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Full text of "Aetas Kantiana"

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AETAS 
KANTIANA 



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IKIll 



AETAS KANTIANA 



Das kritische Werk Emmanuel Kants, 1724-1804, bedeutet einen 
entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Philo- 
sophie; besser, der Philosophie uberhaupt. Zwischen 1780 und 1800 
liess Kant erscheinen : Die Kritik der reinen Vernunft, 1781; Die 
Kritik der praktischen Vernunft. 1788; Kritik der Urteilshvft, 
1790; Die Religion innerhalb der Grenzen der bhuen Venatnfi, 
1793; Die Metaphysik der Sitten, 1797. Nicht aufgefQliit siiid dabei 
jene iiiizjEhli^ Sdiiiften, die dazu bestiinmt waren, die in dieflen 
gnindleg^den Weiken ausgespioGiienen Frinzipien zu verteidigen. 

Kant lutte niclit nur Sdiiilar und Bewundeier. An Gegnem fdilr 
te es nidit Es waien dies vof aHem die Verfediter des WoifTsdien 
und Leibniz*sdira Rationalismus. Anderefsdtz waien es Fidite, 
Sdielling und andere Idealisten, die aus den von Kant aufgesteHten 
Prinzipien die extiemsten Fofdeiungen zogen. 

Wenige Peiioden waien so fiuditbar an AuseinandeisetEungBn 
von Ideen, an Veisudien von SystembOdungen. Die Kant*8die Kiitik 
gab den Anstoss zu einei ganzen philosophisdien, kiitisdien und po- 
lemischen Litexatur. Sie ist auch heute nodi sdu mSditig. 

Tiotz der veisdiiedenen und oftmals gegensStzlichen Stifimun- 
gen, die sie chaiakterisieien, bilded ^AetasKantiana ein unteilb»- 
res Ganzes : etwa die ersten vieizig Jahre der Bewegung. Dieses Gan- 
ze, diese Aetas Kantianat besagt dne enocme Literatui. Sie umfasst 
viel mehr als die grdssten Autoren dieser Epoche, sie seien nim kan- 
tianiflch oder nidit. 

Dies ist der Gmnd, warum cs nuiziich, ja notwendig schien, die 
Werkc in eincin nioglischt vollstandigcn Corpus zusamnicnzustellen. 
Unter dem Namen Aetas Kantiana werden also, im Neudruck, die 
Originale odcr dic bestem Ausgaben der reprasentativstcn Werke der 
Kanfschen Aera publiziert werden; mit Ausnahme, wohlgemerkt, 
der grossen Gesamtausgaben, die leicht zuganglich sind. 



IMPRESSION ANASTALTIQUE 

CULTURE ET CIVILISATION 

1 1 S avenue Gabriel Lebon, BruxeUes 
1968 



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BEYTRAGE 



Z V B. 



GESCHICHTE 



DER PHILOSOPHIE. 



HERAUSGEGEBEN 

VOH 

GEORG GUSTAV FULLEl>. RN. 

FROVESSOA AH. >t.ISASSTHAII1JM 19 BJIRSr.Ar* 



TXBRTES STtiK. 



mn 



ZULLIOIAU UND FREYSTADT, 

I* BSB mODClCAVllISCBKll BUCBHANDX.V?r«t 

»794- 



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LCMN STAQC 



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V. 77:-l 



l n h a i t. 





UebcT CLriHijLn Tkomaflns Pliilofopliie, 






Mit Antzfigen aut feinen pliilofup?u. 






fclien Scliriften. 


Seltc \ 


% 


Ueber Gerdiichte der philoropliirchen 






Xnnft-Sprache nnter dcn Deutrdien. 


iiG 




Einige All^emeine Refiiltate aot der 






Gefchichte der Philofophie. 






Knrxe Gefchiclite dcr Logik bey den 






Griechea, 








5. Plan 




190 





Plan zu ciner Gefchiclite der Plii- 

lofopliio, Seite j8o 



Von der Verfclileclenheit der ulten und 

ncueu Pliilofopliie. jB? 



Alles vom Herausgebcr. 



UEBEK 



Ober 

CHRIST, THOMASIUS PHn-OSOPHII. 

Mit Auszligen 
aus seinen philofophifchen Schriften» 



£ine vollftanclige Biographie des TerdienA» 

vollen Thoiiialius ift dem Zweke diefer Bey* 
trftge nicht gemftlk *), £ben Xo wenig ift es 
meine Abficht, zu nnterfucfaen: inwiefem 
Thoiiiaiius durcb die Anwendung feiner plii- 

lo- 



*) So Tiel idi weilit ift aodi Imn» faellen niid 
▼oUrtgndigm e vorhaaden > aie die Ton Schrakh 
geliefiBffte» All^. Biog. FOnStm Theil. 8. aSS L 
gewirs inehr, «b blorier Verfuch» wofax lia 
der II i. VeijCarCer ausgiebt. 

A 



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lolbplurGlm IdMn dli Wohkbgler feliiet 2ek- 
«Itm lowoblf «It ^ devtldieii Kaiioli 

fiberbAupt geworden fej. Icli babc mir ndr 
Jio Flrage voigekgt: WMiet fitiA dit Vti* 
diemfle ChriftUm Tkmnfiui mm Ae fkUofophU. 
als Wiffenfchaft? Da. aber clie Beantwortnng 
dieier ipedelkii Frage Ib Tortfaeilbaft aicbt 
ensfidleii luuini wht mtm Unterfaebimg ftber 
die geDunmten Verdienite unfers Philofopben: 
Ib wird eine Verwabning gfegen mOglidie 
Vorwiirfe der Ungerecbtigkeit vnd Verkltt» 
nerungsrucht TieJlieidbt tiieht ganz unndthig 
leyn. Dazu mag folgendes Uitbeii TOH 
SefarSkh dienen« welebes gewi& jeder Un- 
partheyifche mit mlr unterfchreibt: n£id 
nHlanh I lagt er der weiter nicbts Grofses 
nenigeliyirt biltet ale dali er die Freybeit 
^zu denken, zu lehren und zu fchreibeni 
,imit einem folchen Kampfe fo bocb gebracbt 
Jblttet wte ThomaAntf wHrde Idion danini 
,,an eine unaafbdrlicfae Dankbarkeit der Nadi» 
nwelt Anfprucb macben kfinnen. Aber wer 
Mandb Ib Tiel lichl in sudimie Willenlchefr 

«tea 

<)Aai.& s.aa^t 



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fitQ& clhzufuhreti) fo Viele Vorurttieile zu 
ffiiXrzen^ und aberhaupt fo unermudet unil 
„gluk]ich 2um Beften der Gelehrramkeifc und 
i,der MenfcJjen - Rechtfe zb arbeiten wiifte, 
pVfFie tgr: dcr wtlrde mit g]eichem Vertrauen, 
„wi« Thomaiiusi Ilch atif dasjenige btfruieri 
^k6nneii, Was er getban hat; wenn gleich 
Mmanches davon nut ilinerbalh Verfuche Ite* 
i^hen geblieben ifk^ 

AttS der Lebenf und Zelt-Gerchichte un- 
9trs Philorophen ift natttrlich faey dlefer Un- 
terfur.hung nur wenig mitzunehmen. Wir 
fragen nicbt: Wie Thomalitis das geworden 
ky^ wofUr wir ihn anerkenneu) nichtf 
warUni cr nur fo vi^l, und jlicht mehr ge- 
Jeiftet h^be? fondern» vas er, Zeuge fei* 
aer ▼orhandnen Stshrift^t wirklich geleiftet 
habe. Da fich aber die Eigenheiten des Gei- 
Ifes und der ganzen Individualitat eines Man- 
nes yot dlen in feinen philofophirehen Wer- 
ken, zumahl wenn diefelben auf Originallt^t: 
Anfpruch machen, deutlich alMirukeny und 
daraiif weientlichen Einfluik haben: fo miif-* 
fen liier Toraus einige allgemeine Puncte be« 
rUhrfc wetden, die den Geifk und Quu*a€tec 

A 9 die* 



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— 4 — 

diefes Mannes angehen» und iu feine Bemft* 
hungen t&r die Phllofophie ubergcgangen find. 

Erftens feine Idee von dem Zweke der Ge» 
lehrfamkeit Hherhaupt. Die Gelehrfamkeit» 
ragt er *), ift eine Erkenntniis , wodurch 
der Menfch gefchikt gemacht wird, das 
Wahre von dem Falfchen, das Gute Ton 
dem Bofen zii unterfcheiden , nnd deffea 
wahre oder wabrfciieinliche Urfacben anzn- 
geben^ um dadurch feine und andrer Men* 
fchen zeitliche und ewige Glukreligkeit zu 
befdrdem Icb halte den fiir einen ge- 

lehrten Mann» der et]iche wenige Wahrhei- 
teh gewifs weifs, die er zum gemeinen Nu- 
tzen anwenden und daraus in andern WifTen* 
fchaften mancherley Wahrheiten herleiten 
kann, der iibrigens abei wohl weifs, dafs 
die Welt voJl leeren Wahnes fey, und da- 
her fmne Wahrheiten fowohl, als diefen 
leeren Wahn der Welt Anderu deutlich vor 

Att- 

*) EinL sur Vmunft* Lebre S. t. ViaR» AulL 
T. J. xy**- 

«*} Ebend. S. 



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5 



Augen fteHen kann AI]e GelehrCimkeit 

zerfallt in zw^y Theile : Gottesgelahrtheic 
und Weltweisiieit , wovon die erfte ihre 
Quelle in der O/Tenherung, dle leztre im 
meufchlichen Vcrftande hat **). Alles das- 
jenige ift keine Gelehrfamkeit zu nenneni 
was weder im menfchlichen lehen Nntzen 
hat, noch zur Seeligkeit anfiihrt. Gemein- 
niitzigkeit alfo, d. h. augenblikiiche Brauch* 
harkeit der Kenntnifle im gemdnen Lehen 
ift ihm der Zwek aller Gelehrfamkeit, und 
alle KenntnilTe) die diefen Zwek nur mittel- 
bar oder langlam befdrdem helfen» z. B. 
Sprachftudium lind in feinen Augen gering 
und von keinem fonderlichen Werthe. Aus 
diefer Idee eutfprang^ oder erkl&rt Hch 
wenigltens» 

Ztoeyiens der Eifer^ womit er die Sehota* 
Jtifche Philofophie %u verdranp;en fuchfe» Man 
weifs ja wohl, wie es den Syftemfiurmern 
in allen Widenfchaften zu gehen pAegt. Sie 
werfen gemeiniglich das Gute mit dem Schlech* 

\ 3 tcn 

S. II. R 



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ttn zugleich iibar Bor^» und fuclien iiberan^ 
irenn nicht den «ntgegoigerezlen, 4och einen 
•ndem Weg zvl geben. $ie bekommen 
inililig, aucb wenn Ite die beiken Menfchea 
find» «inen gewiiXen Relbnnator«Stolz, der 
thnen nicbt erlaubt, eucli nur im Mindeften 
lich den^ bekriegten Syfteme wieder zu nH- 
hemt «ind der Be zukzi eneh gegen elle 
andere Syftencie aufhringt. Heftigkeit, Spdt- 
lerey und em fc beid e nder Too finden fich uu* 
Termerkt ein, nnd mechen ein^ Iblchen 
Reformator zulezt Alr «lle hilligen Urtheiln 
unzug&nglicb. Diefs war ohnftreitig auch bey 
ThomaRus der Fall* Da er die AriftoteUfche 
oder Scholaftifche Fhilolbphie thcils wegen 
ibrer fyftematifcben Sclavereyi tbeils wegen 
ihrer (jpiziindigea » fchweren und niohtgCH 
meinn&tzigen Speeulationen hafste und zu zer* 
ftdbren fuchte: fo bemuhte er licb dagegen» 
«ine gewifle Freyheit im Pbilofbpbiren gemnn 
Xtt machen, nnd| mit Uehergehung «ner 
Speciilation, uber allgemeine Gegenltande fo 
leichtt rerft&ndUch nnd angenehmt als mOig- 
fich, zn fchwatzen. Ab«r alles practifehn 
Philorophiren wird fchal und feicbt, wenn 
es £ch nicbt aof Torhejrgfganign» grundiicbn 

Spe- 



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Speealadon ^a&det, und um fttr die Welfc 

recht gemoinniitzig raifonniren zu k6nnen, 
uuCs man fiir Aoh fehr fpizAndig fpeoiilixt 
kahen. Hent ik der erklilrterte Gegner aller 
blofs IpeoitlatiTen WifTenfchaften doch wenig- 
Xtens billig genung, zazugeben» dals es guC 
iind YortbeiUialt ley, wenn eina belbndre 
KlaCfe Ton Gelehrten Jicli damit abgebe nnd 
l^eiohlam ein Tribunal der erlten Principien 
ansmaobe. Aber Tbomalias «rklirt darohaat 
Iblche Berch&Ftigimgen BSlt nnnfttZf Thorheh 
und Miiniggang. Daher kain es, dals er 
hefonders in den Theilen der Fhih>fophi€| 
die ohne Specalation nicht grfiUidlich hehan- 
delt wcrden konnen, duferft feicht und ober- 
fl&cblich raifonuirt, nnd alle, felbft did 
wichi^ften Fragen, bey deren Unterfudiung 
eine gewiffe Subtilitat unvermeidlicb ist^ 
Jeichtferdg iibergieog. £r erUilrt iicb hier- 
fiber zieralidi artig: nlch w&rde es wahr* 
^licb nicht lefen, wenn auch bundert B&nde 
ji&her die Frage gefchrieben wftren: ob die 
^Bewegung oder das licht der Sonne wftrmt? 
^oder ob das Licht der Sonne die Urlkche 
^der Hewegungt oder diefa di^ Urlache Ton 
njenem ley? Xch w&rde micfa in Einfalt des 

A 4 „Licbts 



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yiLicbts und der Walrme der Sonne bedieneni 
nund andre unterdeden bey einem Kamin* 
„feuer oder Wacfaslicht datiiber disputirea 
^larren. Ein hungriger Wandrer ilst im Gaft- 
nbofe die Speife, die ihm vorgefezt irt« und 
„1it(st unterdeCTen clie Philofophen unterfdiied- 
nner Syfteme ftreiten: oh der Gefchmak in 
tider Speiie oder in der Zunge ftecke? *y* 
AUes ztt leiner Z^t und an feinem Ortet 
wiirden wir dai^egen fagen k5nnen, aber 
Tbomafius gUcb in der Tbat einem bungngen 
Wandrer, der iich immer bald zu Tlfchc 
fetzen wilJ. Zu diefem £.i/er fiir Popuiaritat 
gefellte Ach dann 

Drittens feine GleiekgiUtigheit iit BSJifiche 
4er pkUofophifchen Spracke, So gut auch dia 
Anmerkungen find, die er in feiner practi* 
fchen Logik uber die Beftimmtbeit der Aut- 
drQke beybringt ; fo wenig befolgt er Ae 
in XiBinen pbilofophirchen Scbriften felbfu £• 

ift 

AusAb. d«r Sitmilehfe S. 546L Dritt» AuA. 
J. X704. 

**) Ausab aer Vem. 5. HanptftOk. Nacb der 
Autgi ir. J. iTxet. 



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irr einerley, ob es fo oder anders nennrt; 
bemiihe dich diefe Tugenden auszuiibeC) und 
ftreite nicht uber ihre Benennnng; mdgen 
es andcre nach ihrem Gefdlen nennen; ich 
ftreite mich nicht um ein Wort oder Aus- 
dmk; binde dich in Definidonen nicht an 
die Worte; die Wahrheiten zu nnterfchei* 
den, magft du Namen brauchen, welcbe 
dn willft: diefe und ihnliche Aeufernngen 
linden lich anf allen Bogen leiner Lehrbiicher* 
In unfern Zeiten ift es iiberRunig , das 
Seichte und Schiidliche einer folcfaen Fadlitas 
in Terbis erft erweifen zu wollen, und Tho« 
mafius felbft wiirde, wenn er unbefangner 
Ijewefen wftret durch feine ^gne £rfahrung 
belehrt worden feyn, dafs Worte und Be- 
griife genauer zufauimenhangen) als cr glanl)- 
te» Wir haben gelemt, wie wicbtig z. B. 
die Unterfchcidnng der W6rter: Empfindung, 
Vorftellung, Idee, Gedanke, Begrif, Er- 
kenntnis u. a. ift> die er alle zuCimmen ffir 
gleichbedeutend nimmt, und wir fuchen a]]e 
Wortftreite eben dadurch zu vermeiden, dals 
wir die Wdrter ▼orher beftimmen* fo wie 
er im Gegentheil folchen Streitiglceiten da« 
durch zu cntgeben glaubte, wenn er einem 

A 5 leden 



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lO — 

)eden die firlaubnis g^U^e» Wdrter zu bran- 
chen» welche er wolle. loh will hter nicht 

bey der Fraga verweilen; Ob ciie deutfche 
Spracbe ddmals auch rcbon von der Befchaf^ 
fenhmt war» dals dn philoropbircher $GhriftiF 
ftellcr, der fich ihrer beynab zuerft bediente, 
eine fQlohe Beftimmtbeit einfiihrea oder auch 
felbrt mtr ahnden lconnte. Thoinafias hat 
gezeigt, dafs er feinar Spraohe Herr werden 
konnte) wemi er woUtBt luid kein Schrifl- 
fteller pflegt gewdhnlibh pMnlicber in feinen 
Ausdruken zu feyn, als der, welcher in 
^ner nocb nicht zubereiteten und binUnglich 
reicfaen Sprache fchreibt» wie das Beyfpiel 
Ciceros und Wolfens beftEtlgt. Aber, wiii 
erwslhnt^ bier ifc imuxer nur die Kede da* 
▼on: ttai bat TbomafiuSf Zeuge felnflr 
SchriFten, getban, nicht: warum hat er 
es nicht beffer gemacbt? 

Etn wicbtiger Punot ift viertens feinM reli» 
giofe Ueherzeugung y feine feHe Anh&nglichk^ 
an das Syftem feiner Klrclie, die zulezt in 
Mylticismus ausartete. loh will gar nicht 
unterfucben, in wiefern Qberbaupt die An* 
biinglichkeit an ein pofitives Heligionsfyftem 
«inem Philofophen hinderiich oder befdrder- 

lich 



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II 



lioh fky^ Wabrheit aq ftnclon. fiey 

ThoiiMfias war fi« ohnftreidg das erftre. Er 
brachte zu wcnig Zutrauen auf die menfch- 
liche Vernunft und Willenskraft zu der Un* 
lerfoobnng diefer Soeleniormligeii mit» und 
hielt es daher l^r nnnutz oder Tergehlich, 
tiefer in ihre Natur einzudringen* Dem Kir* 
chonhiftoriker prigt or in einar leiner Schrif* 
ten fehr nachdruklich die Regel ein: feine 
Religion ganz zu vergeiTen» fo lang er un- 
terfucho und fchrdhe ; or hfttto fio ouch bey 
feinem philofaphilchen Stu^um hefolgen fol* 
len. Es ift uns heut f^ift unbegrei£lich , wio 
ThomAftus boy feinen Tollkommon Rogolg)iu« 
brgen Aeulbrungen dennoch verkotzort wor* 
den konnte. — Bey den Bemerkungeo iiber 
leino Sttienlehro wird dieler Punct a&bor 
orlftutert worden. 

Fimft^ns darf ich auch feine Streifereyen 
dureh aUe Wiffetifckaften und Kiin&o nicht 
unber&b^t laflen, Ton denen or beftttndig 
einige Beute fur die Philofophie nach Haufe 
brachto: Ton wddier Art, davon zougen 
mehrero Beyfpielo* Eino ohymilbhe oder 
phyAologirche Eintheilung veranlafie ihn fo- 
floiGbi in dor PbilofbpMo auf otwas &hnli« 

<&os 



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12 



ches ZQ denken: ein anatomifcher Lehrfatz 

gab Ilim Gelegenheit, irgend eine philofophi- 
£bbe Hypotheie aufzuftutzen » wiewohl er 
ihn nie Jange verfolgte, und die Ueberein* 
ftiminung mehrerer WifCenfchaften in der 
Zahl gewilTer Diviiionen oder KlaOificationen 
war ihm fchon ein halber Beweis fiir die 
Jlichtigkeit feiner Eintheilungen in der Logik 
oder Moral *). Sogar ein zufiillig gewfthltot 
Beyfpiel aus einer andem WilTenfchaft filhrl 
ihn oft durch fortgefezte Vergleichungen auf 
Behauptungen » die er ohne die&s Beyfpiel 
kaum gewagt haben wurde. 

Endlich geh6rt hierher felne Begierd^ 
uach OriginalitSt t die ihn oft abhielt, das 
GutCf was andre vor ibm und zu feiner 
Zeit lehrten, zu benutzen und in fein Syfcem 
anfzunehmen. Man weifs z. B. ^e hart er 
uber Tfcbirnbaafen u. a. urtbeilte. 

Viele andre Puncte , welche in einer 
Characteriftik Thomahus des Gelebrten oder 
des Menfchen Plaz finden miiftent geh6ren 

in 

6. sum Beylpiel Auuug der pract. Morftl }• 14* 



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— i3 — 

tu den gegeQwHrkigen Verfucb niolit. Icli 
wage est zu der Beantwortimg der obea 
angegebnen Frage fortzngehen , wenn ich 
vorher noch mit Thomaftus Worten feine 
Schilderong eines ftchten Philolbphen einge» 
rakt hahe*). 

„Ich verftehe unter einens ftchten Welt- 
lyWeifen einen Mann, der einen fcharf- 

„finiiigen und durclidiingenden Verltand 
i^hatf der ftets richdg und bundig ur* 
^thalt: der mit dem aligemeinen und 
^hocbftnothigcn Werkzeuge aller Wiffen- 
,)(chafteni der Gefchichtef genau he- 
„kannt ift: der feine Philofophie von 
„der SelbfLerkenntnis anfangt nnd durch 
^die D&mpfung feiner Leidenfchaften fein 
Mhdchftes Gut, dte innere GemHthsruhe» 
„fich zu verfchaffen l^emiiht ift; der die 
„Bosheit der Welt kennt, und dnrch 
„eine tftgliche und auf fichre Kegeln ge* 
y^griindete Erfahrung allen Menfchen, niit 
i,denen er umgeht, wenn fie lich auch 
i,noch fo fehr verfteUen, his ins Inuere 

wfteht; 

Dodkation dar EinL sux Vflnu fi. 5. 



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— 14 



„fielit'. Jer gerdiikt ift, eine feinem 
i,Geifte gemHise Lebensart 2a erwablen» 
,,uiicl die dasu gehOrigeti Gater dee Le- 
„bens, welfche felbrt feiner TugendUnebr 
nGelegenbeit geben» reehtmiisig zo er» 
wwerben, 2a erhalten, zu rermehr^it 
«lUnd anzuwenden: der in allen feinen 
«iHandlungen ein rechtm&fsiges Decorum 
lyzeigti ohiie welches elle Pfailofophie 
i,eitel und blofie Pedanterey feyn wiirde. 

Diefe, an lich gewils nieht fchlechte, 

Schilderung kann zuvorddrft Statt vieler an- 
dern Stellen zum Belage dienett| was Tfao- 
InAJius in feinen Begrif Toa Pfailofophie zw 
/ammenfafte. 

Man iiefat a^Yenfalls aus einem fladitigeA 

Stadium feiner Schriften, dafs er Rch die 
Philofophie fo eigentlich gto nicfat als Wif* 
lenfchaft dachtei das hei(st| als einen In* 
begrif gewirfer eigenthiimlicher, von andern 
z« B. matbematifcben und faiftoriichen Kenni» 
iliffen unterficfaiedener Erkenntni0e, die ftlt 
iicfa ein Ganzes ausmachen , und auf Einem 
Grunde bcrafaeii» nDie Wekweisheit» biff, 



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— i5 — 

iier *)» die uber die Kreatiuren raironnirri 
sierftrekt fich ilber gegenwirtige und ver- 
„gatigne Dinge,^ himI er hat in d^fer hin* 
geworfenen AeuXierung die beftini nteTie De- 
fuulion feities B^rifs von Phirolbphle gegebeni 
wie er tiu allen Mnen Sdirifteil herTorleuch- 
ttt. Wenn er ferner die Vernunftlehre und 
)Se£iehiGhte die beyden Inltrumente der Welt* 
weisheit nennt*^: tj Aeht man M'cfat, da& 
tr lich dabey darchaus kein befummtes Sy- 
Ibm einer wiflTenfchaftUehen Philofophie g«- 
dacht habe. Sie ift ihm eine Sammlnng Ton 
Bemerkungen und Kaifonnements iSiber Wahr 
imd FalfiBb, Gut unli Bdfe» wozu die Ver- 
nunftlehre die Regeln^ und die Gefehichte 
den Stoff liefert; Man darf alfo nlcht erwar- 
ten» dals er zu einer beiTeni fieikimmung 
des Begnfs von ^hliofophie oder zu einer 
fyfteinatirchern Anordnung des Ganzen und 
deHen Theile beygetragen habe. 

Was die Metaphylik angeht, fo nahm er 
Ite in XiMnen philofophilbhen Curftts gar ni^t 

•) EinL »ar Vein, S. 7. 



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auf. Fieylicli war fie unter den HSnden 
d^r rcboIaCtifcben Pbiiofopben nichts weiter, 
als ein W6rterbucfa rabtiTer Kunft w6rter und 
Unterfcheidungen geworden, und Thomafiu» 
hafte die ganze Secte mit allen ihren SabtiH« 
taten*). Einen Theil der Ontologie nahm er 
in die Logik (drittes Hauptftuk) auf, die 
natiirlicbe Tbeologie war ihm gegen die geoA 
fenbarte zu gering und unbedeutend, uni 
ihr ein befonderes Studium zu widmen. £r 
erkl&rt iich hieriiber in der Moral belHmmt 
iind richtig (S. Ausz ige §. 8. f.). In Riik- 
iicht der Pneumatologie, die damalils einea 
wtcbtigen Tbeil der Metaphyfik ansmachte^ 
fieCs er fich durch die Schriften der foHe- 
nannten Mofaifchen PbUofopben za Tr&ume- 

reyen 

*) Von der Meuphyfik, Cigt er» habe ich znir 
eine widerw&rtige ImpreOion geroachtt indem 
ich mir eiagebildet, i»tk die darinn enthaltenen 
GriUeu fiihig Cnd, einen geriinden Menfchen 

foIcliergeftaU zu verdeiben , dafs ihm Wnrmer 
im Gehinie wachfen, und dafs dadurch der 
meifce Zwiefpait in ReUgionsfachen entftanden. 
«nd nocli erhaUen werde. Sehen- und emft- 
hafu Gtdankmu Mon. Man, Yeigt Setne 
Gauttlen Xap. la. 



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— 17 — 

reyen und Paradoxieen verleiten, die ins Ab* 
gefchmakte fallen. Zwar geht er Ton dem 
bercheidncn und richtigen UrtheUe aus, dala 
die Vernanft von dem Wefen eines Geiftes 
nichts wiffey aber eben darum glanbt er, 
diefe Kenntnis aus der heiligen Schrift fohdp- 
fen zn m&den* Hier fand er alfo Grund zu 
der Meyttung von einem allgemeinen Welt* 
geifte und von zwey Geiftern iivi Menfchen, 
dem guten und b6(en. Sein ganzer Verfuch 
wm Wefen tinef Geifies ifk eine Sammlung 
von myftifchen und biblifchphyficalifchen 
Subtilitilten, und fcbeinXi wie aus feinem 
ftbrigen Gedankenfyftem , gleichfam ahgeril- 
fen zu feyn. Wenn man nach feiner Pfycho- 
logie fragt: fo darf icb ztt feiner £bre auf 
die Erkl&rung yerweifen, die er in der Lo- 
(S. Ausz. §. 6.) thut: eine Pfychologia 
aus blolser Vemunft bielt er fiir unmdglicbi 
und er erholte itch auch dafilr in fdnen 
myftifchen Speculationen. 

Kein denkender Mann» und das war doch 
Thomalius gewifs, kann nur einen Schritt In 
irgend einem Theile der Philofopliie thun, 
ohne auf die Fragen zu ftoHsen: Welcbes 
Jind die Grfinde« Gnmdfiltze und Grinzen 

B der 



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— i8 — 

mcnfdilichen Erkenntnis? Waruin nennen 
wir dte£s wahr, jenes falfci]? Was berecb- 
Uf(t uns Urth^len vnd Schliilsen? n* d. 
Wir rechnea jezt die erften Unterfnchungen 
uber diefe Fragen znr Metapihyiik) inwiefem 
lie die erfien Piincipien des Erkennens &u£> 
ftell6n und prufen foll. Thoinafius hat fie, 
wie inehrere &ltere PhiloXbpheny in der Lo« 
gik abgehandelc, nnd ith darf ohne Scheu 
fag€n, ciafs diefer Theil feiner Logik gewifs 
nicht der fchlecbtefte ift. Die iblgenden 
Ausztkge werden jeden unpartfaeyifchen Lefer 
davon uberzeugen. Wicht nur dei geinachte 
Unterfchied swifchen Jeidenden uud th&tigen 
VorfteHnngen (er nennt et Gedauken}« fon* 
dern die gefammte Entwikelung dcr Art, wie 
wir Erkenntnis erlangen, feine Diftinction 
zwifchen EmpJindlichkeit und Verftand (Re* 
ceptivitlt nnd Spontaneit&t), und vor allen 
das aufgeftelhe Princip der Erkenntnis, 
dunkt mich« fo SUiht pbilofopbifch , dafs 
mehrere Lefer eine grofse Annfthernng an 
die Kantifchen Darftellungen Hndcn werdem 
Der ganze Abfchnitt von den Gegenft&nden 
der Erkenntnis ze\igt Ton emer befeheidnen 
uud, faft muclite ich fagen, critifclien Art 

sn 



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zu philofophieren, wie man fie fonft an kti* 
nem Pbilofopben jener Zeit iindet. £s w&re 
zn wfinrcben, dals Tbomafius, doroh irgend 
einen Umrtand veranJaist, dieren angefange- 
nen Unterfucbungen weiter nacbgegangen 
leyn mSchte) oder dals fie Wolfens Aufmerk* 
famkeit auf fich gezogen l^atten. Vielleicht 
wftre dann Ibbon fr&ber eine kritifcbe Durch* 
forfchung des menlehHchen ErkenntnisTermd* 
gens veranlafst worden. 

So lebr auch diefer Tbeil der JLo^k nn« 
fers Thomafins den Beyfall und <)ie Aohtung 
denkender Lefer verdient; fo wenig bat er 
doch fiir die eigentiicbe Logik» in unlerm 
Sinne, etwas Neues oder Merkwi&rdiges ge- 
leifier. Sein ganzes Verdienft befchrankt lich 
auch hier Tornemlich nur darauf) dais er 
die WilTenfehaft von SnhtifitSten reinigen 
balf die Aufmerkfamkeit des unfcholafti* 

B 2 lehen 

*) In der Logioi ^nU ich mehf » dafs ttnf PMU 
dicabiliaa zebn PTHdicamentt vmi dtej FigurS 
Syllogismoriini feyu. Icli h*ltc dafur, ^.1^8 di* 
Logik, die wir in Scliuleu und Acadeniiecn ler« 
nenf sux £iforfduui(s dec Wabrbeit ja fo viel 

lieUs^ 



20 



fchen PubUcums dafiir gewann, und dabcy 
Gelegenh^t nahm^ tnanche fdr feine Zeit 
trefliche und heilfame Wahrheltert zn fagen, 
nnd durch eine Art von wifrenrcbaftiicher 
Dedaedon dng&nglicher zn machem 

Alle m der Folge mehr beylauHg genHlten 
Urtheile iiber den Unwerth luid die Un* 
Urauchbarkeit der damaligen PbiloXbphie uber» 
haupt, hatte er in einem friiher erfchienenen 
Werke: Eiiileitung in die Hof - Philofophie 
(wir k5nnten fagen, Lebensphilofopbie) aus- 
ffthrlicher und grandlicher auseinandergefeztt 
Er zeigt hier mil vieler Laune und Bitterkeit^ 
wie wenig die damaJige Metaphyiik, Logik 
nnd Moral Emfluls anf das wirkJiche Leben 
habe , entwikelt die Fehler der Ariftotelifchen 
nnd Cartefianifcben Philofophiei und empfiebk 
▼or aUen die Bearbeitnng der Vemunftlehre 
oder Denkwillenfchaft. Zu fehr eingenom- 
men gegen die Pedanterey der Gelehrten und 
fiir den Ton der grolsen Welt, und flberall 
▼on der Idee der Gemeinniitzigkeit geleitet) 

?er- 

helfe, alt wann ich mic «idem Strobhahn eitt 
S^iH-Pliuid aufheben wolUe. Ebesd. 



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21 



ierfehlte er aach in dieTem Werke die ricfa- 
tige Mittelftrarse, und fo interersant auch 

ein Auszug daiaus zur Kenntnis des dania1i« 
Tons unter den Gelehrten und der Be* 
bendlung der WiirenrchaTten feyn wnrde, fo 
wenig fchien er mir fiir den gegenwartigeu 
Zwek pafFetid *)» Die wiilenichaftlichen Be« 
merkungen hat er ohnedem in feine beyden^ 
im Auszuge gelieferten, Lehrbucher mit auf* 
genommen* 

Was feine Slttenlehre anbetrift: fo haben 
Jich auch hier die Eigenheiten feines Geiltes 
nnd Characters deutlich abgedriikt. Dent 
Syfteme der geofTenbarten Bcligion treu und 
ein abgelagter Feind der Ariftotelifchen und 
zum Theil auch der Carteftfchen Philofophieii 
erklart er das Zutrauen auf dle Krafte der 
menfchliciien Vernunft und des Wiilens fur 
ungegr0ndet« und die fubtilen Speculationen 

B 3 fei- 

*) Tboraafiut hat diefs niit allen Refomnatoren 
gexnein, dafs er uberali lieber eincei£it» als 
«ttfbaut. Auch in dielem Werie Junn er ror 
lanter Streitigkeiten nnd Widerkgpingen nichc 
dtsu koninien» ieine eig^en Ueeti grAndlieh 
nnd aaffiihYlicli anseinmder sn toen. 



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aa — 

Xeiner VorgHnger fiir unbraachbar* Uebertfl 
bem&fat, das Unpracti(€he» odar vne er et 
oft nennt, Aen Utiradi aits der Gelahrtheit 
forfcfcfaaifen zu helfen, lucfat er die Sitten* 
lehre nacb M6gliebk«i xu Termfachen und 
l^r das prac^fche Leben anwenclbar zn »*• 
cben. Darinn ftimmt er zwar mit den 
jtfeiften der fruhern Moralilken ftberein, da& 
das hochfte Gut des Menfchen Glackfeeligkeit^ 
d. h. wahre Gemuthsrube fey. Aber in der 
fieftinunung des Princlps der Sloral» oder 
wie er fich ansdrQkt, des IMBttela zn ^eCiem 
Zweke , nnterfcheidet er fich von ihuen* 
£in groliier Theil der Moraliften gianbte, die» 
fes Princtp in der Selbltliebe gefunden zii 
haben, in dem allgemeinen Trrebe der Men» 
fcben^ ihre Glukfeeligkeit zn bef6rdem, Sie 
lahen in diefem Triebe nicht nur den Grund 
alles Handelns, fondern auch den lezten 
Zwek delTelben. (cb will bey diefem Prin^ 
dp nicht Terwdlent aber wire es anch noch 
£> unrein, fo konnte fchwerlich diefe Un* 
reinigkeit nnlem ThomaAns Verleitet habeny 
es ztt Terwerfen: es wilrde Tielmehr fciner 
Idee von der Verdorbenheit des menfcblichen 
Willens treflich zu Statten gekommen ieyn. 

SoU 



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SoH itfa lAir felbft einen Entwnrf machen^ 

wie er auf fein Princip gekommeii feyn kann: 
fo wurdo ich ohngeiabr Fol^endes aa wahr- 
fisheinlicfaften finden. Es war ifam «nlencfa« 
t«nd, daGi dfis Wohl des Ganzen der Zwek 
der UandJungen eines jeden Individui leya 
aiftfle, niid dalk jedet «nselne Ittitglied fein 
eignes Wohl durch das Ganze befdrdre^ 
Ueberall und 2u jeder Zeit leinen Neben- 
menrcfaen nutzHofa za werdeny das war die 
i)]geineine wohlgemeinte Abficht aller feinar 
BemikhuTJgen<, und er konnte felbrt diejeni- 
gen KennmiiliB nieht leident die .iich nicht 
fogleich fih* die Welt brauchbar macfaen lie* 
fsen. Da er nun jodc gute Aeuferung und 
Ablicbt des Willens Liebe naiinte: fi> giefat 
er auch dem Beftreben, fUr das Woh> des 
Ganzen tbatig zu feyn, den Naujeii Liebe. 
Da er ierner in feineu Begri£ ron Liebe 
durchaus zwey Subjecte aufnahm, eins, wel* 
cbes lieht, und das andrc, welches geliebt 
wird) oder nacfa leinen Ansdruken, da die 
liebe aufer fich gefat: fo war es naturlichf 
dafs er die SeJbftliebe nicbt aJs alJgemei nes 
nnd erftee Princip auffteUen konnte. AUe 
Liebe gefat auf Dinge aufer uns» und da 

B 4 *inrer 



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— «4 — 

«ttlSnr «nd mn iins nidits Edlem vmd nit 
tms Verwandteres da als der Menfeh, 

auf andre Menlcben* Nun konnen wir aber 
<Ue Menfchen, (nm micb eines neuern Auc- 
druks /u bedienen) entweder als Zwek oder 
als Mittel lieben: die erftre Liebe ift die» 
weiche Thomaiius die yernunftige nennt^ 
Lieben wir die Menfofaen als Mittel, fo be- 
trachten wir fie offenbar als Mittel zur Be- 
friedigung nnfrer Sinnlichkeit. Alle iinnlichen 
l^eigungen find theils Ton Mhern Mondiften, 
theils in der Bibel *J, unter die drey Klaf- 
fen, der WoUuft, des £hi^izes nnd der 
Habfucht gebracht. Folglich erfcheinen diefe 
drey Hauptneiguogen bey ThouoaHus unter 
dem Namen der unvernunftigen Liebe« die 
zwar ebenfalls die Ablicht faat) GemQthsrufae 
zu befordern, aber Itatt deren nicbtS) als 
Unruhe^ heryorbringt. 

Cin fefar wicfaiiges Hindemisy welches 

ficli bey Thomaiius einer tiefern und griind** 

licbem 

*) Hieiiof berufc «c licfa aiitdralilich Sitc. Th. s. 
8. (Aa^enluft, Fleifchiwlttft und faol&itU 
get Lebea.) 



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— 25 — 

lichern Unterfuchung der pracufchen» wie 
^er theoretischen Philolbphie entgegenfielltei 
ift die Gleichgiiltigkeit, womit er die SpracliQ 
behandelte* Seinerleits feft uberzeugt» dafs 
cs auf die W6rter gar nicht ankomme, wenn 
nian nur, wie er oft lagt, iiber die Befchaf- 
fenheiten einig fey, braucht er Gemuthsnei* 
gung, Aflect» Leidenfchaft, Paffion, Trieb, 
Verlangen nnd Begierde eins fiir das andre, 
und ohne diefe ganz verfchiednen Begriife 
aucb nnr einigermalsen zu unterfch^deik 
Pie erftern drey fincl ihm fogar xnft Laftern 
beynahe ganz fynonym. Daher kann derje* 
nige, welcher ficb einen Unterfchied bey 
diefen Begriffen feftgeftellt hat, faft in jedem 
Paragraphen des Verfaffers Widerfpriiche und 
Irrthumer linden. Daher wird es einleuch* 
tend, ^rum er ganz tind gar keine Riik* 
iicht auf die in der Natur des Menfchen ge* 
gr&ndeten Triebe nimmt, warum ihm die 
grofse Verfchiedenheit zwifchen Trieb und 
Leidenfchaft gar nicht in den Sinn kommt, 
und warum er fo mancfae wicfatige Tfaemata, 
die in unfem Ethiken abgebandelt werden» 
unberuhrt ]an%t. Er hat immei fchon die 
volle Leidenfchaft vor Angen, und faat iich 

B 5 alfo 



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Mif Aar Sl&he entabffigti den erften ReimeB 

derfelbfn naohzurpQreA imi, iie m ihreni 
Wechsthum zu belaufcben. Seine Ir^ee Ton 
Gemfitbsrahe» die im Gronde ^ne Stoilcbe 
Apathie ift« erlaubt ihm nicht, an irgend 
einem Triebe etwas Giites zu finden» weil 
ibm jeder fchon Leidenfcbaft, d. b« anrubige 
Bewegung ift. Sdne Belchretbungen der Lci« 
denfohaften iind nichts» als Charactere wol* 
li^riger, ebrgcitziger nnd bab(iiGbtiger Indiy 
Tidaen, gemeinigKch fehr riebtig, aber im« 
mer auf das ftarkfte gezeichnet. Das einzlge« 
was aucb diefer Cbaraoteriiirang fcbadet, ilt» 
dals er die Leidenfchaften zu abgefcbnitten 
und irolirt nimmt, und daher oft der einen 
ellein beylegt» was die iitbrigen eben ib wobl 
an licb faaben. 

Die Unheftimmtheit in der TerminoJogie 
rttcbt hcb an ibm aucb in die£em Theile fei- 
ner PbiJofophie. AHe ' Augenblike. lieht er 
Jich genothigtf feine Benennungen zu recht- 
fertigen, nnd vorbergehende Ausdriike in 
der Folge «nzufchrilnken oder zurAkznneb« 
men. Wenn er z. B. Anfangs beliauptet, 
Freude und Scbmerz feyn keine Leidenfchaf* 
teni nnd Ae demobneracbtet gcgen das Ende 

unter 



— 27 — 

aiiter cUeler Geftak au/Fuhrt» Ib mub er 

feine Zuflucht zu einer Kiinfteley nehmen, 
welche viel fubtiler und fpizfindiger ilt, als 
manobe andre* die er an frHhern MoraliAen 
bitter tadelt. Und wenn er fo oft feinem 
Lefer zuruft: Kenne es fo oder fo} nur 
ikreite nicht um Worte; fo haben ihm meh- 
rere feiner Gegner gezeigt, dafs er eben 
durch diefe WjUfahrigkeit wahren Sachen* 
Streit» wenn ich £> fagen darf, Teranlalst 
iiabe. 

Eins der fchwerften und wichtlgrten Pro- 
bleme, die Frage uber die menlchiiche Frey* 
beit^ hat er ftuferft feicht al^efertigt. A1>er 
er ift zu entfchuTcIigen. Denn da er bey 
aHen leinen philofopiuichen Unterfuchnngen 
immer das Syftem der geofTenbarten Religlon 
T^r Augen bebielt: fo muCste es ibm unntits 
icbeinen» tinen Gegenfund zn unterfuchen» 
fiber welcfaen ihm die Bibel fchon ganz ab- 
gefprochen zu haben fchien. Fr erldiirt iicb 
daruber ansdrilk.tich fo: «^u der Erkennt- 
9,ni$ des natdrlichen UnvermSgens und Unzu* 
»l&ng1ichkeit der menfchlichcn Krifte haben 
sKmich fo Tiel klare Sprudhey die in allen 
«,6iicfaera heil. Scfarift ftehen» durch Gottes 

«Gnade 



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— s8 «- 

yjGnacle gebracht, iind gewiefen, wie dle 
Dtnir noch ankiebende gemeuie Lehre unfrer 
f^Leute von dem freyen WiUen des Menfchen 
,,damit nicht beftehen konne „Gott, fagt 

5,er in feinem Glaubensbekenntnisi ift alleiii 
^der Urheber und Vollender der hdcbften 
^Gliikfeeligkeit , und der Men£ch tragt daza 
^nichts bey, als Hindemis und VViderftand» 
^und} wenn es hoch kommt) Unterlalsang 
),diefes Widerftandes **).** Er Terfteht alfo 
unter Freyheit eigentlich die freye Macht des 
menfchiichen Willens» beCTer zu werden» 
ohne gottlichen Beyftand, aus und durch 
hch felbft; und es ift daher conlequenti 
wenn er, ofaue dem Menfchen freyen WiUen 
2Q lafTen , dennoch eine Zurechnung annimmt. 
Aber wohl zu merken, nur eine Zurechnung 
des B6fen zur Strafe» nicht aber des Guten 
zumLobe: aucb diefes^ wie mir dlinkt , fei« 
nem ubrigen Syfteme voUkommen gemais 

Wi« 

•} 8. 53u 

s. G43. 

•••) In der Folge hat er zwar diefe Behauptungen 
(in den Cauteien Kap. 14. S. 36i. L) eiuigeir- 



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29 — 

Wie leicht es (ey, bey «ner relbTtgemach* 
ten philofophirchen Terminologie die Mey- 

nungen Andrer falfch zu iinden und zu wi- 
derlegen) beweift feine Moral ebenfalJs* Da 
in feiner Sprache, wfe erwfthnt, die Be* 
nennungen der Triebe und ihrer Grade alle 
fynonym lind» da er fie ein fur al]emahl 
nar als unvemllnftige Liebe ge]ten lafst; fo 
hat er mit der Wlderlcgung der Peripateti- 
ker, Stoiker» £picur&er und Carielianer 
(im zweyten Hauptftake der pract. Moral) 
leiclites Spiel. Ich hahe in diefem ganzen 
Abichnitte nicbts gefunden, was eine kriti" 
Iche und nnbefangne Priifung Terrietbe. 

Da(s 

inaCsen znrilkgenoninien. Aber <!f>r Grund die- 
fer Aenderong ift eben nicbc der leftefte. Er 
unterfcheidet nemlidi (in den Fundainentit Ju« 
ris N«t. et G. Kap. i. n. (jj. ii8 nnd Kap. 2. n. 
104. f.) swifchen Fwywillifrteit rnid Freyhcit 
des Willens, und will duTcli diefe Tlntevlcliei- 
dung die Kr<ifte des Menrchen fowohl, wic die 
Nothwendigkeic euies hukern Beyltandes retteii. 
Die FreywiUi^clt nennt er in dem Uu Werlu» 
libertat «rbitrii» die Freybeit fpontaneitat» und 
mau Jiebt alCo» ohne naein Ednnern, worauf 
die ganxe Belmnaiung hinauilauft. 



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— ao — 

. Dafis er iibrigens feine pbyiioiogirchea 
Lemmau beynabe nur znr Anslcbmllkaiig 
gebrauchte, und bey der erften Gelegenheit 
fallen liefs, ift fcbon oben erinnert worden. 
Der Verftandt (egt er in der Logik« wird 
durcb die Bewegungsgeiftercben in den Senn* 
Adern (Nerven) geriibrt. Der Wille, er- 
Uirt er in der Moral, wird dureb die Le> 
bensgeifter in dem Geblfite in Bewegnng ge- 
Xezt. Ware er mit diefer Hypotbefe weiter 
gegangen und htttte er lie bey der ErklArung 
der Triebe und Leidenfofaaften zum Gmnde 
gelegt: fo mufte feine ganKe Darftellung eine 
•ndre Wendang genonunen baben. Er be* 
dient Bcb ihrer blos dazn, eu zeigen, dais 
die naturlichen und eigenwilJigen Eindriike 
der &ufem Dinge» (nnter jenen ▼erftebt er 
folcbei die aus der Natar der GegenH&nde» 
unter diefen folcbe, die au5 der Befebaifen- 
heit des Herzens oder der Etnbildang cin* 
zelner Men&ben berrUbren) Tttllig einerley 
feyn, und dafs folglich zwifchen Naturinftinct 
tind Leidenfcbaft kein Unterfchied Slatt finden 
k5nne. Allein eben da, wo inan' die nfthere 
fieft&tJgang diefer Idee Terla»gt) weifc er 
iias mit einer Vergleicbung ab und fezt hiozu; 

Die 



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— 3i — 

Die G^mCithsbewegungen werden deutlicher 
empfunden als berchiiehen» 

Was nnn den Werth diefer Tfaonidiafifchen 

Sittenlehre ubeiiianpt bctrift: fo ift dasjenige^ 
was der VerfaCfer felblk da^ron rfibmt» frey- 
lich nieht eben lehr bedeutend. Vorausge- 
fezt, w«s er iilierall lehrt, da(s der Wille 
uber den Verftandi nicht diefer ulier jenen 
lierrfche> und da& der Wille des Menfchen 
rlurcliaus verderbt Xey, kaun nach feinem 
UrtheiM ^ne Sitienlehre eur BelTerung des 
Slenfchen nur wenig beytragen : lie kann nur 
fo viel bewiikcii, dafs der Menfch vor dem 
SchliiriiBerwerden fich hiiteu iemet dals er 
Jtch felbft und Andre ^enauer ftudiere» iind 
aus diefem Stndium Kegeln des Uuigau^s ab- 
siehe. Ausdriiklicii befiiinmt er ieiue Sttten* 
lehre nur filr Verfahrte und Verftdirer» als 
einen Spieoel, worinn fie fich Ijctrachten 
Ibllei). Haben lie darinn ihre Fleken erbiikt» 
fo verweift er fie auf die helHge Schrift, wn 
]5e lernen folJen^ unter dem Beyftande der 
guttlichen Goade iich von dieieu Flekeu Kit 
reinigen nnd zu der ehriftlichen) allein dui^ck 
den Glauben moglichen) VoUi^ommenheit auf 
Erden zu gelangeo. Wenn wir jezt uber ditf 

Ver- 



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— 3a — 

Verdienrce diefer Moral eine UnteiTachung 
anftellen: £o falTeii wir die Frage al]gemei« 
ner: Hat Thomafius ein gfiltigeres Princip 
der Moral aufgeftellt? Hat er pafTeude Mo- 
tive zum Handeln gegeben? Ha( er die 
fcbwere AuFgabe von der menfchHcben Frey* 
heit ibrer Entfcheidung naber. gebracbt? 
Hat er neue BinAcbten in die moralifche Na« 
tnr des Menfchen gebabt oder Teranlafst? 
Hat er insbefondre das Begehrungsvermdgen 
des Menlcben tiefer unterfucbt nnd zerglie- 
dert? Auf diefe und &hn1]che Fragen wird 
Jeder, der feine Werke ftudiert bat» dreuft 
mit Nein antworten kOnnen, wenn er gleicb 
eben fo zuveriicbtlich nachgeben kann, da0t 
Thoraafius auch in diefem Stiike zu einem 
freyem Nacbdenken uber Moral und Sittlidi- 
keit beygetragen und manche fehr richtige 
Bemerkungen iiber menfchliche Cbaractere 
geliefert hat, deren weitre Unterfuchung und 
Anwendung fiir die fogenannte Philofophie 
des Lebens gute Folgen gehabt bat. Darf 
ich m^ Urtbeil iiber diefes Gleichnisreiche 
Werk mit einem GleichnilFe fchlielsen: fo 
ift der theoretifche Tlieil der Thomafiusfcben 
Moral keine Anatonue oder> PbyAologiet und 

der 



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— 33 — 

der practKche keine auf jene gegrundete Hei- 
lungs- oder Gerandheitslebrei fondern das 
Ganze ift eine Befchreibung der vornehmrten 
Krankheiten und ihrer Zeichen, init Klagen 
Ikber die menrGhliche Gebrechlichkeit und 
einlgen difttetifchen Regeln durcfawebt, nnd 
mit der Anweirung befchloIIeQy einen tuch- 
tigen Arzt um Rath su fragen, wenn man 
mit diefSm Rrankheiteo bebaftet fey *)• 

JMit der Moral milers VerfalTers fcheinfe 
lioh am beften der Beytrag Terbinden zu ]al« 

fen^ den er zu elner practifchcn Antbropo* 
logie geliefert hat^ die neue Erjinduug einer 
wohlgegrUndeten und /Ur das gemeine Wefen, 
hochftnothigen Wiffenfchaft t das Verborgne des 
Uerzens aadrer Menfckent auck toider ihren 
WUUn^ aus dem tUglieAen Umgange kennen zu 
lernen. Schon Hltere Gelehrte wollten das 

Pr&« 

£in Hii^tCehler ift lodi diefer, da(t Th. fich 
niciic einmahl efaie beftininite GrSnxe swifdien 

tlieoretifcher iind piactifclier Moral feite. lu 
feiner Ausiibuvrr komnien viele Puiicre \()r, dio 
eigcntUch in di« theoieuTche EiaUuun§^ gehoret 
htticen» 

C 



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^4 

Pr^dicat einer neven Erfiiidung mclit ge)ten 
iallen^ und beruFtcn iich auf das hundert 
Jabr friiher ej-lbbidiiene Werk des Petrns 
Pontius» delTen Ideen und Methode fie fogar 
leichter, einfacber und niizJicher fandefi. 
Docb wir baben tins bier nicbt auf Literatur 
einznlaiTen. Thomafius fucht zu beweifen, 
d^s die von ihm geruhmte PhyHognomik 
indglicb fey^ da£i man nacb gewiilea in der 
menfcblicben Natnr gegrundeten Begeln erft- 
lich den HaaptaiTect eiues Menfchen, dsnn 
die befondern L^enfcbaften deHelben er» 
grunden^ und hieraos fowobl feine Braneh* 
barkeit fQr den Staat, als hefonders feine 
GeAnnung gegen uns felbft erkennen k6nne« 
Dals eben diefe Kunft aber ancb gewifs fey, 
erhelle theils aus dem Zuiuf jenes Weifen; 
Loijuere» ut te videaui! tbeils aus der £r*. 
fabrnng, welcbe uns feine Kfipfe genung 
aufrtelle, die einen Menfchen aus einigen 
Mienen, beym Spiele» bey Tafel und bey 
andern Gelegenbeiten irollkommen kennen 
lernten, theils auch daraus, dafs alles Thun 
und Lafifen, wodarch Menfcben ibre AHieo* 
t€n 2u verbergen fucbeUf aAectirt fey und 
dergleichen Affectation nie lange daueru oder 



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— 35 — 

iinmmrfthr«nd gleich bleilien k6niie. Tho* 
nialiQS felbft rahmt fieh , diefe Kunft fo 

ziemlich inne zu baben, und erklart fich 
su Proben bereit. Was er indefiGm in den 
beyden hierher gehdrigen Schriften fagt, ift 
abermahls nichts weiteri aU Scliilderung der 
Yerfchiedenen Aeafernngen menfchlicfaer Lei* 
denfchaften^ mit den VorzQgen nnd Fehlem, 
die wir fchon bey der Sittenlehre angeraerlu 
faaben. Seit £nner Zeit i(k ftber Menfchen* 
kenntnis nnd PhyRognomik fchon fo manches 
Gute gefcbrieben worden, dafs ein Auszug 
ans diefen Werken, den ohnedem der Aas- 
zug ans der Sittenlehre fchon QberfllirBg 
macht) keinen ronderlichen Beyfall finden 
wurde. Auch nahm er in der Sitteniehre 
IMancbes wieder zuri&k. 

Ueber das Natnrrecht waren feine Ideea 
Jich ntcht gleich. In frilhem Zeiten legte er 
das PuifendorBrrhe Princip der Gefelbgkeit 
zum Grnndet eus welchem lich, wie es 
fcheint, fein Grnndlatc der Tem&nltigen Ltebe 
entfpann. In der Folga vcrwarf er jene 
3Mteynungt nnd ftdlte dagegen den Grundiatz 
tttf: lifan mufs dasjenige thun» wes das 

C 2 Le* 



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Lebdn der Menfchen danerliaft und glAldieh 

macht) und iin Gegentlieil f. w. Hier uri- 
ler£cheidet er drey Grundltoe, der Morel 
(Honefti)) des WoMfiandes (Decori), nnd 
des Naturrechts (Jufti). Der erfte lautet; 
Wa$ du wilift^ dafs dir die Ijoute thun £oh 
len, das thne du dir aueh» Man fieht, ohne 
niein Erinnern» wie wenig diefes Princip 
aiifc leiner Sittenlehre Itimmt* Der zweyte: 
Was dn wiUft) dafs dir die Lente thun fol^ 
leni das thue du ihnen auch; und der dritte^ 
Was du wiUfti dafs dir die Leute nicht thnii 
Iblleny das thne du ihnen nueh nicht. Ich 
weifs fehr wohl, was in duii neueftcn Zei* 
ten etnige Philofophen« und vor allen Kant 
felbtb gegcn diefe Maxinie eingewendek 
haben. Aber ich kann inich von der Kich- 
tigkeit diefer Einwendungen nicht ilberzeu- 
gen. Weder dec Unbarmherzige, nodi der 
zum Tode gefiihrte Verbrecher konnen fich 
hinter diefen Grund{atz Auchten, da er oHen- 
bar die Beftimmung : unter de^fetben UnJtSn^ 
den^ in flch fafst. Und wenn alfo der reiche 
Unbarmherzige iich entfchuldigen wolltei dal^ 

er 

*) Grundleguog zur IVIeuph» det Sitten S. 6S» 



- 37 - 

er kelne Wohlthaten an Arme auszutheilen 
brauche, weil er von Andern keine erwarte; 
fo cLilrfeii wir ibn nur fragen: ob er nicbtt 
wenn er arm und hedHrftig wilre, dergleichen 
erwarten wiirde? — < fiey der grofsen Fa£s- 
Kcbkeit die&r Aegeln wftnle es Tbomafius 
leiebt geworden feyn, ern deutliches und 
brauchbares Syftem des Naturrechts daraus 
abzuleiten) wenn ibn bier nicbt abermabls 
einige feiner Licblingsmeynungen auf allerley 
X^ebenwege und Parado3;ieen gcleitet b^ten» 
die dem Ganzen fcbaden. Die Lebre ron 
der Untertb&nigkeit des VerAandes unter den 
Willen tritt auch in leinem Naturrecht allen 
pbilofopbi£cben Beltimmungen in den Weg^ 
ttttil feine Unbeftimmtb^t tiber dle Freyheie 
des Menfchen lafst ihn zu keiner Entfchei- 
dttng uber die Gultigkeit der meorchbcben 
RecbtsanfpHicbe konunen. SelbA die Lebre 
vom GewiCfen verwirft er als faft ganz un- 
brauchbar lurs Lebent und der feftgefezte 
Unterfcbied zwifchen innerer nnd ftuferer 
Verbindlichkeit, (wovon die erlke den JVlen* 
fcben tugendbaft) die leztre aber gerecfat 
mache) ifi offenbar febr fchwankend. Diefe 
Ideen gehdren jedoch nicht eigentHch zum 

C 3 Na- 



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— M — 

NatniTeebfeey xmAi weiui HiomifiM, nacti 

HuieJands Bemerkung die Principia ho- 
Befii et decori gtnz weggeichiiitten fa&tte» (b 
w&rde ihm die Ebre zu Theil geworden 
Xeyn, die fein Schiiler Gundiing durcb ge* 
vinge Miihe erworben hat, daSk man mit ihm 
cine nene Epocfae in der G^lelnclite diefer 
Widenrciiaft erofnen w&rde. 

Ich darf die grofsen Kenntniffe nicht ver* 
geCTen, welche Thomailus in der philofophi« 
fchen Gefcbichte befitfs« nnd anf welche er 
fich felbft etwas einzubilden fchien **). Viel 
daTon hatte er geftAndUch den Handlchriften 
feines Vaters Jacob Thomafios zu Terdanken. 
Seine Gefchichte des Naturrechts ift noch jezt 
m brauchbares Werk» nnd feine gelegenfe- 
liohen Bemerkungen fowohl» als die befon- 
dern Abhandlungen uber Puncte aus dieDer 
Gefchichte zeugenf dals es ihm nidit an 
hiftorilcfaen Datis$ wofal aber an derjenigen 
Unpartheylichkeit fehlte» welche zu jeder 

Arfc 

*) Yerfoeh ttber den GmadlStts im Natnncediis» 
8. aS. VeigL 8. 65 ond 91 L 

**) S. Voixede xux Einl. ia die Vesn. 8, 561 



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- 39 - 

Art von Gerchichifchreibung unentbehrlich Ift. 
SchQn der gehii&ige Name Scctirer, den er 
/aft a]len philofopbifchen Schalen beylegt, 
worunter er cinen eingebildeten und unduld* 
ramen Vielwi (Ter Terftehtv und die Kennzei* 
ehen der Secdrereyy welche er (z* B. in 
den Cautelen Kap. 6. S. ii3.) angiebt, und 
weiche grade in den Uduptlehren der SyQe* 
me Ielb(t beftehen, multen ibm den ganzen 
GefichtspYinct bey diefem Studiam Terriicken. 
Wie dem aber auch fey, fo machte er doch 
^e Gelehrten daranf aufmerkfam» yme riel 
aus der Gefchichte der Philofophie iUr ciie 
Bearbeitung diefer Wiilenfchaft felbft zii holen 
ley, und wer die Schriften unfers Philofo» 
pben und die Gefchichte des gelebrten Brukei' 
gelefen hat> wird wifTeQy wie maiiche Be* 
merkungen der leztre ihm verdankt, wenn 
er gleich nicht immer die Qnelle nennt. 

Da die Philofophie iu jenem Zeitalter an 
Leibnitz und Wolf zwey tp wichdge 

C 4 und 

•) Leibnitz furb 1716. Thomaritis 1728. Wolf 
1764. Des le2t.eni eifcex Au^BAthalt zit HaUe 
£iiit Ton 1701 bia i^ai. 



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— 40 — 

und eifnge Bearbeiter gefundcn hatte: fo 
driDgt iich uns die Frage von £elbrt auf: was 
Tfaomafias Yon den Bemi&bangen ilieliBr Den* 
ker gehalten habe? Offenbar zeigte er gegen 
die Leibnitzirchen eine auHallende Gleichgiil- 
tigkeit, und in Riikfiofat deflen, was Wolf 
bis dabin verfucht hatte, ftuferte er Teine 
Unzufriedenheit laut* £r tadelte die WolH- 
fcfae Abfaandlung ilber die Moral der Sinefer 
lcharf und bitter, nnd zog dcn Hochmuth 
der Mathematiker durcb, die fich erkuhnten, 
die Pfailolopfaie und insbelbndre die naturli- 
ofae Tfaeologie nacfa den mathematifisfaen 
Grlindfatzen zu yerbeUern, oder vlelmehr 
zu ▼erderben a« £ w* Wer indeflen die 
oben angeflftbrten aflgemeinen Puncte 0ber 
den Geift und Character des ThomaHus ver> 
gleicht^ und daatu nimmt^ da(s er, gegea 
die lezte Zdt befonders» fone Thfttigkdt an 
ZU vielerley und verfchiedne Gcgenftiude 
wenden murte» den kann diefes Benefamen 
water nicht befremden: gewifle Menfchlicfa- 
keiten nicht einmahl gerechnet, von welchen 
der gute Mann iicfa iiBlbit nicbt Ireyfpricfat^ 

Dia 

*) S. delfea Anhang zu den Gmttifehun Uanddttm 



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Die mjttelbaren Verdlenfte dlefes unver- 
ge£siicben iUanne« um die Pbilorophie zu un- 
terfuchen^ Uk hier m^e AbHcfat nicht. lch 
babe dalier Ton feinen Schiileni und Nach- 
roigern, von dein £inilu£se und der Verbrei- 
timg feiner Pbiloibphie nichts zu lageii. Viel- 
Jeicht wurde auch eine Erfirterung diefer 
Art febr fchwer feyn, und ohne voUftandi* 
gere Zeitgelchichte nicht grundlich ausfallen. 

Tbomafius wird uberall gelobt, aber we* 
nig gelefen. Sein Styl und feine ermudende 
Weitfchweiiigkcit mdgen viel Schuld daran 
baben. Ich glaubte daher, keine unnfitze 
und zwekwidrige Arbeit zu unterneiimen» 
wenn ich aus feinen beyden Werken uber 
Logik und Moral einen kurzen imd k6mich« 
ten Auszug Jieierte, und das, was er zur 
Bericiuigung einiger Ideen in den Cautelen 
nachgebraoht bat» hinzufezte* Da(s ich da- 
bey Styl und Sprache reformiren mufte, ver- 
Itand lich von lelbrt: aber ich habe mich 
fehr gehfitet, feinen Ausdrftken, befonders 
in wichtigen Satzen, foicbe neue unterzu* 
fchieben, die ihm etwa zngleich neue Be- 
grifle andicfaten k5nnten. Wo fch daher 
einen beute gebriiucbiicbern pbilofopbifcben 

C 5 Knnft* 



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RanAaiiscTnik gebraaclit habe^ ift der deff 
ThomaHus zugleich mit bemerkt. Jeder Le- 
fer, der lich die Muhe nimint« dieie Aui- 
zilge mit den Schnften felbft zu vergleichen, 
wird mir das Zeugnis einer treuen Ueber* 
fetzung nicht verfagen kdnnen. Binzelna 
fehr trefUche Bemerknngen und Ideen dea 
Verlarrer^ haben mich fiir die Miihe belohnL 



Einleitung zu der Vemunft-Lehre u. £ w; 

Vierte Auflage. Halle 1711. 8. 
Ausuliung der Vemunft • Lehi e u. £ w» 

Halle 1710. & 
Von der Kunft ▼emfinftig und tugendhaft 

zu lieben , oder Einleitung zur Sitten- 

Lehre u. £ w. Ualle 1710. 8. 
Von der Arzeney wider die unTern&nftige 

Liebe , oder Ausiibung der Sitten* 

Lehre u. £ w. Ualle 1704« & 
H6cbftn6thige Cautelen, welche ein Stu- 

diofus Juris u. {. w. Uaile 1729. ^ 



AUS 



43 



A V S ZV Q 

AUt 

CfflL THOMASKJS VERNONFT-LEHRE. 



Die Vernunftlehre bat die Abiicbt» die 
Menfchen zu unterweifen, wiejie ihre Ver~ 

nunft in dcr Erkcnntnis der Wahrheit uberhaupt 
recht und gemeinnStzig gebrauchen /ollen, Sie 
Itk in der Natur der men(ch]ichen Vemnnrt 
fclbft gegriindeu Die Regeln, welcbe lie 
giebt, Hnd ganz allgemeini ilber den 6e- 
branch der Vernnnft uberhaupt zur Nachfor- 
fchung fowohl als Erforrchung der Wahrheit: 
die Anwendung diefer Keg^ln ift andem Wif* 
llenfcbaften iiberlaffen. 

Sie hat zwey Theile. Der erfte enthalt 
die a]]gemeinen Begriffe von Vernunft, Wabr* 

beit» 

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— 44 — 

lieit, PrincipieB und Kriterieii cler Walirheit. 

Der zweyte begreift eine Anweifung zur Er- 
forrcbuog und Mttheilang der Wahrbeit, fo 
wie zum Verikeben« Beurtfaeilen nnd Wider- 

legen fremder Meynungen. 

Theoretifche Logik. 
Ii Von der menfchlichen Vernuiift 

Um die Vemunft gehOrig braucfaen za 

lerneH) mufs inan erft wiflen, was eigent- 
lich Vernunft (ej. Um dieis zu wiflen» 
muls man Torher unterfachen^ was der 

ganze Menfch fey. 

Der Menfch gehfirt unter das Gefcfalecht 

der Tliiere. Aber er ift von allen Thieren 
unterlcbieden, nicht fowolil durch liBin Aeu- 
feres und den Bau feines K^rpers: a]s riel- 
mebr durch innre Eigenfchaften. 

§. 3. 

Der aufiallendfte Unterfcfaied befteht in 

der Rede. Kede ift die Bczeichnung menfch- 

licher 



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— 45 — 

ficher OeilAnlcen (Vorftenungen). Gedanken 
find innerliche Reden. Wenn ich denke> 
fo rede ich mit inir £tlh£t iiher die Formen, 
Vorfcellungen CBUdungen), welche durcb die 
Bewegung auferer Kurper vermittelTt der Or- 
fane meineleii Gdhirne eingedrUkt werdem 

Unter ftofern KSrpem ift alles das zu 

verftcben) wa$ aulerhalb meiaes Gehir* 

nes ifi» 

§. 4. 

IKe Suuilichkeit ift dop]pelt« aufere^ wenn 
das Grehirn unmittelbar durch Aufere KOrper 
vennoge der Organe afiidrt wird> und ianre^ 
oder fiewuistfeyn. 

im gemeineA Lelieit verfteht man un* 
ter auferer Sinnlichkeit die Sinnorganc. 
AUein dUfe habea heine nfirkliehe Sinnlich^ 
heit, weil diefe nie ohne SrkemitHis und 
yorftellung ftyii hann, 

Zum innern Sinne gehoren Einbildungs* 
kraft imd GcdAchtlus» 

§. G. 

Die Gledanken (Vorftellangen) £nd ent« 

weder Leidend oder thiitig* Jenes find dtc 

Vor* 



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4b — 

Vorrtellfingen der &urem Sinnlichkeit. Diele 
belteben darinn, da£5 der Menfcb die em* 
pFangenen Eindrake znlkmmeBfezt« ordnct^ 
unterfcheidet (ReeeptiTitftt und Spontanei- 
t*t.) 

1. WabrrcbeinU<:h gebt das Denkgefchilt 
im ganzen Gehim Tor. Man wurde rie]- 
leicbt durcb JViicroscope die Eindriike 
der Formen im Gehim entdeken, felbltt 
nrenn man, ohne den Menfcfaen zn tdd« 
ten, iboi cUe Hirnfcbale abfagen kdnnte» 
die Bewegungen beym Denken im Ge* 
hirne entdeken k6nnen. 

2* Unterfcbied der Vorftellungen und Hand- 
longen der Thiere. N&chft dem« was 
Inftinct und Gewohnheit thut, haben lie 
wohl eine Art von innerein Bewufstfeyn, 
aber wir kennen diels fo wenig» wie 
das innre Wefen andrer Dinge. 

Der Menfch ift rnn k5rper1icfaes Wefen, 
welches iicb beweoen und denken kann. Er 
befteht aus Leib und Seele* Die Seele ift der 
Tkeil^ •melcher denkt, Weiter kann ich tton 
der Seele nichts fagen. 



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§. 7- 

Die Gedanken des MenCcben be£tehen in 
zwey Terfchiednen Arten » Verftand nnd 

Wiilen. 

Verftand heiOst aucb fonik Vemunft^ 
wir brauchen diefe AusdrSke einen fQr 

den andern. Ocfters umfaf^t das Wort, 
Vernunft» Verftand undWillen zufammen. 

$• 8. 

Der Verftand ift die leidende oder th&tige 
Vorftellung Tom Wefen und der Befchalien- 
heit der Dinge. 

Die Wirkungen des Verftandes, in l\uk- 
licht der &ttfem Dinge) find entweder atetei* 
felhaft oder von alUm Ztomfel frey. Bey jenen 
fragt der Menfcli immer nach etwas: die 
leztern beiahen oder Teramnen etwas be> 
llimmt. 

Sie gchen auf ein ^uferes Dlng entweder 
an und fUr Jich » oder in Verk&ltnis mit an* 
liem Dingen. In jenem Fail^ wird das Seyn^ 
Wefen und dic Bcjchaffenheit eines Din^es 
ftberhaupt oder der Theile dellelbeni auf 
die Fragen: Ob| Wenn^ Wo, Wie, In* 
wieferD? unterfucht. Im leztern wird eine 

Gieitik- 



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- 48 - 

OUichheit oder Uaterfckied^ auf cUe Fra- 
gen: Wie Tiel» Wi^ grofs, Wie glcich? 
betracbtet» Aulerdem kommt der Dinge 
Beutegung^ Oaaer, Vrfpnmg und Wirkung au£ 
die Fragen: Wohcr» Wohin> Worau«, zu 
was £ade? in Unterluchung. 

§. 9. 

Bey allen dielen Vorrtellungen wcrden 
dem Gehirne Formen (Bildungen} eingedrilkti 
Welche durch die Bearbeitung des Verftandes 
Abftractionen werden. Die AuAafsung diefer 
Abftracdonen, wie lie ron rorhandnen Din* 
gen an nnd f^r fich reranlaist wurden, ift 
Cedachtnis, Die Zufammenietzung oder Un- 
terlcbeidung derfelben nach eigner Willkuhr 
ITt Werk der Biabildungskraf^^ Aus erkann* 
ten Abftractionen unerkannte hervorlucbeni 
ift das Verm&gen zu fchliefsenm 

$. 10* 

Diefe Wirkungen des Verrtandesi oder fir* 
kenntnilTe, lind k]ar u. f. w. Eiwe klare Er* 
kenntnis ift die, welche dem Verftande» von 
vorhandnen iinnlicben Gegen£t&nden} clurcb 
die aLufem Smne und durdb eine Aarke Be- 

we* 



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- 49 - 

wegung mitgetfaellt winL Dttnkel ift Jie» 
wenn der Gegenfumcl von den Sinnen ent- 
fernt iit» oder fie nur fchwach afhcut. 
DettHich^ wenn ich die Theile eines Ganzen 
erkenne. Undeutlichy wenn ich nur das 
Ganze (Mannigfaltige) mir vorltelle. 

IL Von logifcheii KuDftwdrtern. 

$• 11. 

Kunftworter find allgemeine Begrifle von 
dem V/efen der Dinge uberiuiupt. 

§. 12. 

Ein Ding^ Btufos ift das, wodurch ich 
aHeSf was in nnd aufer dem Menrchen war, 

ift und feyn wird, verftehe. Das Gegentheil 
ilt HicJits. Was feyn kann, ift ein mdglick 
tiingf was blols in der Vorftellung ift, heilst 
ein Gedankendingy was aufer der Vorftellung 
wirklich ift» heifst ein reelles Ding, Jedes 
reelle Ding ifl^ Das Seyn cines Dinges ift 
ch dcs Menfchen Sinnlichkril alK- 
cirt wird. Das Seyn ift iiberall Einerley» 
das »^«11 i£t fo vieUldtig, wie die IKnge 
felbfu 

D Alles 



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— (io — 

AUeA ttbrigei wit ia den gewflliiili» 
cbea Ontologieen* 

UI. Von der Wahrhelt. 

Wabrhdt ift die Uebereinftiiiimiiiig der 
aenfcblichen Gedanken (VorfteDungen} nrue 
der BercbafFenheit der Dinge auXerhalb der 
Oed«nken. 

fS.ub der Verftand mit den I^gen, 
oder diele init dem Verfcande iiberein* 
Aimmen? Diefe VebereinftimmMng wird 
9on beyden itMgieiek vorautgefezit die 
fera Dinge mechen nur ^leichfam den An» 
fang daziu Denn die Aufexn Dinge find 
fo befcbafleny dals £e Ton dem MenfcbeiK 
erkannt werden konnen, und der Ver- 
ftand ift fo befcbaHeny dais er die &ufeni 
Dinge erkennen kann. Die Sitfsm Dinga 
afjiciren die Receptivitut (EiuplincllichlceiO 
4es Verftandes: diefer aimmt die Eindriili§ 
vergUiekt mnd tmterfeheidei fie^ 
Die NichtubereinfLiramung zwifchen Gc- 
danken und G^enltiindeB erzeugf das Faifchek 
Bin fi&r wabr gebekcnes f^allbfaei ilb tmktmu 

D a Die 



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— 6i — 

IMe Schold cler Irrthftiiier Hegt mehr as» 

VerftaDciei als aa den Dmgen* 

f 14- 

Das Wahre ift entweder unftreitig reokr^ 
oder nur wahrfGheinlich. 

Uifireitig wakr ift das, tob ietSen Ueher» 
einftimmung jeder Ternunftige Menfch, dem 
wir es mit deutlichen Worten erki&rt haben» 
mit uas ▼ergewiflert iSu IVahrfcheiidiekf weim 
der innere Beyfall mit dem Gedanken verge* 
rellfohaftet ift, da£s die Sache hch andert 
Terheiten fc6nne. 

Diefe Unterfchlede des Wabren rubren 
fon der verfcbiedenen Befchaifenheit der Ver* 
nonft in einzehien Sal^ecien her* 

Alle onlere VorfteDungen lind nur wahr 
oder faUch» la Btziehung aiff etteat aafer 
iknem 

IV. Von den Onindwahrheittii imd a]I« 

gemeinen Frincipien* 

$. 15. 

£ine Wahrheit i£t mit der andem Ter^ 
iuifipft, ond Te lange eine Wabrheit aus der 

J) 2, an« 



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— 6a — 

andern erwiefen wird, i£t jene me der Uaupt* 

gnind. Eine undwahrheit mnft nnerweifs- 
lich feyn, d. h. weder hewiefen werden 
kfinnen, noch dftrfen. Man nennt fie Prin* 
clp, indefreii ift Grundwahrheit und Princip 
unteifcbieden. 

Ein Princip ilt ein unerweilsliclier , allge" 
meiner, einziger Grundfatz, welcher den 
Grundbegrif aller wahren Erkenntnis enthaltk 
£s heifst: Alles uaas mit der Vernunft des 
Menfchen Ubereii^immt ^ ift taakru Altes^ WM 
ihr zuiaider ifty ift falfch» 

Aher worinn beftehet diefe Uehereinfrlm» 
mung? Wir faaben gefagt, dafs alle Gedan- 
ken (Vorltellangen} entweder leidend oder 
thatig iind. Jenes die Anfchauungen (Sinnen ), 
diefes die Jdeen des Verftandesj Begrilfe. 
Mthin zerfallt Jenes Princip in zwey be^ 
fondre: 

Was der menfchliche Veiftand durch die Sinne 
erhetmtt ift idoAr. Wat den Siimen zm* 

iftider ift, ift falfch. 



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^ 53 ~ 

Ks wlrd Torausge&zt, daft cler Menfbh 

gate Sinnen habe und in dem Zuftande 
des Tollen BewuHstreyiis fey. 
Die Sinne trugen nicht. Man unterfcheids 
nur die yorftellungen von dea Gegen/tiin^ 
den felbfi* Jene tiiufcken luu memaU% 
diefe kionnen nnfich gan% anders feyn^ als 
unfre Vorft. van ihnen. Pie Schuld fol» 
dier Taafchuag Uegt keinesweges an den 
Sinnen^ /onder» aa d^r yareHigkeit 
fers Urtheib. 

Wir miinen die ErkennUiine (Vorlt.) 
von mem Objecte nicht dem Objecte 
fclbft afufchreiben , wenn fie fich ver- 
mittdft der Sinne bey uns Teiftndern 
z. 6« Warme. 

Wir mufren eben ddrum nie abfolut, 
londem relati? Ton folchen Vorftellun* 
gen nrtheilen. 
Die Begriffe ftehen mlt den Anfchauungen 
(Sinnlichkeiten) in der engften Verhindung. 
Die Sinnlichkeit ftellt mir lauter Individua 
vor, ohne Ordnung und in ManrilgfaJtigkeit. 
Die Verkniipfung und Unterfcheidung diefer 
Eindrftke ift eine Wirkung des Verftandes» 
welchc theiU vorher im Vermda;en des Men- 

D 3 fui.eii 



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^ 54 - 

fcben gexirefcn feyn mii(s, tholt nachlier ane 

«gner Willkuhr entrteht. 

Obne Verltancl warde der MenCcb nicht 
Menfeh leyn. Ohne Snnlichkeit wftrde Sm 
Verftand nicht thatig feyn kdnnen. Die Be- 
^''iff^ fitzen durcheuts Anfehammgen wrmu, 
Kihil eft in intellectn, qned non prins Aierit 
in fenru. BegriiTe find DeHnitiones rerumi 
d. h. allgemeine Befttmmnngen der Dinge. 

Alfo lahtet der zweyte Satz: 

fVas tnit den Bcgriffen.^ welche Jtch der 
menfchliche Verftand von den durch dit 
Sinne ikm porgeftelltea Ob/eeten macktn 
Uhereinkommt y ift loahr* JVas ihaen ZM* 
•mder ift, ift/alfch* 

Von den apodictifchen Wahrheiten und Un« 
wahrheiten« die darch die erften Prin* 
cipien erwiefen werden. 

$ 18. 

Das anfgeftellte Princip wird ichlechtw^ 

verftanden. Und mit ihm find alle Wahrhei* 
ten verkniipft. WDl ich alfo andre Wahr- 
heiten begreifen« fo muis icb ihre Verknilp» 
fnng mit dem erlten Princip begreifen« 



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$; 19* 

Bet^eifen heifst darthun, dafs und wie 
eiae Wahrhcit mit dem eriieu Princip. ver- 
knftpft ley. 

90. 

Es ift ein grofser Unterfcliied zwifchen 
Wahr mid FeUch reyn, wid zwifbhen Cr« 
keuiettt dals etwec wahr oder falljbh fey: 
zwifchen erkennen, dafs etwas falfch fey, 
und eiwas Falfches erkemien. Jenes hei£ist| 
«nfehen* daft ein Snbject nnd Pr&dicat iich 
widerfprechen : dieCs heifst, zwcy wider- 
fprechende Begrifie als nichtwiderlprechend 
li^greifen woUen* 

V. Vom NichterkeimbareD» 

Btwas ifk nickt erkennbcr» entweder Bax 
Veraunft fiberbaapt, oder filr duizdno 
Menfchen. Unter das erftre geh5rt z. B. der 
Begrif Ton Gott. Die Vemnnft erjunm, dafii 
cin Gott fey, eber das WeAn deflelben er« 
kennt Ae nicht; fie kann nur lagen, was 
Gott nicfat fey. Die leztre Art des N. ift ea 
lidi dentlififa. 

D4 VL 



56 



VI. Vom Wahrfchdnlichen. 

22. 

Wahrrcbeinlicb ift^ wobey der Verrtaud 
einfiebt» daik es euie blo($e Ide^^nung fey« 
die er zn kelner Gewifsheit brln«en kann. 

( Ucber eigne unfl fremde Erfahrung; von 
der biltorifcben GlaubwurdigkeitO 

Aller Beweifs ift nur wabrrcheinh*ch, wenn 
der Gi und delTelheii auf fremder Crfabrung 
oder Inducdon berubk. 

V0. Von den GegenftSnden der Er- 

kenntiiis. 

§. 23. 

Der Menfcb wiU erkennen , entweder die 
Dlnge aufer ibni« oder Hcb felbft. 

I. Duijgie aufer ibm. 

Uier kommt ^uerft in Betrachtung, ob 
JU gegenwlirtigy yergangen oder kunfdg find ? 
Von abwefenden Dingen ift unlre Er* 
kenntnis nur wahrfcheinlich und dunkel, 
weil wir fie nicbt durcli die Sinnlichkeit 
nns forftellen kSnnen. Eben fo ver* 
gan^ne und i^iinftige Dinge. 

£m 



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- 57 - 

Ein gegenwlrtiger «nd KlnlAnglich na* 

lier Gegenftand allein giebt klare und 
deuUiche Erkenntnis» und zwar um ib 
mehr, je l&nger dieler Gegenibuid Tor 

uns dauert. 

$• 24- 

Der Menfch hat keine gewifFe Erkenntnis 
Ton einer SubCtanz» Xbndem nur ron den 
Accidenzen. 

Die Accidcn^en kunnen unter zwey Klaf- 
len gebracht werden, Korperlichkeit und 
Bewegung. Von beyden liaben wir klaro 
und deutliche Ei kenntnis. 

Alle Beweile fetzen eine Subftanz voraas» 
▼on welcher etwas pr&dicirt wird. Aber 
nlchi die Subftanz felbft, fondern nur die 
Accidenzen werden dcmonririrt. 

Wir erkennen an den Dingen die Materie^ 
infofern fie uns afHcirt, klar und deutlich; 
die Fonn^ d. h. die Vereinigung der Theile 
in der Snblbinz nicht fo* Wir erkennen die 
vorhandne IVirkung einer Subftanz, den Ur- 
fprung nicht immer, £$ giebt eine erfie wir* 
ketide Urfaeke^ aher ihr Welen erkenncn wir 
nicht. Die Endzt^eke nur wahi fciieinlich. 

D 5 $.25. 



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^ 58 «p. 

Die Einfcheilung in geiftige und korperli- 
cbe Sttbftanzen fAllt weg, fo lange mm nacii 
der bloCsen Vernunft Terfkbrr* DerVerftand 

kann iich von Geilt keinea Begrif inacben* 

$• s6i 

Eben fo wenig darf man die kdrperlichea 
Subftanzen tn einfaefae und zalammengefezte 
thalem Das Elnfache kann der M enfch nicht 
erkennen. Alle Gegenftilnde unfrer £rkennl<* 
lut iind zulammengefezti 

Ueber die Eingefcfarinkth^ un&tlt 
phyfifcben Kenniniffe. 

$• flf. 

II. Der IVIenfch felbft. 
Der Grund aller Wahrheiten liegt im Men- 
Ibhen lelbft, nnd der Menfeh hat ron licb 
die ge^-ifTefte und meifte Erkenntnis. 

Kur inXbfern nidit^ als er ein Wefeii 
liat« welches mit den Dingen aufer ihoi 
cine Gemeinfchaft har. 
Der Menfch kanit Tcrmdge leines Ver- 
Jbndes mle Wafarfattten eriindenf und fae- 
ilzt Kunlkfertigkeit. 

Xwar 



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- 59 - 

7war welfs er nlcht, was feine Secle 
fey, dic in ihm denkt» aher er weilc» was 
die Gedanken ibyn, die in ibm Ton der 
Seele gewlrkt werden. 

Von andcrn Dlngen erkennt er die Zweke 
nnr walirrcbeinlich: feinen tignen £ndzwek 
nnftreidg gewits. 

£ben fo gewifs kennt er da« Prindp Jbis 
nec Thiuis nnd Laflens. 

Er kann fogar andrer Menfcben Gedanken 
und Eigenbeiten kennen lernen» und weilii 
iSsine Beftimnmng aof Erden. 

VHL Von ErfindnDg neuer Wahrheiten* 

Die Erfindung neuer Wabrheiten ift die 
Ablcitmig neuer ScbJuffe aus bekannten Mit» 
te1*$ttzen. Experirey Defim, Divide. 

DeHniiion ift eine Bezielmng dcr Gedan- 
fcen Ton allgemeinen Begriifen. Sie ift ent* 
weder nominal, d. h. lie ftellt das Allge- 
meine dar, ah ein mit andern verbuncl- 
nes oder in Tbeile theilbares Ganze liber» 
hftupt: oder real, d. h. fie ftelh es vor« 
als ein mit andern nfthern Ganzen verbund- 

nes 



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^ €o 

nes und m die Tornehmften Tbnle theilba* 
t9S Ganze, 

Man kann keine Definidon haben, wena 

nian niclit das Ganze zuvor in Theile getheilt 
hat« Delinition und DiviHon find aifo genau 
Terbjinden* Denn man kann wiederumt ohne 
zu deHniren, kein Genus in feine Speclcs 
theilen. Jede neue Theiiuog giebt eine neue 
Wahrheit» 

Ueber hypothetifch, afiinnatiT) ne* 
gatiT u. £ w, 

IX* Vom Irrthunu 
§. 29* 

Irrthumer haben ihren Grund a) in der 

luiturlichen Unvollkommenheit des Menfchen 
Ton Kindheit am Alles muGs dem Kinde 
durcb andre IMIenfchen beygebracht^ oder in 
ihm cntwikelt werden, und diefe Menfchen 
fmd felblk toU Irrthamer. b) in der Neu* 
gierde, welche felten Aufmerkfamkeit nnd 
ruhige Betrachtung zulafst, und ftets mit Un- 
geduld Terbunden ift» daher wir Schein mit 
Wahrh^t, Vorfielluugen mil Objecten Tcr^ 

wech- 



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— 6i — 

weclifeln. c) in allzugrofser Sinnlictikcit und 
Leiohii^liiuliigkeit. 

Man nennt <lie Irrtbiinier Vornrtheilc^ 
the^ls, wei] fie pewShnHch dann entrtehn, 
wenn die Urtheilsivraft n icli niclit reii" ift» 
theiU» weil der Meiifch eher urtheilet» als 
er gepriift hat. 

Es giebt Vorurtheile des Anfehens und 
der Uebereilung. Jene find itlter und fchwe- 
rer loTs werden. Gew6hn1ich /ind lie 
beyde verelniget. Nachlafslgkeit, Ei^^enliebe, 
Gewohnheity Furcht Tor Neuerung) Ehrgeitz 
und HerrrchfuGlu bekr&ftigen und (t&rken fie. 

Practirclie Logik. 

l Von der Erforfchung der Wahrheit. 

$. 3o. 

i) Hebe dle Hindernifre weg» und be* 
ftreite die Vorurtheileb 

Zw^ifle. ZwelFeln heifst entweder fragen, 
ob €t'-:>as m der Welt wahr oder falfch, oder 
ob nlcht Yieimehr aUes blofs wahriicheinlicb 
fey? oder fragen, toas denn wahr oder 
falfcii oder wabrfcheinlich fey? Jeuei; ili' 

der 



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— 62 — 

der ibeptirciie) cliefes der dogmatifche Zwei* 

fel. Der erftre iA Xborlieiti der leztrc^ 
Weg zttr WeitheiL 

Woran XbU man zweifeln? Nicbt an den 
erften Grnndwafarheiten oder Principien. denn 

diefe bediirfen keines Beweifes. Sonderxi an 
den Fo]gerungen aus den Principien» Zwei" 
/€/a hei&t nemlich, die Vrmeipien. auffueken^ 

und darnach alle Vorftellungen priifen. £s ift 

alfo einorley mit fragen und fuchen* 

Zweifeln ift nicht gradebin etwaa ftlr 
falfch halten* Denn 

a) was man fiir falfch halt, deOett Ge- 
gentheil erklftrt man llir wahr* Ift die(S| 

fo k5nnte man nicht Xagen, da£s man die 
Wahrheit noch fucke. 

b) die Sceptiker fellxOt, welcbe an allem 
xweifeken, hielten alles l^r wabrlchetniich 

oder unwahrfcheinlich , nie furfalfch, dena 
jfonft biUten £e das Gegentbeil fur wabr er« 
klAreu mftCfen. 

c) £twas anders iltf eine Sacbe fur falieiiK 
und iie nicht (Hr wahr hafeen. Ecwai anders 

blind feyn und nicbt fefaco» 



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— 63 — 

9) Vet^aCTe dich in Erforrdinng cler Wahr* 

bcit iiienials auf das Anfeben irgentl eines 
Menfcheii. 

Unfre Handlangen follen wir nach dem 

Willen andrer einfichtsvollcr Menfchen ein- 
richten: dtr Ferftand ober i/t keineii Gefetien 
matenoorfeiL, 

5) Hiite dlch ciner Sache als unftreitigen 
Wahrheit Beyfall zu geben« wenn du die- 
1le]be nicht niit allen Umltladen unterfuchfe 
uiid gepriift haft. 

4) Lerne unterfcheidenf was Wahrheit 
«nd Wafarlcheinlichk^t ift» was wir gewils 
erkennen und was tvir blofs wabrrcheinlich 
einliehen kdnnen. 

5) Unterlcheide nttzlidie nnd beloftigende 
WiJCTenrchaften. Unter jenen lerne vcr aUen 
die« welche dich glukiich macht. 

Die wahre Weish^t fnche in ditv 
nicht aufer <lir. 

Lerne dich jCribft erkeaneni Das 
heilst: 

1) Siehe unter dicb, betrachte den Un- 
tierfcbied zwilchen dir und den Thieren. 

2) Siehe um dich» nnd bemerke deina 

VciLaltnifle mit andern Menfcben. 

3) 



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— 64 — 

3) Siehe uber dich, auf Oott. 
Nach dem SnfialTe auf diefe Weisheit, 
nicht nach ihren erlten Grundlatzen und ih- 
rer Gewifsheit, beurtfaeile den Werth einer 
jeden WiHenfchaft. 

II. Vou der Mitthdliing der Wahrheit, 

(Mehr eine Anweifung PSlt Jngendlehrer, 
als eine allgenieine Melhodik. Folgeade 
einzelne ideen Jbbienen mir des Ausbe- 
bens wertb.) 

$. 3i. 

]VIan lagt oft, die allgcmeine Ruhe wurde 
▼erlezt werden, wenn die Unterweifung der 
Menfchen, wie fie die Finftemis ihres Ver» 
Itandes vertrelben foUen, (Aufkl^rung^ Je* 
dem frey ftand& AUein JSlenfcfaen) die 
diefs behaupten, wollen mit Fleifs das Keich 
der Finfcemis vertheidigen, weil fonft ihr 
Interefle nnd Anfeben litte. Die aligemeine 
Rube kann durch die Lehre der Weisbint 
iiicht verletzet werden, iie hat viehnehr 
keine feftere Stutze, ak diefe, und keinen 
gelahrlicherea Feind, als den Irrtbum. 

Der 



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— 6» — 

Der Verfund l&£st ficfa nicbt zwingen: 
wer ihn von Irrthiimern reinigen will, mab 
es vvie cin Arzt maclien. Der Arzl erziirnt 
Jfich nicht, wenn (ein Kranker nicht gefund 
wird. Wir ddrfen Andere^ die wir beleh- 
ren wollen, nicht verfolgen, und Nieman- 
den unlre Meynungen mit Gewalt aufdringen. 
Wer andre wegen ihrer Irrtfai&mer nicht dnl- 
den wiil, gleicht einem Arzte, der in eine 
Stadt ▼oU Kranker k&me» und verlangtei 
fie foUten alle fort gehn oder gefand werdon. 
Aher man macht hier einen Un leiTciiiod zwi- 
fchen gemeinen und anftekenden Krankhei- 
ten. Ich antworte! je geHhrlicher eine 
Krankheit, defto treuer fey der Arzt. Der 
Irrthum kann der Wahrheit nicht Icbaden, 
wenn He einmahl Raum gewonnen bat* 



ni. Vom Verftehen fremder Mevnungen. 

$. 32. 

(Voraus eine Anweifong zur Benutzung 

des Unterrichts.) 
Allgemeine Regeln der Hermeneutik. 
i) Betracbte die Perfoni welcbe fpricfar, 

nach allen ihren VerhlLltnirren. 

E 2) 



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— 66 — 

2) Verg^fs nichtf wovon otiieiitlicfa der 
Autor reden wi]]. Nimm a)fo atif das Vor- 
hergehende und Nachfolgende KiikXicht. 

3) Unttr zwey Auslegttngen einer Stelle 
ift die ▼em&nftigfte Torzuzielieii , ausgenom* 
meni der Autor habe nicht Ternunftig icbrei- 
ben woUen. 

4) Man muls der Anslegung folgen, weV 
che mit den Principien und der AbHcht eioes 
Autors am be(ken itimmt. 

IV. Vom Betirtheileii firemder Meynungeii. 

(. 33. 

1) Urtheile nicht von Andrer Meynungen> 
wenn dn nicht in deinem Kopfe aufgerftumt 
haft. 

2) Urtheile nlcbt iiber Schrlften aus einer 
Wilfenfcbaft» welche du nicbt verfteh&. 

3) Urtheile nidht von einem Bucbe, wenn 
da es nicht gelefen haft, und zwar mit ge- 
b6riger Aufmerkfamkeit. 

(Man mt gew5hn]ich fiber die Htel 
der Biicher her. Je auHallender dlefe 
find, defto beder (cb^t das Bucb felbft. 
Etn polidlcher MauIaAe oder Feuermauer- 

keh- 



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kehrer yerkauft fich reirsend. Eme Dis* 
patadon» welcfae nebft dem lateinUcbea 
Tltel noch einen dentichen hat, rerkauft 
Ach belTer, als andre. Wenn das Wort 
csnriOs oder Cariofititen aof dem Titel 
Itehty fo glauhen die Verleger, dals £e 
das Buch defto eher lo£s werden.) 

4) Urtbeile nicht Ton «nem Bucbe» wenn 

dn nichk Hermeneutik verftehft. 

5) Urtheile nicht» wenn du das Budi 
nicht m!t geh5riger Unbefangenheit und Kalt- 
blatigkeit gelefen halb 



Kennzeichen eines kritifchen Ca* 

lumnianten. 

1) £in Calumniant dichtet einem Schrifi* 
fteller einen Veritand «n» den er nie 
im Sinne gehabfc* 

2) Ein Cal. hebt zweydeatige Aasdrfike 
aa$ dem Zufammenhange, Ift&t WOrter 
aus, und riikt eigne ein* 

3) £in CaL rechnet die Febler des Ueber- 
fetzers dem Autor, des Sehiilers dem 
Lebrerj des Buchdrukers dent Verfaf* 
Sjsr zvt. 

Ua 4) 



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— 68 — 

4) Ein Cal. giebt ftir die Meynung des Ver- 
faHers felbft aus, was diefer aiidern Per- 
fonen in den Mund legL 

5) £in Cal. Aeht nicht auf die wafare Ab* 
ficlit des Verf., fondern fcbiebt ihm eiiie 
erdicbtete unter. 

6) Ein CaL vergleicfat nicfat die dunkeln 
Stellen eines Autors mit den deutlichern. 

Ein Cal. legt einem Autor leine alten Irr* 
tfaClmer immer von neuem zur Laft. 

8) Ein Cal. macht irrige Confequenzen aus 
dem Satze eines Autors. 

9) Ein Cal. legt das Siillfcfaweigen feines 
Gegners als Bekenntnis, dafi er iiber- 
wunden fey* aus. 

10) Ein Cal. richtet fich nach Andrer Tor* 
l^ufigen Urtheilen. 

V. Vom Widerlegen Andren 

(Das Gew6bnlicbe uber Disputiren nnd 
Streitfchriften, mit fcfaarfen AusllOIen 

auf die Streitigkeiten der Gelehrten.} 



AUS- 



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69 



XVBZVO 

CHR. THOIVIASIUS SITTEN - LEHRE. 



I. Einleitung. 

Wahr und Falfch, Gut und Bofe beziehen 
iich nur auf die Verfaiiitniire der Dtnge gegen 
«inander. Wahrheit befteht in der Ueberein- 
rtimmung der aufern Dinge mit dem menfch' 
Hchen Verftande. Gut uberhaapt heifst, 
wenn zwey Dinge llbereinftimmen « biife, 
wenn eln Ding dem andcrn zuwider i£t, 

Ueberein£timmen hei£st hier, we«.<« ein 
Ding das andre in feiner Sabfiftenz crh&lt» 
und deilen Wefen vermehrt. 

£ 3 Das 



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^ ^ 

Das Giife bedeutet aUo dle Ueherdnlkidi* 

mung der DLnge mit einander iiberbaupti 

Die Oinge, Ton denen man fragen kann» 
ob lie in Rftkfiebt des Menibben gufc oder 
b^fe find, Hnd entweder in und an» oder 
«uier ibm* 

Die Dinge in und am Menlbben fihd gut| 
t^dl lie zu feinem Wefen gehdren, (den 
Willen ausgenommen }. Die aufer ihm find 
an iicb f^r ibn weder gut nocb bd(e« fie 
werden es erft durob Beziebung auf ibm 

Das allgemeine Gut des Menfcben ift die 
SttbBftenz, und diele ift gut. 
A]]es alfo, was clie Sabfiftenz det Gfan* 
zen oder eines Theils, als den Grund 
des Gutent A6brt oder Temicbtet» ifi; 
bfile. 

•) AUe Dinge iuid airo gut oder bdfe^ 
je naehdem die Subfiftenz des Men» 
fchen dadnrcb erbalten oder geikObrt 

wird. 

b) £in knrzes Gute, welcbes nit a* 
nem langen Uebd Terbnndfln Ift» ilb 
bdfe. 

o) 



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— 7» — 

c) Das Gute, welches die Sabfiftenz 
emer meofchlicben Kraft befdrdert^ 
nnd der andem fubfiAoiitem Knft 
Terringert» ift bfilb. 

AHes, wa« det Menfcfaeii WeCiui wid 
Kr&fte am dauerndTten erhlUt und ver* 
mebrt) ift gnt» 

§. 3. 

Der Menfch foU fich bemuhen, das Gute 
csii erlangen. Dte Anweilung dazu ^bt die 
practifcbe PbOoropbie. Sie ift alfo die Wif« 

fenfchart, welche den Menfchen unterweife^ 
wie er glukfeelig werden XoU. 

Wir miiilen aber erft wilfen, was Gluk* 
feeligkeit ift, nnd dttnn die Hindernif&t bin- 
wegr&nmen , die ibre Erlangung bindem» 
Diele HindernifCe kommen entweder aus uns 
ielbft, d. b. aus unlem LeidenlcbafteQ 
davon bandelt die Sittenlehre — • oder Ton 
auisen , tbeils dUrch Mangel — Haushal- 
tnngskunft , tbdis durch Furcbt vor Ge- 
walt nnd lall — Politik. 

£4 



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TL Von der hdchften Glukfeligkeit. 

§* 4- 

Die Sittenlehre ifr die WirTenfchaft, wel- 
che den Menfchen unterweilet, worinnen 
fetne wahre tind hdcbfte GIikkfeHgkeik beAeht» 
wie er diefelbe erlangen, und die aus ihm 
enrfpringenden UindernilTe uberwinden und 
hinwegr&umen foUe. 

$. 5. 

GlQkfeelig feyn, hdfst, das wahre Gut 
beRtzen. Dle hochfte Glukfeeligkeit ift ent- 
weder der Belitz des edelften Gutes, oder 
der Befitz aller Gilter iasgefammt. 

Das Leljen, oder die Verelnigung des Lei- 
bes und der Seele» i(t der Grund alles Gutes 
des Menfcben. 

Unter den Gutern des Leibes und der 
Seele iind die leztern die yorziigUcheni. 

Die wahre und grdfte Gl&kfeeligkeit des 
Menfcben Ijefteht in einem ruhigen Vcrlangen^ 
und gemSfsigten VorfteUmgen. Sie ifk ein 
Wohlbefinden, welches darinn befkeht, dafs 
der JVlenfch weder Schmerz noch Freude 
aber etwas empfiudet, und in diefem Zu- 

Itande 



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- 73 - 

ftande fich mit andern Kenfchen Ton gleiclier 
Stimmung zu Tereinigen tracbteL 

Sie Bielst ans einer vetnU/^tigen Uebe xu 
mndem Menfehen, welche das eigentliche We- 
fen des IMenfchen ausmacbt. Denn der 
Henfcb ift ein gefelliges Tbier« nnd fein 
fadchftes Gut ift, wenn t$ andeni) die er 
Vuthtf woblgebu 

Dcr Grund aller Moralitiit ift verniinftige 
Idebe zu andem Menfcbent nicbt Selbftliebe. 
Aber follte nicht Zt B. ein Geitziger» 
Wolliirtling iicb felbft mehr als andre 
lieben? Neint er liebet nicbt bcb, fon* 
dern die Gegenftftnde ieiner Laiker* 

§. 7. 

In der zweyten Bedeutung ift die Gliik- 
feeligkelt Inbegri/ der GemiUhsruhe mit deii 
wefentiichen Giiternt iseiche dazu n&tldg Jindt 
Weisbeit nnd Tngend. Andre GQterf Ge- 
fundheit, Reichthum, Ehre, Freiindfchart 
n. a. iind nicbt welentlicbe Beftandtbeile die- 
tet GJftkfeeHgkeit. 

E 5 UL 

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UL Von Gott 

Ohne & Brkemitiilt von Goti ift hiaB 

Tollkommne Gemiithsruhe mo^liob* 

$. 9* 

Von dem Dafeyn eines Gottes ilberseagc 
nns die ganze Natnn Er ifi: Scb6pfer nnd 
Erhalter des Ganzen; wie? dariiber woUen 
wir nicht griibeln, fondern loit Ehrfurcht 
•nbetben. Die menfoblicbe Vernnnft ftebt ia 
diefer Erkenntnis Gottes fdll, und hiitet fich» 
da(s fie nicht weiter gehe, als in ihrera Ver- 
m6gen ift. Aber &e bemubt Acb» ibre Be- 
grifle von Gott znr Bef6rderung der GemfLtbs- 
rube anzuwenden. 

$• 10. 

So Kndet fie» dals der Menfcb fchuld^ 
fey, fimie Handlungen nacb dem Willen 
OotteSt als des b6cbften Gntes nnd des Ge- 
bers alles Guten» einzurichten : die(s unbe- 
grdBiobe Weien su lieben : und ibra sn ynx' 
trauen. Diefes oitf Liebe und Vertrauen her» 
rUhrende Be/trebea» nach Gottes iVUleri zu hcmi' 



- t5 — 

deln, er^ennt fie als den eiittigen wahren Got' 
teuUenft: yon ikurern Ceremomen wei£i Ha 
olchu, 

$. 11. 

Wer glaubt, da(s er zn diefem Gebor£inii« 

cliefer Liebe , diefem Vertrauen nicht verbun- 
den C&Yf entweder weil er an Gott und Vor* 
fehttng zwttfeltt oder weil er Jich Gott als 
abhRngig, als Inbegrif der Krea*^uren u. f. w. 
denktf der iit ein Atheift einer der grolten 
imd miglftklicfaften Tboren. 

Wer etwas fiir Gott h^lt, was unmog- 
lich Gott feyn kann, ift ein Abgbtter. Der 
leztre ift in pracd(cber Rllkficht rchlimmer» 

der Atheift. 

Atheismus und Aberglauben ftOhren und 
hindem die Gemiithsnihe : innerer Gottes- 
dienfk allein befOrdert und ftirkt fie. 

IV. Von der vernfinftigen Liebe zu an-* 
dern Menfchen aberhaupt. 

§. 12. 

Die Mittel zur Giiikfeeligkeit iind in der 
vemUnftigen laebe zu andera Menfchen ent- 
faalten. 



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- 76 - 
$. 13* 

Llebe ift ein Verlangen des WlUens, fidi 

lult dem, u as der Verftand fiir gut erkennti 
zn yereinigeoi oder io diefer Vereinigang zu 
bleibeut 

Man kann fich alfo nicht felbft ]ieben. 
SelbftJiebe ift entweder £inbildung« oder 
Hlangel eigentlicher Liebe. 

Vereinigung mit Menfchen befteht da- 
rinn» dais wir unfre Seele, befonders 
den Willen^ mit «ndem fo rereinigen» 
dafs Ein Wille daraus werde, und kei- 
ner ficb eine Herrfcbaft fiber den an- 
dem anmalse. 

§ 14. 

Diefe Liebe ift entweder Teraiinftigt oder 
unvernuDftig. Die unvernfinftige ifc a) «n 

unruhiges und hitziges Verlangen, welcbes 
uufre Vernupft ubermeifiert, b) fie gebt auf 
Dinge, die mehr fcbftdlicb, als gnt lind. 
c) fie fucht eine unm6gliche Vereinigung, z. 
B. eine Vereinigung mit Gott, wie etwa mit 
Menfcben. Sie yerlangt, da(s Gott feinen 
Willen nacb dem unfrigen richte. Sie will 
lilier den WiUen andrer Menlbben berrlcben; 

oder 



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— 77 — 

oder fie unterwirft ihren WilJen Andem 
ganz* Sie liebt leblofe nnd nnvernttnrtige 
Dinge, wic Menfchen. Sie wird zur Sclavin 
defTen» was iie Jieht. dj iie liebt mehr dei| 
KSrper, als die Seele» oder den Kdrper 
ganz allmn* 

$. i5. 

Die verniinftige Liebe ift das einzige Mit- 
tel zur Gliilireeligkeit, d. b. zur wahren 
Gem&tbsruhe. 

Aber wo Liebe ifi, dn bcRndet fich 
auch Eiferfucht iind Unruhe. Ich ant- 
worte, wo Eiferfucfat ift) da ift Mi(s- 
trauen, und wo Mifstrauen berrfcbt, 
da ift keine verniinftige Liehe. 

Wenn andre Pbilofopben die Tugend 
als ein folches Mittel preifen : fo ift die* 
ler Begrif dunkel und unbeftimmt. Denn 
was heilst Tugend anders» als der Mit- 
telweg; aher wie unbeiyRimt ift diefer 
Begrif! Die liebe ift das rechte Maafi 
aHer Tngenden, wer nach Liebe han* 
delt, findet imnier das rechie Maafs. 
In der Liehe kann man xiie zu yieX 
tbiin. 

Andre 



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- 78 - 

Andre fagen, cBe Liebe Gott^s fey 
das iVlittei ziir htichften Glukfeeligkeit. 
Aber Gott weift ans durch die Vernunft 
auf dle Liebe zq den Menfcben, als 
den elnzigmdglichen wahren Gotte$dienli|. 
iind je vemftnftiger man die Menfcfaen 
liebt, defto mehr liebt man Gott. Ce* 
remonien und Speculationen iiber Got^ 
And keine GottesJiebek 

Aus der liebe zu Menfcben entfpringt 
«uch die wahie liebe zu Thieren* 

V* Von der allgemeinen Menfcbenliebe* 

§. 16. 

Die Menfchen find verraoge ihrer Natur 
alle einander gleicb* Sie haben einerley Ur- 
fprnng, Bed&rlriirrei UnvoHkommenheit, Fft* 
higkeit, Schikral, Beftimniung und Ende: 
iie haben einerley Liebe nnd einerley Eechte 
bey Gott iich zu ▼erfprecben. Darauf grun<- 
det hcb eine allgemeine Liebe zu allen Men* 
fchen« welche alie iVIenfcben in fo weit ver* 
bindet) dals lie einander fo bebanddn, wie 
iic Ton einander behandeU leyn wollen. 

E» 



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— 79 — 

Es giebt noch einige fpecielle Verfaaitnillb 
der Gleichheit , z. B. des Gefchiechts, Alters^ 
Stanclest der £inAcbt, des Vaterlande^, dev 
Neigungen. DieA luid Bef6rderungsniittel der 
Uebei aber nicht wahre Grunde derfelben. 
Die allgemdne Liebe ilt mebr negatiT, Ab- 
wefenhdt des Hafles. 

Koine Ungleichheit der Menfchen kann 
ibrer Matnr nacb fo viel wirken, dais ein 
MeaTcli den andem deswegen baflen Ibllte* 

Die angemttne MenXbbenliebe begreift funf 
Tugenden in itch. 

1) Leatfeeligkeitf oder die Bereitwilligkeit, 
ailen Menfchen» die es bediirfeni mit Din- 
gen bcyzuftehen, deren Mlttheilung uns nicht 
lcbwer ankonunt. Diefe Tugend ift leicbt^ 
nnd darf keine Dankbarkeit fordem; man 
kann uns aber auch nicht dazu zwingen, aufei> 
wenn jemandes Bedarfnis fo gro£s i£t> dal^ 
er obne Iblcbe Lentfeeligkdt Terderben miljfte^ 
und wenn er Ach an Kieinand lonft, als an 
uns wenden kann. 

2) IVaktkaftigkeit^ oder die Verbindficbkei^ 
allen Menfcben uiifer Verlpiechen treu zu 

hal- 



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baUen, wclches wir mit Wirfen und WUUn 
gethan haben. 

Dtefe beyden Tugenden find pofitive Tu- 

genden der Gleichlieit. Die folgenden zwey 
Hnd negadv, iie hindern die Ungleichheit. 

3) Se/1'heideafteit beHzt deri welcher aUen 
Menfchen menfcblich begegnet) ihnen glei- 
ches lleciit mit iich verftattet, nnd fich 
nichts mehr heraus nimmti als ihm von 
Rechtswe^en gebllhrt. 

Trotz alles UnterlchieJes des Standec 
und Vermdgens* Der Gebrauch des WiU 
lens ift daS einige^ taas- der Menfch fiir 
uirkLich fein halten hxina, und inomack 
er Jich hoch zu achten oder iu verachten 
Urfache hat* 

Man mufs rcfc!ieidcnheit Tilcht mit 
Deinuth verwecbfein. Demuth ift keine 
Tagend, die die Vemunft kennt oder 
einpliohlt; denn die Vernunft Jieht 
nicht ein ^ warum iich ein Menfch felbli; 
lur geiinger halten follte, als andre. 

4) VertrUglichkeit ift diejenige Tugend, 
nach weicher cin 3Ienfch Andre dds Ihrige 
in lluhe genufsen lilfst, und ihnen in nichts 

zo 



- 8i — 

Stt fcbaden facbt» oder» wenn dieik za* 
AUIjg gcfchehen wtre» Ertktz leiltet» 

5) Gedtfld CNachficht, Lfndigkeit, BU- 
ligkelt) ift die BorcitwiJiigkeit, Beleidigun^en 
au8 aligemeiner Liebe za verzeiben» and ficb 
feiner nat&rlichen RechtCf um des aligemei- 
nea Fricdcn« wiileni zu begeben. 

Diefe Tugend ilt keine Tugend der 
Gerechtigkeitt Ibndern blofi der Liebe. 

Beweifs, dafs nicht Raclie und Gei ech- 
tigkeitf londern Geduld die Gemiithsruhe 
erhalte. Gedold macht Frieden» nnd 
gewinnt das Herz des Beleidigers. Al)er 
Geduld ift nicht Furcht. Wer aus Fui cht 
geduldig ift, ift es dgentlich nioht: 
denn er wollte Hch gern rftchen^ wenn 
er nur Acher k6nnte. £ben fo wenig 
ift ite Niedertr2chtigkeit. 

Leutfeeligkeit und Geduld lind die edel- 

Iten diefer Tugenden, denn es ift dabey 
auch nicbt der minde&e Zwang denkbar. 
Ztt den ilbrigen kann man wenigftens cini» 
germalsen gezwungen werden. 

F VL 



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— 8a — 

VL Von der Liebe gegen Einzelne. 

$. 18. 

Die belojidre Uebe ilt die Vereinigung 
2weyer tugendhafter Seelen, die durcb weeh» 
felsweife GeflHligkeit nnd Aufmerkramkeit 
gefuchtt durch wechfelsweife Guttbaten er* 
langt, nnd durcb GiBmeinfcbaft aller Quter 
erhalten wird* 

$. 19. 

Die verfchiednen Gefcblechter macben kei« 
nen Unterfcbied. Denn es kommt bier auf 
die Vereinigung der Seeien an. Der Unter- 
fcbiedf den einige zwiicheii Freundfcbaft und 
Idebe machen, ift unnQtz und leer* 

Ueber den Umgang beyder Gerchlech- 
ter. fintfemnng reizt zur unordentlicben 
liebe) und bniTt bey lilHgen Perfonen 
doch nicbts. Ihr lagt : Gelegenheit macht 
Diebe. Icb antworte: durch Gelegenbeit 
probieret man einen ebrlichen Mann» 

§. 20. 

Han balte ficb nicht an die Zabl Zwey* 
Je mehr tugendhafte Seelen Tereiniget iind» 
defto groDser ift ihre Glukfeeligkeit, 

Bey 



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— »3 — 

Bey Ternfltiftiger tdebe kanii keSne 

Elferfuclit Statt haben. Hat nicht Jeder 
das Kecht» zu lieben, was wir ]ieben? 
Wer eine Perfon Hebt, dSe icb llebe» 
lieht mich aucb. Wir durfen alfo auf 
eine geliebte Perfon nicht zurnen, wenn 
fie liob noch von Andem ]ieben Iftlst. 
Sind diefe Andem tugendhaft: fo ift 
dadurch unfre Gemuthsruhe befordert. 
Sind iie lafterhaft, fo verdient jene Per- 
fon, die lich von ihnen lieben l^Gst, 
unfre Liehe nicht* 

Die 7.tt Tereinigenden Seden durfen 
fich niir in der Neigung zar Tugend, 
nicht eben auch in den Graden der Tu- 
gend gleicb feyn. 

$. 21. 

Der Grond aHer tugendhaften Liebe iik 

Hochachtimg^ d. h. die Meynung, nach wel- 
cher wir einen andern nach feinen Hand- 
langen fo lange A&r tugendliebend baJteni 
bis wir uns vom Gegentheile ilberzeugt hflben. 

Aus diefer Hochachtung fliQfst 

1) Oef&Uigkeit und Au/nwrkfamkeit^ wenn 
«nan anf des andern geringtka Handlungen 

F z Ach- 



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- 84 - 

Acbtung giebt» tbeils um ibn immer melir 
kennen zu lernen» tbeils um ibm den Un- 
terfchied zu zeigen, clen man zwifcben ihm 
und andern macht. Damit ift die Berehwil* 
ligk^t yerbunden, dem Andern allerley kleine 
Dienfte zu l^Tten} die er uns nicfat zumu* 
iben wurde. 

Die(s ilt das Zeicben einer angehen- 
den Liebe. Ueber die AnszeichnQng 
gewilTer Perfonen in einer Gefellfcbaft, 
ohne auffaUende Zuriikfetzung der Ue- 
brigem 

Ein kletner Dienft » der uns gemeini» 
gUch ttichts koptetf i/t von grofser Wir- 
hung^ und geviinnt oft ollein das Herz 
einer Perfon, fVer Jie entiucder nicht be» 
merkt% oder ein andermald meder for* 
derty ift zur wahren Liebe ungefohlkt. 
Niclit weniger auch die, vjelche Jie nicht 
annekmen oder atff der SteUe eruiedern, 
Jene geben uns zu rerfteben, ihre Liebe 
fcy zu koftbar, als da£» wli* mit 
Iblcben Kleinigkeiten gewinnen kfinnten* 
Diefe fuchen unfer Nichts mlt dnem 
gleichen Nichts zu bezahlen, welches 
«ber nocb unzHhligemab] gennger ift, 

als 



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85 



%]$ da$ Niohts eines Danks. Man kann 
mnen Menfoben nie mehr befchimpfenf 
al« wenn man SnoM kl^en Dienfte 

niohl: annimmt. 

a) So lange zwey Perfonen licb diefe 
Aufmerknimkeit nocb faeweifen) Ib 

fuchen fie erft Liebe. 

b) Haben ite diefelbe erlangti Xo hdrt 
diefe Gef&lligkeit anf. 

Perfonen, die uns lieben, und den- 
noch diefe Gefalligkut weiter Terlan* 
gen, Iieben nns nichk wirklicb. 
2) VerfraiiUche Gutthaiigkeit (Wohlwollen, 
W<ihlthatigkeit) eine Tugend, welcbe uns 
antreibtf einer Perfon» Ton deren Liebe 
wir verhchert hnd, unfrc Liebe und Ver- 
trauen in aHen guten und edaubten FiUlen 
und ohne Eigennnta 1 felbft mit Aufopfemng, 
zu beweifen. 

Grolse Wohlthaten gegen Perfonen» 
die man nocb nicbt kennt, nnd die nns 
jioch nicht lieben, find nie wahre Gut- 
thaten» fondern Wirkungen des Eigen* 
nntzes. 

Eben fo unverniinftlg iiiiJ Gutthaten 
gegen Mefifchen» die uns baiTea) oder 

F 3 ihre 



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— u ^ 

ihrt Liebe Terfiigeik Denn es i(k der 

Vernunft zuwider, etwas zu lieben^ 
was wir nicbt erfaaUen k^nnen. 

Alle Guttheten, die mebr nnfer eige* 
nes Interelle befdrdern, oder uns felbft 
Vergnilgen macben« Bnd nur Ibbeinbar* 
Bey allen wabren Guttbat^ kommt et 
euf dle GeRnnung an. 

Der Gutthfttigkeit folgt die Dankbar- 
keit auf dem Fu&e, die tbeils blolse 
EinpAndung, tbeils tb&tige Aeuferung itu 

3) Gemeinfeiqft der Gftter nnd alles Tbuns 

und LalTens. 

Diefe bebt den Unterfcbied der St&nde» 
nnd die Arbeit niebt auf. Nur die 
Stande, die auf Thorheit und Eitelkeit 
abfebeni wiirden dabey leiden» und 
diels ift gut. 

Eben fo wenig hebt diefe Gemeinfchaft 
das Eigenthum und mit ibm die biirger* 
liebe Gefellfcliaft «nif. Das Eigentbum 
ift eher gewefen, als die Gefellfchaft, 
und diefe kann ohne Eigenthum beltehen. 

Ueberbaupt bringe nur erft Temilnf« 
tige Liebe in die Menfcben > die Gemein- 

fcbaft 



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fehaft der GAter wird keme fcMimMep 

Folgen habeii* 

VIL Von ei]i]ge& Arten der bebAdem 

Liebe. 

CVorent nel enniideiide Sabtifitftt llber 
glelcbe und nngleicbe Liebe, naeh ihren drey 

Graden und Kennzeicben, woraus folgendo 
Fragen beantwortet werden:) 

i) Giebt es mebr Vergniigen, zn HebeB| 
oder geliebt zu werden? 

Beydec mats ziiraninien leya. 
2} Ist die plGzlich entltandne, oder die 
langfauie Liebe AlLrker und dauerbafter? 
Die leztre. 

3) ICb es dnem Franenzimmer rchimpflicb, 
zuerft zu lieben? Nein, wenn diefe 
Liebe Ternilnrtig ift. Warum foU der 
Blann den Antrag thnn» und fieh ge* 
wi ncrmaTsen erniedrigen ? 

4) Darf ein weifer Mann Franenzinuner 
lieben? Wenn lie tngendKebend lind, jsu 
Aber gew<>bnlicb yerbebt er Acb nicbt 

F 4 zaerfl« 



^ 88 ^ 

zuerst, uncl felne Liebesbezeugmigen 
iincl leiner Weisheit •ngemeflieii. 

VIII. Von der vernfiDftigen Selbftliebe* 

f. 33. 

Atis Liebe za andein MenTcfaen miifreii 
wir uns felbft lieben, cL b. nns bemfiheni 

alles zu thun, wodurch un(er I^ben nach 
den Regdn der Vemunft» andem Menlcbe» 
zum Beften, nicbt rerkfirzet werde* 

Unter Leben ift hier auch Leben der 

Seele, d. iu ibre VoUkommenheifc zn 

▼erfteben* 

Unfer Leben mufs aber der Liebe ge- 
gen Andre nachrteben. 

Zu diefer Liebe geb5rt die Tugend 
der Mafsigkeit, Reinlichkeit, Arbeit- 
£dmkeit, Tapferkeitp 

IX» Von der Notkwendigkeit der ver« 

nUnftigen Liebe in den vier menfch^- 
lichen GefeUfcbaften. 

$• 34. 

Es fmd vier Gefellfchalten 1) zwifchen 
Sbeleuten Cltera und Kisdem 3) Herr 



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nnd Diencr 4) Obrigkelten und Untertlianen. 
^eine dieler Gerelirchaften kann ohne Liebe 
bescehen. Die beyden leztern find theils 
aus Mangel an Liebe^ theils aus Furcht vor 
Andrer Bosbeit entftanden. 

(Ueber Efae, Ehelcheidang, Polyge* 
mie, und allgemeine Ideen iiber die 
ubrigeu GerelirchaTten, in lieinttr gewOhn- 
Kchea Termittologie.} 

Practifche Moral. 

L Von den Urfachen des alJgemeincn 
Mangels an Glflkfeeligkeit» 

«. 1. 

Die Menrcben iind faft aile fo gluklich 
nicht, als fie feyn konnteni denn die Ter* 

niinftige Liebe ift felten. In aHen Verbin- 
dungen der MenCclien herrlcht £lend. 

$. 2» 

Die Urfacbe davon liegt in dein Mcn- 
lchen lelbft, thetls in feinen Vorortheilen 
und Irrthamern, theils in feinem verderb- 
kcn WiUen> welcher aucb gew<)hn1i(^i Schuld 

F 5 an 



^ 90 ^ 

aa jenen ift. Ueberluapt, der Gmncl anef 

Uehels ift die uivoernunftige Liebe. Denn aus 
dieler entfpriiiKt die Gemukbstuiruhe. 

3. 

Die anTernunfdge Liebe ift des Verlangen 
det WDlenSt i^ch mit demf w« der Ver* 

ftand, wenn er nicht von diefem Verlangen 
rerleitet w&re, fUr b6ie erkennen wArde^ 
zu Tereinigeni und ih dieCer Vereinigunf 
ficb immer zu Tera.ndcrn. 

4 

Der Wille hat eben fo, wle Jer Vcr- 
ftand, feine Vorurtheile, nemlich das Vor« 
urtheil der Ungeduld nnd der Nachahmang. 

$. 5. 

Das Vonirtheil der Ungeduld verleiiet 

den WilJen, allem dem nachzuftreben, wat 
feine Sumlicbkeit augenbliklicb und lebbaft 
aflicirt. Dielt Vornrthdl ift allgemdn, alle 
Menfchen ftreben nach Veritnderung und 
Gontraft. 

Das Vorurtheil der Nachahmang Terleitee 

den Menfcbeii, nacb dem zu ftreben, was 

er 



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— 9» 

w von tndern focfien nnd begehren Hebl^ 
objie dalM er erft lelbrt prufet. 

IL Von den Affecten, nach den Mejf- 
nungen der Gelehrten. 

(Ueber die Meynungen der phalofopbi* 
jEchen Secten Ton den menfchlicben Leiden* 

fchaften, bis aul Cartefius. Nur zur Probc 
folgende eigene UeberCetzungen Uteinilcher 
Benennungen:) Inndentia* die Beneidung* 
Aemulatio, die Misgunft. Ohtrectatio, die 
Eiferfucbt* Pudor, die Blddigkeit* Male* 
volentia« der Scbadenfroh. Deleotatio« das 
Sanftethun. Indigentia, der Nimmerratt. 
Liguritio, Schlekerey. Cupedia, Kinderey. 
Indignatio« Ungewogenheit» Jactaiio, dat 
KiUbern» 

III. Eigne Meynung von den AfFecteii. 

$. 7- 

Die Gem&thsneigungen find Bewegungen 

des menfchlichen Willens nach angenehmen 
oder unangenebinen Dingenf welcbe abwe- 

fond 



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— 

fend oder kiinrtig hnd; und rliefe Bewcgun* 
gen entfteben aus den ftarken £tndrukeii 
auferer Dinge und der daraus erfolgten ail* 
fernrdentlichen Bewegung des Bluts* 
Streiugkeit gegen CaiteAu« u. a. 

IV. Eintheilung derlelbeQ. 

Es giebt einen HanptafTect, der alle un- 
ter iich begreiftf das Verlangen» oder die 
Begierde. Da$ Verlangen geht entweder auf 
das Gnte oder BSfe, jenes heifst Liebe die- 
les Hafs (eln Verlangen, das Bofe ios zu 
werden, und davon entfemt zn bleiben.) 

Freude und Schmerz find an lich 
keine AfFecten» fondem Empfindungeny 
lie werden aber dazn. 

Unljeftiinmtheit der bisheri^en Defini- 
tionen von den Aflfecten. 
Man kaon nun die einzehien Allecten nn- 
tcrfcheiden 

i) Nach der N&he oder Ferne des Guten 
eder Bdfen. 

Mifstrauen und Furcht fmd Begierden, das 
entfernte Gute zu erlangen» und das nahe 

Bdfe 



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- 93 - 

fiofe los Ztt werdcn. Hofnung^ das Gute 
und B6fe, welchet nicbt allzufern imd nicht 
allzunah ift, zu «rlangen imd zu ▼ermd^ 

den» u. f- w. 

2} Nach der Schwierigkeii: oder Leich- 
ligkeit, das eine zu erlangen, das andre 
zu vermeiden. Bofnung entfteht, wenn ich 
mir einbilde, das Guce bald und ohne 
Schwierigkeit zu erlangen. Das Gegeniheil 

Furcht u. L w. 

3) Nach dem ftarken und pluzlichen Cin< 

druk einer Empfindung. 

Befturzung ift eine ftarke 11 nd plozHche 
Hofnung. Schreken eine fuurke und pldz- 
Uche Funclit u. f. w. 

4) Nach dena mittelbaren oder unmlttel- 

baren j^ndruk. 

Neid ift die Begierde, dafs eln Andrer, 
den wir nicbt lieben, leine^ Guts beraubt 
werden mage. 

Zorn entfteht, wenn mir felhft etwas ztL 
Leide gefchieht. Aergernis oder Bekummer* 
nis Ikber den Unfall eines Andern. 

5) Nach der Dauer. 

So umerfcheiden Jich Geldhegierde » und 
Geldgeiz, Lftlternbeit und GeiUieit u. ra. 



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<• 9- 

Alle AEecten find nur verfchiedne Grade 
oder Aeuferungen der Liebe nnd des HaHei. 
IMtan kann Liebe und Hais entweder nach 
ihrem Zweke, oder den Mitteln betrachten. 
Der Zwek iTt Streben nacb Gemiithsruhe: 
die meifien Menfcben aber fucben ihn iii der 
Oem&tbsunruhe. 

$• 10» 

Nach den angefiibrten Aeuferungen der 
lAebe, nemlich GeAllligkeit, Guttbittigkeii! 
und Gemeinfcbaft der Gater, giebt es nun 
alfo Abwege, auf denen der Menfcb feine 
Rube rucbty aber Unrube iindet, nnd nnjl* 
hin Tier HauptafFecte, d. h. yier verfchiednd^ 
Arten der Liebe und des Haires: 

1. Die ▼ernunftige Menfcbenliebe und Hab 

der Irrthiimer und des Lafters* 
A Liebe der ftolzen Ehret Hals der Be* 

fcheidenheit. 
3« Liebe der Jinnficfaen Luft» Hal« der 

£ntbalt(amkeit« 
4* Liebe des Geldesi Hais der Anpntli 
«nd Gemeinfiduift der G&ten 

Nach 



— 95 ~ 

Nacfa den Mitteln betr«cbtet man die Af&o 
ten« iiilbfern fie entweder «ntreibend lind» 

zunehmend und abnehmend (Hofnung» Ver^ 
traaen, Kabnbeit) oder infofern lie damadi 
Ihreben» die erlangten IMittel za bebalten» 
uod allen HindernilTen Widerftand zu ihun, 

Einige Ai&cten baben es mit den Mitteln 
zu befondern Endzweken fener vier Arten 
Ton Liebe zu thun: inan kann Jie Neben- 
Affecten nennen* So (ind Faulbeit^ Ver« 
fcbwiegenbttt, Unbarmberzlgkeit Keben-Af- 
fecien der WoUuft} der Ehrgier, und des 
Geitzes. 

Einige Aflfecten find aas Liebe und Hals 

zulkmmcngefezt) z. £. EiTerfucht. 

V. Sind die AfTecten et\vas Gutes oder 

•twas Bufey? 

l) Sind fie fiberbaupt gut oder bdfe, oder 
keines von beyden? 2) Sind alle Arten.von 

AHeoten indiHerent oder b6fe? Zwey Fra- 
gien) die man untertcbeiden mufs» 



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- 56 - 

AHe Menfdien Anden ron Kindlheit ao 
bey ftarkem Ileizungea ihrer Sinnliclikeit; 
mehr Vergnilgen» und gewftbnen Jich nach 
nnd nach viel unordentliche Begierden an, 
die ilmen die Gemuthsruhe rauben, und 
fblglich dielelben In einen bofen Zulbmd Ter- 
fetzen» Det Menfchen Sache ift es, aus un* 
ruhigen A^fecten al]inab]ig in ruhige uher« 
xnjgehn. 

Ueberhaupt find alfo die AlTecten indiire» 
rent; in Anfehung ihrer Arten aber find Rm 
entweder gut, die uns zur Rnhei oder 

bore, die uns zur Unruhe fuhren. 

Woran Ibllea wir fie erkennen? 

Erfte Regel: AUe AlFecten« welche deit 
Menfcben eufer fich felbft fetzen, und ein 

andres Ziel haben, als die Verelnigung mit 
Ruhefuchenden Meniicheni find h6ie* Da- 
gegen u* f. w. 

Zweyte Regel: Jeder Aiiect, der niit 
etner Cb lebfaaften Bewegung ▼erbunden ifi^ 

dafs dadiirch entweder der Leib gefchwacht, 
oder der Wiile in gr6fsere Unruhe kommti 
i& bOfe* Wo diefe Folgen nicht jind| da 

itk 



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— 97 — 

i[t dic Bewegung) wu nicbt gut) doch aucb 
sicbt b^fet 

VL Gegeneinanderlialtung der vier 
Uaupt • Affectea. 

i3. 

Die Temfinftige Liebe ift nur Eine: die 

unverriQnftigc hat drey Arten. Es ift nur 
Eine grade Liniei aber viel kruinmet eine 
«nzige Tugend^ aber viele Lafter. 

§• 14* 

Man kann diefe drey Arten der unvcr- 
nunfligen Liebe auch noch anders, als ge- 
fchehen ifC| deduciren. a) Nach der Pohtiic. 
Alles Uebel der Staaten ift entftanden, aus 
dem Unterfchiede der Geburt und der Auf- 
hebung der 6ater*6emeinfcfaaft. A-fo £hr« 
geiz tmd 6eldoeiz, nnd daraus Wollnft. 
b) Nach der Phyfik. Unfer Korper befteht 
aofi Schwefels Salz nnd Quekfilber» als 
fdnen Elementen. Schwefel erwekt Ebrgeiz, 
Quekfilber fuhrt zur Wollufi, das fchwere 
Salz ziebt zmn Geldgeiz* £ben Cb entfpre- 

6 chcn 



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- 98 - 

clieii cKe mr Elemente, das Feuer dem 
EhrgeitEt, das Wafler der Wollnft» dle kalte 

Erde dem Geitze, und die reine Lult der 
reinen iiebe. £iicbt weniger geh6ren ancli 
die Temperamente hierhen Man lchreibfe 
auch dem Menfchen drey B^uche zu; im 
Kopfe berrfcbt der Ebrgeiz, im Herzen der 
Geldgeiz, im Unterleibe die Wollnft. c) Nadi 
den St^nden. Der N^rftand leidet am mei« 
ften ¥on der WoUiiIt} der Webrltand vom 
Ehrgeiz und der Lehrftand Tom Geldgeiz. 
(Die Aerzte haben fich vor der Wolluftj die 
Kecbtsgelebrten Yor dem £hrgeiz| und dio 
Theologen yot dem Geldgeiz zu haten.) 



VIL Alle Tugenden kommen aus dec 
vemOxiltigeii laebe» 

Denn fie erhftlt das Ebenmaafs der Ver* 
itandeskrlLfte, ift Yerfcbwiegen» oifenberzig^ 
freygehig, firenndlich, herzhalt» milsig nnd 
keufcb, fparfam, gefchiftig und munter^ 
geduldigi groLsm&tbig und dienftfertig. 

VIII, 



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— 99 — 

VnL VoB der Wolluft und den daraus 

£iefsenden Untugenden. 

$. 16. 

Dle Wolluft ift eine Leidenfchaft, die ibre 
Auhe m ftets Terinderlieher Belulltgung det 

Verftandes und der Sinnlichkeit, hauptfich- 
llch des Gercbmaks und Lurtgefiibis vergebens 
fucht» und nach Vefdnigung adt gleichgear* 
teten Menfcben ftrebt. 

Tabellarilche UeberHcht der Folgen und 

Acuferungen der Wolluft *), 

1, Unbedacbtfame Klatfcberey. 

a. Ltederlicbe Verfcbwendung. 

3. Knechtifche SubmifRon. 

4. Ungeduldige Zagbaftigkeit» 

5. Verfoflfne fr&fsige Geilheit; 

6. Verfchwendung. 

7. Fauler Maffiggang. 

8. Jiihzomlge Weichherzigkeft; 

3* Kuppler und Spielmanns - Dicnfte* 
10. Ingenieuie firiindung. 

6a IX. 

Biab mid dia falgnite Ttebellm fiad in elai* 
gen Puncten geindeft» ia ftuue Pkadaniia lcta» 

xum conXuluitoria. ILap. 4* 



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lOO 



IX. Vom Ehrgeitze. 
§• 17- 

Der Elirgeiz ift eine Leidenfcfiaft, die 
ihre lluhe in fteter versLnderlicher Hochaoh- 
tong und Gehorfam andrer, befonders gleicb* 
gefinnter Menfchen, durch Hocbachtung fei* 
ner relhft, und Unternehmung liftiger oder 
gewaltiamer Thaten yergebens fucht, und 
nacb der Verbindung mit gleicbgearteten 
Menfcben ftrebt. 

T a b c 1 1 e. 

1* HartnSLkige Stdkifcbbeit. 

2. Eitle Verrchwendimg. 

3. Ver&cbtUcber Hocbmutb. 
4* Grimmige Tollkikbnbeit. 

5. Stoifche Fafie und Uneuipiindlichkeit. 

6* Genauigkeit* 

7. Wacblame Arbeitfamkeit. 

<[>. Zornige Uachgier. 

9. Banditen • Dienftfertigkeit. 

10* Jttdicidfe Entfcheidung. 



X. 



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X« Voin GeldgelLze* 



$. 18. 

Der Geldgeiz ift eine Leidenfchafti die 
ihre Rube in fteter verftnderlicher Beiitzung 

von allerhand Dingen, clie untei dem Men- 
fchen hndy und mit Gelde «ngefchaft wei den 
k6nnen, vergebens fucbt, und mit folcben 
Dingen , oder gar mit dem Gelde allein 
durch deflen Erlangung und Verwahrung hch 
zu vereinjgen ftrebt» 

T a b e 1 1 e. 

1. Tttkifche Liigen und Simulirung. 

2. Unbarmherzlge FHzigkeit und Kniker ty. 

3. Narrirdie AurgeljlaFenbeit. Schmarotzer, 
4* H^inifche Graufamkeit* 

5. SchindhUndifcker Hals des Weibes. 

6. Lauferey. 

7. JUuhlame Efelsarbeit. 

8. Vcrbeifsende Nachtragnng. 

9. Neidifcher Schadenfroli. 

10. Ungemein Ged^chtnis. 



t 
I 

G 3 XL 



XI* Affecten, die aiis der Vermifchuog 
der drey Haupt-Lafter entftehen. 

§. 19. 

WoUufe und Ehrgcit, Jn gleicliein Maafse 
gemircht, geben eine der verniinftigen Liebe 
siemHeh Aholichfcheinende Mifchung. Die 
Klfttfcherey der Wolluft und die Stokifcbheit 
des Ehrgeitzes gemifcht und ▼on einander 
temperirt, gldchen der ▼erichwiegnen Ofien' 
berzigkelt der vemunftigen Llebe. Eben fo 
kommt die Erniedrigung der Wolluft und der 
Hocbmuth des Ehigeitzes» xnlammen» der 
gleichm&thigen Freundlichkeit ziemlich nab. 

Ift die Mifchung von einem von beyden 
ft&rkert fo werden die Afiecten theils fchlim* 
merf tbeils beffer. Z. B. mebr ron der Wol- 
luft zugemifcbt) macht freunJIicher 9 ver* 
triglicherf gutberziger» artiger u. £ w.« 
mebr vom Ehrgelz macbt zurilkha1tender« 
empfindlicher, rauhcr, ernfthafter u. d. m. 

Ourcb den Zutritt des Geldgeitzes wird 
z. B. die OiFenberzigkeit eine Art von Heu- 
cheley (in der Welt Klugheit genanni), die 
fcheinbare Freygebigkeit und Sjiarfamkeit 
«ne Art von Knikerey» ( Hansbltldgkeit ge- 

jaannt) » 



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w io3 

aaniit)* Die fcbeiiitMura Freandliehkeik wird 
im Glftke fdir intomrtt imd im Ungllike fefar 

fdat^irchy (man nennt da5 MenfchiicbkeiO* 

E^r- und Celdgeiz zufammengemifcht 
aacbt XdenlcfaeBt die mao fOrcfatet und re* 
fpectirt. Die Stdkilcfafaeit dec erftem und 

tukifche Simulirung des leztern giebt etwas, 
was die Welt kluge Zurukbaltung uennt n. £ f. 
Attcfa faier kommt es darauf en» welcfaer 
Ton beyden mehr zu der Mifchung giebt* 
Ift z. B« der Ehrgeiz ftilriLert fo wird ein 
Menicfa die Kunftt iicfa zn infinuiren, mic 
mehr Scharffmn und Verftellung treiben. Ift 
der Geldgeiz ft&rker» fo wird die Scfamei- 
cfadey merklicher. Kommt gar nocfa etwae 
von der WoUuft hinzu, fo wird dle affectirte 
Freundlichkoit der wahren lehr ahnlich fchei- 
nen. Solcfae Lente dienen treflicfa) wo es 
faeilsti es ley eccleAa preHal 

% 21. 

Wolluft nnd Geldgeiz gelien eine elende 
2SAifchung« £in foicher Menfcb wollte gern 
l&geni afaer aua Unbedacfatfamlieit Terfchnappt 

G 4 er 



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er fich leicht. Im Giiike ift er eSn Frah1er« 
der keinen Meorchen acfatet, ini Ungliike ein 
verzagter SpeicheJleker, Er puzt l>ch nicht 
wohlfeiJ, aber es hat alles keine Art, weil 
er an dem «nen Stake einbringen wil]) was 
ihm das andre zu viel koltet. £r fahrt bald 
im Zorne avfy aber, wenn Andre nicbtt 
ixanS gebeni Iftlst er bald nacfa» 

§. 22. 

Man mu(k aber auch bey diefen Mifobun* 

gen auf Alter, Stand, Gliik, Gelegenheit 
und andre Pancte liiikiicht nehmen. Ein 
junger WoH&ftling ift bey weitem fo ver&cbt- 
lich nicht, als ein alter. Ein alter Geizhals, 
der verliebt ift) welch ^ne elende Perfonl 
Kicht die Mifchung der Leidenfchaften Indert 
hch mlt dem Alter, fondern das Alter an- 
dert nur ihr Auifallendes. So ilt ein junger 
Geizhals viel verftchtlicher) als ein alter. Ein 
§.hn]ic}ies Vei haltnis ift es mit Jcn Sianden. 
Ein Privatmanny der wolliifiig und geizig 
ift, fpielt eine elende und unfchadHohe Rolle : 
er fchadet nur fich felbft. Ein Fiiift aber, 
von diefem Temperamente 1 wird einXaligula 
und Oomitian u. L w* 

5. 23. 



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$. 23. 

1) Wir diirfeii daher nie aiis dern il»irern 
Schein auf iemandes Cbaracter rchlie£sen. £s 
kann nnr eine fcheinbare Mirchnng feyn , oder 
es fehlt ihm an Gelegenheit, feine Lafter zu 
zeigen n. C w. 

2) Wir mfklTen anf die yerfchiednen Srftn- 
de Rukficht nehmen, die dem Cbaracter ein 
•uderes Anfehen geben. 

3) Wir murTen uns vor dem SchTufre ha- 
ten, als ob eines Menrchen Ciiaracter hch 
ftndre* 

§. 24. 

Die vernunfHge und unvernunfiige Liebe 
laffen iich nicht mifchen, fo wenig wie Tag 
und Nacht, wie Fener und WalTen CTu- 
gend und Laftcr (ind eiuancler entgegengefezt, 
alter die Lafter unter fich iind alle verwandt.) 
Wo fie beyfainmen find, da ftreiten fie ent* 
weder gegen cinaiider, oder haiten einandcr 
unter, oder die eine vertilgt die andre. 

Bey alien Menfchen ftekt die vernUnftigf 
Liebe unten an , und uiird von den drey Haitpt" 
laftern um viele GradCt mehr oder itteniger, 
Ubertrofjen» 

G 5 Ifir 



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Die Mifchung der drey HaupUafter ift nicht 
hey oUea Menfchen gleich, Immer herr/cht eiifi 
90in ihnen Hher die heyden andern* 

Es And diefer Mifchungen feGhferley Arten* 







Geldgeiz, WoUoit. 


2. 




E. 


W. 


3. 




0. 


£. 


4- 


Q. 


W. 


£. 


5. 




E. 


G. 


6. 


E. 


W. 


G. 



(Werden nacb Unzen berecbneL) 

Es ift die Pilicht der Selbfterkenntnls, sn 

uuterfuchen, welches von diefen Laftern in 
uns das berrfchende fey. £ben darauf hal; 
man auch beym Umgange mit Andem za 
fehen. 



XIL Von den Snfem Kennzdchen der 
Leidenfchaften Uberhaupt, insbefon» 

dre aber von den Kiudern der drey 
Hauptlafter. 

25. 

£s ift fchwer, den MenDshen ganz ken* 

nen zu lernen, aber eine hlnlangliche Kennt- 
nls Andrer kann xnan £ch doch erwerbeu. 



— 107 

wenn man i) ein ^utes Ange bat, d. h. elneii 
VorortbeiUreyen VeriUnd ond Sellifterkennt* 
nis; 2) wenn man ttnhefangen Andre beob» 
achtet; 3) nicht eine oder die andre) fon* 
dem fo viele Handlungen Andrer» als m6g- 
lich ift, bemerkt nnd vergleicbt; 4)Aedann 
zu belaulchen welDS} wenn iic ^ck am we* 
niglien ▼erbeiigen. 

§. 26. 

Zum Beyfpiele fbUen die Kennzeichen des 
M^f/lggangs dienen. Der MttCliggang befteht 
in einem folchen Thtin und Laden eines Men* 
Xchen« wobey er uberall und allein fein Ver* 
gniigen oder einen Zeitrertreib zur Ablicht 
hat. Er ift entweder grob oder fein. Selbft 
mancbe Art zn ftudieren ift ein f^ner Muf« 
^^Si^^^S* wenn man blos zu feinem VergnO.* 
gen lieft u. L w. 

$ 27. 

Der Zorn, oder die Begierde, fich zu ra* 
chen (woTon das Zeitwort nicbt ziirnen» fon* 
dem zorni^ feyn ift), ift nicht indifferent, 

fondern immer. b6fe. (Ueber die Ausdi uke: 
Gottes Zom« Gott ift zomig* wofur man 

1m<- 



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108 — 

Jiebcr Eifcr brauchen will: beydes fey indef- 
fen einerley* Zwifchen der g6ttUcben nnd 
menfchlichen Natnr ift ein zn grolser Unter^ 
fcliiecl, als dals etwas, \/as beyii. Menfchen 
Tugend ift, z. B* Gehoriani| es ancb bey 
Gotr feyn k5nnte, nnd fo umgekehrt* Strei* 
dgkeit gegen Lacunzem iMeynaiig yom Zoin.} 

$. 28. 

Der Neid oder die Betriibnis uber Andrer 
Giiiky ift eiien fo wenig indifferent. Aa6 
ihm flie(st Eiferfacht, oder die Pein dar&berf 
dali unfre geliebte Peifon einen andern liebt 
nnd von ibm geliebt wird. (Aos welchen 
Laftem Re am gewShnlichfVen geinifcht feyt 
und wie Ae iich in diefer Mifchuu^ ^ufert.) 

XIII, Voa der Kunft, bofe Leidenfchaf* 
ten zu dampfen. 

Zuerft raufs die Cur auf die herrfchende 
Leidenfchaft geriohtet werden, die gewdbn* 
lich )eder Menfcb am liebften hat, nnd mit 
der Scbwache der menfchJicben ISatur zu 
cntTchuidigen weiDs^ 



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— — 

Daher bat man Yor aUen Dingen diefe 
Hanptleidenlcfaaft erft in iich aufzufuchen, 

d. h. unter den iibiigen Leidenfchaiten lo- 
wohl, a]$ unter dem Scheine von Tugend 
berrorzuholen. IMan kann fich dabey etwa 
die Fragen vorlegen: Wiirde ich eher die 
Liebe einer fcb6ne|t Frau^ oder die Gnade 
eines Gro&en, oder eine reicbe Erbfchaft 
verlieren? Aber wir rniilfen nur dann ent- 
fcbeiden» wenn unfre Hauptleidenlcbaft grade 
nicbt auf ifarer Hut ifb« und gleicfalam nicfat 
jnerkt, dats wir fie helaufchen wollen. I3c- 
fonders paffe man licb in den Augenbliken 
auf, wo man den Tt&umereyen feiner Phan- 
tafie nachhangt, wo rnan fich mit fei nen 
Gedanken gleicblaai auf feine Uand eiwas 
zu gnte tfaut. 

$. 3o. 

Hat man diefen Hanptaflect i^funden, fo 

nehme inan fich ernftlich vor, aj len Vorur- 
theilen, die ibn bisber geniihret baben» ent- 
gegen zn arbeiten. Die Vorftellungen , dals 
bey demfeluen unmoglich wahre GeuiiiLhs- 
ruhe zu hndcn £eyn kunne« aus eijB[ner und 
ftemder firiafarnng beftfttigt nnd fich recht 

ofi 



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IIO 



oft wiederboltf werden dabey gute Dienfte 
diun* Bey diefem Gelbhftfte aber mftfTen 

wir uns nicht iibereilen, und nicbt foL^leich 
den Mutb veriieren» wenn es langiam gebu 

$. 3i. 

Hiem&cbft greife man diefe Leidenfchaft 
lalbft unmittelbar an^ nach der Rege): Snt« 

tine et abstine, enthalte fich aller Gelegen- 
beit» vermeide fcblimme Beyfpiele und Ga* 
leUCcfaaftenf nnd fueha dagegen guta anf. 
Zu Zeiten prufe man iich, wie weit man 
zugenommen habet wie ein Kranker^ der 
einmal den Verfttch macht» ob ar aufer dem 
Bette bleiben kSnne: aber mit Vorficht, da- 
mit mau nicbt durch zu friibes Aufftehen 
oder zu langes Auisenbleiben die Krankbett 
fchlimmer mache, als lie je war. Nach 
einer folcben Probe achte man darauf, ob 
fie uns fcbwer odar leicbt geworden lay. 

$. 32. 

Wir wollen diels an dem Beyfpiela dei 

Wolluftigen zeigen. Der Wolliiftige muls 
alfo i} oft iiberdenken, wie leer und nicb- 
lig im Grnnde dar Genuis von Speifen nnd 

Ge- 



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Getranken nnd der Gennfr des Weibes fey; 
2) iiberlegen, dak in einem niichternen und 
keufcben Leben ein viel wahreres und grd« 
Ifieres VergnHgen zu iinden ley; 3) das Un« 
angenebme emes wolKkfHgen Lebens zufam* 
inen rechnen ; 4 moglichen Folgen 

deflelben oft Riikiicbt nebmen; 5) die Ge* 
felirebaft wonftftiger Mftnner nnd Weibsper* 
fonen, ja fogar, iiur Icbdner und artiger 
Weiber Aieben; 6) dagegen die Gefelifcbaft 
ernfter nnd keufcber Mftnner ttJlmn auffo» 
chen ; und jj durcb Arbeitfamkeit und Tha- 
tigkeit ii«:h von allen ai||en Gedanken los- 
rei&en. 

Immer vorausgefezt, dafs er den Vor- 
laz bat| iicb zu beflemy den ibm kein Sit* 
tenlebrer geben kann. 

XIV* Von der Unzulanglichkeit der Ver- 

nunft zur Dampfung der Leiden- 
ichafteii. 

Haben die Menfchen hinlinglichc Kraft 
des freyen Willens, zu einem tugendbaften 
Leben sn gelangen? Es aft falich und ge- 

f&brlich 



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— 112 — 

fahrlich, mit CarteAus oder Ariftoteles einen 
freyen WiDen anzanebmen* nnd die Zulang- 
lichkeit defTelben za lehren. Dies tiatUrltche 
yermogeii des Menfchea ift zwar nicht zuliing' 
licht die bdfen /^feeten zu d&mpfen^ aher 
die LehrfQtze aut der Vernunft von der DSm» 
pfung der Leidenfchqften Jind auch nicht gant 
aus den Augen zu fetzen, Dor Wille regierk 
den Verftand, und der Wi)Ic ift *b5fe nnd 
verderbt. Und wenn Wille durch Willen 
bez&hmt werden fo]]« woher foll denn der 
Menfch den guten Wi]1en nehmen? Er kann 
eine Leidenrchafi durch die ancire bcivriegen^ 
er kann mancbmal feine guten Vorfiitze 
durchfetzen. Aber es wird nie etwas Gan« 
zes daraus werden. Der Lafterhafte ift 
krdnk« er kann fo wenlg tugendbaft wer« 
den, als ein Kranker als folcher gefund wer* 
den kann. Beym Lafter aber giebt es nicht^ 
wie hey der Krankheitf Arzneyen von 
aufen. — Die angefdhrten Lehr(kt7e und de* 
ren Btjrolguni^ hilft aber dazu, dafs er nicht 
fciiliminer werde, tind ift das^ was bey 
dem Kranken gute Diflt ift: fie mindert die 
Hrftiykeit der Paroxismen, und halt den 
Kranken in einem leidlicben Zuftande bin. 

34. 



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— ii3 — 

§. 34. 

Folgllch finclet auch hey Tugend oder 
Lafter eine Zurechnung Statt. Aber^ wenn 
der Menfch tftwas Gutes thut, rerdient er 
kein Loh; denn im Grunde thtit er nie et- 
was Gutes> fondern lauter Bofes, hochftens 
thut er nut toeniger BfifeSf als er thun kdunte» 
Lob aher fchadet nur, inclem es za Heuche* 
ley und Verftellung veranlaf^t. 

§. 35* 

Die Sittenlebre zeigt» wie die menfchli* 
dhen AflTecten gedampft werden Ibnten: ile 

zeigt aber auch zugleich, dafs fie durch un- 
ier natiiriiches Vermiigen nicbt gedanipft wer- 
den kdnnen. Alle wahre Philofophie foU 
uichts anders feyn, als eine Leitung zun 
wahren Theologie» und wo dlc Sittenlehre 
aufhdrt, da tritt die gfittliche Weisheit in 
dle Sielle. Die Sittenlelire geht nicht weiter, 
als da(s iie dem JVLcnrchen den Zuftand der 
Thierheit zeigt^ und ihn zum Stande det 
Menfchheit leitet* Wie er von diefer zurri 
Cbriftenthum geleitet werden foUef da^ zeigt 
^e beilige Scbrift. 



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— 114 

Befchlufs. 

Von der Uebereinftimmung diefer Sitten* 
lehre mit der heiligen Schrifk. Diefe Moral 
ift Pftr Verfahrtc nnd Verffthrer gefchriebeni 
gebelTerte Chriften brauchen He nicht. Coin* 
mentar Uber die Bergpredigt Chriftt. Triig« 
Schkeit einer fpftten Bekehrung. Gtaiibens* 
bekenntnis des Verfa£Cer«. Ueber die ver- 
ichiednen Wege Gottes bey Bekehrung der 
lilenfchen« welche Betraditung ztir Toleranz 
fiihrt. Vortheil diefer Sittenlehre in der 
Phyiik und in der Politik. AUe keidmfihe 
Ethiken und Politiken Jind^ mit tuther «u r#> 
den, fchlimmer als gar heine^ uteil fie der 
Onade Gottes und der chri/tlichen Tugend gra^ 
dezu entgegen find» 



Berichtigung 

einiger Lehrfatze der Sittenlehre, aus 

feinen Cauteien etc. Kap. i4« 
(Cautelen bey dem Studiuin der Sittenlefare.) 

Auch die Terniinftige Liebe kana nicht 
ohne Affect feyn* Die guten Afiecten ddr^ 
fen nicht ausgerottet werden. 

Oic 



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— ii5 — 

Die vernirnftige Liebe i£t kein befondrer 
Aflcct» (biideni fie entfieht aos der gebdrigeo 
Binrcbrtnkung der drey Hauptl(*jderirchatten. 

Das Verlangen nach Eigenthum) £bre and 
VergnOgen ift an iich indilTtfrent. 

Den drey HauptalTecten, we)che im Ex- 
oefs befteben, ftehen drey Laftei- entj:;egenf 
die aus dem Defect entfpringen, UnempHnd- 
ficbkeit, Unfchamhaltigkeit nnd Betieley. 

Die Hauptabiicht der beilenden JMioral 
ittuls dabin gebn: die ezcedirenden uud 
Itftrkem Leidenfcbaften sn d&mpfen, die 
fchwiM^ern und mangelhaften eniporzubrin- 
gen, und fo alle Begierden in ein gleichei 
Verbfiltnu zu bringen, worimi ttgentlich die 
verniinftige Liebe beiteht. 

Die BeCTerung unlrer feJbH ift nicht uii« 
ndgficb. Ittan unterfcbeide nnr Freywilfig- 
keit und Freyheit des Willens. Die pbilo- 
Xopbifcben Tugenden iind mitbin auch wahre 
Tugenden, nemfich nach dem Verhaltniffe 
menfchlicher Schw&che. — Die befte Zeit 
der moraJifcben Kur ilt diejenige» in wel« 
cber die Leidenfehaftcn nibig liiid^ 2. B. 
naqb iiirer Sjiuigung. 



H z UE- 



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UEBER GESCHICHTE 
Dica 

PHILOSOPHISCHEN KUNST-SPRACHE 

UNTEH DEN DEUT8CHEN. 



Die Deutfclien erMelten bekanntlich ihre 
Philofopbie in dein Gewande der lateinifchen 
Sprache) nnd die «rften deutlbhen PhOofo- 
pheii) von allerley Secten, fchrieben und 
lehrten in derfelben Sprache. Auch Luther 
nnd Melanchthon foedienten- (ioh ihrer bey de* 
nen Schriften, die zur Pbilorophie geboren^ 
ond das Wentge, was der erftre mehr gele* 
gentlich in deutfcber Sprache vortrug, hat 
erft in der Folge einen wohlth^tigen Einflufs 
gehabt. Je weniger die alteren deutfoben 
Pbilofophen auf ilcbtes Latein Helten, und 



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— 117 — 

je bequemer dielie Spracbe war^ um durcb 
barbarirche Zofamnienretzungeii und Formen 
eine Menge feiner Diftinctionen und Beftim- 
mungen zu erfinden) wie das B^yfyiel der 
SeholalHker lebrt; defto rchwerer mufKte 
es den deatfchen Gelehrten fcheinen, diefe 
Benennungen und Wendungen in ihre iVlut- 
terfprache zu liberfetzenf wenn lie aiich 
nicht allgennein davon iiberzeiigt gewefen 
rent dals aller wiirenfchaitliche Unterricht 
durchaus lateimfcb abgefafst feyn mHfte. In 
der That wurde es auch fobald nicht zu ei* 
ner deutfchen Bearbeitung der Philofophie 
gekommen Ujn% wepn nicbt ein Oenker 
mit der Verwerfung der gefamviten Syfteme 
damaJiger Zeit tich auch von lien Fcffeln ih- 
rer Spincbe )ols gemacht baite, und Tho- 
malius wilrde feine LebrbUcher nnm6g1icb 
haben auch nur fo gut deutfch fciirciben 
kdnnen^ wenn er ein Anhtnger der Scho- 
lafHker oder Cartefianer gewefen wftre. Wir 
haben es doch heute zu einer ziemlichen 
VoUkomtnenbeit in der Spracbe gebracht, 
aber wir wftrden dennooh oft verzweifeln 
miiffen, die Scbriften dcr Scbolaftik.er in 
▼eritijidlicbes Deutfcb uherzutragen. 

H 3 Von 



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^ 118 — 

Von Chriftimn TkomeffiuM baben ^ir allb die 

GefcHichte einer deutfcben Kanftfprache fiir 
die Phi^ofuphie anzufangen Sein Eifer 

l&r Gemeinniltzigkeit nnd Popnleritftt yeran- 
lafte ihn zu der Unrernebmung, uber Phi« 
lofophie dputlch zu Ichreiben und zu lebren: 
nnd fdn Umgang mit tielen gelnldeten Men* 
fchen, aucb feine flei^ge Lecture franzdfi* 
£cbi'.r Werke erieichterte ihoi dieft Gefchaft. 
ffKxne der vornehmften Urfachen» lagt er» 
9twaruni icb diefe meine Philofophie in denl» 
^fcher Sprache ausgehen lalFe, ift, um 
,idnroh die That zn beweifen, da£s in 
^Sachen, die durch die a1)en Nationen 
Mgleichformig eingepflanzte Vernunft erkannt 
i^werden^ die Kenntnis auslftndificber Spra- 
^cheR nicht nAthig fey. Die Weltwdsheit 
,iif: f«> leicht, dafs He von allen Leuten aus 
Mallen St&nden begriffen werden kann. So 
^fchrieben anch ntcht die griechifchen Philo- 
„fophen hehriiifch, nocb die R6mifchen grie- 
iichiiohi Ibndern jeder bedient iioh ieiner 

iiMnt- 

*) Eini|:e {rflhere Verfiidie wasen theils sn ein» 

seln. thciU von zu wenigcm EinauOe auf aie 



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113 ^ 

«I Mutterfprache. Die Franzofen wUTen fioh 
sidie&t Vortheils heut zn Tege fehr wohl za 
^bedienen. Warum follen denn wir Deut* 
ji(bhen uus beftftndig deswegen auslacbeii laC» 
nfen, als ob lEe Philoibphie nnd Gelehrikaf 
9,keit nicht in unfrer 'Spraofae vorgetragen 
lywerden k6nne? Dafs man vor diefem die 
iideatfche Spraehe aicbt gebreacht hat| kom«iit 
nwohl daher, weil man glaebtei AriftoteleSf 
Thomas, ScotuSy Cartelius, GafTendi u. 
)iC w* feyn der Probierlkein der Wahrheitt 
„und man murfe fo1g1i<^ die Sprache behel- 
„ten, worinn diele j^llanner gefobrieben ba- 
«hen»* ♦> 

Was ThomaRot tbat, ift immer ein gu« 
ler Anfang. Sein Styl wimmelt zwar von 
fremden Wdrterni und viele KunAausdrake 
hat er ohne Noth kteinifbb beyhehalten. So 
iinden wir Concept| ftau Bet^riff oder Vor« 
fiellung» diftinot» canfoSf Imprefhoni Af- 
feett Connezion u. a. Einige lind nichk be- 
Itimmt ^enung uberfezt, wie Senfus, bald 

H 4 duroh 

*) yoKvede ter VemmiAL 8« i3 t Ifih habe im 
8^ stniges |;eSn4eKb 



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120 — 

darch Sinnlichkeiten , bald durcU Empfind* 
lichkeiten» bald dorcb leidende Gedanken» 
Sehr viele aber hat er mit Glukc umgefchaf» 
fen; da he in der Folge von Wolf und an- 
dern beybehalten worden Jind, fo wiU ich 
fie hier nicht erft aufz&hlen. Gegen die Thor* 
beit, alle liuoftwOrter zu verdeutfchen , ei« 
flBrt er aus guten Grundan und mit Tieler 
Laune. Ich glaube, Manchem einen Ge* 
fallen zu thun, wenn ich cine Uauptftelle 
faier ganz einriike *ji 

,,Ich weifs wohl, dafs von etlSchen we- 
^nigen, die bisher einerley Zwek mit mir 
«^gehabt haben» darinn nicbt wenig verfto* 
^rsen worden, dafs fie die Konftw6rter alle 
i}in die dcutfche Sprache iiherfetzen wollen» 
,)Wodurcfa he entweder GelAchter oder Ver- 
«ydrolk bey dem Lefer erweken. Wenn aus« 
^liindifbbe Sprachen zu uns uherkommeni 
^fo kommen anch bey den naeiften anslftn- 
^difche Namen mit, und naluraliliren Jich 
„gleicbfam in unfej er Sprache. • • . Eben 
„fo ift es auoh mit den Kiinften und Wiffen- 
^,&haften bcwandt, die uns Ton andem 

*) 8. ebend. 8. 14 f. 



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121 



,,V5]kern mitgetheilt werdei*. Wer in Gce- 
,,rqs Schriften bewandert ift, wird wi (Ten, 

,,dalk erin phllofophifcheii Gegenfranden oiters 
I» griechifche Wurteri die er nicht gut iatei- 
vinifcb gehen konnte« beybefajUt. • . • • 
„Ei ift aber niclits deftou eniger aiich nlcbt 
f^zu Jeugnen, da£s verfchiedne Kunftw^rter 
Peutfehe iiberfezty wi darch Oftem 
,,Gebrauch der Gelehrten in Schwung ge- 
„bracht worden, deren man lich zu lch&- 
ftmeii, mchf femer Urfkcfae faat. Man mnts 

hierinn feinen Verftand brauchen , und die 
MXdittelftrafse gehen. • • . Daher» fo wie 
niith mich nicht entbrechen werde, zuw^* 
,,len von dem Selbftft£lTKligen "W^efen, von 
))dem Gegenftand eines Dinges, Ton dem 
MStoif u. L w. zu reden, eben fo werde ich 
„ mich anch manchnial der Ausdriike Obiect, 
f,Subftan7.9 Materie u. f. w. bedienen^ aber 
MniemaU werde ich anftatt Snbiect Unter* 
„lage, oder ftatt Natur die Zeugemutter al- 
^ler Dinge brauchen. Ich erinnere micli 
^hierbey einer Logik» die im Jahr 1621 zn 

Cotben gedrnkt ift, und den Titel bat: 
^Kurzer Begrif der Verftand -Lebre zu der 
i,Lehr-Art. In dief«r hat der Verfafler alle 

H 5 Kunfi 



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MKanftwdmr detttfcb geben wollen, wel^tt 
^oft fo luAig und dunkel beraus komint, daft 
y,man iich des Lachens unmoglich enthaltea 
,ikann» Icb wil) jezt nnr das Vornebmite in 
„Ge(ta1t eines Briefesy den ein Sobn an leines 
MVater Ichreibti dem LeCer xu GefaJlen mlH 
iitbeilen: 

„Ge1lebter Vaterf Icb babe nun nacb an- 

yigewendetem fauren Fleifs die Verftand-Lehre 
ngelernti nnd babe zn deden Beweils obn» 
yylilngft dlTentlicb eine aus diefer Lebre ber^ 
lygenommene Streitfchrift als ein Beantworter 
iiTertbeidigt; nnlers Nachbars S6bne iind Ge» 
tyg^^fif^^'' gewelen. Der titefte hat folgende 
ijFragen aufgeworfen: Ob der Menfch eine 
f^unterfte Art Sej^ und ob er nicbt Yiebnebr 
i,zn den GelbUeobteni oder docb sitm we- 
,,nigften zu den untergeordneten Arten geh5re? 
iiWas die Urikche feyi daOs allein die Men* 
nfcben und etlicbe TbierCi nicbt aber alle 
ijDinge eigentliche Einzele w^ren? Ob das 
^VernU^ftUehe tn der Befchreibung des Mcn* 
iflcbeii ein tkeilender oder Artmachender CTjg. 
^^terfchied fey? Ob Vater und Solm zu dem 
i^Orden des Selbft/tandigen oder des GegenbUkt 
^tgebAre? Ob Fcoft nnd Hitse wtderufOrtig 

^,oder 



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~ 193 — 

poder beiiekndiek'Batg§gengefizie wliren? Br 
«wolTte fieh aticli zo den Naehorden wendeii) 

,,und aus denfelhen die Weifen des Fdrdern und 
pHintern nnterfuchen* • • • Sein Bnider be* 
Mriifarte den Sto/f Ton den AMtflfrUchen mit 

y,reinen Gegenjatzen, Er woUte bebaupteni 
tida(s die Unterlage mancbmal weitl&tfftigep 
«leyn kAnne^ aJs das Ausgefagte^ dalS der 

^edingte Ausfprucb beffer u iire, als der ein- 
iifache» und der Mafshmbende deutlicher, aU 
9ider Niektmaftkabende ^ Sng1eichen« dals eln 

^allgemeiner hejahcadtr Ausfpruch allczeit fchUcht 

ff^mgesoendet werden k6nne: dieweil er aber 
nOfters Schluft-fleden ron vier Bnden machtei 

j,das mitlere Ende zuwellen in den Befchlufs 
Meinniifchtef auch manchmal Schlufs - Reden 
nTorbrachte^ die in der erften Qeftalt feyn 
^follten, und doch zu keiner Weife gerech- 
Mnet werden konnton, auch 6fters*der klei» 
^nere FUtfatz Terneinend war, anderer Be» 
fftrugs-Schliiffe zu gefcbweigen : fo babe icb 
nihn derge^talt mlt Atifldfungent Grundfatzen^ 
ffiintheUnngent An/Ugungen und Begr&nzungen 
„zuruk getriel^en, dafs mein Herr Vorfitzer 
wtt. £ w.^^ Viele von diefen Verdeutfchun* 
geni fezt TbomaJius binzu» find got und 

nun- 



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— 124 

nunmehr im Umlaufi aber liie mei&e» £nd 
dunkel und iScberlicb. 

Da Thom^riqs einiQahl die Bahn gebro* 
cben batte^ fo folgten ibm bald mebrere 
philorophifche Schriftfteller nach, die ich 
jedoch iibergehen kann, weil fic nichts Vor« 
z0gUcbes geleiftet baben« 

Es ift zu bedauern, dafs Leibnitz fich der 
deutfchen Sprache in feinen pbiiofophifchen 
Werken aus mebreren Grunden nicht bedie- 
nen koiinte. Einer Selts wollie und mufste 
er auch Tdr AusJ^nder fchreiben* nnd andrer 
Seits hiitte ibn die Sprache felhft bey feinen 
Untei fuchun^jen zu fehr aufgehalten. Er fand 
htf nach feiner ausdrukhchen £rkl4rung *)y 
fiir abftracte BegriflTe nocb zu arm, aber dals 
er, wenn es die Umfiinde gewoUt hiitlen, 
£e felbft hattc bereichern konnen, zeigen 
mebrere 7on ibm verdeutfcbte Kunftw6rter, 

z. 

*) S. deCTeQ miTorgreiflicbc Ged&nkea etc einge- 
zlikt in den Be||ru»gen sur deutfchen Spnich* 
^unde Ton Acsdeniie sn Betlin. i. Tb. 
8. 29 und s6t 



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2, B. abgezogene ErkenntnilTe, SchluCiform, 
Gnindr^el, Denkkanfc, Welenlehre, Be- 
grenzung u. a. *). Auferdem zeigte er zwey 
Quellen an **)» aus welchen die philofophi- 
fche Sprache anfehnlich vermehrt werden 
konnte, die Schriften gelehrter Thtfologen 
ond der Schwarmer, „welchc leztern, wie 
er fich ansdrukt) gewifle lchdne Worte ond 
Reden brauchen, die man als gftldene Cre- 
fatse der £gypter ibnen abnebmeu, vou der 
Befchmizthejt reinvgen, und zu dem rechten 
Gehraiiche widmen k5nnte: welchergeftalt 
wir den Griecben und Lateinern bierinn felbft 
wiirden Trotz biethen kdnnen.^^ 

Die wichtigff^ Perlodc fiir die dcutfche 
Terminologie der Phiiofophie begann indeflen 
mit IVol/, Ueber diefes grofsen Mannes Ver- 
dienfte um unfre Sprache iiberbaupt, ift fcbon 
fo yiel gefchrieben worden^ dats ich ^er 
nabern Cntwiklnng derfelben enti\brigt feyn 
kann. Obnitreitig bat er aucb fur die philo- 

fophi- 

•) Ebend. S. 2u 
**} Ebend. S. sa^ 



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' I2t) 

Xbpbifclie Spracbe mebr getban, als fie blofis 
durch UeberXetzung fremder Kunftwdrter 
oder Erfindung neiier bereiohert: er hat ihr 
eine gewiffe Beftimmtbeit undt icb mdchte 
lageii, eine Mauier gegebeii« durch welche 
fie erHb lUiig wurdef ein Organ der Pbilo* 
fopbie abzugeben. Seine Voriichtigkeit und 
ge£ammte Verfahrungsart ift mulkerhaft. Die 
Tor ihm gebrauchten deutfchen WOrter be« 
hielt er bey, und fuchte iie, fo Tiel n>6g- 
lichf sa beftimmen. Bey den Umformon* 
gen der fremden nahm er genau auf den Croft 
der deutfchen Spracbe RukJicbt, und uber* 
(Ss^te nicht, wie diCf deren llioiaAfitts fpot* 
tet, w6rt1icfa *)• Die deutlchen W6rter» 
woraus er Kunftw6rter biJden wollte, unter- 
fuchte er vorber nacb ibrer eigentlicben fie» 
deutung, nnd entwikelte aua diefer die tecb* 
nifche, immer mit der mdglichften Ann&he> 
rung an den Spracbgebraucb. £s war frey* 
lich nnTermeidlidi» nnd mehrert ISeiner Geg« 

ner 

Alfo nicht: initleres Etide einer Schlu£irede» 
fondern : Mittel-Glied eines SchhilTet. Kicht 

Befchlufs (ConcUifioj ibiideniHaAt«*Sats eiiMe 
Schiuilet* 



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— 127 ^ 

ner Uagten daiixber^ daXs durdi diefe A^Qr 
demngen nnd Nenernngen mancberley Bfif* 

verftiindnirre veranlafst wuiden, von Seiten 
derer» die einmab] an die iiisherigen Bedeo* 
tungen der Ausdriike gewohntt lie in dem 
vorigen Sinne nahmenf und auf die Art 
Wolfens Ideen zum Theil alt, zum Theil 
widerfprechend nnd Terwirrt fanden; nnd 
der gute Jo. Lange war nicht der einzigei 
der deshalb den Stab ikber Wolf brach. Bey* 
ffnele von a]lem dem anzufiihrent wird nm 
fo weniger nothig feyn, tla jeder Lefcr aus 
den Rcgiftern bey WoJfs deutfc^ien Lehrbu- 
ohern nnd am Tollftftndigften aus den Sarom* 
lungen bey Ludovici *) fich leiclit iiherzeugen 
kanUf wie Torfichtig und grol^entheils uui* 
flbertreflicb Wolf die Sprache der PhilofopU» 
reformirt hat. Viel davon verdanken wir 
der matheniatifchen Methode^ deien er fich 
bediente, nnd die ihn mehr» als den Tho« / 

r 

xnafius fein populaires Raifonnement, an Be- , 
iiiinintbeit und Deutlichkeit erinnerte* Man- 

cha 

*) Hiftorie der Woinrchen Philofophie. i. TheiL 
I. t a. TlieiL i. Sag L VergL & XheU. 



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— 12» — 

che feiner Nachfolger fanden fich ebenfalls 
berafen» an der Sprache ztf Arbeiteny und 
nicht ail6 thflten es ohne Glak. Das Ver- 
zeichnis bey Ludovici *) enthalt viele treHi- 
che Beytr&ge» welcfae von Wolfianern der 
damdiigen Zeit geliefert wurden. 

Von Woifens Zeiten an , macbte die deut- 
fche philofophifche Sprache Kiefenfchriite, 
befonders durch das Studiuin der Auslilnder 
und die mancherley Verfuche im ftfthetifchen 
Fache. Cottfched koinmt auch in diefem 
Sttike irorztLgHcb in Betrachtung» und ob« 
gleich mehrere feiner Ausdruke die Probe 
nicht halten , fo veranlaften iie doch manchen 
nachfolgenden Denker zu neuen Verfuchen* 
tBin JerufaUm^ DarjeSy Crujins, tSellert wer- 
den auch bier unvergefslicb feyn, und die 
Verdienl^, weicbe fich vor ihnen Reimarus 
VLva die Behandlung der Logik und natlirli« 
chen Tiicologie erwarb, bud ailqemein aner* 
kannt. Die erCtere zeichnet iicb unter den 
▼ielen Lehrbuchem diefer WilTenfchaft, be- 
fonders durch ihre Sprachei vortheiihaft auS| 

und 

*) Bcronder» L 2. Tbttl 



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uiid ilie lcztere hat die Kunrtfprache fo weife 
unil anvermerkt in die Sprache des Lebens 
und der Empfindung eingewebtf dals fie be* 
ftandig fiir iliefe Art von Behandiuiig ein 
jytufter bleiben wird. Eben das kann man 
Yon Jernralem rilhmen. Crtfius Schriften aus 
dcr theoretifclien Piiiiofophie Jefen fich auch 
heute noch angenehm» und man darf nur 
den Vorbericht von den philofophirchen Kunft- 
wortern vor feiner Logik, und das fiinfte 
Kapitel dieies Lehrbnchs vom Gebrauche der 
Begrifle und den WSrtern ftudieren, um zu 
felien, welche trefliche Ideen diefer Denker 
iiber Sprache iiberhaupt hatte, und wie ge- 
wandt er mit den Kunftw6rtern der Philo- 
fophie umzugehen wufte. Das Recht der 
Gelehrten» £agt er neuc Worier und 
Bedeutungen zu beftimmen, befteht in FoK 
gendem: i) man foU den Sprachgebrauch 
nicht ohne iiinl&ngliche Urfache verladen; 
2) folglich die W6rter nicht um einer blofs 
granamatifchen Aequivocation willen verwer- 
ien» 3} Wenn taan eine fchwankende Be- 

deu« 



Weg zur GiwUsh«it» Auig, 1747. S. 406. 

I 



— i3o — 

deutuDg genauer bertiinint, fo foll man des- 
w^en die andern nichl fogleich Terwerfen, 

fondern, wo es angeht, die Obrigen zugleicb 
mit berdmmen. 4) Neuentdekten BegrifTen 
darf man neuo Namen geben, aber die Na- 
^ien murfen bequem, und die Bcgriffe wicb- 
tig leyn. Meiers A.nfangsgrunde der rch&nen 
Wiflenfchaften nnd alle Scbriften dieles Man« 
nes, ro troken lie aucb im Ganzen genom- 
* men find, werden dennoch immer fiir die 
GefcbicAite der pbilofophifchen Spracbe wich- 
tlg bleiben. Es gelang ibm in dem erftern 
Werke gewifs nicht ube]) die feinen Nuan- 
cen der fimpfindungen nnd der Aeuferungen 
des Gefehmaks zu bezcnchnen , nnd fein Styl 
jft durchweg, zwar wafTerig, aber mdg- 
licbft rein. Wie konnte ich hier dte ehrw&r» 
digen Namen Sttlzer^ Bafedoi» *), Lamhert^ 
Heudelsfohiit Le/sing, ifelin^ Feder^ Garve, 



Diefer originale Kopf yerftiTir mit der Spnclie 

der Pliilofopliie oit etwas gewaltfam , abei er 
gab ihr doch dnrch feiu analytifches VerFahren 
viel Gewaiultheit und Scharfe. Vergl. fein 
Theoretifches Syftom der gefundea Verannft* 
und das £lementarweik i» Th» 



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— i3i — 

Platner *), Eberhardy MeinerS^ Tetens **\ 

und Bagel ▼•rgelleni unter deren H&n- 
den die Philofophie nnd ihre Sprache fo un* 
endlich viel gewonnen hat! Was auch man* 
cfae allzufeurige AnhiLnger der neuelten Phi- 
lofophie ttnigen diefer MSinner anhaben wol* 
len : He konnen ruhig leyn, und Hch mit 
dem Bewuistleya erheben, dais Deutfchland 

I 2 nie 

•) Man machte diefem fcharfrinnigen Philorophen 
bey feiner eiften Aiisgabe der philojophijclun 
Aphorismm den Vorwurf, clafs er oft ohne 
l^oth Ton der heig^braehten Tenninologia ab* 
weiche. Mandie (einer nenen Ansdrtlle hat er 
jeat mit pbi]oIb|^fcher EntliRgnng zunlkg^onu 
neB, nnd in jedem Falle hat er doch dazn 
beygetragen, dafs feine Lefer und Schaler die 
BegriiFe feibrt, die er umgekleidet hatte, nun 
wieder auf einer neuen Seite befahen, uad dat 
ift inuner Gewinn fiBr die Wiflenfchaft» 

•*) In feinen Unterfuchungen herrfcht viele Krafc 
der Sprache, und manche neue Wendung^ 
der Begdffe hat er fshr gloUich beaeichnet. 

Das meifte Verdienft hat llch dicfer trelliche 
Denker um die Sprache der ?fychologie uad 
Aefthetik erworben* Seine Mimik ift un» 
fchizber. 



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l32 



nie fo weit zurukfinken wird, ihre Nanaen 
unter der Zahi leiner grdfteii Wohltbater un* 
dankbar zn Tergeflen. 

Um indellen kein blo&es Nameil*Regirteri 
oder) welches noch ttnfchiklicher wftre, eine 

leere Declamation zu liererni woJlen wir 
hier einen Augenbhk Terweilen, und einen 
Blik auf den bisherigen Gang dcr philofophi- 
fchen Kunftfprache werfen. 

Wenn eine Wifrenfchaft in dem Gewande 
einer fremden Sprache zu einer Nation 
kommt, deren Sprache mithin noch nicht 
dafiir zubereitet ift; fo kann naturlich dic 
BemCLhung derer» welche diefe WifTenfchafe 
in ihrer Sprache bearbdten wollen, Anfangs 
nur aufs Ueberfetzen gerichtet feyn. Wir 
kdnnen daher den Zeitraum von Thomahus 
bis auf Wolf fuglich die Uberfetzende Periode 
nennen. Wo eine worlliche Ueberfetzung 
nicht m5glich oder undeutlich feyn wiirde^ 
werden gew6hn1icb in einer folchen Periode 
die fremden VViirter beyjiehallen , und zum 
Theil durch Endungen» wie Thomafius lich 
fehr richtig ausdrukt, naturaliBrt. Es hat 
auch damit um fo wenj|;or einige Schwierig- 

keit, 



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keit, weil die Gelehrten diefe fremden Aus- 
druke verltefaeii» und die Ungelebrten iie 
noch nicht zn Terrtehen braucben. Dabey 
behalt die Sprache in wifTenfchaftlichen Bii- 
cbern nocb eine gewille Fremdartigkeit) in 
Ruklicht der gerammten Manier, welcbe fich 
fobald nicht veHiehrt. Oft, wenn man Tho- 
mafius Scbriften liefti glaubt num eine Scbu- 
lerm&fsige Ueberfetzung aus dcm Lateinifchen 
7.U ]efen : fo genau ift Conftruction und Wen« 
dung des Lateins in ieinen Styl ubergegangen. 

Die zweyte Perlode konnte man, in Be^ 
ziebnng auf uns, die verdeutfchende nenneni 
d. h. eine folcbei wo auf der einen Seite 

nicht inehr blofs tlle Worter einer Wilfen- 
fcbaft uberfezti fondem die ganze WiETen- 
fcbaft gleichlam in die Form unfirer Sprache 
eingepafst wurde, und wo man auf der an- 
dern Seite die Ichon vorbandnen Worteri 
wie Miinzen nidit mehr blois durch mn Zei* 
chen zum Gebrauche der WifTenfchait eignete, 
Ibndern eiuen ganz neuen und paflenden 
Stempel machtei womit nun neue und giil* 
tige Munzen aui^i^eprdgt wui den. Diefer Zeit- 
raum gehti uiit einigen Modi&cauoneni von 

I 3 Wolf 



; Wolf bifi anf die lezten Frennde Ceiner Phi- 
lofophie in clen nenern Zeiten. Die Modifi* 
cadoncn lelbft beftehen erftens in der groCsern 
oder geringeren Purilterey (Leibnitz £agt R^n» 
d&nkel) «nzelner Schriftfteller. Wir linden 
auch hier Griilen und Lacherlichkelten. £i- 
nige bemubten Ach« darchani rein deutfch zu 
rchreiben: andre fanden in dem Gebrancfae 
fremder Kunftworter mit deutfchen Endungen 
eine grd&ere Grundliehkeit nnd einen philo- 
fophifchem Anlbich. So kamen zu einer 
gewiffen Zeit die Worter Tendenz, Proba- 
bilitat» Perfectibilitat, nnd eine ganze Menge 
logieen und tiken ohne Noth in Umlauf ^ und 
die meiften phiiofophifchen Scliriftfteller ver- 
mieden die gebr&uchlichen deutCchen W5rter 
recht abfichtlich, nm nicht das Anfehen zu 
haben« als fagten iie etwas Gemeines und 
Bekanntes. Andre Ichufen Ikatt der fchon 
Hblichen deutfchen Benennungen nene deut- 
fche, oder gaben jenen folcbe Bedeutungeni 
die fie zu neuen zu machen fchienen. Die» 
fes Schiklal hat befonders die Moral und Pfy- 
chologie, niclit weniger die Theorie der fcho- 
nen Kiinfte erfahren: wo faft kein Kompen- 
dium mit dem andem dne gleiche Sprach^ 

redet. 



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— x35 — 

redet. Die£$ fuhrt micb zu deui zuieyten 
Pancte, der hier in fietrachtung kommen 

inufs, die verfcliiedenen Syfteme der Philo- 
fopbie und ihre noch verfcbiednere Beband- 
Inngsart. In jedem Syftem und ibgar in jedem 
Kopfe nehmen die philofophifchen Wahrhei- 
ten eine eigne Form an, nacb welcber fich 
folgUch auch die Bezeidinung richten mufs* 
Und es macht einen grofsen Unterfchied, oIj I 
ein Philofopb einen Satz fiir Pbilofophen er« • 
weifen^ oder ihn einem gemifchten Pubficuni 
deutlich und angenehm vortragen will. Wer 
das Leztre kann, verftebt nicbt immer das | 
Erftref und ich zweifle £ehr» ob GeDert 
ein brauchbares Lehrbuch der Metaphyiik zu 
fchreiben im Standc gewefen wilre. Unfer 
Zeitalter hat iich bisher Torzuglich durch die 
allgemein Terftlndliche Bearbdtung der PM- 
lofopbie ausgezeicbneti und man konnte da- 
her» Ton Sulzer an^ «ne popidSre Periode an- 
nebmen , (im befteit Sinne des Wortes) die 
vielleicht der WifCenfcbaft, als folcber, gc- 
fchadet hat, aber zur AufklAmng und Bil* 
dung der Narion fiberaus woblrh£ltig gewefeii 
ift. Wem faJien nlcht eine Men^e neuerer 
Schriften einf in welchen philofophifclie S&tzet 

I 4 ohna 



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— i36 — 

\ obne aHe Kiinftrprache yorgetragen und er- 
ISLutert find? Ich weifs wohl, wie fehr die 
Fretincle der fcientiHfchen Methode ddinil un- 
zufrieden, und wie fefar he deshalb far die 
Verderbung der Wiflenfchaft felbft bange 
find *), Es k^me hier auf die Frage an: 
Ift obne Kunftfprache keine Gr&ndUchkeit 
mdf^lich, und giebt es nicht auch eine po- 
pul&re Gr undiichkeifc ? 

Ich gehe zu der neueften Periode fort^ 
f&r die ich keinen Namen babe. VieUeicbt 

ift nie an der feinen Beftimmung der phiJo- 
Ibpblfchen Terminologie fo eifrig und gliik- 
lich ^earbeitet worden, als feit Kants Refor* 
men in der Phiiofophie. Dals er eine ganze 
Menge neuer W5rter d. h. alter mit neuen 
Beftimmungen, zu feinen Ent^klungen n6- 
thig hatte, dafs er in der Wahl und Erfin- 
dung derfdben iitieraus gluklich war^ dals 
er, wie Wolf, durcb diefe Aenderungen 
auch mancherley iVljsdeutungen und Klagen 

▼cr- 

Schon langft Uagte Kant in Cnnen Brielen an 
Lauibert dacuber. S. die Saninilung YOn Ber* 
nouIU. 



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- i37 - 

Terurfaebte, das alles ilb bekannt genung. 

Kach ihm hat indcfferi wohl kein Denkcr 
'mit Iblchem Scbarfiinne an der Beftimniung 
und Feftftellung der pbilofopbifcben Spracbe 
gcarbeltet, als Heinhold^ deffen Analyfis der 
Ausdruke oft fo fein und fcharf ift, dals 
man erftaunen mulk. Kein Wort entfkllt 
ihin, welches nicht bey ciner grammatifch- 
pbilolbpbilcben Anatomie ausba]ten konnte» 
ond oft, fo fcbeint es mir, oft And ganze. 
Lehrfatze und Ideen nur durch die Anfiu- 
fung ond Beftimmung eines Wortes enrftan* 
den. Und fo ^e Kant mancbmal der Kei- 
nigkeit der deutfchen Sprache zu vic] ver- 
^eben bat: fo bemubt Hcb Reinbold» wo es 
feyn kann, fremde Wdrter zu umgeben. 
Im Ganzcn ift freylich der Styl der kriti- 
fcben Fbilofopben fehr bunt^ und wenn 
diefe ganze Reforme nlcbt in einen 2eitpunct 
trafe, wo Dichter, Gefchichtfchreiljer imd 
AefLhetiker fo vielen FJeils auf die Sprache 
wenden, (b wfirde fur die leztre febr viel 
zu fiirchten feyn. - — Unbeftritten aher ift 
)ezt grade der Zeitpunct, wo die phiiofo- 
pbifcbe Spracbe eben fo retcb und bequem 
ift fiir diie fcmften theoretifchen Specnlaiiu- 

I 5 ^i^^»!, 



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nen, wie fi&r die populftre DarfteUaag plu« 
lofophifcher Wabrheiten : und die grotse 
Menge von Freuoden der ryftematifcben Phi» 
lofophie wird es Terhindern, daft die Po» 
pularit&t nicht in lidchte< und leeres 'Ge* 
fchwatz ausarte. 

«Alfo i£t e$ doch mdg|ich, daia die Kan* 
tifchen Ideen, die wir bisher immer we- 
gen der eignen Sprache nicht verftanden 
haben« mit der Zeit einmabl faislich und 
f^r Jedermann kdnnen dargeftellt werden? 
Ift nicht auch dle Wolfifche Phi)ofophie durch 
neaere Schrift(teller iur aile StSLnde und Ge« 
fcblecbter lesbar und Terftandllcb gemacht 
worden? Hat man iie nicht in Briefen, Ge« 
fpriichen, Erz&hlungen, Romanen und Ge- 
dicbten fogar auf Toiletten zn bringen gewuft? 
Und kann denn irgend ein Syftem wahrhaft 
gut und Ton Wertb feyn* wdcbes nur einer 
kl^en Auswahl Ton Gew^ten begreiflicb» 
allen iihngen aher ein vcrKegeltes Buch ift?** 
Ich giauhe» die Antwort auf diefe Fragen 
lalst jRcb febr kurz faOen. Nicbt die Wol* 
iifche Logik, MetaphyHk nnd Moral felb£t 
war ess die neuere Schriftfteller zur unter- 
bahenden Lectftre macbten: es waren nnr 

Be- 



- i39 - 

* 

Betraebtuiigeii fiber gemeinwichiige Gegen* 
ftftnde^ wozu fie den StolF aus ienen Syfte- > 

raen entlehnten, und die fie mit fteter Riik- 
iiciit auf die Principien, welcbe Wolf aufge* 
ftellt hatte, Terarbeiteten. Das Syftem ei« 
nes Philofophen, wenn es wirklich auf fpe* 
culative Principien gegr&ndlet und daron mit 
fyftematifcber Gr&ndlichkeit abgeleitet ift, 
I&Cst fich durchaus weder obne Kunrtlprache 
Tortragen, aoch zur Volkslectftre verdeuti- 
lichen. Nur die gemeinndtzigen Refultate 
deHelben k5nnen unter den Handen gefcbik- 
ter Kdpfe k la port^e de tout le monde wer> 
den. Lichtenbergs Nachricbten Tom Him* 
mel hnd eine uuterhaltende Leciure filr Je- 
dermann» und pafTen in ein Tafcbenbucdi» 
aber fie find nnr Refaltate einer grofsen Reibe 
tiefer Unterfuchungen und kiinftlicher Rech- 
nungen^ die 60*9 bey aller feiner Laune und 
Popularitftt, nie zu einem allgemeinfalslicben 
angenehmen Aufdatze wiirde einkleiden k6n- 
nen. — Es g^ebt nur drey Ittittel, wie man 
dergleichen Speculationen populSr darftellen f 
konnte: entweder man uberfezt die frernden 
Kunftwortert dem Sinne nacb, ins deutfcbe: 
oder man bedient fich Ibatt der WOrter felbft 

der 



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— i4o — 

der Definitionen derfelben; oder tnan fucfat 
l&berall, fbitt der Theoreme» in lamer Beyfpie- 

len zii philofophiren. Das erftre ift von kei- 
ijem fonderlichen Werthe. Denn abgerecbnelt 
dafs die deutfcben Kanftw6rter immer Kunft« 
woiter b]eiben, fo find fie gemeiniglich durch 
ihre halbe VerfUndlichkeit nur nooh unver* 
ftandlicher. Was Denken, was Form iH^ 
glaubt der deutfche Lefer zu verftehcn, eben 
darum wird es ihm noch fchweirer werden» 
^nznfeben, was eine Denkform ift. Er 
weifs, was Sinnlichkeit bedeutet, wiirde 
fich auch bey iilierfteigend etwas denkeui 
aber eine iiberlkeigende Sinnlicbkeitslefare 
wiirde ihm gewifs" eiwas anders /n feyn 
fcheinen» als Kants transcendentale Aelthetik 
fagen will. Das zweyte itt iiberaus weit- 
Idiiftig, und der Lefer wurde durch diefe 
WeitlsLuftigkeit fehr vcrwirrt werden: nicht 
zu gedenken* dals in Delinitionen fo mancfae 
Worter vorkommen, die erft durcfa das De- 
hnitum felbft ihre beftimmte Bedeutung be- 
kommen* Wenn wir ftatt SinuHcfakeit Xagen 
wollten: die Art und Weife, wie unfer Ge- 
muth afBcirt wird, fo wiirde dem Lefer, 
der jenen Ansdruk nicht Terfteht, eben £b 

un« 



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— 14» — 

unbegreiflich feyn^ was Gemiith und was 
Afficiren des Geuiiiths bedeutet: er wuicle 
llch hucUItens leidenrchafiliche Bewegungen 
darunter denken. Die dritte Verfabrungsart 
ift noch waglicher. Beyrplele zur Erliute- 
l ung ganz abftracter BegriiTe zu iinden} ift 
kein leichtes Gefchtrt: und wenn fie auch 
noch fo gnt gewUhlt waren, fo murfen fie 
doch immcr enipirifch feyn. Dadurch wird 
aber der Lefer allm&hlich von der abftracteii 
Idee abgefiihrt, und indem er das Beyfpiel 
ficb niogUchft verdeutlichet und verfinnli- 
cbet, hdrt er auf, den abftracten Satz za 
denlcen, oder verwirrt ihn ganz und gar. 
Welches Beyfpiel wiude im Staade feyn, ei- 
nem Layen deutlich zu macheni was Kant 
unter reiner Sinnlichkeit verfteht? 

Kunftfprache bleibt immer ein wefentH« 
ches Stuk einer Wiffenfchaft oder Kunft» und 
es ifb eine unverftftndige Forderung, zu ver^ 
langen, dafs der Mathematiker , der Philo* 
fophf der Bildhauerf odcr irgend ein andrer» 
uns felne Winenfchaft oder Kunft ohne Kunft* 
fprache lehren und deutlich niachen folle. 
Freylicli ift die, welche der Kiinftler ange« 
nomulen hat, von der phlJofophifchen fehr 

ver- 



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verrchieden : er kana vorzeigen ocUsr zeicb- 
nen, was er mit feinen Aatdrilken meynt: 

in der rhilofophie ift Wort und Begriff fo 
genau verbunden» dals ' man den leztem 
nicht immer mit andem AusdHiken faflen 
kann. Der Lehrling der Kunft nimmt mit 
dem Kunftworte zugleicb ein Bild des Gegen- 
Ibuides aof: bey dem Lehrling der Philoro* 
phie kann es oft gefchehen, dafs er nichts 
aU dds Wort aufnimmts uud mic demfelben 
einen BegrilF zu haben glanbt; wenn man 
ihn aiiffordert, den Begriff zu entwikeln, 
Ib zeigt iichSf (iafs er nur das Wort gelernt 
habe. Hieraus entftehen mancherley Nacb- 
theile fur die Wirfenfchaft felbft. Die Schu- 
len, fagt Herder wiLhlen Hch gewiCfe 

Lieblingswdrter « die Ae als Spaziergfinge 
branchen , nm eine Materie nach Belreben 
zu betrachten. Man hat einige Grundfadeny 
die zu allen Schriften dienen miifiren» und 
in die man nachher nur die Terilnderten Vl» 
guren hineinwirkt. Daraus entfteht eine ge* 
wifle Bequemlichkeit im Denken; man kdnnt» 

frcy- 

*) Ueber aie aencie dentCcIie lit. Dritte Sanm, 
6. 48£ 



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— 143 — 

freylich Ton allen Seiten hernmgehn« um 
den Gegenftand aus allerley GeJichtspuncten 
zu betrachten; allein man lezt fich anf diefs 
oder jenes Wort, als eine alte JluheMtte^ 
ond iieht, was andre Tor uns fahen und 
nach uns fehen werden. Oder man fchich- 
tet feine Materie nach gewiHen a]ten £inthei« 
luni^en, die Itch auf Schulen Tererben, nnd 
ein befchwerliches Joch im Denken auflegen. 

£beu Xo wahr ift es dafs die iatei- 
nifche Sprache, in der wir die Philofophie 
bekommen haben, einen machtigen Eindruk 
auf den philofophifchen Vortrag gemacht» 
und in die deutfche Sprache der Philofophie 
einen gewiHen Zwang gebracht hat, der dem 
Ganzen dne fremde Geftalt giebt» Lehrbu« 
cher und Streitfchriften haben dazu das Mdfte 
beytragen belfen. Hifsmann fchob die Schuld ] 
auf einen einzigen Mann^ auf WoJf» aber • 
die Uriache liegt wohl in dem ganzen Gange : 
der wiffenfchaftliclien Bildung unferer Nation. 

Kann indeHen irgend eine Art zu philo- 
fophiren dem Unwefen des Wdrterkrams fb< 

wohl» 

*) Ebead. S. 117« Vergl. Erfie Samml, 8. 175 f« 



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- 144 — 

wohl , als dSerem Fefaler des Latinismns nach 
und nacii ablielfen: fo ift es gewifs die kri- 
, tirchc. Die Torhin genannten deutlicben Phi- 
. lofoplieii hahen fiir die practirchen Theile 
der Wiffeufchaft viel, fehr vlel geleiftet. 
Wir diirfen yon den kritifchen Philofophen 
far die Theorie ein Gleiches hoflen. Da die 
Kritik iminer auf die Piufung der erften 
Principien einer Behauptung dringt, und ei« 
nen Gang nimmt/ der fich von dem bisheri- 
gen merklich unlei fcheidet , fo ift weniger 
; fur philofophifchen Pfitudsmus zu fiirchten, 
und die WifTenfchaft mufs a]]ma,b]ig aus der 
lateinifchen Fonn heraustreten. Im Anfange 
war freylich, wie ubera]] hey dem erften 
Auftritt eines origina]en Kopfs, Naclibatbe- 
rey und Glauben an die Worte unvermeid- 
lich. MsLn mufte erft Kants Gedanhtn ]er- 
nen, ehe man in feinem Syfteme dtnhefi ler- 
nen konnte. 



El- 



— 145 — 



& I M IG £ 

ALLG£M£IN£ R£SULTAT£ 

AVt 

D£R 6£8CHIGHT£ D£a PHILOSOFHIB. 



Die Gefchiclite der Philoroplile wiirde fchon 
dana ein belohnendes Studium reyn^ wenn 
lie uns attdi nnr mit einec groiseii Menge 
menrchlidier Meynnngen bekannt machte^ 
und uns daran einen Stoff zur Uebung dea 
Scharffinns nnd der Urtheilskraft vorlegte. 
Aber ihr Natzen ift nnftreitig viel grGlser. 
Sie gew5hnt uns an Billigkeit und philofo* 
philbhe Daldfamkeity indem lie uns den 
Quellen der Meynnngen nnd Triumereyen 
nachforfchen lehrt. Sie macht Torhchtig 

K gegen 



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— 146 — 

gegen die mannigfaldgen Arten des Aberglau- 
bens nnd der Scbwlrmerey, indem iie war- 
nende Bey^iele tas der torigen Zdt anlftelki 
Sie xnacht gegen ^rahlerifche Ankiindigung 
neuer Erfindungen mifstrauifch. Sie zeigt an 
unzfthficben Beyfpieien die Urlacben philoib- 
phircher Streitigkeiten, die Maeht der Vorur- 
theile, und dle Hinderniffe, welche jede nene 
Wahrbeit zu iiberwiflden batte» ehe iie «na 
angemdnere Anfnafame fand. Sie giebt uns 
mancherley Proben, wie genng und zuf^Ilig 
oh die Urfacfaen der wichtiglten Enideknn* 
gen im Rache der Wafarheit gewefen find, 
und erinnert uns dabey nachdruklich an eine 
hdbere Uand, welche die Entwikelnng des 
menlchficben Geiftes nnfiditbar aber weile 
leiteL Sie ftellt uns Martyrer der Wahrheit 
nnf t an deren Bey^piel wir eben ibwohl Be* 
hntlanikeit, als Standhaftigkdlt lenien kta- 
aen. Anderer individueller Vortbeile nicht 
zn gedenken. 

Ich wiU hier bey einigen a]]gemeinen Re* 
fultaten ftehen bleiben, welche fich aus der 
gefiunten Gefcbichte der PbiJofopbie ergeben. 
Sb ift mcfats neues, was icfa zu (agen faabe^ 
aber es ift. vielleioht nicht ganz obne Nutzen. 

Wel- 



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— i47 

Wddie Wahrbdt leliit tins diefe Ge- 
(cbichte nachdriiklicfaer, als die: <ia/) 
menfcUid^ Geift siir fkUofofikie kerf/€m ifi. 
Troz aller glaUichen niid UB§^k1ichen Ver- 
fuche der Vorganger unterlielsen die Nach- 
Iblgeniien ibre Forichmig^ nicht) weder 
muthlot gemacht dardi die anfcheitiende VoH* 
kommenlieit der erftern, noch durcfa das 
GefiUirtiche and Troftloie der leztem abge* 
fchrekt. Kanm hatte ein denkender Kopf 
eine Mcynung ge^uferti als fogleich eine 
groise Menge belchAftigt war^ fie zu erllu« 
tern, ausznfilhren» und weiter anznwendeiiy 
eine andere, Ae zu widerlegen, und noch 
«ne andere^ fie durch neue Ideen zu vec^ 
drfingen. Hier Aanden Minner auf « di« 
eine betrftcfatlicfae Zafal Ton ErkenntniHen und 
£iiiRchten ausbothen: dort erhoben fich an» 
dre« die aHe ErkenBtiiiik HLr nngewils imdi 
tiLufcfaend erkl&rten. Dennoch lieJCseu fich 
«ndere nicht irre maoheni yon nenem nacb 
Brkenntnis und Walirbeit tn forlcfaen. Jezl 
verfuchte maa auf dem Wege der bloisen 
Specttlationy jczt nuf dem der £rfahrun^ 
ins Reich der Gewififacit zu dringeiL Wo* 
fCkr follen wir das iialten? F&r einen kindi- 

R A icbca 



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— i4« — 

fbben VorwitZy der in einer Ark ron Erb- 

i^bel feinen Grund hat? Ftir eine rtrafljare 
LiiAemheit^ die nar mn des Verbotbs wil- 
len nach der Frucht rom Baome des Er- 
kenntniCfes begehrt? — Ohne dafs uns die 
Fbilofophie Telblk zvt beweifen breucbty da£s 
der menrchliche Geift in feiner cignen Natur 
alle Anlagen zum Philofophieren hat, lehrt 
uns die pbilolbphifche Gefcbicbte, da£B dieie 
Anlage, dieCer Beruf iich unter keinen Um- 
ii&nden und zu keiner Zeit verleugnet hat. 
Oder lollte d«r Schluls zu gewagt £eyn: 
Was der menfK^liche Geift fo viele Jahrhnn* 
derte faindurch unter verfchiednen Himmels- 
rtricben, troz aller HindernilTe und S<^wie* 
rigkeiteni mifc raiUofem i;;nd nnermftdetem 
Eifer gethan hat, dazu mufs er durch feine 
innere BelcbafFenheit iahig, und durcb £eine 
Beftimmnng berufen Ibyn? Docfa, wer bas 
)e geleugnet, dafs Denken die wafare Be« 
itinimung der menfchlichen Vemunft ieyt 
und was heilst Pliilofopfaieren anders, als 
nber den beftimmten Zufammenhang der 
] Dinge denken? Wer das geleugnet bat? 
Ucfa diknkt« a]]e diejenigen, wekfae den 
Gebrauch der Vernunft nur auf die gew6hn- 

licben 



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— 149 — 

Jichen VorfiLlle und Verhaltnifle imrres irdi< 
Xchen Lebens einfchr&nken wollen: alle die« 
jemgen» wdche eine Ohnmacht der Venmuft 
5n Riikficht derjenigen Kenntnine behaupten, 
welche den Kreils des Sichtbaren uberrteigen: 
alle diejenigen, welcbe nns auf Belehrnngen 
und Oflenbarungen von aufsen yerweifen : alle 
diejenigen a]fo, welche eben aus der Gefchichte 
der Pbilofopbie dat allgemeine Reritkat zie- 
hen, dats der menrchliche Geift snr Er» 
kenntnis der Wabrheit aus und durch Hch 
felbft nicht beltimmt (ey* HoJfentlich wird 
iich diefe Folgerung ans einigen der folgen» 
den Puncte hinlHnglich berichtigen lalTen* 
Hier bleibe ich nur dabey ftehen» dais» wenn 
der menfchliche Geift zur Philofophie berufen 
iftf kein Gegenftand fo hocb oder heilig 
feyn k6nne, su dem fich nicbt die Philofo* 
phie erheben dilrfte. Und gefezt, dafs feic 
einer beftimmten Zeit hdhere OfTenbarung 
uns ToUft&ndig iiber Gegenft&nde belehrt 
hfttte, denen Torher die Phtlofophie dlein 
nachforfchen mufte: warum waren denn 
grade jene Menfchen dazu beftimmt« dem^ 
jenigen mOhfam nachzufbrfcfaen, was wir 
oiine aUe Miihe erkenncn foUen? Und find 

K 3 denn 



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^ i5o — 

denn durch diefe iufere Belehrung wirkiich 
alle inneren Zweifel bey allen, denen Re za 
Theil geworden ift, aufgehoben und yer- 
nichtet? Ift es blofs Verftokthett und Bos* 
htatf dals die Menichen anch feit jenem 
Zeitpuncte nicbt aufgehdrt haben, mit ibrer 
Vernunft uber jenc GegenftS.nde nachzufor- 
lcben? Oder beweilb es nicbt Tielsiehr» dais 
die Gottheit wirklich den Menfchen zum 
Philofophieren berufen hat, inJem fie fogar 
da, wo £e Ach nftber olfenbart» immer noch 
kmne ToDfi&ndigen AuflcMflfre giebtf und 
damit der eignen Forfchung der Vernunft 
keine beltimmte Grenze lezt? Docht wenn 
a)le diefe Pragen und Anfiditen nicht hinlftng- 
lich feyn follten, die Wahrheit unfers Satzes 
Ztt beftiltigen» £o fubrt uns die Gefcbicbte 
der Philoropbie noch auf eine andre Bemeiw 
kung, die flch nicht zuriikweifen lafst, dafs 
I nemUchin eben demVerh&ltnilTe, in welcbem 
das Studium diefer WiOenfchaft Itieg oder 
fank, die Geiftescultur eines Volkes iiher- 
baupt zu- oder abnafam» und dals von die- 
fem Studium« felbft die richdge ^ficbt in 
die Lehren eiuer hdhern OflTenbarung zu alTer 
Zeit mit abbieng. Oder war es niobt die 



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— t5i — 

Philolbplue, die tSlm fohwirnwrilcheii wiA 

myrdrchen Auslegungen diefer Lehren in den 
Weg trak? die a]le erkiin&elte Deutungea 
serltdhnn ha]f? d&e dnroh Bire heilera Be> 
gnffe von dem gottlichen Wefen alle die un- 
w&rdigen Vorltellungen auXhob» welche 
der blolse Wortverrtand eraeugte nad begilii* 
ftigte? die mattche Ton Menfchen erdachte 
Dogmen erft verdsicbtig machtei und dann mit 
Hii]fe andrer Wiflenlchaltep aus dem Wego 
fchafte? Ich weiis v^ohi, wie fehr man dar- 
itber Idagt» daCs die Philofophie iich zu Tiele 
Ilechte angemaist habe» aber das w&rde ln 
fceinem Falle ihre wahren Verdienlbe anfhe- 
hen. Und wenn noch je eine gereinigte gei- 
Hige Rehgion allgemeiner werden kann: Ib 
ift dfls blos Ton dem Beyfiaade der Philofo» 
phie zu erwarten« 

£in anderes wichtiges Refttltat ift die Be- 
trachtangf dals die troftreicktm Lekren der 
Vernut\ft durcham mehr Freunde und Vertheidi' 
ger, aU Gegner «ju< Leugm^ gtfmadem kaiem* 
Gegen dnen^ der dagegen Zwmfel erhoh, 
fanden £ch zehn andre, die he ia Schutz 
nahmen $ und der geh&&ige Name eines Athei- 
Qen erihheint demienigen» der GeCsfaichte 

K 4 der 



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l62 «— 

Hiilorophie itndiert, bey weltem iti kei* 

nem fu geb^Csigei7 Lichte, wie einem andera« 
der ibn auTer dem ZuAimmenbange ansfpre^ 
cben b6rt. Bey kmem Pbllorophen war fein 
Atheismus boshafter Unglaube, oder verzwel- 
feltes Wegwerfen aller Wabrbeit. Sie )agtea 
«De der Erkenntnts «nes Gottes nacb« aber 
fie wurdep entweder von bangen K&thfeln 
nnd Unaufldslicbkeiten aufgebalten, und wag- 
ten nicbt zu beweifen, was lie docb im 
Uerzen wiinfchien und glaubten ; oder iie 
|t)aubten Gott nnr da zu iindent wo Sem 
Werk ift, im AIl laben lie das Eine und im 
Einen das All. — - Es ift unftreitig kein ganz 
▼erwerilicbes Argument» welcbes man zum 
Tbcdl far die Begr&ndung gevofler Wahrbei* 
ten angefiihrt hat, dafs Ke vori allen, nur 
einigermafsen gebildeten, V6lkem geglaubt 
worden lind. Wenigftens burgt es £ilr die 
AUgcmeinheit des Bedurfniffes folclier Wahr- 
beiten» und felbCt die kriiirche Philofophie 
bedient iieb in einem gewiflen Puncte dea 
BedurfnifTes einer Wahrheit als einer Art von 
fiewei£s dafiir* Aogenebm und troftreicb ift 
es» zu bemeiken» wie bemilbt die Denker 
Ton jeher gewefea find> fiir da^ Dafeyn eines 

Got- 



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— i53 — 

Crottet tmcl die Fortdauer milrer Seele Be* 

we\£s aiif Beweifs zn eriinden, bald aus Be- 
grilFen und Syllogisinen t9a die Speculation» 
bald aas Geftkhlen, Holnungen und Erfah- 
rungen fiir den gemeinen Menfchenverftand. 
AUe Bedenklichkeiten und Zweifel dagegen 
waren nur Auffordemng , die Bewelle immer 
iefter zu machen, und neue Wege der De- 
monlbration aufzufnchen. Aber ift nicbt 
Tielleicht diefe Bemfthung mehr die Wtrkung 
eiaes philofopbifchen Phlegma, welches fo 
gem Ruhe hat, oder der poiitiTen Religionen, 
die neben der Philofophie beAanden^ und 
denen die Denker nicht gern nacbftehen woll- 
ten? Mag es: ich brauche nicht zu wider* 
ikreiten. Auch in diefem Fall bleibt das Be- 
durfnis unverkennbar. — Aber haben denn 
alle diele Bemuhungen fur die Auiidfung je* 
ner Probleme etwas Erhebliches geleifket? 
Sind jene Hofnungen oder Glaubensartikel bis 
znr hdchlten Evidenz erwiefen? Wir kdnnen 
die leztere Frage Temeinen, ohne die erltre 
verneinen zu diirfen. Hochfte Evidenz foil 
nnd kann bey Gegenftftnden diefer Art dem 
menfchlichen Gei&e nicht zu Theil weiden« 
aber» was ihr am nslchften kommt, das ha< 

K 5 ben 



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— i54 — 

ben die Forfchniigen der Dankflr geHefert 

Allerdings fmd die Beweife far jcne Aufga- 
ben, wdche die Phiiolbphen «nlIkellettY aur 
Bntmklung cler GefWe, welche jeden den- 
kenden Menfchen zum Glauben an Gott utid 
Un£terblichkeit £a£t unwiUkubrlioh dringea: 
und der, welcber ent der Verpfiiebtnng «nm 
Guten, oder aus dem Misverb&Itnis zwi- 
if^en Tugend und Gliikleeligkeit, «uf die 
Noihwendigkeit elhes Gottes und einer Fbrc- 
dauer fchliefst, fagt fo wenig etwas Neues* 
als «n andrer, der an den HimmelA die 
£bre Gottes erkennen lebrt» nnd ans den 
Gefetzen der Natur die Unverganglichkeit 
des GeiCtes folgert. Aber es ift aucb niciiC 
die Beltimmnng der Pbiiolbpbie» den menlbh* 
lichen Geift Dinge zn lebren, die ihm nen 
iind fremd iind, fondern, aus den in ihm 
Torbandnen Fftliigkeiten nnd aligemainen An- 
lagen zum Denken die befondem Gedanken 
und Wabrheiten herauszubucbftabiren. 
Cndficb aber, bat denn.nicbt die Kritik aUe 
die bisherigen Grftnde fHr jene trdAlicbeB 
Artikel fo gut, al^ auFgeboben, hat fie nicbt 
ibre Unzu]in(picbkei» dargetban» nnd folg- 
lioh die fohttnften Friichte einer lo vieljlhrj* 

gen 



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— 155 — 

gen mftlilkmen Arbdt mit Snemmahle zer- 

It6hrt? Ich darf auf diefe Einwendung nur 
ftn das eriniiern, was bekannt genung ifif 
und keiner weitem Ansfohrung bedarf, dafis 
die Kritik den bisherigen Bewelfen zwar 
a|KMlicd(che Gewilsheit, aber nicht 2^ulftog* 
liehkMt znr Ueberredung abfpricht, und dals 
fie es eines Jeden individuellen Bedurfnifren 
nnd Gefnhlen uberiftist» welche Argnmente 
•r ztt den leinigen machen wi)l« So wahr 
alles ift, was iie z. B. gegen den phyfico- 
theologilcben Beweils aufltelltf fb wenig wird 
darum m Menfcht der Sinn ftbr die Nator 
und achte Empiiiidungen hat, diefen wahr- 
haft ehrwurdigen und erbaulichen Beweils 
faliren laOen. Was ihm an fpeculadTer Blin- 
digkeit abgeht, erfezt unfer lebendiges Ge- 
fub]. In der That hat die Kritik uns erft 
gelehrt, welohen Gebrauch wir von aHen den 
fruher aufgeftellten Beweifen fiir jene Ver- 
nunftprobleme machen foUen, indem iie uns 
zeigt» dals wir mit ihnen nicht die ftolze 
Ruhe dcs WilTens, fondern die ergebne Bc- 
ruhigung des Glaubens begrunden foUcB* 

Endlieh glaube ich auch die Bemerkung 
duroh die Gefcbichte der Fbilofopbie bcftatigi 

ge. 



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— i36 — 

gefunden zn baben : dafs fieh die Wakrkeii 

dem menfchUchen Geifte nie ganz und ainf eia- 

mahl zeig0* W&re je der Zeitpiinct cla gewe* 
fen, oder wilre er es jezt, wo «lle Den* 
ker ohne Ausnabme mit ihren Unterfucbungea 
fertig werden, nnd ficb dreaft rabmen kdnn* 
ten, die Wabrbeit ganz und obne den min* 
deften ZuCatz von Irrtbum und Zweifel ent- 
dekt za baben; Xb wUrde em Stiliftand em» 
treten, der der MenCcbbeit nicbt anders als 
gefihrlich werden miifte, ]>iur die forfe» 
daaemde Moglicbkeit immer neaer £ntdekun«> 
gen, die Ungewilsbeit nnd Zweifelfacbt aaf 
der einen, und das Streben nach Gewilsheit 
aof der andern Seite vermag den Geift rege 
nnd leine Krftfte in beliindiger Tbfttigk^t za 
erhalten. Icb will damit nicbt lagen; da& 
der MenCcbbeit gar keine Wahrbeit Tergdnnt 
1 ley. Die Gefcbiebte der Pbilofopbie lebret 
vielmebr, dafs jede philofophirende Parthey 
wenigltens Cine Seite der Wabrheit entdekte» 
nnd dai^ der Grad von licbt nnd ErkenntniSf 
den gewiffe Zeiten oder Nationen unter Jicb 
vertbeiltenf aach immer zar indifiilaellen 
GlfikfeeHgkeit derer zureicbte, die ibn zn 
brauchen verftanden. Die Vorfehung bat da- 

ffir 



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— 157 - 

iiir geforgc, dafs jener Stillftand des Geirtes 
nicht leicbt eintreten k6nne. Das Menfchen- ^ 
gefchlecht ftndert fich beynahe taglich, nnd 
jnit ihm feine Bedurfniffe, feine Anfichten 
nnd feine Uofnungem Wir haben lelbft in 
den neueften Zeiten Begebenheiten erlebt^ 
welche den trotzigften Dogmatiker, der fein 
Syftem ▼on Natur* und V6lker-Recht Iftngft 
gefchlofTen glaubte, zn einer Revifion leiner 
Philofophie bewegen muften. Und fo wird 
es in der Gefchichte der Menfchheit nie an 
neuen Schwierigkeiten £ehlen* Alle Philolb* 
phie aljer hat den Zwelv, Schwierigkeiten 
aufzulofen. £ben £o «rerden einzelnen Indi* 
Tiduis nie die immer neuen Cvegenftftnde des 
InterefTe ausgehen, und mit jedem neuen 
IntereHe entftehen in< uns neue Anhchten, 
oder« wenn ich fo lagen darf, neue dunkle 
Fleke, die erleuchtet feyn wollcn. A]le 
Fhilofophie aber gewinnt eben dadurch Werth 
und Zufpruchf dais lie unfre dunkeln und 
unentwikelten Ideen aufhellt und entwikelt» 
und uber die fchattigten Gegenden unfers Ver- 
Itandes iicht Terbreitet. Eine Meage Ideeoi 
die yor Jahrhunderten FQr Denker und Nach* 
bether beruhigend und vollkommen geniigend 

wa- 



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— i58 — 

wum^ wilrclen hente kamn cUt Volk melir 

zufrieden ftellcn, . und vielleicht wird ficli 
eine Ip&te Nacbweit fehr wundern, wenn 
fie ibre ErkenmnifliB mit denen yerglttcht» 
die wir fiir allgemein giiltig und beruhigend 
ausgebexi und aunebmen. Icb leugne nicbi» 
dals die aUgemeinen Geletse det Denkent im 
Menfchen yon jeher fo da gewefen find, wie 
fie es nocb beute And» und dafs iie eben £6 
unTerftnderlicb bleiben werden: aber daraoi 
folgt nicbt, dafs ficb. mit den GegenftSnden 
imd VerbftknilTen die Anwendung derleiben 
nicbt Andem, das bei&t, entweder erw^ 
tern oder verengen foHte. Newton dachte 
nach keinen andern Formen und Gefetzen^ 
wie Tycbo de Drabe» demiocb bat er Ent* 
dekungen gemacht^ die der leztre nicht ahn« 
dete. DUurften wir nicbt» ohne zu ablpre- 
chend za urtbeilent aus diefen Bemerkungen 
auch den SdiluCk ziehen, dals die Bemfihnn^ 
gen der kritilcben Pbilofopbie wohl nie alJge- 
mein werden anerkannt, und ibr au%eftell> 
tes Syftem nie zn eSnem allgemeinen und 
unbefcrittenen Glaubeusfymbolum iicb erheben 
werde? Viebnebr darf man iagen, daft daa 
VerdlenJft dielSsr Pbilolbphie ebea darinn be- 

Xtebe» 



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— 1^9 — 

1kehe$ dalis f\e die Denlcer an eine beMndige 
PrOfiing ttnd Darehforfchnng altttr nnd neuer 
Ideen erinnert, und ts ihnen zur Pflicht 
nnacht» nie auf gutes Gl&k zu behauptea 
und za ▼erneinen. 

Und in diefer Rukfichr macht, relbfc nach 
dem Zeugnifle ihrer Gegner, die Kritik eine 
der merkwardigften Cpochen m der Ge« 
fohichte der Philorophie. 



KUIU 



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K V R Z E 

G£SCHIGHTE D£A LOGIK 
BEY DEN GRIEGHEN. 



So wie <31e Sprachc einer Nation fchon cine 
geraume Zeit im Gange gewefen und zu einem 
anfebaficlien Grade Ton Bildung gediefaen feyn 
mufs, ehe an eine fdrmlicbe Grammatik der- 
felben gedacht werden kann : eben fo muilen 
fchon ¥iel und mancber^ey Uebungen nnd 
Verfucbe im Denken Toransgegangen feyn, 
bevor es einem rcbarfnnnigen Kopfe einfallen 
kann, liber die Natur und Regeln des Den* 
kens einige Betracbtungen anzufte]1en. Wir 
wiirden es mit Zuverficht fur eine £rdichtung 
oder fnr ein Aiisverftandnis erklftren dilrfeni 
wenn irgend tm olter ScbriftfteUer nns die 

Nach- 



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— i6i — 

Kacbrielit gftbe, daSk Thales ein ToHftandSges 

S^Iiem oder aucb nur einige richilge Ideea 
voa Logik oder Dialektik gebabt habe; 

Lange Zeit faatte ficb das Nacbdenken der 
Hlteiten Forfcher mit Betrachtung der aufern 
Gegenftftnde» mit Fragen uber ihren Urfprang 
nrid Znfammenhang und Hhnlichen Pancten 
befchjLftigt. Man war unvermerkt, al)er 
iehr natilrllch auf die Frage i&ber die Wahr- 
lieit linnlicher firkenntnlfle gekomnien, fchon 
gah es einige, welche diefelhe beftritten, und 
dagegen der £rkenntnis durcli Vemunft oder 
Nachdenken mehr Gewifsheit nnd 2uyer]ftfsig« 
keit zufprachen* Man hatte Verfuche ge* 
macht) ttn beweifen^ und zil wideriegen. 
Dadnrch wurde das Bedarfhis gewifler Re» 
geln fuhlbari nach denen fich das Nachden« 
ken bey dem Erweiiie eines gefundnen Be* 
grilFes oder bey der Widerlegung eines an« 
dern dagegen aufgeftellten richten konne. Je- 
der Nacbdenkende war iich folcber Aegeln 
bewu(st, und die Bfindigkeitf womit z. B, 
Xenophanes aus dem Grundfatze: aus N|chts 
wird Nicbts» eine ganze Menge Fo]gerun|^en 
ableitetet wiirde uns leicht aaf den Gedan* 

L ken 



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— i6a 

keo Imngen kdnnen, dtlk er die Theom 

der Scfalane wiHenlchaftlich Itudiert habe. 
Aber wir haben zn dieler Meynnng 16 wenig 
Grund, wie zu der Behanptung, dals Ho- 
xner oder Arirtophanes ibre Spracbe gr&mma« 
tafch unterfacbt haben. 

Die Frage ift nnr diele: Welcfaer grie>i 

chirche Philofoph hat zuerft i\egeln und Ge- 
ietze des Denkens» Urtbeilens und ScbluXCens^ 
wenn aucfa nur rhaprodiftiichy aufgeftellt? 
Ifi den erften, und wenn man will, iiicon» 
ieguenteften Philofophemen , webt das Prin* 
cip det Widerlprucfas und des Grundes: aber 
wer dtirfte, um bey unferm Gleichniffe fte- 
hen zu bleiben, die Gefchicbte einer Gram* 
matik nut den Schxift&eUem anfangeni die 
Sub)ect und PridBcat in ricbtigen Beaefaun* 
gen verbunden haben? 

Nach einer Anmerkung des Sextus *) legte 
Ariftoteles in einem Terlohmen Werke dle 
erften Verruche in der Rhetorik» dem Ge- 
genltuk der Dialectik» wie er fie nennt) dem 

ICffl- 

Adr. Matk VH. 6. 



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Empedodes bey. Scxtus halt anch den Parme' 
nidet fur kehieit Layen in dieier Wiflenfchafr» 
mA ein fpftterer SchriRfteller Iftfst ihn, icb 
wei£s nicht, nach welcher Nachrichti in 
^em FeJfen wobneni nnd dort als c»nen 
philofophiGsben Afceten den Regeln der Lo- 
gik nachgriibeln *). Eininiithiger nimmt man» 
nach Ariftoteles Angabe **)^ den Zenn von 
Elea flar den erften Erltnder der Dialectik an* 
Die Data hieruber find nicht fehr voUftan* 
dig und deutlicb. Nur fo nel ergiebt fidi 
ans allemt dals Zeno gewifle tftnfchende 
KunftgriHe ausgedacht hatte, einen Gegner 
irre zn fiibreni und durcb allerley ver^kte 
Fragen fo weit zu bringen, dals er wider 
feinen Wilien die Wahrheit der gegnerifchen 
Meynung eingefteben mufte , lelbft obne da« 
▼on iiberzeugt zn feyn* Kne Probe daTon 
^ebt feine Meynung Ton der Bewegung, die 
er durcb vier blendende Scbifiile wegleug" 
nete. Ich erinnere midb nicbt, diefen Punct 
▼ollft&udiger und mit mebrerm ScharfKnne 

1« a beban« 

*) Jobannes Samber. Metal. 2, 

**) ^cztnt 1» 0. 7« md Diog Laftt. 9> A Z» 57» 



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bebandelt gefunden zn baben» als bey 'He* 
demann *}» und ieh kann alfo dahin rer* 
weifen* Ein unbefangner Lefer cliefer Ent- 
wiklung wird etngertehen, dafs Zeno uber 
allen Glauben fein grubelt, und feine Spe» 
culation in die foharfften SchluIIe einkl^idet, 
Dennoch w^r die&s dialectifcbe Verfahren, 
wie «8 fcfaeint, mehr «ine zuflUlige Form 
^efes Kopfes, als dic FaJge eines wiflen- 
fchaftlicben Studiums. £r fand die Ideen 
nicbt vernnttelft des SchiafiCens, Xondern er 
gerietb auf tiieie Schliiffe diirob f«ne Ideen» 
und wir konnen nicht einmabl entfcheiden» 
ob nicht Ariftoteies, der lie am aosfubrlich* 
&en wittheilt, ibnen erft die Xyllogiftifche 
Form gelieheu babe* 

Die Einrichtang des Staats und der 6f« 

fentlichen Gefchafte machte Beredfamkeit 
nothwendigi und BeredCunkeiti als die 
Kunft zn Hberreden und zu lenken, konnte 
obne gewiffe Kunftgriffe in der Darftellung 
der Materien nicht be£tehen. So Jange eine 
Tlation nocb auf der Stnfe Homerifcher Zeit- 

cnltiir 

•) Geift der fpee. FbxL Tfa, i» S. S90 f. 



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— i65 — 

cuTtur fteht» da vermag freyiicb die bloike 
Feitigkeit im Aasdroke^ init BerufttDg auf 
•Tte Begebenheken nnd tiglielie Erfabrong, 
fo fehr auf die horcbenden Zuhorer zu wir- 
ken» da£s fie fcbweigend da iUzen» und die 
Ilede des gewaltigen Spredim anftanaen. 
Aber die Griechen wurden feiner , einiichts- 
voller nnd redferdger; ibre Staatsverb^t* 
niffe wiehtiger und ?erwike1ter« und ein- 
zelne Partheyen bedeutender. Beredfaiukeit 
ward alCo ein Studium» worauf £ift alle 
Hbrigea WirTenfebaften losarbelteten. Mit 
den 6fl'entJiohen Lebrern der Eeredfamkeit^ 
dtn Sophificn^ begann daber der Zeitrauui« 
den man eigentUcb den dialectifcben neiuien 
kann» 

Die mancherley kilnfilicben Wendungen» 
denen diefe fmnen Kopfe nacfafpiirten) zum 
Behuf 6n'eru]icher VortrSge, drijigten lich 
Sbnen natiirlicb aueb bey ibren pbilofopbi- 
fcben Unterfttcbungen auf, und das Syftem 
elnes Protagoras oder Gorgias iiber die Rela- 
UTit&t der menfcblicben Erkenntms entlkand 
augenfcbeinlicb aus dem RafHnement» womit 
iie politifche Streitfragen auf alle Seiten zu 
drebeQ« nnd in mfcbicdenem Ucbte darzu- 

1« d AeUen 



Itellea wuileii. Die Qialecdk» immer aiir 
i]s Ranft zu beweUen imd zvl widerlegen 

betrachtet, mufte durcbaus auf den Satz gc- 
baut werdeut da£s deii alles beweifeii und 
alles widerlegen ]aOb« oder mit andeni Wor* 
tcn: daXs es iiber jeden Gegenftand zwey 
einander grade widerfprecbende Vorftellung^ 
arten gebe. Aucb daroals iehon batte man 
haufig die Erfahrung gemacht, dafs dic IMen- 
rchen iiber alle Gfegenft&nde des Denkens 
verfcbieden, und doch nicbt alle ganz fallch 
urtheilten. In den aufFallendften Behauptum 
gen war doch immer eiiie Spur von Wabr» 
beity und man fand keinen Gegenfiand, der 
mcht mehr und ganz entgegengefezte Sei» 
ten und Befcbaiienheiten batte. Von diefer 
Beobacbtung bis zu dem Lebrlatae von der 
Relativiiat aller menfchlichen Vorftellungen 
war der Schritt nicht grofs und gewaitiam* 
Aber eben diefer Lebrfatz war aucb das ein» 
zige Prinzip des dialectifchen Verfahiens, 
und macbte eine eigentliche WilTenfchaft die> 
les Namens unmSglich* Immer blieb es nur 
dem Scbarflfinne eines Jeden, feiner Kennt- 
nis von dem fcbwebenden Gegenftande des 
Streits» und JSnner Fertigkeit in Wendungen 

iiber- 



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- i67 - 

HberlalTeii» wie er Innem Oegner die Rela» 

tivitlt Ceiner IVleynung deutlich und dadareh 
die Idee felbft verd«lchtig machen konnte. 
Slit Recht haben daher di6 hierher geh6ri* 
gen neuern Schriftfteller fur diefen 2eit» 
raum die Ueberfchrift ; Logikf als Kunft ge* 
wfthhi und (bhon an dem Ver£dirett dei 
Socrates mit den Sophiften erwiefen, wie 
wenig Achre Gfunde fUr ihre Behauptungen 
und BeweiTe.die lezteni haben mafken. 

£ben dlefer Gegner der Sophiften erfcheint 
in Platons Dialogen als tm fertiger Dialecti- 
ker, er unterfuoht da mit grofser Genauig^ 
keit und Strenge die vorgelegten Deliaitionen 
nnd Eintheilangen, zerlegt Syllogisment ttnd 
fteih die fuhtilften Wortforfohungen an. 
Aber wir wirTen, dafs PJatons Socrates ei- 
gentiich Piaton felbft iftt und wir haben al* 
fo diefen Namen faier einzutragen. Wer 
aucli nur feinen Parmenides gelefen hat| 
wird wiflen» mit welcher Schlbrfe. Platon 
BegriflTe theilt und unterfcheidet. Seine Suh« 
tilitaten werden fiir heutige Lefer oft uner- 
irHglioh: fiir die fylkematifche Bearbeitung 
einer Logik bat er nur Materialien gefiefert. 

L 4 In- 



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— i69 ~ 

Itidefli>ii warcl feit felner Zeit die EintheUong 

der gcfa nmten Philofopliie in Phyfik, Ethik 
und Dialectik in Gang gebracht, Sextus legt 
fie f>anz befbimmt dem Schuler Platons dent 
X«nocraies l)ey. Durch diefe Abtheilung 
murte nat&rlich der erfte Grund zu einer b&* 
Ibndern und zulammenh&ngenden AbhandF 
lang der Logik gelegt werden, und man 
ileng an^ die Fragen iiber Wahrheit und 
Kriterien der menfchliohen Erkenntnis« die 
Kapitel voin Beweifen und Schluffen, und 
eine Art von philofophifoher Spracbforfchung 
unter dielem Namen au bearbeiten. Eine 
der Socratifchen Schulen, die IVlegarifchQ, 
gah duroh ilire Kiinfteleyen und Streiugkei* 
ten dem ganzen Studium einen "wichtigen 
Stofs. Es ift bekannt, wie fehr Euclides 
und feine AnhSnger fich ipit Erhndung lifli- 
ger Trugfcfal&fCe befch&ftigten « und wie ge« 
AlhrKch ihre EriAik den damaligen Doguiati* 
kern werden mufte. Die fieben Trug- 
fohiuife welche Subvlides erfaiid nnd 

Stil. 

*) S. Diog. 2 , 10. 4. Sie find nnter den Namm 

des lii<;endcn , des t.uifchenden . der Elecrra, 
des yeihi&Uten» det Sontety des gehdmten imd 

det 



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Stilpoii benuzte) maoliteii viele Fhilofophen 
irre^ oder ermunterten andre, euf elns 

Aufiofuiig derfellicn zu ftudireii. 

£s wurde leicbt ieyD« aus Seztua nnd 
Diogmies ein langea Verzeiohnis von Philofb* 
phen hierher zu fetzen, die iiber Joglfche 
GegenltlUide gelehrt und gerphrieben haben* 
Aber die blolsen Titel ihrer Abhandlungen 
geben uns zu wenig Kenntnis von 4en Fort- 
fchritten der WiHenlphaft leibft. 

Sowohl um die KQnfte der Eriftiker zu 
vernichten, als uberhaupt ge^^en al]e fernern 
Angrtlfe einer iiberfeinen DlalcctLk geficbert 
su Ihyn, wendeten die Stoiker vielen Fieiis 
an, die DUlectik auf beftimmte Regeln zu 
bringen und in einem zufammenbangendern 
Ganzen aufzuftellen. Folgende Puncte mach*' 
ten den Hauptinh.ilt ihrer I^Halectik ans: 
3) die Unterfuchung iiber den Urfprung und 
die Wahrheit der Begriife, und die Kenn- 
zachen des Wabren, 2) eine Aufftellung der 
yerfcbiedneq Scbiufsformen und Beweilsarten» 

L 5 3) 

det laUen bduuiat; Ihre Anfldfmig hat befim* 
dan GaaSmdi yerfncht; 



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S) grammatirche ForXbhungvn ftW dea Ur* 
fprnng, die Bedeutqngen nnd Formen der 

Worter, als 2eicben der Begriffe, wobey 
zugleich die Lehre Yon Definitioii» £imbei« 
lung nnd Unterfcbeldu ng a])geh«ndelt wnrde* 
Der erfte Tbeil war es vornemlicb, den lie 
gegen alle Arten Yon Sceptikem tls Bollwerk 
Brauchten. Wir rechnen heute zwar dia 
Frage vun der metaphyfifcben Wahrheit der 
Erkenntnis nicht zur Logik» aber hey den 
Alten ward lie durchaus dazu gez£lb]t, um 
To natiirlicber, da wei^ige ihrer rbrlofophen 
einen ganz deutliohen und beftimmten Unter* 
rchied zwiCbben metaphyBfcher und logifbber 
Wahrbeit macbten oder benuzten. Die bey- 
den Partheyen der Academiker (tellten der 
Stoa zwey fehr wlchtige Prohleme entgegent 
Carneades die Frage: o1) es fiir uns irgend 
einen Satz gebe» deHen Gewifisheit Ib apo* 
diottToh fey, daCs an gar keine Mdgllchkelt 
eines Irrtbums gedacht wertlen diirfe, Arce- 
Jilas die ; ob wir bey jedem Satze gleich Tiela 
und gleich ftarke Beweife filr und wider ha* 
ben? Die Stoiker bebaupteten das erftre und 
▼erneinten das leztre. Sie nahmen ajlgemeine 
erfte Gruadbegriife an| die aller Srkeimtnis 

zum 



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— 171 — 

znm Brande fiegen ttnd unfern SchliiCfen Sir 
eherhttt geben. Aber ihre ganze Sntwiklang 

diefer I<leen geiiort nach unferer Gienzbe- 
Itinimnng der Wiflenlbfaeften eigenllieh in die 
Jifetaphyfik. FAr die Gefchiohte der Logik 
ift iie wichtigi als ein nicht unbetriichtlicher 
Verfuchf den Queiien der BegriAe und Ur* 
theile tiefer nachznfpilren, nnd durcfa die 
Feftftellung des Begrifs von materialer Wahr- 
faeit auch die formale zu beiUmuen. fieyde 
Arten Aelen in dem Syfteme der Stoiker nar 
turlicb zufammen, infofern he zum Krite- 
rinm des obiectiv- Wahren die fubiectire Be* 
greiAichkeit annahmen. ^ Dia Stoiker, nnd 
namentlich Chryfipp, vermehrten auch die 
Syllogiftik mit einigen Eriindungen, wohin 
der Schluis Tom Haofen geb6rt» 0egen die 
ganze Dialectik der Stoa trat in der Folge 
Epikur als Gegner auf. Bicbtiger* «Is he» 
gab er den Urfprung der menCbhlichen Er* 
kenntnis an, und bey der Einfachheit feiner 
Kriterien der Wabrheit, (Sinnlicbe Einptin- 
dungi reine Vorftellung a priori und Gc« 
flihl der Luft und Unluft) muften von felbft 
auch feine Kegeln iiber Unterfuchung der 
Wakrfaeitt fiber Bewei& nnd Wideriegung 

viel 



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viel ekiFaober ausfallen. Seine Ranoniky wor» 
inn er eine Art ▼on Elementarphilolbpfaie ab» 

bandelte, enthilt, fo viel wir noch davon 
nrtheilen konnen, einen fehr guten Abnls 
der Lotnk, (a)s Kanon des VerIiandeS| niobt 
als Organon betrachtet,) 

Bey der ycrftnderten Geftalt* welclie die 

philofophifchen Wiffenfchaften in den neuera 
Zeiten bekommeu habeni iinden iich fiir 
den Gercliicbtfchr^ber einer Iblohen WiflSen- 
fcbaft mannigfaltige Schwierifrkeiten vor. 
£atweder er felbfr kann iich nicht leicht er* 
wehren, </er Beftiaimung eingedenk zu blei- 
'ben, womit man in neuem Zeiten den In- 
balt und die Grenzen diefer Wiffenfchaft fefc* 
gefezt hat) nnd dann ift er in Gefahr, wi<* 
der feinen WiHen die Nachriohten der Alten 
zu ▼erfcllfchen oder zu deuteln; oder die 
Lefer» die beftilndig die neuere WilTenjbhalt 
Tor Augen haben, vermilTen in itnner £r- 
z3.hlung Vollftandigkeit und Befriedigun^ 
lowohl» wenn er iich getr^u an den Namen 
htt]t und nur aHes das nutnimmty was die 
Alten unter dem Namen der Wiffenfchaft 
begriffen» alSf wenn ef^ Qhne auf diefen 

m 



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~ 173 — 

za aditeiif hlob Aaf die Sachen Riikricbfc 
nimmt, welcbe nach unferer VorJOellung 
dazu gehOren. Die Gefchichte det Logik» 
ttm hierbey (tehen 2li bl^ben» lillst iich aa£ 
zwey Arten behandehi« £inmahl| Wenn wir 
die Frage uns vorwerfen: Was nannten die 
Alten Logihi was rechneten iie dazu, mit 
Kecht oder Unrecht, wer bearbeitete fie, 
und welchen Werth legte man ibr bey ? Wie» 
wann und wodurch ward iie Termehrtt ver» 
engt, umgerchaffen? Zweytens^ wenn wir, 
Kiit fteter Riikficht auf unfern Begriff von 
Logik» die Unterfuchung anftellen; Wann 
nnd Ton wem And Siltze aufgefahi't und Spe- 
culationen Unternomraen worden, die in 
unfre liOgik . gehoren? Wo hndet £ch die 
erfie Spur einer Idee, die der unfrigen nahe 
kommt? Wie viel haben die Alteu unfern 
Logikem Torgearbeitet? Die erltre Frage 
Itrst fiehy meiner JUeynung nach, in der 
Kiirze fo beantworten: Bis auf Ariftoteles 
muls man drey Perioden unterfcbeiden. In 
der erftem zeigen lich Spuren eines logifchen 
Verfahrens in Urtheilen und Sciijuirea iiher 
GegenUlLnde der Speculatioii > uhne dafs man 
iedoch diels Verfahren auf befondre dentJich 



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— 174 — 

g«d«dit6 ll«gelii bracbtA. In cler zweyten 
Beng der ScharfKilil ail «n H^welgen, und 
fiGh in SpitzRndigkeiten ztt gefallen. Man 
iUierfiefs fich aUerley lEiBiiieii oiid tiufcheii- 

den Raifonnements, ohne dem Princip der- 
fblben nachzuTpareti » die mehr gebildeta 
Sprache tbat zit Wortverdrebttngen imd Wort* 
Ipielen guten Vorfchub; Mangel an Tuhiger 
iind tiefer Uaterfuchuiig lia£i die SpriUige in 
Urtheilen nnd Scb]il[Ien« weniger bemer» 
ken« In der dritten Periode fiengen die 
Philofophen an^ diefer Fertigkeit fich mehr 
stir Unterfncbmig der Wahriieit, als zu blen- 
denden Raifoiincments zu bedienen , und ftatt 
fich von der Scheinbarkeit der Syllogismen 
betrllgeR zu laflen, wagten fie ficb an die 
allgemeine und erfte Forfchung iiber obiectivo 
Wahrheit* So wic man in jener Perioda 
durch abgerilsne SyDogismen die Vorderfiltze 
der Wiffenfchaft entweder iiberfprang oder 
umftiefs: fo fieng man jezc an, aus guiti» 
gen PrftmilTen Schlfille zn leiten und eine 
Theorie zu begriinden. Die erftre Periodo 
characterifirt fich alfo durch Uebung des lo* 
gifchen VemoiiftTermOgens, obne Theorie 
und l\egeln ; die zweyte, durch Uebung des 

Ver- 



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— 175 ~ 

Verftaiides an fyllogirtirchen Spiz£ndigkeiteii^ 
die drittes dorcb Unterrucuiig aber das We* 
len de« VerlVandes, ftber Erkenntnis, Walir- 
heit und Irrthumi mit logifcher Anwendung 
diefer Primiden auf TorkommeDde Probleme 
der Philofophie. 

Die andre Frage, die man bey einer 
Gefcbicbte der Logik Torlegen kann, wird 
fich am beftimraterten beantworten lalTeny 
wenn wir unfre Aufmerkfamkeit auf das 
richten» was Atifioteles verfacfat tmd ausge* 
^hrt hat. In feinen hierhcr gehorigen Schrif- 
ten Andet iich alies weiflich gelammeJt uad 
geordnet» was ron fruhern Denkem ent- 
dekt worden war; an elnzeliieD Namen 
kann uns bey einer lolchen Gefchichte we- 
nig Hegen* 

Ariftoteles ift wohl ohne Zweifel der 
erfte^ der hch den Unterfchied zwifchen 
metapbyfifcher und logifcber Wabrbeit am 
heftimmteften dachte, und auf die Idee ei- 
nes Organons der Philofophie gerieth: eia 
Name« welchen daber Neuere der Samm- 
lung Ariftotelifcher Schriften bey^elegt ha» 
ben, die xur Behandlung «ler Logik gehu* 
ren. 

6e« 



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— 176 — • 

Genan hatte Ariftoteles £mpEndungsver« 
Mdgen und Denkkraft unterfchieden. Ziir 
lezterii rechnet er Vorftellungsyenndgeii und 
Urthei^skraft , und fclireibt ihr die unbe» 
dingterte Allgemeinbeit^ d* h. das Verm6gea 
zUf Alies denkbare zu denken» Immer ein- 
gedenk des Unterfchiedes zwifclien Materie 
und Form» der ihn faft uberall bey feinen 
Unterfuchun^n leitete» unterlbhied er lehr 
richtig auch bey BegrifFen uud Urtheilen das, 
was dem Verftande, und was den £indr&* 
keh zugehGrt, und fo wie er das Vorftel* 
lungsvermogen an fich mit einer leeren Ta» 
fel vergleicht, auf we^che erft die Eindruka 
fttiCerer Gegenlkainde eingetragen werden» fo 
fand er in clem Wefen der Urlheilskraft das 
Vermogen, bcltimmte Formen anzunehmen* 
Freylich hat er dielk Vermdgen nicht aus- 
driiklich reinen Verftand, und die Art und 
Weife feiner Thiitigkeit nicht reine Stamm- 
begrifFe genannt; ab«r man wird es nur zn 
deutlich gewahr, dafs ihm eine dunkle Idee 
Yon der Prioritiit der AUgemeinbegriHe und 
Urtheilsformen vorfohwebte. Neuere Philo- 
fophen haben diefe Prioiitat aus ihrer Noth- 
wendigkeit und Aiigemeinheit gefchloffen, 

Ari- 



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— 177 

Ariftoteles Xah die leztren beyden ebenfallA 
deutlich ein^ aber er folgerte daraus ger-ade* 

2u nichtS) fondern veilucnie nur, dierel- 
ben aus der Natur der Sprache» nicht des 
Vrtbeils iiberhaupt, zu erklftren. 

Von den allgemeiniien Namen, womit 
wir Gegenfi&nde l&berhaupt bezeicfanen, geht 
er zu den allgemeinen BegriHen fui t, unter 
welchen wir alle denkbaren Gegenlrftnde 
denken, (Von Kategorieen) Subftanz, Quan* 
titHt, Qualitat, Relation u. f. w, Wenn 
er gleichy nach Kants Bemerkung, mehrere 
einpirifche Beftimmungen unter diefe Katego- 
rieen aufnimmt, und von kelnem iichern 
Princip ausgeht; fo ift doch bey dieler gan« 
zen DarfteUung fein nicht gemeiner Scharf« 
Jinn unverkennbar. Aus Veibindung eines 
Subiects und Pr&dicats entftehen Satze oder 
Uitheile. Vorlftulig handelt er alfo, gewif^ 
fermafsen grammatifch, das Kapitel von der 
Terfchiednen Form der S&tze oder Urtbeile 
ab (Von der Interpretation ). Aus der Ver* 
gleichung zweyer Begriffe mit einem dritten 
entfpringen SchlufTe. Davon handeln die 
Analytica Priora* Hier entwikelt er mit 

JM gro- 



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— 17« — 

grofsem Scharffinn das Wefen eines SchlulTes, 
bildet aus der Stellung des Mittelbegrifs die 
drey fyllogifdfchen Figureni ftdlt cinfaclie 
Regeln uber Gegeneinanderfetzung , Umkeb- 
rung und Zergliederung der SchluITe au^ 
und wendet diefe Lehren anf dat Kapitel 
Vom Beweifen, als deni wichtigften, in den 
Analyticis Pofterioribus an. Auler diefen 
SchuJgerechten Arten zu beweifen giebt et 
aber noch mancherley, die fich auf Erfah- 
rung, Aehnlicbkeity zufallige Bemerkungeo 
u- d. gL gr&ndeu, undf wenn audi nicht 
evidente Gewilsheit, decfa wenigftens Wahr- 
fcheinHchkeit hervorbringen. Davon wird 
in den Topicis ausfdbrlich gehandelt. Der 
Widerlegung falfcher SchlafTe und Beweife, 
die theils im Ausdruke» theils in der Ver- 
wirrung der Begriife ihren Grund habeni ift 
die Abhandlung Elenchus Sophiftamm g^ 
widmet. 

Ohne lich in metaphyfifche Unterfucfaun* 
gen l&ber die Natnr der Seele, fiber die 
Quellen und Arten der Eikenntnis, u6er 
£influ(s des Kdrpers auf das Denken und 
ahnliche Materien einzulafren, betraditet Ari- 
ftoteles bloOs das Denken Xeibft, ais ▼orbao* 

denes 



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ileMt ufi^ uiileiigbAFet Factuin» DiefiMr 

]iiten AnHcht baben wir zwar einer Seits 
die VoUrtftndigkeit (einer Logikt andrer Seitt 
aber aueh den Mangel eines erAen Prindpi 
zuzurcbreil^en» welcbes in der Tbat feiner 
DarfteJlung mebr Zulammenbang nnd ]3e* 
ftimmtbeit gcgeben bfttte. 

Von Ariftoteles an kann airo die Logik 
erft ais fViffeafckqft gelteui und leit AriTto* 
teles bat lie) nach dem Urtheile Rantt *\ 
iin Wefentlichen keine Fortfcbritte gemacbt. 

Sextus bat der Widerlegung oder Beftrei* 
tung der Log^k einen betrachtlichen Tbeil 
feiner Scbrift gegen die dogmatifcfaen Philo- 
Xopben gewidmet» und da er dat ganze Feld 
der griecbilbhen Logik vor Heb bhf to \Sk 
Sur den» welcber die Logik der Alten ganz 
genan kennen lemen will« das 7. und 6r 
Buch deflelben adrerfnt Matbematicott wd« 
cbes gegen die Logiker gericbtet ift« dev 
belte Leitfaden. 

*) Ijciuk der xeioca Vtninnft. ate Voxr. VUX« 



flAK 



— i8o — . 



FLAN 

ZU EINER GESCHICHTE 

DER PHILOSOPHIE, 



Pliine und Entwurfe zu Bearbeitang literari* 
rcher GegenftSnde iind gewirs nicbt ganz 
Verdienftlos. Sie dienen dazu^ manchen 
allsudreaiten Kopf abzafchrekea ond an leine 
UnBQiigkeit zu erinnern: Re machen auf die 
Mangel und UnvoJlkommenheiten in fchon 
Torhandenen Werken auinierkliun) und kdn^ 
nen fttr denjenigen, der lich an die Bear- 
beitung wagt, einen Leitfaden abgeben, Ich 
wfUiIchtet dafs die folgenden Bemerknngen 
wenigftens einen Ton diefen Vortheilen ge* 
wiihren jziochten* 

Alle 



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Alle bisHerigen Werke iibcr Gefchicbte 
der Philofopbie iincl entweder G>inpendia 
zum Unterrichte, oder Bftndereiche mit Li« 
teratur, Biographien und kritirdjen Unter- 
Ittcfaungen angefiiUte Werke, oder raifonm* 
rende OarrteDungen ohne Belage. Die er* 
ftern geben nur Mdterialien zum weitern For- 
fcben» und bey den leztern ift man nie £• 
cher, was Gefehiehte ift nnd was dem Ver* 
fafXer zugehort. Kritik, Literatur und po- 
]iti£cfae Gefcfaiefate Hnd bey einer ▼oUft&ndi- 
gen Bearbeitung der philofophiCehen unent* 
behrlich) aber fie unterbrecben die Erzith- 
lung) verwirreR den X«efer) und erfcfawe* 
ren ihm die Ueber/tcht. Am beften fcheint 
cs mir daher zu feyn, wenn die Gefchichte 
der Fbilofopfaie in Vier Haupt • Tfaeilen bear- 
beitet w&rde, woTon {eder ein lilr fich be- 
ftehendes Ganzes ausmachte. 

Der vrfie Tkeil mftCle die Literatur und 

die kritifchen Unterfuchungen uber die Quel- 
len und Hulfsmittel (befonders der alten 6e> 
fchichte) enthaltea. literarifck^kritifche Vor* 

arbeiten* 



U3 



^ 182 — 

J. Neuere Literatur, 

u) Werke, die eine aUgemeine Gelchicbte 
der Philolbpliie enthflten. Stanley, 

Brucker — 

Compendie, Balchingr Garlitt, Eber^ 
hard — 

ii) BeyliLuhge ErlAiiterungen derlelbei^ 

Haet, Bayle, Platner 
«) Abbandlungen llber einzelne Sectett 

und Syrtetne, Epicur, Stoa) Spino- 

za u* C £ aber die Philolbpbie einzel* 

ner Nadonen* 

d) Entwikelungen einzelner LehrlUtzea 
wie in den Memoires de i*Ac. dea 
Infer. u. a* 

e) Allgemeine Gefchichte pbilorophifcher 
Lebren, Meiners, Bardili, Werdcr* 
mann — 

/) Specielle Gefchichte philofophifcher 
I^hren, wie Tennemanns Unlterb" 
liebkdislebre der Soeradker, u. m. 
Abhandlungen liber einzelne Perfonen, 
Begeiienheiten u* £ £• in Bezicbung 
aaf G. d. P. 
Beurtheilung ihres Werths. Die Gefichts- 
puncte der Verfanier, ibr eigentblunUcber 



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— i93 — 

LeitFaden dardit Ganze, Haben He Rritiki 

oder blors Sammlung oder fch^ne DaiTtel« 
lang? *-> Ihre lllftogel nnd deren Urikcbe. 
/f. Littramr umd Krii&u 

a) J)i]icherkntik» Aechtheit der Quelleni 
worant man die «Ite Gelobichte Icbdpftt 
ihre VerfafTerf ibr Alter, ifar Tezt. 
Verfcbiedoe Bearbeituogen derfelben 
enf neaem Zeiten* 
h) HiftoriTcbe Kridk* 

1) Philorophen) deren Meynungen und 
SyCteme wir atts ihren ^gnen Scbrif- 
len fchdpfen* ZnTdrderft; Ana wel- 
cben von ihren Werken ? Lafst Acb 
onter denfelben me Zeitfolge bc. 
ftiinmen? In welcher Manier fcbrei» 
ben fie, und was foll man auf diefe 
JManier abrecbnen? WoUttn.fie «n 
Syftem geben, oder nnr Hber ein» 
zelne Puncte philofophieren ? Sind 
kt £rfinder« oder Bearbeiter ones 
Syftemt? 

2) ScbrirtfteUeri die andrer Fhi]ofo- 
phen Behanpcangen anAkhren* Slnd 
ihre Nachrichlen treu? Haben Jie 

Tielleicbt ibre eignen Gedanken un- 
M 4 ter^ 



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ter£»efohoben ? Sahen fie die Ideen 
Andrer aas dem rechten Geliohts- 
pancte an? FaCtten fie den Sinn» 
oder hielten he fich blos an Aus« 
drake? Welchen Denkem fcheineit 
He am wenigtken hold zn feyn? 
Wer hat ira Colliiionsfalle die meiltd 
GJaubwurdigkeit fur fich? 
3} Bey den Compilatoren, DiogeneCi 
StohiLaSy Suidas u. a. find ziierft 
die Fragen zu heantworten: Wana 
lebten Ae? aus welchen Werken 
haben fie hier und dort corapllirt? 
init welchen Abficbten? (befonders 
ift daranf bey den Rirchenvllrern 
Riiklicht zu nehraen) wie hocb 
darf man ihre Glaubwilrdigkeit an« 
fchlagen? 

Der z-veytc Theil wiirde der hiftorifch' 
hiograpkifche feyn. • 

a) Gefchichte der VSlker, bey welchea 
Fhilofophie gebliiht hat, fummarifchi 
smt fteter KiikRcht auf diejenigen po« 
litifchen und literarifchen Verh&knifle^ 
we]che auf die Philorophie EinBuls 
hatttiL 

h) Bio« 



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- i85 



I) Biograpfaieeii der wicbtigrten PhHofo» 
phen, mit mehrerer GrQndltchkeitv 
a]s die Ton Fenelon» Dupont Bertris 
oder gar Saverien. 

Der dritte Theil enthielte die eigentliche 
OBfckickte tUr Phiiofophie- 

Berdmmnng des Begrifs. Einldtnng 
von der Entwiklung und allmahligen Bil- 
dung des menfchlichen Geiftes zur Pbi« 
lofophie. — 

Die Gefchichte felbft nach Volkern 
und Syftemen, chronologifch » die ]ez« 
tem am Ende in einer Ueberficbt nach 
ihrer Verwandtfchaft zurainmengeftellt. 
Bey ]edem wichtigern Abfchnitte ein 
R&kblik auf den Fortgang nnd die Scbik* 
fale der Wiffenfchaft. — Soll man hcy 
den AJten die eignen Worte der Philo- 
fophen anFfthren? Bey den mehr ppe« 
tifchen ift es beffer, den Sinn heraus- 
zuheben) aber durcb Belige zu recbt- 
fertigen. Ariftotelest Plato und fthn* 
liche muffen felbft reden, wenigftens 
muHen Uauptltellen wdrtlicb iieygefiigt 
werden. Gefcbieht dieCs nicbt, fo ift 
der Lefer nie gewifs, ob er die Behaup- 

J\i 5 tnng 



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tung des Phnofophen o^er nur eine 
des Gefchicbtrcbreibers hat. (Man uber* 
lezt z. B* m^9K durcb SiimUohkeit, Atf 
fchauung, Empfmdung: alle drey W5r* 
ter geben aber einen ganz yerfcbiednen 
Sinn, nnd Ib ift es in mebrem Fillen.) 
Gate Ideen iiber die Bebandlung felbft 
in GiirUtts Vorrede zu feioer Gefcb. 
der PfaiIofophie« 

Man biite Fich vor Kunfteleyen in der 
Tbeilung und BenenAung der verfcbie» 
denen Perioden. 
Ein vierter Tkeil, welcher die fpecielle 
Qefchichi^ der Tbeile der Pbilofophie und 
einzelner ^ohtiger l,ehren in fich falstc^ 
wiirde zur Erg3.nzung des dritten dienen. 
HAafter deza in Keinholds Briefen. 

Dab bey diefer TrennuQg nnnfttze Wie- 
dcrbolungen vorkommen wikrden, ift nicht 
zu £&rcbten: und durcb Berufungen des ei* 
nen Thmls enf den «ndern wftrde keiner 
aufboreni ^ beftebendes Ganzes za 

feyn. 



toH 



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TON DER VERSCHIEDENHEIT 

ALT£N UND NCU£N PHILOSOPHIE. 



Fa£t alle ScbriftrteUer» welche ein« Ver* 
gleichung der alten nnd neuen Philofophie 
angeftellt baben, find in eines von den bey« 
den Extremen verfallen, entweder der alten 
Pfailofophie aUen Wcrth abzufprecfaen , oder 
Jie anf Unkoften der neuern BemUhnngen 
uberm&lsig zu erheben, Das erftre war der 
Fall bey etner groften Anzahl pbi]oibpfaifclBer 
Gefcbichtfcbreiber, die, aufer einigen Ideen 
eines Socrates» PlatO| Ariftote1e« und der 
Stoa» aHes Uebrige geradefam ffXr Triume- 
reyen erkl&reni oder mit eineut ftolzen 

Ruk- 



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R&kb)ik «uf OiFenbarung die armXiBdigeii Spe* 
cularionen einer lich Celbft uberlaflenen Ver» 

liunft inlt]eidig ])efp6ttelri. lch will dabey 
nicbt erlt an diejenigen erinnem» welcbe 
aus Mangel an Kriuk und ▼oH frommen & 
fers flea alten Denkern alien Ruhm der Er» 
Andung abfpracben und iie eines Plagiats aus 
den heiligen Buchem der 01Fenb«ung be- 
fc;:uidigten. Diefer Parthey entgegen fteht 
me andere» welcbe eben fo zuverAchtlicbj» 
aber mit mehrerm Scbeine Ton Wahrheit be« 
bauptet, dafs das Verdienft der neuern Phi- 
lofophie blols auf die genauere Beftimmun|^ 
tind ToUft&ndigere Entwiklung und Erl&ute» 
rung der Von den Alten gefundnen Wahrheit 
^ngefcbrankt ley. Diejenigen^ welche ihr 
noch einen betrftchtlichern Vorzng einrfta- 
men, fchreiben ihn den Lehren und Auf- 
ki^ungen der Oiienbarung oder den Fort« 
iGshritten in der I^aturkenntnis zn. Ich kana 
niich liegnugen, zwey Schriften diefer Art 
zu nennen: Dutens recherches fur rorigine 
des decouvertes attribuees aux moderoes 
(Paris 1766 2 Voll. ) und Biifchings Verglei- 
cbung der grieciufchen Philofophie mit der 
neuera (Berlia Beyde haben zwar 

nicbt 



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— i89 ~ 

aicbt denlelben Plan» aber docb einerley 
Abficht, die a)te Pbiloropbie in einem bel» 
lern Licbte darzurtellen. Dutens erzahlt die 
Itteynnngen der Alten in feiner Sprache nnd 
in einem binzugedacbten Zufammenbange an« 
genehm und deutlich» und erlaubt iich hia 
nnd ber, unvermerkt von dem Seinigen hin* 
znzutbun. Bufcbing reibt eine Menge phi* 
lofophifcher Grundlsltze und Wahrheiten auFj 
und bringt bey einer jeden die Stellen bey» 
worinnen alte Pbilofopben daffelbe oder et- 
was Aehnliches Tagen. Bald ift es Arifto- 
teleSf bald Plotinnst bald Cicero, bald 
Plutarcb, bald Seztus u. L w., mit deren 
Stellen er das Alter jener Erfindungen er- 
wei£it» und fo fcb&/.bar lieine Gelcbicbte der 
Pbilofopbie im Ganzen ift» fo leer und on* 
bedeutend ift diefe Zufammenftellung. Ich 
Inn nicbt der erftCt der diels Urtbel faUl^ 
und kein unpartfaeyifcher Lefer wird es barC 
Hnden. 

Wenn wir aucb nur auf die Zeitkuhur» 
KeIi||^on« Sprache und die ftufem Verb&It» 

ni£fe der Alten B.uklicht nehmen : fo mu£s 

ec 

S. hieruber einiga Bemexkungen im dritten 
6tak S. 52 f. 



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— 190 — 

cs nns Ton felblk ein]eachten« dals ihre Pbi- 
lofophte Ton der nnrrigeir durchtac Terfchie* 

den feyn muffe. Die PhiJorophie entfteht 
eben fbf wie die Poelie$ nns Bed&rfnifiTen, 
nnd nimmt, wie diefe, die Farbe der Zeit 
nnd des Nationalcharacters an, und felbrti 
wenn fie auf den leztem znr&kwirkt^ kann 
Ae es nor dadurch, dafs lie etwas von ihm 
•ngenomnien hat. Was inshefondere die 
Sprache betrift« £0 bemerkte anch Bafching 
(Vorr. S. V.) fehr richtig die dahey cintre* 
tenden Schwieiigkeiten. Da^ fchwerfte 
war» lagt er« die griecshiiche philofophifcba 
Sprache mit der unfrigen zu Tergleicbent 
deun obgleich die meiften griechifchen W6r- 
ter nnd Ausdriikei auf eine fthnbcbe Weife 
in die deutfche Spracbe-y entweder nnmit- 
telbar, oder welches von den meiften giltf 
Jiacb dem Vorbilde der lateinilcben fiberg»» 
tragen worden: fo haben docb neuere Phi* 
lofophen Ausdriike eingefuhrt, bey welchen 
man nacbdenken mofsy ob iie etwas fcboii 
Bekanntes oder etwas Neues fagen.** Diefer 
Nachiatz iffleer; wir wiirden ftatt defCen 
(agen k6nnen: Ib ift docb zwifcben dner 
alten und neuen Spracha llberbaupt ein fo 

gro- 



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— X9i — 

grofser Unterrcfaied, da(s man, befonders 
bey Ausdr&ken fOr abftracte Begriffe fich oft 
Bur flberreden mufkf den wahren Sinn det 
alten Wortes durch das a.hnliche deutfche ge» 
tro/fen zn baben* Wir denken unt jezt^ 
nachdem wir fo ▼iel durcbfpeonlirt halien» 
bey einem pbilofophifchen Ausdruke fo man* 
cherley, woran die Alten nicht denkenkonn- 
ten^ und leihen daher dielen mit nnfem 
Ausdruken nur allzuoft auch unfere BegriiTe. 
Werden nnn diefe nach nnlerm Ideengan((p 
weiter fortgeBlhrt« fo ifteht auf einmahl nut» 
ten aus den Ruinen der alten Philofophemen 
ein modernes und suiammenb&ngendes Sy* 
Item anf. 

Vokausgefezt alfo, was kaum eines Be- 
weifiBfi bedarfy da& drtlicbe und perfdnliche 
Verh&ltniile aOer Art bey der Erfindung und 
Ausbildung einer Wiffenfchaft eine fehr U-ich- 
tige Rolle fpielen» und da& mitbin aucb die 
Philofophie Term6ge dieler Verbftltniire bey 
den Alten etwas anders feyn und weiden 
mufte, als fie bey unt iJGt: £6 entftebet nuQ 
die Frage: Worinn befteben diele Unter- 
fchiede? Wenn ich einen Verfuch mache, 
dariiber einige Ideen mitzutbeilen « fo merke 

ich 



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— 192 — 

ich iin Voratit an , dallf ich hier, abgefeheo 
Ton den aufern Verfcbiedenheiten » biofs die 
innern in Betrachtuug nehme. Jene foUeii 
nur zur Erl&uterung dienen. Alles koDiml: 
vornemlicb darauf an: dafs wir dasjenige 
«nshebeot was alle oder doch die meifieD 
und wiclitigften Secten der Alten mit einan* 
der in diefer fieziebung genaein baben. £i- 
nige Bemerkungen liber die Aehnlicfakdten 
diefer Wiflenfchaft in beydcn Zeiten luugen 
forbergebn. 

Es zdgt fich bald, da(a der Haaptzwek 
philofophifcher Forlchungen bey den Alten 
derfelbe war, der die beutigen belebt, Auf- 
klSrung der Vernunft 0ber wlehtige Pro- 
bleme und Beruhigung des Herzens, Weif* 
beit und Zufriedenbeit. Wer Ton gemeinen 
Vorurtheilen frey$ leine Glfikfeeligkeit auf 
einem Wege fuciite, den der Haufe nicht 
betrat, wer mancbe Giitber und Freudea 
entbehren, oder auch nur mit Ueberlegung 
genuffen lernte, konnte auf den Ehrennamen 
eines Pbilofopben Anfpruch macben: ond 
noch heute ift man geneigt, jede Entfernung 
Ton der alls^emeinen Art zu denken und zu 
handeln» inlofem Xte ^e Folge ▼on Erfah* 

rung 



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rung und NacVidenken ift, durch diefen 
Kainen, ich weiiis mcht, ob auszuzeichnen 
oder zu verlacben. Auch das leztere w&re 
iu eigcritlich keine Eigenheit der nenern Zei- 
ten. Denn es war Icbon im Alterthum nichts 
felteneSf daCs es nnter den fogenanntcn Phi* 
lofuplien eitle, ruhmluchtige, ftolze und ab- 
gefchmakte Thoren gab« die ihrem Tiiel 
Schande machten nnd ibrer Lehrerin man* 
oherley Verdacht zuzOgen, und das Wort 
Sophilt z. B. bedeutete zu verfchiedenen Zei* 
ten ttnen Weifen nnd einen Wiisling. Ue« 
berliaupt ift die Aehnlichkeit unter alten und 
neuen Philofophen fehr auffallend. Hieri 
wie dortf herrfehte Sectirerey, Eitelkeit^ 
Widerfpruchs- und VerfolorMngsgeift: hier, 
wie doit» ward ort der reine Eifer fiir das 
Wahre und Gute durch menfchliche Leidea* 
fchaften und Schwachheiten ▼erflllfcht und 
— erfezt. Und wenn PJato ausdrukJich, 
allen unm6ra]ifchen un^ unwiilenden Men» 
fchen das Pliilofophieren unterfagt fo 
durfte ein iihnUches Yerboth wohl auch in 

On- 

Lysifc £d. Blp. y. S. 941. 



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— 194 — 

unfern Zelten tntht ganz unnatz feyn. Es 
war aber auch im Altertbumo nichu XekneSf 
JaCs man weifa Zurilkbaltung Tbo den Tbor» 
heiten der Welt, vernunftigere Urtheile und 
Aniicbten der Dinge, und eiu riilies Zuriik- 
^ehen in den engen Kreils eines denkenden 
und fiihlenden Selbft fonderbar und lacher- 
lich fand* Nur darinn unterlcheiden hch die 
neuern 2dten von den elten» dals jezt kma 
Pbilofoph durch thierifche Naktheit dem Vpr- 
urlbeUe der Kleiderpracht, durch Hunde- 
koft der Tborheit der Scbwelgerey, mid 
durch die Wohnung in einer Tonne oder 
unter freyem Himmel den Albernheiien der 
Baupracht dfTendicb Hobn rpricfat. Wir 
fdmmen vielmehr allgemdner dem Urtheile 
Pltttarcbs bey; dals derjenige der grufte 
Pbilolbph fey» der Wenigften darnacfa 
eusfehen wolle *). 

Aucb in Anfehung der HauptgegenftMnde 
der Pbilofopbie ftimmen wir mit dem Alter- 
thum xufanunen. Der Menfch, die Welt 
und Gott waren einft, wie jezt^ dic wich- 

iig- 

Sympof. i. s* 



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tigrten Beziebungspuncte aller Forfchungen: 
wir onterfcbeideii uns in Aukficbt des erlteni 
darinn, dafs wir den Menrchen in mehre- 
ren Verh^tninen gefafst und betrachtet ha- 
ben. Wir widmen dem menfchlichen» dem 
intellecttteDen und dem moralifchen Theila 
des Menfcben, der Unterfuchung feiner 
FAicbten, der Beliimmang feiner Recbte und 
der Beftfttigung feiuer Hofnangen befondere 
Speculationen : ein Kecbt der Natur kann- 
ten die Alten gar nicbt* Von der Betracb- 
tang der Welt haben wir alle phyficalifche 
AnFichten in eine eigenthiimlicbe Winenfchaft 
vereinigt; wir unterfucben in der Pbilofo* 
phie nicht die Befchaffenheit der Natnrer* 
fcheinungen aus gegebenen Datis, fondern 
denken &ber den Zulammenbang des Uni- 
Terfams aas blofsen Vemanftbegrifien* Voji 
der Theojogie nacbher* 

Eben fo mannigfaldg und Terfchieden» 
wie ehedem, Hnd nocb jezt die Wegei auf 
welchen die Denker licb der Wabrbeit za 
Hfthem fachen, Behaaptang nnd Zweife], 
Erfabrung und reine Vernunft, Glauben und 
Srkenntnis. JHar das Vertraaen auf &ttfere 

N 3 Ofien- 



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— t96 — 

Ofr<>nbarttiiK ilt eine neue Quelle pbi]ofopM* 
fcher Einfidit» die die Alten nidit kennea 

konnten. Uebrigens habezi iie, wie die 
Keuenis die Grenzen» in welchen die Ver- 
nunft bleiben foll^ Gberlcbritten, und die 
Ideen derrelben zu ErkenntnilTen erliol)en. 
Auch waren, wie in neuem Zeiten> lolcher 
Ratioiialpbilofophen immer Mehrere. 

WoUen wir endlich einzdne Meynungeii 
und Ideen alter Pbilofopben mit denen der 

iieuern zufammenftellen: To ift die Aehn- 
lichkeit noch auifaUender. Zur Probe nur 
einige^ und zwar folcbe, die /ich am mei- 
ften den Satzen der kritifchcn Philofophie 
jiabem. Epikur z. B. lehrte ausdruklich: 
dafs die Sinne nicht t&ufcben> weU fie nicht 
urtbeilen. Platon behauptete; daH, dasjeiiige, 
was m^r durch die Sinue empiindeny nicht 
das Ding an fidi, fondera nur Brfcheinung 
fey *). Koch bertlmmter erklart fich uber 
diefen Punct Sextus Und was kann mit 

der 

*) ThfliCi B. fi. 8. 144. V«rgl Sotus adr* Lc^. 

1. 14S. 

**) S. das rwcyce Stiik U. B. S. 70. 72, 



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dw Kantifcben Tbeorie: da£g die Sinnlich* 
keit nicht in der blofsen Organifiition beftehei 

Xondern ein Theil des Vorrtellungsvernidgens 

fey, aulFallender zuianiDienftimmen» als die 

Aeureriing des Ariltofeeles (de Mor. 6« 9.)* 

das Gemiith enthalt drey Grundvermogen 

aller Th&tigkeit und Eikenntnis» Sinnlicb- 

keit» Vernunft und Begehrungsvermogen 

(iui^ctft ¥ovf, «ff^'c<) "ncl Platons Satz (Plu« 

tarch» de pl. 4, 8.) die Sinnlicbkeit ilk 
ein Verm5gen des GemQths« die Organe ge« 
horcn zum Korper, (>| tf*c3-if<r/c J»/v«/t<»c ^/i^zn^» 
M opymw ff«|Mm)* Ganz jlbnlicb der Kan- 
tjfcben Lehre: dals alle Erkenntnis von der 
EiTdhrung anfange, liod die Worte Arirtote- 
les: •vitwa ffli i»§9 ^mwrm9fuw 4 ^xn *)• 
Der Kantifdien Reoeptivitat und Spontanettdt 
der Sinnlichkeit, k6nnte die Arirtotelifche 
3>Ieynung gegen iibergeftelk werden: dafs das 
Gemutb bey iinnlichen Bindriiken nicht hlob 
leide, fondern auch thatig fey (de An. 2, 
4. 5.^, und den Unterfdiied zwifcben £m« 
pfindung oder iiDnlicber Anfcbauung und 

N 3 Ut' 

*) De An. 3, 7. 

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firkenntnif gieht fchon Platon m (Tfaeftt. S. 
l44* ^ mt^9tc 99 mtt Ivififipn» ravrlv. Arirto* 

teles de An. 3« 3* §u rmvrS^ §fi rd al-^dvi-^tfi 
mt rd v9Hv}, Seztot bemerkt die Verfcbie* 
denheit zwifchen Gedachtwerden nnd Wirk- 

lichreyn ausciruklicb Cadv. Fiiys. i, 49* ^ 

iO' Und 

wie leicht iSlfst fich der Satz des Ariftoteles: 
Ohne Seele giebt ei keine Zeit, (Pbys. 4f ^4*) 
mit der Kanrifchen Idee; da(s die Zeit eine 
urfprun^liche und reine Form des Vorftel- 
lungsvermdgens rey« zulammenpalTen? — 
Sind nicht auch d:e kosinologifcben Grnnd* 
fictze der neuern Philofopbie bey den Alten 
anzutrefien? Die Natur thut nichta Terge* 
bens. (Ariftot. de rep. i, 2. im^iv 4 ^vcic 
99tH fiftrifv). In der Natur gefchieht nichts 
durcb einen Sprnng. (Arift, de part anim» 

4« 5> n 0v«ic fiffra^MfVfi €wiX»it ti" f* W.) Bcy 

aller Erzeugung giebt es ein Hrftes (Arlft. 
Met. 3f 2. evK mwtif§ 4 yi9§9i9 M rm» mm)> 
Den Satz des Nichtzounterfcbeidenden (lellt 
Cicero auf (Lucull. 17. 18.), die BegriiTe 
der M5g]icbkeit« Zuf&lligkeit ond Notbwen- 
digkeit £nd fchon bey den Aken beftimmr» 

wenn 



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— 199 ^ 

wenn wir mui die Worte fehen. Doch wo» 

zu eine Aufzslhlung mehrerer Ideeii) worinn 
«Ite uml neuere Philorophen beynahe wort- 
fidi zulamuienltimmen? Nur wer mit Aach^ 
ligen und unkritifchem Auge dergleicheo 
ZuCmmenftellungen anlieht, kann auf den 
Cedatken kommen, delsha]b den neuem 
Bemuiungen ihren Werth abzufprechen, 
oder hn, wie BuTching thut, einzufch ran« 
ken. HoflTentlich wird fich diels aus dem 
Folgenden belTer beurtheilen lafTen. 

Eiaer der wefen^cben Unterfchiede zwi- 

fchen alter und neuer Philofophie befrehet 
ohnftreitig darinu, da£5 die Alten ihre Phi- 
lofopbie nicbt mit der Unterfuchung des 
menfchlichen ErkenntnlsverinOgens anfiengen. 
SelbXt diejenigen Philofophen, welche eme 
dergleichen Unterfucbung anftellten» z» B. 
Ariftoteles, betrachteten fie nicht als die 
Grundlage aller Philofophie, fondern als cl- 
nen Theil derfelben. Icb leugne nicht, da(s 
z. B. die Eleatifchen Philofophen, dafs Plato, 
Ariltoteles, Epicur und Pyrrhon mehrere 
fcharflinnige Geilankett Hber Erkenntnis durcb 
die Sinne und die Vemunft, deren GewiCs* 

N 4 heit 



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bfit oder Tr&glicfakeit* ilber den Unierrchled 
zwifchen Empfinden nnd Erkennen, zwi- 

fchen Anfchauen und Denken und verwanclt3 
Gegenftilnde vorgetragen baben: abcr cb 
kann dreaft behaupten, da(s keSner von ih« 
nen auch nur etwas Ganzes und Vollftindi- 
ges (gleicbviel, ob es wohr oder faird ley) 
geliefert, dals keiner diefe Unterfacbingen 
fur das Erfte und Wiclitigfte anerkannt, kei- 
ner endlich auf feinen dieisIUiigen Ideen fort* 
gebauet habe. Wie bekannt, giebt es bey 
diefer ganzen Unterfucbung zwey Wege; 
entweder die fchon Torhandnen) erlernten 
oder erzeugten Vorftellungen zufammenzu* 
nehmen und Ihre rvichilgkclt durch Analogic, 
durch Nachforfchung in das Innere derfel- 
ben, durch ihre Vergleichung mit einander 
zu priiferi, und aus diefer Pruiun^ auf die 
Erkennbarkeit ilberhaupt fortzufchliefsen ; 
oder» von allen TOrhandnen Vorftellungen 
abgefehen, nach der Leitung des Selbfibe- 
wulstfeyns zu unterfuchen: worinn uber- 
haupt ein ErkenntnisTermfigen beftehen mulTe, 
was der IMenfchy der erkennen foll, fur 
Anlagen haben miiffe, um es zu kdnnen? 
Der er(te We^ iit ohne Zwdfel der unfi- 

cher- 



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Gherrte» und er ilt es ebeU) deu dlc altea 
Denker betreten haben. Ans der Zalammen- 
haltung einzelner finnlicher Wahrnehmungen 
fchloik der eine auf die Triiglichkeit aller 
Erkenntnis durch die Sinne: aus der imiem 
Corifequenz einer Reihe Vernunftfchlufle ent- 
fchied der andre fiir die Sicherlieit aller £r- 
kenntnis dnreh Vemunft: und relbft diefe 
Kefuhate waren bey ihnen mehr eine Art 
von Pfychologie, a]s Metaphyhk des £r* 
kenntnisYermSgens: fie ordneten fie als phi* 
lofophirche Wahrheiten, nicht als Grundla- 
gen aller Philofophie. Oft genung Itielsen he 
«uf eine folche Kritik: aber es ilb» als ob 
iie ihre Tiefe gefcheut hatten: bey dem 
Streite z. B.» den die Stoiker und Academi- 
ker fuhrten» ward die Frage: ilber die Griin* 
zen und die BefchafTenheit des Erkenntnis* 
TermdgenS) oft beruhrt, aber eben, wenn 
man ein tiefres Eindringen erwartet» tritt 
platzltch eine Erfahrung oder Analogie da- 
zwifcheny und der Streit geht von neueni 
ao* Einem kritifcben Lefer der Ariftoteli* 
fchen Schriftcn mufs es ein fehr unangcn^h- 
mes Gefiibl verurlachen^ ihn bey der Prii* 
liing fremder Meynungen in einer Staubwolke 

N 5 von 



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DiftinetioneR nm den Pnnkt lieranitiiiiiinelji 

zu rehen» den er oft genug nicht trift, in- 
deflen wir init mem Grnndlaize aus der 
Natur des ErkenntnisTermdgens die ganza 

Schwierigkeit Idfen kdnnten Immer 

nehr 

Wmn dalier ebea fo eiafidiityoUe» al» 
biUigfl RecenCent des drittea Stackes d. B. in 
der AUg. lit. Zeit. wflnrchtt deHi in der Ah^ 
liandlung Aber Ariftcytelet Theologie S 86 f« 

mehr Riikfichc auf AriHoteles Ideen Aber das 
Voi^itelhingsverinugen iind deren Einflufs auf 
feine Theologie ^enominen Teyn nioGjite: fo 
Sej es mir erlaubt, dagegen zu benierken» dafii 
uh Bwiibben jenen Ideen und den anderwei* 
tigen metapbyfirchen Behauptiiiigen diefes Pbi« 
lofophen heinen lolchen ZnGunmenhang ent* 
decken kann, daCi ich diefe aus jenen erlan- 
tern k6nnte , ohne etwas hineinzulegen. Ift 
der That fand doch AriAoteles leine Ideen von 
GotC» wie in jener Abhandlung S. 94 und 9S 
bemerkt i&» blofs auf dem Wc^ der Welu 
betraditttng» «r fuchte nnr ein erfies Glied 
der Kette. Ei war ihm nicht um einen £r* 
kenntnisgrund des Bafeyns einer Gottheit zn 
thun, auch will er diefe Exiftenz nicht wei- 
ter beweifen , als durch die Uani6glichkeit 
eines EegcdliBS ins Unendiiciie« info£srn die 

Ter- 



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mehr mt deni Subiect des EjrkenntiusyermA» 

gens, der Seele, als mit dicfpni Verm6gen 
lielbft befchllfugty nahmen faft alle ihre Un- 
terrnchnngrn einen Weg, anf dem ec nicht 
mojlich war, zii bertimmten GrundlUtzen 
fttw die Befchaffenheit und Einfcbr&nkung 
des menfcfalichen £rkenntnisverm6gens su 
gelaugen. Der Antheil, weJchen die aufere 
Sinnlichkeit daran hat, ward gemeinigliGb 
za hocfa oder za niedrig «ngelehlagen» und 

uber 

Vemunft dabcy ermudet, nnd dnrcliaus etwas 
haben will, wobey fie ftehen bleibe. DieT* 
B^g^rdbaft der Vemunft» (das Suchen nach 
dem Unbedingten) h«t er in £niieB Uttterfti- 
dmngen iiicht «ntwickelt» ct war m«far dmtm 
Uct GeAlhl dcrlclben, welchet ihn s. B. bey 
dicfcr Gotmotheologie leitete. Tch hatte ec 
CBt zu ge&hrlich, den altcn Philofophen einen 
Ideengang, wie der tmfrige » unterzufchieben. 
ff^tr wfirden alierdings boy ciocx Behaiiptung, 
wie diefe AriAotelirche, fragen : wanun llist 
fich dic Vctniuift keincn Solchm Rcgicft 
bUcn? iSt ci ihier Nuur cntgegen? worinu 
beftcht diefo? darf sch cin Erfict Unbeding* 
tes annehinen, und was bercchtigt micb dazn? 
Aiiltoi^let fragte fo uicht» 



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ftber die Katur und EatTtehung der abitrae* 
ten BegrilTe, «nec der wefentlichlken Stuke 

diefer ganzen Unterfuchung, haben Togar 
die Stoiker nichts Beftiinmtes angegeben* 
Anftatt dnes ausftlhrlichem BeWttfes diefer 
Bemerkungen kann ich auf die Darftellung 
verweifent welche Tiedemann (Geift der 
fpecul. PHl. Th 3.) Ton Ariftoteles nnd der 
Stoiker Pfychologle und Logik giebt. Diefer 
rchar£Rnnjge Gefchichtfchreilier der PiiiJofo- 
phie hat anf die Lucken in beyden, und 
die darinn hauFigen Widerfpi iiche aiifinerk- 
Xam gemacfat» fo wie er uns Pata genung 
Kefertf wodurcb wir bewogen werden, de9 
Scharffinn jener Weltweifen zu bewundern. 
Kaum darf ich es ausdruklich erinnern) dals 
diefer Mangel der alten Philofophie fidi 
duich dcn natiirlichen Gang der Ausbildung 
des menfchlichen Geiftes crkliiren und recht» 
fertigen Ufst. Alle Geifteskrafte entwikelii 
fich durch Verfuche auf Gerathewohl: die 
philofophirende Vernunft verftieg iich uberall 
bin, und dacfate, fcfalols, abftrafairte^ TergUcfa» 
behauptete, leugnete, ohne fich zu prufen, 
ab ihre Natur und Krafte dieOs erlaubten, 
ob ibr nicfat vielleicfat ein andrcr befdmmter 



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— 2o5 — 

firkennUu^kreiCs angewieCen fey» und ob 
daSf was fie anf ibrem Wege entdekt battey 

wirklich Erkeiiutnis oder nur Form des 
Penkens fey? Wie et lange Torber Dicbter 
und fcbdne Kiinftler geben mnfte, ebe je* 
mand auf den Gedankcn kommen konnte^ 
nach dem Wefen und den Gr&nzen der fchii« 
nen Kunft zu fragen: eben fo war es bey 
der Philofophie. Nur dafs jene Verfuche 
aucb obne ^e Xblcbe Theorie beller gelin- 
gen, ala die pbilofopbifcben, wobey weder 
Sinne, noch Gefchmak leiten und emfchei- 
dent 

Zwe^rtens ift es wobl unverkennbar, da(s 

der alten Phiiofophie das Syfteraatifche fehlt; 
icfa meyne damit nicbt) allen Zulammenbang 
der S&tze und Ideen unter einander, fondem 
die Verbindung des Ganzen, die von Einem 
Grundlatze ausgeht und alie Tbeile genaa zu* 
&mmenbft]t. Oder um es nitber zvl be(dm« 
men, einmahl fehlt es Uen Lehrgeb^uden 
der Alten entweder gans an einem Principe» 
oder es ilt nicbt binl&nglicb angewendet. Die 
Behauptung fcheint vielleicht ctwas hart zu 
feyn ; denn man darf Ja nur z. B. im Arifto* 
teles blftttenii Ib iiiidft man (lOeUfk 3, 3. 

40' 



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~ uoS — » 

411): der gewiflefte Gnind(ktz luiter «nen ifE: 
Nichts kann zugleich feyn und nicht feya 
^murn Ifi fi$fiat9TArn rtfv i^xfi* mtwtrw 
ifUi Svmt tuA $dl mvmi)^ oder (Analyt. poft» 
17.): Jede Wirkung hat ihre Uridche 
(ifn 

9wmpx** ktrlmrtVf rd «Triav wi^xti^ 

Vergl. Ploto Tim. Ctc de Univ. 2. Omne 

quod gignltur, er aliqua caufa gif^ni neceffe 
eXt). Erkennt nicbt Ariltoteles die Notbwen* 
digkmt eine$ erften Grundliatzes felbft, (AQe]. 
poft. I, 2.) wenn er allen Beweifs nur aut 
einem unmittelbaren Satze C^^^c» |c| 
Irw «AA« flrMTff') gefilhrt wiflen will? Und 
wie allgemein ift nicht unter andern der 
Grundlatz; Aus Nicbts wird Nicbts» in dea 
pbilofophifchen Schulen der Alten gelehrt and 
2um Principe ihrer Forfchungen angenommen 
worden? Ibrer Cosmologie allerdings^ a1>er 
diele ift nur ein Theil der Philofophie. Und 
was difi oben angefiihrten Grundfatze beti ift, 
£b baben Ae nie bey den Alten die Steile der 
erften Principien behanptet, ite dienten nicht 
zu Erkenntnisgruntlen der Wahrheit, fondern 
zu geiegentlicben Bericbtigungen des IrrtbumSi 
nicht zum Beweifef Ibndern zur Erlftuterung. 
Aber vielleicht fahen die alten Pbilofuphen 

«Ul| 



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— 207 — 

ein, dafs diefe Satze zu erften Prindpien 
iiicht tauglich lind? In keinem Falle kann 
diefer Mangel an GrundlSltzen ibnen zua 
Vorwnrfe gereicben. So lange der menfchli* 
obe Geift damit befch&ftigt ift» zu erJindeni 
raft er Materialien zufammen, wie und wo 
er lie findet^ crft wenu eine Menge Ideen, 
wahre oder falfcfae» Torhanden fiud, nnd 
gepriift oder zufammengcftellt wcrden foDeny 
fangen die Denker an, nacb dem erften 
Gliede der Kette zu fragen, woran lie dieie 
Ideen reihcn wollen. Immer mufs das Sam* 
meln dem Ordnen vorangehen. Und eben 
darinn Uegt etn Unterfcbied zwifchen der alten 
und iieuen Philofophie. Zweytens fehlt der 
erftern aucb ein genauer Zufammenhang ibrer 
einzelnen TheUe. Zwar lind diefe noch 
nicht fo genau und fcharf abgefondert, wie 
in der neuern: alles was den Menfchen an- 
geht, fa&t die Logik und Moral in fich» die 
Kenntnis der Dinge aufer dem Menlcben 5ft 
der Inbalt der Ph}Hk, Aber alle drey grei- 
fen in keinem Sylteme der Alten in ^nander» 
aus dem Grunde, weil Jie nach keinem ge- 
meinfchaftiicben Erkenntnisgrunde phiiofupbi- 
feher Wahrheiteii forlisfaten. Die fiintheilang 

der 



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— 2oa — 

der WiCCenrdiarc uud ihrer einzelnen Theile 
JA reiiie und empirirche fehlt bey ihoen 
giinzlich. Denn wenn He auch von theore- 
tifcher und praciircher FhiJorophie rprecben^ 
Ib verftehen ke unter der erftern die Betraoh* 
tunfy der Welt, unter der andern die Art 
und Weifei Xein Leben einzurichten, k^n^hm 
nnd ipy99, Daher kommt es, dals die Mei» 
fien von ihnen die Logik nicht als einen 
Theil der Philofophie, nicht als einen Haupt- 
endzweky ibndern als Mttelzwek anlaben ^}. 

Icb 

*) leh, mntk hierbey der trefltchen Gefdiidiie der 
Logik erwahnen, welche Hr. Pr. Platner in 

feinen pliilof. Apliorismen i7Cj5. Tli. I. S. kj f. 
gegebcn bat. Zur Er^anznn^ Jes vorhergelien- 
dcn Aniratzes fey es mir cr].xnbt, folgcnde Stol. 
len daraus hier einzuriicken. S. 22. Ariftoteles 
inadit unter der Dialectik und Logik keinen 
TJnterfdfued — erft die Semmler uad illteni Ans« 
leger feiner logifchen Schriften unterfcfaieden die 
Logik von der Dialectik , wie etnen Theil vom 
G«inzen ; indem fie ncinlich diefe Scln lftcn , mit 
Vorausfctzung des Gattuiigsbegrifs Logik, ein* 
dieilten in Analytik» -welclie von den Hreng 
apodiktifcben, und in Topik oder Dialectik» 
welehe von den ihetorilck wabrfcheiniidien 

Schliif. 



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^ 209 — 

ich habe nlcht nothig» zu erweifen, wie 
nothwendig eine folche Eintb^ttng der phi-> 

lofo- 

&chlu(tcn nnd Bcweifen liandett, bcy denen 
tnan nickt Von den h6cliltcn Grundfatzen dec 
Vemtitift» fondera Toii den aUgeineinen iinter 
den Mcnfchen angeiioinmenen Meynungen «iit. 
geht (^vdoltfy). Abcr anch hier bleibt det Be* 
grif der Dialektik noch lieinlich in feincr ror* 
jiiaUgen Weite; ziimahl wenn man bedeukt» 
dafs in dem Organon die Leine von den Prddi- 
kunenten (anch fon den Pradikabilien) ganz, 
iind die Lehie den S^itzen xam Theil dazu 
gehOrt, ond felbft die Lehre Von der Befinitioa 
in der Diiilekiik enthalten ift. Ble Analjtik 
(wirUibh eine Erfindung des Ariftoteles) Ter- 
balt fich zur Dialektik, ohngefehr, wte diefe 
zur alihetifchen Rhetorik. S. 25. Die StoiJter 
li.iiiilclccn ia einein dcv wichti^ften und ausfnlur- 
lichften Hauptfi.acke diefer Wiirenfchaft, unter 
dem Titel ^vr«rte, alle Arten von Vorftellun* 
gen and Begffifien ab: die finniiche VoifieUuDg 
(^««rarlx c«;^iK«) ui Verbindung mit det 
Frage i ob fie etn wirkticher Abdruck dei Ge- 
gcnftande (rosratfic) odct nuT eine geiAige Ver- 
anderung der Seele (^^rt^otuffit) tcy. Sie un- 
teifuchten die BegriiTe des Veritandes , ^etvrariai 
Mynuttf nnd die daranf beruhenden aUgenieinen 
GTundfiltM» «f0A«^f<«» fiemer die Oberfinnli* 

O dien 



210 — 

lofoplilfchen WifTenfchaften flir die richtige 
BehancUang ^ner jeden fur licb, und fiir 
den genauen Zufammenbang des Ganzen ift. 
So lange inan nicht zwifchen reiner uiid 
erapirifcher PbUofopbie unterfcbeidet, ift es 
nicht m6g1icfa, etwas BelUmmtes und VoU- 
fiandiges zu Uefern. 

Drittens die neuere Pbilofopbie bat in den 
Problemen ikber Freybeit, Unrterblicbkeit 
und Gott den geiurinrchaftlichen Beziehungs- 
puncfc aller ibrer Forfcbungen *)• Die i«hre 

von 

chen Jdeen eu lili rijc hmvtx^ ^avra^iat , 
wobey B» aUe mugliche Arten und Grade, alle 
mfi^iiclie Merkmalile der wahxen iind der faU 
fdien Ueberaeugung anzugeben bemObt wafen. 

*} Fo]|2ende Aiimexkung fcheint hier uicht am 
nnrecbten Orte su fiehen: iit merkwat* 

dig genung, lagt Kant» ob ct gleich natflr- 
lieberweife nicfat andert sngefaen konnte» dab 
die Menfcfaen im Kindeaalter der Pfailoropfaie 
daron anfiengeu, wo wii jezt lieber endigen 
mSchten , nemlicli, zuerft die Erkenntnis Gou 
tes , und die Hofniuig oder wolil gar die Be- 
fchaffenheit einer andera Welt su fiiidieren. 
Wai andi die alten Gebrfucfae» die nodi toii 
dem rofaen Znfiaade der Vdlker flbrig wtren, 

Ittr 



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211 



ron Materialiiat oder Immaterialitat der Seele 
Wiirde uns Tehir gleicfagaltig feyn, wenn lie 

O 2 nidit 

Mr grobe Keligionsbegriffe eingeffihn haben 
mochten , fo hinderte diefes doch nicht den 
aufgeklarwm Tlieil» ficb freyen Nachforfcliiui* 
gen flber diefSBn GcgsnAsiid «i Yridmen, niid 
anan bh leidit ein, dalli et lieine grOndliclie 
imd suTerbrsigexe Art geben kOnne, der un* 
Achtbaren Macht, ilie die Welt rcgicrt, zn 
fijefallen, um wenigftens in einer andern Welt 
glilkUeh xn feyn» aIs dcn gnten Lcbenswan- 
del, Daher waren Tiieologie und INIoral die 
svrey Triebfledemt oder befier, Bcuebnngt. 
pnncte sn «Hen el^|;eeogenen Vernnnftforfchmi- 
gen, denen min lich nachher jedeneit gewid» 
met hat. Die erftere war iMdefrcii eigentlich 
das , was die blos fpecnlative Vcvnnnft nach 
und nnch ia das Gefchitfc zog, wclciies in 
der Folge iinter dem Namen Metaphyrik fo 
berAhmt gewoiden.<* 8. Kritik der reiiien 
Vern. 8. 886. Zw. AnA Mit eller Acbttiiig 
gegen den grofien Urheber diefer Idee fey et 
mir erUnbt, elnige Bedenklichkeiten darfiber 
zu anrcrn. Es fcheint inir nicht natiirlich zu 
fcyn, nnd die Gcfcluclire fclbft wideiTpncht 
der Meynung, dafs dic ahcfle PUiloIophie von 
den genanntcn Forfclr.mgen angcfangen habe» 
Kicht dic Eikemitiiie Goitet» fondem die Spe- 

cnU* 



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niolit m\t der Lehre von der Unfterlilicfakeic 
zulaiumeiiiungei Uad di^ Streiiigkeu uber 

etilation fiber Urfprung und Zufaninienliang d«r 
lichibaren Welt, (und beydes ift docli weit 
verfchiedeu) war cs, womit eia Tliaiet nnd 
nachfolgende Denker fich belch&fdgten. Das 
Pjroblcm der Unfi«rbllGlik«it kim wohl an den 
ieligi6len Myliericn» abet nidtt in der Pbilo- 
Ibpbie der illtelten Welt Yor, Oder woUten 
wir hier aucb nor «nalogifdi fdiliersettt fo 
lafst es fich g^anz naiurlich vernmthen , dafs 
jene alteften Phiiofophen , bevor hch ihr Geift 
zu feinercr Speculation auigebildct batte, vor« 
lioiig sufrieden mit den gemeinen Religftons* 
lebzen» die ibnen weni§ftent G«>tter sum An« 
bethen gewihrten» ihre Aufinerklamkeit suerli 
aiif das» WM fie tungib t lichten mufien* 
Daft Gdtter die Welt erfchaffen hltten, davon 
fagte ihnen die niythifclie Rtligion nicLts : fio 
liefs vielmehr Elemente aimehmen» aus denen 
dai Univerfum sufamroengefext wordeu war: 
fie gab Gefchicbte, aber keinen phyfifcben 
Auffcblufik Und die(iBr war cs yomemlicha 
wekhen die Sltefte Phiibfopbie fiiohte: cift 
da fie auf dieldn V\'ege lange vergebltdl ge» 
forfcht batte, betrat fie den der blofsen Spe. 
culation ans allgemeinen Grundfatzen. Nicht 
xxiit dox Idee» Gott zu ^dena waid ibre Kos. 

inoio> 



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2l3 



BerchafTenheit und Grenzen der Vernunftcr- 
l^ejmkiuft wilurde oicbt fo hitzig gefuhrt wer- 

jTiologie angelegt; cinige Denker fanden illit 
hey der ForfcUung nach. «inem Erften. Und 
wie lange dauerte es, ehe ein Denker darauf 
liftl» dieiiB [Trradw der UrHicben von der nio* 
xalifchen Seito ansalehes» ihr WoliI|;efidIen 
zur Bedingung der GlQkCbeligkeit, und einen 
guten Lebenswandel znr Bedingung ihres WobL 
gefallezis zu niachen. Socratcs war dcr eriie, 
imd er und Plato die einzigeu» die einen foL 
cUen Zufunmcnliang zwifchen Moral und Theo- 
Ingie iehrten* Nacb ihnen ^tten die philo- 
Ibphifcben SpecuUtionen wicder in du bloft 
fpecnlatiTe Gebieih ant» und ]cne Probbsuie 
wnrden elt G^nfUnde der Forfchung initge* 
uoramena aber nicht zu ihren vomehmllen 
.Be7.jchiuigspunctcn gcniacht. Ariftoteies INIoral 
hat mit ihnen nichis zu fchafTen, fie koinroeu 
iiur in feinen fpcculativen Unterfuchungcn vor, 
imd fo trclUch die Xdeen der Stoa darubei lind» 
fo wenig hAngen iie dodi mit ihrer Ohrigen 
Philofophie sofammen» g^fchweige dafi fie die 
Beziehiuigspiincte der lezteni ausmachten. — 
Was insbefondeTe die iilteite Unfterbiicfakeits« 
lehre anbetrift, fo find die Zweifel , welche 
Piamer S. 636 Pii. Apli« aufwirft, fehr wich» 
tig: ob auch geoau befiinunt Bsy^ was das 

heiiie» 



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dpn, wenn nlolit die Erkenntnls Gottes als 
clas lezte Ziel den Pbilofophen vor Augen 
fch«irebte. Ntcht fo bey der alten Philoro» 
phie. Hi'»^ wa» d z. B. das Problem der 
Freyheit nicht als £i kenntnisgrund aller Mo« 
ralUSkty fondern a7s dne metaphyfiCche Auf« 
gal>e angefehcn: den wenigften i\loraliften 
iie] bey der Unterfuchung: was der Menfch 
thun folle, die Frage ein: ob ees auch k6n« 
ne? Die beyden audern Pruljlemc fmd dcu 
Aiten gr6(stenthe«Is nur Zugabcn ihrer Specu- 
lationen: das leztre insbefondre hat fi^r lie 
jnehr ein fpeculatives , als praclifches Inter- 
elfe, iie fehen in der Gottheit iiur die erfte 
Uriache der unermelsHchen Reihe der Er^ 
fcheinungen, nicht den moralirchen Gefetz- 
geber, das Centrum aller Weisbeit und Liebei 
die fchone Aufldfung des grofsen Riithrels der 
Welt, den h^ichften Troft im Leben und Tod. 
Alie Pi^dicate» die he dierem Inbegrifife allec 

Rea- 

IieiClM» dia nnfierblicUkeit der Seele gbnben? 

ob itoxn aHezeit das denkende Wefen iles iMen- 

fchtfn, und jtSa «tov cine EcifUfie Unflerblich- 
keit, und nicht auch Tehr oft niur die fhyiifche 
Unzexfi6hrbarJLeit anseige? 



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Aealitftten bayl^en, Biid etwan Ewigkeiti 
Einheit) Verftand nnd Allgenugramkeit, alle 
aber aus der allgenieinen Idee einer erften 
Ur&cbe entwikelt und mit Antropomorphis» 
mus aasrgef^hrt. Ich glanbe^ da& auch in 
dlefer Rukficht die neuere Philofophie fehr 
viel der chriftlichen Ueligion yerdankt, die 
fo ganz den moralirchen Begrif der Gottheit 
auffafste und aJlgemein machte* Den Alten 
war der Gott ihrer Keligion und der ^ott 
ihrer Philofbphie nlcht Ein Wefen, nnd 
kormte es naiiirlich nicht feyn, Den neuern 
Philofopben ift der Gott, den Chriltus ▼er'- 
kiindigte, derfelbe^ den Be als Poftulat der 
reinen practifchen Vernunft anerkennen, und 
die Pbilofophie bat in diefem Puncte der Ke- 
ligion eine ibrer fchdnften tmd wohlthftrtgften 
Verbefferungen zu verdanken, Denn oifen- 
bar ift eben dadurcb der theoretifcbe und 
practifcbe Theil derfelben aufs genanfte ver* 
bunden, jede Speculation wird von einem 
boben IntereiTe der Menfcbbeit gcleitet und 
belebt, und es ift, als wiirde jede Mnbe 
der Nachforfchung leichtcri wenn wir nur 
am £nde Gott iinden. Es ift nicht zu leug* 
aen» dals neuere Pbilofophen aus eben die^ 

O 4 fcm 



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^ si6 ^ 

fem Gr unde nur allzuoft aucb in InconfequeB- 

zen geriethen: Locke z. B. fah fich getiothl^t, 
von feinem Syfteme abzurpringen» als er auf 
diefen Begrif ftjels« und Cartes nahm Ihn 
Ton feinem allgemeinen Zweifel mit einer 
Art von Gewaltfainkeit aus: da hingegen ein 
Epicar oder Pyrrhon auch bl« auf diefen Ge- 
genftand ibrer Forfchiing fich gleich blieben. 
Aber das hnd Ausnahmen^ die nur noch 
mehr fur das alJgemeine und unverleugbare 
IntereHe jenes Vernunftproblems Zengnis ge- 
ben. — Und diirfen wir nicht Teleologie 
imd Theodicee mit zu den VorzSgen der 
neuern Philofophie rechnen? Sie verdankt 
Zwar allerdings den Stoff dazu einer Menge 
andcrer WiffenfcbaFten » aber die Verarbei* 
tnng deHelbcn ift ihn Bey den Alten hat lie 
wenlg vorgefunden. 

Den entfchiedenlken Vorzug bat viertens 
die neuere Philofophie in den empirifchen 
und practifchen Theilen. Studium des Men- . 
fchen und menfchlicher Verhftltniile ift einer 
vQn denen Gegenft&nden , welche erft in 
neuern Zeiten mit Fleifs und Gjiik bearbeitet 
worden fmd» Bey den AJten kann nur die 
Oe&hichte und Pichtkunft darauf einlgen An- 

fpruch 



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iprucb machen, berondre Bearbeiter bat diele 
Materie nur wenige gefunden, und felbli 
diefe liefern uns nicbt fowohl Beytrage zur 
Kenntnis des Menfchen iiberhaupt, sds viel- 
mehr zur Kenntnis des Griecben oder Rdiners 
insbefondere. Je grSfser und ausgebieiteter 
die Gefcbichte und Erdkunde waid, defto 
mebr nahm diefer Tbeil der Pbiloropbie an 
Allgemeinheit und Wichtigkelt zu. Ich ka nn 
jbgar hinzuletzen) dafs fe]l)ft die gcfellfcbaft- 
licben VerbiQtmfre der Menfcben in neuem 
Zeiten verwikelter geworden lind. Dic Mo- 
ral der Aiten, deren Unterfchied von der 
neuern von einem unfrer gr6[sten Denker 
entwikelt worden ift , mag im tbeoretifchen 
Theile viel Vortrefliches enthalten: der prac- 
tifcbe ift obne Zweifel ziemlich dilrftig. Wie 
unbeftimmt nnd flfichtlg z. B. die Materie 
von Collilion der Pflichien, von den Alten 
behandelt ift, bedarf keines n&hern Erweifes. 
Wie wenig fie dcn Menfchen und Burger 
unterfcheidet, wie wenig fie auf die niedern 
Cla£fen des Volkes Riikficht nimmt, ift 
fcbon von Garve angemerkt worden, Die 
neuern Pbilofophen hahen, manche vielleicht 
Stt yielf bey der Pbyhologie und Patbologie 

0 $ Un- 



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— 2l8 ^ 

Unterricht gerucht: he haben den Menfchen 

Ton Seiien des Koi pers zu einem Gegenfiaude 
ihrer Unterruchiing gejnacht^ und die £rfah- 
rongsleelenkunde ift eln eben fo wichtiger 
und interefi>anter TUeil der Philofophie, als 
er der neuern ganz ausfohlieDBlich zugehdrt. 
Von ihr hat hinwiedorum die Arzneykunde 
manche weife Lehre hekoininen; erfahrne 
Aerzte werden in yielen FHllen ihre Kur 
inehr auf die Seele, als den K6rper richten. 
Wir habexi eine Piiyfik der menfchlichen Na- 
turf wozu wir von den Alten kaum einige 
Ideen entlehnen konnten: k^ Theil, keine 
Handlungs- und Aeuferqngsweife des Men- 
fchen ift der phiJofophifchen Beobachtung 
entgangen« vnd der Umfang der Phtlofephiei 
wenigfiens in Riikiicht ihrer Anwendung, ift 
unbegrilnzL Icb weifs nicht» ob ich dariiber 
mit einigen neuem Philofophen klagen foll. 
Wenn man auch iiher diefer mannigfaltigen 
Anwendung diefer Wiffenfcbaft ibren eigent- 
lich wiCfenfchaftlichen Theil wirldich dniger- 
mafsen vernachlafsigt bat; fo hat doch die 
Aufklarung des grofisern Tbeils der Meufcben, 
fo hat doch eine Menge andrer WilTenfchaf* 
ten unendlich viel dahey gewonneni und 

die 



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mr 

die Ackerlie und znrammenhangencUte Meta* 
phylik, (die ich abrigens in allen Ehren 
halte) wurde nur ein todt«r Schatz feyn, 
wenn lich ihre Kefaltate nicbt fiir das Leben 
anwenden lielken. 

Diefs find einlge Verfchiedenheitcn, die 
mir befonders aufi'al]end fcheinen. Die)eni« 
gen, welche mehr in der Darftellung felbft 
liegen» tibergehe ich. Das ganze Theina 
iCt von groisem InterefCef ich wunfchte» 
da(s diefer klcine Auffatz einen tiefern Ken- 
ner der alten und neuen Pliilofophie veraa- 
laflen m6cbtef daflelbe ausfuhriicber zu be* 
handeln. 

F. 



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BEYTRAGE 

ZUB. 

GESCHICHTE 

DER PHILOSOPHIE. 



HERAUSGEGEBElSr 
GEORG GUSTAV FULLfiBORN. 

PHOVBMOII Jtaa SX.»ABETSAnVW VK 8A»tlAV« 



ZUIXICHAU UND FREYSTADT, 

W VKOMMAllllItCIUN BVCHBAIIDLVIIO 

»795. 



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I n h a l i» 



Ueber Juliiu Qfar yanim* 

Ueber Tfduniluiirent YedUenft imi cU« 

Fiuloropliie. 

9b Ztir GefcLidite der matheiiiatifclien Me> 
thode in der deutfdieu FlulofopLie. 

4> £in]ge £emexkungcn zux GefcUicbce der 
IraiizdfifchtB Pliilofbplue» 



5. Waf boiht GeUc eiiiw Fhildlbpliie 

darftcUcn? g^j^ 

6. Ein Beytrag zur Uiueriuohuiig fibev die 

Meuphyfik dee AxiAocelet« 204 

AUei Toxn HeKaufgebei; 



UEBER 



UB£R 



JULIUS CA«SAR VANINL 

(JuUut CBfia^ Vanim^ tkier^ tsie er eigentlieh 
hiefs, Lucilio Vaniniy gebohren zu Taurozano 
im K&migreich Neapel^ ohng«f&hr um idd^ 
uerhrmmt zu Touloi{fe 1619»^ 



Die Gefchiclite der PhUofophie hat mit der 
Kirchen- und Ketzer • Gefchichtei wie es 
fcbeinti geni^nfchaftUcbe Sache gemacht: eiit 
gro&er Theil der berfichtigten Ketzer prangt 
unter den Verzeichninen der Philofophen. Es 
w«r «ine Zeit, wo tnan beydes fiir ejneriey 
hielt , ▼ieDeieht ift diefe Zdt noch nicbt ganz 
voriiher. Wie dem aber auch feyn inag: fo 
ift es keinecwcges za l«agnen, dafi mander 
& Sta^ ^ Ge* 



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GefiBbidbte der Fhilofophie keinen GefaUen er- 
weilii, und ihren Begrif ganz verkennt, wenn 
xnan jede reJigidfe Retzerey, jeden fchwJlp. 
merifchen Einfdl, jede thfirichte Meynung 
gewiffenhaft in derlelben aufzeicbnet, undiie 
auf diele Art, mit jenem SpGtter bu reden» 
mebr zur Gefcbidite der Thorheit, als der 
Weisheit macht. Waa bat die Philofophie^ 
«18 Wiflenfchafr, dureh die GriHen einet Se- 
pnlveda» Zabarella, Pomponatius, und wie 
fie weiter heiffen , wa« hat fie durch die Trlu* 
mereyen eines Poiret, Jaeob Bdhm und and« 
rer Queerlc5pfe gewonnen oder verlohren? 
Mogen dergleichen Dinge in etne Gefchicbte 
des menfcblicben Geiftes fiberbaupt aufgenom- 
men werden: in die Gcfchiclite der Philofo- 
phie gehoren fie nicht. 

Ein ftbnlicber FaU ift e«, mdnes BedAn* 
kens, mit dem Manne, deHen Andenken 
diefe wenigen BJatter gewidmet iind. ♦) £s 

ift 

•) Hdlfoiiattd kux Gefcliiclite dciTeibcn find vor. 
nemlich : 

De vita et fcriptia famofi Athei JuUi Cwfiim 
Vanini Tractatiis fingttlaas ttab a Jo. Maar« 
Schiamni* Cu^* ijo^ 



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— 3—1 

tft Mcannt, dais Vftnini feincr Meynungen 
iregen beynahe fein ganzes Leben bindurcli 
mit Verfo]gung und Elend zu klmpfen Iiatte^ 
nnd endlieh ak Gottesleugner verbrannt ward. 
Ich habe mir die Frage vorgelegt: Gehort Va^ 
nini in die Gefchichte der Philofophie? wat 
berecbtigt ihn ta einem foTchen Piaize? 

Die PhiJofophie war um die Zeiten des Va- 
nini in einer Art ron Crifit, Sie woUte lich 
«n dem Anleben des Ariibteles emporheben, 

und 

tJeb«nnM pmrtheyirdi, waad nie» sum Thcil Ahx 
annfiBeligen Widerkgungen des Vanini. 
Apologia pro Vaniao ron CoimopoJii (Rou 

teYdam) 1712. 

Vcrrflclt den riclitigen GefichtSptmct, nud Jei^ 
XI et , anfUtt zu yerthaydigen. 

La Vie et ]es (entinieiis de Lnailio Vamni. (ron 
Sarid Dnvuul,) Rotterd. 1717. 

Ift in fanatifchem Eifcr g^rdiiieben, und VoU hitt* 

rer Auaialle. 

Andre Hal£unittdl f. bey Bmekcr HUt. erit. phiL 
T. IV. P. a. p. «70 £ Bndsm' felbR hat lidi nidu; 
dia Mflhegenoninien, detVaniniSchriftcn diucli- 
snftndleien, lbnd«m ficK mciftens nach dem Du- 
xand geriditet — Cramaziano fpricljt, wie ge. 
WuhnUdiy in Fiod^ und Figuxeu ttber ihn ab» 

A st 



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— 4 — 

uiid haak nur delto mehr zuraak. G^gta 
die zablreiche Ferthey der Ariftotdiker lehn- 

ten ficb Anhilnger des mitsverrtandnen Plato, 
und befonders Kabbaliltiker, Magiker und 
Aftrologen auf: andre yerfachten, das aHet- 
zuXammen in £in Syftem zu bringen, Wo 
Ariftoteles nicbt mit dem kircblichen Lebrgo» 
bftAde zubmmenftinimen wollte, fchob man 
den Plato vor , und Problemen , die von bey- 
den nicht geldft wurden, mufie die Aftrolo- 
gie und Rabbala zu Hfilfe kommen. Die Na- 
men eines Agrippa, Kamus, Cardanus, Bruno» 
CampaneUa» die tbeils Tor tbeils mit Vanini 
lebten» m6gen ftatt eines aasfiihrfichern Com- 
mentars diefer Erzahlung dienen. Sehr we- 
nig waren der Mtoner, die einen freyem 
Blick wagten» 

£s kann keine Frage feyn: ob Vanini nn« 
ter die letztern gebdrte* 

Er hatle viel gelefen, und Terfchiedene 
Fakultiitswiffenfcharteii auf verfchiedenen Aca- 
demieen Itudiert. Unter den Pbilofopben 
fch&tzte und benutzte er ▼ornehmlich den 
Ariftoteles, Averroes, Cardanus und Pom- 
ponadttt. Den erftern nennt er den Gott 
der Philofophen) den Dictator menfchlicher 

Weifs- 



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— 5 — 

Weiisfaeit» den Hofaenfirierter der Weifen: 
aber er gefteht auch, ihn oft auf Trftttine- 
reyen und leerem Gercbw3.tze betroffen zu 
faaben. Die Schriften des Arabitbhen Philo* 
fophen cmpfahl er, um den Scharffinn gegen 
die Scholartiker daran zu wetzen. Am, Car- 
dann$ gefiel ihm hefonderc dat Sdtfiime und 
Ungew6hnUche. Den Pomponatius nennt er 
dfters leinen treiiicben Lehrer« einen zwey- 
ten AyerroeSt einen Mann von leltnem Schirf» 
finn. Es ift bekannt| dafs Pomponatius meh- 
rere Siitze des AriftoteleSf die den Lehren der 
diriftlichen Religion znwiderliefen» ▼erfbcht» 
dafs er gegen die Beweife von der Unfterlj- 
lichkeit der Secle, gegen den £influ£5 der 
Vorfi^ung aiif die Welt« gegen die Freyheit 
des Willens, gegeu Wunder und Typen u. 
d« mit £ifer ftritt, und fich dabey immer 
fainter den Unterfchied zwifcben phijofophi- 
fcber und tbeologifcher Wahrbeit zu recbter 
2eit zurUckzog. 

Von Vanini's Scbriften haben eigentlich nnr 
zwey *) die Aufmerkfaoikeit der Welt erregt, 

A 3 und 

*) E« iil wohl noch nicht ausgemackt^ ob dia AbnU 
gen alle, deim TUel num baym Dorand 

und 



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6 



vnd fein Ung)uck gemadbt. i) Das Amplii* 
tbeatrum aeternae provldentiae diYiao^magi- 
cnm, chriftiaiio - phyiicitm » neo noii aftro» 
3ogO'catho1icum, adverfus veleres philofophos, 
AtheoSy Epicureos, Peripatetico^ et Stoicos. 
Lngd. i6t5. 8. s) De admiraadis natarae re» 
ginae Deaeque mortalium arcaiiis. Libri qna- 
tuor. Lutet. i6i6. S. *) Die Urtheile uher 
lieyde Werke liad einaiider durohaua entge- 
gengefetzt, Einlge fGhen iiberall Naturafismus 
und Atheismus : andre iinden durcbaus nichu 
AoitOffiges, wenigftenc nichts Athtfimfcbes da« 

rinn 

nnd BnidEar fiadat» wiiUicii befini|[aleimn«n 
find. 

Beyde find cwm privilegio et approbedoiie ge^ 
druckt. Das letztere abcr ward auf Erkcimtnir» 
dcr Sorbonne« verbrannt. Roffct in feinen Hi^ 
lloires tragiquet S. 193. macbt dabey die r.hriftli» 
ehe Anmorkuiig : qne lon auteur meritoit enoove 
d* 4m jett^ dxo$ h Ibu. 6onderbar « dtla mm aL 
]e diejenigen. welche diels Bucb ooifirt» enipfob* 
len nnd bewundecthaben» fo ungefinft dorcbge* 

laflen hat. Das Werk felbil i& in Gefpri- 

chen zwifchen einem Alexander und Juliug CS- 
far abge^t, und Vanini Aeckt gr6rtentheiU 
unter dem erftem Namen : abcr «x wiU untac 
dtto aweyuui n fieflben fchaiiiw» 



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— 7 ~ 

tiniu In der That hat 6ms Atnpliitheatriiitt aiif 
den er&en Anblick ganx und gar niditt Auf- 
fallendes. Die Meynungen alter Pbilolophen 
werden darinn beltritten, freylich mil leicb* 
ten GrOnden) aber doch nnt Grfinden. Oft 
i.urert fich der VerfalTer fehr ernft und lehr- 
glinbig: durch das ganze Buch herribht ein 
ziemlieh gefetzter Ton* Aber der Plan war 
fein angelegt. Unter dem Scbeine) dieAlten 
Stt widerlegent ruttelt Vamni eigentlich an 
den Behauptungen der Nenem» befondertan 
den Dogmen des Chriftenthums. £s gieht keine 
Ichwftchere Griinde» ak diejenjgen lind, wel* 
che Vanini dem Epicnr, Plato nnd Zeno nnt^ 
gegen fitellt: die neuern Argumente verwirft 
er» um nocb nenere an deren Stelle sa fe^ 
tzen, nnd diefe lind entweder &ttferft anor 
feelig, odei ganz finnleer. Gleiohwohlkonnte 
ilm iNiemand eines ofienbaren Atheitmas oder 
Natnrafismns zeiben. — Weit dendicher liegt 
feine Meynung in dem andern Buche zu Ta^o. 
2war uuCcht er mit den Namen ieiner dialo- 
plirenden Perfonen, und Terbirgt Itdi bald 
unter detn Alexander, bald uuter dem Ju« 
lins: aber man darf ihn nur ein Paar mahl 
gelefen hoben» um fogleicb zn fehen» dafs 

A 4 er 



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er «Ufl&uJil oRter «tar Perlba fteektt aai 

beiflendrten fpottet und am unverfchamteften 
IdLftert. Der Hauptplan dieCsr Gelpr&che ili: 
dte medianiicbe EniTtehnngsart aOer Dtnge zn 
erweifen, nnd den Zufainmenhang des Gan» 
zen aus mechanifchen Urlachen zu erklaren. 
Diefer Planliegt eiaigerniAairenTerlkedLtt nnd 
die Gerprd.che baben das Anfehen von wjlTen- 
Xchaftlichen Unterbaltungen Uber phyiifcfae und 
Natnrbiltorifche Gegenftftnde, dabet dennanch 
die einfichtsvollen Cenforen der Sorbonne An» 
fangs nichts darinn fanden rehgioni catholicae 
apoftoUcae et romanae repngnans ant contra* 
rium. *) Wenn Vanini griindlichere Kennt- 
niHe in der Phyfik gehabt Iiatte> oder wenn 
liberbanpt diele Wiflenfcbaft damaUs lchoa 
ta aasgebildet gewefen wftre, wie fie jetzt 
itti Ib wiirde er allerdings feineBeweifeganz 
anders angdegt baben. So aber iind es mci- 
Aens unerweiljsHcbe Hypotbefen und nicht fel' 

ten 

*) Et wiie inteiellaBt m laben» wie die gorbonne 
]A der Folge diefe Cenfur surfic3[gaionuDen babe» 
Ueberbaupt ift et fehr an bedraem » dab die Sor. 

bonne die Acten in dierem VxoztU nicht bekannt 
geniacbt bac» 



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ten htkktk alberne Grillen. Man erlcemit den 

Schalk, wenn er flch hinter die Ehrfurcht 
yor dem Chriftenthum Aiiebtet. Ich wiirde 
die Swigkeit der Wdtglauben» lagter« wenii 
ich nicht ein Chrirt ware : ich wurde dem 
F]ato n. f. w. bejrpfiicbten» wenn icb nicbt 
in cbri(Uieben Scbulen nnterricbtet worden 
w^re, und was dergleichen Wendun^en 
mebr iind» 

In beyden Sohnfbn leucbtet Scbarflinn* 

eine ]ebhafte feurige Einbildungskraft und eine 
fityrilcbe BitterlLett benrort die der Volture* 
fcben febr abnlicb ift. Zur Probe will icb 
einiges aus den Dialogen hier iiberfetzt mit* 
tbeilen, obne ^edocb an den gelLttferten Ideen 
den nundeften Wdblgefallen zu bezeugen. 
Vanini ift Alexander. 

A 5 Fier* 

*) Einig9 allxa fcMap&ige Stellen habe ich» fo 
Tiel mdgUcb» ▼erwifcht. Vanini goliiUt fieb in 
Iblchen Befchreibmigen fthr: ein Beweift, dafs 
Hkm die Sorbomie wemgfiant in RfidEfidic ioner 

8itten nicht Unrecht that. 
Alle diefe Gefpiache haben etwas UnordentKche» 
mid einen gewifren Mangel an logircher Ditpofi* 
fiott» Vanini fpriclit ban£g nur ad Yocem » vmd 

koninit 



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lO 



ViertesBucfu 

Erftes Gefprach. 
V o n G c tu 

Alexanderm 

Wir haben nnii dle Kapitel ▼o» der Ge^ 
burth und dem Wachfthnm det Menfbheo^ 
▼on leinen Sinnen und was dazu gehdrt^ al>" 
gehandelt. Haft du Luft: ib woUen wir nnt 
jetzt iiber die Unterruohung vom Endzwecke 
des Menrchen, das Keifist von Gott, macben. 

JuUus. 

Endzweck des Menfchen? Gott? — Da 
wirfi: dn bef gewilTen Philolbphen ubel aof 
kommen. Gott der Kndzweck des Mett« 
Ibhen? werden £e ausrufen, dann wire ja 
der MenTcb vorajuglicher, als Gott. Gott, 
fagen fie, ift fein eigner Endxweck* Frey 
licb bedenken die Harrn nicht, was fie fa- 

gen. 

loonnt oft Ton feiner Hanptideft «b. D&durch 
gBWinnen faina Dialogen einen JattAm Ton 
tfirli^lkeit. Das Letem ifi, im DuxcUamitt genonip 
men » fcUecht • und der Scyl ▼«IWUXC* 



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II 



gen. Denn wie kann Gott als ein Wefen 
•hne £nde und obne Anfang» obne Bewe- 
gung, obne Tfaeile» ohne Eingang imd Ani» 
gang, welches nichts ift, als ein einiges 
Selbrt, wie kann^ iag icb» dieles WeleA 
Verbiltnifle baben ! Gleiebwobl bebeupten {ene 
Philofophen cben fo beftimmt, der Menfch 
fey aucb nicbt um (^ottes wiUen da^ denn 
dieler bedarfe Nienundes* 

Alexander, 

Wenn alfo Gott den Menfcben niebt nui 

feinetwillen fchufT, weil er als das voUkoni- 
menfte WefeH Miemandes bedarf; fo Xcbuif 
er den Menfcbenium dei Menfchen wlHen: 

und dann ift der Menfcb doch der Endzweck 

Gottes. 

Jatiitu 

Jedes handelnde Wefen wird durch einea 
Bndzweck beftimmu Aber wie konnte der 
Menfdi» ak er noeb liicbts war« die Gotfe* 

beit befkimmeny ibn zu erfchaffeu? 

AUxanderm 

A]ib wjLre der Menfch zu keinem Eud- 
wecke «rfcbafien?* 



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12 



JuUuu 

Bewahre der Himitiel ror dem Epiearnt* 

mus! Ich halte es mh den Theologen: der 
JVIenfch irt ron Gott erfGhaf&n worden» rnn 
ewjger Gl&ckfefigkelt tfaeUhaftig zo werden» 

AlexiMder, 

Gleicliwoli] ift cler Menfch mit fo Tleleni 

und grofsem Jammer fein Leben ]ang umge* 
beus daisf wenn es nicht der chriftlichen 
Btfligion , fttr die ich herztich gem mein Blnt 
bingeben will , zu wider ware , dafs icK be- 
baupten mGchte: wenn es Teufel giebt, fo 
find lie in MenfchenTeiher gefahren, nra darinn 
ibren Frevel zu biiffen. Aber frey]ich, wenn 
icb die g6tt)ichen Ausfpriiche leCe, dann er* 
kenne ich die nnzllb]igen Wohlthaten Gottei 
gegen die IVlenrcben^ und recbne feft auf eine 
Unlkerblicbkeit. 

Juliut* 

Eecht Ib. Alle Thiere haben ein Verlan* 
gen nach Fortdauer, fie wollen in ihrenNach- 
kommen fortdauern und in Ehren b]eiben. 
Aber nitr wenige haben die Sehnfucbt nadi 
der wahren UnlkerUichkeit. Kaom ciner fehnt 

fich 



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— i3 — 

lieh nach dem Tode» nnd dielier eine mnrs 
fehr tingluckllcb reyti. Scblechte Beweife yom 
wahren Giauben! Drum glauh* ich gehen dle 
Worte Chrifki in Erfilllung, das £ndeder Well 
naht ficb, denn fpricbt er: Wenn des Men« 
fcben Sohn kommen wird, wird er aucb 
Glaahen finden auf £rd€n? 

Alexander, 

Die Wone» die du her£agftt erkl&rt Cap* 
dan auf folgende Art ^ dafs er eine Vereini* 
gung des Jupiter und Saturn im Winkel dea 
Abends damnter verftebt, nm derentwilleii 
das Gefets der Gerechtigkdlt — — 

Julius^ 

Setzt er da dle Gerechtigkeit dem Glauben 
entgegen? fand Cardan in der chrilklichen 
Religion etwas Ungerechtes? Das kann nicht 
feyn* Denner fagt ja felbft irgendwo : die Chri* 
ften haben den Jupiter in der Zulammenkunft 
mit der $onne« daber ihr Sonntag: Sonne 
aber bedentet Gerechugkeit und Wahrheit: 
das Gcfetz der Chrirten enthiilt Wahrheit und 
macht dic JBlenlcben einfiUdger* 



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— i4 ~ 

Alexander, 

Die lelztern Worte» fallt mir elien eiiti 
nillshandelte einmahl cin goulofer Atheift ab- 
fclieulich. Der heilige PauJus, fagte diefer 
Bdfewichtt habe keine andrc Abficht gehabtt 
ftls die Chriftcn recht einlkJtlg zu machen. 
Daher habe er f]le Ehe zu einem Sacrameut 
gemachtt und damit eme Vereinigung Chrifti 
mie der Kircfae angedentet. Er befiehlt den 
Ehein^nnern, ihre Weiber zu lieben» wie 
Chriftus die Kirche geliebt hahe. Wenn ana 
Eheleate diefien hdligen nnbefieckten Eheftand 
immer im Sinne haben, £o geht dcr Gedanke 
daran in die Lebensgeilter, und won da duroh 
die bekannten Wege bis in das Kind, fo daf^ 
▼crmoge der Wirkung der Einbildung^kraft^ 
nof diefe Art Chriften gemacbt werden. 

JuliusL 

Ueber die teuflifche BosheiL Wie Ikgt der 
heilige lohannes: Er gab ihnen Macht Gottcs 
Kinder zu werden^ nicht die da aus BJuk 
nnd dem Wilien des Fleifches» fundem die 
ens Gott gebohren find! ^ Zudem, wer kana 
})cym Werke der Liebe an bimmUfieiie Dinge 
denkenl 



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— i5 — 

Akxanderm 

Das geht recht gut an , fagte cler genannte 
GoUesleugner. Jenes Madchen war liber und 
fiber raucb, weil ihre Mutter bey der Em* 
pfangnifs das BiTd Jobannes des Tanfers ange- 
lehen hatte. Liefs doch der Patriarcb Jacob 
feine Schaafe iich an abgefcbnndnen Strfta- 
chern verfehen, um 

Teuflifche Einfkllel zum Krankargern! 

Alexander, 

Ich mufs dir die Idee jenes B6fewicfatS 
Vollends aus erztLhlen. Paulus, fagt er, be* 
fabl den Sbemftnnern , das Gefchftft der Liebe 
als eine Pflicht zu betreiben, das heifst alfo, 
]angfam und ohne Luft, und aus folch einer 
trSgen PBichtleiftung kommen denn dnmme 
und trftge Klnder, wie lie fvlr das Chriften* 
thum ficb fchicken, denn ieelig find die Ar* 
men am Geift* Ich» kannft dn deriken» 
machte ibm fogleicb £!nwfirfe, denn ich he« 
bauptete, Chriften wiireii keine triLge, fchwach* 
berzige Menfchent er foUe nur an ihre bel« 
denmUthig^ M&rtyrer denken. IVlilrtyrer? 

fagta 



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— 16 — 

fagte er, «u* Phantafterey , aus Ehrgeiz oder 
Uypocbondrie. In den nnrinnigrten Religio* 
nen het es folcbe Narren gegeben, die Adt 
fur ihre vfiterJiche Religion zu tode martern 
KeOen, unter Tiirken, Indianem n. C w« — 
Da nannte ieh ihn ant hei^tai Eifer, deii 
Antichrilit. 

Und er? 

Alexandern 

Ladite. Was lachft da, fmg ich. — Weil 
du mieh em Unding nennft, oder glaubfk da 
an die Liigen vom AHtlcbrirt? — 

Und fo legt er diefem nngenannten Athei- 
ften die fchmthlichften AusfkUe auf Chriftui 
und Mofes in den Mund. Unmitteibar daran 
fchiielst er die Aufzfthlnng der Meynungen 
gnechircher Philofophen Ton Gott^ preifst in* 
direct ihre naturJiche Religion, und zeigt, 
daft die 6fientliche KeJigion der Alten blodt 
eine Brfindung fUr den Pdbel gewefen fey. 
Ihre Wunder erklilrt er in den foJgenden Ge« 
fprftcheni theils aus nat&rlichen Urfachen, 
tbetls aus Tftufcbnngen: dberall wirft er hS- 
mifche Seitenbliclie au£ ciie WuAder ChriTti 
und der Apoftel. 

Aucb 



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^ 17 — 

Aach ans dem foJgenden Gefpr&che, iu 
welchem Vamni JuHns feyn wUl, laufcht dct 
Satyr Uberall hervor. 

Vier und funfzigftes GefprScb. 
Von Befeffenen* 
Alexander, 

Hier ift Cardans Meynung llber die Befef- 
fenen. Card. de anim. immort. foL 3o4* Was 
haltlt du von diefea Leuten? 

Julius, 

Ich nnterwerfe mich in Demuth der Hei* 
ligen RSmifchen Kirchc. Uebrigens w«Is icht 
clafs fehr viele, ich darf nicht fagen, alle, 
die man ffir befeffen halt| eigentlich Melan- 
cholici iind. Dcnnfie werden gefund, wenn 
man auf die Melancholie curirt. — Viel 
trigt auch die Einbildung und Leichtglaubig- 
k«t dazu bey« daher gieht es nur in Spa* 
nien und Italien Befeffene, in ganz Frank» 
rmch kaum eineii, in DentfchJajid und Eng» 
land gar k^nen. Ich will das nicht auf das 
6.Stnck. B Clima 



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— i8 — 

Climft rchieben» denn 2tt der Zeit, als in 
diefen Lindern der CathoJlcIsmus herrfchtei 
wareii, wie icb theils gelelen theiis von wei- 
len Mftnnern gehSrl habe, unz&hlich viele 
Befeffcne dafelbft. — Ich kann folchen 

JKlAnnem gkuben, wenigltens mit ErlaubniJs 
derer, die da wiTGsn» daft im Spanifchen 
und Italianifchen Himmel kein Philofoph und 
kein Theok>g belerien ifc 

Allerdings. Aber das gehdrt nicht hiei 
her. Als ich in Padua war, fah ich ein 

Weib, die vom Teufel befelTen war, unc! 
lauter fremde und unbekannte Worte redcte: 
aber fie £cbwiegt wenn he der Priefter mi 
WeihwafTer einfprcngte. 

Behiite der Himmel, dafs ich die Wum 
derkraft des WeihwaCfers leugnen loUte, da 
es Pabft Alezander der Lehrer der Chrifien* 
heit und Dollmetfcher des gdttlichen Willens 
mit unzilhligen Frivilegien verlehen hat» Ich 
wili auch weiter nicbt daran denken, daik 
diefes Weib nur eiuige auswendig gelemte la- 

tei* 



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— 19 — 

tmnircbe Worte fprach. -~ Ich «rklire mir 

die Sache fo: u. f. w. 

Was nun folgt) ift eine alberne Anwen- 
^ung der Platonifckeii Idee Ton der Renunii- 
cenz. Man fiolit, Vanini hatte die fchalfc- 
faafte Abficht, das UnglaubUche durchs Ab- 
geichniackteza erklftren* Das Gefpr&ch (chfielk 
foJ^endermaaffen : *) 

AUxandtr^ 

Ich will es nicht machen, wie Thomas 
lilorusy der einft den Erasmus in einer frem* 
den Trachti und ohne ihn zu kennen» dis* 
nitiren hdrte, und nachher ihm zurufte: 
.ntweder bift du der Teufel , oder ErasnHis; 
ich will und muls vieimehr lagen» entweder 
bift du ein Gott oder Vanini, 

Julius» 

lch bin Vanini. 

In diefem Tone, das heifst, mit Spott 
und PerhAage bebandelt Vaumt nicht nur die 

kiruh- 

*) Diafini ScUuls habeii neuaw litsfatoten dem Vs* 
nim gewaltig flb«l genominaB» ttsd iba fthfln imi 

dcswiUen vcvdaianitt 

B 2 



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20 



kirchlichen > londern auch dle philofophircben 
Dogtnen. £r batte und konnte^ £o weuig 
wie Volkaire, ein eigentJiches Syftem haben: 
wo iliin irgend ein Gedanke gegen ein Dogina 
ztt ftreiten rchien» da war er ihm wiUkom- 
men, und er lieft ihn fogleich fahreut wetin 
er feine Abficht erreicht hatce. Man kann 
ihn mcht einmahl des aftrologifchen Aberglau» 
bens befchuldigen» denn er wendet diefe Gril- 
len nur dazu an, um einen Contraft mit 
philolbphifchen Behauptungen henrorzubrin* 
gen, und felne Leler zn &bertftuben. Hac 
cr z. B. ein Dogma mit derTen Beweifen um- 
geltoCFen; fp verfpricht ^r zum Belten des 
Cbriftenthums und def Philofophie einen weit 
ftirkern Beweis zubringen, und nun kommt 
er mit aftrologifchem Uniinn angezogen* 

Ich finde in dem Amphitheatrum und in 
den Dialogen nur zwey ganz verfta.ndliche 
und beftimmte Aeuferungen uber £e wjchtig* 
ften Probleme der Vemunft, uber das Da- 
feyn Gottes und die UnfterljJichkeit der Sede. 

Die erftre athmet den Geift des Pantbeis* 
mus. nlch weils nicht^ fagt er, was Gott 
ift. Wenn icli es wiifste, ware ich felbft 
Gott. Denn Niemand keimt ihiii Niemand 

weifs 



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st 



welis» was er ilXt als £r klh£u Nur wie 
der Soime Glanz diircb dle Wo1ken« fo er^ 

kennen wir fein Wefen durch feine Werke. — 
AUe con^ete Benennungen itnd unfiatthafi: 
attd leeir. Er ift nicht gut, rondem die Gute» 
nicht weife, foiidern die Weif^lieit u. f. w. 
Diels ift alles ib in ihmi dafs Lr es felbft 
Ut. Er ift fein Anfang, fein Ende^ und 
hat weder Anfanj^ noch Endc, ])cdarf auch 
beydes nicht» und ift doch der Urheber Ton 
beydem. Er ift ohne Zeit, f&r ihn |^bts 
keine Veraanyenheit und keine Zukunft. Er 
herrfcht uberall» ohne an Einem Orte zu 
feyn: er ift unbeweglicfay ohne rtill zu Ae- 
hen, er ift fchnell, ohne fich zu bewegen. 
£r ift Ailes aufer und in Allem, aber nicht 
darinn eingefchlofleny und nicbt daTon «ns- 
gefchloffen. Gut ohne Qualit^t, grofs obne 
QuantirlLt. Ganz, ohne Theile zu haben ; felbCt 
unTer&nderiiclit aber alles verftndernd: fein 
Wollen ift That, fein Thun ift Wollen. Er 
ift einfach, nichts ift bey ihm blofs m6glich» 
a]Ies wirklich) er iCt rein^ der erfte, der 
mittelAe, der 1etzte« Alles, ubel- Alles» 
«n(er| in, vori nach AUem.*^ 

B 3 Dic- 



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22 



Diefe ganze po0d(bb6 Tirade ift luebtf, als 
ein lahmer Verfuch, die Superlativ . Vorftel- 
Inng Ton einem aHerrealften We(en einiger- 
maafTen auszndriicken. Zwar nennt er in an« 
dem Stellen die Natnr eine Higenfchaft Got- 
teS| fbgar Gott felbft» findet in ibr das Prin* 
cap der Bewegung, rnid erhebt die Lebie a1« 
ter Pbilofophen von der Ewigkeit der Welt 
bey Tielen Gelegenbeiten : aber das a1]es iind 
Aenierungen, wozn er die Grilnde fcbuldig 
bleibt, und die er hch lelblt in keinen Zu- 
liuDmettbang geordnet batte* 

Ffir die Unfterbficbkeie der Seele ftbrt er 
einige von den gew6hnlichen metaphyJifchen 
Beweilen ant aber zpletzt geftebt er^ dafs 
er» wenn er nicbt als Cbrift die AnferCte- 
hung glauhen mufstCy gewifs die Unfterblich* 
keit der Seele nicbt annebmen wttrde« Auf 
die dringende Bitte feines Mitfprecbers (S. 
432)9 iich nclher dariiber zu erkliiren, ant- 
wort^ er; icb babe gelobt» diels Thema 
nicbt zn bebandeln» als bis icb alt nnd reich 
und ein Deutfcher d, h. in feiner Sprache» 
tin Dnmkopf £eF^ werde. 

Man liebt leicht, wie Tergeblidi die Mil» 
he feyn wurde, zu unterfuchen, zu wel- 

cber 



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— a3 — 

cher Secte Vanini eigentlich gebCirei ob er 
Spiaozismns oder Materialismuc gelebrt babe« 
AUeSt 'ves mlt Wahrheit fagen kann, ift» 
dals er als ein Skeptiker aus Laune und Mnth- 
wiUen erfcheint, dals er pbilofopbifcben 
Ropf Terrftth , tind mandierley giite Kennt* 
niHe gefammek baben muls. 

Aber er geb6rt darum fo wenig in eine 
Gefchicbte der Philolbphie, wie Damm oder 
Edelmann. Durch ihn ift keiae einzige Lebre 
der Pbilofopbie befeftigt» erlftutert, oder am* 
geftoflen worden: er hat das allgemeine 
Reich der Wabrheit weder erweitert nocb 
Terengt: er kannte nicbt einmabl die Fbilo* 
fophie, als Wiflenfchafti ein Syftem ftimmte 
mit feinem Kopfe gar nicbt zufammen. Dais 
er nnter feinen Zeiq^enoHen mandie Sp6tter 
nnd fogenannte Irrgliubige geoMeht habeB 
moge, ilt wabrfcheinlich, und fogar hifto- 
rifcb «rwieien; dais diefe vieUeiebt weiter 
nm fieh gewirkt, Tielleiebt auch plulofopbi* 
fcbe Ideen erregt haben kdnnen, ift nicht 
nnwebr£chein]icb ; aber das alles find nur 
klelne Tropfen in den groffen Ooean. Wer 
eine Naiurbefchreibung des Meeres liefert| 
muCs alie grotfe Flilfle und Str6aifl ncnneiii 

B4 «• 



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— 24 - 

die in dalXel^e fich ergiellen, aber er kana 

ntcht bey jedem Feldbache verweileni der 
in diefe Strdme einlaufu 

F&nde lichs in der Gefchichte der Phllo» 
rophie, dals irgend ein wichtiger Denker dne 
Idea zuerft aus Vanini gerch6pft h&tte; fo 
kSnnten wir feiner im Vorbeygehen geden- 
ken. Eine Sammlung von Meynungen und 
Einf&llen ift uoch keine Gefchichte dcr Pbi* 
lufophie* 

Ich will noch mit mer Prohe der metaphy 

-iirchen Spitzfindigkeit fchliefien, worinn Va- 
nini nicht wenig gethan hatte. Man h6rt hier 
den durcbtriebenften Scbolaltiker; aber man 
weifs nicbt, ob man ibm trauen fol). Ant 
dem ganzen Tone feiner Gefpriiche zu fchlief- 
fen) ergreift er die Dialecdk nur, vm darch 
.jhre Feinhcitcn zu ▼erwirren, und die vor- 
geleglen Probleme entweder IScherlich zu ma» 
chen, oder durch die Rftnftlichkeit der or» 
thodoxern Satze die entgegenftehenden nat&r* 
licbern zu empfehlen. 

Sech- 



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— a5 — 
Sec hftes GefprSch. 

Ueber die Ewigkeit des Himmelii 

(Weltalls;. 

Al^xaader* 

Befter Freund, ist es denn wahr, was 
man mir neulich erz&hltei dafs du es blois 
•Is Cbrif^ glaubfV, aher dich nicht durch an* 
dre Griinde iiberzeugen kannfti der Himmel 
werde einft ein Ende haben , weil jede Ver« 
nlchtung durch ein Gegcntheil bewirkt wurde? 
Dem Himmel, raeynft du, ift nichts entgegen, 
das Feaer nicht einmahl, denn das verzehrt 
ja den Himmel nloht. So rprichft dn die ganze 
Weltmaffe vom Untergange frey, weil der 
Materie nichts entgegen wirkt? 

Jttlius, 

Was geht das dicb an? Solche Dinge mag 
die Religion ausmachen. Oder willft du ein 
wenig daruber pbilofopbiren ? 

Alexander, 

Mit Vergniigen. Aber fo]l ich die Wahr- 

B 5 heit 



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— 2b — 

beit gefteben) fo kannich als Philofoph deina 
Meynnng nicht billigen. 

Juliuu 

Warum nicbt? 

Alexandert 

Wire dler Himmel nnendlicfat £o wftre 

Ein UnendJiches gioffer als das andre Unend- 
licbe; dieler Satz ift iairchf aJIb auch der 
erlbre» 

Julius, 

Ich leugne dir oder vielmebr deinem 
wXbrsmann Algazel diele Folge aus dem Vor^ 
derlatze. 

Aiexander. 

Icb aber beweife /ie. Denn die Sonne hat 

mebr Uniw£llzungen als der Saturn, und 
beyde lind unendiich» nach der Meynun^ 
aua der du die Ewigkeit des Himmels an- 
nimmrt. 

Jttlius, 

Fa1(ch Terftanden. Icb gebe dir nicbt za» 

dafs die Umw&lzung der Sonne der dreyHig* 
Ite Theil von der des Saturn feyy fondem 
lie ift ein blols denkbarer Tbeil ihrer Unend- 
licbkeit) zwar eln Tbell , aljer im Unend- 
Ucben« ^eil fie ftber alle Zahl fortgeletz^ 

und 



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— 27 

und ein Unendllches weder grSfTer nocli klei- 
ner ift» als das andre. Die Bewegungen 
find niir, in Ruckficht der Theile, mehrere 
oder wenigere: die Dauer aber ift einerley 
und diefelbe in allen, nnd nicbt einzehien 
TbeUen nai^theilt* 

Alexander. 

Ich erftaune ! Weiche Miihe und Anftren* 
gung faat es mioh gekoftet, um Algazels 6e- 

weifs zu verftehenj und du niacfaft mir die 
Sache mit drey Worien klar nnd deutlich» 
Aber es giebt noch zwey Grilnde gegen 
die Ewiglceit des Himmelsaus PhiloponuS) die 
micb lehr Iicunjruhigen. 

JttJlfCf» 

Sag^ £e; im Augenblick^ will icb fie wi» 
derlegen. 

Alexander. 

Wenn die Welt ewig ifty und nie elnenAn* 
fang der Zeit gehabt hat, fo find die Theile 

wirklicb unendlich. 

Juliut» 

Der Scfalufs ift falfch. Verftefae fo: Dic 
Tbeile find nnendUch in der Succelfioni nicht 

ia 



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— 28 



in der ge^enwlLrtigen Zfthlung* Jetzk endlidi; 

wcnn antlre dazu koTnmen, unendllch. Das 
geichirlit durch die Zeir, die Zeit aber ifk 
nncncUich wegen der unaufhdrlicben Bewegung* 

Das Oracel des Apo)]o h&tte nicht richti* 

ger aiuvorien Ivunnen. Dic zvv«yte Herku- 
les-Silule des PbiloponuSf die du umrtoITen 
mufstf hefteht in folgendem SchlniTe: AWes 
Endliche kann unlen^ciicn. Dcr Hiinmel ift et- 
was EndlicbeS) allo wird er unterge* 
hen. Der VorderJatz ift fo zu bewdfen: Was 

eiidlich ifl:, ift nicht von iich, es hat An- 
fang und mu£s alfo aucb ein £nde hahen. 
Was endlich itt, hat nur endliche Kraft, alfo 
kann es untergehen. Der Himmel ift endlich. 
denn er ift ein Korper, die Grenze eines 
KSrpers ift die OberAAche, die Grenze der 
Obernache, die Lujie, der Llnie der Punct. 

Julius» 

Hierauf anlwortet Averroes alfo : Wenn 
gleich ein K5rper endlich ift, fo kann er 
^och unendlichen Mangel (privatio» Kichtlipyn 
einer Befchaffenbeitj haben, denn nicht der 

Mau» 



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— 29 — 

Iflangelt ronderu die Wirklichkeit bangt von 

der Kiaft ab» So hat die Erde unendJiche 
Kuhe» weil £e keineForm bat, die fie dar- 
aos bringti Da nun die Abwefenheit einer 
bewegenden Foi m unendlich iii, !□ wird der 
]\Iangel der Bewegung in ihr auch unendlich 
feyn, Mangel der Bewegung ift Ruhe^ alfo 
ift die Ilulie der Erde unendlich. Eben fo ift 
der Himmel von unendlicher Dauer» weil in 
ihm flin unendlicher Mangel ift. 

Aiexander* 

PoIIenl 

Jkliitt, 

Die leerften von der Welt! Denn auf die 
Art w&re der Himmel dnrch Mangel unend* 

lich , und da tiie Befchaffenheit, wenu iie iich 
nach dem Wefen richtet, auch unendlich 
feyn mufte : fo beftunde das Wefen des Him- 
mels im Mangel, nicht in der Form. Ein 
grober Irrthimi! Denn wenn gleich beym 
Entftehen der Mangel eher ifif, a]s die Form, 
die eHtfteht, fo ift doch bey dem Entftand- 
nen das Wefen fpftter als die Form. Z. B. Ju- 
lius Calar ift nicbt ein Adler, wml er Menfch 
ift: in maiuem Wefen ift alfo das Menfoli- 

feyn 



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— 3o — 

feyn eher, als das AcHerfeyn. Dahcr ift cs 
ein Lehrfatz der Fbiiofophie, dals die Beja- 
buug eher fey* ilf & Verneinoiig. Hat nnn 
der Himmel unendlicbe Abwefenheit der Ver- 
nichtungy £o muQi er eine unendliche Kraft 
haben* das immer zn leyii* was er ift, da(f 
iiin alfo keine VernichtuDg treiSen kann* 

AUxander» 

Ldfe doch nur auch die Schwierigkeit in 
dem JBeweife des Pliilopomii» 

£s ift falfch, dals allef Endliche Terging- 
Uch fey. Xlnfer Verftind ift endlich, unddocb 

nicht verganglich. Beyde haben eine unend- 
liche Urlache, die^ weii &e nichts faerTor- 
bringen konnte, was ibr an unendlicber 
Kraft gleich war, ecwas hervorbrachte , das 
ibr an unendlicher Dauer glich. Der Himmel 
ift endlicb nacb GrOfle und Rraft, aber un- 
endllch aii Dauer. Gott i<.onnte nicht einen 
Gott erfchaAen, und das w4re gefchehen» 
wenn er einen der Kraft nacfa unendlichen 
Himmel gemacht h&tte. Oder genauer iu. Das 
erfte Princip konntft nichts macheo • was ihm 

gauz 



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— 3i — 

ganz ftlmlicli ocler ganz tin&liiilich war* I9lchu 

ahnllches, denn, was wird, ift iin leidenden 
Zultandef wi$ von einem Andcrn leideti lei- 
det nicfat Ton etwas AefanHchem, fondern Ton 
etwas Stiirkern. I>fichts un^hnliches, denn 
die Wirknng nnd das Wirkende iind bey ihm 
einerley. Da nnn Gott Eins ifk^ fo ward die 
Welt Eins: da er nicht Ei ns, fondern Alles 
ift, fo ward die Welt AUes und nicht Allef : 
da er ewig ift, fo ward die Weltewig undauch 
nlcht ewig. Weil fie Eins ift, ift fie ewig , denn 
iie hat nichts Gleiches oder £ntgegenwirken* 
des: weil fie nlcht ^ns ift» ift iie nicht 
ewig) denn iie befteht aus entgegenwirken- 
den Theileni dieeinander vernichten. Ihre 
Ewigkeit beDbeht alfo in der Folge, ihre Ein* 
]ieit in der Forirt^tiiuiig uud deui Zufammen* 
hange. 

Aiexaadtr, 

Mehr als menfchliche Weilsheit! 

F. 



Ueber 



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U B £ R 



TSCHIRNHAUSENS V£RDI£NST 

UM 

DIE PHILOSOPHIE. 

(Ehrenfried Walter von Tfchirnhaufen ^ gebohren 
1.U KiesUngswalde in der Ober-Latfitz den 
lo April i65i , geftorben den li Oct6b6r 1708* 
Tiiat Anfangs Kriegsdienfte in den NiederlaH' 
dent rei/te viel und privatifirte zuletzt^J 



U« die Befdrderer der Pbiiofophie richdg zu 
beurthttlen, mals man dreyerley Verdienfie 

uxiter* 

*) Mehxex» Nachrichten Ton ftfinem Lebon finden 
lieh in der su GOrliu i^i»^ heraufgekomnmen 

Lebenti- 



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33 



unterrcheiden. Erftens das Verdienft der £r- 
findiing , und zwar entweder einzelner Wahr- 
heitrn, oder ganzer Syfteme. Zweytens das 
Verdlenft der Anordnung uad Syriematifirungi 
wodurch einzelne Sriindungen erft gemein* 
niltzig und fruchthar werden. Und drittens 
-das Verdienft der Ani^tendung und Populari* 
firung. 

Ohne Bedenken glauhe ich dem deutfchen 

Denker Tfchirnhan/en eine Stelle unter den £r- 
Jindern anweifen zu k6nnen» ohgleich feine 
Erlindungen nur mittelhar f&r die Philofophie 
wohlthatig geworden find. In den Schriiten, 
we]che eine aUgemeine oder particulare Ge- 
fchichte der Philofophie ]iefern« wird Tfchirn- 
haufen gewohnlich — und der Umlang fol- 
cher Wcrke erlauht cs nicht anders — - ganz 
kurz abgefertJgt. • Seine Schrift fe]hft wird 
heute wohl nur von Wenigen gelefen. Ich 

furch- 

Lebensbefchreibung. Vergl. Fonienelle in tlci Ili- 
Itoire du Reuouvellement de racademie dcs fci- 
ences. To. II.» voa welchcr Academieer Mitglied 
War. Eine ParaUele dcffelben mit Xulilcxn rielice 
Btmnuijhr an* de egnffis Kohkn meiitis ete. 
GflrL 1757. 

5. Stiisk. C 



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- 34 - 

flkrcbte daher nicbt, getadekzn werden» wenn 
ich ihm bier eine ausfiibrlichere Betracbtung 

wiedme, und einen kornichten Auszug aus 
dem fcbiltzbaren Werke, ieiner lledicuw 
Mentis mittheile. 

Als Tfchirnhaufen auftrat, war dle Phi- 
lofophie in Dentfchland nicht in den UiUiend- 
ften Umft^aden. Leiinitzent Ideen hatten noch 
wenig Wurzel gerafst: Tkomqfius arbeitete da* 
ran, die Pbilofopbie zn «nem franz6(ircben 
RaifonnemeTit l&r alle Stftnde zu machen: 
Bnddeus trieb fich in Unbeltimmtheiten und 
dunklen BegriAen beram» aus denen er Bcb 
entweder durch Bernfnng auf die OfFenba« 
rung, oder durcb eine Art von Idyrticismus 

her- 

*) Medidna Mentit fiTe atdt inTeniaBdi genenlia 
Sia \am suerft heriat Amfivrimn 

1687 und dann mit der Medicina Corpoiii ver- 
mehrt, Leipzig bey J. Th. Fritfcb. ih^S, 4. (tlie 
Zueigniing iii an Ludwig XIV. gerichtet.) Im 
Buche felbit lieifsc fie : Tenlamen gcnuinae Lo* 
H^M, ubi difCeritnr de methodo detflgendt 
Teritatet ancognitu. (Die Medicina Coipoiis 
ffh er mit einem swe^tea Theile vennehrt» 
dentfch heraus, uuter dem Titel: ZwOlff niiti* 
Udie Lebeuire^clii u. f. w.) 



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— 35 — 

herausbalf : bey RUdigtrn durchkreuzte fich 

dialectifcher Scliarffinn nnd Hypothefenfncht 
aus Manoel au Principien: in der practifchen 
Phiiorophie kam der einzige fufftndarf in An» 
fchla^. Bey keinein deutfchen Philofophen, 
Leibnitzen ausgenommen » konnte alfo ein fy* 
ftemadfcher Kopf^ wie Tfchirnhaafen* einige 
Befriedignng finden , und Leibnitz felbft hatte 
nur einzelne Ideen bingegeben , die nocb ge- 
nauer bewiefen und zu Einem Ganzen ver- 
bunden feyn wollten. Auch erwahnt Tfchirn- 
baufen aller jener Scbriftfteller nicht mit dem 
Flftchtigften Worte^ man m&fte denn anneh- 
men, dafs er bey dem Ausdruck gemeine 
Pkiiofopken^ oder iVort - und kiftorifche Philofo' 
phen mit an Ire gedacht habe. 

Das Studium der Mathematik und Phylik 
hatte ibn friih zu den Ausliindern gefubrt. £r 
rfihmt und citirt einen Descartes, Vieta, Ar* 
nault, Malleljranche, Mariotte, Newton, 
BarroW) Uobbes, Galiiiii, Fontenelle und 
«ndre* Aber ob er gleich Ton diefen mancbe 
Ideen aufgefafst hat: fo kann man doch nicht 
fiigen, dafe er ihnen gefolgt fey . er gieng 
ganz feinen eignen Weg, und die mathemati- 
fchen Studien leiteten ihn darauf. 

C -JL A]ler. 



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— 36 — 

AHerclings wird es vms fehwer, l&ber den 

eigentllchcn Geift feiner Philofophie ein be» 
fdmmtes Urtbeil zu fa.Ueii» da uns fo xnanche 
Fragen auirtoiren, die er felbft erlk in kiinf- 
tigen Schriften zu beantworten verfprach. Selbft 
die Unterluchung iiber die l\ealit^t unfrer £r- 
kenntnifle, i&ber die Mfiglichkeit der Erkennt- 
niffe a priori, verfchlebt er nebft andern 
auf kunftig herauszugebende Werke. Sie 
find nicht erfchienen, und wir bleiben 
alfu auf das einzige, was wir haben) einge- 
Ichraukt. 

Man denke Jlch die Philofophie, wie fie 
damahls war> und nun einen Mann, wie 
Tfcbimhaufen, den weder Beruf noch Er« 
werb, fondern Neigung v.uni Stiidieren trieb^ 
der in der jVlathematik und Phyiik fo groffe 
l^ortlchritte und fo trefliche Entdecknngen ge^ 
macht haue, der iiberall nach reeller Wahr- 
heit ftrebte» der Wafarheit nicht zum Stoife 
mi&ffiger Specnladon) fondern als Bedfirfnifs 
feines Geiftes und Herzens fuchte, der dabey 
entfernt Ton Sectenzwang und Nachbetherey 
ganz fich felbfb ttberlalTen war; nnd man 
wird iich oliu^efahr feibft denken konnen, 

wel- 



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- 37 - 

we]cheii Gang er in philofopbircbeii Unterfu* 

chungen nehmen miifte, und wie wenig ihm 
dasy was man damahls Philorophie nannte» 
(veniige Jeiften konnte* Er felbft unterlcheidet 
fehr hcftimmt flreyorley Gattiingeii von Philo- 
fophen; einige l>egnugen iich mit der Kennt* 
nifs der Kunftwurter und £inthei1nn§en der 
Philofophic, wozu allenfalJs noch eine Na- 
menkenntnifs der phUofopbirchen Secten 
kommt^ IVortphilofophen: andre gehen etwas 
tiefer in die Gefchiohte tler Philofophie, nnd 
baben eine gcnauere Kenntnil^ dcr Terlcbied* 
nen Lehrnitze der Philofophen^, des Fort- 
fchritts dcr Wiffenfchaft, und andrer PunCtc, 
hifi4trifche Fhiiofuphen: iichie PiiiJofopben iind 
allein diejenigen» die felbft denken, und 
durch ihren elirnen Verftand unbekanntc Wahr- 
heiten entdccken. Aus diefem GcHchtspuucle 
iiebt er das, was damabls fiir Pbilofopbiegalt^ 
als eine Sammlung gemeiner Dinge, in ei- 
nen Haufen dunkler Ausdriicke gebiillt^ 
nnd als etwas ganz Entbehriicbes an: es 
giebt nach feinem Urtheile nicht mehrere 
Theile der Pbilofophie, fondern nur £ine 
Wiffenfcbaft , die Knnft zu erfmden» von 
welcher die gemeincn Philofopben uichts wif- 

C 3 feii« 



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— 38 ^ 

fin. *) Uebera]] iindet tt Mangel an erften 
feft lieftehenden Prindpien **) und an Kennt* 

nifs der Mathematik, bhne welche kein Phi- 
lofoph etwas Betrichtliches leiften kann«***) 

Selbftbeobaehtung und Erfahrung ift es, 
WOYon er hoy feiner ganzen Unterfucliung 
ansgeht. Hier hatte er fich Xelbft foJgende 
Fragen Torgelegt, die er in die Seele den« 
kendcr Lefer wiederholt. i. WeUhe Kenntnijfe 
find /Ur eitt^n Jeden Menfcken, die nothutettdigften^ 
und welche Befcka/tigung ift cdfo die vorziig' 
lich/te? £r antwortet, die Unterfuchung 
der Wahrhttt. 2. Wie finde iek Wahrheitl 
Diefe Frage zerftllt in drey andre: Wie foll 
ich das Wahre vom Falfchen unterfcheiden? 
Wie foU ich meine Erkenntnils der Waiirheit 
ins Unendliche erweitem? Wie ibll ich dse 
Hindernirfe bey diefein Gefch^fte uberwinden? 
3. Welches find nun die GegenfiAnde^ mit de» 
ren Unferfitchifnp; ich mich befchilftigen /ollf 

Bcy diefer Unterfuchung mufTen, nach 
feinem Urtheile, allerdings gewifle er(te Prin» 

cipe 

•) S. 3o. 
•*) S. m. 
•••) S. 277. 



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- 39 - 

dpe snm Grunde Iwgen, die allgemein} ge* 
wils und onbeftreitber find. Solche Prindi* 

pien kdnnen allein aus der Erfahrung genoiu» 
men feyn, fo dafs iich jeder durch lein eig» 
nes Bewurstfeyn zu jederZeit da?on ttberxen 
gen kann. Des Cartes hatte zum erften Prin* 
op die Erfahrung: iek denke^ angenommen. 
Tfehimhaufen fa(st diefee noch allgeoieiner 
fo: lch bin mir mannigfaltiger Dinge beuuifst, 

Ueberzengtt dals ielblt der Sceptiker diefes 
Factum nicht lengnen k6nne, zerlegt er nun 

dafTelbe in folgende drey Erfahrungen: i. 
Bimge Dinge machmt einen gutent nndre einen 
Men Bindrach aiff unt» 2« Einiges kSnnen wir 
begreifen , andres nickt» 3. Einiges nehncn 
wir dwreh die Aufern Sinne^ einigei durch innere 
Verftellungen und Kmpfindungen wakr^ Oas Fac* 
tum des Bewufstreyns ift ihm das allgemeinfte 
Princip alJer Vorftellung und £inpfinduiig« 
Der erfire Grundfats, Prineip der Moral^ der 
andre, Princip der Erkenntnifs der JVakrheitf 
«nd der dritte, Princip aller Erfahrungm 

Man Iteht hieraus, dafe er unter Ph'il6fo« 
phie iich eine IViffenfchnftslehre. dachte, die 
aut dnem tbeoredfchen und eincm praeiifchen 
Theiie beftandt wovon der erAre allgemeine 

C 4 Grund- 



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— 4« — 

OruncK^tze ttnd Begeln der Wahrheitsfor* 
fcbiing, der andre eine JMFetbodologie, oder 

Anwendiing diefer Grundfatze und Begeln 
euf die ftbrigen radonalen und empirifcben 
Wiffenrchaften enthalten foHte. In diefer R&ck^ 
ficht nennt er fie eine Erfmdungskunft, und 
liefert denn in der Medicina Mentis die allge- 
meinen Regeln derfeilben. Die Fbilofophie oder 
Eriiudungskunft , fagt er *), gleiclu eineni 
Banme, der ans drey Stacken, aus Wurzeiu» 
Stamm nnd Aeften mit Fracbten befieht. Die 
Wurzeln find die allgeineinen Regeln der Er- 
lindttngskunft: der Stamm iind fpecieliere 
Begeln in RQkficht der Kniilichen, matbema- 
tifchen und phyfifchen Gegenfiande : die Aefte 
neblt den Fruchten fmd die ganz fpeciellen 
Regeln far Moral, Gefondbeitslehre der Seele, 
fiir Medicin, Gefundheitslehre des Korpers, 
tind far Mechanik, Anwendang beyder au£ 
ftttfere Dinge. Und fo wie Wurzel» Stamm 
und Zweige aus Mark, Kem und Rlnde he- 
ftehen: fo befteht die ganze Pbilofophie in 
aDen Tbeilen aus phyfifchen, mathematilchen 
und finnlichen Obiecten. Nach diefer liinthei- 

ung 



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— 4i — 

lang hatte er hch vorgenommen , auf die in 
dtt Medicina xDentis dargeltellten allgemeinen 
Kegeln nocli «ne Bntwicklung der befondem 
und ganz befondern folgen zu larTeu. Alle 
Gegenltftnde der Unterfacfanng iind von der 
Art, dafs iie entweder durch blorTe Vernunft, 
oder durch Erfahrungy oder durch beyde zu* 
gldch nnterfucht werden* Er woJIte in einem 
eignen Werke zelgen: wie man das Unbe* 
kannte in der Mntheuiatik finden kdnne, in 
einem andern: wie man Erfahrungen machen 
inufTe, um neue und nfitzliche Wahrheiten 
daraus abzuleiten, in einem dritten: wie man 
in der Phylick mit Gewifsheit fortfcbreiten 
k6nne. Den Befehlufs feiner Bevniihungen 
wollte er mit Darlegung ganz fpecieller lie> 
geln madien, die eine practifche Anwendung 
der erftem auf die erapirifchen Verhiiliniffe 
des iMlenfchen enthalten foUten. 

Da die . IVIfi<]lcina mentis dlc allgemeinen 
GAnndlatze der £rhndungskunft cnth&jt: fo ifc 
natllrlicb das Grundprincip« worauf er foi*t« 
baut, diefes: Einiges konnen wir begreifen, 
einiges nicht. Begreifen nennt er* zwey Bc- 
grifle Terbinden. Aber gefetzt, wir wo]N 

C 5 ten 



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— 4a — 

ten ftatt des unbeftiminten Wortes Begreifeii, 
das nnter nns betdmmtere Wort Erkennen fe- 

tzen ; wie viel Fi ai^en blelben gleicbwobl 
noch iibrig, an die Trcbirnhauien gar nicht 
gedacht hat? Gorgias leognete gradehin, dali 
-^ir etwas begreifen oder erkennen kbnnten, 
nnd da(s wir im Stande w&ren» nnTre etwa* 
aigen Erkenntnifle Andern mitzuthdlen. Und 
eben diefe^ ift es , woraus Trcbirnbaufen das 
Criterium des erftern hndet: Wir faabens (agt 
er, etwas begriflen, nnd k6nnen daron ge- 
wi£s feyn, wenn wir es Andern mittbeilen 
k6nnen: iignum fcientis efk pofle docere. 
Der Unterlcbied z^fchen Verftandeserkennt- 
nils und finnlicher Erkenntnifs, wie ihn Wolf 
in der Foige feftletzte» ichwebte ihm aUer- 
dings Torf aber er faiste thn nicht beftimmt 
genung, wenn er Inte]1ectus und Imaginatio 
fur die beyden menfcblichen ErkenntniisTer* 
mdgen erklArte, und dem erftem die Erkennt- 
niCs realer Wefen, der letztern die Erkennt- 
niis iimilicher» und einem dritten^ nur bitt» 
weife angenommenen , der Vernunft die Er* 
kenntnifs matbematifcher zufcbrieb. Sinnbche 
Vorftellungen nenm er ferner blolTe Bildert 
ItrkenntniiTe des Verftandes Realitftten, Irr* 

thum 



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— 43 — 

thum iCt ihm Verwechslung der Bilder mit 
U^alitiiteii* 

Ueberall leucbtet der Msngel an einer ge- 
nauen Unterfuchung des menfchlichen Vorrtel- 
lungevermdgens bervor. Wenn er alle Obiecte 
der Erkenntnifs m finnlicbe, mathematifcbe 
und pbyfifche odcr rea]e eintheilt : wobin ge- 
bSren denn nun die abltracten Ideen? wo 
bleibt diejenige Erkenntnifs, die wir dnrdi* 
aus durch den Namen der philofophirchen von 
den genannten drey Arten unterfcbdden milf* 
fen? Was ift denn nnn eigentKcfa Wabrhat? 
£r amworret: das Begreiiliche. Und woran 
erkenne ich diefes? Darant da(s icb et be- 
greife. Und wenn begreife ich es? Wenn icb 
eine DeBnition davon machcn kann. Und 
wodurcb weifs icb, dmb diefe Deiinition ricb* 
tig ift? — IVIan kann diefe nnd fthnliebe Fra- 
gen durch fein ganzes Syftem hindurchfuhren, 
nnd fo oder anders beantwocten: aber man 
kommt immer zuletzt anf das Bewnfstfeyn des 
Begreifens zurnck, welches un^ durchaus ia 
dieler Form nichts erkllUrt. 

Mehrere Tftufchungen lind es, wodurch 
iich Tfchirnhanren in leiner Unterruchung irre 
f&hren Hefs, Die erlke war f<nne Idee tou 

mathe- 



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— 44 — 

mathematifcher Gewifsheit, die er bcy philo- 
fopbifchen Gegenft&nden nicht verladen wolltei 
nnd durch die mathematirche Procednr zn er« 
fetzen fuchte. Daruin legte er auch hier De- 
linitionen zum Grande^ fiicbte den inteile^ 
tuellen Wahrheiien eine Art Ton Anfchauang 
oder Confiriiction zu verrchaflen, und «laubtc die 
Begeln des Verftandes beym Unterfuchen 
inathematifcher Wahrbeiten ganz allgemein an- 
wenden zu konnen. Elne andre Taufchung 
entfprang aas der Idee Ton Erfindung und 
Entdeckung nener Wahrbeiten, in welche er 
das Wefen der PhiIofo^)hie fetzte. Diefer ge- 
in&C& konnte er fich kein «gentliches SyfteoL 
einer WifTenrcbaft denken: das einzige ausge- 
nommen, welches die Gefetze und Regeln 
zur £rfindungskunft enthielt. Hieruber Ibll* 
ten fich die Menfchen wiflenfchaftlich beleh» 
ren laffen, und dann jeder fcinen Weg fiir 
lich fortgehen, d. h. feJbft denken. 
dritter Punct, fein Urtheil uber den Werth 
dcr Wiffenfchaften, unter denen er der Phy- 
Jfick den oberften Rang anwieDs» liaif diefe 
Anficht beftatigem Hier nehmlich fuchte er 
die cigentliche AnwenJung dcr Fertigkeit im 
Sclbftdenken : er felbft, Erfinder mehrer 

nfitzli* 



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— 45 — 

natzliclica Ideen und Werkzeuge der Pbyriok» 
dachte licb nicbts grfifTeres nnd angenehmersi 

als Erfinduns, uiid mitbin keine nutzlichere 
Grundwillenrcbarty als die» wclcbeeine Anp 
weifnng zum Erfinden entbielte. Viertent 
macbte feine unbegranzte Achtung fiir Erfah- 
rung, und der WiderwiUen» den er gegen 
aUe rcholaftifcbe SpitzJindigkelten in leeren 
Begri/Ten gefafst hatle, dal,s er, feiner eig- 
nen £rk]&rung zufolge, die Unterfucbung 
i&ber Prioiitilc der Erkenntnifle, ilber trans- 
cendentaie Principien mit Flei fs uJ)ergieng, 
da wo iie dgentlicb bin gebort b&tte» und 
lie an£ eine andre Zeit yerfcbob, wo fie zu 
fpat kam. *) Statt alfo z. B. bey dein Satze: 
Einiges ift mir begreiAicb» einiges niciity die 
Urlacben und Bedingungeil in der Katur de« 
Vorriellungsvermogens auizufuchen, analylirt 
er dieles Selbftbewulstfeyn empiriicb, und 
erklftrt das Begreifen aus dem empinfch Be- 
greiflicben, aus ge^ebenen Gegenrt^iden, tiie 

man 

Sr leugnet daher eigentlich tdchu wie Bmcker 
wiU* die Priotitst des Cattefircbeii GnmciretBes : 
Ich denke, loxidern cr iaXst (ie bios dakin ge« 
AeUt feyn« 



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— 46 - 

man fchon begril&n babe. Daber ftiftbrte Uin 
anch die Frage aadi der 0}>iectiYitit nnferer 
Erkenntniffe nlcht im Mindeften: felne Lehr^ 
HLtze blieben Itebeni die Gegenftilnde anfer 
dem menrohlichen Erkenntnilsvermugen tooch- 
len Uealiiat hahen oder nicht^ denn He wa- 
ren voa Erfabruiigen abgezogen und (bllten 
anf Erfahrungen angewendet werden. Tfchirn* 
haufen war hier eiiier gliicklichen Idee auf 
der Spnrs aber er verfoJgte iie nicht. Nicbt 
minder aalTallend ift endlich auoh die Ver» 
wechfeJung, die er zwifchen Erkenntnils- 
grund nnd Grundiatz sbachti tind die licb 
in dem folgenden Anszuge deutlidi seigen 
wird. 

Ein neuerer Denfcer urtheilt uber Tfcbim* 
haofens Medicina mentis: nfie fey mehr eln 
wilder Disoours, in welchem einzelne Fun- 
ken det Lichts aufliJickeni als ein allgemeinet 
I^bVbuch zum Gebrauch onferer Vemunft in 
Eihficht jcdor Wabrheit^^ und ich iinde an die* 
fem Urtbeil nichts zu ermaOigen, als den 

Aus» 

•) Bujch in der Encyclopidie der liiftor. plulof. luid 
matheni* WifTeafcluiftea 3. afiS. Alie Auig. 



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— 47 — 

Ausdruck wild« der imiDcrbui von dtn Sa« 
dken, aber nicht toii der DarfteDung gelten 
kann. Diefe ift vielmehr mufterbaft ordent- 
Hch nnd zuiammenbftngendt und macbt dia 
Lectflrc det Werks ilberaut lebrreich und an- 
genebm. Der VerfalTer gebt an dem Faden 
der SelbAbeobacbtung fort» eniwickelt unt 
fetne ganze Geiftesgefchicbte ^ nnd bleibt fet« 
nem Plane durchaus getreu, £ben um des* 
wiUen babe ich mirs nicbt Teriagen k6nnen» 
den erften Theil deflelben ganz zu Qberfe- 
tzen. Der Verfafler erfcheint bier in eig- 
ner Perlbn, alt Jtfenfch und Denker» und 
kann dem Anf&nger, wie dem Geubtern, fo 
lebrreicb werden» wie ein Montaigue oder 
«ndre Selbltbekenner. Man bOrt allen leinen 
Urtheilen das practifche Leben und die eigue 
£rfabrung an» und wurde ibn fchon wegen 
feines reinen Eifers filr Wabrheit hochacbten 
muflen» wenn er iich auch nlcht durch fo 
wiebtige Entdeckungen die Hocbacbtung der 
gebildeten Welt erworben bfttte. 

Sein 

*) Eine Uebcrretzung des ganzen Werks verfprach 
Gottfched in feiiieK Oratio de ini^uiuie extero- 
rnm etc. 1734. 
Seib& ChxiAiaa Tbomariuf , dcr An&ogp ia let. 

ncn 



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S^n Bi i tf i flb fiet VeiiSejilc m £e Ailo* 

fojJiie wird aus demjenigen erbeilen , was 
fn der knrzcB Vei||]ciciiiiBg aut IF«^ 
blogt t& 

Nocb eine Beinerkung innls ich voraus- 
IbbicfceOf welcbe licfa mii' bey dem Dorcb* 
leCen der MeclicSna ntentie wieclerbolen lHcIi 

aulgedrlngt haty iiber die AehnJicbkeit eini* 
ger Ideen nnfert Pbiloibphen nrit den Pkto* 
nifclipn. Plato nannte die Philofophie cin 
Streben nacb der gottlichen Weifsheit, and 
letzte das b5cb[ke Gat mit in den Reiz der 
Speculafion. Bey ihm war dle Dialectik 
( Tfckirnhaufen nennt £e Logik) eicie WiHfen* 
fcbaft dei Endzweckt, und der Jfittel zn 

dem- 

ticii moiiaililicVipn Untcnreduiigen i688> Mon, 
Mirz ( fo ii.tniirck und bitter iiber die ■ Medicina 
wentii beirge£ilitn war» g^fiand binterher in der 
Vorrede sur Pnctifchen Logtk» viel daraus ge- 
lemt zu baben. Ueberbcupt <>laube ich auf dieret 
Werk anwenden cn bOnnen , was Gartfe hej Fer- 
piifon S. 287. fagt : Es giebt Biiclier , die blof 
Vcrratben , was dcr Verf<ilTcr gclexnt hat. E» giebc 
andre , die cugleich anxeigen , was er fey • wio 
ar Celbft denke* wi* ac amp&nde und wia er ban» 
dtln mflgt. 



- 49 - 

^emfelhen zu gelangen. Sie mftlTe die Seele 

durch Analyfe Jeilen, und durch Erklilrung, 
fiintheilung und Induction za der Wahrheit 
fflbren: der Anfang der Philofophie fey For^ 
fchritt zur Tugend , ihre Vollendung Tugend 
felbft, d« h. Vo]]kommenheit unferer Na- 
tur. Tfchirnhaufen kannte die Syfteme 
der Alten, und gewiis auch Platon, wenn 
er gleich feiner nioht ausdrucklich gedenkt. 
Gleichwohl geh6rt noch mehr daza« nm be* 
ftimmt zu behaupten, er fey bey dem Gange 
feines Nachdenkens Piaton a]s Anhanger ge* 
folgn IndefTen ift die Vergleichung der vor* 
kommenden Aehnlichkeiten zwifchen beyden 
intereflant und lebrreich* Uier die Ueber^ 
fetzung des erften Theils nnd der Auszug 
der beyden andern. *) 

•) Wm Brueker To. IV. P. 11. p. 699. iind aus ihm 
andre z. B. der logeiiannte Crontaziano in der Ge- 
fchichte tlcr Uevohitioncn in der Philofophie 
(Uebeif. von Heidenreich, flter Theil S, 177 f.) 
g^eben luben , ift obnedem ntur ein Auwn^ au$ 
Tfchindiaafent Vorrede und den Randxubriclten. 



6.Silii1i. X> Br. 



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Erfter Tbei]. 

Gang meines Qetjtes xum 2Uele der Wahrheits-' 

Wenn ich mich felbft aufmerkfam betrachte^ 
und iiber dasjenige nacfadenke, was mir Ton 
Jugend an daza behlllfllch gewefen ift, dett 
richtigen Lcberispfad mit Gliick zu betreten: 
fo finde icb, bey genauer Unterfucbnngf ror* 
nehmlich drey Sdicket die ich mit allem Reeht 
unter die voriichtnften Leitungsmittel rechnen 
zu k6nnen glaube. Icb habe nebmlicb yon 
Jugend an erfiliek die Neigung gehabt, Nie* 
mandem zu fchaden) fondern vielmehr einem 
Jeden das Befte zu g6nnen, und ibm nach 
M6glichkeit dazn bef6rder1ich zu feyn, ^toey» 
tens eine auferordentlicbe Beglerdci immer et« 
was Neues und Wiflenswilrdiges zu lemeni 
und drittens ein emfiges Beftreben, nuch fo 
g]ucklich als moglich zu machen. 

Das erftere batte die Wirkung, dals ich 
lelcht die Guten von den Bofen unterfcheiden 
lernte* Die let^tern baben keinen andern Ge- 

dan- 



danken, alsden, wielSeandeni fchaden kGnnen, 

iie freuen ficb, ihre Nebenmenfchen bintergan- 
gen ztt baben» und rikbmen iich lolcher 
Handlnngen mit Entzilcken. Ich flob diefe 
Gattung von Menfchen, fuchte den Umgang 
derer« die mir &bnlicb warenj und fo kam 
ich in die Bekanntfcfaaft rechtfchaflner Men* 
fchen , die fiir meinen Character wohhhatig 
ward* Allein nicbt alle moraliTch gute Men- 
fchen haben dabey ancb ansgebildeten Ver* 
Itand; im Gegenthcil Knd Ae nicht feiten von 
der Erkenntnils des Wabren weit entfernt, 
und voll grofTer und mannigfaltiger Vornr- 
theile : daher konimt es^ dafs fie durch ihre 
UnwiOenheit Andere unter dem Scbein des 
Guten und Wabren oft mit wichtigen Irrtha- 
mern anfcecken, die iich nacliher nicbtleicbt 
«usrotten lalXen. 

Gegen diefe Gefabr fcbfttzte mich meine 
Wif^begierde, die mich mehr zum Lernen 
nnd Forfcben antrieb» als andre die £rmab- 
nung eines Lebrers, oder die Hofnung auf 
Gewinn* Sie fiihrte mich in die Bekanntfchaft 
der gr6ften und weifeften llilftnner der Vor- 
welt und unfrer Zeit : lie madite, da& ich 
mchtfo leicht vom rechten WegeabirrtCi oder» 

D it wenn 



— 5« — 

wenn es ja gefcliah« leichtwieder daranf sn« 

riick kehrte. Allein, indem ich mir die 
GrundllLtze Anderer bekanni machte, kam 
ich in den eigentllchen Kenntniflen und in 
der Fertigkeit, felbft etwas Gemeinnutzliches 
ztt erBndeni nicbt TorwartSi ich er- 
langte die Gefchicklichkeit ntcht, die Fr* 
findungen raeiner Vorganger zu veimeh- 
ren oder zu erwditem, ich ward fogar Ton 
jedem Verfuchef felhft etwas 'zu erfinden, 
zuruckgerchreckt. Wenn wir die Geiftvollen 
Werke Andrer anfeheni denken wir felten 
daran, wie Tiel Mtthe ihre Verfertigung, wie 
viel Zeit ihre Anordnung gekaftet hat, durch 
welche VeranlaCfungen die Urheber darauf ge- 
riethen, wie klein der erfte Anfang gewefen 
feyn mag, wie die eriten Entwiirfe nacb 
und nach bey Laune wieder Torgenom^ 
men, ausgebefTert und allmahlig Terarbeitet 
wurden^ bis lie die Stufe der VoUkommen* 
heit errncht hatten, dafit ite difentlich be* 
kannt gemacht werden konnten. Im Gegen- 
tbeil beym Anblick foJcher ausgezeicbneter 
Werke fetzen wir ftiilfchweigend Toraus» dali 
ihr Urheher alle folche gew6hnliche Minel 
nicbt n6thig gehabt» lundern fein Werk auf 

de r 



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— 53 — 

der Stelle und im erften Entwnrfe to^ wie 

es da ift, niedergerchiieben babe. Diefes 
Vorurtheil nahren die Autoren felbft : einige 
unwUlkuhrHch, indem Ae des Syftemswegen 
alles fo zufaininen ftellen, als wenn fie es 
gleicb von Anfang fo exfunden und geordnet 
h&tten , wobey Re denn Manches « was nicht 
zu ihrem Gegenltande gehort, nehinhch, die 
VeraoJalTungen und Mittel» wodnrch lie auf 
dlefe Bntdeckungen gekommen find, die Zeit, 
die fie ihnen gekoftet u. d. in. ganz uljerge- 
hen. Oer grofte Theil von Autoren aber thut 
es abfiohtJich. Sie rQh men lich dann, allein 
Uiheber aller diefer Entdeckimgen zu feyn, 
und verfichern» iie ohne viel Mahe und in 
kurzer 2eit gemacht zu haben. Noch andre 
iind liftig genung, Ach dadurch ein Anfehen 
zu geben» daEs Re die ganz leichten ISeweifei 
wodnrch lie eine Wahrheit fanden , nicht mit- 
theilen, fondern niit vieler Miihe fchwerere 
auffuehen und in ihren Werken darlegen. Da- 
her kommt es, dafs man folche Autoren ehrer- 
bietig bew^undert, fie fur gottlicbe» und uicbt 
mehr menfchiiche Genies h&lt» nnd dafs nun 
andre, dle nur menfchliche nnd fremelne Fal- 
higkeiten in ficb iinden» an ibrem Vernadgen» 

0 3 fo 



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- 54 - 

fo etwas zu lelften , glnzlich Terzwoleliii ddt 

fie alfo, anftau nach der erften aller Wi£fen- 
fchaftent die ani daa Verborgne ofFenbart^ 
«u ftreben, lich Yielmehr einen Filhrer er- 
w^len, und zwar den, welchen iie am m^- 
ften bewundenii und fftr mehr, «Is einen 
menfdilichen Kopf halten. Diefen ziehen fie 
dann allen andern von und bleiben fo fcla* 
Tilch an ieinen Grundfiltzen haften^ daCs ile 
fieber die Wahrheit felbft eufbpfem , als Ton 
feiner Lehre ein Haar breit abweichen, oder 
dnrch ihren eignen Verltand eineneue Unter^ 
fuchung wagen. 

Am wohlthHtigften war es daher fiir mich» 
daft ioh» atifmerkCisim auf die gew6hn]ichett 
W&nfche der Sterblichen, meine Bemiihuii* 
gen daraof richtete » fo gliicklicb zu werdcn , 
aU es ein Menfch werden kann , dols icb mir 
elfo den weireften Lebensplan entwarf , den 
ich mir denken konnte» und dabey aiiheng) 
dals ich micli mehr von mdner eignen Neigung, 
als von Andern , leiten liefs. Aber eben hler 
liegt die gr^fte Schwierigkeit » auszumachcns 
welches denn elgentlich der richtige Weg fey* 
Uiid wenn das Sprichwort; fo viel Kopfe, fo 
Tiel Meynungeni irgendwo eintrift» fo ifies 

bier; 



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- 65 — 

iiier: znan mag entweder auf die unz^h* 
ligen imd oft Himmelweit ▼erfchiednen Sylie* 

me der Denker , oder auf die Meynungen 
des groHen Uaufens iiber Gufe und Bdfe, liuck- 
iicht nebmen. Hierzu kommt noch dUe trau.* 
rige Erfahrung, d^is unter beyJen Wenige 
das wirklicb iind, wofur iie £ch ausgeben. 
Diefe fietrachtungen machten mir wenig Hof- 
nung, diefen riclitigen Weg auszufinden, es 
fcbien mir nicbt wahrlbbeinlicb 9 da£i unter 
fo Tiel Taufenden, die alle ▼erfcbieden den* 
ken , ich aiiein und immer da& Belte enide* 
cken wiirde. 

Dennoch fieis icfa mich nicfat afafcfarecken« 
fondern ftellte Vergleichungen iiber Vcrglci' 
chungen an. Icb bemerkte bald, dals nicbu 
fchwerer fey, als eine befiAndige Befonnen* 
beit und Aufuierkfamkeit auf f.ch felbft: da 
wir uns in einem Zuftande fteter Ver&ndcrung 
befinden. Da es nnn die Menfchen nicht in 
der Gewalt haben, ihren Character und die 
daraus entfpringenden Handlungen efaen fo 
Incht, wie ihre Worte« zu ftndern: fo durfte 
man nur immer mehr auf die HandlungcTi Aii* 
drer, als auf ihre Worte aurnierklam feyii, 
darfte nur Gelegenfadt faafaen, lange mit ih- 

D 4 nen 



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— 56 — 

nen umzvgebn, und Xelbft gnt fejrn, um aach 
die kilnrtlichften Taufchangen Anderer mit 

leicbter Muhe zu durchrehen. Damit Heng ich 
an» in das Wefen der Dinge einzudringeni 
und lie nicht mehr nach dem ftnfern Scbeine 
zu beurtheilen, wo fie oft nur gl^nzendes 
Elend find, das heifst, ein grolses Uebelunter 
dera Scheine eines grofsen Guts. AUe Dinge baben 
zweyerley Gcftalten» eine ficbtbare und eine 
nnfichtbare, welche beyde von einander ganz 
▼erfchleden find. Bey diefen Pralujigen fand 
ich nioht nur ieichtt was denn eigentiicb von 
Andern fdr wahrhaft Gut und f^r wahrhafl: 
Bofe gehalten wird, wenn He gleich ganz 
etwas anders» felbft gegen ihre Ueberzeugung, 
dariiber ftufem: fondern ich hemerkte auch, 
incleru ich iiim nieine Aufnierkfamkeit auf 
micb felbft richtete» zu meiner Freude» dafs 
wir, wenn wir nur nicht mit Fleils unferm 
eignen Bewufstfeyn widerfprechen wollen, von 
uns £<^b£t befCer ais Ton andern Jernen kdn* 
nen, was nns gut oder nicht gut afiicirer« 
was uns fchwer oder ]eicht ift, was uns Luft 
oder Unluft macbt u« C w.« und daOs wir da* 
raber fo gewifs feyn kdnnen, dais alle Wi* 
deif|iiucbe Auderer unlre Erfabrung nicht 

wan* 



u ly i^ - o I y Google 



- 57 - 

wankend zu machen verm6gen: fo wie wir 
2. B* am belteii wiflen» ob uns eine Speile 
angenehm fchmeckt, ttnd Andrer Einwendnn* 

gen dagegen nicht achten. Diefs ift lo augen- 
fcheinlich, da& man fich nicht genung wnn« 
dern kann, wSe Menfchen — nicht tkber 
Wahr und Falfch , denn hier gieht cs aller- 
dings mnige nnbekannte Materien — • fondern 
Hber ihre eigue Vorftellungen vom Leichten 
und Scbweren, vom Aiigenehmen uad Unan* 
genehment n. f* w* ftreiten oder vielmehr 
zanken k6nnen, die doch fo dentlich findf 
daCs wobi Niemand , fejhft mit VoiUtz^ da- 
rinn irren kann. Selbft die Sceptiker) die an 
Allem zweifelten, und die Lehrmeynung 
hatteo» dafs die Dinge vielleicbt nicht fo an 
iich wftren« wie iie erfcheinen, lelbft diefe 
konnten, ohne gegen ihr Bevcufstfeyn zu 
Itreitenf fchlecbterdings nicht leugnen» dals 
die Dinge ihnen nnter gewiden BefchalTenhei- 
ten wirklich ei fchienen, und dafs ejnige die- 
fer Erfcbeinungen (angenommen» dafs aile 
Dinge nur Erfcbeinnngen fur nns iind$ aber 
nicht wirklich fo exiftiren) ihnen Luft, andre 
Unluft ▼erur[acbten » undalfo angenehmoder 
anangenehm f&r lie wftren. Denn wenn ein 

D 5 Scep- 



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58 



Sceptiker Schlige bekomiiit, fo mag er im- 
jnerbin dlaran zweifeln, ob es wahrlefi dalk 
«r fo unwQrdig bebandolt wird, er mag fich 
aUenfalls einbilden , dafs ihm das nur fo vor- 
komme: das wird er wenigtkens nicbt leug* 
nen ktfnnen, dafs er Schmerzen fiihlt und 
licb alfo ubel befindet. Dieles Beyfpiel foll 
Bnr zeigen, wie ficber nnd unbeftreitbar 
meine obige Behauptung ift, da[s man nicht 
n&thig hat) bey dem Entwurfe eines weifen 
Lebensplans zu den Eatblcblagen Andrer feine 
2uflucbt zu nebmen, fondern am licherftcn 
Sean eignes Bewulstfeyn daniber zu Kathe 
ziebt. 

Auf diefe Art hatte ich einen fcffen und 
iicbern Gruadj eine gewilfe und unbczwei* 
ISelte Erkennmils, worauf icb das Geb&ude 
meiner Gliickfeeligkeit, fovveit das natiirliche 
Licbt zulangt, auffuhrte. Durcb mein eignes 
Bewulstreyn gewifs gemacbt, da(s micb ei- 
nige Dingc gut andrc Jiicht gut afficirtcn , fah 
icb nun aucb deutlich, was mir fcbwer oder 
leicbt war, das erftre nebmlicb afiicirte mich 
gut, das letztre nicht gut. £ben fo unbe» 
zweifelt konnte icb nun aucb wilTen (wenn 
icb anders nicbt meinem Bewuistfeyn wider^ 

fpre- 



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— 09 — 

Iprcchen wolitc) wa« ich unter mehrern leich* 
ten nnd gnten Diqgen, aU das leicbtere und 

beflfere erfahren hatte: und hleraus erkannte 
ich denn auch naturiicbt welcher Ton den 
veribhiednen Wegcn, die ich betreten batte, 
der berfere war, der jenige nehmlich, der 
mich am heften afficirt hatte. Einzelne fieob- 
acbtungen iagten mir daCTellie. Ich kenne 
kein grSrferes Hmdernifs der Gluckfeeligkeit^ 
als Leidenfchaften; denn diefe uberwftltigen 
feibrt die Itarkften nnd tugendhafteften Men- 
fchen oft fo fchr, dafs fie mit Recht klagen 
k6nnen : 

lch wcifi und biilige, was Gal aber 
ich tbue docb das Bdfe. 

loh babe femer kein belTeres BePSrderungs- 

niittel der meufchlichen G]uckfeeli^I<eit ge- 
funden, als die Entdeckung unbekannter 
Wabrbeiten und eine zweckraaflifTe Auswalil 
derfelben. AlJes Gute, was vvlr jetzt haben» 
war uns einii: unbekannt» und wir rerdan* 
ken es alfo dencn, die es zuerft entdeck? 
haben. Endiich weifs ich nichts, was zur 
Krhaltung unfcrer GJ£kckfccligkeit mehr beytra- 
gen kann, a)s Gefnndbeit, und Freyhcit von 



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— 6o — 

iingrtlichen Sorgen ; die Grundlage aller andera 
Guther des Lebeiis. Alle diefe jetzt genannten 
Puncte kamen nun bey dem Wege, den ich 
eingefchlagen hatle, vorzugiich in Betracht; 
icb Undf da^s icb aaf demfelben am leich* 
teften meine LeidenrcbaFten fiberwinden, am 
fchneiirien unbekannie Wahrheiten eniclt ckcn, 
und alles, was vom Gliick abbidigig iCt, Ge- 
fundbeit, Sicberheit ▼or Feinden, Netdern 
u* d. am berten ia meine Gewalt hekoinjuen 
konnte; das aUes^ fand ich bey ernftem Nach* 
denken, war ndr anf diefem Wege ]eichter« 
aJs auf irgeud einem andern$ den ich kannte; 
und fo durfte ich keinen Augenb]ick zwei- 
feln, den beften unter allen betreten zu 
haben. 

Es ift keine Gefahrt Ach bierinn zu t&u- 
fchen, wenn man nur nicht glaubt, dafs 
dast was uns fo fchcint» auch andern eben 
fo fcheinen m&ne: denn^ was mir leicht, 
angcnehm , gut fcheini, das kann vieDeicht 
einem andern fchwer, unangenehm» nicbt gut 
▼orkommen. Die Menfcben Termengen oft 
die Ndtur Andrer mit der ihrii^cii , und wun- 
dern Hch dann, wie Andern etwas gefalien 
kdnne» was ibnen milsALUt: ja lie gehen fo 

weit, 



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— 6i — 

wcit, ficb feft einzttbil4eii 9 dals es andern 
nicht wirklicb gefalle, fondern dafs diefe 

aus Sonderbarkeit oder EigenHnn, uin ihre 
Bebaupiung durcbzufetzen, ein folcbes Wobl- 
gefaDen nur Torgeben. Allein fie wttrden 
bald die Nichtigkcit diefer Einbilduus; ei ken- 
nen, wenn fie beobacbtet biltten, dals Nie- 
mand Ton freyen Stiicken fich mit etwas Un- 
angenehmen befalktf und dals Niemand etwas 
fucbt oder biiligt, was ibn nicbt gut afficirt. 

Ein zweytes Mittel, fich gegen allen Irr- 
th nm zu lichern. ift die Behutfamkeit, das 
Erkannte nicbt mit dem nocb nicbt Erkann* 
ten zo verwecbfeln, und mithin nicbt dem 
Leiztein beyzuiegen, was nur vom Eirtern 
gilt. Da.« w&rde z. B. gefcbeben « wenn wir 
eine Sache, die uns unter den erkannten als 
die leichteite und befte und angenehmfte vor- 
gekommen ift, filr die abfolut leichtefie, belke 
und anrfpnehmfte unter allen, alfo auch den 
nocb unerkaunten, erklilren wolJten. Wir 
haben nocb nicbt alle kennen gelerntf und 
diirien airo auch nicht von allen fpi echen. 
£ben hierinn baben febr viele gefeblt : kein 
Wnnder daber, wenn lie auf fremde Entde- 
ckungen wenig acbtetcn, wenn iie, in der 

Vor- 



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^ $2 

Vorausfetzung, daCi Rit den belten unter allen 
Wegen lchon ^geTcUagen hfttten, und mit* 

hin ein befferer unmdgllcbzn firjden fey, An- 
drer Ideen ikberrahen» nnd iich anf die Art 
den Zugang zu mmer grdflerer VoQkonuaen* 
heit feibfc verfchlofren. 

Doch daiuit es nicbt das Anficben habe, ala 
ob ich emen Fehler^ den ich an Andem 
tadle^ relbCt begienge, das bej£st, Dingei 
die nm* fiir mich palTen, Andern aufdringen 
woHte t fo werde ich *in der Folge zeigen und 
mit deutlicben Erialirungcn erweifen , dafe 
diefer mein Weg znr GiackfeeJigkeit auch Alr 
Aiidre der ricbtigftc fey. Ich werde mit Ge* 
wifibeii fagen konnen , dafii Andre hieriiber 
lulr mir einftimmig denken • oder ich mOfte 
nicht mit Ueberzeugung behaupten dHrien, 
ei»e Speifc, die licb dcr oder jener» aucU 
wenn tie ihm nocb £b fcblLdJicU wAre, nicht 
vcrfagen kann, fchmecke ihm gut. Doch 
verbcbre icli beiiig» dA[s icb auf Niemanden 
desba]b '/.iime) wemi er otwa glaubt, mein 
Weg fey iiicht der befte : (daruber miliren an* 
dre urtbtiilen} icb kann aucb ivicbt verlangcn^ 
dafs man ihn dafur ha]ten foll» denn ichhabe 
felbft noch nicht alle erdenklicfae Wege ken* 

nen 



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— 63 — 

neD galinit» Ich gebe ibn niir den beften 
unter denen, die icfa Terfacht habe) und ich 

mufs zugleich die Erinneruiig voranfchicken, 
dels ich mir darnm nichfc der Weiieite dOnke^ 
weii ich Andern gnten Rath gebe: denndlet, 
was ich hier fagen werde» ift fo klar und 
Terft&ndlich» dals jeder und felblb ein noch 
unwiflenderer Menfch, als ich, es eben fo 
gut biLtte beobacbten k5nnen. Wenn umer 
unzfthligen Abwegen nnr £in Weg zu einem 
gewifTen Ziele l^hrt, fo wird es fchwer, Ver- 
irrungen zu vermeiden: indeilen kann doch 
vielieicht unter aUen WanderCm gerade dner 
zur^llig den rtchtigen trelFen, ohne darum 
ein beCTerer Kopf zu reyu, als die Uebrigen. 
Ich fahre fort, zu zeigeUf wie ich von die- 
fcm feften Grunde der Wahrheit Mebreres 
mit gleicher Gewii&heit ableitete. 

Indem ieh nun fiiber . die Gewiliheit aDee 
deflen nachdachte, meine eignen EmpRndun- 
geu beobachtete, und aufmerklam auf alles» 
wu «nen guten oder ftblen Bindruck auf 
mich machte, alie Vergniigungen , deren ich 
f^ig w&re» unterfuchte, um die grdltea 
nnd dauemdlten auszuhehen, kamen mir Ztt* 
erft die finnlicheu Vergnugungen entgegen. 

Diefa 



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- 64 - 

Diefe madieii nns das Leben fefar ange* 
nebm: worinn gewifs jeder einftimmen wird. 
Der grolse Haufe ergiebt fich ibnen fo ganz» 
dalfi er anf andre griindlichere Freuden gar 
nicbt aebtet: keln Wnnder, wenn er fie 
fur die groften unter allen halt. AUer viel* 
leicht t&ufchen ficb Oiejenigen nocb mehr, 
welcbe glaiiben, daCs eine Sache, die ihnen 
anfiiiglich Vergnugen gew&hrt, ihnen defto 
grOfTeres Vergn&gen geben mufTe, ^e 6ftrer 
Re diefellie genarfen: da doch die Natur die- 
£er Fieuden einer folchen Meynung durch*' 
aas entgegen ift. Denn anr der feltne Ge« 
nufs macbt Re angenebm. Speife und Trank 
z. B. find uns nur dann angenehmf Wenn 
wir bnngern nnd dnrften» Ae erregen Ecke), 
wenn wir fchon gefittigt find und Jie ohne 
Appetit zu uns nehmen miiQen. Das fch6nfte 
Scbanfpiel w&rde nns zum Ueberdmis wer* 
den, wenn es nicht in Acte eingetheiit ware» 
oder auch, weun wir es zu oft ikfaen. Da« 
her kommt es» dafs diejenigen, welcbe 
prachtige Palliifte bewohnen, oder herrliche 
G&rten behtzeni wegen des beAHndigen Ge- 
braucbs bey weitem fo Tie) Vergniigen nicbt 
daran flndeni wle andrci die iie hloh ein- 

maliJ 



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65 



nah) befehen, zmnabl wenit fie fie lelten 

oder gar noch nicht gefehen haben. Homane 
amuliren nur» wenn man iie einmabl lieftf 
oder nacb langer Zeit einmabl wieder lielb 
Manche fehen zwar diefen Irrthum ein, aber 
iie fuchen iich durch Manni^faitigkeit und Neu* 
heit in den VergnOgongen gegen Ueberdmls 
zu verwahren. AUein fie k6nnen ihren Zweck 
nie erreichen: denu es ift unmoglich, Alles 
fo in feiner Gewalt zn habent dais man ein 
Vergnugen, deffen man iiberdruffig ift, fo- 
gleich nach Gefallen mit einem andem ver- 
taufchen kann« znmabl da unlre Freuden oft 
mit vieler Bitterkeit geniifcht iind.. Ich be* 
bauptet fo feltfam es klingen mag» dals die 
Vergnftgungen um fo angenehmer And, jefelt* 
ner wir iie genufTen, und ani angenehmften, 
wenn wir ihnen Widerltand thun» "Die £r- 
iabrunglehrtes. Speife nnd Trank fchmecken 
beller, wenn wir unfern Appetit nicht fogleicb 
befriedigen» fondern ihn bis aufsAeudeiite kom« 
men laffen. Um alfo die iinnlicben Vergniigun* 
genim hochftenGrade zugenuffen, mulsmanfie 
felten geniillen , mufs beym Genulfe alles » was-die 
Be^ierde verft&rken und reitzen kamTi benn* 
tzen, mufs dabey gegen feine Neigungen 
6.Staek. E ^ k&m. 



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— «6 — 

k&npfen» und £6 dem Rdrper nicfat elier ma 
befriedigen Terftatten , als bis fie durch Kampf 
und Widerltand aufs Hocbfce getrieben lind* 

Aber indem wir unlem Empfindangen 
nachhangen, und k6rper]iche Vergniigungen 
genuOent wird uns das Angenehmfte oft fehr 
fchftdlicbt wie es den Thieren widerfahrtii 
wenn fle der guten Speifen zu viel genuften. 
Und weil uns daraus unangenehme iunpfin* 
dungen erwachfen, Xbbald wir es inne wer« 
den, fo fuchen wir uns von diefenj Ungemach 
nach M^ghcbkeit zu be(reyen. Wie gliicklich 
wftren wir « wenn alles, was uns Unluft und 
Schmerz verurfacht,[(?had]ich, undiui Gegentheil 
aDes» wasLuftund Vergnugenher?orbringt, im« 
mer n&tzlich wftre : dann wurden wir nicht fo viel 
Neigung zum Bofenhaben, umi das Gute und 
Un(bhiidlicbe aus eignem Triebe luchen* In« 
dem icb nnn die b^chften und dauemdlken 
Vergnugungen mit EmHgkeit auffuchte, und 
diejenigea -vermied« die nach dem Genulfe 
Unluft geben: bemerkte ich, dals das hOcfa- 
fke Vergniigen uns dann zu Theil wird, 
wenn wir «nem Genuffe, der zwar iehr an* 
genehm ift, aber aucb bisweilen, Zeuge der 
Veraunft und lirfahrung, fciiiidiich wird, 

feft 



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- 67 - 

feft widerfteheii und die Neigongen, die nns 
zam Gegentfaeil ▼erfuclien, fiberwinden. 

Diefeii Vergniigen ift grSffer, als die iinn* 
Hchen alle: wie die Beyfpiele derer bewei* 
feny welche der Welt und den finnlicfaen 
Freuden entfagen und iich ein ftienges und 
Freudenloles Leben erwilhlen. Diefe k6nnen 
die innern Freuden, die fie genuITenf ntcfat 
genug befchreiben und erheben; wie ihre 
Schriften bezeogem Koch kriiftiger beweiien 
es die, welche Martern aller Arten ausftan* 
den» und miuen in der FJamme Zeicheu ih- 
rer innern Freude gaben» ineinem Zuftande» 
wo keine Verftellung Statt iindet. Allein faier 
k^dnnen wir in groffe Irrthiimer iaJlen, wenn 
nnlre Vemunft nicht gehdrig gebildet ifu Wir 
Jind Menfcfaen, alfo unzahligen Irrthflmern 
unterworfen, und halten daher oft etwas fur 
gut) was uns ILuOerrt fchftdlich ift. So gewils 
es alfo ift, dafs der Sieg aber b5fe Neigun- 
gen ein groffes Verguiigen giebt: fo wenig ift 
doch ein folches Vergnligen« eine folche See* 
lenruhe, fo grofs fie feyn niag, ein ganz 
ficherer Beweifs von der Gdte unfi er Hand- 
lungen* Denn wir empiinden ein gleiches 
Vergnugen, wenn wir in einem entgegenge- 

£ a fetz- 



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— 68 ^ 

femen F«lle» Ton fdlclien, aber uns wabr 

fcheinenden, Voritellungen geleitet, entgei 
gengeCeta^te Neigungen ilberwinden, dieaniicb 
gut lind» uns aber b6le fcbeuien* Die Ge- 
fchichte enthiilt Beyfpiele genung yon Men- 
fcben^ die eben fo Itandbaft und mit der 
gr6ften Gem&tbsrube die beftigften Martem 
fiir eine fchlechte Sache erduldeten. Und 
wenn ficb dann mit der Zeit unfre £inficbt 
aufbellt, nnd vnr die Falfchbeit und Scbftd* 
lichkeit deflen, was wir einft fur wahr biel* 
ten, erkenneni dann entftebt Aeue nnd 
SelbftTorwurf , die Qnelle der bitterften Leiden. 

Um mich nun gegen folche Fo]gen zu ver- 
wabren» nnd allein das Nuulicbe, d. b. alles 
was mem Wefen erbalt und zvk meiner Er- 
haltung beytrigt, zu fuchen» alles Sch^Uili* 
cbe im Gegentbeil zn Termddeni undfo eine 
dauenide und nnunterbrocbne Gl&ckfeeligkeit, 
fo weit He es auf Erden feyn kanji, zu iin- 
den; belcblols icb, mdnen Verftand aus2u« 
bilden , und durch deffen Hulfe das wahrhafj 
X^utzliche von dem bloXs Xcheinbar Niitzlicben 
zvk unterfcbeiden. 

Bey diefer Befch&ftigung genofs ich das 
bocbftie und reinfte Vergnttgen, delfen ein 

Menfcb 



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- «9 - 

nUug iSt* das Vergn&geii, welcfaes au< dem 

Befitze der Wahrheit entfpringt, und womit 
ich kein andres zu vergleichen weils. Das 
werden alle zugeben, die jemahls eine Kennt* 
nifs vieler und wichtiger Wahrheiten erlangt 
haben: befonders aber die» welche fu weit 
gekommen jind, Wahrbeit dnrch iich felbft 
zu finden : gewifs haben iie es erfahren , wel- 
che Freude es ihnen machte» wenn iie neue 
Erfindttngen gemacht, oder einzelne niitzliche 
Wahrheiten entdeckt hatten. Es hat Leute ge- 
geben» die Jich durch keine Ueberredungs* 
^&nde Ton dem Uebermaafs finnlicher Freu- 
den zuriickhalten liefsen, die aber, fobald 
Re die Freudeu der Wahrheit gekoftet hatten^ 
fogleich alle Vergniignngen des grolsen Hau* 
fens fiir Nichts erklirten , alles andre vergaf- 
len^ und fich Speife» Trank» Schlaf und alle 
{Lbrigen nnnlicfaen Frenden verfagten, nm de« 
fto freyer der Unterfuchiing der Wahrheit le- 
ben zu kdnnen. Ja es hat Leute gegeben « die 
lich fehr leicht und ohne Mahe Ehrenfte1)en« 
Reichthum, und andre Freuden der Welt 
(die Gdtzen der Sterblichen) haiten verfchaHen 
k6nnen9 und dem allen freywillig entfiigten» 
weil He furchteien» es nu3ciite ihnen in der 

£ Uuier* 



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Umerrneliung der Wahrbett hinderlicli leyn. 

Das ift kein Wunder: denn wer gr6flere 
Freaden gekoftet bat| Ulst gern die kleinem 
fefaren. 

6ey allen ubrlgen Vergnugungen konnen 
wir getftafcht werden: hier niemehls. Denn 
ans Wabrheit fliefst nichts als Wahrheit, nnd 
alle Folgen derfelben find alfo nothwendige 
und unbeftreithare Wahrheit. Aach dfirfen 
wir nie heforgen, dafs wir eine fo feftge- 
griindete Ueberzeugung jemahls werden £ln« 
dern mUlfenf oder dals kiinftig einmahl ir* 
gend ein Kicliier unfre Erfindungen fiir falfch 
erkl^rt, unfre Irrthumer aufdeckt und unfer 
Andenken Tertilgt. Das Wahre kann, wie 
die Mathematiker wiffen, nie Falfch werden. 
Kur mUCfen wir darauf fehen> dals wir Al- 
les nicht aus WahrfcheinlichkMten, fbndern 
aus rulctieu Griinden ableiten, die einem je- 
den augenfcheiniich und von dem geringften 
Verdachte der Faifchheit frey And« Wie w&re 
cs fonft moglich, dafs wir heute noch Lefar- 
£itze haben, die Tor zweytaufend Jahren er* 
fnnden worden lind, und die auf den erften 
Anblick zwar unglaublich fchienen, aber 
dennoch fo gewiis iind| dafs £e his aaf die- 

len 



~ 71 — 

Un Tag nocb Ton memandem widerlegt wer- 
den komiten , and auch wohl inskl&uftige 
ielbft Yon den fcharrrinnigrten Denkern nie 
werden als falfcb erwiefen werden* Wahr- 
heit allein ift unverftnder1!eh| fie allein kann 
ihren Freunden Guther verfchafFen , die nie 
rergehen oder lich Andern, lie allein kann 
nns Freuden geben , die von Dauer iind nnd 
iich nie in Lcid verkebren. Doch ura aUen 
Irnhnm gftnzlicb 2u vermeiden, wird es 
nothwendig feyn, dafs wir uns bey Unler* 
fucbung der Wabrbeit kcinen andern Zweck, 
ala das Vergniigen» welcbes iie verichallt, 
vorfetzen, und dafs wir alle Begicrde nach 
Kuhin und Lob bey unlern Zeitgenoiren oder 
der Nachwelt unterdr&cken. Diefe Begierde 
verurfacht Unruhe und Mngftliche Sorgen. 
j^anche Eutdeckungen Icbeinen Anfanglich 
nicht fo ntktzlichi wie iie nachher in der 
Anwendung fich bewihren, und der Ehr- 
geitzige bat alfo nicbts als unangenebme £m- 
pfindnngen» wenn man den Nutzen feiner 
Erflndung nicht fogleich anerkennt, er glaubt 
Aun die gefuchte Ebre bey Andern nicbt zu 
erlangen* Am unangenehmlten mnfs es dem 
Ebrgeitzigen feyn> wenn er bey feinen Un- 

£ 4 lejifu- 



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terfuchongen aul nOtzUche Entcledninge& 
kommtf die eber fchon lingft von Andem 

bekannt gemacht worden Iind, fo dafs ihm 
alfo der Auhm, nach welchein er Itrebt^ 
fchon ▼oraus entrillen i(L Hat der Ehrgei- 
tzige ferner Nebenbahler um Bch, die mebr 
Genie oder beOere Gelegenbeit baben, Ib 
wird er iich bemHhen, ifanen heimfich ent- 
gegen zu arbeiten. Und wenn er ibre tref- 
lichen Geilieswerke fieht, oder )oben hdrt^ 
|b erwacht in ihm der qutiendfte Neid, und 
eine gramliche Unzufriedenheit mit iicb» dafs 
et das nicht felb£t entdeckt habe. Im Gegen* 
thal, wer die Wahrheit blols nm des daraos 
cntfpringenden Vergniigens willen fucbt, der 
£ndet lelbft in dieJiBz. Dingen StofF zum Ver- 
gniigen. Er hat hier noch mehr Gr&nde , den 
Kubm zu vefachten» tbeils weil er iicb und 
leine Kr&fte befler, als andre, kennt, und 
lich folglich von Andern immer entweder «u 
fehr oder zu wenig gefcb^zt Anden mUfte. 
tbeilSt weU er Jich Gfinner nnd Neider zu- 
ziehen wurde, die ihm Zeit rauben und in 
dem Genufle leines Vergnugens ftdhren. Und 
wenn der Nntzen feiner Sntdeckungen auch 
nicht foglelch anerkannt wird, fogenugtihm 

die 



~ 73 - 

dieFreude» dieAeihm macben. Er weilsy dafs 
es nichts NiitzHcheres gielit, als diefe feine 

Fertigkeit, immer etwas Neues zu entdecken^ 
eine unrerfiegende Quelie der wohlth&tigrteD 
Werke. Man mii(s anch iiicht gYaaben, da(s 
die Urheber niitzlicher Erfinduugen gleich An- 
fangs darauf geriethen: Re hahen oft viel Ua* 
ni&tzes vorher durchYerfacht. Und was das 
ZufammentreHen mit Andern anlangt: lo muls 
es ihm Frende feyn , Dlnge entdeckt zu lia* 
ben, die fchon von den grdften Mannern zn 
ilirem Ruhme bekaniit gemacht worden iind. 
Da iemer noch unztthJig Vieles zu entdecken 
ift, und er nnm6g1ich allein im Stande feyn 
kann, das alles aiis der Dunkelheit hervorzu- 
holen» fo wird es ihn frenen, da(s es Meh- 
rere glebt, die zn diefem Gefchafte Fs.higkeit 
beAtzen, er wird an Allem, was Andre ge- 
fnndei» haben» oder noch finden werdeui den 
freudisCten Antheil nehmen. Und wenn er es 
filr Pflicht halt, Andern nutzlich zu feyn» fo 
wird er diefe PQioht vorzi&gltch dann ausfiben« 
wenn fich Gelegenheit zeigt, andcrn Erfindera 
zu dienen: indem er andern dient, dieut er 
fich felbfiy fo wie hinwicdernm die vernunf* 
tiffea Wahrhaiuforfcher, wenn He auchdurch- 

£ 5 aus 



«tis keine anJere Abficht hfttteii, als lichrelblt 
si&tzlicb zu werden , docfa eben dadurch anch 

Andern niitzen wurden. Beydes iallt liier zu- 
fammen» und keins ift obne das andre. Aua 
diefer Gelinnung wftrde wahrer Seelen - Adel 
entfpringen: da wir im Gegentheil, wena 
wir h\o£s unfern Vortheil auf den Antrieb 
unfrer Leidnnfchaften, und neben dcr Wahr^ 
heit auch noch £hre bey der Welt und der* 
gleichen Zwecke fuchen» andem dnrchaus 
fch&dlich werden. Der Uchte Wahrheitsfreund 
wird endlich auch Andre wegen ihrer Entde- 
ckungen nicht beneiden, denn £e machen 
ihm ein Vergniigen, welches er fonft eut- 
behrt h^Ltte, und konnen ihm zu andern wich* 
ligem Entdeckungen behaiflich feyn. Wenn 
man alles, was ich hier gefagt habe, wohl 
uberlegt, fo kann nicin keinen Augenblick 
daran zweifeln» dafs der Weile unendfidi 
gllicklicher ift , als der Unwirfende. Unwif> 
iende erlangen nie eine fefte Kuhe der 
Seele. fiinmahlf weil Ae beynahe immer nur 
auf das allein merken, was ihnen fehJt : da 
lie nun diefes fiir lo wichtig halten; ob es 
gleich gemeiniglich nur Tergftngliches GTut iA^ 
uod da ihuen natiirlich in jeder La£|e des Le. 

bens 



- 75 — 

bens immer etwas febleti mn&^ fo finden jlie 

hilufig Verarilairang zur Unluft. Zweytens 
aber feben fie nie oder felten auf das, was fie 
wirklicb baben^ nnd weil ite den Werth da* 
von nicht kennen, fu ift ihre etwanige Freude 
dariiber kindifch und tb6richt. Sie lind alfo 
in beyden FHllen, wenn fie etwas haben, 
oder nicht haben, niemahls wahrhaft fiolich. 
Der Weife hingegen achtet nicbtaiif das^ was 
er nicfat bat: denn er wafS) da(s diels bey 
einem endlichen Wefen, auf welcher Stufe 
der Vollkommenbdt es fteben mag, nicbi 
anders feyn kann. Nocb Txel weniger wird 
er fich dariiher betriiben, denn er weilis, dafs 
es eben fo thdricht w&re, als wenn er fich 
tUaaher betr&ben wollte^ dafs die drey Win* 
kel in einem Triangel nur zweyen, undnicht 
vielmebr drey rechten Winkeln gleich fmd* 
Er ricbtet f«ne Gedanken auf das Gute und 
auf den Werth des Guten, welches er be- 
fitzt Sne Betracbtung) die die r^Ite Fr6« 
liehkeit in ibm wirken mols. Denn er fin- 
det hier 

ErftenSf dals der Weife einen viel frey- 
ern Geift, und unermefslich viel Kraft vor 
dem UnwilTenden voraus hat: fowohl wegen 

fei* 



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- 76 - 

feiner groffern Einfichien, als auch wegen 
der nnz&hligen Hindernifle nnd Vornrtheilei 
▼on dcnen er, als ein Weifer, frey ift, und 
die bey Andern allen Fortfchritt in der £r- 
kenntniOi der Wahrheit nnd a]le Wirklamkeit 
hindern : da er hingegen unzahiige Entde- 
ckungen machen kaan» die Andre nur be- 
wttndern^ nicht nacbmacben kSnnem Daza 
kommt, dafs er feine Veifucbe fo einzu- 
richcen verftehty wie fie gemeinntttzig werden 
k6nnen» Ibitt dafs Andr« mit groisem Auf- 
wand von Zeit und Kuliea ganz unniitze Dinge 
probireni wenn iie nicht etwa das Gliickha- 
ben« wie jener Hahn, eine Perle zu Bnden* 
Der Weife wird feine Leidenfchaften leichter 
Hberwinden und iicb eine grdllere Kube der 
Seela erwerben* da Leidenfcbarten immer ans 
faJfchen Vorausfetzungen oder Vorurthcilen 
entftehent und er fich$ zum GefcbAft macht» 
diefe aufzufucben nnd zu ?erck*&ngen*, Und 
wenn auch andre fich bemiihen, ihre L^iden* 
fchaften zu beli^en; fo ift doch der Weg, 
den fie gehen, febr mQhfam, nnd, was das 
Schliramfte ift, immer ungewifs. Denn durch 
die Mittel « wdcbe auf der Furcht vor Strafe^ 
oder enf der Hofnang einer Belobnung bern* 

henf 



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— 77 — 

heiTi wird dia wabre Uriacbe der Leiden» 
fchaften nicht weggefcbaft: nnd da diefes 

nicbt gefchieht, fo ift es kein VVunders wenn 
Jie bey Gelegenbeit Ton jedem neuen StrQaae 
fbrtgerilfen nnd Terfehlungen werden» Der 
Weg hingegen, den der Weife einfcbliigti ift 
nngleich ▼orz&gUcber ^ er ift leichteri denn 
der Widle kennt die wahre Quelle der Lei- 
denfcbaften und yerftopft fie* er ift iichrer» 
denn wenn einmahl die Wurzel derfeJben her< 
antgeriflen itk^ fo darf man mcht fo fehr be« 
forgen, dafs iie bey der erften beften Gele* 
genbeit wieder ausbrechen werden. Endlich 
der Weife kann lieh wegen feiner grOfTern 
Einficht weit leichter Gefundbeit und Seelen* 
rnhe TerfchaiTeni als andre, die durcfa ihre 
Handlungen beweifen, dafs Thoren keine 
gr6lXere Straie baben k6nnen, als ibre Thor* 
hrit, fo wie )ene hingegen durch die That 
erkennen, dafs der Weife keinen belTern 
Troft babei als die Weisbeit» 

Zweytens wird er inne werden, da& der 
Weife weniger Leiden hat, d. h, frey von un- 
z&bligen Wimfcben, Sorgen nnd Bek&mmer» 
niCTen ift, wonut iich andre aus Unwiflen- 
heit oder aus Vorurtheiien uber das Ver* 

gangnti 



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- 78 - 

gaagfie, Gegflnw&rtige und Kflnftige qnalen* 

Was die Menfchen am meiften beunr»ihigt und 
martert» ift gemeiniglicli nur eingebildetes 
UebeL Vieles, was nns in derNacht fcbrec&« 
te, verwandelt der Tag in Lachen. Und. 
wem nun das Vermdgen zu Theil geworden 
ift» lein Gemlith Yon der Qual eitler Sorges 
zu befreyen , wer das mit den gewdbnlichen 
Vorf&Uen des I«ebens Tergleicht, der wird 
erkennen, wie groCs diefe Gl&ckreellgkat ife. 
S^ne Gedanken werden gewifs dem gleicheoi 
was Lncrez im Anfange des zweyten Bachc 
fagt: 

jLuffXuikm ifU , Tom Ufer herab cUe brauCendea 

Wellai 

Und ih Nodi inid Ge&hr d« mgeBdea S6biL 

fers zu iehen, 
Nicht* als £mitea wix uBt. wena Andw» neboi 

wu IddeBi 

Abcr« eiu Uebel zu fehn, von dem wir telbcx 

beficeyt liiid» 
Gtelyt mit firohas Gefishl ik L w. 

Drittens wird er Hnden, dafs der Weife 
mebc Freudeni d» h. das VermiSgea hat^ 
taufend Freuden, d!e andem unbekannt blei- 
ben, aucb bey dem einfamften Leben» in 

£eh 



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— 79 — 

fich 2tt crwackent Freudeii« dle uns nie^ 
wie etwa die fmnlichen, zum Ueherdruls 
werdeni die mit jeder neuen wichtigen Wabr- 
faeit zunehmeni und die er baben kann, fo 
oft er iiberlegt, wie wichtig das ift, was er 
weils« und wie wenige dazu gelangen. Er 
faat hier nicht ndthig, feinen Neigungen zu 
widerftehen, eine grofle Schwicrigkeit bey 
moralifcben Har^lungen: ja er kann einer 
fo edd]n Neigung nicht genung nacbhdngen» 
weil alles, was zum Guten ftreht, um fo 
beffer, }e eifriger, ift, und weil clie Freu- 
den, die daraus flieCren« fo iicht Jind» daft 
man kein Uebermaafe fQrchten, keine trau- 
nge Stohrungt keinen Eckel beforgen darf. 
Wir kfinnen nichts BefCieres, nichts Edieres 
tbun, als uns mit der Erforfchung derWahr" 
heit befchiifiigen , und eine fo vortrefliche 
Befchftftignng mufs die reinften Freuden ge- 
wiihren. Wir lemen ia Wahrheiten, die 
nns in den Finfternilfen des Lebens» wo es 
fo fchwer ift^ licher ^nherzugehen, wie 
die hellften Fackeln vorleuchten: Wahrhei* 
ten» ohne deren Erkenntniis Andre fo un- 
Jicher gehen, daJs ihre Handlungen» wenn 
£e ibnen auch noch fo gut fcheiaen, dem 

Weifan 



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— 8o — 

Wttfea #niir wle die Icbwankeiiiien Schriue 
eines Tappenden oder Betranknen TOrkom 
jnen. Eine gebildete Vernunft macbt endlich 
wckf. dalk wir die Freuden der Sinnlicbkeit 
nnd der Tugend befler, aU es fonft ge- 
fcbiebt) emptindent dals Re nie in Leid ver« 
kebrt werden, nnd znr Kube nnlerer Seele 
beytragen. Etne gebildete Vernnnft giebt une 
Regeln an die Hand, wie wir alle Fren- 
den — der Sinnlicbkeit» Tugend und Wabr* 
beit — - g^ntlfTen follen, obne da(s Re uns 
Icbaden; fie lebrt uns nebmlich, diefelben 
nur in £o weifc zn genuflen) als be unfere 
Fortrchrttte in der Erkenntnils der Wahrheit 
befordern, und davon abzuftehen, wenn iie 
der Ausbildung unters Geiftes fcbadem Alle 
diefe Betrachtungen Oberzeugen nns, dafs 
nur aus der Erkenntnifs der Wahrbeit die 
wabre Tugend und aus dieler die ▼oUkomoine 
Ruhe der Seelc entfpringt, wekshe die Welt 
nicbt kennt: oder, dafs diefe drey, Weis* 
beitf Tugend und Seelenruhe in einem Men« 
fcben nur beyrammen und ungetrcnnt Statt 
biiden» und dafs in diefen drey Stiicken 2u« 
iammen, das b6chfte Gut befteht^ was uns 
in diefem Lebeu auf dem natutlicheii Wege 

7.U 



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^ 8t — , 

cn Theil werden kaniu Wenn ich nim dSe* 

fes Alles genau prtife, fo kann 5ch mir nichts 
deukenj was uns mehr antreiben k6nnte» 
nach dem Beiitze diefer &chten nnd Ton uns 
ahbaDgenden Giither zu ftreben, nichts, was 
uns Jeichter uiid ichneller dazu verhelfen konn" 
te» als der Weg, auf dem wir alles Unan* 
genehme von uns entfemen* und fo nHtzIicht 
Freuden erlangen kunncn. 

Genung, um zu zeigen, wie und auf 
weiche Art ich die vornehmften Gattungen 
Ton Frenden beobachtet, ihren Mifsbrauch 
benrierkt, und ihren richtigen Gehrauch he* 
ftimmt habe» fo da(s ich leicht und ohne zu 
irren beurth^len konnte, was mir unter al- 
len das grofte und dauerndfie Vergniigen ge- 
macht habe^ und dais ich folglich behaupten 
kann: der befbe Weg» den man in diefem 
Leben gehen kann, fey der Weg der eigaeii 
Sntdeckung der Wahrheit. 



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82 



Zweyter Theil. 

BMUitoortw^ tfer Prmge: Wie fimdem «cr 

Wahrkeu? 

Aber wie gelangen i[i4r in den Befi» dcr 
Wabrheit? £i mufs eine WineDrcbalt gebeo, 
die ntu daza TerfaiUt; dieie WilTeiilcbaft wnrd 
die flHgemeinfie nnd erfie, die QueHe aHer 
fibrigen, der Weg zu allen feyn: von ihr 
wird erit der Werth der ubrigen beldnunt: 
fie fetzt nns in den Stand, unTerinderficfae^ 
ewjge Guther zu erlangen: fie erhebt uns 
i&ber die MenfcbHcbkeit nnd biingt nns in dne 
Gemein&baft mit Gott, der Quelle aHer 
Wahrbeit. 

Die Philoropfaen Ton gemeinem Schlage 
kennen und lehren fie nicbt. Der VerfaHer 
fand he in der Matbematik irorgezeiGhnet, et 
ift die Brfindungskunft, die Algebra der Phi* 
lofopbie* 



— «a — 

Erfter Abfchiiitt. 

Princip der menfeklieken Oewiftkeii^ 

Criterium der Wahrheit, 

Unfer BewuHstiieyn lagt uns: dals wir ei* 
niges Legreifen, einiges niclit begreifen. Dals 
da« Ganze graner fey, als Teine Theile, be- 
grdfen wir ; aber dafs dac Ganze kleinerrey» 
als feine Theile» begrufen wtr nicht. Jenes 
erkJ^en wir fiir wahr, diefes fur falfch. Je- 
nes mula alfo b^reiflich, diefes unbegreif- 
jenes bejahens dieJes vemei- 

nen wir. 

Der Satz: niniget ifl hegrei/lick, einiges 
unbegreiflich <i ift der Grundfatz der menfch- 
Hchen Gewisheit. In ihm iind alle die Prin- 
cipien, welche yon Andem aufgeftellt wor- 
den, entbalten. Denn was heilst z, B« der 
Satz: Atts Nichts wird Nichts» anders» als: 
•ns etwas UnbegreiBicbem kann etwas Unbe- 
greifliches nicht hergeleitet werden? Oder 
wenn man fagt: £s hh unm5g]ich, dals et« 
was zugleich fey und nicht fey, [o fagt man 
im Grunde : Eine Sache kann nicbt zugieich 
begreifliob und unbegreiflich feyn. 

F 2 Aus 



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— 84 - 

Aus dexn angegebnen Satze folgt nothwen- 
Sgt dalis wir txa VermGgen liaben, etwat 
zn begrelfen, und das G^entheil daTonnicbt 
zu begreifen. Diefes Vermogen nennen wir 
VerftamL AUe ▼ern&nftige ]\Ienfchen haben 
ein folchet Vermdgen: clenn alles, was be* 
wiefen werdcu fol], wird entweder auf et* 
was Erkanntes oder BegreiBioheSf oder auf 
etwas Unmogliches oder UnbegreiAicbes za« 
rlick»eruhrt. Und da nun alle Menfchen 
durch Beweife uberzeugt werden^ fo m&ilen 
alle Menfcben ein folches Verm6gen habem 
Aufer dem Verftande aber glebt es noch an- 
dere £rkenntnisverm6gem Wir bekonmien 
Vorftellongen , durdi die ftaferr Sinne, und 
aucb durch die innern , iui letztern Falley 
ohne dals ein ftuferes Obiect gegeben ift. AUes 
das faflen wir unter der Einbildungskraft zn- 
fammen. Der Verftand hangt mehr von uns 
ab, durch den Verftand begrei/en wir^ die 
Einbildungskraft 1%fst uns blos wahrnekmen: der 
Verfund ift thatig^ die £inbildungskrafc 
leidend» 

Um alle Irrung zu Termeiden, miifs 
man unterfcheiden Zwilchen etioas begre{fen 
uiid fich von etwas einen Begrfff macken: das 

erftre 



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— 85 — 

heifst, zitfey Begriffe verhinden, Was icli niehl 
begreifen kann, das kann icbmir aucli niclit 
Torrtellen (einbilden) z. B. dafs das Ganze 
kleiner fey, als feine Theile. Aber was ich 
mir Torftelle (einbilde, durch die Einbildungs- 
kraft wahrnebme) das kann icb begreifen, 
aber von einigem kann ich niir keiiien Bo:^rilT 
machcn» z. B. von der rotlien Farbe. Daher 
kommt es, dals allcs Unljegreiflicbe ft^rker 
auf uns wirkt, weil wir es weder begreifen 
noch auch uns einbilden kGnnen» und dafs z. 
B. Beweife ad abfurdum raehr ausricbten, a)s 
oftenfive. Wir baben uns dabey felir zu hii- 
ten, dafs wir nicht glauben» etwas zit be* 
greifen, was wir uns eigentlich nur einbilden. 

Aber woran erkenne icli, dafs 'n \\ wirk- 
Hcb etwas begrifien habe? Vorausgefetzt» dafs 
a1]e Menfchen gleicben Verlland baben, wie 
oben bewicfen ift, fo mufs ich alles, was 
ich begreifen kann, aucb andern ver(t&ndi« 
gen Menfchen begreiflicb machen k6nneny und, 
was niir unbegreiflicb ift, mufs es auch An- 
dem feyn* Das beweifeu die matbemailfchen 
Demonftrationen. Im CTegentheil alier i(k es 
ausgemacht, dafs tlie ]]inhiltlnu«;^ki aft nichl 
bejr allen Menfchen gleich fey % iiihI d^fs wir 

F ; uif^ 



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alfo anrre Wahrnehinuiigeii nioht Immer «n« 

dern niittheilen konnen. Wie konnten wir z* 
B. dein Blinden Yor£te]langen von Farben bey* 
bringen? Hierans Bielst folgende Kegel: 

Wenn mir etwas beliannt ift, was dem 

andern unbekannt ift , und icli Bnde» 
dafs ich in ihm diefelbe Erkenntnils» die 
ich davon halie» und fo ToHkommen» 
wie ich fie habe, durch blofle Worte 
hervorbringen kann: fo kann ich gewils 
feyn, dafs ich die Sache mir nicht blos 
einbilde) fondern iid begreife* 

Wenn das nicht mogllch ift: £o kann 
icb ficber feyn» da(s icb die Sache nicht 
begreife, fondern fie mir nnr einbilde. 

Weun ich endlicb iindei dais ich dein 
Andem nur Einiges von mdner £rkennt* 
nifs mittheilen kann , Einiges aber nicht: 
fo kann icii daraus fchliedeni dals ich 
nur jenes begreifet diefes aber mir ein* 

bilde. 

Wer z* £. noch kein Feuer gefeben» nnd 
deflen Wirknng erfahren hat, dem kann ich 

mit allen luui^lichen Worten keine Kenntnifs 
^avon beybringen: eben weil Fener kein 

Gegen- 



Gegenftand des Vicrftandes, fondern der Ein- 
bildangskcaft ift* 

Alle Einwendangen, die man gegen das 
aufgeftellte Princip der Gewifsheit machen 
k6nme« kommen aaf folgende Tier Uaupt- 
puncte hinaus. 

s. DieCes Princip, wftre es auch noch fo 
gewiis, ift doob Ton keinem Nutzen 
bey Erforfchung der Wahrheit, 

2. £s ift nicbt das achte Princip. 

3. Es ift nicht unbezweifelt ge^is. 

4. Andre haben beffre Prindj^ aufge- 
ftellt. 

1. Diejes Priacip ift ohne Ntttnen Bey Vnter- 
fuchung der Wahrheit : denn alles, was darau« 
abgeleitet wird, kann ja vielleicbt nur in un- 
fern Vorfkellungen» nicht aber an fich wahr 
leyn. 

Zugegeben, dais nacb der Meynnng der 
Scepdker alle Dinge nur Schein find : gilt 
das Princip doch, um den dauernden Schein 
Tom nicht dauernden zu unterfcbeiden » und 
der Nutzen defTelben ift in diefem Falle eben 
fo groCs. 

Ueberhaupt aber gehSrt dUe Frage ; ob die 
Wahrhttt in meiner Vorftenang aucfa der 

F 4 Wahr. 



— 88 — 

Wahrheit der Gegenltande an Hch entfprcchei 
nicht in die erfie Fhilorophie. Sie gehdrt da* 
liiii, wo vvir dleNatur des Vei ftandes a priori 
unterrucheu. Sie ift hier nicht nothwendig. 
Denn da mich mein Bewulstfeyn lehrt, dals 
icli clniges begreife, einiges nicht: fo kann 
ich auf diefes Factum ungeftdhrt fortbaueny 
ohne dafs ich zu wififen hrauche, wie die 
Dinge an fich befchaiicn iind. Ich habe eine 
Hand, und kann Re eben Xb gut brauchen» 
ohne ihren iunern Bau zu kenneD» wie der 
befte Anatom, der diefen Bau kennt. 

2. Es ijt nicht das Uchte Prindp. Dennwenn 
das Kriterium des Wahren und Falfchen im 
Begreiflichcn und Unlicgreiflichen lilge, fo 
w&rden doch die fcharffinnigfien und Geift* 
reichften Denker nicht fo grode Irrdifimer ge- 
begt halicn. Solche IVlanner miiffen doch wohl 
begrifTen haben, befonders einfacbe Ideeut 
wie die Principien felbft lind. Aber wie un« 
einig Hnd fte alle unter einander! 

Antwort: Nicbt alle Irrtbumert die wir 
Ih Andrer Schriften finden, geh6ren auf die 
Kechnung der Verfaffer , die meiften find in 
nnferm dgnen Kopfe» Wir lefen oft nur, um 
zu tadchi und zu widcrlegen , oder wir le* 

fen 



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- 89 - 

fen zu fliiclitig, oder wir (chieben deii Wor* 

ten des Verfaffers unfre Begrifte unter. Aucli 
find die Irrthamer grofler M&nner niemahls 
fo grols nnd abgerchmackt) wie lie Manchem 
fclielrien, und iri jedem fFalle vernunftigcr, 
aU die Ideen des groilen Uaufens. Die Unei- 
tugkeic nnter den Denkem ift auch bey wei- 

« 

teni fo grofs nicht « wie inaii iie maclit. 
Hierzu komrat noch, dalk allerdings grofle 
Genies fehr leicht irren kftnnen, weil wir, 
wie erwShnt, uiclit blofs Verfiand, fondern 
auch EiiihilUungskraft haben und folglich fta- 
fem Etndriirken unterworfen /ind. 

3. Dieft s Princip ift nicht ausgemacht gewifs: 
denn es giebt doch unz&hligfe Dinge, die wir 
nicht begreir<*n kAnnen, nnd die dennoch 
wahr iind, iiaLurliche fowohl z. B. die Z.ihl 
der Sterne) aU ubernatarliches alie Lehi«n 
der Offenbarung. 

Antwort: Man vergeffe nicht den Unter^ 
£(Bbied zwifchen Begreifen und lich einen Be- 
griff inachen. — Was wir gar nicbt begrei- 
fen konnen, das ift Fiir uns unbekannt, und 
wir wiCfen alfo auch nichr, ob es fa1fchift« — 
Ueliematfirliche Dinge gcbuien zu dem, was 
wir mit dem Verftande nicUt begreifen kdu« 

F 5 oen: 



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— 90 — 

nen: fie kdnnen aber detwegen immer ge- 
wifik feyn. — Endlicb gilt der obige Grund* 
latz nur yon etnfachen oder folcfaen znTam* 
mengefetzten Begriifen) dte in etnfaciie anF 
geloft weiden konnen. 

4* yon andern find heffere Princtpien a^fge» 
fteUt vtorden, Man mo(s folche Pnncipien an* 
nebmen , an denen wir ^ keiner KuckHcht 
zweifeln diirfeni wobey iich unfer Bewufit- 
feyn ohne Schwierigkeit beruhigt, oder, wo« 
¥on man immer eine klare und deutlicbe £r- 
kenntnifs hat. 

Antwort: Allerdings find foldie Prioclpien 
JViittel zur Wahrheit. Aber woher foJIen wir 
Jie nehmen? — Und inder That n8hern lich 
alle Syfteme Anderer dem gegenwftrtigen: 
maiLTergleiche» was die Carte/ianer Xagen. 

Zweyter Abfchnitt. 

Wie kdnnen wir in der Rrkenntnifs der 
Wakr heit mit S icher heit /ortfGhrei» 
tenf 

Alle erfte Begriffe m6gen D^nitionen heif- 
fen» darant hergeleiteten Eigenlchaften 



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Axcome, und die aus diereii abgeleitete Wahr* 
lieiten Tkeoreme* 

I. Von Delinitionen. 

DeHnition ift das erfte» was Ton dner 
Sacfae begriffen wird* Hierbey ift zn be* 
merken : 

a. Wir k6nnen Delinitionen machen, denn 
wir kdnnen beobacbten^ was an jeder Sache 
frflher oder fpatsr begriffen wiid, und was 
das allererfte ift, das nehmlicii, vor dem 
fidb nichts noch fr&heres begreifen Iftfsv» 

h. Jede Definition eines einzelnen Dinges 
rotils die erfte £utftehungsart deHeiben niit in 
lidi rchliefifen: denn diefe ift das Er&e bey 
iedem Dinge. Eine untriigliche Regel beym 
Erimden und Beurtheilen der Dehnitionen. 
Wenn z. & die Definition des Lachens gut 
feyn foll, fo mufs fie fogleich Lachen erre- 
gen. So ift CarteAus Definition von der Be* 
wegnng fehlerhaft, denn fie zeigt nicht die 
wahie Natur oder Entftehung der Cewegung. 
Denn wenn fie wegung nichts ift, als Entfer- 
nung eines KOrpers yon ^em damit zufam> 
menhangenden : wiirde daraus nicht fo1gen> 
dafs beyde« der ruhende nnd der bewegte 
K5rper fich bewegen? n. £ w. 



— — 

c. Wenn eine rulche Defipition gcgeben ift, 
fo Andet iiber die GewiGbeit des Definiti kein 
Zweifel mehr Statt. Denn was idi begrilTen 
habe, an deffon Be|^i eiflichkeit kann ich 
nicht inehr zweifeln: und wenn icb Jeman- 
dem die fintftebung einer Sacbe zcige, niu& 
ibm aiicli die Moglichkcit derfclben einleuch- 
ten. In der DeHnition elnes Dinges muls die 
Wirkung denelbei& bertimnit feyn* Daher 
Hnfi die Deriiiitionen von der Tugend nicht 
weit her: denn wer erkennt daraus, da£6 
Tugend das Vorzuglicbfte fey, da(s lie gliick- 
lich mache u. f. w. IVIan follte fp denniien; 
Tugend ift wahre Vervollkommung oder Ver* 
belTerung unfrer Natur nach den Gefet^en 
der gefunden Vernunft. 

Hieraus erhellt^ dafs die Forderung der 
gewdhnlichen Philofophen nicht Ton BeUinge 
fey: eine Defuiition mutTe aus Gaitung und 
Unterfchied beftebcn. Das alies ift in dem 
BegrifFe der Entftehungsart mit enth^lten. Auf 
dem lichligern Wegc lind die, welche in 
die DeHnition die wirkende Uriache mit auf« 
nebmen» 

Wle foll nian Dermitionen finden? 
Krfie Kegel: 

Wenn 



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- - 

Wenn wir einen Gegennand behandeln 
wollen, nnd nun alle Vorfte]lungen i die 
wir davon liaTien, durcblaafen, niflflen 
wir keine fpeciell, fondern alJe, fo yiel 
xndglicli, allgemein betrachten : dann anf 
die Acht haben, die uns verfchiedentlich 
afiiciren» und dabey fo viele Gattungen 
-fertietzen, als wir Verlcbiedenbeiten be* 
merken, iiberall aber uns hiiteni keinc 
diefer Gatiungen zu uberfehen. 

Jede diefer Gattunsen mufTen wlr nun 
nach derfelben Piozedur wieder betrach- 
ten: und alle neuen verfchiednen Gattun* 
gen eben fo behanddn. 

Dicfes Verfahren mufs fo lange fortge- 
Xetzt werden^ bis wir auf folche Gattun- 
£[611 kommenf mit denen ^e &brigen 
Dinge niclits gemein, fondern die, jede 
ibre verfchiedne Entftebungsart baben* 
Gattungen der Dinge find die, welcb» 
mehrere Dinge von verfchiedner Entftehungs- 
art aber gemeinfchaftlicher Natur imter iich 
begreifen. 

Unter Verfchiedenheiten find hier nicht fo- 
wolil ^ufere, a)s innere zn verfteben. 

Wenn wir alle unfre Kenntnine» die xtnr 

durch 



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durch Sehcn, Lefen, Horen, erlangt lia* 
beD« Ib aaf eineo Haufen zalammen tragen: 
fo entfteht daraus ein verwirrtes Chaos. Lafst 
Re uns nun n&her zerlegen: fo werden wir 
folgende Verfcbiedenheiten darinn flnden. 

Einige davon hahen mehr \^'ahrnehmbare, 
als begreifliche Gegen(t&nde; wir kdnnen lie 
fimtUehe^ imagiiuAU Dinge^ oder Brfckeimut' 
gen nennen. 

Andre find von der Befchaffenheitf dafs 
wir Re begreifen, anf mannigfaltlge Art be- 
greifen koniien ; Figuren, Zahlen, u. d. 
BatiotuUe oder Mathemati/cke Obiecte* 

Nocb andre laffen Jich nur anf Eine feft 
beftiniinte Ai t begreifen : fie find gleichfam 
uiit una gebildet: Gegenlk&nde dieler Art er^ 
kennen wir nor ak exUtireiid. ReaU oder 
fhyjifche Ohiecte. 

£s giebt alfo dreyerley Obiecte der Et^ 
kenntnilsy und mithin auch dreyerley Wir- 
kungen des Erkenntuirsvermogens , Einbil- 
dungskraft, reine Vemunft und Verltand. 

Was nun fene Obiecte betrift: fo begrei* 
fen fie wieder mehrere Gattungen unter licb» 

1. jy%» JianUekieni dazu gehOren 

«. felcfae« wosa die Gegenwart Anferer 

Din- 



IXiige erlbrdert wird: Gegenft&nde des Ge* 

jichts, Geh6rs» Gefiihls u. f. w. — £;n- 
jpfintUiu 

b. folelie, welclie Yon jenen abgeleitet 

find: Vorftellungen abwefender Gegenft^de) 
Bilder. Eiabiidettm 

c. folche» die wir unt nlcht gegenwArtig 
macheni und vorftelJen konnen, ob wir fie 
gleich wahmehnienf z. B. Schmer2» Freod^ 
Hais, Hiinger u. dgl. — ^fftcirtwerdetu 

Mehr kann es deren nicht geben. 

2. Die rationaiea^ oder mathematilSBhen* 
Hier ift zu bemerken: 

a» Sie find entweder gleich oder nngleich, 
im letztem Falle entweder grofler oder 
kleiner. 

b. Das ToUkommenfte Be^fpiel ift die grade 
linie. 

c. Die Kenntnifr aller mdgHclien krnmmen 
Linien ift in der Mathematik der Weg» alies 
Unbekannte zu entdecken* 

3. Die phy/ifchen, 

Hier ift nur der al]getneine Unterfchied 
der KOrper zu bemerken^ dals fia entweder 

ruhen uder Rch bewegen* 



Zwey 



- 96 - 

ZweTte Regel: 

Wenii man Alles auf die letzten Gaitun* 
gen zuriickgefuhrt hat, fo muts mindieCe 
iD ihrer Ordnung beirachteny m jeder 
deiTelben die Dinge einzein unterrucben» 
uiid auf das Ge.iieiofchafillche derfelbea 
Acbt haben. Dlefes Gemeuirchaftliclie glebt 
die Elemente der DeAnition. 

Aus demfelben alfo muls mait die De* 
Hnjdonen bilden, fo dals man emigesda- 
Ton als icit» einiges als unbeftimmt an- 
nimmt, und aus der richtigen Verbin* 
dung Yon beydem die Entftehung d^ 
Dlnges ableitet. 

Diefe £Iemente mu0en auf aUe mogli* 
che Arten mit ei&ander zulammen geltellt 
werden, 
Dritte RegeL 

Haben wlr eingefehen, wie erlVe Be- 
griife auf alle mdgliche Art zu bildenrmd: 
fo miilfen wir nun diefelben fo ordnen» 
dafs iie auf einander in der Zahlordnung 
folgen, nach welclier mehrere Elemenic 
anf einander folgen follen , oder je nach- 
dem eines des andern Dafeyn vorausfetzt, 
und Ib» dafs das Mogliclie der erftern 

auch 



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— 97 — 

auch hernacH in letztern ingetroffim 
werde. 

Danut mnfi maii fo lange fortfafareii« 

bis fich der Fortgang der^ben in8 Unend- 
liche zeigt. 

M&n muls dabey dnrch Beweife des 
Unmoglichen zeigen, dafs mehrere oder 
^on diefen Terfchiedne Cegrifie hch * nicht 
bilden larfen. 

|L Von Aicio men. 

Axiomelind» aus Definidonen abgeleltete 

Wahrheiten. 

1« Sie hftngen alfo Ton Definitiojien ab» 
und man muCs fie nach diefen pr&fen« 

2. Es iCt unriclnig. wenn man fagt, fie 
Teyen allgemein verftiindliche Wahrheiten; man 
lemt dadnrch anch immer nieht» wie man 
Axiome finden kann* 

3. Man darf keine Axiome aufnehmen» als 
die ans einer Definition abgeleitet, und zu ir« 
gend einer Unterfuchung nothwendig fiud. 

UL Tkeoreme» 

Aus der Verbindung mehrerer Definitlonen 
entftehen neue Walirheiten ubddieCe heiCsen 
6. SiticK G Theo. 



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- 98 - 

Theoreme. Einlge find ganz allgemein^ «ndre 

fpeciell. Dle fpeciellen Falle ocler Folgerun- 
gen der Theoreme m6gen CoroIJaria heiUen. 
Ueber Probleme: ganz mathemgtirch* 



Dritter Abfchnitt. 

IVie konnen wir die HinderniJJe bey Unterfuchung 
der Wahrheit h^egenf 

Die vornehmfien HindernilTe bey Erforfchung 
der Wahrheit lind IrrthUmer, Siehaben ihren 
Urfprung iTi der Einbildungskraft, und ent- 
Itehen auf folgencle Art. Alle ilufcre Eindru- 
cke machen, dafs wir entweder Dinge als 
verfchieden betraditen, die es find; oder als 
verfchieden, wenn fie es niclit iind; oder 
als einerley» wenn fie Terfchieden find. In 
den letztern beyden Fallen entfteht Irrthum: 
und diefer Irrthuin iindet bey hnnlichen, msf 
thematifchen und phyfifchen Erkenntnifleii 
Siatt. 

Mittel dagegen: 

1. Anwenduiig des Verftandes, Unterru- 

chun^ der Sache vou vorn an, lUickgang auf 
das erfte Princip der Gewiisbeit. 

2«Da* 



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a. Dabey kSBBeti wir uns itft geregdten 

^inbildungskraft mit bedienen, wenn wir 
o. Terrcbiedne Ausdriicke fur die ver* 
fchiednen Begri£b brauchenf 

b. die verfcbiednen Begrifie durch Cliarao* 

tere z. B. Buchltaben bezeichnen» 

c. oder Mafcbinen anwenden, wie z» B. 

Leibnitzens aritbmetirche Mafchine. 
3. £in gates Mittel iiod £rfahrungen» £jc- 
perimente. 

Ein anderes Hindernife cntfteht daraus, 
dafs wir das Bekannte geieohnlich nicht fehr ach* 
ten nnd folglich nicht aufmerkXam darUber 
nachdenken. 

Idittel dagegcn: 
1. Auffachung des Allgemeinen in nnfem 
KenntnirCen. 

a. Hiiunge Verfuche, aus denlelben neue 
Wahrheiten abzuleiten. 

3. Eine griindliche und wiffenfchaftb*cbe Er- 
kenntnifs Ton dem, was una am haufigrcen 
Torkommt. 

Ein drittes Hindernifs verurfacht das be- 
ftftndige Fragen naeh dem augenblicklichen Nw 
ixen einer Kenntnils, und die Gleichgultig- 
keit gegen diejenigen, die nicht fo gleicb als 

G *2 uiktZ' 



nutzlich crfcbeiiieny die nicbt de pane lu- 
crando find. 

!• Wir follen Wafarheiv am ihrer felbfi: 
willen fucben, und jede Wabrbeit ift durch 
iich fieibft nutzlicb. 

2. Es ift Pflicht, aiit minder nHtsllcfa fcfaei* 
nenden folche z\x entwickeln» die wahrhaft 
nfitzlich find« 

3. Wir wiflen anch nicbt iuuner^ woztt 
eiuQ Wahi heit nutzlicb Icyn kann. Zeigt dem 
UnwilTenden eine JMEagnetnadel» welchen Nn- 
tzen wird er wohl davon erwarten? — Aue 
den geringften Beobachtungen find oft die ge- 
meinnutzigften Erfindnngen entftanden. 

Anch Uble Laune gehdrt za diefen Hinder- 
niiTen: wir fii^d nicbt immer zur Unterfu- 
chung der Wahrheit aufgelegt. 

1. Es ift aher mdglich, iich dne beftfin- 
dige gute Laune zu verfchaflren. Die Urla- 
chen der Ikblen Laune fiud niaftent nur Aa* 
fere, und diefe kdnnen wir in unfre Gewalt 
bekommen. 

2. Das befte Gegenmittel ifk gnte Hftethode: 
durch iie k5nnen wir Fortfcbritte macheni 
felbft wenn wir nicbt aufgelegt find. 

d* Wir m&flen unfre Srfahrung zu Rathe 

zieben. 



lOl ^ 

aaehen* WeBn wsren wir am beften aufr 

gelegt? Der Verfaffer lagt von fich, er habe 
am gl&cklichrten ftudiertt nach ^em m&f- 
figen Mahley dae gehdrige Zeit nach dem Et" 
fen, in der Nacbt, vor Tagesanbruch, im 
Winter» nach der Lectlire ryftematirqher 
Schriften, nach elner Unterhaltung mit M&n- 
nern von gleicben Studien» nacb einer kur- 
sen nnd miifAgen Zerftrenungy nach eiuer 
frQditlgen Bewegung, mit der Feder in der 
Handy nach dem Aufbdren eines groffen Ge- 
rftulches, in wel6hem er lich jedoch auclt 

denken gew5hnte. — Diefe UmftSnde 
woh]gemerkt, mu[s man den Augenblick der 
guten Laune gewilfenhaft benutzen, undnicht 
ga,nz gerelllbhaftliche Unterhaltung fliehen, nm 
nicht pedantifcb zu werden und mit Ueber* 
drufs ZB arbeiten* 

Funftens ift auch die Erfchlaffung der Seele 
bey einer allzuproflen Anrtrengung ein Hin- 
demils des Studiums. 

I. Man mufedaher eine Unterfuchung, die 
man vor }iat« theileni und fie StuckweLfe 
behandelm Denn die Einhildangskraft» die 
hier fo gefchaftig ift, fafst zn vlcl zufammcn, 
will ftlles mit Einer VorlteUung begrei- 

G 3 fen. 



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fen, ttod TerTieUUdgt die GegenfiSnile «u 

lehr. 

3. Die wahre Metbode ift Ton groireia 
Natzen. Denn Re redudrf eHes aof einfache 

Gr undfaltzey und erleichtert alTo die Ue* 
berAcbt* 

3. Man mu& felne Einbildnngskraft« fo 

viel es fich thun Ikfst, ausbreiten , und feine 
Gedanlsen liziren durchc mederfchreiben* 
(hier giebt der Verlafler eine treflicbe Ail- 
weifung zum fchriftlichen Denken) und durch 
die Lectttre anderer Werke* Uebcorbaupt 
aber aouls die Einbildungskraft fcbon in der 
Erziehung riclitig geleitet werden. (Hier 
folgen goldne Worte uber Erziehung nnd Un- 
terricbt, die einen ganz befondern Commen- 
tar verdicncn. Ueberaus philofophifch und 
tiefgedacht ift, was der Verfafiter iiber das 
Spracben - Studium fagt. P&dagogen» bier 
ift Bento 7.13 machen!) 

Das fechfte Uinderniis ift Mangel an Ze/f» 
Celegenheit und SufBref Unt^rftHtzmng* 

1. Man mnts feiner Neigung im Studieren 

Folgen : diefe uberwindet die gruften Schwie* 
rigkeitcn. 



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— io3 — 

3. Gttte Methode erfpart um manciien Auf- 

wand an Zeit und Koften. 

3. £s herrfclu ja Miubeilung unter den 
Gelebrten, durcb Journale u« L w» Auch 

felilt es niciit gaiiz axi M&cenen. 



Dritter Tlieil. 

mtches jfiitd die wichtigften GegenftamU^ nut 
dereu Vttierfuchung wir uns befchii/tigen 

foUen? 

Bey der Wahl der Studlen muls man feiner 
elgnen, wcifen Neigung foJgen. Von allen 
WiCTenfcliaften iind die mathematifclien in 
mehr als einer R&ckficht durchaus unent* 
behrlich. 

Die angenehm&e unter allen ift die Phyfick. 
1. Ihre Unterfnchungen find die leichteften. 
2« Sie ift die allgemeinlie, imd die Grund- 
lage der iibrigen. 3. Sie Uefreyt uns Ton 
nnzfthligen Vomrtbeilen und Leidenfchaften. 
4. Sie ift der lieligion wohUbaiig; he erin- 

Q 4 nert 



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— i<i4 

]i«rt uns an unlre Abfaftngigkeit Ton Gott, 

lehrt uns die Gewifsheit einer Vorfehung, zejgt 
nns Gottes Dafeyn vmd Eigenfobafteny nnd 
giebt uns die Hofnnng mer ewigen Fort- 
dauer. *) 5. Sie ift am fruchtbarften, und 
eina nie TerAegende Quelle von Entdeckungen. 



Wolff batte dieles Werk fchon fruh zu 
ftudieren angefangen » nnd mit Anmerkungen 
▼erfefaen, die den T61Iigen Beyfa]! de« Ver* 
faffers fanden. Aus dem zweyten Theile 
faitte er Rcb einen Auszug gemacfati uber 
welehen er academifche Vorlefungen hielt. 
Von jenen und diefem ift| fo viel icb weiiS) 
nichts erhaken worden» 

Sicht* 

*) In den knrzen BemeTkungcn , dic der yerfaXfex 
fiber dicrcn Puiict mittheilt , wicd dex aufmexk- 
iamo Iiftfer die Usbchen wenigfiens yon wettem 
fdiinimexn fehen* warum Tfcb« Spinoia^n mcbt 
fdr «iaeB Atheifien erUirte, Ibndem feine Theo> 
logie fogar grflndlicher und ftirker hieh • tlt 
die Cartefifche. S, Ooufched ia der Lobjchrijt 



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— io5 — 

Slchtbar ift der Geilk der GrUndlichkeit 
und maiiienadCchen Methode, der in Tfcbim* 
liaufen lebt, durch diefes eifrige Studium in 
Woli£Bn iibergegangeii* Befonders entlehnte 
nnd Terarbeitete er den Vorfchlag, welchen 
Trchirnhaufen that, die fynthetirche Methodei 
mehr^ als es fonlt gefchehen war, mit der 
analydfcben za Terbinden: mehrere wolleu 
behaupteni dafs WolfT hierinn zu weit ge- 
gangen fey. Die genaue Verbindung» in 
welche TfchimhaQfen alles, was wir philo" 
fophifche WifrenrchaTten ncnnen, durch die 
Idee feines h6cbiten Guts zulammenfteUte« ver« 
anlaAe Wolifen znerfr, fiber ein znfammen* 
hiUigendes Syftem der gerammten Philofophie 
zu denken« und die Disciplinen nach ailge- 
zneinen Grnndl^tzen einander unterzuordnen. 
Wenn er Leibnitzen in Buckftcht des Materi- 
ale viel verdankte: fo verdankt er eben fo 
Tiel der Medicina MentJS in BetrefF der Form. 

Auch Wolff geht, wie Tfchirnhaufen , voa 
dem Factum des Bewuistfeyns auSf aber er 
▼ermifste bald eine beftimmtere Erkl^rung 
deffen , was der Letztre unter dem Begreifen 
.nnd Nichtbegreifen Terftehen wolltei unil 
lchob diefen WOrtern die Ausdr&cka M6g1ich 

G 5 und 



— io6 — 

mid Unmdglich, GedeDkhar nttd I^cfatgedenk* 

bar iinter. Trchirnhanfen drang €lbera]]» 
durch die Mathematik veranlafst^ auf foge- 
nannte Sacherkl&rongen: WoliF gieng defer, 
tind fand, dafs fie in der Pliilofophie nicht 
£o leicbt zu geben und allenfalls durcb Wort* 
erklArungen zu erfetzen wftren. Tfchimhan* 
fcn hatLc iilcht deutlich genug gezeigt, was 
Arten und Gattungen wftren» und wie xnan 
au8 den BegriiTen jener die Begriffie Ton die* 
fen, und eben fo aus beyden dle Begrifie 
«ndrer Arten ond Gattungen finden k5nne; 
feine Anleitung, Definitionen zu linden, war 
bey wejtem nicht deutlich und beftinimt ge- 
nug» nnd auf pbilofophifche Gegenftiinde nicht 
nnwendbar; Wolffbemfihtelicb, diefeoLMangel 
abzubelfen. Tlcliirnhaufen hatte iiberhaupt 
die mathematilchen Erkenntnilfe nicht forgHU- 
tig genung Ton den philofophilchen nnterfchie* 
den, und fich fiir die letztern keine befondre 
Wiffenfchaft gedacht: er erkliUte £ch gegen 
die ScholaTtifcbe Ontologie ond alle Syllogiftikt 
die er fiir Y6l1ig unoiitz erkliirte. In allem 
dielem wicb Woiif von leinen Ideen ganz ab^ 
iind rettete die Ehre der Philofophie» L(^k 
uiid Metapbylik. 

Wabr- 



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, — 107 

Wahrfcheinlich hatte WoliF durch das Stu* 
dium cles TfcMmhaufenfchen Werks auch 
eine gcwiffe Zuverficht und Dreufiigkeit Hch 
KQ eigen gemacht, die ihm fo oft iibel ge- 
deutet und fiir dogmatilbhen Stolz ausgelegt 

worden s£t- 

In )edem Falle kann man lageni dafis an 
den grolTen Veiciienften WolfFs nm die Auf- 
ftellung eines philofophifcHen Syftems undum 
dle Beffirderung der Wiilenfchaft Tfchimhatt- 
fen durch mittelbaren und unmittelbaren An« 
itols Jich einen Xheil mit allem Kechte zu- 
elgnen kann* 

F. 



Z U K 



— io8 ^ 



zua 

GESGHICHT£ D£R MATHEMATISCBEN 

HBTHODE IN DER DEUTSCHfiN 
FHILasOPHIE» •} 



w olff » der A\e matbenMtifcfae Lefaran un- 

ter uns am meiften in Anfehen gebracht hat, und 
fie niclit nur in der Flulolophie anwendete^ 

rondem 

*) Auf VeraiilafTiing dcffcn, wa» Kant gcgen den 
Gebrauch der znatLemacifchen Methode in der 
Philofopliie erinnert, famniche ich mir einigo 
Notizen und UrUieile andeiec Fhiiofophen ilbec 
diefelbe. Biefe» XoUectanenm ift et» was idi 
faier gefae. Vielleidit kuuk es einigen jangem 
Trettnilen der Pfailorophie nfltslich feyn, um 
die Sti.eiL>gk.eit darubex beHcr zu verftehen. 



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— I09 

dern for alle WiCTenfobaften bnacbbar fanii, 
beriift llcb in der Vorrede zu feiner Abband^ 
lung *) auf den yo» Tfchirnhaufen , und delTen 
Crklinmg und Anwendang diefer X^brart* 
Was Tfchimbanfen in feiner Me^cina mentis 
davon beybringC) ift ziemlicb deutlicb und 
beftimmt: nnd man liebl, wenn man lein 
Werk darcbgeht, fiberaU den Gang des Ma- 
tbematikers. **) 

Wolff 



KufUf UntmcM von dtr maikmnati/ehm 
^toie, Tor Ceinea Anfimgsgranden dtter matftd- 
matifchm JVipnfchaftmu Tergl. die Voned« sn 
feiner deutfchen Lo^ik. — Wenn man weiter 
zurfick gehen will, findct itian allerdings fchon 
Spuren dielier Methode in dcr Philorophie bey 
Pythagoraf nnd Flato. Aber man mufs hiei: 
daa Worc Ma^utde mcbt im ftrmgwn Smna nah^ 
men* Pytbagons machte von der Mathematib 
nidit logif^ent fondem meAaphyfifehen Ge- 
brauch. Auch Des Cartes, Spinoza, Xjribnittt 
l^ewton kommen in Betrachtung. Rddiger 
riihmte Hch einer Methode» die eine iy/oc/i- 
ahmung d«r matbematilchcn S$fn foUta. 

**) S. laS. erkUrt er fich dber den Wertb 4er fyn- 
thetirchen Mediode , die er jedocfa mit der ana- 

lytifclien, ieiueni Vorgange gemafi, verbundcn 
willeu wilL 



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« f lo « 

Wolff relliTc batte die Idee, diefe Medip» 
de ench eof die Tbeologie ensnwenden. E> 

jier feiner Anhanger Croon ver fuchte es fchaq 
1730 in leiner Abhendlung de pietete cbrM 
rdane^ eber die Theologifcbe Feeultftt regte 
lich dagegen. Auch Pfaff 17^6 macbte gegen 
diefe Anwendung erbeblicbe Infienzen* £in 
gewiffer Kelfch (de utilitete nietbodi matb* in 
docenda iuventute Altd. 1735.^ empfabJ liebey 
dem Unierricbte der Jogend» vnd zog bch 
eben To viele Spdttereyen za, wie neoere 
Fadagogen durch ihre (alten) Veriiiinlichungs- 
Jdetboden* SteUtoaag wendete Jie auf die be* 
br&ifche Spracbe an, (defTen Mediratio cri- 
tico-phi]ofophica. len. i^j^*) mehrere luriften 
auf die BechugelehrCimkeit. Die Vertbeidii 
gungen derfelben von Feuerlin (Altd. 1726) und 
Hageti (Medit. phil. de 111. m. Norinib. ij3^ 
cnm praef. Woiiii^ und einigen andem, ent» 
halteu nichts mehr , als was WoIfF lelbft vort 
getragen hatte» 

Den fcbarflinnigften Oegner fand lie da« 
mahls an Fopito, (Spinozismus detectus oder 
verniinftige Oedanken vom Unterfcbiede der 
pbilofophifcben und niatbem. Methode. Wei« 
i/jur I^ai») gegen weiuhen Wajfer eine Apolo- 

gio 



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gie derralbeii (lena 1723.) fofaiieb: TCcfchiednc 
Satyren nicht zu gedenken. 

Bis auf O^fius fiude ich nichts Neues und 
Brbebliches liber ihre Anwendung. Unter 
Fhilofophie im weiteften Sinne begreift zwar 
Cru&us auch die Mathematik, aber Philofophie 
im engem Verftande unterfcheidee er forgnil- 
tig von der letztem, vor allen in lluckfichl 
der Hlethode* JQIe Mathematik, lagt er^ *) 
kann 1} Terfichert feyn» dafs alle walirge- 
nommene Qualitaten eines Groflenwefens dem* 
felben wefentlich iind, uur den Umfang aus- 
genommen. Denn weil lie die Gr6(fen nur 
als Groflen betrachtet: fo werden ihre OU- 
secte fo einfachy dais keine andern Accidenzen 
des Wefens als magnitudo (Umfang) mdglich 
And; und durch das Hinzuthun oder Hin- 
wegnehmen einer jeden Qualit&t entfteht ein 
neues We(en, oder es wird m neues ▼or-' 
ausgefetzt; welches in der Philofopbie ganz 
andersilt. Deswegen kann he ^^auchyoneinem 
«inzigen Exempel des Definiti die Definidon 
abftrahireni wciches bey anderu Obiectea 

ordenfe- 



*) W«g aur Gewifshcit, yorbtncbc (. le. 



— 118 « 

ordeotlicher Weiie nidit angeliet, nnd wo ee 
«ngeben foU, reine beibndem ReftrieiioneB 

crfordert. Daher giebt auch 3) in der Ma- 
thematik eine jedwede m6glicbe JSntltebiuigt* 
ert einer Grafle cine Definition derfislben, nnd 
dle DeFinitionen , welche ron der moglicfaen 
Entftefaangsart beigenommen Jind, iind da- 
felbft die Tollkommenften ; welcbes man iii 
der Pbilofophie nicht zulaffen kann. 4} 
moralifcbe Betracbtung des EndzweckeSf ja 
aller wirkenden Urfacben bat in der Natur 
der GrdfTpnweien, wie Ae in der Matbema* 
dk betraohtet werden, keinen EinAnis, nnd 
wird alfo dafelbft nicht in Erwllgttng gezogen» 
In der Pbilofopbie a^ysr btngt in den meiften 
F&llen das Wefen der Dinge davon ab. 5) Die 
Matbematik brancht gar felten DiTiiionen in 
Species. Denn eines Tbeils lind ibre Obiecte 
gemeiniglich zvl einfach dazu; und wo licb 
aucb Di?ifionen anbringen laflen, fo ift dea 
IVIatbematikern doch deswegen nicht Tiel daran 
gelegen, weil iie, wenigftens nach der ttn- 
yefuhrten Lebrart, ficb der disiunctiven 
Schluile gar lelten bedienen, und iie auch Ja, 
wo fie lich derfeJben bedienen, nicht uueni* 
behrlicb iind. Feruer 6) gebt die JVIatbema* 

tik 



Aik allezeit den Weg der DemoBTtratioQ, 
lange lie rein ift, vnd swar) weil Ite ans 

definirten moglichen Groffenwefen die Eigen* 
fchaften und Verhaltntrfe derfe2ben heraus* 
bringt; fo fcMicffet fie aus nothwendigen 
Principien nothwendige Folgerungen, und es 
ift ein Fehler darinni wenn es nicht alfo su* 
geht. In der Philofophie aber wiirde man fich 
feiir irreni wenn man glauben wollte, daDs 
xnan ea eben fo nuichen m&lste» oder auch 
nur, dafs es der Vollkomraenheit der Philo- 
fopbie zutragUcb feyn wiirde» wenn man es 
allezeit fo machen kdnnte. Ueber dieles 7) 
bat die reine Mathefis nirgends ein andresPrin- 
cipi als den bloCfen Satz vom Widerfpruche 
ndthig. Denn dasjenige» was Rft betrachtet, 
find entweder Exiftential • Abftracta, oder 
Principiatai welcbe von principiis exiftentia- 
liter determinantibus abhftngen* Diefe mHOen 
nothwendig aus den definirten Gr^fTenwefen 
durcb den bloffen Satz vom Widerfprucbe be- 
greiflich feyn* In der Philofophie im engera 
Verftande aber mufs man auch noch andre 
hinzunehment wenn z. £. tbHtige Urfacben 
oder ftuferliche Abftracta zu nnterfuchen Jind* 
8) Diejenigen Satze in der Matbematik , da 
6,Stadu H eine 



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^ 114 — 

eiue Gi*6Cre durcb die andere befiimiiit wird| 

laffen flch alle univerfaliter uuikehren; dage- 
gen in der Pbilolbpbie die univerialeii beje;- 
benden S&tze nicbt £0 umgekebrt werden d&r» 
fen, NaLchft cllefen Converfionen bedient inan 
fich 9) in der Matbemadk faft lauter fubfum- 
tirifcber Scb]u(re« oder eigendieh fo genann* 
ter Syllogismen. Der inenrchliche Verftand 
macbt aber aucb nocb andre Scblallei wel- 
che in der Pbilofopbie unentbebrlicb lind. ^ 
Wer diefe Unierfcbiede wohl uberlegt , der 
wird begreiflen^ warum die Pbilofopbie au« 
fer dem Nntzen) den Ae in einigen Stllcken 
gezogen hat,. in andern auch wieder Schaden 
dadurcb gelitten babe» nacbdem einige be« 
rubmte Ulftnner dem bin nnd wieder eingerif- 
fenen Gewafche in der Philofopliie cladurch ab- 
zubelfen gedacbt baben , da(s fie licb in der- 
felben der matbematiicfaen Lebrart baben 
bedienen wollen, dabey fie aber auf die 
unterfcbiedne Natur beyder WilBBnfcbaf- 
ten nicbt allezeit aufmerklkm genung gewe- 
fen fmd. 

Scboii im labre 1763 erklarte fich Kaat 

febr 



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— ii5 — 

iebr bdHmmt darUber. *) In der VorredA 
feines Verfiieh den Segriff der negatioen Grbfi 
fen in die Welti^eiiheit einzufuhren^ fagt er: 
der Gebraucb» den man in der Weltweisbeit 
von der Matfaematik machen kann, beftebet 
entweder in der Nachahmung ihrer Methode, 
oder in der wirklichenAnwendungibrerS&tze 
anf die Gegenftftnde der Pbilofopbie. Man 
iieht nicbt) dafs der erftere bis dahervonei- 
xugem Nutzen gewefen fey« fo groflen Vor- 
tbeil man licb auch anf&nglicb davon Ter. 
Iprach; und es find auch allmahlig die viel- 
bedentenden Ebrennamen weggefallen, mit 
denen man die pbilofopbifcben Sfttze aus Ei- 
ferfucht gegen die Geometrie ausfchmuckte, 
weil man belcbeidentlicb einfabt dafis es nicbt 
wobrftebe, in mittelmftOigen Umftftndentro» 
tzig zu thun, und das befchwerlicbe non li- 
qnet aliem diefem Geprftnge- keinesweget wai- 
<sbea woHte. 

Eine befondre Anwendang der mathema- 

tifchen Methode macbte Lamhert in feinem 

»764 

*) Ztt Ter^leiGhen Ut feine Schxift tbtxdie BvidmM, 
1764. 4, 

H 2 



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— ii6 — 

1764 errdbdeneBeii Organmif md der daraaf 

gefolgten Architcctonilc. *) 

Um diefelbe Zeit erkliUrte fich Bafedoia[^ 
hefdg dagegent in feiner PhUaleekie a B* 
5. 178 f. Diefes Werk wird jetzt zu wenig 
gelefen» als dais ich es fiir unnutz halten 
Ibllte • die SteDe anlfilhrlicb abcnlbfaroben* 

Die mathematifche Lehrart befteht darinn» 
dalk man den UniTerlalbegrifF Ton derjenigen 
Gattungf von der man reden oder denken 
wi]]» gem^iglich in einer Definition feftle- 
ezet; hieranf dnrcfa GmndllUzeTon derfelbett 
Sacbe zu urtheilen fortfahrt. Diefe Grund- 
0Uze lind entweder nnmittelbare Folgerungen 
aus der ge(etzten Defimtiony oder andere^ 
welche man mit der DeAnition und ihren 
Theilen znglttch zugeben rnula. Wenn die 
mathematifcfae Lebrart ganz rein ift, fo wer» 
den unter die Grundfiitze die allgemeinen Er* 
fahrungen nicht milgeredinet Diele Arbeii» 
DeBnidooen nndGmndOttze zu machen» wie» 

der- 



Vergl. Eberhard • Gefchichte der FbilofQphie in 
DtntfchUnd. i Xh. S. 392. t 



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— 117 — 

d«rhoIet man anoh bey aBdeni GegenftAnden 
lo lange» bis naan aDe diejenigen Sstze hat^ 
welche zum Bewei£e eines Hauptlatzes gehd- 
ren« den man desw^en fo nennt» weil er 
entweder wegen feines zufemmengefetzten Be* 
weifes , oder da er hernacb zuni Beweifean* 
dcfrer Siitze haufig gehraucht werden folli fehr 
zo merken ift. Einen folchen Haoptfittx 
driickt man alsdann unter dielem Nameii auS| 
mit irg^d einer AnfkUirang oder Erinnerang 
der beweifenden Sttze, die ▼orher Ichon als 
wahr angenommeo Tmd. Sobald der Haopt- 
lets hewiefen ilk» brancht mau ihn Ib gntals 
einen Grundfatz, um aberma]$ Folgen daraus 
zu ziehen» od^ ihn neb£t HiiUe anderer £r- 
kenntniise, znm Beweile folgendar Hanpt* 
fktze anznwenden. Ift nun der Hauptfatz ein 
Zweck» der durch gewiHe Mittel erfiallt wer- 
den mnls; fo nennt man den Aasdruck des 
Zwecks ein Problem, oder eiiie Aufgabe. Z. 
£• Wie wird der Innhalt eines Cylinders ge* 
meflen? Die Anfiihrang der Mittel beiist als* 
dann die Aufl6fung, worauf die Demonftra- 
tion folget, dais diefes die rechten MittelBnd» 
welches man dorcb Anfilhrung der beweilen* 
deo SHtzG zu erkenneu gie1)t. Hiu und wie- 

H 3 der 



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— u8 ^ 

der fetzt man Anmerktuigieiit die entweder 

den MjTsverftand Terhftten, oder die Hiftone 
der Siltze enthalten» oder den Nutzen derlel- 
ben zeigen, oder in andem gelegentlicben Re* 
llexionen beftehen. Diefes ift dic fo berulimte 
mathematifche Methode» welche gemeijiiglich 
in der rynthetircben Lebrart ausge&bt wlrd* 
Sie hat etwas mit alJen guten Beweisarten ge- 
mein; £e bat aber aucb etwas ganz befon- 
deres. Das gemeinlcbaftUcbe itk diefes» dab 
kcin zur Ueberzeugung gehoriger Satz ausge- 
lafliBn» und aifo im nfitbigen Falle die Bewei* 
lenden Sfttze fo oft wiederholet werden, aSt 
inan neue Folgerungen daraus herleitet. Aher es 
ift nicbt alleu guten Lebrarten gemein, londern 
ibr cigenth&mUch, erftfieh, dats fie iaft immer 
der Definitionen bedarf, daL he einen Mainen nnr 
einer einzigen Sacbct einer einzigen Gattung 
widmetf und nicbt unter demfelben Namen 
von andern Dingen redet, die gleichfalls nacli 
dem Spracbgebrauch diefen Namen fubren. 
Denn da in der roinen Matbematik die Gat- 
lunc:en der DinsfC allefammt feftfteheod und 
incbt fchwankend Bnd; fo ift es ihren Leb" 
rern 1<»cbt, die Bedeutung der Namen fo 
feftzufezen» dafs fie dcnfelhen JMamen nicht 

zu 



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— 119 — 

zn andern Dingra widmen darfen» «Is lie 

elnmal clabey denken; nnd dals es ibnen 
nicht n5thig lit^ dem Namen eine zweifel- 
hafie Bedenknng za geben, das ift» bald 
folche, bald andre Gegenftftnde dcr Gedan- 
ken damit zu bezeicbnen. Diele Notbwen* 
digkeit kdnamt aber in den andern IVirten- 
fchdften haufig vor, we die Gegerrfiiinde 
Ichwankend Hnd und alfo aucb die Namen 
keine feftftefaende Badeutung baben; nndwo* 
rinnen iiber die Befchaffenheh der Gegenftaiide 
bald fo bald anders geurtbeiiet wird* Denn 
hieraus folgt» dafs man in diefen andern 
Win'enfchaften unter demfelben Namen, bald 
meiir , bald weniger, bald andre Pinge ver« 
fieht. lA&i man Jidi nun durcb die mathe* 
matifche Methode verleiten, von den WCir- 
tern nur eine einzige Deiinition zu geben, 
wie z« E. von dem Worte Seele; nnd bauek 
man nur aui dicfe DeHnition weiter fori, fo 
TerurliBcbt man iicb nnd andem oftmals da« 
dnrch einen dreyfachen Schaden. Der erfte 
befteht darinn, dafi wenn wir unglucklicbei 
Weife den Namen der in der Katur wirkli* 
cben Gegenftinde wider den all^e i neinen Spracb* 
gebrauch deiiniit hdbeii} wlr feibU uiid andip 

H 4 ^•^**^^'» 



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— 120 — 

leidtt Terfilbrk werden^ lUsjenige» wes nmt 
eitie erweisliche An ron den deHQitionniafsi* 
gen Gegejaft&uden e)s wabr oder ▼ermutblich 
gilt, bernacb eucb Yon denenjenigen gelten 
zu lafTen, die in einer andern nicht deutlicb 
gedacbien Bedeatang nach dem Spracbge* 
braacbe diefen Namen Htbren. Icb will ein 
£xempe] gehen« Gefetzt, nian deHnirt eine 
Pflicbt, da(s iie fej eine Handlnng, woza 
nns das Bewulstreyn unferer Dependenz von 
einem Oberberrn die Bewegungsgriinde giebt. 
£s ift bekanntf da(s viele Xmenicben diefet 
Wort aucb anders yerfteben nnd folcbe Pflicb- 
ten glauben , die auch ohne Dependenz , oder 
obne Bewufstfeyn derfelben zu den Pflicbten 
gebdrten, Baut man non mit matbematifcber 
Ueberzeugung auf die obige DeHnition, fo 
wird man Tiele Unwabrbeiten erwetfen k6n« 
nen, z* E. dafs ein jeder, der weift» daft 
cr PHichten hahc^ auch eine Dependenz er» 
kennoi )a wobl gar nat&rliober Weife einen 
nniicbtbaren Bicbter glaube. Hierzn k6mmt 
der zweite Schade. NehmJich weun man im 
Definiren die Mode der Matbematiker beob- 
acfatet, fo bekiimmert man lich oft niobt 
um die Unterfucbung derjenigen Gegenftftndei 

wel- 



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— 121 — 

welcha hie und cbt mit Terrcbiedeneii Belchaf* 
lienhdten gedacht, aber aHelamint mit kei* 

neur andern NameyD belegt werden, als mit 
dierem» dem man in der Deiinition eine 
feftftehende Bedeutang gegeben bat. Piefe 
veri^umten Unterfuchungen fmd aber oft fdbr 
wicbtig, und wichtiger, als diet welche 
man anftellt. 2. E. ift es nicht wiehdg, zu 
unterfuchem, auf welche Art zu einem Be- 
HrifiTe ¥on ihren PAichten auch Xolche Leute 
kommen, welche dabey keine Dependenz 
zu glauben entweder vorgeben, oder viel- 
leicht mit Kenntnifs ihrer Xelbft und mit Auf* 
richtigkeit bebaupten? Wenn aber dn fcien« 
tivifcher Syftematiker auf feine einmal gege- 
bene Defiiiition feine AufmerkCamkeit feft 
richtet, fo denkt er faft gar nioht an diefe 
U/iterfuchung. Man kann noch den dritten 
Schaden hinzufugen, welchen man dnrch die 
aflfektirte Nachahmung der Mathematiker im 
Definiren ftiftet. £:» giebt nehmlich taufend 
VmgSf daron die Idee nur die einfache» 
nicht die durohdrlngende Dentlicbkeit Imdet. 
LafTen iich diefe definiren ? Z. E. Luft, Schmerz, 
Idee« Beyfall, Vermutbung, Zweifel» Be* 
gebren, Verabfcheuen , Dauer, Raum, G]eich« 

H 5 heii. 



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122 — 

beit, Aebnlichkeir, K5rper« Nibet Ent* 

ferniing, Vorhergebn, Nachfolgen, Ruhe, 
BeweguDg, £inheit« nnfer Icb, oder die 
Seele, n. a. m. In welche langweilige nnil 
oftmals lohwere Wortfpiele mufs man nicht 
▼erfailen, wenn man folche BegriHe definiren 
wjll? Von folcben fchweren und l&berfl&lsi* 
gen Wortfplc]en fmd fo gar einige S^tze nicht 
frey, welche in der reinen Mathemadk Tor* 
zukommen pflegen und dafelbft Definidonen 
heiffcn. £s glebt ferner erftaunUch viele 
Nometti deren Bedeutnng zu fchwankend 
ift, um feftgefezt zu werden, oder die das 
Publicum mit klarem und deutUchem Begriile, 
naeh dem Zwecke des Vortrags, gut genung 
verftebt, und darpn die Definitionen alsdann 
ganz uberAiinig find* Z. E. Wird ein Predi- 
ger nicht gut genung verftanden, wenn er 
von freyen Handlungen, von Obrigkeit und 
Unterthanen, von Urfache und Wirkung, 
von Bewegnngtgrund und HindemilSs, von 
Verfpredien und Zeugnifsen redet? Ift ea 
nicht in den meiften F&lien iacherlich, wenn 
er Xeinen Vortrag mit den Worten anningt: 
l*'h will euch anfangs riohdge Begriffe von 
(iicfen Dingen machen» £ine Obrigkeit ift u* 

L w.? 



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C w.? Ich kenne einen Cateeheten, ^er 

fragte elnen Knaben : Was ift der Zuftaiid? 
Der Knabe war lo klug, nicht zu antwor« 
teu. Da kam endlich die Weisheit des Leh* 
rers hervor: Ein Zuftanrl ift eiiie uirklichQ 
Beftimmung des verfchiedentlich jBefiinamlichen 
in mner Sache» Ih das nicht felir fciendvirch 
und zugleich lacherlich? Zu folclien Fcblern 
Terleitet uns die afiektirte XHachahmusg der 
Mathemadker im Definiren. 

ZweytenS) leidet die JVlniliematik keine 
Bew^e aus der Analogiet liefondersy wenn 
lie nicbt aD^meine Erfahrungen lind* Von 
dem Zufammenfetzen des Beweifes aus vie* 
len wahrXcheinlichen GrQnden* Ton dem Ar* 
gttmente aos der Sicherheit oder Zweckmfi- 
Jfsigkeit des Denkens, von Collifionen der 
Beweiiet ¥on nutzlichcn Wahrfcheinhchkei* 
ten^ Ton Ansnahmen aus den ordentlichen 
Wahrheiten in einem aufferordentllcben Zu» 
ftande, ilt dafelbft gar nicht die Rede. Alles 
ift vielmehr gleich anfangs gewifs, und zwar 
auf die feltene Ari; auf Ansnahmen darf 
man gar nicht denken. L&fst fich diefe Denk* 
art in tmfeni andern ErkenntmffiMi auch ans(\« 
iteu? $o bald wir die Siuenlebie, die TJieo* 

logie, 



— ifl4 

logia» die Logik, die RechttgelebrCiiakgit^ 
die Arzneykimft, die Staattwifleolcheft, die 

Critik, und die Rege]n der fch6nen Wiffen* 
fcbafteii tind K&nrtes in die(e mathematiiche 
Lehrart emkleiden: fo philofophireii vir nichi 
inehr, Tondern wir pbantafiren, und zwar 
zum groCTen Schaden der menrcblicheii Ver- 
nimft nnd Glackfeeligkeit. Wie mnls man 
alsdann die Ana]ogie nicht verfteckeni da- 
mit iie nicht Analogie fcheiae? Wia muls 
man zn diefem Endzwecke nicht mit den 
Worten fpielen, damit die Satze ein demon- 
Ibrationm&Csiges Anfebn bekommen ? Ich will 
hier die Worte anf^ren, womit in diefer 
Abficht am uieirten gefpielt wird. Z. E. 
Michts, £twas« M6glich, Unmaglich, Itoth- 
wendigt Verinderlich , Unverttnderlich , We- 
fen, Grund, Einfach, ZufammengeTetztt 
Zwangi Freyheit, Uebereinftimmiuig« un* 
endfiche Vollkommenheit, Heiligkeit, Weis* 
heit Gottes« wahre und nicbt wahre Verbind« 
lichkeit o. a. m. Ich lage, man fpielt mit 
diefen Worten, i.) durch falfche nnd fiber- 
Aulsige Deiioitionen ; a.) durch den Mifs- 
brauch ihrer Zweydentigkeit; 3.) durch das 
ewige Beweifcn eine$ gleicbniiltigen Satzes aus 

dem 



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1125 — 

dem «ndern» worinnen diefe Wttrfer oder 

gleichgultige vorkoromen. Wenn diefes Spte • 
werk nicht wSlre» folhe man denn in Onto* 
logien wohl fo Tiel» als inan gemeiniglieh in 
befondern Hauptftucken fagt, zu fagen ha- 
ben» vooi Mdglicheni vom zureichenden 
Grande) rom Dinge iiberbaupt, von der 
Einheit der Dinge, von der Ordnung aber- 
haupt» Ton der Wahrheit aller moglichen 
Dinge, von EealitSten und Vemdnungen^ 
von dfer Vollkominenheit aller moglichen 
DingOi Ton dem I<]othwendigen und Zuf&l- 
ligen ? 

Mit welcher Heftigkeit gegen diefe Metho- 
^e» wie gegeid WoJff aberbaupt, Hifsmann 
losfubr, ift bekannt. 

Ein fehr gemaffigtes Urtheil ift es, welches 
Biifck in feiner Encyclopftdie darliber fallie. 
Slan muls eingeftehen, fagt er $• 2^3» 

x) dafs diefe Methode in ihrer Anwen- 
dung auf die Pbilofophie uns die Pr&fungder 
Wahrheit und die Verglelchung der znra 
Grunde gelegten BegriiTe mit ihren Folgen vicl 
leiofater machei als wenn eben diefelbenSftt^e 
in einem unordentlichen Raifonnement vorge- 
tragen werden. Wenn wir fo viel aus der 

Wolf- 



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— 126 — • 

WoJAifcheii Schule bebalteDt itdk eiii jeder 
engeheDder Philofopli angefilbrt wlrd, dierelbe 

als einen Probierrtein der ibm wabrrcbeinlicfa 
vorkominenden, oder tod «Ddern als wahr 
behanpteten Sltze ancnweoden, fo gewinnt 
die Pbilofopbie gewifs fortdauernd fehr viel 
dabey; aber man b^Ute es ftcb nie einfalleii 
laffen follen, alle^f was znr PhiIofopbiegeb6rt^ 
das Gewiffe uad Ungewiffe , Hauptwahrheitcn 
und ibre entfernteltea Folgen, in diefer Fonn 
Tortragen za wollem 

2) Dafi» iu kciner Schule die Philofopbie 
lind ihre einzelnen Difciplinen in foIcberVoIl* 
IkAndigkeit Torgetragen Itnd, und dafs aucb 
in kelner die Difciplineii lo richtig unterfcbie* 
den und den fpecieUern durcb ailgemeinere 
nntergebauet lind — als in der WolfHfchen. 
(Folge der Methode.) 

Viel gnte Ideen entbalten die OedoiJkmi 
Mber die Lehrmethoden in der Pkilpfophie^ von 
K. F. von Irwing. BerJin 1773. 

Das Scbickial der Pbilolbpbie in Deutfdi» 
land wollte, dafs nicbt nur die matbemati- 
fche Methode, rondern mit ibr aucb eingrof« 
ler Tbeil der Gnlndbcbkeit m diefer Wiflen- 
lehaft Terlobren gieng, lo dai^ mehrere 

Freun* 



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Freunde Wolfis angelegendich das Studiumder 
Maf hematik and ihre Verbindung mit der Phi' 

lofophie einpfohlen. 

Bs gefehah a]fo nicht fowohl» nm einem 
berrfchenden Fehler der Zeit ▼orzubeugeji, 
fondern es §eb5rte xnit in den ganzen Plan 
einer Critik der Vernnnft uberhaupti wenn 
Kant die Unftattfaaftigkeit der mathematifchen 
Methode in der Pbilofophie ausfuhrlich darthat. 

Nur wenige Gegner der Critik haben lich 
ganz lant gegen diefen Punct erklttrt, diemel- 
ften Freunde derfelben baben bloli Kants 
Worten nachgebethet, vieUeicht» weil es 
auch heute der Fall ift, der es fonft war, 
dafs wenige Philorophen zugleich MaLbemati- 
ker iind» Indelfen ift es ron ainigen Freun* 
den der mathematifchen Methode der Critik 
zum Fcbler gerecbnet worden, dsS& fie nicbc 
in der gedachten Lehrart Yorgetragen ilk, nnd 
dafs fie eben darnm einer genauern PrQfung 
iicb entziebe. Dieler Vorwurf ift um fo lee- 
reTf da es dem Wefen einer Critik wider* 
rpricht, dogmadiiren zu woHen. Oder was 
ift dainit fttr die Wabrbeit der critifchen riii- 
lofophie gewonnen, wenn iie in )ener ]tfe* 
thode Torgetragen wird? HC>cb£tens w&rde iie 

die 



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die Mlhige]» weiin Re deren iiat^ tuiter dem 
Anrcfaeia der Metfaode befler TerAecken 

hjbnnen. 

Icli will iiier einen kletnen Verfach macfaeiw 
Tyanfeendentnle Sinnlekre* 

Erfte £rklarnng. 

Die Tranfcendentale Sinnlekre ik die WiiTen- 
fcfaaft Ton allen Prindpien dec Sinnlichkeit 
a priori. 

Zweyte firklirung. 

Sinnlicftkeit ift das VermSgen, von Gegen* 
Itftnden aHicirt 2u werden: iie Hefert nnt 
Vorliellungen , welcfae unmittelbar find und 

Aiifchauungen heiXren. 

AAunerkung. 

Attlcfaaanngen werden Ton dem Ver- 
ftande auf Begriffe gebracht d« h* ge» 
dacht. BegrifFe iind mittelbar. 

Dritte Crkl&rnng. 

Binfifiadung ift die Wirknng eines Gegen* 
ftandes anf die •^innfichkeit, der unbeiHmmte 

Gegenftand lieifst Erjcheinun^» 

Vierle 



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— 129 ~ 

Vierte Erklftrung. 

Das)enige in der Erfcbeinung, was der 
Empfindung entrpricht» heilst Materie^ das, 
woriunen fich die Empfindungen ordnen, die 
Ferm. 

Erfber Lehrfiitz. 
Die Form ift a priori im Gemfkthet 

Beweis. 

Denn fie ift nicht Empfindung« iiicht Wir* 

kung des Gegenftandes, fie ift dasjenige, 
worinn lich die Empfindung ordnet, und 
kann alfo nicht «ugleich relb(t En^iindung 
leyn. Sie kann auch nieht mit der EmpBn- 
dung zugleich gegelien feyn, denn fie falit 
und ordnet erCt die Empfindung* 

Funfte Erklarung. 

Diejenigen Vorftellungenri in denen nichtr 
aur Empiindung Gehoriges angetroffen wird, 
hciiren rein. 

Sechfte ErktArung. 

Die Formen der «mpirifchen Anfchauuiip 

gen find reine Anfchauungcn^ und da fie inn 



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Gemuthe liegen ( i Lehrf.) reine Formea der 
SittttUehkeit (2 ErkL) 

Siebente Erkli&rung. 

Das Vennfigen, ron Gegenftteden auCer 
uns aiTicirt zu werden» ift der dufre Siotta 
▼on innent itv mncrc Siaiu 

Zweyter Lehrlatz. 

Vermittelft dcs Hufern Sinnes Itellen wir 
nns GdgenftHnde als aaler nns Yor« u. L w. 



F. 



£INI* 



— i3i — 



EINIGE 

BEMERKUNGEN ZUR GESCHIGHTE 

11«» 

fKANz6SISCU£N FUILOSOFUIB. 



IncliBm icli mich iinfcfalcktet die Gelcliicfate 

der franzoftfchen Philofophie durchzugehen^ 
nnd dazii irgend einea Leitfaden in der fran- 
z5Jifdien Literatur facbte, Itiefs ich zwar auf 
mebrere Notitzen und Raifonneisents in ihren 
Dictioimairest £ncyc]opedies und ])IemoireS| 
fand eine Itfenge gefammelter und einselner 
Biographien von Fhiiofophen , zutn Theil 
beflert anm Tbeil nocb fcblecbter, als die 
Samneleyen Ton BertrSs und Saverien; aber 
eine Ge£chichte der franzofifchenoder eine allge- 
melne Gefcbicbte der Piiilofopbie Uberbaapt^ 

I S war 



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— l32 — 

war icb nicbt fo glaeUicb zn litiden. Es kann 

feyn, dafs (le mir entgangen lind: indeJTen 
hnden fich Grunde genung, um einen folchen 
Hlangel zn erkl&ren, Was insbefondre die all* 
gemelne Gefohichte betrift: fo fcbeint lie Yor 
der Hand ein au&fchlieXTendes Eigenthum unle* 
rer Nation zu feyn. Wir baben niobt nur 
alle philofophiiche Syfteme und Lehrmeynon- 
gen aller Nationen in allen Zeiten kennen ge- 
lernt, fondem aucb benDtzt« d» b. lie aufge- 
fiihrt, hefeftigt , gelndert, widerlegt, und 
aufjgenommen. Weicber £ngIILnder oder Fran- 
zofe bat irgend eine Bebanptung rorgetragen« 
irgend eincn Theil der PhiJorupliic hearheitcr, 
ohne dais wir uns fbgleicb damit bekannt ge- 
macbt* uns dafilr oder dagegen erklArt bllt* 
ten? So ift dic Philofophie aller gehildeien 
Nationen fUr uns da gewefen» wir baben die 
Gefchicbte derCelben gewiHeraiaalTen mit er- 
lebt, wir flnd daher auch im Standet etwas 
Vollftftndigeres daruber zu fcbreibeut und ib- 
ren Wertb ticbtiger za beitiiiimeat th es 
die Ausliinder veniiogeu. 

Die 

*) Einen Beweif» davon , hefonJei» m Ruckficht 
der dcutOciieu PhiluIbpLi«a g«bcn di« bekann- 



— i33 — 

Pie frmBRtkhm Pli9orophie faat «n Jich 
lelbfc fo Tiel Cigeniliumlicbes, und ift von 
Seiten ihres £infii»£EiBs auC die unfirige fo wicl> 
ttg, dMlk fie einer nSliern Attfmerkramkeit 
fehr wurdig ift. Ich gcbe hier einige Ceiiiei- 
kungen daruliert Ib gut ich fie geUen kann ; 
obne eof den Rabm der Vollfrfiiidtgkeit oder 
tiefea Ergriindung den mindelcen AnfiJrucU 
gn machen. 

Die erfte Periode der franzdfilchen Pbilo* 
fophie war die Scholafdjche, Die Verfaffer 
iler hiftoire literaire de France *) entwerfen 
Ton jenen 2eiten ein Bild, welches die Phi- 
loroplien des elfiun und zwolften Jahrhunderts 
iehr vortheiihaft heraosheben w&rde, wenn 
es aucb nnr ha)h fo klftglich ansfilhe. Sieiind 
zu hart in ihrem UrtheiJe iiber die Scho]afti« 
Iche Piiilofophie» nnd befonders fehr par- 
theyifcfa gegen die NomtneHfteat Wie follte 

ficfa 

ten Werke des ItaUener» Buouajeda (genanut 
Agfttapifto Cromaziano)^ dcr iudefCen QOter Bntm 
i^wrs Anleitnog imnMff no«h mehr wei& nad rich* 
tiger nrtheik» tb Bminm n. a. 

•) Hiftoire hter. clc Fr. p»ir B^^n-tJicrins Jc i.i 
Congregatiun de Sc. Meore. To. 'j.{\'Atis^ 1740. 



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- i34 - 

Bch bey clem Mangel an Iiterari£chttr Raltur 

die Philofophle anders» als duich blofTeForm, 
zvL entwiekeln anfangen, nnd wie folhe he 
nicht) bey der fclaTifchen Anhftngnchkeit an 
einen alten fchwer zu verftehenden Philofo* 
phenf und bey der erften kindilcben Freude 
Hber ihren Tieninn, auf formellen Spitzfin* 
digkeiten vcrweilen? Auch bey den Griechen 
snachte die dialectifche Periode den Ueber* 
gang 2u einer wiffenfchaftlichen PMIofophie» 
und fie wiirde auch da l^nger gedauert haben^ 
wenn lief wie in Frankreichi einen fo liber* 
feinen ond frnchtbaren Stoff, als die Theolo- 
gie» gefunden h^tte. Aus dem Gelichtspuncte 
einer allgemeinen Gefchichte der neuern Philo» 
fophie angefehen, erfcbeint die Scho1a(Hfche 
als Vorbereitung, und man kann nichfc Jeug* 
nen^ dals aus diefer in der Folge» wo ge« 
fnndere Beurtheilung und heflTere Kn/ioht in 
den Zweck der Philofophie aufkameni die 
allgemeinen Begriile herantgehoben und Ter* 
arbeitet wurden, ein Gefchaft, welches nicht 
fo gldcklich von Statten gegangen wlire, wenn 
nicht jene I>ia]eotiker diefe Begrille auf meh* 
reren Seiten herumgeworfen und durch den 
MKsbrauch lelbft eine ¥eciianftigere Anwen* 

dung 



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— i35 — 

dnng erleichtert h&tten. £ben lo wenig kana 
jnan leugnen« dais unter allen Sebola&ikern 

die franz^fircben im DurchTcbniu genommcn 
licb am wenigften vertiefken: es war clerfraii* 
zSfifdie Witz, der fieh bier zum erAenmafal 
in cler Pbilofophie verruobtei und nacbhcr 
nie daraus gewicben ifi; 

Scbon die erfte genauere Anwendung der 
Philorophie auf die Theologie erzeugte Hetero- 
doxie* Idan kennt die Bebauptungen und 
SdiickiSda des berilbmien Petef AMUard^ ei« 
nes Mannes von vielem Scharffinn und grof- 
fer Freymuibigkeit, wie alle die Werke yon 
ibm bewmfen, die wir Baben, nnd Tid- 
leicht diejenigen nocb mehr, die wir nicht 
baben. — Seitdem indeflen AbAlard und 

einige 

^ S*. Dnntfid nnd Msnena Tonade sn ihson Thes« 
Tob r. Ett penet eoe eiaidem Abaehrdx liber, in 

quo genio fuo indulgens» omnia clirijuanac re- 
ligionis mvsteria in utramque partem verset , ne- 
gant ^Qod aireruei&t. ec aCrerens, quod negaverat; 
^nod opuf aliquando pnblici iuxxs fiioere tenUYe- 
xat ttostcr Acheriiif » ▼emm fincio «zunbutom «e» 
temae leQebiie podoa ^nem luee digmun de Tiio- 
nuB anidstonun eoBCnnu eziitimaTii» 

14 



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136 



einige leiner ScbQler wh ihrer Dialeclak der 
Theologle gefahriich geworden waren, ward 
maa auf die Scbriftea ihres Meifters Ariltote* 
les, belbnders die datnabls trSt bekannt wer» 
denden aurinerkfara , und eine Menge der 
Icbjirfften Verl^tbe Icbreckte die Philofophen 
«ne Zeit lang Ton dem dffentlichen Stadiuin 
clerleiben al), aber unterdriicken konnten 
fie es nicht. 

Teter RantMs wagte ei, mit andem Waflen 
dagegen zu kamplen. Er priefs die Alien 
als Mu(ter einer brancbbarea Philofopbie, be» 
mahte ficb, in diefe Wiflenfcfaalt Populari* 
tit nnd Gemeinnutzigkelt zu bringen, und 
beftritt oder verlachte die fiemttbangen der 
Dialeodker. Icb finde an ibm fehr Tiel Aebn* 
lichkeiten mit unferm ThoroaJiuSt w^nigrtens 
In Riick&cht des Vurhabeiii« die Philofophie 
zur IiebeQswiflenCchaft zn machen, ond der 
fturmifchen Mittel, deren ilch beyde zu die- 
ler Ablicht bedlenten. Bamas warde felbft 
•of OentfcUnul mebr gewirkt babco» wenn 

*) S. T.auiu»i dA trim Aristoidia ficntnBa ae aetd. 
PanfiMiii. ed. Ebwiek Wht. 17^- ^ 



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- i37 - 

rein PYaa fkberlegter» vnd die Ansfahnnig 
weniger leichi und nnToHfttndig gewefen 

w&re. In Frankreicli wirkte der Geiit leiner 
Piiilofopbie nar im StiUeit fort. 

UagMcfa ▼ollenifeter «md gllnzender er> 
bob er iich in der Folge m dem fcharfftnnip 
gen Mimtaigite^ der durdi leine Beobachtungt' 
gabe» dnrch prychologifchen Gebrauch der 
Aiten, und durch eine iiberaus fafsliche Art 
Ku philofophiren , einer der Lieblingsfchrifib" 
fteller feiner und unferer Nttion geworden 
ili, und In Bayle, Voltaire und mehrern 
nanehe Ideen ▼eranieiate» wofilr iie iich bey 
ihm nicht bedankt haben. Das Syftem, wel* 
ches Charron aus fetnen Schriften aufrtelltei 
ift freyjich nichts weiiigert als ein wiflen* 
IchaftKches Syftem der Pbilorophie, aber es 
il( reicb ao neaeu und kuhnen Anficbten der 

Jtteta^ 

Wai mao; fich Marmus litwfwrtus «ntcr einem 
A t he ifta u geiUcbi habenf wenn er in Ceinem Comm 
mmumr fiW dtV Gmtefit 8, fl33 berichtet, dalt 
vm den Aniang det Jahrluinderts in Pam al- 
lein 5oooo Athetfttn exiftirt bntten ? Phtus Cr^ 
gorius Tholofamis ojrbt ciic Zahl tliefex Frcvkr 
xu reiaer JUit auf 60000 «n. 

I 6 



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— i38 — 

Idetaphyfick, Pfychologie wid MoraL fis i£b 
eine Philofopliie tfkr den erften Anlaaf , za 
welchcr fich noch jetzt der grof&je Theil der 
philofophifchen Diiettanten hekennt. Die da« 
mahlige Geftalc der Philofopbte, und der 
ganze Ton der Zeit Aimmte Montaignen znr 
Xceptifchen Unzurriedenheit. MDiejenigen 
neiner Zeitgeno£ten« iagt er, welcfae vor 
andern dle feltenften Vorziige und eine ausge* 
seichnete LebhaftiglLejt dea Genies befitzent 
bauen faft alle llber die Schnur binaus, fo» 
wobl in ausgclanenen Meynungen , als in den 
Sitten. Heutiges TageSt da die JMienfehen 
alle auf einem Pfade geheuy qui certls defci* 
natisque fententiis addicti et desdnati funt, 
Qt edanit quae non probant, cogantur de* 
lendere, Cic nnd wlr die lCanfte durch 
biXrgerliche Autorit&t und Vorrchrift erhaltent 
fo dals die Schulen nur eiuerley Hnftert 
«nerley Lehrfomit und einerley einge* 
fchr&nkte Discipiin haben; fieht man nicht 
nehr darauf • wat die Muiisen wigeB und 

*) Bucili H. Kip. la Iin 9iartm BmkU der txaftushai 
deutTchea UeberfiMsung Bedm 179^ 8. & 1 



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— i3d — 

■n iniienii Gefaalt haben, ~ aian lifit 

Scbrot und Korn dafain geftellt feyn, wenn 
<iie Munze nur gangbar ilt/^ Piele IclaTircbe 
AnbftngHcbkeit an ctie Form, verbnnden nut 
einer ubertriebrien Ungebundenheit und Dreu- 
Itigkeit in Bebauptiingen, die Unbeftimmt* 
lieit erfter Prindpien und ilie Li&cken in Jiien 
Widenfchaiten jener Zeit, konnten in einem 
HSannet wie Montaigne» der fo viel auf 
wahre Brancbbarkeit und Lebenswttsheit bielt^ 
nicbts anders, ais einen entfchlorreucn Zwei- 
felfinn an der Moglichkeit einer Metapbyfik 
Ibwobl alt einer rttuen Moral erzeogen* Der 
Menfcb kennt nicbt einmahl feinen eignen 
Kdrper: wir kdnnen die Wabrbeit nicht nn« 
terleh«den: die Gegenftinde erfcbeinen una 
nicbt, wie fie lind, fondern unfern Empfin- 
dnngen gem&fs: es giebt ketnen einzigen un* 
beftrittenen oder unbeftreitbaren Satz: unlre 
Urtheile andern ficb tkglich : unfre Seele 
hingt Ton den fteu abwecblelnden Ver&bde^ 
rnngen det KOrpert nnd von ftufcrn Einfliir* 
fen ab ; wir haben kein Criterium der Wabr- 
heity weder an den Sinnen, nocb an der 
Vemunft : wir felbft haben fo wenig , als die 
Obiecteau£er unS|. einefeltbeftimmtei dauernde 

Wefen* 



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— i4o — 

W«Cenbeit: unlre ibgenannte WcUsbcit wird 
▼on den Sinnen nnd Ton der Wirkfidikeit 

befUlndig uberliftet; diefe und khaliche Be- 
nserkungeu find es« welebe Montaigne der 
dognMdfcben Pbilofopbie en^gen Ikellt, obne 
fie iedoch ro abfichtlich, wie etwa Seztni 
Empiricui, zn beftreiten. Unznfrieden mit 
flllem Dogmatismus und Sectentbum^ warnt 
cr angeiegcntlich vor der polaunenden Auf* 
nabme jeder nenen Lebre. f»Wir beben, Ikgt 
er, groITe Urrache» dagegea iuir&trauifch zu 
Sitjn^ und zu erwagen» dals» betor lulche 
erseugt wurdet dtt Gegentb^ devon im 
Schwange war, und fo wie durcb lie das 
▼orige umgefto£Een wurde« tn der Zukunft 
«ncfa etne dritie Brfindong entfteben kfinne^ 
die der zweyten dcn StuLs verfetzt. Bevor 
Prind^n, welcbe Ariftotelet eiogefubrt 
hat» in Aulnebme kemen» war die menlch» 
iiche Vernunft mit andern Principien zufrie- 
dea« fo wie wir nns heotiget Teges mit den 
Ariftotelifcben beguugen. Welcbe befondere 
Briefe und Siegel haben diofe, dafs unfre 
Erfindong bey ibnen ftiile (tehen mulfe» nnd 
de& es ibr befonderes Privilegiom fey, un- 
£em Glauben fur immer zu fedeln? Sie fmd 

eben 



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— i4i — 

eben fo wenig vorm Rimipelboden geficliertt 
als alle ilire Vorwelen^^ 

So leer et bis hterher aik ausgezeicbneten 

Denkern ift: fo reich werden die folgeiicien 
Perioden^ die wir von De# Cartes rechnen 
kSnnen, an Bearbeitern der yerfchiedenen 
philofophifchen Wiflenfchaften. £r felbft, 
CarteSt war der erlkei nnd wir k^nnen 
yielleieht (agen) der letzte franzfififche Phi* 
lofopb, der die Idee eines wiCrenfchartlichen 
Syftems der Philofophie Falkte, nnd Stftck- 
weife ausftlhrte. Wie? davon ift an andem 
Ortea die Rede gewefen. *) So viel ift hier 
gennng zn erinnern, dafs er in der Beftim- 
uijjng mancher Begriffe weit genauer und lo- 
g^cher za Werke g^ng, als fieine Vorginger» 
und dafs er lich lelbft c3ne zieinlich felke ond 
palTende Terininologie zu bilden fuchte. £r 
belchAftigte die Philofophen beynahe dn gan^ 
set Jahrhn&dert» nnd Teranlalste mehrere 

fcharf- 

•) S. das 3te St. diefcr B«yt, S. 32. t loa L 
VogL Bsydsnrwiehi diginalidffon. Esku Band. 
8.39II 



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— i4a — 

fcbarninnige Unkerrachungen &ber die Grunde 
der pbilofophUcfaen BrkenntniJs, and maii- 
chen iieuen Verfuch, die WifTeiircbaft zu be- 
reichern und zu befeftigen. So macbte Ci|^ 
fendi enf die ganz yerkannten Ideen des Epi* 
cttr aufinerkfaui , und unter den vielen Car- 
telianern bat UalUhranche aucb in neuem Zei- 
ten manchen Anhilnger gefanden. Vcr ihm 
wirkte der originelle und oft feltlame Pascal 
mit feinen despotifchen Behauptungen auf dat 
Pnblicnm der Dilettanten: Nicolm fteDte in 
Xeinen moralifchen Verfuchen eine vernunfti* 
gere Moral auf| als diejenige war* welche 
Saint Eorenmad und fein luftiger Anbang em* 
pfoblen und ausiibten, und Bruyeres machte 
die Aufmerkfamkeit auf den Werth der An* 
tbropologie rege. Die Bearbeitong der Ge> 
Xcbicbte» der matbematifcben WillenfQbaften» 
der Spracbkunde und Aefthedck blieb auch 
in Frankreich nicht ohne Einflufs auf die 
Phiiofophie. In den erricbteten Academieen 
ward ihr ein fehr aasgezeichneter Flatz ange» 
wiefen. Der Streit init Leibnitz batte einige 
metapbyfilcbe Kdpfe aufgemuntert, und das 
Studinm der Gefcbichte der alten Philofophie 
gab Mateiialien zu alierband neuen Anficbten 

nnd 



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— 143 — 

und Verfuchen her. *) Den wenigftfin Bey* 
fall fand indeflen die MetaphyAck» dle et- 
wanigen metaphyfifchen Verfuche befch&fdg» 
ten jfich meiftens mlt unfruchtl)aren Gegenftan- 
den« Ober Pfycbogonie» Seelen der Thiere» 
Spracfae der Thiere u. a. Der grdfte Theil 

dcr 

•) Bey diefer Gelcgcnhcit gedenke ich einet gewif- 
fen Brunet ans dcm Anfango de» iSten Jnhrhnn- 
deitt» deflTen philorophirdie Schriften ich naher 
lceDiien zn lernen wfmfchtc, Seine Philofophie 
w«r der imrerholenite und entfchkiflenfte Egoit- 
mns» der lich niur denken ltt(sr. £r gab ein Fio» 
jct d*une nouvelle Metaphysiqne heraiit» ftber 
die fich der Hcransgebcr der Pi^ces fii>>itivet d* 
Illstoire et de Litteiatuie ancieniies et mod. Pa- 
ri» 1704 — 6. nach der genieinen Ait, wie man 
gegen die Egoiltcn zu Itreiten pflegt , fchr hifi^ 
SDftcht. BrTerrprich auch eine Abhandhing da 
Part de fure parler les bdt^aaTec raison, nnd wir 
der felUn Meynung» dafs, wenn dieThiere nicht 
fprechcn kOnnten , e» blos daher komme , weil 
wir lle nicht cben fo> wie unfre Kiuder^ er- 
ziehen. 

Di« Werke eines AmauU det rrAyes et des hvt^ 
fes id^, eines Marfann^ La Tecite des fcienoei 
contrc les Sccptitjues, rtnes Silhon de la certitnde 

des connoifrances hmruines, cines Charubre lc 



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— 144 — 

Piiilofoplieii wendete ieine Benfibitiigeii eiif 
popu)ftre uiul ftfthetirche Gegenftande wnd 

erkliirte Ach, mit Hlntauretzung aller £ie- 
mentarphilofopbid ond metapbjAicber Specn» 
lation, far den (bgenannten Sens comnian 
und die fceptiTcbe Frcybeit. Der einzige Pbi- 
lofopb, den man nock als Ricbter geftenlielc» 
war Locke; einige erklarten ftch furNewton, 
aber nur wenige verftanden ibn. La Motte^ le 
Vayerf Bayle und Hmet trngen das ihrige daza 
bey, das Mi&trauen iri eine eigentlich wif- 
fenfcbaftlicbe Pbilofopbie ond in die Gewi£r> 
fceit der menfcblichen Erkenntnifi fiberhaopt 
zu beftarken. Bayle fireitet allerdings nur, 
wie Voitaire lagt, *) gegen einen Cartefianis- 

mnSt 

fyrcenie dt Tanie» cmes/s^Mlof for rezirtefiM 
de Dieut cinei Ldmiy gegen Spinoza NoutcI 
Atheifitte renTerfe , diefc und eine noch g;r6rrero 
Menge andrer, aus dein Ende des 17 tmd Anfan^e 
des 28 Jaluiiuuderts flnd theiU uor hifiozifch» 
dicib aiif dic gewdbnUcbe i^ctaphyfi^uc du bon 
feus gebauL Dafs ct iibrigens danahU in Fr«nk* 
rcich nnglciGh bcflcr ftand , als in DcmfclUand. 
thut diefer XTcbccficht \mtica fantrag. 

♦) Siide dc £4>uif XIV. Tom, I. Cwd. dd ^ 
Tains. 



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mof, dcr nicbt mebr ift: «lier er dMfate 

fieh unter diefem Cartelianismus gar rieles, 
was er nicht ausdrucklich nennen woUtt. 
Ohne Zwetfel ift er jedoch ntiter etnerganzcii 
Auzafal von Philofopben am diefe Zeit nocb 
cler graBdlicbfte und fcbarfluinigite. Mebrere 
um diefe Zmt erfchienene Schriften flber Mo* 
ral, PfychoJogie und natarliche Tbeologie, z. 
B. Ton Feneion^ wurden geleien» gelobt, wi« 
derlegtf nnd maehteB eben nicht EpocAe. 

£ine allzu lange dogmatifche Periode mag 
eHerdjngs der Pbilofopbie mcbt Tortbeilbaft 
feyn: aber ein fortgefetzter Seepiieiflma ift es 
gewifs noch wenlger. Man hat bier ein fCir 
al]emabl alle erften Principien der firkemnl* 
nits aofgegeben, man ift fiber die Unm6g* 
]ichkeit, Wahrheit zu iinden, einig, man hat 
a]le Unterfiicbnngen Aber allgemeine Begrifie 
als leer nnd ttnniltz hey Seite geworfen, und 
man ift alfo der Laune und jedem luftigen 
Knfalle Preifii gegeben. Die kleinfte Scbwie- 
rigkeit eines Gegenftandes ift hinl&nglicb, um 
ibn fur fcbolaltirchen Kram zu erklaren, und 
ein wenig gefunden Menfchenverftanda dient 
ftatt ailer Theorie. GrUndliche Zweifel cr- 
lcbopfen licb, und man f&ngt alfo an, mit 
5*tf«ddL K feich* 



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feicliirm Gefchwitze eiiumder abznfeitigeii» 

oder, um neu zu fcheinen, nitntttC man feine 
Zuflucht zu Verdrehuage|it ^Vortftreit nnd 
finnlofeii Meynuiigeii. — Oder wiJl man <lie 
Periode in der fi anzoKfchen Pliilofophie, wel* 
cbe wir Torz&g^ch Ton Ia Motte anfangen 
kttnnten, die ee/aef i/SrAe nemien: fo war auc^ 
diefe Eclectik. in mehr als einem Betrachte 
TerderbUcbt und es gik beynabe Ton diefer 
Denkart daflfelbe, was man der fcepttfcben 
Schuld geben kann. Die Syfteme werden aus 
ibren Fiigen geriXfen» einzelne Lebrlktz» 
durcbdie W&nlchelruthe des Sens commanzn'- 
fammengeliegt , und der Mangel an Princi- 
pien erzeugt zulelzt eine Seichtigkeit und 
Frechheit, die alle WiflSenfcbaft zu Bodeo 
wirft. 

Eine folche PhDofophle war cs, welche 
die Franzoren dem an 6i Uodlichkeit und Leib* 
nitzifob • Wolflfcbe Syftematik gewohnten 
Deutfchen aufdringen wuUteu. Unmoglich 
kann man ohne den bitterften Uawiiien die 
unphilofophifcben Raifonnemdits eines ii^Ar» 

gensy La Mettrie^ Maupertuis ^ Voltaire und 
ftAietnbert &ber Pbiiofophie ieien. Voltaire 

gab 



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— »47 — 

gali lieh das Verdienft, die Newtonrclie Piii« 

lorophie in Frankreich empor zu bringen und 
die Leibnitzifcbe zit Terrpotten. ^Man £age 
doch eine wichtige Wiifarfai^t, die er «nt 
Licht gebracht hat , eine erhebliche neue Er« 
falirung, die wiv ihm^ dem unaufhdrlicbtBn 
Nachfchwfttzer des Baco in Anpreifung des 
Werths der Erfabrung » zu danken hatten, 
nur ein wicbtiges vor ihm noch nicbt erkann* 
tes Refoltat fremder Crfahrting, das dnrch 
ibn zuerft einleucbtend gemacht wiire. £t 
wulste vieles aus der FhiJoIophie» wnCtte es 
zu benntzen, fo ^e es Alr ieine Abfichten 
diente> wuDste einzukleiden « umzuarbeiten 
nnd angenehmer zu fagen« was tanfendmafal 
Ton andem richtiger gefagt wary nnd den 
Anftrich , den er der Unwabrbeit| wie der 
Wabrheit gab| £o neu zn machen, dals man 
nocb immer den Selbftdenker zii lefen glaub- 
te. £r war eiu Qompilator, lo lebr es 
je ein Menfch gewefen aber nie 

hac ein Compilator fein Hand\vcrk fo 
gutf «is er» zu verftecken gewufst. Und 
cBefer Mann foll nun auch in der Philofo* 
pliie i:!poche geiuaciii; haben. So rpricht 
neblt taufenden der Verfafler eines Dis* 

K ^ cours 



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— i4B — 

coitri fur les progr^s des connoirfantet hu* 
mtaxm ete. lik dlaiis oim afliemb]^ pnUi^e de 
racademie de Lyon par Mr. & tncien Magi* 
Xu-at 1781. ni^t £nde des Jahrhundertt Ludp 
^wigs XIV erafbeien fieh trturige Erwertan- 
,,gen. Aber Voltaire kam , um den Ueber- 
tigang ztt machenf er, der allein die Kunft 
MbeCa&t «Ue Nazioiieii bia znm Wmen za 
^rubren) der die Wahrheit liebte, gegen 
welles, was tiefilomg ilct &n Milstrattenhatte^ 
«isur daa Nntzbare Ineht», tind was nodi 
f^fch&tzbarer ifc, dem groilen Haufen eiaen 

nGdflliiiiaGk darao beybracbte.** *^ — Nie 

mdchtt 

Antftlhrlinhtr handelt ▼on dieTem ZeiiwmHe Hiw 
Wbmhasrdi ia ISnnem y»fmA eitur (hfihm im 
Forifckntu Atr FhUofophia » DmttfMuuL Sa> 
fter Theil S. aSS f. 

Aimant le vrai , Te d^fUnt de «OQt ce qui eft 
profond, cherchanc rutile ct ce qtii eft plus pr^- 
cieyx» le Culaift gouter k U foulc. — X>ie 
ganse obige Stelle ift ans der grOndlichen 
ond wohUneynenden Abhandlong von Bafcki 
Uebec Ffanifififche mid Deutfche Fiiilolb|i]iie» 
(hn DentldMa MnliNmi, Mins 1768» a. eia l) 
entiduit» 



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mSchte icfa den als mmn ftnfgddirteii Freaiid 

der Wahrheit anfehen, nie ihn andcrn als 
einen richugen Fiihrer anpreiien, fielweni- 
ger ihn felbik znm F&hrer wShlen^ im ieb 
cs anfehe, dafs er in Unterfuchung derWabr* 
beit ein Miistrauen gegen alles bat, wat tief 
gedachi Itu Vo!'*aire felbft wflrde licfa «nes 
lolchen Lobes nicht erfreuet haben. Denn fo 
wenig Tiefdenken leine Sacfae war« fo viel 
er dazu beygetragen haf , den l^ehlfinnigen 
Tbell feiner Nazion in die Meynung zu fetzen^ 
dafs man obne tief zn denken Tiel wilTen 
k5nnte, fo bat er doeb wobl inemals geftn» 
liert, der Wabrheit blos deswegen minder 
faold 2u ieyn, weil iie £eh im emfien He^ 
Itnn darftellte* Br hat lidb an mancfao tieffin* 
nige Wahrheiten, er hat ficb z» B. an New* 
tons ftttlSurft tieffinnige Entdeckungen gewagl^ 
nnd obne im Stande xn feyn, ganz in ihr 
Tiefrtes einzudringen « lie docb ricbtig genug 
dargeftellt) wobl aber leinen Stolz darina ge* 
fuobt, ihnen einen folchen Anftrich zugeben, 
als w&re der TiefHnnt der fie an den Tag 
brachte, keinesweges »a deren Entdecknng 
nothwendig gewe£en« Manche folche Wahr* 
fae&ten fteben in fsinen Scbriftea fo da» da& 

K 3 man 



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— s5o ~ 

naui verleitet werden i&5chte zn glaubeii, 

wcim aucli kein Bakon, kein Loke, kein 
Newton gewefen wiirei Xb wiirde Voltairens 
Scharflinn das alles nsit weit leichterer Miihe 
an den Tag gebracht haben." 

Die franzdiifce Literatur lelbfr war gegeit 
die Mitte diefes labrhnnderts nicht arm an fo 
genannten philofophifchcn Schriften. *) Da 
erlchien ein neues Syftem flber die ^atmr der 
geiftigen IVffen^ defTcn Verfatfer es fich znm 
Vcidienfte recbnet, da£s er vor feinerUnter- 
fnchung gar nichts ▼on dem Gegenlbinde der* 
felben gewulst habe, nnd der das ganzePro- 
blem durch die Wirklaizikeit eines gottlicbea 
Athems auAuft* Da traten Penfies philofopbi* 
ques auf, die geradebin das Dafeyn einee 
Gottes zweifelhart machen, die Hofnung auf 
ein anderes Leben als eine Qoelle von Un« 
ruhe in diefem darftellen , und alle metaphy- 
fifche Grillen, d. h* alle pbilofopbifche £r« 
kenntmfs ^ darcb Beweife ad hominem Iftcher- 

lich 

*) T«.h hijttc micJi alleufalls fchon aus Hifsmanns Li- 
tciatur der Philofophie luit einer Menge von 
Titeln verfehon lUinnen» wenn es hia darauC 
anlLaaie. 



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— i5i — 

lich tnadhen* Auf eSnem leiclitern Wege ver- 

fuchte ein andrer die Erkenntnifsgrunde der 
Aeligion und ^loral in einer Theorie dts ytrr^ 
gnUgens zu iinden. Die Anwendung der Phy 
Jiologie auf die Pfychologie und Moral be- 
miihte lich der bekannte lallemant zu erleicb* 
tem ; und viele herausgekommenen Melanges 
raifonnees enthalten ein Gemifch von bekann- 
ten Dingen und feltfamen H jpothefen. An< 
der Anzahl der Metaphyliker diefer Zeit gc- 
dcnke ich des bckannten Bujfiery welcher 
mit ziemlichem ScharfBnne Lockifche Ideen 
bearbelLete. Es fehlte nicht an Miinncrn, die 
(ich dem emreillenden MateriaUsmus und 
Scepticismus entgegen zu fteUen wagten: fo 

fuchte Deiirslc befonders die erftre Denkart zu 
bekS.mpfeii» aber er ftritt nicht fo wohl mit 
den Neuern, als -vielmebr mit Descartes und 
Spinoza, und feine Einwendungen gegen Leib' 
ratz hnd nicht von Belang* Einen neuen 
Vertheydiger fand der Pyrrhonlsmus an fieaii- 
fobre^ der eben fo, wie feine Vorqanger von 
der Schwachbeit der menfcblichen £rkennt- 
nifSf yom Truge der Sinne, von der Uiiei< 
nigkeit der Pbilofophen, vori dcr beftandigen 
Wiederluihr und VercirSnguff^ der Lehrmey* 

K 4 nuu- 



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— tSz — 

nvmfen u. t nr. «asgehey nnd den Zwmfel 

empBehlt, in apboriltircher Mothode und mit 
franzdfifcbem ^tze. Zur Gefcfaichte der cos« 
mologifchen Hypothefen gebdrt ▼omebnilieh 
das Werk von Boutfier de raction de Dieu fur 
les creatares oder Ton der premotion phyfi- 
que. Uiuer eineui grolTen Regifter von Re- 
flexions morales erregte das bekannte Buch 
Les Moeurs Tieles Auflbben: eine Moral k 
]a portee de tout le monde, die fehr nacb- 
dr&ckticb dem reHgidfen Aberglauben entge* 
gen arbeitet. Ungleioh wicbtiger ift jedoch 
Bi^ffons Verdienfc um^ die Philofopbie der Na« 
turge£cbichtei tind Motites^uieifs um die Pbi» 
lofophie der Ge&tze. 

In feiner ganzen Macht erfchien der Ma- 
terialismus in den Scbriften des H^tfetita* *) 
Man kann diefeoi Maune darchaus nicht eine 
tiefe Menfchenkenntnils und die Beobachtung 
des menfcblicben HerzenSi wie es Uk^ ah- 
fprechen. Er und Rnche/oucauldy im vongen 
labrhundert, liefern zufammen eine ziemiicb 
richtige Naturhefchreibung der wirklichen 

Hand- 

*) 8. Sbidiaxdc Im angat Bociw 8. 843 t 



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— i53 — 

Handlungsart«n und Maximen der Menfchen. 
Aber Drine Pliilofopbie iik eine feiclite nahall^ 
bare Hypothefe. Wcniger feicht, aber fehr 
^nCeitig lind die Philolbpheme Rouffeau*!^ dai 
ausgenommenf was er Qber Wander entwarf« 
und zur Philofophie der Erziehungskunft 
beytrug* 

Das Syfieme de la Natore vollendete, waa 

Ir&faere Materialiften und Fata]iften angefangen 
liatten. £s ift eine ergrunmtet verzweifielte 
Philofophie, die «ller Wahrbmt Hohn fpricht» 
und kein Princip kennt, als das einiger zu* 
flUigen Erfahrnngen. Sie bAtte gar nic^t wi- 
derlegt werden follen) wenigftens nicbt von 
Pinto und Caftillon und Sauri, Mit fchonendem 
Stillfchweigen kGnnen wir die Schriften eines 
Fwrmey , den Difconrs «nes Merian fur la Me- 
taphylique) «iie verfchiedenen Raifonnements 
fiber Indilcbe Pbilofopbie» die Refiezions fnr 
la liberte und Hhnliche Dinge ubergehen. 

£twas Neues und Ausgezeichnetes ift feit« 
dem nicfat in Frankreich erfcfaienen* Das 
Meifte ift fchdnes Raifonnement iiber bekannte 
Dinge« oder Nachhall des vorbergebendea 
Gefchreyes. In nnfem Zeiten hat die allge- 
meine Ver^inderung in diefem Staate natuHich 

K 5 aack 



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— x54 — 

«ttch auf clie Philoropbiei oderf wie oidre 

tvollen, diefe auf jeiie gewirkt. Man hat 
angefangen, mehr aU (anft iiber Natur - nnd 
V6]ker-Recbt za fpecttlireii, man hat Mo* 
ralen und Caiechismen d6r Vernunft in Menge 
verbreitet, in welchen alle Moral nnd £r« 
kenntmls auf den AugenbKck eingefohrftnkty 
und den Liirten eines wiJden und Gefetzlofen 
Haufens angepa($t wird» £s i(t dariun aicfata 
Nenes enthalten: es find dle aken Hjrpothe- 
Xen und Philofopbeme auf einen neuen Zu* 
lland des Volkes angewendet* bey welchenH 
wenn er fortdauert» alle Philofophie zu Gruu* 
de gehen muls. Ich wiJl einige Beyfpiele 
diefer neueften Art zu raifbnniren, aus denf 
Werke des Lequinio Les Prejuges detruits 
geben, eines Mannes, der niit der erdenk- 
lichften Wuth aile Wahrheiten fiir Vorurtheile 
ausfcbreyt, der alles, was die Menfchen ge- 
tban haben und nocb thun, nur Wahnilnn 
iind Raferey nennt» und mit einem Herzen 
voll Gron 11 nd Gift und voU der bitterfren 
Verachtung der Menlcbbeitt Liebe des Nich- 
fkea predigt. Es giebt allerdings noch einige 
Schriften, die etwas kilter und griindlicher 
Knd: aber Le(|uiiuo ilt der Stimmbalter der 

grdOern 



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— iS5 — 

grSCfem Paithey , utid man kaiiTi !n ibtn am 

beften alle die feichtcn Dey-airuniiements der 
Hinselnen tkui £inem Platze beyfammen £n* 
deft. Die argftcn Arukel mufte ich jedoch 
iiedenken trageui hier einzuriicken. 

JM o t t 

Immer nnd freymfithig die Walirlieit fa- 
geH) heifst oft, fich dem GeFchrey und Hals 
ausretzen. Ich Arebe nicfat ddrnach» zn ge* 
fallen: nutzKch zu leyn ift mein Zweck. *) 

Zweytes Kapiieh 
Vom Denkan. 

Ift der Mcnfch beftimmt, zu denken? 
Ich hatte einft die Thorheit| es zu glauben: 
aber feit langer Zeit habe ich meinen Irrthum 
erkannt, und antworte mit Dreultigkeit Nein! 
Gewits^ wenn der IdenTch Ton der Natnr 

za 

*} Ich will nicht, fagt cr S. 8. zu dcn Philofophen 
xe^vn , foiKlern zii den Volkem. — Biiiem Mann, 
wie ich» ftix den der Rufam nidits aft» g^t dia 
Kritik nock i«el vreiiiger« 



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— i56 

zu dierem Gefcbafte befumml wire; fo wiir- 
er von lelblt denken« die Gedankea wtLp- 
den ihm ohne H&Ife der Erziehung kommen« 
£e wurrlen Rch Datiirlicb entwickeln, wie 
der WuchSf der Uoifang nnd elie fibrigea 
Verhftltnjfle des K6rpers ; es wtirde ihm nieht 
muhramer kyn^ zu uberiegen und feine Vor^ 
lUUungen zu erweiternt «Is die Anne zu 
bewegen, die Beine auszulbrecken nnd zn 
laufen. Allein, anftatt da(s der Menfcb die* 
Jelben FAhigkeiien in Jenem St&cke belitzt» 
ift es yielmehr ausgemacht« dafs er zu der 
KunXt zu denken nicbt anders gelangt» als 
dnrch viele Arh^t nnd Muhe, nach canem 
fchr langen Unterricht, und nachdem er 
Xcbon die UiUfte Xeiner Lebensbabn durcblan* 
fen Uk: man nn(f ihn hilden» ihn zn die> 
fer Kunft abrichten und ihm die Gefchicklich- 
keit mittheilent wie man einen Jagdhond ztl 
leiner Beftimmung ahrichtet. 

Betrachtet den Menfcben obne Erziehungi 
^en einfacheii Bewohner der Dorfer» der 
▼on feiner Jugend bis zvt feinem Ende, der 
Sitte Ceiner Voreltern treu bieibt, obne zu 
«hnden« ohne den Geditiken zu wagen» dalt 
er fich deron um «nen Punct entfemen kffn* 

ne. 



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— i57 - 

ne. Welcher Untcrfchied fchon zwifcheti 
dem Bewohner anfrer Ddrfer und zwifchen 
dem Katui* • Menfcfaen ! Aber U&t nns wei- 
ter gehen, lafst uns im SchooITe der gl4ii« 
zendften 6efellfcbaft« la&t uns nacli zwen* 
zig Lehrjahrenf zulieben» wie viel es der 
Menfchen giebt, welche denken! 

Wenn der grofle Haufe denken kdnntc^ 
w&rde er der Karr von Pliantomen und Un* 
dingen feyn, wie er es zu allen Zeiten und 
bey ellen Vdlkem gewefen i(t? Was ift zum 
Beyfpiel der Adel fur einen denkenden Men« 
fchen? Was iind alle diefe abftracten Wefen? 
Kinder einer erhitzten Phantaiict die nnr in 
der Leichtglaubigkeit des Haufens ihr Dafeyn 
haben, und die fogleich aufhoren, zu feyn^ 
Ibbald wir attfhdrent daran zu glauben. 

Der grdfste Beweils, dafs der jiVIenrch 
nicbt gemacht ift, um zu denken, ift die* 
fer, da£s das m&htame Lemen feine k5rper- 
liche Conftitution ft6hrt und oft zerftohrt. Im 
Gegentheil giebt es lcein belleres Gebeimnils 
znr St&rkung unferes Kdrpers, als diefes, 
fich einer beftiindigen Tragheit zu uberJaffen, 
wie die MOncbsmafchinen i die abwechlelnd 
alsen» Ibigent niederknieteni fchHefen und 

fich 



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— i5d — 

licb ml&eten nteh dem Scfaell tmet Globkei 
einer eben fo filhlloren Mafchine, wie Ke» die 
aber» wie iic, einige Bewegungen hat. 
Daretts, da(s einige Menfcben dureb Soc^ 

gcn und Arbeit denken und urtlieilen gelernt 
habeni darf raan eben fo wcnig auf eiae all* 
gemdne Bertimniung des Menfidben zn dielem 
Gefchafte fchlieflen, als man aus einigen felir 
Xeltnen Beyfpieieui wobey eine Eiziehung 
inehrerer lahre rorhergi ng, lchlieCren dar^ 
dafs dai Pierd gemacht ift, Stundcn mit dera 
Fuile ztt 2^len| oder Haafci die Trom* 
mel ztt Ibhlageni well men einige Thierege- 
fehen hat| die durch muhfame Abrichtung 
dabin gelangt wareni diefe Abirmngen Ton 
ihrem Inftincte nnd ihren Katuranlagen ziem- 
licb gut auszuruhren. 

£s Uk ganz augenlcbeinlichi dals nicfats 
der Btnrichtttng des Menfchen mehr znwider 
ift, als denken zu wollen, dafs er dazu 
nicbt gemacht ift; und die al]gew6hn]iche 
Thorheit der Sterblichen bekr&ftigt diefe lran« 
rig6 Bebauptung nur zu fehr: dic VerhaLlt- 
niilei worinn lich eben itzt faft alle Volker 
Europens beHnden, rcchtfertigen fie voll- 
kommen^ 

Wenn 



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— 169 — • 

Wenn dia MenTcheu geinacht wHren» xti 
denken, wenn lie es von Natar thilten; wftr- 

den wlr Millronen Jahre biuduich uns init 
Chim&ren gefpeilst* uns ilher Chimaren ein* 
ancler gemordet faaben? Wiirden wir — — • 
Man diirfte nur ganz kalt daran gedenken, 
snan dilrfte nur ftberlegen kdaneni lutt £cb 
von fdnen eignen oder fremden Ladenfchaf* 
ten fortreilTen zu laflen, kurz man durfte 
nnr denkett — doch was habe ich da gefagtl 
Es ift dn unnat&rHcfaer Zuftand« zu denken» 
und die Natur l&fst fich niemahls ungeftraft 
btleidigea» 

^ i l / i; e s Ka p i t e U 
Von der Tugond, 

Wenn micb jemand fragen roIlte« wat ift 

Tugend? ich wiirde fehr in Verfuchung 
Ibyni su antworten; die njLrrilchefte Sache 
Ton der Welt, on Hindem)& des Glftcks» 
der Reichthum der Thoren, die GJuckfeelig* 
keit der Harren. 

Liegt diefe ErklArung nicht in der Natur 
der Sache» /o ift he doch unglftckligherwcife 

in 



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— i6o — 

in der wirklichen Ausubung des Menrchenle* 
bent zn iindeii. Nicbts in der Weh (ebeint 
wenSger gefncht zu werden, alt Tngend: 
nicbu ilt weniger vortheilhaft zum Fortkom- 
men» alt Tagend: nicfatt Temiag weniger 
die Aufmerkfamkeit des Publicums zu feffeln, 
•U Togendi alie Tage giebt das Voik Be« 
w^e daron* indem et Menfcfaen mit feiner 
Guuft uberb&uft, dle gemeinlglich kein an* 
dret Verdienft haben, alt betrQgent mit 
Drenltigkeit betrOgen zu kSnnen* 

Dennoch ftimmt jeder fQr fich darinn etn, 
dais die Tugend dat Schtaentwertbel^, daft 
fie am gefcfaickteften fey, dat Glilck der Gefell^ 
fcbaft zu machen ; wober kommt diefe Gleich* 
giiltigkeit» die wir docb fonlk dagegen babeiii 
wthrend wir Aber ibre Voitreflicfakeit alle 
ein^mmig denken? Woher kooimt es, da£s 
der tttgendbafte Mann nnbekannt bleibtt wAb» 
rend der BAfewicfat, roti Ladenfcfaaften ftro» 
tzend und faulend Ton Laftern, mit Keich- 
tfa&mem aberb&iift, zn EbrenikeUen erb6bi^ 
nnd Ton der Qflfentlichen Bewunderung und 
Schwachheit zum Gipfel det Kuhms and des 
menfchliohen Glilokt emporgetragen wtrd? 
Was ift die Urlache dieler beynahe eben fo 

allge* 



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allgemeineii, als finnloren Ungerechdgkett ? Was ? 
Dals d\e Hffenfchen nicht gemacht lind« zu denken : 
dafses die iuuljfamrieSache liirlieift, zudenken. 

Der Betriiger fchwingt Jich in die U6he; 
er t&ufcht durch feinen Glanz nnd fein ge- 
rauiciivolles Betragen. Der tugendhafte Biir- 
ger ift befcheiden » und falt immer einfdrmig 
in feinem Benehmen, wie in feiner Kleidung, 
einfacb » wie die Wabrheit, ftiU, wie die 
Vernunit; man m&iisteihn fnchen, ihmentge* 
gen gehen, ihn bey der Hand nehmen , ihn fahren» 
allein das w^re zu viel Arbeit und Bemubiuig 
f&r Wefeui die nicht uberiegen k6nnen« 

Es glebr noch eine zweyte Urfache dieler 
fchrecklichen Sorglohgkeits die dem Men* 
fchen aUes fremd macht, was er am m^ften 
fucben folke) diefe^ dafs die Menfchen Re- 
ligionen haben 9 da£s fie die Larve derTugend 
lar die Tugend lelblt nehmen, dals religifife 
Gebrauche und Gefetze ihre moralifchen Ei- 
genfcbaften verlcblingen» kurz» dafs lie ein* 
gebiidete Tugenden f^r die wahre nehmen. 

Der iiiJjaner fpeifet mit ciner heiligenEhr- 
furcht und frommen Begierde den Stuhigang 
des grolTen Lama; der Mahomedaner fetzt 
feine Tugend in dieEuihaJtung vomWein; der 
6»Stii§k, I* Jude 



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— l68 — 

Jude in die Entbaliung Tom SchweineBeiicb ; 
der Kethofik — — Fftr eine andre Nadon ift 
es Tugend, die Sonne anzubethen, und je- 
des Voik auf der £rde» welches eine Ter- 
rcfaiedne Rdigion bat) fetzt die Tngend in 
den Glanben an ibre Religionsmeynungen, fo 
abgefchmackt iie anch findf, imd in die gtt* 
naue Aus&bnng ibrer Ceremonien« fo lldier- 
licb iie immer feyn mdgen. Jede andre Tu* 
gend, ohne diefei ilk in ibren Angen nnr 
Lafter, Eitelkeit, Thorheit; alle gutevHand* 
lungen Hnd yerlohren^ wenn man nicfat die 
oder jene Keligiontmeytiiuig glauht: der Haia 
der Menge , Mifstranent Veracfatung rerfoh 
gen den red]ichen Mann, fo menfchlich» fo 
Ueberollt fo ehriicb er leyn ijiagt wenn er 
gottlos genung iCt^ aHe religidfe PolTen zu yer- 
achten« und ki\hn genung^ fich den Gefe- 
tzen zu entsd^en» die Hber einen fo groflen 
Haufen von Thoren und Narren herrfchen. 

Was ilt die Folge diefes a]]gemeinen Irr^ 
thnmt? Dafs jedes Volk leine esgne Tugend 
hat, die von der Tugend des benachbarten 
Volkes unterfchieden ift» und dais keinesdie 
wabre Togend kennt; dala bey anen V6h 
kern die Jugend von friih an dazu angebalten 

wird 



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— i63 — 

wird, Tiigen^en zn fucben, die nlcbt find; 

dafs die Fertigkeit im Irrthum mit den Jafa* 
ren zammmti und dals endlich der Geift und 
die Einbildnngskraft des Menrcben fich fo ent« 
fremdet Hnden, dafs er die Tugend fiir im* 
mer rerkennt; dais iie den Kopf toU from* 
mcr Traumereyen haben, nnd keine Idee 
Ton Morajit&t nnd wahrer gereJITchartlicher Ta« 
gend falTen. &e kennen diefe nicht, weder 
iti der Theorie, noch in der Ausubung; iie 
widen fehr gut^ die abfcheulichrten Lafter 
aait dem, was Rb Religion und Tugend nen- 
nen, zu vereinigen. 

Zwar h6ren diejenigen, welche durch eine 
etwas ttberlegtere Erziebung gebildet worden 
find) bald auf, an religiofe Ideen zugJauben; 
aber fie haben das Anfeheni als wenn iie mit 
dem groflen Haufen daran glaubten; iibri- 
gens konnen fie dem Strome ihrer Leiden* 
. Xcbaiten nieht widerftehen t feitdem der ein* 
zige Zaumi der die Regel ihres VerhaJtens 
ausmachen konnte, zerrillen ift, feitdem lie 
eingelehen haben, da(s das alies nur Iftppi- 
fchc Poflen find, unw&rdig eines denkenden 
JVlenfchen; iie beobacluen nichts deftoweniger 
den &afem Anfcbeini um die Leichtglaubigen 

L Q zu 



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Att liuitfirgehsn, nnd unter der I.er?e diete 

erkunfte]ten Tugend gelingt es ihnen, ihre 
wirkiichen Ablcheulichkeiten za verbergeD* 

Diejenigen* welcfae im Emft gliubig ge» 
bllcben find , in welcher Kellgioii es ift, ha- 
ben ein anderes Mittel» ihr Unrecfat zu r6(^i- 
fertigen, ond ihre Lefter mit den Gmndfl.* 
tzen ihrer Keligion zu Yereinbareni man hat 
ihnen dne Tortheilhafte ZuAucht ensgemittelt. 
Es ift Schwiiche, lagt man, und Gott enfe* 
fchuldigt und verzeiht Schwachheiten} die der 
menfchlichen Gebrecblichkeit Ib eigen £nd: 
einige Selbftpeinigung, etwas Feften oder ein 
Alhnofen, belonders dem Reprafentanten der 
Goktheit dargebracht, und die Schwachheit 
ift yerzjehen« das Verbrechen ift vergeflen; 
derSiinderfelbft vergifst, dafs er feinen Laftern 
Preisgegebenift; erbethet, lundigtf tbutBulse» 
nach der Rey he, (undigt wieder und kommt oft to 
weit, fichfur tugendhaft zu ha]ten, wenner im 
Grundenur ein Thor ift| eos Irrthom zo* 
fammen gefetzt und mit Laftern uberbftuft» 

Uatmannicht fogar ebrliche I.eutegefehen,die 
den Preift ihrer Liifte Toraus berechneten» licfa im 
voraus mit der Gottheit in Abrechnungfetztenfttr 
die Frevelthaten » dte iie begeben woiiten t Durch 

diefeit 



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— 165 — 

dlefen fo gewohnlichen Wahnfinn wurden m 
mirenD Vaterlanile in den Jafarlinnderten der 
Dnmmheit (b Tiele Familien um Erbrchaften 
geplundert, wozu fte durch das naturliche 
Becht der Abftammnng beftimmt waren: dnreh 
ihn kamen unermefsliche Reichthumer in dic 
Hinde der Dlener einer Keiigion, deren Stif- 
ter ea zum erjlen Grundfatze feiner Lehre ge* 
macht hatte, allen zeitlichen Guthern und 
Reichthiimern zu entfagen. Taufendmahl 
wnrden die Scbenkungen vor dem Verbre* 
chen gemacht, und der Schenkende blieb tu- 
gendhaft. 

Lefer, denmeine Ideen beiremden, nnd 

der du fie Tielleicht fiir Thorheit und Abge- 
Xchmacktheit nimnift» wenn du mit 
diele Bl&tter durcblauflt, fteht fiill; im Na* 
men der GlLickrelif^kelt kiiiiftlger Gefchlech- 
ler, die du dir trjlumft; uberlegef nnd du 
wirA mfelien, wie ich, dais die Menfchen 
die Tugend nie erkennen werden, fo lange 
Jie Ton Kindheit an licb gew6hnent diefes 
Schattenbild von Tngenden f&r Tugend zn bal» 
teni wekhes fo oft der Deckmantel von La- 
ftern, und immer nur Verirrung undScfawach* 
heit gewefon ift. 

L 3 Was 



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— iGG — 

Was ift denn aber Tugend, (rdgtt dumich. 
Was ift Tugend? Liebe des N&cbft6m H«t 
dies nicbt Chriftaf wor i8 Jahrbnndeiten ^ 
fagt: Liebe deinen Nachften, und du baft 
das Geleu erfullt? Das ift die Lebre Cbrifti, 
und aller Philofophen , das ift der Grand aller 
Tugenden. Lafs diefe Lehre deinem Kinde 
niit der Milch einA6flen, und du wirlt in we- 
nigen Jafaren eine tugendhafte Gren^ation fin* 
den; aber vor allen Dingen, vermifche fie 
nicbt mit fremden Beftandtbeilen, Ae duldet 
keine Mifebung. Willft du den unfinmgen 
Pl an entwerfenj der gegenw3.riigen Genera» 
tion Tttgend zu gehen? Tolle Hofnung, tfta« 
fchende Idee! Gedanke eines empfindfamen 
HerzenSi aber eines eingefchrM.nkten Kopfsl 
Tr&iimerey eines ebrlicben Mannes ! Erwacbe^ 
mein Bruder! Gfne die Augen» wirf deinen 
BJick umhert beobacfatet hdre und antworte! 

RSnnen nbern, die das Alter Terblrtet 
hat, konnen Korper, die von den WindeJn 
an gelsLbmt iind, jemahls Gefcbmeidigkeit und 
Lelien hekommen? Karni ein fmt langer Zeil 
brandichtes iind fau]endes Fleifch die Bewe- 
giing wieder bekomment die es bis jetzt nie 
gebabt hat, kdnnen die Lehensgei&er in die* 

fes 



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let mliBhrtimprta imd iinreiii« Geweba ein- 

kehren? Nein, tbue Verzicht auf «Kefen 1ee« 
ren £ntwurf, und denke an das kunftige 
GeCcIilecfat» anf dieles mnft dn deine wnhl* 
thatigen Abfichten richten, 

Der Men£ch iTt nicht gebohren^ nm zn 
denken« rondem nm zn empfinden: r&bre 
fein Herz ▼on der zarteften Kindhelt an mit 
Liebe zum Gnfen, fie werde fnr ihn in der 
Folge eine Leidenfchait; lafii ihn empfinden» 
dals, wenn er reinem N&chrten fchadet, er 
diefBm das Becbt giebt» ihm wieder snlchn* 
den; lehre ibn« da&f wenn er Ilnbe beben 
wi]], er andre in Kuhe lalTen muis; lafs ihn 
einfeheni daiS| wenn er Ton andem geliebt 
leyn wtJI, er andre lieben mnfty dala, wenn 
er Ton feinem Mitmenfchen ein Vergniigen» 
nnen Dienft erwartet» er bereit feyn mnlj^ 
«llen, die um ibnlind, Dienfteund VergnCl* 
gen zu gewEhren. Aber foll dein Unterricht 
in leine Seele gelangen» Ib mnis er einen 
andern Weg nehmen, als durch die Ohren: 
deine edle Fr eundfcbaft) dein lianfter Cbarao- 
ter mftllen deine Lebren darftellen, nnd fie 
thun es belTer, als Worte, Lafs deine un- 
fchuidigen Liebkofungen fein junget dnd rei- 

L 4 net 



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— i68 — 

nes Herz xnit dem EntzHckea des Woblwol* 
lent durcfadringenf Das Bed&rfnils zn Ueben 

werde feine erfte Fertigkeit, fie wird der 
Keim aller Tugenden leyn. Die Fertigkeil 
ift alles fur das menfeblicbe Gefcblecbt, nnd 
die erften Neigungen entfcheiden unler Loos 
Eir die Zukunft. Du baft eine junge Pflanza 
unter den Hftnde», du follft fie bilden; beuge 
fie zur Wabrheit, Liebe und zur Wobith&tig* 
keit) wie Ib vide andre He zum Irrtbum^ 
zum 2orn, zur Rachfucht, zum HaXTe beu* 
gen; vor allem, verbanne alle VerlteUuog^ 
alle L≥ willft dn» dal^ dein Zdgling aof<» 
ricbtig fey, fe fey felbft rechtlich und ofFen; 
fcbeue dicb nicht, dein Unrecbt einzurebeOf 
aber f&rchte dicb davor^ dals er es bemerkt» 
wenn du dich bemuhft, es zu verl>ergen; 
fcbeucbe ibn nicbt dureb eitle Scbrecken» 
fcbmeicble ibm nicbt mit leeren Holnungen ; 
lals feine natiirlichen Neigiingen Jich frey 
zeigen und ricbte fie auf das Gute» durch 
die Verpflichtnng, dich nacbzuabmen« um 
dir zu gefallen, und da feine Gllickfeeligkeit 
Ztt finden; biite dich« ibm deine Lafter mit- 
zutbdlent dii w&rdeft ihm «nft Ciane Fehler 
vorwarfent die docb nur die Deinigen iind. 

Ja» 



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Ja^ durch Liebe mufii maii die MMifcfaen 

leiteq , uncl clie Liebe fubrt zu al]en Tugen* 
deui denn iie fmd alle in dem Verlangen 
eingerchlofren , Andre gliickltch zn fehen* 
Wer es empfunden hat^ dals fein Gluck nicht 
beltefaen kann« wenn et dem Gliicke andrer 
suwider lit^ arbeitet trenlich am gemeinfcfaaft<« 
lichen Beften : aber er kann damit nicht gluck- 
licb feynt ^ala wenn er lein Herz mit Tugen* 
den erfant» nnd die erlke ift das Bedarfnift 
zu lieben, welcbes ihm die Nothwendigkeit 
•nAegt» die andern Tngenden lich za er« 
werben. Die Liebe ift a33es, lie ift dte Gmnd* 
lage» die Sriitzei die Belobnung der Ta* 
g^nd: Liebe ift es« die Cbriftus dlen Tn* 
gendhaften verheilst, welche beftimmt lind, 
^ne faimmlirciie Seeligkeit zu genuITeni eine 
•vHge» gdttlichey unausfprechlicfae Liebe^ 
Liebe ift es, die alle Stifter von Religionen 
ihren Bekeunerii verlprocbeii haben; durch 
liebe fuchen fie ^efielben an die kilnftige 
d&ckfeeligkeit zn feffeln; durch Liebe zu 
Gott Xuchten £e die Menfchen wfthrend ihres 
knrzen Dafeyns zvl leiteni iie zur Beobaeh- 
tung der Gefetze zu bewegen, indem Ae ib- 
ntn die Hofuung machten, dals lle einft zu 

L 5 d«r 



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der idealifcben Liebe gelangen wftrdeut die 
lie els die' Krone aller Tugenden und a]s das 
h6chrte Gtkt Torftellten. Gebraucht eben die- 
fec Mittel, machi euch eben diefe Leiden* 
fchaft zu Nutze: nur dafs alle Taufchung 
irerfchwinde und nur Wahrheit an ihre Stelle 
trete; redet zu den Menlbhen Vernnnft, ein- 
facbe Vernunft; es ift ihr Vortheil, fie wer* 
den iie faffcn» nnd zugleicb ihr Hera der 
Liebe 5fnen; fie werden emplinden, wee 
fie nicht faden; nur verhirtete Seelen uber* 
Jallen iich der Aachfucbt, der Ungerecbtig- 
fceit» dem Hafle; man ift immer tngend- 
haft, gerecht und gnt, wenn man liebt. 

Liebe» Liebe! Gott der Naturl K6nig 
aUer Wefen^ Loft der Stei-blichen , Prenda 
der Gottheit, Heiliges Band des Lebens, 
Kette des UniTerfnms^ Qnell aller Gate, Ge* 
rechtigkelt nnd Tu^end, Gmndlage der ge« 
felirciiaftlichen Gieichheit, Gluckfeeligkeit» 
die dtt den Sterblichen Terhetfiien bift| wenn 
lie nicht mehr feyn werden: komm, ver» 
lafle die Himmel» wenn du Re bewohnft^ 
nnd ttttg «uf die Erde! Denn mn dem Hafle» 
an den Klagen, an der Rache, an den Krie» 
gen» die bis auf dieCen Tag die £rde TCf- 

wiiftet» 



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— 171 — 

wOftet» uiMi die Oberfiicfae derfelben fo oh 

tnit Menrchenbldt befieckt haben, erkennt 
mant dafs du fie nicht bewofanrt: konmit 
^e^ keime in der werdenden Generation» 
nmfane alle Herzen, flelTc WohlwolJen ein, 
lehre Tugend^ begleite die Wafarbeit, Idlche 
die Grenel eus, die deine Abwefenheit bit 
{etzt veranlarsec hat, maciie endlich diefes 
begnadigte Gerchlecbt glacklich, dem die 
Vemnnft obne dicb Tergeblich Heil und Glilck 
verbei&t* 



Siebzehnees KapiieL 
Vom Tode. 

Was ift der Tod? Die Gr&nze unferer 
Laufbabn, das Ende unferer Freuden und 
Leiden, das Aufbttren unfers DaTe ns, und 
nicbts mebr; es ift die Austilgung .er Bewe* 
-gung, die Erkftltung der Lebenswftrme, der 
Anfang der Auflofung, welche die Subftanz 
nnlers Wefens den andern wieder zufilbren 

ibn. 

Alle Wefen in der Natur bekommen eine 
befondre Organiiationt alle lebea und wach- 

fent 



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fien» nnd «11« geltngeoi naehdam £• ciBfl» 
Kml» aachVerhfilnnft ihrar Gattiing befehrie* 

beo haben, zu einem Ziele, ixber welchet 
liineut fie ihr Dafeyn nicht ▼eriangem kto« 
]ien« nnd welches lie wieder auf den Panct 
fiihrt, wo ihre Tbeile fich trennen« iicb in 
die Yerlchiednen £]emente miichen» aene Zof* 
lSmunenret%ungen bilden» nenen K6rpeni dat 
DaCeyn geben. 

Der Schlamm tMt £ch an nnd ec bilden 
lieh Stdne^ Jie bekommen Feftigkeit, wer* 
den hart und brauchbar fiir den Menfcben. 
Aufigeletzt den EinfllUIen der Lnft» indem 
Jie ftch, werden alt und aeigen Ach tftglich 
der Zerftohrung zu, die fliichtigere Sub« 
StaiDZf die das Band ihrer MaCTe ausmachtc^ 
entflieht, fie trennen iich, und laffen ibre 
groben und erclichten Theiie fallen ; ein Tbeil 
derCelben geht in die Vegetacion zur Nahrung 
(ler Pfiaiizen, wdhrend die andern, von 
Kegen und Str6men fortgefubrt, fich in dia 
Flufle ftarzen, wo iie bis an die Ofer det 
Meeres fortroilen, um dafclbrc ungebeure 
Bette Tcn Moraft aus Sand, Mulchein, Fi- 
fchen nnd andem fremden Korpern bilden 
zu helfen. Nacb Verlauf einer gewilTen Zeit^ 

wena 



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^ratn ^oGew&Cbtr zurackg^tretttti find» wdcb« 
tinauni5r]ich einige ihrer Ufer rerlchliiigent 
und von einer Kufte Belitz nehmen» indem 
fi* die entgegenftebendft Terlalleni w^en 
diefe Morftfte hert* troknen «u»« nnd keh- 
ren in die Geft«It von Tuf und Stein zurftok» 
die iie mige jAhrhunderte Torher ▼erlafCen 
hatten« Anders kdnnen lich diefe durch ih« 
ren Umfang ungeheure und durch ihre Weiffc 
fo noierkwardigen Steine nicht gebildet hahen» 
woraus Paris und ▼lele andre Stadte ganz 
gebaut iind, und aus den^ man beym Zer- 
Jchneiden ganze Hinde voll verlkeiiiccter 
JMwfciieln und Fifche fammelt» 

Das Dafeyn aller Wefen dauert gerade Ib 
lange^ ale zn ihrem Wachsthnm n6thig ift. 
So dauern die Steine, ehe fie aufgeiofc wer- 
deQ> Mjllionen Jahrbunderte» eben £bt wim 
fie MiUionen Jahrhunderte zn ihrer Bildttng 
beduiften* So brauchen Blnme, welche ein 
Jabrbundert wacbXen muflen, bis lie ToUkom* 
men lind) wiederum dn Jahrhnndert) his 
ite ihre Tonkominne Austrocknung und ihren 
Tod Anden^ w&hrend der niedrige JLaitig in 
dem Zeitraum einiger Wochen wlcbftt <hi iA 
und rerivelkt» 

Eben 



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— «74 — 

Bben fo Ut es bey den Thieren. Einige, 
wie die Milbe, bekdninien ibr Leben» wadu 

fen und fterben gewm6riiiaa(ren an Eineai 
Teget wibrend «ndrei wie der £lephant 
nnd der Menfehi beynahe ein Jahrhttnderl 
dauern. Wie dem auch fey, der Unter* 
Idiied liegt nnr in Mehr oder Wenigeri aber 
jede Gattung hat ibre bezeichnete Bahn , ihr 
befdmmtes Ztel, und noch keine Macht hat 
dieies Ziel anf eine merkliche nnd bekanntt 
Art verldngern kdnnen. 

£s ifx alfo eine ausgemacbte Wahrheiti eine 
Wahrheit, die jeder Menlch znerft lemen 
follte, fobald er die Augen ofnet, dafs er 
lie nach Verlaur einer gewiilen Zeit, nacb 
etnem Zekranm, den er nidit Terlangera 
kanni auf immer fchlieffen wird. Wenn er 
diefen lieilfamen Gedanken» Yon feiner Ja* 
gend an« beft&ndig vorAogen hfttte; fowarde 
er empHndeni dafs es lein Vortheil ift, zu 
genftffeni er wftrde fieh bem&hen« die knrze 
Daner« wc^ohe die Natnr feiner Anwenf 
dung Ubetlatren bat| zu feinem Gluck so 
benntzen. 

Diefer Oedanke grimt nnd bennmhigt nnr 
fcbwache Seelen, oder folche» die ihn nie 

im 



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- 175 - 

im Alter dtr Jugend tmd Kraft gedacht haben. 
Dadurch^ daik znan Ecb dle Idee voneineran- 
dem Weltf Ton einem Orte der Strafe nnd der 
Freude, gem.ichthat , ift ganz naturlich derGe* 
danke au den Tod f&rchtedich geworden « belon* 
ders lilr den Menfchen , den feina Unmorft* 
litat irr feinen eigneii Augen verdainrnt, Die 
Fnrcht vor Strafen ift in dem Menfchen yiel 
Mrker nnd lebhafter, als die Sehnfacht nach 
Belobnungen; einige fiircbten die Strafe, weil 
ihnen ihr bdfes GewifTen fagt« dais Ae iie 
▼erdienen, andre furchtfame nnd ftngftliche 
Seelen iind daruber bange, ol) be fie ver» 
dienk haben ^ und diefe Angft nimmt in ebeit 
dem MaafTe zu, als das Aher heranrftckr, 
oder Ki ankbeiten , welcbe die Mafchine 
rchwftchen, den Menfchen in einem Zuftando 
▼on Kleinm&thigkeit erhalten, der ibm a]le 
Empbndung von Mutb ranbt, und ibn zum 
ohnmftchtigen Kinde macht: das gewdhnliche 
Loos derjenigen, welcbe an ein glanzendes, 
mufsiges und luftiges Leben gewdhnt iind* 

Wenn es irgend Menfcfaen giebt, welcfae^ 
obne durcb Nachdenken darauf vorbereitet 
zu feyn, den Tod mit Gleichguitigkeit kom« 
men lehen: fo iind. e$ dle Dilrftigen. Der 

Av- 



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— »7^ ~ 

Artnef der auf die bloQiB Nodidnrfe zarftck* 

gebraclit ift, und fein Dafeyn nur an felner 
Mttbe und an Xeinem Mangel merktes Ter^ 
)ft&t das Lebea ohne Gram, weil er nicht 
eine VeranlalTung hat^ ficb daran zu bangen| 
obae Furcbt, weil er feine Gedanken nicbt 
nber das Leben hinaua er(b«ckt; Der Tod 
ift in Wabrbei^ fiir ibn das £nde feiner Quai, 
er fcbeint ibn nur unter diefem Geficbtspnucte 
«nzufehen, und oft w0rde er mit dem grd- 
ften Pbiloropben in Ruckficht der Seelenrube 
bey dem letzten Augenblicke feiner muhvoHeii 
Laufbahn wetteifem* Hter, wie aberal), be« 
gegnen iicb die beyden Extreme, denn 
der Zuftand einer gtozlicben UnwiCTeii- 
beit) worinn diefer Arme lebte^ erbebt ibn 
zu der Groffe, welche der Fbilolopii nur 
durcb Nacbdenken erreicbt. ^ — — 

Wenig Menfchen find yermegend gewefen, 
ficb der herrlchenden Traumerey von einem 
andern Leben zu eAtfcblagen. Die Anatomie 
und die Fortfchritte der Phyfik haben uns 
endlicb zur Wahrbeit und zur Berubigung 
▼erbolfen, und wir wilfen bente genau, dats 
der Tod nur die Au^tiJgung des Lebensprin- 
«ips ift^ uacb welcbcr es weder Freu* 

den 



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— 177 — 

deVi nodi lieiden glebt: md ant dielSMr Ge^ 

wil^heit folgt, da£s wir dlefen Augenblick nur 
m fo fern fOrcbten k6nnent als su HppigiB 
'nnd ansfchweifende Fl-enden nns an dae Le* 
ben kniipren: eine Anhftnglichkeit, gegen 
welcbe der Weife» und jeder» derdas GJlick 
wahrhaft genflffen wiH» Ach ftets lichern winL 
Aber wozu diefe Ideeni welcbe den 
Grundfttzen aller Vi^Iker fo geradezu widei^ 
fyrechen? Ift es nlcht gerechter nnd nfitzli* 
cher, ein anderes Dafeyn zu glauben, def* 
len Lohn nnd Strafe (chon in citeler Welt cin 
IKfittel znr. Aufmnnterung oder Fnreliit ab* 
giebty um uns durch die Hofnung ewiger 
Freude oderdurch die Furcht Tor dnigerewi* 
gen Qual aaf dem Pfade der Togend «n Id- 
ten? Wiirde nicht die Vemichtung diefes 
Vorurtheils dei Ruin der Sitten und die Zer* 
il6hrung der burgerlichen Ordnung nach fich 
siehen? 

Arme Menfchen^ die ihr nicht beobadi* 

tcn wollct, die ilir die Welt iinmer nurnach 
enrer Art zu leheni nach euren LeidenXchaf* 
teui enren eingefchrfinkten Anfichten beur- 
theih! Sagt mir, ob das menfchliche Ge* 
fciileciit in den Jahrhunderten des ubertrie, 
$,Suidu M ben- 



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— 17* — 

bcnftea Abcrglanbens befler wari ak et 
heute ift, wo man anftngt, fich davon ]os 
zu machen? Sagt mir« ob ajie eure chimiiri* 
lchen fiinbUdangen dem Ehrgeitstt cter Eifer» 
fucht, dem Haffe Einhalt gethan, ob iie Un« 
keulcbheit, £hebruch und alle noch gr5bem 
Unordnnngen Terhindert liabett, und ob alle 
diefe Lafter jemahls den frdmmften und gllu» 
biglten Vdlkern unbekannt gewefen Bnd? 
Sagt mirt ob Trenloligkelti Verrftthereyt 
Mord, ob die empSrendftenMetzeleyen nicht 
Begleiter religi6rer Uebungen waren? ob die 
GefelUbhaft {emahlc mehr m Unordnung, die 
Erde mehr mit Menfchenblut uberftrOmt war, 
ala wenn man fiir die Sache der Gottheit wii- 
thete? Sagt mir, wenn ihr es wagt, beweift 
es mtr, dais das menfcbliche Gefcblecht Ter- 
kebrter ift| ieitdem man weniger Vorartfaeile 
hatft als ec trorher war; fagt, ob die Ge* 
fellfchaft weniger gliicklichi weniger gut or- 
ganifirt ifk? 

Die Forcht vor ewigen Strafen fchreckt 
nur denjenigen ab, der ein allzu empfindfa- 
mea nnd gutes Herz hat, alt dafii er Bdies 
tbnn kttnnte ; den B6fen kann nur die Furcht 
vor m§nfcfUichen Strafen zuruck halten» Dio, 

Hof* 



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Hofniuig auf Belohattag ift dardiAiit von kdi* 

ser Wirkung. 

Der Glanbe tm em taiArtg Leben erMlt 

die Seele unniitz mit Bangigkeit und leeren 
Hlutfamallangen) welckeriein einem Zafunde 
Ton Einfcbrftnknng ertieltenf worens ftlr des 
Individuum Qual und Ungluck und fiir die 
GerelirchaTt kein einziger Vorilieil enifpringt» 
Im OegentbeOt die Betracbtting des Todes 
und die Gewifsheit^ dafs er das Ziel des 
menCchlicben Dafeyns ift » befreyt nna Ib* 
gTeich von allen kleimnlithigen Scbreeken« und 
wSre die Wirkung davon auch nicbt grdlTeri 
Ib ift Ae docb f&r unire fierubigung lebr be» 
triu^tlicb. Aber icb bebaupte^ dab diefe 
Gewilkheit ihre Wirlcungen noch weiter er» 
Jkreckt^ ttnd dals nicbts fa viel dastt bey^ 
tragen kannt den Menfcben Binpfindungeii 
des Wohlwollens einzufloflcn. Man mufs ins* 
belbndre eingefteben» dafs £e der ScbutSBbrief 
fftr die Freybeit der Vdlker Ift, welcbeewig 
Yon Despotismus unterjocht und Sclaven blei^ 
beut fo lange ein Betrlkger fie imNauiendea 
Himmels anfiibren nnd ite auf einen Punct 
bnngen luuins wo lie aus der th6richten aber feftcn 

M a Ue* 



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Uebarxeogotig vob ciiiar k&nftigeii Belolmiuig^ 
ibr gegenwlrtiges Leben enfopfeni. 

Die Vertilgung des VonirtheUs Ton einem 
andeni Leben dieat desn, die VOlicer sn 
fcbHtzen, die Sebwidien nnd BedQrfdgen ge- 
gen den Uebermuth der M&chtigen zu Ter« 
ibeydifni* In ellen Zeiten liabcn fidi dioLetz^ 
tern nach Mdglicbkeit der EntfaGlhing diefer 
Wehrheiten widerietzt: aber werden diefe 
Wabrbeiten ebmabl crkanntt Ib Bad^iofii 
Aoken Bdfewichtcr gen6tbigt, heralilalTendets 
demiltbiger und ehriicber zu werden, ibr 
Beyfpiel, der lielke UnlMTicbt* wirddiedarf> 
tigen KJaden erheben und benern, und diefe, 
wenn fie die th6riobte Hofnung auf Fortdauer 
iluFgegeben haben, werden fieb entfishlieflen» 
Eifer und Fleifs zu verdoppeln, uin fich die 
kurze Lebensfrilk fo gllkoUjch als ntagUcb zn 
macben. 

Und da die Vorurtheile eben fo mit ein* 
ander fallen, wie fie mit einander entfteben; 
fo wird attofa diefet nicht Terlchwinden, obne 
andre mit zu vernichteny und das Menfchen* 
gefchleciK wird erkennett , dalii das Glftcknnr 
in Eittfidit» Ordnnng^ Tngendf Freymft- 
tliigkeiti Bruderfinn» 0eiik der Frejdieit, der 

Gleich 



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— i8i — 

Glelcbheit, weehfelleitiger Liebe« midindem 
Verlangen beftehty fein Wobireyn in dem 
0lftoke des Nebenmenfchen zu fachen. So 
wird der Tod, — ein Gegenftand^ vor def- 
fen Betracbtung lich der Menfch bU auf dio> 
fen Angenblick endetzt bar, und di^r unsnur 
traurige tind 6de Vorftellungen zu gcben 
Xchicn» — - durcb Ueberlegung»wenn nicht ein 
Gegenfbind der Frende, doch wenigQens ein 
Sto fT zum Troft und eine Q^iielle der allgemei* 
nen Gl&cfc£eeligkeiu 

Tod| du unerbittlicher Beherrfcher aller 
lebenden Wefen, der du deine Macht eben 
to frey llber Kdnige» wie ftber Betder aus* 
tibft; Verzweiflung des Bofewichts» Troft 
des Unglacklicben; Schrecken des Feigeii» 
St&tze des Weilen; Ziel nnfirer Laufliabn, 
Ettde unfrer Frcuden und Leiden ; zeige dlcli 
von nnnandenSterblicheni wie du bilt, als 
Uebergang zur ewigen Rube, als Hing.mr; 
zum Kichts. Lafs alie die Gefpenfter, womit 
Aberglauben, Angft nnd Unwiffenheit dicb 
belehnt baben, yerfchwinden , dafs He niciht 
mebr Millionen denkender Wefen an elngebil* 
detes Nichtt fefleln» den Grund ihres Un- 

M 3 glacks. 



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— i8a — 

glflcks, die Quelle Umr Vorartfadlaii ihrar 

Ohnmacht, die Urfache der Sclaverey dcr 
V6lker nnd des Uebermutbi der Tyrannen. 
Dtt dienteft lange dem Pespotismns ond der 
Terruchten Scheinheiligkeit, dle Ach gegcn 
det Glttck der V6Iker Terfchworen katten; 
diene nun ancb dem UngluckHobenf beibbatzo 
die Schwachheit gegen die Kuhnheit uud den 
Ehrg^ Ton Q(»(ewichtern. Da haTt \m ietst 
nur kleinmuthlge, Gedankenk>fei Terfdhrto 
Haufen vor dir hergetrieben ; nimm nun 
freyei muthige Generadonent welche dem Irr» 
thum ahgefdgt haben , mlt din Maehe alle 
Uaordnungen und Uebel wieder gut, welche 
die Fnrcbt ?or deiner Macbt und deioen Fol* 
gen bis jetzt veranlalst haben, und werde dio 
Stutze der Tugendi die Quello begluckcnder 
Bruderliehe, welcha einft alle Vdlker Term- 
jaigen (oU; grunde den ewigen Fricden, lalTe 
die Wabrheit vor dir hergeheni opfre dich 
dir felbrtt und Hl^hta mcht, dein« 
Herrfcbaft uber ein ungluckliohej) Ge» 
fohlecht zn Hndern, welches rom Beginn 
der Zeiten der GeiOisl des fGbrecklichften 
Aber^lauhens unterworfen gewefen ift, 
der Dir fo oft Trinmphe btreket und 

diefet 



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diefes Gaicbleebt beynaiie gaas TerniciiteK 

•faat! 



So weit ich die FreQz6rt(bbe Pbilofopbie 
kennen gelernt babe, glanbe ieb davon obne 

Ungerechtigkeit Folgendes fagen zu konnen, 
!• Die Franxoien haben kein TolKtilndiges 
Syftem der reinen Pbilolbpble enfzuweifeKk 
Vefcartes^ den man allein anruhren k6nnte« 
tinirai«te nur einen Tbeii der WiCliNifcbaft : 
fftr die pracHfche bat er wenig oder nicfait 
geleiftet. In den andern Syrtematikern , de» 
ren es docb nnr Uberaita wentge giebi, liii> 
det man Loke oder Newton. *) Der grobe 
Materialismus einiger Schriftfteller irt, feinem 
Urfprunge und leinen Beweifen nacb) durcb- 
eus empinfobf und dieht nnt dat:tt« diefen 
Abweg der phiiofophirenden Vernunft in fci- 
nem ganzen Umfange kennen zu lemen. — 
Wer die AUiandlnngen iiber die Syfteme der 

Alten 

•) HoHentlich wird xnir NienMind ctwa eincn 
Cour» de Pfailosopbta Ton Smuri cnigegenAelltn. 

M4 



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— xa4 — 

Alten in den Mem. de rAcad. des Inscr. kennt» 
wird villen$ wie imbeftimmt die Ideen die^ 
fer Gerchiclurcbreiber iiber das Tindy was 
man Syftem nennt. 

a. Ueberbaupt baben iie die Pbilofopbie 
nie a]s eine eigne ftir fich beftehende Wiffen- 
Icbaft beb^ndelt* Sie ift ibnen entweder Ke* 
foUat ans Datis der Erfabrong nnd andrer 
Wiffenfehaften, z.' 6. der Matliematik und 
Pbyiik, oder Inbegriff allgemeuier SHue de» 
Sens cominun oder bon lens* Man fehe ibre 
Loglken nach| die aus der Scbolaftifchen 
Periode ausgenomment und man iindet nicbo^ 
elt pfycbologirobe Kapitel und • Unterfocboii- 
gen in der IManier der Maniere de bien pen- 
•en Ihre Metapbyfiken bnd m Cento 
ma Pbylik, ACtronomie ond Natorgelebicbtei 
unter allgcmeine Rubriken gebracht. Wer 
imter ibnen bat an «ne Moral t als Winen<» 
Ibbaft gedacbt? Wer eine Winenfcbart dea 
I^aturrechts aufgeftellt? Was verdanken wir 
ibnen in Aackficbt der UnterlbGfaHng det 

menfch* 

Die belle» die ich beme. ift die Ton Craiiptu 
AmSL 1725. 4 Tom. fl^.jUMK wai ift daiatt JiUet 

zufaiuinenj^eliiiuft ? 



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— i85 

menrchlichen Erkenntinftrami^gillS? MiH 

lefe CondiUac und Bonnet. 

3. Ste haben keinen Thml «ler Pbilofophie 
tief ergranclct und b!s euf allgemeingultige 
Principien verfolgt. ^Miistrauifoli gegen alleSf 
wat tieifinnig ift« fuehen lie eJleln das Nuts- 

bare, (wie IVIr. S. von Voltairc rlihmt) und 
hringeo deoi groOen Haufen Gefcbmack da« 
jran bey*** WJts ond Leiebtigkeits ficyfpiele 
nnd Glejchnifle vcrtreten nur zu ofi hey ib- 
nen die SteUe der Gjrondfiltae und Beweifi»: 
die neiften fprechen ans dem Tbne det 
Mr. David im Journal dePhyfique, Sept. i^dx. 
(wo er von ^ewcons Anziebnngsfyltem redel} 
de pareilles absurditit^ quelque aocrediteee 
qu*elles foient, ne trouvent point de place 
dans nn Oavraget ou ifom /ora ene loi do 
no montrer ifMO dm Sont eomtmuu 

4. Sie ha])cn Kch nie zvi einer phiTofophi- 
Ibben Kimltfpracbe vereinigt, Man giebt die6 
fo allgemein zu, dafs ieh nicht nadiig habe, 
das I^eyfpiel, welches EUfch (ang. O.) aus 
Pinto anf^rti mit andem zvl Termehrea» 
Cs ift da viel L&rm ilber Sfttze, die ^nt nn- 
ter dem Namen contradictoriae und contra- 
liie ohne M&he ontericbeiden. Mit der Ver« 

M 5 ach« 



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^ i86 — 

•ebtnng dar DUleotik niMl dm gelainnitmi 

Scbolaf^ifcben Pbtlofopbic, mik det Begierde^ 

fur alle Welt und angenebin zu rohreiben, 
Yerlbbwftnd der 0ed«nke an eine Knnlifpracba 
gUnzUcb. Sn etwes beiftt ibnen Sarberef 
und dialectifche FelleK 

5« Ibre Pbilofopbie beMit in der Fertlg* 
keit, uber Gegenrtande der finQlieheQ und 
intellectueJIen frfahrung deatlicb und «nge* 
nebm zu fyrecben: lie beben Beobacbtangi- 
gabe und practifchen Sinn : Jie wenden fo- 
gleich an« wat &e beQierJ(en« iind laflen 
nicbts f&r Pliilofophie ge]ten.| wai fie nicbt 
fogleich auwenden konnen, Bey ihren Be- 
ebacbtungen aber balten fie Bcb inooier gem 
en dte n&cbfte Brleheinung, und iinden la 
mit H&lfc der Analogie immer die fcheinbar- 
ften ErklArungsgrtlnde auf. Von Natur Feinde 
tieflinniger Forlebnngen» zielien lie dat Idch* 
ter Begreifliche dem tiefer Ergrundeten vor^ 
nnd (b entltand bey ibnen die Vorliebe f&r 
Materialismus, FatalismQS nnd ZweireUucbt. 
Zweifel lind ieichter, und fehen immer fcharf- 
linniger anst als dogmatifcbe Bebanptungent 
fie geben dem Witze ein freyes Feld, und 
diefem bat die Nation von je faer gebuldtgt. 

Ibre 



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- 187 - 
Ibrft PbUoropbio &bte ftch znerUt aii der Tbo* 

alogie, und hat an diefer zu aller Zeit eln» 
beftige Feindin und Verfo]|;erin gefuDden: da- 
ram hat Be belUndig gegen diefe ihrm fcfairl^ 
ften Pfeile gericluet, und, indem fie Theo» 
logie und Keiigion fur £ini nebm, geweldge 
Zerrftttangen m der letstem «ngeriefatet — 
Wenn Ae uber die nftcbften Erfcheinungen 
faineusgebeni geratben iie in unerweiXsliobe 
HypotbefeAi oder in zu&Utge Verbindnngt» 
arteni oder in Scijwiirmerey, Wie viel 
trftumt iiicbt Biifibtt, wo giebt ei ein federee 
imd anlbattbafteres GelbhwAl* ftfaer Gefofaichie^ 
als in Voltaire*s Philofophie der Gefchichtei 
■nd wo bndet ficb CeltCmere ScbwiUinereyt 
els In ihren Poirets, oder io dem bekannten 
Buche: Les erreurs? 

^ Der Gbaracter der Beobaobtung and det 
Pract)(bhen ift es, daiscb welcben ibre PbOo« 
fopbie fo fehr auf den philofopbifchen Geift 
auch ilnferer Nation gewirkti und £ribft bey 
dem ungelehrten Haafen der ihrigen Eingang 
gefunden hat« Qerfelier nnd Regis trugen 
einft dem Frauenzimmer Carteitani(bbe Pbiio* 
fophie yor: auch der Ungelehrte las vnd 
ferltand JCeinen Voltaire und KouHeau. Die 

fran* 



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fr«iiz6ik£Bhen Pbiloropheii habea imf dam 

erhimrt, der pracdrcben Philofopbie nebro» 
ren Fi^iCs zu widiDen: Jie verfiibrteii ane 
oinft Cbgar ztt einer gewiden Xeiofatttt Peptt» 
laritat. 

Jjdan vcrg]eiche mit diefen Bemerkiuigen alleSi 
was die Eneyelopedte tfberdenBegrUf derPbilo* 
fophie uad der philofophifchen Winenfcbaften 
|agt| manunterfuche» waa B. Voitairo fo oft la 
yraie philosophie , la philosopbie an* deSbl dee 
prejuges i la pbilosopiiie raifounable nennt» 
and tnan wird nicbt leugnen ktosen» dalt 
die firansOfiibhe Pliilofophie kemen Anrpfnch 
nuf den ^amen iind Rang einer Wiftenfchaft 
«udien kann» Von ibren Philofopben gilt 
im Dnrchfcbmtt daa , wa$ Voliaire von Mon« 
tesquieu urtheilt: On y trouve trop fouvent 
des Seinies Yon attende des raisoDaemenSi 
ils donnent trop d*id^s doateoles ponr det 
id^es certaines: mais i^ils n instruisent pas 
lenr lecteurt ils le fbnt penGer* 

Wer mehr Penetradon, nnd mehr Hftlfs* 
mittel beDine, als icb, wurde uns eine 6e« 
fbhidbtederfraiisAfiicbenPhiloidphiegeben kSn* 
nen, die an dem Faden einer gedrilngten 
Darlteilung der aligemeinen literariicben Kul« 

tnr 



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- 1%) - 

tnr In Franknieh fortglen||at den Einflnft 

dcr politirchen Verhaltniffe auf den Geift der 
PbiJoropbie bemerktef die wii^btigen SebHf- 
t«n der franzSfifcben Philoibpben in cten Ter^ 
fcbiedenen Theilen diefer WilTenfchafi Aus- 
zugcwMfe oder dureb aUgemane, «ber grHnd* 
Kciie, Beurtbeilnngf attlTilbrtef die week* 
ftlfeitigen Verkehre derfelben znit Englifcher 
nnd Deutlbher PbUofopbie entwiekeke» nnd 
nnf dem G^fte der Nadon nnd deren Bildung 
die Befcbairenheit ihrer Philofopbie zu beur» 
dimlen und zu erklfiren verfucbte. Diefer 
Oefebiebtfehreiber wHrde natftrhch auch die 
&fthetifchen» biftorifchen und matbematilcben 
Werke der Franzofen kennen und benutzen 
mafTen, wftrde alles felbft lefen und unter- 
fuchen, und lich weder durcb iVlemoiret» 
Jbumanx, Bncyelopediesi Oictionnaires^ Vief» 
Abieg^s» Reflexions, Catalogues, Biblio* 
tbeques, Pieces fugidves, Hlagacinti Re- 
caeilsi Fspriu* noch durch unfre fiterari» 
lche und philofophlfche Joumale und Biblio* 
tbefcen *) allein ieiten nnd irre Gibren laf* 

Zur literarifcbeii Xamniilf And aUecdings ualie 
AauEiwiitomm, smrerillBgoNtcUcbiea, Acu 

plii* 



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gen, iab idi woDgitcm weilt, wie idcb 
ef tnacbeii tiitils» ob icb e& gleicb ielblt 
■mIbk kAmif bI iniwte 9fgo(UMtt rtgntimi in6% 
vdJ hoffei da(f mm fieh diefet Bekmmtninet 

oicht bedieoen werdet loeiiiea genagem 

VerlAcb zn wfy^uen. 

Bey einer rolchen genauem nnd rpeciellern 
Unterliicbujig d&rfte alierdings mancber £iii« 
sdae in eineai mrlli«]bafteni licble erfiBliei* 
nen, als es in diefer a]]geaieinen Ueherliciit 
geiicbebeii konnte» wo es dareuf aAkaiB, die 
Veniieiifte der Franzolett tim dia Pbik»ibpfaia^ 
a]s Widenlbbaft» liberbaupt zu wurdigen. 

F. 

jpbiloiopliorum ^ Rebiuoneft de wwu libni , fixiefii 
llber die litaianir» Windheiiiif » Btijet* Rie- 
deli» StttUtt» Zobeli» Febeit» Fednt u. i. phi. 
bfej^fche fiibUotiittkeii* nnd audza Utetixifche 
Zdicfditiften , befoiiden iot tieoeni ZeitMi. fehr* 
jtu citipffhlcn. Abcr in Rilckiicht der AuszO^ 
und Urtheiie kann mau i&cb auaiibl iuf die eiisni 
ttii ffm fuUiiiuu 



W A S 



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WAS HEIS8T1 

DEN GEIST EINER PHILOSOPHIE 
DAESTELLEN? 



£& itt die Sftche eiiies critifohen W6rterbuch% 

alle die Zufammenftenongen ^ in denen wir 
auf Veraolaffung der Franzofen das Wort Geift 
braacfaen» zu lainmeln und zvt recbtferdgeii» 
Ich bleibe hier bey demjenigen Gebrauche fte- 
hen« der (ttr die Gefchichte der Philofophie 
^chtig ift« {nlbfem nan es dem Gelcbiciii» 
fchreiber derfelben bey jeder Gelegenheit zur 
PEiobi; niiobti den O^tft dielts oder jenea 
Syftems, diefer odef jetter Pliilorophie dar* 
zuftellen. Vor einiger Zeit war diefes Ge- 
lcbiUt lohr leicht: nuui fiuBmelte aua dea 

cbrif* 



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Sdinften bcrftbmter Deiiker «ae Meiige Er- 

klSlrungeD» MaximeD, Sentenzen und Ein* 
liiiUet nnd gab iins Co onen Ceift des Herm 
yon Leibnitz, Hooiet d'Argens nnd andrer. 

Wcnn wir bey dein Worte Geilt zunsichlt 
in das Nicbtk6rperliche denken: ib baben 
wir znr Erkiarung jener Redensart noeh niobts 
gewonnen. Wir miUTen den BegriiT noch ge* 
Daoer sergUedemt nnd bier findet es ficiit 
dals wir mit demfelben Tornehmlich fulgende 
Tcrbinden: i) den BegriiT des Jmier» eines 
Gegenftandest welcbes man im G^genfatae 
der aufern Form die Mdterie nennen konnie. 
d) des AU^aneinen oder Ganzent welchet 
dnrcb die befondern Tbeile Terbreitet oder 
hervorgebrachl wird. 3) des Wefentlichen in 
ttnem Gegenltandet im Gegenfaue des Za* 
lillligen. 4) des HmiptfMUckpe»^ Vomehm» 
fien, Wichtigften. 5) des Reinen^ welchet 
nacb der Abfonderong alles Fremdartigaa 
Hbrig bleibtt oder Tor jedem Zpfiitze 
fchon da war. 6) des Lebendigeny in und 
durcb Acb felbft Wirkenden* 7) des MeMen^ 
ctottt welcbes feine Kraft aofer licb mittbeilt. 
Aus diefem allem enU^eht das^ was einen Ge- 
genftand zn dem maditt was er iftt dat 

Eigen." 



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- 193 - 

BigettthUmliek0i in welchem mithin der C7itf«r> 
fchied von andern fiegenrtanden beftimmt ift. 

Diefe Bedeutungen auf die Kedensart Geift 
miner Phiiofophie angewendet, was wiid nan 
diefe eigentJich fagen wollen? 

BilUg unterfcheiden wir hier erltens die 
Philofophie als obiective Wiffenfcktft ^ von den 
Bemiihungen der Dcnker, eine folche Wiffen- 
Ichaft zu finden oder zu befeftigen» d. h» 
▼on den Terfchiedneli ^rreit zn philofophiretu 
Die Philofophie eines Descartes, Newton, 
Leibnitz, Wolff ift noch liicht die PhilofQphie 
ttherhaupt^ fo wie etwa ^ie Geometrie eines 
Enclides» Karfteny Kaftner die Ceometrie 
Uberhaupt ift. Zweytens nnterfcheiden wir die 
Philofophie als Wiffenfchaft^ dem ScbnlbegrilTe 
nach, von ihr als Weifsheit% nach dem Welt> 
begrifFe* 

Der Gefchichtfchreiber der Philbfophie hat 
■et mit den verfchiednen Arten %u philofophiren 
aa thun* Deren kann es, der Haaptlache 
nacb, nur dreyferley i^eben. Entweder die 
Denker hehaupteten» dals dasienige» was£e 
ilber den allgem^nen Zulammenhang der Dinge 
ausgedacht hatten, wirklich fo fey, und ftell- 
ten daf&r Bewei£e aaft dogmatifche Art zu 
& Stiuk. N philo- 



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— >94 — 

pliUoCDphireii* Oderfie bezweifdteitniid leug- 
neten die M4!ig1iefakMt imd Wabrheit foldier 

jElniichten und Beweife, fceptifc/ie, Oder iie 
miterfuchteii die Griinde diefer Behauptungeni 
die Mdglichkeit diefer Hinfichten, die Gewi&* 
heit diefer Beweife in der Natur desMenDchen 
felbfty critifehB Art za philofophiren. B^haup- 
ten^ Betuieifeln nnd Unterfuchen^ ware aUo 
das Innere, Wefentliche, AUgemeine-^ Uaupt* 
fikshlichlke nnd Lebendige in den Terfciiiede* 
nen Philofophieen der Denker, daSjenige, wo- 
von alle ilire einzelnen Unterluchungen aus* 
gehen» wodurdi lie geleitec werden, nnd 
worauf fie znriickkonimen, und wir miiften 
a]fo Yon einem dogjnatifchen, fcept^fcken und 
^ritifekenQdftB derPhilofophieenfprechen, wo« 
Ley natiirlich elnige Unterabtheiluii^eii vor* 
komnien* 

Wer nur immer anf taM von diefen Ar* 

tcn phUorophirt hat, hat nach gewiffen Frin^ 
tipien piulofophirt, diefe mochten nnn f6rm- 
lich ausgedr&ckte S&tze feyn, oder nicbt. Wer 
dergleichen nicht iiatLe) oder fie nicht bey 
ieinen Unterfucbungen anwendetcy der gehdrt 
in eine Gefdiichte derPbtlofophienichL Prin* 
pipien iind dos Aligemeine^ was fich in aJle 



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195 — 

die befondeni Speculatlonen Terbreftet» da» 

Innere einer jeden Lehrmeynung, das, was 
den einzelnen Forfchungen Kraft und Bezie^ 
hung giebt, die wefentlichen Beftandtbeile der- 
felben, oline welchfe die leutern aufhoren, 
etwas mehr als bloHes Meynen zn fleym Der* 
jenige Gefchicbtfcbreiber alfo, der die Pnn> 
cipien einer Pliilofophic auffpurt, und 6i% 
einzelnen Bebauptungen nacb denfelben pruft 
nnd erl&ntert, ftellt den Geift einer Vhilofopfue 
dar. Er wird bey diefer Darftellung natur* 
licb darauf zu feben baben» ob diefe Princi- 
pien empirifch oder rationa], und als die letz- 
tern ]ogifch oder luetapbyfilch , ob iie allge* 
mein und notbwendig, oder nnr befondre 
und zuBlllige find. Die Anwendung derfelben 
beftlmmi deu Zufammenhang in einer Art zu 
pbilofophiren» die £uifaeit, welcbe in den 
einzelnen Unterfuchungen herrfcht, mit einem 
Worte das Syftematifche* Derjenige 6elcbicbt> 
fcbreiber alfo, welcber den durcb Pnncipien 
hervorgebrachten Zufammenhang aller Giieder 
einer PiiUorophie zeigt» XteUt den Geift der- 
felben dar. Der letzte Zweck der Pbilofopbie 
ift Beziehung der Erkenntnifs auf die wefent- 
Echen Zwecke des Alenfcben» d. b« fFeifsheit. 

N 2 Die 



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- 1,6 - 

Die Denker haben aof diefen bey ibren Beiii&- 
httngen mehr oderweniger, mittelUar oder un- 
inittelbar bingearbeiteL Der)enige Gefcbicht- 
Ibhreiber «11», der uns entwickelt, in wie* 
fern diefe oder jene Art zu philofopbiren auf 
d«s wirkliche Leben mehr oder weaiger Ein* 
flnlf heite nndhaben konnte, in wiefem &e 
diefen Einliuls naber vor Augen blelt, oder 
ganz «os dem Gehchte Terlohr» rtelliunsden 
Ceift derielben dar. Dlefem gem&Is wftre Ton 
einem fcientififchen ^ fyftematifchen und practi* 

fehen Gelfte der Philofophieen die Rede, wo- 
bey ebenfaUs noch einige UnterabtheOangen 
Statt Anden» 

So wiirde z* B. den Qeift des Seepticumu$ 
darfteHen, fo ?iel heiCren, a)s zeigen, was 
Sceptidsmus ift, wodurcb er ficb von den 
fibrigen Arten zn philofophiren unterfcheidei^ 
anf welchen GrQnden er beruht, wie er in 
lidi zufammenbslngt , und welcbes feine Wir- 
kungen find. 

Diefer Geift kann und mols aus der kdr- 
perlichen Umgebung der W6rter, Wendun* 
gen und Darftellungen herausgehoben werden» 
Wir lafTen die Ausdriicke Zablen, Ideeu, 
ilonadeni HomoQmerieen, u. L w. faUeJi, 

nnd 



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— 197 — 

und factieii den rainen, innern nncl MTenii- 

Jicben Gedauken auf , der in denfelben einge« 
Wickelt ifc Wir Uberlehen die Einfalle und 
Hypotbefen, womit ein Denker feine Speou* 
lationen ausfchmuckte) oder die er iich ne* 
benbey erlaubte, und iialten uns an leine 
bauptlachlicliften nnd wichtigfVen Bebauptun* 
gen, die unter fich in Verbindung rcehen. 

JBs entfteht aber hierbey vielleicbt die Be» 
denl^Schkeit, ob nlcht durcb eln folchesVer* 
fahren die Gefchichte der Philofophie an der 
%VL ^ner jeden Gefchichte erforderlichen Treuft 
▼erlieren und zu einem Roman ^erden diirfte» 
in welchem alle PhiJofophen grade fo denken 
nnd lehrettf wie et dem Gefchichtfcbreiber 
gut dunkt. Man hat die Behauptung oftwie- 
derholt} daljs eine pragmatifche Gefchichte dar 
frhilofophie eigentlich a priori gefisbrieben wer* 
den muITe. 

AUein es ift von diefer Seite nichts fiir die 
Trene der Gefchicbte zu beAlrcbten. 

Genau genommen, kann felbft in elner 
Gefchichte der Begebenkeiten bey weitem keine 
folche Treue Statt linden, a]s In einer Ge« 
fchichte Ton Meynungen oder Behauptuiigen* 

Begebenheiten hftngen Yon einer Henge un^ 

N 3 zabl- 



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^ 198 

tHblbarer mi oh fehr geringfuglger Neben* 

umft^nde ab; fie werdea beobachtet, durch 
Tra^kion fortgepflanzt» nnd ver&ndern fich 
beynahe bey jeder Mittheilnng* Selbft die* un« 
mittelbare Beohaclitung wlrd durch die £igen* 
lchaften« den Standpunet, und die Stimmung 
des Beobaehters nodificirt Ganz etwat an* 
ders ift es mit ciner Gefchichte menrchiicber 
Gedanken. Hier hftlt lich der Hiftoriker an 
Urkunden, die ledermanns Einncht oHen ]ie« 
gen* £r darf nicbt den Gegenftand deHen» 
was er erzfthltt arft dureh feine Erz&hlung 
m Etwas machen: er darf nicht beobachten» 
was gercbiebt; er bat lauter Facta» aufge* 
zfeichnete Faeta, vor iich, und darf iie nur 
verftehen und prufen. Ob cin Denker, def- 
fen Syltem er vor fiob bat, Tielleicbt ganz an« 
ders dachte» als er Ibhrieb, ganz anderc 
handelte, als er dachte, das kiimmert ihn 
tii^t: er foll ja nur berichten, was derielbe 
uusdrUcJdick gelehrk habe. Aber wird nicht 
der Erzahler feine eigenthumlichisn Anfichten 
tinterfcbieben? wird nicbt der Woliianer diefe 
Facta ganz anders auiFanen und beurtheilent 
als der CarteRaner? £r nimmt vielleicht die- 
fen oder jeaen Ausdruck eines Piiilofopben io 

dftfff 



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— 199 — 

dem Shxoei den /ei/t Syfeein damit Terbindet ; 
er findet das Wefendicbe und Eigentbamlicfae 

deilelben eben darinn, woiinn das Wefent- 
licbe und Eigentbumlidie fsiner Pbiloropbie 
l^eftebt, und Ttellt uns, ebe wir es meynen, 
ia einem Pannenides einen rormlichen Spiiioza, 
in einem Arifioteles den entiidiiedenrten Locki* 
aner dar. 

£ben bier lik es, wo» diinkt micb^ die 

eritifche Art zu pliilofopbiren ficb vorzuglich 
bewabrt. Der chtircbe Pbilofopb nimmt ei«* 
gentlicb keine Partbey, er ift weder aus- 
rchlufslich Dogmatiker noch Sceptiker, weder 
Materia]ift nocb Immaterialilc» und wie die 
einzelnen Secten- Namen weitet b^0en« Er 
fieht allc dicfc Behauptungen von Seiten ihrer 
Beziehung auf die Gefetze des menfcblichea 
Gelftes an: er findet in den Lehren des Em- 
pirlften oder des Rationalifien nlchts Ausge- 
«nachteSf er zweifelt auch nicbt mit dem 
Zweifler; fondem er acbtet Tomebmlicb dai» 
rauf, in wiefern die Behauptungen des einen, 
oder die Zweifel des andern in jenen al]ge« 
meinen Gefetzen des menrcblichen Geiftes be- 
griindet fiud, in wiefern der eiae oder der 

4 andre 



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— 200 

«lidre Qber die Crrenzen des ErkemitnilsTerr 

mogens binaustrat, odei^ ficb darinn zuruck- 
zog. Er glaubl ao keioe ^oirkUek vorkandae 
Piulorophie, fbndem liebt dieCelbe TorlfiuEg 
nur als mogliche Winenrcbaft an, nnd beur* 
tbeilt mitbin die Erfindongen der Denker nach 
dem Grade, in wdehem lie fich diefer Idee 
einer WilTenlcbaft n^erten oder dayon ent* 
femt blieben* Eben dadnrcb ilk er aucb in 
den Stand gefetzt, eine pragmatircbe Gefcbichte 
der PHilorophie zu fcbreiben* Jede pragma« 
dicbe Gefchicbte letzt eine Aufgabe Torans» 
welche durch diefe]be geldft werden foll: fie 
loU iVegeln und Mufter liefem fiir das« was 
Boch gefcbefaen kann nnd mnls* Der Dog* 
matiker und Sceptiker hat iiber jede Aufgabe 
Xcbon entfcbieden, und b^It das Gefch^t der 
Ffailofopbie ftUr Ichon Tollendet» 

Eine pragmatifcke Gefchichte der Philofopki€ 
ift a]fo nur durch ^ne critifche Unterfuchting 
und Darftellung der verfchiedenen Arten zu 
philofophiren m6glich* Und in diefer Voraus- 
fetzung heifst den Ceifi einer Phyofophie dar- 
ftellen, eben fo viel, als zeigen, in wie* 
fern die Befaauptungen .cines PfailQlbphen in 

der 



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— aai — 

d0r INatnr dt» menlchliclieii Geiftes gegrfin* 

det, den Gefetzen deffelben angemerfen Rndf 
niid ieuie Grftnzen halten oder &berfliegen. 

Mithin Irommt es bey der Darftellung des 
€f«(kes ewer Pbiloropbia nidit daraof an» 
dUia nnan 

Brftetv grade die Bilder und Autdrftcke 
beybehalre, in welche derDenker feine Lehr* 
l^tze einhullte, ob es gleich zur Erleichte* 
mng flkr den Beartbeiler gut i&^ dielelbeii 
init anzufubren. 

Zueytent Jind davon ansgefcbloflen alle 

Meynungen ohne Philofophifche Griinde, wio 
die Tr&umereyen der Feuer - und Goldpbilo* 
fopben, oder die Lebren vom Seelenfcblafe^ 
Yom Sitze der Seele u. d. lind: alle unzujam^ 
menkBngende EinfiUle iiber diefen oder jenen 
pbilofopbirchen Gegenftand) dte auf keinem 
Principe beruhen und unter fich in keiner 
Verlnndung Iteben: alle Hypatkefen^ die hei» 
neu mBgiichen Gegenftand haben, nickt ^ulang' 
lich finds etwas tnehr^ als bloffe pole- 

wMb^t Vntkeydigungs 'Uittel feyn foUen* Man 

N 5 kann 



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lumn Be^ «m dan Philolbpheii Ailbft zn d»* 
racterifiren, nebenbey mit enmerkeii, aber 
zu dem (jeilte eioer i^iiilo£ophie gehoren &m 
nicht» 

Drittens^ eine AnflteUang der &ufem Um- 
fiftnde nnd VeranlalTangen « welche einen 

Denker grade auf diefe Arl zu philofophircn 
leiteten, £ndet eigentlich ihre SteUe in einem 
GeiAe einer Philorophie nicht. Wir woUen 
Ijjcr liur wiffen, i'yas er lehrte, nicbt aber 
warum er grede auf dief^ Lehre helf wenn 
diefes Warum nicht in dem Gange der philo* 
fophirenden Vernunft iiberhaupt zu fuchen ift, 
fondern von liufeni Uiuftjfcnden abhing. Die 
Hntwicklung der letztern kann hfichAens nor 
2ur Ausfchmuckung dienen» 

Vierfens^ man kann den Geift einer Philo* 

ibphie anch in zweckmaffigen Ausziigen aus 
den Sciuriften eines PhUofophen darlteUeni 
wenn man orft im Allgemeinen den rechtm 
Gefichtspunci: su deien Beurtheiiuiig angege- 
ben hat* 

Idt 



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— 2o3 ~ 

Icb kaim 6S mir meht einkommeii lafleOf 
irgend einen meiner geringen Verfucbe als 

^ulter einer folchen Daiftellung anzufuhren: 
ftber ich bin mir bewofst, diefes Ideal we« 
nigftens vor Augen gebabt %n baben. Fuble 
ich mich in der Folge vermogend, mich an 
eine ▼olUtdndige Gerchichte der Philofopbie 
zu wagcn: fo wlll ich Xtreben, demfelbeii 
niiher za komxuen. 



filN 



— «04 — 



B I K 

BEyXRAG ZUR UNTERSUCHUNO 
HETAPHYSIR DES ARISTOTELES. 



Ich biii die Metaphyiik des Ariftotelcs von 
neuem durchgegaiigen» und will et wagen» 
einige meiner Bemerkungen iiber diefe SchriFt 
den Critikern zur Pruiung vorzulegen. Die 
Ausgabe» deren ich mich bedientet ift dia 
elende in 8. *) BeHere waren mir nicbt zur 

Uand» 

AurcL Allob. 1606 , oder 7. denn fclion auf dem 
Titel ift ein Druckfekler. Dergleichen £nden fich 
anish in 4cn Zibkn der Bacfaer nad EapitBL Idt 

liabe 



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— 205 — 

Hand , auch wollte loli Ke nicht zu Rathe ziehen« 
weil es rnir fcheint, als ob wir in derglei- 
chen elenden Abdr£icken die Werke ile< Ar«- 
Aoteles, ich naOcfate fagen, in ihrer erften 
Verwirrung und Koheit am beften wiederlin- 
den. Gute Ansgaben oder Commentatoren kOn- 
nen den Unterfucher l«diter irre liihrcn , oder 
jnachen wenigftens, daJCs er den Autor felbft 
fl&chtiger fieft. Ich wOrde mich blos anf die 
Abhandlung von Buhle iiber dic Metaphyfik des 
Ariftoteles hin und wieder bezieben* 

Das erfte Buch hallt Buhlefiirein befondres 
Stack, und lalst die Wahl» ob man es fiir 
ein Brnchftlick der Ariftotelifchen Schrift wtf 
itfX&Vj oder fiir einen Commentar iiber das 
2te und SteKapitel des erften Buchs der Phylik 
nehmen will. Allein dagegen Jbreitet Folgen* 
des* Pieles erftefiuch wird nehmlich ineinem 

der 

habe mich indeffSen nicht nach 4en JDruckfehlem 
gedchtet» foncleru jedcs mald bey deu Gitaien 
durdigezahlt: welches ich anmerke, damit ioh 

mcht fallchex Ciute befcliuldigt werdeu kann. 

Bibliothek dcr aken LiteratuK eu. TiCTtes Stfick. 



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— ao6 — 

der folgenden« wie icbon SyrianMt^ aber ohfie 
nftbere Angabe, bemerkt baben foll) ganzbe» 

ftlmint angezogen. Ip> erften Kapitel deffelben 
ilt aasgemacbt: qiiod lapientialit fcientia circa 
aliquas canfaset princlpia, imzweyten, wird 
unterfucht; cjuales caufac qualia haeo principia 
£nt» und im driuen: fapientiam eflie (cientiam 
primarnm caufarum. Von diefem dritten Ka« 
pitel an bis zu Ende werc^en die Lehrmeynun* 
gen &l|:erer Phiiofopben uber die Principienan* 
gefiihit unH beurthcilt. Nun beifst es ini rlf' 
ten Buche) im erften KapiteU Quod itaque 
fapientia fcienda quaedam cnrca prindpia efi^ 
paiel ex primis, in rjuibus ad ea, quae ab 
aliis de principiis dicta fuerunt, dubitatum eft. 
Was find diefe primi ? OfTenbar das genannte 
erfte Buch der Metaphyiik. Denn in der Phy 
fiky wo zwar auch von den Lehrmeynungen 
ftlterer Pbilofopben oft die Bede ift, wird 
doch nirgends jener Satz : dafs Philofophie eine 
Wiffenfchaft der Principien fey» aufgeftellt 
oder erwiefen. Im elften Bocbe wird in Be* 
ziehuiig auf das erfte der Umfangder Pliilofo» 
pbie nnd ibre Vcrfchiedcnbeit ?on Mathema- 
tik und Pbylik unterfucbt: es berrfcht alfo 
zwifchen beydon caic Verbindung» und der 

Ver- 



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Vdrfafler des einen yxrlrd lidchft wahrfcfaein- 
Hch auch Verfafler des andern feyr. *) 

Das zweyte Biich, von welchein ich nach- 
lier ausf&brlicherfprechen werde^ kann nlcht» 
wie Bnhle findet, unmittelbar mit dem drit- 
ten zulammengehoien. Es fchlieOst iicii fol< 
gendermaalTen: ^Wjr haben xuwirderft zii 
5,unterfuchen, wat Natur ift. Denn fo wird 
ii€S /ich zei^en^ wovon die X^aturwiffenfchaft 

fihan« 

*9 Bnhle erinntrt» ctiefei erfte Bnch fey am anclem 

Stellen zufaniniengertoppelt. Allein tlic angefiilir. 
ten (S. 27.) Nacliweifungen bewcifeu das nicht. 
Diirftc denn Eiil Schriftiieller , der in einer Mo« 
xal den JBegrifl Winfenfchaft entwickelt, deswe* 
gen diefon fi<|gri££ in einer Aletaphyfik gar nicht 
berHhren» ohiie dafs man ihn einen CompiUtor 
fchelten diirfte ? Fexner trSgt Axift. hiex mcht 
eine Lehre Vor, fondem zcrolitdert zur tinlei^ 
tuttg den Bep^riif Wiffenfchaft, imd, wie micli 
diinkt, febr zweckmiirfig. — Dcv Gruiid vou 
der Spraclie 10 dielem Buche i& nicht licher ge- 
nnng. — Die Gefchichce der Fnucipiett dient 
xiir Gxundlage einer AufTuchung des Princips allev 
Principe. — Uebrigens find der Citationen liler 
nicliL jiicljrere, als z. B. in dor Phyfik, wo fjlir 
oft anf die Schiifun voa d^r Philofoplue vcnvic- 
I«n wird. 



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— ao8 — 

Mhandeltf und ob die Unterrucliung der £le- 
^mente und Piincipien f or fiine oder fftr meb* 

„rere WifTenlchaften gehort.*' Und was hit- 
ten wir alTo im Vecfolg za erwarten? Was 
anders« als eine Unterfnehung flber den Be» 
grifl Natur? Statt delTen bekommen wir fo« 
gleich eine £r6rterung der Frage: ob die Un* 
terfiicbunfv der Princijfnen fiar Eine oder fUr 
mehrere Wiffenfchaften gehort? Konnte Ari- 
ftoteles» oder wer fonft Verfaffer ift« fo 
Terkebrt bandeln, und feinen EntWurf in 
dem Augenblicke, ais er ibn angab» aacb 
wieder TergeCfen? 

Die Beurtbeilung der folgenden BQcher 
wil] ich niir durcb eine kurze Angabe ibres 
Hauptinbalts zu erleicbtern fucben. 

Das dritte Bucb befcbftftigt lich mit Unter- 
fucbuug der AnFgaben (airoftm*): ob die Un- 
terfucbung der Principien fur £ine oder meh« 
rere Wiffenfchaften gehSrt? ob diefe Prind» 
pien blofs Principien der Sub(tanZ| oder aucb 
allgemeingeltende logifche Prindpien iind? ob 
es mehrere Arten von Subftanzen giebt? wel- 
ches die allgemrinften und erften Elementa 
%u nennen find? ob Jte einzeln und mitbin 
unendlicbi odor £ins und einerley Art £nd? 

ob 



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— 209 — 

ob Zalileni Flachen und Puncte aucb^Sub* 
ftanzen lind u. t w. Ini zweyten Kapitel be- 

ruft fioh der VerfaiTer abermahls auf einen 
fr&bern BeweiGs» wenn er lagt: quatenus 
primarum causarum ek eius quod maxime fdL* 
bile (vergl. Met. I. 2.) definita est (fapieiitia^, 
und findet, dais diefe Wiilenlcbafc nur Eine 
fey, inrofem die Prindpien derfelben alle 
weit allgemeiner und fruher feyn, als die 
Principieni womit Acb andre Widenfcbafren 
befchaftigen. 

Im vierten Buche wird diefe Eine Wiffen- 
fchaft, die Wiffenfcbaft des Dinges an iicb 
und deffen allgemeiner Pr&clicate nttber be- 
tracbtet. Der Verf. beruft fich ^leich ini zwey- 
ten Kapitel auf jene Imoftai, d» b. alfo auf 
das dritte Buch: quod in dubitationibus di« 
etum est — * quae in dubitationibus diximus. 
£r bandelt Ton den Tbeilen der Pbilofopbie. 
zeigt, dafs die Philofophie fich felbft iiber die 
erften Principien dcr Mathemaiik und Phyfik 
ausbreite, und da(s es alfo eine Wiflenfchaft 
gebe, die noch iiber die Phyfik hinausgehe 
und mit den erften Principien aller Erkennl- 
nifs zu tbun babe. Kap. 3, Diefe GrnndAitze 
der Erkenntnis werden characterifirt» und 
5.ft«cJfe. O na 



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2IO 



namentlicb der Satz des WideriprucLs erl&ii- 
tert» i^nne Unerwei&Hcfakeit gezeigt, der 
Scepticismus eiiies Piotagoras, Deniocritus 
u. a. geprEkft« die BegriHe Wabr und Wirk- 
lich, und der Unterrchied des logirdien |ind 
metaphyBrchen Wideripruchs entwickelt* Kap. 
4 bis zu £nde» 

Das /un/te Bucb erkUrt die BegrifTe : Prin- 
cip9 Urfacbe, Elemeut, Natur, Nothwen- 
dig, Ehis, Ding, Siihfianz, Acckleiiz, Ge- 
genfdtze, Erftes und Letztcres, Kraft, Quan* 
titat, Quallt&t, Relation, Vollkomnienfaeit, 
Grenze, Anordnung, Befchaflenheit, Leitlon, 
Beraubung, Haben» Wirkung, Tbei), Gan* 
zes, Verftfimmelt, Gattung, Falfdi und 
Zufaliig. 

Das fechfte fiingt init. der Beinerkung an, 
daCs alJe Ipeculative Wiilenrcbaften Jicfa mit 
Urfachen und Principien befchaftigen , keine 
fonft niit den Principien des Dinges an Jich, 
£s fmd drey fpeculative Widenfcbaften» Ma- 
thematik, Pbyfik und *nieologie, die erfte 
Fhilofophie ift die ailgemeinfte. Sie hat das 
Ding an Ach zum Gegenfiandes nnd diefer 
BegrifT wird kurz erldutert Kap. 12. und 3. 

Im 



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— 211 — 

Iin Jiebenten werden die Begrifie: Dingi 
Sabftanz noch genauer zergHedert. Im 4» 
Kap. kommt eine ]ogifclie Unterrucbung iiber 
clen BegriiF des Subjects vor, wobey dnige 
Zweifel geholien werden. Im 7. Kap. deffen 
Anfang mit Phyf. IL i. iibnlich ift:, wird der 
BegriiT der Wirkung (eorum quae Hunt) Tor» 
genommen, Qber das Ganze und die Theile, 
iiber Arten und FormeUy uber alJgeineine 
Deiinitionen in Beziehung auf den B^riff der 
SubftanZ) der nun noch nlher beftimmt wird^ 
eine fcbarfiinnige Unterfuchung angeftelJt. 

Ini achten ift die Rede von materiellcn und 
formellen Subltanzen, von ewigen und end< 
lichen^ voA dem Begriffe der Einheit und 

dcs ifturaiiinien^efctzten. 

Im neunten TondemWefen derKraft, det 

Veimogens, des Mogliclien, der Wirkfam- 
keit» und deren Verbaltniffe unter fich und 
zur Subftanz, endlich toA der Verbindun^ 
zweyer EegrifTe, und den Urtheilen iiber 
Wahr und Falfch. 

Im zehnten von dem Begriffe der Einheitj 
UntheinMurkeit, wnd Vielheit, Theilbarkeit, 

Gleichheit, Contrarietslt , Mittelwefen» Ver- 

O 8 fchie* 



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rciucileiiheit uberbaupfc uad in BJicldicbt der 
Pomi* 

Das elfte bandelt wieder von dem Wefen 
der Pbilolbpbie» und der Belchaflenbttt der 
Principien, dle iliren Gegenftand ausmacben. 
Auch die Mathematik ilt ein Tbeil diefer Pbi- 
lofopbie. Kep. 3. 3» 4* 7* ikimnieii 
zum Tlieil mit dein fechften Buche iiberein, 
nur dalk fie etwas gedrlUigter bnd* Vom ^ten 
an wird Ton der Einbrit der Kraft, ▼omUn- 
cndlichen, von der Verciiid.eruii^, Bewcgung 
u. £ w« gebandelt. 

Im xtB&lftcn wird der Unterfchied der Sub» 
ftanzeUf der natiidichen und der unverunder- 
]icben entwickelt. UnTertnderlicfakeit des 

Weltalls. Wefen der Seele. Es mufs ein 
erlLes Princip uber das Siimliche binaus feyn» 

Ira dreyzehnten wird unterfucht: ob es 
anfer den finnJicben Subftanzen eine unver« 
Anderlicbe und ewige giebt. Matbemarifcbe 
Principien, Platons Ideen, Zahlen. Pru- 
fung diefer Bebauptungen. 

Im vierzehnten geht die Priifun^ der Py- 
tbagor^fcben ZabJenlebre weiter^ befondert 
in Ruckficht der Frage Ton der Entiiebung 

und 



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— ax3 — 

niid Ersengiiiig der Dinge. Und auf •mmahi 
Uk das Werk abgebrocl^en. 

Wenn ich aUes znlammen nehme^ wat 

AriftoteJes von einer fogenannten Mctapbyfik 
Jich gedacbt baben mnCs: lo beftebt es obn- 
gefUir in FoJgendem: 

E$ mnls noch etvas Allgem^neres und 
Friiheres gel^, als die Principien der Ma- 
thematik und Phylik: eiwas wovon felbft diefe 
Principien erft abgeleitet iind. Die&s zu un- 
terfuchen, ill das Gelchaft des Philofophen, 
der berufen ift, iiber AUes zu forfchen, was 
to das Gehieth jener WiHenlcfaaften nicht ge- 
h<3rt. Nun giebt es nichts Allgemeineres, nicbts 
Urfprunglicheres, als den Begriff Ding iiber* 
haupt. Diefier n&her heftimmt, ift der Be- 
SubfranK, Urwefen; das Letzte, wo- 
rauf man bey dcm Fortgange der Urfachen 
kommen mufs» Die WifTenfchaft Ton diefem 
Urwefen nuu ift die erfte Philofophie^ Tbeolo- 
gie,. 99^ia, Metapbyiik. 

Nun vorausgefetzt, dafs Ariftoteles dicfe 
Wi0^n£cbaft, wie er ielbft lagt, erlt (cichtef 
fo entftefat in leiner Unterfachung folgender 
Gang. 

O 3 £kV 



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— 2l4 — 

Einieitung. Was ift WiOetorcbaft, was Phi. 
lofopbie? Erkenntnis derUrlachen und Prin* 
eipien, und zwar der erlten und aUgemein* 
Aen* Scbon friibere Denker baben fich mik 

Unterfuchung der Principien befchaftigt. Dar- 
ftellung ibrer Ideen. Erftes Buok, 

I(t es nur Eine WiCTenfchaft, welche iich 
mit jenen Princijjlen befchaftigt, oder find 
as mebrere? £s ift nur £ine« fieweift. Drit- 
ies Buch. 

Was ift es fiir eine Wiffenfchaft ? Eine 
fpeculative, und zwar pbilofopbifcbe* Wo- 
rauf berubt ihre Gewilsheit? Auf allgemei» 
nen Grundfatzen der Lrkenntnis. Viertes Buch. 

Verl^ufige Erkl^lrung allgemeiner Begriiii% 
Ontologie. FUnftes Buch, 

IVIptaphyfik befchafiigt fich mit der WifTen- 
fcbaft des Dinges uberbaupti Subftanz. ^ecA- 
ftet Btfch. 

Wie kommen wir zum Begriffe einer Sub- 
ftanz? Durcb Abftraction dee AIIgemeineB 
Tom Befondem. Wefen der Defiiiition* Sie* 
hentes Buch. 

Die Subftanz wird betracbtet nach ihrer 
Quantilat, Achtes Buch. Nach ihrer QualitSr, 
Heuntci Buch, I^ach ibrer J\elationt Zehntes 

Buek. 



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— si5 

Bkck. Nach ibret ModalitAft (Wirklichk^ 

Nothwendigkeit, Zvifalligkeit.) El/tes untl 
itwdiftes BugIu 

Meynitiigen Andrer iiber die nnTerSnder* 
Hch^ und ewige Subfcaxiz* Dreyzehntcs und 
viereehntes Bueh, 

ITk in diefem Gange ntcht die leSchtefte 
Ordnung? Man darf nicht lagen, dafs ii& 
hineingetragen ift* Etn fyliteniadfcher Kop^ 
tirie Ariftoteleay konnta fo yerfahren, und 
die Ordnung der Bucber ftreitet nicbt dage- 
gen» da(s er to Terfahren ift* Etwas andert 
wftre esy wenn wir, nm diefen Plan her* 
auszubringen) die Biicher felbft nach Gefalien 
▼erCetzen mllften. Arerrhoes Icheiiit mir alfo 
Redit zu hahen, wenn er lagt: quod pro» 
cedunt (hi libri) ordine peroptimo» et quod 
in eis nihil contiqgit praeter ordinem. 

Aber wir hahen noch mit * xoanchen £in- 
wendungen zu kilmpfen. 

Btfiens» Selbft nach ^efem Entwurfe ife 
das Werk kein Gaiizes: es hort geriJo da 
auf» wo man die eigentlicfae Lehre des Ari* 
Ikoteles erwartet. Ich gebe das zu» und wir 
Wiirden gerne noch hinter dcm vierzehnteii 
cinige Biicher mehr wixitfchen» Aber k6nneit 

O 4 dielb 



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diefe nlclit Terlofaren £eyn? oder kenii Arifio- 
teles nicbt die Unterrncliang feibft abgebrocfaen 
haben, nachdem cr gezeigt hAttei womit licii 
die HetKpbjRk l)efdiftftige und woranf iie ar- 
b^te? Das ganze Werk ift nicht fowohl dog- 
inatifcb als unterfacbend gerchrifben: es wi- 
derlegt melir, als es felkfetzt. Doch wSre 
das alles auch nicht, wird denn durch jede 
andte Hypotbefe das Weric voilendeter? 

Ztveytens* Ein grolser Anftols find die Tie- 
Icn Wiederholungcn. Ich antworte: erftlich. 
Wer den Ariftoteles kennt, weilst dafs es 
feine Manier ift , fich , oft fogar zur Unzeit^ 
zu wie.dcrhoJen. Zweytens : Keine einzige 
Wiederboluug in diefein Werke i(t ganz wdrt- 
lich. IMan ▼ergleiche z. B. das a, 3« 4« 7 
nnd 8Le , Kapitel des elften Buchs mit 
dem fechften. Einerley Gedanken» aber dort 
kurZ) bier nmftandlich Yorgetragen, nnd ich 
inuchic alfo nicht mit Buhle lagen, jenes fey 
aus dielem zularamen gefcbrieben* Und was 
niit der Phvfik zufammenltimrat, ift doch 
iiberall auf Motaphyfik anoeu>endet» Wie vie- 
Jes kommt nicht in Wolfs Metapbyfik ▼or» 
was in femer Moral auch fteht? Icb rerficbret 
flaf{i icii die Aciftotehfclie Jdetaphyhk wieder- 

holenv 



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holendieb imd genaa durcfageleren habe» ond 

nirgends auf ganz wdrtliche oder ztoecklofe 
Wiederbolnngen gefcoiren bin. Man kann Acb 
daTon duich tm gleicbes Stndinm ftber- 

zeugen. 

Drittens, Aber konunt die Zabl der Bii- 
eber berans» vne fie von den Alten angenom* 

men wird ? In Riickficht der Zahl der Biicher 
ift nirgends etwas bertimmt» und dergleichen 
Abtbmlungen der Bilober Imd^ wie bekannt^ 
fehr zufiilligen Urfprungs. £s wiirde X)hne 
Erbeblicbkeit feyn, wenn ich allenfalls bnn- 
dert B&cher annfthme. 

Gleichwohl will ich nicht behaupten, dafs 
^idr die gefammte Ariitotelifche Meta|>hyfik fo 
rein nnd unverdorben habent wie Ae atts fei* 
nem Kopfe gekoiiimen ift. Unfer Text fteckt 
ToU Fehler und fremder Gloflen, nnd felbfl; 
dle Abtbellang der Kapitel ifk hin and wieder 
ganz falfch. 

So kann ^ B. das ^mefte Stteh^ oder das 
fogenaniite hleinere Erfte auf keinen Fall m 
das Werkgeboren. Warum, daruber hatBjUe 
das NStbige beygebracbt. Die Materien fuid 
g^nz freriidai tig , die Verbindung darinn ift 
oft gar nicbt zu hnden, und Zufammenhang 

O S mit 



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218 ^ 

mit dem f rftem iiat es darcbaas niclit Int 
erfVen KajMtel ift Ton der Schwierigkeit der 

Wabrheitsforrchung, von den Verdienften al- 
terer Pbilofd^faen, iind von dem Wefen der 
Pfailofopbie mit einem Paar Worte die Rede. 
Vds zweyte handelt von der Notliwendigkeit» 
bey ttnem erfien Princip ftehen zu bleiben. 
Das dritte beginnt mit einigen Bemerkungen 
iiher die Macbt der Gewohnheit| gebt auf 
die verfcfaiednen Metfaoden der Pfailofopfaten 
«nd die Gewifsheit iiber, nnd fchliefst mit 
der Ankiindigung einer Unterfucbung iiber 
den Begriif der Natun Dals es dem Plana 
jjach mit dem dritteii BLiche auch nicht zu- 
fammenhiingt « iiabe icb oben gezeigt. Warmn 
glaubt es aber Buhle? (S. 33. X Vermutblieb 
darum , weil es Jich init den Worten endigt: 

f9r«l Iriv* und weil im dritten Bucfae Kap. t. 

gefagt wird: «Vi isirogiit vgMTii f^iv iresi ht 

wtKASitiviV hrtmitOv S^mftfeaui rh^ «Irtec* Abermfi& 

fen diefe «rc0eo//xf«ajxeva ehen das Zi^eyte Buch 
feyn» und ift diefe Frage im zweyien Buche 
wirklich fo angelegt , dals der VerfaCTer hier 
fiigen konnte; er babe in dem Hbgang^ die- 

felbe 



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— 219 — 

felbe fchoii vorgenoitimen (inmplgafuv cUfce- 

ptavlmus, dubltavimiis)? *) Ilandelt nichtviei- 
mehr das zweyte Kapitel des erften Bucbs 
auch von diefer Idee, wenn gleich nioht die* 
felberi Woi te gehraucht fmd? Oder wili man 
da$ nicht gelten lalfen: lo i& ein andrer Vor- 
fcUeg nocb fimpler. Der Schluls des zwey- 
len Duchs ift nehmlich in jeder Riickricht 
fehfam. Die Frage: ob es eine oder mehr 
Principien * Wiilfenlcbarten giebt» kann darans 
nicht beantwortet werden: was JSatur ift, 
fie ift ¥ie]mehr yon dem letztern Probleme 
ganz verfchieden. Wie nnn alfo» wann dia 

Worte: ti iT/rifVff ^ xMt6vm t« atrta 

tuA vkQ &fscli^ ^iH^mi IriVf ddrt abgerilfen und 

als 

♦) Sollie nach Ilr. Buhle diefes zweyte und das 
diitte Buch in die Phyfik verfetzt weiden: fo 
wuite icb niciit, wie dort diefe Fras^ zntzSfe* 
Zwas wird iin Ateu Kap. des steii Bitchs dcr Pfiyfh 
▼on dem Caterfcliiede des Matheniatilcers «nd 
Pljyfikers gcrprodien. Aber daiauf j,.ifst imfer 
zwe)ics Uiid dijties BwAi duicLaus nicht. Dciiii 
hicr ifr uiclit von dcn Principicu des Pliyli- 
kers, fondern ganz befiinimt von den srJUn 
Piiiicipien aller Prhscipiea die Rede. 



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— 2ZO — 

alff Ueberfchrift des dbitten Boclis angcfelieii 
wiirden? Aher wo blieben da die 7f^«j- 
ium9iuva? Wo iie iind| nehmlicb in dem er« 
Aen Bocfae. *) 

Hangt denn aber das erfije Buch mh detn. 
dritttn zudimmen? Sebr gni. Jenet fcblieliC 
licb mit den Worten: Aus den Unterfuchn» 
gen andrer konnen wir vielleicbt Manches 
far die fblgenden Probleme Qatfimi) gewinnen. 
Und das dritte f&ngt fo an: Bey der Wiflen* 
fcbaft, die wir luclien, ift vor allen Dingen 
ndtbig» da£s wir einige Haupt*ProbIeme Tor- 
nehmen , ^^ff) «y kxo^eoiji Ol TrfSTovt und die 
Hleynungen andrer dariiber h5ren. Das erfte 
icblie&t ficb mit den Worten: tSx» yhf l| 

udrSv iuTOf*ifctiniv t« xfiQ Tcci vrtfov otxoftai ^ Ulid 

im dritten heifst es bald Aniangs: IVi U rotc 

u. r. w. 

*} Die Einwendung» dats im ^edachtfin 3. Buche 

von mehr Gcgeurtiinden , als dicfer Titcl beHigt, 
gcliandelt werde, unJ dafs: Aii(toteles roiill iiir- 
gends Ueberfchriften matUc, (fo viel wirfehcn) 
i& leicht tn hebeiu Mtn davf atienfalls nitr dca 
oft gedachten Titel an den Sclilufa des 0rjim 
BtKlu hinaimicken. 



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8ai — 

ti. t w« Wran Yiier nlclit Zafafn^nenliang ift ; 

fo ift er nii Und vvie wilre es denn 

ikberbaupt denUliar » dais da« sweyie nnd diitte 
Bnch zti der Pli^^fik des Anftoteles gehdien 
follte? Die gan/t» UnlerfLichung befonders iin 
dritten ift in der Pbyfik durchaus unftatttiaft. 

Aber wa$ foHen wirmit dem xufeytenBuchB 
anfangea? Ich wiil meine Vermuthung mit« 
tbeilen. 

Wer Commentatoren gelefen hat, und he- 
Xondcrs Cornmentaloren des AiiftoteJes» wird 
wiHen, dafslie nicht etwa Wortf&r Wort, oder 
Saiz liir Satz evTiatern, das thun nur fehr 
wenigCf fondern dafs fie iiber den Autor und 
delten Ideen ihre eignen Ideen vortrageni 
manche von jenen weiter ausfuhren, heyman* 
chen fiomme Betrachtungen anfieiien^ von 
nanchen den Znfammenhang zeigen. Non lefe 
man dieA^s 7we\te Bnch , und fage, ob es 
nicht den iichten Ton eines Cotnmeotars habe? 
Es ift aJlerdings n*tr Anfang eines Cominen* 
tars, aher man fieht fogleich, woriiber. OHen- 
liar nehmiicb iiber das erfte Buck. 

Im erften Bnche K^p. f. heifst es: Winen« 
fchaft fey die Hrkenntnis der Urfaclien, die 
Wahrbeit, und eben diefe wird im zwey« 
& ^iM. P ten 



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tea Kapitel alt ein icbwera Gelbbift TOf 
gefVellt. 

Sogleicb tritt der Commentator mit einer 
Betraobtang darfiber auf : da(s die Erforfcbui^ 
der Wabrheit einerfeits leicbt, andrerfeits 
Ichwer fey, und dals Tielleicht die Schuld 
diefer Schwierigkeit nicbt an den Gegenftln» 
den, rondern an uns liege. 

Im erften Buche Kap. 3- geht die Darftel- 
lung der Lebren fiilberer Weilen an, Ton de- 
nen der Verfaffer mit Recht oft unwillig redet. 

Der Commeiitator zeigt» dals man aucb 
den fcbwacben Verfucben fr&berer Denker 
KiuUe Gerechtigkeit wiederfahren lallen, weil 
fie uns doch vorgearbeitet baben. 

Ebendafelblk ift bemerkt, dle PMIofopbi* 
{ey oine WifTenfchait der Wahrheit, und habe 
es mit Urlachen zu thun. (vergl. Kap. i.^ 

Der Commentater findet daa febr wabr, 
bemerkt den Unterfchied ^wifcheu fpeculati* 
Tdr und practifqber WilTenfcbafti nnd zeigt 
nacb Anleitung des Kap. 2., da(s die b6cbfte 
Wahrheit in allgemeinen Principien der Dinge 
beftehen muHe. Und hierbey macbt er eine 
Digreflion flber den BegrilF des Princips, nnd 
zeigt> dals man durchaus auf eiu Principkom- 

men 



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men miiflet wenA man nicbt ins nnendliche 
lich verlaafen wo)1e. Er handelt von den 

verfchiednen Principien , der Bewegung, der 
Urfache, des Entftehens» Ver&ndernSs des 
2weckes. Wie er darauf kommt? Man fehe 
das dritte Kap. des erften Buohii. „Es mufs, 
lieilst es dort| elne Wiffenfchaft der Grund« 
urfachen geben, denn wilTen kfinnenwirnur 
das , woTon wir die Urfache kennen, nun 
giebtesaber der Urfachen viererley, wovon in 
der Fhyfik die Rede gewefen ift»*^ Diefen 
Wink benutzt der Commentator, und ^iebt 
nns einen gedrSlngten Auszug aas dem erlken 
Bnche der Pbyfik. 

Hiermit geht der Commentator zu Anmer- 
kangen fiber die Methode des Verfaffers, und 
ftber den Schlendrian mancber Philofophen^ 
denen alles Uogewdhniiche mi£sf^lt. £inige 
sieben den matheoiiiatifchen Vortrag, andre 
den Vortrag durch Beyfpiele, andre durcU 
Dichterftelien vori nochandre lieben das Apo* 
dictifche nichL Man ma(s lich alfo» (agt der 
Commentator, erft dariiber imterrichten , wel. 
cbe Darftellung fur die einze]nen Obiecte die 
paCrendfte iti^ nicbt nberall ift mathemadfche 
6ewi(sheit jnoglicb, wenigfieus hi phyiifchen 

P 2 Gegen* 



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Gegenfianilen nicht. Und hier wirft er iich 
die Fi age auf: Was ift Natur, was Natnr* 
winenfchaft? nnd damit ift der Commentar 
abgebrochen. Aber wozu diefe letztrc £at- 
wicklung? A2s Uebergaog zu dem, was in 
der Metaph. B. 3. Kap. i un»l 2 uber den 
Unterfcbied der fpeculativen WilTenfchaftea 
und ibrer Methode im Ailgemeinen erinnert 
wirdf und ziiglelch als eine Erlauterung def. 
fen, was im erften fiuche Kap. 7. fiber dle 
Vermifditing der Philofophie und Blathematik 
gefagt wird. Nuftris philofophis malhemata 
lacta funt philofophia. 

A]Ies« was icb bier gefagt babe« ift ant 
der bloffen Lfciure des Aiiftotelifchen Werka 
ge(ch&pft. Vielleicbt w&rde icb manches bet 
fer beweifen k5nnen^ wenn ith die Conw 
mentatoron bey der Hand hiitte. 

Das RefuUat von diefem Alien ift folgen* 
des: die BScher der Metaphyfik gehSfen 
allPi das zweyte oder fogenannie kleinere 
Eifte au^genottimen, zu Einem Ganzen* wo- 
rinn die Idee einer Philosophia prima nieder- 
gelegt, und deren all^emeinlte Begri/Te ent* 
wickelt find: und die Oidnung diofer Bdcher 
ift nicht zu tadeln. Dd aber einmahl der 

Ver- 



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— 226 ^ 

VerfafTer diefes Werks feine Idee nocli laicht 
volifi&iidig, Cwenigfiens nach unfern BegriiTeiO 
gePafst batte, und da die Ariftotelifchen Scbrifo 
ten uberbaupt Toll Febler und GloITeme fte- 
cken: fo ift es leicht zvl erkl&ren, wenn 
manche Ideen wiederholt, andre zn weit 
ausgefubrt, noch andre vielleicbt nicbt con- 
ief|aent genung fcheinem 

Ich mufs noch mit anmerken*, dafs wahr- 
fclieinlicb die erfien Samraler der Ariftoteli» 
fchen Schrifren Terfchiedne Recenfionen hej» 
fammen gehabt haben raCgen. Denn nicht 
alle Abfcbriften, fondern nur das Autogra- 
pham hatte in der Erde Tergrahen gelegen* 
Waie jenes erwfcifslich, *) fo lieffe es fich 
febr leicbt erkliiren, warum manche Stticke 
an der einen Stelle k&rzerf an der andern 
ausfubrlicber abgehandelt find, wenn man 
anders iiberhaupt daran AnftoCs nabme* 
Auch fcheinen mir hin und wieder Inhalts* 
anzeigcn init in den Text gekommen zu feyn. 

Ob 

*} Eberhard Allg. Gefch. der Philofopkia S. 19^ 
lagt d«(Cplbe( vmd dtirt dihej deu Alexander 
Aphrod. in Aiittot. Met. 1. den idi nidit aach* 



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— 226 ^ 

Ob nun aber diefcs Werk, wle wir es 
liabenf ▼om AriltoteleS) und leiiie eigent- 
liobe Metaphyfik fey, das kann leh mcht 
m\t Gewlfsheit ausmachen, aber ich vermu- 
tlie es. Kan fpftterer Philofopb wllrde eine 
folcbe Unterfucbung angeftellt baben, obne 
wenigfcens fein Zeitalter zu verrathen. Ueber- 
haupt gftbe es hiernnv zwey Falle# Bin fpS.* 
terer Pbi]ofopb mftfte es nebnoKch in der Ab« 
iicht yerfertigt haben, um es dem Ariltoteles 
unterzufcbieben» und dazu ilt es zu mubfam 
vnd zu gut, anch wurden wohl ^e Com- 
mentatoren einige Vermuthurigen aulfcrn. 
Oder der fp&tere Verfaflier Icbrieb es obne 
)ene Abficbt, und dann wiirde cr gewifs bey 
cinem folchen Gegenftande dcs Ariftoteles ir- 
gend einmabl erw&hnt l>aben. Ueber den 
Titel Metaphyfik babe icb nicbts zu erinncm» 
da Buble das hierhcr Gehorige aus eiuander 
geCetzt hat. (S. 7. f.) Die Scbrift mag Atfot ht 
Tff« «f»Tif« <l><Aoffo^(*f, oder 5r«f) (^nAotfo^/flf^ , odet 
«nders gebeilfeii haben, das bringt uns um 
nichts weiter. — Ob Diogenes Laertius . die* 
fcn oder jenen Titel, fo oder fo viel Bucher 
anfubrt: das ift gar nicht von Bedeutung. 
Dieler Literator iammelte ohne Ordnung und 

hat 



227 — 

hafc dftrer einzelne Theile und Kapltel untec 
dem Namen ganzer Bficher angefuhrt^ 

Sollten die CHtiker nicht mit jeder roeiner 
Bemerkungen zufrieden feyn: fo iind doch 
ttnige davon nicht ganz leer nnd nnwichiag^ 
nnd der critifche Herausgeber des Ariftoteles 
wird es nicht ungern fehen, wenn noch Yor 
der Ausgabe der Metapbyfik Hber die Be- 
fchafTenheit diefes Biichs mehrere Cririker ihr 
Urtheil lagen; ich w&nfchtef daztt Veraa* 
lalltuig i^geben za haben. 



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AU SOOKS MA Y li HCAUED Amt 7 MVS 

nCNEWAlS ANO nFCNAROES MAV BE MAOE 4 OAVS PWOR TO DUC OATE. 

LT A-. -.niCL- Arlt U'AC:.U^ i-UONTHS. ANO 1'VEAa 
HU4S.VJA^it GALL <415) 642-3405 



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6 










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