrigen Prosawerke des Dichters ab und die Handlung irr-
lichtert dermassen hin und her, dass wir den Schluss ziehen
müssen : das Tagebuch war nun und nimmermehr zur Ver-
öffentlichung bestimmt, sondern Grethen zu diskretem Gebrauche
überlassen. Sagt doch Goethe selbst, dass Lenz ihm den Stoff
mündlich und nachher schriftlich vertraut habe. Liegt hier
kein Irrtum in der Ueberlieferung vor, so kann die mündliche
Mitteilung nur bei Grethes Anwesenheit in Strassburg im Sommer
1775, die schriftliche, da Lenz im Marz 1776 Strassburg ver-
liess, nicht lange hernach erfolgt sein.
Wir vermuten : Lenz, der denselben Stoff bereits benutzt
hatte, überliess ihn Goethen, weil er ihn für wichtig und er-
giebig genug hielt, dass auch dieser seine Kraft an ihm erprobe.
Daher war das Tagebuch nicht zur Veröffentlichung, denn dies
würde sich Lenz bei der unfertigen Gestalt desselben haben
verbitten müssen, sondern als Substrat für eine eigene Arbeit
bestimmt. Ihm genügte es, dem Freunde, dem «r so oft von
dem Gegenstände geredet, die sämmtlichen Irrgänge jener Ange-
legenheit in einem formlosen, aber nach seiner Ansicht die
augenblicklichen Eindrücke wiederspiegelnden Entwürfe zu un- >
terbreiten, in den sich Goethe leicht hineinleben sollte. Das
Unfertige des Entwurfes sowie den diskreten Zweck desselben
bezeichnet daher Lenz selbst am Schlüsse der Einleitung
mit den Worlen : * Dies war nur Skelett, das dein eigenes
Genie und Blick ins menschliche Her/ mit Fleisch bekleiden
wird.»
Aber wenn Ga*fhe den dargebotenen Stoff verschmähte, da
ihm der Held desselben, der eine fingierte Liebe dem Glück
eines Freundes zum Opfer bringt, lächerlich erscheinen musste,
so hat er selbst nach dem Tode des Verfassers nicht wohl
daran gethan, jenes ihm zu diskretem Gebrauch überlassene
Schriftstück aus den Händen zu geben. Denn wenn er auch
gegen seine eigene Vergangenheit sich oft unempfindlich zeigte,
so konnte er «loch nicht wissen, ob Lenz und die übrigen
im Tagebuch auftretenden Personen dieselbe Gesinnung geteilt
haben würden. Lenz hatte Goethe diese Papiere anvertraut.
Demnach musste letzterer das Tagebuch entweder Lenz zurück-
geben oder aber unter Verschluss halten, nicht aber zu even-
tueller Veröffentlichung an Schiller übersenden.
Es war freilich die Zeit, in welcher Schiller Mühe und
Not hatte, den Stoff für die «Hören» zusammenzubringen. Da-
Digitizod by.<^Qglg|
— 75
nials, den 17. Januar 1797 * schrieb er aus Jena an Garthe in
Weimar.
«Fällt Ihnen etwas von der Lenzischen Hinterlassenschaft in
die Hände, so erinnern Sie sich meiner. Wir müssen alles, was wir
finden, für die Hören zusammenraffen.»
Garthe antwortete den 1. Februar:«
«Sie erhalten anch endlich wieder einmal einen Beitrag von
mir — Auch einige Lenziana liegen bei. Ob und wie etwas davon
zu brauchen ist, werden Sie beurtheilen. Auf alle Fälle lassen Sie
diese wunderlichen Hefte liegen, bis wir uns nochmals darüber be-
sprochen haben.»
Darauf erwiderte Schiller am 2 Februar : 3
«Mit der gestrigen Sendung haben Sie mich recht erquickt,
denn ich bin noch nie so in Not gewesen, die «Hören» flott zu
erhalten, als jetzt. Die Lenziana, soweit ich bis jetzt hineingesehen,
enthalten sehr tolles Zeug, aber die Wiedererscheinung dieser Em-
pfindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherlich nicht ohne Interesse
sein, besonders da der Tod und das unglückliche Leben des Ver- „
fassers allen Neid ausgelöscht hat, und diese Fragmente immer einen
biographischen und pathologischen Werth haben müssen.»
Wie weiterhin aus dem Briefwechsel 4 ersichtlich, verwirk-
lichte Goethe den angekündigten Besuch bei Schiller am 12.
Februar 1797. Sie haben sich damals unzweifelhaft schlüssig
gemacht, welche Lenziana veröffentlicht werden, welche un-
veröffentlicht bleiben sollten. «Den Waldbruder» brachten die
Hören 1797, «die Liebe auf dem Lande» der Musenalmanach
1798, das Tagebuch jedoch blieb liegen, wie Urlichs Seite 25T>
meint : weil die Hören damals eingingen. Ich darf wohl diese
Ansicht nach jener stattgefundenen Besprechung für willkürlich
erklaren. Besser begründet ist die Annahme : weil Garthe und
Schiller das Tagebuch nach Form und Inhalt als zur Veröffent-
lichung ungeeignet erachteten.
In der That ist »las Tagebuch, selbst wenn wir von seiner
unreifen Form absehen, auch inhaltlich ein seltsames Mach-
werk. Der Dichter ist wohl der Letzte, der ein Tagebuch mil
geschichtlicher Treue zu führen vermag. Und nun gar ein Lenz,
> Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, 4. Aufl. Stuttgart 1881
Bd. I, nr. 267.
* Ebenda«, nr. 2*73. » ur. 274. * nr. 279.
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in dessen übergeistiger und überreizter Einbildungskraft sicli
augenblickliche Eindrücke leicht zur Karrikatur verzerrten, da
ihnen ruhige Ueberlegung zur Verarbeitung mangelten. Sein
neuester Herausgeber A. Sauer urteilt ganz treffend * : «Wenn
Lenz Gefühle darstellt, die er selbst bereits überwunden,
oder wenn er eines seiner flüchtig hingeworfenen Gedichte
überarbeitet: dann gelingt ihm Vollendetes.» Dieses Urteil lüsst
das in augenblicklicher Erregung hingeworfene Tagebuch als
ein Werk von sehr zweifelhaftem Werte erscheinen.
Ich lege hier kein Gewicht auf jene eingestreuten Excurse,
die Urlichs 2 tadeln zu müssen glaubt, die mir aber den Beweis
verstarken, dass jene Blätter niemals zur Veröffentlichung be-
stimmt waren, ich spreche nur von der Charakteristik der Per-
. sonen und dem Gang der Erlebnisse.
Sich selbst hat Lenz wie im Waldbruder mit vernichten-
der Offenheit als einen gutmütigen Narren hingestellt. Lenz
kannte sich zu gut, um hier nicht nach dem Leben zu kopieren.
Auch hier tritt wie in jenen Gedichten das Widerspiel egoisti-
scher und selbstloser Tendenzen zu Tage. «Gott, der du meine
Absichten siehest und dass ich sie nur glücklich will und dass
für ihr Glück zu sterben mir der angenehmste Augenblick mei-
nes Lebens sein würde, du musst mir zu Hülfe kommen». 5
Die Lauterkeit dieses Stossgebetes wird durch die vorangegan-
genen Liebesscenen mit Araminta cinigermassen getrübt, welche
der dem abwesenden Freunde geschuldeten Treue nicht gerade
entsprechen.
Und doch muss man sagen, dass Lenz, von dem selbst
ein unparteiischer Zeuge wie Klinger behauptet, * «er sei in
ewiger Dämmerung» manche Errungenschaft seiner Liebe in
sein Tagebuch verzeichnete da , wo er offenbar von Cleophes
übersprudelnden Neckereien gründlich zum besten gehalten wor-
den ist. Ein Beispiel 5 genüge für viele.
Cleophe hatte ihn auf der Fahrt zur Weinlese zur Strafe
für einen unpassenden Scherz in einem Knittelverse vor den
Eltern und dem zukünftigen Schwager «einen Narren» genannt,
ihm den Tressenhut des Schwagers aufgesetzt und strengstens
1 Stürmer und Drünger II, S. VI.
2 S. 259.
3 Tagebuch S. 283.
4 M. Rieger, Klinger S. 149.
ä Tagebuch S. 218.
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anbefohlen, ihr nie wieder, ohne fer a cheval friesiert zu sein,
unter die Augen zu treten. Schliesslich that es ihrem guten
Herzen doch leid, mit dem Armen so verfahren zu sein. Aber
neckisch wie immer, tritt sie in den Reben nahe an ihn heran
und singt plötzlich mit der süssesten Naivetät ganz leise, ihn
« göttlich anlächelnd, eine Arie aus dem letzten Konzert : Harre
auf Gott — Gott mein Gott — wie ein Hirsch schreyet nach
frischem Wasser, so schreyet meine Seele Gott zu dir. Was
betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott.»
Und Freund Lenz ? Anstatt diese Anhimmelung als das anzu-
sehen, als was sie uns noch nach 100 Jahren erscheint, nämlich
als einen Erguss toller Mädchenlaune, nimmt dieselbe für ein
unzweideutiges Zeichen aufrichtigster Zuneigung, das ihm noch
bei späterer Erinnerung an das Erlebnis die Rührung abnötigt :
<0 Goethe, hier lass mich die Feder weglegen und weinen! »
Ein Autor, der so, wie hier Lenz, die innerste Gesinnung
der Menschen verkannte, kann auch in der Charakteristik der-
selben, vor allem in der Erzählung angeblicher Liebeserfolg**
nur geringen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. In der
That widerspricht der Charakter der Heldin in Lenzens Tage-
buch so sehr der geschichtlichen Ueberlieferung , wie dieselbe
in der Familie noch heute erhalten ist, dass wir die Lenz'sche
Darstellung mit Erich Schmidt, welcher von einer «romanhaften
Beichte» redet, für dichterisch gefärbt erklären müssen.
Zunächst bemerken wir, dass der gesellschaftliche Verkehr
in jener Zeit ein viel freierer war als heutzutage, wodurch man-
ches Vorurteil von selbst verschwindet. Ihrer Reize bewusst
war Cleophe ohne Zweifel, was bei ihrer grossen Schönheit und
den glücklichen Verhältnissen, in denen sie erzogen, nicht zu
verwundern ist. «Je me porte bien», pflegte sie noch in spä-
teren Jahren mit graziöser Verbeugung zu antworten, wenn
Jemand sie nach ihrem Alter fragte. Ihre Schwester Katharina,
welche das Herz des «guten» 1 Ott verschmähte, wird von Lenz
in der «Katharina von Siena» als die von Genüssen ersättigte
Tochter des Glücks hingestellt.
Das Selbstgefühl der beiden Schwestern wurde durch den
Reichtum und das Ansehen der Familie genährt. Juwelier Fi-
1 A. Stcßber, Der Dichter Lenz S. 54. 56; Der Aktuar Salzmann S. 9t.
Uliichs Tagebuch S. 290.
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hich lieferte Pretiosen an die deutschen Prinzen und Adligen des
Oberrheins. Er war Mitglied des Rates ; seinen Namen finde
ich fast in jedem Bande der Kontraktstube jener Zeit bei Obli-
gationen und Käufen von grossem Werte. Kein Wunder, wenn
Katharina an Huldigungen ersältigt wurde, wenn sich Cleophe
auf einen adligen Bräutigam Hoffnung gemacht hatte. Ein an-
deres Urteil darf aber nach den übereinstimmenden Angaben
ihrer Familie, welche mir ganz unbefangen, ohne Ahnung von
der Existenz des Tagebuches und den Beziehungen ihrer Gross-
tante zu dem Dichter Lenz, ihre Mitteilungen machte, gewiss
nicht über sie gefällt werden. Im Gegenteil wird ihr Andenken
von ihren Verwandten als dasjenige einer Dame von vortreff-
lichster Gesinnung sehr hoch gehalten.
Auch Lenz nennt sie in dem Gedicht «An Seraphine»
selbst da, wo er sich beleidigt glaubt, «die Gerechtigkeit und
Güte selbst». Dass sie Herz und Verstand auf dem rechten
Fleck besass, beweist der Stammbucheintrag. Gleophe verbittet
sich die Bewerbung des Dichters, erinnert ihn daran, dass er
dem abwesenden Freunde die Treue schlecht lohne, und erklärt
mit jungfräulichem Stolze, dass sie ihren» Freunde die Treue
unerschütterlich bewahren werde. Gern erfüllt sie des Dichters
Wunsch, das neue Stammbuch durch ihre Handschrift einzu-
weihen. Da sie aber Freund Lenz kennt, vermeidet sie es, sich
mit ihrem Namen zu unterzeichnen ; denn wer stand ihr dafür,
wohin einst das Album bei dem unsteten Wandel des Dichters
gelangen würde.
Dieses Benehmen zeigt den sichern Takt eines Mädchens,
welches trotz aller Ausgelassenheit doch Besonnenheit genug
Inhalt, die Folgen ihrer Handlungsweise im voraus zu be-
rechnen. Dass Gleophe richtig vorausgesehen, hat die Zukunft
bewiesen. Das Stammbuch Lenzens mit 21 ausgerissenen Blättern
und nur 4 Eintragungen ist ein Sinnbild des zerrissenen Dieh-
lerlebens. Die Braut des Barons v. Kleist halte daher sehr
wohlgethan, ihren Namenszug nicht dem blinden Ungefähr
anzuvertrauen.
Cleophes Charakter gewinnt in unsern Augen noch mehr,
wenn wir ihre späteren Lebensschicksale erfahren. Sie hält dem
Verlobten die Treue, selbst als dieser sie gebrochen hat. In
der Revolutionszeit erfolgte der Zusammenbruch des Fibich'schen
Geschäftes, der noch heute in der Familie unvergessen ist.
Juwelen, so heisst es, waren deutschen Prinzen geborgt und
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nicht bezahlt worden ; wie viele Kapitalien mögen damals beim
Ausbruch des Revolutionskrieges für Strassburg verloren ge-
gangen sein ! Nach dem Sturz des Geschäftes zog der alte Fibich
mit Cleophe in das Häuschen an den Gedeckten Brücken, wo
er am 28. Sept. 1795 in der Pflege der Tochter starb. Cleophe
besorgte ihr kleines Anwesen, Haus und Gärtchen, ohne Magd.
Kam fremder Besuch des Morgens zu ihr, so pflegte sie zu
sajjen : die Dame sei nicht zu Hause, man möchte nachmittags
wieder kommen.
Eine interessante Geschichte ihrer Erlebnisse während der
Schreckenszeit ist uns leider nur in den Hauptzügen erhalten.
Ihr Bruder, Maler Johann Philipp, hatte sich zwar mit voller
Begeisterung der Revolution in die Arme geworfen, aber infolge
des Einflusses, den Cleophe auf Eulogius Schneider zu gewinnen
wusste, manches Opfer, besonders Geistliche, dem Verhängnis
entrissen. Von diesen ist besonders Pfarrer Küss an Alt St. Peter
zu nennen, der stets erklärte, dem Bruder der Cleophe sein
Leben zu verdanken.
Cleophes Bruder wurde später seihst auf Befehl der Kon-
ventskommissare verhaftet und mit tausend andern Opfern nur
durch den Sturz Robespierres vom Schafott errettet. Am 10.
Dez. 1804 starb er in verhältnismässig frühem Alter, mit
Hinterlassung eines einjährigen Töchterleins, das er der be-
sonderen Pflege seiner heissgeliebten Schwester empfahl. In
einem geheimen Schubfache fand sich nebst anderen kleinen
Reliquien, z. B. Haaren der Cleophe, ein Recept, auf dessen
Rückseite der Sterbende mit Bleistift die erschütternden Worte
gekritzelt hatte: « Liebes Clevel ich hätte es nicht nöth ig gehabt
Dir dessen gutes Herz ich kenne zu bitten mein armes tröpflein
nicht zu verlassen dass bitt dich dein sterbender hruder Fibich.»
Cleophe hat den Wunsch des Sterbenden getreulich erfüllt.
Von ihr wurde die Nichte erzogen, welche im Jahre 1873 ge-
storben ist. Wäre sie noch am Leben, so hätten wir aus ihrem
Munde die ergiebigsten Mitteilungen über die Vergangenheit zu
erwarten, deren Kunde ich nur noch in spärlichen Resten zu
sammeln vermochte.
In den Armen dieser Pflegetochter starb Cleophe am Weih-
nachtsabend 1820. Schon am 20. Dez. hatte sie ein Rrustfleber
liefallen, als sie, vom Schnee durchnässt, nach Hause kam.
« Meine Mutter war klein und schwach, erzählte mir die Gross-
nichte Cleophes, und die Tante sehr gross und stark. In der
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Hitze des Fiebers wollte oie immer fort ; es waren für meine
Mutter schreckliche Tage uml doch ihr Tod das Ende ihres
Glücks. »
Soweit die geschichtlich beglaubigten Nachrichten von dem
späteren Leben Cleophes, welche alle von der Vortrefflichkeit
ihres Charakters Zeugnis ablegen. Was wollen auch die wirren
Mitteilungen des Tagebuchs gegenüber dem eigenen Bekennt-
nisse des Dichters bedeuten. Es war im Winter 1775, als Lenz
bei Frl. König geistreiche Briefe der Fraulein Henriette Waldner
von Freundstein erhaschte, die in ihm eine neue Schwärmerei
entzündeten. Damals den 28. Okt. 1775 schrieb er die Verse:
Die Todeswunde tief in meiner Brust,
Um euch nicht zu betrüben.
Ihr Freunde, die mich lieben,
Steh' ich und lache Lust.
Stille Freuden meiner Jugend
Ach, wo seid ihr hin?
Seit ich nicht mehr in die Tugend,
Nein, in mehr verzaubert bin!
Diese bereits oben citierten Verse seh) i essen die Araminla-
Liebe des Dichters versöhnend ab.
Als unparteiischen Zeugen für Cleophes trefflichen Charak-
ter können und müssen wir schliesslich Goethe selbst herbei-
rufen. Schon oben stellten wir die wohlgegründete Behauptung
auf, dass Goethe die Jugendfreundin seiner Friederike person-
lich gekannt habe. Dass er sein Urteil über Cleophe nicht auf
das Tagebuch, sondern auf eigene Anschauung gegründet habe,
beweist vor allem seine Beteuerung : Lenz und die übrigen Be-
werber hätten ihr nur zu Scherz und Unterhaltung gedient.
Diesen Schluss kann Goethe nicht aus dem Tagebuch gewonnen
haben, in welchem Cleophes Benehmen gegenüber ihrem zu-
künftigen Schwager von dem eifersüchtigen Lenz in zweideu-
tigem Lichte dargestellt wird, sondern nur aus eigener Wahr-
nehmung bei Gelegenheit seiner Slrassburger Besuche im Sommer
1775, bei welchen er, von Lenz in das Fibich'sche Haus ein-
geführt, sich von der Lage der Dinge unparteiisch überzeugen
und das «kostbare Herz» der neckischen Cleophe schätzen
lernen konnte.
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3. Die Soldaten, eine Komödie 1776.
Die Zukunft Cleophe Fibiehs beschäftigte den Dichter noch
die ganze übrige Zeit seines Strassburger Aufenthaltes, wenn
sich auch seine Herzensneigung Fräulein Henriette Waldner
von Freundslein zuwandte.
Als Frucht jener Sorge müssen seine «Soldaten» angesehen
werden, die Lenz im Sommer 1775 vollendet zum Druck an
Herder sandte. In ihnen wandte sich Lenz, wie denn die
Dramen der Sturm- und Drangperiode mehr politische Pamphlete
als dramatische Muster sein sollen, erbittert über das Benehmen
des Herrn v. Kleist, gegen den ganzen privilegierten Stand der
Soldaten, als den geborenen Feind bürgerlicher Tugend und
Wohlfahrt. Aus diesem Grunde wäre es falsch, wollte man in
den» Gang des Lenz'sehen Dramas den Verlauf der Kleist-
FibichVhen Angelegenheit erblicken. Lenz gesteht selbst in
seinen Briefen an Herder, 1 dass er nur einige Details der
Wirklichkeit entlehnt, das Uebrige, mit andern Worten, den
tragischen Ausgang, «zusammengelogen» habe. Aber selbst
wegen der Benutzung jener wenigen Details hatte Lenz gegrün-
dete Angst, er möchte durch voreilige Verollen tl ich ung des
Stückes das Lebensglück Cleophes, das damals noch gesichert
schien, mutwillig zerstören.
Wenn man etwas zur Entschuldigung des Dichters anführen
will, so ist es der Umstand, dass derselbe mit einer unverant-
wortlichen Anspielung an familiäre und lokale Strassburger
Ereignisse nicht allein stand.
Wie die Lyrik jener Periode echte Gelegenheitslyrik war,
so ging auch das Drama, wie wir sahen, in einer bis jetzt
kaum geahnten Weise von thatsächliehen Erlebnissen aus. Die
Lehre Gerthes : «Greift nur hinein ins volle Menschenleben und
wo ihr's packt, «la ist es interessant, ») wurde schon damals nur
zu wörtlich befolgt.
Ich bin hier genötigt, ein anderes Strassburger Drama des
Jahres 1770, Wagners «Kindsmörderin», zum Vergleich heranzu-
ziehen, welches bekanntlich an Lenzens Soldaten anklingt* und
sich noch weniger als jenes scheut, eine ehrenhafte Strassburger
Bürgersfamilie auf der Bühne bioszustellen.
1 Aus Herders Nachlass I, S. 239.
2 Vgl. Erich Schmidt, Heinr. Leop. Wagner. 1879 S. 87 ff.
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• ■
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Da die Einzelheiten dieses Dramas noch von keinem Histo-
riker urkundlich festgestellt sind, habe ich mich dieser Mühe
unterzogen und füge die Ergebnisse meiner Forschungen hier
vergleichsweise bei :
Die Kindsmörderin spielt in der Nikolaus-Pfarrei. «Bist du
nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgässel, »
fragt Metzgermeister Humbrecht einen der Fausthämmer (Akt V)
und bezeichnet damit jenes Gasschen am Nikolausstaden Nr. 5,
welches noch heute den von dem anstossenden adligen Hof
der Familie Bock von Bläsheim herrührenden Namen trägt. 1
« Ich frage dich, ob du der nämliche bist, der vergangenes
Frühjahr ein armes Kind von fünf Jahren vor Bäcker Michels
Thür unter der grossen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat?»
fährt der erzürnte Meister fort. Nach dem Kontraktbuch des
Strassburger Stadtarchivs a. 1771 fol. 76b «verkaufte Jakob
Michel, der Burger und Weissbeck, an Georg Ludwig Schlag
den Jüngern, Vöchhändler und Burger, seine zu Strassburg unter
der Grossen Gewerbslaub bestehende Behaussung. »
Gröningseck ist « Baieroffizier » von dem damals in Strass-
burg garnisonierenden Fremdregimente Uoyal Baviere. 2 Sehn-
süchtig wird er am Abend von Evchen erwartet (Akt IV), «die
Thore sind längst zu » bemerkt sie traurig. « Wer weiss, tröstet
die Mutter, kommt er nicht zum Judenthor herein? Es hat ja
noch nicht eilf geschlagen ! » Nach dem Tagebuch des Erbprinzen
Karl August zu Sachsen-Meiningen wurden die Thore Strassburgs
im Sommer um 40 Uhr geschlossen, nur das nach dem Contades,
einer öffentlichen Promenade, gelegene Judenthor blieb der
Spaziergänger wegen bis 11 Uhr offen.
Major Lindsthal erzählt (Akt III) eine aus dem lieben ge-
griffene Episode, welche sich auf dem noch heute bekannten
Cafe Spiegel ereignet hatte : Ein ehrlicher Schwyzer Lieutenant
Wallroth von Salis hat einen andern Offizier vom Regiment
Lyonnais über falschem Spiel ertappt. Schon wollen die Strei-
tenden die Degen ziehen, als sie «vom Osterried und seinen
1 E. Müller. Le Magistrat de la ville de Strasbourg p. 1 21 : • Der adeliche
Bockische Hof, quai St-Nicolas, 3 [heutige 6], vendu en 1(585 ü Dagobert
Wurmser de Vendenheim. • Heute gehört der stattliche Hof der Spitalverwal-
tung. Das anstossende Bocksgässchen, -Ruedu Bcuc» (sie) ist heute vergittert.
* Vgl. die Stelle in Lenzens Brief an Solzmonn vom 23. Okt. ITTG: «Ist
eine gewisse Excellenz von Vietinghof durch Strassburg gegangen? Er ist
ein Vetter von General bei Baviere (s. A. Stceber, Der Dichter Lenz S. 84).
< * 1
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Markörs» daran gehindert werden. Hier macht der Herausgeber
A. Sauer S. 316 die gelehrte Anmerkung «Osterried, gebildet
nach ital. ostiere Wirth, osteria Wirthshaus.» Dagegen bemerke
ich : Osterried ist ein in vielen Pfarreien des vorigen Jahr-
hunderts vorkommender Strassburger Familienname. Diesen
Osterried finde ich in dem Kopulationsregister von St. Nikolaus
1768 Bd. 55 fol. 77:
« Ein Tausend Siebenhundert, acht und Sechzig Mittwoch den
ersten Brachmonath sind nach ordentlich geschehenen Ausrufungen
in der Kirch zu St. Nicolai ehelich eingesegnet worden H. Johann
Osterried, der ledige Caffesieder und Burger allhier, weyl. H. Johann
Daniel Osterried gewesten Caffeesieders und Burgers allhier, mit
dessen hinterlassener Wittib Frau Elisabetha, geborner Gaccon, nun-
raehro H. Philipp Jacob Dürr, des Caffesieders und Burgers allhier,
Ehefrau, ehelich erzeugter Sohn und Jungfer Catharina Friederica,
H. Johann Jacob Vogt, des Lang Messerschmidts und Burgers allhier.
mit dessen Ehefrauen Catharina Margaretha geborner Hattin ehelich
erzeugte Tochter »
Noch heute kennt jedes Strassburger Kind jene an der III
{Telegenen Türme, die unter dem Namen der anstossenden Ponts
Couverts damals als Militärgefängnis dienten und auch jenen
falschen Spieler aufnahmen.
Der Wasserzoll und die Metzgerau, das (Wilhelmer) Klo-
ster und die Klauskirche, das Hotel zum Raben, die Metzig und
das Raspelhaus, die Waschbritschen auf der III und die Lange
Strasse sind bekannte Strassburger Oertlichkeiten.
Was wird man aber dazu sagen, wenn ich auch Metzger-
meister Humbrecht unter der französischen Endung Humbert
und verändertem Vornamen aus eben jenen Registern der Ni-
kolauspfarrei beschwöre!
Kopulationsbuch von St. Nicolaus 1746 Bd. 54 fol. 76'': Mitt-
woch 2 Marth" wurden in den Stand der h. Ehe nach zweimahl vor-
herbeschehener Proclamation eingesegnet:
Valentin Humbert der ledige Metzger und Burger allhier Johann
Georg Humbert des Hufschmids und Burgers zu Hatten hochfürstl.
Hessen-Hanauischer Herschaft ehel. Sohn, und
Jgfr. Maria Elisabetha weyl. H. Johann Friedrich Pfeffinger
gewessten Metzgers und Burgers allhier, hinterlassene ehel. Tochter.
Meister Humbert starb am 1. Prairial XI (21. mai 1803) *
im Alter von 83 Jahren 7 Monaten. Da er mithin 1719 geboren
l Sterberegister Bd. 282 fol. 172.
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st, trifft es genau mit der Entstehungszeit des Dramas, anfangs
der siobenziger Jahre, zusammen, wenn er in demselben (Akt
II) sich rühmt. «Ich bin 50 Jahr mit Ehren alt geworden, hab'
keinen Hall gesehen und leb' doch noch.»
Nach diesen Uebereinstimmungen ist keinen Augenblick
daran zu zweifeln, dass Wagner den lebenden Metzgermeister
in seinem Drama copiert hat. Wie hätte auch sonst der in der
Charakteristik der übrigen Hauptpersonen durchaus nicht tadel-
freie Autor eine so lebenswahre, köstliche Figur schaffen können,
welche noch dadurch unser besonderes Interesse erweckt, da
sie manche Zöge zum Musikus Miller in Schillert Kabale und
Liebe geliefert hat. 1
Da somit alle übrigen Details des Wagner'schen Stückes in
Strassburg nachweisbar sind und Metzgermeister Humbrecht
wirklich gelebt hatte, so konnte ich nicht anders denken, als
dass Evchen Humbrecht wirklich das Prototyp zu Gretchen im
Faust, wirklich jene von Wagner dramatisierte Kindsmörderin
gewesen sei. Wie hätte es sonst Wagner wagen können, eine
unbescholtene Strassburger Bürgersfamilie ins Gerede der Leute
zu biingen. Allein wie erstaunte ich, als ich der Reihe nach die
(reburts- und Sterbeakten der Kinder des Metzgers Valentin Hum-
brecht auffand, ohne meine Vermutung bewahrheitet zu sehen.
Ausser einem gleichnamigen Sohne, der den 7. Jan. 1752
geboren ward 3 und 4785 heiratete, 3 hatte Metzger Humbrecht
zwei Töchter, von denen die jüngere, Maria Magdalena, geb. 27.
Juli 1748* bereits am 6. März 1751 starb, 5 die ältere Susanna
Dorothea, geb. d. 14. Nov. 1746« als Wittwe des Eigentümers
Georg Friedrich Gerold d. 8. Sept. 1818 7 das Zeitliche segnete.
Da andere Kinder des Metzgers Humbrecht in sammtlichen
Pfarreibüchern Strassburgs nicht vorkommen — übrigens ist
auch die Mutter erst am 15. Okt. 1785« gestorben — so ist das
Verbrechen in jene Familie hineingedichtet.
Wagner hat sich also nicht gescheut, eine wackere Strass-
burger Bürgersfamilie auf der Bühne zu prostituieren. Auch scheint
» Vgl. Erich Schmidt, H. Leop. Wagner 1879 S. 86.
* Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 404b.
a Kopulationsregister von St. Nicolaus Bd. 56 fol. 1 1 8 b.
4 Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 243.
5 Sterberegister von St. Nicolaus B"?. 97 fol. 22 b.
6 Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 114 fol. 160.
1 Sterberegister a. 1818 fol. 334 a.
8 Sterberegister von St. Nicolaus Bd. 101 fol. 1 1 3b.
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ihm nach dem Wortlaut des Protokolls der Deutschen Gesell-
schaft vom 18. Juli 1776 «Hr. Wagner las mit vielem Beifall
ein Trauerspiel in 5 Aufzügen, die Kindesmörderin,» niemand
seiner Freunde Vorhaltungen deshalb gemacht zu haben.
Wie Wagner mit der Familie Humbrechl, so verfuhr Lenz
gleich rücksichtslos in den «Soldaten» mit der Familie Fibich.
Was anders berechtigte Lenz eine solche Katastrophe der
Marie Wesener (Gleophe Fibich), zu ersinnen als seine dich-
terische Phantasie. Dass Baron v. Kleist sein Eheversprechen
nicht erfüllte, war schlimm genug, aber kein Vorwurf für die
Familie Fibich.
Lenz und Wagner sahen übrigens selbst ein, dass sie mit
der Anspielung an persönliche Verhältnisse das erlaubte Mass
überschritten hatten und verliessen deshalb Strassburg so bald
als möglich. Am 1. April 1776, noch bevor die «Soldaten» ge-
druckt waren, traf Lenz in Weimar ein und vermied es auch
später, Strassburg zu berühren; Wagner, der am 28. Aug. 1776
in Strassburg promovierte, legte bereits am 21. Sept. zu Frank-
furt den Advokateneid ab und verheiratete sich ebendaselbst am
7. Okt. 1776. i So haben sich beide Dichter den ihnen in
Strassburg drohenden Unannehmlichkeiten rechtzeitig entzogen.
Aber wenn schon Lenz in seinen Briefen an Herder <ie-
, wissensbisse darüber bezeigte, die Rücksicht auf die ihm so
befreundete Familie Fibich verletzt zu haben, so ist es doch
noch viel schlimmer, dass der sonst so bedächtige Aktuarius
Salzmann, der ebenfalls mit Fibichs bekannt war, 2 in seinem
Eifer für pädagogische Reform in der so gelesenen Wochenschrift
«der Bürgerfreund» unter der bezeichnenden Ueberschrift * Frag-
mente zur Strassburger Kinderzucht» den Strassburger Spiess-
bürgern einen zusammenhängenden Auszug aus den eben er-
schienenen «Soldaten» auftischte 3 und den Abdruck so zerlegte,
dass jene gewiss stadtbekannte «Promesse de mariage» S. 576
jedem Leser unmittelbar vors Auge gerückt wurde.
Die Ueberlieferung sagt uns nicht, ob Salzmann wegen
dieser Veröffentlichung Unannehmlichkeiten hatte. Verdient hätte
er sie ebenso gut wie Lenz, und wenn es nicht geschah, so hatte er
diese Unterlassung seinem Alter und seinem Ansehen zu danken.
1 Erich Schmidt, Heinr. Leop. Wagner 1819 S. 20 ff.
2 s. Tagebuch S. 276.
3 1776, S. 569-576, 585-593.
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Wir begnügen uns durch unsere Forschungen festgestellt
•zu haben, dass weder in der Familie Humbrecht noch in der
Familie Fibich irgend eine Thatsache vorgekommen sein kann,
die jene Katastrophe der Eva Humbrecht oder der Cleophe
Fibich (Marie Wesener) begründen könnte. Ohne Zweifel liegt
hier, wie schon Erich Schmidt vermutet hat, 1 ein zweites,
bisher nicht festgestelltes Ereignis zu Grunde, das damals in
Strassburg allgemeine Teilnahme erregte und Goethes Gretchen-
tragödie, Wagners Kindsmörderin, Lenzens Soldaten und Zer-
bin beeinflusste. Dies zu entdecken, ist nicht unmöglich, aber
da die Strassburger Tribunalakten jener Zeit im Bombardement
von 4870 zu Grunde gegangen sind, eine sehr umständliche
Untersuchung, welche den Rahmen dieser Arbeit weit uber-
schreiten würde.
i
Der nächste Zweck dieser geschichtlichen Forschung
bestand darin, eine der Lenz'schen Musen, Cleophe Fibich,
welche der Dichter unter dem Namen Araminta verherrlichte,
der Vergessenheit zu entreissen. Wenige Jahre vielleicht, und
selbst ein schärferes und glücklicheres Auge würde vergeblich
nach ihr gespäht haben, die nun für alle Zeiten in der Litera-
turgeschichte des deutschen Volkes leibt und lebt.
W r ie aber jede selbständige Einzelforschung auch allgemeinen
Werterhält, so war mit dieser Wiedererweckung auch eine Unter-
suchung und Kritik des Guethe'schen Urteils über Lenz verbunden.
Goethes Urtheil lautet : «
* Lenz hatte einen entschiedenen Hang zur Intrigue, uud zwar
zur Intrigue an sich, ohne dass er eigentliche Zwecke, verständige,
selbstische, erreichbare Zwecke dabei gehabt hätte; vielmehr pflegte
er sich immer etwas Fratzenhaftes vorzusetzen, und eben deswegen
diente es ihm beständig zur Unterhaltung. Auf diese Weise war er
zeitlebens ein Schelm in der Einbildung, seine Liebe wie sein Hass
waren imaginär, mit seinen Vorstellungen und Gefühlen verfuhr er
willkührlich, damit er immerfort etwas zu thun haben möchte. Durch
die verkehrtesten Mittel suchte er seinen Neigungen und Abneigungen
Realität zu geben und vernichtete sein Werk immer selbst ; und so
hat er niemandem, den er liebte, jemals genützt, Niemandem, den
er hasste, jemals geschadet, und im Ganzen schien er nur zu sün-
digen, um sich zu strafen, nur zu intriguiren. um eine neue Fabel
auf eine alte pfropfen zu können. >
1 Lenz und Klinger S. 41 .
* Dichtung und Wahrheit III, t S. 144.
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Lavater urteilt etwas anders über Lenz. Am 7. Okt. 1775, nach-
dem kurz zuvor Garthe bei ihm eingesprochen und möglicher Weise
sein Urteil beeinflusst hatte, schreibt er an Roederer über ihn.»
« Ich kannte seinen Geist der Intrigae und seine Zerstörungskraft
nicht Ich sagte immer nur von ihm: «Er verspritzt fast vor Genie.»
Lavater ist also von Hause aus gesonnen, Lenzens Neigung
zur Intrigue nicht als einen Ausfluss bösen Willens, sondern als
ein Spiel seines überreichen und überreizten Geistes anzusehen.
Wir schliessen uns diesem Urteil Lavaters, der Lenz aus
persönlichem Umgang mindestens ebenso gut wie Goethe kannte,
gerne an. Goethes Urleil dagegen wird Lenz nicht ganz
gerecht, denn einmal rechnet er ihn nicht zu den c redlichen»
Seelen, andererseits spricht er seiner Neigung zur Intrigue, die
er selbst zweck- und selbstlos nennt, jeden bösartigen Cha-
rakter ab.
Aus diesen Gründen werden die von Goethe aufgestellten
«Prämissen» * von einem künftigen Biographen des Dichters
Lenz nur mit Vorsicht zu benutzen sein. Ueberdies hat Goethe
in seiner Charakteristik viel zu sehr auf das Persönliche, anstatt
auf die Bedeutung Lenzens im Drama und besonders in der
Lyrik Gewicht gelegt. Lenzens Verdienste gerecht zu würdigen,
wird allerdings nur nach einer Herausgabe des gesammten
handschriftlichen Materials möglich sein. Allein auch ohne
dieses dürfen wir heute schon die allgemeine Behauptung aus-
sprechen :
Wer wie Goethe den Grundcharakter jener für Deutschlands
geistige Entwickelung so bedeutenden Sturm- und Drangperiode
nebensächlich dahin charakterisiert : 3
«Man kennt jene Selbstquälerei, welche, da man von aussen
und von anderen keine Not hatte, an der Tagesordnung war
und gerade die vorzüglichsten Geister beunruhigte,»
der beweist, dass er, auf der Hohe künstlerischer Vollen-
dung angelangt, das richtige Verständnis einer entschwundenen
Zeit gewaltiger geistiger und socialer Gährung, obwohl er einst
von ihr selbst ergriffen war, längst — überwunden hatte.
1 A. Stecher, J. G. Roederer u. seine Freunde S. 86.
4 Dichtung und Wahrheit III, 14 S. 146: •Vielleicht wird es dereinst
möglich, nach diesen Prämissen seinen Lehensgang bis zu der Zeit, da er sich
in Wahnsinn verlor, auf irgend eine Weise anschaulich zu machen.»
3 Ebendas. III, 14 S. 143.
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t»"vt'
ANHANG.
Das echte Goethe-Haus am Alten Fischmarkt Nr. 36
in Strasburg. 1
Zu französischer Zeit besass Strassburg kein Denkmal der
Erinnerung an den Allmeister deutscher Dichtkunst. Erst mit
Wiedergewinnung des Reichslandes bildete sich ein Comite zur
Errichtung einer Gedenktafel. Am 6. Aug. 1871 war der hun-
dertjährige Gedenktag der Promotion Goethes in Strassburg.
Arn 9. August wurde deshalb eine Goethe-Feier veranstaltet,
bei welcher der ehrwürdige Archivar Ludwig Spach die be-
geisterte -Festrede hielt. Anknüpfend an die Gründung einer
neuen Universitätsbibliothek, sagte der Redner: «Indem wir
die Inauguration der neuen Schöpfung mit Goethes Andenken
verbinden und an der Wohnung, die er auf dem Fischmarkt
ihne hatte, eine Gedenktafel stiften, errichten wir ihm ein
Monument, dessen er in der Fülle seiner Glorie, im hohen
Ghore der Ruhmesbasilika, wohl entbehren kann, das aber als
Abschlagszahlung unserer Schuldverschreibung gelten mag. »
Am 43. Aug. darauf lesen wir in der Slrassburger Zeitung:
Aus Anlass der Goethe-Feier am 9. August ist an dem Hause
Nr. 46 an dem Alten Fischmai kt zur Erinnerung an einen
bedeutungsvollen Lebensabschnitt des grossen deutschen Dich-
ters eine Marmortafel angebracht worden mit der Inschrift:
Hier wohnte Goethe 4770—1774.
Schon längst waren in mir Zweifel entstanden, ob Goethe
in dem angegebenen Hause gewohnt haben konnte, besonders
da der Eigentümer keine auf die Echtheit bezüglichen Doku-
mente aufzuweisen bat und auch keines der noch heute leben-
den Comitemilglieder die Gründe zu nennen vermag, die gerade
für jenes Haus entschieden hal>en.
1 Dasselbe wird demnächst auf meine Veranlassung mit einem Medaillon
Goethes und einer Inschrift gekennzeichnet werden.
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— 89 —
Ohne Zweifel hat man sich damals durch die Angabe bei
Piton, Strasbourg illustre I Seite 141 leiten lassen : GuHhe lo-
geait dans la maison du boulanger, nie du Vieux-Marche-aux-
Poissons, \is-ä-vis du cafe de la Mauresse, ohne zu bedenken,
dass Piton, der von Haus aus kein kritisch geschulter Forscher,
sondern nur ein fleissiger Dilettant war, in solchen Dingen
nur mit Vorsicht zu gebrauchen ist.
Jene heutige Nr. IG ist nach der amtlichen, bei Levrault
1858 erschienenen Vergleichungstabelle der Mairie 1 die alte
Nr. 84. In diesem Hause war während dieses Jahrhunderls
nach Ausweis des Katasters stets eine Bäckerei. Auch in dem
ältesten Grundbuche des Katasteramtes, demjenigen von 1791,
wird als Eigentümer desselben « Philipp Heumann boulanger »
aufgeführt. Gehen wir weiter rückwärts, so waren nach dem
Zinsbuch y des Stadtarchivs Bd. II fol. 48!) b Besitzer desselben 2
zwischen 1740 und 1700 der Reihe nach: Georg Kilian, Job.
Michael Stahl, David Kilian und jener eben genannte Bäcker
Johann Philipp Heumann.
David Kilian, der Weissbeck, kaufte das Haus laut Kontrakt-
buch fol. 288a im Jahre 1760, bei welcher Gelegenheit eine
auch im Zinsbuch angeführte Allmendabgabe von 5 Schilling
für den Brodladen erwähnt wird. Wir haben es also hier mit
einem alten Bäckerhause zu thun und würde Goethe bei Bäcker
Kilian oder Heumann gewohnt haben müssen, hätte er wirk-
lich 1770—1771 in dem heutigen Hause Nr. 10 sein Logis
gehabt. Dagegen hat er sich eigenhändig in das im Thomas-
archiv autbewahrte Universitätsregister eingetragen :
« Joannes Wolfgang Goethe Moeno— Francofurtensis. Logiere bey
Herrn Schlag auf dem Fischmarkt, d. 19. Aprilis. »
Ausser Pitons Angabe giebt es nun in der Literatur noch
eine zweite über Goethes Wohnung, welche, wie ich sehe, in
v. Loepers Anmerkungen zu Dichtung und Wahrheit s sowie in
1 Tableau concernant l'Etat ancien des Inscriptions des rues et du Num£-
rotage des Maisons, publik d apres les documents fouruis par l'Administration
municipale. Strasbourg 1 858.
2 Zur Kontrolle bemerke ich, dass das Zinsbuch c des Stadtarchivs die
im Zinsbuch y angegebene Hausnummer 220 in 84 umsetzt. Diese Nr. 84
ist dann in jener 1858 erschienenen Tabelle in Nr. 16 verwandelt. Diese
Bemerkung bezieht sich auch aaf alle späteren Citate des Zinsbuches y. Wir
haben demnach in Strassburg seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis heute
3 verschiedene Numerierungen der Häuser zu verzeichnen.
3 Anmerk. 322.
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I
- 90 -
des Engländers Lewes Goethebiographie 1 übergegangen ist. Aug.
Stocher nämlich sagt in seiner Schrift über den Aktuar Salz-
mann 1855 S. 20: «Goethe wohnte auf dem Alten Fischmarkt
Nr. 80.» Diese Nummer bestand schon im vorigen Jahrhundert
nach Ausweis des Grundbuches von 1791 aus 2 Häusern, der
heutigen Nr. 26 und Nr. 24. * Ich habe die mir gütigst von
den Eigentümern zur Einsicht gestatteten alten Kaufbriefe dieser
beiden Häuser geprüft, fand aber, dass Haus 26 am 28. Juli
1742 von Gambs an Recop und Haus 24 am 2. Okt. 1749*
von Mosseder an Recop verkauft worden ist, welcher Kaufmann
Recop auch noch im Kataster von 1791 als Besitzer beider
Häuser erscheint. Von einem Schlag war auch hier keine Spur
zu finden.
Dagegen fand ich den Namen Johann Ludwig Schlag in
jenem von 1740 bis 1790 reichenden Zinsbuche y als Besitzer
zweier Häuser am Alten Fischmarkt., der Numern 85 (heutige
14) und 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte).
Als Besitzer der Nr. 85 werden Bd. II fol. 489a der Reihe
nach aufgeführt Joh. Jac. Schwingen Erben, Ludwig Schlag,
Fr. Margaretha Barbara Bärin und Johann Michael Barthel, der
trippier.
Allein für die Anwesenheit Goethes in Strassburg 1770 bis
1771 kommt dieses Haus nicht mehr in Betracht, da dasselbe
laut Kontraktbuch fol. 42a bereits den 10. Febr. 1761 von
Fr. Margaretha Barbara Bärin an den Bürger und frippier
Johann Michael Barthel verkauft wurde. Diese Margaretha Bar-
bara Bärin hatte dasselbe Haus laut Kontraktbuch fol. 418 b
den 2. Okt. 1753 von den Schwingischen Erben erkauft, als
deren Mandatar Ludwig Schlag im Zinsbuch wohl deshalb für
einige Zeit erscheint, da er nach dem Kopulationsregister der
Neuen Kirche Bd. 114 fol. 168b am 12. Febr. 1738 in zweiter
Ehe eine Wittwe Schwing geheiratet hatte.
Es bleibt deshalb nur das Haus Nr. 74 (heutige Nr. 36
nördl. Hälfte) übrig, welches mit absoluter Sicherheit das echte
Goethe- Haus ist.
Als Besitzer desselben erscheinen von 1740—1790 Bd. II
fol. 496a der Reihe nach: Joh. Mathias Diehler, Johannes
» Auflage XV von L. Geifer. Stuttgart 1886 S. 70.
* 2 Siehe die Vergleichungstabelle von 1858.
3 Vergl. in den Kontraktbüchern der Jahre 1742 fol. 373 a und 1749
fol. 581a die Originalien.
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— 91 —
Meyer Säcklcr, Johann Ludwig Schlag sen., Maria Elisahetha
Musselin Wb. und Ludwig Glaus, welcher letzlere dann im
Grundbuch von 1791 als Besitzer desselben Hauses Nr. 7i
vorkommt.
Schon im Jahre 1751 hat Johann Ludwig Schlag sich in
dieses Haus der Witwe Meyer eingemietet:
Kontraktbuch 1751 Fol. 24 K
Erschienen Fr. Anna Margaretha Meyerin gebohrne Nonnen-
macherin, diese mit heystand ihres Tochtermanns Johann Friderich
Schmidthenner des Seydenfabrikanten. Die hat in gegenseyn H. Johann
Lndwig Schlag des Veechhändlers angezeigt und bekannt, dass sie
demselben aufrichtig und redlich verlühen, der auch auf gleiche
Weiss entlehnt, zu haben gestandig ist, In ihrer allhier auf dem
Fischmarkt, einseit neben H. Mamb erger, dem Schwerdtfeger, 1 ander-
seit neben H Kürssner* uxorio nomine, hinden auf den Ulimer-
graben stossend. gelegene Behaussung, Erstlich unten auf dem
Boden den Laden auf die gass gehend samt dem Contor, eine
Kuchen und den hindersten Keller wie auch die gemeinschaft des
Hofs, auf dem zweyten Stock eine Stub vornen herauss, und eine
Kammer dagegen über, samt dem Bühnel so darüber, auf dem
dritten Stock eine Stub aussehend wie unten und eine kleine Stub
auf gedachten Graben hinaus, auf dem vierten Stock eine Kammer
so in den Hof gehet und letztens die gemeinschaft derer Bühnen,
und ist diese Lehnung getroffen worden auf Neun nacheinander
folgende Jahre, anfangend auf nächst künftige annunc. Mariae und
sich endigend auf eben solche Zeit anno 17ö0 um einen jährlichen
Zinss von Siebenzig fünf pfund Pfennig Strassb. der quartaliter zur
quart sub hypotheca speciali illatorum et invectorum und unter
general Verpfändung des Entlehners haab und nahrung ordentlich
entrichtet werden muss, im übrigen bleybt es bei denen gemeinen
Lehnungsrechten und hiesigen Ordnungen. Alles getreulich und ohne
gefährde. Versprochen und unterschrieben auch unterzeichnet actum
den zwei und zwanzigsten Januarii Ein tausend sieben hundert
fünfzig eins
Der Verlehnerin X Handzeichen
Johann Friderich Schmidthenner
Johann Ludwig Schlag.
1 Mamberger Fourbisseur, Nicolas steht noch im Kataster von 1791 als
Besitzer des Hauses Nr. 73 (heutige Nr. 38) eingetragen.
* Johanne* Kürschner war Besitzer des Hauses Nr. 75. Das Stadt Zins-
buch y Bd. II fol. 495b gibt zwischen 1740 und 1790 als Eigentümer der
Reihe* nach an: Isaac Bury. Johannes Kürschner, H. Ehrenfried Bergmann,
Georg Friedrich Rosa, Georg Daniel Witt, Joh. Michael Schmidt Handels-
mann.
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Dass aber diese Lehnung nicht im Jahr 1700 erlöschen
sollte, beweist folgender dem obigen beigefügter Handakt :
Erschienen verlehnende Fr. Meyerin an einem nnd entlehnender
Schlag am andern Theil, Beyderseits anzeigende : wie dass sie sich
vorstehender Lehnung halben dergestalten mit einander verglichen,
dass selbige beederseits auf die Erben gehen und im Fall die
Behaussung während der Lehnungszeit verkauft würde, die Entlehnung
noch ein Jahr lang vom Tag des Verkaufs an gerechnet, darinnen
zu bleiben befugt seyn solle.
Act d. 2b. Jan. 1751.
Der X verlehnerin Johann Ludwig Schlag.
Zeichen.
Im Jahre 1765 hat Johann Ludwig Schlag dasselbe Haus
von der Witwe Meyer gekauft :
Kontraktbuch 1765 Fol. 427 K
Erschienen Fr. Anna Margaretha, gebohrene Nonnenraacherin,
Weyl. Johann Meyer gew. Säcklers Wittib, beyständlich H. Gottfried
Böhm des Goldarbeiters, mehr H. Johann Meyer der Säckler allhier,
ferner Fr. Susanna Magdalena Schmidthennerin, geb. Meycrin bey-
ständlich H. Gottfr. Böhm, Mehr Fr. Anna Dorothea, geb. Meycrin,
11. Johann Daniel Ehrmann, des Perrückenmachers Ehefrau, von
demselben hierzu autorisirt, und H. Philipp Jacob Baldner, der
Perruckenmacher, als Ehevogt Fr. Catharinä Salome geb. Meycrin,
von derselben hierzu mündlich bevollmächtiget, desswegen er de
vero, rato et grato sub hypotheca bonorum cavirt, die haben in
gegenseyn H. Johann Ludwig Schlag hiesigen Burgers und Veech-
händlers angezeigt und bekannt dass sie samtliche Interessenten vor
sich, ihre Principalin und allerseits Erben, ihme H. Schlag aufrecht,
vest und unwiederruflich verkauft und zu kaufen gegeben, der auch
sich und seinen Erben auf gleiche Weiss erkauft zu haben geständig
ist, Eine Behaussung Hötiein und Hofstatt, mit allen gebäuden,
begriffen, Zugehördten, Rechten und gerechtigkeiten, allhier auf dem
untern Fischmarkt, einseit neben H. Nicolaus Mamberger. gew.
Schwerdfegers Wittib und Erben, anderseit neben H. Bergmann, dem
Handelsmann hinten auf den Ulmergraben stossend, gelegen.
Folgen Allmendzins, Kaufsumme, Zahlungstermine und
Unterschritten.
Von 17(35 an war also Johann Ludwig Schlag im Besitze
<!es Hauses Nr. 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte) am Al-
len Fischmarkt. Als daher laut Kontraktbuch fol. 745 b AVitt we
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Bergmann den 20. Dez. 1766 das anstosscnde Haus Nr. 75
(heutige Nr. 36 südliche Hälfte) an den Knopfmacher Georg
Friedrich Rosa verkaufte, der in obigem Zinsbuch y Bd. 11
fol. 495 b nach Bergmann als Besitzer erscheint, wird dies Ne-
benhaus angegeben «allhier am Fischmarkt, gegen der Ruttel-
gass über, einseit neben Schlag, anderseit neben Schauer, dem
Veechhändler, binden auf den Ullmergraben stossend.» Dieser
Kürschner Schauer erscheint im Zinsbuch wie im Grundbuch
von 1791 als Eigentümer des Hauses 76, wodurch wiederum,
wenn es noch nötig wäre, die Nummer 74 als im Besitz des
Kürschners Johann Ludwig Schlag befindlich bezeichnet wird.
Ferner verkaufte der Knopfmacher Georg Friedrich Rosa
laut Kontraktbuch fol. 176^ den 4. Mai 1786 sein 1766 er-
kauftes Haus Nr. 75 an den Handelsmann Georg Daniel de
Heinrich Widt, welcher dann auch im Grundbuch von 1791 als
Besitzer aufgeführt ist. Auch diesmal wird das Haus N. 75 in
der Urkunde genau angegeben «am Fischmarkt gegen der Kut-
telgass über, einseit neben Schlagischen Erben, anderseit neben
Schauer, dem Veechhändler, binden an den Ullwergrahen stos-
send.»
Die Bezeichnung «Schlagische Erben» ist für das Jahr 1786
richtig, da Johann Ludwig Schlag nach dem Sterberegister der
Neuen Kirche Bd. WO fol 13» am 11. Dez. 1778 das Zeitliche
gesegnet hatte. Er hihterliess zwei Kinder, nämlich Georg Lud-
wig Schlag, Kürschner, und Maria Elisabeth Schlag, verwitwete
Meusel. Letztere, in erster Ehe 1762 mit Gottlieb Prox, dem
ledigen Kürschner und Föchhändler von Friedland in Schlesien,
in zweiter Ehe 1770 mit Jon. Aug. Gotthold Meusel, ledigem
Bauchwaarenhändler von Radenfeld bei Leipzig gebürtig, ver-
mählt und 1780 zum zweiten Male verwittwet, gilt \in Zinsbuch
(Maria Elisabetha Musselin Wittib) und auch in folgendem Ver-
kaufsakt als Eigentümerin des Hauses, während sich ihr Bru-
der bereits 1760 (Kontraktbuch fol. 43 a) mietweise und 1771
(Kontraktbuch fol. 76b) als Eigentümer unter der Grossen
Gewerbslaube etabliert hatte.
Am 11. Mai 1787 verkauften die Schlag'scben Erben das
väterliche Haus am Alten Fischmarkt.
Kontraktbuch 1787 Fol. 196 a.
Erschienen Fr. Maria Elisabeta, geborne Schlagin, weyl. H. Johann
August Gotthold Meusel, gewesten Rauhwaarhändlers und Burgers
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allhier seel. nachgelassene Wittib, beiständlich H. Georg Ludwig
Schlag, des Rauchwaarhändlevs und Bürgers allhier, ihres leiblichen
Bruders, diese hat in Gegenseyn H. Johann Ludwig Claus, des
Seidenknopfmachers und Bürgers allhier angezeigt und bekannt,
dass sie vor sich, ihre Erben und Nachkommen aufrichtig, redlich,
vest und unwiderruflich verkauft und zu kaufen gegeben ihme H.
Claus, so vor sich und seine Erben erkauft zu haben bekanntlich
ist, die ihro Verkäuferin zuständige Behausung, Höflein, Bumpbronnen
und Hofstatt mit all übrigen dero Begriffen, Gebäuden, Weiten, Zu-
gehörden, Rechten und Gerechtigkeiten N r. 74 am untern Fischmarkt,
einseit neben weil. H. Niclaus Mannberger, gewessten Schwerdfegers
Wittib und Erben, anderseit neben H. Georg Friederich Rosa dem
Seidenhändler und Knopfmacher, hinten auf den Ulmergraben stosend,
gelegen, von dieser Behausung zalt man jährlich Löblm. Stift St. Marx
allhier auf Pfingsten 5 P und auf Nativitatis - Mariae 8 P 2 zu-
sammen 13 P 2 ^ ane ewigem Zinns, ferner Unserm Pfenningthurm
jeden Jahrs auf Martini Episcopitag 1 8 3 f -J. ane Bodenzinns,
sonst auser dem Vingtieme und der Einquartierung mit keiner andern
Realbeschwerde beladen, wol aber in Hauptgut S. T. H. XIII Bracken-
hofer um 3000 fl. weiters H. Actuario Saltzmann um 300 fl. und
Weil. Fr. Dr. Ehrmännin geborner Engelhardin seel. nachgelasenen
Erben um 500 fl. so dann ihme H. Schlag vorgedacht um 1000 fl.
samtlich ad vier pro Cento verzinnsslich verpfändet, sonst lcdig und
ihro der Fr. Verkäuferin als ein zum Theil ererbt, theils von ihrem
H. Bruder vorbenannt in unvertheiltem Erb cedirt erhaltenes Gut
eigentumlich zuständig. »
Folgen Kaufsumme und Zahlungstermine, dann heisst es
weiter :
< Mit welcher vorbehaltenen auch neuerdingen bedungenen Unter-
pfandsgerechtigkeit die Fr. Verkäuferin dem H. Käufer sothane Be-
hausung cum appertinentiis , denen samtlichen Oefen Steinen und
Rohren, dem Bauchkössel, denen liegerdingen in den beeden vordem
Kellern, zween Schellen, denen Umhangstänglein in drey verschie-
denen Zimmern, zweyen Console Tischlein samt dreyen dannenen
Waarenkästen, die Schäften Leisten, Zapfen und Ladenbänk in der
Boutiqne allein ausgenommen, abtritt, und mit Uebergab der Feder,
als Sitt ist, eigentumlich einräumt, um solche Behausung auf Johannis
Baptistätag instehend, wie lang die Fr. Verkäuferin den Hauszins
beziehet, dagegen aber auch, wie schon gemelt die samtliche Be-
schwerde und Capitalzinns auf sich zu leiden hat zu beziehen, dess-
falls dem H. Häufer sonst gegen männiglich stete und sichere
Währschaft zu leisten verspricht unter Verpfändung ihres übrigen
Vermögens. Alles getreulich und ohne Gefährde. Verlesen und unter-
schrieben. Actum Strasburg den eilften May a" eintausend siebe n-
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— <)5 —
hundert achtzig sieben. Maria Elisabetha Meüselin Wittib.
Georg Ludwig Schlag senior. Johann Ludwig Claus. Hammerer,
act. mit Handzug.
Nach diesen erschöpfenden Urkunden war also das Haus
Nr. 74 (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte) am Alten Fischmarkt
von 1765 bis 1787 im Besitz der Familie Schlag; in diesem hat
mithin Gcethe 1770-1771 sein Logis gehabt. Interessant auch
für weitere Kreise und eine nicht zu unterschätzende Stütze
für die Bestimmung des Goethe-Hauses ist der im Verkau fsbriefe
erwähnte Umstand, dass der Aktuarius Salzmann, Goethes väter-
licher Freund, eine Hypothek von 500 Gulden auf dem Schlag-
schen Hause stehen hatte.
Dieses Schlag'sche Haus ist bis auf den heutigen Tag im
wesentlichen unverändert geblieben. Wenn es auch seit meh-
reren Jahrzehnten mit dem Nebenhaus Nr. 75 (Nr. 36 südliche
Hälfte) verbunden ist, wodurch der im Erdgeschoss befindliche
Laden erweitert werden konnte, so ist doch die ursprüngliche
Trennung beider Häuser noch heute im äussern und irinern
deutlich ersichtlich. Noch jetzt sind die im Miets- und Kaufkon-
trakt des vorigen Jahrhunderts erwähnten Keller in ihrer ehe-
maligen Trennung vorhanden, sowie die zu ebener Erde gele-
gene, heute nicht mehr benutzte Küche, in welcher Mutter
Schlag manchmal für ihren Goethe die Abendmalzeit bereitet
haben mag.
Dass Johann Ludwig Schlag der Hauswirt Goethes gewesen
sein muss , da kein a nderer des Namens Schlag etwa miet-
weise ein Haus am Alten Fischmarkt bewohnt haben kann,
geht aus einer andern allerdings sehr umständlichen Nachfor-
schung hervor. Ich habe nämlich von 1770 bis zum Todesjahr
Gcethes 1832» bis 1792 alle katholischen und evangelischen
Pfarrbücher und vom 22. Sept. 1792 die Dezennaltabelle der
Mairie vorgenommen und nach einer sorgfältigen Durchforschung
in ganz Strassburg zwischen 1770 und 1832 nur jene einzige
und zwar evangelische Familie Schlag gefunden, welche aus
Frankfurt am Main stammt.
Hochzeitsregister von St. Aurelien Bd. 2 Fol. 45«.
a. 1702.
Mittwoch den 18. Januarii wurden nach geschehener zweymaliger
ausrufung copulirt zu St. Aurelien Johann Jost Schlag der ledige
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■
— 9G —
Schuster und Burger allhier. weyl. Peter Schlagen, gewesenen Stein- \
metzen und Burgers zu Frankfort am Main, nahgelassener ehl.
Sohn und Jgfr. M. Dorothea weyl. Christoph Hetzeis gewesenen |
Burgers und Hornpressers allhier nachgelas. ehl. Tochter. '
Als einziger Sohn aus dieser Ehe wurde den 30. Nov. 1702»
geboren Johann Ludwig Schlag. Am 11. Dez. 1778* starb
Herr Johann Ludwig Schlag, Rauchwaarhändler und Burger
seines Alters 76 Jahre und 11 Tage. Dessen Sohn Georg Ludwig
Schlag, geboren d. 4. April 1735 3, starb d. 28. Febr. 1798
(onzieme ventose VI)* age des 63 ans, ci-devant pelletier, fils
legitime de feu Jean Louis Schlag pelletier, en sa demeure si-
tuee Krautenau 100.
Der gleichnamige Enkel Georg Ludwig Schlag, geboren
d. 27. Mai 1759» starb d. 22. Oct. 1831,6 ggg de 72 ans 4
mois 26 jours dans la maison situee Nr. 32 Grandes Arcades,
Iiis de feu George Louis Schlag, pelletier. Dessen Sterbeakt ist
unterzeichnet von Louis Felix Schlag, age de 36 ans, negociant,
fils du rietünt. Dieser letztere starb d. 13. Juli 1847 und des-
sen einzig noch lebende Tochter ist Frau Ungerer-Schlag,
Witwe des Mechanikers Ungerer, mit welcher der Name dieser
ursprünglich aus Frankfurt stammenden Familie dereinst in
Strassburg erlöschen wird.
1 Taufregister von St. Aurelien Bd. 3 fol. 173a.
2 Sterberegister der Neuen Kirche Bd. 190 fol 13a.
» Taufregister der Neuen Kirche Bd. 227 fol. 400b.
4 Sterberegister der Maine Bd. 226 fol. 136 b.
5 Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 415 a.
n Sterberegister der Mairie Bd. 347 fol. 464 b.
" Sterberzgister der Mairie Bd. a. 1847 fol. 350b.
Berichtigungen: Seite 14 Zeile 12: 26. Nov. — S. 14 Z. 11 von unten:
v/eil er. — S. 26 Z. 12: Wenn trotzdem aber. — S. 41 Z. 15 von unten :
cy dessus. — S. 41 Z. 14 von unten : icelies valloir. — S. 42 Z. 19 : cy. —
S. 42 Z. 24: il s'est trouve\ — S. 42 Z. 37 : a 616 paraphe. — S. 60 Z. 17
von unten : vor dem kurländischen Richter. — S. 64 Z. 18 : als wir die Dame.
lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter-
zeichneten jederzeit willkommen sein.
Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten :
Heft I. : Die deutsch- französische Sprach-
grenze in Lothringen von Const.
This. 8°. 3i S. mit einer Karte
(1 : 300.000). - M i 50
Heft II. : Ein andechtig geistliche Badenfahrt
des hochgelerten Herren Thomas
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er-
läuterungen, insbesondere über das
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr.
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach
dem Original. ^2 —
Heft III. : Die Alamannenschlacht vor Strass-
burg 357 n. Chr. von Archivdirector
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit
einer Karte u. einer Wegskizze. M 1 —
Heft IV.: Lenz, Goethe und Cleophe Fibich
von Strassburg. Ein urkundlicher
Kommentar zu Goethes Dichtung und
Wahrheit mit einem Porträt Ara-
minta's in farbigem Lichtdruck und
ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stamm-
buch von Dr. Joh. Froitzheim.
< * „M> 3 —
In Vorbereitung :
Holländer, A. Strassburg im französischen
Kriege 1552.
Witte, H. Die Ar mag nahen im Elsass.
Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung,
nimmt Bestellung an.
Hochachtungsvoll
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
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Verlag von J. H. Ed. Ueitz (Heitz & Mündel)
in Strassburg i./E.
Baum, Adolf. Magistrat and Reformation in Strassburg bis
1529. gr. 8. XIII u. 212 S. ^ 4 50
Jahrbach für Geschichte, Sprache und Litteratar Elsass-Loth-
ringens, herausgegeben von dem hist.-litt. Zweigverein des Vogesen-
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 50
Lupus, B. Die Stadt Syrakus im Alterthnm. Autorisierte
deutsche Bearbeitung der Cavallari-Holm'schen Topografia archeo-
logica di Siracusa. gr. 8. 343 S. mit zwei Karten in fol. und
mehreren Holzschnitten. Jt 10 —
Institute, die naturwissenschaftlichen und medicinischen der
Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm-
lungen der Stadt Strassburg. 4. 148 S. mit vielen Grundrissen
und flolzschnitten. Jt 3 —
filsässische Landschaften. Vier Originalradierungen von F. Helms -
dorf. Neue Ausgabe. Text von Dr. A. Sehr ick er. gr. fol. mit
4 Blatt Text in Mappe. J( 6 —
Lucius, Phil. Ferd. Friederike Brion von Sossenheim.
Geschichtl. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. Jt 5 —
Rectoratsreden der Universität Strassburg :
Heitz, £. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität.
Rede gehalten am 1. Mai 1885. 8. l>7 S. Jt — 60
Heye, T h. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und
in der Neuzeit. Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 16 S. uff — 40
Zoepffel, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887.
Jt - 40
Vogesengriin. Ein elsässischer Familien - Kalender von Maria
Rebe. Zweiter Jahrgang. 1888. JL 1 50
Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz {Heitz & Mündel).
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BEITRÄGE
ZUR
LAN DES- UND VOLKESKÜNDF
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
V. HEFT
I • 1 V Di- I..: In li-f KA\/< 'MhCiiL SIM<A( Ht.KhNXK
im ( : i v\> s
VON
Dr. CONSTANT THIS
MIT EINER KARTE UND ACHT ZINKATZUNGEN
STR ASS BÜRG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel)
1888
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Im Vorlage der unterzeichneten Verlagshandhmg
erscheint unter dem Titel :
BEITRÄGE
zun
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen
aus dem Gebiete der Geschichte und Literatur-
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen-
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen
daneben selten gewordene litterarisehe Denkmäler
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht,
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen,
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass-
lotliringischen Volkskunde befördert werden. Aner-
bietungen von, in den Kähmen gegenwärtiger Samm-
lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter-
zeichneten jederzeit willkommen sein.
Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten :
lieft L: Die deutsch- französische Sprach-
grenze in Lothrinqen von Const.
This. 8°. 3i S. mit einer Karte
(l ; 300.000). Jk 1 50
siehe ärttte Seite des Umschlags.
Digitized by Go
DIB DEUTSCH-FRANZCESISCHB
SPRACHGRENZE
IM ELSASS
nebst einer Karte und acht Zinkätzungen
VON
D B CONSTANT THIS.
STR ASSBURG
J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL)
1888.
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DIE ÖEUTSCH-FRANZ(ESISCHE SPRACHGRENZE
IM ELSASS.
I
4
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Vorbemerkungen.
Vorliegende Arbeit bildet die Fortsetzung der vom Verfasser
begonnenen Darstellung der deutsch- französischen Sprachgrenze. 1
Sie giebt die Resultate einer zum Zwecke der Feststellung der
Sprachgrenze in Unter- und Ober-Elsass in den Monaten Au-
gust, September und Oktober 1887 unternommenen Reise.
Bei den in der «deutsch-französischen Sprachgrenze in
Lothringen » erwähnten einschlägigen Arbeiten * war übersehen
worden ein Aufsatz von H. Kiepert, Die Sprachgrenze in
Elsass-Lothringen, mit einer Karte. * Kiepert hat zum Teil auf
Fusswanderungen, meist aber auf Grund der 1872 durch die
reichsländischen Behörden veranstalteten Erhebungen jene
1 Die deutsch-französische Sprachgrenze in Lothringen, nebst
einer Karte, 1887. (Beiträge znr Landes- und Volkeskunde von Elsass-
Lothringen. Heft I.)
2 p. 5 and 6. Nabert's, « Ueber Sprachgrenzen insonderheit die
deutsch-französischen in den Jahren 1844 — 1847 >, ist erschienen als
Beilage zum Jahresbericht der höheren Bürgerschule zu Hannover,
1856.
8 Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. IX. Band,
1874, p. 307 ff.
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Sprachgrenze festgestellt. Wir werden spater sehen, in welchen
Punkten vorliegende Arbeit von den Kiepert'schen Resultaten
abweicht.
Auch jetzt noch bleibt für den Verfasser bei der Bestim-
mung der Sprachgrenze die Frage massgebend, wie weit fran-
zösisches Patois in der Familie gesprochen wird. Als französisch,
der Nationalität nach, müssen jedoch auch solche Orte ange-
sehen werden, in denen meist kein Patois mehr gehört wird,
weil es durch Handel und Industrie allmählich vor der franzö-
sischen Verkehrssprache zurückgewichen ist, die das einzig
brauchbare Verständigungsmittel darstellte für Gemeinden mit
stark von einander abweichenden lothringischen Patois, mit
denen sie in intensiveren Verkehr traten. Dies ist, z. B., der
Fall bei Schirmeck und Vorbruck, die in regem Verkehr mit
Saales, St-Die und anderen südwestlich gelegenen Orten sich
befinden, wo eine Spielart des Lothringischen geredet wird, die
den Bewohnern von Schirmeck und Vorbruck nicht leicht ver-
ständlich sein konnte.
Was die natürliche Sprachgrenze im Elsass anbetrifft, so
liegt hier eine schroffere Sprachscheide vor als in Lothringen.
Eine scharfe Sprachgrenze bilden die höchsten Erhebungen der
Vogesen für die Thäler der Fecht, der Thür und der Doller,
wo das Gebirge, nach Westen und Osten steil abfallend, nach
keiner Seite ein Vordringen begünstigte. Vom Donon bis zum
Münsterthale gewährte die Bodenbeschaffenheit dem romanischen
Elemente die Möglichkeit weiter abwärts vorzudringen, aber
meist nur in die hohen Gebirgsthäler. Wo die Thäler sich
erweitern, hatte das allemannische Element sich festgesetzt und
blieb erhallen. So finden wir Romanen in dem oberen Weiss-
thale und in dem Bechinethale, in den engen Thälern auf dem
linken Ufer der Leber, in dem oberen Thale des Giessenbaches
und in dessen engen Nebenthälern, und endlich im oberen
Breuschthale mit seinen Nebenthälern.
Während, wie dies natürlich ist, die Allemannen nicht die
engen Thäler hinaufgezogen sind, breiteten sich die Romanen,
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I
I
1
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welche in Lothringen auf einem Hochplateau wohnten, nach
Osten aus Und stiegen weiter in die unbewohnten, oder doch
nur schwach bevölkerten engen Vogesenthäler hinab.
In das Breuschlhal sind, zum Beispiel, die Romanen von
zwei Punkten aus vorgedrungen, von Raon-sur-Plainc - Grand-
fontaine und von St-Die - Saales her. Beide Gruppen von Ein-
wanderern, deren Patois sich in gewissen Hauptmerkmalen
unterschied, trafen in der Nahe von Rothau zusammen. Diese
Ansicht bestätigt uns die kürzlich erschienene treffliche Arbeit
von A. Horning, «Die ost französischen Grenzdialekte zwischen
Metz und Beifort, mit einer Karte»,» aus welcher wir klar
ersehen, dass mit Rothau südwärts eine neue Dialektgruppe
beginnt. Auch die Bewohner jener Gegenden sind sich dieses
Unterschiedes bewusst.
In dem zwischen Lutzelhausen und Schirmeck liegenden
Teile des Breuschthales ist eine natürliche Sprachgrenze nicht
zu erkennen. Hier wohnen im Thale Allemannen und Romanen
nebeneinander. Die Beschaffenheit des Terrains erklärt diese
Erscheinung nicht. Da kommt denn wohl ein geschichtliches
Moment in Erwägung. Sollten dahin nicht lothringische Kolo-
nisten verpflanzt worden sein ? Die Ortsnamen lehren uns, dass
hier ursprünglich eine allemannische Bevölkerung sass. Sehen
wir uns aber den Menschenschlag an, und hören wir dessen
Sprache, so haben wir meist Lothringer vom echten type
vosgien vor uns. Dass von Netzenbach - Wisch ab die Leute
sich selbst auch Lothringer nennen und eine bestimmte Ab-
neigung gegen den Elsässer bekunden, dürfte nur in letzter
Linie in Betracht gezogen werden, um so mehr als hier andere
Beweggründe, z. B. administrativer Art, im Spiele sind.
Was endlich den südlichen Teil des Elsasses betrifft, den
Teil von den Vogesen bis zur Schweizer Grenze, so ist die
natürliche Sprachgrenze hier der ähnlich, die wir in Lothringen
gefunden haben. Die Grenze bilden zum Teil waldbedeckte
1 Französische Studien. V Band.
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Höhen, zum Teil (zwischen Menglatt und Pfetterhausen) grosse
Wälder mit darin liegenden Weihern. Diese Höhen bilden auch
meist die Wasserscheide für die nach Westen dem französisch
sprechenden und nach Osten dem deutsch sprechenden Gebiete
zufliessenden Gewässer.
Für Feststellung der Nationalitätengrenze verdient auch ein
anderes Moment noch berücksichtigt zu werden, das hier nur
berührt werden kann.
Die folgenden Bemerkungen über den Bau des Bauern-
hauses erheben keinen Anspruch auf eine erschöpfende Dar-
stellung des Gegenstandes ; sie dienen vielleicht dazu, zu wei-
teren Studien über das Haus anzuregen.
Die Bauart des Bauernhauses in dem von mir durchwanderten
Gebiete ist vorwiegend die frankische. * Allemannische Häuser,
d. h. Häuser mit der W r ohnung über dem Stalle, findet man
nur da, wo jetzt noch Allemannen sitzen oder doch ursprüng-
lich sassen. Dieses fränkische Haus zeigt mannigfache Spielarten.
Wir finden Gebäude, die ganz aus Holz, und solche, die aus
Steinen gebaut sind ; Häuser, wo die lange Seite gegen den
Hof, die Giebelseite gegen die Dorfstrasse, aber auch solche,
wo die lange Seite gegen die Dorfstrasse gerichtet ist. Ferner
sehen wir Häuser, wo Wohn- und Wirtschaftsgebäude nicht
unter einem Dache, und solche, wo beide unter einem Dache
vereinigt sind. Im ersteren Falle ist das Wirtschaftsgebäude
entweder an das Wohnhaus angebaut, oder es steht im rechten
Winkel zum Wohnhause, welches alsdann die Giebelseite des
Hauses immer nach der Strasse gerichtet hat.
Ganz von Holz sind im allgemeinen die Gebäude von Ober-
Sulzbach (Kreis Thann) bis zur Schweizer Grenze. Die Gefache
der Balken sind mit zaunartigem Flechtwerk ausgefüllt, welches
1 üeber die Namen der deutschen Häuser vgl. Meitzen, Das
deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen.
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mit Lehm überworfen ist. Seltener ist das Wohngebäude aus
Steinen aufgebaut (z. B. in Ottendorf, Luffendorf, Winkel).
Man hält den Holz-Lehmbau für wärmer.
Eine Mischung von Holz- und Steinbau, wobei letztere
Bauart vorwiegt, treffen wir an von Ober-Sulzbach bis ins
Münsterthal, wo auch öfters allemannische Häuser vorkommen.
Nur Steinbau haben wir vom Weisstbale bis in das Breuschthal.
Wir finden überall die übliche Dreiteilung des Wohnhauses.
i i i l
Treten wir in das Haus, so gelangen wir zunächst auf den
Hausflur a, durch die Thüre rechts in die Wohnstube b. Ein
oder zwei Fenster gehn nach der Langseite, eines nach der
Giebelseite. An der Küchenwand befindet sich der Ofen, welcher
von der Küche aus geheizt wird. Von der Wohnstube führt
eine Thüre nach der Kammer c, die meist Schlafstätte und
durch eine Thüre mit der Küche d verbunden ist. Die der
Hausthüre gegenüberliegende Thüre führt in die Küche d. Von
dem Hausflure und von der Küche führt links je eine Thüre
in die Vorratskammer e. Vom Hausflure führt links eine Treppe
in das obere Stockwerk.
Umgekehrt kann auch die Wohnstube sich links und die
Vorratskammer rechts befinden. Bei Häusern mit der Giebelseite
gegen die Strasse liegt natürlich die Wohnstube immer nach
dem der Dorfstrasse zugewendeten Giebel.
Bei kleineren Häusern bilden 6 und c meist einen Wohn-
raum, und öfters sind auch Flur und Küche nicht getrennt.
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Das Wohnhaus bildet entweder ein Gebäude für sich, oder
es befindet sich unter einem Dache mit Stallung und Scheune,
ist aber alsdann durch eine Wand von letzteren getrennt.
Wo wir fast nur Holzhau antreffen, d.h. von der Schweizer
Grenze bis Ober-Sulzbach, ist das Wohnhaus vollständig von
dem Wirtschaftsgebäude geschieden. Das Wohnhaus ist mit
seiner Giebelseite gegen die Strasse gerichtet. Stallung und
Scheune stehen im rechten Winkel dazu oder sind an das
Wohnhaus angebaut, wobei die Stallungen der Wohnung
zunächst liegen. Tm letzteren Falle ist das ganze Haus oft mit
der Langseite gegen die Dorfstrasse gerichtet, z. B. in Oden-
dorf, Winkel. Auf dieser ganzen Strecke sehen wir noch sehr
viele Fenster mit Butzenscheiben.
Von Ober-Sulzbach bis ins Münsterthal sind W T ohnung und
Wirtschaftsgebäude meist unter einem Dache, und zwar in der
Reihenfolge Wohnung, Stallung, Scheune. Noch ist die Giebel-
seite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet, aber auch
schon öfters die Langseite.
Vom Weissthale ab bis in das Breuschthal sind die Häuser
aus Stein gebaut, und Wohn- und Wirtschaftsgebäude befinden
sich unter einem Dache, aber in der Reihenfolge Wohnung,
Scheune, Stallung. An den Stall schliesst sich oft noch ein
Schuppen an zur Unterbringung des Holzes und der Wagen im
Winter. Die Giebelseite ist nicht mehr gegen die Dorfstrasse
gerichtet. Es fällt der Vorratsraum e meist weg ; im übrigen
bleibt die Einrichtung der Wohnung, wie sie oben beschrieben ist.
Die vordere Ansicht eines Bauernhauses ist : A = Wohnung,
B = Scheune, C — Stallung, D = Schuppen.
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Der Grund riss ist folgender :
über dein Scheunenthor ist gewöhnlich ein Rundbogen,
neuere Häuser haben einen Querbalken. Über dem Stalle befindet
sich der Futterboden.
Ein Haus in Urbeis (Orbey, Kreis Rappolts weder) mit der
Jahreszahl 1707 hat folgende Vorderansicht :
a
r
i
m
'1 1
ffi
r
Wohnung Scheune. Stall Schuppen
Hier isl der Unterschied, dass das Futter von aussen durch
die Öffnung a hineingebracht wird.
Von obiger Bauart unterscheidet sich die Einrichtung des
Bauernhauses in Lothringen. 1 Dort sind die Häuser meist aus
Steinen eng aneinander gebaut. Die Vorderseite, die Seite,
welche man bei minder tiefen Häusjrn Langseite nennt, ist
immer gegen die Dorfstrasse gerichtet ; Wohnung und Wirt-
1 Vgl. auch Fr. W. Toussaint, Deutsch-Lothringen und sein
Ackerbau. Metz, 1875, p 90 u. 91. Das Buch enthält sehr richtige
Beobachtungen über die Lebensweise des lothringischen Bauern.
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schaftsgebäude befinden sich unter einem Dache in der Reihen-
folge Wohnung, Stallung, Scheune.
Vorderansicht.
Grundriss.
Garten
Garten
Treten wir durch die Vorderthüre in das Haus, so gelangen
wir auf den engen Flur a, welcher, durch die ganze Tiefe des
Hauses sich hinziehend, durch die Hinterthüre in den an das
Haus anstossenden Gemüsegarten führt. Von dem Flur gelangen
wir links in die Küche b, von dort führt eine Thüre links in
die Wohnstube c und eine andere rechts in die Kammer d.
Die Küche wird durch den Rauchfang erhellt. In der Wohn-
stube befindet sich an der Küchenwand der Ofen c 1 , rechts
vom Fenster der Familientisch c* und links das Ehebett c*.
Von der Küche gelangen wir durch eine Treppe in das obere
Stockwerk, wo der Vorratsraum ist, und durch eine andere
Treppe in den Keller ; letztere Treppe befindet sich oft noch in
der Wohnstube. Von dem Flure führt rechts eine Thüre in die
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Backkammer e, der Küehenthüre gegenüber eine andere in den
Stall f und aus diesem eine Thüre in die Scheune g.
An der Giebelseite sind, da Haus an Haus gebaut ist,
keine Fenster, nicht einmal, wenn die Giebelseite frei steht.
Sehr oft fehlt die Backkammer und dehnt sich der Stall
aus bis an die hintere Seite des Hauses. In diesem Falle nimmt
der Backofen h einen Teil der Kammer ein und die Öffnung
desselben geht nach der Küche.
Wir erhalten folgenden Grundriss:
Garten Garten
In kleineren Häusern fehlt auch der Flur. Wir treten in
das Haus durch die Scheune g, von dort in die Küche b und
in den Stall f> von welchem aus eine Hinterthüre in den
Garten führt.
Es erübrigt uns noch einige Bemerkungen über die
Zusammensetzungen mit «rupt» und «goutte» und deren
Bedeutung vorauszuschicken. Wir begegnen diesen Zusammen-
setzungen in den französisch sprechenden Teilen der Vogesen
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sowohl auf der östlichen als auf der westlichen Seite. Solche
Zusammensetzungen sind : Freconrupt, Blancherupt, Ranrupt,
Fonrupt, Schnarupt, Fenarupt, Fertrupt ; Hautes Gouttes, Rian-
goufte, Rougigoutte, etc., und die einfachen Goutte und les
Gouttes. Ueberall da, wo «rupt» vorkommt, erscheint auch
«goutte». Wenn man an Blancherupt Bliensbach, Fertrupt
— Fortelbach, Faurupt = Starkenbach, Noirrupt (Bächlein aus
dem Schwarzen See in die Weiss fliessend) — Schwarzbach,
Blancrupt (Weiler, Gem. Urbeis) = Weissbach denkt, so er-
kennt mau leicht, dass «rupt» dem «Bach» entspricht, wie auch
das Wort für sich in dieser Bedeutung im Patois vorkommt.
Dasselbe ist von rogium oder rivus abzuleiten i und sollte «ru»
geschrieben werden, welche Schreibung neben «rux» in Urkun-
den* vorkommt. Die Schreibung « rupt » finden wir erst sehr
spät, sie rührt von einer falschen Etymologisierung her. (Ebenso
wäre Faurupt, Gem. Diedolshausen, = Starkenbach der rich-
tigen Etymologie gemäss Forru oder mit Vereinfachung Foru
zu schreiben.)
Die Zusammensetzungen mit «goutte» bezeichnen meist
Bächlein, so Bestigoutte, Danigoutte, Harangoutte, Rougigoutte,
welche Zuflüsse der Rumbäche sind, u. a. Goutte = patois got's
1 Vgl. dazu Groeber, Miscellanea di Filologia. p. 48, und Horning,
Zeitschrift für roman. Philol , IX, 510.
2 Vgl. Stoffel, Topographisches Wörterbuch des Ober-Elsasses
3 Die bei Patoiswörtern und Patoisnaraen angewandten Zeichen
haben folgenden Lautwert :
a) Vokale
a = langes a in äge.
a — kurzes a in combat.
ä — langer Laut des englischen a in man
i» = a-Nasal in an.
V = offenes langes e in mere.
»' = offenes kurzes e in bei
e — geschlossenes langes e in gelee.
e' =: derselbe Laut wie e mit kurzem i - Nachklang.
ß = geschlossenes kurzes e in serat.
e = kurzer e-Laut in be&om
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ist wohl nichts anders als das französische ^outte —
Tropfen, i
Z r= e-Nasal in vi«.
i = langes i.
i = kurzes i.
9 = offenes kurzes o in fol.
° = geschlossenes langes o in rose.
<> = geschlossenes knrzes o in awssi
i? = o-Nasal in hon,
= Tonvokal in seid.
m ~ Tonvokal in heurewx.
u =z Tonvokal in pour
-j = langer ü-Laut in jure,
i» = kurzer ü-Laut in jwste.
== Zeichen des Ausfalls eines stummen oder dumpfen e (ej.
b) Halbkonsonanten,
w — Laut des englischen w.
j =: tonloser j-Laut in „jeber", stehend hinter einem harten Konso-
nanten.
y = tönender j-Laut, entsprechend dem franz. y in payer, stehend
hinter einem tönenden Konsonanten oder einem Vokale.
c) Konsonanten.
k = Laut des c in car.
g = Laut des g in ^arcon.
/ = (f) - Laut vor a oder o. tief in der Kehle gesprochen, etwa
dem schweizerischen entsprechend,
'h =: der entsprechende tönende Laut des /, etwa gleich dem
deutschen „!)".
-jI = Laut des d) in id).
s =? tonloser s-Laut in «abre.
s — Laut des franz. ch (chene .
7. — Laut des franz. j (jour).
n = Laut gn in compa^non.
Die übrigen Zeichen entsprechen in ihrem Lautwerte dem Fran-
zösischen.
1 Oder ist es möglich, « goutte > in Zusammenhang zu bringen
mit dem im Schwarzwalde in Verbindungen vorkommenden «Kutt»?
Vgl. dazu <Strassburger Post> vom 6. August 1887, zweites Blatt —
E. Goguel nimmt in den wenigen eigenen Bemerkungen zu seiner
Übersetzung der Nabert'schen Schrift (Revue d'Alsace. 1859) «goutte»
fälschlich für das deutsche «Gut».
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Das bei Urbeis (Kanton Weiler bei Schlettstadt), St. Kreuz,
Markirch, Zell vorkommende (richtig so zu schreibende) Faite
ist nichts anders als fastigium = First, Gebirgsrücken. Es ist
falsch, wenn wir Fete geschrieben sehn und in Urkunden»
daneben Feste, Feite lesen.
Ich teile nun auf den nachfolgenden Blättern die an der
Sprachgrenze von mir gemachten Erhebungen zugleich in Ver-
bindung mit Beobachtungen über das elsässische Bauernhaus
mit.
Die den Namen der Ortschaften in Klammern beigefügten
Namen sind die Bezeichnungen des französischen Patois.
i Vgl. Stoffel a. a. 0.
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I. UNTER-ELSASS.
1. KREIS MOLSHEIM.
a. Das Breuschthal.
Urmatt
ist vollständig deutsch. Schule, Predigt und Kinderlehre sind
ebenfalls deutsch. Wir finden dort eine Mischung von fränki-
schen und allemannischen Häusern, aber die fränkische Bauart
ist vorwiegend. Oft befindet sich die Treppe zum oberen Stock-
werke neben dem Hause.
Lützelhausen.
In Lützelhausen hörte ich gewöhnliche Leute auf der Strasse
und in Wirtschaften deutsch, französisch und auch patois
sprechen. In Urmatt sagt man, dass in Lützelhausen meist
deutsch gesprochen werde, auch französisch und etwas patois.
Auch in Schirmeck wird von Lützelhausen gesagt, es sprächen
dort fast alle Leute deutsch. Ebenso heisst es in den umliegen-
den französischen Ortschaften, dass Lützelhausen zum grössten
Teile deutsch sei; einige Familien nur seien französisch. Es
wird ein Patois gesprochen, welches sich ganz sonderbar an-
hört, so dass die umliegenden französischen Ortschaften mit
Recht behaupten, man erkenne den Lützelhauser überall an
seiner Sprache. In Mühlbach heisst es, dass in Lützelhausen
fast alle Leute deutsch sprechen können, wenn man mit ihnen
2
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spricht. Es seien sehr wenige Leute dort, die kein Deutsch
könnten; aber die Meisten sprächen nicht deutsch. Eine
Mischung der Bevölkerung ist vorhanden. Zu dieser Mischung
scheinen die Fabriken beigetragen zu haben.
Die Kinder kommen daselbst in die Schule und können
nichts gut sprechen, weder deutsch, noch französisch, noch
palois. Die Predigt und die Kinderlehre sind französisch.
Auf dem Kirchhofe sind die Aufschriften alle französisch,
doch sind die Namen etwa 8 Js deutschen und 7s französischen
Ursprungs. Die romanischen Namen sind dieselben, welche in
den französisch sprechenden Orten des Thaies vorkommen ;
einige Leute sind eingewandert. Aus den Aufschriften ersieht
man, dass Elsässer und Lothringer sich untereinander verhei-
rateten. Sehr oft kehren Namen wie Oulman, Schuler, Eigle
wieder. Interessant ist eine Inschrift aus dem Jahre 1815, auf
welcher folgendes steht : Ici repose Elisabeth Sheiber, eboux de
Yguaies Herman. Auch die Schilder auf den Häusern tragen
meist direkt deutsche Namen.
In dieser Beziehung ist Lützelhausen mit Albesdorf in Loth-
ringen zu vergleichen, wo fast zu gleichen Teilen beide Elemente
vertreten sind, freilich so, dass in Lützelhausen das deutsche
Element etwas vorwiegt.
M Uhlbach (Melbe)
ist vollständig deutsch. In einer Wirtschaft konnte, z. B., die
Frau beinahe kein Französisch.
Netzenbach (Natsebo).
In diesem Annex von Lützelhausen wird Patois gesprochen.
Von hier an nennen sich die Leute auch nicht mehr Elsässer.
Ich fand dort zwei kleinere Häuser mit der Wohnung über
dem Stalle. An einem der letzten Häuser nach Lützelhausen zu
steht ein Kreuz in deutscher Sprache, welches errichtet worden
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ist im März 1812 von Joseph Gros aus Mühlbach für seinen an
dieser Stelle durch Messerstiche ermordeten Sohn.
Wisch (Vix)
spricht patois. Die Kirchhofau fschriflen sind alle französisch.
Freilich ist eine Anzahl rein deutscher Namen darunter; aber
die alten Autschriften, welche bis in das Jahr 1734 zurück-
reichen, enthalten französische Namen. Am öftesten kehrt der
Name Charton wieder.
Hersbach (Herspo).
Dieser Annex von Wisch spricht patois. Vor einigen armen
Häusern sprachen die Kinder deutsch. Die Kirchhofaufschriften
sind alle französisch, gehen aber nicht über die Mitte dieses
Jahrhunderts hinaus. Wenige Namen sind direkt deutsch. Eine
Nebengasse daselbst heisst gos' = Gasse, was wohl ein Beweis
dafür ist, dass der Ort ursprünglich deutsch war.
Russ (Ris).
Der Ort spricht patois. Kinder und erwachsene Leute
sprachen auf der Strasse patois. Die Leute sprechen nur patois
und französisch. Etwa 3 Familien, welche aus deutschen Teilen
eingewandert sind, sprechen deutsch. Die Aufschriften auf dem
Kirchhofe, von denen die älteste aus dem Jahre 1741 ist, sind
alle französisch. Am Eingange des Dorfes von Hersbach her
steht rechts von der Kapelle ein Kreuz mit französischer Inschrift
aus dem Jahre 1786 errichtet par le sieur Nicolas Charton (vgl.
Wisch), prevöt de la prevöte de Russ. Ebenso steht an dem
Wege zwischen Russ und Steinbach etwa 100 Meter von Russ
entfernt ein Kreuz aus dem Jahre 1733 mit französischer In-
schrift.
Der obere Teil des Dorfes heisst Heydey (ebenso in Lützel-
hausen). Dies bedeutet offenbar «Höhe», wie im deutsch spre-
chenden Lothringen Höhe = he'id'n ist.
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Schwartzbach (Swarsb9).
Dieser Annex von Russ ist vollständig deutsch. Eben des-
wegen wurde wohl von Kiepert Russ selbst als vorwiegend
französisch mit deutscher Mischung bezeichnet.
Steinbach (Stebe).
Dieser kleine Annex von Russ (4 Häuser) spricht patois.
Barelibach (Berebe).
In diesem Orte wird patois gesprochen. Die Kirchhofauf-
schriften sind alle französisch ; die älteste stammt aus dem
Jahre 1767. Die Bevölkerung wird in der Umgegend als ein
eigenartiger, ziemlich grober Menschenschlag bezeichnet.
Schirmeck (Sermek) und Vorbruck (Labrok).
In Schirmeck, ebenso wie in Vorbruck, wird meist fran-
zösisch gesprochen. Ausser den Beamtenfamilien sind in
Schirmeck noch etwa 8, in Vorbruck etwa 10 deutsch spre-
chende Familien. Die zum ersten Male in die Schule kommenden
Kinder sprechen, abgesehen von den Kindern der deutsch spre-
chenden Familien, nur französisch, einige auch patois. In Vipu-
celle, einem Teile von Vorbruck, wird noch meist patois ge-
sprochen. Die Inschriften auf den Kirchhöfen von Schirmeck
und Vorbruck sind alle französisch, abgesehen von einigen
wenigen jüngeren Dalums von Beamtenfamilien. Die Namen
sind auch meist nicht deutsehen Ursprungs. In dem ganzen
Thale von Wisch bis Rothau sind die Namen fast immer die-
selben : Charton, Douvier, Marchai, u. s. w. Auch von Namen
deutschen Ursprungs kehren manche oft wieder.
In der Kirche von Labroque beßndet sich links neben der
Kanzel in die Mauer eingelassen ein Stein mit französischer
Aufschrift aus dem Jahre 1719; auf demselben heisst der Ort
Labroc en Lorraine.
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Das zu Schirmeck gehörende Wackenbach (Vokenu) hat
patois. Ebenso reden patois die zu Labroque gehörenden Weiler
Vipucelle, Maison-Neuve, La Claquette y Albet {Q\b$), Frecon-
rupt, Vacquenoux. Wir treffen in diesen Ortschaften, beson-
ders in Albet und Freconrupt, den echten type vosgien an.
Salm y Quevelles (mit Ausnahme von 2 Familien), Hof
Malplaqnet sind von deutsch sprechenden Mennoniten bewohnt.
Auch in dem in der Nähe von Quevelles liegenden, zur Ge-
meinde Plaine gehörenden Weiler Bambois sind Angehörige
dieser Sekte; ferner ist von Salm vor nicht langer Zeit eine
Familie nach Schirmeck verzogen, wo sie Milchwirtschaft be-
treibt. Ausserdem wohnen noch Mennoniten auf dem Gehölte
Grand- Pre (Gem. Grandfontaine) und etwa 3 Familien in
Hautfourneau (Gem. Grandfontaine). Dieselben halten sich einen
Lehrer, welcher in Quevelles ist. In Salm lebt der frühere
erste Vorsteher dieser Wiedertäufer, Namens Augsburger.
Andere Familiennamen in Salm sind : Adam, Beller, Hung,
Meckert, Schlabach. Die Gehöfte bleiben in der Familie und
werden nur an Familienmitglieder verpachtet. Es befinden sich
in dieser Gegend im ganzen ungefähr 20 Mennonitenfarnilien
mit etwa 100 Seelen.
Grandfontaine.
Der Ort mit den dazu gehörenden Weilern Framont,
Hautfourneau , Minieres und den Gehöften spricht patois, wobei
wir von den unter Schirmeck bereits erwähnten deutsch spre-
chenden Mennoniten absehen. Der Ort liegt sehr zerstreut.
W T ir treffen eine grosse Anzahl abgerissener Häuser an, be-
sonders in Les Minieres. Der Menschenschlag ist lothringisch.
Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Die Namen sind
meist romanischen, einige wenige deutschen Ursprungs ; zu
der letzteren Gattung gehört Stieffatre, wohl auch Peck. (Diesen
Namen treffen wir auch in Lützelhausen an.)
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I
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Rothau (Rot).
Die Mehrzahl der Bevölkerung spricht französisch, weniger
patois. Ausser Beamtenfamilien sollen noch etwa 20 Familien
elsässischer Abkunft, welche deutsch sprechen, in dem Orte
wohnen. Die deutsch sprechende Bevölkerung ist wohl früher
weit grösser gewesen. Mehrere Schilder führen deutsche Namen.
Rothau ist der erste Ort, in welchem Protestanten wohnen,
und zwar ist die protestantische Bevölkerung ungefähr in gleicher
Stärke wie die katholische vertreten. Die Protestanten sind
wohl eingewandert; sicher sind es die protestantischen Fabrik-
herren. Für eine derartige Einwanderung spricht folgender Um-
stand. Der Kirchhof in Rothau ist in zwei Hälften geteilt mit
gemeinschaftlichem Eingange. Auf der rechten Hälfte werden
die Katholiken , auf der linken die Protestanten begraben.
In beiden Teilen findet man nur wenige Denkmäler mit
deutscher Aufschrift. Auffällig ist aber , dass auf dem protes-
tantischen Teile die Namen meist rein deutschen Ursprungs
sind, was auf dem katholischen Teile nicht der Fall ist. Rothau
bildet den Übergang zum Steinthale.
b. Das Steinthal.
Das S t e i n t h a 1 , frz. le Ban-de-la-Roche , besteht aus
den Ortschaften Fouday (Fuda) mit Trouchy, Solbach (Solbe),
Wildersbach (Vildr/bo) , 1 Neuweiler (Nyevile) mit Rian-
goutte* und Haute-Gouite, Waldersbach (Va^trepe), Belmont
(Bßniö) mit Bambois und La Hütte, Belle fosse (Befos').
Diese Ortschaften sprechen alle patois. Es ist ausser Rothau
die einzige patois resp. französisch sprechende protestantische
1 In « Billing, Geschichte und Beschreibung des Elsasses. Basel,
1782» heisst Wildersbach auch Wittisbach. Haute-Goutte Oberrothau,
Waldersbach Vachtersbay.
2 «Riaugoutte oder Ringelsbach > in «J. Baquol, L'Alsace ancienne
et moderne. Strasbourg, 1851 >.
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Bevölkerung des Elsasses. Man erzählt in der Gegend darüber
folgendes. Infolge von Krieg (30 jährig.) und Pest sei die ganze
Bevölkerung ausgestorben gewesen. Es seien nur noch ein
Mann und eine Frau (Catherine Mila) in Fouday geblieben.
Diese Frau habe der Kirche zu Fouday eine Wiese geschenkt,
die jährlich vier Wagen Heu eintrage. Die ausgestorbene
Bevölkerung sei ersetzt worden durch eine Colonisation aus
Montbeliard und der Schweiz. Ferner wird noch erzählt:
Die südlich vom Steinthale gelegenen Orte Colroy-la-Roche ,
St-Blaise-la-Roche und Bliensbach hätten ursprünglich auch
zum Ban-de-la-Roche gehört und seien protestantisch gewesen.
Der Herr von Bellefosse, Rathsamhausen, der in der Kirche
von Fouday begraben liegen soll, habe einmal an einem Bade-
orte, es wird Baden-Baden genannt, beim Spiele derart verloren,
dass er, um seine Schulden zu bezahlen, gezwungen gewesen
sei jene drei Ortschaften zu verkaufen. Seit jener Zeit seien
diese Ortschaften katholisch.
In den Ortschaften des Steinthaies wird patois und fran-
zösisch gesprochen. Aber es ist sonderbar, dass so viele direkt
elsässische Wörter in dem Patois vorkommen. Etwa 50 solcher
Wörter sind mir mitgeteilt worden; von diesen führe ich nur
einige Beispiele an: bäredräk = jus de reglisse, strumpf-
vävoer = fouleur de bas, birhef = levure, fräse' =.
manger en gourmand, hilft' = pleurer, rötseyn = refroi-
dissement, smuts = baiser, häx = sortiere, häxemejstcer
= maitre sortier, u. s. w. ; ferner sagt man terles' 1 9» für
«läche-le».
Die Aufschriften der Kirchhöfe sind alle französisch. Es
finden sich aber keine alten Denkmäler. Nur in Fouday be-
findet sich in der Kirche ein alter Grabstein mit einer kaum
noch lesbaren Inschrift.
Das zu Neuweiler gehörende Haute-Goutte heisst in dem
dortigen Patois » ha e le köY = en haut k la cöte « ; in Wilders-
bach wird der zu Belmont gehörende Weiler Bambois « Freuden-
eck » genannt. Zu Wildersbach gehören einige Häuser und
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Gehöfte, die «Perheux» genannt werden. Man erzählt daselbst,
auf jener Höhe seien du temps des ours Büren gewesen. Dar-
nach wäre Perheux eine Entstellung des deutschen Wortes
< Bärenhöhe » .
Im Steinthale, besonders in Wildersbach, wird von den
Kindern ein französisches Lied gesungen mit einem Refrain,
welcher entstelltes Deutsch darstellt. Seine Bedeutung kennt
man dort nicht mehr. Der Anfang des Refrains «E homfoer
kom , e kom do här » ist das Deutsche : « He ! Jungfer,
komm, he ! komm daher. »
Natzweiler.
Natzweiler, welches von Neuweiler nur durch einen Bach
getrennt ist, ist vollständig deutsch und katholisch. Es giebt
keine Familien daselbst, welche nicht Deutsch sprächen. Dass
Natzweiler vollständig deutsch blieb, rührt daher, dass es zum
Bistum Strassburg gehörte, während das Steinthal Eigentum
der protestantischen Herren zum Stein war. Da die Bewohner
von Natzweiler keinen Verkehr mit den nahe liegenden fran-
zösisch sprechenden Ortschaften hatten, deutsch katholische
Ortschaften aber nicht in der Nähe waren, so waren sie voll-
ständig auf den Verkehr unter sich angewiesen.
Auf der Strasse nach Rothau steht neben der Kapelle rechts
ein Kreuz mit französischer und deutscher Inschrift aus dem
Jahre 1869; am Eingange des Dorfes steht ein anderes doppel-
sprachiges aus dem Jahre 48*23 , auf welchem die deutsche In-
schrift an erster Stelle ist. Die meisten Grabmäler auf dem
Kirchhofe haben eine deutsche Aufschrift. Manche in franzö-
sischer Sprache sind nicht frei von Fehlern.
Bliensbach (Byeseri).
Dieser Ort hat eine Patoisbevölkerung.
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Plaine (Pj$n').
Plaine, die dazu gehörenden Dörfer Champenay (Säpena),
Diespach (Dyeyjpä), die Weiler Devant-Fouday , Fosses, Poutay
(Puta) und die Gehöfte reden patois, ausser dem schon unter
Schirmeck erwähnten Weiler Bambois mit 25 Einwohnern,
welche deutsch sprechende Mennoniten sind. Das gesprochene
Patois ist dasselbe wie in Saulxures, Saales, Bourg-Bruche, St-
Blaise, Colroy-la-Roche, Ranrupt.
Saulxures (SasTr')
mit den zu dieser Gemeinde gehörigen Weilern Goutte, Gout-
trangoutte (im Patois le bes=les basses), Grandroue, Lombas
und Gehöften hat patois. Die Kirchhofaufschriften sind, wie in
Plaine, alle französisch. Links vom Kircheneingange ist ein
Stein eingemauert, auf welchem von Schnörkeln umgeben die
Jahreszahl 1587 steht.
Die jungen Leute beiderlei Geschlechts arbeiten alle in
französischen Fabriken. Sie gehen am Sonntag Abend fort,
indem sie ihr Essen, welches zumeist aus Kartoffeln besteht,
für die ganze Woche mitnehmen , und kehren am Samstag
Abend zurück.
St-Blaise (Se Bya>;),
Colroy-la-Roche (Koro le RoS'), Ranrupt (Räru) mit Weilern
und Gehöften sprechen patois. Das zu Ranrupt gehörige Mettimpre
heisst in der Gegend « Etimpre ». Die Kirchhofaufschriften sind
alle französisch.
In dem Patois dieser Ortschaften findet man auch einige
deutsche Wörter, weit weniger aber als in dem Steinthale, z. B. :
by er lief = levure, fräse' = manger en gourmand.
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Bourg-Bruche (Bre/, I9 borg)
mit den Weilern Bruche, Charasses, Paires und den Gehöften
Alhan, Ardoise, Chalmeuche , Geligoutte, Grandroue sind
patois. In Hang, Evreuil und auf dem Hofe Fraise sind
deutsch sprechende Mennoniten, zusammen etwa 120 Seelen.
Saales (SöT)
mit Gehöften spricht patois.
In Saales, wie in allen an der Strasse Schirmeck-St-
Die liegenden Ortschaften, wird infolge des Verkehrs mehr oder
weniger auch französisch gesprochen.
2. KREIS SCHLETTSTADT.
Das Giessenthal.
Steige (Stes').
Der Ort wird von Nähert für das Jahr 1844 als deutsch
bezeichnet. Die Höfe Architte, Bas-des-Monts, Mine, Rose-
pres , Woisslingoutte aber sind dem Namen nach ursprüng-
lich patois.
Heute ist er sicher französisch ; man spricht vornehmlich
patois. Etwa 50 Personen über 50 Jahre können deutsch.
Ausserdem sind etwa 5 eingewanderte Familien in Steige,
welche im Hause deutsch sprechen.
Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch , bis auf ein
altes Grabmal aus dem Jahre 1720 in deutscher Sprache. Die
Namen auf den Kreuzen sind teils französischen, teils deutschen
Ursprungs.
Der Ort ist in 4 Quartiere eingeteilt, von denen einer la
gas' = Gasse genannt wird.
Auf einem nordöstlich vom Orte liegenden Gehöfte wohnt
eine deutsch sprechende Mennonitenfamilie.
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Die Möglichkeit der Romanisierung von Steige war durch
seine Lage gegeben. Steige liegt in einem engen Thale, eigent-
lich an einem Abhänge. Unten am Dorfe etwa 100 m hinter
den letzten Häusern macht das Thal eine plötzliche Biegung
und erweitert sich bedeutend.
Meisengott
ist der erste deutsch sprechende Ort in diesem Nebenthaie des
Giessens. Der dazu gehörige Weiler Wagenbach heisst in Steige
Wäbax oder Wabe.
Wir treffen hier neben der fränkischen Bauart allemannische
Häuser mit Wohnung über der Stallung. Oft ist auch die
Giebelseite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet, was in
Steige noch nicht vorkommt.
Ferner sind vollständig deutsch Breitenbach , St. Martin,
Weiler, ausserdem Bassenberg, Neukirch mit dem an das Dort
Breitenau anstossenden Weiler Breitenau, ferner Diefenbach mit
Hirtzelbach , Gereuth und der zur Gemeinde Kestenholz ge-
hörige Weiler Wamel.
In allen diesen Ortschaften finden wir einige allemannische
Häuser mit Stallung im Erdgeschoss und Wohnung darüber;
auch ist öfters die Giebelseite des Hauses gegen die Strasse
gerichtet. Die Gebäude sind oft ganz aus Holz gebaut.
Urbeis (ÜErpe).
Hier wird patois gesprochen. Auch in diesem Patois, ebenso
wie in dem von Laach, Fouchy, sind einige deutsch -elsässische
Worter : Vascerstgyn =: evier, forp' = couleur, bwob =
garcon. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Am Ein-
gange des Dorfes von Weiler her steht ein Kreuz aus dem
Jahre 1689 mit französischer Inschrift.
Die Häuser, welche alle über dem Scheunenthor einen
Rundbogen haben , tragen über dem Eingange die Jahreszahl
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der Erbauung. Die ältesten sind aus dem Jahre 1731 , die
meisten aber aus den Jahren 1778—1798; die übrigen sind
späteren Datums. Auch die Kirche ist aus dem Jahre 1789.
Die zu Urbeis gehörenden Weiler und Gehöfte reden patois,
ausser Climont, Housserelle , Plaine-Dessus, Maison-Blanche,
Schlague, wo eine deutsch sprechende Bevölkerung wohnt. Diese
Bevölkerung verteilt sich unter Wiedertäufer (Mennoniten),
Lutheraner und Calvinisten. Sie haben auch drei verschiedene
Kirchhöfe; der eine am südlichen Abhänge des Climont, der
zweite im Osten und der dritte im Norden des Climont in
Evreuil (vgl. Bourg-Bruche) ; letzterer ist der Kirchhof der
Mennoniten.
Laach (Lela)
mit Weilern und Gehöften spricht patois. Der in dem Ortschafts-
verzeichnis als « Beheu », auf der kleinen Generalstabskarte als
« Abscheu » bezeichnete Hof wird « Ob'ho^ » genannt. Die Kirch-
hofaufschriften sind alle französisch.
Grube (Fouchy)
spricht patois mit den dazu gehörenden Weilern und Gehöften.
Einige wenige deutsch sprechende Familien sind eingewandert.
Auch in Schnampt ist eine deutsch sprechende Pächterfamilie
aus St. Kreuz im Leberthale. Die Aufschriften auf dem Kirch-
hofe sind alle französisch. Auf dem Wege nach Breitenau steht
ein Kreuz mit französischer Inschrift aus dem Jahre 1731.
Breitenau.
Von diesem Orte sprechen nur patois der Weiler Froide-
Fontaine und das Gehöft Sechegoutte (Aschigotitte in dem
Ortschaftsverzeichnisse). Der Ort selbst wird von den französisch
.sprechenden Ortschaften als ursprünglich ganz deutsch bezeichnet.
Jeder soll in dem Orte sogar deutsch können. In sehr vielen
Häusern wird auch deutsch gesprochen ; im übrigen auch patois
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und französisch. Der erste Eindruck ist der einer deutschen
Ortschaft. Das Patois ist ein Gemisch von deutsch-elsassisch,
französisch und patois. Die Leute haben einen sonderbaren
französischen Accent. Die Schule ist ganz deutsch, Predigt und
Kinderlehre französisch.
Dieses Verhältnis erklärt sich wohl daraus, dass bis zum
Jahre 1868 Breitenau keine Kirche, noch auch einen eigenen
Kirchhof hatte, sondern die Einwohner nach dem patoi3 spre-
chenden Fouchy in die Kirche gingen. Dieser häufige Verkehr
mit Fouchy wird wohl den Ort französiert haben. Dass der auf
der anderen Seite des Baches liegende, an Dorf Breitenau an-
stossende, zur Gemeinde Neukirch gehörende Weiler Breitenau
nur deutsch spricht, erhellt aus dem Umstände, dass die dor-
tigen Bewohner nach dem deutsch sprechenden Neukirch in
die Kirche gingen.
Durch obiges Verhältnis wurde bewirkt, dass in dem Dorfe
Breitenau kein Idiom richtig und rein gesprochen wird. Der
Ort durfte als gemischt bezeichnet werden, und zwar wenigstens
als überwiegend französisch mit Rücksicht auf Froide-Fontaine
und Sechegoutte und einige patois sprechende Familien in
Breitenau selbst. Für den deutschen Ursprung spricht auch
der Umstand, dass einige alte allemannische Häuser mit Woh-
nung über der Stallung sich vorfinden.
II. OBER-ELSASS.
1. KREIS RAPPOLTS WEILER.
a. Das Leberthal.
Deutsch-Rumbach .
Der Ort an sich, ohne Weiler und Gehöfte, mit ungefähr
1050 Einwohnern, ist sprachlich gemischt, aber so, dass die
patois sprechende Bevölkerung überwiegt. Etwa Ys spricht
deutsch. Es sind viele Fabrikarbeiter aus deutschen Teilen ein-
gewandert; ausserdem können die alten Leute von 70 Jahren
noch etwas deutsch.
Dem Namen nach ist der Ort ursprünglich deutsch ge-
wesen. Die deutsche Sprache ist später wohl dadurch verdrängt
worden, dass die patois sprechende Bevölkerung des Gebirges
nach Deutsch-Rumbach zog. Denn die Weiler und Gehöfte,
welche sich bis zur französischen Grenze hinziehen, reden voll-
standig patois ; nur in La Hingrie wohnt ein deutsch sprechen-
der Pächter aus Markirch. Diese Weiler und Gehöfte haben
auch französische Namen. Die Kirchhofaufschriften in Deutsch-
Rumbach sind französisch ; man findet aber auf denselben viele
deutsche Namen. Ich sah in Deutsch-Rumbach 6 Häuser mit
Wohnung über der Stallung, wobei die Treppe von aussen zur
Wohnung hinaufführte.
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Leber au.
Etwa Vs der Bevölkerung (ungefähr 750 Einwohner) ist
deutsch; und zwar sitzt der deutsch sprechende Teil meist in
Leberau selbst. Die Weiler und Gehöfte sprechen mit geringer
Ausnahme vollständig patois, ausser Spiemont, wo Mennoniten,
etwa 20 Seelen, sind. Von diesen heisst es, dass sie ihre Toten
im Garten zu begraben uud über dem Grabe jedesmal einen
Baum zu pflanzen pflegten.
Der Schulunterricht ist zum Teil deutsch, zum Teil fran-
zösisch. Etwa 1/4 der Kinder spricht deutsch, wenn sie zum
ersten Male in die Schule kommen. Viele (Je werbtreibende
(Wirte) und Arbeiter sind aus dem deutschen Teile eingewan-
dert. Auf der Strasse hört man französisch, wenig patois, aber
auch sehr oft deutsch sprechen.
Die Predigt ist französisch ; für die nicht französisch
sprechende Bevölkerung werden der französischen Predigt einige
Worte in deutscher Sprache angefügt.
Die Kirchhofsaufschriften sind französisch ; mehrere Namen
auf denselben sind rein deutschen Ursprungs. Im Kirchhofe
auf der rechten Seite der Kirche liegt ein 2,20 m langer und
1,io m breiter Grabstein mit deutscher Inschrift. Es ist der
Grabstein der Herren von Eckerich, welche in der Kirche als
deren Gründer begraben worden waren. Die Inschrift besagt :
«Hier liegen die von Eckeric im Gotteshaus.» Der Stein wurde
später als Altarstein benutzt. Jetzt liegt er leider in ganz ver-
wahrlostem Zustande auf dem Kirchhofe.
St. Kreuz.
Der Ort selbst ist fast ganz deutsch, etwa 1900 Einwohner.
Dagegen sprechen die zur Gemeinde gehörenden im Gebirge
liegenden Weiler patois.
In den ursprünglich ganz deutschen Ort sind wohl, durch
die Fabriken und den Verkehr herbeigezogen, einige französisch
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sprechende Familien aus dem Gebirge eingewandert. Man hört
sehr viel französisch, wenig patois sprechen, aber an der
Sprache schon ist leicht zu merken, dass das Deutsche die
Muttersprache ist. Predigt und Kinderlehre sind französisch.
Die Aufschriften auf dem Kirchhofe sind alle französisch ; der-
selbe ist nicht alt. Die Namen sind zum grössten Teile rein
deutsch ; man trifft wohl auch einige lothringische Familien-
namen an.
Die bedeutendsten Weiler sind Gross-Rumbach und Klein-
Rumbach. In beiden lebt eine patois sprechende Bevölkerung,
ein ganz anderer Typus von Menschen als in St. Kreuz. In
Gross-Rumbach giebt es noch ganz alte Leute, welche deutsch
verstehen. Die Kinder können, wenn sie in die Schule kommen,
nur patois; die Eltern sprechen es meist mit ihnen. In Klein-
Rumbach, wo auch patois gesprochen wird, sind einige einge-
wanderte deutsch sprechende Arbeiter, welche in den Webereien
beschäftigt sind. Ich sah dort 2 Häuser mit Wohnung über
der Stallung.
Die Stadt an sich ist fast ganz deutsch ; es sind darin
wohl wenige Familien, die nicht eigentlich deutschen Ursprungs
sind. Auf den meisten Schildern stehen un französierte deutsche
Namen. Die frühere Unterscheidung zwischen dem lothringi-
schen, französisch sprechenden Markirch auf dem linken Leber-
ufer und dem deutsch sprechenden auf dem rechten ist fast
vollständig verwischt. Einen Rest davon mag man noch darin
erkennen , dass in den auf dem linken Ufer sich befindenden
Weilern und Gehöften teilweise Patoisfamilien sitzen, so in
Cöte, Fenampt, Klein-Leberau, Hergaachamps , Champ-de-
la-Chatte (Katzenacker) Grange-Johe , Gretschy , Haut-de-
Faite, Pfaffenloch, Wüstenloch, im ganzen etwa 40 Familien.
Auch in Eckkirch wohnen etwa 6 Patoisfamilien, die aus
französischer Gegend eingewandert sind. In den auf dem
rechten Ufer der Leber liegenden Weilern und Gehöften ist
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alles deutsch, so dass die meisten sogar kein Französisch ver-
stehen. Nach Eckkirch hat vor 2 bis 3 Menschenaltern eine
Einwanderung von Schweizern stattgefunden. Für noch fernere
Einwanderungen spricht der Umstand , dass in Markirch und
Umgebung allein eine konfessionell gemischte Bevölkerung sich
vorfindet. Eine konfessionell gemischte Bevölkerung hat, z. B.,
auch der Weiler Zillhart (St.-Pierre-sur-l'Hätte). In der
dortigen sehr alten Kirche befinden sich mehrere Grabinschriften
in deutscher Sprache, darunter eine aus dem Jahre 1563.
Leider sind diese Grabsteine durch den darauf stehenden Altar
der Protestanten verdeckt.
Altweier (frz. Aubure).
Man unterscheidet das «welsche» Dorf und das «ditsche»
Dorf. Das welsche Dorf (198 Einwohner = 2/3) spricht patois und
französisch und ist katholisch ; es bildet den eigentlichen Kern,
den zusammenhängenden Teil des Dorfes. Die deutsch sprechende
Bevölkerung (95 Einwohner == 1/3) ist protestantisch und wohnt
meist auf zerstreuten, gegen Markirch liegenden Gehöften. Auch
diese Protestanten werden eingewandert sein. Früher waren
auch Mennoniten in Altweier.
Auf dem katholischen Kirchhofe sind die Inschriften alle
französisch, auch die Namen sind mit einer Ausnahme franzö-
sischen Ursprungs. Auf dem protestantischen Kirchhof sind
die Inschriften alle deutsch , auch das Missionskreuz, welches
aus dem Jahre 1862 ist.
b. Das Be>,hine- und Weissthal.
Urbach (frz. Freland)
mit Weilern und Gehöften spricht vollständig patois. Besonders
in den kleinen Weilern findet man sehr oft Leute, welche gar
kein Französisch verstehen; es sind dies vorzugsweise Frauen,
welche niemals ihre Geburtsstätte verlassen haben.
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Schnierlach (frz. La Poutroie)
mit Weilern und Gehöften redet ebenfalls patois. Nur in
Schnierlach selbst, wo, ebenso wie in Hachimette, sehr viel
französisch gesprochen wird, sind schon seit wenigstens 20
Jahren einige deutsch sprechende Familien , besonders aus
Kaysersberg und Umgegend , eingewandert ; es sind meist
Gewerbt reibende (Wirte, etc.). In einigen Familien stammt der
Mann oder die Frau aus einem deutsch sprechenden Orte.
Biedolshausen.
Der französische Name Le Bonhomme ist eigentlich der
Name des Berges und erscheint als Name der Ortschaft erst im
letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Diedolshausen mit Weilern
und Gehöften spricht ebenfalls patois. Im Orte selbst wird sehr
viel französisch gesprochen. Derselbe macht den Eindruck eines
wohlhabenden Städtchens.
Zell (frz. La Baroche),
welches nur aus Weilern und Gehöften besteht, redet vollständig
patois.
Urbeis (frz. Orbey)
mit Weilern und Gehöften spricht patois. Auch hier sind wenige
deutsch sprechende Familien besonders als Gewerbtreibende
(Wirte) aus Kaysersberg und Umgegend eingewandert. Da in
einzelnen Weilern, z. B. in Hautes-Hutles (190 Einwohner)
Heiraten nur zwischen Ortsansässigen selbst stattfinden, so
ist begreiflich, dass die Zahl der Idioten und Krüppel nicht
gering ist.
Auf den Kirchhöfen dieser französisch sprechenden Ort-
schaften sind die Aufschriften alle französisch. Man findet aber
doch einige rein deutsche Namen. Die Kreuze an den Wegen
haben alle französische Aufschriften; darunter ist eines aus dem
Jahre 1698.
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Das in diesen Thälern gesprochene Patois enthält einige
elsässische Wörter ; sie beziehen sich auf eine verfeinerte
Lebensweise, so : v a s ce r s t e y n = evier , k 9 k e 1 h 9 f ==
Kugelhopf, b9toervek = pain au lait, bäredrak = jus
de reglisse ; ferner hax' = sortiere (aber auch z e n a s '),
g r a b 1 e l = chätouüler (aber auch k w a 1 1 i).
Kaysersberg
mit Alspach, Ammerschweier , Katzenthal, Niedermorscli-
weier sind vollständig deutsch.
2. KREIS COLMAR.
Das Münsterthal.
Das Münsterlhal, welches durch das Thal der Fecht
und den Kleinthalbach gebildet ist und sich bis Türkheim aus-
dehnt, ist vollständig deutsch. Die Sprachgrenze fällt also hier
mit der politischen Grenze zusammen.
In den südlich von Münster gelegenen, zur Gemeinde Esch-
bach gehörigen Häusergruppen Erschlitt mit 45 und Solberg
mit 31 Einwohnern soll die Bevölkerung ursprünglich patois
gesprochen haben und aus einem französisch sprechenden Teile
der Vogesen eingewandert sein. Heute ist von dieser Einwande-
rung kaum noch eine Spur zu merken. Diese Leute, welche
Eigentümer sind , antworten in deutscher Sprache , wenn man
sie französisch anredet. Im Hause selbst wird deutsch gesprochen.
Ganz alte Leute konnten in Erschlitt früher patois, in Solberg
können es noch einige Greise. Aber die Kinder sprechen nur
deutsch.
Die Bauart ist in dem ganzen Thale zumeist die alleman-
nische. Wir finden Wohnung über der Stallung sowohl in den
auf der rechten Fechtseite liegenden Ortschaften als in den auf
der linken Seite liegenden , an das Französische angrenzenden
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Stossweier und Sulzern. Die Treppe führt von aussen in das
obere Stockwerk.
Dass besonders in den grösseren Orten und da, wo Fabriken
sich befinden (z. B. Mülhausen, Gebweiler), die Leute sich
viele Mühe geben französisch zu sprechen, ja sehr oft kein
deutsch zu können vorgeben, ist. allgemein bekannt, nicht nur
für diesen Teil des Elsasses, sondern so ziemlich für das ganze
industrielle Elsass überhaupt. Aber das so entstandene Franzö-
sisch kann ein gewisses elsassisches Gepräge nicht abstreifen,
und die ursprünglich französisch sprechenden Einwohner des
Elsasses, zumal des oberen Breuschthales, empfinden den Un-
terschied recht deutlich. Gewiss erklärt sich diese Erscheinung
geschichtlich zum Teil aus dem Umstand, dass das Bedürfnis
einer feineren und gesitteteren Gesellschaftssprache sich bei
dem lebhaften Verkehr solcher Kreise besonders geltend gemacht
hat ; da aber der Dialekt in diesen oberallemannischen Gegen-
den von der deutschen Einheitssprache noch nicht verdrängt
worden war, so übernahm die Rolle des Hochdeutschen im
übrigen Deutschland eben das Französische.
Rein deutsch sind folgende an die französisch sprechenden
Zell und Urbeis angrenzende Ortschaften : Türkheim, Zimmer-
bachy Walbach, Weier im Thal, Gimsbach, Hohrod, Sulzern
mit Weilern und Gehöften. Ferner sind folgende äusserste
Punkte des Münsterthaies deutsch : Stossweier, Mühlbach und
Metzerai mit ihren westlichsten Weilern und Gehöften.
3. KREIS THANN,
a. St Amarin- oder Thurthal.
Das St. Amarinthal ist ganz und gar deutsch. Auch hier
bildet also die politische Grenze zugleich die Sprachgrenze.
Hüsseren-Wesserling , welches als überwiegend deutsch
mit französischer Mischung bezeichnet wird, ist vollständig
deutsch. Schulunterricht, Predigt und Kinderlehre in der katho-
lischen Kirche sind deutsch. Eine zweite Kirche für die Fabrik-
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besitzer, welche aus der Schweiz eingewandert sind, ist protes-
tantisch. Auf dem Kirchhofe befindet sich zwar nur eine Auf-
schrift in deutscher Sprache, aber alle Namen sind deutsch;
manchmal sind auf diesen französischen Inschriften grobe ortho-
graphische Fehler.
Hüsseren-Wesserling gehörte früher mit Storkensauen und
Urbis zur Pfarrei Mollau.
Die längs der Grenze liegenden äusserslen Punkte sind :
Wildenstein y Kridh, Odem, Felleringen, Urbis, Storkensauen,
Mollau.
b. Das Dollerthal.
Das Dollerthal ist deutsch, so dass also wiederum die poli-
tische Grenze mit der Sprachgrenze zusammenfallt. Auch die
vier als vorwiegend deutsch mit französischer Mischung be-
zeichneten Ortschaften Oberbruck, Masmünster, Sentheim und
Morzweiler sind vollständig deutsch.
In Masmünster sind die Kirchhofaufschriften wenigstens
zur Hälfte deutsch, aber die Namen sind alle rein deutsch.
Schule, Predigt, Gebet und Kinderlehre sind deutsch, ebenso
in Oberbruck, Morzweiler und Sentheim. In Masmünster ist
jeden Monat eine französische Predigt.
In Aue sind nur einige Häuser mit Wohnung über dem
Stalle; sonst finden wir überall die oben (Seite 8 ff.) beschrie-
bene Bauart.
Die im Dollerthale liegenden Ortschaften sind: Rimbach
mit dem Weiler Ermensbach, Sewen, Dollern, Oberbruck,
Wegscheid, Kirchberg, Niederbruck, Sickert, Masmünster,
Aue, Sentheim, Morzweiler, Ober- und Nieder-Sulzbach.
4. KREIS ALTKIRCH.
Dief matten,
Stemenberg, Gevenatten, Ober- und Nieder-Traubach sind
deutsch. Auch Bnlckensweüer, welches bei Nabert ausserhalb
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des deutsch sprechenden Gebietes liegt, und bei Kiepert als
überwiegend deutsch bezeichnet wird, ist vollständig deutsch.
Die Leute verstehen oft kaum französisch. Die Kreuze an den c
Strassen und Wegen haben eine deutsche Aufschrift.
Bretten.
In etwa 10 Familien, abgesehen von den Beamten, wird
im Hause deutsch gesprochen. Im übrigen kann ungefähr ein
jeder etwas deutsch infolge des Verkehrs mit Sternenberg, das
zur Pfarrei Bretten gehört. Ausserdem ist die Predigt schon
seit über 20 Jahren abwechselnd französisch und deutsch ; die
französische Predigt ist für Bretten, die deutsche für Sternen-
berg. Die Kirchhofaufschriften sind französisch bis auf zwei,
deren eine von einer Beamtenfamilie herrührt, die andere eine
in Gevenatten geborene und in Sternenberg gestorbene Person
betrifft. Hier ebenfalls kehren dieselben meist französischen
Namen immer wieder; einige sind auch deutschen Ursprungs. c
Welschensteinbach (frz. Eteimbes)
redet palois. Zwei aus dem deutschen Teile des Elsasses einge-
wanderte Männer sind hier verheiratet, diese sprechen mit ihren
Kindern deutsch; ausserdem fand ich noch eine alte Frau,
welche kein Wort französisch konnte. Die Kirchhofaufschriften
sind alle französisch.
Barons weiler und St. Kosman
sprechen patois. In St. Kosman wohnen zwei aus Brückensweiler
eingewanderte Familien. Auf den Kirchhofinschriften beider
Orte kehren immer dieselben französischen Namen wieder. In ,
St. Kosman, z. B., liest man fast nur den Namen Guittard.
Die Leute verheiraten sich nur mit Verwandten, damit das
Vermögen in der Familie bleibe. In der Kirche zu St. Kosman
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sind 4 Grabsteine in lateinischer Sprache, von denen der älteste
aus dem Jahre 1687 datiert.
Schaffnat am Weiher (Tsavon' tsy l'ete).
Der Ort spricht patois. Ausser 7 Beamtenfamilien sind einige
deutsch-elsässische Frauen hier verheiratet.
Altmünster Ol (Vey- Metrie),
ursprünglich patois und französisch, ist durch die vielen Be-
amten sprachlich gemischt geworden.
JungmÜnsterol (Dibn'-Metrüe),
Menglatt (M^ni), Willem (Römern), Luttern (L'tra), Gottesthal
(in den Patoisortschaften Väde, in den deutschen Grüne) reden
patois. Ausser den Beamtenfamilien sind in jede dieser Ort-
schaften einige wenige deutsch sprechende Familien eingewandert.
In Gottesthal sind etwa 5 deutsche Familien. In Luttern,
welches bei Kiepert als überwiegend deutsch bezeichnet ist,
befinden sich auf den durchgängig französischen Kirchhofin-
schriften keine deutschen Namen. Die Leute können hier über-
all mehr oder weniger deutsch durch den Verkehr mit den
deutsch redenden Ortschaften ; sie gehen, z. B., wöchentlich auf
den Markt nach Dammerkirch. Diese französischen Orte kennen
meist die deutsch sprechenden, während ich umgekehrt in den
deutsch redenden Orten Leute fand, denen die französischen
sogar dem Namen nach unbekannt waren, weil sie, wie sie
sagten, bei den « Welschen » selten oder gar nicht verkehrten.
Ellbach, Dammerkirch,
Retzweiler (in den Patoisortschaften Ketivelei), Mansbach mit
i Vgl. bei Stoffel Ratierviller 1251, Ratieviller 1413.
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St. Liggert, Altenach, St. Ulrich, Merzen, Strüth, Hindiingen,
Friesen, Ueberstrass, Niedersept, Obersept, Moos, Pfetter-
hausen sind vollständig deutsch. Diese Orte sind von den fran-
zösisch sprechenden getrennt durch grosse Wälder mit Weihern.
Die Sprachgrenze fallt auf dieser Strecke mit der politischen
zusammen.
Ottendorf (Kotsavö)
spricht patois. Etwa 8 Familien sind eingewandert und sprechen
deutsch. Viele Leute können etwas deutsch durch den Verkehr
mit den angrenzenden deutsch sprechenden Ortschaften. Die
Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Die meisten Namen
sind französischen, einige wenige deutschen Ursprungs.
Luffendorf (L'vöko)
spricht patois. Etwa 8 Familien, in denen deutsch gesprochen wird,
sind eingewandert. Auch hier können die meisten Leute etwas
deutsch infolge des Verkehrs mit den deutsch sprechenden
Ortschaften. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Auch
die Namen sind meist französischen, wenige deutschen Ur-
sprungs. Die Kinder sprechen nur patois und französisch, wenn
sie in die Schule kommen.
Lützel
mit den dazu gehörigen Weilern und Gehöften ist vollständig
deutsch. Die Leute gehen nach dem ganz deutschen Winkel
in die Kirche. Auf dem Kirchhofe zu Lützel sind die Aufschrif-
ten nur zur Hälfte deutsch ; aber die Namen sind alle deutschen
Ursprungs. Am Eingange des Weilers Glashütte, aus etwa
5 Häusern bestehend, steht ein Kreuz mit deutscher Inschrift
aus dem Jahre 1879.
Dass Lützel als überwiegend französisch bezeichnet werden
konnte, rührt daher, dass die Arbeiter des jetzt eingestellten
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Eisenwerkes meist aus französisch sprechenden Ortschaften der
Schweiz waren.
Auf den Gehöften Gross- Kohlberg, Klein-Scholis, St. Peter
wohnen Mennoniten. Ebenso in den zur Gemeinde Oberlarg
gehörenden Gehöften Ebourbette, Glashütte, Vacherie, in dem
zur Gemeinde Lutter gehörenden Gehöfte Blochmont, in dem
zur Gemeinde Biederthal gehörenden Gehöfte Lenhausen, in
dem zur Gemeinde Riesbach gehörenden Gehöfte Baumerthof ;
endlich wohnen noch 2 Familien in Pfirt.
Im übrigen sind alle zum Kanton Pfirt gehörenden Ort-
schaften vollständig deutsch. Ich führe nur diejenigen auf,
welche bis jetzt als vorwiegend deutsch bezeichnet wurden :
Alt-Pfirt, Bendorf, Bettlach, Buchsweiler, Dürlingsdorf, Ditr-
menach, Fislis, Kiffis, Köstlach, Liebsdorf, Linsdorf, Lüx-
dorf, Lutter, Mittelmüspach, Mörnach, Moos, Niedermüspach,
Oberlarg, Obermüspach, Oltingen, Pfirt, Raedersdorf, Rop-
penzweiler, Sondersdorf, Werenzhausen, Winkel, Wolsch-
weiler.
Aber auch in einer Reihe von Ortschaften des Arrondisse-
ment de Beifort, vorzüglich in Beifort und Rougemont, treffen
wir deutsch sprechende Familien an. Die Gründe sind teils
administrativer, teils socialer Natur. Bis zum Jahre 1870 ge-
hörte dieses Arrondissement zum Ober-Elsass. Zweitens aber ist
in diesen dem Verkekr mit dem südlichen Teile des Ober-
Elsasses leicht zugänglichen Gegenden in neuerer und neuester
Zeit die Fabrikbevölkerung mannigfach hin und her gewandert.
Nach diesen Erhebungen ergeben sich folgende Ortschaften
als gemischt.
Vorwiegend deutsch sind :
Im Unter-Elsass, Kreis Molsheim : Lützelhausen ;
im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : Markircb,
St. Kreuz im Leberthal.
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Vorwiegend französisch sind :
Im Unter-Elsass, Kreis Schleltstadt : Breitenau;
im Ober-Elsass , Kreis Rappertsweiler : Altweier,
Deutsch-Humbach, Leberau ; Kreis Altkirch : Altmünsterol,
Bretten.
Die Sprachgrenze wird sich zwischen zwei Linien bewe-
gen, einer deutschen und einer französischen. Die deutsche
Linie geht :
In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen
nach Muhlbach, Schwartzbach, Grendelbruch, Natzweiler mit
Stroutthof, Hohwald, Breitenbach, Meisengott, Wagenbach,
Bassenberg, durch Breitenau über den Bann von Neukirch nach
Hirtzelbach, Diefenbach, Gereuth, Wanzel ;
In Ober-Elsass : Durch Deutsch-Rumbach und Leberau nach
St. Kreuz, Markirch mit Eckkirch, Klein-Leberau und Rauen-
thal, durch Altweier über Rappoltsweiler Bann auf Reichenweier
Bann nach Bildsteinthal (Neudörfel) und Ursprung, Alspach,
Kaysersberg, Ammerschweier, Katzenthal, Niedermorsch weier,
Türkheim, Zimmerbach, Walbach, Weier im Thal, Günsbach,
Hohrod, Sulzern, Stossweier, Mühlbach, Metzerai, Mittlach,
Wildenstein, Krüth, Odern, Felleringen, Urbis, Storkensauen,
Mollau, Rimbach, Ermensbach, Sewen, Dollern, Kirchberg,
Niederbruck, Masmünster, Aue, Morzweiler, Ober-Sulzbach,
Nieder-Sulzbach, Diefmatten, durch Bretten nach Sternenberg,
Gevenatten, Ober-Traubach, Brückensweiler, Ellbach, Retzweiler,
Mansbach, Altenach, St. Ulrich, Strüth, Hindiingen, Friesen,
Ueberstrass, Niedersept, Pfetterhausen, über den Bann von
Moos nach Liebsdorf, Oberlarg, Lützel.
Die französische Linie geht :
In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen
nach Netzenbach, Wisch, Hersbach, Russ, Steinbach, ßaren-
bach, Schirmeck, Vorbruck, Rothau, Neuweiler mit Riangoutte
und Haute-Goutte, Belmont mit Hütte und Bambois, Bellefosse,
Fonrupt, Ranrupt, Steige, Charbes, Laach, Fouchy, durch
Breitenau nach Sechcgoutte, Froide-Fontaine ;
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— 43 —
In Ober-Elsass : Durch Deutsch-Rumbach und Leberau nach
Müsloch, Gross-Rumbach , Klein-Rumbach zur französischen
Grenze, an dieser entlang nach Diedolshausen, durch Altweier
nach Urbach, Hachimette, über den Schnierlacher Bann nach
Zell, Urbeis, zur französischen Grenze südlich vom Schwarzen
See ; an der Grenze entlang bis Welschensteinbach, durch
Bretten nach Barons weiler, St. Kosman, von da, der französischen
Grenze nach, bis Schaffnat am Weiher, Gottesthal, Luttern,
Willern, Menglatt, von da an der französischen und schweize-
rischen Grenze nach Ottendorf, Luffendorf, Charmoilles (Schweiz).
— Siehe hierzu die schematische Darstellung der Sprachgrenze.
Vergleichen wir nun diese Sprachgrenze mit der Naberf-
sehen, so unterscheidet sie sich von ihr in einigen wesentlichen
Punkten. Zunächst gilt, wie für Lothringen, auch hier, dass
Nabert Sprünge, und zwar im Süden macht, so dass man den
Lauf der Sprachgrenze nicht genau erkennen kann; so nennt
er Niederlarg nach Ueberstrass, geht alsdann nach Bisel
zurück, u. s. w. *
Die Nabert'sche Sprachgrenze unterscheidet sich von der
obigen in nachstehenden Punkten :
Von den als deutsch bezeichneten Ortschaften sind :
1) patois-französisch resp. französisch : Im Unter- Elsass,
1 Wenn wir die Goguel'sche Uebersetzung des Naberfschen
Buches ansehen, so konstatieren wir, dass dem Verfasser, welchem
man für Lothringen seine Unrichtigkeiten verzeihen darf, in dem
das Elsass behandelnden Teile der Sprachgrenze geradezu Unkenntnis
seines eigenen Landes vorgeworfen werden muss. War er doch nicht
imstande, die Verwirrung im Süden zu entwirren. Zwar hat er, was
sein einziges, aber ein zweifelhaftes Verdienst ist, durch Auslassung
von Ottendorf, und dadurch dass er Oberlarg statt Larg schrieb,
eine kleine Verbesserung gebracht, aber durch die Auslassung von
Moos hat er den Riesensprung bis Pfirt noch um etwa 4 Kilometer
vergrössert.
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<
— 44 —
Kreis Molsheim : Wisch, Hersbach, Kuss mit Steinbach, Baren-
bach, Schirmeck, Rothau, Wildersbach ; Kreis Schlettstadt :
Steige; im Ober-Elsass, Kreis Altkirch: Ottendorf, Luflendorf;
2) überwiegend französisch mit deutscher Mischung : Im
Unter-Elsass, Kreis Schlettstadt : Breitenau (welches zu der
Zeit vielleicht noch deutsch war); im Ober-Elsass, Kreis Alt-
kirch : Bretten.
Ausserhalb der deutschen Linie liegen folgende Ort-
schaften, die
1) vollständig deutsch sind : Im Ober-Elsass,. Kreis Alt-
kirch : Brückensweiler, Niedersept, Obersept, Dirlingsdorf,
Liebsdorf, Bendorf.
2) Vorwiegend deutsch mit französischer Mischung sind :
Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz, Markirch.
Vorwiegend französisch mit deutscher Mischung sind : Im
Ober-Elsass, Kreis Rappertsweiler : Deutsch-Rumbach, Leberau,
Altweier.
H. Kiepert hat zur Feststellung der Sprachgrenze in Elsass-
Lothringen nicht nur die offiziellen Angaben benutzt, sondern
auch, wie früher bemerkt, selbst das Land durchwandert. Es
lohnt, sich deshalb ein Vergleich mit seiner Arbeit um so mehr,
als er in einigen Punkten von den offiziellen Ermittelungen
abweicht.
Folgende Ortschaften werden bezeichnet als :
1) Ueberwiegend französisch und sind :
a) vollständig deutsch : Kreis Altkirch : Lützel ;
b) überwiegend deutsch : Kreis Molsheim : Lützel-
hausen, aber so dass beide Idiome fast zu gleichen
Teilen vertreten sind ; Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz,
Markirch ;
c) vollständig französisch : Kreis Molsheim : Russ,
wo Kiepert wahrscheinlich den zur Gemeinde Russ
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— KD —
gehörenden, vollständig deutschen Ort Schwartzbach mit-
gerechnet hat ;
2) Deutsch und französisch zu fast gleichen Teilen und ist
vollständig deutsch : Kreis Mölsheim : Natzweiler ;
3) Ueberwiegend deutsch und sind :
a) vollständig deutsch : Kreis Mölsheim : Urmatt ;
Kreis Altkirch : Brückensweiler, Oberlarg;
b) vollständig französisch : Kreis Altkirch : Luttern ;
4) Vollständig französisch und sind überwiegend französisch :
Kreis Schlettstadt : Breitenau.
Wenn man endlich obige Beobachtungen mit den 1872
durch die Behörden veranstalteten Ermittelungen i vergleicht,
so sind die Abweichungen nicht erheblich. In denselben drücken
sich, wie auch in Lothringen, zum Teil die Ergebnisse von
Wanderbewegungen jüngeren Datums aus. Die Unterschiede
sind folgende :
1) Von den als vollständig französisch bezeichneten Ort-
schaften sind vorwiegend französisch mit deutscher Mischung :
Im Unter-Elsass, Kreis Schlettstadt, Kanton Weiler :
Breitenau ;
Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler, Kanton Mar-
kirch : Deutsch-Rumbach.
2) Von den als überwiegend französisch mit deutscher
Mischung bezeichneten Ortschaften ist vollständig deutsch :
Im Ober-Elsass, Kreis Altkirch, Kanton Pfirt: Lützel.
3) Von den als überwiegend deutsch mit französischer
Mischung bezeichneten Ortschaften sind vollständig deutsch :
Im Unter-Elsass, Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck :
Natzweiler ;
l Vgl. Statistisches Handbuch für Elsass- Lothringen. Erster
Jahrgang. 1885, p. 17 ff.
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— 40 —
Im Ober-Elsass, Kreis Altkirch, Kanton Pfirt : Alt-
Pfirt, Bendorf, Bettlach, Buchsweiler, Düringsdorf,
Dürmenach, Fislis, Kiffis, Köstlach, Liebsdorf, Linsdorf,
Lüxdorf, Lutter, Mittelmüspach, Mörnach, Moos, Nieder-
müspach, Oberlarg, Obermüspach, Oltingen, Pfirt,
Rädersdorf, Roppenzweiler, Sondersdorf, Werenzhausen,
Winkel, Wolschweiler ;
Kreis Thann, Kanton St. Amarin : Hüsseren-Wes-
serling ; Kanton Masmünster : Masmünster, Morzweiler,
Oberbruck, Sentheim.
Von einem Exkurse über den deutschen und französischen
Dialekt, welcher in den einzelnen Ortschaften gesprochen wird,
sehe ich ab. Eine Einteilung des Deutschen in Gruppen konnte
ich um so eher beiseite lassen, als, ganz im Gegensätze zu dem
unerforschten Lothringen, das Elsass in Sprache, Sitten und
Gebräuchen allgemeiner bekannt ist. Für heute gesprochene
Mundarten verweise ich auf die Arbeiten von W. Mankel, Die
Mundart des Münsterthaies 1 und H. Lienhart, Die Mundart des
mittleren Zornthaies. 8
Auf der anderen Seite ist vor kurzem eine lehrreiche Arbeit
von A. H o r n i n g , « Die ostfranzösischen Dialekte zwischen
Metz und Beifort, mit einer Karte»» erschienen, in welcher die
Patois von Metz bis Beifort einer sorgfältigen Untersuchung
unterworfen sind.
Auf Grund einer Anzahl von charakteristischen, diese Patois
unterscheidenden Merkmalen hat der Verfasser für unser Gebiet
vier verschiedene Gruppen aufgestellt, von denen drei dem
i Strassburger Studien. II. Baud.
^ Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass-
Lothringens. II, 112 ff, III, 23 ff.
3 Französische Studien. V, 4.
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— 47 —
lothringischen, eine dem hurgundischen Dialekte angehören.
Meine nachträglichen Forschungen haben zu gleichen Ergebnissen
geführt. Die erste dieser Gruppen erstreckt sich bis Kothau, die
zweite von Rothau bis Deutsch-Rumbach, die dritte von Altweier
bis Urbeis (Orbey), die vierte endlich von Welschensteinbach
bis Menglatt. Für die Merkmale, welche die einzelnen Gruppen
charakterisieren, darf ich auf Horning verweisen.
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- 48 -
Anhang.
Übersicht der Sprachgrenze.
Die Mittellinie bedeutet die Grenzscheide zwischen den
Sprachgebieten. Rechts stehen die deutsch sprechenden, links
die französisch sprechenden, in der Mitte, den geraden Lauf
der Linie unterbrechend, die gemischten Ortschaften, und zwar
deutet die offene Seite der gebrochenen Linie auf die über-
wiegende Sprache. "Wo die Linie einen Ortsnamen ganz um-
schliesst, ist eine gemischte Ortschaft gemeint, in welcher
Deutsch und Patois resp. Französisch zu fast gleichen Teilen
vertreten sind.
Rechts und links von der Übersicht der Sprachgrenze
stehen je zwei Rubriken, von welchen die eine .die Territorien
angiebt, denen diese Orte zugehörten, bevor sie an Frankreich
kamen, die andere das Jahr, in welchem sie mit Frankreich
vereinigt wurden. Die beiden links von der Übersicht der
Sprachgrenze stehenden Rubriken enthalten diese historischen
Angaben für die französisch sprechenden, die beiden rechts
stehenden Rubriken für die deutsch sprechenden Ortschaften. 1
1 Für diese historischen Angaben sind benutzt worden « Statis-
tisches Handbuch für Elsass-Lothringen », p. 7 ff , und die histo-
rische Karte von Prof. Dr. Kirchner, « Elsass im Jahre 1789 >.
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I
\
.
Heft II.: Ein andechtig geistliche Baden fahrt
des hoc hg eierten Herren Thomas
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er-
läuterungen, insbesondere über das
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr.
E. Martin. Mit G Zinkätzungen nach
dem Original. , Jk 2 —
Heft III.: Die Alamannenschlacht vor Strass-
burg 357 n. Chr. von Archivdirector
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit
einer Karte u. einer Wegskizze. M 1
Heft IV. : Lenz, Goethe und Cleophe Fibich
von Strassburg. Ein urkundlicher
Kommentar zu Goethes Dichtung und
Wahrheit mit einem Porträt Ara-
minta's in farbigem Lichtdruck und
ihrem Facsirnile aus dem Lenz-Stamm-
buch von Dr. Joh. Froitzheim.
M> 2 50
Heft V. : Die deutsch-französische Sprach-
grenze im Elsass von Dr. Gonstant
This. 8°. 48 S. mit Tabelle, Karte
und acht Zinkätzungen. Jt> 1 50
Unter der Presse :
Hollaender, A. Strassburg im französischen
Kriege 1552.
In Vorbereitung :
Witte, H., Dr. Die Armagnaken im Elsass.
Hertzog, A., Dr. Hechts- und Wirthschaftsver-
fassung des Abteigebietes Maursmünster
während des Mittelalters.
i
Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung,
nimmt Bestellung an.
Hochachtungsvoll
" Ed. Heit* 'Heitz & Mündel).
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Verlag von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel/
in Strassburg i./E.
Baum, Adolf Magistrat und Reformation in Strassburg bis-
1529. gr. 8. XIU u. 212 S. Jt 4 50
Elsässische Landschaften. Vier Originalradierangen von F. Helms-
dorf. Neue Aasgabe. Text von Dr. A. Schricker. gr. foL mit
4 Blatt Text in Mappe. Jt 6 —
Institute, die naturwissenschaftlichen und medicimschen der
Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm-
lungen der Stadt Strassburg. 4. 148 S. mit vielen Grundrissen
und Holzschnitten. M 3 —
Irle, Herrmann. Die Festung Bitsch. Mit einer Ansicht von
Bitsch. 8. 48 S. Jt — 80
Jahrbuch für Geschichte, Sprache und LHteratur Elsass-Loth-
ringens, herausgegeben von dem hist-litt Zweigverein des Vogesen-
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 60
Lucius, Phil. Ferd, Friederike Brion von Sossenheim.
Geschichti. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. JL ö —
Müllenheim-Rechberg. Herrmann Freiherr von. Die
Annexion des Elsass durch Frankreich und Rückblicke auf
die Verwaltung des Landes vom Westphälischen Frieden bis
zum Ryswicker Frieden (1648-1697). Vortrag gehalten am 2. Mai
1887 im staatswissenschaftlichen Verein zu Strassburg i. E. Jt 1 50
Bremer, F. P. Franz von Sickingens Fehde gegen Trier und
ein Gutachten Claudius Cantiunculas über die Rechtsan-
sprüche der Sickingen'schen Erben, kl. 4. CXV7 und 28 Seiten.
Ji 4 60
This, Constant Die Mundart der französischen Ortschaften
des Kantons Falkenberg (Kreis Bolchen in Lothringen). 8.
80 S. JC 2 -
•
Rectoratsreden der Universität Strassburg:
Heitz, E. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität,
Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 27 S. Jt — 60
Reye, Th. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und
in der Neuzeit. Rede gehalten am 1. Mai 1886. 8. lb S. Jt — 40
Z 03 p f fei, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887.
Jt - 40
Vogesengrün. Ein elsässischer Familien-Kalender von Maria
Rebe. Zweiter Jahrhang. 1888. Jt 1 50
Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
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BEITRÄGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
vi. HEFT
STKASSBURG IM FRANZÖSISCHEN KRIEG K 1552
Dr. A. HOLLAENDER.
STRASSBURG
J. H. Ed. Heitz (Heitz & MUndel)
'1888
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i
Im Verlage der unterzeichneten Verlagshandlung
-erscheint unter dem Titel :
BEITRÄGE
ZUR
LANDES- UND VOLKESKUNDE
VON
ELSASS-LOTHRINGEN
in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen
aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur-
geschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur
Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen-
heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner
Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in
der Vergangenheit, seiner Alterthümer, seiner
Künste und kunstgewerblichen Erzeugnisse; es sollen
daneben selten gewordene litterarische Denkmäler
durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht,
und durch Veröffentlichung von Erhebungen über
Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch
der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen,
über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher
und romanischer Zunge das Interesse an der elsass-
lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner-
bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm-
lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter-
zeichneten jederzeit willkommen sein.
Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten:
Heft L: Die deutsch-französische Sprach-
grenze in Lothringen von Const.
This. 8°. 3i S. mit einer Karte
(1 : 300.000). M 1 50
siefie dritte Seite des Umschlags,
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STRASSBURG
IM
FRANZÖSISCHEN KRIEGE
1552.
VON
Dr. ALCÜIN HOLLAENDER.
Motto : « Dieweil an der stat Strasburg als
aine Siehline Vormauer nit allein dem
ganzen Rheinstrom, sondern auch deut-
scher Nation hoch und vil gelegen : das
pillich menniglich, damit die stat erhalten,
das best thun soll.»
Landvogt Andre von Konritz
an Strassburg. 1552 April 26.
STRASSBURG
J. H. ED. HEITZ (HEI TZ & MÜNDEL)
1888.
Diai
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VORWORT.
Eines der traurigsten Blätter unserer vaterländischen
Geschichte entrollt uns das Jahr 1552, in welchem eine
Anzahl deutscher Fürsten in offener Auflehnung gegen ihren
Kaiser, im Bunde mit dem französischen Könige letzterem
die Vollmacht erteilten, vom Reiche eine Anzahl zu dem-
seihen gehöriger Städte loszureissen. An ihnen lag es wahrlich
nicht, wenn Strassburg, auf dessen Besitzergreifung Hein-
rich II. es offenbar gleichfalls abgesehen hatte, nicht schon
damals dasselbe Schicksal erfuhr.
Von dem grössten Interesse muss es daher für uns sein,
das Verhalten der in jenem kritischen Augenblicke lediglich
auf sich selbst angewieseneil Reichsstadt kennen zu lernen
und uns ein Urteil über die Gesinnung zu bilden, welche
die Bewohner derselben damals gegenüber den französischen
Annexionsgelüsten hegten, zumal da man sich jetzt in der
französischen Geschichtsschreibung vielfach tendenziös darzu-
legen bemüht, dass Strassburg es gewesen, welches zuerst, und
zwar schon im 16. Jahrhundert, die Anlehnung an Frank-
reich gesucht habe.
Höclist auffallend ist es nun, dass obwohl der treffliche,
aktenmässige Bericht eines Zeitgenossen, Sleidans, vorliegt,
in den neueren Barstellungen dieser denkwürdigen Epoche
der Slrassburger Geschichte die grössten Widersprüche zu
Tage treten, und sich vielfach eine rein legendarische Be-
handlung breit macht, welche im Begriffe steht die geschieht-
liehe Wahrheit gänzlich zu überwuchern.
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- 4 —
Ich habe daher versucht, unter Benutzung der durch die
Sleidah*sche Berichterstattung gezogenen Umrisse und gestützt
auf ein überaus reiches Quellenmaterial, jenes ungehörige
Ranken- und Blätterwerk zu beseitigen und eine möglichst
wahrheitsgetreue und anschauliche Darstellung jener denk-
würdigen Vorgänge zu geben, deren Mittelpunkt Strassburg
damals gewesen ist.
Die Bedeutung dieser Stadt, welche, wie neuerdings mehr-
fach hervorgehoben worden ist, in den beiden ersten Dezen-
nien der Reformationsperiode die Führerrolle der süd-
deutschen protestantischen Stände übernommen hatte, tritt
jetzt noch einmal glänzend hervor. Die Männer, welche in
jenen stürmischen Zeiten mit Thatkraft und politischer Ein-
sicht die Geschicke Strassburgs geleitet hatten, fanden jetzt
noch einmal Gelegenheit, diese Tugenden, und zwar zur Er-
haltung der Selbständigkeit ihrer Vaterstadt, zu bewähren.
Auch dürfte die vorliegende Veröffentlichung dazu dienen,
darauf hinzuweisen, dass, wenn einige protestantische Fürsten
mit dem Reichsfeinde in verräterische Verbindung traten,
das protestantische Strassburg eine Ehre darein setzte, eine
Vormauer des Rheinstromes zu sein und mit Gut und Blut
für Kaiser und Reich einzustehen.
Benutzt wurde von mir neben dem Werke Sleidans und
der ausgedehnten französischen Memoirenlitteratur des
i6. Jahrhunderts fast ausschliesslich handschriftliches, bisher
so gut wie unbenutzt gebliebenes Material. Dasselbe stammt
zum grössten Teile aus dem hiesigen Stadtarchive, so nament-
lich die wertvollen Protokolle der Herren Räte und XXI,
einiges aus dem Bezirksarchive des Unter elsasses, dem Thomas-
archive, sowie dem Statthalterei-Archive zu Innsbruck. Den
Vorständen derselben, namentlich Herrn Stadt-Archivar
Brucker, erlaube ich mir an dieser Stelle für ihre Unter-
stützung meinen besten Dank auszusprechen, ebenso Herrn
Dr. Reuss, dem Leiter der hiesigen Stadtbibliothek, der mir
mit grosser Liebenswürdigkeit einen Teil seiner eigenen Ex-
cerpte zur Verfügung gestellt hat.
Strassburg, den 10. Januar 1888.
Dr. A. HOLL AENDE R.
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Nachdem Karl V. im schmalkaldischen Kriege jede
nationale und religiöse Auflehnung im Reiche gebrochen hatte,
hielt er den Zeitpunkt für gekommen, den Gedanken, der ihn
seine ganze Regierung hindurch erfüllt hatte, zur Ausführung
zu bringen: sich zum weltlichen Oberhaupte der Christenheit
in mittelalterlichem Sinne zu machen. Die so erlangte Macht-
fülle einer konzentrierten weltlich-geistlichen Gewalt wollte er
dereinst auf seinen Sohn vererben. In eben dem Augenblicke
aber, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht zu haben glaubte,
begannen die Stützen seiner Macht ins Wanken zu geraten.
Die Anwesenheit spanischer Truppen im Reiche, deren An-
massung alles verletzte, die willkürliche Behandlung der deut-
schen Fürsten, die Unterdrückung jeder Regung des Protestan-
tismus, die Belagerung des letzten Hortes desselben, der Stadt
Magdeburg, die Gefangenhaltung der Häupter des schmalkal-
dischen Bundes, des Churfürsten Johann Friedrich und des
Landgrafen Philipp, hatten ihm überall Gegner erweckt. In der
Zahl der letzteren befand sich auch sein früherer Parteigänger,
der Kurfürst Moritz von Sachsen. Nachdem alle Gesuche des
letzteren um Entlassung seines Schwiegervaters aus der Haft,
für dessen Freiheit er sich einst verbürgt hatte, vom Kaiser
zurückgewiesen worden waren, beschloss er, durch den Abfall
von demselben, sein Wort einzulösen, das verlorene Ansehen
unter seinen Glaubensgenossen zurückzugewinnen und mit einem
Schlage staatliche und kirchliche Freiheit wiederherzustellen.
Zu diesem Zwecke verband er sich mit einer Anzahl deut-
scher Fürsten, die seine Unzufriedenheit teilten, sowie mit dem
französischen Könige Heinrich II., dem gegen beträchtliche
Subsidien das Zugeständnis gemacht wurde, sich der Städte
Metz, Toul, Verdun und Cambray bemächtigen zu dürfen, um
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- 6 -
dieselben als Reichsvikar inne zu haben, * Die betreffenden
Verhandlungen, die das ganze Jahr 1551 hindurch geführt
wurden, fanden ihren Abschluss im Vertrage von Chambord
vom 15. Januar 1552.
Merkwürdigerweise legte der Kaiser, der damals in Inns-
bruck weilte, um von hier aus auf die Entscheidungen des
Tridentiner Konzils einzuwirken und gleichzeitig die Angelegen-
heiten Deutschlands und Italiens im Auge zu behalten, den ihm
wohl bekannten Gerüchten über die ihn bedrohende Verschwö-
rung keinen sonderlichen Wert bei. s Jedenfalls besorgte er,
während er den Feindseligkeiten Frankreichs entgegensah und
1 Spachs Angabe in seiner Histoire de la Basse-Alsace p. 186 : Des 1551
Strasbourg envoie des dällgues au monarque francais, pour demander son
alliance et sa protection ; le stettraeistre Sturm, qui faisait partie de cette am-
bassade, rapporta les meüleures promesses : «Je viendrai moi-mSme, avait dit
le roi, briser les Ibrces de l'empereur» ist ebeuso aus der Luft gegriffen, als die
wohl hierauf zurückgehende Behauptung von Legrelle, Louis XIV et Strasbourg
p. 42: «En octobre 1551, une arobassade sazo-brandebourgeoise, renforcle
des deputes de Strasbourg et de Nuremberg, vint ä Foulainebleau lui (seil.
Heinrich II.) proposer, en behänge de son alliance, quatre villes imperiales de
langue welche. Cambrai, Verdun, Metz et Toul . , jedenfalls was S trassburg angeht .
(vgl. auch unten p. 25). Ueberhaupt sucht Legrelle in tendenziöser Weise darzu-
legen, «que c'est bien la ville qui est venue au-devant de la inonarchie, et non
la monarchie qui est allee au-devant de la ville • (p. 41). Ungenau ist in dieser
Beziehung auch seine Benutzung meiner früheren Schrift, Sirassburg im
Schmalkaldischen Kriege (vgl. die ausf. Rezension von E. Mareks i. d. Gött.
gel. Anz. 1885 Nr.' 3, p. 117). — Der Rektor Johannes Sturm scheint aller-
dings wahrend des Jahres 1551 fortwährend in französischem Interesse thfttig
gewesen zu sein (Ch. Schmidt, Jean Sturm p. 85 f.), indessen ebensowenig wie
vorher im Schmalkald. Kriege seitens Strassburgs hierzu autorisiert (vgl. auch
unten p. 5t). Der Stettmeister Jakob Sturm hatte unter der Verwechslung mit
seinem Namensvetter schon bei seinen Lebzeiten zu leiden (Baumgarten, Jakob
Sturm p. 33).
2 Dass man in Innsbruck rechtzeitig von dem drohenden Ungewilter
unterrichtet war, ist bereits von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der
Reformation V, 184, Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten
p. 292 (vgl. auch Katterfeld, Roger Aschara p. 148 u. 149) überzeugend darge-
legt worden. Ihren Ausführungen fQge ich folgendes auch schon von Schönherr,
Der Einfall des Churfürsten Moritz in Tirol (Archiv f. Geschichte Tirols IV, 237),
benutztes Beweisstück aus dem Innsbr. Archiv hinzu : 1552. März 4. Regie-
rung zu Innsbruck an König Ferdinand : Sie zweifelten nicht, Kö. rat. hatten
guten bericht, werde auch von der Kay. Mt. gesandten, so diser tag von hie zu
e. Mt. abgefertigt sein solle, sonder zweifei zu vernemen haben, wie beschwer-
lich sich die leuf allenthalben da vornen im reich teutscher nation zutragen, das
auch, wie uns hin und wider anlangt, die jungen landgrafen von Hessen und
Markgraf Albrecht von Brandenburg in grosser rQstung. So sollen sonst allent-
halben im reich grosse rflstungeu und wie man vorgebenlich sagt, ein grosser
pundt mit dem König von Frankreich wider die römisch Kay. Mt. vorhanden
sein.. (An die Kö. Mt. Bd. XI, f. 47.)
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— 7
denselben gegenüber rechtzeitig Anstalten zur Verteidigung traf,
von den deutschen Fürsten keinen Angriff. 1
Im Elsass selbst wurde man schon seit Mitte des Jahres
4551 durch allerhand Kriegsgerüchte in Aufregung gehalten.
Bereits im Juli wurde dem Strassburger Rate durch kaiser-
liche Mandate eingeschärft, gegen die Haupt- und Kriegsleute,
die bei ihnen allerhand Praktiken, Kriegsgewerb und Aufwiege-
lung trieben, ernstlich einzuschreiten. Im August erschien in
Strassburg ein kaiserlicher Kriegshauptmann, Asmus von der
Hauben, mit dem Auftrage, gegen alles Fremden zuziehende
Kriegsvolk zu streifen und dasselbe niederzuwerfen. Er war in
der Lage, dem Rate eine Anzahl Bürger zu bezeichnen, die in
französischen Diensten ständen.
Anfang November fanden zwischen dem Strassburger Dom-
kapitel und den bischöflichen Räten zu Zabern Verhandlungen
statt, ob man nicht, bei den zwischen Kaiser und Frankreich
entstandenen Verwicklungen, auf dem nächsten Kreistage Vor-
sorge träfe, dass das Land nicht beschädigt würde.
In denselben Tagen ging den Landvögten zu Ensisheim
und in der Ortenau von der oberösterreichischen Regierung zu
Innsbruck die Mitteilung zu : Da die Zeitumstände gar sorglich,
der französische König in grosser Rüstung sei, Kriegsvolk an
die Grenzen legte, auch solches im Reiche anwürbe, und des
römischen Königs Schlösser, Städte und Flecken so gelegen,
dass man in wenig Tagen aus Frankreich dazu kommen könnte,
so sollten sie, die Landvögte, sich miteinander ins Einvernehmen
setzen und' erforderlichenfalls gegenseitig Hilfe und Beistand
leisten. 2
Bald nachher, am 24. November, traf in Strassburg folgen-
des Ausschreiben des Kaisers ein : Nachdem der König von
Frankreich sich ungeachtet des Friedens von Crespy ohne Ur-
sache einer mutwilligen Fehde und Feindschaft gegen ihn an-
1 Gegenüber der Sorglosigkeit des Kaisers ist sein Bruder Ferdinand
schon damals für die Sicherheit desselben beniaht. Er schreibt am 1 . März aus
Pressburg an seine Regierung zu Innsbruck : • Nachdem wir befinden, das die
leuf u. practiken diser zeit hin und wider geschwind und seltsam seyen, und
dann die Rö. kay. mt. unser lieber herr und bruder in unsrer grafschaft Tirol
yetzo anwesend, so bedenken wir sollicher geschwinden practiken und auch
irer lieb u. kay. mt. persönlichen gegenwertigkeit und derselben merern Sicher-
heit halben von noten, der enden guets aufsehen zu haben. > flnnsbr. A. von der
Kö. Mt. X, 338.)
2 Strassburger Bezirksarchiv G. 217. Nov. 6.
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— 8 —
gemasst, ohne jede vorhergehende Warnung sein und des
Reiches Eigentum in Italien und anderen Orten angegriffen
und beschädigt hätte, so gedächte er, der Gegenwehr zu ge-
brauchen. Strassburg sollte sich in gutem Gewahrsam halten,
für Befolgung seiner Mandate Sorge tragen und gegen alle
Uebertreter mit strengen Strafen vorgehen. 1
Der Rat beschtoss hierauf: « So Praktiken vorhanden, die-
selben abzuschaffen und fleissig ufsehens zu haben.»
Auch von den Rüstungen des Kurfürsten Moritz von Sachsen
hatte man im Elsass frühzeitig Nachricht und fasste dieselben
in bedrohlichem Sinne auf.
In einem Briefe des reichen Strassburger Kaufherrn Wolf-
gang Rehlinger vom Ende Dezember, der von der Einnahme
von Magdeburg berichlet, heisst es: Die Knechte, die davor
gelegen, liessen sich vernehmen, Herzog Moritz sei ihr Herr ;
auch in Hessen werde viel Kriegsvolk angeworben. Der Rhein-
graf soll in Sachsen gesehen worden sein. «Der allmächtige
Gott,» so schliesst er, «wolle sollichs alles zu Frieden, Ruhe
und allem Gutem schicken.»
Mit grossem Eifer suchte damals der Strassburger Rat
festzustellen, «wohin Herzog Moritz mit seinem Volke den Kopf
strecke.» Während der Unterlandvogt von Hagenau darüber
nichts Näheres melden kann, schreibt der Zweibrückensche
Kanzler, Michel Han, am 28. Dez. : üeber Herzog Moritz giengen
die verschiedensten Gerüchte ; nach einigen wolle er die Bis-
tümer Würzburg, Bamberg und Eichstädt angreifen, nach anderen
Mainz. Daneben solle der Franzos mit einem Haufen in Italiam
und mit einem ufs Elsass, sodann Herzog Moritz gen Mainz
und dann in die Niederlande ziehen. Des Rheingrafen Bruder
(des französischen Königs Diener) sei mit 8000 Mann über
Lautern und Limpach gezogen, angeblich dem Könige entgegen.
«Sollen die alle und die grosse französische Macht wieder her-
auskommen, und die anderen zu ihnen stossen, würd es dem
armen Landvolk schwer zu stehen kommen.»
Wohl infolge der von allen Seiten her sich mehrenden
bedrohlichen Nachrichten ersuchte die bischöfliche Regierung
zu Zabern Anfang Januar 1552 den Strassburger Rat, seine
Gesandten zu bevollmächtigen, auf dem nächsten Kreistage von
einer gemeinsamen «Landsrettung» zu reden.
1 Str. Stadtarchiv AA, 5"<5.
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— 9 -
In Strassburg war man entschieden gegen eine solche.
Sollte der franzosische König, heisst es in der für die Gesandten
aufgesetzten Instruktion, * einen förmlichen Angriff beabsichtigen,
so würde er ihn jedenfalls mit einer so gewaltigen Heeresmacht
unternehmen, dass ihm das Land keinen Widerstand leisten
könnte. Lieber sollte man die Städte und Schlösser durch Be-
festigung und Besetzung vor jenem behüten; von ihnen aus
würde hernach das Land leichtlich wiederzuerobern sein.
Aber auch gegen einen blossen Streifzug wäre aus Mangel an
Reiterei nichts auszurichten. Zudem könnte schon durch die
Nachricht von einer Landsrettung der König erst recht zu einem
Angriffe gegen das Elsass veranlasst werden aus dem Gesichts-
punkte : «dise leut verpünden sich zusamen dir zuwider, wollen
dir veind sein one verursacht, so mustu sehen, das du inen
auch leids thust und dich gegen inen als deinen veinden er-
zeigtest ; da ers sonst villeicht gegen uns stillstehe und sein
macht uf andere landsart wendete.» Deshalb thäte man besser
daran, sich etwa durch eine Neutralität vor dem Ueberzuge zu
bewahren, auch sich zum höchsten zu befleissigen, «nichts gegen
die, so Frankreich verwandt, vorzunemen.» — Sollte es sich end-
lich nur um Abwehr von Plackereien und Verwahrung einzelner
Pässe gegen streifende Banden handeln, so hätte Strassburg
ein geringes Landgebiet, sei auch zu weit vom Gebirge gelegen,
«also das nit allein nit thunlich, sondern wo mans schon thun
wolt, nit erspriesslich sein werde, das Volk aus den Städten her-
auszuziehen.» Doch wäre man nicht abgeneigt, falls die wenigen
Dörfer, die der Stadt auf dem Lande zugehörig, hingezogen
würden, sich an einer Vorsehung letzterer Art zu beteiligen.
Wenn man nun auch die Richtigkeit der hier ausgespro-
chenen Ansicht nur anerkennen kann, so verrät doch die Art
und Weise, wie man jedes gemeinsame Vorgehen von der
Hand wies, einen damals freilich allen deutschen Ständen eigen-
tümlichen Sondergeist, der auf Erhaltung des eigenen Territo-
riums vor allem bedacht, das Wohl der Nachbarn ausser acht
Hess. Uebrigens finde ich keine Spur, dass es zu der in Aus-
sicht genommenen Tagsatzung überhaupt gekommen ist.
Am Hoflager zu Innsbruck schenkte man den Zuständen
im Elsass fortwährend Aufmerksamkeit. Anfang Februar müssen
i Str. St. AA. 587. Jan. 18.
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— 10 —
daselbst Geruchte über eine Verständigung Strassburgs mit
Frankreich verbreitet gewesen sein. 1
Durch kaiserliche Mandate wurde den Strassburger Kauf-
leuten streng untersagt, dem französischen Könige Geld zuzu-
führen, ebenso auf den Kopf der in des letzteren Diensten
stehenden deutschen Kriegshauptleute ein hoher Preis gesetzt.»
Ende Februar und Anfang März scheinen in Strassburg ebenso
wie im ganzen Elsass französische Werbungen stattgefunden zu
haben. 3 Einmal nehmen Reiter der vorder-österreichischen Re-
gierung 80 Knechte, die de'm Kriegsoberst Schertlin zuliefen, in
Ottmarsheim gefangen. *
In eben jenen Tagen wendete sich der Kaiser selbst in
folgendem Schreiben» an den Patriotismus des Rates der Stadt
Strassburg :
Obwohl er nach der Ergebung von Magdeburg und Be-
zahlung des Kriegsvolkes auf Ruhe im Reiche gehofft, so hätte
er doch von allerlei «Praktiken und Kriegsgewerb an vielen
Orten und Enden, daraus alles Unrats und innerlicher Empö-
rung zu besorgen » gehört, so dass er sich genötigt sehe, den
Sachen etwas stattlicher zu begegnen. Daneben solle sein «un-
entsagter» Feind, der König von Frankreich, allenthalben im
1 Druffel, Beitrüge II, Nr. 975: Bischof von Arras au Königin Marie.
1552 Febr. 6: «Lazarus adjoucte, que ceulx de Strasbourg ont intelligence et
correspondance avec le roy de France. •
2 Str. St. R. u. 2t. Febr. 6 u. 10.
3 Druffel II nr. 1049. — Ganz, unwahrscheinlich ist hingegen das.. was
Heideck am 10. März an Kurfürst Moritz berichtet (Druffel II nr. 1089), und
man wird sich daher hüten müssen, hieraus in betreff der Haltung Strassburgs
irgend welche Schlüsse zu ziehen. Es heisst dort: «Es ist Asmus von der
Hauben zu Strassburg gewest, bat ein kaiserlich mandat daselbst den hern
gebracht und begert ein haussuchen nach den franzosischen knecht zu thon ;
hat ime der rat die wirtsheuser zu besuchen zugelassen, und zuforderst jeder-
rnan gemant, sich auf zuheben ; und do er nierannds gefuuden, in furgefordert
und sagen lassen, das er gedenk und hinfuran nimer kerne, und haben die
gemein daselbst in und seine reuter, wo man nit abgestilt, nur wollen dot
schlagen.! Hiervon ist in unsern Akten mit keinem Worte die Bede. Von der
Hauben war Aug. 1551 in Strassburg. Als die Regierung in Ensisheim
Marz 1 552 ein Verzeichnis derjenigen sendet, die zu Strassburg den Franzosen
Knechte angenommen haben, beschliesst der Rat : «die bürger und sonderlich
die wirt zu beschicken und mit strafe vorzugehen. •
4 März 11. (Innsbr. A.) — Auf diesen Vorfall beziehen sich wohl die
Worte Heinrichs II. (Sleidan 24, 361) : « Ensemensibus condonare se, mod>
quos in vinculis habeant e suis, milites, dimittant. »
5 Str. St. AA 579. Febr. 29.
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— 11 —
Reiche Verleumdungen über ihn ausstreuen, i als ob er, der
Kaiser, der deutschen Nation gar nicht geneigt, sondern deren
Liberlät und Freiheit zu unterdrücken gedächte, während doch
«die viehische und mehr denn türkische Dienstbarkeit» der
armen Unterthanen des französischen Königs allerwärts bekannt
sei. Ebenso würde letzterer, wenn es ihm gelänge, im Reiche
festen Fuss zu fassen, die Deutschen behandeln. Wiewohl er
nun die Ueberzeugung hegte, es werde in der deutschen Nation,
bei der von alten Zeiten her Wahrheit, Beständigkeit und Ehr-
barkeit gegolten, sich niemand wider sein eigenes Vaterland
verführen lassen, und er sich besonders zu ihnen, «als die
ihm und dem heiligen Reiche mit aller treuen
Neigung zugetan,» nicht anders versehen könnte, als dass
sie bei diesen gefahrlichen Zeiten von ihm sich nicht abwenden,
sondern ihm als römischem Kaiser, « ihrem ainichen rechten
herrn, der verwantnus nach, damit sie ihm und dem heiligen
reiche zugetan» getreulich beistehen und anhängen würden, so
habe er sie doch warnen wollen, Verleumdungen seiner Person
Glauben zu schenken oder sich durch fremde Praktiken ab-
wendig machen zu lassen. Sie sollten ihm von letzteren unver-
züglich Mitteilung machen und sich in dem allen so erzeigen,
wie sein Vertrauen zu ihnen stände. Das wollte er gegen sie
und gemeine Stadt mit allen Gnaden erkennen und in gutem
nimmer vergessen.
Die Stadt übersandte hierauf die ausdrückliche Erklärung :
bei Kaiser und Reich und ihren Freiheiten bleiben zu wollen. 2
Am 24. März sprach ihr Karl V. seinen Dank für ihr ge-
1 Ein am letzten Februar in Innsbruck erlassenes Verbot beginnt mit den
Worten: «Uns langt an. das kurzüchen ain person aus Frankreich, unbekannt
ires namens, ein tractat in französ. sprach hat usgeen lassen, darin die kay.
mt. von wegen dem kunig von Frankreich und des gemeinen der Christenheit
erbfeinds. des Türken, ganz freventlich angezogen worden» (Innsbr. A. Causa
Dom. VII, f. 151). Dieses angeblich zu Basel gedruckte Pasquill war von
Ensisheim aus der Innsbrucker Regierung übersandt worden, die es ihrerseits
am 27. Febr. dem König Ferdinand zuschickte.
2 Das Schreiben selbst liegt mir nicht vor, dagegen ein anderes vom
21. Mai (AA 576), in dem Meister und Rat aussprechen : «Sie hatten sich in
Rüstung begeben, damit sie ihrem schriftlichen gethanen erbieten
nach bey ihrer Mt. und dem h. reich, auch ihren freiheiten
bleiben möchten.» Ebenso teilt am 2. April die oberösterreichische
Regierung dem Könige Ferdinand mit : « Die Kay. Mt. hab die von Strassburg
zum höchsten ersucht, an seiuer Kay. Mt. zu halten, und die von Strassburg
sich darauf mit einem schreiben sollichs in unterthenigstem gehorsam tröstlich
zu thun erboten« (Innsbr. A. An die Kö. Mt. XI, 107].
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— 12 —
horsames und gutwilliges Erbieten aus und zugleich seine feste
Hoffnung, dass sie sich durch niemand von ihrem Entschlüsse
würde abwendig machen lassen.
Und in der That ist Strassburg, wie wir weiter unten sehen
werden, seinem Versprechen treu und mannhaft nachgekommen. —
Inzwischen halte Heinrich II. im Februar dem Pariser
Parlament seinen Entschluss mitgeteilt, den Kaiser mit Krieg
zu überziehen und alle alten Ansprüche auf Flandern, Mailand
und Neapel erneuert, i In einem Manifeste erklärte er sich als
den Beschützer der Freiheit Deutschlands und seiner in der
Gefangenschaft beßndlichen Fürsten. * Anfang März wurde zu
Chalons an der Marne ein Heer von 40,000 Mann zusammen-
gezogen.
Gleichzeitig waren auch seine deutschen Bundesgenossen
nach Vollendung ihrer Büstungen im Felde erschienen, um
sich zunächst in Franken zu vereinigen. In offenen Ausschreiben
warfen auch sie dem Kaiser den Fehdehandschuh hin. 3
Noch am 14. März wusste man in Strassburg «nichts eigent-
lich und sonderlich halben von dieser handlung, denn das ge-
mein geschrei.»* Unmittelbar darauf trafen von allen Seilen
genauere Kundschaften ein. So wurde von Speier aus gemeldet,
dass in Hessen, Sachsen und anderen Orten Truppen zusammen-
gezogen würden, des Vorhabens, am Bheinstrom sich zu ver-
einigen und vielleicht denselben einzunehmen; dass auch zwei
Ausschreiben im Druck ausgegangen seien, das eine vom Könige
von Frankreich, das andere vom Kurfürsten von Sachsen und
seinen Genossen, in denen sie sich der kaiserlichen Majestät
Feinde erklären. Daneben sollte Schertlin bis gegen Ensisheim
1 Dareste, Histoire de France IV, 87.
2 Vgl. Druffel, 3, 370 f. — Am 20. März sendet die Innsbrucker Regie-
rung an König Ferdinand eine Schrift, • so der kunig von Frankreich an die
chur- und fürsten, stend und stette des heil, reiches teutscher nation ausgeen
lasset» (Innsbr. Archiv). — Nach Specklin (Coli. T. II, f. 310/318) kamen
über 1000 Exemplare dieser Proklamation nach Strassburg. Noch Röhrich
{Gesch. der Reformation im Elsass 3, 27) hat mehrere Exemplare derselben
gesehen ; im hiesigen Stadtarchive habe ich indessen kein einz ; ges mehr auf-
finden können.
a Druffel 3, 374 f. Nach Strassburg scheinen diese nicht gelangt zu sein;
denn Sleidan (24, 392) schreibt : « Senat is rescribit: scriptum illud a confoe-
deratis editurn de causa belli, non sibi missam aut exhibitum esse. »
4 Str. St. R. u. 21.
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— 13 —
und weiter hinab gegen Strassburg streifen, i Solches wurde
auch von der vorderösterreichischen Regierung, sowie vom Grafen
von Nassau bestätigt und dabei hinzugefügt, dass der Könijr
von Frankreich hier mit dem Landsknechtoberst sich vereinigen
wollte. 2
Auf diese bedrohlichen Nachrichten hin erteilte der Rat
den Verordneten des Kriegs, den Dreizehnern, feierlichst Befehl
und Gewalt: «mit Ernst zu widerstehen, ne res publica aliquid
detrimenti capiat. » *
Sofort wurden eine Anzahl Verteidigungsmass regeln be-
schlossen. Man entschied sich für die Anwerbung von zwei
Fähnlein Kriegsvolk, für deren Unterhalt Stifte und Klöster
und alle, die in die Stadt fliehen würden, mit aufkommen
sollten. Auch hatten die Zünfte ihre waffenfähigen Leute anzu-
geben und aus denselben Hauptleute und andere Befehlshaber
auszuwählen, die Gemusterten sich mit Harnisch und Hand-
gewehr zu versehen. Daneben bestellte man eine Anzahl Hand-
werksgesellen mit Wartegeld. In der Stadt wurden Rats- und
Taghuten eingerichtet, und geharnischte Bürger auf die Stuben
gelegt. Die Rheinbrücke, sowie diejenige über die III wurden
besetzt, den Schiffern und Fischern streng untersagt, zur Nacht-
zeit jemand in die Stadt hineinzufahren oder herauszulassen.
Die Zeugherren erhielten den Auftrag, die Befestigungen zu
besichtigen und festzustellen, in welcher Weise dieselben mit
Geschütz zu versehen seien, auch die Wassergraben instand-
zusetzen. Die Gärtner, die im Besitze von Pferden, hatten sich
bereit zu halten, das Geschütz auf die Wälle zu fahren. End-
lich erfolgte ein Ausfuhrverbot für Getreide.
Von Tag zu Tag erhielt man bedenklichere Zeitungen, so
am 21. März folgende:* «Wir Lothringer und vom Stift Metz
fürchten, das Spielbrett darlegen zu müssen, dass die Kaiser-
lichen und Franzosen ihre Wollust drin haben werden. Gott
erbarms um der armen Leute willen. Wir verhoffen noch, dass
die Neutralität von dem Kaiser und König wird gehalten wer-
den. Wir müssen aber den Durchzug leiden.» Der König nehme
überall Knechte an, würden nach Toul beschieden, und sei die
l Str. St. AA597. Marz 13.
* Str. St. R. u. 21. Mttrz 19.
3 R. u. 21. Marz 19.
4 Str. St. AA 598.
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— 14 -
Rede, dass er herausziehen wolle in das Elsass auf Strassburg zu,
manche meinten, dem Kriegs volke in Hessen entgegen. Man ver-
mute, er solle in vierzehn Tagen längstens anrücken. Von den
Metzern habe er Proviant begehrt, und dass sie sein Volk, wie sie
zuvor auch dem Kaiser gestattet, durch ihr Gebiet ziehen Hessen.
Aehnlich schrieb der Graf Philipp von Hanau-Lichtenberg :
Der Rheingraf, der bei dem französischen Könige wäre, hätte
erklärt, dass sein Herr auf Elsass-Zabern seinen Zug richten
werde. Er selbst könnte nun zwar nicht glauben, dass die sächsi-
schen und hessischen Truppen sich im Elsasse mit den Fran-
zosen vereinigen würden; nichtsdestoweniger sollte dies aber
des Königs und seiner Verbündeten Vorhaben sein, und dürfte
hieraus Strassburg grosse Gefahr erwachsen. 1
Nach einer seinem Schreiben beigefügten Kundschaft vom
Grafen von Nassau, der, wie wir anderweitig erfahren, durch
den Bischof von Metz über alles unterrichtet war, 9 sollte
Heinrich II. augenblicklich mit 80000 Mann und 12000 Pferden
bei Toul liegen, des Vorhabens, nächsten Sonntag zu Niclaus-
port zu sein, darauf gegen Strassburg zu ziehen, um hier über
den Rhein zu gehen. Uebergang und Pass sollte ihm durch
Herzog Moritz und seine Verbündeten mit 24 000 Knechten und
3000 Pferden gesichert werden. Auch die Ensisheimer Regie-
rung teilte mit, dass der Zug auf Strassburg gehen, und der
Anschlag sein sollte, wie dasselbe zu erobern. a
So sah sich denn die Stadt Ende März von drei Seiten
her bedroht. Der König von Frankreich, die verbündeten
deutschen Fürsten und das Kriegsvolk Scher tlins schienen,
allen Nachrichten zufolge, bei Strassburg ihre Vereinigung
bewirken zu wollen, um sich durch Einnahme der Stadt den
Rhein Übergang zu sichern. *
Da vor allem zu befürchten war, dass der bei Basel
stehende Schertlin einen Handstreich versuchen könnte, so
1 Str. St. AA 581.
2 Str. St. AA 577. Michel Han an die XIII.
3 R. u. 21 . März 26. — Solches meldet« sie auch nach Innsbruck ;
vgl. unten p. 40.
4 Dass diese Ansicht auch sonst verbreitet war, geht hervor aus einem
Briefe der Königin Maria an Kaiser Karl vom 22. Marz (Druffel 2 nr. 1157; :
• Certain confident a däclaire* que l'iutencion des ennemis est de so saisir de la
riviere depuis Strassbourg jusques ä Coulogne, ayans espoir de venir au dessus
dudit Strasbourg par la faveur de la comune. »
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15 —
setzte man sich schleunigst mit letzterer Stadt in Verbindung,
um in Erfahrung zu bringen, wann er ausziehen und welchen
Weg er einschlagen würde.
Schon am 26. März erhielt man von dort die Nachricht,
dass der Oberst am 22. aufgebrochen und durch des Bischofs
von Basel Land und durch Lothringen dem französischen
Könige zugezogen sei. «Wohin aber», heisst es in dem Briefe,
ter und andere ferner ziehen oder was die Handlungen sein,
wohinaus oder über wen die gehen werden, das ist uns im
Grund verborgen.» 1
Jedenfalls hatte man es den «insonders guten Freunden
und vertrauten lieben Nachbarn» von Basel zu verdanken,
wenn Schertlin von dem von ihm beabsichtigten Einfalle ins
Elsass Abstand nahm. 1
Auch mit den bischöflichen Räten zu Zabern trat man in
Unterhandlung, «unangesehen, das jene dieser leuf halben noch
nie nichts geschrieben oder entboten hätten.» Der von dort
ausgehende Vorschlag, durch gemeinsame Botschaft den franzö-
sischen König zu ersuchen, Land und Städte zu verschonen,
erregle in Strassburg Bedenken ; doch erklärte man sich bereit,
diesen Punkt auf einer in Strassburg abzuhaltenden Versamm-
lung der unterelsässischen Stände zur Sprache zu bringen.
Hier gedachte man sich auch wegen der grossen, für Befesti-
gung und Besatzung der Stadt notwendigen Kosten auseinander-
zusetzen. Die Seele der im folgenden zu schildernden Verhand-
lungen war Jakob Sturm, wie aus einem von seiner Hand
1 Meister u. Rat zu Basel an die XIII (Str. St. AA 589}. Sie setzen u.
a. hinzu : Ohue Zweifel bestände zwischen Frankreich und etlichen deutschen
Fürsten ein geheimer Verstand und Anschlag. Es seien in Basel zwei grosse
Herren aus Frankreich, desgleichen ein Herzog von Mecklenburg und der junge
Landgraf. (Es waren dies die gegenseitigen Geiseln: Sleidan 24, 354} «In
summa will uns bedenken, so ein jede oberkeit ires huses treulich warte, das
werde den besten Ion geben. .
2 Srbertlin selbst sagt darüber in semer Lebensbeschreibung (ed. Schön-
huth p. 87} : • Ich hab mein Regiment mit Vergunst derer von Bern und Basel
mit solcher Mühe zusammengebracht, als mein Lebenlang mir nie bescheben ist.
Ursach, dass mir die Oesterreichischen im Elsass, Sundgau, Breissgau, Hegau
und "Wirtemberg alle Pässe dermassen verlegt, dass ich mit aller Marter
8 schwache Fähnlein Knecht mocht aufbringen. • Mit diesen hätte er nuii
Elsässer und Sundganer überziehen wollen, aber auf Nötigung von Basel, wo
er Weib, Haus und Hof gehabt und der 5 eidgenössischen Orte davon Abstand
nehmen müssen; «denn es waren ihre Kornkästen und geliebte Nachbaren. ■
Deshalb sei er durch des Bischofs von Basel Land über Pruntrut, Mömpelgard
auf Toul zu gezogen.
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- 16 —
herrührenden, höchst denkwürdigen Memoriale hervorgeht, in
welchem alle wesentlichen, zur Beratung kommenden Gesichts-
punkte betont sind, i
Am 26. März traten in Strassburg neben den Verordneten
des Rates, unter ihnen Jakob Sturm, Abgesandte der bischöf-
lichen Regierung und des Kapitels, der elsassischen Landvogtei
und des Adels, sowie der Städte Hagenau und Schlettstadt zur
Beratung zusammen. 3
üeber mehrere Punkte herrschte keine Meinungsverschie-
denheit. Dem Gutachten der Kriegsverständigen zufolge gab
man von vornherein den Gedanken an ein Verlegen der
Gebirgspässe auf. Ebenso wollte man gar nicht erst den Ver-
such machen, dem Könige den Marsch über die Rheinbrücke
zu verwehren, da er solchen wohl erzwingen könnte, ebenso-
wenig dieselbe abtragen, da hierdurch leicht das Verderben
des ganzen Landes herbeigeführt werden würde. Auch ihre
eigenen festen Plätze, erklärten die Bischöflichen, könnten sie
dem Könige nicht vorenthalten, sondern müssten ihm Durchzug
und Proviant gewähren. Dagegen seien die Städte Hagenau,
Schlettstadt und Strassburg, genügend besetzt, wohl imstande,
wenn der König etwas Unbilliges von ihnen begehren oder sie
bezwingen wollte, mit Erfolg Widersland zu leisten.
Hierzu erklärte Jakob Sturm : Sie hätten in Strassburg
mit dem König in ungutem nichts zu thun. Sollte der-
selbe aber, was sie nicht hofften, sich der Stadt mit
Gewalt annehmen oder etwas Ungebührliches
von ihnen verlangen, so wären sie nicht gesinnt,
etwas zu bewilligen, das ihren Pflichten zuwider
wäre oder sie mit Ehren nicht verantworten
möchten; wollten sich auch deshalb ihrem
Vermögen nach zur Gegenwehr rüsten. Indessen
zur Besetzung der ausgedehnten Befestigungen sei ein statt-
liches Kriegsvolk nötig, das augenblicklich nur schwer zu be-
kommen und zu besolden wäre; auch fehlte es an Proviant.
Nun wäre aber dem Lande nicht weniger denn der Stadt daran
1 St.-. St. V. D. G. lad. 111, nr. 13. Auf dieses, sowie mehrere andere
wichtige Aktenstücke, die sich, noch nicht inventarisiert, in derselben ladula irn
Dreizehnergewölbe des Stadtarchivs befinden, hat mich Herr Dr. Wolfram hier-
selbst freundlichst auimerksam gemacht.
2 Ueber die Verhandlungen ist zu vgl. R. u. 21. April 1; AA 1854,
April 1 und 1982 April 2.
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- 17 -
gelegen, dass diese Festung nicht in des Fran-
zosen Hand käme. In solchem Falle werde er die
sonder Zweifel besetzen und zu behalten ged e n-
ken; würde nun der Kaiser sich derselben wieder
annehmen, werde es ei nen ewigen K rieg gebe n,
und das Land dadurch verderbt werden. 1 Deshalb
sollte man sich äussern, in welcher Weise man Strassburg zu
Hülfe kommen wolle.
Als von einer Seite geäussert %\ird, als ob die Strassburger
sprächen : Wenn sie der Franzos bei ihrer Religion bleiben
lassen wollte, wäre er ihnen ein guter Herr, wollten um Kai-
sers willen unverderbt sein , erklärte Sturm : Das wären etlich
unnütze Leut, die viel verwendt Wort trieben; da wohl etlich
schrieen, so wäre doch der mererteil gehorsam. \
Indessen trotz alles Hin- und Herredens erhielt man keine
Zusicherungen. * Die meisten erklärten überhaupt nur zum
Hören und « Hintersichbringen » bevollmächtigt zu sein. Auch
hinsichtlich einer gemeinsamen Botschaft an den französischen
König und einer ebensolchen an den Kaiser kam es zu keiner
Hinigung. Im Gegensalz zu der Ansicht der Mehrheit erklärten die
Bischöflichen, jeder sollte für sich schicken, da die Gelegenheit
der einzelnen Stände verschieden ; so müssten sie manches dem
Franzosen gestatten, was die drei Städte ihrer Befestigung
halber nicht brauchten ; auch vermöchten sie nicht, wozu letztere
wohl imstande wären, den Kaiser der Gegenwehr vertrösten.
Trotz des Hinwürfe der Strassburger, es bedürfte keiner wei-
teren Zusicherung, als dass sie die Städte mit verproviantieren
und besetzen wollten, trotz ihrer Beschwerde, dass man sie, wo
der Franzose so nahe am Lande liege, ohne jede Vertröstung
scheiden Hesse, ging man, ohne einen Beschluss gefasst zu
haben, auseinander, nachdem man auf Drängen Sturms ledig-
lich {olgende « unvergrittliche » Abrede aufgesetzt hatte: s
« Zum ersten, dass diese drei Plätze (Strassburg, Sehlett-
stadt und Hagenau) vor andern ernstlich zu besetzen und zur
Gegenwehr zu richten, doch daneben andere beschlossene
1 Genau derselbe Gedankengang findet sich in dem obenerwähnten
Memoriale.
2 • Hierauf wuren vielerlei Reden hin und wieder, aber nichts fflrbracht,
daraus die Verordneten vernehmen konnten, dass sich ein Rat einicher Hälfe zu
versehen gehabt hatte • AA 1982. März 26.
: * AA 587. März 2ß.
2
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— 18 -
Flecken nicht zu verlassen seien, sie möchten denn vor Gewalt
nicht erhalten werden; in solchem Falle solle das daselbst be-
findliche Kriegsvolk in die oben benannten Städte gelegt wer-
den. — Zum andern, wer das Seine nach Strassburg flüchten
oder selbst mit Leib und Gut sich dahin begeben würde, der
hätte zu den Ausgaben beizutragen ; auch sollte die Nachbar-
schaft mit ihrem Volk und auf ihre Kosten die Stadt Strassburg
besetzen helfen, dabei ein jeder sich auf nachbestimmten Tag
eröffnen, wieviel er thun soll, und sollen alle nächsten
Freitag Abend wieder in Strassburg erscheinen, um sich hier-
über und über eine etwaige an den Kaiser und den französi-
schen König zu sendende Botschaft entschliessen. »
Immer drohender zogen sich die Wolken zusammen.
Ein mächtiges Volk, so berichtet ein Agent der Stadt am
25. März, rücke von Hessen und Thüringen heran, um sich
bei Schweinfurt zu versammeln. Von da solle es nach dem
Rheine ziehen, um sich mit den Franzosen daselbst zu verei-
nigen. «Ich besorg, der Kaiser sei schändlich betrogen, und
werde schwerlich zu Volk kommen mögen.» Da der König,
schreibt am '28. März der Zweibrückensche Kanzler Han, mit
sehr grosser Macht zur Stadt und Rheinbrücke ziehen würde,
wäre es hoch von Nöten, alle Dinge in guter Achtung und
Gewahrsam zu halten. Und der Graf Philipp von Hanau, der
bereits in Strassburg einen Hof hatte bestellen lassen, um bei
den Kriegszeiten seine Kinder dahin zu senden, erklärte, «da
die Sage und Rede, als ob die Stadt sollte belagert werden, je
länger je mehr etwas stark einreisset », von seinem Vorhaben
zur Zeit noch Abstand nehmen zu müssen.
Auch in der Bürgerschaft scheint grosse Verwirrung ge-
herrscht zu haben. Sah sich doch der Am meist er am 26. März
veranlasst, im Rate die Anfrage zu stellen, wie man sich ver-
halten wolle, da etliche ihr Bürgerrecht aufsagten und so einen
Schrecken im Volke verbreiteten. In der Thal sollen trotz
strengen Verbots 800 Bürger, ohne die Handwerksgesellen,
damals heimlich hinweggezogen sein. »
Am 1. April erstattete Jakob Sturm dem Rate über die
jüngst mit den Nachbarn gepflogenen Verhandlungen Bericht.
Nach Verlesung der «Abrede» fasste man folgende Beschlüsse :
1 «Quae sequuntur von dem Köüig von Frankreich., sagt Specklin, dem
wir diese Nachricht verdanken.
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- 19 -
Sollte sich der König nach dem Elsasse wenden, so wäre
er durch gemeinsame Botschaft zu ersuchen, das Land zu ver-
schonen; man würde ihm gegen Bezahlung Proviant liefern.
Den Pass könnte man ihm so wie so nicht wehren. Hinsichtlich
der Sendung an den Kaiser wolle man sich der Ansicht der
Mehrzahl anschliessen. Beliebte man indessen eine gemeinsame
Botschaft, so wäre damit jedenfalls so lange zu warten, bis von
Frankreich Antwort eingetroffen wäre, damit man diesem nicnt,
«wie denn nichts verschwiegen bliebe», Ursache zum feindlichen
Vorgehen gäbe. — Dass ein jeder, wer in die Stadt fliehen
wurde, dieselbe mit erhalte, sei selbstverständlich. Sollten die
Nachbarn bereit sein, Landvolk auf ihre Kosten herein zur
Besatzung zu legen, 1 so sollte dasselbe allein dem Rate schwören
und nicht abgemahnt werden dürfen. Die Hauptleute könnten
zwar bei den Ratschlägen zugegen sein, der Entscheid aber
sollte allein dem Rat, als der Obrigkeit, zustehen.
Am 2. April traten die Abgesandten der benachbarten
Stände in Strassburg von neuem zur Beratung zusammen.
Meister und Rat desselben liessen ihnen zunächst vor-
stellen : Wie die Dinge lägen, bedürfe man durchaus der
nachbarlichen Hilfe. Denn wenn man auch bedacht wäre, ver-
mittelst göttlicher Unterstützung die Stadt vor fremdem Volke
zu bewahren und als ein gehorsames Glied beim
heil. Reiche zu bleiben, so dürfte, wenn man ohne aus-
reichenden Proviant und Besatzung unversehens überfallen
würde, solches nicht allein Strassburg selbst, sondern ihnen,
den Nachbarn, ebenfalls zu unwiederbringlichem Schaden
gereichen. 2
Darauf erklärten die Bischöflichen: Da sie selbst feste
Flecken hätten, könnten sie ihr Kriegsvolk nicht entbehren ;
auch möchte sie der Franzose, falls sie solches nach Strassburg
legten, durch Verheerung ihres Landes zwingen, dasselbe wie-
der abzuberufen. Daher wäre es für die Stadt besser, fremde
Knechte anzunehmen und alle, Bürger und Zugeflohene, mit
gleicher Steuer zu belegen. Wegen ihrer eigenen Unterthanen
würde man sich, wenn die Belagerung zu Ende, schon ver-
gleichen. Auch hätten sie nichts dagegen, wenn die Ihrigen
auf eigene Faust Strassburg dienten, und letzteres Leute im
l Sturm üusserte hier starken Zweifel.
* AA 587.
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_ 20 -
Bistum mit Wartegeld bestellte, auch gegen Bezahlung Proviant
aus demselben bezöge.
Die Abgesandten des Unterland vogtes, sowie der Städte
Hagenau und Schlettstadt wollten überhaupt nur zum Hören
und « Hintersichpringen » abgefertigt sein.
Auch der Bescheid der Ritterschaft lautete nicht ermutigend.
Die Gelegenheit der einzelnen, setzte Georg Zorn von Bulach
auseinander, sei verschieden, viele seien auch durch Lehens -
pflicht gebunden. Einer gemeinsamen Hilfeleistung wie sie jetzt
verlangt würde, wären sie bisher überhoben gewesen. Freilich
wer sich in eine der drei genannten Städte begeben würde,
der werde sich, wie es einem ehrlichen Adligen geziemte, mit
der Wehr und in der Zeit der Not mit Darreichung des Gutes
beweisen. Dass aber einer von ihnen gleich angesessenen Bür-
gern steuern sollte, dagegen müssten sie sich verwahren, da
das nicht ihr Herkommen.
Die Verordneten des Rats suchten die vorgebrachten Ein-
wände zurückzuweisen.
Die starke Besetzung von Ortschaften, entgegnete man den
Bischöflichen, die doch nicht gehalten werden könnten, sei
überflüssig, das Kriegsvolk daher zu entbehren. Der König
würde ferner in keinem Falle bei Belagerung Strassburgs das
umliegende Gebiet schonen. «So muss man den gegen-
wärtigen Schaden nitso hoch achten, sondern meh r
auf das Künftige sehen: so die Stadt in des Königs
Hand käme, was ewige Dienstbarkeit aufgelegt,
werden würde. Zudem würde ein langwieriger Krieg
daraus entstehen, und Strassburg der Platz sein,
um den sich zwei mächtige Herrn, Kaiserund König,
zanken würden, was zu unwiederbringlicher Zer-
störung mehr als ein Jahr dienen müssle. » Mit dem-
selben Rechte könnten ja auch ihre Bürger, die all ihren Be-
sitz auf dem Lande in die Schanze schlagen müssten, sich
bewogen fühlen, sich mit dem Könige zu verlragen. — Fremdes
Kriegsvolk wäre gar nicht zu bekommen, die Besoldung des-
selben lediglich durch die Bürger, letzteren zu schwer fallen,
die Schätzung der geflüchteten Güter, als Betten, Kleider und
Linnen nicht, viel eintragen. Dass man den Unterthanen er-
lauben wolle, der Stadt für Geld zu dienen und Proviant zu-
zuführen, sei selbstverständlich. Deshalb bäte man um anderen
Bescheid.
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- 21 —
Den Abgesandten der Ritterschaft erklärte man, da sie in
Zeiten der Not des Schirms der Stadt gewiss, so sollten sie
jetzt auch namhaft machen, auf wen man sich verlassen könnte.
Nachdem sich die Versammlung, «um Bedacht zu nehmen»,
vertagt hat, kommt es zwischen den Strassburgern und Bischöf-
lichen zu allerhand Auseinandersetzungen. Die letzteren behaup-
ten : Jene wären so wie so verpflichtet, ihre Stadt zu verwahren
und sich vor dem Franzosen zu halten ; wofür sie denn sonst
ihre grossen Befestigungen angelegt, und dass sie sich doch in
anderen Kriegen, auch in solchen, die sie etwa mit den Bischöfen
seihst gehabt, wohl zu verleidigen verstanden hätten. Selbst auf
eine Schätzung ihrer Unterthanen könnten sie nicht eingehen.
Hierauf antworteten die Strassburger : Ihre früheren Kriege
mit den Bischöfen seien schlichte gewesen und gar nicht mit
dem jetzt drohenden zu vergleichen. Ihre Befestigungen kämen
auch dem Land zu gute, wenn der König sich dadurch vom
Einmärsche abhalten liesse. Man sähe aber, man würde alle
Unkosten allein tragen müssen. Was man schuldig sei, würde
man thun, soviel man könnte ; was man nicht zu erhalten
vermöchte, müsste man liegen lassen und dem grossen Schaden
zuvorkommen.» 1 Als die Stände von neuem zusammentreten,
bleiben alle bei ihrem vorigen Bescheide ; über die an Kaiser
und König zu entsendende Botschaft soll nach Tisch beraten
werden.
Nachmitlags ist bei Wiedereröffnung der Versammlung von
der Ritterschaft niemand erschienen ; ebenso lassen die Grafen
von Hanau und Bitsch ihr Ausbleiben entschuldigen, «da sie
l>ei diesen Sachen nichts zu thun wüssten. » Hinsichtlich der
Botschaft wird jedem anheimgegeben, nach seiner Gelegenheit
zu handeln.
Die Stimmung ist eine durchaus gereizte geworden. Auf
die Erkundigungen der Abgesandten des Bischofs und des
Kapitels nach Strassburgs Verteidigungsmassregeln, damit, wer
sich dahin begeben wollte, sich besser einrichten könnte, wird
1 Im Merooriale Sturms heisst es darüber: AVo episcopus, capitel nit
wollen den kosten helfen tragen, sonder es allein uf die statt schlagen, sagen,
das es einem rat unleidlich und untreglich, werd sich nit destoweniger bewaren
und den kosten von ihnen habe» wollen. Auch bey der Kays. Mt. sich des
beklagen, das sy dadurch ursach der gemein mochteu geben, etwas anzufallen,
das nit gut, so der arm man den kosten allein und sy, die des schirms notturfiig
weren, nichts wollen geben, u. pro:eslieren. so etwas unrats oder dem reich zu
Nachteil erfolgt, das es ir und nit eins rats schuld were«.
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— 22 -
ihnen zur Antwort : Die bisherigen Schritte hätte man in der
Erwartung ihrer, Unterstützung unternommen. Unter den jetzigen
veränderten Umständen aber würde man neue Entschlüsse
fassen müssen; jedenfalls würde der Rat nichts be-
will igen , das wider die Ehre, er würde denn ver-
gewaltigt, dass er nit anders thun möcht. Uebrigens
würde er nicht jeden, der in die Stadt flüchten wollte, in seine
EntSchliessungen einweihen. Wer Vertrauen habe, möge kom-
men, wer nicht, wegbleiben.
A|s der Dechant des Kapitels» darauf äussert: «Man will
euch aber helfen, die bei euch wohnen und zu euch kommen,
sollen das Ihre thun, » entgegnete Sturm : Das verstände sich
von selbst; daher zweifelte man auch nicht, dass das Kapitel,
das in der Stadt Häuser, Höfe und Güter hätte, sich an den
Unkosten, wie es zu thun schuldig wäre, beteiligen würde ;
man hätte aber das Gleiche auch vom Bischof erwartet. Auf
den Einwurf des Dechanten: Er und sein Bruder 2 wären das
ganze Kapitel ; wenn sie fortzögen, wäre solches nicht mehr
vorhanden, wird ihm erwidert, man vergässe wohl den Bruder-
hof, Kleinodien, Wein, Korn, Hopfen und andere Güter; auch
hätte der Bischof hier den Zollkeller und andere Aemter und
Gefalle, die des Schirms der Stadt nicht minder wie die Bürger
genössen und bedürften.
Auf die an die bischöflichen Räte gerichtete Aufforderung
Sturms, die Streitigkeiten um das Besitzrecht einer Anzahl in
der Stadt befindlicher geistlicher Niederlassungen in Güte bei-
zulegen, damit in diesen gefährlichen Zeiten der Unwille
und das Misstrauen, die zu allerhand Unrat Ursach geben
müssten, beseitigt würden, erklärten jene, in Abwesenheit ihres
Herrn nichts abschliessen zu können. 3
Unverrichteter Sache ging man auseinander.
Auch seitens des Oberlandvogtes des Elsasses, des Kur-
fürsten Friedrich II.* von der Pfalz, der durch den Landvogt
1 Johaun Christof, Graf und Herr zu Zimbern.
2 Gottfried Christof, Graf und Herr zu Zimbern, Cammerarius (Bezirks-
archiv G. 217; auch R. u. 21. März 23).
3 Im Memoriale steht: «Das man auch die spene, die man mit einander
het, gutlich understend zu verglichen, allen Unwillen ufzuheben.«
* Ueber ihn vgl. Katterfeld, Roger Aschara p, 220/222. — Die Landvogtei ,
d. h. die Schutzherrschaft über die zehn kaiserlichen Städte im Elsass, war
bei der Pfalz von 1423/! 558. Vgl. Hertzrg, Edelsasser Chronik VIII, 152.
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- 23 -
von Hagenau, Heinrich von Fleckenstein, über die stattgehabten
Unterhandlungen unterrichtet worden war, erhielt mnn wenig
tröstlichen Bescheid. Von Hülfe war überhaupt keine Rede.
Notwendig und ratsam, schrieb er u. a., wäre es freilich, falls
sich die Franzosen dieser Landsart näherten, der Kay. Mt. dies
zu berichten und sie zu ersuchen. Er wollte solches auch gern
thun, besorgte aber, dass wenn die Briefe den Verbündeten in
die Hand fielen, dieses ihm und anderen Genachbarten im Elsass
zur Beschwernis geraten könnte. Doch wollte er gern überlegen,
wie der Kay. Mt. solcher Bericht möchte sicher zugefertigt
werden. Auch in betreff der Botschaft an den französischen
König hatte er manche Bedenken.
Dieselbe schwächliche Politik beobachtete der damals freilich
srhon hochbetagte Fürst während der ganzen folgenden Zeit.i
So stand denn Strassburg Anfang April völlig isoliert da,
ohne sich gegenüber der drohenden Kriegsgefahr irgend welcher
Unterstützung seitens der Nachbarn vertrösten zu können.«
Gerade damals trafen zwei Schreiben vom Kaiser ein, in denen
er Meister und Hat für ihr c gehorsames und gutwilliges* Erbieten
dankt, dass. sie sich bei diesen sorglichen Zeiten «etwas tröst-
lich und statlich» erzeigt und sich bei ihm und dem heiligen
Heiche getreulich zu halten geneigt seien. Sie sollten ihre
Stadt gut verwahren, damit, falls jemand Unruhe im Lande
zu erwecken suchte, demselben bei ihnen kein «Raum, OefT-
nung, Hilf, Beförderung und Fürschub» gestattet werde. Er
hoffe noch immer durch gütliche Mittel zum Ziele zu kommen,
andernfalls wollte er alles daransetzen, um Friede, Ruhe und
Einigkeit im Reiche zu erhalten und sie und andere vor un-
rechtmässiger Gewalt zu schützen. Uebrigens sollten sie sich
mit den benachbarten Ständen in gute Korrespondenz und
1 Die köpf- und mutlose Haltung der Rheinischen Kurfürsten hat Druffel
(2, VI u. 3, 426] richtig gekennzeichnet.
2 Meister u. Rat der Stadt fassten die damalige trostlose Lage in einem
späteren Schreiben an den Kaiser vom 21 . Mai (vgl. oben p. 1 1 ) folgendermassen
zusammen: t\Vir hatten mit unsern genachbarten Stenden uf zweyen deshalben
gehaltenen tagen mit allem vleyss dahin gehandelt, damit sy inen selbs und
dem ganzen land zu gut, zu Verhütung besorgender langwieriger kriegsverü er-
bung uns ire hilfliche hand bieten uud mit uns vermöge irer kay. mt. begeren
pute correspondenz halten wolten. Wir hetten aber über allen fürgewenten
Ueyss aus etlichen von inen erzellen verhinderlichen Ursachen gar geringen
trost vermerken können, also das der ganze last uns und gem. Stadt fast allein
ufgetregen hette werden wollen. »
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— 24 —
Verständnis begeben, damit ein jeder wisse, wessen er sich im
Fall der Not beim andern zu getrosten hätte.*
Da man in Strassburg von anderer Seite keine Hülfe zu
erwarten hatte, ging man thatkräftig auf eigene Faust vor.
Nachdem Sturm am 4. April im Rate über die Verhand-
lungen berichtet hatte, wurde hier erkannt : Dieweil man sieht,
dass auf die bischöflichen kein Verlass, und von nöten sei,
sich sonst in die Sachen zu schicken , damit man sich
als ehrliche Leut halten könnt, sollen die Herren XIII
bedenken, was zu Befestigung und Versehung der Stadt zu
geschehen hätte, ob man zu weiteren Anwerbungen schritte,
Leute im Bistum mit Wartegeld bestellte, etliche Kriegsver-
sländige, sonderlich vom Adel, aufforderte, sich in die Stadt
zu begeben, ferner ob und wie man zum Könige von Frank-
reich schicken und dem Kaiser schreiben wollte ; endlich ob
und wie es vor Schöffen und Bürgerschaft gebracht würde.
Zu den beiden früher angenommenen Fähnlein war am
1. April noch ein drittes angeworben worden. Hauptmann über
das letztere war ein Strassburger Edelmann, Asmus Böcklin,
der nahe Beziehungen zum kaiserlichen Hofe hatte. 2 Von den
Fähnlein wurden zwei vorläufig auf das Land gelegt, das
dritte aber in der Stadt einquartiert, als Lärmplatz der « Bruch »
bestimmt. Kine Anzahl Dienstgesellen wurden mit Wartegeld
• Karl V. an Meister u. Rat. AA. 579 März 19 u. 24.
a Sein Bruder war kaiserlicher Hofmarschall, sein Schwager der bekannte
Kriegsoberst und Diplo nat Lazarus Schwendy. Letzterer schrieb ihm am
24. April (AA 583) : Er hätte gern vernommen , dass Asmus denen von
Strassburg mit einem Fähnlein diente. • Denn nachdem der Kay. Mt. und dem
ganzen reich sovil an erhaltung dieser stat gelegen ist, wird euer rum und ehr
um sovil grösser sein, dass ihr als der fürnemste befehlshaber euern getreuen
ileiss darzu erzeiget und hab auch deshalben nicht unterlassen, von euer person
der Kay. Mt. bericht zu thun u. grosse hoHuung zu machen, die dann daran
nicht zweifelt und sich versieht, ir werdet irer Mt. mit gleichen treuen wie euer
bruder, der herr marschalk zugethan sein ; das würde auch ir. Mt. um euch und
die euren mit allen gnaden erkennen. Und dieweil vil an dem gelegen sein will,
das man alhieam Kays, hof guten bericht habe, wie alle sachen
bei euch geschaffen, und ob auch vollkommen mittel und weg vorhanden
seyen. vermelte stat Strasburg zu erhalten oder was fflr mangel, gefarlichkeiten
und gebrechen furtielen, so bit ich euch, ir wollen mir zum oftmalen alle gelegen-
heit zuschreiben, so will ich euch gute Correspondenz halten und was ich euch
und der stat Strassburg zu rum und gutem befurdern kann, mit allem fleiss nichts
erwind anlassen. Und s dien nit zweifeln, das euch ehr und wolfart aus diesem
euer beleih, da ir in recht verrichtet, erfolgen werde. Mit meiner person bin
ich euch als mein lieber schwager und allem vermögen zu dienen ganz geneigt
und holF, wir wollen einmal selbs znsamenkomeu. •
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— 25 —
weiter bestellt, den Schultheissen auf dem Lande befohlen, für
Ausrüstung ihrer Unterthanen mit Harnisch und Gewehr Sorge
zu tragen. Die vermögenden Bürger sollten sich mit Mehl,
gesalzenem Fleisch, Anken (Butter) und Kase versehen. —
Ende März hatten sich die hessischen und sächsischen
Truppen mit denen des Markgrafen Albrecht bei Rotenburg
an der Tauber vereinigt. Von hier aus schlugen sie den Weg
nach Augsburg ein, das ihnen am 5. April die Thore öffnete.
Jetzt wendeten sie sich gegen Ulm, das jedoch ihre Aufforde-
rung zur Uebergabe zurückwies und tapferen Widerstand leistete.
Gleichzeitig hatte das im März an der Marne, zwischen
Chalons und Vitry, zusammengezogene französische Heer, unter
Führung des Konnetabel von Montmorency die Maas über-
schritten und Toul ohne Schwertstreich genommen. Am 10. April
erschienen die Franzosen vor Metz, das durch Treubruch über-
rumpelt wurde. Der König Heinrich II. selbst traf am 12. April
in Toul und am 44. in Nancy ein, wo er eine neue, ihm
durchaus ergebene Regentschaft einsetzte. » Am 18. hielt ei-
sernen Einzug in Metz. Noch am 1. April hatte Jakob Sturm
im Rate mitgeteilt : Es habe Dr. Hans von Metz * im Namen
seiner Stadt bei ihnen, den XIII, um Büchsenmeister, Schützen
und Kriegsvolk angesucht, was man ihm mit Anzeige, dass Strass-
bu rg selbst in Rüstung, abgeschlagen. Gestern habe er wieder
gebeten, dass, falls der König auf Metz ziehen würde,
Strassburg neben dem Pfalzgrafen Kurfürsten, dem Herzog
Wolfgang und Nassau, die er gleichergestalt ersucht, den König
für sie wollte bitten, «das er sie als eine alte Stadt
des Reiches nicht davon und wider ihre Ehre
dränge», — Proviant wollten sie ihm gern mitteilen —
und dass sie solches auch bei den genachbarten Ständen, die
er gleichfalls ansuchen wollte, beförderten ; das wollte sie, die
von Metz, im Gegenfalle auch thun.s
1 Piraodan, La reunion de Toul ä la France. Paris 1885. p. 14 f.
Ä Johann von Nidbruck, gewöhnlich Hans von Metz genannt, auch
Dr. Bruno, englischer Agent in deutschen Dingen und Sleidans Schwieger-
vater (Baumgarten, Sleidaus Briefwechsel p. 36). «Le 20 juin 1520 maitre
Jehan Bruno du Pont-de-Nied est retenu aux appoioternents de 50 livres par
an. En alleuiand il s'appelait Bruno de Nidbruck» (Abel, Rabelais p. 3~).
3 Die XIII hatten darauf entschieden : «Sofern Pfalz, herzog Wolfgang
und Nassau bittenwollen, inen wilfarn und jemand in meiner hn. namen mit-
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- 26 —
In Strassburg verfolgte man begreiflicherweise die Bewe-
gungen der Verbündeten mit der grössten Spannung. Am
Tl. April erfuhr man, dass Augsburg sich mit den Fürsten
vertragen hätte, und diese nunmehr gegen Ulm zögen ; gleich-
zeitig kam aus Zaber n die Nachricht, das von den Franzosen
angeworbene deutsche Kriegsvolk liege bei Toul, um daselbst
den Konnetabel zu erwarten. In einer Nachschrift heisst es,
der letztere sei dort am 5. angekommen, der König gedächte
am 14. in Nancy einzutreffen ; «es könne aber niemand ge-
wisslich vernemen, wo hinaus er mit seinem Volk den Anzug
ferner nehmen werde.»
In der That herrschte bis Mitte April in Strassburg noch
die grösste Ungewissheit über die Lage, namentlich ob ein An-
griff auf die Stadt zu befürchten sei oder nicht. In einer Auf-
zeichnung von -Jacob Sturm, freilich noch aus den letzten Tagen
des März, heisst es: «So ist auch, hoff ich , kein Belage-
rung zu besorgen, sondern acht ich, der König
wird fortziehen.»' Und Sleidan schrieb am 16. April:
«Was uns die Zukunft bringen wird, weiss Gott allein. Wir
sinil hier zwischen zwei Heeren. Von Schwaben her bedrohen
uns die Fürsten, von Westen der Franzose, der heute in Metz,
wie es heisst, seinen Einzug halten soll ; der Konnetabel ist
daselbst bereits am 10. eingerückt. Wohin das französische
Heer von dort aus seinen Weg nehmen wird, ob nach Speier
oder hierher, ist noch unbekannt. Wir selbst haben hier 2000
Mann Kriegsvolk angeworben. »2
Nur zu bald sollte sich die Situation klären. Am 18. April
ritt ein französischer Herold, Pietmont, in Strassburg ein, der
dem Ammeister ein «welsches» Schreiben des Konnetabels aus
Metz vom 12. des Monats folgenden Inhalts einhändigte : 3
Die guten Gründe, aus denen der König diesen Kriegszug
unternommen, seien ihnen jedenfalls bekannt. Derselbe hätte
ihn mit einem Teile seines Heeres nach Metz vorausgesandt,
bei dessen Einwohnern er die beste Aufnahme und Bereitwillig-
keit zur Unterstützung gefunden habe. Da sein Herr aber weiter
schicken, desglichen morgen auch helfen bei den nachbarn furdern. • Wie
widersinnig erscheint da die Angabe I.egrelle's a. a. O. 42, dass Strassburger
Abgesandte dem französischen Könige den Besitz von Metz zugesagt hätten !
' ' V. D. G. lad. III, nr. 13.
4 Baumgarten a. a. Ü. p. 242.
3 AA, 1854 ; abgedruckt bei Kentiinger, Documenta historiques 1 , 44.
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— 27 —
bis an den Rhein zu ziehen gedächte, so ersuchte er sie des-
halb, Mehl, Brot, Wein und Hafer gegen gebührende Bezahlung
ins französische Lager zu liefern. Ihren Entschluss, der hoffent-
lich dem freundschaftlichen Verhaltnisse entsprechen würde, in
dem sie bisher zu dem französischen Könige und seinen Vor-
fahren gestanden, sollten sie durch eine besondere Gesandlschaft
zu erkennen geben. Das gleiche Ersuchen hätte er auch an
Bischof und Kapitel gerichtet. 1
Der Rat entschied sich sofort dafür, an den König eine
Botschaft zu senden und bestimmte zu derselben aus seiner
Mitte Friedrich von Gottesheim und Peter Sturm, 2 denen er
den Dr. Heinrich Kopp zuordnete. Denselben wurde folgende
Instruktion erteilt : s
Mit Rücksicht auf das bisherige gute nachbarliche Verhält-
nis und die diesjährige Teurung wären König und Konnetabel
dringend zu ersuchen, der Stadt und dem Lande den Durchzug
zu ersparen ; sollte letzterer aber doch durch das Elsass gehen,
so wäre um grösste Schonung zu bitten. Da ferner infolge der
Teurung und fremder Aufkäufe es der Stadt an Frucht
mangele,* bäte der Rat, derselben den begehrten Proviant zu
erlassen. Man würde solchen ohne Zweifel im Lande bei dem
Bischof und anderen Herrschaften in ausreichender Menge
finden. Der Stadt Dörfer sollten ihrem Vermögen nach Zufuhr
liefern. Hieran würde sich der König hoffentlich genügen lassen
und den Rat und die ihm Zugehörigen derartig assekurieren,
«dass sie sich ungnädigen willens und thätlicher Handlung nicht
besorgen dürften.» Hätte doch Strassburg deshalb, dass es gegen
den König und seinen Vater sich alles nachbarlichen Willens
bis daher gehalten und erzeigt, gar viel Ungnade auf sich gc-
1 Gleiche Werbung war auch an Schlettstadt und an die vier rheinischen
Kurfürsten ergangen, «welchs Schreibens», wie der Pfalzgraf sich ausdrückt.
• wir uns nit wenig entsetzt. (Druffel 2. nr. 1333). Als ersteres bei Strassburg
anfragte, was zu thun sein mocht, antwortete ihm dasselbe, .dass in diesem nit
wohl zu raten, dieweil es ein Fall, darin man uns selbst nit wohl raten kann;
dieweil aber die Landvogtei dem Pfalzgrafen Churfürsten zugelhan, mochten
sie es an denselben gelangen lassen» (R. u. 21. April 18).
2 Nicht Jakob, wie die meisten Bearbeitungen fälschlich annehmen.
3 V. D. G. lad. 111, nr. 13.
4 In der That war auf dem Kreislage zu Molsheim, 29. Jan. 1552, eine
Fruchtordnung erlassen worden, in der weitere Aufkäufe untersagt wurden, «da
die frucht dadurch in hohen Aufschlag kommen, und noch höherer zum Schaden
der Unterthanen zu besorgen» (Str. St. AA 1982).
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- 28 —
laden und oft «grosslich» entgelten müssen, weshalb der Hat
auch verhofft, dass der König die Stadt desto eher gnädig ver-
schonen werde. Sollten die Franzosen aber auf dem Proviant
bestehen, so wäre in Erfahrung zu bringen, wohin und wie
weit derselbe zu führen. Wäre es lediglich zum Durchzuge, so
sollte man auf 1000 Viertel Mehl unterhandeln. Hafer hätte
man nicht im Vorrat, ebenso würden sie Wein eher auf dem
Lande als in der Stadt finden, da dieselbe keinen Weinkeller
hätte. Brot könnten jene auf den umliegenden Dörfern backen
lassen. Zur Aushülfe wollte man ihnen gern Bäcker heraus-
senden oder es ihnen in der Stadt selbst besorgen lassen.
Würde der Konnetabel mit den 4000 Viertel Mehl nicht zu-
frieden sein, so dürften sie noch weitere 500 Viertel Hafer oder
Mehl bewilligen. Sobald man sich aber geeinigt, sollten die
Gesandten von neuem darauf dringen, dass der König sie ver-
sicherte, ihnen weder etwas weiteres zumuten, noch « in un-
gutem» gegen sie vornehmen zu wollen. Ginge aber aus der
ihnen zu teil werdenden Antwort hervor, dass man sich des
Ueberzugs zu besorgen hätte, so sollten sie dies, «so Tag so
Nacht » eilends nach Hause melden, ebenso alles Berichtens-
werte, was sie auf dem Wege erführen, und am Botenlohne
nichts sparen.
Am 19. April wurde die Vertretung der Bürgerschaft, die
300 Schöffen, die bei allen wichtigen, das Wohl und Wehe
der Stadt betreffenden Angelegenheiten zu Hate gezogen werden
mussten, berufen, und ihnen ein Vergriff über die augenblick-
liche Lage vorgelesen. «Und haben dieselben,» so heisst
es in den Protokollen, «mit einhellig sagen, mein, b n .
Reten Gewalt geben und wollen Leib und Leben zu
ihnen setzen.»
In der Stadt herrschte die grösste Aufregung Noch immer
glaubte man, wie aus einem Briefe Sleidans vom 18. hervor-
geht, eine Vereinigung der deutschen Fürsten mit dem Könige
bei Strassburg befürchten zu müssen. 1 Und in einem anderen
Schreiben vom 21. heisst es: «Alles ist in grösster Sorge, was
die nächsten Tage bringen werden. Unsere Gesandten sind zum
1 « Metim urbem Gallus tenet, et per vicinum nobis agrum Her faciens volet
etiam hanc nostram urbem forta-sis videre multumque hoc ad suam gloriani
pei tiuere putabit, eousque Signa promovisse. Quod si alter exerciius occupata
Ulma caeterisque domitis ad nos etiara propius aceedet, vides in quanti* simus
angustiis. Beumgarten a. e. 0. p. 24l>.
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»
französischen Könige abgereist. Alsbald nach ihrer Rückkehr
wird sich entscheiden, ob wir den Krieg oder den Frieden
haben werden.» *
Am 20. April verliessen die drei Strassburger Gesandten
die Stadt und ritten über die Zaberner Steige .nach Finstingen,
an welchem Orte sie den König zu erwarten gedachten. Der
letzlere hatte indessen eine andere, südwestlichere Strasse einge-
schlagen. Nachdem er am 21. von Metz aufgebrochen war, am
22. bei Nomeny gelagert hatte, traf er am 25. in Luneville,
am 26. in Blamont ein. 2
Als die Strassburger Ratsherren, Sturm und Gottesheim,
diese Marschrichtung des Königs inne wurden, kehrten sie,
indem sie vollständig darauf verzichteten, den letzteren doch
noch aufzusuchen, Sonntags den 24. abends von Finstingen nach
Strassburg wieder zurück, nachdem sie vorher den Dr. Kopp zu
einem andern Agenten der Stadt, Dr. Ulrich Geiger, mit einer
auf letzteren ausgestellten Instruktion nach Widersdorf 3 abge-
fertigt. Von hier ritt Geiger Montags früh mit 2 Stadtboten
8 Meilen Wegs nach Luneville in der Hoffnung, den Kon no-
tabel daselbst anzutreffen und «das, so er von den Gesandten
in Befehl, zu handeln.» Was ihm da begegnen und was er sonst
des Ueberzugs halber erfahren würde, wollte er rlurch einen
seiner Begleiter dem Dr. Kopp mitteilen, der inzwischen nach
Saarburg zurückgeeilt war, oder aber über den Haselsprung*
direkt nach Strassburg gelangen lassen. *
Unwillkürlich drängt sich hier die Krage auf, welche
Umstände wohl die Strassburger Gesandten bestimmt haben
mögen, die Reise zum Konnetabel aufzugeben, da sie doch
ebenso gut wie Dr. Geiger den Weg nach Luneville hätten ein-
schlagen können. Schon damals erregte ihre plötzliche Rückkehr
bei den Nachbarn grosse Verwunderung. Schrieb doch am 2ü.
der Unterlandvogt von Hagenau im Auftrage des Pfalzgrafen
Friedrich : Lelzterem sei berichtet worden, dass obwohl sie vor
wenigen Tagen ihre Botschaft an den französischen König
geschickt, um «liesein die begehrte Proviantienmg, Pässe und
t Hedio an Erbius ; Bauin, Thesaurus epistol. Reform. Alsaticorum.
* Ueber den Marsch des Königs vgl. Habutin (Michaud ed Poujoulat
VII, 411 f.}.
3 In der Nühe von Dieuze.
Quelle der Hasel, die am Nollen entspringt.
5 Vgl. AA, 582. Kopp an die XIII. April 2ß.
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— 30 —
anderes zuzusagen, sie jetzt denselben eilends nachgesandt
hätten, statt solcher Bewilligung sich wieder zurückzubegeben,
da der Kaiser ihnen gnädigst entboten, sich bis zum neunten
Tage gegen die « fürstehende Gewalt » zu halten, da ihnen bis
<lahin von ihm Entsatz kommen würde, worauf sie sich dann
endlich der Gegenrüstung entschlossen haben sollten. Sie
möchten doch zurückschreiben, ob die Sache sich derartig
verhielte.
Obwohl wir die Strassburger Antwort nicht in den Akten
finden, können wir, glaube ich, trotzdem den wahren Sach-
verhalt feststellen.
Offenbar war der Pfalzgraf schlecht unterrichtet, vor allern
über den Inhalt der Instruktion. 1 Strassburg selbst war ferner
von vornherein zum Widerstande entschlossen, noch ehe ein
Gesandter des Kaisers mit Versprechungen eintraf, was übri-
gens erst Anfang Mai der Fall war. Endlich sind die beiden
Ratsherren nicht etwa zurückgerufen worden, sondern aus
eigener Initiative nach Strassburg heimgeritten. 2
Jedenfalls hatten sie während ihres Aufenthaltes zu Finstingen
die Ueberzeugung gewonnen, dass es auf mehr als Proviant-
Jieferung, dass es auf die Einnahme der Vaterstadt abgesehen
sei. Anstatt daher mit ihrer bisherigen Instruktion als bevoll-
mächtigte Ratsbotschaft Strassburgs den Konnetabel aufzusuchen,
hielten sie es für zweckentsprechender, erst weitere Verhaltungs-
massregeln beim Rate einzuholen und sandten an ihrer Stelle
bloss den Agenten Dr. Geiger ab, nicht sowohl um im Namen
der Stadl zu unterhandeln, als vielmehr über die wahren Ab-
sichten der Franzosen Kundschaft einzuziehen.» Und in der
That ist os den uns vorliegenden Aktenstücken zufolge völlig
ausgeschlossen, dass Dr. Geiger dem Kon notabel irgend welche
Anerbietungen gemacht hätte.*
Nach den Briefen, die Dr. Kopp am 26. April aus Saar-
1 Vgl. oben p. 2~.
2 Indem Briefe Kopps heisst es ausdrücklich : iAus welchen Ursachen
die Gesandten wieder nach Hause geritten seien, würden sie, die Herrn XIII,
von jenen selbst erfahren haben.»
3 Dr. Kopp schreibt nämlich am 26. April aus Saarburg: «Da der Rat
nun Bescheid wüsste, wessen man sich vom Könige zu versehen hatte, sei es
für ihn (seil. Kopp) überflüssig, Dr. Ulrichs Antwort ferner zu erwarten.»
4 Entschuldigten sich doch die Strassburger Gesandten später ausdrücklich
beim Konnetabel, warum man ihn nicht gleich auf sein erstes Schreiben hin
aufgesucht habe. Vgl. unten p. 42.
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- 31 -
bürg nach Strassburg sandte, musste man sicli liier in der
That auf das Aeusserste gefasst machen.
Er wäre, schrieb er 4 Uhr morgens, in der Nacht in
Saarburg angelangt. Hier hatte er des Bischofs von Metz Kanzler,
Dr. Gaillard, angetroffen, der auf Befehl seines Herrn eine
grosse Kommission ausgerichtet, ebenso Abgesandte von Hage-
nau und Weissenburg, die mit dem Konnetabel wegen Proviants
unterhandeln wollten. Allgemein hiesse es, dass dieser Zug,
a was Gott gnädiglich wende », gegen Strassburg gerichtet, und
hätte sich der Metzer Kanzler gegenüber dem Junker von
Lfitzelburg vernehmen lassen, es werde der König die Stadt
um den Durchzug nicht unversucht, auch an guten und bösen
Worten nicht fehlen lassen und zuletzt «die Gewalt mit Ernst
gebrauchen » ,. Ebenso sollte der Rheingraf geäussert haben :
« Sie brächten Geschütz mit sich, brächen die Mauern nicht
davon, so würden sie sich doch zum wenigsten biegen.» Er,
Kopp, hätte auch von etlichen vom Adel und dem Metzer
Kanzler verstanden, mit welcher Geschwindigkeit der Konne-
tabel in die Stadt Metz hineingekommen sei « wozu die Disconlia
der Obrigkeit und Burgerschaft gute Steuer gethan habe»J
Die Franzosen, die in Besatzung geblieben, « reden ihnen ganz
übel mit grosser Verachtung, dass sie eine solchegute
Stadt so leicht lieh aufgegeben». Wenn sie sich zur Wehr
gesetzt, hätte der König aus Mangel an Proviant nicht über acht
Tage vor derselben bleiben mögen. — Auch etliche französische
Hauptleute und Kommissarien hätten sich dahin geäussert, dass
der König Strassburg durch den Konnetabel bis Sonntag auffordern
lassen oder mit Gewalt einzunehmen versuchen werde. «In-
dessen wiewohl die Franzosen ihren gewissen victoriam pro-
mittieren und fürmalen, so vermerke ich daneben, dass, wenn
es zu keiner Verräterei oder Meuterei unter Bürgerschaft und
Knechten kommt, und in der Stadt Einigkeit, dazu Ordnung
und der Proviant erhalten bleibt, diese Belagerung nicht lange
währen soll, und des Königs Gelegenheit nicht sein würde,
sich in die harr davor zu soumen.»
Einer von des Schertlins Hauptleuten, von Schwalbach, 2
würde morgen nach Strassburg reiten ; doch hätte er nicht
1 Auch Thuanus X, 302 sagt : « Duae erant in civitate factiones, senatorum
et plebejorum.t
1 Derselbe war Schertlins Oberstlieutenant: vgl. Seb. Schertlin a. a. O.
p. 91.
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- 32
erfahren können, was solcher in der Stadt praktizieren wollte.
Derselbe hätte ebenfalls sich hören lassen : Der König werde
bis Samstag Oeflhung begehren, und da solche nicht zu erhal-
ten, dahin handeln, dass man etliche seines Kriegsvolks rotten-
weise hineinliesse, allerhand ihrer Gelegenheit nach zu kaufen .
durch solche Mittel würde er versuchen, was ihm von nöten,
auszurichten und «so alles fälet», mit seinem schweren Geschütze
Bresche schiessen. Ebenso hätte er von einem alten franzö-
sischen Kriegsmanne, der jetzt in des Metzer Bischofs Dienst,
vernommen, der König werde diese Stadt «durch allerlei
geschwinde Praktika, heimlichen Verstand, (vulgariter genannt
Verräterei) » oder mit Gewalt zu erobern versuchen ; verliesse
sich viel auf sein Geschütz und die Menge zum Sturme geübter
Knechte. « Es möchten Ew. Gnaden aut den Scnwalbach und
andere, was ihre Handlung, Kundschaft machen. Der Allmäch-
tige wolle dieselben samt gem. Stadt vor diesem beschwer-
lichen, un versehenlichen Ueberfall gnädiglich bewahren und
erlösen. Amen.»
Noch besorgniserregender lautete ein zweiter, an demselben
Tage nachmittags geschriebener Brief des Dr. Kopp.
«In dieser Stund ist ein Bürger aus Strassburg, Namens
Cäsar, der ein Franzose und von dem Könige Dienstgeld hat,
vor meiner Herberge abgestiegen und hat mich, obwohl ich es
nicht gern gesehen, erblickt und erkannt. Deshalb konnte ich
es nicht unterlassen, ihn anzusprechen. In seiner Begleitung
ist ein anderer Franzose, auch Bürger zu Strassburg, genannt
Pierre Margot, gewesen, der aus Metz gekommen, während
Cäsar aus dem Lager. Als ich letzterem angezeigt, welche be-
schwerlichen Reden ich wegen des Ueberzugs vernommen, hat
er mit vielen Worten und ganz unbescheiden widersprochen :
Wer solches vorgäbe, sei ein Lügner; der König selbst hätte
ihm gesagt, er begehrte nichts Thätliches gegen die Stadt vor-
zunehmen ; er wollte lediglich während seines Aufenthalts zu
Zabern genügenden Proviant für Geld haben, und dass seine
Leute ein- und ausgehen und, was ihnen von nöten, kaufen
dürften. Solches hätte er, Cäsar, laut seiner Kredenz mit Ew.
Gnaden mündlich zu verhandeln. « Und befand ich also aus
seiner Anzeige eben die königlichen Praktika, wovon mir der
Junker von Lützel bürg und Metzer Kanzler gesagt, und ist
zu besorgen, dieser Cäsar und andere mehr in der Stadt sind
dem Könige zum Vorteil bestellt. Gott behüte E. Gn. und gem.
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— 33 —
Stadt vor Verräterei ! Ew. Gn. sind ohne meinen Rat verständig
und weise genug, aber dieweil mich so viel hin und wieder
anlangt, und dem Könige kein Glauben zuzustellen,
er gebe so gute Worte als er immer mag, so nah
ich Ew. Gnaden in Eil aus schuldiger Pflicht verwarnen wollen,
sich vor Cäsar, diesem Bürger und Franzosen und anderen
mehr in der Stadt, sie seien Deutsche oder Welsche, wohl
vorruschen, damit keine Verräterei ins Werk gesetzt werde.»
Endlich heisst es in einem beigelegten Zettel : «Gn. Herren !
Post datum habe ich soviel vermerkt, dass der genannte Cäsar
und seine Gesellen mir ganz verdächtig und zum wenigsten
Kundschafter, wo nicht ärger sind. Der Allmächtige bewahre
unsere Stadt vor Verräterei! Es lässt sich ansehen, der König
werde nichts unterlassen und Welsche und Deutsche dazu
gebrauchen, also dass man wider heimliche Praktika in der
Stadt nicht weniger dann gegen die äusserliche Gewalt müsse
gefasst sein. Mir kommt eine Warnung über die andere, man
solle des Franzosen guten W T orten keinen Glauben zustellen,
sei eitel Betrug ; er hat denen von Metz, wie mir der Kanzler
berichtet, so wohlgestellte Briefe Neutralitatis gegeben und
andere Zusage gethan, dass sie nicht besser versichert werden
mögen. Was aber gefolgt, liegt offen am Tage; haben doch
jene alle Schlüssel über ihre Barschaften, Munition und anderes
geben müssen.»
Die Stadt selbst war inzwischen in vollen Verteidigungs-
zustand versetzt worden.
Die beiden Fähnlein, die bisher ausserhalb untergebracht
gewesen waren , wurden hereingelegt, i Den ausgemusterten
Bürgern wurden Haupt- und andere Befehlsleute zugeordnet,
und ihnen vier Plätze angewiesen, ebenso den inzwischen mit
Waffen versehenen Handwerksgesellen. Aber alles dieses erach-
tete man noch nicht für ausreichend.
Auf die Anfrage im Rate, ob nicht weitere Knechte anzu-
werben seien, « falls sich der Franzose dei Stadt annehmen
sollte,» trat man mit dem Domkapitel in Unterhandlung. Als
dasselbe wohl Kriegsvolk aufbringen wollte, gleichzeitig aber
die Befürchtung aussprach, das Bistum möchte deshalb ver-
brannt werden, wurde ihm zur Antwort : Mit der Stadt wäre
1 Ihr Lärmplatz war, «wo die armen Leute nach Kronenburg gefuhrt
werden » .
3
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— 34 -
auch jenes verloren und würde vom Könige zum höchsten
beschwert werden, wie auch Metz ein strenges Jurament habe
thun müssen. Daraufhin erklärte das Kapitel sich bereit,
2000 Mann zu stellen, falls solche in des Rates Namen herge-
führt würden, überhaupt all sein Vermögen zu demselben zu
setzen und zu thun, «was dieser wollte, und sie sollten.»
Aus diesen und anderwärts angeworbenen Mannschaften
wurden drei neue Fähnlein zusammengestellt, resp. die anderen
drei verstärkt, so dass die sechs soviel Knechte zählten, als
sonst in zwölfen zu sein pflegten, darunter eine grosse Anzahl
von Schützen und Doppel Söldnern. * Daneben unterhielt man,
wie gesagt, ein starkes Fähnlein Handwerksgesellen und etliche
Hundert Unterthanen auf dem Lande mit wöchentlich einem
Gulden Wartegeld.» Die Gesamtstärke des Kriegsvolkes wird
von Sleidan jedenfalls nicht zu hoch auf 5000 Mann angegeben.
Der Oberbefehl über diese stattliche Macht, welche, da noch
die gesamte waffenfähige Bürgerschaft zur Verteidigung mit
herangezogen werden konnte, für die damaligen Verhältnisse
stark genug war, einer Belagerung standzuhalten,* wurde
einem wackeren, erfahrenen Kriegsobersten, Klaus von Hatt-
stadt,* übertragen, der vom Rate eiligst berufen, «Tag und
1 Jedes der Fähnlein hatte etwa 600 Mann (K. u. 21. Mai 28) ; nach
Herzogs, a. O. 2, 175 sogar 700.
2 Von den letzteren wurden die am weitesten wohnenden in der Stadt
behalten, die anderen, die man in einem Tage hereinbringen konnte, beurlaubt.
3 Die französische Besatzung Strassburgs betrug 1870 beim Ausbruche
des Krieges 7000 Köpfe und stieg in der zweiten Hälfte des August auf etwa
23,000 Mann «eine zur Verteidigung des Platzes vollständig ausreichende
Streiterzahl i (Der deutsch-franz. Krieg red. vom Generalstabe II, 1332).
4 Dieser tapfere Kriegsmann war der letzte jenes mächtigen oberelsässi-
schen Freiherrngescblechtes. dessen Burg einst auf der Höhe der Vogeseu
zwischen Sulzbach im Münsterthale und Herlisheim emporragte. 1536 stand er
als Hauptmann unter Wilhelm von Fürstenberg in französischen, 1539 in säch-
sischen Diensten (Polit. Korrespondenz d. Stadt Strassburg II, 338 u. 655).
Ueber das Strassburger Kriegsvolk war er Oberst Ende April und im Mai.
Letztere Angabe bei Lorenz u. Scherer, Geschichte des Elsasses p. 243,
seinerzeit von mir bestritten (Deutsche Litteraturzeitung 1885 nr. 50), hat sich
mir nachträglich nun doch als richtig herausgestellt. — Anfang Juni erhält er
vom Kaiser den Auftrag, ihm die entlassenen Kriegsknechte zuzuführen und
machte in seinem Heere die Belagerung von Metz mit. Mai 1553 schreibt König
Ferdinand : «Aines geschickten kriegserfahrenen hauptraanns halben ist Claus
von Hattstadt darzue wol zu uemen. (Innsbr. Arch. V. d. Kön. M. X, 535 .
• Kaiserlicher Landsknechtoberst 1557 bei St-Quentin, 1568 Bürger zu Basel,
starb er daselbst 1585. Er hatte mit einer Magd drei Söhue und drei Töchter,
die König Ferdinand 1. 1561 legitimierte« (Kindler v. Knobloch, Der alte Adel
i. Ober-Elsass p. 35).
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— 35 —
Nacht im Sattel,» am 25. in der Stadt eintraf und sofort seine
Thätigkeit antrat. Neben der Anwerbung von Truppen sorgte
man durch allerhand Massregeln für Sicherung und Verstärkung
der Befestigungen der Stadt. Die Schanzkörbe wurden aufge-
stellt und gefüllt, in der Nacht die « Grendel » 1 auf den Strassen
und die Gatter an den Brücken geschlossen. Jeder Bürger hatte
vor seiner Hausthür mit Wasser gefüllte Gefasse aufzustellen.
Am 19. April wurde den XIII Gewalt gegeben, abzuhauen
und hin wegzuschaffen, was der Verteidigung irgendwie hinder-
lich. Demgemäss wurden vor dem Weissturmthore in den
Gärten verschiedener Bürger, nicht ohne Beschwerde derselben,
die Bäume niedergelegt, «damit sich kein Volk darin halten
möge», und das Holz herein geführt. 2 Am gefährdetsten aber
erschien der auf beiden Seiten des Judenthors gegenüber den
Schiltigheimer Höhen gelegene Teil der Stadt. Auf den Vortrag
einer durch etliche Hauptleute und Büchsenmeister verstärkten
Dreizehnerkommission, in welcher Jacob Sturm den Vorsitz
führte, wurde vom Rate zunächst angeordnet, dass auf dem
vor der bezeichneten Strecke gelegenen Schiessrain und Wa-
seneck neben dem Abholzen der Bäume alle Ziegelöfen und
Gebäulichkeiten, » darunter die Schiesshäuser der Büchsen-
und Armbrustschützen,* dem Boden gleich gemacht würden.
Unmittelbar darauf schritt man zur Anlage einer neuen Befes-
tigung. Es wurde ein Graben ausgehoben, der von St-Clara-
Wörth bis an das Rauscherthörlein am Dreizehnergraben reichte. 5
1 Jedenfalls Vorrichtungen zum Absperren gewisser Strassen.
2 Aehnliches that man vor den anderen Thoren; so wurden alle «Begräb-
nisse» und das Herrenbrünn lein vor dem Spitalthore abgebrochen (Schadaus).
3 Ueber das Einzelne vgl. Silbermann, Lokalgeschichte d. Stadt Strassburg
p. 1 00, der seinerseits wieder Büheler und Specklin benutzt hat.
4 Die letzteren erhielten 1558 ein neues Gebäude (Büheler, Bulletin de la
soc. pour la conserv. des mon. hist. II, 13, 104). Es steht noch heutzutage auf
dem früheren Klotz'schen Zimmerhofe neben der Judenbrücke.
3 Silbermann p. 100. Ueber die Art der Ausführung der Arbeit ent-
halten die Chroniken recht anschauliche Schilderungen . Die Bürgerschaft
musste frohnen, und zwar jede Zunft an dem ihr angewiesenen Platze. Die
Zünfte schlugen draussen ihre Zelte auf, unter denen sie im Schatten assen und
tranken «da es ein warme zeit war, denn das werk währte den ganzen Sommer. »
Etliche Zünfte verdingten ihren Pla:z auch armen Leuten, «Weib und Mann,
werkt alles daran, und welcher arme Mensch werken wollte, dem gab man von
10 Schaltbehren mit Grund zu führen 1 also gieng es dapfer von statt».
Auch die Landsknechte frohnteu mit, zogen mit Spiel und Gewehr dahin, jeden
Morgen ein Fähnlein, nachmittags durch ein anderes ersetzt. Vgl. Büheler a.
a. O. p. 97; auch R. u. 21. Mai 14.
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— W —
Es ist dies der noch 1870 bestehende breite Graben vor der
Hauptenceinte von der St-Clara- Bastion (XV) bis Bastion XIII,
(d. h. von der heutigen Pionier- bis zur Finkmattkaserne). In
der Mitte wurde eine Wehre gebaut (später Bastion XIV). Ver-
mittelst der ausgehobenen Erde errichtete man hinter dem
Graben einen Wall und versah denselben mit einer Futter-
mauer.i Da es an Bausteinen fehlte, wurde zu diesem Zwecke,
wie die Chroniken melden, eine Anzahl baufälliger, meist
kirchlicher Gebäude abgebrochen, auch unleserlich gewordene
Grabsteine mit hineingemauert. 2 Das ganze Werk, als dessen
Lohnherr B. Cogmann genannt wird, unter dem als Werk-
meister Hans Frauweier stand, wurde erst im Jahre 1556
fertig. 3
Mit grosser Geschäftigkeit suchte man sich den nötigen
Mundvorrat zu sichern, zumal da das Landvolk in hellen
Scharen in die Stadt flüchtete, «das ein karch oder wagen
dem andern auf den Strassen nit entweichen kund.» * Weder
Fleisch noch Getreide Hess man aus der Stadt hinausgehen.
Um Preissteigerung zu verhüten, durfte niemand mehr als 10
Viertel Frucht ankaufen. Von den Nachbarn, namentlich aus
Ottenburg und Gengenbach wurde Mehl in grossen Quantitäten
herangeführt. 5 Die Melzger hatten ihr Schlachtvieh hereinzu-
1 Vgl. u. a. Kraus, Kunst u. Altertum I, 326, der von der Wehre
(Bastion XI Vj sagt : «Es ist das erste Beispiel einer Bastion im eigentlichen
Sinne in Strassburg. Es steht der Hauptsache nach noch heute (seil. 1876) in
seiner ursprünglichen Gestalt , » und von dem Walle : • Derselbe war vorn mit
einer Mauer versehen als anliegendem Revetement und Barbakane. •
2 Ueber das einzelne vgl. Silbermann p. 101.
3 Vgl. Specklin, Büheler, Schadäus. — Das durch den Wall führende
Judenthor erhielt die Inschrift: • Heinrico Galliarum rege militem in Ca-
rolum V. imp. augustum per hanc Germaniae partem ducente 8. p. q. Argen-
tinensis portain hanc aggere et fossa muniri fecit. anno Domini MDLII. Mense
Majo. • Zu beiden Seiten des Thores befanden sich die Worte : « Präsidio
civibus . . . Terrori bostibus (Silbermann p. 101). Am 21. April 52 schreibt
Hedio ganz ähnlich : • Die Stadt nimmt Kriegsvolk an • civibus tutandis, bosti-
bus arcendis» . — Laguille, Histoire de province d'Alsace II, 4, 34/37 sagt
darüber : «Iis ont meme voulu que cette porte füt un raonutnent de leur fidelitä
et de leur zele pour l'empereur. • Seine Behauptung: «Ce nouvel 6'Üfice servit
de pretexte aux Magistrats pour ruiner plusieurs chapelles et plusieurs Monas-
teres • erscheint mir ungerechtfertigt.
4 Schadäus — Die Hineingeflohenen mussten schwören : • Der Stadt
Strassburg trew und hold zu sein, schaden wahren, nutz furdern, geboten und
verboten gehorsam sein, trewlich helfen retten und das best zuthun, wo ein
jeder hin beschieden werd» (V. D. G. lad. 111, nr. 13).
b Offenburg an Strassburg. April 26 u. 30. AA 585.
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— 37 —
treiben, an die umliegenden Dörfer Hess man die gleiche Auf-
forderung ergehen, der Feind würde es ihnen sonst ohne jedes
tntgelt nehmen. Wasser-, Hand- und Rossmühlen wurden Tag
und Nacht, in Stadt und Land in Bewegung gesetzt. Sobald
Mehl von draussen hereinkam, wurde Frucht zum Mahlen
hinausgesendet. In allen Backöfen wurde Brot in Vorrat ge-
backen. 1
Auch gegen die «geschwinden Praktiken», vor denen
Kopp gewarnt hatte, war man, durch die Metzer Vorgänge
gewitzigt, auf der Hut. Ganz besondere Sorgfalt widmete man
der Verwahrung der Thore. Jedes derselben wurde von einer
Rotte Landsknechte bewacht, deren Hauptmann aus den Zünften
genommen wurde. Die Schlüssel wurden einzelnen Ratsherren
anvertraut, welche morgens und abends beim Oeffnen und
Schliessen durch die Thorhüter zugegen sein mussten.
In der That fehlte es nicht an Verdächtigungen aller Art.
Einmal werden etliche Welsche, die Speck aufgekauft und ins
französische Lager geführt haben sollten, gefänglich eingezogen,
an demselben Tage drei Leute, die durch Hin- und Herreiten
sich verdächtig gemacht hatten. Da hatte eine Frau von ihrem
Manne, der beim französischen Kriegsvolke stand, ein Schreiben
über das andere erhalten. Als daher einige Weiber, deren Männer
im französischen Lager, äussern, sie wollten mit Zurücklassung
ihrer Kinder hinaus, wird ihnen von Rats wegen bedeutet,
wenn sie sich hinwegthäten, würde man die letzteren ohne
alle Barmherzigkeit aus der Stadt weisen. Die Wirte mussten
alle bei ihnen eintreffenden Fremden beim Ammeister anmel-
den. Den Mitgliedern der aus «Welschen» bestehenden refor-
mierten Gemeinde 5 wurde durch ihre Predigerund Kirchspiel-
pfleger angekündigt, dass, wer das Bürgerrecht nicht besässe,
die Stadt zu verlassen habe, die übrigen aber sich hüten sollten,
nach dem Lager hin zu korrespondieren oder gar eine Meuterei
anzurichten. Gleiches wurde auch einigen welschen Pfaffen
auf dem Stifte, die weder Bürger noch Zunftgenossen, vorge-
halten.
1 Als später am 28. Mai die Beckenknechte bitten, ihnen nach altem
Brauche zu vergönnen, den Montag zu halten und mit Pfeifen, Trommeln und
dem • Fetzen • (Fahne) ihren Umzug zu halten, wird es ihnen gestattet, dieweil
sie ihren Fleiss im Backen angewendet ; doch dass sie bescheiden seien und
f Order mit dem Backen desto fleissiger.
i Ueber dieselbe vgl. Crichson, L'Eglise fran^aise de Strasbourg au
seizieme siecle. 1886
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— 38 -
Am 24. April wurden die Zünfte selbst versammelt, und
ihnen folgender Vergriff vorgetragen, in welchejn der Rat seinen
festen Entschluss aussprach, jeden Angriff auf der Stadt Selb-
ständigkeit mannhaft zurückzuweisen :
Obwohl man niemand Ursache gegeben, etwas Thätliches
gegen die Stadt vorzunehmen, so könnte man doch nicht wissen,
was bei diesen gefahrlichen Zeiten gesucht werden möchte.
«Dieweil nun Strassburg also herkommen, und unsere Eltern
und Vorfahren es bis auf uns so ehrlich hergebracht, dass mit
beständiger Wahrheit ihnen kein Unehr oder billicher Verweis
zugelegt werden mag», so hätte der Rat gemeinsam mit Schöffen
und Amman sich entschlossen, den ehrlichen von den Vor-
fahren (unterlassenen Namen und Ruhm, auch der Stadt Frei-
heit und Herkommen, soviel in ihrem Vermögen stände, zu
erhalten, und ob ihnen jemand etwas zumuten würde, das
gegen ehrlich Herkommen, der Stadt Freiheit oder gegen
Pflicht, Ehre und Eid wäre, und sie «über ihre pilliche und
notwendige entschuldigung und abschlegige antwort mit gewalt
und der that tringen wollte», — zu Abtreibung desselben und
von Gott erlaubter Gegenwehr ihr Vermögen darzustrecken, in
festem Vertrauen, der Allmächtige werde sie in ihrem so ehr-
baren und löblichen Vorhaben mit seiner Gnade und Hülfe
nicht verlassen. Der Rat sei der Zuversicht, dass auch sie, die
Zünfte, bereit wären, die von den Vorfahren überlieferte Ehre
und Freiheit sich, ihren Weibern, Kindern und Nachkommen
zu erhalten. Deshalb sollte sich niemand «durch einiche Bere-
dung, Fürgebung oder in anderen Weg, es geschehe gleich in
was Schein es wolle, anders bereden, verwenen noch von Rat
und Schöffen abwenden lassen» sondern in solchem Notfalle
mit Leib und Gut treu zu Rat und Stadt stehen. Um aber,
«verrer unrat möglichst zuvorzukommen», sollten sie jeden,
der dem zuwider handeln würde, sowie auch alle Flüchtigen,
die bei ihnen eine Unterkunft gefunden, zur Anzeige bringen
und die Einquartierung der Kriegsknechte mit Geduld ertragen.
Noch einmal bot man alles auf, um sich auch von aussen
her Hülfe zu sichern. Von neuem wendete man sich an die
befreundeten eidgenössischen Städte, damit sie, ebenso wie sie
vorher den Zug Schertlins von der Stadt abgelenkt hatten, jetzt
den König bestimmten, dieselbe zu verschonen und sich am
1 V. D. G. lad. 111, nr. 13.
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- 39 -
Durchzuge durch das Land genügen zu lassen. Während aber
Bern jedes selbständige Vorgehen von der Hand wies, sendete
Basel, nachdem es anfangs geschwankt, ob es Strassburgs
Verlangen nachkommen sollte, weil es selbst zu « klein fügig»
sei, doch schliesslich, da auch die österreichische Landvogtei
und die übrigen oberelsässischen Stände dasselbe Ansuchen
stellten, am 28. April seine Ratsbotschaft an den französischen
König ab, die denselben in Zabern erreichte. 1
Der Churfürst Pfalzgraf antwortete den Strassburgem auf
ihre Mitteilung, — dass ihnen mehr als gewiss Bericht gewor-
den, dass der König von Frankreich "Willens sei, sich der
Stadt mit Gewalt anzunehmen, — in derselben schwächlichen
Weise, die sein ganzes Verhalten kennzeichnet : dass ihm ihre
bedrängte Lage leid thäte, er auch gern durch gütliche Hand-
lung Abhülfe schaffen wolle, dass solches aber nicht allein
durch ihn, sondern viel besser durch sämtliche rheinische
Kurfürsten geschehen müsste. Da letztere nun nebst anderen
Fürsten am 4. Mai zu Worms zu einer Beratschlagung zusam-
menkommen würden, wie die Kriegsempörung abzuwenden, und
sie und ihre Unterthanen vor Schaden zu behüten wären, sollte
Strassburg ebenfalls dahin seine Ratsbotschaft senden.*
Von dem Kaiser, der sich damals ohne Truppen und Geld
in höchst hilfloser Lage zu Innsbruck befand, 3 hatte man seit
mehreren Wochen nichts mehr gehört. 4 Erst in den ersten
Tagen des Mai erhielten Meister und Rat zwei Schreiben von
ihm. » In diesen äusserle er sein Bedauern, dass ihre Unter-
handlungen mit der elsässischen Ritterschaft, dass diese die
Verteidigung der Stadt mit übernähme, sich zerschlagen hätten.
«Dieweil nun nicht allein euch selbst, sondern auch uns und
dem Reiche zum höchsten daran gelegen ist, dass die Stadt
Strassburg als ein «<Ortfleck» (Grenzplatz) des letzteren aufs statt-
lichste verwahrt und vor fremder Gewalt und Ueberfall errettet
werde, » so begehre er, dass sie solche Verhandlungen zu wirk-
1 AA 589. April 28.
4 AA 584. April 28 u. 30. Von Strassburg aus ging nach Worms
Dr. Bernhard Botzheim.
3 Vgl. darüber Schönherr a. a. O. p. 258 f.
4 Baumgarten a. a. O. p. 249. Sleidan an W. Cecil, 18. April: «Quid
Caesar agat aut ubi sit, nescimus« ; ebenso Hedio an Erbius am 21. April : De
Caesarea majestate nihil scribere possum.»
r > AA 579. Innspruck April 22 u. 25.
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licher, fürderlicher Vergleichung brächten. Dasselbe Ansuchen
habe er auch an die Ritterschaft gerichtet. 1 Zugleich sprach
seine feste Zuversicht aus, dass sie ihrem «mehrfachen Schrei-
ben und löblichem Erbieten nach» in gegenwärtiger Empö-
rung gehorsam sich erzeigen würden, ohne ihnen freilich ausser
der Zusage, sie als treues Glied des Reiches jederzeit in
Schutz und Schirm halten zu wollen, irgend welche bestimmte
Hülfe in Aussicht zu stellen.
Dagegen hatte man mit der Regierung zu Ensisheim die
ganze Zeit, über in reger Korrespondenz gestanden. 2 Auf die
Nachricht, dass Heinrich II. auf Zabern zöge, hatten Land-
vogt und Regenten dem Kaiser und dem Könige sofort mitgeteilt,
dass sie grosse Fürsorge trügen, dass jener Strassburg verge-
waltigen möchte, und beide Majestäten dringend gebeten, vor
allem letztere Stadt, da an ihr am meisten gelegen wäre, zu
bedenken. Dieselbe sollte zwar mit Fussvolk und sonst zur Not
dürft gefasst sein, an Reisigen aber Mangel haben. 3 Ehe noch
Antwort von Innsbruck eintreffen konnte, sicherten sie Stras-
burg bei seinem ehrlichen Vornehmen Hilfe und Rat, soviel in
ihren Kräften, zu und forderten auch den Landvogt in der
Ortenau, Andre von Konritz, auf, alles Kriegsvolk, was er
irgendwie entbehren könnte, in die Stadt zu schicken.
Letzterer richtete darauf am 26. April an Meister und Rat
folgende treuherzige Worte : «Auch unaufgefordert hätte er sich
verpflichtet gehalten, ihnen zu Hilfe zu kommen, «die weil an
der stal Strasburg als aine stehline Vormauer ni t
allein dem ganzen Rheinstrom, sondern auch
deutscher Nation hoch und vil gelegen: das pillich
menniglich, damit die stat erhalten, das best thun
soll.» Leider sei er aber, da die Kriegsfürsten allen Nach-
richten zufolge die ihm unterstellten Lande bedrohten, augen-
blicklich ausser stände, ihnen seine Unterstützung zu teil werden
zu lassen. «Got weiss es, dass ich solches wider allen meinen
1 AA 579. April 22. Karl V. an Ritterschaft und Adel im Edsass.
2 oben p. 18 u. 14.
3 Vgl. Schreiben derselben vom 9. Mai. AA 5*9. — Auf den Bericht
von Ensisheim hin hatte die Innsbrucker Regierung dem Bischof von Arras
vorgestellt, dass sie vermuteten, wenn der Franzose Strassburg mit Gewalt oder
auf andere Weise zu seinen Haiden bringen sollte, er letzteres, das ohnedies
• von Natur und Gebewen» stark und fest sei, erst recht befestige, so dass es
alsdann nicht wohl möglich, dasselbe in kurzer Zeit und ohne grosse Kosten
und Blutvergießen wiederzuerobern (Innsbr. Archiv an die k. raaj. XI, fol 10").
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Willen und ganz ungern thue ; denn euch und gemeiner Stadt
zu dienen, bin ich von Herzen begierig. Der Allmächtige verleihe
euch zu eurem männlichen und redlichen Vornehmen seine gött-
liche Gnade und Kraft; es wird euch und euern Nach-
kommen in viel Wege ehrlich, rühmlich und nütz-
lich sein, und sobald dieser Sturmwind bei mir nachlässt,
sollt ihr an mir einen getreuen, guten Nachbarn im Werk
befinden. » i
Am 27. April, an demselben Tage, an welchem der Rat
die bedrohlichen Nachrichten von Dr. Kopp erhalten hatte,
wurden ihm zwei Schreiben aus dem französischen Lager über-
mittelt, das eine vom Könige selbst, das andere vom Konnetabel
ausgehend.* Darin sprachen dieselben für die dem früheren
Herolde gegenüber gezeigte Bereitwilligkeit, das französische
Heer mit Proviant zu unterstützen » (sie !), ihren Dank und
gleichzeitig die Bitte aus, dem Ueberbringer mitzuteilen, was
man in dieser Beziehung thun wollte.
Man entliess den französischen Herold, Pellissier, mit dem
Bescheide : man wolle dem Könige mit eigener Botschaft antworten.
An demselben Tage werden die Stadtthore geschlossen, und
die Knechte erhalten Kraut und Lot (Pulver und Blei).
Zu Gesandten wird neben Peter Sturm und Gottesheini
der Licentiat Sleidan bestimmt. Dieselben sollten den Rat aus-
drücklich dagegen verwahren, dass er sich dem ersten Herolde
gegenüber zu irgend etwas anderem verpflichtet hätte, als über-
haupt eine Botschaft zu schicken. Im übrigen hatten sie im
wesentlichen die alte Instruktion : sie sollten den König bitten,
die Stadt möglichst mit jeder Proviant lieferung zu verschonen,
falls er aber darauf bestände, 1000 Viertel Korn und 50 Fuder
Wein anbieten.*
» AA 585. April 26.
2 Vgl. Anhang Nr. 1 und II. Beide sind vom 25. April, das des Königs
aus dem Lager von Haraucourt, dasjenige des wohl bei der Avautgarde befind-
lichen Konnetabel aus dem etwas weiter östlich gelegenen Crevy, heute Crevic.
(Beide Ortschaften liegen zwischen St-Nicolas und Lunäville.) — Nach
Rabutin traf das französische Heer in letzterer Stadt noch am 25. ein : vgl.
oben p. 29.
3 Dass diese Behauptung eine falsche, ergiebt sich aus der weiteren Dar-
stellung.
4 Ueber das Folgende sind wir eingehend unterrichtet durch R. u. 21.
April 30 und Mai 2, sowie den Schöllenvergritr von demselben Tage
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— 42 -
Seinem Vortrabe, der am 27. in Saarburg eingetroffen war,
folgte Heinrich II. am 28. dahin nach. 1 Sein Heer breitete sich
in der Nähe der Stadt längs einer Anhöhe aus ; im Rucken
hatte man Wald, vor sich Wiesen, durch die sich die Saar
schlängelte. Der Konnetabel lag mit der Avantgarde auf Kanonen-
schussweite davor, in dem grössten Gehöfte eines Dörfchens,
der König selbst eine halbe Stunde dahinter in einem auf einem
Hügel gelegenen Schlosse.«
Auf dem Wege nach Saarburg hatten sich die Strassburger
Gesandten an den Konnetabel um schriftliches Geleit gewendet,
worauf er ihnen antwortete : Sie brauchten solches nicht, hätten
wegen der Freundschaft, die die Stadt mit dem Könige bisher
gehabt, nichts zu besorgen. Er hoffe, sie würden sich in
das Bündnis begeben. Aus Italien sei Nachricht gekommen,
dass der Papst sich mit dem Könige vertragen, und das Konzil
aufgehoben sei.
Samstag den 30. gegen Abend trafen die Strassburger im
französischen Hauptquartiere ein und wurden vom deutschen
Landsknechtoberst Reckenrod in des Königs Losament geführt,
«in welchem dieser samt dem Konnetabel, ein Sekretarius und
noch drei gewesen.» 3 Sleidan erklärte, man wäre bereits auf
dem Wege zu seiner Majestät gewesen, aber weil man geglaubt,
sie hätte einen anderen eingeschlagen, wieder umgekehrt. Da
viele Jahre hindurch Misswachs und Teuerung geherrscht, könnte
man nichts aus der Stadt entbehren, hoffte aber, der König
würde auf dem Lande Proviant genug vorfinden. Im übrigen
gedächte man, wie bisher gute Freundschaft zu halten.
Hierauf antwortete der Konnetabel : Der König sei auf
Bitten etlicher Fürsten, dem deutschen Lande zu gutem, im
Felde erschienen ; er versähe sich daher, sie hätten einen an-
deren Auftrag, den sie in Kürze anzeigen möchten. Als sie
hierauf die 1000 Viertel Frucht und 50 Fuder Wein anboten,
rief jener aus : Das wäre ein Spott ; das dürfe er gar nicht
vor den König bringen. Wenn sie keine weiteren Anerbie-
(V. D. G. lad. 111, Dr. 2), während Sleidan 24, 357 über diese erste Gesandt-
schaft nur wenige Worte enthält.
l Am 2*7. hatte er in den Ortschaften Ibigny und Sl-Georg unweit von
Rixingen gelagert.
* Vgl. Rabutin a. a. O. p. 413.
3 Der König kann übrigens, wie aus dem Folgenden hervorgeht, nicht bei
der Verhandlung zugegen gewesen sein.
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— 43 —
tungen machen könnten, würde sein Herr feindliche Gesinnungen
bei ihnen voraussetzen müssen und vielleicht Veranlassung
nehmen, sich anders gegen die Stadt zu erzeigen und zusehen,
wie er Proviant und sonstiges bekommen möchte. Er entliess die
Gesandten mit dem Bescheide, nach Strassburg heimzureiten
und mit grösseren Anerbietüngen wieder bei ihm zu erscheinen.
Durch eine Mittelsperson, Michel Bermann, wie es scheint,
einen im französischen Lager befindlichen Kaufherrn aus Nic-
lausport, * hatte man noch erfahren, dass der Konnetabel täglich
200,000 Brote, hundert Fass Wein, Tuch und andere ins Lager
gehörige « Munition » und forderliche Antwort begehre.
Nach eiligem Ritte trafen die Gesandten Sonntag Abend
in Strassburg wieder ein. Hier statteten sie am anderen Morgen
dem Rate Bericht ab. Im Anschluss daran teilte Jacob Sturm
mit : Er habe sich inzwischen mit dem Kapitel in Verbindung
gesetzt. Dasselbe könne aus des Königs Begehren nichts anderes
entnehmen, als dass er eine Ursache suche, dieStadt
zu bekriegen. Daher riete es, man sollte sich zur Gegen-
wehr schicken. Möchte man aber mit leidlichen Dingen einen
Frieden schaffen, so wollte das Kapitel gern sein Bestes thun
und all sein Vermögen zur Stadt setzen.
Daraufhin entschied man sich im Rate : Dieweil das Be-
gehren des Königs zu erfüllen unmöglich, soll mans zum füg-
lichsten ablehnen ; vermöchte man es aber so einzurichten, dass
man mit 3000 Viertel Frucht Frieden schaffen und Sicherheit
erlangen könnte, dass er gegen die Stadt nichts in ungutem
vornehmen wollte, so sollte man es thun ; und zwar wäre die
Vermittlung der Baseler, die augenblicklich im Lager, in An-
spruch zu nehmen. «Wo dann dies nit helfen will, muss
man gewarten, was Gott will.»
Unmittelbar darauf werden zwei französische Edelleute in
den Versammlungssaal hereingeführt , die dem Stettmeister
Peter Sturm eine Credenz vom Konnetabel übergeben. Ihr zu-
folge wurde der Rat aufgefordert, die Gesandten anzuhören,
ihnen Glauben zu schenken und endgültigen Bescheid zu er-
teilen. Man erwarte, derselbe werde so ausfallen, dass der
König daran ein Vergnügen haben werde und in der alten
Freundschaft verharren könnte.
1 In Niclausport ansässige Kaufherren dieses Namens werden mehrfach
erwähnt (Zimmerische Chronik III, 112,255, 256 u. Polit. Korrespondenz der
Stadt Strassburjr II, 496).
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— 44 —
Die Franzosen, deren Werbung ebenso wie vorher ihre
Credenz durch Sleidan verdolmetscht wurde, trugen folgendes vor :
Dem König sei ihr Angebot nicht annehmbar. Er sowohl
wie sein Vater hätten bisher allwegen mit der Stadt gute
Freundschaft gehalten. Nicht um einige Stände des heiligen
Reiches zu beleidigen, sei er herausgezogen, sondern auf An-
regung etlicher deutscher Fürsten, denen er wieder zu ihren
alten Freiheiten verhelfen wollte. Wer sich aber gegen ihn oder
dieses Bündnis auflehnen würde, gegen den müsste er thun,
« was er lieber umging. » Der Rat hätte die Landleute aus der
ganzen Umgegend und allen Proviant in die Stadt hereinge-
zogen. Man sollte sich erklären, was man mit Wein, Brot und
Hafer anfangen wollte. Der König würde morgen in Zabern
sein. Niclausport, das doch mit Strassburg verglichen, nur ein
Dorf, hätte 15 Tage hintereinander täglich 7000 Brote ins Lager
geliefert und ausserdem 1000 Viertel Frucht nach Pont-ä-Mousson
nachgeführt. Der König habe bei schwerer Strafe anbefohlen,
dass das Kriegsvolk sich unbeschwerlich hielte, niemandem
etwas nehme, halt harte Justitien. Weil aber alle Dörfer ge-
leert, sei es ein Zeichen der Feindschaft, und werde dies dem
Könige Ursache geben, den Knechten zu gestatten, den Proviant
zu suchen, wo sie mögen. Die Folgen hätte der Rat zu bedenken.
Ferner begehre ihr Herr, man solle die Knechte,
da sie lange im Felde gelegen und allerlei
Dinge bedürften, in die Stadt einlassen und
zwar in solcher Stärke, als der Rat es für thun-
lich erachte, damit sie sich Schnürstiefel, Barett, Linnen
und Tuch zu ihrer Notdurft kaufen könnten. Auch sollte man
den Schuhmachern erlauben, um der armen Knechte willen,
die übel beschuht und bei vorfallendem Unwetter nicht fortkom-
men könnten, mit Schuh und Stiefel ins Lager zu fahren ;
man wollte sie versichern.
Der Rat Hess ihnen antworten : Nach dem Brauche der
Stadt müsste man vor endgültigem Bescheide, den man durch
eine eigene Botschaft dem Könige zukommen lassen wollte, erst
die Gemeinde und den grossen Rat befragen. Man möchte aber
hierin keinen Aufschub sehen. Uebrigens hätte man niemand
aufgefordert, sich herein zu fluchten. 1 Das arme Volk wäre
»
1 In der Tbat hatte man z. B. den Unter thanen zu Wasselnheira geraten,
bei ihren Häusern zu bleiben: «werd ihnen so weniger Schaden geschehen, als
wenn sie hinein sollten.» Dem Amtmann selbst wurde nur auf wiederholte
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erschrocken und hätte alter Gewohnheit nach seine Zuflucht
allwegen, wie jetzt auch, zu der Stadt genaht. Dies wäre dem
Rate selbst beschwerlich. Was man gethan, sei nicht aus
Feindschaft gegen den König, sondern deshalb geschehen, weil
man «scharfe Reden» vernommen hätte. Das Bistum freilich
besässe ein ausgedehntes Landgebiet, sie Stadt selbst dagegen
ein beschränktes, und seien in Strassburg nicht so grosse
Vorräte, als der König vermeinte, dasselbe daher von solchen
nicht zu entblössen.
Die Abgesandten erklärten sich mit der Berufung des
grossen Rates einverstanden. Nachdem sie sofort einen Reiten-
den an den Konnetabel abgefertigt hatten, nahmen sie in Ge-
sellschaft einiger Ratsherrn das Mittagsmahl ein. Bezeichnender-
weise hatte der Rat die dringende Bitte an sie gerichtet, sich
in ihrer Herberge zu halten; denn das Volk sei «etwas un-
willig», weil ihm draussen so viel Schaden geschehe. Es würde
ihm leid thun, falls ihnen etwas widerfahren sollte. 1
Am Nachmittage wurden die 300 Schöffen berufen und
ihnen unter Einschärfung strengster Geheimhaltung, damit es
nicht dem Konnetabel vorzeitig zu Ohren käme, zunächst das
Ergebnis der Sendung nach Saarburg nebst dem Inhalte der
neuesten französischen Werbung mitgeteilt und dann hinzugefügt :
Von dem in Strassburg befindlichen Proviant könnte man
bei der Menge der Flüchtigen nichts entbehren ; andrerseits
wäre vielleicht der König durch ein gegen Bezahlung zu liefern-
des Angebot von Roggen und Wein zufriedenzustellen, und
zwar könnte man diese Lebensmittel auf dem Lande einkaufen
und nur das, was so nicht aufzubringen wäre, aus der Stadt
nehmen, damit man den Zug auf dieselbe abwende, und das
arme Landvolk nicht so jämmerlich verderbt werde. Freilich
müssten die Franzosen sich dagegen verpachten, der Stadt und
den ihr Zugehörigen kein Leids zuzufügen.
Mit diesem Vorschlage erklärten sich 162, die Mehrheit
der Schöffen, einverstanden ; 84 stimmten dafür, dass man
nichts Weiteres geben sollte.
An demselben Tage, an welchem diese Verhandlungen in
Strassburg stattfanden, war Heinrich II. von Saarburg autge-
d ringende Bitten zugestanden, beim Herannahen der Franzosen Ort und Schloss
verlassen zu dürfen.
1 Ihr Dolmetscher, der nach ihrem Fortreiten noch in der Stadt zurück-
geblieben war, wurde sorgfaltig Oberwacht.
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brochen und hatte zwei Wegstunden östlich davon in Meltebourg
(Mittelbronn ?) und Andressenty Quartier genommen, i während
der Konnetabel eine Viertelstunde weiter in Andreoux* lagerte.
Die Gendarmes gingen noch an demselben Tage weiter bergab
in die Ebene vor und gelangten teils nach St. Johann, wo
eine Frauenabtei gelegen, teils nach Zabern selbst. Da alle
Häuser in den Dörfern verlassen waren, richteten die Soldaten
grosse Unordnung an.
Am 3. Mai zog der König mit dem Gros des Heeres die
Steige hinab. Nur mit grosser Mühe gelang es, Artillerie und
Wagenpark vorwärts zu schaffen. Der König und der Konne-
tabel mit dem Hauptquartiere wurden teils in Zabern, teils in
dessen nächster Umgebung untergebracht.' Das Fussvolk bezog
ein Lager in der Ebene längs der Gebirgsabhänge, die Kavallerie
war zwei Stunden weiter vorgeschoben und hatte in grossen
und wohlhabenden Ortschaften Quartier bezogen. Hier fand
die Mannschaft reichlich Lebensmittel, dagegen mangelte es
an Hafer und Heu.
An demselben Tage hatten sich die Gesandten auf den Weg
zum Könige gemacht, nachdem sie vorher die Baseler, die in-
zwischen in Zabern eingetroffen waren, um ihre Vermittlung
ersucht hatten. In der Nähe von Wasselnheim begegnete ihnen
der Amtmann des Ortes, der sie daselbst zu übernachten warnte,
da die Franzosen gedroht hätten, in das dortige Schloss zu
fallen, wenn ihnen kein guter Bescheid von Strassburg zu teil
werden sollte. Sie brachten daher die Nacht in Westhofen
zu. *
Tags darauf ritten sie nach Zabern, Hessen sich beim
Konnetabel anmelden und verfügten sich zunächst zu den
Baselern, die bis dahin noch keine Antwort auf ihre Suppli-
kation erhalten hatten und sie aufforderten, mit ihrer Werbung
fortzufahren. Nachmittags begaben sie sich in des Bischofs
Garten zum Konnetabel. Letzterem zeigte Sleidan zunächst die
1 Rabutin a. a. 0. 413.
2 Wohl der Flecken und das Schloss Einartzhausen oder richtiger
« Einartshausen • , seit 1568 zu der Stadt Pfalzburg erhüben. Thuanus X, 304
sagt : •Exercitus Andresium usque procedit, comitis Palatini oppidum.»
3 Nach Schadaus wohnte der König in des Bischofs Lusthaus, « das Bad-
haus' genannt. — Die Angabe bei Lorenz und Scherer a. a. 0. p. 244 : ^Mit
Bischof Erasmus vertrug sich der König in Zabern gut», ist unrichtig, da sich
jener damals gar nicht im Lande befand. (Bezirksarchiv G. 248.)
* Für das Folgende vgl. R. u. 21. Mai 5 und Sleidan 24, 357 f.
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Gründe an, weshalb der Rat, obwohl er der Freundschaft zum
verstorbenen Könige halber alles, was ihm nur möglich, thun
wolle, weder in der Lage wäre, ein grösseres Proviantgebot
zu machen, noch «cum Unrat zu vermeiden », die französischen
Kriegsknechte in die Stadt zu lassen. Das Landvolk übrigens
hätte sich unaufgefordert hereingeflüchtet.
Der Konnetabel erwiederte hierauf : Sein Herr habe, um
den deutschen Landen die Freiheit zu erhalten, diesen Kriegs-
zug unternommen. Der Kaiser hätte Lütlich, Gamerich (Cam-
bray) und andere Städte eingezogen, deutsche Fürsten gefangen
genommen. Darauf sehe man nicht ; man achte allein darauf,
was der König mit Metz gehandelt, wiewohl der letztere sich
mehr zu dieser Stadt (seil. Strassburg), als zu anderen im
Reiche versehen, dass sie ihm behülflich sein sollte. Dass man
sich hier ganz feindlich verhalte, führe die Seinen ohne Verhör
gefangen hinein, und obgleich der König nie etwas in ungutem
gegen die Stadt vorzunehmen begehrt, so werde er doch dazu
sich genötigt sehen, obwohl er sich gern noch nicht dazu be-
wegen lassen wollte. Derselbe sei ein mächtiger Herr, ha!>e
Lothringen eingenommen, lieg ihnen vor der Nasen. So einem
seiner Diener etwas begegnen sollte, würde er es nicht unge-
rächt lassen; sollte kein Baum auf dem Lande bleiben. Man
hielte die Seinen hier übel, Hesse sie nicht in die Stadt. Der
König würde selbst mit ihnen reden.
Von den letzterwähnten Vorfallen, entschuldigten sich die
Gesandten, sei ihnen nichts bekannt, und müssten dieselben
ohne des Rates Wissen geschehen sein. 1
Am anderen Morgen wurden sie zum Könige selbst berufen
In seiner Umgebung befanden sich neben dem Konnetabel der
Kardinal von Lothringen und der Herzog von Vendome. 2
Wieder gab Sleidan zunächst eine Uebersicht über die
bisherigen Verhandlungen und bot dann im Namen der Stadt
das Doppelte, wie Tags zuvor, nämlich 1000 Viertel Frucht,
ebensoviel Hafer und eine grössere Quantität Wein, mit der
Bitte, man wolle, dieweil sich der Rat je wohl und freundlich
mit Frankreich gehalten, sich damit begnügen. Mehr könne
die Stadt ihrer starken Besatzung und der vielen Flüchtlinge
halber nicht entbehren.
1 Vgl. unten p. 54.
2 Nicht von Vauderaont, wie Herzog II, 174 berichtet.
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- 48 —
Nachdem sich der König einige Zeit mit den Seinen be-
sprochen, entwickelte er den Gesandten eben die Ursachen,
weshalb er gekommen und wie er sich zu Strassburg versehen,
es würde ihm behülflich sein ; denn er hätte ein grosses Kriegs-
volk bei sich, das zu essen haben müsste. Hätte er etwas in
ungutem gegen die Stadt vorzunehmen beabsichtigt, «wollte er
es andermal gethan haben » . Mit Frucht sei den Seinigen nicht
gedient , sie brauchten Brot. Als Sleidan Einwendungen
macht, ruft der Konnetabel aus : «Sie wären kein Vieh,
könnten nicht Frucht, müsste n Brot essen ! » Auf diese Worte
zuckte der König mit dem Aermel hinter sich, als ob jener zu
viel gesagt, wiederholte aber noch einmal, dass man Brot
haben müsste. Auf ihre Anfrage, ob der König ihnen gegen
die Lieferung von Mehl oder Frucht die Zusicherung erteilen
wollte, gegen die Stadt und die ihr Zugehörigen nichts vorzu-
nehmen, bemerkt der Konnetabel, ob man weitere Versicherung
haben wollte, als des Königs Wort und Rede ; und der letztere
setzt hinzu : Also sei seine Meinung. Als sie noch einmal be-
tonen, dass sie al>er kein Brot geben könnten, braust der
Konnetabel auf : Er hörte wohl, vom Könige wollten sie eine
Versicherung haben, diesen selbst aber nicht versichern. Darauf
hiess man sie abtreten.
Bei Tische äusserte ihnen gegenüber ein Herr von Basse-
fontaine, warum eine so mächtige Stadt dem Könige in seinem
Begehren nicht willfahren wollte ; sie möchten doch thun, was
in ihrem Vermögen. Im ganzen hatten die Gesandten den
Eindruck bekommen, dass man zufrieden sein würde, wenn
man soviel lieferte, als man vermöchte ; denn am folgenden
Tage sollte der Proviant in Zabern zu Ende gehen. 1
Als die Strassburger letzteren Ort verlassen, begleitet sie
ein königlicher Kommissarius. *
1 Bei Rabutin a. a. 0. p. 414 heisst es: «De la ville de Strasbourg devers
Sa Majeste' fut envoyö un «houpemann», c'est-ä-dire en allemand seigneur,
pour la supplier d'avoir souvenance et esgard a la bonne volonte" qu'ils avoient
u luv faire Service, et vouloir supporter et soulager leur plat pays le plus que
seroit possible, offrans vivres et provisions en payant raisonnablement ; ce que
pleut au Roy, et leur accorda liberaleinent, ainsi que se disoit communement. »
* In den Memoiren Vieilleville's (Micbaud et Poujoulat IX, 132) findet
sich folgende romanhafte Ausschmückung : < Le sieur de Lezigoy, sur-iutendant
gengral des vivres de l'armöe, partit avec lettres du Roy, et vingt ou trente
cotnmissaires, et aultant de clers de vivres, pour aller a Strasbourg faire sa
cherge, accompaignö d'ung trompette de Sa Majest6. Et s'estant presente" aux
portes de la ville, apres que la trompette eust commence" sa chamade de bien
loing, on leur ouvrit fort courtoisement. >
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- 49 -
Noch denselben Abend findet unmittelbar nach ihrer An-
kunft in Strassburg eine Sitzung des Rates statt, in der sie
über den Erfolg ihrer Mission berichten. Am anderen Morgen
tritt derselbe von neuem zusammen ; der Oberst, die Haupt-
leute und die Vertreter des Kapitels sind hinzugezogen.
Da die Bäcker sich anheischig machen, neben den Bürgern
auch dem Könige Brot zu backen, auch das Kapitel erklären
lässt, man wolle alles aufbieten, um die Franzosen hinwegzu-
bringen, man hätte in Erstein, Dachstein und Epfig Mehl, so
beschliesst der Rat mit Rücksicht darauf, dass der kaiserliche
Gesandte, dessen Ankunft angezeigt war, noch nicht einge-
troffen, die Verproviantierung des Heeres vom Lande oder von
der Stadt aus, soweit dies ohne Schädigung der Bürgerschaft
und Besatzung möglich, zu Wege zu bringen.
Aber unerwartete Schwierigkeiten entstehen seitens des
wackern Obersten von Hattstadt. — Derselbe erklärt geradezu :
«Man muss nit sehen, was nützlich, sondern was ehrlich; darum
soll man ihm nit einen Korb mit Brot herausschicken, es
würd gegen alle Fürsten und Herren verweislich, unehrlich
und schmählich sein, dieweil er gegen die deutsche
Nation ziehe, und vielleicht auf diese Stadt sehe. So mans
auf dem Lande haben mag, ging es hin, aber aus der Stadt
etwas zu geben, könnt er nicht raten, es wäre ihm und anderen
ehrlichen Gesellen verweislich ; doch sei er ein Diener und
müsst thun, was ihm gebühr.» Als man ihm entgegnet, man
hübe, ehe er hereingekommen, es dem Könige zugesagt, und
sei kein ander Praktik, dass man ihn hereinlass, erwidert der
01>erst : «rDer Rat möge es wohl nicht für unehrlich halten;
ihm aber wolle es nicht ehrlich erscheinen ; darum bäte er,
man sollte ihn Urlauben ; denn ehe ers bewilligte, wollte er
sich lieber henken lassen.»
Infolgedessen teilte man dem Kommissarius mit : Man
könnte ihm aus der Stadt leider kein Brot herausschicken und
wenn man es schon wollte, so wäre zu besorgen, dass die
Knechte es nicht zuliessen. Dagegen wollte man ihn auf dem
Lande fördern, soviel man könnte, auch draussen, soviel als
möglich, backen lassen.
In der That machte man die grössten Anstrengungen,
diesem Versprechen nachzukommen. Von Ottenburg, Wasseln-
heim und anderen Orten liess man Frucht herbeiführen, in
Dorlisheim, Geispolsheim und Erstein Brot backen.
4
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- 50 -
So war man denn am 7. Mai in der Lage, dem französi-
schen Kommissarius neben den versprochenen 1000 Viertel
Hafer, 150 Viertel Mehl und 12000 Brote anzubieten. Gleich-
zeitig l)eklagte man sich aber bei ihm über die Plünderung von
drei der Stadt zugehörigen Dörfern, i und dass die Kriegsleute,
was sie nicht hinweggeführt, verwüstet, dass man im Keller
im Wein bis über die Waden gewatet. Er möchte beim Könige
durchsetzen, dass solches abgestellt werde. — Das geschehe
daher, antwortet jener, weil man nichts zu essen hätte. Er
selbst, setzte er hinzu, würde hier übel gehalten ; man Hesse
ihm seine Diener nicht herein, 2 und müsse er es dem König
und Konnetabel anzeigen ; die würden daran keinen Gefallen
haben und vielleicht auf Wege denken, dass man diesen ge-
ringen Proviant, den man ihnen gäbe, entbehre und anders
verführe.
Man kommt schliesslich überein, dass der Rat ihm 5 bis
600 Viertel in Mehl oder Brot gegen Bezahlung zu liefern ver-
spricht, und zwar wollte er dieses neben dem Hafer und Wein,
da der König nach Hagenau zöge, in sein Lager, das nach des
Landes Gelegenheit gehalten werden sollte, teils zu Wagen,
teils auf dem Rheine nachführen lassen. Als der Kommissarius,
angeblich um Plünderungen vorzubeugen, die Namen der
Strassburg zugehörigen Dörfer zu wissen verlangt, werden ihm
dieselben unter allerlei Ausflüchten verschwiegen.
Während der König in Zahern lag, weilte übrigens bei
ihm sein Agent, der Strassburger Rektor Johann Sturm, von
1 Dess die Soldaten Obel hausten, bestätigt auch Habutin a. a. 0. p. 414.
Ebenso meldet Schertlin (a. a. O. p. 89) selbst, dass er einem Edelmann,
Erhart von Wangen, der ihm 6 Jahre vorher zu Hurtenbach übel mitgespielt.
• ihm die huener, kappanen, indianisch und sonst, pfawen, haber. korn und
alles er gefunden, gefressen, vil plunders hinweggeliert», zu Mauersmünster
bei Zabern sein Haus auch wiederum geplündert, «wein, korn, habern uud
was guts war zugleich in recompensam hinweggeüert. aber die bett, und was
der irawen zugehörig, ligen lassen ; hab irae mit solcher mass er mir geraessen
wiederum bezalt.. — Wangen befehligte damals eines der Strassburger
Fähnlein .
1 Am 1. Mai heisst es: «Die am Weisseuturn schicken herein, dass einer
draussen sei mit Briefen an den zum heiligen Geist* (offenbar den Proviant -
raeister, der in dem gleichnamigen, am Thomasstaden gelegenen Gasthause
wohnte] « will die brief nit von ihm geben. . Auf Anordnung des Rates wird der
Bote unter besonderen Vorsichtsmassregeln, «damit ihm nichts beschehe», über
die gedeckten Brücken beim Stall herum in die Herberge des Kommissarius
geleitet.
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— 51 —
ihm dazu ausersehen, in geheimer Mission nach England zu
reisen, i
Am 6. Mai bewerkstelligte Heinrich II. seinen Aufbruch
von Zabern 2 und rückte mit seinem Heere in der Richtung
nach Strassburg vor. Am folgenden Tage bezogen die Truppen
ein Lager in der Umgegend eines grösseren Fleckens (wahr-
scheinlich Brumath), während der König mit dem Hauptquar-
tiere in letzterem selbst, namentlich in dem dort befindlichen
Schlosse, untergebracht war. Seine Gendarmes streiften ?bis
auf eine kleine Stunde an Strassburg heran.
Die Bürger Hessen, einem zuverlässigen französischen Be-
richte zufolge, niemand in die Stadt hinein, gestatteten sogar
keine grössere Annäherung als auf Kanonenschussweite. » Der
König selbst soll Strassburg von den Hausbergen aus in Augen-
schein genommen haben. *
Zu derselben Zeit «als die Unruhe am grössten gewesen,
und der König mit allen seinen Haufen, Geschütz und Muni-
tion zu und um Zabern bis auf zwei kleine Meilen Wegs von
der Stadt entfernt zerstreut gelegen, »& traf ein kaiserlicher
Gesandter, Herr von Carondelet, « in Strassburg ein, der im
Auftrage und auf Kosten seines Herrn 4 Fähnlein Kriegsvolk
dem Rate zur Verfügung stellte. Letzterer indessen lehnte diese
ebenso wie später am 11. Mai die beiden, die ihm die Ensis-
heimer Regierung auf Befehl des Königs Ferdinand anl>ot,
dankend ab, da man an Truppen zu Fuss und zu Ross keinen
1 Der diese Angaben enthaltende von Ch. Schmidt, Jean Sturm p. 88
kurz erwähnte Brief Sturms an Tozites vom 7. Mai stammt aus Zabern, wie
mir Herr Prof. Schmidt freundlichst mitteilte, und ist ebenso wie ein anderes
Schreiben desselbeu vom 8. April aus Strassburg, beim Brande der hiesigen
Bibliothek verloren gegangen. Von da an bis zum 9. Mai 1553 ist Herrn
Schmidt kein weiterer Brief des Rektors bekannt. Da in unseren Akten Johann
Sturm mit keinem Worte erwähnt wird, war es mir leider unmöglich, etwas
Näheres über die eigentümliche Rolle in Erfahrung zu bringen, die derselbe in
jenen für Strassburg so kritischen Tagen gespielt haben muss.
2 Vorher hatte er noch nach Herzog 2, 175 eine Musterung seines Heeres
vorgenommen.
a Rabutin p. 415.
4 Vgl. Büheler a. a. O. p. 98.
s Str. St. AA576 Mai 21.
6 Jedenfalls der bei Druffel 3, 591 angeführte niederländische Edelmann
gleichen Namens. Der Strassburger Rat hatte die Gelegenheit benutzt, mit
demselben wegen einer vom Kaiser zu erlangenden • Generalabsolution » zu
verhandeln. Thomasarchiv (Tir. 22 Liasse2) 1552 Mai 25.
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— 52 —
Mangel hätte, und derzeit nicht mehr Kriegsvolk «on sonder
geverlichkeit» in die Stadt zu bringen wäre. 1
In den neueren Behandlungen der elsassischen Geschichte
tritt in Bezug auf diese Vorgänge eine völlige Mylhenbildung
zu Tage, die offenbar von der romanhaften, eine Menge falscher
Thatsachen behauptenden Schilderung des Herausgebers der
Memoiren des französischen Marschalls Vieilleville ihren Aus-
gang genommen hat. 2
Nach letzterer Quelle 3 hätte der Konnelabel dem franzö-
sischen Intendanten, der in Strassburg Lebensmittel einkaufen
sollte, den geheimen Auftrag gegeben, sich mit den einfluss-
reichsten Mitgliedern des Rates wegen der Aufnahme des Königs
nebst kleinem Gefolge in der Stadt in Verbindung zu setzen,
ausserdem den Gesandten des Papstes und der Städte Venedig,
Florenz und Ferrara zu gestatten, dieselbe zu besuchen. Letztere
hätten sich in der That in Begleitung von 200 auserlesenen,
als ihre Diener gekleideten Kriegsleuten aufgemacht, denen sich
noch eine grössere Anzahl anderer angeschlossen ; auf Kanonen-
schussweite aber wäre der Zug von den Wällen aus mit einer
Geschützsalve begrüsst worden, die 10 oder 42 Personen ge-
tötet habe, so dass die übrigen ihr Heil in der Flucht hätten
suchen müssen. Auf die Beschwerde des Intendanten wäre von
den Strassburgern erwidert worden, man Hesse sich nicht so
wie die Metzer täuschen. Als jener die Stadt verlassen, seien
2 Regimenter Landsknechte und 6 Fähnlein Reiter von der
Rheinbrücke her in dieselbe einmarschiert, während in der
Gegend des Zaberner Thores 2000 Arbeiter an den Befestigungs-
1 A A 5*79. Mai 11. — Am 1 . Mai hatte König Ferdinand aus Linz an
die Regierung zu Innsbruck geschrieben : • Nachdem wir bei disen geschwin-
den sorglichen Leufen für ein Notturft erachten, dass die Stadt Strasburg an
guter Besatzung nit Mangel habe, so ist an euch unser Befehl, das ihr bei dem
Bischof von Arras Erkundigung haltet, ob die Rö. Kay. Mt. unser lieber
Bruder und Herr daselbsthin eine Fürsehung gethan und ob und was für ein
Anzahl Knecht ihre Kay. Mt. in die Besatzung hinein verordnet habe,
und so ihr befindet, dass von ihrer Kay. Mt. kein sollich Verordnung beschehen,
alsdann beiliegenden unsern Brief, so wir an unsern Landvogt u. Regenten
im Oberelsass gefertigt, überschicket und bei ihnen anhaltet, das so wir ihnen
schreiben u. befehlen aufs ehest zu vollziehen». (Innsbr. Archiv. Von der
Kön. Mt. ful. 376). Der hier erwähnte Brief beündet sich AA 579.
2 Die UnglaubwOrdigkeit derselben ist aufs neue von Rahlenbeck, Metz
et Thionville p. 225/287, überzeugend nachgewiesen worden.
3 Mem. de Vielleville a. a. O. IX, 132/135.
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— 53 —
werken gearbeitet hätten. Nichtsdestoweniger habe der König
auf den Rat des Konnetabels beschlossen, mit 40 Edelleuten
und deren Begleitung Strassburg zu besuchen, und erst auf
das Zureden Vieilleville's diesen gefahrlichen Entschluss auf-
gegeben.
Da alle übrigen zeitgenössischen Geschichtsschreiber, fran-
zösische wie deutsche, von diesen an und für sich schon un-
wahrscheinlichen Vorgangen ganz und gar nichts melden, auch
in unseren Akten und sonst recht ausführlichen Chroniken
nichts davon berichtet wird, 1 werden sie endgültig in das
Reich der Fal>el verlegt werden müssen, zumal da folgende
Thatsachen geradezu gegen die Möglichkeit derselben sprechen :
1 Rabutiu, Tavannes, Brentöme, Thuanus, Sleidan und Schertlin berichten
nichts davon. — Die Worte Heinrichs II. in einem späteren Briefe an die
Strapsburger vom 6. November (abgedr. bei Kentzinger I, 40) : «Et vous
devoit suffire de la sinistre dcmon&tration que vous feistes ä l'endroict de nos
gens, lorsque notre armee passa pres de votre ville • , werden von Legrelle
a. a. 0. p. 48 fälschlich auf jene angebliche Kanonade bezogen, während sie
Laguille II, 4, 39 folgendermassen richtig erklärt : «qu'il devoit leur suffire
d'avoir fait connoitre leurs sinistres dessins a l'tigard de la France, lorsque son
armee passa pres de leur ville. • Nach Littre" heisst « sinistre demonstration >
soviel als • unheildrohendes Verhalten («qui fait craindre des raalheurs«). Damit
stimmen Oberein die Aeusserungen des Königs über Strassburg am 13. u.
20. Mai (Sleidan 24, 361): «Tametsi quo tempore cum exercitu erat ad
ipsorum Gnes, magna fuerit militum eius urbis protervitas in suos et insolentia»
und «quamquara Argenünensium milites aliquando durius exceperint suos ante
portas et rejecerint, <|ui forte mercandi gratia eo veaissent. • Während Martin,
Hist. de France IX, 539 die Darstellung des Verfassers der Memoiren Vieille-
ville's nur unter Reserve wiedergibt, Dareste IV, 89 sie völlig ignoriert,
nimmt Legrelle p. 43/48 dieselbe ohne Weiteres au. Von früheren schildern
Laguille II, 4, 34/37, Röhrich III, 27 und Kentzinger I, 34 den Sachverhalt
richtig; falsch Friese, Neue vaterländische Gesch. II, 277 81 und Strobel IV,
89 90. von denen der letztere sogar Kentzinger den Vorwurf macht, « dass er
deu ganzen Hergang der Sache auf eine sonderbare Weise entstelle«. Gänzlich
haltlos ist die Darstellung hei Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsasses
1886 p. 244 : «Als Heinrich II. die Anfrage über den gewünschten Durchzug
nach Strassburg schickte (!), war man rasch entschieden, auf jede Gefahr ihn
zu verweigern, aber Sturm und Sleidan gingen in Gesandtschaft zum
Könige, um alle Unterstützung einer neutralen Macht mit Lebensmitteln für
das Heer zuzusagen. Auch ward der König eingeladen, persön-
lich mit vierzig Rittern die Stadt zu besuchen. Bemerkens-
wert genug, dass die Franzosen dennoch einen Versuch nicht unterliessen,
die Stadt durch listige Ueberrumpelung gerade bei dieser Gelegenheit zu
gewinnen ; aber die Vorsicht Strassburgs und seine Kanonen vereitelten den
Anschlag. Der König musste, wie verabredet mit kleinem Ge-
folge in die Stadt einreiten und liess sich von dem Rat be-
wirten Schamröte darüber, dass er mitten unter Freund-
schaftsheuchelei den offenbaren Ueberfall beabsichtigte, war
auf der Stirne des Franzosen nicht bemerkbar (!;.
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— 54 —
Den UebergrifTen des Kriegsvolkes, dessen Officiere zum
Teil, wie der Oberst und der Hauptmann Asmus Böcklin, gut
kaiserlich gesinnt waren, wurde seitens des Rates bei jeder
Gelegenheit gesteuert. Erhielten doch die am Weissturm- und
Steinthor wachhaltenden Börger und Landsknechte auf ihre
Anfrage, was man thun sollte, so sich fremdes Volk näherte,
ausdrücklich den Befehl, sich gegen dasselbe bescheiden zu
benehmen. Mehrmals werden Angehörige des französischen
Heeres gefänglich eingebracht, aber auf Urfehde wieder ent-
lassen. Als am 7. Mai ein Franzose «mutwillig» erschossen
wird, erfährt dies scharfe Rüge, «da man sich gleicher unfreund-
licher Handlung zu besorgen.» > Ferner sind die Gesandten
Venedigs und Ferraras thatsächlich unbehelligt aus dem Lager
in die Stadt gekommen und haben sich daselbst mehrere Tage
aufgehalten.» Endlich steht das, was über den Einmarsch von
zahlreichem Kriegsvolk über die Rheinbrücke gesagt ist, in
direktem Widerspruche mit unseren Akten, s
Uebrigens muss das Gebahren des königlichen Intendanten
dem Rate in der That verdächtig erschienen sein. Als derselbe
am 7. Mai, also an dem Tage, an welchem die Franzosen am
nächsten bei Strassburg lagen, um Erlaubnis einkommt, das
Münster besteigen zu dürfen, wird ihm solches abgeschlagen:
man Hesse jetzt niemand hinauf; so seien jetzt die Zeiten, dass
das Volk des Schadens wegen, der bestehe, erzürnt sei, und
der Rat deshalb besorgen müsste, dass ihm etwas Unzüchtiges
zustossen möchte.
Am 8. Mai, einem Sonntage,* setzte das französische Heer
seinen Vormarsch fort und langte vor Hagenau an, das anfangs
1 Aus diesem Vorfalle ist wohl die bei Piton, Strasbourg illustre" l, 44
erzahlte Legende entstanden : Im Strassburger Arsenal hätten sich verschiedene
ausserordentlich grosse Geschütze befunden, darunter eine, die Meise ge-
nannt; «et c'est du nom de la premiere, que les Strasbourgeois regurent le
sobriquet de pipeurs de mgsange (Meissenlocker). Sa portee £tait teile, que
lorsque Henri II campa avec son armee sur les hauteurs de Hausbergen, en
1552, le boulet qu'elle lanca tomba dans son camp, ä cötä de la tente royale(!),
de lä le dicton de nos aleuz quaod lennemi s'approchait de la place : • Nous
allons le piper avec notre mesange. »
4 Baumgarten a. a. O. p. 251.
3 Vgl. oben p. 51.
*» Das Landvolk brauchte an diesem Tage nicht in Strassburg zu frohnen,
sondern sollte in die Kirchen gehen.
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— 55 —
den Versuch machte, den Eintritt zu verweigern, gegenüber
den aufgefahrenen Geschützen aber die Thore öffnete und dem
Konnetabel Aufnahme gewährte. Tags darauf hielt auch der
König selbst, der die Nacht in einer in der Nähe liegenden
Ziegelei zugebracht hatte, seinen feierlichen Einzug in die Stadt.
Die Strassburger Hessen ihrer Zusage gemäss den von
allen Seiten her aufgekauften Proviant dem französiscben Heere
nachführen, zu grosser Unzufriedenheit des Obersten von Hatt-
stadt, baten aber den fortdauernden Plünderungen ihres Ge-
bietes und anderen Gewalttätigkeiten gegenüber» um eine
Assekuration. Als nun am 8. Mai der Konnetabel ihnen darauf-
bin aus Hagenau die Antwort zugehen liess : Dass, wenn
der Rat seinem Erbieten nach genug gethan haben werde, es
alsdann an königl. Majestät gutem Willen nicht mangeln
würde, 2 schrieb man zurück : Man hätte sich bemüht, zuwege
zu bringen, was man zugesagt. Nun wären ihnen fünf Dörfer
geplündert, und Wein und Mehl, die man hätte liefern wollen,
ausgeschüttet worden ; gleiches wäre mit zwei anderen Dör-
fern, wo man Proviant hätte holen wollen, noch diese Nacht
geschehen ; deshalb sollte man sie entschuldigen, wenn sie
ihren Verpflichtungen nicht nachkommen könnten.* In der
That liess man nur das, was schon auf dem Wege war, gehen,
hielt aber mit weiteren Lieferungen inne.*
Man war sich hierbei wohl bewusst, dass mau sich des-
wegen auf weitere Feindseligkeilen seitens des Königs gefasst
machen müsste. Am 9. Mai halten Sturm und Pfarrer ein-
gehende Beratungen mit dem Obersten und den Hauptleuten,
damit das angefangene Bollwerk ordentlich ausgezeichnet und
ausgeführt werde. Der Oberst verlangt die Besetzung der
«hohen Aemter? bei dem Kriegsvolke. Die Befestigungswerke
werden in 6 Abschnitte eingeteilt^ und die Fähnlein neu ein-
1 Dem Amtmann von Wanzenau wurden, als er Frucht ins Lager fahren
wollte, drei Knechte erstochen, sowie Wagen und Pferde genommen, einem
Stadtboten Pferd, Wehr und Säckel geraubt.
2 Praillon an Sleidan (Baumgarten p. 250).
3 Ratu. 21. Mai 9.
4 Am 21. Mai teilten sie dem Kaiser mit: -Sie hätten den Franzosen
zwar eine geringfügige Anzahl Victualien ausserhalb der Stadt bewilligt, aber
doch, weil er im Abzug gewesen und ihnen 5 oder 6 Dörfer und einen Hof
geplündert, nit gar geliefert. (Str. St. 576 Mai 21).
5 Weissturmthor, Steinstrasse, St-Clara-Wörd, Krutenau. Spitalthor,
gedeckte Brücken.
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— 50 -
quartiert, damit sie, so ein Lärmen wurde, naher an den Wehren
lagen.
Der König indessen marschierte, ohne einen Angriff auf
die feste Stadt zu unternehmen, von Hagenau nordwärts nach
Weissenbui-g, dessen Bewohner grosses Entgegenkommen zeigten.
Er seihst und das Gros seines Heeres lagen nicht in der Stadt
seihst, sondern eine kleine Stunde entfernt, hei Altenstadt. Die
Gendarmes waren auf der Strasse nach Speier vorgeschoben.
In diesen Tagen trafen verschiedene Umstände zusammen,
die Heinrich II. zum Ahmarsche aus Deutschland bewogen, vor
allein die Nachrichten vom Einfalle niederländischer Trappen
in französisches Gebiet, sodann die ihm am 11. Mai seitens des
Kurfürsten Moritz zugehende Mitteilung, dass er mit König
Ferdinand in Unterhandlungen stände, womit die Anfrage ver-
bunden war, unter welchen Bedingungen Frankreich in einen
mit dem Kaiser abzusch liessenden Frieden mit einbegriffen
sein wollte ; endlich wie Sleidan ausdrücklich versichert : 1 weil
dem Könige seine Pläne hinsichtlich Strassburgs nicht geglückt
waren, ihm also ein fester Stützpunkt am Rheine fehlte.
Die Vorstell ungen der Anfang Mai in Worms versammelt
gewesenen Rheinischen Fürsten haben jedenfalls nicht auf seinen
Entschluss bestimmend eingewirkt. 2 Die letzteren liessen ihm
nämlich in seinem Lager bei Weissenburg durch einen Abge-
sandten folgendes vortragen : 3 Da er vorgäbe, der deutschen
Libertät halber Krieg zu führen, bäten sie ihn, Land und Leute
zu verschonen und seinen Vormarsch nicht fortzusetzen, da ein
solcher dem Reiche den grössten Schaden bringen müsste.
Den Frieden mit dem Kaiser wollten sie gern vermitteln, ein
Bündnis aber mit Frankreich könnten sie ohne Verletzung ihrer
Pflichten nicht eingehen. Auch möchte er das Gebiet der freien
Reichsstadt Strassburg nicht verletzen.
Seitens des Königs wurde ihnen darauf zwei Tage später,
und zwar durch den Kardinal von Lothringen, folgende hoch-
trabende Antwort zuteil :* Auf Bitten etlicher, nicht geringer
Fürsten sei er nach Deutschland gezogen, aus welchem er
1 Sleidan 24, 361 .
2 Vgl. oben p. 39. — lieber ihre die Monate Mirz und April in Anspruch
nehmenden Verhandlungen vgl. Druffel 3, 416/426.
3 Sleidan 3.. 360.
4 Selbst Rabutin sagt a. a. 0. p. 416: «Auxquels fut rendue la response
autre et plus haulte quc ne la pourrois asseurer. •
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— 57 —
seinen Ursprung habe, um dasselte von der unmenschlichen
Dienstbarkeit des Kaisers zu befreien. Einiger Schaden sei bei
dem Durchzuge nicht zu vermeiden gewesen. Von Herzog Moritz
habe er vernommen, dass der Kaiser die gefangenen Fürsten
in Freiheit zu setzen und die deutsche Libertät wiederherzu-
stellen sich nicht weigere. So bedürfe denn die deutsche Nation
nicht weiterhin seine Hülfe, « welchs sie Gott dem Allmächtigen
zum ersten und ihme zuzuschreiben hätte, die eines so grossen
Nutzens Ursacher seien.» Unter diesen Umständen wolle er
dem kaiserlichen Heere, das in Frankreich eingefallen sei, ent-
gegenziehen. Sein Wunsch wäre nun, dass die deutschen
Fürsten und Stände, wenn sie zu Passau zusammen kommen
würden, «ein solch gross Gut und Libertet, die sie von Gott
und ihm empfangen hätten, nit von Händen gäben. » J Ihrem
Gesuche in betreff Strassburgs wollte er willfahren, obwohl,
während er in der Nähe der Stadt gewesen, das Kriegsvolk der-
selben den Seinigen gegenüber eine grosse Unverschämtheit an
den Tag gelegt hätte. *
Noch an demselben Tage brach das französische Heer das
Lager ab und zog in drei gesonderten Abteilungen über Vogesen
und Hardt nach Lothringen zurück.* Die Wiedervereinigung
fand zu Wallerfangen an der Saar slatt, von wo bald darauf
der Vormarsch nach der Mosel und dem Luxemburger Lande
angetreten wurde.
Vorher hatte der König noch in der Nähe von Zweibrücken
am 20. Mai eine Gesandtschaft der Eidgenossen empfangen,
welche für ihre Nachbarn, die Unterthanen der österreichischen
Regierung zu Ensisheim sowie die Städte Kolmar, SehlettstadJ.
1 Bezirksarchiv G 248. — Ein anderer Bericht (Str. St. AA 596) ent-
halt eine weniger hochmütige Fassung. Interessant ist folgende beigefügte
Mitteilung: An des Königs Hatschier und vornehmsten Diener Kleidern waren
etlich wachsende Monschein gestickt, mit der Umschrift: «Donec totus impli-
catur orbis.» Andere hatten an den Kleidern einen Knopf, dabei stand ein Arm
mit einem Schwert, das hieb in den Knopf und war darin geschrieben: »Gladio
vir dissolvet.» Das Hess sich ansehen, als ob es des «Gordii nodus* wäre, von
dem prophezeit war, wer ihn auflöset, der würde ein Monarch der ganzen
Welt werden. ■
2 Sleidan 24, 361.
3 Während der König mit dem Gros des Heeres den Weg Aber Lemberg.
Bitsch, Zweibrücken und Saarbrücken einschlug, ging ein rechtes Seiten-
detachement unter dem Herzog von Aumale durch die Pfalz über das Hardt-
gebirge, ein linkes unter dem Herzog von Vendome und dem Rheingrafen über
Hagenau und Lützelstein.
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— 58 —
und Strassburg ein gutes Wort einlegten, da sie jeden Schaden,
der diesen zugefügt würde, selbst schwer empfinden müssten.
Der König erteilte ihnen einen günstigen Bescheid. Die Ensis-
heimer, erklärte er, wolle er mit Feindseligkeiten verschonen ;
doch sollten sie seinen von ihnen in Halt gehaltenen Kriegs-
leuten die Freiheit wiedergeben. Gegen die übrigen elsässischen
Stände hätte er überhaupt nichts im Schilde geführt. Zwar
habe das Strassburger Kriegsvolk die Seinen an den Thoren
gar unfreundlich behandelt und jeden fortgewiesen, wer etwa
Einkäufe hätte machen wollen. Doch beabsichtige er deshalb
nicht, die alten Beziehungen zu der Stadt aufzugeben, zumal
da er durch den Besitz von Lothringen ihr Nachbar geworden.
Freilich erwarte er auch von ihr ein gleiches Entgegenkommen. 1
In Strassburg verharrte man übrigens den ganzen Monat
Mai in Kriegsrüstung. An dem Werke bei dem Judenthore
wurde mit Anspannung aller Kräfte gearbeitet, ebenso behielt
man das angeworbene Kriegsvolk vorläufig noch an der Hand.
Die vom Kaiser und König Ferdinand zur Verfügung gestellten
Fähnlein hatte man zwar dankend abgelehnt, die Gelegenheit
aber ergriffen, beiden Majestäten Mittel vorzuschlagen, durch
welche die Stadt in ihren schweren, verderblichen Unkosten
erleichtert werden möchte. 2 Nicht ohne Grund fürchtete man,
dass die Franzosen über kurz oder lang, wenn die Frucht im
Felde erwachsen, wieder gegen Strassburg anrücken möchten,
und alsdann, nachdem man sich an Geld und Proviant erschöpft
hätte, und das Kriegsvolk ohne bare, gewisse Besoldung nicht
mehr so «lustig und durstig» sein sollte, die Belagerung be-
schwerlicher «dann jetzo» fallen würde.
Doch blieb Strassburg im weiteren Verlaufe des Jahres
1552 vor feindlichen Angriffen verschont. Am 28. Juli freilich
richtete Markgraf Albrecht von Brandenburg an den Rat die
Aufforderung, ihm die Stadt zu öffnen und Besatzung aufzu-
nehmen. Als ihm aber dies Begehren kurzweg abgeschlagen
wurde, wagte er es nicht, seinen Worten durch die That Nach-
druck zu verleihen.*
1 Sleidan 24, 361.
2 Str. St. AA576. Mai 11 u. 21.
3 Hatte doch der Rat zu Strassburg, «damit er die Stadt dem Reiche
behielte, und dadurch das Laud nit beharrlich oder bleibend in der Franzosen
Hand komme, mehr als 100,000 Gulden aufgewendet. (Str. St. AA 1983).
4 Sleidan 24, 392.
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— 59 -
Die Unterzeichnung des Passauer Vertrages im Anfang
August, der Anmarsch des Kaisers im Septemher zur Wieder-
gewinnung von Metz, bei welcher Gelegenheit er auch Strass-
burg besuchte, liefreiten die Stadt endgültig von allen Kriegs-
besorgnissen.
Die Vorgänge des Jahres 1552 bilden ein Ehrenzeugnis für
die Gesinnungen, die Rat und Bürgerschaft Strassburgs im
46. Jahrhundert beseelten. Nicht allein im Gefühle ihrer
reichsstädtischen Selbständigkeit, sondern auch mit klarem
Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum Reiche 1 hatten sie durch
kluges und gleichzeitig kraftvolles Verhalten den Plan Hein-
richs II., Sirassburg ebenso wie Metz Frankreich einzuverleiben,
vereitelt. Denn dass dieses ursprünglich die Absicht des Königs
gewesen ist, müssen wir allen Quellen zufolge annehmen. 8 Er
gab dieselbe notgedrungen auf, da, wie er sich überzeugen
musste, eine Ueberrumpelung der durch die Metzer Vorgänge
gewarnten Bürgerschaft ausgeschlossen war, und ihm eine Be-
lagerung gegenüber den festen Mauern der Stadt, ihrem treff-
lichen Geschütz und ihrer ansehnlichen Besatzung aussichtslos
erscheinen musste.
Für die Gesinnung der Bürgerschaft selbst ist von der
grössten Bedeutung die schon mehrfach erwähnte, von Meister
und Rat am 21. Mai an den Kaiser gerichtete Bittschrift,» in
welcher sie ihm vorstellen :
Durch ihre stattliche Gegenrüstung hätten sie — wie
sie im geheimen glaubwürdig erfahren 4 — des Königs (der
1 So sagt Rahlenbeck. Metz et Thionville p. 119 : «Strasbourg n'&ait pas,
comme Metz ou Camhrai, une ville imperiale, francaise de langage et de moenrs ;
eile tenait, au contraire, par d innomhrables liens au cceur möme de l'Alle-
inagne; eile ätait, en outre, assise sur les bords du vieux Rhin, — le Vater
Rhein, — lleuve aussi sacre" au yeux des Germains de tous les teiops, que lest
le Gange pour les Indous. •
2 Vgl. auch Anhang III. — Der Einwurf von Legrelle p. 46, dass
Heinrich II. nicht an eine Unterwerfung Strassburgs gedacht hatte, da ja auch
Zabern, Hageneu und Weissenburg wieder von ihm aufgegeben worden seien,
ist hinfällig, da diese Städte ohne den Besitz Strassburgs gar nicht zu behaupten
waren.
3 Str. St. AA 576.
4 »Ein ansehnlicher französischer Kriegsrat hätte sich huren lassen, dass
seinem Herren nicht thunlich, Strassburg als eine • Ortstatt > (Gränzplatz) hinter
sich liegen zu lassen» (AA 579. Mai 11).
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— 60 —
dieser Stadt halben seinen Zug so hoch ins Elsass genommen)
beschwerlich Vorhaben und Anschlag merklich gebrochen,
verhindert und wendig gemacht. Daher mochte er, der Kaiser,
die treuen, gehorsamen und nützlichen Dienste, so ohne Ruhm
zu reden, ihrer und der Kön. Majestät sie jelzund bewiesen
und hinfüro zu thun begierig wären, gnädig zu Gemüt
und Herzen führen. « Daran würden ir. Kays. Mt. ir selbs,
auch der Königl. Mt. und dem heil, reich ein heilsamlich gut
werk thun, diese stadt vor endlichem abgang vernieten und
s v e zu dester einer starken Vormauer des
ganzen Keinstroins machen, darzu frembde
potentaten von solchen gewaltigen Überzügen
treffenlich abschrecken und den ganzen Reiu-
ström d a r d u r c h höchlich befriedigen. D a r g e ge n
w e r e n wir auch begierlich bereit, unser gut
und blut zu be warung und rettung diser stadt
darzu zust recken und dieselbe unser s üssersten
Vermögens bey her Mt. und dem heil, reich auch
allen ihren hergebrachten I i b e r t e t e n vermittels
göttlicher genaden zu retten und zu erhalten
und es darzu in ander weg gegen irer Kay. M t .
in allerunterthenigstem verdienen.»
Aller Augen waren in jenem kritischen Momente auf Strass-
burg gerichtet, und allgemein wurde sein verdienstvolles Ver-
halten anerkannt, nicht zum mindesten von Karl V. selbst, der
der Stadl mehrfach schriftlich und bei seinem Durchzuge durch
dieselbe personlich seinen kaiserlichen Dank aussprach. 1
In den Ereignissen des Jahres 1552 sehen wir aber zugleich
auch die glänzendste Verherrlichung des Stettnieisters Jacob
Sturm, des «pater patriae et ornamentum reipublicae,»* der
damals mit fester Hand das Schiff des Staates lenkte und das-
selbe durch die Stürme der Zeit glücklich hindurchführte. Ist
doch überhaupt mit der politischen Thätigkeit jenes genialen
Mannes die ruhmreichste Periode der Geschichte Strassburgs
1 Sieidan III, 399. Schon vorher hatte ihnen König Ferdinand für ihr
ehrliches, bestandiges und ritterliches Verhalten, das ihnen bei männiglich und
fürnehmlich allen Ehrliebenden zum höchsten rühmlich sei, gedankt und sie
ermahnt, den dadurch erlangten Ruhm höher als die erlittenen Schaden zu
achten (Str St. AA 579. Juni 13}.
* R. u. 21. 53. Okt. 30.
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— 61 —
eng verknüpft; sie beginnt mit seinem Auftreten und findet
ihren Abschluss mit seinem Tode.
Hatte sich Sturm während des schmalkaldischen Krieges
in eine gewisse Passivität zurückgezogen, nicht nur weil er
die Erfolglosigkeit desselben voraussah, sondern wohl auch
weil er jeder Entscheidung der religiösen Fragen durch das
Schwert, und zudem einem Kriege gegen den Kaiser, in dem
er jederzeit das gesetzliche Oberhaupt des Reiches erblickte, ab-
geneigt war,* so ist er jetzt, wo es gilt, die Stadt bei letzterem
zu erhalten, der Mittelpunkt des Widerstandes. Seine Thätig-
keit können wir überall verfolgen. Er ist die Seele der Ver-
handlungen mit den benachbarten Standen, er verfasst die
Instruktionen für die Gesandten, auf ihn gehen die Vergriffe
an die Schöffen und Gemeinde zurück. Er wird am geeignetsten
gehalten, Kapitel und die oft schwierigen Kriegshauptleute zu
Zugeständnissen zu bewegen. Bei jeder Gelegenheit bringt er
seine gemässigten Ansichten zur Durchführung.
Daneben hält er sich aber auch nicht zu gut, die kleinsten
militärischen Anordnungen zu treffen, mag es sich nun um
Anwerbung und Unterbringung des Kriegsvolkes oder um die
Anlage von Befestigungen handeln. Ueberall zeigt er ein
Sachverständnis und eine Einsicht, die ihn selten täuscht. 2
Da er die feste Ueberzeugung hegte, dass die politische
und religiöse Unabhängigkeit seiner Vaterstadt durch gewissen-
hafteste Beobachtung ihrer Verpflichtungen gegenüber Kaiser
und Reich am besten gewahrt und erhalten würden, betonte
er auf die erste Kunde von dem Herannahen des französischen
Heeres : « So der König an die Stadt etwas begehren würde,
vor allen Dingen die Aussöhnung zu besehen, was wir uns
1 Sagt er doch einmal geradezu : • Wir haben allerlei exeinpel vergangner
zeit, do die sach an den orten, do man es mit dem schwert hat wollen usrichten,
nit wol geraten« Winkelmann, Polit. Korrespondenz der Stadt Strassburg
II nr. 545. 1538 Okt. 11. — Auch Baumgarten, Jacob Sturm p. 15, glaubt
annehmen zu müssen, «dass er niemals den Krieg gegen den Kaiser empfohlen
habet.
3 Völlig zutreffend ist in dieser Beziehung die Charakteristik, die Johann
Sturm in seiner • Consolatio ad senatum Argentinensem • von ihm giebt : • Quot
et quanta fuerunt temporum perturbationes, quam periculosi motus, quam saepe
novarum perturbationum causae quaesitae sunt, cujusmodi comitia, ibedera,
bella, in quibus omnibus aut domi consulendo aut l'oris legationibus obeundis
interfuit, consilium dedit, multa timuit, multa providit, multa praedixit, qua»
partim evenerunt, partim adhuc impendere videntur.
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— 02 —
gegen Kay. Mt. verschrieben,* damit denselben Punkten nichts
zuwider bewilligt werde.»* Hatte er sich nach der Niederlage
des schmalkaldisehen Bundes, wenn auch nach hartem Seelen-
kanipte, schliesslich bereit finden lassen, « den schwersten Ritt
seines Lebens 9 zu thun, den Kaiser um Verzeihung für seine
Vaterstadt anzuflehen,* so ist diesmal, wo es sich um die
Gesandtschaften an den französischen König handelt, l>ezeich-
nenderweise gar nicht einmal die Rede davon, ihn bei einer
derselben zu verwenden.* Dagegen sehen wir ihn wenige
Monate darauf wieder an der Spitze der feierlichen Botschaft,
die den Kaiser bei seinem Durchzuge durch das Elsass im
Namen Strassburgs begrüsst und um möglichste Schonung des
Landes bittet.
Dass die von Sturm in den von uns geschilderten Tagen
bewiesene Treue und Gesinnungstüchtigkeit vom Kaiser vollauf
anerkannt und gewürdigt wurde, beweist das Schreiben, welches
ihm seitens des Bischofs von Arras Anfang Juni zugestellt
wurde : 5 «Dass ir Kays. Mt. einem erbaren Rat und gemeiner
Stadt daselbst, in Ansehung ihres beständigen Gehorsams und
1 Gemeint ist hiermit jedenfalls der vom Rate am 25. April 1547 abgelegte
Eid : • Wir Meister u. Rat dieser freien Reichsstadt Strassburg geloben und
schwören, dass wir sollen und wollen dem allerdurchlauchtigsten Herrn Karin,
Römischem Kaiser, unserem allergnädigsten einigen rechten Herrn, als eine
freie Stadt des heiligen Reichs treu und hold sein, auch alles thun, was wir als
eine freie Stadt des Reichs nach unseren Freiheiten und altem Herkommen zu
thun schuldig sind, also uns helf Gott und die heiligen Evangelien» (Hollaender,
Strassburg im Schmalkald. Kriege p. 91).
2 V. D. G. lad. 111, nr. 13. — In gleicher Weise erklärt er im Juni,
als Abgesandter der XIII, dem Churförsten von der Pfalz: Dass ein ehrsamer
Rat zur Zeit der Aussöhnung sich dem Kaiser also verbindlich gemacht hätte,
dass wir uns mit den KriegsfQrsten nicht einlassen könnten, wir wollten uns
dann in die Gefährlichkeit begeben, dass uns vorgeworfen werden möchte, wir
hatten Brief und Siegel nicht zum Besten bedacht, davor uns dann der Allmäch-
tige gnüdiglich behüten wolle. Denn dieweil unsere Vorfahreu und auch wir,
ohne" Ruhm zu melden, ihre Zeit und Administration oder bevohlen Amt «also
uuverdenklichen • hergebracht, dass weder ihnen noch uns, dass sie oder wir
wider Ehr gehandelt mit Wahrheit zugemessen werden möchte, so wollten wir
je ungern solches Lob bei unserem Leben mindern oder schwächen und uns und
unseren Nachkommen einen solchen nachredlichen Verweis und Makel hinter-
lassen ; »sondern eher unser Vermögen aufsetzen, ehe wir uns und sie mit der-
roassen unab<terblicher diflamation beschwerten» Str. St. AA 590.
3 Vgl. Hollaender a. a. O. p. 63.
4 Wie Spach a. a. O. p. 181 Jacob Sturm franzosen freund liehe Gesin-
nungen imputieren konnte, ist mir unerfindlich. Vgl. Ober diesen Punkt auch
Baumgarten, Jacob Sturm p. 33.
5 Thoroasarchiv 1552 Mai 25. (Tir. 22. Liasse 2 ]
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- 63 -
unterthäniger Treue, so sie zu diesen geschwinden gefährlichen
leuften gegen ir Mt. und dem heyl. reich erzaigen und son-
derlich auch von wegen euers getreuen unterthanigen
fleisses, so ir in solchem fall ehrlich und gehorsamlich
fürwendet, damit gemeine stadt in einem solchen gehorsam
bestendiglich verharre, mit allen gnaden geneigt, auch solches
in seiner zeit dermassen gnediglich um euch beide erkennen
wurdet, das ein gemeine stat und ir insonderheit irer kay. mt.
gnedigste dankbarkeit spüren und im werke befinden sollet.»
Diesen Worten fügte Granvella eigenhändig noch Folgendes
hinzu : « Plurimum benevolentiae vobis conciliaslis apud suam
Majestatem fortitudine vestra et publice civitas et tu privatim,
et mihi crede, sie esse confirmatam opinionem, quam de tua
probitate sua Majestas coneepit, ut omnem henevolum ac pro-
pensum favorem a sua Majestate expectare possis.»
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Anhang I.
Str. St. AA 4834.
A nos tres chers et bons amys les gouverneurs
de la ville de Strasbourg.
Tres chers et bons amis. Nous avons entenda par le herault
Pietmont, presentement retonrne devers nous, en quelle bomie volunte
il vous a trouve de nous secourire et accomoder notre armee de vos
facultes, chose que nous avons receu a tres agreable plaisir, et ne
voullons faillir a vous mercyer de Thonneste demonstration d'amytie,
dont vous usez envers nous et que nous mettrons peine de recog-
noistre en toutes choses qui se pourront offrire pour votre regard.
Comme nous avons donne cbarge a Pellissier present porteur vous
dire et declairer plus ampleraent de notre part, auquel nous vous
pryons adjouster surte autant de foy que vous feriez a nous mesmes,
priant dien, tres chers et bons amys, vous avoir en sa saincte et
digne garde. Escript au camp de Haraucourt le 25. jour d'avril 1552.
Henry
de l'Aubespine.
Anhang II.
Str. St. AA 1854.
Mess. le bourgueraaistre et conseil de la ville de Strasbourg.
Messeigneurs! Esperant que suivant ce que je vous ay peus-
nagueres escript et mande par le herault du Roi et la bonne res-
ponse que mavez faictes, vous secourrez ceste armee de vivres en
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— <;r> —
paiant, j'envoye ce portcur devers vous ponr scavoir de vous ce que
pourrcz faire en ccla, ainsi qu'il vons dira de ma part dont je vous
prie Je tenir comme moy mesmes. Estant asseurez que sa majeste
leeougnaistra ce que vous en aurez faict ainsi que le requiert la
bonne amitie qu'il vous a tousjours portee et porte. Je conjure notre
seignenr, raesseigneurs, qu'il vous ait en sa sainte gardo. Escript
au camp de Crevy (?) le XXY«»^ jour d'avril 1552.
Votre bon amy
Monmorency.
Anhang III.
Verschiedene Zeitstimmen aus dem 16. und 17. Jahrhundert über die
Pläne Heinrichs II. hinsichtlich Strassburgs.
Mem. de Tavanne« (Michaud et Ponjonlat VIII p. 164).
« Le roy inarche a Strasbourg, ponr y faire de raesme, qu'il
avoit faict a Metz; enx monstrent rinconvenient de leurs voisins les
avoir faits sages, et qifil faloit commencer par enx, ou ii mesme
jour, ce qni eust ete fpeut-estre] en danger de n'avoir ny Tun ny
l'antre.
Sleidan 24, 359.
Creditur enim, spem illos prope certam coneepisse, ut quemad-
moduni amicitiac quadam ostentatione, Metim ingressi fuerant, sie
otiam ab Argentorato non excluderentur : cum autem scirent mnni-
tissimam esse urbem, et tanto praeterea studio viderent ad defen-
sionem omnia parari, mutato, ut est credibile, consilio deflexerunt.
Leben und Thaten des Herrn Sebastian Schertlin von
Bnrtenbach ed. Scbönhuth p. 89.
« Und als wir verhofft, unns sollte die statt Strassburg uffgethon
werden, und da wir die inhendig gemacht betten, uss solcher desto
bas unser intent erlangen mögen, haben sich die von der statt mit
ü starken fendlin knechten besetzt, uns mit nichten anders, dann
den könig mit etlichen personen wollen einlassen, (?!) und haben
daran weisslich gehandelt, dann da wir hinein, w e r e n wir
mit lieb nimmermer her auskörnen. »
5
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— M —
Z numerische Chronik (1566 abgeschlossen) IV, 67.
«Im fürstenkrieg do mucst graf Wilhelm Wernher zu Speier
weichen, sampt mertails allen camergerichlspersonen ; dann künig
Heinrich von Frankreich ward mit höreskraft üher die Füst (das
Gebirge) kommen, des verhoffens, man würde im thor und thüren
allenthalben ufthun. Es het im aber der Allmechtig durch sein güete
die äugen also verbleut, das er ein klcins für ein groses usser-
welt, nemlich das er die rcichstat Metz mit listen het ingenommen
und den jungen herzogen von Luttringen geraubt über alles zusagen
und küniglichs versprechen. Also, do er Strassburg ansichtig und nit
anders gedacht, es werc richtig, nun war den bevestigten pauren die
äugen ufgeen, die beschlossen ir stat und Uesen den künig zu
Elsass-Zabern und am gebirg umher terminiren. Den fieng erst an
sein fürnemen zu rewen ; jedoch so war der has im pfeffer etc>
Thuanus. Historia sui temporis (Ausgabe von 1626) 10,305.
« Spe potiundae civitatis exclusus rex , relictis Tabernis vexillo
peditum iter flexit et tertiis castris llaganoam pervenit. >
Chronikalia über Strassburg und das filsass (um 1660 abge-
schlossen).
St, (Kahiu -t/r r StiulthiblUithclt . )
p. 4<5i) (offenbar zeitgen, Aufzeichnung) :
« Anno 1552 da zog der könig von Frankrich angangs im Mayen
mit einer grossen macht über Zaberner steig heraus in Teutschland
in einem falschen betrug, wie es sich auch befunden
und noch täglich bei ihm befinden thut. da fuhren
die hn. von Strassburg zu und hiewen alle bäum umb Strassburg
ab, auch vornehme gebäw, was sie vermeinten, ihnen vor der
Stadt schädlich zu sein und fingen an, dasselbigemal den graben
und wähl sampt der pasteyen zu machen und ordneten mich,
B. Cogmann, i darüber zu ihrem unschuldigen diener und lohn-
herren, etc>
w r eiter unten p. f>12. :
1552. «In diesem Jahr hat König Heinrich aus Frankreich Metz.
Tull und Verdun mit list eingenomen und mit heereskraft in Teutsch-
land gezogen im schein , den Teutschen zu helfen, aber
mit betrug umbgangen und mit. schaden wieder
heimgezogen. >
1 Ueber diesen Chronisten vgl. Röhrich a. a. O. I, 6 und Dacheux,
Bulletin de la soci^te" p. la cons. des mon. hist. d'Alsace, II« sene. 13, 29.
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Os. Schadaei (1586/1626) „Strassburgische Cronica".
StoiltbiblioM.)
«In disem 1552 jar kam der Franzos in Deutschland und nach-
dem er die reichstett Metz, Toul und Verdun eingenommen, ver-
meint er auch Strassburg zu bekomen. Weil aber weder
der Constabel noch der könig selber die stadt nach seinem gefallen
fand, auch sähe, dass sich die stadt zur gegenwehr stark präpariert,
brach er mit seinem Volk den 7. May auf ; musst also ungeschafft
abziehen.»
Walther'sche Chronik (abgeschlossen 1676>.
« Da der Kounetabel merkte, dass es ihnen nicht wie zu Metz
geschehen, gelingen werde, und unter dem schein guter freund-
schaft nicht in Strassburg eingelassen werden würde, auch die
stattliche gegenverfassung und veste der Stadt betrachtete, sind sie,
nachdem sie etliche tage bei Hausbergen gelegen , den 7. May
wieder aufgebrochen.»
Michael Kleinlawel, Strassburgische Chronica (1625 gedruckt).
p. 148: «Nachdem der Frantzos die Stadt Metz
Thol Verdun eingenommen
Ist er auch für Strassburg zuletz
Mit grosser Kriegsmacht kommen.
Da rüst man sich zur gegenwehr
Und wollt ihn nicht einlassen
Darum musst er mit seinem Heer
Wieder ziehen sein Strassen. >
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Nachträgliche Anmerkung zu Seite 36.
Wie mir während des Druckes der Arbeit seitens des Heim Frei-
herr» von Müllcnheim-Rechberg freundlichst, mitgeteilt wurde, sind
bei den Demolirungsarbeiten des Walles am alten Judcnthore Januar
1881 lediglich zwei Grabsteine mit ebräischer Inschrift aufgefunden
und von Herrn Professor Euting entziffert worden. Vgl. darüber
Bulletin de la soc. pour la cons. des mon. bist. d'Alsace, II e serie
X, 2, 142 u. XII, 2, 2 und Euting in der Festschrift zum 2ö0jähr.
Bestehen des Strassb. Protestant, Gymnasiums (August 1888) die
Steine Nr. 2 und 3.
Strasburg, Druck von .1. H. E<1. Heilz (Heitz .t Mündel).
Heft II. : Ein andechtig geistliche Badenfahrt
des hochgelebten Herren Thomas
Murner. 8°. 56 S. Neudruck mit Er-
läuterungen, insbesondere über das
altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr.
E. Martin. Mit 6 Zinkätzungen nach
dem Original. M 2 —
Heft III.: Die Alamannenschlacht vor Strass-
burg 357 n. Chr. von Arehivdirector
Dr. W. Wiegand. 8° 46 Seiten mit
einer Karte u. einer Wegskizze. M 1 •
Heft IV.: Lenz, Goethe und Cleophe Fibich
von Strassburg. Ein urkundlicher
Kommentar zu Goethes Dichtung und
Wahrheit mit einem Porträt Ara-
minta's in farbigem Lichtdruck und
ihrem Facsimile aus dem Lenz-Stamm-
buch von Dr. Joh. Froitzheim.
M> 2 50
Heft V. : Die deutsch- französische Sprach-
grenze im Elsass von Dr. Constant
This. 8°. 48 S. mit Tabelle, Karte
und acht Zinkätzungen. S 1 50
Heft VI. : Strassburq im französischen Kriege
1552 von Dr. A. Hollaender. 8°.
68 Seiten. Jk 1 50
In Vorbereitung :
Witte, H., Dr. Die Armagnaken im Elsass.
Hertzog, A., Dr. Rechts- und Wirthschaftsver-
fassung des Abteigebietes Maursmünster
während des Mittelalters.
Jede Buchhandlung, sowie die Verlagshandlung,
nimmt Bestellung an.
Hochachtungsvoll
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
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Verlag von J. H. Ed. Heitz (Hcitz & Mündel)
in Strassburg i./E.
Baum, Adolf. Magistrat und Reformation in Strassburg bis
1529. gr. 8. Xm u. 212 S. JL 4 60
Els&ssische Landschaften. Vier Originalradierungen von F. Helms-
dorf. Neue Ausgabe. Text von Dr. A. Schricker. gr. fol. mit
4 Blatt Text in Mappe. Jt 6 —
Institute, die naturwissenschaftlichen und medicinischen der
Universität Strassburg und die naturhistorischen Samm-
lungen der Stadt Strassburg. 4. 148 S. mit vielen Grundrissen-
und Holzschnitten. uf 8 —
Irle, Herr mann. Die Festung Bitich. Mit einer Ansicht von
Bitach. a 48 S. Jk — 80
Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratnr Elsass-Lotia-
ringens, herausgegeben von dem hist.-litt Zweigverein des Vogesen-
Clubs. III. Jahrg. gr. 8. 204 S. Jt 2 50
Lucius, Phil. Ferd. Friederike Brion von Sossenheim.
Geschichtl. Mittheilungen. Prachtausgabe gr. 8. 198 S. JL 5 —
Müllenheim-Rechberg, Herrmann Freiherr von. Die
Annexion des Elsass durch Frankreich und Rückblicke auT
die Verwaltung des Landes vom Westphälischen Frieden bis
zum Ryswicker Frieden (1648-1697). Vortrag gehalten am 2. Mai
1887 im staatawissenschaftlichen Verein zu Strassburg i. E. J% 1 50
Bremer, F. P. Frans von Sickingens Fehde gegen Trier und
ein Gutachten Claudius Cantiunculas über die Rechtsan-
sprüche der Sickingen'schen Erben, kl. 4. CXVI und 28 Seiten.
Jk 4 50
This, Constant. Die Mundart der französischen Ortschaften
des Kantons Falkenberg (Kreis Bolchen in Lothringen). 8.
80 S. JL2 —
•
Rectoratsreden der Universität Strassburg:
Heitz, £. Zur Geschichte der alten Strassburger Universität.
Rede gehalten am 1. Mai 1885. 8. 27 S. Jt — 60
Beye, Th. Die Synthetische Geometrie im Alterthum und
in der Neuzeit. Bede gehalten am 1. Mai 1886. 8. 16 S. Jt — 40
Zcepffel, Rieh. Johannes Sturm, der erste Rector der
Strassburger Akademie. Rede gehalten am 30. April 1887.
^ - 40
Vogesengrün. Ein elsässischer Familien-Kalender von Maria
Bebe. Zweiter Jahrhang. 1888. Jf 1 50
Strassburg, Druck von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
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