ZEITSCHRIFT FÜR
KIRCHENGESCHICHTE
I
ANDOVCR'HARVARO THCOLOQICAL LIBRARY
M O C C C C X
CAMBRIDOe. MA8SACHUSCTTB
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ZEITSCHRIFT
FÜB
XmCHENGESCHICHTE.
I.
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FÜB
mCHMGESCHICHTK
IN TERBINBUNa MIT
W. GASSi D.H. BEUTEB UND D. A. SETSOHL
flKRAUSGlGBBBN TON
Bi THBOBOR BRlIOKIk
I. Band,
GOTHA.
FRIEDRICH A2JDKEAS FERTüEa
1877.
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Inhalt
Erstes Heft
(Ausgegeben den 29. März 1876.)
Untersiiehiingeii und Essays: Ofttt
1. H, Weingarten, Der Ursprung des MönchtamB im sieh*
eonitantiiiiflcheii Zeitalter (enter Artikel) 1
2. H, BmUr, Bernhard ?oa Clairvani 86
8b A» WUchl, Die Entstehtuig der tathariadmi Kirehe . . 61
Srlttsebe üebersfcliteii:
Die kirchergcscliiclitlichen Arbeiten aus dem Jahre 1875.
I. Die (2ea<^iicbte der Kirebe bis zum Concii von Nicia.
Tod AMf HamaOt 111
Inalekten:
1. P. Tsrh4MdceH, Die ünechthdt der angeblich AiUiKfaeii
Dialoge ,,De qnaerelie Fhmdae et Angliae" und „Th
jnre successiouis utrorumque regum in regnu Franciae"
(ans den Jahren 1413 bis 1415) 149
2. G. Voigt, Christoph Walther, der Druck -Correetor sn
Wittenberg 15T
8. Ä. Maeftr, Zur Oesdhiebte der PhyteetanteBferfolguog
in Frankreich 170
VI
INHALT
Zweites Heft.
(Au «gegeben den 30. Juni 1876.)
üntersnchuiigen und Essays;
1. W. Gass, Allgemeines über Bedeutung und Wirkung des
175
2. F. Piper, Zur Geschichte der Kirchenväter ans epigra-
pbiscben Quellen 203
3. A. Harnack, ücber den sogenannten zweiten Brief des
Clemens an die Korinther (erster Artikel) 264
¥ritiaohe Lebersichten:
Die kirchengeschicbtlichcn Arbeiten aus dem Jahre 1875.
IT. Gpjtrbichte der Kirohe von 320—768 von W. MneUer 2fi4
Anftlekten :
1.
0. V. Gebhardt, Zur Textkritik der neuen Clemensstticke
305
2.
H. ßoensch, Ueber den Schlusssatz des Muratorischen
310
3.
R. Röhricht, Bibliographische Beiträge zur Geschichte
der Geisfllor ...
318
4.
Ein Lutberbrief, mitgeteilt von Fr. Schirrmacher . . .
321
5.
Ein Memoire des Cardinais von Lothringen Uber die
kirchlichen Zustände in Frankreich (1063). Mitgeteilt
von A. Fonrnier
323
Drittes Heft.
(Ausgegeben den 15. December 1876.)
ÜBtersuchnngen und Essays;
1. A. Jfamack, Ueber den sogenannten zweiten Brief des
Clemens an die Korinther (zweiter Artikel) 329
2. W. Gass , Zur Geschichte der Ethik ; Vincenz Ton
Beanvais und das Specalum murale (erster Artikel) . . 365
8. A. Bitsehl, Ueber die beiden Principien des Frotcstan-
tismna . . . . . . . . . . - . . . 3^2
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INHALT. • Vit
IMtlsche Uebersichten; g«,ite
Die kirchengeBchichtlicben Arbeiten aus dem Jahre 1876.
IIL (rPRfhichtr dos französischen ProtestantiamTia von
Th. Sehott 414
1.
E. Dümmler, Jüdische Proselyten im Mittelalter . . .
446
2.
P. Tschidcert, Pseudo - Zabarellas „capita agendorum"
450
3.
3f. Lenz, Eine kirchlich -politische Reformschrift vom
463
4.
K. Benrath, Notiz über Melanchtlions angeblichen Brief
•
469
5.
Zwei Briefe Johann Ecks, mitgeteilt von V. Schultzc
472
6.
A. P. Eutaxias, Zur kirchlichen Statistik. Eine Um-
schau in der Kirche Griechenlands . . , , , , 475
Viertes Heft.
(Ausgegeben den 5. Mai 1877.)
üntersnchiuigen und Essays;
1. /. L. Jacobi, Das ursprüngliche Basiiidianische System . 481
2. JJ. Wein/jartev , Der Ursprung des Mönchtunis im nach«
constantinischen Zeitalter (Schlussartikel) 545
3. K. Benrath, Üeber den Verfasser der Schrift „Von der
Wohltat Christi 576
gritische üeberslchten ;
Die kirchengeschichtlichen Arbeiten aus dem Jahre 1875.
IV. Die Reformationsgeschichte Englands von JB. Bud-
densieg 597
V. Geschichte der Reformation in Italien von K. Benrath 613
Vm • INHALT.
Analekten: seit«
1. M, Lenz, Ein, kirchlich- politische Reformschrift vom
Baseler Cond! y Nachtrag) 627
2. Th. Brieger, Ucber einon angeblich neuen Bericht tibera
das Marbur^cr Reli>rioQggespräch 628
Register;
I. Verzeichnis der abgedruckten Quellenstücke .... 639
II. Verzeichni.- der besprochenen Schriften 640
III. Sach- unn Namenregister 644
Bor Ursimiir des Ntachtans
im nacheonstantinischen Zeitalter.
Von
Prol D. Hermaiui Weingarten
in Marbuff.
Fanlns von Theben, der erste Eremit *S und der heilige
Antonius als die Stifter des Mönch tums, die Entsteliuns^ des-
selben in den Verfolgungszeiten der Kirche unter Decius und
Diocletian, sein ursprünglicher Cliarakter als eine friedliche
Art der SelbstaufopfeniDg an Stelle des M&rtyrertums naeh
dem plOtzlicheii StUlstand der Yerfolguigen ^) gehören zn den
imbestrittenen Annahmen auch der neueren EirchengeBchichte.
Eine genauere Prüfung freilich der Grundlagen, auf welchen
jene Traditionen beruhen, fährt zu ganz anderen £i^eb-
Dissen;
I. Für Paulus von Theben und die Bomiuitik der unent-
deckbaren Felsengrotte der unteren Thebais , in die er sich vor
den Gefahren der Decianischen Zeit getiüchtet» 250, in seinem
le. Lebenqahr, ^ rostige Ambosse, H&mmer mid Piflgezeng
erinnerten noch an die lUsdimflnzer, die zur Zeit der deopatn
ij Wie n .>ch jüng-st G a s s (Optimismus u. Pesiiimisnius, 1876, S. 71)
die Genesis des Monclitums dargestellt bat. Von der früheren Literatur
sei hier nur Maiii^oldB Marburgor Ilabiiitationschrift ,.De monachatus
origiuibtts et cau^iei'' (1852) erwähnt, mit der in dem Zurückgehen auf
das Hiera] »uteutum auch Gass in seinem Ueberblick über das Mönch-
•tnm und desa-n unermebalicüe Literatur in Herzogs Real-EnqfcL
Bd. IX übereinstimmte.
Ztitttchx. f. b'.-Ü. 1
L.iyui^uo i^y Google
2
VEINaABTEN,
dort gehaust, eine uralte Palme überschattete, ein hier ent-
gpringender, bald wieder verschwindender Bergquell bewässerte
den sieheren Ort ^) » fär dies Alles liegt die aUeinige Ge-
währ in der Schrift des Hieronymus ,,De Tita Fänli Monachi**
In dem Charakter und Inhalt derselben ist zugleich das Urteil
über ihren geschichtlichen Werth enthalten.
Neunzig Jahre alt, also erzählt uns Hieronymus, war An-
tonios in seiner Wflste geworden, und dachte hei sich, es g&he
keinen yoUkommeneren M5nch als er seihst Da ward ihm in
einer Nacht geoffenbart, fem von ihm lebe ein viel grosserer,
den solle er aufsuchen. Bei Tagesanbruch macht sich Antonius
auf, ohne zu wissen, wohin. Schon ist es Mittag geworden
und er wiU, als die Sonne über ihm kocht, fast verzagen, da
weist ihm ein Gentaor, halb Mensch, halb Boss — und Hie-
ronjmns will es unentschieden lassen, ob der Teufel oder
ein Monstrum der Wflste — den weiteren Weg. Darauf tritt
ihm ein iSatyr entgegen, der ihn bittet, er möchte für ihn
beten, und dann in die Luft verschwindet, wie vor ihm der
Centaur. Endlich, am Moigeugrann des dritten Tages, wird
Antonius durch eine W((lfin zu einer Höhle, geheimnisvoll
verborgen am Fuss des Berges, geleitet Leise, mit angehal-
tenem Atem, schreitet er in der Finsternis der Höhle vor^
bis endlich aus der äussersteu Tiefe Licht ihm entgegenstrahlt.
Aber da strauchelt er über einen Stein, föllt, und vom Ge-
rftusch erschreckt, wirft der heilige Paulus die TOre zu. Yen
Sonnenaufgang bis zur sechsten Stunde und noch Ifinger
muss Antonius bitten, dass ihm aufgetan werde, aber erst
auf seine Drohung, er werde hier vor seiner Türe sterben,
Offnet Paulus und die beiden greisen Heiligen — denn Paulus
war 113 Jahre alt — fallen sich um den Hals. Unter
Üpommen Gesprfichen treten sie vor die Hohle, an die Quelle
unter dem Falmbaum. Während nun Paulus sich bei Antonius
erkundigt, wie es in der Welt aussehe (c. 10: „au in antiquis
1) Anch noch bei lUrckhardt, Zeit Constantins (1853) S. 4.'33.
») Bei Migne, Fatr. lat. T. XXIIJ ; Ed. Martianay IV, 2. Vallarsi
war mir nicht zufjänglich. — Die griecliiächeu Ueberarbeitungen (Act.
•Si5. Bull. Ja.u. 1, G02J sind wertlos.
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UKüPKUNü mONCHTUMS.
3
Qibibiis Bova ieeta consurgant, quo miradiis regatnr imperio**)
fliegt ein Rabe herbei und legt ein ganzes Brot zu seinen
Füssen nieder. „Sieb da", ruft Paulus aus, „sechzig Jahre
schon bringt mir der Habe täglich ein halbes Brot, aber bei
döner Ankanft «militibiis snifl Christas duplicavit annonam V
Doch dar&ber, wer das Brot anbrechen soll, geraten sie in
einen Wettstreit der Gastfrenndschaft und Denrat, der bis
zum Abend dauert. Zuletzt vereinigen sie sich dahin, dass
sie sich gegenüber setzen, beide das Brot in die Hand
ndimen, jeder sich nach seiner Seite zurücklehnen und, was
dann in seinen Händen bleibt, gemessen soll. Also tun sie
und bringen dann die Naeht im Gebet zu. Am kommenden
Morgen kündigt Paulus dem Antonius an, heute werde er
sterben. Aber Antonius müsse ihn verlassen und solle nur
hernach seinen Leichnam mit dem Mantel bodecken, den er
Tom Athanasius erhalten. Erschreckt über die wunderbare
Eonde, die Paulus ?on diesem Geschenk besitzt, b^ebt sich
Antonius auf den Rtickweg; da erscheint ihm, in der FrQhe
des zweiten Tages, Paulus, hellleuchtend wie von schneeweissen
Gewändern, von Engeln, Propheten und Aposteln umgeben,
gen Himmel &hrend. Antonius füllt zur Erde und betet an,
dann kehrt er zurOck, um den Leichnam zu bestatten. Aber
ihm fehlt ein Grabecheid; da stfirzen mit fliegenden Mähnen
zwei L9wen herzu, doch schweifwedelnd legen sie sich zu
seinen Fussen nieder, und nach erschütterndem Klagegebrull
wühlen sie mit ihren Tatzen das Grab für den heiligen
Paulus auf. Dann bitten sie den Antonius um seinen S^gen
mid gdien auf sein Geheiss in ihre Wfiste znrOck. An-
toniuB aber legte den Paulus in dies LSwengrab und trug
fortan die Tuuica, die dieser sich aus Palmeublätteru zu-
sammengenäht hatte.
Wo ist in dieser ganzen Vita Pauli Monachi auch nur
läne Spur geschichtlicher Wahrheit, von dem ersten my-
thischen AniBigangspunkte an, der WfistenfUurt des Antonius
ins Blaue hinein, auf Grund einer nächtlichen Offenbarung^
mit den Centauren und Faunen als Wegweisem, bis zu dieser
Himmelfahrt und Bestattung des Paulus? Schon Zeitgenossen
haben deshalb diesen „eisten Eremiten fOr eine blosse Er-
1* .
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4
VEUlOABTBN,
findung aeines Biographen erldftrt, wie Hieronymus seibst mit
flonverftner Vetacbtiuig solcher Kritik KQgestefat, als er die
schon in der Zueignung des Panlns Ton Theben an „?talnm
senem Concordiae" angekündigten anderen Kinder seiner
Phantasie, nur noch reicher ausgestattet, übers Meer sandte,
den heiligen Hilarion von Gaza und den Syrer Malchus. Und
in der Tat, die Biistenz des Panlus yon Theben ist durch
nicht ein einziges anderes Zengnis TerbUrgt. Vor Hieronymus
weis3 niemand etwas von ihm; die dem Athanasius zuge-
schriebene Biographie des Antonius redet mit keiner Silbe
weder Yon diesem Paulus noch von seiner Be^c^nuug mit
Antonius, und wenn die tendentidsen abendlftndischen Q«-
aohichtesdireiber des Mönchtums, wie Johannes Gassianus und
Sulpicius Severus, den Namen des Paulus im Zusammenhang
mit Antonius nennen, so tun sie es nur, indem sie dem Hie-
ronymus nachsprechen^); existirt aber hat dieser Pau-
lus nie. Ueberhaapt, von eiuem geschichtlichen Kern jener
Schrift des Hieronymus kann man nur dann reden, wenn man
ihren litemrisohen Ghankter voUstSndig yerkennt und einen
Boman zu einem frommen Tract&tchen verwässert^). Denn
^) EpwX : „ Si hoc munnscolun plaenerit» habemna etiam alia eondlta,
qom eun plurimis orientalibuH mereibuf ad te, ipiritoi Sanetoa affla-
verit, navigabunt" Die Skepsis der ZeiigeDoesen im prologns zur
Vita S. Hilarionis: ,,qiü oUm detrahentes Paolo lueo, nnnc forte
dctrahent Hilarioni . . . ut qui Semper latuit, non fuisse".
i) Vgl. Jo.Ca8sianuB,Collat.XVUI,6; Salpic. Sev., Dial. 1, 11 ;
in beiden SteUen nur der Name des Paulas genannt. Wie viel künst-
liche Möhe man sich gegeben, das 6ohw«igtn der Biographie des Anto-
nius über Paulas zu erklären, kann man auch aas der Anm. zu Oassiane
Coli. IX, 31 (Lips. 1738) ersehen. — Auch der Amathas, der im Prolog
der Vita Pauli Monachi, als Schüler des Antonius und als der figurirt,
der den Antonius begraben habe, ist dem Biographen des Antonius ganz
unlrikannt, unil über seine andere angebliche Autorität, den Macarius,
lamt uns Hieronjiiuis vollends in Sticli. Welchen Macarius meint er,
könnte man fragen, wenn Hieronymus nicht eben diese Gewährsmänner
einfach, wie auch das Uebrige, erfunden oder vorgeschoben hätte. — Die
anderen späteren Citate für Paulus von Tlieben bei Tillemont, Mem.
eccles. (in der Vcnet. Amg von 1732. 4") VII, 670.
3) Wie Zöckler gethan liat — Hieronjnuus (1865) S. 59—63 —
trotz der Zogeetäiidiiisse S. 367 t
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DBSFRURG DES UONCHTUMS. 6
die geschickt verhüllte Absicht des Hieronymus war hier
iiichi, mögiiohst erbaulich, sondm möglichst pikant za sein %
und seine Vita primi mmitae ist nur eine Nachbfldnng be>
liebter Romane der römischen Eaiserzeit nnd will wie diese
beurteilt sein. Es ist dieselbe Rücksicht auf den Charakter
dieser übersättigten alten Welt, die nur noch durch die stärk-
sten sinnlichen Keiznngen, durch Abenteuerliches nnd Schan-
r^es Torfibeigehend aufj^regt werden konnte, welche die mi-
lesischen nnd die späteren erotischen BräUilnngen beheirsebt,
von der uucb Hieronymus Tendenz und Mittel für ein gut
Teil seiner schriftstellerischen Tätigkeit sich hat dictiren
lassen, nur dass er mit den heidnischen seine Mönchsphau-
taaien sich vermischen und wetteifern Iftsst. Gleich der Ein-
gang der Vita Pauli trSgt, ganz nach der Schablone der an-
tiken Erotik, den Charakter mit Behagen angemalter raffinirter
Lüsternheit; die eine der beiden hier sehr überflüssigen Mär-
tjrergeschichten ist in ihren Einzelheiten fast wörtlich einer
der lasciTsten Episoden des Apulejus nachgebildet^); die
Wanderungen des Antonius, das wunderbare Zusammentreffen
der beiden Greise in dem Felseneilande erinnern an fthnlicfaes
Wandern und SichHnden in den Robinsonaden der alten
Welt, wie Deinias und Derkyllis, die schon im Altertum viel
verwerteten Vorbilder von „Paul et Virgioie", in den grie-
chischen Bomanen auf der Insel Thüle sich zusammenfanden
Bein kGnstlerisch betrachtet, ist dem Hieronymus in diee^
Erstlingswerk seiner syrischen Eremitage (zwischen 374 — a79)
manches hübsche StimniungsbiM aus der Wüste gelungen;
handelt es sich aber um die Treue der Ue^inuung, so hat
I) Kommen doch, voem der Fx«ge nach don neuen Häusern in alten
Stadteo und ausser dem Ausrof bei der Rabenmahlzeit, gar keine
Aensserungcn des Panhis nnd ebenso wenig erbauliche Gespriche des
Antonios in der Schrift vor!
«j Vgl. c. a der Vita P. M. mit A pul ejus, M-tam. II, 17, mir mit
dtm vorsrhi* <knen Ati^gang, dass, •wäbrt.iul Lucius und Phutis ,.intcr luu-
too8 aiuplexus aiiiJiju.s anbclantcs ■", Hierunyiuus >ein« n uainonlo.son Märtyrer
sich . cuj die Lu>t zu unterdrücken, di' ZuugGnsjütze abbti.mn und sie
der rtizeiidtii Vtrsuchorin. die auf ihu) liegt, ins Gtisicbt spucken läset.
Vgl. aach Pbotius, Bibiioth. cod. 166.
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6
W£I^'QA&T£N,
uns HieroDvmus selbst den Massstab in die Hand gegeben,
in dem eignen Urteil über seinen mit dem Paulus von The-
ben gleichzeitigen Brief ad Heliodorum^) und die unge-
mesBen schwfirmerische und von Trftnen flbeifliesBende Ver-
herrlichung des MOncfatums in demselben , den er später selbst
nur als ein Product spielender rhetorischer Phantasie und
Schule hinstellte
In einer ernsten Geschichtsschreibung darf von Paulus
Ton Theben als einer geschichülchen Persönlichkeit nnd als
dnem Begründer des Mdnchtums nicht mehr die Bede sein.
II. Lassen sich doch im dritten Jahrhundert überhaupt noch
gar keine Spuren des Mönchtums finden. Denn jene Asketen
des zweiten und dritten Jahrhunderts, mit ihrem Fasten, ihrer
Melosigkeit, ihrem Eunuchentum, mit ihrem montanistischen
Rigorismus oder ihren stoisch -christlichen Idealen, lebten
mitten in der Gemeinde und iu der Welt; und der ei-ste Ver-
such, der, wohl gegen Ende des dritten Jahrhunderts^ in diesen
Kreisen gemacht wurde, sich Tor der Welt zu verbeigen, er-
führ, wie wir aus einer nachcyprianischen Schrift ersehen,
eine strenge Zurückweisung seitens der Kirche*). Wenn
Eusebius von Cäsarea, der Kircheuliistoriker, in den Thera-
peuten Philos die Asketen seiuer Zeit wiederfindet, so ist
jetzt allgemein zugestanden, was schon Valesius erkannt hat,
dass hier nur jene Asketen gemeint sind, die wir aus Athena-
goras, Clemens von Alexandrien, TertuUian kennen. Dass
>) Ep. XIV Mi-ne, V cd. Ixtied.
*) Ep. LH, 1 Migne, XXXIV Ben. : „sed iu illo opere pro aetate tunc
lOflUDiis et oalentiboB adhuc Rbetorum studiifi atque doctrinis, quaedam
•choiaaticoflovedepiiixiiDiu."— Dies schliesst nicht aus, dass Hieronjniiui
nieht des Schein hat erwecken vollen, als gäbe er wabteGesdikdite;
dämm der feierliehe Eid am Anfang, mit dem er „Jesom anroft nnd
seuie heiligeB Engel*' als Zeugen seiner Wahrhaftigkeit. Hieronymas
war ein gewandter Jonmalist, aber er wollte als ein Heiliger gelten; wir
beurteilen ihn naoh jenem, e r wollte nach diesem Gesichtspunkte beurteilt
sein; nnd darum ist eine Bechtfertigung , wie sie Ebert (Literatur des
Mittdalten [1874], Bd. I, 6. m, Anm. 8) versueht, unTeratandlicb.
In dör dem Cyprian untergeschobenen Schrift ,,De singnlaritato
«tericoram*« (in Harteis An^. der Werke Cyprians, Bd. III, 8. 1781)
finde loh die erste Spur eines TeisuchtenAnachoietentums; c. 81: „adhno
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UB8PRUK6 DES KÖNCHTUMS.
7
aber Eusebius, als er die ersten fiücher seiner Kirchen»
geschichte schrieb, nicht lange vor dem Jahr 324, noch von
einem MOnchtnm nichts wnsste, geht zweifellos grade ans der
Art hervor, wie er den chris^tlichen Charakter von Philos Schrift
.,lh^l ßiov d-tw^rfuxov'' m verteidigen versucht gegen solche,
die in dieser essenischen Zurückgezogenheit einen Gegensatz
znr christlichen Lehre fanden, bernft er sich nnr anf die
Schihiening der apostolischen Gemeinde in der Apostel-
geschichte, ihrer Armnt nnd Gfitergemeinsehaft, nicht anf
gleichzeitige Erscheinungen in der Ciiristenheit selber; von
einem christlichen Anachoretentum redet die Kirchen-
geschichte des JSosebius mit keinem Wort Ebenso ist den
anderen nnd späteren Schriften, allen seinen ansßUirlichen Be-
schreibungen des christlichen Aegyptens, der Biographie Gon-
«tantins und dem Panegyricus auf ihn (verfasst zwischen 337
uud 340, dem Todesjahr des Eusebius), das Mönchtum
noch völlig unbekannt eine Tatsache, die überaus befrem-
den mnss gegenüber der gewöhnlichen Darstellung, welche
dem Mönchtnm nnd vor allem dem heiligen Antonius eine
grosse Bolle schon in den Tagen Constantins zuweist
Denn vou einigen Ereignissen, die in der dem Athanasius
zugescliriebenen Vita Autonii berichtet werden, und über
welche ein Urteil möglicli ist auch abgesehen von der allge- •
meinen Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Vita öberhaupt,
Begebenheiten, die ganz in das Gebiet der ausfahrlichsten
habc'O quid niirari: cum viilcaiu de Christianis ^ilcrusque uiaritos et mores
continentiuHi destinantos dumicilia s i n u 1 a r ia magis cligor« . . .
dicat uuiio eutiuchoruin Caritas, (licat ue forte in hac tjecessioue magis
coüjugalis Caritas peccet . . .
Eusebius. Hist. eccl. II, IT; vgl. Valesius zu dieser Sttlle,
p. 715 in der Ausg. Turin 1746 und Mangold a. a. 0. S. 47 — 58.
Ausstrdem Valesius zu Eusebius, H. e. VII, 32. p. 326. Anm. 6.
2) Vgl. namentlich Vita Const. IV, 25 und De laudibus Const. c. XIII.
Auch das doppelte Christentum der Dem. ev, I, 8, das Tollkoinmene der
Gottgleichen, geht nicht üoer den Gnostiker des Clem. Alex, als einen
iv auQxi TtiQinoXaiy ^eof hinaus, im letzten Grunde nicht über die
Stoiker, wie wir sie aus Diogenes Laertius (VII, 119: f^tiovg siyat rot ?
ao<f ovg u. 8. und aus Seneca (z. B. ep. .'31 der Weise deum in corpore
liomano h(»pitautem) kennen, lieber Narciäsus (Ens. Ii. e. IV, 9) hernach.
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8
WCIMGABTEN,
Belichte des Eusebius fallen — ^ann man zuversichtlich be-
haupten, wftren sie geschichtlich, Eusebius hätte sie wissen
mflasen nnd wfirde sie nicht übergangen haben. So die Seene
ra Aleiandria in der Verfolgung dee Maximinns, weleher der
Bischof Petrus von Alexandria zum Opfer fiel, wo Antonius,
dem Ausweisungsbefehl des Richters ins Angesicht trotzend,
das Maityriuni suchte, aber nicht fand Eusebius redet
wiederholt von der Hinrichtung des Petras, einmal sehr ans-
fShrlich *), aber er Irennt nnr hingeopferte Bischöfe Aegyp-
tens; die glänzende ZeagenroUe des Antonios und seiner
Mönche würde er sich gewiss nicht haben entgehen lassen.
Ebenso wenig das angebliche zweite Auftreten des Antonius
in Alezandria g^en den Arianismns *). Und h&tte Eusebius,
der so sorgsam alle christlich deutbaren Züge ans Gonstan-
tins Leben zusammengetragen hat, nichts von dem ^ef-
wechsel zwischen dem Kaiser und dem Antonius erfahren haben
sollen, zumal wenn wirklich Constantiu lui diesen als sein»Mi Vater
geschrieben und Antonius au den Kaiser jene aller Kirchen-
politik Constantins hohnsprechende Bussepistel als Antwort
hfttte ergehen lassen. Aber welche Männer wie Gonstantin und
Constantins sich gefreut haben sollen?*) Wie will es sich
reimen, dass Gonstantin und seine Söhne den Antomus wie
einen Vater geehrt hatten^) und dass bei Eusebius sich
nicht einmal der Name des Antonius findetV ebenso
wenig, wie Sache und Name des Mönchtums, trotz seiner Be-
geisterung fttr Askese! Ein um so rätselhafteres Schweigen
gegenüber der wiederholten Versicherung des Eusebius, sorgsam
alle Zeugen der Wahrheit aus seinem Zeitalter vorzufühi*en
1) YitaAntooü (in der Benedlctiner-Auäg. der Werke des Athana-
aius [ParU 1698] h U) c 46.
2) HM. eecL YII, 82; Vm, 18; IX, 6.
9) yjta AotoDÜ G. 69; von den Benedietaneni 0» da ^ita Athana*
Iii, dem I. Teil def L Bandes, p. XX) wiilkfirhcb in das'jahr 384
Tenetzt.
«) Yita Antonii e. 81.
6) Ibid.
8) Z. B. Ende des VII. Baches der Kirehengeeebichte. — Eb ist
UiKt leichtfertig, wenn Schaff (Gesch. der alten Eixehe, 1867) 8. 56^
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UBSFBUHG DES IIONGHTUUsI
Allerdincrs In dem Ciirouicon des £usebius begegnet
ODS zwei Mal der Name des Antomus, aber nicht in dem
vnfprfioglidien Bestandteil des Werkes» sondern nur in der
selbstftndigen Fortsetzung des Hieronymus. Weder die griechi-
schen uud armenischen Ueberreste der Chronograph ia, auch
nicht die nach Scaliger so genannten Exccrpta latiua Barbari ^)
daraus, noch die eusebianischen Zeittafeln nennen den Antonios;
erst Hieronymus iiat in dem Teil, der naeh seiner eignen
Torrede sein aasschliessliches Werk ist*), da er nidit nnr
„interpres*S sondern auch „scriptor"' sein wollte, den Antonius
und den Paulus von Theben und rait beiden zugleicli eine
literariäche Beclame für sich selbst eingeschaltet Daher hat
es gar keinen geschichtlichen Wert, wenn wir in seiner nm
380 abge&ssten Chronologie zur 279. Olympiade (c 336) die
Bemerknng finden : „ Oonstantinns cum liberis suis honorificas ad
Antouiüiü litteras mittif, und zur 284. Olympiade, in welche
Hieronymus die 355 gehaltene Synode zu Mailand verlegt:
„Antonius monachus CV aetatis anno in heremo moritur, so-
litas mnltis ad se venientibus de Fanlo quodam Thebeo mirae
beatitadinis niro referre cains exitnm brevi libello explicui-
mns " Denn die Quelle für diese Angaben, deren Datirung
natürlicli rein willkürlich ist, — wie denn auch alle die in der
Kirchengeschichte gläubig fortgepliaiizten Jahreszahlen für den
heiligen Antonius, sein Geburtsjahr 251, sein Todesjahr 356,
allein auf diesem unerschrockenen Hineingreifen des Hieronymus,
in die geduldige Welt der Zahlen beruhen — sind nur zwei
Dichtungen, beide aus dem letzten Viertel des vierten Jahr-
biitidFrts, die eine, die schon liesprochene , des Hieronymus
selbst, die andere dem Athanasius zugesclirieben.
Betonen wir es, ehe wir zur Besprechung der letzteren
sa^^ : .,P:iS ganz<' nitunisciic Zeitalter vcnlirte in Antonius einen Muster-
höiligeir", naujenthch gegenüber den angelliclion Belegen bei 'lillcun iif.
») In dem 1875 herausgegebenen ersten Bande der liearbeitung dtw
Chronicon von Alfred Schoene.
2) Bei Schoene, Ens. thron. 1,3: a Cunstantino autem •iupra dicto
anno fXX Ct>nstßntini] u^ijue iu\ Cun^ulatura AugUBtoruni Valentis seiie«
et Valentiniani itemm, totiiui nie um est*'.
3) Eus. ciironicon ed. Schoene II, 192. li)ö.
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10
WEmGA&TEN,
Übergehen, noch einmal : die Zeitgenossen Constantins und des
Eusebius kennen ein christliches Mdochtum noch nicht; damit
allein fiele schon die Sage von seinem Ursprung in den Verfol-
.gnngszeiten der Kirche.
III. Es ist Zeit, dass sich über das Werk, auf welchem
der Glaube an den zweiten oder eigentlichen Gründer des
Mönchtoms, den heiligen Antonius, beruht, ein sicheres
Urteil bildet ^ handelt sidi hier um eine doppelte Frage:
erstlich, ist Inhalt und Tendenz dieser Vita Autonii Geschichte
im eigentlichen Sinne; zweitens, kann sie von Athanasius
Yerfasst sein?
Die Anziehungskraft, welche diese Schrift schon in der
alten Kirche ausgefibt hat, beruht nicht auf ihren Schilde-
rungen aus der Dämonenwelt, diesen Kämpfen ihres Heiligen
mit dem liöllischen Heer, die für uns, um mit Burckhardt zu
reden, durch Jaques Callot auf immer in das Reich des Bur-
lesken verwiesen sind, — es ist vielmehr der spiritualistische
Zug, die all diesen Dämonenspuk und Abeiglauben mitunter
tief unter sich lassende, geistige Erhebung und Freiheit,
welche diese Vita von den gewöhnlichen Heiligenbildern der
alten Kirche weit unterscheidet und schon für Sjnesius Veran-
lassung gewesen ist zu seinem bekannten Wort von der Geistes-
grOsse des Antonius, der keiner Schule bedurft hätte, weil
Geistesblitze ihm die Syllogismen ersetzt Aber sind diese
Vgl. G i c s e 1 e r , K.-G. 1. 1 . S. 407 : ,, entweder unecht oder stark iiiter-
polirt"; Baut, Christentum des 4. bis G. Jahih. S, 300: „ hat Athanasius
wirklich die Vita Antonii verfasst . . .** Den wesentlichen Inhalt der Vita darf
man aus zahllosen Bt'arbtitung'en als bekannt voraussetzen, u. a. aus der aus-
luhrlichen vonNeander (K.-G. II, 2) und Bühringer (auch in der neutü
Autlage vom Zeitalter des Arius und Athanasius, Anhang, mit dem veralteten
Material); Hases symi)athische , s>> ;:hh klich Ji'j 'Mitte zwischen Wahr-
heit und Dichtunir trellludc Skiz/e hat das Verdienst, den Antonius zu-
erst wieder in die moderne Welt eingeführt zu haben. Ueber den ge-
schichtlichen Antonius denke ich freilich etwas anders, als mein
verehrter Lehrer.
*) „Was ist früher, der Buchstabe oder der Geist? " fragt Antonius di«
oeiae Ungelehrsamkdt bespöttelnden Sophisten (c. 73); rofwp 6 ¥ovf
iuymii^f rov'r^ qvk drtty^uiia ja yqäfifAaia, Sein Buch ist die geaaromte
Schi>pfung, wie die spätere Thiditi<m dies Wort fortgebildet (So er. IV, 23.)
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DBBPBÜNO DES HONCHTUMS.
11
genialeii Züge echt? Man braucht nicht grade Anstoss za
nehmen an der langen, rhetorisch so konstgemassen Ans-
einandenetsang fiher das Wesen der Askese (c. 16—44), mit
ihren Gtaten ans ziemlich entlegenen SteUen des Hiob nach
der Septuaginta, ihren Urteilen über die hellenischen Orakel,
ihren, im Munde grade dieses Asketen so seltsam klingenden
wiederholten Versicherungen, er lüge nicht (c. 39. 41) — das
Alles könnte freie Compoeition sein, nach der Manier aller
alten Geachiditschreibung bei den Reden ihrer Helden — ;
wäre nur der Inhalt denkbar im Geiste eines Wüsten- und
Felsenheiligeu, der nie lesen gelernt, der nur koptisch sprach
und verstand, der die Bibel nur kannte aus dem, was er in
der Kirche hatte vorlesen hören (c 1), der das Schaffell, das
er nnter seinem hfirenen Mantel tmg, niemals im Leben ab-
gelegt, nie den Schmntz von seinem Körper gewaschen nnd
es als eine Sünde enn'iuiulen , wenn er seine Füsse ins
Wasser tauchen nmssto (c. 47), der sich täglich und körper-
lich mit den Dämonen herumschlägt, die unter allerlei Tier-
nnd Fanngestalten ans den Wftnden seiner Höhle auf ihn los-
springen. Damit vergleiche man diese specnlativen Gespräche mit
den griechischen Sophisten (c. 74 — 78), diese Kenntnis und Be-
kämpfung platonischer, neuplatonischer, stoischer Philosoplu nie!
Woher wusste dieser Antonius mit seiner Vorbildung in Grä-
bern, Höhlen nnd verfallenen Burgen, seinen Kftmpfen mit
den Krokodilen im Nil, von Plate nnd seinem Fall der
Selen aus der himmlischen Welt in die irdische, „ ntnXayri<r^t
avTT^v (die Sole) xa) Tlfnjwxtyui dno rrg uxjjiöog küv olfjuyiüv
ilg owfia'\ mit diesem fast philologisch gerechten Citat aus
Piatos Phädrus? ^) Woher sollte er Plotius Lehre von der
Sele als dem Abbild des i^ov^ nnd die anderen fimanations-
theorien kennen? Dazu diese Polemik nicht nnr gegen Isis
nnd Odris, sondern anch diese Kenntnis specifisch griechischer
Mythologie , wie der Titanenschlachten , von Zeus' Sieg über
Kronos, von den Kämpfen des Typhon, vom Raub der Pro-
serpina nnd von allen möglichen natorphilosopluschen üm-
1) Vgl.Origenes c. Celsum III, 80 (p. 5(K)): JlXuruyo^ naQttdf^duEyot,
TitQl ^v^ris Xöyoy^ nicf.ixiiua uyaj^eUytiy ini rjjV dx^idu rot' ov{iavov
xrk. Pia tos Phacdrus p. 247.
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WEDiaARTBR,
deutuiigen der antiken Mythen durch die Stoiker ! ^) An
andern Stellen redet Antonius wie der correcteste Dogmatiker
fiber den Glauben als ein nnmittelbares Wissen der Sele,
zam TJutei8€faied von dem durch Philosophie und Dialektik
vermittelten Wissen*), oder so specnlativ wie Atiumasins
selbst über den Zweck der Menschwerdung ^) , mit allen dog-
matischen Formeln der athanasianischen Logoslehre (c. 69).
Neben dem crassen Wunder- und Aberglauben des M^teichtums
ein £sBt rationalistisohes Gorrectiv desselben, c. 40 erzfthlt
Antonios, einst sei ihm ein Dftmon erschienen tnprjXog Xlay
fitra (fuyruatag und habe gesagt, ^yw fffAi r) dvyafttg tov &tov
und lyu) diu t, Tinlivoia ' was du bittest, will ich dir gewähren,
er aber habe ihn angeblasen im Namen ChriBti xa) rvipai tov--
TOP imxf^^n^i da sah er, wie der Dämon den Schlag em-
pfing nnd verschwand; und onmittelbar darnach dieses ratio»
nelle Wort, das dem Satan selbst in den Mnnd gelegt wird,
der, vom Antonius befragt, warum er an seine Tür geklopft
und Einlass begehrt habe, sich beklagt, dass Christen und
Mönche ihn ohne Grund hassten: ovx iyio tifn o fyo/Xwy av-
rultg ' aX3i avrdl tapaaaovat wviovg \ Wie viel ist nicht von
Betrug und Weissagung der Dftmonen die Bede, und daneben
das tiefsinnige Wort, das nicht im Schmutz der Wüste ent-
standen sein kann: eine reine und der Natur getreue Sele
sieht weiter als alle Dämonen *). — Von all diesen Wor-
ten griechischer, philosophischer, christlicher Weisheit ist
nidit Eins in dem Munde und in der Atmoephfire mOglich, in
der es entstanden sein soll, und dieser geistige Antonius, der
mit seinem roh und sinnlich abergläubischen Doj[jpelgäuger
^) C 76: 9uA ukXtiyoQ8tt9 ttQnuyr^v xoQ^g eif ir^y yijy xai H^aiinw
/(uAtfrqra eis nvQ xrK
0.74: &«T^ wd^mnivji ystfioti Motvmvtfitti noitlati lovg uy&Qtti--
^) cdi: nu^uQBvovau \l>vxn nwtuxo^ev xn\ xatd ^voi¥ icttäiUf
&V9«9M dtüiiartxt, ytyofiiim nH(wa fAuxQt'riQu ßkimnp viffy datfüS^
ifmp, Oder ist das *ara iattha schon nach deai Spracbgebnach
der Hjstik aujunlegen?
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UBSPEUNO DES MÖMGHTUHS.
13
wohl auf dem Papier, aber nicht im Leben vereinigt werden
kann, gebürt nickt der Geecbichtet mdem der Poeeie an ^
Wird sieh nns docb die Welt, in welcber der geschichtliche
Antonius gelebt haben kann , alsbald in treueren Bildern ans
dem vierten Jahrhundert zeigen.
Dass die Vita des Antonins eine Tendenzschrift sei,
haben schon die ersten Leser erkannt nnd ausgesprochen.
Und Gregor von Nazianz hat recht gesehen, wenn er von ihr
sagt, sie sei die Darstellung des Ideala des Mt^nchtoms in
Form der Geschichte: tov fioyadtxov ßtov rofio^iaiar ey
TtXaafiart diriytiOKog Und damit stimmt nicht nur die
Einleitnng der Schrift selbst^), sondern auch ihr systematisch
dorehgeftthrtor Charakter flberein; in dem Fortschritt der
ftosseren Geschichte des Antonins ist zugleich immer eine
Steigerung seiner Kämpfe, Aufgaben und Siege enthalten, von
den Versuch unt;^en durch die Dämonen an bis zur Ueberwin-
dimg der Philosophen, der Anerkennung durch die Kaiser,
dem glorreichen Tod; nnd diese Mischung von Geist nnd
Sfamlichkeit in dem Werk war die Bedingnng seiner Verbrei-
tung in all(Hi Kreisen der Kirche. Nicht den nrspriinglichen,
sondeni den idealen Charakter des Möuchtums, nicht die Ge-
schichte, sondern die Aufgaben desselben hat ihr Verüiseer ge-
zeichnet oder zeichnen wollen %
Stftade es nnn fest, dass Athanasius der Urheber dieses
Kunstlos gewesen, so würde dch dadurch nicht das Urteil
über dessen geschichtlichen Wert, sondern nur die herkömm-
liche Anschauung von dem schriftstellerischen Charakter des
grösaten Bischofs des vierten Jahrhunderts ändern^). £s ist
1) Der Gedanke einer Interpolation in dem einen oder andern Sinn
urird durch die mit dem Erscheinen des griechischen Textes fast gleich-
zeitig« lateinische Uebersetzung, die das gleiche Ideal enthält, ausge-
schlossen; und ausserdem ist diese Vita ein-' Schrift aus Kinem Qnsa.
*) In der alsbald näher zu besprechenden Stelle Orat. '21, 5.
^) In der Vorrede: fAo^axoii y*i(f ii(€tv6g /aQu*J^Q nQog ucx^cw o
*) Wie schon die alten griechischen Schrdiast^^n die Worte d«'s Gregor
von Nazianz auffassen: a •/ nu x t<n'( ixivoi öi^ydad^m lä tov i^tiov
'AytufVMv, Kafövuq iHinto fioyaihxovs.
^) Die ältere, allerdingb wetentUch ans dogmatischen Gr&nden ab-
üiQiiized by
14
WfilNOABTBN,
Yor allem die Autorität des Gregor von Nazianz, die für
Atbanasiufl entscheidend zn sein scheint Denn Gregor hat
seinen Fanegyricos aof diesen (or. 21) mit dem Wunsch be»
gönnen, dessen Leben einst ebenso treffend schildern zu können,
wie Athanasius selbst in der Biographie des Antonius das Ideal
in der Geschichte gezeichnet habe, — jene Gedächtnisrede
freilich ist gehalten zu Constantinopel nicht vor 380, wenigstens
neben oder acht Jahre nach dem Tode des Athanasins. Aber
Mftnner, ebenikUs ans den Kreisen der morgeniftndischen Kirche,
die dem Ende des Athanasius noch näher gerückt sind, sprechen
sich viel unbestimmter aus. Für Hieronymus war, als er
seine Vita Pauli schrieb, zwei oder drei Jahre nachdem
Athanasias gestorben, die Biographie des Antonius noch eine
anonyme Schrift nnd erst etwa 20 Jahre später, in dem
Werk „De scriptoribus ecclesiasticis** (geschrieben um 393)
nennt er den Athanasius als Verfasser (c. 87), den Bischof
Evagi'ius von Antiochien als Uebersetzer (c. 125), unbedenklich
freilich auch über die Echtheit der dem Antonias zweifellos
unteigesdiobenen Briefe (c. 88). Mit welcher Willkfir die
altkirchliche Tradition in solchen Fragen verftihr, zeigt sich
aucli darin, dass jenes decretum de libris recipiendis, welches
man doch wohl der römischen Smodo des Papstes Gelasius
vom Jahr 496 zuschreiben darf, noch den Hieronymus selbst
als Verfasser der Biographie des Antonius bezeichnet ').
Die Entscheidung ist hier durch innere geschichtliche
Grflnde gegeben.
Gegen Athanasius spricht vor allem Charakter und In-
halt der Widmung , mit welcher die Biographie beginnt
Bprecbendc Kritik ?on Rivet, Basnage hat zusammengefasst und
verstärkt Oudin, Scriptores eccles.l, 358 f.; vgl. auch die Einleitung der
Benedictiner vor der Vita Ant.
^) Vita Pauli, [»rologus: „igitor quia de Antonio tarn Graeco quam
Bomano stylo traditum est *.
*) c. 4: „vitas Patrum Pauli, Antoiiii, Hilarionis et omnium Kreiui-
taruni, quas tarnen vir B. HieronymuB descripsit, cum omni honore sus-
cipimus
3) Wobei auf die spätere UoLerschrift: ,,nQ6g rovg iv rfi ^ivri fAovnxorg
TtaQti tov ivayioif najQog r,/4tüy Ai^avttaiov^' keine ßücksicbt zu nehmen iät.
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> UBSPSUNQ DES MÖMCHTUM8. 15
Schon in der wiederholten Bitte, ihm zu glauben, in dieser
doppelten Yenicherang, nur die Wahrheit sagen zu wollen,
wird niemand den selbetgewissen Bisehof wiedererkennen, dem
solche captatio benevolentiae nicht in den Sinn kommen
konnte. Aher auch alle anderen Voraussetzungen jener Zu-
schrift sprechen gegen Athanasius. Als Empfänger werden
hier Mönche ToranageBetzt, zu deren Heimat endlich auch die
Kunde vom MOnchtum gedrangen sei, und die nun zum Wett-
Immpf mit den ägypticxshen Vorbildern sich anechicHen ; der
Verfasser beeilt sich, an sie zu schreiben, weil die Zeit der
Schiffiahrt bald zu Ende und dann der Verkehr mit ihnen ab-
gebrochen wäre. An das dem ägyptischen fast gleichzeitige
sjriflche und kleinaBiatische MOnchtum zu denken, ist ebenso
durch diesen itatgog rwy nXaftft(0¥ wie durch jenes „endlich
auclr' verboten; die Adresse des Briefes setzt die Reise Uber
das mittt'lländische Meer voraus. Seine Empfänger waren
die ersten abendländischen Mönche. Nun aber lassen Augu-
stins Gonfessionen (YUI, 14. 15) einen ziemlich sicheren
Schluss zu fiber die Zeit, in welche für Italien und Gallien
die ersten Anfinge des Mönchtams Ikllen: als er nach Mai-
land kam (385), hatte Augustin noch nichts weder vom An-
tonias noch vom Mönchtum gehört oder gesehen, und die
Biographie des Antonius gehörte noch zur neuesten Lectüre^
Als Hieronymos seine erste Beise nach dem Orient antrat,
die nach seiner eignen Angabe nicht als Pilgerfiihrt auf-
gefasät zu werden braucht (c. 373), scheint die erste Nach-
richt von den Einsiedl eni der Wüste nach Europa gekommen
zu sein ; wie überrascht war Hieronymus, als er hörte, Rufinus
sei im Begriff, „Aegypti secreta penetrare, Monachorum in-
Tisere chcnros et coelestem in teiris circumire &miliam>)!*«
Selbst Sulpicius ScTeros stellt in seiner legendenreichen Bio-
graphie des heiligen Martin von Tours dessen wundertätiges
Leben, mit seinen Todtenerweckungen vor seiner Bischofswahl»
nach den letzten Tagen des Hilarius von Poitiers (nach 367),
nur wie das der Asketen der frfiheren Zeit dar, und nicht nach
1) Ep. III (ed. Beuea. I), 3.
2} Ep. Hl (ed. Bened. Ij, 1.
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16
WEtHOAltTEN,
Analogie des späteren Mönchs- und Cöuobitentums Grade
aber aus Sulpidus Severus ersieht man, irie früh in diesem
nea entstamdeiien galHseheE Mönchtam sich jener Wetfcbunpf
und jene Eifersudit dem ftiteren orientalischen Vorbild j?eG^en-
über regio, welche die Toraussetzunc,' der Vita Antouii ist.
Ist doch dies die ansc^esproeheue Teudeiiz seiner drei Dialoge,
der Nachweis, Martinus und das junge gallische Mönchtum
4(tehe mehr als ebenbArtig Qber allim Heiligen Aegyptens und
Eleinssi^
Diesem unseren Besultat, dass man im Abendland zu den
Zeiten des Athanasius kaum etwas vom äg}^tisclien Mönch-
tum wusste, — wofür wir ein direet bestätigendes Zeugnis
in einer Stelle des Sozomenos (Eist. eccl. III, 14) besitzen
<vgl. S. 22) — seheinen freilich einige sehr bekannte Er-
aSbhingeD zu widersprechen, welche sich dem Aufenthalt
des Athanasius in Korn 341, in der Zeit des Bischofs Julius,
ansch Hessen. Damals nämlich schon hätte Athanasius in den
beiden Männern der Wüste, die ihu begleitet, Ammon und
Mdorus, den erstaunten AOmem das eindrucksvolle Bild der
neuen Sgyptiscben Form der Askese voigeffthrt; Idbroella, die
vornehme und edle Patricierin, sei „in jenen Tagen der von
ihm ausgegangenen religiösen Erweckung" gewonnen worden,
sie, die erste Nonne des Abendlandes, i^'ragt man aber nach
den Zeugnissen für diese, eigentlich erst durch Baronius und
die fienedietiner in die Kirchengeschichte eingeführte Tra-
dition, so zeigen sich dieselben sofort als übenius unzuver-
lässig. Für die Beziehungen der heiligen Marcella zum Atha-
nasius ist die einzige Grundlage die recht vieldeutige und
unwahrhafüge Darateiluog des Hieronymus in seinem um
1) Sulp. Sev. , De vita Martini c. 4—6.
^) Vgl. Sulp. Sev. , Dial. II, 5: „vicisti, Galle, vicisti (durch die
Wunder des heiligen Martin) . . ereuiitas onine« anaeh'netasque vicisti . .
quia Tuiniuia iliiuä aliorum maximis majora esse, nulli dubiuin i^v. III, 1:
„ ni>va Posthuniianus exspectat, nuntiatums Orienti, ne se in coinparatione
praeferat Occidenti". c. 21 : ,,cum vero ad Aegyptum usque pervenerit, quam-
quaiu illa suoruiu Sanctoruia nuniero et virtutibu.s sit suporhe, tanien
non deiligni tur auJire , quia illi vel univcrsae Asiae in solo Martinu
Europa non cesserit".
^) Die „Erweckung" bei Zü ekler, Hieronymus S. 109.
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UBSPBÜJXQ DES MONGBTUMS.
17
412 veifasston Epitaphium auf diese seine fromme und bibel-
foTBchende Freundm, die, nach der Eroberung Boms, nach
410, zwar im Greisenalter, aber keineswegs ungewöhnlich hoch
l)i'tagt gestorben, zu der Zeit, wo Athanasius in Rom war, doch
'ciho noch im Kindesalter gestanden haben muss! ^) Und von den
Mönchen, die Athanasius nach Italien mitgebracht, wie etwa
Oolumbus seine Indianer nach Spanien, weiss das vierte Jahr»
hunderfc noch nichts. Nicht nur der Oatalogus Liberianus,
sondern auch Rufinns in seiner Sagenreichen Fortsetzung des
Eusebius erwähnt heim Tapst Julius mit keiner Silbe diese
för die römische Welt ja noch am Ausgang des vierten
Jahrhunderts so aufßlllige und neue Erscheinung ^) ; erst ein
Jahrhundert später, bei Geschichtsschreibern, die ans allen
Mönchs -Legenden des Palladius und seiner Geistesgenossen
schöpften, zeigt sich die erste Spur von dieser ßinfShrung des
Möuchturos in das Abendland durch Athanasius Dieser
i) Hieronymus, ep. GXXvll (ed. Bened. XCVI), 5, ad Prindpiam:
„Hmg ab Airändrinia saoerdotibiiB, Papaqae Athanasio et poBtea
Fetio, qtü persecotionem Arianae haereseoB •leclinaDtes . . . Romain cou-
fügerant. vitam beati Antonii adhuc tanc viventisy monasterionimqae in
Thebaide, Fachoniii et virgiouiu et viduarum didioit dieeiplinam.*'
Hier siml die Zeiten recht illoyal durcheinandergeworfen. Atlianasiua
war 341, Petras, sein Nachfolger im ßistuni von Alexandria, d73 oder
374 in Rom; wuseto Marcella schon 341 vom Minichtam, wozu noch etat
die Unterweisung dreissig Jahre später? Und hat wirklich, wie der
Woitlant hier ea sagt, Antonius 373 noch gelebt, so dass Hierony*
oraa seine frühere andere Datirung im Chronicon vergessen hätte? —
Aus c. 13 u. 14 des Briefes geht hervor, dass Marcclla bei ihrem Tode
^vohl in das „senilis aetas" getreten war, aber ..int<'f;ro. vegetoque cor-
pusculo obdormivit in domino". Wäre diese ihre Rüstigkeit etwas für
ihr Alter auffallendes gewesen, wie würde Hieronymus es verwertet
haben, nach Art seines Briefes ad Pauliuu senem Concordiensem (ep. X)!
Aus c. 2 kann man schliesÄCn, dass Neratius Ccrealis er«t nach seinem
zwfiten Consulat, das in das Jahr 358 fällt (s. die Anni. l»ei Migno),
sich die schneidige Zurückweisung von der Marcella ireh<dt hat, die da-
mals noch „wie seine 'l'oohtcr" srin konnte; und auch dieser Umstand
liihrt nicht über da.s Jahr 330 als (Geburtsjahr der Marcclla hinaus. —
Auch b.i .l.n Bollandistcn (Act. S. S. Jan. II, 1105, 31. Jan.) findet
Mch nicht Ii. Anuahme eines besonders hohen Alters der Marcella.
2j Vgl. Rufiniis, Hist. eccl. I, Ib. 19.
3) Socrates, Hist. eccL IV, 23.
Z«it«chr. f. K.-a. 2
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16
W1SIN0ASTEET,
selbst aber, in dessen Werken sich der Name der Marcdia
niolit findet, gedenkt in der eignen Schüdening, die wir
von ihm ftber seine römische Zeit haben, nnr seines regen
Verkilirs mit den italienischen Bischüft'U, und seines ein-
zigen Zweckes, persönlich sich vor ihnen und der römischen
Kirche zu rechtfertigen ^): von Begleitern aus den Anachoreten
Aegyptens, Ton iigend welcher asketischen Tfttigkeit kein
Wort; es wftre widersinnig gewesen, hätte er, wo er Tordem
Episcopat und dem EIotqs des Abendhndes seine Stehe ftthren
wollte, die jedem hierarchischen Stand selbstbewusat und fast
feindselig gegenüberstehenden Spiritualisten der Wüste auf
seine Elncht, wie er selbst diese römische Zeit stets nennt»
mitnehmen wollen.
Was die spätere C^eschichtssehreibong von der Yorbrei»
tung des Mönchturas im Abendlande durch Athanasius er-
zählt, gehört in das weite Reich der Erfindungen des fünften
Jahrhunderts: man erfuhr im Abendiande von den Einsiedlern
der Thebais nnd der nitrischen Berge erst, als die Tage dea
Athanasias schon gezählt waren: nnd ein abendländisches
MOnchtam, an das er hätte eine Biographie des Antonina
senden können, hat er nicht mehr erlebt.
Gegen die Autorschaft des Athanasius ergeben sich aber
auch aus dessen echten Schriften zweifellose Beweise. Könnte
man es auch, abstract genommen, als za&llig betrachten, dasa
nns in ihnen der Name des Antonios nicht ein einziges Mal
begegnet, trotzdem die Biographie ihren Verfasser zum vertrau-
testen Freund und Begleiter des letzteren macht, dem jener oft
das Wasser über die Hände gegossen, au^Üiig genug freilich
') In seiner 356 geschriebenen Apologia ad Iniperatorem Constan-
tiuiu c 3, 4 (Op]). I, 1, 297): fnoyov ilg ti\v 'Pui^riy dyr^X^ov XiA
ixx'Ar,(ji(t id xar' ifiavrdy TittgnfKfieyos ^ tovtov }'dQ fiorov uoi
tfQovrlg lif , i a/d ka^ov rat^ avyd^ sai, d. h. er hat nur, wie
einst OrigencH, den Cultnsstiitten der römischen Kirche gelebt. — Und
wie hätte Athanasius sicli auch bei den Zwecken, die er in meiner
Flucht nach Itahen verfolgte, mit einem Ballast, wie jener Ammon, be-
Bch'weren können, der von Kolchem Widerwillen gegen das Bistum als
eine Stellung des Hochmuts erfüllt war. dass er sich, um nicht Bischof
werden zu müsnen , das rechte Ohr abgeschnitteu hat! äocrates»
Bißt. eccl. IV, 23.
UBSPRUNO DBS Mmsrnjus.
19
bei der dem Antonios nachgerfiluuten Wasserscheu — an
iäoer Stelle mnaste Athanasius den Antonios nennen, trenn
er diesen Fiatnarchen des MOnehtums so gekannt oder te-
sebrieben bitte, wie die Legende behauptet. In demselben
Jahr, in welches Hieronymus deu Tod des Antonius ver-
legt, hat Athanasius einen Briet' an einen Mönch geschrieben,
der sich sträubte, ein kleines ihm angebotenes Bistum, Hermo^
poMs, zu übernehmen, aus Furcht, an Heiligkeit zu verlieren
und sich mit einer Wtirde zu beflecken, die nur Anlass zur
Sünde sei. Diesen Glauben des Drakontius au die höhere
Würde des Anachoretentums über dem Episoopat — eine Nach-
bildung der in früheren Tagen der afrikanischen Kirche be-
anspruchten Prilrogative der Gonfessoren — socht Athanasius zu
widerlegen durch Beispiele von Mönchen, die sich den kirclH
liehen Aemtem nicht entzogen Da weist er auf Yorbilder
hin, die der späteren Mönchs - Legende ganz verloren gegangen
sind, vielleicht, weil sie ihr antipathisch waren, Muitos in der
oberen Thebais, Paulus in Lato, Ariston, Agathon, die nicht
geglaubt hfttten, sich dadurch zu eniiedrigen: den Antonius
nennt er nicht, wo doch vor Einem Wort desselben alle Be-
denken des Drakontius hätten schwinden müssen. Denn An-
tonius, wie sein Biograph es darstellt, hat vor der kirch-
lichen Hierarchie die „äussei-ste Ehrfurcht" empfunden und
lidi stets geringer geachtet als jeden Kleriker^). Warum
beruft sich Athanasius nicht auf diese Stellung des Antonius
zum Klems, wenn er wirklieh bei dem ans* und eingegangen
wäre und von solcher Devotion etwas gewusst hätte? Der Grund
li<^ darin, dass diese in der Vita dem ersten Mönche zoge-
1) In der Widmung der Vita: rio'/.Xtixig yuq avtoy IwQuxa . . .
(t'xoitoo^ijtfaf «vr^ /qqvov ovx okiyoy xal imj^ita» ii^otQ xatd /et^a;
avTov.
2) Ep. ad Draoontinm (ed. Bcned. I, 1, 267). ungefähr vom Jahr
355. c. 7. jU'/ io{yvy xiDAveToianv ae f^6ya/oi . . a»j(fe av Tioocpeari^ov
(ug j^ei^toy a€ «vtmv iaü^evoq. Das Bistum sei nicht, wie sie raeinten,
üfiaQjiag ngotpaaiy Tigy imaxon^v , man kömie auch als Bischof
hungern und dürsten.
3) Vita Antonii c. 67: tov %av6va ir^q ixxknelaq vnBQtpvuif
iovrov xtX.
2*
i^iy u^co Google
20
WEINGABTEN,
achriebeue klerikale Uuterordnung erst der Wunsch der Ge-
neration nach Athanasius war, das ursprüngliche Anacho-
' retentnm dachte anders.
Endlich aber auch, das tolle Dänionentretben der Vita An-
tonii finüL't bei Athanasius sell)st noch keine Analogie. Dort
hausen sie so zahllos und aller Orten, in der Luft, an Grä-
bern, in Felsenkiüften und Wüsteneien, wie die Ginns der
modernen muhammedanischen Aegypter — so feindselig und
doch so familiftr — , wfthrend in den echten Schriften des
Bischofs von AlexLindriu iiocli etwas von der, mau darf viel-
leicht sagen, altkirchiichen oder antiken Scheu lebt, diese
Dämonen weit allzunahe in die irdische Welt zu vertlech-
ten. Das Reich des Bösen erscheint bei ihm noch nicht so
individtialisui und eben dadurch auch abgesdiwScht, wie
in den Teufeleien der MOnchsphantasie; es ist die Macht des
Teufels, vor der Athanasius warnt und die Dämonen identi-
ticiieu sich für ihn nur noch oder erst . mit den Göttern der
hellenischen Welt, ganz nach Art des jödischen Hellenismus
und der griechischen Kirchenväter bis zum Eusebius ^.
Es steht somit fest, dass wir in der Vita Antonii nicht
ein echtes Werk iles Athana^iub und nucli viel wenifjer eine histo-
rische Urkunde des alten, sondern eine Tendenzschrift des ent-
wickelten Mönchtums besitzen, die Darstellung des Ideals
eines in den kirchlichen Organismus eingeffigten
und angeachtet aller populären und Wfisten-Ele-
mente in eine geistige Atmosphäre erhobenen
Mönchtums. Freilich schwindet damit jede Bürgschaft,
ob auch nur ein einziger Zug in dieser, systematisch so
kunstgerechten Biographie — von der Bekehrung an durch
das Anhören jenes Evangeliums vom reichen Jfli^ling, das
schon die alexandrinische Theologie des dritten Jahrhunderts
so viel beschäftigt hat, bis zu seinem verborgenen Grab,
gleich dem des Moses — Ansi>ruch darauf hat, als geschicht-
lich zu gelten. Hat es einen Antonius gegeben — und ein
„mens Antonii'^ ist schon g^en das Ende des vierten Jahr-
1) Wie in «Iciu Hri. f an Aniiin <<^i'p. <d. Ikncd. I, 2, 059).
Vgl. Athanasius, Da iucaruatiuuti vcrbi c. 32 u. 47.
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URSPRUNG DES MÖNX'HTUMS.
21
iandertB von Bufin, alsbald auch von den späteren abend-
ländiselien WallünbFern gekannt und besncbt worden ^) — , so
ist er doch so wenig dem Bilde ähnlich gewesen, welches
die absichtlich dichtende Doctrin von ihm gezeichnet, wie
etwa der Peter von Amiens der Gescbichte dem al fresco ge-
malten Bilde gleicht, das die berechnete Mönchs -Legende von
ihm als dem Urheber der Krenzzüge erfunden hat. Auf jene
ideale Gestalt des Antonius haben »lann die späteren Gene-
rationen alsbald ihre Eigentümlichkeiten zurückdatirt, und
daraus erklärt sich leicht auch die Fülle von der herkömm-
lichen Zeichnung abweichender Traditionen, die sich an sei-
nen Namen angesetzt, ihn schon frfih zum Repräsentanten
der beginnenden Mystik gemacht *) und in der Chronologie
seines Lebens eine arge Verwirrung augerichtet haben —
Dass man die Dichtung dem Athanasius zugeschrieben oder
unter seinem Namen verbreitet hat, hängt wohl mit der Er-
innerung an die mannigfiushen Beziehungen zusammen, die
ja Athanasius in seiner späteren Zeit, nach der Flucht aus
AlfXaiKiiia in die Wüste, in der Februarnaclit des Jahres
356, mit dem ägyptisclien Möuchtum hatte, und dass Gregor
von Nazianz das Werk gläubig als ein athanasianisches an-
nahm, kann in einer Zeit nicht äberraschen, deren literarischer
Glaube nur durch dogmatische Gründe bestimmt ward, und
in der Constantin und ein Eusebius mit ihm glauben konnte,
Cicero habe die frriochischcn sibylliuischrn Weissagungen
von Ciihäto ins Lateiniäche übersetzt^). Wäre eine Ver-
1) Bufinits, Hist eod. II, a Sulpic SeT., Dial. I, IL
S) So das bei Job. Cassiaiiits, Coli. IX, 81 ihm SQgeschriebene
Wort: „Don est perfecta oratio, in qua se monachns vel hoc ipBom qnod
«rat. intelli^t"; oder die Erzähhuig, wie man ihn, wenn er die Nacht
hiDdnrch gebetet hatte, gehört habe, in fervore spiritwv proclamantem:
„quid Die impedia soI, qni ad hoc jam oriris, nt me ab higiu veri Innd-
ois abBtrahas daritate?"
*) Wie Socrates IV, 25 das bekannte, in der Vita Antonii
noch nicht enthaltene Wort zn Didynras, dieser sehe nicht mit den
Augen, wie auch Hficken und Ameisen sie hätten, sondern mit den
Angen, damit die Engel Gottes Licht nnd Wesen erkennen, in die
Zeit des Valens verlegt (c 370).
*) Vgl. Ensebins, Omt. Constant. ad Sanctorom coetum c. 19»
in der Ausgabe von Valesins p. 637.
28
WSIHGABTBif«
nmtang über den ünprong gestaiitet, so mBchteii wir üih
sieht aUzufem von dem antioelieBiaehen II dachtnm and dea
Cirkeln des Hieronymus suchen, der in seiner Fabrik mo-
derner Heiligen in der syrischen Thebais dieselbe ungetreue
Arbeit unternahm, wie gleichzeitig die römische Kirclie unter
seinem QOnner Damaaos in der Fixirang der M&rtyrer-Legenf-
den ihrer Kaiakomben.
Wo aber finden wir die Ursprünge des MAnehtoms?
IV. Wenn die Entstehung des MOnchtums in die Jahrzehnte
Mlen mnss nach Lactanz und Eusebius, die noch nichts von
ihm wussten, aber vor die Jahre, in denen Basilius der Grosse
und Gregor von Nazianz in der ersten jugeadliclien Ik'L^^eiste-
rung in ihrer kleiiiasiatischen Heimat es nachahmten, gegen
den Ausgang der Begierung des Constantius und kurz vor
der Episode Julians des Abtrfinnigen (also um 360) — so
sollte man erwarten, dass wir in den echten Schriften des
eihzigen literarisch eingreifenden Bischofs der ag^^itischen
Kirche in dieser so wichtigen Epoche des Uebergaugs aus dem
antiken in das christliche römische Staatswesen, in den Briefen
und Stieitreden des Athanasius Anhaltspunkte fQr die Ge-
nesis jener neuen kirchlichen Erscheinung finden mfissten.
Denn unzweifelhaft hat Athanasius, wenn auch viel später,
als gewöhnlicli angenommen wird, dem Mönchtum nahe frostnn-
den, nachweisbar erst n a c h seiner Rückkehr aus seinem zwei-
ten römischen und abendl&ndischen Exil die er nicht, wie
die Fabel seit Bufinus bis zu Hefele geht, Drohungen des
Gonstans, sondern seinem eignen Amnestiegesuch bei Constan-
tius verdankte -). Aber jene Hofl'inmg wird nicht erfüllt.
Zwar ist öfter die E^de von fxovui^oyus xtu aoxr^iui in. Aiexau-
1) Auch Itci Socrates, Ilist. eccl. III, 14, wird direct bezeugt,
da&s noch in den Tageo des Hilarius VOB Foitiers, des Martin von Tonn,
des Auxentius von Mailand (des Vorgängers des Ambrosius) Europa vom
M« 'Tichtum nichts erfahren hatte ( . , , unti o'<r«i wiif MuXovfjUvtfv EvQuinr^v
oixoCoi ei xttl dnt{{>tiToi in fdoya^ixeSy öV¥Oott(ov ^aav), eine Bestäti-
gung uns. ror obigen Ausführungen über den sagenhaften Charakter der
Erzähl 11 ngca von der Wirkaamkeit des Athanaaios ^ in Rom für das
Jüünchtuni.
^) VgL Athanasias, ApoL ad imper. Const. c. 4 am Schluss.
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UBSFKUNQ DBB HÖMCHTUMS.
23
dria und die Ueberschrift der um 360 geschriebenen 80-
geniuinien Histoiia AmnoraiiL ad Monachos setzt deien Yer-
breitnng durch alle tokoi, alle Landdistriete Aegyptens vor-
ans % ein ansserägyptiselies M5nchtam kennt sie noch nicht.
Duch in das innere Wesen desselben ist uns ein geringer
Einblick gewährt Kaum ein Unterschied von den älteren
Asketen ist zn erkennen; wird doch sogar noch die Ehe und
KindarenEeugong unter den Mfochen vorausgesetzt % und nur
«inmal scheint es ^) , ab ob im Briefwechsel des Athanasius
das giübelmle Phantasielcbcu der Wüste und ihre Däiiiouen-
welt sich wiedelspiegelt, aber nur um streng zurücki^^ewiesen
zu werden. Ebenso wenig wie der Name des Antonius be-
gegnet uns der des Padiomius noch sonst einer der grossen
lieblingsfaeiligen der alten Legende.
Aber durch Augenzeugen wenigstens der zweiten Gene-
ration des ägyptischen Mönchtums scheint das traditionelle
Bild des ersten Gescblochtes seine Bestätigung und Illustra-
tion zu erhalten f durch Männer wie Rufinns und Palla-
dius, die bis in die Gegenwart hinein als treue Bericht-
entatter Aber ihre eignen Erlebnisse unter den Einsiedlern
der Wüste gelten. Rufinus, der von 374 — 380, Palludius^
Später durch Chrysustomus zum Bischof von Helenopolis ge-
V) Z. B. Apül. ad imper. ConBt c. 2ö.
*) Opp. I| 1) 343: 70t; un«yTaj[eai xutk tonor rdv fioyi^oii ßtoy
««KOMT«, was von den Benedictinern nicht zutreffend übersetzt ist:
,,oinn!bas nbique moniutticam vitara agentibus"; xard ronoy geht auf
die „auf dem Lande" lebenden Mönche in den Flecken und Ortschalten der
Twra^/fe* Aeg}'ptens ; vgl. Marquardt, Römische Altertümer III, l.S, *215.
•) Athanasius, ep. ad Dracont. c. ^ (Opp. I, 1, 268): oUujAsy
yaQ Jffa arifjtTtt noiovyrai iniaxönov^, fiovu^oi^ utj noinvyrn^ " uokXoi
4k Tiöy iniaxoTtuiy ovde yfya/ui xrcai ^ fLio vc/oi if f nuT&ija xixroiv
yiyövaai, und das ist nii'lit malitiös f:,'*?iueiiit, wie aus der unmittel-
bar tolgtudeu Vergleichung erhellt : uiantqxa^ijmfxonovi natiqag
1 ixvM y.
•1) Athanasius, Kp. ad Amun. {Opp. I, 2, gegen Mönche,
welrho Mt. 15, 18 auf alle kürperliclk-n Au>.schoidungeii überhaupt bezogen,
daher auch Ausspucken für Sünde hitlku. Dein entsprechend wird in der
Hist. Lausiaca c. IT» von tlem einen Macarius erzählt, er habe von
seiner Taufe an. im vi- r/.igsten Jahr, bis zu seinem Tode, sechzig Jahre
lang, nie auf die Erde gespuckt.
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34
WEINGARTEN,
weiht, der etwa um 390 in den nitrischen Bergen und
in der Tbebais unter den Asketen sich aofgehalton. Am
beiden haben hernach Socrates und SoKomeno», die Fortsetzer
des Ensebios, und ebenso die (Jeschichtsschreibnn^ des Abend»
landes geschöpft, und den Eiiion, den Palladius, hat noch die
jüngste protestantische Darstelluntr als „ besonders frisch , an-
schaulich und glaubwürdig*' ^) gerühmt. Hier tut es besonders •
not, dass die Axt an die Wurzel all dieses Aberglaubens
gelegt und diese Zeit der Kirche nach Ihrem wahren Cha-
rakter gezeichnet wird. Denn des Knfinus Historia Mona»
chonira, mit den entsprechenden Partien seiner Kirchen-
geschiclite, und des Palladius dem Lausus gewidmete Vitae
sanctorum patrum^ verdienen auch für das Meiste, was sie
selbst gesehen haben wollen, £ast genau so viel Ghiuben wie
Gullivers Belsen in Liliput
1) m\h:it Zocklrr in dem Artikel „Palladius" der Herzoglichen
Beal-Encyclopädie XX, 331; „Das verhältnismässig' seltene Vorkom-
me von Wundergescliichten , wenigstens von solchen der krasseren Alt,
verbüige die Glaubwürdigkeit in allem Wescnttidien/'
*) Beide citire ich nach der mir allein zugänglich gewosetien
Migneschen Ausgabe. Buf'inas Migoe, Ser. lut. XXI, Palla-
dins: ij npo? Aniaw Usto^iu Migne, F?er. gr. XXXIV. Für die vor-
liegende Autgabe ist es nicht notwendig, das allgemeine Verliiiltnis
namentlich des Socr. Schol. zum Palladius zu untersuchen: Iis ält rc
Material nh»^r diese Frage u. a. bei Tillemont, Mem. eecl. XI, 525.
Dass Palladius aus Rntirn-s iresi^]ir>jift . <roht aus der Chronologie wie
aus dem innen n Cliaraktt r der Schrilten liervor. wi«' jetzt aueli allgemein
zugestanden. Kuliiius hat in A-juileja um 400, Palladius um 420 ge-
schrieben. Ueb r ihr gegen>:eitiges Verhältnis s. die ältere Auffassung
n. a. bei Tillemont. Mem. ecej. XI, f)}7. — Die ziKist von Ros-
wevd (Vit. patrum), zuletzt vuu ^ligii' iS-r. gruec. LX\'} als Anhang
zum l'ailadiua herausgegebrü'^ii .,'frt nff {f t y unr €c r (H y ruc t t n loi'',
in der Form eine Art alphabeiiseh geordnetes Mönchs- Lexicm . haben
mit Palladius gar nichts zu thun; sie sind überhaupt kein.- histori.«,c!ie,
8i.)ndern eine ethische Schrift, die einer viel späten n /«'it als dtiü vierten
Jahrhundert angehört, von oiner über alle Wertlegung auf mön'hisehe
Askese und auf das M«")nchtuni überhaupt so erhabrncn. .^o reint ii und an-
ziehenden iJr.-iniuing , wie man sie nur bei den b« st* n M\stikern der
griechischen Kirche findet. Sie bieten keine Gesciiiehte, sondern die
Kritik und Uelxrwindung der M«>nchsgesinnung. — Von Job. Caäsia-
nus und Sulpicius Severus wird weiter unten die Rede s«Mn.
3; Bekaimtlich hat schon Hieronymus, der immer den fciplitter
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UBSFRUNG DBS MOMGHTUHS.
25
Es ist fast uiiglaablich, was Rufiims dieser absterbenden
römischen Welt als von ihm selbst gesehen oder von Angen-
zeugen erkundet bieten konnte, wenn man nicht wflsste, dasa
diese Welt eben damals in ihrer Umwandlung begriffen war
aus dem ;iiitiken in ihr katholisches Heidentum. Da weissagt
ihm nicht nur sein heiliger Johannes in der Thebais acht
Jahre zuvor die Geschichte des Theodosins, seinen Sieg Aber
den Empörer Eugenius und seinen baldigen Tod darnach; da
wird er nicht nur zum heiligen Or geföhrt, der nie buchsta-
biren golcrnt, jetzt aber die Bibel liest data diviiiitus gratia
des Lesens, demselben Gr, der ihm von einem Klostergenossen
erzählt, der drei Jahre hindurch keine irdische Speise ge-
nossen, allein von Engeln genAhrt, — sondern da sieht Bu-
finus auch den Apollonius, ans dessen Rficken plötzlich ein
Dämon herausspringt, in Gestalt eines kleinen Negerknaben;
Apoljonius fasst ihn und vergräbt ihn im Saude der Wüste,
diesen seineu HochiuutsteufeL £s war derselbe Apollouius,
der einst eine grosse Schar von Dionysospriestem mitten in
ihren Prozessionen festgezaubert hatte, dass sie einen ganzen
Tag sich nicht vom Fleck rühren konnten ; Apollonius erst,
wieder herbeigemfen, hebt den Bann auf, diese Heidenpriester
werden Mönche, und Rufiiius lernt sie in ihren Klöstern
kennen. Da reist sein Patermutius durch die Luft und er-
scheint bei geschlossenen TOren; da ruft sich der heilige
Helenns ein Krokodil herbei, auf dessen Bflcken er über den
Nil hin- und zurückfährt, um einen Presbyter herbeizuholen.
Zu geschweigen der Wundergeschicliten , die Rutinus in der
nitrischen Wüste erfährt, von dem heiligen Macaiius, einem
in seines iiruder.^, aber nie den Balkon im eignen Auge erkannte, i^ber
die Schrift des Rurinus geurteilt (ep. CXXXIII [ed. Ben. 43], 3, ad
Ctesiphonteni): „qui (Rufinus) libruni quoque scripsit quasi de Monachis,
nmlt<?sqn(- in eo ennmcrat . qui namquani fuerunt." Audi di>' iilteron
katholisciion Kritik> r (Rosweyd und Fontaine) haben an den chrono-
logischen Widtr<|irüchen Anstoss genounuen und drr letztere hat ge-
meint, RuHnus habe nicht seine eignen, sondern die Fahrten seines
FrotindeH. des Bischofs Petronius von Bologna, dargostt-llt (vgl. Migne,
Ser. lat. XXI, 285 f.). Rosweyd hielt sin sohr mit Unrecht für eine Teber-
getznng ans dein Griechischen. Sie it>t eine echte Schrift des ßutiuus
und Id seinem eignen Namen geschrieben.
36
WEINOASTEK,
Schüler des ADtonius, der Todte beschwört, die noch aus dem
Grabe heraus ihre Mörder nennen, der besauberte und in
Stuten verwandelte Jnngfi«aen wieder zorfickrerwandelt, nach
Analogie des magisoben Esels des Apnlejos nnd Lnctans, dem
es ein gerin^jes ist, einem von ihm geheilten Mädchen, zu
ihrer eignen Bewahrung, männliche Gestalt zu verleihen
Fast alle diese Zaubergeschichten und Gespräche bat
dann Palladius auch in seine Werke herübergenommen, w9rt»
lieh nnd ohne jede Veränderung der Soenerie als seine eignen
Erfahrungen ^■^). Die dritte unveränderte Auflage bietet hernach
Joh. Cassianus. In dem aber, was Palladius selbständig hinzu-
gefügt, zeigt sich, welch ein Geist frommen Trugs und Selbst-
betrugs in die Kirche dieser Zeit eingedrungen war. Palla»
dius erzählt, dass er mit eignen Augen gesehen, wie
durch das Gebet des Macarius ein diesem zugefShrter, yon
einem Dfuiion besessener Knabe, dem Macarius seine rechte
Hand aufs Haupt, die linke aufs Herz legte, in die Luft ge-
hoben worden und schwebend angeschwollen sei zu einem
gewaltigen Schlauch; da habe das Kind plötzlich angeschrien
und aus allen seinen Gliedern sei Wasser henrorgebrochen;
nachdem so der Teufel ausgetrieben, sei die frühere Gestalt
wieder zurückgekehrt; mit dem heiligen Oel gesalbt und mit
geweihtem Wasser begossen, sei der Knabe von ^lacarius ge-
heilt seinem Vater zurückgegeben worden Dieses Schweben
1) Rufinus, Hist. mon. c. 1. 2. 7. 9. 11. 28 u. h. w. Xur einmal
trüVt man einige psychologische und humoristische Wahrheit an , in den
Besichten des jüngeren Macarius c. 29, der in der Kirche bei der Messe
sieht, wie vor jedem Mönch <in kleiner Teufel spielt in Gestalt eines
braunen Aethiopi» rjungen , der seinen Mönch zum SclilafVn oder zum
Gähnen oder Lachen reizt, kitzelt und hinter den Ohren kratzt, zum
Beweise, wie die Teufel dem Macarius sagen. ..<|uod sine Dobis nulla
collecta agitur"; bei jeder Älesse seien sie auch dabei.
An eine Interpolation durch eimn S|.atcnii, d<r etwa das Werk
des Rufinus ins Griechisclie übersetzt und in den Palladius hineinge-
tragen, braucht man kaum zu denken: denn aus den» allein, was Palla-
dius von sich sclbjit berichtet. «Tgicbt sii^h t'm Charakter, der Wunder
hernalmi, wo er sie fand. — ]>ie wörtliche L cberein.stimmung zahlreicher
Capitel der Hist. Laus, mit liufinus ist auch in der Migne.-chen Aus-
gabe der ersteren überall angcgt lxn, es bedarf hier nicht er^t de.^ lieweiscs.
3) Palladius, Hist. Laus. c. 20 (Migne p. 1059): vn üif^ein
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URSPRUNG DEB IfÖKCHTUMS.
27
2A der Luft war vielleicht nur eine Beminiaoenz an die gleir
ehfln Wunder der Nenplaioniker ein Jahrhundert zuvor, in
deren Ereiseo auch Jamblichiis seine Schüler ,,bei dem Glau-
ben Hess, er schwebe beim Gebet zehn Ellen hoch über der
Brde'* — aber der Möuch und Bischof, der jenes Wunder
mit angesehen, ist er noch ein glaubwürdiger Zeuge ? Und wenn
Falladius von eben diesem Maearius, mit dem er drei Jahre
in derselben Zelle gelebt, jenes andre Wnnder gehört haben
will, das ihiu angesichts des heiligen Antonius begegnet sei
ist da noch von Geschichte die Rede? Fällt nicht von da
aus auch ein eigentümliches Lieht auf jene angeblich auf
Autofsie beruhende Schilderung eben dieses Maearius des
Jfingeren oder des Grossen, des Maearius von Alexandria, dem
von der späteren und der modernsten Unkritik ^) die sinnigen
und tiefen Homilion 7Aige«^prochen worden — , der sieben Jahre
lang nur von Kohl und faulen Aepfeln sich genährt habe,
er, der früher Delicatessenhftndler in Alexandria gewesen; der
sechs Monate lang sich in einen Morast gelegt, bis er von
Stechft'egen so zerstochen war, dass ihn niemand wiederer-
kannte, nur um sicli wegen einer von ihm zertretenen Mücke
zu bestrafen; der in der Wü?>tenreise, als er dem Vei-schmach-
ten nahe ist, nach zwanzigtägigem Fasten von einer Hirsch-
kuh gesftugt wird, die ihm dann in seine Zelle folgt; der
emmal die ganze vierzigtägige Fastenzeit hindurch unbeweg-
lich in dem Winkel einer Klosterkirche der oberen Thebais
gestanden und seine Gebete hergesagt, nur um durch diese
«no nytvfdttiog j^aifTinv xtX.
1) Burckhardt, Die Zeit ConstantinB des Grossen S. 260.
2) Palladins, Hi8t. Laus, c 19 (Mignc p. 1050). Maeariiis
erzählt, er hftbe einst den Antonius an ans','esucliton Palmonzweigen ar-
beiteu sehen nnd ihn van eine Hand voll gebeten; Antonius aber habe
die ^tte abgeschlagen, weil geschrieben stehe, du sollst nicht begdirm
demes näch.sten Gut. Aber kaum hatte er dies Wort gesprochen, so
seien alle diese Zweige wie vom Feuer geröstet gewesen. Da habe An-
tonius erkannt. Macariiis werde der flrbe seiner Gaben sein.
3) Leider hat man hier nicht nur an F 1 o s s nnd seine sogenannten
„ Qnaestiones criticae et historicae de sauctornm Macarlomm vit." (wieder
«bgednickt bei Migne, Ser. gr. XXXIY) zn denken.
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28
WEINGARTEN,
Standhaftigkeit unerkannt die anderen Möuche zu beschil>
men? ^) — Wie diese MOnchstendenz des Falladius ohne Scheu
auch die bekanntesten Tatsachen der eignen Zeitgeschichte
geftlscht hat, prellt aus der Erzählung über die Flucht des
Athanasius ans Alexandrien (356) hervor. Während es be-
kanntlich feststeht, aucli durch das eigne Zeugnis des Atha-
nasius, dass er sich in die W&ste gerettet and in dieser
Zufluchtsstätte den Tod des CSonstantius abgewartet, Iftast
Palladius ihn sich verborgen halten in dem Hause einer
nicht viel über zwanzigjährigen, wegen ihrer uiigewölinlichen
Schönheit berühmten und vom Klerus gescheuten alexandrini-
sehen Jungfrau, kraft eines göttlichen Befehls, sechs Jahre
hindurch, und erst als die Nachricht vom Tode des feind-
seligen Kaisers nach Alexandrien kommt, erscheint er plötz-
lich wieder im Abendgottesdiensl derselben Kirche, aus der
er vor Jahren geliuben: und auch für dieses Märchen hat
Palladius seinen Zeugen in jenem Mädchen selbst, die er als
siebzigj&brige Greisin in Alexandrien gesprochen haben will
Dass bei solcher auf Erfindung beruhender Zurechtmachung
der Geschichte nichts von dem, was Palladius sonst noch
über Antonius und Athanasius berichtet, trotz aller schein-
baren Zuverlässigkeit und Naivität der Darstellung, Beweis-
kraft hat, darf nicht erst hervorgehoben werden ebenso wenig
1) Vgl. das 19. imd 20. Oapitd der HUt. Lans.
*) PalladiiiB, Hi8t.LaQS. c.l86: „nttQ&iyov m^u rqr iv 'JXi^Mf^
^QS(^, xarsiXii^ irwtf ipSoft^ßtwxu «rA." Als Gnmd habe Alba»
nasiiiA angegeben, ausser dem gdttUchen Gebot: t^mitpvyov n^s itttivii»,
n^S inti^nf ov^tlf idwmo ^uv tSf ngog t$QtuaVy Mai vetotigav,
(fro juv^t^vottfitvoi f jn jtaXu xai ir,i' amr^^iw «ct'rqf * M^A^tf« ytiff
avrip Xftl TqV i/ii^tf ii^nv (!) «ici aßtfnXiutv.**
3) So wird seine Angabe (c. i\ dass Dld^rmas ihn za Alezandria in
seine Zelle za kommen genötigt, iu der auch der heilige Antonius drei
}&aX gewesen, schon verdächtig durch die unmittelbar sich anscliliesscude,
ganz scliabloneniiiä*:s!ige Erzäbluns;. wie Didymos ihm das in der Todes-
stunde dcK Julian erhaltene Gesicht mitgeteilt: „Binar e firfvuto' atfuegov
ißdouijy üioay treXtvir^nfv ^lovXiavoi." Fast mi^ 1 nselben Worten wird
die gleiche ( Wcnbaning den Mönchen Pammon und 1 h- MLtnis zugeschrie-
ben, die sie dem Athanasius mitgeteilt (Athanasius. Oj.p. 1, 2, 8ö9):
„t«i't5 rf, i'jQ(t dvriotf}rf 'Idvhuyog 4y n€QCidt/^ Palladius (c. 1) ist es
auch, der den Isidoras, den andern sagenhaften Begleiter des Athanasias
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USSFBUNG DEB HÖNCHTUM8.
29
wie irgend jemand, der sich durch diese Mtochsliteratar
des endenden vierten nnd des fünften Jahrhunderts durchge-
arbeitet, noch zweifelhaft sein wird, daes wir in ihr nur den
immer gehaltloseren Aufguss auf den geßilschten Stoff zu ge-
niesseu bekommen, den die Vita Antonii und die beiden
grössten geistlichen Faiseurs jener Periode, Hieronymus nnd
Bnfinns, znsammei^iebraat haben >).
Und dennoch, trotz aller Wunder und aller tendenziösen
Erdichtung, ist in diesen ältesten Eremitenromanen so viel
für die ganze äussere Erscheinung des ägyptischen Mönch-
tums und indirect auch für die Genesis desselben Charakte-
ristisches enthalten, dass der Versuch nicht hofibungslos ist,
diesen Spuren nachzugehen. Denn giade die Bilder der in
ihren Bergzellen odor Felsengräbern oder in Pyramiden Men*
auf der Flucht nach Rom (841) einlfettirt, was ebenso viel geschichtlichen
Wert hat, wie wenn er seinen Hanptbeiligen (M acarins den Grossen) sieh
mit dem GedanlKn tragen ISsst, nach Rom zn gehen oi*opofii«f
Xuqiif (lOgne p. 1060).
1) Die Ansbildang dner anch üi den Sagen des MittelalterB be-
liebten Legende ans dem Leben des heiligen* Hacarins giebt daflUr
ein recht sSgnificantes BeispeL Bei Bnfinns, Bist eed. n, 4 legt
eine L5win, die in «ner Höhle neben Hacarins banst, ihr blindes Jnnges
dem Ifeiligen vor die FBsse, damit er es sehend mache. Er erfüllt ihre
Bitte nnd erhält nicht lange darauf von ihr zom Dank zahlreiche Felle
von Scbafen, die sie todtgebissen (morsn oris enectas). Hier bedenkt
sich Macarins keinen Augenblick, die Gabe anzunehmen, ebenso wenig
wie der, mit Macarius wohl identische Einsiedler aus der Gegend von
Memphis bei Sulpicins Severnu, Dial.1,9, bei dem aber aus dem einen
schon funi' junge Löwen nnd aus den Scha£feUen ein seltnerer Pelz ge-
worden (inusitatae ferae pellem). Palladius dagegen, der es von Paphnu-
tins» di m Schüler des Macarius, gehört haben will (M i g n e , c. 20, p. lOGO),
wwandelt die leaena des Kufiiiua in eine Hyäne (t'atya) and lässt sei-
nen Heiligen ihr Geschenk erst dann annehmen, als sie ihm, nach einer
Strafpredigt über ihre Mordlust, durch Neigen ihres Hauptes schwört,
nie wieder einen Mord zu begehen. Dieses ccVwv tng vaiviig liabe dann
Macarius dem heiligen Athanasius, und dieser wieder der heiligen Me-
lania vermacht; von der letzteren weiss es Palladius selbst. Freilich
ist Melania erst lange nacli dem Tode des Athanasius uach Alexandria
gekomnien (auch nach Hieronymus, Ohron. II, 198, in der 289. Olym-
piade). Was für Kummer hat es doch dem frommen Tillemont gemacht,
dieso historischen Widersprüche und Unmöglichkeiten auszugleichen!
(Mem. eccles. Vill, 812 sq.)
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schenalter hindurch sich einschliessenden Eremiten, jene
redusi oder iyxtxXuofiiyoiy die uur „per feuestram se videu-»
dvm piaebebaot'* oder durch die zu dieseiD Fenster so»*
geBtreckfce Hand die KrankeD heilen und den Segen spenden
diese ftltesten nnd eigentOmlichsien Formen der Askese weisen
nur zu deutlich auf Analogien hin, die sich schon in der vor-
chrLitlichen Zeit Aegyptens zahlreich finden, und deren reli-
giösen Charakter grade die neueren figyptolQgischen Unter-
snohasgen dargetan haben.
V. Schon aus Porphyrius wusste man von Asketen in
ägyptischen Tempeln, die, vom Volk getrennt, auf Paimen-
bl&ttem schlafen, keinen Wein trinken, keinen Fisch essen,,
niemals lachen, ihre Hand stets unter ihrem Mantel yerboigen
halten^, wo namentlich die Enthaltung von Fischen an d!»
mit der Osirismythe zusammenhängenden Verbote erinnert.
Aus den in den letzten Decennien entzifferten griechischen
Fap\Tushand8cbriften, die zum grossen Teil aus dem ehemaligen
Tempelgebiet von Memphis stanunen — dem Hauptheiligtnm
des äg}7)ti8chen Serapiscultus der Ptolemäer- und der Kaiser-
zeit — und dit* in das britische Museum in London, in den
Louvre und die ehemals kaiserliche Bibliothek in Paris ge-
konunen sind , erffiel^t sich aber mit voller Evidenz , dass
schon mit dem Dienst des Serapis, bekanntlich des in
der alezandrinischen Zeit in Aegypten vor allen verehrten
Gottes, ein vollständig organisii-tes Mönchs- und Eloster-
wesen verbunden war. Während das Therapeutentura Phi-
los in seiner Zeit ganz isolirt dasteht, mit dem ägyptischen
Volksleben in gar keine Berührung gekommen ist, am wenig-
sten mit dem Oberfigyptens, nnd nach der Mitte des ersten
Jahrhunderts unbedingt spurlos verschwindet, daher schon des-
wegen für die Entstehung des Möncktums ohne jede Bedeu-
tung ist, lässt sicli jenes Mönchtum des Serapis urkundlich
dmch Jahrhunderte verfolgen. Seine uns erhaltenen Haupt-
* 1) Vgl. Kul inu.s, Hist. inon. c. 1. G. PailuUius, Hist. Laus. c. 43:
„(yxexXna/nh'og xai dui i^v^dos XufA^uviüV xrA.** c. ö: „fV ^•'»j/uan
iavxiiv iyxai^stQ^ev", vgl. 85. 961".
*) Porphyrius (De abstinentia IV, 6) uacli Chairftmon, dem Stoiker,
bei Müller, Fragm. bist, gracc. ed. Didot III, 497.
üiQiiized by
UfiSPRUNO DES XOMGHTUMS.
31
denkmale — Bittschriften eines gewissen Ptolemäu'^. Sohn de»
Qkwüdas, und seiner beiden Schatzlinge, zweier ZwillingSK
flehweskeni, Prieaterinnen der Isis, Thaoee und Taus, an den
König Ptolemäns nnd seine Schwester Cleopatra — fallen in
die Zeit des Ptolemäas VI. l'hilometor, um 165 vor Chr.,
aber wir besitzen auch die Inschrift eines solchen recludua
des Serapis aus dem Jahr 211 nach Christas.
Die Kenntnis dieses Kloslerwesens verdanken wir tot aUena
den Arbmten der fransödschen Akademiker Letronne nnd
Brun et de Proslc, dieser, in das literarische Erbe jenes
seines Vorgängers eingetreten, nun auch schon ihm nach-
gefolgt. Ihre Untersuchungen hat die Kirchengeschichte zu
lange ignorirt; wir haben sie fär den ?orliegenden Zweck
dankbar zu darokforsdien Tersncbt
Das Serapeion zn Memphis, ursprünglich die Begrftbnis-
Stätte des Apis, umschk>3S in seinen weiten liäunien eine Ge-
sellschaft von Eremiten, die hier in Jahre langer, unverbrüch-
licher Clausur lebten in Zellen, die an die einzelnen Capellen
der Tempelgebftnde angebant waren. Diese xuroxot, iyxhoxpt^
oder wie die Bittschriften der Schwestern ihren Beschfttzer
nennen, //loAf/mrov loV tyxiaü/t] oyxioyty HO ufyaXto ^U()U7Ht{(t)^)y
Hessen bei ihrem Eintritt fast all ihr Hab und Gut zurück
^) Bruoet de Presle, Memoire enr Ic Serapeum de Memphis, in
den Memoires presentes par divers savants a i'academic des inscriptions
et belle» lettres, I. ser., t. 2. 1852; dazu die weitere Ausführung dieser Ab-
bftDdlong in den Notices et Extraits d<» Manuscritö de la Ribliothöqae
Imperiale XVIII (1865), 264—349. — Unter den zahlreichen älteren
Arbeiten von Letronne ist Ichnreicb: Materiaux pour rhi^toirc du
Christian isme en Kgypte (Paris 1832). — Vgl. auch Gaston Bei ssi er,
La relip' n romaine d'Auguste aux Antonins (Paris 1874) T, 400. Die
Dissertation vnii PL w, De Sarapide (18*»8) bietet für die hier in Pe-
traclit koninieiuKii Fragen leider nicht viel mehr als einen Hin%vcis auf
jene zuerst genannten Arbeiten (S. 38 f.). — Die Insclirift vom Jahr 211
(Corp. Inscr. Graec. 31G3) geht auf einen sulcheu ^yxaro/r/ffttir«
ru) xvQüo iiuQant^i naQtl rotg ^iaiiiataiv iv Ifi^Qfß, Namens Papinins.
Vgl. Brun et de Prosle, Mt'ni. p. 565.
2) Noticrs p, 207. Dass xktoxos nicht bloss den von einem Gott er-
griffenen oder begeisterten bezeichnet, uianeQ ol xtho/oi lots nsQi loV
Jiovvaorv oQyiuaual^ (Plnt. de Isido et Osir. 35j, sondern auch den im
Verschluss gelialteneu, den reclusos, hat Brunet de Presle nachge-
wiesen (Mem. 564).
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32
WElMaAETEN,
und waren auf das Brot ane^ewiesen, das ihnen ilire Verwand-
ten brachten. Denn sie selbst durften ihre Zelle nicht ver-
lassen, nnd verkehrten mit der Anssenwelt nnr durch eine
Art Luftloch, dm rov &vgtSiw Ptolemäus hebt es immer
hervor, wie lange Jahre er in seiner Kapelle, seinem Pasto-
pborion, eingeschlossen sei Uubedin<^e Armut scheint je-
doch nicht bei ihnen geboten gewesen zu sein; bei den
r&uberischen EiniUllen wenigstens, über die Ptolem&us klagt,
spricht er von den na^d-fpcuQf die den anderen iymroxotg ge-
raubt seien; darunter auch Eupfermfinzen % Sie nannten sich
Brüder und sprachen von ihrem Vater, Bezeichnungen, die in
diesem geistlichen Sinne zahlreich in den i^niechischen Pa-
pyrus sich finden *). Auch von Träumen und Gesichten, die
sie aufzeichneten, in welche Kämpfe mit Dämonen hinein-
gespielt zu haben scheinen, er&hren wir^) und ein emster
religiöser Grundzug geht durch alle diese Documente^t es
ist die UoÜnung, „reiu'' zu werden, in möglichst langem
1) Notiees p. 302, in einer »ler Bitt^schrüten des Ptolemäus: dsofdai
■ort ov d V vo fiui (sie) i^sX'fw'v (x jov Ieqov ih-Ti'An^iaOiti avriov
der Scliwc-.stern ; und hemadi bei der Bitte für seine IJriider. denen ihr
Besitztum geraubt war » no ruiv iv rfl xtuuij nQ/övrioy, cfuc ro ixetvovg^
ifioi 71 o (> t ^ o V r « c rnt!g aQrov^, s u k & utr q e ff e i y ; p. 29f}: (idiXoC-
fim {iüvXnf^et'Oi i^aniiaak fie xai (lynyr^aiu, Aehuiich cino andere von
Franz (C. J. Gr. III, 30f5) citiitr St-lle.
2) Nutices p. 292: hr, Si/.a nix [i^iAii/.vihhog] ro na<n[vrf<>i)ioy]
iv u) iyx\txX€i(Sjur(i ftü? T]i's ar,^iQov //^[c(iffc], p. 281. rdiy iv xa-
ro/fi oyxixty ly i'it ueyüku) J«^ani£(^ ffof lovzo äydixaiov. p. 297: ov»
i'ie'Ar^kvf^ios ro 7nc<Jxoq:6{Jiov.
S) Nutices p. 293. 208.
*) Vgl. die Bemerkung \xni Bruuet de Prciile, Notice.s }>. 308, und
die Aufschrift des Briefes des jünjreren Bruders Apollonius. der auch
zu diesen reclusi gehörte, an den iilteren , den Ptolemäus: \4no'/.Xüiyioi
ntoXefittito z (p 71 f(T Ol ■/((( Qsiv. Nutices p. 311.
5) Vgl. die Träume, Notices p. 320—327; namentlich p. 324, 35:
Kai Xi\}'u)\ iXQnq xdv dcäfAOVu IV« [7ipo](JXi;j//(T»jf [u\vi>jv.
*) Notices p. 312, in dem Brief des Apollonius: zoi^- f>eoig zi}y int"
Hi07it]f di^ofM. *Av9» tm¥ 99my ov&ky yivtrm. p. 324, im Gebet des
Ptolemioi: iXd^i fAoi^ M&9tSv, tXUm yuntfAtvfi, inanovaoy /äov, iXi^ttoy
Tat Jtdvftuf, Ganz irrtfimhch spricht Frans Ton der dananra homi-
nimi inertium ant invalidoram.
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UBSPRUNG DES MÖNCHTUMS. 3S
Didiist des Serapis, welche diese xuto/oi in ihr lebendiges
Orab führte. Lag doch diese Todtenstätte des Serapeion ausser-
halb der Stadt, fast wie ein grosses Grabmal der Wüste.
Derselbe Gedanke der Beinheit war es auch, der die beiden
Sshwestam besttminte zu ihreni mflhsetSgeD Dienst „jwr Stn
pamt /oug antrSinmn^"^ (Rem täglich dannbring^deD 860 Li*^
bationeu von Nilwasser, in durchlöcherten Getas.seii ausge-
gossen als Todtonopfer vor den steinernen Altären des Sera-
pis Denn ihr Lohn, wie aus den Tempelrechnungen in
den Paßyms und ans den Hülfenifen der Mftdchen erhellt» was
. BOT tiglich drei gebaökene Brote, dazu jährlicfa ein Meketes
Sesam- und ebenso viel EikiOl, und auch da» ^rde ihnen
nicht regelmässig von der Tenipelverwaltung geliefert; daher
ihre Bittbriefe an den Strategos, an den König, um nicht
Hungers sterben zu müssen. — Auch noch andere Namen
aolcher reelnsi sind uns bekannt, ans den Papyms des Briti*
achen Mnsenms und des Vaticans, welche aof die weite YeN
breitung dieses Mönch tums schliessen lassen das nicht bloss
in Memphis, sondern auch in den anderen Serapis- und den
oft mit diesen verbundenen Isistempeln heimiscli war und wie
der Seiapis selbst, diese figj^tisch-gfriechische Gottheit, etwas
ynm internationalem Charakter an sidi trog. Die grossen Ma»*
een von Pilgern, die jährlich nach dem Serapeum m Memphis
wallfahrteten, ihre Opfer darbrachten und in den Tempeln auf
nächtliche üffenbarungen des Gottes warteten, trugen die Kunde
von diesen redusi in alle Schichten der ägyptischen Bevölke-
rung hinein: bilden doch diese Mönche ein wesentliches Ele-
ment in dem religiösen Yolksleben des späteren Aegyptens, ein
Ausdruck der schwermütigen Stimmung des ägyptischen Todten^
und Gräbercultus.
Ist es notwendig, noch ausführlich die überraschenden
1) NoticM p. 334, in dem Gebet des Ptotem&as ftr die Erhaltung
der Schwestern: iny dv^iaifw, ov yiimvtm *tt9«Q^t ntinotB,
lieber diese GhoephOre» im Dienst des Seiapte und des Isiseoltos siehe
Uän. p. 561 sq.
>) Tg), die übenras sorgfiätigeD Znsammenstellangen der Preisschrift
1^0 Giftcomo Lnmbroso, Becfaerckee sor T^eonomie poliüqne de
l'ESjpte soQS ks Lagides (Turin 1870) p. SeSsq.
MUeht. C K.-0. 3
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84
WEIRQAATEN,
Analogien herrmoheben, die sich zwischen den ersten Christ*
lieben Eremiten nnd diesen ihren fi»t gleichEeitig nachweis-
baien Vorbildern und Landsleuten Hnden? AVenn man den
ganzen Rufinus und Palladius durchgelesen, hat man nie ein
anderes Ideal ihres Möuchtnms kennen gelernt als eben das,,
wovon auch diese i/tuKkiwfiiroi nnd Diener des tevgtog S&^tg
erfBllt waren, das der anu^ffo, der immer höheren „gradns im»
patibilitatis**. Auch diese christlichen reclusi empfingen, wie
schon hervorgehoben, ihre Nahrung von Dienern, die ganz deu
UgoSavXot jener y.uio/ot entsprachen durch das Luftloch
ihrer Ehinse'); andere wurden, wie auch ans der sogenannten
Bogel des PachominB hervorgeht, ebenso wie jener Ptolemftua
durch ihre Verwandten erhalten. Und wenn ^e Räuber so oft
bei ihnen cinbraclien, so darf man sie sich ebenso wenig in un-
bedingter Armut denken wie die Serapismöuche. Befand sich
doch in der nitrischen Wüste eine Kirche, in der drei Palmen-
bäume standen, von denen Geisseln herabhingen; an den einen
Baum wurden die Elostergenossen , an den andern die Oäste,
die sich etwa vergangen hatten, gebunden und gegeisselt; die
dritte Palme war für abgefasste Räuber bestimnit '•^), und dass
die letzteren nach Geld bei diesen Eremiten suchen konnten,
mu88 man aus den reichen Geschenken schliessen, die ihnen frflh
zuflössen, wie von der Nichte der heiligen Melania ein Abt
Borotheus einmal 600 Solid! empfing zur Verteilung unter
die Anachoreteu, drei davon behielt er für sich ; einzelne dieser
Mönche blieben überhaupt im Besitz all ihrer Habe An
die strenge Abgeschlossenheit des Serapeum erinnert wenig-
stens noch jenes Monasterium des Mdorus in der Thebais,
aus dem niemand, der eingetreten war, wieder heraus durfte ^»
i) Tgl. Frans, C. J. Gr. III, 806.
s) Z. B. Palladius, Hist. Laos. o. 48: ovtof iyKe*k§taftivos ««i
▼gL Bafin, Hisi mon. c 1 u. oft.
S) Palladias c. 7.
Palladius c. 97. 14. Spater hat Uehwia die Jfingere 10000 Solidi
an die Iföncbe der Thebais ?erschenkt n. s. w. Palladius c. 119.
Rofinas, Hist. mon. cl7: „si semel ingiedi libuerit. stat im-
mobilia lex.. qua ingrres.si ultra non exeant". Es war freilich anii, nach
der ScfaUdemog des Bafinas, ein Paradies ohne Sohment and Krankheit.
uiyiiiiiL-ü Oy
UBSFRUNa BEB MONCBTUMS.
35
Und diese christüchen Asketea, abgeaehea von den Broten,
gelegentlich nach Feigen und Weintrauben ans Maroceo,
die ihnen ihre Engel oder Raben brachten haben sie mehr
gehungert als jene armen Choephoren der Isis?
Aber auch noch einen eigentümlichen Umstand darf
man nicht unbeaehtet lassen : grade die Entstehnngs- nnd die
Haapigehiete des ägyptischen Mönchtnms lagen in onmittel-
barer Nähe berfihmter Sera{dstempel. Die CkburtsstAtte des An-
tonius liegt bei Heracleo^Kjlis, derselben Stadt, in die auch der
Ptoleraäus, der xaro/o^, gehört — Heracleopulis in unmittel-
barer Nähe des Serapeions von Memphis. Die erste Organi-
sation des Mönchtoms wird dem Pachomias zugeschrieben,
auf der Nilinsel der oberen Thehais, Tabenne; nnmittelbar
derselben benachbart war der Isistempel zn Philae, wo ein
glänzender Dienst des Osiris und Serapis sich erhielt bis ins
sechste Jahrhundert hinein, bis in die Zeiten Justiniana, wo
das Priester- und Prophetenamt im Dienst des dtanoirfg nnd
der Hanotra, Osiris und Isis, sich in den Eamilien forterbte
und seine „Propheten*^ sich in Inschrifton auf den Mauern
des Tempels noch im fünften Jahrhundert nach Christo dieses
Dienstes rühmten Viele von den aus den 42 Serapistem-
peln Aegyptens uns bekannten Namen *) kehren in der alten
Mdnct^geschichte wieder, und wie Letronne för die eigent-
liche Heimat des MOnchtums, die obere Thebais, den urkund-
lichen Nachweis geftthrt hat fSr die noch Jahrhunderte lang
in die christliche Zeit hineinspielende Fortdauer der popu-
lären ägyptisch- alexandrin ischen Culte, so hat dies für die
anderen Gebietf* Aeg}'ptens schon Valesius der schönredne-
lischen Darstellung des Eusebius entgegengestellt
(ScUllBB folgt.)
Allerlei Naschwerk anter ihnen verteilt bei Fall a »lins e. 31.
Bio "wunderbare Speisung mit Kiiclu.n und italienischen Siidlrücht<iii, die
TOii Ostern bis Pfingsten reichen, bei Kufinus, Hiät. mon. c. 7.
*) Brunei de Presles, Notices p. 311,
3) Vgl. die Inäcbril't vom Jahr ^bü bei Letronne, Matehaux
p. 61—74.
*) In Parthcys Ausg. von Plutarch, Isis und Osiris (18rxi) S. 216.
^) Vgl. Valesius, Anm. zu Eos. d. Vita Constaut. IV, 25.
3*
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Benliard vw Glaimei.
Zttge zu einer Charakteristik.
Von
Hermaiin Reuter
iu Breslau.
Es war im Jahr lODl, als zu Füutuineö in der Nähe
von Dijon in Burgund die fromme Aleth ihrem Gatten
Tecelin den dritten Sohn schenkte, um ihn unter dem Na-
men „Bernbard'' dem Herrn zu schenken. Das heisst in der
l^nushe dj99 Mittelalters: er sollte Mönch werden. Aber
wollte er das auch? —
Die Erziehung in dem elterlichen Hause, die Unter-
weisung bei den Canonikern zu Chatillon erzielten die mön-
chische Scbulong. Aber er verstand schon damals das Schicksal
zur eignen Tat zn machen. Die Disciplin wollte man ihm
anfhötigeB. Br legte sie sieh selber waf. Man war bemüht,
ihn abzusperren von dem, was diese Zeit die Welt nannte.
Er folgte dem freien Zupfc seiner Natur, die dazu neigte, in
das mystische Traumleben sich zu versenken. Seine Freunde
yersachten wohl ihn daraus aufzurütteln. Voll der Lebenslust
und ganz berauscht von den Ideen der Geoossenschaft dea
jungen Frankreich, welches mit Behagen der Autorität der
Väter die Kritik der Wissenschaft, der asketischen Kirche
die paradiesisclie Welt entgegenstellte, waren sie bemüht,
auch diesen Jupgliug , wie die i^ogi-aphen sich äussern , zu
verf&hren. Man gab ihm den Aristoteles in die Hand. Man
üiQiiized by
BEKNllAKD VON CLAIRVAUX.
37
sachte Um fttr die weltliche Poede zn Btiminen. Und wirk*
lieh soll das eine oder andere Lied nicht geistlichen Inhaltes
von ihm gedichtet sein.
Aber sicher ist diese Episode nur eine kurze gewesen.
Sie ward abgeschlossen durch jenCQ heroischen Entschiiiss, in
welchem er sidi selber iHedetfitnd. — Das geistliche Heim*
weh erwachte in seiner ganzen Stftrke nnd zog ihn in das
Kloster. — Aber der Klöster gab es viele.
Die Brüdei-schaft der Cluniacenser war seit dem zweiten
Decenuium des 12. Jahrhunderts der ursprünglichen nur zu
unfthnlich geworden. Einst war Clngny der geistliche Idcht-
pnnkt gewesen in der Finsternis des 10. SScnlnms, damals
und im '11. die Werkstätte, in welcher drei grosse Aebte
nach einander gleichsam den Stoft' des Planes zubereitet hatten,
welchen das Talent Gregors VJJ. in dem Drama der kirchen-
bistoiischen Tatsachen zur Anschauung gebracht hat. Jetzt
nnter dem Begimente des Pontius war die Welt, welche Ton
hier ans reformirt werden sollte, in diese Musteranstalt der
Reform eingezogen, die sonst so stark gespannte Disciplin da-
selbst erschlafft, darum aber der mönchische Trieb überhaupt
nicht erloschen.
Während des ganzen 11. Jahrhunderts hatte er sich in
neuen Her?orbringungen yenmchi Jeder neue Orden kehrte,
sei es einen ausdrücklichen, sei es einen stillschweigenden
Protest gegen den früheren. Jeder spätere beurteilte den
Zustand des älteren als einen entarteten. Nicht das Princip,
die Art der Lösung galt als irrig. Also stellte sich dem ab-
geihllenen Clngnj seit 1098 die neue CongrogaÜon von Citeaux
gegenftber. Aber die Strenge der Zucht, in welcher sie sich
als die echte Schülerin des heiligeu Benedict erweisen wollte,
wirkte, statt anzuziehen, vielmehr abstossend. Der Tod ver-
ringerte die ursprüngliche Zahl der Glieder; neue Novizen
schlössen sieh nicht an. Da geschah es, dass im Jahre 1113
der zweinndzwanzigjfthrige Bernhard mit dreissig Alter^enossen
bei Stefan Harding, dem dritten Abte, zur Aufnahme sich
meldete. Ein Ereignis, der Bedeutung nach einer zweiten
Stiftung gleichzuachten. Denn seit jenem Tage sah man in
Citeaux die yerheissnngsroHen Zeichen eines sich veijfingen-
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38
BEUTER,
den Lebens. Die erste Schar der Ansiedler zog nun andere
nach sich; was aber alle fesselte, war die Hoheit des ersten
Fahrers.
Asketische Werke hatte man genug gesehen; seit Jahr-
hunderten aber nicht einen Werkmeister wie diesen, genial
in den Entwürfen, heroisch in der Ausführung.
Wer demselben zum ersten Male näher trat, empfing
unmittelbar den Eindruck des durchans einzigen Gontraetes
zwischen der hinftlligen Erscheinung nnd dem Selenlehen,
welches darein gehüllt war. Er hatte die Empfindung, als ob
ein golieininisvoll Geisterhaftes ihn umschwebte. Unbedeutend
war das Auftreten des Mönchs und doch so bezaubernd zu-
gleich. Diese nicht grade hohe, abgemagerte Gestalt, voll
der Malzeichen massloB strenger Zncht, mit schlotternden
Knien einherwankend, das Haupt gesenkt, hatte etwas ver-
kümiiiertes an sich. Aber wenn die Fülle des mystischen
Geisteslebens emporrauschte aus der Tide, meinte man ein
"Wunder der Verwandlung zu erleben. Die Zeitgenossen be-
richten, ein eigentümlicher Heiligenschein habe das Antlitz
verklärt; wie die Angen in englischer Klarheit geleuchtet; —
in dem Blick, in dem Wort strömte die wogende Sele
über.
Demnach ist er zu seiner Zeit ein Bekehrer geworden
ohne Gleichen. Wer ihn gesehen, wer ihn geschaut hatte,
ward fiberw<igt, um andere zu Gberwfiltigen. Ja über allen
Verband des sinnlichen Verkehres hinaus wirkte die magische
Gtj^Vcilt seines Namens, Wie war es zu verwundern, dass
innerhalb zweier Jahre die Mauern von Citeaux zu eng wur-
den, diejenigen zu fassen, welche doi*thin gewallfahrtet waren,
um nimmer wiederzukehren? — Schon im Jahre 1115 war
die üebervGlkerung so gross, dass es nOtig ward, manche
Mtache nach einer Colonie zu fQhren. Das erste Tochter^
kloster entstand, bestimmt, das ältere Mutterhaus durch die
Glorie seines Leiters zu uberstrahlen.
In jenem schauerlichen, von struppigem Gehölz bewachse-
nen Tale in der DiOcese Langres, welches, ein Versteckort
lauernder Banditen, bei den Umwohnern vordem das Wermuta-
tal hiess, hatte nicht lange vor dem genannten Jahre die Axt
Digili<iL,Li Oy
BEBMHAKD VON CLAIBTAUX.
39
des Holzhauers also aufgeräumt, dass die Erfreuten es nun*
mehr „LicbttaP' (Clairvaux) nennen konnten. An dieser
Stelle worde die ihr gleichnamige Zweiganstalt gegrfindet,
welcher man den jungen Bernhard als Abt Torsetzte. Das
ist er geblieben bis an seinen Tod, aber ein Grösseres ge-
worden, nicht bloss Begründer der ausserordentlichen Epoche
des ganzen Ordens, sondern das Orakel der ganzen Christen-
heit, der Lenker ihrer weltgeachichtlichen (beschicke.
ünd doch hfttte er, wie wenigstens viele seiner Selbst-
bekenntnisse bezeugen, am liebsten in der einsamen Zelle ge-
lebt, statt des Verkehres mit der Welt ausschliesslich den
mit Gott, dem Heilande, unterhalten. Ist doch das M5nchs-
leben das christliche Leben im eigentlichen Sinne; die Pforte
des Klosters der Eingang in die Vorhalle des Himmels. Biet
allein kann man- die Nachfolge Jesu Oben, in welcher die
Apostel vorangegangen sind; hier ihm das Krowv. nachtiagen,
wie Er es fordert. Das ist nicht die Bewährung der Selbst-
verleugnung im Ertragen der gottgeordneten Geschicke; nur
das tägliche Mftrfyrertnm wird also beurteilt, in weldiem der
Elosterbmder eigenmächtig sich abh&rmt. ünd jener Kampf
des Fleisches mit dem Geist, von welchem die heilige Schrift
redet, ist nichts anderes als jenes Rittertum der mönchischen
Kasteiung; die Weltflucht das einzige Sicherungsmittel des
Heils auch nach dieses Asketen Lehre. Aber eigentümlich
bldbt gleichwohl die Art, wie er das Irrige derselben er-
mSflsigt hat Neben der Anfstellnng dieser positiven Dogmen
des Asketismus geht her eine idealistische Iviiiik der Zu-
stände. Niemaud soll wiihnen, das Einkehren in dieses Haus
der Busse sei ohne weiteres gleich dem mönchischen Sich-
faekehren. Der echte Mönch ist zuhöchst das bekehrte Herz;
aber das hat sich anoh zu bekennen durch Zeichen der rinn-
ftlligeu ConversioD. Nicht der Ort, nicht das Gewand heiligt
unfehlbar den Menschen: vielmehr der sich heiligende Mensch
heiligt beide; aber heiligen kann er sich auch nur in der
Zelle, in dem Ordenshabit Das ist das Thema so vieler
seiner Fredigten an die Genossen. Grade diese zu behüten
Tor den gewöhnlichen Selbsttftnschnngen , ihnen die Yersnchun-
gen zur Hotluiiit überwinden zu keifen, den Methodismus der
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40 &EUTBB,
Sitte zu veviuneiliclit'u , jüngeren wie die älteren zu er»
ziehten, war sein angelegentliches, aber nicht sein liebste»
Geschäft. Denn je öfter er das aus&bte, umsomehr ward er
Toa sich selbst abgezogen.
Aber strebte er denn nicht darnach 9 — Ja wohl, in
gewisser Weise. Abgezogen wollte er werden von dem Welt-
lichen au ihm selber, abgezogen wollte er werden von
dem Irdischen, was sogar die Askoso nicht hatte verklären
können. Als die Seligkeit der Seligkeiten gilt dem Mysti»
ker Beiuhard jene geheimnisvolle Anf&hit der Sole in den
Himmel, das sAsse Heimkehren ans dem Lande der Leiber in
die Region der Geister, das Siclianfgeben in und an Gott.
Aber das geschieht nur in ^fomenten, in denen der HeiT
in ausserordentlicher Weise begnadii^^t. Von der HimmeliBhöha
der Gontemplation sinkt der Verzückte wieder ebenso rasch
nieder, als er emporgetragen war, — dessen gewiss, wie er
meint, wenigstens in dem geliebten Clairvaux das stille Sinnen
der Selbstbetrachtnng fortsetzen zu können.
Und doch brauchen nur die Tatsachen der Geschichte
der hierarchischen Kirche mit ihrem Ger&usoh an diese
Klostermanem zu dringen, und der Grfibler wird erweckt^
nm in der TJnmhe, dem Wechsel des welthistorischen Ge»
schehens persönliche Schicksale zu erleben.
Als nach dem Tode Houorius' II. die Part^^iung der Car-
dinäle in einen Zwiespalt der Wahl ausschlug, traten sofort
die beiden P&pste Innocenz H. nnd Anaklet IL einander
gegenfiber« Damit erneuerten sich die Schrecknisse des
Schismas, abermals das Gewissen der Christenheit zu ver^
wirren. Die eine katholische Kirche war augenscheinlich
zerspalten. Die kirchliche Paiteinahme zog die politische
nach sich. Die Prätendenten waren bemüht, ein jeder sich
eine Obedienz zu verschaffen, — Anaklet fesselte Boger vdn
Sicilien; Genua, das mfichtige Mailand erklärten sich fOr
ihn. Aber auch in Deutschland, in Frankreich hatte er seine
Verteidiger. Mochten die Cardinäle Innocenz' II. noch so
zudringlich durch ihre Berichte werden, sie vermochten die
Urteile nicht einheitlich zu stimmen. Es blieb nur fibrig,
sich zu dem zu bequemen, wogegen die ooasequanten Kirchen-
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BERNHARD WOS GLAIRVAUX.
AI
fitfauer immerdar pxotestirt haben, ^lio geschehene Wahl
einer Beoognitioii za ontergdben. Also kam es auf Asord-
BVBg der Fftrstoa m Synodeo in beiden Lftndem. Aber nieht
die Beratung der zu Etampee Versammelten, die unvergleich«
liehe Autorität des einen Bernhard entschied die Majorität
der Stimmen für Linocenz II. Und als dieser, vor der wach-
senden Opposition in Italien weiehend, im September itSO
m St Oiües landete, &nd er in demselben, welcher ala
Redner seinen Pontificat verteidigt hatte, aneh den tat-
b*äftig€n Beschirmer desselben. Er war es, welcher den
König Ludwig von Frankreich dazu bestimmte, in St. Benoit
die cerimonielle Huldigung darzubringen; gleieberweise den
englischen Heinrich L, in Chartres dasselbe zu tnn. Er war
es, welcher den dentschen König Lothar zor Anerkennung
seiner Sohnespfiicht nötigte. Auf dem denkwürdigen Con-
gresse zu Lüttich (Ende März 1131) liat er die Verhandeln-
den geeinigt. Als Lothar die Rückgabe der laveetitur als
Preis für den endgAltigen Vollzog der Obedienz verlangte,
ward er durch die zurechtweisende Bede des grossen Oister«^
densers entwaffnet und empfing, ohne diese Gewfthr, am
29. März die deutsche Krone, die Verheissung der kaiser-
liolien. Die damals schon verabredete Romfalirt nollte diese
edülleu. Und als die zu dem Eude angeordneten kriegerischen
Yorbereitongen einigermassen beendigt waren, zog — wie
ebeniiüls ausgemacht war — der Papet nach Oberitalien
Toraus, daselbst das deutsche Heer zu erwarten. Aber ala
ein mächtigerer, wenngleich mit einer Rüstung nicht ver-
sehener Begleiter gesellte sich ihm auf »einen Wunsch der
Abt Ton Olairvaux bei. Dieser blieb seine Stütze, als die
römisch« Welthanptstadt dem grösseren Teile nach Ton Lothar
erobert, am 8. Juni 1133 die Kaiserkrönung vollzogen, so-
gleich darauf die Rückkehr der deutschen Streitkräfte ins
Vaterland übereilt war. Wer ilin in Genua walten sah,
konnte den ordnenden Staatsmann im Möuchsgewaud bewun-
dem. Das im Verfolg der antirömisdien Tendenz so stok
anftretande Mailand ward an derselben irre, als es von Benw
bards zweiter Ankunft in Italien hörte. Damals (1135) ging
eine Anzahl Mailänder Kleriker ab, den Beisenden als Mittler
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42
BEUT£&,
zwischen der Stadt des heiligen Ambrosius und dem römi-
schen Tnuocenz anzunifen. Und als er später persönlich sich
aufmachte, den demütigenden Act der Versöhnung zu voll*
ziehen, eilten ihm das ganze Volk, Hohe und Niedrige zu
Fuss und zu Pferde entgegen. Selig priesen sich diejenigen,
welche ihn sehen, ihn hören konnten. Man küsste ihm die
Fusse, man zerstückelte seine Kleider, um eine heilige Re-
liquie nach Hause zu tragen; Leidende wurden hergebracht,
du8 er sie heile. „Auf seinen Wink wurden alle Arten des
Eirdienschmncks von (Jold nnd Silber eingeschloesen; Mftnner
und Weiber kleideten sich in hftrene Gewftnder.**
Ohne Zweifel nicht für immer, sondern nur so lange,
als der unmittelbare Eindruck des Mannes wälirte. Eine be-
deutungsvolle Spur seines geschichtlichen Lebens bleibt die
Soene dennoch, aber scheinbar rätselhaft im Vergleich mit
einer andern.
Etwa zwei Jahre nachdem das in Mailand geschehen
war, forderte Arnold von Brescia eine ähnliche Socialreform
von dem Klei-us, von den Mönchen. Die in Reichtum schwel-
genden Geistlichen, die Achte der Klöster sollten Entsagung
Qben oder zu derselben gezwungen werden: das war das Ziel
seiner kirchlichen Demagogie. — Wo sind die Nachfolger
der armen Apostel? — Diejenigen, welche sicli alsu nennen,
sieht man hineingezogen in den weltlichen Verkehr, über-
bürdet mit irdischem Besitz, durch Belehnung mit den Re-
galien zu Vasallen des Kaisers geworden. Die Friedensboten
des Evangelinms uehen zu Felde mit dem Schwerte in der
Hand. Und daheim sieht man sie die Gfiter vergeuden,
welche die darbenden Armen erquicken könnten.
In diesem Sinne das apostolische Leben durch eine
reinigende Erschütterung der ganz weltförmig gewordenen
Hierarchie wiederherzustellen, ist das Ziel der Agitation des
Mannes von Brescia. — Und nicht auch das der Sehnsncht
Bernhards? —
„Könnte ich doch sehen die Kirche Gottes vor meinem
Abscheiden, wie sie in der Vorzeit war. als die Apostel die
Netze auswarfen, nicht um Gold und Silber, sondern die
Selen einzusingen. 0! wenn ich sie doch schauete, die Braut
uiyui^ed by
BERNHARD VON OLAIRVAUX.
43
des Herrn in solchem Glaaben, in solcher Beiaheit der Sitte!**
ruft er ans. — Und als im Jahr 1145 mitten in den Wirren,
in welchen in Rom Arnolds Reformideen praktisch gewuideu
waren, sein einstiger Zögling, der Abt des it«nlieniscben Cister-
cienserkloöters des heiligen Anastasias, als Eugen III. auf
St Peters Sitz erhoben ward, schrieb er an dessen Wahler
im Tone des Erstaunens, des Yorwnrfes. Es ist die innere
Wahrheit des Bewnssteeins von dem Gegensatze des asketi-
schen Katholicismus und des hierarchischen, welche in diesen
Zeilen zu Worte kommt. „Diesen Cistorcienser, den Mann,
mit Lumpen bedeckt, habt Ihr mit Gold und Silber be-
kleidet, den im Kloster Begrabenen wieder anferweckt, der
dem nrsprfingfiehen Oelfibde nach in ansserordentlicher Weise
znm Dienst Vi'rpflichtete soll nunmehr herrschen!" ruft der
Briefsteller in Unmut aus. — Er fürclitet mehr das Ver-
führerische der neuen Würde, als dass er Glück wünschen
könnte; er jubelt, wie er gesteht, aber mit Furcht und Zit-
tern. Im Hinblick anf Engen qnSlt ihn der Gedanke an die
ansserordentliche Verantwortlichkeit dieses Amtes. — Schon
in diesem Si^^hriftstfick dämmert die Eiusiclit in das Zwitter-
hafte der damaligen Hierarchie: der apostolische Name, wel-
chen sie trägt, und die Machtstellung ihres Regiments wollen
sich dem Schreiber nicht Ycreinigen. Das spätere Buch „von
der Betrachtung*^ ist dieser Antithesen toII. Das Leben
der Apostel ist, meint er, so ganz anders gewesen, als das
des apostolischen Vaters. Sie wollten niclit gebieten über die
Gemeinde, sondern Genossen ihrer Freude sein. Kostbaikeiteu
hatten sie nicht, wohl aber die Macht des Wortes und die
Wunderkraft. „Ihr Begieren war ein Dienen, der Dienst im
Worte**, heisst es an einer Stelle, welche selbst dem sprach-
lichen Ausdrucke nach mit einem Satze des reformatorischen
Bekenntnisses zusammentrifft. — „Im Prachtgewand, mit
Edelsteinen geschmückt, bist Du nicht der Nachfolger des
Petrus^ sMidem des Constantin. Wohhm, wage Dir zuzueignen
entweder durch die Herrschaft den Apoetolat, oder durch den
Apostolat die Herrschaft. Schlechterdings musst Du Dich des
einen oder andern begeben. Wenn Du beides behalten willst,
wirst Du beides verlieren weissagt Beruhaid dem Papste. —
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44
BEUTER,
Gleichwohl hat er selbst dieses Dilenmia uicht ontschieden.
Ja es beherracht uoaufgelost vielmehr sein eigenes Gedankea-
leben, also, dass ea sich in widersprachsvollen Strömmigeii
bewegt. Er predigt die Entsagung. Dennoch folgt wenige
Blätter darauf eine die bestehende Pontificalgewalt preisende
Rede. Und wie hat er diese auch praktisch unterstützt grade
unter Lucius' II. Nachfolger! — Aus seinem eignen Munde
vemehmen wir die Angabe, die Leute sagten, nicht Eugen m.»
Bernhard sei dermalen Papst In der Tal blieb er der be-
herrschende Meister, der Mann, welcher St. Peters Stab in
der Hand hielt, den schüchternen Schüler oft genug mit Zu-
rechtweisungen nicht eben sanfter Art überraschte. Jener for-
dert und straft, giebt Anleitung und weiss zurückzuhalten, —
mkündigt die apostolischen Ideale nnd — kann sie doch
selbst nicht erMlen. Neben jenem spiritnalistisch gedeuteten
Primat erhalt sieh selbst in seiner theoretischen Lehre der
gewöhnlich hierarchische; neben der Vorstellung von dem
Petrinischen Priestertum der Demut die andere von der Voll*
macht zur theokratischen WeltheiTschaft. Vollends wo es
gilt zu handeln: da zerrinnen jene Ideale gleich Nebelgebilden
Tor dem mnnlichen Glänze der in ihren Domen, in der Gross*
artigkeit der Institutionen, in dem Gange durch die Jahr-
hunderte als Realität sich aufdringenden rdmisoh- katholischen
Kirche. Diese, nicht jene, zieht ihn duich die üebermacht
des Zaubers in ihren Dienst Brechen ernste Gefahren heran,
er wird, alle Mystik, alle Askese, alle Kritik Tergessend, ihr
Herold nnd Retter, — eben dämm der heftigste Gegner Ar-*^
nolds von Brescia. Mit der ganzen Leidenschaftlichkeit eines
Eiferers verfolgt er diesen Ketzer. Die Römer, im Begriff,
dessen Pläne, den Bemhardinischen Gedanken mehr als nor
ahnlich, ansauführen, werden ob des Anfrohrs gegen die apo^
stolische Antorit&t bedroht.
Fühlt er sich abgestossen von dem religiösen Materialis-
mus eines abergläubischen Wallbruders: so kommt er wohl
dazu, ihn durch eine idealisirende Deutung zu belehren.
Das sei die wahre Erenafahrt, meint er, dem Oekreuaigteii
das Kreuz nachzutragen als sich abhftrmender Asket; der
Xampf gegen die sflndhaften Neigungen erscheine heilsame
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BEHNHAED VON OE«AIBVAUX.
46
als das Waft'engeklirr in dem heiUgeu Laude. Seiue Con-
templation vossto überdies ¥<hi «aneni andern Weg als
demjenigen y weldien die laiegifgerQsteten Filgeraebaren wan-
delten , von einem andern Jerusalem, als äas war, welehes
diese suchten. Trotzdem hat derselbe Mystiker dazu mitge-
holfen, die Genossenschaft zu gründen, welche die simüiche
Stadt beschirmen sollte. Der Orden der Tempelherren , jene,
wie er nrteilt, gotl^geweibte Streitsohar, in wekber das Bild
des betenden MOnebs und des scblagfbrtigen Bitters m-
schmolzeii ist, wird von ihm eingesegnet, in Worten über-
strömender Begfeisteruug gefeiert. — Er verherrlicht die
geistliche Pilgerschaft der Askese, welche der friedliche
Klosterbrader in seinar Rinsamkeit auf sieh za nehmen bat
Nidits desto weniger ist er der Schöpfer der zweiten grossen
bewa£Eb«ten Kreuzfahrt geworden, welche die Universal-
geschichte nennt. Die Tatsache bleibt unbestreitbar, wenn-
gleich dieselbe anders motivirt ist, als eine weniger kritische
Geecbichtsschreibung sie darstellt.
Es ist nieht wahr, dass der Fall Odessas, als eine er*
scbfittemde Katastrophe im Abendlande empfunden, unmittel-
bar den Gedanken an eine neue Expedition enveckt habe.
Auch weiss die beglaubigte Ueberliefemng nichts von der An-
kunft einer dieselbe betreibenden Gesandtschatl des Königs
von Jemsaleni. Wir haben nur die nach meinem Dafürhaltenr
Biobt einmal sichere Nachrieht von der Ankunft klagender
Boten aus Antioobien. Selbst Bernhard bat zunftchst keinerlei
Sympathien gezeigt; er antwortete sogar ausweichend, als
man vorschnell ihn zur Kreuzpredigt aufforderte. Am liebsten
b&tte er damals, wie er sagte, sich in sein Kloster für immer
vergraben. Erst als Ludwig VII. von Frankreich, durch die
Zeitung ans dem Oriente an em altes, noch ungelöstes Ge-
lübde erinnert und von Gewissensqualen gefoltert, den regie-
renden ?ai»st aufgefordert hatte, einen Aufruf nacli der Weise
Urbans IL zu erlassen, und als derselbe am 1. März 1146
ergangm war zugleicb mit jenem apostolischen Schreiben^
1) VerbältnisiniUsiger Widensjiruch hiergegen bti Kugier, Studien
wu Qescbichte des zweiten Kreozzogs S. 02. 84.
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46
KEUT£K,
welches ilin selber bevollmächtigte: erst da änderte sich seine
Stimmung. An die Stelle der Beschauung trat sofort die er-
r^teste Agitation. Sie hielt sich nicht innerhalb der von
dem apostolischen Breve vorgesdiriebenen Grenzen. Dieses
hatte lediglich an die Franzosen als Helfer in der Not ge-
dacht. Bernhard sammelte auch anderäwo die Bettungs-
scharen.
Die Kreuzzugsbewegung, von ihm angestiftet zu einer
Zeit, in welcher die Probleme einer kühn aufstrebenden
rationellen Wissenschaft die Forscher, die die Weltlnst feiern-
den Gesänge der Troubadours die Höfe der französischen Barone
bezaiilierten, ward zu einer mehr und mehr sich erweiteinden
Strömung, welche Gedanken, Gefühle, Willensentschlüsse von
allem diesen abzog und unwiderstehlich mit sich fortriss.
Er hat sie geleitet nnd ist ihr doch gefolgt Also ist er
zeitweilig der Ffihrer yerzdclrter Geister in halb Europa ge-
worden. — Es war um iKsteru I14b, als er auf einer Tri-
büne auf freiem Felde zwischen Vezelay und Ecouenne zuerst
den Willen des apostolischen Vaters verkündigte. Aber nicht
dessen Machtgebot, — Bernhards Bede war das Zündende.
Diese Worte, gesprochen von diesem Monde, dorchschfitterten
die Gemfiter mit jenen Stimmungen, in welchen Schmerz nnd
Jubel, Zerknirsch uni^ und Andacht wechselten und doch auch
wieder durcheinander wogten, um in tausendstimmigen Accla-
rhationen sich zu entladen. Seitdem zog er selbst umher
oder beauftragte Mönche seines Ordens in Frankreich. Sie
fiberbrachten Briefe an diesen, an jenen der mächtigen No-
tablen, offene Schreiben an den Klerus, an die Laien, reich
an Redewendungen, in welchen nach Art der mittelalterlichen
Ehetorik Himmlisches und Irdisches, Geistliches und Sinn-
liches in einem Zwielicht erscheint, welches nm so blendender
wirken mnsste. — Wer konnte sich dem Eindrucke ent-
ziehen? — Unser deutsches Vaterland meinte das doch. Es
war von den Erregungen für das Unternehmen des Jahres
1096 im ganzen unberührt geblieben. Und der dermalige
König war am allerwenigsten geneigt, den Gedanken an Her-
stellung der Autorität im Belobe über den Bedürfnissen
religiöser Romantik zu veigessen. Eonrad IIL war ein
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BEKNHÄBD VON CLAJRVAUX.
47
Fflrst Düchtoraen Sinnes; den bierarchiachen üeberspannnngen
fremd, aber auch allen jenen gewagten politischen Experi-
menten, darin sich die Bewohner der römischen Hauptstadt
damals gefielen. Gleicherweise yerhielten sich die Deutsch eu
den Kreozzogspredigten g^nflber anch dieses Mal verhältniB^
mtaig gleicbgfiltig.
Bembard nntemabm es, eine vGllige ümstinunnng zu
bewirken.
Hatte er nicht oft genug daheim den Glauben bewährt»
welcher Berge versetzt? — Und jenseits der Grenzen sollten
dieselben nicht weicben?
Die Beise, die er antrat, musste die Antwort geben;
sie ist begleitet gewesen von weltbekannten Zeichen. Die
deutsche ^) Geschichte kennt sie als ein £reignis, welches
ihr selber angehört.
Ein Volk galt es zu bekehren, zwar nicht zn dem Evan*
gelinm, aber znm Olanben an eine Mission der katholischen
Christenheit, welchem es bisher noch widerstrebte. Einen
Krieg der Meinungen — und der ist flberall der gefähr-
lichste — zum Siege zu führeu, war die Aufgabe. Und wie
ist die gelöst von dem Mann in dem unscheinbaren Möncha-
gewand, mit dem von der Qlot der Andacht stmhlenden Antlitz,
ohne Waffen in der Hand und doch bewaffiiet mit der noch
wirksameren Gewalt der Sprache! Eine Sprache, deren sinn-
liche Laute mau nicht verstand — deun dieser Prediger
redete sei es lateinisch, sei es französisch — , die man desseu-
nngeachtet hörte mit seligem Entzücken. Es war die Sele,
welche sich der Sele mitteilte in dem Worte; der Atem
ihres Lebens das feurige Element, welches übertragen ward
in die Herzen der Menschen. — Sie ilammteu auf in allen
Gradunterschieden des Enthusiasmus.
Nur König Konrad HL bannte denaelbeu durch seine
kühlen Ueberl^gongen. Zn Frankfurt waren dieselben un-
erschüttert geblieben; den stOrmischen Ansprachen des Abtes
hatte er unbedingt ablehnende Antworten entgegengesetzt
1) Kngler (a. a. 0. S. 96) sieht in der Beteiligung Deutach-
Und 8 an der zweiten Kreuzfahrt den Grund des Hiidingeiia dendbw»
prmM em höchst seltaamer historischer Gedanke.
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48
&BUT£B,
Schroff genug müssen diese p^elaiitet haben. Denn der Ueber-
winder von Tauseuden verzweüelte daraa, diesen Einen zu
überwinden, und wollte von danaen adehen. Aber das Za«*
xeden des Ksehofs Hermann von Gonetana ermntlgtie ihn za
einem zweiten Yersnche. Gegen Ende December 1146 sollte
ein Reichstag zu Speyer stattfinden. Unter den dahin Reisen-
den bemerkte mau auch den Abt von Clairvaux. Es traf sich
also, dass dieser demnächst dort den König mit Namen zur
Teilnahme aufrufen konnte. Aber entsGlieidend war der Sifolg
nidii Selbst als am 27. Deeember eine geheime ünterredmif
Gelegenheit bot, die Mahnungen zu erneuern, wurden die Aus-
flüclite wiederholt — freilich mit schon halbgebrochenem Her-
zen« Da urteilte denn der Heilige, kein Moment sei zu ver-
lieren, dasselbe vollends zu erweichen. Der Fürst wohnte an
demselben Tage der Messe bei und der Bekehrer sorgte dafOr,
dass er audi die Predigt bdrte. Dieselbe wurde gegen den
Schluss eine durchaus persönliche Ansprache, so erschütternd,
als würde der Donner des Weltgerichtes darin laut. Sie er-
innerte an die Wohltaten, welche der Hörer bisher empfangen,
an die Marter, unter welcher der Versöhner für ihn geblutet
Da brach Eonrad in sich zusammen. Unter Tränen sein
Unrecht beichtend, sprach er das Oelübde, Bernhard machte
es unwiderrurticli durch das Anheften des Kreuzes an des
Königs Gewami; die heilige Fahne gab er ihm in die Hand.
In der Tat ein Augenblick in Bernhards Leben, in
welchem es ein Stück der Weltgeschichte wird, und doch ein
Zug, der nur eine Seite des Mannes malt. Ist meine flüch-^
tige Skizze auch nur annäliernd riclitii,% so macht sich an
dem Totalbilde der grelle Unterschied der Farben bemerklieb.
„Ich bin das Ungeheuw des Jahrhunderts, weder Kleriker
noch Laie. Ich will von mir sdbst nicht schreiben, was Dir
von andern gehüit haben werdet, was ich tue, was ich er-
»ele, in welchen Gegensätzen (diserimma) ich mich umher«*"
treibe**, äussert er sich selbst verratend. Jone waren nichts
anderes als die verschiedenen Elemente des damaligen katholi-
schen Zeitalters. In den grossen Verhältnissen der Geschichte
kehrten sie sich wider einander. Bernhard prfigte sie aus
in der Einheit der Persönlichkeit. Man kann dieselbe, ob-
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BKBMHASD VON CLAIBTAUX.
49
-wohl si^ alle Beize einer originalen Indivichialitfiii besitafc,
dennocli das Miniatorbild der Bpoehe in der mten Hftlfte
^es zwölften JabrhnndeitB nenneD. Daher die Stftrke, die
Mannigfaltigkeit der Sympathien, welche der Nämliche an-
regte. Die Hauptparteien fanden ihre Entwürfe beziehungs*
weise aach von ihm verfolgt; daneben freilich noch ein an-
dres. Sie sahen dieselben Bilder kirdilicher Dinge, wdche
ihnen wert waren, aneh Ton ihm gezeidinet, aber nnter einer
ihnen fremdartigen Beleuchtung.
Bernhard von Clairvaux war der Manu der Hierarchie,
aber zugleich ihr strengster Eichter. Er zeigte sich grad*
weise einferstande^ nü den der ApoefcoUcitftb sieh rähmen»
den BVeiheitamftnnem; gleichwohl bestreitet er ihre prak-
tischen Conseqnenzen. Denn ihn ahnt, dass im Fall des
Sieges nicht sowohl Umgestaltung als Umsturz der Erfolg
sein würde. — Er hat die Bedürfnisse, die Rechte der Wissen-
schaft nie verkannt, aber auch niemals übersch&tzt. Fem
war ihm der Wahn, dieselben seien die einzigen des sinnen-
den Menschengeistes. Als Abfthurd in diesem Sinne ihm zu
lehren schien, die unbedingte Autonomie des Wissens zu ver-
fecliten unternahm, warf er sich ihm mit der ganzen Energie
seines Wesens entgegen. Man mag sagen: das Leidenschaft-
liche des Eiuupfee hat sein Urteil verwirrt; darin wenigstens
hat er richtig gesehen, in diesem Intellectualismns r^ge sich
ein Princip, welches die Positivität der g()ttlichen Offenbarung
überhaupt in Frage stellte. Und da ihm diese als ein Heilig-
tum galt, dessen Wertschätzung nicht bedingt sei durch das
Mass des menschlichen Verständnisses seiner Mysterien, so
betonte er in diesem F^e lediglich die Autorität. Ja, er
verschftrfte den Gegensatz durch jene Weise der Polemik,
welche weder von persönlicher Gereiztheit frei ist, noch von
dem, was einem inquisitorischen Verfahren ähnlich sieht.
Aber dämm die Beweggründe des Streites ausschliesslich in
einer kleinlichen Eigenliebe zu suchen, wftre selber kleinlich.
Grade auf Bernhards Seite waren es die umversellsten In-
teressMi^ welche den Ausschlag gaben.
Ist es doch die Kirche, für die er immerdar eingetreten
ist mit solcher Hingebung, dass er in ihren Krisen die eigenen
Z«ltMha t K.-0. 4
50 BEUTJBR, BERNHARD VON CUUKVAUZ.
ZU erfahren meinte. Sie zu heboii und zur Harmonie zurück-
zuführen, hat er die Disharmonie in dem sciiärfsten Wechsel
der Lebeosstimmangen niclit gescbeaet Das bedrohliche
XJebergewicht des einen Elementes zum Zweck der StSrlrang
des andern m brechen, Um erfahnmgsmfissigen Znsfeand der
Kirche durch Schildenmg des Ideals zu bessern, den aus-
schweifenden Idealismus zu ernüchtern, kehrt er bald die
eine, bald die andere Seite seines Wesens henror — und
bleibt derselbe, um der persönlichen Grösse willen der ge-
waltige Beherrscher seiner Zeit während seines Lebens, nach
seinem Tode von seiner Kirche der Schar der Heiligen bei-
gesellt, aber auch im apostolischen Sinne der Heiligen einer.
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I
Die EfitstehuDS der lutherischen üirche.
Von
Albreeht BitaebL
„ Die Idee des evangelischen Protestanticiliius kaun nur
dann in ihrer vollen Wahrheit und Berechtigung erkannt wer-
den, weuu sie im Zusammenhange mit dem Begriffe der
Kirche aufgefaast wird.** Dieser Aussprach von Heppe ^) ist
gewiss richtig, da der Protestantismus eine Entwicklangsstnfe
der christlichen, insbesondere der abendländischen Kirche ist.
Aus jenem Satze folgt aber auch die Regel , dass auffallende
Veränderungen im geschichtlichen Gange des Protestantismus
nnr richtig dargestellt werden, wenn man sie aus den beglei-
tenden VerSnderangen in dem Begriff der Kirche versteht
?on dieser Begel hat nur Heppe keinen Gebrauch gemacht,
indem er „die confessionelle Entwicklung der altprotestan-
tischen Kirche Deutschlands" (1854) verfolgt hat. Dieses
Buch, welches zur Ergänzung des oben genannten Werkes ge-
schrieben ist, um die Entwicklung des Protestantismus bis
zam Jahre des Angsburger Religionsfriedens zu charakterisiren,
nimmt durchaus keine RGeksicht auf Veränderungen in dem
evangelischen Begriff' der Kirche, durch welche die Ein-
schränkung und der Umschwung der ursprünglichen Absicht
der Beformation verständlich würde. Vielmehr unternimmt
Heppe, festzustellen, dass zwischen Luther und Meknchthon
eine spedfische Abweichung der theologischen Gesammt»
1) Iiu Eingang seiner „Geschichte des deutschen Protestantismus von
lü&ö— löbl", Bd. I (1ÖÖ2).
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52
RIT8CHL,
anachaanogeii obgewaltet, daas die Offentlidie Lehrbildimg im
Wirkongskreifle beider Mftnner uiaj^iHiiglieb unter dem fast
ausschliesslichen Eintluss»^ Mclanchthons «gestanden habe, dass
also die seit dem Leipzifj^er Interim begiiineiide Gegenwirkung
der sogenannten echten Lutheraner gegen Melanchthons Lehr-
weise, welche in der Belgischen Concordienformel den Sieg^
gewonnen nnd die Bildung der Intherischen Kirche erreicht
hat , den einfachen Abfall von der urspnin glichen Absicht
der Refoniiation darstelle Die Ver^leichnii<j^ der Lehr-
weiseu beider Reformatoren, welche dieser Darstellung zu
Oninde gelegt wird, beschränkt sich durchgehend auf die
bekannten Abweichungen von Luther, welche Melanchthon
in den Lehren vom Abendmahl und vom fireien Willen
begangen hat. Hierauf aber legt Heppe das entschei-
dende Gewicht deshalb, weil er darin die systematische An-
lage und die ethische Tendenz der Theologie Melanchthona
ausgedruckt findet, durch welche der Idee des Protestantkonua
volle Genüge getan und die Anschauungsweise Luthers Uber*
boten wäre. Nach Heppe hat die Lehre Luthers vom Abend-
mahl und von den Sacrainenten überhaupt den Sinn, dass die
Kirche das Heil sachlich enthält und darbietet, und ist Luthers
Lehre von der Unfreiheit des Willens in der Bekehrung,
welche das ethische Interesse verletzt, von ihm nur insofern
eingeschrftnkt worden, als die Beteiligung der Menschen an
dem Heilsinstitut der Kirche verständlich gemacht werden
sollte. Umgekehrt soll Melanchthons Wiederaufnahme der
Willensfreiheit in die Lehre von der Bekehrung und seine
Deutung des Abendmahls dem normalen Gnmdgedanken der
persönlichen Darbietung und Aneignung des Heiles in Christus
Ausdruck verleihen*). Ueberdies aber bestimmt Heppe den
Vorzug der Theologie Melanchthons 'ialiin. dass er in diesem
Grundgedanken den teleologischen Charakter der christ-
lichen Offenbarung betont, die Soteriologie in innigster orga-
nischer Besdehung zur Theologie und Anthropologie ent-
wickelt und so die im Christentum gegebene Vermittlung
1) Canieu. EDtwicklang S. 167. 177.
s) A. a. 0. S. 14-23.
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DIE ENTSTEHUNa DER LUTHEKISCHEN KIRCHE. 53
des Göttlichen und Menschlichen zur reinsten wissenschaft-
lichen Anschauung gebracht habe
Gesetst das» dieses alles richtig wftre, so könnte loan
sich hei Heppes ErUftnuig des ümsehwuiigB der deutschen
lutherischen Kirche schon deshalh nicht he-
ruhigen, weil die Annahme eines einfachen Abfalls von der
frühem Richtung des Protestantismus das Gegenteil des ge-
schichtlichen Verfahrens ist. Was vorläufig als Abfall ?on
der Yergafigenheit oder als Broch mit derselhen erscheint,
darf man in der Erforschnng der Geschichte nicht als die
vollständige Tatsache hinnehmen oder für dieselhe ausgeben.
Vielmehr les^ ein solcher Schein £?nule die Aufgabe nahe,
durch die genauere Erforschung der Tatsachen dasjenige fest-
sQsteUen, was ihm zuwider und was geeignet ist ihn aufzu-
hehen. Femer hat die Darstellung des theologischen Gegen-
satzes zwischen Luther und Melanchthon, welche Heppe
vorträf^t, keine Ueberzeuofiingskraft. Die Formel, welche fflr
Luthers Gesammtausicht aufgestellt wird, dass er das Heil
als eine Sache an die Action der Kirche auf den Einzelnen
gebunden habe, würde ihn Ton den directen Vertretern des
t«fflischen Katholicismus niclit unterscheiden, und ist nicht
der Sinn seiner Abendmahlslehre. Denn was er über den In-
halt des Abendmahls behauptet, wird von dem Werte des
persönlicb'en Wortes Christi abhängig gemacht, also von
dem Factor, in welchem yoigeblioh die besondere Eigentäm-
üehkeit der Ansicht Melanchthons bestehen soll. Der Vorzog
der Theologie Melanchthons als eines in seiner Art Tollkwft-
menen Systems wird auch nicht zu^^estanden werden können.
Diese Annahme Heppes ist in materieller Beziehung schon
Ton Lande r er ^ zurflckgewiesen worden. In formeller Hin-
flicht füge ich nur hinzu, dass Melanchthon gar keine Dis-
position zu teleologischem und organischem Verständnis der
christlichen Lehre gehabt haben kann, da das lockere Geföge
der Loci theologici, bei weichem er stehen geblieben ist, und
die Schw&che ihm gegenseitigen Zusammenhanges, welche
1) Gesch. d. ProtestantismuB Bd. I, S. 44.
2) In Herzogs Realencyklopädie Bd, IX, S. 5888 ff.
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54
BTTSCHL,
ihn nicht beunruhigt zu haben scheint, das Gegenteil eines
Systems darstellt Endlich verrftt Melanchthon selbst nir*
gendwo eine Spur davon , dass er sich derjenigen Stellung
gegen Luther bewusst gewesen wäre, welche Heppe für die
wirkliche hält. Man müsste aber erwarten, dass Melanchthon,
der 14 Jahre lang auf Luthers abgeschlossenes Wirken znrQck*
geschaut hat und den grOssten Teil dieser Frist im Kampfe
mit der Theologenpartei gestanden hat, welche sich auf
Luther beriet", die Einsicht in die Verhältnisse vorweggenom-
men hätte, welche Heppe als dio rioliti«,^? vertritt.
Die Frage, wie die lutherische Kirche als das Resultat der
deutschen Formation zustande gekommen ist, wird schwer-
lich richtig beantwortet werden, wenn man sich bloss die
Abweichungen zwischen Luther und Melanchthon vergegen-
wärtigt, und zwar als einen solchen Gej^ensatz, der die ge-
sammte theologische Art beider beträfe und nur durch die
Ausschliessung der Autorität des einen gelöst werden konnte.
Denn bekanntlich behftlt die Vorrede der evangelischen Stände
zum Goncordienbuch, welche mit zu diesem Documente der fertig
gewordenen liitlierischen Kirclie gehört, die Autorität Me-
lanchthous vor, insoweit seine Schriften mit dem neu ge-
1) Nur zwei Mal, so vir) irh finde, ist Melanchthon im S^tande ge-
wesen, eine teleologische Formel tnr <len Geßaronitinhalt des rhrist. utuinB
ailfietUkteUcn ; jedoch wird durch deren Vergleichung mit der Anlage
der Loci erst recht klar, dass dieselben die teleologische und orga-
nische Betrachtunghweise nicht befolgen. In den ., Elenienta doctrinae
ph3*sicae** fr". R. XIII, 199) bezeichnet er die natürliche I>kenntnis
Gottes als ,.tenuior quam detiuitiu ecclesiae necessaria, in qua patcfecit
dcu8 tres persona», et arcanam voluntatem de colligcnda ecclesia
aeterna et de reniissione j>'<'e;Unrum ". Diese definitio in ecclesia
illustriur tiihrt er •lemnächst dahin aus. dass der dreieinige Gott condi-
derit et servet coehim et terram et oiunes creaturas, et in gcnere humano
condito ad iuiagin« ni suam et ccrtam obedientiam « 1 e e r i t s i b i e c -
clesiain, ut ab » a hacc una et vera divinitas -- agiioscatnr. invoceturet
colatur iuxta verbiinj divinitus traditum. et in vita aeterna curaui cou-
spiciatur et celobretur. — Enarratiu symbuli Nicaeni (C. R. XXIII, 198):
„Pater domini nostri J. Chr.. qui condidisti genus hmnanum. ut inde
tibi aeteroam ecclesiam coUigas, cui sapieotiaui et bonitatem tuam com-
munices."
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DIS EKTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIRCHE. 55
woniienen Massstabe der Kirche Augsburgischer Confession
^l^ereinsümmeii. Man wird also vielmelur zu erforschen haben,
welches Haas der üebereinstiinixniiig zwischen Melanchthon
and der lutherischen Partei in der Epoche des zwischen ihnen
waltenden Streites stattgefunden hat. Nur auf diese Weise
würde erklärt werden, dass der Sieg der lutherischen Partei
^ber Melanchthon, der im CSoncordienbuch erreicht ist, zn-
glelch diejenige CSapitaUtion zwischen beiden einschliesst,
welche durch die partiale Anerkennung des Üeberwnndenen
bezeichnet ist. Die Untersuchung, welche durch diese Be-
merkungen angezeigt ist, wird auch dadurch nahegelegt, dass
der liaaptsächlicbe Gegner Melanchthons, Flacius, welcher im
ganzen und grossen durch die Concordienformel alsSieger erwiesen
worden ist, ein specieller SehfQer Melanchthons war und von
dem charakteristischen Einfluss dieses Lehrers schwerlich frei
geworden ist, indem ihn die Ergebenheit gegen Luther und
dessen geschichtliches Werk in den Kampf gegen jenen trieb.
Also auch um den theologischen Charakter dieses Mannes zu
▼erstehen, kftme 'es darauf an, den Punkt aufeufinden, in wel-
chem fDr ihn die Autorität der beiden Beformatoren zusam-
menfliesst.
Wir verdanken P reg er eine überaus sorgfältige Bio-
graphie Ton Flacius; allein derselbe hat sich der eben bezeich-
neten Au%ab6 nicht angenommen, obgleich an ihrer Losung
das kirchengeschichtliche Interesse jener Biographie hängt.
Für Flacius gesammtes öftentliciies Wirken haudelt es sich,
wie Preger ^) sagt, um das Vorherrschen der lutherischen
oder der melanchthonischen Richtung in der Kirche. Um
dieses zu erläutern, unternimmt nun derselbe eine Veigleiehung
der theolo^schen Methode und der kirchlichen Haltung beider
Reformatoren, welche wiederum nur einen Gegensatz zwischen
ihnen feststellt. Nämlich von Preger wird Luthei-s Lehre
mit dem Ehren pradic^it der organischen Entwicklung belegt,
Melanchthon als der Analytiker bezeichnet, der nie aufgehört
habe, die Fundamente der Eeformation zu prfifen, und deshalb
nie zu abschliessenden Resultaten über den Unwert der alten
1) A. a. 0. Bd. I, S. soff.
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^.6
JUTäCHL,
Kirche ^kommen sei, sondern sieb stets durch dereu gran^
diese ErscbeinuiiL; habt* iiiii)onireu lassen. Es wird ferner
festgestellt, dass Flacius auf Luthers Seite gebore, -la er seine
Heilsgewissheit durch gleiche Anfechtuugeu hindurch erreicht
habe wie dieser; und es wird uns flberlaesen duans zu folgern»
dass er deshalb nichts mehr mit seinem speciellen Lehrer«
dem Analytiker Melanchihon, gemein gehabt habe, dessen Theo-
logie nicht aus Seleukämpfeu und inuereu Erlebnissen her-
Yorgewachsen wäre.
Ich bemerke, dass die Aufgabe der Biographie de»
Flacius von P reg er nnrollständig bezeichnet ist Die Situi^
tion, in die jener Mann eintrat, war der Kampf um die AntoritÜ
Luthers oder Melanchthous. Allein wenn dieser Kampf mög-
lich war, so mussten beide Männer in dem Verständnis
der kämpfenden Persoueu ein Gebiet gemeinsam einnehmen,,
und jeder der Eftmpfer mnsste an diesem Gebiet der üebeiein»
Stimmung der Beformatoren mit seiner TTeberzengong beteiligt
sein. Also kam es nicht darauf an, zu zeigen, welchen ümfimg
der geistige Gegensatz beider Reformatoren in der Wirklich-
keit eingenommen hat , sondern auf die Frage , in welcher
Form und welchem Masse ihre Uebereinstimmung denjenigen
gegenwärtig war, welche übrigens um das Uebeigewicht de»
einen oder des andern gestritten haben. Da Preger hieran
nicht gedacht hat, so hat er auch die kirchen geschichtliche
Stellung seines Helden nicht zu bezeichnen vermocht. E»
kommt mir jetzt nur darauf an, diesen Fehler in der Methode
bemerklieh zu machen ; hingegen unterhuse ich es, dieparteüschoi
üebertreibongen zu verfolgen, die Preger in der Charakte*
ristik Luthers und Melanchthous in demselben Masse, jedoch
in umgekehrter Eiclitung begangen hat, als es von Heppe
geschehen ist.
Das Zusammenwirken der inneren und der äusseren Ur-
eaehen, welche die deutsche Beformation in die lutherisch»
Kirche ansmtlnden hissen, muss an den Yer&nderungen ge-
messen werden, welche der ßegriflP von der Kirche erfahren
bat, der im Kreise der Protestanten galt. Nun kann mau
diesen Verlauf nur in den Schriften Melanchthons verfolgen,
da nur er eine stete Aufmerksamkeit und Denkarbeit auf
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DIB ENTSTEHUNG DBS UTEHERISGHEN KIBCHE. 57
dieses Thema verwendet hat; und es wird sich zeigen, daas
er in dem Begriff von der Kirche absohliessende BcBultate
erzeugt hat, die mit der „grandiosen Gestalt der alten Kirehe*^
nicht capituliren. Hat er durch gewisse HandUuif^eii oder
Aeusserungeii die protestantische Kirchenbild uiit,^ compromittirt,
so steht diesen Fällen ein üebergewicht entgegengesetzter
Verdienste gegmfiber. Indes setze ich mir nicht die Auf-
gabe, diesen Stoff zu erürtem. Die Lehren Melanchthons von
der Kirche nnd den nüchst daasn gehörigen Beziehungen habe
ich in literarischen Publicationen wiederholt berührt Indem
ich diesen Stott von neuem in Bewegung setze, um die Mit-
wirkung Melanchthons zur Entstehung der lutherischen Kirche
za erkl&ren, so darf ich mich auf sein eignes Beispiel be-
rufen, dass er, was ihm wichtig war, immer von nenem an»-
gesprochen und niedergeschrieben hat, obgleich er schwerlich
Grund zu der Vermutung hatte, dass m&n seine Schriften
ungelesen Hesse.
Die beabsichtigte Untersnchong hat anazngehen von der
gesdiichtiißhen Erklftmng des 7. Artikels der Angsbnrgischen
Confession. Obgleich derselbe von Melanchthon ver&sst ist,
80 musd er doch als Ausdruck der Gedanken geschätzt wer-
den , welche Luther vorher und nachher ausgestreut hat
Denn mit einer vorangehenden Lehrüberzeugnng Melanchthons
kann jener Text nicht verglichen werden, weil weder die Loci
von 1621 noch das Visitationsbnch von 1628 einen Titel von
der Kirche enthalten. Die ganze folgende Untersuchung aber
würde überflüssig sein, wenn diejenige Erklärung jenes Lehr-
artikels richtig wäre, welche von den heutigen exclusiven
Lutheranern als der berechtigte nnd sich von selbst verstehende
fiinn desselben kondgegeben wird. Dieselben erUfiren nftmlich
die fttr die Einheit der Kirche notwendige üebereinstimmung
in der „ Lehre des Evangeliums so, dass damit der gesammte
i| „ Ueber die Begrifle sichtbare und unsichtbare Kirche" in Stud.
u. Krit 1859. S. "2i »5 tf. — ..Dio Pog-rnndung des Kircbenrochtes im evan-
gel'vchen }>egrift" von der Kirche" in Zeitschr. t". Kircbenrecht 1869,
lid. VIII, S. 25<)ff. — „Lehre von der ßechtfertigimg und Versöhnung''
Bd. I, S. 247—252.
3) Vgl. Köstlin, Luthers Theologie Bd.ll, 8.534—537.
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58
RlTäCHL,
Lehrinhalt der 0. Ä., iDsbesondere auch die Lehre über das
Abondiuahl in Art. lo gtMiieint sei. Nach dieser Ansicht
wäre die lutherische Kirche, so wie man sie versteht, schon
mit dem Acte der Verlesung der Confession vor dem Kaiser,
also 1630 gegründet. Auf diesem Standpunkt erscheint dann
die Frist der Vorbereitung seit 1617 lüs eine geringfügige
Spanne Zeit, und man hält Vorlesungen über die Geschichte
der lutherischen Kirche von 1517 an.
Diese Geschichtsbetrachtung führt notwendig zu schiefen
mid yerzerrten JOrgebnissen, und jene Erklärung des fraglichen
Artikels ist nach geschichtlichem Massstabe unrichtig. E r s t e ns
nämlich ist die Keformation, indem deren Umfang und Trag-
weite für Luther selbst erst allmählich klar ^^ewordeii ist, von
Anfang an auf den ganzen Bestand der abendländischen all-
gemeinen Kirche gerichtet, und auf nichts weniger als die
Orfindung einer Particularkirche neben der römischen. Die
Ansätze zu einer solchen Kirchenbildung . welche die Evan-
gelischen etwa seit 1.^25 unternehmen iimsstcu, weil die Ke-
formation von Biscliöfen und Papst abgewiesen wurde, werden
zunächst noch nicht als etwas Endgültiges angesehen. Wie
lange diese Zurfickhaltung in der öfientlichen Meinung der
Protestanten vorgeherrscht hat, ist erst ein Gegenstand der
Untersuchung. Sie hat jedenfalls nicht so lange vorgehalten,
als die Evangelischeu sich noch zu Religionsf^'esj>rächen her-
beigelassen haben, um eine Aussöhnung mit den Päpstlichen
zu erreichen. Denn indem Melanchthon seine Unterschi'ift des
[Schmalkaldischen] Bekenntnisses Luthers mit der Erklärung
begleitete, dem Papste könne eine Autorität menschlicher
Art zugestanden w^erdeii. wenn er das Evangelium zuliesse,
war er schwerlich im Einklang mit der öffentlichen Meinung
der Evangelischen. Umgekehrt aber ist die Absicht auf eine
Particularkirche schon deshalb nicht in der G. A. ausgedruckt,
weil dieselbe mit grossem Nachdruck betont, dass die vorge-
tragene Lehre nicht gegen die der katholischen Kirche, ja
auch nicht gegen die eigentliche Lehre der römischen Kirche
Verstösse. Und so wenig wollen die Evangelischen eine Par-
ticularkirche bilden, dass sie im Augsburger Beligionsfrieden
(1555) der Gegenpartei den besondem Namen „katholisch*^
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DIE ENTSTEHUMQ DER LUTHERI8CHSN KIKGHE. 59
verweigert haben. Sie wollten ebenso katholisch sein wie die
AnhftDger des Papstes; und deshalb werden in dem Friedens-
docoment die „der alten Religion Anhängigen*' den „Ver*
wandten der Augsbargischen Confession'^ gegenübergestellt.
Unter welchen Bedingungen der Anspruch der Evangelischeu
aut Katholicitüt mit der Tatsache und der Wertschätzung
ihrer particolaren Kirchenbüdung in der Zeit von ld30 — 1565
im Einklänge steht, ist. eben auch ein Gegenstand der Unter-
sacbnng. Weil also eine solche dnrch eine Menge bekannter
Data angeregt wird, kann nicht zugestanden werden, dass
die Auseinandersetzung einer lutherischen Particularkirche
gegen die römische im Jahre 1530 dnrch die Aufstellung
der Angsbnrgischen Confession vollzogen worden sei.
Zweitens wird fteilich die zur Einheit der Kirche als
notwendig geachtete Uebereinstimmung in der doctrina evan-
gelii der angeführten Deutung fähig sein, wenn mau den Satz
ausser allem Zusammenhang mit den gegebenen Umständen
versteht Aber es ist auch nur mdglich, doctrina evan-
gelii zu lesen und diese Verbindung der Wdrter von dem
Complex der Sätze der 0. A. zu verstehen; an sich ebenso
möglich ist es, doctrina evan;;M'lii zu betonen, und dann
erscheint das erstere Wort nur als Hulfswort für das zweite.
Diese Erklärung aber ist aus einer lieihe von Gründen die
nach geschichtlichem Massstabe einzig mögliche und notwen-
dige. Im deutschen Text der Confession, der ebenso authen-
tisch wie der lateinische ist, heisst es: ,,Denn dieses ist ge-
nug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, dass da ein-
trächtiglich nach reinem Verstand das Evangelium ge-
predigt und die Sacramente dem göttlichen Wort gemäss
gereicht werden.** Das Evangelium, welches gepredigt oder
gelehrt werden soll, ist nun vorzustellen als die Erklärung
des gniidigen Willens Gottes und nicht als die lieihe der
Dogmen als m e n s c h 1 i c Ii e r Erkenntnisse. Jeuer Sinn ist
direct durch den Art. 5 angezeigt, dass nämlich das Wort
Gottes (gleich dem Evangelium) und die Sacramente als die
Mittel zu achten seien, durch welche der beilige Geist ge-
geben wird, der den Glauben wirkt, und welche als diese
Orgaue der Wirkung Gottes aucli gelten sollen, iudem sie den
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60
Inhalt des Predigtamtes bilden ^). Dass diese Wirkungen
an dogmatische Erkeiiutoisse der Menschen, an doctrina
evangolii «geknüpft sein sollten, liegt ansaerhalb des durch
Art 6 bezeichneten Gesichtskreises. Endlich wenn das Be-*
kenntnis der Eircbenglieder m den Glanbensartikeln als das
notwendige Band der Einheit der Kirche geraeint sein sollte,
so wäre es durcliaus n n verständlich , warum Melanchthon die
in den Schwabacher Artikeln ihm vorliegende Fassung des
Gedankens nicht in die C. A. anfgenonunen hat. In jener
Vorlage lautet nftmlicfa der 12. Artikel: ,,SoMe Kirche ist
nichts anderes, denn die Gläubigen an Christo, welche ob-
gena nnte A r tikel und Stücke glauben und leh-
ren.... Denn wo das Evangelium gepredigt wird und die Sa-
cramente recht gebraucht, da ist die heilige, christlicbe Kirche.^^
Die „obgenannten Artikel*' (1^6) betreffen die Trinität, die
Gottheit Christi, seine Gottmensehheit und die Heilsbestim-
mung seines Todes, die Erbsünde, die Unfreiheit des Willens
und die Gerechtigkeit aus dem Glauben , die Bekehrung aus
dem heiligen Geist. Die „Stücke'' (9. 10) bezeichnen den
eacnunentalen Wert ron Tanfe und Abendmahl, welche jedes
aus zwei Stficken, dem sinnlichen Element und der UbematGr-
liehen Gabe, bestehen. Das Gefüge dieses zwölften Schwa-
bacher Artikels ist freilicli logisch ungeschickt; allein wenn
Melanchthon den Gedanken des ersten Satzes überhaupt in
der C. A. ausdrücken wollte, so konnte er mit einer leichten
Ergänzung zwischen den beiden Sätzen des Schwabacher Ar»
tikels sich dieser Vorli^ anschliessen. Hat er dieses nicht
getan, so hat er auch niclit den Gedanken beabsichtigt, den
die exclusiven Lutheraner in seinen Text hineinlegen.
Aber, wird dagegen eingewendet, Melanchthon achtet als
Bedingung der Einheit der Kirdie, dass „da das Evang^um
nach reinem Verstand gepredigt werdet Das richtige
1) Vgl. in Ricliters Evangeüschen Kirchenordnuiigcn I. 266)
die erste Wiirt^niberj^ische von 1536: „Denn diese zwei Stink, nämlich
Predigt und Sacrajuent, tler christlichen Kirelie notwendig''' und Haupt-
BtQck sind, dadurch tler Glaube in J. Chr. unsern Seliguiucher von
Gott durch den heiligen Geist geptiauzt, gestärkt, ja die rechte Fröm-
BÜgkelt und Seligkeit aoägeteilt und dargereicht wird."
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DIE ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIRGHB^ 61
menschliche Veistfindiiis des Qnadenwillens Ck^ttes, ohne dessen
Veniiittlunir kein Prediger diesen directen Inhalt seiner Rede
zum Heile der anderen vortrilgt, könne Melanchtlion uur
meinen als die Glaubensartikel der C. A. Also würde der
Verfasser derselben indireei doch das Torschreiben, was dem
Texte des Schwabacher Artikels entspricht Wenn nun diese
Beweisführung triftig wÄre, so mfisste sie doch eine Ein-
schränkung erleiden, welche ihren Urhebern emphudlich sein
würde. In diesen reinen Verstand des Evangeliums würde
der Inhalt von Art 10 der C. A. nicht eiuzuachliessen sein,
nad mnsowenigert da zur Einheit der Kirche nur noch die Be-
dingung gereebiet wird, dass die Saeramente recht gebraucht
werden (administratio sacramentorum). Hiednrch ist eine
bestimmte Ansicht vom Abendmahl ebenso wenig zu den Be-
dingungen der kirchlichen Einheit erhoben, als die in der
vorbeigehenden mit gedacht ist Jedoch die qnellenmSsnge
also notwendige Erldäruug jenes Anadmckes führt noch eine
stärkere Abweichnng von jener Bestimmung seines Sinnes
herbeL Nämlich unter den Torgauer Artikeln, welche die
andere Vorlage für die C. A. bilden, befindet sich ein Auf-
satit weldier deutlich in Luthers Art gehalten ist und sich
mit dessen gleichzeitiger „Vermahnung an die Geistlichen«
versammelt auf dem Beichstage zn Angsbnig*' berfihrt. Hier
findet sich eine authentische Declaration der fiaglichen
Formel
„In der Kirche Christi fordert man diese nachgeschriebene
Stficke: Erstlicb ein rechtschaffen Predigtamt, da fleissig und
treulich gelehrt wird das heilig gdtÜieh Wort nach reinem
1) Dieses wird ab die gleichzeitige Memmig Hehmchtboiu tirwiesen
doreh eme seiiier Au&eichniugen, welche in die auf dem Angsbnrger
Beicfaftage gepflogenen Verbandlnngen Uber einen Aosgleieb gehört. Unter
den „Articnli, de qmbos non convenit nobis com adYenuüe" lautet der
sechste: „Qnod ad veram nnitatem ecclesiae non sit neoessaria similitndo
traditiomm hnmananun, sed consensus de evangelio et nsn sacramen-
tonan.** C. R. H, 377.
S) Coifos Beformatorom XXVI, 103. Die andere ^Schrift Latheis
bei Walch XVI, 1171.
62
R1T8GHL,
christlicbeD Verstand ohne Zusatz einiger falscher Bei-^
lehre.
In solcher Predigt wird klar, eigentlich und richtig ge-
lehret und dargegeben, was da sei
Christus und das Evangeliuni,
Rechtschaffene Busse und Furcht Gottes,
Wie zu erlangen sei Veigebang der S&nde,
Von Vermögen und Gewalt der Schlfissel der Kirche.
Diese Lehre und die ganze Sninme des Evangelii wird in
dieser Kirche Christi mit fleissigem, wahrem Anhalten täglich
und ohne Unterlass, beides in der Gemeinde und bei einem
jeden Christen für sich getrieben durch Predigen, Lesen,
Trtet^ und Vermahnen, durch Auslegen der Psalmen und
allerlei Bücher der Schrift, wie Paulus 1 Kor. 14 schreibt
Da wird recht gelehret von christlicher Freiheit, wie die
Gewissen frei sind in Cliristo.
Und solche Lehre zu erhalten wird mit grossem Ernst-
und höchstem Fleiss Achtung gehabt, dass Schulen für Ejiaben
und Mädchen zu guter Zucht der Ji^nd aufgerichtet und
erhalten werden.
Da sind auch die Gaben der Sprache, Ikbiilisch, Grie-
chisch und Lateinisch und tun die Bischöfe Fleiss, damit solche
Studia, so hochnötig sind die heilige Schrift zu verstehen,
nicht untergehen.**
Diese Darstellung Luthers versetzt das Verständnis des
Artikels der C. A. auf ein total verschiedenes Gebiet, als auf
wehiiem die geirn* rische Ansicht sich behaupten kann. Die
Geltung eines formulirten Lehrgesetzes und der Erwerb eines
selbständigen und umfassenden Schrifbstudiums haben zur Rein-
heit des Wortes Gottes ein grade umgekehrtes Verhältnis der
Zweckmässigkeit. Sofern aber auch bei dem sorgfältigen
Studium der Schrift die ^löglichkeit vorhanden i^^t, den reinen
Verstand des Wortes Gottes in einer kurzen Formel darzu-
stellen, so ist der Inhalt, den Luther in der „Summe des
Evangeliums'* zusammengefiEtsst denkt, dem vermuteten Qesetz
von so und so vielen Glaubensartikeln ziemlich unähnlich.
Die vier Punkte, welche Luther aufführt, sind als Glieder
eines organischen Ganzen gedacht, indem sie sich auf die
DIE ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIRCHE. 6^
Begelnng des pnüctischen Christentimis beschrftoken, welches
innerhalb der richtig eingerichteten Kirche mOglich ist. Im
Vergleich mit diesen Mitteln der Aneignung der göttlichen
Gnade treten die vorausgesetzten Vorstellungen von Gott, von
der Sünde u. s. w. in den Hintergnind; d. h. es handelt sich
gar nicht am den theoretischen Besitz einer Glaubensregel^
in welcher jeder Teil ebenso viel Wert h&tte wie alle anderen,
weil auf jeden gleich viel theologische Arbeit verwendet wäre.
Antithetisch ausgedrückt, bedeutet der reine Vei-stand des
Evangeliums die Ausschliessung menschlichen Verdienstes von
dem Zusanunenhang der Darbietung und der Aneignung der
Gnade Gottes. In dieser Hinsicht reicht die £r]d&rang der
pora doctrina evangelü, welche Mehtnchthon in der Apologie
der C. A. vorträgt, dem Torgauer Artikel die Hand. Er
deutet hier (Art. TV. § 20.21) jene Grösse als die Erkenntnis
Christi und den Glauben an ihn. welche nach einer Sentenz
des Paulus (l£or. 3, 12) das Fundament bildet, auf welchem
verschiedene Lehrer Lehren verschiedenen Wertes aufrichten.
Dieselben Irl^nnen ertmgen werden, wenn sie das Fundament
nicht zerstören; dieser Fall aber tritt ein, wenn die Römischen
den Grundsatz des Verdienstes aufrecht erhalten, der die richtige
Bedeutung der Sundenvergebung und des Glaubens durch-
kreuzt Ein deutlicher Wiederhall dieses Gedankenganges
findet sich noch in der Schleswig- Holsteinischen Kirchen-
ordnung (1542): „Von der Lehre unserer Seligkeit, dailurch
die Wohltat, uns durch Christus erlanget, verkündigt wird.
Die ganze unversehrte, vollkommene Lehre des heiligen Evan-
gelü soll in allen Orten rein und einträchtig sein, darin man
zum allerhefliigsten treiben und vorhalten soll den Artikel von
unserer Bechtfertigung, dass alle Leute verstehen mögen, was
der Glaube sei und was er ausrichtet, uucli wie wir den
Glauben überkommen, welcher ist Vergebung der Sünden/'
^) Den Schlüssel zu dieser Erklärini^' bild- t der Satz in der Ein-
leitung zu den ..Loci theol." von 1521 (C. R. XXI, „]\nc >-<t
Christum cognoscere . b<;neticia eiu.s cognoscere, non, qaod isti docent,
ciaa natnra.s. mod<"S incarnationis ountueri."
2) £ki Kichtcr, Kirchenurdnungen Bd. I, S. dbi.
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64
&ITSCHL,
Endlich kommt in Betraclit, das« die reiue und lautere Pre-
digt des Wortes Gottes der Titel ist, auf weichea zunächst
alle Kirchenordaungen lutherischen Geprftges von der ersten
an (Stralsund 1625) gefprfindet sind. Wenn nun nach dec
Öffentlichen Ahle^ng des Augsburgischen Bekenntnisses grade
dessen Lohrinhalt als der reiue Verstand des Evangeliums au-
erkauut worden wäre, so mässte mau erwarten, dass alle nach
dem Jahr 1530 aufgestellten Eirchenordnungen aus dem Wir-
kungskreise Luthers die Hinweisung der Frediger auf die
C. A. Mithielten. Dieses ist jedoch zunächst nur ausnahmst*
weise (in Pommern 15.35, in Halle 1541) der Fall gewesen;
regelmässig kehrt die ursprüngliche Formel wieder ohne be-
sondere Erklärung, oder mit einer solchen Erklärung, wie die
in der Kirchenordnung für Schleswig-Holstein ist first die*
jenigen Eirchenordnungen, welche nadi 1545 erlassen worden
sind, beziehen sieh ausdrücklich auf die C. A. mid ihre Apo-
logie, sowie auf andere Schriften gleichen Ranges. Diese
Erscheinung aber weist auf eine Veränderung des kirchlichen
Gesichtskreises der Wittenberger Beformatoren hin, fiber welche
spftter zu berichten sein wird.
Also geschichtlich angesehen, ¥rird durch den reinen Ver-
stand des Evangeliums in Art. 7 der C. A. nichts weniger
insinuirt, als dass dieses Lehrhekenntnis selbst um der Einheit
der Kirche willen gesetzliche Geltung haben müsse. Dieses
Ergebnis kann auch nur dann befremden, wenn man voraus-
setzt, dass der in Art 7 angestellte Begriff von der Kirche
vollständig und er8ch()pfend sein, dass er deshalb durch ettfe
bestimmte Erscheinung von Kirche gedeckt werden solle.
Dazu reichen aber die Bestimmungen nicht aus, dass die
Kirche die Gemeinschaft der Gott Geheiligten ist, welche
unter den Merkmalen der unablSssigen Dauer und der Einheit
besteht, und zwar gemäss der richtigen Yerkfindigung des
göttlichen Gnadenwortes und der authentischen Uebung der
beiden Sacramente. In dieser Formel ist nämlich nicht das
Predigtamt als notwendiges Merkmal der Kirclie aulgeführt;
dasselbe wird jedoch schon in Art. 5 als göttliche Einrich«
tung anerkannt; fehlt es also in Art 7, so ist der in ihm
ausgesprochene Begriff der Eiiche gar nicht als der vollständige
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DIE ENTSTEHUNG DER LDTBEBI8GKEN KIRCHE. 65
und direct praktische gemeint. Also bezeichnet er nur den
Umfang von Merkmalen der Kirche , welcher als Massstab des
"Wertes aller möglichen, für die Beobachtung gegebenen Er-
scheinungen von Kirche zweckmässig ist. Dieser Begriff von
der Kirche ist also dem Begriff des moralischen Willens
gleichartig, welchen Kant in der „Gründling zur Meta-
physik der Sitten^* entwickelt hat. Die Merkmale der All-
genieingültigkoit einer Maxime des Handelns, ihre Unterord-
nung unter den Zweck der Wahrung der allgeraeineu Men-
schenwürde, und die Hervorbringung derselben aus der Freiheit
des Willens bezeichnen den Massstab, nach welchem die
Handlungsweise eines Menschen oder die Sittenlehre einer
Schule auf ihren moralischen Wert zu bestimmen ist. Darin
ist jedoch eingeschlossen oder vorausgesetzt, dass jede wirk-
liche Handlungsweise, um ein mensciiliclies Leben auszufüllen,
noch besonderen Bedingungen unterliegt, und dass jede Sitten-
lehre noch andere Giiindsätze ausser jenen enthalten muss,
um das wirkliche Leben ToUsiAndig zu regeln. Dass der Ar-
tikel von der Kirche unter dem gleirliartii^on Vorbehalt ge-
meint und 7.U verstehen ist, j^eht auch aus seiner Verglei-
chung mit den auä der Eeformation Lutliers entsprunge-
nen Kirchenordnungen hervor, welche über mehrere Merkmale
des Bestandes der Kirche verfßgen, als welche hier anage-
aprochen sind.
Allerdings kehrt die Formel des 7. Artikels ihre Spitze sehr
deutlich gegen die Anerkennung der geschichtlich gegebeneu
römischen Kirche, ebenso wie die Kautachen Grundsätze den
Sinn haben, die heteronome, utilitarische und eudämonistische
Moral der Zeitgenossen als unmoralisch erkennen zu lassen.
Jene Absicht wird deutlich durch die Erlautorungen, welche
Melunchthon in der Apologie der C. A. vorträgt. Die roniisclie
Kirche, wie sie gegeben war, stellte sich dar als rechtliche
Ordnung aller möglichen Cultusverrichtungen und menschlicher
Lebensbeziehungen, also als eine Art von Staat (societas exter-
namm remm ac rituum, sicut alfae politiae) ; so weit sie eine
Ordnung religiöser Vorstellungen aulcrlegte, war dieselbe durch
den Grundsatz mensohiicher Verdienste gegen
endlich bestand die in der römischen Kirche zusammengefasate
Ztltieb. f. K.-G. 5
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V
66 RTVflCBL,
Menge nicht bloss aus Heiligen, sondern auch aus ünhoiligen
(bypoeritae et mali admixti eedesiae), welche nach Massgabe
der rechtlichen Gestaltmig der Kirche von den wirklich
Gläubigen nicht unterschieden werden konnten. Nach dem
kritisclien Canon der C. A. entscheidet nun Melanclitlion
hierüber so, dass die Kirche nicht bloss Rechtsgeineiiischaft
ist, sondern haaptaächlich (prindpaliter) Gemeinschaft im
Glanben nnd heiligen Geiste; dass eine Kirche, welche den
Gmndsatz menschlicher Verdienste q:egen Gk>tt sfeltend macht,
ihre notwendifre Gnuidlairo, nämlich die Unbediu<,^th»'it der
göttiiciicii Gnade in Cliristus verlassen hat; endlich dass die
in der Kirche befindlichen Nichtgläubigen durch ihre äussere
d. h. rechtsgültige Teilnahme an den Merkmalen der Kirche
keinen Anteil an dem gewinnen, was die Kirche eigentlich
ist. Die Tragweite dieser Entscheidiinireii wird mau sich
durch folgeiulf Anwendung der Moralprineiiden Kants an-
schaulicii machen können. Die menschliche Gesellschatt ist
dnrch eine Menge von Beziehungen gegenseitigen Nutzens und
gegenseitiger Rechte und durch das Streben aller nach mög-
lichstem Wohlsein verbunden. Allein sie ist nicht bloss
eine solche Verbindung, sondeni hauptsächlich, ihrer
eigentlichen Bestimmung nach , die Verl>iudung durch das sitten-
gesetzliche Handeln, welches durch die drei Grundsatze Kants
bezeichnet ist Denn ohne die fiberwiegende Einwirkui^ sol-
cher Handlungsweise würde die menschliche Gesellsdiaft auch
in jeuer niedrigeren Wechselbeziehung aller nicht Bestand
behalten. Diejenigen nun, welche ihre Handlungsweise nach
ihrem Hecht, ihrem Nutzen, ihrem möglichsten Wohlsein be-
stimmen, sind Genossen der sittlichen Gemeinschaft nur in-
sofern, als auch der gemeine Nutzen und die Ausgleichung
der gegenseitigen Rechte zu den Zwecken derselben geboren;
aber man kann solche Personen nicht als moralische Charak-
tere für die sittliciie Gemeinschaft anrechnen. Fenier wenn
anzunehmen wäre, dass die Gemeinschaft der Menschen vor-
* wi^nd durch den Grundsatz des Eigennutzes der Einzelnen
beherrscht wfire, so wfirde man urteilen mfissen, dass dieselbe
von ihrer Bestimmung und ihrem Grunde abgefallen und nicht
mehr als sittliche Gemeinschaft anzuerkennen sei. So sehr
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f
DIE ENTSTEHUNG DE& LUTHERISCHEN KiECHE. 67
sich nun h'm'm der kritische Gebrauch der Gnindsatze Kunts
lOewährt, so würde doch niemand zur sittlichen Handlunga-
•weise genQgend ansgerfistet sein, wenn er bloBs die üeber-
Mgnng f on der Qftltigkeit der drei Maximen beaSsse. Ebenso
bestellt anch die Kirche wirklich nnd geschichtlich nicht
blosa ilarin, dass sie als Genieinschatt im Glauben durch die
Verlrt!ndigiin<^ des reinen Evan£(Pliums erhalten wird, son-
dern auch darin, dass sie äussere rechtliche Ordnung, also
wen%stw8 dos Predigtamt an sich hervorbringt. Und wenn
ee dadurdi mdglieh wird, dass ihre Kechtsordnnng anch Un-
gläubige nmihsst, so gilt dabei der Vorbehalt, dass die recht-
liche Zugehörigkeit zur Kirche an die eigentliche Bestimmung
derselben nicht hinanreicht.
So weit erstreckt sich die Analogie dieser beiden Ge-
dankenreihen. Indessen liegt noch eine fiehaaptnng in der
Apologie der C. A. vor, welche über die Linie des kritischen
Gebrauches jenes Begriifes von der Kirche hinaus liegt. Melanch-
thon erklärt nämlich, dass die so bezeichoete Kirche nicht
ein Phantaaiebild wie die Kcpublik Piatons sei, sondern dass
sie in der Wirklichkeit innerhalb des Gebietes der rechtlich
geordneten Kirche in den Personen der wahrhaft Frommen
existiTe. Dieser Satz ist insofern befiremdend , als man schwer-
lich beweisen kann, dass innerhalb des rechtlichen und ge-
meinnützigen Verkehres der Menschen eine engere Verbindung
derer bestehe, welche in der Uichtung der drei Kant sehen
Ckands&tae ihre Handlnngsweise ansflben. Wie können also die
wirklich fipommen Menschen, welche Aber die ganze Erde zerstreut
sind, und sich nicht in ihrer gemeinsamen Eigenschaft kennen, als
Kirche zusammengedacht werden? Indessen macht sich hier eine
mögliche und notwendige Abweichung zwischen der morali-
schen nnd der religiösen Gedankenreihe geltend. Bei der
Bestimmimg desseii, was die christliche Kirche ist, kommt
mebi bloss die Beziehung dieser Grösse auf unsere mensch-
liche Erkeiiiitiiis, sondern innerhalb derselben auch ihre Be-
ziehung auf Gott in Betraclit. Für die religiöse l^otraclitung
aller Dinge ist ja das Merkmal constitutiv, dass alles auf seine
SteUung za Gott ond auf seine Bestimmung durch Gott an-
gesehen wird. Wenn deshalb die Wabmehmnng von gött-
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68
BTTSCHL,
liebem Wort und die Ausübung der Sacrameute, dieser Organe
der Heilswirkung Gottes, darauf scbliessen lässt, dass von
Gottoe wegen Kirche, Gemeinachatt der Gläubigen da ist, so
wird dieser Gedanke dabin zu er^nzen sein, dass Gott selbst
diese Gläiibif^ru , welche tlurch die AViikungen der Gnaden-
mittel in eine Verbindung nicht nur mit Gott, sondern auch
unter einander gebracht sind, als die Kirche kennt, welche
ihrer Bestimmung entspricht Die Verbindung d^ wahrhaft
Glftubigon durch die Gnadenmittel besteht in Gottes Urteil,
obgleich die Glieder der so gedachten Kirche sich als solche
gegenseitig nicht kennen; nichts desto weniger ist diese Ver-
bindung für das tnenschlicbe Glaubensurteil wahrnehmbar oder
sichtbar, weil die Organe der göttlichen Gnade sinnen&llig
sind; sie heisst nnsichtbai nur, indem sie als Object eines
Glaubensurteiles vindieirt werden soll nach Hebr. 11, 1. In
dieser Weise hat Luther jenes Prüdicat verwertet Das
Giaul)ensurteil oder die religiöse Beurteilung der Kirche setzt
demgemäss die Gemeinschaft der Gläubigen als eine von Gott
aus und für Gottes Urteil wirkliche GrOese, und nicht bloss
als ein unwurkliches Ideal zum kritischen GjBbrauche, weil der
religiöse Glaube auf die Vermrklichung der göttlichen Heils-
absicht gestellt ist. Die Annahme, dass das religiöse Ideal
immer nur er8tre])t, aber nie en eicht werde, würde die Grenze
zwischen der religiösen und der Ssthetiscben Anschauungsweise
aufheben.
Trotzdem leuchtet der idealistische Zug dieser Lehre von
der Kirche ein, welche Melancbtbon in die neue Ausarbeitunjr
seiner Loci von 15:iö aufnahm. Man wird aber schwerlich
in en, wenn man dieses Gedankengefüge als das Erzeugnis Lu-
thers ansieht, dem sich Melancbtbon damals als williger Aus-
leger hingegeben bat. Denn wie sich weiterhin zeigen wird,
ist Luther bei diesem Gedankenkreis stehen geblieben, Me-
lanclithon aber hat sich später vod demselben entfernt. Als
idealistisch aber ei*scheint der Zusammenhang auch darum,
weil er zu den Erfahrungen von der Kirche nur in negative,
nicht aber in positiTe Beziehung gebracht ist. Von jenem
1) Vgl. Stud. u. Krit. 1859, S. 197— 20a.
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DIB ENTSTEHÜNO DER LiriHEllISGmSN KIBCH9* 69
Begriff der Eiiehe aus wird nur das piaktische ürteU nahegelegt,
dass die in ihrer staatlichen Verfassung und ihrer Lehre vom Ver-
dienst gegen Gott feststehende römische Kirche nicht die Kirche
sei. Hingegen wird hier auch nicht andeutungsweise der Ge-
danke laut, daas die nach ihren wesentlichen Merkmalen ge-
dachte Kirche in den der Beformation Lathen folgenden Ge-
meindecomplexen bestehe. Diese Tatsache wird igno-
rirt, indem eben der Bestand der authentisclieu Kirche nur
in den auf der Erde zerstreuten Gläubisren nachc^owieben wird.
Diese Zurückhaltung hat unleugbar den Sinn, dass die Aus-
söhnung mit den Gegnern auf das Programm der Beformation
hin offen gehalten weiden soll. Hiethach ist auch zu ver-
stehm, dass in der C. A. nicht ausgesprochen ist, deren Lehre
sei die katholische Ghiubensregel, sondern nur, deren Lehre
Verstösse nicht gegen die katholische Kirche. Deshalb schliesst
nach geschichtlichem Verständnis die Confession und ihre
Apologie nicht die Absicht in sich, die evangelisch oonstituir-
ten Gemeinden als die Kirche zu bezeichnen. Dann ist
aber im Jahre 1530 auch die Absicht ausgeschlossen gewesen,
dieselben als die lutherische Kirche zu bezeichnen. Denn,
wie sich zeigen wird, setzt die Constituirung dieser Gemein-
den als lutherische Kirche die Gewissheit ihrer Leiter voraus,
dass dieselben die eine katholische Kirche seien. Die Öffent-
liche Feststelhng dieser Ansicht musste also erst stattfinden,
ehe es überhaupt zu dem Urteil kommen konnte, da^s für die
richtige allgemeine Kirche ihre Erneuerung durch Luther ein
wesentliches Merkmal sei.
Luther selbst hat auf eine Öffentliche Anerkennung dieses
XJmstandes nicht hingewirkt, sondern bekanntlich den Gedanken
an eine „lutherische Kirche" mit Entrüstung von sich ge-
wiesen, obgleich er der Wahrheit gemäss sich bewusst war,
das Evangelium seinen Zeitgenossen enthüllt zu haben, und
in seinem Wirken Gottes Zwecke zu dienen^). Man sollte
den Widerwillen Luthers gegen jene Bezeichnung nicht so
gering anschlagen, indem man behauptet, dass die deutsche
evangelische Kirche doch immer mit Kecht den Namen
) Vgl. die Vorrede zu den ScbmalkaldisebeD ArtikeU.
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70
der latheriscben geführt habe. Immer ist cUd aiohl der Eall
gewesen, denn die Beoeiclmiuig kommt erst unter gans be-
sonderen Bedinguugen nnd w gewisser Zeit ia Gebfaiush
Und das Recht dieses Sprachgebrauches unterliegt vor allem
dem logischen Bedenken, welches grade Luther hervorgehoben
bat, dass die Kirche, wekhe den Anspruch auf Katholicitat
macht, keinen besondem „parteiischen'' Kanten erträgt^),
liother selbst hat sich nur als den Vertreter der „einigen
gemeinen Lehre Christi *S und deshalb seine Anhanginr als nn-
g^ignet zu einer parteiischen Bezeichnung geachtet
Ein wesentlicher Fortschritt in der Auseinandersetzung-
zwischen der römischen Kirche und der sich bildenden evan-
gelischen knüpft sich an den Convent zu Schmalkalden Ida?,
und an die dort yolteogene Ablehnung des vom Papst bo-
nifenen Concils. Die Docnmente, welche hiefftr in Betracht
kommen, sind teils von Lutiier, teils von Melanchthon ver-
ftis.t. Indesen meine ich nicht die in Luthei-s wie in Me-
lauchthons Artikeln übereinstimmend dargelegte Erklärung,
daas die Gewalt des Papstes über die Kirohe unbeieohtigt
und dass er vielmehr der Antichrist sei. Ylelmehr finde! sidi
in dem Ton Luther verfossten Bekenntnis (in, 12) die wmter
gehende unumwundene Erklärung, dass die Römischen
nicht die Kirche sind, ein Satz, welcher in Privatäusse-
nmgen der Reformatoren län|^t vorkommt, jedoch selbst in
der Apologie der 0. A. erst noch zwischen den Zeilen m
bsen war. Aber die entsprechende iärklftrang» daas die Eirchd
1) Heppc, Ursprung' und Geichicbte der Beseichnaiigeii Betormirte
und Lutherische Kirclie (l?s59j.
2) Vermalinuüg tiicli vor Aufruhr za hüten (1522). Bei Walch,
Bd. X, S. 420.
^) Als Luther mit deiu Witten b- rger ( onsistorinra wegen der Gel-
tung heinilicher Verlöbnisse in Streit gekommen war, schreibt er am
18. Januar 1545 an den Kurfiir3t<}n Johann Friedrich, dass die Jurist»'n
„in meiner Kirclien" Sclnvit'rigk.-it.;ii Lrreg;en (De Wette Bd. V. S.716).
Diese Aensstrung bczeiolHiet keinen Widerspruch mit der obigen An-
gal)e, als ob T,utlier (iooh die Vorstellung eiii^ r lutherischen Kirche ge-
bildet hätte. Denn au.s <lem l]ri< t -J-J. Januar 1514 (Bd. V, S. 616) ergiebt
«ich, dass er unter „seiner Kirclie • die Localgemeinde in Wittenbelg
▼ersteht, die ihm als specieUm Selsorger anvertraut ist.
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DIB EMTSTEHDUa I>Cil^ LUTHEBISCHEN KIBGBE. 71
bei den EYangelischen sei, wird auch jetzt noch nicht abge«
gelMn, sondern nur der allgemeine Begriff angestellt, die
Kirche seien die Gläubigen, Heiligen, die Schafe, welche anf
die Stimme ilnos Hirten hören: die Heiligkeit aber bestehe
nicht in schriftwiliiiffii Ceriiuouieu, sondern im Wort Gottes
und Glauben. Auch in der Vorrede, mit welcher Luther diese
i^rtikel herausgab (1638), yerrftt er die Scheu vor jener Br-
IdSrung grade durch die Art, wie er sich derselben annAhert:
„ Unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem reinen
Wort iiikI r(H'ht<»n Gebrauch der Sacramente, mit Erkenntnis
von allerlei Ständen und rechten Werken also erleuchtet und
beschickt, dass wir unserethalben nach keinem Coneilio fo*
geo.*' £r bleibt also der idealistischen Betrachtungsweise
treu> welcher Melanchthon in der Gonfession und der Apologie
Ausdruck verliehen hat. welche demnach aucli in diesen Schriften
vielmehr als Luthers Eigentümlichkeit zu erkennen ist. Näm^
lieh auch in der Schrift „ Von Conciliia und Kirchen" (1539),
nelehe ebenfalls durch die B^rufhng des Oonoils nach Mantna
veranlasst ist, flbt Luther den kritischen Gebrsnck des Be-
griffs von der Kirche aus, welcher in der C. A. aufgestellt
worden wai'. „Wenn der Kinderglaube sagt er, „lehret,
<ia8S ein christlich heilig Volk auf Erden sein und bleiben
mfisse, und wenn, wie er geeeigt hat, die iu der pftpstlichea
Kurdie waltende Heiligkmt nicht die echte ist, so kann doch,
«in armer, irriger Mensch merken, wo solch christlich heilig
Volk in der Welt ist." ^) Und nun entwickelt er die Merk-
male, an weichen die chrLstliche Kirche zu erkennen sei, das
Wort Gottes. Taufe, Abendmahl, die Schlüssel, Predigtamt,
^ehet und Katechismus, Kreuz und Verfolgung; ausser diesen
»eben Hauptstfiekeu fßgt er noch die Merkmale des Christ»
liehen Lebens hinzu. Die Aufstellung der ersten Merkmale,
welclie nur nicht systematisch geordnet und gegen einander
abgestuft sind, legt allerdings den Schluss nahe, dass die
Kirche, die bei den Päpstlichen nicht vorhanden ist, bei den
Evangelischen zu finden sei. Allein die sittlichen Anforderungen,
welche schon in der Erörterung von Kreuz und Verfolgung
1) Walch XVI, 27ö4ff. i^ö06.
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73
BITSCUL,
als Merkmale der Kirche auftreten, und dernnflchst direct
ausgefllhrt werden, erklfiren Luthers Zarftckhaltong vor jenen»
praktischen Schluss und bewähren es, dass er den kiitischeu
Gebrauch des richtigen Kirch enbegrriffes nicht überschreitet.
Anders geartete Kundgebungen gehen in der kritischen
Lage des Jahres löa? von Mehinchthon ans. Er ist nämlich
der Ver&sser der beiden Erklftmngen der Schmalkaldischen
Bundesgenossen an den kaiserlichen und an den päpstlichen
Gesandten, iu welchen die Ablehnung des Concils motivirt
wird Von den beiden Actenstücken» welche in den Haupt-
sachen gleichen Inhaltes sind, ist das letztere, welches sogleich
veröffentlicht wurde, ausführlicher auch in der Beziehung^
welche hier in Betracht kommt. Die Lage der streitenden
Parteien, welche durch diese Schrift aufgeklärt werden soll^
wird in ihr natürlich unter andere Gesichtspunkte genommen,
als welche in der Bekenntnisschrift und in der wissenschaft-
lichen £rOrterung Luthers über den Begriff der Kirche ange»
zeigt waren. Allein indem die Darlegung Melanchthons ihrom
Zweck entsprechend ist, so weicht sie grade von der Linie
ab, welche Luthers eben besprochene Schriften inue^n^luilten
haben. Melanchthon nämlich wiederholt die von Luther ab-
gegebene Erklärung, daas die rdmische Kirche nicht die allge»
meine Kirche Christi sei ; aber dieses verneinende Urteil wird
mit aller wtlnschenswerten Deutlichkeit der Behauptung^
untergeordnet, dass die Kirche, in deren Vertretung die Schmal-
kaldiachen Bundesgenossen handeln, die Trägerin der katho-
lischen Einheit der Kirche sei Zur Legitimation dieser
Behauptung wird auf das dem Kaiser zu Augsburg Qbeneichte
Bekenntnis yerwiesen, dessen Inhalt zugleich die reine Lehre
des Evangeliums und der Ausdruck der Uebereinstimmung der
ailgemeiueu Kirche sei. Ks sei das Gebot Gottes und dem-
1) c. R. m, noi. 3ia
>) p. 8S2: „Ampleotimiir bos qnoque conaeiisiim eathoUeae eodesiAe
Christi, 8ed ernnriboB pootificiis boh «tt praeteiendiim nomen ecoleaiM. . .
HU eodeda, qnae doetnnam eviDgelii pimm hostUiter peneqaitor, non
est cafholica eedUaia Christi Nee nos vUiim dotbib dogma inveximna
in ecdesiam» sed eodeeiae catholicae dootrinam renoTamos et iUa-
atnumis."
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DIB KSrmrEUUNG D£R LOTBEBISCHEN KIBCaBB. 73
nach sittliche Pflicht, an diesem Bekenntnis zu Christns fest-
zuhalten, auch wenn man dadiircli mit dem Papst uneinige
-wird Eine Entscheidung dieses Streites sei einem vom
Papst geleiteten Concil nicht zu überlassen, da derselbe
schwerlich anf eine Prüfung der Lehre ans dem Worte Gottes;
d. h. ans dem Evangelinm nnd den apostolischen Schrillen
eingehen werde. Also die durch die Augsburgische
Confession bezeichnete Kirche ist die katholische,
das ist der neue Schritt, der darch diese öffentliche Erklärung
gäan wird. Es war nn?enneidlich und dem praktischen
Zweck dieser Erklftmng entsprechend, dass die empirische
Anfesigung der allgemeinen Kirche an die tatsächliche Gel-
tung der C. A. geknüpft wurde. Sollte es nun so erscheinen,
als ob diese Gedankenreihe sich zu weit von dem entfernte,
was die C. A. selbst über die allgemeine Kirche bestimmt,
so wird dieser Eindruck nach einem Satze des ersten Acten-
Stockes zu herichtigen sein. Hier wird das gesammte Auf-
treten der rvcuigolischtii Bundesgenossen, also auch ihr An-
spruch, als Anhänger der C. A. die katholische Kirche zu
vertreteij, auf den Zweck bezogen, dass das Evangelium Gottes
nun Heil der Kirche verbreitet werde, damit alle zur An-
erkennung Christi und zur wahren Verehrung Gottes gelangen *),
Hierin ist ausgedrückt, dass die empirische Darstellung der
Kirche in dem Merkmal der mensohliehen reinen Lehre des
Evangeliums demselben Massstabe des Evangelimns Gottes
unterwoifen ist, durch dessen möglichste Wirksamkeit die
^) p. 316. 317: „ Exhibuiiuus Caosaroao iiiaiestati . . . confossionem
^octrinao ; publice in ecclesiis tradi hanc dootrinaiu , quam prolitciuur,
curanmn .... Haec pura evangelii dnctrina, qiuiu aiuplexi suinus, est
haad dubic cousonsas catholicao ccclesiac Christi .... Cum papa daio-
nat veram doctrinaui ecclesiac nccesgariam, cogimur niandato dei di»sen-
tire a papa. Est eiiim retineuda professio verae doctriuac iuita illud
Christi: si qois coufitebitur me coram bominiboA etc."
2) p. 207: „No8 in bac tota causa nihil spectanros, nisi ut gloria
dei et domiiii aostri J. Christi ometiur, ac propagetor evangelinm dei ad
lahitem totiiis eeetesiae» nt quam plurimi homiiies perveniant ad Tenun
sgnitienaii Christi et vero \umon eolant dfoiii. Hanc enim cnltnm deo
«WIM pfaedpiie dcbemiiB, at Terbam eins omni itadio prupagari et iUui-
slfaii ememas."
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74
BITSUHL,
Kirche überhauyit zustande kommt. Allein es liecct doch in
folgenden Punkten eine Veränderung des Gesichtskreises gegen
die C. A. selbst vor. Erstens wird die wahre Kirche em-
pirisch 9xdgei%\g^ während vorher nnr der Begriff der Kirche
als Masflstab jeder empirischen Gestalt derselben anerkannt
war. Zweitens wird der BegrilV der pura evangelii doctriua
materiell und formell verändert. Der Inhalt dieses Titels
wird nicht mehr auf den oben (S. 62) nachgewiesenen Zu-
sammMihang von Gedanken beschrankt, sondern auf alle Ar-
tikel der Confeesion ausgedehnte); formell kommt dieser
richtige Verstand des Hvuugeliums der empirischen Kirche zu
einer selbständigeren Bedeutung als der früher behauptete.
Denn in dem 7. Artikel der C. A. wird der reine Verstand des
Evangeliams nur als das Mittel fdr den Innern Zweck der
Kirche in Betracht gezogen, n&mlieh damit durch das Kvan^
gelium Gottes die Gemeinde der Heiligen hervorgebracht
werde; jetzt kommt die reine Lehre des Evangeliums als
das genugende Untei-scheidungszeichen der empirischen Kirche
gegen eine falsche Kirche zur Geltung, also zu einem äussern
Zwecke. Drittens aber hat Melanchthon, indem erdieAn<p
sc'hauung der empirischen activen Kirche entwirft, ein charak-
teristisches Merkmal derselben entdeckt, welches die C. A. nicht
aufstellt, nämlich dass die Kirche, indem sie doch eigentlich
durch das Wort Gottes erzeugt wird, ihre Bestimmung in
der gemeinsamen Verehrung Gottes findet Diesen Ge*
danken hat er fortan nicht mehr ans den Augen verloren.
Am vorliegenden Orte ist er noch besonders ausgezeichnet
durch die Anwendung darauf, dass die active Verbreitung des
Wortes Gottes als Hauptgeschäft der Kirche ein Glied in der
Verehrung Gottes selbst ist. Auch Luther hat das Gebet
unter den Merkmale9 der Kirche in der oben berflcksichtigten
1) p. 316: ,,Po8tquam apud no8 evulvi ductrina cliristiana coepit de
Vera poenitentia, de fide, qua consocjuimur remissioiK m j>eccatorum, de
spirituali iustitia, de vere bonis operibus et veris cultibus, de usu sacra-
mentoruui , de potestat/' occlcsiastica , de diseriniiiie et usn traditionum,
de dignitate rernm civiliuiu deque aliis multiH IucIb, coiistat plurimum
lucis evangr-lio ex scriptis nostrorum aoceasisse.'' Dies« Themata sind
aber auch der iuhalt der C. A.
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DIE ENTSTEHUNG DES LE^XHEBiaCHEN KIRCHE. 75
Schrift aogeftthrt jedoch hat er es nar als ein Merkmal
neben anderen nnd deshalb nicht in dem ganzen Werte er-
kannt, welcher ihm für den Betriff von der Kirche zukommt.
Es wird sich nun zeii^on, zu weU her Bedeutung dieser
empirische Bo<2^riff von der Kirche in Melanchthons Gedanken-
kreis gelangt ist, und welchen Einfluss er anf den Entwick-
Inngqgang der evai^lischen Kirche gewonnen hat Deshalb
konmit es darauf an, die Umstände genau zu bezeichnen,
unter denen die Veränderung der leitenden Anschuuunj^ von
der Kirche f^r Melanchthon selbst erfol.^ ist Ausser allem
Zweüel ist es mm, dass die jetzt zuerst öffentlich ansgesprochene
Trennung der evangelischen Kirche von der römischen, aJ^MX
die Abgrenzung jeäer nach aussen, nur durch solche Auf-
stellungen bewirkt werden konnte, wie sie in den besprochenen
Documeuten vorliegen. Der Widerspruch zwischen beiden
Parteien in dem Verständnis des Wortes Gottes, in der Be-
stimmung nnd der Gestaltung der Kirche konnte am toU-
sttndigsten und einleuchtendsten durch die Vei-gleichung der
theologischen Dogmen und der einzelnen Ordnungen des Lebens
durgcstellt werden, welche auf beiden Seiten galten und den
Anspruch au! aosschliessliche Geltung machten. Neben diesem
Einfluss der unmittelbaren geschichtlichen Lsge ist jedoch
noch die persönliche Disposition Melanchthons zu dem Wechsel
der Anschauungen von der Kirche in Betracht zu ziehen.
Diese Bedingung knüpft sich daran, dass Melanchthon nirht
bloss der Theoretiker der lieforiuation, sondern schon durch
die Art seiner Loci tbeologici« noch mehr aber als Yei&sser
der C. A. ihr theologischeir Vertreter nach aussen geworden
war. In jenem Werke ist die theoretische Entwicklung der
Gedanken immer mit Polemik durchsetzt; die Verbindung
der thelischen und der antithetischen Lebrzwecke ist nicht
derart 9 dass diese als die geordneten Mittel für jene ver-
wendet werden; sondern die dogmatische Denkarbeit selbst
1) Bei Walch Bd. XVI, 8. 8808: „Zum seohBtea efkennt mao das
«hristiiehe Volk am Ctebet, €k»tt bbaa und danken dffeatlioh. Denn wo
da aiflbeat oder hörest, dass man das Vaternaser betet, anoh Ftalmen
md geistliche Lieder singet nach dem Wort Gottes nnd rechten Glanben,
da wiese gewiss, dass da ein heilig christlich Volk Gottes sei."
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76
EITäCHL,
ist immer polemisch afficiii;, und deshalb mit einer solchen
Unruhe behaftet, wie es Melancbthons DarateUiuig kondgiebt
Das Oe^trage der Au^burgischen Gonfession ist davon ver»
schieden ; in ihr beherrscht der positive Zweck der Sammlung
der eignen Ueherzeugung die polemische Lage, in welcher
dieses Geschäft seinen Anlass findet. Aber es ist nicht wahr-
scheinlich, dass Melanchthon selbst einen bleibenden Eindruck
dieser Verschiedenheit semer Schriften aufgeftsst hat Denn
die politische Lage brachte es mit sich, dass er an der Augs-
bui*gischen Confessiou ebenso stark ihre abwehrende wie ihre
sammelnde Bestimmung emp&nd. üeberdies liegt ein Zeugnis
von ihm selbst darüber vor, dass er keinen Abstand zwischen
der hflndigen Form der Oonfession wid der polemisch- raison-
nirenden Art seiner Apologie derselben wahrnahm, nnd dass
beide Schriften ibrn zugleich als Diu Stellungen der Loci theo-
logici erschienen Wie wird es nun werden, wenn Melanch-
thon, in dieser Unklarheit der Empfindung über seine eignen
Arbeiten, vorherrschend eingenommen durch die Anlfisse zur
Polemik, ond dadurch an der rahigen Verfolgung der dogma-
tischen Probleme verhindert, denjenigen Gesichtspunkt, welcher
die Kirche nach aussen zu vertreten geschickt war, auch als
den zureichenden Massstab für die inneren Beziehungen der
Kirche verwendet? Wird die Lehre von der Kirche correct
bleiben, wenn das Lehrbekenntnis, die pnra doctrina evan-
gelii, welche die wahre Kirche von der fhlschen unterscheiden
lässt, anstatt des Evangelium dei zum Innern Ma^^sstabe und
Grunde der wahren Kirche erhoben wird? Melanchthon würde
sich vor diesem demnächst erfolgenden Schritte bewahrt haben,
wenn er in der Lage gewesen wäre, bloss als Dogmatiker den
reinen Verstand des Wortes Gottes aus der heiligen Schrift
zu tiiuittehi, und dadurch die oberste Bestimmung der Kirche
zur Verehrung Gottes zu begründen. Gelegentlich hat er
auch in musterhafter Weise vermocht, den Abstand zwischen
1) In der Vorrede zur ersten Atwgabo beider Schriften (C. R. 11.446)
heint es : „ Speramus ounnes pmdentes viros his libeUia leoti« inteUectnros
esse, qnod nulluni do^a contra aiictoritat< m scriptlinie sanctae et ca>
tholicae ecclesiac proftteamnr , sed quod nostri . . . pfaecipnis locia
docttiDae christiaiiae lumen attaleriDt."
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DIE EirCBTEHDNG DEB LUTHEaKISGHEN KIRCHE. 77
dem Worte Gottes und den Mitteln der menschliehen
Lehrweise inneznhalten, wenn es ibm gelang, die nrsprüng-
liehen reforraatorischen Gedaiikeu zu beachten, dass der In-
halt des Wortes Gotte der Gnaden wille ist und die Offen-
barong Christi in seinen Wohltaten besteht Dann erreicht
er einen deutlichen Untetschied zwischen seiner menschlichen
forma doctrinae chrisUanae und jener coelestis doctrina, welche
in den biblischen Urkunden gegenwärtig ist Aber die-
jeuii^'p Ruhe der geistigen Arbeit, welche zum erfol|d^reiclien
Betrie}>e der systematischen Theologie gehört, hat ihm stets
gefehlt Deshalb hat er sich nidit klar gemadit, dass das
lockere Oefftge der Loci theologici eine fBac die vollstfindige
Theologie ungenügende Form ist; deshalb ist es ihm nie ge-
lungen, die polemischen Aufstellungen derjenigen Gedankon-
entwicklung unterzuordnen, welche den aus der Sache selbst
entspringenden Bedingungen folgen würde. Unter diesen Um-
ständen hat es ihm niemals an einer pr&cisen Formel gefehlt,
um Gegner der Beformation zurechtznwmsen. Allein wenn
die iiuu'ieu BezieluniLcen des reformatorisclien Begriffes von
der Kirche daran hängen , dass der formelle Gegensatz zwi-
schen dem verbum dei und der pura doctrina evangelii,
und der Wertunterschied beider Eactoren mit aller möglichen
ScbSife festgestellt werde, so nimmt man in halbprivaten
Aeusserungen Melanchthons schon sehr Mhe die üngenauig-
keit wahr, dass er die Glauljensartikel direct als lien Gegen-
stand der Predigt an die Stelle des Wortes Gottes oder des
Evangeliums zu setzen liebt
1) Epistola mmcnpatoria pnemisBa CommeutariU m ep. Pauli ad
Bona. (1&32), 0. R. II, 611: „NnUus deo gratior coltos ezMberi pot»t,
quam Studium cognoscendae coelestU doctrinae. Haec est vere Xoynt^
XatQiia veibum dd cognoscore .... Quam possent habere piae mentes
firmam de dei voluntate eententiam, n hie ludue penDisBUB esset inge-
HÜB? .... Christi benefida Ulustra?!, quantum potui, quod nid lecte
cognoacatnr, Terus cultue eidstere nullus potest .... Postquam retus
doctrinae forma, quam in eededam monachi invexerunt, nunc senesdt,
ratio ineatur, nt ad posteritatem certa quaedam forma doctrinae chrl-
stianae traaamittatur."
<) Dies geschieht in verachiedenen Entwürfen Uber die Frage, ob
ausser der Confesston noch andere Artikel auf dem Augsbniger Beichs-
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78
Die Protestanten konnten den Ansprach, dass ihre Kirche
die katholische seit nvur in ziemlich ungenauer Art beweisen.
Fflr nnsere nachtrli^licheGesehichtsb^trachtnu^ ist es ja klar,
dass die lutherische Rechttertignngslelire die Formel für eine
Gedaukeurichtung ist, weiche in der abendländischen Kirche
von jeher als Gorrectar des entgegengesetzten Dogma bemerkbar
ist. Ferner kann es nur bestätigt werden, dass die hanpt»
sftchlichen Institutionen der römischen Kirche verglichen mit
dem kirchlichen Altertum Neuerungen sind. Indem die Pro-
testanten diesen Masssbib geltend machten, konnten sie in
manchen Beziehungen grade ihre Neuerungen als den alten
Bestand bezeichnen. Jedoch gehörte ein starkes Vertranen
auf die ünbekanntschaft der Gegner mit den kirchengeschicbt-
lichen Urkunden und eine leidliche Dreistigkeit in der Aus-
nutzung derselben im eignen Interesse dazu, um die Behaup-
tung der Katholicität durchzusetzen. Wenn es deu Protestan-
ten gelungen ist, diese Position im Augsburger Heligions-
Meden reichsgesetzlich zu bewähren, so ist dieser Fall eine
Probe davon, dass grosse kirchliche Begebenheiten ebenso
wenig durrli die rechtliche Geltung eines liekemituisst s'', wie
das römisch-katholische war, gezügelt werden, wie grosse po-
litische Umwälzungen vor völkeiTechtlichen Verträgen zum
Stehen kommen. Allein das hauptsächliche Aigument ffir den
katholischen Charakter der evangelischen Eirchenbildung war
die Anerkennung der durch die ökumenischen Synoden fixirten
Dogmen von der Gottheit Christi und der Dreieinigkeit Gottes,
welche nicht bloss eine gesichertere Autorität besasaen als alle
taige za steUen oder an welchen ArtÜnbi imbedmgt festgdialten werden
mfiBse. C.B.IT, 182: „Dieweil die Fücsten von den nötigen Lehiartikdn,
die 5flfantUeh in ihren Landen dem Volk gepredigt werden, ihr Bekennt-
nis getan haben*' n. s. w. — p. 282: „Dass man die Lehre, wie bisher
bei uns gelehrt, von den Artikeln des Glanbens, von guten V^ericen nnd
TOD chnstlichor Freiheit, laut unserer eingelegten Bekenntnis und Con-
fession frei behalten und predigen möge." — p. 298: „Dass zu wahrer
Eini|[;keit der Kirche nnd des Glanbens nicht not sei (ileichbeit mensch-
licher Satzungen, sondern Gleichheit in Artik In des Glaubens und Branch
der Sacramente/' (Vgl. d' n lateinischen Text einer fast gleichlautenden
Znsammenstellung II, 377 oben S. 61, Anm. 1.)
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DIE EasmtEBUSQ DEK LmHEBISCHEN KIBCHE. 7^
dogmatiscfaen Erteugniase des Mittelalters, sondern anch Gnind-
geäetze des heiligen römischen Reiches bildeten Tatsäch-
lich hatte die reformatorische Bewe^iiig diese anerkannten
Grundbedingungen des kirchlichen Bestandes unbpnihrt u^e-
lassen. Melanchthons oben (S. 63) angefahrte Bemerkung
darfiber, was Erkenntnis Christi sei, stellt allerdings eine Ver-
änderung der überlieferten Lebre in Aussicht; allein sie ist
in ilieser Hinsicht zunächst und auf hinge hinaus vollkommen
wirkungslos geblieben. Viehnehr hatten Melanchthon und
Luther in ihrem Kampfe mit den Gegnern alle Ursache, ihre
Anerkennung jener Glaubensartikel sehr absiobüich henror-
zaheben. Dieses geschieht z. B. im Eingange sowohl des
Au^sburgischen als des Sehmalkaldisclien Bekenntnisses, aber
auch in einer Menge anderer Aeusst^rungen der Ket'ormatoren.
Es ist auch wirklich eine Probe für den katholisch-kirchlichen,
nidit hftretisehen Charakter der Beformation, dass dieser Um-
fing von Vorstellungen f8r ihre Vertreter nach Ueberliefemng
feststand, un»! dass sie deren Uebereinstimmung mit ilirer
speziellen Veränderung der Heilslehre und njit dem Wort-
laute der heiligen Schriften ebenso wenig bezweifelten, wie in
Untersuchung zogen.
Diese Umstände kommen mit in Betracht, damit man
verstehe, wie Melanc litlion in der Frist von der Abweisung
des Concils bis zu Luthers Tode (1537 — 154G) seinen Begriff
YOn der Kirche weiterhin verändert hat. Diese Veränderung
besteht darin, dass das Merkmal des tbeologisdien Lehrbegriffes
oder der rechten Ghiubensartikel, welches zur Unterscheidung
der wahren von der falschen Kirche gedient hat, demnächst
zum Hauptmerkmal jener erli<>lM>n, oder als der Grund der-
selben bezeichnet wird. Wir Stessen hier zunächst im Jahre
1639 auf seine Schrift „De ecclesia et auctoritate verbi
dm*' IMeselbe ist nun nicht wie die gleichzeitige und fiist
gleichnamige Schrift Luthers zur Abgrenzung gegen die römi-
sche Kirche bestimmt; ihre Absicht gelit vielmehr in der
grade entgegengesetzten Kichtung auf die Abweisung von
') Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung Bd. I, S. 181 — 138»
«) C. R. XXIII, 595—642.
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%0
BIT8GHL,
Servet. Dieser Mann nämlich hatte Melanchthon in der Vor-
anssetzong gestört, dass die altkirdiliche Formel fftr die Per-
son Christi nnd der Wortsinn der nentestamentUchen Schriften
sich decken. Jener hatte oreltend gemacht, dass keiner nach
der grammatischen und logischen Erklärungsart im Anfang
des Johaunueischen Evangeliums das Wort Gottes als die
zweite Person der Dreieinigkeit erkennen werde. Dadurch
sah sich Melanchthon bewogen, auf die Autorität der Kirche
zu reflectiren, welche die letztere Erklärung gewährleistet.
Aber er konnte sich diese Entscheidung nicht abgewinnen,
ohne sie mit der bisher vertretenen Ansicht von der Kirche
auszugleichen. Bemerkenswert ist nun, dass er zunächst hinter
die zuletzt gefundene empirische Betrachtung der Kirche
auf die Linie der C. A. zurfickgeht. Die Kirche bezeichnet
er im Eingang jener Schrift als die Genieinscliaft der wirk-
lich Gläubigen, welche das Evangelium und die Saciumente
haben, durch den heiligen Qeist geheiligt werden, und nicht
an bischöfliche Succession gebunden sind. Aber diese Kirche
steht nicht immer in gleichmässiger Bifite, ihre Iiehre ist
bald mehr bald weniger rein und durchsichtig. Dieses will
er niclit bezogen wissen auf die Geltung von falschen und
gottlosen Lehren, wie Todteumessen, Gelübde, Heiligenver-
ehrung, welche aus dem Kreise der Gottlosen hervorgehen, die
in der Kirche den Gläubigen beigemischt sind. Die Trübung
der rechten Lehre, welclie und) wirklich Gläubige, wie Am-
brosius, Hasilius. Cvprianus au>ül)en können, erkennt er z. H.
in der Wertlogung auf das Quadragesimalfasten, das Monchs-
leben, die kanonischen Gebetsstunden. Diese Einrichtungen
sollen die Stoppeln darstellen, welche auf den legitimen Grund
der Kirche aufgetragen werden können, und die reine Lehre
von den Wohltaten Christi und vom Glauben verdunkeln,
welche aber das Fundament nicht umstürzen. Dieses ist eine
Ausführung der bekannten Betrachtung in der Apologie, welche
auch bei Luther in der Schrift „Von Ck)ncUiis und Kirchen
vorkommt. Aber indem Paulus selbst als das Fundament der
Kirche Christus in Person bezeichnet, das heisst die von
Christus ausgehende Wirkung, welche in dem religiösen Glau-
ben der Gemeinde angeeignet wird, und indem Luther und
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DIE ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIRCHE. 81
Ifelanelithon in der Apologie kein anderes Yersiftndnis des
Textes kundgeben, so hat Melanebtlion jetzt eine andere Er-
klärung? gefunden: „Fundamentuni intelli^it Paulus articulos
fi(iei, hoc est summam doctrinae christianae et doctrinara de
beneficiis Christi'' (p. 600). Die beiden Glieder, die hier
innerhalb der Glaubensartikel nnterschieden werden, nämlich
4er Inbegriff der christlichen Lehre nnd die Lehre von Christi
TN'uhltüteu, bt'zeichuen den alten in der Kirche unverfälscht
erhaltenen Lehrbestand der allgemeinen Synoden und den
neuen dogmatischen Ertrag der Reformation. Diese beiden
Gruppen der Lehre achtet nun Melanchthon als flbereinstim-
mend mit dem Evangelium; und die evangelische Kirche,
welche an beiden festhält, soll demgemäss als die rechte be-
zeichnet werden durch den Spruch des Paulus: Wer ein
anderes Evangelium lehrt, sei verflucht. Am Schlüsse der
Schrift (p. 642) wiederholt er die Behauptung, dass die reine
Lehre des Evangeliums oder die übereinstimmende Meinung
der katholischen Eirche von den evangelischen Kirchen be-
kannt werde, und knöpft daran die Folgerung, dass alle
Frommen sich durch Gesinnung und Bekenntnis dieser wahren
Eirche anznschliessen haben. Endlich während in derselben
dem Worte Gottes das oberste Ansehen gebfirt, so wohnt doch
auch der dem Worte Gottes getreuen Eirche eine gewisse
Autorität bei (p. 603). Diese nun entscheidet gegen Servet,
dass im Johanneischen Evangelium das Wort Gottes als
die trinitarische Person des Sohnes zu verstehen sei. Indem
man aber auf diese Weisung der Eirche achtet, gehorcht
man nicht einer selbstftndigen Autorität derselben über den
Glauben, sondern überzeugt sich, dass alle übrigen gleich-
artigen Schriftzeugnisse denselben Sinn haben, dass also die
Irinitätslehre durch die Kirchenväter von den Aposteln über-
nommen ist*
Diese Schrift über die Eirche läset einen grossem Ab-
stand der von Melanchthon unternommenen empirischen Be-
trachtungsweise von der in der C. A. eingehaltenen Linie
erkennen, als die Documente von 1537. Praktisch ist es
freilich folgerecht, dass alle Frommen angefordert werden,
nch der evangelischen Eirche anznschliessen, wenn diese die
bitsehr. t K..a. 6
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82
SITBCBL,
wirkliche katholische ist Im nfiohsten Jahre (1540) nahmen
die zu SchmaLkalden versammelten Theologen Anlaas, dieeen
Ornndsatz dnreh Melancbthons Feder anch Öffentlich geltend
zu machen % iodem sie vor Srliweukfeld, Frauk u. A. wara-
ten, die sich vom Papsttum losgesagt hatten, aber uieht zur
evangelischen Kirche getreten waren, deren ordentliche Ein-
liehtongen sie scheel ansahen. Die genannten Mftnner nnd
die „ Skeptiker**, die mit ihnen zosammengesteUt werden, waren
allerdings nicht geeignet, an der rechtlichen Einrichtung der
evangelischeu Kirche mitzuwirken. Ks giebt eben einmal
Allesbesserwisser, welche durch keine menschliche Ordnung
befriedigt werden. Aber man darf wohl fn^en, ob die fie-
Stimmungen in der Schrift „De ecdesia*' jenen Mftanem ztt
imponiren vermochten, deren religiöse W&rme nnd Energie
durch eine möglichst idealistische Ansicht von der Kirche,
oder was bei ihnen dafür eintritt, vom heiligen Geist oder
Innern Wort bedingt war. Diese Massst&be veigegenw&rtigeD
jenen Männern stets die unmittelbare Einwirkung Gottes auf
alle Menschen, welche zur Kirche m reebnen waren. Me-
lancbthon aber, indem er die Glaubensartikel zum Fundament
der sichtbaren institutionellen« Kiiclie erklärt, lässt dieselbe
wesentlich als das Product der Menschen, nicht Gottes
erkennen. Diese Auskunft bezieht sich also auf die inneren
Beziehungen der Kirche zu sich selbst. Wir haben zu er-
gänzen, dass, indem die Menschen zuerst dadurch Kirche sind,
dass sie sich in der Erkenntnis des Inhalts der Glaubens-
artikel und in ihrem Bekenntnis vereinigen, sie auf diesem
Grunde ihre gemeinsame Gottesverehrung ausflben, die ohrist-
Heben liebespflichtm gegenseitig austauschen, für die Ver-
breitung des Christentums sorg^Mi u. s. w. Die Art dieser
Tätigkeiten, ihr Wert und der Antrieb zu ihnen haftet aber
daran, dass die Menschen zuerst die Glaubensartikel Lroinoin-
schaftlicb bekennen. Diese Betrachtungsweise nun ist der-
jenigen entgegengesetzt, welche in der 0. A. befolgt war,
dass die Kirche zu allererst als ein Erzeugnis der göttlichen
Gnade zu erkennen und zu glauben sei. Dieser Gedanke ist
1) C. B. 988.
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DIE ENTSTEHUNG DER LUTHEKLSCUEN KI&CHE. 83
f^ilich hier Dicht eüminirt; aber erst nachträglich wird
naclige wiese II, dass im Hintergruude der beschriebeneu Kirche
auch die göttliche Gnade in dem Worte Gottes wirksam ist,
wdches dea Stoff der GlaubeBsartikel bildet, oder wenigstens
m der Lehre von den Wohltaten Christi vergegenwärtigt wird.
Denn der andere Teil der GlanbensartiM , der Bestand der
altcu S)mi)ole, hat, auch weuu er durchaus in der heiligen
Schrift überliefert ist ^) , doch ein eiitternteres und nur in-
directes Verhältnis zu dem Worte Gottes oder Evangelium,
dem Organ der gOttliehen Heilswirkang. Wird dieser Ab-
stand innerhalb der Glanbensartikel selbst nicht deutlich em-
[tfimdon, SU erklart sicli iliubes aus dem jetzt hervortretenden
amphiboliöchen Gebraucli von „Wort Gottes", welches bald
den offenbaren Gnadenwillen Gottes, bald den Umfang der Ur-
konden der Offenbamng bedeatet
Hieran aber knQpft sich die erheblichste Yerschiebnng
des Begriffs von der Kirche. Dass die patristische Lehre
von der Trinität von den Aposteln überliefert ist, müsste
durch die Auslegung ihrer Bücher bewiesen werden. Diese
Auslegoi^ aber mfisste sich an die grammatischen, lexikali-
schen, logischen und historischen Bedingongen des Textes
knüpfen, wnd an nichts anderes. Indem nnn aber Servet nach
diesem Grundsätze dur Jiieforniat<u-en verfuhr, und dadurch
deren Voraussetzung durchkreuzte, dass die Apostel die patri-
stischen Deukformen vorweggenommen hätten, so schob
Melanchthon die Aatorität der Kirche vor, welche jene Yor-
aassetzung schlitzen sollte. Dieser Schritt war unvermeidlich,
wenn aus dem refuriiiuLurischen Grundsatz der Auslegung der
Schrift aus sich selbst Ergebnisse gefolgert wurden, die den
altkirchiichen Dogmen widersprachen, welche von den Befor-
matoren aof Uebwliefemng hin festgehalten wurden. Konnte
man sich damals aus allerlei guten Gründen auf eine Ktitik
der Trinitätslehre nicht einlassen, so ergab sich eben not-
wendig eine Annäherung an den katholischen Kirchenbegriff,
In fltiu Ackiistück gegen Schweiikfeld u. h. w. heinet es: ,,Agno-
sciiüUi^ haec syujboia tradita esse in verbu dei conöcripto per prophetas
«t apostolos" (C. Ii. III, 985).
6»
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84
BITSCHL,
welche schon darin liegt, dass die Glaubensartikel das Funda-
ment der Kirche seia aoUen, aber noch deatlicher in dem
Satee, daas die Aoslegong der heiligen Schrift dnrch Wei«
sungen der Kirche bedingt ist Melanehthon hat sich freilidi be-
müht, dieses in einem andern Sinne zu behaupten, als welcher
in der römischen Kirche hergebracht war. Aber ob die be-
absichtigte Abweichung von deren Gi-ondsatze Stich hält, ist
sehr zweifelhaft Entweder wird die Ton der Kirche aus-
gehende Erinnerung, dass Johannes unter dem „Worte Gottes'^
die zweite Person der Trinität meine, durch die richtige
methodische Erforschung aller einschlagenden Stellen des Neuen
Testamentes doch nicht bestätigt werden. Oder, wenn das Um-
gekehrte erfolgt, 80 ist nicht einzusehen, dass da etwas anderes
vorgeht, als wenn ein katholischer Theolog gemäss der Er-
innerung seiner Kirche findet, dass überall im Neuen Testa-
ment das Abendmahl als Opfer, die Justification als Gerecht-
machung, die Einsetzung von Bischöfen im Sinne der aposto-
lischen Succesaion zu verstehen seL Wenn Melanehthon da-
gegen einwenden würde, dass in der ftlteston Kirche andere
Deutungen dieser Begriffe und Verhältnisse nachweisbar sind,
als welche in der römischen Epoche zust^iidegekommen
sind, so sind auch die Denkformen des Athanasius von den
apostolischen Schriften durch einen abweichenden Verlauf der
Theologie getrennt, der ursprünglicher ist als jene. Endlich
erecheint in diesen Erörterungen Melanchthons die mechanische
Unterscheidung zwischen einem correcten Verlaufe der Lehre
in der altkatholischen Kirche und den daneben auftreten-
den und danach überwuchernden Verfölschungen der Lehre,
welche bei genauerer Erforschung der Geschichte nicht be*
stehen kann. In der fortgesetzten Linie seines Geschichts-
verfahrens steht die Theorie des Calixturf; aber (iiich gegen-
wärtig ist die ^lethode der Dogmengeschiohte über jene fehler-
haften Andeutungen Melanchthons noch nicht hinausgelangt.
Indem ich den von Melanehthon angedeuteten Weg der
kirehengeechichtlichen Forschung als fehlerhaft bezeichne, be-
schränke ich den daran haftenden Vorwurf auf die, welche
noch immer keinen andern Weg einschlaf]ren. Denn Melaneh-
thon hatte grade damals wichtigere Interessen ak die notwen-
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DIE ENTSTEHUNG DER LL'THEKISCIIEN KIRCHE. 86
dige Methode der Dogrmengeschichte zu Tertreteu. Der Kaiser
erölTnete gegen Ende 1039 neue Verhandlungen über einen
Ausgleich, der, wenn er gelang, doch nur darauf hinausführen
konnte, dass die Klarheit der evangelischen Lehrbiidong ver-
wischt nnd die Beinhdt des Gottesdienstes getrflbt würde.
Zugleich nahmen die Reformatoren in der (öffentlichen Mei-
nung die Geneigtheit wahr, auch einen geflickten Frieden an-
zunehmen. Cm so achtungswerter ist die Festigkeit, mit der die
Theologen ^) den in den alten Symbolen wie in der Aogsboigi*
sehen Oonfession und der Apologie bezengtenConsensos der bitho-
lischen Kirche aofirecht erhalten, an dem sie weder eine
Aendernng noch einen Zusatz zulassen wollen. Mit
derselben Entschiedenheit verwerfen sie im Cultus die stillen
Messen, den Messkanon, die Anrufung der Heiligen, die Mönchs-
gelübde, den Cölibat der Priester, die Oommonio sab nna, die
verschiedenen Weihongen von Wasser n. s.w., die Todtenmessen.
Hieron werden als Adiaphora unterschieden die kanonischen
Lectionen, die Priesterkleidung und ähnliclies. Solche Uebungen
werden nämlich vorläufig zugelassen, sobald die Bischöfe gegen
den evangelischen Gottesdienst Nachsicht zeigen; im ent>
gegengesetzten iVUle werden aber auch diese Ordnungen des
Coltiis fOr nnansfllhrbar erUftri
Die Ereignisse der Jahre 1537 — 1540 sind entscheidend
für die Feststellung des kirchlichen Selbstgefühls der Refor-
matoren. Grade die Versuche einer Ausgleichung des Streites
erst durch das p&pstliche Gondl, dann durch die vom Kaiser
angeordneten Religionsgespräche rofen in den Beformatoren
die Erkenntnis und den Eutschluss hervor, dass ihre Kirche
die authentische katholische Kirche, und dass der Lehrbegriff,
in dem sie sich der päpstlichen entgegenstellt, unveränder-
lich sei. Deshalb haben sie in berechtigter Abneigung
üebcTeinstimmender Gedank« imaiig in den zu Anfang 1540 ver-
faästen Actenstücken, in der ,.Coii-ultation, ub die evanjjeliscben Fürsten
einen weltlichen Frieden mit den Bischüteii annehiueii sollen '* (C. R.
III, 927), und in dem von Melaiiclithon verfassten Scbreibtii Conciona-
toribus Norimbergensibus (III, ^»5b). Zu vergleichen ist auch der Be-
scheid der Schmalkaldiscben Bandtägenosseo an die kaiserlichen Gesand-
ten (UI, 990).
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66
JUT8CHL,
gegen die Beligionsge^zäche zu Worms und liegensburg sich
anadrücklich YOKgeDommeo, nicht erneu Vergleich auf Kostoa
ihm UeberzeHgiug eiiusugehen, vielmehr die Gegner rar Aih
erkenniing 4es Becbtes ihrer Lehre zu bringen Und Me-
knchthon, dev zu Worms und liegensburg das Wort führen
musste, hat damals unter den scbwiexigsten Umständen eine
Festigkeit •bewiesen, welche ebensowohl m seiner Cbanüdie*
ristik dienen dfirfbe wie der Katalog der FftUe, im welehen er
sich vorgeblich dnrch die grandiose Gestalt der alten Kirche^
hat imponiicn lassen. Pei*söulich hat er nicht mehr Zutrauen
zu den Vergieichsverbaadlungen gehabt als irgend ein ande-
rer, vielmehr in einem Privatbrief (au Veit Dietrich, C ü.
IV, 116) dieselben für töricht und gefährlich erklftrt, indem
es das Einfushste nnd Klarste sei, sich anf die Augsburgische
Confession zurückzuziehen und nur über sie Auskunft zu ^^eben,
wenn der Kaiser oder wenn eine Svnode urteilen sollte. Auch
die Anej'kennung, welche Melanchtiion zu Kegensburg Oonta-
rinis DarsteUang der Bechtfiertigungslehre schenkte, venftt
keine Unsicherheit im „Bekenntnis^*. Jene Formel war ein
Compromiss, zu doppelter Auslegung bestimmt und geeignet,
aber überwien^end evangelisch. Wenn der Kurfürst und Luther
aus der Ferne sie trotzdem mi8billiu:ten, so waren sie in ihrem
Recht; Meianchthon aber war mit seinem Verfahren nicht im
Unrecht; denn sn welchem Zweck konnte ihn sein Landeshenr
nach Kegensburg schicken, als höchstens dazu, dass das Mass
der möglichen Annäherung beider Parteien ermittelt werde?
Und Contarinis Darstellung ist die wertvollste Urkunde dafür,
dass, die Bechtfertigungslehre der Beformatoren dem religiösen
2age der abendlftndischen Kirche zum richtigen Ansdmck
verholfen hat*). Auch die Annahme der vier ersten Ar-
ij P>caeiikeii auf den Tag zu Worms (C. R.III, 1158): »Und ist auch
in alle Wege anzuzeigen, wie wir in diese Unterrede trrtf n, dass wir die
Vergleichiuig nicht verstehen für dinen Abfall odor Defection, sondern
haben nns derhalben eingelasneu, dass wir hoffen» so wir mit Jjeutcn, die
eines guten Gewinens, handeln würden. das8 man befinden würde, dass
die Jjchr in unseren Kirchen recht sei, dadurch dann Kais. Maj. besser za
berichten, denn bisher gescbeben, and alsdann möchten Wege gssaoht
«Ferden zur Einigkeit.''
s) Lehre Ton der BechtfertigtiDg nnd Versöhniing Bd. III, & 125.
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BEB ENTSTEHtJMO DKR UTCHBRISCHEN KIBCRB. 87
tikel das «„Begensbarger Baches** über den Uistand der
Menschen, die Freiheit des Willens, Ursprung der Sflnde
und Erbsünde hat den Sinn des CJompromißses , da sie, wie
Melau ehtliou sagt, richtig verstanden so hingehen koimten.
Hingegen in allen übrigen Streittiagen hat er damals nichts
üacbgegeben.
Die Haltung Melanchihoiis auf diesen BeügionflgeipicheB
irar also unter den schwierigsten Terhfiltnissen durchaus cor»*
rect und charaktervoll, üeberhaupt erscheint er in dieser
£poche auf der Höhe seiner Leistungen. Deshalb ist sowohl
ftr seine damalige Stellung als auch für seine Einwirkung
auf die folgende Generation der Theologen die Verfinderang
der Lehre von der Kirche wichtig, welche w in der neuem
Ausgabe der Loci von 1543 vornahm. Er hat nämlich jetzt
<len seit 1557 praktisch gewordenen empirischen Begriff von
der evangelischen Kirche an die Stelle der kritischen Behand^
Iniig des Gegenstandes gesetzt, welche in der Ausgabe tob
1535 mit der Augsbuigischen Oonfession und der Apologie
Ubereinstimmte. Man kuun nun IVeilicli nicht behaupten, dass
-die neue Lehre von der Kirche das Gepräi^^e reilrr Ueherlegung
und zweckmässiger Anordnung an sich trägt. Es kann nämlich
fttr die dogmatische Darstellung irgend einer christlichen Lehre
luehtB fttaler sein, als wenn sie unter dem vorherrschenden Ein»
fluflse des Fehlers einer fremden Darstellung steht. Dann ffthit
der Trieb der Abwehr des Fehlers sicher zu einer schiefen
Anschauung des Ganzen, welches begriü'en werden soll. Me»
landithoB nun beginnt den locus de ecdesia ^) mit einem
AusfeU gegen die schon 1540 behftm^ten Skeptiker und In^-
dividualisten, die sich mit einer nnsichtbaren Kirche begnügen,
und erklärt, dass er die Kirche nur als die sichtbare ins Auge
fässe. Die seit 1537 von ihm eingeschlagene Betrachtungs-
weise, welche aus dem praktischen Geg^isatz gegen die
vOmiBche Kirche und m^ich ans der theoretischen Analogie
mit deren Anftreten entsprungen war, ist ihm jetzt deshalb
massgebend, weil sie sich am weitesten von jenen Skeptikern
entfernt Dabei bat er aber übei-sehen, dass das Prädicat der
1) C. B. XXI, 825.
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88
BITSGHL,
ünsichtbarkeit auch von Luther der Kirche beigelegt worden
war (8. 0. S. 68), uud doch wäre es die Aufgabe des Dugma-
tikers geweeen, die BedeatnngeQ des gleichlautenden Aosdnick»
zu nnterecheiden. Hfttte Melanchthon diesen Weg eingeschla-
gen, so wäre er auf den religiöi^eii Begriff von der Kirche
zurückgeführt worden, dem er selbst früher Ausdruck ver-
schafi't hat. Der blosse Gegensatz gegen die Skeptiker hielt
ihn aber bei der empirisdi-praktischen Beechreibnng der Kirche
znrfick; er ist zDgleich in dem Eingang der DarsteUnng so
wenig Herr derselben, dass er nur in verschiedenen Anlftnfen
die Merkmale zusammenbringt, auf welche es ihm ankommt.
Die Sätze lassen sich so zusammenstellen: „£cclesia visibiU^
est coetns Yocatomm, id est profitentium erangelinm dei^
— nbi sonat vox evangelii et ministerinm evangdii conspici-
tur, per quod patefecit se dens et per quod est efficax, —
ubi articuli fiilei recte docentur et non defenduntur idolft,
et ad hanc ecclesiam nos adiongamus et noetram invocatiouem
et confeecdonem ipains piecibus et confessioni aggregemns, —
in quo coeta tarnen mnlti snnt non renati, sed de vera do»
ctrina consentientes.*^ Die wissenschaftliche Genügsamkeit
^lelauchthons hat ihm gestattet, diese Merkmale ohne alle
Ordnung aufeinanderzuhäufen; wenn mau an ihn die Fragen
stellte, welches das Wesen nnd was der Zweck der Kirche
sei, so können dieselben ans diesen Sätzen nicht beantwortet
werden. Die Einheit der Menschen als Kirche ist nnr nach
gewissen gleichartigen Erscheinungen bcuiesseu; innerlich sollen
sie von ungleicher, ja ent<:pgengeset7ter Art sein. Warum sie
trotzdem äusserlich zusammen sind, wird nicht erklärt. Sofern
nämlich die Kirche ein Gebiet göttlicher Wirkao^en sein und
daran ihren Wert haben wird, so ist das aetive Bekenntnis
zu dem Evangelium oder die Anerkennung der Glaubensartikel
dagegen gleichgültig; denn dieses Merkmal wird gleichmässig
beiden Massen beigelegt, den Gläubigen und den Unwieder-
geborenen. Die Beziehung der so beechaffenen Kirche auf Gott
wird also nor durch das Bestehen des Predigtamtes in ihr
bezdchnet, nämlich dahin, dass Gott durch die Personen»
welche dieses Amt üben, also den Gnadenwillen Gottes unter
den rechten Bedingungen zu vernehmeu geben, Heüswirkuug
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DIE JiaiTSTEHUHG DER LUTIlERIisCliEN KIRCHE. 8»
auf einen Teil der Eirchenglieder ausgehen Ifisst. Wenn
weiterhin gefragt wird, wo diese Kirche besteht, so lügt Me-
lanchthon hinzu, in derselben Weise, wie es in der Schrift
„De ecclesia" der Fall wv» dass die päpstliche Herrschaft
die falsche Kirche, die wahre aber da sei, wo das fundamentam,
qaod est Jesus Christas feststeht „Hoc dicto complectitur
(Paulas) cognitionem incormptam omnium articulorum fidel
et prohibitionem idolorum.'' Und so sehr überwiegt die Auf-
merksamkeit auf diese theoretische Function der Kirche, dass
TOD dem rectus nsos saeramentoram nar beil&ufig die Bede
ist Endlich ist auch das Merkmal der Gebetsanrufting Got-
tes, das fortan in allen Äeassemngen Melancbthons über die
Kirche uns begegnet, f^iu'lc in der vorliegenden Darstellung
ohne die gebüreude Betonung geblieben. In einer fast gleich-
zeitigen akademischen Kede (1644) de in?ooatione dei erklftrt
er freilidi die christliche Gottesverehmi^ für das Merkmal,
das die Kirche von allen Völkern nnterscheidet, und am
deren willen erst die richtige Gotteserkenntnis in der Kirche
notwendig ist Das ist ein Gedanke, der für die Lehre
von der Kirche den höchsten Wert hat. Aber nicht nur
hat Melanchthott denselben niemals gründlich verfolgt, sondern
am wenigsten ist er in der vorliegenden Lehrdarstellang dar-
auf bedacht gewesen, das Merkmal der Glaubensartikel dem
der Gottesverehrung als das Mittel unterzuordnen. Vielmehr
gilt ihm jenes Merkmal so entschieden als das Fundament
der Kirche, dass er den^mfiss die Kirche, welche nicht ein
Staat sein soll, als eine Art von Schale begreift').
Dieses Ergebnis ist einer sorgfältigen Betrachtung wert.
Die Formel ist der folgerechte Ausdruck eiuer Gedankenrich-
1) C.B. XI, 669; cf.XII,8: „Verae dootrinae adaereratio neeeosaria
ad agnitioiiem et inTocatiooem.*'
^ C. R. TU, 836: „Conoedendiim est« ecoleaiaiD esse eoetom visi-
ISUm, neqne tarnen eaae xegDom pontificiun, aed ooetm dmilem seho-
lasüeo coetni. — Erit aliqnia riribilia coetiu eecleaia dd, aed nt eoetoa
leholastieiia; est oidOi eat diserimen inter dooentea et anditovea."
XII, 867: „CooBpidtiir eeelesia nt hooeata aiiatooratia aen pina oido do>
«eDtimn et diaeentiom cbiiatiaoaoi eateehesin, qm diapenoa eaadem tarnen
verae dodrinae et j^ae invocattonia vocem sonat"
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90
BIT8GHL,
tung, deren frühere Spuren nachgewiesen sind. Der Fehler,
der in diesem Satze handgreiflich an den Tag tritt, entapringt
znnftcbst aus folgendem Irrtnm. Indem das Merkmal des
schulmüssigen richtigen Lehrbegrifts am geeignetsten war,
zwischen der wahren Kirche und der falschen unterscheiden
zu lassen , hat Melanchthon gemeint, dass er auch als das
«ntscheideude Hauptmerkmal, ja ak der wesentliche Grand
för den Innern Bestand and Zosammenhang der rechten
Kirche anzusehen sei. Aber wenn die schul mässig aus-
geprägte Lehre dazu hiureiclit. den Wert der rechten Kirche
nach aussen zu vei*treteu, so lolgt doch daraus nicht, dass die
Kirche an und fllr sich eine Abart von Schule sei. Nun bleibt
fi«ilich dieses Eigebnis immer behaftet mit der Nachwirkung
des ursprünglichen Begriffs von der Kirche, also begleitet TOn
der Behauptung, dass Gott durch die Predigt seines Wortes
in der empirischen Kirche heikmässiges Leben wirkt. Aber
«och diese Gorrectur seines empirischen Eirchenbegriffs macht
Melanchthon meistens dadurch unwirksam, dass er den Unter-
echied zwischen der religiösen Anschauung und der theore-
tischen Formulirung des Glaubensinhaltes, zwischen dem Evan-
gelium als dem Gnaden willen Gottes und der rechten Lehre
als der m'en schlichen Erkenntnis desselben nirht festgehal-
ten hat Dieses ist besonders deutlich der Fall in der so-
genannten „Wittenberger Reformation" (1545), jenem wich-
tigen Document, welches das gesauimte ünternehuicu der
Reformation vor dem Kaiser logitimircn sollte, als derselbe
damit umging, seine eigne Ordnung der Kiiche aufzurichten,
und welches für die späteren evangelischen Kirchenordnungen
den Typus abgegeben hat. In dieser von Melanchthon deutsch
und lateinisch verfassten Schriffc ist der Gebrauch der ein-
schlagenden Begriffe von Gottes Wort und kirchlichem Lehr-
bekenntnis und dergleiclieu durchaus verworren Aber so
1) C. K. V. 580: ..Gott hat ddi in gewinen Zeugninen geoffienbtt^
und t in b > ndere Lehr nnd Wort gegeben und dtmn aetn recht Erkennt*
nis gcbundon . dasR diejenigen sollten eme Eifche sein, so dieselbe seine
Lehre uikI Wort lehren, lernen, annehmen und bekennen werden. Und
hat sich also nach dem Fall geoffenbaret, dass er wolle seuisn Sohn sen-
den nnd durch denselben Vergebnng der Sünde, Gnade, Gerechtigkeit nnd
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DIE ENT8TEHÜNQ DBR LUTHERISCHEN KIRCHE. 91
viel ist klar, dasB der Scfawwponkt des kirdblichan Selbst-
gcUBhls aueb in diesem Actenstfick in das Bekenntnis äet
Kirche und nicht mehr in das Evangelium Gottes i^elci^t wird.
Diesem Umstand aber entspricht die Formel, dass die Kirche
eine Art Schule sei. Es ist mwkwürdig. dass die Wert-
flehfttetng des kirdüiohea Bekenntnisses in dem Gedankenkreise
Melaaebtliens nach einander in gans entgegengesetzten BidH
tungen gewirkt hat. Das kirchliche Bekenntnis dient ihm
«eit 1537 zu der Ausdehnung des kirchlichen Selbstgefühls
in der Behauptung: die evangelische Kirche ist die katholische.
Jetst erfolgt ans derselben Wertschäteong des Bekenntnisses
fOr den Bestand der Kirche selbst die Einschränkung des
ürohlichen Selbstgefühls in der Behauptung: die wahre all-
gemeine Kirche ist eine Art von Schule. Diese Sätze aber
sind die beiden ersten Schritte, iu denen die deutsche Refor-
mation wa£ die Bahn aur lutherischen Kirche gelangt Knüpfen
«ch nun an beide Behauptungen entgegengeaetste Eindrflcke,
•der der Greesartigkeit an die erste, der der Kleinlichkeit und
Beschränktiieit an die zweite, so haften diese abwechselnden
oder gemischten Eindrucke auch au der nachher zustandege-
jKOtmmenen lutherischen Kirche.
ewiges Leken geben. IHeBeB hat er «neh hemaeh mit gewissen Zeug-
nissen gesendet, und ist also die Khrebe mf diesen Heiland und anf das-
selbe Wort, dadurch der Sohn geofl^lNirt ist, gegründet Wer nnn diesen
Sohn nicht h5ren will und das Evangelinm verachtet , ganz oder etliche
AitOdd, die können Gottes Volk nicht sein. Darom soll dieses in diris^
Hoher Befoniatioo das eiste Stttek sein» dass das hdlige Evangelinm ran
und nnverfUsebt erhalten werde, wie die alten Concilien ftbmehmlidi von
der Lehre wegen gehalten sind nnd das Nicennm ein IdUich Symbohun
gemacht zur Erhaltung des rechten, reinen Verstands vom Sohn Gottes.
Und wiewohl hernach oft Beformationes vorgenommen, so ist doch von
TOtaefamen ArtOnSn christlicher Lehr darin wenig gebandelt. Jetzt hat
^ott seine Gnade verliehen, dass die Lehre des Evangelü in allen nöti-
gen Artikeln erküret, davon wir eine Coofession 1580 Kais. Mi^. über-
antwortet, hei welcher wir za bleiben gedenken, wie dieselbe in ihrem rech-
ten Verstand lautet. Darum wir auch für n&tig halten, dass der Ver-
stand derselben Lehre, die' wir in unseren Kirchen, Confession und
Katechismus bekennen und lehren, etntrichtig in allen Kirchen fsepr^
digt und gehalten würde."
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92
RIXSCUL,
Es wird nicht nötig sein, f Qr die Epoche von Luthers Tode
an durch besondere Zeugnisse festzostdlen, dass Melanchthon
sich in den nachgewiesenen Anschauungen von der Kirche treu
geblieben ist. l^ei allen raögliclieu öffeutliclien und halb öffent-
lichen Gelegenheiten spricht er die Gedankeureihe aus, dass die
wahre katholische Kirche und die rechte Anbetung ohne Götzen-
dienst bei den Evangelischen sei, welche in den Symbolen der
alten Synoden und in der Augsburgischen Confesrion den katholi-
schen Consensus bekennen und festhalten, und bei denen Gott
durch das Predigtamt zum Heile für Viele wirkt. In diesen
Grundgedanken war ohne Zweifel der theologische Nachwuchs
seit den vierziger Jahren durchaus befestigt. Ueberdies bat
Melanchthon diese Lehre von der Eirche im Examen ordlnan-
durum und in der Kt'petitio confessionis Augustiinae (beide
1552) wiederholt, Compendieu, welche er nebst der letzten
Ausarbeitung der Loci in sein Corpus doctrinae (1560) auf-
nahm. Melanchthon hat übrigens den schon frtlher fest-
gestellten Vorsats, an der Lehre der evangelischen Kirche
nichts zu ändern oder verändern zu lassen, sowohl gegen das
Interim Karls V. als auch in seiner ihm aufgezwungenen Be-
teiligung am Leipziger Interim des Kurfürsten Moritz, auf-
recht erhalten £r hat femer die Verbindlichkeit der Augs-
buigischen Gonfession gegen die Abweichungen betont^ welche
Andreas Oslander und Matthias Lauterwald in Elbing be-
gingen, dieser in dem Satz, dass die Sündenvergebung nicht
bloss durch den Glauben, sondern durch die Reue und andere
Leistungen augeeignet werde *), Innerhalb dieses Kähmens
von Vorstellungen hebe ich nur folgende einzebe Punkte
hervor.
Als die Streitigkeiten über die Lehre vum Abend-
mahle in Bremen zwischen dem Ubiquitisten Timanii und
Hardenberg stattfanden, hat Melanchthon mit den übrigen
Wittenberger Theologen ein Gutachten g^gen die nenge-
bildeten Formeln Timanns abgegeben (1657). Hierin be-
richten sie, dass in Kursachsen „der Artikel vom Abend-
1) a B. VI, VII, 98. 883. 466. 47a 5&8.
t) 0. R. Vni, 284. 866.
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DIB ENTSTEHONG DER LUTHERISCHEM KIRCRE. 93
mahl des Herrn Cbristi einträchtiglicli laut der Coufession zu
Augsburg gepredigt wird*^^). DeiDgenita hat Ifelanchthoii
schon in der Wiederholung der Angsborgisehen Oonfession die
AbenduialilbLdiiälung dalün beurteilt, dass sie nach dem Willen
Christi selbst das Bekenntniszeichen der Part icularkirche
sei ^y. Es ist nicht möglich-, die Meinung Melanchthons anders
als 80 aofzufassen. Da sich nun der Satz in seinem geschicht-
lichen Sinne bloss auf die römische und die evangelische
Kirche beziehen kann, so gesteht er indirect zu, dass Christus
den römischen Katholiken ihre Art von Abendmahlshandlung
als Correlat ihres geuus doctrinae verordnet habe. Dadurch
aber ist die Voraussetzung durchkreuzt, dass die römische
Kirche die falsche, die evangelische die rechte katholische-
Kirche sei. Wenn jedoch die evangelische Kirche festhSlt,
dass sie die allgemeine ist, so wird sie das in ihr richtig ver-
waltete Abendmahl als das Bekeuntoiszeichen der allgemeiueu
1) c. B. IX, le.
^ C. B. XXVIII, 417: .yFOins dei vnlt baoe poblioam snmtioiiem
«onfoMioiiem esse» q«a ostendas, qnod doeiarinae genns ampleGtariSy coi
coetiu t» adiimgM." — Der von Helanchthon in der ConfiMs. Saxonica
aiugeBpiocheiie Grnndsats Qlier die Bestimniiuig des Abendmahls als Be-
kenntniaaeiebett der Partioidarldrcli« wird vorher Ton den ZUrieher
Theologen geltend gemacht in einem Schreiben an die Straasbuger
10. Januar 1547 (G. B. XL, 462). Die letzteren hatten sich beUagt,
daaa zwei jnnge Zflricher Theologen, welche in Strassbnrg stodirten, dar
selbst nicht am Abendmahl teilnahmen. Indem nnn die Züricher die
Abwdcbnng Bneeis von ZwingU in der Abendmahlslehre ala Zustimmung
m Luther beorteüen, billigen sie das Verhalten ihrer Angehörigen ans fol-
genden Grfinden: „Qnoniam commnmcatione sacramentonmi palam pro-
fitemur fidem nostrsm, admonnimns iUos diligenter, ne cum Ulis com-
mnnieeat, qnibos non eandem nobiscom in dogmatibns et sacramentis
doetiinam et fidem esse inteüigant . . . . Qoi sacramentis ?obisoam com-
mnnicant, ipsa commvnicaticne profitentor, se eandem Tobiscnm habere
de sacramentis fidem. Aiqoi ittTenes nostri non eandem vobiscom fidem
hahent: cur ergo opere profiterentiur foris, quod iutns in animo non
sentinnt?" Hieraus ergiebt sich der Zwinglische Geschmack des Grand-
Satzes, dass das Abendmahl als fiekenntniszeicben der Particularkirche
gelten solle. Hierauf konnte man nur geraton» wenn man die Hand-
lung Oberhaupt als Bekenntniszeicben beurteilte. Der Grundsatz Me*
lanchthons ist also im Widerspruch mit der objeetiTen Bedeutung dea
Abendmahles als Sacramentes Christi.
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BTTSCHL,
Kirche handhaben, wenn sie alle dazii annimmt, welche durch
ihre ünterwerfnug unter Gottes Gnade und die SQudenver*
gebuDg i|m Christi willen ihre Bichtung auf den reinen Ver-
stand des Bvangeliums bindgeben. Freilieh wer auf dem
Standpunkte (lie^er Kirche als Ketzer angesehen werden mnsste,
Mtte keinen Anspruch auf die Gemeinschaft des Abendmahl*
der allgemeinen Kirche. Dieses wären die BestimmungeUt
welehe folgerecht aus der Gmndbehauptnng der evangeliseheii
Urche, dass sie die allgemeine sei, abzuleiten waren. Sie
würden der römischen Kirche gegenüber auch durchaus prak-
tisch gewesen sein. Denn obgleich deren Glieder von den
Evangelischen niemals als Ketzer bezeichnet worden sind, schon
aus reichsgesetzliehen Gründen, so macht die r(tamsehe Kirche
den gleichen Anspruch an Allgemeinheit, und schliesst daraus,
dass die „der Augsburgischen Confession Verwandten" als
Ketzer an ihrem Abendmahl nicht teilnehmen dürfen. Hieraus
also folgte die gegenseitige Absperrung beider Kirchen im
Abendmahl tou selbst. So particularistisch aber, wie sich
Melanchthou aosdrflckt, ist sein Satz nur effectiv geworden
gegen die Zwinglianer und Oalvinisten, sowie gegen die An*
luinger seiner Abeudinahlslehre. Ich sehe auch nicht ein,
dass die Conlusiou geringer wird, wenn man diejenige Vor-
aussetzung der werdenden lutherischen Kirche, welche Me-
knchthon bei dieser Gelegenheit bloss Teigessen hat, ausdrftck-
lieh in Abrede stellt, in dem Bekenntnis, dass die lutherische
Kirche nicht so stolz und bornirt sei, sicli iür die allgemeine
(katholische) zu halten" Denn wenn die lutherische Kucho
nur eiue particulare sein will, so hat sie kein Recht, dem
richtig verwalteten Abendmahl Christi, welches allgemeines
Merkmal der allgemeinen Kirche ist, einsdiränkende Bedin-
gmigen hinzuzufügen, welche über die Forderung des Ver-
trauens auf Gottes Gnade und der Bussfertigkeit hinausgehen.
Vielmehr ist das Abendmahl als Stittung Christi den i3edin-
gungen durchaus flbergeordnet, in welchen sich die Analogie
der Kirche mit einer Schule zu erkennen giebt. Jene Auf-*
^) Delitzsch, Die bayetisclie AbeiidDiahl^gemeiDAchAfts-rrag« (1^
& 11.
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DIE ENTSTEHUNG DER LUTBERISCHEN KIRCHE.
95^
steilang Mdanchtlums also ist eine TerbftngiiisroIIe Folgemngr
aas der Einengni^ seiner Yorstelliiiig von der al^emeinen
Kirche anf den Begriff der Seh^le.
Allein soweit hieran etwas wahres ist , kam es doch darauf
an, dass för die evangelisclie Kirche als Schule ein anderes Ver-
&bren in dem Verständnis der heiligen Schnft ausgemittelt wurde»
ds die römische ausübte. In der letztem gilt der Gnindsatz, dass
der an sich nngleicbe und undentliehe Sinn der heiligen Schrift
den Massstab seines Verstündnisseö an der vorgeblicli einhelli-
gen Ueberlieterung in der Kirche und iiiren dogmatischen
Entscheidungen linde. Die Undeutlich keit der heiligen Schrift
khnt nun Melanchthon mit gutem Rechte ab, so lauge er
dessen eingedenk ist, dass die Offenbarung den Gnadenwillen
Gottes betriftt. Er hätte sich damit begnügen können, dass
die Gedanken, Tvolche in diesen liegrill' von der OtVenbarung
einmünden, mit aller m<^llchen Evidenz in der heiligen Schrift
an den Tag treten, nnd er hätte folgern dürfen, dass anderes
weniger Evidentes, was za widersprechender Aufifassiing Anlass
giebt, zum Verständnis der Offenbanmg nichts beitrage. Diese
Entsch<ddung aber war ilmi nicht zugänglich, da er in der Lage
war, im Namen der evangelischen Kirche sich ebenso für die
ehiistologischen Satzungen der alten Kirche zu inteiessiien
wie fDr die Lehre von dem freien Gnadenwilleu Gottes. Des>
halb hat er diejenige Stellung weiterhin behauptet, welche er
in der Schrift „De ecclesia'' eingenommen hat (S. 81). Er
sagt nämlich die Kiiche sei velut grammatica sermouis di-
yini. In dieser Eigenschaft trage sie nichts neues vor, was
nicht in der heiligen Schrift enthalten sei, sondern zeige in
derselben die Ordnung der Sachen und die Eigentümlichkeit
der Rede. Hievon wird nun wieder die Anwendung gemacht
auf den Sinn des Johanneischen Prologs, nämlich dass die Atha-
nasianische Deutung desselben im Texte selbst überliefert sei.
Denn, heisst es, weder die Engel noch die Menschen hab«i ein
solches Ansehen, um einen solchen Glaubensartikel zu gründen.
Diese Aulstellung bietet ein mehrfaches InLcresse dar.
1) In der an ThomaaCnuimer gerichteten Vorrede zu Flacias* erster
Schrift: „De Yoee ac le fidei** (1549) im C. R TU, 845—349. Ebenso
in der Vorrede znr „Enaxratio s^boU Niceni" (1560) VII, 576.
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96
RITSCHL,
Was zunächst Melanchthons eignen theologischen Gesichtskreis
betrifft, so hat auch der Osiandrische Streit seine besondere
Aofinerksamkeit auf das christologische Dogma gelenkt Hat
er in der ursprflnglicheii religi^Ssen und theologischen Bich-
tuDg nicht die Natnren in Christus, sondern sdne Wohltaten
als bemerkenswert angesehen, so hält er es nachher ftir not-
wendig, dass eine kirchliche BlrkUiiuig erfolge über die Eigen-
schaften der trinitarischen Penonen, die Ordnung ihrer Ein-
wobnung in den Heiligen« fiber die Eigenschaften Christi und
seiner beiden Naturen ^). So tief hat ihn diese Frage bewegt,
dass er unter den Gründen seiner Geneif^heit zu sterben auch
die Aussicht aufführt, dass er im jenseitigen Leben lernen
werde, qualis sit copulatio duarum naturarum in Christo^).
Hieraus eigiebt sich, dass das Problem, wekbes auf Anlass
der Streitigkeiten fiber das Abendmahl einen so starken Ein-
fluss auf die Fixirung des Luthertums ausgeübt hat, und
welches den augenßllligsten Abstand zwischen der lutherisch
gewordenen Kirche und dem ursprünglichen Massstabe der
Reformation Luthers bezeichnet, auch ffir Melanchthon nicht
gleichgültig geblieben ist. Wenn auch andere Grfinde sein
Interesse an diesem Theniu hervorgerufen haben, so reicht er
doch in seiner letzten Lebensepoche Bestrebungen die Hand,
welche in der Entwicklung der Kirche bis zur Concordieu«
formel hin einen ganz besondem und benrorragenden Einflnss
in einer Richtung geflbt haben, welche scheinbar Melanchthon
ganz zuwiderlief.
Auf diesem Punkte haben namentlich Brenz und seine
würtembergischen Nachfolger die Entscheidung herlieii^n'führt.
Dieselben haben aber auch yerhiudert, dass die von Melanch-
tbon formulirte Schätzung der Kirche als der Grammatik der
beiligen Scbrift zu einer ofßcieUen Regel in der lutherischen
Kirche geworden ist. In dieser Bezieliung ist der Artikel
von der Kirche in der ?on Brenz verfassten Würtembergischen
Confession (1550) massgebend geworden für die Grundsätze,
welche in der Einleitung der Concordienformel ihren Platz
1) An Herzog Albrecht ?on Preusaen, C. fi. VUi, 457.
«) C. E. IX, 1098.
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DIE ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KlACHE,
97
gefunden haben. Es ist eine sehr geschickte Darstellung, in
welcher Brenz sowohl der empirischen Auffassung der Kirche,
die seit 1537 bei Melanchthon hervortritt, als aach dem
ideellen Massstabe der C. A. zugleich gerecht wird. Er be-
zieht das Urteil: „ich glaube die eine, heilige, allgemeine
Kirche" auf ilie in der Gescliicbte crscheiueude Gemeinde, die
zwar vom heiligen Geiste geleitet wird, der aber falsche Christen
beigemischt sind, welche doch die Sacramente richtig verwal-
ten können; in dieser Kirche walte die Veigebnng der Sün-
den, de habe Zengnis Ton der heiligen Schrift abzulegen,
ühei alle Lehrweisen zu urteilen, sei berechtigt, die heilige
Schrift auszulegen. Diese Merkmale sind der Art, dass sie
ebenso von der römischen wie von der evangelischen Kirche
l&r sich in Ansprach genommen werden. Deshalb wird die
Frage erhoben, wo diese Kirche zu finden sei? Die Antwort
ist im Sinne der nrsprünglichra refonnatorischen Instanz:
„ übi evangelion Christi sinceriter praedicatur et sacramenta
«ins recte iuita institutionem Christi administrantur/' Was
wsk aber die Befugnisse der Kirche betrifft, die heilige Schrift
aoszolegen und über die Lehre zu urteilen, so bedeutet das
nicht, „quod ecclesaa habeat liberam potestatem quicquid sti^
tuendi uc etiam si libeat muUmdi bciipturam et fingeiidi no-
Tam doctrinam ac instituendi novos cuitus dei". Vielmehr hat
die Kirche, indem sie die Stinmie Christi anerkennt, von ihm
«ine sichere Begel empfangen, „propheticam videlicet et apo-
stolicam praedicationem, iuxta quam debet obscura, n
quae videntur, scripturae loi-a iuteipietari et de doctrinis iadi-
care''. In der letztern Hinsicht aber hat sie sich zu halten
„intra metas sacrae scripturae, quae est voi sponsi sui, a ({ua
¥oce nuUi, ne angelo quidem fiis est reoedere** In der Bich-
tong dieser Bestimmungen liegt die Erklärung der schwäbisch-
niedersachsischen Concordienformel , dass „allein Gottes Wort
die einige Richtschnur und Regel sein und bleiben solle,
welchem keines Menschen Schriften gleich geachtet, sondern
4em8elbigen alles unterworfen soll werden***). Und die Ber-
1) Bei Pf äff, Acta et scripta publica eccL Wirtenil^rgicae (1720)
^ 325.
») A a. 0. S. 385.
Z«iUcbr. f. K.-O. 7
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96
RITSCUL,
giflche CoaeoidMiiformel hat twt Bewfthnmg dessen hinzugefügt^
dass alle Symbole und die reforniatorischen Bekenntnisse nicht
tr'
das Ansehen eines Richters behaupten, sondeni nur zeigen»
wie man zu gewissen Zeiten die heilige Schrift veistaiidea
hst und wie die mit deraelben strtttendeD Satsmigen Ter»
woif en mä.
Die exegetische Praxis in der lutherischen Kirche ist
freilich auch unter dem Schutze dieser Bestimmungen zu-
nächst keine andere gewesen, als welche in Melanchthons
Yer&hfen angeieigt war. Mao liese neb im stilkB doch
dmch die kireblicbe üeberlielenmg danm emnern, was in
gewissen Sfttzen der heiligen Schrift gefunden w^den durfte.
Die Auslegung der heiligen Schrift aus sich selbst ist lange
ein leerer Anspruch gewesen und will auch jetzt nicht jedem
geüogMi. Nidita desto wenig«* ist die Zugftngüehkeit der
Intiierischen Kirche für fthnüche Befonnationen, als aus wel-
cher cde hervorgegangen ist, dadurch gewährleistet, dasB der in
ihr gültige Grundsatz der Schriftauslegung auf der Linie von
Brenz und nicht auf der von Melanchthon zustandegekom-
men ist. Die Aufstellung des letztem kam in der Sache dam
rOmiaoh-katholisGhen Chnmdsatie za nahe, ab daaa die aoig*
ftltig herechnete Form des Aasdmcks znr Befestigung der
notwendigen Grenze zugereicht liiitte. Aber in diesem Falle
hat er sich wiederum nicht von der grandiosen Gestalt der
alten Kirche imponiren lassen, sondern hat nur einer Ver*
legenheit Ansdrack verliehen, deren GrOnde ihm deutlicher
geworden sind, als denen, deren Formel die Anwartschaft auf
correcte Schriftauslegung für eine spätere Zeit begründet.
Wenn man die Beiträge von Melanchthon und Brenz zu der
werdenden lutherischen Kirche mit einander vergleicht, so hat
der letalere sowohl in der Lehre vom Abendmahle, wie in
der Festaetzni^ der Methode der kurchlichen Schriftausleguttg
jenem das Feld ahgewonnen. Allein in der Lehre von der
Kirche, welche den Umfaug und die Riolitung bezeichnet, in
welcher sich die lieformation /Air lutherischen Kirche einengt,
steht auch Brenz nur auf Melanchthons Schultern. Und ob-
gleich jenef^ sich fther die Schätzung des kirchlichen Bekennt-
nisses im Siime Melanchthons nicht ausgelassen hat, so ist
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DIE £NTBT£IIUMQ DBB LUTHEBISCHBN KIBCBB. 99
doch die Zusammenstellung der Concordienformel, soweit sie
auf Brenz' Eiufluää zurückweist, und ihre EecepUoB eis tat»
aftdüicher Beweis ö«för, daas Melancfathona AnschaaiuigBweiBe
die Tätigleit aller dara mifcwirkenieii Theologen beherrschte.
Die Concordienformel enthält keiiieu Artikel von der Kirche,
weil derselbe nicht streitif,' war ; der Bei^riff von der Kirche aber, '
aus dem solches Unternehmen überhaupt aufgefasst werden
hoBnte, ist die TOD Meianehthon seit 1637 ?artreteiie Vof-
steUoDg fon der Enobe, deren FaDdamint Me «nwandelbiie
Qlanbenaartikel sind, and welche einer Schulgemeinschatt am
nächsten vergleichbar ist.
Auch Flacius hegt nur diejenige Vorstellung von der
Järehe, daas ihre Einheit is der menschlicheD Srheontnis Gettes
UBd in deren Bekentnis, Yerbieitiing^ Verteid^mig bestehe
Deshalb yerfolgt er auf Anlass des Beligionsgeeprädies ni
Worms (1557) diLs Bestreben, dass die Evangelischen erst alle
Abweichungen von der C. A., die unter ihnen selbst vor-
kommen, verdammten, ehe sie den Bömischen entgegentreten
-wfiideD. Fftr Phidos nftmlich sind alle einzeken Gknben^
srükel als Teile der ReHgion der Gegenstand gleieher Sorge. Sein
schulmässiges luteresso an diesen Objecteu ist in dem Masse
ge?t^igert, als er die Gesaramtbestimmung der Kirche zur
Anrufung Gottes nicht beachtet, welche doch Melauchthon
immer herviNrhebt. Sein leideneGhaftliehes Eintreten fOr die
Bdnheit aller einzelnen Lehren, wodoieh er Gottes Ehre er-
1) Flacins an die Gesandten des Herzogs Joh. Friedr. von S.-Weimar
in Worms, C. R. IX, 199: „Indem Jmqb um die Einigmig der Jonger zu
Gott betet, ue dubitaiemn?. de quo coiniBiiiii(nÜ8 geaere loqueretor, ciiv
eimiMriptioiiem uaico verbo adircit, ut unnm m nobis sint, petens ni-
miroiD, nt eiosdem veri dei cognitionc, verae religionis acx^ptione, ardenti
confeesione, propagatione ac contra seductores defensione, eodemquc deni-
qne spiritu sancto ad glorificationem patriB coelestis inflammarcnmr.
Goii^ unitatil partem praecipuam declaranH Paulus iubet nos idein sea-
tupe et idein dicere , ut primnm ncilicet eandem veram religiuneni imani-
miter amplectamur, idemque deeaper omnes eiuB partes secunduin
veritatem sentiamus et }>ostca etiara idem doccanius, confit/'amnr, pro-
pagemns, ac vctIk) eiuH contra omnes veritatis corruptores tiieanmr; id-
que non frigide ac timide, sed ardenter et oonstonter, excitante zelum in
dectohbuA noetris spirita Bancto.*'
7»
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100
RITSCHL,
strebt, und worin er dem Antrieb des heiligen Geistes zn
folgen meint, ist in seinem Verfahren wie seinem Begriff von <ler
Kirche das Surrogat für das Merkmal der Anrufung Gottes
in der Kirche. Jedoch ist diese Auffassang der Kirche ma
eine Anwendung von Melanchthous Sats, dass die Kirche
Schule ist Ffir die Schule ist jeder Lehrartikel von gleicher
Wichtigkeit. In dem Gemüte des raiiatischen Menschen ver-
schob sich also die persönliche Religion, welche alle Glaubens-
artikel zu Mitteln ihrer selbst herabsetzen würde, in den
brennenden £ifer für die Reinheit jedes Glaabensarükels. So
bewfthrfc (Vilich Flacius, dass er eine ?on Melanchthon ver-
schiedene Gemütsart hat; aber er ])ewrihrt sich zugkucli als
dessen directen Schüler. Deshalb konnten sich die Flacianer
und Melanchthon ohne Schwierigkeit darin begegnen, dass sie
beiderseits die Aogsboigische Oonfession als den Massstab der
Schlichtung ihres Streites anerkannten, indem jeder dem andern
die Abweichung von derselben zum Vorwurf machte In
derselben Richtung und unter Voraussetzung desselben Be-
griffs von der Kirche kam schliesslich die Goncordienformel
als die Urkunde der fertig gewordenen lutherischen Kirche
zustande. Muas man also als den ideellen Antrieb zu diesem
Ziel hin den allen theologischen Färteien gemeinsamen em-
pirischen Begriff von der Kirche ansehen, so ist in dieser
formellen Hinsicht Melanchthon als der Urheber der luthe-
rischen Kirche erwiesen.
Jedoch wfirde die Bedeutung dieses Eigebnisses und der
ümfimg seines Sinnes erheblich einzuschiftnken sein, wenn
festgestellt werden müsste, dass die Bekenntnisgrund läge
der sich tixirenden Kirche durch Melanchthons Gegner und im be-
stimmten Widerspruch gegen dessen eigne Meinung mit der
Autorit&t Luthers identificirt worden wäre. In dieser Form
nftmlich wfire der Umstand zu bezeichnen, welcher noch zu
untersuchen ist, da die directe Bezeichnung „lutherf^che Kirche"
auch mit der Concordieoformel noch nicht in Gebrauch ge-
^) Hehmchthon an Fladns 5. September 1666; QaUnB an Melanch-
thon 25. Deoember 1556. C. B. VIII, 842. 932. Die weimariaefaen Theo-
h^gen sa WomiB CE, 814.
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Dl£ ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIBGHE. 101
kommen ist, sondeni erst später. Nach der hergebrachten Legende
TOQ der FreisiDuigkeit und UnionsfreuDdlichkeit MelanchtboDS,
welche in Heppes ABDahmen culmüiirt, wftre nur den Flacianem
znzatraaen, dass sie die Autorität Luthers in die Omodlagen
der ,,ref0rmirten'* Kirche eingeschoben hätten, welche von
ihren ursprünglichen Vertretern als die allgemeine, katholische
der römischen gegenübergestellt worden war. Allerdings sind
alle Gesichtspunkte, unter welchen nachher in der Intherischen
Kirche die Autorität Lnthers als etwas für sie wesentliches
anerkannt worden ist*), schon von üadus, seinen Genossen
und den ihm nalie stellenden uiedersächsischen Theologen gel-
tend gemacht worden. Ausser einer von P reger mitgeteil-
ten Notiz brauche ich nur die in die Melanchthonische Brief-
nnd Actensammliiiig dngestreaten Vereinzelten Urkonden zun
Beweise dieser Tatsache za verwenden. Allein diese spär-
lichen Proben reichen durchaus dazu hin. Also im Anfang
des Jahres 1557 liesseu Flacius und die Magdeburger Pre-
diger durch die Braunschweiger, Hamburger und Lübecker
Prediger von Koswig ans mit Melanchthon nnterhandehi nm
diesem ein öffentliches Bekenntnis seines Fehlers in Sachen
der Adiaphora abzugewinnen. Bei dieser Gelegenheit erklärt
Placius, dass er nicht aus Streitsucht die Angelegenheit be-
treibe, sondern „ne universus Status religionis in Germania,
per Lnthernm instanratns, horribiliter everteretnr Die
mit ihm verhnndenen Magdehoi^r Prediger erklären ihr Ver-
fthren gleidizeitig daraus, „nt depositnm Jesu Christi
per Lutherum nobis demandatum diligenter servent" *).
Beide Gesichtspunkte haben schon die Hamburger Prediger
geltend gemacht, als sie 1549 ein Waruungsschreiben an Me*
lanchthon in Sachen des Leipziger Interim erlieesen: — „qni
post Lnthernm, fidnm et constantem purae doctrinae et veri
divini cultus i n s t a u r a t o r e m ac propugnatorem, ecclesiam do-
cuistis . . . Sanctum hoc vestrum de p es i tum in nostris ec-
clesiis huc usque custodivimus.'^ ^) Nicolaus Gallus erklärt
1) Hoppe, Ursprung und Geschichte der Bezeichnungen Beformirte
und Lutherische Kirche.
») C. R. IX, 25. 28.
8j C. E. VU, at>7. 368.
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102
JUTäCHL,
demgemäss (1556). dass Melaiichthous synergistisclie Lelirwoise
contra scripturam et doctrinam Lutheri in uostris eccle-
siis veistosse In roher üebertreibuug versichert Anton
OUo sa Nordkuisen ui einem an Jnatos Jonas geriohMen
Briefe (1565), ^ee n sententia Lutheri id est Christi non
discesBumm Hiemit verglichen erscheint es als mässig,
dass Flacius Luther aLs den dritten Elias proclamirt, als
Wagen und Heiter'' der Kirche Gottes (nach 2 Kön. 2, 12),
den Qott zum Wiederhersteller der wahren AeUgion in dieser
letsten Zeit gemacht hat').
Das smd die SÜehwörter, die anter den Gegnern Me-
lanchthons üblich waren. Sie bezeichnen die Autorität Ln-
tliers als ein tatsächliches Merkmal der Lehre und der Ein-
richtungen der Kirche, welche sich der r<^mischen gegenüber
gertellt hatte. Aber dieses tatsftchliche Merkmal wird dircä
dis BehaaptoDg der göttiiehen Sendung Luthers enr Her-
st^.'11 uhl,^ (lor Kirche zu einem wesentlichen Merkmal dei-selben
aus((epräi(t. Wenn Gottes Wort und Luthers Lehr sich decken,
80 kann auch Luthers Meinung als die Meinung Christi selbst
geachtet werden. Wer hat non dieses GofiQge Ton Vorstellimgen
xnersk in ümkof geeetxt? Das ist Melancbthon ge-
wesen! Es ist erklärlich, dass diese Schätzung Luthers erst
nach seinem Tode an die Oeßentlichkeit tritt Allein das-
jenige, was wahr ist, spricht Meknchthon in dankbarer Er-
wigong der Fügung Gottes auch schon Tor jenem Zeitpunkt
ans. In der Vonede zum ersten Bande dar lateiaischsA
Sehriflen Luthers (5. MSrz 1545) fthrt er nach einer Schil-
derung der frühern Lage der Kirche fort: „Sed pii agnoscunt
emendationem divinitus factam esse, cum deus excitavit meu-
tern Bev. Dom. Doctoris Martini Lutheri, ut irritatus impu-
dentia Tetselü pniam et salutarem doctrioam de poenitentiA,
1) C. E. Vm, 898.
«) C. R. Vlll. 4f^0.
•) In der AntritUrede zu Jena 17. Mai 1557, liandschri:( lieh in einem
Helmstedtcr Codex (P reger II, 1U8|, und in einer Ankl.ige <regcn Me-
lanchthon, welche an den K<tmg Christian von Daucinark gericiitet ist,
23. bcptembor 1557 {C. R. IX, 297).
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DIE EMTSTEHUNQ DER LUTHERISCHEN KIRCHE. 103
de iustitia tidei etc. monstiaieL" ). Diese Betrachtung ist
bo unverfönglich , das» jeder, welcher sein Christentum auf
dem Boden der Befomuttion ausüben will« in diesen Ausdruck
der Dankbarkeit gegen Qott eiBstiiniDeii wird. Wanim itfe
aiDB dieaer Wurzel jene starre, tiberfereibende und befremdende,
schliesslich doirmatisch tixirte Beurteilung Luthers als des
dritten Elias hervorgegaugen V Weil die Gemeinde der Ee-
fMmatioü durch die geschichtlichen Cmst^ude ihrer Selbat-
erhaltaag nneohen der rfiaueohen Kirche nnd den eeetiieri-
fldien ünternehmnngen wstk darauf hingewieeen sah, den Lehr^
begriff und die Kirchenordnungen, welche man gewonnen hatte,
als etwaä festes und unveränderliches zu behaupten.
Dass Melanchthon auch dieser Bedingung des evangelischen
Kirchentume den massgebenden Anadmek verliehen hat, iei
oben berfibrt worden (S. 86). Das Befremden, wetehes dieeer
Umstend bei nns Naehkommen erwecken mag, wird beseitigt
werden, wenn ich daran erinnere, dass die Männer der Ke-
formation sämmtlich der üeberzeugung wareo, dicht vor dem
Ende der Welt zu stehen. Das spiegelt sich ja auch in der Be*
geichnnng Latheis als des dritten Elias Giade diese Eigen-
schaft IbI aber ihm von Melanchthon beigelegt worden, inisr
l) C. E. V, 692.
') Schon im Jahre J521 bedient sich Melanchthon der Bezeichnung
Xnthers als des Eliaa, und zwar so, dass seine liekäinj)fung der Römlinge
als Buulsiitaffen den Vergleich begründet; in der Vorrede zu Didyrai
Faventini advcrsu.s Rhadiouiu pro Luthero oratio: ., Cum Lutiicrum tue-
lüiLT, sincerac tliefdogiae causam agimus, quam ille hactenus plane Heliac
äimilu adserit. liingantur interini Kouiancnses Eccii , hirci et quid^uid
«st prophetarum Baal." (C. R. I, 28*?.) In Melanchthons Briefen während
Lathers Aufenthalt auf der Wartburg heisst derselbe wiederholt Nester
Hellas (C. R. I, 448. 451. 453. 563. 565). Auch Luther selbst bekennt
sich schon in einem Briefe von 1520 zu dem Titel, freüicfa mit der be-
scheidenen Wendung, dass er der Vorläufer Melanchthons sei, dem er durch
mm heftiges AnftreleQ gegm die Gegner den Weg bereite (De Wette
478), ao daas Mdaaeblban id» Eliaa mit deoi doppeltea llaaae dea
€l«iatea ibm naehfiolgea weide (II, la 22. 60). Bieae Baidebungen sind
jUflsdiDgs TerUnngun, indem nach dem Tode Luthera mir der tqd lüftp
kacU aosgesproobene Typna dea Propheten gilt, der ▼or dein End"
foidita auf cÜe Bekehnng dea YaUraa Gotfcea liinwirkeii aoU.
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104 RTTSCHL,
dem ersten Eindrucke der Yerlassenheit, in weldie der Tod
Luthers seine Anhänger versetzen musste.
„Erat ilie omuino currus et auri^a Israel, a deo excitatuSr
ut eraigelii mimsteriam instauraret et repnrgaret, qnod re»
ipsa ostendii. Necease est enim fiiteri, per eam pftte&ctam esse
doctrinam, quae supra hnmani ingenii oonspectnm posita esL
Tali docture et guberuatore nos orbari magno dolore afticimur,
non solum propter nostram academiam , sed etiam propter
nniversum totius orhis terrarum ecclesiani. quam consiliis,
doctrina, anctoritate et spiritiie saneti anxilio regebat" Sa
schreibt die Wittenberger üoiverntftt durch Melanchthons
Feder an Justus Jonas, den Augenzeugen von Luthers Tod.
„Obiit currus et auriga Israel, qui rexit ecclesiam in hac ul-
tima senecta mundi, — quem a deo excitatum vidimus fuisse
q^ricbt Melanchthon an demselben Tage zu seinen Zuhörern
Den Ton Gott erweckten Lenker der Kirche nennt er Luther
kurz darauf in Briefen an Amsdorf und Anton Lauterbach
Gleichzeitig schreibt er an den Kurfürsten Johann Friedrich^
zugleich in seinem, Bugenhageus und Crucigers Namen: „Wie
Paulus zu Timotheo spricht: das scbOne Kleinod (depoeitnm)^
das dir zu treuer Hand empfohlen, bewahre durch den heiligen
Geist, also hat uns wahrlich gedachter Herr D. Martinus ein
schönes Kleinod hinterlassen, den reinen Verstand christlicher
Lehr, den wollten wir auch gern imverdunkelt auf die Nach-
kommen vererben/' ^) Die Bede beim Leichenbegängnis Lu*-
thers und die Herausgabe Terschiedener Bftnde von Lutheia
Werken hat ihm dann wiederholt Veianlassung gegeben, die
göttliche Berufung Luthers zur Herstellung des reinen Ver-
standes der heiligen Schrift und seine Bestellung zum Leiter
der Kirche zu bezeugen *), Allein weitergehende Erklärungea
1) C. E. VI, 57. 59.
t) C. R. VI, 73. 92.
*) C. R. VI, 72. Ebenso Veit Dietrich in Nürnberg: ..Rcliquit no-
bis Lutherus depositnm iion vnlt,'aro. videlicet doctrinam eccl- siae r« pur-
gataui, quam vult deua bona öde custodiri." (Brief vom 25. März lo4G
p. 90.)
*) C. R. XI, 627; VII, 398: „Divinitus eicitatus ad restituendam
docts-inae puritatem in ecclesia. . . . Ipse accenaus divinituB doctrinam
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DIE ENTSTEHUNG CEE LUTHERISCHEN KIBGHE. 10&
gleicher Art sind diejenigen, in welchen Melanchthou sein
eignes lehrhaftes Wirken der reformatorischen Wirkung Lu-
thers lediglich nnteigeordnet hat In einem offenen Briefe^
Ten 1549, mit dem er den ersten Angriffen von Macins be-^
gegnete, beruft er sich nicht nur uuf die Uebereinstimmung
seiner Loci mit der C. A. als der Darstellung der katholi-
schen Lehre, sondern macht geltend, dass er das Yiaitations-'
buch von 1528 als einen Anssug der Lehre Lnthers zosam-
mengestellt habe Man konnte nun den Verdacht fiussen,
dsBB diese Aeusserung den Ansprüchen des Gegners in Hinsicht
der sciiuldigen Anerkennung Luthers etwas mehr anbequemt
wäre, als es der Gesinnung Melanchthons entspräche. Allein
die^ wird nicht zugegeben werden kdnnen, da er bei anderen
Gelegenheiten fireiwüMg sich ebenso aoasinicht. Dieses ist
der Fan in der Vorrede, mit welcher er 1553 die deoischc
üebersetzung seiner Loci der Frau seines Freundes Camerarius
zueignet: „Nachdem nun der allmächtige Sohn Gottes seine
Lehre wiederum durch den Ehrwürdigen Herrn, Doctorem
IiDthenim gnftdiglich hat scheinen lassen, und ich hernach
als ein armer Schiller snr Visitatio und Oonfessio gezogen bin^
habe ich von vielen Sachen müssen disputiren, dadurch ich
verursacht bin, diese Anleitung, Locos theoiogicos zusammen-
zuziehen, und ist mein Gemüt nicht anders gewesen, denn
die einige Lehre, die in den sftchsiachen Kirchen ist, hiut der
Oonfesnen von 1530 zu erzfthlen/^^ Am prftcisesten aber
drückt sich Melauchthon ^Gleichzeitig in der VoiTedc aus, mit
der er die im vorangegangenen Jahre verfasste liepetiüo con-
emendavit .... Denique conft't;.siunt's edidit de omnibus ductiinae capi-
tibns Ut sapiens et cruditus guboriiator ecclesiae et prophctarura
et aptostolorum coraes . . . enarrat, considerat occasiones prupheticarum
enarrationnm." (1549.) Zu vt r{^'leichen Vlli, 2 (1553).
1) C. R. Vn. 479: ,,Cum in prima inspectione ecclesiarum com-
perissemos admodum dissonoB clamores esse ineraditorum de maltis rebus»
gnmmam doctrinac, quam Lutherns in diversis et interpretationnm et
concionum ToluminibüH tradiderat, tanquara in unum corpus redactam
edidi . . . ac semper omnia scripta iadicio ecclesiae nostrae et ipsioa
Lathen perraisi."
t) C. ß. VlU, 83. 84.
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106
ffBsionis Augustanae herausgegeben hat: „Nequaquam volui-
mus dibsidia in nostris ecck'siis ueceudere, sed sumraam doctri-
oae, qnae aonat ia ecclesiis oumibus, quae Kev. D. Latkeri
conf essionem amplectontor, recitare Tolttinnui, ac r^etimiis
seotentiani coDfeerioiiis, qoae Imperatori Oarolo «iMbita cmk
in conventu Augustano a. 1530, etsi quaedam hic narrantur
plenius'* Endlich beginnt die Vorrede 7a\ der lateinischen
Aa8g|ji>e des Corpus drw trinae, welche Melanchthon zwei Monate
vor sNiiem Tode, 16. Februar 1660, geechrieben bai, mit die-
mm Satae: „Multi senea sapientia et Tirtote praeataates, el
publicae concordiae ac pacis amantissimi , initio ante anaee
quadraginta doctrinam Lutheri non aliam ob causam,
nisi qaia veram esse iudicabant, amplexi sunt/' Und spftter
ioig^i „Ne ipee qmdem OaroloB ioqperator sine cognitioM
delere doctrinam Latberi et MMtias «odesiaa Tolvit**
Ich m^e genügende Zeagnnse dafllr beigebneht m
haben, dass es Melanclithon gewesen ist, welcher diejenige
Schätzung Luthers in Umlauf gesetzt hat, die auch Flacius
Bnd GenosBen und die niedersäcbsischen Theologen in dem
Streite g^gan ihren Lehrer kandgaben. Und weil sieMelanob*
tiions SchtUer sind, nnd als aolche grade in der Handhabung
des IJegriffes von der Kirche erscheinen , so wird es wohl
keine zu kühne Vermutung sein, dass sie auch in dem vor-
liegenden Punkte nur die ausgesprochene Ansicht ihres Lehren
fortaetsen. Melanchthon alao iuA hiemit den Anatoss dam ge*
geben, daae schliesslich der Name Lathen m den Titel der
Kirche Augsburgischer Confession aufgenommen ist Er ist
sich durchaus nicht bewusst gewesen, dass seine Lehrweise
eine Eigentümlichkeit und Selbständigkeit behaupte, welche
Luthers reformatorischen nnd theologischen Leistungen gleich
und deasen Ansehen g^^fibeigestellt werden könnte. In
dieser Einsicht darf daran erinnert werden, daas Melanchthon
die Autorität des „Bekenntnisses Luthers" oder der Schmal-
kaldischeu Artikel und seines Katechismus in dem Examen
ordioandorum (1552) anerkannt hat und zwar so, daaa er jene
1) C. R. Vm, 49.
«) C. R. IX, 1050. 1051.
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D1£ BM'fSTEUUHG DEB ItVTREBIBCHBK KIRCHE. 107
Bocameate vor der Augsbargischen Confession nennt In
den Verbaadltuigeii zwischen Flacius lud Melmohthon am
Ai^uige 1557 machte deshalb Melandithon keine Sobwierig»-
heiien, den Ton den niedenftcfasischMi Unterhändlern vorge*
legten Bekenntuisstaud , der auch die Schmalkaldiscben Ar-
tücei umfasst . anzunehmen Auch in den Verhandlungen
zwisdien den Weimaranem und den T<m Melancktboa geAhr-
tsB Theelegen, welche aof Anhus des Beligionagei^iftcheB an
Wenns (1557) stattfimden, werden die Aitikel auf beiden
Seiten aneikuuiit Also auch diese Tatsacheu widerlegen
die Annahme, als ob Melanchthon sich eine theologische und
kirchliche Autorität beigemessen hätte, weldtö er von dem
Spselnnm des Ansehens Luthers aasgenonunai nnd auch nnr
indireet gegen dassslbe geltend gemacht hatte. Seine Ab-
weichungen von Luther in den Lehren von der-Freiheit und vom
Abendmahl hat er selbst nicht als den Ausdruck einer systemati-
schen Eigentümlichkeit in der Theologie angesehen, sondern
anr als erlaubte einaelne Ausnahmen von der anerkannten Beg^
Warum sind nun diese Ansätae einer i^edeUen theolo»
^iseben Richtnüg MelanehthonB so scharf bek&mpft worden?
warum liat sich au ihnen das Ansehen des Gründers der lu-
therischeu Kirche gebrochen? Dieses wird nicht schon da-
<ABzeh erklärt, dass er durch seine Teilnahme am Leipaiger
Interim unwiederhnngliieh oompromittirt worden wfiie. Das
ist eben nicht der Fall gewesen, so sehr sich Flacius in sei-
ner angemassteu Vertretung der Kiiche ^) darum bemuht hat,
1) C. R. XXIII, p. xxxvin. Die erste Spur cincT (»tTentlichea
Autorität der Schmalkaldiscben Artikel finde ich in der Hallischen K.-0.,
wdebe Jonas 1541 aufgestellt bat, bei Richter I, 389. Hingegen
kann ich den Brief des Kurf. Johann Friedlich an Melanchthon vom
Jahr 1552 (C. R. VII, 1108) nicht so verstehen, als ob die Artikel in
der sächsicfaen Kirche schon immer öifontliche Antoritat gehabt hatten,
2j C. R. IX, 36. 39. 54. 60. 62.
i) C. R. IX, 260. 286. 319. 366.
^) £r scbieibt an den Kdnig von Dänemark, indem er dessen Unter-
stützung gegen Melanobthon anruft (23. September 1557, C.B. IX, 299):
y^Qnapropter noa ego» aed tota ecclesia dei veraque religio ac ipse domi-
tm Jesus nmic egenus, afilictae oppresensqne te adit, toanique opem
aterabiliter imploiat."
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108
EITSCHL,
dass es so sei. Wäre bloss die Haltung,' Melanchtlions zu dem
Leipziger Interim zu rügen gewesen, so war dieser Schade
durch das Auftreten des KurfOrsten Moritz gegen den Kaiser
und durch den BeligionsMeden getilgt Die Unternehmung^
des Flacius gegen Melanchthon im Jahre 1557 wäre also die
Chikane eines fanatischen Menschen gewesen, die trotz des^
Gewichtes seines Anhanges nur eine beschränkte Tragweite
haben konnte, wenn es sich dabei bloss um die Frage Aber die
Adiaphoia handelte. Aber daneben kam auch die Lehre Ma-
jors von den guten Werken in Betracht, die ursprllnglich
Melanchthons Satz gewesen war, ferner der Synergismus
und der sich regende Verdacht wegen der Abendmahlslehre»
Nun hatte Melanchthon selbst, so wie die Grundlage für die
Selbstftndigkeit der evangelischen Kirche in dem Lehrbekenni-
nis oder den Glaubensartikeln von ihm festgestellt worden war,
die Unveräudeilichkeit dieser Regel proclamirt. Dan war unter
den damals obwaltenden gescliicbtliclion Bedingungen eine un-
umgängliche Folgerung aus dem Triebe der Selbsterhaltung
der werdenden Kirche, und blieb ein Bedürfnis auch unter
dem Schutze des Beligionslriedens. Diesem ftussem Umstand
kam aber die vorwiegende Geneigtheit der Generation von
Theologen entgegen, welche als Epigonen der Reformation,
wie es im Wechsel der menschlichen Geschlechter überall sich
findet, nur darauf gefasst waren zu conserviren und zu fixiien,
was aus der schöpferischen Bewegung der Befoimation zur
Buhe und statutarischen Geltung gekommen war. Der Glaube
dieser Schüler Melanchthons an die Unveränderlichkeit des
ofQciell feststehenden Lehrbegrilfs folgte nun auch nur den
Orundanschauungen von der Kirche, welche sie ihrem Lehrer
Terdankten. Aber als die Epigonen verstanden sie die Unver-
ftnderlichkeit der Lehre in einem ernsthafteren l^nne als der
Manu, welcher zuerst jene Losung au^gegelit n hatte. Als er
es tat, hat er den Umständen gemäss gewiss aufrichtig ge-
handelt, und keine Ausnahme für seine Person vorbehalten.
Indessen war es nun sein Ohles Schicksal, dass er sich zu der
Unverfinderlichkeit des kirchlichen Bekenntnisses frfiher be-
kannt hat, als seine eigne theologische Reflexion zum Stehen
gekommen war. Dieses ist nämlich die Wurzel des Conflictes
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DIE ENTÖTEHLKO DER LL'TUERISCHEN KIßCHB. 109
mit seinen Schlflern, welche dem eigentlichen GrAnder ihrer
Kirche nicht zugestehen wollten, dass er als Reformator fort-
führe seine eigne Lehi*weise in einzelnen Punkten zu refor-
miren. Und jene hatten nur zu viel Recht gegen Melanch-
thon nnd die Anhänger seiner eigentümlichen Lehrabweichongen.
Denn wenn er selbst die Kirche wegen des Lehrbegrilfo, der
ihr Fondament sein sollte, Ar eine Schnle erklärt hatte, so
war in dieser Art von Gemeinschaft kein Platz für eine Mehr-
heit von Schulen neben einander. Und wenn er selbst die Auto-
rität Luthers als identisch mit dem Bestände der evangelischen
Kirche erklärt hatte, so waren seine Schäler nnd Gegner durch
ihn selbst berechtigt, ihn damit in die Enge zn treiben. Die
tragisi:he Schuld Melauchthons entsprin^^ also aus seiner Doppel-
stellung, dass er als der Genosse des Reformators Luther sich
eine Freiheit in der Lehre lierausnahm, die er als der Gesetz
geber der festen Kirchenbildong und ihres unveränderlichen
Lehrb^giiffes abgeschnitten hatte. Er hat diese Schuld reich-
lich gebftsst durch die Angriffe, die er erfuhr, und deren
relatives Recht er durch die eigentümliche Empfindlichkeit
bezeugt, mit der er dieselben auümbm. Diese Schuld ist ihm
auch nicht vergeben worden, da seine Autorität in der von
ihm gegrflndeten lutherischen Kirche nur in einem mistrauisch
beeehränkten Masse anerkannt worden ist. Gradezu undankbar
aber ist diese Kirche, indem sie kein Gedächtnis davon bewahrt
hat, dass Melanchthou durch seinen Begriff von der Kirche
ihr die Form für ihre geschichtliche Existenz und für ihr eigen-
tfimliches Selbstgef&hi verschafft hat. Denn worin ihre Ver-
treter am meisten lutherisch zu sein meinen, nämlich in ihren
Ansprüchen lür das Bekeiiutuis, darin grade sind sie ei^;L'iit-
liche MeLiuchthonianer. Aber der Undank gegen Melanchthon
setzt sich weiter fort in allen möglichen geschicbtswidriixen
Erfindungen, wie neuerdings die ist, dass ^sein prüfender
Kopf fiber die alte Kirche niemals zu abschliessenden Resul-
taten gelangt sei**. Freilich ebenso unbegründet ist es, dass
er in einem andern theologischen Lager zum Helden und
Märtyrer einer Unionstendeuz gemacht wird, die er so, wie es
gewfinscht wird, nicht gehegt, die er nicht mit erkennbaren
Mitteln als Lebensaufgabe verfolgt hat, und die damals jeden-
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110 RITÖCHL, DIE ENTSTEHUNG DER LUTHERISCHEN KIRCHE.
IkUs zkUoB war. Denn wenn in der AbendmaliMebre ein
Compromiss zwischen Melanchthoa und Calyin erreichbar war,
so wird diese Möglichkeit aufgewogen durch die Unvereinbar-
keit der Ansichten beider Männer über Freiheit oder Unfrei-
heit des Willens in der Bekehrung nnd aber PrftdeBtinatieiL.
Dass nftmlich Calvin in Hinsicht der theologischen Lehie-
weitherziger gewesen w8re als Flacins, wnrd keiner glauben
und keiner beweisen. Also mache man nicht die deutlich
erkennbare Kirchengeschichte zur Legende ^ indem man Me>
lanchthon zum Urheber einer fost fertig gewordenen evangeli-
sehen Unionskirche stempelt, welche nnr nicht Tollstftndig auf
die Ffisse gestellt' worden wSre, weil einige bOse Menschen es
verhinderten. Der Urastiind, dass mau immer noch um Ge-
rechtigkeit für Melanchthon kämpfen muss, ist ein Zeichen
davon, dass die kirchliche Parteisucht bis auf die Gegenwart
den gewissenhaften Qebranch der so leicht zngftnglichen ge»
sdiiditlichen Urkunden von sich weist. Sie will nnr von
Mythen und Legenden leben!
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Bditische Uebersicht
über die kirchengeschichUicheD Arbeiten
aus dem Jahre 1875.
L
ÖeBohichte der Kirclie bis zum Gonoil von Nicät^
Von
Dr. Adolf Harnack
in Leipzig.
1. Das apostolische Zeitalter.
y. Bleek, Einleitung in das Neuo Testament, 3. Aufl., besorgt ?on
Dr. W. Mangold (BerliD, G. Reimer). XII, 924 S. in gr. 8.
A. Hilgenfeld, Historisch-kritische Einleitung in das Nene Testament
(Leipxig, Fnee). VIU, 828 S. in gr. 8.
Das Jahr 1875 hat uns zwar keine zusammenfassenden,
grösseren Arbeiten über die Geschichte der Kirche im aposto-
liachen Zeitalter gebracht, wohl aber enthalten die beiden
iiOQtestamentlicben EinleitnngBwerke yon Mangold und Hil-
genfeld Entwürfe zu einer solchen. Mangold hat in dem
14. und 15. Paragraphen seiner Neubearbeitung der Bleek-
8chen Einleitung die Geschichte der neutcstamentlichoii Kritik
seit Strauss und Baur meisterhaft skizzirt und zugh ich klar
und hestimint gezeigt, wo die richtigen Gnmdlagen für die
hiBtorisdie ▲nffassong der EntwicUnng der Kirche im aposto-
fiachen Zeitalter zu Sachen sind. Mit Bedit rftckt er Bitsehls
112
KliiiLSCUE ÜBEKälCUTEN. 1875. I.
^, Entstehung der altkatholischen Kirche** (2. Avfl. 1857) in
den Vordergrund und stellt die „Geschichte der heiligen
Schriften Neuen Testaments" von Reuss (2. Aufl. 1H53;
6. Aufl. 1874) daneben. Trotz mancher bedeutender Ab-
weichuDgeD in einzelnen kritischen Fragen — Mangold ist
nicht so oonservativ in der Kritik wie Bitscbl, ¥gL die Ans-
fühmngen über das Johannes -Evangelium, die späteren Paulus-
Briefe und den ersten Petrus -Brief — liefern doch die neuen
Untersuchungen fortlaufend die Probe darauf, dass die Ritschlsche
AufCassnng des apostolischen Zeitalters Yon den richtigen Ge-
sichtspnnkten anigeht nnd im Stande ist, eine Beihe der
wichtigsten Prohleme, welche in den Resten der Literatur
jener Epoche gegeben sind, befriedigend zu lösen. Durch die
Unbefangenheit und Selbständigkeit aber, mit welcher Man-
gold die Untersuchung geführt hat, erhält diese Probe erst
ihren wahren Wert, nnd eben der Umstand, dass das Ton
Bitsehl gezeichnete Bild der Entwicklung im einzelnen Cor-
rectureu verträgt, wahrend die wescntlicliea Züge unverwischt
bleiben, bürgt dafür, dass die Umrisse desselben wirklich nur
auf Grund der sicheren Ergebnisse der Geschichtsforschung
gezogen worden sind. Neben Bitschis „Altkatholische
Kirche^' und Weizsäckers ausgezeichnete Abhandlung:
„Die Kirchenverfassung des apostolischen Zeitalters'' („Jahr-
bücher für deutsche Theologie'* i?<7^, S. 6.il — r>74) tritt
nun das Bleek-Mangoldsche Werk, geeignet, der weiteren
Forschung die wahren Probleme nachzuweisen und Ausgangs-
punkt und Grenzen fruchtbarer Untersuchungen zu bestim-
men. — Hilgenfeld hat in der „Einleitung", die mit
Recht als dankenswerte Zusammenstellung seiner vielfachen
und oft wiederholten Arbeiten allerseits begrüsst worden ist,
den herkönmilichen Stoff literargesehichtlich ange-
ordnet Ein reidies Material, einheitlich nnd gründlich durch-
gearbeitet, ist hier geboten; aber noch stOrender als bei den
Eiuzeluntersuchungen dieses Gelehrten tritt hier der metho-
dische Fehler hervor, epliemeren Ki-scheiuungeu , sei es zu-
stimmend, sei es ablehnend, nachzugehen, Hauptprobleme in
die zweite Beihe, Unwesentliches in den Vordergrund zu
rQcken. Ein richtiges Bild vom gegenwärtigen Stande der
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ALTE KIRGHENQE8GHICHTE BIS 395, VON HARNACK. 113
Forachung, von dem TerachiedeDen Werte der schwebenden
Probleme wird der Lernende nnr mit Mübe gewinnen, und
wenn man wirklich in manchen Paiticu den Verfasser über
seinem Werke vergisst, so liegt dies einzig daran, dass der
Name des Verfassers bei niclit wenigen Bewe^mgen der
kritischen Brforschimg des Neaen Testaments unter den ersten
steht Der historische Standpunkt Hilgenfelds ist bekannt.
Eine Vergleichung dieses seines neuesten Werkes mit Sch weg-
lers ,, Nachapostolischera Zeitalter" (1846 u. 1817), zu der
man sich oft aufgefordert fühlt, zeigt, wie grosse Einschrän-
kongen das Banrsche Grundschema, welches fibrigens Hilgen-
feld niemals völlig acceptirt hat, sich hat gefallen lassen
müssen. So ist Hoffnung vorhanden, dass Öbcr die wichtig-
sten Fragen aus der Entwicklungsgeschichte der filtesten
Kirche eine Einigung zu erzielen ist, wie man denn auch
selbst in Overbecks Arbeiten über die Apostelgeschichte
(1870) und Justin („Zeitschrift fSr wissenschaftliche Theo-
logie" 1872, S. 305 — 349) — so paradox dies erscheinen
raai:,' — Linien, die von Baur und Zeller zu Ritsehl führen,
unschwer erkennen kann. — üeber den Stand der Evan-
gelien-Kritik hat neuerdings H. Holtzmann in den
„Jahrbflchem fflr Protestant Theologie'' (1875, S. 583—635)
berichtet. Die johanneische Frage ist durch die Arbeiten
von W. Beyschlag^), K. Hase^), Th. Keim=*). E. Lut-
hardt^) wiederum bewegt worden. Hase hat sein früheres
1) W. Bey schlag, Zur johanneischen Frage (in den „TheoL Stnd.
0. Krit" 1874, S.607fl; 1875, S. 235f. 413 f. Auch aeparat enebienen
in etwas erweiterter Gestalt: „Zur johanneischeii Frage. Beitrige anir
WflrdIgODg des vierten EvaiigelliiiDs gegenQber den Angriffen der kriti-
schen Schnle." Gotba, Friedr. Andr. Perthes, 1876; XYI, 2608. in gi . 8).
Zu Job. 21, 22f. vgl. W. Grimin In der „Zeitschr. f. wissenschaftl.
Theol.« 1875, 8. 270-278.
s) K. Hase, Geseh. Jesu (Leipzig, Breitkopf a. Härtel, 1876). YIU,
613 8. ia gr. a YgL § 5 u. 6.
S) Th. Keim, Geschichte Jesu (Zfirich, Orell Ffissll n. Co.). Britto
Bearbeitong, zweite vielfach veriiaderto Auflage. XH, 398 8. in gr. 8.
E. Luthardt, Das johanneische EvangeHom. Erster TheiL
Zweite erweiterte n. mefarfoch nmgeatb. Aofl. (Nfimberg, C. Geiger.)
TI, 530 8. Das Werk Aber den johanneischen Ursprung des vierten
Mtoelur. t K.-0. 8
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114
KBITISCHE ÜBERSICHTEN. 1876. I,
Urteil über den Verfasser des vierten Evangeliums dahin ge-
ändert, daas dieses Buch auf Grund johanneischer Traditionen
von einem Schüler des Johannes, etwa ein Decemdum nach
dem Tode des Apostels, abgefasst sei. Mangold erkennt
ebenfalls in den inneren Gründen, ohne schon abschliessen zu
wollen, unüberwindliche Schwierii^keiteu gegen die Anerken-
nung der Echtheit, während Beyschlag, hauptsächlich
Keims Thesen i)estreitend, aber auch schon tumultuarisch
von ihm abgewiesen, mit Oesehick den Versuch gemacht
hat, eine Reihe der drückendsten Schwierigkcitpn zu beseiti-
gen. Das gute Reclit der Tradition über den Verfasser des
vierten Evangeliums wird man gewiss noch lange bestreiten ;
vielleicht aber wird man sich früher über das Mass der Glaub-
würdigkeit, welches dem Buche zukommt, einigen. Den Ver-
teidip^ern der Echtheit liegt es ob, die psychologische
Frage eindringender zu erörtern. Unter den Arbeiten über
die Paulusbriete ist neben dem Commentar Volkmars ^)
zum B5merbrief der ausgezeichnete Ck^mmentar Lightfoots ^)
zum (üolosser- und Philemonbrief hervorzuheben. Letzterer
hier vor allem deshalb, weil er zwei musterhaft gründlich
gearbeitete Excurse über die Kirelien im Lycustale (S. 1 — 72)
und über die Irrlehre zu Colossä in ihrem Verhältnis zum
fiBsenismus (S. 73 — 179) enthält. Auf die Echtheitsfrage
geht Lightfbot nicht näher ein. Volkmar will in seinem
Coraroeutare vor allem Zusammenhang und Hauptgedanke
des Röraerbriefs auf Grund des Cod. B. klarstellen und ener-
gischer als seine Vorgänger mit allen „katholischen" Zu-
taten in Text und Erklärung aufräumen. Ohne Gewalt-
massregeln geht es dabei leider nicht ab. Dies gilt besonders
von den üntersuchungen über Ursprung und Alter der an-
EVangelmms ist 1875 in englischer Uebersetznnp orscliienen. E. Lut-
hardt, St. John tbe author of the fourth gospel. K^iaed, trunslat<?d,
and the literature niiich enlarged by C. R. Gregory (Edinburgh,
T. & T. Clark). XU, 3G9 S. in gr. 8. Hier ist die einschlagende Lite-
lator vollständi,£r mul mit der grOssten Akribie verzeichnet.
V) G. Volkmar, Paulos' Bdmerbrief o. e. w. (Zürich, C. Sclunidt).
XXII. 104, 24 S. in kl. 8.
B. Lightfoot, St. Pauls epistles to the ColosaiaiiB and to
Fbflemon (London, MacimOUui and Cknnp.). VI, 4M S. in gr. 8.
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ALTE KlRCHENGESCIUCnTE BIS 325, VON liAKNACK. 115
geblieh mosaiburtig zusammengefügten Seblnsscapitel dee
Briefes. Die Zuversicht, mit welcher hier Tendenzen erspürt
und Zeit- und Ortsbestimmungen ermittelt werden, stobt in
umgekehrtem Verhältnis zur Sicherheit der Combinationeu.
Den Philipperbrief bat Sw Hoekstra^) einer kritischen Prfi-
fiing unterzogen; 0. Holsten^ hat mit einer solchen eben
begonnen. Jener schliesst mit dem Resultate ab, der Brief
sei um die Jahre 120 — loO uach der Apostel-Gescbicbte, aber
vor dem ei-sten Tbessalonicherbrief abgefasst. Auch Holsten
scheint die Editheit des Briefes beanstanden zu wollen; er
hat bisher nur eine Analyse des Gedankenganges g^ben.
Man darf sicher hoffen, dass diese neuen Versuche, den Brief
zur Urkunde eines nachapostolischeu. conciliatorischen Unions-
paulinismus umzustempeln, bei den Kritikern iu Deutschland
nicht eben vielen Beifall finden werden. Die Methode, welche
Hoekstra noch immer vertrauensvoll anwendet, ist in der
Tat sehr geeignet, die kritische Forschung im Neuen Testa^
ment wirk^iiii zu discreditiren. Von Holsten wird man immer
lernen, wo es sicli um scharfe Erfassung des Einzelnen ban-
delt. Auf eine richtigere Würdigung des Philipperbriefes
hat er selbst hingewiesen mit dem Satze: „Paulus selber ist
der erste, der im Römerbrief jenen irenischen und concilia-
torischen Ton anstimmt, der die nachpaulinische Entwicklung
cbarakterisirt . . . , der das tiefe Bedürfiiis <^^efüblt hat, dass
um des Christentums willen das Judeucbristentura mit dem
fieidenchristentnm müsse versöhnt werden'' („Zeitschrift für
wissensohafUiche Theologie** 1872, S. 456) — Die Petrus-
1) S. Hoekstra, Over de Echtheid van den Brief aan de Plii-
hp|>onaen (in der „Theol. 'lijdschi-ift " 1875, p. 41G — 47bj. Da^'cgen
Hilgenfeld, Hoekstra und der Philipperbrief (in der „Zeitachr. L
wisBenschaftl. Theol.** 1875, S. 566—576).
^) C. Holsten, Der Brief an die Philipper; eine exegetisch -kri-
tische Studie (in den „Jahrb. f. protest Theol." 1875, S. 425 — 495).
Ein zweiter und dritter Artikel wird folgen«
') Die Arbeit von C. Meister, Kritische Ennittelang der Ab>
fiwnmgaseit der Briefe dee heiligen Pftnlos (Regensburg, Pustet. XII,
219 S. in gr. 8), ist swar von der theologischen Faenlt&t der ühiver^
sitit WOrslnug mit einem Pkeise gekrönt weiden, darf aber dem on-
gtacbtet als völlig wertloe bezeichnet werden. Der Verfasser glaubts
8»
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116 KRITISCHE 0BEB8ICBTEN. 1876. I.
briefe und der Judasbrief sind von K. von Hofmaun
nntennicht worden. Hofinann yenacbt bekanntUdi die tra-
ditionellen Daten in Bezog auf alle drei ürlmnden zu ver-
teidigen , ohne grade neue Gesichtspunkte hier geltend zn
machen. Für die Echtheit des ersten Petrusbriefes ist auch
ein niederländischer Gelehrter, C. H. van lihijn'^), einge-
treten. Die unverkennbare Abhängigkeit, in welcher der
Brief von den panlinischen Briefen steht, sacht Bhijn abzn-
schwftchen; denn eine directe Benntznug derselben dnrch den
Verfasser des Petrusbriefes erscheint auch ihm eine bedenkliche
Instanz gegen Petrus als Verfasser. Allein die Beziehungen
auf Römer- und Epheserbrief sind zu deutlich und deshalb,
wie auch Mangold richtig sieht, der petrinische Ursprung sehr
zweifelhaft. Aber mit der Daürung des Briefes bis in die
Zeit Trajans oder mit Zeller bis in die letzte Zeit Hadrians
hinabzugehen, ist «lurcliaus nicht angezeigt; im Gegenteil: es
erscheinen die Verfolgungen, unter denen die Gemeinden zu
leiden haben, durchaus noch nicht als staatlich angeordnete.
Die Frage, ob Petrus nach Born gekommen ist, ist jOngst
wieder zwischen Zeller und Hilgenfeld ^) verhandelt wor-
den. Neues Material, neue Gesichtspunkte konnten natürlich
die Grauten nicht übencbieiten sn dürfen, welche das ConcU von Trient
der kritisdien Forschung gesteckt hat. So hält er es denn ancb ftr
ansgemacht^ dass Paulus vierzehn Briefe geschrieben hat.
1) E. von Hof mann, Die heilige Schrift Neiii n 'IVstamenta zn-
sammcnh&ngend untersucht (Nördlingen , H. Heck). VII. Teil, 1. Abt.:
Der erste Urief Pctri (IV, 2;il S.); 2. Abt.: Der «weite Brief Petri tmd
der Brief Juda (V, 22i> S, in 8).
H. van Rhijn, De jongst^j Bezwann togen de Eihtheid van
den t-Tston I'rief van Petrus getoctst (Utrecht). 122 S. in 8.
3) K. Zeller, Zur Petrusfrasre ; ein offenes Schreiben n. s. w. (In
der „ZeitÄchr. f. wis.senschaftl. TheoL" 1876, S. 31-56).
*) H i I ge n fei d , Petrus in Rom ; ein offiones Schreiben an ...Zelkr
(a. a. 0. 1876, S. 57—80). Der Aufsatz von Martin: „La venue et
le martvre de St. Pierre a Rome (in der ..Revue des quest. lüator.",
T. XVIII, livr. 35, }». 2028q. [Jali]) ist mir nicht zugfingli. Ii trewesen. —
Die Abhandlung von A. Finger, Waren die ersten Christon Coniniu-
nisten? (Prgr.; Frankfurt a. M., K. Tk Vidcker; 15 S. in gr. 4) bringt
eine populäre Erörtenmg der Frage in durchana eacbgemieaer Weise
(gegen Benan n. a.).
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ALTE iUKCUENGEäCUICUTE BIS 326, VON UAENACK. 117
hier nicht mehr gewonnen werden. Mit Recht stützt sich
Hilgen feld für die Verteidigung der traditionellen Nachricht
auf I. Clem. ad Cor. cc. 5 u. 6 ; wenn auch nicht Sicherheit,
80 doch grosse Wahrscheinlichkeit ist hier zu erzielen. Zeller
yerBQcht das Zeugnis des Ensebios, Papias habe den ersten
Petrusbrief benutzt, zu entkräften, verneint die Beweiskraft der
Clemensstelle und will von einer Combimition von Papias bei
£aaeb., Bist. eccl. III, 39, 15 mit Giern. Alex. a. a. 0.
n, 15, 2 (VI, 14, 6 ff.) nichts wissen. Dagegen erscheinen
die pseudoclementinischen Geschichtsentstellungen wieder im
Vordergrund, deren Alter ebenso wenig ermittelt ist, als der
Zeitpunkt, seit welchem sie die Traditionen der Grosskirche
za trüben begonnen haben. Dies führt indes schon in das
Bachapostolische Zeitalter hinüber.
2. Dm aaoliaposiollsohe Zeitalter.
(ApottoliKhe V&ter. PseadepigrapheD.)
Patram Apostolieornm Oper». Textom . . . reeeimeniiit . . .
O. de Oebliardt, A. Hamaek, TtL Zabn. Edii post Dreese-
lianam alteram tertia. Fase L: Barnabae ep. Qraeoe et Lal,
0emeiiti8 R. epp. B«ceii8Qenmt atque iUiistnTenmt, Papiae qnae
sapemut, Bresbyteromm leliquiai ab lieiL ferratas, Epist ad
Biognetnin adiecemiit O. de Gebhardt, A. Harnanlr. (Lipsiae,
J. C. HinricbB.) XCU, 248 S. in gr. 8.
„Der Apostolat des heilif^'cn liar u a bas" . ., Zur älteren
GfScUichte des liiiiuabah'Driefes'* (in der Zjitschril't ,,Der
Katholik*' 1875, September: S. 251— 2G7; Octubcr: S. 419-477.)
Hilgenfeld, Papias von Hierapolis (in der „Zeitachr. f. wisseuschaitL
Theol/* 1875, S. 231—269).
Loman, Het getuigenis van Papias over schrift en OTcrlOTeriDg 0n
der „Tbeol. T^dflchr." IHlb, S. 12ö~164).
L. iMlmbadh, Das BtpiaafragmeDt (Gotha, ¥tkär. Andr. FtortheB).
XVm, 189 8. in gr. 8.
D. Xartans, Fkpias ab Eieget vaa Logia dea Heeten (Amsteidam,
H. W. Hooij). 116 8. in 8.
0. Gebhardt, Collation einer Moskauer Handschrift des Mart. Poly-
carpi u. s. w. (in der „ZeitÄclir. für die histor. Theologie" 1875,
8. 355-395).
H. Holtzmann, Hermas und Johannes (in der ,,Zeitficbr. fftr wissen-
BchaftL TheoL" lb7ö, IS. 40—51).
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118
KHinSGHB OBEBaiCHTEM. 1876. L
Sa per natural Keligion. An enquiry into the rcality of divine
melation. Vol. I (XCVllI, 485 S.); Vol. II (VI, 512 S. in
gr. 8). VI edit. [edit I, 1874]. (London, Longmami, Gnien and
Co.) Dazu:
B. Ughtfbot, Sapematiural Religion (in ,,The Coniempoiuy Be»
Tiew" 1875). Art n, Jan., S. 169—188: ,»1%e silence of Enee-
bins". Art m, F^br., S. 337—368: „The Ignatian E^stke«*.
Art lY, May, S. 827—866: „Poiycaip of Smytna". Art. Y, Aug.,
S. 377-408. Art VI, Oct, S. 828—856: „Papias of Hie»-
polis".
OL Skworsow, Ffttralogfsehe Untersachnngen. Ueber ürapning der
problematischen Schriften der apoetoliechen Väter. (Leipzig, F. Flei-
seher.) IV, 170 8. in gr. 8.
Bo1>. Ii. B«iMly, The missing Ixagincnt of the latin translatiou of
the fourth hoolL of Ena, dieeovered and edited with an intro-
dnction and notee. Cambridge, at the üniieriiit) Press. 95 S. in
gr. 4 mit einem photogr. Pacsim.
Tidemann, Dt* apocalypso van Henoch en het Esäeni&me (in der
„Theol. Tijdschr." 1875, 261— 2i*6;.
In der Ani^be der Bogenannten apostolischen Väter,
welche von Gebhardt und Zahn in Verbindung mit dem
ßeferentPii unternommon haben, sollen die Texte exact und
mit Zuziehung aller Hüliismittel neu constituirt, die ein-
schlagenden kritischen, exegetischen und historischen Fragen
Irurz erörtert und die bisherigen Untersachnngen fibersichtlich
resumirt werden. In den Prolcgomenen ist ein Hauptnach*
druck geleert worden auf die Geschichte der einzelnen Schrift-
stücke iu der Kirche bis auf die noch vorliegenden Hand-
schriften und ältesten Drucke hin. Die Geschichte des Bar-
nabasbriefes (entstanden nach Meinung des Beferenten in
den ersten Jahren der Regierang Hadrians), dessen alte latei-
nische Version von Gebhardt in Petersburg neu verglichen
hat, ist neuerdings auch von einem Anonymus im Katho-
lik" (s. 0.) behandelt worden. Das Material hat der Ver-
fiuser voUstAndig znsammengetngen, aber das Urteil, welches
gefiUlt wird, der Brief sei niemals im JB^anon einer „Mattei^
Idrche" gewesen, entspricht dem Tatbestande nicht. Der an-
dere Aufsatz in derselben Zeitschrift (von demselben?) über
den Apostolat des heiligen Barnabas ist wertlos; er bringt
nicht einmal eine grfindliche Darstellong der Geschichte des
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ALTE KIKCHENGEÖCHICUTE BI6 ai2.3, VON UABNACK. 119
Begriifos nApostolat** in der alten Kirche. Das römische
Gemeindeschreiben nach Korinth, welches unter
Clemens' Namen bekannt ist, ist vom Keterenten in Ueber-
eioätimmung mit den meisten iiiitikern zwischen 93 nnd 97
angesetst worden 0* noch genauere Datirong wäre
möglich, wenn die Person des Verfassers sicher mit der des
Consnl T. PL Clemens identificirt werden dürfte. Das ist
zur Zeit noch nicht gestattet Den sogeuatinten zweiten
Clemensbrief hält Referent, Hilgen feld folgend, für das
römische Gemeindesohreiben, welches Dionysias von Korinth
bei Eoseb., Hist. eccL IV, 23, 10, so rOhmend erwfthnt —
Die Fragmente des Papias sind yon Hilgenfeld and dem
Beferenten zusammengestellt^), von Lightfoot (s. o.) und
Hilgenfeld eingehender besprochen worden. Besonders aber
hat das berfihmte Fragment bei Eosebins seit Weiff enbachs
Arbeit (1874) wieder an& neue die Kritiker gelockt Gegen
Weiffenbach stehen in der Hauptsache Hilgenfeld, Leim*
bach, Martens, Lightfoot; für ihn Lipsius, Keim,
Loman, sofern man als Hauptsache die Beantwortung der
Fr^e bezeichnet, wieviel Zwischenglieder nach dem eignen
Zengnis des Papias zwischen ihm selbst and den Aposteln lie-
gen, nnd ob Papias den Apostel Johannes persönlich gekannt
hat. Leiml)ach in seiner gniiiiUichen, aber breit und wenig
auziehenii geschriebenen Abhandlung entscheidet sich dafür,
dass unter den ngtafivTigoh als dem ersten Tradition^liede, die
1) Alu Weitesten honmter rückt die Abfiissungszeit des Jiriefea
Hausrath in seiner ., Neutostamentlichon Z»'itgcschichte". Von diesem
Werke ist in zweiter Auflage bereits .1. r dritte 15and (Heidelberg, Basser-
niann; VIII, 510 8, in gr, 8) eri^chienon. Da die neue Autlage sich
nicht weseutiich von der ersten unterachcidet , ao genüge hier die Ver-
weiiUDg.
2) Vgl. betreffe christlicher tlavischer Gräber die intere^^santen
Fände von de Uossi im ,,Bullettino di archeologia Criitiaua" lÖ7ü,
Heft I. § 5; Heft II, §§ 4 u. 5.
3) Das sogenannte Älarienii-agment darf nicht mehr in einer Sanim-
Itmg von i'apias- Bruchstücken tiguriren. Schon 1865 hat Lightfoot
(Ep. to tbe Galat., p. 259sq. ; vgl. Contemp. Rev. 1875, Oct., p. 8528q.
not 3) nachge>viesen , dass es dem Lexicographen Papias (XI saec.) ge-
Urt. Vgl. Hofstede de Groot, Basilides (1868) p. 112, not. 2.
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120
KBinSOHB OBEBSICHTEN. 1875. I
Apostel mitzaverstehen seien, daas Papias mithin sowohl di-
rect noch von den ersten Zeugen gelernt, als aach bei daran
Schfilern Erkondigungen eingezogen habe, ünter dieser Vor-
aussetzung hält er es für sehr walirscheinlich , dass der von
Papias gemeinte „Presbyter Johannes** kein anderer als der
Apostel selbst ist (so Zahn, lüggenbach u. a.); jenen habe eist
Bosebios, der überhaupt das Fragment misveratauden, za einer
vom Apostel versdiiedenen Person gestempelt. Beferent meint,
dass diese Auffassung selbst mit alkn diesen Consequenzen kaum
unwahrscheinlicher ist als die vielen entgegenstehenden, hält
aber ein abschliessendes Urteil bei dem Stande des Quelien-
materiais überhaupt für unstatthaft. Am TorsichtigBten hat
wohl Hilgenfeld in der Johannes -Frage genrteilt; aber die
Möglichkeit, nuga im Eingang des Fragments von einem nur
mittelbaren Lernen bei den Presb\^tern zu verstehen, muss
zugestanden werden, und der mit li livögiai b^iunende Satz
braucht nicht notwendig Apposition zu xolq nQtaftviiguty
Xiyavg ZU sem, wie Keim, Weiffenbach folgend, richtig
gesehen hat. Zu einer Instanz gegen das directe Zeugnis
des Irenüiis und mancher anderer über l*ai)ias als Johannes-
Schüler darf ein exegetisch so unsicheres Trümmerstück nicht
gemacht werden. Die neue Erklärung Leimbachs zu ^ ttg
VTi(fog — a n ist SO unwahrscheinlich wie mOglich. Dagegen
ist es ein sehr dankenswertes Resultat seiner Abhandlung,
dass aufs neue sicher gestellt wird, dass Papias in dem von
. Eusebius mitgeteilten Bruchstück nicht angeben will, woher
er die koyiu selbst geschöpft habe, soudein nur über welches
Material er für die Erkl&rung derselben verfügte. Die um-
ächtig geschriebene Martenssche Arbeit bringt nichts
neues; dagegen ist sehr beachtenswert, was Lightfoot
a. a. 0. über das Georgios-Hamartolos- Fragment bemerkt
hat. Es ist zu bedauern, dass noch immer von manchen
Kritikern (Holtzmann, Hansrath, Keim) aus diesem
Bruchstück geschlossen wird, Johannes habe in Fftlftstina den
Märtyrertod erlitten; als ob nicht — wenn denn Johannes
wirklich als Märtyrer den Tod gefunden hat, was mehr als
unwahrscheinlich ist — auch die Juden in der Diaspora,
zumal in Kleinasien, seinen Tod herbeigeführt haben könn*
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ALT£ lUBCUEMO£jäCUICilT£ BIS 325, VON UA&NACK. 121
ten — Eine bisher unbenutzte Handschrift des Mart.
Pol VC. hat von Gebhardt (s. o.) in Mockau verglichen.
Die Handschrift stinanit mit dem betreffenden Abschnitt bei
Ensebiiis, Eist eocL IV, 16, mehr überein als iigend eine
andere der bisher bekannten, und darf somit als ein sehr
wichtiofer Textzeuge gelten. Sehr interessant sind die Schlus»-
bemerkungen in der Handschrift: Irenaus soll zur Zeit des
Todes des Polykarp in Kora gewesen sein. Es ist diese
Nachricht nicht unbedingt abzuweisen. Gebhardt hat
zugleich in der Abhandlung (S. 377 — 395) Oelegenheit ge-
nommen, die neue Waddingtonsche Berechnung des
Todesjahres Polykarps gründlich zu prüfen. Die Ge-
schichtlichkeit der Tradition, Polykarp sei unter dem Proconsul
Qoadratos Märtyrer geworden, vorausgesetzt, darf man mit
Sicherheit jetzt den Todestag auf den 22. Februar 155 oder
156 ansetzen*). — In seiner Abhandlung über das Yer-
1) Ausser den ob - n über FajMOB citirten Abhandlungen vergleiche
aas dem Jahre 1875 : U i 1 g e n f e 1 d , Historüch - kritische Einleitung in
das Neue Te8ta,ment 8. 52 f. 391 j f. u. s. w.j Bleek-Mangold, Ein-
leitung in das Neue Testament S. 1 1 '5 f : Keim, Geschichte Jesu (dritte
Bearbeitung, zweite Auflage) S. 41t". o78 — 382; Holtzraann in der
„Äeitschr. f. wissenscliaftl. Theol.*' S. 442 f. (über Luthardt« Johan-
neischen Ursprung); Ewald in den Gottinger Gelehrten - Anzeigen "
fc>. 103 f. (fibcr Weitfenbach): Lüdeuiaun im „Literar. ( ' iitralblatt"
8. 132 f. (über denselben); Hilgenfeld in ,,Zeitschr. für wissen-
schaftl. Theol." S. 600—606 (über Leimbach und Martens); Langen
iui „Theol. Lit.-H." Nr. 18 (über Leimbach); Keim, Neueste Papias-
grillen [in dor ,,Prüt. Kirchen-Zeituti'^'' " Nr. 38] (gegen Hilgenfeld und
Leimbacl), mit grosser Zuversicht in unstatthaftem Tone): dagegen li.'plik
von Hilgen feld (elx'udort Nr. 41); Antikritik vun Keim (ebendort
Nr. 45); vsl. auch Hilgen feld in der „Zeiti^chr. für wissenschaftl.
Theol." 1876. S. 175. 176; Tietz (Gymnasial-Directur in Hannover) in
der Evang. Kirchen-Zeitung" S. 556 — 560 (über VVeitTeultach tin«! Leini-
tmch). Tietz stimmt im wesentlichen mit Leimbach gegen W eiffcnbach;
nur nicht 1) in der Erklärung des r, — « jb; 2) in der Identifi-
cirung der beiden Juhaiuies. Ligthfoot, Ep. to the Tolot^s. p. 1 sq. ^i^c, ,
pai>sim. Der Aufsatz über Papian in der ('Dutenip. Rev. (s. o.) ist in
der Hauptsache eine Polemik ge^eu den Verfastier von „Supematoral
Beligion
^) Gegen <lie neue Datirung hat, .soweit Keferent sieht, nur Keim,
Geschichte Jesu (1875) Ö. 381 f. Einsprach erhoben. Unter den von
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122
KBmaCHB OBEBSIGHTEN. 18T5. X.
hältnis des Hermas za Johannes (resp. dem ?ierteii Evan-
gelisten) sacht Holtzmann (s. o.), fibnlieh wie er das frflher
G^Zeitschr. f. wissenschaftl. Tfaeol.'' 1871, S. d36f.) betreflb
des Barnabasbriefes gezeigt, nacli zuweisen , dass auch im
Hirten mehr oder weniger schülerhafte Versuche, vorbereitende
Ansätze eines christlich - theologischen Gedankenkreises si<di
fänden, der in classischer Weise durch das vierte ErangaUiuii
reprSsentirfc sei. Die üntersnchungen sind methodisch ▼((llig
richtig angelegt, indem sie einer riaL;e nachgehen, deren Be-
antwortung bisher so wenig gelingen wollte, wie das Johannes-
Evangelium und die Theologie seines Verfassers geschicht-
lich zu begreifen sind. Wie man auch über das literarische
Verhältnis der beiden Werke denken mag — Beferent hält
die Annahrae einer Benutzung in beiden möglichen Formen
für ungegründet, das Evangelium aber zweifellos für älter — ,
solche Spuren, wie Holtzmann sie nach dem Vorgänge Zahns
(Hirt des Hermas [1868] S. 465 f.) aufweist, müssen sorgsam
beachtet werden; denn sie bringen wenigstens ein kleines licht
and bleiben wichtig, auch wenn der Hirte später als das Jo-
hannes-Evangelium abgefasst und von demselben unabhängig
ist. — Für den Diognetbrief — der nur aus Connivenz gegen
herkömmliche Ansichten in die nene Ausgabe der „Apostoli-
schen Väter** angenommen ist — hat Gebhardt das „Apo-
graph. Stephan! Leidense" und die „Edii prinoeps" dee
Stephanus neu verglichen. Er hat überzeugend nachgewiesen,
dass jenes sicher als eine Abschrift des im Jahre 1870 in
Strassbnrg verbrannten einzigen Mannscriptes des Briefes
zu betrachten ist. Beferent konnte die Zeitlage dieses Briefes
nicht näher bestimmen, als dass derselbe nicht Tor dem dritten
Drittel des zweiten Jahrhunderts und nicht später als im
Anfang des vierten Jahrhunderte abgefasst sei. Er Yieitm sich
ihm beigebraehteo Giflnden kommt nur deijetiige in Betnwbt, weleher
dch' knnweg gegen die Geschicbtlichiceit dee Namens des Quadratos
in diesem Zneammenbange richtet. Aber grade ein solcbes Datom darf
nicht ohne Grand verworfen werden. Die Waddingtonsche Berechnnng
hat Gehhardt insofern Terbessert, als Waddington fälschlich das Jahr
165 allein angegeben hatte.
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ALT£ KLRCUENGiBäCUICUTJ!: BIS 325, VON HARNACK. 123
dabei F. Overbeck zu Dank verpflichtet — Durch die
fleissigen , aber unkritischen Arbeiten des anoiiyiueii Ver-
fassers des Werkes „ Supei-natiiral Keligion der in der Kritik
bedingongalos dem MisdeBfebietonden die Palme g^eben hat,
And die sehr trefEHchen Anftfttze Ton Lightfoot in der
„Contemp. Rev." über die apostolischen Väter in ihrem Ver-
hältnis zu den Evangelien (a. o.) hervorgerufen worden. Das
anonyme Werk bat ja in England so ungeheueres Aufsehen
gemacht, dass binnen Jahresfrist sechs Auflagen nötig waren.
Man wird es seinem Verfasser zugestehen mflssen, dass er
mit dem pünktlichsten Fleisse gesammelt hat; aber er hat
sicher vor Bearbeitung des grossen Materials mit seinem Ur-
teil abgeschloäseii und braucht die Geschichte selbst nur als
illostration seiner Dogmatik. Das beweisen die vielen halben
und ganzen Betractationen, Gorrectnren, Salvimngsversnohe, die
er in den folgenden Auflagen angebracht hat Lightfoots
Artikel darf man wohl als vorhiutige Abschlairszahluiig auf
die Fortsetzung einer mit den Clemensbrieten so rühmlich
begonnenen Ausgabe der „Apostolischen Väter" betrachten.
Mdge sie nicht zu lange auf sich warten lassen. — Die „F^
trolegischen Untersuchungen*^ des Eiewer Professor Skwor-
zow verdienen — ohne Hyperbel gesprochen — eigentlich
kein einziges kritisches Wort. Die Beliandlung der deutschen
Sprache in diesem Buclip ist noch erträglicher als die Be-
handlung der Quellen; letztere werden nur dort richtig ver-
standen, wo der Verfasser wie znföUig bald diese, bald jene
M F. Overbeck (Studien zur Geschichte d- r alten Kirche, Hett I
[Schloss- Chemnitz, E. Schinitzner, 1875; Vlli, 231 S. in gr. 8], Ab-
handl. I, S. 1 — „Ueberden pseudojnptini.schen Brief an denDiognet")
will uiit dem Brief in die nacliconstaritinisclje Zeit hiiiui)g<^hen , indem
er die Situation, aus welcher derselbe gesdiricben ist, fiir fiiii^nrt er-
klärt. Davor sollten schon die chri8tolo<^nschc'n terniini. welche d'-r Ver-
üi*6*.r lies Brictes braucht, warnen. Da die Overbeckache Abhandlung
wesentlich nur ein Abdruck des Prgr. von l.s72 ist, m mag die Ver-
woirfung genügen. Zusätze findet man S. (> f. 70—92. In den letzten
Jahren sind aul patristischeni Gebiet wenig Arbeiten erschienen, aus wel-
chen man nach Methode und Inhalt so xh^r< lernen kann wie aus
die&er. Referent hebt dies um so nachdnicklieher liervor, da das Resultat
der Arbeit auf nicht wenige abschreckend gewirkt hat
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124
KiaiiJStUE ÜBliKSlCHTKN. Iblb. L
SpecialunterBiicbang oder Webers Weltgeschichte benutzt. Nur
als Probe sei luitgeteilt, dass nach Skworzow der Verfasser
des ignatianischen Kömerbriefes in dem Briefe gar nicht von
seinem Märtyrertode, sondern von einem bevorstehenden Kampf
mit Hftretikeni gesprochen haben soll. — In Benslys PubU-
cation (s. o.) begrtaen wir die nun voUstSndige alte latei-
nische Uebersetzung des vierten Esra-Buchcs. Bensly
hat zunächst nur das bisher in den lateinischen Versionen
fehlende Stück (zwischen VII, 35 u. 36) mit musterhafter
Treue aus einem vollständigen Codex der Biblioth^ue Com-
munaie zu Amiens (Mher zu Alt-Corbie) saec IX. heraus*
gegeben und besprochen. Zugleich aber erhalten wir hier die
wichtige Einsicht (Bensly verdankt sie Gildemeister), dass
alle die zahlreichen verstümmelten lateinischen Esra- Hand-
schriften, welche bisher verglichen sind, auf den CkKL Sangerm.
saec. IX. zurflckgehen, in welchem (aus dogmatischen Grflnden)
ein Blatt — eben das betreffende — ausgeschnitten worden
ist. So ist denn hier völliges Licht in die handscliriftliche
Ueberüeferung gebracht. Die Codd. Corb. und Sangerm. sind
allein zu benutzen. Bensly bereitet eine neue Ausgabe des
vierten Esia- Buches vor, die, nach dem grfindlichen Speci-
men zu urtdlen, welches er vorgelegt hat, gewiss vortrefliich
sein wird. — Die neuen Versuclie Tidemauns, die ver-
schiedenen Stücke, aus welchen die jetzt vorliegende H e n o c h -
Apokalypse zusammengesetzt ist, auszuscheiden und zu da-
tiren (s. o.), fahren zu folgenden Ergebnissen: 1) Das ur-
sprüngliche Buch sei aus den ersten Tagen der Makkabäer-
Herrschaft; 2) C. 17—19. 41, 3—9. 43, 1. 2. 44, 7—55, 2.
59. 60. 65 — 69, 25. 70. 106. 107 geliören zusammen als Apo-
kalypse Noah und sind circa 80 n. Chr. von einem in Gnostik
und Kabbala heimischen Juden geschrieben; 3) die drei Beden
in der Bildersprache: a) c 37—41, 3. 42. 43, 2-- 4. 45—54, 7.
55, 3; b) c. 57; c) c. 58—65. 69, 26 — 29. 71 stammen
aus der Zeit Domitians und der ersten Zeit Trajaus zur Zeit
der Partherkriege (Anspielung auf Christen vcifolgung). Ausser-
dem werden Zusätze eines christlichen Qnostikers (c 108) der
Richtung Satumins (vgl. Hilgenfeld) nach dem Jahre 125
und katholische Einscbiebungen (c. 90, 38. 105, 2) angenom-
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ALTE ia&Cü£Na£SCUICHT£ BIS 885, VON UAENACK. 125
men. Successiv soll an dem Buche pharisäisches Judentum,
Essenisraus, christliche Weisheit beteiligt sein. Referent
glaabt nicht^ dass diese immerhin massvoUe Hypothese im
einzelnen himeichend begrOndet ist; Spuren eines christ-
liehen Gnosticismns in dem Henoch- Buche kann er ebenso
wenig entdecken als specifisch Essenisches. Ueherhaupt sollte
man mit der Anualmic christlicher Zusätze oder Interpohitionen
in den jüdischen Apokalypsen sehr Torsichtig sein.
3. Cfaiostiker.
H. X«. "MsnMA, The OnoBtio Herenes of tfae fintt and second een-
ttiries... edited by R Ligbtfoot (London, J. Mnrray). XXXII,
288 S. in gr. 8.
A. Idpsius , Die Quellen der Sttosten KetaECfigesehxebte neu untersucht
(Leipzig, A. Buih). VIII, 258 8. in gr. 8. Dasn Volkmar in
der „Jen. Lit-Ztg." Art. 531.
A. Iiipsius, Simon der Magier (in „Schenkels BiUIlexicon*" Bd, V,
S. 301—321).
A. Hilgenfeld, Dor Gnostilior Apelles (iu der „Zeitöchr, für wissen-
schaltl. Theol." 1875, S. 51—75).
A- Hamack, itnige zur Geschichte der raarcioniti^chea Kirchen (in
der „Zeitscbr. t. wieeenBch. Theol.'' 1870, S. 80—120).
C Iiainibaeta, üeber den pokmiaehen Sofaliue des Canon Hnrat. (in
der „ZdtBcbr. f. Infb. Theo!/« 1875, S. 461--470).
W. Chraf Bandimdn, Der ürsprung des Gottesnamene )m» (in der
,,Zelt8ebrift ftr die histoiisebe ^Theologie" 1875, S. 809 —354.
455..456).
A- Geyler, Das System des Manichäismiis und sein Verhältnis zum
Buddhismus (Inaug.-Diss. ; Jena, Deistnng). 62 S. in 8.
Die Vorlesungen M a n s e 1 8 , weil. Professor der Eirchen-
geschichte zu Oxford, fiber die gnostischen Systeme,
welche Lightfoot herausgegeben hat, sollen in erster Reihe
wohl dem Gedächtnis des in England hochangeschenen Pro-
fessors (vgl. die Skizze seines Lehens in der Einleitung
p. V — ^XXII vom Earl of Carnarvon) gewidmet sein. Mansel
war mehr Philosoph als Historiker: seine Darstellung des
Gnosticismns (in 18 Vorlesungen) lehnt sich an Neander,
Matter und ßaur an, ohne Anspruch zu erheben, Neues
zu bringen. Der Stell ist im ganzen einfach und Übersicht-
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126
KBITISCHB CB£BSICHTE;N. I.
lieh gruppirt; aber die B»nirteiluiig ilcr gnostischen Bewoo^un-
gen im grossen und im einzelnen, wie sie Mansel gegeben
bat, darf ia Deutschland jetzt als antiquirt gelten. Referent
yerweist, tun dies abfilllig^ Urteil sro erhärten, beispielsweiBe
auf <iie 14. Vorlesiini^ über die Pseudoclenientinen. Ohne
umfassende und iiiiiktliche Quellenkritik lassen sich die ein-
zelnen gnostischen Systonio und die Geschichte ihrer Ent-
wicklungen nicht beschreiben. Lipsius, der zuerst 1866 in
seiner „Quellenkritik des Epiphanios*' hier Bahn gebrochen
bat, hat nun die Arbeit von neuem wieder aufgenominea
und in den „Quellen der ältesten Ketzergeschiohte" das ge-
saramte Material einer zweiten kritischen Prüfung unterzogen.
Das Ergebnis der neuen Untersuchungen unterscheidet sich
yon dem der älteren hauptsftohlich darin, dass Lipsius, w&h-
rend er frQber das Justinische Syntagma aus Irenftus und
Hippolyt nach Disposition, Form und Inhalt reconstruiren zu
können glaubte, jetzt an solcher Reconstructiou verzweifelt,
dagegen als älteste heute noch erkennbare Quelle eine ketzer-
bestreitende Schrift aus der Zeit Soters statuirt, welche Irenftua
und Hip])olyt ausgeschrieben haben sollen (letzterer bat neben-
bei aucli den Ti.'cyyo; des Irenaus beiuitzt). lieber das .lusti-
nische Syntagma lasse sich nichts hs^stimmtes mein* sagen,
sicher wenigstens sei kein Grund vorhanden zur Annahme,
Justin habe den Marcion, indem er ihn für einen älteren an- '
gesehen, vor die übrigen Hauptgnoetiker gestellt; die Map-
vtmvoi des Justin und die MunyjiuifjTai des Hegesipp aber
seien nicht Marcioniten, sondern Marcianer (^larkosier) : Ter-
tuUiau und Origenes kämen als Quellen zur Erkenntnis des
Justinischen Werks überhaupt nicht mehr in Betracht; erste*
rer sei lediglich pedisequus des Irenäus und Hippolyt. Zwei
sehr ausführliche Ereurse über den Namen ^^Gnostiker" und
über die Zeit Marcions (iJasilides und Valentins) beschliesseu
die Untersuchung. Es braucht nicht erst bemerkt zu wer-
den, dass durch diese Arbeit die Sache um ein gutes Stück
gefördert worden ist, und besonders an den chronologischen
Baten wird nur Untergeordnetes zu beanstanden sein; aueb
wird man das Material kaum mehr vervollständigen können.
So gewiiis aber die Umbildung der früheren H>];)othese zu der
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ALTE KDICHENGE8GHICHTB BIS 825. TON BABNACK. 127
nun vorliegeudeu als ein Fortschritt zu bezeichnen ist, so
wenig kann sich Referent davon üherzeugen, dass die quellen-
kritisehe frage hiemit zum Abschlnss gebracht sei. Volk-
mar 8 Einwendungen freilich wird Lipsins meistens unschwer
zurückweisen können-, aber schon (Iiis, was Gebhardt („Zeit-
schiift f. d. histor. Theol.** 1H75, S. :i70— 377) beigebracht
bat, ist sehr geeignet, die Combiuation der Ma(>xmyoi vmA
Ma^wmai und ihre Deatnng als „Marcioniten'* zu em-
pfehlen. Der Stand der Frage fordert jetzt eine genane kri-
tische üntersuchnng des gnostischen Systems, der Zeitlage
und der Verbreitung der Sccte des Marcus. Mit einem
abschliessenden Urteil wird man bis dabin zurückhalten
Blässen. — Eine reichhaltige und ansführliche Abhandlang
Uber „Simon den Magier'' und die Simonianer hat Lipsius
in dem von Schenkel herausgegebenen Bibel - Lexicon (s.o.)
veröö'entlicbt. Ks wird in derselben der Versuch gemacht,
die Hypothese, nach welcher der gnostische Simon erst aus
dem clementinischen herrorg^angen sei, consequent durch-
zoffiluren: der clementinische Simon aber sei — vielleicht
imter Anlehnung an diesen oder jenen samaritanischen Goe-
ten — eben nur Paulus selbst. Referent hält diese An-
nahme, die hier sehr scharfsinnig verteidigt wird, für un-
durehffihrbar, — sollen denn gnostische Kreise erst von der
Groeskircbe den „Simon'' erhalteji und willig angenommen
haben? Der Nachweis ist zudem noch nicht erbracht, dass
die pseuJocleinentinischen Geschichtsentstellungeii l)is in die
ersten Deceimien des zweiten Jahrhunderts, wo nicht bis in
das £nde des ersten hinaufreichen. Sehr lehrreich ist, was
in der Abhandlung über das Verhältnis des Simon zu den
Dositheanem ausgeführt ist. — Hilgenfeld knüpft in sei-
ner Untersuchung über das System des Gnustiker A pell es
(s. 0.) an die Dissertation des Referenten „De Apellis gnosi
monarchica 1874'' an und polemisirt gegen die dort empfoh-
lene Wertung der QueUen, während er in den Haupi^unkten
der Quellenkritik sieb dem Referenten anscbliesst. — Zur
Geschichte der marcioui tischen Kirchen hat Referent
einige kleinere Beiträge zu geben versucht (s. o.). Seine
Abhandlung enthält: 1) eine Kritik des Berichtes des
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128
KBITISCHE ÜBERSICHTEN. 1675. I.
armenisclion Bischofs Esnig über die ^laieioniten auf Gmnd-
lage einer zuverlässigeren deutschen Uebei'setzung als der von
Nenmann 1834 gegebenen. Der Beriebt des Esnig zeigt uns
Maroioniten', deren Lehrsystem von dem des Ifanicbftismns
nnbeeinfluflst geblieben ist; 2) eine Besprecbnng einer wich-
ti[^en marciouitisclioii Inseln ift aus Syrien, in welcher ein
marcioüitisches Kirchengebäude avyayfoyr genannt wird. Bei-
gegeben ist ein Excurs über den Gebrauch des Wortes Gvt'u-
Ywyfi ^onym mit itekkijata in der alten Kirche; 3) die Mit-
teOong eines nrknndliehen Zeugnisses fiber marcionitisehe
Psalmen und daran angeschlossen eine kurze neue Erörterung
einiger Worte am Schlüsse des Fragm. Murat. 4) eine
Untersuchung des Wertes der Carmina Pseudotertuiiiani adv.
Marc, für die Geschichte des abendlandischen Marcionitis-
mns'). — In der interessanten ünterenchnng des Grafen
Baudissiu über den Ursprung des Namens 'laot (s. o.) findet
sich vieles F'inzelne, besonders in F]rklärung guostischer Aus-
drücke und Aeonennaoien, was der Specialforscher niciit über-
sehen darf — Die Dissertation Gey 1er s über den Mani-
chftiflmns und sein Terh<nis zum Buddhismus (s. o.) bringt
weder eine exacte Daistellung des Manichäismus (die arabi-
1) Vgl. hiezu auch „Zeitschr. f. luth. Theol."* 1875, S. 2U7. 208,
wo Referent auf (irund persönlicher Einsicht eine genaue Beschreibung
des von ilitn für tatiani gelesenen Wortes im Murat. gegelx'n hat. —
Leimbacli verteidigt mit K-echt (s. o.) in seiner Abhandlung die
LA. psalnioruni. Das Neue, was der Verfasser zur Kritik beigebracht
bat« ist unhaltbar.
2) Mit einer kritischen und historischen PriUnn^r jener carmina liat
neucrdintjs E. TTückstädt, lieber das pscudutertuliianische Gedicht ad-
versus Marci(ni('m (Leipzig, J. C. Hinrielis, l.sTö). 58 8, in gr. 8, be-
gonnen. Iliiekstiidt liat nachgewieKen (and<TH urteilt Hi Igen fei d in
der ,,Z. its( ]ir. f. wissenseh. Theol." 187»;, S. 154 f), dasB das (Jcdicht
dem vierten Jahrhundert angehört. .So liegt es ausserhalb des Kreises
der uns hier int^ressirenden Schriftstücke. Da aber vielleiclit noch an-
dere Kritiker der llilgenfeldschen Hypotheiie (drittes .Talir)iun<lert) zu-
Rtironien mögen, so sei hier auf die Arbeit Hückstödts weuigstens ver-
wiestn.
3) Vgl. auch die im zweiten Absciinitt citirten Arbeiten von Liijht-
foot (Colost^enieche Irrlehre) uudTidemanu (Gnosticismus im iienuch-
Bucb).
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ALTE KIBCHENaBSCHICHTE BIS SeS, VON HARNACK. 129
sdim Qaenen and wenig benutst), noch eine beachtenswert»
üntersachnng fiber die Yerwandtschaft jener beiden Eeligions-
Systeme. Ein paar Parallelen aufzuweisen, ist leicht genug.
Aber damit ist noch nichts erreicht. Ausserdem dürften erst
noch ganz andere religion^eschichtliche Untersuchungen an-
zustellen, leap. abzuBchiiessen sein, bevor man den Einfluss
des Buddhismus auf die vordmaiatischtti Systeme, der a priori
nicht unwahrscheinlich ist, zu erwägen unternimmt
4. Alildrohllolie Litei*al«rf esoldolito
▼OD Jottin big EoMbiiM.
Corpus Apologctarura Christianonun saec. sec. eihd. Th. eques
de Otto. Justini Ph. et M. Opera. T. I, P. I. fasc. I (plag.
1 — 6) edit. III. plorimmn aacta et emendata (Jenae, H. Dufit).
96 S. in gr. a.
B. Anbkt S. JuHan Fbtloflopha et Uartjr. iStude eritique snr Tapo-
kg^tiqiie ebi^ an U« «i^ (FluiB, E. Thoila). LXXVI, 862 S.
in gr. «.
üu Thoma, Justins literarisches Verhältnis zu Paulus und zum Jo-
hannes-Evangelium (in der „Zeitschr. f. wiBseoBch. Theol. ' 1075,
S. 383-412. 490—565).
I». Faul, Der Begriff des Glaubens bei dem Apologeten Theophilns
(in dm „Jahrb. f. ptot TheoL" 1876, 8. 546—669).
Th. SUhn, Zur Avakgnng und Teitfaitik einiger achwieriger patriati-
Bchtf Stellen (in der ..Zeitachrift f&r die hiator. Tlieologie" 1876,
8. e2--85).
B. Klussmann, Zu Miniicius Felix {im „Philologus" 1Ö7Ö, 8. 206—209,
und im „Rhein. Mus. i. Pbilol.'' Ib75, 8. 144).
Arnobii adverena nationea libri YII ree. et comment. crit
inatnudt A. Beültesdbeid. Corp. Script, eed lat YoL IV. (Yin-
dob., Gerold.) Till, 363 8. in a
A. Kurnack, Uobor eine in Moskau entdeckte und cdirte alt bulga-
rische Version der Schrift Hippolyts de anÜchristo (in der „ Zeitschr.
f. d. hirit, Theol." 1875, S. 38—01).
H. Schultz, Die Christologie des Origenes im Zusammenhang seiner
Weltanschaanng (in den „Jahrb. L prot. Theol." 1876, 8. 19a->247.
369—425}.
O. Bolanlar, Lea originee de la poMe ofar^ Lea apocryph. et lea
SibjlL (In der „Bevne de deuz monda" 1876, 1. JuiU., 8. 761!:)
ZMuht. r. E..0. 9
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130
XHmSCHE ÜBEBSIGBTEN. 187B. I.
Eusebii Chronicoriini über prior editl. A. Schoene (Berol., Weid-
mann). XVI, 297, 245 S. in gr. 4. iieiUtaiizeige io den „QiitL
Gel -Aiiz.** 1875, S. 1487— 15i)2.
8. Teufifel, Geschichte der ri'anischen Litcratar» HL Aufl. (Leipugp
B, G. Tealmer). XVI, 1216 & in gr. 8.
P. Oaspari, Ungedinclcte, unbeachtete und wenig beachtete QoeUen zur
Geschichte des Taufsyrabole nnd der GlaabenaregeL Bd. III, Univ.-
Progr. (Christiaoia). XVHI, 514 8. in gr. 8.
X*. Revillout, Le concilc de Nicee d'apres les textes coptes et les
diverses coUections canoniques (im „Journal Asiatique" 1H75, T. V,
p. 5—77. 209— 26G [Seconde seric de documents], p. 501—564).
Von einer neaen dritten Auflage der Werke Justins (im
Corp. Apologeti ed. Th. de Otto) liegen die ereten sechs
• Bogen vor und bekunden, dass dieselbe wirklich sowohl in
kritischer wie in exegetischer Hinsicht „plurimum aucta et
emendata'* geuaunt werden darf. Der Text ist auf Grund
einer neuen genauen Yeigleicbung des Cod. Clarom. consti-
tuirt; ausserdem aber erfahren wir zu üreudiger üeberraschung'
aus dem Vorbericht, dass in einem bisher unbekannten Cod.
Vat. ein grösseres Stück der ersten Apologie enthalten ist,
welches von Otto nun benutzt hat. Zu bedauern ist, dasa
der Herausgeber sich nicht entschlossen hat, den kritischen
und exegetiscben Apparat zu sondern i). Als eine Studie zur
christlichen Apologetik im zweiten Jahrhundert fUhrt sich
die Arbeit von B. Aub^ über Justin ein. Nach einer ge-
drängten üebersicht über die ersten Verfolgungen — ein
Gebiet, auf welchem der Verfasser besonders zu Hause ist —
und den moralischen Zustand des BAmerreiches in jener Zeit
handelt er von dem Leben und Zeitalter Justins, von der
Zeitlage der beiden Apologien, der Philosophie Justins in
ihrem Verhältnis zur stoisch -platonischen und besonders aus-
1) Th. Zahn bringt in seiner Abhandlnng (s. o.) kritisch- exege-
tische Vorschläge zn drei schwierigen stellen ans der I. Apologie (c. 3,
p. 54 C; c. 4, p. Ö5B. ; c. 10, p. 58 D.). welche Otto bereite erwogen
hat. Ausserdem bespricht Zahn dort noch die beiden oft untersuchten
Stellen Clem. Alex. Strom. VIT, 106, p. 898 nnd Ixen. UI, 11, 9. Die
Erklirang der letzteren ist Obeizengend.
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ALTE KIBCHENOESCBICHTE BIS 885, VON HAENAGK. 131
führüch \on den „Bapports et analogies de la doctrine chrä-
tienne et du pagaiiisme d'aprte S. Justin*' (S. 119 — 266).
Anhangsweise wird von den übrigen Apologeten des zweiten
Jahrhunderts und von den Ursachen der Verfolgungen ge-
sprochen. Die chronologischen Untersuchungen sind weder
umfassend, noch unter Berücksichtigung der neueren deut-
schen Arbeiten geführt; die Jäesultate deshalb unsicher
(L Apologie 142 — 150, doch dem letzteren Datum nfther;
n. Apologie 160 — 161; Tod 163. Sehr interessant ist der
Versuch [S. 68 — 76], die Zeit der Präfectur des Lollius Ur-
binus näher zu bestimmen; hier ist auch bisher unveröffent-
lichtes Material beigebracht Seferent hat noch nicht Zeit
gefunden, die neuen Bestimmungen genauer zu prflfen). Die
Teigleichenden religionspbilosophiscben Untersuchungen gehen
von einzelnen richtigen Gesichtspunkten aus und dürfen als
eine dankenswerte Bereicherung unserer Kenntnisse der Apolo-
getik gelten. Aber in dem Bestreben, bisher vernachlässigte
Seiten eneigisch zur Geltung zu bringen, die wahren Grund-
lagen der Theologie der Apologeten aufeudecken und zu zeigen,
in welchem Zusammenhang dieselben mit der idealistischen
Popiilarphilosophie der damaligen Zeit stehen, gerät der Ver-
fasser fort und fort in Gefahr, in das Extrem zu gehen und
den sicheren Blick fär das Eigenartige der Gedankenkreise
der Apologeten zu verlieren. A. Thoma sucht in seiner
Abhandlung (s. o.), die durchaus gründlich und umsichtig
gearbeitet ist, das Verhältnis des Justin zu Paulus und dem
vierten Evangelisten abschliessend zu erörtern. Er findet,
dass Justin die Werke beider gekannt, dieselben aber nicht
zu den heiligen Schriften gerechnet habe (das Johannes-Evan-
gelium spedell nicht zu den anofa'r,i(oyevftaTa)^ ohne dass es
deshalb notwendig sei, ein direct feindseliges Verhältnis des
Justin zu beiden Männern anzunehmen; das vierte Evange-
lium könne er indes nicht für ein Werk des Apostels Jo-
hannes gehaltoft haben (vgL S. 410f. 545 — 565). Letztere
These erscheint nun durchaus nicht sicher gestellt, während
sonst die Hauptergebnisse der Arbeit viel Wahrscheinlich-
keit haben. Die Hypothese, das Ansehen des Paulus sei
durch Marcion auch in der Grosakirche erschüttert wor-
9*
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132 lUUTISCIIE OSEBSIGHTSM. 1815. I.
den, erscheint verlockend, ist aber, soviel Referent sieht, nn-
beweisbar — Während die neue Ausgabe des Justin erst
eben begonnen worden isfc, liegt die Nenbearbeitong des Arno-
biuB-Textes in dem Wiener nOorp. Script ecd. tet" be-
reits vor. Beifferscbeid bat, wie nicht enden zu erwar-
ten stand, alles getan, was bei einer so mangelhaften Be-
urkundung des Textes überhaupt geschehen konnte. Wir wissen
jetzt, daas drei Correctoren an der Handschrift, der euuagen,
die nnB erbalten ist, tfttig geweeen sind. Der Älteste soll
«ie nach der Vorlage corrigirt haben. Falsche tettkriiisefae
Principien früherer Editoren sind durch genauere Feststellung
der Diction des Amobius hier beseitigt. So reiht sich auch
diese Aufgabe den Übrigen des (Corpus, die sämmtlich für
die sichere Oonstitnirong der Texte epochemachend sind,
wlirdig an. Möge der Tertollisn bald nachfolgen? das ist
unser sehnlichster Wunsch. — Referent hat in seiner Ab-
handlung über die Schrift Hippolyts de anticbristo eine alt-
1) Die Abhandlang von L. Paul aber Tbeophilus {&, o.) irt
mbedeatend und wertlos. — £. KlnsBinann (s. o.) bringt ein paar
gm annehmbare Coiqectaren zn Mi nnoin s Felix, für dessen Text
anch nach der ausgezeichneten Ausgabe von Halm noch genug sn ton
Übrig geblieben ist. Da die einzige Handschrift viele kleinere und
grössere Lücken hat» SD schlagt Klnssmann an den von ihm behandelten
Stellen Einschiebnngen einzelner Silben und Wörter vor. Die Zuziehung
des lucretianischen Sprachgebrauchs — als Heilmittel bekanntlich
von Klussmann empfohlen — stört und trübt bei diesen Vorschlägen
nicht. — E. Bährens hat („Rhein. Mus. f. Phil." 1875, S. 308. 300)
auf eine bi.shor unbenutzte Handschrift des Ge«Hchte.s ,.De phoenice'*
(Lactantius?) aufmerksam gemacht (vgl. A. Kbcrt, (icschichto der
christlich -lateinischen Lite ratur von ihren Anfängen [1H74] S. 98 f).
Der Codex betindet sich zu Paris (Sangerm. 844) und stammt aus dem
achten Jahrhundert, ist somit der älteste, d<^r das Gedicht „De phoc-
nice" enthält. Es steht unter Gedichten di .s Furtunatus, leider aber
nicht vollständig (von den 170 Hexametern fehlen die 50 letzten). Auf
das bekannte Werk von Riese, Anthologia latina etc., fällt durch die
Bährensschen Mitteilungen kein gtmstiges Licht. — Eine deutsche Ueber-
setzung der Apologie des Athenugoras und ausgewählter Schriften
des Lactantius ist in der „Kemptener Bibliothek der Kirchenväter'*
(1875, Nr. 145. 146 [198 S.j und Nr. 154 fOÜ S.]) gegeben. Ek-nda
auch eine Uebersetzung ausgewählter Schritten des Clemens Alex.
(1875, Nr. 147. 148. 153 [288 S.]).
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ALTE KlKCUENüEÖCmCHTE BIS 32u, VON HABNACK. 13;^
tnlgarisdie üdbenetEang für d!« Feststollnng des Grandtextes,
der uns nur in zwei sehr verwandtea Codexeu überliefert i^t,
zu verwerten gesucht. Diese Uebersetzung (saec. XII yel
XIII) ist im Jahre 1868 in Moskau von K. Newostrujew mit
nnniacAiem Otnnmentar edirt worden und diurf als sehr widn-
tiger Teocteeoge gelten — EndUch ist in diesem JaJue die
1) Anhangsweiße verzeichne ich hier die Studien zu den alten Bibel-
übersetzungen und Bibelcüdd. : H. Röosch, der unerniüdliclie Forscher
auf dem Gebiete der altlateinischen Bibel -Uebcrsetzungen, hat — ausser
„Studien zur Itala" („Zeitschr. l. wissenHch. Theol/* 1875, S. 425—436
[Torts, folgt]) und einer neuen Ausgabe seines Hauptwerkes „Itala und
Vulgata" (zweite berichtigte und vermehrte Ausgabe [Marburg, Elwert];
VIII, 626 S. in gr. 8), welcher Berichtigungen und Nachträge beigegeben
sind, — in der „Zeitschr. f. d. bist. Theol." 1875, S. 86—161, die alt-
testamentüchen Citate in Cyprians Werken untei-sucht: „Die alttesta-
mentliche Itala in den Schriften des Cyprian. Vollständiger Text mit
kritischen Beigaben." Es ist diese Arbeit ein Seitenstück zu des Ver-
fassers Werk: „Das Neue Testament Tertullians". lieber das Qued-
linburg c r Fragment einer illustrirten Itala (Bl. 1 : 1 Sam. 1 , 9 f. ;
Bl. 11: ISam. 15, lUf.) hat unter diesem Titel W. Schum gehandelt
(in den .. I heol. StiuL u. Krit'* 1876, S. 121—134; auch besonders er-
schienen [(iotha, Friedr. Andr. Perthes], IG S. in 8, mit einer üLhogr.
Tafel). Referent, der übrigens selbst nicht Fachmann ist, gesteht, dass
iliU diese Publication nicht sehr bitri. diirt hiit. Weder wird die Hand-
schrift exact genug beschrieben, noch ihr Alter und ihre Geschichte licht-
voll erörtert. Das Magdeburger Fragment desselben Codex, welchen
Schum in den AnCang des fünften (Ende des vierten) Jahrhunderts ver-
setzt, bat der Herausgeber nicht benutzt. Die beigegebene Tafel ist nur
eine Nachzeichnung (vgl. zu dem Fragment von Mülverstedt in der
„Zeitßchr, d. Vereins f. d. Gesch. d. Harzes" 1874, S. 251—263). —
Ben seh („Theol. Lit.-Bl." 1876, Nr. 2) hat darauf anfmerksam ge-
macht, dan da« Qoedlinborger Fragment bis auf Kleinigkeiteil mit des
Citalen de« lauifye rmt Calaris stimme. ScbliesfiliGh sei liiar noefa der
VoDttiiid{glnit mgm (eine üebersicht Uber die seit Sabaticr reröffent-
Kehteii Itala- Fragmente hat Ben seh in der Tftbinger „TheoL Qoart-
Sdir." 1873, S. 848» gegeben) anf ehie vortreffllehe PdUieatiMi hinge-
idmm, die aber sehen die Jahxzahl 1876 tilgt: L. Ziegler, Itala-
Fkagmente der Paolusbriefe nebet BrochstttdEBn dner Torhieronymiamachen
Uebenetsoag dea enten Johamieebiiefes ans PergamentUftttem der ehe-
meligen FtMagn StiftsbibUotiiek. Ztsn evatenoiale yeriSlfta^cht und
kritisch belenchtet. Emgeleitet dnreh ein Vorwort von IVoÜBSsor Ik.
E. Bänke. Hit einer photolithograph. Tafd. (Marburg, Elwert.) VUI,
151 S. in 4. Die Edition ist nach dem Urteil eompetenter Fachgelehrter
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184
KBITISCHE OBEBSICHTEN. 1876. I.
grosse Schönesche Aasgabe der Chronographie des
Easebias beendigt worden, deren zweiter Band bereite im
Jahre 1866 erschienen ist. Die erste Hälfte des ersten Ban-
des bringt das erste Buch der Chroiiofjraphie lateinisch nach
der armenischen Uebersetzung. Professor Peterraann hat
den Text nen constituirt und die Uebersetzung berichtigt.
Ffir einzelne Abschnitte stand ihm ein bisher nnbenntzter
Codex zu Gebot. Daneben hat der Herausgeber die griechi-
schen Fragmente (hauptsächlich aus der Fraep. Kv. des Euse-
bius, aus Syncellus und Nicephoms) orestellt, dereu Texte
von Gutschmid durch eine Reihe der glänzendsten Con-
jectoren verbessert hat. Die Fragmente sind fast durch-
gehends nnr soweit mitgeteilt, als sie wirklich auf den Text
der ousebianischen Chronographie zurückgehen. Das grosse
Pariser Bruchstück des S. Julius Africanus über die Olym-
pioniken hat deLagarde neu verglichen. Die zweite Hälfte
des Bandes (Appendices) enthalt chronographische Beste spä^
terer Zeit, welche mit den Werken des Eusebius und Hiero-
nymus in Zusammenhang stehen: I, A u. B (S. 1 — 40) die
(H. RdBseh im ,fUt Central-BL" 1876» Nr. 3; Ben ach im „Theol.
Lit.-Bl." Nr. 2) ausgezeichnet; doch verbürgt dies schon das Vorwort
Rankes. Weitere Editionen von Itala - Fragmenten durch L. Zicgler
sollen folgen. — Ueber die alttestamentliche Pesch ito bat J. Präge r
eine Dissertation geschrieben (De V. Ti versione Sjriaca, qnam Pesehittbo
voeant» qnaestiones criticae, P. I [G&ttingen, Dieterich], 76 ft. in 8).
Der Verfasser sncht nacbzaweisen, dass sie jüdischen Ursprangs ist
Für die herkömmliche Ansicht, nach welche die alttestamentliche Pe*
schito ihrem Hanptteile oach etwa im ersten christlichen Jahrhundert
von Jttdenchristen geschrieben worden ist» ist Th. Ndldeke („Lit
Centr.-Bl." 1875, Nr. 47) eingetreten. In Ndldekes Beoension findet
man wertvolle Ifitteilangen Ober die edessonische Kirche und die Kirchen*
spräche bei den Syrern. Auch Nöldeke zweifelt nicht, dass schon im
zweiten Jahrhundert zu Edessa das Fttrstenhans christlieh war. — Bei*
läufig sei hier bemerkt, dass die von Brugsch-Bey im SinaiUoster
im Jahre 1875 aufgefundenen und als „Neue BruchstOcke des Codex
Shiait" (Leipzig, J. 0. Blnrichs; III, 4 S. gr. Fol.) m prachtiger
Ausstattung veröffentlichten zwei Bibelblatter (Bruchstficke aus Lev. 22,
8 — 23, 22) nicht zu dem von Tischendorf entdeckten Cod. Sinait
gehören können, wie von Gebhardt („Theol. Lit.-Ztg.<' 1876, Nr. 1)
schlagend erwiesen hat. Sie brauchen deshalb dem Cod. Sinait an
Alter nicht nachzustehen.
ALTE KIBCBENaESCHIGHTE BIS 825. VON HARNACK. 135
Series Eeguiu iiach dem armemächen Text uud den Codd.
des Hieronymus (Text des Pontacns); II (S. 41 — 49) das
Ezordium (Aelt Handschr., saec. IX); in (S. 51—57) die
Epitome Syria (übersetzt von Rödiger); IV (S. 59—102)
das X()oyoyQa<ff:iay aivioiioy (diese bis auf Basilius
Macedo [ab an. 867] fortgeführte Chronographie hat A. Mai
zuerst TerOffentliclit, wie so häufig, ohne den Vat Cod., dem
er sie verdankt, zn bezeichnen; der Codex ist auch bis hente
nicht ermittelt worden). Den Maisehen Text hat von Gat-
schmid wesentlich verbessert. V (S. 10:5—172) Variaiiteu
zweier bisher nicht benutzten Codd. der Chronic. Can. des
Hieronymus (Cod. Middlehilleusis, jetzt zu Cheltenham,
saec VIU [enth< auch die f asti Idatiani und den Liber
generationis] verglichen ?on F. Rfihl und Cod. Fuxensis
in einem Cod. \'at. Reg. verglichen von R. Schöne).
VI (S. 173 — 239) die Excerpta Latina Barbari (die
griecliische Chronographie, aus welcher diese von Sca liger
allein bisher ?er6ffentiichien Excerpte [Cod. Par. saec Vni]
geflossen sind, stammt aus der Zeit des Arcadins und Hono-
rius. Der Wert der Excerpte, welche Schöne sehr genau
schon im Jahre löG7 und li^li verglichen und jetzt in fac-
similireadem Druck wiedergegeben hat, für die alte Geschichte
und Chronographie wird von den Fachmännern sehr hoch an-
geschlagen; umsomehr ist es zu bedauern, dass in der Hand-
schrift ein grosses Stück fehlt, nämlich [vgl. S. 232. 233] die
Angaben über die Zeit zwischen Domitian uud Diocletiau)
1) Erw&bnt seien hier noch die Arbeiten von: G. Kaafmaan, Zu
den Handschriften des Can. paacb. des Yictorios und zu Mommsen V'IIX
{Chronik des Chronographen vun 351 edirt von Th. Mommsen in den
„AbhandL der königl. sächs. Ges< lisch, d. Wisseufich.*' , Leipzig 1850)
im Philoh>ga8 (1874) S. 385—413. Kaufmann handelt zuerst S. 385—398
ron den Handschriften des Victorias, sodann über das Verhältnis von
Mommsen VIII zur Chronik' Prospers, sowie über das der beiden llecen-
sionen von Vlll. Die Untersuchung ist noch* nicht zum Abschluss
gebaracht, F. «-i rres, Zur Kritik einiger Quellenschriftstoller der spä-
teren römischen Kaiserzeit (in den „Neuen Jahrb. f. Philol. u. Pädagt^
gik" 1875, S. 201—221). Inhalt: I. S. 201—212: Zur Kritik des Ano-
nymus Valrsii; II. 212 — 219: Zur lüitik des Anon}Tuu8 post Dionem;
lil. S. 21d~221: Eine SteUe bei Eusebius, Vit Const I, 16. Vgl.
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X36
KUXiSGUfi ÜBSifiUCilTiCN. 1876. l
Die Abhaudlung von G. Buissier über die Anfange
Aer diristlichen Poesie (s. o.) bietet grade nichts neues, ist
aber geBchmaclnroll gesduiebeii und deshalb von Wert, weil
sie die cbrisürohe Typik und diehterisdie Sjrmbolik mitbe-
rücksichtigt. So macht er mit Recht in diesem Zusammen-
hang (S. 84 — 92) auf die Pseudoclemeutinen und den Hirten
des Hermas aufmerksam. Boi ssier hat sich durch sein
Werk: r^ioa Bomaine d' Auguste anx tfimpe des Ab-
tonins** (P&ris, Hascher) schon als geistvoller und gediegener
Forscher bewährt — Wie viele Vorarbeiten noch geliefert
werden müssen, bevor eine Entwicklungsgeschichte des christo-
kgischen Dogmas und dauüt der christlichen Theologie über-
haupt bis xuu Nicänum geschrieben werden kann» daa hai
H. Schultz in seiner Abhandlung Qber die Christologie
des Origenes (s. o.) anfe neue gezeigt, indem er selbst
einen der wichtigsten Funkte in Angiiif genommen hat
die Abhandloog von K. Zangemeister, Zum Anonymus ValeBiainiE
(in dem „Bhein. Mns. f. Philol." 1875, S. 309~31ü). (In dem 1181
zn Verona geschriebenen Codex Palat. Ijeid. 927 der Vatioana steht von
Bhtt 126 an der zweite AbBCbnitt des sogenannten Anon^ums Valeaii^
nns, nämlich die Odovakar und Theoil' rieh betr(>tT< n<len Excerpte.) —
Auch sei aD die neueren Arbeiten ?0B F. Ritsehl, L. MendelBSohA,
Th. Mommsen, W. Grimm zu Josophus hier erinnert. — Die
nichtsnutzige Arbeit von Sev. Wenzlowsky, die sich schon daroh
den Titel genügend charakterisirt („Die Briefe der Päpste und die an
sie gerichteten Schreiben von Linus bis Pelapus II." [v. d. J. 67—590],
zuBammengestellt u. s. w. , I. Bd. [Liui. l — IV, S. 1 — 368, in 16],
Kempten 1875, in der „Bibliothek dir Kirchen -Vater" von Thal-
hof er, Nr. 157. 158. 161. KJ2) ist bereits von BoUBcb im „TbeoL
Lit.-Bl." 1875, Nr. 24 l>eleuchtet worden.
1) Wichtig für die Geschichte der patristischen Theologie sind andi
die Arbeiten von C. Siegfried (Philo von Alexandrien als Ausleger
des Alten TeKtaiiK'nts an sich und nach feinem geschichtüclien Einfluss
betrachtet; nebst Untenuchung über die Qiacität PhiIo\s [Jenn 1875,
H. Dulft; VI, 418 S. in gr. 8]) und von H. von Stein (Sieben Bücher
zur Geschichte de» PlUtonismns [dritter und letzter Teil]); auch unter
dem Titel: „VerhältniB des Piatonismus zur Philosophie der clunatlichen
Zeiten" [Göttingon 1875, Vandenhoeck u. Ruprecht; VUI, 415 S. in gr. 8]).
Siegfrieds Werk, so dankenswert es ist, macht eine umfassciuie Unter-
sncbung über das Verhältnis der Kirchenväter zu Philo durchaus noch
nicht ttberflttsaig.
ALTE KIRCHBIIGB8CBI0HTB Btt 885» VON HABNACK. 137
Odgenes' Christologie wird nicht richtig verstanden ^ wenn
nan dieselbe ein&eli ala ZwisehengUed in der giadlitilgen
EntwicUnni^ der Dogmen von Justin bis Atiianasius wertei
Man mus3 erst klare Einsicht in die Anschauungen des Ori-
genes von Gott, der Welt, dem Weltverhältnisse Gottes, der
Natur und Stellung des Menschen gewonnen haben, um seine
dmikolegiacbien Avfstellnngen , die ja wie bei allen grieehi-
selien Y&tern bOcbetor AoBdraek und znaaanmen&aBender
Scblnasetein der theologischen Metaphysik sind, richtig zu er-
fassen. Ist hierin in Kürze der Untei-suchung der richtige
Ausgangspunkt gegeben und mit dem alten Fehler, heute
gfiltige Schemata Ton Centraidogmen und peripheriBchen Dog-
men aaf ganz anders centralisirte Systeme za übertragen,
gründliofa aufgeräumt, so wird aneh nichts zu erinnern sein,
wenn Schultz davon abgesehen hat, die Lehre des Origenes
chronologisch zu verfolgen, und wenn er Einwendungen gegen
SHne Darstellung, sofern sie sich anf die esoterisdien Schrif-
ten des Origenes stützen, für nidit hinreichend beweiskräftig
erkl&rt Als Besultat der Untersuchung bezeichnet Schultz
selbst vor allem den Nachweis der inneren Verwandtschaft
der Christologie des Origenes mit der gnostisch - ebionitischen
Entwicklungspbase dieser Lehre, weiter aber die Einsicht, dass
die geeammte Weltanschanung dieses Theologen eine Färbung
zeige, „welche dem gewöhnlichen christlichen Systeme sehr
fremd ist \m<\ durcliaus der orientalischen Aiischauun^^ ent-
spricht, die, im Buddhismus am l'oigerichtigsten entwickelt,
durch die Systeme vieler griechisclier Philosophen teilweise
in das Denken der griechisch -gebildeten Zeil^genoesen Aber-
gdeitet war*S „Nur aus dieser Weltanschauung'*, so ftbrt
der Verfasser fort, „iSsst sich die Christologie des Origenes
verstehen, und es muss als durchaus unzulässig beurteilt wer-
den, wenn man, einzelne Teile seiuer Christologie, vor allem
die Lehre vom ewigen Sohne, einseitig betonend, ihn einfach
in die Entwicklungsgeschichte des christologischen Dogmas
emreibt Die theistisch-trinitarisehe Grundkge seines
Glaubens und die Geschichte Jesu halten ilin in deu Grenzen
des Christentums, während er sonst ebensowohl der buddhisti-
schen Denkweise angeschlossen werden könnte/* Pur den
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138
KBITISCHE OBBBSIGHTEN. 1875. I.
wertvollsten Teil der auagezeicliaetea Untersuchung hält Re-
ferent die AiisfQhraiigett über den „ebioniiischen*' Charakter
einer sehr entscheidenden Gedankenreihe bei Origenes; die
Ftarallelen mit der buddhistischen Weltanschauung — sehr
reichlich gesammelt — werden zu näherer Prüfung vorge-
legt; vorsichtig lehnt der Verfasser ein entscheidendes Urteil
über directe Einflüsse noch ab. Parallelen mit gnostiach-
hfiretischen Denkweisen, oft überraschend tie^ehende, wftren
leicht zn yermehren. Am Schlüsse würde man gerne eine
Andeutung lesen über das Verhältnis der origenistischen
Christologie zu der damals kirchlich -officiellen und über die
eigentümliche und doch so wenig befremdliche Ausbeutung
resp. Umdeutung, die jene notwendig bei dem „dogmatischen
Tact'* der Kirche erleiden musste. Zu einer Vergleichung
der VTeltansehauung des August in mit der des Origenes
wird man fast auf jeder Seite der Schultzschen Alihainllung
auch ohne directen Hinweis aufgerufen. Es kann in der
Tat kaum eine fruchtbarere Aufgabe gestellt werden, als die
Gedankenkreise dieser beiden BiKnner, so sehr ähnlich und
so durchaus zu Gunsten des Abendlftnders yerschieden, ver-
gk'iclieiid darzustellen — Führen die Schultzsclien Unter-
suchungen von den kirchlich Lcültigen Bestimmungen ab, so
versetzt uns das Ca sp arische Werk: „Quellen zur Geschichte
des Täufeymbols und der Glaubensregel'*, Bd. in (s. o.)*)«
mitten in dieselben hinein. Es werden hier die Texte des
alten Symbols der römischen Kirche, sowie die q'riochischen
[übersetzten] Texte des späteren längeren römischen Sym-
bols, des sogenannten Apostolicums, eingehend kritisiii und
untersucht In Betreff des ersteren verfügt Caspari über vier
Texte (1. das Sjmbolum des Marcellus von Ancyra in dem
Brief an den römischen Bischof Julius [Epiph. h. 72]; 2. das
mit lateinischen Buchstaben geschrie])ene griechische Sym-
bolum im Psalterium des Köoigs Aethelstan |,aus der BibL
1) Die l)i>s-rtati'»n von A. Kind: ..Tcloulogie und Naturalismus;
der Kam{)f des Origenes g'.gen Celsus uiu die iSt- llung des Meuächen
in der Natur" (Jena. H. Dufft; 38 S. in irr. 8) ist werfl-.s.
*) Die beiUeu crüteu liasido erscliieiieu IbGii und Ibü^.
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ALTE KlKC'HENGEbCHiCHiE liLÜ VON UARNACK. 139
€otton. im Brii Mob.]; 3. ein von Swainson ^) zaerst mit-
geteiltes, aus dem Griechischen übersetztes Symbolum in
lateinischer Sprache [aus einer Handschr. des Brit. Mus.];
4. das lateinische , aber aus dem Griechischen übei-setzte
Symbal im Cod. Laad.). Daa leiztere ist hier durch eine
ganze Beihe von Texten (griecliiBch , aber aus dem Lateini-
schen fiberaetzt und mit latdnisehen Buchstaben geschrieben)
repräseutirt (Cod. Sangall. 336, Cod. d. Corp. Christi College
z. Cambridge; der Text in Biuterims Cod. Vet. Lat. MSS.
Codd. Escorialensis, Ambrosianus, Vindobonensis, Yaticaiius,
Barbarinus; hinzugefttgt ist der Abdruck des lateinischen
Textes des Apostel, in einem Keichenauer Cod.). Die meisten
der letzteren Symboltexte findet man hier zum ersten Male
veröffentlicht. Die historischen Unterbuchuugeu sind mit der
grössten Umsicht geführt. Das Uaoptresultat des ersten Ab-
schnittes, dass wir in jenen vier Texten das altrömische
Symbol aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts zu er-
kennen haben, darf als gesichert gelten. Beigegeben sind
zwei grosse Kxcurse, deren erster (S. 267 — 406) „Griechen
und Griechi.^ch in der römischen Gemeinde in den drei ersten
Jahrhunderten ihres Bestehens**, der andei-e '(S. 466 — ölO)
„Heber den gottesdienstlichen Gebrauch des Griechischen im
Abendlande während des iVfiheren Mittelalters** tiberschrieben
ist. Die erste Abhandlung enthält das Material zu einer
Literaturgesclücbte der römischen Kirche und leistet dem
Historiker nach den verschiedensten Seiten hin die besten
Dienste: so vollständig und übersichtlich findet man die nöti-
1) Leider hat Referent das Werk von SwaiDson „The Kioene and
ApoetleB* Cieeds ; their literaiy hietoiy, together with an aoconnt of the
growth and leoeption of the eennon on the fSuth commonly eaUed «the
creed of St Athanaäni'" (London 1876 ; 542 S. in 8) noch nicht dn-
sehen kdnnen. Ans Gaspari a. a. 0.*S. 511 f. iat zn ersehen, dass
Swainson an sehr anderen Beanltaten gekommen ist als der norwegische
Gelehrte. Er Yerwirft o. a. die Ansieht, Marcells Glanbensbekenntnis
leptiaentiie das iGmische Symbol; es mttsse vielmehr fftr eine Compo-
sition Haioells selbst gelten. AUein Casparis Beweisftthmngen erschei-
nen dem Befeienten nnwiderleglich nnd die Swainsonsehen Einw&nde
(s. a. a. 0. S. 51if.) lassen sich, wie Caspari schon gezeigt bat, mit
Grand abweisen.
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1-kO KBITISCUE CBEttälCHTJEN. löT5. i.
gen Voniotofsadiaiigeii nirgends znsammengestdlt. (Binige
unbedeutende Nachträge hat Referent in der „Theol. Lit.-
Ztg." Nr. 1 gegeben. Bei Hippolyt hätte auch dessen Schrift
xara ^myiop Philos. YI, 39 verzeichnet werden müssen.)
Freilich, der Stoff ist hier von einmB zwar wichtigoi,
aber immerhin nnteigeordneien Geuehtspnnkt ans gmppirt
nnd yerarfoeitet: eine tiefer gehende historische und sachliche
Beurteilung der Literaturreste lag eben gar nicht im Plane
des Verfassers; aber jeder wird seinen „Excurs" dankbar zu
benutzen haben, der einen sicheren üeberbück Aber die Ge^
sehiehte der rOmisdi-ehriskUchen Literatur gewinnen wilL
Die zweite Abhandlung erdlfnet der Forschung ein ganz neues
Gebiet und muss vom ersten bis zum letzten Blatte als ein
übeiTaschendes Geschenk begrdsst werden. Mögen die Caspari-
schen Arbeiten zu weiteren historisch -symbolischen Stadien
anr^n. Fttr die Geschichte des Tanfbekenntnisses in den
ersten drei Jahrhunderten liegt noch in ganz zugänglichen
Schriftstücken migehobeues Material — Die neue Auflage
der „Römischen Literatur-Geschichte" von Teuf fei, in wel-
cher die christliche Literatur gleichm&ssig berücksichtigt ist,
erinnert die Eirehenhistoriker an die Pflicht, die Arbeiten
1) Vgl. die sehälsiMieii BemeriniDgeo von Th. Zahn, Ignatini von
Antiochien (1878) 8.489. ö90t Schon 1856 emuümte P. deLagarde,
Beliq. iur. eecL Graece, p. 94, 7, zu Canon Marat. v. 28—96: »perti-
nent haee ad regiüam fidei antiquisahnam et tempos eet ut oolligan-
tor". — Die AoMtse von B. Revillont (s. o.) hat Referent noch nicht
grtndlieh stndirt Aneh eeUagen sie mehr in die>naehnicämsche Periode
dn und emd noch nicht at^eechloeeen. Hier in KDne der Inhalt:
8. 5—18: Introdoction. — Premix partie : B^taUieeement dee actes de
IQc^. ehap. I (8. 19—85): T^itee Nic^ feeooatitii^ dans lea aetee
d*Aleiaadrie. chap. II (8. 85—40): Lee omMone intentionnellee dana
k r^tablissement des aetee de Nic4e. ehap. III: Goup d^ceÜ hiitoriqne
amr ke eollectione canoniqaee qoi reprodnisent des iextea Nicteis; % 1
(8. 41—52): Collections piemi^; § 3 (8. 53—58): La Q4hunenne dite
QoesnelUana; § 3 (8. 58—77): La Dionysienne; § 4 (8. 501—564):
CdUeetioDs gieoqnes et orientaks d^^poqne seoondaire. Im sweiten Stttd^
(8. 209—266) ist eine zweite Serie coptischer Doenmeate zun Nie. Concil
(Le HS. Borgia dans son ensembk, lapproch^ des textes correspondantB
des papjfnis de Turin) in coptischer Sprache ohne Üebeiaetenng ah-
gedrackl
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ALTE KI&CH£N6£SCHIGHTS BIS 8«», VOM HABNACK. 141
der grossen Theologen des 17. Jahrhunderts fortzusetzen. Es
ist beschämend, daas grössere zusammenfassende literarhisto-
rische Werke Yon protesbmtiseheii Theologen in Deutschland
seit mehr als hundert Jahren nicht mehr geschriehen worden
sind (die Engländer haben wenig55tens für die vornicänische
christliche Literatur das Werk von Donaldson). Möhlers
Patrologie, die beste Arbeit der Epigonen, reicht schon lange
moht mehr ans, und Alzogs Handbuch ist fast unbrauchbar
zu nennen. Man muss noch immer zu Fabricius, B&hr
und Teuffel greifen, um sich in Ettrze fiber einen späteren
christlichen Schriftsteller und seine Werke zu orientiren.
Vollständig findet man auch bei Teuffel nicht alle altlateini-
achen christlichen Schriftwerke yerzeichnet; so fehlen z. B.
ftst gSozfich die so wichtigen IJebersetzungen aus dem
Griechischen; allein was geboten ist — natftrlich kommt nur
die äussere Seite der Literaturgeschichte in Betracht — , ist
fast durchgehends mit rühmenswerter Akribie und unter Be-
rücksichtigung der einschlagenden Untersuchungen gearbeitet.
Die Yonfige des Teuffelschen Werkes vor dem Bfthr*
sdien sind zn bekannt, als dass sie besonders bezeichnet zu
"werden brauchten. Bahr ist nur unter grosser Behutsamkeit
zu benutzen; er hat ein sehr reiches Material wenig kritisch
excerpirt und recht fehlerhaft abgedruckt
& P^litiaolie Oesoliiolite nad VerftuMoiiss-Gesoldolila
der Kirche
US auf dto Z«it CoMtontlM.
B. Anbe» Histoire d«s pen^tiona de T^g^ juiqiCa la fin dat An-
tomm (Paris, Libnirie A«adflniiqiie, Didier Co.). XI, 470 S.
in a
V. Ovmfb96k, Veber die Oaaetae der lemiadieB Kaiaer Ten Tn^an bia
Mato Anel gegen die Ghriatea and ihre Behandlung bei den
KirolieneobiiflBidleni (in den „Stadien mr Qeeehiobte der alten
Kiiohe'S Heft I [Scbleea- Chemnitz, E. Schndtnier; YIU, 231 &
in gr. 8J, S, 93-157).
V. OöfTM» KritiBche Untemehongen über die Lidnianiaehe Clirinton-
Terfolgnng. Ein Beitrag mr Kritik der IBrtjreraeteD. (Jena, H. Dofft.)
VB. 940 a in 8 i).
1) Dazu 1 h. Keim in dor „I'rut. Kirchen - Ztg." 18V6, Nr. 98: A. Hilgenf«l(l
in ifT „ZeitMlir. f. winMfchaftL Tktol/* 187a, 8. lU—lVti I«ftBg«B im „TImoL
Lit.-Bl.** 28?e, Kr. S.
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142
KBITISCHE OBEBSICHTEN. 187S. I,
M. Deutsch, Drei Actenstücke zur Geschichte des Douatismus. Neu
herausgegeben und erklärt. (l:{erlin, in Commission bei W. Weber.)
42 S. in 4.
H. Weingarten, Richard Rothes Vorlesungen über Kircbcngeschicht^
und Geschichte »L s christlich -kirchliolien Lebens, Erster Teil: Die
katholische oder kirchliche Zeit. (Heidelberg, B. Mohr.) XI, 492 S.
in gr. 8.
P. Overbeck, Ueber das Verhältnis der alten Kirche zur Sklaverei
im r<>mischen Beicbe (,« Studien zur Geschichte u. s. w/' [s. o.j^
S. 168—230).
Das Werk von B. Aub^ Aber die Geschichte der
ChristeDverfolgungen bis zum Tode Marc Aurels ist
unstreitig eine der hervorragendsten Arbeiten, welche uns
das letzt verflossene Jahr gebracht hat Nach zwei ein*
leitenden Abschnitten (c. 1: Dissentiments intörienrs dans
r^lise primitiTe; c 2: tiprenves des Chr^tiens jnsqu*2i la per-
s^cation de N^ro) handelt der Verfiisser in cc. 3 — 8 von dem
Charakter und der Geschichte der verschiedenen Verfolgungen
unter Nero , Domitian , Trajan , Hadrian , Antoninus Pius und
Marc-AoreL Beigegeben sind in einem Anhange zwei Ab-
handlungen Ober die Legalität des Christentums im rOmischea
Belebe während des ersten Jahrhunderts (S. 407 — 439) und
über das Martyrium der heiligen Felicitus und ihrer sieben
Söhne (S. 439 — 465). Es ist keine Frage, dass das Aubescbe
Werk die gründlichste und beste Arbeit ist, die je über die
Geschichte der Verfolgungen in den zwei ersten Jahrhundert
ten geschrieben worden ist Dieses Urteil bleibt zu Beoht
bestehen, auch wenn man dieses oder jenes Einzelne glaubt
beanstanden zu müssen: die Quollen sind ebenso umfassend
wie kritisch hier verwertet; das gesammte Material, christliche
und römische Schriftwerke^ Bechtsquellen, M&iyreractenf In-
schriften vollständig und eingehend untersucht; die Darstellung
1) Einige Abschnitte aus diesem Buche sind schon früher als be-
sondere Abhandlungen erschienen, teils in der „Revue Contemporaire
teils (so der Aufsatz „De la legalite du christianisme dans Tempire
romain pcndant le premier .siecle") in den ,,Conipt» s reudus de l'acad.
des inscr. et helles lettres". Demselben Verfasser verdanken wir die
Studie über Justin (s. o. Abscbn. 4).
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ALTE KmCHENQESCHICUTK BT8 323, TON RARNACK. 143
80 anziehend, lebendig und spannend ohne jede Mecthaschereit
dass man sie mit steigendem Interesse lesen wird. Das Wich-
tigste aber ist — die Schilderung der Parteieu uüd ihrer
Kämpfe ist treu und gerecht ; mit den alten Vorurteilen über
das Verhältnis von Kirche und Staat in den zwei ei^sten
Jahrhunderten ist gründlich gebrochen nnd damit eine Ein*
sidit sicher gestellt, die um so schwerer zu erringen war, ab
ihr eine Tradition im Wege stand, deren Ursprünge selbst
bis in das zweite Jahrhundert zurückgehen. Referent hebt
als besonders gelungen die Abschnitte über die Verfolgungen,
unter Nero^) und Domitian hervor, sowie die genaue und
äusserst vonichtige Untersuchung des Briefes Hadrians an
den Minucius Fundanus*). In jedem Gapitel werden die
einschlagenden Martyreracten ^) kritisch erörtert. Der Ver-
fasser ist bei ihrer Beurteilung gleich weit entfernt von
raadiem Verwerfen wie von übermässigem Vertrauen. Die
beiden Exeurae am Schluss richten sich wesentlich g^en
de Bossis Combinationen. Der erste erörtert u. a. auch:
die wichtige pompejanische Inschrift (Inscript. Lat. T. IV,
ed. Zangemeister, Nr. 079), an welche de Rossi bekanntlich
weitgehende, aber ganz unhaltbare historische Combinationen.
1) Beil&nfig Bei hier erwihnt, dass die peychlatrimh^hiBtorifldie
UBtereucbnog von Wiedemeister, Der Cisarenwahnsiiiii der Juliach-
Claudiseben Imperatoren -FUmlie. Geachildert an den Kaiaeni Tiberins,
Calignla, ChuidiiiB, Nero (Hannover 1875, Rllmpler; XII, 309 S. in gr. 8)
Utar den OeecbichtBfoncber völlig wertlos iat (vgl Ben seh im „TheoL
Lii-Bl." 1876, Nr. 28). Die neueren Arbeiten von Benl4, Grego-
rovins, Lebmann, Schiller sind telhi gar nicht, teils sehr kritik-
los benaizt, ohne dass der Verfiuser durch eigenes QneDenstndinm diesen
Vangel gedeckt hätte. 8o bat es denn anch wenig Bedentong, sein.
Urteil aber die schwebenden Engen an vernehmen. Der Ornndgedanke
aber, »of welchen hin hier aBe BrscbeinQngen gmppizt worden sind,
ist doch wahrBch ein sehr nnfrochtbarer«
s) Den Brief Hadrians an Servins (Yopisc. , Vita Saturn. 8) hilt
anch Anb^ mit Becht tta eine echte Urkunde. Die Gründe, welche
Hansrath, Neutestament!. Zeitgeseb. III, S. 534 gegen die Authentie
geltend gemacht hat, sind durchaus nicht stichhaltig.
9) Der neue Band derActaSanctorum (Supplem., compl. Auctna-
rium Octob. et TabuL generaL [Paris, 1875]) ist dem Referenten noch
nicht an Gesicht gekommen.
144
mriSCHE tBflBnOBTEH. 1675. L
Über Ausdehnung der NenmiBchen Yerfol^ng geknüpft hat
(Balkt. 1864, S. 69 f.). Nur das -HRISTIAN« ist sicher,
aber auch ansreichend, um die Nacbricht Ap.-G. 11, 26 vor
hypeikritischer BezwL'ifluug zu schützen; alles üebrige ist un-
lesbar. Das Kiessl ingsche Apo^phon lässt keine Conjec-
tnreu mehr zu. In dem zweiten Excurse untersucht Aub6
die M&rtyreracten der heiligen Felicitas und weist nach, dasB
ans diese Acten nicht in die Zeit Marc Aurels, sondern in
den Anfang des dritten Jahrhunderts führen — Eine
Specialfrage aus der Geschichte der Verfolgungen bebandelt
F. Overbeck in der oben citirten Abhandlung. Die üeber^
einstimmnng Overbecks mit Aub^ in allen wesentlichen
Punkten, während beide Forscher yOUig nnabhftngig T<m ein-
ander gearbeitet haben, ▼erbflr^ die Sidierheit ihrer Besol-
tate. Overbeck sucht vor allem zu zeigen, wie eigentümlich
sich die Geschichte der Verfolgungen in der Tradition der
Kirche wiedergespiegelt hat und wie kurz das wahre ge»
achichtliche Gedächtnis derselben — wenn man hier von
Kürze überhaupt noch reden kann — gewesen ist. „Die
Kirche hat niemals ein Recht des Staates, sie zu verfolgen,
anerkennen können, eben daher aber sich ausser Stande ge-
sehen, wo sie die Herrschaft des Rechtes anzuerkennen sich
nicht weigern mochte, die Tatsache, dass sie selbst zugleich
verfolgt worden ist, gelten zu lassen." In diesem Satze ist
(neben dem Nachweise einer doppelten parallelen Traditions-
reihe über die Verfolgungen, die sich auäzuschliessen schei-
1) „Zur Geschichte desKaiseiB L. Septimins Seyenis nod ad*
ner Dynastie" haben wir jetzt unter diesem Titel sehr sehätzbare ünter-
snchnngen yon J. Höf ner, Bd. I (Glessen 1875, Kicker; IV, 328 S.
in 8) erhalten. Eine genaue Kenntnis der Begiemogsgeschicfate des
Septimias ist bekanntlich fttr Datirang nnd Wertong einer Reihe von
christlichen Schriftstücken (besonders tertullianischen) Tcn Wichtigkeit.
Höfber geht nnn allerdings in diesem Bande nicht näher auf die Pohtik
des Kaisers in Bezug aof die Kirche ein; er bebandelt mehr die
äussere Reichs- und Staatsgeschichte; es werden aber diejenigen, welche
In Tertullians apologetischen Schriften bewandert sind, vieles ans diesem
Buche lernen können. (Vgl. besonders c VIII: Severus und Pescennins
Niger; c. X: SeveniB and Clodius Albinos; c. XL: Severus' Krieg mit
den Parthem.)
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ALTL KiiiCililNGESCHICHTE BIS 325, VON HARNACK. 145
■
Ben) ein fibnpireBaltat der Orarbeekscben Arbeit gegeben.
Referent wösste nichts gegen dasselbe einzuwenden: auch die
kritische Behandlung der angeblichen Kaiser- Rdicte i^t nicht
zu beanstanden. Aber es ist zu bedauern, dass Overbeck sich
«ben nar auf diese beacbr&nkt bat Beferent zweifelt nicbt,
das8 die Ergebnisse der üniersachimgen zwar an scbemati«-
seher Einbeit und somit auch an Dberrascbender Neobeit
wesentlich verloren, aber an geschichtlicher Treue bedeutend
gewonnen hätten, wenn die Edicte im Zusammenhang mit
allen übrigen Nachricbten, die wir über die Politik der Kaiser
besitzen, besprocben worden wftren. Dieser Wnnsob isfc um
so berecbtigter , als Overbeck eine allgemein^ nnd um-
fassende Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Kirche
im zweiten Jahrhundert an sein, immerhin kleines und be-
schränktes, Material geknüpft hat. Man könnte manches da-
für geltend machen, dass fftr die Kaiser selbst das trajar
nisciie Ediet scbon im zweiten Jabrbnndert nicbt immer die
feste Richtschnur gewesen ist. Dazu hebt es Overbeck viel
zu wenig hervor, dass nur für uns dieses Edict den Um-
schwung in der römischen Staatspolitik bezeichnet, den wir
6infiK)h deebalb nicht weiter zurückverfolgen können, weil
wir keine Mberen ürkmiden ans der Zeit Tnyans be-
sitzen — Einen Abscbnitt ans der Yerfolgungsgescbicbte
behandelt auch F. Öörres (s. o.) und zwar den hetzten, die
Licinianische Verfolgung ^). Wir begrüssen in dieser Schrift
die Wiederanfbahme kritischer Untersuchungen über die spä-
teren Märt^reracten. In dem eisten Absdinitte versucht der
TerflKser den allgemeinen Charakter der Licuiianischen Ver-
folgung im Zusaninionliang mit der Politik dieses Kaisers zu
bestimmen; in dem zweiten bespricht er kiitisch die wich-
tigsten Martyrien, welche in den Menäen und Martyrologien
auf die Kegiemngszeit des Licinius datirt worden sind. Die
1) Den Overbeck entgegengesetsten StMidponkt in BeurteUnng
dit Tn^junBcben Ediets behauptet Th. Zahn, Hirt dee Hearmas (1868)
S. 12St Jedeofidls b&tten uMuefae der Zahnschen Bemerkungen zm
YoiBielit mahnen mtkuen.
Vgl. die Ahechn. 4, 8. 186 Amn. eitirten üntezsuobimgen aber
den Anonymne Valei.
Z«ito«hr. f. X.*0. 10
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146
KBinSCHB ÜBESSICHTEai. 1876. I
üntersuchniigen mnd etwas weitschweifig geführt, auch möchte
man im zweiten Teile Sicheres und Unsicheres noch schftrfer
bezeichnet nnd geschieden sehen, ids es hier g:eschehen ist.
Die chronologischen Ergebnisse des ersten Alx>chnittes sind
zudem durchaus nicht über allen Zweifel erhaben und da-
mit das ganze Bild, welches von der Verfolgung und ilirem
Yerkofe hier gezeichnet ist, auch in seinen äusseren üm«
nssen, mindestens Terschiebbar. Referent hält die Eei mache
These, dass die Verfolgung schon ;315 bci^onnen habe, für
sehr wahrscheinlich. Dennoch verdient die Görressche Ar-
beit Dank und man musa wünschen, dass dieser Gelehrte dies-
Feld so bald nicht verlassen mOge. Eine kritische Geschichte
der Mftrtyrersagen in ihrer allmählidien Entwicklung und
Ausbildung wäre uns wichtiger als eine kritische Märtyrer-
geschichte — Die von M. Deutsch herausgegebenen drei
Actenstücke zur Geschichte des Donatismus enthalten;
1) Die Qesta Puigationis Felids episcopi Aptungitaui. Lei-
der hat Deutsch die einzige Handschrift nicht neu vergleichen
kfVnnen; aber er hat geleistet, was sich unter diesen Um-
Sünden tun Hess: der Text ist vielfach verbessert und rich-
tiger als früher erklärt. Die gegen Felix erhobene Anklage,
er sei des Vergehens der traditio schuldig, erscheint allerdings
nicht genfigend erwiesen. 2) Die Gests apud Zenophilum.
Dieses StQck aus dem Protokoll der von dem Statthalter
Zenuphilus über den donatistischen Bischof vSilvanus angestell-
ten Verhandlungen wirft auf die Partei des Secundns von
Tigisis ein schlimmes Licht und zeigt deutlich, dass der
G^ensatz der beiden Parteien nicht richtig bezeichnet wird,
wenn man ihn einfhch als Gegensatz verschiedener Hand-
habung der kirchlichen Disciplin charakterisirt Das dritte
1) Die zweite Auflage von Uhlhorn, Der Kampf des Christen*
tmns mit dem Heidentum (Stuttgart, Meyer u. Zeller; VIII, 390 8. in
kL 8) ftliergebt Referent, da sie sich von der ersten nicht ivesentUoh
nnteiBcheidet. Hingewiesen sei anf den kleinen popnlftien, aber ganz
gelungenen An&ata von J. Sörgel, Lndans Stellung zum Christentum
(Prgr. Kempten 1875; 24 S. in 8). S5rgel fallt das richtige Urteil in
der IVage, wie weit Luclan Kenntnis vom Christentum hatto, indt-iu er
behauptet, dass der Sat}Tiker nur auf sehr oberflächliche Kunde
hin spottete. Lagarde, Zahn (vorsichtiger Keim) nrteilen anders.
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ALTE KIRCHBN0E8CHIGHTB BIS 885, VON HARNACK. 147
ActonstGok: „Bz actis Gondlii Oirtensis^* ist sicher von katho-
lischer Hand geftlscht. Deutsch urteilt zu vorsichtig, wenn
er sagt, man könne die Unechtheit des Schriftstückes nicht
positiv belianpten. Die Schlussbemerkunocn (Ö. 40 — 42) über
den Urspriini^r de?; Streites sind in ihrem negativen Teile
durchaus richtig. Es lassen sich keine Gegensätze principieller
Natnr als Ursache der Spaltung nachweisen; erst im Ver-
laufe des Kampfes treten diese hervor, hauptsachlich erst
durch dir Verbältnisse erzeugt, in welchen sicli in der Folge-
zeit der Streit abspielt.
Auf die Rotheschen Vorlesungen fiher Kirchen-
gesehichte, welche Weingarten herausgegehen bat,
kann Referent hier nur aufmerksam ma^'hen. Als Handbuch
zum Gebrauch für Studirende dürfteu sie nicht, wnii^j^triis
nur in zweiter Reihe, zu empfehlen sein. So lange aber noch
die Geschichte der Kirche in Wort und Schrift mit Vorliebe
nach dem Faden der in Hegelscher Weise behandelten
„ Dogmengeschichte erzfthlt und geschildert werden wird,
werden diese Vorlesungen wenigstens ein heilsames Correctiv
bilden, indem sie energisch auf die innere Lebensgeachichte
der Kirche und auf die Geschichte ihrer Verfassung hin-
weisen. Allerdings wird man in dem eigentfimlichen Bilde,
welches Bothe von der Lehensgeschichte der katholischen
Kirche entworfen hat, die wahren Züj^e jener Geschichte nicht
rein zu erkoniieu vermögen : aber selbst in den Fehlern , die
Rothe hier begangen hat, steckt viel Richtiges; irrtümliche
Ansichten sind oft an eine sehr treue geschichtliche Erkenntnis
geheftet, und wer, selbst ausgerOstet mit den nötigen Kennt-
nissen, sichten gelernt hat, wird nicht oline Förderung von
diesen Rotheschen Vorlesungen scheiden. — Die Abhand-
lung von F. Overbeck über die Stellung der alten
Kirche zur Sklaverei enthält — soweit sie in die hier
besprochene Gesehichtsperiode einschlSgt — das Richtige.
Es war allerdings schwer genug, in Beantwortung dieser
Frage zu irren. Die alte Kirche im vorconstantinischen Zeit-
alter hat keine sociale Institution der giiecbisch- römischen
Gultnr als solche und aus dem Zusammenbange heraus in
Frage gestellt « ausser wenn sie in unmittelbarer Verbindung
10*
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148
UmSCHB OBratSIGHTVlf. 1876. 1.
mit dem Götzendienste stand, weil ihr das Interesse für die-
selben überhaupt abging. Was 0?erbeck ttber das Yeriiftltiiis
der naohoonstantinischen Kirche mr Sklavenfrage bemerkt
hat, scheint dem Keferenten durchaus zutretlend zu sein. Es
ist dunkt*iis\v*M i . dass die richtifron Gesichtspunkt«' »Tidlich
einmal bestimmt autgewiesen worden sind; Uebartreibungen,
wie sie dem Verfasser vorgeworfen wurden, vennag Beferont
nicht za entdecken.
U9. Januar 1076.]
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ANALEKTEN.
1,
Die Inerhtheit
der angeblich Ailliaehen IMaloge „De qnaerelis
Franciae et Angliae'^ und ,,De jure successionis
utronunque r^nim in regno Franoiae'' (aus den
Jaliren 1418 bis lilfS).
Von
Lic. Dr. Paul Tschaekert,
PriTatdocent d«r Theologie an der UnlreTritit in Breskn.
In einer kleinen Sammlung von Schriften zur Ueschichto
der Junglrau vun Urleuns, „Sil)yll!i Francica, seu de mirabili
puclla Johanna Lotharinga .... dissertationea aliquot etc." (Ur-
eellis IßOü, iu qu.) veröffentlichte Melchior üokla.st am Schluss
zwei theologisch- politische Dialoge, in welchen die Anfyirüche
Englands auf Frankreich von zwei llittern, ein« iu Franzosen
und einem Engliinder, in erbaulicher Unterhaltunf? be8])rochen
werden. Diese beiden Werke Böllen nach (ioUlasts Angabe,
für welche er selbst keinen weiteren Nachweis geliefert hat,
von „Petrus cardinalis Cameracensis d. i. Petrus de AUuuo,
Peter von Ailli, verfasst sein. Da über der Herausgeber als
Kritiker übel berufen ist^), ferner ein Jahrbundert nach ihm
Ellies Dupin, wekher die beiden l nterrcdungen iinabhan^ag
Yon (Joldast verötlentliclite , in der ihm vorliegenden Hand-
schrift der Dialoge keinen Verfasser verzeichnet fand da sich
1) Vgl. Kiezlcr, Die lit. Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwig
des Bayers (1874) S. 189.
») Gersonii Opera ed. Dupin (Antwerpen 1706) T. IV, p. 844.
Cod. Vict 699. Man hatte diese Schriften auch Gerson sage-
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150
ANALEKTEN.
endlich von Aillis Tode bis zur Edition von Goldaat keine
Spur dieser angeblich Aillischea Dialoge aufweisen lässt so
muB8 ihre Echtheit in Zweifel gezogen werden. Eine Unter-
Buchung der fraglichen Autorschaft ist aber schon deshalb un-
erlässlich, weil Ailli durch Abfassung dieser Schriften seiner
Theologie den Stempel der Charakterlosigkeit angedrückt haben
wurde.
Ihr Inhalt ist in gedrängter Kürze folgender. In dem
ersten ') Dialoge begegnen einander die beiden Bitter; der
Engländer auf einem friedlichen Ötreifznge in einem engen fran-
zösischen Tale hat seine Kriegsrüstung abgelegt und beginnt
sofort ein unmotivirtes Gespräch über den englisch-französischen
Erbfülgekricg; der Franzose sieht durch die Eroberungslust seines
Gegners dessen Selenheil gefährdet ; dieser indes beruhigt sein
Gewissen in naiver Loyalität durch Berufung auf den Gehorsam
gegen seinen König; aber als ihm der Franzose die Oberhoheit
de» Pnpstes vtbcr den englisclicn Mounrclien entgt'ijt'iihUlt und
als Weg zur Kindschaft Gottes die katliolisehe llusn^austalt,
Beichte, Heue und (Genugtuung, eujj)fiehlt, wird der Engländer
an stineiu vermeintlichen Kccht irre und Hchliesst mit dem
Wunsche nach Frieden , um durch Befolgung der Katschläge
seines stlsorf^erisclieu Feindes zur Ruhe zu kommen. — Nach
einem Zeitraum von zwei Juliren treÜ'en sie sich wieder und
kommen in der zweiten Unterredung ^) alsbald auf ihr altes
Thema zurück , das sich al»er jetzt im Munde des Franzosen
zu der Frage nach «lern Ann i ht des englischen Königs auf
den französichen Tnai zuspitzt. Der Angeredete sieht sich
bald in Verlegenheit gesetzt, so dass der Gegner ihm ü!)er das
Unrecht Englands mit schulmeisterlicher Ueberlegenheit einen
Vortrag hält. Von Engeln hat einst Chlodwich *) die Lilie
schiiilu'u. iMipiii bemerkt zum ersten Diuloirf ..nomen Gersonii non
praefert in cndicc nee ejus t ert«' est lliitte er eiueu Autor verzeichnet
gefunden, so würde er ihn genannt haben.
1) Trithemius, De script. eecl., kennt sie nicht, ebenso wenig
Gessner in seiner Bibliotheca Tisr. 1583. Auch habe ich in keinem
der auf der Breslauer rniversitätsbibliothek betindlichcii Manuscrlpten-
katalo'jc eine Sch. ift diiscs oder äludichen Inhalts unter Aillis Werken
angeführt gefunden. Auch den Literarhiätorikeru nach Goldast
(J. A. Fabridus, Cave, Oudin) sind diese angeblich Aillischen IMaloge
entgangen; nur der Catalopus impress. libr. bibl. Bodlejatiac iu Acad,
• Oxoniensi (Oxonü 1843) nennt sie (voL I, p. 57a) unter den Opera
Petri de AlHacf».
«) Goldast, Sibylla Frantica (ürsellis 1606) p. 18 sqq. — Ger-
sonii Opera ed. Dupin. (Antwerpen 1706) T. 17, p. 844 sqq.
3) Goldast p. 28 sqq. — Gersouii Op. IV, 850 sqq.
*) Golda >t liost (p. ::•» falsch Ciodoneo, statt (wie Geiaonii
Op. 051 Aj Ciudovaeo.
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T8GHACKBBT, DIB AILLI8CHBN DIALOOB. 151
«mpfangen, ist darauf mit Oel aus der heiligen Ampel gesalbt und
dadurch sind (er und) alle gesalbten Könige FrankreiohB, wenn
sie den Spuren der göttlichen Approbation folgen, Mrie allbe-
kannt — zu Wundertätern gemacht. Durch diese Weihe tritt
^er König in priesterliche Function; da aber Ton ihr das Weib
ausgeschlossen ist, hat sie in Frankreich nie das Recht der
Tronfolge, begründet dasselbe also auch nie für eine weibliche
Linie, z. R. die englischen Könige. Nach dieser albernen Be-
weisführung wehrt sich fler Redner aber noth mit Geschick
gegen den Englander auf CJrund des französischen Gewohnheits-
rechtes, der Zustimmung des Volkes und der Vers, liiedciiheit
der Nationen. Grade dieses wichtige Argument verliert er
gU ichwohl in der Geschichte des Erbfolgekriegcs, welche er
jetzt erzählt, ganz aus dem Auge ; den grossen Kingkampf zweier
Völkerindividualitiitcn leitet er von der persönlichen Intrigue
<'ines französischen Grossen ab, weUher den englischen König
und seinen Adel zum Kriege aufg« reizt liabe. Als Resultat
seines langeii Vortrages spricht er das merkwürdige Wort aus:
„Eure ( rtiize ist und bleibt das Meer."*) Ein ungeschickt
becrüiideter Angriff gegen die englischen Prälaten, welche den
Krieg > hüren, statt Frieden zu stiften, bildet den Schluss,
Beide Tractate bilden olienbar ein Ganzes ; es fragt sich,
wann sie verfasst sind. 6ie selbst bieten dafür folgende An-
haltspunkte d;ir.
1. Erwiilmt werden die Schlachten von iSluys (1340),
Crecy *) (134öj und Maupertuis ^) (135öi; der Tod Johanns
des Guten «) if i:^«4) und das Ende Richards II. ') <'t 1400).
2. Der Veriasser verweist auf Jean Froissart, d. h. auf
seine Chronik^}; ist nun die letzte Redaetioii derselben erst
gegen 1400 vollendet wurden^), so könnte in unseren Dialogen
auf eine frühere Rücksicht genommen sein; allein sicher muss,
wenn Fruissart in populären Sciirilten, wie es diese Dialoge
sind, ohne weitere Aufklärung als Autorität angeführt wird,
die Chronik schon lange in Umlauf sein. Wir sind also in
eine unbestimmte Zeit nach 1400 verwiesen.
1) Teste uutorietate. So Dupin, Gersoiiü op. 851 A. Unverständ-
lich Goldast p. 29: „Teste notorum aetate."
s) Gold.41; 6er8.op.IV,867D:.,Maree8tete88edebettenikuiaB¥ester.**
3) GoM. 35: Grrs. op. IV. 854 C
4) (o'lil. 35. Ge-s. op. IV. 854 D.
.'»J (lold. iJO: Gers. op. iV. 855 A.
•) Gold. 36; Gers. op. IV, 855 A: 8Ö6B.
t) Gold. 40; Gei-8. op. I\ . -öT A.
8) Gold. 32: Ger^j. op. IV. 8r.2 B.
9) Vgl. Fr«»issart. Oeuvres par Kervyn de Letteobove (ßruxellea
1870) T. 1» (die Einleitung).
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AHALEKTBN.
3. Der Franzose berichtet: „Neuli' h habe ich iu der iStadt
Rouen den Tod König Heinrichs ertahren." M Welcher Heinricli
ist gemeint, der vierte (f 14 lo) oder der fünfte (f 11*22) —
Aii^ der citirten Stelle allein lässt sich die Frage nicht be-
antworten ; nur soviel g i 1 1 a 1 s g e w i s s , d a s s d i e D i a 1 o g e
nicht vor 1413 geschrieben sind. Aber wt nn wir er-
wägen, das8 in der hier erzählten (ic8ehichte des K ru bres ^) die
Schlacht vnn Azincourt i l415'i nicht angefiilirt wird, nachdem
sich der Franzose nicht gescheut hat, die bei Sluys, bei Crecy
und bei Maupertni^i zu erwähnen: gilt als höchst n\ alirschcin-
lich, dass jene Schlacht noch nicht geschlagen ist, mithin die
fraglichen Schriften nicht nach 1415 verfasst sind.
Der jüngst Terotorbene König Heinrich ist also der vierte seines
Kamens.
4. Zu der Zeit 1413 bis 1415 passt auch der polltisehc
Hintergrund der Unterredungen: der Franzose hat not h die
Gcltemlmachiuig von cuglischen Ansprüt hen zu erwarten; sein
Gegner erseheint ah der Miielitige, welcher bald durch Gründe
überzeugt, bald geistlich gerührt werden soll *).
Wer ist nun der Verfasser?
Seinen Namen liat er uns zwar verscliwiegen , aber seine
Nationalitiit wenigstens klar durcliblitken lassen: die Fran-
zosen sind gerecht, leiden Verfolgung; die Engländer freveln
übermütig, sind profane Menschen. Von den Collonuenten über-
nimmt der französische die Führung des Gesjiraches, die Ent-
wicklung der Gedanken, die Erzählung des Krieges; der Eng-
länder ist bornirt, gefühllos ; seine Ratlosigkeit dient nur zur
Fortspinnung des Fadens. Ein Franzose also hat die Dialoge
geschrieben; in sein Vaterland verweist uns überdies die Orts-
1) Göhl. 42; Gers. op. IV, 85RD.
*) An den sechsten ff 1471) ist nicht zu denken, ila unter ihm
der Krieg aufhört, während er hier, nach der rhysioguuuüe der Dialoge,
nur ruht, so dass der Franzose noch Arf?es befürchtet und daher seine
ganze Logik. Qeschichtskenntnis und Theologie gegen den Euglftnder
ins Feld führt»
3i Gold. 32 sqq.; Gers. np. IV. P.'S^qq.
*) Wir erinnern noch au eiu anderes entscheidendes Ereignis aus
diesem Kriege. Hätte der patriotuche Franzose den Sieg der Jungfrsa
von Orleans erlebt, er würde diesen auf seinem Stand]»unkt klarsten
Bewei<5 für die i:»»ttlicho Ai)prnbatinn dor französischen Sache bei der
Belehnui'/ und Bekehrun<2 des bornirten enjilischen Geiniers nicht über-
gangen haben. Nun lesen wir zwar, dass der Krieg scheu löu Jahre
gedauert habe (Oold. 82; Gers. op. IV. 853 A). Allein da dies Zeit-
mass S^hst für die Dauer des eanzen Krieces zu hoch jrejiriffen ist,
werden wir e^ nirlit ]>j-o^srn dürfen, l'eberd.'es liis^t de:- Vcifassrr die
Friudst'li^'keilen s. In n unter Philipp IV. (1284 — 1314j beginnen (Gold.
30—32; Gers. op. i\, 851—853).
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TSCHACKERT, DXB An.T.IfiCHKH DULOQE. 16S
angäbe Ronen nagewisB ob auch Vauduse Demnacli könnte
AiUi der Ver&aser lein; ancb er hat gegenüber dem National-
leind seinen Patriotienraa bewiesen, als er im Jahre 1416 anf
dem Constanzes Conoil die Agitation gegen die Gleichstellung der
SnglSnder als Nation mit den Tiei andern anf eigne Hand in
Soene eetate Auch sein Stand wäre der des unbekannten
Verfassers; denn dass dieser dem Klerus angehörte , beweist
die Stelle, an welcher er den Engländer zu einem Laien"
macht es wäre femer denkbar , dass der gelehrte Gavdinal,
welcher trotz dos Purpurs vom Kopf bis zur Zehe Scholastikas
blieb, dies ICal sich xu der geistigen Höhenlage der niedem
Schicht der sogenannten Gebildeten herabgelassen und zu ihrer
Orientirung eine populfire Beleuchtung des englischen Unrechts
▼ersucht habe. Die Sprache schliesslich ist barbviri^ch genug,
dass man sie mit der Tom Humanismus noch unberührten La-
tinität Aillis wohl zusammenstellen darf; selbst ein eigcntiim*
liebes Citat aus Augnstin begegnet uns mit kleinen Abwei»
chungen bei beiden Autoren Aber welche Diiteren/cn !
a) Während der fragliche Verfsjsser im ersten Dialoge die
weltlichen Könige zu Hörigen des Popstes macht, It lirt Ailli
fast zu derselben Zeit die Selbständigkeit der staatlichen Macht.
Jener legt dem Franzosen anf die Frage des Engländers: „quis
regem et nos posset corripeEre?'' die Antwort in den Mund:
„uullus praeter summum, unicum et indubitatum pontifioem''
Ailli hingegen verwirft am 1. October 1416 vor dem ganzen
Constnnzer Concil den „error, assercre, papam ab ipso (Christo)
immediate habere primariam autoritatem, dominium et juris-
dictionem in temporalibus bonis, non solum ecclesiae do*
natia yel alias juste acquisitis, sed ctiam principibus sae-
cnlaribus subjectis, licet dicant (sc. die Gegner), quod
papa in his non habet executionem immediatam nisi in qnibus-
dam casibus" ').
b) Im zweiten Dialoge stellt der Verfasser den theologi-
schen Fundamentalsatz auf, dass Tom Alten Testament nur das
^ G«h\. 42; Gers. op. IV, 858 D.
2) Gold. 18: Gers. np. IV. 844 B.
ä) V. d. Hardt, Magn. concilium Constaut. T. VI, p. 42; vgl.
T. V, P. 3, p. 57 sqq.
t) r;(.Ki 20; Gers. op.849B: „Intelligo asserta vera, sed mihi ignaro
ei laico Jifticilia.''
5) V. d. Hardt 1. c. T. I. P. 8. p. 412: ,.Qui faiinmi suaiii lu-
gligit, crudelis est. * — Gold. 27; Geis. up. IV, 849 D: „Crudelis qui
funam aesligit.'^
6) Goid. 21: Gr 5. op. IV. 846.
1) V. d. Hardt T. VI: AUiaco, de pot ecd. p. 16^.
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154
ANALEKTEN.
öittengesetz bindende Kratt habe V). Durdi die Folgerungen
aus diesem Urteil müsste der Verfasser mit der katholischen
Glaubenslelire und dem kononischen Recht, die beide auf der
solidarischen Einheit des Alten und Neuen Testamentes ruhen,
ohne weiteres brechen. Nun war Ailli , wie seine zahlreichen
philosophischen Schriften beweisen, einer der scharfsiunigsten
Köpfe seiner Zeit^l; einen so princijiiellen CJcdankeu köLinte
er nicht unüberlegt hingeworfen haben, ohne sich über seine
Tragweite auch nur im gerinp;sten klar zu sein; er müsste ihn
noch dazu in seinem Grcisenalter wo wir doch seine Tlieo-
logie als völlig abgekliirt ansehen dürfen, aufgestellt haben.
Allein wir finden bei ihm nicht nur keine Spur obiger Folge-
rungen, sondern grade das entgegengesetzte Schriftprincip : das
Alte und Neue Testament bildet nach mittelalterlicher Lehre
von der Bibel, welche auch die Aillis ist, ein einziges f esetz-
buch ; sein Inhalt die Natzungen Moses und Christi*}. Göttlich
inspirirt ist das Ciesetz Mosis ebenso wie das Christi Ohne
von einer Scheidung zwischen Cerimonial- und Sittengesetz
etwas zu wissen, lehrt er vielmehr, nicht nur die Sammlung
von Geboten und \ erboten , sondern den ganzen historischen
A]'] nrnt, in welchen sie eingereiht sind, als die kräftigste Stütze
des (.icsetzes selbst in seinen Begriff aufzunehmen^). Auf
Grund dieser Aiisichten hat der Cardinal im Jahre 1416, also
nicht lange nach der Abfassungszeit der Dialoge, für Begrün-
dung des kanonischen Hechtes und für seine Theorie der
M Gold. 29; Gers. op. IT, 8G0D: „Argumenta legis antiqaae
noD iiabent efficaciaro nisi quatenus redacta siut ad mo>
ralia."
Vgl. (^iiacstiones sup. libr. sent. — De arte obligandi und viele
andere. (Praotl, Gesch. d. Logik im AbendL Bd. lY, S. 108—118).
3) Er war im Jah:e 1350 geboren.
*) Gers. op. I. ').''>(; A. In der S' br:ft ,.Utruin iinloctüs in jure divino
possit jiistc juacebse ", wclclie wulH^du inlich loK) abjzefasst ist (vi;!.
mehic Breslauer Üiss. „Petrus AUiuceuus de ecclesia quid docuciit"
[1875] p. 9, Anm. 36), lehrt er; ,«In volumine novi et ?eteri8
testamenti, exMoysis et Christi legibus composito, omni-
potontissima dei sa]>ientift et jitstitia inünita nullani sufficienthim prae-
terniisit quoad b(>Mum, inio Optimum regimen uuiversi, super quo nuUi
£deli haesitare licitum est.'^
&) Ib. 668C: „Lex divina sumitur pro leg« divinitus inspi-
rata, qualis est lex Moysis et Christi.'*
*') Ib. 063 D: Man kann das (icsctz (bfiniren als eine Samndun*:
nicht allein von praecepta et prohibitiuiu s , sed etiani coiisilia et per-
missiones, testimonia historialia, exenipla imitabilia, miracula, sacra-
menta, proiuissiones praemiorum, comminationes suppliciorum et multa
hujusinodi, quae licet non sint de substantia legis pr<priae. quia nec
ÜLMTit nec oblijiant, eo quod bis nihil iniperatur ar.t prohibetur: ipsa
tau en sunt fortissiuia adjutoria ad legem sustiueudum".
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TSCIIACKEBT, DIE AILUflCHBN DIALOas.
155
KirchenTeziBSBiiiig Belege girade aus solchen altiestamentlieheii
Stellen hergenommen, welche keine moralischen Vorschriften
enthalten
Angesichts dieser Verschiedenheit der echten und der an-
xiizweifelnden Schriften tritt die Entscheidung an uns heran,
ob wir Feter von Ailli die Charakterlosigkeit zutrauen dürfen,
dass er als Greis von 63 bis 65 Jahreu entgegengesetzte theo-
logische Priacipien im Munde geführt habe. Da sich trotz der
,,Geschiuei(ligküit" seines Charakters weder in seiner Theologie
nooh in seiner Theorie der Kirchenverfassung ein principieller
Brach nachweisen lässt (das landläufige Urteil, welches einen
solchen in seiner Constanser Kiichenpolitik findet, beruht auf
unechten SSchriften) : so sehen wir uns genötigt, ihm die
Autorschaft an den genannten Dialogen abzusprechen.
Die Kichtigkeit dieses Urteils wird noch durch folgende
Umstände gestützt.
c) Die geistige Beschränktheit des Verfassers können wir
Ailli nicht zutrauen. Die Dummheit, dass jeder französische
König durch die Salbung mit dem heiligen Oel Wundergabe
empfangen konnte der hoch gebildete Cardinal nicht aus-
apiechcn , zumal er den wahnsinnigen Karl VI. und die ihn
umgebende Cnmarilia als königlicher Beichtvater gründlicher als
irgend jemand kennen gelernt hatte Er selbst hat zwar
auch gelegentlich einen extremen Wunderglauben bewiesen, aber
doch nur, wo es sich um die Kanonisation eines jugendlichen
Heiligen handelte
Ferner Itot der Verfasser den französischen Unterredner
dem englischen den Bat geben, seine gottlosen verheirateten
Landsleufte möchten sich Dispens verschaffcD , ihre Weiber zu
entlassen, um (im Kloster) mit Gott und Menschen Frieden zu
Sueben*). Pur so töricht halten wir den weltcrfahriK n AilU
wieder nicht; überdies hatte er selbst vor etwa 15 Juhren, als
er nicht einmal bei den Geistlichen seine;' iSpreugeis die Ent-
lassung der Concubinen durchsetzen konnte , in dieser lieiklen
Angelegenheit jedes strenge Einschreiten gegen sie nicht nur
Termieden, sondern sogar gemisbilligt ').
i| V. d. Hardt T. VI: Alliaco, de put. eccl. p. 49. 51. 52.
8) Vgl, Jahrbücher f. d. Theol. (1875) lid. XX, Hft. 2 meine Ab-
handl.: ,tDer Cardinal Peter Ton Ailli uad die beiden ihm zugeschrie-
beiu II Schriften De diff. ref in cottc. univ. und Monita de neoess. ref,
eccl. in can. et in luembris."
3) (\r,\(\. 29; Gers. op. IV, böl A.
iiuUeus, llist. univ. P. IV, p. 633 sqq.
ft) Ib., p. 651 sqq. '
6) Gold. 38; Gers. op. IV, 856 A.
Alliaco, Tract et aerin. (Arg. 1490), der dritte sermo in synodo:
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156
ANALEKTEN.
d) Unter den wenigen Citates in den IKalogen begegnet
uns das Buch Bemhard» an den Papst Eogenius nnd Ghregozs
moxalia in Job auch bei AüU oft; aber — soweit wir Um
jetst kennen — weder Jean Froissart ^) noch eine r»Bftnoram
historia"
e) Bpraohlicbe VerBchiedenbeiten bieten sich in Menge dar;
zwar schreibt auoh Ailli ein überaus schlechtes Latein; aber
wir zweifeln, ob er Wendungen gebraucht habe, wie ignoraa
rei gcstae notoriam ^) = dir ist die offenkundige Geschichte
unbekannt; (tanti regni) conqunesta *) = Eroberung; a casu •)
Ä zufallig; a memoria labi ^) = dem Gedächtnis entfallen;
illis infelicissimis die, loco et hora fiabrioatis ablatiyi absolutio
welche in ihrer unerhörten Breviloquenz gar nicht zu Terdeut-
scheu sind; offensa oft, statt offensio; Titiomm primogenita ^)
nnd anderes mehr.
Wir halten aus allen diesen Gründen die Dia-
loge für unecht.
Ueber den wahren Verfasser lii*"<t sich bis jetzt weitM
nichts feststellen, als dass er nach den obigen Andeutungen
ein französischer Geistlicher war und wahrscheinlich in Nord-
Irankreich lebte
So wenig Bedeutung seine beiden Werke für die Ge-
schichte des grossen Kingkampfcs der englischen und der fran-
zösischen Nation beans])rucheu dürfen; die Theologie des Ver-
fassers verdient die Auftnerksamkeit des Dogmenhistorikers:
das Urteil dieses obscuren Politikers über das Alte Ttstament
erscheint im 18. Jahrhundert als Schriftprincip des Bationa-
lismus.
Er tadi'lt hier die ri^oristist lion (JPL'iipr der Cuucnbinarii, .,ho<' crimen
acriuö iuiprobaiidi» po])uium subjcctuiii iu irreverentiaui et iouboedieuti&tu
suoniin sacerdotum inducuut."
J) Gold. 32; Gers. op. IV» 852 B.
2) (icld. 10: Gers. op. IV. 857 C.
3) (;..](!. 3(1; (iors. op. IV. 851 C.
G(»ia. 64 i Gers. op. IV, 85a A.
«) Gold. 80; Gers. op. IV, 851 CD.
6) G'.ia. 30: Gers. op. IV. Sol C.
^) (Jold. :;3: Gers. op. IV. 851 C.
8) (ö.Kl. 2'» ti. a.; Gers. .»p. IV, 845 C. 846D. 649 B.
9) Gold. 22; Gers. op. IV, 84GD.
^0) Er hat den Tod KnnijE^ Heinrichs IT. in Ronen erfahren
(Gold. 42; Gers. op. IV. 8r.sl>): vallis clausa aber, tb'r Ort der Hand-
lnn«r im ersten DialoL^e ((4old, 18; (iers. np. IV. 8|}T)), ist vielleicht
par kein Kit/eiinatne (Vauclüse in der Provenre). >onderu bedeutet nur
ein „enges Tal", in welchem die beiden Reisenden einander iiube
gebracht weri!en sollten.
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VOIGT, GHRISIOPH WALTHBR.
15T
2.
Christoph Walther,
d«r Druck-Correotor m Wittenbexg.
Von
C^eorg Voigt
in Lelpiig.
Ben Ruhm, mindeetena den vermeintlichen, des Schrift*
stellers und den Unternehmungsgeist des WeAegm, der in
älterer Zeit immer sugleich der Drucker war, pflegen die
Bücher an der Stime zu tragen. Dazwieoben verbori^c n liegt
die bescheidene Tätigkeit des Corrcctors, ein dunkler Name,
nm den die Welt 8i<^ nicht kümmert, lud doch }mt es in
lahlreiohen Fällen von ihm abgehangen, ob das Buch sich den
Leeenden empfahl oder nicht. Der Autor war früher oft genug
ausser Stande, irgend einen Einftass auf Qestalt und Correct-
bcit seines Buches zu üben. Auch erschienen Genauigkeit und
feste Regel im Handwerk der Lettern langehin nicht als eigent-
liches Erfordernis. 8ie wollten gelernt sein und wurden ge-
lernt, wo die Würde des Inhalts auch für den Buchstaben
Achtung gebot. Das war zunächst bei den Classikern des
Altertums der Fall, über deren Text die Verehning der Huma-
nisten wachte. In der neueren Literatur aber ist Luthen
deuts« hc Bibel das erste Buch, dem das Ansehen eines classi-
schen beigelegt wurde, bei dem die Sorge für die unverfälschte
Gestalt und Keinhaltung des Textes als gebieterische Ptiicht
erschien. An der deutschen Bibel erwuchs das Amt des Coi^
lectors als ein stehendes und specifisches , angelehnt an die
Traditionen einer grossen Wittenberger OfÜcin.
Es war auch für diese Dinge von hoher Bedeutung, dass
die deutsche Reformation in ihren ersten drei Jahrzehnten eine
feste Residenz hatte, dass ihre Männer und ihre Hiilfskräfte
nicht rnehr so unstet wandern durften, wie die Humfiiiistcn
gewandert waren. Was Luther schrieb , wuifle in seinem
Wittenberg gcdninkt und corriprirt, prinj^ in <ier Gestalt, wie
sie unter «einen Augen entstanden war, in die Welt hinaus.
Melanthon ist als Schriftsteller und Mens( h fast noch enger
mit seiner Acndeniia verwachsen. Luther plit Lct nicht jxnr viel
von der Entstehung seiner Schriften zu sj)rcchen ; was aus
seiner Feder heraus ist, wandert in die Druckerei und küiomert
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«
158 ANALEKTEN.
ihn nicht mehr. Melanthou bespricht wohl, was ihn literarisch
bcpchüftigte, mit seinen gelehrten Freunden. iSo finden sich
bei ihnen über die Helfer aiii Werk des Satzes, Druckes und
der Correctur nur wenige Andeutungen, am ehesten noch in
den Briefwechseln. Und doch sind es Männer von nicht ge-
ringem Verdienst , über die man in Darstellungen der Refor-
mation und in Biüpra]»hien allzuleirht hinwegzugehen liebt. Sie
gehören zu den Trabanten, ohne den n Hewep:ung auch der Hel-
dengang der grossen Gestime nicht zum vollen YerständniB
gelangt.
Ein Brief des Correctors Christoph Walther, der mir in
den Acten des Dresdener Staatsarchivs zur Hand kam, gab
Gelf'genheit, sich den Kreis, aus dem er stammt, zu vergegcn-
wiirtigen. Solche Brieff , deren Verfasser durchaus an keine
Oeffcntlichkeit dachte, sind natürlich zu Tausen den verloren
gegangen. Ein Zufall, den nur wir einen glücklichen nennen
mögen, hat diesen erhalten. NViihrend der s( hnialkaldische Krieg
in Snthsen tobte, fing Graf Albrcrht Sclilick, der Landvogt zu
Lültben, den Briefboten auf, der aus Wittenberg kam und über
Frankfurt a. d. 0. gelaufen war. Er las (iie erbeuteten Briefe,
gab die unbedeutenden der Wittenberger Kautieute zurück, den
des Correctors Walther aber schickte er an Herzog Moritz, in
dessen Canzlei man ihn zu kunftigem Gedenken mit einem
Isotabene bezeichnete. Dabei war ein Büchlein, das dieser
Walther vcrfasst und gleichfalls nach Kiinigsberg senden wollte;
leider ist sein Inhalt nicht mehr sicher zu bestimmen Jener
Brief nun führt uns in die Offit in Hans Lufts, des Druc kers
der ersten vollstitndigen deutsclien Luther-Bibel. Er zeigt uns
einen der bedeutendsten Mithelfer an der Arbeit, in gewaltig
aufgeregten und kritischen Tagen, in denen mancher Klein-
gläubige, noch kein Jahr nach dem Hingange des Helden, S' hon
an seinem Werk verzagte, in denen Melanth(»n , aus seinem
\Vittenl)erger Nestchen geflüchtet, schon das Evangelium zu-
sammen- und die alte unclassische Barbarei hereinbrechen sah.
W ittenberg hatte im sächsischen Kriege eine doppelte Be-
di utung. Es war die wichtigste und stärkste Festung Joliann
Friedrichs nach seiner Lage als Bollwerk des Elbstroms, seinen
Mauern und Wiillen, mit gutem Kriegsvolk unter Bernhard von
Mila beset/t , mit Munition und Troviant reichlich versehen.
Es war aber auch nach dem Geiste seiner Bürger und Be-
wohner immer noch die Stätte, in der Luthers starker Geist
fortlebte, immer noch „das HauptboUvverk gegen die Feinde
1) hchreibcn J-chlicks an Ilerzoi:- Moritz, d. Lüben Mittwoch nach.
Conversioiiis Pauli (26. Januar) 1547, im Dresd. Arch. Loc. 9140.
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VOIGT, CHEISTOPH WALTHER.
159
des ETangeliums nicht nur in Deutschland, sondern in ganz
Europa", wie damals mitten im Kriegsstnrm einer seiner Pro-
fessoren es nannte Gleich bei dem Beginn des Slbkrieges,^
am 6. l^ovember 1546, war die UniTersität auflöst, waren
die Stadiosenp die während einer etwaigen Belagerung ein nn-
rahiges Element bilden mochten, entlassen worden^. Der
giitosere Teil der Dootoren, znmal solohe, die für die Sieher«
heit Ton lYeib nnd Kind zu sorgen hatten, sachte anderwSrts
eine Zuflucht. Aber es blieb doch anch ein Kern von tapfbren
Männern der Hochschule und des lutherischen Geistes in der
Festung, Doctor Cruciger, damals Bector der UniTersität und
Prediger an der Schlosskirohe, Bngenhagen, Pastor an der
P&rrkiiohe, die Magister Paul Eber und Georg Hörer Mit
der Mehrsahl der Prediger und der Schulmeister blieb den
Büigem und selbst den Kriegslenten ein starkes Vertrauen auf
Gott und sein Evangelium, auf die Sache Luthers und des
Kurfürsten. Denn auch die Bürger waren zu Wachdiensten in
der Stadt und unter deren Toren, nicht minder auf den Wällen
nnd Türmen Terpflichtet. Sie mussten es ansehen, wie die
Torstädte mit den Lusthäusem und Gärten, damit der Feind
sich hier nicht setzen könne, niedeigebrannt, wie die Aecker
umher verwüstet, die Dörfer geplündert und anch wohl mit
Feuer vertilgt wurden^).
Am 18. November erschien Herzog Moritz mit seinem
Heere vor der Stadt und liess sie berennen. Die berüchtigten
Husaren streiften mit wildem Geschrei bis hnrt unter die
Mauern, wurden aber vom Wall aus durch die Kugeln der Ver*
teidiger zurückgetrieben. Der Versuch, ob nicht Wittenberg
demselben schnellen Schrecken erliegen möchte wie Zwickau
und andere Städte, wor mißlungen. Emsthafter wurde die Be-
lagerung um die Mitte des Deccmber wieder aufgenommen.
Ein bedeutender Teil von Moritz' Truppen nahm seine durch
Schanzen und Gräben befestigten Winterlager in den Dörfern
umher, er selbst das Hauptquartier in Zahna. Die Besatzung
der Stadt wurde durch Wachtposten und Streifzüge in stetem
Atem erhalten, die Zufuhr erschwert, die Dörfer in weitem
1) Johann Marccllns an Johann Lanpre in Erfurt, d. Magde-
burg Luciae in biuma (13. Decbr.j 154G im Corp. Reform, vol. VI.
2) Ebend., Anschlag des Rectors Caspar Cmciger.
Job. Bufrenhageiif Wie es vns zu Wittemberg in der Stadt
ge^ranjren ist — ~ — Warhafftige Historia. Wittemberg, durch Veit
Cieutzc", ir,47. 4". B. 4.
Ebend., C. 4. Das Abkommen über die Wehr- und Wach-
pdichtin der Wittenberger Bürger von 1543 bei Wentrup. Die BelaR.
Wittenbergs im J. 1647, im Progr. des Oymn. zu Wittenberg 1861^
a 28.
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160
ANALEKT«.
Umkreise ausgeraubt und verwüstet. Zwar Anirfklle ichoinen
<lie Belagerten oiobt gcwnjjt zu h.il»cn. Aber wenn die feind-
lichen Beiter einmal alba keok den Mauern und Prüeken der
8tadt sieb luiherteui wwrde ihnen Ton den Kugein dexeelben
gar bald der Kückweg gewiesen.
Dabei waren in der st trlt Bürger und Kriegsknechte guten
Mutes , in Verträglichkeit mit einander , in sicherem Vertrauen
auf den Obersten, Herrn Ton Mila, und den Hauptmann Wolf
Kreutz. Man betete für den Kurfürsten und dass er bald mit
Ehren in sein Land heiuikeliren möge; man schmähte auf Her-
zog Moritz, den Verräter de.=ä deutschen Landes und des Glau-
bens, „des Teufels Bitter und Soldat". Wekber Jubel, als
auf die Xacliricht von der Heinikchr des KurtÜrsteu die her-
zoglichen Truppen und die vertiuchten Husaren am 26. "Dc-
eeuiber davnnz'>L'on . nl«: die bisher Jk laürcrten sich wieder iu
freier Lnft fühlten und ihrerseits Streifzii^e unternalitiit n ! Dieser
Triunn h tdnt uu'j nu« einem schwunj^haften Liedc ent'j:(';iei:,
das damals nach dem belielteu Ton „Es geht ein frischer
{SuiuuM-r d;ih<'r" credichtft wurde nicht minder aus dem
Briete Waithers, der zu Lübbeu aufgefani;(Mi wurde.
.,/a Wittemhers: auf dorn hohen Wall
ilürt man die ÜuchHeu krachen, ja krachen*',
heisst es in jenem Liedc, dessen Sängersich einen freien Lands-
kneeht nennt, der zu Wittenberg ans und ein gehe und nnn
wohl „ unyerdrongen " bleibe.
Zu denen, die während der Belagerung das grobe Oe-
schütz bedient, gehörte auch Hans Luft, der Meister der
bekannten Druckerei. Er war unter kurfürstlicher Besoldung
BU einem grossen Stück, der Singerin auf den grossen Belg
commandirt. Die Mehrzahl seiner Oesellen hatte er kurz Tor
dem Beginn der Belagerung entlassen , sie lagen jetzt mit
Spieas , Hallebnrde oder Arkebuse teils zu Sonnewalde, das
von Wittenberg aus besetzt worden , teils mit dem Kurfürsten
vor Leipzig.
Einen Versuch, die auf das Leben und Treiben Meister
Liitts he/ii^licben Notizen zu sammeln, machte Gustav Georg
Zeltner in seiner ,, Kurtzgefassten Historie der gedruckten
Bibel-Version" u. s. w. (Nürnberg und Altdorff 1 727). Ks ist
doch Leschämeitd , dass man in so wichtigen bibliographischen
Fragen immer noch genötigt ist, auf diese alte Scharteke zurück-
zugehen , während uns jetzt ganz andere Forschuiigsniittel zu
Gebote stehen. Nach Zeltner war Luit etwa 1495 geboren.
M Ein new Lied von hevzofj Moritzen zu Sachsen, abgedruckt bei
von Lilie ncrou, Hist. Volkbheder Bd. IV, Nr. 546.
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VOIGT, CBBrnOtB WALIS
161
Wann «f in Wittinberg seine Oraeketei eitflfiiet» lieaae tidh
ent sagen, wenn eine Fonchnng Uber seine Draoke VorUtge.
Es moss aber schon in seinen jnngen JaJnen gesohehen sein,
nnd der Schritt hftngt ohne Zweifel mit dem ersten Anblnhefc
der jungen Umyersität und mit der Wirksamkeit Ldthers an
ihr msammen. Gleich die ersten Erwähnungen Luits ent^
stammen nos Luthers Briefen. Sohriftsteller nnd Drucker waren
damals selten p;at aof einander zu spreehen. Schon 1521 be-
klagt sich Luther über schlechte Typen , elendes Papier und
Über die NdchläRsigkeiten der Lnftschen Offloin, deren Meiste^
er als den reinen (rcHchttftsmann anaokiagen scheint: Johannes
chalcographus est Johannes in eodem tempore" 1527 hatte
Luft die in Wittenberg herrschende Pest an überwinden. Er
blieb mit Luther immer im Zusammenhange, wie die Bruck-
angaben mancher der älteren Schriften desselben bezeugen
Seit den Bibeldrucken wird diese Verbindung hochbedeut^ani.
Aber zuMeden war Luther mit den Leistungen jener Werk-
stätte immer noch nicht. Als 1539 eine neue Ausgabe der
Bibel auf grossem Median-Papior gedruckt werden sollte, nahm
er sich tor, sie zu revidiren und ,,der Drucker Unfleiss zu
corrigircn". Eben das führte zu eh^m strafferen System der
Drock-Correctur
Durch die Bibeldrucke , wie es Scheint, wurde Luft ein
ang^ehener, wohlhabender, weithin bekannter Mann. £r lebte
mit den Wittenberger Doctoren wie einer unter ihnen; auch
er hatte in der Begel Studiosen im Hause und bei Tische wie
sie. Bugenhagen nannte ihn freundschaftlich seinen Bruder.
Er trat mit den Fürsten des lutherischen Glaubens in Ge-
schäftsverkehr. Er lieferte ihnen aus halber Getällii^kcit die
beliebten auf Pergament gedruckten Bibeln. 1539 sollten ihrer
drei Exemplare gedruckt werden, von denen jedes etwa (50 Gul-
den kosten würde. Selbst Kurfürst Johann Frietlncl. , wollte
er sich in solrhcn 15c5!itz setzen, rausstc ihn zeitig hestelleu.
Weitere neun Exemplare, die hei dem nächsten Drucke auf-
gelegt wurden, waren nl^tiald versprochen und verkautt. Von
dem Druck, den Luit für die L( ij /iger Frühjahrsmesse von
1543 Yorbereitete , sollten auf mehrlaGhe Anfragen von fürst-
1) Brief an Spalatin bd de Wette II, 42. Ohue Zweifel ist hier
Luft gememt, den Luther auch 1524 (8. 606) als Joh. Loft chalco*
typum bezeichnet,
^) Ebend. III, 169. Auch zweide ich nicht, dass die Datiruiu;
eines Briefes von 1538 (S. 313): „in domo a6rea et aetherea" wh-Uich
auf Lufts Oesdiüftslocal zu beziehen ist.
s) Luthors Schreiben an den Kanzler Brfkck Tom 19. Septbr. 1539;
ebend. V, 205.
ZeitMlir. f. K.-G. 11
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162
ANALKKTEN
liclier Seite wieder neue reipamciit -Exemplare gefertigt wer-
den, deren Preis aber jetzt schon 90 Gulden überstieg:
Unter den Correctoren der Bibel und anderer lutherischer
Schrifteu, die der Luftschen Officin zur Seite standen, wird
Doctor Cruciger obuiiau genannt. Er übte nicht bloss eine
oberste Aufsieht, sondern gab auch in technischen Fragen die
letzte Entscheidung ab, wo das (Jutachtcn eines theologisch
durchgebildeten Mannes erforderlich war. Denn Luthers Saelie
war es nicht, sich um solche Dinge anders als im nachtrag-
lichen Aerger über die Misgriffe und Eehler zu kiiuiniern. Bis
der Setzer mit seiner Arl)eit fertig geworden, war der vorwarts-
dringendc Genius des Kcformators scliou weit über sie hinaus
und bei anderen Fragen.
Der unermüdliche Corrector l>uther8, so lange dieser lebte
und noch manches Jahr nach seinem Tode, war der Magister und
"Witten berger Kaplan Georg K<»rer, ein wohlgelehrter Mann,
aber von derjenigen Classe, die gar nicht den Trieb in sich
spürt, in selbständiger Untemchraung und Leistung dazustehen,
die ihr Tun freudig dem eines hidieren Geistes unterordnet,
eine faniulirende Xutur. die wegen ihres braven, bescheidenen
"NVesens in Wittenberg bei jedermann wohlgelitten war. Be-
kannt genug ist Magister Uorarius als Luthers Tischgenosse,
iSuchsuhreiber seiuei Predigten und Vorlesungen und als Mit-
glied des Collegium Liblicum. Eben 1539, als Lutlier die
Notwendigkeit einsah, der Druc ker Untl^iss ernstlicher zu corri-
giren, übergab er Körer das revidirte Exemjdar der Bibelül>er-
setzung, nach welchem fortan gedruckt und eorrigirt werden
sollte. Körer wird nun actenmässig „oberster und vereideter
Corrector in Hans Luftens Buchdruckerei" genannt. Auch nach
Luthers Tode corrigirte er noch in Wittenberg drei Bände seiner
Werk«, ging dann 1650 nach Dänemark, kehrte aber UAoh
Jena imrückr um auch hier dem Druck der Wezke Lutbeia
vorzustehen. Als Schriftsteller hat er sieb nie henrorgethan»
höchstens dass er an der alsbald su erwähnenden Streitlite*
ratur in Sachen der Jenaer und der Wittenberger Ausgabe der
Werke Luthers teilgenommen Helanthon erschöpft sein
Lob, wenn er es ganz und gar an die Edition der Werke
Luthers knüpft').
*) Ich benutze allerlei Notizen aus der Correspoudenz des Herzogs
Albrecht von Preussen mit den Wittenberger Gelelirten, die das Archiv
zu Königsberg aufbewahrt.
i^) .Tolt (cnr. Zeltiier. Correctorum m typographüs eruditonim
Centuria (Nornnb. ITIC.) p. 175—478.
3) Schreiben au ilcizog Albrecht vou Preusseu vom 18. October
1547: a viro integerrÜDo, qui rerereodi D. Lathen lucubrationes
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VOIGT, CHRISTOPH WALTHER* 163
Sein jüngerer Mitarbeiter und später sein EiBatzmann in
Lttfts Druckerei war Christopli Walther. Er tritt daheri
BO lange Hörer in Wittenbelg war, nicht sonderlich herror.
Aber in der Vorrede zu seiner Streitschrift von 1558 sagt er,
dass er nun länger als 20 Jahre in der Druckerei corrigiien
geholfen, erst neben Doctor Cruciger, dann neben Magister
Körer. Wo er herstammte, wusste der ältere Zeltner „trotz
nllcr Mühe" nicht zu ermitteln; der jüngere beruft sieb auf
die Ötreitschrift Amsdorfs, der Walther einen Hessen nennt
und auch Ton seiner Klage zu erzählen weiss, man bezeichne
ihn als den „dürren Hessen". Sofort wollte man anch daraus
schliessen, warum er gleich dem Landgrafen von Heesen die
calvinische Lehre begünstige, ein Vorwurf, mit dem man da-
mals schnell und in diesem Falle ganz leicht ferHg bei der Hand
war. In dem aufgefaDcreiiPii Briefe nennt ^^'althe^ selbst viel-
mehr den Herzog Moritz von »Sachsen als seineu Landesherrn ;
er bekennt das als eine Schande. Auf den Landgrafen von
Hessen aber ist er grade so übel zu sprechen ^viv die Witten-
bcrger sonst: er nennt ihn ,, Landsehrapf", halt ihn für den
Urheber alles Unglücks im Kriege G:ei?en den Kaiser und deutet
mit Bitterkeit auf seine Doppelelu , die Uottes Zorn herausge-
fordert. So bedenklich steht es um die ])ersonalen Nachrichten,
die uns aus der ])olemischen Literatur zuflicssen. So mag
auch unwalir sein, was Johannes Aurifaber unscreni Walther
in einer anderen Fehde vorwarf, er sei als eutlauiener Mönch
nach Witteuberg gekommen.
Am wichtigsten wurde Walthers Tätigkeit, als er an der
grossen Wittenberger Ausgabe der Werke Luthers arbeitete,
erst neben Ktirer und mit diesem in Freundschaft, dann als
erster Corrector. In dieser Arbeit zeigt ihn unser Brief. Wenn
er dann kl;n;t, dnss der dritte Teil der Werke Ijuthers (wohl
der zweite dir lateinischen) erst zur Hälfte fertig sei, wegen
der Langsamkeit des Dr. Cniciger, so hatte letzterer wolil die
Anordnung auf sieh. Um die Wittenberger Ausgabe der Werke
Luthers drehte sich denn aucli der Streit , dessen Anlass zu-
nächst otfenbar die Concurrenz der Jenaer Ausgabe wurde, eine
Fehde, deren realer Gegenstand sich doch auf rechte Haar-
spaltereien beschränkte, die aber mit den bösesten Schmähungen
langehin fortgeliihrt wurde. In ihr schrieb Walther den „Be-
riobt Ton denen Wittenbergischen Tomis der Bücher dee ehr-
würdigen HarÜn Luthers, wider Matthes Flaeium Illyrieum An.
1558'' (4*^, ap. Job. Luffbium) n. a., was aus derselben Druckerei
multis iam aimis tnli curavit et fideliter ecclesiae Dei iu earuiu emcn-
datione sertivlt.*'
11»
L.y L-y Google
164
ASALBKsnnr«
und za ihrer EhrenTerteidigung herrorging. Auf einige der
«{Aterexi Schnfiten Walthers, die den beiden Zeltner unbekannt
geblieben, macht mich der Herausgeber dieser Zeitsohrift, HeD
College Brieger, in fireundlicher Weise aufmerksam. Die ge-
wiss seltenen Drucke finden sich in der auf diesem Gebiete 00
berühmten Ponickausohen Bibliothek zu Helle.
Vier Jahre nach dem Streit über die geeammelten Wctke
Xutlicrs entspann aioh ein ähnlicher über die neue in Jena nach
den Heften Rörers gedruckte FnuBpostille. Anob hier erhob
eioh Walther als Kämpe der Luftschen Offidn, „als ein alter
Diener au ff Drückerey, der ich auch neben M, Georg Hörer
solche Hauspostill zu Wittemberg habe offt helifen lesen und
corrigim". Sein Sendschreiben, das er am Schlüsse, aber
nicht auf dem Titel mit ».Christophorus Walthcr" unterzeichnet,
führt die Aufschrift: „Antwort auff der Flacianisten Lügen vnd
falschen Bericht wider die Hauspostill Doctoris Martini Lutheri..
Wittemberg. (Jcdnickt durch Hans Lufft. 1559." 7 Bl. 4^
Ein vielseitigeres Interesse noch gewährt die Philippika
gegen die Nachdrucke der deutschen Bibel: „Von vnterschcid
der Deudschen Biblien vnd anderer Büchern des Ehrnwirdigon
vnd Bcligen Herrn Doct. Martini Lutiieri , so zu Wittemberg
gedruckt, vnd an andern enden nachgedruckt werden. Durch
Christolf Walther, des Herrn Hans Luffts Corrector. Wittem-
berg 15Ö3." 8 Bl. 4**. Wie bedeutsam sind hier gleich die
Eingangs bemerkungen über die Notwendigkeit einer gleich-
massigen Orthographie in Druckwerken deutscher Sprache, die
Grundsätze eines denkenden Corrcctors, der sein Leben diesem
Fache geweiht und von seiner weiterstreckten Wichtigkeit ganz
durchdrungen ist! Und wie er Luthers Verdienste um die
deutsche Sprache und Schreibung preist, bei der ihm Doctor
Cruciger treulich beigesUuidi n, „welcher der erst oberster Cor-
rector der l^ibheu vnd ander Bücher Lutheri ist gewesen".
Mit welchem Stolze blickt er darauf, dass ,,wir hie zu Wittem-
berg recht Deudfich drücken und recht Deudsch corrigirn von
jm (Lutlier) selber gelernet haben Wer über die Kecht-
sohreibung der Luther-Bibel, und das heisst ja zugleich über
die Genesis der modernen deutschen Orthographie sich unter-
riohteii will, in dieeem Büchlein findet er die Grundzüge der
SBlMOiia Mag entk jBnnldist der Bifer fiir das Luftsche Ge-
BohSfit dem Aator die Feder in die Hand gedxüekt haben, der
Etfer l&T die Sae^e und die Verebrung £iii ian Heiater, an
dfiMon litemneehe Laufbahn Walther sein dienaibaxea Baa^
geknüpft, heben dasselbe in das Licht einer Tolleren HCfiidigung.
Er starb 1572» nachdem er 34 Jahre lang bei Luft die Ckxr-
leotiir yerwaltet, gewiss ein mühseliger Beruf, der den Oeiat
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YOIOT, CBSSnXKPB WALTHEB.
SlttttK
165
beeohränken und yerkümmem mochtü und doch einen niolii
gelingen Grad von Bildung und Kenntnis voraussetzte
Nun aber giebt sich Walthcr in unserem Briete noch als
Verfasser einer anderen Schrill kund. Er sagt, er habe die
\Vittcnberger Erlebnisse, die Berennung und Belagerung der
Stadt durch Moritz „kurtzlich beschrieben" und verweiset auf
die Schachtel „bey den andern Büchern". Auch Schlick über-
ßendet dem Herzoge Moritz dieses „gedruckte Büchlein". Eine
Schrift, auf die man jene Worte mit Sicherheit bizit lit n kcinntc,
ist bisher nicht bekannt geworden. Freilich entbehren wir
gänzlich der bibliogruphisclieu Hülfsmittel, bei denen man Hat
suchen könnte. Was Weller von „Zeitungen" gesammelt hat,
enthält nichts, was hier in Betracht kommen könnte. Und
dennoch muss die Schrift existiren; möchten die Verwalter
reicher Bibliotheken zu einer Isaclisuchuug augeregt werden!
Man duiiic zunächst an dns üben citirte Büchlein Bugenhagens
denken. Aber es enthält die ausdriuk liehe Notiz, dass es am
3. August 1547 zu Wittenberg geschrieben (beendet) sei, es
wurde daselbst durch Veit Creutzer gedruckt. Am 1. Augu.st
sandte Bagenhagen dem Herzog Albrecht von Preussen den bis-
her gedruckten Teil, am 21. August die ganze Schrift. Zwar
beruft er sich auf „etliohe Historien", die über den Krieg
im Prack erschienen, aber er meint damit offenbar die den
Donaokrieg betreffenden BeUitionen nnd Zeitungen. Kein Wort
davon, dass einer, der mit ilmi in Wittenberg eingeschlossen
gewesen, den er obne Zweifel genau kannte, schon yor ihm
die nSmliehen Dinge besehrieben.
Unter solchen Umstünden mag eine Yennntung gestattet
sein, bis sich etwa die unbekannte Bmckschrift Torfindet. Wie
wenn Weither der Bichter des oben besprochenen Liedes wiie,
wenn die vier Blätter desselben das „Büchlein" bildeten? Base
es bald nach dem Absuge der moritadschen Truppen am 26. De-
oember 1646 gedichtet worden, geht ans der 32. Strophe her-
vor. Dass ee in Wittenberg gedruckt worden, versteht s&di
von selbst. Bs enthalt in der Tat die Hauptiuge aus der 6e»
sehiehte der Belagerung der Btadt. Freilich nennt sich der
Verfesaer des Liedes einen „freien Landsknecht". Aber auch
Walther mag unter den Bürgern seine Wachdienste geleistet
haben, wie Hans Luft, sem Frincipal, auf der Schanae sein
Stuck bediente, wie die Gesellen der Druckerei sich au Kriegs-
diensten selbet ausserhalb Wittenbecks verwenden Hessen. Ea
wSre nicht gar aufihllend, wenn er sieh als Landsknecht be-
^) N&heres bei Joh. Gonr. Zeltner S. 543— M7 und in dem
Buche seines Bruders Gustav Georg S. 78—91.
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166
ANALEICTEN
zeichnete, zumal da solche Wcmlungen in Kriegsliedcrn beliebt
und alter Ton waren. Aucli i.>t der „freie Landsknecht " nicht
regelmässiges Epitluton wie der „fromme"; sollte es nicht auf
einen freiwilligen Mitstreiter hindeuten?
Der Adressat des aufgefangenen Briefe.'«, Andre n.s Auri-
faber, war ein in den üeleluiuukreistm gleichtalls wohlbe-
kannter Mann, Er studirte seit 154 2 zu Wittenberg mit Unter-
stützung des Herzogs Albrecht von Freussen Medicin, nachdem er
sich zuvor |ihilasophi.<chen »Studien ergeben. In jener Kunst ver-
Tollkomninete er sich dann, wiederum ;tut KmsVi n (hs Herzugs,
in Italien. Lr war iinlt s langst nul Heieue, einer Tocliter des
Buchdruckers Luft, \Lilieiratet. Als er am 1, August 1545
aus Italien und nach Wittenberg zurückkehrte, hatte er bereits
drei Kinder. Er übersiedelte nun nach Preussen, um dem Her-
zog als Leibarzt zu dienen. Hier starb seine Gattin, wohl
schon Tor dem Anbruche des Jahies 1547; denn nicht ihr,
sondern nnr ihren Kindern sendet Waltiier Qrüsse. Er rer^
lobte sich im December 1549 mit der ältesten Tochter Osianders.
Seitdem etwa spielt er in den theologischen Streitigkeiten eine
bedeutende Bolle, gleich manchem Arzte seiner Zeit, ein hoch-
angesehener geheimer Bat des Herzogs. Am 12. December 1559
traf ihn abends um 7 Uhr ein plötzlicher Tod durch Sohlag-
anfeU anf dem herzoglichen Schlosse
Schreiben Christoph Walthers an Andreas Aurifaber,
d. Wittenberg, 20. Januar 1547.
Dem achtbaren und hochgelarten eren Andreft Aurifabroi der
ertzney doctor, meinem grosgunstigen eren.
(Begistraturbemerkung auf der Adresse : Dieser biief ist von
grafen Albrechten Schligk landtvoigt oto. erfunden worden bej
einem boten, so von AVittenbcrgk geluufcn. — • In einer anderen
Begifltraturauftchrift ist der Brief mit einem Notabene ausge-
zeichnet.)
Mein gantz williger dienst zuvor. Achtbar hochgclarter
lieber err doctor. Von e. a. haben wir am 15. Januarii brieye
bekomen, welche am 12. Novembris gegeben sind, darin be*
M Vgl. den ihm gewidmeten Aitikel in Herzogs Real-Encyklopiulic
Bd. XIX. In Melauthons Briefen wird er mehrfach erwähnt, so am
1. Juli und 12. August 1544, am l, August 1545 und sonst. Viel
Material Aber sdn Leben enthalten auch me Königsberger Arehivalien.
S< in jangerer Bruder ist der in unserem Briefe gleichfalls erwähnte
Theologe Johannes Aurifaber.
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VOIGT, CHBISTOPH WALTHEB.
167
tunden, das es c. a. wolgeut, dcslialbcn wir von hertzeu troh
^ind und gott danckeii. Wir haben aber sider Michaels keinen
Bnef von e. a. emptangin. Wir sind auch noch alle frisch
und gesund, aber hertzlich betrübet, das macht der verbuchte
man, verretherische man h. Moritz. Wie derselbe tolle un-
fletiger mensch mit uns armen leuten sider Michaels gehandelt
hat und Witeniberg bcdagert, hab ich kurtzlich beschrieben, das
mag e. a. le<en , es leid in der schachte! bey den andern
biicheru. Ich weis das er die gnistc ursaeh ist, das der keiser
polchen krieg hat angefangen, wird dazu zu einem ott'entlichcii
Tcrrethcr deudsclis landes mit seinen liusBcrn, die leider auf
den sommer den turcken werden herein brcngen. Es ist mir
eine schände, das er mein landsherr ist. Unser lieber chur-
furst ist gantz ergrimmt über Le^-pzig, zuscheusts gar. Haben
sich erboten, sie wollen im ein grosse summa gelds geben, er
soll sie zu gnaden annemen und das kriegsvolk lassen frey ab-
zihcn. Das hat er niiht wollen thuu, denn es sind die ergcsten
buben drin, Ii. Moritzen rote*). Vieleicht ist der ertzschelni
M. Frantz Klam auch driunc, der sich zu sukhei:» aufrur wed-
lich gebraucht hat, und ist bey den uusern Iiiuten und forn
gewesen, ein rechter falscher mensch. War dazu im sommer
in wclschland und bey etlichen bischovon dieser bösen Sachen
halben, kam auch kurtz darnach, als er wider aus weUchland
kam, zu den anaern gen Witemberg
Unser lieber herr Philippus Melanihon ist Tor acht tagen
▼on Magdeburg komen, er ist aber neulich wider weg, wolt
gern bie sein, aber weil wir ndch nicht sicher sind, darf er
nicht hie bleiben, denn es kernen viel Studenten her, deshalb
ist er wider weg
E. a. bruder M. Johannes helt auch noch zu Magdcbnig
haus. Am 17. Januarii hat ein böte Ton Breslau briete an in
bracht, der sagte, das doctor Hess, M. Joh. weibs vater, ge-
i) Aehnliche Dincro Uber die Zerschiessmifi LcipziL's sat't' ;iut Ii der
Bote ans, den Graf Schlick jnit dein Hiiefc ablinL:: tlic JMailt sti an
drei Stellen iu Tiümiuer froschoüseu und wolle s>ich ei^ebeu, der Kur-
fOrst aber wolle sie mit Gewalt stttrmen und alles darin todtschlageo.
An diesen Aussagen merkte Schlick alsbald, dass der Bote Dicht, wie
er voreab. vor Loinzitr •rowpsen soin könne.
*) Sehr ähnlich urteilt Uber diesen Franz (jracum oder Cr am,
der sp&ter Professor der Rechte in Leipzig und Hat der Kurfürsten
Morits und August war, Ratzebcr^rer (Gcsdi. über Luther und s.
Zeit, heraus?, von Xeudocker [Jena S. 151. DnL'ptren nennt ihn
Ca me rar ins im Briffe an Melauthon v. 2. Januar 1547 (Corp. lief,
vol. VI) einen „vir optiuuis".
Von Meianthon haben wir Briefe aus Wittenberg vom 13«, 14
und 15. Januar 1647, am 19. schreibt er wieder aus Zerbst.
168
storben were, brechte im derhalb brieve. Da tabeii wir in
iJiUgs gen Magdeburg heissen lautVn
Unser druck erey ist gar wüste von gesellen , Denn bald
als h. Moritz vor Witteniljcrf;: zog, Iiis der vater die gesellen
scheubun, sind nu eins theils zu Sonnewald in der besatzung
eins theils aber vor Leypzig. Haben nur zu einer presse ge-
sellen, damit vierzehen tage geerbeit. Es hat auch e. a. vatcr
besoldung Yom churfursten gehabt, denn er war lu einem grossen
fltück, die singehn genant, auf den groaMn bei^ verordnet.
Die büoher, so der fiirst begert, und die, so e. a. begert,
^ ich «üt ■llem tUoi liestellen imd suschieken Jks diitU
iomns Lutberi iit noch mcbt die hMß fertig, so langsam iat
D. iGreiitsiger ^). Wir haben im druck bibUsm mit gespaltan
Oolemms, grosse. postUl Luth., n^w testament klein'). Der
bapft ist lang damit nmbgangen, das er die m^verstet und
draokerey acntdiete. Denn die haben im sein reich aecftorei.
Itit leet siehe anseban, als solts im geraten. Aber es wixd
sieh das spiel wenden. O wie wird man die pfaffto in Deudsoh-
land stöbern» die aqlch spiel haben angerichtl Als Tiel p&ffen
in Dendschland sind, so viel sind Temther. Aber nnaer heim
sind an linde: sie Teijagen sie, so man sie doch alle billiob
eolt todsjofalagen, weil sie in der warheit Tenether, anlMrer und
laaterer gottos namens sind. E. a. wird sich wol wissen au
halten des bischofe von Halle halben, denn er ist ein maig-
grave yon Brandebnig, obs auch den hofejonokem oder forsten
selber bew^en mtfoht, so sie von e. a. httreten, er weie be-
strickt 7).
1) Der bikauute Job. Hess starb in Breslau nach Köstlin „am
Vorabende des Erscheinungsfestes'' (5. Januar) 1547. Melanthon con-
doliit dem ,Tnh. AurifabfT, der während der Wittonberger iielageriuig
nach Maj^deburg getiüchtet, aus Zerbst am 21. Januar.
>) d. h. Auriraberg Schwiegervater, wie auch Mdanfhon in dem
eben erwähnten Condolenzschreiben vom pater spricht.
3) Kach dem Abztijre der herzn^rlichcn Truppen von Wittenberg
nahm der dortige Coniniandant, Beruhard von Mila, am 5. Januar 1547
mit 4 Fähnlän und 300 Reitern Sounewalde, das dem Grafeu von
Sohns ziigchörte und von diesem nicht verteidigt wurde.
*) Der Brief des Herzogs Albmlits von Preussrn an Hans Luft
V. 10. K()vbr. 1.^46. worin er der durch Andreas Auritaber zu bp-
stelleudeu Bücher gedenkt, tiudet sich im Kutwurf im Künigsberger
Archiv. Auf diese Bestellung bezieht sich Walther..
Gemeint ist wohl der 2. Teil der latdiUBcheii Schriften, der
1548 erschien.
6) Die hier aufgeführten Drucke ilürftrn in einer mit Lutber-
Schriften wohlausgestatteteu Bibliothek zu luideu »ein.
f) Der Erzbischof von Magdeburg war von Johami Friedrich in
Balle zur Abtretung des Stiftes gegen eine Pension geoötigt worden
und hatte am II. Januar das Schloss zu Halle verlassen.
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ToioT, cmm^m valtber.
16»
Wie unser churfarst sampt seinen bundsverwandten vom
keiser sind abgezogen und was sie habeu ausgericht, kan mim
nicht wissen, so still wirds gclialten. Man kan auch nicht
wissen, wo der keiser ist. Etliche sogen, er sey tod Pas
sichs auch mit dem keiserischen krieg so lang vcrzoj^en hat,
ist gewis, wie ich bald im anfang sagte: so die unsern den
keiser nicht bald schlagen werden oder sonst glück haben, ist
warhaftig der landsehrapf ursach. Itzt war Crato drucksetzcr
von iStrassburg allhie, welcher dem churfursten dienet und aus
dem lager von Leypzig her kam, der sagte, das man den keiser
bald im anfang wol hett können vor Ingelstad schlagen, wenn
man hett nachgefolget. Fragte ich , was die Ursache were.
Sagte er, des landgraven, der hat nicht hinan gewolt, dazu
dem churfursten, der schon sein Schlachtordnung gemacht und
hinan gewolt, heftig widerraten und gewehret. Denn ich kan
nicht gleuben , das der landgrave in solchem krieg gluck solt
haben, ursach weis ich. So hab ich auch die heilige schritt
wol durcli lesen, das ich solch ding leiehtlich ersehen kan.
Man hat noch heut diese nacht viel kogeln und pulver
gen Leypzig gefurt. Die obersten des kricgs , so drinne sind,
wissen wol, das inen ir leben gild, wenn sie es gleich auf-
geben. Derhalb wehren sie sich heftig. So verschonet mein
herr auch des armen heuflins. Denn sie wollen das weiber-
Tolck nicht eiauslasseni so es doch der churfurst an sie heftig
begert hat. Nu ist mein herre entschuldigt, hat aach Sffaiit-
licb an die landschaft geschrieben nnd im druck lassen aus-
gehen (e. a. schick ich S exemplar), das er zu solchem blnt-
▼eigissen gedrungen ist *}. Wie es noch ein ansgang haben
wird, will ich e. a. in kortz auch zuwissen thun. Damit sey
e. a. gott befolen. Datum 20. Januarii anno 1547.
£. a. williger
Christof Walther.
Es ist auch ein brief zu Leypzig gedruckt (das sie ja
diese strafe wol rerdienen haben wollen) im namen D. Mar.
Lutheri, der heltt daa sich die Christen zu keinem krieg be*
geben sollen etc. ^. Da wider hat Justus Menins itzt lassen
1) Ein bekanntes, nicht nur in den niederen Stünden zu Sachsen
umlaiifrndes Gerede. Wie man in Witteuber*? iio<h um 14. April, als
der Kaiser bereits im Vo^rtlande war, an seinem Leben zweifelte, zeigt
der brief des iiasilius Mono er im Corp. Ref. vol. VI, p. 466.
*) Das Ausschreiben Johann Friedriclis an die Landschaft des Herzog
Moritz V. 27. Derbr. 154G bei Hortleder Bd. II, Buch 8, Cap. 66.
Xch kenne einrn OrijrinaUlruck, der v. 22. Declu*. datirt.
s) Diesen Leipziger Druck fiüirt Bretschueider im Corp. Ref.
ToL YI, p. 356 auf. Vgl. auch Melanthons Kachweis der „fremden
Zusätze*" p. 860.
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170
ANALEKTBN.
ein buchlin ausgehen \). So drucken auch w'iv itzt dawider
Weil aber der Bote nicht hat konneu harren, bis er fertig
ward, schick ich dieweil die gedruckten bogen. Ea feilet mir
am D. Pomer, sonst wer e=! schon Icrli:;.
Viel tausent gutte nacht, sonderlicfi Kctgen und Martgen
(Orig. im Dresd. Arch. Loc. 9140.)
3.
Zur Geschichte der ProtestanteDverfolgung in
fraokreich.
Yuii
Arnold Sehaefer
in Bonn.
Man hat häufig Anstoss daran genommen, dass in der Zeit
des siebenjährigen Krieges von preussisclier und mehr noch von
englischer Seite auf die (»etahr hingewiesen wurde, welche dem
Protestantismus durcli das Bündnis des österreichisclien und dos
iranzüsischon Hofes drohe, und Imt jede Beziehung dieser Allianz
mit die kirchlichen Verhältnisse in Abrede stellen wollen. Dass
dem nicht so sei, stellt gegenwärtig durch urkundliche Zeugnisse
fest. Gleich in den ersten Anträgen, welche Maria Theresia
1) Die Schrift des Justus Menius .,Von der Nothwehr I nter-
rteht'* u. s. w. ist bei iiortledcr Cap. 29 abgedruckt. Wie Mclau-
thon eine Falle von Zus&tzen und Beistttcken dam lieferte, zeigen seine
nach Witt* iibei^' seit dem 16. NoTbr. 1646 gerichteten Briefe im Corp.
Kef. vnl, VI \ irlfach.
I>as bezieht sich nicht etwa auf die Schiift „Von der D«^fensioii
und Gegenwehr durch D. Regium Selinuui " (Basilium Mouueruin),
8. I. 1547, wiederholt bei Hortleder Gap. 80; denn diese Schrift war
schon am 11. Decbr. 1546 erschienen, wie Melauthons Brief an Cruciger
von diesem Tage beweist. Gemeint ist vielmehr die durch Ilaiis Luft
1547 edirte „Erkleruiig D. Martin Luthers" u. s. w. , die Bret-
schneider neben dem Leipziger Druck anfahrt und die bei Hort-
leder Cai>. 28 wiederholt ist.
■•) l>io Kinder Aurifabers. Im Octobcr 1553 starben ihm zu Königs-
berg zwei Tüchter aus der ersten Ehe. v<in denen die jiinL'«Me .\nna
hiesSf die ältere in seinen Meldungen an Herzog AlbrecUt nicht genannt
wird. Wohl aber nennt er bei dieser Gelegenheit den Namen semer
ersten Frau Helene,
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8CHAEFER, FBOTE8T.-VERFOLOUK0 IN FRAMKBEIGH. 171
am 21. August 17öö au den itanzitsischeu Hof richtete, wird
Ludwin: XV. vorgespiegelt, dass England sich mit Preussen zu
verbinden suche, um die Interessen der katholisrhon Religion
seinen besonderen Absirhteu zu opfern. D.is politisclie ISysleni
des Österreichischen Hofes, indem er Frankreich dio Allianz
antrug, lief darauf hinaus, die ersten katholischen Machte gegen
die protestantischen zu vereinigen und damit die bisherige Ge-
stalt des europäischen Crleicligewichtes völlig zu verändern
Lu lwig XV. ging auf diese Vorötellungen lebhaft ein, wie
er dem Duc de Choiseul erklärte: er sei des (Jlaubens, Gott
werde ihn nicht venlammen, wenn er als König die katholische
Religion erhalte, und er habe in keiner anderen Absieht sich
mit dem Hausr Oi sterreieh verbündet, ah um den Protestantismus
zu verniehtcu -). (Janz entsprechend diesen (Grundsätzen cr-
lolgte nach dein Tode des milden und treidenkenden Papstes
Benedict XIV. im Jahre 1758 die Wahl des beschrUnkteu, aber
kirchlicli eifernden Clemens XIII.
Durch die lieldcnmütige IStandhaftigkeit Friedrichs des
Grossen ward das Vc rliabcn, die Protestanten zu unten! nicken,
vereitelt. Da Ii er spricht Maria Theresia in dem Kescript au
ihren Cicsandteu in Frankreich, Grafen Starhemberg, am 28. Mai
1762, ihr Bedauern aus, „dass Wir der in dem Laut des gegen-
wärtigen Kriegs mehrmalilen sehr nalic geschienenen Hoffnung
entsagen sollen, den König in Preussen als Unseren gefährlich-
sten Feind und Nachbarn in die behörige Gränzen zu sezen,
und andurch nicht nur die Wohlfahrt und das Aufnehmen und
die Sicherheit Unseres Erz-Hauses, sondern auch die Catholische
Religion und deutsche Reichs^Qrund-Verfiissung lu unterstützen
und 2u heidrdem ".
Mit diesen Tendenzen und dem Rüokzchlage, den ihre
Vereitelung hervorrief, hängt es zusammen, dass in Frankreich
die Verfolgung der Beformirten wählend des Krieges sich ver-
stärkte und noch einmal blutige Opfer forderte, dass sie aber
mit dem Ende des Krieges nachliess. Dies hat Eulhi^re in
den Eclaircissements sur les causes de la R^vocation de TEdit
de Nantes II, cap. 8 (Oeuvres V, 498 sq.) in aller Schärfe aus-
gesprochen: „Wenn wir an der Hand der Geschichte auf die
Regierung Ludwigs XV. zurückkommen, so werden wir sehen,
wie mit den ersten Feindseligkeiten gegen England diese bar-
barische Jurisprudenz, deren Ursprung wir erläutert haben, und
die Verfolgung, welche sie veranlasste, sieh während der Dauer
*) Arneth, Maria Theresia IV, äa4. 384.
*) St Priest, Bist, de la chute des Jdsuites (Paris 1844) p. 49,
aus ChoiseuU Papieren.
in
JÜÜAUSKTEH,
zxsticr Kriege behauptete (1744 — 174)^, 1756 — 1762j. Die
in den letarten Jahren Ludwigs XV. wiederauflebende Toleraiu
hat den Frieden von 1702 zur Epoche pehabt. Nicht eher
sind die Kerker gesclilossin, die Schatibtt« niedergeschlagen,
alfi nach der ünterzeiclmung dieses Friedens."
Es wird daher gerechtfertigt sein, wenn ich nach den von
Fricdricli Christo})h Hrhlosser in dem tranzöpipclum Staatsarchivo
gemarhten Auszügen die Hau}tt punkte der lustruction mitteile,
welche dem Marschall Ki< liulieu in Betreti der Protestanten ge-
geben wurde, als er 17 '»8, von dem unrühmlich geführten
Commando der Armee in Deutschland nbgcrufen, sich als
Cxeneralgouvemeur nach Guyenue begab Ich erinnere, dass
der als Wollüstlinp: verrufene Duc de Kidielieu schon als
Lieutenant -General du Uoy eu Languedoc, namentlich 1754,
die härtesten Massregelu gegen die Protestanten anbetohlen
hatte.
Auf eine v()llige Ausrottung der Protestanten rechnet die
Ik'f^iüiung nicht mehr: sie will sie nur nicdtiliaiten. So
heisst es denn: „La nccessit^ d'en imposer aux Protestuns — G»t
aussi instante en Guyenne qu'en Langucdoc. Le projet de les
rendre tout-a-coup dociles aux lois de l'eglise et de l'^tat seroit
trop vaste et meme dangereux; il paroit dans le moment pre-
Mnt plns judioieux de se bomer i l'objet de lee ramener an
point^ dans iequel ae aont jusqu'ici oantenas les autres Pro*
testaBB dans le reete du royaume, o& on n'a poial encore «a-
tendü parier d'asaemblto priv^s ou oonsiatoirea» d'aasembl^ea
generales, ni de mariagcs ni de baptömes dans le deaeit."
Die Scbwierigkeiteii dea Einachieitens werden nieht Ter»
kannt: aber in Guyenne, wird bemerkt, hat die Toleians nicht
io tief einwnzaeln können, wie in Langnedoo, wo der Manchall
Mirepoix Naohaicht geübt hatte *}: hier sind „mit Auswahl Be-
fehle sur Verbannung und Binkerkerung gegen die Angeaehensten
erlassen worden'^ Deigleichen Beispiele der Strenge sollen aaoh
ftorner gogoben werden, um durch die Furcht au wirken. Die
Instruction sagt darfiber: „Puisqu'il est inutile et qu'il seroit
mdme dangereux — de tenter de ramener lea Fxotestans k
l'obässanoe par la persuaaion, il fiiut y parrenir par la ciainte.
On ne parle pae de cette sorte de crainte, qui imprime la
Carton K. 1Ö2. 1754—1762: „Instruction au Duo de Richelieu,
(r in\< ü, w (it iieral de Ouveune, allant dans son gouvemement** Riehe-
iieu >var hon-its 1755 zu uicsrni Posten ernannt worden.
5^) Der M.irsdinll l>iic (le MirejHiix ward, nachdem er im .lahre
1755 von seinem Oesandtschaftsposten am enghschen Hofe abberufen
war, zu RichelieuB Nachfolger in Languedoc emaimt» starb aber be
reits 1767.
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SCHAEFEB, FR0TE8T.<-VSHF(MbGQNG IN FRANKREICH* 173
teitiBi» eft cpü «OBdait aa d^eapo», ctt qu» peut ainiver qaaaä
on d^ploie tonte la a€x6niB6 des Ida et qa'ön Im appUqae k
kl lob la multitade d€B ooupablas Bdlia diatiactioiL; maia on
•litatid parier de la eiaintSB «^oi vient de VimpMeaioü des exemples
de s^v^riU. CTest sur oea ptiaoipei qna S. M. a fiit^ un ^Uul
d'op^tionS) en lioi dontfant pow base Poliget Wn^, quant
i pvdieiit ^ zaüettev las Ptotcstans de Guyenne au point de
ceux des autrea provineea, ou lea asBemblte» lea inririagea
et lea baptemes au desort pont iuconnoa.**
Um den Zweck der Einsohüchterung zu erreichen , wird
auch nicht der Schein eines gerichtlichen Verfahrena gewahrt,
Bondem ea 0OII nach allerhüchstcr Willkür Verbannung und
Einkerkerung verhängt werden: „Le Roy ae zeaerre de donner
imm^diatement Ses ordiea particolieia pour lea exils et lea
emprisonnemens sur les aris, qui ltd aeront donn^s dans les
cas qui requerront plus de c^l^t^, qn'on ne peut attendre dea
focmalit^s de justice."
Insbesondere soll die Strafe für die Aufnahme oder die
Begleitung der Geistlichen jederzeit den durch Stand und Cha-
rakter ausgezeichnetsten oder den reichsten tretfen: „A 1 egard
des religionnaires qui auront re<,u chez cux les ministres ou
predicans. ou qui les auront aceonipagnes dans les chemins,
dont il aura 6te donne avie a l'lntendant, ou qui seront de-
nonces au Procureur g^neral, ou dont le S^ Marechal de Riche-
lieu aura connoissanee par lui-meme, le procea ne sera fait
suivant la rigucur de I'arret du 21 Xovcrabre [1757, du Parlu-
ment de Bordeaux] , pour raison de la uieme contravention
commise par plusieurs, qu'ä un seul de ces contravenants. Le
S'. Marechal de Rieholieu, l'lntendant de la Generalite, le S'.
Premier President du Parlement, et le Procureur geueral s'assem-
bleront ä l'effet de deliberer sur le choix. II devra toujours
tomber sur le plus distingue par son etat et qualite ou sur
le plus riebe."
Mit gleicher Härte und Ungerechtigkeit soll ,,dcn Um-
ständen gemäss" gegen die Vorleser und Aeltesteu einge-
schritten werden, auf Grund der von dea Behörden auföjestellten
Listen: „II sera envoye au Secr^taire d*^tat du departemeut
des etat? des noms des lecteuis et iiueiens, de leur qualite,
professiou et facultes, pour en rendre compte a S. M., qui les
fera punir suivant les circonstances plus ou moins aggravantes
par la prison, par le renfermement dans des hopitaux ou nud-
aons de force, dans des chuteaux et citadelles, oü par l'enl
en dea Ueux non suspects et hors de port^ de nnire.'^ —
Ein Yerzeiohnia der Proteatanten in der Dauphin^ Tom
Jahre 1765, nach Pörfiom, Flecken, Stildten geordnet, enthält
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174
ANALBKTEN.
Carton E. 155; die Gesammtsomme wiid auf nicht weniger
ab 7684 Familien mit 33883 Gliedem gerechnet.
Die dem Marschall Ricbelien erteilte Instruction dient zn
schlagender Beleuchtung des von Rulhi^re in der för König
Ludwig XVI. bestimmten Denkschrift ausgesprochenen Urteils,
dass die gegen die Protestanten in Frankreich so lange Zeit
geübte Bedrücknng kein Beispiel bei irgend einem Volke ge-
habt habe.
Druck TOD Friedr. Andr. Perthes in Gothft.
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AUgememes Aber BedetttoBg uad WirkuDg des
historischen Sinoes.
Von
Dr. W. Gass.
Theolo£^isclu' Zmtschrifben wollon in der Regel durch
Abwechslung der iu ihnen bearbeiteten Stoße und FiTigen
ihren Beiz erhöhen; ungern dienen de einer einzigen Dia-
ciplin. Nnr die KircfaeDgeBchichte fßrchtet die Gefahr der
Bintönigkeit nicht, anch wenn sie allein von den Heften
einer Zeitachrit't Besitz nimmt. Was sie zu diesem Selbst-
vertrauen berechtigt, ist nicht allein der unermessliche üra-
fiing Ihm eignen Gebietes, die Menge ihrer Gegenstände
nnd Anfgaben, die aqch, wo sie erledigt scheinen, doch in
anderem Zusammenhange anfs nene herrortreten, sondern sie
gebt dabei von der Ueberzeugung aus, dass sie mit der Pflege
ihrer selbst auch allen anderen Studien Nahrung giebt. Die
historische Theologie heisst der uuttlere Körper der ganzen,
sie ist in der Tat der grosse Strom, In welchen anch die
flbrigen wisseiischaflilichen Leistungen sich einzntancfaen haben,
von dem sie zuletzt in ihrer jedesmaligen Gestaltung auf-
genommen werden; um so stetiger soll sie iliren Portgang
nehmen. Reinigung, Berichtigung und Erweiterung der Kr-
kemitnis ist das Ziel aller Forschung; wie langsam sie fort-
schreitet, wie Tide Mfihe versuchsweise aufgewendet wird
und wie oft die Ziele durch Umwege hinausgeschoben wer-
den, weiss jeder sell)stiindige Teilnehmer. Aber von der
jedesmaligen Neuheit der Ergebnisse darf der Wert histori-
scher Arbeit nicht allein abhängig gemacht werden. Sollte
ZtfftMhr. 1 K.-0. 12
Digitizeo by LiOügle
176
GASS,
das Forschen auch hier und da mislini^en und Pausen lassen,
oder die Kunst des Darstellens hinter ilim zurückbleibeilt
Eins darf selbst unter momentanen Fehlgriffen and Stockongen
doch niemals abgebrochen werden, das historische Denken
als das stille, unentbehrliche Geschäft der Einführung eines
Vergangenen in das Bewusütseiii der Ge<^'enwart oder der Rnck-
beziehung einos Gegenwärtigen auf einen älteren Bestand, die
trene Soige für Erhaltung und Fortleitung eines unsichtbaren
Vermflchtnisses. Alle geschichtlichen Mitteilungen haben einen
Wert, wenn sie aus einem historischen Denken entsprungen
sind und zu dessen Ikdebung beitragen. Durch diestis Denken
werden Ideen verkörpert, indem sie in die Schranken be-
gleitender Umstände und Zeitverhaltnisse eintreten, Hand-
lungen und Tätsachen vergeistigt, weil sie im Lichte ihrer
Beweggrfinde und Zwecke erscheinen; beide aber empfangen
ein zweites Dasein, welches eben dadurch Aufnierksixmkeit
verdient, dass es irgendwo und irgendeinmal einen gewissen
Moment des individuellen oder gemeinschaftlichen Lebens
wiriotfun auii^eföllt hat Denn dabei darf ja der geschieht*
lidie Yortrog niemals stehen bleiben, dass er Gewesenes der
Zeitfolge nach ein&ch aufzählt, er setzt sieh damit zum
blossen Ausdruck der Erinneruiig und zum Schutzmittel gegen
die Yergesseuheit herab; dann erst erhebt er sich zu einer
höheren lepiodudienden Geist(^stätigkeit, wenn er das Qe»
sohdiene als vormaligen Bestandteil des Menschenlebens, also
in seiner vollen Wahrheit und Wirksamkeit zum Veisttaidnis
bringen will.
Die besondere Leichtigkeit und Lebliattigkeit des histo-
rischen Denkens gilt mit Kecht als Begabung, aber sie ist
zugleich eine Anforderung an alle Mitarbeiter auf diesem
Mde. üeber Bedeutung und Wirksamkeit des histo-
ri scheu Sinnes mit Anwendung auf die Kirchengeschichte
sei mir gestattet hier einige Andeutungen zusammenzustellen,
welche jedoch als individuelle Meinungsäusserung nur den Zweck
haben, diese Zeitschrift zu eröffnen, keineswegs de zu reprft-
sentiien
1) AniutiikuDg des fleraufigcbi^s: Voriiej^cudur Aufsatst«
uiyui^ed by Google
BEDEimiNO UND WIRKima niS IIISTORISGHEN SINNES. 177
Das Ohristentam ist im emineiiieii Sinne eine hiatoriflehe
Beligion, die aber dennoch das Unmittelbare, ivie es im Grand«-
wesen der Reli^on liegt, niemals entbehren Icann. Dnrch
geschichtliche Kunde wird es als solche weder erzeugt noeh
fortgepflanzt, so lange nicht das Bewusstsein noch einen an-
deren universellen Factor hinzubringt, der nach der Eüir
femong der Zeiten und UmslAnde gar nicht gemessen werden
kann. Das religio Leben wftchst nicht an Stfirke and Bein-
heit mit der Menge dargehotener Mitteilungen, ja es hat oft
genug zu dem Umfang dieser Materien in umgekelirtem Ver-
hältnis gestanden, sonst würde die Mystik nicht zuweilen
inniger nnd wahrer gewesen sein als die traditionelle Eirch-
lichkeit. ßine stofflich flbedttUte Ueberliefemng gleicht einem
Walde ohne Durchblicke, der das Licht nnr nnter tausend
Krümmungen frei lüsst; daher giebt es auch im Protestan-
tismus einen beschwerlichen und für die Erweckung der
Frömmigkeit nachteiligen Historismus. Der persönliche Glaube
mOsste seine Btfttte unmittelbarer Gtowisaheit aufgeben, wenn
er allein der geschichtlichen Zuführung angehören wollte.
Aber indem er sich mit einem gemeinschaftliclien vergleicht
und verbindet, ergeben sich Merkmale der üebereinstimmuug
und der Vei-schiedenheit, gleichartige und wechselnde Ein-
drücke oder Darstellungsmittel, die weder schlechtw^ zufällig
erscheinen, noch aus einer abstracten Notwendigkeit hervor*
gehen; erst die Rückföhrung auf ein früher Gegebenes Und
durch andere Persönlichkeiten Bestimmtes, zuletzt auf ein
Ursprüngliches, macht sie erklärlich. So erwacht im kleinen
wie im grossen selbst innerhalb der religiösen Gemeinschaft
die historische Frage, und einmal in Gang gebracht leitet
sie sich an dem Fkden der Lehre und des Cultus, der Sitte
und Verfassung von einer Stelle zur andern fort, bis am
Ende die gesammte Begrittswelt sammt der Fülle aller reli-
giösen Kundgebungen nnd Abzeichen darauf angesehen wird,
wie sie ihr Gewand aus zeitlicher Bewegung und Verftnde-
wdcfaer ursprünglich an die Spitze des eraten Heftos gestellt werden
sollte, iDQsste leider wegen Mangel an Baom Torlanfig znrQckgel^
werden.
12*
178
GASS,
rang empfangen haben. Pwnzcln crenomraen wird zuletzt
nichts melir als einfach aiisserhistorisch oder nichthistorisch
fibrig bleiben, denn selbst das Wort, der Wecker des Qe>
Wissens, der zarteste TrSger aller Geisteswirkungen, sogleich
der Bringer der cbristlicben Kunde, schwebt nicht wie ein
Absolutes in seiner Höhe, sondern in V(M l)iiidung mit anderen
Worten gewinnt es sein eigentümliches Gepräge aus der Ge-
staltong und dem Wachstum eines Zweiges der redenden
tfenschheit selber.
Das Tatsftchliche als solches anznerkennen, onbeirrt dorch
einen zuvor fixirten Massstab, dann aber auch es in seinem
Sachverhalt zu vergegenwärtigen, ist von je her als der ge-
meinsame Wille walirer geschichtlicher Studien angesehen
worden. In der ein&chen Bereitwilligkeit, sein Wissen ohne
Vorbebalt von der Kenntnis eines frfiher C^eschehenen, so weit
es gewHsst werden kann, anMlen m lassen nnd durch Samm-
lung und Verknüpluiig von Kinzelnheiten einen Hergang als
solchen zu verstehen, gelangt eine der reinsten Be-
strebungen des Menschengeistes zur Ausübung. Hin-
gebung an ein Anderes und Bflckkehr zum eignen Bewussi-
aein vereinigen sich in ihr. Ohne uns selber zu verlieren,
fRhlen wir uns aufgenommen in das Gesamnitleben der Men-
S4;hen und nachtraglich beteiligt bei den Begebenheiten aller
Zeiten; das Gesetz der Vergänglichkeit wird beherrscht und
überwunden, die natürliche Abhängigkeit der Gegenwart von
der Vergangenheit verwandelt sich in eine bewusste und er-
kannte, welche den Geist frei macht, indem sie sittliche und
intellectuelle Urteile hervorruft und Antriebe zum Handeln
liefert. Was wir suchen, ist eine Gewissheit und zwar
eine geschichtliche im Untersclüede von jeder anderen; denn
diese ist der Erfahrung verwandt und wird dodi völlig un-
abhängig von Sinneseindrücken erreicht. Sie hat weder die
Evidenz eines logischen oder mathematischen Kesultates, noch
gewährt sie den Abschluss einer systematisch - philosophischen
Gedanken folge, dafür übertriftt sie beide an Lebendigkeit, weil
sie jedeizeit auch effectvolle sittliche Bindrücke mit sich
fßhrt; und me in dieser ihrer Natur zu püegen und gegen
ünterschätzung oder Ueberbürdung zu schützen, ist da.s nächste
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BBDEimmO ÜND WnOCUNG BES HI8TORT8CHEI7 SINNES. 179
Brforderais des histonschen Sinnes. Freilich li^ die ge-
schichtliche Gewiwheit niemals auf der Hand, sondern soll
immer aufs neue erlan<,'t werden, auch bleibt sie stets mit
einem Anhang dos Ungewissen liclmftet, welcher sich zwar
immer weiter hinausschieben, aber niemals vertilgen lässt,
tmd der sich zuletzt bis ins Problematische und gänzlich
ünwiflBbare verliert Wer aber um dieser unendlichen BeU-
tivität willen an ihr selber verzagen wiD, dem fehlt das eben
bezeichnete Organ, so wie es auch umgekehrt geschelieu kann,
dass eine philosophische Skepsis sich aut dem Felde der Ge-
schichte mit sicheren Ueberzeugungen verbindet. Es hat
theoretische Skeptiker gegeben, welche der historischen Wahr-
heit ihr volles Recht widerfahren liessen, aber auch Histo-
riker, die sich jeder abschliessenden Systembildung entzogen.
Offenheit des Gemüts, Scliärfe des auflassenden Blicks, Aus-
dauer und Geduld sind niclit immer ganz leicht vereinbare
Eigenschaften, hier aber sollen sie sich zusammenfinden; denn
weder wird der emsige Fleiss ohne Helligkeit des Auges je-
mals Bedeutendes leisten, noch auch die geniale Ck>mbinations-
gäbe, bevor sie durch die Zucht geduldiger Arbeit hindurch-
g^angen ist. Histoiiker verlieren, wie Ranko sagt, den
QennsB manches schönen Tages, ehe es ihnen gelingt, ein
Bealduum des geistigen Lebens der Jahrhunderte ihrer
Zeit als Nahrung darzureichen, und doch wollen sie deshalb
nicht bedauert sein. Sollte eine ZeitscluitL im Stande stnn,
nach irgend einer Richtung zur Aufrechterlialtung der histo-
rischen Denktatigkeit beizutragen, so würde sie mit dieser
Qesammtleistung schon einen Teil ihrer Bestimmung erfällt
haben.
Die Geistestatigkeit des Geschichtsforschers wird deut-
licher, wenn wir sie in ihre Bestandteile zerlegen. Es sind
Functionen, welche eine psychologische Reihenfolge bilden,
obgleich sie nicht in jedem Falle gleichmäasig zur Anwen-
dung kommen. Das Gedächtnis beginnt, der Leser be-
findet sich mit seiner Quelle allein, er will mit dem Inhalte
auch den Flaum der Urkunde oder des Denkmals abheben.
Der Saramlerfleiss fordert Selbstvergessenlioit, kann aber bis
zum Hunger und bis zur unersättlichen Lust an der Auf-
180
speicherung steigen. Der Verstand erschrickt vor dieser
atomistifwli- chaotischen Stoffmaaae, oder er muss sieh mit
nnteradheidender Ejuft hineindrängen, mnss wfihlen in der
Menge der Nachrichten, bis er Ordnung' gefunden hat. Darans
ergiobt sich das Geschäft der Coiiipusition oder dos histori-
schen Versbeheus, welches nach dem Gesetz der Causalitat
mid nach dam chronoiogisohen und topographischen Leitfibden
erat den Eindmek eines Yerlanfes hervorhrii^, sei es nnn
eines sieheren oder nnr lückenhaften, der durch Vermntung
und Gründe der Wahrst hüinlichkeit ergänzt werden muss.
Vormals war man der Meinung, dass nun alles Nötige in
dem einen Worte Pragmatismus enthalten sei; in der
Tat aber wird durch diese hOehst ungefähre Forderung die
ScUwierigkeit nur aufgedeckt, nicht gelOst Die Verwandlung
des jj^eschichtliclicn Ganges in eine Kette, deren jedes spätere
Glied an dein früheren hängt, oder in eine unondliclie Menge
neben und durchoiuauder laufender solcher Fäden, giebt sich
das Ansehen, alles zu erklären, während sie eigentlioh niohte
erklärt Die Ursachen werden durch ihre nächsten Folgen
nicht ausser Kraft gesetzt, ihre ersten Wirkungen erschOpfim
sie nicht. Mit der Nach Weisung eines Anlasses ist der wahre
Gruud noch nicht gefunden, mit der iieiheulblge einzelner
Veranlassungen der ursächliche Zusammenhang nicht ermittelt
Weder ans hioss logischen Verhältnissen, noch nach dnem
abfltracten Gesetz des FoH»chrittes oder der Gontinuität haben
wir über den Gang- der Dini^e abzuspreclien. Hine innere
geistige Consequenz ist Ivein lieweis zeitlicher Aufeinander-
folge, aus der Gleichzeitigkeit verwandter Ei-scheinungon ist
deren äusserer Zusammenhang nicht mit Sicherheit zu schlies-
sen. Jeder Endpunkt wird durch den Zutritt individueller
Kigentümlichkeit, die aus blosser Succession noch nicht be-
giiiVeu werden kann, selbst wieder zu einem Anfangspunkt;
folglich wendet sich dei Faden in jedem Augenblick, statt
einfiuih fortzuflieasen. Das gewöhnliche progressive Verfiihren
der Erklärung hält sich f&r sidier, weil es schrittweise zu
Werke geht, wird aber jederzeit durch die schon vorhandene
Kenntnis späterer Erfolge beeinflusst; das regressive suclit
seine Gewissheit in den Zielpunkten, es bindet sich an den
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Bia>EimmQ üim WnXÜNO DBS mSTORiaCHBN SINNES. 181
Inhalt gewisser Eig^bniflse, kommt aber, indem es von dort
aus rflokwftrts schlieast, jederzeit in Gefiihr, den individueUen
ond nmstendlichen Anteil an dem vorangehenden Hergang
und somit diesen selbst zu verkeimen oder auf sich beruhen
zu lassen. Aus allem geht hervor, dass sich aus blossen Ur-
sachen uud Wirkungen unmöglich eine Geschichte zusammen-
seiseD Itet, sondern nur eine lockere fieihe von Voigftngen,
Begebenheiten und Erfolgen, aber ebenso wenig aus dem
Priucip der Freiheit der sich selbst folgenden Individuen,
weil sich mit dieser uUcin nur Gedanken, Entschliesj>ungen
und Handlungen ergeben würd^. Beiderlei Factoren müssen
zusammengeleitet werden, wenn ein höherer Pragmatismus
entstehen aoU, und dies geschieht durch eine stetige Operation
der sittlich eingeweihten Vernunft. Dann erst, wenn der
Forscher dahin gelangt ist, wenn er die Anlange seiner eig-
nen Arbeit vergibst, Nachrichten, Qu(>llen und Urkunden bei
Seite legt, um nur noch mit lebendigen Grössen zu ver-
kehren, dann erst befindet er sich mitten im Leben der Ver-
g'tuigenheit, wird zum Nachbildner des Geschehenen und
vermag, was er geschaut hat, auch nach seiner Wahrheit
wiederzugeben.
Ein Letztes ist noch übrig. Etwas Ideales knüpft
sich an alles Menschenleben, anliuigs nur in leisen und per-
Btalicben Ana&tzen, aber desto kräftiger und unlYerseller , je
grössere Bewogungsflächen sich auftun. Der Historiker richtet
tausend Fragen an seinen Gegeustiiud ; zuletzt aber tritt dieser
wieder fragend an ihn heran, er selber soll über die all-
gemeine Bedeutung dessen, was er eiforacht hat» Aufschluss
geben, die Einschnitte und üeberschriften der Epochen sidier
bezeichnen und den durciigreifenden Ideen der Entwickelang
Namen leihen, Namen, welche die Mannigfaltigkeit der Er-
scheinung niemals vollständig decken werden. Es ist immer
ein Wagnis des Erkennens, denn vergebens Terhehlen wir uns
den Einfluas, welchen die eigene subjectiTe Anffiiasungs- und
Entsdieidungskraft des Forschers dabei ausüben wird ; aber es
bleibt ein notwendiges Wai;nis. Auf die Länge ertragt der
denkende Geist den Eindruck einer unendliclieu Vielheit und
fielatiTität nicht, er ist genötigt, durch zusammenfassende Be-
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1Ö2
OA8B,
leuchtunf( sich über das bunte GemüMo zu (M'heben, und nur
das Recht der Idee als einer auch objectiv gültigen Gedchichts-
wabrheit ermächtigt ihn dazu.
Es aind also sehr ungleiche Geschilfte, welche aidi im
Verlauf einer grftndlichen C^hiehtsforschnng an einander
ansehliessen , und sie drolien zu zerfallen. Wie kann der-
selbe Mensch die Eigenschaften eines gedächtnisstarken
Lesers, eines Philologen und literarischen Kritikers und
psychologisch geweckten Erkl&reis in sich vereinigen nnd zu-
gleich mit dem Dichter und Philosophen etwas gemein hahen?
Es wäre unmöglich, wenn nicht der historische Sinn, der
stets bei sich selber bleibt, mit seiner verbiudendeu Kiufb
dazwischen läge.
Eine ähnliche Wahrnehmung drängt sich auf, sobald wir
von dem Forscher zum Darsteller fiheigehen. Von diesem
Letzteren ist soviel gewiss, dass er die Hfthen, Schlacken und
Umständlichkeiten, die ihm von der aneignenden Arbeit her
anhaften, möglichst von sich abschütteln muss, ehe er sich
anschickt zu dieser zweiten, heiteren und beglückenden pro-
ducüven Anstrengung. Was er zuletzt in sich festgestellt,
soll er schon voraus wirken lassen, und doch ist er zugleich
verpflichtet, dem Leser einen raöj^liclist tiefen Einblick in
seine eigene Werkstätte zn gewähren. Er wird zum Künstler,
je mf'hr es ihm gelingt, beides zu leisten, ahio in und mit
der Kundgebung dessen, was er als historisches Wissen in
sich trägt, auch zu sagen, wie er es emp&ngen hai So-
dann stellen sich ihm mancherlei Arten der Darstellung zu
Gebote, die vorwiegend erzählende, die untersuchende und
reflectironde , die epische und dramatische, die biographische
und idealistische, die annähernde und die entfernende. Keine
dieser Formen ist unbrauchbar, jede hat eine Berechtigung,
alle dfirfen an verschiedenen Stellen der Historiographie
einen verhältnismässigen Anteil haben, selbst das construc-
tive Moment nicht ausgenommen, wenn auch der einzelne
Schriftsteller sich vorzugsweise der einen oder anderen
Bichtung zuwenden wird. Was aber diesen Methoden erst
Kraft giebt, ist immer wieder der historische Sinn und mit
ihm der aulrichtige Wille, ein Geschöpftes, das einst
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BEDEUTUNG UND WIRKUNG DES HISTORISCHEN SINNES. 183
ab lebendige Wirlrlichkeit nnd Bewegung die Zeit erfüllte,
nicht ein Erdachtes in möglichster Reinheit wiederzu-
geben.
Es ist nötig, dem Gegenstande jetzt noch einige Schritte
n&her zu treten. Die Bearbeitung der Kirehengescbiebte setzt
ganz dieselben Eigensehaiten voraus wie jede andere, giebt
ihnen aber dadurch eine eigentümliclio Ausdehnung, dass sieb
für sie das Verständnis des religiösen und gnule des christ-
lichen Geistes als unerlässlicb geltend macht. Selbst ein
Ganzes mitten in dem Universum der umgebenden Mensch-
heit verbindet das Christentum mit dem Triebe der Aus^
breiiung noch den anderen einer stetigen Fortpflanzung
unter allem Wechsel; ohne eigentlichen Bruch lässt es sich
nach allen Seiten gestalten und fortziehen. So gross die
Veränderungen, so schreiend die Gegensätze sein mOgen, —
das Band der Znsammengehörigkeit dauert fort, die innere
Verwandtschaft bleibt erkennbar. Daraus entsteht eine Oon-
tinuität, welche den Historiker in den Stand setzt, jede Art
von Beobacl 1 tu ng anzustellen; Uebcrlieferuug, Entwicklung und
Fortschritt begegnen ihm samnit allen Uebergängen; er kann
das Veränderliche bis zur Zerflossenheit, das Gleichartige bis
zur Stabilität verfolgen und selbst in dem Starrgewordenen
noch Symptome der Bewegung nachweisen. Wer Scharfsinn in
der Unterscheidung und Verknüpfung und Feinfühligkeit für
das Werdende besitzt, dem wird Gelegenheit ge])oten, sie so
reichlich wie kaum auf irgend einem andern Gebiet zu betäti-
gen. Aber mit dieser in sich selbst abgestuften Stetigkeit irdi-
scher Fortpflanzung ist nur die eine Hälfte des C^enstandes
ausgesprochen; die andere erhebt sich zu einer höheren idealen
Region. Die Schöpferkraft des Ursprunges überragt alle späte-
ren Erscheinungen und macht sie von sich abhängig; an Chri-
stas hängt, was christlich sein will, niemals erlöschen die £in-
flösse, die aus der immer frischen Gegenwart des Evangeliums,
nicht aus der blossen Continuitat der Fortpflanzung hervor-
geben. Auch unsere Zeit will und kann diesen Hauch nicht
entbehren, und tausend Gedanken, von dem Schriftzeugnis ge-
tragen, fli^n tftglich über die Beihe der Jahrhunderte heils-
be^terftig zu dem ürsprflnglichen zurfick. Dort suchen nnd
184
OA88.
finden sie eine Lobendigkeit der Ansprache, welche den
Abstaad der Zeit veigeaaen läast. Der Historiker aber moU
fOr beides Empfiliiglichkeit haben, uod ohne sich selber
und seinem Berufe zu widersprechen, liat er aneh die Wir-
kungen dir zweiten Art als Tatsaclien anzusehen und in
den allgemeiueu iiahmeu eineü geistigen Geschehens aufzu-
nehmen.
Schon hierans erhellt zweierlei, teils dass die Kirchen-
geschichte trotz aller Verirmngen and Verdnnkelnngen doch
religiös betrachtet nieiiuils vollcitiunli^ mit ihicin eignen
Grundchuraiiter zerfallen ist, teils aber auch, da«s ihre ver-
schiedenen Abteilungen das historische Nachdenken in hödist
ungleicher Weise beschäftigen werden.
Die alte Kirche als das antike Zeitalter der Christenheit
fordert ihr Studium für sich. Zahlreiche Orflnde, der ehr-
würdige Chaiakirr der I)(!nkniulc, die originelle Schärfe der
handelnden Persönlichkeiten, die Kaschheit der Entwicklung,
die Stärke der Gonflicte und die durchgreifende Bedeutung der
Entscheidungen kommen zusammen, um diesen bahnbrechen-
den Jahrhunderten ihre stets empfundene Anziehnngskraft zu
8i(;hern. Vor allem aber ist es die Nachbarschaft iles
Ursprungs, wodurch alle Erwägungen, die in diese Epoche
fallen, eine erhöhte Temperatur erlangen. Hier muss sich
jede Ansicht beteiligen, jeder Standpunkt irgendwie Begrün-
dung und Rechtfertigung suchen, und jeder Darsteller mun
beweisen können, dass er nicht gedankenlos an jenen tief
einschneidenden Ereignissen vorbeigegangen ist. Daher die
den zugehörigen Untersuchungen immer noch anhaftende
Spannung, die sich aus dem blossen Inhalt noch nicht
allein erklärt, sondern erst aus dem engen ZusamnMnhang
der religiös -dogmatischen Beweggründe mit dem nrch ristlichen
Standpunkt. Daher sieht sich auch der Dogmenhisluriker in
rascher Folge von einem Urteil jsuiu anderen gedrängt, bei
jeder Gelegenheit tritt ihm die weite Frage enlgegen: Was
und wieviel hat das Christentum als Glaube aus sich selber
geschöpft, und welches Andere hat es als llVissensmoment oder
Denkbestiiniiiuiig bereits vorgefunden, um es dann auch auf
die Lehrbildung einwirken zu lassen V £s ist vergeblich,
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BEDEUTUNG U20> WIRKUNG DES msl-OiaiiCIIKN SINNES. 185
diese Frage xorflelzaweiaeD, und indem m Aber die kirch-
lichen Sebranken hinansreieht, drückt sie die innere Schwierig-
keit aller doginenhistons(!lieii Erwägungen aus, weil iiui auf
diesem Wege ein Masästab für die Bestimmung eines cbrisi-
lich Notwendigen gewonnen werden kann. Femer eröffnet
sich in diesem Zeitalter das weite Versuchsfeld der histori-
schen Kritik, — der historischen sagen wir, die sich aber
hier auf einem höchst unsichereu Boden bewegt. So viel
darf im allgemeinen gesagt werden, da^s wir aus den ei*sten
Jahrhunderten bei aller teUweisen Quellenarmut docli mehr
Schriften in der Hand haben, als genauer bekannte Persön-
lichkeiten, um sie herzuleiten, und khure Verhältnisse, um
sie einzus45lialten. Wie liäufig sieht man sich vergebens nach
eineui Verfasser um ! Und in solchem Falle richtet sich alle
Aufmerksamkeit auf die etwaigen inneren Wahrscheinlich keits-
grOnde für Herkunft und Ab&ssungSKeit; nach inneren Kri-
terien werden die Schriften aneinander gehftngt, eine hat die
andere znr Voraussetznng, vielleicht zor Quelle. Die Kritik
selbst wird auf diase Woise eine einseitig literarische,
die alsdann den historischeu Siuu uoch nicht zufriedenstellt
Für diesen nämlich wird als allgemeiner geistiger Kanon
unseres Brochtens so viel feststehen, dass Schriften sich nicht
wie lebendige Wesen aus der Kraft des Gedankens und Wortes
gegenseitig er/,eu^eii , noch auch in jenem Zeitalter eine aus
der anderen einüich entsprungen sein mag, sondern stets ein
menschlicher Factor dazwischen liegt, folglich auch ein Baum
erfordert wird, um den Schriftsteller mit seiner Absicht und
seinen Umgebungen denkbar zu machen, üebrigens scheint
es zu den Schicksalen der kirchenhistorischen Kritik iilmlich
wie der biblischen zu 'jfeliöreii, dass sie gewisse Untersuchungen
als unaufhörliche Beizmittel ilirer selbst fortfuhren nmss.
Die Ignatianische Frage ist nachgrade zweihundert Jahre alt,
viel älter die Petrinische, und wie manche andere hat sich
schon von einer gelehrten Generation auf die andere ver-
erbt; — und gleichwohl würde es starken Widerspruch er-
regen, wöüu mau die genannten Probleme ebenso wie das
der Dionysischen Schriften oder der folschen Decretalen für
gelöst erklflron wollte.
186
GASS,
Seit Augustin uud noch mehr mit der b^giimeiideii Cen-
tralintion des Abendlandes and mit der Ti'ennuDg vom Orient
veiftndert sich das ^nze Gepräge der Kirchengeschichte. Die
Abhaii.i;igkeit vom Altertum, dem christlichen wie dem klassisch
römischen, lässt nach oder sie wird zur Einkleidung eines
selbständigen Geistes. Auf dem nach allen Seiten erweiterten
Schanplatz treibt das Zeitalter neae Wurzeln, die Christenheit
Qberlfisst sich einem sdiwierigen nnd scheinbar ihrem eignen
Wesen widerB|ireehenden Stadium des Welttebens. Die ent-
fernteren Ursaclien worden durch die näclistliegenden verdrängt,
die Ueberliefenmg verdunkelt und verschüttet den Ursprung,
statt ihn offen zn erhalten. Das Mittelalter lediglich nach
seinem Verhftltnis zum Urchristentum oder zur Gegenwart
würdigen zn wollen, wftre eine gänzlidie Verkennnng seines
Wertes, da gerade die ihm eigentümlich zukommenden Er-
scheinungen das meiste Interesse für sich in Anspruch nehmen.
Zwar eine in sich selbst geschlossene Einheit bildet keine
fipoche, auch diese nicht, denn wie weit sie in einer Beihe
von kritischen und aufklärenden Regungen Aber sich selbst
und ihre eignen Grenzen hinausgreift, ist uns erst vor
kurzem in ausgezeiclmcter Weise vergegenwärtigt worden.
Im ganzen sind wir aber doch gewohnt, auf das Mittelalter
wie auf eine fernli^ende Gegend hinzuschauen« deren Anblick
nicht blenden und bestechen soll, die aber durch ihre TSler,
AbgrOnde und Höhepunkte, durch tiefe Schatten, greUe Schlag-
lichter und verschlungene Pfade überall zu gründliclier Unter-
suchung und zu nachdenklichem Verweilen auffordert. Wenn
die historische Pflicht es erfordert, zuerst dicht an den Gegen-
stand heranzugehen, dann aber auch yon ihm abzutretm: so
wird sie hier durch die Natur des Gegenstandes sehr erleich-
tert. Schon während der Vorarbeit, welche die niülisamsten
Weitläuftigkeiteu auferlegt, weil Urkunden und Quellen-
schriften ein eignes Studium gebieten, wächst die Unbefangen-
heit, aber sie bringt auch reichliche Frucht, so lange sie
nicht in teilnahmlose K<e ausartet Auf allen Wegen be-
gegnet sich der kiichliche Geschichtsschreiber mit dem politi-
schen, sie machen gemeinsame Sache; gerade das Papsttum
mit seiner Tyrannei und seinen Siegen, vormals nur ein
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BBDEDTmiO USID WIBKUNO DES HISnOBiaoiIEN SINNES. 187
Name des Aeigwnm», ist för sie zum Uebnngsmittel reiner
and freimfitiger Erkenntnis geworden.
Aehnliche VerhSltnissef nur ungleich reicher und viel-
seitiger, wiederholen sicli iu der neueren Zeit. Der ganze
christliche Lebensgeist scheint sich mit allen in ilim ruhen-
den Kräften und möglichen Folgerungen in diese drei Jahr-
hunderte zusanmienzu&ssen. Bahnbrechende Ereignisse und
grossartige PeraSnlicbkeiten stehen an der Spitze, dann folgen
die Zustände der Zerklüftung und Parteibildung, aber auch
der züliosten Anhänglichkeit an das Gegebene sowie der
schulmässigcu Veraibeituug alles Gemeinsamen und Gegen-
sätsslichen, bis endlich die mAhaam ausrichteten Schranken
wieder abgebrochen, die getrennten Stimmungen yon allgemei-
neren Wellen fiberflutet werden und ein TerSnderter Zustand
der Gesammtcultur und der wissenschaftlichen BiUlung herbei-
geführt wird. Als evangelische Lehrbeatimmuug geliört die
Reformation ihrem eignen Jahrhundert, als protestantisch-
christlicher Beruf ebenso wohl den folgenden an, und beide
Riehtungen zusammen in ihrem üntersehlede wie in ihrer
gegenseitigen Anziehuiig.^kiaft entwickeln eine Fülle von
Wirkungen, die wir selbst jetzt noch nicht vollständig über-
schauen. Nirgends findet sich ein zweiter Höhepunkt, der *
in gleichem Grade zur Rflckschau wie zur Vorschau auffor-
dert. Das Evangelium wird wieder entdeckt, aber es wird
auch reproducirt und aufgenommen in eine selbständige Be-
stimmung des gcsammten Weltlebens. Die groSvSen refoniia-
torischen Persönlichkeiten und Leistungen, indem sie den
apostolischen Geist energisch an sich heranziehen, offenbaren
zugleich ihren eignen, und Ton diesem vrird das gegenwftrtige
Bewusstsein noch berfihrt, es will den Verband mit ihnen
nicht fallen lassen. So ergeben sich Vergleichungen nach
beiden Endpunkten und über die weitesten Flächen hinweg;
Neuerung und Erneuerung, Erfüllung und Vorbereitung sind
dicht neben einander vertreten, und mit dieser wunderbaren
Anhäufung von Kräften verbindet mch eine Spannung ähn-
lich derjenigen, die wir für die Jahrhunderte des nachaposto-
lischen Altertums angenommen haben, weil alle kirchlichen
und wisseuachaftlitihen Interessen an dieser Stelle Anknüpfung
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188
OA98,
suchen. Grosse Zeiten schöpfen aus der Tiefe, neben ihiem
eignen Hauptstreben bringen sie noch andere Tendenzen,
soweit sie innerhalb der möglichen Anwendung und Ans-
dehnnng ihrer eignen Grundsätze liegen, wenigstens in vei^
einzelten Ansiitzoii zum Vorschein. Glaube und Liebe und
energisches Wiederaufnehmen christlicher Heilsgedanken er-
füllte die reformatorischen Geister, ihr Werk war eine volks-
tümliche Eirchenbildang; aber auch ein exdusiver Lehrtrieb
und ein kritisch aufklftrender Wissenstrieb regte sich zu-
gleich, und beide hatten wieder ihre eigne Zukunft, denn
der erstere sollte im 17., der andere im 18. Jahrhundort zu
einseitiger llon^chaft gelangen. Mit der ganzen Bewegung
wird das Christentum ein bedeutendes Stflok weiter in die
Welt eingefBhrt und mit den Sdiicksalen der Bildung und
Wissensehaft verflochten, es wird geistiger und innerlicher
und gewinnt an Freiheit und Biegsamkeit, was es an Festig-
keit seiner Erscheinungsformen verliert. Was dem Protestan-
tismus zunächst vorangolit, mag bedeutungsvoll genannt wer-
den, weil es als kirchliche Weltherrschaft siegreich mit den
Machten des Oesetzes und der Autorität schaltet, und von
diesen Erfolgen ist selbst auf den neueren religiösen Geist
• ein unvertilgbarer Eindruck übergei^'angon ; aber erst der Pro-
testautismus übernimmt die Läuterung und die Ausgleichung
mit der unendlichen Mannigfaltigkeit des persönlichen Geistes»
lehens.
Und was sollen wir sagen von den Anforderungen, welche
crrad(> diese l^»oche an den Forscher und Darsteller erhebt?
Streng genommen sollte ihm keine Eigenschaft fehlen; denn
selbst zu der ins Kleine gehenden Utenirischen Kritik und
zu jedem ProhestQck gelehrter Akribie bietet sich VeranUusung.
Aber mehr noch bedarf er jener höheren psychologisch ver^
tiefben, sittlich reizbaren und für alles Eigentümliche em-
pfänglichen Gabe der Beurteilung, mehr noch der gestaltenden
Kraftf welche alles Persönliche zuerst biographisch und mono-
graphisch zu verdeutlichen unternimmt, um es dann dem all-
gemeinen Gange einzuverleiben. Er selber soll reden und
auslegen, und docli muss er zugleich die Zeiten und die Men-
2M;hen für sich reden lassen: denn dazu wird er durch eine
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BEDEDTima Dim WnUCUNO t»CS mSTORISCHBN SINNES. 180
zahllose und immer noch im Wachsen begriffene Menge Ton
Urkonden, Zengniflsen imd Briefen in den Stand gesetzt
üebmll will das Individuelle liebevoll aas sich selbsfe ver-
standon sein, aber es soll nirgoiids für sicli bleiben, sondern
als lebend ige Gestalt in der allgemeinen Bewegung seine
Stelle eiuuehmeu. Das Material , nach allen Seiten in ein
uiiBbsehbaros Detail sich verlierend, kistet schwer anf dem
DaiBteller mid Itet ihn kaum za Atem kommen, kaum die
HOhepwikte gewinnen, von welchen aus jede Mikrologie von
selber abgestreift wird; umsogrösser ist die Geliilir, einer be-
schreibenden Breite zu vergällen und in demjenigen schon
Vollendung zu suchen, was zunächst nur die Vollstftndigkeit
der Qaellenbenutzang beweist
Der Xieser wolle diese Bemerkungen nicht als mfissige
Abschweifung betrachten. Es lag uns daran, kürzlich nach-
zuweisen, wie vielseitig und gegensätzlich die einzelnen Ab-
teilungen der neueren Kirchengeschichte auf den Betrachter
wirken, wie ungleich also die historische Füicht angeregt
wird. Hervonagende Begebenheiten und Helden der Ge^
sinnung und Tatkraft wie die der Reformationszeit dringen
überwältigend auf uns eiu, uelimen aber auch ein Stück un-
seres eignen Innern gefangen; deim wer in einer kühlen und
abwägenden Stimmung gegen starke £indrdcke Schutz suchen
will, wird unwillkfirlidi wieder der wahren Gerechtigkeit Ab-
bruch tun, die ohne Liebe und Bewunderung nicht möglich
ist. Hingegen die ganz conservativ gearteten Zwischenstadieu
komoien uns nicht entgegen, sie wollen aufgesucht sein; un-
parteilich zu bleiben hat keine Schwierigkeit, dafür bedarf
es aber eines längeren, eindringenden Yerweilens, um zu er-
kennen, was mitten in einem starren, trfigen oder tfur eifer-
süclitigen und rechthaberischen Treiben immer noch Geist
atmet und Wert behauptet. An einer Stelle wird der Apo-
loget, au der andern der Polemiker, hier der froumie
Qeschichtsfreund, dort der Politiker herausgefordert,
und zuweilen wird dami wieder der quellenkundige Referent
allein das Wort bahren. Der Zugaug zu der grossen Auf-
gabe kann keinem versagt werden; aber sollen sie nicht zer-
iiäUeu noch ihren Gegenstand zeneissen, so müssen sie be-
herrscht werden von dem Gesetz des historischen Sinnes,
welcher in seiner Kinplüngliclikeit für den gunzeu Umfang
wie für den stetigen Zusammenhang des Geschehenen jeder-
zeit fiber die Magerkeit der bloeseu Tendenz hinausführt
Die beste nimtration zn dem Gesagten gewfilirt uns die
Reihenfolge der kirchlichen Oesehiehtsschreiber. Zuletzt ivar
es Chr. Bant, welcher, obgleich am Mittelalter beinahe vor-
beigehend, von dem Gange der kirchlichen Historiographie
eine lichtvolle Uebeisicht gegeben hat ^). Jedes Zeitalter be-
stellt sich gleichsam seine eignen historischen Berichtentatter,
welche von dessen Autoritfit beherrscht^ andi dieses selber zn
Klircii zu bringen beflissen sind, bis mit dem Wachstum der
Erlahmugeu der lUick sicli dergestalt erweitert, um auch an-
dere Zeiten zu schätzen. Wenn ßeligion und Offenbarung
notwendig der Eirchenbildung Torangehen, so war es natur-
geinSss, dasB Eusebius eigentlich nur jene erstere als histori-
scher Apologet verherrlichen wollte, also die Wege und Werke,
Schicksale, Leiden und Prüfungen des Gottesreichs bis zu
dessen Siege über die heidnische Weltmacht in Erinnerung
bringen; und dasselbe haben auch andere getan, indem sie
wie etwa Gregor von Tours die Verbreitung des Glaubens in
einem beschränkteren Kreise nachwiesen und die tagliche
Gegenwart mid Gewalt des Göttlichen an einer Menge von
Wunder- und Heiligengeschichten versinnlichten. Aber dieses
religiöse Interesse kleidet sich doch bald und sogar ganz aus-
schliesslich in die kirchliche Form; dem Bechte der katho-
lischen Kirche und dem h&retischen oder sehismatischen Un-
recht ihrer Widersacher sollen alle Denkwürdigkeiten zur
llestatii^ung dienen. Von diesem Standpunkt sind schon die
>Iachfolger des Eusebius, mit einziger Ausnahme des Philostor-
gius, beherrscht^ ausserdem feiern sie mit Vorliebe noch die
Grosslaten mönchischer Entsagung. Je mehr der Katholi-
cismus auf stetige Portpflanzung seiner Satzungen Gewicht
legt, desto gleichartiger wird die Kelation, und sie wachst
in die Lauge, bis sie nur noch annalistisch fortgeleitet werden
') „Die Epochen der kirchlichen GescbichtsHchreibung " (Tübingen
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BEDKUVUNO UMD WIBKDNO DBS HISTOBISCIIEN SINNES. 191
kann; die Chionik, die nur nach Jahren oder Jahrhunderten
rechnet, will ehen damit der inneren Untenicheidnngen fiber-
hobeu sein. Niuhdem sich Morgen- und Abendland getrennt
haben, wird eine Gesamnitdarstellung immer iinmü'^licher,
and gelbst die Kenntnis der abendländischen Angelegenheiten
verteilt sich nnter lanter Berichte nnd Denkmale von parti-
calarer nnd localer Abzweckung; daas aber dennoch der nni-
verBdle (Stesichtspunkt nicht verloren geht, zeigt sich in der
häufigen Gewohnheit, selbst einzelnen Stücken der kirchlichen
Vergaogeuheit eine üeberaicht des gesammten Weltverlaufs
Toranzoschicken.
Wenn gefragt wird, was den Oeschichtsquellen des Mittel-
alters einen besonderen Reiz verleiht, so sind es die biogra-
pliischen BesUmdteile; denn in ihnen werden Liebe und
fromme Anhänglichkeit lebendig, der Vortrag wird inniger,
mag er aucli übrigens nnr in trockner Aufzählung einzelner
Yoigftnge nnd Verftnderongen sich fortspinnen. Das kirchlich
hist^sche ÜrteU freilich bleibt bis zur Beformation wesent-
lich dasselbe, es teilt die dualistische SchroflTheit der Kirche
selber; Verdammung und Anerkennung fallen durchaus nac-h
Massgabe des kirchlich Sanctiouirteu, und erst durch die
Wendungen der Fapstgeschichte kann eine kiftftige Partei-
farbe hinzutreten. Auch der Ftotestantismus hat dieses harte
Richtenimt noch fortgesetzt, aber es wird in entgegengesetzter
Absicht geübt; Lob und Tadel, Wahrheit und Unwahrheit
verändern ihre Stelle, und was bisher als gradlinigte Fort-
bilduni^^ i^^egolten hatte, erscheint im Lichte grober Täuschung
nnd Willkflr. Die Magdebuiger Centnrien finden in OSsar
Baronius ihren scharfelnnigen Bestreiter, beide Werke stehen
an der Pforte zu einer /Aviespältigen Vcnvaltung der kirchen-
geschichtlichen Erträge, und es dauert noch eine Weile, bi.4
die katholisclie Auffassung von der anderen an Gerechtigkeit
übertroffen wird. Geistiger und wissenschaftlicher sind die
Unterschiede, die sich uns innerhalb desselben kirdilichen
Verbandes durch Sarpi und Pallavicini vor Augen stellen.
Ein helles Licht ruht selbst in der protestantischen Literatur
bis tief in das 17. Jahrhundert auf allen Erfolgen recht-
gläubiger Strenge und auf ihren Vertretern, dann springt es
ZtitMlir. t K.-0. 13
i^iy u^uo i^y Google
192
QASS,
plötzlicli auf die entgegengesetzte Seite ; G o 1 1 f r i e d A r n o 1 d
begünstigt die Häretiker, und erst oachdem uucli diese Kii*-
seitigkeit einmal durchgefühi't worden, ergreift die protestan-
tische Wissenschaft statt des Yerurteilens den höheren Beruf
des ürteilens nnd Erkennens, des Wflrdigeiis nnd Yergteicheus,
um die Tcilji.ihmc, die sich einer einzigen Rielituiig fiber-
likssen hatte, dem Ganzen zuzuwenden. Das religiöse und
sittliche Leben der Christenheit mit allen seinen Abstufungen
nnd mit der Fülle seiner Sinflflsse auf die menschliche Geistes-
tätigkdt nnd Onltorentwicklnng wird fortan Gegenstand der
Geschichtschreibung, sie ist damit eine kirchliche und clirist-
licho und humanistische zugleich. Wie weitschichtig die
sogenannte pragmatische Methode sei und wie zugänglich für
ungleichartige Behandlungen und Durchführungen der Gausal-
Verhältnisse, hat sich schon ob^ ergeben; um so eher konnten
die allgemeinen Bedingungen des historischen Terstehens, auf
welciie dieser Name hindeutet, seit Mosheim und dann
wieder seit S emier und Planck mit allen Standpunkten
der neuen Theologie yerbundon werden.
Baur rühmt an Neander mit Beeht die diesem in so
hohem Grade einwohnende Fähigkeit, aus sich selber hemus-
zugehen und sicli in die Eigentümliclikeit der verschiedenstfu
Zeiten und Personen zu versetzen, er rügt aljer den Mangel
leitender Principien in seinen Werken und macht bei Gie-
seler eine Ühnliche Ausstellung.
Ich glaube, man wird ihm auch darin beistimmen müssen,
aber es darf niemals vergessen werden, wie schwierig es über-
haupt ist und wie selten es gelingen wird, beiden Obliegen-
heiten in demselben Werk und in gleichem Grade
genugzntun. Die Stoffhaltigkeit der Darstellung und die
YoUstSndigkeit alkr individuellen und zuBtündlichen iHrbungen
und Uebergänge erschweren jederzeit die kräftige Hervor-
hebung principieller Momente, oder es wird dem Leser an-
heimgestellt, sie selbst zu finden. Gieselers Lehrbuch war
ohnehin nach jener idealistischen Richtung gar nicht augelegt,
dafür leistet es, was es verspricht; das Tatsächliche wird
sichergestellt, durch Belege verdeutlicht und von einem, wenn
auch oft ziemlich diumeu Faden fort^eleitet. Baur selbst
L>iyui^uo Ly Google
BEDEUTUNG UND WIRKUNG DBB lHäTORISCIIEN SINNES.
darf als Beispiel der entgcgcngeseteten Einseitiglreit dienen;
er ergreift von seinem Standpunkte aus die Ideen und lasst
sie mit Hülfe des geschichtlicheu Materials bis zur vollen
Entfaltung oder bis zur Zersetzung siob selber forttreiben;
dagegm in der hingebeftden Anei^enmuig des zeitliahen und
pevsQnliehen Lebeiobodens hat er es Neander nicht gleich-
getan. Zu Gunsten des historischen Sinnes, der uns hier be-
schäftigt, SCI bemerkt, dass diese beiderlei Leistungen, die
man in der Gesammtaufgabe zu unterscheiden püegt, niemals
ein Gkiehgewicht darst^en, noch sich wie zwei gleiche
HfiMten derselben Angelegenheit yerhalten werden. IMe Reihe
zuaammengehörigcr Erecbeinungen wird zwar niemals dem
Historiker eine bestimmte Formel . um deren Wahrheit und
Ziel auszusprechen, ohne weiteres und unweigerlich iu den
Mond legeiif aber irgendwie drängt sie durch sich selber schon
auf ein Al^emeines hin, welches sich ihm als der Deutung
fiUiig und bedOrftig vor Augi u stellt Methodisch mag es
einerlei sein, ob der Denker dem Kenner zu Hülfe kommt
und vielleicht vorgieift, oder dieser sich zu jeuem erhebt;
glückliche Griffe sind in beiden Fällen m^lich , und wer
möchte im einzelnen dem Geiste die Wege des ürkennens
vorschrnben! Das historische Studium aber ninmit als
solches stets seinen Weg von unten herauf, daher kann
das Princip ffir den Mangel au materiellem Gehalt niemals
entschädigen, während dieser letztere, der gewonnene Inhalt,
durch sich selber schon das Yertranen erwedrt», daas bei
Ifingerem Betrachten sich aus ihm wie aus dem Leibe der
Qesehichte auch etwas Ideellea und Principielles emporheben
werde. Der historische Sinn braucht nicht dafür zu sorgen,
däää überhaupt historiache Ideen vorhanden sind und aus-
geq^hen werden, denn sie stellen sich von selber ein, wohl
aber dafür, dass sie auf der Erscheinung ruhen, statt
in weiter Entfernung Über ihr zu sehweben.
Das ^\ i< liligste wird immer sein, weuu schliesslich dem
ganzen Ltbeuslauf der christlicheu Religion eine einzige Auf-
schritt gegeben werden soll; die dann aus dem Wesen des
Cairistentums geschöpft und mit dessen Entwicklung vereinbar
sein muss. Je abstiacter die Namen, desto weni^^r besagen
13*
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194
OASS,
gie, je charaktemller, desto eher befinden sie sich vorzugs-
weise in Beziehung zu einer einaselnen Periode, statt fdr alle
zu genügen. Auch Banr fordert am Schlüsse seiner Dar-
stellung ein allgemeines Princip. „Alles", sagt er, „was dem
Menschen das Christentum nach seinen verschiedenen Be-
ziehungen sein soll, als OfTeubaning der absoluten Wahrheit,
als Anstalt der Erlösung, Versöhnung, Beseligung, es hat
seinen absoluten Begriff und Ausdruck in der Einheit
Gottes und des Menschen, wie sie in der Person
(Jliristi angeschaut wird und in dieser Anschauung zu einer
Tatsache des christlichen Bewusstseins geworden ist." Und
zwar soll diese Einheit zuerst dogmatisch in der Lehre von
Ohristo, dann hierarchisch in der Machtvollkommenheit des
Papstes als des Stellvertreters Christi, zuletzt in dem Geiste
des durch Christus bestimmten religiösen Subjects und der
christlichen Gemeinschaft zur Darstellung gelangt sein. So
antwortet Baur im Anschluss an seine philosophischen Grund-
gedanken, und wir brauchen hier nicht zu untersuchen, ob
er auch spAterhin derselben Bezeichnung als der adäquaten
sich bedient hat. Gegenwäiiig würde diese Ansicht wohl
nur wenig Zustinnnung finden. Man kann in der Tat nicht
einen Satz an die Spitze stellen, der so gefasst niemals als
grundlegend aufgetreten ist. Das altkirchliche Dogma be-
hauptet nicht eine Einheit Gottes und des Menschen fiber-
hanpt, sondern nur eine für den Zweck der Erlösunjj^ in
Christo gegebene; noch weniger das Papsttum, denn dieses
setzt grade eine von Gott geschiedene und entfernte Mensch-
heit voraus; in ihrem Abstand bedarf sie der Idrchlichen
Vermittlung und nach und nach der monarchischen Ober-
leitung, welche dann ihre Autorität von Christus borgen
muss. Durch den Protestantismus wird diese hierarchische
Intercession beseitigt und der freie Zugang zu Gott durch
Glauben und Liebe eröffnet, aber es soll ebenfalls nicht ein
Zugang zur Einheit, sondern nur zum Frieden und zur Ge-
meinschaft mit Gott sein. Die grössere Hälfte des christ-
lichen lieligionslebeus lässt der obige Satz unerklärt. Nicht
1) „Die Epochen der kirchlicben Geacbichtsschreibnog'S S. 251.
uiyui.(-eci by
BEDEUTUNO UND WllUCUNU DES UiSTOEUiUiiEN SINNES. 195
von jener Einheit hat die K'eligiou gelebt, auch nicht vom
Zwiespalt allein, wohl aber von (h^ni Abstand, denn sonst
wfirde €8 nicht Beaeliguug sein, sich zu Qott erhoben zu
föhlen. Dabei drängt sich weiter die allgemeinere Frage
auf, ob es richtiger sei, das christlich Principielle als eine
l\(\ili{ät des Seins und Wissens hinzustellen, oder es als
ein Wirken und Tun zu deukeu, ob die inteliectuelle oder
die ethisch -religiöse Anschauung grösseren Anspruch habe,
auf das Qanze der Eirchengeschichte angewandt und von
einem nnbefongenen historischen Sinn bestätigt zu werden.
Denn das ist die Alternative, jiach welcher sicli allf An-
sichten in zwei Gruppen teilen, deren jede wieder mancherlei
Modificationen in sich zulässt. Auf die letztere Seite werden
sich alle zu stellen haben, welche wie ich überzeugt sind,
dass Christus zum Gutwerden der Menschen und also
zum Zweck einer ethiscli begründeten Ein ii^u ng mit Gott
erschienen ist, dass also die dabei im meiistlilichen Wissen
und Bewusstseiu stattfindenden Veränderungen erst in diesem
^ele ihre höchste Berechtigung und Bewahrheitung empfhngen.
Der Tendenz nach findet diese Ansicht jetzt mehr Bei&ll
als noch vor wenigen Jahrzehnten; daraus erklären wir uns
die so geflissentliche Hervorhebung der christlichen Welt-
verueinung und Weltüberwindung als des eigentlichen
cardo rei. Auch dieser Gesichtspunkt wird dann leicht wie
ein Eins und Alles von allen ergftnzenden Momenten isolirt;
aber in das Innere des historisch bewegten Körpers der
Christenheit lilsst er einen tieferen Blick tun als der Ge-
danke von der Einheit Gottes und des Menschen, welcher die
Beligion zugleich setzt und aufhebt.
Unter dem historischen Sinn haben wir die besondere
Fähigkeit und Bereitwilligkeit verstanden, alles Geschicht-
liche im Unterschiede von dem Gedacliten als ein Wirkliches
und bis auf die Gegenwart herab Fortwirkendes in seinem
Zusammenhange zu verstehen, die Kraft der Aneignung, welche
alle Teilnehmer an dieser Geistestätigkeit in den Stand setzt,
freie und dankbar bewusste Erben der Yeigangenheit zu wer-
den, während sie sonst nur abhängige Kinder ihrer Zeit blei-
ben wüideu, und damit ihre eigne geistige Habe zu vervoil«
196
GASS,
.stuudigeu. Mit dem allgemeiiieu 0»'wiim verbiüdet sich ein
eigeutlioh wiasenscluiftlicher imd gelehrter. Die Theologie
hat das geschichtüiche Denken in aUe Fäidier aufnehmen
mflsaen. Die Sobrifterldäniiig hat ihren lediglidi philologi-
seben Betrieb längst hinter sich, überall siebt sie sich von
literarhistorischen und selbst historischen Hüllsniitteln um-
geben. Die systematisclien Disciplinen, seit sie sich gewöhnt,
Qber die nftchsten Schranken der Schule und Confession und
saweüen sogar Aber die des christlichen Namens hinaosm-
blicken, mnd dadnrch z^rar nicht principiell imd tlieoratisch
scharfer geworden — denn diesen Ehilluss hat die geschicht-
liche Bildung durch sich allein noch nicht — , wohl aber
reicher und besonnener; sie lehnen sich an ihren Hintorgrund
und retten für sich, was an üuren Ueberliefenmgen Wahrheit
ist Doch bei diesem Bekannten zn verweilen, ist nnn<Mag; lieber
m5chten wir anf zwei andere Wirkungen, eine sittliche und
eine religiöse, noch kürzlich aufmerksam maclien.
Der historische Beweis ist so alt wie das Studium selber,
hat aber in seinen Formen nnd fiigebnissm die grdsslen
Wechsel erUtten. Yor Zeiten war es leicht, mit Aigomeivten
dieser Art nnd Herkunft zn streiten. Die Kirchengesebichte
lieferte ein gewaltiges Arsenal von Angriffs- und Verteidi-
gungswaffen. Durchschlagende Tatsachen werden durch ihre
eigne Wucht zu Zeugen der Wahrheit und des Rechts,
madhtlos prallt der Wider^ruoh an der OrOsse der Erfolge
ab. Die katholisohe Kirche gründete sich anf die tNMlentungs-
vollen Merkmale ihrer Erscheinung; Alter und Verbreitung^
Einheit und üehereinstimmung wurden die Beweismittel ihrer
Wahrheit und ihres göttlichen Ursprungs. Der enge Verband
der Concilien und die Stetigkeit der Ueberlieferong liessen
keine anderen Gegensätze aufkommen, als welche in imd mit
den tatsächlichen Verhältnissen schon gegeben waren. Keine
andere als die geschiclitlich vorliegende Alternative durfte
das Urteil bestimmen. Und au diesen zähen Fortbestand ohne
augenfälligen Bruch hat sieh ja die rOmische Kirche bis aif
den heutigen Tag angeklammert; sie wagt das Aeusserste,
sobald lOS sich, wenn auch noch so notdürftig und nnaureichend,
au ein schon Gewordenes anachliesst, und sobald es einstimmig
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BEDEimJNQ UND WISKUNO BIS HISTOBISCHEN SINNES. 197
durchgesetzt werden kann, — das Aeusserste selbst zum Spott
atter WicBenschait; das blosse Oelingen verbfiigt das Recht
Auf diese Weise entstanden lauter Beweisfßhrungen , die
schliesslich nur auf sich selber, d. h. auf der Macht der
Tatsachen beruhen sollten. Indes ist auch dieser abeudlän-
diäcäe Katholicismus schon vor Altera mit historischen Ent-
gegnungen nicht verschont geblieben. Als Morgen- und
Abendland zerfielen, haben beide Kirchen auch Grfinde aus
der Geschichte wider sich aufgerufen ; die späte Erhebung des
Paj>sttums und die allmäbliclie Ausprägung der römisciien
Eigentumlichkeiteu lieferte dem älteren Standpunkt Zeugnisse
wider den jflngern; und etwas Aehnliches geschah, als im
Abendhmde die Augostinische üeberlieferung mit sich selber
uneins wurde, oder als die Heformooncilien ein halbvergessenes
Kirchenrecht wieder mit nahmen. In allen diesen Füllen fehlte
der höhere Eichter, die ältere Autorität wurde von der jünge-
ren niedergekämpft; nur scheinbar, nicht wiiklich blieb der
SstK in Ehren, dass das Altertum ein Vorurteil der Wahrheit
in sich trage. Alles wurde wieder anders mit der Reforma-
tion. Als die evangelischen Wortführer des Leipziger Ge-
sprächs zur I^ostreitung der damaligen Papstgewalt vier Jahr-
hunderte zurückgrilfen und auf die Tatsache der morgenlän-
diflchen Kirche hinwiesen, erdffiieten sie damit eine historische
Kritik, welche immer weiter greifend die herrschende Ge-
schichtsbetrachtung teils umstiess, teils in Frage stellte und
einer s^iäteren üntoi*suchung anheimgab. Die Beweisführung
brat aus ihren ersten rohen Formen heraus, sie wurde wahrer,
aber auch Yerwickelter und schwieriger. Die beiden pro-
testantischen Gonfessionen blieben der alten Kirche gegenfiber
einverstanden, aber sie haderten unter einander, und als zn
Anfang des 17. Jahrhunderts beide Parteien sich über die
Gründe ihrer Trennung zur Kcchenschatt zogen, als Hutter
und Hospinian wider einander eiferten, handelte es nch eben-
Mb um bestimmte Data der jflngsten Geschichte; allein diese
lieferten immer noch kein handgreifliches Resultat, und grade
die Vergleichung der beiderseitigen Handlungsweise hätte wohl
eine gemilderte Stimmung, zumal auf lutliorischer Seite, her-
vorbringen mttssen, wftren flbrigens die Geister darnach an-
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198
GASS,
f^otaii wt '.seil. Wir bezeirliiicii den allgemeiiifii iJaiig, wenn
wir sagen: anfangs wurde das Facüache durch einfache Be-
hauptuogen gedeutet und ffir massgebend erklärt, nachher
durch kritisch ermittelte, bis zuletzt noch eine innere
Wtirdigung nach einem allgemeineren sittlichen nnd reli-
giösen Massstabe hinzAigetreten ist; in dieser verhesserten,
aber aucli weit weniger exacteu Gestalt geht die Beurteilung
des kirchlich Gewordenen auf den neueren wissenschaftlichen
Protestantismus fiber. Was selber Geschichte hat und ist,
erhebt sich damit Über eine vergftngliche Tagesangelegenheit,
es wird nachhaltig und bedeutungsvoll und soll demgemäss
auch geschützt werden ; aber sein Wert wächst keineswegs mit
der Massenhaftigkeit, noch sein Geist mit der äusseren Er-
scheinung, 80 wie die Wahrheit eines Anderen noch nicht
durch dessen geteiltes Auftreten verloren geht Folglich kann
auch der Massstab nicht mehr an jone alten Dimensionen ge-
bunden sein; auch andere und geistigen' l'rüt'ungsmittel treten
in Kraft, uud wir dürfen uus den Gedanken nicht rauben
lassen, dass hinter allen jenen ofb beklagten protestantischen
Spaltungen und Verwirrungen und individuellen Schattirungen,
an denen die neueren Kirchen so reich sind, eine unsichtbare
Gemeinschaft des religiösen Lebens sieb fortbewege.
I^ange Zeit ging die geschichtliehe Beweisführung ein-
fach aus dem „historischen Reibt'' hervor, sie glich einer
Anwendung massiver schwerer Gewichte; nach nnd nach hat
sie einer Würdigung nach qualitativem Massstabe weichen
müssen, sie ist dadurch ernster, gründlicher, aber auch schwie-
riger geworden. Der historisclie Sinn dringt also notwendig
in das innerliche und ethische Gebiet, er nuiss es aber auch
in einer anderen Hinsicht. In der Wissenschaft ist es dahin
gekommen, dass nichts historisch unbelegt bleiben soll Jedem
einzelnen Betrachter steht die ganze Welt der Vergangenheit
otl'en; wer möchte dieser Art der BegrüiuUin^ (irenzen setzen,
wer weiss zu sagen, wo die historische Beweiskraft aufhört!
Und deimoch ist sie keine schrankenlose. Was die Geschichte
uns als ein Nachweisbares danreicht, sind Entstehungen, Grün-
dungen , Bewegungen, Zusammenhänge, Kftmpfe und bis auf
einen gewissen Grad auch Entscheidungen, aber keine wirk-
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BBDEDTUNO UND WIRKUNG D£8 HISTOIUSCHEN SINNES. 199
liehen Erlediguiigen , zumal in geistigen und religiösen An-
gel^enheiten, wo niemals „rein abgereclinet^' wird. Wer
also sich selM mit seiner ganzen Uebeizengong historisch
rechtfertigen will, wird stets dieselbe Er&hmng machen, er
kehrt gestärkt und ge demütigt zu sich selber zurück.
Denn niemals findet er nur was er sucht, sondern stets
noch einiges Andere, was er nicht gesucht und worauf
sich seihst der Gegner berufen darf, immer überschweilt das
ihm Torliegende Material seine eigne Absicht, immer flihrt
es auf einen breiteren Jioden und deutet auf einen Keichtuni,
der nicht dazu da sein kaini, ihm und seinen Interessen allein
volles Genüge zu gewähren. Historische Studien haben na-
türlich nicht den Zweck, die Farteibildung abzostnmpfen oder
gar aufzuheben, sie haben fiberhaupt keinen Zweck als den
ihrer eignen allseitigen Fruchtbarkeit, aber reinigend und
mildernd muss der mit ihnen verbundene Sinn allerdings
wirken. Sie stellen das religiöse und wissenschaftliche Leben
in seiner, wenn auch gegensätzlichen, Vdlligkeit vor Augen,
wie es noch jetzt fortdauert Wenn also eine Zeitschrift
dieser Art verschiedene Richtungen und sogar entgegengesetzte
Urteile in sich zu W^orte kommen lässt, so verföhrt sie natur-
und geschichtsgemäss, sie hält sich dann nur in einer inneren
Verwandtschaft mit dem Gegenstande, dessen Erkenntnis sie
gewidmet sein wilL
Die zweite Wirkung nenne ich die religiöse. Jeder
bestimmteren Auslegung mensehliclier Geschicke geht ein
allgemeiner Eindruck voraus, der auch am Ende noch stehen
bleibt, — ein Eindruck giossartiger Verwaltung, welche, nach
erkennbaren Oesetzen fortschreitend, doch innerhalb derselben
eine wunderbare Freiheit entfhltet, und welche fasslich und
unerforschlich zuglei(;h durcli ihre Wege und Erfolge die
menschliche Heredmung zu St liaiideii inaclit. Zurückzublicken
auf den Lebcusgaiii;- der Menschheit war von jo hvr ein an-
dachtiges Geschäft, bald demütigend, bald nachdenklich, bald
binreissend zur Bewunderung, und im ganzen ist es auch der
Frömmigkeit stets gfinstig gewesen. Die Behgion betrachtet
sich nicht allein selber als einen unentbehrlichen Factor der
Weltgeschichte, ohne den deren Gefüge unrettbar zusammen«
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200 QASS,
bricht, suiKiern sie i,'laiibt aucli zum Verständnis der histori-
äclieu Aügeiogenlieiten ein letztes Wort sprechen zu dürfen,
wenn auch ohne jedes TorwiUige RichtenHOit. Die Theologie
rechnet es za ihrem natfirliehen Beruf, ne darin zu bebftf-
tigeu; aber es wird ihr in ansem T^u mehr als sonst er-
schwert. Es sind mehr als vereinzelte Stimmen, welche von
einer ganz anderen Weltanschauung ausgehen. Die Geschichte
wird anter ans nicht mehr constmirt; wohl aber entsteht die
Neigang, sie zn machen; selbständige Prodaction tritt an
die Stelle der Erfohrung und Erwartnng, durch Selbsterzeugung
aus dem Schosse des Menschengeistes soll die Zukunft ge-
staltet werden. Cultur heisst die grosse Lebeusmacht , von
ihr and ihrer Weihe müssen alle getragen sein, und vielleicht
kommt ihr sogar eine metaphysische Bedeutung zu. Von dieser
Annahme aus ist nenerlich gesagt worden, es sei an der Zeit,
dass jodor sicli anschicke, die Erzeiigunc^ des TliiloHophen, des
K'rnistlci"s und des Heiligen in und ausser uns zu fördern und
dadurch an der Vollendung der Natur zu arbeiten; das sei
das Ziel, auf welches der Einzelne eine regelmässige Selbst-
tätigkeit zu verwenden habe. Die Menschheit soll fortwährend
daran arbeiten , einzelne grosse Menschen licrvorzubringen ;
dies und nichts anderes sonst ist ihre Aufgabe, „das Dasein
des Einzelnen Ist am wenigsten vorschwendet, wenn er zum
Vorteil der wertvollsten Exemplare lebt'' Was hier mit
Bezug auf den Philosophen und den Heiligen behauptet wird,
Hesse sich alsdann folgerichtig auch auf den grossen Staats-
mann oder Feldherrn anwenden, auch sie und ihre Ei-scheinung
mOssten durch hingebende Mitwirkung der Menschheit be-
absichtigt and vorbereitet werden. Dieser Batschlag hat auch
eine ethische Bedeutung, and wir haben hier nicht zu nnter-
sudien, was sich ergeben wttrde, wenn alle bewossten Träger
der Cultur die Erfüllung ihrer eignen Selbst[tHichtcn mit
der Fliege einiger Auserwäklten vertauschen wollten. Aber
religi(ls ist diese Ansicht, wenn man Emst mit ihr machen
wiü, nicht mehr, and sie besteht auch nicht vor der Ge-
schichte, deren Qedenkblätter ganz anders hinten. Wer von
1) Nietzsohe» Uiizeitg^oiasse^G^danJceu. Diitteti.^^iück, &»dbS.
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BEDEimJNO UND WIRKÜHO DES fOSTOBIfiCHEN 8119111». 20U
sokken Wftiisdien för die Zukunft sich in die Yergaugenheit
niifldcweiidet, dem wird sich ein weit Aber jene Intentionen
hinajutreicbendea Bild vergegenwftrtigen. Der historische In-
halt scheint eine Zerle^^uiig in zweierlei Elemeute zu gc-
stiitteu; die einen stellen ein Tun, die anderen ein Erfahren,
Erle])en oder Erleiden dar, jene haben den Charakter der
Leistung und Tat, diese der B^benheit, und beide laufen
in Znstfoden wie in Erfolgen zusammen. Vieles mag nur
den Ertrag persönlicher Anstrengung und Aufopferung um-
fassen, in dem Aufgebot der Kräfte oder in deren Mangel
mag es seine Erklärung finden; Anderes gleicht dem £m-
pfiu^fenen, nicht dem Seibstgegebenen; mit der Stärke des
Eragnisses, mit Leben und Tod« mit Oonflict und zündender
Reibung, mit Scheitern und Otlingen, Sieg und Verlust dringt
es treibend oder hemmend in den Zusammenhang. Und ebenso
wenig wird sich nachweisen lassen, dass die Lebeosschule der
Vdlker und der Jahrhunderte darauf eingerichtet sei, einzelne
wertvolle Exemplare zu erzielen, in deren Vorbereitung, Pflege
und F5rderung die üebrigen ihre Bestimmung hfttten. Die
GeschichtiC, so sehr sie aurli von den Werken genialer Per-
sönlichkeiten abhängig bleibt, begünstigt diese Oligarchie
nicht, am wenigsten die protestantisch beurteilte Kirchen-
geachichte, welche fordert, dass alle Höhen und Tiefen auf
der Unterlage einer vor Gott gleichgestellten Gemeinschaft
ruhen. Jeder bringt den Auspruch mit, von sich aus an der
Darstellung eines Ganzen teilzunehmen j grosse Wirkungen
dringen von oben in die Menge der Namenlosen herab, von
ihnen aus wird der Geist verbreitet, von ihnen aus der Boden
bereitet, um neue Höhepunkte zu erreichen; auch sie haben
an der Verbesserung oder „Vollendung der Natur** gearbeitet
Oenifen mid ungerufen sind die auserwülilten Männer erschie-
nen, oft plötzlich und von ungeahnter Stelle, unvorbereitet
durch ihre Umgebung und im Widerspruch zu ihr. Ob ihre
Zeit sie gross gemacht, oder ob diese erst durch sie und ihre
schöpferischen Leistungen gross geworden, bleibt eine un-
beantwortliche Frage; der Historiker mag für beides Beispiele
sammeln, aber niemals wird er sich an die eine Auffassung
allein gefaugen geben, noch weniger die Geistestiefe ergränden
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«202 GAäij, BEDEUTUNG UND WIRKUNG DEÜ iiiäXOK. »INNES.
wollen, aus welcher die geniale rersönlichkeit stanmit. Wollte
man also irgendwie die geschichtliche Entwicklung «luf ein
Gattuugäleben zurückführen, welches seine Kräfte aufgewendet,
um wenige wertvolle Exen^lare zu erzeugen und diesen dann
die Veredlung der Natur anzuvertrauen, so wäre dies ein im
höchsten Grade beschrankender Ausdruck der Geschichte, ebenso
unwahr die Pflichterfüllung, die für die Zukunft daraus ent-
stehen würde. Somit erhellt aus diesem Beispiel, das» über-
haupt die. Geschichtswissenschaft sich keinerlei Bahmen auf-
nötigen lassen darf, welcher für ihren Gegenstand zu eng ist
Dieser soll im ganzen Umfange gewahrt, der unendliche Boich-
tum der Erscheinungen und Wirkungen, der Vor- und Uück-
bew^ngen, Wendungen und üeberraschungen und alles dessen,
was sich innerhalb des Geschehenen unterscheiden lässt, im
denkenden Geiste niedeigelegt werden, dafür hat der histo-
rische Sinn einzustehen. Zwar ist derselbe noch nicht zu-
gleich ein religiöser, aber doch ein erhebender und erweitern-
der; durch ihn wird die Umschau ofTen erhalten, deren auch
die christliche Ansicht bedarf, um die nionschlichen Angelegen-
heiten unter eine göttliche Ffthrung gestellt zu denken.
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Zur Geschichte der Kircheoväler
aus epigraphischen Ctuellen.
Von
Dr. Ferdinand Piper.
Unter den Quellen für die Geschichte der Kirchenväter
nehmen die Inschriften eine au Umfang sehr massige,
dem Gehftlt nach bedeutende Stelle ein und dürfen nicht
Qbersehen werden.
ZavOrderst haben die Eirchenvftter selbst auf die Tor
Augen stehenden epigraphischen Denkmäler, vornehralicli des
dassischen Altertums, geachtet , welche sie sowohl im histo-
rischen als im dogmaidschen Interesse aufnehmen und be-
urteilen. Das bietet nach beiden Seiten manches Cbarakte-
Einleitang.
1. iu der griecliiiichcn Kirche
(Inschr. 1 — 7).
Hippolytoa. Origenei. Atb»-
nasiiu.
Gregor von Nazianz.
JobaimeB Chryaostonras.
IL In der lateinischen Kirche
(Insehr. 8—28).
Comeline. Cyprianw.
Damasns.
Anibrolilu. (Satyros. Jnlhma.
Mucellina.)
AngnstiniiB. (Honiea. Licentius.
Uebersioht.
NoTEtoa. Jnlianiis von EcU-
nnm.)
HtercmjmQs (Fteol»).
Fanlinus Ton Nola (QynegioB).
Ennodine.
Victor von Oapna.
Gregor der Grosse. (Petronia.
SUvb.)
Inschriften in Bibliotheken
(Inschr. 89-33).
Nok (Pfcolmna).
Favia (Ennodias).
Rom (AgaiM.'tu8).
SeviUa (Iridorus).
Ohne Ort (Alcninos).
204
PIPER,
ristisclie uud fallt zumal tur die apologetificbe und polemische
Methode der Kircbenräter ins Gewicht.
Nfiher beteiligt sind sie bei den Inschriften entweder
durch eigne Hervorbringnng, welche nach verschiede-
neu Seiten sicli wendet, in persönlic^lnM- und öflentliclicr Ab-
sieht, für das Haus, für das Kircheiigebaudo, für das Grab:
wovon iiariKMitlich bei Gregor von Nazianz, Damasus, Pau-
linoB Ton Nohi, £nnodins, Fortunatas zahlreiche Beispiele
sich findeub
Oder es sind inschriftliche Denkmäler ihnen gewidmet,
sei es durch Ervveisunj^ der letzten Ehre oder sonst zu öllent-
lichera Gedächtnis. Von letzteren ist das Hauptdenknial die
Statue des Hippoljtus in Korn. Hinsichtlich der andern Art
und ihrer Erhaltung findet man sidi in der gerechten Er-
wartung getftnscht: während aus dem christlichen Altertum
unzählige Grabschriften von schlichten Gliodern der Gemeinde,
Männern, Frauen, Kindern, auch nicht wenige von angesehenen
Wardenträgem im geistlichen wie im weltlichen Stande fiber-
liefert sind, sind von KircheuTfitem des Morgenlandes, hin
auf die, welche Gregor von Nazians sich selbst geschrieben
hat, keine Grabsclirifteu aiil uns jj^ekommen, ausgenommen
etwa den Clirysostomus (was es mit dem angeblichen Epi-
taphium des Origenes für eine Bewandnis liat, wird alsbald
sich zeigen), — von lateinischen Kirchenvätern, nächst der
des Fiqpstes Cornelius und wenn man den Damasus rechnen
will, nur einige aus dem sechsten und dem Anfang des sieben-
ten Jahrhmiderts.
Eine dritte Art ist, dass mittelbar epigraphiache Zeug-
nisse mit ihrer Geschichte sich berühren.
Diese Inschriften sind in geringerer Zahl im Original
erhalten, in Bom und Constantinopel, in Florenz, Nola, Capua,
Mon/a: darunter eine ganze Keihe von der Hand des Da-
UULSUS, zum Teil noch an ihrer ersten Stelle, und vermehrt
durch wichtige Funde aus neuester Zeit; aber die beiden
Grabscbriften ans der alten Peterskirche von Päpsten, die zu-
gleich als Kirchenväter anerkannt sind, Leo dem Grossen
und Gregor dem Grossen (die des erstoren zwar uns späterer
Zeit), sind mit dem wüöteu Abbruch derselben zugrunde ge-
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ZUB Q£äCiüCUT£; DlilK KIBCHBNVÄT£Ui. 205
«
gangen jedoch abschriftlich erhaHen. — Copien patri-
stisclier Inschriftoii bieten manche Werke der Kirchenväter,
namentlich die "Briefsammlungen des Hieronymus und Pau-
linus, sowie biographische und kircheuhistorische Werke des
Poesidius, Beda, JohaaneB Dlacomia; vomehmlieh die Samm-
hmgen altdirisfclicher Epigramme und Iiischxiften in der grie-
ehischen Anthologia Palatina und in dem lateinischen Codex
Palatinus, — wie im einzelnen nachgewiesen werden wird.
Die Bedeutung aller dieser Inschriften und die Veran-
lafisong, sie gesondert zu behandehi, liegt sowohl in dem
ep^nphisehen Charakter überhaupt, kiaft dessen diese Denk-
wSler von den Erzeugnissen der Literatur sich absondern, —
als in dem besondern sich darbietenden Mat(MiaI, welches
nicht allein einzelne Tatsachen documeutirt, sondern auch den
christlichen und theologischen Charakter erschliesst und selbst
den kirchlichen Umkreis erhellt Dabei tritt öfter die Per-
sönlichkeit Überraschend hervor, z. B. im Verhältnis zn den
nächsten Angehörigen, wie in den Epigrammen des Gregor
von Nazianz auf alle Glieder seines väterlichen Hauses, den
Grabfichriften des Damasus auf seine Schwester, des Ambro-
mm anf seinen Bmder; — desgleichen dem eignen Selbst
gegenüber, in Unterschriften zu dem Portrait, wovon die
üeberlieferung aus jener Zeit wohl eine Seltenheit ist: sie
findet sich aber bei zwei Kirchenvätern zu dem Bilde, wel-
ches dem einen sein üVeund in einer Kirche, der andere sich
selbst in einem Kloster gestiftet hat (s. Nr. 19. 23), — beide
prägnant nnd charakteristisch.
Neben den Inschriften, zum Teil mit ihnen ver-
Iviiupft (worauf eben schon die Kode kam, s. auch Nr. 5. G)
stehen die Kunstdenkmaler: von denen auch für die Ge-
1) Nur emige geringe Bmchstficke der letzteru sind, zerstreut, das
eine ungekelirt, im FogBlwdai der Oiotten der heutigen PeteuBkirche auf-
gefondin (s. sa Ib. 25), — selbst ein Zei<dien joner VenrOstuDg, worüber
die Finder ihren Unwilkn aiuweni: „adeo foede pfaMdanun hoc marrnor
in minima frnsla «edaetmn hne illnc in basOieae demolitlone dispersiun
lUt!" (Sarti et Settel e, AppeiuL, p. 81). — Ja diesen Grotten befindet
sieh aUeidingB eine Steinsehiüt dea Danuums, aber aieht ana der alten
. FMenkiiefae^ eoadem die in der Nihe ge&nden iat
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206 PIPER,
schichte der Kirchenväter einiges aus erster Hand vorbanden
ist, neles ans der späteren Kunstentwickliing kommt. Die
znaammen&asende beiderseitige Darstellung ist eine Erweite-
mng des gegenwärtigen Vorhabens, womit seiner Zeit ein Ab-
schnitt der Monumentalen Kirchengesoliichte des cbristiicheu
Altertums sich zai beschäftigen haben wird.
Hier kommt es darauf an, ans den vorli^nden inschrift-
licben Quellen das Thema zu erläutern und darin nach Kräften
den Ansprache dieser Disciplin gerecht zu werden.
Doch so, nach dem Mass und Zweck einer Zeitsclirift,
dass einiges eingehender, anderes kürzer behandelt, anderes
nur angedeutet wird.
I. In der griechischen Kirche.
Hippolirtiui. Origenes. Athaiiaaias.
Unter den Ehrendenkmälern nimmt die erste Stelle
ein die schon erwähnte Statue des Hippel} tus, welche im
Jahre 1551 aus dem ager Veranus bei S. Lorenzo in Rom
auägegrabeu und jetzt eine Zierde des lateranischen Mu-
seums ist.
!• lo Rom. Die loMhriften bei SmetiiiB, Inscr. 1588, fol. XXXVII
ven. Soalig., Emend. temp. (Ausg. von 1598), p. 677r. Grat.,
Thea., p. 140f. Bitcher., Doctr. temp., p. 295 f. (nur Ist) Fahr ic,
Opp. Hippdjrti za p. 38. 40, Tab. LH a. b. Blanchini xa
Anaetas., De vitis pontit Rom.« T. II, p. 169 f. (beide mit Abbild,
der Statae). tfarini bei Mai, p. 70-7a Perret, Catac, T. V,
R L U. IV, mit Abbüd. Kirchhoff, C. I. Gr. 8613. — Daraus
das VenEeicbnis seiner Schriften bei Cave, Ser. ecdes. hist Iii.
P.I, 1688, p.68^ nach Grater; and P. II, 1698, p. 45, nach Bomard,
mit Anm. von Th. Gale; ed. Oion., YoL I, p. 104. 106.
Bekannt ist, dass die Seitenstücke des Stuhles das Ver-
zeicbnis der Schriften des Hippolytus und seinen IGjiihrigen
Ostercydus enthalten. Beide sind allein durch diese Inschrift
1) Diesen Satz jjiebt KleetwooU, Syll. , p. 510, 1 als eine In-
schrift aas Soioer. Suicer, Thesaur., T. II, p. 185, führt die Stelle
0. y. xvgut»4 an. £8 ist der Anfang des Osterkanon des Hippolytus.
ZÜB GESCHICHTE DER KIBCHENVÄTEB.
207
Überliefert, wenn auch Eusebius eine Anzahl seiner Schriften
nennt und der 16 Jahre des Cvclus gedenkt. — Aus dem
enteren ist der Titel: „H^og Jüanam ij mi mgl tov noa^Tog''
dadurch Mtiscli von Wichtigkeit, dass er ein Merkmal ah-
gegeben hat, diesem Hippolytus das neu aufgefundene Werk:
„ Kmim Tluaag utotoiig^^ ZU viiidiciren, sofern dessen Verfasser
sich zu der Schrift: „Iltgi rrjg tov tikitoj ovaiag'' bekennt
(X, 32). — Nach der vielfältigen Behandlung der beiderseiti-
gen Inachrifben (des Schriften -Verzeichnisses zuletzt durch
Gaspari 1875) wird es an dieser Stelle genfigen, nur darauf
hinzuweisen.
Ein Abguss dieser Statue ist im königlichen Museum zu
Berlin; auch ist ein solcher dort käuH ich zu haben. Einen
Abguss der Querseiten mit der Inschrift besitzt das Christ-
liche Museum der hiesigen üniversität durch Schenkung des
verewigten Generaldirectors von Olfers.
Die älteste Grabschrift eines griechischen Kirchen-
lehrers, von welcher Kunde auf uns gekommen ist, ist die
des Origenes. Gestorben in Tyrus um 254, wurde er da-
selbst bestattet: sein Grabmal blieb erhalten, so lange die
Stadt bestand. Die Augenzeugnisse von demselben und seiner
Inschrift reichen bis ins 13. Jalirliuiidert. Guilelmus, Erz-
bischüf von T)tus (1175 — 1184), sjiricht davon und Burchar-
dus a Monte Sion, Lehrer der Theologie, der nach der Üeber-
liefemng im Jahre 1283 (erweislich nach 1274 und vor 1285)
in dem lande war, giebt das Nfthere an: „Origenes ibidem
in eoelesia saneti sepulcri reqniescit in mnro eonehisus; cujus
titulum ibidem vidi***). Die Stadt tiel im Jahre 1291 den
Saracenen in die Hände und ist bald darauf völlig zerstört.
Guilelni. Tyrins, Hist. sacra, Lib. XIII, c. 1, ed. Bongars.
Gesta (lei per Franc, }•. 834: „haec cadeiu (Tyrus) et Origenls corpus
occultat, sicut oculata fule etiam liodi«- licet insincorc".
^) Burchard., Descr. torrue saiictae, II. 5, ed. Laun'nt, Peregri-
nat. inedii aevi (piatuor. 18G4, p. 25. (Von den oben genannten
Zeit},'rcnzen s. das. }». 89, not. (>4; p. 30, not. 10.) lUmhard fährt fort:
„sunt ibi culuüipnt' iiiarmuree et alioninj lapitliuii Uuu niagne, quod
stuitor est vidcrc". Hiernach schildert ITuetiuH Origen., Opp. Origen.
ed. de la Ilue, T. IV, 2, p. 103, not. b, das Grabmal: „in muro catbe-
Z«iUclir. f. K.-U. 14
208
PIPER,
Aber eine aEsehnliche Eircfaenniiiid hat aicli erhalten
imter netterer Aneiedhing, in der südöstlichen Ecke der heu-
tigen Stadt Sur, welche bisher für die ehemalige Kathedrale
gegolten liat (Bitter, Erdkunde XYII, 1. S. 368): wo nicht
allein das Grab des Origenes, sondern auch des EaiBero Bar-
barossa yermntet worden ist. Sie ist als solche, auf An-
regung' von Prof. Sepp, dnrch eine ans ihm und Dr. Prntz
bestellende Exiiedition , welche von der deutschen Reichs-
regierung ausgesendet wurden, im Jahre 1874 ausgegraben,
nach dem Ankauf und Abbruch der zahlreichen (32) darauf
erbauten arabischen Steinhatten. Es sind jedoch nicht die
vermuteten Gräber, und an Grabsehriften, da alles l&ngst aus-
geraubt worden, nur einige Inschriftstucke des 13. Jahrhunderts
ans Licht gekuiumen. „Origenes", schreibt Sepp vom Fuss des
Libanon^), „liegt hier unter den Kuinen der Kathedrale be-
graben; noch Wilhelm von Tyrus weiss sein Grab vorhanden —
jetzt forschten wir leider vergebens darnach.** AndererseitB be-
richtet Pratz ^ von der unter den Einwohnern verbreiteten
Meinung, dass iu einem, nördlich von dieser Kuine, jetzt in
der Erde liegenden Gewölbe, als dem liest einer uralten Kirche,
das Grab des „Oriunus" sei: welches aber, von arabischen
Hfltten flberbant, der Untersuchung nicht zngfinglidi war.
Derselbe sucht aber auch darzntnn, dass die neu aufdeckte
lüiine nicht von der ehcnuiligen Kathedrale, sondern von der
ehemaligen S. Marcuskirche der Venetianer hernihre
In Ermangelung der echten griechischen Grabschnft
könnte än kteinisches Epitaphium von vier oder fünf Disti-
diilis eeckriM ■^nltiiB Mi Origenes, eiyiu nomen et q>itapfainiD in
colnnma marmorea incosom et avro gemnueqne onutmn ibi etianumm
legebator anno 1298"; er legt aber mehr Unebi, als bei Borahard zn
lesen ist Dass dieser Sdunnck dem Epitaphinm angehSre, sagt der-
selbe nicht; lud noch weniger, dass die Inschiifb in etaie ICarmocsänle
eingegraben ad. Dodi ist dem Hnetins Bedepenning gefolgt; Ori-
genes, T. II, p. 267.
1) Sepp, Beisebriefe ans der Leyante, VIH (Augsb. Allg. Zig.
vom Aug. 1874, BeiL 8. 8667, nnd XI ebendas. II. Sept., Beil.
8. 8943).
Prntz, Ans Phöniden (Iieipzig 1876), 8. 219. 806.
s) Bbendas. 8. 388f.
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ZUR GESCHICHTE DER KIRCHENVÄTER. 209
chen hier seine Stelle finden, welches als von Origenes selbst
verflusl; — denn es wird ihm in den Mund gelegt — in
Cmlanf gekommen ist, aus folgender QuellA
l».Au8 einer Handsclirift in Corbie, zu Anfang von Origtiiis 7i*()i
dgxüüy , heraus^' geben von Mabillon, Vet. Anal, T. II, p. (iGO;
cf. p. 6G5; ed. nov. p. 379. Cave, Scr. eccl. hist. lit, p. Ö3; ed.
(hon. T. I, p. 120.
2\tuhis Oriffenis super tumulum a ae ipso compositm,
nie ego Origenes doctor TeriasiiiiiiB olim
etc.
Mabillon hat es unter dieser Aü&chrift gefunden (wozu
er bemerkt: „immo potias a qnodam stndioso in persona Ori-
genis'') und als epitaphiiim Origenis publicirt, unter welchem
Namen es auch von Cave aufgenommen ist. Neuerdin^^s
teilt Schuitzer (Origenes über die Grundlehreu der Glau-
benswissenschafb, S. XXXIII) „jenes mönchische Epitaphiom
auf Origenes bei Isidor Hisp. 8, 5** mit, — es ist ab« nur das
letzte Distichon. Und Redepenning wiederholt diese Verse,
„welche Sciinitzer bei Isidurus als Epitaphium, das ein Alönch
für Origenes fertigte, gefunden haben will, ob sie gleich nir-
gend In dessen Werken vorkommen'' (Origenes, T. I, p. 4li);
verweiset aber nachtrfiglich (T. n, p. 477) auf das ganze £pi-
taphinra bei CSave und Hoetias. — Allein weder ist es ein
Epit4ii»hiiim, aucli nicht als solches vorgestellt; noch fehlen
die Vei-se in den Ausgaben des Isidorus, wo sie in einem
grösseren Zusammenhang erscheinen, wie sie auch in mehre-
ren Handschriften erhalten sind: wir werden weiterhin (Nr. d2)
darauf znrflckkommen.
Ein Denkmal aber des arianisehen Streits ist eine
gleichzeitige Inschrift, die in einer Höhle bei Theben in
Aegypten gefunden ist.
2* LepsiuH, Denkmäler ans Aeg}'ptcn und Actlnupi ri , IM. XII.
Abt. VI. Iii 7G, gr. 59. Kirchhoff, C. 1. Gr., T. IV, p. 277,
8607, mit FMsimUe Tab. XU.
ng^s Tovc fto^l I vn^wtat ete.
Ks ist ein Brief des Athanasius, den er an die dortigen
Anachoretcn gesclirieben, und welchen diese so wert gehalten,
dass sie au der Wand einer Grabeshöhle, die als Wohnung
14*
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210
PIPER,
diente, ihn verewigten. Zwar ist nur die linke Seite meluren-
ieils erhalten, aber das Fehlende hat sich ergänzen lassen ans
dem lateinlachen *Text (Opp., T. I, p. 771f.) und verwandten
grieehischen Briden, die in seinen Werken sieh finden. Er
warnt darin die Einsiedler vor den Parteigangern des Arius,
welche umhergingen und die Einföltigen verluhi*ten, und er-
mahnt sie, den frommen Glauben unverfälscht zu bewahren,
nicht aber mit solchen Leuten Gemeinschaft zu haben und
zu beten.
Orejror Ton Naziunz.
Gr^or von Nazianz hat zahlreiche Epigramme gedichtet
und diese wohl auch gesammelt, namentlich znm Gedächt-
nis Verstorbener: von denen manche das Ansehen haben,
fSr den Leichenstein bestimmt zu sein, wenn nämlich auf
diesen oder auf den Regriibiiisüi*t ausdrücklich hinL!:»'^vi('st»n
wird. Zum Beispiel das Epigramm auf den Euphemius, wo
auf die Frage des Wanderers der Grabstein Antwort giebt
(Opp., T. II, ed. GaiUau, p. 1121, XXXTTI. Anthol. F&lat.
Lib. VÜI, 126), V. 1:
auf den Martinianus, wo das Grab in erster Person redend
eingef&hrt wird (Opp. 1. c. p. 1124, XLiV. Anthol. l c
108), V. 2:
und ebenso anf den Helladius die Märtyrer- Kapelle (p. 1112,
XXXVUl. Anth. 162), v. 2:
Das wird aber dadnrch zweifelhaft, indem er auf manche
Personen eine ganze Anzahl Epigramme gemacht hat (auf
den Martinianus 14), dass zuweilen mehreren derselben eine
s) Biemlben F<»nneln encbehieii in den Epigrammen p. 1168, CXXI
(150), T. 1, 8:
Eva$ßioVf BaoiXuratt, fisyaxkieSf hf^a^B xtSi^w
uud p. 1160, CXXVIU (155), v. 1:
XioQrji; rijad' /ppijc Ft'nnaciof uQ)(ieQr,(t
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ZUB QBSCHIGHTB DER KIBGHSIIVITER. 211
solche locale Bestimmtheit eigen ist, die doch nicht zusam-
men als Grabschriften haben dienen können: wie auf seinen
Brnder Oftsarius, welche alle drei besagen, daas der Grabstein,
den die alten Eltern bei Lebzeiten sich errichtet hatten, *
nun ihrem vorangegangenen Sohn zuteil geworden 1110,
VIU. IX. Anth. 87. 88), v. 1:
"UQioi si triff op ^ftey, or' iv9nSe xovtov l^fMci^
h&ttv q^r^^ y^^l**^ XaoiofiM etc.
nnd
Twäe Xidw rwUts twpnv imtaa^ro.
Ebenso die dritte. Desgleichen drei auf seine Mutter Nonna
(p. 11 18, C, V. 27. V. 3; p. 1136, LXXIV, v. 1. Anth. 71. 60.
38, V. 1):
i«9mt ^pOlne 9t^e Ic^^loy h9a49 x99tm'
ferner:
und
Den Schlüssel dafür giebt er selbst am Ende seiner Epigramme
auf Basilius, deren auch nicht weniger als 12 sind (Opp.,
T. II, p. 115&, CXIX, wo sie sämmüich in eins gezogen
sind; Anth. 1. c. 2 — 11) 0* Das letzte nennt er selbst
YQufi^i* hav^tfttdtov, dessen jener sich erfreuen möge; worauf
er mit dem Disticlion schliesst: „Deinem Staube, Basilius,
habe ich, Gregor, diese Zwölfzahl vou Epigrammen geweiht.^*
Darunter ist eines, das sich wie eine GrabschriA lieset (v.25;
Anth. 1. c 6, V. 1):
%SK^<f< BmiHmo Bafihw a^xtSQ^tt
^ivTo /AB KautetQis^, P^tiyoQioio <p{Xw etc. ;
allein es ist so selir nur ein Denkmal der Freundschaft und
spricht mehr von dem Verfasser, der ihm im Tode bald zu
folgen wünscht, dass es dem Grabe nicht entsprechen würde,
somit aus jener ZwOlfisahl nicht heraustritt Aehnlich ver-
hält es sich mit den Epigrammen auf den Rbetor Amphi-
lochius aus Diocäsareu, deren acht sind (p. 1118, CHI — CIX,
wo n. CIY nach Muratori zwei in eins gezogen sind; Anth.
1) Von der Zwöilzahl s. Jacobs not T. IU| p. 417.
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212
PIPER,
n. 131 — 1:58). Eins derselbeu lu-nut auch yQafi^i^ innvfi-
ßldiov von einem Freunde des Verstorbenen (n. CIV; 132);
in einem andern beisst es, er habe es geschrieben, durch
Bede t&r die Bede, die er von ihm gelernt, dankend (n. CiV;
133); ein drittes weiset auf das Grab hin (CIX; 138). lo
zwei andern wird dasselbe redend eingeführt (CVÜ. CVIil;
136. 137):
*AfAffüuoxw luaix^ ttn^n xotng etc.
and
. . . fMtfivMQja /cAcff aiyff
welche am ehesten dort eingeschrieben sein könnten. Aber
(luii h die Verviellaltiguug erscheint alles dies docli nur als
rhetorische Form.
Unter diesen Epigrammen erheben sich zu kirchenliisto-
rischer Bedeutang diejenigen, welche den Angehörigen des
Gregor von Nazianz gelten, da alle Glieder dieses Hauses der
Gcschiclitü angehören, anch in den Heiligen- Kalender auf-
genomiTion sind. Es ist jedoch nur eines, welches auch ge-
schichtlichen Inhalt hat, auf seinen Vater, in Nazianz.
3. Gregor Kas., Opp., T. II, p. 1128, LV. Aniha. POat VIII,
12; ed. Jacobe, T. I, p. 642; ed. IHklmer, T. I» p. 516.
fUihxos, i}^«e}i)j(, XafMifdg Tipucifoc vno^p4T^,
(fi ntsffotffw Xt^g» ^eoi». UkX* Uq^bs
Die Amtsdauer von 4o Jahren ist eine runde Zahl, die
genauere Angabe zu 45 Jahren enthält seine Gedächtnisrede
auf ihn (Orat. XVIII, 38). Melirere Ausdrücke des Epigramms
sind dem Verfasser in diesen Gedichten eigentümlich und ge-
läufig: die Benennung seines Vaters als eines Propheten der
Trias, wie Gregor in seiner eigenen hier folgenden Grabschrift
sic'h Diener der Trias nennt; diis Pradicat Trrfoo^ooa der Sele;
der Auadmck yrfiv^ioy vnvov ist homerisch, wofür er der Nonna
(s. zuYor) %o¥ ßa^vv wwQp beimisst. — Eine gemeinsame
Grabschrifl; betrifft die Eltern und die Söhne: womach er bei
seinem Vater ruhen sollte, während ein anderes Grab seine
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ZUR GESCHICHTE DER KLRCUENVÄTEB.
213
Mutter Nonna and seinen Broder Cäsarios nmschloss (p. 990,
CXI |77|). — Ausserdem hat er sich allein noch folgende
Grabschrift gedichtet.
4. Gregor Naz., Opp., T. ü, p. 992, XCVL Anthol, Mat. VlU,
81, p. Ö60 (524).
Mal oorfu] (sotplJK dsdQayfiiyoff fT^eof rt
MOP nXoCtw iht(^* inwqavUfif,
Maratori Termntet, ja bSlt es fBr ^^ewisH, dass das
Kitlgicinim nicht von Gregor ist, da nicht zu glauben sei,
dat>s er selbst dieses Lob sich gespendet habe. Allein was
er von sicii aussagt, ist recht verstaudeu nicht so verfänglich ;
jeden Falls wird die Echtheit von allen Seiten bestätigt: denn
denselben VeFsanfang enthält eine der Grabechriften anf sei-
nen Bruder Casarius (p. 1112, XVI [n. 95]), — und den
ganzen ei*steu Vers eine auf seine Schwester Gorgonia, nur
dass dort xiTfiai steht (p. 1116, XXII [101]); die Bezeichnung
seines geistlichen Amtes: „Diener der Dreieinigkeit** stimmt
mit der eben erwähnten för seinen Vater. Und dass er die
Weisheit ergriffen habe, entspricht dem G^edanken wie dem
Ausdruck, dass er Christum ergrilleii habe-), wie er auch
sagt, dass Christus ihm die Liebe zur Weisheit gegeben habe
(p. 992, XCV [84])*): und an derselben Steile, wo es heisst,
er habe Christom eigriffen, erklärt er, dass er von der Hoff-
nung nicht hissen werde.
Einer anderen Klasse, den K i r c h e n - Inschriften, gehört
ein Ejdgnmmi an, das zunächst zwar namenlos, aber mit Orts-
angabe überliefert ist, als befindlich zu Gäsarea (in Cappa-
docien) in der Kirche des Basilius.
b, An(M* MU. I, 92; ed. Jacobs, T. I, p. 25; ed. Dfiboer, T. I, p. 11.
*Elß K ni<ja Q E ( (t tig ToV yaof lov dylov BnatXelov.
Hv ort XpioTof invev i<p* dXxa^oe Ififpvfop vntfotf,
1) Mnrator], Aneod. Gracc, p. 120.
•) Gregor Naa., Cann. LXXXV, 13, p. 078: avrdQ kyw XqkstoTo
Mgnyfi4woSi ovnotB Aq'I« ilnidot etc. Vgl. Jacobs» Anthol. Palat,
T. m, p. 427.
9) 8. aaeb p. 994, XCVHX (83): ißvSw h cmpi^s nti^«.
214
FIFBB,
nXXvfifyni^ ^nu^vvoi' , uvu^ (fi xtXtv^v fivaardg
fitQSfitEiP aysfiovg xut xi'fiaia, xnl ntXey oi/rioj •
&uviA(tti di tpQaCoyio i^eov fpvauf oi naqkovtBf,
„Es begab sich, dass Christus ruhend genoss im Schiff
den natürlichen S» lilal, das Moor aber von rauschenden Win-
den aufgewühlt wurde und voll Furcht die SchilVer auf-
schrieen: , Erwache, Heiland; hilf den Untergehenden.' Der
König aber stand auf und be&hl den Winden und den Wellen,
ruhig zu sein: und so geschah es. An dem Wunder aber
nahmen die Anwesenden Gottes Natur wahr." — Offenbar ist
es die Inschrift zu einom Gemälde, das in der Kirdio aus-
gofülirt wi^r; es steht dahin, ob in zwei Scenen oder einfach
als Schilderung des letzten Moments. Sie ist vertot von
Gregor von Nazianz, denn ne findet sich unter dessen Ge-
dichten , freilich ohne Ortsangabe ^) : und ist wohl von ihm
selbst schon für jene Malerei besihnnit. Nach dieser Her-
kunft aber ist man berechtigt, in dem Bilde noch etwas an-
deres als bloss die Darstellung einer Tatsache, des Wunder-
zeichens zu sehen. Denn Gregor braucht -gern för das mensch-
liche Leben Gleichnisse aus dem Naturleben, namentlich von
dem Meer und der Schiflalut : wobei auch hibli.sclie l^reignisse
/ur Anwendung kommen. So macht or aucli von jenem Er-
eignis: „Cliristus auf dem Schill im Sturm" den üebergang
auf die Zeitverhältnisse und sein eignes Leben, aber in ent-
gegengesetztem Sinne, indem er bei dem Ausgangspunkt, dem
Schlaf des Erlösers, stehen bleibt. Gebeugt von Todesfällen
und anderen eignen und öfTontlichen Uobeln, spricht er einem
Freunde seinen Kummer, ja Hoffnungslosigkeit aus: „. . Die
Fahrt geht bei Nacht, nirgends eine Fackel, Christus schlätlb. . .
Es giebt für mich nur eine Erlösung von den Uebeln, den
Tod.^'*) Jene Inschrift aber sammt dem Bilde zeigt die
Entwicklung und die wunderbare Aushülfe in der Not, wel-
Wie Jacol)K zur Anth, Palat. 1. c. angemerkt hat. — Iji der
neuen Aufgabe von Grciror. Naz. Opp. Cann. I. JH; T. II, p. 2*SH.
*) Gregor Naz., Episl. LXW, ul. :\\), a«l Eudoxium, Opp., T. 11,
p. 73. Vgl. üUmaun, Gregor von Nazianz, JS. 153.
üigiiizeo Dy
2SUR OESCmCHTfi D£R KIRCHENVÄTER. 216
ches Yorbildlidi genommen dazu führt, an die Stelle der Ver-
zagtheit Zuversii^t nnd Hoffimng zn setzen.
Johannes Chrysostonius.
Höher hinauf, in die byzantinische Hof- nnd Patriarchen-
geschichte reicht dn Denkmal, das erst nenerdings bekannt
geworden ist: die Inschrift vorgegenwiii tii^^i die Katastrophe
im Leben des Johannes Chrysostoni us, ileii Aiihisj? m
seiner zweiten Amtsentsetzuug und Verbannung im Jahre 404.
Die entferntere Veranlassung lag in dem Zwiespalt zwi-
schen der Kaiserin Eudoxia, Gemahlin des Arcadius, und dem
Chrysostoiiius ; die nähere in der Errichtung ihrer Statue und
den hegh^itendon Umstünden. Die Sache ist bekannt ') , be-
darf jedoch näherer Feststellung, da im einzelnen die Berichte
der Alten differiren (Socr. VI, 18; Sozom. VIll, 20).
Nicht lange nachdem Chrj^ostomus aus seinem ersten
Exil von der Kaiserin selbst zurfickberufen war infolge der
Unruhen des Volkes, welches nach dem Bischof verlangte,
wurde ihre silberne Statue auf einer Porphyr^aule erricht(ft
auf hoher Basis: und zwar vor der Curie des Senats, so daas
sie nur durch eine Strasse von der Sophienkirche getrennt
war, — wie Socrates berichtet; oder was dasselbe ist, nahe
bei der Irenenkirche au dem Ort, welcher Pittakia hiess (wo
die Bittschriften von dem Kaiser entgegengenommen wur-
den), — wie Tbeopbaaeä meldet^). Das Jahr 403, welches
aus dem Zusammenhang bei Socrates uiid Sozomenus folgt,
^ebt Marcellinus Gomes ausdrficklich an '). Bei dieser Ein-
weihung wurden öffentliche Schauspiele von Tänzern und
1) Vcrgl. d u 0 a n ge , Constantinopol. Christ, Lib. II, p. 1 77 ; Tille-
iDont» Meni., T. XI, p. 215; Montfaucon, Opp. Chrysost. T. Xll,
p. 151; Stilting, Acta SS. Sept., T. IV, p. .'■)02; von Ilararacr,
ronstantinopcl , IM. I, S. löl. 239; Nc ander, Joh. Chrysostomus,
Bd. II, S. 17(;ff; Thierry, St Jean Cbiysostome et rimperatrioe
Endoxic (Paris 1872), p. 2d0ff.
Theophancs, Chron. ad Arcad. a. 12, p.68A.
3) Das Jahr iOH, welches von Hammer a. a. 0., S. 239, und
ihm folgend Frici< und Kirchhoff (s. sogleich) annehmen, ist nicht
richtig; im Jahr 40i am 4. October war Endoxia sobon gestorben nach
Socrat VI, 19.
L.iyui^uo i^y Google
216
FtPER,
Mimen aufgeführt, wie es bei Kiuweihuug kuiserlicher Bild-
nisse zu geschehen pflegte. Das rügte Chrvsostomus in einer
Predigt, als geachehen zur Yemnelinifig dar Kirche. — Die
Basis nun dieser Statne mit der Widmung ist noch vorhanden :
sie steht vor der Irenenkirche, die jetzt zu einer Wafleusamm-
luug und als Museuiu dient, wo ich im April 1870 sie ge-
sehen und die Inschrift re?idirt habe. Es ist folgende.
6« Friok in Gerhards Aiehiolog. Anzeiger 1857, SL 89, nnd Nach-
trag, Archäolog. Zeitung 1868, 8. 133. Eirohhoff, a L Gr.,
T. IV, p. 288, 8614. Mommsen, C. I. lat, 7ol. III, 1. p. 136, 736.
DN AKL* t) ETDOXUS SEMPER AVGV8TAS
TC* SIHPUCrVS PRAEP YRB DEDICA?IT.
Die Inschriften auf bculeji Seiten besagen, dass der
Sladtprafect Simplicius die Statue errichtet liat. Theophanes
berichtet noch, der Stadtpmfect, ein Manichäer und der heid-
nischen Beligion noch zugetan, habe jenen Unfug angestiftet.
Wenn das der EaU gewesen, so war die Bflge des Chrysosto-
rous desto mehr b^ründet. Aber die Kaiserin nahm es per-
sonlich, fand sich beleidigt und betrieb die Versammlung
einer neuen Synode gegen den Chrysostonius. Es wird weiter
berichtet, Chrysostomus s^ nun schärfer hervorgetreten und
habe in einer berühmten Fredigt, welche anfing: „Von
neuem wfltet die Herodias, von neuem tanzt sie, von neuem
verlangt sie auf der Schüssel das Ilaupt des J<»liannes", direct
die Kaiserin als eine zweite Herodi;is angegriffen: was die-
selbe noch viel mehr erzürnt habe. Diese Erzählung unterliegt
jedoch erheblichen Bedenken'): erstens ist ein so leidenschafir
liebes Auftreten dem Chrysostomus nicht zuzutrauen, auch
nicht die Verwechslung der Herodias mit ihrer Tochter (denn
1) Das ist Doininae Nostrae AKliiae. l>ic Abkiirzniifjrcn bakii zu
vorachioil« neu Ivcsunp ri fdivinae und doininae n[8taU IjoHtrao) Anhu« ge-
geben, welche Urichtigt sind sowohl in dem crwähnteo Nachtrage als
von Cavcdoni Annotaz. al C. I. Gr. IV, 2, p. 4.
'■^) Wdchc schon Tillcmont, Montfaucou, Stiiting geltend
gciuaciit iiabca. Keander sagt von dieser Predigt uar: möge wohl
ZUB OESCmCHTfi D£R KIRCHENVÄTER. 217
diese hat getanzy nicht die Mutter). Dazu kommt, dass eine
Predigt mit diesm Anfimg vorhanden ist, auch schon im
Altertum gekannt, aber augenscheinlich nicht von Gbrysosto-
mus, ihm untergeschoben^); daher sehr ghiublich, das So-
cmtes und Sozomenus diese Predigt im Auge haben und
durch sie getäuscht worden sind. — Das Ende war, dass
Gfarysostomns am 20. Juni 404 in sein zweites Exil abge-
führt wurde (Socrat. VI, 18), woraus ihn erst der Tod be-
freite, 14. Sopteiiiber iuT.
Eine zweite Inschrift, handschriftlich überliefert, deutet
auf die Vei-sohnung, welche mehrere Stufen hatte. Daa erste
war, dass das kirchliche Gedächtnis des grossen Kirchenlehrers
hergestellt, sein Name in die Kirchenbficher wieder aufge-
nommen wnrde: womit Alexander, Bischof von Antiochien,
voranging In Constantinopcl geschah es durch Bischof
Ätticus, der zwar den Kirchenfricdon mit dem Abendlande
dadurch herstellte, aber nicht daheim mit den sich getrennt
haltenden Anhängern des Ohrysostomus, den Johanniten *).
Diese wurden erst versöhnt durch die ZurflckfÜhmng seiner
Gebeine, welche auf Antrieb des Bischofs Proclus erfolgte:
unter grosser Feier von allem Volk wurden sie nach Con-
ätautinopel gebracht und in der Apostel ki rohe beigesetzt, am
27. Januar 438 % — ein Tag, der noch jetzt in den Kalen-
dern der allgemeinen Christenheit aus diesem Anlass seinen
Namen trägt. Da machte auch Kaiser Theodosius IL den
Frieden seines Hauses mit dem Abgeschiedenen , einst un-
gerecht Vei-triebenen : er neigte Augen und Antlitz zu dem
Sarge und bat fär seine Eltern, ihnen zu verzeihen, die aus
Unwissenheit Unrecht getan '). — Daran schliesst sich wohl
die folgende Grabschrift
«ich mAnchw aiu fUr VerdrebuDg durch die Feinde dee ChryKtAmim
etngefloBSen sein.
1) Bei Montfancon, Opp. ChiTSOBtonnia uter. eporia, T. Vill,
P. 2, p. 1.
8) Theodoret, Hist. occl. Y, 35.
8) SocratOB, Hiet. eocL YU, 25.
*) £beudaä. 45.
ft) Theodoret, Hiat ecd. V, 35.
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218
7. Broiick, AnaL, T. m, p.297. 684. Jaeobst Anfb., T.IV, p.263.
684a. Anih. Mol. YIII, 1; ed. Jacob«, T. I, p. 539; ed. D«b-
ner, T. I, p. 515.
tt»y tlQeit} noXvoXßog ig ovQttvov avToyat ^X&€f
Jf«4 «jpftiros' uexoxovg tffr^ev axtjQttitfw.
Wonach der göttliche Johannes (Chrysostouius) und der ge-
feierte TheodosiuH, der Stifter der Dynastie, im Grabe ver-
einigt ersoheinen, also in besonderer Nähe — denn in jener
Kirche waren sie ohnehin einander nahe, als der Begräbnis-
statte fiberliaupt der Kaiser und der Bischöfe von Con-
stantiiiopel. Jene Gemeinschaft des Grabes aber wird den
Sinn haben, daas Theodosius I. (und die Seinen) der Gebete
teilhaftig werden, welche am Grabe des* allverehrten Bischöfe
aufeteigen wfirden, gleichwie Gonstantin der Grosse ehen diese
Kirche mit den Kenotaphien der Apostel in solcher Absicht
sich zur Grabkirche erbaute.
Es steht jedoch dahin, ob das Epigramm wirklich als
Inschrift angebracht worden, was nach der Fassung nicht
grade wahrscheinlich, jedoch unter den besondem Umständen,
30 Jahre nach dem Tode (wo man eine gew<yhnliche Grab-
schrift nicht mehr erwartet) möglicli ist; oder ob es nur ein
rhetorischer Entwurf ist, wie so viele von den Epigrammen
des Gregor von Nazianz, denen man dasselbe, obwohl es jünger
ist, vorangesetzt hat
II. In der lateiaiaoheii Kirche.
Comeliiu. Cyprianms.
Nur im Vorübergehen soll an zwei Bischöfe und Mär-
tyrer aus der Mitte des dritten Jalirhunderts hier erinnert
werden: den Cornelius von liom, der, wenn er auch einige
Briefe hinterlassen hat, zu den Vätern und Lehrern der Kirche
nur entfernter gerechnet werden kann; aber die Auffindung
seiner Grabschrift, überhaupt der Gruft der Päpstgräber, im
1) 1^ naw. Dasselbe Prädlcat gicbt Theodoret c. 35 dem Chry-
Bofitomus.
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ZUR OBBGHIGHTB DER KIRCHENTATER. 219
Coemeteriiim Oallisti durch de fiossi im Jahre 1852 gehört
zu den erfrenlichBten cpigraphisoben Entdeckongen.
Und (ieu Cv priaiius von Caitliago, von dem eine Brief-
steile, oschatologisch gedeutet, zu einer merkwfirdigeu Grab-
schrift jetzt im laterauischeu Museum verwendet ist, die zu
mehrfiicheD Yerhaadlungen Anläse gegeben hat Auf ihn
selbst bezflglich ist nur aus späterer Zeit, dem nennten Jahr-
hundert, eine Inschrift erhalten, nämlich auf seine nach Lyon
versetzten Keliciuien von dem Diacouus Florus daselbst, welche
anfängt ^):
Hac locuples ChriHti thc-^aurus ron<litur arca
Purior argento, fulvo pretiosior auro etc.
Und die Inschrift des Namens bei seinem Bilde, beides
halb verlöscht, neben dem des Gomelins in dem Ooemeterium
GaUlsti zu Bom^, bestätigt, was als eine bedeutsame litur-
gische Tatsache schon das röiuisclie Kaien* Lmuni von :i54 er-
sehen lasst. dass beiden zusammen ein Gedächtnis daselbst
gewidmet war.
IHumuMis.
Hingegen den ersten bedeutenden Beitrag zur epigraplii-
schen Literatur giebt Papst Damasus (:JGi; — .H84), der eine
Anzahl Epigramme verfasst hat, die auch wirklicli in Stein
gegraben worden. Und was von besonderm Wert ist, es sind
dieser Steinschriften mapche noch vorhanden, ja es werden
immer noch Beste davon gefunden. Sie geben sich auch
sofort zu erkennen durch eigentumliche SchriltzQge; der
Schreiber, dessen Daniasus sich bediente, dem diese verzier-
ten Züge eigen sind, hat nicht unterlassen, sich zu nennen:
Purins Dionysius Filocalus, von dessen Hand wir auch du
Kalenderbruchstfick haben. Damasus selbst fugt gewöhnlich
seinen Namen bei. Er hatte dazu siichlichen Grund, da die
Inschriften meist Widinungen an Märtyrer sind, wo also der
Name des Widmenden nötig war. Aber auch sonst bei bau-
lichen Anlagen fehlt er nicht Indes auch wo er fehlt, ist
der Verfksser an seinem Stil zu erkennen, insbesondere an
i) Mabillon, Yet AniO., T.I^ p.407; ed. nov. p.416, V.
*) AbbÜdnog bei de Rosti, Borna aotterr., T. I, p. 298; TgL
p. 276, Tav. VL Kraus, Borna mtterr., S. 17, Taf. X.
i^iy u^uo Ly Google
220
PIPER,
einem Vorrat von Ausdrücken, die zumal bei der Verwandt-
schaft des Stofls leicht wiederkehren, — so dass verschiedene
Gedichte zum Teil als Combination derselben Formeln er-
scheinen: das ist fßr die Kritik seiner Denkmftler von Er-
heblichkeit.
Durch seiue Schmückung der Märtyrergräber und die
Widmung wird nun zunächst sciue Auffassung des Standes
nnd Wirkens der Heiligen, und was damit zusammenhängt,
sein Glaube im persönlichen Verhältnis 2u ihnen ins Lieht
gesetzt, aber auch sonst mancher dogmatische Funkt herflhrt.
Dies übergehe ich hier, um einiges rein persönliche, was in
seinen Ids* liriften liegt, hervorzuheben.
Unter diesen sind zwei auf Zeitgenossen, die eine auf
die Projecta, Tochter des Florus, die nach ihrer Verheiratung
frfih gestorben, vom Jahre 383; die andere auf seine Schwe-
ster Irene, deren Anzing hier folgt:
8. Grut. p. L172, 10 aiLs cod. Palut. Baron.. Annal. a*i u. 384,
T. XII, App. p. OK); ed. Mansi, T. V, p. 573. l;.>,si ,.. Ii. s., j.. IHf».
Aringhi, T. T, p. 472. Flcetw., p. 428, 1. Ihuuasi Ojtp.
eil. Sarazaii ('ariD XXVIII, od. Merciida rann. XXXI. Fmi-
Boca, De ba.sil. 8. Laurent, in Dauiaso p. üU. Gailandi, Bibl.
P»tr., T. Vi. 1». m
HnC TV.MVI.O SACKATA L>K(> iNVNC MKMUKA (^VIKSCVXT
UIC SüROU EST DAMASi NOMKN SI (^VAEKIS lUKNK
YOTEKAT HAEC SKSK XFO CVM VITA MANEKET
etc.
Auch hier zeigt sich die Eigenheit wiederkehrender Ge-
danken und Formeln; solche sind:
y. 2. nomen sl quaeris] Garm. XXX, ed. Saraz. t. 2: no-
raina quiscjue fNtri puriter Paulique requiris. Carm.
XXIX, 1 : hic coiigesta jacet, quaeris si, turba piorum.
V.II, quam sibi cum raperet melior tunc regia coelij Cami.
XXVII, 3: te Protum letinet melior sibi regia coeli.
Oarm. XXIX, 3 : sublimes animas rapuit sibi regia coeli.
Ausserdem treten zahlreiche ethische und dogmatische
Motive bedeutsam hervor, wie: sacrata Deo membra, voverat
sese Christo, propositum mentis, cum fugeret mundum, cum
raperet regia coeli, veniente Deo, nostri remtniscere viigo etc.
Das Persönliche aber ist: die Irene hatte ihre Jungfrau-
L.iyui^uo Ly Google
ZUR OESCHIGErrB DER KfRnHBNYÄTEB. S21
Schaft Gott gelobt and war noch nicht 20 Jahre alt gestor-
ben: Damasos sieht sie scheiden ohne Furcht ffir sie, weil
sie frei znm Himmel eingegangen ist: „aber 'S sagt er, „es
schmerzt mich, ich gestehe es, dit* Gciiieinschiiit des Lebeus
zu verlieren/' (Sed dolui fateor consortia perdere vitae.)
Das ist ein einfacher rührender Laut, — unter aller dcr
Heiligen?erehningr unter so viel bischöflichem Amtseifer die
Sptor des Familiendnnes: einmal der Ausdruck eines mensch-
lichen Gefülils, das nicht selten im christlichen Altertum in
solchem Verhältnis verleugnet worden, als ob das zur Ehie
Gottes gereiche.
Sodann giebt eine Bau -Inschrift, ehemals in der Kirche
S. Lorenzo in Daraaso, Kunde von dem Gang, welchen dieser
Papst in seinen Aemtern genommen hat.
9« (irnt. p. llf»4, 11 aus cod. Palat. Baron., Ann. 1. c, p. 911;
ed. Mansi, T. V, p. ö71. Flcetw. , p. .'^87, f). l>ani!i.si Opp.
ed Sarazan (^arm. XIII, ed. Merenda Cann. XXXV. Gal-
landi 1. c, p. ^f)!.
IllNC; PATER KXCKITDK LKCTOK I-KVITA SA('KKl»OS
CUEVKKAT niNC MKUITIS (iVUNIAM MKIJnüüU'.S ACTIS
HING .MIHI IMIOVKCTO .\7s CVI SV.M.M A l'(ti K^lAS
SEDIS Al'USlOLICAE VULVIT CONCEUEKK IlUNüKEM
etc.
Also Damasus war zuerst Exceptor oder Notarius, dann
Lector, Levita (l)iaconus), endlich Sacerdos, was nicht, wie
Fleetwood will, Bischof bedeuten kann, sondern Priester;
dann wird er als römischer Bisehof auf die sedes apostolica
erhüben. Er unternahm den Neubau einer Sacristei daselbst
für die „Archive" und fügte der Kirche zu beiden Seiten
l^ulen himcu, welche seinen Namen durch die Jahrhunderte
tragen sollten.
Zwei andere Inschriften verkflnden Orabgedanken des
Damasus: die eine berühmteste mit dem schon erwähnten
Anfang: mc cunüesta iacet qvaeris si tvrha piorvm nicht allein
handschriftlich flberliefert, sondern auch neuerdings im Ori-
ginal wiewohl serstfickelt aufgefunden in einer Gruft des
Goemeterium Oallisti, deren bihaber er durch rednerische
Wiederh(dung des Hic schildert: da hätte er gern sein Gnib
ersehen; aber, wie er sagt; ciNEREts timvi sanctüs^ vexake piouvm.
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222
PIPER,
Die andere, seine wirkliche Grabachrift (Canu. XVi, Saraz.):
QVI GRAOIENS PBUGI FLVCTTS COMPRBSSIT AMAROS die., WOVOR im
Original ein Bracbstfick noch vorhanden ist: sie bietet mehr-
focbes Interesse nnd wird bei anderer Gelegenheit zur Sprache
koiunieu.
Ambrosius.
Auch von Ambrosius sind beide Glassen von Inschrif-
ten, für kirchliche Geb&nde nnd fßr Gräber, erhalten. Beides
trifft zusjmimen in der Grabschrift auf soiiien Hiiider Suty-
rus*), über dessen Heinigang (f 385) er ein eignes Bucl»
geschrieben: was demselben die Aufnahme in das röniisclie
Martyrologium (unter dem 17. September) zuwegegebiacbt
hat. Er wurde in der früher sogenannten Basilica des heili-
gen Victor ad ooelam aureum, jetzt S. Satyri, begraben. IMe
Glrabschrift, welche nicht allein durch die Heidelberger Hand-
schrift, sondern auch durch Duugal erhalten ist, lautet:
10.Dungal, De coltu imag. (ed. MMBonns, Paris 1(308), Bibl. patr.
moz. T. XIV, p. 223C. Grut. p.ll67, 2 aus cod. Palat. Baron.
Ana. a. 383, n. XVI, T. IV, p. 486; ed. Mansi, T. V, p. 556.
Puricelli, Ambros. basil. luonura., p. 27. ßenedictini, Ad-
nionitio in Ambros. Opp. , T. 11, p. 1112. Fleetw. p. 360 , 2.
Murat., Diss. XVII in raulin., Opp. Paulini Noi. p. 840 F. Stil-
tin g. Acta SS. Sept, T. V, p.492. de Boasi, Bullet di archeol.
crist. im, p. ö.
VRANIO SATYRO SYPKEMVM FKATER HONOREM
MARTYHIS AP LAEV.\M IH-rTYLIT AMBROSIYS
ÜAEC MKKITl MKKCES VT SACKI SAN(ni\IS UYMOR
FIMTJWAS l-KNETRANS A ULY AI KXVVIAS.
Der Märtyrer ist Victor, der Titelheilige der Kirche,
der zn Mailand unter Maxunian gelitten haben soll nnd in
den Martyrologien unter dem 8. Mai anfgefQhrt wird; — die
Bestattung zu seiner Seite ist ganz im Sinn der Zeit,
welche in dem Begi-äbnis nahe den MürtyiLru ein Unter-
pfand für das künftige Schicksal der sterblichen Reste sah.
Auch der Ausdruck exuviae, von der abgelegten Rüstung,
J) Derselbe Name fintlot sich in einer naliezu gleichz. itigen Grab-
Schrift des vaticanischen Museums (vum Jalire 397) bei lie Kossi,
Inscr. 1, p. 4&3: BENKHEEKNti IN PACE ÖATVKU (^Vi YIXIT JOiHOti
F^XLV etc.
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ZUK OBSCmCUTE DER K1R0UEN7ÄTER. 223
dem Kleid der Sele ist bedeutsam and kehrt öfter wieder
(^L Nr. 11) 1).
Dieses nnd namentlich v. 3 (sacri sangiünis hnmor) wird
erläutert diireh die AulTni'Iung «Ur Keliquien des Nazarius
(uui 396), von dein man damals noch nicht wusste, was er
gewesen, später aber wissen wollte, dass er in Mailand unter
Nero gelitten habe. Man sah n&mlich, wie Paulinas als
Augenzeuge berichtet, in dem Grabe das Blut des Bfärtjrers
80 frisch, als ob es an dem Tage vergossen wftre. Ihm m
Ehren erhaute Ambrosius eine Kirche, vou dereu Eiuweihuug
die folgende Inschrüt Kunde giebt.
ll.Grut. p. 1167, 1 ans cod. Palat Fleetw. p. 360, 1. Pinias,
Acta SS. Jul, T. VI, p. 507. Hnrat Ser. a L, T. IV, p. 68.
HftTini bei Hai. p. 146, 2.
coNDinrr ahbrosiys templym dominoqve Sacra vit
NOMIXK ArOSTOLICO MVXKHE KKLLIQVIIS
FORMA CKVCIS TKMI'LVM KST TKMTLVM VICTORIA XPl
SACRA TKIVMPHALIS Sir.NAT IMATJO ]AW\'M
IN CAPITE EST TKMPLl VITAK NAZAKIVS ALMAE
etc.
Darnach enthielt das Kopfende des Kreuzes das Grab des
Märtyrers (auch hier ist v. 6 Ton seinen exavüs die Rede).
Die Inschrift ist bedeutend fllr die Arehitectaigeschichte, da sie
die Ereuzanlage der Kirche bezeugt und symbolisch erläutert.
Mit einem andern Moment im L<'l)eu des Amhiosius,
auch einer Kirch weih, hangt das üruclistück einer Gi-absciiritt
aas Florenz zusammen, welches, an sich unansehnlich, durch
Zusammentreffen mit den literarischen Quellen geschichtlichen
Wert erhalt. Zuvörderst erfohren wir von dem Biographen
des Amhrosius*), dass dieser von liolog^na, wo er ira Jahre
:J93 sich aufhielt und die Gebeine der Märtyrer Vitalis und
Agricola erhob, auf Einhdung der Morentiner nach ihrer
Stadt kam: dort weihte er eine Kirche, wo er fieliquien von
jenen Gebeinen beisetzte. Sodann spricht er selbst sich aus
in seiner Exhortatio virginitatis, welches die Kode oben
dieser Kirchweih ist: denn es stimmen alle Umstäude mit
1) Denselbea hat Ambrosios, Exhort viiginit, c. 1, 7, T. UL,
• p. 279: illic igitnr niartyris exiunas rcquircbaraus.
i) Pauiiu. Vit. AmbroB., c. 27—29. öü.
Zoitoclu. L K.-ti. Ib
224
PIPER,
jenen Angaben der Bio^phie In dieser Bede nimmt eine
Frau Juliana mit ihren Kindern eine breite Stelle ein, denn
sie hatte die Kirche gebaut. Sie bietet überdies mit den
Ihrigen, nach der Darstellung und im Sinne des Ambroeins,
das Bild einer heiligen Fkmilie: der Gatte tritt in den
Kirchendienst als Diaconns nnd wird bald daranf den Seinigen
durch den Tod entrissen; die Witwe, wenn iiuch gebeugt,
zeigt feurigen Eifer, ihre Kinder, einen Sohn und drei Töch-
ter, Gott darzubringen: dem Sohne spricht sie zu, dass er,
von Gott erbeten nnd schon vor seiner Gebart ihm geweiht,
erkenne, von wo er gegeben sei, nnd seinem Dienst sich hin-
gebe, — er wird dann auch als Lector genannt; die Töchter
ermahnt sie, als Jungfrauen sich Gott zu geloben. So wird
sie redend eingeführt von Ambrosius, der ohne Zweifel den
Aenssemngen der Matter rednerischen Schmnck geli^en hat
nnd alles das noch wdter ansf&hrt Diese Kirche, welche
Panlinns die AmbroGoana nennt , ist nach alter florentini-
scher Ueberlieferung dieselbe, welche den Titel S. Laurentii
führt: womit es stimmt, dass die erste Erbauerin eine beson-
dere Andacht zu dem Heiligen hatte, dessen Fürbitte die
Mtem die Geburt des Sohnes zu verdanken glanbten, dem sie
anch seinen Namen gaben. — Nnn ist nicht lange vor 1727
in der Krypte von S. Lorenzo folgendes Bmclistück einer Grab-
schrift gefunden, welches alsbald in die vSammlimg des Filippo
Buonarroti übergegangen, dann aber verschollen ist, so dass
auch eine Nachforschong über den Verbleib, welche anf meine
Anfinge Herr Anziani, zweiter Bibliothekar der Lanrenziana,
anzustellen so gütig gewesen ist, zu keinem andern Ergebnis
geführt hat (laut Schreibens vom 24. April 1876).
12,Gori, Inscript Etrur., T. I, 1727, p. 220, 22. Foggini, Deprimia
Florent. apost. (p. 4) in s. De Ron». S. Petri itin., p. 292. Hicha,
Notiz, istor. delie ch. Florent., T. V. 1 , p. 7 (ungenau). Mauni»
AlifcicbiaBiilUt lajiida cxisi. fiienze 1763» p. 10.
Atoi
fllC KEQVl
ISCIT iN pacü;
aadLUL J>KL IT
Ittna QTB YIXIT
... BT
1) Ambro 8., Exhort virginit.; Upp., T.II« p.877ff. — >) a. ÖO.
Digitizeo by LiOü^ie
ZUR GESCmCHTB DE» KIRCHENVÄTER. 225
Die üebereinstimmiuig des Orte und Ntmflns Ifiast acbfies-
aeiit daas dies eben jene Jnliana, die Erbauerin der alten
Kirche, ist. I)a.s I'radidit uikilla dei, wiewohl ui'sprünglich
ein all^aMnoiner clnistliclier Ehrenname, darf in dem spoci-
tiächcn Sinne genommen werden von denen, die als Jungfrauen
oder Witwen sich Gott geloben, entsprechend der Sitte der
Zeit und der Gesinnung der Juliana, von weleher Ambroäus
Offeutlieh Zeugnis giebt. — So legt dieser Stein auch von
dem Aufenthalt des Ambrosius in Florenz Zeugnis ab, und
ist ein Wahrzeichen der Urgeschichte des Christentums da-
selbst
Hier tritt aber ein Bedenken ein, infolge der um wenige
Jahre späteren Erscheinung einer Juliana in Bologna, welche
nach dortiger Ueberlieferung zur Zeit des Bischofs Petronius
Kirchen baute und als Heilige verehrt wird, nach dem römi-
schen Martyrologium am 7. Februar. Denn man hat diese liin
und wieder mit der Juliana des Ambrosius identificirt, unter
der Annahme, dass sie von Florenz nach Bologna gesogen
sei Hienach, da sie zu Bologna ihr Grab hat, in S. Stefanos
würde der Grabstein zu Florenz nicht mehr auf sie bezogen
werden können. — Es hat indes an kräftigem Widerspruch
nicht g^ehlt In der Tat ist die Gleichheit des Namen,
kein Bewds der Identitftt (auch wenn die Zeiten stimmten), —
mr selbigen Zeit war auch zu Bom eine Juliana: und der
Grabstein zu Florenz zeigt doch immer eine andere Juliana
an. Die übereinstimmende Handlung aber, der Kirchenbau,
ht vielmehr ein Beweis des Gegenteils; denn die Juliana zu
Florenz war keineswegs wohlhabend. Daher auch Tiopei Bene-
1) Das ist die Meinung der Bullandarten , Renschen, Acta SS.
Febr., T. II, p. 51, § III. Auch Tillemont halt es ffir glanhliob,
Mem., Ambroise art. 73, § IX. T. X, p. 249.
8) Auaftthrlicfa» mit patriotinchem Bifer, ist die Verleagnnng der
Juliana von Ilorenz bekämpft von Vineenzto Borgbini IMscorsi,
P. II (Piorenza 1585), p. 373 ff. Auch Baronius spricht sich fiir die
Verschiedenheit aus (ut videtur), Martyrolog. Roman, zum 7. Febr. Ent-
schiedener Benedict XIV. in einem eignen Kapitel des Lebens der Ju-
liana von Bologna, De festis Bononons. celebr. (als Uk III de festis
Jesu etc.), c. 5, § 6-11 (Bassano 17GG), p. 8i5£
16*
226
PIPER,
dict XIV. (a. a. 0.), obwohl er, als ehemaliger Erzbiscbof von
Bologna, den dort einheimischen Heiligen ein besonderes In->
teresse widmete, es fui leichtslDiiig erldftrt, m behaupten, die
.hiliana von Bologna sei diet^lbo, vou welcher Ambrosius
spricht.
Alsdann kann man auch dem Grabstein die nahe liegende
Bedentnng nicht nehmen.
An den Aufenthalt des Ambrosius in Florenz erinnert
auch eine daselbst befindliclie Marmorsäule, worauf ein Kreuz,
welche augeblich von ihm nebst Bischof Zenobius gowoilit,
aber im Jahre laaa erneuert worden ist, laut folgender In-
schrift bei Qoriy ilorent antiq. numm., Vol. II, p. 29, not 2:
SANCTVS AMBROSIVS CTM SANCTO ZENOBIO PROFTER ORANDR
HISTERIYM HANC CRTCRM HIO IX)CAVgRVKT ET IN MCCCXXXni
NOTITER DIE YIDo AYQTSTI RECONSECRATA EST etc.
liier schliesst sich das epigraphische Gedächtnis der
Marcel Ii na, Schwester des Ambrosius, an, welche nicht
bloss durch die Beziehung auf ihren Bruder in der Kirclien-
geschichte einen Namen, sondern auch im römischen Mar-
tyrologium (17. Joli) Au&ahme gefanden hat. Wir haben
erstens die bekannte Rede des Papstes Liberins, wodurch sie
am Weihnachtsfi'st zur Jungfrau Gottes eingeweiht wurde:
als solche lebte sie mit andern Jungfrauen nicht in einem
Kloster, sondern in dem Yäterlichen Uause zu Bom Sie
stand aber in beständigem Austausch mit dem Ambrosius,
von welchem drei Briefe an sie erhalten sind (ep. XX. XXII.
XLII, ed. Beiied.); man ersieht daraus das tict'irchende In-
teresse, welches sie au den kirclilichen Angelegenheiten nahm
und das der Bruder vollkommen würdigte. Besondeis hatte
in der grossen Frage des Jahrhunderts, dem Kampf mit dem
Arumismos, wie sie eben in Mailand brennend geworden war,
der kaiserliche Versuch, dem Ambrosius die Heniusgal)e einer
Kirche «m die Arianer abzunötigen, selbst in Träumen sie
erregt und zu häufigen Aufragen über den Stand der Sache
de veranhttst: worauf er eingehend antwortet (ep. XX). In
1) Desaoi Ambrosius gedenkt, £p. V ad Syagr. §21, Opp., T.IX^
p. 771.
ZÜR OESCHICBTE DER KIBGtlGNVlTER.
227
dem zweiten Bi ii tV. worin er von der Auftindung der Gebeine
des Gervasius und Protasius Nachricht giebt, was nicht min-
der fftr eine Hauptangelegenheit galt, erklärt er: „er
pflege nichts zn fibei^ehen, was in ihrer Abwesenheit ge-
schehe". In einer Pisciplinarsache , in der er auf sie sich
beruft, preiset er ihre Einsi<*,ht und üir Verhalten; in dem
Buch über die Jungfrauen stellt er sie als Muster hin und
rühmt besonders ihre asketischen Tagenden, voran ihr Fasten
▼on ungewöhnlicher Daner Sie (Iberlebte den Ambrosius,
was zwar nicht aus der Acusserunf,^ seines Biographen, dass
er ül)er dessen Leben sie befragt habe ^) (das Ixoinite auch
\m Lebzeiten des Ambrosius geschehen sein), aber aus ihrer
Grabschnft hervorgeht, deren Anfang hier folgt.
18. Baron. Ann. ad a. 383 ans einer Handschrift der Beterskircbe; ed.
Mansi, T. V, p. 567. Grnt p. 1065, 6 nnd Pnrieelli, Ambtee.
basil. monmn. p, 174, ans der Handscluifk des AIciatns. Fleetw.
p. 442, 1. Onper, Acta SS. JnL, T. lY, p. 283.
MARCELUNA TVOS CVM VITA RRSOLVERET ABTVS
SPREVISTI PATRIIS COBPVS SOCIARB SEPVLCRIS
CVM PIA FBATERNI SPBRAS CONSORTIA SOMNI
8ANGT0RVMQVB CVPIS CARA REQVIBSGERE TRRRA
etc.
Der erste Teil der Orabschrift deutet hin auf ihren rö-
mischen Wohnsitz, dessen Entferiiun£^ von Maihmd (das ist
die longinqua domus v. 5) der schwesterlichen Liei)e nichts
entzogen habe, welche auch im Tode sich bewährte. Denn
sie verschmähte die väterliche Grabstätte in Rom nnd vroUte
vielmehr mit dem Bnider vereint, in der aola firatema be-
stattet sein, nämlidi der ambrosianischen Basiliea in Mailand
(wo nach Pauliii., Vit. Ambros. c. 48, Ainbrosius ruhte),
liom aber trauerte damber, dass es an heiligen Gräbern nun
den dritten Verlust (das ist nach Satyrus uTid Ambrosius) er-
leide: daraus folgt, dass sie als die letaste der drei Gescbwister
gestorben ist Der andere* Teil der Inschrift bezieht sich auf
das Grab im Gotteshause und das ewige Haus im Iliumiel,
welches ihr als Lohn des keuschen Wandels zuteil geworden.
1) Id. De virg. III, 4. § Ifj. T. II, p. 178.
2) Paul in., Vit. Aiiibruti., c. 1, Die Folgerung macht Baron.,
Mart>'rolog. Korn, zum 17. Juli.
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228
Augustinus.
Für Augustinus kommt epigraphiscUe Aufklärung von
TeKBchiedenen Seiten. Zavörderst eine topographische Be-
stLmmnog fftr seine Vatonrtiadt Thagaete. Sie ist als das
jetzige Seak-Arras erkannt (worüber man firfiber nur Ver-
mutung hatte) durch eine dortige Inschnft, derzufolge d»T
ordo splendid iss im US (Decuiionum) Thagastensium dem M. Amul-
lios Optatus Glementianas eine Statue errichtet hat Durch
die Lage von Thagaate ist die von Madanra festgestellt, wo
Auguslanus den ersten ünterricbt in der Literatur und Rede-
kunst emptaugen: es liegt in der Nähe und ist das jetzige
Mdaourous
Durch das Leben des Augustinus bis zur Epoche seiner
Bekehrung zieht sich die Einwirkung seiner Mutter, der das
neunte Buch seiner Confessionen zum grossen Teil gewidmet
ist. Der Name der Monica wird mit Pietät genannt wer-
den, so lange das Gedächtnis des Augustinus se]l)5il hosteht,
das heisst, so lange es in der Kirche ein geschichtliches Be-
wuBstsein giebi Es ist daher erfreulich, wie wir die letzten
Tage derselben kennen und den Ort ihres Abscheidens, —
sie starb bekamitUch zu Os^ im Jahre 387, als sie nach
Afrika zuiückkeliren wollte — und das Gedächtnis, welches
Augustinus ihr widmete; daää nun auch die Grabschrift fum
licht gekommen ist.
U. Riese, Anth. Lst (Lipe. 1870), Fase. II, p. 127, 670, ans zwei
Flarifler Handscbriften und dem eod. Voseian.
In UmuHo Mameae,
mC POSVIT GINKRES aENETIUX CASTISSIMA PROLIS
AYQTSTINB TVI ALTERA LTX KERITl
QVl SE&VANS PACIS CAfiLfiSTLA IVRA SACEKUOS
COMMISSOS I'OrVI.OS MORIRVS INSTITVIS
GLOKIA VOS MAinii (JESTOIIVM LAV1»K ('ORONAT
VIBTVTVM MATER FKUUIÜK ÜVBÜUS
WO zu Anfiulg Augustinus, am Sdiluss beide angeredet
werden, die Mutter und der Sohn (subolis). Die Verse haben
1) Zuerst publicirt von Rerbrupgcr, dann Tlcnior, Inscr.
d'Alger., n. 2002. Siehe bi^omlrrs Ilenicr, Quchiuos inscr. des villes
de Thagaüte et de Madanre, in der Rev. archeol. 18ü7, p. liJ4f.
8. Benitir iu der augef. Kevuc p. 131. 136 L
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ZUR GESCHICHTE DER KIRCHENVATEB. 229
die Deberschrift des Bassas: Venus inlustrissiiiie memorie
fiassi exoonsiiL etc. Das war also Anicins Bassiis, Consiil im
Jahre 408. Wenn er exconsnl genannt wird, so muss die
Insclirift später, also eine Zeit lang nach dem Tode der
Mouica, gesetzt dein, — wie auch die Anrede au Augustinus
beweiset, der im Jahre 387 weder sacerdos war, noch eine
ihm anvertraate Bevölkemng unterwies; aber bei Lebzeiten
des Äugustinos, vuh dem es heisst institnis. Sie ist ein Be-
weis, wie hoch mit seinem Ansehu das. Audeukeu der Mutter
bchüü damals gehalten wurde.
Im Jahre 143(> wurden ihre Gebeine von Ostia uach
Bom übertragen auf Veranstaltung Martins V. und auf Kosten
des Maphens Veghius, — ein Act, der im römischen Mar-
tyrologium am 9. April gefeiert wird >). — Sie wurden bei-
gesetzt in einer Kapelle von S. Agostino, welche dei*selbe zu
ihren Hlu'eu errichtet und sich selbst zur Grabstätte ersehen
hatte (t wahrscheinlich 1457), in einem Saroophag mit fol-
gender Inschrift, bei Papebroch, Act SS. Miyi, T. I,
p. 491; fehlerhaft bei Andr. Schottns, BibL patr. max.,
T. XXVI, p. 632 G.
Hic Aupustini suiicLam veiicrare p;ireuU'ra,
Votaqiic tcr tiUDulo, quo jacet illa. sacro.
Quae quundum gnat<j, toti umu- Muuica maiido
Succarrit piccibus, praestat opciuqae siüfi
a) l' * j> 0 b r o r h : sihi.
Man erkeunt den Unterschied der Zeiten der ersten Bestattung
und dieser Versetasung.
Von Augustinus selbst haben wir eine Inschrift, welche
durch seinen Biographen überliefert worden ist Poesidius
bemerkt, da^s er stets Gasttreundschaft bewiesen habe; und
bei Tische selbst mehr Lesung und Gespräch als l]sseu uud
Trinken liebte. Das Gespr&ch aber hatte er verwahrt gegen
eine „Pestilenz*) menscblicher Gewohnheit'* durch folgende
1) Von dieser VersotzuDg s. Baron., Martyrolog. Ivom. zum 9. April,
r.ip'^broch a. a. 0. Fiil<ric. , Bibl. med. et inf. latiii. ed. Manai,
T. V, p. 15. Platnnr, Ii ...hrcib. der St. Koni HI, 3. S. 315.
2) Mit demselbea Aiuidruck , der öfter sich bei ihm findet, spricht
AuguHtinus eine verwandte Kiige aus, im Gegensatz g'gen den con-
GÜiatoriMhen ärnn seiner Matter, über eine weit verbreitete bonenda
üigiiiz
230
PIPER,
Inschrift auf dem Tische, welche oft wiederholt, auch iu lu-
schriften-Samiulungeii übergegaageu ist.
15.Po8Bict. Vii AuguBtin., Opp., T.X, App. p. 188C. Jac a Vorag.
c 134» Tita Angnstiiii p. 656. (Pitboens), £pigr. IIb. J. Paris.
1690, p. S8; Lugd. 1596, p. 23. Sirmond zu Jheodolfi Gami.,
Opp. Theodnlfi 1646, p. 287; und Opp. Siimondi, T. U, p. 1061
not. Bnrmänn, Anth. lat, Lib. III» 144, T. L p.694. Marin i
bei Hai, p. 75, 1. Ifejer, Anth. ht, n. 275. Zell, Ddect,
n. 1969. Riese, Anth. lai, n. 769.
QYISQVIS AMAT DlCnS ABSENTYH RÖDERS TITAM
HANG HENSÄH INDIONAH •) NOVERIT ESSE SIBC b).
•) Fithoens: v*UUm. t>) Kiese: md,
Marini hat sie in dem BÜapitel: arae etc. Nun heh»t
zwar der Altar auch mensa; aber nicht jede mensa ist ein
Altar, uud dieser Tisch gewiss uicht, au welchem niuu
speiste.
Von der Inschrift desselben machte Augustinus bei Ge-
legenheit auch nachdrücklich Gebrauch. Er warnte jeden
Gast vor schftdlichem Gerede und Verleumdung. Und als
einstmals einige ihm nahe befreundete Bischöfe den Sjuiu li
ver«^'iusseu und da^^eofen sprachen (d. h. nicht den Spru(;li he-
liämpften, sondern i(e<^^eu ihu \ erstiesseu) , wurden sie von
Augustinus scharf gerügt und bekamen die erregt gesproche-
nen Worte zu hören: „entweder mfissten die Verse von dem
Tisch vertilgt, werden, oder er müsse mitten aus der Erholung
in sein Zimmer gehen". Das heiast doch liespect vor einer
Inschrift haben und fordern!
Endlich bieten sich einige Inschriften von Personen aus
dem Kreise des Augustinus dar. Liceniius, auch aus
Thagaste, Sohn seines väterlichen Freundes Bomanianus, war
dem Augustinus innig verbunden, so dass dieser nach seiner
Liebe zu ihm Vater- und Mutten*echt beanriprurlicn lü»nnte,
wie Paulinus von Nola schreibt. Drei Abschnitte in beider
Leben geben näheren Einblick in dies Verhältnis. Augusti-
pestilentia pcccatoruiii , non solum iratonim iniinicoruiu iratis inimicis
dicta proderc, sod ttiaui <juae non dicta siiit, atldcro. ('ontcss. IX, '.»,
§ 21. Vgl. ebenda». IV, 10, t; 15: dosideiiis pcstiL ntiosis. V, 11, §20:
ex hoc initio pestileutioso. VI, 7, § 12: ab illa \H^6tc, von der Lust an
den CircQsspielcn.
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ZUR OESCmCHTfi DER iCIItCHENYATES. ^331
QU8, aoch vor seiner Bekehmng, hatte den Licentius von klein
auf „mit der ereten Milch der weltlichen Weisheit genährt^* %
Erwachsen nahm dieser Teil an den philosophischen Gesprä-
chen, welche unter Leitung des Augustinus im Jahre 386,
kurz vor dessen Taufe auf dem Landsitz Cassiciacuni bei Mai-
land gehalten wurden, und zeigte darin Gewandtli«'it des
Denkens, nicht ohne Tiefblick in der Lösang philosophischer
Probleme. Licentias erinnerte sich später mit Sehnsucht an
diese Zeit nnd mit dem Verlangen, wiedenmi den Fnsstapfen des
Meisters zu folgen, in einigen Versen, welche saninit dem
gatr/en Gedicht Augustinus selbst ihm vorhält Das war
der dritte Abschnitt kurz vor und zu der Zeit, in den Jahren
395 nnd 396, als Augustinns sein bischöfliches Amt antrat
und um die Nachfolge in solchem Dienst werben mochte,
aber heisse Sorge um diesen seinen einstigen Zögling kund
giebt. Es ist derselbe Sinn imd derselbe Eifer, der in iler
eignen Bekehrung des Augustinus erscheint und (hm er in
der Schilderung derselben ausspricht: ja dieser Abschnitt sei-
ner Gonfesdones, welche auch kurz nach der Zeit verfasst
sind , enthält gi-adezn den Schlüssel zu solcher Action
Drei Briefe sprechen davon*): einer von Augustinus an Licen-
tius; ein anderer von ihm au Paulinus, durcli den Vater des
Licentius überbracht, worin er ihn zum Teilnehmer der Borge
macht; endlich ein Brief des Paulinns an Licentius, in Prosa
und in Versen, worin er im eignen und im Namen des Augn-
^) Paulin., £p. ad Lioent (inter ep. Aagnatto. 8. sogleich), c. 4,
p. 45.
^) August in., Ep. ad Liccnt, c 4, p. 31. We^'on dieses G<v
dichttf hat Fabricius ihn aur<::onomnien in seine IHbliDtlicca med. et
inf. latinitatiä; in der patristischen Literatur bei Cave, Schoene-
mann, Biihr ist er nbor^anj^n.
*) Was von dem Liccntiiw j^efonlert wird , ist wörtlicli duss. lbc,
was An^'nHtlnus als die Fracht st.>incr Bckehnmg bezeichnet , Oont*.
VXll, 12, § 80: convertisti me ad tc, ut nec aioiem quacrorcm nec
aliquem spem higns saecnli, — wofOr der podtive Ausdruck scrrire
deo ist
1) M. Ep. XXVI ad Licent. Ep. XXVII ad Paulin., Opp.. T. U,
p. 29. 32. Paulini, Ep. ad Licent. ebenda«. Ep. XXXII, p. 45. —
lX}r letztere als Kp VIII in Paulini Opp. cd. Murat. p. 37, wo auch
p. 16 jene £p. Augustini ad Paulinum abgedruckt ist.
232
PIPER,
dUnos YorhaltuDgen und Ermahnungen giebt. Beide ermah-
nen den Licentins, das Joch Christi auf sich m nehmen
(Matth. Ii, 29); aher das Joch der Welt, achreibt Aogostiniis,
sei ihm wohl lieber. Da hält er ihm das Beispiel des Pan-
linus entgegen, der allen Pomp der Welt — er hatte sena-
torischen Rang und war zur höchsten Würde aufgestiegen —
demut^ und hochherzig bei Seite gesetzt habe, um Christo
zu dienen. Paulinus aber weiset ihn auf das Beiq>iel des
Augustinus, dem folgend er nicht in ertrftnmten Phantasie-
bildern, sondern in Wahrheit Consul und Pontifcx sein werde,
nach der Wirkung, welche Christus hervorbringt. Kr macht
in Versen ihm den Vorhalt: jetzt gefielen ihm die falschen
Qöter; aber noch kdnne er das Joch Christi ergreifen, da kein
Band ihn znrflckhalte, keine eheliche Soige noch hohe Ehren-
stelle ihn fessele (v. 17. 31). Und fasst seine hierauf gerichteten
Gedaukeu, als einen Abfall, mit dem Gedanken der Wieder-
herstellung also zusammen (v. 91):
To thalamoB licet et celaoB mediteris honores
nunc, olim Domino restitneie tao.
Also Licentins, auf die weltliche Laufbalm bedacht, trachtete
nach hohen Ehren und nach Vermählung; Augustinus und
Paulinus wollten ihn davon zurückbringen, ihn zu dem Herrn
rufen, nämlich auf den Weg des geistlichen Lebens und des
kirchlichen Amtes leiten. — Zu dieser Zeit, in solcher Lage
verseil windet Liceutius aus der Geschichte. Nun kuiumt aber
Aufschluss über den Fortgang und das Ende durch folgende
Inschrift eines Sarcophags, der zu Rom in dem Gottetiacker
von S. Lorenzo im Jahre 1863 gefunden ist.
16* de BosBi, Bullet di archeoL crisi 1863, p. 7, mit Ficsfanlle
Le Blant in der Bev. aroh^. 1863, I, p. 486.
DKrosiTVS LICKNT1V8- VC- Vlll IDVS NOHEN B •
AKCADIÜ- AVU. ET ANICIO l'KOBO- VC-
• GONSVLIBVS (Falmzweir.)
Da erscheint ein Licentins, nur mit dem Cognomen be-
nannt, der am 6. November 406 (Arcadio Aug. [VIJ et Ani-
cio Probe consolibus) bestattet ist. Da Ort nnd Zeit stim-
men und der Name in Rom nicht häufig ist, so ist es
wahrscheinlich (wie de Eossi gesehen hat), dass dies eben
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ZUR GESCHICEn^E DES KIRCHENVXTBR« 233
jener Lioentins, der F^!eimd des Angiigtiniis ist, den wir im
Jahre 396 m Rom auf dem Wege zn einem hohem Staats-
aiul Liutreiren. Die Grabsclirift l)eweiset, durcli das Pradicat
V|ir| C[larissimui»|, dass vr es bis zu senaWrisclicm Range
gebracht hat, also gegen die Abniahnuiigen des Augustinus
und Paulinus in der weltlichen Laufbahn beharrt, und dass
er früh gestorben ist Der Fundort aber des Sarcophags an
der gefeierten Grabstätte in agro Verano beweiset, daas er als
Christ seinen Lauf vollendet hat.
Ein aijderes Grabmal zu Nola für einen Cynegius
hängt zusammen mit der Veranlassung zu der Schrift des
Augustinus: De cura pro mortnis gerenda.; Aber die In-
schrift geht naher den Paulinus an; daher de bis weiterhin
(Nr. 20) für diesen auf])ehaltpn wird.
Im römischen Nordafrika selbst aher. /ai Setif in Maure-
tanien, ist im Jahre 1853 der Grabstein des Novatus,
Bischof von Sitüis gefunden, der mit dem Augustinns be-
freundet war, mit ihm an dem Religionsgesprftch zu Carthago
im Jahre 411 und der dorii^n n Synode von 419 teilgenom-
men und noch unläiH^si vor dessen Tode hrioflichen und per-
sönlichen Umgang mit ihm gepflogen bat, wie aus eineui
Briefe des Augustinus an den Comes Darius hervorgeht. Die
Grabsdirift giebt 'das Todesjahr des Novatus (das man bis
dahin nicht kannte), a • p[rovineiae] CCCGI, das ist nach der
Aera von Mauretanien i U) n. Chr., so dass er den Augustinus
um zehn Jahre überlebt liat.
Noch ist die Grabschrift eines Mannes überliefert, der
in seiner Jugend von Augustinns mit väterlicher Zuneigung
leitet war, aber sp&ter in dem pelagianisohen Streit sein
bedculciKlstcr Gegner wurde: Juliaiius, Hischof von Eclanum,
der unter Valentinian III. gestorben ist. Sie hat augeblich
in einem Flecken Siciliens gestanden.
n.Vignier, Aits^tmi opp. Supplementom, T. II (Paris 1664), Pme-
tat extr. Garn 1er zn Haiii Bfercat Opp., P. I, 1678, Diss. I,
1) Benier, Inscr. d*Algdr. 3480. Förand, Hist. de vmee de
la proT. de Conataiithie, in Ree. do la Soe. aroh^L de Constantme,
YoL XV, 1872, p. 46.
234 PIPER«
*
c. i,, \>. ir»l. Cave, Scr. occl. bist, lit., p. im-, od. Oxon.. T. 1,
\K 4<M). Die Beiied ict iner in Angnistiiii opp. Antv. 17(M). i'rae-
fut. zum op. iiiii»crf. c. Julian., T. X, 1'. 2, p. 75H. Funtaiiini,
Di sjuitu Columba, p. 23. — Französisch Ix'i T i 1 1 1 in o n t , Mcui.
T. Xlll, p. ö20i deutBcli bei Wale Ii, Hiüt der Ketzereku, lld. JV,
S. 704.
HEIC IN I'ACK QVIESCET IVLIAN\S
KPISCOPVS CATIJOLICVS.
Die Cirabsclirift soll vou den Pelagianern ilim j^esotzt
sein, hol denen er zuletzt als Sclmlmeister gelebt. Diese
Nachhclit nebst Inschrift kommt aber erst dnreb Vignier bei
Oelegenheit der ersten Au^be des opus imperfectam contra
Julianuni (lG5d) zum Vorsdioin. Er bemerkt dazu: einige
Semipela«,naner hatten daraus Anlass genommen, dan Andenken
des Julian herzustellen; indes hätten die kundigen Bischöfe
dieses Jahrhunderts (welches?) gezeigt, dass das Pr&dicat
catholicns auch von den Pelagianem gebraucht sei, und wie-
sen die Erdichtung von Julians Katholiciiat zurück. — Die
spätem Schritlsteller haben einzig aus Vignier gescho])ft mit
oder ohne Nennung. Garnier, der erste nach ihm, bemerkt,
dass er keinen andern Zeugen habe; Tillemont und Walch
nennen ihn nicht, letzterer spricht der Nachricht alle Be-
glaubigung ab. Auch Schoenemann, ohne die Inschrift be-
sonders namliat't zu machen, setzt die Angahe des Vignier
von den letzten Schicksalen des Juliauus mit einiger Ironie
bei Seite *). — Allerdings ist mehreres darin bedenklich, zu-
mal nicht erhellt, woher Vignier dieselbe hat Bleibt man
bei der Inschrift stehen, so ist heic keine Form, die in
dieser Zeit in Gebrauch gewesen, wahrend das hic in Grab-
schriften aller Orte ei-scheint, wie in den Wiederholungen der
Inschrift von Damasus; Hic cougesta jacet etc. . . Hic comites
Xysti etc. (?gL oben zu Nr. 9). Auch episcopus catholicus
würde man nicht sagen, sondern episcopus sanctae oder ca-
tholicae ecclesiae, — wie grade von Eclanum, dem bischöf-
lichen Sitz des Julian, die Grabschrift überliefert ist eines
1) Sc ho (II cm an 11, Dibl. hist. Vder. patr. latin., T. II, p. 574
not.: duFKc luiitcs, undc tarn rara ipsi iiutit.iii protlnxerit, ituutcscaut ;
soluiü cum liac do re doctiorem case lacili animo tcramas.
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ZUB OEflCniGHTB DER KUICHENVATER. 235
lector sanctae ecdesiae Aedanemns vom Jahre 494^); oder
wie es in einer Giabschrifb aus Rom vom Jahre 462 (von
dem comes Ilorilu) lieisst: depositus in pace fidei catholicae
Das ist aber richtif^'. dass, während die Gegner, namentlich
Augustinus, seit dem Concii yoq Carthago im Jahre 418 die
Pehigianer für Ketzer ansahen, wie denn auch der Lehr-
b^riff des katholiaefaen Teils als in der Ifitfce zwischen Ma-
nichäismus und Pelagianismus hingestellt wurde, die Pelagia-
uer, die auch niemals eine getrennte Kirchenpartei gebildet
haben, katholisch zu sein nicht aufhören wollten. Jiiliauus
selbst erklärt gegen Augustinus: die Verständigen (aof seiner
Seite) würden durch gehässige Ketssemamen sich nicht ein-
schüchtern lassen, sondern der Meinung sein, dass man diese
vielmehr uut sich nehmen müsse, (luiiiu tidcni catholicani re-
linquendam Daher auch die Pelagianer für ihre IJiscböfe
das Prädicat catholicus unbedenklich geltend machen konnten.
HIeronymiu.
Von Hieronymus verfavsst haben wir ein Epitaphium
in der Gediichtnisschrift auf die Paula, jene edle römische
Frau, welche, Ton hoher Abkunft, Heimat und i«'amilie ver-
liess, um an der Geburtsstäfete des Erlösers in Betrachtung
und frommen Werken ihr Leben snznbringen. Dahin zielen
auch die letzten Worte, die sie sterbend wiederholte, aus
Ps. 25, 8: Domine diiexi decorem domus tuae et locum habi-
tationis gloriae tuae. Sie starb am 26. Januar 404. Ihr
«Name steht von Beda her in den Martyrologien, aber am
folgenden Tage; Baronius im römischen Martyrologium hat
ihn an dem wirklichen Todestage. Die Grabsclirift lautet:
18. Hicronyin., E]». OVIII ad Euntoch., Opj.., T. l. ji. 718 od. VaUare.
nnd ia Acta bb. d. JülVI. Janaar., T. Ii, p. 722.
Titulus sejndcri.
SCIPTO QVAM GKNVIT PAVLI FVHKRK PAKKNTKS
r5KA( ( (»UVM SOimi.KS Ar.AMKMNoMS IXCLYTA IMioLES
HOC lACKT IN TV.MVI.o l'AVLAM lUXKKK I'KIOUKS
KVSTOCIIll (iKMTKIX ICOMA.VI l'KIMA SKNATVS
rANTEUlEM CliiÜbii Kl ULTÜLEiHTA KVKA SE(iVVTA KSl.
1) MommBen, L R. N. 1399.
t) de BoBfli, L «rlns Rom. ehr. I, 807.
3) Jaliao. bei Angnstiti. Dp. imiicrf. Lib.I» c. 75. T.X, |k.G89E.
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236
riPEB,
In fronte speinmuiv.
ASriCIS .\N(JVSTVM ncAKCISA IN KVI'K SKl'VLCKVM
HO.SriTIYM I'AVLAK KST CÄKLKSTIA RK(JNA TKNKXTIS
FKATREM COGNATOS KUMAM i'ATKIAMQVK KELINQVKNS
etc.
DOKMIVIT SANCTA KT BEATA PAVLA VII. KAL. FKBUVAIUA.S . . .
SEPVLTA EST QVINTO KAL. EARYHDEM etc.
Der Stammbaum wird weit hergeholt; im übrigeu ist
es ein wertvolles Zeugnis im Gedanken und Ausdruck, auch
das hospitiom wohl sn bemerken. Von besonderem Interesse
ist die Verwendung einiger Verse f&r andere Felsengräber, —
wie solches Öfter bei antiken nnd christlichen Epitaphien ge-
schehen ist (s. auch unten Nr. 25: die Grabschrift Gregors
des Grossen). Hier aber so, dass, während der erste Vers un-
verändert blieb, in den zweiten gegen das Metram statt des
ursprfluglichen der fremde Name eingeschoben ist. Nämlich
in der Grabschrift aof einen Abt Honorins za BVejenal im
südwestlichen Spanien
R«'spici^ ungUHtuni jircci-sa rupo srjMilcnira
Hospitiuiii beatüaimi II(/norii abbaiis celestia re^iia toiientiR.
Und auf einen Diaconos Romains zu Atripalda in Italien *)i
Kespicis angastom pnMwifla rape sepnlchnim?
Hospitiiiin BommU LevUae ett eaetartia i^a tenenÜB.
Paolliias Yon Nohu
Bekannt ist die poetische Arbeit, welche Panlinns an
die Ausstattung einicfer Kircheu mit Inschriften gewendet hat.
Ans diesen möge eine iim persönlich betreffende iicrvorgehoben
werden. Sein Freand Sulpicius Se?eras, Presbyter in
Primuliacam in Aquitanien, hatte in dem von ihm errichteten
Bapiisteriiim an der einen Wand das Bildnis seines Lehrers
Martinas von Tours, an der andern das des Paulinus malen
lassen und verlangte von letzterem Verse für diese Gemälde.
Dem entsprach derselbe durch folgendes Gedicht.
1) Salazar, Martyrol. Hiap., T. III, p. 362. Hübner, loser.
HiapaiK < hrifjt., p. 17, 49.
') Atta SS. Februar., T. JI, \k — Kntl.'hnun^' ans Hio-
ronyiuns Ini ilieser uiul »ler vorigen (irabKciiril't ist uacltgcwUäen von
L« Blant im Journal des Savauts lö73, p. 356.
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SSUR GBSCRICHTB DBR KIBCHENVÄTER. 237
19.Faalin., £p. ad Scver. XXXII, c. 3, p. 195 etl. Murat Dentsch
TOD AngQBti, Beiträge zar Knos^geflebichte I, S. 157.
• ABLTITIS QYICTNQVB ANIMAS ET MKHBBA LATACHIS
CERNITE PROPOSITAS AD BONA FACTA YIAS
ADSTAT PKUKECTAE MARTINVS RKGVLA VITAK
PAVLINVS VEMAM (iVo MKUEARK IKK'ET
HVXC rECCATOKES fU.VM Si'KCTATE ÜKATI
KXEMFLAK i^ANClit> ILLE SIT ISTK liKlÖ.
Br stellt ihm statt dessen noch ein anderes zur Ver-
fSgung, iiaclidem er zuvor gerüi^ hat, dass er dem Bilde des
Martinas, der durch die vollkommene Nachahmung Christi
das Bild des himmlischen Menschen an sich trug, — sein
Bild gegenflbeigestellt habe, „da wir uns weder an ünachald
mit dem Kinde, noch an Weisheit mit dem Manne ▼erglei-
cheii küuuen". Er unterstellt die Absicht, dass der Glanz
dos Martinus durch die Vergleichung mit der Finsternis (des
Paulinus) desto leuchtender hervortrete, will demnach durch
die Verse ausdrücken: der Zweck der Anfetellnng entgegen-
gesetzter Bilder sei, dass die ans der Tanfijiielle Hervorgehen-
den zugleich das erblicken, was sie vermeiden, als was sie
nachalmieii sollen. Er macht darüber meliv Worte als wiin-
scheuBwert ist; wenn auch die Aufrichtigkeit seiner Demut
nicht in Zweifel gezogen werden soll, so ist doch jene Unter-
steUnng einem Fremide gegenüber, noch daza mit so grell
aufgetragenen Eorben des Gegensatzes der Bilder, kanm fifir
ernsthaft zu nehmen.
Andernteils sendet Paulinus seinem Freunde die In-
schriften, die er für die Kirchen des Felix in Nola entworfen
hatte. Darunter eine Inschrift von besonderem Interesse,
welche weiterhin (Nr. 29) vorkommen wird.
Audi einem Grabmal hat er seine Sorge zugewendet,
wovon die Inschrift teilweise erhalten ist, und die Umstände
sind merkwürdig genug. Es betrifft den Cynegius, Sohn
einer Witwe Namens Flora, die offenbar im römischen Nord-
aMka, nicht fem von dem Sitz des Angostinns (Hipporegios)
lebte and von ihm wert gehalten war. Denn er bezeichnet
sie als filia nostra religiusissima; und ihre Leute, welche, von
Nola zurückkehrend. Trüger von Briefen an sie waren, brach-
ten dem Augustinus einen Brief mit Ihr Sohn nämlich war
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238
PIPER,
in der Gegend von Nola (in eis partibus) gestorben; wo i auf
sie von dem dortigen Bischof Paulinos verlangt hatte, dass
er in einer Märtyrerkapelle bestattet werde. Dieser ant^
wortete, sie tr(tetend: ihrem mQtterliehen und frommen Ver-
langen sei Genüge gesclichtui durch seine Ik'stattung in der
Biisilica (l(^s Felix. Zugleicli sandte er au Augustinus jenen
Brief mit der Frage: „ob es jemandem nach seinem Todo
nütze, dasa er in der Kapelle eines Heiligen beigesetzt werde
wobei er selbst für die Bejahnng sich ausspricht, aber mit
dem Bedenken aus 2 Kor. 10, dass doch jeglicher em-
pfangt nach dem er goliiindelt liat bei Leibes Leben, wenn
wir vor dem Richterstulil Christi offenbar werden. Die Ant-
wort auf diese Frage ist die Schrift des Augustinns: De cuiu
pro mortnis gerenda, welche an diese Yorgftnge nebst der
Fragestellung anknüpft % — Zur Bestätigung dient die schon
(S. 2:^:5) erwähnte Grabschrift des Cynegius, die an eben jener
Stelle gefunden ist und ihrerseits durch diese Angaben er-
läutert wird; der Stein ist nicht mehr vorhanden. Mit den
Ergänzungen Remondinis lautet sie also:
20. R( iiiondini, Deila NolanA eodes. storia, T. 1, 1747, p. 012.
Murini, Tapiri dipl., p. 244. llommsen, L B. N., p. lOtt,
2070.
ITAM FLüUENTE CYNECilLS AEVO
S SANCTA FLACIDAE REQVtESCrF IN AVLA
MC FEUCIS HABET DOBIYS ALMA BEATl
NC OS SVSCBPTVM POBitouiqoe Mpulcro est
CITO LAETATVU INOSPITA SAXO
hie nbi tu TVS KUIT IWKNIS SVn IVDICK CHRWTü
iloiioc torri Uli. IS S<tN'I I Y ('(»NCVSSN S sihono
iii.lo tul>ac (-xt.ro MAK liVUS\ M LN SVA CAStra vocatus
et Victor no. is IIIC SOClAHlTVJi ANTK TKl buiml
his quibus ; IN GKKMIO ABRAHAM pax diva rofuljfot.
Da nun Paulinus die Bestattung des Cynegius in der
Basilica des Felix auf Bitten der Mutter besorgt hatte und
in der Grabschrift die beiden Gedanken, die er aus diesem
Anlass dem Augustinus zur Ausgleichung vorgelegt, das
'sicherte Ruhen in der Märtyrerkupelle und die Verantwort-
lichkeit vor dem Bichterstuhl Christi, sich zusammenlinden,
üxt'git V
ot laotu
pacis en ho
euJus nu
{pae sab boc ta
*) Aitgii8tiii.| De cura pru mort ger. c. 1., Opp., T. VI, p. a7ö.
/
i^iy u^uo i^y Google
ZUR OESCHICHTB DBR K]
anrÄTER.
239
so darf man schlieBsen, dass diese Grabechrifb von Paolinns
selbst verfiuist ist
EnnodiDS.
En 11 od ins, Bischof von Pavia (511 — .')2l), hat unter
seineu zahlreiclien P^piiLji'amnien mehrere für Kirehengebäude
und auf Verst<»rl)tnie, die ohne Zweifel inschriftliche Verweo-
dang gefunden haben. Auch seine Qrabsehrift ist erhalten. —
Nur seine Inschrift filr mn Bibliothekssnmmer wird in einem
besondern Zusammenhang unten (Nr. ;iu) aufgeführt..
Hier folgen noch zwei Namcu aus dem Öchlujw des pa-
triätischen Zeitalters.
Yietor Ton Capna.
Victor, Bischof Ton Gapna (541—554), als vir doetissimns
et sanctissinius von Beda ausgezeichnet (De rat. temp., c. 51), ist
Von Haronius in das römische Martyrologium auf<^MMiommen unter
dem 17. October, und so ist jüngst auch in den Actis Sanctorum
der Bollandisten (1853) die Reihe an ihn gekommen. Lange
wenig beachtet, hat er in neuerer Zeit wieder Teünabme ge-
funden sowohl infolge der AuttinJuni^ neuer Fragmente, unter
denen das über das Pascha hcrvc^rgehoben zu werden verdient,
als durch die sorgfältige Kenntnisnahme und Herausgabe der
Fuldaer Handschrift des Neuen Testaments, in welcher seine
genau datirten Unterschriften Zeugnis von der Lesung und
ihrer Wiederholung in den Jahren 546 und 547 geben —
Auch das kommt seinem Andenken zu Gute, dass sein Grab-
stein zu Capua sich erhalten hat mit folgender Inschrift.
21* (Michael Honaohas, Sanctoariam Capnanom. NeapoU 1630.
4*». p.91.) Ughelli, Ital. sacr., ed. 2, T. VI, p. 306. Pr. Ant
Vitale, Deila Constantiniana vescovile boj^ilica deir antica Gapova.
Roma 17.%. 4^ p. 41. Mommseu, 1. R. N.. p. 2()2, :mi.
Pitra, Spicile^. Solesm., T. I, p. L. Joh. van Hecke Act. SS.,
Oetobr.. T. VUI, p. 83D.
(In einem Kranz.)
VICTOK Kl'ISC. SKHIT ANN. XIII. DIES XXXVIIl
DEmSlTVS. SVB. niK, IUI. ») NüN. APKIL. ANN. XlJl.
P.C. BASIU. V.a INDICTIONE SECVNDA
•) nU] Uffbelli: UI; daniMli PUra.
») Pitra, Spicik'^,'. Solcsiu. , T. 1, p. 2(i.')lV. 2fK;ff. Ranke,
üebcT den Fnldaor C>>d('\ des Neuen Testaments (Theul. Sfiid. u. Krit.
18&6, S. 410. 41211.) und Codex Fuldciuns S.m4ö2.
SMtMbi. C K.'U. 16
240
riP£K,
Elr ist also gestorbon anno decirao tertio post cousulatnm
Basilii viri clarissimi ^) iudictione sccunda, das ist im Jabre
554: und zwar be^ben am 2. April, nachdem er den bischöf-
lichen Stuhl 13 Jahre 38 Tage inne gehabt Rechnet man
diesen Zeitraum von dem gedacbtcn Tage der dopositio zurück
(aus welcbeni Grunde icb diesen tonn Inns ml (|ii('in für das
sedere nehme, werde ich bei auderer Gelegenheit erlilutem),
80 ergiebt sieh:
554 n. Chr. — 13 Jahre = 541 n. Chr. ;
2.April — 38Tage = 24. Februar,
let/toro8, wenn man laufende Tage nimmt, da ja der letzte
wie der erste mitzählt Demnach am 24. Februar 541 der
Antritt seines Amtes. Eine Bestätigung giebt der Wochen-
tag dieses Datums. Das ist nacli der Formel-):
wo t das Jahr n. Chr., d das Datum vom 1. Januar an ge-
rechnet, q, r den Quotienten und den Rest bezeichnen, — da
t = 541, d = 55:
der erste Wochentag: welcher dem Herkommen entspricht,
die Ordination am Sonntag vorzunehmen.
Durch die authentische Kunde aber von seinem Todes-
jabre werden zahlreii-lie in tüiuer niittelalterUcber Scbriftsteller
Über seiu Zeitalter (welche Ughelli autlülirt) beseitigt.
Oregor der OresM.
Sein Gedaclitnis tritt, uns in einer ganzen Reihe epigra-
phischer Denkmäler entgegen, von denen einige von ihm selbst
») V. C. IxMleutct nicht, wie Ranke a. a. 0., 8.411, un.l ('(m1. Ful-
dcnsiH, 8. V^III, anniiiiuit, vir conHularis, alu einen tast unglaublichen
Pleona.siuu{<. «ondem: vir clarissimiis.
2) Piper, Kirchennrhmini: (Ikrlin 1S41), S. 11. Nr. VII. 2. Die
Form«?! mit Hülfetafelu dche Art. „ Festrechnung " im Evang. Kalender
Ifeöö, Ü. 67 ff.
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ZUR aESCBICHTE DER KIRCHENVÄTER.
241
hen'ühreii, die andern ihm geweiht sind zum Zeugnis hoher
und dankbarer Würdigung, in der er bei Mit- und Nach-
lebenden stand. Die meisten sind nur abschriftlich überliefert;
aber wenigstens zwei im Original erhalten, das eine in Stein
zu Born, das andere in Elfenbein zu Monza.
Zuvor verdienen einige Inschriften Krwälmung, die seine
Vorfahren betreiYen, und zwar aufwärts reichen bis in das
fönfte und sechste Glied. Er selbst nennt den Papst Felix
(es kann nur der m. sein, 483—492) seinen atayus^), das
ist der Orossvater des ürgrosmters, also in der Anften Gene-
ration vor ilini. Nun befand sich in S. Paul zu Rom bis
ins 17. Jalirhiindert ein Grabstein, den eiu Diaconus seiner
Gattin Petronia im Jahre 472 errichtet hat und der aus
späteren Jahren noch das Ged&ehtnis zweier Töchter und
eines Sohnes enthftlt: da wird er also auch f9r sich das Grab
ersehen liaben. Papst Felix III. aber ist, nach dem römisclu'n
Pontificalbuch, grade in S. Paul begraben, als der einzige in
dieser Reihe von Päpsten, welche übrigens seit seinem Vor-
gänger Simplicius in S. Peter ihre Ruhestatte gefunden. Wie
also die Zeit (Diaconus im Jahre 472, Fäpst im Jahre 483)
und der Ort, die Grabstätte in S. Faul, äbereinstimmt , und
zwar das crcnannte Familiengrab zur Erklärung dient, weshalb
für die Stätte des Papstgrabes von dem Herkommen ab-
gewichen ist; so ist wahrscheinlich, dass jener Diaconus kein
anderer als der nachmalige Papst Felix in., der ataTus Gre-
gors des Grossen gewesen*). Die Grabschrift lautet also:
aa.Smetius p. CXLII wn^., 11. 0 rut. \k 1057, 5. Bosio R. 8.,
p 151. Aringhi ß. S., T. I, p. 250. Reines., Inscr., p. 289,
1) Ort iror. M. In evang. hom. XXXVIU, 15. Opp., T.I, p. 1642 D.
Dial. IV, IG. T. II, p. 397 D.
*) Wie de Rossi aufgerührt hat. Iiiser.. T. I, p. 372. Aucli von
dem VatcT dieses PapstoH, als welchen Uas rinnisclu' Pontilicalbucb den
Presbyter Felix titnli Fasciola«' nennt, i^t ein m inunentales Zeu<;nis
erhalten, wenn, wie wulusi hrinlidi, mit diesem der rrcsbyt« r Felix iden-
tisch ist. der im Jahre 471 gi.t<torl)en . in S. Paul Ue^^rabon ist und da-
durch hervorragt, das.s er im Auttrag dva l'apstes Tieo T. der Wieder-
herstellung der Paulskirehe vorstand, — wie die, bis auf finigc Jiruch-
«tücke de« Originals, ai»s< liriitlieh »rhaltene Urabschrilt anzeigt. Siebe
de Uossi 1. c, n. 831 und dazu p. 373.
IG*
242
PIPEfi,
'SCiS. F 1 e e t w 0 od p. 456, 2. Nicolai, Dasil. di S. VmAo. \k 212,
451. de lioKöi, Inscr., T. I, p. 371, b43. Jedes Distichou iiiiumt
eiFie Zeile ein.
I.KVI I AE CUM \ XX PETHONIA FORMA rVDORIS •
IIIS MEA DEPONENS SEDIBVS 088A LOGO
PARCITB TOS LAGRIMIS DTLCES CTM CONITQB NAT&E •
THISNTEMQTE DEO CREDITE FI.ERE NEFAS
D^- IN PACE ni- NÖN OCTOB* FESTO?^ CO^S-
Worauf noch die Grabschrifken der Paula cl f (clarissima
IViiiina) vom Jahre 484, des Gordianns vom Jahre 485 und
der Aemiliana sc. vTj. vom Jahre 489 folgen. — Darin sind
bemerkenswert die Tröstung an die Hinterbliebenen, welche
der beimg^angenen Qattin in den Mund gelegt wird; sodann
die Namen Oordianns, Aemiliana und die Bezeichnung der
letztem als sacra virgo. Denn diese Namen und der Cha-
rakter keinen wieder in der nächsten Generation vor Gregor:
worin der Faniilieneinfluss von den Vorfahren her nicbt zu
verkennen ist Sein Vater hies Gordianns, dessen Schwe-
stern Tbarsilla, Gordiana, Aemiliana; und alle drei
waren sacra(^ virgines, — wie Gregor erwähnt '). Von soichfiii
Stamm also ist er entsprossen.
Das Gedächtnis .seiner Eltern hat Gregor verewigt, in-
dem er sie in dem Atrium des von ihm auf dem oölischen
Berge (dem cliims Scann) errichteten Klosters noalen Hess.
Die Widmung fOr die Mutter lautet:
(iKK*J<)T?IVS STfiVlAE MATRI FECIT.
Er hat auch sein eignes ßild iHMstellen hissen in einer klei-
nen Apsis des Klosters mit folgender Inschrift:
2S. Job. Diac, Vit Gregor. IV, 84, bd* tfabiUcm, Act SS. Bened.
Saee. I, p. 489 (n. A. 8. zn n. 25). Baron«, Ann. ad a. 604, XXV.
T. Vm, p. 179; ed. Manfli, T. XI, p. 56. Ciacon., Vit pontif.
cum. Dotifl Oldoin., T. I, p. 409. Ale mann., Pariet Lateran., p. 40.
Marin i bei Hai p. 20, 1 >).
GHRISTB P0TEN8 DOIONE N08TRI LARGITOB •) BONOBIS
INDVLTVM OFnCIVH SOLITA PIETATE GVBERNA.
•) M»rUI: iMgilw.
Gregor. M., Jn cvang. lioiii. XXXVIll, s. ziivor.
*) Marin i a. a. 0. t^'ilt diesem Bilde auch ein ollene.s i>ueh zu
mit einer Insclirift au« Ph. 1 ir> fllH), 175. Allein dies Ilnch hatte,
nach dem I^rieht de» Juliaiiiic» Diac, uiciit Gregor, sunderu Beine Mutter
Silvia in der üand.
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ZÜR OESCmCRTE DER KIRCHENVÄTER.
243
Diese Inschrift ein Beweis seiner GmndstimmuDg, wie er sein
Amt als Gabe yon dem Herrn ableitet und anter dessen
Fühmug sich stellt.
G^enüber diesen gunz persönlichen Aussprüchen ist aus
der letzten Zeit seiner päpstlichen Regierung eine ein-
zelne Verfügung inscbrifUich erhalten, welche, für die Pauls-
kirche bestimmt, in eine giesse steinerne Tafel gegraben,
noch ji tzt sich daselbst befindet Sie ist vom 25. Januar 604
(der Papst starl) um 12. März) und überweiset dieser Kirclie
die massa, genannt Aquas Salvias, mit den einzelnen namhaft
gemachten Gnindstücken zur Bestreitung der Kosten der Lich-
ter: der rector patrimohii Appiae, an den dieselbe gerichtet
ist, wird beauftragt, die Besitzfibertragung zu bewirken. Der
80 specielle Erlass bietet aber in der Motivirung verschiedene
Gesichtspunkte von allgemeinerem Interesse, wobei noch zu
verweilen ist
24. Gregor. M., Begirtr. üb. XIY, ep. 14, Opp. ed. Bened., T. II,
p. 1273 (es fehlt der Emgang und SeUiue, s. T. lY, p. 338). Und
nach dem Original die Bened ic tiner ebendan. T. IV, p. 329.
Blanehitti m Ahastas. T. I, Praefat c. 46. Galietti»*Inacr.
Rom. Inf. act, T. I, p. V. Nicolai, Banl. di S. Paolo, p. 205.
Marini bei Hai, p. 218.
Das erste, was in die Augen fällt, ist im Eing-ang der
neue Titel, welcliea dieser Papst angenomiiieii und der scildem
geblieben ist:
t GUEGOHIVS fiPlSC . SERVVb äKRVOBVH lÜ —
welches sein Biograph Johannes Diaconus (II, 1) hervorhebt, —
neu nämlidi für die r((mischen Bisdiöfe, denn sonst war der
1) Ein aiul. 1 r Erlass Gregors in zwei Mannortatclii clor Kirche
S. JohanniH et Pauli auf dem cöli»chcn Hügel, mit denelbon Eiogangs-
formel (Murini bei Mai, p. 211, 2), enthält nur, auf das Gesuch der vor-
stehenden PreBbyter, die (*üii(innation von Ländereien für die Kirche.
TlinfTOgen ein Privilcgiiun , gestiftet von Gregorius indignna senrns,
welches zahlreicho liändereien mit OUvenwaldungen , <'boiiralls ]iro con-
cinuationc luininariorum , der vaticanischcn Basilica übcrweiaet, auf
« incr St/?intafel daselbst (Marini bei Mai» p. 209), ist zwar Gregor dem
Grossen beigemessen y>n Petrus Manlius, an dem sogleich (zu Kr. 25)
auzuf. 0. c. 4, p. 4.3; danuich von Baronius, Ann. ad a. 604, n. XIII,
den Benedictinem Opp. Gregorii, T. IV, p. 330; Blanchipi , De vit
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244
PIPER,
Aiudruck, z. B. von Augustiuua, üchoü gebraucht^). — So-
dann die herkömmlidid Benennung der rdmischen Kirche
als Sinshe der Apestel Petrus and Paulus, — nickt des
Petrus allein, wenn auch seit Papst Leo dem Grossen der
Stuhl Petri in Itom im Vorder^fninde der Ansprüche steht;
und der Grundsatz, dass die Besitztümer der Kirclie «gemein-
sam sind und nur zum Zweck wirksamer Admiuistratioa be>
sondere Besitztitel eingeführt werden:
LIGKT OMNIA QVAB HAEC APOSTOLICA UABRT ECXJLESIA BEATO>
RVH PRTRI AC PATU QVOBVM HONOBE ET BENEKICIIS
M '(/VI SITA SV NT
DU SiM" AVCTOKK L'OMMVMA KSSK TAMKX hKHKT IN AMMiNlS-
TKATiÜfiE ACXIONVM DJVEUÜ1TA8 i'KlibUNAItVM etc.
Zur BegrQndung des Beschlusses dient die schuldige Sorge
fflr die Kirche des Päolus, welche den Papst erinnerte:
NE MINVS II. LH" liAHKRE LVMINAKIA ISDKM l'KAKCO KIKKI CVM-
NKKKTVli TUTVM MVNOVM lAMINIi rUAKiUCATiONIS
IMPLEVTT -
ein Beweis, wie viel auf eine i^liUizeiide Beleuchtung in
der römischen Kirche gegeben wmde, angesehen den be-
deutenden Um&ng des hier daasu fibereigueten Grundbesitzes;
und welche Symbolik dafftr in Anwendung kam, die. durch
den Gesichtspunkt 2U erg&nzen ist, den Hieronymus in dieser
Frage gegen Vigiluntius geltend machte. — Zur Ueberweisung
grade dieser massa aber leitoti^ die Tlucksicht auf den dort
erfolgten Märtyrertod des Apostels i;*aulu8:
ET [GVM)TALikDE INCONGRWM AG ESSE DVBISSIMVH YIDERETTK
VT TLhk m SPECIAUTEB POSSESSIO NON SERVIRET IN
QVA PALMAM SVMENS MARTY-
Rll CAPITB EST TRVNCATVS VT VIVEBET -
p«intif. T?oni,, T. I, Praefat. c. 45. u. A. Eh golutrt al»er nicht dic-
t;«iii, sondern Gregor 11. f7ir> — 7;J<)) an: nicht alleifi naeh der Untor-
schrilt (die freilich hei d u Me<lietinern und bei Marini fehlt): <latuiu
Idibuä Nuv. inijtenuiU idussiino Leune ^da.s ist Leo III. der I.saurier,
717 — 741), wie .seiion Tagi gegen lUroninn notirt iiat; s.Midern aueh
wegen der Angaben über seinen Lebensgang, die auf (iregor I. nieiit
pEu^sen. wohl aber auf Gregor IL, von dem es im Lib. pontif. c. &J, 1
heiüst: qui a jiarva aetate in jiatriarehio nutritus etc.
1) Vergl. die Beucdictiuer rrat^lut. iü cyist. Gregorii, T. II,
p. 481.
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ZOB OEBCmCHTB DBB KIBCHENVÄTEB. 245
WO die Sa^^e von der Hinrichtung des Apostels an der Stelle
ad aqoas Salnas zum ersten Mal im Abendlande bekundet
wird — Schliesslich werden die Praepositi der Fänls-
kiiohe — ein Amt, das schon in einer Grabschrift vom Jahre
526 erscheint^) — emialuit, <la sie nun weiter keine lOni-
schuldigung hätten, in der Beaoiguug der Lichter sich keine
Versäumnis zu Schulden kommen zu lassen. Worin eine
Rüge fOr die Yeiigangenheit erkennbar ist nebet der Ver-
anlassung, welche zu dieser Anordnung geffthrt bat.
Zwar nicht in einer Inschrift, aber in Beziehung und
im Zmiainmenhang mit einer äolchen von älterem Datum ist
in der alten Ueberlieferung derselben von der Bibliothek
Gregors und seiner Arbeit darin die Rede, worauf wir noch
(Nr. 31) zurfickkommen.
Unter den dem Andenken Gregoi-s geweihten Inschriften
ist die vornehmste seine Grabschrift, die einst in der
Peterskirclie sich befand und mit derselben zugrunde gegangen
ist bis auf drei kleine Bruchstücke, welche im Fussboden der
vaticanischen Krypten von Sarti und Settele ao^efunden sind.
Der Text aber ist in seltener Weise durch eine ganze Reihe
von Zeugen aus dem Mittelalter überliefert. Zueist von llcda
in seiner Angelsächsischen Kirchengeschichte als ein Ehren-
denkmal für den, welcher die Bekehrung dieses Volkes auf
dem Herzen getragen und ins Werk gesetzt; dann hat sein
Biograph Job. Diaconus sie aufgenommen, sowie die sechs
ei*sten Verse ,Iacobns a Voragine ebenfalls in dem Lebens-
abriss. Zuvor findet sit^ sich in der ältesten Sammlung ihrist-
licher Inschriften, der Heidelberger Handschiilt, dann kommen
die Beschreiber der Peterskirche, Manlius im 12., Panvinius
im 16. Jahrhundert, — jener hat zuerst auch die persdn-
liehen Daten am Schluss der Inschrift. Neuerdings, auf Be-
fehl Gregors XVI, iat die Inschrift wieder aufgestellt, in
t) Vgl. BaroD. Ann. ad a. OOl, XIV; od. Mansi, T. XI. p. 52
(d«r auch den Eingang der liuichnlt mitteilt), de Kossi, Bullet di
ueh. cri8t. 18()9, p. 85.
i) Bei <1* R ossi, luäcr., T.I, p. 456, 1004. ISiehe auch da» Frag-
ment p. 542, 1200.
246
PirJilU,
Stein u^<!luuH'n nach dem Text der Heidelberger HiimlM lii ift
iiiul dem Sellins;? bei Maiiliiis, mit Einsclialtung jener Frag-
mente des Originals Hier folgt der Text nach Beda.
2&. Beda, Hist. ecd. II« 1. p.78 ed. Smith. Job. Diftc. Vit. Greg.
IV, 68; bei MabiUoD, Act. SS. Bened. Saec I, p. 482; BoUand.
Aot. SS. d. XII. Mart., T.II, p.202; Opp-Ongorii ed. Ben., T.IV,
p. lea Pctr. Hanliiie, Lib. de Baail. S. Petri in Vat. c. 4, ed.
Janniog Act. SS. Jon., T. VII, 1, p. 42F. Jac a Vorag., Leg.
aur., e. 46, § 15. Cent, Magdeburg, Cent. VL Baail. 1562, c 10,
p. 687. PanYin. m Piatina, Vit p<»itif. Lovan. 1572, p. 65 und
De baaiL Vat. VI, 22, p. 360, ed. Hai. Baron. Ann. ad a. 604,
XVn, T. Vm, p. 176; ed. Manai T. XI, p. 53. Grnt p. 1175,
1, ans ood. Palat Bosio RS., p.36. Aringhi R. S., T. I, p.251.
Ciacon., Vit. pontif. com notia Oldoin., T. I, p. 40G. Floct wood
p.411, 1. Cancc'llieri, De secret. baslL Vat., T. II, p. 671. Ban-
sen, Jieschreib. der St. Rom. II, 1. p, 7:3. vSarti et Sttt« Ic.
App. a.l Dionys. Crypt. Vat. \). 125 und p. 80tt Tab. XXIX
(nach der Inschrift mit den Fragmenten). Lau, Gregor d. Gr.,
p. 300. Mozzoni, Tav. cionol. erit See. VII, p. 75.
SVSCIPE TERRA TVO CORPVS DE CORPORE SVMPTVM
KEDnKKE QVOI» VALKAS VIVIKICAXTK DKO
SI'IKrrVÖ A.STKA PETIT LEIT NIL IVKA NOCKßVNT
CVI VITAE ALTEKIVS MOKS MAWIS II'SA VIA EST
5. PONTIKICIS SVMMl IKH' (M.AVDVNTVK MKMHUA SEl'VlAliO
(^VI INNVMEULS .^Ejli'hU VIVIT Yliil^VE UONXS
ESYRIEM DAPIBV8 SYPERAYIT FBIGOBA TESTE
ATQVB ANIMAS MONHIS TEXIT AB HOSTE SACUlS
lUPLBBATQTE AGTV QVICQVID SERMONE DOCKIIAT
10. ESSET VT EXEMPL>Ti MYSTICA VERBA l.OQVENS
AI) niKISrVM ANlJLOS CONVKKTIT IMETATE MAUISTKA
AlHiVIKEXS FH»EI A(iMINA (lENTE NOVA
mC LAIlOK HOC STVDIVM HAEC TUM CVKA HOC PASTOii AUEBAS
VT DOMINO OFFEKKES l'LVKIMA EVCKA tMJKiilS
ir». IllbQYE DEl CONSVL FACTVS LAEIAKE IKlVMl'lllS
NAH MERCEDEH OPERVM lAM SINE FINE TENES.
mC REQVIESCIT GREGORIVS I. PP. QVl SEUIT ANNOS Xlll MENSIS
VI DIES X. DEPOSITTS IV IDVS MARTH.
V. 3. IVBA] J»e. m Vor^g.: vira, walehe« Orisse voniebi. — Varianten de»
Joh. Diac: 4: Oa; 11: AMsfm ad Ckrigbm terbti r. 19: ßdeiqtu.
Die reichhaltige Inschrift bietet Anlass zu mancherlei Er-
wiv-jim^S durch den Gedanken wie den Ausdruck, z. B. v. 2:
reddcre; v. 3: leti jura; v. 10: myatica verba loquens; v. tf):
dei consul; v. 16: mercedem operum. Jedoch den Ausdruck
1) Sarti et Settele, App. p. 81, not. 1.
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ZUR GESCinCHTB DER KIRCHENViLm.
247
wie den (loguuitiscIitMi Gcliult bei Seite gesetzt, wullrn wir
anr das mehr Persöuliche ins Auge &saen. Das bestellt in
dem Nachruhm, der ihm zuerbinnt wird, im Hinweis auf
das unzählige Gute (innumera bona), welches von ihm fort-
lebe (v. G). Zuerst seine Mildtätigkeit, die am häuHgsteu
gerühmte Eigenschaft auch in den Grabscliriftou der Tupste,
so?rie seine Fredii^t und Warnuu<,r vor dem bösen Feinde
(v. 7. 8: Esnriem dapibus supeiavit, frigora Teste, atque animas
monitis texit ab hoste sacris). Und diese Predigt in üeber-
einstinimung mit seinem Charakter: „er eifullte durch die
Tat, was er in der Rede lehrte" (v. 9: implebatque actu
quicquid sermone docebat), — ein Cbarakterzug, für den ima
der alten Christenheit grade dieses Zeugnis von Gottfr.
Arnold hervorgehoben wird Ebenso heisst es in einer
Antiphone auf ihn aus der Liturgie des ersten Advents
(s. sogleich Nr. 28):
Quod docuit tieri lecit et ipso prior.
Bs ist dasselbe Ehrenprftdicat, welches Gregor von Nazianz
dem Basilius giebt*):
»uA piotw furi^ot xfci (iioTiiti Xoyov.
Dann fol^^t eine eiuzehie Tat, die iilier durch das Leben sich
hinzieht, die Sorge für die Bekehrung der Angelsachsen: ad
Christum Auglos convertit, was er selbst hatte vollbringen
wollen, dann durch Augustinas zur Ausführung brachte. Die
Summe dieses ganzen Hirtentums ist: „viele Frucht der
Herde dem Hen*n darzubringen" (v. 14; ut Domino offerrt^
plurima liicra c^regis).
Als Veri'asser dieser Grabschrift wird zwar Petrus Oldra-
dius, Erzbischof von Maikind (etwa 7ö4— 805), genannt in
einem Werk: Successores 8. Bamabae apostoli in ecclesia
Mediotanensi, welches ans einer vaticaniscben Handschrift von
»Kdi. de Diis und d.uin wiederholt herausgegelieu ist: iLirnach
soll er im Auftrage des Papstes Hadrian, «lessen Sekretär er
gewesen, die Werke Gregors gesammelt and das Epitaphium
1) G. Arnuld, Wahre Ab!»iM., T. I, S. 237.
^) Aiithol. Pulat. Vm, 4, V. 5. Gregor Naz. Upp., T. U, ed.
CaiUaa, p. 1156, v. 17.
L.y L-y Google
248
gedichtet haben. Die Angabe hat sich verbreitet in liaitd-
scliriftliohen Werken über die Peterskirche von Torrigio und
Alfai-ano: Canoellieri, der sie dort gefunden, nahm sie mit
Eifer auf (a. a. 0.) und wflnacbte sich Gldck zu dieser Auf»
findnng Aber nicht su «gedenken , dass die vaticanische
fl.uulschiift die Stolle niclit enthält, so ist an sieh nicht
wahrscheinlich, dass das Grab Gregors, gegen die Sitte seiner
Zeit, ohne metrische Inschrift geblieben sei, — wie Sarti
und Settele (ohne CSancellien zu erwfthnen) einwenden^).
Dazu kommt als entscheidend zur Widerlegung, dass die
Grabschrifk schon von Beda mitgeteilt wird, der mit dem
Jahr 731 seine Kirchengeschiclite schliesst. Allein wir
haben viel frühere Spuren. Und es ist anzunehmen, dass sie
unmittelbar nach seinem Tode gesetzt worden.
ZunSchst wird auf die Person des Gregor in den Epi»
taphien zweier bald folgenden Päpste Bfleksicbt genommen,
in denen er als ihr Lehrer (beidemal heisst er niagister) er-
scheint. Der eine ist Bonifacius IV. (608 — 615), in dessen
Grabschrift es heisst (v. 9) ^):
GREGORII SEMPER MONITA ATQVR EXEMPI.A MAGISTRI
TITA OPBRE AC DKINIS MORIBVS ISTE 8E(|VENS;
WO die monita atque exempla an v. 8 (s. zuvor) und t. 10
(esset ut exenipkuii niystica verba loquens) der Grabschrift
Gregors erinnern. Und noch das Epitaphium des Honorius
(625—630) besagt (v. 17)^):
SANCTILOQVI SEMPER IN TE COMMENTA MAOlSTKl
KMICYEHK TVI TAMl^VAM |sioJ ■») FKCVXDA NIMIS
NAMQVE') «iKKCOlIIl TANTI VESTICIA IVSTI
DVM SK(i\Hi;iS CVriKNS KT MEKlTVMliVK «iKUlS.
•) Iii <li<'.-ifMn Versf^, den Sarti und Settelo als inihrillmr b«!y.«'ichnj'u, ist wohl e^tAÜ
t»iii<iuuiu zu ICHcii tüiaqao, — eine dum VerfaKtiur geläufige Fomi, wie xovor
Icli habe die8c Ansiclit aofgfenoninicn in meiner Mythologie <ler
christlichen Kunst, Bd. I, 1817, S. GO, Aniu. 3, von wo sie iu Bjix-
luann, Politik der Piijwte, IM. I, S. 4, nbergegaugon ist Sic bedarf je-
doch nach dein Obigen der Derichtigung.
^) Sarti et iSettelc, App., p. 81. Daa ZeugniK de« .Johannes Diac.,
worauf sie sich aucli berufen, aus dem 9. Jahrhundert über die Ur-
sprünglich keit der Inschrift will nicht so viel sagen.
») C;rut. p. 1160, 1. Sarti et Settole, App., p. 128.
Grut. p. 1165, 11. Sarti et Settele, App., p. IUI.
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ZUR OESCmCHTB D£R KIRGHENVÄTEB. 249
tc<pi.' um! IUI r(il>,'finlcii D»in<iu**, j.itti'iiie, m »• r i t u m <• ; 'itii! lUv ''oustrnc-
tioa ioi: t»eu)p«r iu io cutnmcDU Uiu fccuod» MJicUluqai lut tnügistii uiiuiti omi-
co«re.
I») IM«MlbeD wollen «tett uanqn« leaes umn qai und die« ProBomeii mit gerle
verbinden; aWr j^frin idt otTt ubar Bndvorbuiii , v/U- oiui euere, Ht<-ht ilHiiiit pn-
rallel und «lürf nicht diirt h «lui ?.» eiui-m Vi rtli rH.it/ ^iiiuu lit werden, wodurrb
äbordiu« die Cooütructiou »cliloppuBd wird: auch ul dt^ que iu oanxiuc uichi
beftendUeher als in j « m q n e.
HifM- wird also Papst Grei^or <,^etoiert sowohl als siincti-
loc^uus wie als Justus (welches zusamineu dem v. ü der Grab-
scbrift desselben gleichkommt): seine Lehren (commenta) als
sehr fruchtbar, sein Wandel voll Verdienst, — mit der An-
wendun«^ auf FTonorins, dass die Lehren des Meisters in ihm
herYorl( U( )it«'t«'ii, und dans er, da er eifrig den Fusstapleii des
üerechleu iolgto, auch seiu Verdicust besitze. — Es ist
immerhin von Gewicht, dass noch auf dem Grabe zweier
Nachfolger die Bedeutung und Einwirkung des Mannes solche
Anerkennung gefunden.
Ausserdem sind die beiden ersten Vei*se zuweilen iu
GrabscliritU'U verwendet, und zwar entlidint, wie es sclieint,
aus der Grabschrift Grei^'ors (wo sie den Eindruck machen,
an der urBprOnglichen Stolle zu stehen, nach dem Zusammen-
bang von V. 3 und v. l : spiritus und corpus), — nicht dass
umgekehrt der Verfasser der letztern sie vorgefunden habe.
So bestellt aus ihnen ein Epiuqdiium vielleicht aus Pavin»
welches die Heidelberger üandschrift verzeiclmet '); uud eiu
* anderes, das noch erhalten ist, im lateranischen Museum
(Abt. IX, 36) stellt in barbarischer Nachahmung sie vonin *).
Noch von einer andern Seite kommt ein antwortender
und l)ekrärtiLreiuler Spruch zu der Grabsclirift Gregors oder
vielmehr zu einem Werke seines Lehens, welches darin ge-
feiert wird, der Bekehrung der Angelsachsen. Denn zumal
in England lebte das dankbare Gedächtnis dessen: und die
Grabschrift des Apostehi von England, Augustinus, gestorben
ein Jahr nach Gregor, hebt die Mission, die für beide ehren-
voll war, namentlich hervor.
2«. Beda, Hist (kgL II, 3. p. »2. Baron. Aon. ad a. 604, LXil,
1) (Jrut. p. 11 «S. 1. Fl. ttwood |). 2.
*) Marini Fiatr. Arv., p.4U2. tiarti et Settel«, App., pl82.
250
PIPER,
T. VJIl, y. 193: ,-.1. Muiisi T. XI, p. 70 (au8 Beda). Grat.
]). 11 (i7, 7 (iiu« Daruuiuü). Flcctwood p. 513, 2.
nie KKQYIRSCIT KOMNVS VVOVSTINVS HOHVVKUNKNSIS AUrHIKl'I-
SCOl'VS PKIMVS gVl OLIM HVC A P.KATO CKKiiOUlO KOMAN AK VK-
lUS roNTIFICK IMHKlTVJS... AKülM'.KmTVM KKiiKM AC CKN 1 KM IL-
LIVS Ai; II»()I,OUVM CM/rV AI) CIIKISTl FIDKM rKUDVXIT cU-.
Das Grab war im Kloster bei Gauterbury, erst ausser-
halb, und als der Bau beendet war, innerhalb der Kirche des
Peirus und FaulnB. Durch eine Verwechselung gieH Grater
an, das8 er in Rom juxta templum apost. Petri et Pauli be-
graben sei
Auch aus Spanien ist eine Inschrift überliefert, die
dem Gregor fiberhaapfc als Kirchenlehrer, insbesondere als
Kirchenscfariftsteller höchste Anerkennung zoUi Es ist eine
der Aufschriften in der Bibliothek desMdoros, von denen zu
Nr. 32 die Rede sein wird.
27. Salazar, Murtyrolog. ITispan., T.II, p. 489. Murat., Anecd. ex
Anibrosian. bibl , T. II, p. 209. ArevftL Opp. Isiduri, T. YU,
App. p. 181, XI.
QVANTVM AVr.VSTIN'O CLÄRES TV •) llirrONA »>) MAölSTKO
TAN! VM KOMA ÖVÜ TBAESVLE UKEUÜKIO.
») Salazar: i>(AUt U.
b) Ralazar: Iftfitponn. Hurnt. AroTaU: Hippone.
Isidoras von Sevilla, walirscbeiulicli Verfasser des Sprucbs,
ein jüngerer Zeitgenosse Gregors, mit dem sein Bruder Lean-
der, sein Vorgänger im Bistum, in naher persönlicher Ver-
bindung gestanden (wovon noch drei* Briefe des Pftpstes an
ihn Zeugiüss geben), spricht von ihm in Ausdrücken der Be-
wuinloi-ung. Hier stellt er seinen Ruhm dem des Augustinus
gleich; in dem Buch De viris illustribus (c. 40, T. VII,
p. 159) erklärt er: Gregor sei durch die Gnade des heiligen
Geistes mit einem solchen Licht der Erkenntnis b^bt, dass
weder in den gegenwärtigen noch in den vergangenen Zeiten
einer der Lehrer ihm gleich gokonimen.
Die Inschrift endlich über der Figur Gregors auf einer
Klfenbeiutafol im Schatz der Basilica zu Monza weiset auf
seine hochwflrdige Abstammung.
1) Flcctwood hat dieselbe zwar io der UeberscUrift wiederholt,
dann aber berichtig
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ZUR OEBCmClITB DER KIRCHENVlTER. 251
28. Mabillon, Ikr ItaL in «. Museum lüil., T. I, 1G87, i». 213. Ab-
bililnnp der Tafel sammt der Inschrift bei Uori, Thos. diptych.,
T. II, p. 215. Tab. VL Friei, M.^m stor. di Monza, T. III. p. 5.
Tab. XI. Abgnss in Gype von der Arundel Society, s. Oldfield,
Catal. Cl. III, c p. 36.
t GREr.OIMVS P(re]SVf. MKRIIITT^^ KT NOMINK inCNVR ;
VNDK <;knvs nvciT i svmmvm conscex DIT HONOKKM.
T. 2 Maliillon fehlorUafl: <^uo gtnm Imnc dnxit. Daa JdiBuale von Poitiers hv\
M a r t r» n 0 : dttxit.
Die hohe Würde, undc genus ducit (wie durch Irivcrsiou
gesagt wird), ist eben die päpstliche, zu der sein Stammbaum
hinaufreicht^ da Papst Felix (III.) sein atavuB gewesen. Da-
mit indes ist der Sinn dieser Inschrift nicht erschöpft. Denn
die beiden Verae sind nur der Anfang eines Lobliedes und
lassen an das Ganze denken. Zuvor ist zu bemerken , daas
diese Tuiei mit der zugehörigen, auf welcher König David
voFgestellt ist, den Deckel eines Antiphonarium Gregors bil-
den: sie stehen zusammen als Hymnendichter und Sanges-
meister nnd dienen als solche demselben zur Einfassung. Die
Inschrill aber ist hergenonmien von der Antiphone auf Gregor,
weiche ia vielen Kirchen durch Jahrhunderte am ersten Ad-
ventssonntage bei der Messe vor dem Introitus gesungen wor-
den Der Spruch wurde jedoch verschiedentlich eigftnzt,
in Versen wie in Prosa. So heisst es nach jenen beiden
Versen in dem Missale von Poitiers (])ei Martene a. a. 0.),
in dem Antiphonar der Angelici in liom, und wenig ver-
ändert in dem Antiphonar von Compiegne, als Titel des
Buches^:
renovaiit momunenta patram prionun, tone composnit hmic libeUum
mnaicAe artis Bcbolao eantonnn anni eirculi.
Und in einer vaticiinischen Handsclnitt (Uegin. 17()i>)-'), sowie
gleichlautend in dem Antiphonar von St Galleu, Nr. 3du,
geschrieben von dem Mönch üartker^):
>) Den Nachweis für eine Anzahl Kirchen m Frankreich giebt
Martene, De anttq. ecdee. ritib. ed. 2, T. III, p. 82. Yeigl. Gerbert,
De caotn et unuica sacra, T. I, p. 250.
s) J. M. Thomaeii Opp. ed. Vozznsi. T. IV, p. 172 not. Die
Benedictiner zn Gregor. M. Opp., T. III, P. 1, p. 650.
8) Vezzosi zn Thonia.sii <)]ip. a. a. 0,
^) Lambillotte, Antipbonaire de S. Gr^ire, p. 37.
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252
PIPER,
Tradidit liic cantuni juipulLs norinaiuque canendi ^
Quod Düinino laudcK rcferant TKH^tuque diequc.
Es wird also beidemal sein Verdi m^l um deu Kirchen-
gesang geprieaen. Worauf in dem Lobgedicht noch von son-
stigem Verdienst die Rede ist nnd schliesslich der schon er-
wähnte Vers den Charakterzug giebt: quod docuit fieri, fecit
et ipse prior. — In dem Antiphonarium von S. Gallen aber
(bei Gerbert a. a. 0.) folj^^t auf die beiden Verse das all-
gemeine md höchste Lob, in Bezug auf den summus honor
des päpstlichen Stuhles, den er bestiegen:
Quem vitae splcndore, snao lueutisque sagaci
Iiij[ronio ]>otiQ8 coiiijisit, quam comptüB ab illo est.
Es wai' der letzte der Kirchenväter, von dem man solches
aussagte.
Insobrlflen hi BibUolhekm dof ehriitlloliea
An die schöpferische Periode der Kirchenväter schliesst
sich das Zeitalter literarisch sammelnder Tätigkeit und dem
entsprechend die Anlegmig von Bibliotheken, besonders in
Klöstern: womit der ostgothische Staatsmann CassidiliuiLs
am Abend seines Lebens ein scliönes Beispiel gegeben hat.
Indes haben auch zuvor die Kirchenväter nicht ohne Bücher
sich beholfen. Und aus beiden Perioden finden sich In*
Schriften von Bibliotheksräumen: worauf wir schliesslich (so-
weit das chiisiliclie AUeitum sich erstreckt) noch achten, da
sie das Andenken von Kirchenvätern und Kirchenschrift-
stellem äberliefem und einer charakteristischen Tätigkeit zum
Zeugnis dienen.
Die Bfichersammlungen der Kirchenväter, von denen wir
Nachricht haben, warei^ teils für den persönliclion Bedarf an-
gelegt und dadurcii der Zerstreuung unterworfen, oder sie er-
füllten einen bleibenden öffentlichen Zweck. Der Vater der
Kirchengeschichte, von dessen umftnglicher literarischer Aus-
rOstnng bekannte neuere Schriften handeln, hätte dieses Amtes
nicht wart(Mi können, wenn nicht ffir die Erhaltung und Zu-
güuglichkeit des Materials seit Jahrhunderten ihm vorgearbeitet
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ZCn 0B8CHIGHTB DER KIRGBENVÄTBR.
953
irfire. So hatte Alexander, Bischof von Jerasalem (um 212
hls 251), daselbst eine Bibliothek zustandegebracht, welche
ileni Eusebius, wie er rühmt Stoft' zu seinem Ge.sclüclitsworko
bot, uauientlich reich an Briefen kirchlicher Mannor war
(Euscb. Hist. eccl. VI, 20). Und der Presbyter Pamphilus
zu Gftsarea, Märtyrer im Jahre 309, hatte sowohl die sämmt-
liehen auf seine Zeit gekommenen Schriften des Origenes als
die Werke anderer Kirchenschriftsteller gesammelt, welclie
Eusebius in dessen Leben, dem dritten verloren gegangenen
Buch verzeichnete. (Euseb. Hist. eccl- VI, 32. Hieronym.
Apologet adv. Bufin. II, 23; De vir. illustr. c. 75.)
Von Inschriften aber, die hier aufeuffthren sind, gehört
die erste nicht dieser Art von Bibliotheken, welche die kircb*
liehe Literatur umfassen, sondern der Bibliotheca sacra nach
der iionennung des Hieronymus an. Sie ist von Paulinus
von Nola verfasst und durch die Mitteilung an seinen Freund
Snlpicius Severus erhalten.
29* Zu JkiA in einer der beiden Sakristeien der alten Kirche des Felix.
Panlin. Epist XXXII, 16, p. 205 ed. Mnrat Remondini,
Deila Kolana eccles. Btoria, T. I, p. 413. dn Caogc, Constan»
ünopoliB ehrisi, Lib. III, p. 60. Bottari, Borna eotterr., T. I,
p. 68. Bingham. Orig., Vol.IIl, p. 249; VoLV, p. 95. Marini
bei Mai, p. 128. Metrisch ttbersetzt bei Augasti, lieiträge snr
Christi. KmiBtigeech., Bd. I, S. 169.
SI QVEU •) SANCTA TENET HBDITANDI ») IN LEGE YOLVNTAS
BIO POTERIT BBSIDENS SACRIS INTENDERB LIBRi&
•) BeniOlldini: QVAM.
*») rw«» Ausgaben dfis Fimlinus von RosweydUH (1022), Lftbrun (1(185). Murritori
hab<*n mtßitiimln ; hingegen du Cange, Kemondini, Bingbani, ohwobl or auf
die Autigabe des UonwvfduR sieh benifl, Mftribi lesen meiU'UnuU. Und das istobne
Zweifel dM Bkhlige, «t« mw S folgt, wo dns hittndgn der vekmia» in 1
enUpricbt: ist aber nicht oino sneitt ivlunttu beim Loaeo, Mndern zu lexon ge-
nieint. Ri stfiti^t wird dioM Leseart daroh dns aogleieb ra «rw&lmeBde: im lege
Duniini iiKdit.vntiiini.
Ebeüso hatten die vier Kapellen (cubicula), welche iu
der von ihm neu erbanten Basilica des Felix an den Laiig-
fwiten Bich befiuiden, ausser der aepulcnlen, die Bestimiining,
zn einem stillen Aufenthalt zu dienen:
Orantinm Tel in lege Domini meditantinm (c. 12, p. 203).
Auch diosp Kapellen waren mit Inschriften versehen, die
Paulinus alior nicht niit^^eteilt hat.
Jene alte Kirche des Felix hatte im Anschluss an ihre
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264
PIPER,
Apsis zwei kleine Apsidos (conchulac) als Sakristeien: die eiue
für die Bereitung des Abendmahls (a 13, p, 204), wie auch
die Inschrift besagt: qua veneranda penns conditnr (c. 16,
p. 205); die andere, von der hier die Rede ist, um in ihrem
weiten lüiuni die Betenden aufzunelimon. Gcnanrr i^ieht die
Inschrift die Bestimmung an: „Wenn jemand das heilige Vev-
hingen hat meditandi in lege, kann er hier weilend sacris
intendere libris." Beide Olieder des Satzes geben wichtige
Anfschlfisse.
Zuvörderst erliellt, dass hier vom Lesen die Rode ist
und nicht vom Hören dem so wenig das eine als das an-
dere Prädikat entspricht. Denn wer die biblische Vorlesung
hört, hat es mit dem lebendigen Wort, nicht mit dem Buch
in der Hand des Vorlesers zu tan; er kann auch nicht nach-
sinnen über das Gesetz, da er seine Autmerksamkeit auf den
VortruLC richten muss. Und will er über das Gehörte nach-
doiikeii, so ist das nicht an den Ort geknüpft. Auch war
nicht die Sakristei der Ort, wo ans der Bibel vorgelesen
wurde, sondern in der Kirche selbst die Kanzel (Ambon);
und CS bildeten diese lectiones einen Hauptbestandteil des
Gottesdienstes. Darauf bezieht sich die Inschrift des Ambon
in der alten Peterskirche zu liom, welche an den Vorleser
sich richtet^):
SCANDITE CANTANTES DOMIKO DOMINTHQVE LE6ENTES
EX ALTO rOPVLIS VEKBA SVPBRNA 30NENT.
Von der Hohe sollen die erhabenen Worte der (Gemeinde
erschallen: das ist etwas auderes als das meditari in lege.
*) Das iatdie Auslegung von du (^ange, dem die HerauKgel" r les
Panliniw Lchru n ( T. I, Not. [>. 75) und Muratori (p. »17, not. CLXXJl)
folgen, dasB (Ho Inschrift aal' biblische Vorlesungen asiele, die oacli dem
OottoHdienst in der Sakristei stattgefunden liättea: was nach dem Obigen
abzulehnen ist. Zwar beruft Kich du Gange auf den Gebrauch in der
griechiachcn Kirche; wie en aber auch damit sich verhalte, so ist er für
den vorliegenden Fall, überhaupt den Gebrauch im Abondlande nicht he-
wcisend. Jedenfalls ist orarc (was du (lange auch darauf kicziekt)
nebst meditari in le^e, und das Anhören von IJi bei Vorlesungen zweierlei.
«) Cod. Eimidl. p. 360, 11, ed. Mabillon, Vot. Annal. ed. nov. ;
p. BO, ed. Urlich.^. Murat., Tbes., p. 1022, <>. Und aus Martini
Marini bei Mai p. Ib2, 1.
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ZOK QE8C3BIICHTE DER KIBCHENVÄTER. 366
Die lex ist hier das Wort Gottes überliaupt, die ganze heilige
Schrift, wie es im Sprachgebrauch nicht oiinder als im Ideen-
kieise des christlicheii Altertfuns liegt, auch das Christentom
ohne weiteres als lex m bezeichnen. F^nlinm selbst spricht
sich darüber aus iu einer Insclirift, die er dem Sulpicius Se-
verus auf dessen Verlangeu für das von ihm erbaute Ijaptiste-
rium in Primuliacum schickte, welches in der Mitte zwischen
zwei Kirchen stand
AHPLA OKDIT POPTLO QSMINI8 FASTIGU TBCTIS
LEGIBTS VT SAGRIS C0NGB7ERET NTMERTS. . .
' LEX ANTIQVA NOVAM FIKMAT VETEREM NOVA COMPLET
IN VBTEBI SPES EST U) NOTITATB FIDES.
Da wird die antiqua und die nova lex unterschieden; wo-
gegen die Inschrift der Bibliothek des Agapctus (Nr. 31)
unter der divina lex die beiderseitige Offenbarung zusammen-
iasst. Gleichwie in der Inschrift der Bibliothek des Mdoms
von Sevilla eine Bibelhaadschrift dnrdi volnmina geminae
legis nnd in einer bischrift von Alcuin der Bibeltext durch
sacrae famina legis bezeichnet wird (s. unten S. 262 u.
263). — Das mediliiri in lege aber ist aus dem ersten Psalm
und andern Psalmen genoniiiieu: es erscheint das „Sinnen
Qber dem Gesetzes nämlich das andachtsvolle Bibellesen
derer, die darnach Verlangen trugen, giadezn als eine Er-
gänzung des öffentlichen Gottesdienstes. Und es ist be-
merkenswert, dass eigne Räume dafür in beiden Kirchen
angeordnet waren: die eine conchula an der Apsis in der
alten, die cobicufai an den Langseiten in der neuen Kirche
des Edix. Zum andern Ifisst die Insdurift erkennen, dass in
diesen Räumen Exemplare der heiligen Schrift znr
Hand waren ; denn die libri sacri sind die Voraussetzung für
beides, das intendere und das meditari. Es begreift sich,
dass die wenigsten von denen, die scur Kirche kamen, im
Besitz von Bibelhandschiiften waren; aber solche waren da-
selbst den Gläubigen zugänglich, — eine fBr die Pflege des
christliclicn Löbens wichtige, auch principiell in Bezug auf
das iieckt des Üibelgebrauchs bedeutsame Veranstaltung. Die
1) Paul in. a. a. 0. c 5, p. IUI. Marini bei Mai p. 172f.
ZMMckr. LIL-Q, 17
256
PIPER,
Inschrift aber, die von beiden Tatsaclieü Zeugnis giebt, moBB
für eiu Deakuuil ersten Bang^BB ms der alten Kirche angeeeiieii
werden.
Bibliographisdi fteilich war es ein eingeschrftnkteBTBrraui:
oine Sakristei mit heiligen Huchem. Hundert Jahre spater
iretVcii wir auf ein Epigramm, das eine wirkliche Bibliothek
bezeichnen soll, von Ennodius, Bischof von Pavia (511
bis 521)
30. Id Pavia. Bniiodfi Lib. n. Gam. GXXni. Opp. ed. Sinnond,
p. 636, und in Sirmondi Opp., T. I, p. 1897. Oalland. BibL
Patr., T. XI, p. 212.
In cubiculo super codicca in ordine j)omtos.
l.STK (JALLIS EST SVPGKNAM (^VI l'AUAT l'OTENTIAM
LTX PVDORIS ESCA IfENTIS FAX HKDETA CLARITAS
MVNDl FABCE QVl FVCANTVB äVNC T£NfiB£ NESCIVNT.
Es tritt der Gedanke der AnfUfirong voran, die dort m
haben it^t: lux pudoris, tax, claritas; zugleich ist von der
Nahrung des Geistes die l{cde. Docli auch von einer medela;
und es wird die sittliche YoraussetzuDg für den /Zugang zu
dieser Literatur angedeutet: „die von der Hefe der Welt ge-
förbt werden, können diesen Weg nicht einhalten**, der, wie
es zu Anfang heisst, „mit höhern Kräften ausrüstet". —
Uebrigens ist die Fassung des Gedichts zienilicli unklar: ohne
die Ueberschrift würde man die Beziehung nicht erkennen.
Zwei Verse, die noch folgen, erscheinen fremdartig, obwohl
sie dem Versmass nach dazu gehören.
Dagegen hat die folgende päpstlidie Inschnlt historisdien
Gehalt und Wert.
ftl. In Koni. Cod. FAnsidl. p. 3(12, 51, ed. 3Iabillon; p. 05, ed. Urlicbs.
Mural. Tbes. p. 1H22, 6. Blasius bei Oderici Diw. p. 301.
Mari Iii bei Mai p. 181, 2.
In hibUirtiheca S. Gregorii, ffuae est in monasterio diti Scami
SANCH'OKVM M5NKKANHA cnHORS SEDET •') OIRMNE longo«)
mVINAE LECilS .MVSTIOA DICTA DOCENS
HOS IMEK REÜUiE.NS AlJAl'ETVS IVKE SACEHDOS
«ODICIBVS FVLCHRVM OOWDIDIT AKTE MMÜVM
GRATIA l'AH CVN'CTIS SAXCrVS <»M\ir.VS VN'VS
DISSONA VEUBA QVID£M SED TAMKN VMA FIDES.
•) Cod. nBlnvlAl. : Tmtri.
h) Urll«1iB: $td d; doch hat tdioa lt«billo» du richtige atdet.
e) Der foblende TenfliBs von Mariol frg&iitt.
1) £ia anderes Epigratuiu deci Enuodiub bezieht »ich aul »olcbu
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ZUR GESCHICHTE DER KIRCHENVÄTER. 257
«
Die Inschrift verewigt sranächst das Gedächtnis des Papstes
Agapetus (535 — 536)*), dass er „den Büchern den schö-
nen Ort gegründet habe : das heisst nicht bloss einen leeren
Baum, sondern er hat auch fnr die Bibliothek gesorgt Es
wifd ferner die kunstroiche HeiBteUnng bemerkt; der Baum
war mit Büdera geschmüdkt: ,,in langer Reihe sitzt die ehr-
würdige Schar der liciligeu Schriftsteller und zwisclieu ihnen
Bischof A<^petus" als der Stifter, — wie in den Mosaiken
der Kirchen der Stifter zwischen Heiligen erscheint. Denn
das sedet und reeidena kann nicht anders als beiderseits von
ihrer Figur Yerataodeii werden: von Bfiohem Itat sieh nicht
sagen, dass sie sitzen. Unter der Schar der Heiligen aber,
welche divinae legis mystica dicta docet, sind ohne Zweifel
die doctores, die Kirchenlehrer, zumal die Schrii'taualeger ver-
standen, — als die Vei&SMr der Godioesi die hier gesammelt
waren; also aieht bloss die Verfasser biblischer BQcher, ans
denen aJldn die Bibliothek doch nicht bestandei haboi kamL
AufKchrittcu, wio der Titel anzeigt, u. III, p. GOO: Do epi^ranmiatifi per
ariuaxia doinni Fauäti factis.
1) Eine andere Auslegung giebt Blasius a. a. 0., indem er das
Verhältnis des Aga})etus und Gregorins unikehrt: „Gregorius habe die
Bibliothek gegri'indet, luid nacliinals uum refecit Agapetus ue^ciu tjuis
ei»iscoi)iis.*' Allein die beiden Zeugnisse der Inschrift imd der Ueber-
Bchrift «tehen sitb nicht gleich: das eine ist das urkundliche, das an-
dere ist Zutat des J^l(>nclis von Einsiedcln uder seines ( Jcwivlii. 'uami'S.
Letzterer sagt nicht einmal, dass Gregor die IJibliotlii k gegründet habe,
er ntimt sie nur nach iiiiii ; aWr die hischrilt sagt ausdrücklich: Aga-
petus cotidiilit codicibus locum , — das ist etwas anderes als refecit.
Wie sollte auch ein fremder Bischof dazu kuiuiiicn, mit der Bibliothek
Gregors sich zu befassen, und dann mit solcher Inschrift gefeiert zu
HFcrden, wo doch Name und Prädikat vor allem an den Papst AgapetuK
[1.] deokeu lässt. Diesem ist die Stiftung auch zuzutrauen (wie oben
Dldlgewiefleii wird). Und das Prädikat jure sacerdos ergiebt sich aus
der 'Oralwchrift seines munittelbaren Yorgäugcrs Johannes II., worin
deiwibfl TeroB flocerdot heisst, nacbdem er zuvor primoB jwre levita
(AxoiiSduwaBus) gewesen, Grai p. 1166, 5; biurti et Seltde, App.
p. 121. Gans anden ist es mit der noch stehenden Insehiift hi S. Sa-
bina, welche aneh ehie 6rflndn&g anzeigt nnd swar durdi den FreBfajter
Ftetrne, der aber kein Fremder mehr war: er wird nicht aUein naher he-
leiehnet de geute lllyrica, sondern ee steht andi der Name des Papstes
Coelestinna voran.
17»
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258
HPER,
Sie werden schliesslich charakterisirt, indem das Göttiiehe
und das Menschliche in ihnen sowohl unterschieden als zu-
sanimengefasst wird: gleiche Gnade, einerlei heilige Arbeit
sei ihnen eigen gewesen; zwar yerachiedene Worte, aber ein
Glaube. Es wird damit in der Mannigfoltigkeit des Ausdrucks
die Einheit der kirchlichen üeberlieferung bekundet.
I);is ist aus dem doj^m atischeu BewuSvStsein des rö-
miachen Kirch entuins gesprochen. Das historische Zeugnis
dieser Inschrift aber bleibt eine wertvolle Ergänzung zu
der Kunde, die vou den gleichartigen erfolgreichen Be-
strebungen des Oassiodorus auf uns gekommen ist Dieser
hatte in Geiueinschaft mit dem Papst Agapetus eine theo-
logisciie Schule in Rom errichten wollen: es schlug aber fehl,
,,weil ein Werk des ii'riedeus in unruhiger Zeit nicht Baum
findet** Gassiodor zog sich Im Jahre 638 von den Ge-
schäften zurflck und grOndete in Squillace ein Kloster mit
einer Bibliothek, in der er einen grossen Schals theologischer
und allgemein wissenschaftlicher Bücher mit Eifer und Um-
sicht zusanimeubrcichte. Die Inschrift aber beweiset, dass
dieser Papst dasselbe Interesse gehegt und zu Rom wenigstens
dem stillen Studium eine heimische Stätte bereitet hat, dem
Gassiodor darin noch vorangehend. Und dafBr ist die Inschrift
die einzige Urkunde; das römische Pontificalbuch in seinem
Bericht über Apagetus, der allein über dessen Sendung uach
Constantinopel sich ver))reitet, schweigt davon.
Die Ueberachrift des Mönchs von Einsiedeln bezeiclmet
als den Ort der Inschrift die Bibliothek des h. Gregor,
welche im Kloster ad cByum Scann (nicht Tauri) sich be-
finde. Es ist das Kloster des Andreas auf dem cölischeu
Hügel, welches Gregor der Grosse vor seiner Krhebung auf
den päpstlichen Stuhl erbaute, wo er selbst als Mönch ge-
wohnt hat und Abt gewesen ist Wenn die Inschrift, als
der Mönch von Einsiedeln sie las, noch an ihrer ursprüng-
lichen Stelle stand, so nuiss Gregor den Bau mit der Biblio-
thek des Agapetus in das von ihm erbaute Kloster aufgenom-
men haben: was um so wahrscheinlicher ist, da der Ort der
i) Casfliodor., De inrtit. di?. Iii. PMdkt
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ZUR OESCmCOTE D£B KIRGH£NVÄT£B.
259
Inschrift auch als Bibliothek bezoichnet wird. Ks wäre al)er
auch möglich, dass die Inschrift versetzt worden. — Die
weitere Nachricht in der üebeischrift, dass Gregor da-
selbst seine Dialoge geschrieben (nbi ipse dyalogonun scripeit),
mag einer üeberliefemng in diesem Kloster entstammen, die
aber schwerlich gegnmdet ist. Denn er hat diese Bücher,
worin er der P^rbauung des Klosters gedenkt und dass er dort
Abt gewesen, als Papst im Jahre 393 oder 394 Tor&sst, also
nicht als Bewohner einer MOnchsoelle, — wenn er auch bei
seiner literarischen Tätigkeit, noch auf dem päpstlichen Stuhl,
der Bibliothek seines Klosters öfter zugcsprofhcii luiben mag.
Wir komnion schliesslich auf die Iiiöchntl zuriu-k , ilie
als Epitaphium des Origenes bis auf die neueste Zeit
galten hat (s. o. S. 209), aber vielmehr diesem Zusammen-
hang, den Bibliotheks- Inschriften zuzuweisen ist
32. a) AiLs einer Handschrilt von Origenes ne^t oQ^tHy zu Corbie,
herausg. von Mabillon u. A., h. Nr. 1, a,
b) In Sevilla. Salazar, Mart}Tülog. Hispan., T. II, 1(152. d. IV.
Apr. \>. 189. Huctius, Origeniana IIb. II, 1G85, p, 22H; Opp,
Origcu. ed. de la Rue, T. IV, 2, p. 284 (aus Guido). Murat, Anecd.
ex Ambros. bibl., T. II, 1698, p. 208 (ans einer ambroeian. Hand>
Schrift, als nnedirt). Fabric, WA. med. et inf. latiiL, ed. Uausi,
T. p. 316. Florez, K.s|)ana sagr , T. IX, p. 47. 67. ArevaL,
Opp. bidori, T. YU, App. p. 180 (desBen Text hier folgt); vgl.
T. U, p. Iff.
Versus qui in bihliotlieca S. Jsidori cpiscopi Jlisjtalouiis legcbanlur.
ILLE (»KJÜENK.S EiiÜ DOCTOK VKKISSIMVS OLIM 1)
PBAEREFTVS 8VB1T0 LINGVA NOCENTE FVI
CONDERB SI CKEDIS STVOYI TOT HtUA LIBROS
QYOT LEOIO MISSOS DVCIT IN ARMA TIROS
NVLLA MROS VNQVAM TET161T BLASPHE3UA SRNSTS
SED VIOIL CT PRVDEXS TVTVS AH HOSTE FVI
SOLA MIHI OASVM PKKIARCHON DICTA DEDEKVNT
HIS UE CONiECTVM IMPU TELA PKEMVNT.
Die HancteolirifteB wie cUe Aufgaben bieten sahheiche Varianten.
Naeh 1 sclialtet Salasar die Yerae ein:
QVEM IMIIMV.M FIDEl GRAECIA •) CLARA DEDIT
rFI,SVS EHAM MEKITIÖ ET CLARVS CüPU FANDL
») Mal. il Ion: liKATLV,
Den ersten derHolben iiat auch MabiUon, der aber die folgenden beiden
Versr b* i Salazar, deren letzter der zweit4i bei Arevalus ist, weglässt.
V. 3. Mabiüuu: si mihi credere viti libros tot miüia scriptd. v. 4. ISaiu-
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260
FIPEE,
Da ist nicht von Leben und Sterben, sondern von Lebre und
Schriften des Origenes die Hede, der einst ein Lehrer der
lautersten Wahrheit gewesen und die Zahl seiner Schriften
auf Legion (6000) gebracht habe, — wie die Sage ging*):
worflber Hieronymiis öfter dcb aofhfilt') und was er (an der
2nv(yrS.S63 angef. Stelle) auf noch nicht ein Dritteil erm&ssigt.
Keine Blasphemie habe jemals seinen Geist berührt: das if?t
Abwehr eines Vorwurfs, der von seinen Gegnern crlioben
wurde, einem Theophilus, Bischof von Alexandrien, nach dessen
Anssprach in einem Osterbriefe vom Jahre 402 Origenes alle
Häretilrer magnitndine blasphemiae übertroffen babe^); und
Andern (Methodius, Eustathius, Apollinaris) mit ihm, welche
von Socrates (Hist. eccl. VI, 13) i,^erügt werden, dass sie
schmähsüchtig viele verführten, den Origenes velut blasphenium
ZU meiden, — wovon im Abendlande die Knude umlief durch
die Uebersetssung jenes Osterbriefes von Hieronymus und die
Historia tripartita des Gassiodor *). Vielmehr, fährt die In-
schrift fort, wachsam und klug sei er sicher vor dem Feinde
gewesen, — das ist derselbe Feind, vor dem Gregor der Grosse
laut seiner Grabschrift die Selen verwahrt hat (oben Nr. 25,
V. 8). Lediglich die Beden von den Qrundlehren (in den
Bfichem ^x*^) bfttten ihn zu Falle gebracht. — Diese
Erkliirung ist bezeichnend für die Anerkennung^ und Unter-
scheidung der Schriften des Origenes. In der Tat knü])!! sicli
die Verdammung an das genannte Werk, aus welcliem Kaiser
Justinian alle Stellen zog, die er seiner Verurteilung zum
Grunde legte: wfibrend die Gommentare zur heiligen Schrift
hoch angesehen und benutzt blieben. Daher Oassiodor über
Origenes das zweiseitige Urteil fallen konnte, nach dem Vor-
zar: nostros ducit; MabiUon: missos mittit. v. 6. Mabi1lon: -8ed probus
atqne vigiL v. 8. Salazar: cougestum. Ebendas. Salazar: tela proterva;
liabillon: undiqoe teU.
1) Epiphan., Adv. haeies. LUV, 63.
*) Hieronym., Apolog. adv. Bnfin. II, la 32. 98.
8) TheophiL, Epist. paachaL intopr. Hi«nm. c. 16. Oalland.
BiU. patr., T. VII. p. 689.
i) Hieronym., Epiat XOVIII, c. 16. Opp. ed. Vallan., T. I,
p. 598. Cassiodor., Hiat tripark X, 11. Opp. T. l, p. SM.
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ZDB GESCHICHTE DBR KlRCHEmrÄTER. 261
gang des Su^i<»iiB SeTerus (Dial. I, 9), aber in aohüiferer
Eassiing: nbi bene, nemo meHor; nbi male, nemo pejor
Indes wird der Sinn durch den Zusammenhang und die
Oertlichkeit näher bestimmt. Denn dies Epigninim steht
nicht allein, sondern ist eines von vielen, welche eine Reihe
von Eirchenscbriftstellem kurz chaiaktenairen, indem aie teils
angeredet werden, teils in eigner Person sprecben oder ?on
ihnen in dritter Person geredet wird: die Ordnung ist in ver-
schiedenen Handschriften verschieden. Bei Arevalus stellt Ori-
genes an zweiter Stelle: die übrigen sind Hilarius, Ambrosius,
Hieronymus, Chrysostomus, Cyprianus; und die Dichter Pru-
dentins, Avitns, Jnvencus, Sedulius; femer Eosebius, Orosins,
znletzt Gregor der Grosse nnd Leander, woranf die Juristen
und Medicinor lolgeu. — Die üeherschrift des Ganzen ist
nach einer Handschrift in Madrid und ähnlich in einer vati-
caniscben: titulus bibliothecae a domuo Isidore editus (])ei
Arevai, Isidor. T. U, p. 24); in der ambrosianisehen
(s. znvor): versus qni olim in bibliotheca Sancti Mdori etc.
legebantur: — jener Lesung folgt Salazar, dieser Arevalus.
Was für eine Bibliothek? Letzterer vermutet: die Epi-
gramme, seien sie von Isidor oder einem andern verfasst,
möchten den B&chern, deren Verfasser sie preisen, beigefägt
gewesen und sp&ter von Biaulio oder einem andern gesammelt
sein. Aber die Handschriften sprechen nicht von Büchern,
sondern von der Bibliothek des Isidorus. 6s scheint doch,
dass die Epigramme als Inschriften dieses Raumes, oder viel-
mehr der Schränke auf die dort aufgestellten Werke sich
beziehen, — wie aus ihnen selbst zu entnehmen ist Denn
eine Einleitung, welche flberhaupt ermahnt zu lesen und nidit
faul zu sein (sie steht voran in der Handschrift zu Madrid
nnd bei Salazar, bei Arevalus unter u. XI Y), hat diesen
Anfang:
PeimiütOB 1.: Non tocos) UbiOB gestant haec seriiUa wmtn:
Qtd enpis, eeoe lege, si tim vota libent;
woraus auch hervorgelit, wenn man die folgende Anrede frater
hiuzuoiuimt ,^ dass diese Büchenammlung nicht bloss zum
1) Cassiodor., huät dif. litt. o. 1> T. II, p. 640.
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262
FIFER,
?rivat*;ebrauch des Isidoras diente. Das Epigramm auf die
Werke dee Eusebius und Orosius lautet (n. XI):
GBstoiias lenun et tmuacti tempora aeeli
Oondita meuihrams hMC simiil area gerit.
Und von Hieronymus lieisst es (n. VI):
Hieronymc interi>res, viiriis doctissinio lingiiis.
Te Bethlehem celohrat. totns te jK^reonat orbis.
Te qooqae nostm i\m promit bibliotheca Ii bris.
In allen diesen wird durch membrana und libri, arca (der
Kasten für die Handschriften) und scrinia Inhalt und Ein-
richtung der Bibliothek, deren Name überdies in der letzten
vorkommt, deutlich bezeichnet. Wahrscheinlich ist Isidonis
der Verfasser, wie denn die Epigramme mit seinen Zeit-
genoflsen, Gregor dem Papst und Leand^ seinem Bruder ab-
schliessen. — Beides, diese Abfiissung und die inschriftliche
Verwendung' der Epigramme, spricht der alte Katalog der
Bibliothek des Klosters Lorsch aus, in welchem dieselben
unter andern Schrü'ten des Isidorus aufgeführt w(;rden: versus
qui Bchpti sunt in armaria sua ab ipso (Isidore) compositi *).
Das erste Epignunm in der Ausgabe des Arevalus (wel-
ches von der voranstehenden Einleitung nicht unterschieden
ist, auch den Titel des Hiichs am Uande nicht bei sich
hat — bei Öalazar fehlt es ganz) verdient noch augemerkt
zu werden:
Hic gem&iM radiant venennda Tdamuia legis,
Condita rant paiiter hic nora cam veteri.
Das sind die Bücher Alten und Neuen Testaments, — die
gcniina lex nach dem Sprachgebrauch, der vorhin angezeigt
worden (zu n. 29; s. auch X)h.). Womit verglichen werden
mag (auch fär den bibliothekarischen Ausdruck candüa, be-
wahrt, nämlich aufgestellt) das juristische Epigramm n. XIY:
Conditur hic juri» series amplissima Icgnm,
Veridico Latium quae regit ore forum.
1) Das Verzoiohuis der Schritten des Isidorus aus «licx in K.italo«^
nach der H« idelb-iger Handschrift bei Arevalus, Isi«lor , T. I, ]>. 3IK>;
v^^l. T. II, p. 7. Der ganze Katalog bei Mai, ^picilcg. liomao.,
T. V, p. 187.
^) Doch wird es richtig erklärt von Arevalus T. II, p. 6, 6.
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ZOR OEBCBIGBTE DEB KIBCHBNylTBB. 368
Das vorletzte dieser Epigramme, auf Gregor den Grossen, ist
8dion vorhin n. 26 voigekommen.
So tritt diese Folge von Inschriften der Bihliothek des
Mdoms ZQ Sevilla in eine Reihe mit denen der Bibliotheken
des Ennodius zu Pav ia, des Agapetus zu Rom, von denen zu-
vor die Rede war. — Auf der andern Seite steht die In-
schrift des Alcuinus in einem Kloster, dem er vorstand.
88« a) Alcnin., Cann. CVII, Opp. ed. Proben., T. H, p. 216.
übt Ubri eusiodnmUir.
PARWLA TECTA TENENT C0BLEST18 DONA SOPHIAS
QVAE TV LECTOR OVANS PECTORE DISCE PIO
OMNIBVS EST OAZIS MEUOR SAPIENTIA DONIS
QVAH UODO QVI SEQMTVR LVCIS HABEBIT ITER.
Wo die Gaben der himmlischen Weisheit, welche das kleine
Gemach umschliesst, dem Leser zu frommer Aneignung em-
pfohlen werden: einer Weisheit, deren Nachfolj^'e auf den
Weg des Lichtes führt. Ein anderes Epigramm desselben
Verfassers eröffnet den Blick in -das Arbeitszimmer der Ab-
schreiber, das Scriptoriom, imd ihre Tätigkeit, welches be-
ginnt:
b) Alcuiu., Caim. LXVll 1. c. p. ^211.
Äff Mumrum Jibros scrihentium.
eiO SEDEANT SACKAK SCHIHKNTES FAMIXA I.F.t.IS
NEC NON ÖANOTÜKVM DICTA SACRATA l-AiRVAI
etc.
die also mit der heiligen Schrift (sacra lex) nnd den Schrif-
ten der Kirchenvater beschftftigt waren nnd weiterhin emstliche
Ermahnungen empfangen.
Schliesslich gedenke ich des Plaues zu einer grossen
Klosteranluge vom Jalire .s2ü in der Bibliothek von St. Gallen,
worin für beide Zwecke durch ein zweistöckiges Gebäude ge-
sorgt war, dessen Bestinmiang die Worte anzeigen: infra
sedes Bcribentinm — su^ra bibliotheca. (Keller, Bauriss
des Klosters S. Gallen S. 20 und in dem Riss.)
Das sind die gesegneten Stätten, in welchen die Texte
der christlichen wie der klassischen Literatur aus dem Alter-
tum bewahrt und fortgepflanzt wurden.
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lieber den sogeoattuteB zweiten Brief des Ueoieiis
au die Koriuther.
Von
Prof. Dr. Adolf Huruack
in Leipzig.
In dem denkwürdigen 67. Kapitel der Apologie des
Justin, in welchem der aonntSgliche Gottesdienst der Christen
geschildert wird, heisst es xai tfi rov fiXiov A^^o/i%
Ttuyiujy xaiu noXeig tj uyi^iolg /ntyoyTWy kni lo uvio rsvyt).tvniQ ytyt-
tutf xui TU ano/4yr^fioytv^tuTa iioy nnaaroXiuy t« av^ygufiftuia
Tüjy npoqffßüii^ ayttytrwaxnaif n^/Qtg fYZWQfi. tha navaufuyov
jov araymlintoyjog o n^o tat wg diä Xoyov rt;y rov^eaiar
xa} npoxXfiatff t^s rßy xaXtSr Tovrwy fiifitiaiutg not-
uTat. Wir erfahren hieraus, dass die Predigt bereits um
di»; Mitte des zweiton Jahrliunderts in Korn einen bestimmten
Platz in der festöteheudeu Ordnung des Gottesdienstes er-
halten hat, dass sie fast ausschliesslich schon als eine amt-
liche Function des Oemeindevorstehers gegolten haben mnss
und an das geschriebene und yerlesene Apostel- und Pro-
phetenwort gebunden war Somit war sie bereits Cu 1 tus-
Predigt von esoterischem, exegetist liem, paräneti-
scbem Charakter, ihrem Zwecke nach scharf geschieden von
der Mission 8- Predigt, ihrer Form nach nicht mehr zu ver-
gleichen mit den freien Wechselgesprachen und Lehneden,
1) Justini Opp. e(li<l. Otto, edit. III {187G), p. 184 sq.
^) V^H. i h. Hariiack. Der christliche Gcineindegutt^esdieiiät im
apostolificheu uud aitkatholiscben Zeitalter (1864) S. 244 £
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DBB SOG. n. BIOBF DES CLEMKIIB AN Dn&KORIMTHBB. 266
welche in den gottesdienstlichen Versamralungen der paalim*»
sehen Gemeinden der An&ogBzeit von Allen gehalten werden
konnten, die das Xß9^f*» jfjc Mazni besassen % Schon in
dem zweiten Jahrhnndert wird flbrigens xwischen der Predigt-
weise der abendländisclieii und morgenländischen Kirche der
Unterschied gegolten haben, dass hier das exegetiscli - theo-
rot iscbe, dort das paränetisch - praktische Moment überwog.
Wenigstens ftthren alle Zeugnisse, die wir fiber die Öffent-
liche Predigt im Abendlande durch Tertnllian, Cyprian
u. A. besitzen 2), darauf, dass die abendlaiulisclie Kirche den
Haui)tiia('li(lrnck in der Predigt auf exbortatio, castigatio, cen-
sura divina gelegt hat ^). Damit in Zusammenhang tragen
die Predigten im Abendlande einen schlichteren, knnstloseren
Charakter als die oratoriscben, alexandrinisch- gelehrten Ho-
milien des Morgenlandes*). Gegen Ende des zweiten Jahr-
hunderts schon niuss im Orient und Occident die urspning-
lich esoterische und paranetische Cultusprcdigt durcli Ein-
dringen eines neaen Elementes wesentlich modificirt worden
sein: nach iänrichtang des Eatechumenats wurde sie nicht
mehr allein vor ToUbürtigen Gläubigen, sondern auch Tor
deu Katecbumcueu gehalten Didaktische und apologelibcbe
1) Vgl. IKor. 12. 14. Rom. 12, öfF.
i) Stellen bei Angasti, I>enkwnrdigkeikn Bd. VI (1833)» 8. 262£
281«".; Th. Harnack a. a. 0. S, 353ff. 364 ff.
*) lodirect wird dies auch durch die ethisch - asketischen Abhand'
Inngen der abendländischen Väter bestätigt, w.Hhrend Homilicn und exe-
getische Tractate fehlen, ücber ITipi»ol}'t, seine Houiilien und sein
Verhältnis zu Origencs vergl. Phutius, Biblioth. cod. 121; Hiero-
nymus, De vir. ill. Gl; Caspari, Quellen zur Gcschiciitc dos Tauf-
symbols Bd. III (1876), S. 352 f. 374. Anm. 184. 3S1 ff. Charakte-
ristisch i^t, dass Tertullian (Apolog. 39) als Inhalt der öffentlichen
Predigt „cxliortationcs. castigationes et censura divina** nennt, während
Origencs (contra Ccla. III, 50) von den Gottesdienst feiernden Christen
schreibt: ol dt^ ayayyeaafiftTüjy xal dia Toiv ei^ et v t (t d i^yqoeißt
nQoxQETiovreq ^kv t'ril rtiv dg tov f^tov ztov oXoyv Bvn^^mtv.
^) üclier die viellK-sproclicne Nachricht des Sozoincnus (Hist.
eccl VII. 19): orrf d'k 6 entaxonog, ovre fikXoc; ti<; «V.^aVf (seil. Komae)
tn' fxxkrjoiug (hddaxEi siehe das Richtige bei Bunsen (Hi]>polytu« und
aeme Zeit Bd,l [ISfri], S. 231. 352) u. Th. H ariiack fa. a. U.S. 246 f.).
6) Vgl.Th.fiariiack a.a. O.S.^tiUff. Dort auch die Belegstellen.
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266
HARNAC3K,
Tendenzen treten nnn melir und mehr in den Vordergrund;
manchem iimsstc verschwiegen oder, nur den Ein*(eweihteii
verstand lieh , angedeutet werden. Die discipliaa ecclesiae
nimmt allmählich die Fonn einer schulmäsaig anflgebiideten
Lehrdisciplin an nnd diese Wandelnng mnss sich notwendig
in dem Charakter der Geraeindepredigt abgespiegelt haben.
Wir glaubten l)isher, keine Predigten aus jener iilte-
ren Zeit, von welcher Justin zeugt, zu besitzen. Sie
wären die wichtigsten Documente, aas denen wir 4^ect auf
die in der Grosskirche damals geltende Popnlfirdogmatik
scbliessen könnten. FGr die Feststellung grade dieser sind
wir ja auf spärliche Zeugnisse angewiesen. Die upulogetisehen
Werke aus jener Epoche sind sehr wenig geeignet, diesen
Mangel zu decken; die polemischen Schriften — zudem &st
sftmmtlich nur in Bmchstflcken erhalten — dfirfen fttr das
Zeitalter der entstehenden katholischen Kirche nur mit groeser
Behntsanikeit zur Hrmittelnng der gemein -christlichen Denk-
weise lierangezogeii werden: man muss sich bescheiden nur
aus dürren Büchertiteln, wie sie uns Eusebius überliefert bat,
und ans Ausf&brungen, wie sie der Hebräer-, Gemens-, Bar-
nabas-Brief, der Hirt des Hermas nnd der justinische Dialog
mit Trypho bieten (vgl. auch des Celsus „Wahres Wort"),
einige Hauj^tschlösse zu ziehen. Bis heute sind dieselben
freilich noch nicht gezogen worden: das einseitige Interesse
an solchen Lehrbildungen, die in bestimmte, noch jetzt gül-
tige Formeln ausliefen, wie es die dogmengeschichtlichen Ar-
beiten auch noch der Neuzeit mit wenigen Ansnahmen be-
stimmt, stellt den Versuchen, die christliche Denkweise einer
bestimmten Epoche vollständig darzustellen, hemmend im
Wege £s mnss auf diese Aufgabe immer wieder gewiesen
werden; in Bezug auf die Geschichte der Kirche im voir-
irenäischen Zeitalter aber ist die Vernachlässigung derselben
^) Hieraus erklärt sich auch Vorliebe und Unsriinst , mit mlclit-r
die aus der Knt.strliuiig.szi it der altkathülischen Kirche stiiiuin» inkfi
Schriftstücke btliaiidclt /.u \VLr<lL'ii ]»He^'en. So ist es z. B. charakte-
ristisch, dasö die Acta Pauli et Thtclac bisher noch fast gaiizliclj un-
berücksichtigt geblieben sind. Nur Kitsehl (Entstt^-hung der altkatholi-
scben Kirche \2. Aufl. 1857] S. hat sie verwertet.
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DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIB KORINTHEB. 267
am TerbängiiisTollsteii; denn Fredigt und Unterweisung
waren noch nicht — oder war in ferhftltnismSssig freier
Weise — an eine bestimmte theologische Lehrform ge-
buaden.
Die neueste Entdeckong einer vollständigen Handschrift
der beiden Briefe des römischen Clemens an die Korinther 0
hat uns eine altchristliche Predigt gebracht; denn als solche
erweist sich der nun vollstiiiulige sogenannte zweite Brief des
Clemens aul das bestimmteste Der tretUiche Herausgeber
1) Tov fV ttyioiq TittTQog ij/uiov KXrifABvtoc: iiita/.onov J'wyMr/f td
Svti nonc: Knnty'^fovg imataXid , yvy ngtaiov txtiidofxBvui nXijQ£ii v7to
4». HQvtvyiov. ConstanthiojH l 1875.
2) So hatten auf (inind di s Frafrn)cnt<}8, welches der T'od. A. ent-
hält, schon Vendelinus. Grabe u. A. geurteilt (vgl. Uagemann
in der „Tübinger Theologischen Quartalschrift" 18G1, S. nilff.). Die
neuen Stücke machen die Sache zweifellos; vgl. c. 17, 3: x«i fAn fiovov
üoxi doxtijuey Tiiaf£v€iy xai jiQoai^Hy iy rtfi wov&tre^&at vno xtav
7tQtafiirTt\wjy, akhi xai Sray «<? olxoy ana^aytiäfity, (xv^fAWtvtofiBv tviv
rnv xvQiov ivraXfAtttiay. c. 15, 2. C. 19, 1: &9tS, u^ehpoi 9ui a&iXtpai,
ToTg ysyQttfi/isvüig , i'va mi iavwod( ctio^M JMti top draymSaxarta iv
vfiiy. Die schwierigen Worte fi«f<Ä tw tns (iXij»Biits lassen katmi
eine andere Erklärung zu ßla die tob BiTenmns TOigesehlagaie = fUiti
TTty ayuyytacw zOv UQtiSv yQucptoy^ iy «U Mg iOTiv i XMy, Dafür
s^cht auch das roig yey^ufiiAtyoi^ , welches man ni<dit auf den Inhalt
der Predigt (obgleich awayivtitt*» h^tv^nf steht) dentan darf, som*
dem anf den Inhalt des vor der Predigt yerlesenen Sehiiftabeehmttes
besiehen mnss. Dann aber wird ToUends klar, dass wir es hier mit einer
solchen offimtUchen Fredigt zu ton haben, von welcher Jnstin Apolog.
c. 67 gesprochen hat — Es ist nach dieser Einsidit ftrder nnmöglich,
den sogenannten zweiten CXemensbiief mit dem Brief des x9misehen
Bischoi^ Soter, welchen DionyainB von Eorinfh (bei Enseb., Hist. eccL
IV, 23, 11) ger&hmt hat, zn identifidren (vgl Hilgenfeld, Nov.
Teetam. extra can. recept fasc. I [1866], XX2IX; unsere Ansgabe
der FP. Apost fosc. I, p. XCIsq.). Diese Er&hmng mahnt wie keine
andere zur Vorsicht; ich bekenne ^ nnd gewiss nicht wenige Faeh-
genoesen mit mfar — . dass ich die Combination mit dem Briefe des Soter
für sehr wabrsch«inlich gehalten habe. Eine genaue Prüfung der
Oeschichte der üeberliefiBrang der Homilie hatte schon einige Zweifel er-
regen müssen. Die W och ersehe Hypothese (Briefe der i^ostoL Viter
Clemens nnd Polykarp [1880] S. 204), der sogenannte zweite Clemens-
lirief stamme vielleicht von Dionysius von Korinth, ist ein uncontrolir-
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868
derselben, Bryennius, hat keineu Anstand genommen, du
Homüie fOr ein echtes Werk des rdmisdien Clemens za
halten. Das Fragment, welches bisher bekannt ww. setzte
man jetzt ziemlich allgemein iii die Zeit um 170; viel weiter
darf man keinesfalls hinuntergehen: daran hindern die reich-
lichen Citate aus apokryphen Evangelien Also bleibt für
die Abfassungszeit schon bei flüchtigem Einblick ein Spiel-
raum von 80 — 90 Jahren. Wir werden Tersachen, die ter-
müii a quo nnd ad quem näher zn rflcken und zugleich die
Zeitrichtung und die christliche Denkweise des Verfassers
dieser Homilie, womöglich auch den Ort der Abfassung zu
bestimmen. Wir beginnen mit einer Prüfung der Ueber-
liefemng. Abgesehen von den treffliehen Bemerkungen Light-
barar EinfiüL Bryonnins (8. e^c') int, wenn er Woeher als den
Urheber der Soter*HypotheM beieiohnet Ein Irrtum, deo Wagen-
mann G» Jabrb. f. deatsclie TheoL" 1876, S. 181) lepetirt hat ~ Auch
darauf aei hiagewieae&r daaa die Fkedigt nicht frei rorgetragen, sondern
vorgelesen worden ist Man nahm bisher allgemdn an (vgL Th. Ha r-
naok a. a. 0. S. 371), dass dies la der alten Hircbe niemals geodiah.
Der freie V<»rtrag wird aoeh die B^gel gewesen sem; manche gdatlidien
Beden sind uns nur dadmeh erhalten, dass Sienogra{)hen sie naefa>
geiehrieben haben. Vgl Enseb., Hist eocL 71, 36^ 1: rore if^...
9vXl6^afi89or i» T^s funtgSs «ric^mnecv^ ^<*^> «nc tov xomw
n^rt^i^ non rovfo ya^^ «ir^jiftti^qxora. Dan Hist eoeL YI,
23, 1. 2, mid Photins, Biblioth. c. 121 (wo fälschlich Hip]>oIyt statt
Ambrosius genannt ist). Die Verhandlimgen der letzten antiocbeniseben
Synode gegen Paul von Samosata wurden von Tad^giaphen nieder-
gesehrieben (Eii.sc-b. , Hist. eccl. VII, 29, 2: int^f4Uovfiivt»y rcgfvy^-
qrtutr), Aiu^ die Katechesen des C}Till von Jerusalem sind uns aitf
diesem Wege erhalten; vgl. dif Notiz im Cod. August, der Katechesen
(edit. Touttee [1720] p. CCLXVl): ravrag {sdL catoch.) di fxoyag ^
rui Hyta&tti Tiir cnov^aüav nvkq ixkaßöyrif eyQatffttr iv rm ryß' Irci.
£pipb. Panar. IIb. HI, t. II, Expos, fid. cath. c. 21. Möglicherweise ist
auch der Archetypos unserer Homilie nicht das Concept des Fredigeis,
sondern die Naclinchrift eines Hörers gewesen.
1) Meines Wissens ist Grabe (SpicU. T. I [1700], p. 2G9) der
Einatge, der das Fragment in die Mitte des dritten Jahrhunderts setzen
woUte. £r stützt seine Ansicht lediglich auf den Mangel einer üebor-
lieferang vor Eusebius. Dieses Argument wird im VeriauÜs der Unter-
snehuBg berOcksichtigt werden.
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DBB SOG. n. BBIEP DES GLEBIBI» AN DIB KOBINTHEB. 869
foi>is (dement of fiome p. 173 sq.) oiid emigen Winken in
der neuen Ausgabe der Apostoliadien Yftter ven Gebhardt,
Met man Aber dieselbe nichts Qmifigendes.
L
Hegesippas, Dionysius von K<wrinth, Irenftus,
'Glemens Alex., Origenes sprechen von dem Bri^e des
rSmiscfaen Clemens an die Eorintber in einer Weise, dass
man sicher schliessen darf, ihnen sei kein anderes, zweites
Schreiben unter diesem TiU4 bekannt gewesen. Ebenso wenig
verraten sie in^^end eine Kunde von der Homilie, die ap&ter
ah sEweiter Kohnther- Brief des Clemens beeeidinel wurde.
Kam enlen Male, so viel wir wissen, wird ein «weiter Brief
des römischen Clemens von Eusebius erwähnt. Hist. occl.
in, 16; IV, 22, 1; IV, 23, 11; VI, 13, G spricht er zwar
immer nur von dem einen allgemein anerkauuteu Brief,
den er bei Hegesippns, Dionysias von Korinth, demens Alex,
allein bezeugt gefunden hat; aber an der einen Stelle (Hist.
ecd. in, 38, 4) fügt er der ansfllhiüchen Charakterisining
dieses Briefes folgende Notiz hinzu: „Es ist aber bemerkens-
wert, dass es noch einen zweiten Brief des Clemens geben
so Ii. Wir haben durcbaos keine Kunde, dass auch dieser in
ähnlicher Weise wie der ersbs anerkannt sei; denn wir wissen,
dass audi nicht die Alten ihn benntist haben.** ^) Man
sdieinl vielfach diese Worte so verstanden zu haben, als
habe Eusebius seibat den Brief in Händen gehabt; allein
grade das Gegenteil besagen seine Bemerkungen. Das „cimm
Uyenu^* sgncht so klar als mO^di dafSr, dass ihm der Brief
B icht SU Gesieht gekommen ist Er halt von seiner fixistens
nur gehört durch Zeitgenossen*); nicht einmal die Adresse
des Briefes ist ihm bekannt und er registrirt ihn überhaupt
nur, um zu bemerken, dass es sich mit diesem angeblich cle-
mentioisohen Schrütstäcke vdUig andeis verhalten müsse als
iniatoXiq. (hi ^qr <Qfio(os nQor^^ ata» ntvT^ yimiQtfior intnä^
2) Dem Sinne nach abio völlig richtig Rufinus: „Dicitor tarnen
esse et alia C^ementis epifitsla, cuius no8 notitiam non aoee-
pimos."
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270
ÜAJKNAÜK,
mit dem aiicrkaiintcu Briefe des römischen Bischofs. Also
in keinem Citat, in keiner Abschrift — geschweige denn in
einer Bibelhandschrift — ist dem bflcherkimdigsten Manne
seiner Zeit ein zweiter Brief des ClemeDs begegnet Das ist
wichtig. Man wird hieraus schlicsscn dürfen, dass der Brief,
den Eusebius meint, in den Kirchen des Orients überhaupt,
80 weit die Beziehungen des Eusebius reichten, unbekannt
gewesen ist: also werden wir die Kreise, ans welchen eine
ganz unbestimmte Kunde von der Existenz, wohl auch von
der ehrenvollen Benutzung des Briefes zu Eusebius gedrungen
ist, nicht in Alexandrien, niclit in dem griechischen Syrien,
Kleinaaieu oder Byzauz zu suchen haben. So steht es mit
der ersten Bezeugung unserer Homilie; ein Skeptischer kannte
leicht auf die Vermutung kommen, dass es sich hier noch
gar nicht um das Schriftstfick handele, welches erst um ein
Jahrhundert später unter dem Namen zweiter Koriiither-
brief des Clemens" nachweisbar aulgetaucht ist. Warum
sollte z. B. nicht einer der pseudo - clemen tinischen Briefe de
viiginitate, die sicher im Anfang des vierten Jahrhunderts
schon vorhanden waren, hier gemeint sein?^) Auch an die
ep. Clementis ad Jac-obum könnte gedacht werden; überhaupt
war ja schon manches Pseuduclementinische zur Zeit des
Eusebius in Umlauf-). Diese Einwüiie sind nicht mit völli-
ger Sicherheit abzuweisen. Nur das wird man entgegenhalten
können, dass dcfin ersten Glemensbrief, so viel wir jetzt
wissen, niemals ein anderes SehriftstQek als „zweites^ zur
Seite gesetzt worden ist, abgesehen von jener Homilie, welche
die alexandrinische und die coustantinopolitanische Handschrift
enthalten und dass man in späterer Zeit die Notiz des
^) Wir werden im Verlaufe der Untersuchung aiil eine Anjxabe ge-
fiihrt werden, nach welcher der sogenannti^ zweite Koriiitlur- Hriof als
dritter Brief des Clemens nach den beiden Briefen de virginitate ge-
zählt wurde.
«) Vgl. Euseb., Eist. ecci. Hl, 3S. 5.
3) Dazu kommt, dass die Briete de virgiiiitat4.' ättt.s j>aarw< ise auf-
treten trte ep. Cleni. ad Jacob, ist in den griecliisclien Kirchen vom
fünften Jahrhundert ab viellfirbt uiclir gebraucht ah geehrt worden.
Mit dem Korintlier- Brief de» Clcuiens hat sie meines Wissens niemand
^mmnuuengestellL
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OCR SOG. U. BBIüIF DES CL£M£Nä AN DIE KOKI^'Tli£R. 271
Eusebius allgemein auf diese Homilie bezogen hat Letz-
teres besagt mm allerdings sehr wenig, da die griechischen
Gelehrten im siebenten bis zwölften Jahrhundert die Nach-
richt des Eusebius mit demselben Vorurteile betrachten
mnssten, wie wir; allein die erstere Beobachtong macht es
wenigstens wahrscheinlich, dass das Gerdcht, welches
Eusebius zu Ohren kam. sich wirklicli auf das Schriftstück,
welclies damals schon oder später erst den Namen „zweiter
Korinther - Brief des Clemens^' erhalten hat, bezog. Wir con-
statiren also nur dies, dass in den Kirchen und Kirchen-
biblioiheken, welche Eusebius kannte, im Anfimg des Tierten
Jahrhunderts von unserer Homilie keine Kunde zu finden
war. Auch dem Kufiuus, Hieronymus, Epiphanias
ist sie unbekannt. Kufiuus ^) und Hieronymus ^) sprechen zwar
auch von einem zweiten Briefe des Clemens; aber die Nach-
ric|iten beider sind von Eusebius, Hist. ecel. in, 38, 4
abhängig. Dem fügen sie nichts hinzu, nicht einmal die
Adresse — also haben aiicli sie von der Homilie uichts ge-
hört und kommen überhaupt nicht weiter als selbständige
Zeugen in Betracht. Epiphanius kennt mehrere Briefe des
Clemens *); allein man muss starke Zweifel h^n, ob er auch
nur den ersten Koriniher -Brief des Clemens vollständig in
IQUiden hatte Ihm stehen jeden&Us die Briefe de virgini-
tate im Vordergrund, und dass er um die Existenz eines zwei-
ten Korinther -Briefes des Clemens gewusst habe, ist eine
völlig grundlose Hypothese. Die Homilie hat mithin bis zum
Ende des vierten Jahrhunderts keine nachweisbare Qeschidite.
1) So dfirfen wir nach den Bemerlnuigen des Photins, Syncellus,
Nicephorns CalL scUiesBen.
Bnfinns* Angabe habe leb oben S. 269, Anm. 2 mitgeteilt.
^ De vir. illoatr. 15: Fertor etiam seconda eins nomine epiatola,
qnae a veteribna reprobatar. Beziehungen auf unsere Homilie
sind bisher m den Wericen des ffietonymns nicht nachgewiesen worden.
«) Vgl Haer. 27, 6; 30, 15.
YgL Fatr. App. Opp. &sc. I, edid. Gebhaidt etc. p. LXVIL
Die Briefe de rirginitate meint Epiphanins, wo er von encyclischen
Biiefien des Clemens spricht. Seine Worte beweisen, wie rasch diese
apokryphen Kachwerke sn Ansehen gelangt sind; er nennt sie difoynfm^
Zftiticiiu. f. K.-o. 18
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272
HAKNACK,
So Tfttselhaft dies ist, so rätselhaft ist nun ihre erste Be-
zeugung.
Die 74. Responsio der pseudojustinischen Quaest. et
Kespous. ad orthodoios beginnt mit dem Satze ^) : u
nugf^vofig xataaTUKfiUtg to tiXos iarlr ^ Ji« tov 3tv^ xgiins
Xtav, IVi 9i xeei tiJ^ StßvXXtjgf xadtag (pr^otr o fiuxaptog Kkr^ur^g
iv rf^ noog Koniv&tovg ^ntaroXfj, xrk. Dieses Citat war bisher,
so lange man dio Briefe des Clemens nicht vollständig be-
sass, nicht unterzubringen; die meisten Herausgeber (auch
Hilgenfeld und Lightfoot) waren geneigt, es in die
grosse Lflcke des ersten Briefes zu setzen, welche sich in der
alexandrinischen Handschrift nach Kapitel 57 findet. Be-
achtenswert ist es, dass Hilgen fehl-) vorschlug, die Worte
x«^f< — SißvkkriQ als Bemerkung des Verfassers von dem
Citat abzutrennen und nur den Satz d rfjg — wnßtHy als
dementinisch gelten za lassen^). Allein Bryennins*) er-
klärte nach Darchmnstening des TollstAndigen Textes der
beiden Briefe dies Citat für apokr}^ph, da es sich in keinem
derselben fände. Ein neuer Beleg also, so scheint es, dafür,
wie sehr der Name des Clemens in der alten Kirche mis-
hraucht worden ist. Indes ich halte es ffir zweifellos, dass
Bryennius sich geirrt hat und Pseudo-Jnstin mit seiner An-
führung im Rechte Ist. c. 17, e der Homilie heisst es, nach»
dem schon c. 16. 3 von dem Tag, |}a alles in Feuer schmelzen
werde*), die Kede war: rr^y ttUgav ixfiyr^y Uyti li^g y.Qhni>g^
oVoK olffomu roi g ir r}fiTy uo(ßr;aatfTac xoXul^or»
rat iiivaXi ßaau¥QiQ nvgi aaßiaT(^, DaSB die Sta tov nv^g
xgtaig rwy uaißtSr das Ende des gegenwärtigen Zustandes sein
1) Vgl. Otto, CoHK Apologett. T. Y (1860), p. 104.
<) Nov. TestaiD. extra oan. recept fbw.! (1866), p.XVin, not 1.
s) In unserer Ausgabe der Apöstol. Väter habe ich das Citat be-
stimmt dem Yer&Bser des ersten Briefes abgesprochen und es ftr wahr-
BobdnUch erklärt, dass es smn zweiten Briefe gehOre.
xttM/iflvof, lad xwt^90¥t»t nyS( rmv oi*gmfvt¥, »«A nüaa ^ynmf ftiJUßof
inl nvfA TifKOfitvog.
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DER SOG. U. BKILF UEiy CL£M£NB AN DIE KUKINTüEIi. 273
weide, wie Pdeodo« Justin, die Worte des Clemens fni ¥rieder-
gebend, sagt, wird hier mit klarcu Worten gelehrt und ist
im Zusammenhange der ganzen Homilie einer der wichtig-
sten Gedanken. Also steht nichts dem im Wege, anzuneh-
men, die Homilie sei hier wirklich benntst worden Und
onter welcher Citationsformel? Genau nnter derselben, weldie
sonst dem alten rOmisehen KorinÜierbriefe gilt: KXrj/iuyTog
TiQog KoQiv^tovQ intarolf.. Wunderbar genug; das erste Mal,
wo die Homilie in der Geschichte unverkennbar auftOQcht, er-
scheint sie als Brief, näher als Korintherbrief, nnmittelbttr
neben den heiligen Schriften, nnd ftst hat es den
Anschein, als wolle sie dies alte Schreiben TerdrSngen; denn
kurzweg wird sie der Korintherbrief des Clemens genannt,
als wenn es einen andern gar nicht gäbe. Doch auf letzteren
Umstand wird kein Gewicht zu legen sein; vielleicht ist das
„ß'^* nach huajoXjj durch Schuld des Abschreibers aufgefallen
oder Psendo- Justin hat ungenau citirt Schreibt dodi au<^
Irenaus wo er den zweiten Thessalonicher-Brief des Paulus
anführt: „ea quae est ad Thessalonicenses epistula''. Ebenso
nennt Chrysostomus einmal ^) den zweiten Timotheus -Brief
TiiAoihov (imaxoXry'. AuB welcher Zeit staimnen
aber die pseudojustinisohen Quaestiones? Die filteren Oe-^
lehrten des 17. und 18. Jahrhunderts nennen (Ibereinstimmend
das 5. Jahrhuudert; ihnen hat sich Möhler^) angeschlossen.
1) AuflMlend Ueiben die beiden oooldhiirten, pamOdeii 8fttze
9ta9n — I^iilhiB vnd ntMq — ifuatol^» Es geht daraus henror, daes
Pieado-jDBtüi d^ von ihm benutzten Glemensbiief nicht sa den
Yqn(f€ti n(fo^i3v u Mal thf/>n6Xtov gerechnet hat; dennoch mvoB er
bd ihm in hohem Anaeben gestanden haben, sonst h&tte er ihn nicht
neben jenen Schriften dtirt Vgl. die treffende PanUele m Hieronym.
Comment ad Ezecb. 48, 19 (Opp. ed. Vall. T. p. 581): „Yittdnm
autem, qni pro nobis iromolatas est, et mnlta scriptnrarnm loca
et praeeipne Barnabas epistnla nominat." Lightfoot (Aea-
demy 20. Kai 1876) schiebt ?or xn^'c ein xtä ein.
t) Iren. lY, 27, 4.
4 Braef> ad ep. ad Coloss. Opp. T. XI p. 882B. edit Bened. An-
ders mag es sieh verhalten I. Cüem. 47, 1, wo der erste Korintber- Brief
des Paulus mit den Worten: wtikdfin% MioroA^ tvO fioaw^iov
Uailw citirt wird.
4) Patrologie (1840) 8. 230f.
18*
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274
harmack:,
Genauer hat Gass die Zeitlage untei'sucht Derselbe sucht
wahlscheinlich zu machen, dass das Werk im Anfang des
fünften Jahrhunderts, TieUeieht auch schon gegen Ende des
vierten, abgefosst ist*). Seine Grttnde sind sehr beachtens-
wert uud bisher nicht widerlegt. Wir düiieii also aunehmeu,
dass um die Wende des vierten Jahrhunderts zum fünften in
der PrOYinziaikirche , welcher der Verfasser der Quaestiones
angehorte, unsete Homüie als zweiter Koiintherbrief des Cle-
mens gelesen wurde und das gleiche Ansehen wie der alte
Korintherbrief des Clemens genoss. Wenn nicht alles tnigt, so
führen die Quaestiones auf einen Verfasser, welcher der syriseh-
antiochemschen Kirche angehörte. Aeltere Gelehrte haben
gradezu an Diodor yon Tarsus oder an Theodoret ge-
dacht^); dies sind freilich, wie Maranus und Gass gezeigt
haben, haltlose Vermutungen; aber auch der letztere versetzt
den Verfasser mit ziemlicher Bestimmtheit nach Syrien, in-
dem er auf Beziehungen der Quaestiones zu Theodoret,
Chrysostomus, Ephraem Syrus aufmerksam macht
Hiemit stimmt nun trefflich zusammen, dass — allerdings
hundert Jahre s[ äter — die Homilie als Brief des Clemens
bei den Moaophysiten . und zwar vorzugsweise bei den syri-
schen gelesen und besonders der Anfang des ersten Kapitels
vieltach citirt worden ist Severus von Antiochien (um
615) fuhrt den Eingang des Briefes an mit den Worten:
„aus dem zweiten Brief an die Eorinther*' Timotheus
von Alexandrien (f 535) dasselbe Stflck unter der For-
1) ..Die unter Justins des Märtyrerö Schriftcu bcliudlichen Fragen
an die Rechtgläubigen" in der «.Zeitschrift f. d. histor. TheoL" 1042,
Heft IV, S. 35-154. Vgl. S. 143f.
*) Als ziemlich sicherer terminus ad qui-m darf etwa das Jahr 5tK)
gelten, da Quaest. 71 behauptet wird, die Welt werde GOOO Jahre be-
stehen, während die Abiiu>.>uugszeit der i>auiiiiischen Briefe bereit« in das
sechste Jitlirtausend verleg-t wir<l. Also befolgte der Vcrfa.sser die Zeit-
rechnung: der JAX, auch welcher die Welt zur Zeit Chribti 550Ü Jahre
alt war.
S) Vgl. Mühler a. a. 0.; Gass a. a. <>. S. 141 ff.
*) Vgl. Cure ton, Corp. Ignat. p. 2lo. Jlö. Lightfoot, Cle-
lueüt ul liuuie 15. 185.
DER SOG. n. BRIEF DES CLExMENÜ AN DIE KORINTHEK. 275
mel: „ans ^em Anfong des dritten Briefes [des Gemens]
rnmittelbar vorher hat er den ersten angeblichen Brief des
Clemens de vivginitate citirt. Dies ist im höchsten Grade
beachtenswert; denn es ist das einzige Zeugnis (von Eusebius
abgesehen), ans weldiem wir scUiessen können: l) dass der
Brief nicht überall, wo er gelesen wnrde, als Eorinther-
brief galt, also sich wohl erst allmfthlich den Platz neben
dem alten Korintherbriefe des Clemens erobert hat; 2) dass
er auch mit den [pseudocleraentiuischenj Briefen de virginitate
hie und da zosammengest^Ut wurde. Die Zeugenreihe für
die Homilie begann — freilich spftt genng — sehr glfinzend
mit dem Gitate des Verfassers der Qnaestiones; nun zeigt uns
doch noch die spät beginnende üeberlieferung ein erfreuliches
Schwanken. Zwar als Brief und als clementinischer gilt ja
auch dem Timotheus unsere Homilie, aber er bringt ihn in
keinen Znsammenhang mit dem alten römischen Schreiben
und scheint somit auch von der korinthischen Adresse nichts
zu wissen'). Sparen der Unsicherheit über den angeblich
*) Vgl. Cnreton a. a. 0. p. 212. 244; Lightfoot a. a. 0.
Beide Stücke sind io syrischer Sprache überliefert Lightfoot bemerkt:
,,0f the SjrriM MS3. containlDgtheae eitracts, the former may date from
the 6^ to the 8^ eeatmy (Corp. Ignat. p. 355), and the hitter mm
written not later than Ä. D. 562 (ib. p. 368). Moreorer the opcniug
werde d^$Up9t — ycx^aiv (c. 1, 1) are fonnd hi »ereral Syriae ei*
traets, of which one ie given by Cnreton (Corp. ignat. p. 365) and
another by Cowper (S>Tiac MieeeU. p. 57). Of theee Dr. Wright of
tbe Britieh Hnaenm eende me f^Uowhig aeeonnt: »Tbere aie in the
Syriae coUeetion seyeral laige Tolnmes ranging from the 7^ er 8^
eent. to the 10^, and entitled Booka of DemonstrationB, i. e.
extracte from the Fatbera to be need in eombating varioas heresiee.
They are all Monophyeite eompUatienB. The extraet oeeors hi eeveral
of Üieee volnmes. I send the tezt eopied from Add. 17, 214, fol. 77 a,
▼hieb US. seems to be of the 7^ centmy.'" Lightfoot hat (a.a.O.
S. 185 t) diesen Tezt abgedmekt. Zugleich stehen die f&nf ersten Verse
des 9. Kapitel in diesem syrisehen Sammelbande; ehi dentlicher Beweis,
dass die Homilie nm ihrer ebristologiaehen Ansf&hmngen willen den
Monopbydten Syriens Ton Wert gewesen ist
>) Dieser TJmstand ist wobl geeignet, in manchem Zweifel an der
oben empfohlenen FeststeUnng der Abfassnngszeit des Qnaeptiones zn er-
regen. Allein entscheidend kann dieses Zengnis des Timothens doch
nicht sein.
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276
HABNACKt
clemeutinisclieii Brief lassen sieb vielleicht auch noch bei
einem Tjandsroapn des Timotheus, bei dem Schreiber der
Torlage der alexandrinischen Bibelhandschrift
entdecken. Der Index libromm freilich, der dem Cod. A
voransteht, enthält beide Briefe unter derselben Bezeich-
nung: KXrifxivioQ intOToXr; «'. HXiffierTOg ImaioXt] .i'. Beide
stehen dort (und auch im Codex selbst) hinter der Apoka-
lypse, aber vor den bedeutungsrollen Worten „ofiw ßiflkia
xrX.^y deutlich getrennt also von den Psalmen Salomons, die
den iitschlusö des Ganzen — gleichsam nach dem Redaktions-
striche — bilden. Man wird also mit Sicherheit urteilen
dürfen, dass dem Schreiber des Cod. A unsere Homilie so
gut als ein dementinischer Korintherbrief galt, wie der wirk-
liche Korintherbrief des romischen Presbyters Auf&llend
aber ist nun der Umstand, dass, während der erste Korinther-
brief im Codex selbst die Ueberschrift: Kli^faviog ngog Kopiv-
^iovs a und die Unterschrift: Kkr^fttyrog ngog KoQty&iovc
ImaToXtj a trägt, der sogenannte zweite Brief gar keine
Aufschrift hat unmittelbar nfimlich folgen nach der Unter-
schrift des ersten Briefes die Worte: khXtfoly ovrtog SfT xrX.
(c. 1, 1). Dieser merkwürdige Mangel kann gar nicht anders
gedeutet werden, als durch die Annahme, dass in der Vor-
lage des Cod. A die Homilie nicht vdllig gleichbenaunt dem
Eorintherbriefe zur Seite stand, wenn sie auch in derselben
schon als eine Clementina bezeichnet war. Jedenfalls aber
beweist der Cod. A selbst, dass zu der Zeit, da er geschrie-
1) Bedenken könnte es erregen, dass, während im Cod. A. der erate
Brief Seitenüberschriften über den Cohminen hat, solche bei dem zweiten
Brief fehkD. Ich habe bisher nicht ermitteln können» ob dieselben von
AnCEtDg an gefehlt haben oder abgefichnitton worden sind.
Zu lesen ist nur [ ] Kogiv^iovf a\ Die EiganzoQg ist
«ichor. Vgl. Gebhardt a. a. 0. p. 70.
5*) Die Unterschrift kann niclit ermittelt werden, da, wie bekannt,
der Schluäs der Homilie im Cod. A. fehlt. Wenn aber in den Ausgaben
der zweite Brief mit der Ueberschrift [K).r,ueiTot; Ttodg Koon\h'ov? ß'\
versehen wurde , so hätte nicht unterlassen werden sollen . darauf auf-
merksam zu machen. da.ss dies lediglieh auf Conjectur beniht. d. h. dass
die Handschrift an dieser Stelle keine Lücke bietet» die eine solche Er-
gänzung erfordert hätte.
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DER 80Q. U. B&I£F D£Ü AN DI£ KOBINXUER. 277
ben, die Homilie in der alexandrinischen Kii'che im höchsten
Ansehen stand uud als Zwillingsschwester des alten römischen
Schreihens allgemdin uater dem Namen „zweiter Korinther*
brief des Clemens*' gebraneht wurde 0* Vom sechsten Jahr-
Irandert an teilt nun anoh die Homilie alle Oesehicke des
römischen Korintheibriefes. Sie wird übersehen , wo dieser
übersehen wird; von anderen den heiligen Schriften zugerech-
net, wie dieser; von anderen mit ihm zusammen unter die
apocrypha vel melioris vel deterioris notae gestellt. Dabei
ist jedoch weiter zu beachten, daas, wo das Urteil des Euse-
bius Aber den ersten Brief nachwirkt'), man sieb des Ter-
dicts, weh'hes dieser Bischof über einen zweiten angeblichen
Clemeusbrief verhängt hat, wiedermn erinnert und es auf den
zweiten Korintherbrief bezog. Syncellus'), Photiu^^)
*) Leider lässt es sich durchaus noch nicht genau feststellen, wann
der Cod. A. geschrieben ist : man kann um 150 Jalire und mehr schwan-
ken. Dass er nicht vor dem Commentar des Andreas zur Apokalypse
geschrieben sein kann, lässt sich vielleicht noch beweisen.
Eusebius hat den ersten Brief in keine Bezieliuni,^ zu den heiligen
Schriften Neuen Testaiuents gestellt, sondern betrachtet ihn. wie die
Ignatianen und den Brief des Polykarp, nur als alte, ehrwürdige Ur-
kunde.
•) Syncellus (.\nfang d. s neunten Jalirhunderts) schreibt (Clironog-r.
I, p. 651 , ed. Dindorf): tovrov (seil. Clenientis) iriiaroXr, ula yyiiaiu
KoQiyx^ioig (pioijai ojg uno rf/g 'Ptouadov fxxXrjOÜcg yf}uq:€ia(c , aruasiog
iy k(iQiy!^(o avu^ant^g t6i£ , tu» fxuQtvQsi 'Hytiannof (also hatte er den
Eusebiuii gelesen), ijri? xrä 6xx'Ar,ai(K€T(ei.
*) Photius (Biblioth. c. llci) fahrt, nachdem er sich kurz über den
ersten Brief verlnitt't hat, also fort: i) rfc keyoutifi dsvrtna 7i(>o\- rotV
uiiroi'g (das gilt alsu jetzt für lUi bezweifelt) to&oi linnduxiui.^txta.
Dieses Urteil geht natürlich ebenfalls auf Eusebius zurück; erleichtert
wurde es dem Patriarchen durch die Wahrnehmung, dass <ler zweite
Korinther- Brief manchea dogmatisch Anstössige enthalte. Kine — von
seinem Standpunkt aus — sehr tretlliche Charakteristik desselben hat
er c. 12tj (init. : Uviyvuiax^ti ^ipA^ÜQiov iv w KXi[ueyTOi intarokecl nQog
KoQivMovg ß' iyetf^Qoyjo) gegeben, ohne sich hiebei über die Echtheit
zu äussern: 'H de devrega xni avr fj vov^iatav 7ca$ nagafyeaiy XQtiTKwos
ciattysi ßtov, MtA ^QXU Xffunov xjj^vaaet, nXi^y ort (triui riwa
t3e nni t^S ^ti'as yQdffhi IfWCoiv« nuffHcüyst* n»v ovd* i, nQuirti
«nrrjiUanrro nttynhSe' tral iQfxriyiU«; dl Qnrdiv Xivth' ätXoxArwi l/e« .
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27ö
UABNACK,
und Nicephorus Call. sind hier zu nennen. Es geschah
dies aber wohl erst seit dem iieunteu Jahrliuudert , von wel-
cher Zeit ab beide Briefe mehr und mehr ihr Ansehen ver-
loren Nun, da die Bezeichnung „Eorintherbrief untrenn-
bar an der Homilie haftete, musste notwendig, wo das Urteil
des Eusebius nachgesprochen wurde, der Brief als ein psend-
epigraphes Machwerk gelten. So ist es ja manchen altchrist-
lichen Schriftstücken ergangen. Erst in unkritischer Zeit um
einer dogmatischen Laune willen emporgehoben und rasch mit
einem Ehrennamen beschenl^, der ihnen nicht gebührte, den sie
nie selbst beansprucht haben, brachten sie ihre unschnldigen
und lauteren Verfasser bei einem späteren Geschlecht, sei es
um einer neuen Laune willen, sei es, weil die Kritik sich
regte, in den Verdacht, sie hätten selbst sich in ein Gewand
gehüllt, das ihnen nicht zukam. Der zweite Eorintherbrief
des Clemens ist allerdings ein ro&oyj nicht aber die namenlose
Homilie, welche Unberufene zu jenem erst gestempelt haben.
Doch wir dürfen unsere Uebersicht nicht schliessen. ohne
diejenigen Zeugen noch zu nennen, die vom sechsten Jahr-
hundert ab der Homilie (des Briefes) Erwähnung tun. In
den Canones Apostolornm (das sechste oder siebente
Jahrhundert wird gewöhnlich als Abfiusungszeit derselben
genannt; ob mit Grund, soll hier nicht untersucht werden)
werden beide Briefe unter den neutestamentlichen Schriften
erwähnt^); in den Sacrae ParalL, die gewöhnlich unter
1) Vgl. Hist. eccl. U. 45. 40.
>) Merkwürdig ist, dass schon Maximus Confessor die beiden
Briefe nicht mit MUitchen Büchern, sondern mit Werken de« Pant&nns
znsammenfltelK (Pkolegg. In Bionjs. Areop. Opp. Dionys., T. II, p. 2QI.
ed, Cinder. Venet. 1756): xol fAt,i (seil. Ensebins) ovrc BmtUwv rovs
inMToktop, In dem Codex, welcher Photins vorlag, folgte der Poly-
kaipbrief auf die Clemensbriefe. Also war es kein BSbdcodex. In der
constantinopolitantaeben Handschrift des Bryennins stehen
die Briefe mit den Briefen des Ignatius (längere Becension) zusammen
und Nicephorna nennt sie zusammen mit den Werken des Pdlykaip,
Ignatins, Jnstin.
s) YgL Canon 76 (86) bei Lagarde, Beliq. ior. ecel. (1856)
p. 35, 4 sq.: 'Bftttiga i4, rov? * Im rq; «cti^qc (f<a^4*9ff, 9wyyiha
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DER 80Q. U. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHER. 279
dem Namen des Johannes Damasc citirt werden (siebentes
Jahrhundert), wird ein Iftngeres Stück ans dem Schlusscapitel
des zweiten Briefes mit den Worten eingeführt: toiT ayhv
ktig ^ ). Der Archimandrit Dorotheus (siebentes Jahrhundert)
'kmvpw fffits' *iiaenßov ftia* Volmer ^fo* Kkifiiytof in$9tolal
iiio. So bieten alle Haodsehrifteo, welche Lsgarde verglichen hat Da-
gegen macht die Reoennon dieses Canons, welche Gebhardt anf der
Mcflhaner Synodalbibliotheh (Cod. CXLIX, saec XV) collationurt hat
(▼gl. unsere Ansgabe, fiuc. I, p. LXXIsq.)» die merkwflidige Aus-
nahme, dass sie JÜüy^cyro; «' bietet. Es liegt nahe, einen Schreibfehler
zn vennnten; allein die Hoskaner Becenslon hat anch sonst manches
Eigentflmlicbe, so dass man immerhin annehmen kann, hier wirke das
Urteil des Ensebins, vennlttelt durch Photius, Nicephorus oder
sonst einen spateren Gelehrten nach. Das Verzeichnis des 7i>. Canon
wird von Alexius Aristenus (um 1160) rej>etirt (De can. Ajxtst. S6
in Beveregii Synodlco I, p. 53, Oxon. ; vgl. Credner, Gesch. d. nea-
teetamentl. Kanon [18<^01 S. 252), und von Matthäus Monachus
fBlastaris, 14. Jahrh.i im S}nt. . vgl. Leverep. Syiiod. II. p. 56;
CreJner a. a. 0. S. 253 IV. Betreffs der Wertung der beiden Clemens-
briefe in der griechischen Kirche darf man sich durch den Verfasser der
Canones nicht iiuponiren lassen; denn das meiste, was io der Constitll-
tionen- und Canones -Literatur steht, ist znm Glück immer frommer
Wnnsch geblieben.
1) Vgl. Sacr. Parall. (MS. Kupef.) in Joann. üaniasc. Opp. T. II,
p. 783 (ed. le Quien). Wie sehr damals Echtes und Unechtes ver-
träglich unter dem Namen des ClcTnens ging, mag folgende Uebersicht
beweisen: Sacr. Parall. II, p. 31U wird unter der Formel KX^fAivroq
'VüifttiS ein Stück aus dem ersten K' rinther-Brief (c. 2 — G) citirt.
Sacr. Parall. II, p. 752 werden Stücke aus den clementinischeu Ho-
milien (III, 7. 8. 10. 39. 43; vgl. Lightfoot a. a. 0. S. 215 f.) mit
der Ueberschrift tov ('.}iov Khjfjiriof inioxonov 'Ptoufji angofuhrt.
Sacr. Parall. II. p. 783 tindet sich der eben citirte Abschnitt aus dem
zweiten Korinthcrbrief und Sacr. Parall. II, p. 787 wird mit den W<.)r-
ten: ror r'tyiov KX>]fj,ivToq ix lij^ TiQog KoQnOiovc ß' eine Satzgruppe
eingofiihrt. die weder im ersten noch im zweiten Korintherbriefe, noch in
den Homilien steht! Auch im Orient niu.S8 man in späterer Zeit meh-
rere Briefe des Clemens ausser <kn Briefen de virginitato und der ep.
r'I.'m.ntis ad Jacob, gekannt haben. So wird in dem zweiten Buche
der Sacr. Ber. des Leontius und Johannes (Mai, Scriiit Vet. Nova
Coli., T. VII, p. 81) ein Stück mit den Worten: ror uyiov Kh'iuirio^
ix tni ^' intaiok^f citirt. Anastasius Sin. (Odnyös- edit. 1777,
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280
IIAKNACK,
ffthrt eine SteUe ans dem 7. Kapitel mit den Worten an:
4tfg Xlytt y.ai o nytog KXrjir^z In der a 11 1 i 0 c h 6 n i SC he n (?)
Sticliometv i e, die Nicephorus Byz. veröftentlicht hat
(sechstes \j6\ Jahrhundert), werden die beiden Briefe onter die
imtmifvipa t^g gerechnet. Ihre Stickenzahl wird auf 2600
angegeben'). In einer Handschrift der „Fides orthodoxa"*
des Johuunes Damasc. werden sie unter den neutesta-
meutlicheu Schriften erwähnt^). Noch im 11. Jahrhundert
citirt Xicon Raithensis einen Sats aus dem dritten Ka-
pitel des zweiten Briefes und in der constantinopolita-
nischen Handschrift (im Jahre 1056) heisst die Homttie
— trotz Photius — sowohl in dem Index als in der Ueber-
SChrift: K).t]utvTog ngog KoQivd-iovg fi' *).
Das ist die Geschichte der Homilie in den morgen-
ländischen Kirchen. In dem Abendland hat sie keine
Geschichte. Sie ist dort, so riel wS* wissen, nie gekannt
und gelesen worden; ja nicht einmal ein Oerficht von ihr^),
wie von dem alten Clemensbrief ist je in das Abend-
land vor dem Jahre 1633 gedrungen. Und doch! Stammt
sie nicht trotzdem vielleicht aus dem Abendlande? Wir
stellen, um dieser, wie es scheinen kann, sonderbaren Frage
p. 205) briiiirt (jar eiuni Absclniitt au.s üciu TiooJrof Xnyo; mr U^>oi xai
u7in<jT()Xtxoi <h^hi(TX((Xov K'f.t'fUH'Tng nSQt tjqoi nt'«^ xiu (itxuioxgttrifti und
erwähnt oino (h&uaxaXiu kkt]uevTog (vgl. Credncr a. u. ü. fe. 241).
1) Doctr. XXin.
8) Kai Off« T'",c vi€tg fhoxQVff« . , . . kXruSyrnc a' . \ <xr//ot ,ßx''
(Vgl. Crediier a. a. 0. S. 244). Es i,st beaclitouswcTt, dass dk Briete
auch in der vollständigen alexandrinischen Handsclirift etwa 27lhj Stichen
gcfiiUt haben müssen. Bringt man die Halbzcilcn in Anschlag, so kumuit
mau auf 2<J(.)0. Ebenso viele zahlte auch die Vorlage der constantino-
politaniscben Handschrift; denn zu. ,^x' ^ vobl das arZ/ot des Schrei-
bers zu ergänzen, nnd die Stieheiizahl aeiner eignen Schrift kann er nicht
meinen. Mithin moss, so dürfen wir ecUiessen, die Angabe, beide Briefe
zählen zusammen 2600 Stichen, eine sehr alte sein.
>) De fide ortfaod. IT, 17: Nach Kennung der Apokalypse heisst
es: *m/6$fte riüy uykav n7to9r6lwp nak intvroXni &vo dui fCXiffUVTOs
<vgL Credner a. a. 0. S. 247ff.).
Bryennins a. a. 0. S. n\ 8. 118.
^) Von Hieronymus nnd Bufinns ist abzusehen.
^) VgL nnsere Aufgabe p. LXIX.
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DER SOG. n. BRIEF DBS GUBMBNS AN DIE KOBINTHER. 2B1
nähfir zu treten, die wicktigsteu Krgeboisse der Untersuchung
sns&nunen:
1) Die namenlose Homilie, welche später der zweite Brief
des Clemens an die Kerinther genannt wurde, hat eine
Zeit lang überall oder in einzelnen Gegenden für cle-
mentinisch gegolten, ohne als Kor intherbrief
bezeichnet worden zu sein« Also ist die Adresse ,,an
die Kerinther** völlig wertlos und bei der Untersuchung
des Ursprunges der Homilie einfoeh aosser Acht m
lassen.
2) Noch im sechsten Jahrhundei*t war ihre Stellung neben
dem Brief des Clemens an die Korinther nicht völlig
gesichert; Einige zählten sie auch nach den beiden
Briefen de viiginitate.
8) Die Homilie wurde besonders in monophysitisdien Krei-
sen viel gelesen; wie denn auch die Zeit, in welcher
sie so plötzlich zu hohem Ansehen gelangt, mit der
Zeit der brennenden christologischen Kämpfe zusammen-
mt
4) Eusebius hat von der Existenz der Homilie h(kshst wahr-
scheinlicher Weise schuu gehöii, aber auch nur gehört.
Die Kreise, in denen sie damals gelesen wurde, lasen
sie als einen Brief des römischen Clemens. Dieselben
sind nicht in Alexandrien, überhaupt nicht in den
dem Eusebius bdmnnten orientalischen Kirchen zu
suchen.
5) Aus der Geschichte der Homilie in den orientalischen
Kirchen vom sechsten Jahrhundert ab kann man betreffs
Ursprung und Herkunft derselben nichts lernen.
Und was besagen diese Besultate? Allerdings nicht eben
viel. Sie lassen nur mehr oder weniger wahrscheinliche Hypo-
thesen zu. Wenn die Hoiiiilie nicht deshalb, weil sie vu*sprüng-
lich auch zur korinthischen Gemeinde in einer Bezieiiiinü^ stand,
dem Briefe des römischen Clemens an die Korinther beige-
sellt worden ist, so scheint das tertium compamtionis bei den
Terfassern gesucht werden zu mflssen^ oder — vorsichtiger
ausgedruckt — so ist es eine nicht ganz unbegründete Hypo-
these, dass die Homilie deshalb in den Bannkreis des clemen-
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282
HABKACK,
tiüischen Korintherbriefes versetzt wurde, weil sie wie dieser
aus dem Abendland in das Morgenland gekommen ist.
Und wenn keiner der griechisehen Väter Tor EnsebiuB eine
Kunde von der Homilie gehabt hat, Eusebias aber eine
solche verrät, ohne doch die Schrift selbst ge^ellell zu haben,
so ist es wiederum nicht unwahrscheinlicli , dass die Homilie
abendländischen Urspniiit^^ ist und eben damals um den An-
&ng des vierten Jahrhunderts von dort in den Orient kam.
Wenigstens weiss ich keine bessere Erklärung der hier vor-
liegenden Tatsachen. An das griechische Syrien, welches man
in Vorschlag bringen könnte, weil dort die Homilie för uns
am frühesten aufgetaucht ist, möchte schon deshalb nicht zu
denken sein, weil die mangehide griechische Bezeugung und
die Unkenntnis des Eusebius sich dann schwerer erklären
lassen, während doch die Homilie jedeuMs noch dem zweiten
Jahrhundert angehört Gegen das Abendland , näher Rom,
als Abfassungsort spricht aber weder die griechiche Spraclie,
in der die Homilie verfasst ist ^) . nocli das tiefe Schweigen
der abendländischen Väter. Was das letztere betrifft, so
braucht nur daran erinnert zu werden, dass ja auch der Eo-
rintherbrief des Clemens, d. h. das alte römische Gemeinde-
schreiben, völlig vergessen worden ist. Kein Römer hat es,
so viel wir wissen, vor dem 17. Jahrhundert je citirt. Die
äusseren Zeugnisse für die Homilie weisen uns also mit einiger
Wahrscheinlichkeit auf das Abendland; kam von Born her
nach Ablauf des dritten Jahrhunderts oder um die Mitte
des vierten durch irgend welche Zuliilligkeiten eine Abschrift
der Homilie in das Morgenland, kam sie Zeitbedürfnissen ent-
gegen — und schon ihre Anfangsworte griffen in die christo-
logischen Streitigkeiten ein; viele Mahnungen in ihr gefielen
^) Man wende nicht ein, Eusebius un»l keimr <ltr iilUren priechi-
Bchen Väter kenne die In iden Briefe de virginitate-, d. rin es liegt kein
Grund vor, diese Sclnütstücke vor Ablauf des dritten Jahrhunderts ent-
standen sein zu lasse n
2) Vgl. den Ab^ollllitt: ..Wie es sich im zweiten und dritten Jahr-
hundert in der rüiuisehcn Genit-iiide beim Gottesdienst, bei der Kate-
chese und beim Taufact in Bezug aut den Gebrauch des Griechischen
und Lateinischen v.rlijelt" bei Caspar i, Quellen zur Geschichte des
Taut'ü^üib'jls m (1870), S. 451—465.
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DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KOBIMTHBB. 283
dem asketischen Sinne der Zeit — , trug sie deutliche Spuren
eines höheren Alters — und wer konnte diese verkennen? — ,
80 erscheint es nicht mehr anfbUend, dass man sie mit dem
Namen des Mannes in Verbindung brachte, der dem Orient
als der grösste Abendländer galt, dessen Ansehen noch immer
im Wachsen begriüen war, dessen Beziehungen zum Morgen-
lande man mmderbar phantastisch zu Termehren trachtete.
Das flbrige ergab dch von selbst Wir werden zu nnter-
saehen haben, ob innere Gründe diese Hypotiiese stfitzen«
(Schluas folgt.)
1) Wie man daza gekommen, die HomiUe Ifir einen Brief ana-
zugeben, w&hiend doch ihre Form dentlieh dairidefspiichfy ist nldit mehr
zu ermitteln, aber anek wenig wichtig.
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Kiiti«che Uebersiclit
Aber die kircbeogesebiditlicheii Arbeiten
aus dem Jahre 1875.
n.
Geschichte der Kirche von 325 bis 768.
Von
Prof. D. W. Moeller.
1. Allgemeinere Darstellangen.
Bich. Rothe*8 Vorlesimgen über Kirchengeschichte und Geschichte
dos christlich -kirchlichen Lebens, herausgeg. von H. Weingarten.
II. Teil: Die katholische imd ]>rotestantiscbe Zeit. (Heidelbeig»
Mohr.) XX, 556 S. in ^. S. S. 1—187.
Qust. Fr. Hertzberg, Die Geschichte Griechenlands niiter der Herr-
scbalt der Römer. III. Teil: Von Septiiuius Severus bis auf Justi-
nian I. Auch unter dem Titel: Der Untergang de.s HLllenismus
und die Univenitat Athen. (Halle, Waueohana.) VIII, 571 S. in
gr. 8.
Ueber den ganzen hier za berOcksichtigeuden Zeitraum
erstreckt sich der erste Abschnitt des zweiten Bandes der
Ko theschen Vorlesongea, welche allerdings, so wie sie
Weingarten herausgegeben hat, nicht eine vollständige
Kirchengeschidite enthalten, da alle sich nur an die Dar-
stellungen von Gieseler, Hase und Baur anlehnenden
Stücke mit Recht weggeblieben, nur die für Rothe's Auf-
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KJLKCJU£NQ£ÖCH1CUT£ VON 325-766, VON MOiuLi£K. 285
fassimg des geistigen und sittlicheu Entwicklungsgangs der
Kirche cbanikteristischen, wirklich eigentOmliehen Ahsclinitte
zum Abdruck gekoninKMi sind. Sie bilden einen mit Botbe»
8chw Z&higkeit durchgeiahrten historischen Gommentar za
seinem Kirchenbegriff. Auch heute noch wird man die Er-
Meningen über das Idrchliche und moralische Leben der
Kirche des römischen Reichs, die Skizze über Gregor den
Grossen, die Bemerkungen über die prondentielle Bedeutung
des Islam, die Schilderungen des christlichen Lebens in den
germanischen Kirchen mit Gennas nnd Gewinn lesen, wenn
anch die starke Neigung zum Constmiren das historische Ge-
wissen zu manchen Einscliräükungeu und Modificationen lieraus-
fordert. Von anderer Seite bietet sich für den grösseren Teil
unseres Zeitraums als ein willkommenes Hülfsmittel auch für
den Kirchenhistoriker der dritte Teil Ton G. Hertzbergs
Geschichte Griechenlands (s. o.), welche bis anf den Unter-
gang der Universität Athen unter Justinian herabgeht. Der
grosse Fleiss des belesenen Verlassers, der die einschlagliche
Literatur im vollsten blasse heranzieht, beleuchtet im Kähmen
der allgemeinen Zeitverhältnisse die Geschichte des Nieder-
ganges des dassischen Landes unter Berflcksichtigang auch
der kirchlichen Verhältnisse. Während die politische Ge-
schichte Griechenlands zur ünbedeutendheit herabsinkt, bietet
die mit besonderer Vorliebe und Ausführliclikeit behandelte
Geschichte des wissenschaftlichen Athen ein hervorragendes
Interesse durch den grade hier bei zähem Widerstand der
antiken Anschauungen sich vollziehenden geistigen Um-
schwung
2. Zw patristlsolMa Iiltorator.
Bibliothek der Kirchenviiter. Auswahl der vorzüglichsten pft-
tristischen Werke in deutscher Uebcrsetzung, herauBgegeben unter
^) TJnbekaimt sind mir einige hierher gehörige Cransöeisehe Sehriften
geblieben. J. E. Ckmstaatin le Grand. 2. öd. Parle. 144 8. in 8.
A. Bi^oby, L*AMqiie an IV"« ei^e, Limoges. 192 8., und die neue
Anflage von Am. Tbierry, B^ts de rbietoire romaüie an V"« si^.
St. J4xm». La Socidt^ ebr^tienne en Ocddent. 2. ^d. Paris. XIV,
529 6. m a
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286 KRITISCHE CBEKölCHTEN. i876. n.
der Oberleitung von VaL TbaXbofn. (Kempten, Kösel), in gr 16
Hefte m-132. 187-140. 142-^144. 151-152. 155^102
Sanctomm Patrum opasenla selecta ad u.sum pra.?8ertiin stu-
dioeomm ttaeologiae ed. et cammentariis auxit H, Hurter, s. j
Oeoiponti, Ubr. Acad. Wagneriaiia. Vol. XXVU. s. Aur Aui^u-
ßtini de eocleeia Chr. opuao. ael. 3ÜCIX. S. JtauDis Cbr.v-
sostomi homOiae V de ineomptelieiiBibm et S. Gregorii Tbeol
volg. Na«. orationeB theel. V. XXX. S. Ambrosii Mediol de fide
ad Grat Aug. a V. XXXL S. Baailii Caes. üb. de auir. s.
ad Anph.
Synestt episeopi hjnmi metricL Apparatu criticu adiecto ed Job
Flach (Tiibiiig., Pnee.). XVI, 58 S. in kl. 8.
J. P. K. Iiaad, Aneedota Syriaca. Tom. IV {Specialtitel: Otia Sv-
riwa).^ (Lugd. Bat., E. J. Brill.) XVI. 23G lat., 224 syr. S. in 4.
IL Pabbe UaaeUxi, Saint Pierre et J^aint Paul daus I cglise Nesto-
rieofie. (EsMt de la Kevue des scieuces eccle«ia.«?ti.jues). Paris
Maison nenve (Amiens, Glorieiuv}. 151 S. in S. Dazu der' syrische
Anhang: Offices en l*honneur des öainta Pierre et PaiU 1 Office
Nestorien. (51 8.)
Mavoi Biaooni vita Pori-hyrii episc. Gazensis ed. ex cod. Vindob.
BW. a Hanr. Haupt. (Berlin, Düiumler.) s7 S. in gr. 4. (Ab^
dmck ans den Abbandlungen der köni^I. Akad. d. Wissensch.)
W. Nowack. Die Bedeutung des Hieronymus lür die alttestamentüche
Textkritik (Göttingen. Stäge). 55 S. in 8 i).
J. G. Tii. Miülerus. ^uaestiones Lactantianae. 60 S. in 8. Göttinir.
J. Dräaeke, M. Tullii Ciceronis et Ambrosii ej.. Med. de officiis libri
tres inter se comparantur. Aug. Taur., Loeecber. 46 S. in gr. 8
(Abdruck aus der Rivi>ta di Filologia.)
I*. Ii. Rochat, Le catL-ehumcuat au lV»e siecle d'apres les cat^chc^ses
de St. C^Tiile de Jerusalem. 144 S. in gr. 8. (Genfer theolog.
Dissert.)
Pr. Boehringer, Die Kirche Christi und ihre Zeugen. VIL Band.
2. Aufl. 2. Ausg. (Stuttg., Meyer u. Zeiler.) VIII, 184 8. in gr. 8.
Martin, St. Jean Chrysostome, ees ccuvres et son sitele. Paiie. 8 voU.
Punk, Johannes Chrysostomus und der Hof von Conatantinopel, in der
Tübing. „Theol. Quartalschrift". 57. Jahig. S. 449—480. '
J. Ciampi, J, Cassiodori nel V e nel VI aecnlo. Ptote I. Imola.
220 S. «-v«.
W. Zsohimmer, Salvianne, der Pkeibyter von Massilia, nnd »eine Schrif-
ten. Ein Beitrag znr Geechichte der christlich -lateinischen Lite-
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KIBCHENGESCmOBTE TON 825—768« TON MOELLER. 287
ratur im fünften Jahrhundert. IV, 90 8. in gr. b. Jenaer philos.
Dissert. (auch im Bacbbandel: Halle a/S., Niemeyer).
K. WenMT» Beda der EhrwQrdi^ und seine Zeit (Wien, BranmflOer).
VIH, 286 8. in gr. a
Ph. Diel, Der heiL Maximinus und der heil. Paulinus, Bischof von
Trier, oder Geschichte Triers im vierten Jahrhundert mit beson-
derer Blteksiebt auf den Kampf der Kirche mit dem Arianismus
(Trier, Groppe). X, 322 S. in 8.
Ffir die patristiscbe Literatur hat die bekannte
Eemptener Bibliothek der Kircben^ftter in einer weitem Zahl
von Heften deutsche üebersetzungen von ausgewählten Schrif-
ten von Athanasius» Basilius, Hieronymus, Chrvsolocfus und
Gregor dem Grossen und der im ei*sten Hefte dieser Zeitschrift
bereits hinlänglich charakterisirten „Briefe der Päpste'* ge-
geben, w&hrend die Hnrtersehe fOr das Studium der katho-
lischen Hieologen bestimmte Sammlung ausgewählter Väter-
schriften in lateinischer Sprache bis zum 31. Bändchen fort-
geschritten ist. Einen kritischen Wert haben die Textabdrücke
nicht, und das Griechische scheint den studiosis theologiae
erspart werden zu sollen, denn Schriften von Chiysostomus,
Gregor von Nazianz, Basilius erscheinen hier nur in lateini-
scher üebersetzung. Von den Hymnen des Synesius hat
Flach eine billige Ausgabe des griechischen Textes ge-
liefert mit einem zur Orientirung nicht recht genügenden,
aber einiges neue bandschriftliche Material bietenden kri-
tischen Apparate. Der vierte Band von Lands Anecdota
Syriaca gewährt zwar nicht so wichtige kirchengeschichtliche
Ausbeute wie seine Vorgänger, immeiliin aber doch Be-
merkenswertes. Wir erhalten hier 1) die Loü^k Paulus des
Persers, eines christlichen Philosophen aus dem sechsten Jahr-
hnndert« mit einer Dedicationsvorrede an den fOr einen Freund
der Wissenschaft geltenden Chosru Nuschirwan; 2) den Fbysio-
logus Leidensis mit eingehenden Erörterungen des gelehrten
Herausgebers über das Verhältnis der verschiedenen uns er-
haltenen Recensionen oder Gestaltungen dieser auch vom la-
teinischen Mittelalter mit grosser Vorliebe gepflegten christ-
lichen Natun^bolik, deren eigentliche Heimat Land in
Alexandrien sucht. Femer Fragments Syropalaestina , Evan-
ZdlMkf. f. K..0. 19
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288
KRITI8GHB ÜBERglCHTEN. lS7d. IL
gelien- und Psalmenstücke aus Lectionarieii , und einige ia
griechischen Sammlungen nicht nachweisbare s\Ti sehe Hymnen
(einige auf Johannes dra Tftufer und eine anf die Mflrfyrer);
endlich Mftrtyreracten des Philemon (f 311). Hinsichtlich des
aristotelischen Logikers Paulus hat Nöldelre^) bereits die
nichts woniger als kirchlich befangene Sprache der Vorrede
charakterisirt. Freilich niiiss Paulus auch der Ueberlietcrung als
ein lauer Christ gegolten haben, da Barhebr&us (wie Land nach
Assemani anführt) zwar sot'ohl seine kirchliche Wissenschaft
als seine Philosophie rfihmt, aber auch weiss, er sei asu den
.Magiern übergegangen, nachdem es ilini nicht geglückt sei,
Metropolit von Pei-sien zu werden. — Der Abln^ Martin hat
mit eingehenden Untersuchungen über das nestorianische Bre-
viarium ein syrisches Officium Sti Fetri et Pauli herauagegeben.
Er steht dabei freilich ganz unter dem Einfluss der Bestrebungen
der unirten Nestorianer (Chaldäer) , welche die vollste üeber-
einstimraung der nestorianisclien Tradition mit Rom hinsicht-
lich aller Dogmen und namentlich auch hinsichtlich des Pri-
mats Petri nachzuweisen bemüht sind: ich erinnere nur an den
Bischof Geoigius Ebedjesus EhayTftth von Aroeh- Diarbekir, den
VerÜGisser der Schrifl; „Syri Orientales, seu Ohaldaei, Nestoriani,
et Romanorum Pontificuni primatiis*', welcher den chaldäischeii
Patriarchen Jussuf Audo zum vaticanischen Concil nach Rom
begleitete. Allein der Wert d^r T'ntersuchungcn über das bis-
her noch wenig bekannte syrische Brevier (vgl. Bichel, Gon-
spectus rei Syroruro literariae p. 87 sq.), wofSr er auch das
1866 in Mossnl gedrackte sogenannte Dakdam vebätbar be-
nutzte, wird direct durch solche Tendenzen wenig beeintriich-
tiirt. Weiüi in den Gebeten des mitgetoilten Ofhciums die
beiden Apostel, Petrus der Apostelfurst mit den Schlässeln
und Paulus der Lehrer der Heiden, welcher der Gesidite
gewürdigt ist, ihr Kommen nach Rom, ihr Kampf mit Simon,
ihr ^liirtyrertuiii unter Nero in ermüdend sich wiederholenden
Wendungen und mit Betonung ihrer Zusammengehörigkeit
gei>riesen werden, so sind dies freilich nach der kirchlichen
Tradition, wie sie bereits im vierten Jahrhundert voUkonraien
1) Lit. Centr.-Bl. 1876, Nr. 5.
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KIECHENGEiiCHlCHTE VON 3-25 -763, VON MOELLER. 28&
feststand, ganz selbstventftndlicbe Dinge, von denen nicht ab-
zusehen ist, wie der Rom -freundliche Verfasser daraus Walfen
gegen die moderne Kritik der römischen Petrustradition ent-
nehmen zu können hofft, auch wenn es mit dem hohen Alter
des Officiums, d. h. mit dem Zorfickreichen desselben vor die
^ Trennung von der griechischen Reichsitirche, seine Richtigkeit
hat. Auf die Arbeiten desselben Verfassers über Jakob von
Sarng, welche un.'^ dernnüchst näher genickt sein werden, sei
hier nur vorläutig liiiiL^ewiesen. — Den Druck der griechi»
sehen Vita des in Zerstörung des Heidentums zu Qaza tätigen
Bisehofs Porphyrins zur Zeit des Arkadius, welche, von seinem
Scbtiler Marens Diakonns geschrieben, bisher nur lateinisch
bei Surius und den Bollandisten (26. Februar) bekannt war,
verdanken wir noch Mor. Haupt, der sie bereits 1869 der
Berliner Akademie vorgelegt hatte.
* Von Einzeluntersuchungen zur patristischen Literatur^-
geschichte sind zu erwähnen: 1) Nowacks von Sachkennern
günstig beurteilte Untersuchung über die Bedeutung des Hie-
ronymus für die alttestamontliche Textkritik; unter anderm
erhärtet er aufs neue den bereits von TTupfoM gei^di.'nen
Nachweis, dass Hieronymus einen Text ohue Vokale und dia-
kritische Zeichen vor sich hatte, und zeigt durch sorgfältige Zu-
sammenstellungen, dass doch in einer ganzen Reihe von Stellen
Lesarten, die dem Hieronymus eigentümlich oder mit dem Chiil-
däer und Syrer gemeinsam sind, auf einen vom MaöoretliiscUen
abweichenden Text hinweisen. 2) Sehr mit Recht, wie mir
scheint, ist Muller (s. o.) f&r die Echtheit der drei auch
noch in Fritzsches Au^be unter den Text verwiesenen
„dualistischen" Stellen des Lactanz (Instii div. II, 8; VH,
5, de opif. dei 19) eingetreten. Die Handschriftenfrage be-
dürfte dabei wolil noch eines reicheren Materials zur Ent-
scheidung, als dem Verfasser zu (Gebote stand; aber dass der
angebliche Mamchftismus der Stellett gar kein Manichäismus
ist und die wirklich vorhandene relativ dnalistlsche Anschauung
auch sonst bei Lactanz sich findet, dass die Diction in den
beanstandeten Stellen in Wahrheit durchaus für Lactanz
spricht, auch der Zusammenhang durch sie keineswegs unter-
brochen wird, hat MuUer gut nachgewiesen. Nur hätte er
19*
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390
KBinSGHE ÜBERSICilTBN. 1876. IL
nicht zuletzt darauf verfallen aoUen, den dualistischen Zug*
bei Lactanz doeh auf manichäischen Einfluas (den er sogar
darin findet, daas Lactanz chriatiannm stipendia &cere vetat!)
zurückführen zu wollen, geschweige denn das christologisch Be-
denkliche auf Arianismus! Richtiger kommt er dann auf
allgemeinere philosophische Einflüsse und ganz zuletzt auf die '
Fseadoclementinen. 3) Nachdem zuletzt noch E her t das in*
teraasante YerhSltnis zwischen dem antik- römischen Moralisten
C^eero nnd dem christlich -Irirchlichen Ambrosins fein nnd
umsichtig dargestellt, l)ringt die in gutem Latein geschrie-
bene Dissertation Dräsekes (s. o.) für das literarische Ver-
hältnis und die principielle Charakteristik zwar nicht erheb-
lich nenes, ist aber doch geeignet, an einer Beihe einzelner
Punkte sowohl Abhängigkeit und Verwandtschaft als auch
die teils specifisch christlichen, teils specifisch kirchlichen
Umbildungen und Gegensätze klar zu machen. 4) Rochats
Dissertation über den Katechumenat im vierten Jahrhundert
nach Cyrills Katechesen (s. o.) ist zu wenig vertraut mit
den neuen Untersuchungen und zeigt zu geringe Selbständig-
keit, als dass sie wissenschaftlichen Wert beanspruchen
dürfte
Von grösseren jiatristischen Monographien ist der siebente
Band von Böhringers begehst brauchbarem Werk, Basilius
enthaltend, zu nennen. Das Werk (wohl nur neue Aufgabe)
Aber Job. Chrjsostomus von Martin (s. o.) ist mir lei-
der nicht zugänglich geworden. Funks akademische Rede
über Johannes Chrj^sostomus und den Hof von Constantinopel
(s. 0.) ist unbedeutend und ziemlich farblos. Auch der erste
Teil eines italienischen Werks über die Cassiodore im fünften
und sechsten Jahrhundert (s. o.) ist mir noch unerreichbar
geblieben *). Eine gute Monographie Ober den fUr die christ-
liche Sittengeschichte des fünften Jahrhunderts so wichtigen
Salvian hat Zschimmer geliefert. £s werden hier di«
1) Beiläufig sei hier noch angemerkt: W. HoUenberg, Kritische
Bemerkungen za TheodoruB Mops. JohanneB- Scholien (in den TheoL
Stod. u. Krit. 1875, S. 748—52).
s) Die dritte Auagabe von Beinkens' „Martin von Tonn" ist
nur neue Titelauegabe.
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KIBGHENOEBCHICBTE VON 825 - 768, VON MOELLBR. 291
ziemlich ddrftigen Notizen über sein Leben besfprochen, der
Gehalt seiner schrifistelleriseheii Tätigkeit im (Gegensatz gegen
die Hohlheit der Rhetoren- Literatur und Sebulpoesie hervor-
gehoben und die Schriften De gubernat. und Adv. avaritiam
eingehend analysirt und beleuchtet. Empfiehlt die zuletzt
genannte Schrift, indem sie in der Tat von der ciasaesten
VorsteUnng der Yerdienstlicbkeit kirchlicher Werke ausgeht,
eifrig die Maiime« seine Gflter der Kirche zu vermachen,
80 bonliht sich der V^rfiisser, an die Stelle der so oft des-
wegen laut gewordenen Verdammung eine gerechtere Be-
urteilung zu setzen, worin ihm allerdings Ebert und An-
dere vorangegangen sind. Wie er mit Kecht betont, dass
Salvian in De gubemat in der scharfen Kritik der Zeit-
sQnden sich keineswegs einseitig auf den kirchlichen Stand-
punkt stelle, sondern auch die volkswirtschaftlichen und socialen
Misstiinde in den Bereich seines Urteils ziehe, meint er, dass
Salvian iu der Schrift De avarit. eine durchgreifende Keform
der ganzen bestehenden GesellschaftsverhältDisse, und zwar auf
christlich-asketischer Grundkge angestrebt habe. „Wir hatten
also hier einen ersten VeTsuch, die sogenannte sociale Frage
vom christlichen Suiiiii'Uükt aus in grösserm Umfang zu
lösen.'' Wenn schon oft auf die Berührunpf Salvians mit
Lactanz hingewiesen worden, so zeigt Zschimmer, dass die
sftmmtlichen Citate aus ältem lateinischen Schriftstellern in
De gubem. sich bei Lactanz und zwar auf wenigen Seiten
zusammen finden und dass fast alle Gedanken des ersten con-
strueiiven Teils jener Schritt dem ersten Buch der Institu-
tionen entlehnt erscheinen. Die Armut an Gitaten steht im
scharfen Gegensatz zur prunkenden Bhetoren - Literatur. Unter
die wenigen Citate aus unbekannten Schriftstellern (S. 63)
rechnet der Verfesser auch zwei Schriftcitate, die er nicht
als solche erkannt hat, iiäinlicb Prov. 5, 22 und Sir. 3, 30.
Ans K. Werners Beda (s. o.) Ifisst sich zwar ein be-
quemer Ueberbiick über Bedas Werke gewinnen ; wissenschaft-
liche Forderung aber dürfte das überflüssig breit angelegte
Werk nicht bieten, weder hinsichtlich der historischen Be-
deutung Bedas und der angelsllchsischen Kirche sowie ihres
vom Verfasser nur ganz oberflächlich gestreiften Verhältnisses
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zur altirisch - britischen Kirche, noch in l^etreft' der literar-
hibtviiächun Fragen. Hier lässt namentlich die Besprechung
der geschichtlichen Werke Bedas ganz unbefriedigt. Aulungä-
weise berühre ich hier die Schrift Diels über Maximinos und
Paulinus von Trier, welche, da die Erhaltung der wenigen ge-
schichtlich siehern Nachrichten über diese Mftnner grösstenteils
ihrer Verflechtung in die arianischen Streitigkeiten zu danken
ist, einen guten Teil der arianischen Kämpfe mitbehandelt,
freilich in wenig wissenschaftlicher Weise. Damit verbindet
sich denn der Inhalt der legendenhaften vitae und der „Trier-
scheu Traditionen*' zu einem seltsamen und wüsten Ganzen.
Denn auch wo Diel nicht geradezu für die Geschichtlichkeit
der Sagen einzutreten wa^^t, kann er es nicht über das Herz
bringen, sie niclit in behaglicher Breite einzutiechten. Auch
in dem Anlauf kritischer Untersuchung, welchen er bei dem
angeblichen Kolner Concil von 346 macht, hat der Yertoer,
wie er übrigens ehrlich zugesteht, nur das Verdienst, die
Bettung dieses Concils durch den Ijollandisten de Buck (im
• 11. October- Bande), nebenbei auch durch Friedrich, zur
Widerlegung Binterims zu verwerten
3. Zur Qnelloakrltlk.
J^aUaal finpevatoriB qiue supenimt praeter reliqnias apud C} rillnm
omnia, ree. Fr. C. Hertlein. Vol. L Lipsiae, ap. Teabner. Tin,
432 1). in a
C. Henning, Vau uugeUruckter Brief tles Kaii>ers Julian, in „Heruies**
IX, S. 257-2G6.
Ammiani Marcellini reruni gestaruni libri qna*^ sajKTHUut. R<?c.
ni'ti.Miae sekt?tis instruxit V. Gardtbauseu. Vül. IL Lipa. ap.
Tcubner. iiöU b. iu 8
1) Nicht gesehen habe ich: Grcgorioe Nasiancenns. Eloge fanebre
de C^saire. Expliqud litt^ialeiaent, tradnit en fran^ais et annot^ par
£. Sommer. Paris. HO p. — Deagh V. Hansen, Tie de Sl HUaire,
4veque de Pottters et doctenr d^^glise. Litxemb., Bruck. 86 p. in 8. —
DesgL Lottls Pierrngnea, Vie de St Honorat, fondatenr de L^rins
et ereqne d*Arles. Origines cbr^tiennes de Provence. Paris, Braj et
Betaux. 846 p. in 8.
2) Vgl. „Nene Jabrb. f. Phüol." Bd. CXI, S. 509—512 (Eysaen-
bardts A^ngriffe) und S. 653—656 (Gaidtbansens Entgegnung). Bfibl
in der Jen. Lit.-Ztg. 1876, Nr. 8.
Digitized by C'
KIBCHENOESCmCHTB VON 825*768, VON MOELLER. 293
F. Qdrres, Zttr Kritik einiger Quellen -Schriftsteller der spätercu rö>
mischen Kaiserzeit (in ,,Neite Jahrb&cher für Philologie'', Bd. CXI»
S. 201—221).
G. K!aaffinaim, Die Fasten der 8|^teren Kais* rz^it als ein Mittel zur
Kritik der weströun' sehen Chroniken (im „PliüologaB''» Bd. XXXIV,
& 286—296 und 886-418).
O. Holdoir-Bgger, Üeber die Wdtdmnik des flogenannten Sevenu
SnlpitiiiB nnd afidgaUiaolie Annalsn des fOnftoi JabrhnndBtts. Ein«
Qnelknnntanochnng. 75 S. in & Gdtting. philoi. Dim. (anek:
Güttingen, PeppmtUler) i).
W. Axndt, Bimhof Marius von ATentieum. Sein Leben und seine
Chronik. Nebet einem Anhang Über die Coosnlreihe der Chronik.
96 S. in 8. Leipziger Habilitationsselirift.
H. Hertzberg, Uober die Chroniken des Isidorus von Sevilla. In den
„Forschungen zur deutschen Geschichte", Bd. XV, 8. 289—360.
O. Stäckel, Zur Kritik des Gregor von Tours. 23 S. in 4. Ik rlin. Frograiuni.
Einen interessanten Fand hat G. Henning veröffent-
licht, einen bisher unbekannten Brief des Kaisers Julian, der
deun wohl in der zu erwaitiMiden Fuiisetzung der Teubner-
schen Handansirnbe der Werke Julians von Hertlein Aiil-
ualime üudeu wird. An der Autorschaft; Julians ist, obwohl
er so wenig wie der Briefempfänger genannt ist, nicht zu
zweifeln. Wir machen da die Bekanntschaft eines Bischofs
„der Galiläer*', Pegasins, der schon bei dem Besuche Neu-
iliums durch den Prinzen Julian von diesem als ein heim-
licher Freund de? Götter durchschaut worden war, der die heid-
nischen Heiligtümer klug zu schützen gewusst hatte und als
er sie dem Julian zeigte, weder sich bekreuzte, noch Zeichen
des Absehens kund ^ab; Julian belohnt ihn dann mit einer
wahrscheinlich eiiillussr»'ichon priesteiiichen Stellung und reclit-
fertigt das in sehr bezeichnender Weise: „Deun wenn wir
die freiwillig Kommenden zurückstosseu, so dürfte so leicht
keiner den Ermahnungen [zur Bückkehr zu den Göttern] fol-
gen.*^ — Die Gardthausensche Ausgabe des Ammianus
Marcellinus liegt nun mit dem zweiten Bande vollendet
vor. Der Herausgeber hat die wichtige Handschrift den
Vaticanus (ehemals Fuldeusis) 187ü ueu collationirt und ihm
1) Vgl. Litcrar. Ceatralbl. 1:75, Nr. 43.
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294
KBITI8CHB ÜBEBSKXBTEN. 1876. H.
das entscheideude Wort eingeräumt, auch einen zieuilich reich-
lichen kritischen Apparat beigefügt Wie in den Ausgaben
seit der Yalesinsschen üblich, hat anch Qardthansen die
Eicerpte des sogenannten Anonymns Valesianns, richtiger der
beiden Anonymi angefügt. Er verdankt Fr. Rühl eine Colla«
tion des einst von den Brüdern Valesius benutzten Claramon-
tanas, der, nach niaiiclieu Schicksalen in England wieder aof-
getaacht (Bibiioth. Midelhillensis) , jetzt in Oheltenham sich
befindet; daneben hat Zangemeister ihm fftr den zweiten
Anonymus die Lesarten eines Palatinus (927) der vaticanischen
Bibliothek zur Verfügung gestellt. F. Göri es (s. o.), zunächst
veranlasst durch seine Untersuchungen über die Liciniauische
ChristenTerfoignng, ist nicht nur für die bereits von Th. Momm-
sen begrdndete Behauptung, dass wir es mit zwei verschie-
denen Schriftstellern zn tun haben, eingetreten, sondern sacht
auch die Zeit beider Schriftsteller näher zu bestimmen. Momm-
sens Hauptargumeut acceptirend, dass der Anonymus A nach
manchen geogi'aphisch politischen Bezeichnungen vor die Zeit
geh<^re, wo unter Arkadius und Honorius die mit der notitia
dignitatum zusammenhängende Provinzeneinteüung an die
Stelle der diocletianisch - constantinischen trat, rückt er ihn
doch nicht so hoch hinauf, wie Moinmscn geneigt ist zu
ton, sondern setzt ihn etwa um 390 und vermutet, dass
er ausser dem ndier Ym ihm benutzten Eusebius auch die
uns verlorenen Bücher des Ammianos Marc: als Quelle vor
sich gehabt. Hinsichtlich des Anonymus B verweist Görres
auf Fall man US Ausführung, wonach der Verfasser nach
Theoderichs Tode, aber vor dem Ende der Ostgotenherrschafb
schrieb, und erinnert nur mit Dahn gegen Pallmann, dass
der Verfasser, der die Ostgoten einmal alienigeni nennt, nicht
germanischer Abstammung sein künne. Zur Kritik emes
dritten Anonymus, des sogenannten An. post Dionem (dem
Cassius Dio in der Dindorfschen Ausgabe nach Ang. Mai
angehängt), der freilich mit Dio direct nichts zu tun hat,
weist Görres nach, dass diese Sammlung von Apophtbegmen
und Anekdoten einiger Kaiser und Feldherm von Yalerian
bis Oonstantin einen christlichen Verfasser hat, der den Sozo-
menos benutzt, also jedenfallä nach 439 zu setzen ist; er
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KmCHENGESCRICHTE TON 826 - 7e8, TON MOELLES. 296
ireist Niebahrs Verinatung ab, dass an den Petrus Patridaa
(Magister) za Jostinians Zeit zu denken sei. — Seit den
Untersuch ungea von Mommsen über den Chronographen von
354 und über Cassiodorius, und von Waitz über die Raven-
nater Aonalen ist ein reger Eifer erwacht für die kritische
Anfhellimg der weströmischen, den Uebergang ins Mittelalter
bildenden Chroniken. Auch das verflossene Jahr bringt dazu
wichtige Beitrftge. Eanffmann (s. o.) hat seine bereits
1874 begonnenen Untersuchungen über die Fasten der spä-
teren Kaiserzeit fortgesetzt, c^eleitet von dem Gesichtspunkt,
dass die Nachrichten der weströmischen Chroniken nur dann
mit Erfolg zu vergleichen und zu verwerten sind, wenn nidit
bloss die Nachrichten selbst, sondern auch die Gonsahreihen
geprüft sind. Holder-Egger untersucht in methodischer
Weise eine von Florez (Espana sagrada IV) nach einem
Manuscript des 13. Jahrhunderts bekannt gemachte, bisher
wenig beachtete compilatorische Chronik, welche in der
Schlnssnotiz einem „Severus qni et Snlpitius** zugeschrieben
wird, womit wahrscheinlich der viel ftitere bekannte YerilBsser
der Historia sacra gemeint sein soll. Da die bis öio reichende
Chronik am Schluss die von da au bis zur Zeit des Schrei-
bers verflossenen Jahre (nach der spanischen Aera) bezeichnet
und sagt, dass von dort an sich jeder selbst die Bechnung
nach Indictionen oder nach der Aera fortsetzen könne, so
glaubt Holder- Eggt r sich berechtigt, die Abfessung der Chro-
nik selbst auf 733 p. Chr. festzusetzen und benennt darnach
den Verfasser als Chronist von 733. Ob der Schluss nicht
zu schnell, wagt Beferent nicht zu entscheiden. Holder-Qgger
weist den stark compilatorischen Charakter dieser an eigen-
tdmlichen Nachrichten ziemlich armen Chronik nach und findet
in ihr die Spuren südgaliischer, näher arelatensischer Annalen,
welche mit Spuren derselben Quelle bei der Chronik von 641
(Continuat. Frosp. Havn.), Isidors histor. Goth. und Gregorius
Turon. zusammenträfen. Angehängt ist der Abdruck des
zweiten Teils der Chronik (von 379 an, also von da, wo sie
die Grundlaj^e des Eusebius -Hieronymus verliert), worin durch
den Druck hervorgehoben ist, was der Chronist nach dem
Urteil des Verfassers aus den ravennatischen und den arela-
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296
KiUTlbCHl:: tüEKöICHTEX. 1675. Ii.
tensischeu Annalen entnommen hat, so wie was sonst ans
sc'iiioii bekannten (Quellen nicht zu erklären ist. Wichtige
weiter gehende üutei"suchuugen des gut geschulten Kritikers
wird der nächste Jalirgaug zu berücksiclitigen haben. Hier
sdilflgt anch W. Arndts (s. o.) Bisohof Marios von Aven-
ticom ein, da die Schrift auch die Chronik des Marius
untersucht. Arndt nimmt an, dass diese Chronik im An&ng
ein Exemplar der Havennater Aanalen excerpirt hat, welches
mit Zusätzen aus Arier Annaleu versehen gewesen, trifft also
darin mit Hoider-Egger zusammen, während er anderseits
abweichend von diesem doch auch eine Benutzung des Marina
durch Severus für wahrscheinlich hält. Von 500 an findet
er burgiuiilisch -frünkisclie Aniiuk'a bei Marius benutzt und
vernuitet als dritte Qui^ile Inzantinische in ^lailand verfasste
Auualen. Die Abfassung durch Marius zu bezweifeln, sieht
er keinen Grund, und da nach ihm die Marius -Handschrift
direct auf eine merovingische Vorlage und durch diese wieder
auf den Archetypus fßhrt, so wSre damit auch fOr das so-
genannte Chruüicon Imperiale (Prosperi Tironis-Pithoeaniim),
worau die Marius -Chronik mit „Cousule su]>ra scri}*to'' (455)
sich unmittelbar anschliesst, eine sehr alte handsciniftliche
Beglaubigung nachgewiesen. Arndt druckt dann die Chronik
nach der Collation der jetzt im britischen Museum befind-
lichen Handschiill al* und LUst «'iue Uiitersucliuug der Consul-
reihe folgen. Was das Leben des Bischof Marius betritlt, so
zeigt er, dass das Caiiulariuni Lausannense des Propst Conon
(Schlussredaction 1235), dem wir die haupts&chlichen Kach-
richten verdanken, auf die zweihundert Jahre filteren Annales
Lausanneuses sich stfitzt (vgl. Jaff^ bei Mommsen, Die Chron.
des Cas^iuJ. Sen.. Alih. der kirl. säehs. Ges. d. W. VIU,
p. 685). Die weitere Quelienuiiter&uchung erklärt die Zeit-
angabe 601, welche mit der zuverlässigen Nachricht, dass
Marius am 31. December des Todesjahres KOnig Guntrams
gestorben sei, in Widers]^ruch steht, in einleuchtender Weise
aus späterer Combination, die sich schon durch die Rechnung
nach Christi Geburt als solche erweist. Auch Arndt bleibt
bei der Annahme, dass es Marius gewesen sei, der den Bischofs-
sitz von Avenches nach Lausanne verlegt hat — H. Hertz-
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KIBCUENGESCHICHTB VON 835 - 768, VON MOELLEB. 297
borg 8 Untersuchung über die Chroniken des Isidorus von
Sevilla achUeast sich an die 1874 erschienene Schrift des-
selben Aber die Historien ^ an. . Umgekehrt wie bei den
Historien sieht er hier die kürzere Chronik als die spatere
an und untersclieidet zwei auf Isidor selbst zurfickgebende
Recensionen. Hinsichtlich der grösseren Chronik unterschei-
det er von dem in den Ausgaben vorliegenden Volgftrtext
(A) einen anderen durch fttnf Handschriften reprüsentirten (B),
der trotz grosser Verderbnis eine entschieden sorgfältigere
Yerwiiumi? des zugrundegelegten historischen Stofts zeige.
Der Qut'llenerörterung entnuhuieu wir, dass wesentlich erst
von Justins II. Regierung au die von anderen Autoritäten
unabhängigen Nachrichten beginnen, die, obwohl hdehst mager,
doch einige wichtige Notizen enthalten. — Hier sei auch des
Beitrags zur Kritik Gregors von Tour gedacht, worin
Stäckel (s. 0.)» anknüpfend an die von Juughans u. A.
gegebenen Nachweisungen sagenhafter Elemente, solche au
dnigen weiteren Stellen des U. und III. Buches der Histor.
Franc aufzuzeigen sucht, so namentlich an dem Bericht Ober
die Vermählung Chlodovechs mit der burgundischen Prinzessin
Ciirotechildis (II, 28).
4. Zur Missionsgesohichte.
Viilfila oder die lt >tisolu> liiitel. Mit ikui fnts]ir « Ih nili-n gricclii.sclien
Text \iiKi mit cin-.iii kritisch»'ii und f'rkiäR-Ti«I('ii (.'UiiiijL'iitar. !i<'l»t dem
Kalender. d^T Skejreins und den u'"ti<i ht ii rrkiinden. IIcrauHgegeijen
von E. Bernhardt (Halle, Waisenhaus). LXXII, 654 S. in gr. 8
A. Ebrard, Die Keledoi in Irland und Schottland (in der Zeitscbr.
f. d. bist. TheoL 1Ö75, 459->498).
O. Hertel, lieber des heiligen Colnmba Leben und Schriften, besonden «
über Mine Klosterrogel (ebendas. S. 396— 454. VgL Ebrards Gegen-
bemerkungen ebendas. S. 499—505).
^) ,,Dio Historien und die Ciir iiiken des Isidonis von Sevilla.
I. Teil: Die Histori» n. Eine Quelkuuntersucbung." (Gött. pliil. Diss.)
Vgl. dazu Kautiiianu in Sybels Zeitschr. XXXIII, S 4'>4f. Genannt
sei hier auch noch Dressi-l, D*' Isidori <>riginuni l'^ntibus. (.Vugustae
Taurin. 1874. Ala diss. iuaug. Gott, aas der „ßivista di ülol. '* abge-
druckt.)
S) Vgl. den Aufsatz Kirchners über ültila in den „Grenzboteu"
1875, Nr. 40.
ijiyiiizoa by GoOglc
298
KKITISCU£ (}B£RälCUT£N. 1875. U.
Alois Iluber, Geschichte der Einführung und VerbrLitung^ dos Christen-
tums in Südost -Dout>chlaud. Bd. IV: Die JSlaveiizeit (Salzburg,
Cuinmiss. von Pustet in Regciipburjr ) 482 S. in gr. 8.
Aug. Werner, Bunii";icius, der A^ix-vUl der Deutschen und die Komani-
Birung von Mitt* leuropa. Eine kircheugeächicbtl. fetudie. ^Leipzig,
Weigel ) VI, 400 S. in 8.
H. Hahn, Noch einmal die Briefe und Synoden des Bonifazius (in den
„Forschungen zur deutecben Oe^ichichte" XV, S. 43—124).
A« J* XThxiff» Bedenken gegen die Echtheit der mittelalterlichen Sage
von der Enttronung de8 Merovingischen KönigsbauMB dorch doi
Papst Zachariaa (Leipzig, Veit). ViXl, 81 in gr. &
Gehen wir auf die Missionsgeschichte des Abend-
landes ein, so darf hier die Einweisung auf die neue von
den Kennern beilallig autgenommeue Ausgabe der gotischen
Bibel (s. 0.) vonuigeschickt werden, welche den dritten Band
der germanistischen Handbibliothek von Zacher bildet —
A. Ebrard finden wir wieder tätig, die Grandanschauungen
seiner früheren Aufsätze und seiner Iroschottischen Missions-
kirche'' zu ergänzen. Durch reichlich herangezogene eng-
lische Literatur, worunter namentlich Reeves in den Trans*
actions of the B. Irish Academ, vol. 24, der eine ganz andere
Ansicht vertritt, ihm doch reichliches Material geliefert hat,
sucht Ebrard seine Gnindtbese zu erhärten, dass die Keledei
der späteren irischen und sch«.>ttischen Urkunden, welche dort
im Con^ct mit dem officiellen römischen Kirciientum er-
scheinen, wirklich die geschichtliche Fortsetzung jeuer von
Fatriks Schalem und Nachfolgern begründeten Kirchen- und
Gönobialgemeinschafk seien, welche ihren Mittelpunkt in Jowa
(Hij) hatte. Der Nachweis soll hier besonders für das sprach-
liche Argument stringenter geführt werden, dass Keledeus
nur aus dem altiriscU-gadelischen cele-d^ abgeleitet und
dieses sprachlich richtig nur mit vir dei erklärt werden kOnne,
dass aber grade bei den continentalen Oliedem der Missions-
kirche von Jowa der Ausdruck vir dei sich in dner ganz
specifischen Weifee als stabile Bezeichnung finde, was eben
auf die zugrundeliegende irische Titularbezeichnung c^le-d6
schliessen lasse. Die sprachlichen Aafstellungen bedürfen der
fachmännischen Prfifung; aber es will uns bedünken, als
wenn die wichtigen Untersuchungen Ebrards doch eine ein-
Digitizeo by LiOü^i
KIBCHENOESCmCHTB TON 885-768, YOK MOELLER. 299
gehendere Beachtung yerdienten, als sie Uweii bis jetzt zuteil
geworden ist. Freilich sind an letzterem Ebnurds abschreckend
wirkende tendenziöse Manier, seine üebertreibnngen und die
nngeachichtliche IdealisLruug der romfreien Mission nicht ohne
Schuld. Gegen eine Seite seiner Aufstellungen wendet sich
Hertels Aufsatz üher (Kolumbas (des jüngem) Leben und
Schriften, besonders über seine Klosteiregel (s. o.). Er scheint
mir mit Recht die Ankunft Oolumbas im Frankenreich früher
auzusetzeu als Ebrard. nämlich uoch zu Lebzeiten Sigeberts I.
(590), ebenso die gegen Columba vorgehende fränkische Sy-
node noch vor Gregors des Grossen Tod. Seine Instanzen
scheinen mir durch Ebrards Gregenbemerkungen, die allerdings
einige MisventibidnisBe beseitigen, nicht entkrfiftet. Die
Untersuchung Hertels fiber die Schriften CiOlumbas spitzt sich
zu auf die über die Klosterregel, einmal die sogenannte re-
gula monastica, welche nicht eigentlich den Namen einer
B^gel verdient, die aber Ebrard allein als die echte gelten
lassen will, und über die eigentlich in Frage kommende
regula coenobialis. Verdienstlich ist jedenfidls die auch von
Rettberg versäumte Vergleichung der beiden Redactionen,
der kürzeren (Biblioth. pp. max. XII) und der längeren (bei
Holstenius), so wie die Erörterung des Verhältnisses zum
FOnitential. Wenn auch die Frage noch nicht abschliessend
erledigt ist: dass es sich Ebrard mit der ünechtheitserklftrung
dieser ihm so verhassten Prfigelregel zu leicht macht, dürfte
doch auch noch nach seinen Gegenbemerkungen anzunehmen
sein. — Von der überaus weitschichtig angelegten Geschichte
der Einführung und Verbreitung des Christentums
in Sfldostdeutschland von dem Salzbuigischen Weltpriester
Alois Huber (s. o.) liegt nun der IV. Band vor, welcher,
„die Slavenzeit" behandelnd, grossenteils über unseren Zeit-
abschnitt herabführt, aber doch mehrfach in die vorkarolingische
Zeit zurückgreift; so nicht nur in der ersten überleitenden
Abteilung (Verfieü! der Salzbuiger Landeskirche und Bestau-
ration des b^joarischen Eirchenwesens im allgemeinen und
der Salzburger Kirche im besonderen; — die von BonlÜMsius
errichteten bajoarischen Bistümer), sondern aueli in der zweiten
Abteilung (die Slavenbekehrung) hinsichtlich der slavischen
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300
KBmSCBE ÜBEßSICHTBN. 1876. IL
Ansiedelungen, der Wenden im bairischen Nordgau, der Eausr
slaven, Karanthanen u. s. w., und ihrer VerhältoisBe za Baiera
und Frankee. Der Standpunkt des Yeifassers, in welchem
grosse Vertrautheit mit den Quellen mit einer oft lecht naiven
Behandlung,' kritischer Fragen sich vereinigt, wird charakteri-
sirt durch die (auch von Friedrich noch festgehaltene) Vor-
aussetzung, dass der heilige Rupert ins sechste Jahrhundert
gehöre, dass er bereits den Leib des angeblichen Amandus
von Worms nach Salzburg gebracht (S. 335 f.), dass demzu*
folge von da an eine unter Salzburg stehende allgemeine
(wesentlich römisch gedachte) bajoarische Landeskirche be-
standen habe, welche im siebenten Jahrhundert fast ganz in
Verfall geraten sei. Bonifacius soll ferner bereits 719 in
£aiem eine nmfiissende Tätigkeit entfaltet haben; die „Salz^
burger Landeskirche" hat aber im dritten Decennlum dee
achten Jahrhunderts, begünstigt von dem kirchlich gesinnten
Lande^^herzog Hugibert, ilire Kräfte wieder gesammelt und
namentlich mittelst Reform des Kathedralklosters St. Peter
nach der Begei des heiligen Benedict den Grund zur gross-
artigen Begeneration des bairischen Kirchenwesens gel^
welche dann am Schlnss des vierten Decenniums vom heiligen
Bonifacius durchgesetzt worden. Die Emchtuiig der bairischen
Bistümer durch letzteren bezeichnet der kirchliche Local-
Patriotismus des Salzburger Priesters als Zerlegung des alten
Landesbistums Salzburg in Specialbistümer. Der heilige Pir»
min restaurirte (!) nicht ohne selbstverstftndliche und un-
mittelbare Beteiligung des damaligen Kectors (nicht geweihten
Bischofs) der bajoarischen Landeskirche, des Abt Johann von
St. Peter, drei Abteien am linken Donauufer, nämlich die
beiden (!) Altach und Münster (Pfaffenmönster), indem er
jeder zwOlf Lehrmeister der Benedictinerregel aus Rei-
chenau gab. Zu derselben Zeit möge auch St. Emmeram in
der Landeshuuiitstadt, wahr.-clieinlich von St. Peter in Salz-
burg aus, die Benedictinerregel erhalten hab^. Der Verfasser
meint nun, dass schon die „ Vor- Benedictiner- Mönche'' unter
Herzog Theodo, dem Zeitgenossen C!orbinian8, indem sie bei
den sporadisch im Nordgau wohnenden Bieren die Seisorge
übten, Mission unter den Wenden an der Naab und 'am Bai»-
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KJKCHENOLöCUICHTE VON 3-20- 769, VON MOELLEK. 301
risclien Walde versmcbt bfttten, aber ohne nennenswerten Er*
folg, (lass aber dann namentlich die Beiiedictiner von Xieder-
altaioh und St. Emmeram, nngeführ von 731 an. d. Ii. noch
während der Kei^ierung des Herzogs Hugibert die Bekehrung
der Naabwenden in viel grösserem Umfang und mit so ge-
eegnetem Erfolg in Angriff genommen hftttent dass sie in den
ersten Jahren Herzog Otilos im wesentliehen vollendet gewesen.
„ Damit ist aber auch dargetan, dass diese Bekehrung nocli von
der alten Salzburger Landeskirche ausgegangen, geleitet und
kirchlich organisirt worden war'' (quod erat demonstrandum!).
Virgil habe also den vereinzelten Siavenstamm der Naabwen-
den bereits dem Ghristentnm gewonnen vorgeftinden nnd dieses '
kostliche Erbstück scheine in ihm jene grosse Idee angeregt
zu haben, (leren umtassende Verwirklichung (!) ihm den wohl-
verdienten fclhrennamen des Slavenapostels erwarb. — So sehr
ntin aneh üast alle Grondpocdtionen des Verfassers von der
Kritik in Ansprach zu nehmen sind, so dOrften doch nament-
lich seine topographischen auf die Ortsnamen sich stfitzenden
un«! den einzelnen christlichen Stiftungen nachgehenden Unter-
suchungen die Beachtung corapetenter Forscher vordienen,
obwohl es auch hier nicht ohne starke Sichtung abgehen
wird. — Um Bonifacius* Person und Werk dreht sich ein
lebhaftes Interesse der Gegenwart, dem die geschickte Dar-
stellung von A. Werner entgegenkommt. Er ist von Ebrard
bedeutend beeintlusst, in einem Grade, der manche Einwen-
dung erfahren wird, allein gefangen von ihm ist er nicht,
wie er denn zu nnbe&ngen denkt, um die Goldeer Kirche
nach dem nrkirchlichen oder reformatorisehen Ideal sich vor-
zustellen; auch die kflnstlicfae Auf&ssnng von Wilibrords
Stellung teilt er nicht, ebenso wenig die Annahme eines frühen
Einverständnisses der fränkischen Hausmaier mit Bonifacius.
Wenn nocli zuletzt H. Hahns Aufsatz über die Briefe und
Synoden des BonifiMsins (s. o.) gezeigt hat, wie viel hier noch
die Kritik im Einzelnen zu schaffen hat, um namentlich hin-
Mciitlich der kirchenorganisatorischen Tätigkeit des Bonifacius
überall festen Boden zu schaflen, so lag es nicht in der Auf-
gabe Werners, diese Detailkritik weiter zu fuhren. Eine
sorgfältige Durcharbeitung und Verwertung des gelehrten Ma-
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302
KBITISCHE OB£BaiCiIT£N. 1875. U.
teiials aber ist überall erkenubar. Da es des Verfassers Zweck
erheischte, uur die notwendigsten Verweisungen auf die Quellen
onter dem Texte aBzumerken und im flbrigen auf den ge-
lehrten Apparat in Anmerbmgen zu verzichten, vfthrend er
doch andererseits das Bedürfuis fühlte, seine Auffassung in
so vielen streitigen Fragen zu rechtfertigen, so suchte er das
Wesentliche solcher Untersuchungen in seine Darstellung selbst
zu verweben, die denn z. B. von zahkeichen Auseinander*
Setzungen mit dem Holländer Mfiller einerseits, Ebrard
andererseits durchzogen ist Dadurch ist, wie der Verfiisser
selbst anerkennt, der I luss der Darstellung beeinträchtigt;
überhaupt aber herrscht eine gewisse Breite, die wir im In-
teresse des Buches selbst vermieden gewünscht hätten —
Wenn hier noch Uhr ig 8 „fiedenken gegen die mittelalter-
liche Sage von der Entfernung des Merovingischen Königs-
hauses durch Papst Zacharias*' gedacht wird, so geschieht es
nur der Vollständigkeit wegen, denn eine wissenschaftliche
Bedeutung kann der Schrift nicht beigelegt werden.
O. X von Hefele, Conciliengüechicbte. Bd. II (von 381 bis Dreikapitel*
strcit und Schisma). Zweite verb. Aufl. (Freibiirg L Br., Heider.)
XU, 968 S. in gr. 8.
K. Tabbö Kartln, Le Bwado- Synode eomiii dans llüstoire aons le
nom de Brigandage d*Ephtee, ^tndi^ d*apite aes acte« retrunT^i en
Sjriiaqne (Paris, Haisonnenve). XXI, 3H p. in 8.
Die zweite verbesserte Auflage des zweiten Bandes von
Hefele 3 Concilieugeschichte hat in der Tat, dank der Be-
rücksichtigung neuerer Literatur, manche Nachbesserungen im
Einzelnen erfahren« auch einige Zusätze, wie denn namentlich
die Canones der sogenannten vierten Garthag. Synode von
398 — die statuta ecclesiae antiquae — vollständig aufge-
nommen sind. Sehr tief greifen indes die Veränderungen
1) Noch nnbekannt ist mir: J. Weicherding, Der St Pirmins-
berg, seine Kapelk, Qaelle, Euudedelei nnd der beitige Piimui, ein Gkn-
Iwssbote der WUtaer Ardennea, ein Grflndor, Instanrator nnd Reformator
veiBchiedener SlSeter im »BdweBtlichsn Dentechland. QneDenmasaigef ,
Beitrag sor Kircfaengeechichte. (Lniembnrg, Bdlck.) JY, 171 S. in 8.
5. Zur ConoiUengesohiohte.
KIBCHENGfiiSCanCBaEB VON 8&5-«768, VON MOELLER. 308
nicht Ein empfiBdlicher Mangel ist es aber, dass Hefele dii6
neu entdeckten syrieohen Acten der aogenannten Bäubereynode
noch nicht benutzt hat, obwohl dieselben doch sohon 1873
durch G. Hoffmuüu^) iü deutscher Uebersetzuag und mit
trefflichen Noten bekannt gemacht worden sind. Dadurch ist
Hefeies Darstellang dieser Synode and der Yoraosgehenden
Ereignisse in wicbtigiBn Punkten gradeza antiqnirt. Der sy*
Tische Text ist inzwischen pubiicirt von S. G. F. Perry*),
und in Frankreich hat der oben erwähnte gelehrte und ruh-
rige Abb^ Martin, nachdem er bereits 1874 eine fran-
zösische üebersetzung der Akten und einen Aufsatz über ihren
Inhalt veröffentlicht hatte nun auf Grand einer kritischen
Erdartening derselben eine Darstellnng der Synode nnd der ihr
t«raufgehenden Ereignisse gegeben (s. o.). Ans rersehiedenen
syrischen Mauuscripten des britischen Museums bringt er
Zeugnisse für die Bekanntschaft der syrischen Kirche mit
dem Inhalt der Acten bei, deren Echtheit freilich auch ohne-
dies gar nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen ist Die Er-
^rtenmg der geschichtlichen Anfeinanderfolge der Ereignisse
ist sehr beachtenswert. Die Ansicht, welche "Zahn in seiner
Anzeige von Hoftmanns Schrift über die in Edessa gegen Ibas
entstandenen Unruhen und die Datirung der Schriftstücke bei
fiol&naim, S. 7ff. geltend gemacht hat, bekämpft Martin
meines Eracfatens mit Becht. Audi darin dflrfte er Becht
1) G. Hoffmanii, Verhandlungen der Kirchen versammluDg zu
Epbemis am 22. August 449 aus einer syrischen Handiohrift vom Jahre
585 Übersetzt (Festschrift, Herro Dr. J. dahanseD gewidnwt Ton der
Universität zu Kiel 1873).
*) Der erste Teil, den syrischen Text enthaltend, ist erschienen.
Angekündigt sind vol. II: S. G. F. Perry, An exact English Version
of tbat seoond synod of Ephesas with a free translation of those extracta
and notes exegetical, philological and historicai. Vol. III: A nevr and
complete historj' of the latrociniura with dissertations on the questions
raised or settled by the Ms. E. Prickard Hall and J. H. Macey, Ciaren«
don Press Oxford. Ich weis,s nieht, ob sie bereits erschienen sind.
3) Actes du Brigandage d'Ephese, traductioii faitc sur le texte
syriaque (Paris, Maisonneuve 1874), in 8. — Le Bri«;andage d'Ephese
d'apres ses actes rccemmeut decouverts (in der B/dvus des qaestions histo-
riques 1874. juillet. Tom. II, p. 1—59).
ZMiMiif. f. £.-0. 20
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804 - KBITISGBB OBEBSIGBT£N. 1876. n.
haben, dass die ganze Yerhaudltmg über Flavian und Eutyches
bereits vor&ber war, als an dem von den Acten als erstem
bezeichneten Tage (Sonnabend, 20. August) die rOmischen
Legaten und Domnus von Antiochien nicht erschienen ^ jener
erste Tag mithin nicht mit der ersten Sitzung, der Eröffnung
der Synode, gleichzustellen ist, so dass die Difi'erenz der
Datimng mit der griechischen sdch wohl lösen Iftsst Er
hat anch wahrgenommen, dass der Brief des Domnus an
Flavian (Holfiai. S. 61 f.) mit einer geringen Abweichung^
in der Mitte des Briefs und einer wiclitigeu am Schlüsse
desselben sich unter Theodorets Briefen (ep. 68) findet. Da-
gegen wird wohl der Vermutung, dass Philoxenus der Ueber-
setsser der Acten sein könne, ein positiver Wert nicht bei-
zulegen sem. — Nicht berüclmichtigt hat Hefele (Bd.
S. 101 f.) die Publication Lamy*s zu dem angeblichen Concil
von Seleucia^), welche ich nur aus einem Citat Martins
(Salut Pierre et S. Paul, p. X) kenne
1) Lamy, Concilium Seleuciae et Ctesiphonti Labitom auuo 410
(Louvain ISGS), 4.
2) Hinsichtlich der wcit^chichtig angelegten, noch nicht abgeschlosse-
nen Arbeiten von E. ReviUout muss ich mich vurhuitig mit Kiickwei-
sung auf Harnack (Htft I dieser Zeitschrift S. 130 u. 140 Anm.) be-
gnügen. Zu dem dort Anzeftihrten ist inzwischen im Tome VI, p. 473
bis 5G(' der § 5 Collectiuns gauluiscs gekommen. Eine Geschichte des
Papsttums ist mir noch nicht zugänglich gewesen : Em. Ca st an, Histoire
de la ]>apaute. Äloyen üge, comprenant les temps barbares et les tcraps
i' ■laiix. Paris. ölG p. in 8. Ebenso die Schrift von L. Drapeyron,
De la suh^titution d'un ei>i6C"pat rmain ä Tepiscopat romain eu Gaule
6oas les Merovingiens et les Carolingiens. Paris.
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0
ANALEKTEK
1.
Zur Textkritik der neuen Clemensstflcke.
Von
Dr. 0. Ton Oebhaidt
in Leiptig.
Im neunten Baude des Archivs der CTesellschaft für ältere
deutsc)ie Gescliiclitskunde (1^'4 7, S. 645ff.j verüfientlichte Pc rtz
ein Verzeichnis Ton Handschriften des Jerusalemischen Patriar-
chats zu Conftantinopel, welclies Dr. Bethmanu im -lalire
1845 an Ort und Stelle angefertigt hatte. Das Augenmerk
Scheint dabei haupt?:iiclilich auf classische Autoren und Werke
geschieht Ii (Ii eil Inhalts gerichtet gewesen zu sein, und diesem
Umstände ist es wohl zuzuschreiben, dass noch drei Deceunien
verstreichen mussten, bevor der lange gehegte Wunsch nach
dem Besitz der vollständigen Clemensbriefo seine Erfüllung fand.
Die treffliche Edition des Metropoliten Bryenuios^), der so
glücklich war, aus eben jener Bibliothek den lange verborgenen
Schatz heben zu dürfen , setzt uns nun endlich in den Stand,
die lückenhafte Uebcrlieferung der Alexandrinischen Handschrift
meist sicher ergänzen und so die wertvollen Urkunden ältester
Kirchengeschichte in unverkürzter Gestalt übersehen zu können.
Indes, so gewiss es ist, dass die neue Textquelle sich nament-
lich im ersten Brief als verhültuismässig treu bewährt, so wenig
1) Toi tlyiotq ntaQOi tj^iSv KXr,uBvtog iniffxonov'Vuifir]^ id &vo
-nno; Kooify*^iovg intaroXtei . ^Ex j^iiQoy^ütfov i^g iv 4>ay(tQiio XwVyTioAewj
bifii.tolh]xffg Tov IJiivayiov Täipov yvy nQtSroy ixdiSöfisvai nki'Qeis uixtt
J£tQ(my, *Ev Kmt^ayrwovnoXu 1875,
20*
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306
ANALEKTEN.
war von Tornherem zu erwarten, dasB sie sich Ton Fehlem
völlig frei zogen werde; und je öfter in dem zwiefach über-
lieferten Teil beim Auseinandergehen beider Zeugen dem älteren
der Vorzug gegeben werden muss, desto sicherer ist anzuneh-
men , dass in den neugefundenen Stücken an yielen Stellen,
über die wir ohne Anstoss hinlcaen, der "Wortlaut und das
Wort gefüge nicht das ursprüngliche sein wird. Sofern aber
. hiemit eine wesentliche Alteration des Sinnes nicht immer not-
wendig verbunden ist, können wir uns getrost darüber hinweg-
setzen, und nur da wird zur Kmendation geschritten werden
dürfen, wo die überlieferte Textesgestalt durch untrügliche
Merkmale sich als yerdorben erweist. Leichtere N'ersehen des
Abschreibers übergehend, beschränken wir uns hier auf wenige
vor anderen anstossige Stellen, um teils unnötige Aenderungen
abzuweisen, teils auf fehlerhafte Lesarten aufmerksam zu machen,
die der erste Herausgeber unbeanstandet gelassen hat, und diese
womö^lidh zu verbessern.
1. Der Eingang dee solennen Gebets c. 59 lautet bei
Brjrennios (S. 103 f.): ... xet/ uhr^aoue&u . . onwg roy agi^/ihr
roy KaTtjQtd^ftrjfiiyoy TWy ixXtxiwy uvroi . . diarf vluit, aS^^avaroy
o dt}fitovQyog xuiy anuyvuty dtu . . ^h]aov Kgiaioi, 6t oi ixalt^
aty rjfiag uno axotovg flg cptog, uno uyycom'ag itg Inlyywtty deftig
orOfMJog avTOv. ElmZety tni lo a^xfyoyoy nuatjg xrhftog oyofia
üOVf iti^iSaS tcvg wpd-aXfiovg Ttjg xa^iag tj/nwy tlg t(> ytydtaxuv
<f$ Toy fi&yoy d^unoy h vxjjiaToig xrX. Damit aber das iknil^tty
nicht ganz in der Luft schwohe , bemerkt der Herausgeber, es
sei dator in Gedanken oder factisch etwa ^og, S^anora, zu
ergänzen. Eine directe Verbindung des InfinitiTS mit dem Vor-
hergehenden schien ihm dadurch ausgeschlossen, dass dort Ton
Gott in der dritten, hier in der zweiten Person die Bede ist.
Allein so hart der unvermittelte Uebergang zur directen Anrede
auf den ersten Blick erscheint, so schwer hält es, an eine Aus-
lassung zu glauben, für welche jeder graphische Erklärungs-
grund fehlt, während die Trennung des D.ntZfiy von dem vor-
hergelienden ^xuXtaty r/näg durch ein solclies Einschiebsel nur
geeignet ist, den Fluss der Kede in stürendster AVeise zu unter-
brechen und den zugrunde liegenden Gedanken selbst abzu-
schwächen. Wenn \^ir es hier wirklich mit einer Lücke
zu tun haben, so muss sie unseres Erachtens gnisser sein
(siehe Harnack in bchürers Literaturzeitung I, S. 101); da
aber, wie Harnack (ebendas.) gezeigt hat, ein äusserer Anhalt
für eine solche Annahme nicht vorhanden ist, so wird es wohl
dabei sein Bewenden haben, dass nach oyo/naiog mrot nur
schwach zu interpungiren und llnClftv yrX. auch noch von ixuXiaey
rfi^S abhängig zu denken ist. Beispiele eines ähnlichen Ueber^
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QEBHASDT, TETIKRinK DBB NEUEN CLBHEN88TÜGKE. 901
ganges aus der oratio obliqoa in die oratio reota finden sioh
bei Winer, GrammatÜL des neutestameBUioben Sprachidioms
(7. Aufl.) S. 539.
2. Im weiteren Verlaufe des Gebets heisst es (Brjennios,
8. 105): Toi c fy d^Xixptt i](A.iov a(Zaov ' Tovg lunfivovg iXtr^GOv '
rovg nfTiTwxoTug tynQov ' joTg deofutrotg i7H(f uyr^^i * Tovg am-
ßtlg luaat ' lovg nXavio^tvovg lov Xuov nov tniojQi'ipoy ' /uomüoy
Tovg ntiyioyxug xtX. Hier läge es, sollte man meinen, am
nächsten, bei Toi;^ aaißiTg an die Heiden, bei xovg nlavio^il-
vovg rov Xuov nov an die Juden zu denken. Doch wäre es
in hohem Grade auf lallend und verriete den völligen Mangel
einer geordneten Disposition, wenn die Fürbitte für die ausser-
halb der Gemeinde Stehenden in so ganz unvermittelter Weise
mitteu iu das (»ebet um Aufri( htung der Gefallenen, hülfreiches
Erscheinen zum Beistand für die lieäurftif;en , Sätti^xun^ der
Hungernden in der Gemeinde hineinverwoben erschiene. Die
Schwierigkeit schwindet, wenn man statt uofßeTg — eine gra-
phisch sehr leichte Correctur — ao^tyng liest. Dann sind die
uXaviofitvoi auch nicht Juden, sondern irrende Gemeindegliedex,
ui)d Ton Heiden ist überhaupt hier nicht die Kede. Sollte
aber dagegen eingewandt werden, dasfl der Verfasser sich dann
einer müssigen Wiederholung schuldig gemacht hätte, indem
er weiter unten eehneb: ^^iLalr^aoy rorc hadtyovrrag, aa ist
daran xa erinnern, daes hier nicht wie oben phjriech Svenka
(vgl. Lok. 9, 2), Bondem geistHoh Sohwaehe (vgl. das gleich
folgende iXtyoipv/ovyjug und n dem. 17: tüvg aad'$yavyvui
arayttv nifji to uyad^oy) gemeint aind.-
3. Grössere Schwierigkeit bereiten c. 60 die Worte (Bryenn.
S. 106): 0 uya&og iy Totg oQWfi^yotS xct2 marbg h Totg mnot^
&6Qty inl üi. Dass das vQWfA^votg verdorben sei, kann wohl
kaum einem Zweifel unterliegen. Wie aber ist es zu emen-
diren? Die denkbar leichteste Aenderung wäre ohne Frage die
in (juQtfjftiyoig , welches entweder neutriaeh Ton der gesanunten
Weltordinung (wobei in Gedanken vno aov zu auppliren wäre),
oder persönlich von den zum Heil Bestimmten su TCrstehen
wäre. Süsslieh ist nur, dass der Gebrauch von oqICuv im letz-
teren Sinne nicht nachweisbar zu sein scheint, während man
bei der ersteren Fassung einen völlip:cn Paralleliemns der bei-
den 8atzglie<'er vermissen würde. Allen Anforderungen in dieser
Hinsicht genügt Harnacks Conjeetur awi^Ofn^yotg , für welche
nicht nur das >'cue Testament ivgl. 1 Kor. 1, 18. 2 Kor. 2, 15),
sondern auch der erste Clemens brief selbst (c. 58) trcfiende
Parallelen liefert; und wenn auch die Entstellung des opw,a/-
yoig sich hieraus nicht so leicht erklärt wie aus cü^«a^^oi;.
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308
AKALEKTEN.
so nehmen wir doch keinen Anstand, der schwieritrcreii Emen-
dation den Vorzug zu geben, wo sie, wie hier, eiuea so un-
gleich voizügUcheren Siun berzustelieu dient.
4. Bine iweite Lücke irennatet Bryennios am SchloM
des 60. Kapitels, wo es heisst (8. 107): Joq Oft&yoiay xol
ügirmpf ijfiTv n xul nuai joTq waeromovm xry yipff nadwQ tiio-
xag Totg nargaaty ^ft^y, knmaXov^Uymy a( ui Tcay iy nlaxH wä
aXjjd^duy vnfjxoovg ytyofniyovg Tta TtayrmtQOfOQt xeä navagino
oroftari aov. Indes dürfte es sich eher empfehlen, für vjttjmovf
ytvoi^tivovi — mittels der leichten Acnderang toh t; ia * — «
vnr^xnoig yivo^tiyotg herzustelleii| als mit firyennios jenes anver-
findert beizabehalten und daTor etwa Kfd maaoy tifjtaq einzu-
schalten. Für navTay.nuTOQi nach c. 8, 5 nayxox^TOQOtCi zu
emendiren, ist im Hinblick auf Herm. Vis. III, 4 nicht absolut
notwendig.
5. Im 14. Kapitel des zweiten Briefes lesen wir (Bryenn.
S. 183 f.): OvK otofMu Si vfuSg ayyofty ort ittnltjala ^ßaa adifit
iart Xptavov' "kiytt yuQ ri ygufpfi * *Enfthpny o &ihg tok ay&Qto-
noy Itooty xul 9^Xv * ro agaiy iarly o XQtruog , ro S-r^Xv ti
imXfiaia' xoä ori ta ßißXla xtä ol SaiLaxoXot xtiy ixxktjoiay ov
yvy ilyaty aXka ayatd^iy. Hier ist zunächst klar, dass die Worte
Xiyfi yuQ — Ixxkfiaitt parenthetisch zu fassen sind. Ob aber
Bryennios' Vorschlag, nach anooroXoi (nicht lieber nach ihtui)
ein ifual oder M&mumai zu ergänzen, genügt, den Ursprünge
liehen Wortlaut wiederherzustellen, möchten wir nicht mit
Sicherheit behaupten. Sin erträglicher Sinn wird dadurch
allerdings erzielt, und wir gestehen, etwas Besseres nicht an
die Stelle setzen zu können.
Je sonderbarer der »Stil und die Gedankenverbindungen
im zweiten Clemensbrieie sind, desto schwieriger und unsiche-
rer ist das Geschäft des Eraendirens, und nicht selten ist man
versucht, Fehler zu argwöhnen, wo es sich in der Tat vielleicht
nur um eine Breviloqnenz oder eine sonstige stilistische Eigen-
tümlichkeit des Verfassers liandclt. Es geschieht daher nur
mit aller Reserve, wenn wir im Eingang des 10. Kapitels einen
Fehler vermuten. Llaity adth^oi y.ai uthhfai', heisst es hier
(Bryenn. S. 140), fara loy &foy Ti'^g ult^&tutQ avuytvioar.io v/niy
l'yTfrhy ifg ro rtnocs^/iiy ToTq ytyQUfA^ttyoig xil. Das ^ara rby
d'U.y paraphrasirt Bryennios: TovTftrrt , ftnn. i ty ayu-putaiy
noy ifQoyy yQa<f(ov, h' tag o &tog tiuir o /.c/joy. Vielleicht
hat es damit seine Richtigkeit. Die Versuchung lag nicht fern,
TONQN oder TOS OY für T0\(51\ zu conjicircn. — Mit völli-
ger Sicherheit (lagcgcn lässt sidi in dem gleicli darauf folgen-
den »Satze die ursprüngliche Lesart herstellen. Er lautet: Tüvtq
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OEBHABDr, TEXTKRITIK DER NEUEN CLEBIENSSTOCKE. 309
yoQ (so. fifTavof,aat i§ oXfjg xagdtag xrA.) non;aayTtg xoitor
nSai TOTff yibitf ^tjOOfif^y rotg ßovXojuiyoig mgl rr^v noi^itiay
xut TTjy /orjfTTOTfjTa rov &((w gulonoytiy. Da qtXoTfOyfty in
der Handschrift aus q^tXoaofftty corrigirt ist, könnte man ver-
sacht sein, letzteres für die richtige Lesart zu halten und dies
sowohl als die yeoi in malam partem zu deuten, wobei etwa
an gnostiscbe Neuerer zu denken wäre. Oder, ipiXomytiy als
die richtige Lesart angenommen, läge es nahe zu yermuten,
dass vor noi'nui'Tfc die Negation ausgefallen sei. Beides wäre
gleich weit vom Ziele gctohlt. Der Fehler liegt in xonoy^ wel-
ches aus axonoy verdorben ist (vgl. l. Clem. 19, 2. 63 in.) — -
ein leicht erklärliches Versehen , wenn man si( h , ohne Wort-
trennung, ILOlHCANTECCKOnON als Vorlage des Abschrei-
bers denkt.
V.Wenn die Construction von xQvyay mit doppeltem Accu-
sativ gcbräuchlioli wftxe» 80 könnte der folgende Satz unbean-
standet so belassen weiden, wie iiin die Handschrift bietet
(Bryenn. S. 141): Muxa^m oi rowro/g tJtWiOvoyTtg loTg ngoa-
Tuy^uüi ' Kay okiyoy x^oyoy xaxonad^awriy iy tio x6afi<^ rot roi,
toy S'&ymoy r^g uyaaraatwg xa^jtoy TQvyt]aovau Bass es
den Frommen beschieden sei, einst Tom Tode gewissennassen
die Frucht der Auferstehung abzuernten, würe swsir ein höchst
origineller, keineswegs aber unmöglicher Ausdruck für die im
Jenseits ihrer wartende ewige Seligkeit. Aber wenn auch tqv-
yäy allerdings sowohl mit dem AecusatiT der Frucht Terbunden
wird, welche man erntet, als auch des Baumes, Gartens u. s. w.,
welche man aberntet, so ist doch die Verbindung beider Con-
structionen nicht bdegbar. Somit bleibt nichts übrig, als
das störende dm^aroy zu beseitigen, und hiefür bietet sich
mne Emendation dar, welche die Aenderung nur eines einzigen
Buchstaben erfordert, nftmlich JAQ ANATON für AEQ ANA-
TON, Es wSre also zu lesen: thy 6* a&&yatoy Trfi iyaara-
8. Zum Sehluss nur noch ein Wort über den rätselhaften
Satz, welcher im 20. und letzten Kapitel des zweiten Briefes
der Schlussdoxologie unmittelbar voraufgeht. Nachdem im Hin-
blick auf die Tatsache, dass die Gerechtigkeit nicht inimer
schon in diesem Leben belnlmt wird, auf Gottes weise Üeko-
nomie hingewiesen worden ist, welche den Lohn nicht kurzer
Hand abzalilt, sondern solcher Weise, dass man seiner harren
muss, heisst es weiter (Bryenn. S. 142): El yuQ xhy fttad^oy
T(7)y dixa/(üy o &tog oiviü(.i(o; amöi^ot., tv&kog iftnOQi'ay t]oxoi~
/n(y xui ov &eoo^ßftuy ' idoxoi uey yug th'ai öt'yjuot, ov to nat-
ßig akka to xtQÖaUoy duuxoyTtg, xai diu lovio &iia xqiaig
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ANALEKTBf.
tßXütxl ^ Tyevttn^ /i^ o»' dUuiuv , xai ijiuQvyf ^eajiwc. T'^s ist
nicht zu leugnen, dn^s die AVorte xui dih toito — dtij^iog der
ErkUiiiinir trrosse Schwierigkeit bereiten. Glaubt man das nyevua
fiT} üy dtxutoy nach Analogie von 2 Petr. 2, 4 (vgl. Henoch 90,
21 ff.) verstehen zu müssen, so findet man sich von vornherein
in die Unmöglichkeit versetzt, zwischen diesem nveijua einer-
seits und denjenigen , welche „ aus der Gottseligkeit ein Ge-
werbe machen", andererseits ein auch nur einigcrmas^en plau-
sibles tertium coinparationis aufzuweisen. AVoUte man aber
Sinn und Zusammeulumg der Stelle dadurch retten, dass man
unter nvnua (coUectiv; Menschen verstünde und l'ßhtu>i und
Ißnnvvt wie r^rryoiuiy und id(jy.nviiiy hypothetisch lasste (so,
wie es scheint, Br}'ennio8, der /i/j o»' dtmauv durch adi'xw; er-
klärt), so bedürfte es dazu nicht nur des Nachweises, dass
7iviv(.ta überhaupt in diesem Sinne gebraucht sein könnte, son-
dern auch der {Erklärung , die schwerlich gelingen wiirde, wie
insonderheit der Verfasser des zweiten Clemensbriefes zu einer
solchen Ausdrucksweise kam, nach dessen Sprachgebrauch (vgl.
bes. c. 14) mau viel eher i//r//; dafür envarten müsste^ Unter
solchen Umständen könnte man dazu neigen , die Stelle für
verdorben zu halten. Weim sie aber verdorben ist, so muss
sie es gründlieh sein; durch Emeiiihition eines oder des andern
Wortes ist hier sch^Ye^ueh etwas auszurichten.
[26. Februar 1876.]
2.
Ceber deu Sehliisssatz des MaratorisehcD
Braebstflckes.
Von
Hermann Roenseh,
Ärehidiaconiu in Lobenttein.
Dieser Schlusssatz lautet: Arsinoi autem seu Vs-
lentini vel m . tia . [is] (so ursprünglich in der Eds.;
später Mütiadis ooirigirt) ^) nihil in totnm reoipemut .
1) Siebe Harnack in der Zettschr. t d. luth. Theo], u. Kirche
1874, S. 277 ff.; 1875, b, 207 f.
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fiOEKSCH, SCHLUSSSATZ 0E8 HÜRATOR. BBUCB8TÜCKES. 311
qui atiam noTnm psalmoram libTum Mareioni eon-
Bcripaefuat una cum Basilide Aaaiaxmiii Catafry-
eum conetitutorem.
Wir haben hier die handschriftliche Interpnnctioii und Of^
thographie beibehalten, nur sind die Namen mit grossen An-
Ümgabnchstaben yersehen worden» während in* der Hde« In nnd
Conatitutorem (nebst nonii) geschrieben steht.
Pür Maroioni haben verschiedene Kritiker verschiedene
andere Lesungen vorgeschlagen : entweder Marcionitae (Hil-
gcnfeld in der Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1<^74, vS. 218),
oder Marcionitis (Leimbach), oder Marciani (Credner,
Hesse, Hilgenfeld in der „Einleitung in das Neue Testa-
nent'S S. 94). £benso hat man Marcionis für Arsinoi,
in gl eichen teils quia teils qnin für qui zu lesen für nltti^
gehalten, hauptsächlich infolge jener erstgenannten Abänderung.
Aber sollte Mareioni wirklich geändert werden müssen?
Wir zweifeln daran; jedoch nicht für einen DaÜYUs oommodi
[= für Marcion] sehen wir dasselbe an, sondern vielmehr
füi abhängig von dem unmittelbar folgenden conscripserunt.
Es gicbt nämlich eine grosse Anzahl von Zeitwörtern, die
mit con zusamnu upcsctzt sind und nach Art ihrer griechischen
Vorbilder einen Dativ der Person regieren.
Dahin gehören die in meiner tSchrift Itala und Vul-
gata (2. A. Marburg 1875) S. 183—187 u. 355. 384 auf-
geführten: collaborare, vgl. Phil. 4, 3: quae in evangelio
collaboraverunt vel concertaverunt mihi vel m e c u m
[fjvyild^lr^auy fiOi], Boern. ; — commori, vgl. 2 Tim. 2, 11:
si enim comraortui sumus [avvuntd^ayontv^j^ Christo, Ter-
tuU. Scorp. 13; — eompati, concreare. condolere,
congaudere, congratulari [rsvyyaigtiv^ coniucundari,
convesci, con vivi ficnre, vgl. Eph. 2, 5: couvivifi-
cavit nos Christo [av^'tloJ(>no^r^aiy t*^ XQtoii^\ Clar. Amiat«
Fuld. ; - — corridere, coHdhere.
Ich füge jetzt diesen ]»elegen noch einige bei. Die in
den altlateinischen I'ibelübersetzungen vorkommenden Verba
sind auch hier durch gesperrten Druck hervorgehoben.
commoraii. Sirac. 25, 23: commorari leoni et draooni
[avvoiwflcu kioytixal d^oxoKTi] ])lacebit quam.., Vulg.
configere ^ nvaiuvQotv. Jo. 19 1 32: alterius qui con-
fixns erat illi, Palat.
oonlaetari. Luk. 15, 6: eonlaetamini mihi [av^^i^T/
fiih], Pseud.-Cyprian. ad Novatian. 15.
conperire « avranoXlva&ui. Hebr. 11, 31: non conperi-
bit [d. i. conperivit] infidelibus, Cantabr.
consepelire. Kol. 2, 12: consepulti ei [avyiauptyrtQ
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312
AKALEKTfiN.
avT(y] in baptismo, Clar. Boen. Amiat. Fuld. Viüg. —
C)-prian, Ep. 67, 6: alienigcnis consepultoB.
com-egnare. Tertull. adr. Jud. 8: adhuc Cleopatra con-
regnavit August o annis XIII.
consurgerc, ronresurgere. Kol. 3, 1: si conaur-
rexistia Christo, Cy^iriau. d. Zelo et Liv. 14. Testini.
III, 11; — si conresurrexistis Christo, Amiat.
coinfiudinre. Iren. IV, 38, 2: propter hoc coinfautia-
tum est [awivfiniulUv] ho mini verbum dei.
EfBiaht man nun ans diesen Beispielen, welche eich noch
Tennehron Hessen, wie gebräuchlich es auf dem Gebiete der
kirchlichen Latinität gewesen ist, nach dem Vorgange der
Griechen derartige Composita mit dem Dativ zu construiren,
xind erwägt man, dass einem daran gewöhnten Leser diese
Wortrerbindung in unserer Stelle des Muratorischen Fragmen-
tes um so leichter verstiteidUch sein musste, da der Ton dem
Verbum regierte Dativ unmittelbar neben demselben steht,
so wird man kaum bezweifeln können, dass Marcioni con-
scripserunt als gleichbedeutend mit: cum Marcione scri*
pecrunt oder mit dem griechischen tco Muoy.uovi nvyfyQuxf/ay
aufzufassen ist. Mit uUTerändertem qui besagt daher das be-
treffende Satzglied: „welche [nämlich die vorhergenannten
Häretiker] sogar ein neues Psalmbuch mit Marcion
geschrieben haben." Was die darauffolgenden Worte be-
triift, so würde es, vom rein grammatischen Standpunkte ans
betrachtet, am einfachsten und natürlichsten sein, sie als eng
mit den vorausgebenden verbunden zu betrachten und zu über»
setzen: „in Gemeinschaft mit Basilides, dem Be-
gründer der asiatischen Kataphrygcr". Denn im
Vulgärlatein sind incongrucnte Structuren von der Art , wie
cum Basilide . . co nstitutore m, so häufig nachzuwei-
sen dass die Annahme einer solchen in diesem Schriftstücke
weder Befremden einflössen noch daran hindern könnte, in
dem von den Kestitutoren seines Textes durchgängig nach con-
8 titu torein noch supponirtcn rc]irobamus oder reicimus
eine unnötige Zutat zu erblicken und anstatt dessen den das
Ganze beschliessenden Accusativ von der Bräposition de ab-
^) Vgl. z. 6. im Italacodex von Cambridge Mark. 1, 29: cum Ja-
cob o et Johannen: 6. 2»>: projitor insiuraiid «i m et propter simul re-
cunibent i b u 5. Luk. 11, 29: ab oiici t c et oci iileiitem. Ferucr in dem
von Vercelli Matth. 9, 11: cum publicanis et peccatorcs, — sowie in
dem noch älteren Palatmus Joann. 6^ 71: de Juda Simon em Carioth.
1, 18: neque ex voluntatem carnis r.e<p.:e ex vohmtate Desglei-
chen in (lern alttestanicntlirhpn Codex des Grafen von Ashbumham
Kum. 13, 24: de grauatis et äcos.
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BdHRIGHT, BETTBlOE ZUR OE8CHIGHTE DER GEISSLER. 313
hängig zu machen. Auch würde, da nicht bloss dem Valen-
tinas Toa Seiten Tertullians und dem Basüides toü Seiten des
OrigeneSy sondern auch den Maroioniten — wie ^^-i^ in diesen
Tagen gelesen haben — von dem arabischen Verfasser der
Prnefatio ad toncilium Nicaenum, welche der Maronit Afarah.
Ecchellensia lateinisch übexsetst hat, die Abfassung solch neuer»
ausserkanonisoher Psalmen «ngescbrieben wird, ohne alles Be*
denken anzunehmen sein, in dem vorliegenden Biblienverzeich-
nisse werde zugleich mit Valentinus und Üarcion auch der
zuletzt angeführte Basilides als Urheber derartiger Psalmen
dargestellt. Ob freilich und inwieweit dieser ein eonstitu-
tor Asianorum CataphrTp:um piinauut werden konnte,
das zur Evidenz zu bringen müssen wir den Kirchenhiatorikern
ex pro£esso überlassen.
3,
Bibliographisebe Beiträj^e zur Gescbiebte der
Geissler.
Von
fieinhold ROhrickt
in Berliu.
Trotzdem die Geschiebte der Oeissler, der JudeuTerfoIgungen
und des grossen Sterbens eine ganze Beihe tüchtiger Special-
unteiBUchungen erfahren hat, ist auf diesem Gebiete docli noch
so Tiel zu tun übrig, dass es dem Verfasser nicht überflüssig
erschien, auf viele zum Teil ganz unbekannt gebliebene Punkte
hinzuweisen.
Die Geschichte der Geissler, welche im Jahre 1261 in
Italien auftreten, muss infolge der Publication des Chronicon.
Salimbene und des Schirrmacherschen Buches über die letzten
Hohenstaufen ganz umgearbeitet werden; der Ur?| runs^ der
ganzen Beweguni; ist aus dem Studium der joachiniitischeu
Leliren zu begriinrlen , n ich denen im Jahre 1260 die dritte
Weltperiode, die de« heiligen Geistes, lepsin nt (Döllinger in
lUumers Histor. Taschenbuche 1871, b. 624:, '630Q.
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1
314 ANALBKTEN.
Die Vorgeschiehte der Geisslerfahrten von 1348, die Ge-
schichte des grossen Sterbens \rurde durch Hecker, Die
grossen Volkskrankheiten des Mittelalters (herausg. von Hirsch
[Berlin, 1865] S. 19 — 101); Haeser, Lehrbuch der Geschichte
der Medicin (2. Aufl., H, S. 105) von der medicinischen Seite
her gründlich beleuchtet; hingegen ist der ausfiihrliche Brief
eines Canonikus von 8t. Donation aus Avii^iion im Breve chro-
nicou des Corp. chrou. Flandriac ed. de Sniet III, p. 14 — 19,
der Bericht des Aegidius Ii Muisis ibid. II, p. 280 u. 341.
3öl — 385 noch nicht berücksichtigt. Bio Naturereignisse und
Witteningsverhältnisse, welche dem Jahre des grossen Sterbens
vorangingen, behandeln die Würtembergischcu Jahrbücher Bd. I,
S. 94—96. Zur Geschichte der Verbreitung der furchtbaren
Seuche trage ich nach: Bremisches Jahrbuch 1872, S. 238 ff. ;
Stüwe, Geschichte des Hochstifts Osnabrück I, S. 212 f.;
Wiarda, Osttxiesisehe Geschichte I, S. 309; Perizonius,
Geschichte Ostfrieslands I, S. 102 f.; Hansen, Geschichte der
friesischen Uthlande S. 51 ; Boll mann, Geschichte von Mecklen-
burg S. 309. 393. 423; Fromm, Chronik von Schwerin S. 53;
Jahrbücher für Schleswig - Holsteinische Landeskunde Bd. X,
S. 48; Neue Schleswig -Holsteinische Provinzialberichte, heraus-
gegeben von Petersen (1823), Heft 3, S. 81; Güthens Chro-
nik von Meiningen, herausgegeben von Schaubach, S. 12ö;
Erhard, Geschichte von Passau S. 124; Sin na eher, Bei-
träge zur Geschichte Brixens V, 282 ff.; Archiv des historischen
Vereins von Bern VI, 239 — 241; Schweizer Geschichtsfreund
VIII, S. 105. XVII, S. 12 u. 21. ~ Noch heute erinnert an
die Pest in Fulda die auf dem Frauenberge dasulbst aut'2:e-
stellte Pestsäule und die dahin gehende Wallfahrt (Arnd, Das
Hochstift Fulda S. 82). Ebenso sind die noch zahlreich vor-
handenen Amulette („Pestkreuze") Wahrzeichen jener furcht-
baren Prüfung der Menschheit (Archiv für die Geschichte Käm-
fhens X, 242 fr.)
Wie bekannt» worden die Juden bezüchtigt, durch Brunnen*
Teigiitung die Peet angeitiftet zu haben, und die Testui
erpresste übeiall darauf bezügliche Oeatlindnisse (H ecket I
S. 96 — 100; Justin ger, Chronik von Bern [herausgegeben
Ton Studer] S. III; Heyer-Herian, Baael im 14. Jahrhun- ^
dert 8. 170ff.; Stobbe, Die Juden in Deutschland S. 186 ff.).
Die Bäte der einzelnen Städte teilen sich ihre Erfohrunge«
in Bezug auf die Juden mit; so kommen Wamungsbriefe toa
Whisby auf Gothland nach Bostock, dessen Bürgermeister in
gleicher Weise die von Wismar und Thom von der Tücke der
Juden benachrichtigt und su gemeinsamen Massregeln auffordert.
Ebenso schreibt der Lübecker Bat an den Hersog Otto von
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BÖHBICHT, BEITRiOS ZOB GESCHIGBTE DEB QEIB8LBM. 815
Bxmissclnreig-LüiMbiug und bittet ihn „am Liebe su Qott
und der Gefechtlgkdt", die Juden zu massaoriieii (Donath»
Die Xuden in Heoklenbuig 8. 20; Lübecker Urkundenboeb,
in, 103), während Bern und andere oberdeuteehe StKdte ihre
STachbam ebenfalls zur Wachsamkeit emulhnen; auch TOn
Brüssel treffen Briefe iu Aachen ein (Haagen, Gcschiohte von
Aachen I, 277). Vergeblich suchte die Obrigkeit an vielen
Stellen die Juden gegen den Föbel zu schützen , wie in Ulm
(Fischer, Geschichte Ton Ulm S. X94), Meiningen (Güthen
S. 125), Naumburg (Anzeiger des german. Museums 1866,
8. 87 ff.), Köln und Erfurt. Der Rat von Köln forderte sogar
den von Winterthur zum ener^chen Schutze der Juden auf
und wehrte den Todfeinden derselben, den Geisslern, den Ein-
tritt anfangs mit Erfolg, aber am 24. August X349 ward das
Judenviertel nach mannhafter Gegenwehr erstürmt und vcr-
wüstet; 25000 Juden sollen hier gefallen sein. Der Bischof
teilte sich mit dem eingeschüchterten und machtlosen Rate in
die Beute (Aegidius Ii Muisis p. 343 sq.; Wey den, Die Juden
in Köln S. 189, vgl. 330 — 337). Ebenso ging es in Bonn,
in Wildeshausen (21. Juni 1350) bei Bremen (Brem. Tahrb.
1872, S. 2-15), in Erfurt und Franklurt, wo ebenfalls die
Geissler und die mit ihnen verbundenen Judenschläger'* den
"Widerstand der Übrigkeit brachen (Zeitsrhr. des Vereins für
thüriiig. Gesch. IV, S. 145 ff.); Zunz, Synagogale Poesie
S. 39; Schudt, Jüdische Denkwürdigkeiten, II. A, S. 43. 46).
In Aachen hatte der Rat Massregeln gegen die Pest getroffen
und strenge Strafen jedem Geissler angedroht , der die Stadt
beträte*, und auch jedem, der aus freiem Antriebe sich geissele
(Lorsch, Rechtsaitertümer Aachens S. 66; Haagen, Ge-
schichte Aachens I, S. 277). Ebenso drohte der Rat von
Nürnberg jedem Geissler die Todesstrafe durch Säcken , aber
umsonst (Lochner, Geschichte von Nürnberg unter Karl IV.
S. 36). Ueberau wurden die unglückliLheu Söline Jakobs
massenweise gemordet (vgl. Frind, Kirchengesch. Böhmens II|
S. 367; von Muchar, Geschichte Steiermarks III, S. 318 f.;
Klemm, Chronik von Dresden S. 72 ff. ; Emek Hab ach a
von Wiener S. 52. 185 ff.). In Speier (Remling, Gesch.
der Bischöfe von Speier I, 609 f.) verbrannten sich die Juden
selbst, ebenso in Worms, Main-^ und W^ürzburg (Histor. Archiv
für Unteriranken XII, Heft 2, S. 182 — 184). An die Ver-
folgung in letzter Stadt erinnern die nachstehenden Verse ;
Anno milleno trecentesirao quadragesimo pofttquam uoveuo
Victoris festo, lector rogo te, mernor estol
^uee dieeeente luiAe Christoque fovente
Esftü poena Mayi CaleiidaB duodeua Judaeos digne proprio con-
sumeit in igne
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316
ANALEKTEN.
Plebs hebraea, rea i)uteo8 iu quaque platea Didtur obsceno prios
infecisse veneno
Hinc ratione pari meniit pariter cruciari,
jSerbipoli pago ruit illa nefanda propago.
Milia tria centuin quadruni ]>n(^t tcr tres igne flagrum
lutorf<'conmt Judacos, qui perierunt
Festo Victoris uec non lummaiibus horis
Calcndas Majf duodenis, tunc Adonayl
Omnes dainabant, quos flaiiiniao conglommerabant,
Invcctis puteis infamia cipvit ab eis.
Hic caiisib ipj=iis vitao procrssit edipsis.
Heibipolcuse forum cruciatibus affiiit horuoi.
l^ur wenige Fünten acfaütsten die ünglücklicben vor der
Wut und Grausamkeit ilixer Biänger^ wie der F&Ugiaf Bap-
pxecht, der Hersog HagnuB Ton Braunschweig (Dürre, Gesch.
Ton Braunschweig 8. 64) und der Heizog Albrecht von Oester-
reich. Ijetzterer namenÜich schritt sehr eneigisch ein, als am
Tage Tor Hiohaelis 1349 in Krems und Stein eine allgemeine
Jttdenhetse in Scene gesetzt worden war. Biese Städte sowie
Hantem, die Dörfer Bohrendorf, Weinzierli Stratsing und Lei-
hen wurden sofort von Truppen besetzt, zwischen den beiden
oben genannten Städten ward ein Galgen aufgerichtet und strenge
rntersuchung eingeleitet. Drei Hauptradelsfiihrer wurden ge-
henkt, mehrere Bürger verhaftet und beiden Städten als Strafe
400 riund auferlegt, Mantem sogar 600 (Kinzl, Chronik der
Stadt Krems und Stein S. 22 f.). Audi fanden die Juden in
Schaffhausen, Goslar und Kcgensburg Hube; in letzterer Stadt
empfingen sie 1349 am Sonnabend Tor St. Dionys eine Schutz-
urkunde, welche alle Jahre erneuert wurde (Gemeiner, Re-
gensburger Chronik I, 349). Ganz besonders nahm der Papst
Bonifnz die Juden in seinen Schutz (Raynaldi Anuales 1349,
!Nr. 20f. ; vgl. Konrad von Megenberg, Buch der Natur
S. 216 — 218); auch der Kaiser Karl IV. traf in ihrem In-
teresse einige Massregeln, aber doch ohne Energie und mehr
nur zum Schein (Wiener, Regesten zur Gesch. der Juden in
Deutschland, 1862, S. 127—130). In Frankfurt bestimmte er,
falls die Juden erschlagen werden sollten, im voraus, was zu
tun sei. Er verpfändet ntimlich am 25. Juni 1349 die Juden
an die Stadt für 15200 Pfun 1 Heller; sollten diese erschlagen
werden, dürfe die Stadt da.^ llnh und Gut derselben an sich
nehmen, müsse aber den etwaigen Ueberschuss über jene Summe
an Karl herausznlileii fStobbe S. 99). Ebenso überlässt er
den Bürgern von Worms und Sj eier die Juden mit Leib und
Gut (Wolf, Die Juden in Worms S. 34; Speierische Chronik
S. 701 A); die Judenschliiehter in Augsburg und Küln empfangen
billige Verzeihung (Laromblet III. No. 489; Stobbe S. 85).
lieber die jN'ürnberger Verhältnisse gicbt namentlich Loch-
uiyui^ed by
BÖHRICBT, BETTRlOB ZUR GESCHICHTE DER GEI8SLER. 817
ner (Nünibeig nnter Karl IV. S. 26—42) aualührliohe Nach-
richten.
Im C^olge der Pest erscheinen auch die Oeisaler, deren
Geschichte aus den bereits hekannten^ aber neu und kritisch
berau^;^ebencn Chroniken Ton Konrad von Herford, do-
sen er nnd Twinger.Ton Königshofen das meiste Licht
empfängt; nachzutragen ist die Magdeburger Sohöppenchronik^
einige Notizen bei Krüge Ist ein, Nachrichten TOB der Stadt
Ohrdruf S. 128; £no blich, Die Herzogin Anna von Sohle-
aien S. 95. Von ausserordentlicher Wichtigkeit sind die bis-
her noch ganz unbenutzten Berichte, welche im Recueil des
chroniques de Flandre oder Corp. chron. Flnndr. ed. de Smet
(Bruxelles 1837) I, p. 22Gf. und III, p. 24—26. 361—385
(Aegidius Ii Muisis) veniffcntlicht sind. Es pelit daraus hervor,
dass der ru]>st zur Abwehr der Pest iu Avip:iioü selbst ei:ic
Geisslerprozcssion peliilirt, dass man ebendaselbst wissenschaft-
liche Anntomie zur Diagnose der Kranklieit versuchte, die Be-
hf irde sanitäts - polizeiliche Anordnungen getrotieu, kurz, so viel
Interessantes, dass die Vernachlässigung jenes Ik-riihtcs schwer
zu bedauern ist. Hier m'üpc nur diejenige Stelle ausführliche
Berücksichtigung finden, welche das Auftreten der Geissler in
Flandern, speciell in Tournay behandelt
Die ersten Geissler, 200 im ganzen, kamen von Brügge
nach Tournay am 15. August 1349, stellten sich auf dem Markt-
platze auf und begannen angesichts einer zahlreich versammel-
ten Volksmenge ihre Geisselübung. Am folgenden Tage, einem
Sonntage, wiederholten sie im St. Martinskloster dieselbe und
einige Stunden später auf dem Markte. Dienstag, den 18.,
zog das Volk unter Vorantritt des Decans. des ganzen Capitels
und der Mönche ebenfalls nach dem St. Martinskloster, wo der
Minorit (»erhard de Muro in eindringlicher Weise zur Busse
mahnte, um die Pest von der Stadt abzuwenden; da er aber
nm Schluss seiner Predigt vergass, für die Geisseibrüder zu
bitten, so wurden seine Zuhörer erbittert, und diese Stimm ung
bemächtigte sich auch allmählich aller Kiuwoliner gegen ihn
und den ganzen Klerus, hmvischen trafen noch vor Ablauf
der Woche ungefähr 450 Geissler von Gent ein, 300 von Sluys
und 4 00 von Dorti-echt, welche täglich abwechselnd auf dem
Markte und im Hofe des Klosters sich geisselten. Sie wurden
ii(»ch verstärkt durch eine neue Schar, welche aus Lüttich am
29. August eintraf und sofort wie auch am folgenden Tage
1) Vgl. Zachere Artikel „Geissler" In Erseh und Grubere
Encyklopadie; sonst auch das Buch Ton Co Oper: Flagellation and
tbe flageUa&ts (London 1878).
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Z16
iJSUdMKTBS,
unter der Führung eineB Dominikaners ihre Uebongen wie jene
begann. Der Letztere empfing die Erlaubnis vom Decan und
Capitel, an derselben Stelle, wo der Minorit Gerhard gepredigt
hatte, zu predigen, und wühlte fils Text die Worte Joh. 12, 24 :
Es sei denn, dass das NN'eizenkorn ersterbe. In seiner Kede
lobte er die Geissler als ..rote Streitei;*', tadelte dagegen die
Bettc'lmunche als „ Scorpione und Antichristen weiche jene
80 hitzig verfolgten, und erklarte, seitdem Christus sein Blut
vergossen, sei niemals ein kostbareres Opfer <TOtt dargebracht
worden als von den Geisseibrüdern. Der Eindruck jener Kede,
welche von vielen Zuhörern eifrig nachgescluieben wurde , war
ein gewaltiger; fiast alle begannen iLlerus und Könche arg zu
beschimpfen.
Infolge dessen setzten jene für den 1. September eine
Prozession an, welche von der Katharinenkirche nach dem
Martinskloster ziehen sollte. Am bestimmten Tage sammelte
sich hierauf die Menge im Kloster, aber der Zulaut war nicht
so bedeutend , als er bei den Geisselpredigcrn gewetscn war,
und der Augustiuermönch Bobert predigte über die Heilung
des Aussätzigen und Stummen. Kaum aber hatte er begonnen,
den Satz des Dominikaners, worin dieser von dem Blutopfer
der Geissler gesprochen und es dem Tode Christi gleichgestellt
hatte, anzugreifen, als die Menge stürmisch ilin unterbrach, und
einzelne Stimmen sich erhoben, dies hätte der Geisslerprediger
nicht gesagt. Endlich trat wieder Schweigen ein und Kobert
konnte mit ILühe seine Rede beendigen , worauf das Volk er-
bittert sich zerstreute. Erst als am (>. September jcn«j Pro-
zession wiederholt wurde, und Kobert in Gegenwart des gesamm-
ten Klerus und der Sladtoberslen von neuem predigte , legte
flieh der Aufruhr.
Aehnliohe Seeuen wiederholten sich auch in anderen Städ«
teiii wie YalfincieniiM, wo ein Bruder Jacobita predigte, dem
einige Möndie zu widennpreohen wagten; sie massten ihn je-
doch, da er viele Oeifsler mm Sehntie bei sieh hatte, mhäg
eeine fitnase ziehen lassen.
Bald machten sieh die Folgen des Treibens der Flagellan-
ten in Tournay geltend; das psychische Gontagium wi^te.
Gegen 665 Ifaim sammelten sieh in der Nacht des 8. Septem-
ber mit Erlaubnis der Obersten der Stadt, geisselten sieh anf
dem Hackte nnd sogen dann ab. Sie kehrten am 10. Ootober
sniüdL, geisselten sieh an diesem und dem folgenden Toge
wieder auf dem ICarktplatse nnd wandten sich daranf, wie man
sagte, nach Frankreich, nnd swar in der Bichtang auf Soissons.
Ihre Führer waren Johannes Ton Lyanoonrt, Johannes ICackes,
Johannes Wanckiers und Jacob Ton Haida; ebenso schloss sich
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BÖHRICBT, BEITBlGE ZÜR OBBCUlCUTE DER 0EES6LBR. 319
ihnen der Augustinerprior mit einem lirudcr und zwei Pres-
bytern nu, um die Beichte zu hören und, wenn nötig, das
Sacrameut zu reichen. Kurze Zeit darauf sammelten sich 250
Mann in Tournay und verpflichteten sicli eidlich , ganz so wie
die Geissler, welche die Stadt eben verlai^scn hatten, sich zu
geissoln am Tage ihres Auszuges wie in der folgenden Woche;
ihr Führer wurde der Augustinermönch Kobert. Ferner be-
schlossen sie, ohne Kreuze, Fahnen und Kerzen ihren Umzug
um die Stadt zu halten, sonst aber deuselbcii Habit wie die
übrigen Geissler zu tragen. Am bestimmten Tage kamen sie
hierauf in der Marienkirche zusammen und hörten die Messe
in der Ludwigskapelle , wobei zwei Kerzen brannten ; dann
legten sie ihre Bussgewänder an und zogen ab. Voran schritten
die Bettelmönche, dann die Kanoniker und Mönche, dann das
BürgercoUegium, welches den Namen der Doniicellen führte und
das Muttergottesbild trug, alle barfuss. Diesen schlössen sich
an die Geisslerbrüder unter der Führung Roberts, zwei und
zwei, sich geisselnd; von den zwei oben genannten Kerzen
blieb eine brennend zurück vor dem Marienbilde, die andere
Tor dem Bilde nm Klostereingange, bis die Prozession vorüber
war. In den folgenden acht Tagen kamen die Geissler in der
vSt. Michaeliskapelle zusammen, liörten dort die Messe, legten
die Bus!5gewänder an und beteten vor dem Marienbilde das
Vaterunser und Ave Maria, worauf sie sich geisselnd wie früher
die Stadt umzogen und sich dann in ihie Wohnungen zerstreu-
ten. Am zehnten Tage dieser Uebungen zog der gii^sste Teil,
nachdem sie die Messe gehört, nach dem S. Aubeitsberge and
kehrte sich geisselnd wieder snrüek. Bas Volk beteiligte
sieh ansserordentiieh eifrig an dieser PMiession; viele setiten
sie dreissig Tage lang fort, und wie in Touinay, so überall im
Hennegau. Aegidini enühlt, es seien gegen 10000 Menschen
oft an jenem Wall&hrtsoite beisammen gewesen und hätten mit
Inbrunst dort die Predigt gehihrt.
BicQenigen, welche den Oeiwlem sich nicht angeschlossen
hatten, wurden durch den Emst jener blutigen Bussübungen
ergriffen und stellten eine Menge Ton Missbräuchen in Tracht
und Mode — so namentlich die Weiber ^ — ab ; Spiel und
Tanz sowie jede Leichtfertigkeit des Lebens verschwand. In
Flandern, Hainaut, Brabant und allen übrigen belgischen Pro*
Tineen wiederholten sich diese Beweise enistlioher Einkehr; aus
Pentichland sollen 2000 Büsser nach Avignon gekommen sein.
1) Aegidius Ii Huisis ed. de Smet p. 346: „ipsae ealm instar et
similitudinem horoinum in vestibus et omnibus suis ornanientis seque-
bantur stricte se vestieudo et per strictas vestes forma nuditatia earum
apparebat.'
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320 AHALEKTSN.
um dort aus der Haud des Papstes sicher die Absolution zu
empfangen. Trotzdem waren Klerus und Mönche sehr wenig^
mit jener extrjivaganten Askese zufrieden, so wesentliche und
dankenswerte Dienste in jener schweren Zeit die Oeissler bei
der Pflege und Beerdigung der Kranken und Todtcn leisteten,
aber sie konnten es nicht wngen, gegen jene täglich neu an-
kommendtn und sich verstärkenden »Scharen aufzutreten. Aegi-
dius z. B. berichtet, dass vom 8. September bis 3. October in
Toumay nicht weniger als 3700 (leiasler durchgezogen seien!
Erst im Jahre 1350 wurden die Gcisslerzüge von der Obrig-
keit direct verboten, und der Papst gab diesem Verbote Nach-
druck durch Drohung mit dem Banne, wofür er als Entschädi-
gung vollen Siindenablass verkündigte.
Ut'ber die innere Organisation der ( Jeisslerbrüderschaften
entwirft uns derselbe Gewährsmann folgendes Bild.
Jeder neu Eintretende musste sich verpflichten zu einem
frommen Lebenswandel und einer General beichte seiner Sünden,
zur Verteidigung der Rechte der Kirche und ihrer Lehre ; doch
musste jeder von seinem SeUorger und Ton seiner Frau sich
mi Erlaubnis zum Eintritt «inholen. In der Brüderschaft hatte
er pünktlich zu gehoroben, die didnnddieiasigtägige Geisselung
aussttfuhien, Bequemliobkeit sa Termeiden und Almoaen nor
anjninefamen, nicht sa ertntten. Beim Eintritt in die Herbeig»
wie beim Yerlaaaen derselben moaate jeder fSnf Mal daa Yater*
unser mit dem Ave-Maria beten, ebenso lün&ehn Kai dasselbe
an jedem Morgen, ausserdem fünf Mal vor dem Frühstück, fünf
Mal nach dem Frühstück und fünf Mal in der Nacht; die Bünde
wusch man mit gebeugten Knieen. Am Tisch durfte kein Wort
gesprochen werden; ebenso war allea unnütse Sdkwüren ver-
boten und natürlich jede gottesUsterliche Bede. Gefiwtet wurde
am gansen Freitage» sonst Überhaupt nur Faatenspeise beliebt;
am Karfreitage erfolgte eine dreimalige Selbstgeisselung bei
Tage und bei Nacht. Streitigknten weiden durch die Beich-
tiger geschlichtet. Keiner darf Kriegsrüstung tragen oder
Kriegsdienste tun für einen andern als für Christum , ebenso
darf niemand das Kreuz ablegen oder ohne Erlaubnis aus der
Bmderachaft austreten. Verboten ist ÜBrner die übertriebene
Selbstgeisselung, welche Siechtum oder Tod zur Folge haben
kann, sowie die Abweisung und Verweigerung ton Almosen.
Hingegen soll jeder fUi die ganze Christenheit und um Be-
freiung von der Pest bei Gott bitten. Stirbt einer der Brüder,
so muBS jeder sich geiseeln, so lange als fünfzehn Vaterunser mit
dem Ave-Maria dauern. Endlich soll jeder die Geissei auf sei-
nem Lager stets vor sich haben als Erinnerung an das Leiden
Christi, sich der Ehe und aller fleischlichen Lust enthalten.
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SOTTTKKMAUMSK» Sm LPTBBBBKTBF*
821
Ihr Anzug bestand in einem schmalen Mäntelchen, auf
dessen Vorder- und Rückseite ein rotes Kreuz aufgeheftet
war; auf der einen Seite hatte es einen Schlitz, wo die Geissei
hing mit drei Knoten und drei Stacheln. Auf dem Kopfe
trugen sie eine Knpnze und darauf einen Hut, ebenfalls vorn
und hinten mit einem Kreuz versehen. Dem Zuge ward ein
Kreuz vorangetragen, Fahnen und Wachskerzen; sie sangen in
ihrer Muttersprache und beendigten jedesmal ihren (iesang in
der Kirche des betreffenden Ortes vor dem Muttergottesbilde.
Dann vereinigten sie sich auf dem Markte oder im Klosterhofe,
legten in ihren Herbergen Kleider und Schuhe ab und traten
mit entblösstem Oberkörper im Kreise zur Geisselung zusam-
men ; in der Mitte desselben stimmten ihre Vorsänger das ge-
wöhnliche Geissellied an und die übrigen respondirten. Sie
warfen sich in der Form eines Kreuzes drei Mal auf den Bo-
den, erhoben sich nach Beendigung des Liedes aufs Knie, und
einer ihrer Führer hielt eine Ansprache und ein Gebet, worauf
sie unter dem Gesänge eines Marienlicdes sich nach ihren Her-
bergen zerstreuten ; doch waren diese Gebräuche nicht bei allen
gleich. Oft emjjfiügen sie von einzelnen Zuschauem freund-
liche Herberge, die sie mit Erlaubnis ihrer Oberen annehmen
durften ; sonst campiiten sie auch bei milder Witterung auf
dem Marktplatze.
4.
Eis istberbrief.
Mitgeteilt von
Fr. Schlmuaeliar
ia Bottock.
Venerablll viro domino Marquardo Schuldorp, soroo
Christi 8U0 In domino charlooino
(1525 Deo. 22.)
Gnad vnd fride ynn Cliristo. Meyn lieber Er marquard.
Das yhr habt genomen zur ehe ewrs scbuester oddez bruder
1) Das Original, ein Quartblatt zwischen Glas in schwarzer Eiu-
fassuugj auf der Universituts-Bibhothek zu liubtuck. Nur eine Zeile
21*
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322
AMAL£KT£N.
tochter, liab ich yor hyn gesagt vnd geschrieben, sage auch
noch vnd schreybe, das es nicht vnrecht sey für got. Ist auch
keyn Spruch noch exempel da weddcr yn der schrifft, sondern
viel mehr da für vnd da bey, das yhr cwrs gewisseus halben
ia wol sicher scyt. Auch so findet inaii wol, das der Babst
ettwa selbst hat zugelasscii vnd dispensiert vmb p^elt vnd p^oust
Tnd widder scyn recht eyn ander recht gesetz, das ia au yhm
selbst nicht newe ist. Vud obs gleich der bapst nicht tliette,
odder yhe bei yns new were, so ist gnug, das bey got nicht
newe ist. V^nd was bapst rmbs gelt odder gonst willen zu>
gibt, mögen wyr auch wol Tinb gotts willen brauchen. Das
sich nw viel dran ergeren vnd die ergenis (sie) auff euch trey-
ben, was fragt yhr daznaoh, wolt yhr den niohte leyden? odder
sollen die leate Tmb ewr willen anders eeyn vnd thun, den rie
künden? Wene gleich thetten, die es eaoh geratton hetten,
sollt yhr doeh drome nicht sappeln, md mehr gotts recht an-
sehn» den sie, wen es nw doch nicht anders seyn kan, Tnd
yhr sie mit gutem gewissen nicht lassen knndt» so die ehe
geschehen, vnd sie ewr lieb ist, bis man sie euch mit gewalt
neme. Vnd weyll den das eigemis so hart dringet, vnd stellen
sich, als sey es ?niecht, solt yhr ia da gegen desto mehr trotsen,
wie yhr wisset, das s. paulns leret, Tnd thut, wo man yhm die
freyhttt waren will vnd eben den flart varet [ynd] sie auif yhm
dringen, Tnd sibet widder eigemis noch gesette an. Den wyr
müssen yhe trotslich Tnd keoklich handeln, so sie Tns die
ireyheit schwechen odder weren wollen. Isto recht, so halt man
druber, Tnd yhe mehr so mehr mans weren odder nicht leyden
wiU Hie mit gott befolen Amen , Tnd grasset myr ewr
liebe hanna. Ich habe ia TieU sa schaffen.
Zu Wittonbeig freytags nach a. Thomas. 1525.
Hartintts Luther.
. der klaren und ruhigen Schrift hat durch das Zusammenfalten gelitten. —
Bisher bcsassoii vnr an Marquard Schuldorp. Prediger in Kiel,
nur das eine ^^chroiben Luthers vom 5. Januar 152r) (de Wette III,
88. VI. 595). Deiu obigen ging, wie der Eingang zeigt, ein erstes, in
derselben Angelegenhsit Termsstes voraus.
^ Yor ^ befolen** ist „befoh** ausgestrichen.
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FÜURNIER, EIN UEMOIllE DES CAROINALS V. LOTUlilNOKN. 323
Efai Nenoire des Canimals voi Uthrio^en
über
die kirohliclien Zustände in Prankreicli*
(1563.)
Von
Dr. Aiignst Foarnier
In Wien.
In den Tagen v(»m 16. bis zum 22. Februar des Jahres
1563 war Karl von Guise, der Cardinal von Lothringen, Fer-
dinands I. Gast am Hoflager zu Innsbruck. Im verliossenen
December hatte er die Königin Katharina um ihre Zustimmung
zu dem Besuche gebeten, und dieselbe war um so bereitwilliger
erteilt worden, als der Gang, den die Verhandlungen des Con-
cils iu Trient nahmen, ein Einverständnis mit dem Kaiser im
höchsten Grade wünschenswert machte , dieses hinwieder nur
durch eine persönliche Verhundlung vollständig zu erreichen mög-
lich schien. Daneben aber führten den Cardinal noch ganz
andere Zwei ke an den Kaiserhof. Der eine war in einer Ver-
tindung König Karls IX. von Frankreich und seiner Schwester
iiargucrite mit den Kindern des römischen Königs Maximilian
gelegen. Ein zweiter Plan, der für den Cardinal von ^anz
besonderem Interesse war und ihm noch mehr als jener am
Herzen las, betraf die Vermählung seiner Nichte, der Xönigin-
witwe Maria Stuart, mit einem Sohne des Kaisers. Das letz-
tere Projekt war schon zu Beginn des Jahres 1561 aufgetaucht,
ohne dass man sieh bisher für den einen oder andern der
beiden Erzherzoge Karl und Ferdinand bestimmt ausgesprochen
hätte. Jetst als Karl von Guise in Innsbruck erklärte, er habe
Vollmacht in der Sache zu yerhandelni entschied man sich in
einer Untenednng am 18. Februar definitiT für den Erstmn ^).
Was die Condlsangelegenheiten anging, so legte der Cardinal
seine Anschauungen darüber, welche Stellung man besonden
in dem Punkte „nt libertas sanoia in eoncilio serretur" ein-
xnnehmen habe, in einem schriftlichen Gutachten nieder'}.
>) Schreiben K. Ferdinands an Erzherzog Karl vom 19. Februar
166S im Wiener Staatsarchive. Vgl. Sickel, Zur Geschichte des Con-
cfls Ton Trient S. 434.
2) Sichel a. a. 0. 8. 438f.
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324
AMALEKTEN.
Ausser diesem ist ans noch ein «weites von ihm herrührendes
S> hriftstüek erhalten: ein Promemoria über die kirchlichen
Yerbiltniase und Parteien ia Fraakreich, worin er alles das in
Kürse susammen&sste» was er darüber dem Kaiser im Ge-
sprtche mitgeteilt.
Wie aus dem Diktat entnommen werden kann, drehten
sieh die Auseinandersetzungen Karls von Guise im Wesentlichen
am die wichtige Frage der Reformation des Klerus, die kurz
zuTor — am 3. Januar 1563 — Ton den französischen Prä-
laten dem Concil snr Entscheidnng vorgelegt worden war.
Nicht den Kaiser Ton der Wichtigkeit der Sache an sich zu
überzeugen, hatte sich der Cardinal TOlgesetzt, denn Ferdinands
Gesandte in Trient waren schon ror der Ankunft desselben
angewiesen worden, sich in diesen Dingen keinesfalls von den
französischen Oratoren zu trennen. Ihm war vielmehr daran
gelegen f die hohe Bedeutung der geistlichen Reform für die
inneren Verhältnisse seines Vaterlanrle? dnrzutun un^l auf die
Gefahr aufracrkpam zu machen, die für dn«^ katholische Be-
kenntnis in Frankreich daraus erwachsen konnte, wenn das
Concil darüber zu keiner Entscheidung gelangte.
In einem aber unterschied sich die Anschauung des fran-
zösischen Prälaten ganz Tresentlich von der des Kaisers. Fer-
dinand I. hatte die Hotinunp; noch immer nicht aufgegeben, es
könnte durch Zugeständnisse seitens der katholischen Kirche
eine Annäherung der deutschen Protestanten , eine Beilegung
der Religionsspaltung im Reiche möglirh werden. Anders der
Cardinal. Indem er von den religiösen Parteien in Frankreich
spricht . wirft er einen Teil der Bevölkerung vorneweg zu den
Todtcn, die Hugenotten gelten ihm für unverbesserlich, „nullam
de se nobis spem reliquenint". Was er verhütet sehen will,
ist nur weiteres Umsichgrciten der häretischen Glaubensmeinung
in den Reihen derjenigen, die sich noch zur Lehre der alten
Kirche hielten. Ist es doch bekannt, dass namentlich die ge-
bildeten Stände Frankreichs in Ansehung der Misbräuche im
Katholicismus und der Sittenverderbnis unter der Geistlich-
keit dem Indifferentismus huldigten, dass die Humanisten, wenn-
gleich sie der starren Lehre Calvins nicht ihre Sympathien
entjjegentrugen , sich doch nur äusserlich als Katholiken be-
kannten, dass gelehrte und praktische Juristen, die Dumoulin,
Pasquicr, L'Hopital, ohne gerade in das Lager der Hugenotten
überzutreten, doch in Wort und Tat die Autorität dts Staates
gegen die Anmassung der Kirche verteidigten Schon auf
^ Ranke, FranaOsiscfae Gescbiehte. SAmmtliche Werke VDl,
S. 192. 273.
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FOÜBMIER, EINMEMOIB8DB90ABDINALSy.LOTHBINGEN. 826
den Versammlungen der Generalstände in Orleans (13. December
1560 bis 31. Januar 1561) und in S. Germain (August 1561)
hatte sich der Kuf nach Reformation an Haupt und Gliedern
hören laspen, und selbst die geistlichen Stünde konnten dazu*
mal der Klage über den unwürdigen Zustand, in welchem
sich der Kleru? befand , und die ärgerlichen Umstände in der
Kirche nicht aUe Berechtigung absprechen. Allgemein machte
sich das Verlangen nach einem freien Nationalconcil geltend,
und wenn ein Moment im btando war, die Wiedereröffnunj*
der ökumenischen Synode in Trient zu beschleunigen, so war
es die Furcht vor einem Schisma im Schosse der katho-
lischen Kirche, welches durch jene Versammlungen eingeleitet
werden konnte. Als 1562 das Concil wieder aufgenommen
wurde, erklärte man sich allerdings auch in Frankreich be-
reit, dasselbe zu beschicken, doch war, was man vor an-
deren Dingen verhandelt sehen wollte, die Keformfrage. Konn-
ten die Väter in Trient darauf nicht die gewünschte Ant-
wort finden, dann war man fest entschlossen, zu dem auf
jenen Reichstagen angeregten l:*rojQkt eines NationalconcilA
zurückzukehren .
Von diesen Gesichtspunkten aus ist das Memoire des Car-
dinais von Lothringen zu betrachten. Eine Publikation des-
selben wird wohl schon die hervorragende Stellung, die wir
den Autor in der Geschichte Frankreichs jener Tage einnehmen
sehen, gerechtfertigt erscheinen lassen. Das Sihriftstück be-
findet sich unter der Signatur „Romaua'' im AViener Haus-,
Hof- und Staatsarchiv und wurde dem Kaiser am Tage nach
der Abreise des Cardinais, 23. Februar, präsentirt
Oe statu reifgionis In Galiia deque variis hominum in
ea sententiia et de habende cencilio national!
Es me uerbis intellezit uestra Maiestas quis esset rerum
Qallicanim status in causa religlonis, cuiasqmdeni (ut scripto
bxeviter comprehendam) summa haec est.
Kobifl oam tiibus hominam generibot m eft.
1) Vgl. auch 8 i ekel a. a. 0., wo dieses Dokumentes mit kursea
Worten Erwähnung freschieht.
s) Von der Hand des Vicekanzlers Seid in tergo.
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326
▲NALEKTEN.
Unum eorum, qui in erroribus obdurati obfirmatic^ue voluti
deplorati millam de se nohia sj»em reliqueruiit.
AlttruLu genus est plurimorum huminuin, cum ex nobili-
bus familiis tum ex iis, qui magistratus perunt ac muneribus
publicis in (rallia funguntur, atqiie etiam cx iis, qui literis et
diseiplinis imbuti diiiereas artes et functiout's prütiteiitiir, qui
quidem probe uiuunt ac in fide ecclesiae manent sanctissimae-
que sedi Apostolicae libenter obedientes adhuc uidentur. Teruin
tarnen significant se plurimum offendi discipliua et moribus in
ecclesia corruptis, praeterea nonnulUs scrupulis torqueri, quibua
ut liberentur summopere Optant reformationem in ecclesia Dei
at(|ue etiam moderationem et temperamentum aliquod adhiberi
quibusdam ecclesiasticis coustitutionibus, quae iuris pusitivi esse
noscuntur, quae constitutiones uti primum non improbando con-
silio introduetaa et receptas esse existimandum est, ita non
minore fortasse prudentia, pro ratione tcmporum, immutari
posse uiderentur. Idque non paruo religiouis et publicae tran-
quillitatis comniodo. Quae si niature fierent, huius generis
homiues ita (ut dictum est) affecti, probi tarnen, et qui erga
8. sedcm Apostolicam reuerenter se geruiil, m uiticio et fide
continereutur , ac retinereutur ne se reprobarum opiuiouum
erroribus implicarent.
Tertium genus est principum nobilissimorumque ac maxi-
mae dignitatis uixorum aetate iam prouectorum, qui prima« in
administratione regni partes habent, qui quidem sua pnuatim
causa nttllam in oonstitationibiis aut xitibus ab eoclesia zeceptis
mntationem Tel modmtionein quaemnt. Veram infimitfttis
eorum, quos paulo ante dizimasy lationem babentes, ao saluti
publicae imprimis consultum uolentes, capiunt scrupulos Ulos,
qui torquent huiuscemodi iniirmoiam animos, salutaribns zeme-
Äis, quae in oecomenici coneilii authoritate et potestate sita
sunt> sanari posse.
Uuapropter hoc postremnm principum et optimorum ho-
minum genus , aliorum cura et publicae salutis causa commoti^
Goniunctim cum illis obnizissime eupplicesque postulant ac
effiagitant imprimis seriam exactam et sinceram oormpto-
lum moTum coUapsaeque disdplinae in ecclesia dei lefonna*
tionem a capite ad aniuersa membra. Quod solum et uni*
cum xemedium ad salutem xeligioni in extreme pericnlo
constitutae supcresse putant neque nlla alia ratione in-
numerabilium (ooboram et piorum hominnm animos Tariarnm
opinionum fluctibus iactatos in tranquillo constitni posse esistl-
mant. duibns causis impnlsi prindpes illi et primae digni-
tatas bomines Henrico primum, deinde Francisco, ac demum
Carolo (qui nunc in solio sedet) Henrici filiis authores et con-
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I<>l7KMIER,£INliEMOIBEDE8CABDIMAL8V.LOTH]UNai&N. 327
sUiBzii Semper ftienmt, nt apud eimimoe ponttfioes oonuocatio-
nem et indiotionem oecnmenici nmuenalis ac Uberi concilii
acriter procoiarent ad reformandos mores et disciplmam oon-
stituendam stataendamque christianam pacem ac opiniomim
(si fieri posset) oonsensionem in ecclesia dei. Sin minus saltem
iniretnr ratio, qua qui adhuc in nnione ecclesiae persenerant
sediqne Apostolicae parent sordibns et maonlis sio mandentnr,
nt eomm saorificia et preces deo gratae et aceeptae ipsom
nobis pacatum ac propitium reddant» quo se tutorem ac defen-
Borem praestet aduersus malignantium conspirationes , qui pro-
focto cooperante diuina gratia eo facilius ad ueiitatis agnitionem
perducentor, quo clarius puriusque luoebit in ecclesia dei uitio-
Tum superstitionis ac cormpti usus sordibns pnrgata. Atque
etiam cum Ulis christianam pacem oomponi maxime cupiunt,
nt positis armis sedatisque odiis nos libenter uidere audire
et nobiscum uersari familiariter uelint, ut uirtute nerbi dei
tandem ad sanitatem redeant.
Haec est summa rerum GalUcamm susoeptiquc in causa
leligionis consilii a Carole christiamssimo rege, qui licet annis
adhuc impubes, animum tarnen cum natura tum uigilantissima
leginae prudentiBsimae püssimneque matris cura supra aetatem
informatum instructumque habet ad sanctisBimas et mazimo
principe dignas cogitationes.
Praetcrea nieminisse oportet in diiobus conuentibus , qui
generales in Galliu sunt habiti , communi omnium ordinum
postulatiiine conclu«5uni decretumque fuisse , ut nisi concilium
oecumenicum quam primura concederetur , aut ?i concessum
minus esset liberum secusque cek'braretur quam retepto a
maioribus ritu et veterum conciliorum more, siue occultis
artibus uel suspenderetur vel interrumperetur, seu quid aliud
fieret non legitime, neglecto patrum iudicio et principum, qui
se decretis cuncilii parituros promiseruut: conceptis (inquam)
• uerbis declarntnm est in duobus iUis conuentibus, ut cum
primum ad priuatos aftectus , non ad gloriam dei concilium
trahi uideretur reuocarentur Gallicae ditionis episcopi in-
dicereturque nulla interiecta mora concilium in Gallia, quod
nationale uocunt, quo iamdiu periclitanti patriae succurratur.
Nempe quo in statu res sunt neque manere neque a probis
tolerari diutius possunt, eoque minus quo pluribus experimen-
tis sumus edocti quam exitiales imperio et regno sint dis-
cordiae ciuilcs, quae nascuntur ex dissensione opinionum in
religione. Ad illud tarnen remedium non nisi desperatis Omni-
bus aliis et tanquam ad extremaiii anchoram confugiemus.
l^on euim ignoramus quam sint anci]>ites huiusmodi rcmediorum
exitus, quaeque ex iis gravissima incommoda uel schismatum
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328
uel aliarum perturbationum in Christiana republica £acile con-
sequi possent. In quae pericula ne incurramus prouidendum
est omni ratione, ut uoncilium Tridenti legitime congregatum
fructum, qui ab uniuersis prouinciis tanto desiderio expectatur,
niatnre reddat. Quod ei per diuinaiii gratiam contigeht portum
inueniemus tutum a periculis.
Druck von Friedr. Aüdr. Perthes ia Goth».
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3m gleidjcit 8ccUge ctfc^icn foeben: Jk ^
MamS, 3. Cm ©efc^ic^te oon 3q)Qn oon ben frü^erteit
Reiten VA auf bie <Bcgen»art Ueberfett oon (S. l^et *
mann. L 8anb: 8i« ium 3al^re 1864. iDht einer
ftarte unb gtoet 9f&nen 12 —
laufen, S^eobof/ ^ilnf' bem ^cijetagebuc^e eined eoanget.
2:^fo(ogcn unb ^i^nbagogcn 3 60
dunilff^ ä^^v ^efen unb ^ere^ttguni} bed SO^et^obidmud 1 —
M|Icr, ••ti|irk, ^te ®efe(rung ber ^entf^en
(S^nfio, na4 i^rem 0ef4i(ttü((cn ®ang .... — 60
9«fntt, tt. 'iDer @4aupta^ ber otetttgjö^rigen
Qfiftentoanberung Q^raefl». 3)l}it fmif Sparten . . 12 —
%^ttx^t,^vc, 9t. Briefe unb ^kten über ba« Ü)2ar<
burger 9?eligion0gefpräc^ unb ben ^ugdburgerOieic^dtag 12 —
2fU|»tttt(r, Onllal^ !Z)ie $(atomf4e grage .... 3 —
Z^iM, W., $rebf0ten über bie ^auptflfide be« c^riftt.
<S^lanbenO unb SebenO. I. 8anb, 1. Hbt^citung . 2 80
Uei^tri^, d., <^tubien eined Säten über bod (Soan»
gclium uq(^ 3ot)anne^ 10 —
0l|1te(en, ^. T^ic ireltgqcti^tUc^e ^ebeutung m
moberneu vt^ociüli^muö 1 20
^U^inger, Dad ©Aftern ber c^riftlidieu (l^tauben«'
unb ®ittcii(ct)re Dom begriff be« (iiclfien i^utcd au3
aufgefagt unb bargeftcQt 12 —
2>er Serfftffer be9 tettgenannten SBerfe« 1^ fi(^ eine 9teo>nflnictiott
M gonics @irfkemd ber 4iSpIt^ oom ctl^ifc^eniSefi^ttpunlte
aus jur tCufgaBe gemacht, ^ie ba0 Sonoort nSl^er ausfahrt, fu<i(t er
tnefe Aufgabe )tt ßfen nittclf) einet beflimmt gefaxten ,,et^if(6en üT^a^
teriQt^)rin3i^)«", burd^ beffen confequente2)urc^fü^rung jeber einzelne Öel^r*
))un!t in einer me^r ober n?enigcr eigentl^timlic^en STuffajfung erfc^eint.
2)er ©tanbpunft be« Serfaffert ift im iißcfentlicben üSereinftimmenb
ntit bcm 53efenntnijfe ber cbangetifdien Äirc^e, jebocl^ in ber freieren
SBcife, bag er bie gormcl ber Äirc^enle^re nod^ bem @(§riftfanott
|>rüft unb ba unb bort biefe gormel alö nit^t ftrcng fc^riftinägig
nac^toeifl. SBenn in Jüicf)tigen $)au^tte^ren (wie über bie igrbftinbe,
bie (S^rifiologic , bie SSerfö^nungöte^rc unb bie ©oframcnte) eine
mel^r bem ©c^riftinl^atte fui^ annä^embe äuffaffung borgetragen wirb,
fo ifl bieS ni(^t int @inne einer ^nngi)>ieüen ^Ibmetc^ung ton ber
Är*ente^re gemeint, wie über^au^)t im ganzen ®u(!^c baö Söefheben
|tt erlennen ifl, ntc^t fo»o^l gegeniUber ben einzelnen Sel^rbeftinnnungen
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M Im^Iic^en ^!enntui|[cS eine frittf^e ^teHtnig einzunehmen, M
inetmel^T eine leBenbtge innere SerBinbung aanidien ^ogmatif nnb
dtij'it gu gewinnen, anderen SBorten: bie grage na^ bem fßtx*
]^a(tni| Don 9ted)tfertigung unb ^citicjung, 9on tS^Ianben nnb guten
SBeifen, welche ja bie große Lebensfrage für bie eöongetifd^e ,^irc^c
bilbet, [udu ber Serfaffer in i^rer gangen SDit^tigfeit tnS Xuge gu
faffen unb bttrfte bamit cca^ einem praftif^en Qebürfniffe entgegen»
lontmen. ja bO(^ in unferer $earfaC[ ©mit^fc^e ^e^
n)egung bie Xnf^erffamfeit olkr ^rifltii^ Iheife onf bie grage ncu^
ber Heiligung unb il^rem Ser^tntg jur IRe^tfertigung toi^ onf 9
iReue l^ingeloilt nnb biefelbe gen)if{emia|en in ben ^orbergrunb ge»
fieOt. dfi bie Heiligung nur bie (!(( toon felbfl ergebenbe grud^t
ber 9te(^tfertignng ober ifl fie ein Mn ber 9{cd^tferttgung glei(^fam
ol^eldM Befonbered 3^^^ M dringend nnb Strebend? Unb
in lotlfym 8inn ifi bie 9f2ot]^n)enbigfeit guter Skrte für bie (Sxe
langung ber @eßg|feit )u Beja^ ober )u bemeinen? ^Dad finb
Sragen, rotläit eBenfo in |>raftif4«religtdfem M m toiffenfil^aftG^*
t^eologifd^ dntereffe eine erneuerte tlnterfud)ung erfovbent unb bereu
bibUfc^e Sefung bie 9ttffaffung ber cbrifttid^en (Glaubenslehre eben
3u einer ttjal^r^oft ct^ifc^cn ntad^t. Xqx S3erfafier torliegenben ©uc^eS
fuc^t ten feinem ett;ifd)en 9Katetial))rin3i)> auS fon^o^I bie
Rechtfertigung atS bie Heiligung unb Erneuerung in i^rer ff)qiftf(hen
!£:ignität feftguftellen unb ben ^^ermitthmgSpunft gu geiotnueu, in
loeldKui beifcc unter fi6 notbrocnbig i>ertnmt)en evfcbeinen.
Xa bie ^u«fü()i-ung fic^ ganj auf fccn 53oben ber ®(^rift ftettt
unb bie Biblifc^en ©runbpeücn in guin Xi)c\\ ganj eigent^ümlic^r
Xttffaffung erjd)cinen^ fo bilrfte mol^l fein iOefer biefeS ^ud^S ol^ne
irgenb ttelc^ '2Inregung 5[ciben, n^enn er aud) mit ber Kuffaffung
im ®an3en unb (l^tn)ebien nic^t etnoerftanben fein fodte.
Mi^CMf 1876. J^tütis ^
9lb(anb(ungcn.
1. ÄJftfi, Tic 3f[u*nn)töeii be« galant.
2. ^d)mtbt, Tir ctliifdjrii @rgeiuätje in tcm flrgcnrofirtioctt itampfe ber
bibnfrfjcn unb ber niobfrn'thfologifd)fn SScUanfcfianung.
3. J ect)Ur, Xic iBffc&ninc^ ber Xrutfcftfn ju (Sbrifto, nncfi i^rcm gtfdjit^tl. ©aag.
©ebniifen unb ©em er fangen.
1. @ttad, !i:ie !]{braiid)en ^Stbtl^anbfdinftru in 6t. ^etei'tfbuvg.
2. Leibern ann, 3^^^ '}{eforniatioudgefd)i(^tc.
S. ^atnatf, 3n ^ebr. 9, 8. 4.
9{ecenfionen.
1. Gebhardt, Ormeeus Yenetus; tec. von ftamp^aufeiu
2. St)rlfi(i(b, D. iSavt Sem^rb ^unbev^^agen*6 Snlgnofi^tte fteincie
6(^riftcn unb Slb^nMungen; vte. oon 9tie(im.
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Inhalt der Zeitschrift fttr Kirchengeschiehte.
Jahrgang 1876. Zweites Heft.
Un t er suchim ge II und Essays.
1. W. Gass, AUgemeiuea Uber Bedeutung und Wiikuog des historischen
Sinnes.
2. F. Piper, Zur Geschichte der Kirchenväter aus epigraphischen
Quellen.
8. A. Harnack, Ueber den sntrenanuten zweiteu Brief des Clemens
an die Koriuther (erster Artikel).
Kritische üebersichten.
Die ki'chrn^eschichtlicheu Arbeiten aus dem Jahre 1876. IL Geschichte
der Kirche von 326—768 von W. Mo eller.
Analekten.
1. 0. T. Gebhardt, Zur Textkritik der neuen Clemenastacke.
2. H. Roensch, Ceher den Schlusssatz des Muratorischen Brachstückes»
3. B. Röhricht, Bibliographische Beiträge zur Geschichte der G^ler«
4. Ein Lutherbrief, mitgetheilt Ton Fr. Schirrmacher.
6. Em Memoi!-e des Cardinais Ton Lothringen aber die kirchlichen Zu-
stände in Frankreich (1568). Mitgetheilt von A. Fournier.
ga$iBü((ei fui öeut|((e ^(eoCogie
Dr. MwMi« ttnb Dr. ^mrncr in 8erltn, Dr. fl(r(nfMi4tet itnb
Dr. WU^mmmm in (^Bttingen, Dr. Siiitocr unb Dr. fiMifMnr
in Stttbtngen.
1876. m. \\l §cft 1.
'3n()aU: föcijfötfcr, T'xt ^Intängc cfiiiftlidin 3ittc. — f)t|ieT, lieb« ttix
livd)ci;ö£id)id)tlid)tu @eiuum ou« 3nid)vifteu, üorntf^mlidj bc« c^rifl»
lidjtu Altertum«. — 3i^u(^, Xit ^Ibreffe bct Urteil SiapM be«
Briefe« an Me ^önuc— ttageiimgiia, ^iv(^cngr{(^id)tli(^e 6(cular«
erinnerungeii.
SKnieige neuer $4nfitn.
Goebcn erfc^ien unb roivb auf l^evlangen gvatid unb fvanco orrfoiibt:
IMrnt^^^ ^nififft 256: ilratefiaiitifdie S^olofie.
ItejfatmaHondf^rtfleii. 673 ^^nmmctn.
grantfuvt o. SD?., fRai 1876.
3afc^^ ®aer 6: du., diogmartt is.
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3u (Karl fBintec'd UuiDcvfiläiebud^^aiiblung in ^tUeUet^ ift
foebcit (i-fd)ifnen:
Uthtt bie 9tiffe ttttü S^nftftmtgett itt Her
^etttisett iüefettf^aft Vortrag gehalten im ©uftat?^
Slbotpl)«^ * Sl^crein ui (5lbcrfclb am 15. ^J^oDcmbcr 1875
ton Dr. 3. £onge, Oberconfiftorialrat^ , orb. ^]?rof.
an ber UniDcrjität ^onn. gv. 8^ brof^. 80 $f. ^
— !
Verlag yod HerniMB Koeninr in WÜtealiargr.
Soebon crsrhirn uiul ist in a!l(>n litichhandlungen zu haben:
Dr. Riehard Kothe's Entwürfe zu den Abend-
a n (1 acht c n über die Pastoralbriefe u n d andere
Pastoraltexte. Gehalten im Prediger-Seminar zu Witten-
berg. Aus Bich. Rothe's lianJschriftl. Nachlass heraus-
gegeben von C. Pulinie, Pastnr. In 2 I)ilnden. 1. Band:
Die Briefe Pauli an Tiniothcus und Titus nebst
einem Anhang: Luther's Gedäcbtnij>btage. gr. 8^
26 IJogen. Preis Mark.
Eiu LDinueteutes ürtheil bezeichnet diese Eutwiirfe nach Form
und Inhalt als dn homileti Bebes Meisterwerls, welches den
weitostou Leserkreis zn boansprucht'n. troeignet sei Insbesondere
wird allon Freunden der Werke Rotlit's diese neue Publicatiou
aus seinem literarischen Nachlass, welche längst gewünscht wurde,
f'ine willkotnineni* Gabf» sein.
®ct bfr Spang, fifidjtrßfftuog tn Btntfgart tfl forben ccfi|iftiCK anb bim^
bie flnd)i)aii))lnog bcc (Soanii. defdlf^tfl boct blieben:
SRitnild (»ciC. Vxm), Einleitung in bte
Bibliff^en Ocf^id^ten unb 8ugfta|)fcn bee (Stauben«
Slbra^amd. 9{eu bearbeitet, gr. 8^ 61 ^ogen. ge). 6 SR.
SOen ^v-ruiibeii ber I)ril. Sdjrift bittet bicfe nett anfocleflte Gcbrift bc6
kfannten ^SAriftforfrficv^ TL '\^v. Ofoov^ nidit :ini- nnm SDJcflttJcifev ^um
5?crnaub!ih:^ fcö :?llten Itcftamcuti', foiibtin and) eine reiche güttf ürnftifd) er«
baulK^ei- 'ilubeiitutigen, fid) bie gngftapfcn ber alten ®ottedmäiuici- )um
Sonbd im ®(auben )u 9ht^ )u machen.
9Rnn brad^te ntf. ben beinebeftetcn Catalog im
l^reiüie ermässigter ßneher aM dem
t^crfane uon 9riebri4l ttitbrcaö i^cvt^t^ (etitbaltenb tbea^
lofltc iiiib (Srbauungi^fcbriftcn, !^btUfo|i()te, fotnic einen
flnbann: ^ttmi\t^M [nomentiii^ ^ibine ^iUxatut na^
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KeliOiöfe Steint iller Ue ©ruiihtoaliriieiten m
aixi^tvi^m^ ^ur Utf^tt uttii Erbauung t^etfagt
Don Lia Dr. ünftav )lorttg, eDangeIifd^>»ltttl^mfd^em
^rebigcr ju 3^^^icf^^it ^- ®- ®ot^a 1876. 3Scrüg
^on griebrid^ ^brea^ ^ert^e^.
^ Serfaffer Bel^onbelt in |el^n 9teben bte (Ihmnbwol^Tl^itm
M (E§#eitt^tt>n^ VSct tie lefietittgen, gcSilbeten ©lieber bcr (S^einbe,
ait^ge^enb bon ben erfo^ng^ügig gegebenen Utt^atfa(^cn ber relis
giBfen (Srfa^rung, toon ber ©ftiibe nnb (S^nabe, mn ©lauBen imb
ber 9{ec^tfertigung, fortfc^rettenb Dom gef^ic^tlic^en @^ri)luS unb beffen
(Srlöfertob Bi^ jum er^ö^ten iinb bedien l^igem ^tift, um ftc^ bo^
burt^ ben SSBeg ju Bahnen jur 5^ctrad^tung ber d)riil(itl^en ^eBcnö«
BetBatißungen in bcr ttrd^c. (Sd ift ein reid^eö ÜKag bon njiffen»
{d^aftlt^en 6tubicn in biefe ^cben l^inetn berorbeitet, fo bag leine
totd^tigere, ben ©ebitbeten intereffirenbe grage üBergangen fein bürfte;
bie (Sc^n)erfäfligfeit bcr cjetef)rten ivonn i)at ber 35erfaf|er aber böUig
abgefheift. 8^rad)e be^ ^uc^e^ if^ nic^t bloß äugerft !(ar, Ipräcig
ttnb )^ragnant, fenbem er^eBt fit^ auc^ nid)t fetten (;c^em pottis
fd)em gtug (bergt, bie Sd)i[bening ber Sünbe <B. 1 — 5; ben crften
Streit ber 2. 9eebc; <B. 74. 97. 125 iL 126 jc). 2)er »erfojfer
I)at ujcbcr Btoge '^^rebigtcn gcBen njofleit — oBwol einige feiner
„ Sieben " ouö fotAen entfianben finb — , noc^ auc^ bloge Vorträge
in Der Seife bon ^ut^arbt unb Dielen Anbeten; er ^at bietinefr
burc^ feine Tetigii>fen ^eben ein 3^neinanber bon 53ete]^rung unb ßr=
Bauung geben a^böen, n)ie cö faum in einem äljntic^cn S3uc^e feineö
tfu'ptogif^en !?tanb^unfte§ ju fmben fein bürfte. Je^terer ip ber
^ofitii) gtäidMc^e, aber Tuiffcnfc^aftli(^ freie, n^etc^er ein gefunbe^ ?ut^er=
tt;um innertjalb ber Union tertritt. öm ©injetncn beübeifen UMr
Qiif felgenbe 55arlegunj-\t' n : bie 9?olfitrenbigfcit ber Srlijfung unb Die
5kt bcr (^nabe 8. 13—15; baö 5lkrl;dttnig bcr c^etttid^en ::?tatüiffcn=
l^cit ',iiv mcnfcbtidien greibeit S. 16; ber 53cgrift be§ C^tauben§
(5. 25; Onl;ati beö (^taubenö ©. 28ff. ; ber Vorgang ber (Srlöfung
im lobe Sbrifti 8. 59ff. ; bimmtifdie ^eibtic^fcit ®. 77ff. ; n^elt=
gefd)id)i[id>c ^ebeutung be^ (ibriftenlbumö @. 84ff. ; ©egriff ber
£)ffenBarung <B. 104 ff., bed Sunberd 106 ff. ^ Se^re Dom ©atan
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(S. 127 ff.; ÜKatertati8inu8 unb ??Qnt^eiömu« S. 132 ff.; bie ^erfon
^^rifH 6. 153; Mre bon bev (Schrift «2. 159 ff., bom 53efcnntiti§
<B. 175 ff., üom (ä)ebet <B. 178, ))om %^enbma^( (S. Iö3ff., oon
^ Äird^e 187 ff.
jDer emjelnc geSifbete ^\ite bat oftmatö toebcr ^cit no&i i^nji,
bie SBe^anbtung bcr jd^micrigeren (vvagen bc§ dfn'iftentbum« nacfaju»
tefcn in fcfcroerfä tilgen, tangatbmtgen (lompenbicn, cv unii btoö
fultate ^abcn in fdicner, ebtcr (>enn. Dicfem 43eDuvfnt6 hat t)cx
35erfafler entgcgcnfoinmcn lücUou , iinb fcariuu ^at er in fein iöud)
fc i>iel gufamincngcbvängt, une fid) ctiuad ^e^nUc^ed in Eeinem a)>olo-
getifc^n ^eite ber ©egenu^art finbet.
taff »<R 0tlM| takwai VotM Is M|a.
DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORDTTIIEIL 333
greifen habe. Ist die Synagoge nicht etwa von Anfang an
das satanische OegenbiM der wahren Kirche, die Knpcllo des
Teufels neben der Kirche Qottes, oder ist sie das Zerrbild
derselben, auf einer Grundlage von Misverstftndnissen der
göttlichen Offenbarung auferbaut, oder ist sie am Ende doch
eine Vorschule, wenn auch eine unvollkommene, für die Kirche
Gottes? Besitzt sie eine Si)ur wii*kliclier Gotteserkeimtnis,
oder ist ihr Gott zwar derselbe, wie der der Kirche, ihre
Gotteserkenntnis aber nur eine scheüibare, angebliche?
Hat sie einmal einen Bund mit Gott besessen« oder niemals,
luid wenn jenes, wann ist derselbe aui'gcliuben worden? Unter-
scheidet sich ihre GotLesverehrung specihsch von der heid-
nischen oder nicht? Wie ist ihr ganzes Opferwesen zu be-
urteilen? Ist es ein Hohn auf alle gottlichen Gebote, ist es
eine Verzerrung derselben, oder steht es nnter göttlicher Zu-
lassung? Alle diese Fragen sind im vorirenäischen Zeitalter
in der lieidenchristlicheu Grosskirche beliandelt worden, ohne
eine bestimmte einheitliche Lösung zu erfahren. Sie bezeich-
nen auf das deutlichste die Kntfemung, in welcher sich das
heidenchristliche Bewusstsein von den Fragen, welche in dem
apostolischen Zeitalter brennende waren, schon in der ersten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts l)etand. Es zeigt sich hier,
mit wie geringem Kecht man wenigstens nach dieser Seite
hin von dem paulini sehen Gepräge der heidenchristlichen
Kirche sprechen darf. Dagegen tritt nun andererseits an
diesem Punkte wie Zusammenhang so Gegensatz der Idroh-
lichen Behauptungen zu allen den sogenannten gnostischen
Speculationcn zutage. Genau dieselben Fragen nämlicii mit
eben demselben Erfolge werden in den gnoätiächea Secten im
zweiten Jahrhundert betrefiCa der Synagoge aufgeworfen, wie
in der Grosskirche: weder in den Fragestellungen noch in
den Beantwortungen zeigt sich irgend ein wesentlicher Unter-
schied. Dort wie hier geht man genau bis au dieselben
Grenzen auseinander. Aber darin liegt nun die grosse Diffe-
renz, dass man in den gnostischen Secten die völlige Schei-
dung, welche die Kirche zwischen Altem Testament und
Synagoge vollzogen hatte, nicht acceptirte. In den meisten
gnostischen Secten ist jede Aussage über die Synagoge zu-
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334
BASKACK,
gleich eine Aussage über das Alte Testament, die Aufjatellnn-
gen der Grosskiiche dagegen über das Judentum berühren die
Frage nach dem Alten Testament und seiner Geltuns^ gar
nicht. Dieses ist ja eben dem Juden volke (genommen und
darum haben alle Verbandlungen über jenes nach vollzogener
Trennung beider eine untergeordnetere Bedeutung: sie kOnnen
in gewissem Sinne freigegeben werden. Man mag an dieser
Beobachtung lernen, welcher Wert dem allgemeinen Oerede
von den unbistorischen Verflücbtiguiigen und Allegorien der
Gnostiker im Gegensatz 7Air „gescbicbtstreiien " Tbeologie der
kircb lieben Männer zuzuerkennen ist. So wie die Dinge da-
mals lagen, stand man vor der Entscheidung, entweder mit
Prel^hen des Alten Testaments die absolute Neuheit des
Christentums zu behaupten, damit aber zugleich auf den ein-
drucksvollsten Teil der Apologetik vor eignem und fremdem
Forum und auf eine unersetzbare Grundlage cbristlicben Lebens
und Denkens zu verzichten, oder das Alte Testament dem
geschichtlichen Boden völlig zu entziehen und es zur authen-
tischen Urkunde der christlichen Reli^on umzustempeln.
Die hellenistischen „Gnostiker" (von den ältesten ist hier
überliaupt nicht die Rode) entscbieden sieb, im einzelnen
raauuigtacli auseinandergebend, gleich anfangs aber schon
Vermittelungen suchend, für £rsteres — doch wohl nicht des^
halb, weil ihnen der „nüchterne, hbtorische Sinn*^ mangelte;
die Grosskirche, gewiss ohne jede theoretische Üeberlegung,
wählte den anderen Ausweg. Ibr geborte die Zukunft: ja
man kann sagen, dass sie nicht zum mindesten eben desbalb
„Grosskirche"' geworden ist, weil sie das Alte Testament,
welches sie aus apostolischer Zeit fiberkommen hatte, aller-
dings um einen eigentümlichen Kaufpreis, bewahrt hat und
so das Bewusstsein, treue Hüterin und Erbin jener Zeit zu
sein, leicbt aufrecbterbalten und die iierecbtigung desselben
ohne Schwierigkeiten äusserlicb erweisen konnte. So wenig
vollständig in dieser Gedankenreihe der Gegensatz zwischen
den Speculationen der Groaskirche und denen der hellemsti-
schen Gnostiker angegeben ist, so gewiss ist in ihr einer der
wesentlichsten Ditterenzpunkte zwis<-ben beiden ])ezeichnet.
£s ist aber bisher noch nicht genügend darauf aufmerksam
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DER SOG. II. BEIEF DES CLBIfENB AK DIE K0B1NTHE». 335
^remacht worden, dass die verschiedenen Stellungen der gnosfei-
^en Lehrer zom Alten Testament genaue Parallelen an den
Terschiedenen Stelinngen der kirchlichen Lehrer zur Syna-
goge haben.
Aber das Streben der Grosskirche, sich selbst uud der
Welt Kecht nschaft zu geben von ihrer Unabhängigkeit und
Allgemeingültigkeit gegenüber allen andern Beligionsformen
und Denkweisen, jenes Streben, sich selbst in den Allein-
besitz aller Gottesoffenbarungeu, wo dieselben sonst noch an-
•erkannt werden mussten, zu setzen, wurzelt doch im letzten
<}runde in dem ßewusstsein ihres einzigartigen Verhältnisses
zu Gott und in den Er&hrungen von der überragenden Grösse
•der Heili^ter, die ihr geschenkt waren. Dieses Bewnsstsein
soll in den ehristologi sehen Formeln zum Ausdrucke
kommen, und zwar werden dieselben von Anfang an in der
Heidenkirche so getasst, dass in ihnen zugleich der Besitz
des Alten Testaments, welches die Kirche für sich allein
in Anspruch nimmt, die abschliessende Aufhebung
aller Particularoffenbarungen Gottes, wie solche
von Einigen in ausserchristlichen Gebieten zugestanden wur-
den, und der Gegensatz gegen die Synagoge — also
wiederum Unabhängigkeit und Allgemeiiigültigkeit des neuen
Glaubens — deutlich hervortritt. Von hier aus erklart sich
auch die so wundersame Erscheinung, dass sich in der fieiden-
kirche, so Tiel wir wissen, von Anfang an so selten ein nennens-
werter Widerspruch gegen die höchsten Schätzungen der Person
Christi erhoben hat und dass ein Rückzug auf die Schätzung
Christi, wie sie etwa in den Bezeichnungen des gottgesandten
Propheten und Lehrers ausgesprochen ist, nicht mehr ange-
treten wird, obgleich in der Fassung der Heüsgfiter, welche
Christus gebracht, und in der Bestimmung des Heilsyerhält-
nisses, in welches er die Menschen versetzt hat, eigentlich
(für die Apologeten z. B.) keine Nötigung gegeben war, über
die Schätzung Christi als des gottgesandten Propheten der
Wahrheit hinauszugehen £s ist irrtümlich, wenn man aus
M Die Schätzung der Person Obristi wir«! el>en in dem vorireniiiscben
Zeitalterinder Heidenkirche nicht vornehmlich von seinem Heilswerke her
uiyiiizo
336
HAIINACK,
einigen Stellen bei Justin glaubte scbliesseu zu dürfen, dass
dieser Tbcologe unter Umständen seine \'erknapfuDg der Logos-
idee mit der Person des historisehen Jesus prei^egeben und
sich auf die Anerkennung Jesu als des Lebrers der Wahrheit
zurückgezogen hätte. Eine genaue Er^vfifjrung der betreffenden
Stellen führt zu ganz anderen Resultaten.
Deshalb aber ist die uns vorliegende iiseudoclenientinische
Predigt so wertvoll, weil ihr Eingang auf das deutlichste be-
zeugt, welches Interesse man an dem Verbote des fiot^a
qQovtfv nf^\ *hj<rov Xptarov nahm. Die Gr(^sse des Hefls
(awir^Qt(t) und der Gegensatz gecren ih> Heidentum und
die „Judenkirche'* kann nicht mehr sicher behauptet und
erwiesen werden, wenn man Über Christus nicht wg mgi &(ov
denkt. Daas diese £rwfigangen aber in einer esoterischen
Schrift, in einer Fred igt zum Ausdnick gekonmien sind»
ist ein Erweis daffir, wie sehr jene Gedanken im Vordergiund
standen und wie falsch diejenigen urteilen, welche die alt-
chriätlicbe Apologetik immer nur auf ein heidnisches Forum
beziehen wollen.
Des Näheren aber fOhrt der Prediger seine einleitenden
Gedanken also ans: Wer Geringes Ober die Person Christi
denkt, der beweist damit, dass er auch geringe Vorstellungen
hat von dem durch ilin uns gebrachten Heile und von dem
Erbe, dessen Mitteilung wir noch erhoffen. Somit sündigt
er, indem er verkennt, nodty ixkrj^rf/uy xak vno j(yog xoi dg
oy tonoy^ xol Saa vn4fi(tyty V. Xg. na&^y {Vcxot ^fitSy, Deat-
licher kann gar nicht ausgesprocben sein, wie verhängnisvoll
gewonnen , sondern ist Ausdruck der Weltstcllung der von ihm j^'eHtil'te-
ten Gemeinde. Damit soll nicht i,'eleugnet werden, da«s nicht auch der
rehgi«).se Sinn au diesen Bestimmungen Anteil genommen bat; aber die
Reflexion, sofern sie von dem fiictisch bestehenden Heilsverbältnisse ans
auf die Person des Begrfindera desselben znrfickgebt, kommt Ober die
Scbätzong Gbristi Ab des vollkommenen Ldirets der Wafariieit nicbt
hinaas. Dieser Hange! ist nur verdeckt durcb die Einftbrang der theo-
logischen Specolationen, in denen im letzten Oronde allerdings anoh
eine Forderang des nenen religiösen Bewosstseins zom Aosdrack kommt.
Ein Verständnis fttr die alttestamentUchen Ornndlagen des neaen Glau-
bens, vor allem anch für die messianische Idee, fehlt der Heidenkirche
eben g&nzlich; sie hat es niemals besessen.
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DER SOG. II. BRIEF DE6 CLEMENS AN DIE KOIilNTHEU. 337
dem Prediger jede Üntersebätzaiig der Person Christi er-
scheint. Dieselbe schliesst ihm die <,'aiizlicbe Verkennung des
Eleriiles, in welchem wir vorher hx^^en , der Würile. welche
wir null erhalten haben, des Urhebei's unseres Heiles uud deö
Werkes Christi in sicii. Ihm liegt es deshalb am Herzen, die
Dimkellieit der vergangenen T&ge and die herrlichen Gaben,
die wir jetzt besitzen, za schildern: „Das Licht hat er uns
geschenkt, wie ein Vater hat er uns seine Söhne genannt,
[schonj verloren hat er uns ge'.ettet. Blind waren wir iu
unserem Siuu, Holz und Steine und Gold und Silber und £rz,
Menschen werke, beteten wir an; ja unser ganzes Leben war
nichts anderes als ein Sterben. Die Finsternis hat er uns
genommen; wir kOnnen wieder sehen. So hat er sich unserer
erbarmt und voll Mitleid uns erlöst, uns, die wir keine Hoff-
nung auf Heilung mehr hatten, ausser auf Heilung, die von
ihm käme; ixaktan^ i^fioc oix ovtag xm iji^iktfQiy ix fitt orrog
Ist in diesen Ausführungen der volle Gegensatz gegen
die heidnische Vergangenheit enthalten, aus welcher die
Hörer stammen, so schliesst nun der Prediger, scheinbar ganz
unvermittelt, daran (c. 2) eine Erörterung an, die den Gegen-
satz des Gottesvolkes zur Synagoge und die überragende Würde
desselben ihr gegenüber ausdrücken solL Wir wissen jetzt,
weshalb eine solche notwendig erschien. Der Prediger citirt
Jos. 54, 1 und knüpft an diesen oftmals (seit Gal. 4, 27) in
ähnlichem Siune verwendeten Sprucli folgende Bemerkungen:
„Unfruchtbar war unsere Kirche, bevor ihr Kinder ge-
geben worden. «Schreie auf, die du nicht in den
Wehen liegst S wird uns gesagt, damit wir nicht, Ereissen-
den gleich , lass werden , unsere Gebete ohne Ceremonien
{anho;: im Gegensatz zum jüdischen Cultus) zu Gott zu
bringen. Endlich; ,Mehr sind die Kinder der Ein-
samen, als derer, die den Mann hat^ gilt uns. Denn
nicht mit Kindern von Gott begabt schien unser Volk;
nun aber, gläubig geworden, sind wir zahlreicher geworden
als die, welche Gott zu haben scheinen." Hierauf lenkt
der Verfasser wiederum in die «•. l gegebenen Ausführungen
ein mit den Worten; „Und eine andere Schrift sagt; «Nicht
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338
HABNACK,
bin ich gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.*"
Er betont noch einmal, dass die wunderbare Grösse des von
ChristuB gebrachton Heiles darin beetohe, dass er schon Ver-
lorene gerettet habe, ond findet nnn den Uebergang zu dem
eigentlichen Tlienia indem er die Frage aufwirft: „Da
Christus uns ein so grosses Erbarmen geschenkt hat und wir
durch ihn den Vater der Wahrheit erkannt haben — xig ^
yvwtt^ { nffOQ avw^"' Schon gleich im Eii^nge hatte er
iUinliche Fragen aufgeworfen: riy» lAv ^/icic vor^ 9wtofnv
ayrtfua&iuy ; i] rlra y.aonop o^iot^ oJ rfttv etvTog (Smttr (c. 1,3)?
ßofity (c. 1, 5)? Bevor wir untersuchen, wie der Verfasser
in seiner Predigt sie beantwortet, liaben wir noch einige
Ponkto zu erledigen, die sich aus der Betrachtung der beiden
ersten Kapitel ergeben.
Erstlich ziehen die Aussagen über Christus, welche der
Verfasser macht, die Aufmerksamkeit auf sich. Sie scheinen
eine modalistische Denkweise zu bekunden. Zwar will es
noch wenig besagen, wenn es im Eingange heisst, man solle
Aber Christas denken wie fiber Gott; denn damit ist nur
Im allgemeinen die Kategorie angegeben Auch die Frage:
vno ri'yog hXr;itt^uty (c. 1, 2) Hesse sich im Sinne des Ver-
fassers noch mit: vno ^;or beantworten. Allein auffallen muss
es, wenn v. 4 die Spendung des Lichtes auf Christus zurück-
geführt wird« von ihm gesagt wird, er habe uns wie ein Vater
Kinder genannt, er habe nns gerettet, er habe ans ans dem
Nichtsein zum Sein berufen, und dabei Gottes selbst gar
nicht gedacht wird. Zwar wird dei-selhe c. 2, 2. 3 genannt
als der Empfänger der Gebete und der Lenker der Geschichte;
Allein unmittelbar darauf wird ein Herrenspruch als Gottes-
1) Ein bestiiniiitci biblit.clier Text, au wclclieu die Predigt an-
knüpft, kann nicht nucliycwiescn wer-len.
^) Der weitere Zusatz: oig Titni xoit"C C^vroj»' xctl vfxntov t-nt-
staiuiiit wohl oinom schon damals gültii^en Synil)rth> (vi:! l!arn. 7. 2;
Poho. ivd Pnil. 2, 1 (Acta 10. 42; 1 Pctr. 4, 5; 2 Tim. 1. 1]). Dieses
Pnidicat steht ja üborhaujit im VorderyniiKio. und der Verfasser nennt
es ausdrücklich, weil er «ich in seinen weiteren Ausiuhrungcn auf das-
selbe zurück bezieht.
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DER SOG. II. BRIEF DES CLEMtiNJj AN' DIE KORINTilEli. .339
«pruch eingefUhrt (Matth. 9, 13) und nun fortg«&hran: o Xpt-
xut xuUaug ijftuq tjdij anollvutvovq. Ziehen wir hier i^leich
die Aussagen über Christi Person, die sich in der Predigt
sonst noch finden, mit zu fiate. In c 3, 5 wird Jes. 29, 13
^fach als Ansspiuch Jesn eingeMhrt % während umgekehrt
13, 4 ein Herrenspmch ^ mit der Formel: Xiyu o
citirt wird. Christus ist es, der sich unserer erbarmt liat
(c. 3, 1. 16, 2); Christus wird schlechthin als der Herr, der
uns berufen, der uns erlöst hat (vgl. c. 5, 1. 8, 2. 9, 5 u. s. w.),
bezeichnet^). Nicht nur ?on den hrisikai und i^taXfitua
Christi ist die Bede (e. 3, 4. 4, 5. 6, 7. 8, 4. 17, 1. 3. 6),
sondern c. 6, 7 (vgl. 14, l) wird gradezu von dem noifTy ro
d-^Xriuu zov Xotmov gesprochen. Den Tag der Erscheinung
Christi erwarten wir, oV^ A^r^V yvigwanai ri^üg txuoToy x«ra
Ta t^'u avTov (c. 17, 4), das ßuaiXitov tov xooftov wird dann
in seiner Hand sein und er wird das Gericht halten (c. 17, 6t),
wie er auch die Verheissungen , deren Erf&llung noch zu er-
warten steht, gegeben hat (c. 5, o). Ihm gebOhrt deshalb
Lob, Dank und Gegenleistung (e. 1, 3 f. u. s. w.). Vor allem
in dem ganzen erston Abschnitt der Predigt bis c. 9, 5 wird
Yon dem religiösen VerhiUtnis meistens so gehandelt, als be-
stftnde dasselbe wesentlich zwischen den Gläubigen und Chri-
stus. Umgekehrt heisst nun c. 10, 1 der Vater der Be-
rufende*); er ist es, der uns als Söhne annimmt (c. 9, 10.
16, 1), er ist der Heilung Bringende (c. 9, 7); er hat die
Verheissungen gegeben (c. 11, l. 6. 7); sein Boich, ja den
1) Aeyu (seil. Christus) dl xul iy 'Haaltf. Vgl. auch c. 13, 2;
17, 4, wo Jes. 52, 5 ; GG. 18 Christiui in den Mnnd gelegt ist.
«) Vgl. Luk. 6, 32-35.
3) „KvQtog" ist in <ler Dredigt, wie ea scheint, immer Christus
<?gL c. 8, 4). Hie und da folgt es auf ^foV, ohne dass ein Wechsel der
Personen angedeutet wäre (vgl. c. 14, 1 ; 15, 3. 4). Dennoch darf man
ans solchen Stellen nicht sicher schJiessen, dass der Verfasser Gott selbst
xvQioi genannt bat. Dafür fehlen smverlassige Belege. Aach c. 15, 4
ist nicht zwingend.
"Sl<iT6 TioiijfftafifV TO d^^Xrjfirt tov -narqoq tov xtAicttPrOf liiftäs,
Ygi. 16, 1: inm^hfwfiep ini zov xakd^utra ij/Ms ^tov.
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340 HABNACK,
Tag seiner ErscheiauDg (c. 12, if.) erwarten wir (c. 6, 9.
9, 6. 11, 7. 1-2, 1); er wird das O^ericht ausfiben: unoitdwm
ixursToj rac uvxt^uü&hQ rcoy l'oyior avTov: ihm fDüssen wir da-
her allein dienen (c. 11, i. 17, 7. 18, 1. 20, 1), seinen
Wiileu eriüllea und Lob, Dank und Gegeuleistung ihm als
UDserm Erlöser spenden (c. 9, 7 f. 17, 7). Also, um es kurz
zu sagen, wo der Prediger von den Beziehungen der Gemeinde
zo Gott bandelt, wo er das religiöse Verb<nis seiner Be-
gründung oder seinem Vollzuge nach beschreibt, "«o er das
religiös- sittliche Verhalten regeln will, da führt er ohno jede
nachweisbare Unterscheidung bald Gott selbst, bald Christus
ein. In diesem Sinne, aber nur in diesem', ist er allerdings
Modalist und zwar in einem Grade, wie er sich bei keinem
nentestamentlichen Schriftsteller und ebenso wenig in irgend
einem kirchlichen Sciiriftstücke des zweiten Jahrhunderts
nachweisen lässt Das Wichtige aber ist nun dies , dass
die religiöse Betrachtung, für welche Wirkungen Gottes mid
Wirkungen Christi zusammen&llen, die theologische Meta-
physik des Predigers gar nicht beeinflnsst hat. Dies hätte
man schon aus dem alexandrinischen Fragment der Pfomilie
erschliessen künnen; nun al)er, nachdem sie vollständig vor-
liegt, ist es gar nicht mehr möglich, den Verfasser einer
patripassianiscben Denkweise zn beschuldigen. Die Ohristo-
logie des Predigers steht in gewissen Grundzfigen der des
Hirten sehr nahe'). Gott allein ist uugeschaffen , er allein
der Schöpfer (c. 15, 2)^). Christus ist ein vor der Welt
geschaffenes, pneumatisches, himmlisches Wesen (9, 5. 14, 2 f.),
welches, von Gott gesandt (20, 5), menschliche aa^'^ ange-
nommen hat (c. 9, 5) und in den letzten T^n ezschienen
ist (14, 2), um uns zu erlösen und uns als rrwtrjQ und (xQ/jr/og
Ti^g (Uf l^uQntag die Wahrheit und das hinmilische Leben zu
offenbaren (c. 20, 5). Der Prediger trägt noch kein Be-
1) Aehnlidios findet sich, wie bekannt, Hchon bei Paulos und AlK
deren, aber nicht mit der gleichen Unbeiangenbeit und Coiueqnenz.
-) Unterschiede iin Einzelnen sind nnverkennbar.
3) Die Monarchie Gottes ist stark betont in der Scblossdozologie;
aber auch sonst in der Predigt ist m ausgesprochen.
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DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTIIER. 341
denken, die Steile Gen. 1, 27, an welche schon die Alexan-
driner ihre Specolaiionen von der Erschaflün^ eines himm-
lischen Urmenschen geknüpft haben auf die Schöpfuii£( d»'s
hiiumlischen , pnenraatischni Christus zu deuten, ihiii ist
also der präexistente Christus identisch mit dem uy&awnog
<w^ptog der Alexandriner Auf Grund der Stelle e. 9, 5
hat man gemeint, der Piediger hielte den prftexistenten Chri-
stus ffir den heiligen Geist; allein das nyrv^a soll hier nur
die Geist- und überirdische Licht- Natur Christi der Kate-
gorie nach bezeichnen*); das wird aus c. 14, 2 f. völlig deut-
lich. Aus dieser Stelle erkennt man aber nun noch weiter,
dass die Fragestellung eine ungehörige war. So viel nftmlich
läset sich aus den krausen und verwirrten Allegorien c. 14,
3 — 5 erkennen , dass für den Verfasser das m'tv^u uywy gar
keine Hypostase ist^). Er kennt nur die Grössen: ^a^,
TivH'fta {XgtGTog, fxxX^^or/«) , aug'i {ayt^Qtünog). Christus wie
die Kirche sind ihm beide pneumatische Wesen; die ao^
aber des erschienenen Christus ist ein Abbild der Kirche,
oder richtiger: in dem Fleische Christi ist die Kirche selbst
erschienen; denn sie ist ja der Leilj Christi. Hieraus folgt
die Mahnung an die Gläubigen, dass, wer ^eiu Fleiscli ver-
unehrt, die Kirche verunehre, und umgekehrt, dass, wer sein
„Fleisch*^ bewahrt, auch des Besitzes des „Geistes'' sicher
sein dflrfe, weil Kirche (Fleisch Christi) und Christus (Geist)
») Vgl. Sieirfricd, Pliilo von Alex. (1875), S. 221. 2i2 u. b. W.
Der bimmliscbe Adam PbUo's ist gescbleohtsloi^.
*) Diese Voretellnng, Christus als der himmlische Adam, ist oft
genug altchristUcheD Schriftstellern ohne Grand zugcwjesen worden. Sie
ist im Ganzen sehr selten: Anklänge finden sich 1 Kor. 15, 45f.
Die Adam-Speculationen in den clementiniscben Honiilicn gehen nur
zum Teil auf alexandrinische Ideen zurück (v<,'l. Kit sc hl, Altkathol.
Kirche [1857], S. mSL Horn. Clem. XVI, 12Bqq. Recog. 1, 4Ö8qq.
Epipb. baer. XXX, 3).
3) XQiaroi 6 xi'mog o aoiaag 'uds , (ov f4ty ro TtQiätoy nvevfia^
iyiyero ouq^. Im Cod. C stebt ßtatt nvev^w. X6y()?\
^) So richtig schon Uellwag in den Tbeolog. Jabrbücberu (1848),
S. 233.
5) Vom heiligen Geist ist nnr in dem Abschnitte c. 14, 3—5 dia
Bede.
342
HABNAGK,
eine imBefireimliche Einheit Mlden Wenn dieser Gedanke
negativ so ausgedrCleIrt ist: i vßQina^ rr/y au^im vftptot tit^
tx)ikr,aiuv ' o Toim jog ov fUjuXiiUftTai tov rryn/nuTog , positiv
dagegen in den unklaren Worten: tuy vig rfiüiy irigt^ati al-xr^y
ifnaüa^iay) ly rjj aagyi yut jtttj (f &tt^r}, unoXtjrf/nat avjijr
TtyfvftaTi iyiffi ' ij fUQ aagi ovtt^ wxltvnhg iau tov nyai^
fittxoQy 80 ist klar, dass der Ansdrack to nvwfta ro 07101^
nichts anderes bezeichnen soll, als was im nyetfiu selbst ge-
geben ist : das pneumatische Lebensprincip, welches in Christus
erschienen und durch ihn den Gläubigen zuganglich geworden
ist. Das ntfivfia ist Christus selbst (X4yofity tlmt tipf av^fm
ixitkiialuy xai to nvtSfta Xqiatw)% der Yon ihm aasgehende
und mitgeteilte Geist ist der heilige Geist Weder von Iden-
tität der Hypostasen des heiligen Geistes und Christi, noch
von Unterscheidung dei-selbeii darf also hier die Rede sein;
denn der heilige Geist ist für den Verfasser eben keine Hypo-
stase Wenn es nun trotzdem den Anschein hat^ als unter-
Der za Gnmde llegtode, aber Tersehwlegene Gedanke ist viel-
leicht hierbei der, daee jeder Christ sich selbst za einem Abbilde des
ersehieneiieii Christas amigestalten soU. Angedeutet ist dieser Oedanke
dorch die Werte: 1} a«^ «01-9 avtitvnog im xoB nvtv/unot; jedooh
soUea dieselben, wovon man sieb leiebt dnieh aniberksamc Beachtung
des Conteztes flberzeogen kann, zwei disparate Gedankenreiben be>
gründen.
Man beachte hier den Unterschied «wischen dieser Christologie
nnd der des Hirten. Für den Hirten ist das nyevfut äytoy eine f^oll>ätän-
dige creatürhch- himmlische Hypostase und zwar schon vor der Erschei-
nung Christi. Der präexistente heilige Geist ist aber der präexistente
Sohn Gottes. Also kennt auch Hermas nnr eine präexistente Peraon
(abgeselien von den vor der Welt gescbaflfenen sechs übrigen Krzengeln).
Die Differenz ist in den Ausdrücken gross, in der eigentlichen Grund-
Torstellung sehr gering. Grade der Uirte zeigt, wie schwankend man
noch bei näherer Tio^tiinmung der präexistenten Hypostase in den Com-
biuationen und Analogien gewesen ist. Der Prediger ist auf seine Be-
zeichnung des Christus als avSQuTto^ ov^yio^ gekommen, weil ihm eben
diese das beste Mittel bot, die enge Zusammengehörigkeit von Xotarog
und ixxkr,ai(( und damit die cinzi^'arti^e Würde der Kirche schlagend zu
erweisen. Gewiss verfügte er auch noch über andere V'>rst< llnngcn von
der präexistenten Christushypostase, während es uniifkrhrt Zufall sein
kann, dass Uermas jene in seiner Schrift nicht benutzt hat Die Logos-
Digitized bv Coi
DER SOG. II. BBIEF DBB GLEMEK8 AN DIE KOBINTHBR. 34$
scheide der Prediger beide so hat man das als eine An-
lehnung an die durch die TaafiTormel voigeschriebene Wtmmg
za beurteilen, deren Verständnis ihm nicht mehr zugänglich
gewesen ist
Neben dem himmlischen Christus erwähnt der Prediger
nur noch eine himmlische Hypostase, die ixxXtiwu. Schon
aus c. 3, 1 u. 3 musste man schliessen, dass ihm die ixxXff-
aia mindestens so alt erBofaeint als die jftdische Fseudokirchei
existirt hat sie, sie war nur arftga und l'grjinog. Diese Vor*
Stellung musste sich von selbst ergeben; sehr mannigfache
Erwägungen, deren Aasgangspunkt hier nicht untersucht
noch angegeben werden soU^), haben zu ihr geführt. Man
würde irrig urteilen, nähme man an, dass gerade historisch»
üeberlegungen sie herrorgerufeD. Schon ein solcher Gedanke,
wie der im F.pbesorbriefe des Paulus c. 5, 23 fi. ausgeführte,
legte die Vorstellung nahe. War einmal die Kirche in das
„Pneumatische'' gerückt, und fiiirte man die religiöse Be-
trachtung, dass die Welt um der Kirche willen geschaffen
sei, und Gott die Gläubigen nah ua^afioXijg xocfunf erwählt
habe (Eph. i, 3f.), so war damit in der Denkweise jener
Zeit die Vorstellung von der Kirche als einer himmlischen
vorweltlichen Hypostase eigentlich schon gegeben. Aber auch
das Recht des Alleinbesitzes des Alten Testaments, welches
die Christen in Anspruch nahmen, Hess sich nur von dieser
Prämisse aus erweisen, während umgekehrt diese selbst
wiederum durch den Gebrauch, den man vom Alten Testa«
ment machte, erhärtet wurde. So nennt denn der Prediger
c. 14, 1 die Kirche, der er angehören will, die „erste'' (im
S|K?oulatioiien aber haben Bei^le sicher nicht gekannt. Die Auffassung
vum MenHclien als attQ^, welcher durch Christum das nvivua als Lebcns-
princip einwohnt, ist bei HermAs und dem Prediger dieselbe ; vgl. Sim.
5—7 mit c. 14 Öchluss.
^) Vgl. c. 14, 5: joaavxtiv dthnjui r, <y«o| (tl'ttj ueraXu^tiv
x«i d(f^'}((Qöiav xoX/.r^U^yrog avrfi tov nyti'uc.To^ tov ayiov.
') Auoh Justin belolgt ja. und viele Andere iiuch nach ihm. die
Unterscheidung des Äo;'oc vun dem nykifAu, ohne derselben irgend cmcu
Sinn ahgcwinneu zu k<'>niieii.
3) Vgl. Patr. Äpüst. Opp. ed. Gebhardt, fasc. 1, 1 zu II. Clem. 14.
HABNAt K,
Gegensatz zur jüdischen Pseudoldiclie), die „geistliche** (im
Gegensatz zu ihrer empirischen Erscheiniingsform), die ,,Tor
Sonue und Mond geschaffene" (im Gegensatz 7ai ihrer zeit-
lichen Erscheinung), die „Kirche des Lel)enh"; er liudet es
im Alten Testament und von den Aposteln bezeugt, dass die
Kirche ov vvv ihaiy oUa avta^v. Das ist sie aber, weil sie
<tt7}fm XimTTikv ist Diesen Gedanken beogt er nnn in eigen-
tümlicher Weise dahin ab, dass die pneumatische Kirche die
axXvyuQ des himmlischen Christus ist, indem er Gen. l. 27
auf die Erschaffung der beiden Aeonen, Christus und Kirche,
deutet. Beide sind sie als eine Einheit vor der Weltschöpfimg
im Himmel yorhanden gewesen; beide dann ^n* iaxartar rmr
t-ttfQfoy erschienen und zwar — eine sehr ungeschickte Ver-
knüpfung zweier dispanitor Vorstellungen — ist die Kirche
zugleich mit Christus erschienen , nflnilicli t/; ou^jxi (u tov.
Es ist wenig lohnend, die Speculatiouen des Predigers noch
weiter zu verfolgen: in seiner Deutung der Genesis -Stelle
auf Christus und die Eirdie hat er keine Nachfolger gehabt.
Im Kampfe gegen die Gnostiker hat die Kirche gelernt, in
der Wahl ihrer Bilder und in der Speculation über himm-
lische Aeonen vorsichtig zu werden: zur Zeit des Irenaus
schon wäre gewiss die Christus- Kirche -Sj^ygie des Predigers
in der katholischen Kirche nicht mehr geduldet worden. Ja
man ist überhaupt mistrauisch geworden gegen die Annahme
von himmlischen Aeonen, die auf p]rden erschienen sind. Audi
die Präexistenz der Kirche wiid in dem Sinne, wie Pseudo-
clemens und der Hirte sie vortrutren. nicht mehr gelehrt.
Die Ausarbeitung des Prädicats der Katholicitftt der Kirche
und die Vorstellung von der himmlischen, triumphirenden
Kirche als der Gemeinde der Vollendeten, des Urbildes der
irdischen, rechtfertigten ebenfalls das eigentümliche Selbst-
bewusstseiu der Kirche und gaben zu bedenklichen Specula-
tionen keinen Anlass
^) Kino trcü'ende Parallele zu Pseudoclcinens littet nur Herraas;
vgl. Vis. II, 4, wo es von der in (Jestalt oiiitr allen Frau erseheinendon
Kirche heisct: rjcfTcoy -nQtorr, hxjiaUti' 6ui xoi to ngen-tnoi: x«i diu
rcevrqv 6 xöa^of xurfigTia^ti. Vis. I, 1. Aua den Wortcu Vis. I, 3
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DER 800. n. BRIEF DES GLBMENg AN DIE KQRINTHER. 345
Doch geben wir nun zur Betrachtuog des eigentlichen
Biauptinhaltes der Predigt Ober. „Das Thema der Schrift
ist die Empfehlung, die Gebote Christi zn erfQllen; und das-
selbe wird von drei Seiten behandelt, nämlich, dass darin das
wahre der Grösse der Erlösung entsprechende Bekenntnis Jesu
best^e, dass darin der Gegensatz gegen die Welt ausgedrückt
werde und da» dafttr der Lohn der Anfaistehnng und des
Irilnftigen Lebens festgesetzt sei/* ^) Mit dem' mosaischen
besetze hat sich der Prediger niclit mehr auseinanderzu-
setzen: hier liegen ihm keine Schwierigkeiten vor; er spricht
als rechtgläubiger Katholik^). Das rechte Bekeontms
imtktfiU» uvroC, *a$ iivXdytiaiv) darf man TieUdeht acUicwen»
da» Hermas ebenfalls Gen. 1, 27 f. auf die Schdpfiuig der Kirche be-
logen hat. Dies tot tun so wahrscheinlicher, als Hermas unmittelbar
Toriier von der Weltschöpfang berichtet hat. Gewarnt sei hier aber
TOT dem Fehlachlaase, als jnQsse Pscadoclemens, weil er Gen. 1, 27 auf
•die 8eh5pAing des Chnatus und der Kirche deutet, notwendig gelehrt
haben, diese beiden Aeonon seien nach Erschaffung der Welt von Gott
ins Leben gerufen. Eine solche Nötigung bestand för ihn ganz nnd
gar nicht, auch nicht für seine Zeitgenossen. Zudem sagt er ja aos-
drflcklich wenige Zeilen vorher, die Kirche sei vor Sonne und Mond ge-
achalfen- — Aebnlich ist auch die Vorstellung im Bamaba8brie£(c. 13, 6):
pXintje ini jivujv Tt&tixtv, tw Xaw wiov elyat TtQWTov xet\ Tr,s
diaOrlxrts xXrtQovöfioy. (lanz anders dagegen schon Clera. Alex. (Strom.
IV, 8, p. 593) und Tertullian (Stellen hei Rothe, Die Anfänge der
christlichen Kirche [1837], S. G12f.). ßotlie hat den Unterschied nicht
jrenfigend festgestellt. Der Kirchenbegrift* des vorirenäischen Zeitalt^^rs,
besser des Zeitfdters vor dem brennenden gnostisclien Kampf, ist durch
das apologetische Interesse — im weitesten Sinne des Wortes —
vorwiegend bestimmt ; der Kirchenbegriff seit Irenaus ist im vorwiegen-
den Q^ensatz gegen die Häresien, also in einem polemischen In-
teresse, ausgearbeitet worden.
1) So richtig Ritsehl a. a. 0. S. 28Gf. Diese Analyse hat durch
den Tieuentdeckten Schlussteil der Homilie keine Erweiterung erhalten,
c. 15, 1 bezeichnet der Prediger selbst seine Rede als avfißovkut negi
iyxQCKTBtag, zunächst im Tliiiblick auf die Ausführungen in c. 14. Die-
selben beurteilt er mit der nämlichen Selbstgefälligkeit, mit der Barnu-
bas c. 9, i) siiii ' Auslegung von (Jen. 17. 23 f. und der echte Clemens
c. 41, 4 seine Vergleiehung des ulttestamentlicben Priestertums mit dem
nentestamentliclien begleitet hat.
Gegen Sc h wegler und Hellwag (a. a. 0. S. 233) das Ricb-
Z«U«elLr. L S.-Q. ^
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346
ZU Jesu, welches mit der ErfÖlkng seiner Gebote idoiitiscb
ist (c. 3, 4), besteht in der werktätigen, brüderlicben Liebe
und in der sittlichen Jäegelong des eignen Lebens aber es
ist nur dort wirklich vorhanden, wo die Menschenfiurcht fibi^r-
wunden ist (c. 4). Nur wer bereit ist, die Welt zu ver»
lassen , nur wer sie als eine mtQoixtu betrachtet und die
weltlichen Güter als afloiQia beurteilt, deren Besitz gleich-
gültig ist, nach denen zu tnuihten dem Gerechten nicht ziemt^
wird die herrliche Verheissung Christi erlangen (c 5). Hieras
schliesst sich nun weiter der Nachweis Ton der völligen Un-
verträglichkeit der beiden Welten, des «/w»' otroc und ftOlvjy,
Weltflucht ist wie im liuche des Hirten die Parole^
Weltfreiheit nur durch sie möglich^). Das Motiv, wel-
ches angegeben wird, ist die drückende Aussicht, widrigen&lls
der ewigen Strafe zu yerfiülen und des himmlischen Lohne»
verlustig zu gehen. „Mit welcher Zuversicht kOnnen wir
auf den Eintritt in das Rfich Gottes rechnen, wenn wir
die Taufe nicht rein und unbetieckt bewahren? Wer wird
unser Paraklet sein, wenn wir nicht im Besitz frommer und
gerechter Werke erfunden werden?** (c. 6, 9; vgl. 7, 6. 8«
4. 6 ; 14). Unter dem Bilde eines Wettkampfes wird die
Aufgabe vorgestellt: Nur der wohl vorbereitete und tiipfere
Kämpfer, der den richtigen Weg läuft, erlanf^t den Kranz.
In einer nicht ganz durchsichtigen Wendung fügt der Pre-
tijre bei Dornor (Ent\si(klungsj:esch. d. Lehre v. »1. Person Christi in
den vur erst*!! Jahrliumlcit-n [184')], S. 144); Hil{;cnlcld (AjKistol.
Väter [185:3], S. 119 f.): Rit.schl ^u. u. ü). Schweglers Ansicht darf
jetzt wohl als aotiquirt gelton.
1) c. 4. 3: rot^ tg/oig ttvrov öfAoXoy&fA^y iv dyanay I«»-
Torc, ir itu fitj ^oi/ua&ai fjr^di xaTaXttXtuf okXijXiüv fjitjdk Cl^ovy, «IIA*
fiey xHi ut, (fiXuQyvQftf.
2) c. 5. 1 : f|cA^f(V ix Tov xottfiov rovrov. AuB dem ZoBammeii*
hange von c. .'), 1 mit c. 4, 4 und 5, 3f. gebt hervor, dan der Yei&BBer
auch an Martyrien hier gedacht hat.
3) c. G, o : ltfT»y Ä wwof 4 ohip Mai 6 ftiXkiav if i'o ^/»qoC ' ovtog
Xeysi fÄoiyitav xtd <f9oQttV xcrl ^ptXaQyvffittP lud ttfH(Tr,y, ixtü^g
lot Toig anoTtiaiitrm' ov &vtfäftt1^n ov» ttSif Svo ^Xm bIpm* dH dk
Digiti^
DER 80O. U. BBIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHER. 347
fliger biuzu: ,,Uü(1 wenn wir auch nicht alle gekrönt werden
können, so lasset uns doch dem Eranase wenigstens nahe kom*
men*' (c 7; TgL auch 16, 2: o;iaic laxvaa x&y l'y/vg rr^g
Stxtttoaiyrig ytyh&aiy nnd Hennas Sim. Vni» 2. 8). Die wich-
tigste Bedingung aber dafür ist die fUTuyotu. c. 8, 1 wird
diese Forderung zum ersten Male in der Predigt erhoben;
sie wird nun bis zum Schlüsse unermfidlich in ziemlich stereo-
typen Wendungen wiederholt (ygL 9, 8. 13, 1 f. 16, If. 4.
17, 1. 19, 1): „Lasset nns Bosse ton, so lange es noch Zeit
ist, Busse aus ganzem und lauterem Herzen; fuaiot yuo {a/.iiy
noVJ.g uyoiug xui 7ror;^'oi«g*' (c. 13, 1), Der Prediger bekennt
von sich selbst, dass er noch ganz und gar ein Sünder sei,
noch dnrohans nicht die Yersnehung fliehe, ja ip fdaoig ror^
oiff&i^iq Tov Siaflokov sich befinde (c. 18, 2) Was Busse
eigentlich sei, weiss er aber gar nicht mehr anzugeben; er
vermag nur den Zustand vor und nach der Busse zu schil-
dern. Der letztere besteht einfach genug — in dem Halten
der Gebote Christi und in der Bewahrung des Fleisches vor
Befleckung (c. 8). Hier aber liegt es ihm am Herzen, dem
falschen Grundsate entgegenzutreten dass „dieses Fleisch
weder gerichtet wird noch aufersteht". Dieser häretische
Gedanke wird durch den Hinweis darauf widerlegt, dass wir
1) Wie Henuas setzt also der Prediger die Mögliclik. it der Busse
für die Gläubigen voraus; er drängt ebcni^o ungestüm -rhetorisch zu
derselben wie jener, ohne doch sie irgendwie in Zusammenhang zu setzen
mit der atüT^oirc^ welche der Christ schon besitzt, üeber die Frage, ob
eine mehruialige Busse den Christen möglich sei , spricht er sich nicht
aus; man hat keinen Grund, ihn auch in dieser Frage fiir einen Ge-
nassen des Hirten zu erklären. Mit den Worten des Verfassers kann
man die ganze Predigt als eine ad^oQt^u ov f^uQu eig to fiBxavo^atu*'
bezeichnen.
2) c. 9, 1 f . und c. 10, 3—5 sind die einzigen dircct ji jkmi.sclu n
Stellen in der Predigt. Hier aber ist wiederuui die Berührung mit
Hormas sehr auffallend; vgl. Sim. V, 7 ouQxct aov ravrr^y qvXctaae
xa^uQur xui ((uiiii ioi', Iva ro nvevixa rd y.utoir.ovv iv uvx^ ^uaoTVQ^np
fn it], Xfu JiXHitox^Ji aov i] ouqS ' ßX^ne (Arnoxt (tvaßß ini rt]y xaQ^iay
aov, ri]y aüoxic aov xai ir,i' if duQxi]y tivin , xu\ na^aXQ^*^Q «vVß iv
uiuauin nvi- iur tf^ /^«ä'/if rijV aä^xa aov, juuiyeig xal to* n¥99(M ti
uyior) mit ILClem. U, If. U, 3 f. Zu c. 10, 3—5 veraehiedene Stellen
bei Hermas.
348
HAKNACK,
ja in eben diesem Fleische berufen worden sind, also auch
in ihm die Verheiflsniig erfüllt erhalten werden, nnd daas
Christna selbst aigi geworden ist (o. 9, Hienuif
scbärft der Redner aufs neue einige Oebote Christi dn mid
wiederholt die Mahnung, die Freuden der Welt zu fliehen
(c. 9, ü — 10, 5). Gerecht werden wir nur sein, wenn wir
Gott mit reinem Herzen dienen; diesem Dienst sollen wir
nna nicht entziehen durch Unglaaben an Gottes Yerheissong.
Der Prediger tritt denen entgegen, die an der Wiederkunft
Christi zu zweifeln angefangen haben, weil sie so lange ver-
ziehe ^). Auf Gmnil eines apokryphen Herrenwortes schiebt
er den Termin, den niemand kennt, scheinbar in die Ferue : erst
wenn alle unter einander die Wahrheit reden und einmütig
geworden sind, wenn die Sele in guten Werken so sichtbar
geworden ist, wie der Leib sichtbar ist, wenn alle geschlecht-
lichen Beziehungen unter den Christen aufgehört haben
dann kommt das Reich Gottes (c. 11. 12). Von nun au ist
ein Fortschritt in der Predigt nicht mehr nachweisbar; der
YeifiiaBer wiederholt in immer neuen Ansätzen, die durch taum
Bussruf eingeleitet werden, die frflheren Gedanken; nur in den
Motivirungen bringt er Einiges nach. c. 13 begrüiKJet er den
Bussruf durch Hinweis auf die Heiden. Der Name Christi wird
sonst verlästert: für Mythen und Irrtum mosaen die Heiden
die Lehren Christi halten, wenn sie sehen, wie wenig die
Taten der Christen zu den gepredigten Worten stimmen'),
c. 14 schärft er den Bassruf ein durch die Mahnung, dasa
Es ist bekannt, wie oft die Einschärfuiig der christlichen Hoff-
nung auf die [baldige] Wiederkunft Christi in den Schriftstücken aus
dem nachapostolischen Zeitalter wiederkehrt; vgl. auch den Hirten.
*) Bios schwebt jedenfalls auch dem Hirten als Ideal vor, wie sich
leicht erweisen lässt; vgl. z. B. Vis. II, 2: yywQiaoy ravTa ri; avußfto
aov xf fxBXXovan aov udeXtpg. Beide denken natürlich nicht daran,
für jetzt die Ehe unter Cliiisten zu beanstanden. Aeliniich Faolus
IKor. 7.
3) Zu der Berücksichtigung^ der ffoj avi^nainoi vgl. 1 Kor. 5, 12 f.
Kol. 4, 5. 1 Thess. 4, 12. 1 Petr. 2, 12. 1 Tim. 3, 7. I. Clem. 47. 7.
Ignat. ad Trall. 8, 2. Polyc. 10, 2. Const. App. II, 8. Zu d.>m iva ro
öt'ouce fxi] ßkua^rjf^ijTai meine Bemerkungen zu I. Clem. 1, 1 UDd
Keim, Cahna' Wahres Wort (1073), mt, Aam. 2«
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DER 800. n. BRIEF DES diEliENS AK DIE KORIMTBER. 349
wir nur unter der Bedingung der Erföllang der Gebote Gottes
Glieder der wabren Eircbe sind, and niroint dabei aufs neae
Gelegenheit, die Reinerlialtung des Fleisches zu betonen.
Nach den einleitenden Worten des 15. Capitels erwartet man
den Schliiss der Fredigt; denn der Prediger spricht bereits
von dem Werte seines „nicbt geringen Batschlages zur
Busse**: er hofft, dass Gott ihm selbst die Wirkung derselben
anreehnen werde, wenn seine Hörer rechte Hörer gewesen
sind (vgl. auch c. 19, 1) allein in c. 16 nimmt er wiederum
einen neuen Anlauf. Noch einmal soll eine ausführliche Hin-
weisung auf den furchtbaren Tag des Gerichtes die Büss-
wiliigkeit hervorrufen. Wie Blei wird die Erde schmelzen»
auch etliche Himmel werden zergehen Vor diesem Tage
schützen Almosen, welches der Sündenbusse gleich ist, Fasten
und Gebet. Ausdrücklich wird bemerkt, dass von diesen
dreien Almosen das beste ist; Fasten aber immerhin noch
wertvoller als Gebet! Daneben wird auch nachtrftglich
— in Form einer alten Beminisoenz — die Liebe genannt;
aber mit dem Satze: IXirj^toavvr} xovffiajua ä^opnag ylvtxut
schliesst der Verfasser diese Reihe ab. Als neues Motiv zur
Busse wird c. 17 der Schluss a maiori ad minus eingeführt:
,,Wenn wir den Befehl erhalten haben und ihn auch befolgen^
die Heiden von den Götzen abzuziehen und zu unterweisen %
1) In diesem ZusammeTibang blitzt einmal ein erwärmender Ge>
danke auf (c. 16» df.): i/tfAtivm/dsy ory i<f' oU iniajei'aufiti^ ^itttuM
kaXavyrcg irov igtS Afov nvq^u, tovro y<tQ ro Q^fut fiiyvXia iaxly
c, 16» d: tttxtjaot^Ktf Tivee tmv ovqnvwv» Der Prediger ireifls
also auch Ton mehreren Himmeln.
3) Diese drei „ Grundtiigen<Jen " sind besonders durch den Gebrauch
der sogenannten alttestamentlichen Apoknphen (Sirach, Tobit), nach
denen man Matth. 6 erklärte, in dieser Stufenfolffe in die christliche
Ethik eingeschleppt. Judith (Esther), Tobit wurden schon im Au.sgange
des erst' n Jahrhuntlerts in der römischen Gemeinde gerne gelesen . Die
drei „ Grundtogenden " auch bei Uermas» aber ohne Angabe ihrer Ötufen*
folge.
*) Vgl. Matth. 28, 19 f.
350
HABMACK,
wie Tiel mehr mass darauf gesehen werden, dass eine Sele,
die schon Gott erkannt hat, nicht yerloren gehe.*' Aber
nicht nur während des Gottesdienstes sollen wir zu glauben
und zu hören scheinen, sondern auch zuhause, damit nicht
der plötzlich hereinbrechende Gerichtstag, au dem Jesus er-
scheint, uns ungl&ubig finde und wir mit Schrecken gewahr
werden mflsaen, dass er es ist, und wir durch Unglauben und
Ungehorsam gegen die Predigt der Presbyter unser Hefl f&r
ewig verscherzt haben. An jenem Tage wird man die gott-
losen Christen in dem Feuer sehen, aber die asketischen Ge-
rechten werden darob Gott preisen; deun die Hoffnung ist
ihnen erfüllt. Der Prediger will sich selbst, wie er aus-
drttcUich (c 18) versichert, nicht zu den Vollkommenen z&h-
len; er bedarf selbst der Busse in hohem Grade. Damit ist
er am Kn<Ie und blickt auf seine Predigt /.uiück (c. 19).
Als Lohn vei langt er von seineu Hörern die wahre Busse:
wenn sie Busse tun, so werden sie sogleich allen den „Jungen'*
{nuat toTg ein richtiges Ziel vorstrecken. Auch ermahnt
er sie, nicht unwillig zu werden, wenn jemand sie straft;
denn von Zweifel ^) und Unglauben umnachtet, erkennen wir
oft selbst nicht das Böse, das wir im Herzen haben. End-
lich fordert er sie auf, sich durch die Erfahrung, dass die
Gerechten wohllehen und die Knechte Gottes geängstet
werden, nicht von dem Wirken der Gerechtigkeit abbringen
zu lassen ; er tröstet sie mit dem Hinweis auf die zukünftigen
Güter und gibt ihnen zu bedenkm. Jass, wenn Gott den
Lohn der Gerechten sofort auszahlen würde, die Gottseligkeit
ein Geschäft w&re *). Mit der Doxologie: „Dem, der allein
Gott ist, dem unsichtbaren Vater der Wahrheit, der uns aus-
gesandt hat den Heiland und Fürsten des Lebens, durch den
er uns aucli oftenbar gemacht hat die Wahrheit und das
himmlische Leben, ihm sei die Ehre in Ewigkeit. Amen" —
schliesst die Predigt ab.
1) c. l^, 2: duffv/Cai vgL c. 11, 2. 5. Ein dein Hermas sehr ge-
läufiger Begriff.
2) Der I^hra-sc fc, 2u, 4): yai dtr tovto Setu xQfai^ l'/iÄaC'f ru ftarr,
ju)] dixuioy , xtti (ßüovyt öiofAoq lässt ^ich keia Sinn abgewiuuen«
Hier muss der Text gründlich verderbt sein.
üiyiiizoü D
DER SOG. II. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHER. 351
Mit wenigen Worten sei die Gesammtanffassong vom
Wesen des Christentums bestimmt, aus welcher die Predigt
.geflossen ist Nach den einleitenden Ausführungen sollte
man erwarten, dass der Verfasser ein Verständnis für die
<3äter besitzt, welche die Gläubigen bereits in ihrem gegen-
wärtigen Heilsstande erhalten haben und g^essen, und dass
er den Zusammenhang noch angeben kann, in welchem jene
Güter zu dem Heilswerke Christi stehen. Redet er doch von
der awTr^Qi'u, die wir als Christen jetzt schon besitzen, von der.
Kindsobaft, von der Würde, zu der uns Christus erhoben hat,
und in unmittelbarer Anknüpfung daran Ton der GrOsse des
Leidens Christi. Allein die Predigt selbst zeigt, dass er weder
fÖr das HeiLswerk Christi, noch für den apostolischen Ge-
danken von der Neusohöpfung der Gläubigen durch Christus
auch nur das geringste Verständnis hat. Beides liegt gänz-
lich ausser seinem Gesichtskreise*). Somit sind es nur
Beminlscenzen, die er in c. 1 wiederholt, und dass er sie
überhaupt noch biaucht, erklärt sich einzig daraus, dass sie
ihm zwar nicht deutlich mehr für seine eigne praktische Auf-
fassung des Christentums, wohl aber noch für die Apologetik
von Wert sind. Für ihn selbst ^t die atatfi^loj sofern sie sich
schon voUzogen hat, ein&ch mit der aXtfoiq zusammen. Dies
ist, wenn auch undeutlich, schon aus den beiden einleitenden
Capiteln ersichtlich (vgl. c. 1, 2. 8. 2, 4. 7), wird aber aus
der Predigt selbst völlig klar (vgl. c. 5, 1. 9, 4. 5. 10, 1.
16, 1). Der Prediger braucht die Ausdrücke xetXccV und aitf(E<K
für gewöhnlich als Synonyma (vgL c. 9, 4 f.), und wenn er
ausnahmsweise davon abweicht, so versteht er unter atittü^t
eine zukünftige, nocli zu erwartende Rettung (vgl. c. 8, 2.
13, 1). Was Christus seiner Gemeinde bisher gebracht hat,
ist also wesentlich nichts anderes als die sichere Anwartschaft
auf ein zukünftiges Heil, die inayytUa (TgL c. 5, 6. 10, 3 f.
>) Yortiefflicb Ist die kurze Charakteristik des Lehrbegriflb des
Predigers, welehe Bitsohl (a. a. O. 8. 287t) gegeben hat.
*) Der Aaferstehong Christi gedenkt er niemalSi seines Leideos nur
c 1, 2. Uebrigens kann schon der echte Clemens die Anferstehnng
Christi entbehiett; zwar erwähnt er sie zweimal (c. 24 n. 42), aber
mcht im Zosammenhange seiner religiös -ethischen OrondanffiMSong.
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362
HABNACK,
11, 1. 7. 15, 4 u. 8. w.); sonst erwähnt der Prediger nur
etwa noch die Aussicht der Christen auf Gebetserhönmg*
(€. 15, d), ohne diesem Gedanken eine weitere Folge zu geben.
NatOrlich ergiebt sich nun weiter daraus, dass die fiMtUta
Tov &(ov rein zukiiiiltii^ geilacht ist: wir werden erst, wenn
diese Welt vergangen sein wird , in jene eingehen (vgl. c. 5^
5. 9, 6. 11, 7. 12, if.); sie ist überhaupt noch nicht er-
schienen. £s lohnt sich, hiebei einen Augenblick zu ver-
weilen: die beiden Begriffe toXi^a/a und ßumUia tov ^tov
fidlen f^x die Anschauung des Predigers völlig auseinander.
Jene ist ein vorweltlicher himmlischer Aeon nnd kann nicht
nahe genug an Christus selbst herangerückt werden; sie stelU
sieb aber zugleich jetzt in der empirischen G^emeinde der
Getauften im (Gegensatz zu Heiden und Juden dar als die
Heilsanstalt Gottes, die Endehungsschule fSr die künftige
Herrlichkeit; diese dagegen ist ein Ziikfinftif^'es , das erst er-
scheinen wird. Beide VorstellunL^en wiiken alnr auf die
Fassung der sittlichen Aufgaben, welche in dem wirklichen
Leben an den Christen herantreten « gar nicht ein, wie denn
auch die Gaben, welche die Christen als Christen vor anderen
bedtzen, in keine deutliche Beziehung zu ihnen gesetzt er-
scheinen. Die ursprüngliche Vorstellung vom „Reiche Gottes**,
das Christus vom Himmel gebracht und auf Erdeu gestiftet
hat, ist gespalten, und jeder der beiden Teile ist vwi der
Dogmatik glücklich wieder an den Himmel und in das üeber»
zeitliche versetzt worden; der eine, die Kirche, ist an den
Anfang gestellt, der andere an das Ende. Aber dio Erde
ist entleert oder vielmehr der Gegenwart bleibt nur ein irdi-
sches Gehäuse des himmlischen Aeons nach, welches dem
Theologen und Apologeten zwar Schutz gew&hrt, in welchem
aber das christlich» sittliche Leben verkümmern muss, sofern
es in dem Banne desselben bleibt.
Völlig erschöpft ist übrigens das Heilswerk Christi nach
Auffassung des Predigers nicht, indem man es allein als Be*
lufong zur himmlischen Herrlichkeit bestimmt^). Christus
1) Man beachte, dass es in der Schlussdoxologie lieisst , Christus
habo ans das himmlische Leben offenbart. Nicht gebracht hat er
üiyiiized by
DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHEK. '6b'^
bat uns zugleich die „Wahrheit*', d. h. die rechte GnoBia
Gottes, der der Vater der Wahrheit ist, gebracht (vgl. c. 3, i.
19, 1. 20, 6). Der Prediger legt auf diesen Gedanken (c. 3, 1)
ein grosses Gewicht, wie alle seine Zeitgenossen, und das ist
sehr ¥ei8täadlich. Die richtigen Vorstellungen von Gott ge-
wonnen zu haben, wobei der Hauptnachdruck auf die Er-
kenntnis der sogenannten metaphysischen Eigenschaften fiült,
des rfihmen sich die Heidenchristen vor allem »). üebrigens
ist die Mitteilung der yywaig doch insofern schon in der
»Xriatg mitbegriffen, als die Aussicht auf die Erfüllung der
imty/Mt , zu welcher die k^atg berechtigt, die Kenntnis dea
göttlichen Wesens, seiner Gebote und seiner Heüsreniistaltun-*
gen voraussetzt. Hiemach ist es nun nicht mehr zu erwarten,
dass der Begriff des Glaubens, wie er dem Apostel Paulus
eignet, dem Prediger noch irgendwie deutlich ist. Der Glaube
besteht ihm in der sicheren HoÜuung auf die zukunftige Er-
füllung der Yerheissung (vgl. c. 11, 1 u. sonst); ungl&ubig sind
ihm die, die an der Wiederkunft Christi zweifeln (c. 17, 5);
so identificirt er c. 11, l. 5 die iXmg mit der niang , wäh-
rend er umgekehrt c. 19, 2 die di^i'v/Ja mit der amaua zu-
sammenstellt. Uebngens braucht er auch den Begrilf mmvur
in jenem allgemeinsten Sinne, nach welchem er das ganz»
Verhalten der Christen gegen Gott umschliesst (c 2, 3.
15, 3. 17, 3. 30, 2). Wenn aber die Berufung das Heils-
werk Christi erschöpft und der Glaube auf die feste Zuver-
sicht zu dem Empfange zukünftiger Heilsgüter bescliränkt
wird, „so wird das faktische Heilsverhältnis des Einzelnen
ausschliesslich auf sein eignes Verhalten reducirt''^. In
der Tat spricht der Prediger den Grundsatz aus, dass man
nur durch ErfQllung der Gebote Christi und Keinerlialtung
des Fk'isches das ewige Leben erreichen werde. iMit Kecht
bemerkt Ritsch 1, dass dieser Grundsatz der allgemeinen
es alio schon, sondern nur gezeigt, worin es bestehen wird, and wie
nan zn demselben gelangt.
1) IXe Gnosis hat übrigens für den Verfasser Torwiegend praktische
Bödeutang, wie für den Hirten (vgl. Mand. If. u. a. St).
2) Vgl. Ritsehl a. a. 0. S. 287. Alles hier Bemerkte findet aach
anf die di^gmatisdien Anscbanimgen des Hirten Anwendung.
354
HARNACK,
apostolischen Tradition entspreche und nicht im Widerspruch
mit Panlns stehe. Aber dem Yer&sser ist die Bedehong
▼OlUg unbekannt, in welcher nach apostolischer Tradition diese
sittlichen Forderungen zu den ITeilsgfltern stehen, welche der
Ohrist schon besitzt, eben weil er von einem solchen Besitz
keine deutliche Vorstellung hat Darum entbehi-t bei ihm
die Forderung zur aufrichtigen Sittlichkeit des religiösen
Fundamentes: der Mensch ist bei seinem Verhalten einzig
und allein auf sich selber angewiesen *). Hieraus folgt weiter,
dass die Gerechtigkeit, welche Gott für den Eintritt in sein
zukünftiges Reich fordert, lediglich abhängig erscheint von
dem aufrichtigen Werkdienst, der aus eignen Kräften zu leisten
ist (vgl c. 11, 1. 7. 12, 1. 13, 1. 18, 2. 19, 2. 3. 20, If.)^
Daran musste sich aber die weitere Vorstellung von selbst
knüpfen, dass das zuküuiuge Heil den Gerechten als Luiin
1) Die Taufe ist ihm nQr das „Siegel" (e. 7, 6. 8, 6), d. b. in
ihr ist die Qewinhdt der jrl^oii dem EinzelDeD Terhüirgt Von einer
Eiafty die in derselben g^ben» redet er niemals, wohl aber von den
Verpflichtongen, welche sie auferlegt (e. 6, 9. 7, 6. 8, 6: inQBTit id ^-
ntiOft« panülel mit ttigtip
*) Es ist sehr ohamkteriBtisch, dass die Mitteilnng des g5ttlichen
nvtv/da c. 14 ebenfalls abhängig erscheint von der menschlichen Selbst-
tätigkeit: sie wird denen als Lohn zugesagt, die ihr Fleisch rein be«
wahrt haben. Ein stärkerer Widersi)ruch gegen Paulus kann gar nicht
gedacht weiden. Allerdings citirt der Frediger einmal (c 2, 4) den
Herrenspmch : „ Ich bin nicht gekommen , Gerechte zu rufen , sondern
Sünder"; aber der Sinn dieses Spruches erschöpft sicli ihm in der Tat-
sache, dass die Kirche aus du Heiden gesammelt ist. Somit dient er
dem Verfasser wiederum lediglich zor Fundamentirung der Apologetik,
ohne die dogmatische Grundanschaunng irgendwie zu bestimmen,
S) Vgl, hesondere c. 11, If. : »J/iCiV ory iv xrtdctQu xuodia dov).n'~
^»/«Sy ^£ip , xu) iaojuB^a Ji'xcnot ' etty &k fÄiq dovktvdtaiÄiv dut xov
ft^ nuntvM' ^fMS Tff inayytkitf tov ^tov laXainoiQot taöue^a . . , iar
it^y Tjoir^aufity Tf]v dtxnwavrriy ivttyrloy rov (teov , a'ai^io/Atv eis
ßftaiUiav atrrov xt*l kni^öfik^u t<U f'ntiyyeUaq. Dieser ganzen Be-
trachtungsweise musste eine unvollstaudige Erkenntnis der Herrenspnlche,
auf welche sich der Prediger beruft, Vorschub leisten (vgl. c. 4, 2), wenn
es eines solchen noch bedurft Iritte. UeberflüHsig i>t es fa^t, zu be-
merken, dass die (fixfaofTi'j /^ , auf welche der Verfasser di inirt, mit der
jüdi.sch - pharisäischen niclits gemein hat. Ueberhaupt fordert er keine
äasserlicbe Legalität, sondern eine gerechte üerzen^esionang.
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DER SOG. n. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHER. '6b ö
Ton Gott werde gegeben werden (vgL c. 3, 3. 9, 5. 1 1, 5. 6.
15, 1. 20, 4). Anch diese Vorstellung steht an sich durch-
aus in keinem Gegensätze zu der Lehre des Ai>o>tol Paulus;
aber es fehlt dem Prediger auch hier die Einsicht in die
religiöse Grundlage, auf welcher das Lohnverhältnis za Rechte
1)e8teht; zadem mangeln ihm fut alle diejenigen fibeigeordneten
Ansehannngen , welche bei Pftnlns das Schema von Lefstnng
und Lohn modificiren Die Leistung aber einer ausieiclum-
deu Gerechtigkeit ist nur möglich auf Grund der Busse. In-
dem der Prediger unaufhörlich zu dieser ermahnt, kanu er
sich auf das Gebot Christi berufen; allein er richtet ja seinen
Bnssmf an solche, die bereits der Gemeinde Christi angeboren,
und er vermag die Busse nur noch als Abkehr von der Wielt-
lust zu bezeichnen. Es ist aber ein sehr charakteristisches
Merkmal der Mattigkeit der Zeit und des Verlustes der leben-
digen sittlichen Kraft, dass ein übertriebenes Bekenntnis der
ftctisehen Heillosigkeit des gegenwärtigen Zustandes die hoch-
gespannten Forderungen zu sittlichen Leistungen begleitet.
Für eine solche sehr bedenkliche Methode in Predigt und
Unterricht ist bekanntlich das Bucli des Hirten, wo es tadelt
und wo es ermahnt und verheiast, eine klassische Urkunde
ältester Zeit Auch der Prediger gewinnt, indem er über-
spannte Forderungen einer sittlich angeblich sehr tiefstehen-
den Gemeinde entgegenhält, ein starkes Motiv zur Bussmah-
nung: ?;djj Ttoii fiiTuyoi]aüJfÄ(y ' ^toio't yag ia^iti' no'hKi^i aroiug
1) c 20, 8' braucht er wohl da« Bild von der Frucht; aber er
liast es sofort wieder falleo. c. 1, 4 n. 9, 10 spricht er von dem Kinde»-
verhiltnis, in welchem wir zu Gott stehen; er benutzt diesen Gedanken
aber nicht w^ter. — Eine Ahnung des Biohtigen scheint der Prediger
zu verraten, wenn er das sittliche Yeriialten des Menschen als Gegen-
leistung gegen die von Gott empfangene Gnade (vgl. c 1, 3. 5. 9, 7. 8.
15, 2) fordert. Wenigstens ist damit doch ein zwdtes MotiT ffir den
WillensentBchlass sum sittlichen Leben angegeben neben der Aussicht»
die zukfinftige Herrlichkeit su verdienen. Der Prediger ist diesem Ge-
danken, die Dankbarkeit zum Motive des lieUigen Ijebens zu machen,
nicht weiter nachgegangen, und so dOrfen wir ihn auch nur an dieser
Stelle erwähnen. Aber schon dien, dass or ihn ausgesprochen, zeugt für
die Wärme seines christlichen Gefühls, dessen Inhalt die kurzsichtige
Beflezion nur noch nicht zu erheben rermag.
356
HABNACK,
ml norr^gi'ag (c. 13, l). Es ist natürlich, dass solch' forcirte
BusBmahnuDgen die Schätzimg der Tugenden comunpiren.
Opera snpererogatiimis mfissen gesacht werden: Almoeen, Fasteot
Oebetsleistnngen sollen den Ansfall decken; der Prediger bat
ausdrücklich (c. 10, 4) die Vollkoninieiilieit in solchen Lei-
stungen gepriesen: xaXby ovv iktii^ootyr^ foc iutu^'oiu anupTta^,
IXuj^rufVt^ xowpiafia uiiagriag firfTfu. — üieses sind di»' Grund-
anschairangen des Predigers. „Der Widersprach dieser An-
sicht nicht nur mit Paulas t sondern mit den Aposteln fiber-
haupt liegt auf der Hand, und doch wird der Verfasser in
voller Unbefangenheit Anspruch auf die apostolische Begrün-
dung seiner Ansicht erheben" Es ist nicht neu, was wir
aus dieser Predigt über die in der Heidenkirche des nach-
apostolischen Zeitalters herrschenden Anschauungen gewinnen:
aber was man sich sonst mflhsam aus wenden Besten suchen
und deuten niuss, das tritt hier zusammenhängend und un-
misverstandlich zutage, weil es durch lieine Polemik getarbt
erscheint. Daria liegt die hohe Bedeutung dieser Uonnlie.
Nicht durch Gompromisse zwischen Torschiedenen apostoÜBchen
Traditionen ist dieser vulgftr- heidenchristliche Lehrtypus za-
stande gekommen, noch weniger darf er als eine DegeneratioD
der paulinischen Dogmatik bezeichnet werden; er ist das
natürliche Product der Heidenkirchc und ist vor allem aus
der Weltstellung dei*selben zu erklären, — aus der Welt-
stellung, welche sie einnahm, bevor sie tie^hende Spaltungen
in ihrer eignen Mitte erlebt hatte. Aber stammt diese Pre-
digt wirklich aus einer so frühen Zeit?
III.
Um die Frage zu beantworten, zu welcher Zeit diese
Fredigt abge&sst ist, stelle ich zunächst die Beobachtungen
zusammen, aus welchen sich der terminns a quo bestimmen
lässt, und lasse darauf diejenigen folgen, welche den terminus
ad quem begrenzen. Einige entscheidende sind bereits im
Yorigen Gapitel dargelegt; an diese ist hier nur zu er-
innern.
1} Ritschi a. a. 0.
üiQiiizüü by
DiuK SOG. IL BRIEF DEÖ CLEMENS AN DIE KORINTHER. 357
1. Die dogmatischen GnmdanschauungeQ der apoetolischen
Zeit siud dem Prediger völlig fremd; er liat keine derselbeu
mehr wie der römische Clemens und Barnabas in mehr oder
weniger ouverstaDdeuea Formeln wiederholt, sondern er be-
wegt Bich in einem ganz anderen Gedankenkreise. Keine
AusfUumng erinnert an die paolinischen Lehren. Es ist doch
mehr ab ein nnaicheres Geschmacksnrteil, wenn man annimmt,
dass vor dem Anfang des zweiten Jahrhunderts in der Heiden-
kirche so nicht gepredigt worden ist.
2. Das kirchliche Bewnsstsein, ans welchem heraus der
Prediger redet, ist in seiner gegensätzlichen Bestiiuuitheit
zur Synagoge dasselbe, welches den Ausführungen des Ver-
fassers des Bamabasbriefes und des Apologeten Justin zugrunde
liegt Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass die
Heidenkirche schon in yorhadrianischer Zeit so bestimmt
dieses Bewnsstsein an^eprägt nnd zur Grundlage ihrer theo-
logischen Speculationen gemacht hat. Die Theologie des
Predigers aber erscheint wesentlich durch die Apologetik be-
einflusst. c. 2, 3 behauptet zudem der Verfasser, die Zahl
der Christen sei bereits grosser als die der Juden. Wir wer-
den nicht irren, wenn wir annehmen, so habe man Tor den
Jahren 120 — l3ü nicht gesprochen.
8. Auch zu den Formeln, in welche der Verfasser seine
nttUchen Ermahnungen gekleidet hat, zu der ganzen Weise
seiner Paribiese findet dch in keiner ftlteren Schrift eine
Parallele als in dem Buche des Hirten. Hier aber bieteu
sich überraschende Verwandtschaften
4. Der Verfasser bekfimpft die Martyriums- Scheu, setzt
also blutige Verfolgungen voraus (c. 4, 4 — 5, 4. 10, 3 f.
17, 7).
5. Aus den christologischen Specuktionen ISsst sich für
Bestimmung des terminus a quo nichts folgern (nur die Pa-
rallelen zu der Christologie des Hirten sind wiederum zu be-
^) Vgl Hagemann In der Tübinger TheologiBchen QnartalBctarift
1861, 8. 622-680.
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358
HARNACK,
rficksichtigen); aach die Oleichgflltigkeit gegen die Unter*
scbeidung von ^^^^o^ und Xoigtoq, wo es sich uui die Begrün-
dung des lelie^iösen Verhältnisses bandelt und die tlieologische
Speculatioü unbeteiligt ist, bietet keinen siebern Anhalts-
punkt. Ebenso wenig Itot sich daraas etwas sicheres schlies-
sen, dass der Prediger alttestamentliche Sprftche auf Christus
zarfickf&hrt (c. 3, 5. 13, 2. 17, 4; vgl. Barn. 5, 6: o{ npo^
Endlich ist es auch kein Zeichen späterer Zeit, dass sieb der
Frediger auf Herrensprüche in derselben Weise beruft wie
auf das Alte Testament; denn von Anfang an ist yon dea
Aposteln und in den Gemeinden den Herrensprfichen gleiche
Autorität beigelegt worden wie der Schrift Alten Testaments.
Wohl aber ist es wichtig, dass c. 8, 5 ein Herrenspruch mit
der Formel: ?./ya yug o xtgwg iiayytUt^ eingeführt
wird, c. 3, 4 ein anderer mit den Worten: ml iz4^ 6i
ygotfTi Uyfif und c 13, 6 ein dritter mit der Formel: JJyu
0 d-tog. Hieraus folgt, dass zur Zeit des Predigers bereits
Evangelienschriften gelesen wurden, die als Sammlunp:en
von Herrenworten (so dürfen wir wohl annehmen) in gleicheua.
Ansehen standen mit den Schriften Alten Testaments. Das
älteste, allerdin^ beanstandete Zeugnis, ffir die Gleichstellung
einer Herrenworte -Sammlung mit dem Alten Testament findet
sich bekanntlich bei Barnabas (vgl. c. 4, 14). Bei Justin
ist die Gleichstellung völlig deutlich (vgl. Apol. I, 67: t«
anOf*vij/*oyiVfiaiu %(av iaioüxiXMv tu avyyQaf.tf.taTa ruiy ttoo-
^üiy ayaytvwaxtTtu), Zwischen Justin und dem Prediger
besteht aber weiter die frappante üebereinstimmung, dass sie
beide in gleicher Weise das christliche Gesetz auf Grund der
Herrensprüche anbauen, ohne dabei irgendwie auf aposto-
lische (paulinische) Weisungen Rucksicht zu nehmen. Doch
ist diese Beobachtung bereits geeignet, Erwägungen über den
terminus ad quem der Abfossungszeit der Predigt herrorzu»
rufen.
Es ist mit einiger Sicherheit zu behaupten, dass die
Predigt nicht vor der Mitte der Rof^ieninü^szeit Hadrians ent-
standen sein kann, dass man den terminus a quo mithin etwa
um das Jahr 130 ansetzen darf; wahrscheinlich ist es, dasa
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DER 800. U. BRIEF DES CLEMENS AN DIE KORINTHEE. 359
er noch um ein Geringes später *). An die Identit&t
des Predigers mit dem Verfasser des ersten Clemensbriefes
ist natflrlieh nicht zn denken. Anscbannngen nnd Stil sind
völlig verschieden-): das römische Gemeindeschreiben stammt
zudem sicher aus dem letzten Becenniom des ersten Jahr-
hunderts.
Für die Bestimmung des terminns ad quem bieten sich
folgende Beobachtungen.
1. Die Lehre von der Kirche, welche der Prediger ver-
'Icflndigt, steht lediglieh unter dem Einflüsse der Apologetik;
der Frediger sieht sich durchans noch nicht genOtigfe, auf die
Unterscheidung zwischen einer wahren Kirche und häretischen
Afterkirchen aufmerksam zu machen. Es fehlt also die Auf-
fassung von der katholischen Kirche, wie sie sich im
Gegensatze zu den gnostischen Gemeinschaften allmählich
herausgebildet hat, noch völlig. Somit wird auch die Kirche
noch nicht als die Hüterin einer reinen Lehre im Gegensatz
zu den Irrlehren TorgefBhrt üeberhaupt fehlen die Begiiffe:
apostolische Tradition, Lehrautorität, bischöfliches Amt
u. s. w. giinzlicb. Keine der dogmatischen Grundauschauun-
gen des Verfassers ist durch irgend eine iunerkirchliche Po-
lemik schon bestimmt Also ist seine Schrift nicht etwa nur
Yor dem relativen Abschluss der gnoslaschen Kämpfe, vor
völliger Ausscheidung der Häretiker aus der Kirche, geschrie-
ben, sondern sie ist mit Sicherheit einer Zeit zuzuweisen, in
1) iHiriten wir annehmen, dam der Bamabasbrief und unsere Pre-
digt aus derselben Kirche Btsminen, so wäre die Predigt nach 'lein
Briefe zn setzen; allein eine solche Annahme ^räre nicht nur gnmdloSy
sondern positiv unwahrscheinlich. — Die unsicheren Beziehungen in
c. 1, 1 und c. 14 auf eine in der Gemeinde geltende GlanUensregel lassen
keine Schlüsse behufs Bestimmung des terminns a quo zu. Ebenso wenig
gestattet die beiläufige Polemik gegen solche, die da behaupten, dass
das Fleuch weder gerichtet werde, noch aoferstehe (c. 9, l), einen
zwingenden Schlnss auf diesen terminus.
3) Es ist nicht nacbweiabar, dasa der Prediger den ersten Ckmens-
brief gelesen bat.
3) Ein Bischof wird nicht erwähnt; c. 17, 3. 5: nneaßvregoi. Das
jr«Tf/fiv ist noch Aufgabe aller Christen (c. 17, 1). Eine Unterschei-
dung Ton Eatecbumenen ist noch nicht nachweisbar, auch nicht c. 19* 1.
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360
welcher iuuerkirchliche Gegensätze uoch gar nicht deutlich
zur Aussprache gekommen sind; denn die Polemik gegen
diejenigen „Gaostiker^S welche man in c. 9, 1 gefunden hat,
ist gewisB 80 alt wie die Heidenkirche selbst Man muas
daher behaupten, dass die Predigt spätestens nm 160 abge-
fasst sein kann, mag sie nun in Alexandrien, Kleinasieu oder
Rom entstanden sein. Alles aber, was hier von dem Cha-
rakter der Predigt ^resagt ist , das gilt auch vom Buche des
Hirten: eine solche Polemik gegen Iirlebren, wie sie der
Hirte fahrt, wftre auch bei dem Yeiftsser der Predigt
denkbar.
2. Die Speculationen des Verfassers über das Aeonea-
paar Christus und Kirche hätten sich im Zeitalter des Irenäos
kirchlichen Theologen von selbst verboten. Audi die naive
Vorstellung, Christus habe nur eine menschliche <t«(7^ ange-
nommen, und die unentwickelten Aussagen über da^ Verhältnis
TOD nywiita uud ouQ^ legen für eine frühere Zeit Zeugnis ab.
Die Logos-Christologie ist dem Prediger wie dem Hirten
noch unbekaimt. Auch diese Beobachtungen fähren in das
zweite Drittel des zweiten Jahrhunderts.
3. Der Verfasser beruft sich allerdings schon auf £van*
gelienschriften als r^^o/, mindestens auf eine als f^^,
wayyiXti^. Bs ist nicht zu entscheiden, ob alle Herrensprfldie,
die er citirt, einem oder mehreren Evangelien entnommen
sind, und ob der Prediger, falls er mehrere kannte — was
wahrsclieinlich ist ^) — , allen die gleiche Autorität als
Schriften beigelegt hat. Soviel aber ist gewiss, dass er
zwischen den Herrensprfichen, die er einfährt, keinen Unter-
Neben c. 9, If. kommt nur noch die SteUe c. 10, 3 — 5 in Be-
tracht, wo von solchen gesprochen wird, oV i-nifxetfovciy xaxodidaaxa'Aovt^^
Tff tag (hatriovg tpvx^g. Ihnen wird ein nagayeiv <f6ßovg dy^gioni-
vovs vorgeworfen und gesagt, dass sie verkennen, welche Qualen ein
weltf<»rmige8 Leben nach sich zieht. Es mögen diese Leute immerhin
(Jjiostiker" gewesen sein, wie die Irrlehrer, welche Hcrma« bek:imi>ft.
Daä Entscheidende aber ist, dass der Prediger sich uoch nicht veranlasst
siebt, theoretisch sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Es spricht wenigstens nichts dagegoi, dass er das Matthäus«
and Lucas -ETangeliam geleaea hat.
I
DER SOa. n. BRIEF DES OLBMBES AN DIB KORINTRER. 361
schied macht, und daas eine beträchtliche Zahl dieser Heiren-
sprfiche äea Wer Evangelien, welche im letzten Viertel des
zweiten Jahrhunderts allein kirchlich gebraucht wurden, nicht
angehört Das Mumtorische Prat^mient /.eigt, dass man in
Kom um 170 — 180 von anderen Evangelien nichts wissen
wollte als von jenen vieren. In den fibrigen Landeskirchen
wird es damals, wie wir vermuten dürfen, nicht anders ge-
wesen sein.
4. Das £vangeliam Johannis benutzt der Prediger nicht;
er verr&t Oberhaupt keine Kenntnis der johanneischen Schriften.
5. Ein neutcstaraontlicher Schriftenkanon exiatirt lur ihn
noch nicht. Zwar ist oben bemerkt worden, dass er sich aof
Evangelien ebenso beruft wie auf das Alte Testament, aber
eben deshalb nur, weil die Evangelien die Herren werte ent-
halten, c. 14, 2 will der Prediger erweisen, dass die Kirche
eine himmlisclio , vorzeitliche Existenz gehabt habe; er sagt:
€VK ftSofUu 6i vfiOQ ayyo^y,,»f ori t« ßgßXla ual oi ani-
otoXot tip^ ixxkfjakty ov vvy iirm aXXa arw9ty {^iSiaKovaty).
Tai ßißXia sind zweifellos die Schriften Alten Testaments*);
Ol ttnotJToXol lieziclit sich also auf die gesammte aposto-
lische Tradition, die dem Prediger Autorität ist, ohne dass
er hier an eine schriftliche Fixirung derselben appellirt
Unter ol iaioarolot können vielleicht auch die Evangelien mit
einverstanden sein als ano^iyrjfioywfiaTa rtay anofniXmy. Allein
das ist nicht wahrscheinlich; denn hätte dem Verfasser ein
Herrenwort für seinen Lelirsatz von der Kirche zu Gebote
gestanden, so hätte er gewiss ra ßißUa Koi o «v^io; , oder
vielleicht auch schon t« ßißUa xol to UwffÖuQv gesdirieben.
Somit bringt uns diese Stelle eine neue Einsicht: dem Pre-
1) Vgl. Hilgenfeld, Apostolinche Väter, S. 1211 Der Prediger
kannte das sogenannte EvaDgchuui »kr Acgyptor.
8) Vgl. Hilgenfeld, Einleitung in das Neue Testament (1875),
S. 29 f. Es ist nicht nachweisbar, so viel mir bekannt, dass man im
zweiten und dritten Jalirhundcrt die Evangelien sclilechthin r« ^^ßUa
genannt hat. Somit ist es unstatthaft, in der oben angeführten Stelle
XU ßißXia auf die Evaugclien, ol dnotnokoi auf die noutestamentlichen
Briefe zu beziehen.
SaitMhr. f. K.-0. S4
L;iyiii^oa by Google
362
HAENAGK,
diger ist Autorität: 1) das alte Testament; 2) die Herren-
worte, und zwar schon in scliriftlich fixirter Form ; o) die
Weisungen der Apostel; — diese aber sind för ihn noch nickt
in einem „Apostoloe*' gnuaminengefiwet. Letztere Beobachtung
ist nnn nicht geeignet, den terminns a quo der Zeit dee Pre-
digers bestimmen zu helfen, wie mau meinen könnte, wohl
aber wird durch dieselbe der ternuuus ad quem b^euzt
6. Eine besondere Anfmerlminkeit verdient noch das
Verhältnis, in welcher unsere Predigt zu den [►auliuiscbeu
Briefen steht. Es ist wahrscheinlich, dass der Verfasser
Paulusbriefe gelesen hat; völlig sicher erweisen lässt es sich
nicht ans der Homilie Ist dieselbe zwischen 130 und 160
abge&sst, so darf man die Frage der Bekanntschaft mit paa-
linischen Briefen doch wohl a priori im bejahenden Sinne
entscheiden. Um so auffallender kann das Schweigen des Pre-
digers erscheinen; aber es ist nicht mehr so auffallend, wenn
wir seine Zeitgenossen, Hermas und Justin, mit berücksich-
tigen. Anch Justin baut das christliche Gesetz nur auf Grand
der Herrensprüche an und schweigt über Paulus (s. o.); Her-
mas benutzt paulinische Gedanken , ohne ihren» Ursprung an-
zugeben. Wird nicht auch der Prediger den Lehrsatz von
der Kirche als dem Leibe Christi, den er so zuversichtlich
eingef&hrt hat (c. 14, 2: ovk cXopm 6i lnäq ayyo^ on
fxxX9;ata t^uksa auifiu taiiy X^ioiüv)^ dem Paulus verdanken?
1) Zur Verglcichung: Hegesipp. ap. Stoj.h. Hobar. in Photii Biblioth.
232, p. 2»S8 : TtSy rt d^Utov yqaqpöiv xu\ tov xvQiov Xsyomog. Hegcsipp.
ap. EiLscb. Hist. eccl. IV, 22, 3: o vofAoq xrjQtHran xni ol tt^o^pf/t«»
weit 6 xil^toi. PapiaB: Xöyut xvQiaxn. Polyc. ad Philipp. G, 2: xa^tif
avtof i¥8T9ikato xai ol tvayyeXiaä/ievoi ^fui^ dnoctoXoi xai ol nqo^
tfi^tu» 2 Pete* 8« 2: fiyyja&rfyai, räiy nQosiQtjfj.h'aiy Q^fuittay vno rtüv
^ty^uP ntpMf^t^ xcri xfäv dnoatoXtay i^/atSy iyroXijg jov xv^iw »ol
Dionys. Cor. ap. Euseb., Higt eocL IV, 33, 12: cd xvquouU
ffftt^nL Justin. ApoL 1 , 67 : xa dnof^ytjfiovBv/ÄaTtt TtSv tinoaxoXtw,
% Petr. 3, 1^ Fragm. Morat. 77 f. ücbrigens beachte man , dass Pan-
lus selbst in gewissen Fälkn seiiien Weismigea die gkiche Aatorität
beigelegt hat wie den Ylerrenworten.
s) MögUoh wt anch die fienutsiing des eisten Petras- and des
Hebrfierbriefes.
Uigiiizea by G'
DER 80Q. n. BKIfiF DGS GLEUENä Aü DIE KOmNTHEft. 363
Die üraadien dieses Schweigens zn erörtern, welches kaum
mehr ein zufalllgeä genamit werden darf, würde hier zu weit
fflhren i).
Comhinirt maQ alle diese Beohaditniigeii, so darf man
das Eigebois fSr ein sehr wohl gesichertes erochteo, dass die
Predigt swischen 130 und 160 abgefasst ist. Aber man
kann noch einen Schritt weiter gelien. Die Verwandtschaft
der Predigt mit dem Buche des Hiii;en ist eine so grosse,
dass es nicht aUankühn ist, zu behaupten^ daes beide Schrift-
stflcke ans derselben Gemeinde stammen, d. h« der römi-
schen^. Wir haben oben gesehen, dass die Geschichte des
sogenannten zweiten Clemensbriefes in der Kirche dieser Hy-
pothese durchaus nicht ungünstig ist. Dann aber muss die
Predigt, wenn hier ein Schluss erlaubt ist, in die ersten bei-
den Deoennien des dnrch die Jahre 130 nnd 160 bezeichneten
Zeitranms &llen; denn in Rom bitte man nach 150 gewiss
anders gegen Irrlehrer gepredigt, sobald man überhaupt pole-
misirte. Der Abschnitt c 9 o. 10 der Predigt hätte anders
gelautet
Anf die Gombination des Yerftssers dieser ersten Christ»
liehen Predigt, die wir besitzen, mit dem bei Hermas (Vis.
11, 4) genannten Clemeus, der für einen Zeitgenossen des
1) Erinnern möge man sich hiehei, dass in den Acta Panli et
Theclae die Reden, welche Paulus in den Mund gelegt werden, nach dem
Muster der Bergrede und <ler Redestiick»' in der Apostelgeschichte com-
l)onirt sind. S^nc eignen Briefe sind üchlechterdings gar nicht dabei
beräcksichtigt worden.
Die Verwandtschaft ist von Schw»'gler (Nachapost. Zeitalter
I, S. 450), RitHchl (a. a. O. S. 288), IIa gern an n (Tübinger Theol.
QuartaLschr. 18(>1, S. 521 f.), Skworzow (Patrolog. Untersuchungen
[1875], 8. 47. 5i)— 55) bemerkt worden. Ilagoniann gebiirt das Ver-
dienst, zum ersten Mal ausführlich das VcrwundtHcluiftsverhältnis dar-
gelegt zu haben. Auf Orund d<»88cll>en hat er beroitij die Vermutung
ausgesprochen, der sogenannte zweite OlenKmsbricf sei <las Begleitsclirei-
ben zum Buch des Hirten gewesen (Vis. II, 4); er luilt aber noch daran
fest, dass der dort erwähnte Clemens der Ijeriihnit^? römische sei, zn
dessen Zeitgenossen sich der Verfasser, der sich für ältfr ausgeben wolle
als er ist, unreclitinüssigcrweise mache. Weil man den sogenannten
zweiten Clemensbrief für den Hrief des Sot<T halten zu mnsgen glftobte,
80 würdigte man nicht gebüiend das Verbältois zum Hirtx'n.
24*
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3G4 HARNACK, n. BRUIF DES CLEMENS AN DIE KORINTIIEB.
Hennas gehalten werden' mn», verrichte idi, obgleieb ich
nicht verhehlen kann, dass sie lockend erscheint Nur das
Eine sei bemerkt, dass nach c. 17, 3. ö u. 18 es wahrschein-
lich ist, dass der Prediger dem Clems Borns so wenig an-
hört hat wie Hemaas. Laienpredigten waren damals trotz
Jnstms Angahe (Apol. I, 67) gewiss noch nichts Seltenes*).
Auf welchem Wege die Predigt in das Morgenland s<> s}>at
gedrungen ist, ist nicht mehr zu ermitteln; aber diLss sie,
einmal als uralte Urkunde der römischen Kirche anerkannt,
dem berflhmten Clemens beige^gt wurde, hat nichts Auf-
fidlendes; es wftre allerdings noch hegreiflidier, wenn man
annehmen dürfte, dass die Predigt in der Ueberschrift von
Anfang ao und mit Kecht den Titel jov Kkt^fityrog ge-
führt hat.
1) SkAVLfrzow (a. a. 0.) ist, wie es scheint, imabluiugig von
Hagem an 11 auf die Identificirung des vun llenua« genannten Clemens
mit dciu Verfasser des sogenannten zweiten Olemciisbriefe« verfallen.
Er leugnet aber, dass Hermas Vis. IT, 4 den btTuhmten Cb^mens gi»-
meint hal>c, und l>rancht deshalb niclit, wio Hagemann, den fiogenannt* n
zweiten IJriet für ein dem Clemens untergeschobenes Schreibi^n zu luilten.
Diese wehr beaclitenswerte .^nsiclit hat Skworzow durch eine bodenlos
wiUkiirliche Erklärung des zehnten Capitels zu stützen gesucht.
VgL Th. Uarnack a. 0., 8. 244f.
[12. Mai 1876.1
Z«r Geschichte der Ethik.
Vinoenz von Beauyais und das Specolum morale«
Von
Dr. Oasö«
L
Mebr ab ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit
Friedrich Christoph Schlosser, dessen hundertjähriger Geburts-
tag in den laufenden Monat f^llt dem merkwürdigen Ency-
klopfidiker Vinoenz von Beanvais eine Monographie gewidmet
hat Es war eine seiner frflheston grosseren Sdiriften — die
erste gilt der Geschichte der bildei*stürmenden Kaiser — , doch
sie ven*üt durchaus sclion den üni Versalhistoriker und um-
fassenden Kenner der Literatur und zugleich den Schriftsteiler
¥on kr&ftiger Qesinnnng, welcher fiberall aufinerksam wird«
wo er, sei es auch in mönchischem Gewände, Herz und Ver-
stand Terbanden findet. Was ihn zunächst anzog, war das
vielgenannte „Lehrbuch für königliche Prinzen und
deren Erzieher*' (De institutione filiorum regiorum seu
nobilium), welches er daher in dentscher Uebersetzong voran-
stellt, weiterhin aber mit ansfOhrlichen Abhandlungen Aber
Gang und Zustand der sittlichen und gelehrten Bildung in
1) So eben bat die üniveraitftt Oeiddheig diesen Tag, den 17. No-
Tember> dorcb ehie akademisehe Rede des Profeeeor Erdnuumsdörflfor ge-
feiert, mudidem sehon Dr. 0. Weber eine leiofahaltige „FesftMfarift" yor-
angceehiokt: Fr. Chr. Sehloeser der Historiker, ErinnernnguMatter
MB seinem Leben und Wirken, Leipzig 1876.
366
Frankreich bis ztan 13. Jahrhundert und im Laufe desaelben
begleitet
Nodi jetzt wird niemand ^eses Bfiehlein ohne Anteil
lesen. Wir vernehmen den Münch, aber auch nicht weniger
den pädagogisch und didaktisch durchgebildeten Lehrer und
Batgeber, der die Wege intellectueller und sittlicher Ent-
wicklung wohl kennt, sie von den Abwegen zu untersdieideii
und gegen Fehlgriflfe sieher zu stellen weiss; und ein grosser
Teil dessen, was er einschärft, behauptet unttT veränderten
Formen noch gegenwärtig sein Recht. Jeder Inhalt, so lautet
seine Bede, muss unter das Gesetz der Methode, jede Fähig-
keit unter das BUdungsmittel der Zucht gestellt werden, nur
so entsteht wirkliche Aneignung. Die Abbftngigkeit vom
Lehrer geht notwendii^ voran, die freiere üebung mit eigeuein
Nachdenken muss folgen, bis ein selbständiges Studium mög-
lich wird. In der Beligion sucht alle Weisheit und Erkenntnis
sei es ihren H(^hepunkt oder ihre Grundlage. Die Demut und
der Gehonttm unter richtiger OMiut des Erziehers sind die
beste Vorschule der Freiheit und des Charakters. Der Unter-
richt selber hat mit der Sprachwissenschaft zu beginnen, an
welche sich dann Uebung im mündlichen Vortrage und im
Sohleiben, Logik und Grammatik, Anleitung zur Disputation
anschliessen werden. Alles Wissen bleibt unfruchtbar, so lang«
dUvS Vermögen der Anwendung fehlt, und dieses zu wecken,
werden wir durch die Eigenschaften des jugendlichen Alters
in jeder Weise aufgefordert. Was denmuchst über BehenachttUg
und Abhärtung des Leibes, Strafen, Betragen, Umgang und
geselligen Terkehr und Anstandstugenden gesagt wird, ist
meist noch heute walir, vieles fein und treü'end; und selbst
über die Bedingungen des ehelichen Glücks weiss er bessere
Auskunft zu geben, als man voi» einem Dominiumer erwai-tett
sollte. Doch Tenaten sich hier und noch mehr bei den An-
weisungen über weibliche Erziehung die VorurteUe seines
Standes, der Ma^sstab ist in letzterer Beziehung beinahe ein
1) Fr. Chr. SehloBser, Yinoenz* von BeauTais Lehrbuch fftr
k5nigliche Prinzen und ihre Lehrer, als voDstftndiger Beleg so drei Ab-
handlungcii, 2 Teile, Fiankfiirt a. H. 1819.
L;iyiii^ed by Goo^^Ic
ZU£ Q£SCHICHT£ D£B ETHIK.
367
noimenhafter. Auch schliesst das Ganze mit einer Anpreisung
der ewif^en Jungfrauschaft, indes ist dieser liat ungefährlich
geblieben; von den französischen Prinzen und Prinzeasinneu
damaliger Zeit hat nieniand ihm folgen wollen.
Neben diesem Emehnngslmch vereetaen nne die groflsen
Arbeiten dieses Mannes in das weite Gebiet der Weltliteratur,
welches damals kein anderer in gleicher Vollständigkeit über-
sah; es sind die drei grossen Spiegelbilder, das Speculum
hietonale, natorale, doctrinale, welche zusammen als Speculum
inajufl einen Inbegriff des vorbandoien Wissens- und Brkenn1>-
uisstofles aus'/üglich überliefern wollen. Auszüglich sagen wir,
denn zu eigner Production entzieht sich der Schriftsteller
beinahe den Kaum, er will sammeln, anordnen, verknüpfen,
meist nur in der Composition und Auswahl und in mancherlei
Zwischenbemerkungen zeigt sich ein selbstSndiger Wille und
Geist. Dennoch ist mit Recht behauptet worden, dat^ ein
Compilator, der von Citateu und Lesefrüchten lebt, der sich
selber in jedora Augenblick das Wort abschneidet, indem er
fremde Quellen unablässig auf sich einwirken Ifisst, darum
noch keineswegs zu den Leerk9pfen gerechnet werden müsse.
Schlosser hat ihn besser verstanden. Zu diesem Zweck ver-
folgt er in ausfuhrlicher Abhandlung den Gang der wissen-
schaftlichen Bildung und die Entwicklung der Klosterschulen
seit Karl dem Grossen. Zwei Denk- und Lehrweisen gehen
neben einander her, die eine fuhrt zur dialektischen Kunst und
Methode, als Scholastik wird sie die Vertreterin der höheren
Wissenschaft; die Bettelmönche bemächtigen sich unter
Ludwig IX. der Katheder; im Streite der Bettelorden mit der
UniTeiat&t unterliegt die letztere, Wilhelm yon 8t Amour
musB weichen und seihst der Etoig stellt sich auf die Seite
jener. Daneben hat sich aber auch eine andere, mehr päda-
gogisch geartete, dem pi-aktischen Nutzen und der Sitten-
bildung dienende Tendenz aufrecht erhalten und diese wird
durcb die Lehrer des Klosters vom heiligen Victor repr&sentirt,
ebenso durch Männer wie Johannes von Salisbury, welcher den
Aristoteles als den Verderber der rechten Forschung aiikhigt,
weil er alle Wahrheit mit den Spinnengeweben der Distinction
verschleiert habe.
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368
QAflS,
lu diese Keilie gebort unser Vincenz, welcher das Dida-
8€alioain des Hugo Tom heiligen Yiotor benatsEt hat ; sdiohutiaehe
Kunst und Demonstration venneidet er durchans, sein uni-
verseller gelehrter Trieb föhrt ihn statt dessen zu einer um-
fassenden Kenntnisnahme von allen Gebieten menschlicher
Wissenschaft. Die Absicht seines Hauptwerks geht dahin,
ivas seit Anfang der Dinge, sei es als Handlung oder als
Denktätigkeit, von Menschen ausgegangen, was .in der sicht-
baren und unsichtbaren Welt geschehen sei und fortbestehe,
in wohlgeordneten üebersichten zusammenzufassen. Si'hon als
blosses Vorhaben würde heutzutage ein solcher Gedanke
Schwindel erregen, damals konnte er in einem gedächtnia-
starken und allseitig empfänglichen Kopfe nicht nur entstehen,
sondern auch mit relativer Yollkommenheit angefahrt werden,
aber freilicli nur so, dass der sammelnde Fleiss und ein-
teilende Verstand die erfindende Geisteskraft und freie Ge-
dankenbihlung grösstenteils auräckdrftngte, nur durch An-
'reihung von Fftchem, Kapiteln und Kat^rien, welche dann
mit Belegstellen aller Art ausgefOllt werden. Der Schriftsteller
si>richt selber uiclit viel, dafür lässt er die gesammte vor-
christliche und christliche Literatur zu Worte kommen; selbst
mit den heidnischen Büchern befindet er sich auf bestem
Fuss. Zwar erwfihnt er auch die ängstlichen Träume eines
Hieronymus ; aber er weiss auch zu sagen, warum von diesem
die Schriften der Heiden dem wohlgebildeten Christen zur
Benutzung empfohlen werden; haben doch, bemerkt. er naiv,
die bösen Geister oftmals Wahrheit gesagt oder vmusgesagt,
wenn auch nur gezwungen und gedrängt Und grade diese
Ausbeutung der klassischen Literatur ist dem Vincenz von
der Nacliwelt gedankt worden. Wir wollen uns niclit bei
der r'rage aufhalten, ob er die Schriften, aus denen er schöpft,
selbst vollständig gelesen und nicht vielmehr manches aus
schon vorhandenen Sentenzensammlungen, Auszügen oder
Chrestomathien geschöpft habe. Wir räumen das letztere
ein und halten es für wahrscheinlich; allein seine Citato sind
so massenhaft, dass auch in diesem J^'alle auf eine höchst
1) Schlosser a, a. 0. 8. 63.
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ZUR OESCmCHTB DER ETHIK. 369
sQflgebreiteie eigne Lectfire geschlossen weiden mim Die
ansehnliebe kSnigliehe Bibliethek, welche ilim offen stand und
die er vielleiclit aelbst eine Zeit lang zu verwalten hatte, wird
ihm auch geläufig geworden sein.
Von dem Geschichtsspiegel des Yincenz hatSchloseer
einen ansprechenden Anszug geliefert Mit der Trinität nnd
Schöpfung, mit Kosmologie und Naturordnuug beginnend, setzt
sich diese Skizze grossenteils ebenfalls nur aus Citaten und
entlehnten Abschnitten zusammen; die christlichen Zeitalter
füllen sich mit Legenden nnd Wondererzählungen, die Y^er*
gescbichte wird in answfihlender Art nnd nach ganz einseiiagen
Gesiehtspunkten Torgefahrt, und erat in den letzten Abschnitten,
die Selbsterlebtes berichten, erwächst die Dai*stellung zu einer
lehrreichen Quellenschrift. Nach Schlossers Urteil war dieser
Mann zum Oescbichtssohreiber überhaupt nicht geeignet, weil
er an den Menschen nnd Begebenheiten nur das Qnte sieht
und benrorbebt. Ich bin nicht der Meinung, dass nur die
Pessimisten zum historischen Studium berufen seien, auch war
Vincenz nicht ohne weiteres einer von ihnen. Die Mönchs-
zelle hat ihn nicht bitter noch tadelsüchtig genoacbt, daas er
aber auch nicht geneigt war, das Menscbenleben in ein rosiges
Liebt zu stellen, ergiebt sieb am Schlüsse dieses Werls, wo
gesagt wird, erst dem letzten Weltalter werde es vorbehalten
sem, der Herrschaft der Bösen über die Guten, welche bis
dahin gedanert, ein Ende zu machen, und diese Klftmng
sei die Yorstofe zum Gericht
Die Wissenschaft, sagt Yincenz, ist dem Menschen zum
Tröste in der Schwere des irdischen Lebens und zum Schutz-
mittel gegen so viele üebel verliehen. Um so lieber will er
sie, soweit sie nur immer reichen mag, als TielgUedrigeB
Qanze flbenchaaen, nnd das zweite Werk, der Lebrspiegel,
in welchem dies geschieht, — von dem Naturspiegel haben
wir weiter unten zu reden — verdient dm*ch die AUsoitig-
keit der hier entwickelten und mehr als oberflächlichen Kennt-
nisse unsere yolle Bewundemng. Alle Fächer weiden um-
schrieben nnd durcbwandelt, die Philosophie erOflbet, die
^) Schlosser a. a. 0. S. 239.
370
GlflB,
Theologie besohlieaBt den Beigen; dazwiaohen liegen Sprach*
kmide, Logik, Poetik, Shelorik, ansfllbrlidier dann die Mond,
an weicht' sich weiterhin Äledi« in uii l Chirur^^ie, Geogiu|«lue,
Naturkunde, Agricultur, Zoologie, Oekouomie, Hausei uriclitung,
KriegBwisaenschaft, Kunst, Astronomie, Astrologie und Alcbemie,
beeonders aber Antbiopologie and Psychologie aucfalieaeen,
und libeTall reichen die Mitteilungen bis ine Detail. Wenn
die Theologie vermöge ihres höheren Uiisprungs sich not-
wendig auf biblische Aussprüche gründen muss: so sind alle
anderen Eächer nicht weniger berechtigt, ihren eigenen Anto-
ritftlen 2a folgen, welche sich denn aach in einer staanene-
werten Menge von Belegen za Gebote stellen.
In Frankreich ist Viiiccnz immer sehr hoch gestellt wur-
den, er wird zu den „grossen Männern" gezählt. Cuvier war
der Meinung, daas er als Kenner und Beechreiber der Natur
Alberfcas Magnus weit fibertreffe. Sin neoerer Schriftsteller,
Bourgeat, sacht nachzuweisen, dass die intelleetnellen Ver-
dienste und Bestrebungen des Mittelalters in seinen Werken
umfassender als in anderen zur Darstellung gelangen.
In Deutschland hat sich Yincenz seit Schlossers Buch als
der Encyklopädiker seines Zeitalters nadi verschiedenen Seiten
eingebfh^ert; woher er schöpfte — was namentlich ffir den
Geschichtsspiegel von Wichtigkeit ist — und wie er zu Werke
ging, ist ziemlich bekannt geworden. Der Historiker und
litenurhistoriker des Mittelalters kann ihn nicht entbehren,
aber auch der Philologe moss ihn der zahhreichen klassisdien
Citate wegen znr Hand nehmen; nor die Theologen haben
niiMiies Wissens nicht viel nach seinen Schriften gefragt,
olienbar in der Meinung, nichts Selbständiges in ihnen zu
linden. Wenn ioti nun dennoch ihm und seinem Namen diese
Abhandlung widme: so geschieht es im Inteiesse der Ethik
und ihrer Geschichte, aber unter einer doppelten Rubrik.
Zunächst hat er selbst zwei Bucher des Spcculum doctrinalc
dem Moralstoft gewidmet, welche als Schema und Begiiffsreihe
unsere Aufmerksamkeit verdienen; sodann aber findet sich noch
ein viertes Spiegelbild als ^eculnm morale sdnen Werken
einverleibt, welches, o))gleich als spater entstandenes Sammel-
werk längst erkannt, doch wohl geeignet erscheint, für den
Üigiiized by GoogI(
ZCB GESCmCUTE DER ETHIK.
371
Zweck einer vollsliftndigen üebersiolit der Idichlidieii Moral-
wissenschaft, wie sie unter den Dominicanern vorgetragen
wurde, ins Auge [,'efasst und gepnifb zu werden. Zunächst
siud wir der Persönlichkeit und dem Leben dieaes Mannes
noch eine kurze Einechaltang schuldig.
Biogpraphiscbe Notizen sind von Trithemius bis
Albort Fabricius, von du Boulay und den Verfassern
der Literaturgeschichte Frankreichs aufgesucht worden, das
Resultat blieb ein sehr bescheidenes Die Zeitgenossen sagen
nur ftusserst Weniges Aber V incenz, die meisten Machrichten
sind jimi,' and nnsicb^. Baas er mehr ak 480 Schriflsteller
alter und mittlerer Zeit gekannt und aus 2000 Werken Citate
oder Auszüge mitgeteilt, lioss sich berechnen, über das Leben
des Mannes ergab sich nur Spärliches mit Sicherheit. Von
neueren deutschen Gelehrten hat allein Aloys Vogel in einem
Programm gründliche Auskunft gegeben Vincentius Bei-
vacensis, Belluacensis oder, wie er sich selbst nennt, Bello-
vacensis , lebte während der Regierungen Philipp Augusts
(1180 — 1223) und Ludwigs IX, (1226—1270); nach Einigen
soll er in dem Städtchen Bellovacnm in der Ficardie, jetzt
Beauvais im Departement Oise am Therain geboren sein,
andere nennen ihn einen Burgunder von Abstammung. Sein
Geburtsjahr fslllt zwischen 118 4 und 111)4. Aus den filtesten
Nachrichten über ihn geht indes nur soviel hervor, dass
er dnem Omvent der Dominicaner zu Beauvais als Mitglied
angehörte, und schon dieser Umstand kann jenen Beinamen
veranlasst haben. Höhere geistliche Würden oder Ehrenämter
Du I>uula). Hist. uiiivcr«. Paris., T. III, i>. 713, diuii <ler
Artikel der Biogr. univ^Tselle. T, XTJX und Abschnitte in den liti'rar-
biHtoriHclien Werken vnn Echard et Qu et IT, l>e scriptoribu« urdiniö
]»ra<dicatnriini ; Touren, Vios des Doinhiirains illustres; Daunoo,
Coutinuation de rhistoiro litteraire de la Franc»', T. XVIIL
5«) Hanjl.er<,'er. Zuverl. Nachricliteu, Bd. IV. 8. 417. Neu-
dcckcrs Artikel in Herzogs Roakncyklopädie , besonders aber Aloys
Vogel, Literarliistüriscbe Notizen über den mittelalterlichen Gelehrten
Vineenz von Beauvais, Festiiro^Tanini, PVcib. 181:5. Mit Vn£f»'ls Angaben
stimmt im wescntli» In n tiberein : Ktudes sur Yiuceut de Üeattvais, p«ur
11. lAbbc J. B. Bourgeat, Far. 1856.
372
GASS,
scheint er nicht erlangt zu haben, er wurde nicht Bischof,
wie jfiogere Beferenten angeben, nicht Docior der Theologie
nodi Öffentlicher Lehrer, so leicht ihm auch der Bnf eemer
bedeutenden Kenntnisse dergleichen Auszeichnungen hätte
eintragen können. Audi sein Bildungsgang ist unbekannt,
nur durch die Verbindung mit dem französischen Hofe wurde
sein Übrigens gewiss stUles und stetiges Qelehrtenleben unter-
brochen. Die Dominicaner hatten erst seit wenigen Jähren
(1215) ihre Wirksamkeit eröffnet, und 1218 wurde ihnen zu
Paris ein eigner Klostersitz einj^a^äumt. Du Boulay in
der Geschichte der Univeisität bemerkt, unter Philipp August
sei Vincenz des Studiums w^n nach Paris gekommen und
daselbet bei dem Beginne dee Predigerordens in denselben
eingetreten, und wenn dies nach einer anderen Nachricht
schon vor 1220 gesclielieii sein soll ^): so war er danmls noch
ein junger Mann und nahm erst nachher einen 'dauernden
Aufenthalt in fieanvais. Gewiss ist femer, dass der fronune
Ludwig IX. 1228 in der NShe seines Schlosses Boyanmont
(mons regalis) den Cistercicuscrn eine Abtei mit reichlicher
Ausstattung gründete; dorthin berief er, wir wissen nicht in
welchem Jahre, auch Vinceuz und unterhielt mit ihm einen
engeren Verkehr. Der Mönch in der Nfthe des Fürsten ist
eine dem Mittelalter eigentflmliche Erscheinung, die Domi-
nicaner namentlich wurden durch ihren Lelir- mid Trcdiger-
beruf frühzeitig auch in vornehme und höchste Kreise einge-
führt, und in diesem Falle wurde das Verhältnis ein ernstes
und aufrichtigeB von beiden Seiten. Der KOnig war mit seinen
eignen persönlichen Neigungen beteiligt, seine Frömmigkeit
hatte selbst einen raönchisclieu Anstrich, war aber mehr als
Cereinoniendienst oder Aberglaube; auch Thomas von Aquino
hat er einmal um liat gefragt und bei sich gesehen, auch
den Franciscaner Hugo zu sich eingeladen, der jedoch, dem
TolkslAmlichen Charakter seines Ordens getreu, jede längere
i) Hiflt. UniT. Für. m» 713: „ Kegnaiifa fliilippo Angnsto Lntettiin
ad stodiB prafectDs sab initio oidhus Domimcaiii ei se adsciipeit." ^
BaMt Iii de la France, T. XYIU, p. 462: ,,11 est piobaU^ qne Vmcent
^tait avaat 1220 im des mohiea de oe eonrai"
ZUU ÜESUmCHTE DER ETUIK.
373
Anweeenbeit bei Hofe ablehnte. Yincefiz selber miifls aus
der Verbindung mit der köuit,'lichen Familie einen nach-
haltigen Eindruck erapfaugeu haben, sonst würde er nicht
als Sdiriftsieller f&rsüiche Tugenden und Pfliehteu mit solcher
Vorliebe ins Ange getot, noch der FflrBtenmoral eine be-
sondere Anfinerksamlreit gewidmet baben. Aber nicht eigent-
lich als Prinzenerzieher haben wir ihn zu denken, denn
in dem Vorwort an die Königin Margareta unterscheidet er
sich von dem Lehrmeister des Prinzen Philipp, einem Kleriker
£Smon, sondern nur, wie er selber sagt, als qualisconqne lector,
als Berater und geistlichen Fromid und aufgenommen in den
häuslichen Kreis der Königsfamilie, welcher er durch Predigten
und Vorträge Dienste leistete. Es erklärt sich nun leicht,
dass diese Verbindung literarische Früchte brachte ; abgesehen
von dem im Auftrage der Königin verfossten Erziebungsbfieh-
lein: De institntione regiomm pnerorum, widmete er nachher
1260 dem schmerzlichen Tudi! dos Prinzen Louis ein Trost-
schreibeu (Epistola consolatoria) und handelte in eiuer noch
nngedruckten Abhandlung von der moralischen Unterweisung
des Fürsten (De morali principis institntione) Sein wich-
tigstes literarisches Unternehmen wurde durch den Aufenthalt
zu Royaumont teils aufgehalten teils gefördert; er selber
klagt über verkürzte Müsse, aber er genoss auch den freiesteu
^igang zu der grossen ktoiglichen Bibliothek; daher hatte
Ludwig einen indirecten Anteil an dem Speculum migus, er
' gewährte und berdcherte fOr ihn die literarischen Hfllfemittel,
wenn er auch diesen seinen geistlichen Freund nicht selbst
zu jener Lebensarbeit aui^efordert haben sollte Audi lässt
1) Beigelegt werden ihm noch Libri de gratia, Landes virginis glorioeae,
De Johanne evangelista, mit zwei der obigen Schriften verbunden, BasiL
per Job. Amerbach, 1487. Ein boal)sichtigte8 giossee Werk über Fürst<?n-
stand nnd fürstliches Hans- und Hofgesinde kam in dieser f om nicht
mr AujjfnliruTig.
^) In dem Vorwort zn dem Tractatva oonsolatorios helsst es:
„ Rcgiae majestati vestrae soribeodi fidnciam et ansam mihi praebet sub-
limitatiä vestrae dignatio, qna plcnrniqn», com jnxta beneplacitam
vestnun in monasterio regalis montis ad exerccndnm lectoris offidom
liabitaram, ex ore meo diTinom eloqninm hnmiliter com Bei rererentia
uiyiii^uü Ly Google
374
OA88,
ach nicht mehr ermittelii, in welchen Jahren er sein gream
Werk zom AtiBchliieB brachte , ee mag ihn bis ans Ende
seines Lebens beschäftigt haben, also über die Zeit hinaus, als
K(^nig Ludwig durch sein kriegerisches Vorhaben von der
Ueimat abberufen wurde (1248). Vincenz selbst rauss das
Jahr 1260 flberleht haben, kann aber auch der Wahrschein-
lichkeit nach nidit spftter als um 1270 gestorben sein. Alk
Stimmen sind einig in dem Lobe seines ehrenhaften Charakt^^rs,
welchen man nach dem Geiste seiner Schriften verbürgen
möchte, seiner Sittenreinheit und seines ausdauernden Fleisses,
nnd gewifls war er einer der ehrwürdigsten Repräsentanten
des Donunicanerordens, welcher nachmals den von ihm er-
griffenen Gelehrtenbemf mit Eifer gepflegt, hat.
Zu unserer Aufgabe zuiückkolireiul, bezeichnen wir noch-
mals den Zweck und Organismus des Hauptwerks, dessen Titel
sich an den eines firflheren nnd nicht mehr Torfaandenen: Specn-
Inm sen imago mnndi, anschlieast, nm sodann ein einzelnes Stfick
dieser Wissenschaflslehre für unseren Zweck herauszugreifen.
WcLs universelle Bildung sei, davon hat Vincenz einen hohen
Begriff, sie gilt ihm als geistige Aneignung dessen, was die
Welt in den Kichtnngen der Natur, des £rkennens nnd
der Erfahrung dem sinnbegabten nnd denkenden Menschen
zuführt. Keuutiiis der natürlichen Dinge, Uebersicht aller
Wissens- und Unterrichtsfächer und Sammlung geschichtlicher
Erlebnisse schliessen sieli i^'esetzmfissig an einander an, und
in dieser Folge will das Specolnm m^^ns den ganzen Umkreis
^ menschlicher Wissenschaft durchmessen. Der grosse Gang
durch diese Regionen soll mit den Gegenständen der sinn-
lichen Anschauung beginnen, daher tritt das Naturbild
voran in der Form einer sorgfaltig gegliedei-ten Geschichte
der Schöpfung, eingeteilt nach den Rubriken des Sechstage-
werks und durchaus auf religiösen Voraussetzungen mhend, zu-
gleich in der Beschreibung der ein/A;liien lieiehe so genau, daas
selbst Naturkuudige diese Details zu beachten haben. Aber
Hnsot:i»istiH , nccnon et ilo «criptis nostris, {»rout mihi vcstra benijjnita«
retulit, ciun diligentia jtorleg^istis : iuKii|>«'r cti.uu in siiuij.tiltns ad eadem
scripta coufkicDda liberaliter interduoi uiibi HuUiidia itraebiiiätiB."
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ZUR GESCHICHTE DER ETHIK*
375
aach die Zfige der Trinit&t, der göttlichen EigeDSchafteii und
die Potenzen der Engel und Dämonen sind dem SchOpfimge-
gemälde eingewebt Die dritte Stelle nimmt das Ge-
schichtsbild ein als die Reihe der Gedenkblätter mensch-
licher Schicksale. Daher bleibt für den Lehr Spiegel nur
der mittlere Baum offen als der allgemeine Boden des Wiasena,
auf welchem andi die beiden anderen Ereiee eammt allen
ihren Segmenten und Unterabteilungen Aufnahme finden.
Der Sündenfall hat die Menschheit herabgesetzt und mit
Mühen belastet, aber er hat zugleich hülfireichen Kräften und
edeln Trostmitteln den Zngang erO^en mflsaen. Drei Uebel
schSdIgen das Leben: Unwissenheit, Begehrlichkeit und Schwäche
des Leibes; drei Güter sollen ihm wieder emporhelfen: die
Weisheit als Wissenschaft, die Tugend als Tüchtigkeit und
Kraft, und die Herbeischafiung der zum Dasein notweudigeu
Hfil&mittel (necessitas). Dem Wissen dient die Theorie, der
Tugend die Praxis, dem Natnrbedarf die Mechanik, welcher
es obliegt, die äusseren Män<^el des gegenwärtigen Lebens zu
beherrschen. Es sind ähnliche Gesiclitspunkte, nach welchen
das Mittelalter überhaupt den Weg aus dem Paradiese in die
Welt der Sände, aber anch der Uebnng nnd Anstrengong
sammt allen ihren Erfolgen sn ▼eranschanlichen pflegte, nnd
immer legen sie wieder äm alten Gedanken nahe, dass der
Baum der Erkenntnis ein dunkler Name sei, ein zweideutiges
Gewächs, weil so eutg^eugesetzte Früchte von ihm gepMckt
worden sind.
Auch als Darstelkr des Sittlichen wiU Tlncenz weit
mehr der excerpirende als äear selbständig entwickelnde Schrift-
steller seiu aber sollte sich nicht demioch seineu Sammlungen,
welche das ganze Werk einem Cento ähnlich machen, Sinn,
Farbe und CSharakter aktgewinnen htteen?
Die Moralwissenschalb nimmt das ffinfte und sediste Buch
des Lehrspiegels ein. Ihrem grössten Um&nge nach soll sie in
>) Bemerkenswert für diese theologia naturulis ist beäonders das
19. Buch des Speculura naturale.
2) „Se non per modaui auctoris sed excerptoria nbique pruccJcit;.*'
Vogel, 8. 37. 5G.
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376
OAflS,
drei SiAcke: monostica, oeconomica, poliiica» zerfallen, sodass
zuerst Yon der Selbstffihnu^, dann von der ökonomischeii und
endlicb von der politischen Lei tun l; gehandelt wird; aber nur
der erste Teil bezeichnet die Ethik im ciigerou Sinn Da-
neben wird noch eine andere Einteilung offen gelassen. Das
Gute ist alleiniger Gegenstand der Moial; woher es stamme,
muss zuerst nntersncht, kann aber nur theologisch beantwortet
werden; es soll dann zweitens zunächst in der Erkenntnis
auftreten, sodann als Uelmng und Gewöhnung in der Be-
herrschung des Leihas wirksam sein und endlich als Kraft der
Sele, welche durch Vorschrift und Gesetz alles Schädliche
fem zu halten strebt, woraus sich vier Teile ergeben würden.
Doch hftlt sich der Verfasser an die erstere Bestimmung, seine
Ethik ist die Anleitung, sich selbst dergestalt zu
regieren '-), dass es nichts zu bereuen giebt, dass nichts Un-
erfreuliches, Nachteiliges, Verwerflidies unternommen wird;
und wie einige Denker unserer Tage alles Handeln in Social-
pflicbt auflösen wollen : so soll es sich hier vollständig in der
Selbstpflicht wiederfinden, in ihr ist jede andere Obliegenheit
enthalten. Der Name des Guten, mag er im Denken oder
Wollen, im Wünschen und Begehren hervortreten, bringt
immer denselben Wohllaut mit, immer deutet 'er auf ein
Letztes oder Erstrebenswertes, das durch sich selber Be»
friedigimg verheisst. Allein aus der Menge des Wünschens-
werten , dessen Besitz jede vorangegangene Anstrengung
durch Freude belohnt, hebt sich das Sittliche als honestum
doch wieder als eine selbständige Bealitftt hemus, und dieses
allein haben schon die Stoiker für das Oute erklftrt. CScero
definirt die Tugend als den vollkommenen Inhegrifl' dessen,
was der Natur als Same eingepflanzt sei; schon darum wird
sb von allen als höchster Gegenstand der liebe gepriesen,
1) Vgl. Spec. düctr. V, die ersten Artikel.
*) Spec. dactr. V, 1 : ,, Ktliica i. o. umralifl bIvc monostica (nicht
monastica) est Kcientia, quae sui curani gercns cuiictis sese origit et
eiomat virtutibus, nihil in vita admittoiis , (jao non gaudeat, iiihilque
faciens puciiitcndum." Das Wort raonostica wird hergeleitet aus moiios,
quod est soIuh, et icos, quod est scicntia (!!). Griechisch ist nur ein Ad-
jccÜviuu fioytanutosy dieses aber in niünchischer Bedeutung nachzuweisen.
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ZÜB QE8CHICHTB DER ETHIK.
377
erforscht und nach ihren vier wichtigsten Gestalteu abge-
bildet; allein es reicht nicht aus, sie zu rühmen, ehe sie nicht
selber in uns wirkt, ihr eignes Frädicat soll auf unser Werk
ubergehen. An dieser Stelle ergi*eift Aristoteles das Lehramt,
indem er nachweist, das^s Tugenden durch blosse Naturanlage
noch nicht zustande kommen, sondern erst durch Willens-
tätigkeit, Uebung und Gewöhnung (virtus consnetudinalis) er-
worben werden, indem dch aus der Aehnlichkeit vieler Hand-
lungen eine sittliche Fertigkeit in uns befestigt Und ferner
ist es niemals eine einzige Bewegungsart, welche das sittliche
Vermögen hervorbringt; niemand wird tugendhaft, wenn er
lediglich nach der einen Seite hin zustrebt, während er nach
der andern nur zurückweicht und flieht, nein er muss beides
können, mnss mit dem Streben auch den richtigen Widerstand
verbinden, um im Gleicligewicht vorwärts v.u geiion. Triebe
und Aüecte regen sieb in ihm, ohne ilm darum gut zu machen,
er wird es erst, wenn er jenen Anwandelungen g^nfiber den
richtigen Habitus entwickelt. Die wahre Tugend ist nach
Aristoteles die K^^nnerin, P Hegerin* und Erfaalterin einer mitt-
leren Richtiin^^ der Tätigkeit, welclie sich gegen den
doppelten Fehler hier des Excesses und dort des Mangels oder
Defidts mit Sicherheit abgrenzt Auf diesem Boden behauptet
sie ihre Würde und Freihmt, denn alle Tugend ist freiwillig
und giebt umsonst, statt Lohn zu fordern (mereenaria), könig-
lich in ihrem Walten (regia), übcrlasst sie es den LuÄtern,
knechtisch einherzugehen
Durch diese wohlbekannte Pforte Aristotelischer Begriffe
gelangt der Sammler auf den weiten Pten, wo ihm Tugenden
und Untugenden in ganzen Scharen begegnen; er ginippirt
sie nach \ier Haufen, welche von je einer Cardinal tugend an-
geführt werden, er lässt die intellektuellen vorangehen und
die mehr praktischen folgen *), Allein diese Einschnitte gelten
nur ungefÜur, die Ordnung ist locker, auch werden vieliiEush
1) IMd. y, 10—17. De virtate consnetadinftli et quod ipea sit
habitoB. — De modo et difficnltate oosmstendi in roedio.
Ibid. e* 18. De qnatiior virtutibiis cardinalibiu.
2«itMlir. f. K.-0. 26
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378
GASS,
bloss sittliche Zustande, Neigiint^en, Lcidcnsch?*'ten idugcmischt.
Weun fast überall die vorcbristlicben Stimmen die Vorband
haben, so merkt mau doch sofort, dass die Liste im chrijst-
liehen Intfiresse aufgestellt imd an^geföllt ist, denn sie ver-
weilt mit besonderer Vorliebe bei dem Lobe der Frömmigkeit,
Siinrtiiuit, MildUitigkcit, Eintracht, Geduld, Koiisclibcit und
bei dem Tadel der Ruhmsucht, Prahlerei, Heuchelei, Traurig-
keit, Ungeduld and Sinnenlast, and nennt sogar die mönchische
Acedia, die ans später noch beschäftigen wird. Aach
SelbBtgenuq[Bamkeit and freiwillige Armut sollen gleiehsam
heidnisch, d. h. durch Zustimmung eines Dioc^enes und Epicur
accreditirt werden. Zugleich verrät sich Viucenz als wohl-
kandiger Pädagoge, denn er belehrt ans, dass jede Tagend
mit einer Lebensknnst verbunden sein muss, weil es stets
darauf ankommt, sie den IJmstftnden durch „Discretion*^ an-
zupassen und den richtigen Zeiti>unkt zu ergreifen, dass ferner
der erscheinende Mensch stets der Ausdruck des innerlich er-
regten sei
Das folgende sechste Buch gebt von den Mitteln per»
söplicber Selbstregienni<( zu den allgemeinen, nttlichen Zu-
SLÜudtMi und Tätigkeiten über, wie sie durch Stand, Geschlecht
und Lebensalter bedingt werden. Wie der Fürst in der freien
Verbindung von Langmut und Kraft seine schönste Unter-
stützung findet, — Eigenschaften, die dann auch auf seine
Umgebung übergehen werden: so müssen alle Lebenslagen
ihren lioitra":? zum Wachstum des Guten liefern. Doch ist
dieses Ziel nur unter den giössten Scliwierigkeiten erreich l)ar;
nach Augustin hat das Schlechte überall die Vorhand,
jedem Starken ist ein Schwaches, jedem Guten ein Verwerf-
liches vorangegangen ; das Zeitalter stellt eine Vervielfältigung
des Unrechts dar, weil jede Freiheit zur Licenz der Sünde
geworden ist und alle Fehler sich in die GestaH der Tugen-
den kleiden. Sitten könneii daher nur fortschreiten, wenn die
zuvor herrschend gewordenen Unsitten an^rottet^ wenn selbst
1) Und. y, 29. 177: „De rignis eiterioiibiifl intetioris meotis har
bitiis, — foimido paUet, robet ira» raperbia tuiget."
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9EUB GESCHICHTE DER EKHK.
379
geringere Sönden Temiiedeii werdeo, wenn Busae and Umkehr
eine eingeriaaene NachlSasigkeit heilsain unterbrechen. Jeder
soll sich selbst gehören und seines Leibes Herr werden, um
zur Einheit des guten Wandels zu gelangen , und er veriuag
es nur, sobald er auf die inuern Zeugnisse seines Gemüts
achtet, imd nSchstdem mnss er auch äussere Helfer und Be-
urteUer zur Teilnahme an sich henumehen. So entsteht
das „sociale Leben" mit Verkehr und Wechselwirkung und
mit AbwechseluiiLron von liuhe und Arbeit. Studium, Nach-
denken und Unterricht sind die Hebel sittlich - persönlicher
Bildung, aber erst unter Zutritt der Selbsterkenntnis
werden sie zu eiaee Harmonie von Leben und Lehre, von
Empfangenem und Selbstgegebenem hinleiten. Auch die Natur-
betrachtung wirkt erhebend auf das Gemüt Der ößent-
liche Nutzen ist dem Privatvorteil vorzuziehen; nur durch
Schätzung engerer und allgemeinerer Verbindungen können
Eintracht, Gemeinsamkeit und Freundschaft gedeihen. Alle
übrigen Güter bedürfen einer ernsten l*rüfimg ihres Wertes
oder Scheinwertes ; Macht, Ktihni und lieichtum werden auch
zu Uebeln, die Armut bringt Segnungen, Glück und Unglück
schaffen nicht immer was sie bedeuten, sie haben ein Doppel-
antlitz und können ihre Bollen vertauschen. Bei der GrOsse
dessen, was uns obliegt, scheint sich der Tod allzu früh ein-
zustellen, und dennoch ist es häufig Unseligkeit und üeber-
druss am Irdischen, was die Sele schon vor ilim im Zeiten-
laufe empfindet Auf diese Weise entstehen schwierige und
schwankende Erwägungen, und nur derjenige fiberwindet aUe
Täuschungen, der den Tod wie alles Vergängliche des Daseins
gerinj^scliätzeu, den waliren und schon diesseitigen Segen der
Gerechtigkeit verstehen lernt und bei der Hofi^ung der Un-
sterblichkeit anlangt
ffiemit will Yincenz den ganzen üm&ng der praktischen
Lebensweisheit und der scieniaa monostica uni8(;hri€bon haben.
Von den ersten natürlichen B^ungen au durch alle seine
1) Spec. doctr. VI. 63: De spoctaculiy nutiirac; der Wert des
Naturgen iLsscs, dcs^s. ii Am rkciimmg man jetzt hu gern der Neuzeit allein
viadicircu luüelite, wird hier atark geuug hervurgehoben.
26*
380
OAflS,
persönlichen und gerne inscbaftlichen Aeusserungen , Obliegen-
heiten und Stadien verfolgt er den sittlichen Trieb bis dabin,
wo der Mensch von Leid und Freude and jedem Wechsel
hin- und liergewori<Mi, seine letzte Sehnsu<;ht aus jedem Ver-
bände mit irdischen Gütern losreisst. Dazwischen liegen gegen
:^oo Kubriken, man darf sie zwar kein System« aber in ihrem
Zusammenhange eine Nomenclatur der Ethik nennen.
Wir haben die Men^e der üeberschriffcen dieses Ab-
schnitte mit l»L'iiiitziing der nicisicn Monienii' in einen Ibrt^
laufenden Gedankentaden aufnehmen woUen, der dann in der
Tat ziemlich weit reicht. Wer alle diese Gesichtspunkte
übersah, dessen Blick musste über die Mönchszelle hinans-
gehen , das Werden und Wachsen des Sittlichen , dessen
Hemmungen und Förderungen musst^n ihm im grossen vor
Augen stehen; man erkennt den Verla.ssir dos Erziehuugs-
buches wieder. Nun wolle der Leser die Fülle der Beleg- '
stellen hinzudenken; Dichter und Philosophen melden nch
abwechselnd zum Wort, der Mehrzahl nach Heiden, die wir
unmöglich all«' aufzählen können. Die Griechen sind natür-
lich schwach vertreten; Plato wird selten genannt, häufiger
Sokrates, die Stoiker und besonders Aristoteles, der
jedoch hier noch nicht der Philosoph schlechtweg genannt
und dessen filtere Ethik von der neuen, d. h. der damals erst
iM'kannt gewordeiu^n Nikomachischen , unterschieden wird.
Unter den Lateinern stellen Cicero, Qi^i'^^tilian , Macrobius,
Varro, Valerius Maximus, Plinius, Boethius das stärkste
Gontingent; von den lateinischen Dichtem möchte kaum einer
fehlen, Lucan, Tibull, Juvenal, Horaz, Martiat, Plautos, Terenz,
Persius, Statius u. v. A. werden ausgebeutet, auch die christ-
liehen Dichter wie .luvencus, Sidonius, Prüden tius vieltäch be-
nutzt. Aus der Beihe der Kirchenscbriftstelier werden Lao-
tanz, Augustin, Hieronymus, Hildebert, Bichard hauptsftchlich,
doch mit Ausschluss aller Bibelstellen, herbeigezogen. Ton
Philologen ist dieser Citatenrei( htum längst tlurchnmstert
worden, weil er teüs vergleiciienswerte Texte darbietet , t^ils
Folgeningen erlaubt in Bezug auf den damaligen üm&ng der
klassischen Lectfire. Was ein einzelner unermfidlicher Leser
wirklich erreichen konnte, mnss im allgemeinen doch zu-
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ZUB 0ESCHICHTB DER ETrEOK
MIHI
381
gftnglich gewesen sein; aach anderweitig hat sich ja ans
neueren Forschungen ergeben, dass das philologische Studium
in eiiii^^'on Schulen des Mittelalters weiter reichte als früher
angenoniiiien worden und als man bei der überraschenden
Neuheit des späteren Humanismus wahrscheinlich finden
mochte. Uns hingegen li^n hier einige andere £rw9gungen
nahe.
iMiL sichtlichem WuLlgefallcu schöpft Vincenz aus dem
breiten Strome der Weltliteratur; wo so viele und so helle
Stimmen laut werden, hält er gern die seinige zurück. Die
zusammengehäuften Auszflge stellen einen oonsensus gentium
et aetatum dar, der his in den inneren Kreis christlicher Ge-
danken reicht, also den Unterschied des Christlichen und Vor-
christlichen zurücktreten liisst, zumal wenn die feineren Grenz-
linien unnntersucht bleiben. Dass moralische Sätze weit leichter
ab Lehrbestimmungen fAr ähnlich oder selbst fßr unterschieds-
los erklärt werden können, selbst wenn sie es nicht sind,
ist eine Tatsache. Gegen Ende des 6. Buches lautet Nr. 128
die Ueberschrift : De couteraptu mundi, womit nach der Kir-
chensprache die Erhebung des Geistlichen über das Säculare
oder Weltliche gemeint war. Für diesen Grundsatz kOnnen
freilich weder Empedokles, wenn er die Verachtung eines
momentanen Ueherflusses eniptiehlt, noch auch Cicero, wenn
er rät, die Fruchte der Gegenwart gering zu schätzen in
Hoffnung auf den Erfolg, den die Nachwelt verheisst, als Ge-
währsmänner dienen. .Etwas Anklingendes sagen sie aber
doch und sind schon darum nnserm Schriftsteller willkommen,
welcher damit Gelegenheit erhält, den Umkreis des Gemein-
samen weiter vorzurücken. Und ähnlich verhält es sich mit
dem Artikel Nr. 120: De fortuna, wo Terenz und Cicero über
die Hinfälligkeit des Qlflcks und Ober die Bedingungen einer
„gewissen** schon im Diesseits erreichbaren BeMedigimg zu
Gehör kommen. Diesmal aber fügt Vincenz ausdrücklich
hinzu, dass jene Männer, obgleich der göttlichen Gnade un-
teilhaftig und des rechten Glaubens entbehrend, dennoch durch
einen Zug der natürlichen Vernunft bewogen worden seien, •
auf die vergänglichen Gaben der Zeit herabsehend, den Tugen-
den nachzujagen, von ihrem Erwerb Glückseligkeit und VoU-
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■
382
GASS,
komnieiiheit zu erwarten nnd mit noch höheren Hofi&iiiiigen
sich der Zukunft nach dem Tode zu «,'ctrösten »).
So sagt Vincenz Kt'legentlich und sein eiufjicher raenschen-
Iroundlicher Sinn liess es ihn unbefangen aussprechen; för
die Ethik lag darin die Kechtferfcigang seines ganzen Unter-
nehmens. Die Literatur bot einen ansehnlichen Vorrat mo-
raÜBcher Gemeinplätze, und diese sollten, nur nach Rubriken
geteüt, wie auf einer Fläche sich ausbreiten, damit eine üui-
schau möglicli werde über alles, was der sittlich angelegte
Menschengeist aus sich selber geschöpft, der christlich ge-
weckte aber bestätigt oder schärfer bestimmt bat Und mit
dieser AufiEassung trat Vincenz noch nicht aus seiner Kirche
heraus. Man nenne das Mittelalter exelusiv, herrisch, zur
Verdammung und Verfolgung aUes fremdartigen bereit; es
war dies alles im hohen Grade, nur in praktischer nnd m<K
lalis. her Beziehung zeigte es sich zugleich empfänglich nnd
weitherzig, denn es folgte dem Triebe einer Univei salitat, weh he
alles in sich anfhehmen will, was d^n Zwecken der Menscben-
erziehung Dienste zu leisten verspricht.
Dei Abbe Bourgeat benutzt unsren SchriftsteUer, um seine
eigne schroff katholische und antiprotestantische Glaubens-
Philosophie aus ihm herzuleiten. Er nennt Vincenz den Be-
kenner eines primitiven und universalen Ciiristentums, denn
wie er die Idee der Einheit Gottes schon in der antiken
Weltweisheit augedeutet gefunden: so sei er Oberhaupt bestrebt
gewesen, die Früchte des Menschengeistes und dessen Erleb-
nisse in ihrer Vereinbarung mit den Zwecken der Olld.harunrr
nnd Kirche nachzuweisen. Schrift, Tradition mid Vernmilt, statt
w feindliche Mächte zu zeriaUen, sollen auf einen gemein-
») VI, J2(): „Nam et ipsi, qiuunvis giatiao divinao ^'ratilicantis
enortes rectacjue «dd ex,M,frs essor.t . .juo.lain (a.uen natiirali rationis
daetn, ^ qno otiam lüulta vcra uniun dciUti« aotemitak et ani-
manmi pori>etuitatc sonscrunt ut^ue scrii.s..runt . - ista fortunae booa
▼ana et caduca despicicnti'« . virtntum formaiu ex parto secUbant per
quam etiam ad fclicitatom cont.iulol.ant. quam ttian, in praesenti vita
Tirtutmn perfectione so adcptos vel aUepturos pataUant ot de futura sibi
pOBt rnoitem blandicbaut.**
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zuic a£;iäcuicu'rii: der etiuk.
383
samen Boden geleitet und von demselben Interesse einer christ-
lichen Gesaumitphilosophie iimfasst werden. Die Tradition
drückt selber nur ein Naturgesetz aus, es ist verkehrt, sie der
Bibel oder der Vernunft entgegenzusetzeii , — so urteilt
Boorgeat ^). Bin primitiveB Christentam finde ich bei Yinoenz
nirj^ends angesprochen, ausser in dem Sinne, in welchem es
die Kirchenväter längst anerkannt liattcn. Darin aber hat der
Genauute gewiss Recht, dass Viuceuz eine möglichste Aus-
dehnung wisseiischaiUicher Erkenntnis innerhalb der kirch-
lichen Schranken einbflrgem wollte. Nicht blosse Lesesucht
und Sammlerfieiss machten ihn zum Encyklopädisten, sondern
er folgte dal)ei einer enisteren Gesinnung. Der kirchlichen
Ueberlieferuug getreu, wollte er diese mit dem allgemeinen
Strom einer alten und neueren literarischen Tradition nm-
L/cben, damit beides innerhalb des kirchlichen Eatholiciamus
zur Vei wonduiii; i(i hinge. Natur und Lehre und Gescliichte
werden für ihn zu Abteilungen eines einzigen grossen Spie-
gelbildes der Wissenschaft, und diese soll sich der Kirche
überlassen, weil sie keinen höheren Beruf haben kann, als
von ihrem Standpunkt aus überschaut, gepflegt und verwsütet
zu werden. Vincenz übte dieses literari.sclie Amt mit Weit-
herzigkeit, und er berührte sich dabei mit den Tendenzen des
kirchlichen Mittelalters selber, welches bei aller ricliterliclien
Strenge doch die Neigung hatte, allen geistigen Vorräten
und Verrnftchtnlssen ein Unterkommen m gewfihren. Am
meisten über ei-schieneu die Materialien der Moral zur Auf-
nahme geeignet, denn iu dieser Richtung bot, was alte und
neuere Gewährsmänner, vorchristliche und christliche Dichter
und Schriftsteller bezeugt, so viele verwandte Anklänge, dass
es nch id eine harmonische Gedankenreihe von humanistischer
und zugleich kirchlicher Herkunft zusammenfügen Hess.
Ich meine, wir dürfen noch einen Schritt weiter gehen,
indem wir auf die Entstehung einer gemeinchristlichen £thik
zurfickblicken. Das Christentum hat ein neues Gottes- und
Selbstgef&hl geschaffen und eine andre Weltansicht hervor-
Boargoat, £tadM vor V. de B.,
384
GASSf
gebracht, aber es hat weder eine alleingültige Psychologie
einiget ührt, denn auch das Dogma ist niclit vuii oiner einzigen
psychologischen oder physiologischen Vomussetzung abliuiigig
gewordeu, noch hat es die allgemeine Natur- oder Lebens-
ordnimg mit einer anderen vertauschen wollen. Soweit also
die vorhandenen sittlichen BegrÜFe ans der Erklftmng der
Selenkrfifte hervorgingen oder auf den Fortbestand i^finoii)-
sanier iiatürliclier oder bürgerlicher Rechte oder Verpiiich-
tungen hiDgerichtct waren, konnte sich ihnen die christliche
Lehre so wenig wie den wissenschaftlichen Bildlingsmitteln
auf die Länge verschliessen ; indem die Gemeinschafk sich er-
weiterte, trat sie in den Bereich längst aneikannti-r Ptliclit-
uud Kraftfibungen ein, die sich wolil modificiren und anders
wenden . aber niclit beseitigen liesaen. Die Sittlichkeit der
ersten Jahrhunderte ist eigentlich nur das Wirkenlassen des
Glanbens und der Liebe; das verdflsterte Weltbild wird ge-
einigt, Natur und Freiheit gesondert, das Irdische dem
Geistigen unterworfen, der Wert des Sinnlichen beschränkt;
ein waiires Gut soll alle andren vergessen lassen; wo Glaube
und Heiligung regieren, hat die irdische Sorge ihre Kraft,
die Sinnenlust ihren Reiz, der Tod seine Sehrecken verloren.
Später aber reichte dieses Thema nicht mehr aus, der Ein-
tritt in die Welt forderte zahlreiche andre gemeinsame
Leistungen oder Fertigkeiten, es waren die Officien, von
denen Ambrosius wortspielend bemerkt, quae nulU ofiiciant,
prosiut Omnibus Die Schrift des Ambrosius: De oflSciis
ministrorum, ist in dieser Beziehung ebenso historisch merk-
würdig, wie sie der Gesinnun«: ihres Urhebeis l'Uire niacht;
wie Ambrosius von der Herkunft eines ehrenhaft erzogeneu
Kömers aus sich die praktischen Eigenschaften eines christ-
lichen Lehrersund Bisehofs anbildete: so soll der antike Pfücht-
charakter ohne Bruch auf den neuen Boden verpflanzt werden.
„Niemand wähne", behauptet Ambrosius, „duss die g^eu-
M A itihro s. . Dooflic. ininistr. 1, S: „ Noe ratio ij)sa ablioiTot, quan-
doquidoiu olliciuin ab efiiciendo dictuoi putaiiius . .nuisi « IHcium, sed
proj)k-r docoR'iQ sfniionis nna iinmutatu litera oflicium uuacu|»ari« vel
ccrtc ut ca sl^slh, (|U£kü duIü oüiciaut, prguint uomibuB/*
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ZUK OESCmCmE J>£R ETHIK
385
s»Mti^'e Unterstützmii;" <l;inini wonit^or notwendig sei, weil Gott
für alle sorgen will." Cicero wird bei diesor Bearbeitung der
Moral niamals bei Seite gelegt^), aber die Tugenden, welche
er empfiehlt, geboren nach seiner ErUftrung nicht der alten
Schule allein an, sondern weisen ein noch Slteres biblisches
Gebiirtsreclit nach, indem sie nacli allen Seiten auf das Ge-
ziemende, Gemeiuüützige und auf deu zur Vollkoiumen-
heit bezogen werden. Honestnm, decormn, verecnndia, bene-
ficientia, modestia, liberalitas, benevolentia, castitas, — alle
diese Namen werden willkommengeheissen und verwertet, in
iliruMi verzweigt sich der Stamm der virtutes cardinales,
welclie in der Mitte stehen und von Ambrosius zuerst ange-
legentlich erwogen und christlich interpretirt werden. Die
Klugheit wird zum sittlichen Verstand, zur Frömmigkeit, die
Tapferkeit wftchst an Inhalt und Bestimmung, denn sie soll
im Hause wie im Felde regieren und ih^ii Kampf mit iil]»n
l'eindbeligeu Gewalten des rieisches bestehen; auch die Aus-
dauer ist Tapferkeit, auch die kräftige Befehdnng der Leiden-
schaften stellt den christlichen Athleten dar. Nicht weniger
muss die Gerechtigkeit als der innere Massstab ffir jede Gebür,
die Massigimg als Sorge für das Angemessene und Wohl-
tuende sich entwickeln. Allerdings hatte Ambrosius zunächst
die Obliegenheiten der Kleriker im Auge, aber der Inhalt
seiner Pflichteidehre beansprucht zugleich eine a%emeine
Gflltigkeit; Vergleichungen und Beziehimgen auf alle Öffent-
lichen Bedürfnisse des Volkerlebens und der staatlichen Ord-
nung boten sich ohne Schwierigkeit dar.
Eine Schrift, kenihaft wie diese, verdiente sehr wohl als
Trieb eines neuen kirchlichen Literatnrzweiges fortxawirken,
sie wurde im Abendlande die Grundlage einer klassisch be-
nannten, aber keineswegs heidniscli gemeinten Muiultheologie,
welcher um ihrer praktischen Wiclitigkeit willen auch von
den Vertretern ' der strengen Kirchlichkeit der Zugang nicht
versagt werden konnte. Und neben ihr entstand eine andere
1) J. Draesecke, M. Tnllü Cicenmls et Ambniflii de offieüslibri
inter se comparantiir. Aug. Tanr. Loescber, 1875.
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386
GASS,
oiigor umschräukte, denn auch aus dem mönchischen
Princip der fiotBagong, des Gehonams und der Welüosig-
keit ergab sieb eine Anzahl von Stichworten und Regeln, die
einen gewissen Ausbau und Alibchluss in sich selbst suchten.
Daher selien wir z weie rle i Traditionen neben einander fort-
geben, die eine der asketiscli gesteigerten, die andere der
gleichsam weltlichen und doch christlich anzuerkemienden Moral;
sie Hessen sich weder zusammen leiten noch völlig trennen,
die bekannte Unterscheidung der Vorschriften und der evan-
gelischen Ratschläge war die natürliche Folge des doppelten
Bestandes. Beiderlei Uandlungsweisen forderten ihre eigne
Pflege, die mönchischen Satzungen gestatteten keine Erwei-
terung; wohl aber konnten jene andern Anweisungen immer
mehr in die Breite anwachsen und Verwandt(?s an sich ziehen
bis znr Berührung mit dem asketischen Standpunkt.
Auch von andern Seiten wurde der Apparat der sittlichen
Betrachtangen bereichert. Apologeten wie Lactanz waren ge-
neigt, den ganzen cbristlidien Wandel unter den Gesichts-
punkt einer von Christus selber angeführten höheren Ptliclil-
und Tugendübung zu stellen Prudontius, obgleich weit
fester als jener mit dem Dogma verbunden, bewegt sich gern
auf diesem Gebiet; er widmet der „Psychomachie** ein höchst
rhetorisches Gedicht, indem er die Sele als kampfgerüstet
denkt; Glaube, Schani luittigkpit, Nüchternheit, Wohltätigkeit
heissen ihre Wallen , und mit ihnen hat sie die feindiicheu
Anlftufe der Götzendieneiei , der Wollust, des Zornes, der
Schwelgerei und des Geizes zurückzuweisen Man gewühnte
sich auf mancherlei Art an die Zusammenstellung solcher
Kräfte oder Gefahren. Diese ganze Hochschätzung dessen,
was der Mensch aus eignem Wollen zu leisten unternimmt,
geriet allerdings nachher mit der veiBchftrften Sündentheorie
in OoUision; denn wenn der sündhaft yerderbten Menschen-
natiu- das Vermögen überhaupt abgesprochen wird*, von sieb
aus etwas Gutes zu vollbringen: so scheint damit der Tugend-
lehre der Baum, dessen sie zu ihrer Begründung bedarf, ent-
*) Lact., Divin. inslif utionr.ii Lib. IV, c. 26.
*) Prudcutü *iuac cxsUut cd. Ccllurius, p.
ZUK GE^mCUTU DER BTIOK.
387
zogen zu wertloii. GleichwoliI hat sie sich auch in dieser
Weiitlung aufrecht erhalteu. Im ßewusstseiii seiner sündhaften
Schwäche vermag der Mensch auf Iluhm und Verdienst zu
Temchten, indem er einen höheren (Jeist als das eigentlich
Treihende und Producfcive in sich anerkennt; aher daians fo\\^
immer noch nicht, dass er auch die Täti}:(keitsfonncu, welche
ihm eine uneutHiehbare praktische Notwendigkeit vor Augen
stellt, und die durch ihre Namen schon anfeaemd auf sein
Selbstgefühl wirken, als nichtssagend beiseite zu legen hätte.
Die antiken Cardinaltugenden haben die Wand durchbrochen,
welche ihnen der schrofle Aut^ustinisnms entgegen hielt.
Augustiu ist selber der beste Zeuge, bei aller Einseitigkeit
war er ein zu universeller Kopf, um das Feld der sittlichen
Begriffe neben den religiösen unbebaut zu lassen. Tugend
und Pflicht, um sich allseitig zu entfalten, fordern eine
Mehrheit der Inipnlse und Willensbesiiiiiniungen, auch setzen
sie jederzeit eine Selbstknift von Seiten de» Täters voraus.
Diese bestreitet Augustiu, er hat daher grosse Schwierigkeit,
jene einfache Gestalt sittlicher Selbstbetätigung, deren Lihalt
er nicht entbehren will, in sein religi(}8es Sjstem auftunehmen.
Dennoch schliesst auch er sich an die überlieferten Namen
an, um die menschlichen Willenskräfte durch das christliche
Geistesprincip zu beseien; es ist die Liebe, in der sie ihr
einheitliches Band emp&ngen sollen. Die Liebe soll als Ein-
heit aller sittlichen Tugend erstarken, und sie vermag es,
wenn sie mit besonnener Mässigung sich ihrem Gegenstand
hingiebt, wenn sie duldend und tapfer im Kampfe ausharrt,
wenn sie mit gottabulicher Gerechtigkeit die menschlichen
Dinge beherrscht und endlich als Klugheit einer sittUdien
Zweckmässigkeit in allem Handeln Vorschub leistet. Es war
Beides möglich, entweder das christliche Princip in jene vier
Formen und Arten einzuführen, oder diese dergestalt zu steigern
und zu erweitem, dass sie mit ihm zusammentrafen, mochte
auch in beiden Ffillen noch ein disparates Verhältnis übrig
bleiben. Weniger als Augustin war Gregor der Grosse durch
dofifmatische Voraussetzungen gehemmt, er muss als der
eigentliche Fortsetzer der Püichtenlehi'e des Ambrosius be-
trachtet werden, und seine Moralia werden durch den pirak-
388
GASS,
tiscben Zweck des SchriftstellerB auf eine Menge kirchlicher
Obliege uheiten bingeleitet
Das ganze Lchnstück war iiiiinor noch sehr im Worden,
befand sich aber seitdem doch auf einer uDangefoclilcuen
Bahn. In den Sentenzen des laidorns erscheint das Material
bedeutend erweiteri Indem die Tagend sich ihr eignes Ge-
genteil im Seite stellt, wird es n^tig, zwei entgcgengesetste
Kichtungi'n zu übersehen. Die systematische Anlage fehlt
durchaus, doch wird im einzeluea geordnet, gruppirt und
combinirt* Die Sünden zerfallen in schwere und leichtere«
in öffentliche und geheime; es rouss gesagt werden, welchen
Anteil das Denken und das Wort, die Sinnlichkeit und
Macht der Gewohnheit und das Gewissen an der Handlungs-
weise habe. Die Absicht und Oosinnung des Handelns, iii-
tentio animi <), hatte schon Augustin als das Unterscheidende
herroigehoben, fortan bleibt sie als der allein richtige Wert-
messer aller Wirksamkeit stehen. Und ebenso bedarf jedes
Betragen, soweit es auf Personen Beziehung hat, der persön-
lichen Anwendung, es ist eine „Discrotion durch die
es erst löblich und heilsam wird Fehler und Tugenden
haben beide ihren eignen innem Natorverband, sie entspringen
aus einander und sammeln sich wie feindliche Streitkrftfte,
aber der Kampf, den sie eröffnen, bleil)t ein ungleich-
artiger, weil jene weit leichter als diese von Statten gehen.
Fehler werden durch Täuschungen und sinnliche Beize be-
günstigt, Tugenden fordern Anstrengong, auch steigert sich
dadurch das Unheil, dass die erstem häufig in der Gestalt
der and(M-n einhorgehon, oder dass Tugenden bei indiscreter
Ausführung selbst wieder zu Sünden werden. Von den Men-
schen muss gesagt werden, dass sie ans der Tugend selber
ihre Sünde nähren, an der sie znletzt zu Grunde gehen,
') S, N call der, Vorl«'sunj;t'T) über die (leschicbtc der cliristlichcu
Ethik, S. 228ir. Wuttke, Sittenlehre, lid. I (1. Aufl ), S. 139ff.
^) Isiduri St.iitentiar. lih. II. e. 27: ..Oculus honiinis int.ritia
operis ejus est. Si «Tgo intentio ejus bona est. » t opus inteiitionis ipsius
büiittüi est. — lJuna est or^^o int iitio. quiui proptcr Deoiu eöt, iiial;^
vuro, quae pro t<Treno hu ro aat vauu gloria est."
3) lUid. Ub. III, c. 4U.
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ZUR OESCHICnTE DER ETHIK*
389
während es Gott öberlaaaen ist, aus dem menschlichen Abfall
vermöge seiner allmächtigen Kunst wieder rettende Kräfte zn
erwecken Solche Bemerkungen leiteten schon tiefer in das
Innere ethischer Botrachtun<^ , (hiin ljon wird wieder alU's
locker. Auf eine bunte Mischuug sittlicher Uebungcn folgen
gewisse Hülfsmittel zur Ueberwindung des Unsittlichen, wie
Gebet, Gontemplation und Lection; dann f&hrt die Bede zu
den Verbindlichkeiten des MOnchslebens, bis zuletzt kirchliche,
bürgerliche und reclitliche Ordnungen, Zucht luid Gehorsam
an die Keihe koninien. Als Lasternauien werden, obgleich
noch ohne bestimmte Zählung, vornehmlich jactautia, invidia,
superbia, gula, cupiditas vorgeführt; zur Beurteilung des
Rechten dient zweierlei, intentio und discretio. Er^^fTnet wird
die Gedankeiitulge durch Sentenzen über VVeiaheit, Glaube,
Liebe und Gnade.
Einige spätere gleichartige Schriften zeigen schon einen
festeren KOrper. Alcuin war strenger Katholiker und lässt
den vorchristlichen Hintergrund vergessen; sein kurzes mora-
lisches HandbiK lih'in beschreibt den Verlauf, weldier vom
Glauben aus durch Busse, Bekehrung, Fasten, Almosen und im
Kampfe mit den acht Formen der Sönde zum persönlichen
Besitz des Guten fahrt*); das Ziel ist herrlich, denn es ist
die Tugend selber als rechte Besehaffenheit. der Sele, Zierde
der Natur, Zweck des Lebens, Fnirnmigkeit der Sitten, Cultus
der Gottheit, Khre des Menschen, Verdienst zur ewigen Selig-
keit Kirchlich war sie damit vollkommen gerechtfertigt, mit
den Ehren der Beligion sollte sich der Wert persönlicher
Heiligung und Tfichtigkoit, ja der Adel der Natur selber
auf sie fibertragen. Ein Charakter der Verdienstliclikeit, ob-
gleich früher verpönt, stciitc sich bald genug wieder ein.
Ausführlich und in allgemeinerem Sinn wird das Thema etwas
1) Ibid. lih. II, c. 33 sqq.
2) Alcnini De virtntibus et viciis, c. 14: „De non tardando con-
vrrti '.u\ Douii). — Forte roKpondes; cras cras. O vox corvina! Corvus
non rtdit ad ai( am. odiiinba redit."
3) Ibid. c. .Ho: Virtus est aninii liabitus, iiatiirae deciiH, vitac
ratio, nioruni pictas, eultus divinitatis, bonor hominis, aeteruat; beatitu-
diuis mcrituui«"
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390
später von Rhabanus Maunis behandelt. Der menschliclie
Wandel gloi< lit einer Keiuibahii um den höchsten Preis, seit
Adam das Paradies verlassen nrassto, haben sich verderbliche
Feinde dem Heile seines Geschlechts entgegengeworfen, acht
an der Zahl and jeder mit einem grossen Gefolge hinter sich.
Mag die Tiiulo schon die ererbten Goljrocben und Verschul-
dungen getilgt haben: so befindet sich docli jeder Christ im
gleichen Falle; kaum in die Jahre der Reife eingetreten,
sieht er sich jenen anheilvollen Angriffen ansgesetzt, jeder
böse Dämon fordert Waffen zur Abwehr, so viel Streiche und
Wunden, so viel Heilmittel sind erforderlich. Es gilt allen
dämonischen Anfallen die Spitze zu bieten, aber möglich wird
dies erst unter einer kirchlich-asketischen Uebnng (conveisatio
religiosa) nnd sodann durch eine contemplative, Aber die Welt
der Erscheinungen und Genüsse erhobene Geistestätigkeit.
Der Glaube mit seinen christlichen Folgerunf^en erfiffnet den
Weg zur Tugend. Diese aber kann nicht genug gepriesen
werden; „alle Tngend^S sagt Bhabanns, „ist heilige ein gött-
liches Ding, nnkörperlich nnd rein^S selbst nnlantere Ge-
müter vermögen sie nicht zu schädigen, werden vielmehr
von ihr gebessert; durch ihren Anteil wird das Schwache
gestärkt, das Todte aufgerichtet, das Kranke geheilt, das
Feindliche versöhnt, Leib nnd Sele geheiligt Niemand be-
sitzt sie als aus Gott, aber nnfreiwillig wird sie auch keiner
orhiiigoii und keiner verlieren, den nicht der eigne "Wille
darum betrugen hat*). „Dass aber", falirt der Schriftsteller
fort, „vier principale Tugenden anzunehmen seien, haben
die Philosophen l&ngst gewosst und die Dnsrigen bestätigt,
auch kann niemandem das Sacrament der Vierzahl unbekannt
sein; vier Weltgegeuden, vier Buchstaben des Nameus Adam,
1) Bhaban. Maar., Devitüs et virtatibi» lib. II, p. 6: ^ViitaB
narnqne omniB sancta» res est ^lixia, ioooiporea nuBiu atqae anrndiBsiina.
Qnam meDtes inqninatae non inqunant» sed ipsa inquinatas emaeolat»
ciqQB pMiaoipatioiw fiimaDtnr inflmia, snedtantur mortua, Banaiitar in-
firma, oomgontor piaTa, lecondliAntor advena. Haue lum habet niai
Dens et iB eai dederit Jkm, qaae io aouno habital^ eed animam eorpiuqiie
aanetificat, ad quam nidhis aoeedit imitna, quam mdlaB amittit niai
jpiopria Tolimtate deceptna."
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ZUB 0EBCHICH7B DER ETHIK. 391
Tier Elemeiite des EGipers und Mectionen der Sele, vier
Flfisse des Ptodieses und vier Evangdien, — fiberall kehrt
derselbe Stempel der VollkommeDheit wieder.** ^) Das dritte
Buch der Schrift liefert nun eine Art von moralischer The-
rapie, in welcher die Fehler und Laster nach Gattungen,
Arten und Individuen geordnet werden, überall mit Angabe
ihrer Merkzeichen, ans denen sich eigeben soll, wie ihnen
beiKnkommen sei.
Durch solche Zusammenstellungen erlaugte die üeber-
lieforung der sittlichen Begriüe eine gewisse Consistcuz, wenn
auch eine weit geringm, als die eigentlichen Glaubenssätze
längst erreicht hatten. Man yerfBgte Aber zahlreiche Namen,
unter denen das sitüiche Handeln auftreten mfisse, um im
Streit gegen die ebenso vielteilige Macht der Sünde ohzusiegen.
Die Entwürfe konnten sehr ungleich ausfallen, es war nicht
einmal entschieden, ob man bei der £ntwicklung das christ-
liche Prindp voianstellen oder erst Im Verlauf herbeiziehen
müsse, ob es richtiger sei, vom Geist und Glauben oder von
der Natur auszugehen. Die kirchliche Moral aber wurde
wesenUidi eine Tugend- und Lasterlehre, sie allein bildet
einen Stamm; in ihr sind zugleich die Pflichten enthalten,
weO alles tugendhafte Handeln zugleich vorschriftlich ge-
bunden wird ; eine besondere Güterlehre aber, wie sie Neander
in sointn- Gt scliitiitt^ der Sittenlehre heraushebt, ist noch nir-
gends angelegt. Umso mehr erhob sich die Togeudidee zu
hohen Ehren, sie drückt eine Betätigung aus, ohne die nie-
mand Gott wohlgefällig wird; die Viernhl ihrer Gestaltungen
wurde willig aus den Händen der alten Philosophie ent-
lehnt, und wenn Khabanus Maurus keinen Anstand nahm,
sie mit Pradicateu zu rühmen, welche in dogmatischem Zu-
sammenhange yielmehr der göttlichen Gnade hätten beigelegt
werden müssen: so beweist er damit, wie sehr es im üiteresse
der kirchlichen Praxis lag, ein halb rohes und fahrlässiges,
halb träumerisches Geschlecht moralisch anzuspornen mit der
Vorhaltung, daae jeder sich selbst anzuklagen habe, wenn ihm
mit dem eignen Verdienst auch das Heil abhanden komme.
1) ibid. üb. II, c. 10.
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392
OAflS,
Im 12. and 13. Jahrhundert sah sich die Kirche uoch
starker zu einer solchen pädagogischen Wirksamkeit heraus»
gefordert, sie stallte alle Krftfte in ihren eignen Dienst Es
war noch die Zeit der BVirtschreituDg, der Oeist des MittelaUers
<^laiibte Much an sich seihst und an das Kecht aller in ihm
leheudigeu Bestrebuugeu , ohne durch unheilbare innere Spal-
tungen erschüttert zu sein, und besonders Frankreich bot
den Schauplatz vielseitiger Bührigkeit. Schule und Kirche,
Htochtum und Rittertum befiuiden sich in wetteifernder An-
8trengunj(. Welcher Wert j^rade im Zeitalter des \ iiiceuz
auf die Einschärfuug der Tugeudvorschriften gelegt wurde,
lässt sich noch auf andere Weise dartun. Die Darstellong
sittlicher Schönheit und sündhafter oder diabolischer Mis-
gestalt war in die Symbolik der Baukunst übergegangeu, sie
wurde zur Aussi liiiiQ( kung der grossen Dome immer reich-
licher verwendet. Ein^t hatte Rhabanus Maurus von sanctae
virtutes gesprochen, jetzt wurden sie als solche personifiart
und ihren unheiligen Widersachern, den Lastern, gegenüber-
gestellt. Einladende und abschreckende Figuren sollten schon
an den Eingängen der grossen Munster oder in di'ii Wuhullen
der KreuzsdiiiVe dem Bescliuuer mahnend entgegentreten;
symbolische Gestalten geseilten sich zu den historischen, um
die ganze ßni^klopädie sittlich -religiöser Erfiihrung zu ver-
anschaulichen. An der berühmten Kathedrale zu Chartres,
die im Laufe des 13. Jahrhunderts ausgebaut wurde, finden
sich vierzehn Statuen mit den Namen löblicher Eigenschaften
oder hoher Lebensguter, sie bedeuten: virtus, libertas, honor,
velocitas, fortitudo, concordia, amidtia, majestas, sanitas,
securitas, bei welcher Auswahl freilich begriffliche Strenge
nieht massgebend gewesen ist; au andern Stellen des Gebäudes
sind noch crudelitaä, Justitia, curiositas angebracht. Aelmliche
moralische Schaustellungen enthalten die Dome zu Amiens,
zu Paris und in Strassburg, in welchem letzteren zwölf gegen-
sätzlicne Paare abgebildet sind. In einem und demselben
Bauwerk siml iin hr als hundert Stiltuen, sümratlich Tugenden
und Fehler reprasentirend, nachgewiesen worden
1) Belege m dem Obigen liefern J. Kreaser, Der christUehe
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ZDR aEBCHIGSrB DES ETHIK.
393
Im Zusammenhang mit diesen lUusteationen tdtt auch die
Sentenzensanunlaiig des Yincens in ihr volles Licht, sie liefert
ZQ den zahlreidien Veninnlichongen der Ennsteymbolik ein
literarisches Seitenstück. In der üeberliefcnmg fand er eine
Reihe von Vorstellungen, Gesichtspunkten, Weisungen vor,
seine eigne Yielbelesenheit setzt ihn in den Stand, sie in
eine weitreichende moralische Goncordanz anfinmehmen. Die
Literator aller Zeiten läset er ihre BdtrSge liefern, wefl me
überall ein Interesse für da,s Gute verrät. Mit Cicero und
Seneca, die niemals vergessen waren, will er alle Stimmen
der Philosophen und Dichter zu Gehör bringen, damit sie
von einem sittlichen Geschmack Zeugnis gehen, der sich mit
den ErUftmngen der christlichen Schriflstoller herfihrt, von
einem Sinn für das Gute, welcher auf dem Boden der Kirche
vollständig gewürdigt und genossen werden soll. Keine ernste
Mahnung soll verloren gehen, kein wohllaatendes Wort unge-
nutzt verhallen.
Je mehr nun femer das Material der Ethik sich er-
weit^rte, desto mehr forderte es seinen eignen Betrieb und
entfernte sich von dem Bereich des Dogmas, wie es sich in
scharfen und scblecbtbin gültigen Bestimmungen abgeschlossen
hatte; daran knüpft sich eine zweite für uns wichtige Be-
obachtung. IMe nngldche Beschaffonhdt dieser heiderseitigen
begrifllichen Charakterbilder ist eine längst anerkannte Tat-
sache. Man denke beispielsweise an die damals so nach-
drücklich hervorgehobene Discretion, welche von Bernhard
von GLiirvanx als die wahre Handhabe der Togendübungen,
moderatrix et auri^ virtntnm, empfohlen wird*). Was sie
sei, liesö sich nur zur Hälfte defiuiren, zur andern musste es
durch Vorbild und praktische Anleitung erläutert werden, und
ähnliche Hül&mittel waren überhaupt unentbehrlich, weil es
eben eine Oienze giebt, wo die Ethik aufhört lehrbar zn sein,
Kirehenhan, Bd. I, Bonn 1851, S. EOaft Sehnaaie, GoddoUe der
bildendfln KBnfte im Hittdalter, Bd. lY, 8. S97 £f., 2. Avfl. F^lioie
d'Aysae, Lea statnefl de poitnit de Ghartne, Fte. 1B4B, Bevne
areh^ologiqae, Tome VI, p. 4S7. Didron, leoDographie disßtiam, Ub. I,
Hjitoire de Bieu, p. 476.
1) Vgl Iflidori Sententiar. Ub. ü, cap. 27; UI, cap. 48.
Ztitflhf. t K.-0. 96
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GASS,
WO sie sich durch (3ignes Handeln und Erleben ergänzt Das
Dograa war hart und exclusiv i^ewordeu, die Moral bewegte
sich ia laxeren Formen, iu weit weuiger Msge^rägten Be-
griffen« die aber geeignet waien, sieh ünmer melur dnrofa
Analogien und Teihetstellnngen eq bereiebern. Bisher batto
sich die Tugeiullchre in einer Reihe eigner Scliriften furtge-
pflanzt, in ihnen stellt sie einen gemeinsamen Stoff dar,
zwar auch einen gegensätzlich entwickelten, aber im Vergleich
mit dem Dogma einen viel weicheren» dehnbaren und friedlich
flberlieferten. Aach Vinoenx hfilt die beiden diesem Gegen-
stände gewidmeten Bücher seines Speculum doctrinalo uniib-
hfiugig von der eigentlichen Theologie, die überall biblis<;he
Beweise sucht. Und doch konnte es dabei nicht anf die
Lftnge bewenden, die Sittenlehre mnflBte eine eqgere Ter-
bindung mit dem religi(taen nnd dogmatischen Standpunkt
aufsuchen, wenn überhaupt die kirchliche Wissenschaft als
Ganzes zusamniengefasst werden sollte. Die Scholastik hat
auch dieeen Schritt gewagt, wir würden ihr Verdienst unter-
sohätsEettt wollten wir m diesem Beweise ihrer nniveneUen
Qeiettsarbeit nnd yon der Ausweitung ihres wissenschaftiiöbea
Rahmens absehen. Die erste scholastische Epoche hat in dieser
Beziehung nur vorbereitend und durch grelle Behauptungen
aufregend gewirkt. Männer wie Anselm bew^ten sich fast
anflwshlissBlieh auf dem metaphysisoh specnlatiTen Gebiet;
Petras Lombardos hat die Cardinaltugenden und einige andre
verwandte Lehrstücke seinem Corapendium kurz eingeschaltet.
Nur von Abälurd, dem kritischen Denker und leidenschaftlich
erregten Beidenchristra, war die ethische Frage scharf und selb-
st&ndig ins Auge geiEUSt worden. Auch er ging wie Vincenz
auf die Alten zurAdk, aber nicht allein, um das sittlii^ Stmbei&
als Gemeingut der Literatm*, auch der vorchristlichen, nach-
zuweisen, sondern in der weit bestimm teren Absicht, um dos
sittliche Princip schon in der antiken Philosophie seiner
Reinheit nadi wiedenufinden. Sokrates und Plato wurden
idealisirt und Aber de» Standpunkt des lohnsflchtigen Juden-*
tums erhoben. Die Intention, erklärt AbäJard an An-
giistin anknüpfend, ist die Sele aller Tätigkeit, sie allein
verleiht oder entsieht den an sich gleichgüitigeu Handlungen
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e£SCHICHT£ 4^TaUL. 39^
den sittlichen Wert« welcher dann fireiUch noch dmch den
Einfluas des Urteils bedingt sein kann. Gut ist wer ohne
selbstische Ansprüche das Gute um seiner selbst willen sucht
und liebt und wer niedrigen Antrieben widersteht; denn selbst
die andringende Sinnlichkeit briiigt die SOnde noch nicht
mit, 80 lange der sittlidie Wille die Oherhand behauptet
AbÄlard warf Schlaglichter um sich her, uud unbrauchbar waren
seiue Gedanken keineswegs, sie reizteu und weckten andere;
der gescholtenen Lohnsacht konnte eine eigentimliche reli-
giöse Wendung gegeben werden, auch traten Freiheit wä
Katar, Gesetz, Gehorsan nnd Autorität nnd fthnliche Ifo-
mente in den Vordergrund der Untersuchung. Jedoch wurde
zngleich in den durch ihn veranlassten Streitverhandlungeu
eine aehi ernste AlteraatiTe nahe gelegt. Wären Abälards
Tendensen, anfertig and anglcichmflasig wie sie waren, dsr
Bttls durchgedrungen: so würde die Moni noch weit mehr
als bisher verselbständigt, vielleicht nahezu emancipirt worden
sein. Sollte dies nicht geschehen: so 'wurde es nötig, auf
den kirchlich religiösen Standpunkt zurückzolenken und
von dort ans auch jenes andre Gebiet zu überschanen. Und
eben darin lag der Anstoss zu einer ins Grosse gehenden und
conservativen Systembildung, welche der kritisch gesinnte
Abälard auch in dieser Beziehung indirect herbeiführen half.
Zwar das System als solches ist keineswegs das Zaabermittel,
welches darch sich selber schon die innem Fragen zn lösen
yermag; hat es doch — and grade die Scholastik beweist
dies — die Schwierigkeiten der Beurteilung eben so oft
verdeckt als klar gelegt. Wohl aber gewährt die System-
bildnng den unendlichen Vorteil einer Uebersicht, immer
drängt sie zor Yollstftndigkeit and roft den Geist ans der
Vereinzelung des Erkennens zorfick, immer erOflhet sie einen
weiten Raum, in welchem alle zur Sache gehörigen Momente
Stellung nehmen. Was im System Aufnahme gefunden, bleibt
zwar noch der Willkfir der Beihenfolge, Ordnnqg and Unt«r-
ordnong angesetzt, aber ignorirt darf es nicht mehr wwden.
1) Neanders Vürlesnngen über Geschichte der Ethik, S. 274 ffi
£cater, Oeachichtc der Aolkläning im MittelAlter, Bd. I, S. 190 a:
26*
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3 90 GASS, ZUß GESCHICHTE DEK ETHHv.
Unsere NachweunmgeD haben bis dahin geführt, wo sich
der kirchliche Geist aller theoretisch eu und praktischen In-
teressen, deren er damals überhaupt filhi^ war, bemächtigt
hatte. Nach oben hin das alte Dogma, einem festen Gewölbe
ähnlich, nach unten eine teilweise sehon gegliederte, teilweise
noch roh angehäufte Menge monüsdier Yerstellnngen , da^
zwischen eine verknüpfende Anthropologie und Sacraments-
lehre, — alle diese Bestandteile sollten in den weiten Umkreis
kirdilicher Wissenschaft eintreten. Es war eine Arbeit der
Composition, deren Verdienst und Schwäche erst richtig
beurteilt werden kann, nachdem die Beschaffimheit der ihr
dargebotenen Materialien zuvor erkannt ist.
Für die Ethik ist Thomas von Aquino der eigentliche
Sjstematiker, aus ihm schöpft auch das Speculum morale,
welches uns in dem zweiten StAck dieser Abhandlung be-
schäftigen und Gelegenheit geben wird, auf die Werke des
Vincenz und deren Ausgaben nochmals zurückzukommen.
[Heidelberg, im November 1876.]
•
lieber die beideo PrindpieD des ProtestaDtismiis.
Antwort auf eine 25 Jalire alte Frage.
Yon
Aibreeht Ritsdü.
In dem 24. Jahrgang (1851) der Theologischen Studien
und Kritiken, Heft 2, S. 408, hat Herr Carl Beck, Archi-
diakomiB za Beailiiigeii (jetzt PriÜat zu Hall in Wflrtembeig)
eine Anfrage an Ullmann Ober das Princip des Prote-
stantismus gerichtet. Dieselbe bezog sich darauf, seit wann
und von wem sich die Distinction zwischen dem formalen und
dem materialen Princip des Proteetantismiis herschreibe, welche
man gewohnt sei, als eine AnieteUnng der Reformatoren oder
wenigstens der alten Intherischen Dogmatiker anzusehen. Beck
constatirt nun, dass die Lehre von der Rechtfertigung durch
den Glauben in Luthers Schmalkaldischen Artikeln als der
Haaptartikel bezeichnet ist, und dass die ausschliessliche
Normalität der heiligen Schrift für die Feststellong der kirch-
lichen Lehre ebendaselbst angedeutet nnd darnach in der Con-
cordienformel ausgesprochen wird. Er berichtet dann ganz
richtig, dass diese beiden Gedanken durch die lutherischen
Dogmatiker bis auf HoUatz hin nicht in die gegenseitige Be-
ziehung gebiaeht worden sind, deren Bedeutung man durch
ihre Bezeichnung als materiales und formales Princip des
Protestantismus ausdrückt. Endlich vermutet er, dass dieses
fiesoltat erst im 18. Jahrhundert erreicht sei, und zwar, wie
die wissenschaftUdie, an den Kantianismua erinnernde Ter-
minologie annehmen lasse, in dem letzten Drittel desselben«
Die an UOmann gerichtete Anfrage um Bestätigung oder Be^
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398
&ITSCHL,
ricbtigung dieser Anmilune ist seit 25 Jahren , so viel ich
weiss, von niemand beantwortet worden. Um so ungehinderter
eigeht sich das Vertraoen auf die Brauchbarkeit der Disünctioii
zum Verständnis der Reformation nnd ihrer directen Folge,
des Protestanli^ums. Icli tVeilich teile dieses Vertrauen nicht, |
vielmelir habe ich gegen jene Formel Widerspruch erhoben i
(Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, lid. I, S. 162
)m Am mir henws habe ick auch kein Bedflrfnis en*
pAinden, dem Ursprung jener „apokryphen*^ Disfcincticm nach-
zuforscheiu Durch einige jüngere Fach^^rcnossen bin ich jedoch
angeregt worden, der Herkunft der Distinction nacli/ugeJien,
und mit Unterstützung des Herrn Lic. theoL i^attenbusch,
der die änssersten Fäden aufgespürt hat, ist es mir gelungen
folgendes zu ermitteln.
Die Foniiol ist auch im 18. .lahrlmudert nicht uaeh-
weisbar, und die in der Distinction auftretenden Pradicate
däiften schwerlich von Kant entlehnt sein, da sie, wenn auch
in anderer Beoehnog, iader luiherisohen Sdnlthedogiis vor-
komnen. Der alte Bai er (Compendium theologiae poeitaviie,
prolegom^na I, 25) unterscheidet als Ohjecte der Olfen-
barungstheologie das materiale, nämlich res revelatae, quae
in theologia revelata oognoacuntor, und öbb formale, uAmlich
principinm et ratio eogiiosoendi, onde pendet «ognitio remm,
quae in theologia revelata proponanttr, also die revelatk)
divina. Die Verbreitung gerade dieses unzählige Male uul-
gelegien Compendiums macht es wahrscheinlich, dass die vor-
liegende Distinction aus ihm entlehnt wurde, ^s die OQÜiaion
Kirisebeft fiationaiinras und PositivismiB in der l%eolegie die
AnfloMrkmnkeit darauf hinlenkte, umIi welchen entHsheldMMbB
Gründen man sich als protestantisch zu beuiieilen habe. Dieser
Fall trat am Anfang unseres Jahrhunderts ein auf Anlass der
Predigt Keinbards am Befonuationsfeste 1800. Reinhard sf^ndi
in deieelhen aus, dass „imsem Kirche ihr Dasein vor-
nehmlich der Bmenemng des Lehrsatzes von der fteien
Gtiade Gottes iu Christus schuldig sei; dass dadurch unsere I
Kl ich 6 ihre Gestalt gleich bei ihrem Entstehen empUng ,
Unter dettjenigei mm, welche hiegegea Widereprach einlegten,
ist fGbr nnsero Zweck von beeonderear Wichtigkeit Gabler.
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ÜBEi; DIE BEIDEN I KlNiJiriEN DES PB0TE8TANT1SMUÖ. 399
Ib zwei Reoensioneii jener Predigt (in seinem Joanial fÖr
äieol(^i8cbe Literatur, M. I, 1801, S. 500. 58ö) iimohte er
geltend, dass „das Do^nia von der freien Gnade Gottes zwar
Liitiiern vorzüglich iiitcressirte, dass man aber aas demeelbeii
keine bleibende protestantieche Ornndsätee und immerwfilifende
Kennzeichen eines Proteetanten ableiten kOnne. Lather mi
von einem höhern Gesichtspunkte als dem eines blossen Dogma
au8^n^«(an<^'en, nämlich von der evangelisdien Freiheit in Glau-
benssachen. Dieses sei das liöchBte proteslontiäche Princip
als Basis alles Protestantismos; ihm mnssten auch die
wichtigsten lieblingsdogmen LntheiB untergeordnet, nicht
aber gleichgesetzt werden; denn auch Luther wollte nicht
lutherisch sein(!), ohne Sötern er die heilige Schrift rein
lehrte; die Wichtigkeit der Gnadenlehre für ihn sei zttfälliger-
weiae dorch den Streit fiber den Ablass hervorgerafen worden.^
Ja dieeem Znsaamienhaiig flibernischt die Einmisehnng der hei-
ligen Schrift. Sie wird in einem unmittelbar folgenden Auf-
satze Gablers dadureb erläutert, dass „die Unabhängigkeit
von aller menschlichen Autorität in Glaubenssachen für sich
aHein nicht den Protestantismiis, sondern nmr den Batio-
naUsnoiaB feststelle. Zu jenem gehOre noch die Anerkennung
der heiligen Schrift als einziger untrüglicher Richtschnur unsies
Glaubens und Lebens, was mit dem Riitionulismus unver-
einbar sei; also beide Grundsatze zusammen maclMn erst die
Basis des Protestantismtts aus.** Ueber^timmend hat 8i<^
Gabler kurz vorher in einem Aulsatz seines Journals: „üeber
die Grenzen der protestantischen Kiichengewalt über die Ueli-
giouslehrer in Glaubenssaclien'' (S. 157. 472) — ausgesprochen,
indem er den Grundsatz der absoluten Atttoritftt der heiligen
fidinft näbw auf die Freiheit ihrer Auid^gung nach riohtigisn
Auslegungsregeln hinausgeführt hat.
In diesem Gedankenzusammenhang koniuit zwai die Di-
stiuctiou nicht zur Geltung; indes ist nicht nur diese Contro-
versc mit Beinhard ein Zmchen einer eigentümlichen Frage-
stellnag, von weldier voiher keine Spur verkommt, sondern
später wird sich dieselbe ais einflussreidi für die uns be-
sehälligeude vSaclie erweisen. Die Distiuctiou selbst aber be-
gegnet uns zuerst bei dfemselben Gabler in einer iioceusion
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400
RTTBCHLy
Über die zweite Ausgabe von Aramons Summa theologiae
christiuiae (a. a. 0., Bd. Y, 1810, S. 594 ff.). Hier aber
handelt es ddi nicht nm Frindpien des Froteeiantiflmiu,
sondern nm principinm materiale et fennale tbeologiae chri-
stianae, und zwar um das Verhältnis dieser Bestimmungen
zum fimdamentum fidei. Für das Fundament des Christen-
tums oder den Mittelpunkt der christlichen Beligion erkl&ri
er einen Lehrsatz, anf den sieb alle fibrigen Lehrai be-
riehen würden oder der ihnen mittelbar oder unmittelbar ab
Quelle diente. Ein solches materielles höchstes Glaubens-
princip, welches man gesucht habe, um dadurch die Dogmatik
ab Wissenschaft zu begründen, sei aber nicht möglich
anzugeben, wenn die christlidie Ohiubenalehre ihren posi-
tiven Chaiaktor behalten, und nicht in blosse Vemunfbreligion
verwandelt werden soll. Aus diesem Grunde sei der Artikel
von der Rechtfertigung durch den Glauben zwar mit Luther
för den locus praecipuus fidei christianae, nicht aber für du
snmmum prindpium materiale iheologiae christianae zu halten.
Deshalb habe man sich anf ein formelles Prindp der christ-
lichen Dogmatik zu bcscliränken , welches als Regel der Be-
urteilung dessen dient, was zum wahren christlichen Glauben '
gehört, und dieses formelle Frinoip sei ein doppeltes,
mn philosophisches, nm die Ansprflche der Vernunft bd
der Construction der Dogmatik zu befriedigen, und ein her-
meneutisches, um den Misbrauch der Bibel iu der Dog-
matik zu verhüten.
Diese Bemerkungen Gablers sind also die ersten Spuren
einer Fragestellung, die keiner der folgenden Theologen so
beantwortet hat, wie er. Vielmehr treffen wir denmächst
auf verschiedene Versuche, nicht bloss ein formales, sondern
auch ein materiales Princip für die Dogmatik aufzustellen.
Nftmlioh zunächst erklärt Bretschneider (Handbuch der
Dogmatik der evangelisch- lutherischen Kirche 1814, 2. Aufi.
1822, 1. Tl., § 9), dass die symbolischen Bücher der luthe-
rischen Kirche kein System der Glaubenslehre dai"stellen, aber
die Materialien dazu enthalten, und zwei Principien aufstellen,
ein formales und ein materiales. Das formale bestinunt, unter
welchem Gesiditspunkt die christliche Lehre anzusehen sei, |
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OBEE NE BEIDEN VtaXKUPBESS DES FBiOTESTAETISIfüS. 401
Bftmlich als göttliche Offenbarongr deren Codex, die heilige
Schrift, ab das einzige Eriterinm der Wahrheit aller Reli-
^onslelueii aufgestellt wird. Das materiale Princip bestimmt
die Gnmdlehre, welche als regulativ für alle andern Lehren
gilt, und dieses ist die Lehre von der Erbsünde und
die daraus entspringende Notwendigkeit der ErKtenng dnich
Christas durch den Glanhen ohne Werke, oder die Lehre von
Christus als dem Erlöser von der Schuld und Strafe der Sünde.
Das letztere Princip umfasst das erstere, da das Verderben
der Sünde einen göttlichen Unterricht in der Religion not-
wendig macht; aber nmgekehrt beniht auch die Zuverlftssig-
keit des materialen Prindps auf dem Offenharungswert der
heiligen Schrift. Es ist klar, dass hier die Principicn
der lutherischen Dogmatik bezeichnet werden und daas
Bretschneider in Abweichung von Gabler ein materiales Princip
der lutherischen Dogmatik und zwar in der angegebenen Weise
aufstellen konnte, weil er es nur als regulativ, nicht aber wie
Gabler als constitutiv oder organisirend auffasste. — Um die
Principien der theoretischen oder dogmatischen Theologie
handelt es sidi auch bei Wegscheider (InstitutioneB theo-
logiae christianae dogmaticae, 1815^ § 22). Er bestimmt also
als snmmnm principium materiale oder als summa fidei den
Satz: Deus rcrum omniiun auctor atque gubemator omnibus
hominibus per Jesum Christum viam et rationem patefecit ad
salntem aetemam adipiscendam. Hieraus sollen sich die vier
Teile des Systems Bibliologie, Theologie, Sbterologie, Escha-
tologie ergeben. Das formale Princip wäre idea dei, qualis ex
ipsa legis monilis conscientia menti nostrae iiisita, adstipulante
scriptura sacra cognoscitur. In der fünften Aufgabe des Buches
(1826) finden sich neben diesen Aufstellungen, die der Ansicht
des Yerfossers entsprechen, auch noch solche, welche der sym-
bolischen Lehrweise accommodirt sind. Hiemach lautet das
materiale Princip der Dogmatik: Deus triunus generi humano
per peccatum originale penitus dcpravato per Jesum Christum
theantiiropon, morte expiatorio defimctnm, viam et rationem
patefeeit, qua homines per fidem in morte illa vicaria collo-
catam, adiuvante spiritu sancto, gratiam dei et salutem aetcr-
nam amissam recuperare posäiut, — das formale Princip:
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402
RIT8CHL,
sententia de univeno scriptarae saerae aigamento, qood modo
supianatwali a deo revelatmn eaae a^itor. Von wd^er
Au^be des Buchen an dk'se Korinelü aufgeuoiumeu siud,
habe ich nicht prniitteln können.
Diese MitUMlungen strllon fest, Uass die Distinction eines
formalen und eines maierialen Principa der Bogmatik fast
gleichzeitig von zwei verschiedenen' Tbeotogen sowohl auf die
positiv -lutherische, wie auf die rationale AusITilnuni; der-
selben aii'^^cwi-ndet worden ist. Ks luüst sich allerdings nicht
positiv beweisen, dass Beide nur durch Gablers Vorgang auf
diese fietrachtimgaweise hingeleitei worden sind; denn keiner
von ihnen beruft ach ausdrflcküch auf diesen Vorgänger.
Wenn dieses also nicht aus Kucksi<hteH der zeitliclien Nahe
und des gegensrdtigen Verkehrs j»Mier Männer wahi-scheinlich
ist, 80 drängt sich die Vermutang auf, dass die Distinctioo
von Baier entlehnt ist Dieser nämlich wird in einem Aufsätze
des Gablersclien Joomals (Bd. V, Stück 3, S. 470): Ver-
dient unser kirchlich -tlieologischer LehrbegrilV den Namen
eines SyskrnsV"' — ausdrücklich citirt, einem Aulkitze, den
Wegscheider in der ersten Ausgjibe seiner Dogmatik anfahrt,
nnd der wahrscheinlich von ihm selbst vertot ist Hingegen
ist es ausser Zweifel, dass de Wette (Dogmatik der evan-
gelisi'h - lutherischen Kirche, 181 ti) /u der Terminologie durch
(rahler gefuhrt worden ist, auf dessen Controverec mit
lieinhard er sich 2n) ausdrucklich beruft, da er doroh den
Gebranch der Distinction dieselbe schlichten zu kOnnen und
den Meinuttf»en beider xugleich gerecht eu werden überzeugt
ist. Ehe aller auf diesen t§ i'o einzugehen ist, erwiiline ich,
dass de Wette in § 8 in einer iicihe historischer Erörteruugeu
über den Protestantismus folgendes ausspricht: „Luther er-
scheint bei seinem ernten Auftreten in jener Lebendigkeit and
Regsamkeit des Ctowissens als das reinste Bild ehristlidier
Selbständii^keit. Die Idee des Glaubens und d;is Zurück-
gehen aul die heilige Schrift als einzige (Quelle der
Wahrheit enthält alle Gegensätze gegen den Katholicismus
und alle Bedingungen des erneuerten christ-
lichen Lebens.** Glaubt man demgemiss erwarten m
dürfen, dass diese beiden Tactoreu der Keformation Lutbei-s
ÜBER DIE BEIDEN PRINCIPIEN DES TUOTESTAMTISMUS. 403
ia § 20 (Ftincip und Charakter des F^toafcaiitisinus) in der
bekannten Weise als die beideu Principieu der Geaamnat*
erscheinung formulirt würden, so ist das docli ni<:lit der Fall.
Nur zur Hälfte er<»iebt sich eine Uebereiastinmiung. Denn
ab das maieriale Primap des ProtestantismiiB wird die „Lehre
ron der fmm Gnade Gottes und der Rechtfertigung dwroh
den Glauben" angegeben. Aber als das formale (d. Ii. sub-
jective, erzencronde) Princip wird ni(^ht die besondere Wert-
sohfttzung der heiligen Schrift bezeichnet, sondern viehnihr
„die Selbständigkeit, Wahriieitsliebe, Regsamkeit des Ge-
wissensy sittlicher Bnist*^ Allerdings Iftsst sich die Bedentaiig
dieses Factors des Protesiautisiuus, welcher schon oben in der
Be«rteilun[( Luthers zur Geltunfj gebracht worden ist, nicht
verkennen; und dieser (Jmstand stellt es auch sicher, dass
de Wette hier wirklich eine Formel fiber den lebendigm Prote-
stantbmos und nicht Aber die lutherische Dogmatik bildet.
Aber in dieser Darstellun<r ist keine Stelle für den Wert
der heiligen Schrift übrig gclasst'ii. Der Satz, welclier zwisclieii
den Angaben über die beiden Pi'incipien steht: „Die Dar-
sfaellttBgs- und Auffiissongsweise ist ethisch -dogmatisch, eigen-
tftmlich aber ist dem Proteetantismos die Kritik *S — besieht
sich auch nicht auf die Autorität der Schrift. Lii^gt also hier
ein unerwarteter Mangel an Uebereinstiramung zwischen den
beiden Paragraphen vor, so wird auch die Bestimmong des
formalen Prindps selbst aufGallen. Zar Aufklfinmg darflber ist
die „Biblisdie Dogmatik Alten und Neuen Testaments" zu
vergleichen, welche — 1813 erschienen — den allerersten Ge-
brauch der Distinction in der Beurteilung der Religion des
Alten Testamentes und der Religion Jesu darbietet Für jene
unterBcheideii u&mlioh de Wette (§ 71) objectives und sub-
jeetiyes Princip, und innerhalb jenes zwischen materialem und
foruialem. Also das o b j e c t i v e m a t e r i a 1 e Piüncip des
Hebraisums wäre „die Idee eines Gottes als eines heiligeu
Willens, symbolisirt in der Theitotie.*^ Unterschieden hie-
ven „das formale, wslches voHstfindig symbolisch ist: die
Idee des heiligen Willens ist ethisch symbolisirt, also in das
Gebiet der Vei-standesansicht herabgezogen". Von beiden ob-
jecUven oder ErscheiAunga-Priacipien wird dann das subjec-
uiyiii^uü Ly Google
404 RTTSCHL,
tive oder hervorbringende unterschieden, welches als
Wahrheitsliebe und sittlicher Emst beKeiehnet wird. Ferner
wird io der Bearteilmig der Religion Jeea (g 205) als ma-
teriales Priiicip die Lehre vom Reich Gottes, also derselbe
ethische Charakter wie im Hebraisraus, nur nicht politisch-
fliymbolisch, sondern ethisch frei — angegeben; als das for-
male, erzeugende Pnncip wiedemm die Wahrheiisliebe
and flittlieher Bimst. Kehrt nun dieees Merkmal auch in
Luthers Oliuial^teristik und als das formale erzeugende Princip
des Protestantismus wieder, so zeigt sich, dass de Wette in
den sp&terra Fällen den Begriff des Formalen und den des
SubjeetiTen oder Erzeagenden, welche er am Hebiaismas
anterschieden hat, nicht mehr onterscheidet. Die Ungleich-
heit, welche sich der Auwendung dieses formalistischen Ver-
fahrens anheftet, setzt sich also darin fort, dass de Wette für
die Bedeutung der heiligen Schrift als anerkannter Bedingung
des reformatorisehen Wirkens Luthers in seiner Formel fftr
den Protestantismus keinen Platz imdet. Dieses ist am so
auffallender, als schon Gabler die charaktervolle Selbständig-
keit nicht ohne Einschluss der Autorität der heiligen Schrift
als das formale Princip des Protestantismus anerkannt hatte.
Also de Wette hat die Elemente zu dem gangbaren Ausdrack
beigebracht, dessen Herkunft ermittelt werden soll; allein
direct kann er nicht als der Urheber desselben proclamirt
werden.
Achtet man aber zugleich darauf, ob die von ihm vor-
bereitete Formel richtig sein wird, so ist es von dem höchsten
Interesse, die Abhandlang Schleiermachers „üeber den eigen»
tümlichen Wert und das bindende Ausehen symbolischer
Bücher" (1819; Werke, zur Theologie, Bd. V, S. 451) zu
Bäte zu ziehen. Qegea das Ende dieser Schrift kommt
Schleiermacher zn dem Schlüsse, dass die Etymbolischeil Bflcher
der evangelischen Kirche die ersten Öffentlichen Urkunden
protestantischer Denkart und Lohre, aber zugleich ganz nach
aussen gerichtet sind, um uusern Gegensatz gegen die Katho-
liken festzustellen, dass sie demgemiss die Punkte enthalten,
von denen alle Ptotestanten ausgehen und um die sie sich
immer sammeln müssen. Indem also übrigens die Fortbildung
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ÜBER DIE BEn>EN PBIHCIFIBH DBB FBOTliBTAa^^ 405
dar in jenen Bflchm dafgel^^n L^re vorbehalten wird« soll
jeder Geistliche angehalten werden, seine Znstimmimg zn den-
selben in diesem Umfange kundzugeben. „Ich erkläre, daas
ich alles, was gegen die Irrtümer und Misbräuche der rö-
mischen Kirche — beeonden in den Artikeln von der Becht-
fertigung und den gnten Werken, von der Kirche nnd der
kirchlichen Gewalt, von der Messe, dem Dienst der Heiligen
und den Gelübden — gelehrt ist, mit der heiligen Schrill
und der ursprünglichen Lehre der Kirche übereinstimmend
finde, und dass ich, so lange mir das Ldiramt anvertraut ist,
nicht aufboren werde, diese Lehren vorzutragen, und Uber den
ihnen angemessenen Ordnungen in der Kirche zu halten."
„Wer nun aber", filhrt Schleiermacher fort, „hierin nicht
mit den symbolischen Büchern übereinstimmt, wer z. B. nicht
auf die Bechtfertigung durch den Glauben und auf
den freien Gebrauch des göttlichen Wortes hftlt,
der kann unmöglich ein protestantischer Lehrer sein wollen; .
denn entweder neigt er sich zur katholischen Kirche, oder er
hält den ganzen Streit, also auch dasjenige, um dessen willen
der Protestantismus entstanden ist, für geringfOgig.
Die beiden von Schleiermacher HDr unumgänglich er-
klärten Grundsätze der symbolischen Bücher berühren sich
direct mit den Grundsätzen Luthers, aus welchen de Wette
das durch denselben erneuerte christliche Leben ableitet.
Allein Schleiermacher i^richt von denselben nicht als Gründen
der Entstehung des Protestantismus, sondern behandelt sie als
Regel für die Erhaltung seines Bestandes in der Gegenwart.
Allerdings wird der Bestand einer solchen Grösse durch die-
selben Kücksichten bedingt, welche bei ihrer Entstehung mit-
gewirkt haben. Weil nun hiebei der Gegensatz gegen die
romische Eirdie ungelöst geblieben ist, so hftlt Schleier-
macher die Urkunden dieses Vorganges, die symbolischen
Bücher, zunächst für unumgängliche Mittel der Orientirung
auch in der Gegenwart. Er geht aber weiter, indem er sie
als n^tive Normen, und zu diesem Zweck in gewissen
Beziehungen auch als positive Nonnen fttr diejenigen
gültig erklärt, welche als Lehrer den Protestantismus ver-
treten und in seiner Eigentümlichkeit erhalten wollen. Als
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406
S1T8CUL,
positive Norm der kirchlichen liphrer also bezoiclmet es
Schleiermacher, dass man auf die Lehre von der KechUer-
tigung durch dtu Glauben hiüt, und auf dmi freien, d. h.
zugleich ansschlienlichen Gebmach der heiligen Schrift zur
Begrenzung der berechtigten Lehrweise. Diese Grundsätze
bezeichnet er nun niclit als die Priuci]äeii oder Entstehuags-
gründo des Protestantismus; aber luaa kann ihn auch nicht
mit Becht flo verstehen, als eb er es so meine. Meint er
sie vielmehr nur als die Merlmiale and die Mittel, durch deren
Behauptung der Piotestuntismus in der lüchtuiig auf seinen
Zweck erhalten wird, „um dessen willen er entstanden ist",
so ist diese Betrachtung gegen die Frage nach den Gedanken,
aas welchen der Protestantismas entstanden wire, gleichgültig.
Die Lehre von der Bedhtfertigung würde der ihr zogewiesenen
Bestimmung dienen, wenn sie auch nur der praktische com-
pcndiarische Schlusdsatz der Gedankem'eihe ist, aus der die
Keformation m^lich wurde. Die Schätzung der anasohliesa-
lichen Autorität der heiligen Schrift kann als notwendig ge-
achtet werden, um die riditige Methode ftr die gegenwftrtige
Lehrweise zu sichern, ohne dass damit zugestanden wäre, daas
die Reformation hieran ihren ui-sprüngiichen einigen Hebel
besessen hätte. Also nicht als die Principien des Protestan-
tismas zur geschichtlichen ErUSrong dssselbeii werden dieas
Grundsätze von Sohleiermacher aufgestellt, sondern als die
Minimalforderung an die üeberzeugung der evangelischen
Lehrer, sofern sie, richtig verstanden, für die entsprechende
Au£Gusnng der ganzen protestantischen Weltanschauuiig
bürgen.
In Twestens „Vorlesungen über die Dogmatik der evaor
gelisch- lutherischen Kirche nach dem Compendium des Herrn
Dr. de Wette" (1. Bd. 1626) zeigen sich die Aufstellungen
des letatam als maseigebend, ohne dass eine berichtigende Ein-
wirkung der Schrift Schldermachera zu bemerken wäre. Zu*
gleich aber ist das Verfahren des Gommentators mit dem
Text seines Vorgängei-s so, wie es in aller Scholastik zu sein
pflegt Die ursprüngliche Begrenzung der Ansichten des Vor-
gängers wild nicht innegehalten. Hatte de Wette unter § 8
gesagt, die Idee des Ghinbens und der eigentfimlidie Ge-
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Ober die beiden PRINGIFIBN des PB0TBSTAim8MU& 407
brauch der keUigen Schrift durch Luther enthielten alle Be-
diugaogen des emeoerton christlichen Lebens, so fiisst Twesten
diese Angabe als die der Principien der Reformation
auf und bestimmt deren Wert daliiu, dass sie der pelagia-
uisjcheu Riclitun^ des Katholicismus und der katholischen
Theorie von der Tradition und der kirchlichen Autorität ent-
gegengesetzt seien. Deutlieher aber ftberschreitet er deWettes
(Gesichtskreis, indem er in der Weise ^tsofaneiders bemerUich
macht, d'dss der zweite Grundsatz aiü den ersten zu reduciren
oder von ihm abzuleiten sei. Denn dieses theoretische In-
teresse entfernt sich weit von der Art, in welcher de Wette
sich darauf beschränkte, Orientirangspnnkte für das geschicht-
liche Verständnis der Reformation zu bezeichnen. Unter
§ 20 richt<;t nun Twesten mit do Wette die Frage auf das
Princip und den Charakter des Protest an tiamus; rechnet
aber darauf, durch die Antwort befähigt zu werden von vorn-
herein den Wert, die Notwendigkeit und die Stellung aller
Dogmen richtig m wärdigen. Darin kfindigt sich die
charakteristische üngeiiauif(keit an, mit welcher die Formel
von den zwei Principien fortan behaftet bleibt. De Wette
hat in seinem § 20 wirklich und treffend die Principien des
Protestautismus bezeichnet; nur hat er deren Aufistelinng
mit seinen früheren Angaben über die Bedingungen der Re-
formation nicht ausgeglichen. Twesten aber scheint einer
Einwirkung Bretsclnieiders nachgegeben zu haben, indem er
die Lehre von der Kcchti'ertiguug durch den Glauben als das
materiale Princip der Dogmati k in unsrer Kirche bezeichnet,
während man erwartet, dass er nach Anleitung deWettes die
principielle Stellung dieser Lehre oder dieses Gedankens zu
der Lebensgcstalt des Protestantismus nachweisen werde.
De Wette hat in seinem g 20 als das formale Princip des
Protestantiamus die subjective erzeugende Kraft der Gewissen-
haftigkeit und den sittlichen Emst aufgeführt; von Autorität
der heiligen Schrift war in diesem Zusammenhang überhaupt
hieht die Kede, sondern nur noch von dem Antriebe zur
Kritik im Protestautismus. Das stimmte also nicht direct mit
dem Inhalte von § 8. Twesten nntemimmit es nun, diese
Ueber^nstimmnng herznstellen, und der Autorität der hei-
408
BITHCHL,
Ilgen Schrift ihre Stelle als formales Prindp des Prote-
-stantiBmns zu verschaffen. £r dedncirt nfimlieh, daas die
im materialen Prindp mitgesetzie ErlOanng auch die Er-
leuchtung des Verstandes verbürge, dass also mit dem recht-
fertigenden Glauben auch das Vertrauen aui' die in der heiligen
Schrift au tl)e wahrte Offenbarung zusammen sei. Wamm nnn
dieser Grundsatz formaieB Princip des FroteatantismuB ist,
darQber hat sich Tweeten mit der abweichenden Ansicht
de Wettes nicht auseinandergesetzt. So wie die Ableitung
der Auetoritat der heiligen Schrift an dieser Stelle erfolgt»
darf dieselbe nur als eine Bestimmung innerhalb dee ma>
terialen Principa der Dogmatik geltend gemadit werden.
Sofern de Wette die persönliche Gewissenhaftigkdt als das
formale oder erzeugende Prindp des Protestantismus
behauptet, ist es eine directe Verletzung der Grenzen des
Lehrbuchs, dass durch Twesten stillschweigends die Antoritftt
der heiligen Schrift als das fonnale Prindp dea FroteBtantismns
eingesdioben, nnd die Gewissenhaftigkeit zwar als das snb-
jecti verzeugende, aber nicht mehr in dem Sprachgebrauch
de Wettes, als das formale Princip des ProtesUntismus aner-
kannt wird. Twesten bringt sein formales Frindp, die An-
toritftt der heiligen Sdirift zwar noch in Yeibindnng mit dem
von de Wette beiläufig berücksichtigten Merkmal der Kritik
im Protestantismus. Jener Massstab der heiligen Schrift,
sagt er, diene zur Ausscheidung alles blos menschlichen
irrigen Yerstftndnisses der Sache, die Anwendung desselben
stelle sich also als Kritik dar. Es unterliegt mir jedodi
keinem Zweifel, dass dem Text de Wettes hierin ein fremder
Sinn aufgezwungen wird, so wie es klar ist, dass dessen Ter-
minologie zerrissen wird, um die Autorität der heiligen
Schrift als formales Princip des Protestantismus einzuschieben.
Erklärt wird diese Neuerung (freilich durch das Bestreben, den
§ 20 de Wettes durch dessen S ^ zu ergiinzi u; ich kann aber
nicht umhin zu vermuten, dass Bretschneiders Formulirung
hiezu mitgewirkt hat. Nun lautete dessen Formel in beiden
Gliedern auf die Prindpien der lutherischen Dogmatik.
De Wettes Vorlage lautete auf das Princip des Protestan-
tismus, und zwai* sehr deutlich darum, weil der Factor der
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ÜB£R DIE B£U>£N PROiCIPlEN DES PfiOTESTAMTISMUS. 409
persßiilicheii Gewissenhaftigkeit und des sittlichen Ernstes als
subjectives Princip iu Anschlag f^ebracht war, ein Factor, der
für die Intheriache Dogmatik als WiaseiiBeluift nieht apecifischer
betont m werden braucht, als für alle Bemfsaufgaben. Also
durch die de Wettesche Vorlage war Twesten nicht auf die
lutherische Dogmatik, sondern auf die Lebensgestalt des Pro-
testantismus hingewiesen. Hat er non aber das materiale
Prindp auf die Glanbenslehre bezogen, so stimmt das im
wesentliehdn mit Bretschndder; hat er daneben die Antoritftt
der heiligen Schrift als da^ formale Princip des Prote-
stantismus aufgestellt, so stimmt das zwar gar nicht mit
de Wette, aber zur H&lfke mit Bretschneider, und die halbe
Abweichnng Ton dessen Eormel ifüai daher, dass bei de Wette,
dem Twesten efficieU folgt, von Protestantismns nnd moiht von
lutherischer Dogmatik die Rede ist.
So ist die Formel durch Twesten im Jahre 1826 zustande
gekommen, in der unsichem Beziehung, dass man bei den
Yertietera deiseLben nie weiss, ob die beiden Prindpien fifir
den Protostantismns oder (ftr die Intherisehe Dogmatik gelten
sollen. Diese schillernde Haltung erklärt sich jetzt sehr ein-
fach daraus, dass die Formel in einem Commentar über die
fremden Gedanken de Wette's durch die Einmischung der noch
fremderen Gedanken Bretschneiders fertig gemacht ist
Eine abweichende Haltung zn dem Torliegenden Problem
nimmt Hase ein (Hutterus redivivus, 1829, § 9). Zunächst
deutet er die Frage nach dem Wesen des Protestantis-
mus so, dass es sich um ein Princip handele, aus welchem
alle eigentflmlichen Dogmen hervorgehen oder durch welches
sie eigwitltmlieh bestimmt werden. Br scheint nnn alter-
nativ zu verfahren, indem er annimmt, das Princip könne
materiell, oder es könne formell sein; in jenem Falle ein
Dogma, welches alle anderen modificirt, also der Satz von
einem solchen Yerderben der menschlichen Nator, dass die
Vefsdhrnrng mit Gott durch den Glauben allein mOglich sei;
in diesem Falle ein Gesetz Aber Ableitung sämmtlicher
Dogmen, also die alleinige Autorität der heiligen Schrift
Indes nimmt Hase doch an , dass beide Prindpien zusammen
den Protestantismus diarakterisiren sollen. Er billigt aber
Mtoehff. i: K.-0. 27
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410
äieauk Vcfsehtagf oichi Denn entwote wArde jenen Prin*
cipien absolute unfehlb«« Autorität beigelegt; dann wäre
der Protestantiäuius nur eine Abart dea KathoUcismaß. Oder
die Wahrheit des materiellen Principe kann durch das fonoflUe
widerlegt fneidea, dieees eelfaet aber berobt anf einer Auange
dar Kirche, welche eelhet niebt nnfeblhar ist ,,Ihdtor isfc
der Protestantismus notweiuiig aus einem höheren Gesiclits-
punkt aufiuiiitösen/' Sein positiver Charakter sei ,,das Heil
dnffoh Christus ergrüTen im Glauben 'S sein negativer ttdaa
PvoMiren wider birchliabe Unfehlbarkeit^. Ich fthre diese
fSrOrtemag im, nidht um in die DiecnsBioB fiber dieselbe 0tn-
Zwutroton, soiulei II um die ünklarhwt zu constatiren, in welclier
Ha&e die Ansicht darstellt, die er bestreitet , die er also aur
in dieser Unklarheit voigefüaden hat, Erat handelt es «Ld^
bei dem Princip des ProtaBtantiamua wa mm den GniDd
der Erirlftrmijf aller seiner Dag men uid ihres gegensmtigen
Zuijammcnhanges; die widerlegende Beurteilunt^ aber richtet
amU AU^ 4i6 Anschauung eiues praktischen Lobeuszusamaiieii-
bangas, der eatwedar auf unfohlbarer Autorität beruht, und
daMi aichi fvotestaatlsoh wftra« oder ohne dieselbe inahi
bindern kann, daas die Oeltani? der beiden Principiea in der
Ueborzeugimg ilor Menschen sich ula widerspruchsvoll crweisoH
würde. Die lidiaiulluiig aber, welche Hase der uns beschäf*
tigendeB Formal mrendet, ist nkdit mur absiehtiieh g^en
Bretsohneider gipriehtet, aondem venii aoeb, daas Hase 4en
modemea Ursprung derselben von den AnUsaen ganan unler-
si;hoidßt, welclie sie in den von ihm angeführten äcbuuil«
kaldipchen Artikeln findet.
Oean kommen niu aber noch Solganda Baobaohtgagen,
ladm 3Vastan van aatnen FQbrer de Wette an den oben
anBeiaander^esetaten Aaadrfiokia sich verleiten liess, bat er
ilamit üffinibaj' mclitü Endgültiges und luibodingt Massgebeudes
aufstelkn wollen. Dean S. 75 des angeführten Üaade» er-
l^eant er deo Q^easats der katboliachen aad der pvotestan*
Uaslm I#ebre van der Kireka als den Punkt an, ««lamit die
meislea, am niebt in sagen alle, fibrigen Versdiiadenbaiiea
zusammeabängen." Er beruft sich ferner S. 74 auf Melancli-
Üäm und Uellaiaiin daför, dsßs die Abweiühuagen zwiacUea
Digitized hj- rrrrrgh
tinm i>m msmm 9Ea mimmAwmuxjB. 41 1
Katholiken und Protestanten unter 4m zwClf Artikeln des
apoBtoliaeheii Symbolum lianpiBfichlioh n«r die von der Kirche
und ¥0B der Bfindenvergebung befarefflm. Twesten bat Uevon
keinen directen Gebrauch zur Beetiramung des Princips des
ProtestaJitismus gemacht ; sonst würde er mir die Formulinmg
Yorw^enommen haben, welche ich in der YeroOhiiaiigBiehre
a. a. 0. aitfgesleUt Inbe. Aber eeiae Bemerkangen beweisen,
€to8B es ihm mit den F(Mnneln, die er naeb der Anlage seines
Buches auf Anliiss von de Wette gebildet liat, nicht so ernst
gewesen sein kann. Dieselben sind auch durchaus nicht so-
bald überall recipirt, flberbaupt nicht fiberall bdrannt gewesen.
NUasseb in der „Protsetanlisohen Beantwortong der Symbolik
noblen** (Stndlen and Kritilten 1634. 1635) maebt keinen
Gebrauch von der Formel. Erst durch die gleichzeitige (1834)
Schrift U Ilmanns über Johann Wessel (S. 181) sind die von
Twesten ausgeprägten Formehi zu der Einwirknng auf die
gesehiebtliebe BeortMlnng der Befoimaiion, des Prote-
stenttraraB, nnd der in ibm entsliaadenMi Confessionen gelangt,
welche sie fast als kanonisch erscheinen lasst.
Darauf aber werde ich nicht weiter eingehen. Ich will
itnr nedi an einem Beiqnel zeigen, wie yerscbieden die
Distinelien swisoben materialem nnd formsdem Princip anf dem
Gebiete der Theologe m der Zeit angewendet werden konnte,
welche hinter der Dogmatik von Twesten liegt. Sartori us
(IMe innere Verwandtschaft des Ratioualisnnis und des lioma-
nismnB, 1826) sagt, der Bationalismns vertrete „die Ansicht,
dass die BrkenntniBqnelle oder das materiale, Erkenntnis
gebende Princip der Beligton (denn fiber das formale oder
Erkenntnis empfangende kann kein Streit sein) innerhalb der
Grenzen der menschliclicn Natur zu suchen sei**, — und
nicht in gOtÜieber Offenbarung (fik 16). Die Lehre von der
Beebtfertigung durch den Glauben nennt Sartorius die Fnn-
danientallehre des evangelischen Christentums (S. 55. 190);
er kennt also den S|>r.icligebrau(-]i gar nicht, welcher seit
zehn Jahren sich vorbereitete. In dem, was er als das un-
zweifelbaAe formale Princip der Erkenntnis in d«rBeligion
anerkennt, ebne es m bOKelefanen, daif er woU mit Weg-
scheider und de Wette zusammengestellt werden. Allein wenn
27*
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412
BnrBGHL,
man uach den Andeutungen von Sartohos eine Formel für
den Protestantiamos zn bilden hiUAe, ao wfiide daa materiale,
also daa Erkenntnis gebende Princip auf die Offeidtoruug in
der heiligen Schrift lauten müssen, das form nie Fmicii» des
evangelischen Christentums aber auf die persouliolie Qewissheit
der Rechtfertigung durch Chriatua.
Also giade omgekehrt ginge ea anehi Und zwar würde
diese Formel dem unprOnglichen Sinne des Begri Iispaares,
also dem Sinne entsprechen, den Aristoteles damit verbunden
hat. Dass es anders gekommen ist, ist nun zwar richtig;
allein mir scheint es, als ob dieses in sehr zu^liger Weise
geschehen ist Es erinnert mioh an die Art, wie die Be^
hauptuug der sieben Sacramente der Kirche dnrch den Lom-
barden in ihrer Ueberzeugungdkrull dadurch unterstützt worden
ist, dass die Vorstellung von septem sacrameuta schon vorher
im Umlauf war (vgl. Steitz in Herzogs Bealencjkiopfidie
Xin, Sb 243. 244). Man wnsate von aeptem sacrameDla
regenerationis, d. h. von den Acten der Einweihung der Eate-
chumeneu, und von septem saoramenta, quibus ordo domiuiaie
dispeusationis impletur, d. h. von den Geheimnissen des Lebeus
Christi ; die Formel war zur Aufnahme verschiedeoai-tigeu In-
haltes diaponirt, also warum auch nioht zu dem, wekfaen der
Lombarde fßr sie &nd ? Aehnlich setzte man die Distinction
eines formalen und materialen Principe mit der lutherischen,
mit der rationalistischen Dogmatik, mit der lieformatiou, mit
dem Protestantismus in Beziehung ; die Formel ging um,
und suchte, welchen Inhalt aie veiachliDgen konnte. Ea iat
ganz zuftlüg, daas ihr Gebraudi nicht in der Linie Bret-
schueiders, dem Köllner (Symbolik der lutherischen Kirche,
lbJ7, S. 599) zustimmt, nicht in der Linie Wegscheidels,
sondern in der Linie deWettes zur weitern Verbreitung ge-
langt ist Die Zufälligkeit dieses Erfolges wird nur dadurch
eingeschränkt, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts die Schule
Schleiermachers am Ruder war, und dasa in ihr die Autorität
von Twesten und Uilmaun natürlich den Ausbchlag gah.
Es ist doch merkwürdig, wie kurz das Qed&chtnis der
Menschen ist Als Beck im Jahre 1861 die Anfrage an
Ullraann richtete, bemerkte er, unaere Generation sei
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ÜBER DIE BEIDEN PRINCIPIEN DEb riiOTEaiANTISMUS. 413
gewohnt, die Dirftinction als eine Ueberlicferung von Luther
oder von der ältesten Epoche lutherischer Theologie her an-
zusehen. Damals war die Formel durch Twesten grade vor
fÜnftindzwaDzig Jahren fertig geworden. Ihre ersten Eeiine
lagen nnr ftinfzig Jahre rarflck. Trotzdem galt die Sache
•
als unvordenklich feststehend! Die beste Auskunft konnte
schon damals Twesten geben, vielleicht auch Hase. Haben
dieselben die Anfrage in der weit verbreiteten Zeitschrift
fiberaehen, oder haben sie es nicht der Mfihe wert geachtet,
sie zn beantworten, oder war ihnen selbst nicht metor er-
innerlicli, dem einen, dass er bei der Feststellung der Formel
beteilii^t, dem andern, dass er als ihr Gegner mit ihrer Neu-
heit bekannt war? üllmann bat geschwiegen. War er als
Historiker in den dogmatischen Bttchem nicht heimisch, oder
hat ihm die. geschichtliche Spflricraft gefehlt, am den Faden
der Entdeckung zu ergreifen? Kurz es hat seit der Anfrage
Becks fünfundzwanzig Jahre gedauert, bis ich mit einer Ant-
wort dienen kann, nach welcher vielleicht nur wenige fragen,
und die vielen eine nnangenehme Enttäoschnng bereiten wird.
Denn die Formel erfrent sich, wie ich beobachten kann, einer
ganz ungemeinen Gunst; Gunst und Misgunst aber sind, wie
ich weiss, sehr starke Stützen und Hebel theologischer üeber- .
agengnng. Aber es hilft nichts. Die Formel ist grade fünfzig
Jahre alt; einschliesslidi ihres vorbereitenden Stadiums reicht
die üeberlieferuiig bis auf fünftmdsiebzig Jahre znrfick ; weiter
nicht. Also alt ist die Formel noch gar nicht; aber ich hoffe,
sie hat ausgedient. Vielleicht wirkt diese Nachweisung ihrer
Entstellung dazu, ihre völlige Unsicherheit deutlicher erkennen
zn hissen, ab es durch technische Widerlegung erreichbar
zu sein scheint. Nebenbei aber darf man sich überlegen, ob
eine Formel für das Wesen des Protestantismus zweckmässig
sein kann, welche nicht an dem Begriff von der Kirche orien-
\irt ist
[Geschrieben im December 1875.]
Kritische Uebersicht
über die kircheiigeschiehtliehea Arbeiteii
aus dem Jahre 1875.
IIL
Geschickte des französischen Froteatantismus.
Von
Prof. Dr. Tkeodor Sekott in Stuttgart
filnloliiuig.
Societe de Thistoire du Protcstantisine Iran9ais.
Jbi ihrer Discipliiie ^eol^siastiqo» (Y. ari 3^) lat die
fnmOfBwhe proiestaiitiflche Eiiolie die erwfthneiisipirte Ter-
Ordnung: „Ea cbacnne (^glise (on) dressera des memoire» de
troutes chosea notables pour le iait de religiou." Ist dieselbe auch
nicht überall buclistäblicb befolgt worden, so hat sie dock die
reichstea Eriicbte getngeii; deun der hittorische äimiy die
Liebe ÜQr die QeseUehte ihrer Kirche wurde daD Froteetanten
Frankreichs damit gleichsam eingeimpft, und was die Ver-
gangenheit an Schätzen aller Art gesammelt und aufgespeichert*
liat, wird iu der G^enwart studirt, benütst, herausgegeben
und mit einem Interesse aoij^ommen, wie matt es bi>mn
grosser wftnschen Inum. Die taritische Lage, in welcher sich
gegenwärtig der Protestantismus jenseits der Vogesen befindet,
von ParteiuQgen zerüeiscbt und vom Ultramontismus bearg-
OSSCmCHTS DES FIUMZ. PBOTEBTANTISIIUS TON SGBOTT. 415
wdfant uod bedroht, lenkt den Blick von selbst zurück auf
eine gleichfalls leidernivolle, aber doch «^Horreiche Vergangenheit»
um aus der Fülle bedeutender Charaktere, Männer wie ftaaen, '
iM dem weohMiToUeD Boliickad, der gewAltigM LebcBtemigii,
womit der Mb verfdgto sieb nie mideliteii liesB, neM
Leben zu schöpfen und für den Kampf der Jetztzeit Bich zu
stärken. Nimmt man noch das Tn^che hinzu, welches
diesem Zweig der christlichen Kirche seine eigentümliche
£ftrb«ng gibi, 80 leblt ee licht an Momenten, welche den
Oesebiehtecliteiber locken, dies Gebiet ürseieDd so dttüb-
wandern; die Grenze, mit welcher Kaum mid Zeit es um-
schränken, scheint die Arbeit leichter zu maclien, und die
Verbindung, in welcher der fmnzosische Protestiintismua stets
mit dem Audaiide stand« fthrt aacb die SobrifksleUer aadiOT
Nationen diesem Teile der finmiOsisdiea Qoeehiohte sn.
IXii) grösste Verdienst um Belebung und Förderung dieser
Studien hat sich ohne Frage die Societe de l'histoire
du Protestantisme fran9ai8 erworben. Im Jahr 1862
g^grflndet ist oe in den dioiwidswanzig Jahren ihiee Be-
stehens ibiem Ziele, die Gksddohle ihrer heimatlioihen Kirche
nach allen Seiten hin bekannt zu machen, mit einem Kifer
und einer Umsicht nachgekommen, welche alle Anerkennung
verdienen das Görnitz bat stets bedeatende Männer, ausge-
zäcbmte Gelehrte zn semen Milgliedeni gerthli, wir nemieii
YOD den gegenwirtigen nnr: Fem. Schiekler, JnL Delaborde,
Jul. Bonnct , Muur. Block, Hen. Bordier, Charl. Kead,
Ed. Sayous, Charles Waddington; die Gesollschaft lasst auf
ihre Kosten NacMorschungen in BiUiotheken und Archiven
vennskaHen, gibt nnedirte oder forgrifliKie SdiriAen henma,
stellt Preisanfgaben «); in ihr haben ^e BMkA wenigstens
auf französischem Boden einen festen Mittelpunkt, und es lässt
1) Die Qeaelkcfaaft veröflontÜGbte antfir dem Tito] : Notico gor la
Bocicte de lliißtoire du Protestantisme fraiivais 1S52— 1872" (Paris 1874),
eine ebenso interes.sant4? als anziehende IJebersicht nl)cr ihre Geschichte.
*) Eine Fraclit davon ist s. B. das Tortrefflkb« Wtrk: Antoine
Court, Histoire de la resianmtion da ProltstantisiiiB m taape n
XViU« siedo d^aprie 4m doouMiii Mditi pw fi. Hagvea 1. 9.
Paris 1878.
416 KlUmCUK ÜBIiltöKJUTEN. 1876. UI.
sich niclit verkennen, daes unter ihrer sieheren und beskimmtoa
Leitung die Fom huni^cti fruchtbarer geworden sind.
Ein treffliches Or^m steht der Gesellschaft zur Seite, in
ihrem monatlich erscheinenden Bulletin von dem tätigen
SekretAr der OeseUaehaft JnL Bonnet nmaiehtig und ge-
flohmaekvoU geleitet, bat jeder seiner Jalirgftnge die Geschicliie
de» tianzösischen Protestantismus wesentlich gefordert ; uuedirte
Dokumente werden abgedruckt, interessante Fragen angeregt,
zuweilen auch geltet, mancher Aufsatz, der später zu einem
stattlichen Buche anschwoll, hat hier zueiat das Licht der
Welt erblickt; tUr den, der sich mit der Geei^ichte dee Pro-
testantismus bekauiit machen will, ist es der uneiitbthi liehe
Handlanger, aber seit der vorteilhaften Umwandlung im Jahr
1866 aus einer historisch -archivalischen Zeitsclirift in eine
literarische ist es auch in vielen franzfieischen fVunilien ein
gern gesehener Hansfreund, Ar die sieb gegenfiberstehenden
Parteien der reforiiiirten Kirche ist es ein friedlicher Tummel-
platz zu der gemeinsiiraen Arbeit an ihrer Helden- und Mär-
tyrergeschichte. Dass manches Unbedeutende in den 23 Banden
des Bulletin sieckt, wer wollte dies leugnen! aber da» das
Wertvolle bei ireitem tiberwiegt, zeigt ein einziger Kick
auf den Inhalt jedes Jahi >,an^^s -).
Ein weiteres Hülfsmittel stellt die Gesellschaft dem
Forscher ihrer Geschichte zur Verfügung: ihre Bibliothek.
Lange war die Qrllndung einer solchen in Aussicht genommen,
am 10. November 1865 vrurde sie beschlossen und sogleidi
ins Werk gesetzt. Dieser glückliclie Gedanke ist vom schön-
sten Erfolge gekrönt gewesen; kostbare Bücher, seltene Aus-
gaben, Manuscripte, Medaillen, Stahlstiche, Photographien eta
(denn die Bibliothek soll, etwa nach Art des germanischen
Museums in Nfimberg, eine Vereinigung von aUem auf den
französischen Protestautismus Bezfiglichen bieten) strömten
von allen Seiten als Geschenke, durch testamentarische Ver-
1) Bulletin lüstorique et ytt^raire, T. XXJV. Deuiieme ^m.
Dijdemc Annee. Paris, Agence centrale de la socieU', 1875. p. 57G.
^) D< r Inhalt des Jabigaugs 1875 wird bei den gingelneo Perioden
aDgeTülirt werden.
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OBBGBXCHTB DE8 FRANZ. FBOTEBTAMTISlfUB VON SCHOTT. 41 7
füguüg dem Coniiti'; zu, manches wird aucb durch Kauf er-
worben; aber den Haaptsafloss bilden die Geschenke, nnd das
Balletin bat jedes Jahr mehrmals die angenehme Pflicht,
lange Listen von Guben aufzuführen. Statt des bescheidenen
Schrankes, der im ersten Jahre die weuigeu Bücher uraschloss,
genägt jetzt ein geräumiger Lesesatil (Place Yendöme N. 16)
kaum mehr, am alle Beichtflmer (mehr als 7000 Bftnde) za
beherbeigen. Noch ist sie keineswegs vollstftndig, aber doch
leuchtet der Wert dieser in sich geschlossenen Sammlung
ein; wer in Paris Studien machen will, ist in der vorteil-
haften Lage, eine jedenüeills in diesem Fache sehr reiche
Bibliothek aar YerflQgang za haben; die katholische Yer»
folgung hat sich bekanntlich anch anf die Bücher ausgedehnt
und die sonst so ausgezeichneten öttentlichen Bibliotlit'ken in
der Hauptstadt Frankreichs besitzen nicht alles, was man von
ihnen verlangt. Als besonders wertvolle Bestandteile sind
hervorzoheben die Papiere Faal Babaats aas dem Naehhisse
▼on Äthanase Coqaerel fils, die grosse Sammlung von Joomalen
und Zeitschriften aus dem Nachlasse von Fr^d(jric Monod, die
Werke Aber Port Royal, von Ste Beuve geschenkt, die Papiere
der Gebrüder Haag a. a.
Die Brwfihnang dieser letzteren führt aaf ein weiteres
Werk, welches im Erscheinen begriffen ist, die Kenheraasgabe
der France protestantc'). Trotz des eminenten Fleisses,
welchen das gelehrte Brüderpaar auf das Werk ihres Lebens
verwandte, sind doch manche Lücken geblieben, za der Welt von
Todten, welche sie aas dem Grabe der Yergeesenheit erweckten,
sind im Laafe der Zeiten neae, ihnen nnbekannte entdeckt
worden, welclie in der allgemeinen Biograpliie der Hugenotten
ihren Raum beanspruchen, das Werk war schon längst ver-
griffen and so entschloss sich die Gesellschaft, unter ihren
Aospicien es nea heraoszageben. Das Oomite dafttr, an dessen
Spitze H. Bordier steht, der kenntnisreiche Heraopgeber des
^) La France protestante on vie des protestants fran^'ais qui sc
8ont fait nn nom dans rhistoire par M. M. Eng. et Em. Haag.
T. 1—10. Pariß 1846-1858.
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418
KRinSCliü ÜbEKÖlUITJiN. 1876w HL
Chaasoider hvgueiioi und das Namen wie ProüeaMnr Nieolas,
Rod. lieuss, Ch. Road, F. Schickler, Ch. Waddington unter
seinen Mitgliedern hat, erweiterte den Plan dahin, daas nicht
nur die bedeutendere& fraiubteiBebeD Protestanten darin Auf-
nalime finden aollen, aondern aneh aUe, wekbe aMfc dem
16. Jalirhimdert bis zum Jahre 1789 für ibfen Glauben elwas
erlitten haheu, und da es kiiuui eine französische Familie
giebt, welche sich nicht in dieser traurigen Lage beiunden
hätte, so werden wohl alle französisch prolestantudien Familiea
hier sieh msammenfinden. Auf die eiate Attgabe wird stete
verwiesen werden nicht blos aas Grflnden der Pietöi, sondern
weil die Gebrüder Haag manche Abschriften antührteu, deren
Originalien seitdem vernichtet worden sind, wie z. B. die
Civilstandsregister von Paris durch die Brandfackel der
Commune; genaue Begistar am Ende jeden Bandes werden
die Benutoang sehr eiieiditem, und so Inan man das Weit
nur mit Freuden begrüssen und ihm rasche Förderung wün-
schen
Noch drei wichtige Werke möchte die Gesellschaft im
La«fe der Jahre rar Aasfiftnuv bringen: eine üteraloige-
schicbte, eine Bibliographie und eine Geographie des iim5-
sischcn Protestantismus. An die let/.tere hat Pastor Auzirre
schon Hand angelegt, ihm wird auch die schwierigste Auf-
gabe zugefallen sein; denn die Angabe der Diöcesan- und
Provindal-Grenzen, dea Bntstebens und Yeraohwiadens einsdner
Kirchen wird auf gewallige Sobwierigkeilen stoesen, aber das
plastische Bild, das in einem Atlas die refoiiniite Kirchen-
geschichte auaführt, wird jede darauf gewandte Muhe reich-
lich lohnen.
An einem ausföhrliohei Gesammtwerke , wekhes die
ganae Geschichte des firanzOoschen Prolestantisttus umfiuneD
wüi'de, fehlt es; die Geschichte von de Feiice ^) ist zwar
<) Le Cbaosonier hagaeuot du XVI« si^cle (p. H. Bordier). Farn
1870.
2) Ikr cnUi Halbhuixl (\^r rieueu Aufgabe A— Aubigue iift mir
Anfang Juni dieses Jahres zugckotiiuen.
s) 6. de Füiice» Uistoire dos Frofceitaatii de Fnuice QwiüaB«e
uiyiii^uü üy Google
OE8GHIGBTB DES FRAMZ. FBOTBSTAllTJSHI» VON SCHOTT. 41 9
wiederum in neuer Auflage enohienen und von Prof. ßonifas in
Montauban bis auf die Gegenwart fortgeföbrti aber so töehtig
FT"
■Kl
l>ll
Th
Handbuch; dem deutschen Kriegsmanne der die letzten
30 Jabre eines vielfach bewegten Lebens diesem Zweig der
Geschichte widmete, war es nicht vergönnt, sein Werk zu
Tolleaden; wer es je wcdter i&hrt, wird in dieselbe Klage ein-
stimmen, die Polenz erhoben hat, dass die Ueberftklle des
Stoffes eine kaum zu bewältigende sei , denn Monographien
über Personen, Städte, Provinzen, einzelne Perioden, ebenso
Quellensammlungen aller Art bieten sicli in reichster Fülle
dem FoTBcher dar. Die literarische Arbeit des Jahres 1875
hat in jeder Hinaicht zu diesen Schätzen nene gefQgt, aber
charakteristisch ist auch hier: so wcuig es an guten Bio-
graphien, anregenden Essays, wichtigen Doknraentensammlungen
fehlt, bedeutende ^stematische Darstellungen sind, einige Fort-
setmngsn aoagenoinmen, nicht erschiensn, dm spoehemsdien»
des Werk haben wir in dieser üeberneht mcbt an&uB&hkii«
1. Vota Aafiaiis; der Relbrmation bis Bttm Ediot voa
NaatM UAl— 1698.
L Oofpns Befofmatornm, ToL 41. 4Si* Joamds Calml opera qnae
«npemitit omnia ed. G. Bavia, E« CniiitB, E. BeasB, theologi
Argentofstemefl. VoL XSL XIV. — 'SbrnwA epistottBi T. IV.
EpifltDlM ad aniMM 1548 Juli 166a 1651—1653. BrauBvigac,
Schwetschke 1876. p. 684. 742. 4«.
2. Karl Pietschker, Die lutherische Refonnation in Genf. Hifitorische
SStudie. Cötlien, Schettler 1875. p. 90. 8".
3. J. EL Merle d'Aubigne, Histoirc de la rüforniation en Euroixi au
tomps de Calvin. T. VI. EcuBse, SoiBüe, Genove. Fan», M. Levy-
lireres 1875. 656. 8«
4. B. Böget, HiBtoire da peuplc de Genöve depms la Refonue juaqa^a
rOMsated». T. lU. Qmbw, J. Juilkn 1875. p. 383. 8*.
deyiiit 1861 jiwqa'aa temps actael par Banifas. VL Tooloue,
Lagarde 1875. XIV, 819 p. Diese Aiu^be ist mir nw dnreh eine
Anzeige bekannt.
1) G. TOS Polenz, Geeehiehte des französischen Galvlnismas bis
zur KaiÜMiSlVetsanuglhing im Jafaie 178S. Bd. I— V (Us xm Gnaden-
«diefe inn Ulmet 1688). Gotha, F. ä. FMm 1857—186».
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420
KKITI8CHE OB£BSiCUT£N. 1875. lU.
5. E. A. Berthault, Mathurin Conlicr ot l\nHcigneraent cbez les pre-
micTH inistcK. Paria, Uonhourc iHTß. p. 88. P".
6. Gaufres, Lea ouUegcs protostants, IlL N'unes. Bulletio 1875.
p. 4 ff. 8".
7. R. von Dalwigk, Das lieben und dio Schriften des Fran^ois de
La Nooe (QymnasiiüprograuitD). Coburg 1875. p. 24. 4*.
8. O. Sohobi» Hubert Langnet als Irarsaehsiaehcr BeriohteiBtatter und
Gesandter in Fnuikretoh wahrend der Jalire 1560—1673. Halle,
Genenina 1875. p. 63. 8*
9. DonzlAme rappoit aar lea recbeichea Mtes an' Briti^ Huseam
et an Beoord offioe conoemant des docnmcnts relatifb a lliistoire de
France au XYI« ai^le par le oomte de 1a Ferri^re in: Archivea
des miflsions eeientifiiinea et litterairea. Ser. HL Tom. 3. Faria
1875. p. 1—147. 8».
10. Documenta inedits }xmr si-rvir ä l'hi.st^iiix' de la lli/runnc et de
hv Li'jTiK- ;)ur J. Lou tchitzi^^. Pariti 1870, Sandoz et Finch-
bacbcr. p. ^-i. kl. 4.
Die grösste Epoche der neuen Geschichte, die Reforraa-
tionszeit, hat auch in diesem Gebiete am uieisten Bearbeiter
gefunden; der Grund davon liegt einmal in dem Umstände,
dass fllr die historische Betradiiang das Werden, Entstehen
und frische Wachsen von etwas Neuem viel mehr Interesse
einflösst als das ruhige Fortleben und Veralten, lerner in der
wissenschaftlichen Richtung uusrer Zeit, welche wie auf die
Uigeschichte des Christentums, so auf die Erneuerung des*
selben in der Befornution zurfickgeht, um* den Ghinben und
dtis theologische Wissen der Gegenwart nach den dort gelten-
den Principien zu untei-suclien und neu zu begründen , und
endlich in dem lockenden Anblick, welchen diese Heldenzeit
des Oaivinismus durch die glänzende Reihe ihrer grossen
Männer (OEilTin, Coligny, Beza u. a.) und edler Frauen (Jo-
hanne d'AIbert, Renata von Ferrara) darbietet. Hoch über allo
andern ragt Calvins gewaltige Gestalt; der Reionnator von
Genf ist eine ganz einzigartige Erscheinung in der Geschichte,
und keinem der Beformatoren ist so schwer gerecht zu werden
wie ihm. Dem Strom der Beformatioo, der in Deutschland
begann langsamer zu fliossen, hat er neue Kraft gegeben,
seine Arme nach Frankreich, Italien, Schottland geleitet, aa
ihm wie einem rocher de bronze zeischellten die wilden
UJiSCmCUTE DJÜÖ FRANZ. PROTESTANTISMUS VON SCUO'IT. 421
Wogen der katholiseben Reaction olminftebtig; ein Fremdling
blieb er mitten in der Stadt, in welcher er so viele Jahre
seines Lebens zubrachte und welcher er deu Stempel seines
Wesens auidrackte, kosmopoUüsoher rar er als Luther nnd
Zwingli, von dem kleinen Hans in der me des Ghanoines bat
er den Zng der Reformation dnreb die Welt flberwacbt. An
Schärfe des Verstandes und Cousequenz des Denkens und
Handebis stand er über seinen Geuossen ; der schwache uervös-
reizbare Körper verbaig einen nnbeugaamen Willen und eine
nnermfidliche Arbtttsbaft; des Lebens heiteres Dasein schien
dem ernsten Mann nie nahe getreten zn sein; mensdilicbes
Fülilen schien ihm nianchuuil so sehr abzugehen, und doch
baiig sein Herz viel Gemfi tliches (wie wAre es aonst mOgUck
gewesen, einen solchen Einfloss zn gewinnen!); ein ansge-
zeichneter Theologe, ein weitblickender Staatonann, deesen
Ideen für Staat nnd Kirche, Humanität nnd Cnltnr, Yolks-
souveränität und politisclie Freiheit die weitgreifendsten Folgen
hatten, ein trefflicher Jurist, der ein Gesetzgeber der Welt
geworden, ist er für die einen ein Gottesmann, zn dem sie
in Verehrung emporblicken, für andre eine abstoesende, nn-
sympathiflcbe Gestalt, ein finsterer Zelot Mehrfach ist er im
Jalirc 1875 literarisch behandelt worden.
Die siclierste Grundlage füi* seine Biographie bietet das
Corpns Beformatorum; die verdienstvollen Henn^geber
deflselben haben nns mit zwei nenen Bftndim beschenkt, welche
die Correspondenz der Jahre 1548—1553 enthalten; es waren
die Zeiten, da nach aussen die Blicke der Schweizer Hefor-
niatoren sich den wechselnden Geschicken Deutschlands zwi-
schen dem Interim nnd dem Faaaauer Vertrag bald, fürchtend,
bald hoffend anwandten, da nnter Bdnards VI. Regierung die
Reformation einen vielversprechenden Frühling in England
feierte, da jenseits der Alpen das Concil von Trient wieder
zusammengerufen und in Frankreich gegen die zahlreich sich
mehrenden Ketzer das Kdict von Chateaubriand erlassen wurde.
Die Schweizer Theologen wurden durch den consensus Tigu-
rinus bewegt und in Genf selbst wilhrte der Kampf zwischen
den Parteien fort. Calvins Einfluss stieg zusehends, der Streit
mit Bolsec wurde ausgefochten und Servetes Scheiterhaufen
43S
Tm, 187& IXL
wuf eineii blatigen Sohimmtr auf die pioteslBiitiBdie SMt
am Leman. Welchea Wert die Briefe Oal^ns haben, bedarf
keines Commentars, uiid nach den liusserst genauen Nach-
forschungen, welche die Herausgeber in den bedentemlsten
Bibüetheken and Archiven angeitelli haben, wird die Nach*
lese ?on Briefen Calvins, welche ehra nodi ans Lidit gezogen
weiden k(tanten, nnr eine sehr spArliehe seu. Der Fleiss
iiinl die Umsicht, womit der Text behandelt und die An-
merkungen gegeben werden, sind allgemein anerkannt (für
den Gebrauch sehr wflnschenswert wAie freilich am Schlüsse
jedes Bandes dn Inhalt nnd ein Register), und dadurch, dass
nicht nnr die Briefe Calvins, sondern anch die seiner Corres-
pondenten (Melanchtlion, IJezii, Farel, Viret, Bullinger, Haller
und unzähliger anderer) teils in extenso teils in Ausaageo
mitgeteilt werden, dus überhaupt allca, was sich sonst
auf Oslvin bezieht, hier seine Stelle indet, wird das Werk
80 vorzüglich. Tag für Tag kann man Calvins lieben verfolgen,
man erhalt ein Hild von ihm und seiner Zeit, zu welchem
er selbst die meisten Pinselstriche geliefert, hat.
Sehr erfreulich ist flberdiee, dass das Werk so rasch
voranschreitet, und nnr zu nahe liegt der Wunsch , dass dae-
selbe der Fall wäre bei dem ebenfalls sehr l)edeuteDden Werk
von Herminjard *), das erst bei dem Jahre 1538 auge-
langt ist.
Die Beformation^geschiehte Qenfii vor Oalvins Auftreten
behandelt Pietsehker, parallel mit den zwei ersten BQchem
von Kanipschnlte *) und auch friedlich mit ihm Hand in
Iland gehend, so lange das roligiöHc Moment nicht in Be-
tracht kommt. Mit dem Anfange der Reformation (kirch->
liehe Opposition, Abschaffung des Katholidsmus, Sieg der
1) Com^siiondance de» Reformatours dans les jwiys de languc
fran^aine |iuhl. p. A. L. Herrn in jard. T. 1 — 4, 1612 — 1588. Gcd^vs
1866-1872.
*) Johannes Calvin , seine Kirche und sein Staat von F. W.
Kamp8chulte. lid. I. Leipzig 1809. Nach einer Notiz in der
IkCvne critique 1874, II. S. 209, soll der zweite Band von dem Vefiasser
vor seiiiem Tode noch vollendet worden sein. (?)
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STB DES FBAHZ. PIIO««rA»riaifl» YON 8CH0TT. 42t
fiefonnation) scheiden sich die Wege beider, und es bofi^iuit
die Polemik gingen die Purteilichkeit) mü welcher Kamp»
teholte 4ie CtewalUaten der Pretotliaiiieii lli»er(areibt (2. B.
beim Morde Wehrlys, bei der Aiifliobiiii*,^ der Klöster) oder
die der Katholiken verscbweigt und hestihönigt (wie bei dein
Yersach Yiret m ?eigiften). Das Buch ist frisch und an-
regend geiohriebeB, Mkak sieh besMiden auf die tob Kamp»
schalte nicht genügcDd bemtzten RatspuotokoUe ond soll der
Vorläufer einer grösseren Arbeit über Calvin und die Liber-
tiner sein; angeacluckt gewählt ist der Ausdruck „lutherische'*
Reformation, es sollte „die Reformation vor Calvin'' heisscn.
Binen Schritt weiter, bis zum Jahre X540 ftthrt das
Werk von Mo rl e d* An b i g n ^ , nach den vorhandeBen Ifann-
scriptcn herausgegeben; bis zum Tode Calvins hatte er sich
Foi-genouimen, die lief ormaiioDHgeäch ich te darzustellen, aber dies
Ziel 20 erreichen war ihm nicht vergteat; bis an den Tag
seines Todes (er stub am 19. Oetober 1872, beiBabe 80 .Tahro
alt) ') ist seine Jagend- nnd OeistesIVisdie diesem seltenen
Manne treu goblieben, auch durch diesen Band weht dieser
friscbe Hauch; das Feuer der Begeisterung, dius ihn im Jahre
1817 diesem Teile der Literatar zuführte, ist nicht verglüht,
der omtovische Schwang, die aBschanliche, man mitchte sagen
behagliche Detaifanderei nnd dieselben geblieben, die ana-
rührlichen Reflexionen sind nicht weniger geworden , und am
wenigsten veriindert sich seine ganze Anschauung von der
Beform&tion and ihren Helden. Sin Stück der Geschichte des
Reidies Oottes will er sehveiben; was ihm aas der Feder
fliesst, ist nicht bloss Ei^nis seiner faistorischaa Porsdiung,
aonderji Herzen suberzeugung. 60 Jahre hat er — seinem
eignen Geständnis gemäss — mit den Männern der liefor-
mation and besonders mit seinem Liebling Oalvia in «nanter*
broohenem geiatigen YeMa gesiandsB; ihre AnaichteB, vob
Anfang aa ihm symiNithisd), sind immer mehr die seinen ge-
worden, ihr Glaube war der seinige, und kein Angriff der
Gegner konnte ihm diesen streag bibUscheu Stand^kt rauben.
') Y^L den trefflichen Vortrag von .1, Bonn et, Notico 8ur la viu
et 8ur Ics ecrits de M. Mcrle d'Aubigne. Uulletiu 1871. S. 158.
424
KBlXlflCHB OBEBSICBTBII* 1875. m.
So steht er als Apologet Calvins ebenfalls in bewus^tem
GegensatK za Eampschulte, der gelehrt, geistraicb, doch kfihi
his am HerE hinao OBlyin mii kritiflchem Micke mnBfeeit nnd
^em darauf anfnierksam macht, wo eine BlOese sich zeigt —
In diesem Bande schildert Merle d'Aubignö das Auftret^^'u
Calvins luGenf^ die bedeatungsvolle Disputation in Lausanne,
die Verbannnng Oalvina und aeiner CoUßgen, adneii AiifeDt>
halt in Straasboig, seine Yeiheintimg mit Idelette de Bore,
seine Streitschrift gegen Sadolet und seine bevorstehende RQck-
kehr nach Genf; viel Neues, bisher Unbekanntes in Tatsachen
oder Gruppirung findet sich nicht in dem Buche, manches
ist nicht richtig an^gefitast sein Wert liegt besonders in
der znBammenhängenden DarateUnng der gansen BefoF>
mationsgeschichte.
Zeigen die beiden Bände des Corpus Refonnatonim
Calvins weitumfiaasende gewaltige Tätigkeit, so gibt uns
Böget ein Bild m dem Eänfloss, den er in der g^eichea
Zeit 1548^1653 speciell anf Oenf ansObte. Die Prooeaw
gegen Perret und M^gret, die unaufhörlichen Streitigkeiten
zwischen Rat und Geistlichkeit über die Kirchenzucht, das
Hereindringen der italienischen und französischen Flüchtlinge
(unter den ktsteien Besa nnd Bob. Stephanns), die Untere
stfitsnng, weldie Calvin an den Fremden fimd, der Wider-
stand der eingebornen Genfer gegen sie, der Process gegen
Bolsec, der als Vorläufer des Processes gegen Servete be-
handelt wird, bilden den Inhalt des gelehrten und gut ge-
sdiriebenen Buches. Die Physiognomie seiner Heunatstadt,
wie sie in den 28 Jahren, da Oalvin in ihr lebte und cum
Teil herrschte, so sehr sicli veränderte, wie sie ihr eigen-
tfimliches calvinisches Gepräge annahm, will lieget darstellen,
und in der Tat recht anschaulich spielt sich das durch poli-
tische und religifise Eftmpfe hoch aufgeregte Leben der Genfer
Bevftlkemng vor dem Leser ab; sehr merkwQrdig sind oft die
Details, die er anfulirt und die er besonders den Ratsproto-
kollen entnommen hat; seitenlange Citate werden daraus ge-
1) Die deutschen Citate wimmeln auch von entsetzlichen Drack-
fehlem ; hier sollten die Jkrausgeber weit mehr Soi^gfalt üben.
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OESCmCHTB DBB FRANZ. PROTlISTAIiTISlIUS VON SCHOTT. 425
geben, so dass die Dantellung hie und da beinahe den Gharakter
einer Chronik annimmt nnd nidit den der Byebemataflchen
GesebichtsBchreibung. Den Löwenanteil in jenen Kämpfen
nimmt der Streit zwischen Staat und Kirche ein, nach Roget
das specifische Kennzeichen der calvinischen Beformation
(was doch wohl mit einiger Einschr&nkmig gelten wird).
GalTin ist nicht immer als Sieger ans demselben hervoige-
gangen^ oft hat der Rat sein üebergewioht bewahrt, aber anf
Calvin selbst fällt ein neues und niclit immer sehr <(üustiges
Licht; es macht gradezu einen kläglichen Eindruck, wie der
grosse Keformator von dem Teil der Genfer Bevölkerung,
welcher sich gegen die Einfthnmg der strengen Kirchenzacht
sperrte, verhöhnt nnd verfolgt wird, nnd wie er seinerseits
die geringste Abweichnng von Lehre und Gesetz, jeden Fluch
und Tanz, jeden falschen Schnitt in der Kleidung dem Rate
anzeigt und auf Bestrafung der Schuldigen dringt So grofi&-
artig die Idee ist, den Massstab des Evangeliums an alles an-
zulegen, hier fIBhrte sie zn einer bedanerlieben Kleinlichkeit,
nnd sie fUlt imisomehr anf, da sie der firderen Anschaanng
unsrer Zeit giadozu ins Antlitz schlägt. Mag Reget auch
mit einigem Behagen hei diesen Scenen verweilen, sein Buch
ist bedeutend und wird stets für jene Periode mit Gewinn
benntzt werden.
Mit der Geschichte der Bdbrmation eng verbunden ist
die des Humanismus; er war ihr Vorläufer und ging ihr
gegen das Papsttum streitend zur Seite, und in allen Ländern,
wo die Reformation Eingang gewann, sorgte sie, den literari-
schen Gewinn des Humanismus durch gute Schalen zum Ge-
meingut zu machen. Die Vorliebe, mit wel<dier geganwftrtig
die Geschichtsschreibung inch dem Humanismus zugewandt
hat wird auch in Frankreich geteilt. Dem Genfer Schul-
mann Matlmrin Cordier hat Berthanlt eine kleine Studie
gewidmet; Cordier (geb. 1471), gest. 1564) war Calvins Lehrer
in Paris gewesen, hatte dort im Hanse von Stephanns die
1) Vgl. die treffliche Abhandlung von L. Geiger, Neue Schriften
zur Geschichte des HamaniBiDiui in Sybelg HistoriBcher Zeiiichrift 1875,
Bd. XXXm, 8. i»fL
ZrttaAr. & K.-0. 28
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uciu! Lehrß kenneu gelernt, mutiste deöwegen 1531 Paris ver-
la&sei), ging nach Bordeaux und von dort auf seines Schülers
liuf 1537 nach Qenf, «<n jet^ an hlieb er in der Schweiz
(Nen^hatel, LamHume); 4669 übemahm er hocbbeUigl matt
SWIe an im imoigaaisIrteB OolHge in Ctaf. Hier hat er
auch sein llaujjtwerk: Colloquiorum scholasticoruni libr. IV,
lange Zeit ein beliebtes und vielgebrauchtem Uebungsbuch
i)rAPZösl8chen Schulen, verfasät,
Cordier gehdit 4er tbeologiairf^iiden Sichlaag dea Hii9i%-
mnua an, er war AnUfaigar der tbeologia liiUmta« md gndia
dieser Charakter wird von Berthault und Bonnet mit warmem
Lobe hervorgehoben. Als Humanist soll er der erste gewesen
sein, welcher ücaozösiscl) lehrte; auch sprach vergleichende
atndiei) kgeii ihm nicht fern. Dm Yfetk ven BerthaiUt ent-
hltt naoh der Biogripliie Goadi^ri, die dnroh nupobe
n^iigse Deklimation vemoetaltet und aidit sehr wertvoll ist,
iÄteresi>mite Auszüge aus den Statuten des Genfer Coll<^ge
sowi/e aus d^n ziemlich seltenen Büchern Ck)rdier8; die Ver-
gleiebiUlg mi dem deutscheu fiowauismus wäre kier aahr
HBk» gjftleg^Pt ist aber niebt g^gelHNi; aa wünachen wl|pre« data
ei» Fonpber im HamanisinnB die DnrstelliuBg des iDaenen Chga*
nismns der Schulen des 16. Jahrhunderts in Angriff nehmen
und dabei sich nicht auf ein einzelnes Land besohrankoi^ m^öchbei
die iUbeit wäre ebenso wt^essant als dankenswert.
Per Qeephiobte der proteetantischeii Coll^ee ia Fmnk-
XfUk haii eiäh 0anfr^8 zugewendet; nach dein Vorbilde von
Gkuf erheben sich unter dem Sobntae des hi^eDOttisdien
Adels, der es für seine Ehi'enpflicht erkannte, seinen Söhnen
eine BildMVig %u geben und in den Stadteu, welche dieeem
priyilegiTten Stande Oultuefreiheit verdaakteo, anoh Ar maf
geliaobe SUdangwmtalten ait soigen, and «ntecakUtat to« äßt
sbnbeamen BQgemhaft der Ortje, wo die wformirte BevOlr
kftiung überwog, eine Reihe dieser segensreichen Anstalten
(wenigstens fönfunddreissig); gut eingoriciitet und geleitet siind
sie die Pflanzstätten unzähliger Geistlichen und Lehrer ge-
1) Mailtiuiu (^«.jaüicr ou 1» n'-ionnt' frau9Äiße et TeBiyui^DuiiiOiit
vluäüiquc (JluUctin Ibliö, i'VJ), Iriäch und aiizieh(#<l gcttcj^^UfA*
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OfiäCmCHTE ££a FaAH^ PIKO: WAliTVÜICW^ TON SCHOTT. 42 7
worden. Aber das Las dieser friedlichen Schulen war nicht
aufs liebliche gefallen, dem Kampf ums Daseiiif der dem Pro-
taetantisnms anf allen Gebieten bestimmt war, waren sie nicht
gewidiaeii; seit der TroobestoigQng Ludwigs XIIL war Uum
die Axt an die Wnrsel gelegt; sie erlagen den königlichen
Edicteu und der Concurrenz der Jcsuitencollegien Ihre
Geschichte ist eine fast vollständig unbekannte; um so ver-
dienstvoller ist das Bemühen von Qaofr^, dieses onheschriebeue
Blaifct w£ Grund soigfUtiger, genauer Forsohugen wflrdig
i^Bnifttllen. Ein eratmr Artikel (Bulletin 1873, S. 269)
skizzirt die Genfer Einrichtungen, ein zweiter (ebend. S. 413)
giebt einen kurzen Gesaniiutfiberblick über die Geschichte
dieser Anstalten, dann geht der Verfasser über zu dem Collie
von Ntmes, der protestantischen Hanj^tatadt des Sfldena,
dMeBi Geaehicfate hia zum Jahr 1660 fortgefßhrt wird.
Fnma L hatte 1636 ein Coll^ dort errichtet; unter der
Fürsorge seiner geistreichen Schwester Margaretha von Navarra
gedieh es bald zu hoher Blüte, 1540 berief sie als Rektor
Claude Baduel (1500—1561), den Schüler von Melanchthon
und Johann Stunn, und fim Zeit lang war dessen Iieheiu^e-
aeUdhte enge mit der seiner Anstalt verflochten. Streitig-
keiten mit seinem Collegen und Nehenhuhler Bigot tröbt^
seine Lehrtätigkeit, so dass er vorübergehend sich zu seinem
Fremide Sadolot nach Carpentras begab (Bulletin 1874»
S. 289* 937. 335). Aber anch bei ihm hatte sich eineUm^
Wandlung rcrheieitejt, der steigende üinfluss Oalvins, noit dem
er seit einiger Zeit iu Briefwechsd stand, fthrte i|m der
1) Dies Schickaal traf merkwürdigerweise auch luanchea katholisch-
stiwltiHche Coll(5ge, z. B. daa in Bordeaux, dem seit 1G27 durcli da«
neu gcgri^ndete Jesuitoncollepium der Ltbi iisnerv abgeschnitten war;
vgl. darüber das trefflivh , auf nuucn urchivalischen Forschungen be-
ruhende Wt.'rk von (iaullieur, Hitttoire du coücge de Guyenne; Paris,
Sandoz A: Fisch Uacher 1874. Der Verfawser hat aueh die ßcformation
in Bordeaux ziemlich ausführlich behandelt, ebenso die Tätigkeit
Iii Cordiers daselbst und stellt eine Histoire de la Beformatiou a Bordeaux
et daos la Basse-Guycnne in haldige Aussicht, dMBidletiD 1875, S. 4 ff.
bringt eine Episode davon.
428
KKITISGHE ÜB£BaiCHT£N. 1876. UL
Reformation zu, er verliess Nimes 1550, flüchtetie uach Lyun
und von dort nach Genf, wo er 1561 starb.
Wenden wir uns einen Schritt weiter, so fallt der erste
Blick auf den gFtaten Hugenotten jener Periode Goligny,
und wir freuen uns, endlich eine Mograpbie ankflndigen zu
können, welche den Fordenmgen der modernen Geschiebis-
schreibung und der Bedeutung dea Mannes vollständig ent-
spricht. Graf Jules Delabordo beschäftigt sich schon seit
Jahren mit dem Sammeln der Materialien, die Bibliotheken
und Archive Frankreichs nnd der benachbarten Lftnder hat er
genan durchforscht, nm die umfangreiche Correspondenz dea Ad-
mirals möglichst vollbtäudig in Händen zu haben, die Aus-
beute ist, nach einzelnen Proben zu schlicssen, eine sehr reiche
gewesen, und der enge liahmeu der Familiengeschichte der
Ghatillons erweitert sich zur Qeschichte des fnnzöaiadien
Frotesiantismus und Frankreichs bis zur BartholomSiisnaclit
Das Bulletin hat in TerBchiedenen Jahrgängen ^) anziehende
Skizzen von dieser Feder gebracht, selbstverständlich gnippirt
sich in denselben alles um Coligny als die Hauptperson; sein
inneres und äusseres Leben, der Einfluss, den er auf die huge*
nottische Tomehme Oesellschaft ausQbte, sind die latendeo
Motive in der gewandten Darstellung dieser Zeit. Von dm
sonstigen Beiträgen zu Colignys Leben, welche die Ictztt'ü
Jahre gebraclit haben, ist wohl als der wichtigste die schöne
Schrift von Tessier^) zu erwähnen. Die Jahre 1555 bis
1672, während welcher Zeit CJoligny eigentlich erst eine be>
deutendere politische Bolle spielte, schildert er klar und
lebendig und sucht nadizuwdsen, wie dieser seltene Mann
trotz aller Schwierigkeiten in der Collision der Plliditen,
welche ihm Glaube und Untertanenstellung auü^;te, doch
>) Bolietin 1870, p. 210: Les demion jonn d'El^nore de Roye,
prinoesae de Condö; 1873, p. 386: Leu Protesluiti k la cour de St. Ger-
midii Ion du eolloqne de Poiaey; 1871, i>. 49: Lee ftuteetaiiti »la coor
de St Gennain apite le oolloqne de Foimrfi ihid. p. 484: CSiarlee de
T^ligny.
S) I/Amiral Ooligtiy. l^de biitorique par Jolee Tenner. F^aia,
Sandel A Finebbaeher 1872.
GEsäcrnanm des franz. PKOTEsxANTiaMus von scuutt. 429
den Weg geftmden hat, seiiiem €k)ti, seinem Lande, seinem
Monarchen gleicherniaiöuu getreu zu bleiben; ein Held des
Pflichtgefühls, der üeberzeugungstreue ist der ernste Hugenotte
gewesen, und seine Grösse bestand darin, dass die antiken
Tagenden in ihm mit den fimchtbaisten Ideen der Neuzeit
sich Tereinigten, Menschlichkeit im Kriege, Duldsamkeit in
einer Zeit dos glühendsten Fanatismus, Fürsorge für allge-
meinen Unterricht; sittliche und politische Grösse machon ihn
zu einer der bedeutendsten Erscheinungen seines Jahrhunderts.
Wenn sc in dem Urteil Yon Tessier beinahe- des Schattens
za wenig auf diese Lichtgestalt des Fretestantismus f&llt, so
ist das uro so bemerkenswerter, weil diese liebevolle Zeichnung
einem Katholiken entstammt; erhöht wird der Wert des
Buches dui'ch die 26 pi^ces justificatives, die seinen Sdiluss
bilden.
Ein tragisdieB Geschick hat Colignys Witwe Jacqueline
d*Entremont8 getroffen; in ihrem Heimatlande Savoyen
wurde sie ihres Glaubens, noch mehr ihrer Besitzungen wegen
verfolgt und eingekerkert, sie schwor ihren Glauben ab und
starb endlich 1599 im Geföngnis. Graf Delahorde hatte
im Bulletin (1867, S. 220) ein ergreifendes Bild ihrer Trübsal
gezeichnet; bald aber wurde erwidert, dass B. Bicotti in seiner
Storia della luoüarchia piemontese, T. IV. auf Grund unan-
fechtbarer Dokumente aus dem Turiner Archive den Glaubens-
mut und die Sittlichkeit der neuen Marcia auf das schwerste
angegriffen hatte. Die Soci^tö de Thistoire stellte nun eine
eigne Commission auf, um die Streitfrage genau zu prüfen;
ihr Urteil (Bulletin 1875, S. 289 f.; auch als Separatabdmck
erschienen) geht dahin, dass Culif^iiys Witwe von der An-
klage der Sittenlosigkeit zwar vollständig freizusprechen sei
und dass ihre schwersten Verbrechen in ihrem Beichtum und
in ihrer Anhänglichkeit an Frankreich bestanden haben; un-
vorsichtig und mannigfach unüberlegt, bot sie ihren Feinden
bequemen S[>i('lrauni zu Verdächtigungen; auch in ihrem
Glauben zeigte sie nicht die Festigkeit, die man erwartete,
eine bedenkliche Hinneigung zur Magie ist aus dem Charakter
der Zeit eher zu entschuldigen; aber dem hohen Bilde, das
man sich Ton ihr machte, entspricht sie nicht ganx.
430 KKiTIHUHE ÜUUi;»l(JUT£K. 1875. III.
Sb tflt wohl hier der passendste Ort, aoeh die lahlreiGheB
Fainilieiibrieto zu erwähnen, welche vuu Colignys ältester und
Liebliugalucliter Louise, der Gattin Wilhelms von Oraoien,
der Stammmatter des deutachen Kaiserhauses, herraUren; sie
Stand in reger CJenespondenz mit ihren Stieftdchtem, und
ihre Briefe an die Herzogin Yon la IMmoille ^) gebw das
getreoste Bild der edlen, geistig bedeatmden Frau, der eoi^
genden, von den Kindern hochverehrten Mutt*?r, endlich auch
der vielgeprüften Dulderin, die von dem tragischen Q^echidi
ihres Hauses so viel auf sich zu nehmen haite. Knüpfen wir
daran noch die firinnerang an eine andra evmigeliMhe Ftretia
Frankreichs: der 1:1. Juni 1875 war der 90()jähnge Todestag
von Renata \on 1 » rrara; auch zu diesem Zeitpunkt ist
die längst in Arbeit genommene Biographie der edlen DauH;
von Jules Bounet ^) nicht erschienen; sie scheint — und das
wftre nur erfreulich — sich zn einer voHstindigen OeaiAichte
der Reformation in Itafiea ausdehnen zn wollen. Die kune
Biographie von ihr in Cantn ^) ist ebenso obertiachlich als un-
historisch von ulti-amontanem Shindpuukt aus geschrieben.
Ueber einen WatVengefährten Colignys Jean de Soa-
bise (1513 — 1566) *) sind aeitgendusische Memeireü er-
siAienen, geschrieben von dem Hansfrennde Fr. YiHe, dem
die Familie npapiere zur Terfßgung standen und der einfkoh
und schlicht das Leben dieses tapfern Mannes erzählt, öber
das intrigante Parteitreiben am üofe Franz' I. und Hein-
richs iL interessante Aufecbitos giebt, den Uebertritt aeinsa |
Heiden zum Protestantismus und aaine' Tätigkeit im eisten
jRelij^OBBkriege genau schildert. Bin anderer bedeutender
Hugenotten liihrer, Franyois de la Noue (Ib'dl — 1591), hat
1) Lettres de Looise de Coligny, prSnoeHe d*Orangc a m beU^^SUe
Charlotte Bnbanthie de Nawan, ducheaao de la Mmoillc, puM. par
F. Marehegay, Bidkl. 1871, S. 481; 1873, 8. 3? — auch als Boeh
s) Auszüge davon e. Balletln 1866, & 66: JettneaM dB Bn^ d»
Franoe; ibid. 1878, S. 159: Gleaeot Harot k la eenr de Fdrraro.
^) Cantü, Italiani iUtiatri (Hilano 1875), Vol. I, 8. 687.
4) M4moim de la vle de Jeban d'ÄrehevMqiie Siear de Soablw,
BoUethi 1874» & IdA) 1875, t. 31.
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GESCUlCUTE Dm FRANZ. l*UUTEÖTANTISilÜS VON äCUUTT. 431
swei Bio^fraphen gdfimcfm; Dalwi^k hat dtmslmas nichts
Neues über ihn beigebracht und dem Zweck seiues Pro-
gramms entsprechend besonders betont, wie eifrig La Neue
fttr fiiDreihung der Healien in den Schulnntorricht besorgt
gewesen. M. de Vincens ^) will ihn in weiteren Kreisen be-
kannt und als Christen trad Helden den protestantischen Fa-
milien wert machen. Und doch wäre es sehr wünsclieiiswert,
wenn dieser Mann, der Schwert und Feder gleich <^ut führte,
mit den bedeutendsten Männern in Verbindung shmd, w^en
seiner sprichwörtlicben Rechtschaifenheit der Vertranenstnann
aller Parteien war, einen tflchtigen Biographen Ande. Der
noch bedeutendere Agrippa d'Aubignö wird nicht hinge
mehr auf einen solchen zu warten haben. Denn die Societe
de rhiätoire liat als Preisaafgabe für 1877 das Thema ge-
wfthlt: Agrippa d*Aabign^ consider^ oomme historien dans ses
oeuTTes') et sa oonespondanoe.
Den trefflichen Hohert Languet (1518—1581), den
gewiegten Diplomaten und geistreichen Publicisten, hat Scliolz
behandelt; einige neu entdeckte Briefe von ihm aus dem
Dresdener Archiv (die den Anhang der Schrift bilden and
Ton welchen der vom S9. Jnni 16B7 der wichtigste Ist) gaben
ihm Veranlassang , Laoguets Tätigkeit als Diplomat des
Kurfßrsten August von Sachsen am französischen Hofe zu
schildern, besonders seine Bemühungen, den Umtrieben des
emestiiriachen Hauses, welches durch Frankreichs H&lfe seine
verlorenen Länder and Wflrden wieder gewinnen wollte, ent-
gegenxawiHcen. Die Schrift ist klar and frisch geschrieben,
erweckt aber nur aufs neue die Sehnsucht, dass die wichtig;»
Correspondenz dieses scharfblickenden Diplomaten in einer
guten kritischen GesammiauQgabe veröffentlicht werden
möchtet
Das Andenken einee andern berAhmten Pablicisten des
16. Jahrhunderts Fran9ois Hotman (1&24— 1590) ist
Les Heros de lu Keforme trauvaise, Fran^ois de lu Noue p. Ch.
ViuccuH. TariH 1875; mir nur durch Kritiken bekannt
^) Seine Werke crHchcinen gegenwärtig in neuer kritisohor Aasgabe :
Oeuvres coiupletcH d'apres los manascrits originani Ipar, E. Beaame
et F. d« CautiHadc, T. 1—3; Pari» 1^73—1874
432 KBITiaGHB OBBRUCBTEN. 187&. UI.
durch die Herausgabe des Tigre ^) aufgefrischt worden; dieses
glflhende Fämphlet gegen den Oardinal von Lothringen galt
lange ftr gänzlich verlcren, bis es 1834 doch in einem
Exemplar entdeckt wurde; wie durch ein Wunder entging es
zum zweileu Mal dem Flammentod durch die Commune, von
der Bibliothek des Stadthauses von Paris ist es allein gerettet
nnd nun von Ob. Head mit auaigezeichnetei^ Anmerkungen ver-
' sehen allgemein bekannt gemachi Die Studie v<a Cougny *)
über ilotman kam mir nicht zu Gesicht.
Einige Dokumentensammlungeu aus dieser Periode sind
ebenfalls zu ei*wähneü, vor alleui die Correspondeuz zwischen
Herzog Christoph von Wurtemberg und dem Heraog
Franz von Guise, dem Stuttgarter Archiv entnommen %
die Zeit vom 2. Juli 1661 bis 15. Mai 1563 umfinasend;
die Hauptmomente hilden die Gespräche in Elsasszabeni 15.
bis 18. Fehruar und das Blutbad von Vaasy 1. März 1562.
Stälin und Kugler hatten die Briefe in ihren Werken
verwertet, einzelne derselben waren schon frflher veröffent-
licht, aber die ganze oomplete Sammlung zeigt erst in
vollem Lichte die Perfidie der Guisen, mit welcher sie den
arj^losen Herzog in die Falle lockten und ihn lange in dein
Glauben erhielten, dass es dem Scliläcbter von Vassy wirklich
um die Religion zu tun gewesen sei, während sie den W&r-
temberger nur bei seinen fürstlichen Gollegen discreditiren
wollten und die Eeformirten Frankreichs gegen ihn mis-
trauisch machten.
Ueber die Zeit vom Frieden von Amboise (1563) bis zu
dem von St. Germain (1570) giebt uns der Rapport des Grafen
Ferri^re Aufschlösse durch die Blumenlese, die er englischen
Archiven entnommen hat. Die Wiedergewinnung von Havre
durch die Fraozoseu, die Annahme der Trientiuer Beschlüsse,
1) Jje Tigre de 1560 leprodait poor U premih« fob en facBimUe
par Ch. Read, PaiiB, Acad^mie des bibliophUes 1875. p. 15SI.
9) Cougny, Hotmail, Paris 1875.
ft) Correspondaiioe de F^aii9oi8 de Lomine dne de Qidse aveo
Christophe, due de Wurtembetg, sdr. 1. 2. Bnlletm 1875, 8. 71 ff.
«) Wirtembagiaobe Gesehiehte ven Gh. F. t. Stilio, Ti. IV,
S. 611. Christoph Huiog zu Wftrtemberg tod F. Kugler II, a 331.
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GESCHlCHTl!; DE& FBAHZ. PKOTESTANTIBBIUS VON SCHOTT. 433
der Process Colignys mit dem Hause Guise, die Werbung
Karls IX. um die vielumfreite englische Königin, die Kund-
reise des französischen Monarchen dorcb sein Land, die Zu-
sammenkonft in Bayonne, der ssweite und dritte Religionskrieg
sind die Ereignisse, anf welche rieh die vielen Original-
dokumcute (Briefe von Joliaiiiui trAlbret, Heinrich IV., den
beiden Condes?, Culigny und von seinen Brüdern Odet und
Andelot, ferner von Catbarina und Elisabetb) bezieben. Die
Hugenotten standen in steter Verbindung mit dem glauben»-
verwandten Inselreiche, Havre hatten sie an England ausge-
liefert und, als Frankreich es zu erobern sich anscbickte,
waren sie in der peinlichsten Lage ihren Lundsleuten und
ihren bisherigen Verbündeten gegenüber; im zweiten und
dritten Beligionskri^ war England wieder anf ihrer Seite
and nach der Niederlage von Jamac machten sie verzweifelte
Bestrebungen, um sich diese Hfilfe zu erhalten. Die Ver-
handlungen darüber, die nicht immer das günstigste Ijiclit
auf die Loyalität der Hugenotten werfen, sind selir interessant,
nicht minder die iierichto des englischen Agenten Smyth, der
den Hof bei seiner Rundreise begleitete, ebenso einzelne
kleinere Notizen, wie die Nachricht der Entstehung einer
katholischen Verbindung (Confrairie), eines Vorläufers der
liigne. — Derselbe erfabrene HIjDturiker, dem wir diesen Rap-
port verdanken, ist mit der Sammlung und Herausgabe der
Briefe vonGatherina von Medicis beschäftigt, die einen Be-
standteil von der „GoUection des documents in^its sur rhistoire
de France" bilden sollen; unzweifelhaft werden sie vom höchsten
Interesse sein und zur l/>sunj^ der Frage über die Conferenz
von Hayonne, über die Bartholomäusnacht etc. viel beitragen.
Den Zeitraum bis zum Edict von Nantes schliesst ein
Teil des umfoseenden Werkes ein, das Loutchitzky unter dem
Titel „La rfection f(Sodale en France pendant le XVI* et XVIP
siecle'* herausgibt; essoll eine socialpolitische Studie werden,
aber da in dem Kanipr«' zwischen der centralisirenden Macht
des Königtums und den particularistischen Elementen des
hohen Adels und der Municipien der grtaem Stfldte die Re-
formation grade unter diesen beiden Ständen ihre haupt-
sächlichsten Vertreter gefunden hat, so hat auch die liefor-
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434
KRITISCHE ÜBfiKälCHTEN. 1B75. m.
matioti8g*eflchiehto an dioses W«rk ihr gutes Anrecht, wnä be»
sonders in deiu bisher Erscliienenen tritt dies deutlich hervor;
hier kommen die Burtholoiimiisnackt, die Belagerung von Saii-
cerre und La ßochello, der Calvinismus im aUgt^meineHf seine
Orgameation, die Parteien, die im Schoese deaeelben sioh
Uldeten, rar Sprache, und ^rade die Ansichten, dass der
CalvinisinuH durch den Geist der Unubhäiigii^keit, den or ein-
Hösstc, besonders geeignet gewesen, die [»articularistischen
Elemente zu stärken, dass die Adligen ihm die militärischen
nnd politiaehen FAhrer gaben, die Bflfgenchaft das zahlreiehato
Gontingent stellte, die Gonsistcnialen (die Geistlichen), von
Calvins Principien erfüllt, ihm die ausgezeichnete Organisation
lieferten, dass zwischen diesen Parteien ein stet-er ober- und
unterirdiselier Kampf statttand, in welchem z. H. in Hochelle
die Gonsistorialen siegten, ^tor aber die Adligen durch ihre
Verbindung mit den (1[atlM>li8chen) Politikern, wodurch der
Kampf immer mehr ins politische Lager geriet, sind sehr
merkenswert. Kin dankenswerter Gewinn sind ferner die zahl-
reichen Dokumente, welche Loutchitzky in den Archiven vou
St Petersbuig und Frankreichs, besonders in den Departe*
ments des Sfldens, anf^efhnden hat und mit freigiebiger Hand
publidrt; das BuUetra brachte als Beitrag xu den kiiegetischen
Ereignissen in Languedoc und (luienne (1578 — 1574)*)
Briefe der bedeutendsten katholischen Heerführer, Villars,
Damville, Biron, Montpensier, ferner die wichtigen Protokolle
der politischen Versammlungen, deren jedes Jahr ein oder
mehrere gehalten wurden, der von Ntmes (1562) dann der
von ßagiiols (loG3), die mehr als alles andere in die poli-
tische und tiuanziello Organisation der Hugenotten hineinsehen
lassen. Endlich hat der fleiasige Vei fiasser seinem nächsten
1) li'Aristucratie foodale et Ich Calviuistca cu France par J. Ii. Lout-
chitzky, Kiew 1871 (rusHisrh).
*) Quatrienie et cirnjuitnic gu«Tre de religion. Lettrt's tAtiiutoH
dcH ninnu8crit8 de la Bibliothöqu«} inipcrialu d« JSt. Peterabourg par
Loutchit/ky. Bulkliii 1^73, S. 202fr.
8) Collection (Ich proce.s- verhau x des asscinblec»* pulitiqucs dtu
rffüriiies de Franco pciidaut Ic XVi' siecle par Loutchitzky. Ibid.
p. öOü; 1876, p. 314.
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OESCUICUTE D£S PJIANZ. PBOXfiBTANTiSMUd VON SCHOTT. 435
Bande eine Sammlung von Dokumenten vorangeschickt über
die 20 Jahre von 1574 — 1594; die Entstehung der Ligue als
provinsieller Yerbinduiig im Sftden, ihre Anerkennang durch
Heinrich m. in Blois, ihr gewattiges Umdchgreifen mich
der Emordung derGnisen, der Widerstand« den sie besonden
in Toulouse Heinrich IV. entgegenstellte!, die Vorbindungeu
der Protestanten mit den katholischen Politikeru, das Her-
TOrtreton der feodaien Besirebungen des Adels, welche die
Baaern der GaieBne nun Anfetand der ChHinaatB trieben, werden
darin in Briefen der widitigeton Persönlichkeiten, der Herzoge
Lesdiguieres , Mayenne, Joyeuse, Montpensier, Guisi^ in Ans-
zügtm aus Kats- und Parlamentsprotokolleu etc. behandelt. —
Wenn auch manche Ansichten des Verfassers nicht lialtbar
sind, das ganse Werk, das hoffontlich ins Französische über«
setet werden wird, ist jedenfidls bedentungsvoll. — Die (nach
Kritiken treffliche) Schrift von i'aillard kam mir nicht
zu Gesiebt, überdies war Vaienciennes dannala uoch spanische
fiesitzung.
2. Von dem Erlass bis znr Aufhebuii^ des Ediota
▼oa Nantes 1598—1685.
J. Bonnet» Denden t^ia du seizi^ine dtele» Pm, Gnanurt 1676(5)^
8. 850.
Von jeher isi diese zweite Periode dos franzcsisdiea Pro«
testantismus die am wenigsten behandelte gewesen; an viele
ihrer grossen Mftnner: Heinrich lY., Lesdigni^res , ChfttilloDi
Tnrenne, heftet sieb der Makel der Abechwörung und solche
zu beschreiben ist nicht jedermanns Ding. Die Kriege der
Protestanten gegen Ludwig XIII. waren mehr als andre von
politischem Interesse getragen, ond unter dem Medlichen
Scepter Mazarlns absorbiren theologische Streitigkeiten die
Krftfte des Protestantismus. So ist die literarische Ausbeute
auch dieses Jahres von geringem Belang. In seinem üeff-
licben Werke Heinrich IV. und Philipp lU. berührt
1) Histoire troubIcH religioiix de Valeiuüeiiiifls (1660—1567) par
Ch. PailUrd, T. 1. 2; Piuis 1Ö74-1Ö75.
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436
KKITISGHB ÜBEBSIGHTBM. 1875. III.
Philippson^) auch die proteetantiacbeii Verhftlbiuse; üm
Stellung, ihre bedeatendsten Häupter weiden gezeichnet, das
Ediet von Nantes als Morgenröte einer besseren Zeit ge-
schildert, und wenn allerdin^ durch das ganze Werk hin-
durch Heinrich mit dem Yollsteu Lorbeer des Monarchen,
Staatsrdanns und Kriegers geschmfiekt erscheint, seine Fehler,
seine Sinnlichkeit u. a. w. werden auch nicht TCiachwiegen.
Wenn Philippson Heinrich IV. als religiös indifferent darstellt,
so koinniL er damit gewiss der Wahrheit näher als Abbe
Peret*), der noch die merkwürdige Behauptung vei-ficht,
Heinrich liabo den salto mortale mehr aus religiösen als
politischen Qrfinden unternommen. Manchen Anfschluss fiber
die Protestanten Frankreichs werden wir in den Briefen
Maziirins^) finden; der kluge Cardinal hatte fest im Sinne,
die religiöse Freiheit in Frankreich aufrecht zu erhalten, die
Empfindlichkeiten dieser Partei, die in Heer, Magistrat und
Diplomatie einflussreiche und bedeutende Männer iftblte, zu be-
ruhigen, aber mit wachsamem Auge sie zu beobachten und
auf dem stillen Wege der Gunst üebertritte herbeizuföhren ;
dies alles ist ihm auch gelungen. Grade diese friedliche Zeit
des Protes^ntismus zu beschreiben wäre eine schöue, dankbare
Aufgabe; sie würde ein Bild von der Gesammtlage geben, auf
dem das Auge mit Wohlgefallen ruhen wfirde, ehe es sich
der Buine zuwendet, in welche Ludwigs XIV. Bigotterie diesen
blühenden Garten Gottes verwandelte. Auch die literarische
Bewegung, die reformirte Theologie in ihren vei-schiedenen
Vertretern, in ihrem Zusammenhang mit Philosophie und
Jansenismus ist noch nicht eingehend gewürdigt — Ein
1) Henrich IV. und Philipp III. Die BegrOndnng des finuuritaiselraD
Uebei^wiebts in Eoiopft. I, Berlio 1870; II, ibid. 1873.
») Heori IV. et r%liae catholiqoe p. TAbbe Peret, Paris 1875;
mir durch Becenrioneii bekannt.
s) Lettien da eardinal Mazarin pendant son ministere pubL par
Ch^rnel, T. 1, Deoember 1642 hw Jnin 1644, den flbrigen Werken in
der GoUection dei docnmente inidiie enr Thietoire de Firance sieh wSidig
anacUlenend.
4) Isaak GasanboD (1550—1614) hy Mark Pattison, London
1875. Das Werk Qber Gasanbonns (naoh Kritiken sehr tttebtig) konnte
ich leider nicht bekommen.
OESCmCHTB DES FRANZ. PROTESTAimSlfDB VON 80H0TT. 437
hfibsehes Lebensbild der geistreioben, liebenswQrdigen Dichterin
Anne de Rohan (1584 — 1646) hat J. Bonnet in seinen
Derniers recits (S. 227) uns gegeben, wie alles, was er schreibt,
fein und geschmackvoll geraalt, mit vielen Auszügen aus ihren
wenig bekannten Gedichten und in wertvoller Weise verwoben
mit der ganzen Geschichte des erlauchten an bedeutenden
MBnnem und geistreichen Frauen reichen Hauses Bohan-
Fftrthenay. Die Archive dieses Hauses sowie der naheetehenden
Bouillon und Tr^uoille haben in der letzten Zeit viele Fa-
milienbriefe der literarischen Welt gespendet ^); das anmutige
Geplauder gescheiter Frauen, das sich freilich viel um die
Kinderstube und Toilette dreht, liest sich ganz angenehm,
hat flir die Familiengeschichte manchen Wert, auch für die
Kiichengeschichte f^Ut hie und da ein Brocken ab.
3. Von der Anfhebniig des Ediots Ton Nantes bis zum
Toleranzedlot Ludwins XVI. 1685—1787.
L S. A. BerUiault, J. Sanrin et la prcdicAtion proteRtantc jusqu' a la
fin da rtgne do Lovis XIV. Paria, Boohome 187& p. 383. 8^
8. IX Benolfe» ün mart>yr du Ddsert Ja«qiiw Bogor, netaimiieiir da
protestantisnie dans le Dauphin^ aa XviII» atmete et aea oompagDODB
d*oeinrie (1675—1745). Toulonae, Lagarde, p. 276. 8^
8. O. DennoirMtwreB» Yoltain et Ja aod^ an XVIII« ai^, T. VI,
Ydtaire et J. J. BonaaeaiL Ptoia, Didier 1875. p. 516
Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhob, glaubte
er ein gut yerdienstiich Werk getan zu haben; von der Welt
von Jammer und Ungerechtigkeit, welche er durch einen
Federstrich über Hunderttausende seiner besten Untertanen
heraufbeschworen, hatte er keine Ahnung, ebensowenig die
1) Lettrea de Catherine de Phriheiiay et de aea denz fiUea Henriette
et Anne k Gharlottine Brabantfaie de Naasan, dneheaae de la TrAnoiUe
pnbL par Inibert, Niort 1874. — Lettres choisics de la dneheaae de
Bonfflon a la duchessc de la Tr^iOe (1598—1688) pnbl par Mar-
ehegay, Bulletin 1874, S. 64 ff.
*) Gaillardin, Tlistoirc du regne de Louia XIV. R^ta et
tableaoz. 8® partic. La Decadencc: (luerre de la secondc coalition et
<^»' la succession .ri'lspagne (= T. 5). Paria 1875. p. 650. 8". — Diesea
Werk, Ludwig» XIV. Politik gegen die Erangeliacben enthaltend, iat
mir erst wihrend der Correctur angekommen.
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438 KUlTläüIit^ Ü^P^CUXfiN. mSt, lU.
katholische Bevölkerung Frankreichs, welche ihres Monarchen
Anschauung tollte und durum aucli mit liecht ihren Teil
zu tragen hatte an dam Fluche, der auf dieser Tat ruhte»
fi. Benoit hat in seiiim klaawachan Werke alle besfiglichflii
Fn^, Entsidiajig, Aofhebmigf Folgen b^iandelt; nidit
eine Nenberausgabe des selienen Bncbee wfiie wQneehen,
sondern eine Neubearheitung, welche die bisherigen Forscliungen,
wie sie in umfassender Weise diesem Ereignis zuteil ge-
worden, berücksichtigte. Sehr reiebe Hülfsmittel bietet dazu
das Bulletin; fiist keine Nommer eracbeint, in welcher nidit
über eine AbschwOniDg oder Answandemng, Ober einen Mftr-
t^re^ auf den Galeeren oder einen (Jeistlichen der WÖsfee
etwas neues erwähnt würde, und wenn ein namenloses Elend
in diesen Zeilen sich vor dem Leser auftut, so' kann andrer-
seits die Standbaftigkeit, der Gknbensmat, die Aofopfernng,
wekbe in tansend Ugtm bei Ifbiaera und Fintaen berror-
treten, nur die bOebeto BewundereBg erregen. Verhältnis-
mässig am glücklichsten waren die, welchen es gelang, mit
oder ohne Vermögen das Königreich zu verlassen ; seitdem
spielen die Refugi^ in allen Ländern protestantischen Glau-
bens eine oft ziemlicb bedeutende Bolle.
Ibre Gescbicbte bat Weiss ^ in mustergültiger Weise
geschrieben und damit den Impuls gegeben, den in alle Ge-
genden der Windrose zerstreuten Gliedern der französisch-
protestantischen Familien nachzuspüren, und mit grossem Eifer
und scb^nem £ifolg ist das gescbeben. Gbavannes*) be-
richtet ausAbrlieb und genau Uber die ISnwanderung im
Waadtland, Clapar^de*) Uber die in Gex, und ein interes-
santer Artikel im Bulletin ^) giebt eine Liste von Geistlichen,
1) Vgl. z. B. BnUetin 1872 den iatereeaanten Easai sux Lea ab-
jiiratiunB parmi les reforni^ de SV«poe soui le rhgoe (ic Ijouia XI Y.
J. Oha van n CS, S. 8 ff.
2) Histoire des r^fngicH protestan^ de Frfnoe per Cb. Weiss,
T. 1, 2; Pili» 186a
s) Les i^fiigi^ ftanfaiB daw le pa^.s 4e Ytod «1 psrtieidldinpHiii
a Yevey par J. ObaYamiee, Li^nsaniie 187i.
4) Lea i^fiigida puoteataals du pays de Gti; BoUetbi 187S>, 8. St
fi) Liste de pastenn, proposantis ei antEes bemmsB mrtii du D^ir
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QEsumcHTfi ^ wEum, ywssffSA^mud» von schott. 439
welche 1G83 nach Genf flüchteten. Denen, welche der grosse
Kurfürst in seine Staatea aufgenoxnmeii hat, widmet Beheim-
Schwarzb^oh') ein auafubrliches, sehr interesaaates Kapitel:
auf GnuMl von arcldvalisolien DokumeDtra giabt er eine kurze
Geecbichte der Binwandemng, genaue itatulisohe Daten fiber
ihre Zahl und Naiuen (luicli der Liste vom December 1703),
ihre Verteilung in Stadt und Land, ihren mächtigen Einfluss
auf Industrie und Uaodfelf Kunst und Wieienschaft, dann ihre
kirchliche Ver&usenng nod reohtliche Loge, fttbrt kurz ihre
Geecbichiie bis in die Qegenwait fort und ecblieasi mit einer
Beschreibung der beiden Gemeinden Gross- und Klein-Ziethen
bei Angermünde. Die französische Kirche in Kopenliagen hat
Clement^) beschrieben, und dem gewaltigen Strom, der
wk Uber d^n Oanal nach Qrenibrita(mien nnd ItkMMl exgOBSi
gilt» daa bedeutende Werk von Agnew In diesen Ziasam-
menhang fBgt rieh am besten das oben angeführte Werk Ton
Berthault; auch Saurin war R^fugiö, sein Vater flüchtete
mit dem 7jährigen KuaJ^an nach Genf, als Jüngling kämpfte
er unter fifTigny gegen seine LandäleoUt später verliees er
die JPUuBe, wurde Geistlicher in Hai^ und galt seitdem fOr
den bertUmitesten evangBlischen Eanzelredner Frankreichs.
Berthault aualysirt ausführlich seine Predigtweise sowie das
Eigentümliche der calvinistischen Predigtart übeihaupt. Für
uns bat nur die Lebensbeschreibung Saurins Interesse, sie
anmutig geschrieben, ohne aber nenes au bieten, und in
den kurzen Lebensskizsen der bedeutenden refonnirten Fkediger
wäre gi'össere historische Genauigkeit zu wünschen.
Von den in Frankreich zurückgebliebenen oder zurück-
gehaltenen Protestanten wanderten viele in die Bastille, um
phinö, da Bas Laugueduc, des CevejiAe« et Viv&r&is et rei'ijigi^s a
Qeneve cn 1G83; Biülütiu 1870, S. 301.
Hoheüzullcröclie (Jolonisationon , ciii lioitrag zur Geschichte
dcK prcassisch^ ^toatcü und der Colonmtiou des östUcbcii Deutschland«.
*) L'eglise reformöe de Copeuhaguo p. Clement. ( Jopeuhague 1870.
^) Protestant exiles from France in the reigu oi" Louis XIV. or tho
Hu^^mnot rufuj^et^ aud tUeir deticendauts in Great-Britain and Ircland,
Agnew, Vul. 1, 2; London 1871. Mir ^uich üecenaLunen IxJuuint.
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440
KBITISCHE OBEBSICUTÜIN. 1875. Hl.
dort zu bleiben, bis sie abschwuren oder starben. Genaue
Aufschlüsse darüber <^qebt das Werk von Ravaisson mit
eiiK'r gewisaen Wehmut geht der Verfasser au seine Angabe,
die Gefimgeoen lud ihre Leiden dansnBtellen; er giebt nur in-
edita; da der hohe Adel meistena schon vorher flbergetreten
war, so finden wir hier besonders die Leidensgeschichte der
Gefangenen aus dem Bürgerstande oder Edelleute zweiten
Hanges; meistexis waren es Pariser, deren Los überdies noch
milder war als das der onglflcklichen Profinzialen. Diese
Archive werden anch in ihroi folgenden BSnden von Widi-
ti^'kcit sein, das SchielsBl manches spurlos Yerschwündenen
will! hier aufgedeckt werden. Ein Bild von den namenlosen
Leiden der Protestanten auf den Galeeren, eine wahre Mar-
^refgescbichte , giebt das Journal des gaUres'), sowie
einzelne ergreifende Briefe') der „Strftflinge'S die merk-
wfirdigerweise eine siemlich hftufige Oorrespondenz führen
durften. — Das Hauptwerk über die Cevenuenkriege von
La Baurae*) ist durch eine neue i^mte Ausgabe wieder allge-
mein zugänglich gemacht; Montbounoux oder Bonbonnoax,
einer der HanpÜeate Gavaliers, hat sein wildes abentenerliches
Leben in all der naiven Lebendigkeit eines alten Soldaten
auf die Aufforderung von Court niedergeschrieben ; einen Teil
dieser Memoiren hat Frosterua veröffentlicht, den Aufaug giebt
das Bulletin %
Die Kirche der Wdste hat Hngnes, wie oben angegeben,
in dnem epochemachenden klassischen Werke geschildert; einen
christlichen Helden im schönsten Sinne des Wortes haben wir
Arcliivcs de la Bastille, Docnmenta in^dits recueiüis et publiea
par F. Ravaisson. Paris, T. 8, 1876.
8) Joamal »Us galrrcs , eitraits des lettres ecrites par leB fidMes
00ilf€88eurs de Marjit'iile. Bulletin 1869, p. 33; 1870, p. 62.
*) Um for^at des galercH de Louis XIV.; lettre de David Serres 4
M. St. BiMK)it, i>ast<'ur a Lausanne. nulUtin 1875, j». 447.
*) La Ii an nie, Delation historiquc de la revolte des fanatiqties
on des caniisard«. Ouvragc edit« p. Qoiffun. Nimes 1875. — Mir leider
nicht zu Gesiebt gekommen.
6) Meinuires de Montbonnonx, brigadier des Camisards dans la
troupe de Ca valier. Bulletin 1873, p. 42.
OESCmCBTB DES VRkVZ. FBOTBSTAMTISHDS VON flCHOTT. 441
in Antoine Court vor uns, dessen entsagungs- und glaabens-
Yolles Tan von einem Erfolg gekrönt war^ wie selten ein
Diener Gbristi sieh eines ähnlichen rflbmen kann, eine in den
Stanb getretene, beinahe vernichtete Kirche wieder ins Dasein
zu rufen und neu und dauernd zu organisiren. Ergänzt kann
dieses Buch nur dadurch werden, dass einzelne Geholfen Courts
ihren eignen Biographen finden, wie dies z. B. bei Jacqnes
Boger in dem Boche von Benoit der IUI ist; Roger hatte
schon yor Conrt angefangen, die Gemeinden der Dauphin^ zn
sammeln, später ist er die rechte Hand von Court gewesen,
er hat die erste „Nationalsynode" in der Wüste (16. Mai
1726) geleitet, siebzig Jahre alt wurde der unermüdliche
Greis verraten und starb am 92. Mai 1745 in Grenoble am
Galgen, ein standhafter Bekenner seines Glaubens ; anspruchlos,
aber mit warmer Empfindung und treuem Fleisse hat Benoit
sein Leben und das seiner Collegen geschildert.
Unbillig wäre es, an dieser Stelle eines Ortes zu ver-
gessen, der wie kaum ein andrer im düstersten Andenken der
französischen Protestanten steht: der Turm La Oonstance
in Aigues-Moites; wie viele cvangeliselie Flauen mussten dort
Jahre, Jahrzehnte lau^^ scbmacbteu, weil sie einer religi(5sen
Versammlung angewohnt hatten; M. Durand z. B. hat acht-
unddreissig Jahre hinter diesen Mauern zugebracht l das Bulletin
giebt von bewflhrter Hand eine ausführliche Beschreibung des
Tuimes ^) und eine genaue Liste seiner unfreiwilligen Be-
wohnerinnen. In einer kleinen, aber interessanten Familien-
Bchrift bat A. Lombard') das Andenken einer Verwandten
erneuert, welche von 1735—1750 dort eingesperrt war. Das
Ereignis endlich, welches die Grausamkeit der ftanzOeiadien
Regierung und die entsetzliche Lage der Protestanten am
meisten offenbarte, die Hinrichtung von Jean Calas, hat
in dem Biographen Voltaires einen unparteiischen, ausfuhr-
lichen Historiker gefunden. Klar ist auf Grund der erschöpfen-
1) La Tom- de Constauoe d'Aiguee-MorteB par Ch. Frossard.
Bullet. 1875, p. 173.
8) IsaU'au Mcnct, ]>ri<4onni(^re a la toor de Constauoe 1735 — 1750
p. A. Lombard. Qeotive 1875.
Z*itoehz. t K.-0. 29
442
KEIT10CXI£ OBfiKttUiTEM. 1876. Ol.
den Arbeit von Coquerel welcher Desuoiresterres
alles Lob zollt, der ganze Hergang geschildert, überzeugend
die Doflohuld toa Calas naohgewieaeii, auch der Znslaiid der
Piotestanten richtig hearteOl; und wenn DesBoiratemB dem
Zweck seiner Arbeit entsprechend VoltairBS Tätigkeit beeonders
hervorliebt, der seine gewaltige Stimme so lanpc erbebt, bis
Europa auch diesmal darauf hört, der nicht ruht und keine
Opier adieut, bis Vemiuilb imd Recht heigeeteUt werden und
Tokniis und Mensehlichkeit zum SUgi gehngen, w können
wir dies nicht tadeln nnd stimmen ihm darin bei, dasB er
der Siicho der Humanität imd Toleranz einen unbesahlbnren
IMenst geleistet hat, soviel er auch scmst gegen das Christou-
iom sündigte. Wesentlich neues hat der Verfasser nicht bei«
gebracht, aber sein ürleü ist doch von hohem Werte, dn ea
immer noch seltsame Leute giebt, welche das Purfament
in Toulouse verteiiligen ! Paul Uabaut und Court de
Oebelin haben in dieser Angelegenheit zuerst die Unschuld
verteidigt; sie haben noch keinen ihrer würdigen Biographen
gefanden, ihr Leben nnd damit das ilirar Kirche in der zweiten
mflie dee 18. Jahrhunderts ani achüdem wfire eine schOne
Aufgabe für den Biographen A. Courts.
4. Von der firnaxSalaohen BeTolntlon bis zur Gegen*
wart 1789—1875.
l, £. Doomeigue, L onite de V6gU9e ti£otm6e d» France (1569— 187d^
Padfl» Gzaaart 1876. p. 288.
n. A Banbert, Alexandre Yiaet, histoin de ea vie et de see ouvrageB.
Laneaniie^ G. Bridel 1876. p. 620.
Vor beinahe 30 Jahren ist fiher diese Periode^ ein
treuliches Werk erHchieuen, immer noch bedeutend fBr die
Geschichtsforschung französischer und fremder Zunge; ein
ähnliches Werk bis auf die Gegenwart fortgeführt, welches
das seitdem Erschienene in sich vereinigte, wäre ein sehr
verdienstlichea üntemehmen; denn die Geschidite der Be»
1) Joan ( 'ahiH et sa tauiillr. Etüde hiHtoriqutMrapres ies docaiueiits
originaux jiar A. Co*|iH'rel. 11. F^d, Paris 18G9.
•) Die protestantische Kirchs Frankreichs von 1787- IStG (von
A. Müder), hcrausgcgelicu von GieHcler. Bd. 1. 2. LeijÄig lö-lö.
Digilizeü by Littttgie
GESCmCHTlS DES FRANZ. X'£OT£STANTIfiaiUa VOM äCUOTT. 443
formirten unter der Republik und Napoleon sowie unter den
späteren Herrschern Fraukreichs ist noch sehr wenig im ein-
zelnen gekannt, und doch hat in dieser Periode der franz5-
siaßhe Arotastaiitkiinu Gnltaafiraiheit «ad bfiigtrlklM Gleksh-
benchtiguDg emiBgeii, er bat in den ?erachiedeD8feini Prevuusen
SVankmchs sieh anagebreitet und in Organisation und Theo-
logie eine sehr interessante innere Entwicklung gehabt , lauter
Momente, welche diesen Stoff anziehend machen. Die firan-
sOsisebe Eirebe befindet sieb öbenües gegenwftitig in einer
innem Eriae, so schwer wie sie kanm in den eeUinmiiien
Zeiten der Verfolgung eine getroffen bat, und noch ist mcbt
abzusehen, ob sie dieselbe ungeschädigt überstehen oder ob
ein Schiaina sie in zwei Hälften, die reformirto und die neue
Kirche, scheiden wird. Bonifas^) (in seiner Fartsetzong
zn de F61ioe) giebt klar nnd licbtvoU 7on ortiiodoKein Staads
pnnkte ans einen TfeberbMck Uber die Gesehichte seiner Eiidie
iu den letzten zwölf Jahren, besonders nach der Seite ihrer
inneren EiitvvRkluug, die wesentlich durch die deutsche Theo-
logie beeinflofist ist; die Parteien, welche bei der XXX. Ge-
nBoikjwßä» so scfareff einander gegenüberstanden, batten siob
sobon wibiend der Bestanratien gebildet; bei der Absetzung
von Ad. Monod, dem erweckten Prediger von Lyon, platzten
sie zuerst aufeinander. Ein mächtiges Organ und eine viel
entschiedenere Richtung erhielt die rationalistiäche (spater
Mbmk) Partei duiob die Gründung der Beiroe de tböologie
in Stcaasbnif 1860; ihre talentvollen Bedactenre Cobuii und
Ssberer, Anbflagmr der Tfiblnger Sebnle, sanunelten unter
ihrer Fahne einen ziemlichen und keineswegs den talentlosesten
Teil der jüngeren Geistlichkeit, besonders des Südens; bald
worden fundamentale Artikel des Gbriatentuma von ihnen über
fioid genrorÜHu die Aatwert der gUnbigen BMrtei war die
Nicbtbestfttigong von Athanase Coqnerel fils dnreb das Pteiser
Consistorium löGl; und da die Organisation der reformirten
liirche und das allgemeine Verlangen eine Generais^ode end-
1) Siehe oben 8. 418. auch ala Wsonderes Buch erschicneo:
HiKtoire des Protestant« an France depois 1861 par. F. Bonifas.
Toulouse 1874.
29»
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444 KRITISCHE ÜBEBSICUTEN. 1876. m.
lieh herbeiflOmn mnaste, suehte sie nadi Ganutieiit um Um
Kirche gegen den Einfloss der negativen Purtei zu schötzen.
Das active Wahlrecht wurde durch eine Erklärung des Con-
sistoriums von Caen 1866 von einem Glaubensbekenntnis ab-
hfti^ gemacht, und als endlich unter ThieiB* PrftaidentBchaft
die XXX. Generalsynode >), die gitate Emmgenadiaft te
neueren firamOaBdienProtestantlBiiiiis, susBrnmeDtarat, legte rie
sich einen coustitutiven , nicht bloss beratenden Charakter
bei und stellte in ihren Sitzungen Juni -Juli 1872 und No-
▼ember-December 1873 ein Glaubensbekenntnis fest, das in
seiner positiven Fassang den Idbenlen die Zugehörigkeit an
der Kirche unmöglich su machen schieiL — Eine Streitsciifill
gloiclifalls von positiver Seite ist das Werk von Doumergu e;
der Verfasser suclit historisch nachzuweisen , dass durch alle
Phasen ihrer Existenz hindurch die reformirte Kirche festhielt
an dem von der Reformation Aberkommenen Glaabensb^enot-
nis und der Kirchenordnung (discipline eodMaakiqae), daas
ebeniGedls immerdar Geistliche und Aelteste gebunden waren,
diese beiden Pfeiler der Kirche anzuerkennen, dass endlich
die synodale Eiurichtung, welche in der Generalsynode als
der rechtmässigen Vertreterin des Protestantismus gipfidlt, auch
durch das Gesetz von 1 802 nicht geindert wurde, dass so die refor-
mirte Kirche in Lehre und Ordnung ihre Einheit bewahrt und
der von Deutschland importirte Radikalismus kein Heimatrecht
in dem französischen Protestantismus hat. Die Vereinigung
der Parteien wird durch diese klare, aber etwas scharfe Schrift
keineswegs geßirdert, die ftanaOeische Kirche scheint auch
nicht den Mann in sich zu hegen, der im Stande wAre, die
gegenwärtige Krisis zu beschwören, auch sie wird in den
grossen allgemeinen Kampf, der auf religiösem Gebiete
überall entbrannt ist, immer tiefer hineiugesogen und dessen
Schicksal teilen.
Zum Schluss unseres Berichtes dürfen wir eines Mannes
nicht veigessen, der zwar nicht Franzose von Geburt, doch
1) Hifltoiie du Synode gtfnM de rEglise rffoim^e de Fnuiee. Ftoie,
Jaia-Jaillet 1879 pnr K. Bersier. T. 1. S. 1Mb, Sandes Fieeh-
bacher 1872. Stand mir leider nicht sa Gebote.
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OE8CHIGm?BDBBI1KANZ.PllOTE8TAl!IT18ia3STON8Ca9^^ 445
vortrefilich franz^kdsch schrieb and mit Frankreich und dessen
Protestanten in engster Yerbindnug stand, als Yorkftmpfer ftlr
die firde Kirche wesentlich anf die kirchlichen YerbfllinisBe
Frankreichs einwirkte und auch in Deutschland ein hochbe-
kannter Name ist: Alex. Vinet. Mit aller Liebe eines
Freundes und Schülers hatRambert das Leben dieses edlen,
geistreichen» liebenswfirdigen Waadtlftnders geaeichnet; die
Fkmilienpapiere, besonders ein sehr sorgfiUtig geführtes Tage-
bnch standen ihm mt YerfSgiing, persönliche Bekanntschaft
ergänzt die schriftlichen Nachrichten, und so können wir diese
Biogi-apliie, die zugleich für das kirchliche Leben der letzten
Jahrzehnte, fQr die kirchlichen Wirren in der Schweiz sehr
instmcti? ist, als würdiges Seitenstfick zu der Biographie
Nitzschs von Beyschlag anis wftrroste empfehlen nnd zugleich
den Wunsch aussprechen, dass eine gute Uebersetzung sie
auch weiteren Kreisen in Deutschlaud zugänglich machen
möchte.
ANALEKTEN.
1.
JAdische Proseiyteu im Mittelalter.
Von
Ernst JDUiiLiiiler.
Unter der Rogienmp liTidwijrH des Frunimon machte es diiö
grössto Aufsehoii und ern'^'te wdliros Kiitsetzen, djuss ein um II»»fe
wolil^^ülittoner Diaconus aus Schwaben, liodo, im Jahre 838 zum
Judentum ahtiel, sicli verheiratete, seinen Netlon grleichfallü zum
Ueliertritte zwang und als Eloazar sicli unt(>r dem Schutze der
spanischen Araber in Sanujfossa niederlioss. Ja sein Eifer für den
neuen Glauben war so gross, dass er sogar den Kmir von (Nir-
dova zur Verfolj^nang und Au^ruttung der spauiboheu Chriötoü zu
verhetzen suchte
Von einem ähnlichen Abfalle, der freilich viel unbemerkter
geblieben ist, gibt die nachfolgende Aufzeichnung Kunde. Ich ent-
nehme sie dem Codex der Lanrentmna zu Florenz Plut. LXXXIX
Buper. 1 5 , der nach Bandini *) zuletzt von Bethmann (Pertz,
Archiy XII, 722) beschrieben wnrde. Hinter dem lateinischen
Dionysius Areopagita ist von einer Hand dos eilften Jahrhonderts
auf Fol. 104 dies Stflck ohne tJeberschrift eingetragen. Die Zeit
der Niederschrift ist hier auch als die Zeit der Ab&ssung anzu-
sehen und am nächsten läge ee wel bei dem Könige Heinrich,
1) Alle ^taclirichteu über Bode uiud erschöpfend zusammengestellt
bei Simsen, Jahrbücher des fränkischen Beiehes miter Ludwig dem Fr.
n, 252-254.
^) Catalogus bibUothecae Mediceo-IiaarentiauM^ Codio. latini III, 963
(a. 1776).
Digitized byiCai^
DOMMLER, jüdische PBOSRLYTKN im MirrELALTEB. 447
4er später (WeUinachten 1046) Kaiser wurde, an Heinrich III.
n denken. Unter diesem gab es einen Herzog Conrad von Baiem,
ernannt 2. Febniur 1049, abgeietzt 1054, wobei nnr der Um-
stand störend ist, dus er erst unter der kaiserliolien Begimiiff
Hoinriclis Herzog' wurde. YieUeiobt dürfte man also mit grÖSNram
Beeilte an den im Jahre 1039 verstorbenen Herzoir Conrad von
Kärnien, den Vetter Conrads 11., denken, da das Verhältnis We-
cilins zu ihm in eine etwas firObere Zeit fiülen kann. In Besog
auf den Ort der Bekehrung wortlon wir violleicht andi hier an
Spanion denken dürfea, weil der Angrilf desAMrfiDnigSD auf das
Cliristcntum einen gesicherten Aufenthalt Toraussetzt Ab Ver-
kehr mit dios'om Lands fehlte es damals durdiaas niolit; so er-
zälilt z. B. Petrus Dsmiani (Opusc. 45, c. G) von einem gewissen
Walter, einem Genossen seines Lelirern Tvo, dass er aus Wissens-
durst ungetahr dreissig Jahre hindurch von einem Lande zum
andern gezogen sei, „et non modo Tentonnm, Gallorum, sed et
Saracenorum quoque Hispaniensium urbes o])pida simul atque pru-
vincias penetraret". Ueber den Inhalt der Polemik selbst mnss
ioh den Sachverständigen das Urteil überhiesen.
In diebns Hsinriei regis, qui postea benedietione apoetoHca
impmtor effsetos est, qnidsm Wecelinos, qni fserat dneis Cuon-
ndi clericds, illnsione diabolioa sednctos erroii ludaeormn oon-
sensü, ei oontni Christmn eiosque sanctae aeodesise stabfle fir-
msmentom episiolsm ansns est emetnare. Hoc atidiens rsx mmia,
nt instom M%, coniorbatione conpnnctos est atqne OUits iussione
mras disoipnlomm snorom nomine Heinricns predictom apostatam
▼eradssinus sacrae scriptiire testimonüsy nt eins epistola affirmati
fidsa vetba in Christom einsqne ssnotos dixSsse dsTicit.
Temm referrs nimc toIo de illo apostata, qni relicta reli-
gione dericatos in 0 perfidoram Toraginem incidit Indaeonun.
Sed in ipsa relatione exsolTonda tot» oontremesoo et bonentlbns
piüs capitis terrore concntior, diabolmn potidsse hondni persua-
dere, ot tantas sordes ansns esset contra Christom et sanctos
eins isAlasse. Scripserat enim ftmestis litMs infelicismmns ille.
„Qnid eontradicis insto, insiplensY Lege Absenc prophetam
in qno dens dixit: Ego snm deos et non mntor'). Si Ule se-
cnndnm Testram msledictem fidem mutareiar et mnüeri commis-
cerstor, prindpinm verbomm snomm non esset Caritas. Dixit
dens ad Moysen: Non enim videbit me homo et viTere potest^).
Qnem filium hominis pretermisit? Dicit enhn David propheta:
1) im Hh.
S) uuragionem Us.
s) Halae. 3, 6.
A) Eiod. aS^ SO.
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448
AKALBKTBK.
Nolito confidere in principibns in filiis hominum, in quibus non
est salns Et Ezechiel <iui ah Ilieremiu hoc protulit: Malodictus
homo «Uli confiilit in hnmino et pnnit ciuiiom hr;ic)iiiim snnin.
Erit enim quasi myrico in de,serto et non vidobit Iructum, cum
vonerit bonum Quid contrahi&cis aninial ? Quem filium h<t-
miois pretermisit ? Num Potmm et lohannem atque Martiuuui
et alios daem(»nes, quos sanctos vocatiriV In oinnibn^s locis le-
gitur dous T^;r:io] et non deus gentium. Ubi est ve^ter sensus ?
Dicit David: Momor erit dominns in seculum tostamenti sui
verhi^), quod mandavit in mille generatiuncs , quod disposnit ab
Abraliam et iuramonti sui ad iBaac *). Hoc est lex saa saucta
et circumcisio quam dedit Mojrsi soiyo sao.^'
Heinrici epistola.
„Bwpondere calümpniae tnae, o ladaee incredole, quam ex
blaaphemo ore in Christnm einsqtie sanctos nunc noviier evo-
mnisti, cuique in militia christiana instructo facile esset, si non
facilius esset saxa in moUitiem *) posse converti, quam corda vo8tra
ad recipiondiim veritatcm discindi. Quippo cum et illa auctorem
suuni m»»riontem scissa reco<,'novi'riut, et tarnen adbuc insonsibi-
litas rordis vrstri, quamvis oli-^;!, qnamvis prostrata, in duritia
iuvetcratao ini(|aitiitis j)orsovcict, et licet per coetcrnam dei sa-
pientiam, qua mundus oi mirabilitor est conditus et mirabilins
roformatuä, obstructum est os lo(|uontium iniqua ^) et iniquiUts
veötra meutita hü sihi tob» seculo vorbi8(iuo i»nq)lit'tarum et
oxemplis öanctonuu oluccat; quamvis sit tlntnpnata iniideVitatis
Yf'strac ccca iinpiotiks et quam gloriUcatii assumpbao in Christo
mortalitati« intirmita^;. Tarnen (|Uoniam adbuc non desi)erat de
machinationibuB suis ludaicao malignitiitiä obstinata iui})r«*biUtö et
ad confutmdam christianam religionom scelorato fiwtu inmnr-
murat et per exempla ]»:itruni dictaque prophotarum stantein
Ü<»renteraquo ccclosiam ipsa iam totions dovictji et omuino pro-
strata iterum ad certameu provocat, aggrediamui* cos dante et
iuvauto ipsa dei sapientia verbo dei dei filio coqne primum la-
pido lapidea corda feriamus, quem Dauihol prophotii, nt dicitis
voster innuo noster, vidit sine manibus de monte concidi et im-
plere Universum mundiun Ait enim : Aspiciebam in visu noctis
1) PiMl 145, 2.
*) lerem. 17, 5. 6.
8) Psal. 110, 5.
4) Pnal. 1C)4, 8. 9.
Hioliticm Hs.
6) Ftal. e2, 12.
7) Pßal. 26, 12.
Dan. 2, 34. 85.
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DÜMMLER, JÜDISCHE FBOSELYTCN IM MITTBLALTEB. 449
et eooe m nabibns eaell filins hominis rwai et datnm est ei
regnum et honor et omnes popnli trilnis et lingnae servient ei
Qäd nimc infolixt Eeoe Alias hominis. De qno aetiam et David
didt: Eraetnavit cor menm Terbnm honnm ^ Idemque: Dominos
dixit ad me filins mens es to, ego hodie genni te % Idemque:
Omnia in sapientia feeisti*). Et Salomen: Dominos poesedit me
initio Yiarom soarom'). Sed qnoniam non de aeten» Christi
naHvitste % in qoa Semper ioit patri aeqoalis sed de tempo-
rali, in qna, sicnt David damat, minoratos est paolo minus ab
angdis^y com lodaeo nobis sermo est, andiamos qnid dicat
et obiectioni eins conseqoenter lespondeamos. Dids Indaee: Qoave
contradicis iosto, indpiens? Primom vdim, mihi respondeas:
Qoem diois instnm, te ant prophetam? 81 prophetam, assentier,
tarnen in eo, qnod QU me non contradicere ostendam, te men*
tttom esse iore eonTincam. Bi vero te dicis instam, qnem con-
stat prios esse menütnm, nesdo qno pacto obtinebis iostitiam,
qnem mendacii pollnit macola. Neqne legis tnae eongmentor
nmnl poteris assertor et prevaricator dicentis: Non loqoeris
oontra proximnm tnnm fidsnm testimonium ^. Qnod d nti pnv-
misi prophetae non contradicam, com ipse pro me dicat, et qnae
tn tibi contra mo comparaveris ama, bis tibi laetaiia infligam
vulnera, qnoniam intulisti proximo too fiilsnm testimonium contra
legis preceptnm, legis incnrris reatom. Beatus antem trabet te ad
poenam, poona vorn perducet te nsqoe ad mortem. Sed Tideamns
seqncntia. Infelis Indaee, quem yocas insipientom? Num nos
credentes in cmdfixum, qui factns qnidem est vobis lapis offen-
donis et petra scandali?'^ Qnoniam qnidem lapidem quem re-
probavonmt aedificantos, bic factii« est in capnt anguli A do-
mino factum est istud et est mirabile in oedis nostris. £!jrgo
nos in.sipiontee et TOS sapientes estis. Tarnen per stnititiam pre-
dicationis iam mondi superbia cocidit et in frontibus rogum cmcis
videtiä tropbeum. Quia qnae stdta mundi sunt, elogit dciiä, ut
confundat fortia^^). Ac per hoe libenter anq>lectimTir Htultitiam
cmds Christi qm oredidimns nos perrentoros ad gloriam Christi.
1) Dan. 7, 13. 14.
^ FUÜ. 44, 2.
3) VaslI % 7.
*) Psal. 103, 24.
6) Prov. 8, 22.
6) nauitate Hs.
n lob. 5, 18.
«) Psal 8, 6.
0) K\r,fl. ^>(», IG.
W) 1 IVtr. 2. 8.
") ITetr. 2, 7.
M) icoT. 1, sa
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450
ANAUKTBH.
Sed (luid sojnlo nairo Malam? Aiit qud oeoo appoiio hamtm
V6l ludaM mumgelium predioo? Bedeamw ad eegiatia. laqvis:
Lege Abacnc prophetam, Don m quo vi in dios, sed per quem
ipse deus dicii: Ego mm dens et non amtor. T'raeniki tibi»
ludaee, teätimonio Abaeao naUatesoB me coutrudicere et oom
soliim Abaeac sed et onmiiim prophetarom et legis doeumeBte
me dico sascipero, enm eoio, qui non Tenit solTere legen
sed adimploro Dixit dens per Abaeac: Ego siim deas et nofi
mntor Et hoc firmitor credit christiuna religio. Qnod vero
snbsecutas es: Si ilie secundum Yestram maiedictam fidem muta-
retur et muliori cemmiBceretnr, principium verborum suoram iu*n
osset veritag. Quid miruiu est, cum caecus sis, si non vides
lucem illam, quam non vident nini qui mundo sunt oordo^*)?
Immo cum more frcnotici contra medicunt rosilias et .saiuirt' te
volenti maledicta et convicia opponasV Tarn enim excolya et
|)rofundji sunt incaruationis Christi mistoria, quomodo verbiim dei
incoinmutiibilitor apud deum patrcüi semper iiianens cnniom de
vir;j^ine sumpsit, naturauique nostram soao iiiiivit, quod nemo haec
cai>it, nisi «itii spiritualitor .saitit, nemo sapit nisi de«» dunante
capiat, (1110 {loiianto rrodit qui iiondiim capit. Nisi enim credi-
deritis , inquit. ]»r«)pli<'ta , n^m intcilegütis Krgo oredenti colli-
gitur moritum, vidonti rocMetur preminm, qnoniam si vidos, nun
est tides. Qiiandin enim juTogrinainur in huius muudi tenebhSy
tide mundautur corda eorum, qui deum visuri sunt"
2.
Pseudo-ZabareIla\s ,,eapi(a a^eDdorani^^
und ilir wahrer Verfaaaer.
Von
Lic th. Dr. P. Tseliaekert,
FkiTatdooent in liieidau.
Unter iloii lüiliänern, wolcho auf den h'erormconcilien von
Pisa and Constanz eine hervorragende Tätigkeit entfaltet haben,
1) Matth. 5, 17.
x) Malac. 3. 6.
s) Matth. 5, 8.
«) IsaL 1, 9.
üioilized hj fla^jlr
TSCHAGKEBT, PSBDDO-SABABBLLA'S „CAFITA AOBMD/'. 461
ist nidii aa letster Stelle der Cardinal von Florws Franz Za*
bar 0 II a zu nennen. Noob aU Piofteeor das kanoniBchen Rechtes
zn Bologna yerfasste er» um tob seiner vielseitigen Tätigkeit im
akademieohen Lehramt nnd in der Advocatur zn schweigen
ohngefahr nm das Jahr 1408 eine Schrift „de schismato " ^) im
Interesse der Oardinäle, welche im Begriffe standen, ohne Rück-
sicht auf die beiden päpstlichen Prätendenten anf eigene Uaud
der KirchenH])a1tnng ein Ende zu machen. Später verhandelte er
als Cardinal (1413) im Auftrage des Papstes Johann XXIII. mit
KOnig Sigismund über den Ort für das zu beiTifonde Concil
und iu Cunstanz hat er bis an seinen Tod (1417) eine papst-
freundliclie *) uud nach Johann 's Absetzung zu Gunsten des Car-
dinalcollegs eine consorvativo '') Kirchenpolitik getrieben ^). Ein
wosontlicii höheres Interesse knüpfte sich indes bis jetzt dadurch an
seinen iSanion, diuss der unkritische Quellous:ini raier Hermann von
der Hardt ihn mit einem Werke in Verbindung gebnicbt bat, in
welchem wichtige Vorlagen der Constanzer Rpforraarbeiten nioder-
geletift sind: mit den v.m deni Heraungeber willkürlich so ge-
nanuteu Capita agendorum in concili<» generali Con-
stantiensi de occlosiuo ref o rni a i i o n u oder wie der
handschriftliche Titel lautet^), dessen wir n?i^ loi-tan bedienen,
Trantataa agendorum in ooncilio generali Constan-
tiensi.
Die Schrift enthält eine Reibe ..selbständiger Bills" für die
Reformation der Kirche zur Sicherstoilnng des katholischen Glau-
bens, zur Hebung des grossen abendländischen S( liisma und Ver-
hütung einer neuen Spaltung, zur Vereinfachung des Cultus. Re-
gulirung dos Geschäftsganges der Curie, zu besserer Verteilung
der kirchlichen Reneficion, zu regelmässiger Abhaltung von Sy-
noden und Kirchen Visitationen u. a. ra. Leider fohlen in der
Wiener Mandschrift, welche dem Drucke Hardt s zu Grunde liegt,
mehrere Kapitel, welche wir nach dem ihr Yoraostahendeu In«
») Schwab, Gerson (1858), S. 658, Anm. 1.
^) In Schardius. De jurisdictionc (15«6) ct<:. 689 sqq.; vgl. 709
uud 8}'ntagraa tractatuuui {UiQ&) 235 aqq. (Hübler, CoostaiiMr Ke-
form. 1867, S. 379, Anm. 33.)
») Palackj, Documenta M. Job. Hus (1869), p. 513.
Vgl. s. B. Hanei, GMe. ooU. 27, 543. Hardt, Magnnm oee.
Constant. concilium. Tora. TV, 25 (Hefelc, Cunc.-Oeeeh. Vfl, TO. 74)
nnd die Acten der III. Generalsession Mansi 27, 581.
^) Z. B. im Aonatenstieit, v. d. Hardt 1, 556. 621 (Hohler
1. c, S. 84).
<*) Hübler (1. c, S. 7) macht ihu irrtümlich zu einem „Theologen
eratea Bangee vad JPttbrar der naakirohlichea fWiei".
T) d. Hardt 1. c., I^mb. I, Pan JX.
•) T. d. Hardt L o., S. 509»
L;iyiu^oa by GoOgle
463
AHALEKTEN
haltsverzeichnis erwarten mOsston — Kirchenifeschichtlich wichtig-
ist ihr Inhalt besonders durch drei Vorachlage. Erstens wünschte
der Verfasser eine Reorganisation dos Cardinalculleg's; es sollte
etwa viomndzwanzig bis dreissiir Mitglieder zählen, womü^'iich aus
allen Ländern dor Christenheit, und der Eintritt in dasselbe unter
anderem iiuch durch den Besitz des theologischen oder jaristi^chen
l)oct«»nits oder durch hohen (leburtsadel bedingt sein Zweitens
wollU^ er das so zusaramengosotzte CardinalcoUeg, um den Absolu-
tismus des Pap.sttums zu brechen, dem Oberhaupt der Kirche als
controlirendo Beliörde, als oino Art von unverantwortlichem Staats-
rat, an die Seite stellen; behufs Begründung dieses Verhältni5?ses
sollte demnach der von den ('ardinälen zum Papst Erwählte zur
Beschwörung einer sta;itsrechtlichen Capitulatinn, statt wie bisher
zur Ablegung eines Glaubensbekenntnisses verpflichtet werden —
ein auf dem Boden der gregorianischen Tapstkirche gradezn revo-
Intionärer Vorschlag Drittens verlangte er in Bezug auf kirch-
liche Censuren im Auschluss an einen Aufsatz Üersons, da«s
eine völlige „ Communionssporre " (excommunicatio major) erst
dann eintreten sollte, wenn ein besonderes Urleil gegen den
Schuldigen gefällt und öffentlich bekannt gemacht worden
wäre; d. h. er schränkte die grosse Kxcommunication auf die Fälle
ein, in welchen das kirchliche Urteil die Merkmale der „Specia-
lität" und der „Publicität" an sich tnige
Vergleichen wir mit diesem tractatus agendonim die (Jon-
stanzer Reformarbeiten, die Protokolle des ersten Keformati»riumß
oder Fünfunddreissiger- Ausschusses, des zweiten Reformatoriams
oder des Fünfuiulzwanziger-Ausschussos, die Genoralreformdecrete
dor IPJ. und 43. Sitzung, die Keformacte Martin's V. und end-
lich die Sejtarat-Concordate, welche mit den (Jonciisnationen ab-
geschlossen wurden; so orgicbt si< li, dass er für die meisten Ma-
terien mehr (»der weniger als Vorh^'e benutzt worden ist. Wir
gehen auf daa Einzelne nicht ein, sondern verweisen auf die in
^) v. (1. Hardt I, R. 5f>4. Wir vcmiisscn die Kapitel de furo poo-
nitcntiae et casihiiK re.st^rvatis; de ecclcsiastica jurisdictione et oxactio-
nibus atqne abuüionibus (!) quac per illa fiunt jiraesertiiu in Francia
(was niebt in c. 16 gefonden werden kann); de litilnu breviandis et lo-
corum distantia; auod doctoros ptaebcndati rasideant et Icgant (was
nicht in c. 11 steht); de vacantiis jira-laturarmn et bencficionim, et de
iiiipositioni' (l«'ciniannn et taxationc fnictuum et aliia ctiani nun con-
tatiliQs aoeMarnin.
*) Tnci (Cap.) ag., e. 7 (▼. d. Hardt I, S. 515).
8) lUd^ «. 6 (▼. d. Hardt I, S. 513).
4) Ibid., T. d. Hardt I, 8. 590 sqq., entnommeii ans Gereon, de
vita gpiritnali (Gem. op. ed. Dapin.111, id— 50). ^ Hfibler, S. 1868qq.
189. dSisqq.
TBCHACKERT, FSEirD0-ZABAHELLA*8 ,,CAPITA AQEND.** 463
kirchenrechtlieher Beziehung ausgezeichnete Schrift Hühl er' 8,
„die ConstaDzer Reformation" (1867) S. 67 sqq., desson Beweis-
Ähmng dargetan hat, dass die reformirenden Y&ter weder nach
links dem innerkirchlichen Badicalismos eines Dietrich ?on Nte-
heim, des Ver&sserB der Schrift „avisamenta pulcherrima de nnione
et reformatione membromm et capitis fienda** (de neoessitate re-
formatioiiis) gefolgt sind, noch nach rechts la dem von con-
servativen Cardinälen, unter ihnen Zabarella, TOrgeschlagenen
seil wachen Heilmittel einer päpstlichen Hausordnung m Hebung
der kirchlichen Misbränche *) gegrifliBD, sondern sich im allge-
meinen auf der H6he des tractatuB agendornm ge-
halten haben
Schon der zweite oben berührte Vorschlag kennzeichnet den
Geist dieser Schrift als einen oligarchischen. Um dem Cardinal-
coUeg die dort in Aussicht genommene Unabhängigkeit zu erhalten,
wollte der Verfasser vor allem dessen Einkünfte sichergestellt
wissen nnd zwar in so splendider Weise, dass man ihm in Geld-
sachen auch keine Spur von Heformationslust abmerkt *). Sonst
war er wenigstens der Theorie nach freimütig, wie sein Urteü
1) V. d. Hardt, Tum. 1, Purö Vli. Vgl. ak iiuucatc Literatur
darüber Leas, Diel Tractate ans dem Sehriftencyeliis dos GonstaDser
Gondls, 1876.
2) V. d. Hardt, Tom. IV, p. 25. — Hansi 27, p. 643. —
(Hofele Vn, 73. 74.)
3) Nur das Schicksal der oben angeführten drei Vorschlage sei hier
angedeutet Der erste ging über in das erste Ret c 5 (v. d. Hardt 1,
S. 594), in die Beformacte Martinas V., Art. I (Hfibler, 8. 128) und in
die Concordate (Httbler, 8. 166. 195. 208). Der zweite hat zweimal
eine flüchtige Anwendung gefunden, in der W.iltlea['itnlation des Papstes
Eugen IV. (1431) und in dem Statute foudamcntalc Pius' IX. (1848)
(Bavn. Ann. XViU, 81^ Döllingcr, Kirche und Kirchen, S. G04;
HHoler, 8.74. 75); der dritte ging als „Indult" (Gnadenhezengnng),
nach seinen Anfangsworten Ad vitanda gLiiaunt, in das deutsche Con-
conlat Art. Vll über und wunic bald darauf (Jrundlage für den Bmnch
der ganzen ri»mi8chen Kirche (Hüblcr, S. 186. 180. 334 ff.).
*) Er verlangte für jeden Cardinal ein jährliches l^'iium von 24,000 Flor.
— eine Suumie, welche Martin V. sclUt in seiner Beformacte auf COOO
herabsetzte. Tract ag., c. 7 (v. d. Hardt I, 8. 515) und Hftbler,
S. 158. — Für Anfunigang jenes Gehaltos hatte der VerfaBser voige>
aohlagen, dass mit jedem einzelnen Cardinalstitd Pfründen von hohen
Einkünften, aUr mit wenig Verwaltung vereinigt würden; die Cardinäle
BoUteu dann nur zu gelegentlichen Visitationen verpflichtet sein (1, ölG). — •
86U)8t Min Yonefalag „nt ommno oessent annatae*' (Ibid., e. 9; Hardt I,
8. 51^ hebt unser im Text gefälltes Urteil nicht auf, da er, in Sachen
des impatlichen Collationsrechtcs allzu conservativ, die Einkünfte der Curie
durch „Reservationen" in einer Weitic sicherte, wie sie selbst Martin V.
später annehmbar fand. (Tract ag., c. 9, Hardt I, S. 521. 522; c 10,
HaTdt I, 8. 584. — Martinas Beformaote, Art 8. 4. 10. Httbler,
8. 185.)
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j
464
über die Wandelbarkoit des kanonificben Bechts beweist (^necesse
est, ut statuta humann possint variari")
Verfocht er aber das Interesne des Cardinalcollegs in so
hohem Grade , so i«t dor Schluss berct hti^^ , dass er ihm selbst
augehoi-ü» oder wciiip-stcns nahe stand. Schon aus der Art, wir
er, wemi von dor L'urie oder den Ciirdinäien die Rede Ist , »la^
Fürwort der ersten Person Tliiralis gehraucht (»der auch da.s
CardiualcoUeg „ im Stil der Curie '* nur ,.OoUegium'* noiint. <-'-hl»»8ii
von der Hardt auf ein Mitglied desstdben als Verta,'-ser, wählte
aber in bodenlos wiilkürlichor Weise den ersten besten, Frans Za^
barolla, aus '^). In neuerer Zeit haben öich indes, seit J. B.
Schwab in seiner Schrift über üerson die Kritildosig keil iirudtß
aiifL-edorkt hat, auch pegen diese Vürmutuntf- Stimmen erh<djen:
wahrend jener LTade die vorliegende Eründung Hardts noch
uuaJttgefochten Hess ist von Stein hausen der Tractat Zaba^
rella abgesprochen und sein Verfasser in Frankreich gesucht
worden '); dajsu hat jungst Lenz auf den Cardinal Pierre
d'AilÜ als den fraglichen Autor hingewiesen'). Mit He-
aülbKung bisher unbekannter Handschriften ist es möglich, für
die Richtigkeit dieser scharifimnigen Vermutung den Beweis zu
liefern.
Wegen seiner unionsfrenndlichen Haltung anf dem Concil
zu l'isa (140y) war Ailli, damals Rlschof von Cauibrai, von einem
treuen Anhänger des Avignoner Papstes Benedict XHI., dem
Karthänsorprior Bonifaz Ferrer, in einem Tractat vom 7. .lanuar
14 11 ' ) personlich so ehrenrührig angegriffen worden , dai>s er
dazu uninöirlich schweigen konnte; der Karthäuserorden stand iJim
fibordi(\s auch viel zu nahe, als da.ss er nicht hätte bedacht sein
Süllen, seine Ehre in den Augen der Mönche wieder herzustellen.
Zu diesem Zwecke verfasste er deshalb seine „Apologie des
Pisaner Concils" ala „Antwort auf den Traciat
1) Tract. ag.. c. 17. (H. 1, 530).
») V. d. Hardt I, 503. 606.
s) Schwab, Gereon, S. 048.
*) Steinhaueen, Analecta ad bistoriam conc. Const (Diss. inaug.
BcroL 1862), p. 4. 5 — Der Verfasser des Tract. ag. hat Kcimtnis von
dcui Zustande der franzosischen Kirche [c IG Ü, Ö2d); c. Ü (1, 519)] und
„traotatiiluK tractans de gcneralibus princi[>ii8 nostrae fidei" c. 1 (H. I,
506) und de visitationibus, c. 18 <1, 625), TgL GerBOllii op. edDipin.
(1706), To». U, p. 558 sqq.
Lens a. a. 0., S. 86» Anm. 1.
6) Bei Marione et Dur., Thesaams II, p. liSOnqq. — Zu Ailli
Tgl. bes. p. 1464 D. — (Das Datum p. 1529 D.)
steht Gerson nahe, von welchem
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T8CHACKEBT, WBDDOHKARAMI.I.A^S „OAFITA AQBND.". 466
Bonifaz Ferrers'' Sie ist datirt vom 10. Januar
1412 «).
In dieser Schrift beruft sich Ailli auf seine Tätigkeit für
die Reformation dor Kirclie mit den Worten: „Taceo ... de
h\H i[\\iiv intrepidns scripsi super roformationo ec-
clesiac in capite ot in membris; super qua re nii-
per quandam oitistolam ausus sum scribcro domino
nostro pap.'u»'* (es ist Johann XXTIL fenieint); ausserdem
(amplins), föiirt er dann fort, liabo er schon vor dem Concil von
14011 den 7.\] Vhti versammelten Cardinälen seine Zustimmung in
zwei Bfii'iuii ausge^sprochen, „sicut copia literarum inferius sub-
scriptu ])lonius manifestat". Nun folgt am Schluss ausser diesen
beidoTi Hriefen der uljcn erwähnte an l'apst Johann XXllL,
welclier mit den Worten „Apostolicam decet Ma<aüficentiam
vostram" beginnt und bereits, aber ohne Zeitangabo, trodruckt
vorliegt Er hatte ihn, wie er in der Adresse tselbst sagt, als
Cardinal, also zwischen dem 7. Juni 1411 (wo seine Er-
hebung zur Cardiiuilswlirde stattfand) his zum 10. Januar
14 12 (der Zeit der Abfassung der ..Apologie") geschrieben. Wo
aber linden wir Aulschluss über diejenige schriftstellerische Tätig-
keit des Absenders in Sachen der Ueforniatioii der Kirche an
Haupt und üliedeni, welche «liesem Briefe, nach der oben ange-
führten Stelle der Ap4)logie, vorangegangen istV Wir kannten
darüber bis jetzt keine Zeile; erst tiieser Brief Ailli's an Papst
Joiiann führt uuh zur richtigen Beantwortung unserer Frage.
Der Schrcil>or bittet sich im Kin^'unir vom Empfiingor die
Erlaubnis a.u^, mit kindlicher lauobenbeit <1;ls zu besprechen, was
diesem selbst als die wichtigste Sorge erscheinen uiüssto, die
Keformatum der K irchc. 1 ) c r g a n z e Briet s i i ui m t nun
mit einem Teil t r a etat u s a lt e u d (» r u m (cap. 4 von
aperiendi ebsent m*'*ii ratiunabiles bis zum Schluss)*) fast
wörtlich überein. Wie lüßst sich dieser Umst4ind erklären?
Entweder ist das Schreiben dem Tractat entnomiiieii, oder aber,
was bei dem Maugel an innerem Zusammenhang des letzteren mög-
^) Petri de Alliaco apologia conc. Pis. contra tractatum doniini
Bonifacii, qucndam prioris Cartbosiae. — Cod. mecr. Bibl. regiac S. Marci
Venetianao: Cod: lat. 129 cbari. Baee. XV. a. 296. 1. 214. (Z^ L.
CXCni) B. Fol. 82 >> sqq. — Ich gedenke sie in kurzem in der Appendiz
n meiner Schrift iibor „P. v. Ailli" zu veröfl'entliohon.
^) Am Schluss der Schrift steht lilos.s ..datum Avininne die decima
mcnais .Tanuarii " ; da er aber in dersellxu seine Erhebung zum Cardinalat
(Mitte 1411) alb „nupcr" vollzogene erwähnt, sind wir aul den 10. Ja-
snar 1412 gewiesen („fbi nnper a domino Johanne papa XXIII pn-
motus in . . , oaidinakai").
3) Gersonii opcra ed. Dupinius (170(>), T. II, p. 882. 889.
4) V. d. Hardt, Tom. 1, Fan XX, pag. 511. 512.
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456
ANALEKTEN.
lieh wira, In dieaeii eingefügt. Webber ron beiden FOlm
wiildieh etattgefimden bebe, lebrt der Sebleee dee Briete eelbe^
in welebem Ailli dem Paj^ icfanibt: „Cum . . . dndiim eoper
bis (d. L die Befoimatioii der Kirche) plenine ecripaeriai, haue
tarnen epistolam nuie teetrae Beatitndini eolnm pro brevi
memoriali buiailiter porrigere dignum duxL'' Mit der Be-
stimmung ,,pro brevi memoriali" kann der Abeender lUMslt dem
Znaammenbaiig der btiden Sfttae nmr auf die von ibm feitesle
aoeffibrlicbe Sdirift Terweieeii wollen, an welebe der P^st
dnidi diesen Brief bloss erinnert werden soll; beide» der Brirf
und die fhigUebe Sebrift, bebandeln also, wie anob sebon die
oben angefBbrte Steile ans der Apologie des Pisaner OoneÜs^
andeutet (vgL die Yerbmdmig „super qua re'Oi denselben
Gegenstand» die Reformation der Kirobe; da sieb non der ganse
Inbalt des besproebenen Sobrelbens anf b in dem traotatoa agen-
domm findet» weleber eben nnr Befoimvorscblige entbUt: eo neben
wir in dieeem duttenige Scbrifk des Cardinals» welcbe dem Papste
in Srinnerong gebxacbt werden sollte^ balten also Peter von
Ailli für ibren Verfasser» wodurcb ngleieb die Annahme
nlHig wird» dass das genannte Bebreiben em Eieerpt aus Ihr ist
Auf Ailli passt nim anob die Bekanntschaft Ihres Yerftsaers mit
dem Zustand der fransQeiscIien Kirobe nnd das nahe VeriiSltBhi
desselben zu Qerson — des Cardinais treuem Sohfiler
So ansprechend diesee Brgebnis ist, es treten ibm doch
Umstinde entgegen» welcbe seine Bicbtigkelt iweifelhaft an machen
scheinen. Man wbrd m dieselben emen Tollstfindigen ^bliok
gewinnen, wenn man die Zeit der Abfassung dee Tractates
za bestimmen snobi Fflr die Beantwortimg der hiemit anf»
geworfenen Frage gewfihrt der oben angeftbite Scblnss des
AOliscben Briefes einen sicheren Ansgangspunkt: hieaach Ist dMr
Tractat nfimlicb geranme Zeit vor diesem geschrieben, also tot
der swelten Hüfte des Jahres 1411. Heber das Pissner Oondl
von 1409 dflrte wir aber rOckwirts nicht hinanageben» da dieses
selbst emigemal genannt wird*). Als die beiden Zeitgrenaen,
innerhalb deren der Tractat entworfon ist, ergeben sich dAmn^^h
miftcbst der Scblnfls des Conclls Ton Pisa (7. Angost 1409) nnd
die Mitte des Jahres 1411. Das ConcU selbst, welches bei Ab-
1) Vgl. S. 454, Anin. 4. — Ailli schwebte wohl auch diese Schrift
vor, als er am 1. November 14 lü die kirchenjM>litiftcheu Gegner des Car-
^oatooUegi ermahnte, de möchten doch übertegeo, due es in BetretT ds
Reform der römiBchen Kirche und seiner selbst tatsächlich (efTectnaliter)
mehr f5f n itwillij^keit an den Tag gelegt habe, als irgend jemand von
einem aiuloren kirchlichen Stande. Tract de refonn. c 2 (Hardt I, YUi
„canones rcf.", \\ 4U»)-
2; Hardt. T. 1, P. Viil, p. 017. 519.
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nSGHAGKEBT, FflBDDO-SSABABBLLA^S „CÄFITA AQEMD.^ 467
fassung desselben nahe bevorstand, wäre mithin nicht das Con-
stanzer, sondern das, welches Papst Johann XXIII. am 29. April
1411 auf den 1. April 1412 nach Korn berief, aber erst gegen
Ende dieses Jtilires eröffnete und die Zeitbestimmung in der
Uoberschrift im Wiener Codex „tractatus agondorum in concilio
generali Constantie nsi" wäre irrtümlich von dem Abschreiber
beig-cfügt Die gesammte Tendenz der Schrift, die Kirchen-
politik im oligarchischen Cardinalsintoresse, pcosst auch auf Ailirs
Stellung in den Jahren 1409 bis 1411, noch ehe er in das
CardinalcoUeg eintrat, sehr gut, wie seine beiden oben
erwähnten Ergebenheitsbriefe an dieses und im besonderen sein
darin berührtes Freundschaftsverhältnis zum Cardinal von Bar
bozengt ^). Der tractatus agendorum wäre daher ein
vom Bischof Ailli im Sinn der freiconservativen
Cardinulo entworfenes Programm für die auf dem
Pisaner Concil in Aussicht genommene Reformation.
Nichts desto weniger kann derselbe in der uns jetzt Torliegenden
Gestalt nicht schon vor Mitte 1411 abgefasst sein.
Der Verfasser befindet sich nämlich erstens an der Curie,
ist ihr Mitglied, gehört selbst dem CardinalcoUeg an*); der
7. Juni 1411 (s. oben) ist also schon vorüber. Zweitens setzt
eine beiläufige Bemerkxing voraus, dass Papst Johann XXDI.
bereits drei Jahre regiert hat ^) ; diese konnte also erst nach dem
17. Mai 1413 gemacht werden. Dadurch sind wir im Suchen
nach der Abfiissungszeit dem Boden der Jahre 1409 bis 1411
entrückt und, da doch ein allgemeines Concil in Aussicht steht,
wolflios nunmehr aber kein anderes sein kann als das Constanzor,
in die Zeit vom 17. Mai 1413 bis zu dem Termin der
Eröffnung desselben, dem 5. November 1414 gewiesen.
Dem entspricht auch, dass Papst .Tolumn, welcher am 29. Mai
1415 in Constanz abgesetzt wurde, nocii in vollem Anseben
1) Hefclc, Rd. VII, 8. 15. 17. — Lenz a. a. 0., 8. 87 nenot
irrtöixilicli das Jahr 141.'}.
^) V. d. Hardt 1, :m. 8o schon Lenz a. a. 0. 87.
ich werde dicBC I {riefe aus dem oben bezeichneten Venetianer
Codei nächstens mit der „Apologie" vei^flknilioben.
*) Tract. (cap.) ag. o. 9: „Status n oster" (der Cardinale) (y. d.
Hardt I, 517. 519); „nos praevcnireniuH ", ,,nobis obocdiant" (ibu
519). Das „dniii veniunt ad curiam" ist (la^'o^'on nicht zu pressen,
da es im Sinn des Vf. ebenso „gehen", wie „kommen" hois8cn kann.
Vgl. c. 11 (p. 625, durch Druckfehler 524) c. 14 (p. 527); c. 17 (p. 629).
^) Tract (cap.) ag. c 15 (t. d Hardt I, p. 527): „praeter modos
in jQie scriptoa foit focta in nrbe anno tertio doniini nostri Johannis
constitutio poenalis, qnani (1ol»ot liaUore dominuH Pisanus", d. i. der
Cardinal Alaiiinnnus A<l:uiiarius, der spater mit Ailli und Zabarella das
Colleg im 1. Kel'onuatoriuui, dem Fünfunddreissigeraufitichuss, zu Cunutanz
T«rtrat. Vgl. Hftbler a. a. 0. 10.
ZtitMhi.tK.-0. 30
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458
ANALKKTm.
ätoht ferner, dasa König Sigismand noch in einer Weiso geehrt
wird, wie es jon Ailli in Constanz aus vorscbiadeneu Gründen
nicht mehr geechah , endlich , dimn die Zulassung der anderen
Fürsten zum Concil noch der Krwiigniig anheimgegeben wird, w»»r-
über man auf der Constanzer Synode uicht mehr im Zweifei war
Lä&st sicti trotzdem die Autorschaft Ailli's noch halten? Wir
meinen, dass der vor 1411 entworfene tractatns agen-
doram, da auf der Synode eu Rom (1412) von Reform keine
Rede war, kurz vor Boginn des Coustauzer Concils
innerludb des Cardinalcollegs, welchem Aüli seit 1411 angeh«>rte,
zu dem Zweck neu redigirt worden ist, dass die
seinem Ver&eser gleichgesinntcn Mitglieder desselben ihn als
Programm der dort vorzunehmenden Reformation
der Kirche zu Grunde legen konnten.
Streng beweisen lässt sich diese Auffassung nicht; sie ist
aber höchst wahrscheinlich richtig. Schon die Bemerkung „fuit
£ucta in urbe aunu tortiu dumini notiiri («mstitutio poenalis
opportuna, quam debet habere dominus Pisanus" (der
Cardinal Alamannns Adamarius von Bisa)*) lässt schlicssen, dass
der tractiituH air^ndurum sen)Ht für Feststellung von iieformvor-
Ht'hJiigcu iunorltttlb des CoUeirs benutzt wurde; die vorhin an-
genommene spätere Kcdaction desnelhen liegt also nahe. Dabei
sind auch, dcus lügen wir gleicli hinzu, walirncheinlich nicht bloss
formelle sondoni auch inhaltliche Veränderungen an ihm vor-
genommen wordon, wie z. B. grade diese Bemerkung Ober den
Cardinal von Pis;i offenbar später eingeschoben ist *'). Finden
aich doüli auch in auiieren Schrü'ten Ailii's spätere Zutuitze von
1) IVftßt (cap.) ag. c. 9 <t. d. Hardt I, 520): „posset pha qnaa
nnne Ubenlins papa, eni volucrit, providere, nee propter boe ligarentur
Trinnira ejus, ncqnc c$iB poiataB arctentnr alii de iniMfltate quin eerto
casD et ii< <'eK.sitate
^) Tract. (cap.) ag. c. 4 (v. d. Hardt I, 510): „ad coDcilinm
tcneatur etiam Imperator intereflie tamqiiam defensar
eeeleaiae; mc «Koaetar, nisi ob gravem infirmitatcui vcl mctoni mor-
bonun propter viamui discriniina et tunc mittat solutiores oratores. De
cctoriH |>ri n c i j)» 1j US oogitctur, quid ordinanduui 8it." Ucber Ailli's
gC8pannU.s Verhältnis zu {Sigismund in Constanz vgL z. B. v. d. Hardt
fv, 57. 58, und dazu de pot. eccl. pars I, c. 4 (BL YI, 43).
») Traoi ag. c 4 14 (H. 1« 510. 628).
4) Siehe S. 457, Aom. 6.
6) „Status noaier» nea pnnmumn, aebU oboediaat", vgL
& 4^7, Amu. 4.
6) »Sckon der ZuBaramtriliang tirweist den Satz al» sjxätero^i ELn-
scbiebsel : er ist als ErzähluJ1g^uiat^ im Perfectuni zwinchen zwei Ahsicbt«-
ifttze eiBgvsehobea w^en, war vielleiefat «npruagUch aar Baadbener-
kang: „Aviaentar modi o(^ortandi iaetit)|K>utaa0e, at voceat eaoe
inferiores (ad coaeilioai proviadaleX nt eompareaat — piaeter aaidoa
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TSCIl ACKERT, rSEÜDO-y.ARARKiJ.A S „OAPITA AG£ND. 459
soiuor eiireiicii ILuid JJei dem zusammen hangslosun Charakter
des TrartatvS war übrigens leicht, mehrere ueue „belhbtäudigü
Billfl" eiiizuschalton.
Wurde abor der ti-uctatus ugoiidorum d:Ls lietorinprogramm
der frciconsorvativen Cardinäle, so halten ihre irleii-hiresinnten
DeputuUiii im Fünfiinddreis.sigerau.ssclnLs.s, dem 1, Cvaistaiizcr lie-
formatoritun Ailli von Uambrai und AJamannns Adamariii.s von
Pisa — Zabarella von Florenz war woni^'-.stöiiis im Anlanjr des
Concils al t f unser vativ ^) — höchst wahrscheinlich nach ihm in
diener Commission ihre Vorschlage gemacht, und sein oben l)e-
rübrter Kiuiiubd aiü die ollicielleu Keiurmarbeiteu deä Coucils
iüt erkl^irt.
Zum Schluss uiibi'jer Auseinandersetzuni^ machen wir eine
Probe auf die Richtigkeit des Resultates derselben, indem wir den
tractatus airoudorum mit der von Ailli am 1. November lilG
veruflentlicditen Sclirift de refonnationo occlosiae (die v. d. Hardt
willkürlich „ cauones retbnnandi etc." nennt*) vorgleichen. Die
Lösung dieser Anft^'abe driingt sich uns überdies durch den CJia-
raktor dieser SchnlL vuii si llist auf, da ihr VerUusser in ihr eine
zusammenfassende Darstellung' seiner silmmtlichen bis-
herigen IJeformailjeit^n giobt*), wo)>€i er nur den tractatus
agendorum und etwa noch seine im Fimfunddreissigcrausschuss
gestelltim Amendements, au denen er es wohl nicht wird haben
fehlen bissen, vor Augen u'ehabt haben kann, da von einer anderen
aus seiner Feder geflossenen reformatorischen Literatur keine Spur
vorhanden oder in seinen Werken auch nur angedeutet ist.
Einen gewissen Unterschied zwischen heiden Scliriften wird
man von vornherein allerdings erwarten (liirli'n, da ihr Verfasser
in der späteren auch die reichen Erfahrungen, welche er 1415
in der Itefonncommission unzweiteliiati ^cnnu-ht liaite, verwerten
konnte. Die Schrift de reformatione untc^rscheidot sich denn auch
zunächst in formeller Hinsicht vorteilhaft von dem tr;u-tatus
agendorum; die lose Aneinanderreihung „selbständiger JJills" ist
in }\\rv Hcriptos fuit facta in iirlx» nnno tertio . . . constitutio . . .
(juam dt'ljc't }i;ib('re dominns IMsliuuh — iteiu ut statuta synodalia
et uruviacialia ... laicis eipiiceutar et couticriban tur." (Hardt
I, p. 687.)
1) In de pot. eccL j^ae I, c. 1 MB SehluBs (?. d. Hardt VI,
p. 2G), wo der nach de pot. eccl. iierausgegebene Tractat de reform,
cccl. citirt wird (vgl. Hardt L 418). Femer in einem Hriefe AilliX
Gen. 0^. cd Dupin., T. 11, p. lüü U; — io ewem anderen Tractat ibid.
s) H&bler, die Conrt. Befbmi. (1867), & 10.
») 8. oben, 8. 463» Ann. %
v d Hardt, T. I, pan VIII.
ft) Ibid., p. 409.
80*
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460
ANALEKTEN.
TerlasMn; der Verfasser folgt jetzt einer den praktischen Bedürf-
nissen ganz entsprechenden Dispesition (1. Reform der Kirche im
aUgemeinen; 2. der Curie; 3. der Frfilaten; 4. der MOadisordMi;
5. des niederen Klerus; 6. der Laien). Inhaltlieh betrachte^
«racheinen in der Schrift de reformatione swar manche Fordemnsea
ein&ch surflchgenemmen oder geSndert» andere hingegen bei weiten
inhaltsreicher und klarer ausgef&hrt; Ja die BatscUSge snr Heflnng
der Schäden waren so trefflich, dass ihre gewissenhafte Durch-
führung die Beformation des 16« Jahrhunderts noch hfitte hinmns-
schieben kOnnen.
Unsere entere Behauptung betreib des Inhaltes rechtfertigt
sich durch die Wahrnehmung» dass grade drei charakterlstisGhe
Merkmale des tractatus agendornm m de refonnatione weht aa-
sutreffeu sind: das oUgarcbische Cardinalsinteresse, der persto-
liehe Freimut und der sfihe Conservatismus in GeldsadMii
aber sie finden sich alle drei in anderen Schriften AiUi's: das
erste in de potestate ecclesiastica vom 1. October 1416 (pars
n, c. 1) das sweite in einer Bede de ad?entn Ohristi vom
Jahre 14,14 und auch in de pot eccL (pars n, c. 2) das
dritte endlich wieder in de pol eccl. (pars II, c. 2) *). Die
eigentlichen Aenderungen der Beform?oi8chlige sind nirgends
principieller Natur; a. B. hatte Ailli im tractatus agendornm
Periodisimng der Generalcencilien „von sehn zu zehn Jahren"
Toigeschlagen ; in de ref. dringt er nur auf Öftere Berufdug der-
selben ; umgekehrt aber wollte er jetzt die FrovincialconcOien
von drei zn drei Jahren abgehalten wissen, während Mher diese
Zeitbestimmung fehlte % Im tractatus agondorum hatte er die
Cardinäle, wenn sie bei der Papstwahl durch Einschüchtemng
becinflusst würden, ohne weiteres zu einer Neuwahl autorisirt;
mich de ref. soll eine Untorsuchung über die behauptete Boein-
flussunsr stiittlinden, das Concil 3il>er mög-e bestimmen, wer .sie zu
führen habe — Noch weiter lusst die Schrill de ret. den
1) Vgl. ..bot) R. 4r>3. Anin. 4; S. 454, Anm. 1.
^) V. d. iiardt Vi, 5<) -f/i. — In «le pot. eccl. pars II, c. 2
(Hardt VI, öO) flndet sich auch in IJczui; auf die prufessio papae
die an den tract ag. (vgl. oben) erinnernde Notiz „juxte ramm eri^tiam
in hoc saero Gomtantienfli eoaeOio ratioiiabiUter (mit Qrond) poterit am*
pliar i
3) V. d. Hardt, Tora. I, Pars VTII („do officio ini|>eratoris etc.")
p. 443. 444 (,.11108 )>idaicu8", v^'l. oben), nnd y.ui. eccl., T. I, p. 2
über den Wort des (jewohnbeitsrediU'H (v. d. Iiardt VI, p. 30).
4) V. d. Hardt VI, p. 51»qq.
ft) lYaci ag. c. 6 (H. I, 514); de let e. 1 (H. I, 411).
«) Tract. ag. c. 15 {E. I, 527); de i«f. c. I (H. l, 411).
7) De lefonn. c. 2 (H. I, 415).
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TBCOAGKERT, F8EDDO>ZABA]i£LLA*8 „GAFITA AOEND.**. 461
tractatus agondonim durch ihro Reichbaliigkeit an Boformfor-
sehligen hinter sich zurück. Eines Beweises tiberheben wir uns;
nur sei erwähnt, dass de reL die kirchlichen Provinzen
xnr Grondhige f&r die Znaunmensetzung des Concils macht
woran der tractatus agendorum noch nicht gedacht hatte.
Sind schon otnerseits die eben scimirten Unterschiede swisoihen
beiden Schriften nicht stark genng, um einen Zwmbl an der
Antorsohaft Ailli*s aufkommen m lassen» so befestigt uns andrer-
seits die Aehnlichkeit des Inhalts beider nur nmsomehr in unserer
Amdoht. Wir flUiren eine Beihe von Besdehnngen an:
Traet ag. a 4 (v. d. Hardt I, 512) zn ,»sanctiiarinm quasi
haereditBrie possidere" (auch c 7, p. 515, papatos hae-
reditarius) vgL de reformatione eccL c 2 (Hardt I.
VnL „Canonee reformandi" p. 414); ebendas. über alle-
gatio metos.
Tract ag. c. 5 (▼. d. Hardt l, 613) de enltu dei et ofBcto
ecclesiastico vgL de reform, c 3 (H. I, 423).
Tr. ag. c 7. (I, 615), Aber die Yermeidnng der camalis affectio
bei Promotion von Cardinftlen, ygl. de ref. c. 2 (H. I, 415).
Tr. ag. c. 7 (I, 515), Aber Beoiganisation des CaidinalcollegSt
Tgl. de rel c. 2. (H. I, 414).
Tr. ag. c. 10 (I, 523), BisdiOfe sollen bene Mmorigerati'' pro-
moTiren nnd c. 12 (1, 525) derlei docti et bene „morige-
rati" nm sich haben. Vgl. de ref. c. 5 (I, 428) u. c. 6 (ibid.).
Tr. ag. c 10 (I, 524), über die Promotion Ton Oradnirten oder
Adeligen auf bedenkende Pflründen, vgl. de rot c. 5 (U. I,
426. 427).
Tr. ag. c. 11 (I, 523), über billigere Yerteilnng von Beneflcien,
vgl. de ref. c. 2 (I, 416).
Tr. ag. c. 11 (1, 525), über ResidenzpÜicht der Bischöfe, vgl.
de ref. c. 3 (I, 421), hier nur bestimmter.
Tr. ag. c. 12 (1, 524), die Prälaten sollen ihren Pomp ein-
scliiiink«'!!, vgl. de ref. c. 3 (I, 420).
Tr. ag. c. 14 (I, 528), über dio Ziihussung von Doct^Tcn zum
Concil , vgl. do ref. c. 6 (I, 431); (ausfülirlicli AUii bei
Hardt, 1. II, p. 224 sqq.).
Auch (lor im Anhang aus Gerson ontnuinm(me Vorschlag' zur
Kiuöchnuikiiüg der Kxcommunication ist schon durcli Ailli's
Klage über die häufige Verhängung dieser Strafe in einer
seiner Jugendpredigteu vorbereitet %
1) Do reforui. c. 6 (H. I, 431).
3«) S. oben S. 452, Anm. 4.
3) P. de Alliaco scrmo in synodo üi cccl. Parisiuiiw, iiu Codex iiiacr.
CoUegii EmaDoelis Oaatabrigieiuds Nr. I, ans wekbem ich nSchstens
«uigewfthlte Stfleke mit der Apologie*' mitzateilsii gedenke.
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462 ANAUKTBN.
SchliesBlich noch ema Uomorkun^ zn Tr. a^- c. 15 (I, 528>. I
Von dm Iteitlen Ausdrücken „ i»nwücare", ausffiJircn , an- '
■ wenden, uml „in ulicnjns praejniUcium zum S<*ha(len Je-
mamls, tindot sich jener de jk»! eccl. Hardt VI, dieMT i
il). p. :rs und de ref. 2 u. 3 (I, 118. 421).
Die wesentliche Uebereinstimmang beider Schriften mit ein-
ander berechtigt nach unserer Ansicht zu dem Urteil, dass die
spätere Redaction des tractatus agendonim, falls sie nicht atf ^
Ailü selbst ntrfiekmfQhren sein sollte, gewisH ^^anz in seinen
Sinn Yorgenominen worden ist, so dass der Charakter der sicher
?on ihm herrührenden Gnmdächrift nicht geändert etselieint, AiÜi
selbst also als Verfasser des Tractates angesehen werden dar£ |
Nun wissen wir auch, wer die „Consoltationes Car-
dinalinm", welche v. d. Hardt im Tomns II, p. 584 unter |
cap. 1 herausgab^), yer&sst hat: sie sind die beinahe
wörtlich anfgenomm enen und weiter ausgeführten
Vorschläge, welche sich im vierten Kapital de«
tractatus agendornm und in dem besproelieDeii
Briefe Ailli's an den Papst Johann finden^).
Sowohl der traotstns agendonun als anch die oonsoltatioDes
Cardinal ium sind oft benutst worden; fortan aber liefern sie
wichtige Bausteine xnr Charakteristik des Cardinais Peter tra
AiUi^
s) Das dort angefügte eap. 2 modo et fonna eHgeadi papan*'
ist schon in P* tri de AUiaco tractatOB et sennonet s. I. ei a. W
Aigentor. 14'J() gedruckt.
») Tr. ag. c. 4 (H. I, 511. 512) und P. do AUiaco epistula iii Gere,
op. ed. Dnpin. (1706), T. 11, 882. 883.
3) Auf Grund dieses Rosultatcü iuüti80o Jetzt ciiizelno liehauptuugeB
in meiner Abhandlmig „Der Card. P. y.A. a. a. w.*' (in Jahrb. r. d.Th.
XX, 2) inodifloirt werden; das kritische ETgebnis dieser Arbeit bleibt
aber trotzdem nnangcfocbtea.
DigiliÄ«ö.by-<!»6^e
Eiue kircblicb-politische Rerormschrift vom
Bader GooeiL
Neu BufgefiuideB und angenigt
vra
Dr. Max Lenz,
Frivatdocent der Geschichte ao der Universität Uarbafg.
Es ist mir ^eglOckt, anf dem hiesigen Staatsarchiv eine
deutsche Flugschrift vom Hiisler CfoncU, aus dem Jahre 1442,
zu finden. Über die eine Mitteilung selbst in dem Falle erwünscht
sein möchte, wenn, wonach zu forschen ich noch keine Gelegen-
heit fimd, das Ten mir entdeckte Exemplar nicht das einzige
noch vorhandene sein eollte. Dem Heränsgeber der Constanzer
Concils-Akten, Hermann t. d. Hardt, hat» wie ich weiterhm
zeigen werde, die Schrift, wol in einem anderen, Siteren Exemplar,
vorgelegen. Das von mir gefundene Mannsoipt ist allerdings
eine späte Abschrift, aber Zeit nnd Entstehung derselben wird
kaum minderes Interesse erwecken als ihr Inhalt Hehrere Anf-
schriften anf dem Umschlage Uiren nns Aber die Umstände,
die diese Copie veranhusten, anü Ich teile sie daher, so weit
mir ihre Entdffemng mOglich geworden ist mit, und zwar
in der Beihenfblge, m der sie auf emander folgen. Oleich su
Oberst stehen ein oder zwei, wohl abgekflrzte Worte, deren Deu-
tung mir nicht möglich war. Yen derselben Hand folgt in, wie
mir scheint^ franz(ieischen Schriftzägen eine finmzQsisGhe Aufschrift:
O» liure est contre le pape et contra le (so!) Gardinel (so!)
et pour aprendre ung hon conseil et anltre Escript le dixsteme
jour de Amrier lau mille cinq cent et vingt an De propre
numi 8. K. (k? rf) de Fraack ec (9) *)
1520.
Es tblgeu zwei deutsche, wieder durchstrichene Worte in
deutscher Kanssleischnft:
1) Den Herren Iteaiuten des hiesigen Archivs, Dr. lieiiuer,
Dr. Scbuchard und Dr. Wys.s, Hchulde ich für die üölt'e, die tue luir
hierin gclcist<.'t, iiiciu«-ii Wätcu Dank.
Ich habe, um die Treue der WiedMgmbe su wabiea, dis Intv
ponktkniea weggelaBsen. Man wird indes zw« Ponkte aetoen dOiflni,
hinter anltre und an das Ende.
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464
AMALaCTBN.
Aiifnliemang des.
Dann eine lateinbcbe Bemerkungr:
Hic libellus ob Teritatem oontentam latore eogitnr, quare
et sub alio titulo.
Gleich darnnter, vielleicht von derselben Hand wie »Anf-
nhemong des", iii deutscher Kanzleischrift:
Die heilig Bebetlich Erbarkeit. ec. hie libelius.
Nnn kommen drei AnfiBohriften Ton einer Hand in dentschen
Schriftzflgen:
1) Disie buch hab leh vff Ebembeigk fänden less ise so
liebt DiiBS.
2) Hic Uber . . . Johann! Helwig ex gerawe (durchstrichen und
aosgewischt).
3) Dem EmTCsten Helwiggen von Ruckerashanssen amptman
So interessante Au/scbllksse diese Aufechriften geben, lassen
sie doch noch manche Zweifel flbrig. Einmal, wie kommt auf
die deutsche Schrift ein franzdsisches Schild? War der Schreiber
ein Franzose oder ein französisch Terstehender Deutscher? Die
fhinzösischen SchriftzQge der Aufschrift lassen fiist das ersten
Termuten. Ihr Schreiber sagt, er habe die Copie verfasst, und
nennt uns den Tag. Man sollte daher meinen, die SchriftsQge
der Copie und des Titels mitesten aufe genauste übereinstimmen,
letzterer unmittelbar nach Beendigung der ersteren gesetzt sein.
Es ist aber nicht nur die Tinte bei letzterem viel blasser — und
dass ftussere Einflösse ihre Farbe abgeschwächt haben, scheinen
die andern Au&chriften zu widerlegen — , sondern die Schrift
selbst zeigt in Titel und Inhalt wenn auch nur geringe Ver-
schiedenheiten. Auf den ersten Eindruck erscheint der Unter-
schied sogar grösser als bei nfiherer Yergleichung. Es finden
sich doch alle Buchstaben der Au&chrift in dem Tractat gleich-
geformt wieder, ausgenommen das e, das freilich ganz verschieden
gchiUlet ist. So sehr daher die Bemerkung des Titolsetzers und
die fast völlige ülcichhoit der ScliriftzOge dos Tractates mit denen
dos Titels einen Schreiber für beide zu fordern scheinen, dürfen
wir dies doch nicht ohne allen Bückhult annehmen. Es liosöe
1) Zwei Sigko, deren erste l q Zj in Waltbers Letieon Diploma-
ticoui nicht verzeichnet ist. DocD scheint nur die Ptutoiig zweift Uos.
-) TIelwig V. Rückershausen, Aiutiuaim zu rrbor^ (Auerberg im
DarnistiMltiscbon ?), wird in Lanzes (i«wliiclit<' Philipps (Üurli II. c. 10;
1, iS. 5t>ö) erwähnt. Iö2ö bcvollnKlclitigt der Landgrat Ikiwig von liuckcrs-
bauscn, Oberaratmann der obem Grafschaft Katzenelnbogen, zu einer münd-
lichen Werbung bei Ludwiff Ton derPfals (Originaloredenz Im Harb. St-A.,
also nicht abgoganjicen). In dem hiesigen Archiv befindet sich ein F^Mcikel
über dirs Geschlecht. Darin wird eio Uelwig von Rackersbaoaen gcnaiui^
der starb.
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LENZ, REFORMSCHRIFT VOM bAÖLER CONCIL. 465
sich immflrlim denken, dass ein Zweiter, ein Genosse, die 6e-
merlning über den Yerfaseer aof den Umschlug gesetrt habe.
Die Worte ^^Aaftibenrang des" Teretebe ich nicbt
Zweifelhaft bleibt ferner, wie die Anfiscbriften, Ton der
französischen abgesehen, zeitlich aufeinander folgen. Das Wahr-
scbeinlichäte möchto sein, die di'ei untersten später als die drri
vorlier^'ehondon, unter diesen aber die lateinische früher als die
dunmter stehende zu sotzon , 8o dass diese der titulus war, der
zu jener sarka^stischen HemerkiniiLr den Anlass jrab.
Die klarste und am meisten erwüiisclite Aufschrift ist jeden-
falls die drittletzte. Danach haben wir hier eine Schrift vor
uns aus der Beute der Ebemburg, mithin das erste Stück aus
den IJücherscluitzeu der Sikkingischen Burgen, deren Verlust wir
beklagen. Der Wunsch, die Abschrift mit Ulricli von Jlutteu
zusammenzubringen, ist erklärlich. Wir wissen, dass der huma-
nistische Kittor grade in der Zeit, aus der die Copie stammt,
eifrig nach älteren ])aiistfVindlichen Schritten suchte. Im Herbst
151 *J fand er in <ier Klnsterbibliotliek von Fulda den Tractat
des angeblichen William von Naumburg (Strauss, U. v. H.
IT, 47), im Mai zu Bopiiard jene Flugschrift, aus der Zeit des
beginnenden Scliisma, die apokryphen Sendschreibeit der Oxfnrdcr,
Prager und Pariser TTniversität und Konig Wenzels (Strauss
II, 55; vgl. Th. Ijindner in den Theid. Studien und Kritiken
187.'i)- Ks war die Zeit seines Uebert.ritts aus dem humani-
stischen in das reformatorisclio Lager, „da er die Bande der Ge-
duld spremrte und hinaustrat, wie er war", und ebenso die Zeit
der beginnenden Freundschaft mit Sikkingon. Ende Febniar 1510
ward die Bekanntschaft geschlossen; sie ward dann in dem
Würtembergischen Feldzuge und in den kirch1i«*h-i>o]itischen Be-
strebungen, denen unsere Copie iliron fhsprung \or«l;inkt, hesieirelt;
im üerbet lö20 siedelte Hutten auf die Eberuburg über '). Der
•) Die Zeit der orston IVgegnung beider Rittor Kann ich aus einer
eben falls auf dem liitsii." n Arrhivo l>ctinfl1ich«'n rrkniuli' nidier als bislicr
bestiiumen. Ka int die t'opic eines Briefes Frowin» vou Hutten au Franz
▼on Silddngen vom 26. Februar 1519 (der Ort ist nicht angegel^cn). Der
Mainzer Marsclialk berichtet seinem Freunde fiber diu Ke^ultatloHlgkcit
eines zu Schwciuf'nrt an<:es(.'tzten Tages der „sechs (>rf' " in Frank« fi
und dir Anl)€ranniuni,' einer neuen Versnninilung am 11. April, zu deren
ik'such er dringend aulfordert. Der Ueberbringer aber ist Ulrich: „Si»
schick ich euch hieniit zu (= bei, mit) meinem vettcr her Ulrichen von
Hnttenn die eredentz mit fünf sccreten nnd bittschicren Terwart." Er
bift f , ileiu Vetter Ulrieh eine schrifHiche Antwort mitzagebcn, und
sehliesst: ..Und iK'durHrt «lie zeitt kein sor^' tragen. Ich weiss euch an
die end wo! sicher zu itrin<|eTi." Da Ulrich am 1. Mär/ schon wieder
auf Stcckelberg die Widmung Peines deutschen „Fiebers" an Franz
sollrieb nid den Tag vorher in Rotenburg a. d. Tauber gewesen war, so
kann dieser erste ^neb nur am 26. und 27. Februar oder an einem
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466
AlULBKTJili.
Sarkaömns dor latemibchen Aufsclirilt klinj^ fast au Hutten an,
das „Itttere cogitur"' eDt8priclit aber »einer damaligem Stimmuug ^
nicht. Die Schrift gewälirt uns keinen Anhaltepunkt , der eine
derartige Vermutung rechtfertigen könnte. Wir können nicht
einmal sagen, dass sie auf der Kbemburg gesclunebeu, nur, «lass
sie im Sommer 1523 nach der Eroberung dort gefunden ki.
Das genügt aber jedenfalls, um in dieser Flugschrift eine neue
TUiistratiun der Hutten -Sikkingisciien kirciüich-poliüiiGiien ü/diorvt-
plane zu erbliokon. '
Denn dieser Tractat ist eine kirchlich -politische Reform-
schrift, eine Anklage der römischen Absolution, eine Apologie der
concUiaren Idee und des i'apstes Felix, zugleich aber ein Vor- '
schlag für die politische lieformation des Reiches. Auf 40 Seiten I
behandelt der Yerüaaser die Notwendigkeit und Nützlichkeit des
Generale« mcilsy seine Snperiorität über den Papst und — der
Angelpunkt in dem Kampfe zwiechen Eugen und den BaBlern —
das Recht dee Concik» die ihm nachfolgende Synode nach seinem
Belieben nnd zwar in eine dem Papste nicht unterworfene Stadt
zu verlegen. Die Schrift ist gut gegliedei*t, ihre DaratelluDg klar,
ihre Sprache naiv und kräftig. Sie zerfallt in einen n^ntim
und einen positiven Teil. In dem ersten (S. 1 — 20) giebt aos
der Verfasser einen Ueberblick über die allmaliliche Entwioklinig
des päpstlichen Absolotismns, der eine völlige YerkehnuB^ der
alten rechtlichen Yerh<niflse seL Mit Eifer wendet er och
gegen die Misbr&uche, die ans dieser Oentnüisatioii entsprangen
sind, die Ersohöpfnng der DiOoesen doroh Anmten und PaUieii- i
gelder, die Yerannnng der Klöster dnrch ihre Ueberlmgnng an die |
hohen Würdentriiger der Kirche, die BeTonogimg der Kurtisanes» j
welche Stallknedite» ünndewirter, K5ohe der Gaidinale geweeen
sind, vor den Doktoren in der heiligen Schrift^ ^ gaiitM |
cristenglanbe ane hanget*', den Mishiaoeh der weihbischöflichsn i
dieeer Tage stattgefundeii haben. Es handelt siohwohl mn dieWOrtoa-
bergisclio Angelegeobeit (vgl. I*MM king. Hütt. op. 1, 262; Strau.ss I.
ai>5. 3,'>(;; Ulluann, F. v. S. 144. 1(>G). I>;ih Original <lirxrs üricfis
iitaninit aus dem SikkiiigiscliLii Archiv ; Ui dessen VerUiliiug in Hei-
delberg iiu Juli 1523 iät dit'hc C'U[iic verfertigt wurtleu. Eb üiideu sich
in dem hiesigen Afchiv die Copien von nooh drei Briefen Frowin» von
Hutten, an Si'inen Bruder Hans If^. H. irK>7, an hcIuo Frau 19. 7. 1518
(z. T. über Franz) und an Franz 7. 2. 1523, die Antwort auf einen '
Brief vom 2<». .laiiunr . der die Niederwerfuni,' Hans' von .Sikkinp n ge- j
meldet hatte ik^uden» letzterer i»t von Wichtigkeit. Ich laud noch |
eine Rohe interessanter ans den Sikkingischen Archiv hentammeiider '
Aktenxtiicke, Originab'a oder Coiden, u. a. dn zweites Testament |
Sch wickers v. S. , dea Vater«, Kpiitcr al« das von Ulm an n entdeckte?
(a. a. <). 11, 1), nach der „Meerfalirt", die erwähnt wird, nebst »muciu
Hrief an Margaretha und ,, Francibcus", beide Originalia, leider uiidatirt, '
für die FamilieuverhältDii»e recht bedeutemi.
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LENZ, BErOBMBCmm YOM BASLER GONCai«. 467
iBsthotioii» die Aiwaiigaig te Tolk« doreh dim BnporkOiniiiUnge
»mit nniedalidier SeMmk*', ibre Unkensdüieity H(^hit^ ßimoiuei
und die YerBehtiiiig md dea Haas, ut die dadurch der ganse
geietiiehe Stand bei dea Laien gerate. Es eind die bekannten
Klagen in eigentfiBlicher Sntwicklnng. Ein Aigoment ist von
beeonderem InleresBe: die Zenplilteniiig der weUliehen Leben
wird ebenftlb anf die KnrttflanenwirtBobafI snrtkskgefthrt^ weil die
jüngeren Mme der edlen F&milien dadnroh von der geistliehen
liBnlbehn abgedrängt werden. Mit Beispielen aoa der Gegenwart
nnd der nftchsten Yergaugenheit, z. B. dem GOlner Bieehi^Btrul
swlBehen „dyetherichen von morse" und dem Bischöfe ?on
„palborne'', werden die Sätze belegt Nachdem der Ver&sser
80 die Verderblichkeit des Absolntismus der Päpste dargetan hat,
beweist er die Unmöglichkeit einer Ik'sserunjr durch sie selbst:
die Cardinale würden nie daran hindern. Der lioweiii hiofür wird
aus der Geschichte der lutzton siebzig Jährt' ^^eföhrt, durch das
Beispiel Urbans VI., des Constanzer und doo IJ.Ldler Concils.
Und diese Aubluiiiungen beweisen, dass wir in dieser Scliritt die
„antiqua historia MSCta Katoruni Concilii C»ak^t^ntiensis ac 15a-
sileensis, A. 1440, anno I. Friderici Oaesaris scripta" vor nns
haben, aus der Hardt oft benutzte Sätze über die grosso K'at;i-
struphe düH Constanzer Concils im September 1417 abgedruckt
hat (Hardt M. C. C. IV, 1125. 1427). Diese Sätze finden sich
wörtlich in unserer Flugschrift wieder; die geringen Abweichungen
in der Schreibweise sind meist auf Rechnung Hardts zu setzen,
der die Schrift des 15. Jahrhunderts ziemlich modemisirt hat.
Ich habe früher (König Sigismund und Uohuich V. von Eng-
land, S. 171) gegen die Glaubwünligkeit dieser Angaben, wonach
der Sieg der curialen Paitoi diuxh den Tod des Bischofs von
Salisbury und die Bestechung Wallenrods von Riga und Habiindis
von Cbiir lin beigeführt wäre, Einwendungen erhoben. Dass diese
begründet waren, zeigt ein voi» Hardt nicht abgedruckter Zusatz:
„und als die Diisclien fallen wulten, da fielen auch al) «lie
andern nacioii und koren Miirtinum zu oynem babst". Wäre
dieser Satz, der die wirklichen Verhältnisse einfach umkehrt, von
Hardt hinzugefügt worden, man liätte diese Quelle sicherlich
niclit 7.11 r Grundlage fiir die Schilderung des entscbeidenden Wende-
punktes im Constanzer Concil gemacht
Gewinnen <lie^(^ und die anderen historischen Angaben un-
serer Flugschrift hierdurch nicht an Glaubwürdigkeit, so verlieren
sie doch kaum etwas an Interesse. Sie berühren femer noch die
Bestechungen, durch die Martin V. die Reformation verhindert
habe , dann die Hinterlist Kugens und der Cardinäle , besonders
des Tarentinns, gegenüber den B^uslem in den Verbandlnogen
mit Avignon nnd den Grieclien.
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468
ANALEKTEN.
Ist also RefonD durch Papst und Gardiiifile munBg^idi». so
bleijl>t nur der Ausweg des allgemeinen Ckmdls (2. Teil: S. fO
bis 40). Ihm gebart die Strafgewalt Uber das Hanpt und die
Glieder, deren nicht geringere Yerderbtheit ebenfUls gesehadort
wird. Anch diese werden sich der Beform wideraefami. Dalnr
mnss das Coneil den Arm des rOmischon Kaisers oder KnigB
zn seinem Schntse haben. Mit seiner HlUfe von lefan m
sehn Jahren gehalten kOnnen die Goncüien an obersten Ge-
richtshöfen der Christenheit» die ewigen Frieden sicheni, sieh er-
heben.
Und hiermit findet der Yerftsser den Uebeigang su d«n Be-
formvorschlfigen f&r das Reich selbst. Anch dasa wird das Oondl
nnd Papst Felix helfen, denn der ist ein wahrer Beformpapet,
reich, nnabhSngig nnd ein Ffiist des Reiches; dasn hat er in
seinem Lande Frieden nnd ein Parlament aoö^erichtet von be-
soldeten Doctoren, flberhanpt den geistliehen Stand seines Ffinten-
tnms reformirt, „ da eyn grora latins bnch ?on gemaohet ist^ das
konig albrecht, dem got giioiligh sy, m dnsehe wolte Immb
setsen". Ebenso mnss das Reich reformirt werden. Der Ver-
fasser will einen allgemeinen Landfrieden, ein yom Könige un-
abhängiges, an einem Orte festes Gericht, wie die zu „pary^-z,
lunden und j,'ebcniic", besetzt zimi Teil mit Docti^ren beider
Keclite. Er veriani^t eine ^^oinischte IJeyetzunj,' des Hofgerichte«
mit besi'ldoton Kätcii des Könif,'s und der Kuriiirötim, endlich
eine t'cijto KiiikcmnienKtouer: joder, der über hundert Guldeu ein-
nitnmt, soll einscclhstel Gulden an iliis Koich zahlen.
So notwendig- und nützlich die Sui»erioritiit des Concils.
ebenso berechtigt ist sie. Der Beweis hioriu- bildet den Sehluss-
teil. Kr wird geführt durch den Hinweis auf das Oecretum
Frequens des C«»nst{uizer Concils, sodann mit zwei „redelicben
Sachen", d. h. mit der dogmatischen Unfehlbarkeit dos Concils
im Geirensatz zum Papste? imd seiner näheren Stellung zu Christiki
als Ivepriisentanten der Kcdesia universalis, der Braut Christi,
wahrend der Papst nur dessen Knecht und S(din ist, ferner aus
der heiligen Schrift, mit den bekannten Stellen Matth. IG u. IS
und ihrer Auslegung durch die Vater, nnd endlich durch histo-
rische l'eispiele die von der veithumung" den Liberius bis
zur Altse</ting Kugens liernntergefülirt werden. Hieran schliesst
sich ein heftiger Ausfall gegen den Siegeldieb Tarentinus. Mit
einem Aufruf an dio Fürsten der Christeuheit, dem Coneil treu
1) Ans der DiiTorenz, die der Veriasser zwischeo den Jahnen dirser
hiBtorisclK ii Puten Qod seiner Zoit» bi rechiiet» erkeDuen wir das Jahr 1442
als das fiotstehongsjahi der FlugBchrilL
USNZ, KEFORMSCHRIFT VOM BASLER OONÜIL.
469
ZU bleiben, besonders die Kurfürnten, die an den Tag von fiank-
fort 1439 erinnert werden, schliesst die Abhandlung 0*
In dem Verfasser möchte ich einen Thüringer vermuten. Die
sweimalige speciellere Erwähnung von Erfurt und die von dem Probet
von Dorla (Kreis MAhlbaufien) scheint mir darauf hinzudeuten.
Möglich, dasB ein Hitglied der Erfurter üniversität der Schrift-
^ steller war. Die Frage, ob der Schrift ein lateinischer Text zu
Qrmide liegt, mnas ich noch offen lassen. Der Yer&sser bemtUit
sich, sn jedem lateinischen Citat oder Fremdwort die deutsche
Uebersetsong hmznzofQgen: man erkennt die Absicht weiterer
Yerbreitang.
Eine nähere Beieichnnng der Zeit habe ich noch nicht
finden können. Friedrich wird römischer König genannt Seine
Krönung fimd 17. Juli 1442 statt Man konnte aber schon dem
Qewihlten diesen Titel beilegen. Doch werden wir kaum fehl-
gehen, wenn wir die Schrift in die Zeit des Frankfurter Reichs-
tages von diesem Jahre vexlegteiL
Zu einer üntersnchnng der Sprache fohlte es mir bisher
an Zeit und Kenntnissen. Der Abschreiber scheint den Text ein
wenig umgewandelt zu haben. Dennoch erkennt man auch ans
ilmi, wie mich Herr Professor K.Lncae belehrte, Mitteldeutsch-
land als die Heimat des YecflLssers. Kach der sprachlichen Seite
wird die Schrift ebenfidls Interesse in Anspruch nehmen dürfen,
so dass nicht nur diese Anzeige, sondern auch wohl die Heraus-
gabe der Flugschrift angebracht sein möchte.
4.
Notiz Aber Melaachtbons aDgeblichen Brief an
deo veueliauiseheu Senat (1539).
Von
Lic. Dr. Karl Benrath
in Bodo.
Das bozf^i^'bneto Schreiben wird in „Vh. Melancbtlion uiul
M. Servet, eine Quelienstudie von Lic. tbeoi. ü. ToUin" (Berlin
1) Auch Hardt bezeichnet sie als „Principibos Imperii exhibita*'
(a. a. 0. 1427).
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470
ARALESCrBN.
1876) benutzt, um darauf das ganEe siebente ITapHel zu baneo,
dessen Inhalt sich durch die üeberschrift kennzeichnet: „Me-
lanchthon verfolgt Servet 1535 — 1543". üeber die Genesis des
Schicibens findet sidi dort S. 186 folgende Auskiiiift: „Im Früli-
jahr 1539 kam, zur Fortsetzung seiner Studien, nach Witten-
berg ein Venetianer Braccieti, auch Michael Braccioli *) genannt,
vielleicht des berülimtcn Bibel übe rsotaera Antonio Braccioli*).
Bruder. Dieser überbrachte einen SchmeisensBehrei vieler hoben
Senatoren in Venedig über den furchtbar um sich greifenden
SorvctiauigmuB. Melanchthon, der den Venetianem schon seit Ende
Joli 1630 ein finnnntenmgBSchreiben dankte, das 4Bn Witten-
beiger im Kampfe gegen Born anfreeht erhalten nnd st&iieii
sollte, flUüte sich Terpffiohtet, gegen den apoaisohen Antitnni-
tarier dem Senat Ton Venedig Bat nnd HlUi^ ro bringen."
Die Avftehrift dieses Sohreibens (Ad Senatum Tenetom) ist
schon dem t^reffliehen Schelborn ak nioht snTerUssig erBchkmen.
Er erUfirt in den ,,EigötElichkeiteB ans der Kirohenhislorie nad
Literatur^ I, S. 422 (üfan nnd Leqpiig 1762), dass er ihr die
andere Anfeehrift: „Ad Venetes quosdam Evangelü stadiesoe"
▼oruebe, nnter welcher sich das Sehreibmi in den DeelamatleneB III,
8. 579 sqq. (Strassbnig 1570) Toifindet „Melandithon wnsste wolil%
sagt Schdhom, „nach der Hofireise an grosse Henen an sefareiben:
er wflrde also iriel demfitigere nnd ehrerbietigere Ansdrttdra ge-
bründit haben, wenn der Brief an den hohen Bat xn Venedig
selbst gerichtet gewesen wftre, nnd er bitte schweHSch so ver-
tranlich ?on der Beligion an rOmiach- katholische Begenton in
Italien geschrieben, mit denen er snvor in keinem Briefwechsel
gestanden. Bs befindet sich kein gebärender Ehrentitel darin, den
er gewiss sonst dem DorcUancfatigen Doge nnd Bat wflxde ge-
geben haben."
Wir lassen die Beanstandung der Adresse wegen innerer
Grunde auf sich berahen. Jfingnt ist ein neues Moment m Tug9
.L,'etroten, welches die Frage viel radikaler berührt, uidem es die
Echtheit des ganzen Schreibens «weifeUiBft macht. Es findet sich
nämlich in dem 1875 erschienenen dritten Bande der Geschichte
Karls V. von De Leva'), S. 327, ans einer Handschrift der
Markusbibliothek (M. c. 7, cod. 802) die lol^^ ndo Mitteilung: „Me-
lauchthon si ha obcusato con me di uua operotta, ossia epiätola
1) C(»rpiw lief. III, 1045 (Brief an Veit vorn f). .l.iii. 153S) srhrribt
Bracchiülus; so auch die frähcren Ausgaben von MtManohthona Briefen.
*) Dieser Gelehrte bien Bmomoli, wie auch Schelborn (Ergötz-
liebkeiten I, S, 421) riebtfg flcbreibt, don man die obige Coojeetur ver-
daakt.
3) Storia dociiincntata di Carlo V. in correlazione all* Itaüa del
IHTofefiSore Giuseppe De Leva (Vol. Ui, Padova 1875).
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BENRATH, EDV ANOEBUGBER BRIEF MELANCHTHOMS. 471
data foora intitulata al Senate Yeneto» dicendomi non esser sna,
ma altri Thaveano fatta ot publicata sotto il suo nome, come
fimno in molte altre coso, et ancora che la oosa fosso bona in
86, non per5 Teiamente l'haYea Mta, rharia intitulata a qnel
exc.*"^ senato senza qualche ocoasione."
Diese Angjibe ist einem offiziellen Berichte entnommen,
welchen der Gesandte der Kepiihlik beim Kaiser , Francesco
Contarini, unter dem 29. Harz 1541 von Regensburg aus, wo
grade das bekannte Keligionagespräch stattfand, nach Venedig ere-
ri'-hfet hat Melanchthon stellte damit» offenbar mfindlich dem
Gesandten gegen über , in Abrede, dass er das Schreiben, welches
bereits 1539 in Nürnberg im Dmck erschienen war^)» verfasst
habe: „Er würde'', sagte er, „ein solches Schreiben nicht ohne
specielle Veranlassung an den hohen Senat gerichtet haben.**
Wir sehen, Schelhom \si besQglich der Etiqnettenfhige ganz anf
der richtigen F&hrte; denn wo Tollin den „Schmenenasdirei
* Tieler hohen Senatoren in Venedig" geb6rfc haben will, ist nns
unerfindlich. Was Jedoch den Inhalt des Schreibens bn allge-
meinen betrifft, so ertdftri sich Melanehtbon — nnd jeder, der
die Stellung des Beförmatoren zii den tnnitarisehen Fragen kennt,
wud das natflrlicb finden — danut einverstanden. Oflirabar bat
man es dieser materiellen üebereinstimmnng m danken, dass das
Schreiben, von dem Melanchthon doch selbst sagt, „ein Andrer
babe es verfiisst nnd nnter seinem Namen ▼erölTentlieht*', trotz-
dem m die Sammlnng seiner Briefe als ihm angehOrig aolge-
nommen worden ist
i) Unter dem Titel: „Epißtola PhiJippi Melanchtlionis ail Senatum
Venetum"; vgl Bibliothcca Ebneri 1, 33^. Auk Bock, Hist. Anti-
trin. II, S. 898 wQrde benroigobeD, dass das Scbniben berrits 1538 in
HBnibeig gedrockt woiden sei.
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472
ANALBKTEN
5.
Zwei Briefe Johaoa Eckis.
Mitfireteilt von
V. 8cliuitze in Neapel.
I. Eck an den Cardinal Farnese.
Ingolntadt, 1. April 1541.
OrifuuJ ÜB QimMU iirclÜTio s«
Pimtiaauiia obsequia, salatem com sni oommendatioiie.
B** et amplissune Fftter, non oportebat labores colloqmi
Woimatleiins taut» honons prefittione extollere: agnosoo enim
me debitorem Sedia Apostolieae et D. K., qaare Ubenter et
dili{^nter. eis insenriam.
Laue Deo, quod per gratiam SpiritoB oonfido, me posse
focUe TiDcere eos hostee fidei et echiematicos, ei disputando in
arenam deBcenderint
Poet ooDTentna Fzankfoidie et Magenee habitoe spargebant
magno fiiatn arroganter in plebem, neminem andere congredi cum
eia. Yerbum Dei stare pro eis inviete. Hoc et editi» ]ibellis
sparsemnt in vulgus. Quod si ego Äussern vocatus liugenoam,
represäiääem et obstruxissem ego eis oia. At uomo me con-
duxit
QuamviH ergo pancis diebtis disputaverimus , tarnen profuit
pluriinuni et miiltis millibus florenomin non poterit estiiuari.
.liuu oiiim oxperti t'kium illiun iinti'iaum imperterrit^j animo
ausuin cum e'm conirredi sicut et ante XXI annos, jam vero vana
eorum <"essat jactantia, cum obtulisöcra me paratuin iinii t,^>\um diopu-
tatuniiii cum Melancbthono, verum otiam cum sin^ilis Xl'" At
dum ventum est in palestram, ita e<'.s ternii, ut etiam adhortaute
Melancbthono nulluH änderet surgeio et « niigredi
Ad bec mitiores facti sunt; qni uii^ prius criminabantur
hoHtem evan^olii, inimicum voritati.s, jam me laudant, salutant,
conveniunt, invitant, offemut se parat08 et libenter auditoroä
meam informatiouem.
1) luilibus (?).
2) Dirso fiir die l)okannto Selbst Iti riueboninfj Ecks bezeichnenden
Worte oiiiptanj^i'ii ihr«' richtige TVdeuclitun^^ durch die Urteile d<'r Vro-
testant«;» iibei d:Ls Auttret^ n Kck» bciu) WonuKer Gesprüche vuin 14. bis
18. Januar Man vgl. die Briefe Goldsieina mid Molkn Corp.
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ZWm BSBBTE JGBAMH BCKS.
47S
Cor aotem non vocer Ratisbonam, miror; injussos non renio
Hoc autem, R"**' Pater offero amplitndiui tue, ut poflBU ovnia de
me D. K. poUiceri. Yaleas, fAÜomsime PrinMpe.
Iqgolstadü KL Aprilie. Ann» gntie 1541.
obseqaentiBsimaK scrvitor
Ja. ülckiua.
Post oscula pednm beatorum et sui commendationom. Boatis-
sime pater, quao scbismatici moliantur adveräiis eccloäiam Dei ac
Ref. IV, 26. 27, boßonders aber Calvin an Farcll, Strassb. 1. Febr. 1541
(Corp. Bei'. XXXIX, 146): „Non rut'eram bic quanto liiatu, i|uanta au-
dafiia, losolentia, impoaentia Todftntiu lit flle nogator. Ffbpooe ÜYA
efßgiem btttbari sopliintac inter illitcratos stolide cisnltuiiis et habcbis
dunidiani partem Ekcii." Da sieb audi snnst Sjniren davon find.n,
dass seine eigenen Part(?igeno88cn und luuiientlicb Granvella übel mit ihm
zutrieden waren, so werden wir (^alvin auch darin Glauben acbeuken
cteifen, wenn er wdier berichtet: „ (Caeftariani) abatiuitiir (EcUo) tan-
qnain morione." [TIj. llricger.]
Eh scheint in <l<r Tat, als sei Eck anfangs absichtlich von Re-
gensburg fem gehalten worden, wabrecheinlich weil er sieb bei <iranvclla
mialiebig gemacht batti'. Die Herzoge von I]^ye rn , welche bcbun am
11. Wkn ui Rcg nsburg waren (Corp. Ref. XjüliJl, 172), hatten ihn
diMDMll nicht Diitgebradilt (vgl. anch den Brief Cnicigers vom 29. März :
von gcgncriHchen Theologen sei nur CochlaeuK da: ,,Eceiuni aiunt cupidum
bic acrnrrendi, nt snas eftlaret gloria-s apnd stnlton. rctineri a Bavarie";
Corp. Rei. iV, 14(i b<|. und Cocblaeus an Nauäca, iCegensb. 3. April 1541:
Jban. Beldas nondom adrat", Epistolanim niseeUaneaiiim ad Prid.
Nanseani libri X. ßasileae M. D. L. {>. 304). Wann and 7on wem Eck
nach Regersljurg berufen ist, halx? ich nicht ennitteln können: er be-
findet sich unter den am 20. April vom Kaiser crnamiten sechs Collocu-
toren und nimmt am 21. an der Audienz teil, welche Carl Y. denselben
gewährte (Corp. Ref. XXXIX, SOO). — Im Widersprach mit mitersmBriefb
weis8 Wied e mann (Job. Eck, S. 313) seinen Lesern Zü ersShlen, Eck
habe mit Widerwillen an den Verliandluugen Anteil gcnonmicn, zmiachat
habe ihn der Befehl seines Fürsten zur Teilnahme b'wogon ii. s. w. —
Uebngens hatte über gleiche Zurücksetzung, wie aiiiaugs Eck, walireud
des ganzen Regensbniger Beiehstages Job. Cochlaeas zn klagen. Schon
am S. Wn hatte er lich in Begioaborg eingeetellt» mnsste sich aber zs
seinem Leidwesen davon libcrzrugen . dass man seiner Hülfe ganz und
gar nicht bedurfte, sr.ndeni jetzt <^'anz andere Männer verwenden zu müssen
m «einen Briefen an den ihm befremideten Nansea, Bieäiof roa Wen,
der elegischen Stinmrang Anadmck, in welche ihn die Nicfafbeachtong
2. Eck an den Papst.
In^Mlstadt, I.Januar 1524.
OrigiQul IUI Ciraudv Ai-cliivio ta Nekpel.
& D. N. PsQlo m. Sanete
Bonume et spoetolioe eoclosie
poni opt miui.
81
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474 ANALEKTJSN.
sed. ap. liouorem, potuisti \um ob.scure ex relatione S. T. logala,
viri oppido venerandi, ac impio Buceri Hbro ms. relligere. Kiro
pro virili part4^, ne principes a sycopliuntiis liereticoruin circuiii-
veiiireiitur Ifatisponae, jam i)or littcra« a me scriptas, jain per
littenu>, dum per iiiürmit^iteiii scriboro mn possem, a me dit-tiitos,
])erpptuo iiiaiflto officio meo. Evulgato autem Buceri infauii libro,
iu quo uou holum K. ecclesiam ac R. hujus lopitum mullis meii-
daciis proscidit ac impietatibm» , sed et principes Catholicos et
revend.™""- EpiscojK)» ac illustrissimos proceres mnltis injuriis
afTccit, e^'"o qni debeo honorem Cliri.sto, ecclesie catholire et 8od.
ap. ac priin'i])ibus meis Bavario diristianissimis , maledictionibus
illius, ad Catholicorum consolationeni, uccnrri, otsi me nun fuiriat,
(juanto id facerem cum poriculo ac discrimine vitae, quia caiies
isti ac lujii nos ubiqiio circumdaut. At deus, qui salvavit Da-
niclom in laco leonum , etiam ernet a framea animam meam et
de manu caiiis unicam meam, ut (-um jubilo dicam: principes
pcrse« uti sunt me ^nratis. Hunc laborem S. T., maximu sia4-rMrura
nntistiti ac Ka<:r<) tuu collegio dedicavi pro mca in sed. aj». «»b-
sorvantia. R"*** Cardinali A. Farnesio Vicecancellario srrijiöi, uou
tamen importune, Bcd quantuni pbicuorit ch'uieiitiiu' tuae.
1). 0. M. conserva S. T. inrolnmeni in multos aimos.
Ingolstadii Bavarie Kl. Jan. Anno 1512.
8ervitur ac capellauus
a pedflnu
J. Bekivs 0.
seiner Person versetzt battc. So am 3. April: „Konio ad operandnm hob
conducit, nemo rcquirit ojxTam nostram" (Kpist. ad Naus., S. 30tt); am
2. Mai: „Mei nullus est hic, qucuiadmodum et Wonuatiae, ukus. Ne«
multi ex catholicis Theologis hic sunt" (ib. S. 310); am 8. Mai: „Ego
. . . Teint Petnw longo gtaos, sequor, ut videam finem hnins de religione
concordanda tractatus" .'>nv, endlich am 22. Juni: „Ego ad omnia
spectator fui, male perdcns (ut »licitur) olenn» ot operam, <|ni cum (hiubus
equiB et faraulis quinque iam hic mcusibus subsistOi cum uou levi damiio
domi" (S. 321). [Tb. Brieger.]
1) Hit diesem Briefe bq^leitete Eck die üebenendnng seiner gegen
Bocer gerichteten „Apolor^ia ])ro revercndis. et illustr. rrincipibue Ca-
tholicis . . Ingolstadii 1542". »Sie wird eroffiiet mit einer au Paul III.
und da« ('ardinalscollegium gericbteten Dedicationscpistel vom Decomber
1541; den Schluss bildet ein Brief Ecks an Granvclla vom 18. December.
Die Apologie yerliess in der vorletzten Woebe des December 1541 die
Presse (8. Eck an Nausea, Ingolstadt den 20. December UAl, Epist. ad
Naus., :V,iO; in diesem wichtigen Briofo findet sieb auch die Klage,
dass er durch seine lickiimpfung d(» ßegcusburger Buclies die Guust
Granvella's völlig verscherzt habe und für alle seine Anstrengungen iu
Worms Dicht bdohnt sei). Uebrigens scheint Fmna» es nicht der M Ohe
wert gehalten zu haben , den vorliegenden Brief Ecks an seine Adresse
gelangon zu las8on, da er sich sonst schwerlich in dem Famesischen Naeh-
lasae vorfinden würde. [Th. Brieger.]
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ZUR KIRGBLICUfiN STATISTIK.
475
6.
, Zur kirchliebeD Statistik.
EIm Umsohaa la der Kirohe OrleohoalMMU.
Von
Ath. Papalukas Eutaxias.
Schon mit dem Anfang dieses Jahrhunderts eröffnete sich
für die griechische Kirche eine mm Flpncbe. Es begann damals
dor Druck der türkischen Unterjochung der lüijas etwius nachzu-
lassen, und die günstige Gelegenheit wurde sofort ergriffen, um
für Hebung des kirchliclien Lebens zu sorgen. Auch in den
früheren Jahrhunderten waren einige vereinzelte Beispiele theo-
logischer Gelehrsamkeit unter der höheren Geistlichkeit vorge-
kommen; von jetzt an aber, nachdem ni;in eine gewisse Berech-
tigung von der hohou Pforte erlangt, höhere Schulen in don
gr<»sseren Städten dos Reichs zu gründen, wurden die Fälle der
früher Jintor derselben herrschenden tiefen Unwissenheit allmählich
8elk>iiüi. Doch ein grosser Umschwung ist erst seit Ende der
zwau/itrer Jahre eingetreten, nachdem nach einem verzweifelten
siebeiyiilirigen Kriege Griechenland für einen freien unabhängigen
Staat eiklürt war. Zu den früheren sechs von einander unab-
hängigen Kirchen (ExxXrfoUu yivjoxtq^aXoi) innerhalb der griechi-
schen Kirche (den Patriarchaten von Konstantinopel, Alexan-
drien, Antiochien und Jerusalem und den Erzbistümern
von Oypern und vom Berge Sinai — letzteres eigentlich eine
Abtei mit erzbischöflichem Titel — ) kam Jetzt eine neue hinzu,
diejenige vom freien Griechenland, die zwar den Patriarchen
von Konst;intinopel noch immer als primus inter pares anerkennt,
doch keine Rechte des Primats ihm in Beziehung auf sich 8ell»st
zugesteht, wie es sonst bei den älteren unabhängigen Kirchen in
der Türkei der Fall ist Die Regienmg Griechenlands betrachtete
es als eine ihrer ersten Aufgaben, der Kirche zu ihrer Erhebung
zu verhelfen, und dies meinte sie nicht besser tun zu können,
als wenn sie sofort für die Bildung der Geistlichkeit Anstalten
traf, und zwar, da es natürlicherweise nicht auf einmal für alle
Geistlichen geschehen konnto, anfangs bloss für die höheren unter
ihnen, nämlich für die Bischöfe und die Reiseprediger, die den
ersteren Beistand in ihrem liohramte leisten sollten. Ein erster
schwacher Versuch dazu, den schou die liegieruug Kapodistrias
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476
ANÄLEKTBN
dudi die Erricbtong eines Seminan auf der Inael Faros madite,
miisste bald «Weitem. Unffcer dem König Otto I. wurde 1837
die XTniTeraitftt zn Athen begrttiidet, der man anch eine theo-
logische Facnlt&t beigab, die sidi bidd, soweit es die Ümstfade
erbmbten, naeb dem Mutter der ef&ngolisch-'ttMlogischen Facnl-
tftten DeutseUands gestaltete. Ton jetat an wurden die Bischöfe
nnd ^e Beiaeprediger Toraalaillab ana den BaBian daqenigen ge-
wählt, die den Lehrcnxans dieser Faenitäl durchgemacht hatten.
Dem Beispiele der Krobe Tom freien Griechenland sind dann
anch ihre Sebwesten» die noch unter der Heciscbaft der IChmI-
männer stehen, nachgefolgt, sobald sie die daan nOtige Freiheit»
namentlich nach dem Erlasse des Hattischeriffs von Gfllliana
(1839) und des Hatti*Hnmajams (18. Febraar I8166) er-
hielten. Doch da die Mittel nicht zur BegrOndnng einer UttiTer*
aittt ausreichten, so hat man sich mit der Errichtung von iwni
theologischen Seminaren (QioAoyiMÜ Jl^eW) begnügen miasiB,
T«i welchen das eine auf der Chalke, einer nicht weit ven Kon-
stantinopel liegenden Insel, das andere In Jemsalim eniehtet
wnrde. Leider aber shid sie beide grösstenteils nach dem Muster
dw katholischen Seminare, wie sie neeh heutraitage in Italien,
FMmhreish «id Belgien bestehen, eingerichtet, und ob^^^ch sie
immerhin besser als nbhts sind, so b&tten sie doch, wenn die
Verhfiltnisae dar Kirche ««ter d«r Türkei eine nmfbssendere und
0reisinnigere Anordnung eilanbt hfttten, unxweifeUiaft Tiel sehtom
FrMita tragen kOnnen« Assih diese Semiaaffe sind eigentlich ainr
Ahr 4a» hSheren MstUchen bestonm^ «af die man vor allsai aiMdi
hier die ente AnflneikBamk^t rieten mnsste. Der einsigev Ar
die Kirche Tom ftelan Godechenland sehr beklagenswerte Untar*
schied besteht darin^ dass, indem aan in ihr noch nicht gcaeti
lieh bestuamt hat| ob es fir die n wihlanden ^schöfo onbo-
dingt eribideilich sei, die thaologiaefaen FaevltfttMtadiin an d«r
Atiieniaelisii UuTeiBltibt absolvirt n haben, die Kirehe onter der
TQiM aehon länen Vorsprang in der BeaiehHqg gemacht nnd
in sttem Begtament (Ko^oyiainoi riwr «ro^wa^ n^i^vmtf
wߥ tfg uQxuQax^wf hiktiifiituf etc» art 2) angeordnet hat, dass
SS Ar die Silangang der Bischoibwitode unbedingt notig sei,
dass man seme Studien in einem von den genannten theologischen
Seminam erledigt habe oder weajgstena soTiil theologische
Kanatnisse besitaa wie ein Abiturient aus diesen Seauaarea.
Immerhin also ist f&r den hdhareii Klerus sowohl in der Kirehe
Yom fteien Qriedienlaad als auch in deijenigen unter der TQrfcei
etwas geschehen. Allem nicht genug ist es ro bedauern, dass man
■och in keiner von beiden anch Ahr die niedere Geistlichkeit Hob
nötige Sorgo getragen hat In der Türkei ntailioh geM man
jetit eist mit den Gedanken m, Ptiestennnmaz^ Abprall, wo
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ZDB KIBCBLSCBfSS STAHSTIK
477
es möglich ist, zu errichten ; im freien Griechenland hat man achoB
laehrere solche gegründet, aber damit so viel als gor nichts slqb*-
gerichtet. Das erstgegrQndete von diesen Seminaron war die
kirchliche fiizarissche Schule in Athen (ExxXfiatttarani
Pit^a^tog 2/oXri)f so genannt, weil man dieselbe dem Grossmute
der Gebrüder Bizaris verdankt, die alle Mittel fQr das erforder-
liche Geb&nde und dann filr die Besoldung der Professoren und
die Unterhaltung der Seminaristen heigabeik Der Biiazieschmi
Schule sind dann noeh drei neue Priesterseminare (hgu-
rmal ax^tkal) gefolgt, eines für das FestgrieeheuUnd in Chalkis,
mm zweites für den Peloponneeoe iu Tripolis, und das diiUe
für die Inseln in Uermopolis (auf der Insel Syra), denen
neuerdings noch ein viertes für die jonisclien Inaehi auf Corfu
hinzugefügt wurde, — alle derch Mittel der Regierung errichtet
nnd erhalten. Das Gemeinsame aUer dieser Anstalten ist, daae
sie fast ohne Ausnahme nach dem auch in Kassland surAnwei^
dung gebraehton Systouic der katholischen Pricsterseminare des
Mittelalters eingerichtet sind, weshalb sie denaelben Vorwurf mit
den in der Tarkei bestehenden Semiuaien terdienen. £ine Amn
nähme unter allen diesen bildet wohl in einer Beziehung die
Rizarissohe Sehule, die anoh aehon früher vollständiger als die
übrigen Seminare organisirt war, in der letzten Zeit aber sehr
bedeutende Verbesserungen erhalten hat, — Dank dem unermüd-
lichen Eifer ihres jetzigen Direetora, des gelehrten Archimandriten
Sokrates Koliatzos, der vor einigen Jahren so dem Zwecke daa
Abendland, besonders Deutschland bereiste, um hier eingehMidere
Studien in verechiedenen geistlichen BUdongBaoatalten zu machen.
Trotz alledem aber bleibt ee noch immer eine sehr traurige Tat»
eaohe, dass bei der niederen giieohiBchen Geistlichkeit noch keine
merhUohe VerbeflMmng eingetieten ist, und dass unter derselben
im gnrossen nnd ganien — vereinzelte Ausnahmen konunea hier
nicht in Betrucht — noch hentzatage die frohere Unwissenheit
herrscht Wir mitosen es uns versagen, näher anf die Ursaohen
dieser Erscheinung einsugehen, da dies die Qremen einer «n*
fachen ümaohaa weit fiherechreiten würde.
Nur so viel sei bemerkt: die erwähnten PriestersemiiMire
hatten auch mit allen ihren Mängeln dazu aosreichen kOnnen,
um niedere Geistliehe so weit auszubildon, dass sie immerhin fßr
die Bedürfnisse des Augenblicks als hinroicheod nnterrichtet
gelten konnten. Doch bis jetzt ist die Zahl derjenigen Zöglinge
dieser Seminare, die sich dem Dienste der Kirche gewidmet
haben, veischwindond gering geblieben. Es giebt hierfür viele
Ursachen, unter donen wir die allerwichtigston erwähnen möchten.
Man hat nämlich bisher in der Kirche Griechenlands wie der
Türkei bloes für die Verheeeemng der finapziellen Lage der
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478
ANALEÜvTEN.
höheren €(ei8tiichkeit (Bischöfe, BeiMpredi^er u. s. w.) gesorgt,
indem man ihr ein bestimmtes (Jehalt von Seiten der Regierung
sicherte. Zwar ist auch dieses ziemlich dürftipr, — in Griechen-
land z. B. erhalten die Er/.bischöfe monatlicli luigelTihr 3lK», die
Bischöfe 250 nnd die Keisepredigcr kaum 150 — IGO Mark; doch
selbst diese gerini^on Summen genügen, um ihre Stellung wenig-
stoiiH ertrjlglich zu machen. Ganz anders vorhfilt ch sich mit der
niedei oii (joisilidikoit. Diese wurde noch jetzt ihrem früheren Schick-
sale ülierlassen, indem iiiun sie noch immer auf ihre l>isheriiren
Casnalien oder Stolgebiiren verwies. Allein diese sind .s«.« iin-
zurcH-hend, besonders für einen Fiunilioiivater — - denn in der grie-
chischen Kirche hat sich die (Jewolmbeit festgesetzt, bloss ver-
heiratete Priester als Pfarrer anzustellen — , dass diese sich
genötigt sehen, neben ihrem Amte noch ein Gesehaft zu ihrer
Solbsterhaltung zu treiben . meistens Ackerhau nnd dergleichen.
Deshalb wird man es gewiss nicht ganz unbegreiÜich finden,
dass junL-^e heute, die schon eine gewisse Bildung erreicht haben,
wie diejenigen in den Priesterserainaren. sehr leicht nachher eine
andere, bebairlichere Carrierc einschhigen , sich also nic})t immer
dazu entsrhliessen , eine Ijaun)ahn zu wählen, die wie diejenige
dos Pfarrers so mühe- und dornenvoll Ist. Die Folgen dieser
Verwahrlosung der niederen Geistlichkeit haben sich leider bald
genug gezeigt. Der Mangel an umfassenderer Bildung bei den
niederen Geistlichen war früher nicht so sehr fühlbar, denn sie
vennochten auch mit ihren geringen Kenntnissen, die sich meistens
auf die biblisehe Geschichte, den Katechismus und das Einstndiren
der goitesdienstlichen Handlungen beschränkten, bestärkt durch
den Glauben, die ungeheucbclto Frömmigkeit und einen als Vor-
bild dienenden heiligen Lebenswandel , wodurch sie sich fast
immer auszeichneten, den Ansprüchen ihrer Gemeinden nachzu-
kommen. Ganz anders ist es aber jetzt, seitdem neue, vorher
ganz ungeahnte Gefahren ihre Herde zu bedrohen angefangen
haben. Bei uns hat man vielleicht zu früh mit der pcditischen
Freiheit auch eine unlieschränkte geistige Freiheit eingeführt, unter
deren Schutz jeder lehren und schreiben kann, was er will.
Viele junge Leute aber, die, ohne vorher in ihrem Glanben be-
festigt genug zu sein . nach dem Abendland kamen und hier in
nähere Bekanntschaft mit antikirchlichen und überhaupt anti-
christlichen und irreligiöscTi Lehren nnd Principien eintraten,
haben dieselben nach ihrer Heimkehr auch unter ihrem Volke
zu verbreiten gewusst. (iegenid)er solchen Lehren nnd Prin-
cipien mussteu uusero niederen Geistlichen, die grade in unmittel-
barer Berührung mit dem V(dkc stehen, gänzlich machtlos bleiben,
da ihre bisherige Bildung nicht im Kntfcnitesten zur Bek;imi>fnng
uud Widerlegung derselben ausreichen konnte; und daher haben
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ZUR KISCHUCBBH STATISTIK.
479
diese Gmndsifate eine so weite Yerbreitong gewonnen , dass sie
für unsere Kirche von sehr bedenkliehen Folgen sein wird, wenn
diese nicht bald genug Sorge dafltar trSgt» die Lage ihrer niederen
Geistlichkeit ra Terbessem, und wenn sie sie nicht in den Stand
setit^ nachdem sie isich eine Yollstfindigere^ der jetsigen Zdt ent-
sprechende Bildung angeeignet^ das Volk in seinem Glanben auf
wahren christiichen Grundlagen m belehren und g^n jene An-
griffe zu schlltwn.
Viel glücklicher war die griechische Kirche mit ihren Ter-
suchen zur Wiederbelebung der theologischen Wissenschaften in
ihrem eigenen Schosse. Vortrefflich war der Gedanke, begabte
junge Mianer au ihrer wissenschaftlidien Unterweisung nach dem
erangelischen Deutschland zu schicken. Kicht allein die Supre-
matie, welche dieses Land heutcutage unstreitig auf dem Gebiete
der Wissenschaft behauptet, hat sie dazu bewogen. Sie hat einen
und denselben Feind mit ihm zu bdüimpfen, Born, welches noch
nicht aufgehört, seine AngriffiB sowohl gegen die griechische als
auch gegen die CTangelische Kinthe Deutschlands Ton Zeit zu
Zeit SU erneuern; und ausserdem wusste sie ganz wohl, dass sie
▼on evangelischer Seite grade in Deutschland gar nichts zu fSrehten '
hatte, da man sich hier einzig und allein mit seinen eigenen An-
gelegenheiten beschäftigt, und dass die Studien auf wissenschaft-
lichem Gebiete, obwohl von yerschiedenen Principien ausgehend,
nichts desto weniger immer der Wahrheit allein dienen wollen,
ohne Nebenabsichten dabei zu verfolgen. Daher hat bis
Jetzt schon eine grössere Anzahl von joiigcn Theolügen in Deutsch-
land ihre Ausbildaug gesucht, von welchen zur Zeit nicht wenige
biadiMliche Stflhle und fhet alle Professuren der theologischen
Faeult&t an der Atiienischen üniversit&t» der Bizarisschen Schule
und der beiden theologischen Seminare in der Tflricei besetzt sind,
oder die sonst als höhere Geistliche (Beisepiediger, Secretftre bei
den verBchiedenen Synoden u. s. w.) wirken. Die segensreiehen
Folgen dieser genaueren Bekanntschaft der griechischen Kurcbe mit
dem evangelischen Deutschland haben sich schon frOhzdtig ge-
zeigt. Alle die Jungen Theologen, die in Deutsehland ausgebildet
wurden, haben rieh mdh Ihrer Hehnkehr bemtiht» nicht allein die
deutsehe Wissenschaft zu pflegen, sondern auch aus dem Leben
der deutschen evangeliBchen Kirche nfltdiehe und mit dem Geist
und eigentümlichen Charakter der griechischen Kurehe vereinbare
Einrichtungen dorthin zu Yerpflanzen. — Hier mOchten wir noch
als einen Beleg f&r das Gesagte die Publicationen auf dem Gebiete
unserer Theologie in den letzten Decennien mit einigen Worten er-
wähnen, die fast alle der Geist der deutschen evangelischen Wissen*
Schaft beselt. In erster Beihe gehören hierher die Werke des älte-
sten Professors der Theologie an der Athenischen Universität und
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480
langjSlirigVIi Bedafitenrs der gediegenen ÜMologiechen Zeitschrift
«Der erngvliache Predigtr*' (Evvyyflaic »9^), Dr. th. et ph.
Komstantinus Kontogoties, unter denen sich besonders dar
Grundm dar hebräischen Archäologie, der Leit£idMi der Ein-
leitung in das Alte und Neue Testament,' seine sweibändtge
Patrologie und andlicii das Handbuch der Kirchengeeohiohte, yon
Widchem aber bis jetst nur der erste Band erschienen ist, dunsk
eine milde Auffassung, durch Reinheit und Klaciieit das Ans-
dmckea und durch eine pjrfignante stilvolle Darstellung ans/oichnen.
In zweiter Keihe kommen in Betracht die Arbeiten des leider der
Wissenschaft durch den Tod zu früh entriieenen Professors der
Theologie und Uofpfarreia der Königin von Qriechenland Dr. th.
Panagiotes Pempotes; es sind dies seine Lehrbücher der
biblischen Geschichte des Alten und Neuen Testamentes, der
Dogmatik» der £thik und der Litnr<,nk, in denen aUen man tiefe
Auffassung des (jh)genstaiules mit tretHicber Anordnung des Stoffes
vereinigt findet, obwohl die OarsteUungsweise neeh fiinigae an
Klarheit ond Deatliebkeit zu wünschen übrig lässt. Ans der
aUemeiieeten Literatur mo« hten wir liesonder» die Weiite von mei
Jungen sehr begabten theologischon Lehrern an der Universität
ta Athen hervorheben, die Einleitung in das Neue Testament
von Dr. Nikolaus Daniala, eine sehr umfangreiche bahn-
brechende Ar})oit für die Isagogik und Kritik der neutestament-
liehen Schriften in der griechischen Kirche, und den Grondriee
der Kirchengeschichte von Dr. Anastasius B. Kjriakoe,
ein in klarem fliesscndem Stile geschriebenes, wenn auch leider
zu kurz gefasstes Werk; übrigene etfitzen Hieb beide Werke nnf
die jüngsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen im
eTungelischen Deutschland. Ueber ein kirchenrechtliohes Werk:
n Tov KayoytuQV JiKoiov rrjg * Og^oäb'iov jirajuX, ^ExxXfjlfSmQ
TU 77^(u UfKKmtff '£{ova/c«c" von Dr. Job. Papalukas
Eutaxias, den ersten Yersnch einer wissenschaftlichen Be-
handlung des allerwioktigeten Teile« dee kanonischen Rechts dmr
griechischen Kirche, mfissen wir uns ans naheliegenden Gründen
Jedee Urteiles enthalten. Vollends flberdfiaeig wKre es, noch ein
eignea Urteil zu äussern über die auch in Deutschland viel
beqifoebene und als in jeder Hinsicht TorzQglich anerkannte
Herausgabe der clementin Ischen Brietz vom jetmgen Ketr^liten
von Serres Dr. Philotheus Bryennius. Genug, mag gleieb
im ganzen unsere theologische Literatur gegen die dee Abend«-
laudes noch sehr zurflckstehen, so dflrften doch so manche Werke
derselben als erste verheiaBongaTolIe YerBuclie eehr hea^tenawert
erscheinen.
Druck TOD Friedr. Andr. reiihes in Gotba.
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Das ursprüogUcbe BasUidiaDiscIie System«
Vott
Dr. J. L. JacobL
Das System des BssUides wird bekanntlich in zwei sehr
verschiedenen Gestalten flberliefert. Die Frage, welche Y<m
beideu die ursprüngliche sei, lat lucliL unwiclitit^, weil 8ie die
Entwicklungsgeschichte der Gnosis überhaupt berührt. Auch
für die Kritik des vierten £?angeliums ist die Beantwortung
wegen des Zeugnisses, was dem Basilides zagescfarieben wiid,
nicht ohne Wert Ich halte die Abfassung des Evangeliimis
durch den Apostel Johannes für sicher, weil mir die damit
verbundenen Schwierigkeiten viel geringer zu sein scheinen,
als diejenigen, welche die Annahme eines nichtapostolischen
'ünpmngs begleiten. Ein ftnsseres Zeugnis mehr oder weniger,
selbst wenn es der ersten Hftlfte des zweiten Jahrhunderts
angehört, hat für mich keine entscheidende Bedeutung; aber
es ist darum von Wichtigkeit, weil es in dem Grade, als es
zur Anerkennung gebiacht werden kann, die Untersuchung
dui:ch Beseitigung einer Anzahl von Hypothesen verein&cht.
Die Bekanntmachung des grossen polemischen Werkes,
jetzt gewöhülich Philosophumeiia oder ^E).(y/og xuru namov
aiQ^amv genannt , welches mit immer wachsender Ueberein-
stimmung dem Hippolytns zugeschrieben wird, durch Miller
im Jahre 1851 hat den Untersuchungen Aber die Gnosis
einen neuen Impuls gegeben, und keinem Gnostiker ist seit-
dem ein so eifriges Studium zugewendet als dem Basilides.
Die von mir auf Grund des Hippolytus gegebene Dar-
WMkt, t K.-0. 82
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482
JAOOBI«
Btellaog ^) ist von Uhlboni^, Oimdert ^ Baar^), Hilgenfeld
Möller^ berichtigt nnd erweitert werden. Herr D. UhDunrn
hat dareh den Hinweis anf den Einflnss des Stoicismns einen
' Gesichtspunkt von weitgreifender Wichtigkeit lür das System
eröfihet, wiederum aber, wie ich glaube, durch zu consequente
Anwendung desselben in mehreren Punkten die Ideen des fia-
silides nicht in das richtige Licht gesetzt. Die Darstelluttg
des Herrn Gundert leidet alles Scharfsinnes und aller Gründ-
lichk*»it ungeachtet an dem Fehler, dass er auch in der von
Hippolytus gegebenen Entwicklung überall schroft' dualistische
Prindpien wirksam findet. Mit Ausnahme des Herrn D. Hil-
genfeld haben die Obengenannten bei Hippolytns die echte
Form der Hasilidischcn Lehre zu linden geglaubt. Von deisolbeu
Ansicht geht Herr D. Hase aus, ebenso die Herren D. Kurtz,
D. Weizsäcker in seinen Untersuchungen über die evange-
fische Ctoschichte, D. Hofstede de Greot in seiner Sduift
Uber BasiHdes, Niedner in seinem Lehrboeh der Eireh«»*
geschichte, D. Godet in seinem Commentar zum Evanireliiiiii
Johannis. Dagegen erklären die Hfiren D. Hil^^onfeld,
B. Volkmar 7), D. Lipsius, auerieke, D. F. Nitaecb sieh Inr
die Priorität der fiüher bekannten Darstellung, bei welaher
fifuch D. Ebfftrd und D. Herzog in ihren Kiiekengesdiiehten,
ThoinasiiLs in seiner Dogiiieni^eschichte und D. Luthardt in
seinem Commentar zum Evangelium Johannis stehen bleiben.
Diese Gestalt des SysteoMs wird ans einer Gruppe ?on Sdoilii»
steilem abgeleitet, welche ▼oraehmNoh durch irenias (I, 94)
bezeichnet ist. Dazu gehört ferner der Anhang zu Ter-
Ba'<ili<1i8 phil()so]i}ii gnostici scntentias ex Hi^poJ^ libro fcuni
naatüi- al^tatmy nuj)er reperto illustr. Bcroi. Ldö2.
Das .Syst.'ui des Basilides. 1855.
3) Zeitschrift für lutherische Theologie und Kirche von Kadel*
bach und On er icke 1H55. 56.
•*) Das Ohrifitentum nnd die christliche Kirclie der drei ersten
jAbjrhuiuiert^? 1853. nnd Theol. Jahrbücher von Baur and Zell er 185(1.
f*) Thoolüg. Jahrb. von Baal und ZeUer 1856; Zeitsohr. für
•wwsensch. Theol. Ib62, S. 4.
f') Gesch. der Kosmologie 1860, S. 344 f.
7) Hipp<dgrtafl und die lÖBUsdien Zeitgenoaseo, 1866.
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DAS UHSrKÜNüUCUE BASlLIDIANlöCUE SYSTEM. 483
tuUiaiis Präscriptionen, welcher, wie Volkmar und Lipsius
nachgewiesen haben, die lateinische üeberarbeitung einer ver*
loraiMD kürzeren Streitschrift des Hippolytus ist. Ausserdem
kommt E^phanius (H. 21) Theodore! (Fab. h. I, 4) und in
QBtergeerdiieter Weise Philasi^ (H. 82) in Betraehti). Mit
diesen Zeugnissen werden die Fragmente aus den Schriften
des Ba^ilides und seines Sohnes Isidorus, welche Clemens von
Aiexandria in den 2T^oft$eT%i^, Origenes und die Disputatien
des Aichdans von Kaskar mit Manes (c. 65) mitteilen , in
Zusammenhang gebvaebt. Aber das ist eben die Frage, ob
diese Fragnu nte mit grösserem Recht zu der Gruppe des
Irenaus oder zu dem Beriokt im '£kiyx9< Hippolytus zu
beziehen sind.
Das System, welches man ans der Yereinigfnng der Fra^
mente mit jener Gruppe herstelltf, hat Dualismus und Ema-
nation zu seinen Grundzügen. Den Dualismus fasste man
auf als dureb die parsischen Einflüsse bestimmt, die Materie
daher als etwas Positives, Tftti^es; der Gegensatz waid also in
grosser Herbigkeit gedacht IMe einzige namhafte Ansnahme
bildete Gieseler 2), welcher den Gegensatz durch die Be-
sUmmuDg der Materie nach platonischer Analogie milderte.
Wenn nnn aber die Fragmente des Giemens und der Dispu-
tatio vorlftniig ansser Anwendoag an hissen sind, weil aidi
yen denen, welche anf der Seite des Hippolytus stehen, An«-
sprfiche auf sie gemacht werden, so verliert die Annahme
eines principiellen und schroffen Dualismus einigermassen an
^herheit. Dennoch halte aneh ich es fitar das Wahrscheinr
lidie, dass ein solcher in der Darstellnng des Irenftus nnd
seiner Genossen als Ausgangspunkt vorauszusetzen ist. Die
Zusammenstellung mit SaLurnin, die herbe Charakteristik des
Arcbon, von welchem man auf eine Materie von noch wil^
denm Gegeasate sc^iliesssn mtehte, Tomehmlich aber der
1) üeber das Yerhiltnis dieser Zeugen sn einander und in dem
genannten verloienen Werk e. Lipsius, Zur Quellenkritik des Epi-
phsnhis, 8. 98.
s) Haa AUgen. Lii-Z^i. 1828, 8. IM. SMIco und
Kntüeen, 1880, S. 373 iL
32*
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484
JAOOBI,
DoketismiiB der Peraoa Christi, dies alles sebeint darauf si
f&hien. Ebenso der Begriff der pil^n rtiv mmv and des Basen
als Ivvnoaxuiov, wovon Epiphanius redet, gehört zwar jeder
Art von Dualismas, ist aber hauptsächlich geläutig iu diesem
Kreis. Allerdings fehlt dieser Ausdruck in den anderen Dar-
stellnngen derselben Omppe, nnd Epiphanias scheint, indem
er ihn yorbringt, den Faden zu yerlassen, der ihn vor- and
nachher leitet; indes, wenn er ihn auch wirklich aus einer
anderen, nicht bezeichneten Quelle geschöpft hätte, so würde
er doch meinen, etwas den Ideen des Basilides Entsprechendes
hinzazoftgen. Das System, welches Hippolytas in der Qnmd-
Schrift des Paeudotertullianischen Anhangs zu den Präscrip-
tionen vortrug, stimmte ohne Zweifel damit überein. Aber
Qaellen, weiche ihm bei genauerer Nachforschung bekannt
worden, Teranlassten ihn, diese Aoffossang aa&Qgeben. Die
Gestalt des Systems, welche er im ^(yyoq beschreibt, ist in
der Grundrichtung viel pantheistischer, und die dualistische Be-
trachtung erscheint nur in vereinzelten, sehr gedämpften Ein-
wirkungen. Statt der emanatisti^chon Form der Entwioklong
entfilltet sich die Vielheit der Wesen im Ao&teigen von
anten nach oben. Wie in allem diesem ein mehr hellenischer
Geist herrscht, so zeigt er sich auch in einer grösseren Nüch-
ternheit, in stärkerer Abstraction der allgemeinen Formen
and in höherer Schätzung des Realen und Geschichtlichen.
Soweit die Frage nach der Prioritftt der einen oder anderen
Form, welche wir der Efirze halber als tie des Irenäos oder
des Hippolytus bezeichnen wollen, eingehender behandelt wor-
den ist, hat man teils in dem Nachweis der inneren Ab-
hängigkeit der Qaellen ?on einander, teils in der Yeigleichimg
des Gehaltes beider Systeme die Entscheidnng geaocht. Das
erste ist zu Gunsten der Form des Irenäiis Tor allen von
D. Lipsius geschehen. In seiner höchst scharfsinnigen Ana-
lyse der Quellen hat er die Häresien des ersten Buches des
benäas and Pseudotertallian ^) zam grossen Teil an das rar-
1) Von der älteieii Streitschrift des Hippol^-tos, welche diesem
XetzereienTerzeichniB ZQgnuide liegt , sagt P h o t i u s cod. IV : javxag
(d. i. mV ole'atK) fpfiuf (nftmlieh Happolytos) iHyxoif ^«^Af^^^H
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DAS URäFRÜNGLICHE BAÖILlDIAlilSCUE SYSTEM. 485
lorene polemische Werk Justins des Märtyrers angeknüpft.
Wenn diese Grundlage feststände und es ferner gt;sichert wäre,
dasä Irenäus auch, bei Darstellung des Basilidischeu Systems
sich keiner anderen Grundsehnft bedient hätte, so würde
damit der Streit Aber die Priorität entschieden sein. Denn
Justin war ein Zeitgenosse des Basilides nnd hatte bereits
^egen ihn sfeschrieben, als er seine erste Apologie verfasste,
was nach der spätesten, wahrscheinlich zu späten Datirung
nm 147 geschehen ist Wenn er nun das System des Basi-
lides wesentlich gleichförmig mit Irenäns gezeichnet hätte,
so konnte man nicht umhin, welche Schwierigkeiten auch
sonst entgegenständen, die Beschreibung des Hippolytus für
ofiikovviof Eioiit^atov. Mir seheint dies scblechterdings nnr von münd-
lichen Vurt rügen des IrcnäQS verstanden werden zu können. Die Deutung,
welche Herr Professor Harnack giebt (Zeitschr. för hiat. Theol. 1874,
8, 176): „Die Ketzereien seien der Widerlegung unterzogen, indem Ire-
Bäus sich mit ihnen befasste'S ist n kfinstlich. Wie sollten HippolytoB
imd Photius dazu kommen, .es unbestimmt zu lassen, ob Irenaus mflnd-
licbe oder sohriftliehe Widerlegangen gegeben habe , da man in solchem
Falle erwarten müsste, dass sowohl schriftliche als auch mftndliche be-
zeichnet wflrden. Wenn Photius zuvor den Hippolytos einen Sehtiler des
Iienftns nennt» soll das sicher mit dem HSren seiner Vorträge motivhrt
werden. Ich kann als einzig haltbare Anffassnng daher nur verstehen:
lindem Irenäns Yortrige hielt". Hamaek würde selbst dem nkhl ab-
genagt sein , wenn der Sprachgebranch fikr die ersten Jabrhnnderte er*
weislich wäre. Annähernd wenigstens ISsst er sich erweisen. Der Can. 1
des Conc Aikcynxk, a. 31i verbietet gewissen Plresbytem nQOf^^uv,
n 4fuXtiy, $ ltX»( Utrovgyfiif ri etc. I)er Aosdmck erscheint hier schon
teehniseh nnd in einem Gesetze, er mna« also lange ha Qebranch nnd
allgemein im dortigen Umkreise verstindlich gewesen sein. Das Sah*
stantlY ifiiUtt als Streitiuredigt legt den gleichen Gebranch des Zeit-
worts nahe, namentlich in Wendungen wie Clement Homil. 1, 20 raV
xa&' ixamoy ivumSy 4/MXt«s tt tttä nffal^itf. Das Bedenken Hamacks
gegen eine tfvvo^c des Hippolytus , die sich nicht auf schriftliche Dar-
legung znracld»esiebe, hebt sich leicbt, weil er die Vorträge natürlich
nachgeschrieben vor sich hat. Auch das iUyx^i passt, da Hippidlytns
ebenso von sich in semem grösseren Werke I, 1 sagt, er habe in dem
frflberen eine Widerlegung gegeben (iUy^artt^), Ist nun diese Auf«
fassung richtig, so wird man auch nicht umhin können zuzugeben, dass
das ilteie kikzere Werk des Hippolytus hauptsächlicb auf Vorträgen des
Irenäoa beruhte.
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JAOOBI,
eine sp&tere Eatwlcklungdform zu erkläreu. Freilich rnüflste,
um dag gsgeowirtig Von Jostm zu behaupten, je&e anden
Yonuisseiaiuig hinziÄoiiimdii, daas Irenäns und PseodotartaUiaa
Beine Auseinaudei Setzung wesentlich treu wiedergeo^eben haben.
Und dies wird sich uicht wahi-scheinlioh machen lasseo.
D. Lipsios selbst aber hat mit einer Gewissenhaftigiciit,
wekiie ioh gma n wflrdigen waias, aeiiie aeheinbare und
glftaaand durchgeführte Hypothese prei^eg€dieii % Allem m
wird nun auch um so weniger als blosse unkritische Willküi
getadelt werden dürfen , wenn die Frage aufe neue auf-
geworfen wird, was die echte Basilidische Lehre und wo sie
sm Sachen sei. Wenn die Schrift, welche Irenftna vor Aagfta
hatte, wie Lipsins es jetzt bestimmt, am 170 — 75 und ra
einem nicht näher zu ermittelnden Verfasser geschrieben ist,
80 sind wir damit in eine Zeit herabgerückt, in welcher die
Umbildang der Partei wahrscheinlich schon geschehen war.
Denn Irenaus, welcher etwa 10, nnd Glemena, welcher etwa
20 Jahre später schreibt, lassen fiber die Wandlung keinen
Zweifel, und wenigstens von Clemens, welcher seine aufge-
speicherten Kenntnisse nur beiläufig auszustreuen püegt, wird
man nicht glauben, dass er erst um die Zeit, wo er von den
Baailidianern berichtete, genaue Beobachtungen fiber de ange-
stellt habe. — Dass lienaus" Darstell uü<; Bestandteile enthält,
welche unmöglich dem Basilides selbst gehören können, ist
von den älteren Forschern, wie Neander und Giedeler, iu ziem-
lich grossem Umfange anejkannt Seit Benutzung des Hippo-
lytus ist es von denen, welche IrenSus bevorzugen, zwar nicht
ganz übersehen, jedoch keinesweges hinlänglich beachtet wor-
den. Die Art, wie hier dem Erlöser Doketismus beigelegt
wird, als die Kunst, sioh unsichtbar zu machen und aich zu
verwandeln, und wie er nun den Simon statt seiner unter-
schiebt, ihn kreuzigen iSsst und die Juden verhöhnt, hat etwas
so Frivoles, dass mau eine solche Erfindung dem Stifter der
Secte, den wir in den Excerpten seiner Schriften als ein^
ij Dk Qu-llen (kr ältesten Ketzergescb. 1875, S. 178. Die Schrift
Justins Hchfint fiühzeitic veisoli wunden zu sein. Eusebius (Kit-
4^eiigescliicbte 4, Ii) bat sie ufieubar uicht xuebr gesehen.
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DAS UBSPKÜNGLICHE BA&ILdDIANIäCUE SlfST£M. 48%
«rnsten und strengen Charakter kennen lerueii, auf keine Weis»
zuschreiben kann, sondern sie vielmehr für die Verkehrung
eines ursprünglichen tieferen Gedankens halten musa. Dieselbe
Vorsteiiniig hatte aber f&r diese Klasse von Gnostiton «Ina»
weiteren Wert nnd Znsammiiban^. Denn sie selbst Mpftoa
gerade hieran iliren VorzAiir als Pneuraatiker und Erlöste, die
nach ihrer inneren Hoheit für die Menschen von uugeistiger
«Beschaffenheit verborgen seien, denen selbst aber alles oSeDbar
sei. Man darf annehmen, dass, wie die theoretisdie Qiiens,
so auch die iNraktiedie, die Magie, kiemit in genetiscbem Zu-
sammenhange stand. Inileui die HeiTschaft des Geistes üher
das Sinnliche in eine Gleichgültigkeit des freien Geistes gegen
die simüicbe Foim nmgedentet wird, begrftndet dieselbe Vor^
slelkmg Ton Christo ihren IndiflGsrentisaras binsiehtUch des
Martyriiims. Die leichtfertige Verachtun;^ desselben steht in
entschiedenem Widerspruche mit den bestimmtesten Aensse-
TUDgen des Ba^ilides, welclier das Martyrium nach Clemens'
Zeugnis (Str. IV, p. 506 Sylb. Colon.) als ein yoii Gott go-
wiites Mittel zur SoH^keit beianditete. Aber Irenftns »d
vemiutlich sein Gewährsmann haben es mit verscbuldet , dasä
die iü eine Theorie gebrachte feige Selbstsucht der späteren
von der ganzen Gruppe der Berichtei-statter am* abschrecken-
den Charakteristik des Stifters der Partei verwendet wurde.
Das nnsittliobe Leben, welches ihr nachgesagt wird, war mr
ein weiterer Ausdruck der Einheit von Gesinnung und Grund-
anscbauung. Hier finden wir die ausdrückliche Bestätigung
des Cäemens (Str. III, p. 437), welcher die unsittlichen Basi-
lidianer seiner Zeit, die ihr toterhafteB Leben mit den fi»>
griffen Ton Freiheit, Vollkommenheit und Erwäblnng recht-
fertigten, vom Basilides und Isi lor unterscheidet, welche keinen
Anstoss nach dieser Seite hin gegeben haben.
Wenn man mm beachtet, dass Ireo&us von anderoii
Dogmen, welobe an der Stelle dieser geiwiss nicht ursprfing^
liehen gestanden haben, gar nichts weiss, und dass er nirgends
eine Fuge bemerklich macht, wodurch er die Benutzung von
zweierlei Berichten andeutet, so wird es um so weniger m
leognmi sein, dass wir in seiner fiesohreibmig den in eÜMor
gewiflsen Klasse von spftter«i Basilidianem gangbaren Oe»
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488
JAOOBI,
dankennifluiiiDeiiliaiig m eikouieD haben. Der Beridit als
Ganzes kann also niebt das sein, wofttr Irenftos und seine Ge-
nossen ihn ansehen, Lehre des Ba^ilides, und es kommt viel-
mehr darauf au auszusondern, was etwa an ursprünglichen
Elementen darin ist, worüber sieli weder nach ihm selber«
Boeh flberbanpt nach Lrenfins enteoheiden Itet. Denn diem
hat gar kein Interesse an einer grundlicheren Forsch unj:: über
Basilides, wie daraus erhellt, dass er den L^idorus mit keinem
Worte erwähnt
Mithin, wenn es sich um den Wert des Iren&os nnd
seiner Grandschrift im Vergleich zn Hippolytns und seiner
Quelle bandelt, so steht die Sache vorläufig so, dass Hippo-
Ijtus einer Quellenschrift folgt, welche vielleicht nicht die
ursprünglichen Ideen giebt, Iren&ns aber sicher nur das ab-^
geschöpft hat, was eine sp&tere Genemtion der BMiKi^innftr
darbot.
D. Hilgeiifeld hat den Beweis für die Ürsprüngiichkeit
desjenigen Sydtemes, welches aus der Gruppe des Irenaus ab-
zuleiten ist, Yomehmlich ans dem strengeren Zusammenhange
seiner Ideen, welche mit den Fragmenten ans anderen Quellen
combinirt werden, zu fBhren gesucht. Es ist ihm oliue Zweifel
gelungen, das dualistische System gegenüber dem des Hippo-
lyttts hier und da in den Vorteil grösserer Folgerichtigkeit ni
setzen. Indem er das letztere zu den Consequenzen de»
ersteren bintreibt, glaubt er jenes als das abgeleitete er-
wiesen zu haben. Allein ich venuag nicht mit dem Er-
gebnis übereinzustimmen. Der allgemeine Gesichtspunkt, dass
logische und systematische Consequenz fQr die PrioritAt en^
scheide, darf nicht in ToUer Strenge auf eklektische und ia
phantastischen Formen schwankende Gebilde, wie die gnosti-
schen Systeme, angewendet werden. Den augenscheinlichen
Beweis für das Unzulängliche dieser Argumentation lieferte
Baur, indem er im Gegensatz zu D. Hilgenfeld das Sjpstem
auf Grundlage dee Hippolytns anfbaute und es an originellem
und strengem Zusammenhange dem anderen System eben-
bürtig zu zeigen suchte. Und so viel scheint mir richtig",
dass der Zusammenhang bei Irenäus mindestens ebenso lose
md Iflckenhaft ist als bei Hippolytns. Die unverkennbaren
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DAS URSPBONGLICHE BASiLIDIANISCHE SYSTEM. 4S9
Sporen einer vom Meister abgewichenen Schfilersebaft bei
Irenaus sind von D. Hilgenfeld ferner nicht so gewürdigt,
dass sie irgend ins Gewicht fielen, und die Combination zwi-
schen Irenäus und den Fragmenten aus Clemens und anderen
ist zwar zuweilen glftcklich, zuweilen möglich, in mehreren
Fällen aber durchaus unhaltbar. Nimmt man diejenigen Zu-
taten dieses Ursprungs hinweg, 'welche sieh ebenso gut und
welche sich besser mit dem System des Hippolytus in Har-
monie setzen lassen, so bleibt ein Werk von so verstdmmelter
Beschaffenheit flbrig, dass man darin nur Trflmmer, aber kein
Ganzes zu erkennen vermag.
An und für sich ist es ebenso wohl denkbar, dass das
ursprünglich pantheistiach geartete System in ein vorherrschend
dualistisches überging, als umgekehrt» Die eine Seite der
Yalentinianer hat die doketische Betrachtung weiter ausge-
bildet, was eine Steigerung des Dualismus eiiischliesst, wie-
derum einige Parteien der Marciouiten , worauf schon
Dr. Ouericke zum Vergleiche hinweist, haben den ursprüng-
lichen Dualismus gemildert. Um zu einer möglichst sicheren
Entscheidung zu gelangen, werden wir den schmaleren, aber
graderen Weg beschreiten, diejenigen Stücke, welche zuver-
lässig Basilides' Ideen enthalten, auszuwählen und sie nach
ihrer Verwandtschaft mit der Gruppe des Irenftus oder mit
Hippolytus zu prflfen.
Die geringen Notizen, welche Eusebius aus der Gegen-
schrift des Agrippa Castor gegen Basilides herausnimmt,
fördern wenig. Eine derselben, die Anklage wegen Ver-
achtung des M&rtyrertums, ist, wie wir sahen, entschieden
falsch, und matk möchte daraus schliessen, dass Eusebius im
Irrtum ist, wenn er Agrippa zur Zeit des Basilides selber
gegen ihn schreiben lässt.
Theodoret giebt möglicherweise eine Bestätigung dieser
Yermutung (Fab. h. I, 4), indem er die Auseinandersetzung
über Basilides und Iddorus und ihren Anhang damit schliesst,
dass Agrippa, Irenaus, Clemens und Origenes gegen sie ge-
schrieben haben. Allein ich halte diese Bemerkung für
summarisch und wage deshalb nicht Agrippa unter die Be-
kftmpfer des Isidor zu zählen. Jedenfalls lässt sich aus
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490
JACOBI,
Eusebius* dflrftigea MitteihiB^ kein Sobltiss a«f die Be-
scliaff^'iiheit der im Buche hekänipfU'ii Leliirn. und füf unseie
Zwecke nui" ein iintergeordueter Nutzen zielien.
Dagegen ist Clemens von grossester Wichtigkeit; er
kennt die Basilidinner seiner Zeit, er ist aaeh in den Sohrif-
ten des Basilides nnd Isidoras bewandert, er untersobmdel,
was den Stiftern und den Späteren zukonimt, mit einer
grösseren Genauigkeit, mit mehr wissenacliaftlicher Kubo und
mehr Gerechtigkdt, als sie sich in der gewöhnlichen leiden-
schaflliehen Polemik der Kirchenvftter findet. Nicht flberall
freilich erfordert es sein Zweck, besthmnt zu bezeichnen, ob
ein Ausspruch dem Hasilides oder seiner Schule gehöre: in
solchen Fällen wird also für unsere Aufgabe nur mit grosser
Vorncht davon Qebiaoch gemacht werden dQifan. So viel ieh
libersehe, setzen alle Forscher ein fthnliehes Yertranen fai
die Angaben des Clemens, und es wird daher keinen erusteii
Widerspruch finden, wenn ihm gewissermassen der Kicliter-
spruch in dem Streit zwischen Irenftus und Hippolyttts an-
heimgesteUt ist. In der Tat würde man dies anerkennen odar
die Hoffhnng aufgeben mGsseo, das msprflingliobe System des
Basilides zu ermitteln. Die einschlagenden Stellen des Clemens
sind von D. Hilgenfeld, D. Uhlhorn u. A. bereits gründlich
und lehrreich erörtert worden, jedoch mehr unter dem €to-
sichtspnnkt der Constmction des Systemes als vnter dem
kritischen. Meine Aufgabe macht diesen xnr Hanptsache,
hingegen beabsichtige ich nicht die ziemlich grosse Zahl aus-
fülii'licher Eatwicklungen des eineu oder anderen Systems um
eine zu Termehren.
Ausser den Glementinischen Fragmenten and zwei sohwieilg«
Stellen in der Disputatio Arehelai von grosser Bedeutung.
Mit diesen werde ich den Anfang machen, jedoch schicke ich
eine Erörtemug über den Aufenthalt des Basilides voraas. £a
liegt darin kein Moment ersten Banges, aber doch immer
eines, welches mit anderen verbunden wirksam ist Gehörte
er zuerst Syrien, dann Aegypten an, so ist zwar dauüt die
ürspiünglichkeit der orientalisch Juaiistisclien Form des
Systems keineswegs erwiesen, denn die griechische Cultor ifwc
damals in Syrien tief eingedrungen, aber sie hfttte ein gtti^
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DAS URSPRÜNGUCHE BABILLDlANIäCHC SYSTEH. 491
stiges VonirteU Ar rieh, wShrend dieses sich znm Vorteil
der anderen Gestalt wenden würde . wenn er von Anfang an
in Aegypten und Alexandria geweseji wäre. loh glaube, dass
Aber diesen Funkt eine zimnliohe Sicherheit su erreichen ist
Die ftlte0te Naehricht Aber den Anfenthalt des Basitides
giebt Irenaus (I, 24, 1): „Von diesen (d. i. Menander und
Simon, dem Urheber aller Häresie) naliinen Saturn in, welcher
von Antiochia war, und Basilides den Ausgang (occasioneB
aodpientes) nnd zeigten Terschiedenartige (dutantes) Lehren,
4er eine in S^n, der andere in Alezaaidria.*^ Bleibt man
bei dem strengen Sinne der Worte stehen, so ist daraus nicht
notwendig zu entnehmen, dass Irenäus den Basilides für einen
Schüler des Menander im eigentlichen Sinne halte. Fär ein
«Mies Verhältnis pflegt er bestimmtere Ansdrftcke zn wfthlen:
fi€t&r,Tr^g, ^ittd^HF^, Ol TTf^/ Und andere büdllche. Hier abor
weist er nicht nur durch das tovuo»'. ex iis, auf ein unbe-
stimmteres Verhältnis zu. den Vorgängern hin, sondern auch
4wtdh die Worte: oeoasiones accipientes» Der ttrsprfioglidie
Text hatte itpogfiiif Xaflimg^ wie man am dentlichsten aus
I, 27 : Kfpdutv $i ann Tfoy mgi ^itaova rag «f^o()/ia? \ußiov^
occasioiiem accipiens. zu erkennen vermag. In beiden Fällen
besagen die Worte keine persönliche Verbindung, sondern nur :
•einen Antrieb T<m etwas empfiingen. Zwischen Eerdon nnd
Simen sind die Aebnlichkeiten so gering, so sehr nnr auf
ein allgemeines dualistisches Schema beschränkt, dass man
wohl sieht. Irenaus habe nichts weiter als ein allgemeines
Verwandtschaftsverbältnis andeuten wollen. Nicht viel anders
yerhält es sich mit dem Znsammenhange zwischen Basilides
nebst ßatnmin nnd der ▼oraugehenden Gruppe von Gnostikem.
Irenäus glaul>t in Basilides und Saturuiu einen vei-wandten
Dualismus zu erkennen und will ihn als Fortsetzung des von
den vorangehenden Häretikern gelehrten darstellen. Es folgt
also anch gar nicht, dass er der Meinnng gewesen sei, Basi-
lides habe, wie Satmninns, in Syrien verweilt. Vielmehr
scheint er über seinen Ort nichts zu wissen, als dass er sich
in Alexandria aufgehalten habe.
Weiteres scheint anch Hippoljtos nicht in den Angaben,
die ihm vorlagen, gefonden zn haben. Der Anhang zn den
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492
JACOBI,
Fiteriptionen Tertuliians bringt Satarnin und BasilideB m
durch eine zeitliche Folge mit Menander und Simon in eil
VerhältniB, und den Basilides sogar als den späteren nach
Saturnin. Beruht die hierin excerpirte Schrift Hippolyts und
Irenftus, wie sich nach Lipsius fieweisfulirung ^ ) kaum in Ab-
rede stellen Itot, in der Scbildemog des fiaailidea anf mts
Gmndflcbrift, so wird diese eich demnach nicht bestimmter
als Irenäus über die Heimat desselben ausgelassen haben.
Denn dass der Epitomator eine klar ausgedrückte Nachricht
darüber geändert hätte, ist unwahrscheinlich, nnd ammMiur,
wenn man das grössere Werk des Hippolyt!» vergleicht
Deun hierin ist die Zusammenfassung beider, welche Irenäus
giebt, gelockert, in dem Bewusstsein, dass dem Verfasser ganz
verschiedenartige Systeme vorliegen. Er sagt, dass Satumiiuis
in Antiochia verweilt and solche Lehren wie Menander T0^
getragen habe. Er sei Zeitgenosse des Basilides gewsssn;
von diesem aber erwähnt er, dass er in Aegypten seine Schule
gehabt, und dass er ebendort seine Philosophie i^elernt hahe.
Dies kann wohl nur so viel heisseu, als dass er in Aegypten
seine Studien gem^t, nicht aber, dass er aus der figyptiscfaen
Mythologie geschöpft habe, anf welche Bippolytus bei Aus-
einandersetzung des Sjrstemes keine Rücksicht uiiiimt. Euse-
bius hat fär seine Mitteilungen über Basilides den Irenäu?,
Agrippa Castor und Hegesippus benutzt und nennt ihn einen
Alexandriner (H. e. 4, 7). £r leitet diese Notiz ohne Zweifel
aus Irenftus ab und scheint in seinen andern Quellen wenig-
stens nichts über eine Abkunft aus Syrien gefunden zu
haben.
Dagegen haben Epiphanius (H. 7a, 24), Theodoret (H. 2),
dem Irenaus folgend, seine Worte von einer SchtileiBchalt im
engeren Sinne verstanden, und Eiüphanius und Philaster lassen
ihn daher nach Aegypten einwandern. Jener nennt sogar
ausser Alexandria und Umgegend drei andere Orte, wo er
sich aufgehalten habe. Die Folge der Orte bezeichnet den
Weg von Osten her nach Alexandria; hier liegt höchst wahr>
1) Zur Quellenk des Epiph., S. 93 ff. Die Qoellen der filtesten
Ketsergesdiichte, S. 162.
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DAS LKSPKÜNQLICI1£ BAi^ILIDIANISCU£ SYSTEM. 493
scheinlich nur ein Schluss vor, den Epiphanius aus dem Vor-
handensein Basilidianischer Gemeinden an den genannten Orten
20g. Selbst wenn er einer Tradition folgte, wäre sie doch
eine sehr qpftto. Philaster (H. 82) hat zwar, wie Lipdos
gezeigt, Kenntnis der kürzeren Schrift des Hippolytns nnd
redet von einer Einwanderung des Basilides in Aegypten ; indes
woher er auch geschöpft haben mag, so kann er doch keine
Autorität haben gegen die Bezeugung PseudotertuUians und
Hippolytos* selbst Die Angabe der Acta Arohekii, dass Basi-
lides unter den Persem seine Lehre Terkfindet habe (c 55),
hat durchaus keine Zuverlässigkeit.
Nach dem Obigen verlegen die ältesten Gewähi-smänner,
welche zugleich die Quellenschrüten unmittelbar benutzt
haben, den Basüides nach Alezandria; dagegen einige des 4.
und 5. Jahrhunderts, welche nur einen Wert zweiten Banges
haben, lassen ihn ursprünglich dem syrischen Umkreis ani^e-
hören. Es kann mithin nicht zweifelhaft sein, dass seine
Zubehörigkeit nach Alexandria das fast ausschliessliche Ge»
wicht der geschichtlichen Zeugnisse fttr sich hat. Daher ist
es auch eine ziemlich überflössige Vermutung, dass sein ur-
sprünglicher Name Malchion gewesen und nach der Ueber-
siedlung von ihm ins Griechische flbertragen sei ').
Wenden wir uns nun zu den Acten der Disputation des
Archelaus von Easkar mit Manes '). Dass diese Schrift eine
Erdichtung ist und nicht einmal die Tatsache der Disputation
historische Glaubwürdigkeit besitzt, hat Beausobre ^) bereits
unwiderl^lich dargetan ^). Die Unriditigkeit und Verwimmg
der geographischen Angaben, welche Beausobre und FlOgeP)
1) Der Name Basilides ist in dieser Zeit nicht selten; nnter anderen
fuhrt ihn der Stoiker BaeiUdes, welcher Lehrer des 11. Anreline war.
Zuerst herausgegeben Ton Zacagni in den Gollectanea mona-
maitor. veter.
>) Histoire oritiqoe du manieh^isDie I, 129.
*) Daes die Acten dennoch groeien Wert als Quelle snr Kenntnis
des ManichSinam haben, ist am grttndlichsten neaerdingb nachgewieBen
worden von H. von Zittwitz, Zeitschrift für bistorieche Theologie
187d.
ft) Hanl 1868.
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gezeigt haben, ist nicht nur ein starker Beweis gegen die
Wirkliohkeit des Yoigaoigefi« aoadeni auch dafär, da» te
y4»fii8aer dem ScbanplatK der angeblichen Handlimg fose
steht. Wüie Ireilich die Biiuerkuiig des Hieronymus (Vir.
iJ]. 72) begründet, dass der Urtext der Acten syrisch i:e-
wesen sei, so würde man den Verfasser, seiner Unkunde unge-
achtet, in einem nicht zn weiten Uinkmse d«r Begebenheiil
gDchen mtaen. Doch Beausobre «id Zittwita erkttm mit
Recht Hieronymus' Au<,^abe für falsch. Die Beschaffenheit des
vorliegenden Textes bestätigt dies Urteil; denn die lateinische
Uebersetznng ist ohne Fr^ge aus dnem griechiaßhen Tffit
flbeortngen,. mi die ansehnlichen Fragnie&te daa Msteien,
welche wir dnvch Epiphanins und CyriU von Jerusalem be-
sitzen % zeigen keine Spur einer syrischen Grundlage. Was
Zacagni zur Unterstützung des Hieronymus anführt (praeL
c 4), dasa c 22 der Ausdruck sphaera durch dan Zonta
qoae apud Graecos Yocatur als fimndea Wort beseichiiet wode»
rührt vom lateinischen Uebersetzer her, der das Wort sphaeia
rechtfertigen will. Er liebt dergleichen Einführungen , wenn
er griechische Ausdrücke beibehält, wie aus den von Zacugoi
(pcaef. c. 5) aogef&hrtea Beispielen herfoigeht. Rdhrte eia
solcher Znsatz vom Autor des griechiseben Tente» her, 9^
würde man ihn vielmehr an den vorangehenden Stellen c 6
und 8 erwarten, wo dasselbe Wort im griechischen Text er-
scheint, jedoch ohne diesen Zusatz. Wenn es eine synsebe
^ecansion der Acta gegeben hat, wovon indes anderweitig
keine Spur vorhanden ist, so wird sie eine üebersetaung aai
dem Griechischen gewesen sein. Nun könnte allerdings der
Verfasser sehr woM in Syrien oder auch in den Gegenden des
Euphrat und Tigris gelebt und dennoch griechisch geschrieben
haben. Aber es ist ein anderer Umstand, der es unwah^
scheinlich macht, dass in dieser Gegend sein Sitz war.
legt nämlich dem Archelaus Worte der äussersten VerachtuDg
gegen die semitische Sprache jener G^enden in den Mu^'^-
Maaes ist nach den Yorsusseteungen der Acten in der
Gegend von Babylon aufgewachsen (c 53) und bringt andi
^) Ebesfallfl bei ZacagnL
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DAS UBSFRONGLICHE A^fllUDIAlfllSCHB SYSTEM. 496
€a& babylonisches Bach mit zur Dis|»utati<»i (c 13). In
Easbir, welches die Akten (c 4) mit gewohnter geographi-
scher Unkenntnis nach Mesopotauiicn verlegen, obgleich es
sudlich von Babylon liegt (Flügel, S. 25), ist wesentlich die-
aeibe Sprache als Volkasprache foianflgesetzt Die Bispatation
moss in dieser Sprache vor sich gehend gedacht werden, aor
gesicbts des Volkes (vgl. c. 46 und 48). Denn dem Manes
wird vorgeworfen (c. 3G), dass er nur Chaldäiscb , nicht
Griechisch verstehe, obgleich er der Paraklet, der Verleiher
der Spraohengabe, sein woUe. Ton einem DoUmetscher ist
nirgends die Bede, troti auafölirlicher Beschreibung der Eänzel-
heiten. Ohne Zweifel soll Archelaus als KeiiiuT des Griechi-
schen und auch Chaldäischen dem Manes überlegen eracheinen ^).
Hierbei also sagt Archelaus (c. -36) zum Maues: er sei ein
peisiseher Barbar, habe keine Kenntnis der griechischen,
iügyptischen, römischen noch irgend einer anderen Sprache als
nur der chaldäisclien, quae ne in numerum quidem aliquem
ducitur. W^e der Verfasser ein von syrisch oder chaidäiack
ledenden Gemeinden nmgebener Mann gewesen, hätte er mit
ihnen selbst in ihrer Sprache Terkehi^n mtaen, so wflrde er
schwerlich den Archelans Worte der Verachtong gegen diese
Sprache reden lassen, welche veiiotzeud wirken mussten.
Wenn aber der Verfasser in einem giiechischea Territorium
schrieb { erklärt sieh das. Nun Itat er ausser der griechi*
sehen und römischen Sprache der ägyptischen die Hauptehre,
woraus wir schliesseu dürfen, dass - seine Stätte in Aeg}pten
war
1) Dies 2DQ8S auch bei den beidnisclien Richtern der Dispatatioii
(c. 12) angenommen werden, wenn man nicht etwa den Verfasser elotr
T«rwirrung in der BeschreihDog der Vorgang Imdwidigen will.
3) PbotitiB (Cod. 85) nennt ihn Hegemonius auf Autorität die
Heraclianns , irdcher zur Zeit des Kaisers Anastasius , also gegen
500, Bischof von Chalcedon war (Le Quien, Oriens christianus I,
p. 602), mitbin ein doch zieuilich später Zonge. Der gräcisirte Name
4MheUili ist offenbar ^mbohsche Fiction, um den rechten YollufiUmr
gegonfiber dem YffHUuer zu bezeichnen. Es ist «OBjOlMbar, dass auch
Hegemonina' Nen» eine ahnliobe BedwtaDg baL
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JAOOBI,
Da der Verfiuser c 54 Ton Orten redet, wo ii^geheim
die Bflcher der Christen abgeschrieben worden, so scheint «
ebenfalls dabei von Anschauungen auszugehen , die ihm
Alexandria und andre ägyptische Orto darboten, denn hier
war das Abschreiben mehr als irgendwo zu einem Gewerbe
•entwickelt.
Wss die Zeit der Abfossnng betrifft, so kann sie nicht
nach Mitte des 4. Jalirlmnderts fallen, da ])ereits Cyrillus ?on
Jerusalem in der sechsten Katechese um 347 ihrer Er-
wfthnnng tot Den rflckwftrts gelegenen Grenzpnnkt glaubt
Beaosobre ans der Aensserong desArchekns c. 27 erscbliesBei
zn dürfen, dass Manes nicht der Paraklet sein kOnne, weil
Christus alsdann nicht , wie er verheissen , den Paraklet so-
gleich, sondern mehr als 300 Jahre später gesandt haben
mfisste. fieaosobre meint, dass der Verfasser hier nnwill-
kfirlich seine eigne Zeit kundgebe, wfthrend Archelaos, den
er hier reden lässt, zugleich Zeitgenosse des Manes sein solle.
Allein da unmittelbar darauf der Zeitpunkt durch den Kaiser
Probus (bis 282) bezeichnet wird, so sieht man, dass jene
Angabe nur eine üebertreibnng zn polemischem Zwecke ist
Sie wflrde streng genommen zn nahe an die Zeit des Oyrilli-
sehen Citates lieranfuhren. Die Abfassungszeit lässt sich in
folgende Grenzen einschliessen. Da c. 53 angedeutet wird,
dass die Christen, die Verfolgung der Heiden fürchtend, ihre
heiligen Bflcher insgeheim abschreiben nnd vor den Heiden
verborgen halten , so m>i88 die Diocletianische Verfolgung
mindestens schon im Gange gewesen sein; denn in d'mer
iabndete man nach den heiligen Büchern, Also der Anfang
derselben, 308, würde die ftosserste Grenze sein. Die Verfolgung
scbeint aber schon vorflber zn sein, da bei der Disputation
Heiden als Schiedsrichter eingesetzt werden, denn wfthrend
der Verfolgung wurde es schlecht gepasst haben, ihnen die
Stelle der Unparteilichen zu geben. Wiederum findet man
1) Das Fragment bei Cyrill findet sich, soweit es üespräch ist,
nicht in nnteren Acten, setzt abo eine abweichende Recension derselben
voraus. Zittwitz' Vt^rmutunfr . da88 Cyrill aus dem Gedächtnis ciftiMb
leicht wagen der Genaaigkeit des Wechselgespräcbes nicht ans.
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DAS UBSPKÜNGUCUE BASlJLlDIANIäCüE SYSTEM. 497
keine Spur von dem EmflüBse des Arianisdien Streites und
des Nicänischen Dogmas, obgleich sich wohl Gelecfenheit
dttf&r geboten hätte, z. B. c. Biese Spuren müsstc mau
um so frühzeitiger und sicherer erwarten, wenn der Verfasser
Aegypten angehörte, demjenigen Lande, Wiehes am frühesten
und tiefsten von dem Streite erregt war. Man wird daher
mit der Abfassung nicht zu weit nach der Nicäuiscbeü Synode
heiabgeben dürfen. Die Zeit kurz vor oder nach 32ö mag
akK> ungefähr als fintstehnngszeit gelten* DenAnlass gah die
Verbreitong der Manidiäer nach Aegypten und andern Gegen-
den des römischen Reiches. Das Edict dos Dioclctian gegen
sie um 287 war nach dem westlichen Nordafrika gerichtet,
aber in Alexandria erlassen und setzt, wie Eusebius' Aeussenmgen
(H. e. VII, 31), schon grosse Fortschritte yoraos.
Naeh diesen Ergebnissen lebte der Verfosser der Acta
zwar in Aegypten, aber der Zeit nach weit vom Basilides
entfernt Wir werden weiterhin Gelegenheit haben zu beob-
achten, wie bsechrftnkt und unzuverlässig seine Kenntnis des
gesammten Ideenkreises der älteren Hftreden ist Seine Ueber-
liefenmgen sind daher für uns wenig wert und seine Ver-
mutungen noch weniger. Zu den letzteren gehört offenbar
die Behauptung, dass Basilides in Persien gelebt und gelehrt
habe. £& ist nur ein Scbluss, wehshen er ans der Anföhmng
einer, vielleicht auch mehrerer doalistisidier Stellen sieht
Um die beiden Fiagmente des Basilides, welche er am
Schlüsse seines Werkes vorlegt (c. 55), ist es uns zunächst
zu tun. Zittwitz hfilt die von Basilides handelnde Stelle für
einen sp&teren Zusatz. Mit Unrecht Die Heranziehung des
Basilides und seiner Worte soll die OriginaKtftt des Ifones
durch ein ähnliches Beispiel alterer Zeit verringern. Dafür
werden Zeugnisse versjjrochen und beigebracht. Die Er-
wähnung der altbarbarischeu Abkunft des Mauichäismns ent-
halt bereits eine Hindentong anf das weiter inten gegebene
Oitat: „Quidam enim barbaromm*^ etc. Dass kein anderer
Basilides als der bekannte Gnostiker gemeint sei, ist wohl
jetzt allgemein anerkannt
Der Znsammenhang und die Absicht, welche der Yer-
ftsser bei Anf&hmng grade dieser Stellen hat, ist, soviel ich
ZeitMhr. & K..0. 38
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498
JACOBI,
i
sehe, flberall entweder nngenaii oder unriditig vevstaiideii. ünd
hieran ist zura Teil der Zacagnische Text schuld, welcher
stets mit allen Fehlern wieder abgedruckt und deshalb yoi-
errt ein wenig zu ordnen ist
Bonsens Oaiyectar paiabolam fttr parmlam ist allgemein
als gelungen anerkannt; femer aber mnas für Nonne oontiaet
et alium sermonem gelesen werden: Nonne cuntioet aliennm
sermonem. Das Griechische hatte i^yoy ).6yoy, in dem Sinne
Ton befremdlich, seltsam, was durch alienum übersetzt und
nnr durch den Fehler der Abschreiber in alium verwandet
ward. Der Sinn erfordert diese geringe Aendening, denn
von einem zweiten im Tractat des Basilides befindlichen Ai>-
schnitt kann nicht die Kede sein, da eben ein solcher aus-
drücklich mit den Worten Yomeint ist: „hoc aatem solun
^) Fuit praedicator apnd Persas etiam Basüides qnidam antiqnior,
non loDge post nostronmi apo^^tolorom tempora, qoi et ip6e cum esset |
versntuB, et vidiaset quod co tempore jani cssent oninia praeooeoptte»
(Iiuilitatem istaiu voluit affinnare, quae etiam apud ScythiaDnin esit
Deniqae cum nihil haberet, quod asseieret proprium, aliis dictls
propoBuit adver.«ari is. Et omnes ejus libri difticilia quaedam et
a^pcrrima continent. Extat tarnen tertius docimus über tractataam ejus,
cüjuB iniiiüiii tale est: Tertinm deeinram nobis traotataum .scribeiitibu ^
libnuD, necessarinm sermonem nberemqoe salntaris semo pneetaTil Fer |
paryulam (L parabolam) divitis et pauperis natnram sine radioe et j
sine loco rebus superrenientem, unde pullula?erlt, indicat Hoc antem
soloin capnt über continet. Nonne continet et alium senttonem, et
sicat opinati sunt quidam, nenne omnes offendemini ipso libro, cnjos
initium erat hoc? Sod ad rem rediens Basilides intej^eetiB plus nunos
Tel qniDgentia Tenibos ait, desine inani et coriosa vaiietate, nqid-
ramuB antem magis, quae de bonis et malis etiam barbari inquiaianint,
et in qua« opiniones de bis omniboB pervenertmt. Qnidam enim bonUD
dixeront, initia omnium duo eBse, qnibns bona et mala assodavenmt,
Ipsa dioentes initia sine initlo esse et iogenita, id est in princip&s
Inoem fnisse, ae tenebras, qnae ex semetipsis erant, non quae esse dke»
bantnr. Haec com apnd semetipsa essen t, propriam ummqoodqiK
eoram vitam agebat, quam Teilet, et qnalis sibi competeret; ommbos |
enim amicnm est, quod est proprium , et nihil sibi malnm Tidetiir.
Postqnam antem ad altemtnm agnitionem nterque perrenit, et tenelrae
contemplatae sunt hicem, tanqnam melioris lei smnpta eooeopisoentiB»
insectabantnr ea commiscerL
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DAS UBSP&ÜMaLICilE BAälLIDIAinSCH£ SYSTEM. 499
Caput liber continet". Dagegen bandelt es sich um die
schwierigen und ungefügigen (difticilia et asperrima) Aus-
drücke in seinen Sdiriften. Wie anderen Gnostikern, so
wurde auch ihm dei^leichen Fremdartiges und Unverständliches
vorgeworfen. Es ^^<4iürt daliin ebenfalls, was Agrippa Castor
bemerkt, dass Basilides Propheten mit barbarischen Namen
ffir sich angewendet habe, um durch diese einen grosseren
Eindruck zu machen. Daher ist nun weiter das folgende „et
sicut opinati suntquidam** zu Sndem, entweder in ,,et sie' oder
in „sicut et" (otg y.m) etc. Der Satz weist eben darauf hin,
dass Basilides' Lehrform ein solches Urteil schon öfter er-
fahren habe. Der Misverstand des ganzen Satzes hat auch
diese Corruption herbeigeführt. In dem Satze: „denique cum
nihil haberet, quod assereret proprium, aliis dictis proposuit
adversariis" — ist proprium und aliis zu verbinden, das
Komma zu streichen; erstens, weil sonst das Object fehlen
würde zu proposuit, und zweitens, weil dictis nicht damit
Torbunden werden darf. In diesem Wort steckt abermals ein
Tehlei ; dds dictis adversariis giebt keinen irgend erträglichen
Sinn, mag man den Inhalt der Fragmente des Basilides, oder
die hinzugefügten Worte des Archelaus betrachten. Es ist zu
ändern in: „de initiis proposuit adversariis.'^ Die Aenderung
ist, namentlich wenn man Abbreviaturen des Textes voraus-
setzt, eine höchst geringe. Die iuitia adversaria sind die
o^/ctt hayilni, die duo initia im. zweiten Fragment. Der
Smn dieses Satzes ist also: kurz, da er nichts hatte, was er
lehren konnte, trug er das, was anderen eigen war, über die
feindlichen Prindpien vor. Sind diese Verbesserungen ein-
leuchtend, so ergiebt sich folgender Zweck der Rede des
Archelaus: zweierlei wird dem Basilides vorgeworfen: einmal
die absonderliche, schwer verständliche Darstellung; dann,
dass er, selbst ideenlos, andern Qehüriges über Dualismus in
seinem Bache vorgetragen habe. Zum Beweise fQr jenes ent-
nimmt der Verfasser dem Buche des Basilides das erste Frag-
ment; zum Beweise für das andere dient das zweite. Es ist
mithin klar, dass das erste Fragment gar nicht zu dem Zudecke
beigebracht ist, den Dualismus des Basilides zu erhifarten.
Das erste Fragment lautet, wie angegeben, in der Exegese
33*
500
JACOBI,
des Basilides: ,,per painbolam divitis et panperis natamm
sine radice et sine loco rebus supervenientem , unde pulluh-
verit, indicat*'. Er hat mithin ein Gleichni.^ wn einem
Reichen und Annen vor Augen, mit welchen er das Gfitß
und das Btee yergleicht. Da der Ansdniek salataria senao
in der Einleltcmg zn der Stelle auf eine Evangdiens^rift
deutet, wird man leicht veranlasst, eine Auslegung der Pl-
rabel Luk. 16 von Lazarus hier zu vermuten. Dennoch kana
immOglioh diese Parabel gemeint sein. Denn Basilides ver-
steht nncweifelhaft unter dem Beiehen das Qate und unter
dem Armen das BOse, und dagegen wtirde jene Parabel so
entschieden streiten, dass selbst gnostischer Exegese die Uiu-
kehnmg der Parallele ohne evidenten Nachweis nicht zuzu-
schreiben ist Hilgenfelds Versudi ^) mag zeigen, in welche
Schwierigkeiten die Besiehuttgen auf dies Oleicfanis verwii^elii.
Hr sagt: ,fln dem Gleichnis vom reichen Manne und dem
armen Lazarus hat Basilides die OlVenbarung eines bösen
Princips hervorgehoben, welches ohne Wurzel und Stätte über
die Dinge kommt, nämlich das Unglück des Lazarus bewirkt,
ohne dass das Gleichnis eine Andeutung seiner Terschulduiig
enthielte." Aus dem Stillschweigen also der Parabel über eine
Verschuldung des Lazarus soll der dogmatische Schluss gezogen
sein, dass eine solche Ursache nicht vorhanden sei. Während
demnach Basilides aus der Verneinung die Frage sidi negatir
beantworten soll, würde er deunodi einen Ursprung angezeigt
gefunden luiben, wie die Worte lehren: „unde pullulaverit
indicat." Auch ist nicht einzusehen, welche Bedeutung fSr
den fi^iff des onvemrsachten Unglücks das sine loco habea
könne. Bndlich, „wenn dem Beiche des Lichts und des
guten Gottes ein schlechthin unabhängiges Beich der Finster-
nis gegenüber steht*' (S. 455), und das Böse nun in Gestalt
des Utjbels an den Armen herankommt, so müsste dieser ja
zuvor den Dingen der guten SchOpftmg gleich stehen, und dia
fitwfihnung des Reichen wäre müssig.
Der Arme kann nur identisch sein mit der bösen Natiff,
der g>votg artv Qi^tig xüu jonov; uud ich kann daher auch
1) Zdtechr. f. wiMensek TheoL 1802, S. 454.
Üigi y Googl
DAS UBSPROKGLICHE BASILU>IANISCH£ STBTEIC. 501
D. Mollers ^) Deutung des Auiidrucks auf die Moyi} ina^uo*
üfiiog, welche aus der inateriellen Welt in üiren üisprung zu*
rflckkehre, nicht für die richtige halten, ohgleich . diese Auf*
fassung dem Gleichnis Luk. ig mehr gerecht würde. In
unseren ncutestiimentlichen Schriften lässt sich nicht mit
Sicherheit eine andere passende Zusammeustollung von arm
und reich aufweisen; Basilides hat daher wahrscheinlidi ein
apokryphisches Evangelium yor Augen.
Mit dem Bilde der Wurzel wird das wirksame Princip,
was die zu klarem Denken entwickelte Philosophie u^/J nennt,
in den mythischeren, an Bildern reichen Vorstellungen der
älteren griechischen Philceaphie, der Onosis und des Hani-
chSismus bezeichnet Ein bekannter pythagorischer Yen
nennt die Vierzahl utyuuv (fvatwg QiUo^aiu. und Valentin
dies nachahmend die oherbte Vierzahl der Aeonen qi%u xm
nwimp. Den Manichäern lag der Vergleich grade mit dem
finsteren Princip nahe, weshalb Epiphanias in. der Darstellung
ihrer Hftresie (H, 66, 9) von der uyrtxtiin^yrf uqxt) yat ^/Ja
redet. Die Wurzel bezeichnet das Princip als solches, gegen-
über dem davon abgeleiteten. Wird hiemit der Begriff
eüies besonderen Ortes verbunden, so ist dadurch ein weiteres
Merkmal seiner Selbständigkeit und ünabhingigkeit von einer
anderen Macht hinzugefügt.
Nun bemerkten wir bereits, dass Epiphanius (H. 24, 6)
den Basilidianern die Lehre zuschreibt, das Böse stamme aus
einer ^iljat tov xoxov, habe selbständigen Bestand {vnomaatQ
Tfjs noyr,gtug), wogegen er die Ableitung aus der Freiheit setat.
Man kann vielleicht Zweifel dagegen erheben, ob diese Notiz,
^vie Lipsius meint % aus dem kürzereu Werke des Hippolytus
entsprungen sei; dennoch wird Epiphanius sie mit gutem
Grund in die Darstellung des Systems nach der verwandten
Gruppe von Berichten eingereiht haben. ErklSrt aber Btir
silides in dem obigen Gegensatze den Armen für das Böse,
was ohne Wurzel sei, so befindet sich seine eigne authen*
tische Aussage im directen Widsispruch mit der Grund»
') Gesuch, der Kusuiologie, S. 851.
^) Zur Qaellenkr. des Epipb., S. 100.
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602 JAOOBI,
anscbauung, welche ihm von den Zengen jener Art beigelegt '
wirdt and sie können nicht das ursprQngliche System da*
selben Yortragen. Nicht nor ein tätiges nnd aggresdfBB
böses Princip ist damit ausgeschlossen, sondern jeder Dualis-
mus, welcher eine ewige Hyle als selbständige Existenz and
Quell des Bösen Gh)tt gegenüberstellt.
Das „esse sine radioe et sine looo'* iSsst mehrere Deu-
tungen tu. Erstens binn damit gemeint sein die Unbe-
dingtheit, sofern dadurch die Beschränkung auf einen be-
stimmten Quell des Daseins und den Raum aufgehoben wird.
In diesem Sinne fiisst Neander die Prftdicate anl £r
versteht richtig unter dem Armen das b($se, unter dem Beichin
das gute Princip und fügt hinzu: „Das ohne Wurzel und
Stätte Sein bezeichnet die Absolutheit des Principes, welches
auf einmal bervortaucht und in die Entwicklung des Daseins
sich einmischt.** Mich dfinkt, dass hier zwei B^priffe nicht
klar auseinandergehalten sind: die ünbedingtheit des Seuis
und die Plötzlichkeit der Erscheinung. Für das Erste verweist
Neander auf die Analogie der Zendlehre, welche im Anfang
des Bundehescb von den beiden Priucipien aussagt, dass sie
caeh^ dans Fexc^ du bien on du mal et sans bomes posfe^
rienres pamrent. Diese Worte des französischen Textes lassen
es ungewiss, ob das sans bornos posterieures von der Zeit gdte,
und der deutsche Text von Kleuker (III, 56) macht die Ant-
wort noch ungewisser, indem er Unbegrenztheit im allge-
meinen und zugleich der Fortdauer ausdrückt. VieUeidit i
könai» man passender die von Kleuker (S. 55) angefahrten
Worte aus dem Ulema i Islam vergleichen, in welchen die
Ewigkeit und aseitas des Zervanam Akaranam damit bezeich-
net wird, dass er ohne Wurzel sei. Bundehescb und das
andere noch sp&tere Buch sind freilich erst zur Zeit des Islam
redigirt ; jedoch abgesehen yon diesem Bedenken gelangt man
mit dem Begriffe der ünbedingtheit in den Worten des Basi-
lides zu keinem entsprechenden Vergleiche. Denn wenn das
BOse als der Arme charakterisirt wird, kann es unmöglich
1) Kirchengescb. IX, Genet. Entw. der vomeUmsteu 'gaost
Systeme, ä. 36. 78.
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DAS UfiSPBÜNGUCHB BASfLIDIANISCBE SYSTEM. 608
von Sehen seiner Unendlichkeit und Unbedingtheit in Parallele
gestellt werden. Diese Prftdicate würden viel eher mm
Gegenteil der Vergleichung führen. Wenn aber der Begriff des
Absoluten in jenem Sinne verstanden wird, so sieht man
nicht ein, wie er zum Begriffe des Pl6tzlichen fähren soll.
Dieser setzt vielmehr ein abruptes unvermitteltes Eintreten
entweder in die Existenz oder in die Erscheiming nnd Wirk-
sam keit voraus. Das erste könnte an sich wohl aiis?edrückt
sein durch sine radice et sine loco; aber es widerstrebt dem
Begriff des Plötzlichen der Existenz, dass in demselben Satze
doch iigend welcher Gansalzusammenhang (indicat nnde
pnllnlaverit) angezeigt worden sein soll. Im anderen Fall,
wo die Einwirkung und Einmischimg in die Dinge der wirk-
lichen Welt in Erwägung kommt, ist nicht zu erkennen, wie
das Moment des Plötzlichen eine Bedeutung in Basilides'
Ideenzusammenhange haben solle. Auch mflsste man bei
dieser Auffassung die Worte sine radice et sine loco sehr
gezwungener Weise dem Sinne nach mit dem Verbum super-
venientem verbinden, während sie doch offenbar ein allge-
meines Prftdicat zu naturam sind. Vermutlich hat das
supervenire Neander in der Annahme bestftrkt, dass von
einem plötzlichen überraschenden Auitreten des Bösen die
Rede sei. Super venire ist aber nach dem Sprachgebrauch
des üebersetzers nichts Andres als imdrjfiftt^
„Ohne Wurzel und Statte sein'' kann ferner den Sinn
haben: der Selbständigkeit entbehren, welche mit der Zube-
böiigkeit zu eiat iu eigiicn und unabhü Hungen Principe ge-
setzt ist. Dem Anscheine nach finden sich verwandte Bilder
und Ideen in dem Dogmenkreise des Parsismus. SpiegeP)
erklart eine Stelle im Bundehesch so, dass Agromainyus im
Kampfe gegen das Licht besiegt und von seinem eigentlichen
Wohnsitze, der unendlichen Finsternis, abgeschnitten, zurück-
zulaufen wünschte, aber keine Brücke oder Furt finden konnte.
£r habe daher das Loch der Hölle in die Erde gebohrt, und
1) Cf. Act. Arcb. c. 7 : yyoyra ik voy uya&oy nariqa t6 mtotoe iif
yi avTov iTTidedtjurixoi' ad terrani saam sapenreniase.
Eranische Alteitomskimde U, 121»
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504
MOOBI,
diese sei nun sein Aufenthalt, und von dem Ursitz»^ zu nnter-
ßcheiden. Hier scheint also das sine loco oder ladice eine
düBlistischeii Ideenkroi» ist der nngrigen so ähnlich, wie ein
manichäischer Mvthus , wekbon der Fihrist überliefert
Nachdem der Kampf des Urmenschen und ürteufels un<i iie
MiscbaDg der entgegeogeeetzten je fünf Elemente beschrieben
werden, heisst es weiter: Als nun die fönf dunklen Qe>
schlechter mit den fSnf lichten Gesehlechtem vennieeiit
waien, stieg der Urmensch zu der untersten Tiefe des Ab-
grundes herab und schnitt die Wurzeln der fünf dunklen Ge-
schlechter ab, damit sie keinen Zuwachs erhielten. Freilich
wild der Wert der Analogie schon dadnrch abgeschwichi,
dass es liier sieh nicht nnr um ManidiAisrans handelt sondern
auch um eine Darstellung desselben ans dem lö. Jahrhundert,
welchem der Fihrist angehört Man könnte sogar ver-
muten, dass das katholische Dogma von der Höllenfahrt Qirisfei
anf die ^dnng dieser manichlischen Lehre eingewirkt habe.
Alierdings enthalten bereits die Acten des Archelaus c. 8
(vgl. Epiphan. p. 65, 27) den Mythus, dass die Pest aus-
bricht, wenn ein Dfunon die Wurzeln der Menschen ab-
schneidet; allein darin ist war dne Verwandisohaft der Form,
nicht aber der Idee.
Indes, bei genauerer Betrachtung versehwiudet auch die
Analogie in den Stellen im Bundehesch und Fihrist mit der
aus dem Werke des Basilides, und es ergiebt sich, daas er
unmöglich einen solchen Gedanken beabsichtigen konnte. In
jenen persischen nnd manichSlschen Mythen ist ein Kampf
der Principien, und zwar als lange entbrannt, vorgestellt,
und es soll nun das Böse in seiner Schwächung, welche
den Sieg des Guten erleichtert, dargestellt werden. Basilidea
dagegen zeigt das Herannahen der bOsen Natur, er hesdirdbt
nur die allgemeinen Gegensätee nnd den Beginn der Mischung
von gut und böse in der Welt. Er konnte nicht von einer
geminderten Kraft bandeln , da er den Anfang der Be-
rfihrungen darstellt, wo sie in ihrer Unversehrtheit erscheinen
1) Flügel, Mani, S. b9.
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DAS IIBSPRÜNGLICHB BASIUDUNISCHE SYSTEM. 505
vom. Er beschreibt hier überhaupt keinen Kampf, wozq
eehon das Bild des Armen und Reichen nicht passt. Höch-
stens war die üebertraguiig des allüfemeiiieu Prädicates der
Schwache mögUck, aber diea erklärt sich leichter aua anderen
Philosophemen.
Es erhellt also, daas die „natara sine radice et sin^
loco'* sich nicht ans dem Ideenkreise des schroffen Dualismus
erklärt, wohin die Gruppe des Irenäus den Ba^ilidos verlegt.
Wenn jene orientalischen Systeme von dem Verluste der
Wurzel und des Ortes reden, so geben sie davon aus, dass
beides dem Wesen naeh dem Bfeen zukomme; grade dies
leugnet Basilides. Zugleich ist aber auch dri -emässigtere
prinzipielle Dualismus ausgeschlossen. Kann er nicht mit der
Leognung der radix bestehen, so noch weniger, w»m dem Bösen
ladix et locus abgesprochen wird.
Ebenso wenig Itat sich ein anderer Hauptbegriff in
dem Satze des Basilides aus dem Duali^mus, welcher zwei
ieiiidselige Principien und Keiche entg^ensetzt , erhärten.
Das hose Piincip kann nicht arm genannt werden, weder
nach den orientiüisoh heidnischen, noch nach den dahin g^
hörigen gnostischen Ansehauungeu. Die Beschreibung des
phönizischen oder ägyptischen Typhon schliesst dies Prädicat
nicht ein Im Parsismuä sind Licht und Finsternis, rein
und umrein, gut und bdse, im Manichäismua ansBerdem Geist
und Materie die Merkmale des Gegensatzes, niemals reich
und arm. In den Zendscbrifben wird zwar das Lichtweeen
als Geber des Reichtums angeredet, aber auch das böse
Princip vermag irdisches Glück zu verleihen Ebenso weuig
findet sich der Ausdruck oder etwas ihm Verwandtes in den
Andeutungen, welche die Gruppe des Irenäns über Basilides*
Lehre von der Materie, dem Bösen und der Schöpfung giebt.
Wo das Keich des Bösen als ein mächtiges, furchtbares und
im Angrift' tätiges erscheint, kann ihm wohl Begier nach dem
1) MovetB, fielig. der Phimizier I, 435 if. 523 If.
S) Spiegel, Avesta, Yendidad farg. 19, 23. Tl. I, S. 244.
Agramainyos spricht zu Zarathustra: Yerflucbe das gute Geaetz, eriuige
GlBcfc.
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606
Liebt, aber nicht Armut zugeschrieben werden. Nor wenn
der Gegenaati gegen das göttliche Priodp als negatiT« an
sich leer nnd nichtig, vorgestellt wird, finden sich Begriffe,
welche dem der Animt verwandt .siud, z. B. das xli-ioua der
Valentinianer. Femer passt es nicht recht zu dem ent-
schiedenen Dualismus, dass in dem Fragment des Baailides
die Dinge, welche das BOse erfasst, ohne weitere Bestimmni^
hezdchnet sind. Denn nnter der Voranssetinng des prind-
piellen Gegensatzes würde ein Piädicat vermisst, welches die
Zi^ehörigkeit derselben zum guten Princip aussagt Daher
z. B. die Zendschrülen, welche Enengnisse des guten und
des bOsen Principes nnterscheiden, nirgends darflber in Zweifel
lassen, dass es die Dinge der ^^uten Schöpfung seien, welche
das Böse ergreift. Allenfalls Hesse sich der unbestimmte
Ausdruck bei Basilides daraus erklaren, dass er die der Kin-
miachnng der bOeen Nator preisgegebenen Dinge nur ab
Objecte derselben, nicht nach ihrer sittlichen Beschaffenbdt
bezeichne; aber man wird nicht leugnen k()nnen, dass das in
dem Moment, wo er die Gegensätze in ihrer Allgemeinheit
und unter den scharf abscheidenden Kategorien von arm und
reich vorfahrt, wenn er sie als prindpiellen Duaiismns anf-
fhsste, nnerwartet nnd verwirrend sein wfirde.
Fassen wir die Resultate zusammen, so ergiebt sich, dass
das erste Fragment des Basilides weder zu dem Zweck hin-
gestellt ist, den dualistischen Charakter seines Systems su
erweisen, noch auch der Dualismus zn dem im Fragment ent-
haltenen Begriffe des BOsen nnd seinen Einzelprftdicaien passe,
am wenigsten der persisch geartete Dualismus, aber auch
nicht der gemässigtere einer passiven Hyle.
Jedoch ist auch ein zweites Fragment in den Acten
vorhanden, welches unzweifelhaft einen persischen Dnalismos
ansspricht und dämm von denen, welche anf der 8^ des
Irenäus die authentische Berichterstattung zu finden meinen,
als ein Hauptbeweismittel augesehen wird. Auch ist die
Frage nicht zn umgehen, welche Meinung der Verfasser der
Acten von Basilides* Dnalismns habe, nnd welcher Wert seinem
Urteil beizumessen sei.
Sagt der Verfasser der Acten , dass Baailides dem
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DAS URidPHCNQLICHE BA$ILIDIANISCU£ SYSTKtf. 507
Diialisuius, welclieii das zweite der von ihm selbst mitge-
teilten Fragmeute eotbält, zugestimmt habe?
Dass er es aussage, ist freilich die allgemeine Annahme,
und Hilgenfeld ^) Ifisst die Acten sogar befannpten, dass Bad-
lides mit Worten anderer die eigne Theorie Torgetragen
liabe. Soweit ist nun die Tdentificiruug auf keinen Fall ge-
trieben, wie sich aus der ßichtigstellung der Worte Denique —
adTersarüs ergiebi Sie sagen nnr, dass er Fremdes über die
' feindseligen Principien yoigelegt habe, weil er nichts Eignes
hatte. Dies lässt sich so verstehen , dass damit die Zu-
stimmung ausi^ediückt sei; aber notwendig ist es nicht. In
den vorangehenden Worten sagt der Verfasser der Acta, Ba-
Bilides wollte den Dualismus, welcher sich auch beim
Scythianus fand, behaupten (dualitatem istam voluit affirmare,
quae etiam apud Scythiunum erat). Waiuni saijt er nicht
gradezu affirmavit? War dies nicht das Einfachste, Selbst-
verständliche, wenn er in Basilides' Worten eine kkre
Billigung gelesen hätte? Statt dessen schreibt er ihm die
Absicht zu, die natflrlich nur seine eigne Vermutung ist;
und diese Absicht wird dann mit der ebenso subjectiven Vor-
aussetzung unterstützt, dass er den Mangel des eignen mit
fremdem Gut verdeckt habe. £s scheint doch daraus hervor-
zugehen, dass der Yerfiuser in Basilides* Schrift keine evidente
und unbedingte Zustimmung erkannt hat, nnd dass er m
wahrheitsliebend ist, um ganz zu verhehlen, wie er nur seine
eigne Vermutung ausspreche, wenn er den Dualismus auch
dem Basilides zuschreibe. Ueberhaupt behandelt der Ver-
fhsser diesen sehr oberflächlich. Es genQgt fSr seinen Zweck,
darzutun, dass auch Basilides' Buch Zeuge für dualistische
Lehren der Barbaren lange vor Maues sei. Von diesem ge-
steht er, dass er die ererbten Dogmen verändert habe. Das-
selbe h&tte er von Basilides berichten mflssen; statt dessen
sagt er ihm nach, er habe nichts vorzubringen gewusst
Wahrscheinlich hielt er die alten jetzt unschüdlichen Häre-
tiker keines genaueren Studiums wert. Noch grösser ist die
1) Theologische Jahrbücher 185(> , S. 92. Zeitschrift 1872,
S. 455.
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508
JACÜBI,
ünknncle der ReHgionsgysteme, woraus er den MamehSianras
ableitet. Er lä-t den ersten Vorgänger des Manes seinen
Dualismus aus der Weisheit der Aetryptier entlehnen, die,
mag luan daniuter den Polytheismus oder die esoterische
Form verstehen, jedenfalls Yielraebr pantheisiisch als doft»
listisch war. Er wirft dieselhe Lehre dann wieder mit dem
Buddhismus zu>aiii!iieu. indem Terebinthus, der gleiehgesinnte,
mit ihm in Aegypten lebende Schüler, sich Buddhas nennt;
eine Notiz, die insofern von Interesse ist, als sie, wenn
aach nur sehr im allgemeinen, die Annahme bestfttigt»
dass der Buddhismus von Indien nach Aegypim hinfiber-
f^ewiikt habe. Man würde dem Verfasser zu viel Ge-
nauigkeit und Kenntnis zuti'aueu, wenn man meinte, er
habe jene Zusammenhänge in Bezug auf Einzelnes behauptet»
etwa Ton den Aegjptem die Selenwanderang , von den
Buddhisten die Askese abgeleitet, denn er identificirt viel-
mehr das Ganze (c. 53 omiiia illa quae ( Terebinthus] secura
de Aegypto pertulerat) und insbesondere den Dualismus mit
jenen Quellen des Manioh&ismns. Der Parsismus bot sich
vor allem am leichtesten als üisprung desselben dar, und es
war zu erwarten, dass der Verfasser diese Verbindung nach-
weisen und daraus gegen Manes argumentiren würde. Jedoch
im Gegenteil berichtet er von häufigen Disputationen der
Magier gegen die von Manes gepredigten Lehren, unter wel-
cher auch das bellum in principiis (c. 52). Und nicht etwm
ist hiebei Kenntnis des Verfassers von Secten unter den
Persern vorauszusetzen, welche, wie die Anhänger der Lehre
vom Zervam, einen monotheistischen Ausgangspunkt hatten
und deshalb den absoluten Dualismus bekftmpfton; denn von
solcher Kunde zeigt er keine Spur. Die mit ihm Streitenden
sind Priester und Fro]>lieLen. al-o anerkannte Autoritäten der
Perser. Dem Epiphanius entging die Confusion des Berichtes
nicht, und er macht daher daraus einen Streit gegen dea
PolytheismuB. Die Verwirrung des Ver&asers der Acten Aber
die ausserkirehli^en religiösen Erscheinungen ist mithin so
gross, dass wir ihm nur so weit einen Einfiuss auf das Urteil
über Basilides' Grundideen gestatten dürfen, als seine urkund-
liche Bezeugung reicht, und nicht weiter.
*
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DAS UBSPBONQUCHB EA8IL1DIANISCHE SYSTEM. 509
Das zweite Fragment war, wie der Yedamr der Acten
sagt, von dem ersten dnreb etwa 600 Zeilen getrennt. Das
ist ein sehr grosser Zwisclieiiraiim, namentlich nach dem
Massstab der chnstlicheu Schriftstellerei im Anfang dee
2. Jahrkunderts. Man kann zweifeln, ob das zweite Frag-
ment demselben 13. Bache der Traktate angehöre, aas wd*
cbem das erste geflossen ist. Da er in dem Zwischenräume
kein ihm passendes Stück gefunden bat, wie denn anch das
angefahrte eine neue Wendung zu bezeichnen scheint, so
moss man schlieseen, dass die Vorliebe des Basilides fflr
Stellen jener Abkunft und jenes Gehaltes nicht so stark ge-
wesen ist, wie man ihm zuzuschreiben pflegt, wenn man ihn
zum Anhänofer jpiier Priucipienli^lire macht. Aus dem Ein-
gang des Fragmentes: desine ab inani et curioea Tarietate;
requiramuB antem magis (potius /uaAAoy), quae de bonis et
malis etiam barbari inquMerant, et in quas optnionee de h»
Omnibus pervenerunt" — erhellt, dass er vielspältige Meinungen
über eine Anzahl von Punkten aufgeführt hat, diesen keinen
"wahren Wert beilegt und sich von ihnen abwendet, wie die
Acta urteilen, nach einer Abschweifung zur Sache zurflck-
kehrend. Die gewöhnliche Ansicht, dass er Meinungen grie-
chischer Philosophen erörtert und abgewiesen, hat ihre Be-
rechtigung wegen des folgenden Gegensatzes etiam barbari
jedenfalls insofBm, als sie wenigstens mitbehandelt sein
mfissen. Inwieweit er nun den Inhalt des Fragmentes seinen
Ideen anbequemt habe, lässt sich nicht entscheiden, da die
Schrift mit dem Fragmente abbricht; die kühle und objective
Weise, mit der er einleitet: „quidam horum dixerunt initia
OBminm duo esse'' etc^ begOnstigt keineswegs «die Annahme
vollen Einklanges, es iet offenbar die erste von mehreren
Meinungen, und es ist leicht möglich, dass er keine klare
Entscheidung gegeben hat. Ich möchte glauben, dnss das
Bruchstück ihm nicht aus einem Original, sondern unter Ver*
mittlung einer griechischen Darstellung zugekommen ist.
Denn die Bemerkung Ober die getrennten Principien: „Om-
nibus amicum est, quod est proprium et nihil sibi ipsiun
malum videtur", hat ganz die Art einer griechischen Keflexion.
Sie verwischt bereits das Eigentümliche. Nach dem Zand«
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JACOBI,
Avesta kami der Gedanke, dass das böse Princip uicht böse
sei, gar keineo Baum fuideo. Ea will gar nichts anders
als der Böse and Unreine sein (vgL Spiegel , E. A. n, 206).
Hier dagegen ist schon ein Uebergang tn der Vor-
stellung, dass das Böse nur böse sei im Vergleich mit «lern
Höhereu. Der ethische Gesichtspunkt, welcher im Parsiamus
vorschlägt, ist zorückgedräogt Wir knüpfen hieran
allgemeinere £r5rtening.
Die Unsicherheit des Urteils, welche man bei dem Ver-
la^si'i <lor Acten wahrnimmt, beruht nicht bloss auf persön-
licher Unkenntnis, sondern zugleich auf dem Mangel an
Kritik, weicher dem gesammten Synkretismus jener Jahr-
hunderte anhaftet Man hemfiht sich, Ideen, in welche man
sich eingelebt hat, in iiiideien Gedankciikitisen wiederzuer-
kennen, und begnügt sich oft mit äusserlicb Verwaudteni, ver-
quickt auch das Verschiedenartige.
Was Philo ?on jüdischem Standpunkt tat, findet zahlreiche
Analogien in der hellenischen Philosophie, namentlich in der
uiexandrinischen GeisteiSpLäre. Plutiiius hatte bereits seine
Spekulation monistiach gestaltet und versuchte doch eiue
Heise nach Persien, weil er dort wesentlich dieselbe Weisheit
zu finden hoffte. Der Syrer Numenius meinte bei Moses, den
persischen Magiern und den indischen Brahmanen die platoni-
schen Lehren wiederzufinden Erj>t mit der grö>serea
Sicherheit m der Erkenntnis de^ eigentümlichen Ciuuakters
des Christentums wurden Linien gezogen, welche der Ver-
wischung der Gegensätze Einhalt taten, hauptsächlich in der
katholischen Kirche, viel weni^a-r aber, dem Heidentum gegen-
über, in derGnosis. Basilides wird sicher keine Ausnahme von der
Methode gemacht haben, den eignen Standpunkt trotz grosser
historischer und sachlicher Unterschiede in fremden Ideen
wiederzuerkennen. Das Wort Piatos, was, wie Neander be-
merkt, den leitenden Gesichtspunkt aussprach: die Grieclicn
seien immer nur Kinder, sollte durchaus nicht leugnen, dass
sie im .Besitz wahrer Erkenntnisse seien, sondern nur das
1) EuBeb. praep. ev. IX, ti. 7; vgl. Möller, Geschichte der Koe
mologie, S. 92.
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DAS tiWi'liC.N GLICHE BAblLlDiANIbCtLE SYSTEM. 511
höhere Alter der Weisheit gewissen Barbiuren beilegen
Dies hinderte gar nicht, dass die echten oder vermeintlichen
orieotaliscben Ideen gänzlich oder bis auf die Form in die
eignen umgesetzt wurden. Wir sind, wenn Isidoras, der Sohn
des Bssilides, sich det Weisheit des Cham rOhmt, so wenig
sicher, echt persische Ideen za finden, wie wenn die Giemen-
tinischen Recognitionen (IV, 27) den Cham, der Zoroaster sei,
zum Lehrer der magischen Kunst dor Perser, Babylonier und
Aegypter machen. Unter demselben Gesichtspunkt mnss auch
die sogenannte heidnische Frophetie betrachtet werden, welche
überall, wo wir sie aus eigner Kenntnis beurteilen können,
sich als untergeschoben erweist. Alle solche Erzeugnisse wie
die Sibylliniscben Orakel und die Weissagungen des Hermes
Trismegistns sind fem davon, Eigentämlichkeiten und Entr
wicklnngsstufen anzuerkennen, sondern die Lehren, die man
begründen will, werden völlig gleichartig in das Altertum
zurückverlegt. Nicht anders wird es sich mit den von Ba-
' silides und Isidor benutzten Propheten Barkoph und Parchor ^)
yerhalten, deren Schriften schwerlich in Persien entstanden
sind und wahrscheinlich wenig persische Weisheit enthalten
haben. Aus dem eklektischen Zustande der Philosophie
während des 2. und 3. Jahrhunderts und aus dem Neoplaton Is-
mus entstanden die assimilirenden, auf den Orient gerichteten
Versuche, denen whr unter andern die von Franz Patricius
tjesa umleiten so<?enannten Zoroastrischen oder chaldftischen
Orakel verdanki'ii Sie sind nicht für den Parsismus,
sondern für den Eklekticismus und Neoplatonismus gemacht,
und wo sie jenen berühren, stellen sie sich die Aufgabe , ihn
ihrem Zwecke gemftss umzuschmelzen. Die Yermntnng liegt
1) VgL Clem. str. I, 903.
>) F^or Glem. Str. VI, 6 lat oSenbar identiaeh mit Fferkos
Aet Aich. 62. Der Nsme hingt sicher mit dem altpondMhen Worte
park, Ohua, siuammeii. Ob der Name Barkoph, velohen Agiippa Gaetor
Knaeb. IV, 7 als den emes Fkopbeten nennt, daiana verdorben ist, oder
wie er sich za dem anch dort genannten BarkabbaB verhält, Ist nn»
gewies.
*) Cndworth, Bystema mteUectuale mit den Amnerkongen von
]£oiheim,8.887it Klenker, Zendavesta. Anhang, Penika, 8. 161.
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512
JAOOBI,
uicht terüf da&s sie zum Teil dea Inhalt jener prophetischen
Schrift^ ausmachten. Doch wenn das anch nicht der Fall
war, 80 hat es doch alle Wahrscheinlichkeit für sich, daas in
den Piophetieii des Parchor ähnliche Gesichtspunkte walteten.
Wenn daher Tsidorus sie commentirte (Clem. Str. VI, B). so
sollte man vielmehr schliessen, dass dem Parchor hellenische
Philosopheme, als dass dem Isidor principielier DnaUsmiis sii-
anschreiben seien.
Auch hinsichtlich des Basilides selbst müssen wir daher
behaupten, dass weder das dualistische Fragment, noch die
allgemeinen Beziehungen zara Parsismos, in die er verBeiit
wird, für sich irgend den Beweis seines Dnalismns lidfeoL
Nur, wenn er ohnehin ausgemacht wftre, konnten sie Besti-
tiguni? abgel)en.
Hat äich uns nun erwiesen, dass eine ungekünstelte Ver-
einigung des ersten Fragmentes mit der DarsteUang des
Systemes nachlrenäns nicht vollziehbar ist, so wird uch ims
dagegen zeigen, dass es sich mit dem Bericht des Hippolytus
und den entsprechenden Notizen des Clemens harmonisch zu-
sammenfügt. Ich werde die einschlagenden Fandamental*
ideen des Systemes daher voranstellen, und benutse die Ge-
legenheit , mich zngleich mit Dr. Uhlhorn darflber anaeiii-
auderzusetzen.
Die Materie und die Entstehung der Welt beschreibt
Basilides zum niclit geringen Teil nach stoischem YorgaDge.
Dies hat Dr. Uhlhorn mit Becht, nur in zn weiter Aus-
dehnung, meiner Mheren Darstellung des Systems entgegen-
gehaltt n. Man muss die Gedankenverbindungen dieses Gno-
stikers in ihrem Eklekticismns bestehen lassen. Ich will es
daher versuchen, die Grenzen der stoischen Einwirkungen zu
bestimmen. Basilides geht von der äuwrsten Abstractton
aus; im Anfang sei nichts gewesen, weder Gott noch Materie.
Der nicht seiende Gott (o ovx oiy) wirft unter sich in die
Tiefe hinab einen Samen der Welt {an%ia tov xoafiov)^ in
welchem die ganze Welt, aber nicht wirklich, sondern den
Keimen nach, enthalten ist. Das aneQ/nu ist also identisdi
mit der nuyamQf.ua. Die üngeschiedeuheit der einzelnen
Dinge bringt es ohne weitere Begimdung mit sich, dass sie
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DAS UBSFBONOLIGHE BiHUDUmSCHE SIBTEIf . 6 18
in einem chaotischen Zustande durcheinander gemischt liegen
{avyiuxvfiiya), Sofem alles nur potenziell und nidit in ifirk-
lichem Dasein TOrhanden ist, nennt er diesen Urzustand olx
oyTu; und sofern das ausgestaltete Eiuzelsein fehlt, die aaoQ<p{a,
Diese ist also von Anfang mit der noy^jug^ta vorhaDiien, ist
identisch mit ihr, indem sie die vkij an sich «und in ihrer
Formlosigkeit bezeichnet
Aus ihr scheiden sich nun in der Welteutwicklung die
Lebenskeime in immer vollständigerer Sonderuug der Arten
ans {(pvXoxQiyrjtng); die geistige Natur (rlori;^) mit Ausnahme
eines Teiles, welcher wa£ der Stufe der Menschheit zurQck-
bleibt, eilt voran und zu Oott empor, und indem das Niedere
jedesmal unter dem Höheren seinen Ort findet, baut sich die
Stufenfolge der Wesen auf, welche vom höchsten Gott bis zu
unserer Bagim heiabreicht Man kann nicht lenken, dass
das «TTf^^ftTixor der Stoiker, ihre anmog vXri und die durch
Ausscheidungen entstehende Welt der concreten Wesen hier
eine Analogie finden. Indes, so nahe sich beide Begriftsreihen
stehen, so enthalten sie doch auch Unterschiedliches; und eine
weitere Heranziehung stoischer Principien stösst in Baaüides*
Ausdrücken auf Schwierigkeiten, weldie zum Teil von
D. Uhlhorn selbst bemerklich gemacht, aber zu gering ange-
schlagen sind. Während die Stoiker eine ewige Materie
lehren, geht Basilides von dem alsoluteu Nichtsein aus, eine
Voraussetzung, welche eher buddhistisch als stoisch ist, wie
schon Gundert und Niedner bemerkt haben. Dies Nichts
soll nach Uiilhorn die Ureiuheit sein von Gott und Materie.
Es scheint mir nicht ohne Schwierigkeit, dass Basilides, nur
vom stoischen Standpunkt aus, dessen realistisches Frincip in
die ftusserste Abstraction, welche jemals in der Speculation
vorgekommen ist, umgesetzt haben sollte. Lag es nicht nahe,
wie die Stoiker eine ewige immanente Vernunft auszudrücken?
Warum ist der Begrifi' der avyx^atg nicht auf das Ineinander
des ovx äy und des and^fia außgedehnt? Hippoljtus bezieht
ihn entschieden nur auf das im anig^a Enthaltene, und die
Parallelstellen des Clemens führen nicht darüber hinaus.
Schon an diesem Punkte scheinen doch also andere Ideen
einzuwirken, ferner aber, der stoische Gott, welcher sich von
Zcttfdir. t K.-0. 84
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514
JAOOBI,
der Materie sondert, ist durch diesen Gegensatz schon concret
geworden und müsste der Seiende heissen, soweit er irgend
als die tätige Kraft Yon dem leidenden Stoffe nnteradiiedeit
mrd. Statt dessen heisst er mit seinem spedfisehen Namen,
durch alle Perioden des weltfornienden Processes hin, bei Ba-
silides der Nichtseiende. Dies führt bestimmt auf eine Gott
Ton dem irdischen Sein weiter abscheidende Betrachtang, als
es in der stoischen geschieht. Da nnn der Stoieismon nadh
Uhlhorns eigner Angabe am Endpunkte der EntwicUnng, der
ApokatastcOsis, felilt, so ist er von dem Begriffe Gottes während
des gesammten Verlaufes des Weltlebens ausgeschlossen, und es
ist nmsomehr die Frage, ob der Nichtseiende in demselben
Sinne, wie das weltliche Sein, im Beginn als nicht seioid
anzunehmen sei, da er unmittelbar nach der Setzung des Welt-
samens mit der höchsten Schönheit ausgestattet und als
überweitlicher Weltbeweger erscheint. Denn es ist keine
Firage, dass der üebeigang zn dieser positiv^! Beschreibong
leichter geftmden wird, wenn die Verneinung die Qberweli-
liche Erhabenheit, als wenn sie die Niclit^^xistenz ausdrückt.
Weiter scheint es allerdings in den Kreis stoischer Gedanken
zn gehören, dass die Gründung des omgitm mit dem Xiyo^
veiglichen wird ^). Uhlhorn findet darin den ersten Anfang
der Scheidung von Cbtt nnd Welt ansgedrfickt, nnd zwar
so weit zurückgegi-iffen , dass von dem gesprochenen Wort-
das ontQiAa^ sofern es immanent in Gott war, unterschieden
werde. Es stimmen abor auch hier keinesw^ alle Begriffe
mit dem Stoicismns überein. Der Weltsame wird Xo^ o^ ge-
nannt in dem Sinne von Wort, während er bei den Stoikern
immer nur mit dem Begi'iff der Vernunft geeinigt wird
Basilides nennt dies Wort gesprochen, hervorgebracht durch
die Stimme; er hat dabei nicht den Gegensatz der Immaneni
in Gott, sondern den des Schweigens, also in Bezog anf den
VTI, 22 yiyovB, <p^aiy^ ovx oVrfuy lo cniQfAa toC xoa^ov,
«) Zeller, Theol. Jahrb. 1852, S. 297. Gesch. d. Piulos. Ul, U,
mit
*
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DAS LRSPBÜNGLICHE BASILIDIANISCHE SYSTEM. 515
Weltsamen don des Nichtseins vor Augen. Hätte er die
IJntersclieiduiig eines in Gott erst eingeschlossenen und dana
hervorgetretenen Weltsamens beabsichtigt, so wärde er grade
den fiegriff der ngofloX^ behauptet haben, welchen er unmittel-
bar znvor mit aller finteehiedenheit abgelehnt hatte. Es ent-
spricht auch nicht den stoischen Vorstellunfjen vom Uranfang,
dass die Materie aas der Immanenz in Gott zur Besonderheit
hervorgeht, sondern Oott wärde ans der Immanenz in der
Mat^e zor realen Existenz kommen; denn wenn anch der
Geist nayT iy lavzoi moi^x^y heisst (s. Zeller, S. 126), so
herrscht hier schon die Ansdiainmrr der wirklichen Welt;
aber das Ursprüngliche und das im Verhältnis zu Gott äusser-
liehe ist doch immer die Materie.
D. Uhlhorn ist der Ansicht, dass hier flberall nnr stoi-
scher Pantheismus in christlichen Formen vorhanden sei. Ich
sehe aber nicht ein, warum man Aeusserungen , welche be-
stimmt Yon stoischen Begriffen abweichen und alle Zeichen
tragen, mit üeberlegnng getan za sein, f&r Stoidsmns halten
solle. Von einem klar gedachten Theismns ist Basilides fsm;
der negativ gedachte Gott steht zuletzt auch im Gegensatz
• zur Persönlichkeit, aber einzelne Momente sind es, in denen
JBasilides, durch die Bibel bestimmt, die stoischen Gedanken
in biblische umsetzt; und dies geschieht hier in dem Punkt,
dass er den Weltsamen durch die göttliche Allmacht gesetzt
werden lässt. Es ist dasselbe Schwanken zwischen Pantheis-
mus und einzelnen theistiachen Momenten, wie es sich im
Verhältnis des Bythos zu den Aeonen im Yalentinischen
Systeme findet Wenn femer von den pneumatiscben Naturen
gesagt wird, worauf D. Uhlhorn besonders Gewicht legt, dass
sie dem ovx oy gleichen Wesens seien (o/aootam' natt
navta)^ SO lautet das allerdings pantheistisch. Der Unter-
achied zwischen den Geistern und Gott ist nur ein
fliessender, aber doch ein Unterschied; es sind dieselben
unsicher begrenzten Gedanken, wie in dem eben besprochenen
Ealle. Denn gleichen Wesens und Ortes mit Gott sind die
Pnenmatiker zunächst unter dem Gesichtspunkt, dass sie als
vn^ytoaijua dem xocrfioc entgegengesetzt sind. Uebrigens aber
ist ja die zweite Klasse der Pnenmatiker noXv wnSitatiffa
84»
516
JACOBI,
flfi die enie und ihr nur nachstrebend, fufurjrtxTi, womit sndi
ein niedrigerer Ort verbunden ist. Am entschiedensten zeigt
Bich dieser Paatheismus immer im Verhältnis des Geisten
zum Weltleben.
üeberbliokt man alle dieae taila wideratarebendeii, teäa
zweifelhaften Beetinunun^en, so ergiebt nch als Resultat, daaa
Basilides eine idealistische Gottesidee mit einer realistischen,
stoisch gearteten Weltbetrachtung verbanden hat, und dauia
dürfte ein firklftnmgegnuid li^n, wie das Sjatam in des
Doalitmnia binfiber gebildet werden kennte. Der idealistiaehe
Einflnss ist auch darin kenntlich, daas der Geist nicht nach
stoisclier Weise als körperlich gedacht wird, sondern, so viel
es einem Guostiker möglich ist, als unmateriell und deshalb
als fiberkosmisoh nach Natnr und findbestimmmg.
Oott nmfiisst das Ganze der Welt, indem er 6m Samen
derselben in die Tiefe gelegt und die Keime , die darin ent-
halten sind und sich nach dem immanenten Gesetze entfalten,
sollicitirt und die Heihe der Lebensformen durch seine An-
ziehnngskiaft ordnet Vollendet wird die fintwicUnng sein, wenn
alle Wesen sieh ans dem chaotischen Znstande losgemngen,
sich von fremden Bestandteilen befreit und ihre eigentüm-
liche Stelle in der Reihe der Geschöpfe empfangen Laben.
Gem&ss der pantheistischen Betrachtung, welche hier hemcht»
entwiekda sieb auch die auf der hrdisdien Stufe befindliohaa
pnenmatisohen Keime dnreh verschiedene Formen hinauf bis
zur Gestalt des menseli liehen Bewusstseins, welche ilirer Natur
iHikommt. Je weiter die allgemeine Ausgestaltung der Dinge
msobreitet, desto mehr Scheidung, Grenze und Ordnung ist
in der Welt, nnd desto »ehr schwindet die Verworrwdieit
und Mischung, welche ihr anfänglicher Zustand war.
Nach dem angegebenen Begi'ifTe der Materie ist es iiichi
schwer, zu dem des Bösen zu gelangen, von welchem Basi-
lidesi wie der wichtige Begriff der mdupatg beweist, sicher
eingehender gehandelt hat, als der Bericht des Eippoljta
unmittell)ar zu erkennen giebt. Wenn die Materie die afto^tpia
ist, Zweck und Ziel der Schöpfung aber Gestaltung und Ord-
nung des Einzelnen und Ganzen, so dass in der festen Hai^
nu>nie dea Weltalls sich die Answiiknng der g(M4fichen M
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DAS UBi}PliC>iGUCU£ BAblLIDUNISCHE ST8T£M. 517
heit offenbart, so ist dasBftoe in der Eraoheinnngswelt ttbenll
da, wo ei^ne Existenz und Ordnung authürt. Es ist der nocli
nicht geätalteto liest d^ u/iioQ(pta an den Dingen, die Nach-
wirimngen der niederen Stufen des Daieins aaf die liöberen
Formen, wodnreh die Yemuflchnng, Veranreinigong nnd Ver*
donklang an ihnen bis zu gewissem Grade fortdauert, und
wovon sie durch höhere uooffwatg^ welche mit der xa&u(jatg
zusammenfallt, geläutert und befreit werden. Das Böse be-
steht also nirgends für sich, es ist die Gestaltloeigkeit an der
navanfQiultt nnd haftet ab ungestalteter Rest derselben an den
einzelnen Dingen, l'erner betrachtet ßasilidos das Ziel der
Entwicklung, die Herstellung der Weltordnung (S. 376. 378.
ed. D. S.) mit Vorliebe unter dem Gesichtspunkte, welcher auch
den Stoikern gelftnfig ist, daas jedes Wesen den ihm nadi
seiner Naior (mä ^mw) nnd Eigentllmliefakeit zukommen-
den Ort einnehme (r« oixtTa, Toy ohtToy xonov). Wenn es also
in dem ersten Fragment dei' Acten heisst, das Böse sei ohne
Warze! nnd ohne Ort, so ist dies den bezekhneten Vor-
stellungen Ton seiner Natnr Tlfllig angemessen. Ebenso stimmt
damit vortrefflich überein, daas Isidorus, und höchst wahr-
scheinlich auch Basilides selber, nach Clemens' Angabe die
hylischen Elemente, welche der Sele ankleben, Anhängsel
(n^ga^riima Str. II, 409) nannte. An einer anderen Stella
spridit Clemens in engem Znsammenhange mit einer Erör-
terung über Basilides, so dass Uiebur also jedenfalls raitge-
meint ist, von der Behauptung der Basilidianer , dass die
Wirkungen des B(Ssen sich den Dingen anhängen, wie der
Best dem Eisen
Wenn Basilidee jene Stelle der Acten nach Masagabe des
Hippolytus in einem Bilde ausdrücken wollte, so konnte er
kein passenderes finden. Selbst das imavfißaiyH zois n^y^
1) Str. IV, p. 609: 6 novot ««i i g>6ßos^ ti^ wJtiA Xfyovctr, Im-
99i»fitti¥H tvXt nqdyiAtutw mg 6 Üs auf^Q^. Alle Binge sind Fonnen
des anÜBttiigcnden Iiebens und es weiden daher auch die niederen, nicht
bloss der Henscb, von den na^v betroffen. Die niedere Sehopfung seufzt
und sehnt sieh naeh der Offenbarang nnd Befreiong der Khider Gottes»
wie es bei HipiK^b tos e. 25, p. 368 heisst
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618
JACX>BI,
fiaatr entspricht bis aufs Wort dem supenrenire rebus. So
wenig dieses zu dem Pai-sismus oder Irenäur^' Bericht passte,
60 leicht fügt es sich jetzt in den Zusanimenhang. Die
Dinge sind das Seiende, das Böse ist das nur am Sabsteat
einer Existenz Erscheinende, für sich ohne Selbstftndigkeit und
Ort Dass es bei dieser Nichtigkeit seines Wesens dem Armen
in der Parabel der Acten verglichen ^sx*rden kunnte, erbellt
ohne weiteres, aucli wenn wir Yon dem bei Hip[»oIytua sehr
wichtigen Begriffe des cvf^crciV absehen, welcher wieder-
holt Yon dem Geistesleben ausgesagt wird, sofern es die
irdische Welt durchdringt und die Dinge der Schöpfung oder,
wie es im Text ausgedrückt wird, die Selen derselben gestaliet,
(vgL z. B. c. 25 und 27). Solchem Sinne und Zusammen-
hange, WO das Sein ohne Wurzel und Ort die in sich nichtige
^^ualitSt des Bösen bezeichnet, wideistrebt es femer nicht,
dass nach seinem Ursprung gefragt wird, iinde piillulaverit ?
Die Antwort ist: dass es aus den orx mz«, dem au(jo(^or an
4er navofUQ^a stamme; und wie gut hier auch der Ausdruck
des Keimens mit dem des Samens stimmt, sieht jeder. Der
ganze Satz besagt also, die Figur des Armen, welcher dra
Reichen autritt, bedeute das Böse, welches nichtig in seinem
Ursprunir, ohue eigne LebeDskitift und eigentümliche Stelle,
sich den Dingen anh&ngt
Einen Einwand gegen unsere Auffassang des BOsen in
•dem Fragment wird man yielleicht aus der Bezeichnung
natura schöpfen und ihn verstärken durch die gpwt">hnliche
Combination der ngogoQtijfiuva mit den peräischen Dews.
Allein, jene Benennung besagt so wenig, dass sie nur die
Besonderheit irgend welchen Daseins ausdrflckt, daher selbst
Plotin, welcher die abstracte Negativität der Materie sehr
consequent lehrt, dennoch nicht Austand nimmt, sie als qt aig
zu bezeichnen (?gL Vogt, Neopl. und Cliristeutum, S. 68).
Basilides ward ausserdem veranlasst durch den Vergleich mit
dem persönlich gedachten Armen. Die Combination aber der
hyüschen Krüfte im Menschen mit den Dtlmonen ist in da-
maliger Zeit zu selir verbreitet gewesen, als dass man auf
persischen Zosanunenhang schliessen dürfte. Plotin ist neben
andern abermals ein Zeuge dafür, indem auch er die Men»
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DAS UKbFKÜNGLICüE BAälLlDIANISCHE SYSTEM. 519
sehen nach ihren tierischen und vegetabilischen Neigungen
den entsprechenden niederen Dämonen zuordnet und in die
verwandten Gebilde übergehea lässt (vgl S. Öö). Ein
Schwanken der VoistelloDgen ron der Hyle, so dass sie trots
ihres abstracten Begriffes zuweilen mit positiveren Prftdicaten
ausgestattet erscheint, ist überdies gewöhnlich und fast un-
vermeidlich in der Mamiigfaitigkeit ihrer Verknüpfungen.
Jene Schilderung der n^ga^t^fiota bei Clemens macht sie ja
ebenMs gleichzeitig zu Dftmonen und Eigenschaften, zum
Teil höchst passiven. Ebenso fasst Basilides dem Hip^olytus
zufolge die Materie vorübergehend einmal als etwas Selb-
• ständigeres, weil iu die Zeit der Apokatastasis Hineindauern-
des, da Christas in der vorbildlichen Scheidung der Elemente,
aus denen er zusammengesetzt ist, seinen Leib der a/noQqfa
übergiebt. Sogar Plutin lässt seine sonst vöUi*^ in passiver
Negation verharrende Hyle bei einer Gelegenheit zum An-
grifi' übergehen
Unter den Aussprüchen, welche Clemens dem Basilides
selber in den Mund legt, stellen wir denjenigen voran, worin
es heisst, die Vorsehung sei mit der Entstehung der Dinge
von dem Gott des Alls iu sie hineingesät (Str. IV, p. 509:
£37 itQoi^oia] l/3carecrffo^ xaTg ovaioug ot'v xai Tjj tuir Qwjttüp
ytvioti TiQog rov TCtfy tXtav d'iov). Dass er von Basilides, wie
in dem ganzen vorangehenden handelt, kann nicht zweifelhaft
sein; er redet nur etwas unbestimmter über den Gegner, weil
er sich eine bloss mögliche Einwendung, die von Basilidiani-
scher Seite konunen könnte, entgegengehalten hatte. Der Ge-
danke, welcher im weiteren Zusammenhang auch auf die leitende
Tätigkeit des Archon hinblickt, ist derselbe, welchen Hippo-
lytus (c. 24) vorträgt: im Bereiche der niedersten Entwick-
lungsstufe, in der navant^^ia, geschehe alles nach dem Gesetz
der Natur. Hier gebe es keinen Vorsteher oder Versorger
oder Bildner, sondern es genüge der immanente Gedanke,
welchen Gott (0 inx fo*'), als er schuf, dachte. Aus Irenäus
und den verwandten Darstellungen des Systems vermag mau
wohl die Idee eines göttlichen Gesetzes zu erkennen, welches
1) Neandfcr, Gnodt. JSyst<;me, S. 78.
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620
Ton der obenten Stufe in Nachbildnngeii bis auf die ontente
wirlrt;; jedoch jene VoreielliuigBweise Ktal sieh nieiit dann»
ableiten. Dass hier eine Differenz zwischen Clemens' und
Irenaus' Berichten vorliege, ist D. Hilgenfeld nicht entgaugeiu
Er schwächt aber den Begriff der Yorsehang bei Clemens abv
indem er sie auf ein Uebergreifen Aber den Jndengett Imians
beedirftnlrt (Keitsebrifl; 1856, S. 98). Das ist etwas sehr
anderes, als die Entfaltung des schf^pferi sehen Gredankens in
den Dingen. Nur aus den Angaben des Hippolrtus ist hier-
flber zur Klarheit zu kommen. Die ansserhalb des Zusammen-
hanges nn?erstfind1iche Bezeichnung des ov« iSr hat CSemena
entweder in die des Gottes des Universums umsresetzt; oder
er hat die letztere bereits vorgefunden. Weder in dem
zweiten Falle noch in dem ersten, und in diesem noch
weniger, passt sie gnt zu der Annahme, dass Clemens dem
Basilides einen absolnten Dnalismns zugeschrieben habe.
Es lässt sich zwar unter gewissen Bedingungen auch
ungeachtet dualistischer Voraussetzungen von einer Allherr-
schaft Gottes reden, allein doch nur dann, wenn der dna-
listische Gedanke in den pantheistischen fibergeht. Dies Ist
aber in Hippolytns' Darstellnng fortwährend der Fiall, wc^egen
die Gewährsmänner der andern Seite kaum eine Spur davon
zeigen. Wenn die Hyle die Abstractiou des Ungeformten ist,
60 kann Gott der Gott alles fixistirenden sein; aber unter den
übrigen Polemikern, welche die iidisdie SchOpfhng im OegeiH
satz gegen den höchsten Grott aufzufassen pflegen, ist höchstens
in dem zweifelhaften Worte Pseudotertullians, dass die Welt
zur Ehre Gottes gebildet sei eine Motivirung jenes gött-
lidten jPrftdicates. Daher nm&sst bei ihnen allen der Name
Abnias, der den Inbegriff der Emanationen und den bdchsten
Oott bezeichnet, wohl die 365 Himmel, den der Sterngeister
mit eingeschlossen, nicht aber die liylische Schöpfung.
Derselbe Begriff von Gott and Welt, wie ihn Hippolytns
1) Diese Angabe steht so sehr in Widersprach mit den fierichtes
der ganzen Gruppe, dass man darin einen durch die Zasammen-
ziehnng der Vorlage entstandenen Fehler des Bearbeiters erkennen
aniss.
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DAS UBSP&ÜNaUCH£ BASLLIDUMIäCHE SYdT£M. 521
Überliefert, findet sich wieder in der Mitteiluni,' des Clemens
Moses indem er nicht gestattete« aa yieleu Oiiien Altäre und
Heiligtämer herzustellen, sondern nnr einen Tempel gründete,
verMndigte, wie BadUdes sagt, die einheitliche Ahbinft der
Welt (juoyoytvij xfiajiioy). Die Worte erinnera so lebhaft an
die Ausführung desselben Gedankens durch Philo im Anfang
des zweiten Buches de monarchia, dass man sich versucht
Dahlen könnte, eine Kenntnis desselben bei Basüides anzu-
nehmen. Auch bei dieser Stelle des Clement sieht man fdch
unter den dualistischen Voraussetzungen zu durchaus ge-
zwungener Auslegung genötigt. Hilgenfeld, welcher für den
Terminus /loyo^^cK^c passend auf den /loi^o}^«»^; ovQm^g des
Plate verweist (Zeitschrift 1863, S. 458), yeisteht die
aus dem ürwesen hervorgegangene Lichtwelt unter dem
xlmnoQ, was ganz unhaltbar ist. Nicht nur müsste Clemens
den liasiiides misverstanden haben, da er ihm im folgenden
die Inconsequenz vorhält, dass er nicht einen einigen Gott
lehre, obgleich er ein einheitliches Universum anerkenne;
sondern Basüides müsste wirklich lauter Ausdrücke gebraucht
haben, welche unter den Gesichtspunkt der Einheit fallen,
während seine Absicht gewesen wäre, das Licht im Unter-
schiede von dem niederen Weltleben zu bezeichnen. Koa^og
kann niemals die Lichtwelt bezeichnen, da Besilides nach
Clemens' ferneren Angaben xoofwg und vnfQxofjfna unterschied,
welche wir als die Hauptteile der Schöpfung, das Irdische und
Pneumatische, durch Hippolytus und zwar mit denselben Be-
neminngen kennen lernen Die Ideen von der Einheit des
Weltiehens nach Ursprung und Beschaifenhdt werden weiter
ausgeführt in Worten, die um so bedeutungsvoller sind, weil
sie die Verknüpfung der religiösen und ethischen Seite ent-
halten. Basilides redet (Str. IV, p. 508) von der Offen-
1) Str. V, }). 583 D. c<l. Colon.
2) Str. IV. p. j-loD. — ^^y',y r ]v fx/o-r^'r jov xoOficv 6 BaaiXtid^f
$iXrj(fByai Xeyii, uy vntoxoauioy cfvati ovauy. Entweder ist mit
Uhlhorn fiXrij(iym zu lesen, oJer, was ich vorziehe, tcV xoa/Aov als
Accnsat, des Snbjectes: Basihdes sagt, dass die Welt die Erwftli]t<.n
(d/ i. die Pneuniatiker) in ibreiu Besitze habe, als fremde, da sio Uber-
irdischer Natur seien.
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622
JACX)BI,
banmg des WOlens Oottes, den er ohne Zweifel zogkidi ib
unser sittliclies Vorbild verstaudeu wissen will. Hier ist nun
sogleich beaditeuswert, dass er ihn deu sogenannten Willen i
Gottes nennt, was nichts anders sein bmn, als die Abwehr
jeder menschliehen Analogie, die mit dem Begriff des WiOsDs
auf Gott übertragen werden k((nnte. Auch hier trifft Cle-
mens' Aussage mit Hippoiytus ungesucht zusammen. Dean
der Bericht dieses ist weitläufig grade in der Verwerfung
aller positiven Frfidicate Qottes, des ovx wr, insbesondere ia
den Bestimmungen Aber den göttlichen Willen >). . Die Weite
bei Clt'iueniS heisren; „Ein ^tück des öGgeaaiiuten Willens
(i'y fti'(jog ix jQv Ityojtayov ^fAy/arof) Gottes ist, wie mi es
auffassten, dass er alles geliebt liabe (ryanrfxiyat)^ weil jed»
Ding ein Verhältnis zu dem All bewiriirt (on Xayop axooi^wMn
nglg To näy Snarra); ein zweites, dass er niclits begehre; m
drittes, dass er nichts hasse." Der stoische Einfluss ist hier
unverkennbar. Die Idee der unu&em ist in deu beiden letzta
Aenssemngen des gOttiiohen Willens enthalten; sie eipei
allerdings auch anderen Philosophien; der Gedanke aber, ta
das Einzelne zum All in Bezug stehe, ist die Voraussetznng
des den Stoikern sehr wichtigen Begrifts der avunü^m
der Teile im organischen Ganzen der Welt '^). Die Liebd
Oottes, als ein Act der Yeigangenheit bezeichnet, kann nur
anf die Grfindong des Weltalls v^ohea, Aneh hier madit
Basilides bemerklich , dass or den licgriti' uneigcutlicb ver-
stehe uud sich an einer früheren Stelle darüber erklärt habe,
i^nuXf^ipafav). Die Motivirung der Liebe aus dem Zusammea-
hang des Einzelnen zum Ganzen bemht teils auf dem fliesseih
den Unterschiede Gottes nnd des üniyersnms in der stoisches
Physik, teils anf ihrem Dogma, dass das Dose nur an der
üiinzelerscheinung hatte, im Zusammenhange des Weltgauzea
aber verschwinde. Die Liebe Gottes znr Welt ist den älteres
'vnQoftiQiroiSf änu^tod ap9nt^vfÄr,tas xoüfiw ti^Xnai notr^aoh Ti H
i) Vgl. Brandis, Handb. der Oescb. der FhiloB. III, II» ISIC
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DAS U£äFRÜNGLICH£ BAtilLIDIANIäCHE äläXfiM. 523
Stoikern zwar kein geläufiger Begriff; aber Seneca (ep. 95)
xecbnet Güte und Woliltuu zu einem Attribut der höchsten
Natur, und auch der fromme .Mark Aurel hält sich die
dnoiia der Götter gegenwftrtig. Auf fiasilides wirkte ohne
Zweifel das Christentum in Anwendnng des Begriffes. Ton
Dualismus ist im ganzen Fragment keine Spur , dagegen
schlieäst ea sich au die Darstellung des .Hippolytus voll*
kommen an.
So lange der Bericht des Hippolytns unbekannt war, hatte
man ein Recht, die Begiiffe des ra^a/og und der ovy/yaig uq/jx/,
welche Clemens ^) aus der Principienlehre des Basilides (denn
es scheint nirgends bezweifelt zu sein, dass er selbst mit ein-
geschlossen sei) mitteilt, mit dem vorausgesetzten Dualismus
zu verknflpfen; denn an sich mOglich ist dies. Allein nach-
dem durch Hippolytns ein eigentümliches Verständnis und
ein weiter Zusammenhang dieser Ideen aufgedeckt ist, nament-
lich die Bewegung vom chaotischen Zustande zu dem geord-
neten besonderen Dasein {gtvXox^yiiatg)^ welche zu den Grund«
gedanken des Systems gehört, ist os kein unbe&ngenes Ver-
fahren, alle jene Bestimmungen des Clemens den dualistischea
Berichten einzureihen.
D. Hilgenfeld, welcher bei dieser Betrachtungsweise be-
harrt ^), glaubt in der Darstellung des Hippolytns eine wider-
spruchsvolle Verftnderung der ursprünglichen Gedanken zu
erkennen. Dass in den Begriff der ovyyvaig^ welche nur das
Nochnichtgeschiedensein des weltlichen Daseins ausdrücke, die
Vorstellung einer Hemmung des ScheidungBprooesses, (wie
z. B. schon bei der Aussonderung der zweiten vioxt^)^ und
einer ungehörigen Verbindung des Verschiedenartigen hinein-
komme, erkläre sich nur aus dem Hineinspielen der dualisti-
schen alyyvoig des echten Basilides. Die Inconsequenz des
pantheistischen Systems zugegeben, so ist sie nicht grösser,
als die einer ganzen Reihe von philosophischen Systemen
alter uu'I neuer Zeit, welche von einer Einheit ausgehen und
die Abstufungen des wuklichen Daseins und die Gegensätze
1) Str. U, 20, p. 408.
Zeitschr. f. w. Theol. 1862, S. 462.
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524
JACOBI,
▼on Geist irad Materie , gnt und böse eonstniiren wollen.
Darin Ymj^ al-o kein ausreichender Grund, die rait Hii»iH>lyta5
in der Darlegung der Moineute zusammenialieDde Beschreibung
des Clemens von diesem loezuieissen. Das Hineinspielen des
I>aalismiis mftsste Qberdies dem Veriteer des puiilieistifldMfi
Systems vollkommen unbewusst sein, denn über nichts i>t er
so sicher, als dass er mit dem Nichtseienden anfangen wüL
Aach in einem anderen Funkte vermag ich D. Hilgenfeld nidit
beizapfliditen. In der von Cleroens angegebenen Anafthmnc^
Uber die avyxvatg nnd die na&ff, als Anbftngsel der vernünf-
tigen Sele, unterscheidet D. Hilgenfeld nämlich eine zeit-
liche Folge von Momenten: eine uranfaugliche Yermifichoag
der vem&nftigen Sele mit fremdartigen Geistern, irorui die
nrsprünglicbe Schuld liege, and das Hinznlrommen der Tier-
nnd Pilanzenge ister, welche der Sele seit dem Bestehen der
irdischen Schöpfung angewachsen seien. Die Voraussetzung
des Dualismus hat hier ebenfalls inege leitet. Die Unter*
Scheidung der na&fj ist eine lediglich sachliche; die emii
sind spedfisch menschliche, andre gehören dem Tieileben oder
den Pflanzen oder den Steinen an. Da nberall nur sachliche
Gegen.sitze und logische Partikeln ans^ewendet sind, so kann
nach der Absicht des Autore das Zeitwort 7iQogf7it(fvw$^at nur
eine Addition der Gegenstände, nicht eine Zeitfolge besagen.
Es wird also die Mischung der Gegensfttxe überhaupt als eine
ursprungliche betrachtet. Dass Anhängsel niederen Lebens
den Geist auf seine höhere Stufe in der Weltentwicklung
begleiten, ist Notwendigkeit und Schuld zugleich; sobald die
Freiheit des Geisteslebens erreicht ist, hat der letztere Ge-
sichtspunkt seine Stelle. Dies alles stimmt vortrefflich n
Hippolytus Bericht; nicht minder passt das Dogma der Selen-
wanderung, welches Clemeuä und Origenes dem Basilides zu-
schreiben, sehr gut zu seinen Ideen einer Stufenleiter dea
Weltlebens. Die catwa&agatg, welche durch die qwkox^lvr^aiq
das höhere Leben von den Elementen des niederen befreit,
entspricht der Bemerkung des Clemens (Str. IV, 508), dass
die Sünden gebüsst werden, die vor der gegenwärtigen £in-
i) Ssdtsehr. 18&6, S. 86.
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DAS UBSBFONGUGIK BAjEOUDIANISGHE 8T8TBM. 5S5
kOrpenuig begangen seien. Wenn auch Hippolytos* Berieht
den Ausdruck It^wju&twrtg nicht enthftlt, so nfthert er sich
doch dem Gedanken einen Schritt weiter damit an, dass
niclit bloss Isidorus, sondern auch Basilides alle Dinge von
' Selen belebt zu glauben scheint (YII, 27).
Die christologischen Andeutungen des Clemens fOhrea
zwar nicht mit voller Evidenz, aber doch mit grösster Wahr-
scheinliclikeit auf die Combiuation mit dem Berichte des
Hippolytus. Soviel ist allgemein zu2:ef]:eben , dass der Doke-
tismua» welchen IrenSns und Päendo-TertulUan als Lehre der
Basilidianer mitteilen, mit den Fragmenten des Basilides bei
Clemens nicht zu vereinigen ist. Diesen zufolge hat Christus,
wie andere Menschen , eüi ufta^Tr^uxoy in sich , einen Keim
der Sfinde, der jedoch niemals zur Tatsünde entwickelt wor*
den ist Diese sftndige Anlage kann nur in der Teilnahme
an einem materiellen Körper liegen. Nach Hippolytus* Be-
richt ist Christus an Leib und Sele wesentlich Mensch, nur
dass in ihm die Kräfte aller irdischen und überirdischen
Lebensstofen eine Vereinigung fanden und er Ton der Jung^
frau geboren ward. Insoweit stimmen die Angaben wohl
zusammen, obgleich Hippolytus nicht ausdrücklich von der
Sündhaftigkeit redet. Das Leiden Christi lassen beide von
verschiedenen Seiten auf, die sich indes nicht ausschliessen.
Nach Hippolytus hat er die Elemente des üniversims mi«-
krokosmisdi in sich Eusammengefasst; sein Tod sondert sie
wieder und führt den Scheiduugsprocess zur anoy.uTuüTuutg,
Dagegen nach Clemens wird Christus dem allgemeinen Gesetz,
dass Leiden durch Schuld verursacht sei, unterworfen; sein
Leiden hat dalMr eine Bedeutung ffir ihn selbst als Sühnung.
Nun ist die wichtigste Frage, ob man bei Clemens die Person
Christi auf das Menschliche beschränken , oder den lümm-
lischen Nous, welcher nach Irenäua der Erlöser ist, hinzu-
treten lassen solle. Dem würde am meisten ent^recben, was
Oemens in seinen Auszügen aus der MaamUu omctoAi»^ mit
einer mageren Notiz bezeichnet: die BasiHdianer (ol ««o
DamXfuyrw) behaupten, dass der dm/.ui'og bei der Taufe in
Gestalt der Taube erschienen und auf den somatischen Christus
heiabgekomnwn sei. Hierdurch wurde man darin bestärkti
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526
JAOOBI,
die gewöhnliche gnostische Znsammenfessiing eines himm*
lischen and irdiscfaen Erlösers aneh dem BasUides roziieclirei-
ben, und D. llilgenfeld ist noch in seinen angeführten Ab-
handlungen dieser Ansiclit. Nun hätte es zwar auch bei
dieser Zusammensetzung einen dogmatischen Wert, ob der
irdische Messias fOx sQndig oder i&r sflndlos erklfirt würde:
Jedoch, wenn mit ihm ein himmlischer Oenins yeitanden
war, so war dieser der Erlöser, der irdische Messias nur sein
Instrument, und jener war von so überragender Wichtigkeit,
dass man kaum anders erwarten kann, als dass fiasilidea auf
ihn hingewiesen hätte, nm sich gegen den Vonnirf der Im-
pietät zn verteidigen. Clemens teilt mehreres aus seiner
Selbstverteidigung mit; aber keine Anspielung findet sich in
der ziemlich langen Erörterung auf einen himmlischen Er-
löser. Die Notiz aus den Exceipten sagt nicht mit Sicher-
heit flher Badlides selbst ans und enthält in der Erwfthnnng
des diayMyog eine ziemlich deutliche Beziehung auf das 7i%tifia
Staxoyoiy, welches in dem Bericht des Hippolytus eine eigen-
tümliche und grosse Bedeutung hat^), nur dass die Fonnsn
bereits unter dem emanatistischen Gesichtspnnkt gefiisst za sein
scheinen. Bemerkenswert ist, dass bei Hippohins YII, 26
die mit den überirdischen Kräften erleuchtete vtaTtjc, welche
dem Archon das Evangelium offenbart, /gtarog genannt wird.
Während in der Begel nur Kräfte herabsteigen, tritt hier
plötzlich eine Hypostase auf. In ähnlicher Weise ist andi
das nrtvfta Sytov bald identisch mit dem nyivua iufd^optoy^
bald die von diesem weitergetragene Himmelski-nft. Solche
lebergänge vom Dynamischen zum Hypostatischen erleichtem
die Erkenntnis, wie die eine Form des Systems sich in die
andere wandeln konnte^
1) Vgl Baur, Jahrb, 1856, S. 158 ff.
2) Der mystische Name Canlacan wird bekanntlich in einer doreh*
offenbare Corrnption Fchwierigen Stdk bei Iren. I. 24, 5. 6 ZQgleielL
auf den Erlöser und auf die Welt besogen: qaemadnodiim et rnondtu nomeii
esse in qno diennt desccndisse et aseendiBse salvatorem esse Canlacan. Man
könnte sich yenncht fühlen, nrandus als YersetEimg eines Glossemt an
erklären, welehe die ZnsBmmenfiusimg der Elemente des ünifenona'
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BA8 UBSFBONGUCaaB BASIUDIANISCHB 8T9IBU. 527
Abgesehen yon der Bezeugung dmch Gemens, nnd die^
Besehreibung der F^n Christi in dem Berichte des Hippo-
lytus für sich betrachtet, sclieint mir dieselbe nicht undeut-
liche Merkmale sehr hohen Altertums zu enthalten. Wahrend
die Yon der Omppe des Irenftns TOigelegte dokeüsche Christo-
logie auf keinen Fall anfhentiseh ftlr Badlides ist, finden wir
dort eine Schilderung, in welcher das Kealistisclie und Mensch-
liche das Charakteristische ist. Alle überirdischen Bestand*
teile, die ihn zum Centruni der geistigen Welt machen, sind
nur Krftfte, mit denen der Sohn der Jong&an anifgestattet
wird. Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Bild Christi/
soweit es mit dem neutestamentlichen übereinstimmt, nach
den synoptischen oder ihnen verwandten £\rangelien gezeichnet
ist. Nun kennt der Bericht das £?angelium Johannis, aber
die Ideen desselben haben noch keine constitutive Bedeutung
ffir das System. Dieses nimmt in seiner Lehre vom Logos
und vom Geiste eine ganz andere Richtung als das Evangelium
Johannis. Wäre das System in der zweiten Hälfte des 2. Jahr-
hunderts entstanden, nach den Schriften Valentins, Justins
des Märfyrers, nahe der Zeit des Irenftns und Clemens, wo-
das Evangelium bereits auf den verschiedensten Standpunkten
Anerkennung fand, so würde es dieser Autorität höchst wahr-
scheinlich wenigstens in der Lehre von Christo und dem
Geiste grosseren Einfluss gestattet haben. Man darf nicht
dagegen einwenden, dass die dementmisehen Homilien, noch
k ChriBto aussagte. DesBeumgeaehtet haltt ich ea f&r ebenso wahr»
sebfliidich, daaa kdiglieh dn FeUer su Onmde liegt Der nrsprltaiglieh»
Teit nag vieUddit gelautet haben: m&n9^ Mtä «m^«. Ans dem abge*
honten aral und Spo/m entstand iirtOnlidi das Wcürt incftoe und dann
auch die Lesart n^fiof S^ofm^ was ttbersetst wurde durch qoemadnuK
dum et mnndiu nomen. Wirft man mnndns nnd esse ans dem Text nnd
besieht das in qno anf nomen« so Ist die Stelle in Uebereuistumnnng mit
dem folgenden Gapitel nnd mit dem Qebranch des Ganlacan als Name
des firlteers andi bd den Ophiten. Die Bedentong des ^p^ip ist wabr--
sehehilidi: Luiie xnr Lhiie nnd enthalt damit die mikrokosmiscbe Be-
dentnng des ErlOsen, wdche nach Hippdjtns die Elemente aller
0umii»na in iiGh vmhdgt. Da dieses von dem erlösenden wSt in
der DanteUnng des Irenlns nidit gUt, so sehehit hier die Eiinnenmg
an die andere Fonn des Systems defa erhalten ta haben.
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528 iAßOU,
spät im 2. Jahrhundert, es bei eiuer äufiaeriichen Berührong
mit demEraiigeliiuii bewenden laesen; deim das BasiüdiaiiuGlM i
System bot oogleioli mehr ?erwandte Seiten dar, von weldun '
aus eine Durchdringung erfolgt wäre.
Zwei Stellen des Clemens sind vorhanden, aub welchen
möglicherweise gefolgert werden könnte, daas er den Basili4tt
znm Anhänger eines Dualismas, nnd zwar eines sehr schroÜBa
mache. Die erste ist jene, wo er ihm vorwirft, ans der ^
heit der Welt nicht, wie es folgerichtig sei, auf die Einheit
Gottes geschlossen zu haben. Allein dies bezieht sich uui
auf den üntei-schied des höchsten Gottes und des Archon;
wenigstens ist man nicht genötigt, aas dieser 8teDe nubr
abzulöten.
Deutlicher würde der Dualismus in einer zweiten Stelle
liegen, wenn sie w^örtlick aufgefasst werden müsste. Clemens
wirft dem Basüides ?or, er veigöttore den Teufel Dm
scheint auf ein bOses ürwesen zu führen und wird von maa-
ohen als Argument dafür angesehen. Indes hat Gieseler zu-
erst damuf aufmerksam gemacht, dass Clemens' Gesichtsituukt
kein so directer sei „Basilides'S sagt er, „leitete die Ver-
folgungen der Christen von der göttlichen Vorsehong ab,
weldie Clemens als Versuchungen des Teufels betrachtete;
sofern jener uLo leulliM he \ iianstaltungcii für göttliche hielt,
giebt ihm der letztere schuld, dass er den Teufel vergöttere'*;
es sei mithin hier gar nicht von einem Basilidianischen, San-
dern von dem katholischen Teufel die Bede. Diese Aus-
legung befriedigt in der Hauptsache, und hat daher den Bei-
fall von Neander, Baur und, wie es scheint, der Mehrzahl der
Forscher gefunden. Doch will ich nicht leugnen, da^s die
Form nidit ganz symmetrisch zur Beweisffihrung des Clemens
passt. Denn in dieser ist fiberall die Vorsehung das logische
Subject, zu welchem das Prädicat gesucht wird, und genauer
hatte daher Clemens, wie Licent. Gundert bemerkt, sagen
müssen, üasilides verteufle die Vorsehung. !Man muss also einen
momentanen Wechsel des logiechen Verh<msBes annebmeo.
1) Str. IV, jj. OlJ?: dtu<Ca»r röj du'ißoJioif,
'IbeoL Stttd. o. KhU im, S. 379.
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DAS UKSPRÜNQLICHE BASIUDIANJDSCHE dYSTBlC 529
Und dafür lässt sich sagen, dass die directe Beziehung auf
ein böses ürweseu völlig abrupt in den Zuaammeuhang bin-
einMren würde
Oanz unbegrflndet dagegen ist es, wenn Onnderfc, Banr
nnd andere die Yerfolgungen der Christen vom grossen Archen
ausgehen lassen. Denn erstens sagt das Clemens keineswegs
in der Stelle p. 509, ed. Colon. : „ Die Vorsehung aber, wenn
sie anch sozusagen von dem Archon ihre Bewegung beginnt,
isl doch von dem Oott des WeltaUs den Dingen mit ihrer
Entstehung eingepflanzt." Er verfolgt hier einzig die Absicht,
den Basilides bis zu dem Punkte zu treiben, wo er zuge-
stehen muss, die göttliche Vorsehung selbst sei Ursache der
Yerfolgnng. Da nnn der Archon regelnden Anteil hat an
dem Yerlanf der Entwicklungen, so konnte entgegengehalten
weiden, die Beteiligung betreile den Archon ; dem will Cle-
mens zuvorkommen, indem er behauptet, die Ursächlichkeit
li^ vielmehr in dem göttlichen Acte, der Archon sei Neben-*
Sache. Den Aiehon berQhrt also nur die Frage nm die Vor-
sehung, nicht um die Verfolgungen. An diesen kann er un-
möglich Anteil haben, da ihm nach Clemens (Str. 11, p. ^'ib)
das Evangelium mitgeteilt wird, welches er, wie Hippolytus
weiter ausmalt, nicht mit der Gesinnung eines Feindes des
höchsten Oottee, sondern eines Dieners aufnimmt Es ist un-
mOgHch, einen Act, der so bestimmt mit dem Eintritt des
Christentums zusammenrallt , zeitlich ganz unbestinimt zu
verstehen, wie Gundert es wilL Ohne Zweifel trifft Hippo-
lytus mit Clemens* Vorstellungen zusammen, indem er die
Mitteilungen an Christus und an den Archon, welche von
obenher erfolgen, in einem Acte geschehen lässt. Es bleibt
also keine Zeit, in welcher der Archon die Anhänger Christi
verfolgen konnte.
Als Oeeammtergebnis unsrer Untersuchung dürfen wir
also hinstellen, dass eine Anzahl von authentischen Stellen in
i) Wire diM nicht, lo WBmt» man aaeh an yonfteUangen denken,
wie TertoUian sie ftanert: nU materia eum Deo aeqnator, Zenonii dia-
eiplina est. praeecr. 7. Er hat aber dabei Hermogenea im Sinne und
die Ewigkeit der Materie.
ZtttMhr. 1 K.-a. 35
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530
JAGOBI,
den Acten des Archelaus und den Stromata des Clemens sieb
leicht und nngezwnngen mit dem Bericht des Hippolytos
vereinigen lassen, während sie zu der dnalistisehen Form im
Widerapmch stehen; dass Ton anderen wioliligen SteBeii das-
selbe, wenn nicht mit gleicher Evidenz, doch mit höchster
Wahrscheinlichkeit ^It; dass keine authentische Stelle und
keine sonstige verbürgte Nachricht diesem Resultat entschieden
widerspricht; nnd endlieh« dass auch ein dogmatisehes Meiit-
mal hdioi Altertums nicht fbhlt.
Bei so vielfachen Berühningen zwischen Clemens ul.
Hippolytus darf man der Frage näher treten, ob sich eine ge-
meinsame Quelle, woraus beide schöpfen, nachweisen lasse.
Da Hippdytos am Eingänge seiner Daratellnng des BIp
rilldiamsehen Systemes (YU, 30ff. 27) sagt: Basüidee, Mkt
und der weitere Anhang behaupten, die geheimen üeber-
lieferungen des Apostels Matthias zu besitzen ; und da er sich
die Aufgabe stellt, zn zeigen, wie sehr diese den eckten Ueb«^
Hefeningen des Ifatthias nnd Ouristi seihst widersprechen, so
wild man annehmen mUssen, dass das Werk, ans welchem sr
die Basiiidianischen Ideen zusammenliest, in der Sect« unter
dem Namen nagaSoaug tw MaT&hv bekannt war. Auch
Clemens gedenkt der TtagaSimig des Matthias. Ans der Weisa,
wie er fde erwfilint hat Lic Gnndert') geschlcesen, te
Clemens die Schrift nicht selber gesehen habe. Diese Fol-
gerung ist indes irrig. Denn Clemens, welcher nicht an die
Ableitung von Matthias glaubt, da er vieles den Aposteln
Widersprtehendes in den Meinungen der Secie findet (fgi
8. 765), wül diesen Ursprung mit jenen Worten nur als eil»
Behauptung anderer, die ihm aber fremd sei, cbarakterisiren.
Es kann nichts gegen die Identität der Schrift ausmachen,
dass die Cätate, welche er daraus entnimmt, nidit bei Hippo-
lytus stehen. Denn eretras wire es doch höchst mnnln<*
scheinlich, dass in derselben Partei zwei verschiedene Sehlis
ten desselben Titeis in Ansehen und Verbreitung gewesen sein
Str. VII, p. 748: Xeyovai tfk iv raff naQaöoaiaw Max^Ua^
dit6<nokov tioq' ixa<n(t eigr^xivai, cf. II, p. 436.
Zeitftohr. t luth. Theol. 1856, S. 42.
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DAS UBOPKOMGLIGHB BAfilUDI&NIBGBE SYSTEM. 581
sollten. Ferner sind die Oitate daians kurz und vertragen
sich andi mit dem Beriebt des HippoI:fta8. Es handelt sidi
hier natürlich nur von solchen, welche Ckinens ausdrücklich
mit dem Namen des Matthias bezeichnet. Das zuerst er-
wähnte lautet : wenn der Nachbar eines Auserwählten sändigt»
80 hat auch der Anserwählte gesfindigt. Denn wenn er sich
80 geführt hätte, wie die Tenmnft (oder Lehre, xiyog) es
fordert, so würde sein Leben den Nachbar beschämt haben,
sodass er nicht sündigte. Das andere befiehlt das Fleisch zu
bekämpfen and die Sele durch Glauben nnd yrßai^ za
kralligen«
Der strenge ethisehe Gehalt der Worte entspricht ganz
der Moral des Basilides und die Erwähnung des Glaubens
neben der Gnosis ebenfalls seiner speculativen Auffassung der
nionc. Die Worte können aach sehr wohl in der Qaelle des
Hippolytus gestanden haben. Er beschliesst nämlich die
seinem Bericht vorausgeschickte Parallele des Aristoteles mit
der Erwähnung seiner Ethik c. 19, und lässt darum auch
eine Basilidiauisclie Ethik erwarten. Es kann sein, dass er
dabei nnr die Ethik dte Mdoms im Sinne hatte; es ist aber
m6ti möglich, dass die na^Simt^j welche er excerpirte, Aus-
sagen ethischen Inhalts enthielten , Ausfülu ungen über die
xa&agatgj von welcher bei Hippolytus die Kede ist. Dieser
Bess sie bei Seite, weil er fär seine Zwecke in den meta»
physisdien nnd dogmatischen AmeinanderBetsongen geeigneteres
fand. Eine dritte Stelle (Str. II, p. 380), in welcher das
Staunen über das Sinuenföllige {&avjitaßoy rä nagoyra) als
Vorstufe der Erkenntnis des Uebersinnlichen {rijg inixuya
f^woHof) anempfohlen wird, findet sich zwar ebenMls nicht
bei Hippolyt!», stinmit aber vortretSidi mit der eigentftm-
lichen Beschaffenheit des von ihm geschilderten Systemes zu-
sammen.
Da Clemens aber noch eine andere Quelle, die Eiegetica
des Basilides, gebraucht, so ist es h&nfig sweifelhaftf ob er
aus ihnen oder den FsradoBeis die Oitate entnonhnen habe.
Auch Zusammenfassungen beider mögen stattfinden. Nach
einer ziemlich langen Erörterung , welche aus der ersten
stammt (Str. IV, p. 606), scheint Caemens mit einer Ein-
86*
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532
JAOOBI,
Wendung abzuscliliessen , die er sich selbst entgegenhält
(p. 508), und bringt in der Beantworiong zuletsst die achon
erwSliDten Gedanken vor (p. 509), dass im Sinne des Baa*
Ildes der Archou zwar eiue mitbewegende Ursache der Vot^
sehung, dass diese aber doch wesentlich den Dingen einge-
pflanzt seL Diese Worte stimmen nicht nur nach dem lubalt»
sondern auch in einzelnen charakteristischen Bezeicliniuigea
nnd, was beachtenswert ist, in der Oedankenfelge so sdir
mit Hippel} tus' Auseinandersetzung (VII, 24) überein, dass
man hier eine Bezugnahme auf dieselbe Quelle für nicht unwahr-
scheinlich halten darf. Erwägt man ferner, dass beide Schrift-
steller auf eigne Hand Anszfige und Znsammen&asDngea
liefern, und dass dennoch soviel Gemeinsames in GMaokeo
und einzelnen Ausdnlcken vorkommt, so wird dieses unge-
achtet untergeordneter Verschiedenheiten zur Bestätigung
jener Voraussetzung dienen. Namentlich scheint die Stelle
(Str. II, p. 375) Aber den Eintritt der Erlösung in den Be-
reich des Archen die gleiche Grundlage vorauszusetzen wie
bei Hippolvtus (c. 26. 27 Schluss). Die einzelnen Züge de3
Vorganges sind wesentlich dieselben, nur bei Clemens abge-
kürzt, doch nach Anleitung von Hippolytus c 27. Di^
eigentflmliche Deutung der Schriflstelle:' iQ/rj aoqlug qoßo^
xvQiov ; ist beidemal dieselbe. Beide enthalten die Begrirte
des tvayytkiov und der dvyu/ntg (pvloxQttfrjiixrj. Der erste wird
bei Hippolytus genauer bestimmt, der zweite erh< bd
Clemens verrollstftndigende Zusätze. Alles ergänzt sich und
be^ert das Verständnis. WQl man nicht die gleiche Quelle
annehmen, so müssen es wenigstens sehr verwandte sein.
Diejenigen, welche die ältere Form des Systems bei
Ireuäus und der Terwandten Gruppe suchen, urteilen über die
TfagaSlüiig iUar^/o«, dass sie, obwohl in seiner Schule ab
Autorität gebraucht, nicht ein Werk des Basilides seien.
Wir halten dennoch die Abfassung diivch Basilides für das
viel Wahrscheinlichere. Lipsius bemerkt dagegen, dass
BasUides selbst sich auf den Apostelschfller Glaukias und auf
die Propheten Barlabbaa und ^koph berufen habe. Ich will
0 Zur QueUenkritik d. Epiph., S. 102.
DAS mSPBONGUGHB BASILIDUZnSCHB SYSTEM. 533
kein Gewicht darauf legen, dass die Nachriebt über Glaukias
einer Stelle des Clemens (Str. VII, p. 764) entlehnt ist, deren
historisebe Angaben mehrere nngelOste Schwierigkeiten ent-
halten. Aber Clemens hat die Kenntnis davon nicht aus
Basilides' Schriften selbst, sondern durch Aeusserungeu von
BasUidianern seiner Zeit und seine Angabe hat daher keinen
grtaeren Wert, als wenn die Secte damals die nagaSoaug
Mtn^lfnt in der Meinnng gebranchte, welche doch zweifellos
bei ihr galt, dass ihr Meister diese Traditionen von dem
Apostel empfangen habe. Da viele Gnostiker sich an mehrere
Apostel und Evangelien ansohloasen, konnten sie sehr wohl,
wenn es ihnen sonst dienlich schien, mehrere apostolische
Gewährsmänner für ihre geheime üeberlieferung anführen.
Die kirchlichen Alexandriner, welche über die geheime
Erkenntnisquelle den Gnoatikeru sehr Verwandtes lehren, leiten
diese Tradition Ton sSmmtlichen Aposteln ab. Dass aber
BasUides sich anf die Propheten der Barbaren berufen hat,
bildet vollends gar kein Hindernis für das Verhältnis zu einem
oder mehreren Aposteln.
Hippolytus lässt keinen Zweifel darüber, dass er die
fftt^oocic des Matthias als ein Werk des Basilides betrachtet
Mag es an sich fin^^ch erscheinen, ob in dem Bache Matthias
selbst, oder Basilides als sein Dolmetscher der Redende ge-
wesen sei, der viermal auch in der ersten Person citirt wird,
so nimmt Hippolytus doch in den häufigen Namennennnngen
immer nur auf Basilides directen Bezug. So pflegt er zu
tun, wenn er den Autor des Buches mit dem Häretiker,
welchen er bekämpft, für identisch hält: bei Justinus und,
vrie es scheint, bei £lchasai (IX, 15); bei diesen vielleicht
mit Becht, bei Simon gewiss mit Unrecht. Da er am Schlüsse
des Berichtes sagt, dies seien die Erdichtungen des Badlides,
die Früchte seines Studiums Jtr ägyptischen Weisheit, so ist
das, mit der erwähnten Erscheinung zusammengenommen, ein
Moment, was die Waage zu Gunsten der Annahme neigt, dass
nadi Hippolytus* Meinung Basilides selbst als Yer&sser der in
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534
erster Person Kedende sei. Die Worte, mit welchen Hippo-
lytus seine Auseinandersetzung beginnt ^) : Baailides und Iaido*
nis, sein Sohn und SchQler, sagen, dass Umea MaMibias ge-
heime Lehren an^geqiiochen habe, aind in dieeon Edle dahin
m yerstehen, daas das Zeugnis des Basilides in der Schrift
selber von ihm niedergelegt sei. Wenn Hippol^lus behauptet,
dass Basilides und Isidoras sich mit jenen Worten geäussert
haben, ao ist es eine nngeiedhtfiBriigte WiUkfir, <u»«miftittnffl|^
er habe diese Aenaserungen nicht gelesen, sondern sage das
nm* 80, um die nagaSbanq mit Basilides und Isidor iu Ver-
bindung zu bringeu. Der Wert seiner Beobachtung bedarf
der Erörterung, aber er giebt nirgends Anlass zu dem Vor-
wurf, daaa er eine Wahrnehmung lediglich erdichtet habe. Be*
kannte nch nun Basilides in einem andern Werk» zum Inhalt
dieser Schrift, so ist damit erwiesen, dass er sie und ihr
System verfasst habe, man müsste denn einen Basilides anto
I^lidem Toraussetzen. Befand sic^ aber adne Bezeugung»
wie wir ea als wiihrscheinlidier erfcamiten, in dem Buche
selber ausgedrückt, so konnte sie sammt dem Buche unter-
geschoben sein. Für Beurteilung dieser Hypothese ist die
Bemerkung wichtig, dass auch Isidor sich zu den Traditionell,
des Matthias bekannt haben soU. Seine £rwAhnung setzt
ebenso wohl eine tatsächliche Beobachtung voraus, wie die
Meinung des Basilides. Hippolytus unterscheidet ihn auch
deutlich vom grossen Haufen der Basilidianer. Diese konnte
er ohne weiteres in die Charakteristik der Lehren des Stifters
einschlieasen, nicht aber jenen bedeutenden Lehrer und
Schriftsteller. Die Aenaserung nötigt zu dem Schlüsse, dass
er Isidoras als übereinstimmend mit der Lehre des Matthias
kannte und eine bestimmte Erklärung darüber vor Augen
hatte. 3e&nd sich diese in anderen Schriften das Isid<n', ao
wftre die Hypothese von einer Unterschiebung im Namen des
Basilides nur in der Gestalt zulässig, dass Isidoras selber der
Fälscher der nvLf^öoaug wäre. Damit wäre aber wiederum
CLoq y.tn uaOr^rr,q, (paalv fiorjxirai at'TOi<; Mar&tar Xoyovs anoKQV<pOVSp
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DAS UBSPROMGUOEB «AfllUDIAmSCBB SYBITBIf. 686
4ie Bestftügung g^eben, daas das System der Tw^doauq mü
der vrq^rfiiigliohen Besdhaffenheit der Eartei Terbnaden war.
Es bliebe, so viel ich sehe, nur noch die eine Möglichkeit
übrig, dass die Zeugnisse des Isidoras und Basilides mit den
Tia^aioa^ verbundeu waren, und das Buch nach dem Tode
beider nntexgeeohoben wurde. Ein hinlänglicher Zeitaum
bis zu demens* fierichterstattung lieBse sieh wohl ermitteln.
Denn obgleich man nach den vorhandenen Fragmenten ur^-
teileu niuss, da^s Isidor ein reifes männliches Alter erreicht
habe, so wissen wir doch sein Todeejahr nicht Allein es
Ifiast sich keine passende Zusammenatellung m Vater und
Sohn als Zeugen der Ttu^^ianq denken. Da nur Matthiaa,
nicht aber ein Hermeneut desselben, der Ceberliefernde ist,
so kann Isidor nicht als unmittelbarer Empfänger genannt
worden sein; denn damit wäre eine chronologische Unmög<*
liohkeit behanptet, wodurch der Yerfinsser in einer noch dazu
YöUig unnötigen und ungewöhnlichen Weise seine eigne
Fiction ^) zerstört hätte. Wäi e aber eine der Zeit nach abge»
stufte Vermittlung von Basilides und Isidor dargestellt ge«
Wesen, so dürfte man nicht anders erwarten, als daas Isidor
als nädister Bürge der Tiadition bei Hippolytua viel Mskat
hervorgetreten wäre. Dasselbe würde von einem dritten
gelten, bis 7x1 welchem luun etwa die Hypothese weiter spinnen
möchte, der aber gar nicht einmal die Erwähnung von Seiten des
Hippolytus für sich hätte. Auch ein Fälscher hätte |in der
Partei doch nur dann mit dem Namen des laidcr, dessen
Schriften bekannt waren, Eindiuck machen können, wenn das
System des Isidor mit dem seinigen, und nicht mit dem
dualistischen wesentlich übereinstimmte, fir würde also als
IJenge für die von uns als uieprflngUeh angesehene QeeMi
wenigstens bei Iiddor gelten dürfen. Nun setzt aber demena,
welcher die Schriften des Basilides wie deä Isidoiub kennt,
1) Für chronologische Wahrheit, wie D. Hofstede (Basilides, S. 4)
tut, kann ich diese Angabe nicht halten, daher auch keinen Schluss
Saf Basilides' Lebenszeit daraus nUMhen. Vielleicht ist Matthias ge-
nannt, weU mftD ihn alt letsten 4a ZwiUfo aooh den jUagstttL
hielt
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536
JACOBI,
ohne Flage die wesenilich gleichen Ideen bei bdden toisqs;
folglich fahrt auch dieser Znsunmenhang wieder anf dasBelbe
System als das ursprüngliche zurück. Dieser Schluss ergriebt
sich auf noch schnellere Weise, wenn die, wie wir erkanuten^
wahrscheinliche Annahme berechtigt ist, dass Clemens dis
nu^oouc selber gekannt hat In den erkoinbaraa Zwecken
und historischen Bedingungen liegt also kein Grund, von der
Anc^abe des Hippolytus über Basilides* und Isidors Zeugnisse
abzugehen. Und was treibt denn zu der Notwendigkeit, seine
elnfiiche, alle Schwierigkeiten lösende Aussage zu verwerfen
nnd eine Reibe wülkfirlicher Hypothesen yonsrndehen, wenn
doch evident ist, dass die Gruppe des Irenaus einen grosseu-
teils nicht ursprünglichen Bericht liefert und durchaus keinen
Kacliweis eines literarischen Zusammenhanges mit Pftffilidfw
oder ieddor an die Hand giebt?
Ich habe freilich hiebei dem Zengnis des Hippolytus
ein Zutrauen bewiesen , welches nach der Meinung des
Herrn D. Volkmar ^) völlig unbegründet ist. Ich moss
anerkennen, dass Herr D. Volkmar mit seinen Beweiseit
wenigstens nicht im allgemeinen verharrt wie andre,
sondern bestimmte Merkmale der ünznverlässigkeit in dem
grösseren Werke Hippol}i;s nachzuweisen sucht. In der Aus-
einandersetzung der Lehre Marcions (VII, 30 f.) habe Eippo*
lytus dem Marcion einen Dualismus zugeschrieben, indem er
einen falschen Schluss gemadit von der vermittebden Prin-
cipienlehre seines Schülers Prepou auf den unvermittelten
Gegensatz in der Lehre des Meisters. Gegen den Vorwurf
einer solchen Willkür moss ich Hippolytus mit Unterstützung
Volkmars selbst verteidigen. Denn da er>) gezeigt hat, daas
Pseudotertnllians Schrift gegen alle Häretiker auf dem Slteren
polemischen Werke des Hippolytus beruht, dort aber wesent-
lich dieselbe Darstellung von Marcions Lehre und nichts vom
Prepon angetroffen wird, so muss Hippolytus auf anderem
Wege zu seiner Kenntnis gehmgt sein, welche fibrigens mit
TertuOian adv. Marc. I, 2 in dem Hauptpunkte zusammen-
i) Tbeol. Jahrb. 1864, 8. mt
^ Hippolyt, und die lem. Zeitgenone», S. 84.
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DAS UBSP&ÜNOUGHB BA8ILIDIAMI8CaiB SYSTEM. 637
trifFI;. Doch dies ist Kleinigkeit gegen die schwere Anklage,
Hippolyt zeige grade hiebe!, wie fthig er sei, Lehren der
Sdifiler einfiush und nnbedenklich auf den Heister zu fibertiagen,
selbst da, wo er das 'Bewnsstsein von ihrer Differenz habe.
Nachdem er nämlich erst Marcious Lehre auseinandergesetzt,
dann Frepons YermittlungsTersuch , schreibe er eben diese
Neaemng dem Meister selber za. In der Tat, wenn es sieh
80 Torhielte, so würde Hippolytus ein Lügner sein, nnd zwar
aus blossem Vergnügen an der Luge; denn welche Ab-
siciit er bei dieser Unwahrheit sonst haben könute, ist uner-
hndlich. Oder, er mflsste in einer Verwirrung sein, die von
Schwaehsinnigkeit kanm noch za unterscheiden wSre; denn er
hfttte nicht nnr yergeesen, was er in seiner alteren Strdt-
schrift von Marciou vorgetragen, sondern auch, dass er zwanzig
Zeilen zuvor gesagt hatte, die älteste und echte Secte Mar-
dons sei die dnaUstische. Und während er dann hinzofiOgi,
der Anbänger Marcions, Prepon, der zu seiner Zeit aofge»
treten, habe drei Frincipien gelehrt, würde er zehn Zeilen
weiter behaupten, Marcion sei ein Anhänger Prepons gewesen.
Mich wundert, dass es dem Scharfsinn des D. Volkmar ent-
gangen ist, dass S* 396, Z. 71 Il^m statt Mn^iW za
lesen ist, oder vielleicht weder das Eine noch das Andere,
so dass das Subject aus Z. 57 zu eutuelimeu ist. Der Name
Marcions ist nur durch einen Abschreiber Inneingesetzt, wel-
cher durch die folgende Stelle aus Marcions Evangelium und
die Erwähnung Marcions am SchhiaBe c 31 irregeführt ward.
Aach Herr D. Volkmar findet darin eine bestätigende Zu-
rückbeziehung auf die Lehre des Prepon, welche fälschlich
dem Marcion zugeschrieben werde. Allein im Gegenteil; es
ist der zasammenfassende Schloss des ganzen Capitels über
Mareion and seine Schale. Das ist die Lehre von Marcion,
sagt Hippolytus, wodorch er die gottlose Secte gründete, die
ich hinlänglich widerlegt zu haben glaube. Dass an der
obigen Stelle ITmTTCoy zu verstehen ist, geht schon daraus her-
vor, dass Hippolytus zam Beweise Aossprüche in Cätatenform
anführt, welche der Schrift des Prepon gegen Bardesanes an»
gehören, die er zu diesem Zwecke genannt hatte. Wenn Schrift-
stellen, welche Prepon darin gebrauchte, dem Text des Marcion
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$38
entspreoii«!, so renMsk sich dts von sellMst und bildet keinea
Gegengruüd gegen die volle Evidenz der Conjectur. Zm Bc-
^t&ügaog dient die kürzere Darstelluog X, 19; denn auch
hier nntenoheidet Hippc^us UMEwm und Prapons Ukn,
Da er den Verglsidi mit EmpedoUee iiioht beabdehtigi, ffigt
er, wie auch Tertullian tut, die Hyle hiuzu, und redei bei
Marcion von drei Priucipien, bei Prepon von \ier. Es ist an
aUea Stellen klar, dass er dem äiMotoc bei Manaoa um
andere Bedeatiiqg giebt, als bei Prepon.
Den Streit dee Prepon mit Bardeeanes lernen wir dnick
Moees von Chorene gleichfalls kennen So bewährt sidi
Hippolytos ald ein Mann, welcher uns die Schule des Mardou
geoanor als irgend ein andrer Polemiker bescbreibti und
ohem eine abnchUiolie Tecdopkelnng dee Tatbeetandea Csm-
liegt , der vielmehr dch Mühe giebt , die ^igentfimlidMB
Quellen und Standpunkte zu unterscheiden*).
Wo wären also die entscheidenden Gründe für die
atehnog der Schrift naoh Bsailidea' Zeit? loh b^^nne, äm
die weite AnaMdang dee Systems mir wohl ein Bedenkoi
erregt hat, indes ich finde es durchaus nicht hinlänglich,
weil wir es mit philosophisch geschulten Männern zu tun
haben, weil auch nach den Acten des Archelau9 und Glemfim
dieser Onoetiker ein frnohtbarer Sohnftsteller gewesen sem
mofls und w^l swisohen der Entstehnng seines l^tems nnd
dem ebenso umfassenden valentinischeu nur ein kurzer Zeit-
Einen Zweifel gegen den Mhen ürq^mng der Sohnft
kannte aiich dies hervormfen, dass einige nentestnmentliAe
Stellen bereits mit Formeln eingeleitet werden, welche Merk-
male zu sein pflegen, dass man sie für inspirirt halte. Indes
nachdem die ersten Kapitel des Barnabasbriefes im griechi-
sdhen Text aa%efimden worden sind, welche gieioh&Us eine
«oldie F(Mrmel enthalten (c. 4); auch der sogenannte aweite
Brief des Clemens von Bom, welcher etwa der Mitte des
1) Vgl auch Hilgenfeld, BaEdeame, S. 16.
s) Siehe such die treSMen BenerkimgeQ D. Weisiftekere
aber die Genauigkeit dir Gltatioiisweiee dee Hippolytoe. Unter-
sachungen aber die eyaog. OmtAu, &
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t
DAS UltSFRÜHaUGHE BASU4DXANISCHS ^39
% Jahrhunderts angehören mag, sie ebenfalls darbietet, so ist
man veranlasst, den Gebraadi diaser i'ormela bis in die Zeit dee
BasIHdes hinauf zu datiien.
Was nnn die beiden Citate ans dem Evangelinm Johannis
betrillt, welche übri^^ens ohne die feierliche Formel beige-
bracht werden, so steht und fällt der Wert dieser Zeugnisse
f&r die Authentie des Evangelioms mit der Anerkennung, dass
inr in der Quelle des Bij^lytns ein Froduet des Basilides
^er seiner Zeit besitzm. leh glaube wenigstens soviel dar-
getan zu haben, dass die bisher dagegen vorgebrachten
Grunde nicht geeignet sind, diese Annahme zu erschüttern.
Die Behauptung, dass die Citate nicht uisprflnglioh der
<tuelle gehören, sondern von Hippolytus aus Beobachtungen
oder Schriften seiner Zeitgenossen hinzugefügt sein, ist hieuach
völlig willkürlich. Herr D. Zeller hat die Bemerkung gemacht,
dass das iipr} des Textes gar nicht notwendig auf Basilides
als Subject gehen mflsse. Diese Bemerkung ist sehr fiberr
fltaig Ar mich, gegen den sie gerichtet war, und fttr jeden,
welcher die Citaiionsweise des Hippolytus, Origenes und anderer
griechischer Kirchenväter kennt. Es handelt sich vielmehr
darum, mit welchem Hechte man behaupten dflife, dassHippo«
lytus plötzlich zweimal nach einer anderen Quelle greif(Ci,
wihrend er durch Anfang, Bnde und susaramenhängendea
Inhalt der uns vorliegenden sie als ein einiges Ganze be-
zeichnet; und da er doch sonst gar nicht sparsam in den
Angaben dfuraber ist, wober er sein Material sohOpft Man
lüinnte mit gleidiem Recht behaupten, dass er jede andre
Schriftstelle aus einer anderen Quellenschrift entnommen habe.
Welches Interesse hätte ihn leiten sollen, grade die Wort^
HOS Johannes hier einzuflicken?
Ob die ffci^cNKic tw Mm&iw auch bei anderen Sectoi
in Qebmuch gekonmien, ist nidit ncher zu entscheiden.
Allerdings scheint Clemeus es mit den Worten auszusagen:
Die Valentinianer , Marcioniten und Basilidianer , auch wenn
sie sich mit der Lehre des Matthias brüsten^) u. s. w.
^) Str. VII, 765; tcJ** d' alQtaeojy al fi^y dno oyofAarof nQoaayo-
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540
JACOBI,
Wirklich zeigt sich Verwandtschaft in einigen Punkten, z. B.
der negativen Bezeichnung Gottes, welche, wie Lipsias erinoeri,
flidi bei Valentinianeni Eingang Teracbafft hat« und femer
in der kosmischen Zerteüung der Person Christi nadi der
Lehre des Apelles. Möglich ist also immerhin, dass andere
Parteien Einzelnes, was ihnen zusagte, sich aneigneten. Allein
sie konnten diese Gedanken auch aus anderen Quellen ge-
winnen. Es hat einige Schwierigkeit, dass ein so eigentfim-
lich ausgeprägtes System, wie das der nuquöomtgy sich Bür-
gerrecht bei Valentinianern und Marcioniten verschafteii sollte.
Es iät mir sogar walu-scheinlicher, dass Clemens in jenen
Worten nicht die Absicht hatte, die Autorit&t des MattioM
auf alle drei Secten auszudehnen. Br verfolgt gar nicht du
Interesse dabei, geiura üljer die erdiehteteu apostolischen TlS-
ditionen der Häretiker zu berichten, sondern es genügte ein
Beispiel, das mehrmals von ihm erwähnte der Basilidiaoer;
und dass er diese ssuletat stellt, hat doch wohl den Zwedii
anzudeuten, dass grade sie der Tradition des Matthias nch
rühmen.
Femer soll nach Lipsius' Annahme ^) die Stelle bei Clemens
Str. III, p. 436 beweisen, dass die nagadicug auch bei des
Earpokratianem in Ansehn standen. Dass hier die nu^oaa^ ge-
meint sind, obgleich diese Benennung nicht hinzugefügt ist»
scheint auch mir sicher zu sein, unrichtig dagegen die Ver-
bindung mit den Karpoki*atianern. Denn Clemens handelt
Ton melireren Classen unsittlicher Antinomisten, und wenn die
na^Hatig einer ?on diesen zugeschrieben werden sollten, ee
wären die Nicolaiteu die iiüchsteii, zu welchen er sich durch
Erwähnung der Karpokratianischen Lehre von der Gemeinschaft
der Weiber den üebeigang bahnt, zugleich an das II, 411
Gesagte erinnernd. Jedoch jene Worte des Matthias weidea
von Clemens yielmehr als Bestätigung seiner eignen Ethik
MuT^iov rii'/tuG» 7tQos(tyta&ai do^av. Es ist mir zweifelhaft^ ob nicit
d6{a richtiger durch Ruhm zu öb^rsetzon sei.
1) Zur Quellenkrit d. Epiphar., S. 102.
8) Aiyovüi yovy X(ä ruy Mtai^ücy oi Tujg didd^ui' augxl ufy fidx^
^vxny dk av(eiv dut niorewg xai yytiotus.
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DAS UBSPBONaUCHE BASIUDUNISCHB 8TSTEM. 541
angef&hrt, ohue dass er angiebt, ob eine der mancherlei und
zum Teil gar nicht benannten Parteien diese Autorität aner«
ketine. Nachdem er den Nioolaiten die eigne Deutung des
von ihnen verkehrten Ausspruches nuguxQtjaS^ut i?' nwoxt ent-
gegengehalten, führt er zur Bestätigungr die unzweideutig
asketischen Worte des Termeintlichen (Xdywai) Matthias an*
Hätte er sagen wollen, dass sie von den ]ffilretikem fttar ihre
Zwecke benutzt und unagedeutet würden, so hätte er die Be-
richtigung hinzugefugt.
Melirmals wird ein Evangelium des Matthias genannt.
Die ältesten Zeugen sind Origenes, Eusebius und das Decret
des r5mischen Bischofs Oelasius ^). Obgleich man nichts
Sicheres behaupten darf, so ist es doch wahrscheinlich, dass
es identisch sei mit den nupadooug. Diese müssen auch des
Historischen mehr enthalten haben, als nnmittelbar aus den
Auszflgen des Hippolytus hervoigeht Denn YII, 27 sagt er,
nachdem er von der Geburt Jesu ge:>prochen, seine weitere
Geschichte sei in Uebereinstimmung mit den Evangelien. Sie
konnten daher um so leichter mit dem Namen eines Evange-
liums benannt werden. Wenn Hippolytus bemerkt (VU, 27),
dass Basilides nach Aegypten gehöre, was ohne Frage ebenso
von Isidorus gelten soll, so ist wahrscheinlich, dass auch die
Anhänger derselben, welche er bestreitet, vorzugsweise dort
zu suchen sind. Clemens sammelte vermutlich ebendoit seine
Kenntnisse und Beobachtungen über sie. Die erste Erwähnung
des Evangeliums des Matthias durch Origenes stimmt damit
zusammen. Nun mag es in denselben Gegenden auch Basili-
diauer anderen Schlages gegeben haben ; indes erhellt aus den
bezeichneten Möglichkeiten wenigstens soviel, dass es nicht
notwendig ist, die Baalidianer des Hippolytus in den Occident
zu verlegen und damit ein Prfljudiz gegen die ürsprünglich-
keit ihrer Lehren zu Schäften.
Ausser den genauuben Bezeichnuugen von Schriften ist
1) Orig. hon. Luc. L V, 87 od. Lomm. Euacb. h. e. III, 25.
Decret. Gelas. ed. Thiel, p. 24. Diese und andere minder wichtige
Zeugnisse bei Credncr, Geschichte des KentesttunentL Canon. Her-
Ansgegeben Ton Volkmar 186a
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542
VOD einem- Evangelium des Basilides die Rede. Agrippa
Gastor (Easeb. H. e. IV, 7) gedenkt eines Werkes von vier-
Bndzwanng fiflchern, wdohes er tlg th wayfiknm geachrielMn
habe. Bb ist allgemeiiie und wobl begrfindete Amiahine, da»
es kein anderes sei, als dasjenige, welches Clemens l^r^yr^rixu
nennt (Str. IV, 5U6) und welchem der Tractat angehört, aus
dem die Acta Archelai c 65 MitteUimg machen. Die Worte
des Agrippa rnstehe idi naeh dem ^piachgebiaacfae des
2. Jahrhunderts von dem eyangelischen Inhalt überhaupt.
Dieser wird sicher nicht bloss kirchlichen, sondern auch
häretischen Evaugelieuschriften entlehnt worden sein; es läasi
flieh nun kamn anders denken, als dass Basilides eine Zu*
sammenstollmig der Einzelheiten vor Angen hatte, ond hOehsfe
wahrscheinlich hatte er selber sie gemacht
Auf eine solche Arbeit passt es, was Origenes sagt
(Horn, in Luc. p. 86), Basilides habe ein Evangelium unter
seinem eignen Namen geschrieben (Mira BamUidf^y, Schwer
aber ist eine andere Aussage des Origenes genau m dentoi».
Er sagt von einer Lesart, dass sie sich in dem Evangelium
finde, welches die Yalentinianer, Basilidianer und Marcioniteo
gehrsnchen^. Irenflns nnd Tertollian folgend, wird man
Tonnhsst, den anderen Pttrteien eigene Evaagdien zozn-
flchreiben. Freilich ist Origenes' Notiz eine spätere. Er
kann sie nach Eusebius (h. e. VI, 36) erst nach dem Jahre
245 geäussert haben. Bei den Veränderungen, welche die
Secten erlitten, wflre es möglich, dass der Gefaraach eines
Evangeliums von der einen zur andern tibeiging. Dann frQge
es sich, ob das des Valentin oder des Basilides oder des
i) Vgl. Credner, Geschichte de« Neutestamentlichen Canon,
S. 11. D. Hilgenfeld, Einleitung in das Neue Testament, S. 46,
versteht darunter eine Evangelienschrift, welche einem unserer Evan-
gelien, dem des Lukas, verwandt war. Dann müsste ro etayyiXiov
so viel sein als das Evangelium des Basilides. Das wäre aber ohne den
Zusatz hivjov ein sehr mis verstandlicher Ausdruck.
*) Fragment aus Hora. 34 in Luc. V, 240 ed. Lomm.: xavta «fl
ttQtjTai nQos roi*f rtno OvaXayrfvov xcii BttaiXtlSov xtti tov( dnS
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DAS URSPRÜNGLICHE BASILIDIAinSOHE SYSTEM. 643
Msydoii gemeint wftre. Weiiti hkuI die Angabe des Clemens
über die Autorität des Matthias (Str. VII, p. 766) in dem
allgemeinen Sinne nimmt and sie mit der des Origenes com-
binirt, kOnate nun neh an das BvHngi^am des Matthias
danken. Allein wir bemerkten flehen, dasa diese Dentnng
der Stelle nicht die wahTBcheinlichste ist. Das Zusammen-
treifen mit Origenes ist vermutlich hier nur zußllig, und
wir urteilen, dass dieser mit dem einen bestimmten £?an-
gelinm das des Lukas meint, was damals alle drei Secten« wenn
ancb niebt in ttbenül gleicher Gestalt, deeh in dieser Lesart
übereinstimmend, gelten liessen. Die Ansicht aber, welche
Gundert (Zeitschrift 1866, S. 42) ausspricht, dass das £yan-
gelinm des Basilides in den Acta Archelai und die na^Soattg
Mard-iw identisch seien « halten wir ftr nicht zatreffend.
Denn die naQaSiüitg haben seihst se sehr den Obarakter eber
darlegenden und ausführenden Schrift, dass es unwahrschein-
lich ist, hiezu habe Basilides noch einen weiteren Commentar
geschriehen.
Ans diesen Angaben Aber das Evangdinm des Basilides
und den Schriftgebranch spftterer Anhänger erwiebst nns kein
weiterer Gewinn für die Entscheidung der Hauptfrage, welche
uns beschäftigt Aber die vorangehenden literarischen Er-
örterungen stimmen alle fiberein mit dem aus der Unter-
suchung des Inhaltes gewonnenen Besultat, dass Hippolytus in •
dem grösseren Werke das ursprüngliche System des Basilides
' überliefere.
Wenn es sich so verh<, wenn Alexandria so frühzeitig
ein gncBtisdhes lästern Ton stark hellenischer Färbung er-
zeugte, so wird man nicht, wie D. Lipsius ^) in seiner sehr
verdienstlichen Abhandlung über die Gnosis getan hat, die
hellenischen Systeme von den syrischen durch eine Zeitfolge
unterscheiden dürfen. Die Gründe gegen diese Betrachtunga-
weise, welche ans den Naduichten Aber Oerinth und Ear-
pokrates hervorgehen, scheinen mir ebenfhlls nicht binlfinglich
gewürdigt zu sein. Doch will ich an dieser Steile nicht
naher darauf eingehen. Die Gnosis ist eine so allgemeine
1) Art „Gnostisiiuiii" in Ersoh jl Oruber, Encydop. ISGOi
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544 JAOOBI, DAS UB8FR0NOUGHE BASILIDIAll. SYSTEM.
BewegiiDg, nnd sie hat in d0r aleiandriiiiaeh^jüdiaoheii Philo-
sophie eine so bestimmte VoTbenitniig, dass es ganz den ge-
schichtlichen Bedingungen entspricht, wenn sie nicht nur ans
Syrien, sondern auch aus anderen Bildungsstätten, namentlich
ans Alexandria abgeleitet wird.
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Uff UrsproDg des MtaehtuM
im nachconstantiniselien Zeitalter.
Von
Prof. D. Hermann Weingiurteu
in Bieslan.
[IVirtBetzaiig und ScblanJ
YL Dem BcBuliat unserer üntersadinng, dass wir In den
Anftngen des MOncbtnms nmr die Üebertragung altherge-
brachter Formen des ägyptischen religiösen Volkslebens, na-
mentlicb des Serapisdieiistes, iu das Christentum zu erblicken
haben, stellt sich von selbst der Einwand fragend ent^g^^en,
welches denn die Motive za solchem Uebergang gewesen, and
ob wirklich in den Docomenten des Sliesten MOncbtams sieb
Spuren solchen vorchristlichen und populären Ursprungs
finden?
Vor allem mnss hier der Irrtum sarflfdqgewiesen weiden,
der am meisten ein richtiges Urteil getrflbi hat, der Glanbe,
dass das christliche Mönchtum den Verfolgungszeiten der
Kirche entstamme. Nicht nur das schon früher hervorge-
hobene völlige Schweigen der Zeitgenossea der letzten Ent-
scheidnngskiUnpfe, eines Eusebius undLaetanz, widerlegt den-
selben, in viel höherem Grade spricht gegen denselben der
Charakter der ältesten Mönchsliteratiir seihst. Man wird in
all jenen Eremitenbiographien des vierten und fünften Jahr-
hunderts auch nicht Eine nachweisen können, in der sich eine
historisch mögliche AnknQpfnng an die Zeiten Diodetians
findet. Unter den Moüven, die bei Bufinus und FaDadius in
Zeibtchi. f. K.-a. 86
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546
WIBINCtABm,
die Wfiflto ziAheo, wiid niigendB die Flocht, immer nur
spontene asketische Oeflimiimg, neben der Beae über dn ver-
gangeoes liauber- und Sündenleben genannt Kein Wort
verrat einen Gedanken, der die Ertödtung alles sinnlichea
Lebens als ein neues geistliches Martyrium und eine Fort-
selznng der Mftrtyrenseiien betrachtete. Wo einmal, und niir
äusserst spärlich, eine Verfolgungslegende Torgebracht wird,
die sich auf den ersten Blick als ohne jeden geschichtlichen
Kern erweist*), ist sie immer nur wie eine fironune reizende
Episode eingeflochten. Ist doch aoch in die eigentliche Heu-
mat der ersten Möndie, nadi Oberilgypten, die diodetianisehe
Verfolgung zweifellos nicht vorgedrungen. Und wie wenig för
die allt^'emeinen Erinnerungen des vierten und fünften Jahr-
hunderts das M^chtom mit der Märtyrerepoche der Kirche
Terbnnden war, geht ans einem Wort hervor, das man dem
Antonius in den Mnnd legte: „Gottes Gnade verschone ab-
sichtlich sein Zeitalter mit Kriegen", ein Ausspruch undenk-
bar, wenn mit dem Mönchtum der Gedanke an die welter-
schättemden Kämpfe der Zeiten Diodetians, Constantins, des
Maxentins, des ladnios verknüpft gewesen wäre*). £nt die
Pbaniasie des Hieronynras, die grelle 'SehlagUditer bedmrfte,
hat die Asketen in Blutzeugen umgetauit und spätere Zeiten
sind ihm darin gefolgt; aber noch Tillemont hat gesehen,
da» das Mönchtum eine Entwicklung der Kirche lange nach
überwundener Verfolgung gewesen ist^y
1) Um nur an die hervorragendsten Gestalten zn erinneni: dar
h. Ammon, den Soerat. h. e. IV, 2.) als Stifter des Mönchtuiofl nennt,
ähnlich wie PseudoathaB* vita Antonü c. 60., der den Antonios
mi MöDfilitnm bewogen worden lässt, als er dk Sele des sterbaadsD
Ammon von Engeln gen Himmel tragen sieht -> gebt in die Wüste, nur
mn ehl Leben TinQ^sriag xal äyvBütg fuhren ZU können; nnd mit Zu*
Stimmung seiner Frau, Pallad. biet. Lwu. S. Der jüngere Maearins
wird Mönch rar Bnne Ar einen früher Ton Um Tenekaldetea XeMUag»
Pallad. 17 u. s. w.
s) Z. a Pallad. bist Im c 8. 66.
Apophthegmata patrnm I, 23 (Migne ser. giaet.
65, 84): «lue nftW (Antonios) öu i ov» aipin rovc noX^vs
M tih^ ^tPtdp tmfhtiiF, ihntQ M ttSr cr^/oletr* oUi ytl^ «r« mg^§HS^
aim Jwi ev ßaar^mm.
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UBfiFRUMa DBS MÜNCUTUMS.
647
Yielmeiir es ist nur der Eine, schon hervorgehobene Ge-
danke, der alle diese Hösser beselt, der des Strebens nach unbe-
dingter dnut^tutf uacii völliger Vernichtung aiier Empfindungen«
die mit dem, was sinnlich an ans isfc, siwsmmeiihtngsttt
ovroc o iata^ der h((ehsie Ehrentitel Oi die ErtOdtnng des KOr*
pers, der Materie, uml die durch solche Abtödtung der Welt
zu erlangende Heiligkeit das einzige sittliche Ideal, aber
dieses Ideal ohne jeden christlichen Zog! Serapion, Sindonius
gemumt, weil er ausser einem leinenen Ueberworf nie etwas
anf seinem K((rper getragen, fährt Ton Aegypten naob Bern,
um zu erkunden, wer dort der gröbste Asket sei. Da hört er
durcb Domninus, deääen Bett noch nach seinem Tode Krank- ^
heiten heilte, tod einer Jnngfiraii, die, ftofondswanzig Jahre
in ihrer Zelle vmchlossett, mit niimiand geredet habe.
Serapion swingt sie, ihm in eine Kirobe zn folgen, und ge-
bietet ihr, zum Zeichen, dass sie wahrhaft der Welt abge-
storben sei, alle ihre Gewänder auszuziehen, wie er, sie auf
ihre SebnUer zn legen nnd in sokber Bltoe mitten düroh
die Stadt an gehen. Und als die Jnngfrsn sieh desssn wei'*
gert, um des Aergemisses willen nnd mn nicht fftr wahn-
sinnig gelialten zu werden, erwidert ihr dieser „Athlet
Gottes'': „nun sehe ich, dass du noch der Welt lebst und
den Mensefacn ni gsfrUen trachtest. Ich bui emtorbener als
du; dem Uh tue, was kb dir geboten, ebne Sebsn and
Aergernis/' „So war'', schliesst Palladius diese Biographie
ab, „das Leben Serapions, des Vollendetsten in Leidensk>sigkeit
nnd Armnf Und wenn vom heiligen Ammon , dem
MOndh der nitriseheo Wiste, den die [Legende s«m Vorbild
des beiligen Antonins gsstempelt bat, errittdt wivd, er bebe
einen solchen Abscheu vor allem, was der Sinnenwelt ange-
hört, gehegt, dass er anch sieb selbst nie nackend gesehen
nnd, als er einst einen Fluss aherschreiten mnsste, einw
Z. E PalUd. bist. Um. 20.
«) Pallad. bist Laos. 89-86. Die S«bbiMMi0 dai Bmafkmi
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548 WEINGARTEN,
Engel herbeigerafeD habe, der ihn herSbeigetragen, mn niebt
seine Kleider ausziehen zu müssen so sieht man , dass es
sich hier um eiüe Askese handelt, deren Motive nicht in der
christiiGhen, sondern in der antiken und in der Welt da
Oriente liegen. Die Bilder, welche Chaiiemon der Stoiker
nnd nadi ihm Perphyrins yon der Lebensweise der ftg>i)ti9cheB
Asketen entwirft, kann man — abgesehen von deren drei-
maligem täglichen Bad im Nil — fast buchstäblich und un-
verftndert auf unser Mönchtum überteagen'), und man irini i
nioht einen Zug vermissen, der von den durigüichen Askieteo
Aegyptens berichtet wird. Nicht der leiseste Anklang findet
sich bei diesen an tin pnist gedachtes Vorbild Christi, ge-
schweige an den Paulinischan Lebensgedankeu : et ant&dyontr
avw XQiar^, nmeCofity Stt xa} avr^iiaofur ovr^. Von ihDflQ
gilt nur, was Cbairemon von jenen Serapisdienem m^*
^axovy öixfjav xai ntU'uv xa) uXiyooniav Tiaoa Travra tok ßloi^'
Auch geht durch diese Askese mit ihrer innerlichen Leere and
Oede ein Geist egoistischer Abgeschlossenheit, in dem ^<^^
kaum je ein Element chrisUioh humaner Gesinnung leigti
niehte Ton der Macht, wodureh das Ohnstentom die alte
Welt überwunden hat. Fast ist's, als ob man auflebte, weM ;
man anter diesen Wüstenasketen endlich einmal auf einen
trifft, der, wie Eulogius, die Kranken besucht*), oder auf j^do
alten fieduinenscheicfa, der zur Busse für sdne Banbtafcci |
sechs Jahre hindurch allnächtlich in mühseliger Arbeit
Wasserkrüge der anderen Einsiedler mit Cisternenwasser
gefüllt hat I
Wie wenig man bei diesem Ägyptischen M^teehtom an
spedfisch christliche Zflge zu denken hat, tritt recht mgosSr
1) Vgl (Äthan.) Tit. Anton. 82. 6a 67 und Soor, bist eecL
IST, 28.
^ Hat doch die Sitae Kritik in Cbairemon «icb die Qodle
Philo*B nieiipeaten am finden gegilaiibt, dieselben Tberapenten, «elcik
die spatere Ijiehe Ar Cbrurten geoommen bat. üebar jene
Jablonski*B vgl La Crosii Tbcs. cp. I, 180 O^üller inga^
hiei giaee. HI, 499.)
s) Pallad. bist. Lana. 26.
*) Sosom. biit eed. VI, 29.
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URSPRUNG DES M()NCHTÜMS.
549
cant aas der Legende Ton Pftulns dem Einftltigeu bervor,
in der trotz alles mytholof^ischeu Beiwerks unzweifelhaft treue
Bilder der Wirklichkeit «ich erhalten haben Er war ein
Greis, als er Eremit wurde. £r hatte eine jmige und hfibaohe
Frao, die aber scbon binge im Ebebincb lebte. Als er einst
von der Feldarbeit znrflcirlrebrte, flberrasebte er sie auf der
Tat. Da überlässt er, ohne ein weiteres Wort des Tadels*
Frau und Kinder dem Verführer und geht in die Wüste zum
heiligen Antonius. Der legte ihm die härtesten F^rflfongen
auf: einen ganzen Tag lang Wasser schöpfen und wieder auf
die Erde giessen, Körbe flechten und wieder auflösen, Honig
ausschütten und mit Muscheln wieder aufkratzen, aber Paulus
bestaud alle diese Proben mit unverdrossener Geduld, und
Antonius nimmt ihn an. Eines Tages traf er diesen im Ge-
spräeh mit andern Eremiten, wie sie Yon idefen und gebeim-
nisvolleu Dingen sieb unterredeten , über das Verbältuis der
Propheten zu Christus. Da fragte der heilige Paulus, ob
Christus vor den Propheten oder die Propheten vor Christus
gewesen? wegen weldier Bibelkenntnis denn doch der heilige
Antonius dem Vater Paulus befobl, wegzugehen und zu
schweigen. Paulus zog sich in seine Zelle zurück und tat
viele Tage hindurch seinen Mund nicht mehr auf, bis dass
der heilige Antonius ihm beMl zu reden und ihn fragte,
warum er so beharrlich geschwiegen? Weil du es befohlen
lui^t, mein Vater, erwiderte der Alte, von dem nun Antonius
sagt, fürwahr, er beschämt uns alle. Der Lohn dieses Ge-
horsams war die Gabe, Teufel auszutreiben, die vor keinem
Andern widien. Einst ward zum heiligen Antonius ein Jüng-
ling gebracht, der von einem der obersten und bösesten Teufol
besessen war und bellte, wie ein wütender Hund. Antonius
betrachtet ihn, sieht aber bald, den könne er nicht heilen,
und bringt ihn zum Paulus, dass der den Dftmon austreibe.
Tu du es doch, mein Vater, meint der heilige Paulus, aber
Antonius entgegnet, er habe jetzt keine Zeit dazu, und geht
1) Pallad, bist Latis. 28. Rnflnns, bist monaob. 31.
Sozom. bist. eccL I, 18. Vgl Tillemont, wim, eecL YII,
1U&
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WEIMUAKTEN,
we^. PftQlQB nun beschwort den Jüngling erat im KaiBflB
des Antunius, dann CliHsti, aber dor Teufel lästert auf beide.
Da stieg der heilige Paulus aut einen hohen Felsen, am
heUeii Mittag uiter den brennendeten Stmhlen der Sonne
and lien nicht ah im Gebet: „Jeeas Chiietoe, der dn unter
rontius Pihitus gekreuzigt bist, ich schwöre dir zn, ich wenie
von diesem Felsen nicht herabsteiL^'en und von hout ab weder
essen noch trinken, sondern Hungers sterben, wenn du nicht
TO dieser Stande den Teafel aostreibst.^ Er hatte noch nicht
aoBgeredet, da fohr der Tenfel schon ans mit grossem Qe»
schrei, nahm die Gestalt eines Drachen an von siebzicr Ellen
und fuhr ius rote Meer. Das war der Höhepunkt dieses '
Christentums. — Nicht bei vielen der eisten Eremiten trifil |
man aof solch onwillkürliGhen Hamor, wie bei Pluihis dem
Eünftltigen ; aber an Christentam and Tsgewerken stehen sie
nicht höher als er.
Die ParaUeiea aus der heidnischen Welt zwingen sich
ans aaf.
Wenn die Boskoi, welche gegen IMe des vierten Jahr-
honderts in den südlichen Abhängen Armeniens hausten , zur
Rf«enszeit auf die Berede hinaussoh>\ilniiten, mit ihren Sicheln
die Kräuter schnitten, wovon sie lebten, und auf die Weide
gingen wie das Vieh oder wenn die Mtechsbanden der
Messslianer im Baphratgebiet in den Zeiten des Valens ihre
Tänze aufführten, gleich den indischen Derwischen, znm
Zeichen des IViuniphs Aber die Dämonen, und die Finger
Bpitaten, wie um Pfeile gegen sie zu werfen^), so waltet i
kaum ein Zweifel ob, dass die Muster für diese ohrialliöheo '
Fiakirs im Fflnfetromland nnd in den Gangesebenen sn mchen
sind. Dort finden sich die Originale für Bflsser wie Batth.nnis
der so selten gegessen haben soll, dass ihm die Würmer aus
den Zähnen gekrochen sind oder fflr jene halbnackten Aske*
ten, die von den Hirten für wilde Tiere gehalten, mit
Steinen verjagt wurden, und die in den heiligen Wahn-
sinnigen in den muhammedauischeu Dörfern fortgelebt
1) Sosom. hht. moL VI, 38.
VgL Thaodertt htot «od. IT» 10. hwnet fiibal. IV, U.
9) Soiom. bist eecL lY,
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UBSPBUNQ DES MÖNCHTUMS
651
baben. Doch jenm MOnchtam auf dnem Boden, wo die defe-
lichsteu Grenzen des römischen Reichs sich vielleicht schon
mit den vorgeschobensten Posten des ßiiddhismua berührten,
ist um einMenaohenalter jQnger als das ägyptische, und wi^
oidit ohne die Anregmigen entstanden, die Ton der Thebais
ausgegangen waren. Aber für die Entstehung des ägyptischen
Mönchtums darf indischer Einfluss nicht in Anspruch ge-
nommen werden. Allerdings besteht zwischen den Heiligen
Obeiflgyptens und den alten brahmanischen Btoem, die im
Walde von Frflehten, Wuneln und Wasser sieb nfthxen, be-
kleidet mit deni Fell einer schwarzen Gazelle oder einer
Rindshaut, beschäftigt nur mit ihrer heiligen Leetüre und
ihrem täglichen füntTachen Opfer, die im höchsten Stadium
der Busse auch ohne das heilige Feuer einsam und nur von
Ahnosen leben, durch bestftndiges Schweigen rieb fllr den
Eingang in die Zeit des ewigen Schweigens vorbereiten*),
vielfache äussere Aehnlichkeit; fast noch grössere mit dem
buddhistischen Mtochtum. Konnte man doch die beiden
Stufen des buddhistischen höchsten ethischen SSeles, des nir-
väna ^), die eiste: völlige ünterdrfickung aller Leidenschaft, die
zweite: Aufhören des Daseins, last als den bewussteii Aus-
druck für die Ideale auch der ägyptischen Asketen auflassen
und in den buddhistischen Fek^nklöstem im westlichen Indien,
bei Aganta und auf dem üdajagiriberge nur die gewalti-
geren Vorbilder für die Felsenhöhlen der thebaischen Anacho-
reten erblicken. Aber entscheidend gegen die Zurückführung
des äg}'ptischdn Mönchtums auf indische Einflüsse ist die
Tatsache, dass volksiflmliche fierOhrungen der figypti-
sdien Welt mit den religiösen Gestaltungen der buddhistischen
schlechtbin iiiierweislich sind. In der christlichen Kirclie gab
es wohl eine gelehrte Kunde von den indischen Gymnoso-
pbisten und Philosophen, den Brahmanra, die Clemens
Alexandrinus aus den Schilderungen des Megasttienes gesdiöpft
1) Vgl. IL a. Lassen, Indisehe Altatnmslnmde I, 580ff.
s) üebor dless Bedeutung des nkf&na tfß. Lassen, Indische
Altertunelronde II, 468ff., gegen Mai HlUkr n. a.
Vgl. Lassen II, 1183.
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553
WEniOABTBN,
liafc^), und ähnlich Tertulliaa. Man mag auch dem virtuoeeii
Kenner des apftteren Hellenismus die Vennntong zogeateheii,
dass die im Jabihuiideit nach Alexander dem Grossen in der
griechischen Literatur auftauchende Gattung der Reiseiuär-
chen nicht ganz ohne den Einiiuss asiiitischer Vorbilder
sich entwichet habe, wenn auch die indischen Phantasie-
Gebilde ^nnr dorch die Yermittlangen anbiseher Dichtung
in die griechisch-orientalischen Reiche der Diadochen gedrungen
sind: aber solche literarischen Traditionen sind nicht die
Mächte, welche neue Entwicklungen im religiösen Volkaleben
hervonmfen. Und jene pwsischen und indischen Kanfiahror,
die ihre Quartiere im östlichen und mittleren Aegypten
hatten sind siclierlicb keine buddhistischeu Büsser gewes«?n.
Ueber Kabul, Taberistan und Kardistau hinaus ist der Badd-
hismns nicht nach Westen vorgedrungen*).
Darf man daher üQr Aegypten nnr an das Serapismönch-
tum ^) und seine Ideale di^r Eatiialtiuig und Einsamkeit
denken, und steht der Einklang derselben mit denen des
ersten Mönchtoms fest^), wie denn auch die Heimat des
1) Clem. Alex, ström. I. p. 305. ISjlb. VgL auch Tert apoL 42
and Lassen a. a. 0. III, 369.
^) Erwin fiobde, der grieehiaohe Boman und seine Yorhuifier,
1876, S. 183.
3) Die ]}elege bei Luiubroso, rechorches, p. <»1.
*) Pcschel, Völkerkunde, 1876, S. 2J>0. Vielleicht können mehr-
dftitige Nachrichten arabiacber Quellen eine Verbreitun»; des Boddhiailiiu
nach Kabylonien beweisen; nach Aegypten aber ist er nicht gedrnngen ; TgL
Chwolsohn, Sabier I, 113. 134 u. ö. KeuBier, lar Genoui des
manichriisclieii Reiigionssystems 1876, 8. &
^) Wenn Locian nnd Philostratus von äthiopischen Gvnino-
sophisten reden, so braocht darin nicht eine Verwechslung mit den
indischen Brahmaneu zu liegon , wie Rohde, S. 441, anuimmt.
Letronne, auf den Roh de recnrrirt, beweist nur, dass für AethiopieR
auch wohl die Bezdehniuig Indien vorkommt, aber nicht UDgekdurt;
und jene äthiopischen yvfAyoi sind eben die Serapis' ttatoj(oi.
6) ChairemoD bei Porphyrine de abstin. lY, 6 Ober die
Serapisprieeter, was aber auch von den rnfvo/o« gilt: an^do^ttr Shnf
t^p ßiop rdiy ^tiwp ^f»q(^ 9tal ^utati . . ro ytig aü €vrsTrai
»t((t yv(oaH xak imnyoiq, .... xmastiXku «fl rei ndlhi . , ^tjßfmm
(fl vvxia fAkv tif imttiqticaß ovfjwitnf (was freilich die Hteche nkibt
taten), iptott &k utA tis äytat$wp, ifdqu» cfi ttf ^ß^aniiup rmr dmhi
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URSPRUNG DES MÖNCHTUMS.
553
letzteren sich aufs engste mit den grossen Heiligtümern des
Serapiscultus berührte^), so handelt es sich nnr noch um die
J^rage, welcbes denn die Motive zur Nachahmung der Serapis-
olaasuren für christliche Eremiten geweeen seien? Und da ist
ein nicht bedentungsloser Fingerzeig eine Aenssemng Chai-
remoüs über die Verehiung, die seine ägyptischen Landsleute
den Priestern und Asketen ihrer Tempel weihten; „Sie haben
sie geehrt wie die heiligen Tiere in denen sie, vrie im
Apisstier, Incamationen der Gottheit anbeteten; sie waren
saeroeanet wie diese. In der Askese der Priester nnd der
xdio/oi war das Volk gewohnt den Höhepunkt religiöser
Heiligkeit zu erblicken, und als das Christeutum im mittleren
und oberen Aegypten zur immer siegreicheren Volksreligion
geworden war, nnd jene durch eine Reihe von Jahrhunderten
hindurch urkundlich nachweisbaren Fornieu altägyptischer
lieligiösität auch daa Ziel eines irregeleiteten christlichen
ötrebens nach höherer Vollkommenheit geworden^). Das leben-
dige Grab, das die einfiu^hen christlichen Kirchen nicht so
religidie UnterhaltiuigeD, Studien» Bdehnugen such bei den ersten
ehristlidien Asketen. — Dass man {r&b zwischen dem Serapisdienrt nnd
dem ChriBtentom Verwandtiebaftlichea zu sehen glaubte, gebt anoh ana
dem, Kiüaer Hadrian angeschriebenen Briefe berror (Hadrianiis an Ser-
▼iaaoB bei VopisouB vit. Satnm. 8, in Script bist. Angosi ed Peter
II, 209), wo TOD Aegypten gesagt ist: „illi, qni Serapem colnnt, Chri-
s^ani snnt et deyoti snnt Serapi, qoi se Christi epiucopos dicnnt, nemo
illic aicbisynagogns Jadaeomm, nemo Samarites, nemo Christianomm
piesbyter non mathematiens, non bamspcx, non allptes. ipse ille patri-
arcba, com Aegyptam yenerit, ab alüs Senpidem adoraie, ab aliis
cogitor Christnm/' WSie der Brief echt, ao würde er doch nur anf
cbristlicbe Gnostiker geben b(^nnen; wSre er, wie Hansrath annimmt
(NtL Zeitgeschichte m, 584), eine cbristlicbe Fälschung ans der Zeit
kniz Tor Enaebiiis, so wQide er immerhin Ttir jene Miechung altügypti-
scher nnd christlicher Elemente zeogeu , die zum Mönchtam geführt
haben , eine Auffassung , die ich auch aus einer Zoschrift von
Dr. Harnack glaube entnehmen zu könneu.
1) Vgl. Teil I, S. 35.
Chairemon a. a. 0.: xtt&ftneQ rtyd IsQa ^tpa ndvimy nfnov-
ttatf Tovs q>tXoa6q>ovc , diese Asketen.
8) Nach demselben Trieb, der in den cbristliclien Sani, nlieiligen
des fünften Jabrliinulerts Nachbildungen der Säulenheiligeu der syrischen
Astarte zu Hierapulis hervorgerufen hat.
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554
WEINGABTBN,
darbieten konnton, wie die riesigen Tempelgebäude zu Theben
oder in Alexaiulria, suchte man in der Wüste, zu der docti die
bewunderndea und Almosen o])fernden Scharen ebenso zahlreich
sferOmteD, wie tu dm im Serapion Begnbttien. Soll doch Ab-
tonii» Dar -durch fromme List vor viel wigebetenen Be-
suchern sich haben schützen köimen, indem er dem Macariib
geboten, bloss Neugierige als A^pter, Ernstere als
Jerusalem*- anzumelden; jene wurden mit Einem Segen ent-
lassen, mit diesen betete der Heilige die Nacht hindoreh,
aber kamen auch viele, von denen Macarius nur mgm
konnte, fn'yua nnl , Melange!^) Manchem dieser ältesten
Anachoreten sind die Schrecken der Einsamkeit zuerst zu ,
sehwer auf die Sele ge&llen, und „das Heimweh der fia- \
samkeit** hat sie, wie jenen Aht Nathanael*), wieder m dii
Nähe der bewuhiiten Welt /ui ückf^eführt; die in der Wfcte
blieben, haben nur zu olt Aehnliches von dt>m erfahren,
was Scheffels Bergpsalmen lehren: „Der Waldnacht Phan-
tasmen stellen sich ein Mit unheimlicher Pein.**
Vll. Nur sehr allmählich hat sich der üebergang vom
SgTptischen zum christlichen Mönchtum voUzogen, und uo
das Jahr 340 hat es noch keine cbrisüichen Eremiten ge-
geben. Dalür ist ein directes Zeugnis der zehnte unter den ;
Festbriefen des Athauasius, vom Jahr 338 (Aer. Diocl. 64),
der im Anschluss an daa Leben des Elias von der Bedeotong
der Wüste redet: nirgends ist da von der Wüste als ^
Stätte gegenwärtiger Heiligen die Rede, der Blick richtet
sieh nur in die alttestamontliche Vergangenheit; für seine
Gegenwart kennt Athanasius nur Kleriker ?^ Erst die Schrif-
ten etwa aus den Tagen Julians setzen die YerbieituDg
voraus „des einsamen Lebenaus das als Künobitmileben fOfi
Atlianüsius selbst iiocli niclit erwähnt wird; denn von Met*'
sterien redet erst die unechte vita Antouii. Als Basilius der
Grosse das Mönchtum gegen die Anfeindungen, die es
Neocaesaroa erfuhr» verteidigte, in einem um 375 ^
1) Pallad. hißt. Laus. 26.
«) Pal lad. bist. Laus. 18.
8j Lai£>o\v, Fuitbriui'e de» b<;iligeü Athuuaüiutf, 104 ff.
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•
UAaP&UNO DE8 MONGHTUMS. 665
fassten Sendschreiben, spricht er vom ägyptischen Mönchtnra
wie von einer neuen Erscheinung, von der jetzt erst zu itim
das Oerfidht gedningen >).
Freilioh wflrde sicli die ganze Gesohichte des Mtoöhtums
umgestillten müssen, wenn, nach dem Glaul>en, den Wetz-
stein-) ausgesprochen, die gewaltigen Klosterbauten auf den
Abhängen des Haur&n in Ostayrien, die den Ghassaniden und
ihren Königen, den Gafhiden, zugeschrieben werden, unter
ihnen das Hiobskloster , schon aus dem zweiten Jahrhundert
herrührten , oder irar aus dem er.sten. Aber die Hypothesen
Wetzsteins sind einfach in die Luft gebaut. Denn die
Ghassaniden sind nicht, wie der Consul in Damaskus mit
einer an der arabischen Poesie groes gewordenen Phantasie
dichtete, Christen des nachapostuli sehen Zeitaltcis oder
gar „als Nation der erstgeborue »Sohn der Kirche ge-
wesen'', ihre Mflnzen tragen den Namen des sabäischen
Idols, Dü Sarft, des IMonjsos, dessen l^mbole auch den
Schmuck ihrer Tempel bilden. Und das Beich der Ghassa-
niden, welche nach allen Nachrichten die byzantinische Ober-
hoheit auerkaimten, und deren letzter König Gabala unter
Omar sich dem Isfaun unterwarf, ist nicht im Kweiten Jahr-
hundert, sondern im ffinften Jahrhundert gegründet worden*).
Wetzstein's Illussionen gründen sich wesentlich nur auf die
widerspruchsvollen, wirren und unkritischen Angaben einer
sehr späten arabischen Chronik, des Hamza Ispahensis, der
seine Annalen im September 961 vollendet hat, „in denen
auch abgesehen Ton den Abschreibefdilem , noch Selbst-
1) Bii.sil. von Oaes. (opp. ed. Bened. Paris 1730. III, 310) ep.
207: yvv de iv Jtyvnrtu /niv dxoi'io ruiavT^y slyat lu'jQiur (t(>£r^>i'.
Wetzstein, Tioisel>ericht über Hauran und die Trachoueo,
1860 und: „Das Job.sklusUr im Hauran 'S Anbang zu Delitzsch*
Couuncntar zinii .Tob. \>^i'A.
^) W e t /.s t c i n's ebristlicbes Konigroicb im Haur.iu, mit der Haupt-
stadt Bosra, im zw<'ittii Jahrhundert, ist auch durch alle cbri.>^tlichen
Quellen unbedingt ausgesehlüösen ; Eu.'^tbiu.^ könnt dort W(»hl Miirtvrer
in der Zeit der diocletianiijchen Verfolgung, aber von einer grossen selb-
ständigen cbristlichiii Fiirstonnuioht weiss er nicht«.
*) Um Dillmann reden zu hwsen, dem ich für freundliche Teil-
nahme an dieser Frage zu herzUcbem Dank verpflichtet bin.
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556 WEINGARTEN,
I
wideraprflche genug fibrig bleiben, die bew^n, daae er in
diesem Capitel über die Ghassaniden seinen, uns übrigens un-
bekannten Quellen »ehr unkritisch gefolgt ist/' A.Sprengers
Berechniuig im Journal of the Asiatic Society of Beogal (fid.
XIX) fttbrt den üisprang des Gbasaanidenreiebs ungeflüur üif
das Jahr 400 n. Chr. zurück mit dem Hinzuftgen, das
schon bei der Dämmenni«,' der raoslimischen Geschiclite Ur-
sprung und Wanderungen der Gbassaniden sich in Fabeln
gehflUt finden, die sieh an den Koian anlehnten. Was eod-
lidi die groBBen Elosierbanten betrifft, specieü das Hiebs*
kloster, die, wenn sie von den Ghassaniden erbaut sind, nur
in byzantinischer Zeit entstanden sein können, so führt die
einzige datirte Inschrift, die in ihnen gelesen wird, in das Zeit-
alter Jnstinians, auch abgesehen von der einsigartigen ardifto-
logischen Kritik, die Professor Piper mit -seiner Aera der
Himuielfalirt Jesu ilaiaii geübt hat. Eusebius, auf den sich
Wetzstein für sein uraltes Hiobskloster beruft, kennt nur die
Tradition eines „Wohnhauses*' Jobs in Asthaioth Kamsiin,
und GhrysostomuB nicht ein Kloster in Arabien, sondern nur
den Dün<;erhaufen , auf dtiu Job gelegen und zu dem dift
Pilger von den £uden der Erde wallMrten, um ihn zq
küssen.
Die Klöster im Haur&n gehören einer Zeit an, die doreh
wenigstens anderthalb Jahrhunderte von den üniprungssdteii
des Möuchtmus getrennt ist.
YBL Ist auch das ursprflngliche MOnchtnm Anachoreten-
tum gewesen, so scheinen doch in nicht zu langem Zwi-
schenraum Hremitencolonien sich zusaniiiiengefunden zu haben,
aus denen in den letzten üecennien des vierten Jahrhunderts
oiganisirte Koenobien und Monasterien heryorgiogen. Nur
darf man sich ein richtiges Urteil nicht durch Fanfaronnaden
der Rufine trüben lassen, die in Bezug auf die Zahl der
ersten Klöster so zu sagen mit Milliarden um sich
werfen. In Oxyrinchus, der alten Tempelstadt westlich ?om
1) Diese Abhandlung selbst ist mir hier nicht zagänglicfa,
doch vgl. das Weitere bei A. Sprenger, die alte Geographie Arabieoi
1875, S. 43 ff.
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UKSPRUNQ D£S MÖNCUTUMS. 557
Nil, findet KufinuB ein Klosterpai-adies von zehntausend Mön-
chen und zwauzigtauseud heiligen Jungfrauen, die sich alle
dämm reissen, seine und seiner Begleiter Kleider und M&ntel
zu kttesen, Apollonins hat fünfhundert, Ammon dreihundert,
Serapion tausend Anadioreten um sich, in Memphis leben
„innumerae multitudines". In den nitrischen Bergen
kommen die Mönche wie Bienenschwärme herbeigeflogen, ihre
Brote und Waaserkrflge in den Händen, wenn sie hören,
Fremde seien da. Nach Mladius hätte jedes Kloster auf
der Tabenne vierhundert Genossen gezählt nach Sozomenos
betrug ihre gesammte Zahl über sieben Tausend. Aber alle
diese Zahlen und das ganze Mönchsparadies erweisen sich als
dieselbe unwahrhaftige üebertreibung, die dieser ganzen
christlichen Bomanliteratnr zor Last ftllt, wenn man an die
uns bekannten agraiidchcn Verhältnisse Aogyptcus denkt
Kein Land war so genau vermessen und hatte so sorgfUltige
yerzeichnisse auch der kleinsten Landschollen und Bodener-
träge, wie giade Aegypten, das in der Kaiseizeit in dieser
Hinsicht zu einem Musterland der eingehendsten, durch ein
zahlreiches Heer uberall inspicirender Beamten geführten Ver-
waltung geworden war: wie sollten da, wo jede Arura Landes,
auf der Menschen wohnen ktonen, nach ihrem Ertrag und
ihren Verpflichtungen emr^gistrirt war, und jedem Untertan
seine Steuern und Frohnden aufs genaueste vorgeschrieben,
sich solche Mönchsrepubliken habuii bilden können, mit ihren
Tausenden von Steuer- und frohndeni'reien Genossen, und noch
dazu in einer Zeit, wo das constantinische Kaiserhaus so
eifersflchMg Aber den Erträgen wachte, die aus der Korn-
kammer des Keichs, dem Nillande, kamen. Um diese Zeit
aber hätten jene Klosterreiche entstanden sein müssen, denn
Bufinus lässt kaum einen unter seinen Anachoreten auftauchen,
der nicht wenigstens achtzig Jahre alt ist und mindestens
1) lUitinus bist, inoiiast. 5. 7. 18 vgl. den: Aegyptiurum
m 0 n ac h 0 r u m p a r a «i i .s u s bei (Hotelier, monamenta ecel. graec.
111, 171 ff. Pallad. bist. Lauß. VX
Vgl. Luiübroao, recherches p. 289—293.
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»68
toHRg Jahn m WMe. Vielmdir jam niinfcMinMhliii
im Baäum sind wMb ab eine NacUanag ani üeber-
bietan^ der iTj.i.'-<!ihatt*^n Priester.: "Ihnen d»^r ägyptischen
lempel. wie seine MiLrciieiisu:jt*^n Ii ri lieft- r Mönche und KüDues
aieht fiel mekr ak ein Abklatsch jener inael der Qlficidiebflait
«dehe dia flftte giiaduadie VwboMriSk gadiehtot, «o fia
MendM andi 150 Jahre alt wodes, toi Kn^ontaB fm,
in Abteilungen von je 4W Hymnen und Loblieder den
Göttern darbringend Die Spöttereien Lucians über die
laaal dar Saligaii »igea, wia jaaa Dlepka d« Phatttaaie im
der Kiiianeit üMMmt^ getiagaB dudi den idaalea Qage»-
saiz zu allem Druck der Gegenwart — Vielmehr geht aus
dem Ix kannten FMict. das Kai-ni VaK iis im Jahr 365 erliess,
ker¥Or, da» die Zahl der Mönche damals noch verhältnismässig
gering mkd aneh Ar die wachsame Controlie der EmmaäA
fetboigea aein koiuita'^
Die Namen koptischen Ursprungs ^) im ülteren Mön» h-
tum bestätigen das indirecte Zeugnis dieses kaiserlichen £r-
laawa, dass es zuerst die gakaechtetsten Schichten der ohar-
agypUachen BefAlkenuig waten, die unter hartem FkühndiaBal
seaftte, welche In den KMern Rettung saehtaa. Die hei-
iiiisi hen Namen , welche Hieronymus för die ägyptischen
MöQohaklaasen zuführt % weisen ebenlaUs auf diese Landbe-
v6lhening aa den Grauen Aekhi^eM hin. Srnm, die eoe>
») Vgl. Rohde, griech. Roraan, S. 2L»9ff. über Jambidoß.
s) Cod. TbeodoB. XII, 1, 63: quidam igUTiae sectatores de-
Mitis «nttttom siimcribai oapteat ■oUtodines ac secrcta, et speci« rolt»
glonis com coetibiu monazonton ooogreguitur. Hos igitur atque.h n j n s>
modi, intra Aegypton dt-jin bensos, percomiteiu OrieDtis orni e latebris
eonsDlta praaeeptioDe mandaranoa. — Gtmdnt alao ist daa Mönch toa
fl^bcrtia^pi.
^ 8o mter den Namen bei Soz. bist. eccl. Tll, 14: Paphnutios
kopilseh: der Gftttliehe; Amipb koptisch = Annbia; Ptu:honiiua >ie)leicht:
der Aegypter; oder der Adler. Die Erklärung der koptischen Namea
«eidanke kh liem Dr. Kessler In Maihvig, der andi die Verant*
woftoDg Ar diBselbe tdigt.
«) Hieronymua de enstodU Tiighdlatis IV, 2, 44 (aC
Ben.).
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URSPKüNa DES MÖNCHTUMS.
559
nolniae, siod die Ai^erkiite, von dem koptischen aoeolie,
Acker; ßemuoth: die Bauern, von dem koptischen romi, ira
Plural remooi. Ueberaus mühselig ist zu allen Zeiten die
Arbeit gewesen , die auf diesen Landbebauem Oberägyptens
liegt, namentilich bei niedrigerem Stande des Nil« wo sie mit
ihren Schöpfeimern, die an einem Hebebadm Ton den beiien
Ufern herabhängen und jeder eines Menschen Kraft erfordern,
(las Wasser in ihre Aedcer heben müssen. Mit rücksichtsloser
Gewalt sind sie za allen Zeiten tum Frohndienst an Strassen
nnd andern Offdnilidien Bauten ausgehoben worden Diesem
" Jammer gegenüber war die Felsenhöhle mit ihrer Freiheit und
Verehrung und das Kloster mit seinen Almosen eine Erlösung.
Dazu kam die Not, die aus der UebervölkeniDg ^) auf den
s&dlichen Nilinseln hervorging, und die Neigung der Aegjrpter
ftberhanpt, vor der Enge des Staatskirchentnms sich zv
flüchten. Als die kaiserliche Erlaubnis zur Einweihung einer
neu erbauten Kirche in Alexandria nicht eintraf, machte das
Yolk Anstalt, sich seinen freien Gottesdienst in der WMe
zu sneben*).
Frdlidi haben jene armseligen FeUahs alles äussere
. und innere Elend «inor durcli tausendjährigen DespotiHiims
gedrückten, versumpften und verlogenen JBevölkerung mit in
ihre eisten Monasterien herübergenommen. Das zeigen die
Ältesten Begeb, denen sie unterworfen worden.
Pachomius, den die Legende zu einem SchOler des An«
ton ins macht, auf dem Röcken von Krokodilen über den Nil
fahren und fünfzehn Jahre hindurch nur auf einem Stein
schlafen Ifisst, soll sie für seine, Yon ihm fost militftrisch
oigsnisirten Scharen ^) anf der Nilinsel Tabenne geschrieben
Eberi, durch Goeeo nm Sbua, S. 467.
S) Liinibrofo 74.
Athanaiius apologetiens ad Gonstaat 19 (ed. Ben.
*) Auch die Seiaphidleiier waioi in veraehiedeiie KUam mit ge-
tramteD Abseieben geteilt Btes daher aaofa du oberlgTptisdie Udiusb-
tom ihnlieh akfa OKgaiiiairte, ist nicht nnwalncheittlich, wenn auch die
Snihlong bei Sosomenoi nnr in den Wonicb^ die psjchologiaehe Yliw
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560
WEINGARTEN,
haben. Er gilt dadmch fllr den BegrOnder dee eigentlichen
Klosterlebens. Ist auch die urepröngliche Form aus den
niannichfacben Aufsätzen, die unter dem Namen der „regulae
Pachomii'' zusammeugefasst sind, nicht mehr festzustellen,
80 sind doch durch Ftelladins und Sossomenoe wesentüehe Be>
standteile als schon ans dem Ende des vierten Jahrhonderts
herrührend bezeugt Welche Erbsünden der ägyptischen
Bevölkerung werden doch darin auch in den Klosterzellen
yoransgesetst, Log, Trug, Spott, Diebetahl, und welche Oaatelen
für notwendig erachtet fOr das Znsammenleben] Keiner darf
des Andern Zelle betreten: sie essen gemeinsam, aber ihre
Häupter mit ihrer Capuze verhüllt, so dass sie nur den Tisch und
die Schüssel, von der sie essen, aber nicht die Tischgenossen
sehen kennen. Ihre Kleidung ein Fell Aber einer leinenen
Tnniica, von einem ledernen Gtlrtel zusammengehaltMi, ihre
Capuzcii aus rauliem, ungewalktem Tuch, unterschieden nur
durch die Purpurstreifen, welche die verschiedenen Klassen
bezeichneten und, nach der äthiopischen Begel, auch ein ein-
gebranntes Kreuz trugen. Nor Sonnabend nnd Sonntags
konnten sie ihre Felle ablegeu nnd ihre GHlrtel Ideen; auch
schlafen durften sie nur in ihren Kleideni, gegürtet und mit
ihren Fellen, gleichsam eingesargt in Sesseln von üacksteinen.
toMdtftt d«i PlMhomiiif xn pieiaeii, ihren Gmiid haJb, Smtiilaiig in
24 XUasni nach den 24 Buchstaben des grieehisehen AlphabetB
ist ftr eben geboienen Kopten em Unding, noch meihr die Art, wie
dieee Emteflang nach der fV>rm der Bncbstaben dnroligefllhrt gewem
eem solL Die Klasse Jota die EinfUtigeren, C und { die «xoW, die
VereeUaganen nnd Listigeien. Wie kemmen die andern einnndswansig
Temperamente nnd ihre Bnohstabenfthnliebkeit lierans?
t) Hanptqnellen: Pallad. bist Laos. 88. Soiom.
bist eccL VI, 14. Die lateinische, angeblich von Hieronymus her-
rtthrende Uebersetanng bei Holsten, codei regnlamm I, 26—86; ich
citire nach dem Abdruck im Anbang snr Leipsiger Ausgabe (1788) der
Werke des Job. Gassianns, p. 8168qq. Vgl den Artikel von Man.
gold in Herzogs Bealenoyclopidie X, 760. — Eine irertvolle Be-
reieberong ist durch die Herausgabe der ftthlopiseben UeberaefanmgeD ge-
geben, die wir Dillmann verdanken (chiestomathia aetbiopica 186^
p. 57—68), deren dritte Bedaetion eine ganz elgentllmlicbe nnd, wie
ich glauben m<tefate, ziemlich alte Wwm darstellt.
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URSPRUNG DES MÖNCHTUMS.
561
die ringsum maddoflsen waren, asor YerhAtong altäg}i)i3sclier
Greuel. Eine Elle Zwischenraam sollte zu jeder Zeit den Einen
vom Andern trennen ^). Auch Wahnsinnige fanden sich in
den Nonnenklöstern in Tabenne ; sie müssen doch nicht selten
gewesen sein, denn* es hatte sich eine feste Bedensart ge~
bildet, um ne yor den Besuchern zn verbergen, man sagte
von ihnen, sie seien in der Küche Dass die Disciplin der
Sclaven und der Frohnknechte , dio Geissei und der Stock
diesem altägyptischen Mönchtum nicht fem blieb, gegen
Diebstahl, flucht und Zanksucht, kann nicht aufibllen^und
ist durch die Regeln besengt % Wie muas es aber such in
den Klöstern auf der Tabenne mitunter ausgesehen haben,
wenn die Nonnen sich die Fäuste ins Gesicht stiessen, eine
der andern das Abspül wasser über den Kopf goss oder Senf
in die Nase rieb *}. Und dabei dennoch der Glaube, heiliger
1) Regula Pachomii 52: nemo in tenehriB alteri loquatur.
rrnllus cum altero dorroiat. manniu alt<?riiis nemo teneat sivo ambula-
verit, sive sederit aut steterit, nno cubito distet ab altero. 90. Si de-
prehensuB fuerit aliquis de fratribus libcnter cum pueris ridere et ludere et
habere amicitias aetatls infirmae, tertio commonebitur , ut recedat ab
eonun nccessitudinc. si non cesgaYerit, corripietnr ut dignos est oone-
ptione severissima. lt?S. pracpositus non imbrietur.
Pal lad. bist. Laus. 42: dem heiligen Pitimm, der die Nonnen
in Tabenne auffordert, sammtlicb vor ihm zn erscheinen, dem sie aber
eine verbeißen woUeii: Xiyovaty avr^' fjUetp ix^l*^ caXt]v' iy fia-
yHQif iotiv. oiln» yiq inei »alovat tdi nm^z^vtas (qvae non annt
sanae raentiB).
^) Regula Paohomii 87: qoi habet pessimam oonsuetudinem,
ut fratres suo sermone soUidtet, nach dreimaliger vergeblicher Er-
mahnung: separabunt eom extra monasterium, et verberabunt eum
ante fores triginta novem; ausserdem zur Nahrung nur Wasser und
Brod. 121: si in furto fuerit dcprehensus» triginta novem verbe-
r a b u n t eum et lori dabunt ei edere panem et aquam tantum et opertom
cilicio et einere per singnla orationum tempora cogent eom agere poeni-
tentiam. eadcnKino lex in fugitivis observabitnr.
*) Pal lad. bist. Laus. 42 die Geständnisse der Nonnen: iyi^
«Vf^y vßQiCoy (fifüTKuaav' xai ndXiy aXXrt- iyüi lov nivuxo^ ro dno-
nhfÄu noXXäxii ai/r^ xorc^f n * tiXXtj * nk^yäi avt^ ifm edunta * xa\ higa
naXiy' iyoi nfttpf xoifdiiXovs imf^nfwfUini* «Alf ntiliP' iyti nok-
SellMhr. t I.-a. 37
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562
WUNGAJKTBN,
za sein ib die „Wer einm Bnlder^ heM «b in der
fithiopischen Regel, ,,bei seinem bürgerlichen Namen toemit**
(wörtlich: bei dem Geschlecht seiner Er3chafTiin<if), „das ist eine
grosse Verirrung im Hause der Heiligen. Denn ea hat mir
geoffinberfe der Herr in Beireff diesee Dinges» dase sie gerioktoi
trerden mitFeaernndSdiwefel; nnd nm deaeentwiUeB spreche
ich : er soll fasten vierzig Tage, und soll jeden Tag fünfhundert
Mal niederfallen und sein Fasten soll sein bei Wasser und
Broi." DasB alle natorliche Verwandtschaft als sündig galt,
'war«notwendige Oenae^uenz, wie F^omioa seine Schweato
nie TO rieb gelaassn hat^ es genfige ihr, m wissen, daas er
lebe. Er hat seine Mouche nur Eine Tugend gelehrt: den
Gehorsam, aber den Gehorsam ala Selbstzweck.
IX. Wenn wir die Anfänge des Mönchtums nicht den
Ohristenkun, sondern der vergleichenden Religionsgeschichte
zuweisen, und seinen nrsprfinglichen sittlichen und dunstUeken
Gehalt sehr gering anschlagen, so sind wir anf den Ein-
wurf gefasst, wie es denn eine so grosse Anziehungskraft auf
die reichsten Geistei: des Zeitalters habe ausüben und so
grosse Yerehning erweiimi kUnnen. Die Antwort daimnf iat
eine doppelte: einmal, weil es innerhalb der Welt griecbiacher
Bfldnng sich mit dem ethischen Omndzug aller idealistischen
griechischen Philosopliie verschmolz, und eine neue Gestalt
gewann; der andere Grund, weil eine christlidie 14oman*
literstnr entstand, die das M(taichtnm grade dadurch popnlir nnd
beilig macbte, dass sie alle Elemente altbeldnischen Sagen-
und Wunderglaubens in dasselbe hineintrug, und so die alten
Mächti' antiken religiösen Volkslebens in neuer Form fort-
wirken iiess.
Man kann fissUins den Grossen« von Caesam, als den
Regenerator des MiMbtnms flir die griechisohe Welt be-
zeichnen, das durch ihn mit ganz neuen Motiven durch-
druugen ward. Ihm war das Mönchtum nielit Unterdrückung,
sondern Ü&ckkehr zur Natur, und nicht G^ensatz, sondern
Vollendung antiker Weish^t Denn ihn hat in seine berOhmte
Beteaite am Iris in Armenien nicht die Nachahmung der
ägyptischen Oder syrischen Eremiten gefuhrt, deren er in
UBSFBime DES mOmchtuiis. 663
joner Zeit mit keinem Wort gedenkt, und die er Yielleioht
nie geeahen hat» trots des tnditioiieUen Glaubens auch unarar
moderaen EireheogeBchiohte vielmehr ein Zxig innerlicher
Verwandtschaft mit dorn Geist antiker, stoischor Askt'.se: es
ist die Armut eines Zeno, Kleauthes, Diogenes, die er sich
erwählt hat, die er bewundert, weil sie sieh genügen lassen an
der Natnr Weltflüchtigkeit war ja auch einer der Grund-
1) Die Art, wie auch noch neueste Kirchenbistoriker das Lebfln des
liasiliius behandeln, ist recht lehrreich für die Decke des TraditionaUsmiis,
die noch über der alten Kirchengescbicbtc liegt. Man lieat Qberall:
„ Basilius suchte die berühmtesten Asketen in Syrien , Palästina und
Aeg^-pten auf und war erstaunt fiber die Herrsehaft, die sie über dtn
Korper ausübten." So Klose, Herzogs Realencyclopädie I, 718.
Gfrörer U, 1, 318. Schaff I, IHG. Alzog, Tutrologie 223
u. 8. w. Aber diest'r ganze Asketenbesuch des l^asilius beruht nur auf
dem Alisvtrständiii.s »lor iiltoreii katholischen Historiker, auch Tülcmouts
und der IJciiodi«. tiiicr (l'illemunt, meni. eccl. IX, 24; die Vorrede der
Benedictiner zu Grrg Nitz. I, 93). Es handelt sich um die Reise, die
Basilius kurz imcli Vollendung Keiner Studit n und nacii seiner Küekkehr ans
Athen iu seine kappadoeische Pleimut, untornommen hat. Wir haben dar-
über Heine eigene Kr/iihlung, im ersten seiner Briefe (upj). III, ü'J cp. I)
an Eu^tatllius den riiilosophen. Diesem, aber nicht den Asketen, ist er
nachgezogen, nach 8}rieji, nach Alexandria, und zwar iu einer philo-
«ophischen Stimmung, die noch im Zweifel war, ob die Welt von der
rvxn <>der der uvüyxq regiert werde; als er den Freund und Lehrer
ni« ht fand, ist er nach Ciisarea zurüekgekehrt. I)a.s war um darf Jahr
30ö. Auch Uregor von Nazianz , iu der liedächtnisrede auf seinen
grösseren Freund, spricht von dieser Reise - der eijizi^^n, die wir aus
dem TiCben des Basilius kennen - ohne jede weitere !3etonung der-
selben , ohne jedes Wertlegen auf dieselbe filr die Entwicklung des Ba-
silius; ganz tlüchtig ^'eht er ülwr die „iyffr^^iiiu tiveq" hinweg (Greg.
Naz. 1, 790). Dagegen was Hasilius in spateu Jahren einmal von seinem
Kennenlernen der Asketen in Alexiuulria, Aegyi)tiM, rala^tina, Coelesyrieu
und Mesu})otamien gesagt hat, in bisclirtflicher Khet<»rik (Opp. III, 337;
ep. CCXXIII), das geht nur aui das Erlahren und Kennciili rnen im Geist
and durch NaeiirichtA^-n. Denn im Euphrat- und Tigrisgebiet ist Basilius
nie gewesen. Daher denn auch iu den obengenannten Kirchpng«:itchichten
Mesopotanjicn und Co<'les)rien, als zu unwahrscheinlich, numer ausgelasseja
ist; nur Tillemont ist ehrlich genug gewesen, es mit aufzunehmen.
*) Bas iL III, 7li, ep. IV geschrieben iu der Wliste : Da lässt
Basilius die Armut seine (icfahrtin sprechen: or» jovk^ Qvfoixtty
elXdfAify iyta^ vvy fJiky roV Zrivmva irtaivovyji . . yvv tov KXeay^ip' , ,
37*
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664 WfilNOASTfiN,
f
zöge platonischer Ethik, nameutlich in der Form, die sie in
NeupythagoreismoB gewonnen hatte. Aus diesem Geist de^
Altertnnn stammen die Beminiseenzen tu die clwiarh^
Welt, wenn Bedlins seine Eremitage in Pontns Yer^MdA
mit der Insel der Calypso, „^>' dt] naaior nXiov 'Oftr^^og
xukkog x^uiftnaug (pwvtiat. Alkmaeon, nachdem er die £>*hi-
naden gefiinden , ist nicht weiter in die Irre gingen ^y-
Dieser homerische Anhauch beaeichnefe am treaestoi die £d-
pfindmigen des Badlins, als er die kng ersehnte Bnhe in Bef|^-
und Waldeseinsamkeit gefunden, viel wahrer, als die matteii
theologisch doctriuareu Gedanken, die er vorher dem Jugend-
freunde, Gr^r von Naaianx, auseinander gesetzt hatte Die
Stadt hat er Terlassen« ihr Häoseimeer und ihre Letden-
Schäften mit dem GefAhl eines Seelrranken ; sein Sdbsi wollte
er wiederfinden. Und welch ein ganz anderer Geist lebt in
der Elostercolonie am Iris, welch ein Familiengefühl zum
Unterschied von der Yemichtung aller natflrächen Bande in
den Ägyptischen Klteteml Die Mutter Enunelia, die Schwes-
ter Macrina, die Brüder sind bei ihm, und anch an einem
dienenden Sclaven fehlt es in dem prcnieinsamon Haiishalt
nicht ^). Als man den ältesten Bruder, der die Ziirückgezogenheit
des Basilius geteilt, eines Tages todt ?<m der Jagd mrQdE-
hrachte, da sank Emmelia vor Schmerz hewusstlos nieder,
und mühsam gelang es der Tochter, die Mutter wieder aui-
zurichten *).
Grade die stür mische Unruhe einer an Kriegen und Ge-
walttaten so reichen Zeit, wie das halbe Jahrhundert von Julian
bisTfaeodosius, rief naturgemfiss den Gegensatz antiker Weltfludit
hervor, und auch daraus erklärt sich die Anziehungskraft des
Mönchtums für edlere Geister, die zudem Ekel empfanden vor
einer verweichlichten, ihrem Unteigang entgegeneilenden Cnltor,
1) BftBil. m, 93. 94 (ep. XIV).
s) Basil. m, TOsqq. (ep. II).
S) Wie man ans dem dritten Brief ersieht.
^) Greg. NjBB. in der Tita Macrinae bei Tillemont, mem. ecd.
IX, 33.
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URSPRUNG DES UOMGBTUMS.
565
an allem gleissneriscben Schein der vornehmen Welt. Gleich
jenen Männern am Hofe zu Trier, von denen Aagustin be-
richtei, die sich sagten: was erreichen wir mit all unserer Arbeit
und Mfibe? im besten Fall die unsichere' Gunst des Kaisers;
„amicus uutem dei si voliiero esse, ecce nunc fio" Die Welt
war den Männern jener Tage bitter verleidet worden, wie
Basilius selbst von der Zeit seines Episcopats schreibt, er sei
Yon so viel Spionen und fiüschen Freunden umgeben ge-
wesen, dass er ihst zum Menschenfeind geworden wfiie, hätte
ihn nicht Gottes Barmherzigkeit davor bewahrt; zuletzt habe
er keinem Menschen mehr getraut^). Vor dieser Welt
war das Kloster und die Wflste eine stille Zuflucht Ja, es
liegt ein sozusagen Bousaeausches Element darin, wie Basilius
und seine Freunde ihre Askese dachten, das sich auch in
dem Natursiüii wiederspiegelt, der die Schilderungen des Ba-
silius weit über die Landschaftsmalerei der alten Welt hin-
aushebt Vom vierzehnten Brief des Basilius und von seinen
Homilien zum Hexaemeron hat schon Alexander Ton Hum-
boldt ^) gesagt : es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung
der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit
denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was
uns aus dem griechischen und römischen Altertum überkonunen
ist*^ Dieselbe, sentimental-schwermfltige, der Natur zugewandte
Stimmung tritt uns auch in Gregor von Nyssa entgegen.
Das ist jenes Naturgefühl und jenes Leben in Natur-Einsam-
keit und -Schönheit, welches auch in allen späteren Jahr-
hunderten dem Mdnchtum seinen poetischen Beiz und idealen
Ohmz Terliehen hai
Es ist ein milder, massvoller Geist, der sich durch alle
Aeusserungen des Basilius hindurclizieht, jeder Ueberspannung
feind. Besonders ansprechend in der herzlidien Ermahnung
an Chilon, seinen Jfinger*), in dieser Verbindung antik-
Angnstin. coatmAnmeB VIII, 15.
^ Basil. m, 888 (cp. 223).
s) In der bekannten Stelle im 9. Btnd des Kosmoe, S. 27it
«) Basilias III, 125 (ep. XLU): »f4>i ev^s ek «htQoitita
dax^tus ixtt(yfit üHtvtw* * • . UQ^Sacw yttq n tm^ oXtyw n^ojfif . . .
9uA Ihm xi fÄaxQoXoytS* Bno» utA ahot ö cwriif i9ttlv^t^&^ iSnkQ
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666
WEINGARTEN,
asketi^clipr und waliihaft cbristlicher Motive, die Seihet l>e-
herrschung als Nachbild der Geduld und dos Leidens Christi
Freilich Wßä ffir ibn das Kbenbild Gotiee bestehend in der
ani&tia^)\ VoT allem hat fianlius gewarnt vor dem einnedleii-
schen Leben, als vor dem «/laprvpo? ßfog, und wohl hauptsäcbli^
dunh seinen EinHuss ist in der griechischen Welt diese älteste
Form de^ Mönchtums überwunden worden, als die nicht frn
sei von bösem Verdacht^). Die Möncb^geeeUschaft, die er
als Bischof in der Nfthe seines Oftsarea gegiOndet hat, um 375,
nnter viel Anfechtung, als ob er etwas ganz neues einführen
wolle, sollte der bürgerlichen Welt niclit fremd gegenüber-
stehen. Das ist einer der Gedanken des {^ologetischen Send*
BchreibenB, das er damals verfiust hat: irc^ T§ktMowijrog ßim
fnoya/joy Wenn spittler einmal vom
sagt, dass der Mensch in der Einöde zum Tier werde nnd
diese Heiligen die MetJimorphosc besclileunigt hätten, weil
sie sich wenigstens den Teufel zum Gesellschafter in die
Binöde mitnahmen, so steht Basilios anch dadm!ch über dieser
Metamorphose, weil bei ihm noch nichts von dem Damoncpii-
Unwesen der Mönchsnacht sich findet, die nur zu bald in der
Kirche hereinbrach. Der noyr^Qog da/fiwy, von dem Basilius
wohl gelegentlich redete ist bei ihm noch nicht nnterachiedeii
von dem Dixuon eines Aeschjlos, Euripidss, oder tou dem
Heliodors in dessen äthiopischen Geschichten*). Audi bei
Basilius ist die Welt noch nicht angefüllt vom Teuielsspiik
und Trug der nta Autonii
ifMvrip n^hms wov tt4cfi9V m«Mv Jiilfy ttIA' iyti ^mc vor
^) Im Bermo asceticns II, 318: o yuQ ro dn«$kf t^t ^timt
^wttM^ iip* ittvrov fAifttiOHfiiyoe, . . .
s) Vgl. Basil. 483 (ep. 295) nnd senno YUI: i/i/Ai^QTVQo^
s) BasiL m, 98 (ep. XXII), vgl Baor, CMstentnm dw i. Ms
6. Jshrhnnderts, 8. 301.
4) Vgl. Bohde a. s. O., 435.
Hu mag von Baailins dneo Blick mrka auf aeiaea FtmaA,
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UBSPEUNG DEÜ MÖNCHTUMS.
567
Aus solcher Schtile und solohem Geist sind wohl Mftnner
hervorgegangen von lieroischer Selbstbeherrscliung und Bedürf-
nislosigkeit, geschaffen, die Welt zu überwinden. AsketeUf wie
Chi^BOBtomiiB, dem Basilius gleioh ein Freond und Schüler des
LibanioB, oder wie die iSiXqtol /tiuxpoiy wie Isidoms von Peln-
sium mögen wohl einer Zeichniiug wert sein, wie sie ßurck-
hardt entworfen Dort hat sich auch ein Leben im Geist
hindurchgeruugen , in welchem die euthustiastische Mjstik
und Ethik des Neuplatonismos ihre christliche Emenenuig
and VerklSrung gefunden und in den Schriften, die den
Namen des Dionysius Areopagiüi tragen, eine durch Jahr-
hunderte reichende tiefi?reifende Einwirkung auf die Christ^
liehe Kirche aasgeübt hat
X. Doch, wenn irgendwo gilt hier der Spruch antiker
Mysterien: yaQi)^rjxn(fOQOt ftiy nolXoiy ßuxxot Si ri navQOt.
Und jene Mönche, die kaum ein Menschenalter nach Baailias,
wfthrend der Fastenzeit des Jahres 415 in der Basilica
Caesarea in Alexandria initer Anführung eines Klerikers der
Hypatia das Gewand herunterg('ri^st'u , sie rait Scherben zer-
schnitten und gliedweise in Stücken gehauen, die Glieder ver-
brannt habend, — jene Anthropomorphiten der sketiachen
Wüste, die das Haus des Theopbilus von Alexandria stürm-
ten, bis er in ihnen das Ebenbild Gottes sah, oder jenes
alexandrinische Mönchsgefolge des Dioscur, das in der Marien-
Gregor von Nazianz, der freilich, mo er immer In Ekstase war, auch
sein MöDchtnm fanatiscber liebte. Daher sehie Diehtiingen über die
Marter und Wunder der paUstiniBohen Anachoreten , mit ihren elBemea
Ketten an den FfiMCO, ihran swanrigtägigw Fasten in den Höhlen,
wie sie unbew^lieb anf dem Oelberg ateben bis zn ibvem Tode oder
wie Baben ihm Bissen teilen xl a. YgL Greg. Nas. opp^ ed. Ben.
H, 999.
1) Bnrckbardt, Zeit Gonstantm^s d. Gr., S. 482, gegen dne
gewisse Kritik vom Standpunkte des iiiodeiasn gesohäftigea T^dbeaB aus,
die nicht im Stande sei, „die geistigen Uttlite auch nv zu abnea, die
jene Bisseonaturen in die Wfiste tridl)en. Jene Einsiedler sind es ge-
wesen, die dem gansen geistlioben Stand der üolgendsn Jabrlraadsrte die
höhere aeoetisehe Haltung des Lebens oder doch den Anspraefa daraof
nitfeeilten.'*
s) Socrates bist eccL TII, Ib*
^ kj i^Lo l y Google
568
weingakti:n,
kiiehe za Ephesas den Flftvian mit FOsBon eq Tode getreten»
überhaupt die Massen, denen «las Kloskr alsbald nur die be-
quemste Form sorgenloser Verptiegiing war, mit dem Geruch
der Heiligkeit und dem Selbstbetrug ihrer venTieinten hdbmn
Tagend, — diese sind aus anderen Schichten hervoigegaiigeoL
In Betracht kommen sie fQr das fönfte Jahrhundert nur ab
die Trabanten und Freiioips' der Hierarchie in den kirch-
lichen Parteikämpfen und in der Vernichtung der Denkmale
heidnischer Culte. Aber die Literatur, die sich an sie ange-
schlossen, darf ein allgemeineres, cultnigeBchiohtUcheB Intorenne
in Anspruch nehmen. Denn in ihr stellt sich die Fort-
setzung desantikenRomansund die G rundlag e der
kirchlichen Volksdichtungen des Mittelalters dar.
Als die griechische Bomandichtung, gleichzeitig mit dem
untergehenden Heidentum, „das nun einmal die eigentliche
Welt der Kunst war^^ im Zeitalter Theodosius des Grossen
ihre künstlerisch gestaltende Kraft erschöpft hatte, sind die
einzelnen Elemente dei*sclben, wie sie im Volke lebten, in
diese diristliche Mönchs- und Heiligenlegende übeigegBDgen,
und die ganze Wunder- und Zauherwelt der Tita Antcoii«
wie der unübersehbaren Reihe der ,,Titae patrum", die mit
den bewussten Dichtungen des Hieronynms, den mehr sagen-
haften der Historia Lausiaca beginnen, ist nur durch die hinein-
gesetzten christlichen Goulissen und Decorationen von der
phantastischen Fiabelwdt des vorchristlicben griechischen
Romans unterschieden. Der Nachweis im Einzelnen, wie
sich der letztere in der cli ristlichen Literatur des vierten uud
funl'ten Jaiirkonderts fortgesetzt bat , überschreitet die
Grenzen der vorliegenden Skizze, und Iflsst sich gmtigeiid
auch nur in dem grossen Zusammenhange fOhren, der die
antiken Grundlagen und Beziehungen auf allen Gebieten der
1) und unabsichtlich im grossen uud ganzen daa durchgefOhrt^
was zuerst in den CI< ]ii< ntiiiiflcheii Homilien, vielleicht auch im Pastor
Herniac im zweiten Jabrhtmdert Tersucht worden ist, „dem Sebema des
heidnischen Abenteuerromans einen christlichen Inhalt zu geben", wi«
Rohdc, S. 476, sieberlicb geschichtlich zutreflfender als modooM dqp-
matisirende Kirchengeechicbte die Stellang der Glementiiieii angiedMitei
bat
UBSPKUNG DES MÖNCHTUMS. 569
katholischen Kirche jener Tage darlegt. Aber an einigen
Beispielen mögen wir auch hier nicht vorübergehen.
Die paradisische Oase in der Thebais, die Bofinus entdeckt
haben wiU, deren Manche in seliger Hohe, ?on keiner Krank-
heit betroffen, in nngeschwftchter Jngendkfaft ihre Gebete nnd
Wunder verrichten, ihren Tod vorhersagen und dann fröhlich
abscheiden^), hat schon vor Cäsar und Augustua Jambulos
gefunden in seiner Wonderinsel, mit ihren erquickenden
Quellen, ihren blflhenden Wiesen, ihren ohne Krankheit bis
ins hnndertfünfzigste Jabr lebenden Menschen, die sanft hin-
überschlummern unter dem betäubenden Duft des Mandrago-
rabaums Die wunderbare Kettung aus dem Scheiterhaufen,
die. dem heiligen Kopres zu Teil wird, hat schon ein Jahr-
hundert zuvor der Held der Bphesischen Geschichten desXeno-
pBon erfahren, den der Sonnengott rettet, als er schon ans Kreuz
gebunden, und hernach mitten aus dem brennenden Scheiter-
haufen heraus *). Auch die anderen Bewahrungen in grossen Qe-
fafaren sind ganz nach den Schablonen der heidnischen Dichtungen
des dritten, vierten Jahrhunderts gezeichnet Gleichermassen
stanmien die Wunder dieser Asketen aus der antiken My-
thographie. Die Metamorphosen, die Macarius vollbringt (vgl.
oben S. 26), sind schon in den heidnischen Sammlungen der
^) finfiniiB hJitoria monachomm 17: „intrinaeeoB putei plnres,
horti inigni, mnniiim qnoqiie pomomm arbonun^ pendiBL" Die Mdnohe
MAnimi viitatibiu pollentee, nt omnes signa fiidant: et qood vera omniom
miiificam aigiiiim Bit, dqUiib eomm aegritudinem d^OBqiiam infirmitfttas
iacnirit^ Bed oom unicniqne vitae fiais aAurit, omahnodia pmeaoBoeiiB
et üidicaaB ceteris fratriboB bqIb de bqo edta atqiie emaibaa vale dioeoB,
ad hoc ipsom leeabaiiB, Bpiiitam laetna emitfeit."
s) Bobde a. a. 0., S. 227ff. Dasa die Insulaner dee JambaloB
Bieh freiwiUig den Tod geben, naoh dem YorbiM der Btoiaeben Weieen,
konnte in der ohrietlicben Diefatnng natOrlich nicht beibehalten werden;
geblieben iat nur das glttcklicbe nnd TorheigewiiBBte, wenn auch nicht
BdbsCbeBtiaunte Ende.
Ygi. Bohde a. a. 0., 8. 884fll
*) Man Teigleiclie s. R die Enihhing Palladiae hist LanB.
148Bqq. ftber die Att, wie eiöh euM cbriBtUdie Jnngfran in einem 5ffent-
licfaen HaoB an Bchtttien weiBs nnd wie Bio gerottet wird, mit der glei*
ehok Lage nnd Befreiang der Thanna bei ApollcoinB tod Tyrus (Bohde
410} nnd der Aatheia in den EpheeiBchen Oesdhiehten (Bohde 887).
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670
WEINGASTEN,
Paradoxa er/ahlt. Auf inständiges Gebet der Galatea wa.ü(h'li ^
Leto deren Tuchter in einen Jüngling; des3 zu Ehren die
Phaistier auf Greta die Mima feierten Poseidon erfüllt
die Bitte der Tochter des li^ithenfUrBten filatoe, TsmaiiMl
de in einen Maoni um sie onverwnndbar m maeheii; die
xuiylq wird zum xuivtvg Und auch die historische Sorg«-
falt und Akribie, mit welcher diese antiken Berichte ihre
Transsubstantiationsmirakel ausstatten, Itet an scheinbarer
Sioberheit nichts sn wünschen ftbrig gegenüber den hiatori-
sehen Datirangen der dirislllichen Romane^); die Heiden
konnten sich auf ihre KaLser berufen, etwa auf den Altar,
den Kaiser Claudius auf dem Capitol dem Zeus Alexikakos
errichtet, sam Andenken an die Tat, die zu Antiochien ge-
sdiehen , wo die nnsSgliehen Sobmenen einer Bnnt endUcb
ihre Brklftning in den mftnnlichen Gliedern toden, die deh
Mädchen gewachsen waren. Todtenerweckungen haben schon
die Neuplatoniker ihren Magiern und Weisen zugeachrieben,
wie Philostratos dem ApoUonins von Tyana, Jamblichna seinen
Chaldflem Nor die tflcldsdhe Gewalt der Tyche, dieeeB
leitenden Dämons*' des späteren Hellenismns und seiner
Fabelwelt, ist für die christliche in das ebenso unberechenbare
neidische, boshafte Keich der Dämonen umgewandelt, zu dem
freilich auch die antiken Wald- und FeldgOtter ihr Bild und
Mythus beigesteuert haben. Koch nicht bei Athanasias und Ba-
silius, welche auch die Macht der Tyche noch unter den Gesichts-
1) Antonias Iiiberalii, bei Wesiermann, njthogn^hi
s) PhUgon Trallianns 5, bei Westermann, pandozognipfai
ISOsqq.; Tgi c 4 dss ähnliche Wonder des Xheslas, auf Apolloa
Bat.
* 9) Phlegon TralUanns 6. Uan kann gar nieht seheinhsr ge-
nauer datiren : a^x^^ ^J^^m^gut Utrrtnat^v, ^nmftwopwmp #r f^ftg
^rof. Am vierten Tige: «vV fi9jMi§ ^^fi^ taw^aywSmts» iUf¥m
4) YgL Bohde 868; auch die gewies sntntade AnsL &
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UBfiP&UMG I>i;8 MOWCHTUMS.
571
punkt der Frage nach dem Weltgesetz stellten; erst Hierony-
mus und seines Gleichen haben sich ein ungewolltes Ver-
dienst nm die veigleidiende Mythologie erworben. Unwill-
kflrlich aber erinnert man sieh bei dem bunten und mOg'lichet
barock costümirten Getfimmcl der von den Dämonen Besessenen
an verwandte Monstra griechischer, an der indischen genähr-
ter Phantasie; ist niftht jenes nx^/ua Satfiorim nvQwQif^\
das alles Genossene in Dampf und Baudi verwandelt nur
der Antipode des indischen Bflssers, der, mit den Ffiasen an
einem Haum hängend, nur von eingeatmetem Rauche lebt?
oder der äoiofwi des Megastlienes, die sich nur vom Duft der
Blumen und Braten nähren')?
Mit dem griechischen Boman teilen die vitae patrum den
eintönigen, schablonenartigen CSiarakter der Erzfthlung, bei
der «ich selten unterscheiden lässt, was bewusste Erfindung,
w;is unbesehen aufgenommene Sage ist. Der Legemh* aber
hat sich alsbald die theologische Doctria bem&chtigt, und die
vierundEwanzig collatioiies patrum des Jobannes Cassianus
verhalten sich zu Rufinusund Aehnlichen wie der Tendenzroman
zur Vulkspoesie. Des Cassianus oherägyptische Schilderungen
mit ihren mythischen Städten und Hölileu, wo uralte Greise,
die kaum noch herankriechen kennen, aus Cicero de fato
eitiren und Ober griechische Philosophie discutiren werden
nach demselben Gesetz beurteilt werden müssen, das H e r c Ii e r
für die geographischen Erdichtungen Homers und der Dia-
skouasten, Roh de für die principienmässig ausgemalten
Utopien eines Jambulos und Anderer nachgewiesen hat Die
Dialoge selbst aber bei Ghssian sind nmr Darlegungen seiner
eignen dogmatischen Ansichten, seiner Stellung zu den
Fragen des augustinisch -pelagiauischen Zeitalters, den Ein-
siedlern in den Mund gelegt; daneben ein System der Askese,
welches die Grundlage aller [mönchischen Tugend in die
„discretio*' setst^), bei whftltnismlsBig besonnener Btanng
1) Palladiu8 bist. Laus. 19. 20.
2) Vgl. Rohde 178.
>) Vgl. die ganze Coli XI; Xlli, 5 u. a.
*) coli. U, 2.
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WEINGA&TEN,
des Wertes dieser Askese und gelegeDtl icher ratiuDoler
Deutung des Dämonenglaubens *). Die Söhne Gottes
(iMoa. 6) sind die Sethiten, die Töchter der Menschen die
Töchter Gains, weil: n^xSio modo credendnm est, ^nritua-
les natnms ooire com feniinis canialiter poese"*). Aber
auch bei Ciissiau fahrt der Teufel mit Schwefelgeruch ans
dem Schooss des Serapion aas, nach dessen eigner £r-
zfthhug*).
XI. Die Nachbildungen des 'ägyptischen Mönchtutns in
Palästina, ferner in Armenien, Paphlagonien und Pontos (unter
dem Einfluss des Eostathius von Sehaste), die weiteren Ver-
zweigungen im römischen Asien können kaum ein selbständiges
Interesse beanspruchen, und mögen hier übergangen werden. Aber
wir k<lnnen nicht umhin, noch auf das Al)0]i(]land einen Blick
zu werfen. Das occidentaliscbe Mönch tinn, eiit standen, wie früher
nachgewiesen, erst um die achtziger Jahre des vierten Jahr-
hunderts, trägt urspröngliche Zeichen genug der nnr äosser-
liehen Umwandlung heidnischen Wesens in christliche Formen.
Hat doch Hieronymus selbst, allerdings zu einer Zeit, wo er
fiberj den römischen Klerus nicht boshaft genug reden
konnte, die ersten italienischen Mönche mit ihren weibischen
Trachten als grobe Heuchler und Schlemmer gebrandmarkt
1) coli I, 10: eoiporalk enerdtatio ad nodloum ntflis est» pietw
avteni, qnao nne dubio eaiitas mtelligitor, ad omnia atiUs wt.
s) colL YU, 27 wird der Abt Moses, eine der Autoritäten des
Gassian, der sehr weise Sberdie „diseretio'' Tortrigt, von Maearius ätSät,
dass er voischneU efai Wort gegen ihn gebrochen, damit besivaft, dass
er Kot isst: „tarn dioo eonfestim est traditos daemoni nt huinanas
egestiones ori sao ab eo sappletas ingemet/' Uge solcher plötdidieB
Wandlung ans hoher Speeniation ins Tierische eine Tatsache an Gninde,
wie mOsste man sich den Qmt dieses Mönohton» an den Grensen des
Wabnsmns denken I aber das Ganze ist nnr eine theoretische Erfindung»
um zu zeigen, dass wer schon auf Erden bestraft werde, die Hoffiiung
h^gen darfo einer Yeiachonung am Jenseiti und umgekehrt. YgL oolL
YII, 81.
a) coli. Ym, 21.
^ «) coli, n, 11.
a) In dem um 886 in Bom geschriebenen Brief ,»de cuatodia
virgiuitatis", wo er Ton dem genus deterrimum atqne neglectam
spricht» quod in ncstn proviscia aut solum aut primum est apud
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DEBniUNO I>li8 MÖMCffnnUS.
573
Aber wie ftnsserlich und achaaspieleriach, nur aof den Schein
aditend, hat nicht anch Panlinns Ton Nola, der Freond und
Zeitgenosse Augustins, asketische Tugend gedacht*), er, der
noch ^anz nach altheidnischer Sitte sich dem heiligen Felix
weiht, indem er den Phstlingsfiaum seines Bartes an dessen
Grabe niederlegt Am Mönchtnm hat er yor allem das
Stamien und die Devotion gepriesen, die es bei den Zeitge-
nossen fand, wie er über den Besuch der heiligen Melania,
der Freundin des Kufinus, declamirt: „die Reichen bewun-
derten die arme Heilige. Die Söhne in seidnen Kleidern
und nach ihrem Oesohledit in Stola oder Toga zu glflnzen
^< wohnt, freuten sich, ihr Unterkleid, welchee wie aus dickem
Schilf geflochten war , und ihren ärmlichen Mantel mit der
Hand berühren und ihre Kleider von Pelzwerk, Gold und
künstlicher Arbeit zu ihren Füssen hinlegen zu können, damit
sie dieeelben berflhre; denn de glaubten, von der Befleckung
ihres Beichtnms -geheilt zu werden, wenn sie von dem Staube
ihrnr Fusssoll len bedeckt würden Es ist dieselbe heidnische
Zauberwelt, welche die Staffage seiner Natalitien des heiligen
Felix bildet, der, durch einen iSngel befreit, seinen todten
Bischof durch die Traube von einem Wunderbaum zum Leben
zurttckruft. Wahrend einer Verfolgung flflchtet sich dieser
heilige Felix in eine Höhle, die durch eine Spinne alsbald
dicht zugesponnen wird. Am Abend verlässt er diese Zu-
fluchtsstfttte, verbirgt sich in einer aufgetrockneten Qisteme
hoö affectata sunt omnia, laxae manicae, cali^Mc follicant^H, vestis cras-
sior, visitatio virginiiru, dctrectatio clericorom, et si quando dies festns
venerit, saturantur ad vomituiu.
*) Welche froninie Eitelkeit and Selbstgervolitij^kt it spiegelt sich
nicht in der Art, wie Paulinns von Nola in seiner Predigt „de
gazophylacio" zur Wohltätigkeit auffordert: „plurimi te cxspectant
et in adventum tuuni pendent" (ähnlich wie die dienten) „circuraspi-
cientes, qnando te videant. Aliud est, quando tu solu« oraa pro et
aliud, quando niultitudo pro te apud deuni trepidat. Tu tact.< et cum
taces, Uli pro te clamant. Et vidont te et arrident. Iiivt niunt te et
salutant . . . . m omnibus ecclesiia pro te rogaut, in oiuuibuH plateis
tibi gratulantur, et in locis singulis ad commemorationeni tui nominis
erigimtar, beuedioeotes dominum, et abflentem te in suis manibos osca-
lantur!"
Buse, PaoUnos von Nola I, 342.
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674 WBDiaABnBI, UMFSUm DBS MOHGBÜT
irf;
sechs Monate hindurch, und wird w&hreud dieses gauzeo
hiibfiu Jahres Ton einer Frau erludten, die» ihr mUM «nbe-
wuBBi, in der Ekstase ihm die Speisen intragt. Dnroh Tn*
Wölken, die ihm Christas losendet, wird sein Durst gestillt
XIL Ein segensreiches Element des Cnlturlebens ward dss
Mönchtam erst durch den heiligen Benedict und die Bene-
(iictiner des beginnenden Mittelalters. Arbeit war in keiner der
älteren Vorschriften als eine feststellende Tagesaufgribo vorge-
schrieben; auch die Regeln des Pachomius entbalten nur Ein
Hauptgebot: Schrifimeditation , Gebet und Gottesdienst Sie
setzen zwar Anfertigung yon EOrben aus Nilsehilf und Ver-
arbeitung von Palmenzweigen voraus, aber, wie es scheint, nar
zum eignen Gebrauch der Klostergenossen. Eine Verwertung
im Sinne der Industrie kennen sie nicht Die Heimat d»
ersten Mönchtums blieb die Wfiste. Erst die Benedictioer
haben Wflsteneien und ürwfilder in Ackerland umgcwandcit
und neue Heimatcn der Menschheit geschaffen. Sie haben das
unverbnlchlicho Gelübde an die Stelle der ursprünglich en Un-
gebundenheit gesetzt. Goncentration, Organisation und rdmiscb- i
hierarchische Bedeutung hat das MOnditam durch Oagoj
und Citeaux gefunden. Zu einer religiösen Macht aber iflt |
es erst durch den heiligen Franciscus geworden , und
durch jene Klöster, in denen die erblühende deutsche Mystik <
dem christlichen Leben neue Gestalt und Inhalt gewann. Das ,
war der Geist, aus welchem in der Augustineraelle zu Witten-
berg Luther sein Büchlein gescliriebeu hat „ Von der Freiheit
einee CliristenmeDschea''.
1) Viel zu matt iKjhandolt dies alle« Ebert, cliri8tlich-lat*;iiiiöcbc i
Literatur 291 als „nicht ohu«' sü^renhafte poetische R<»ize". '
*) Die 60. Reg-el : ad otficiiia^ tliversaruni artiuiu soli |>ergaiit prie-
positi, ut accipiant, quud necesHariuin est, bezieht sich offenbar nur w( i
Einkäufe drr IJediirfnisse des Klosters» niclit aul Hun«!« Isgcsciütftc. !>**
nach modüicirt n'ich Üurckhardt, Zeit Contitaiitijrii
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DelNNT dei VerCuMr der Schrift „Vm der W#UUt
Christi^
Von
Lic Dr. Karl Benmtti
ia Bonn.
In dem Jnnuarheftc der „Kivista Cristianu** 187(1 und
zugleich in einem etwus sputer zum Abdruck gelangten Artikel der
Berliner NationaUcitun^ hatte ich den obigen Gepienatand km"z
behandelt. Darauf ist von Jules Bonnet (Iliv. Crist. III, 1S70)
gegen meine Austuhrungen Einsprache erhoben worden. J)ieser
Gelehrte sagt in einem an den Herausgeber der Florentiner
Zeitschrilt gerichteten Briefe: „ J'ai lu avec toute Tattention t^u'il
merite Tarticle de votre savant coUaborateur, M. Karl Benrath,
ßur la qucstion tant controversee relative u l'auteur du
,Beneiizio*. Avec le plus r<Scent editeur de ce celebre opuscule,
M. Chufchill Babington et contrairoment a Topinion eoutcnuc
par Leopold Ranke, je n'ai point breite a attribuer cet ecrit
a Paleario. L'cüoquent accusd de Sienne, le touchant martyr
du Pont Saint-Ange, m'a paru le seul auteur possible du ii?re
qui r^sume toute sa theologie et dont il assume courageuse-
ment la responsabilit^ devant ses jugcs. En depit des doutes
exprim^s par IC. Benrath, je demeure tr4s &app^ des singuli^res
concordanoes qui existent entre le passage tant de fois cit4
du plaidoyor de Sieoae et le MBenefino" publie la m&ne
annie (1542) en langue toscaae, ayec de nombrenx t^moignagea
empnintes a ces m^mes P^res dont je retrouvc les nöms
dans la defense de Paleario. „Si", disais-je en 1863, ,,il n'eat
pas Tauteur du »Beneflzin', -i (juel autre opuscule Italien du
16*"^ si^de penvent s'appliqaer les declarations ai nettes et ai
categoriquea de aon discours?" C'est a cette qneation qua
M* Benrath croit pouToir r^pondre victorieuaementj par une
note de M. le, profeaaeur De Lera qui d^lare afoir tu a la
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BENRATH,
Biblioth^que de Saint Pierre aux LiexiB im manoserit oontenant
un Qxtrait du proct^a de Paleario, dans lequel on lit qoe
l'oaYrage inGrimin^ avait ponr titre: della pienesBa» snffloieiu»
et satisfatione della pastione di Cnsto (Storia docomeiitata di
Carlo V., t m, p. 363 — 369). Vous raTOiiflni«je , Honaienr,
nialgc^ rautorit^ qui B'attache k Topiiiion du dooto pyofoMOur
de Padoue, j'ai peine ä yoir an Ütn dana la phnaa xedon-
dante et oonftaae qoe je viena de tnuneiixe. Elle eoatiaste per
tcop arec la noUe fonnole qm verient aana cease aona la
plame de Paleario pour ezprimer ion dogme &Tori, celni de
la redemption: „Beneftoium aangoinia Cluiiti". Le noiiTeaa
titre qu'on alldgaei rar la Hol d'nn raeoontenr * inooima, ne
aeraitril paa plutdt un r^um^, une eaxaoteriatiqQe, ploa on moma
oonrectei qui a'appliqne d'aiUeun paifidtement au »Benefiilo'?
Pour que la eoigectuze de II. De Le?a derlnt une oertiiade,
ü laudrait que le myaterienx 4cni A6ngfi6 dana le oodez de
Saint Piene aus Liena (rariasima aTial) fikt produit au giand
jour et que de plna il oorreapondlt anari bien ehe le MBene*
fisio" aux indicationa foumtea dana le diaeouza de Sienne.
Tant que oette double condition n'eet paa zemplie, la r^Mm
aemble eommand^ aus teiTaina, qui, plaoda entre Im <m dU
ai direiB du 16*** aiicle et lea ooiqeetiiiea d'une ^poque ult^
rieuze, ereient a? oir adopt^ la tlidae plua plauaible et n'en-
tendent paa Ifioher la proie pourl'ombre. •
Dieser Brief wurde seitena des Herauagebera der ^Biviata
Criatiana", da ich mich aelbat etwas wdt entfernt, nftmlich
in Dublin mit der Untersuchung der im Trinity College auf-
bewahrten InquisitlonsmanuBcripte beschiiftigt, befSuid, nmächat
an den mir befireundeten Professor Giuseppe De Leva in
Padua gesandt. De Lera war insofern direkt bei der Ange-
legenheit beteiligt, als ich eben nach seinem Yorgange daa
mysUrieux 4GnV dtirt hatte. De Leva erwiederte nun in
einem Bchreiben Tom 28. Februar (s. a. a. 0., 8. 90 — 92),
dass er gern bereit sei, mich in dieser Frage su Tertreten,
daas er jedoch der Ansicht sei, meine Ausführungen bedürften
keiner weiteren Erklllrung. Dagegen hebt er noch ein Drei-
faches herror: Erstens, dass die damalige allgemeine IJnbe>
kanntaohalt mit dem Verfesaer des „Benefiilo'* uneddirlich
sei, wenn angenommen werde, eben daa „Benefliio" sei die
Schrift, zu der Paleario sich so minnlich in seiner Vertei-
digungsrede selbst bekannt hatte. Zweitena, dass nicht ein
^yon-dit" oder Tage Gerüchte den wahren Yerfesser des Büch-
leins bezrichnen, sondern LeutCt die sehr gut über die Sache
Bescheid wissen, und zwar mit Toller Bestimmtheit. Drittens,
dasB in jenem Mannscripte ton S. Pietro in Yineuli die andere
Schrift „Della pienessa, sufilcienaa et saüsfetieiie della pasaione
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Ober d. vjbrf. d. schrift „von d. wohltat chbisti*'. 577
di Cristo" dem Paleario nicht beigelegt werde von einem
„rapporteur iuconuu", sondern seitens des Inqiiisitionstribiuialea
und auf Grund von Zeugenaussagen vor den Richtern.
Ich möchte noch Einn hinzufügen, um den Gang der fol-
genden Untersuchung zu kennzeichnen. Herr Bonnet stützt
sich hau])t8ächlich darauf, dass uns keine andere Schrift aus
jener Zeit bekannt sei, auf deren Inhalt dasjenige passe , was
Paleario in seiner Rede als in seiner eignen Schrift enthalten
erwähnt. Bei der ünvollständigkeit , die unserer Kenntnis der
literarischen Erzeugnisse jener Periode und Bewegung immer
noch anhaftet, würde ein solches Moment auch dann nur von
relativem Werte sein , wenn wir den Fingerzeig des von De
Leva angezogenen Manuscriptes entbehrten. Die Frage ist eben
nicht: ob sich in dem „Beuefizio di Cristo" gewisse Gedanken-
gänge wiedertinden, von denen Paleario's Rede uns sagt, dass
sie auch in seiner eignen Schrift vorhanden waren — denn
bei der Eigentümlichkeit des beiderseits behandelten Stoffes ist
das gar nicht anders zu erwarten. Sondern die Frage geht
dahin : ob die Summe aller hier in Betracht kommenden Mo-
mente uns erlaubt, bez. zwingt, das „Benefizio'' als mit der
von Paleario Texfiuwten Sohiift identisch zu betrachten. Dieie
Frage soll nun • im folgenden einer abermaligen Prüfung
unterworfen werden, die auch eine Reihe Ton Momenten be-
rücksichtigt» welche bei der kürzeren Darlegong nicht zu ihrem
Aeohte kommen konnten.
Wenn uiau die Prozessacten mustert, welche uns bisher
ans den ersten Jahizehnten der Tätigkeit der römischen In-
qnisitioD im sechzehnten Jahrhundert zngSiigliGh gewesen
sind, und wenn man damit die zahlreichen Schlossurteile
solcher Prozesse vergleicht, wie sie sich in den Inquisitions-
Acten in der Bibliothek des Trjnity-Gollege in Dublin dem
Stadium darbieten, so wird man fibenascht sein Yon der oft
wörtlich Qbereinstimmenden Gleichartigkeit der Anklagen, wie
sie seitens des Inquisitionstribuiuiles gegen die vor ihm
stehenden „Häretiker'' erhoben wurden. Obgleich die refor-
matorische Bewegung in Italien keineswegs einen ähnlichen
dominirenden Mittelpunkt gefunden hattOi wie dies bei der
deutschen mit Wittenberg, der schweizerischen mit Zflridi mid
der Ii uiizöHischen mit Genf der Fall war, so sind doch die her-
ZaiUelu, f. 8.-0. 38
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578
BENEATH,
vurragendsten evangelischen Lehren, die von der Recht-
fertit^mg durch den Glauben und von der Ohnmacht des i
Menschen, durch seine Werke die Seligkeit zu erwerben , die
TOD dem alleinigen Ansehen der heiligen Schrift gegenfiber der
Tradition, dann der Gegensatz gegen Papättnm nnd Priester-
tum, gegen Transsubstaiitiatioii und Lehre vom Fegfeuer
nnd eine Keihe von anderen Punkten so entschieden und so
gleichmässig innerhalb der evangelischen Bewegung in Italien
ausgebildet worden, dass man fest den Eindruck bekommt,
als hätte man es hier mit einer in sich zusammengeechlossraen
theologischen Schule und nicht mit einer an den versjchieden-
sten Orten fast gleichzeitig zutage tretenden Beaction des
christlichen Volk^istes zu tun. £6 ist bemerkenswert und
mag wohl damit in ursächlichem Zusammenhange stehen,
dass die reformatorische Bewegung in Italien sich mit einer
verhältnismässig L^eriiigeu Anzahl von literarischen Erzeug-
nissen , in denen die alle Welt bewegenden Fi-ageu er-
örtert wurden, begnügt hat Durdi eine beispielloe erfolg-
reiche Tätigkeit der Inquisition nach dieser Seite hin sind
dann auf uiih von den wenigen nur die wenigsten gekouinieii.
und in vielen Fällen sind es eben die Verzeichnisse der durch
die Inquisition auf das strengste geübten Büchercensur , wel-
chen wir die einzige Notiz über italienisdie refonnatoriache
Schriften Terdanken. Da nun das Lesen, ja schon der blosse
Besitz eines solelieu Buclies einen schwerwiegenden Ankl^e-
punkt vor dem Tribunale der Inquisition bildete, so ist es
erklärlich, dass dasselbe auch in den Froaessacten und ina^
besondere in den Schlnssurteilen als solcher bcig^gnet und bei
der Verurteilung des Angeklagtoi mit ins Gewidit fällt Und
da ißt es denn vor allem eine Schrift, welche in den Händen
der meisten gewesen ist, die von der Inquisition ?erurteilt
worden sind, und die einen weitreichenden üünfluss auf die
ganze evangelische Bewegung in Italien gehabt hat, ntmlicii
der Traktat „Von der Wohltat des Todes Christi
Die wimderbare Geschichte dieser Schrift ist bekannt.
Zu Vergerios Zeiten, also in den vierziger Jahren des sech-
zehnten Jahrhunderts, in mehr als vierzigtansend ßzemphrai
allein Ton Venedig ans durdi Italien verbleitet, ist sie ännk
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Ober d. verf. d.sciirift ^von d. wohltat christi'^ 579
die Inquisition später mit solchem Erlulge aufgesucht und
überall vernichtet worden, dass es bereits im vorigen Jahr-
hundert als unmöglich galt, ein £xemplar der Schrift aufzu-
finden, mid dasB in den dreuasiger Jahren tmeeres Jahrhnnderts
ein Bänke sie als ▼((llig Teracbwnnden nnd unanfSndbar be-
zeichnen zu müssen glaubte. Aber ein güiustiges Geschick
hat das Büchlein doch wieder an das Licht gebraohL Nach-
dem eine Uebersetzong in das Engliscbe yon Mr. Ayre anf-
gefhnden nnd 1847 verOffentliobt worden war, g^ang es
1856, das italieniflcbe Original in Csmbridge za entdecken
und zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.
Das treffliche, aber namenlose ßüclilein hat nun, indem
es zun zweiten Male in zahlreichen Ausgaben und Ueber-
setznngen seinen Lauf durch die Welt nahm, dem ge-
lehrten Publikum die Frage gestellt, wer als sein Verfasser
zu betrachten sei? Und auf diese Frage hat vor allem der erste
Herausgeber des neu auigefundenea Originales, Herr Churchill
Babingtea, freilich nicht ohne Besenre, die Antwort erteilt:
Aonio Paleario — eine Entscheidung, welche von ihm mit
Aufwand grosser Gelehrsamkeit verteidigt und von den Meisten
als maRsgeboiul angenoninicn worden ist, nachdem sie bereits
im vorigen Jahrhundert durch J. G. Schelborn, den gelehrten
Bibliothekar in Memmingen, gegeben und begrOadet worden
war. Ein^ Daten, welche eist in den letzten Jahren be-
kannt geworden sind, machen es möglich, die Frage jetzt mit
Zuverlässigkeit zu beantworten. Wie aber auch das End-
resultat beschaffen sein möge — eine abermalige Unter-
suchung wird sieh der Mühe nicht entschlagen dürfen, die
von Schelborn und zuletzt von Babington vergebnehten Be-
weismittel auf das genaueste zu prüfen.
Schelborn gebt zunächst in dem ersten Üaude der Amoe-
nitates Historiae Ecdesiasticae et Literariae (Frankfurt und
Leipzig 1737, S. 156) auf die Frage ein. Im Ansehluss an
eine Aeusserung Veigerio*8 fiber das Bfichlein sagt er: „Es
ist überaus selten und in den Verzeichnissen der verbotenen
Schriften schwarz angestrichen. Sein vollständiger Titel
lautet: Trattoto del beneficio di Christo, fis ist in das
Franzödscbe fibersetzt und 1645 in Lyon durch Jean de
SB»
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580
BENRATH,
Tonniee gedrackfe w<Mrden onter dem Utal: Da bMfioe de
Jesus-Christ crucifi^ envera les Chretieus, tradait de vulgairo
Italien eu Fran9ois. Dies geht aus dem von der Sorbonne aul-
gesteiiten VerzeiehnisBe verbotener Bficher her?ort wie e8 bei
Da PleBBiB d*AigenM (Odlectio jadiciomin de nofis Srrori-
bns, t. II, f. 175) abgedrackt ist Daes die Schrift «ach in
das Spanische übersetzt worden und unter dem Titel: Tratado
utilissimo del beneficio de Jesa Christo erschienen ist, zeigt
der Sotoiiiigor*8ohe Index ▼erboiener Scbiiften. Aas aUedem
mag man räf die Yortreffliobkeit dieees JBfichleins achlieasen.
Ich glaube aber, dass Verfasser desselben Aonio Paleario , der
fromme Märtyrer Jesu Christi, gewesen ist, welcher um
seines evangelischen Bekenntnisses willen 1569 in £om vet*
bnmnt werden ist Es scheint mir nftmlieh, dass anf diese
Schrift daqenige posst, was Paleario selbst in einer vor dem
Rat von Siena gehaltenen liede erwähnt. Doi-t sagt er näm-
lich: „Als ich im Laufe dieses Jahres in einer italienisch
verfasstcn Schrift die Wohltaten dargelegt hatte, welche der
Tod Ghiisti der Menschheit gebracht, worde mir dies in der
Anklage vorgeworfen. Lfisst rieh etwas ScbmflbMcheres sogen
oder denken? Ich behauptete, wir sollten nicht zweifeln an
Gottes Gnade, da ja Er, in welchem die Gottheit wohnte,
filat and Leben aas lauter Liebe am onsretwiUen dahioge*
geben habe; ich bradite aas den Sitesten and sicheisfeen ür-
bmden den Beweis dafür bei, dass das Ende aller Uebd da,
dass alle Schuld denen getilgt sei, welche sich von Herzen
2a Christus bekehrten, sich seiner Treue anheimgäben und
nor anf ihn ihre Hoi&aQg seteten, der ihren Glauben nicht
zu Schanden machen werde. Diese Behauptong ist jenen
Zwölfen als so hart and verabscheuenswürdig erschienen, dass
sie mich deshalb des Feuertodes wert erachteten; nun wohl,
soll ich deshalb den Tod erleiden, so bin ich glücklich, denn
wer ein Christ sein will, kann heutzutsge nicht in seinem
Bette sterben.''
Soweit Sclielhom. Seine Angaben bedürfen einiger Be-
merkungen. Zunächst ist der Titel der Schrift nicht genau
wiedergegeben; er lautet vielmehr in üebereinstimmung mit
dem der spanischen Ueberaetaui^: Tnttato atiüssimo del bene*
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ÜBER D. VEKF. D. 3CHBIFT „VON D. WOHLTAT CHBISTI*^ 581
ficio di Jesu Cristo crocifisso verso i Christiani. Die Ver-
schiedenheit in der Titelangabe erklärt sich daraus, dass es
Schelhom selbsfe nie ^langen ist, ein EKemplar der Schrift
m Geeicht so bekommen; noch im Jahre 1763 hat er dies
gelegentlich en^^ähnt (Ergötzlichkeiten II, 27). Ferner hat
gich bei der Angabe über das Todesjahr Paleario's ein Irrtum
eingesciilicheD , sofern dieser nicht 1569, sondern erst im
Jnli 1570 ien Tod erlitten hat Was die von ScfaeUMMm
erwflhnte Yerteidigungsrede Paleario*9 vor dem Rate von
Sieua angeht, so lässt sich deren Datum bestimmen und mit
diesem wurde dann nach Schelhorns Conjectur das Datum der
HeiEOßgabe unserer Schrift übereinstimmen mtaen. In der
Bede (Ph> se ipso) erwfihnt Paleario Bemaidino Ochino's
Flucht, und man hört es dem Redner an, dass er nnd seine
Zuhörer noch schmerzlich von diesem Ereignisse bewegt sind.
Die Flucht Ochino's fand g^gen Ende des Monats August
1542 statt Auch Sadoleto erwflhnt in einem an Paleario
gerichteten Schreiben^), dass er ihn bei einem Besuche in
Siena, „als eben das erste Gerücht über Ochino*s Flucht
ging", mit der Abfassung der obigen Rede beschäftigt ge-
funden habe. Beides deutet auf 1542 hin als frühesten Termin
fttr das Bfscheinen Ton Paleario's Schrift. Der Oonjectur Schel-
homs sind nun eine Reihe Ton Gelehrten gefolgt. Bei Gerdes
(Specimen Ital. Reform, p. 315), bei M'. Crie (History of the
Reformation in Italy, 2. Aufi. 1833, S. 344), minder zuver-
sichtlich bei Tiraboschi (Storia della Lett. Ital. VII,
p. 1452 sq.) findet sich diese Angabe wiederholt, und die
beiden loteten IKographen Mleario's, Jules Bonnet nnd Mrs.
Young, nehmen dieselbe als unbezweifelbar in ihre Werke
auf. Der verdiente Herao^eber des in Cambridge wieder
aufgefundenen Originales, welches im Jahre 1543 in Venedig
ohne BesBdchnung des Verfessers erschienen ist, hat die
Hvpothese, welche Schelborn in Ermangelung eines Exem-
plare s der Schrift selbst nicht im einzelnen durchföbren konnte,
in folgender Darling zu st&izen gesucht: „Aus dem, was
Paleario Aber seine eigne Schrift in der angefahrten
») Lib. IV, n. 2, Op. ed. HaUb. S. 556 £
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BENRATH,
Sielle seiDer Vertoid^migBrede 89^, ongiebt sieh: 1) dasB
dieselbe nicht von grossem Umfange war (libellns): 2) ätss
sie in italieniseber Sprache verfasst war; 3) dass ihr Titel
oder ihr Gegenstand war ,dcr Tud Cliristi und die Wohl-
taten, welche derselbe der Menschheit gebracht hat'; 4) das
sie hervorhob, ,wir sollten an der Gnade GoUes, dessen Sohn
sich aus Liebe zu uns in den Tod dahini^egebon habe, nicht
zweifchi'; 5) dans sie aus den '/uverläsc,! lösten Jieugnisseu der
Väter nachwies, unsere Uebel hätten ihr Ende erreicht, die
Handschrift, welche gegen ons zenge, sei ansgelfiecht allen
denen, welche sich in völligem Glanben an Obristna wen-
deten ; 6) dass die Schrift Paleaiio's in demselben Jahre er-
schien, in welchem die Kede selbst «(ehalten wurde."
Herr Babington sucht nun nachzuweisen, dass diese sechs
Punkte bei dem wiedergefundenen Traktate voUstftndig zu-
treffen , und rieht darans den Sobluss auf Identitftt dieser
Sclirift mit der von Paleaiio als seine eigne bezeichneten.
Die obigen Punkte, obwohl scheinbar individueller Art, sind
jedoch von solcher Natur, dass man das Erstere mehr oder
minder eingeschränkt zugeben könnte, ohne sich zu derdaiaus
gezogenen Folgerung zu bekennen. Dies bedarf rficksicbt*
lieh de^ eraten und zweiten Punktes keines Beweises, eiier
bezüglich des dritten. Der Ijetreffende Ausdruck Paleario's
lautet wörtlich: „Ex Christi morte quanta commoda allata
sint generi humane cum hoc ipso anno Thusce scripsieBem,
objectum fuit in accusatione." Bezielit man die Worte Pa-
leario's lediglich auf den Inhalt der von ihm verfasst-en
Seh ritt, 80 ist es klar, dass sie nur im allgemeinen angeben
wollen, dieselbe handle von Christi Verdienst und dessen
Wirkung auf die Erlösung; versteht man sie aber selbst von
dem Titel der Schrift, so kann doch nicht zugegeben werden,
dass in dieser Weise von keinem andern als unserm Traktate
geredet werden könne. Denn dasjenige, was diesseit der
Alpen „Bechtfertigung aus dem Glauben'' genannt wurde,
bezeichnete man in Italien durchweg als „Wohltat Christi^,
wie denn dieser Ausdruck in gleiclizeitigen r<'forn)atc)rischeD
Schriften, ganz besonders aber bei Ochino und Valdes, haußg
b^iegnei Dasselbe werden wir bezüglich des vierten Punktes
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OüEK D. VERF. l>.;:>CHiiIFT „VON D. WOHLTAT CHRISTI**. 583
sagen müssen: auch liier sind die Ausdrücke so allgemein ge-
halten und dabei so sclir mit der für diese Tatsachen der
inneren Erfahmog allgemein fiblichen Redeweise in Ueber«
einatimmiing, dasB wir, selbst wenn sie sieh annähernd wOrt*-
Hefa in dem Traktate wieder finden sollten, darin noeh keinen
zwingenden Grund für die Identität 7ai erblicken ver-
möchten. Nun ist aber, obwohl der Inhalt des dritten Ca-
pitels in nnserm Traktate denselben Grundgedanken wie
P^i]eario*8 oben wiedergegebene Anfllbmng verfolgt, dodi keine
Stelle in demselben nachweisbar, in welcher jene Worte buch-
stäblich wiederkuhrten. In den unter 5) angegebenen Punkten
findet Bubington den Inhalt von Kap. 4 und 6 unseres Trak-
tates wieder, welche eine Reihe von Zengnissen ans Kirchen-
vätern KU Gunsten der evangelischen RechtfertigungBlehre ent-
halten. Aber auch zugestanden, dass unter den „monumeuta
vetustisöima et certissima" notwendigerweise solche Zeugnisse
von Kirchenvätern — und nicht die der heiligen Schrift, in
der doch das Wort von der gelöschten Handschrift vor-
kommt — sn verstehen sein sollten, so Iftsst sich doch ent-
gegnen, duss eine Schrift über die gedaclitt Fuiidanieniallehre
der Kirche überhaupt schwerlich ohne den erforderlichen sei
es biblischen, sei es aus den Vätern geschöpften Beweis-
appaiat gedacht werden kann nnd dass somit die Einfügung
eines solchen in unserem Falle auch kein entscheidendes
Moment bildet.
Wir kommen damit zu dem sechsten Punkte. £s ist
der einzige, der uns ein entscheidendes Kennzeichen giebt:
-Paleario*s Schrift, was auch immer ihr Titel gewesen sein
mag, kann nicht vor dem Jahre 1542 erschienen sein. War
also unser Traktat bereits früher vorhanden, oder aber ist er
nachweislich späteren Datums, so haben wir in beiden Fällen
einen sichern Anhaltspunkt daffir, dass er ni<^t mit der von
Paleario erwähnten Schrift identisch ist. Das in Cambridge
aufgefundene Exem|dar trügt die Jahieszahl 1513. Ein von
niederer in den „Nachrichten zur Kirchen-, Gelehrten- und
üächergeschichte*^ beschriebenes ihm selbst zugehöriges Exem-
plar, welches heutzutage verschwunden ist, geh5rte offenbaf der-
selben Ausgabe und sieher demsdben Jahre an. Ob aber
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I
584 BENRATH,
diese Au^abe ab die ente angeselieii eeiii wolle, dafir fahtt
• jeder Anhalt, die einzige Bemerkung seitens des Druckers ,
geht dahin: er veröffentliche die Schrift ohne den Namen ^
des Ver&ssenit t,daiiiit die Sache selbsi und nicht (imm j
Name anf den Leser Eindrack maeben mOgs.^ Da nun die I
im Laofe der leteten Jabraebnte hier nnd da wieder warn
Vorschein gekoniraenen Abdrücke des italienischen Originals
sowie die üebersetzungen des Traktates in verschiedenen •
Sprachen sftnuntlioh jüngeren Datams sind — die franangisBhe
ist von 1545, die ftUesie englische von 1546 — , so linl aioh
aus dt'ui vorhandenen Material die Frage nach dem Br- |
scheinungsjahr des Traktates nicht direkt beantwort-en , und
wird es somit erforderlich, die Mitgen^Jssiacbe Litsratur und
(beschichte nm Ansknnft annigehen.
Was uns nnn nach dieser Seite hin bisher beksnat
war, beschränkte sich im grossen und ganzen iluI das Fol- |
gende. '
Der Erste, welcher den „Traktat von der Wohltat
Christi^* erwihnt nnd ihn so deutlich beaeichnet nnd so md-
gehend bebandelt, dass kein Zweifel an der Identitti «ut der
in Cain])ridge aufgefundenen Schrift obwalten kann, ist Frä
Caterino Politi, ein Dominikaner aus Siena, ein wütender
Feind aller Ketser und eigebener Diener der kirchlichen i
Beaction, die eben in Born tiiomphurt nnd sich in deoi Tri-
bnnal des S. üffizio ein laut redendes Denkmal g^etzt hatte.
Politi veröffentlichte 1544 ein „Compendio d*errori et in-
ganni lutei-nni , contenuti in un Libretto senza nome de
rautore, intitolato Trattato ntilissimo M benefitio di Chrislo
cmeifisso^S In diesem Oompendinm bekämpft er die Lebres,
welche er in unserem Traktate vorfindet, vor allem die von ,
der Rechtfertigung. Auf die Frage, wer den Traktat ver-
&8Bt habe, und wann er zuerst erschienen sei, weiss er kaiaa
Antwort „Der Veitaer dieser Schrift'S ssgi er in der
Vorrede, gegen die ich gezwungen bin anzugehen, wird Im
jedem Unbefangenen schon dadurch Verdacht erregen, dass er
seinen Namen nicht nennt. Denn wenn er, wie die Vorbe-
merkung sagt, ein Mann yon Gewicht ist nnd fibeneugt war,
die Wahrheit zu ssgen und zwar eine den Christeii .so fibe»»
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Ober d. verf. D.scmtFT „von d. wohltat chbisti". 586
aas uütztiche Wahrheit, so hätte er diese auch noch mit
dem Gewichte seines Namens stützen müssen'' a. s. w.
Nach Poüti ist 6b abennab zanftohst ein geBcfaworener
Feind der evangeliscben Bewegnn^, welcher den Traktat nam-
haft macht. Im Mai 1548 oder 1549 veröffentlichte der
päpstliche Nuntius in Venedig, Giovanni della Casa, den
ersten Index verbotener Schriften. Unter den siebenzig
Nommem findet sieh anch venEeichnet: „11 benefido di
Christo; nn libretto cosi intitolato.^ Ancb hier fragen wir
vergebens dem Verfasser oder dem Jahr der ersten Ausgabe
nach; so oft auch in den zahlreichen folgenden Verzeichnissen
verbotener Schriften nnser Traktat erwähnt wird, stets bleibt
man anf jene Fragen die Antwort schuldig. Aber sdion bevor
della Casa seinen Index zusammenstellte, war die Inquisition
auf das Buchlein aufmerksam gewürdeii; sie fragt darnach in
den Verhören, welchen die der Ketzerei Beschuldigten sich
zn nnterzi^en hatten, nnd ans dem Mnnde eines Francesco
Spiera, zn dessen Prozess die wichtigsten Acten unlftngst ver-
öffentlicht worden sind hören wir 1517 das Geständnis, dass
er sich im Besitze des „Benefizio di Cristo*' befinde.
Pietro Paolo Vergerio, damals als Flüchtling in Deutsch-
land lebend, hat den delhi Oasa'sehen Index mit Noten pole-
mbchen fohalts verseben nnd abdrucken lassen. Er hatte um
seiner protestantischen üeberzeugungen willen sein Vaterland
verlassen müssen; so glaubt man voraussetzen zu dürfen, dass
er wenigstens um den Namen des Verfiissers wusste. Aber
sei es, dass dies nicht der Fall war, oder dass er Veran-
lassung hatte, denselben nicht zu nennen — kurz, er bllllt
sich in Schweigen und macht nur die folgenden Andeutungen:
„Zwei haben daran gearbeitet, der Eine hat es angefangen,
der Andere bat es beend^^ und gefeilt; Beide leben in Italien
und sind den höchststebenden Prftlaten in Rom wobl bekannt
und bei ihnen in grossen Ehren, während hier ihr Buch als
ketzerisch verdammt wird."
So lassen una denn diese Zeugnisse von Zeitgenossen be-
1) FranreRco Spiera, Episodio della Bifofna religioba in Italia^
natmto da G. Comba, 1872.
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BBHRATR,
z^gliefa der Frage nacii der Zeit der Abfimuig und dem
Verfasser des Traktates im Stidi. üiid doeh hat Palemo
schon Jahre lancf vorher und zwar iu einer öffentlichen Ver-
haudlung, welche Aufsehen in Italien erregte, die Veraiit-
wortlicbkeii f&r die Abfaesong eeiner eignen Schrift auf aicb
genommen. Ist es denkbar, dass Politi, der selbst ans 8ma
stammte, der in engen Beziehungen zu dem Rate seiner
Vateiutadt stand — wie dies Briefe beweisen, welche er nach
Ocfaiao*8 Flncht dorthin richtete — , von dieser Tatsache k^ine
Kenntnis erhalten haben sollte? Ist es denkbar, daaa ¥§r
leario's eignes Bekenntnis so bald nnd so vollständig rer-
hiillt sei, dass es den Vertretern der Iuqül^ition bei Ab-
fassung iiirer Verzeiclinisso verbotener Schriften unmöglich
wurde, zu dem yerhassten Traktate den Verfuser zu findea,
wenn dieser sich doch selbst genannt hatte?
Allein wir k<(nnen noch andere Zeitgenossen fiber dm
Traktat befragen. Zunächst einen Mann, welcher, obwuhl
ohne OiuikI, selbst für den V^ertaaaer desselben gehalten wor-
den iat, nämlich den Cardinal Morone. Als unter Paul IV.
die Inquidtion in Rom in nie gekannter Strenge auflebte,
wurden fast gleichzeitig vii^' Prälaten als der Ketzerei ver-
dächtig in die Kerker der Kiigelsburg geworfen: der Cardinal
Polo, die Bischöfe San Feiice von la Cava und Foscarari von
Modena, sowie der Cardinal Morone. Ent der Tod des
Papstes hat diesen Letstern nach zweijähriger Gefimgenaehaft
befreit. Währen»! nun sein Verhör vor dem S. llffizio sich
hinzog, hat Morone im Juni 1557 eine schrütiicke Ver-
teidigung ver&flst, welche sieh unter seinen Prozessacten im
vatikanischen Archiv vorfindet nnd von Qintü (Gli Bretlei
d*rta1ia II. 176 ff.) mitgeteilt wird. Der Cardinal spricht fndi
dort über mehrere Punkte aus, über die Rechtfertignngslehre,
über die Verdien&tlichkeit der Werke, über ketzerische Bücher
im allgemeinen, und eingehender fiber das „Benefiao di
Christof „Ich habe dieses Bfichldn^S sagt er, „mit B»»
gierde gelesen und so zu sagen verschlungen, weil es mir
von hohem religiösem Werte zu sein schien, und insbe-
sondere erinnere ich mich noch mit Vorliebe dessen, was es
fiber das Abendmahl sagt. Da ich nun davon ausging»
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ÜBER D. VBBF.D. SCHRIFT „VOM D. WOHLTAT CHBISTI^^ 587
die häretischen Schrifteu alle Sacramente verwerfen, ao kam
es mir gar nicht in den Sinn, dasB dieses Schriftchen, wel-
ches 80 treiBidi vom heiligen Ahmdmahl redete, Lehre
in sich bergen könnte, im Gegenteil, ich freute mich sehr
darüber, diias es mir in die Hände gefallen war, und ich be-
»tellie bei dem Buchhändler eine grössere Anzahl, nachdem auch
mein Vikar sieh dahin g^nssert hatte, dass es gut katholisdi
sd. Einige Zeit nachher kam es za meiner Kenntnis, dass
man Einwendungen gegen das Buch machte. Ich war damals
in Kom, und als ich mit dem Cardinal Cortese, der selbst
zn den Inquisitoren gehörte, darüber sprach, sagte er mir
wöitlieh das Folgende: „Wenn ich morgens mein Qewand
anlegen soll, so weiss ich mich nicht anders als in die
Wohltat Cliri^ti zu kleiden." Aelinlich sprach sich auch
<ler Cardinal von Trient (Polo), während das Conclave ge-
halten wurde, gegen mich aus: „Ich verdanke ihm die höch-
sten Qenfisse; ich hahe es zu Hause in Gold gebunden/*
Was den Verfasser angeht, setzt Morone hinzu, so muss ich
Hagen, dass ich erst nach Jahren von ihm geb«>rt habe; man
beiiauptete, Flaminio sei der Verfasser, der aber bestritt es.
Sp&ter hörte ich, es sei ein Benediktinermönch gewesen, ich
glauhe aus Sicilien oder aus dem Königreich Neapel; seinen
Namen habe ich nicht erfahren.-*
Diese letzten Aeusserungen Morone*s, wenn auch nicht
bestimmt genug, um unsere Frage mit Sicherheit zu ent-
scheiden, weisen uns doch nach einer ganz anderen Richtung
hin, als diejenige ist, in welcher wir hisher dem VerfiEuser
des Traktates nachgeforscht haben. Aus dem nördliclien
Italien, wo wir ihn in Venedig und durch Morone selbst in
Modena verhreitet £uiden, werden wir plötzlich nach dem
Sflden versetzt. Sollen wir aher dort den Verfasser suchen,
so ist es von vornherein einleuchtend, dass derselbe sich in
Beziehnnijen zu jenem Kreise von Evangelischi^^csinnten be-
funden haben wird, der in Neapel Jahre lang um .huin
de Vald^ Tersammelt war. Wird doch von Morone selbst
eins der hervornigendsten Mitglieder dieses Kreises, Mar*
oantonio Flaminio, in Verbiudung mit der „Wohltat Christi"
genannt.
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588
BENRATH,
Eben dorthin weist uns auch dasjenige, was der Biograph
CaraftVs, des späteren Paul IV., über die „Wohltat Christi"
und ihren YetSmer mitteilt Don Antonio Oaraoololo hat dv
Material za seiner omHuaenden Geediiohte FmiIb IV. as
Quellen schöpfen können, welche zum Teil heute nicht mehr
zu^nglich sind. Die Archive der römischen lujjuisition
standen ihm offen, und er hat um so ausgiebiger von ihneo
Gebianch geoiacht, ala CSaraffia eelbefc der Qrfinder dieses la*
sHtnies und sfcets daraof bedacht gewesen war, dessen Ttti|r-
keit zu verschärfen un.l für die Zwecke der Reaction nutzbar
zu machen. Caracciolo 0 Werk ist nicht gedruckt worden;
Abschriften desselben finden sich in Bom auf d« OBsanaten-
siachen Bibliothek und im British Moseom in Lond<». fis M
das Yerdiensi Leopold Ranke*s, anf die Wichtigkeit dieses Muni-
scriptes für die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts zu-
erst hingewiesen und insbesondere die f&r die Entscheidung
unserer Frage beUngreidie Stelle zaerst mitgeteilt m
haben.
Oaraociolo gebt in dem dritten Buche anf die Ver-
breitung der reformatorischen Bewegung in Italien um die
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein. Da er selbst nicht
mehr Zeitgenosse dieser Bew^ng war, so kann er sich nar
anf Mitteilnngen von filteren Lenteii nnd insbeeondore auf die
actenmässigen Darlegungen beziehen, welche er in dem Archive
der Inquisition vorfand. Er giebt selbst an, dass er seine
Nachrichten aus einem Oompendium der vor das S. Uffisio
Gitirten geschöpft habe, in welchem er eme umfassende 2a-
sammenstellung vorihnd. Ob dieses „Gompendinm** heatn-
tage noch irgendwo vorhanden ist im Original oder in Ab-
schrift — wer mag das sagen? Jedenfalls würde es ein
äusserst schfitabares Material Ar denjenigen darbieten, welcher
den Charakter und Umfang der reformatorischen Bewigong
in Italien untersuchen wollte. Wenn wir aber jetzt von dem
„Compendium" nur soviel wissen, wie Caracciolo selbst daraus
mitteilt, so gestatteu doch die aus dem Archive der romi-
schen Inquisition herrfthrenden und gegenwfiiüg in DnbUa
aufbewahrten Aden einen Schhiss darauf, aus welchen QuelleB
das Oompendium^' selber geschöpft haben wird. Dort sind
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OBERD. TBRF. D. SCHKIFT „VOH D. wohltat CHBI8TI*^ &89
nftmEch die BämmiliGfaen ürteile, welche eeitens des S. ü£Bao
im Verlauf einer Reihe von Jahren geßillt wurden, aufbewahrt.
Aus diesen Zusammenstellungen und aus den Prozessacten selbst
wird nun das Compendium geschöpft haben, und die Daten,
welche es bietet, haben ohne Zweifel den Vorzug der Za?er-
UMglceit, wenn man andi nicht amser Augen lassen dar^
dass sie von Gegnern der Bewegung zusammengestellt wor-
den sind.
In dem Caracciolo'schen Manoscripte fand nun Bänke die
folgende vidbemfene Stelle ans dem nCompendimn*^ Aber den
VerfiiSBer der Wohltat Christi'*: „Bin Mtoch ^on S. Se?e-
rino in Neapel hat es geschrieben, ein Schüler des Vald^;
Flamlnio hat es revidirt'^ (ßanke,Die römischen Päpste, 6. Aufl.
Bd. 1, S. .91). Wir sehen, wie nahe dies mit demjenigen,
was Moione gehdrt hat, übereinkommt Aber noch immer
keine genaue Angabe Ober den Verfasser. Wie erfolgreich
hat er seinen Namen zu verbergen gewusst! Es wird nicht
ohne Interesse sein, die von Eanke citirte Stelle in ihrem
vollen ümiange Tor Augen xn haboi. Sine Veigleichung mit
dem Originale eigiebt dabei, dass das „Compendium**, wenn
es auch nicht den Namen des Ver&ssers zu nennen weiss
oder zu nennen wünscht, ihn doch noch etwas genauer bezeich-
net, sofern es vor ,discepolo di Valdäs' einschiebt „Siciliano''.
Bas ist ja genau dasselbe, was wir ans Morone*s Munde
gehört haben. An der obigen Stelle heisst es nun weiter:
„Die Schrift wurde mehrfach gedruckt, insbesondere iii Modena
,de raandato Moroni' ') und leitete Viele irre, weil sie von
der Rechtfertigung in anziehender Weise aber häretisch
handelte, dem Ghiuben allein jede Kraft zuschrieb und die
Worte des Apostels Paulus im ROmerbrief Msch erUfirte.
Sie setzte die guten Werke und ihr Verdienst herab, und da
dies der Glaubensartikel ist, an welchem eine grosse Anzahl
von Prälaten und Mönchen in jener Zeit strauchelten, so er-
hngte sie grosse Verbreitung und wurde von Vielen gebilligt.
Der Nftine te modenMiwheii Baebhladltit, welcher es dnuken
Vum, war Antonia Oadal^o» wie ms diner andeni Stelle den „Com-
lendimiiB" bervoig^t
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590
BSHKATH«
Nor in Yerona müde die Sdurifk erinunt rad iriderl^
Kaeb Jahien wurde sie Ton Panl IV. und Pins IV. auf dk
Verzt'ichnisse der verbotenen Bücher gebracht.** Ich möcLk
statt „Verona" den Namen „Borna" lesen und mit der be-
treffenden Angabe auf die von Fii Gatenno Poüti 1644 ver-
tote Gegenschrift hingewiesen sehen — daas aadi in Yenm
dne solche erschienen sei, ist nidit bebinni
Die Auszüc^e, w(»lcli<^ Caracciolo aus dem „Corapeudium"
giebt, lassen deutlich erkennen, in wie hohem Grade das lu-
scheinbare BAchiein ,,Yon der Wohltat Christi'* auf die gs-
sammte reßgiOse Bew^ng von Eäninss gewesen sein mm.
Denn noch an vier anderen Stellen ist von ihm die Rede.
So wird erwähnt, dass der Cardinal Cortese, von dem wir
schon wissen, wie hoch er das Büchlein schätzte, obgleich
Benedicünermöncb, von Allen geehrt wegen sdaer Gutherag*
keitnnd feinen Bildung, doch ohne irgend welche ROckincht vom
S. UfHzio vorgeladen wurde, weil er die , WolilUit Christi * gelegen
und gebilligt hatte." Aber den Namen des Verfassers, überhanpl
eine n&here Angabe über Ort und Zeit des ersten Druckes,
erfthren wir auch hier nidit, und dieser Umstand isfc es,
welcher den Verteidigern der Autorschaft Paleario*s Gelegenheit
geboten hat, die Zuverlässi^xkeit der Angabe des „Compen-
diums" über den Verlasser der „Wohltat Christi" überhaupt
in Zweifel sn ziehen. »Bb ist sehr schwer**, sagt Babingt»
in der Vorrede zn seiner Ausgabe, S. XL VII, „ irgend «ne
Hypothese zu widerlegen, die sich selbst in Zweideutigkeit
des Ausdnicks und in Dunkelheit einhüllt. Wenn die In-
quisitoren genau wussteu, wer den Traktat geachriebeu hat,
warum geben sie uns dann nicht seinen Namen an, statt iha
obenhin einen ,M9ncli von S. Sevoino und Schüler des Vald^*
zu nennen ? Bs ist leicht zu erkennen . weshalb man aut
einen Schüler des Vahles schliessen zu müssen glaubte: näm-
lich, weil Einzelnes wörtlich aus den , Hundertundzehu fromoMO
Betniehtungen* von Vald^ herfibergwommeB ist, einoa
Werke, welches auch im allgemeinen einen offenbaren Ein-
fluss auf den li.iktat ausgeübt liat. . . Soviel ist gewiss,
wenn die Inquisitoren mit ihrer Angabe deu Traktat einem
obscuren Verfasser zusprechen wollen — und so haben wir
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0B£KD.V£BF.D.BgHBirrt,VOND. WOHLTAT CH&IfiTI^ 591
ohne Zweifel ihren Ausdruck zu verstehen — , dann treten
sie der ausdrücklichen Angabe Pietro Paulo Yergerio's ent-
g^en, deasen Urteil in dieeer Sache ebenso viel gilt wie das
ihrige."
Wir sind damit auf eine weitere Fi-age gefiihrt, welche
leider keiner von denjenigen Gelehrten, welche die Autor-
schaft Paleario'e verteidigen, einer näheren Untersuchung unter-
zogen hat. Wie stand Paleario zu Vald^ aus dessen ,Cento
e dieci divine Oonsidenunoni^ einzefaie Parüeen wQrtlleh,
andere dem Sinne nach in uuseru Tmktat übergegangen
sind')?
Wäre es tnnlich, in ihm selbst den „Schüler des Vald^"
zu erblicken, so dass in den wideretreiteDden Angaben Mo-
roiic's und des Compendiums auf der einen und den Fol-
gerungen aus seiner eignen Aeusseruiii,^ auf der anderen Seite
schliesslich nur die Bezeichnung „ein Mönch von S. Severine "
als unlösbar übrig bliebe? Sovi^ ist sicher, dass Paleario
nicht zu dem Kreise der in Neapel um Yaldte ▼ersammeHen
Freunde gehört hat. In den Jahren, als Vennigli, Ochino,
Flaminio, Carnesecchi u. A. sich um Vald^ scharten, um unter
seiner Anregung und Leitung tiefer in das wahre Wesen des
Christentums einzudringen, beilMid Paleario sich in Siena, und
es lässt sich mit Gewissheit behaupten, dass er nicht ein
einziges Mal an den Versammlungen in Neapel teilgenomnu'u
hat. Freilich war er mit einigen aus jenem Kreise, wie mit
Flaminio und Ochino, eng befreundet, allein Beziehnngen zu
Yald^* lassen sich schlechterdings bei ihm nidit nachweisen,
und weder in seinen Reden noch in seinen Briefen kommt
Vald^ Name je vor. Und doch war zu der Zeit, als die
„Wohltat Christi'' erschien, das gedachte Werk des Valdäs
noch nicht gedruckt vorhanden, sondern cirfculirte erst unter
den nächsten Freunden ana jenem Kreise in Abschriften,
bis es dann 1550 zum ersten Male gedruckt worden ist.
Somit bleibt es untunlich, die Verschiedenheit der An-
V) Die Parallelst«^llcn sind mit grosser CJenanigkeit zusamnienge-
sU'llt bei Hd. Boehmer, Le cento o dieci divine Considerazioni di
Giovauni Valdesso, HaUe 1860, S. üi^at
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692 BElNEATIi,
gaben auf diesem Wege in Einklang zu bringen, und wir
werden uns anderswo nach dem nötigen Materiale umsehen
müssen , am die ¥x9g^ im oder wider Paleario definitiv u
entBcheiden.
Wenn der Verfaser des Tniktstes berate vod zvfi
Seiten aus als Scbülcr des Valdes bezeichnet worden i^t, so
wird mau in jenem Kreise selbst trotz der Geheimhaltuug
am dieee Sache gewasst haben. Und in der Tat Itat sich
von dienr Seite her ein Zeagnis beibringen, welches mir ab •
geeignet eieeheint, nm die Frage nnn mit Bntseluedeiihsit
zu erledigen. Ein edler Florentiner, Pietro Carnesecchi, der
bereits als Mitglied des Neapolitanischen Kreises erw^Dt
worden iet, waide 1666 Ton dem Herzog Coeinio an
Pins y. naeh Rom anqgeUefert nnd am 16. Angoet 1667 m
der Inquisition zom Tode Temrteilt. Das ürteU befindet nA
im Original in der Dnbliner Sammlung und ist von R. Gib-
bings 1856 veröffentlicht worden. Einer der Anklageponkte
lautet: ^Da hast an alle diejenigen Irrtamer nnd HftioM
geglaubt, wekhe in dem Bache ,Von der Wohltat Christi'
enthalten sind'* (S. 43); „du hast die starrsinnige Vir-
teidigungsschrift des Marcantonio Flaminio zu Gunsten jenes
yerderblichen Bachee «Von der Wohltat Christi' geieseo."
(S. 89).
Von dem ProMBe GMrneBeechi*8 sind tu» anaser den
Schlussurteile seit einigen Jahren auch die Acten der zühJ-
reichen mit ihm angestellten Verhöre bekannt und in diesen
findet sieh fiber die beiden angegebenen Funkte nfthenr
Ao&chloBB.
Gamesecchi hat das Bliehlein „ Von der Wohltat Ohrisfei*
in Neapel kennen gelernt. Diese Tatsache ist für unsere
Frage ?on der grössten Bedeutung und fast allein schon ent-
sohddend« Denn der Aufenthalt €Sameeecehi*s in Neapel
streckte sich nur bis nun liai des Jahres 1641« wie av
seiner eigenen Angabe in demselben Veriidre hervorgeht. Da-
1) Eetratto del ¥ncem 4i Fiotro CmMaochi efito da Gia*
como ManzoDi, in den MifloeUaiiea di Storia pabia, Tuia 1090
(B. X).
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ÜB£BD. V£EF. D. SCHRIFT „VOM D. WOHLTAT CHEISTI^^ 593
ffegen haben wir gesehen, wieviel den Veiieidigeni der Autor-
ücliafb Paleario*s darau gelegen sein muss, duss der Traktat
nidit Tor 1542 erschienen seL Hat nicht Faleario selbst in
der Bede „Pro se ipso** angegeben, dass seine Schrift in
diesem Jahre erschienen aei? — Es ist bemerlrattswert, wie
das Urteil Camesecclü's über den Inhalt des „Benefizio" mit
dem, was wir aus dem Munde des Cardinais Morone darüber
horten, übereinstimmt: „Ich hielt es ffir gnt, fikr katholisch
nnd fftr heilig, als es zuerst erschien, nnd so glanbie ich
alles, was in ihm enthalten war.'* Als nun die Inquisitoren
ihm die direkte Frage nach dem Verfasser der Schrift vor-
igen — es war in dem Verhöre vom 21. Augast 1566 — ,
antwortet er: „Der erste Urheber derselben war ein schwarzer
Benediktiner, mit Namen Don Benedetto von Mantoa; er
gab an, dass er es verfasst habe, während er sich in dem
Kloster seines Ordens nicht weit vom Etna beüaud. Don Be-
nedetto, als Freund ¥on Marcantenio £1amtnio, machte diesen
mit der Schrift bekannt nnd bat ihn, er mOge es dnrdiseh^
nnd mit sdnem Mnen Süle verbessern, um es desto lesbarer
und angenehmer zu machen. So arbeitete denn Flaminio die
Schriit, indem er ihren Inhalt ungeändert liess, nach bestem
Ermessen nm, und von ihm habe ich sie zuerst erhalten und,
wie ich ne denn för gut hielt, auch einigen Freunden Exem-
plare davon gegeben.**
So haben wir denn aus dem Munde eines Mannes, welcher
ohne jeden Zweifel genau unterrichtet gewesen ist, eine Be-
st&tigung der Angaben des Gsrdinals Morone wie auch des
„Oompendiums der Inquisitoren** bei Caracciolo. Die Ver-
schiedenheit in der Bezeichnung des Autors der „Wohltat
Christi" auf der einen Seite als Mönch von S. Severine und
auf der andern als BenediktinermAnch, 4er die Schrift in
dem bekannton grossartigeii Kloster seines Ordens in Oa-
tania — denn das ist augenscheinlich mit der Bezeichnung
„nicht weit vom Etna" gemeint — verfasst habe, löst sich
leicht, sofern S. Severine ein Kloster desselben Ordens in
Neapel war, in welchem Don Benedetto zeitweilig seine
Wohnung haben mochte. Ich glaube, bezüglich der Angaben
Carnesecchi's, wenn sie zu der Angabe im „Compendium"
Zditaolur. t K.-0. .
9
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594
BENRA.TH,
iB MStigende Bttitkang ges^M imdm Mlkn, wa mm 1
Eiiiwaüd fürchten zu müssen: dass näralich die ersteren der |
letzteren als Quelle gedient, dasB das „Compeadiom'' eben
ans den Acte dee Oarneseoehi'KheD FrogMSBM, wakkt a
glflcUidtor SteM ung bentEDtage wiedAr zugiiiglicli nMÜi,
geschöpft Ittb«. OuiUMsiolo, dem wir die Anfbewahnrog
uns bekannten Teiles jenes „Compendiums" verdanten. i«t zw»
der Ansieht, dasselbe sei in den „ersten Jahren nach Er- {
riehtiBg dea 8. üfBiio in Bim nsainiMpgastellt wetim; |
ftbtr «r widerlegt sieh aelbst, sofern er ans dem ^Oompn- i
diuni ' Angaben macht, welche den Piozess Carnesecchi's und
seine Hinrichtung betreft'en. Wird man aber auch zugeben müssen,
dasi unter seloben Umständen die eine Angabe nicht als Be-
stätigDBf der andern aoftieta ioyui, so Yevbletbi doch fr
Oaraeieodii^B Mittoihnigeo das ToHe Oewielit beatahen, ni '
sind dieselben um so schÄtzenswerter , da sie noch cmi^
Einzelheiten geben, welche bisher weniger beachtet od« »- ,
bekannt waren.
ZanldM Aber die Batabelrang der SeMft BsBist ftr
Yerfasser Don Benedetto, der ohne ZweifBl in Neapel ^
legenheit gehabt hatte, sich mit den religiösen Anschauungeü
das Vald^ bekannt zu machen, fibeigiebt sein Mannscript an
Mareantonio Ramisday damit dieser es in Berng aof ^
Ausdruck revidire. Ob er selbst oder etwa Flaanai» die
wühuten Stelleu aus Vald^s' „ Hundertundzelm frommen Be-
trachtungen" eingefügt habe, wird sich nicht mehr env
scheiden hisssn: jedeafidls teilt er die tGmndanschanaiifBfi
des YaUUs fite die wesantiidMn Ponkte des CHanbens vi
dar kfrchlielMn Biuicbtungen ToUsfcändig mii whd soaM
ganz richtig als ein Schöler desselben bezeichnet, üeber
spätere, wie über das frühere Leben dieses Don Benedeiu
breitet siek jedoch fOUiges I>niikel ans; nur das ein» mfpn^
sieb aaa dir ebigan gaheinmiavoUan Andentoig YaigaM
daas er 1549 noch lebte, sich in Italien beftmd ani ^
hochstehenden Prälaten in Rom Iioehgeschätzt wurde. Fla-
min io, dem wir die jetzige classische Form des Traktates ver-
daakasi bat siek nkdit mit der Bevisieii allein begnflgl i
bat aiwh, wie Oamoooccki in euNm sebiiflikdMo MuM^
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ÜBERD. VBBF« I». QCBtOPf ,jY01l D.
»n^ 695
Diese, ireldieB semen PromMcfceii vtngshefM utr, mitteilt,
dne Verteidigungsschrift för das „Benefizio" Terfasst. Car-
npsecrhi befand sich im Besitz eines Exempkres dieser
Schrift, welche mit den Wortea anling: ,,Voi mi doman-
date** ^ Q&d gegen die von miB erwAhnte Sebrift dee M
Qftleriiio Politi gerichteft, also nicht vor 1644 Tertail wor-
den war. Flanünio 8 Verteidiguiigsscbrift ist nicht gedruckt
worden und scheint uicht bis auf unsere Zeit gekommen
zu sein.
Sa dnd wir denn mmnelir Aber den Yerftawr der
„Wobltat €8iriBti** dnrch nnferweifliehe Zeugenaussagen
unterrichtet. Ks ist wahr, wir müssen Paleario eine Ehre
streitig machen, die ihm nicht zukommt. Das wird jedoch
mflere Hoduicbtang und DankbarkMt gegenüber dieeem edlen
nnd nnflchnldigen Blntsengen des Evangelinme in Itihsa niclit
yermindem. Bf selber — und damit komme ich auf den
letzten Einwand, der gemacht werden könnte — hat nie An-
sprach darauf gemacht, die „Wohltat Christi" veifasst zu
haben. Man wird mir vielleicht noch die Aenflserungen Pa-
learlo^s in seiner Bede in Siena entgegenhalten und fingen:
auf welche Schrift beziehen sich demi jeue Worte, wenn nicht
auf das „ßeuefizio"?
I>ei unserer nur mangclliaften Kenntnis der reformatori-
schen literatnr jener Zeit dürfte es nidit gegen uns verwertet
werden, wenn wir die Antwort schuldig bleiben mtlssten. Aber
seit kurzem sind wir in die Lage versetzt, auch diese Frage
zu beantworten.
Einer mir persönlich von Giuseppe De Leva, dem ver-
dienten Yerfittser der „Geschichte Karls V. in seinen Be-
sdehm^en zu Italien" gegebenen Notiz verdankte ich zuerst den
Titel derjenigen Schrift, welche Paleario wirklich verfasst hat.
Er lautet: „Deila pienezza, sufhcienza ed efQcacia della morte
di Gristo." De Lava &Qd ihn, als er, angei^ doruh eine
auf den Ckigenstand bezflglidie Notiz bei LAmmer, Zur Kir-
chengeachichte des 16. imd 17. Jahrhunderts, gewisse Acten-
stücke in der Bibliothek von S. Pietro in Vincoli in Rom
durchsah, welche sich auf Paleario's Prozess beziehen. Später
hst De Lava denselben auch in dem dritten Bande seines
89*
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596 BBNEATH, „YOIH DSU WOHLTAT GHRian^.
obigen Werkee (Pado?a 1875, S. 368, Annu 2) aagegeboL
Wiederholte Nachfonehongea, welche ich selbet in der Zwi-
schenzeit an Ort nnd Stelle vorgenommen hatte, führten zo
keinem Resultate; der von Lämmer und De Leva benutzte
Band ist ans dem mittlerweile durch die italieuische Kegie-
nmg eingesogenen Kloster venchwanden. Allein an der Ge-
nauigkeit der von De Leva gegebenen Notiz zu zweifehi, 11^
auch nicht der geringste Grund vor.
Somit kennen wir nuu von der wirklich dem Paleario
aneignenden Schrift den Titel und im allgemeinen den Inhalt
Mochte die AoBnchi, ein ohne Zweifel kostbares liteniiscltfs
Vermächtnis des edlen M&rtyrers ans der Verborgenheit us
Licht zu ziehen, die Nachforschungen competeuter Männer auf
diesen Punkt hinfuhren und für die Schrift Paleario's ein
jkhnliches Wiederanfleben herbeiführen, wie dies dem ihm in-
tllmlich zugeschriebenen „Benefino*^ zntell geworden ist
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Kritische TJebersiclit
Uber die kirchengesehicbUieheD Arbeitea
aus dem Jahre 1875.
JV.
Die Eefonnationsgeschichte Englands.
Ton
Dr. B. Bttddensleg in Dresden.
L J. H. Merle d'Aubigne, Uistory of tbe Refonnation in Eorope m
the tirae of Calvin. Transl. by W. L. R. Cfttes. Vol. VI: Soot-
lan«l, Switzcrland, (J^ii'^va. 8°. London, LongTnans & Co.
a. J.A. Wylie, Tbc HiHtory of Pioteftantian. lllnstr. VoLL Lon-
don, Cassel, Petter & Galpin.
8. Frederiok 8e«bohin, Tbe £n of Protestant Bevolatun. With
4 colonied niape and 12diagr. on wood. 8**. London» LongmanR & Co.
4k Iicttcra and Papers, Foreign and Domes tic, of tbe Reign
of Henry the £ightb, preserved in tbe Pablic Record Office, tbe
Britisb MuseiUtti and clsewbcrc in England. Airanged and catalogued
by J. S. Brewer. Vol. IV. Introdnctions and Appendii. Boy. 8*.
London, Longmane Co. (Boll*a Seriee Vol. VI).
6. 8. R. Gardiner, A Hirtoij of England nnder the Doke of Bnokinghani
and Charles I, 1634—28. 2 yoIb. 8^ London, Loogmaos ^ Co,
6. W. V. Hook, LiToe of the AichMshopi oS GanteilMiiy. YoL X
(?oL y, New Series): Befonnation Peiiod: Livea of Qrindal, Whitgift»
Baneroft and Abboi — Vol. XI (?oL VL N. 8.). Bei Pariod (oondnsion):
Lives of Land and Jnion. 8*. London, B. Bentl^ 4k 8on.
7. F. IioiüDATt John Enox and the Ghnidi of England; hhi werk in
her polpit and hie inflnenee npon her Litingy, Artielee «nd Fua-
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■
698 KBmfiCH£ ÜBEBfilCUTüIN, 1875. IV.
graphs. A Monograpb . founded opon several iinportant pap«s öf
Knox, nevcr bcfore pui»lif>ht*d. lioy. 8". London, K'iup Sc Co.
8. A. R. Pennington, The Life and Charactcr of Eraf^iuus. WitJi j
preface by the Bisbop of Linoolo. 8*^. London, Seeldj, Jamin aoi
üaUiday.
Ein Htnariscbes Ereignis auf theologischem Ckbiete U
der englische Büchermarkt vom Jahre 1875 nicht aufzuweisen;
das bereits im 1. Hefte dieser ZeitschrU't erw&hnte kritiA
Werk: „Sapeni»tanilBAUgioa*^ gebart nur mit seinen spAte»
Auflagen diesem Jahre an, und der im literarischen Kampfe
gegen das Werk hereitB geschwundene Enthusiasmus der Eng-
länder für ihren „benifenen'* Kritiker des UrchristriituinN
sowie die eini^etretene Ernüchterung dürften kaum nocli er-
lauben, dieser kritischen Leistung eine irgendwie herrortreteide
Bedeutung beixumessen. — Die exegetischen Arbeiten ani
(Li^'htfoot, über die Briefe an die Colosser und Philemon, VB-
genommen) in sclimerzlicher Weise vernaclilässigt worden;
die kirch engeschichtlicben beschränken sich, soweit
tflchtige und gewissenhafte, methodische Arbeit denselben «ina
Platz in der gegenwärtigen Bespiechuag sichert, auf
sehr geringe Zahl. — An originalen allgemeinen Be-
arbeitungen der Iteformationsgeschichte hat es £ast g^^
gefohlt; und was sich die Engländer aus fremden Werken
zusammenfibersetzt haben, ersetzt diesen Mangel selbetfindigir
Arbeit erst recht nicht. — Eine firanzOsisehe Arbeit führt
in ihrer Uebereetzung, resp. Ueberarbeitung , mitten in das
Oentrum der reformatoriachen Bewegung hinein. In äea
6. Bande seiner R^rmatkNMgesehiofate widmet Merle d*Aa-
bign4^) den ersten Teil der Reformation Schotthinds, ^
zweiten derjenigen der Schweiz, im btisondeicu Genfs, um
auf jeder Seite zu zeigen , dasn die Genfer Bearbeitung eine
ebenso tüchtige, daa neue Material der Genier Stadtarcliive
grftadlieh ausnutzende und selbettadige Forschuiig, als ^
1) Eh ist der 11. Raud der panzen Serie, welche die Refornia^^^
Luthers mit uinfasHt. so dans die s<"liHtti. < ht« nud ciiglischt.' EntwicUun-
ohne die notwendige Wartung ilirer Scllj-t.m.iigkcit gegenüber h^ti^
lud Calvin zu der calviniäcUcn Bewegung niitgcrcclmct tund.
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DIE E£FO&MAT10N8Q£8Cai. ENQLANDB V. BUDDENSOSO. Ö99
schottische eine uicht einmal geschickte Compüatiou aufweist.
Zwar die auffallendeu , zuweilen trivialen Irrtümer der Be-
arbeitung der englischen fieformation sind hier vermieden, doch
leidet auch dieser Band an den bekannten Fehlem der Merle
d^Anbign^him Arbeiten, welche den geietvollen, enfhneiae-
mirten Scliriftriteller, aber nicht den Geschichtsforscher be-
zeugen. Die ausgezeichneten Schätze der (Cottou -)MSS. des
British Mnaeun sind nicht ao^genotzt, ebenso wenig die
aelion Vednickten Teile der „State papsfs ef the reign of
Henry Ylllth*«« in der weder guten noeb echlediten Gom-
pilation sind eine Menge Ungenauigkeiten enthalten, an welche
die Kritik anknüpfen kann Die politische Entwicklung
drängt in dem vorfiegenden Bande die kirchliche in den Hinter-
gmnd, nnd was wir von letzterer haben, ist «ne ZnsNmnen-
Stellung etwa von Patrik Hamiltons und Georg Wisharts
Trubsaleii und Martyrium, nach der Methode und im Geiste
von Foxes „Acts and Monuments''. Kuox ist dem nächsten
Bande vorbehalten (S. 266). Der DebeisetMr (Bearbeiter?)
Gates, dem die englischen Qnellen zn Gebote standen, bitte
hier eine Aufgabe zu erfüllen gehabt, deren Lösung der eng-
lischen Ausgabe einen entschiedenen Vorzug vor dem Original-
werke eingebracht hätte.
Die Gesdiiclite des Protestantismns, die als ein neoss
und wicbtiges Werk von Dr. Wjlie angezeigt wird, ist,
wie der schottische Teil Merles, gleichfalls Compilation. Das
Bedürfnis nach einer derartigen Arbeit erklärt sich aus der
Fnrcht gewisser eqglischer Kreise vor der Uebennacht des
1) Dia CoHm s. B. ihid oadi Mide „GidtoiM dd", die Mgw
IkNdMii WaldMMr und Hwdten, die unter aUriidger Zngmndelegimg dir
heiligen Schrift Heiligendienet, CftUbAt, TiaiiMabekMiltolion, Bettquieii-
vwehrang, BUderanbetiiiig v. a. w« verwarfiBii: wir haben da beiviti im
9. Jabrirandert die Paiitaiier. Mit sD te bat die Ifttik gebrochen;
nad waa wir tob dem nordirjadien Abte mid Biadidfe Aengus, dem
,pCeile«De'S wiaMn, lerbiiMfert nicht, daaa trotz der Aibeiten Grabe in
•einer HSodeiiastical History of Sootland" und Been» „Acoooot of
tht Irish Cnldees " (abgedruckt in den Prooeedinge of the Royal Iriah
Academy) das Problem, das sich an diesen Namen knüpft, nkht go-
iSet ist
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600
KEITISCHE OBEBSICSBTEN. 1875. IV
nea um ideli graf enden Pftpismns. Von wiannaoliaftHofaem Werte
sind die gut gemeinten Untersudiungen über die Entwicklung
des Urchristentums, des Papsttums, der WaWenser und Albi-
genser (die Arbeiteu voa Habu, Dieckhofif und Herzog sind
nicht benntzfc), ,,Wycliffe6^^ (ohne Bücksicht auf das ansge-
zeichnete Werk Leohlere), der Hnssiten, Luthers n. s. w.
nicht: alles illustrirt „niade to stand out holJly froni a back-
grouud of dark popery*'; damit ist das ganze Buch be- und
gezeichnet — Nach einer andern Seifce hin hat das'M^k
d*Aubigntehe Werk gleichfalls eine ErgSnzong, bzw. Be-
richtigung gefanden in See höh ms Arbeit Aber die protestan-
tische „Revolution" Hier wird Emst gemacht mit dem
traurigen Factum, dasä etwa mit dem Jahre 15 Gö die Kraft
des reformatorischen Gedankens in Luther nnd Galm sich
erschöpft hatte, nnd daas alle Ansfarengungen des neuen
Geistes nach dieser Zeit nichts anderes waren als schwache
Proteste des Dogmatismus ; vier inüillible Kirchen — Witten-
berg, Genf, Schottland und Horn — eiferten mit einander, das
Dogma demjenigen zn Terbittem, die für die Freiheit ge-
kämpft hatten, nnd in diesem Kampfe, dem der Oeist Luthers
und Calvins fehlte, eroberte sich Rom ein grosses Gebiet zu-
rück. Die Macht der iueinanilergreifeudea politischen und
kirohlichen fiteren, die Bedeutung der englischen Königs-
macht gegenfiber einem Fendakdelt der seine Kraft in den
Kriegen der roten nnd weissen Rose yereehrt, und den Mittel-
daääon, deren Macht noch nicht begonnen, wird vom Verfasser
1) Auch all erster Band der „Epoehs of Hittoiy, a sericB of books
tfeating of the Hisioiy of England and Ewopo at BaooeBsife epocha
Bttbfieqiient to the Christian Eia 'S edited by Edw. E. Morris» H. A. A
J. Snrtees Philipotts, B.C. L.; demselben Werke gehdran fiemer an:
»,Tbe Age of Elizabeth^ Ify the Bct. U. Creighton, H. A. (Lon-
don, Longnuras A Co.) nnd das die änssersten Endpunkte nnserar Periode
nooh berfthrende „The Fall of the Stoarts and Western Enrope fnm
1648— 97 'S by Bot. Edw. Haie, M. A. (London ebendas.), die Bcfe-
renten nicht snganglicb geworden sind. Letzteres gilt anoh Ton „Ca-
lendar of State Piapen relating to Iceland 1608—1610*', by C. W.
Bnssell, D. D. J. P. Pkendeigast, Eaq. Barrister-at-Law, (BoU'a
Series) London.
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DIE REF0&MATIOM8OESCU. ENGLANDS V. BUDDENSIEG. 601
in durchsichtif^^or Darstellung^ aufgezeigt; Heinrich VT II. konnte
mit mehr Wahrheit als Louis XIV. sagen : „ L'c^tat c'est moi
Sein heftiges Verlangen nach einem Leibeeerben ist der
Schltael za all seinem Tan, m seiner Naehglebigkeit gegen
liom das eine, 7ai seinem lvaiii})fe das andere Mal. So lange
er auf den Papst rechnen konnte, der ihm zur Erfüllung jenes
Verlangens half, so lange war er der „Verteidiger des Glau-
bens^, sowie Born anf Karls V. Seite trat, kam der Bmch.
Innerhalb von vier Jahren wnrde aas dem leidensehafUichsten
Anhänger der heftigste Gegner, und „ das waren die .Tahre, in
denen das Schwanken des Papstes zu einem Ende kam, und er im
Interesse des Kaisers und seiner Tante Katharina von Arragonien
fftrditete, der Scheidung entgegenzatreten'^ Das hatSeebohm
den geistreich- paradoxen Behauptungen Mr. Froudes gegen-
über von seinem Standpunkte der Tatsachen aus und mit
frischem common sense dargelogt. — Diese Seebolimscho Auf-
steUung der rflckdchtslosen Eneigie, schlauen, aber patrio-
iaschen Politik Heinrichs und der klugen Schritte Wolseys
zur Beeinflussung des Königs für soinn antikaisi-rliche T*olitik
finden ihre Bestätigung in der meisterhaften Arbeit Bre-
wers^), der uns zwar nur eine Einleitung und Appendix
zum dritten Teile des vierten Bandes der „Boirs Series**,
aber dnroh das reiche Material eine wahre Fundgrube fttr
eine Darstellung von Heinrichs wichtigsten Regienmgsjahren
geboten. Wir verfolgen die Bedenken des Königs gegenüber
seiner armgonisehen Heirat, die Mission Oampeggios, die
üntersachung vor dem Legatengericht (vgl. hiezn namentlich
1) Einen höchst intcres-sanUn Hoitr»i{; zur WiiriU^j^ung der Resultat*?
dicees Ruches giobt Harpsfiold in stinuiu ok-ii tTsehieucncn , jiuk iler
Zeit Pllis'abotlis stammenden „Treatyse »>f Marr^ inge (»ecasionrd
by t lic p r 0 1 c n (1 od D i v o rc r «» f King U <• n r y 1 1» c K i g h t Ii et«'.** ( TiOn-
don IHTfi). de.ss* n I{r.s|)p?<'binig doin niu-hst^^n Ri'fcrato zufiiilt ll;iv]'S-
ti»'ld lifhaupkt im (leginsatzo zu Brewcr auf das entsthiodtuHU' , du.s.s
Wulsoy in erster Lini<'. ( ntwcdcr direct (xkr durch des K«inigs IVichtiger,
Bischof Longhind von Tjiu uhi . Heinrich die Seht idung vorgescidagen
habe. Im IJebrigon cij^'äuzf Harpsfield die Hrewersclie ruldication
mehrfach, boriclitigt zwcifrlhaftc oder dunkle fcJtcUen und füllt die
Lücken iu Brewers Docomenten aud.
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602 KJBlTIHOiiB ÜB£RälCHTEM. 1876. IT.
Har}isfiel»i , A tieatise etc.) und den Eintiuss, Fall iind Tl«]
Wolseys. Dieser Mann, der scbarfsinuigste und politischste
Kopf aus Heiurichs Umgebung tritt allen, auch dem Könige
voran, in den Vortegmnd: das Bneh ist ober mbo QeeMMB
Wokieys als HeiBriobft Der wahrliaftsn Grosse dieses Chr*
dinals und Staatsnii nisters (rjeht Brewer durch das Gewicht
seiner Documentc die rechte Wertung. „In keinem audera
Eslle (als in dem Wolseys) ist man Miiger sofgfidtig ge-
wesen, Motive und Handlungen sn prfifen und zn anatysnB;
man bat die Wflrdigung seines Charakters willig von «kn»
jenigen angenommen, die ein specielles Interesse daran hatten,
denselben in dunklem Lichte darzustellen. Dem Bekenuer d^
alten Glaubens war Wolsey niehts anderes als der Anstifter und
Betreiber der Scbeidnng, der skmpeUoee Widmsdier des
Papstes, der Feind derjenigen, mit deren Sache die alte Re-
ligion stand und fiel. Dem ßeformirten war er der Typus
des Keichtums, des Aufwandes und der Weltlicfakeit der altes
Kircbe, der stolze FriUat, der durch seinen Hodimnt und
Bbrgeiz den beilsanien Binfiuss der kOnigUcben Aitoritit
paralysirte und in seiner Person und Tätigkeit die unerträg-
lichen Angriffe der geistlichen auf die weltliche Gewalt dar-
stellte .... Bis ist unmögliob, eine gerechte, billige und nchtig
sondernde Wflrdigung von Wolseys Charakter und Handhugen
zu erhalten. Ein Reformer insoweit, als er kein besonderes
Interesse in der Aufrechterhaltung des strikten üitnimontanis-
ums zeigte; ein eifriger Beförderer der neuen Bildung und
Brsiehung; wenn g^n die reiigülsen Orden nicht unfrsond-
lich, doch auf die Verwendung ihrer Emolumente zu besBerea
Zwecken bedacht, hing er doch noeli treu an der alten Uebor-
zeugung und Herkommen in seiner Vorliebe für glänzendes
Ceremonieli, in seiner politischen Abneigung gegen das Luther-
tum, in seiner üeberzeugung von der Notwendigkeit einer .
geistlichen Centnilgi walt .... Wenn er länger gelebt bitte,
wenn er, wie Richelieu, dem er in der Grossarti((keit seiner
Pläne, seinem Verlangen nach Reorganisation , seiner gewal-
tigen Arbeitskraft glich, als Herrn einen Ludwig XIII. an-
statt Heinrich VUL gehabt hätte, wfirde er wahrachelnlidi
ebenso grosse als umfimgreicbe und bleibende Befiirvien in
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DIE &£F0BMA1S01iSaJKKa. MM»hAMX»y* JUJPDENaifiO. 603
£ngland eingeführt haben. Die verschwenderischen Aua<^abeii
des lü^niglichen Haashaltes suchte er zu ordnen ; er gab
feflere imd billigere Bestiminiiiigeii dem Oourfe of Obonoeiy,
der seitdem la seiner gegenwfirügen Bedentmig sieh zu
heben begann; er beabsichtigte, die mönchischen Institute
ganz oder teilweise höheren Erziehungszwecken zu oj^era; er
\ai YOigeechlageQ, durch einen billigen Vergleioh die an Born
Mlendea Annaten ind Zehntes der Geistliehen abzulösen; er
wollte eine Reformation der Finanzen .... und der nnverani-
wortlirhon Ausgaben dos Jvöiiigs ; aber in all diesen Vor-
schlägen und vielen anderen, die zum Heile des Staates und
der Kirche gemacht waren, wurde er durch den Willen eines
herrisehen Königs gehemmt « der auf interasirte Ratgeber zu
hören geuoi^rt war.../* Kiii einlacher Engländer, voll von
leidenschaitUchem Enthusittsnius für die Interessen seiner Na-
tion, bat er in den Tagen eines Macchiavelli , wo Lug und
Trug, Ohicanen und Intriguen die europfiische Politik bezeidi»
neten, sich nie dbeiüsten lassen, hat aber selbst den grössten
Schlaulvojir unter seinen Gegnern hinters Licht gefülirt. Die
Kühnheit und Originalität seiner Gedanken, die Klarheit, mit
der er seine Zwecke verfolgte, die Ausdauer, mit der er seinen
Plftnen aachging, so unm<)glich deren Ausflihrung seinen arg-
listigen Feinden und seinero rechthaberischen Könige gegen*
über auch schien, alles dies macht seine Grösse — der
Mangel an höherem sittlichen Pflichtgefühl, das er unter die
unsittliehen Forderungen seiner Diplomatie begraben, seinen
Unwert ans. — 2u diesem Seebohmsehen Gharakterbilde ftgt
das Drama, das Wolseys Namen trägt keinen neuen Zug;
nicht ohne dramatische Kraft, aber ohne Originalstudien, trägt
es einen ÜEdschen Namen, da in Anna Boleyns Schicksale das
Interesse sich centralisirt — Aehnliches gilt von den Studien,
die Poesie und Prosa um den Oavalier Karl I. gruppirt haben,
jene in Butlei^ Drama das in seiner Nachahmung aner-
1) Cardinal Wolst-y and tlie love of tli<' lN»cU. A historical
Drama in 5 Acts. Uy W. S. l'jileigh. Luiidun, F. Scott.
2) Charlesthr First. A Tragcdy in 5 Actrf. By Charlea Arthur
Gr^jr Butler, M. A-, Un»dw, IiottgiOAiu» & Co*
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604
KJUTI8CHB OBEBSICHTEN. 1876. IT.
kannter Muster die traditionelleQ Züge der Hauptpersoneu and
Coutlicte bewahrt, diese in Gardinen Arbeit (s. oben Nr. 5), die
abermals einen iUschen Namen trägt: es ist eine pdlitascl»» Ge-
sehiebte Karls und Bnckinghams, nicht des englischen Volkes. Die
religiösou Fragen fiii«leii nur, soweit sie den politischen ilienen,
die herkömmliche Besprechong, dagegen hat Gardiner, naincut-
lieh unter Benutzung mehrerer neuer Quellen die poiitisdieii
Ereigniflse jener Jahre einer grdndliehen Prfifluig unterzogen.
Er hat mit Hülfe eines MS. aus dem Rrit. Mus. einen
h^^cliöt schätzenswerten Beitrag zu der wichtigen Parlaiuentd-
aession ¥on 1628 und Sir John EUiots wie Sir Thomas Went-
worths einflussreicher Teilnahme an derselben gegeben, wfik-
rend seine peinliche (Gewissenhaftigkeit s^en Helden gegen-
über eine objective Geschichtsbetrachtung durch die Schlag-
schatten der Parteilichkeit verdunkelt; Karls notorische Cn-
aufrichtigkeit z. B. ist nicht ein moralischer, sondern ein intel*
lectneller Defect; Buckingbam „is not so unscrupulous as
infortanate^S nnd Lands absolutistische Neigungen sind nicht
hierarcli isolier Herrschsucht, sondern seinem intellectuellen
Widerstande gegen den Dogmatismus des Torgeachritteoen
Calvinismns zuzuschreiben.
Die groesartige und einflussreiche Tfttigkeit des Letzteren
hat iiucli Deuii Hook, dessen flcissiger Hand der Tod vor
Jahresfrist die Feder entwunden, in seinem grossen bio-
graphischen Werke, das eine englische Kirchengeechichte
im besten Sinne des Wortes ist, der Betrachtung unterzogen,
und zwar im 11. Bande seiner „Lim of ihe Archbishops of
Caiitcrbury", dem erst im Fnihjahre der 10. I^and mit den
Biographien von Grindal, Whitgift, Bancroft und Abbot vorausging
(s. oben Nr. 6). — Der kirchliche Standpunkt des gelehrten und
gewissenhaften Forschers ist bekannt; seinem ,,High-Chur-
chism" fehlen die Sympathien ffir die puritanische, noucon-
formistische Opposition, wie das auch beide Bände, namentlich
Bancrofts und Lauds Leben, beweisen; wenn aber Liebe zum
G^enstande eine der notwendigen Voraussetzungen zur Ab-
fassung eines tflcbtigen Buches ist, so konnte Canterbury m
keiner besseren Hand behandelt werden. Die wissenschaft-
liche Competeuz fehlt dem Dean vollends nicht; hier finden
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DIE BEFOBHATIONSGESCH. BNOLAND8 V. BUDDKNSIEG. 606
wir reiche Qaellen geöffiiefc, eine übersichtliche Verteilang,
maaBToUe Wertung nnd geschickte Yenurbeitnng des Stoflfee,
eine tüchtige Methode, mit ciuem Worte, eine wisseuscliaft-
liche und schaifsinnige Partei Forschung. — Grindal machte
seines Vorgängers Parkers Wege zu den seinigen, und das ge-
schah in ebenso gnMaaer Schwftche and Inconsequenz (vgl.
Grindflls Stellung zum göttlichen Bechte des' Episcopats) wie
harter Strenge, die in eine Art geistlichen Druckes ausartete ;
,ydie Schuld, dass der reine Calvinismus so ^venig Boden in
der anglicaniflchen Kirche gewann, trifit deshalb zum Teil
ihn; denn obgleich BeprSaentant der Beformation in Eng-
land war er dennoch gewillt, den Traditionen der katholischen
Kirche die schuldige Achtung zu enveiscn, indem für ihn
„die Kirche" dieselbe Autorität war, wie für andere Luther
and Calvin; nur dass er in Weiterftthrong seines protestan-
tischen Princips die Traditionen der Kirche an der helligen
Schrift erprobte, alles MiiUlalterliche abstiess und das Ur-
kirchlichc festhielt". Persönlich milde l^te er die Hand
seiner straffen Zucht auf die Kirche und bewies Kühnheit
and . fiberzeugongsvoUe Mannhaftigkeit in dem Widerstände
seiner letzten Jahre gegenfiber der eigenwilligen Elisabeth.
Seinen Nachfolger, der noch nach Brooks „vielgewandt war
in der Kunst der Höflinge", der seiner eignen Sache mehr
schadete als nützte, lüsst die Hooksche Ehrenrettung der
* Yerleamdong seiner böswilligen, puritanischen Feinde bisher
erlegen sein. Unter Bancroft kam der auf Tod uiul Liben
geführte Kampf zwischen Kirche und Dissont auf seine erste
Höhe; von diesem Gesichtspunkte aus wird namentlich
die wichtige Hampton-Court-Gonferenz ausführlich g^eben,
wobei zugleich die Tätigkeit Bancrofts (damaligen Bischofs
von London) und Jacobs I. des „britischen Salomon" auf hellem
und dunklem Hintergrunde hervortritt. Die Pacitication aller
Parteien, die ihr Zweck war und die der gelehrte König
durch die Angabe einiger unwesentlicher Punkte gegen die
Anerkennung der Lehre und Ordnungen der Kirche zu er-
reichen hotVte, gelang indessen auch dem Einflüsse Bancrofts
nicht, für den Hook ungeteilte Bewunderung hat; auch dieses
PriUaten ,,Unpopularitftt, seine begehrliche Habsucht, Grauaam-
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606 KsrnscHic übkusicutem . im. it.
kelt, SBin qroi^plumtiscliflB Wohlkben sisd oiditi «k purii»*
BiaGhe ▼erlemndniigeii'^S Abbot aber !rt ein „bescbrftnkter
und unfähiger Mann", ein „prosaischer Cliarakter", auf dem
der Schandfleck blutiger Ketzerverfol^aiug ruht (wobei der
Standpunkt des YerfiMners in den tugafägten Satie: ^Wümod
deB langen Primates Abbeto eracblaflfte die kireblidie Di»-
ciplin", einmal recht unverdeckt und ungedeckt hervortritt;
denn die Toleranz Abbots gepen die Puritaner ist gemeint).
Aber als grosiiartige unübertroff'ene Gestalt charaktenroller
Conaeqnenz, ab die Incarnation dee engliachen High-Chniek-
Princips, ein Pttiatenideal nach dem Hensen des Deana triti
der gewaltige I^ud, der Erzbisch of und liatgeber Karls I.,
der gelehrte Sammler, daher. ,,£s ist unmöglich für den
GeschiichtBachreiber*', sagt Hook einmal in einer Bemerkimg
m Sfcongfatons „Eoolesiasfcical History^S „nnparteüseh an aeb;
man kann nicht erwarten, daas derselbe, genftbrt mit Um
Principien, wenn nicht den Vorurteilen der einen Seite, mch
in den Qeist seiner Gegner versetzen könne**. Das Laudsche
Leben ans des Deans Feder ist die ttefiendste Dlasiia-
tton diesee ürtefls. Land ist nicfat „das h6m Ftincip der
englischen Kirche"; sein in der Geschichte schwankendes
Charakterbild ist niiht das Product wissenschafblicher For-
schung, sondern abermals puhtaniseher Verleumdung; Laad
war vielmehr der TrUger der aweiten giflsseicn Refoimatioa,
die Heinrich YIU. unter dem HSnUnsse seiner LeidensoMlsn
verfehlte, die Parker mit seinen hochkirchlichen Principien. j
denen auch Whitgiit treu blieb, anstrebte, ohne sie zu er-
reichen: das ist Hooks Ton der Blässe objectirer GescbicMa^
betmchtnng alterdii^ nidit angekränkeltes Lehensbäd. hmi
war ein Mann von persSnüchem Mute, kräftiger üebar*
Zeugung und unerbittlicher ConspipK'nz, der seinen Feinden
zwar erlegen ist, der aber der Kirche ihre alte triumphireade
Kraft aber den „unreinen wnd aEUSgestossenea" PurilaaiaaRii
vnd das Schisma wiedergab, so dass sie (HmmU diMkMg
und siegreicli war. Für den Widerstand und dessen Träger i
gab es kein Erbarmen; von den Kanzeln, Lehratöhlen, am
hoher Lebens- und Amtsstellung nmssten sie weieben in dis
Kerker, die Yerbannwig, an den Pranger, in ffangar aa4
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DIE REFOBMATIONSGESCH. ENGLANDS V. WODDENSIEG. 607
Tod ; und dennoch, oder vielmehr gerade darum wuchs ihre Zahl
und kam die Stunde ihres Triumphes (1640 — 48). Auf Lands
grossen Erfolgen rnht diese schliessliche Erniedrigung der
Kirche: in der treaen Hingabe an seine grosse Lebensan^be
wankte er niehi, bis er beides, Kirche nnd Staat, Temichtet
und beide, sich selbst und seinen Herrn unter deren Ruinen
begraben hatte. Mit mannhafter Hand ergriff er die Zügel
des Kirchenr^^ento, nachdem er schon als junger Geistlicher
(als feUow Ton St Jofan% Oxford, dann Dean von OHmcester,
sebliesslieh Bischef Ton St. Davids) Zeugnisse seines eminenten
Herrsch talentes abgelegt, und gnh sie erst auf dem Blocke
aus der Hand, um den Märtjrertod für seine Sache zu sterben.
£r war kein Papist, soviel es ihm andi T<m Foritanem
sohnld gegeben ist, kein Poritaner, wie die Bömisehen ihm
vorwarfen; viel eher gehört er zu den Arminianem, die in
jenen Tagen einen unfreien Dograatismus ebenso wie Papisten
als Feinde Gottes bekämpft wurden. Nicht dass er mit neuen
Ideen henroigetreten wftre; „was er getan, bestand einfiidi
darin, dass er eine strikte Beohaciitung des Cksetaes sowohl
in Staat als Kirche forderte"; „die wirklichen Neuerer waren
die Puritaner unter Heinrich VIII., Eduard VI. und Elisabeth
gewesen ; ffir die Regolinu^ des Gottesdienstes und die Jaris*
diotion der Kirche waren gewisn Gesetae gegeben worden.
Diese Bsstimmnngen waten ganz allgemein von den Fori«
tanern, die fremde und calvinische Formen einföhrten, be-
seitigt worden: diese waren die Neuerer 'S Kirche und
Ktaig'S daa war die Devise asines Lebens; die Bechte beider
aufrecht an eihalten, scfaente er keine penOnHdie Geftihr.
Sein Leben war ein beständiger Kampf nm diese Fragen; er
ist darin unterlegen; denn nicht die von Hook ausführlich
behandelte, einfache, aber in der englischen Kirche berüchtigte
fkage naidi der Stettnng des Abendmahlstisches hat ihn «nter
das Beil gebracht; das war nur das eine Glied, an sid» k^
Veffat, aber dazu angetan, „in jenen Tagen, in denen es
viel mehr Theologie als Evangelium, viel mehr Eifer als christ-
liche Liebe, swar Ghnatcntum, aber keine Christen gab'S in
Yerhindang mit aadern Gliedom eine Kette m bildm, die
dsA Tiefgehasstsa miter die Binde im Henkais zog; ntt
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608
KBinSGHB OBBBSICHm. I875w tT.
Wftrde und dem Mute eiiiM fibeneqgQDgBtreiieii Mnamaa
gab Land sein Leben hin, in dem festen Glanbent dm es
um das Staatswohl aui besten stehe, wenn ein energische?
kirchliches Regiment die Geister zögle. — Sein Sitz blieb
16 Jahre ohne Nachfolger. Jnxon, der kanm 3 Jahre anf
demselben saas« hat keine Oesehichte; sdn Gang anf das k(taiig-
liche Schaffet in Whitehall an Karls Seite hat ihm in der
Ge^jchichte der „öreat rebellion" eine Figur verschafft;
Hooks anspruchslose Umrisse seines Lebens erfordern keine
weitere Bemerkung. — Soviel vom Inhalt dieees 11. Bandes;
nnKweifelhaft mnss, was die Form, die VenrbeitnDg, die Ans»
iiutzuug neuer Quellen und die DetailfurschuDg betiiili, den
früheren und noch dem 10. Bande gegenüber die wankende
Gesundheit 9 die wachsende Unfähigkeit des Verfusera zu an-
gestrengter Sanmielarbeit nnd die Ennattung des sonst so eoer-
gischen und arbeitsfrohen Geistes in Betracht gezogen werden,
wenn dieser letzte, die Ueformation abschliessende Band von
Gardiner in der Academy nicht nur unwürdig der wohl-
Terdienten, wissenschafUidien Bedeutung Hooks, sondern auch
alles historischen oder biographischen Wertes ermangehid, voll
von bedeutenden und unbedeutenden Intfimern, von willkür-
lichen, unbegründeten Anschuldigungen gegen Personen und
Parteien" genannt wird (zu vergleichen wäre der Montague-
sdie Handel im Farhiment von 1625 p. 43« die Chaiakte-
ristik des langen Ptolaments S, 318 und die Behandlung
der Frage von der ul't heliaiipteteu Grausamkeit Lands). —
Einen weit nüchterneren SUmdpunkt, aber den gleichen En-
thusiasmus für den Helden, ein weit massvolleres Urteil, aber
gleich tfichtige, ja gründlichere Behandlung des Stoffes weist die
vortrefifliche Monographie Lorimers fliber seinen berfthmten
Landsmann Ivnox auf. Diese Biographie kann in jeder Weise die
Ansprüche macheu, wie die Hookschen früheren Arbeiten; ja
der Beiz ihrer neuen Besultate stellt Hooks posthnmea Weit
in den Hintergrund. — Bei einer Durchsicht der Bibliothek
von Dr. Williams fand Lorimer Documente, die Knox ange-
hören und geeignet sein sollten, auf einen ganzen Abschnitt
von dessen reicher reformßtx>ri8cher Tätigkeit neues Licht zu
werfen; auf eine höchst gl&ckliche Weise hat der Verfiisser
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DIB &EF0&MAT10NSa£SCH. SNQLANDS V. BUDDENaiEO. 609
es verstanden, diese Mauuscripte zur Ausfßllung der Lücken
zu verwerten, welche die biographische Forschung über Knox,
namentlidi Dr. McCrieB, Neala in seiner „ Geschichte der
Puritaner 'S Brooks nnd Prices, noch sehnidig geblieben ist;
und indem er zwar in breiter, aber sprachgewandter Ausführ-
lichkeit auf den ersten 200 Seiten die einsclilagende refor-
matorische Bewegung mit geschickter üiinflechtong des braach-
bar gewordenen Materials nen schreibt, Iftsst er uns seine
Docnmente den Beweis liefern, dass Knox' „evangelisch-organi-
satorische Bedeutung nicht mehr in der alten Ausschliesslich-
keit auf seine schottische Beformtätigkeit zu beschranken ist,
sondern dass von nnn an auch die englische Staatskirche ihn
unter ihre «Yftter* zu zahlen hat'S Genauer anf den ersten
— geschichtlicheu — Teil einzugehen, ist hier nicht der
Ort *) ; Lorimer fesselt die Aufmerksamkeit an Haddingtou,
den Geburtsort von Knox, an Glasow und St Andrews, die
Bildungsstätten des jungen Studenten, an Samuebton und St An-
drews, das erste Arbeitsfeld des Pastors, an die Jahre der
Galeerenliaft, der Tätigkeit im nördlichen England (seit 1549)
und endlich an seine Arbeit unter den englischen Flüchtlingen •
auf dem Continent (I56d — 69); in diese 10 Jahre englischer
T&tigkeit Mtt die Geburtsstunde des englischen Puritanismus,
und John Knox ist, noch ehe sdne Edinbnrgher Energie ihn
in den Vordergrund der schottischen Kefurmation ])rac]ite, als
dessen B^ünder anzusehen. Das ist Lorimers erster Haupt-
sata; der andere weist die wichtige Bolle auf, die der „schot-
tische Reformator" in der Organisation der englischen Kirche
spielte, seineu Einttuss auf die den Abeiidiiiahlsdienst hetrclVeii-
den Rubriken des „Praycr-books'* Eduards YL. und auf die
durch ihn bewirkte Modihcation eines der „Beligionsartikel".
Durch die vier neuen Documente werden beide HauptsStse
erwiesen. In dem ersten, einer langen Epistel IB^ox' an die
Gemeinde vuii Bcrwick, erscheint das Feuer und der Starrsinn
des Schotten gemildert und zeitgemassen Zugeständnissen go-
Im Bande XX, Heft III. der „Jahrb. für deutsche Theol." hat
licferent Uum Buch bereits ausführlich besprochen und genauere Inhalts-
angabe gemacht.
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610
KBITISCHE CABBSIGHTEN. ld7S. IV.
neigt; er giebt m lad empfielilt der OmeiDde die Gub- I
mersche Kiiiebeuguog beim Abendmahl, die er in Nr. 2 aufe I
heftigste bekämpft. — Nr. 3, eine Beschreibung des Abend- I
mahbritna in dmalbeii GemeiBda» entbilt vahncheiBliQk «n 1
FngnMiit des eraieii Eftlwurfr nun Frajer-book, dar, aM Im 1
Händen der Genfer Verbannten in die reformirto Kirche
Schottlands überge^ran^en , dort grossen Anklaug fLiiid; dm
vierte Documenta ein von unbekanntem Yec&saar an Knox ge-
adunabaeer Brief, fiült ina Jahr 1666 mnd mUt HiarkwMjg»-
mae die paritaaiBciian Anfänge der kirelilldieii Separatioa
von der Nationalkirche , die übrigens von Knox gemisbilligt
werden, schon in diese frühen Jahre zurück. Das bei weiu^iD
wiohtigBle Sciuriftstück ist aber daa veo Loriner unter Nr. i
gedmokte, die ,,ConfiBBBkMi** ven Knox nnd eimgea Gleiob-
goghinten an den Ktaig nnd s^en Oheimen -Bat, voai
27. October 1552. Knox war von Eduard VI. noch vor Ein-
führung des neuen Praycr-books zu einer Aeusaening öto
die dnrah leiatena obligatoriaoh gemachto Kaiebengnng Mb
Abendmabl angefordert w<MPd8n nnd benntito diese Cklegenkdl |
TU einem schartcii Angi'iflfe. Der 38. Artikel des PraTe^ ^
books, „dass dasselbe in jedem Ritus und jeder Ceremonie der '
Schrift entq[Hreohend und in keinem Punkte ihr wider^rech<ai4
sei", atinune nickt nut der Wahrhttt; ea Meie ntk
grosse Zahl nnhaliibBrer Punkte sor FÖlemik, doeh woHema
die übergehen; die Kniebeugung beim Abendmahl aber ver- I
danke ihre Entstehung der irrtümlichen Meinung, daas Christi
natürlicher Leib anf tiananbstantiala Weise dadn eufchaUoi
sei; diese ftbobe Anaicbl dürfe nidit dnroh ein Qeooti be- I
stätigt werden, sondern verlange die Censur der h^igtt
Schrift; zweitens würden die schwachen Brüder durch den
fingUehen Bitnsawang verletzt, da sie unter Auflehnung ihi^
Gewiaaena dagt^gn Gott in einer Weiae in verehren
flwnngen wftrden, wie weder das Beispiel Cbristi noeh vgaad ,
ein ausdrückliches Gebot es zu tun lehre; drittens würde fi^
bereits erstarkende, reine Kirche durch die triumphirende
Götaendienerei achwer geschädigt und in ihrem reinen Be-
stände bedroht Dem Cranmerachen Einwände gegenflbei, dtfi
die Kniebeugung eine Erweisung der Sehen nnd SStateeU
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DIE REF0&MAXI0Näa£»01I» ^«GLANDB V. BüDDENSIEO. Gl 1
vor Gott iu der heiligen Handlung sei, weiBeii sie daraiii hin,
dass „in der heiligen Schrift nichts davon erwälint sei, dass
das Sitwn am Tische über Christi Institution Verachtung
briaseB würde'*; Ofaristiui mUmI haba darm, dasa adna Abend»
mabli^noflBeii an ednem Tiaolie aasBen, nlmab eine Ver-
achtung seiner Einsetzung erblickt, aber die Menschen wollen
klfirrer nnd umsichtiger als Gott seibat sein u. & w/^ —
Dieae heftige Polemik gegen die Cetemenie, die in ihiem
letaten« von dem trinmphirenden Spotte der papistiselLen Gegen-
partei handelnden Teile wie eine Anteoipation der gegenw&i^-
tigen ritualisti schon Argumente für deren papistischen Cnltus
erscheint, hat indes den Widerstand der Cranmerschen Partei
niohi gebrochen, die Geremonie blieb erhalten, aber ee wurde
eine Revision des fraglidien Artikels vMgenommen, md „die
iUibrik über die Kniebeugung'' am Ende des Abendmiihls-
dienstes eingefügt, welche die reformirte Lehre über Christi
Gegenwart im Abendmahle so scharf präcisirt ansa^iaeh, daas
Knos nnd sein Anhang tarotz ihres bleibenden Protestes gegen
die erhaltene Ceremenie doch im Dienste der Natkmlkirehe
zunächst zu verbleiben sich im Stande sahen. — Die Knoxi-
sche Authenticitat dieses wichtigen Docomentes zu wahren,
setai Lorimer seine bestm Krtfte ein; Aber die Greace der
Wafar8diein]icfaM.t konulifc er aber nicht hinaios^ auch daa
oben angedeutete Besnltat, ahi in SV>lge der Eingabe ein-
getreten, scheint eine nicht ganz ungefährdete Aufstellung, da
auch Lorimer genauere Mitteilungen über die Vorgänge im
Schosse jener Prayar-bei^-^BedaiotionaooauiiiaBien nicht m
maohen vermag« — Das Bndi ist ab ein wertvoller Beitrag
zur Geschichte des Prayer-books Eduards VI. von der eng-
lischen Kritik ^) recht gflnstig aufgenommen worden und hat
bereits ein lebendigeres Interesse für den grossen Schotten in
Enghmd geweckt
Aehnliches kann kanm von Penningtons Arbeit über
Era^us (s. o. Ni\ b) gesagt werden. Er bricht über Erasmus
1) Vgl. dio Besprechungen in We«t.-Rev. 1875, Nr. 48, \k 215;
Liter. WorW, S. 280 und 282 von lö7ö; Kcho Nr. lUM; Daily Newe
Nr. yolO; Academj Nr. 156 (?
40*
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612 KBiCDCHB OBBBSKararar. nr.
grmun den Stab, ohne durch sein am&ngieiGlies Werk dnen
Schlüssel zu den Widersprüchen des Charakters zn bieten und
für die scheinbaren Inconsequenzeu des Mannes, der wechst l--
weiae ¥Oii EvangeliBchen und BOmiachen als der Ihre in Ajisptrach
genommen w<ndeii ist, anfkokommeD. Ntob den neueBlen
franzOoflclien nnd engluchen Yorgängem ptonnd de Lanr,
G. Feugere und Drummond) bietet das englische Werk, das
vom Standpunkte dogmatischen Hochkirchentums geschrieben
ist, nichtB Eigentfimliohes; der Schmuck der bischöflichen
Yonede erscheint aach zweifelhaft „Braamas opferte die
Wahrheit seiner liebe zur Einheit» Luther die Einheit seiner
Liebe zur Wahrheit; wer kann sagen, ob nicht beide, Walir-
heit und Einheit, hätten erhalten werden können?** Von dem
Standpunkte dieser hoohhudilichen Einheit um jeden Preis,
die das Beoht des [rOmisdien] Gegners in keinem Pnnkte an-
erkennt, wird nun Erasmus* Scheidung von der lutherischen
Bewegung scharf getadelt, über seine verstandcsniussi^en Nei-
gungen, sowie seine Sympathien mit den Arianeru hergefaliea.
Neues aber, auch über den englischen Aufenthalt des Eiasmn,
nach den Arbeiten von Knight, Jortin, Drummond und Butter
nicht g^eben. — Penningtou hat ihasiiius' Werke stark ex-
cerpirt; zu umfönglich ist die Schilderung von Vitrarius,
Erasmus* Freund (8 S.) und das „Colloquium über religite
Wallfthrten'' fUlt fast 14 Seiten. — Auch Nichola hat uns
eine Ueiberseteui^ der „Wallfiüurten*^ *) in 2. Auflage ge-
geben; der Text ist in dem geläufigen Englisch der 1. Auf-
age wiedergegeben; er giebt graphische Schilderungen des
ndigifisen Lebens im damaligen England; die erlftutttmdea
Noten haben lediglich die Massenwallfahrten in IVankimh
und Belgien während der letzten Jahre zur Folie und geben
^) Vgl. aach Fräsers „Magazine", Januar 1876: ErMmn« (ohne
Angabe des Veil, wafandiAinlicb iit es Bnuüogton Belbst).
^Pi)gihDag«8 ta St Maiy of Wthdngfaam ä St ThomM ef
Canterboiy, with the ooUoqoj of Bwh Yowi Bj J>m* Enoras. Tnaa^
Uted, wiib an IntiodiMtion aad illnitntife notos, hj J. Ctoagh HGoholi
F. S. A. 2d Ed. a IiQnd«», Mnmy 1875.
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DIE GESCH. DER BEFOBMATION IM ITAUER V. BEMBATH. 613
ebenso wenig wie die historische KinleitoDg zu einer Be-
merkung Anlaas
V.
QescMclite der Befonnation in Italien.
Von
Lic. ür. Kurl Benratli in Bonn.
L Giuseppe De Leva, Storia docnraentata di Carlo In oonelaadoiie
all' Italia, Vol. III. Venezia 1867. 541 S. 8«
a. Karl Benrath, Bernardino Ochino von Siena. Ein Beitrag znr
Geschichte der Reformation. Mit Originaldocumenten , Porträt und
Schriftprobe. Leipzig, Poes' Verlag (R. Beialand). XU U.382S. 8°.
9, C* A. Hase, Bernardino Ochino von Siena. Ein Beitrag znr Refor-
mationsgeschichte (Jahrbücher für proteetant. Theol. I, S. 496—535).
4. Jules Bonnet, DernierH R^>cits du Seizi^me Siecle. Paris, Graaear^
1876. Troisieme K» cit. La Bronne k Venise, S. 71—145.
6. Jules Bonnet, Uu manage aous Fnmgoia I (Berne Chx^tiemie,
Paris. Heft V u. Vi).
6. La Rivista Cristiana. Periodico raensile. Firenze. 12 Hofte
7. Historia della Vita di Galeazzo Garaooiolo chiamato II Signor Mar-
cheee, nella qaale ü oontiene nn mo e aingolaie eeenqiio di ooetanza
1) In Bezug auf das Biographien, u. a. von Wol<wy und Cranmer,
enthaltende Buch: „Men of Mark in British Church- Histor} **, by Wil-
liam Marshall (Edinburgh, Oliphant), genügt zu bemerken, dass es
„für die aufwachsende Generation" geschrieben ist. — Scenes and
Sketches from English Church-Hist.", by S. M. S. Clarke. Kdinbur^h
Oliph. (Biographie u. a. von Marie Stuart, M. Godolphin u, s. w.),
ist von „Miss" Clarke verfasst und als ,,Schaol price for ladies' schools"
intendiert; Dr. Strughton hat uns mit einem ,,rich lookinf? volume"
beschenkt: ..TTomes andHaunts of Luther" (Ijondon, Kel. Fr. Soeic). —
Tennysons Drama: „Queen Mary", a Drama (London, H. S. King
& Co,), bat mit kircheDgeechichtUchen Stadien nichts zu ton.
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e di $mnmam adto ufetaeneUft wem täigiim msAU^ 4m Kiü^
Uo Balbani (1587) . • . ripubUkato dA Emüio Comb«. Bmo^
Finnse. 8*. 76 S.
a Dell' Emia in Bergamo nel XVI Seoolo e di frate Michelc GhiaUeri
Inqniiiitore in detia citta, indi ool nome di Pio Y. Bontifioe mawrimo
«I Santo. Bieetehe storicbe. Von AUbate Uocelli In: Ia Senida
Cattolioa (Mailand)» lOn-, Jnni- nnd Septemberiieft.
Der ehrwtkrdige italienische Historiker Giuseppe De
Leya, Professor in Padna, mit dessen Werk wir unsere
Uoborsicht er/^ffnen, j^ehört unter den Geschichts( hrt ibern ira
moderueu Italien unbedingt mit iü die erste Reihe. Seine
Forschungen sind durchweg von grösster Sorgfalt und Ge-
wissenhaftigkeit, sein Urteil ist ruhig, ohne teilnamlos« und seine
Darstellung ist f^ehoben, ohne gekfinstelt zu sein. Von dem
vortreiriicben Werke über Karl V. in seinen Beziehungen zu
Italien ist für unser Gel)iet der dritte Band von liervorriigen-
dem Interesse. Derselbe trfigt die Jahreszahl 1867. Allein
in Wahrheit ist er erst 1875 erschienen, und der Unterschied
crkhlrt sich daraus, dass den Verfasser, als der Druck der
ersten sieben Bof^en vollendet war, eine lebensgefiihrliche
Krankheit und jahrelange Schwäche beüel, die ihn erst 1875
zur Fertigstellung des Ganzen kommen Hess. In die Zwischen-
zeit fallen dann noch einige kleinere (^u eilenarbeiten desselben
Vc'itiussers — „Gli Eretici di Cittadella" „Giulio di Mi-
lauo** — , die wir nunmehr in die Gesaniratdai"stelhing ein-
gefügt linden. Das fünfte CSapitel ist ausschliesslich der Dar-
stellung der religiösen Bewegung in Italien bis zum Anfange
der vierziger Jahre gewidmet und enth< auf gedrängtem
Räume (S. 311- :i9U) eine Fülle von Tjitsiicben, die zum Teil
neu oder wenig hekannt, immer aber von Quellenbelegen be-
gleitet sind. De Leva ist Katholik. Das hindert ihn jedoch
nicht, die reformatorische Bewegung im ▼ollsten Masse zu
würdigen. Dass dieselbe in seinem Vaterlande nicht Wurzel
geschiugeu hat, und die verborgene Ursache, weshalb sie oichi
1) Degli Sietici di GitliideUa, (Atti deU* Istitaio Tenelo» lot 11,
ser. lY, 1873.)
s) CKnlto di MQano , Appendioe alla Storla del Movimento icUgioio
in Italia nel Seoolo X?L (Ai^hivio Yoneto. T. TIU, p. 1.)
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DIE QmJII. DEB EEFOBM ATION IN ITALIEN V. BEMJiATH. 615
durchgreifen konnte, Diimlich der „Mangel an Glauben'' —
das ist für ihn das schmerzliche Resultat jener Periode, wie
es noch drei lange Jahrhunderte hindurch seinen verderblichea
Einflnss auf die Entwicklang ItaUens geübt hat. Dass De Leva
den Begriff des Glaubens** nicht in dem traditionellen Sinne
der lömischen Kirche fasst, geht schon aus dem Obigen her-
vor; die Vertreter dieser Kirche sind denn auch mit seiner
Aufibssang nnd Darstellang der ganzen Periode wenig ein-
verstanden. Aber indem er den Gknben im protestantischen
Sinne als den wichtigsten Faktor im nationalen Leben be-
trachtet und mit leicht erkennbarer Teilnahrae das Aufsprossen
solchen Glaubens in dem skeptischen Zeitalter der Renaissance
und seine vielversprechende, aber nur allzukorze Blüte in
Italien verfolgt, steht er den einzelnen dogmatischen Fest-
setzungen und Meinungen der Zeit um so unbefangener gegen-
über. In nicht wenigen Punkten führt er die Ansichten
früherer Darsteller über die Verbreitung und den Charakter
der Bewegung auf das richtige Uass zurück. Den protestan-
tischen Schriftetellero, die nach dem Vorgänge von Gerdes die
Bewegung zu weit ausdehnen, indem sie in Jedem, der irgend
einmal sein Mia£allen an den jeweiligen kirchlichen Zuständen
und Lehren ausspricht, einen Protestanten erblicken wollen,
tritt De Leva entgegen. Aber er hebt auch hervor, dass das
summarische Verfahren der katholischen Geschichtschreiber,
welche „ die Selen , die ihnen als verlorene erschienen , ver-
fluchten, nicht untersuchten'*, die Herstellung des wahren
Sachverhaltes in gleichem Masse erschwert Im Gegensatz
zu der Aufihssung der meisten protestantischen Bearbeiter
liegt für ihn der Schwerpunkt der damaligen Bewegung in
den Versuchen tiefergeheuder, aber noch innerkirchlicher Refor-
men, wie dieselben in Gaspare Contarini ihren edelsten nnd
wftrpsten Vertreter gründen haben. Diese Bestrebungen ver-
folgt De Leva eingehend und dringt dabei bis auf den Grund
auch der dogmatischen Anschauung. Aber es ist eine
notwendige Folge von der Entschiedenheit, mit welcher
er die innerkirchlichen Beformversnche in den Vordergrund
rückt, dass die eigentlich protestantische Richtung nicht zu
ihrem Eechte gelangt Dieses zeigt sich besonders an dem
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616
KBITI8CHE OBBSSICHTBN. I87i. T.
Beispiele des Juan de Yald^i und des Ereieee von ge-
gebildeten und frommen Ifibinern und Fnmen, der BiA um
ihn in Neapel i,n\siiniiüelt hatte. Dort finden wir eiuen Ber-
nardino Ochino, j?ietro Martire Verraigli, Giovanni MoUio,
Maieantonio Flaminio und den Ver&sser des Bfiohleins ,,Yod
der Wohltat Christi", Jkm Benedetto di liuitovn. Will man
den Standpunkt, welchen diese Mitglieder des ValddopcJwn
Kreises einnehmen, mit einem Worte bezeichnen, so kann nian
sie nicht anders ak „ Protestanten nennen. Haben doch
anch die beiden Erstgenannten sehr bald nachher durch die
Tat bewiesen, daas sie an jeder innerkirchlichen Reform ver-
zweifelten und Kühe tüi ihr Gewissen nur in oflener Sclieidon^
von der katholischen Kirche Huden zu können ghiubteu. l n^i
Valdäe selbst zeigt sich bei näherem Einblick in seine Werke
gerade so wie Jene — wftre er nicht kurz vor dem Anabroche
der gewaltsamen BeacUon in Rom gestorben, so hStten wir andi
ihn wolil unter den Schaaren der Flik-iitlinge oder unter den
Märtyrern der cvangelidcheu Bewegung in Italien zu suchen. Ick
weiss nicht, was De Leva veranlasst, an der Authentie der „ Hm-
dertundzehn frommen Betrachtungen" des Vald^ die ffir m»
eine Hauptc|uelle zur Erkenntnis »einer religiösen Ansichten sind,
zu zweifehi oder ihre InteriK)Iatiun anznnelimen (vgl. S. 366 f.).
Aul" mich haben diese Betrachtnngen stets den Kindruck ge-
schlossener Einheitlichkeit gemacht. Dass die Begriffe mid Ge-
dankengänge, denen wir hier begegnen, sich nicht der ge-
bräuchlichen Kirchensi)rache anpassen, nnd daneben noch die
überall hervortretende Weite des G es iclitsk reise» und Tiefe
der Eeligiosität, der die kirchliche Formel gleichgültig ist, —
diese Umstände erklären die Erscheinong, dass man Yaldifo
in die damaligen Klassen protestantischer Richtungen nicht
recht einzurangiren gewusst hat. Aber irrtümlich ist es.
wenn auch De Leva noch ihn in der katholischen Kirche
zurückhalten möchte und ihn teilnehmen l&sst an der Messe
nnd den übrigen kirchlichen Gebräuchen. Denn die Stelle,
welche er S. 367 A. 3 aus Balbanis Leben des Marchese Ca-
racciolo (s. Nr. 7) anführt, geht nicht aul Valdes selbst,
sondern ausschliesslich auf die Lebensweise; gewisser uns dem
Namen nach unbekannter Freunde, vielleicht auch frühere
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DIE GESCH. DER BEFORMATION IN ITALIEN V. BENRATH. 617
Schüler des Meistere, wie sie noh zebn Jahre nach VMU
Tode gestaltet hatte. Dass z. B. ein Giovanni Francesco Caserta
nicht zu diesen gehört hat, können wir nüt Bestimmtheit be-
haapteo« Der reinste Ausdnick der eYangelischea Anschaiiimgeii
des Yaldteohen Ereiaes ist und bleibt In dem ganz proteobui-
tischen Bfichlein „Von der Wohltat Christi" zu suchen, und
dass diese Schrift eine dirokte Abhängigkeit von den „Hun-
dertundzehn Betrachtungen" des Vald^ aufweist, ist bereits
anerbumt weiden, als man noch gkubte, ihren Verfasser in
Aonio Paleario erblicken za mfissen. Bei De Leva wird dann
im sechsten Capitcl die Dai'stellnng der reformatorischeu
Bewegung weitergeführt. Es ist erklärlich, dass das Begeus-
burger Gespräch von 1541 seine Anfinwksamkeit iji besondere
hohem Grade in Ansprach nimmt: sollte sich dodi hier zeigen,
ob die innerlrircblichen Reformversnche, wie Contarlni und
andere der edolslcn Geister innerhalb der römischen Kirche
sie vertraten, geeignet und kräftig wären, in die Wirklichkeit
überzngehen. Bis dahin war auch die Partei der Beaction,
geleitet von Giovanni Pietro Osralfo, wenigstens nicht offen
gegen die Mittelpartei aufgetreten. Man wartete, bis die
günstige Oelegeniicit sich darbot, Contarini selbst wegen seiner
angeblich zu grossen Nachgiebigkeit gegen die „Lutheraner"
ZU verdächtigen, und das geschah denn mit dem bekannten
Erfolge: anf das Scheitern der Regensburger Verhandinngen
folgte nach .Jahresfrist der entscheidende Sieg der Rcaction,
nämlich die Gründung des S. Ufßzio in Rom am 21. Juli 1542.
Es waren das zwei Schläge, die alle Hoffnung zertrümmerten
nnd deren letztem Oontarini nor nm wenige Wochen flber-
lebt hat.
Die Grenze, welche De Leva sich in dem angeführten
dritten Bande gezogen hat, erlaubt ihm nicht, die Rückwir-
kung insbesondere der letztern Massrogei anf die reformatorische
Bewegung im allgemeinen darzulegen. Denn da er nicht fiber
lö4i hinausgeht, so können nur die allernächsten und zuerst
zu Tage tretenden Folgen der neuen Organisirung der Inquisition
berücksichtigt werden: Ochinos und Vermiglis Flucht, die
Verfolgung der Akademiker in Modena, die Verurteilung Pietro •
Oittadellas. Wir hoffen, dass der folgende Band, der ja wohl
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618
KHlTiaOHE OBBRSICHTnr. 18TS. T.
dm AbBohlufls des gansen WeriEes enthalten wird, die üniM^
drUokoDg der Reformation in Italien mit eben derselben Treue
und Klarheit darlegen werde, wie sie die vorliegende kurze
Darstellung ihrer Entstehung und Verbreitung kennzeichnet.
,,BemardinoOofainovonSiena**vonEarlBenrath (».Nr. 2)
ist die umfluigreichBte monegraphiaohe VerOümtliobnng Aber
nneer Gebiet, welcbe das Jahr 1875 aofweisi Da aber in
diesem Falle Verfasser und Berichterstatter eine Person sind,
so wird hier nur hervorgehoben werden können, was die Arbeit
von Neuem und Eigentfimliohem bietet. Ochinoe Leben ist
bisher monographisoh nicht oder doch nnr in eng umsehrftnkten
Grenzen bearbeit^'t worden. Für die lauge Zeit hindurch sehr
vage Tradition über ihn auf der Seite seiner Gegner von der
katholischen Partei hat Boverios Darstellung in den Annalen
des CSapusinerordens (1682 ersohienen) die Torzfigliobste Quelle
gebildet Die üntersuchangen von Bayle im „Didaonnaire
historique et critique" und andererseits von Schelborn in
den „ Ergötzlicbkeiten Bd. III, haben dann wenigstens so
viel zu Wege gebracht, dass jetzt auch Ton katholisch-kirch-
licher Gescfaiehtsohreibung, wenn sie ernst sein will, die einst
auf Ochlno gehäuften Beschuldigungen nur noch zum kleinsten
Teile erhoben werden, wie denn z. B. die Darstellung bei Cantü
einen weit ruhigeren und Ochino günstigeren Charakter ange-
nommen hat, als man dies sonst auf jener Seite gewohnt war.
Trotzdem hat jedoch audi Osnth nicht einmal den Venuch ge-
macht, das psychologische Problem, wie aus dem Generalvic^ir
des Capuziuerordens der protestantische Prediger geworden ist
und werden mnssto, näher ins Auge zu fiissen. An dieser Stelle
setzt nun zunächst die neue Bearbeitung ein. Dem Yerftssw
hat ein längerer Aitfenthalt in yersehiedenen Städten Italiens
die Möglichkeit geboten, das Material für die italienische
Periode in Ochinos Leben in einer bisher nicht erreichten
Vollständigkeit zusammenzubringen. Da er zugleich die ganze
gleichzeitige reformatorische Bewegung ins Auge fasst und die
bisherige Kenntnis der innern Entwicklung Ochinos dnrch
zwei noch nicht benutzte aus der Periode vor der Flucht ber-
t) cm Eretid d* UOIm, Bd. H (Tann 1867).
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DXK Q£SUU. Dm RI&rOKliATlOM IN ITAUKN V. BfitUtATH. 619
rührende Schriften desselben erweitert und ergänzt, so kann
er dem Leaer einen genaueren Einblick iu die Entwicklung
dtts MamiBB Ymchai» and ihn va dem YmUndnk der Ta^
sadie hittfthrmi, dais bei OoUno ein Punkt emtreten mveste,
an welchem Amt und üeberzeugung in unlösbaren Conflict
gerieten. Die einzelnen Urnntändo, welche diese Entwicklung
begleiten und vermitteln, werden eingehend in Betracht ge-
zogm und teilweise dnroh neue Doonmente erlintert. Der
Bmdmok, den Ochinee Flneht in Italien henrorbraohte, wird
sowohl in den Massrogeln , die man gegen die Verbreitung
seiner Anschauungen innerhalb de» Capuzinerordens , als auch
durch dne Chankteriaining der eftinmtlicben Streit- und
Qegeneobrilten der Zeit, wie aie sieh in beklohilieher AnzaU
gegen ihn ricfateden, nachgewiesen, üeberhaupt nimmt die
bisher stiofinütterlich behandelte und dunkle italienische
Periode von den neun Capitelü des Buches fünf ein und füllt
gerade die HSlfte des Volimens. Eine so reiche Nachlese
war beifiglich der folgenden Perioden in Oohinos Leben nioht
mehr zu halten. Seit er in Genf iiiul dann in Augsburg eine
Zuflucht gefunden, hat man diesseit der Al|»en mit grösserer
Leichtigkeit seinen Spuren 2U folgen vermocht. Die wechsal-
vollen SieignisBe seines spAteren Lebens, seine Flucht ans
Angsbufg, als das kaiserliche Heer im soiimalkaldisohen Kriege
seine Auslieferung verlangte, seine Berufung nach England
unter Eduard Vi., seine abermalige iilucht von dort, als die
blutige'' Maria auf den Txon kam, seme Anstellung in
ZOrich and seine weiteren SohickBale hatte schon Bayle im ganzen
genan dargestellt und Sohelhorn, sowie später Ferdinand Meyer in
dem trefflich i^^earheitoten Werke : „Die evangelische Gemeinde
in liOcaruo'S 2 Bde., Zürich 1836 — durch Einzelforschungen
noch genaner bekannt gemacht Die sftmmtlichen in diese
Periode Menden Werke Oebinos werden namhaft gemacht
und, soweit der Raum es gestattet, durch Proben charakteri-
sirt. Auch ist es das Bestreben des Verfassers, innerhalb
dieser seiir zahlreichen Erzeugnisse der schriftstellerischen
Tätigkeit Ochinos gelegentiieh die ffBden nachsnweisen, wekhe
anf die eigeotAroliche und selbständige Stellung zuhrafen,
die wir Ochiuo iu der letzten Zeit bezuglich tief eingreiiender
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620
KRITIBCim ÜBiatölCiriEN. 1875. Y.
dognmliflelier Fragen dnBehmmi mhm. Bs ist lielaiiiiit, dns
seiner Vertreibung aus Zürich 1563 ein von ihm kurz vorher
veröfieutlichtes Gespräch zum Aulass diente, in welchem er
sei 68 die Monogamie zu sdiinieh Verteidigt oder die Poly-
gamie mit la etarlroii Oegengrilnden so Worte kommen liesa.
Dass der wahre Grund tiefer lag, ist teils von den Züricher
Theologen jener Zeit mit Bezupf auf Ochiuos Stellung zu der
Lehre vom Verdienst Christi und zu der orthodoxen fassung'
der TrinitAtelehre direkt zogeetanden, teik Ton Meier mit
Bezug auf das VerhSltnis der eingewanderten Looamer Uber-
haupt zu den Eingesessenen nachgewiesen worden und wird
auch hier hervorgehoben. In der Tat hatte Ochino, schon
ehe seine „Dreissig Dialoge*^ Yon 1663 seinen G^em za
dem enteidieidenden Yoigehen gegen ihn die Waffen darboten«
beireib der ersteien dieser dogmatischen Lehren AnäiMen
ausgesprochen, die sich mit den späteren socinianischen sehr
nahe berühren, und in jenem letzten Werke gesteht er offen,
dasB er eine Weeenatrinitftt nicht anerkenne, eondem nur eine
(Mfonbamngstrinität. Anf die bdden Anhftnge muerer Schrift
sei noch hingewiesen, von denen der erste eine Reihe von
teils bisher unbekannten teils wenig bekannten Briefen und
anderen Schrift- und Actenstücken enthält, der zweite die
Schriften Ochinoa in einer bis jetzt anderewo nicht erreichten
YdhrtAndigkeit anfzfihli
Bezüglich der Abhandlung Carl Alfred Hases über
denselben Gegenstand (s. Nr. 3) muss zunächst constatirt wer-
den, dass dieser die Priorität zukommt, sofern die beiden Ar*
beitenwohlgleichaeitiggedmckt worden, aber die nmAmgieicheie
erst später zur Ansgabe gelangt ist. Bei dieser vöU^en ün*
iibhängigkeit der einen von der andern ist der Umstand um so
bedeutungsvoller, dass sie bezüglich der spätem theologischen
Entwicklung Oohinos zu durchaus Ubereinstimmenden Besul-
taten gelangen. Beide weisen einen direkten Zusammenhang
der Anschauung Ochinos mit dem modernen theologischen
Geaammtbewusstsein nach. Hase sagt darüber (S. 197):
^,Die Schriften, welche seinem Leben einen so traurigen Aus-
gang bereitet haben, enthalten im Keime vielfiMsh schon die
Oedanken, aus welchen dte neuere pieleetentisohe Thedegio
QigUized
DmOE8GH.D]gtBEFQBlU19raiNITALIBNV. BEiiEATH. 621
ms
hervorgegangen ist.^^ Und bei Benrath heiast es: f^fir ge-
borte zu dea Mftmieni jener Zeit, in welchen wir gewisse im '
GegensatB ssa den gleichzeitigen kirchlidi lecipirten stehende
Anschauungen verkörpert finden, die dann im Lauf der Zeit in
das theologische Gesammtbewusstsein übergegangen siud'^
(S. 292); und an anderer Stelle: ,,Der Prozess, welcheu die
protestantische Anschaanng in Jahrhunderten langsam dnreh-
laufen hat, findet sich in Ochinoe Entwicklung pTftformirt
und bis zu einem bestimmten l'unkte bereits ilurcbgekampft'*
(S. 221). Was nun die Behandlung im einzelnen angeht, so
hat fQr die italienische Periode von Ochinos Leben Hase, dem
d«r Vorteil eines so langen Anfenthaltes in Italien nicht
geboten war, das ihm yorliegende Material mit Sorgfidt ans-
genutzt und übersichtlich und lebendig dargestellt. Der
Lösung des psychologischen Problemes, die wir vergebens bei
Gantü sachten, widmet Hase besondere Beachtong. Wer ihm
mit Aufinerksamkeit folgt, wird das Gediegene nnd Eiinheii
liehe der Persönlichkeit Ochinos auch bei scheinbar unver-
mittelten üebeigaügen herausfühlen , wie denn auch die
spätere und abschliessende theologische Entwicklung des
Mannes in ihren tie&ten Gründen nnd verboigensten Fftdea
weit zorfickreicht. Wie bei so yielen grossartig und
vielseitig angelegteu Naturen tritt auch bei Ocliiiio die Ein-
heit seines Wesens nur dann heraus, wenn wir das Ethische
in ihm zur Erklärung gewisser Erseheinongen des intellec-
tuellen Gebietes hinzonebmen.
Eine znsammenfiissende Geschiebte der Reformation in
Venedig giebt Jules Bonnet in den „Derniers Räcits"
(s. Nr. 4), die noch 1875 erschienen sind. Während er
De Lefas Arbeiten über die Häretiker von CüttadeUa und
in>er Ginlio di Milane vor Angen gehabt hat, scheint ihm
dessen dritter Band der Geschichte Kaiis V. noch nicht zu-
gänglich gewesen zu sein, sonst würde Bonnet nicht den
Brief Melanchthons von 1539 ohne weiteres als echt be-
trachten und auch an anderen Stellen die von ihm selbst als
rayerlSssig gerühmten Forsohnngen des italienischen (Stolehrten
benutzt haben. Im übrigen ist die obige Darstellung mit
Sorgfalt durchgeführt und geschmackYoll in der Eorm, wie
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69d KJU'fitfüm« OBsniGBrEN. israi
aUflBi was HIB der Feder dieses äcMftsUUen harveiydity dsm
wir die Wiederbelebung des Interesses für unsere Periode in
niclit c^erint^em Grade verdanken. Wesentliches Neue bietet
sie jedoch nicht. Wie lange wird es noch dauern , bis
fionnet endlioh seia Wort einltei and ans die Gescbichte der
^fToehter Frankreichs *S Renate iron Fenaia, sclMiikt, ni wal-
cher seine saiiuntlicbeu bislierigeu Ai'beiten nur vorbereitende
Studien sein sollten und von der er doch bis jetzt erst einige
Ghips, danmier suletii die obige kleine Abschiagmahlimg, in
der Beyne C^r^tknne (& Nr. 6) g^ben haif Denn eine
weiter reichende Bedeutung soll doilli wobl diese DaretelliiBg
nicht haben , in welcher mit genauer Berücksichtigung der
Kiuzelumstande die Kheschlieaeoug zwischen Ban^ YOüFimkr
reich und dem spAteven fienoge Itode L von Fenm ffs-
scihildert wird. Bonnets ^Mariage sons Fran^oii 1" stellt die
Familienverhältnisse der beiden Persönlichkeiten und die all-
gemeiueu historischen Verhältnisse ms Licht, unter denen die
Verbindung sich vollzieht, chaiakterisirt Reuees frauzösiache
BegliiAnagf die ja bestimmt war, in dar religiösen Bewagong
in Ferrara eine wichtige Rolle ta spielen^ ond Usst nns dann
den festlichen Zug der Nt-uveruiählten bis au den Uuf selber
mitmachen, der einst ein Schauplatz so bitterer Leiden fir
die edle Königstochter zu werden bestimmt war
Binen Blittolpnnkt fitar die anf die reformateriadie Be^
wegung in Itelien hesftglichsB Stndien soU die ,,Rivi0te
Cristiana" (s. Nr. 6) bilden, eine Monatsschrift, welche mit
Anfang 1873 in iilorenz gegründet worden ist^). An der Spitze
des Unternehmens, welches übrigens nigleich a«Gh den In-
teressen der Bvangelisatien im weiteren Siane dient nnd
Artikel des verachiedebartigsten Inhalts mr Vefi^ffentlicfaung
bringt, steht Eniilio Combii, Professor <ler Kirchenge-
schichte an dem theologischen Colleg der Waldenser in
Flerena, ein belehrter, der sieh bereits früher dorch kleinere
1) Früher bat Boonet aus deniielben Bereiche in dem BaHetin
hietoriqoe et litteraife verÖlSbntlichty 1866, S. 65: „ Jeanefle de Ben6e de
Fnmee"; 1872, S. 159: „dteient Msnt a la ooar de Fenan".
t) De die BiTute Criittaiia dtaeit de» Alpen nodi wenig MteMit
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DIEOBBCB.DBIIBEranAnCnilimUBRT.BEl^ 628
Schriften, ioabesoMkre dnnsh seineD EraDCeseo Spien» be»
kanni gemadit hatte ^. In dem Jahrgang 1875 der ^BiTisfai
Cristiana" zeichnet Comba zuuäcbst an der Hand von
neuen Actenstücken aus dom Archivio de' Frari in Venedig
die Geschichte von Frk Balde Lupetinos Prozess und teilt
dabei das bemerkenswerte G^tonbensbekenntnis dieees M&rtyren
in sechzehn Artikete mit. Denelbe yerOffentlidit an gleicher
Stelle die Verzeichnisse der Prozesse vor dem Tribunal des
S. Uftizio in Venedig mit Angabe des Namens mid der Vater-
stadt des Angeklagten, sewie des Jedesmaligen Gegenstandes
der Anklage. Wir können jedoch diese TerMentlidiiogen,
sc belangreich sie auch sind, ähnlich wie die kleinen Bonnet-
sehen Arbeiten bezüglich Renatas von Ferrara, nur als eine
Abschlagszahlung entgegennehmen. Denn aus den unerschöpf-
lichen Fnntamben des Arehifio de* frari« dem auch diese
Listen entoommen sind« nrass noch Tiel mafongreicheres Ma-
terial zu Tilge gelordort werden. Von anderweitigen Publi-
cationen an derselben Stelle ist hier noch der von dem
Verfasser dieser Uebersicht veranstaltete Neudruck der italie-
nisdUD „Dottrina Vecchia e Dottrina Nmm^, flbersetat
lach^ einer Schrift des ürbanns Rhegins, zn nennen, die einen
nicht geringen Einfluss uul die reformatorische Bewegung in
Italien geübt zu haben scheint Ans dem genannten vene-
ibuiiachen ArchiTC sind dann noch die Angaben geschöpft,
dnrch weksfae G. P. Pens, waldensischer Pfarrer in Venedig,
zuerst Anischluss Aber den Gang des Prozesses gegen den
Uebersetzer der Bibel Antonio Brucdoli gegeben und das
ist, 80 erRcbcint es angezeigt, aacli aus den beiden vorbeiziehenden Jahr>
gfingen die auf unser Gebiet bezüglichen Artikel hier zu verzeichnen:
Jahrgang 1873: „Girolamo Galateo, nuurtire veneziano " (Comba). —
„L^Eeilio dei Locanien" (Benrath). — ,,yera storia del Montalcino*'
(Elze). — „n pfocesso di Pier Paolo Vergerio" (Comba). — „La fnga
di Oohino" (Benrath). — Jahrgang 1874: „Una Icttera inedita di Fiaa»
C6S00 Negri" (Comba). ~ „Letteia a Paolo JH., docnmento aconoeciiito
delSecolo XVL« (Benrath). — „H ritratto di Paleario" (Benrath).
1) „Vnneeaeo Spiera. Episodio della Riforma BeligioBa in Italia.
Cos aggiimta di döctunenti originali. Iffansto da Emilio Comba.^
AmtSy Wkmm 1873. IdS 8.
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Datum seines Todes (4. Dezember 1566) festgestellt hat.
Eudlicb giebt Oomba an gleicher Stelle eine Piobe ans der
Yon ihm neu verOffentUchten im Original sehr selien ge-
wordenen „Historia della Tita di Galeazso Caracciolo**
(s. Nr. 7). Bei der grossen Seltenheit vieler der Haupt-
Schriften jener Zeit, die auf die reformatorische Bewegung in
Italien Bezug haben, igt ee driogend wünschenswert, dass Neu-
drucke in grosserer Anzahl erfolgen. Die Londoner „Beli-
gious Tract Society" hat eine besondere Zwei«,'gefcellscliatt in
Florenz, mit einer vortrefflichen Druckerei, — sollte sie nicht
zugleich den Interessen der heutigen Evangelisatiou in her-
vorragender Weise dioien, wenn sie einige ^nptwerhe ans
der Zeit der Reformation in Italien von neuem zugänglich
machte ?
Die Abhandlungen über die Häresie io Beigamo (Nr. d),
im allgemeinen ohne Wert, enthalten docb eine Anzahl von
beachtenswerten Dokumenten ans dem dortigen bischOflidien
Archive, welche teils das Vorgehen des Bischofs Pietro Lip-
pomano 1527 und 1533 gegen Ketzer, teils seine Massregelii
gegen die Verbreitung ketzerischer )uid verdächtiger Schriften
ins Licht stellen. Wir lernen hier als „Hanptketzer^ einen
Giorgio Medolago de Yavassoribns, einer vornehmen Familie
in Bergiimo angehörig, kennen, der 1537 eingekerkert wurde,
jedoch enttluli und, abermals eincfekerkert, sich zum zweiten
Male durch die Flucht zu retten wusste. Auf dieselbe An-
gelegenheit bezieht sich ein von üccelli miligeteiltes Urteil
des Bischöfe Matteo Giberti in Verona (vom 4. Jnli 1639),
welches einen Priester Namens Gio. Pietro Medolacho de
VavassoribuH verurteilt, weil er seinem Verwandten bei der
Flucht behülflich gewesen sei. Mit besonderer Vorliebe ver-
weilt jedoch der Verfasser bei der Mission Ghislieris in
Bergamo und bei dem Prozesse, welchen dieser gegen den
Bischof Vittorio Soranzo und seinen Vic^ir einleitete und der
danii später iu Kom mit Abschwönin<^r eudigte. Leider scheinen
die Docnmente, welche dem Verfasser zu Gebote standen,
grade Ober diesen beziehungsreichen Prozess nichts Näheres
zu bieten, nicht einmal über die Vorgänge in Bergamo, welche
den Inquisitor zwaugeu, die Stadt zu verlassen, um seiu Leben
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DIE GESCH. DER KEFORMATION IM ITALIEN V, BEM^TH. 625
2ti rettOB. Was Soranzos Tätigkeit als Bischof angeht, so
lernen wir nur einit^e cUsciplinarische Edicte kenneu, von
denen eins (von 1547) das ,,Summarium Scriptoiae^* und die
itSermoneB Bornardim Ochini'' verbietet Das ttSoiniiisne*^
iet auch von einem Priestor Simone de' Borsetti gelesen wor-
den, dem ein anderer Priester, Sebastiane in Poscauto bei
Bergamo, das Büchlein gelieben batte (S. 256, A.).
Schliesslich mögen nocli einige Schriften erwähnt sein,
die zwar nicht direkt auf die Darstellung der relormatoriscben
Beweguig abzwecken, aber doeb in mebr oder weniger enger
Beziebting m unserem Gegenstande stoben.
In Alfred von Reuraonts (beschichte Toskanas *) entwirft
einer der bestunterrichteteu Kenner der Zeitgescbiclite in
klaren Zügen ein Bild von der Entwicklung Toskanas seit
dem finde der florentimseben Repablik und lässt zugleieb
einen Bück anf die glelcbzeitige politische Gestaltni^f der
Dinge auf der ganzen Halbinsel tun. Mit Vorliebe berück-
sichtigt er die allgeniein»'n culturhistorischen Verhaltnisse,
aber die religiöse Bewegung wird daneben nur sehr kurz be-
bandelt. Der Verfasser erkefint z. B. an, dass „anf dem
florentiniscben Gebieto wie in dem benacbbarton Lncca die
reforniatorischen Meinungen Boden gewannen", und setzt
hin/AI, dass Cosinio, ,.um zahlreiche Machinationen wie um
Verbindungen mit dem Auslande wusste, die ihm höclist be-
denklieb erscbeinen musston'' (S. 131). Aber das ist alles, —
worin diese „ Macbinationen *^ bestanden baben und von wem
und zu welchem Zwocke die „Verbindungen mit dem Aus-
lande'' angeknüpft worden sind, darüber bleiben wir im
Dunkeln. Von den Vertretern der reformatorischen Bewegung
wird dort Bemardino Ochino genannt. Es ist misverstftndlicb,
wenn es beisst, dieser babe sieb i, gegen das Gebet*^ ausge-
sprochen. Auch kann von „Kämpfen mit ßucer, Beza uud
Calvin" (S. 1^2) bei Ocbino nicbt die Bede sein.
1) Alfred tod ReumoDt, Gcflohicbte Toskanas Mit dem Ende
j des floientiiiiBebeii F^taates. L Band. Die Mediei i. J. 1680—1737.
/ Gotha, F. Jl Pertbes 187G, jedocb sdum 1875 ausgegeben.
ZtitMlir. f. K..0. 41
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626
KRinSGHE ÜBEB8ICHTBH. 1876. T.
Von den an Alfred von Reumonte „Lorenzo il Magni*
fico'' sich anschliesäenden Artikeln sind herromiheben :
„Lorenzo il Maguüico e Savouarola" in dem Januarhefte der
Naova Antologia (Firenze) sowie Laureut le Magnifiqae'\ in
Bevae des Dem Mondes, 15. Februar.
Ana der in der letzten Zeit sehr rmchhaltig gew<»ndeneD
Literatur über Alberigo Gentiii entföllt in das Jahr 1875:
Alberigo Qentili , von A. Valdarnini (Eivista Universale,.
Firenze, Maiheft)
1) Olimpia Morata ist, wie auch bereits Pietro Canies«?cchi , zum
Mittelpunkt eines historisclieii Romanes geworden: „01iin]»ia Morata, scene
della RiCorina . raceonto storico del Swolo XVI, di Virginia Mulazzi.
Parte prima. Milano." Damit iiai freilich die historische Wipsenfechaft
nicht viel gewonnen, aber die Tatsache beweist doch, das« der St- il" selbst
dem heutigen Italien nicht mehr so antipathisch ist wie dem tiuheren.
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ANALEKTEN.
t.
£iDe ReforDisehrift vom Basler Coneil.
Nachtrag.
Von
Dr. Max Lenz
«
in Mubiurg.
Die Memong, in dem Mannscript des hiesigen StaatsarehiTes,
auf das ich in dem leisten Hefte dieser Zeitschrift hingewiesen
habe» eine noch nicht gedruckte Schrift geftinden zu haben, war
Irrtflmlich, nnd der Wunsch» dieselbe mit Hatten in Terbindnng
zu bringen, hätte sich unschwer erfüllen lassen können. Denn
sie ist identisch mit der Flugschrift, die Hutten 1521 unter
dem Titel: „OoncUia, wie man die halten sei. Vnd Ton yerleyhimg
gejstlicher lehenpfrunden. Antzoig damit, der Bäbst, Cardinälen^
Tud aller Curtisanen list, yrsprung vnd handel bitz vff diss
zeit*' zusammen mit dem Traktat des Bamberger Vicarius Conrad
Zärtlin „ Ermannng, das ein yeder bey dem rechten alten Christ-
lichen glauben bleiben, vnnd sich zu keiner newerung bewegen
lassen soll " herausgegeben hat. Wie er in der Vorrede ansieht,
hat er erstere bei seinem „besondem trostlichen guten freund
ymi onthalter Frantzen von Sicking^eii , haubtman etc. in seinem
Echlo&bz Kbernbiir^'', vnter anderen alten Biu-hrTeu , im villycbt
Ton seinem vatter seligen verliiöözeü " gefunden. Der Druck zeigt
1) S. 468—469.
41*
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628 ANALEKTEN.
gegen das "M.ipnscript oine Reihe von Diflferenzen. tVi^ sidi meist
(Inrrh rmm«>(leJuni:- :i!t.M-tnmliclier Aii^^'b/üclve , Flüchtigkeiten im
Abtli iicken oder als rit htige Ergänzt r.i'^^ ri unverstünillicher Stellen
der iiaiidschril't erklaren lassen. Hier und da sind diese Con-
jortrren jndoch so ausführlich, p'nize einirer-*'hobone Sätze, dass
man an der fast selbstverstiiudlirli klingenden Annahme , hier
eben das von Hutten L:efTin<]eno Mauuscript V'^r sich zu
haben, irre werden mochte, zumal da sie durch die Jahreszahl
der Copie, 1520, ebenfalls erschüttert werden muss. So liest
man z. B. in der Handschrift: „Da fant der babst ejn neuwe
wyso , das er den lesten gracien hatten vnd waren yn truter
hoflFenunge das sie belehent solten werden, wanne sie die ersten
waren, so wurden sve die lesten vnd hatten Ire arbevt vnd
dyenste vnd dar zu das gelt verloren.** In dem Druck kommt
darch die fiinschiebung der Worte „gab, brachten sye pfennig',
das sye in ire gracien einen voiganck hatten, Tor allen dan die
vor acht oder zehflon joren giacien" zwischen „gracien" imd
chatte n" in diesen ganz unverständlichen Satz erst Sinn und
Zusammenhang. Daif man hier und an einigen ähnlichen, nicht
ganz 80 auffallenden Stelleu blosse Coiyectur und nicht die Grund-
lage einer älteren Copie annehmen, s'^ wfirde dies dem philo-
logischen Scharfsinn Huttens alle Ehre machen. Eine sichere
Ansicht über diese Frage habe ich mir nicht bilden k(innen.
2,
leber dnen ang^eblifh ueuea Berietil über das
Marburger Religionsgespr&ch.
Von
Prof. D. Brieger
in Marburg.
Herr Professor Schirrmacher hat kürzlich einen Bericht
tiber das Marbnrger Religionsgespräch von 1529 (Acta coUiXjuii
Mar^rgmsi& in cama sacratmntariaj verö£fentiicht welchen
1) Briefe und Acteu zur Geschichte de^i lidigiuuä^piachcä zvl
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BKIEGER, ZUM MARBUBGER COLLOQUIUM. 629
er nicht ohne Grund als die „einzige nmfanirreic.he Relation cvan-
geliöcher Seits" bezei-^hnot I i der Ta'. i-t «iieser Bmicut unter
allen bisher verötf entlichten Originalberichten, die von Seiten der
Anhänsjfor sei es liUthers sei es Z'ving-li.s gelieleit -iu'l, iiu ht nur
der unifanLqe'n li.-tc, sondern, wie ein Verirleich mit dcui Herichte
Kudolf Collins ') zu /eigen geeignet ist, iinoh der ^'t^nutieste
und vioiif'icl.t ziiverlüssigste, den wir tür das th ui»tg''s|.;a i voui
2. Oc:olc.- : p>,iizen. Eine kxiti.-rlif Würdigur.g allnr e:n«^f ;!l:i-
genden Herichte, zu welcher mich im vergangenen Winter die
von mir geleiteten kirclienhi^torisclion Uebnngen im hiesigen
Seminar nötigten, denke ich später gelegentlich zu gelten. Heute
wollte ich nur anmerken, da^.- Schinmacher im Irrtum ist, wenn
er die von ihm abgedruckte wertvolle Relation für bisher un-
bekannt um! -ingodruckt uolialtcn hat. .U..n v.iiij einem
UniversalListoriker dies Verseilen aber um 00 weniger hart an-
rechnen dürfen, als b^iinuntliclie Theologen, welche sich in den
letzten vierzig Jahren mehr u<ler wiiiiiier eingehend mit dem
Mai f'.irger Keligionsgcspriich beschiutigt hüben, diesen, wie gesagt^
wichiiirsteu Uericht ebenfalls nicht gekannt li i' '^n; dies gilt, um
nur die bedeutenderen zu nennen, von Schmiit Ebrard*),
Hao >enkamp ^) , Keim-'), Mörikofer') und Köstlin**).
Die ivclation eines ungenannten Aniianger> Luthers, welche Schirr-
macher jetzt ;t(H der Hand>chrit't .loh. Aurifabers verölYentlicht
hat, ist mindestens ^^ch n 15^4 gedruckt'*), nnd zwar von
Joh. Wigand in seinem »ekannten Bach: De Sa- tainentariisym^
genauer in dem vieliach auch als selbständige Schrift citirten
Marburg 1529 und des Roichstages zu Aug.sbarg ir)30, nach der Hand-
«hrift dcK Job. Aurifaber. Gotha, F. A. Perthc«, 187ti. S, 1—17.
J) Vorndc, S. IX.
») K u d o 1 p h i C o 1 1 i n i Samraa colloquii Marpurg^jnsis bei H 0 s -
pinian, Histor. sacram. (ed. Il.j, II, 123^^126^; anch (weniger gut)
in Zwinglü Opera, ed. Sohnler et SehnltlicBg, IV (Tiguri 1841), p. 175
Iris 180.
^) L. J. K. Schmitt, Daa Religionsgespräcb zu Marburg im Jahre
1529. Marburg 1840.
^) Das ^gma vom heiligen Abendmahl II (Frankfin*! 1846),
Hesalwbe Kiiohengeflchicbte II, 1. Abteil. (Narboig 1855),
& 05 fr.
.^chuabische Reforniatiourigeschichte, Tübingen 185^ S. 119 ff.
1) Uhich Zwingli II (Leipzig 18«9), S. 238.
8) Martin Luther, sdn Leben und seine Schriften, II (Elberfisld
1875), S. 619.
^) Ob sie nicht schon früh r, wfnig'stens teilweise, an?? Licht «re-
treten ist, mnss ich wegen Mang«! an Hültümitteln unentschieden
lassen.
1^) Diese Ezegesis hat einen selbstftndigen Titel, «nf dem Wigand
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«30
ANALEKTOf.
Anhang desMlben: Exegeais coUoquiorum aliquoi, cum mMera^
fnentariU habitorum, (Lipsiae 1584) fol. 424«"— 431*. FrOher
gehdrte dieser Änonjfimm Wiffondi za den aUgemeln bekannten
Quellen; so finden wir ihn angefttbrt bei Löscher^), Bnd-
deus^, Job. Alb. Fabrlcins^)» Salig», Ffisli^) bk
herab anf Planck'), Ukert^)» Bommel^; nnd aelhst
noch von Gteseler^ wird er citirt, aber aneh nnr citirt;
benutzt ist er von allen Genannten wenig oder gar nicht So
Mtten wir hier eine in neuerer Zeit von niemandem auagebenteie
Quelle vor uns, wenn nicht» was dem neuesten Herausgeber ent-
gangen ht^% dieser Anonymus von Abrah. Scultetus, dem
er handschriftlich vorgelegen hat, dem eignen Bericht i^) xa
nicht genannt int, daneben aber die Folio-Zahlong des Hauptwerkes
(fol. 423 -5S-2).
1) Vul. K. LöHclier, Ausführl. Historia motaum 1 (Ii 07),
S. 158 (2. Aufl. 1723, S. iil).
Franc. Bnddei dissertatio hittorico-tbeologiea de eolloquüs
charitativis saeculo XVI. per Geriuaniam irrito evontu iustitutU. Jen,
1719 {au.-ii in .I n Mi.,-. >.uTa, .1. ii. 1727. IH 1":J-528; 8. p. 492),
3) ('entifoliuiii Luthoranum (Ilauiburg 17J8), 103.
*) Historie der Augab. Confession 1 (Halle 1730), S. 145,
ft) J. C. Ffiflslio, Beyträgc zur Erlauteronff der Kirehen-Betbr*
mationsgeschicliten des Schweitserlandes III (Zürich 1747), S. 156 und
Vorrede S. XVIII.
^) Gesclücbte uuaers protest. Lebrbegrifb III (2. Aufl. Leipz. 1792),
S. 518.
^) Luthers Leben (Gotha 1817) U, 231.
8) PhiUpp der GrossmQtige II (Oieeeen 1830), S. 222. Bommel
acheint hier (fälschlich) Oslander fm len Verfasser zu halten.
. y) Lehrbuch der Kin-h.^n.T.N. li;, hU' III, 1 (Bonn 1H40). 8. 236.
Es i.st das um au autlalkndor , als 8chirnuacher von einem
Stocke der Relation [ß, 15, von Tum Lutherus UsUmenti — mortalmm
^robare poU$t) doch selber richtig bemerktp dass es sich „fast w5rtlich**
in Scolteti aiitiales iindo (Vorrede S. IX, Anm 1). Dieae Ueberein-
stimninnt; li ift I i Ii. sollt» man meinen, reizen raiii^scn , das genauere
VerhiltuiH (it'f lt''i'lon Bericht»; zu untersnclien. — Beihvuhg ma;^ ange-
merkt sein, dass nicht, wie Schirrmacher a a. 0. meint, „der An-
fang der Relation" (8. 3) fast wdrtlich hi\ Sleidan steht, sondern
die Relation fAngt erst S. 5 an und Aurifinbcr hat derselben als Sum-
mariura die betreffende Kr/ihhing Sleidans ed. Chr. am Ende I. .'>SOf.
(mit einigen rt;dactionollen Veränderungen) und ausserdem da.s bfkannt<},
unzahlige Male gedruckte Gedicht dcä Euriciu.s Cordurt (Schinmacher,
8. 4) voransgesonickt (zwei Stücke, die von Sohirrniacher wohl besser
forti^ lassen wären). Und zwar hat Anrifaber den Sleidan ziemlich ge-
dankenlos ausgesciirieben, indem or auch den unrichtigen Satz mit her-
übernahra: ..Sidnn autem Lutheru:^ at (iie Zwinglius causam di.-<ce|>ta-
bant", wälirend in der naoh(olgend*;n rv.dation aU dritter Hauptredner
wieder nnd wieder Oekolampad auftritt.
*>) Abrah. Scult- ti Annalium evangelii pa^sim p?r Earopam.»
xenoTati Decas secnnda (Heidelbergae 1620), p. 197 sq. 216—229,
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BKIEGER, ZUM HA.KBUKGEK COLLCH^UIUM. 631
Orumlt' ^^elog-t iiini zum Teil wörtlicli ;iu>geschriebeii worden
wäre und dann in dieser Fikssnug vielfach auf die neueren Dar-
stellungen Einfluss g-ewonnen liatte.
Das Verhältnis i'or Kehition Scaltets zu unf^erem An(»nymu8
verdient mit ein paar Worten genauer gezeichnet zu werden.
Nachdem Scnltetus nach einer einleitenden Erzählung
(p. l'Jö — r.>8) vier Briefe Melanchthons , ljutiiers, Butzerb und
Oekolanipatl.s . welche über daij Marburger Colloquium berichten,
mitgeteiit hat (]). 198 — 215), fahrt er (p. 215) fort: da man
glaube, da^ss nicht nur Lnthern, sondern auch dem iMehtnchthon
in iliror Darstcdlung der Marburger Vorgänge etwas Mensch-
liches begegnet sei, so habe er bona lido zwei handschriftliche
Eelationen verglichen , deren eine er aus der Schweiz , deren
andere er aus der Biblinthok seines Collegen, des Kurpfälzischen
Consi>tormlrates WiHi. Schumann, erlialten liabe. Wenn man
sich auf die>p 1 törichte verlassen dürfe, so sei mit Heiseitolassung
der im Coll'uiuium lieihiutiir vorgekommenen Streitigkeiten das
Wesentlichste F(dgendes gewe>eu, vvjls er (p. 210 — -221)) in «diiem
ausführlicht'H Berichte darlegt. Schon ein ilüchtiger Blick zeigt,
dass (hksjpnige Manuscript, welches ihm die Bil)rh)thek Scliumanns
geliefert hatte, identisch ist mit dem Anonymus, den, ohne dass
Scultetus es ahnte, doh. Wigand schon vor 36 Jahren gedruckt
hatte; und zwar hat Sculteti s von dieser Handschrift einen sehr
ausgiebigen Gebrauch gemaclit. Schon in seiner einleitenden Er-
zählung hat er. ohne seine Quelle anzudeuten, eine Iioiho von
Sätzen hist wörtlich aus dem Berichte des Anonymus entlehnt
voUeiols aber seinem Bericht über die flauptdisputation vom
2. October (p. 210 — 226) ist der Anonymus fast ausschliesslich
zu Grunde gelegt, so dass die schweizerische Quelle nur an
ganz wenigen Stellen aofinahmsweUe zu Worte kommt ^) ; während
* 1) S. 197 f.; vgl. daiuit den Anonym, bei Wigand fol. 424^
Scbiirm. p. 5 (die ente halbe Seite: Die Jovis — id quod sequenti die
Veneria ita factum est). So eotnabm Scult. an dieser Stelle aus dem
Anonymns z. B. die cig*'nartige Bcgn'issung Bnt?:' r-^ durch Lutlier (tu
es neqii.vni et n< biüo), welche von hier aus in alle ucueren Darstellungen
eingedrungen i»t.
>) nur p. 218 in den Sätzen: „Si joberet, inqntt, ttmnm comedere,
facercm, mth sciene, hoc mihi esee ealntifimtm. Uterqne tandeui pro-
testutus CHt, se in sua sententia perBeveraturutn , quunJo neut- r alteri
satiHt'ecisset " und „ praejndicii Lutlieruin ;i( cu.->:it. protcstautem s.' a sua
nolle decedere seutentia" und p. 211) in deu JSatzeu: „Zwinglius acri-
ptnrae inter se esae oonferendas monet, tropoe nsitatoe esee in Seriptora,
nt com andis: fratr«'s riiristi. et signatam pro signo eaepe poni; ^
item Phase est transitns" und ..Lutlierus frater pro patrueH ex
Scriptnra ]tr<)batiir. sed hie: hoc est corpus meuin, tropus non |»<)t<'st
probari." Es lässt sich leicht fcststcUeu, welche schweizerische QucUö
Scnltetoa für das Hauptgespräch vom 2. October benntst hat. Bs war
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633
AHALBKTEN.
umgekehrt der Bericht flher das Gespräch Tom 3. Octob«r
ip. 236 — 339) huiptsäehlich waf Gnmd scfaweoerischer Mit-
teilnngen gregeben ist mit nur gelegentlicher Benntimig dea Ano-
nymus 0- Soaltetns* Darstollnng des Hanptgespr&ohee ist daher
nichts anderes als ein ziemlich wort^treuer Auszug tarn dem
Anonymus: der Faden des Gespriches ist treu und genau fest-
gehalten, in der AnsAlhnuiig einiges ausgelassen anderes ver-
hflrzt (mitunter auch in der Art, dass Terochiedene Weohsal»
reden durch Zusammenstellung der wichtigsten Aignmeate in
eine zusammengesogen sind manches ist frei reproducirt, sehr
▼ ieles aber wörtlich oder doch mit nur ganz an»
wesentlichen Abweichungen wiedergegeben^). Doeb
whrd es haum der Bemerkung bedürfen, dass dieser Auszug keinen
genügenden Srsatz darbietet ftr den seit 1684 vorliegenden
Mginalbericht.
Ueber den Yerihsser desselben Ifisst sich Torl&ufig nicUU
ein Bericht, der ebenfalls, ohne dass Scnltetus es wnsste, schon 1609
von HoRpinian im 3. Batide scliior Ilistoria saor.iinenturia ge druckt wät.
Die b^ itli-n orston und d v letzt-* dor cljL'n vnit^'-t'tcilt' n Sf\tz sind wort-
lich, d' r dritte don^ Sinne nach aus Collin cntnommeu (bei Hospin.
1. c. p. 124* und 124' ).
1) Dieser ist benutzt p. 236 für die Einleitnngsfonnd , die ento
Antwort Lutiif is und die 2. Rede Zwingiis und Luthers; ferner ist
p. 228 eiji liiilb«' St ile tust wi)rtlicb ans dwu An »üvtn entnommen :
„Addui'it igitur alinni locum Aui;u?tini nt a di.<[»utalione utrinque
cessetur" (cf. Wig. ful. 430», 431» : Scmnuj. p. lösq. 17). — Auch für
diesen Teil des Gespräches wird sich -die Schweizerische Quelle, welche
Scultctns zu <!runde <:elegt hat (es ist dies hier nicht ausschliesslich
Collin). nix'li mit Siilierlieit nachweisen hassen. Auf alle Falle Vasut
fciicli schon jt.tzt so viel sagen, dass der Bericht des .Scultotaa
alä ein nur aus uns noch erhaltenen Quellen abgeleiteter
fbr die Darotellnne dos Gangps der Disputation in Zukunft nicht
mehr in der bislu rigen Weise verwertet werden darf.
'A (iross. rc Partien nur zweiuial, und hier ist die Auslassung beide
Mab' ani-drii« klicli angemerkt: p. 220: ..Atque hoc loco altcreatio snb-
orta de qua .-itione, an malus »acerdos corpus Christi elücerc pus!>it. ucc
ne, Zwiuglio negante, Luthero affirmante" (cf. Wig. fol. 427* sq., iSchirrm.
p. 10); nnd p. 223: „Hie qnaedam inteijecta sunt de vera Christam
eialtatuui c^'iisid raudi ratione" (cf. Wig. fol. 428*'8q.; Schimn. p. 13).
So die Reden Zwingiis ]>. 219 oben und in der Znsainnipn-
fassung der Argumente Zwingliä und der Entgegnungen Lutherä p. 'iid
bis 221.
^) Man wird nicht Ton mur erwarten» dass ich für die Richtigkeit
dcB in den letzten Sätzen gegebenen Ergebnisses einer Vergleichung der
beiden Berichte erst ein^m Beweis liefere; ich müsste dann diese Miscelle
mit einem Ballast liiulist langweil ieer Einzelheiten beladen. Wört-
lich oder doch nahezu wörtlich aufgenommen hat Scul-
tetus etwa ein Drittel des Schirrmaohersohen Textes, von
den zahlrdcheu w^tlichcn Anklängen in den rerkürztcn Partieen lüi»
gesehen.
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BRIEGER, ZUM MARBURGER COLLOQUIUM. 639
fiMtimmtes sagen. Dass er von einem Anhänger Luthers und
einem Ohrenzengen hecrfihrt. wtkrde man auch ohne die ane-
drflckliche Versichening Wigands 0 Berichte selbst auf
den erbten Blick warnehmen. Jedenfolls mü&ien wir den Ver-
fasser unter den sächsischen Theologen suchen. Anwesend za
Harburg waren ausser Luther und Melanchthon bekanntlich nicht
nur Justus Jonas, sondern auch Caspar Crucigor, Frie-
drich Mecum, Justus Menius und Luthers Amanuensia
Oeorg BOrer Unter diedcn hat man also die Wahl.
Wichtiger ist es, Schluss noch die Beschaffenheit der
beiden jetzt vorliegendcu Texte ins Auge zu fiissen, welche nicht
unwesentlich von pmander abweiclien. Die zahlreichen in-
differenten Abweichungen in einzelnen WOrtem oder ganzen
Wendungen, vollends in Stellung der Wörter, Interpunction und
dergleichen sind dabei selbstverständlich zu Übergehen.
Der Text Wigands (\V) ist ungleich eorreeter und zugleich
yolIstän<1iger als der Aurifabers (A). Allerdings haben wir es
mit Dank anzuerkennen , dass \\ an einer ganzen Reihe
Ton Stellen durcli A verbessert wird wennschon nur an wenigen
von Belang Aber zahlreicher im Vergleich damit und vor
M Wig. fol. 424'*: Qnciiiaiio vero sit facta collatio , narrationein
et consignationeui cujusdaiii, c[ui iiitorluit, vi.sum est aubjicere.
s) VgL z. B. Frid. Myeonii Hist. reform. (Uipzig 1718),
p. 80.
-|) An luimier bel:in£rrei«-bou «nlcr von selbst anffoUenden Scluneib-
oder DriioktVlilern ist Folgendes zu verbessern:
fol. 42.)'^ Z. (i von oben lies qutis q^mdum ytatt ywo* qnulcm.
ibid. Z. 13 von unten lies ae elaritale cerbi dei statt de carüate
rcrlii (h i.
fol. 427» Z. 12 von oben lies afj'rrrr statt offene.
fol. '128^ Z. IT) von oben lies ahfntuntm statt ad/'uturum.
ibid. Z. 12 von unten nitmur statt uiimur.
fol. 429* Z. 1 von unten lies maginis statt ünagines.
fol 4.'i(ib Z. 5 von oben lies 9ed statt »cii.
ibid Z. n von unten lies ideoque statt adeoquc.
fol. 4.il^ Z. 7 von oben lies corpus et sanguitutm statt corpus «an-
fjumcut.
ibid. Z. 18 von ob^i lies te coffi non posse statt cogi non poftse.
An AnslaBSungen ist hier anzumerken:
fol. 427<^ Z. f) von unten ist nach effieaeia sint ausgefallen: ad effi-
rieiuhnv id qund s(i"nfif.
fol. 427'* Z. lö von oben iüt vor in cuena aufgefallen in terni.
fol. 428^ Z. 15 von unten ist smper nach sc non eiuzuscbalten.
fol. 4^)* Z. 13 von unten ist esse nach m vno loeo aufgefallen.
fol 4o(ß' /. 14 von unten li< s c nticvtutjcum esse.
■*) ful. 425'' ist in der Aiifzitlilunfr der den Schweizern vorgtworfenen
Abwiichungen ein Punkt ausgelat^scn : vor de vocaU rerbo mubs einge-
schoben werden: de poteatate clavium, — fol. 42ü*': statt creücnUhuSf
gut non spiritualiter tantum, sed simul etiam eorpora'
tit€r manducent ist zu lesen: credentilms, qvi non eorpormlii$r
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634
ANALEKTBN.
allem schiiinmer sind die den Siuu oft ar«,' oni^tollonden Fehler
Yon A. Auch von den Sciureibfehlem ^) abgedehea bleiben deren
noch genug.
iantum, sed etiam simul spiritualiter manducent, — foL
426^ ist mit A zu lesen: eredU tarnen sub pane et viuo os moft-
äucare. — fal. 427» Z. 8 von oben ist rcrba nach concesait ausge-
fallen. — Ibid. Z. 12 von unten: Lulherus conccssit; A liest besser:
rcupondU. — Ibid.: cui conwti^sa enaet verhi, eidem et signorum
dispensatio; hier gind nach A einige Worte aiugelasaen; ee ist zn
lesen: . . eidem et signorum administrat io eommisea esf, imo
est major rrrbi quam sftfnornm (llsprn'nifio. — fol. 427b
Z. 1 von unten lies ' /v/'* Chrt^sti cfirfnis m coena nrm est statt . . in
coclo non est. — fol. 428» ist statt des »innloseu Satzes twn duhium
est, quin n non prae^entia üUua non nobi» solum non utilis sit^ eed
et impediat za lesen non dubium eet, quin si non abent, praexentia
{Ih'ns nnfn's unn f<nlum non utilis est, sed cet. — tbl. 428'' Z. 14
von oben ist statt ^lumlxin diritiitatcm , gratiam et poenam siiam
zu lesen: . . . potentiam ttuam. — fol. 431» Z. 4 von oben ist rc
spondit zum Folgenden sn ziehen. — Abgesehen von dem bedenUiehen,
jeden&IUi fehlerhaften Znsats, welchen A zn fol. 427« nach den Worten
sicut alü corporis citn hat ^sT'd uf>i m nifJHca)i'< se ipsitm digerit et in
8c (raHsiimtdt ; Scliimii |>. '.»}, bietet W nur ein Mal eine kürzere
Fassung: wahrend es tui 430^ hcisst: Üespundit Lutherus ad
utramque interpretationem, lesen wir in A (Schirrm. p. Ib):
Beeponait hutherue, ee istant interpretationem in neutro
ietoruin rerhornm accijtfrr.
1) Als solche, zum Teil sehr böse Sc!) reibfehler, welche der auf-
merksame Leser des Schirrmacherschen Textes meist von selber verbessern
kann und wo W das Richtige bietet, merke ieii folgende an:
S. 5 Z. 4 von nnten 1. conferret st. eonfere^,
S. G Z. 18 von nnten 1. oUeM st. dliem,
S. 6 Z. 10 von unten \. sc non con^enfirc.
S. 6 Z. 8 von unt^?n I. sonant st. sonarent.
S. 6 Z. C von unten 1. esse st. esset.
8. 6 Z. 9 voo nnten 1. äUeM st. altCMt.
S. 7 Z. 15 von oben 1. voluisee st. vahtieee,
S. 7 Z. 17 von nnten 1. ansa st. anaam.
S. 7 Z. 14 von unten 1 st. sese,
S. 7 Z. 9 von uuteu 1. dupücis st. duplici.
8. 8 Z. 5 von nnten 1. in propheta manifeeta eet atlefforia st
. . . ' ^ gantia.
S. 9 Z 7 von unten 1. cihum esse adeo verum et utilissimum, qui a
tnandiicantihus dif/eri fwn possit st. . . . quin mauducantibu^ etc.
S. 9 Z. 2 von unten 1. sed cum . . proferantur . . ^^gni/icant
st St cum . . proferatur . . signifkat.
8. 11 Z. 1 von oben 1. 9t, cum eit in eoelo, mos ^uoerasiHS eim m
terra st cum sit in coeJo et n08 quaeramm etc.
8. 11 Z. 18 von unten 1. ad istam manducationem,
S. 12 Z. G von unten 1 producta st. praedicta.
S. 13 Z. 1 von oben lies pauperes, quibus suo nomine benefacere
possemus st suo more,
8. 13 Z. 2 voo oben 1 ssfif«tiftaiii st senteniia.
S. 13 Z. 5 von oben 1. sursum st rnnxim.
S. 13 Z. 18 von oben i. ita ut certt st»itM st . . . sumus»
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BRIEOER, ZUM MARBURGER COLLOQUIUM. 635
8. 9 Bteht wider den Sinn: »Qaod haeo Christi ooncio fum
ad spiritnulem mandacationem pertineat, satie manifeBtnm eet^
4iiod et hanc camalem omnino repndiaTit*'; es miiss heissen:
yyhaec Christi coneio cum ad spiritnalein mandacationem tota
pertineat» satis manifiBstnm est, quod per hanc camalem omnino
zepndiavit" (et Wig. fol. 426*").
8. 10 heisst es: ^Si persona proferentis respicienda om-
nino non est, adeoque si impins in impiorom coetu coenae Terba
profert, et tamen effieacia sunt . creditur" etc. W foL
427^ liest besser: „Si persona proferentis respicienda omnino
non Sit adeo, ut, si impins . . . proferat, ea tamen efficaciA
8int** etc.
Ehend.: i,de hac weertus, de illa nemo dnbiture potesf;
es ist zu lesen: „de hac enim nemo eertus esse, de illa wen
-dnbitare nemo potest** (cf. Wig. fol. 427*).
8. 12 steht gans verkehrt: „Dicit idem, non ipsnm corpus
esse in coena** fOr: ,yDicit item, hoc ipsnm corpus etc. (cf.
Wig. fol. 428*).
Ebenda wird der Sinn völlig verkehrt, indem eine Ans-
legung Luthers den Gegnern in den Mund gelogt wird : „ Verom
cum ab adversani» quaeres, cur non in hac sententia potius
quam in vorbis coenae faciant tropum, tunc dicent : Videri sibi
germanum ejus sensum esse, quod** etc. Dagegen liest W
(fol. 428^): „V'erum si adversariis cum coenae verbis haec
seiittntiiL cont,'ruere ^) videretur, quare non in huc potius
quam in illis tropum facereut? Hunc dicens videri sibi ger-
manum esse öen.^um, quod" etc.
S. 13 Z. 17 von nnttn 1 na^ st. ne.
S. 14 Z. ') von oben 1. Itu et Jiucc fitj'ira st. Ifa ii t Imec iiy,
S. 14 Z. 12 von uiitt^u l. non tamen j»t nec tamen.
S. 14 Z. 1 von nnten 1. repraetentatire ist. repraesentive,
S. 15 Z. 4 von oben 1. $onent 8t. fonatU.
S. 15 Z. 10 von unten 1 uooqiy n/t,uafi PhiL 2 st. fto^t»xrifta,
S. 15 Z. 5 von unten 1. esset st. esse.
S. Iti Z. 11 von obt-n 1. Ätl quem st Äd quam.
8. 16 Z. 14 von unten l hoc egisse st. hec effieee.
8. IG Z. 4 von unten ]. sit si est.
8. 17 Z. 17 Voll untön 1. dehere st. dehen.
An kleineren Au.^lus.sungen notire ich beiliiutig: S. 8 Z 5 von oben
ist ta)dnm vor lirecii't aus^etiillen ; ibid. Z. ö von oben ist imo doce-
mu8 nach minitne Mgamus au^gelasden; ibid. Z. 2 von unten Exigente
Ohrieto; 1. exigente id Chrinto, was mit dem vorheij^henden zu ver-
binden ist; 8. 9 Z. 4 von nnten ist quam hinter mhü aliud ansgs-
üsUen
M Auch dan conf/nfre ist falseh ; e.s ist «lies eine der wenigen
Stellen, au denen beide Texte au^i Scultetus berichtigt werden müssen;
8ealt liest p. 223: ,,Veram si adveisoriis dictum hoc cum coenae verbis
vidsatnr pugnare, quserit: cur non in hoc potius" etc.
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6oG AVALBiCTBII.
Aneh S. 13 hai A Yerwimiiig angerichtet, indem er dem
Oecokmpa^tu folgende Worte in den Mund legt: „Non sie ha»-
mdmn eet in bnnuinitate et came Ciiristi, eed rurenin ki divi-
«itatem Christi mentem extollendam. Hmnanitatem Ohrieti plus
satib exttnmri/' Das Richtige bietet W (fol. 4281»): „Hie mi»-
nere Lnthenun Oecolampadios ceeplt, ne sie in hnnuuiitate et
came Cbrieti haerexet» eed Burenm in diTinitatem Christi meutern
estoUeret, hmnanitatem Christi plns satis eximmam.**
Ebenda hat A einen Vordersats ausgelassen, so dass fiein
NaohsatK, ftlseh verbanden, keinen Sinn giebt. Vor „ita ut
eerÜ snmns" [1. simns] fehlt: „Seeundnm spiritam antom oo-
gnoecimns" (et Wig. fol. 429»).
Ebenda in der Entgegnung Zwingiis liest A ffileehlich:
nCuuL tarnen ipsi vdttis sinechdochen figuram, admittere cogu-
mini." Es muss heissen: „eum tarnen ipsi velHis, noliiis
flgnram Synecdoehen admittere cogamini (cf. Wig. fol. 429*).
Dazu kommt die üble Interpunetion, welche durch Aoe*
elnanderreissen der SatKbftlften oder durch Yerbindnng nicht tn-
sammengehöriger Satzteile den Sinn oft stark verdunkelt ^).
Doch A ist nicht bloss durch diese Fehler entstellt, sondem
nnteroclieidet sich auch durch eine Menge tod Auslaseuugen nnd
einige Verkürzungen des Textes zu seinem Nachteile von W.
Hiebt nur, dass hier die Zeitangaben fehlen, welche für die
Vergloichung mit den Berichten Anderer Ton Wert sind')-. W
hat oft auch ausführlichere Uebergäuge ^) oder ist im I^og in
1) Ich gebe nur ein paar Beispiele. 8. 7 hoisst es: „quantum*
liß enim camulia vidoantur ipdt, esse tainen interim nihilominUB
sniDniat.' raajeHtiitis, id quuil nogare ncni<^ {n.tr.st : vcrba et opcra adi oqne
nentiquaiii cnriialia et Ininiilia" (1. . . iK»te8t, vt rba et opcra, adooque . .).
S. lU: Mali Kucerdotis veibuiu. Cliristi corpus eilicere non potcst,"
8. 11: „<'iiT non potius in hac sententia? Aecendit in eoelnm , tropoa
fingitur." (Rtatt . . . sententia: Ascendit cet , tropus fingitur?").
2) S. }| vor .. Z\vi?iLrlius : 8crij>tnTii est" Cehlt ({]>' Anpabc, dass das
Folgende der I )i,vi»utat ioii d« s Sonnabend -Nachiuittutr angehört; vgl.
Wigand ful. 42<>''; „Atque de luic re cum batis rixatuiu utrinque easet,
ad piandium est diseessum. A pranäio** etc. S. 16 vor „ZwingUoa
nigere rarHU'^" ist einzui«chalten: „Dominica ante meridiem Zwteg-
lir..'? onm ],nthor.V* (W, 4;><Ki.
•^t S. ö hat A kurz: ,. Hie dixit ZvvingliuH : Judaeornni erruri
(JhriHtuti rcHpondere voluit", wahrend wir bei Wigand fol. 42i»^ le&en:
yyBehinc oongressos cnm Lnthero Zwinglins. Zwingh'os pfinsquam
qnlcqnam confenet, pra* latebatnr, se nihil aeerbe adversus Lttthemm
diccre ncc mouiiniHsc velb corum, qnao duriora forta^-sis utrinque alt^
in nltuuni sjeri]>si.''.'^( t . laiituni op< r;nn datiiriiin, ut quantnni [»er S€
liceret, e tenebris veritaö trucretur, rugann ßiniul ut ne alter alterum
haereBeoH crimine notaret. Dcinde argunjentum ex G. cap. Job. dcprom-
psit, in banc fiHrman. .ludaeorun crrori" etc. Aebnliche AusiassaDgen
oder Verkürzungen der Uebeigangslbnneln finden sich oft
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BSIEUKB, ZUM MAKUUKQER COLLOQUIUH.
637
einzoinon Weiuluiigen ansfüliiliclier und geiiiiuor als A E3
würde sicli nicht verlohnen, alle diese Lücken hier anzugeben.
Die liishoriL'on Bouierkungen werden ohnehin schon die Wahr-
neiiniuug naiie gelegt liaben , das^ wer diese Quelle bennt/en
will gut tut, unter Borücksiciitignng der oben angemerkten Ver-
beääerungen sich an den Wigaiidgchen Text zu halten.
Bei der oben (S. 629) angedeuteten Vermutung, dass die
in Rede stehende Belation, obwohl kein einziger der mir bekannten
Autoren einen anderen Druck kennt, mßglicherwoi.se ;'-li'>n vor
1584 ans Licht getreten sei, dachte ich daran, dads Wigand selbst
schon früher den Bericht ganz oder teilweise yeröffentlicht haben
möchte. Diese Vemmtimg hat sich bestätigt. Denn es ist mir
nachträglich geglftckt, den Bericht schon in einer nenn Jahr«
filteren Schrift Wigands zu entdecken. Er ist gedruckt, und
swar, wenn wir Wigand trauen dürfen, überhaupt zum ersten
Male, in dem Buche: „Argumenta Sacramentariorum,
refutata per D. Mart. Lntherum. Ex scriptis Lutheri ad usum
Ecdesiae Christi bona fide coUeota, per: D. Johan. Wigan-
dum. Item: Colloquium Marpurgense, tali modo
hactenus non impressum. M.D.LXXy/' (Ich verdanke
die Schrift der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel.) Hier lesen wir
fol. 1 54* — 176^ unter dem besonderen Titel: „Colloquium Marpurgense
super causa sacramentaria anno domini 1529. A quodam qui
interfhit collectum" genau denselben Bericht, welchen Vigand dann
1584 in seiner Exegeeis abermals herausgab (doch ohne auf den
früheren Druck zu Terweisen). Beide Wigandsche Drucke stimmen
auf das genaueste mit einander überein, so dass alles, was ich
oben über den Druck von 1584 bemerkte, auch für diesen älteren
Während A S. 8 die ziemlich abgerisacoen Sätze hat: „Zwing-
liuf: Ezech. f). Dp capill'^rmn »^t Ivarbac in tres partes divisione. Tsta
est Jherusalem. In qua hu.titt ntia . - -t • pro ,Hignificat' uecessc est iii-
telligi. Ergo et in hac quoque scnUiitia: hoc est corpus meum, ssiuii-
liter interpretari oportet*', lesen wir bei W fol. 426»: „Poethaee Zwinc|^
lins locuiii ex Ezechiele 5 de eapiÜormn et barbae in tres partes din-
aione prodtixit, niaxime haec vcrba: Ista est Hierusalein, in qua sen-
t'iitia verbum HubstaDtivinu .est' j)ro ,significat* necosse esset intcllij^'i,
iudti prubare vuIcds, in hac (^uoquti ucntentia: hoc est corpus meuui,
oportere Bimiliter interpretari." — 8. 10: „quemadmodam verbiun dei
et deu8 a lr.. ipse credulia utile lemedinm acTerbum ntae aetemae est**;
W fol. 427*» giebt den G< danken, um den es sich handelt, jjenaner
wieder: „. . . (ineniadiuodiim et verbum dei et deus adeo ipse. Porro
quemadmodum incredulis inutilis ac laetifera, ita et credentibus utilis,
lemedium ae vita aetema esset/' Aehnliches häufig.
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638 ANALBKTEN. BRIBOEB, ZUM MAKBUBOEB OOLLOQUIUM.
gilt^). — Beachtenswert ist, das Wigand hier (Yomde, Blatt
8^) Anakiinft darflber giebt» wie er zn diesem Berichte gekommen
ist: „Adiunxi antem CoUoqninm Uaipnigense, exceptam et de«
scriptum a vire eradito, qni interfoti Sgo Tero accepi aat^
amios fere triginta*) a D. Hichaele Coelio, qni Smalcaldiae
celebri conventDi Theologonim interfoit**
1) Selbst in der Intcrpuncti >n herrscht in allen wichtigen Punkten
Ui.beivin.stiinmünp. Orthoprajthische Abweichungen kommen selten vor,
und ebenso selten sind dit- siuiisti^en kleinen, ganz gleich^'ültigen Diffe-
renzen. Man sieht leicht, dasö Wigand diesen älteren Druck dem neueu
zn Grande gelegt hat, doch erat nachdem einige Druckfehler yerbeoert
waren. Von den oben S. 633 An tu. 3 u. 4 gegebenen Verbesserungen
enthält an sielx n Stollen aueh der Druck von 1575 das Bichtige; an
den übrigen vStelien sind beide Drucke gleich lehlerhaft.
Also etwa 1540; denn von 1646 — 1553 war Wigand gemeiuüaiu
mit Goelins PMdiger in seiner Vatentadt Hamifeld.
•) Gemeint ist der Convent von 1537, auf welchem Ceelius auch
die Schmalkaldischen Artikel mit unterschrieb (s. R. p. 357). Auch in
seiner Selbstbiographie erwähnt Wigand diesen Umstand (Unschuld.
Nachr. 1738, S. 605). — Uebcr den Mansleider Schlossprediger und Decau
Mag. Mich. Coelinii ist En vergl. Bieck, Dreyf.lnterini,S.188;8aIig
I, 637ff. III, 506ff.; Rotermund, Erneuertes Andenken I. 177ff. ;
Krumhaar, Die Grafschaft Mansfeld. S. UOf. I75ff. tt. oft; Bnrck-
hardt, Luthers Briefwedisel, S. 249. 250. 371.
REGISTEK
I.
Verzeifhiiis der absedrocbteB QoellenstAeke.
11. Jahrlmihlert : Aiifzeichiiuügen über einen jüdischen Proseljrten
Wecelinus 447—450.
1525 Dec. 22: Luther an Marquard Schuldorp 321 fer.
1541 April 1: Johann Eck an den Cardinal Farnese 472 f.
1542 Jannar 1: Johann Eck an Papst Paul III. 473 f.
1547, Januar 2U: Christoph Walther an Andreas Aurifaber
166—170.
1) Za dieäcu Uidcn Briefen sind einige ikricbtigungen nachzutragen,
welche der Herausgeber Tomehmlieb der 66te des Herrn Dr. t. Broffel
in München, zum Teil aucli einer nochmaligen CoUatioii durch Herrn
V. Schulze in Neapel vcnlankt. 1) Eck an Farncse: d'v'ser Brief
ist nicht Orip-inäl, gondern Copie. Z. 1 saluteni] lies pro 8a Inte.
Z. 4 Sedie Apobtolicae et S^i D. N.] die Copie hat Sed. Aptice et
8. D. N., was Herr Dr. v. Druffel anflöten will: sedi apostolicae et san-
etissimo. Z. 11 et] lies etiam. Z. 18 et] L etiam. reto] L erpro.
7. 20: das m [milibus] ist zu tilgen. Z. 29: Princeps] 1. apostolico
rrincopB. — 2) Eck an den Papst: S. 474 Zeile 2: ms. relligere] lies
intelligere. Z. 3: parte] Herr Dr. v. DruÜel lie.st das sehr undeutlich
gescfariebese Wort jedenfalls richtiger cavi. Z. G: per}>etuoJ 1. Ita
E^rpetno. Z. 7 lies RomanaiD ecclesiain ac Rev"«". Z.8 1. Catbo-
008 Rev"o«. Z. 11: maledictionibus] 1. maledicentiae. Z. 13:
quia] 1. ita. Z. 15 laco] Druckfehler für lacu. Die Datirnntrszeile
lautft genau genommen: Ingolstadii Baioaria»- Kl. Jan. anno 42 supra
sesquiniiUesiniom EUi] SI^»]T. — Endlich schulde icl» Herrn Dr. v. Druffel
Dank für die Mitteiltug, dass die Famesischen Pa|»iere za. Neapel vqb
Acten der apostolischen Kanzlei bestehen, m der grade die an
den T*a]ist bestellten Briefe niedergelegt wurden. Hiernach ist die
Vermutung 8. 474 A. 1, dass der Aufbewahrungsort des Briefes einen
Anhaltspunkt für die Nicbtbestellung an die Adresse gewähren könne, zu
vnterdrnckeii.
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(740
REGISTER.
1563: Memoire des C a r d i ii Ji 1 s von L o t h r i n g e d über
die IvircLliclien Zustände in Franlaeicii :i'2b :\2S.
1758: Aii.^züg-e ans der I n s t r ii «• t i n au Duc de Kicbelieu,
Gouverneur General de Guyenne*' 112. f.
II.
Verzeichnis der besprorheoen Srhriflen.
Acta Sun c tu r Ulli. Auctariuiu
Octobris lÜ
Archivo^i desujissions scientifiquos
et littt-rairt« III. '1: 432 f.
Arndt, Bisdiof Marius von Aven-
ticuni 2^ 2mi
Aubt-, S. Justin Philoiiophe et
Martyr 121L loO f.
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wahnsinn 143
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I kritik einiger schwieriger patri-
I stischer Stellen L2Ö. IM.
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i Vak-8. m.
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Ziegler, Itala-Fragmente LÜä f .
I Z 8 c h i ra m e r . Salvianus 280 f.
I 2Üüf.
644
REGISTER.
III.
Sach- uud NameDregister.
A b äl a r J : von Bernh. v. Clairvaux
bekämpft 49i zu seinerEthik 394f.
A b b 0 1 , Erzb. von Canterbnrj-
Abendmahl, bei Melancbthon u.
den Zürichern als Bekenntnis-
zeichen der Partikularkirche 9iL
Acta Archelai, Ort und Zeit
ihrer Abfassung ili^i -497; die
Fragmente des Basilides darin
497- .012. all f.
Aegypten, das hier einheimische
Mönchtum des Serapis Üü — tÜL
545. Charaktf r des ägyptischen
Mönchtnms Mlff.
AgapetusL Oriinder einer Biblio-
thek, ff.
Ailli, Peter von, niclit Verlasser
der Dialoge ,,De quaerelis Fran-
ciae et Angliae " und „ De jure
Bucctssionis utrorumque regum in
regno Franciae " 149— 158; Verf.
d. lalhchl. d. Zabarella ^ugeschrieb.
„capita agendorum" 45(J-46'2;
auch Verfasser der „ Consultatio-
nes Cardinalium '* 4fi2.
Alcnin, Inschriftliches von ihm
263; zu seiner Ethik im
Ambrosius, Inschriftl. von ihm
222 ff.; seine Ethik 384 f.
A m m o n , Der lieilige 547 f. 557
Anonymus Valesianus 2M^
Antonius, der angebl Stifter des
Mönchtums, dem Eusebius unbe-
kannt ii f. ; die un historischen
Angaben des Hieronymus über
ihn 9j die Vita desnelben keine
Geschichtsquelle für die An-
fänge des Mönchtums, sondern
spätere Tendenzschrift Iii — 13;
nicht von Athanasius verfasst
13—22; sein Name findet sich
nicht bei Athanasius lÜ f.
Apelles, der Gnostiker 12L
Apologie der Aug. Conf, ihre
Lehre von der Kirche fi5 ff.
Arnobius 132.
Athanasius, nicht der Verf. der
Vita Antonii Iii— 22; auch nicht
[ Verbreiter des Mönchtarus im
Abendlande Iii ff. ; seine Be-
ziehungen zum Mönchtum 22£.;
eine ihn betr. Inschrift 2ü2 f.
A u g u 8 1 a n a , Art. VII : öl ff .
Augustinus, Inschriftliches über
ihn 228 ff ; zu seiner Ethik 3ÖL
! Auri faber, Andreas 166.
I Baduel, Claude 421 f.
Bancroft, Erzb. von Canterbury
! tkJ^f
Barnabasbrief 118.
Basilides, sein ursprüngliches
System 481-544; seine Heimat
' ist .Alexandrien 49li — 493_l die
Fragmente in den Acta Archelai
I 493. 512. 511 f ; die Fragmente
! bei Clemens 515 ff. ; ob Verfasötr
der nnQftdootis ivi- MutiHo»
530 ff. ; sein sog. Evan.'elium iden-
I tisch mit seinen Exegetica 542 f.
I Basilius der Grosse, Regenerator
des Mönchtums 5ti2ff.
I Basler Concil, eine kirchlich-
i politische Kefonnschrift von dem-
1 selben 4fi3— 4G9. Ü2If.
! Benedetto di Mantova, Mönch
I von S. Severino, Verf. d. Schrift
I „Von der Wohltat Christi " 593 f.
j OHL
I Bernhard von Clairvaux,
Charakteristik desselben 3G — 50.
Brenz, sein Beitrag zur werdenden
lutherischen Kirche 9G— 99.
Bretsc h ne ide r, Ueber das for-
male und materiale Princip der
luther. Dogmatik 4UÜi.
, Bruce ioli, Antonio 023 f. p
Calvin 420—425. l
C a r n e s e c c h i . Pietro 592 ff.
[ Christen Verfolgungen 142 ff.
Chrysostomu.s, luschriftliches
I zu seiner Geschichte 215 ff.
Clemens von Alexandria.
Ueber seine DarbteUung des Ba-
silidianischen Svi>tom.s 4h3. 4^ f.
491L 51L 5111 ix.
d by Google
REGISTER.
645
Clemens von Rom 1 19; zur
Textkritik der neuen Clemens-
8tücke 305—310.
Clemensbriet', der sogen,
zweite illL 2M-28£L 32i> bis
301 : eine altchristl. Predigt 2fil f. ;
Prüfung der Ueberlieferung 2G9 ff.
Zeitrichtung und christl. Denk-
weise des Verfa8ser8 ä2Ü — 35G ; '
Bestimmung der A bfassungszeit |
der Humilie iihü ff. ; Ort der Ab- ,
fassung 2t>2 f. 363 f. ; zur Text-
kritik 3üi4 ff.
C 0 1 i g n y iM t : Heine Witwe Jac- I
queline d'Entromots i2^; seine '
Tochter Louise iML I
Cnlumba der Jüngere 2119.
Con Stanzer ('oncil. die sogen,
capita agendoniiu für dasselbe
C 0 n t a r i n i tilf) 617: seine Dar-
stellung der Rechtfertigungslehre ,
und ihr gtsehichtl. Wert ÜiL
Cor 'Ii er, Mathurin 425 f.
Cornelius von Rom, seine
GrabBcijrift 21iL
C r u c i g e r , Caspar, oberster Cor-
rector der Lutherschriften lfi2. 1
IM.
Cyprian, Inschriftl. über ihn 2JiL
Daraasus von Rom, Inschriftl. <
von ihm 21i» ff. I
de Wette, üeber Princip u Cha-
rakter des Prot^tantiamus 4()'i •
bis m. 4n7ff. j
Donatismus HÜ f. |
. Eck, Joh., zwei Briefe desselben
üjL ff, vgl. s. üaiL
England, Reformationsgeschichte ;
desselben 5iü — fll3
E nnodius V un Pavia, Inschrif-
ten von ihm 239 2iitL
EpistolaadDingnetuml22f.
Erasmus tiüi.
Ethik, zu ihrer Geschichte, Vin-
c^'nz von Beauvais and das 8i)e-
culum morale J: 365—396; die
Entstehung einer geujeinchristl.
Ethik :m iF
Eusebius von Caesarea, ihni
ist das Mönchtum noch unbe-
kannt fiff; s»'in Chronicon 134f.
seine Aeusserung über den zwei-
ten Clemensbrief 2üÜ f. ; über ,
Basilides iMt. 432. ,
Flacius. ein specieller Schüler
Melanchthuns 55f. ; sein Kirchen-
begriff u. dessen Verwandtschaft
mitde?n Melanchthons üüf.; sein
Anteil an der Aul'richtung der
Autorität Luthers Uli f.
Fl aminio, Marcantonio, sein An-
teil an der Schrift „Del bene-
fizio" öML 582. M!3ff
Frankreich, kirchliche Zustände
daselbst um 1563 : 323—328 ; Pro-
testantenverfolgung unter Lud-
wig XV. 170-174; zur Gesch.
des franz. Protestantismus il4
bis ; die Protestant. Colleges
426 f. : die gegenwärtige Krisis
der refurmirten Kirche Frank-
reichs Müf.
Gabler, Ueber das Princip des
Protestantismus und die Prin-
cipien der cliristlichen Theologie
398-400.
Gei ssler, Bibliograph. Beiträge
zu ihrer Gesch. dläff.; ihr Auf-
treten in Flandern iiU ff.
Genf, Die Retormation daselbst
422 f. 424 f.
Gnostiker, zur Quellenkritik ihrer
Geschicht4j 12i2 f .
Gregor der Grosse, Inschrift-
liches zu seiner Gesch. 240—252.
2üfif.; seine Moralia '3hl t
Gregor vonNazianz, Inschrift-
liches von ihm 2iüff. ; Verehrer
des Mönchtums 567.
Griechenland, Statistisches über
die Kirche desselben 475 -4S0.
(iriudal, Erzb. v*in Canterbury
^ tili5.
Guise. Karl von. Cardinal, sein
Memoire über die kirchl. Zustände
in Frankreich 1563: 323—328.
Hase, Ueber die Principicn des
Protestantismus 4< il« f.
Heinrich VJll. 601 ff.
Herrn as, sein Verhältnis zum
4. Evangelium l-'2.
Hieronymus, seine „Vita Pauli
Monachi" nicht eine Quelle für
die Anfänge des Mönchtums,
sondern ein Roman 2 — ti: seine
unhistorischen Angaben über An-
tonius 9i sein Epitaphium auf
die Paula 235 f.
646
REGISTER.
H i p p u 1 \ t u s , de Antiobristo 132 f. ,
seine Statiu' ; die Philo
H^liliuuicim als Quelle für das ur-
8|tninglicheBasilidianisclie System
ISl - 044.
H u III :i Tii s lu u 8 . Zur Gesch. des-
K<dben in Frankreich 42.') ff.
Hutten. Ulrich V . die Zeit Heiner ,
ersten Ik'gegnung mit Sickingen ,
f. ; seine Flugscliritt ,. Con-
eilia" etc 1121 f. |
i
Johannes Cassianus, Charak- |
ter peiner collationes i)atrum iill f.
Irenaeus, über seine Darstellung
d. BasUidianischen Systems 4S2 tf.
1 8 i d 0 r u 8 , der Gnostiker iilil f. /
IsidurusvonSe Villa 2ÜI ; seine
Bibliothek und deren Insclirilten
2i>9tf.; seine Ethik 3881". 1
Italien, zur Gesch. der Refor-
mation daselbst (j13 — G2G. [
J u 1 i a n u H von E c l a n u m , seine
Grabschrift 211^ ff.
J u s t i n u s M a r t y r UiÜ ff.
Kirche, die Grosskirche des zwei- j
ten Jahrb. aM ff.; die Entstehung
der lutber. Kirche OU -llO; die
lutiier. Kirche nicht schon 15.30
gegründet [»s, ÖÖ: zweifelhaftes i
Kecht der Bezeichnung „lutber.
Kirche*' ÜÖfg. Die beiden ersten
Schritte (1537 — Ifji.j), in denen .
die deutsche Reformation auf die !
I>abn zur lutber. Kirche gelangt '
ILL Durch wen die Autorität
Luthers als ein für die Kirche {
des deutschen Protestantismus |
wesentl. Stiick aufgestellt ist l<K)ff.
(Flacius 101 f. Mrlanchthon 102ff.)
Kirchenväter, Beitrüge zu ihrer !
Gesch. aus epigrapb. Quellen 2Ö2 '
bis 2Ü3. I
Knox, John 608 ff '
Konrad III. und Bernhard von ,
Clairvaux 4G ff. , .. I
K r e u z z u g , Der zweite, eine Schö-
pfung Bornh. v. Clairvaux ff. '
Lactantius 289 f. 2fLL
Land, Erzb. von Canterbury GOG ff. |
Luft, Hans, seine Druckerei zu i
Wittenberg üiüf. I
Luther, seine Aeusserung in
den Torgauer Artikeln von Be-
lang für das Verständnis des
L Art. der Augsb Coiif. tU IT. ;
sein Widerwille gegen die Be-
zeichn. ,, lutber. Kirche '* ßll f. ; die
Aufrichtung seiner Autorität als
eines wesentl. Merkmals d. Kirche
der deutschen Reformation lU)tf. ;
ein Brief an Marq. Schuldorp vom
22- Dec. 1525: aüf.
M a c a r i u s der Gros.se 2L 5(>9 f.
Marburger Col loq u i um, über
einen angcbl. neuen Bericht über
dasselbe G28-638.
M a r c i 0 n 536 ff
Marcionitismus, zu seiner Ge-
sciiichte 121 f.
Marius von A ^' e n t i c u m '296.
Matthias, die sog. nnondocug
desselben 530 ff. : sein sog. Evan-
gelium 511.
Mazarin 43G.
Mel an c h t h on , seine Mitwirkung
zur Entstehung der lutb. Kirche
52 ff.; die von ihm vorgetr. Lehre
von der Kirche, die idealistische,
mit Luther harmonirende. in der
Augsb. Conf. 51 ff, in der Apo-
logie üäff., in den Locis von
1535: üö: 2j die spätere empi-
rische , von LutlkT abweichende,
seine Erklärungen zu Schmalkal-
den 1537: 12 ff., Erhebung des
Lehrbekenntnisses zum inuern
Massstabe und (irunde der wah-
ren Kirche liL 12 ff. Si ff, die
Kirche eine Art von Schule
ff. — Melanchthons Festhalten
an diesem empirischen Kirchen-
begr. ii2ff. ; er liegt der ('on-
cordienformel zu Grunde iiü f. IM;
M giebtden Anstois, dass j^cbliess-
lich der Name Luthers in den
Titel der Kirchs- Augsb. Conf.
aufgenommen winl 102 ff. ; ist
Griinder der lutber Kirche lu7;
nicht der Urheber einer Unions-
kirche lÜL 110: macht keinen
Anspruch auf Selbständigkeit sei-
ner Lehrweise Luther gegenüber
lOGf.; warum • ie .Vnsätze einer
si>cciellen theol. Richtung M.'«
bekämpft sind lü2 ff. — Sein
angebl. Brief an d' n Venetian.
Senat (1539) 4G9-471.
Mönchtura, sein Ursprung im
nachconstantin. Zeitalter 1— Ö5;
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REOI8TKR.
647
545 — 574: k int'Situren dessolben
im dritten Jalirlnmtlcrt ü IV. ; dciu
Kni;ebius nn bekannt ütV. ; wann es
im AUndland nacli^'ealmit ist
IQ ff. ; die Zeit seiner Entstellung
iiü Orient 22: das Mönchtuin di\s
Serapis und .>eine Analogien luit
dem ersten cliristl. Anachoreten-
tum ÜÜ— 3^ <lie Mutive der
Ucbertra^'ung des 5^eraj»isinoneli-
tumH ins Christentum 5.).'i f. Die
Zeit derselben iiLA (T — Das ^I.
stajniiit nieht aus den Vcrtol-
^'ung^szeiten der Kirclit* 5451'. —
Cliarakter dts ägypt M. 547 rt\;
Parallelen dazu aus der li«^idn.
Welt 55iilf.: indischer Einfluss
nielit anzunehmen 551 f. — Ent-
st<*hungtizeit und Beschaffenheit
der ersten Monasterien 558 ff —
Das M. in .1er griech. Welt 5H2 tf.
Die sieh an das Monchtum an-
knüpfende Romanliteratiir älifi tf .
Das 31. im .\lx'ndland 512 rt'.
M 0 n i c a, ihre (irabsehrift 228 f.
M o r «) II e , Giovanni 58 (> f,
M II r a t 0 r i s c h e s Frag m e n t .
über den Schlusssatz desselben
oio— ;;i:i.
Novatus vonSitifis, s. Todes-
jahr 2äiL
Ochino tili5 ff.
0 r i g e n e s , seine (!hri>tol(>g. lÜiJ If ;
sein Grabmal zu Tyrus )7 f. :
ein angebl. Epitaphium auf ihn
2ui5f. 25Üff.
Pa c ho m i us , von Athanasius nieht
erwähnt 2^ der Ueberlieferung
nach erster Organisator d. Mönch-
tums 35j seine Regel 5511— 562.
5 71.
Paleario. Aonio, nicht Verfasser
tier Schritt „Von der Wohltat
Christi" 575— 59G.
P a 1 1 a d i u s , in seinen Vitae san-
ctorum patrum durchaus unglaub-
würdig 23 f. 26—29. 56*L
l'apias UÜlf.
Patres .Vpostolici llltf.
Paulinus von Xola, Inschrift-
liches von ihm 2Mff. 25titf. : als
Lobredner des Mönchtums 57H.
Paulus der Einfältit'O 549 f.
Paulus von Theben, keine ge-
seiiichtl. Porsouliclikeit . sondern
j eine Erfindung sein.\< fliograjdien
! Hieronynms 2—6.
Petrus, ob in Rom 11 6 f.
Polykarp, sein 'louesjahr 1 2 1 f.
Predigt, ihie Reschaffeiiheit in
I der Kirche des 2. Jahri». 264 If.
Proselyten, .füdi>che im Mittel-
alter 44*; 45)1
Protestanten vor folgung in
FrankTcieh unter f-iuiwig XV.
, 170 171
P r o t e s t a n t i s mu s , n b. d. beiden
; Prineipien «lessclben , wann und
von wem sie foruuilirt sind 397
] bis 4 1 1) ; zur Gesch. des Protest.
I in Frankreich 414- 445. in Eng-
I lami 597—613. in Italien 6JUi
bis «;2(i. - \^] Kirche.
P s e u d e p i g r a p Ii e n 124 f.
I Räubersynode 303 f.
Rhabanus Maurus, zu seiner
I Ethik a9üf.
Rör er , («Horg, Correctordt'r Luther-
schrift<n lti2
Roger, .lae(|ucs 441.
Rufin US, I)ie Unglaubwnrdigkeit
seiner Historia Monachorum 2Ü
bis 26 : 556 tf. 56IL
' S a 1 v i a u u s > f.
Schleier m a c h e r , lieber das An-
sehen der Symbol. Biichtr 404 tf.
8 c h m a 1 k a 1 d i s c h e Artikel
70 f.: ihre ötfentl. Autorität H'7.
j Scholastik, ihr Beitrag z. Ethik
I aM tf.
Schwabach er Artikel, das
; Verhältnis des zum L Art.
der Augsb. Conf. 6LL
! S c u 1 1 e t u s . sein Bericht über das
! Marburger ('olloquium üMtl*.
■ Serapion, Der heil. 547. 557
I Serapis, sein Mönchtum 30—35.
545. 552 f.
Simon M a g u s 127.
Sklaverei, Stellung der alten
Kirche zu ihr 141 I.
Statistik, Kirchl.. eine l'mschau
in der Kirche Griechenlands 47.5
bis 48(1
j S y m b 0 1 u m A p o s t o 1 i c u m 138 f.
I Tb erapeutentum, ohne Bedeu-
648
REGISTER.
tung für die Entstehung des
Mönchtums 3(L
Torgauer Artikel iHf.
T w e 8 1 e n , Urheber der ietzt gang-
baren Formel von den beiden
Principien des Protestantisraos
4(H>— 409. Üüt.
Valdes, Juan de 590f. 61«f.
Victor von Capua, seine Grab-
schrift 2afi f. ; sein Todesjahr 24tL
Vincens von Beau^ais, seine
Bedeutung in der Gesch. d. Ethik
3ß5 — 30() ; Biographisches über
ihn ällff. ; seine Schrift „De
institutione filiorura regiorum "
36Ö f. ; der Organismus seines
Hauptwerkes, desSpeculum majus
auf.; Speculum historiale 3^
Speculum doctrinale Mi* f. 3
Speculum naturale 374 f. |
W a 1 1 h e r , Christoph, Druckc'>iT
tor zu Wittenberg lülff. ; n
Brief an Andreas Aurifaber vi
211 Januar 1547: l»i6-168. *
Wegscheider, lieber die Pr.
cipien der Dogmatik ililf.
Wittenberg, die Zustände di
während des sächsischen Krieg
1546: IM ff.
Wolsey t502f.
Zabarella, nicht der Verfass*
der ihm zugeschriebenen „capit
agendorum '* 4^0 ff.
Druck Ton Friedr. Andr. Perthes in Odtba.
d by Google
763 984
Digitized by Google
^ r