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Full text of "Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens im frühen Mittelalter Analekten"

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Zu 



Wirtschaf tsg 
Italiens im 
frühen 
Mittelalter 




Ludo Moritz 
Hartmann 





löarbarti College Hibraru 

BOUGHT WITH INCOME 
FROM TUE BEqUBST OF 

HENRY LILLIE PIERCE 

OF BOSTON 

Under a vote of the President and Fellows, 
Octoher 24, 189S 




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ur 

t : • " 



Wirtschaftsgeschichte Italiens 



im frühen Mittelalter. 



Analekten 



von 



Ludo Moritz Hartmann. 




Gotha. 

Friedrich Andreas Perthes 

Aktiengesellschaft. 
I9O4. 



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Inhaltsverzeichnis. 



Seite 



Bemerkungen nun Codex Bavaras i 

Zar Geschichte der Zünfte im frühen Mittelalter 16 

Die Wirtschaft des Klosters Bobbio im 9. Jahrhundert 4a 

Comacchio and der Po •Handel . 74 

Marktrecht und Monera 9 1 

Anhang: L Übereinkunft zwischen den Langobarden und den Comacchiesen 

(715) "3 

IL Urkunde König Hildeprands für Bischof Thomas von Pia* 

cenra (744) » .... 125 

ffl. Bestätigung der Urkunde König Hildeprands durch König 

Ratchis (746) 127 

IV. Verordnung Walas, Abtes von Bobbio (834—836) .... 129 

V. Die Einkünfte des Klosters Bobbio 13a 



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Bemerkungen zum Codex Bavarus 1 



Wie viele andere Handschriften der Münchener Bibliothek 
scheint auch der von Fantuzzi und von Bernhart" edierte 
Ravennatische Papyruskodex, der unter den Cymelien auf- 
bewahrt wird, einst zur Bibliothek des Joh. Alb. Widmanstadt 
gehört zu haben, die unter Herzog Albert V. (1550 — 1579) 
der Münchener Bibliothek einverleibt worden ist. Dies ist die 
Ansicht G. Steigenbergers und Bernharts, die beide Beamte der 
Bibliothek waren 3 . Sie stützt sich darauf, dafe eine Bemerkung 
des Pergamentumschlages von der Hand des Widmanstadt *, 
eine andere von der des Bibliothekars Alberts V. herrührte. 
Widmanstadt lebte, wie wir wissen, jahrelang in Rom, wo ihm 
Klemens VII. (1533) und namentlich der Kardinal Ägidius von 
Viterbo viele Handschriften schenkten 6 . Er stand auch in Be- 
ziehungen zum Kardinal Salviati, dessen Bruder einmal (1532) 
zum „magistratus princeps" von Ravenna gewählt worden war 6 ; 
und gerade die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die Zeit 

1 Diese Bemerkungen erschienen (abgesehen von einigen Zusätzen) zuerst in 
den „Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung", XI. Band, 
3. Heft. 

* Fantuzzi in „Monumenti Ravennati" 1, if. — Bernhart, Codex trad. 
eccl. Rav. Monachii 18 10. 

* Vgl. Gerhoh Steigenberger, Histor.-liter. Bericht von Entstehung 
und Aufnahme der kurfürstlichen Bibliothek in München, abgelesen am Stiftungs- 
tage der Münchener Akademie, 28. März 1784. Bern hart p. 88 seiner Ausgabe. 

* Ich verglich diese Handschrift nur mit der des Widmanstadt im Cod. 
Graec. 151 und Cod. Hebr. 322; nach diesen beiden Proben schien mir die 
Identität der Handschriften nicht evident. 

6 Steigenberger a. a. O. 

8 H. Rubens, Hist. Ravennae (Yen. 1589) 700. 718. 
Hartmann, Analektea. I 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



der Erzbischöfe von Ravenna, denen Rubeus, der Geschicht- 
schreiber der Stadt, den Vorwurf macht, dafs sie zu wenig" auf 
den Bestand der erzbischöflichen Bibliothek geachtet und ge- 
duldet haben, dafe sehr viele wichtige Handschriften verschleppt 
und geraubt wurden l . Nach diesen Daten kann man sich un- 
gefähr die Reise des Kodex von Ravenna über Rom nach 
München zurechtlegen. 

Als Titel des Kodex ist von „sehr alter" Hand auf dem 
Pergamentumschlag angegeben: „Breviarium Arimin. territorii 
et Segalie et aliorum locorum *." Die Bezeichnung als Bre- 
viarium mag zwar zutreffend sein, allein der ursprüngliche Titel 
wird dies doch deshalb nicht gewesen sein, weil in ihm auf die 
Fragmente, die dem Beginne des jetzt Erhaltenen vorausgehen, 
auf das, was vor dem territorium Ariminense stand, nicht Rück- 
sicht genommen ist. 

Der Bibliothekar Alberts V. überschrieb den Kodex: ,,Rav. 
archiepiscopatui factae donationes fundorum Ariminii territorii" 
etc. 8 , woraus wir ebenfalls ersehen, dafs der Kodex schon ver- 
stümmelt nach München kam. Vielleicht verleitet durch diesen 
letzten Titel hat Bernhart den Papyrus als sogenannten Traditions- 
kodex herausgegeben. Diese Bezeichnung ist aber nicht zu- 
treffend. Allerdings wurden auch einzelne donationes in ihm 
verzeichnet. Doch sind diese den anderen registrierten Ur- 
kunden gegenüber sehr in der Minderzahl; sie haben mit der 
überwiegenden Mehrzahl der aufgenommenen Urkunden das 
gemeinsam, dafs der Empfänger die ravennatische Kirche ist. 
Die Urkunden, die nicht donationes sind, werden zum Teile 
petitio, zum Teile libellus genannt. Auf diese Bezeichnung folgt, 
durch „quam (quem) petivit" relativ verknüpft, zuerst der Name 
des oder der Petenten, dann häufig, doch nicht regelmäfsig der 
Erzbischof, an den die Petition gerichtet war, dann die Bezeich- 
nung des Grundstückes, um das es sich handelte, und dessen 
Lage, schliefslich die zu leistende Abgabe. In dieser letzteren 



1 Ebenda 708. 749. 

* Bernhart p. 89. 

• Bernhart p. 88. Fantuzzi nannte den Kodex: „Registrnm". 

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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



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nun unterscheiden sich auch im Kodex die beiden Urkunden- 
arten. Die petitiones haben regelmäßig* eine Geldabgabe und 
führen die Zahl der jährlich zu zahlenden Goldstücke an l . 
Anders die libelli, in denen der jährliche Zins für die Über- 
lassung des Grundstückes regelmäfsig in Produktenabgaben aus- 
gedrückt ist, die ebenso regelmäfsig spezifiziert sind je nach 
der Art des auf den Grundstücken betriebenen Anbaues und 
häufig in Verhältniszahlen zu dem Ertrage an Wein, Öl usw. 
(*/«» V*» 7*» Vw usw 0 berechnet werden *. Auch pflegen wegen 
des Abgabentransportes Bestimmungen getroffen zu sein, die 
meist dahin lauten, dafs die Pächter ihre Abgaben selbst in das 
rectorium (auch domnicalia, mansio dominica, domus dominicata) 
zu liefern haben *. Dazu kommen bei den libelli noch Fronden 
(Hand- und Spanndienste), sowie xenium, glandaticum und her- 
baticum genannte Abgaben, die, ebenso wie die Fronden, 
häufig durch verschiedene Summen Geldes abgelöst werden. 
Einmal, am Ende des 9. Jahrhunderts, werden vier Spann- und 
fünf Handdienste auferlegt, die in der curtis des fundus zu 
leisten sind, ein anderes Mal sind es je vier, ein anderes Mal 
sechs unbestimmte, die zu leisten sind, „ubiab actore domnico 
imperati fuerimus" 4 . Eine Ausnahme machen diejenigen libelli, 
welche sich auf Häuser in der Stadt beziehen: hier werden 
natürlich nicht Natural-, sondern Geldabgaben auferlegt. 

Es mufs auffallen, dafs in den Codex Bavarus die Zeit, für 
welche die Pachtung verliehen werden soll, regelmäfsig nicht 
aufgenommen ist. Dies erklärt sich aber daraus, dafs die Pachtzeit, 
wie wir aus den anderweitig erhaltenen ravennatischen Urkunden 
ersehen können, bei jeder der beiden Urkundenarten selbst- 



1 Die einzige Ausnahme ist die pcticio des Gesiberto presbyter, p. 59 B, 
der, wie sonst die Einreicher der libelli: „sab reddito omnia et ex Omnibus 
modio decimo et pro opere et exenio et glandatico denarii XXIV deducto omnia 
in civ. Sinogallie" verspricht. Doch steht diese pet. unter lauter libelli, und dafs 
sie nicht libellus heifst, ist vielleicht blofses Schreibversehen. 

1 Manchmal heifst es auch nur: „secundum istias loci consuetudinem". 

8 Cod. Bav. (Bernh.) 50, 56, 57, 58, 59, 60, 73, 78. 38. 58. 71. Dazu 
55* 56, 59, 60. 

* Cod. Bav. p. 59. 71. 72. Abgelöst: p. 50. 57. 58. 59. 60. 61. 

1* 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS 



verständlich war. Die Pachturkunden, die sich selbst als libelli 
bezeichnen, haben nämlich durchaus nicht nur die oben an- 
geführten Merkmale, sondern auch die Bestimmung, dafs die be- 
willigte Pacht nur auf neunundzwanzig Jahre gelten sollte, dann 
allerdings wieder verlängert werden könne *. Die übrigen Pacht- 
urkunden sind „emphyteutische" Verträge, die eine Verpachtung 
nicht nur an den Pächter, sondern auch an die zwei nächsten Gene- 
rationen seiner Nachkommen bewirken. Diese Verträge scheinen 
im Mittelalter in Italien vorzugsweise precaria genannt worden 
zu sein *. Dafs auch die im Codex Bavarus als petitiones an- 
geführten Kontrakte auf diese Bedingungen abgeschlossen wurden, 
ergibt sich aus denjenigen Urkunden, welche sowohl im Codex 
Bavarus angeführt, als auch anderwärts vollständig erhalten 
sind s . Wenn eine petitio auf eine andere Zeit lautete , so ist 
das auch im Codex Bavarus ausdrücklich bemerkt; einen Beweis 
bietet p. 75 B, wo es heifst, dafs Arnusto „diebus vite sue 
tantumodo" gepachtet habe. — Für die libelli kann derselbe 
Beweis nicht geführt werden. Doch beweist schon die Bezeich- 
nung „libellus" genug. 



1 Z. B. Fantuzzi, Monnmenti Ravennati I, nr. 3, 4, 6, 9, 11, 12, 14 — [7; 
II, nr. 7, 8 (J. 870-955). 

8 Z. B. Fantuzzi I, nr. 2, 8, 19, 21—23; H, nr. 3, 6 (J. 844—932). Die 
in der Hallenser Dissertation von Rad. Jacob i (1854) herausgegebene Schrill: 
„Summa Anselmi de Orto super contractibus etc." sagt unter dem Titel de pre- 
cario: „Plerumque enim ecclesiae, quia non possunt dominium suorum rerum in 
alios transferre, certa pecunia constituta solent aliis precario concedcre: antiqoitos 
enim precibns tantum dabantur, hodie vero pretio sine damno tarnen ecclesiae in 
scriptis conceduntur, ita ut non transgrediantur tertiam generationem. 
Sed tarnen ex pacto possunt renovari, ut in libello." Vgl. über diesen Kon- 
trakt die angeführte Dissertation von Jacobi S. 2 3 f. 

■ Pet. des Lupo et Aldebrandus p. 51 B. =* Fantuzzi II, 343, nr. 4; (des 
Sergius Caro p. 53 B. — Fantuzzi 1. c. nr. 5; des Tetbaldus et Richilda 
p. 62 B. — Fantuzzi 1. c. nr. 3; des Urso de Marino et Albesinda p. 84 B. — 
Fantuzzi II, 365, nr. 10); des Urso Sc(l)arino etc. p. 86 B. — Fantuzzi H, 
342, nr. 2 (Lib. des Gusberto et Petronia p. 41 B. = Fantuzzi 1, 378, nr. 18). 
Dies sind, abgesehen von der noch weiter unten zu besprechenden, die uns doppelt 
erhaltenen Urkunden. Aber nur die nicht eingeklammerten sind bei Fantuzzi so 
ausfuhrlich wiedergegeben oder exzerpiert, dafs die Zeitbestimmung mitauf- 
genommen ist. 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



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Beide Arten der Verpachtung haben ihren Ursprung im 
römischen Rechte. Die Pachtzeit der libelli könnte man zurück- 
führen auf Justinians Bestimmung (Nov. 120, c. 3 vulg.): „Lo- 
cationes vero ab ipsis venerabilibus domibus fieri concedimus 
in quantoscunque contrahentibus annos placuerit non transcen- 
dentibus videlicet XXX annorum temporibus." Es ist aber auch 
zu erwägen, ob die Beschränkung der Pachtzeit nicht aus der 
in den Codex Justinianus aufgenommenen Verordnung des Kaisers 
Anastasius zu erklären ist, derzufolge auch diejenigen Bauern, 
welche dreifsig Jahre oder darüber als Pächter auf demselben 
Grunde arbeiten, an die Scholle gebunden sein und Kolonen 
werden sollen J . Es wäre begreiflich, dafe beide kontrahierende 
Teile, namentlich aber die Pächter, sich gegen eine solche 
Bindung dadurch zu schützen suchten, dafs sie den Pachtkontrakt 
nur auf neunundzwanzig Jahre abschlössen. Dazu würde es 
stimmen, dafs es gerade die „colonicio more" geschlossenen 
Verträge sind, die mit dieser bestimmten Zeitbegrenzung ver- 
sehen sind. — Die Beschränkung der kirchlichen Emphyteuse 
auf drei Generationen ist in der 7. Novelle ausgesprochen. Auch 
alle Nebenbestimmungen des Vertrages, z. B. die, dafs, wenn 
der Pächter den Kanon durch zwei Jahre nicht gezahlt habe, 
die Kirche den Pächter auszuweisen befugt sei, gehen auf Be- 
stimmungen des römischen Rechtes zurück *. 

Natürlich war auch die persönliche Lage der Petenten eine 
sehr verschiedene. Die Emphyteuten sind meist Leute mit 



1 Cod. Jost. XI, 48, 19: tOv yttonyQv ... ol 6*1 XQ^V TQHt3tovxtux(«g 
fuo&toTol yivovrai etc. Analog dazu ist Cod. Just. XI, 66, 6. Die Ersitzung 
wird eben auch auf den Besitz an Menschen ausgedehnt. In der oben angeführ- 
ten Summa heifst es unter dem Titel „de libello": „ — Omnes possunt dare 
praeterquam servi et minores et accipere omnes exceptis servis . . . solent enim 
persona«, quae nolunt dominium suarum rerum in alium transferre pretio accepto, 
usque ad i us tum tempus, seil. XX annis et novem expleüs, certa pensione con- 
stituta res soli sub specie venditionis concedere; et si dictum fuerit, ut renovetur 
certo pretio constituto, debet renovari etc." 

* Nov. 120, c. 8. Dazu Cod. Bav. p. 76 B: „Sed quia per biennium Uli 
pensio non fnit data, secundum legum censuram postea ex omni supra dicta massa 
pensio ab eo non fuit reeepta." Vgl. Elia Lattes in den „Memorie" der Turiner 
Akademie 1871, namentlich S. 254 f. 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



hohen Titeln, duces oder dergleichen, die der Kirche an Macht 
gleich oder überlegen gegenüberstehen und durch die Emphy- 
teuse ihren Besitz arrondieren, ohne sich in irgendein Abhängig- 
keitsverhältnis zu begeben. Die petitores der libelli dagegen 
pachten colonicio more, da sie den Boden meist selbst bebauen, 
nennen sich selbst coloni, die Kirchenoberhäupter ihre patroni, 
verpflichten sich diesen gegenüber zur Ehrfurcht und sind ja 
schon durch ihre Leistungen abhängige Menschen. Die zeit- 
liche Beschränkung der Pacht hat ihnen gegenüber jetzt nament- 
lich den Sinn, dafs alle neunundzwanzig Jahre das Eigentum 
der Kirche und die Leistungspflichtigkeit der Pächter neu kon- 
statiert wird. Die Erneuerung des Vertrages, die regelmäßig 
schon im ersten Vertrage vorgesehen wird, scheint die Regel 
gewesen zu sein *. 

Man gewinnt also durch den Codex Bavarus Einblick in 
die Art der Bewirtschaftung der kirchlichen Güter, die direkt von 
der altrömischen Tradition ausgeht. Ein Teil der Güter ist in 
Grofspacht gegeben. Der andere Teil aber, in Kleinpacht ge- 
geben, gruppiert sich um einen von den Beamten der Kirche 
verwalteten Hof, zu dem die Kleinpächter, die sich coloni nennen, 
ihre Naturalabgaben liefern müssen und dem sie auch Fron- 
dienste leisten. Das Bemerkenswerte ist, dafs man hier formell 
freie Kleinpächter vor sich hat, die rechtlich nicht an die Scholle 
gebunden sind, die aber doch zu Frondiensten verpflichtet 
sind, soweit sie dieselben nicht durch einen jährlichen Zins ab- 
lösen. Man könnte denken, dafs diese Dienste gleichsam an 
dem Landbesitze hafteten und dafs infolgedessen auch Voll- 
freie, wenn sie etwa nach dem Absterben der Kolonen den 
Besitz pachteten, die Lasten mitübernehmen mufsten. Keine 
Andeutung weist aber auf solche Verhältnisse hin. Es hat sich 
vielmehr genau derselbe Zustand, der sich z. B. in dem Edikte 
des Kaisers Commodus aus dem Ende des 2. Jahrhunderts dar- 
stellt und „der Entstehung des Kolonates" vorangegangen ist, 



1 Die Formel ist: „Renovare salva sanacione domnica danda. u Unter sanacio 
könnte eine Abgabe gemeint sein. S. Ducange h. v. Einmal (Fantusti i, 9) 
finde ich sancionem, einmal statt dessen (Fantnzzi 1, 3) calciario. 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 7 

herausgebildet 1 : auf der einen Seite der Grofsgrundbesitz, auch 
die Grofspachtwirtschaft — auf der anderen Seite kleine not- 
leidende Ackerbauer, die sich auch Fronden auferlegen liefsen 
und die gewohnheitsmäfsig ihre Pacht an ihre Nachkommen 
vererben. Gewifs kommt ja auch hier, wie dort, eine teilweise 
Exemption von der allgemeinen Gerichtsbarkeit hinzu, die dem 
Grundherrn persönliche Rechte über die Kolonen einräumt und 
diese dadurch noch abhängiger macht. Man gewinnt Einblick 
in die vollständige Kontinuität der wirtschaftlichen Entwickelung 
von den Gracchen bis tausend Jahre n. Chr., wie sie sich für 
andere Teile des Römerreiches z. B. aus den Polyptychen 
ergibt 

Das Eigentümliche der Form der Urkunden liegt darin, 
dafs der Petent als Aussteller erscheint. Die Emphyteuse war 
bei der Verpachtung von öffentlichen und kaiserlichen Grund- 
stücken wenigstens in gröfserem Umfange zuerst angewendet 
worden und schon hier geschah die Vergabung, wenn die Grund- 
stücke nicht auf dem Wege der Lizitation losgeschlagen wurden, 
auf Grund einer Petition, die der Pächter bei dem kompetenten 
officium einreichte. Von solchen Petitionen ist auch an anderen 
Stellen des theodosianischen und justinianischen Kodex die Rede. 
Die folgende Stelle (Cod. Just XI, 66, 2 = Cod. Th. V, 14, 4) 
berichtet am deutlichsten über das Verfahren, das beobachtet 
zu werden pflegte: „Ii, quos commoditas (privatae rei) prae- 
diorum ad ea postulanda sollicitat, adeant tuae dicationis (sc. 
comitis rerum privatarum) officium et modum suae deliberationis 
indicent per libellos etc." Auf die Petition folgte die Kautions- 
leistung von Seite des Pächters, die Ausstellung eines praecep- 
tum und die Tradition von Seite des Verpächters 8 . Nicht anders 



1 Vgl. dazu meine Bemerkungen über den Kolon at in ArchäoL • epigr. Mit- 
ten." XVTJ, 125 ff. 

» Vgl. Mommsen im „Hermes" 1880. — Fustel de Coulanges, Re- 
cherche» sur quelques probleraes d'histoire, i°: „Le colonat Romain" (i885> 

• Vgl. Cod. Just die Titel XI, 62, 66 und 71 (Krüger), namentlich XI, 62, 7: 
„fideiussores" und XI, 71, 5 pr. : „Praedia domus nostrae, si semel iure per- 
petuo vel nostra praeeeptione vel auetoritate ilL v. com. aerarii privati apud 
aliquem fuerint etc." — Möglicherweise in der gleichen Bedeutung praeeeptnm in 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



war es bei der Verpachtung von kirchlichen Grundstücken. 
Papst Gregor spricht davon, dafs viele kirchliche Grundstücke 
„in emphyteusim sibi dari postulant", und der „Diurnus" enthält 
in seinem ältesten Teile zwei „praeceptum auctoritatis de fa- 
ciendis chartulis" benannte Formeln, in denen der Papst den 
rector eines Patrimoniums anweist, mit denjenigen, welche sibi 
factis chartulis postulabant debere conduci atque ipsam conduc- 
tionem multis desiderant annis extendi, Pachtkontrakte ab- 
zuschliefsen und ihnen die Grundstücke zu übergeben l . Aber 
es konnte auch vorkommen, dafs der Kaiser oder auch ein 
officium eines Beamten die petitio, den libellus nur mit einer 
adnotatio statt mit einer vollständigen Urkunde beantwortete 2 . 
Dies mag sogar das regelmäfsige Verfahren, wenigstens bei 
kleineren Verpachtungen, gewesen sein. Daraus erklären sich 
die späteren Urkundenformen. 

Ich kenne zwei Urkunden vom Jahre 906 und 911 s , die 
uns am deutlichsten die Art des Vorganges bei Libellarkontrakten 
veranschaulichen. Die Urkunden beginnen mit der Bitte, ein ge- 
wisses Stück Land vorbehaltlich der Renovation für neunundzwanzig 
Jahre zu verleihen von einem bestimmten, offenbar künftigen, Tage 
an [ex die kal. iulii — et (1. ex) d(ie) te(rtio) kal. sept.]. Dar- 
auf folgt erst die Invokation und die Datierung, mit der sonst 
Urkunden zu beginnen pflegen, und zwar ist dieses Datum um 
einige Tage später, als der vorher erwähnte Termin (die quinto 
decimo mensis iulii — die quarto mensis septembris). Man hat 
es also mit zwei zeitlich verschiedenen Akten zu tun. Der zweite 
Teil knüpft nun gleich nach dem Datum mit „ita sane" die 
Bedingungen an, an welche die Verleihung geknüpft ist; es 

Cod. Th. V, 14, 8. Ferner Marini nr. 132 aas der ersten Hälfte des 7. Jahr- 
hunderts. 

1 Marini, Pap. dipL 363. — Liber diurnus ed. Sickel XXXIV, s. libellus 
auch in den Gregorbriefen II, 3 und VIII, 3a und bei Cassiod. Var. V, 7. Vgl. 
auch Mommseo, Die Bewirtschaftung der Kirchengüter unter P. Gregor in 
„Zeitschrift für Sozial« und Wirtschaftsgeschichte" I, 43 ff. 

* Cod. Just. XI, 71, 5, 1: „Ut a perpetuario numquam possessio transferatur, 
etiamsi alteri eam imperator vel exoratus vel sponte donaverit sive adnotatione 
sive pragmatica." 

• Fantutii I, 9 und 12. 

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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



9 



folgen dann die Straf klausel und die Unterschriften. Es scheint 
also diese Urkundenform deutlich aus der adnotatio hervor- 
gegangen zu sein. Häufiger aber ist eine andere Form, in der 
eigentlich mit dem libellus des Petenten die Gewährungsurkunde 
des Verpächters verschmolzen ist. Hier hat die Urkunde zwar 
die Form der Petition, des libellus, aber es sind schon in die 
Petition die Bedingungen aufgenommen, unter denen verpachtet 
wird, d. h. die Leistungen, zu denen sich die Pächter verpflichten. 
Auch die Entstehung dieser Form läüst sich erklären ; die kleinen 
Bauern hatten keinen eigenen Schreiber; ihre Petition mufste 
regelmäßig von demselben Schreiber aufgesetzt werden, der 
die Urkunden des Verpächters verfertigte, z. B. vom Notar der 
Ravennater Kirche oder vom tabellio der Rav. civitas. Da 
konnten dann auch gleich vor diesem Schreiber die Be- 
dingungen, die der Verpächter stellte, angehört und in die so- 
genannte Petition aufgenommen werden. Jetzt war aber in 
dieser einen Urkunde alles gesagt, und man bedurfte nicht mehr 
neben dem libellus einer praeceptio. Es wurden vielmehr, wie 
oft in der Schlufsklausel hervorgehoben wird, zwei gleichlautende 
Exemplare des libellus hergestellt, das eine wurde vom Ver- 
pächter unterschrieben und dem Pächter übergeben, während 
das vom Pächter unterschriebene dem Verpächter verblieb. Da 
anzunehmen ist, dafs nur die Verpächter Archive hatten, ist es 
erklärlich, dafs uns raeist Urkunden mit Pächterunterschriften 
erhalten sind. Doch sind uns auch Beispiele von der anderen 
Ausfertigung erhalten l . 

Auch in den emphyteutischen Urkunden lassen sich noch 
die beiden Teile, aus denen sie eigentlich bestehen, erkennen. 
Zuerst kommt die Petition: petimus a vobis N. N. , ut etc. Im 
zweiten Teile wird gesagt, dafs die Bitte gewährt wurde, mit- 
unter mit ausdrücklicher Zurückbeziehung auf die petitionis car- 
tula. Es folgt auch hier regelmäfsig eine Strafklausel und dann 
nach den Unterschriften der Pächter — was dieser Urkunden- 
gattung eigentümlich ist: — die Unterschrift dreier Zeugen, 



1 Fanturri I, 16; II, 7; Troya, Cod. dipl. nr. 347; Tabal. S. Mariae in 
V. L. nr. 78. 



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IO 



BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



dann des tabellio. Ich habe in Ravenna keine Bezeugung dafür 
gefunden, dafs diese Urkunden doppelt ausgestellt worden sind *. 

Eine Formel , die ich zuerst in der Mitte des 10. Jahr- 
hunderts (953. 958. 963) in einer vom Notar Georgius verfafeten 
Pachturkunde der ravennatischen Kirche finde, scheint sogar da- 
für zu sprechen, dafs nur ein Exemplar ausgestellt wurde. Die 
Formel lautet: „Quam petitionis nostre paginam Georgium nota- 
rium s. vestre Raven, ecclesiae scribendam rogavimus, in qua 
nos subscripsimus testibusque a nobis rogatis obtulimus sub- 
scribendam quamque et in Archivo s. vestre Raven, ecclesie 
pro futuris temporibus sub stipulatione et responsione tradidimus 
recondendam sub die etc. Dies eine Exemplar wurde also 
im Archive der ravennatischen Kirche aufbewahrt. Aus diesem 
Archive dürfte auch der Codex Bavarus zusammengestellt sein. Viel- 
leicht weist gerade das Vorkommen der angeführten Formel auf 
eine Neuordnung oder Sichtung des Archives hin, und man könnte 
eine solche mit der Anlegung des Codex Bavarus in Verbindung 
bringen, zumal da jener Notar Georgius, der übrigens fast jähr- 
lich in ravennatischen Urkunden von 943 — 972 vorkommt, offen- 
bar auch auf dem Pergamentumschlage des Papyruskodex ge- 
nannt wird, einer wahrscheinlich nicht vollzogenen Urkunde aus 
dem Jahre 952 oder einem der nächstfolgenden; hier liest man 
noch: Georgi . . not. sce nre r . . . scribi . . . 

Aber wir haben viel sicherere Anhaltspunkte, um die Zeit 
der Anlegung zu bestimmen. Zunächst ist hervorzuheben, dafs 
der Kodex nicht einheitlich entstanden, nicht von einem Schreiber 
geschrieben ist. Schrift und Verteilung der Blätter beweisen, 
dafs die Register der einzelnen Territorien einzeln angelegt 
wurden; ferner ist innerhalb des territorium Ariminense Land 
und Stadt durch eine unbeschriebene Seite getrennt. Die letzten 
Auszüge in jedem gröfseren territorium läfst die Schrift als all- 
mähliche Nachträge erkennen. Erst nach der Vereinigung der 
Territorienhefte wurden die Randnotizen angebracht, die den 



1 Anders bei den römischen Urkunden : vgL mein „Tabula rium S.Mariae 
in Via Lata" I, p. XXIX. 

* Fantuszi I, 25; dazu ib. II, 10 und I, 38. 




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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAYARUS. n 

Namen des fundus, um den es sich handelt, neben jedem Ab- 
sätze wiederholen; diese Notizen scheinen durchaus von einer 
Schrift zu sein. Eine zweite Gattung von Randnotizen ist nicht 
so häufig; diese bestehen aus einem Namen (oft mit Titel 
comes etc.) als Subjekt und „detinet" (auch „modo detinet") 
als Prädikat; sie scheinen mit zwei wohl späteren Schriften ge- 
schrieben zu sein, deren erste sich auf das territorium Ariminense 
beschränkt. Bei der Durchsicht des Münchener Papyrus habe 
ich mir angemerkt, dafs der Schriftcharakter in den letzten Nach- 
trägen des territorium Ausimanum sich dem der detinet-Notizen 
sehr nähert. 

Gehen wir für die Zeitbestimmung von diesen detinet-Notizen, 
die offenbare Nachträge sind, aus. P. 29 B: Rodulfus comes 
detinet — gewisse fundi; in einer Urkunde vom 8. April 970 
wird einem comes Rodulfus von der ravennatischen Kirche ein 
angrenzender fundus verliehen, und im Jahre 1001 wird offen- 
bar derselbe comes R. als Verstorbener erwähnt l . Rodulfus 
kommt auch in anderen detinet-Notizen vor. Eine ähnliche Be- 
wandtnis hat es mit dem p. 51 B erwähnten Valingo, dem im 
Jahre 981 ein fundus überlassen wurde, welcher an den von ihm 
nach dem Codex Bavarus detinierten anstöfst *. In einem anderen 
Detinenten . . . bertus eps., der im territorium Ariminense vor- 
kommt, erkennt man den in den letzten Jahrzehnten des 10. 
Jahrhunderts erwähnten Bischof Hubertus von Ariminum 8 . 

Von den im Texte des Codex Bavarus exzerpierten Ur- 
kunden sind einige erhalten 4 . Es sind dies Urkunden aus den 
Jahren 949, 955, 960, 963, 967, 2. Oktober 968. In dem 
letzteren Datum haben wir, da der betreffende Auszug nicht in 
einem Nachtrage steht, jedenfalls einen Zeitpunkt gewonnen, 
vor welchem der Kodex nicht angelegt worden sein kann. 
Dieser Zeitpunkt fällt unter die Regierung des Erzbischofs 
Petrus VI. (927 — 971). Bisher hat man nur zwei Stellen zur 



1 Fant uz zi I, 45 (es handelt »ich um den f. Petronianus) und 71. 

* Fantuzzi H, 344, nr. II. 

* Ich las nur noch : . . rtus. 

* Vgl. oben S. 4 Anm. 3. 



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12 



BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



Zeitbestimmung benutzt 1 . Auf p. 31 B findet sich die Notiz: 
„de his tres unciis per Petrum archiepiscopum noviter ordinate 
sunt"; man könnte dies mit Recht auf Peter VI. beziehen und 
auch daraus schliefsen, dafs dieser, da die Verleihung erst „jüngst" 
geschehen sei, noch nicht lange tot sein konnte, als die Notiz 
eingetragen wurde, und dafs der Kodex im ganzen noch vor 
dieser seiner Neuverleihung, also vor 971, angelegt wurde. 
Dieser Schlufs scheint mir aber nicht jeden Irrtum auszuschliefsen. 
Die andere Stelle, die herangezogen wurde, ist die petitio des 
Arnusto und das Darauffolgende. Die Stelle schliefst mit den 
Sätzen: „Et tributa est per praesulem Honestum in Gislerio — 
sed quia per biennium illi pensio non fuit data, secundum legum 
censuram postea ex omni supra dicta massa pensio ab eo non 
fuit recepta." Es fragt sich, ob Honestus I. (920 — 927) oder 
II. (971 — 983) gemeint ist. Bevor dieses Grundstück aber an 
Gisler übertragen wurde, war ein angrenzendes ihm, wie der- 
selbe Auszug berichtet, von einem Erzbischof Peter übertragen 
worden. Die Urkunde dieser letzteren Übertragung ist uns aber, 
was Bernhart übersehen hat, erhalten und rührt von Peter VI. 
her (12. Oktober 967) *, so dafs es keinem Zweifel unterliegen 
kann, dafs Honestus II. gemeint ist. Rechnet man jenes biennium 
zum Jahre von dessen Regierungsantritt hinzu, so ergibt sich, 
dafs die angeführte Stelle des Kodex nicht vor dem Jahre 973 
geschrieben sein kann. Schrift, Stellung und Inhalt der Stelle 
zeigen aber, dafs wir es mit einem Nachtrage zu tun haben. 
Es ist also dennoch gut möglich, dafs die grofse Masse der 
Auszüge für die einzelnen Territorien noch in den letzten Jahren 
Peters VI. zusammengestellt wurden. Die ältesten exzerpierten 
Urkunden reichen, wie es scheint, in die Zeit des Erzbischofs 
Damianus (688—705) zurück; ein in ihnen erwähnter Johannes 
lector sacri palatii ist eine uns durch Agnellus bekannte Persön- 
lichkeit. Und auch die Frage, warum Erzbischof Petrus bei 
seiner Sammlung nicht noch weiter zurückgrifT, läfst sich wohl 
durch einen Hinweis auf die Tatsache beantworten, dafs zu jener 



1 S. Bernhart, praf. 12 f. 
* Fanturzi II, 3off., nr. 13. 



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BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



13 



Zeit das Archiv der Kirche von Ravenna verbrannt ist — Er- 
gänzt hat dann die Zusammenstellung Honestus II. in seinen 
ersten Jahren und vielleicht auch erst die Territorien aneinander- 
gereiht Darauf erst wurden die detinet-Notizen beigesetzt, die 
wahrscheinlich mit dem Zwecke der Anlegung des ganzen Ver- 
zeichnisses in Zusammenhang stehen. 

Welches war der Zweck der Anlegung? Die drei Urkunden- 
arten, die in das Register aufgenommen sind, libellus, precaria, 
donatio, haben das gemeinsam, dafs man sich auf sie berufen 
konnte, um den Beweis für die Anerkennung des Besitzstandes 
der ravennatischen Kirche zu erbringen. Man darf also ver- 
muten, dafs die Zusammenstellung geschehen ist, um die Rechte 
der ravennatischen Kirche darzulegen, sei es um drohende An- 
griffe abzuwehren oder um schon geschehene Usurpationen zu 
beseitigen. Diese Vermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, 
wenn man sich die damalige Lage der Kirchen vor Augen hält, 
deren Besitzungen bald durch übermächtige Adelige okkupiert, 
bald von verschwenderischen Bischöfen ausgetan wurden. Schon 
Justinian und seine Vorgänger hatten Gesetze zur Erhaltung des 
Kirchenvermögens gegeben, die Karolinger waren ihnen auch 
hierin gefolgt; Otto III. gab im Jahre 998 unter besonderer 
Mitwirkung eines ravennatischen Erzbischofs, Gerberts, seine 
constitutio Ticinensis zum Schutze und zur Erhaltung des Kirchen- 
gutes *. 

Die Verhältnisse, welche die Veranlassung für dies Ge- 
setz bildeten, spiegeln sich in den Urkunden und Gesetzen der 
vorhergehenden Dezennien deutlich ab. Die Unsicherheit des 
Grundbesitzes, namentlich des kirchlichen, legt ein Edikt Ottos I. 
dar, das nach einer Vorversammlung in Ravenna im Oktober 
967 in Verona erlassen wurde; im Jahre 971 folgte in Pavia 
eine neue kaiserliche Verordnung, welche dieselben Mifsstände 



1 Vgl. Aga eil. c. 134: „Eo tempore archivus ecclesiae istius ab igne con- 
crematus est, et ibidem multa monnroina flarama consumpsit, et multa a malignis 
hominibos rapta sunt et absconsa." Über Johannes oder Johannicius vgl. Fest- 
schrift f. Th. Gomperz 3i9ff., sowie meine Gesch. Italiens im Mit- 
telalter II, a, 117. 

• M. G. Leg. IL 37. 



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14 BEMERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 

betraf 1 . Im Jahre 967 hatte ferner Otto I. in einem placitum 
in Ravenna zugunsten des Erzbischofs Petrus ein Urteil fällen 
müssen, in welchem er diesen mit allen Gütern eines gewissen 
Rainerius investierte, der vorher in das Kirchengut eingebrochen 
war, den Erzbischof geplündert und gefangengenommen hatte 2 . 
Man sieht also, es war gerade in diesen Jahren Veranlassung 
genug, um zur Registrierung des ravennatischen Kirchenver- 
mögens zu schreiten. — 

Die ravennatischen Urkunden 8 unterscheiden sich nicht 
wesentlich von den übrigen Urkunden des römisch-byzantinischen 
Gebietes. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, die ihnen allen zu- 
grunde lagen, waren dieselben, und namentlich wiederholt sich 
allüberall der Gegensatz zwischen den beiden möglichen Arten 
der Vergabung, der Emphyteuse und dem libellus. Für die 
erstere ist es eben charakteristisch, dafs das vergabte Gut aus 
der Wirtschaft der Verpächters für die Zeit der Vergabung aus- 
scheidet; während das Gut des Libellarius in der Gutswirtschaft 
inbegriffen bleibt. Dies ist namentlich für die Bewirtschaftung 
der Kirchengüter unter Papst Gregor I. von Mommsen nach- 
gewiesen worden *. Die späteren Urkunden der Stadt Rom und 
der Städte der Campagna beweisen auch hier eine vollständige 
Kontinuität der Verhältnisse bis ins Ii. und 12. Jahrhundert; 
sie stimmen mit dem, was wir aus den Pachtregistern Hono- 
rius' I., Gregors II. und des Papstes Zacharias wissen, überein *, 
ebenso wie mit den ravennatischen Urkunden und mit einer 
zufällig erhaltenen aquilejenser Urkunde aus dem Ende des 
7. Jahrhunderts fl . Nur die Formeln der Urkunden weichen nach 

1 Ebenda p. 32, 35. 
» Fantuizi II, 12. 

8 Vgl. Über diese auch mein „Corporis chartaram Italiae speci- 
men" (1902). 

4 „Zeitschrift f. So«.- nnd Wirtsch.-Gesch." I (1893), 41 ff. 

5 Vgl. jetit mein „Tabularium S. Mariae in Via Lata« I (1895), 
p. XXIV ff., woselbst die Nachweise; sowie „Carte del monastero dei 
SS. Cosma e Damiano" (1899) and „Tabnlarinm S. Mariae Novae", 
im Auftrage der „Soc. Rom. di storia patria" (Archivio XXI — XXVI), 
herausgegeben ron P. Fedele — und das „Registrum Sublacense". 

• Troya, C d. nr. 347. 



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BE\[ERKUNGEN ZUM CODEX BAVARUS. 



15 



der Sitte der Notare der einzelnen Gegenden einigermaßen 
voneinander ab, obwohl sie alle auf eine gemeinrömische Ur- 
formel zurückgehen, und bei den Libellarkontrakten scheint in 
Ravenna die Frist vor! neunundzwanzig, in Rom die von 
neunzehn Jahren bevorzugt worden zu sein, während in einigen 
anderen Urkundengebieten noch kürzere oder auch dauernde 
Pachten 1 üblich waren. 

1 Vgl. Caliase, Docnmenti del Monastero di S. Salvatore sal 
Monte Amiata (Estr. dell' Archivio della R. Societa Romana di 
st p. XVII, 1894, p. 175). Vgl. auch den Cod. dipl. Caietanas. 



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Zur Geschichte der Zünfte im frühen Mittelalter 1 . 



i. 

Das Jahr 476 ist ein Krisenjahr nicht nur für die Geschichte, 
sondern auch für unsere Schulbücher und für die historische 
Wissenschaft, die vielfach durch die scholastische Einteilung 
derart beeinflufst wird, dafe man meinen könnte, die Welt- 
geschichte sei in diesem Jahre oder — je nach dem Geschmacke — 
im Jahre 600 mit Brettern verschlagen worden. Die einen stu- 
dieren die vorhergehenden Jahrhunderte, die anderen setzen mit 
der nachfolgenden Zeit ein; aber der Zusammenhang von vorher 
und nachher hat häufig zu leiden. 

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts freilich stand ein 
grofser Teil der Forscher auf dem gerade entgegengesetzten 
Standpunkte, und überall suchte man nach dem römischen Ur- 
sprünge. Auch die legitimen Kinder des Mittelalters waren vor 
dieser recherche de la paternite nicht sicher, bis nach Hegels 
berechtigter Kritik die Reaktion eintrat. Es ist also psycho- 
logisch sehr erklärlich, wenn man vorsichtig geworden ist, ob- 
wohl gerade in der letzten Zeit wieder die Erhaltung und Weiter- 
entwickelung vieler römischer Institutionen im Mittelalter nach- 
gewiesen wurde. Aber wie man früher gerne verallgemeinerte, 
was an römischem Einflüsse für einen bestimmten Ort nach- 
gewiesen war, so sträubt man sich jetzt gegen jeden Versuch, 
die Weiterentwickelung römischer Institutionen in den Gegenden 
aufzufinden, deren innere Entwickelung unter byzantinischer und 
päpstlicher Herrschaft niemals durch germanische Invasion in 
ihrer Richtung verändert werden konnte. 

1 Zuerst (abgesehen von einigen Zusätzen) erschienen in der „Zeitschrift filr 
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte III. Band (1894), 1. Heft. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. ij 

So ist auch mein Versuch, an der Hand der ältesten Ur- 
kunde einer stadtrömischen Gärtnergenossenschaft das Fort- 
bestehen der altrömischen Zünfte in Rom und Ravenna nach- 
zuweisen, von verschiedenen Seiten als zu kühn und das Resultat 
meiner Untersuchung als unbewiesen bezeichnet worden. Wenn 
ich nun versuche, einiges neue Material zur Bekräftigung meiner 
Anschauung beizubringen, so geschieht es unter der ausdrück- 
lichen Rechtsverwahrung, dafs eigentlich in diesem Streite meinen 
Gegnern die Beweislast zufällt. Denn da in dem Gebiete von 
Rom und Ravenna — die Stadtverfassungen, deren Aufhören 
Hegel nachgewiesen hat, ausgenommen — in keiner Beziehung 
die alte Tradition abgerissen und da der Weltuntergang, den die 
Kirchenväter prophezeiten, nicht eingetreten ist, müfste gezeigt 
werden, dafs die Zünfte, die im io. und n. Jahrhunderte er- 
wähnt werden, nicht identisch sein können mit denen, die noch 
um das Jahr 600 bestanden. Das bisher beigebrachte argu- 
mentum ex silentio ist völlig hinfällig. Denn was wüfsten wo- 
von den altrömischen Korporationen, wenn die Gesetzbücher 
und Inschriften nicht wären? Schriftsteller und Annalisten be- 
richten von Haupt- und Staatsaktionen, nicht aber zu unserer 
Belehrung vom Kleinleben des Privatverkehrs, von Zünften und 
dergleichen. Es. gibt aber nicht mehr als 20 Privaturkunden 
aus dem Gebiete von Ravenna, die über das Jahr 900 zurück- 
reichen. Daraus, dafs in diesen 20 keine Zünfte erwähnt werden, 
zu schliefsen, dafs es keine Zünfte gegeben habe, ist durchaus 
unmethodisch, besonders wenn man bedenkt, was für Kontrakte 
schriftlich abgeschlossen wurden: namentlich solche, bei denen 
es sich um Grundbesitz handelte — und aus welchen Archiven 
uns alte Urkunden erhalten sind : aus den Archiven der Kirchen 
und Klöster. Nicht wertvoller ist die neuerdings wieder (ohne 
neue Begründung) vorgebrachte Theorie, nach welcher sich die 
mittelalterlichen römischen Zünfte nach dem Vorbilde der päpst- 
lichen und der militärischen Scholen gebildet haben sollen *. 

1 Kehr, der mir in der „Hist. Zeitschr." 35, 157fr. allerlei Unterlassungs- 
sünden vorwirft, hätte mir wenigstens nicht vorwerfen sollen, dafs ich die Stellen 
nicht anführe, in denen von kirchlichen und militärischen Scholen die Rede ist, 
da ich doch diese aufser Betracht gelassen habe, weil ich sie nicht in den- 
Hartmann, Analekten. 2 



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125 ZUR 



iTL DLR ZVNFTZ m JRÜ 



iCTTTELALTER 



Diese Scholen sind aber nur Res^ oder Nachahmungen der ak- 
ro mischen Organisationen. Um diese Veriegenheitshvpothese 
zu rechtfertigen, muteten gewichtige Grunde vorgebracht werden, 
und es fragt sich, ob diese Hypothese genügen würde, um die 
Entwickelung der Zünfte in Ravenna zu erklären. 

Der Tatbestand ist folgender: In dem Archive von S. 
Maria in Via Lata ist uns eine stadtrömische Urkunde vom 
IO. Apri) 1030 erhalten, die nach Form und Inhalt von allen 
übrigen Urkunden der Zeit wesentlich abweicht Acht Gärtner, 
viri honesti, gehen eine Stipulation ein, durch welche sie einen 
gewissen Amatus, vir magnificus, auf Lebenszeit zu ihrem prior 
erwählen (eligimus ad priorem nostrum) ; diese \>reinigung wird 
als schola bezeichnet (scolam quod tecum facta habemus). Wenn 
einer von den Gärtnern einen anderen schädigt, so soll der 
prior den Schadenersatz bestimmen ; wenn dieser prior jedoch — 
aus welchem Grunde, ist nicht gesagt — den Streit nicht ent- 
scheiden kann (si autem eam litem non potueris finire), solle der 
prior mit dem Beschädigten ad aliis prioribus ortulanis gehen, 
welche nun den Schadenersatz bestimmen. Es ergibt sich also 
daraus, dafs es mehrere scholae hortulanorum und entsprechend 
mehrere priores gegeben hat, die in gewissen Fällen gemeinsam 
vorgehen. Es ergibt sich ferner aus der Urkunde mit Sicher- 
heit, dafs der schola eine ortua, ein Gartenkomplex, zustand, 
der in Libellarpacht, wahrscheinlich an die Mitglieder der schola, 
ausgetan war; dafs die schola ferner eine gemeinsame Kasse 
hatte, welcher gewisse Gelder zuflössen, namentlich Pacht-, aber 
wahrscheinlich auch Strafgelder, während ein Zwölftel von solchen 
Pachtgeldern dem prior zusteht. Für gewisse Fälle ist ferner 
festgesetzt, dafs der prior in Gegenwart der schola als Ersatz 
oder Strafe bestimmt „quantum legem ortulanis commendat", 
wobei unter „lex** schwerlich etwas anderes, als ein Vereins- 
oder Zunftstatut verstanden werden kann. Es ergibt sich ferner, 
dafs die Mitglieder der schola Herrendienst zu leisten haben 
(domtniealem facere) ; an einer anderen Stelle wird der dem 

selben Zusammenhang mit den Handwerkerzünften bringe, wie er, nnd nicht alles 
sutammenwerfc, was mit „ichola" bezeichnet wird. Jetrt hat auch Solmi diese 
Theorie wieder aufgegriffen. 




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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER . 



prior zu leistende Frondienst auf jährlich einen Handdienst fest- 
gesetzt (hopera una manuale) 

Es kann demnach wohl nicht als zweifelhaft betrachtet 
werden, dafs in Rom zu Beginn des n. Jahrhunderts und, da 
es sich nach dem ganzen Zusammenhange der Urkunde offenbar 
um nichts Neues handelt, schon in beträchtlich früherer Zeit, 
Berufsgenossenschaften von Gärtnern bestanden, die sich scholae 
nannten und miteinander in einem gewissen rechtlichen Ver- 
bände waren. 

Dafs gerade die Gärtner allein in Berufsgenossenschaften 
organisiert gewesen wären, wäre schon an sich unwahrscheinlich. 
Gelegentliche Erwähnungen aus dem 10. , namentlich aber aus 
dem Ii. und 12. Jahrhunderte beweisen aber auch den Bestand * 
von Scholen der calzularii und sandalarii, der calderarii und 
ferrarii u. a. *. Insbesondere ist auch eine Urkunde vom Jahre 
11 15 zu erwähnen, in der es sich um einen Streit der „schola 
piscatorum stagni" und ihres Priors Albericus gegen das Kloster 
S. Gregorio in Clivo Scauri um das Fischereirecht in dem „stag- 
num" handelt 3 . 

Nun ist es durchaus richtig, dafs diese Berufsgenossenschaften 
nicht die einzigen sind, die im mittelalterlichen Italien als scholae 
bezeichnet werden. Es gibt scholae militiae im Gebiete von 
Rom und im Gebiete von Ravenna; es gibt scholae peregri- 
norum in Rom; es gibt scholae der verschiedensten päpstlichen 
Funktionäre und Angestellten, ebenso wie es früher scholae 
palatinae, scholae verschiedener kaiserlicher Beamter gegeben 
hatte. Ihnen allen gemeinsam ist nur, dafs sie eben Assozia- \ 
tionen waren, und etwas anderes drückt das Wort „schola" 
auch nicht aus; es bedeutet, wie männiglich bekannt, ursprüng- 
lich den Zusammenkunftsort einer Vereinigung und wurde dann 



1 Die Urkunde wurde von mir veröffentlicht in „Urkunde einer römi- 
schen Gärtnergenossenschaft vom Jahre 1030" (Freiburg 1892) und 
dann in „Ecclesiae S. Mariae in Via Lata Tabularium" I (Wien 1895), 
nr. 57. 

* Vgl. Solmi, Le Assoziazioni in Italia avanti le origini del Co raune (Mo- 
dcna 1898), S. 95 f. und meine „Urkunde" usw. S. Ii f. 
8 Mittarelli, Annal. Camaldul. I, p. 69 und III, 166 f. 

2* 



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2o ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

schon im Römerreiche auf die Vereinigung selbst übertragen 1 ; 
der umgekehrte Fall des Bedeutungswechsels läfst sich in Ra- 
venna nachweisen, wo „numerus qui dicitur bandus primus" das 
Gebäude des numerus selbst bezeichnet 8 . — Aus der Bedeu- 
tung des Wortes schola folgt aber, dafs man nicht das Recht 
% hat, es für eine bestimmte Art von Vereinigungen in Anspruch 
zu nehmen, etwa nur für die einzelnen der kaiserlichen oder 
päpstlichen Hierarchie angehörigen Beamtenkollegien. Wenn es 
in der späteren Kaiserzeit für bestimmte Kategorien, z. B. für 
die scholae palatinae, besonders üblich war, so kann unmöglich 
gefolgert werden, dafs, wenn das Wort sich auch auf andere 
Vereine angewendet findet, diese anderen Vereine nach dem 
Muster jener organisiert sein müssen. 

Schola erweist sich eben als der weitere Begriff, unter den 
* sowohl militärische und bureaukratische Organisationen als auch 
Berufsgenossenschaften subsumiert werden können. 

Es ist nicht nachweisbar, dafs die Berufsgenossenschaften, 
die als scholae bezeichnet werden, irgendeine Eigentümlich- 
keit von den scholae palatinae oder den päpstlichen scholae 
cantorum, defensorum usw. übernommen hätten, was nachgewiesen 
werden müfste, wenn man sie von diesen ableiten will. Denn 
der prior oder primicerius an der Spitze kann naturgemäfs bei 
allen Genossenschaften oder auch Vereinen, die nur Teile einer 
gröfseren Genossenschaft sind, wiederkehren. Wenn aber grofse 
Abhängigkeit von der staatlichen oder der dieser nachfolgenden 
päpstlichen Verwaltung nachgewiesen wird, so ist das nichts, 
was nicht vollkommen mit den Verhältnissen der römischen 
collegia in den letzten Jahrhunderten der Kaiserzeit überein- 
stimmen würde. Dagegen mufsten sich unter allen Umständen 
zwischen der Organisation der militärischen oder päpstlichen 
Scholen auf der einen und der der Berufsgenossenschaften auf 
der anderen Seite Unterschiede ergeben, die aus ihrer verschie- 
denen wirtschaftlichen Bedeutung entspringen, — bei manchen 
von jenen kann es doch z. B. sehr zweifelhaft erscheinen, ob 



1 Solmi S. 90 führt selbst einen solchen Fall an: Cod. Just. I, 23, 7. 
* Agnell c. 77. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 2 I 

sie einer gemeinsamen Vermögensverwaltung in demselben Mafse 
bedurften, wie die Berufsgenossenschaften 

Wenn man aber die mittelalterlichen Berufsgenossenschaften 
im römischen Rechtsgebiete von Italien aus den päpstlichen * 
scholae erst wieder neu erstehen lassen will, so ist die Haupt- 
ursache wohl die, dafs man sich nicht vorstellen kann, dafs die 
römischen Korporationen in der Zeit von Gregor I. bis zu den 
Karolingern, in der sie nicht nachgewiesen werden können, fort- 
existiert haben. Es entspringt dies Bedenken dem gewifs be- 
rechtigten Gefühle, dafs in dieser Zeit die Gesamtwirtschaft unter 
dem Drucke der Kriegsnöte und der Entvölkerung zurück- 
gegangen ist. Auch ist es richtig, dafs in dieser Zeit — aber 
allerdings auch schon früher — die Grundherrschaft und daher 
auch die gewerbliche Arbeit innerhalb der Grundherrschaft eine 
beherrschende Rolle spielt. Es ist auch richtig, dafs zur Zeit % 
Gregors der letzte argentarius in Rom sein Geschäft eingehen 
liefs. Anderseits darf man nicht vergessen, dafs die Mauern 
von Rom, Ravenna, Neapel doch eine, wenn auch zusammen- 
geschmolzene, wenn auch grofsenteils von der Landwirtschaft 
lebende städtische Bevölkerung umschlossen; dafs nach dem 
Zeugnisse des Johannes diaconus in dem Register der Getreide- 
empfanger für die päpstlichen Verteilungen die einzelnen mit 
ihrer professio angeführt waren; dafs unter diesen Umständen 
die Gewerbe zwar sicherlich zurückgegangen, manche wohl auch 
verschwunden waren, dafs aber der Fortbestand gewisser Ge- 
werbe doch eine Notwendigkeit war, weil die Masse der Be- 
völkerung von Rom und Ravenna sicherlich nicht von den 
Ministerialen einer Grundherrschaft mit den nötigen gewerblichen 

1 Der sacellarios z.B. ist sicherlich Dicht von einer päpstlichen schola her- 
fibergenommen. — Im einzelnen auf die Entwickelang der inneren Organisation 
von den römischen scholae zu den mittelalterlichen Bernfsgenossenschaften ein- 
zugehen, ist schon deshalb nicht meine Absicht, weil sich natargemäfs bei der 
Distanz von Ort und Zeit individuelle Spielarten ergeben müssen. Ich möchte 
nor darauf hinweisen, dafs die „priores" in ihrer Gesamtheit in der römischen 
Urkunde an die Rolle der decuriones mancher alter collegia erinnern können; 
andererseits läfst sich wohl auch der antike patronus als Analogie für den prior 
heranziehen; auch hier und dort auftretende Einteilungen nach örtlichen Bezirken 
wären zu beachten. 



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22 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER . 



Produkten versehen wurden. Es ist aber kein Grund einzusehen, 
aus dem die römischen Berufsgenossenschaften, solange Gewerbe- 
betriebe bestanden, zu bestehen aufgehört haben sollten; denn 
von dem allmählichen Übergange der staatlichen Souveränität 
auf den Papst wurden ihre Organisationen in keiner Weise be- 
rührt. Das Aufsichtsrecht konnte ohne weiteres vom byzan- 
tinischen Staate auf den Papst übergehen, allmählich, ohne dafs 
die Organisation erschüttert worden wäre 1 . 



Zugunsten der ununterbrochenen Entwickelung des Zunft- 
wesens wird es sprechen, wenn in Gegenden ausserhalb 
Italiens, in denen von aufserrömischem oder, wenn man so 
sagen soll, mittelalterlichem Einflüsse nicht die Rede sein kann, 
eine Zunftorganisation nachgewiesen wird, die der ältesten römisch- 
ravennatischen analog ist, und wenn es gelingt, die mittelalter- 
lichen Organisationen in Italien selbst weiter zurückzuverfolgen. 

Jules Nicole hat in einem Manuskripte der Genfer Bibliothek, 
das im 17. Jahrhundert von Chalcedon nach dem Okzident ge- 
bracht wurde und sich eine Zeitlang in den Händen des Jacobus 
Gothofredus befand, ein Edikt Leos des Weisen (886 — 912) 
über die Zünfte {tc^qi %6iv noXizr/ußv ow/Aaveiwv) aufgefunden, 
von dem bisher nur kleine Auszüge bekannt waren und das so- 
wohl in dem Genfer Kodex als von einem späteren byzantini- 
schen Juristen als tö knaqxvAÖv ßißllov, d. h. das Buch des Prä- 
fekten, bezeichnet wird *. Wufste man auch schon früher , dafe 
die Zünfte in Konstantinopel auch in nachjustinianischer Zeit 
weiterbestanden, so gewährt uns doch erst dieser glückliche 
Fund einen tiefen Einblick in die wirtschaftliche Organisation 
der byzantinischen Zeit und bereichert dadurch auch unsere 
unvollständige Kenntnis des römischen Zunftwesens des 4. bis 

1 Über diese Fragen vgl. die Belegstellen in meiner „Urkunde" usw. and 
dagegen Solmi a. a. O. 

* Atovros xoO ZwfAÜ to tnuQXUtov ßißXiov. Le livre du Prüfet ou l'6dit 
de l'empereur Leon le Sage sur les corporations de Constantinople. Texte Gre 
du Genevensis 23 publik pour la premiere fois par Jules Nicole avec one 
traduction latine etc. Geneve, Georg 1893, ">ap. 



II. 




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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE Dl FRÜHEN MITTELALTER. 23 



6. Jahrhunderts. Der staatliche Beamte, zu dessen Kompetenz 
die Beaufsichtigung und Regulierung des grofsen gewerblichen 
Mechanismus der Hauptstadt gehört, ist der praefectus urbi — 
daher der Name des Ediktes. Die Regelung der Produktion 
und des Verkehres durch das Zusammenwirken von Zünften und 
Staat ist zu einer Ausbildung gelangt, die man sich bisher kaum 
vorstellen konnte *. Art und Weise, Zeit und Ort des Einkaufes 
der Rohstoffe ist genau bestimmt, und, während der Präfekt und 
sein legatarius den Verkäufern die Preise und den Wieder- 
verkäufern den Gewinn festsetzt, verteilt der Zunftvorstand die 
Ware an die Zunftgenossen nach Mafsgabe der von den einzelnen 
entrichteten Summen 2 . Der Verkauf an das Publikum ist aber 
auch ferner durch Bestimmungen geregelt, durch welche die 
einzelnen Zünfte für die Ausübung ihres Gewerbes auf gewisse 
Teile der Stadt beschränkt werden, in denen die einzelnen Ge- 
werbetreibenden ihre stationes oder ergasteria haben sollen; 
wenn dies nicht angeht, werden wenigstens gewisse Minimal- 
distanzen vorgeschrieben, innerhalb deren nicht zwei Buden des- 
selben Gewerbes errichtet werden sollen. Die Fischverkäufer 
z. B. sollen nur „iv zotig leyoptvaig /ueyhraig /.et fj d(>a ig tljg 
ndlecjg" verkaufen, und eine jede ,,camera u hatte ihren Vor- 
stand, der mit der Aufsicht über den ordnungsmäfsigen Ein- 
und Verkauf der Fische beauftragt war 8 . Der Präfekt greift 
auch in die innere Administration der Zünfte ein ; zum primicerius 
sollen die Notare zwar den erwählen, der dem Range nach auf 
die Vorstandschaft Anspruch hat, falls er würdig befunden wird ; 
aber der Präfekt ernennt ihn; ist der primicerius an der Aus- 
übung seines Amtes verhindert, so vertritt ihn der Rangnächste. 
Die übrigen Zünfte haben an ihrer Spitze je einen oder mehrere 
7rQoaTaTe{ovTeg , nQoavatai, l?aex<M, die vom Präfekten ernannt 
oder bestätigt werden; obwohl es wahrscheinlich ist, dafs die 
Zünfte auch noch andere Beamte hatten, erfahren wir nichts 
über sie, da das Edikt keine Gelegenheit hat, sie zu erwähnen. 



1 Vgl. meine „Urk. einer röm. Gärtnergenossenschaft " S. 6 f. 

• % Em. ß. V, 2. 3; VI, 8; Vü, 4. 5; IX, 3. 6; X, 2; XV, i; XX. 

• xvn, 1. 



24 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

Auch über die Gerichtsbarkeit des Zunftvorstandes erfahren wir 
nur, dafs über kleinere Streitigkeiten der Notare (tabularü) der 
primicerius zu Gericht safs, während die gröfseren der Ent- 
scheidung des Präfekten vorbehalten waren *. 

Die Aufsicht des Präfekten erstreckt sich aber auch auf die 
Aufnahrae neuer Mitglieder in die Zunft, die er zu bestätigen 
hat. Eine eigentliche Prüfung, die sich auf Kalligraphie und 
Kunde der Rechtsbücher bezieht, zum Zwecke des Befähigungs- 
nachweises wird nur von der Zunft der Notare verlangt, die auch 
insofern eine eigentümliche Stellung einnimmt, als bei ihr der 
numerus clausus (24) eingeführt ist *. Regelmässig wird dagegen 
ein Eintrittsgeld in verschiedener Höhe verlangt. Aufserdem 
mufs der Aufzunehmende einige Zeugen oder Bürgen, meist 
fünf, beibringen; diese müssen auf ihren Eid aussagen, dafs die 
neuen Zunftgenossen In äyad-fj $7coltfipBi seien oder fni) 
üvai olxhai 1} 7zavtBköQ Srtogoi xai diaßeßXrj^ivoi , älla %<bv 
XQH<rifi(ov *, d. h. also, wörtlich übersetzt, dafs sie zu den viri 
honesti gehören. Was ich nicht als Argument, sondern als 
zweifelnde Frage, die auf eine mögliche Analogie hinwies, früher 
einmal vorgebracht habe: „Ob dieses Prädikat (vir honestus) 
wohl die Zugehörigkeit zur ehrsamen Zunft bedeuten sollte?" *, 



1 I, 10. 11. Es ist mir unverständlich, wie Solmi a. a, O. S. 123, Anm, 8 
die Analogie zwischen den italienischen scholae and den Berufsgenossenschaften 
in Konstantinopel unter diesen Umständen leugnen kann. Überall im Edikte Leos 
begegnen uns Zunftvorstände, nQooidTtti, unter verschiedenen Namen, wenn auch 
nur der Vorstand der Notare gerade primicerius heifst. Die „ispettori regi", 
richtiger kaiserliche, von denen Solmi spricht, bestehen zwar auch in der Person 
des Stadtpräfekten und seiner Vertreter. Aber diese staatliche Aufsicht und Re- 
gelung widerspricht in keiner Weise dem Bestehen der Berufsgenossenschaft oder 
der schola. Im allgemeinen ist es ein Fehler von Solmi, dafs er die staatliche 
Einmischung im 4. und 5. Jahrhundert unterschätzt. Andererseits weifs er auch sehr 
genau, dafs die Berufsgenossenschaften wenigstens in späterer Zeit einer ähnlichen 
Kontrolle von Seite des Papstes in Rom unterlagen. In allem findet sich tat» 
sächlich Analogie, Identität, nicht Gegensatz, wenn auch die Bezeichnungen mit- 
unter wechseln. 

* I, 1 ff. 23. 

• VI, 6; XVI, 1; VIL 5. 

4 Es erschien mir durchaus nicht als ein „verführerisches Argument", wie 
dem, hier wohl ironischen Kritiker in der „Hist Zeitschr.". Indes erscheint es 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 25 

scheint mir wider meine eigene Erwartung bis zu einem ge- 
wissen Grade von Wahrscheinlichkeit erwiesen zu sein. Jeden- 
falls bekommt dieses in Italien so häufige Prädikat einen Inhalt, 
den man bisher nicht gekannt hat. 

Wenig geregelt erscheint das Lehrlings- und Gehilfen wesen, 
das ja auch anderswo, z. B. in Rom, erst auf einer späteren 
Stufe der zünftigen Entwickelung von Bedeutung wurde. Je ein 
Schreiber (yQaqmtg), der auf Vorschlag des Notars an primicerius 
und Zunft zugelassen wird, wird jedem Notar zugestanden; je 
zwei Diener {bntiqeio^Bvoi) stehen dem Geldwechsler, der für 
sie bürgen mufs, zur Verfugung; die argentarii haben oztftOQeg; 
bei den Bäckern ist von ihren Üv&qwtioi, bei anderen von 
oixhai, fictxhritai die Rede l . 

Es ist nicht möglich hier auf alle Detailbestimmungen 
polizeilicher Natur, die das Edikt enthält, näher einzugehen; 
auf einige derselben müssen wir noch weiter unten zurückkommen. 
Über manche Fragen, die wir gerne beantwortet sehen möchten, 
gibt das Edikt keine Antwort, da es natürlich nicht die Zunft- 
statuten selbst enthält, sondern nur die Bestimmungen, die in 
dem Momente, in welchem das Edikt erlassen wurde, für die 
staatliche Behörde von Interesse waren. 

III. 

Gerade das Umgekehrte findet da statt, wo wir, wie für die 
ältere Zeit des Mittelalters in Rom und Ravenna, für unsere 
Kenntnis des Zunftwesens nur auf gelegentliche Erwähnungen 
in Privaturkunden angewiesen sind: wir erfahren innerhalb des 
Rahmens dieser Urkunden, die meist Pachturkunden sind, ge- 
legentlich einiges über die Funktionäre, über die inneren Vor- 
gänge innerhalb der Zunft, aber nichts oder wenig über ihre 



mir nach dem neuen Funde Nicoles recht wahrscheinlich, dafs das Prädikat „vir 
honesta« " vor allem den Zunftgenossen beigelegt wurde, wenn vielleicht auch in- 
folge der alten Bedeutung der ,, honestiores " sich Aufsenstehende , die auf keinen 
anderen Titel Anspruch hatten, dieser Bezeichnung bedienten. Dafs es haupt- 
sachlich Handwerker, Kaufleute, Notare waren, die sich diesen Titel beilegen, ist 
nicht mir zuerst aufgefallen. 

» I, 24; III, 4; II, 3; XVIII, I; XI, 1. 



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26 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

Stellung zu den öffentlichen Gewalten. Vielfach wird eine ähn- 
liche Methode angewendet werden müssen, wie in der epigra- 
phischen Forschung, in der aus den Erwähnungen von Personen 
auf Inschriften deren Karriere zusammengestellt und aus diesen 
Karrieren wieder auf den Verwaltungsmechanismus zurück- 
geschlossen wird — nur dafs der Forscher, der sich mit früh- 
mittelalterlichen Privaturkunden beschäftigt, auf die Hilfe deT 
Geschichtschreiber fast ganz verzichten mufs. 

Eine ravennatische Urkunde vom 19. September 9^4 
deren Original ich im erzbischöflichen Archive in Ravenna be- 
nutzt habe, enthält einen Pachtvertrag zwischen Martinus, Sohn 
des Schuhmachers Dominicus, und seiner Gattin, zugleich für 
die Kinder und Enkel, mit der ravennatischen Kirche. Jener 
pachtet „medietatem de duabus stationibus sibi invicem coheren- 
tibus ad macellum faciendum", samt Zubehör, gelegen in der 
Stadt Ravenna, „ad ponte cooperto", begrenzt durch den Besitz 
der Erben des Mauricius, der capitularius der scola negociatorum 
war, auf der einen, durch den Besitz der Erben eines anderen 
negociator auf der anderen, durch die Strafse auf der dritten 
und durch den Besitz des Johannes macellator auf der vierten 
Seite. Man ersieht daraus, dafs die Fleischbank statio genannt 
wurde, wie die Werkstätten einiger anderer Gewerbe in römisch- 
byzantinischer Zeit, dafs diese Fleischbänke an gewisse Lo- 
kalitäten gebunden waren und dafs aller Wahrscheinlichkeit 
nach — da drei Fleischbänke aneinander grenzen — diese 
Fleischbänke — ebenso wie in Konstantinopel — nur in einer 
bestimmten Gegend der Stadt angelegt werden durften. Da 
derartige Bestimmungen auf das engste mit der gegenseitigen 
Aufsicht, welche die Zunftgenossen üben, oder mit der Aufeicht 
der Behörden über die Zünfte zusammenhängen, da ferner die 
Zunft der Fleischer in Ravenna und ihr capitularius sich seit 
dem Jahre 1002 bestimmt nachweisen läfst*, so ist alle Wahr- 



1 Fantnzzi, Monomenti Ravennati L, 385, nr. 9, gibt ein Regest dieser Ur- 
kunde, die G. 2977 bezeichnet ist 

9 Fant uz zi I, 328, nr. 72. — Im Jahre 102 1 wird eine andere Fleisch- 
bank ebenfalls in dieser Region erwähnt: Fantnzzi II, 57, nr. 26, 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 27 

scheinlichkeit dafür vorhanden, dafs sie auch schon in und einige 
Zeit vor dem Jahre 954 bestanden hat. 

Das gleiche gilt aber von der Zunft der negotiatores , da 
ein capitularius dieser schola schon vor dem Jahre 954 ver- 
storben ist; ein anderer capitularius scolae negotiatorum ist in 
den Jahren 953 und 959 nachweisbar *. 

Wenn Agnellus gelegentlich berichtet, dafs in der ersten 
Hälfte des 8. Jahrhunderts einmal die Ravennaten durch sechs 
Jahre hindurch keine Fische aus dem Badareno essen wollten, 
weil sie die Leichen der besiegten Byzantiner ins Wasser ge- 
worfen hatten 8 , so kann man daraus freilich nicht auf das 
Vorhandensein einer Fischerzunft schliefsen. Aber es mag her- 
vorgehoben werden , dafe die erste Urkunde , welche die Zunft 
erwähnt, gerade von der Fischerei im Badareno handelt. Die 
Urkunde ist datiert vom 12. April 943 8 und enthält einen Pacht- 
vertrag zwischen der ravennatischen Kirche und „Johannes qui 
vocatur Zacula et Demetrius germani, Leo qui vocatur de Scam- 
perto, Dominicus et Ursus germani, Stephanus, Dominicus de 
Mercuria, Honestus, Leo qui vocatur Bonizo, alio Leo, Petrus 
vel cunctos fratres et consortes nostros scole piscatorum Patoreno 
seu filiis et nepotibus nostris qui in predicta scola ad pisces 
capiendum permanere voluerint"; verpachtet wird die Fischerei 
(licentia piscandi) im Flusse Patarenus von dem Orte Pensalurdo 
bis zum Meere, die, wie es weiter heilst, ,,a genitoribus vel 
antecessoribus nostris (— ad genitores etc.) in prelata scola 
largitum fuit per pactum convenientie statutis anteriore ab ante- 
cessoribus vestris 44 . Aus diesem letzteren Satze ist zu ersehen, 
dafs dieselbe Fischerei von der ravennatischen Kirche derselben 



1 Fantuzzi I, 133, nr. 25; L 149, nr. 33. 

* Agnell. c. 153. Vgl. Spreti in der Einleitung. 

■ Ich habe das Original im erzbischöflichen Archive in Ravenna (B. 363) ab- 
geschrieben. Die Urkunde ist gedruckt bei Fantuzzi a. a. O. IV, 10, ferner 
von Muratori in den „Antiquitates" VI und nach ihm in der Monographie von 
Cam. Spreti: Notixie spettanti all' antichissima Scola de' Pcscatori in oggi 
denominata Casa Matba (Rav. 1820) — einem Werke, dessen Besitz ich Herrn 
Francesco Miseroccbi in Ravenna verdanke, der mit seinem Sohne, ebenso wie 
seine Ahnen, der ehrwürdigen Zunft angehört 



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2« ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

schola schon früher einmal verpachtet worden ist und dafs unser 
Pachtvertrag nur eine Erneuerung des älteren Pachtvertrages be- 
deutet. Da aber dieser erneuerte Vertrag ausdrücklich auf die 
Dauer von drei Generationen abgeschlossen worden ist und der- 
artige Pachtverträge überhaupt auf drei Generationen abgeschlossen 
zu werden pflegen, ist der ältere Vertrag offenbar drei Genera- 
tionen vor seiner Erneuerung im Jahre 943 abgeschlossen worden. 
Daraus aber ist wieder zu ersehen, dafs auch die Zunft der 
Badareno- Fischer schon am Ende des 9. Jahrhunderts be- 
standen hat. 

Wer von dem Grundsatze ausgeht: „Quod non est in actis, 
non est in mundo", wird nun genötigt sein zu behaupten, dafs 
in Ravenna das Zunftleben in der zweiten Hälfte des 9. Jahr- 
hunderts wenigstens mit der Existenz von drei Zünften wieder 
eingesetzt habe. Mir aber scheint es, dafs eine sonderbare Auf- 
fassung der Geschichte dieser Zeit dazu gehört, um zu behaupten, 
dafs in Ravenna, das bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts eine 
byzantinische Stadt war, die gerade als Mittelpunkt der byzan- 
tinischen Herrschaft in Italien einige Bedeutung hatte, die byzan- 
tinische Zunftorganisation zur Zeit der byzantinischen Herrschaft 
oder unmittelbar nach ihrem Verschwinden aufgehört habe, dafs 
aber ein Jahrhundert später eine solche Zunftorganisation, die 
der älteren zum mindesten sehr ähnlich sieht, wieder be- 
gonnen habe. 

Wer dagegen an eine Unterbrechung des Zunftlebens in 
Ravenna nicht glauben kann, wird sich die Frage vorlegen 
müssen, ob und in welchem Zusammenhange die Zünfte mit der 
militärischen Organisation standen, die sich das Volk von Ravenna 
nach dem Berichte des Agnellus 1 im Anfange des 8. Jahr- 
hunderts gegeben hat und die noch in der Mitte des 9. Jahr- 
hunderts bestand — ohne dafs er jedoch imstande wäre, die 
Frage zu beantworten. Unzweifelhaft ist es, dafs sich diese Or- 
ganisation eng an die Organisation der byzantinischen Truppen 



1 Agn eil. c. 140. Vgl. dazu die Anmerkung in der Ausgabe der M. G. 
ferner Die hl, Stüdes sur l'admin. Byzantine p. 310 ss. und meine „Untersuch, 
zur Geschichte der byz. Verwaltung in Italien" S. 62 ff. 156 ff. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 2 g 

angeschlossen und sogar einige Truppenteile in sich aufgenommen 
hat, dafs sie nicht als Vorbild für die Zünfte gedient haben 
kann. Dagegen wäre es möglich, dafs, insofern die militärische 
Einteilung zugleich eine lokale war, jede Zunft da eingereiht 
wurde, wo sie ihre stationes hatte. 

Über die innere Organisation der ravennatischen Fischer- 
zunft im 10. Jahrhundert erfahren wir aus der Urkunde vom 
Jahre 943 nicht viel. Es ist nur ersichtlich, dafs in der Regel 
die Söhne der Zunft ihres Vaters angehörten, ihr aber nicht 
angehören mufsten; „qui permanere voluerint" heifst es in der 
Urkunde l . Daher finden wir unter den elf namentlich auf- 
geführten Zunftgenossen auch zwei Brüderpaare, während anderer- 
seits der Fleischhauer, der den Pachtvertrag vom Jahre 954 auf 
drei Generationen abschliefst , Sohn eines Schusters ist *. In 
den vom Jahre 1304 datierten Statuten der Fischerzunft sind 
diese Verhältnisse auf derselben Grundlage weiter entwickelt 
und geregelt; die Bestimmung der Statuten geht dahin, dafs 
der Sohn, Bruder oder Enkel an Stelle eines Verstorbenen in 
die Zunft aufgenommen werden solle, der regelrecht nachweisen 
könne, dafs er der Erbe seines Vorgängers sei; der Schwieger- 
sohn aber hat ein geringeres Eintrittsgeld zu zahlen, als sonst 
verlangt wird s . 

Durch anderthalb Jahrhunderte schweigen unsere Quellen 
über die Fischerzunft, obwohl aus dieser Zeit schon mehr Ur- 
kunden erhalten sind und kein Zweifel darüber obwalten kann, 
dafs die Fischerzunft, die seit dem Jahre 1100 wieder nachweis- 
bar ist 4 , identisch ist mit der Zunft , die den Vertrag vom 

1 Erleichterung des Eintritte« des Sohnes in das Kollegium: C. J. L. 
VI, 10234. 

1 Ein anderer Sohn des Schusters Dominicas, bei Fantuzzil, p. 230, 
nr. 73, ist selbst Schuster und führt den Namen seines Vaters. 

* StaL I, c. 19. 20. Ich zitiere die Statuten nach Spreti, der sie im zweiten 
Bande seiner Monographie, datiert 1819, abgedruckt hat. 

4 Fantuzzi HI, 379 ff. und Spreti I, 21 ff. bringen Regesten der die 
Fischerzunft betreffenden Urkunden seit dem 12. Jahrhundert Da mir diese nicht 
genügten, machte ich in der Kommunalbibliothek von Ravenna Auszüge aus den 
Originalen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und einigen späteren, deren 
ich mich im folgenden bediene. Zu bemerken ist, dafe die von den Genannten 



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30 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

Jahre 943 abgeschlossen hat. In der ersten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts sind, wie man aus den Namen schliefen kann, häufig 
Söhne ihren Vätern gefolgt. Auch die Organisation des Vor- 
standes wird erst für diese Zeit einigermafsen deutlich, da die 
erhaltenen Pachturkunden die Genossen zu nennen pflegen, die 
für die Zunft den Vertrag abschlössen, also meist alle Vorstände 
oder einen Teil derselben nebst einer Anzahl von anderen Mit- 
gliedern der Zunft. Da im grofsen ganzen dieselben Namen 
immer wiederkehren, kann man aus dem Fehlen eines Namens 
in einigen aufeinanderfolgenden Urkunden mit grofser Wahr- 
scheinlichkeit schließen, dafs der Träger des Namens gestorben 
ist. Die Titel werden, wie es scheint, nicht regelmäfsig bei- 
gefügt, auch die Rangfolge der Zunftmitglieder in der Auf- 
zählung nicht genau eingehalten. 

Immerhin ist es möglich, die Laufbahn einiger Zunftmit- 
glieder in dieser Zeit zu verfolgen. Ein gewisser Tebaldus de 
Petro de Tedelinda wird in den Jahren 11 00, 1107 UQ d 11 10 
als primicerius und im Jahre 1109 ohne Titel nach den 
übrigen Zunftvorständen erwähnt; im Jahre 1121 ist Tebaldus 
capitularius; nach dem Jahre 1121 ist dieser Tebaldus nicht 
mehr nachzuweisen. In den Jahren 1100 bis 1110 erscheint in 
den Urkunden Petrus de Guntardo als capitularius und ver- 
schwindet dann. Sein Nachfolger scheint Petrus de Luciano ge- 
wesen zu sein, der im Jahre 1100 vicarius genannt wird, in 
den Jahren 1103, 1107, 1 109 ohne Titel erwähnt wird und im 
Jahre 11 14 capitularius heifst. Ihm folgte jener Tebaldus 
und dann wieder ein Petrus de Luzano, der im Jahre 1121 ohne 
Titel erwähnt wird, im Jahre 1134 maior und im Jahre 1 135 
capitularius genannt wird, da jedoch zwei Petrus de Luciano 
oder Luzano, wie die Urkunden beweisen, der Zunft angehört 
haben, ist ein Irrtum nicht ausgeschlossen; vermutlich ist jener 
erste Petrus de Luzano vor dem Jahre II 34 gestorben, da in 
der aus diesem Jahre erhaltenen Urkunde schon sein Sohn er- 
wähnt wird. Schon im Jahre 11 39 ist Johannes de Vitale ca- 



ah zum Jahre 1034 gehörig angeführte Urkunde zum Jahre II 34 gehört und dafs 
die Urkunden vom Jahre 1081, 1082, 1083 gegenwärtig fehlen. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. $i 

pitularius, der im Jahre 1135 iudex war. Sein Nachfolger 
als capitularius war im Jahre 1151 Johannes de Franco, der 
in den Jahren 1121 und Ii 39 ohne Titel erwähnt wird. In den 
Jahren Ii 64 und 11 66 verzeichnen Fantuzzis Regesten einen 
Guazzo de Martino de Franco als capitularius; im Jahre 1166 
wird ein Ricardus, patricius Ravennas, als capitularius er- 
wähnt 1 . Ein gewisser Petrus de Petrucio wird im Jahre 1109 
ohne Titel, im Jahre Ii 10 als vicarius erwähnt; Petrus de 
Anselmo in den Jahren 1103 und 1107 als iudex, noch im 
Jahre 1107 ohne Titel erwähnt, folgt in den Jahren 11 09 und 
IIIO Vitalis de Petro de Gecia als iudex und nach dem oben 
erwähnten Johannes de Vitale im Jahre 1139 ein anderer Petrus 
und im Jahre 1 1 5 1 ein gewisser Martingnosse , der ohne Titel 
schon im Jahre 1 1 35 erwähnt wurde. Als sacellarius wird in 
den Jahren 1100 — 1109 Petrus de Agatha, im Jahre 1 135 Mar- 
tinus de Franco, im Jahre Ii 39 Johannes de Martino genannt. 

Den Abschlufs der Karriere in der Zunft bildete also das 
Amt des capitularius oder maior, das der Inhaber bis zu seinem 
Tode bekleidete. Dem Range nach folgten die Ämter des iudex 
und des vicarius und des primicerius. Man sieht, dafs der 
Primizeriat, der in Byzanz an der Spitze der Ämter stand, im 
Anfange des 12. Jahrhunderts schon zurückgedrängt war und 
dann, ebenso wie der Vikariat, verschwand. Daneben bestand 
das Amt des sacellarius, das auch bei den stadtrömischen Zünften 
im Mittelalter nie gefehlt hat. Von einer zeitlichen Beschränkung 
der Ämter ist noch nichts zu bemerken, vielmehr rücken die 
Zunftmitglieder nach ihrem Range vor, wenn eine Stelle durch 
einen Todesfall erledigt ist, ganz wie in Byzanz. 

Regelmäfsig werden die Pachtungen von dem Gesamtvor- 
stande nebst einigen Zunftmitgliedern abgeschlossen; wenn der 
capitularius nicht anwesend ist, so wird bemerkt, dafs die Vertrag- 
schliefeenden zugleich im Namen des capitularius, einmal auch 
bei Abwesenheit des capitularius und des iudex, dafs sie auch 
im Namen dieser beiden handeln *. Der capitularius also oder 



1 Spreti a. a. O. p. 23. 

• Urkunde vom Jahre 1107 und vom Jahre 1 135 (Fantuzii nr. 7 und 13). 



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32 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

der capitularius mit dem iudex vertraten die Zunft nach aufsen 
und gingen für sie Verpflichtungen ein. Ein capitularius ist es 
auch, der nach einer Urkunde vom Jahre 1254 in einer Voll- 
versammlung und mit Genehmigung der Zunftgenossen zwei 
Brüder in die Zunft aufnimmt, nachdem sie „more solito" ge- 
schworen, dafs sie den Anteil (partem) eines früheren Zunft- 
genossen erworben hatten. - — 

Die wenigen Striche zu dem Bilde der Organisation der 
ravennatischen Fischerzunft, die wir den älteren Urkunden ent- 
nehmen, die aber vielfach durch Rückschlüsse aus den späteren 
Quellen ergänzt werden können, haben unzweifelhaft mit der 
römisch -byzantinischen Organisation eine zu grofse Ähnlichkeit, 
als dafs sie zufallig sein könnte. Einen vielleicht noch schwerer 
wiegenden Grund für den Zusammenhang der beiden Organi- 
sationen aber sehe ich in dem Namen des ersten Beamten der 
ravennatischen Zünfte, der uns schon im 10. Jahrhunderte be- 
gegnet. Was bedeutet das Wort capitularius ? 1 Man kann es 
in Zusammenhang bringen mit „capitulare", was mitunter, jedoch 
meines Wissens nicht in Ravenna, das Zunftstatut bedeutet; 
nimmt man diese Ableitung an, so mufs das capitulare, das 
Zunftstatut also, vor dem capitularius existiert haben; es müfste 
also die schola negotiatorum jedenfalls um das Jahr 900 ein 
geschriebenes Zunftstatut besessen haben, das der lex scholae 
entsprechen würde, die für die römischen Gärtner erwähnt wird. 
Den Gegnern der Theorie vom Zusammenhange der altrömischen 
mit den mittelalterlichen Korporationen wäre mit dieser Ab- 
leitung schwerlich gedient; denn da sie wohl jedenfalls zugeben 
werden, dafs der schriftlichen Fixierung eines regelrechten Statutes 
im Mittelalter eine längere Zeit genossenschaftlichen Lebens 
vorausgehen mufste, würden sie die Anfänge der mittelalterlichen 
Genossenschaften in eine Zeit zurückversetzen müssen, die un- 
mittelbar auf das von ihnen angenommene Verschwinden der 
altrömischen Zünfte nachfolgte. Es bleibt ihnen also die andere, 
mir wahrscheinlicher vorkommende Ableitung von „capitu- 



1 Vgl. zu dem folgenden meine „Urk. der röm. Gärtnergeno$$en»cbaft" und 
die ebenda in Anm. 11 xitierten Werke. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 33 



larium", was in antiken Kollegien das Eintrittsgeld bedeutet, 
das von dem neuen Mitgliede erlegt wurde; diese Ableitung 
aber liefert den strikten Beweis für den bezweifelten Zusammen- 
hang. Denn die technische Bedeutung des Wortes „capitu- 
larium" oder der Gebrauch seiner Ableitungen kann sich aller- 
dings innerhalb der Zünfte erhalten haben, unmöglich aber in 
einer Zeit, in der es keine Zünfte gab, in der also das Wort 
vollständig aufser Gebrauch kommen mufste. Dafe sich aber 
einige zunftbegeisterte Gelehrte im 9. Jahrhunderte in Ravenna 
zusammentaten, um aus Archiven und Inschriften den Kindern 
ihres Geistes altehrwürdige Namen herauszusuchen, ist wohl eine 
Vorstellung, die für jene Zeit entschieden abzuweisen ist l . — 

Im Laufe des 13. Jahrhunderts hat die Fischerzunft, die 
jetzt immer häufiger „Ordo de Casa Matha" genannt wird, innere 
Veränderungen durchgemacht, die ihre Organisation immer mehr 
entwickelten und dem ausgebildeten Typus einer mittelalter- 
lichen Zunft nähern. Die Statuten vom Jahre 1304, die uns er- 
halten sind, mit ihren Nachträgen, sind, wie ausdrücklich gesagt 
wird 8 , nicht die ersten, die sich die Zunft gegeben hat, ent- 
halten aber Abänderungen der älteren Statuten und vielfache 
Abweichungen von der Organisation des 12. Jahrhunderts; es 
scheint, dafs Teile der älteren Statuten in diese Kodifikation, 
die nicht den Eindruck der Einheitlichkeit macht, aufgenommen 
wurden. An der Spitze der Zunft stehen noch immer ein capi- 
tularius und ein sacellarius oder massarius, die aber jetzt in 
einem komplizierten Wahlverfahren alle sechs Monate neu ge- 
wählt werden und nicht gleich nach Ablauf ihrer Amtszeit 

1 Ich sehe keinen Grand, in dieser Beziehung von meiner Ansicht abzugehen. 
Zwar hat Solmi a. a. O. S. 96, Anm. 10 und 123, Anm. 5 den capitularius mit 
den bei Cassiod. Var. X, 28 erwähnten „ capitularii horreariorum et taberna- 
riorum" zusammenzubringen versucht, welche zu denen gehören, welche „publicos 
titulos administrare noscuntur" und vom Staate ernannt werden. Allein abgesehen 
vom Namen findet sich keine Ähnlichkeit in der Funktion, da die capitularii 
unserer scholae gewählte Genossenschaftsvertreter sind , während die capitularii 
Cassiodors offenbar Abgaben für den Staat ein heben. Sie finden sich übrigens 
gerade bei den päpstlichen und militärischen Scholen, von denen nach Solmi 
die Berufsgenossenschaften abstammen sollen, nicht. 
* S. Probemium statutorum. 
Hartman, Analdctea. 3 

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34 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

wiedergewählt werden dürfen 1 ; der capitularius , gemeinschaft- 
lich mit den übrigen Beamten, hat Strafrecht und Zivilgerichts- 
barkeit über die Mitglieder der Zunft 2 ; der sacellarius hat die 
Buchführung (rationes de introitibus et expensis) und kann kleinere 
Beträge selbständig, gröfsere nur auf Anweisung des capitularius 
verausgaben s . Doch sind diese Beamten in ihrer Tätigkeit und 
in der Verwendung des Zunftvermögens kontrolliert und unter- 
stützt durch einen allmonatlich versammelten Rat von sechs boni 
viri , von denen einer iudex und zwei notarii sein müssen 4 . 
Ihre Gebarung wird durch zwei jährlich gewählte investigatores 
geprüft 6 . Sie werden durch den Rechtsrat des notarius der 
Zunft unterstützt 6 , ihre Befehle durch den demandatus exequiert 7 . 
Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt durch die Beamten, doch 
nur im Beisein von zwanzig Zunftgenossen 8 ; ebenso dürfen die 
Beamten nur in Übereinstimmung mit der Mehrheit der boni 
viri und nach einem in pleno ordine gefafsten Beschlüsse ver- 
pachten oder den Mitgliedern eine Steuer (collecta) auflegen 9 . 
Auch das Eintrittsgeld (intratura) 10 , die Führung der Matrikel u , 
die Bezüge der Beamten, sind genau geregelt, ebenso wie die 
in allen Zunftstatuten wiederkehrenden religiösen Obliegenheiten 
der Mitglieder a und die Pflichten gegen kranke und verstorbene 
Genossen l3 . Auch die Pflichten gegen die städtische Behörde 
werden erwähnt 14 . Bezeichnend ist auch, dafs die Zunft jetzt 
einen „defensor et protector" in der Person des Guido de Polenta 



1 Stat. I, i. 2. 3. 34. 37. 

• Stat. I, 2. 44. 45; dazu IV, 4. 

• Stat. I, 3. 28. 29. 30. 42; dazu V, 11, 

• Stat. I, 25. 27. 

• Stat. I, 35. 

• Stat. I, 4 39. 

1 Stat. I, 5. 11. 12. 41. 58. 

• Stat. I, 20. 22. 57. 

• Stat. I, 26. 27. 59. 

10 Stat. I, 19. 20. 23. 

11 Stat. I, 46. 

" Stat. I, 47—5*. 

" Stat. L 9. 10. 

1« Stat. I, 8. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 35 

hat; schon im 13. Jahrhundert läfst sich ein „patronus" der 
Zunft nachweisen — Diese Administration, deren Entwickelung 
aus der älteren heraus wir verfolgen können, deckt sich in allen 
Stücken mit der Administration der römischen Zünfte des 14. 
und 15. Jahrhunderts. 

Von den ausfuhrlichen polizeilichen Anordnungen, welche 
die Statuten von 1304 und ihre Nachträge enthalten, will ich 
nur die vorsichtige Bestimmung gegen den Aufkauf zum Zwecke 
des Monopoles und der Teuerung erwähnen, die dahin geht, 
dafs jedes Zunftmitglied verpflichtet ist, auf Wunsch eines Ge- 
nossen diesen an seinem Einkaufe teilnehmen zu lassen 8 ; denn 
dieselbe Anordnung wiederholt sich in den meisten stadtrömischen 
Statuten des 1 5 . Jahrhunderts. Andererseits erinnert die Art, in 
der der Verkauf geregelt ist, an die byzantinischen Verordnungen. 
Nur an einer Stelle der Stadt, beim Vereinshause, sub domo 
Ordinis Casae Mathae, dürfen Fische verkauft werden ; hier sind 
eine Anzahl von Verkaufsläden mit Behältern — camaroti 
oder conchae oder albia — angebracht; wir erfahren bei dieser 
Gelegenheit, dafs sich societates zum Zwecke der Fischerei und 
des Fischverkaufs innerhalb der Zunft bildeten und dafs jeder 
solchen societas ein Behälter angewiesen wurde •. Ebenso war 
den Fleischhauern und Fleischverkäufern, die, wie es scheint, 
mit den Fischern in einer gewissen Verbindung standen, zur 
Ausübung ihres Handels eine an das Fischerhaus angrenzende 
Gegend der Stadt angewiesen, in der sie ihre banchae oder 
camarata hatten 4 . Man ersieht abermals, dafs sich nicht nur 
dieselbe Sache, sondern auch derselbe Name wiederfindet, wie 
in Byzanz. 

So scheint es mir, dafs man in der Entwickelung der ra- 
vennatischen Fischerzunft zeitlich und sachlich die Brücke sehen 
kann, die von der römisch -byzantinischen zur spätmittelalter- 
lichen Organisation hinüberfuhrt, während man in der Stadt Rom 
fast nur durch die Urkunde der römischen Gärtnergenossenschaft 

1 Stat. L 56. — Urkund« vom 22. August 1288 (Fantuzii nr. 50). 
1 Stat. II, 1. 

■ Stat. II, 14. 19. 23. 24; III, 5; IV, 8 ; V, 8. 9 etc. 
4 Stat. IV, 5; V, 4. 5 etc. 

3* 



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36 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

von diesem Übergange erfährt. In Ravenna aber besteht der 
„Ordo de Casa Matha" noch heute, tausend Jahre nachdem 
die erste erhaltene Urkunde, die von ihm handelt, geschrieben 
worden ist, unter vollständig veränderten Verhältnissen, mit voll- 
ständig geänderter Bestimmung fort, und dem Fremden wird 
das neu hergerichtete Vereinshaus gezeigt, ein Wahrzeichen dafür, 
dafs eine ununterbrochene historische Entwickelung auch da vor 
sich geht, wo der Historiker, dessen Auge geblendet ist von den 
heller strahlenden Ereignissen der Kriegsgeschichte, keinen Über- 
gang, sondern nur Kontraste sieht. 

IV. 

Den Standpunkt, dafs die gewerblichen Genossenschaften 
durchaus Neubildungen des Mittelalters sind, vertritt auch E. Ro- 
docanachi in seinem prächtig ausgestatteten zweibändigen 
Werke über die gewerblichen Genossenschaften in Rom seit 
dem Untergange des römischen Reiches ! . Es kann dies nicht 
wundernehmen, wenn man die grofse Mangelhaftigkeit der In- 
formationen in Betracht zieht, die Rodocanachi über die alt- 
römischen Zünfte eingezogen hat und die ihn zu der durch 
nichts bewiesenen und unbeweisbaren Hypothese führten, dafs 
die altrömischen Zünfte allmählich zu Ende des Altertums oder 
zu Beginn des Mittelalters in einer einzigen alle Gewerbetreiben- 
den umfassenden Genossenschaft aufgingen *. Trotzdem meint 
er, dafs sich wenigstens der „genossenschaftliche Geist" in Rom 
durch die dunklen Jahrhunderte hindurch erhalten habe und dafs 
dieser sich, durch die wirtschaftlichen Bedingungen im 1 1 . Jahr- 
hundert gefördert, in der Bildung der scholae artium geäufsert 
habe; und auch er zweifelt nicht daran, dafs die Urkunde der 
römischen Gärtnergenossenschaft vom Jahre 1030 und einige 
andere Nachrichten aus dem 11. und 12. Jahrhundert die ältesten 
Beweise für die Existenz der später höher entwickelten stadt- 
römischen Zünfte darbieten 3 . Freilich fliefsen die Quellen in 

1 E. Rodocanachi, Les Corporaüons ouvrieres a Rome depois la chute 
de l'Empire Romain. Picard 1894. CX, 478 und 470 pp. 

* p. Vü s. 

* p. X ss. Den bisher immer und auch von Rodocanachi angeführten „Bono- 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 37 

dieser Zeit nicht so reichlich, wie in den späteren Jahrhunderten, 
für die Rodocanachi aus grösstenteils ungedruckten Zunftstatuten, 
aus Bullen und anderem Material e sehr viel Interessantes zu- 
sammengetragen hat, das für den Wirtschaftshistoriker und 
Statistiker der Stadt Rom unentbehrlich ist und in vielen wirt- 
schaftlichen Entwickelungen und Experimenten lehrreiche Ana- 
logien für die Wirtschaftsgeschichte anderer Gegenden darbietet. 
So beginnt Rodocanachis Arbeit eigentlich mit dem Jahre 1255, 
in dem sich die Mercanti ihre Statuten gegeben haben. Nach 
einem Gesamtüberblicke über die Geschichte und die Statuten 
der römischen Zünfte geht Rodocanachi auf die einzelnen Zünfte 
ein, die er nach wirtschaftlichen Gruppen anordnet. Jedes einer 
Zunft gewidmete Kapitel zerfällt wieder in eine Bibliographie, 
in eine Geschichte der Zunft und in eine detaillierte Analyse 
der Zunftstatuten. Um die Gröfse der Arbeit zu ermessen, 
genügt es zu wissen, dafs auf diese Weise sechsundneunzig Zünfte 
besprochen werden. 

Bei dieser Einteilung und der Kürze der Gesamteinleitung 
wird es sehr schwer, ein einheitliches Bild der Gesamtentwicke- 
lung des zünftig organisierten Gewerbestandes zu gewinnen. 
Die Mercanzia war mehr eine Zusammenfassung von Genossen- 
schaften, als eine einheitliche Zunft. Die geschriebenen Sta- 
tuten der Einzelzünfte, die uns erhalten sind, beginnen erst im 
vierzehnten Jahrhundert; ihre Zahl wächst in den folgenden 
Jahrhunderten. Die Zünfte selbst aber reichen grofsenteils in 
viel ältere Zeit zurück, und was uns von ihren Statuten er- 
halten ist, sind entweder nur schriftliche Fixierungen eines 
schon bestehenden Gewohnheitsrechtes oder reformierte Statuten, 
in die dann meistens ein Teil der früheren Statuten aufgenom- 
men worden war. Da Rodocanachi den Text der Statuten 
nicht publiziert und eine ins einzelne gehende philologische 
Untersuchung derselben nicht ermöglicht, wäre es grofstenteils 

filius iure matrificus aurifcx" möchte ich nun aas der Liste der Beweisstücke 
streichen, da das Original der von Galletti abgedruckten Urkunde im Archive von 
Sa. Maria in Via Lata nicht mehr vorhanden ist und auch schon Galletti aus einer 
späteren Abschrift geschöpft hat; denn es ist mir sehr wahrscheinlich, dafs im 
Originale stand: „virum magnificum", nicht „iure matrificum". 



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38 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 



vergebliches Bemühen, die älteren Bestandteile herauszufinden. 
Gleichwohl ist es unzweifelhaft, was auch Rodocanachi hervor- 
hebt *, dafs die älteren mittelalterlichen Zünfte in Rom viel mehr 
Ähnlichkeit mit den altrömischen Korporationen, als mit den 
nordischen Zünften haben. 

Hand in Hand mit dem Zunftwesen ging im mittelalter- 
lichen Rom, wie im alten Rom und in Byzanz und sonst, die 
Regelung der Produktion, des Marktwesens, die Preisregulierung 
usw. durch die Behörden, die den fiskalischen Standpunkt ver- 
traten; zur Zeit der städtischen Autonomie, seit dem 12. Jahr- 
hundert, übten die städtischen Behörden die fiskalischen Rechte 
und auch die damit verbundene Oberaufsicht über die Zünfte 
aus; seit dem 15. Jahrhundert gingen diese Rechte wieder all- 
mählich auf den päpstlichen Schatzkanzler über 2 . Wie war es 
aber in älterer Zeit? Wenn man bedenkt, dafs die päpstlich- 
römische Finanzverwaltung des älteren Mittelalters durchaus nur 
die Fortsetzung der byzantinischen ist, wird vielleicht die Ver- 
mutung gestattet sein, dafs der praefectus urbi, der zur Zeit der 
Crescentier, im 10. und 11. Jahrhundert eine so bedeutende 
und rätselhafte Rolle spielt, eine ähnliche amtliche Tätigkeit 
hatte, wie der byzantinische Präfekt, dessen Tätigkeit aus dem 
'EnctoxiTtöv ßtßXiov klar wird. Es würde ein neues, bedeutsames 
Licht auf die Geschichte des 10. und 11. Jahrhunderts fallen, 
wenn man sich die Crescentius und Cencius auch als Häupter 
der römischen Zunftorganisation vorsteilen könnte. 

Ich will hier nicht auf die Gleichheit oder Ähnlichkeit der 
Bestimmungen Gewicht legen, die sich auf die Regelung des 
Einkaufs, der offiziellen Warenmarkierung, der Abgrenzung der 
Zünfte gegeneinander beziehen oder gegen den Aufkauf zum 
Zwecke der Teuerung richten. Die Behörde in Rom bestätigte 
auch in älterer Zeit*, wie in Byzanz, die Vorstände der Zünfte, 
die ursprünglich durch die Zunftgenossen gewählt wurden, 
während später die Art der Wahl immer komplizierter wurde; 



1 p. XI. 

* Vgl. p. XXXVII ss.: „Regime fiscal ". 

a p. xxxn. 

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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 39 

die Vorstände, die den byzantinischen 7tQ<xndvai entsprechen, 
bestehen regelmässig aus den consules und dem camerlengo; 
die ersteren entsprechen dem ravennatischen capitularius und 
iudex, der letztere dem sacellarius; die Titel primicerius und 
prior sind selten ; die Amtsdauer ist schon auf ein Jahr oder 
sechs Monate eingeschränkt. Auf die gerichtliche Tätigkeit des 
Vorstandes wird das Hauptgewicht gelegt, und um ihre Un- 
abhängigkeit von den Behörden scheinen viele Kämpfe geführt 
worden zu sein; ihre Einschränkung auf Prozesse um geringe 
Summen und die Überweisung der gröfseren Prozesse an die 
Behörden ist in älterer Zeit, wie in Byzanz, die Regel ; vielleicht 
hängt der Titel consul und die Abfassung von Statuten viel- 
fach mit der Anerkennung und Erweiterung der richterlichen 
Tätigkeit des Vorstandes zusammen. 

Für den Eintritt in die Zunft mufs regelmäfsig eine Taxe 
erlegt werden ; doch kommt auch eine Begünstigung des Sohnes 
vor, der nach seinem Vater in die Zunft eintreten will. Ein 
Nachweis der Ehrbarkeit des Aufzunehmenden wird häufig ver- 
langt. Dagegen kommt eine Prüfung zum Zwecke des Befähi- 
gungsnachweises nur in wenigen Fällen und spät auf, und auch 
die Vorschrift einer Lehrzeit gehört zu den späteren Bestand- 
teilen der Zunftstatuten ; ebenso ist der numerus clausus, der bei 
einzelnen Zünften vorkommt, gröfstenteils späten Ursprunges. 

Einige Einzelbestimmungen über die Pflichten der Zunft- 
genossen gegeneinander sind sehr bezeichnend wegen ihrer Über- 
einstimmung mit den gleichartigen Bestimmungen des Ediktes 
Leos des Weisen. Wie in diesem ist der Schreiber mit Strafe 
bedroht, der ein von einem anderen begonnenes Schriftstück 
vollendet, um den ersten Schreiber um seinen Gewinn zu bringen ; 
eine analoge Bestimmung findet sich in den Statuten anderer 
Zünfte l . In Byzanz wie in Rom wird der Patron mit Strafe 
belegt, der einen Arbeiter verwendet, bevor dessen Arbeits- 
vertrag mit einem anderen Patron abgelaufen ist 8 . In gewissen 



1 p. XCI; I, p. 418. 430 ; II, p. 22 s. etc. und "En. ß. 1, 6. 
* p. XOI; I, p. 28. 184. 418. 438; U, p. 23. 50. 186. 219. 257. 393 etc. 
% En. ß. VI, 3; VIII, 10. 



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40 ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 

Zünften durften die Werkstätten der Ladenbesitzer zur Ver- 
meidung der Konkurrenz nur in gewissen Distanzen voneinander 
angelegt werden l . Noch mehr für einen Zusammenhang der 
byzantinischen und römischen Zunftorganisation aber scheint 
mir zu sprechen , dafs die immerhin auffallende Bestimmung, 
dafs der Meister mit Strafe belegt wird, der einen Zunftgenossen 
durch ein höheres Mietangebot aus seinem gemieteten Laden 
oder seiner Werkstätte verdrängt, sowohl in Byzanz wie in Rom 
regelmäfsig wiederkehrt *. Man kann allerdings einwenden, dals 
ähnliche Verhältnisse ähnliche rechtliche Bestimmungen zur 
Folge haben konnten, und sicherlich ist es schwer, ohne Kennt- 
nis des Wortlautes der ältesten Statuten einen Beweis für den 
Zusammenhang zu fuhren. Dieser Zusammenhang wird aber 
um so wahrscheinlicher, je mehr sich die Übereinstimmung 
gerade in Detailbestimmungen, wie den eben angeführten, zeigt. 
Und auch wenn unsere Quellen aus später Zeit datieren, können 
sie nicht minder ursprünglich sein; haben doch, um Beispiele 
anzuführen, die mercatores artis pannorum und die Barbiere in 
einer Zeit, in der wir ihre Geschichte verfolgen können, vom 
15. bis ins 18. Jahrhundert, also durch drei bis vier Jahrhunderte 
ihre Statuten unverändert bewahrt. 

Eine mehr ins einzelne gehende Durchforschung der rö- 
mischen Zunftstatuten wäre gewife sehr erwünscht. Wenn ich 
überzeugt bin, dafs sie noch deutlichere Indizien für den römi- 
schen Ursprung der Zünfte ergeben würde, so kann ich freilich 
nicht verhindern, dafs andere vorläufig diesen Glauben nicht 
teilen. Wenn der Hinweis auf das reiche Material, das trotz 
aller Ungunst der Überlieferung erhalten ist, auch nur das ne- 
gative Resultat zur Anerkennung bringt, dafs man die be- 
sprochene Frage nicht als abgetan betrachten kann, weil zwanzig 
Privaturkunden von den Zünften schweigen, so werde ich dies 
als Gewinn betrachten. Denn es würde dies Resultat zu der 
Erkenntnis beitragen, „dafs die dunkle Scheidezeit zwischen 



» P . xc. — *En. ß. XI, 1 ; xn, 3. 

» p. XCI; I, p. 81. 184. 203. 279; II, p. 50. 69 etc. — % En. ß. IV, 9 

rx, 4 ; x, 3; xi, 7; xin, 6 ; xvni, 5; xk, 2. 



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ZUR GESCHICHTE DER ZÜNFTE IM FRÜHEN MITTELALTER. 4I 



Altertum und Neuzeit von beiden Seiten zu beleuchten ist und 
dafs die Wissenschaft davor steht, wie die Ingenieure vor dem 
Tunnelbau: man setzt an beiden Seiten an und nimmt sich 
beiderseitig vor, Unzulänglichkeiten einander zu verzeihen und 
etwaigen Begegnens sich zu erfreuen" l . 



1 Mommscn im x. Band der „Zeitschrift für Sozial- und Wirtschafts- 
geschichte" S. 44- 



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Die Wirtschaft des Klosters Bobbio im 9. Jahr- 
hundert. 



L 

Bobbio war das erste Kloster, das auf langobardischem 
Boden gegründet und von einem langobardischen Könige aus- 
gestattet wurde. Es verdankte seinen Ursprung dem Iren Co- 
lumban und der Politik der arianischen Könige, welche zwar 
den Katholizismus des römischen Reiches und des Papstes aus 
staatlichen Rücksichten bekämpften, aber den Schismatikern 
nicht ohne planvolle Absicht Unterkunft und Toleranz gewährten. 
Im Tale der Trebbia gelegen, wo sich die von Pavia die Staf- 
fora entlang führende Strafse und das nach Piacenza verlaufende 
Tal schneiden, bewachte es, wie manche andere später ge- 
gründete Klöster, einen Apenninübergang, der von langobar- 
dischem in römisches Gebiet hinüberfuhrte , und seine geogra- 
phische Lage, wie die Stellung seiner Mönche machten es eine 
Zeit hindurch zum berufenen Mittler zwischen den langobar- 
dischen Königen und Rom. Der Übergang des Klosters zum 
römischen Katholizismus verschaffte ihm nicht nur ein Privileg 
vom Papste, sondern mufs auch zur Verbreitung des Katholizismus 
im langobardischen Reiche wesentlich beigetragen haben l . 

Seiner politischen Bedeutung entsprach auch die Gröfee des 
Besitzes, mit dem Bobbio von vornherein durch seinen ersten 
Gönner, König Agilulf, im Jahre 613 ausgestattet worden war. 

1 Über die Bedeutung von Bobbio vgl. meine „Gesch. Italiens im Mittelalter" 
II, 1, 205 ff. ; J. Jung in „Mitt. des Inst." XX, 501 ff. Über die Apennin* 
Übergänge jetzt A. Schulte, Gesch. des mittelalterlichen Handels zwischen West- 
deutschland und Italien (1900) I, 18. 

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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



Der König konnte unbeschränkt über das Ödland verfügen, das 
sich im Süden des Stadtgebietes von Piacenza zu beiden Seiten 
der Trebbia und bis an die erst von Rothari überschrittene rö- 
mische Grenze gegen Ligurien hin ausdehnte. Die eine Hälfte 
einer wertvollen Salzquelle, die sich auf diesem Gebiete befand, 
hatte er mit der zur Aussiedung des Salzes notwendigen Holz- 
nutzung schon einem seiner verdienten Generäle geschenkt. 
Alles andere auf einen Umkreis von vier Meilen um die in Trüm- 
mern liegende St. Peters-Basilika, an die sich später das Kloster 
anlehnte, verlieh er Columban und seinen Mönchen, die nun, 
unter der Herrschaft ihrer strengen Klosterregel, den Wald zu 
roden oder für ihre Herden zu nützen, das Land urbar zu machen 
begannen. Allerdings heifst es in dem Privilege Agilulfs, er 
habe das Land „seu culto vel inculto" verschenkt; doch sind 
diese Worte wahrscheinlich rein formelhaft 1 ; dafs der König ein 
grofses Gebiet im ganzen nach dem Flächenmafse, das nur roh 
in Meilen angegeben wird, verschenkt und dafs nicht, wie sonst 
üblich, die römischen Grundstücknamen und Flurgrenzen be- 
zeichnet werden, spricht dafür, dafs dieses Grenzgebiet menschen- 
leer war und dafs sich die früheren Bewohner vor den Lango- 
barden nach dem Süden geflüchtet hatten 2 . 

Schon Adaloald, Agilulfs und der Theodelinde römerfreund- 
licher Sohn, arrondierte den Besitz des Klosters, indem er im 
Westen den Monte Penice hinzufügte, und bestätigte dem zweiten 
und dem dritten Abte von Bobbio den Klosterbesitz. Andere 
Liegenschaften erwarben die Mönche schon damals durch Schen- 

1 Über die ältesten Urkunden für Bobbio vgl. N. A. XXV, 608 ff. Sie 
sind durch Abschriften im Turiner Staatsarchive überliefert: Troya, C. d. 246. 
2 93« 2 97; ferner Jaff6-Ewald 2017; Troya, C. d. 323. 610. 

* Über die Flurteilung vgl. Schulten, Die römische Flurteilung und ihre 
Reste („Abh. der k. Ges. der Wiss. zu Güttingen", N. F. n, 7. 1898); in bezug 
auf die hier in Betracht kommenden angrenzenden Territorien S. 16 ff. In der 
Po-Ebene werden häufig die Grundstücke nach den alten, offenbar von der römi- 
schen Flnrteilung herrührenden Mafsen verkauft (perticae etc.), im Bereiche von 
Bobbio kommen wenigstens in älterer Zeit derartige Mafsangaben nicht vor, eben- 
sowenig wie etwa die im Frankenreiche übliche Bezeichnung nach mansi. Es 
handelt sich eben um unvermessenes Land oder vielmehr um Land, dessen römische 
Vermessung vollständig in Vergessenheit geraten war. 



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44 



DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



kung und Kauf von einem gewissen Zusso, der sonst nicht be- 
kannt ist. Das bekannte Privileg des Papstes Honorius, sowie 
eine verlorene Urkunde König Rotharis und eine abschriftlich 
erhaltene, wenn auch verdächtigte Urkunde König Rodoalds ge- 
währten dem Kloster ausdrücklich Selbständigkeit gegenüber 
den Bischöfen, während sich die in einer karolingischen Urkunde 
zitierten Privilegien der folgenden Könige, Grimoalds, Chuniberts, 
Liutprands, Rachis', Aistulfs und Desiderius' wohl alle auf den 
Grundbesitz des Klosters bezogen haben. Aus einer Entscheidung, 
die König Rachis in einem Grenzstreite fällte, ersehen wir auch, dafs 
sich der Klosterbesitz zu seiner Zeit im Osten schon bis zum 
Bache Nure erstreckte und dafs auch in diesem Teile des Be- 
sitzes eine römische Territorialabgrenzung oder Parzellierung nicht 
mehr bestand. Schon König Liutprand hatte aber die Inter- 
essensphäre des Klosters weit über sein unmittelbares Bereich 
hinaus erweitert, indem er es mit einer jährlichen Abgabe von 
Fischen im Werte von 10 Goldsolidi beschenkte, deren Lieferung 
er seinem Hofe Garda auferlegte. Rachis fügte in demselben 
Gebiete eine eigene Fischerei im Mincio namens „Burbure" hinzu. 

Immerhin sind von den letzten langob ardischen Königen die 
neu gegründeten Klöster von Nonantola und Brescia offen- 
bar noch weit reichlicher bedacht worden. Als aber dann 
Karl d. Gr. vor Pavia lagerte, mögen die Mönche und ihr Abt 
Guinebald Gelegenheit gehabt haben , dem neuen Gewalthaber 
allerlei Gefälligkeiten zu erweisen, und dieser beschenkte nach 
der Kapitulation des Desiderius noch in Pavia selbst aufser dem 
von den Karolingern gegründeten Novalese, das den Übergang 
über den Mont Cenis und damit den Weg aus dem Franken- 
reiche nach Pavia beherrschte, auch das Kloster Bobbio reich- 
lich. Er gab ihm den Hof und Wald des Möns Longus und 
aufserdem die Alpe Adra, in deren Besitz der neue König 
der Franken und Langobarden durch die Kriegsereignisse ge- 
kommen war, so dafs sich jetzt der Grundbesitz des Klosters 
* im Süden bis ans Meer erstreckte l . Dadurch, dafs nunmehr 



1 Der Möns Longus mufs nach Jung a. a. O. 530, Anm. I, im Norden von 
Bobbio gesucht werden. — Die Alpe Adra dagegen ist vom Meere begrenzt 

N 

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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BÜBBIO IM 9. JAHRH. 



der ganze Weg vom Territorium von Piacenza bis ans Meer 
und beide Abhänge des Apenninüberganges im Bereiche des 
Klosters lagen, mufste es neue Bedeutung gewinnen, den Karo- 
lingern gegenüber, für die die Straüsen von Pavia nach Rom von 
der gröfsten Wichtigkeit waren, aber auch sicherlich neue * 
Pflichten übernehmen. Schon Karl oder spätestens Ludwig & Fr. 
gewährten dem Kloster Immunität und Königsschutz. 

Nicht weniger bezeichnend für den Reichtum und die Be- 
deutung des Klosters ist es, dafs die Karolinger offenbar dafür 
sorgten, dafs Männer, die zu ihren hervorragendsten Anhängern 
gehörten, mit der wichtigen Abtei belohnt wurden. Als nämlich 
Wala, der Vetter Karls d. Gr. und einflufsreiche Staatsmann, sich 
mit Kaiser Lothar nach Italien zurückzog, nachdem der Versuch, 
K. Ludwig zu beseitigen gescheitert war (834), erhielt er die 
Abtei und scheint sie bis zu seinem Tode (836) auch tatsäch- 
lich verwaltet zu haben *. Sein Nachfolger scheint Hilduin, der 
Erzbischof von Köln gewesen zu sein, auf den dann Amalrich, 
Bischof von Como, folgte. Diesem bestätigte im Jahre 860, 
am 7. Oktober, Kaiser Ludwig II. in einer langen Urkunde alle 
Privilegien der 1 an gobardi sehen Könige, Karls, Ludwigs d. Fr. 
und Lothars, sowie alle Besitzungen. Er bestimmte zugleich 
die strittige Grenze zwischen Bobbio und der Grafschaft 
Piacenza und verlieh einige wirtschaftlich wertvolle Privilegien, 
so u. a. die freie, durch keine Abgaben gehemmte Fahrt der 
dem Kloster gehörigen Schiffe auf dem Po und auf dem Ticino, 
wodurch die Verbindung einerseits mit Pavia, andererseits mit den 
Besitzungen am Mincio und mit Comacchio und Venedig er- 
leichtert wurde; ferner die Freiheit für die auf den Höfen des 
Klosters abzuhaltenden Jahrmärkte und für die die Jahrmärkte 
Besuchenden; ferner begrenzte er genau und nach dem alten 
Herkommen die Dienste, welche das Kloster durch seine Mannen 



(Mahlbach er 161 -=» M. H. P. I, p. 23) und grenzt an den „monte iabo", 
worunter wohl der Passo „i Giovi" beim Tale der oberen Scriria, bei Ponte« 
deeimo (oder M*. Giugo ?) zu verstehen ist. Damit stimmt es überein, dafs Bobbio 
im 12. Jahrhundert Besitzungen im Tale der Lavagna gehabt haben soll: vgl. 
Jung a. a. O. 524. 

1 Vgl. Simson, Jahrb. Ludwigs d. Fr. II, 118. 156; dazu den Anhang VL 



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4 6 DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 

für die Erhaltung der Ticinobrücke bei Pavia zu leisten hatte. 
Aus demselben Privilege ersehen wir aber auch, dafs die Be- 
sitzungen des Klosters auch durch Kauf, Erbschaft und Schen- 
kung von Laien und Geistlichen, namentlich in der unmittel- 
baren Umgebung, doch auch „in diversis per Italiam locis" 
vermehrt worden waren *. 

Es liegt ferner eine Urkunde König Karlmanns vom Jahre 
877, 20. Oktober, vor, in der zu dem übrigen vollständige Ab- 
gabenfreiheit, auch von den Brückenfronden, bewilligt wird. 
Aus den Urkunden König Berengars vom Jahre 888 ist hervor- 
zuheben, dafs die Schenkung eines Venetianers namens Sa- 
batinus hinzugekommen ist, der dem Kloster ein Grundstück in 
der Hafenstadt Coraacchio überliefs. Auch Karl der Dicke, 
Arnulf, Wido und Lambert bestätigten die Privilegien, und Be- 
rengar fafste im Jahre 903, am 11. September, alle Schenkungen 
und Privilegien in einer grofsen Urkunde zusammen *. 



Dafs in den unruhigen Zeiten des 9. Jahrhunderts das Kloster 
Bobbio, wie andere Kirchen und Klöster, unter den Übergriffen 
der weltlichen Grofsen und Beneficiare zu leiden hatte, kann um so 
weniger wundernehmen, als die Grenzen seines Besitzes weit 
weniger klar waren, als die Besitzgrenzen auf dem seit alters 
parzellierten Boden der Po-Ebene. In der Urkunde Kaiser Ludwigs II. 
ist aufser von der infolge eines Streites notwendig gewordenen 
Abgrenzung gegen die Grafschaft Piacenza von entlaufenen 
Sklaven die Rede, die dem Kloster zurückgestellt werden sollen. 
Bald darauf ist von einem Rechtsstreite um ein xenodochium und 
von einem Walde die Rede, der dem Kloster entzogen und 
von einem comes Bonifatius besetzt worden ist Infolge solcher 

1 Auch die karolingischen Privilegien sind im St.-A. in Tarin; es sind dies: 
Mühlbacher 161. 1072. 1183. 1483 (= M. H. P. Chartarum t. I, nr. 12. 
24. 30- 35)- 

■ Wido: M. H. P. I, nr. 49; Lambert: ebenda nr. 53. Berengar: 
Diplomi di Berengario I a cura di L. Schiaparelli („Fonti per la 
storia d'Italia" 35), nr. 1 und 40. 41 (M. H. P. I, nr. 62. 63). 

' Vgl. das unten besprochene Güter- und Einnahmeverzeichnis von Bobbio 
vom Jahre 862. 



II. 




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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



Zustände wurde es von Zeit zu Zeit nötig die Rechte und den 
Besitzstand des Klosters authentisch feststellen zu lassen, und 
daflir zu sorgen, dafe dies richtig geschehe, war offenbar Pflicht 
des Königs, da dem Kloster der Königsschutz zugesagt war. 
Eine solche „divisio", d. h. offenbar Feststellung der Grenzen 
gegenüber den Nachbarn und Beneficiaren, hat, wie wir aus der 
Urkunde Karlmanns erfahren, schon Kaiser Ludwig II. vornehmen 
lassen 1 ; sie und die folgenden „divisiones" bildeten offenbar 
die Grundlage für die späteren Besitzbestätigungen. Kaiser 
Karl III., der selbst eine neuerliche „divisio" vornehmen liefs, 
bestimmte dann, wie wir aus Berengars erstem Privilege ent- 
nehmen können, ausdrücklich, „ut in quibuslibet pagis vel terri- 
toriis de rebus supradicti cenobii aliqua orta fuerit contentio, 
cui vera sit inquisitio necessaria, ex nostra fiat auctoritate per 
idoneos homines quorum testimonium probabile sit* 4 etc. 
Die Bestimmung über das Inquisitionsrecht, das ja auch vielen 
anderen Klöstern , die unter Königsschutz standen , gewährt 
wurde, wurde in den Privilegien der folgenden Könige wieder- 
holt, ja das Recht auf die königliche inquisitio wurde für so 
wichtig erachtet, dafs König Berengar am 19. Oktober 903 auf 
Bitten des Abtes Theodelassius ein Diplom nur zu dem Zwecke 
ausstellte, um es nochmals ausdrücklich zu bestätigen *. 

Die Resultate zweier inquisitio nes , Enqueten, einer von 
Kaiser Ludwig II. im Jahre 862 und einer von Kaiser Karl 
dem Dicken im Jahre 883 veranstalteten, liegen offenbar in zwei 
Schriftstücken aus Bobbio vor, die heute im Turiner Archiv auf- 
bewahrt werden *. Die beiden nicht vollständig erhaltenen, aber 
einander ganz analogen Überschriften weisen bestimmt auf 
die inquisitio hin ; das erste Schriftstück hat folgende Überschrift : 
„[In nomine etc. Incipit adbreviatio de rebus omni]bus Ebo- 
biensi monasterio intrinsecus et extrins[ec]us p[ertine]nt[i]bus, 

1 Mühlbacher 1483 = M. H. P. I, nr. 35, p. 59. 

* Dipl. Bereng. nr. 41. — Über das Inqaisitioosrecht überhaupt vgl. Waitz, 
D. V. G. IV*, 425 ff. und namentlich Brunner, Zeugen und Inquisitionsbeweis 
(1866), über Bobbio: S. 92. 

• Publiziert von mir im „Bulletino storico bibliograf. Subalpino" vm (1903) 
393 ff-'» vgl. den Anhang VI. 



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4 8 DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



qualiter inquisitione inventum est anno [incarnationis domini 
nostri] Jesu Christi DCCCLXII, tempore domni Hluduici Sere- 
nissimi augustus [imperii sui anno XIII per] suos quosdam idoneos 
hac fideles missos qui omnia diligenter inquirentes tarn edificia 
quamque et sacrari[a et res exteriores conscripserunt sicuti in]- 
venerunt et sub sacramenta fidei firmare fecerunt." 

Die Ergänzungen sind durch die, übrigens ebenfalls unvoll- 
ständig erhaltene, Überschrift der zweiten Aufzeichnung so weit 
sichergestellt, dafs über den Sinn kein Zweifel obwalten kann. 

Auffallend mag nur erscheinen, dafs nicht, wie in der Regel, 
die inquisitio auf einen bestimmten Fall und ein bestimmtes 
Streitobjekt, sondern auf die gesamten Besitzungen des Klosters 
ausgedehnt ist. Man kann darin eine gewisse Erweiterung des üb- 
lichen Inquisitionsrechtes erblicken. Durch die von den Mönchen 
erwirkte Aufnahme sollte dann ihr gesamter unmittelbarer Besitz- 
stand in dem auf Grund der inquisitio erfliefeenden königlichen 
Präzepte sichergestellt werden *. Dagegen vermifst man bei der 
Durchsicht des Inhaltes der beiden Schriftstücke, Grenzan- 
gaben, wie man sie wohl bei einer „divisio" erwarten könnte, 
und man mag dies Fehlen dadurch zu erklären versuchen, dafe 
die Grenzen bei der Durchführung der ,, divisio", wo es not- 
wendig war, durch Grenzzeichen deutlich gemacht oder auch 
vielleicht in eigenen Protokollen beschrieben wurden. Dafe da- 
gegen die „divisio" keineswegs nur die äufseren Grenzen enthielt, 
ist auch daraus zu ersehen, dafs aus ihr „loca singula nominatim 
que ad usum monachorum perpetualiter habenda (Gegensatz: 
Beneficia) atque iuxta id quod utilitatis eorum foret ordinanda ab 
eorum abbate ", in die königlichen Diplome aufgenommen wurden 8 . 

Damit stimmt es auch überein, dafs, wie sich aus der Form 
der Aufzählung ergibt, das Privileg Ludwigs IL, das noch vor 
der uns erhaltenen ersten Inventarisierung vom Jahre 862 er- 
teilt ist, die Besitzungen des Klosters den Schenkungsurkunden 
selbst entnimmt, weshalb z. B. die Namen der Schenker stets 



1 Vgl. auch das „breve inquisitioois", aas Famagalli abgedruckt bei 
Gu6rard, Polyptychum Irminonis II, 343. 
* Diplom Karlmanns. M. H. P. p. 59. 



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mitangeführt sind. Dagegen beschränkt sich das Privileg Karl- 
manns von 877 auf einen allgemeinen Hinweis auf die in einem 
(verlorenen) praeceptum divisionis Ludwigs angeführten Namen 
der einzelnen Besitzungen. Und das erste Privileg Berengars, 
vom Jahre 888, führt die Besitzungen nur nach ihren Namen, 
ohne Angabe ihrer Schenker und in derselben Weise an, in 
der sie in unsere inquisitiones Aufnahme gefunden haben *. Die 
Namen der Besitzungen sind bei Berengar und in den inquisitiones 
im grofsen ganzen dieselben, nur dafs bei Berengar noch einige 
hinzugekommen zu sein scheinen. Dieser letztere Umstand, so- 
wie der andere, dafs die Reihenfolge, in welcher die Besitzungen 
von Berengar aufgezählt werden, wesentlich verschieden ist von 
der Reihenfolge in unseren inquisitiones, läfst darauf schliefsen, 
dafs Berengar nicht die uns noch vorliegenden inquisitiones, 
sondern eine jüngere, vielleicht von ihm selbst veranlafste, zu- 
grunde legte. 

Die beiden uns vorliegenden inquisitiones dagegen unter- 
scheiden sich nicht wesentlich , obwohl zwischen den Aufzeich- 
nungen ein Zeitraum von 21 Jahren liegt. Nichtsdestoweniger 
ist die spätere keineswegs eine Abschrift der früheren, wenn 
auch diese jener zugrunde gelegt worden und von den 
„idonei ac fideles missi" Karls des Dicken nur gleichsam ä 
jour hergerichtet worden sein mag. Einige Änderungen in der 
Bezifferung der von den einzelnen Besitzungen einzubringenden 
Gütermengen und Gelder können zwar auf Schreibversehen zu- 
rückgeführt werden, aber keineswegs alle. Bezeichnend sind die 
unzweifelhaft willkürlichen Abänderungen; eine solche Abände- 
rung wird ausdrücklich auf die Zeit zurückgeführt, „postquam 
praeceptum divisionis factum est". Einige Parzellen, die in der 



1 Schiaparelli, dem unsere „inquisitiones" unbekannt sind, führt als Ent- 
lehnungen ans dem Diplome Ludwigs an: 1) „Montem Longa m cum Memoriola u ; 
doch kehrt dieser Ort in den ,, inquisitiones u wieder; 2) die Erwähnung von 
„Teudaldus et Teupaldus" als Schenker; doch sind gerade diese ausnahmsweise 
auch in die „inquisitiones 1 ' aufgenommen; endlich 3) nach dem aus der „inqui- 
sitio" stammenden „Aulianura" die Worte „cum proprio de Fulcario et Teu- 
trude"; diese Ursprungsbezeichnung fehlt allerdings in den „inquisitiones"; sie 
scheint in der Tat aus einer anderen Vorurkunde Übernommen zu sein. 
Hartmann, Analekten. 4 



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ersten Aufzeichnung fehlen, aber 883 angeführt werden, sind 
862 offenbar noch nicht im Besitze des Klosters gewesen, so 
z. B. das Salonianum, das auch in den Urkunden zuerst im 
Privileg Berengars von 888 vorkommt. An einem anderen Orte 
ist der Name des Grafen Bonifatius, der einen Wald des Klosters 
widerrechtlich zurückhält, durch den des Grafen Berard, offenbar 
seines Nachfolgers, ersetzt 

III. 

An der Spitze der Besitzungen wird das Kloster selbst mit 
seinen 36 Nebengebäuden und dem anstofsenden Lande, das 
unmittelbar vom Kloster aus bewirtschaftet wurde, angeführt; 
die Äcker trugen hier 410 modii Getreide im Jahre, die Wein- 
berge 150 amphorae Wein, die Wiesen 600 Fuhren Heu, und 
in dem noch nicht gerodeten stattlichen Waldbestande konnten 
nach Schätzung nicht weniger als 2000 Schweine gemästet 
werden. Aufserdem war aber auch ein Teil des zentralen Be- 
sitzes an 28 libellarii ausgetan, deren jährliche Abgaben ange- 
führt werden ; und ferner gehören die Salinen zu diesem zen- 
tralen Besitze und zum Urbesitze des Klosters. Im Anschlüsse 
daran werden die übrigen Besitzungen angeführt, die noch „infra 
vallem" liegen, und zwar sieben Kapellen mit dem zugehörigen 
Lande und dessen Erträgnissen, sowie eine Anzahl Ländereien, 
die als „pratum domnicum", „pecoraritia", „vaccaritia", „por- 
caritia" u. ä. bezeichnet sind. Dann folgen die „cellae exteriores" 
mit ihren Erträgnissen, in einem weiteren Abschnitte die „xeno- 
dochia", dann „plebes" und schliefslich ein Anhang von ver- 
schiedenen Besitzungen. 

Charakteristisch für die Art der Wirtschaft ist die in dem ganzen 
Verzeichnisse durchgeführte Trennung der dem Kloster aus der 
Eigenwirtschaft direkt zufliefsenden und derjenigen Einnahmen, 
welche aus dem an Bauern oder Häusler ausgetanen Lande ab- 
geliefert wurden. Die Klosterwirtschaft von Bobbio ist eben nur 
ein Beispiel für die in Italien seit der römischen Kaiserzeit vor- 



1 Vgl. die mit B bezeichneten Varianten zu meinem Abdrucke der (mit A 
bezeichneten) „inqoisitio" vom Jahre 862. 



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51 



herrschende und von den Langobarden übernommene Betriebsweise 
des Grofsgrundbesitzes, die Hofwirtschaft l . Das Kloster mit seinen 
Nebengebäuden entspricht der villa und dem vicus circa villam 
der alten Gromatiker, der sala der Langobarden ; das anschliefsende 
Land, das ursprünglich vielleicht unter tätiger Beihilfe der 
Mönche von deren Knechten urbar gemacht oder als Weide 
für die Herden von Grofs- und Kleinvieh belassen wurde , ist 
gröfstenteils Salland geblieben. 

Ebenso ist jedes oraculum, jede cella, jedes xenodochium 
der Mittelpunkt eines in Eigenwirtschaft stehenden Besitzes, nicht 
minder die verschiedenen villae oder curtes oder domus coltiles, 
die sich im Tale der Trebbia und überall, wo das Kloster Be- 
sitzungen hat, vorfinden. Die Gesamtwirtschaft des Klosters 
bildet einen grofsen Organismus, dessen periphere Organe die 
einzelnen Eigenwirtschaften bilden, die wiederum alle mit der 
grofsen zentralen Eigenwirtschaft in Verbindung stehen. Da 
aber die Arbeiten auf dem Sallande, wenn überhaupt jemals, so 
wenigstens im 9. Jahrhundert schon lange nicht mehr von den 
Mönchen selbst besorgt wurden, so waren die Mönche, die ex- 
ponierten Pfarrer, die Vorsteher der Xenodochien usw. nur die 
Betriebsleiter der einzelnen Eigenbetriebe, während die eigent- 
liche Arbeit zum Teile durch Frondienste, zum Teile aber von 
Sklaven besorgt wurde, die allerdings in unseren inquisitiones 
nicht angeführt sind, weil sie nicht zum Grundbesitze gehören. 
Es sind dies in ihrer grofsen Masse die gewöhnlichen servi ru- 
sticani, während — um die Terminologie des langobardischen 
Ediktes zu gebrauchen — die servi ministeriales „probati aut 
docti" gröfstenteils beim Kloster selbst zu denken sind, der 
bovulcus de sala aber auf der vaccaritia, die anderen pastores 
de sala auf den übrigen Weideplätzen und der besonders hoch 

geschätzte magister porcarius mit seinen „discipuli" auf der 

. 

1 Zum Folgenden vgl. die Tabelle im letzten Anhange. — Zum Vergleiche 
kann man heranziehen: 1) die von Gu£rard veröffentlichten Polyptycha aas 
Frankreich; 2) das Inventarium S. Juliae Brixiensis, das wohl nicht ganz 
ein halbes Jahrhundert jünger ist, als unsere ältere „ inquisitio " ; M. H. P. t. XIII 
(Cod. Lang.), 706 ff. Vgl. Uber dieses Darmstädter, Das Reichsgut in der 
Lombardei 3 1 1 ff. 

4* 

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porcaritia und in den zur Schweinemast bestimmten Wäldern 
Dafs bei all' diesen Sklaven nicht von Frondienst gesprochen 
• werden kann, ist selbstverständlich, da ja ihre ganze Arbeits- 
kraft dem Sallande gehört; nur von den Eigenwirtschaften der 
im Tale der Trebbia gelegenen Kapellen wird ausdrücklich ge- 
sagt, dafs sie zu leisten haben: „Opera ad monasterium prout 
eis imperatur" — d. h. ihre Arbeitskräfte sollen auch dem 
Kloster selbst nach Bedarf zur Aushilfe zur Verfügung stehen. 

Es entspricht dem Charakter des Sallandes in der Hofwirt- 
schaft, dafs auf ihm zwar der Getreidebau keineswegs fehlt, aber 
doch nicht die erste Rolle unter den Kulturarten spielt; von den 
ungefähr 2100 modii Getreide, welche das Salland in einem 
guten Jahre an Ertrag lieferte, entfiel wiederum etwa der fünfte 
Teil auf die zum Kloster selbst gehörenden Felder. Dagegen 
stehen die Wälder, welche für die Mast von nicht weniger als 
5500 Schweinen genügten, alle im Eigenbetriebe; die Schweine- 
zucht war schon seit der römischen Kaiserzeit im diesseitigen 
Gallien heimisch; die Langobarden scheinen die Schweinezucht, 
wenn man aus der besonders hohen Bewertung ihrer Schweine- 
hirten schliefsen darf, besonders bevorzugt zu haben 8 ; und da 
die landwirtschaftlich benutzte Fläche infolge des zwanzigjährigen 
verwüstenden Gotenkrieges und der Langobardeneinfalle in sehr 
vielen Gegenden Italiens stark zurückgegangen sein mufs, so 
dafe weite Strecken für den Schweinetrieb zur Verfügung 
standen, wird man in dem starken Hervortreten der Schweine- 

* 

mast eher eine typische, als eine vereinzelte Erscheinung sehen 
dürfen. Auch eigener Weiden für die Schafherden auf dem 
Sallande geschieht Erwähnung, sowie einer „vaccaritia" ; doch 
läfst sich ihre Ausdehnung nicht bestimmen. Sehr beträchtlich 
ist dagegen die Heuernte; sie wird auf nahezu 1600 Fuhren 
veranschlagt. Auch die Ölwälder und die Ölgewinnung wurden 
nahezu ausschliefslich eigen wirtschaftlich betrieben ; von dem Ge- 
samtertrag von etwa 2800 librae lieferte das grofse Ölgut des 

1 Vgl. Edictus Rothari i3off. 

• Vgl. Strabo V, 1, 12 und meine „Gesch. Italiens im Mittelalter" 
n/i, 22 und II/2, 43; sowie Schöpfer in „Sitzungsbe r. d. Wiener Akad." 
XXV (1860), 451. 



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Klosters am Gardasee („Summus lacus") allein 2430, die von 
Karl d. Gr. geschenkte curtis Adra aber 1 50 librae. Der Wein- 
ertrag verteilt sich ungefähr gleichmäfsig auf die Eigenwirtschaft 
und auf die Abgaben der abhängigen Bauern. Von den Natur- 
erträgnissen der Eigenwirtschaft sind noch Kastanien und Käse, 
ferner das Salz, namentlich aus den Salinen von Piancasale, und 
die Fische aus dem Gardasee zu erwähnen. — 

Die notwendige Ergänzung der klösterlichen Eigenwirt- 
schaft sowohl an Einnahmen als auch an Arbeitskräften mufste 
aus den an abhängige Bauern vergebenen Parzellen gezogen 
werden. Dem wirtschaftlichen Gegensatze zwischen der Eigen- 
wirtschaft des Sallandes und der Pachtwirtschaft der Aufeen- 
ländereien entspricht aber keineswegs ein rechtlicher Gegen- 
satz von unfreien und freien Arbeitskräften ; denn, wenn auch an- 
zunehmen ist, das auf dem Sallande wenigstens ursprünglich über- 
wiegend unfreie Arbeiter, Haussklaven, und zwar ministeriales 
und servi rusticani, verwendet wurden, so waren die Parzellen zum 
Teile an persönlich Freie, zum Teile an Unfreie ausgetan, und 
zwar sind auf dem Besitze von Bobbio die abhängigen Bauern 
entweder libellarii oder massarii. Den ,,liber homo, in terra 
aliena resedens, livellario nomine " 1 sowohl, als auch den servus 
massarius mit peculium und ihm untergebenen servi rusticani 8 
kennt die langobardische Gesetzgebung. Beide gehen auf 
römische Einrichtungen zurück. Dagegen mufs hervorgehoben 
werden, dafs der eigentliche Hörige fehlt, d. h. sowohl der 
römische Kolone, den die Langobarden als Aldien behandelten, 
als auch der Aldie, den wiederum die Franken ihrem Liden 
gleichsetzten s . Es ist nicht unwahrscheinlich , dafs das allmäh- 
liche Zurücktreten der alten Hörigen einer allgemeinen Ent- 
wickelung in Italien entspricht; obwohl kein Zweifel darüber 
bestehen kann, dafe zu Beginn der Langobardenherrschaft in 
Italien Kolonat und Aldionat die Grundlagen der grundherr- 

1 Liutpr. 92. 133; vgl. Roth. 227. 

1 Vgl. namentlich Roth. 134. 234, sowie die im Index der M. G. angeführ- 
ten Glossen. — Allerdings kommen in karolingischen Urkunden gelegentlich auch 
liberi massarii" ?or. 

• Vgl. Capit. ItaL a. 801, c. 6 (M. G. Cap. I, 205). 



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schaftlichen Wirtschaft bildeten, treten doch in den Urkunden 
der späteren Jahrhunderte im römischen Gebiete die Kolonen 
und im langobardischen die Aldien auffallend zurück \ Die 
Ursachen werden dort und hier die gleichen oder ähnlich ge- 
wesen sein. Die Erschütterung aller Grundbesitzverhältnisse 
durch die langobardischen Eroberungs- und Plünderungszüge 
mufste die Kolonen des römischen Italien scharenweise zur 
Flucht verleiten, wenn sie dem Schwerte der Langobarden ent- 
ronnen waren; weite Gebiete waren verödet. Als dann fried- 
lichere Verhältnisse eintraten und der definitive Friede zwischen 
Römern und Langobarden geschlossen wurde, sollten die öden 
Ländereien wieder urbar gemacht werden. An Stelle der ver- 
triebenen und geflohenen Kolonen, die rechtlich an die Scholle 
gefesselt gewesen waren, mufsten die Grundherren sich aus dem 
dünn bevölkerten Italien neue Arbeitskräfte beschaffen, und dies 
war nur möglich auf dem Wege des Pachtvertrages. Nun hätten 
zwar die Pächter nach den Bestimmungen des römischen 
Rechtes ihre Freizügigkeit verlieren und die' Grundherren sich 
^ gleichsam durch dreifsigj ährigen Besitz neue Kolonen ersitzen 
können; allein dem wurde dadurch vorgebeugt, dafs die Pacht- 
verträge nach alter Gewohnheit und wohl nicht ohne Absicht 
nur auf neunzehn oder neunundzwanzig Jahre abgeschlossen 
wurden. Der Pächter konnte wohl auch versuchen, sich die 
Erneuerung nach Ablauf des Vertrages vorzubehalten, und wenn 
auch der Grundherr immer der wirtschaftlich Stärkere war, so 
wird man doch kaum irregehen, wenn man annimmt, dafs es 
in Italien einmal eine Zeit gegeben hat, in der auch der Pächter 
sehr gesucht und deshalb imstande war, sich bei der Eingehung 
der Pacht wenigstens seine Freiheit zu sichern. Die grofsen 
Kirchen und Klöster kamen dabei immer noch weit besser weg, 
als wenn sie ihren Besitz in Emphyteuse an grofse Herren aus- 
tun und ihn dadurch als precaria aus ihrer Wirtschaft ganz aus- 

1 In dem „Inventarium S. Juliae Brixiensis" kommen zwar Aldien 
vor, aber verglichen mit den anderen Arten von abhängigen Bauern in sehr ge- 
ringer ZahL Es werden in der Regel angeführt: „sortes, super quas sedent al- 
diones, qui tantummodo epistolas et mandata portant" o. ä.; an einer Stelle 
aber (c. 723) werden Aldien angeführt, die so zinsen, wie die anderen Abhängigen. 




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schalten mufsten. Denn die Pachtverträge der libellarii sicherten 
den Grundbesitzern dieselben Vorteile und Einkünfte , die einst 
die Kolonen geleistet hatten; war doch die innere Organisation 
der Grundherrschaft, die Hofwirtschaft, dieselbe geblieben; nur 
die rechtliche Form hatte sich geändert. Ein deutliches Bild 
dieser Verhältnisse etwa seit dem Jahre 700 hat ja der soge- 
nannte Codex Bavarus für die Wirtschaft der ravennatischen 
Kirche geboten, wo ebenfalls die Libellarier vollständig an die 
Stelle der Kolonen getreten sind l . 

Ähnlich wird man sich die Entwickelung im langob ardischen 
Italien vorzustellen haben. Bei dem Verhältnisse der herrschenden 
Langobarden zu den unterworfenen Römern war ursprünglich 
nur für das ins Aldionat umgewandelte Kolonatsverhältnis Platz. 
Erst später gab es Langobarden , die nicht freie Landbesitzer 
waren und deshalb Pächter werden konnten. Zugleich mufste 
die Zahl der Kolonen infolge der neu eingeführten Möglichkeit 
der Entlassung aus dem Hörigkeitsverbande naturgemäß? ab- 
nehmen, da es nicht wahrscheinlich ist, dafs die ebenfalls ge- 
stattete Übernahme des Sklaven in den Aldienstand alle Lücken 
ausfüllen konnte; und da die in den Aldionat aufgenommenen 
Sklaven sicherlich wieder zum gröfsten Teile den landwirtschaft- 
lichen Arbeitern entnommen waren, mufste das Resultat der durch 
die verschiedenen Freilassungsarten bewirkten Klassenverschie- 
bungen jedenfalls die Ersetzung unfreier oder halbfreier Arbeiter 
durch freie sein. Landlose Langobarden, Freigelassene oder 
nach dem Friedensschlüsse auch Römer mochten nun häufig in 
der Form des Libellarkontraktes ein freies Pachtverhältnis ein- 
gehen * — ganz abgesehen von denjenigen weniger bemittelten 
Freien, die ihr Gut der Kirche übergaben, um dann auf dem 
Gute unter dem Schutze der Kirche als Pächter ihr Leben 
weiter zu fristen 8 . 

Namentlich dort, wo, wie im Tale der Trebbia, die Spuren 

1 Vgl. oben S. 6 und Über die Formel des Libellarkontraktes mein „Ta- 
bularium S. Mariae in Via Lata« L XXIV ff. 

* Vgl. Schupfer a. a. O. 404 ff. 

• VgL Cap. Mantuanum II gen., c. 5: „libellarii antiqui vel Uli noviter 
facti" (M. G. Cap. I, 196). 



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der römischen Ansiedelungen verwischt und keine Kolonen mehr 
ansässig waren, wo anderseits auch nicht, wie den ersten lango- 
bardischen Eroberern, mitgebrachte Alchen zur Verfügung standen, 
konnte das Land nur mit Hilfe unfreier Arbeitskräfte oder mit 
Libellariern gerodet und unter den Pflug genommen werden. 
Die Einordnung dieser Freien in den Organismus der Grund- 
herrschaft brachte es mit sich, dafs sie, ebenso wie die Ko- 
lonen oder Aldien, nicht nur Abgaben von ihrer Gutsparzelle 
zu leisten, sondern auch Fronden abzudienen hatten — beruhte 
doch gerade auf diesen Fronden recht eigentlich die Existenz der 
Hofwirtschaft. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit führte aber bei den 
Langobarden schon frühe zu einer minderen persönlichen Bewer- 
tung. Es sind dies ja die „minimi homines, qui nec casas nec terras 
suas habent", von denen nach Liutprands Verordnung beim 
Heeresaufgebot je zehn daheim bleiben sollen, um die Güter 
des dux oder Gastalden an drei Frontagen in der Woche zu 
bestellen l . Wenn der Libellarier aber einen Totschlag beging, 
war es die Verpflichtung des Grundherren, ihn „quam vis Uber 
sit" festzunehmen und dem Geschädigten zu übergeben; entzog 
sich der Grundherr dieser Verpflichtung, so hatte er die Wahl, 
entweder die Hälfte der Fahrhabe des Libellariers als Entschä- 
digung zu gewähren oder den Geschädigten in den Kontrakt 
des flüchtigen Pächters eintreten zu lassen *. Daher erscheint 
auch in der Karolingischen Gesetzgebung der Grundherr als 
„patronus" der Libellarier; der kirchliche Grundherr und nicht 
der Graf regelt die Ausführung der Öffentlichen Leistungen seiner 
Libellarier, und zunächst richtet er über sie durch seinen Vogt ; 
so werden die Libellarier ihrer wirtschaftlichen Stellung ent- 
sprechend immer mehr den servi massarii und Hörigen ange- 
glichen, mit denen sie im Gegensatze zu den Eraphyteuten und 
Benefiziariern den Stand der landwirtschaftlichen Abhängigen 
bilden 8 . Diese Ausgleichung konnte aber um so eher erfolgen, 
als das dem langobardischen Rechte ursprünglich fremde Pacht- 

1 Liutpr. 83; vgl. Schupfer a. a. O. 405. 

* Liutpr. 92. 

* Vgl. Cap. Mantuanum II a. a. O.; Pippini Cap. Papiense a. 787, 
c. 6 (M. G. p. 199). 



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Verhältnis gewohnheitsrechtlich geordnet wurde 1 und sich das 
Gewohnheitsrecht offenbar an das durch das Kolonats- und 
Aldien Verhältnis gegebene Muster hielt. 

Die Abgaben der Libellarier waren keine anderen , als die 
der Kolonen. In den Libellarkontrakten aus dem langobar- 
dischen Oberitalien, die meist auf neunundzwanzig Jahre abge- 
schlossen werden , wird in der Regel hervorgehoben , dafs der 
Pächter ein Freier ist; seine Verpflichtungen setzen sich aber 
in alter Weise zusammen aus einer Naturalabgabe, in der Regel 
einem Viertel bis ein Halb der Früchte seiner Parzelle ; ferner aus 
einem xenium, das aus Schafen, Hühnern, kleineren fixierten 
Geldbeträgen besteht; endlich aus einer bestimmten Anzahl von 
Frontagen *. 

Damit stimmen auch die Ansätze in unseren brevia inquisitionis 
überein. Die Libellarier haben in der Regel je ein Viertel ihrer 
Getreideernte abzugeben, das in den inquisitiones abgeschätzt ist; 
je nach der Gröfse der Parzelle und der Höhe der übrigen 
Verpflichtungen entfallen auf den einzelnen sehr verschiedene 
Quantitäten, meist 5 — 20 modii, doch auch weniger oder mehr; 
indes fehlt die Getreideabgabe nur in Ausnahmefällen. Im 
ganzen bezog das Kloster in einem normalen Jahre von den 
etwa 300 Libellariern etwa 2200 modii Getreide, d. h. also 
etwas mehr, als auf dem ganzen Sallande wuchs; man wird 
also annehmen können, dafs die mit Getreide bewachsene und 
von Libellariern bebaute Fläche drei- bis viermal so grofs war, 
als die gesamten Getreidefelder des Sallandes. Wenn man 
aber den den Libellariern verbleibenden Getreideertrag — roh be- 
rechnet höchstens 6000 modii — auf die einzelnen Pächter- 
familien, zu denen in einzelnen Fällen noch „consortes" kommen, 
verteilt, so kommen auf jede Familie durchschnittlich ungefähr 
20 modii oder nicht ganz 2 Hektoliter. — Auch der Weinbau war 

1 Liutpr. 133. 

• Cod. dipl. Langob. (H. P. M. XIII) nr. 96. 129. 157. 182. 188. 217. 
319. 273. 302. 303. 313 ans Brescia, Nonantola, Piacenza usw.; etwas anders 
sind die Urkunden aus Asti (zehn Jahre und nur Fronden, keine Abgaben) in 
H. P. M. Chart. I, nr. 33. 47. — In betreff der Fronden und Abgaben Tgl. 
meinen Aufsatz in „ArchäoL-epigr. Mitteil." XVII, ia8f. 



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unter den Libellariern des Klosters sehr stark verbreitet, und 
ihre Weinberge scheinen mitunter mit denen des Sallandes im 
Gemenge gelegen zu sein 1 ; sie hatten im ganzen ungefähr 300 am- 
phorae vom Ertrage abzuliefern , und da dies , wie es scheint, 
die Hälfte des Gesamtertrages war *, so verblieb ihnen ebenso- 
viel, d. h. also durchschnittlich auf die Familie etwa eine amphora 
zur freien Verfügung. Öl und Kastanien spielen gegenüber den 
beiden Hauptkulturarten auf den abhängigen Parzellen nur eine 
gelegentliche und geringe Rolle ; derlei Anpflanzungen scheinen 
im wesentlichen der direkten Wirtschaft vorbehalten gewesen zu 
sein — was sich aus der Stellung des Libellariers erklärt, der 
aus seiner Parzelle auch die eigene Nahrung in natura beschaffen 
mufste und daher die Wirtschaft nicht spezialisieren konnte. 

Alles andere, was dem Bauern sein eigener Hof brachte, 
z. B. der Ertrag von Wiesen und Viehzucht im kleinen, auch 
der Ertrag seines Hühnerhofes, sollte eigentlich dem Bauern selbst 
verbleiben. Aber schon frühe hatte sich die Sitte der „xenia", 
eigentlich freiwilliger Gastgeschenke, eingebürgert, die zu fixierten 
Lasten wurden, ja sogar häufig in regelmäfsige Geldabgaben 
umgewandelt wurden s . Als solche xenia sind die Schafe und 
Käse, Hühner und Eier anzusehen, die den Libellariern von 
Bobbio nebst ihren sonstigen Verpflichtungen als Abgaben auf- 
erlegt waren, und die kleinen Geldabgaben, die wirtschaftlich 
nur eine geringe Rolle spielen konnten; betrugen sie doch 
durchschnittlich für die einzelne Familie nur 4 denarü und trugen 
dem Kloster von seinen Libellariern jährlich nicht ganz 1 00 solidi 
ein. Der Pächter mochte sich das Geld für die Abgabe ver- 
schaffen, wie noch heute in halb naturalwirtschaftlichen Gegenden 
der Bauer, der alljährlich oder alle zwei Jahre ein Stück Vieh auf- 
zieht und verkauft, um das Geld für die Steuer einzubringen. 



1 Dies kann man vielleicht daraus schliefsen, dafs die Weinabgaben der 
Libellarier mitunter mit denen der domus coltilis, d. b. eben des Meierhofes, 
summiert angegeben werden, z. B.: „vinum pariter cum domo coltile anf. XXVII". 

* An einigen Stellen heifst es: „vinum medietatem " , und das stimmt ganz 
gut mit dem, was wir den Urkunden entnehmen können. 

* Ober die xenia vgl. „ArchäoL-epigr. Mitt." a. a. O. und oben S. 3; 
dazu die o. a. Urkunden aus dem Cod. Lang. 



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Weit drückender mögen immerhin die Fronden gewesen » 
sein: bald nur eine Woche, häufig- drei Wochen im Jahre oder 
auch ein oder zwei Tage in der Woche. Hier liegt aber auch 
offenbar der einzige wesentliche Unterschied der wirtschaftlichen 
Lage der Libellarier und der massarii : der freie Mann kann sich 
zwar zu Diensten verpflichten, doch nur zu bestimmt bemessenen; 
der unfreie massarius ist infolge seiner Unfreiheit zu ungemessenem 
Frondienste verpflichtet. In manchen Fällen scheint allerdings 
auch der Frondienst der massarii fix geregelt worden zu sein, 
z. B. auf zwei bis vier Tage in der Woche oder auf einige 
Wochen im Jahre ; die Regel war aber doch, dafs der massarius 
ungemessenen Dienst zu leisten hatte, so dafs man auch dort, 
wo von den Fronden der massarii nicht die Rede ist, unge- 
messenen Dienst ergänzen könnte. In einzelnen Fällen ist so- 
gar der Frondienst die einzige Last des massarius, oder seine 
sonstigen Abgaben sind so geringfügig, dafs sie kaum in Be- 
tracht kommen; dann sinkt der massarius eben zum blofsen 
Häusler, zum unfreien Feldarbeiter mit eigenem Hausstande herab. 

Die Zahl der massarii ist wohl etwas gröfser, als die der 
Libellarier; sie beträgt gegen 350. Dagegen beträgt ihre Ge- 
treideabgabe im ganzen nicht ganz 1400 modii; wenn man an- 
nimmt, dafs sie in der Regel, wie wahrscheinlich, ein Drittel des 
Getreideertrages abzuliefern hatten, so verblieben einem Haushalte 
nur 2800 : 350 = ungefähr 8 modii jährlich, also nicht die Hälfte 
dessen, was den Libellariern verblieb. Es erklärt sich dies 
wohl einerseits aus ihrer gedrückten Stellung, anderseits aus der 
Annahme, dafs, da in der Regel ihre Frondienste stärker in An- 
spruch genommen wurden, sie einen geringeren Teil ihrer Arbeits- 
kraft dem eigenen Landbau widmen konnten und die Zentrale 
auch während einer gröfseren und im ganzen nicht unbeträcht- 
lichen Anzahl von Tagen für ihre Verpflegung aufkommen 
mutete. Dagegen scheinen bei blofser Addition die Weinab- 
gaben gröfser als die der Libellarier; sie würden im ganzen 
über 500 amphorae oder \\ amphorae durchschnittlich für 
den einzelnen Haushalt betragen; da aber bei der über- 
wiegenden Masse der Weinabgaben ausdrücklich erwähnt wird, 
sie seien angesetzt „pariter cum domo coltüe", d. h. mit dem 



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6o 



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direkt bewirtschafteten Meierhofe, so ist die Auslegung zum 
mindesten nicht ausgeschlossen, dafs es sich nur um die Be- 
arbeitung von zum Meierhofe selbst gehörigen Weinbergen 
handelt, für welche die massarii durch ihren Frondienst aufzu- 
kommen hatten, ohne dafs sie selbst davon einen Ertrag be- 
halten hätten — Auch die xenia der massarii waren durch- 
schnittlich eher etwas kleiner, als die der libellarii ; an Hühnern 
lieferten die 350 massarii im ganzen sogar etwas weniger, an Geld 
etwas mehr, als die dreihundert libellarii. — 

Aufser diesen etwa 650 normal bewirtschafteten Parzellen 
werden noch 72 als „absentes" angeführt, d. h. solche, auf 
welchen zur Zeit der Vornahme der inquisitio kein Bauer, weder 
ein libellarius noch ein massarius, angesiedelt ist. Diese Parzellen 
mufsten offenbar durch die Frondienste der angrenzenden Bauern 
oder die Gutssklaven bestellt werden; so konnte es wohl mit- 
unter für die Grundherrschaft von Vorteil sein, Rustikalland wieder 
tatsächlich in Dominikalland zu verwandeln. — 

Von den bisher erwähnten abhängigen Bauern sind schon 
durch den Namen deutlich geschieden die 33 arimanni. Im 
Privileg Karls d. Gr. für Bobbio wird angrenzend an die Alpe 
Adra, die in den Besitz von Bobbio übergeht und bis dahin 
offenbar vom Langobardenkönige einem Grofsen verliehen worden 
war, ein „mons arimannorum" mit „fines arimannorum" genannt. 
Diese Bezeichnung kann wohl nicht gut einen anderen Sinn 
haben, als den, das bei einer langobardischen Landteilung den 
freien Langobarden zugewiesene Kulturland dem Königsgute 
gegenüberzustellen. Der ursprüngliche Besitz von Bobbio war 
durchaus dem Königsgute entnommen. Wenn nun arimanni an- 
geführt werden, die für das Kloster die Fronden an der Ticino- 
brücke übernehmen und ihm sonst Frondienste, aber keine Ab- 
gaben leisten, so wird man nur an freie Langobarden denken 
können, die sich und ihr Gut dem Kloster kommendiert haben t . — 

1 Beim Inventarium S. Juliae scheint diese Annahme allerdings nicht 
zuzutreffen. 

* Vgl. z. B. „Inventariam S. Juliae Brixiensis" p. 711: „Sunt 
ibidem liberi homines XIV, qui illorum proprium ad illam curtem tradiderunt, ea 
scüicet ratio ne, ut unusquisque in ebdomada diem I faciat". 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 6l 

In der älteren inquisitio wird auch eine precaria angeführt, die 
aber zwanzig Jahre später wieder in die direkte Wirtschaft des 
Klosters übergegangen zu sein scheint l . — 

Fafst man zusammen , was die inquisitiones für den Um- 
fang der Landwirtschaft des Klosters Bobbio ergeben, so konnte 
die Eigenwirtschaft 5500 Schweine in den Forsten aufziehen und 
aus den Wiesen zirka 1600 Fuhren Heu gewinnen, und auch 
von den zirka 3000 Pfund Öl wurde das meiste eigenwirtschaft- 
lich gewonnen. Die Getreideländereien lieferten einen Ertrag 
von über 14000 modii, von denen über 2000 auf die Eigen- 
wirtschaft entfielen, während von dem übrigen Ertrage über 
3500 modii von den abhängigen Bauern an das Kloster abge- 
führt wurden. Die Weinberge brachten mindestens 2000 am- 
phorae Wein hervor, davon über 800 in Eigenwirtschaft, während 
von dem Reste über 800 an das Kloster abgeführt wurden. 
Der von dem Kloster vereinnahmte Geldzins betrug zirka 220 solidi. 
Dazu kommen über 900 Hühner, Eier, Schafe u. a. Wie grofs 
der Bestand an Grofs- und Kleinvieh in der Zentrale, in den 
Meierhöfen und in den Bauernhöfen war, ist nicht zu ersehen, 
ebensowenig, wie grofs die Anzahl der Ministerialen und son- 
stigen Sklaven war, die nur in der Eigenwirtschaft des Klosters 
verwendet wurden; die Anzahl der massarii betrug zirka 350, 
die der Libellarier zirka 300 ; die Zahl der Frontage der ersteren 
läfst sich nicht feststellen, weil sie größtenteils ungemessen 
waren; die Frontage der letzteren machten im Jahre 4000 bis 
5000 aus. 

Verglichen mit der uns teilweise bekannten Ausdehnung des 
Besitzes eines der bedeutendsten fränkischen Klöster, St. Germain- 
des-Prds, im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts sind diese Ziffern 
nicht grofs. Das uns erhaltene Fragment eines Polyptychum 
zählt nicht weniger als 24 Höfe mit 1646 abhängigen Hufen 
mit über 3000 Haushalten auf. Sie waren gröfstenteils von 
Kolonen besetzt, während die Zahl der Liden und Sklaven eine 



1 In der älteren „inquisitio" heifst es: „Audeberga habet precaria 
in Vinzasco sortem I, de qua reddit ad monasterium den. XII"; in der jüngeren 
sind die kursiv gedruckten Worte ausgelassen. 



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62 DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



verhältnismafsig geringe war *. Aber auch das uns fragmen- 
tarisch erhaltene, aus jüngerer Zeit stammende Inventar des 
Klosters St. Julia in Brescia, dessen Einrichtung eher einen Ver- 
gleich mit Bobbio zuläfst, zeigt, dafs Bobbio im Verhältnis zu 
diesem sehr reichen Familienkloster der letzten Langobarden- 
könige und der jüngeren Karolinger doch nur dürftig ausgestattet 
war. Der Wirtschaftsbetrieb ist aber auch hier ein ähnlicher; 
allerdings treten die „manentes" stark hervor, wänrend die Übel- 
larii eine geringe Rolle spielen; Aldien werden noch vereinzelt 
angeführt; Kommendationen von Freien werden öfters erwähnt, 
ebenso Benefizien », die in Bobbio fehlen oder vielmehr von den 
inquisitiones nicht berücksichtigt sind. 

IV. 

Es war keine leichte Aufgabe, das Funktionieren dieser 
grofsen wirtschaftlichen Organismen zu regeln und Ordnung in 
die klösterliche Wirtschaft zu bringen. Es handelte sich nicht 
nur darum, den geistlichen Besitz zu erhalten, sondern auch den 
Ertrag den Zwecken zuzuführen, für die er bestimmt war, nicht 
nur der Erhaltung der Geistlichen und Mönche, sondern auch 
den Kulturzwecken, die Kirchen und Klöster in der mittelalter- 
lichen Gesellschaft zu erfüllen hatten. Deshalb beschäftigte das 
Problem der ständigen Ordnung der geistlichen Wirtschaften die 
besten Männer der karolingischen Zeit, und es stand neben dem 
politischen Probleme der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate 
namentlich während der Regierung Ludwigs des Frommen be- 
ständig auf der Tagesordnung. Besonders die beiden karo- 
lingischen Brüder Adalhard und Wala, die als Staatsmänner in 
jener Zeit eine so bedeutende Rolle gespielt haben, haben diese 
Probleme nicht aus dem Auge gelassen. Von Adalhard sind 
uns ausführliche Statuta für sein Kloster Corbie — wie man an- 
nimmt, in interpolierter Gestalt — erhalten, in denen die wirt- 
schaftlichen Angelegenheiten im einzelnen geregelt wurden. Auf 



1 Vgl. Gu6rard a. a. O. I, 889fr. 

* Inreotarium bonorum monasterii saoctimonialiam S. Jaliae 
Brixicnsis a. a. O. 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 63 



Wala geht ein Breve memorationis zurück, das aus Bobbio in 
das Staatsarchiv in Turin gekommen ist, eine Instruktion des 
Abtes, wie die Erträgnisse seines Klosters zu verwenden und 
wie die „ministeria" zu ordnen sind, ein Beispiel dafür, wie 
Wala in seinem Exile die Gedanken, für die er am Hofe Lud- 
wigs eingetreten war, in beschränktem Wirkungskreise durch- 
zuführen suchte. Es wäre nicht schwer, trotz der Ausführlich- 
keit der „Statuta" und der Knappheit des „Breve", Analogien 
zwischen beiden aufzudecken, und man wird wohl geneigt sein 
— obwohl man über die früher geltende Klosterordnung nicht 
orientiert ist — anzunehmen, dafs das „Breve" eine einschnei- * 
dende Reform für Bobbio bedeutete. 

Die Grundgesetze für das gemeinsame Leben und Wirt- 
schaften der Mönche waren allerdings durch die Benediktiner- 
regel gegeben, die schon längst die Regel Columbas auch in 
Bobbio abgelöst hatte ; allein manche ihrer Bestimmungen mögen 
hier wie anderswo in Vergessenheit geraten sein, und andererseits 
hatte Benedikt selbst nur allgemeine Bestimmungen erlassen, die 
„secundum modum congregationis aut positionem loci" 1 im 
einzelnen zu ergänzen waren. Walas Breve zerfällt aber in zwei 
Teile; in dem ersten wird die wirtschaftliche Bestimmung der 
einzelnen Besitzungen des Klosters geregelt; der zweite befafst 
sich mit der Arbeitsteilung, welche unter den Mönchen bei der 
Verwaltung und Verwendung der Güter und ihrer Einkünfte durch- 
zuführen war: „de singulis ministeriis, quomodo qualiterve exer- 
ceri a fratribus debeant". 

Schon der erste Teil ist für den naturalwirtschaftlichen Cha- * 
rakter der ganzen Klosterwirtschaft bezeichnend. Denn der Er- 
trag der Güterverwaltung wird nicht als ein Ganzes betrachtet, 
aus dessen Erlös die einzelnen Bedürfnisse bestritten werden. 
Vielmehr sind die Güter nach den speziellen Bedürfnissen, für 
deren Befriedigung sie aufzukommen haben, eingeteilt, und zwar 
* nach folgenden Gruppen: 1) ad victum (Nahrung); 2) ad camaram 
fratrum oder ad vestimentum; 3) für verschiedene andere Be- 
dürfnisse ; 4) für Öl ; 5) für Eisen ; 6) für verschiedenartige, nicht 



1 „Benedict! Regula monachorum" c. 35 (rec. Wölfflin 1895). 



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64 DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 

regelmässige Bedürfnisse (ad quascumque necessitates quq eve- 
nire solent). 

Ein Vergleich mit den in dem breve inquisitionis von 862 
angeführten Gütern ergibt, dafs aufser den im unmittelbaren Be- 
reiche des Klosters (in ipsa valle, infra vallem) gelegenen Par- 
zellen auch die Mehrzahl der als „cellae exteriores u bezeich- 
neten Güter, und zwar die in der inquisitio zuerst angeführten 
(23 — 35 unserer Tabelle, Anhang VI), in die erste Kategorie 
gehörten, d. h. für den unmittelbaren Lebensunterhalt der Mönche 
bestimmt waren. Garda — worunter offenbar auch die übrigen 
Besitzungen am Gardasee inbegriffen sind (37 und 38) — ist für 
das Öl bestimmt, und damit stimmt es überein, dafs auch nach 
der inquisitio die Hauptmasse des Öls aus der Besitzung „Sum- 
mus lacus" (38) stammt. Was gemeint ist, wenn die Besitzung 
Luliatica (36) „ad ferrum" bestimmt ist, kann man u. a. daraus 
ersehen, dafs von hier ein „fictalis" fünf Pflugscharen zu liefern 
hat; auch an einer anderen Stelle der inquisitio (55) werden 
massarii erwähnt, die Öl uud Eisen auf dem Po bis Piacenza zu 
schleppen haben. Auch die sub 3) und sub 6) angeführten 
Kategorien lassen sich zum Teile identifizieren; zur Deckung 
der nicht regelmäfsigen Bedürfnisse hat man begreiflicherweise 
die Schiffsabgaben herangezogen, die Pfeffer, Zimmet usw. ein- 
brachten ; wenn aber in derselben Kategorie von Wala auch „curtes 
in Tuscia" angeführt werden, so fehlen diese in der inquisitio; 
vielleicht haben sie nur kurze Zeit zum Kloster gehört. Merk- 
würdiger ist, dafs kein einziger der Höfe, die „ad camaram fra- 
trum" bestimmt sind, sich in der inquisitio nachweisen lassen. 
Umgekehrt fehlen in Walas Aufzählung nahezu alle xenodochia — 
offenbar weil deren eigene Einkünfte stiftungsgemäfs an Ort und 
Stelle verwendet wurden und sogar an sie noch von den anderen 
abgegeben werden mufste; ferner die „plebes", von denen in 
der älteren inquisitio selbst bemerkt ist, dafs sie „nihil reddunt", 
d. h. wohl, dafs sie sich nur gerade selbst erhielten; und end- 
lich die in den • inquisitiones an letzter Stelle und gleichsam an- 
hangsweise angeführten fünf Höfe (52 — 56), die also wahrschein- 
lich erst nach Walas Zeit erworben worden sind. So bestätigen 
sich Walas Instruktion und die inquisitio gegenseitig, abgesehen 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



von dem nicht erklärten Verschwinden der tuszischen Höfe und 
der ad camaram bestimmten Besitzungen. Es wäre wohl mög- 
lich, Jafs ihr Besitz in der Zwischenzeit dem Kloster abhanden 
gekommen ist; es wäre nicht der einzige Besitz, der in jenen 
Dezennien auf dem Wege des beneficium und auf andere Weise 
der Kirche verloren ging l . Auch eine Vermutung darüber, 
in welcher Weise die Nutzung dieser Höfe dem Kloster 
Bobbio entzogen worden ist, ist möglich. In einem Placitum 
vom Jahre 915 wird auf Klage des Klosters der Markgraf Ra- 
dald zur Anerkennung gezwungen, dafs er einen fundus Bar- 
bada widerrechtlich vom Kloster in Besitz genommen habe; 
Radald hatte sich damit zu verteidigen gesucht, dafs der ge- 
nannte fundus angeblich gehörte zu „illam portionem quam con- 
suetudo fuit in beneficio dandi", „quam ego Radaldus ex regia 
potestate habere videor", welche deshalb nicht „ad usum et 
utilitatem fratrum monachorum fuit"; dieser Zustand bestehe „a 
longo tempore" 2 . Es ergibt sich daraus, dafs — abgesehen 
von Barbada — ein beträchtlicher Teil des Klostergutes vor 
alters schon als königliches beneficium vergeben war, und offenbar 
ist es gerade dieser Teil, der zu Walas Zeiten noch den Mönchen 
zugute kam, zur Zeit der inquisitiones aber schon von einem 
Benefiziar besessen wurde. In der Tat findet sich auch „Bar- 
bata" unter den von Wala angeführten Gütern, nicht aber in 
unseren Verzeichnissen, so dafs angenommen werden mufs, dafs 
es zur Zeit der inquisitiones dem Kloster schon entfremdet war. 

Schon aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, dafs 
die Zuteilung der einzelnen Höfe zur Deckung bestimmter Be- 
dürfnisse wörtlich zu verstehen ist, d. h. dafs die Höfe die Ab- 
gaben produzierten und in natura ablieferten, nicht etwa dafs ihr 
Ertrag verkauft und aus den Einnahmen die Produkte gekauft 
werden sollten. So ist uns z. B. eine Urkunde aus dem Jahre 
848 erhalten, in der ein Bischof von Novara den Kanonikern 
von S. Gaudenzio einen Hof schenkt, „ut exinde vestimentum 



1 Vgl. t. B. das Capitulare vom Jahre 855, II, c lö. Mühlbacher 
1167. 

' Berengar. DipL (ed. Schi ap arelli) nr. 98. 
Hartmann, Analekten. 5 



66 DDE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 

vel caltiamentum procurare debeant" l ; in einer Urkunde vom 
Jahre 907 verpflichtet sich ein Höriger des Klosters Nonantola, 
der faber ist, zu jährlicher Lieferung von fünfzehn Sicheln einer 
bestimmten Gröfse »; und in dem Inventarium von S. Julia in 
Brescia, das, wie angenommen wird, in den Anfang des 10. Jahr- 
hunderts gehört, werden eine ganze Anzahl von Abgabenpflich- 
tigen angeführt, die teils Sicheln, eiserne Gabeln, Beile, Pflug- 
schare und Eisen pfundweise, teils aber auch Wolle oder Lein 
oder Gewandtstücke an das Kloster abzuliefern hatten 8 . Wenn 
aber in der inquisitio nur wenige derartige Abgaben erwähnt 
werden , kann man doch nicht darauf schliefsen , dafs die ge- 
werblichen Gegenstände in gröfserer Menge auf dem Wege des 
Handels beschafft wurden, sondern nur, dafs sie, seitdem die 
Höfe, die ad cameram deputati waren, aus irgendeinem Grunde 
^ nicht mehr zur Verfügung standen, in der Eigenwirtschaft des 
Klosters beim Kloster selbst erzeugt wurden ; Wolle z. B. lieferte 
das eigene Kleinvieh und die als Xenia dargebrachten Lämmer 
zur Genüge; wenn es etwa „gynaecia" 4 auch in den Höfen 
gab, so konnten sie nach der ganzen Anlage der Aufzeichnung 
nicht angeführt werden, da von den Haussklaven nur gelegent- 
lich die ungemessene Fronpflicht und niemals die Art der Be- 
schäftigung angeführt wird. — Ähnlich mufs es mit dem Mahlen 
des für das Kloster bestimmten Getreides gehalten worden sein. 
Es werden zwar bei einzelnen Höfen Mühlen erwähnt; doch 
waren sie im ganzen nur verpflichtet, zweiundvierzig modii zu 
vermählen ; alles andere Getreide mufste offenbar beim Kloster 
selbst vermählen werden. 

Es entspricht dem naturalwirtschaftlichen Charakter dieses 
wirtschaftlichen Organismus, dafs seine Verwaltung zwar in ver- 
schiedene Departements nach den Zwecken, denen die verschie- 
denen Erträge dienten, gegliedert war, dafs aber eine einheit- 
liche Stelle, von welcher aus die Einnahmen rein quantitativ ver- 
rechnet oder geregelt worden wären, nicht bestand. Die Er- 

1 M. H. P. I, nr. 27 (c. 46). 

* M. H. P. XUI (Cod. dipl. Lang.), nr. 422 (c. 730). 

3 Vgl. M. H. P. Xin (Cod. dipl. Lang.), nr. 419 (c. 706 ff.) passim. 

* Vgl. M. H. P. XIII (Cod. dipl. Lang.) a. a. O. c. 713. 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



trägnisse flössen nur im gemeinsamen Konsum zusammen, da 
die Wirtschaft nicht auf eine anderweitige Verwertung berechnet 
war. Der Abt stand zwar an der Spitze des Klosters wie der 
ganzen Klosterwirtschaft und repräsentierte auch gleichsam nach 
aufsen den Reichtum und die materielle Kraft des Klosters. 
Allein die Sorge, die in verschiedenen Regeln dieser Zeit wie % 
der früheren niedergelegt ist, ist nicht, wie durch die Erträgnisse 
der Reichtum des Klosters etwa vermehrt werden könnte, son- 
dern in welcher Weise der Konsum zu regeln ist. 

Da der Abt in damaliger Zeit sein Leben wohl gröfstenteils 
aufserhalb des Klosters verbrachte, ruhte die Oberleitung der 
Wirtschaft in der Tat wesentlich auf den Schultern seines Stell- • 
Vertreters, des Praepositus, der einerseits in Abwesenheit des Abtes 
die Oberaufsicht über die Mönche führte, andererseits aber auch 
den wichtigsten Teil der Klosterwirtschaft im eigenen Wirkungs- 
kreise besorgte. Zu seinem Departement gehörte die Aufsicht 
über die gesamte Landwirtschaft, namentlich aber ihre Leitung, 
soweit ihr Ertrag zur Ernährung der Mönche und sonstigen 
Klosterbewohner bestimmt war also auch über Weinbau, über 
Weide und Vieh, insbesondere also über alle Höfe, die in der 
Umgebung des Klosters im Tale der Trebbia lagen, soweit sie 
nicht ausdrücklich einem anderen Departement zugeteilt waren; 
ferner die Aufsicht über die Bauten und Ziegeleien, sowie die 
Zuweisung der Wohnungen im Kloster selbst. Zwei andere 
Mönche, der Weingärtner und der Gemüsegärtner (custos vine- 
arum und ortolanus), mögen unter seiner Aufsicht ihre Ab- 
teilungen versehen haben. Über das Leben der Mönche hatte 
der Decanus mit den Unterdekanen zu wachen , der , falls der 
Praepositus gestorben oder abwesend war, in dessen Funktionen 
eintrat. Für die Beleuchtung und den Schmuck der Kirche, 
sowie fiir die Einhaltung der Stunden bei den gottesdienstlichen 
Gebräuchen hatte der custos ecclesiae zu sorgen, der auch die 
Almosen entgegennahm. Der Bibliothekar und der Archivar 



1 Ebenso sagt Adalbard in den „Statuta abbatiae Corbeiensis" 
I, 6: „Veniat ipsa annona de illis villis quas praepositus specialiter in ministerio 
habet 4 '. 

5* 



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68 DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 

(custos cartarum) haben schon geschiedene Funktionen ; während 
jener für die Aufbewahrung, aber wohl auch für die Verviel- 
fältigung der Bücher, an denen ja Bobbio so reich war, und 
namentlich auch der Erbauungsbücher, der für Gebet und Gottes- 
dienst nötigen Manuskripte sorgte, war diesem die Sorge für 
die Urkunden aufgetragen, auf die sich das Kloster bei Geltend- 
machung seiner Rechte berufen konnte; seiner Tätigkeit ver- 
danken wir es offenbar, dafs die ältesten Privilegien der lango- 
bardischen Könige wenigstens in Abschriften erhalten sind. 

Unmittelbar wichtiger für das leibliche Wohl der Mönche 
war aber der cellararius, in dessen Wirkungskreis alles gehörte, 
was in Refektorium und Küche vorging; er sorgte, wie auch aus 
den verschiedenen Regeln zu ersehen ist, für die Herstellung 
und Verteilung von Speise und Trank aus den vom Praepositus 
übernommenen Vorräten, während es die Aufgabe des Unter- 
cellararius war, das Refektorium selbst und die Tischgeräte instand 
zu halten. Aufser dem Obste, mit dessen Aufbewahrung ein 
eigener custos poniorum betraut war, war dem Cellararius aber 
auch die Brotbereitung entzogen; denn das Brotgetreide hatte 
der custos panis, sobald es zum Kloster gebracht worden war, 
zu übernehmen, um es, wie es scheint, vermählen und durch 
die dazu bestellten Bäcker des Klosters backen zu lassen. 

Der Cellararius ist nach dem Praepositus und dem Decanus, 
deren Tätigkeit über die wirtschaftliche Verwaltung hinausgreift, 
offenbar der angesehenste Mönch ; sein Amt ist schon nach der 
Benediktinerregel ein wichtiges Glied im Verwaltungsorganismus 
des Klosters 1 ; er soll ebensowenig wie jene ohne besonderen 
Grund seiner Stelle enthoben werden *. Die meisten übrigen 
Departements der Klosterverwaltung sind wohl, als der Abt nicht 
mehr, wie es die Benediktinerregel vorsah, in jede Einzelheit 
eingriff und als sich die Verwaltung vergröfserte und verwickelter 
wurde, aus den Kompetenzen einerseits des Praepositus, anderer- 
seits des Cellararius abgezweigt worden, indem Aufträge, die an- 

1 Vgl. Benedicti Reg. c. 31. 35. 36. 39; über den praepositus ?gl. 
c. 65. — Nach Greg. Registram XII, 6 soll ein cellararius Abt werden. 

' Vgl. Hludovici Cap. monasticum a. 817 (M. G. Cap. I, 347), c. 56 
(wo zwei Codices noch den portarins hinzufügen). 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRII. 



fänglich nur von Fall zu Fall erteilt wurden, dauernd bestimmten 
Mönchen übertragen wurden. In der Abgrenzung dieser Ämter 
wird wohl mancherlei auf die Bestimmungen Walas zurück- 
zuführen sein, obwohl natürlich auch mancherlei in den einzelnen 
Klöstern traditionell war l . 

Von den in Walas Instruktion angeführten regelmäfsigen 
KJosterämtern kommt auch der ostiarius oder portarius schon in 
der Benediktinerregel vor * ; aber nach dieser soll er ein weiser 
Greis sein, dessen einzige Aufgabe es ist, das Tor zu hüten und 
den Ankommenden Auskunft zu erteilen. Nach Walas Instruk- 
tion soll er allerdings auch die pilgernden Mönche und die 
Armen empfangen und anmelden, die vom Kloster Unterkunft 
und Nahrung erbitten, aber auch „decimas omnium rerum" in 
Empfang nehmen, die er dann dem mit der Unterbringung und 
Versorgung der Armen betrauten hospitalarius pauperum zur 
Verwendung übergibt. Es ist nämlich von den Karolingern 
die allgemeine Zehntpflicht auch in Italien eingeführt und 
eingeschärft worden 8 ; es steht aber dahin , ob der Zehnte 
regelmässig einlief. Wala mag bei seinen Anordnungen von 
fränkischen Verhältnissen ausgegangen sein 4 . Die reisenden 
Mönche und Priester dagegen wurden den hospitalarii religio- 
sorum übergeben ; sie speisten im Refektorium mit den Mönchen 
des Klosters und schliefen in einem eigenen Gemache oder 



1 In der Reg. Benedict i c. 31 ist von Hilfskräften des cellararius in 
grösseren Klöstern die Rede ; übrigens heifst es von ihm : „ Caram gerat de Om- 
nibus ; sine iussione abbatis nihil faciat; qnae iubentur custodiat"; offenbar besorgt 
er anch die Funktionen, die Wala dem iunior cellararius und dem custos panis 
zuweist. — Walas Instruktion stimmt mit Adalhards „Statuta abbatiae 
Corbeiensis" z. B. in bezug auf die Funktionen des camararius, aber auch des 
portarius, der hospitalarii, des custos panis überein. Hier hat man also vielleicht 
fränkischen Import nach Italien zu sehen. 

• Benedict! Reg. c. 66; vgL die vorletzte Anmerkung. 

3 Cap. Mantaanum U, c. 8 und Cap. Olonnense eccles. I (a. 825), 
c. 9 (M. G. Cap. I, p. 197. 327). Vgl. auch Gaudenzi, Solle decime di 
Cento (1899% 4©f. und auch Reg. Farf. doc. 318 (II, p. 20). 

* VgL Adalhards Statuta abbatiae Corbeiensis I, 5: „De decima 
quam accipit portarius" und dazu auch ebendaselbst II, 8 (p. 322); II, 14 f. 
(P. 333). 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



Anbau des Klosters. — Ein eigener Krankenpfleger (custos in- 
firmorum) mit seinen Gehilfen sorgte für die Kranken l . 

Wenn dem Praepositus die Rohproduktion, dem Cellararius 
der Nahrungsmittelkonsum zugewiesen war, so war das Departe- 
ment des Obercamararius die Kleidung und die damit zusammen- 
hängende Stoffverarbeitung ; ihm lag also die Sorge für Kleider, 
Schuhe und Handschuhe, aber auch für Schneider, Kürschner 
und Schuster ob ; ferner unterstanden ihm die Kupferschmiede 
und deren Werke, die Kupferkessel, die bei den Mönchen in 
Gebrauch waren. Wie der Praepositus die Höfe, die ad victum 
bestimmt waren, verwaltete er die Höfe, die ad vestimentum 
oder ad camaram gewidmet waren. Manche von diesen Höfen 
mögen fertige Produkte geliefert haben , andere * nur die 
Rohstoffe, z. B. Wolle oder Felle, welche von Handwerkern 
des Klosters unter der Aufsicht des camararius, der ihnen 
die Arbeit zuwies, verarbeitet wurden. Einem zweiten Käm- 
merer, dem „Kämmerer des Abtes", unterstanden die Waffen- 
schmiede und Waffenpolierer, Sattler und Dreher, die Pergament- 
erzeuger, sowie alles Eisenzeug; es handelt sich hier offenbar 
um die Arbeiten, die nicht für den regelmäßigen Konsum des 
Klosters bestimmt waren, sondern Bedürfnissen dienten, die 
wenigstens zum Teile in den unmittelbaren Wirkungskreis des 
Abtes fielen. Dagegen unterstanden die Gewerbsleute, die nicht 
bestimmten Werkstätten zugeteilt waren, dem Unterpraepositus, 
und der magister carpentarius war damit betraut, diese magistri 
mit Holz und Stein zu versehen, also namentlich die Tischler, 
Küfer, Bauarbeiter, welche Häuser und Mauern, Mühlen, Fässer 
und Möbel herstellten. 

Zu Walas Zeit war die gewerbliche Arbeiterschaft des Klosters 
noch nicht im Mittelpunkte der Gesamtwirtschaft konzentriert. 
Auf den der „Kammer" zugeteilten Aufsenparzellen safs noch 
eine, wie man annehmen kann, nicht unbeträchtliche Anzahl von 
Bauern, die sich von der Landwirtschaft nährten, aber in ihrer 

1 Diese Bestimmungen Walas entsprechen Adalhards Statuta abbatiae 
Corbeiensis I, 4 (ed. Gulrard im Polyptyque de l'abbe" Irminon 

H, 309). 

• Vgl. oben S. 65 f. 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



Nebenbeschäftigung gewerbliche Produkte herstellten, die sie 
dann dem Kloster als Abgaben lieferten, in derselben Art, wie 
dies noch später in der Klosterwirtschaft von S. Julia in Brescia 
der Brauch war. Zur Zeit der inquisitiones scheint diese Art 
der gewerblichen Tätigkeit gröfstenteils entfallen zu sein. Da- 
gegen arbeiteten die Gewerbsleute in den sechsunddreifsig Neben- 
gebäuden des Klosters selbst, frei von landwirtschaftlicher Ar- 
beit, natürlich in der Kost des Klosters und nur für das Kloster. 
Die in den Parzellenbesitzern verkörperte Arbeitsvereinigung war 
verdrängt durch eine schärfere Arbeitsteilung, und Hand in Hand 
damit mufste die Vereinheitlichung der Leitung der gewerblichen 
Produktion Fortschritte machen und zugleich die Vereinheit- 
lichung des ganzen Wirtschaftsorganismus des Klosters. Die 
Aufsicht über die Klosterhandwerker und ihre Produktion war 
nunmehr vollständig auf die drei grofsen Verwaltungsdeparte- 
ments des Klosters überhaupt aufgeteilt. Die eine Gruppe um- 
fafste die Nahrungsmittelproduktion, also namentlich die Bäcker 
im pistrinum, aber auch die Müller und Fleischhauer, die aller- 
dings in Walas Instruktion nicht ausdrücklich erwähnt werden; 
die zweite Gruppe die Bekleidungsproduktion u. ä.; die dritte 
Gruppe die Holz- und Steinarbeiter. Die einzelnen Gruppen 
bestanden aus officinae, Werkstätten, an deren Spitze magistri 
standen. In den Urkunden kommen bekanntlich magistri als s 
freie Männer vor 1 , und wenn auch unzweifelhaft ursprünglich 
alle Gutshandwerker Sklaven waren, so ist dies wahrscheinlich 
im 9. Jahrhundert nicht mehr der Fall; man wird vielmehr um 
so eher annehmen können, dafs die Gutshandwerker eine ähn- 
liche Entwickelung , wie die abhängigen Bauern, durchgemacht 
haben, als es nicht wundernehmen könnte, wenn in manchen 
Fällen aus den Bauern mit speziellen Abgaben magistri am Guts- 
hofe selbst geworden sind *. 



1 Vgl. x. B. meine „Urknnde einer römischen Gärtnergenossen« 
schaff (1892), S. 9. — „Magistri ad moros et casas et butes faciendum" im 
Inventariam S. Jaliae a. a. O. c 720k 

* Man »gl. die ritierte Urkunde vom Jahre 907, M. H. P. XIII, c 730, in 
der Gudepertus „faber" von sich sagt, er sei „de mea persona nascendo proprio* 



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72 



DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM o. JAHRII. 



Die Dokumente von Bobbio lassen uns also in einen Wirt- 
schaftsorganismus Einblick gewinnen, der für die Grundherrschaft 
typisch ist 1 und dessen Einheit nach aufsen rechtlich durch die 
Immunität zum Ausdrucke kommt. Eine gröfcere Anzahl von 
auf dem Eigenbesitz der Grundherrschaft angesiedelten Wirt- 
schaften sind durch ihre Abgabenpflicht und durch rechtliche Ab- 
hängigkeit, die wirtschaftlich als Pachtverhältnis erscheint, recht- 
lich aber alle Formen von der persönlichen Freiheit bis zur 
Unfreiheit annehmen kann, mit dem Mittelpunkte der Grund- 
herrschaft und ihrer Zentral Verwaltung verknüpft. Sie sind mit 
einem Teile ihrer Wirtschaft im Gegensatze zu den Haussklaven 
noch wirtschaftlich selbständig, mit dem anderen und vielleicht 
gröfseren Teile aber in den Gesamtorganismus eingegliedert, 
eben durch ihre Fron- und Abgabenpflicht, aber auch dadurch, 
dafs, wie wir auch für Bobbio annehmen müssen, auch ein Teil 
der in der Bauernwirtschaft erzeugten Rohmaterialien, der von 
den Bauern selbst verbraucht wird, vor dem Konsume in den 
eigenwirtschaftlichen Betrieben der Grundherrschaft verarbeitet 
werden mufs. Das einzelne Gut verbleibt von seiner Entstehung 
bis zu seiner Genufsreife entweder in derselben Wirtschaft, wie 
z. B. die Milch, die von den Bauern selbst gemolken und kon- 
sumiert wird, oder das Schwein, das in den vom Hofe selbst 
bewirtschafteten Wäldern gemästet und im Hofe konsumiert 
wird; oder geht von der Bauernwirtschaft in die Hofwirtschaft 
über, um hier verarbeitet und konsumiert zu werden, wie die 
Abgaben, welche die Bauern in Naturalien zu leisten hatten; 
oder es kehrt von der Hofwirtschaft wieder in die Bauernwirt- 
schaft zurück, um hier konsumiert zu werden, wie etwa das Ge- 
treide, das vom Bauern zur herrschaftlichen Mühle gebracht 
werden mochte, um dort vermählen und wieder zurückgebracht 
zu werden — wofür allerdings in Bobbio die Beispiele fehlen. 
Die Zentralverwaltung ist zum Teile eine direkte, zum Teile 
greift sie in die Bauernwirtschaften über und stellt dadurch wieder 

pertinens ipsius monasterii" und doch einen Vertrag mit dem Kloster auf Liefe- 
rung der Sensen abschliefst — Vgl. Solmi, Le associazioni in Italia 11 2, Anm. 5. 

1 Ich bediene mich im wesentlichen der Bücherschen Terminologie, glaube 
aber doch in der Auffassung der Grundherrschaft in Einzelheiten abzuweichen. 



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DIE WIRTSCHAFT DES KLOSTERS BOBBIO IM 9. JAHRH. 



die wirtschaftliche Einheitlichkeit des rechtlich zusammengehörigen 
Grundeigentums her. 

Man kann auch mit Recht sagen, dafs der Kreislauf der 
Güter sich im ganzen innerhalb dieses Wirtschaftsorganismus 
vollzieht, dafs er nach aufsen geschlossen ist, weil er autark ist. 
Wenigstens soweit aufser den eigentlich landwirtschaftlichen Pro- 
dukten auch die übrigen notwendigen Rohstoffe, wie Salz (z. B. 
aus der Quelle von Piancasale) oder Eisen (wie die Abgaben an 
S. Julia in Brescia), auf den Gütern vorhanden waren, konnte der 
Organismus sich selbst genügen. Allerdings konnte durch frei- 
willige Abgaben der Gläubigen oder Zehnte die Geschlossen- 
heit von aufsen durchbrochen werden; doch wurde dadurch noch 
keine Gegenseitigkeit hergestellt. Andererseits gab der Organismus 
allerdings Werte nach aufsen ab infolge der öffentlichen Leistungen, 
die ihm z. B. durch die Pflicht der Strafsen- und Brückenerhal- 
tung auferlegt waren oder die mit der Stellung des Abtes am 
Hofe oder sonst im öffentlichen Leben verknüpft waren. Allein 
auch in der Natur dieser Leistungen lag es, dafs sie nur zu einer 
einseitigen Verknüpfung der Klosterwirtschaft mit dem führten, 
was aufserhalb ihrer autarken Sphäre lag, nicht zu einer dauernden 
gegenseitigen Verwickelung mit anderen Wirtschaften oder zu 
einer Entwickelung zu einer höheren Wirtschaftsform. 

Vollständig durchgeführt konnte aber die Geschlossenheit 
des Wirtschaftsorganismus auch in anderer Beziehung nicht sein. 
Manche zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen nötige Roh- 
produkte mufsten auf vielen Grundherrschaften fehlen und konnten 
nur auf dem Wege des Handels beschafft werden. Die, wenn 
auch kleinen, Geldabgaben der abhängigen Bauern weisen eben- 
falls auf geldwirtschaftliche Beziehungen hin, die im Gegensatze 
zu einer absoluten Geschlossenheit der Wirtschaftsorganisation 
stehen. Von wo konnten in diesen geschlossenen Organismus 
Produkte eindringen, die geeignet waren, neue Bedürfnisse zu 
erwecken und zu befriedigen und zum Tausche gegen etwaige 
Überschüsse anzuregen? 



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Comacchio und der Po -Handel. 



Alle urkundlichen Nachrichten weisen auf die Wichtigkeit 
der natürlichen Wasserstrafse, des Po, für den oberitalienischen 
Handel hin. Solange die Po-Mündung durch den Kriegszustand 
zwischen Römern und Langobarden gesperrt war, konnte der 
Handel nicht zur Entfaltung kommen; erst nach dem grofsen 
Friedensschlüsse um das Jahr 680 entwickelte sich bei den 
Langobarden ein Stand der grundbesitzlosen Kaufleute; nach 
zwei weiteren Generationen konnten sie schon in der Wehrpflicht 
den Grundbesitzern gleichgestellt werden *. Doch wurde der 
Aktivhandel mit dem Auslande nicht nur in kriegerischen Zeiten 
verboten, sondern auch im Frieden immer noch mit Mifstrauen 
betrachtet und durfte nur mit spezieller Erlaubnis des Königs 
oder Herzogs betrieben werden *. Dagegen mögen die römischen 
Händler rasch in das Langobardenreich eingedrungen sein, so- 
bald die Grenzen geöffnet waren. Dafür sprechen die beiden 
Handelsverträge, die schon König Liutprand abschlofs, der mit 
Comacchio (715)* und der mit Venedig 4 . Letzterer gestattete 
den Bewohnern Venetiens gegen bestimmte Zölle und Abgaben 
die Schiffahrt im Langobardenreiche, d. h. an den angrenzenden 



1 Aistulf 3. 

* Aistulf 4. 6; ähnliche Bestimmungen übrigens schon im römischen Reiche 
nachweisbar. 

' Troya, Cod. dipi. nr. 480, von mir nach dem „Registram Sicardi" 
in der Kommanalbibliothek in Cremona kollationiert. S. den Anhang. 

4 Vgl. darüber meine „Gesch. Italiens im Mittelalter" Il/a, S. uof. 
und Mühlbacher, Reg. 1033 und „Viertel), f. Soz.- und Wirtsch.-Gesch" II, 3 
(1904). — Reisen auf dem Po von Pavia nach Ravenna und Venedig: Liutpr., 
Antap. VI, 4 und Hist Ott. 6; Johann, diac. Chron. Ven. ed. Monticolo p. 154. 



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COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



75 



Küsten und Städten — und wurde in der Karolingerzeit, 
wenn friedliche Beziehungen zwischen dem Reiche und Venedig" 
bestanden, immer wieder erneuert. Der uns erhaltene Ver- 
trag mit Comacchio, der ebenfalls die Rechtsgrundlage für die 
Regelung des Verkehres während der ganzen Karolingerzeit 
bildete und, seitdem Comacchio unter karolingischer Ober- 
herrschaft stand, zu einem Privilegium der Comacchiesen wurde, 
war, wenigstens für den Po-Handel, ursprünglich der wichtigere. 
Denn Comacchio lag unmittelbar an der schiffbaren Mündung 
des Po , und seine grofsen Salinen 1 waren imstande , das 
langobardische Oberitalien mit Salz zu versorgen. Der Ver- 
trag war mit dem presbyter, dem magister militum, den comites 
und den Einwohnern von Comacchio geschlossen, die auch, 
weil sich im byzantinischen Italien Einwohnerschaft und Miliz N 
deckten , als milites bezeichnet werden ; im 8. und 9. Jahr- 
hundert sind dann unter den auf dem Po handelnden milites 
immer die Leute von Comacchio gemeint — so sehr war zu 
einer gewissen Zeit der Salzhandel von Comacchio der Po- 
Handel überhaupt. Übrigens sollten schon in dem Liutprand- 
schen Vertrage nur die Zollsätze festgelegt werden, welche ge- 



1 Über die Salinen von Comacchio vgl Fantuzzi, Monura. Ravenn. IL, 
p. 379 ff-5 nr- »7 (9»4, Mart. 4); nr. ai (967, Jal. 29); nr. 23 (969, Aug. 30); 
nr - 3 5 (97 2 i Au g- *3). — Ferner P. Federico, Reram Pomposianarum historia 
t. I (Rom. 1781), „Codex dipl. Pomposianos", „ex tabulario Pomposiano " , Er- 
wähnung von Salinen in nr. 37 (1010, Sept. 13). — Ferner erzbisch. Archiv in 
Ravenna 1782 (n 24, Mai 2). — In der Bibl. Comnnale von Ravenna, Abb. 
S. Vitale V, v, 11, 270 (vom Jahre 1232) ist von einer societas salis die Rede. — 
In einem Kodex derselben Bibliothek Mise. XIX wird anter nr. 6 in einer kurzen 
Notiz s. XVII über die Rechtsverhältnisse von Comacchio, die mit dem Jahre 787 
beginnt, ein angebliches Privileg Ottos I. vom Jahre 962 fiir Bernard von Co- 
macchio erwähnt und zum Jahre 994 bemerkt: „Ottone (III) Imperatore concesse 
alli Comacchiesi faculta di poter fabricare saline". — In dem Leben des heiligen 
Apianus (Acta SS. Boll and., März 4, p. 320 ff.) L, 3 wird erzählt, dafc der 
Abt von S. Petrus in Caelo aureo in Pavia seinem Mönche Apianus den Auftrag 
erteilt: „Vade Comiacclum et fuga nostram necessitatem et fatiga te in quantum 
vales pro acquirendo sale.' 4 Apianus lebt dann als Einsiedler in Lacu bei Co- 
macchio and stirbt dort Dann heifst es II, 10: „Cives Papienses venientes Co- 
miacclum caassa emendi salis " hätten vergebens versucht, seinen Körper zu 
stehlen und zu Schiff nach Pavia zu bringen. 



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76 



COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



wohnheitsmäfeig vom Könige eingehoben wurden, so dafs die 
Händler vor einer einseitigen Erhöhung oder sonstigen Mifs- 
bräuchen geschützt wurden. Denn darüber scheint doch im 
langobardischen Italien kein Zweifel zu sein, dafs der König" 
» (in früherer Zeit vielleicht mit den Herzogen) das alleinige Recht 
zur Erhebung von Verkehrsabgaben hat; wo sich derartige 
Abgaben überhaupt erhalten haben, ist er der Nachfolger der 
öffentlichen Gewalten des römischen Reiches ; die Häfen 1 und 
Ufer gehören ihm, und die riparii, die Liutprand anstellt, sind 
die Nachfolger der cura litorum und portuum, wie das ripaticum 
die Fortsetzung des uralten portorium ist *. 

Nach dem Vertrage Liutprands waren nun Zollstätten an 
folgenden Orten : in Mantua, wo die regelmässige Zollabgabe er- 
hoben wurde, während in „Capo Mincio" nur die transitura zu 
erlegen war; im Hafen von Brescia; in Cremona; im Hafen von 
Parma; ferner an der Mündung der Adda und schliefslich im 
Hafen, „qui dicitur Lambro et Placentia", d. h. es ist wohl der 
Schiffsverkehr von Piacenza den Lambro aufwärts bis nach Mai- 
land gegangen. Überhaupt ergibt sich aus dieser Zusammen- 
stellung, dafs sich die Leute von Comacchio nicht damit be- 
gnügten, den Po hinaufzufahren, sondern auch in dessen Neben- 
flüsse vordrangen und so die ganze Lombardei in den Bereich 
ihres Handels einbezogen. Der Endpunkt und der letzte Stapel- 
platz des ganzen Po-Handels war und blieb aber offenbar die 
königliche Stadt Pavia 8 . 

Die Verpflichtungen, die den Schiffen in den Häfen auf- 
erlegt waren, waren von dreierlei Art; erstlich mufsten sie die 
riparii, deren in jedem Hafen zwei bis vier waren, mit sich speisen 
lassen — eine Naturalabgabe, die anderwärts wohl als pastus be- 
zeichnet wird. Ferner hatten sie das eigentliche ripaticum zu 



1 Besonders deutlich Troya, Cod. dipl. nr. 566. 591. 

* Für das Frankenreich Tgl. Waitz, D. V. G IV», 54fr.; Branner, D. R. G 
II, 238 f. — Das „ripaticum" kommt auch schon bei Agnell. c 115 vor, wo 
er einen Aussog aas einem Privileg des Constantinas Pogonatas für die Kirche 
von Ravenna gibt; doch kann dies immerhin Zutat oder Ausdeutung des Agnellus 
sein (M. G. Script, rer. Lang., p. 354). 

* Das ergibt sich anter anderem auch aus Mo nach. Sang all. c. 17. 



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COMACCHIO UND DER PO -HANDEL. 



77 



entrichten, das als decima, ein Zehntel der Fracht, bezeichnet wird, 
aber ein- für allemal fixiert ist, und zwar in Mantua achtzehn, 
bei Brescia fünfzehn, an der Adda und in Piacenza je zwölf modii Salz ; 
der modius soll zu dreifsig Pfund gerechnet werden. Dazu kommt 
noch die „palfictura", die Abgabe „ad palum solvendum", die 
je einen tremissis beträgt. In Parma wird ripaticum und pal- 
fictura zusammen zu einem solidus in Geld und dazu ein Pfund 
Öl, ein Pfund Fischbrühe (garum) und zwei Unzen Pfeffer ver- 
anschlagt. Aufserdem wird von dem, „ qui vult sursum ascendere ", 
d. h. wohl dem, der die Nebenflüsse des Po hinauffährt, noch 
aufserdem eine Abgabe (transitura) von zwei tremisses bei Capo 1 
Mincio, von einem halben solidus bei Cremona eingehoben; 
doch wird vorgesehen, dafs diese Geldabgabe in eine Natural- 
abgabe umgewandelt wird; den Mafsstab für diese Umwandlung 
ergibt der Verkaufspreis: wenn vier (gröfsere) modii Salz um 
ein tremissis verkauft werden, so sind zwei modii Salz einen halben 
tremissis wert, also z. B. statt des halben solidus (=* i£ tremissis) 
in Cremona sechs modii an transitura abzugeben; wenn sechs 
(kleinere) modii Salz um den tremissis verkauft werden, dagegen 
neun modii *. Die decimae sollten natürlich in demselben modius 
gezahlt werden, in dem verkauft wird, damit nicht etwa durch 
Anwendung eines gröfseren Mafses, wie seinerzeit bei den 
römischen Steuereinhebungen, Unrechtfertigkeiten vorkämen. 
Auch wird die Einhebung eines scamariticum ausdrücklich ver- 
boten, d. h. wohl einer Abgabe, die dafür erhoben wurde, dafs 
die Schiffe nicht ausgeplündert wurden. — 

Wenn man aus dem wichtigen Dokumente, das in die Dunkel- 
heit jener Zeiten plötzliches Licht wirft, schliefsen darf 5 , so 

1 „caput" heifst in jener Zeit Mündung eines Flusses; vgl. auch „caput 
Addue" und „caput Trebiae" (Mühlbacher 121 1). 

* Der gröfsere modius verhielt sich zum kleineren wie 45 librae zu 30 librae 
(vgl. MUh Ibacher »26) oder wie 6 zu 4. 

8 Vgl. aber auch die Bemerkung von Schulte, Geschichte des mittel- 
alterlichen Handels I, 69: „Die Zolltarife schmiegen sich in den Zeiten 
der Naturalwirtschaft den Bedürfnissen des Zollerhcbers mehr an, als dafs sie den 
Wert der Artikel berücksichtigt hätten. ... So erfahren wir aus den ältesten Zoll- 
tarifen besser, was das Bedürfnis des Zollerhebers war, als was in gröfseren Be- 
trägen die Zollstätte passierte." 



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78 



COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



war Gegenstand des Importhandels vor allem Salz; dazu auch 
Gewürz, namentlich Pfeffer, das die Hafenstädte der Adria vom 
Osten her beziehen konnten. Die Venetianer, die auch einst 
vom Salzhandel ausgegangen waren, haben sich aufserdem 
auch mit dem Sklavenhandel abgegeben und importierten vom 
Oriente kostbare Stoffe und Gewänder. ,,Sie bringen uns diese und 
ernähren sich ihrerseits von den Lebensmitteln, die sie bei uns 
holen" — sagt später Bischof Liutprand l . Es sind dies die- 
selben Waren, die auch in anderen Gegenden des Frankenreiches 
beim Schiffsverkehr die hauptsächliche Rolle spielen 8 ; und der 
Grofshandel spielte sich damals naturgemäfs hauptsächlich auf 
den Flüssen ab. Die Ursachen für diese Auswahl der Waren 
sind dieselben, die bei jedem primitiven Handel wiederkehren: 
wo die Naturbedingungen die gleichen sind, sind die einzelnen 
Wirtschaften gleichartig; nur die Einfuhr solcher Waren kann 
zu regelmässigem Austausche fuhren, die im Lande nicht pro- 
duziert werden und Bedürfnissen entgegenkommen oder neue 
Bedürfnisse wecken. 

In den Wirren, welche auf den Sturz des Langobarden- 
reiches folgten, wurde auch der Handel der Leute von Comacchio 
gestört ; man wollte in Oberitalien ihr Privileg nicht anerkennen 
oder verlangte wieder von ihnen in Mantua und an anderen 
Orten, dafs sie ihre Abgaben im gröfseren modius zu 45 Pfund 
leisten sollten; Karl d. Gr. liefs auf Klage des Bischofs von 
Comacchio, als er zur definitiven Ordnung seines Königreiches 
im Jahre 781 nach Italien kam, Erhebungen anstellen, bestätigte 
Liutprands Privileg und regelte das gerichtliche Verfahren bei 
Streitigkeiten s . Um dieselbe Zeit erliefs er gerade in Mantua 
allgemeine Bestimmungen auch in bezug auf den Handel und 
schärfte ein, dafs einerseits gewisse Gegenstände — Waffen, 
Sklaven , Zuchthengste — nicht exportiert werden , und dafs 
andererseits die Schiffs- und Marktabgaben (teloneum) nur in alt- 

1 Liutpr., Legat, c. 55. Monach. Sangall. c. 17. Vgl. Muratori, 
Antiq. II, diss. XXX. 

* Vgl. Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft •, S. 147; ferner 
die Raffelstetter Zollordnung usw. 

• Mühlbacher 226 (Cod. Lang. nr. 62). 



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COMACCHIO UND DER PO- HANDEL. 



79 



hergebrachter Höhe und nur an den rechtmässig bestimmten 
Stellen eingehoben werden durften l . 

In der Tat scheint die alte Übung im wesentlichen auch 
in den nächsten hundert Jahren beibehalten worden zu sein. 
Einen Beweis dafür liefert das breve inquisitionis aus Bobbio, aus 
dem wir erfahren, dafs das Kloster von Bobbio am Hafen von ( 
Mantua einen Besitz und das Recht hatte, von jedem fünfzehnten 
venetianischen Schiffe, das anlegte, die Abgabe für sich in An- 
spruch zu nehmen, was, wie es scheint, jährlich sechs solidi, je drei 
Pfund Pfeffer und Zimmet und drei Pfund Lein ausmachte, während 
die Abgabe eines Schiffes aus Comacchio, die dem Kloster 
abgeliefert wurde, acht modii Salz und vier denarii (= ein tre- 
missis) betrug *. 

Schon aus diesem Beispiele ist zu ersehen, dafs das Zoll- v 
regal zu einem privaten Nutzungsrechte werden konnte, und 
schon im Jahre 894 bestätigte König Berengar I. dem Bischof 
von Mantua „ripaticum et ficturas palorum ripe Mantuane civi- 
tatis et porti " nebst den Jahrmärkten \ Ähnlich ist es aber 
in derselben Zeit mit den anderen Zollstätten ergangen. Liut- 
prand selbst hatte schon einen Teil der Hafenabgabe von Pia- 
cenza an die dortige Kirche zediert, indem er bestimmte, dafs 
ein Schiff, d. h. die Abgabe von einem Schiffe, „quando ibi 
naves militorum adplicaverint ad negotiandum ", den Kirchen- 
armen von Piacenza überlassen werden solle. Sein Nachfolger 
Hildeprand bestätigte diese Schenkung *. Aber schon Ratchis, 
der Freund der Kirchen, legte das Privileg so aus, dafs er der 
Kirche überliefs den ganzen „portum qui dicitur Cotaleto, ubi 
naves militorum usum habebant adplicandum, ut datione illa de 



1 Mühlbacher 225 (M. G. Cap. I, p. 190). 

' Die Geldabgabe stimmt mit dem Liutprandschen Privileg; sollte in den 
modii vielleicht ein Schreibfehler — VIII statt XVIII oder umgekehrt — unter- 
laufen sein? — Vgl nr. 39 unserer Tabelle. 

9 Berengar nr. XII (Footi p. 44). Schiaparelli weist die Echtheit 
der Urkunde nach. — Jedes zur curtis regia gehörige teloneum wird auch der 
Kirche von Parma schon in den nicht rein erhaltenen Urkunden Karlmanns und 
Karls III. (MUhlbacher 1501. 1651) vom Jahre 879 und 885 zugesprochen. 

4 Troya, C d. nr. 566 (von mir kollationiert) vom Jahre 744. S. den Anhang. 



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8o 



COMiCCHIO USD DER PO - HAST EL. 



ripatico vet iustitia, quod exinde in palatio nostro veniebat, vos 
eam deberetis tollere i4 l . Dies ist freilich der erste bekannte 
Fall , in welchem ein Lan go bar denk o nig sein Zollregal einer 
Kirche abgetreten hat. 

Am vollständigsten sind die erhaltenen Nachrichten über 
Cremona. Karl der Groise hatte dem Bischof von Cremona 
nebst verschiedenem Besitze auch geschenkt: „Porto, cuius voca- 
bulum est Vulpaholus cum militum transitorio usque in Caput 
Addue cum .... portoribus usque in caput Addue kt . Zur Zeit 
der Minderjährigkeit König Pippins von Italien wurde jedoch 
Bischof Ato von dessen baiulus Rotchild gewaltsam dieser 
Rechte beraubt, und erst von König" Lothar wurde das Bistum 
im Jahre 841 nach dem Ergebnisse einer Inquisition wieder in 
seine Rechte eingesetzt f . Laut einer Bestätigungsurkunde , die 
zehn Jahre spater abermals notwendig wurde, war der Sinn von 
Karls Privileg gewesen, dafs „quicquid pars publica inde (sc. 
ex portu) sperare poterat, totum in luminaribus ipsius ecclesie 
deveniret" 3 ; aber zu Karls Zeiten hatte man doch nur an die 
Leute von Comacchio gedacht, die den Handel hier allein be- 
herrschten und deren Abgaben durch das von Karl bestätigte 
pactum mit Liutprand geregelt waren. In den folgenden De- 
- zennien waren ihnen aber Konkurrenten erwachsen, und daraus 
ergaben sich Schwierigkeiten, die abermals von den Kaisern ent- 
schieden werden mufsten. Dafs auch die Venetianer, deren Handels- 
vertrag Lothar im Jahre 840 und später die anderen Kaiser er- 
neuerten 4 , so dafs ihnen das Recht zukam, gegen Erlegung der 
gewohnten ripatica und transiturae auf immer weiterem Gebiete 
I Iandel zu treiben, ihre Abgabe in Cremona dem Bischöfe zu leisten 
hatten, wird von Kaiser Ludwig II. ausdrücklich hervorgehoben, 
obwohl hier offenbar geringere Schwierigkeiten bestanden, da es 
den Venetianern gleichgültig sein konnte, wem ihre Abgaben zu- 
flössen. Dagegen sträubten sich jetzt „ quidam Langobardorum ac 

1 Troya, C. d. nr. 591 (von mir kollationiert) vom Jahre 746. S. den 
Anhang. Bettätigt von K. Karl III. im Jahre 881 (Mahlbacher 1573). 
" Cod. Lang. 143 and 139 (Mühlbacher 1050). 
" Cod. Lang. 177 (Mühlbacher 1114) vom Jahre 851, Sept. 8. 
4 Mühlbacher 1033 (M. G. Cap. II, 130) vom Jahre 840, Febr. 22. 





COMACCHIO UND DER PO- HANDEL. 8l 

ceterarum gentium homines suum peragentes negotium" sowohl 
bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt, wenn sie im Hafen von 
Cremona Handel trieben, Abgaben zu leisten; sie mufsten von 
Kaiser Ludwig II. ausdrücklich dazu verhalten werden, ripaticum, 
pali fictura und pastus zu erlegen, und ausdrücklich unter den 
für die Comacchiesen geltenden Tarif gestellt werden Eine 
Beweisaufnahme, die vor dieser Entscheidung veranstaltet wurde, 
zeigt, in welcher Weise sich in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts 
der Handel gestaltet hatte *. Kläger sind Einwohner (habitatores) 
von Cremona, die sich darüber beschweren, dafs ihnen der 
Bischof für ihre Schiffe dieselben Abgaben im Hafen auferlege, 
wie den Leuten von Comacchio, obwohl sie von Rechts wegen 
nicht verpflichtet seien sie zu zahlen und weder sie noch ihre 
Vorfahren sie bisher entrichtet hätten. Dagegen behauptet der 
Bischof, dafs jeder negotiator, der in dem Hafen anlege, nach 
dem von Karl dem Grofsen bestätigten Pactum verpflichtet sei» 
die Abgaben zu entrichten. Demgegenüber gehen die vom 
Bischöfe geführten Zeugen auf die Rechtsfrage, ob die Bewohner 
von Cremona durch Karls Verordnungen verpflichtet seien, eben- 
so zu zahlen , wie die Comacchiesen , eigentlich gar nicht ein. 
Sie bezeugen nur, dafs die Cremonesen in früherer Zeit gar 
keine eigenen Schiffe besessen und niemals selbst Salz von 
Comacchio nach Cremona verfrachtet haben. Zur Zeit Karls und 
Pippins (des jüngeren) sei nur vorgekommen, dafs sie gemein- 
sam mit den „milites" Salz und andere Waren eingeführt und 
dann auch gemeinsam die Abgaben entrichtet hätten. Erst zur 
Zeit des letztverstorbenen und des gegenwärtigen Bischofes hätten 
sie begonnen, mit eigenen Schiffen nach Comacchio zu fahren 
und von dort Ware einzuführen; seither hätten sie aber auch 
dieselben Abgaben gezahlt wie die Leute von Comacchio. Da 
sie nun kein Privileg vorzeigen konnten , durch welches sie von 



1 Cod. Lang. 170. 175 (Mtthlbacher 1146. 1 149) vom Jahre 851, Jan. 10 
and 852, Jan. 29. 

1 Cod. Lang. 180 (vgl. Mühlbacher 1148»). Die Cremoneser Urkunden 
sind namentlich auch von Handloike, Die lombardischen Städte anter der 
Herrschalt der Bischöfe and die Entstehung der Kommunen (1883), S. 99, 2$ f. 
herangezogen worden. 

Hartmaao, Aaalektea. 6 



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82 



COMACCHIO UND DER PO -HANDEL. 



der Abgabenpflichtigkeit befreit worden wären, und da auch der 
Vertreter des Fiskus erklärte, der Kirche von Cremona ihr Recht 
nicht streitig machen zu können, wurde der Standpunkt des 
Bischofs als gesetzlich begründet anerkannt und auch durch 
spätere Privilegien bestätigt 

Ein Zweifel konnte überhaupt nur dadurch entstehen, dafs 
ursprünglich aufser den „milites" von Comacchio, da die Venetianer, 
deren Verhältnisse durch eigene pacta geregelt waren, noch kaum 
in Frage kamen, niemand auf dem Po Handel trieb. Die weitere 
Entwickelung vollzieht sich dann derart, dafs die „milites" in 
den Hafenstädten beim Verkauf ihrer Waren mit den Einwohnern 
in geschäftliche Beziehungen traten und dafs diese sich dann an 
dem Po-Handel auf den Schiffen der „milites" beteiligten und 
selbst auch nach Comacchio gingen, um Salz und anderes ein- 
zukaufen oder eigene Waren zu verkaufen. Die dritte Stufe ist 
dann die Verselbständigung dieses Handels der einheimischen 
negotiatores, die nunmehr auf eigenen Schiffen und mit eigenen 
Waren den Po befuhren *. 

Um die Verhältnisse in Parma in gleicher Weise zu ver- 
folgen , fehlt , soweit ich sehe , das Material ; es scheint aber, 
dafs noch unter den letzten Karolingern der Königshof in Parma 
„cum omni officio suo ac teloneum" der Kirche geschenkt 
wurde • , und darunter werden wohl auch die riparii und die 
Schiffsabgaben zu verstehen sein, wenn der Po-Hafen noch be- 
stand. Übrigens wurde dann von Berengar auch der Kirche 
von Modena der portus und das ripaticum des Bundino (Panaro) 
und der Kirche von Bologna der „portus, ubi fuit catabulum 

1 Im Privileg Karlmanns von 878, Cod. Lang. 275 (Mühlbacher 1489^, 
ist nach „ transitorio 11 das übliche „militum" aasgelassen; in dem Karls des 
Kahlen von 876, Cod. Lang. 299, werden unter Berufung auf Ludwigs und 
Lothars Urkunden die Prätensionen der Langobarden ausdrücklich zurückgewiesen. — 
Dazu noch Mühlbacher 1629 (Karl III., 883); Cod. Lang. 349 (Guido, 
891), wo ein Rechtsstreit der Kirche zuungunsten der curtis regia entschieden 
wird; Berengar nr. 73. 112 usw. 

* Infolgedessen die Venetianer von Heinrich II. auf die Messen von Ferrara 
und von Pavia — die beiden Endpunkte des Po -Handels — beschränkt; vgl. 
Schulte a. a. O. L, 76; Heyd, Gesch. d. Levantehandels I, 129. 

» Mühlbacher 1651; vgl. 1501. 



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COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



navium in flumine quod Renum dicitur" mit dem ripaticum ge- 
schenkt 

Diese drei Städte der Emilia lagen ebenso wie Brescia vom 
Po abseits und konnten nur durch die Nebenflüsse in Verbindung 
mit dem Po-Handel kommen; dafs der „portus Brixianus u des Pac- 
tums in der Stadt Brescia selbst lag, ist nach der geographischen 
Lage schwer anzunehmen. Wahrscheinlicher ist es, dafs durch 
den portus Brixianus der Verkehr auf dem Oglio geregelt 
wurde, wie durch andere Häfen der auf dem Mincio, der Adda, 
dem Lambro. Und dahin weisen auch in der Tat die Spuren, 
die bis in die Langobardenzeit zurückreichen. Der Marschall 
Gisulf besafs den Hof Alfianum (Alfianello) mit dem „portus in 
fluvio Ollio", offenbar durch königliche Belehnung, und nach 
dessen Tode verkauften seine Erben zuerst die eine Hälfte des 
Besitzes mit der Hälfte des Hafens auf Drängen des Königs 
Desiderius an das Kloster Santa Maria in Brescia, und dann wurde 
auch die zweite Hälfte tauschweise an das neugegründete Kloster 
San Salvatore in Brescia abgegeben, dessen Äbtissin die Tochter 
des Königs war, nachdem das Kloster Santa Maria in ihm auf- 
gegangen war 8 . Anderthalb Jahrhunderte später finden sich 
im Inventarium von Santa Julia von Brescia noch die Einkünfte 
aus diesem Hafen angeführt 3 . Um dieselbe Zeit schenkten aber 
die Könige Desiderius und Adelchis demselben Kloster unter 
anderem Landstriche zwischen Oglio und Po, die bis dahin zur 
curtis regalis oder curtis ducalis gehört hatten, dazu auch die 
insula Cicomaria oder Ciconiara *. Im Inventarium finden wir 
nun in der Tat bei der curtis Insula Einkünfte aus einem portus 
und aus „navis militorum" verzeichnet 6 . Es liegt nahe, hier 



1 Berengar nr. 48 und 63. Vgl. auch 52 und 60. 

* Cod. Lang. nr. 19 und 25 (Troya, C. d. 736 und 770). 

■ Cod. Lang, c 720. 

4 Cod. Lang. nr. 20 mit der topographischen Anmerkung von Odorici 
(Troya, C. d. 747). Vgl. auch Cod. Lang. nr. 47 (Troya nr. 964). — Brescia 
war ursprünglich eine herzogliche Stadt ; daher die Erwähnung der curtis ducalis ; 
Paria, Piacenza, Parma waren von alters her königliche Städte. 

6 Cod. Lang. c. 721: „In Insula curte"; bald darauf folgt „in curte 
Cigonaria". 

6* 



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8 4 



COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



den „portus Brixianus" des Pactums zu finden, der ursprünglich 
natürlich der herzoglichen oder königlichen curtis unterstand, 
dann aber mit dem Zollrechte an das Kloster vergabt wurde. — 
Aber auch ein dritter portus, der in dem Inventarium erwähnt 
wird, die curtis Ripa alta, vermutlich ebenfalls am Oglio, geht 
nachweisbar auf königliche Schenkung zurück *. Und so be- 
stätigt auch schliefsiich König Adelchis noch unmittelbar vor 
dem Frankeneinfalle dem Kloster alle Güter, die es aus dem 
Besitze der curtis regia oder ducalis oder durch Geschenk seiner 
iudices erhalten hatte, ausdrücklich mit Einbeziehung der zu- 
gehörigen „portora" *. 

Im Inventarium wird aufserdem noch je ein portus in Iseo, 
also am Ausflusse des Oglio aus dem Iseosee, und in Valcamonica, 
also am Oberlaufe des Oglio erwähnt, ferner ein nicht näher zu 
bestimmender portus Bissarissu und je ein portus in Piacenza 
und Pavia 8 . 

Daraus, dafs in dem Pactum die übrigen Oglio-Häfen offenbar 
nicht, dafs aber im Inventarium bei dem Hafen von Insula allein 
die milites erwähnt werden, wird man schliefsen können, dafs 
die Leute von Comacchio den Oglio nicht hinaufzufahren pflegten; 
dafür spricht auch, dafs in dem Pactum bei Brescia keine tran- 
situra erwähnt wird. Auch in der Veranschlagung der Einnahmen 
aus den Schiffen unterscheidet sich der Hafen von Insula da- 
durch von den übrigen, dafs eine Zahl der Schiffe nicht an- 
gegeben wird, sondern die Schiffsabgaben im ganzen auf 
48 modii Salz (wenn die Zahl richtig ediert ist) und zwei 
solidi acht den. jährlich angegeben werden 4 . Wenn dagegen 
bei den anderen Häfen, in welchen von Schiffsabgaben die 



1 Cod. Lang. nr. 31 (Troya nr. 851) und Invent. S. Juliae c. 720. 

• Cod. Lang. nr. 50 (Trojra nr. 985). 

• Invcnt S. Juliae im Cod. Lang. c. 708. 716. 719. 725. 726. — 
Der portus Placentinus des Klosters wird auch erwähnt in dem Diplome Ludwigs 
und Lothars vom Jahre 851: Mühlbacher 1113 (Cod. Lang. nr. 173). — 
Verkehr auf dem Oglio auch Mühlbacher 1151 (Cod. Lang. 176). 

4 Ebendaselbst c. 722: „De navis militum veniunt in anno de sale modia 
XLVIII et solidos II cum denariis VfII M ; die Zahlen lassen sich mit den Zahlen 
des Pactums nicht in Obereinstimmung bringen. 



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COMACCHIO UND DER PO -HANDEL. 



8S 



Rede ist (Alfianum, Bissarissu, Rivaita) je drei bezw. sechs Schiffe 
als abgabepflichtig bezeichnet werden, so kann man den 
Unterschied nicht wohl anders erklären, als dafs der Verkehr 
der Leute von Comacchio nicht regelmäfeig oder gebunden 
war, so dafs man nur eine Durchschnittszahl für die Einnahmen 
einsetzte, während auf dem Oglio offenbar ein regelmäfsiger 
Binnenverkehr von einheimischen Schiffern stattfand, die drei- 
mal oder sechsmal im Jahre das Hinterland mit Salz versorgten, 
das sie selbst vermutlich im Po -Hafen von den „milites" ein- 
gehandelt hatten. Eine solche gewohnheitsmäfsige Gebunden- 
heit des Verkehres brauchte in damaliger Zeit nicht wunder- 
zunehmen. Dafs der Salzhandel auch diesen Binnenverkehr ^ 
beherrschte, ergibt sich aber daraus, dafs auch hier das ripaticum 
in Salz gezahlt wurde; dazu kommt eine Geldabgabe als pal- 
fictura. Die Einkünfte, welche dafs Kloster sonst aus seinen 
Häfen zieht, sind nicht Schiffsabgaben, sondern, wie es an einer 
Stelle des Inventariums heilst, „census" \ der aus Getreide und 
Geld, in Iseo und Valcamonica, in Piacenza und Pavia nur aus 
Geld besteht. Dadurch wird die Tatsache bestätigt, dafs nur 
dort ripaticum eingehoben werden konnte, wo der Einhebende 
Eigentümer der ripa war; die Hintersassen des Klosters, welche 
die Schiffsabgaben einhoben und bei denen die Schiffer an- 
legen muteten, um ihre Ware zu verkaufen, waren, wie die Ge- 
treideabgabe erweist, die dem Kloster aus den portus zugeht, 
Bauern *. In den vier letztgenannten portus dagegen, aus denen 
dem Kloster nur Geldabgaben als census zugehen, ist von 
Schiffsabgaben keine Rede; hier hatte also das Kloster am 
Hafenstrande vermietbares Eigentum, aber kein Zollrecht. Hier 
bleibt die Möglichkeit offen, dafs die Mieter, namentlich in den 
Städten Piacenza und Pavia, vom Kloster nur ein Haus gemietet 
hatten und am Hafen ein städtisches Gewerbe als Hauptbeschäf- 
tigung betrieben. Der Vorteil, den das Kloster aus dem Be- 
sitze eines solchen Hafenstückes hatte, bestand aber sicherlich 
nicht nur in dem Erträgnisse der Pacht, sondern auch darin, 



1 Ebendaselbst c. 708. 

* Ebenso wie im gleichen falle beim portus Mautuanus von Bobbio. 



86 



COMACCHIO UND DER PO -HANDEL. 



dafs seine eigenen Schiffe hier landen und Produkte des Klosters 
für dessen eigenen Verbrauch oder auch Waren ein- oder aus- 
laden konnten. Ein Beispiel für den Wassertransport von Produkten 
eines Klosters von einer Besitzung zur anderen bietet das breve 
inquisitionis von Bobbio, wo die massarii von Sorlasco ihren Fron- 
dienst dadurch ableisten, dafs sie „debent . . . coHigere olivas in 
Garda et trahere oleum et ferrum cum anona domnica de Sorlasco 
usque Placentia" *. Gerade in naturalwirtschaftlichen Zeiten war 
es für die grofsen Klöster wichtig, aufser ihrem grofsen arron- 
dierten Besitze an verschiedenen Orten Eigentum zu besitzen, 
namentlich z. B. in Pavia, um die Verbindung mit dem poli- 
tischen Mittelpunkte aufrechtzuerhalten; unter diesen Verhält- 
nissen war die Aufrechterhaltung und Erleichterung des Flug- 
verkehrs für die innere Wirtschaft des Klosters doppelt nötig. 
Wie schon erwähnt, ist Bobbio von Kaiser Ludwig II. für 

* seine Schiffe freie Durchfahrt (transitus) auf dem Po und Ticino 
zugestanden worden, wodurch die Verbindung einerseits mit den nur 
auf dem Po erreichbaren Besitzungen, andererseits mit Pavia ge- 
sichert war * ; an einen Handel aufserhalb der Besitzungen des 
Klosters scheint jedoch hierbei nicht gedacht zu sein, und von ripati- 
cum ist nicht die Rede. Aber auch wenn man von der auf römischem 
Gebiete gelegenen Kirche von Ravenna absehen will, der schon 
Kaiser Constantinus Pogonatus im 7. Jahrhundert Freiheit vom 
ripaticum gewährt haben soll, reichen weitergehende Begünsti- 
gungen schon in langobardische Zeit zurück. Wenn Adelchis 
in seinem letzten Privileg für das Familienkloster in Brescia ihm 
alle „dationes", insbesondere auch die „de singulas mercatoras 
et portoras" erläfst, so sind darunter natürlich auch ripaticum 
und palfictura inbegriffen 8 . Noch deutlicher ist das Privileg des 

- Desiderius für Farfa, in welchem dieses Kloster ausdrücklich 



1 Vgl. den letzten Anbang: Tabelle nr. 55 ; vgl. auch nr. 36. — Dazu die Schiffe 
des Klosters S. Resurrectionis in Piacenza, die „ad ripa Padi in capnt de Warde- 
stall a ... ablicaverint" und den Grandzins mitnehmen: Cod. Lang. nr. 30a. 

* Mühlbacher 1 183 (M. H. P. I, nr. 30, c. 51). — Ebenso dürfte die Er« 
laubnis, abgabenfrei durch die Häfen zu fahren, quandocumque necessitas imminet, 
für S. Maria Theodotae in Pavia in Berengar 27 aufzufassen sein. 

■ Troya nr. 985 — Cod. Lang. nr. 50. 



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COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



vom ripaticum befreit wird l . Die gleiche Begünstigung enthält 
übrigens auch das gefälschte Privileg desselben Königs für No- 
nantula, das immerhin einige echte Bestandteile zu enthalten 
scheint 2 . Auffallenderweise wurde die Begünstigung gerade für 
Farfa von den Karolingern in ihren ersten Privilegien nicht er- 
neuert, und erst Kaiser Lothar bestimmte im Jahre 823, dafs 
ein Schiff des Klosters „causa mercimonii" in den Meeren und 
Flüssen des Reiches zoll- und abgabenfrei verkehren dürfe 8 . 
Die gleiche Einschränkung mufste sich das Kloster von Brescia 
stillschweigend gefallen lassen, da Ludwig II. im Jahre 86b nur 
einem namentlich angeführten Bevollmächtigten der Äbtissin ge- 
stattete, „quocumque cum propriis mercimoniis negotiando per- 
rexerit", frei von ripaticum und Verkaufsabgaben zu handeln *. 
Die gleiche Begünstigung hatte Karl der Grofse dem Patriarchen 
Fortunat für vier Schiffe und Kaiser Lothar für zwei Schiffe 
dem Kloster vom heiligen Zeno in Verona zugestanden 6 . Eine 
weitergehende Begünstigung scheint in karolingischer Zeit nur 
dem an Italien angrenzenden, aber schon zu Frankreich ge- 
hörenden Kloster Novalese zuteil geworden zu sein 6 . 

Die formale Einschränkung des Handelsprivilegs der beiden 
Klöster, die von den Langobardenkönigen gerade zu der Zeit, 
als ihr Reich schon schwer bedroht war, so freigebig bedacht 
worden waren und deren Interessensphären sich über ganz Ober- 
und Mittelitalien erstreckten, scheint mir aber doch weniger mit 
einer Tendenz der Karolinger zusammenzuhängen, mit den könig- 
lichen Vergabungen sparsamer umzugehen, als damit, dafs der 
Bedarf nach einem so umfassenden Privileg gar nicht vorlag 
und dafs der Fernhandel der Klöster eben so wenig entwickelt war, 



1 Reg. Farf. doc. 1225. 

* Trojra nr. 721, p. 673; für eine echte Vorlage spricht die Erwähnung 
von Comacchio. 

* Reg. Farf. doc 266 = Müh Ibacher 983. 

4 Mühlbacher 1184 => Cod. Lang. 211. — Man vgl. Übrigens die gleiche 
Begünstigung bei Casssiod., Var. II, 30. 

* Mühlbacher 393 für Fortunat und für Verona Bestätigung durch Be- 
rengar nr. 11 vom Jahre 893, Nov. 9. 

6 Müblbacher 1087 (M. H. P. I, nr. 25, c. 42) vom Jahre 845. 



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88 



COMACCHIO UND DER PO - HANDEL, 



dafe em Schiff dafür genügte. Vielmehr war ihre Anteilnahme 
eine mehr passive. Der Fernhandel auf dem Po hatte sich zur 
Deckung hauptsächlich des Salzbedürfnisses Oberitaliens, das 
die Leute von Comacchio befriedigten, entwickelt; soweit die 
Kirchen und Klöster ihren Bedarf nicht dadurch deckten, dafs 
ihnen ein Anteil an der Naturalabgabe des ripaticum eingeräumt 
wurde, muteten sie von den Comacchiesen auf den städtischen 
Stapelplätzen, wo diese anlegten, einkaufen. Von hier ent- 
wickelte sich auch, wie das Beispiel von Cremona zeigt, ein 
aktiver Fernhandel der städtischen Bewohner ! . Daneben ent- 
wickelte sich notwendig ein interner Verkehr zwischen den 
einzelnen Besitzungen derselben klösterlichen Grundherrschaft, 
der wenigstens zum grofsen Teile durch Schlepp fronden auf dem 
Po vermittelt wurde, namentlich zwischen den entfernteren Be- 
sitzungen, welche irgendwelche spezielle Produkte lieferten, und 
dem Zentrum, dem Kloster, oder auch mit den Xenodochien, 
portus, Anwesen, welche die Klöster in den städtischen Mittel- 
punkten, wie in Pavia und Piacenza, besafsen. 

Auch aus diesen Verhältnissen ist zu erkennen, dafs die 
Grundherrschaft des Klosters im wesentlichen ein geschlossener 
Wirtschaftsorganismus war, dafs sie aber doch genötigt war, ge- 
wisse Waren durch Kauf zu erwerben. Der aktive Fernhandel 
Oberitaliens war und blieb noch wenig entwickelt. Doch das 
Beispiel der Cremonesen lehrt, in welcher Weise die Stadtbe- 
wohner an ihm teilzunehmen begannen, und zwei Einzelfälle, die 
zufällig überliefert sind, deuten die Art an, in welcher die 
Klosterwirtschaft mit dem Handel und anderen Wirtschaften in 
engere Verbindung kam. Nach dem Inventarium von Santa Julia 
in Brescia sind dreizehn Hintersassen des Klosters nicht nur zur 
Leistung einer Abgabe von zehn Pfund Seide an das Kloster 
verpflichtet, sondern auch dazu verhalten, diese Seide nach Pavia 
(wo das Kloster einen portus besafs) zu fuhren und dort zu- 
gunsten des Klosters um fünfzig solidi zu verkaufen * — Eben- 
falls in der Stadt Pavia aber, wo das Kloster von Nonantula eine 



1 VgL auch das obige Beispiel von Pavia. 
* Cod. Lang. c. 726. 



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COMACCHIO UND DER PO -HANDEL. 



8 9 



Zweigniederlassung besafs, verpachtete der Abt von Nonantula 
im Jahre 901 einem negotiator eine statio flir neunundzwanzig 
Jahre gegen einen Geldzins, damit er dort am „forum clusum" 
und in der Nachbarschaft von anderen stationes sein Geschäft 
betreibe *. Pavia erscheint hier als Absatzmarkt für Produkte 
der Landbewohner und Wohnort der negotiatores. — In diesem 
Zusammenhange erscheint es auch nicht bedeutungslos, dafs 
zwischen den Jahren 883 und 888 das Kloster Bobbio gerade 
in Comacchio von dem Venetianer Sabatinus einen Besitz er- 
warb * ; auch die Klöster Sankt Petrus in Caelo aureo in Pavia und 
Leno bei Brescia erwarben Salinen in Comacchio s . 

Allerdings tritt aber allmählich der Handel der Leute von » 
Comacchio gegenüber den jüngeren Konkurrenten zurück. Es ist 
bezeichnend, dafs in dem Pactum Lothars mit Venedig aufser 
den Städten auf dem venetianischen Fcstlande nur Comacchio 
und die Seestädte am adriatischen Meere genannt sind, während 
das Pactum vom Jahre 880 sich auf das totum regnum bezieht 
und namentlich auch schon das für den Po-Handel wichtige 
Ferrara, der erste Binnenhafen, einbezogen wird *. Wahrschein- 
lich lag auch in der Bestimmung des Pactums vom Jahre 888, 
welche das ripaticum auf höchstens ein Vierzigstel vom Gewichte 
festsetzte, eine besondere Begünstigung der Venetianer 6 . — Im 
Anfange des 10. Jahrhunderts werden als Schiffer auf dem Po 
aufser den Comacchiesen und Venetianern noch die Leute von 
Pavia, Cremona und Ferrara erwähnt 6 . 



1 Cod. Lang. nr. 393, c. 658 f. 

* Berengar nr. 1. Der Besitz fehlt noch in dem „Breve inquisitionis " 
von 883. 

8 S. oben S. 75 Anm. — Cod. Lang. nr. 626, c. 1074; vgl. auch die inter- 
polierte Urkunde für Reggio: Mühlbacher 229. 

4 M. G. Capit. II, p. 138, auch 142. Vgl. Viertelj. f. S.- u. W.-Gesch. a. a. O. 
6 M. G. ebendaselbst p. 145. 

• Dipl Berengar, ed. Schiaparelli nr. 81 (p. 219); vgl. auch DO. I. 
364 (a. 968) für Bergamo. — Die Zollstätten anf dem Po wurden übrigens in 
späterer Zeit im Anschlüsse an die Entstehung selbständiger Territorien wesent- 
lich vermehrt Vgl. z. B. die Aufzählung der Zollstätten von Seravale bis Pavia 
vom Jahre 1319 bei Pertile, Storia del diritto Italiano « II, 444, § 59, 
nr. 92. 



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90 



COMACCHIO UND DER PO - HANDEL. 



Wenn die Entwickelung des Handels in diesen Binnenstädten 
und wohl namentlich in Ferrara den Comacchiesen Schaden 
bringen mufste, so war vermutlich für die Zurückdrängung Comac- 
chios die feindliche Haltung der Venetianer noch von grösserem 
Gewichte. Wenige Jahre nachdem die Stadt im Jahre 87$ von 
den Sarazenen niedergebrannt war, während die Venetianer sich 
durch ihre Flotte geschützt hatten, wollten diese vom Papste 
die Grafschaft von Comacchio erlangen, überfielen dann die 
Stadt unter dem Vorwande, für einen Mitbürger Rache zu nehmen, 
und ihr Doge setzte venetianische Beamte ein. Ein halbes Jahr- 
hundert später finden wir Comacchio allerdings wieder der vene- 
tianischen Botmäfsigkeit entzogen. Abermalige Reibereien wegen 
angeblicher ungerechtfertigter Festhaltung von Venetianern in 
Comacchio fuhren aber abermals zum Kriege, zur Verbrennung 
der Festung durch ein vom Dogen Petrus Candianus entsendetes 
Heer und zu abermaliger Unterwerfung unter Venedig *. 



1 Johann, diac. Chron. Venet. ed. Monticolo p. 121. 127. 133. 



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Marktrecht und Munera. 



Auch verfolgt, besiegt und unterworfen haben die Römer 
durch ihre Paläste und Stadtmauern, die unzerstörbar schienen, 
die Langobarden in ihren Bann gezwungen. Aufser der wirt- 
schaftlichen Organisation der Grundherrschaft, die von den Lango- 
barden übernommen wurde, waren diese steinernen Überreste 
das konservative Moment, das die Barbaren mit dem Römertum 
verband, indem es ihre Siedelungsweise bestimmte. In Pavia 
wurde aus Theoderichs Palast das palatium der Langobarden- 
könige 1 , in den anderen Städten residierten die Herzoge oder 
die Vertreter des Königs in der curtis ducalis oder regalis. 
Neben ihnen waren innerhalb des Mauerringes mit ihren Neben- 
gebäuden noch andere curtes, die bei der Teilung vornehmen 
Langobarden zugefallen waren *. Wie die Verwaltungseinteilung 
nach civitates in den Herzogtümern weiterlebte, so blieb auch 
die städtische Ansiedelung mit ihrer Umfassungsmauer der Mittel- 
punkt, und zu wiederholten Malen suchten die Langobarden hinter 
den für Barbaren uneinnehmbaren römischen Befestigungsmauern 
Schutz, bis sich die Scharen der Franken oder Avaren wieder 
verlaufen hatten. 

Die Existenz der städtischen Ansiedelung bedeutete aber 
keineswegs eine strenge berufliche Scheidung des städtischen 
Gewerbes von der Landwirtschaft; waren doch in römischer Zeit 
die städtischen Kurialen gerade die Vertreter des mittleren Grund- 
besitzes, und in langobardischer Zeit sind die langobardischen 
Grundbesitzer neben dem Könige und den Herzogen auch als 
die Besitzer des städtischen Bodens zu denken. Einen grofsen 

1 VgL Darmstädter a. a. O. 184. 
* Solche curtes häufig in Urkunden. 



/■ 

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9 2 



MARKTRECHT UND MUXERA. 



Teil ihres Bedarfes konnten diese Grundbesitzer in natura von 
ihren Gütern durch ihre Hörigen und Sklaven beziehen. Aufser- 
dem gab es aber in römischer Zeit in den Städten auch eine 
in Korporationen organisierte, Handel und Gewerbe treibende 
Bevölkerung, wenn sie auch der Zahl nach schwerlich sehr hoch 
anzuschlagen ist. Wie Bücher namentlich aus dem Edictum 
de pretiis rerum venalium nachgewiesen hat, bestand diese Be- 
völkerung grofsenteils nicht aus Handwerkern, sondern aus Lohn- 
werkern, die nur das von den Konsumenten, den Landwirten, 
gelieferte Material verarbeiteten Zu diesen gehörten nicht nur 
Schuster, Schneider usw., sondern auch z. B. die Bauarbeiter, 
die als magistri Comacini auch in langobardischer Zeit begegnen. 
Andererseits gab es die negotiatores, Handwerker und Händler, 
von denen eine Hauptgruppe damit beschäftigt war, dem Teile 
der städtischen Bevölkerung, die nicht oder wenig Landwirtschaft 
betrieb, die Produkte der Landwirtschaft zu liefern, z. B. Ge- 
treide , Wein , Vieh usw. *. Auf diese Weise vollzog sich ein 
— wenn auch in bezug auf die Masse der beteiligten Bevöl- 
kerung und auf die Anzahl der Produkte beschränkter — Aus- 
tausch zwischen Stadt und Land. Abgesehen von den, einzelnen 
Grundherrschaften, die sich den Städten ebenbürtig an die Seite 
stellten, zugestandenen nundinae 8 war der städtische Mittelpunkt 
zugleich der Markt für den Austausch dieser Produkte. Was 
von den Kaufleuten herbeigebracht wurde, was die Landwirte 
auf den Markt führten, unterlag dem siliquaticum , der Abgabe 
von einer siliqua vom solidus des Verkaufspreises ; ausserdem griff 
die Staatsaufsicht preisregulierend ein, indem verfugt wurde, dafs 
auf dem forum rerum venalium nur nach dem von der Stadt- 
behörde festgesetzten Preistarife verkauft werden durfte *. Die 

1 Vgl. Bücher in „Zeitschrift f. d. ges. Staatsw." 50(1894), 679». 

• Vgl. z. B. Cassiod. Var. X, 28. 

• Dies Zugeständnis erfolgte ursprünglich durch eigenes Senatusconsult, dann 
durch kaiserliche Gewährung: Cod. Just IV, 60. — Vgl. auch die Beschreibung 
eines Jahrmarktes bei Cassiod. Var. VIII, 33. 

4 Über die Preisregulierung vgl. meine „Urkunde einer römischen Gärtner- 
genossenschaft" S. 6 ff. — Siliquaticum: Novell. Theodos. II, 27 (48) und 
Mommsens Index zum Cassiodor s. v. — E. Mayer, Markt und Zoll in 
Germanist. Abhandl. zum 70. Geb. K. v. Maurers S. 396, Anm. 3. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



93 



Händler, welche nicht selbst erzeugte Ware verkauften, unter- 
lagen aufserdem einer Gewerbesteuer, der auri lustralis collatio *, 
während die städtischen Handwerkerkorporationen dem Staate zu 
gewissen Diensten und Abgaben verpflichtet waren. Schon wegen 
der Überwachung und der geforderten Öffentlichkeit des Handels 
mufste dieser auf dem Marktplatze und auf gewisse Zeiten kon- 
zentriert werden * , während die Handwerker natürlich in ihren 
— allerdings häufig auf öffentlichem Grunde errichteten — Bu- 
tiken für ihre Auftraggeber arbeiteten, ohne an bestimmte Zeiten 
gebunden zu sein. Der Markt konnte nur dem Importe von 
Handelsgütern und landwirtschaftlichen Produkten in die Stadt 
dienen, während gewerbliche städtische Produkte in der Regel 
nicht auf dem Markte feilgeboten wurden. Markt und Hand- 
werk ergänzten einander wohl wirtschaftlich in spätrömischer 
Zeit insofern, als sie zwei Seiten einer und derselben Erschei- 
nung, des gegenseitigen Austausches von aufserstädtischen Pro- 
dukten gegen gewerbliche Arbeit waren; allein sie waren beide 
selbständig organisiert. 

Andererseits war es allerdings auch möglich, dafs, auch wenn 
das städtische Handwerk zurückging oder verschwand, weil die 
Grundherrschaft durch ihre Ministerialen den Grofsteil ihrer ge- 
werblichen Bedürfnisse selbst deckte, der Markt in der Stadt, 
als dem Zentrum einer Anzahl von Grundherrschaften, bestehen 
blieb, wenn die Grundherrschaften hier ihre verschiedenartigen 
Produkte gegeneinander umsetzten oder ihre eigenen Produkte 
gegen den Import des Fernhandels. Die Frage nach dem Fort- 
bestande des Marktes ist daher nicht notwendig identisch mit 
der Frage nach dem Fortbestande des Handwerkes. 

Mit diesen Fragen hängt aber weiter die Frage nach dem 
Fortbestehen der spezifischen Steuern zusammen. Dafs die Ge- 
werbesteuer, die auri lustralis collatio, ebenso wie das tributum 
bei der naturalwirtschaftlichen Natur des langobardischen Staates 
wegfallen mufete, ist selbstverständlich ; sowie es negotiatores in 
ansehnlicher Zahl gab, wurden sie eben, wie die Grundbesitzer, 



1 Vgl. Cod. Theod. XIII, i. 
» Vgl. NoycII. Theod. ». a. O. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



zur Wehrpflicht und nicht zu einer Steuer herangezogen *. Anders 
steht es aber mit den Verkehrsabgaben und Diensten. Nicht 
nur der Fortbestand der Hafenabgaben 1 und verschiedener mu- 
nera, sondern auch die Existenz eines siliquaticum ist wenig- 
stens für die letzten Zeiten des Langobardenreiches ausdrücklich 
bezeugt 8 . Haben auch Handwerker Abgaben zu leisten 
gehabt? 

Die Urkunden König Hildebrands und König Ratchis' für die 
Kirche von Piacenza erzählen, dafs König Liutprand der Kirche zu- 
gestanden habe: „pensionem illam de sapone hoc est libras XXX 
quae palatii nostri ex Piacentina civitate inferebantur " ; König Liut- 
prand hatte also für sein „palatium" eine pensio von dreifsig 
Pfund Seife aus der Stadt Piacenza bezogen. Dafs die Stadt 
selbst, die als Korporation nicht mehr bestand, diese Abgabe 
nicht entrichtet hat, ist selbstverständlich ; sie kann nur von den 
Seifensiedern von Piacenza entrichtet worden sein 4 . Es ist dies 
zwar in unserer spärlichen Überlieferung ein vereinzelter Fall; 
man mag aber damit zusammenhalten, dafs Agilulf dem Avaren- 
khan SchifTszimmerleute zur Verfügung stellte, und andererseits in 
Betracht ziehen, dafs die Könige ganz in römischer Weise den 
Arbeitslohn der magistri Commacini, d. h. der Bauhandwerker, 
regulierten, was wiederum auf eine gewisse Abhängigkeit schliefsen 
läfst. Als die wahrscheinlichste Hypothese erscheint dann, dafs 
die verschiedenen Handwerker, die sich aus der Römerzeit er- 
halten hatten, zu gewissen Abgaben oder Diensten an das pa- 
latium, an den König oder den Herzog ihrer Stadt verpflichtet 
waren, während wohl die magister ferrarius und magister cali- 
garius, die aurifices und caldararii, pictores und sartores, die als 
freie Männer und teilweise als Grundbesitzer in den Urkunden 
des 8. Jahrhunderts in Lucca wie in Monza, in Pisa wie in 



1 S. oben S. 75. 

» S. oben S. 76 ff. 

• Vgl. Troya nr. 985. 

4 Troya nr. 566. 591, von mir kollationiert; vgl. den Anhang 2 n. 3. — An 
eine königliche „Fabrik" kann wohl nicht gedacht werden. Vgl. Darmstädter 
a. a. O. S. 292; Solmi, Le associazioni S. 62 f.; meine „Gesch. Italiens im 
Mittelalter" U/2, 43- 



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MARKTRECHT UNI) MUNERA. 



95 



Brescia erscheinen \ entweder Römer gewesen sein dürften, die 
in den Friedenszeiten eingewandert waren, oder freie Lango- 
barden, die aus dem Handwerke einen Beruf oder Nebenberuf 
machten und nicht mehr in die Abhängigkeit gerieten, in welche 
alle Römer zur Zeit der Eroberung geraten waren. Die Ver- 
schiedenheit der Auffassung, welche das erste vom zweiten Jahr- 
hundert der langobardischen Herrschaft unterscheidet, mufs eben 
auch in den Verhältnissen der Gewerbsleute zum Ausdrucke ge- 
kommen sein f . Wurden doch in der ersten Periode nur ab- 
hängige Römer geduldet; die Abgaben der Seifensieder in der 
königlichen Stadt Piacenza, die bis dahin durch ihre Abgaben 
als abhängig vom römischen Staate erschienen, nahm der König 
als Rechtsnachfolger des römischen Staates für sich in Anspruch ; 
ihr Status erschien dadurch als eine geminderte Freiheit, vielleicht 
als Aldionat. In anderen Städten mögen die Handwerker, so 
viele ihrer erhalten blieben, ebenso wie die Kolonen, den ein- 
zelnen langobardischen Grofsen zugeteilt worden und zu grund- 
herrschaftlichen Aldien, wenn auch vielleicht mit städtischem 
Wohnsitze, geworden sein. Viele Gewerbe mögen bei der Er- 
oberung ganz vernichtet worden sein; einerseits war der Be- 
darf nach gewerblichen Produkten bei den Langobarden natur- 
gemäfs geringer, und andererseits wurde er eben durch die Arbeit 
auf der und für die Grundherrschaft selbst zur Genüge gedeckt, 
sowie durch die Kriegsbeute, welche den Langobarden, die be- 
ständig auf dem Kriegspfade waren, zufiel. Erst mit dem Frieden 
entwickelte sich wie der Handel so das Handwerk, das nun von 
Freien in den Städten ausgeübt wurde. Sehr zahlreich mögen 
immerhin diese freien Handwerker anfänglich nicht gewesen sein, 
und es bleibt auch eine offene Frage, ob ein gröfserer Teil von 
ihnen auf eigenem Grund und Boden angesiedelt war oder Haus 
und Werkstatt von der Kirche, der königlichen curtis oder an- 
deren Grundbesitzern in Pacht hatte. 

Gewisse Luxusgüter konnten auf den Grundherrschaften über- 



1 Vgl. die Zusammenstellung in meiner „Urkunde einer römischen Gärtner- 
genossenschaft" S. 9. 

* Vgl. auch meine „Gesch. Italiens im Mittelalter" H/a, 18 ff. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



haupt nicht erzeugt werden; deshalb war für die aurifices Be- 
schäftigung vorhanden, sobald die Grundherren zu akkumulieren 
begannen; andere Fertigkeiten wurden nur auf den gröfseren 
Grundherrschaften ausgeübt, während die kleineren Grundherr- 
schaften oder auch abhängige Bauern ihren Bedarf in den Städten 
decken mufsten; die von frommen Seelen gestifteten Kirchen 
wurden doch in der Regel per manum artificum 1 erbaut , wenn 
auch die ganz grofsen Herren ihre eigenen Bauhandwerker 
hatten. Geld war bei den grofsen Grundherren, in den palatia 
und in den Kirchen, akkumuliert und konnte zur Deckung von 
Luxusbedürfnissen durch den Fernhandel und durch das Hand- 
werk benutzt werden. Dadurch wurde es wiederum den nego- 
tiatores und den Handwerkern möglich, sich vom Eigenbetriebe 
der Landwirtschaft ganz loszulösen und ihren gewerblichen und 
landwirtschaftlichen Bedarf einzukaufen, während z. B. die ab- 
hängigen Bauern Absatz für ihre landwirtschaftliche Produktion 
fanden und Geldabgaben an die Grundherrschaft leisten konnten. — 
Den Anstofs zu diesem tieferen Eindringen der Geldwirtschaft 
in die gesellschaftliche Struktur gaben offenbar die negotiatores 
und der Handel, namentlich auch seit dem Frieden der aus dem 
Auslande organisierte Transport fremder Produkte ; dieser Trans- 
port wurde aber naturgemäfe zum städtischen Mittelpunkte, zum 
Markte, geleitet; und im Anschlüsse an diesen Fernhandel ent- 
wickelten sich weiter, wie am Beispiele von Cremona zu er- 
sehen ist, die städtischen negotiatores, die in der Lage waren, 
sich vollständig von der Landwirtschaft loszulösen. 

Dafs die Marktplätze, soweit sie in römischer und gotischer 
Zeit öffentliches Eigentum gewesen waren, durch die lango- 
bardische Eroberung in das Eigentum der Herzoge und des 
Königs übergegangen waren, kann nicht bezweifelt werden; 
ebensowenig, dafs es als Recht des langobardischen Königs, 
wie früher der öffentlichen Gewalten, angesehen wurde, Zeit 
und Ort für die Märkte zu bestimmen, und dafs nur an solchen 
vom Könige bestimmten Märkten die negotiatores ihre Waren 
feilhalten durften ; ebenso mufs das Recht, das siliquaticum oder 



So z. B. in einer Urkunde aas Lucca: Troya nr. 470. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



97 



eine andere Marktabgabe einzuheben, als Regal betrachtet 
werden. In älterer Zeit werden diese königlichen (oder herzog- 
lichen) Rechte wahrscheinlich nur von geringer Bedeutung ge- 
wesen sein, wenn sich auch hier und dort an althergebrachter 
Stätte ein periodischer städtischer Markt in recht kleinem Mafs- 
stabe erhalten haben mag. Erst in späterer Zeit mögen die 
städtischen Märkte gröfsere Bedeutung gewonnen, mag auch das 
Recht des Königs, Grundherrschaften Marktkonzessionen zu er- 
teilen, praktisch geworden sein 

In dem Vertrage Sicards von Benevent mit Neapel, der 
viele Ähnlichkeit mit den mit Venedig abgeschlossenen Ver- 
trägen aufweist, wird nicht nur bestimmt, dafs die Kaufleute im 
Vertragsgebiete ihren Handel treiben und unter den üblichen 
Bedingungen die Flüsse befahren durften, sondern auch, dafs 
sie, wenn sie Handel treiben, „persolvant secundum antiquam 
consuetudinem" ; es wird ferner ausdrücklich verboten, dafs einer 
aufserhalb der Stadt einen Ochsen oder ein Pferd kaufe; ein 
solcher Verkauf durfte nur geschehen „infra civitatem vel in 
mercato presencia de iudicibus et ab eis ipse venditor cogno- 
scatur" ; ein Ochsen- oder Pferdekauf unter anderen Bedingungen 
sollte wie Diebstahl bestraft werden. Hier ist also wenigstens 
für den Viehhandel Marktzwang und Öffentlichkeit unter Auf- 
sicht von iudices sanktioniert *. Viel anders wird es wohl in 
Norditalien auch nicht gewesen sein. 

Soweit die erhaltenen Urkunden einen Schlufs zulassen, wird 
von den Karolingern in Italien das Marktregal prinzipiell fest- 
gehalten, aber von ihnen und ihren Nachfolgern bis in die 
Ottonenzeit tatsächlich vollständig aus der Hand gegeben. Die 
Immunitätsverleihungen schlössen ohnedies die Erhebung von 
Abgaben durch königliche Beamte auf den Grundherrschaften 
aus; die Konzessionierung eines neuen Marktes auf einer Grund- 
hertschaft bedeutete daher in jener Zeit auch die Überlassung 
der Abgaben an den Grundherren. Die alten städtischen Märkte 



1 Ober die Entstehung des Marktregals im Frankenreiche tgl. S. Rietschel 
a. a. O. § i. 

* Vgl. Sicardi p actio a. 836, c. 5. 13. 15. 
Hartman», Aaalekten. 7 



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9 8 



MARKTRECHT UND MLNERA. 



aber wurden mit ihren Abgaben allmählich alle an die Bischöfe 
übertragen, ebenso wie die Schiffahrtsabgaben, so dafs das Markt- 
recht schliefelich überhaupt allgemein den Grundherren und den 
Bistümern zukam und eine Konzesston von Seiten des Königs 
nach der Zeit der Ottonen nicht mehr erforderlich sein konnte >. 

Wie im Frankenreiche, so ist auch im italienischen Reiche 
das älteste bekannte Marktprivileg für St. Denys ausgestellt 
worden: Lothar gestattete — gemäfs der im Frankenreiche üb- 
lichen Formel — dem seit der fränkischen Eroberung auch im 
Süden der Alpen begüterten Kloster auf seinem Grundbesitze 
im Valtellin am Orte Haenohim oberhalb des Comersees „con- 
struere mercatum"; was an Abgaben von diesem Markte eigent- 
lich dem Könige zugestanden wäre, solle dem Kloster zugute 
kommen; zugleich werden zwölf freie Männer des Tales von jeg- 
lichem öffentlichen Dienste befreit *. Da diese Befreiung doch 
wahrscheinlich in irgendeinem Zusammenhang mit der Markt- 
gründung steht, könnte man daran denken, dafs diese zwölf die 
negotiatores waren oder werden sollten, die zur Beschickung des 
neuen Marktes im Interesse des Klosters angeeifert werden 
sollten. — Derselbe Lothar gewährte der Kirche von Volterra 
zwei Jahrmärkte, und Kaiser Ludwig II. fugte im Jahre 850 noch 
zwei andere hinzu, einen bei der Kirche zum heiligen Petrus in 
einem Hofe des Klosters aufserhalb der Stadt, einen anderen 
aber am Marienfeste (15. August) in der Stadt „in domo" selbst; 
auch in diesen Fällen verzichtet der König auf das teloneum, 
und es wird hinzugefügt, alle Nationen sollten das Recht haben 
„usum negotii perfruendi" *. Lothar bestätigte auch den Kano- 
nikern von Arezzo einen schon früher bestehenden Markt, der 
zu zwei ihnen geschenkten villae gehört 4 . Am ausfuhrlichsten 
ist wohl das Privileg Ludwigs II. für Bobbio, dasselbe, in welchem 
den Schiffen des Klosters Abgabenfreiheit auf dem Po und 
Tessin zugestanden wurde; hier heifst es: „ut mercatus annuus 

» Vgl. Handloike a. a. O. S. »7. 

' Mühlbacher 1003. Dnrch die Freundlichkeit des Kollegen Lechner 
konnte ich in den Apparat der „ Monument» M Einsicht nehmen. 
■ Miihlbacher 1147. 
4 Miihlbacher 1074. 




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MARKTRECHT UND MUNERA. 



99 



in villis aliquibus eiusdem monasterii sub potestate et dispositione 
rectorum eius et ministrorum, secundum quod opportunum fuerit, 
fiat; et neque in ipso mercato neque in profectione aut reditu 
ab ipso mercato aut etiam ad transitum navium supra comprae- 
henso vel in reditu ab ipso transitu quispiam exigere praesumat 
praeter ipsius monasterii potestatem" l . Hier ist also nicht ein 
bestimmter Markt zugestanden, sondern dem Kloster überlassen, 
wo und wann es auf seinem Besitze Markt halten lassen will; 
als einzige berechtigte Marktbehörde erscheint die Grundherr- 
schaft; und das Privileg wird ausdrücklich so weit ausgedehnt, 
dafs die Kaufleute auf der Hin- und Rückreise abgabenfrei sein 
sollen. — Diese letzteren Bestimmungen finden sich auch in 
dem Privileg Kaiser Ludwigs II. für Piacenza, in welchem die 
Jahrmärkte bei den Kirchen des heiligen Antoninus, des heiligen 
Syrus und des heiligen Laurentius bestätigt werden, und in dem 
späteren Privileg Kaiser Karls III. (vom Jahre 88 1), in welchem 
sie auf alle Orte, ubicumque mercatum construxerint, ausgedehnt 
werden 8 . 

Diese älteren Marktprivilegien zeichnen sich dadurch aus, 
dafs sie sich auf neu entstandene oder neu zu gründende Märkte 
auf Kirchenbesitz oder auf dem Besitz einer Grundherrschaft 
beziehen, die von den Königen anerkannt, deren Aufsicht und 
Einkünfte den Marktherren im Sinne der Immunität ausdrücklich 
zugestanden werden, nicht aber auf ursprünglich königliche 
Märkte auf öffentlichem Grunde. 

Eine zweite Reihe von Urkunden aber, die erst mit den 
letzten Karolingern zu beginnen scheint, ist dadurch gekenn- 
zeichnet, dafs bestehende königliche Märkte an die Kirchen ver- 
schenkt werden. Mitunter erscheinen die mercata, wie telonea 
und ripatica, nur in der Pertinenzformel als Zubehör eines ge- 
schenkten königlichen Hofes 8 ausserhalb der Stadt. Wichtiger 

1 Mühlbacher 1183 = Cod. Lang. nr. 218, c. 365. 

• Mühlbacher 1217. 1573. Von späteren vgl. u B. Berengar 77 (911) 
and Böhmer 1279 (Maratori IL. 869) für Monte AmiaU (Wochen- oder Jahr- 
markt). — Wochenmarkt and Jahrmarkt an bestimmten, der Kirche von Novara 
gehörigen Orten auch B er eng. Dipl. 123. 

» Vgl. u B. Mühlbacher 1592 and Bereng. DipL 37. 43. 

7» 

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IOO 



MARKTRECHT VNT> MUNERA. 



erscheinen aber die Falle, in denen die curtis regia der Bischofs- 
stadt selbst mit dem öffentlichen Gute und als Zubehör geradezu 
die ganze Abgabenhoheit in der Stadt verschenkt wurde ; in der 
Stadt hat es sich dabei offenbar hauptsächlich um den sich an 
den Wochenmärkten, namentlich an Samstagen, abwickelnden 
Verkehr gehandelt, während auiserhalb der Stadt die Jahrmärkte 
allein vorherrschen. So überlassen Karlmann und Karl III. dem 
Bischof von Parma: „cortem regiam infra civitatem Parin am cum 
omni officio suo ac toloneum et districtum eiusdem civitatis 
et ambitum murorum in circuitu et pratum regium" l . Lambert 
und Berengar bestätigen der Kirche von Mode na „loca in quibus 
predicta civitas constructa est", ferner alle census von bestehen- 
den oder noch zu errichtenden viae, pontes, portae, in einem 
Umkreise von einer Miglie *. Im Jahre 913 schenkt Berengar 
der Kirche von Vercelli aulser dem „locus qui olim Curtis Regia 
dicebatur" , der an den mercatus publicus und das macellum 
anstöfet, samt teloneum und census, den Jahrmarkt und den 
samstagigen Wochenmarkt* Dieselbe Bedeutung hat es, wenn 
die Kirche von Mantua im Jahre 894 von Berengar „omne 
teloneum, ripas et ripaticum et ficturas palorum ripe Mantuane 
civitatis et porti" erhält 4 . In Cremona waren die Verhält- 
nisse insofern anders als in Parma und Vercelli, als die Stadt 
keinen eigenen Königshof gehabt zu haben scheint, sondern 
von der curtis regia Sexpilas abhängig war, während die Zoll- 
einnahmen aus dem Po -Hafen der Kirche, wie erwähnt, schon 
längst zugefallen waren; da nach der Verwüstung der ganzen 
Gegend durch die Ungarn der Hof von Sexpilas und die Graf- 
schaft Brescia sich Übergriffe erlaubten, übertrug Berengar im 
Jahre 916 aulser dem Jahrmarkte auch alle sonstigen Zölle und 
Abgaben von Märkten, welche der Bischof innerhalb der Stadt 
oder in einem Umkreise von fünf Miglien einrichten würde, der 
Kirche • 



1 Mühlb.cher 1501. 1651 (Affö, Stork di Parin I, >94~ 30$). 

* Bereng. Dipl »4 w»d Böhmer 1308. 

* Bereng. DipL 87. Vgl Darmstidter a. a. O. i*>. 
4 Bereng. DipL 12. 

* Bereng. DipL 112. VgL Darmstidter a. a. O. 148fr. (Sospiro). — 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



lOI 



Neben den auf grundherrschaftlichem Gebiete mit Geneh- 
migung des Königs begründeten Märkten und den alten, auf 
öffentlichem Grunde bestehenden Märkten in den Städten, die 
allmählich im Laufe des 10. Jahrhunderts wohl durchaus in den 
Besitz der bischöflichen Kirchen übergingen, entwickelt sich seit 
den Ungarneinfallen im Beginne des 10. Jahrhunderts ein neuer 
Typus des Marktes in Verbindung mit den neu angelegten 
Kastellen. Es ist gewifs mit Recht bemerkt worden, dafs die 
Verleihung des Marktrechtes — nebst Immunität und Königs- 
schutz — an die Gründer solcher Kastelle und an die Wieder- 
hersteller zerstörter Stadtmauern zugleich eine materielle Ent- 
schädigung war, die Privatpersonen dazu anspornen konnte, die 
Schutzanlagen herzustellen, welche das Königtum in seiner 
Schwäche vernachlässigte l . Andererseits war es die natürliche 
Folge der unsicheren Zeiten, dafs sich auch die Kaufleute und 
die Märkte hinter Mauern und Türme zurückzogen. Die Stadt- 
mauern waren öffentliches Gut, Königsgut, aber auch das Recht, 
Befestigungen neu anzulegen, betrachtete man als Regal, und 
so mufste den Bischöfen die Stadtmauer ausdrücklich geschenkt 
und ihnen die Erlaubnis erteilt werden, sie wieder aufzubauen 
und stärker zu befestigen. Ebenso erhielten Einzelpersonen das 
Recht, auf eigenem Grunde Befestigungen anzulegen und die 
öffentlichen Strafsen derart zu verlegen, dafs sie das Kastell im 
Interesse der Zoll- und Marktabgaben berühren mufsten. In 
einem Falle scheint das Recht, ein Kastell zu erbauen und alle 
Wege dahin zu leiten, von Berengar seiner Tochter, der Äb- 
tissin von Santa Julia in Brescia, nur erteilt worden zu sein, um 
den dem Kloster gehörigen Ticino- Hafen zu schützen*. Im 
Jahre 906 gestattet Berengar einem Subdiakon der Kirche von 
Verona, ein Kastell in Nogaria am Tartaro anzulegen „et infra 
ipsum Castrum negotia exercere et mercatum qdificare", sowie 



Vgl. ferner die Urkunden Ludwigs HL für Como vom Jadire 901 (Cod. Lang, 
nr. 388); Berengar nr. 52 und 67 für Treviso und Ceneda, sowie nr. 60 für 
S*. Maria in Gazo. 

1 Vgl. hierzu Handloike a. a. O. S. ioff. 

* Bcreng. Dipl. HO. 



102 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



ripaticum, palifictura, teloneum einzuheben *. Im Jahre 911 ge- 
stattet derselbe König einer ganzen Reihe von Personen, an 
deren Spitze der vicedominus der Kirche von Novara, Leo, 
steht, die Errichtung eines Castrum auf ihren Besitzungen; und 
bald darauf erhält derselbe Leo das Jahrmarktsrecht *. Um die- 
selbe Zeit erbaut ein Subdiakon von Ticinum mit königlicher 
Ermächtigung ein Kastell, das Berengar dann unter seinen Schutz 
nimmt, indem er zugleich zugesteht: „in suprascripto castello 
mercatum facere vel negotiatoribus aut quibusque hominibus, 
cum oportunum fuerit, negotiationum commertia tarn infra idem 
castellum quam circa exhibere" und natürlich die Marktabgaben 
auf den Marktherrn überträgt 3 . 

Der Gegensatz zwischen dem Wanderhandel der Jahrmärkte 
und dem ständigen Handel tritt in unseren Quellen nicht her- 
vor, weil die rechtlichen Verhältnisse für beide die gleichen waren 
und weil sich wohl vielfach dieser aus jenem entwickelt hat. 
Dafs der Jahrmarktshandel auf dem Lande auf die soziale Schich- 
tung in der Regel keinen Einflufs übte und nur dazu diente, die 
Lücken in der regelmäfsigen naturalwirtschaftlichen Deckung des 
Bedarfes auszufüllen, bedarf keines Beweises. Anders in den 
Städten, wo nicht nur die Jahrmärkte häufig zu lange andauernden 
Messen ausgedehnt, sondern offenbar die samstägigen Wochen- 
märkte die Entwickelung eines ständigen Marktes und einer sefe- 
haften Kaufmannschaft begünstigten. Die Anregung der Handels- 
tätigkeit von aufsen läfst sich an dem Beispiele von Cremona 
verfolgen. Hafen und Markt, ripaticum und teloneum gehören 
zusammen ; die Hafenstädte, die zugleich die wichtigsten Märkte 
sind, wie jene Kastelle, durch welche die Landstrafsen künstlich 
hindurchgeleitet wurden, sind die natürlichen Stapelplätze. In 
den neuen Kastellen mufsten aber die Marktplätze für die „nego- 
tiatoribus aut quibusque hominibus" erst geschaffen werden. In 
den alten Städten müssen sie in der Anlage schon seit Römer- 
zeiten bestanden haben. 



Bereng. Dipl. 65. 
Bereng. Dipl. 76. 78. 102. 
Bereng. Dipl. 106. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. IO3 

Aus einer Urkunde Berengars ergibt sich, dafs aus einem 
Markte nicht nur teloneum, die Marktabgabe, sondern auch cen- 
sus, was hier wohl Pacht heifst, gezogen wurde, dafs zum Markte 
auch mansiones gehören *. Von der statio am „forum clusum" 
in Pavia, die vom Abte von Nonantula verpachtet wird und in 
der der pachtende negotiator in der Nachbarschaft von anderen 
sein Geschäft betreibt , ist schon die Rede gewesen *. In Ver- 
celli ist ein „mercatum publicum" genannter Platz und ein 
„macellum" bezeugt 8 . In Mailand aber verschenkt Kaiser Otto I. 
aus seinem königlichen Besitze an das Kloster S. Ambrogio 
fünf areae auf dem mercatum publicum, auf welchem an ver- 
schiedene Personen verpachtete stationes errichtet sind, und auf 
demselben Marktplatze eine „sala . . cum stationibus inibi ban- 
culas ante se habentibus" 4 . Es sind also genau dieselben Ver- 
hältnisse, wie in den Städten des römischen Rechtsgebietes, z. B. 
in Rimini oder Ravenna 5 . Die mansiones und stationes setzen 
aber ansässige negotiatores voraus, welche sie gepachtet haben, 
um in der Stadt am Markte zu wohnen und ihre Waren feil- 
zuhalten. Zu demselben Zwecke diente offenbar vielfach der 
Grundbesitz, welchen die grofsen Klöster in den grofsen Markt- 
städten ihr eigen nannten. 

Es ist wieder Cremona, wo die negotiatores als ein selb- 
ständiger Teil der Bevölkerung zuerst deutlich hervortreten. Die 
Ungarneinfalle hatten auch in dieser Stadt die Kirche zum Bau 
neuer Mauern und Strafsen, Türme und Tore bewogen; infolge- 
dessen gab ihr Berengar im Jahre 916 — gegenüber den An- 
sprüchen der öffentlichen Beamten der Grafschaft Brescia und 

1 Es handelt sich um den Markt von Vimcrcatc, Berengar. Dipl. 104: 
„Mercato ... cum telooeo vel censn aut redibitionibos cum omni caratura sua 
et terram que ad eundem mercafum aliquo modo pertinet siraal cum mansionibus 
et omnibus ad se pertinentibus." 

9 S. oben S. 89. 

' Bereng. Dipl. 87. 

* DO. L 145. 

* Eine statio in Ariminum z. B. im Cod. Bar. 58 (Fantuzri I, p. 24); 
eine andere ebenda am forum ebendaselbst 61 (Fantuzzi I, p. 27). Eine 
„ mansione ... et statione ad macellum faciendum" in Ravenna vom Jahre 102 1: 
Fantuzzi II, nr. 26, p. 57; vgL auch oben S. 23. 



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104 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



des Königshofes Sospiro — das ausschliefsliche Recht auf die 
Erhebung nicht nur der schon früher zugestandenen Hafenabgaben, 
sondern auch des portaticum (Torabgaben) und des teloneum, 
sowie das Recht, neue Märkte zu errichten, und erstreckte die 
Immunität auf einen Umkreis von fünf Miglien Offenbar eben 
durch die Unsicherheit der Zeiten hervorgerufene Wirrungeu 
und Veränderungen begünstigten einen Versuch der städtischen 
negotiatores, welche es, wie es in einer Urkunde König Rudolfs 
von 924. heilst, unternahmen, den Hafen der Kirche zu zer- 
stören und ihn an einen anderen Ort zu verlegen; die Absicht 
kann nur gewesen sein, die Waren den von der Kirche erho- 
benen Abgaben zu entziehen, aber der König untersagt alle der- 
artigen Unternehmungen, und es wird dem Bischöfe ausdrücklich 
bestätigt, dafs er das Recht habe wen immer, der irgendwelche 
Ware führe, zu empfangen (recipiat) und zum Handel zu ent- 
lassen (negotiari dimittat) ; hier handelt es sich offenbar um aus- 
wärtige Kaufleute (negotiatoribus eandem civitatem adeuntibus), 
die von den Cremoneser Kaufleuten unterschieden werden 2 , 
sowie um die Cremonesen, die selbständig Handel auf dem Po 
trieben, nicht etwa um Handwerker. Nun spricht eine Urkunde 
Ottos III. vom „mercatus antiquus", welcher dort lag, wo der 
Hafen war und das ripaticum eingehoben wurde s , und es stimmt 
damit überein, dafs in älteren Urkunden offenbar vorausgesetzt 
wird , dafs sich der Handel am Hafen selbst abwickelt 4 . Der 
„mercatus antiquus" fuhrt zu der Vermutung, dafs der Bischof 
bei Gelegenheit des Neuaufbaues der Mauern einen neuen Markt 
in die neue Stadt legte ; die Kirche konnte zu den übrigen Ab- 
gaben auch das portaticum für die Einfuhr durch die ihr ge- 
hörenden Stadttore erheben und die Kaufleute nötigen, auf dem 
neuen Marktplatze, der der Kirche gehörte, Baulichkeiten für 
den Betrieb ihres Geschäftes pachtweise zu erwerben. 

Wie dem immer sei, spricht jener abermalige Versuch der Kauf- 



1 Bereng. Dipl. 112. 

* Cod. Lang. nr. 508, c. 872. Dazu 

• Cod. Lang. nr. 950. 

« Vgl. z. B. Mühlbacher 1146. 




Handloike a. a. O. S. 100. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. I0 5 

leute, sich den Abgaben zu entziehen, wie schon hervorgehoben 
worden ist, dafür, dafs sie eine selbständige Stellung und eine 
Art Organisation gehabt haben müssen und diese trotz der weit- 
gehenden, dem Bischöfe eingeräumten Privilegien aufrechterhalten 
haben. Die freien Bürger von Cremona nimmt dann Otto III. 
unter seinen Schutz, verleiht ihnen freie Wald- und Weidenutzung 
und Fischerei dort, wo bisher die Kirche allein berechtigt war, 
und sogar die lange erstrebte Freiheit von den Abgaben zu 
Wasser und zu Lande. Dieser Schutzbrief wurde allerdings nach 
wenigen Jahren als erschlichen kassiert und die Kirche wieder 
in alle Rechte eingesetzt 1 ; doch knüpft sich unmittelbar daran 
die Bewegung, die zur Stadtfreiheit fuhren sollte. — 

Es ist mit Recht hervorgehoben worden, dafs Gemein- 
eigentum, wenn solches bestand, für die Entwickelung der 
städtischen Bevölkerung von grofser Bedeutung sein mufste. 
Allerdings scheint es völlig ausgeschlossen, dafs die römischen 
Gemeindeländereien in der Langobardenzeit sich als solche er- 
halten haben, schon aus dem Grunde, weil es städtische Kor- 
porationen nicht mehr gegeben hat. Sie mufsten alle dem 
Könige oder Herzoge zufallen, und dies war nicht nur in lango- 
bardischer, sondern auch in karolingischer Zeit die einzige 
herrschende Anschauung *. Andererseits treten aber unzweifelhaft 
im 10. und Ii. Jahrhunderte Verhältnisse hervor, welche auf 
einen Anteil der späteren Gemeindeglieder an öffentlichem Lande 
hinweisen. Aber auch auf markgenossenschaftlichen Ursprung 
wird man diese Verhältnisse nicht zurückfuhren können, wie sich 
aus einer Betrachtung der „fiuvaida" ergibt, der einzigen Spur 
von gemeinwirtschaftlicher Ansiedelung, die man zwischen den 
sonst durchaus grundherrlichen Niederlassungen der Langobarden 
in Italien zu entdecken glaubte. 



1 Vgl. Handloike a. a. O. — DO. III. 198; 204 ff.; 222; 270; 360; 394 
(Cod. Lang. 878. 910«. 941 f. 950 f. 953. 963. 973. 977. 980). 

* Mit Recht ist für diese Anschauung die interessante istrische Urkunde 
Ughelli, Italia Sacra V, 1097— 1101 angeführt worden, wo der karolingische 
dux Johannes sagt: „Istas Silvas et pascua, quae vos dicitis, ego credidi , quod 
ex parte d. imperatoris in publico esse deberent" — während es sich um Ge- 
meinländereien auf ursprünglich römischem Gebiete handelt. 



io6 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



Seitdem Schupfer 1 zuerst ausfuhrlich die interessante Urkunde 
aus Pisa (Troya, Cod. dipl. nr. 481 vom Jahre 730) besprochen 
und gedeutet hat, spielt die fiuvaida (Viehweide) in der lango- 
bardischen Wirtschaftsgeschichte eine gewisse Rolle. Auch 
Brunner * stellt sie mit der „gemeinen Mark" zusammen. Im 
Zusammenhange mit den übrigen Forschungen über die Mark 
wird man die Frage stellen dürfen, was der Ursprung dieser 
langobardischen Einrichtung ist, ob sie auf ursprünglich germa- 
nische Verhältnisse Rückschlüsse zuläfst oder eine spätere Bil- 
dung ist. 

Der Inhalt der Urkunde ist folgender: Die beiden Söhne 
des Alchis verkaufen an einen Gesindemann des Königs „Sorte 
de terra nostra, quem avire visi sumus de fiuvadia in loco Arena 
savi (sie) 8 aliis coliverti nostri , uno Caput tenente in fossa et 
alio in palude prope terra stavili"; wenn aber „ipsa terrola 
portionem nostra in integro publicum requesierit et ad deve- 
sionem revinerit cuicumque in alio homine et novis in alio 
locum ad vicem sorte redditam fuerit ", so solle der Käufer das 



1 Schupfer, Degli ordini sociali e del possesso fondiario 
appo i Longobardi in „Sitzungsberichte der kais. Akad. d. Wiss.", 
phil.-hist. Kl., XXXV (1860), 432 ff- 

* Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I, 196t Erst als diese 
zuerst in der „Vierteljahrschrift f. Soz.- und Wirtschaftsgeach." I, 1 
(1903) erschienenen Bemerkungen über die fiuvaida geschrieben waren, lernte ich 
den Art. von Melch. Roberti, Dei beni appartenenti alle citta dell' 
Italia settentrio nale dalle invasioni barbariche al sorgere dei 
Comuni (Modena 1903, Estratto dalF Archivio giurid. „Fil. Serafini" 
XI, 1) kennen, in welchem der Verfasser, nach Vorarbeiten von Gaudenzi und 
Tamassia und ausgehend von einer ausführlichen Darlegung der römischen Ver- 
hältnisse und auf Grund des vollständigen Materiales in klarer Weise sowohl die 
germanistische Theorie ab die Theorie von der Fortdauer städtischen Grundbesitzes 
widerlegt und in wesentlichen Funkten zu denselben Schlüssen gelangt ist, wie 
ich. — Kowalewsky, Die ökonomische Entwickelung Europas 
(Deutsche Übersetzung, 1901) I, 477 ff., bespricht ebenfalls diese Urkunde und die 
zugehörigen Verhältnisse, ist aber von Willkürlichkeiten und Mifsverstandnissen 
nicht frei. — Wesentliche Aufschlüsse sind wohl von Tamassias Geschichte 
des Rechtes in Süditalien zu erwarten. 

• Dies die Lesung nach Simonetti in Studi storici I, 473; ist etwa 
„savi" = salvi(s) ? 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



IO7 



Recht haben, zum Ersätze des ihm entzogenen Stückes auf das 
neu zugewiesene Anspruch zu erheben. Es lag* danach nahe, 
bei der „sors" an die Hufe, bei der Neuaufteilung durch das 
„publicum" an die von Tacitus berichtete periodische Neuauf- 
teilung der Mark zu denken. 

Dieser Auslegung steht allerdings die genugsam feststehende 
Tatsache entgegen, dafs die langobardische Ansiedelung nach 
allem, was sonst von ihr bekannt ist, in durchaus privatwirt- 
schaftlicher Weise vor sich gegangen ist, da die Langobarden 
die sehr ausgebildete römische Grundherrschaft einfach über- 
nahmen und sich selbst an die Stelle der römischen Grund- 
herren setzten 1 . Das Wort „publicum" aber, das nach jener 
Auslegung die Markgenossenschaft bedeuten müfste, kommt 
sonst in den langobardischen Quellen nur etwa in der Bedeu- 
tung Fiskus oder königliche Verwaltung vor. Endlich kann 
man sich auch daran stofsen, dafs offenbar von „colliberti" die 
Rede ist und gerade nicht von ursprünglich Freien. 

Man wird also nach einer Erklärung suchen müssen, die 
mit dem, was man sonst von langobardischen Verhältnissen 
weife, in Übereinstimmung gebracht werden kann, und Urkunden 
aus dem Register von Farfa scheinen eine solche Erklärung zu 
bieten. 

König Ratchis und Herzog Lupo von Spoleto * hatten dem 
Kloster von Farfa einen gualdus publicus geschenkt, also offen- 
bar ein Stück jener Ländereien, welche dem Könige oder den 
Herzogen, d. h. eben dem publicum zugefallen waren, weil sie 
schon zur Zeit der langobardischen Ansiedelung nicht im Privat- 
besitze gewesen, keiner Grundherrschaft zugehört hatten. Nament- 
lich aber weil schon eine Anzahl Personen auf Teile dieses 
Waldes einen Anspruch zu haben glaubte, kam es zu 
einem Rechtsstreite, der von dem missus des Königs entschieden 
werden mufste *. Die Einwendungen, die von den Gegnern des 
Klosters erhoben wurden, sind interessant. Die Besitzer eines 



1 VgL meine „Geschichte Italien* im Mittelalter" II 1 , 40 ff. und II*, 5«. 

* Reg. Farf. 16. 

• Reg. Farf. 35 (vom Jahre 747). 



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io8 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



Weilers „Turris" behaupteten, dafs ihr Land nicht zum gual- 
dus gehöre; sie wurden verpflichtet, die Abgaben, die sie bisher — 
offenbar an das publicum — entrichtet hatten, von nun an 
dem Kloster zu leisten. Andere „consortes", die als coloni 
publici bezeichnet werden und die schon ihren früheren Hof 
„Ad sacerdotes" gegen einen anderen in dem gualdus hatten ein- 
tauschen müssen, weil der Hof „Ad sacerdotes" schon früher 
dem Kloster zugestanden worden war, mufsten sich nun wieder 
einen Umtausch gefallen lassen; es wurde ihnen mit der Mefs- 
schnur ein Stück des Waldes zugemessen, wobei bei der Be- 
stimmung der Gröfse der Umstand in Betracht gezogen wurde, 
ob das Land trocken, ob es schon bebaut war. Ein Dritter, 
der vom Herzoge freigelassen und dem bei seiner Freilassung 
die Parzelle, die er bebaut hatte, überlassen worden war, wurde 
verpflichtet, die Abgaben, die er bisher „in publico" geleistet, 
dem Kloster abzuführen. Auch sonst werden noch coloni 
publici und Gesindeleute genannt, denen „pro servitio", das sie 
geleistet, ein Stück des gualdus gegen eine Abgabe überlassen 
worden war, die sie von nun an an das Kloster abzuführen 
hatten. 

Die Analogie mit der fiuvaida ist deutlich. Die fiuvaida 
ist ein Ödland, das bezeichnenderweise „Arena" heilst, an den 
Sumpf angrenzt, im Gegensatze zur „terra stabilis"; auch die 
„Arena" ist offenbar königlicher Besitz; daher verfügt das 
„publicum" über das Land, behält sich, wie in Farfa, eine Neu- 
aufteilung vor, die um so leichter vor sich gehen kann, als hier 
wie dort die zeitweiligen Besitzer abhängige Personen sind, die 
wahrscheinlich auch für die Pisaner fiuvaida eine Abgabe zu 
entrichten hatten. Wie in Farfa Stücke des Waldes, wurden 
hier Stücke der Viehweide, d. h. auch nicht kultivierten Landes, 
zur Kultivierung ausgetan. Es ist wohl ein Beispiel mehr dafür, 
wie die königlichen Diener durch Landleihe belohnt wurden und 
wie Ödland kolonisiert wurde. 

Wenn der gualdus publicus nicht ausgetan war, weideten 
darin die Herden des Königs, peculia publica, hauptsächlich 
wohl die Schweineherden, deren Oberaufseher der archiporcarius 
war; andere Personen müssen für die Weide ihrer Herden eine 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



I09 



Abgabe zahlen, die castaldaticum, herbaticum, escaticum , glan- 
daticum oder ähnlich hiefs, wie aus anderen Urkunden her- 
vorgeht *. 

In einer späteren Urkunde, einem Privilege Kaiser Ludwigs II. 
fiirFarfa* heifst es: „Similiter quoque concedimus omnes com- 
munes pascuas, hoc est fiuvaidas, ut sicuti Uli homines, qui res 
suas praefato monasterio dederunt, eas per diversa habuerunt 
loca, ita nullo contradicente eas pars monasterii teneat et possi- 
deat, laboret et exerceat ubicumque partem suam cognoverit, 
iuxta quod eis visum utile fuerit." Offenbar ist diese Konzession 
ähnlich zu erklären, wie jene anderen ; wer sein Gut dem Kloster 
gibt, gibt damit' auch die Stücke von der fiuvaida, die ihm 
überlassen waren; es brauchen keineswegs mehr wirkliche 
Weiden zu sein, wie daraus hervorgeht, dafs das Kloster sie 
„laborare" und „exercere" kann. Immerhin ist es aber auch 
möglich, dafs bei „communia pascua" auch an gemeinsame 
Weiden einer Gruppe von Bauern gedacht werden kann 8 . Jeden- 
falls handelt es sich aber dann nicht um eine ursprüngliche 
Mark- oder Sippengenossenschaft, sondern um grundherrliche 
Bildungen. 

Was man als Rest des Kommunismus bei den Langobarden 
anführen zu können glaubte, geht auf königliche Verleihung auf 
Grund des Verfügungsrechtes des Königs über das nicht auf- 
geteilte feindliche Land zurück und mufe ebenso aus der Theorie 
der Mark gestrichen werden, wie etwa die Gehoferschaften. 

Aus den Urkunden von Farfa und ähnlichen ergibt sich 
aber auch, in welcher Weise Ödland, Wald und Weide aus 

1 Vgl. Reg. Farf. 318; doc. 12»$ u. a. 

* Reg. Farf. 318; nr. 435 (Otto L) ist nur der ersten Urkunde nach- 
gebildet 

* Vgl. Reg. Farf. doc. 1219 vom Jahre 756; auch die Bezeichnung „ad 
Campora communatia« bei Trojra, Cod. dipL 8aj, p. t86. M. Roberti 
a. a. O. ist doch der Ansicht, dafs sich in diesen verschiedenen Formen von Ge- 
meinbesiU die Wirkung der früheren Gewohnheiten der Langobarden ausspricht 
— womit natürlich nicht gesagt ist, dafs es sich um markgenoisenschaftliche Ver- 
hältnisse handelt; er betont, allerdings namentlich dem städtischen Besitze der 
römischen Zeiten gegenüber, dafs „e il diritto privato che regola questi rapporti 
comuni« (S. 34). 



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HO 



MARKTRECEIT UND MUNERA. 



der Nutzung des Königs in die Nutzung von anderen Personen 
und namentlich auch einer ganzen Gruppe von Personen über- 
gehen konnte. 

Adelchis gestand dem Kloster San Salvatore in Brescia in 
seinem grofsen Privilege zu: „ut animalia et peculia ex ipsa mona- 
steria omni in tempore pabulum et esca habere debeant per Silvas, 
vualdoras et per singulas civitates nostre in qua ipsa monasteria 
sunt constituta absque escadico vel aliqua datione seu contra- 
dictione iudicum nostrorum vel de actoribus nostris qui per 
tempore fuerint". 1 In den Bezirken, civitates, in denen San 
Salvatore Besitzungen hatte, weidete also sein Vieh in den 
königlichen Wäldern ; darin liegt aber nicht die Begünstigung, 
sondern in dem Umstände, dafs das escadicum erlassen wurde. 
Dafs die Verwaltung des königlichen Besitzes, wie die ganze 
langobardische Verwaltung, nach Stadtgebieten eingeteilt war, 
ist bekannt; daraus ergibt sich aber auch, dafs zunächst die- 
jenigen Personen gewöhnt oder berechtigt waren, den königlichen 
Besitz gegen eine Abgabe zu benützen, die innerhalb des 
Stadtgebietes, der civitas, des Gastaldates, in dem er lag, an- 
gesiedelt waren. 

In diesem Sinne sind wohl die von Aistulf gebrauchten 
Ausdrücke „gualdus publicus pecorum Spoletanorum " und nament- 
lich „silva hominum Reatinorum" zu verstehen*. Das Kloster 
Farfa erhält hier durch Desiderius dieselbe Begünstigung wie 
San Salvatore ; dafs seine Viehherden, „quae in suprascriptis 
finibus Reatinis habentur aut in antea nutrientur . . . per pascua 
publica omni tempore ambulent et nutriantur sine omni datico 
aut herbatico vel aescatico"; auch sollen sie „neque in ponte 
neque in via" belästigt werden, sondern „ambulent ubi et" pu- 
blica animalia consueta sunt ambulare" *. Ähnliches hatte schon 
einige Jahre vorher der Herzog von Spoleto Theodicius dem 
Kloster für Herden von bestimmter Gröfee zugestanden 4 . Kaiser 
Ludwig II. hat das Privileg auf das ganze Herzogtum Spoleto 

1 Troya, Cod. dipl. 985 = Cod. Lang. nr. 50. 

* Reg. Farf. doc. 1219, a. 756. 

* Reg. Farf. doc. 122$. 

* Reg. Farf. doc. 76 (83). 

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MARKTRECHT UND MUNERA. 



III 



erstreckt, d. h. doch wohl in dem Sinne, dafs die Begünstigung 
in jedem einzelnen Stadtgebiete für die in diesem gelegenen 
Klosterbesitzungen gelten sollte, und Otto I. hat es bestätigt *. 

Es braucht daher auch nicht wunderzunehmen, wenn im 
9. und 10. Jahrhundert bei Bergamo und Mailand „communalia" 
erwähnt werden 2 , sei es nun, dafs sie schon aus öffentlichem 
Besitze zu privatem geworden waren oder dafs sie ihren ur- 
sprünglichen Charakter bewahrt hatten; sei es, dafs alle freien 
Grundbesitzer der civitas ein Recht an ihnen hatten oder dafs 
gewohnheitsmäßig nur ein Teil, etwa die Anrainer, die könig- 
lichen Wälder und Weiden benützt hatte und nun aus der Ge- 
wohnheit sein Recht ableitete *. Was aber nicht von den 
langobardischen Königen und ihren karolingischen Nachfolgern 
schon an Private vergeben war, das mufste offenbar denselben 
Weg gehen, wie die meisten anderen öffentlichen Rechte; es 
gelangte eben an die Kirche. 

Wenn es in dem Privilege Berengars für die Kirche von 
Cremona vom Jahre 916 heifst, der Kaiser vergebe „quicquid 
ad publicam partem in eadem civitate vel foris usque ad 
miliaria quinque de comitatu Brixianensi iuste et legaliter huc 
usque pertinuit curaturam, et de curte nostra Sexpilas iuste et 
legaliter huc usque pertinuit, curaturam" etc., so ist darin unzweifel- 
haft auch das Recht zur Einhebung der üblichen Abgaben von 
öffentlichem Lande, namentlich auch das Weidegeld, mit inbe- 
griffen; und das gleiche gilt von den anderen Kirchen, deren 
Gebiet durch die Privilegien der Könige des 10. Jahrhunderts in 
ähnlicher Weise abgegrenzt wurde *. 

Diejenigen, welche früher die Wälder und Weiden gegen 
Abgaben genutzt hatten, wurden jetzt der Kirche abgaben- 
pflichtig, und bald erschienen die Kirchen als die Eigentümer, 
während die Nutzungsberechtigten sich ihrerseits der Abgaben- 
pflicht zu entziehen suchten und ein Recht aus der langjährigen 

1 S. oben S. 109 Anm. 2. 

* Vgl. Handloikc a. a. O. 113C; Cod. Lang. c. 202. 725. 728. 850. 475. 

* Vgl. auch Roberti a. a. O. 48 ff. and dazu die Besprechung von G. Lazzatto 
in Riv. Ital. di Sociologia VII, 63off. 

4 Vgl. die Zusammenstellung bei Handloike a. a. O. 36 ff. 



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112 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



Nutzung ableiteten. Deshalb heifst es in dem später als erschlichen 
bezeichneten Privilegs König Ottos III. für die freien cives von Cre- 
mona, sie sollten ,,pascua et Silvas " und „quicquid ad rempu- 
blicam pertinere noscitur" haben; und deshalb läfst dann der 
Bischof vom Kaiser und vor dem Gerichte seine Rechte wieder 
möglichst feierlich anerkennen *. Aber auch in den anderen 
Städten wurde um die Abgabenfreiheit gekämpft, während 
Konrad II. als Rechtszustand für Cremona wie für Mailand, Pavia, 
Piacenza die Verpflichtung zur Entrichtung eines census an die 
Kirche für die Benutzung der Wälder feststellt». 

Es sind dieselben „cives liberi, divites et pauperes", welche 
auch für die Befreiung vom ripaticum und teloneum gekämpft 
haben, und es handelte sich in beiden Fällen um ganz ähnliche 
Verhältnisse. Beim Kampfe um die Befreiung vom ripaticum 
erscheinen die cives als negotiatores , hier offenbar als Herden- 
besitzer; es sind aber dieselben Personen. In der Urkunde 
Kaiser Heinrichs II. für die Mantuaner vom Jahre 1014 werden 
diesen „arimanni" nicht nur hereditas und proprietas, sondern 
auch communalia garantiert, und es wird ihnen zugleich in ge- 
wissen Hafenorten, wie Summus lacus, Ferrara, Ravenna, teloneum 
und ripaticum erlassen 8 . Auch die negotiatores waren eben 
ansässig, und gerade die kleinen Grundbesitzer bedurften der 
Weideländereien, einer Art Allmende, wie sie auch bei den 
deutschen Marktansiedelungen zum wirtschaftlichen Bedürfnis 
wurde *, während die Großgrundbesitzer, die Grundherrschaften, 
sich gröfstenteils mit ihren eigenen Weiden begnügen konnten. 
Höchstwahrscheinlich hat sich Hand in Hand mit der Zahlung 
des Weidezinses auch schon frühe ein ausschließliches Recht 
dieser Grundbesitzer herausgebildet, die öffentlichen Weiden und 
Wälder zu benutzen. — 

Das gemeinsame Auftreten dieser arimanni oder cives in 
verschiedenen Städten hat zu der Vermutung geführt, dafs schon 
am Ende des 10. Jahrhunderts entsprechend den gemeinsamen 

4 DO. Ifl. 198; aaa (Cod. Lang. nr. 878. 941). 

• Handloike a, a. O. 113. Dipl. Konr. II. Karat. Ant VI, 53. 

• DH. II. 278 (nach Brefslau, M. G. DD. HI, p. 3*8 interpoliert). 
4 Vgl Rietschel a. a. O. 142. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. H3 

Rechten, für welche gekämpft wurde, auch eine gemeinsame 
Organisation bestanden habe, und man hat aufser dem Um- 
stände, dafs einige kaiserliche Privilegien an die Bürger ver- 
schiedener Städte gerichtet sind, auch den Umstand dafür geltend 
machen können, dafs z. B. in jener Urkunde Ottos III. für 
Cremona, in den Urkunden Heinrichs II. und Heinrichs III. für 
Mantua 1 die Hälfte des Strafgeldes den ,,predicti homines", 
den „predicti arimanni" zu zahlen war. Wem hätte die Bufse 
gezahlt werden sollen, wenn nicht eine Organisation bestand? 

Allein aus dem Rechte der Nutzung der ursprünglich könig- 
lichen, dann bischöflichen Wälder und Weiden gegen eine 
Abgabe kann aber eine solche Organisation schwerlich erwachsen 
sein. Der wirtschaftliche Gegensatz zwischen den von der Kirche 
abhängigen Leuten, den ,, libellarii et manentes ecclesiae, qui 
absque proprio sunt et proprium non habent" *, und den An- 
sässigen und negotiatores ist ja im ganzen deutlich genug; er 
kann sich nicht im Verhältnisse zum kirchlich gewordenen 
öffentlichen Weidelande erschöpft haben. 

Die freien Grundbesitzer standen aber durch das System 
der munera, der persönlichen Leistungen in einem Verhältnisse 
zum Staate , das ihnen besondere Verpflichtungen auferlegte 8 . 
Nur die Abgaben aus römischer Zeit hatten sich erhalten, die 
auch bisher durch persönlichen Dienst geleistet wurden und 
immer noch einem Bedürfnisse entsprachen, und zu diesen scheint 
in erster Linie die Pflicht zur Erhaltung der Brücken und Wege 
gehört zu haben. 

Die Curatores viarum , denen nach dem Abkommen der 
Zensur seit der ersten Kaiserzeit die Fürsorge und Aufsicht über 
die Erhaltung der Strafsen in Italien oblag, verschwinden aller- 
dings im 4. Jahrhundert 4 . Schon zur Zeit der Kuratoren aber 



1 DO. III. 198 (Cod. Lang. nr. 878); DH. II. 278; DH. HI, a. 1055 
(Muratori, Ant. IV, p. 15s.). 

1 So im Diplome König Rudolfs für Crcmona von 924 (Cod. Lang. nr. 508). 

' Die folgenden Bemerkungen sind abgedruckt aus meinem Aufsätze im Bor- 
roann-Hefte der „Wiener Studien" (XXIV, 2): „De itinere muniendo". 

4 Vgl. Hirschfeld, Untersuch, auf d. Geb. d. röm. Verwaltungsgesch. I, 
109 ff., und Kubitschek, Jahreshefte des österr. archäol. Instituts V (1902), 240*. 
Hartmtnn, Ana Ickten. 8 



ii 4 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



kam es nicht nur vor, dafs zur Verbesserung und Erhaltung 
der Reichsstrafsen von den Anrainern bestimmte Geldbeiträge 
eingehoben wurden, sondern [die Vizinalstrafsen , die von den 
Reichsstrafsen abzweigten, wurden entweder durch die magistri 
pagorum, die von den Grundbesitzern Frondienste eintrieben, 
erhalten oder streckenweise unter die einzelnen Grundbesitzer 
ein- für allemal zur Erhaltung verteilt ! . 

Seit dem 4. Jahrhundert scheint auch die Erhaltung der 
Reichsstrafsen zu einem munus, und zwar zu einer Reallast ge- 
worden zu sein *. Die Aufteilung wurde nach dem allgemeinen 
Schlüssel für die Einhebung der Abgaben, der Zahl der iuga 
oder capita , vorgenommen s . In älterer Zeit wurde das iter 
munire unter die sordida munera gerechnet, von denen ge- 
wisse Klassen befreit waren 4 . Aber die Kaiser liefsen es sich 
angelegen sein, im Interesse der Instandhaltung der Wege 
keine Ausnahmen, nicht einmal zugunsten der Erbpächter der 
kaiserlichen Güter, zuzulassen 8 . Auch Justinian verordnete aus- 
drücklich, dafs von der Pflicht des Weg- und Brückenbaues trotz 
ihrer sonstigen Bevorzugung die Kirchengüter nicht ausgenommen 
werden sollten 6 . 

Als die Langobarden italischen Boden besetzten , haftete 
also auf den Gütern, die sie in Besitz nahmen, von alters her 
dies munus, das natürlich nicht von den Besitzern, sondern von 
den abhängigen Arbeitskräften der Güter, von den Kolonen, 
getragen wurde. Wenn vielleicht in früherer Zeit mitunter eine 
Neuaufteilung der Wegelast vorgenommen wurde, so konnte 
dies freilich jetzt nicht mehr oder nicht mehr in gleicher Weise 
vorkommen weil die Abschätzung nach iuga oder capita auf- 
gehört hatte. Die alte Gewohnheit mufste nun die regelrechte 
Bemessung vertreten. Da aber, wenn auch der Verkehr minder 



1 Vgl. die von Marquard II*, 89 zitierte Stelle des Siculos Flaccus 
p. 146. 

* Cod. Th. XV, 3 (de itinere muniendo) 1. 4. 5. 
■ Cod. Th. h. t. 5. 

4 Cod. Th. XI, 16 1. 15 und 18. 

• Cod. Th. h. t. 1. 1-6. 

6 Nov. last. 131, c. 5. Vgl. mach Branner, D. R. G. II, 294^ 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



115 



rege sein mochte, als in früheren Zeiten, das Bedürfnis vor- 
handen war, die Strafsen oder eine Anzahl von Strafsen zu er- 
halten, so war das Mittel hierzu durch die traditionellen Fron- 
dienste der Gutshörigen gegeben. 

Allerdings erfahren wir aus den langobardischen Quellen 
nicht viel über dieses Detail der Verwaltung, das einfach mit 
dem Besitze übernommen wurde. Nur in einigen Schenkungs- 
urkunden langobardischer Könige, in denen einzelnen Kirchen 
gewisse besondere Begünstigungen gewährt wurden, werden 
diese ausdrücklich von den scufiae (= excubiae) et utilitates, 
quas homines exinde in puplico habuerunt consuetudinem facien- 
dum oder von den scufias publicas et angarias atque operas, 
welche die Hintersassen bisher zu leisten hatten , befreit *. Es 
scheint mir kein Zweifel zu sein, dafs in diesen operae, angariae 
usw. die Wegelast inbegriffen ist. 

Dies ergibt sich aus karolingischen Quellen, welche von 
der Erhaltung und Herstellung der Brücken und Wege handeln. 
Denn schon ein Dezennium nach dem Sturze des Langobarden- 
reiches verfugt Pippin als König von Italien: ut de restauratione 
ecclesiarum vel pontes faciendum aut stratas restaurandum om- 
nino generaliter faciant, sicut antiqua fuit consuetudo, et non 
anteponatur emunitas etc. *. Von einer antiqua consuetudo 
konnte doch nur die Rede sein , wenn die Verpflichtung schon 
zur Langobardenzeit bestand. Charakteristisch ist, dafs, ebenso 
wie zu Römerzeiten, von dieser Verpflichtung keine Ausnahme 
durch Immunität zugelassen werden sollte. So heifst es auch 
in einem Kapitulare aus derselben Zeit: de pontibus vero vel 
reliquis similibus operibus que ecclesiastici per iustitiam et anti- 
quam consuetudinem cum reliquo populo facere debent hoc 
precipimus, ut rector ecclesiae interpelletur , ut ei secundum 
quod possibilitas fuerit sua portio deputetur»; es wird also der 
Teil der Arbeit, der auf ein bestimmtes Gut entfallt, nach alter 
Sitte festgestellt und zugewiesen; die Kirchen werden nur in- 



1 Troya, Cod. dipl. Long. nr. 693 und 985 (Aistulf and Adelchis). 
* Pippini Cap. IUI. a. 782 — 786 (M. G. LL. II, 1, p. 192), c. 4. 
■ Cap. Mantoanam II (a. a. O. p. 197), c. 7. 

8* 



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U6 



MAftETRECHT '„"SD ym-<~IR.\. 



sotern be^-änst^-t. als die Azsrjlnzg des Baues and die Ver- 
teilung der Arbeit innerhaTo der zugewiesenen Strecke der 
Kirche seibat überlassen, wird- Aas derselben Verordnung ist 
aber aucii zu ersehen, ca is der karolmgtsche comes den Bau 
anzuordnen, die Teile zuzuweisen und zu beaufsichtigen hatte, 
sind dies gestattet den weiteren Schluis. dais zur Zeit des Lango- 
bardenreiches die Autsicht über den Wegebau dem Vorgänger 
des comes, dem Gastal den oder dem dux zugefallen war. 

Karl deT Grofse hat, wie wir auch aus anderen Verord- 
nungen entnehmen können, sein Augenmerk beständig auf die 
nicht nur für den Verkehr innerhalb Italiens, sondern auch für 
den Zusammenhang des ganzen grolsen Reiches so wichtigen 
Kommunikationsmittel in Italien gerichtet 1 und nicht nur die 
alten erhalten, sondern auch neue Brücken bauen lassen. Die 
Fronpflicht traf immer dieselben Pflichtigen ; Ludwig der Fromme 
verordnet, dafs die zur Zeit seines Vaters erbauten Brücken ab 
his qui eos tunc fecerunt, restituantur et renoventur *, d. h. wie 
ein Kapitulare Ludwigs II. vom Jahre 850 ausdrücklich sagt: com- 
muni opera totius populi circum habitantis. Derselbe Kaiser 
legt auf die Erhaltung der Po-Brücke bei Pavia, die wegen der 
Verbindung mit Xorditalien und den Alpenpässen von jeher für 
Langobarden wie für Franken die gröfste Bedeutung gehabt 
hatte, besonderes Gewicht und verordnet: „Ut quicumque in 
kal. Marc, portionem suam pleniter restauratam non habuerit, 
tamdiu ibi ipse sedeat, quousque perfectissime consummatum 
habeat" 3 . 

Andererseits hat gerade Ludwig II. dem Kloster Bobbio be- 

1 Vgl. Pippini Cap. Papiense a. 787 Oct. (a. a. O. p. 199) c. 9. Schon 
Gothofred war in seinem Kommentare, in dem man alles findet, die Ähnlichkeit 
von Bestimmungen Karls d. Gr. mit römischen Gesetzen aufgefallen; Tgl. ru Cod. 
Th. XV, 3, 6. 

• Hlndovici Pii Admonitio a. 823—825 (a. a. O. 3o6f.), c. 22. 

• Hlndovici II Cap. Papiense a. 850 (a. a. O. II, 2, p. 87), c. 13. 
Über die Wichtigkeit der Po-Brücke vgl. schon Prokop, Goth. II, 25 und die 
Reiseroute des P. Zacharias (auf der Aemilia) in Lib. pont. v. Zachariae c. 14, 
15 u. a. — Vgl. auch Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte IV*, 29 ff. und 
Gaudcnzi im Bullettino dell' Istituto storico Italiano Nr. 22 (1901), 
p. 83 ff. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



117 



stätigt, dafs es „in ponte Ticini non aliud opus, quam antiqua 
consuetudo fuit, .... facere compellatur, hoc est foris et iuxta 
aridam", also offenbar auf festem Boden; ebenso hatte das 
Kloster Arbeit an der Brücke über den Mincio zu verrichten, 
und auch hier soll es nur „aream, non pilam in flumine" be- 
arbeiten *. Dafs das Kloster an beiden Flüssen Brückendienst 
zu leisten hatte, erklärt sich aus der Lage seiner Besitzungen. — 
In den Bobbienser Inventaren aus den Jahren 862 und 883 werden 
auf einer Besitzung des Klosters u. a. erwähnt: ,,Arimanni III 
qui de suo proprio pontem fatiunt cum parte monasterii in 
Papia" und andere zwanzig, „qui . . . faciunt pontem de parte 
monasterii in Papia" 2 . König Wido hat dann dem Kloster in 
seinem Privileg vom Jahre 895 ausdrücklich alle Brückendienste 
erlassen. 

Die Verpflichtung zum Dienste an der Po-Brücke scheint 
sich allerdings über mehrere Gebiete erstreckt zu haben. In 
der Regel wurden aber die Brückendienste nach civitates ge- 
ordnet ö , und da sie aufser den „ immunitates " und den „fisci" 
nur die liberi homines betrafen 4 und natürlich nur diejenigen, 
welche ansässig und nicht in die Wirtschaft der Grundherr- 
schaften einbezogen waren, den Dienst selbständig verrichteten, 
so konnte diese gemeinsame Verpflichtung abermals zu gemein- 
samer Organisation mitwirken. Und an einer Art gemeinsamer 
Organisation scheint es in der Tat nicht gefehlt zu haben; 
wenigstens sollen die Königsboten nach einem Kapitulare Lud- 
wigs des Frommen im Einvernehmen mit Bischof und Grafen 
diejenigen Personen bestimmen, welche für die Instandhaltung 
der Brücken und für die Verteilung der Arbeit verantwortlich 
sein sollten 5 ; und ähnliche Bestimmungen scheinen für die Strafsen- 



1 Mtihlbacher 1183 (Cod. Lang. nr. 218). 

Ä nr. 32 und 33 unserer Tabelle (Virdi und Monte Longo). S. oben S. 60. 

3 Vgl. unten Capit a. 818—819. 

4 Vgl. Capit. nr. 143, c. 3 (L p. 294). 

* Capit. a. 818—819, c. 8 (M. G. Capit. nr. 140, I, p. 288 = LL. IV, 
536. Vgl. Pertile, Storia del diritto Italiano *, I, 184): „Volumus, ut 
missi nostri per singulas civitates una cum episcopo et comite et misso nostro 
vel nostros homines ibidem commanentes eligant, quorum cura sit, pontes per 



ii3 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



und Kloakenerhaltung in den Städten bestanden zu haben *. 
Dazu kommt, dafs es ein Rechtsgrundsatz gewesen zu sein 
scheint, dafs diejenigen, welche zum Dienste an einer Brücke 
verpflichtet waren, eben dadurch von der Abgabe des pon- 
taticum an dieser Brücke befreit waren *, so dafs den Pflichten 
auch gewisse Rechte derselben Personen entsprachen. — Zweifel- 
los ist doch, wo der Kirche innerhalb eines bestimmten Be- 
reiches alles übertragen wurde, was „ad publicam partem per- 
tinebat", auch diese curatura 8 übertragen worden, namentlich in 
der Zeit, als bei der Wiedererrichtung der von den Ungarn 
zerstörten Städte auch die Rekonstruktion der Brücken, die 
Neuanlage und Verlegung der Strafeen notwendig und die Ent- 
scheidung darüber ausdrücklich ebenfalls den Kirchen über- 
lassen wurde. Auch hier waren es also Verpflichtungen der 
innerhalb des ausgesonderten Stadtbezirkes ansässigen Freien, 
welche, ursprünglich von der staatlichen Behörde eingefordert, 
später der Kirche zugute kamen, so dafs diese Freien einerseits 
gegenüber den aufserhalb des Stadtbezirkes Ansässigen abgesondert, 
andererseits in wirtschaftliche Abhängigkeit und wirtschaftlichen 
Gegensatz zur Kirche gebracht wurden. 

Auch die Verpflichtung zur Erhaltung der Stadtmauern, die 
auf das engste mit der Zugehörigkeit zur Stadt verknüpft sein 
mufste, läfst sich unter ähnlichen Gesichtspunkten betrachten. 
Wie der Begriff der munia, munera sich in uralter Zeit aus dem 
Mauerbau entwickelt hat, so hat auch dieses munus das römische 
Reich überdauert. Im 4. und 5. Jahrhundert, als die Instand- 
haltung der Befestigungen gegen die Barbareneinfälle ein Lebens- 
interesse des römischen Reiches war, schärften die Kaiser in 
wiederholten Erlässen ein, dafs kein Privileg von der Pflicht der 



diversa loca emendare; et eos qui illos emendare debent, ex nostra iussione 
admonere, ut unusquisque iuxta possibilitatem et qaantitatem eos emendare 
studeat." 

1 Capit. ItaL Karoli M. (M. G. Capit. I, nr. 105, p. 216). Vgl. Per- 
tile a. a. O. 185, n. 24». 

* VgL ebenda. 

* Unter curatura scheint häufig diese cura warum verstanden zu sein. Vgl. 
Berengar. Dipl. 77. 78. 87. 104 und namentlich wieder 112. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



II 9 



Mithilfe am Mauerbau entbinden könne und dafs die Last in ge- 
rechter Weise nach Mafsgabe des zur Steuer veranlagten Ver- 
mögens auf alle Bewohner aufgeteilt werden solle *. In der 
Gotenzeit bestand die Verpflichtung der possessores natürlich 
fort *, und es kann wohl als sicher angenommen werden , dafs, 
als Narses die Nordmarken Italiens mit Kastellen und befestigten 
Städten sicherte 8 , das alte System vollends nicht verlassen wurde. 
Die ältere Geschichte der Langobarden, die Geschichte ihres 
Widerstandes gegen Franken und Avaren beweist, dafs sie 
ihrerseits die Festungen in Oberitalien instand hielten, wenn- 
gleich über die Art, in der dies bewirkt wurde, nichts berichtet 
wird. Auch in der Stadt Rom aber scheint sich der alte Ge- 
brauch noch mindestens bis ins 9. Jahrhundert erhalten zu haben, 
als schon längst die Päpste die Sorge für die Stadtmauern von 
Rom und den anderen Orten des Kirchenstaates übernommen 
hatten. Papst Gregor IV. übernahm in Ostia „partem quandam 
murorum non modicam cum suis hominibus quasi in Sorte m", 
während, wie früher Papst Hadrian, Leo IV. bei der Befesti- 
gung der leoninischen Stadt, bei welcher er durch Geldbeiträge 
aus dem ganzen Reiche unterstützt wurde, „singulis civitatibus 
massisque universis publicis ac monasteriis" des Kirchenstaates 
abwechselnd die Arbeit übertrug, so dafs einzelne Türme und 
Mauerteile von der militia einer bestimmten massa ausgeführt 
werden mufsten *. 

Vor allem besteht aber ein merkwürdiges Zeugnis für das 
Fortbestehen der Einrichtung auf langobardischem Gebiete in 

1 Vgl. namentlich Cod. Th. XI, 17, 4; XV, 1, 34; 49. Nov. Theod. 
tit. 40, I (de pantapolis). 

» Vgl. Cassiod. Var. IX, 14; XII, 17. 

■ Vgl. meine „Untersuchungen zur Gesch. der byzant. Verwal- 
tung in Italien", S. 53. 152; „Gesch. Italiens im Mittelalter" I, 

35o f- 

* Vgl. Gregorovius, Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter III 4 , 
91 ff.; L. pont. v. Sisinn.; Greg. II, c. 2; Greg. III, c. 15; Hadr. c. 52 und 
92; Greg. IV, c. 40; Leon. IV, c. 70; in Centumcellae werden dagegen die 
Arbeiten conducto populo ausgeführt: ebendaselbst c. 102. Zwei Bauinschrif- 
teo der Leoninischen Stadt abgedruckt z. B. bei Duchesne, Lib. pont. L, 
p. 518, n. 52 und H, p. 137, n. 47. 



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120 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



dem Berichte eines Zeitgenossen über zwei an den Stadtmauern 
von Verona vorgenommene Ausbesserungen. Die erste war ver- 
anlafst durch die drohenden Avarenein fälle zur Zeit der Minder- 
jährigkeit des Königs Pippin von Italien, als Karl der Grofse 
befahl, die zum gröfseren Teile eingefallene Mauer, die doch 
noch vor nicht langer Zeit dem Könige Adelchis Zuflucht ge- 
währt hatte, wiederherzustellen und mit Türmen, Gräben, Pfahl- 
werk zu befestigen. Verona, die Stadt, die nach dem Bio- 
graphen des Papstes Hadrian „fortissima prae omnibus civitati- 
bus Langobardorum esse videtur" », war zur Langobardenzeit 
„publico studio munita", und immer, wenn sich ein Schaden zeigte, 
war er gleich durch den „vicarius civitatis" — unter dem nur 
der Herzog gemeint sein kann — ausgebessert worden. Während 
der Karolingerherrschaft war aber noch nichts für die Mauern 
geschehen. So mufste erst ein Streit darüber ausgetragen 
werden, ob, wie die Kirche von Verona behauptete, sie nebst 
den vier königlichen Klöstern und zwei königlichen Xenodochien 
der Stadt nur ein Viertel der „pedatura" der Mauern herzu- 
stellen hatte, oder, wie der Vertreter des Fiskus behauptete, 
allein ein Drittel. Die Entscheidung fiel zugunsten der Kirche, 
so dafs auch, als unter Lothar abermals eine Ausbesserung not- 
wendig wurde, auf die Kirche nebst den Klöstern nur ein Viertel 
entfiel *. — Es ist unzweifelhaft das alte munus, um das es sich 
handelt; nur dafs es nicht, wie in Römerzeiten, nach einem 
periodisch berichtigten Kataster umgelegt wird, sondern ge- 
wohnheitsrechtlich fixiert ist. Was aber die Kirche nicht zu 
leisten hatte, das entfiel offenbar und notwendig auf die übrigen 
Grundbesitzer. 

Als nun die königliche Gewalt nicht mehr imstande war, 
selbst für die Instandhaltung der Mauern zu sorgen und doch 
die Befestigungsarbeit infolge der Ungarneinfälle doppelt nötig 
wurde, begannen die Könige das Recht, Mauern und Befesti- 
gungen anzulegen und zu verbessern, den unmittelbaren Inter- 



1 L. pont. t. Hadr. c. 31. 

* Der interessante Bericht, der aas dem Jahre 837 stammt, ist abgedruckt 
bei Ughelli, Italia Sacra V, 711. 



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MARKTRECHT UND MUNERA. 



121 



essenten zu übertragen. Berengar bestimmte im Jahre 904, 
die zerstörte Stadt Bergamo solle wiederaufgebaut werden, „ubi- 
cumque ... episcopus et concives necessarium duxerint"; die 
Türme , Mauern und Tore sollten „ labore et studio . . . epi- 
scopi suorumque concivium et ibi confugientium sub (potestate 
et) defensione 44 der Kirche wiederaufgebaut werden. So gingen 
zugleich die Befestigungswerke selbst und die Leitung der Be- 
festigungsarbeiten in die Hände der Kirche über, während die 
„concives 44 tatsächlich auch in dieser Beziehung der Kirche 
pflichtig wurden. Zugleich war aber auch der Kirche das Recht 
eingeräumt, durch neue Anlagen dafür zu sorgen, „ut vigiliae 
et propugnacula non minuantur et sint sub potestate eiusdem 
ecclesiae 44 l . 

Ähnlich mufs es sich auch in den anderen Bischofsstädten 
verhalten haben, wenn uns auch für sie keine so ausführlichen 
Nachrichten zu Gebote stehen 2 . Eine Nachricht aus der Mitte 
des 10. Jahrhunderts beweist, dafs auch auf den weltlichen 
Territorien die auf den Grundstücken haftende Pflicht zur Instand- 
haltung der Befestigungen keineswegs vergessen war. Franca, 
die Witwe des marchio Almericus, schenkt nämlich der Kirche 
Santa Maria prope fluvium Adice veclo eine Anzahl Grundstücke 
mit der Bestimmung, dafs die auf ihnen ansässigen Leute „ad 
nullum placitum vadant neque custodiam nisi ad praedtctos 
sacerdotes eorumque successores et nullum redditum nec h er- 
bat i cum nec recollectam neque publicum faciant nisi ad prae- 
fatam ecclesiam , praeter ad Castrum restaurandum cum 
ceteris vicinis" 8 . Der Unterschied gegenüber dem in den 
Bischofsstädten üblichen Vorgange ist nur der, dafs dem Be- 
sitzer des Castrum sowohl das Castrum als auch die Arbeits- 



1 Bereng. Dipl. 47. — Es ist mit Recht bemerkt worden, dafs „Eigen- 
tum an Mauern, Strafsen, Plätzen" auch „Verwaltungsorgane" bedingt. Vgl. 
Davidsohn in D. Z. G. W. VI, 37. 

* Die Zugeständnisse der Könige in bezug auf das Recht, Befestigungen an- 
zulegen, sind zusammengestellt von Handloike a. a. O. 19 ff. 

" Urk. vom 6. XII. 954, datiert „Actum Castrum Rhodigii" bei Muratori, 
Ant. II, 131. Vgl. Pertile, Storia del diritto Italiano* 1, 371, § 40, 
n. 36. 



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122 



MARKTRECHT UND MUNERA. 



kräfte zur Erhaltung der Befestigung vorbehalten werden, während 
er sich berechtigt glaubt, auf alle anderen Abgaben zugunsten 
der von ihm bestifteten Kirche zu verzichten. — Vielleicht 
mehr noch, als andere Abgaben, mufs die Verpflichtung zum 
Mauerbau ein einigendes Band um die selbständigen Zugehörigen 
der civitas geschlungen haben; da irgendeine Organisation für 
die Überwachung und Ableistung dieser und der ähnlichen Ab- 
gaben wohl notwendig war, konnte diese am besten den doppelten 
Zweck erfüllen, die Bürgerschaft gegen den Abgaben heischen- 
den Bischof zu vertreten und eine Verbindung unter der Bürger- 
schaft selbst herzustellen l . 

Dreihundert Jahre später kehren in den Statuti der ver- 
schiedenen Kommunen ebendieselben munera wieder. Es ist 
aber fraglich, ob sie als eine direkte Fortsetzung der römisch- 
langobardisch - karolingischen munera, deren Genufs auf die 
Bischöfe und von diesen auf die Bürgerschaft übergegangen war, 
zu betrachten sind. Denn als die Bürgerschaft sich von der 
bischöflichen Herrschaft befreite, brauchen die munera als 
Naturalleistung nicht weiter bestanden zu haben, sondern können 
der Entwickelung der Geldwirtschaft entsprechend durch Geld- 
abgaben zugunsten der Kommune abgelöst worden sein. Aber 
in einer weiteren Phase der Entwickelung, als man schon ver- 
gessen hatte, dafs die Geldabgaben eine Ablösung der Natural- 
abgaben waren, können die munera neuerdings aufgekommen 
und nun noch aufser den Geldabgaben erhoben worden sein 

1 Erwähnt sei oor die Vermutung von Anemüller, Geschichte der Ver- 
fassung Mailands (1881), S. 21, der in Adam und Paganus, den Antragstellern für 
Aufhebung jeder Zollerhebung am Tage der Märtyrer Gervasius und Protasius 
— nach der angeblich aus dem Jahre 1098 stammenden Mailänder Inschrift — 
„mit der Verwaltung der städtischen Finanzen oder wenigstens der Marktzölle Be- 
auftragte" vermutet. 

* Vgl. analoge Vorgänge nach Pertile a. a. O. S. 476, § 59. — Über die 
verschiedenen „laboreria Communis" vgl. z. B. das älteste Statut von Parma an 
verschiedenen Orten. 



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Anhang. 



L 

Übereinkunft zwischen den Langobarden und den Comacchie- 
sen in betreff der von diesen in den Po -Häfen zu leistenden 
Schiffsabgaben. 715, Mai 10. 

Ex Registro Sicardi, Cremonae in bibl. common. A. 6. 25 f. i T . 
Troya, C. d. nr. 480. 

IN 1 NOMINE domini dei saluatoris nostri Jesu Christi die 
X. mensis magii indictione XIII * Ticino, tempore Lihutprandi regis. 

Capitolare a porrecto 4 a nobis cunctis fidelibus 5 Longo- 
bardorum, vobis Lupicino, uenerabili uiro presbitero 6 , simulque 
Bertarene magistro militi , Mauro et Stephano comitibus et per 
uobis cunctis habitatoribus Comaclo, qualiter debeatis uestrum 
peragere negotium homines uestri in partibus nostris seu in 
modiis quamque in preciis simulque ripatico pro eo quod antiqua 
consuetudo ab auctoribus nostris praeferam 7 . Judicia homines 
uestri pararunt; nunc quidem deo auxiliante remota sunt, ut 

1 Überschrift: Constitutio liuthprftdi regis löbardor . de censu portor . vi 
portuum. 

* Indictio XIII könnte 715 oder 730 sein; 715 ist anzunehmen, weil in 
diesem Jahre, nicht aber 730 Frieden zwischen Liutprand und den Römern 
herrschte; ferner weil nur ein Presbyter, nicht ein Bischof mit Liutprand ver- 
handelt, nach der Bauinschrift des Domes von Comacchio aber spätestens ind. VL 
während der Regierung des Erzbischofs Felix von Ravenna (708—7*5), also 
spätestens im Jahre 723 schon der „erste" Bischof von Comacchio eingesetzt war. 

• aus capitollare corr. 
4 aus porrecti corr. 

» fid, auf Corr. 
8 u~5 pfcro. 

T Hier wird eine Lücke angenommen. 



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124 



ANHANG. 



pacis temporibus pars parti perfruamur. Inprimis porto Man- 
tuano praeuidimus confirmare riparios tres, et quicquid miles 
habuerit ad uescendura, hoc et riparii cum eis commedere 
debeant 1 ; modio uero pensato libras triginta , cum quod suum 
peragat negotium; decimas uero dare debeant sale 8 modios XVIII, 
et tremisse uno palo soluendum tantummodo. Item in Capo 
Mincio 8 transitura debeat dare binos tremisses per singulas naues ; 
scamaritico uero nichil praeuidimus dare, sed libenter transire 
praecipimus. Item in porto Brixiano riparios IV instituimus se- 
cundum antiquum ; decimas uero dare debeant sale modios quin- 
decim , et palo soluendum tremisse uno , et modio pensato 4 de 
libris triginta cum ipsa decima dare debeant. Item in porto qui 
uocatur Cremona praeuidimus confirmare duos riparios ; decima 
uero dare debeant sale modios XV, et tremisse uno palo sol- 
uendum. Et qui uult sursum ascendere, det transitura solido 
medio ; si uenumdauerit ad quatuor, det pro medio tremisse modia 
dua, et si uenumdauerit ad sex, modia det III; nam amplius 
non detur, nisi quod precia posita fuerit. Et cum quäle modio 
uenumdauerit, cum ipso decimas detur, tantum est. Item porto 
qui appellatur Parmisiano praeuidimus duos confirmare riparios; 
ripatico uero et palo solitura simul in unum dare praeuidimus 
solido uno, oleo uero libra una, garo libra una, piper uncias 
duas. Item porto qui dicitur ad Addua riparios confirmare prae- 
uidimus duos ; decima uero dare debeant sale modios duodecim 
et tremisse palo soluendum. Simulque porto qui dicitur Lambro 
et Placentia qualiter Adda habuerit, hoc et ipsi consentire de- 
beant seu in ripariis quamque in decimis tantummodo 6 . 

1 ans debent corr. 

* aas sele corr. 

* capomcio. 

4 ans pensata corr. 

* Ego Johannes notarios huius exempli excmplar uidi et nie snbscripsL — 
Ego Gyrardns notarios hnios exempli excmplar nidi et sententia non mntata hic 
scripsi et sabscripsi. — Ego Sychardas dei gratia Cremonensis episcopns has duas 
institationes Comaclensibas a Liuthprando et a Karolo factas ideo scribi feeimus, 
qnoniam ex eis colligitor, quod Cremonensis portus, de quo sepe in infrascriptis 
priuilegiis agitur, sit portus antiquus a Lihutprando uel antea institutus et per 
Karolum confirmatus, et quia de his institutionibus mentio continebitnr in sequentibus. 



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ANHANG. 



125 



II. 

König Hildeprand bestätigt dem Bischof Thomas von Pia- 
cenza allen Besitz sowie die in einem Brande zugrunde gegangenen 
Urkunden, insbesondere die Klöster der heiligen Thomas und 
Syrus, Florentiola, Tolla, Gravacum, sowie das von Liutprand 
zugestandene mundium über die freien Weiber, die Kirchen- 
sklaven geheiratet hatten, die dem palatium zustehende Seifen- 
abgabe und die Hafenabgabe von einem Schiffe und schenkt 
das alte Po -Bett. 744, April 22. 

Kapitulararchiv von Piacenza. Kopie s. X — XL Auf der Rückseite : 

Exemplar pcepti Hilprandi rex. 
Troya, C. d. nr. 566. 

Flavius Hilprandus rex ecclesiae beatissimi martyris et con- 
fessoris Christi Antonini et Victoris sita foris muris civitatis Pla- 
centinq, ubi eorum sancta corpora requiescunt humata, et bea- 
tissimo patre nostro Thom$ episcopo custodi eius. Dominus ac 
redemptor noster Jesus Christus, volens omnes sanguinem suum 
pretiosum redemptor beatorum vitQ adgregare, ita nos exortare 
dignatus est dicens: Facite vobis amicos de mammona iniqui- 
tatis, qui vos in aeterna recipiant tabernacula. Qua ammonitione 
compulsi, [quonia]m * non nostro merito, sed eius pietate in re- 
gali sumus solio constituti, debemus sanctorum eius ecclesiis 
non solum olim concessa firmare, sed etiam cx nostris opibus 
grata offerre munuscula, quat[en]us * eorum orationibus tuti et 
pr^sentis regni gaudia firmiter teneamus et ad aeternam beati- 
tudinem non inveniamur inmunes. Idcirco manifestum est Om- 
nibus, quod non ante multum tempus merentibus malis Placen- 
tina est urbs in ignis incendio concremata et omnes munimina 
ecclesiae vestrae, quae ab antecessorum nostrorum tempore nunc 
usque fuerant facte, ab eodem incendio sunt conbustQ, per 
quibus ibi singulis fuerunt b rebus conlatis. Unde vestra almitas 
postulavit excellentiam nostram, ut per serenissimum nostrum 
preceptum omnia quicquid nunc usque habuistis, pr^scriptae ec- 
clesiae vestrae vel vobis deberemus firmare. Nos quidem, ut 

») Lücke. — b) fit«?. 



126 



ANHANG. 



fati supcnus sumus , misericordiarn diviaaro ac sanctoruni eius 
considerantes beneficia vel vestrae beatitudine audientes peti- 
tionem ho[c] * robustissimum nostrum praeceptu[m] * praepetite, 
ecclesiae vestre. et vobis fieri iussimus; firmantes in vos primum 
omninm quicqnid ab antiqois temporibus nunc usque ecclesia 
ipsa possedit in casis peculiis territoriis atque familiis u tri usque 
sexus vel aetatis, tarn quod ibi ab antecessoribus nostris regibus 
sunt conlata, quamque et quod singulis hominibus pro sue. re- 
medram anime. obtulerunt vel quotquot ex comparatione aut 
commutatione advenit et a precessoribus vestris pontificibus vel 
vobis aequo possesse sunt moderamine ; nec oon et confirmamus 
vobis omnes ecclesias dioceseas vestras ubiubi per singula loca 
statu tas, que. usque nunc a vobis vel decessoribus vestris Ordi- 
nate, sunt, simul etiam et monasteria, idest beatissimi apostoli et 
raartyris Christi Tbom<j atque Siri confessoris prope civitatem 
nostram Placentinam seu et monasteria Florentiola et Tolla atque 
Gravaco, quae asseruistis sub vestra fuissent tuitione et rectores 
suprascriptorum a vobis per iudicio fuissent convicti, ut amodo 
in antea vobis canonica inpendant oboedientia, sicut usque ac- 
tenus fecerunt. Firmamus etiam vobis, ut omnes mulieres illas 
liberas, quq usque nunc dum libera essent, servis ecclesie. vestrae 
se in matrimonio tradiderunt, vel filiis filiabus qui ex eis nati 
sunt, ita sane ut sint pro aldiones et habeant per caput unus 
quis mundium solidos senos, sicut vobis antea a bone recor- 
dationis domino et patre nostro concessa sunt. Similique modo 
firmamu8 vobis pensionem illam de sapone, hoc est libras XXX, 
quae palatii nostri ex Piacentina civitate inferebantur et ab ipso 
pa/ruo b nostro ad pauperes lavandum concessa sunt. Verum 
quia et suggessisti nobis, quod a bone recordationis domino 
nostro concessa fuisse ex • portu quae dicitur Codaleto , quando 
ibi naves militorum adplicaverint ad negotiandum, navem unam 
tuleritis ad usum pauperorum, nos vero iuxta qualiter tibi ab 
ipso concessa est et usque nunc tulistis, ita tibi firmamus, ut 
taliter tollas in ante, sicut ipso vivente. Super haec autem ce- 
dimus atque donamus ex nostra largitate iam dictq ecclesi$ 
vestrq vel vobis lectum Padi, unde ante hos dies cucurrit et 

») Lücke. — b) pmruo aicl — c) aus fuiuent corr. 




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ANHANG. 



127 



nunc reliquid prope civitate Placentinq, idest fine caput de rivo 
qui dicitur Frigido usque in fine de Sparoaria, quem vobis et 
propriis nostris tradidimus raanibus, quatenus ab hodierna die 
omnia, sicut superius conprehensa, tarn quam ab antiquitus 
babuistis quamque et quod vobis postea a singulis reg[i]bus vel 
hominibus atque domino et patre nostro concessa sunt et usque 
nunc possedistis vel quod nos vobis modo concessimus quietq 
iur$* valeatis possidere. Pr^cipientes etenim Omnibus ducibus 
comitibus gastaldiis vel actionariis nostris, ut nullus eorum contra 
hoc nostrum firmitatis pr^ceptum atque cessionis audeat ire 
quandoque, sed omni in tempore in venerabilem ipsum locum 
et vobis atque successoribus vestris firmum et stabilem debeat 
permanere. 

Ex dicto domni regis et ex dictato magistri notario scripsi 
ego Andreas. Acto Ticino in palatio sub die XL kl. Aprilium 
anno felicissimi regni nostri nono per inditione XII. FEL1CITER. 



III. 

König Ratchis erneuert das vorstehende Präzept König 
Hildeprands. 746, März 4. 

Kapitnlararchiv von Piacenza. Kopie von gleichzeitiger Schrift mit der vorher- 
gehenden. Auf der Rückseite: Exemplar pcepti ratchis rex. 
Troya, C. d. nr. 591. 

Flavius Rathchis vir excellentissimus rex feliciter. Ecclcsiae 
beatissimi martyris et confessoris Christi Antonini et Victoris sita prope 
muros civitatis nostrae Placentinae, ubi sancta eorum corpora quiescunt 
humata, et vir beatissimo patre nostro Thome episcopo custodi eius. 
Detulit sanctitas tua praecelsq potestati nostrae praeceptum ces- 
sionis et firmitatis antecessoris Hilprandi regis, in quo legebatur, 
eo quod dum civitas nostra Piacentina, quod omnibus notum est, 
ab incendio fuerat concremata et omnes munirnina praedictae ecclesiae 
tuae inibi conbustae sunt, sicut et aliis rebus, et ipse Hilprand 
per ipsum pr^ceptum suum firmaverat omnia quicquid ipsa sanc- 
torum loca et vos possidebatis vel quod vestros possiderant 

1) u luf Rasur. 



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128 



ANHANG. 



antecessores sive de dona praecessorum nostrorum regum sive 
quod ab antiquis temporibus fuerat possessum in casis familiis 
territorriis familia et peculia vel quod a singulis hominibus inibi con- 
latum fuerat seu ex comparatione aut commutatione vel undecumque 
habere et possedere moderamine videbatis, simul et ecclesias dio- 
ceseas tuas, ubiubi per singula loca Statutes, a vobis ordinatas vel a 
vestris decessoribus fuerant, seu et raonasteria, idest beati apostoli et 
martyris Christi Thome adque Syri confessoris prope ipsa civitate nostra 
Piacentina; adque firmaverat in ipsa venerabilia loca monasteria 
Florentiola et Tolla adque Gravaco ; unde et asseruistis, quod sub vestra 
fuissent tuitione et rectores suprascriptorum a vobis per iudicio fuissent 
convicti et canonica obedientia vobis impendantur. Necnon et firma- 
verat vobis omnes illas mulieres quae servi ecclesiae vestrae acceperant 
in coniugio cum filiis filiabus qui ex eis nati fuerant pro aldiones ha- 
bentes mundium per caput solidos senos ; et concesserat inibi pen- 
sionem illam de sapone libras XXX quae palatii nostri ex Placentine. civitate 
inferebatur et firmaverat vobis portum qui dicitur Cotaleto, ubi naves 
militorum usum habebant adplicandum, ut datione illa de ripatico 
vel iustitia, quod exinde in palatio nostro veniebat, vos eam 
deberetis tollere. Necnon et concesserat in ipsa sancta loca vel 
t?obis a lectum Padi, unde ante dies cucurrit prope suprascripta civitate 
Piacentina fine caput de rivo qui dicitur Frigido usque in fine de Sparo- 
aria et vobis propriis manibus suis tradiderat De quibus omnibus 
speravit a nobis almitas vestra, ut in ipsa venerabilia loca vel 
vobis nostrum exinde renovationis et firmitatis praeceptum emit- 
tere deberemus b . Nos vero adtendentes dei omnipotentis miseri- 
cordiam et vestram audientes congruam petitionem hoc renova- 
tionis et firmitatis nostrae praeceptum vobis fieri iussimus firmantes 
in praescripta sancta loca vel vobis omnia, sicut textus anteriorts 
praecepti eidem Hilprandi continere videtur et vos nunc prae- 
senti tempore habere et possedere rationabiliter vidimini, qua- 
tinus ab odieraa diae habens hoc nostrum renovationis et firmitatis 
praeceptum securiter hac firmiter ipse suprascripta locas vel vos 
et vestri successores possidere valeamini et nullus dux comes 
gastaldus vel actionarius noster contra praesentem nostrum reno- 
vationis et firmitatis praeceptum audeat ire quandoque, sed omni in 

a) bis siel — b) aus deberebius corr. 

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ANHANG. 



129 



tempore vobis vestrisque successoribus stabili ordine praesens noster 
praeceptus debeat perraanere. 

Ex dicto domni regis per Andreatem ül. referendarius scripsi 
ego Thomas notarius. Actum Ticinio in palatio quarta die 
mensis Martii anno felicissimi a regni nostri secundo per in- 
ditione XIIII. FELICITER. 

IV. 

Verordnung Walas, Abtes von Bobbio, über die Verwendung 
der Einkünfte aus den Klostergütern und über die Arbeitsein- 
teilung der Klosterämter. 834 — 836 Sept. 

Archivio dt Stato Torino. Abbazie. S. Colo mbano di Bobbio. 
Cat. I, Mazzo I, zum Jahre 833. Schrift s. IX. 

Breue memorationis. Incipit de curtibus quas domnus abba 
Uuala ad uictum uel ad uestimentum ordinauit fratrum seu de 
singulis infra monasterium ministeriis quomodo qualiterue exerceri 
a fratribus debeant. Has enim curtes ad uictum instituit fratrum : 
idest Rancis \ Casasca, Audelasci et cum ceteris appenditiis suis, 
Uirdi 1 cum omni appenditiis suis, Uulpiclini, Ouilias, prato Si- 
luando b 8 , Tubatia 4 , sanctum Simphorianum , monte Longo 6 , 
Memoriola 8 , Barbata 7 cum solariolo , uico Baroni 8 cum prato 
Agiulfi, Ceredello cum Variano, Linare, sancta Resurrectione in 
Cariano , Trauano 9 cum appenditiis suis , Turris 10 cum appen- 
ditiis suis , Carice c 11 , Cardio 11 , Comorga 18 , Turio 14 et omnes 
cellas seu laborationem quq in ipsa ualle sunt , in d qua situm 
est monasterium 15 , et sanctum Georgium. Has quippe ad ca- 
maram deputauit fratrum : idest Purpurariam ,6 , Sarnam, Carustum, 

a) am feliciuimo corr. — b) prato situaado auf Rasur mit anderer Sc brift. — 
c) ceredello cü uariano linare sc"ä resurrectione ia cariano , trauano cü appenditiis suis , carice 
filseblicb wiederholt — d) ia Uber der Zelle hinauf efägt 



1 Inqaisitio nr. 29. 

* nr. 3a. » nr. 31. * nr. 30. ■ nr. 33. 8 nr. 34. 
T Vgl. Berengar. Dipl a. 915 (nr. 98). 

8 Vicobarone n. ron Pianello (Val Tidone)? 

• nr. 35. 10 nr. 28. 11 nr. 2*5. 19 nr. 24. 11 nr. 23. 
14 nr. 25. " nr. 3 — 21. 

" VgL „Barbar««« M. H. P. I, c. 51 (Müblb. 1183). 
Hartsaaaa, Analektea. q 



130 



ANHANG. 



Casscinas, Granaria cum ualle Gennaria. Hqc enim superius ad 
ceteras necessitates : idest cella in Papia 1 , Riualta , cella sancti 
Columbani * cum argile et senodochium quod est casa Leouani. 
Garda * deputauit ad oleum ; Luliaticam 4 ad ferrum ; Fraxene- 
dura 6 et curtes in Tuscia deputauit ad quascumque necessitates 
qu$ euenire solent. — 

Nunc uero de ministeriis quq infra monasterium aguntur 
memorandum est. Prepositus primus sit post abbatem in mo- 
nasterio ; infra extraque tarnen spetialiter h$c sint in sua potestate : 
idest omnis laboratio agrorum et uinearum et edifitiorum figulo- 
rumque, pastorum atque omnium cellarum hac in ualle con- 
sistentium preter illas que. aliorum fratrum prouidentia depputantur 
seu omnes curtes quo, ad stipendi » pertinent, caballi domiti in- 
domitique, et ipse mansiones in monasterio cui necessarie sunt 
distribuat. Decanus ubique spetialiter curam habeat intra extra- 
que de conuersatione fratrum et cottidianus cum fratribus in 
oboedientia sit, et si defuerit abbas seu prepositus, cuncta ad 
ipsum respiciant. Custos ecclesiq prouideat luminaria et omne 
ornamentum eiusdem seu conpetentiam orarum, et ipse recipiat 
elemosinam qu$ fratribus aduenerit. Bibliothecarius omnium 
librorum curam habeat, lectionum atque scriptorum. Custos 
cartarum omnia preuideat monasterii monimenta. Cellararius 
preuideat b quicquid ad cibum et ad potum pertinet, postquam 
in monasterio adducta fuerunt preter panem et pomam atque 
dispenset, et ad ipsius curam pertineat quod in refectorio uel 
in quoquina agi[tur] c . Cellararius familie prouideat potum illorum 
sub proposito d . Iunior cellararius custodiat refectorium et omnia 
uasa eius. Custos panis prouideat annonam, postquam in mo- 
nasterio adducta fuerit, panem et pistores. Portarius hospites 
omnes suscipiat primum et nuntiet , de[ci]mas ft omnium rerum 
accipiat, de quibus iuxta constitutum tribuat hospitalario pau- 
perum; hospitalarii religiosorum ipsi recipiant eos qui in refectorio 
uenire debent et ministrent ac ducant, habentes domum super se, 

a) siel dann freier Raum für wenige Buchstaben. — b) [Ce]llararius puideat auf 
Rasur. — c) Ende der Zeile beschädigt. — d) siel — e) ci am Ende der Zeile 
ausgefallen, von Gaudenz! richtig ergänzt. 

* nr. 47? * nr. 40? 9 nr. 37; cf. 38. 4 nr. 36. » nr. 39b. 



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ANHANG. 



ubi dormiant; hospitalarius pauperum recipiat eos et ministret 
eis et accipiat a portario Stipendium eo[rum] *. Custos infir- 
morum preuideat eos cum adiutoribus suis. Cantor ipse ordinet 
quicquid ad cantum pertinet. Camararius primus prouideat omnia 
uestimenta uel pannos ad diuersos usus fratrum seu calciamenta 
pedum ac manuum et sutores calciamentorum ac uuestimentorum 
seu conpositores pellium et calderarios prouideat, quibus ad- 
ministret opus eorum, et curtes ad cammaram deputatas, de 
quibus hec prefata exigenda sunt, et omnia erea uasa quq ad 
usus fratrum data sunt. Camararius abbatis prouideat omnes 
fabros scutarios, sellarios, tornatores, pergamenarios , furbitores, 
et ipse preuideat omnia ferramenta. Iunior prepositus super 
opera et operarios ceteros preter eos qui in diuersis officinis 
deputati sunt. Magister carpentarius prouideat omnes magistros 
de ligno et lapide preter eos qui ad cetera officina deputati sunt: 
id est qui butes et bariles seu scrinia uel molendina, casas atque 
muros faciunt. Custos uinearum uineas preuideat. Ortolanus 
ortos preuideat b . Decanos iuniores , circatores , lucernarios. 
Custos poraorum c . 

a) Loch im Pergamente. — b) a über der Zeile hinzugefügt — c) Auf dem 
Pergamente ist noch für a| Zeilen Plati. 



Druck von Friedrich Andrew Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha. 



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