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Full text of "Zeitschrift für Kirchengeschichte"

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ZEITSCHRIFT  FÜR 
KIRCHENGESCHICHTE 


I 


ANDOVCR'HARVARO  THCOLOQICAL  LIBRARY 

M  O  C  C  C  C  X 

CAMBRIDOe.  MA8SACHUSCTTB 


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ZEITSCHRIFT 

FÜB 


XmCHENGESCHICHTE. 


I. 


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IS  r,  '  ' 


FÜB 


mCHMGESCHICHTK 

IN  TERBINBUNa  MIT 

W.  GASSi  D.H.  BEUTEB  UND  D.  A.  SETSOHL 

flKRAUSGlGBBBN  TON 

Bi  THBOBOR  BRlIOKIk 


I.  Band, 


GOTHA. 

FRIEDRICH  A2JDKEAS  FERTüEa 
1877. 


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Inhalt 


Erstes  Heft 

(Ausgegeben  den  29.  März  1876.) 

Untersiiehiingeii  und  Essays:  Ofttt 

1.  H,  Weingarten,  Der  Ursprung  des  MönchtamB  im  sieh* 
eonitantiiiiflcheii  Zeitalter  (enter  Artikel)   1 

2.  H,  BmUr,  Bernhard  ?oa  Clairvani  86 

8b  A»  WUchl,  Die  Entstehtuig  der  tathariadmi  Kirehe  .  .  61 

Srlttsebe  üebersfcliteii: 

Die  kirchergcscliiclitlichen  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1875. 
I.  Die  (2ea<^iicbte  der  Kirebe  bis  zum  Concii  von  Nicia. 
Tod  AMf  HamaOt  111 

Inalekten: 

1.  P.  Tsrh4MdceH,  Die  ünechthdt  der  angeblich  AiUiKfaeii 
Dialoge  ,,De  qnaerelie  Fhmdae  et  Angliae"  und  „Th 

jnre  successiouis  utrorumque  regum  in  regnu  Franciae" 


(ans  den  Jahren  1413  bis  1415)  149 

2.  G.  Voigt,  Christoph  Walther,  der  Druck -Correetor  sn 

Wittenberg  15T 

8.  Ä.  Maeftr,  Zur  Oesdhiebte  der  PhyteetanteBferfolguog 

in  Frankreich  170 


VI 


INHALT 


Zweites  Heft. 

(Au «gegeben  den  30.  Juni  1876.) 

üntersnchuiigen  und  Essays;  


1.  W.  Gass,  Allgemeines  über  Bedeutung  und  Wirkung  des 

 175 

2.  F.  Piper,  Zur  Geschichte  der  Kirchenväter  ans  epigra- 
pbiscben  Quellen  203 


3.  A.  Harnack,  ücber  den  sogenannten  zweiten  Brief  des 
Clemens  an  die  Korinther  (erster  Artikel)  264 

¥ritiaohe  Lebersichten: 

Die  kirchengeschicbtlichcn  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1875. 
IT.  Gpjtrbichte  der  Kirohe  von  320—768  von  W.  MneUer  2fi4 

Anftlekten : 


1. 

0.  V.  Gebhardt,  Zur  Textkritik  der  neuen  Clemensstticke 

305 

2. 

H.  ßoensch,  Ueber  den  Schlusssatz  des  Muratorischen 

310 

3. 

R.  Röhricht,  Bibliographische  Beiträge  zur  Geschichte 

der  Geisfllor   ... 

318 

4. 

Ein  Lutberbrief,  mitgeteilt  von  Fr.  Schirrmacher  .    .  . 

321 

5. 

Ein  Memoire  des  Cardinais  von  Lothringen   Uber  die 

kirchlichen  Zustände  in  Frankreich  (1063).  Mitgeteilt 

von  A.  Fonrnier  

323 

Drittes  Heft. 

(Ausgegeben  den  15.  December  1876.) 

ÜBtersuchnngen  und  Essays; 

1.  A.  Jfamack,  Ueber  den  sogenannten  zweiten  Brief  des 
Clemens  an  die  Korinther  (zweiter  Artikel)  329 

2.  W.   Gass ,   Zur  Geschichte    der  Ethik ;   Vincenz  Ton 
Beanvais  und  das  Specalum  murale  (erster  Artikel)    .    .  365 

8.  A.  Bitsehl,  Ueber  die  beiden  Principien  des  Frotcstan- 
tismna  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  -   .  .  .  3^2 


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INHALT.  •  Vit 

IMtlsche  Uebersichten;  g«,ite 

Die  kirchengeBchichtlicben  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1876. 
IIL  (rPRfhichtr  dos  französischen  ProtestantiamTia  von 
Th.  Sehott   414 


1. 

E.  Dümmler,  Jüdische  Proselyten  im  Mittelalter  .    .  . 

446 

2. 

P.  Tschidcert,  Pseudo  -  Zabarellas  „capita  agendorum" 

450 

3. 

3f.  Lenz,  Eine  kirchlich -politische  Reformschrift  vom 

463 

4. 

K.  Benrath,  Notiz  über  Melanchtlions  angeblichen  Brief 

• 

469 

5. 

Zwei  Briefe  Johann  Ecks,  mitgeteilt  von  V.  Schultzc 

472 

6. 

A.  P.  Eutaxias,  Zur  kirchlichen  Statistik.    Eine  Um- 

schau  in  der  Kirche  Griechenlands  .  .  ,  ,  ,  ,  475 


Viertes  Heft. 

(Ausgegeben  den  5.  Mai  1877.) 

üntersnchiuigen  und  Essays; 

1.  /.  L.  Jacobi,  Das  ursprüngliche  Basiiidianische  System  .  481 

2.  JJ.  Wein/jartev ,  Der  Ursprung  des  Mönchtunis  im  nach« 
constantinischen  Zeitalter  (Schlussartikel)  545 

3.  K.  Benrath,  Üeber  den  Verfasser  der  Schrift  „Von  der 
Wohltat  Christi   576 

gritische  üeberslchten ; 

Die  kirchengeschichtlichen  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1875. 
IV.  Die  Reformationsgeschichte  Englands  von  JB.  Bud- 

densieg  597 

V.  Geschichte  der  Reformation  in  Italien  von  K.  Benrath  613 


Vm  •  INHALT. 

Analekten:  seit« 

1.  M,  Lenz,  Ein,  kirchlich- politische  Reformschrift  vom 
Baseler  Cond!  y  Nachtrag)  627 

2.  Th.  Brieger,  Ucber  einon  angeblich  neuen  Bericht  tibera 

das  Marbur^cr  Reli>rioQggespräch  628 

Register; 

I.  Verzeichnis  der  abgedruckten  Quellenstücke     ....  639 

II.  Verzeichni.-  der  besprochenen  Schriften   640 

III.  Sach-  unn  Namenregister   644 


Bor  Ursimiir  des  Ntachtans 

im  nacheonstantinischen  Zeitalter. 

Von 

Prol  D.  Hermaiui  Weingarten 

in  Marbuff. 


Fanlns  von  Theben,  der  erste  Eremit  *S  und  der  heilige 
Antonius  als  die  Stifter  des  Mönch tums,  die  Entsteliuns^  des- 
selben in  den  Verfolgungszeiten  der  Kirche  unter  Decius  und 
Diocletian,  sein  ursprünglicher  Cliarakter  als  eine  friedliche 
Art  der  SelbstaufopfeniDg  an  Stelle  des  M&rtyrertums  naeh 
dem  plOtzlicheii  StUlstand  der  Yerfolguigen  ^)  gehören  zn  den 
imbestrittenen  Annahmen  auch  der  neueren  EirchengeBchichte. 
Eine  genauere  Prüfung  freilich  der  Grundlagen,  auf  welchen 
jene  Traditionen  beruhen,  fährt  zu  ganz  anderen  £i^eb- 
Dissen; 

I.  Für  Paulus  von  Theben  und  die  Bomiuitik  der  unent- 
deckbaren  Felsengrotte  der  unteren  Thebais ,  in  die  er  sich  vor 
den  Gefahren  der  Decianischen  Zeit  getiüchtet»  250,  in  seinem 
le.  Lebenqahr,  ^  rostige  Ambosse,  H&mmer  mid  Piflgezeng 
erinnerten  noch  an  die  lUsdimflnzer,  die  zur  Zeit  der  deopatn 


ij  Wie  n  .>ch  jüng-st  G a s  s  (Optimismus  u.  Pesiiimisnius,  1876,  S.  71) 
die  Genesis  des  Monclitums  dargestellt  bat.  Von  der  früheren  Literatur 
sei  hier  nur  Maiii^oldB  Marburgor  Ilabiiitationschrift  ,.De  monachatus 
origiuibtts  et  cau^iei''  (1852)  erwähnt,  mit  der  in  dem  Zurückgehen  auf 
das  Hiera] »uteutum  auch  Gass  in  seinem  Ueberblick  über  das  Mönch- 
•tnm  und  desa-n  unermebalicüe  Literatur  in  Herzogs  Real-EnqfcL 
Bd.  IX  übereinstimmte. 

Ztitttchx.  f.  b'.-Ü.  1 


L.iyui^uo  i^y  Google 


2 


VEINaABTEN, 


dort  gehaust,  eine  uralte  Palme  überschattete,  ein  hier  ent- 
gpringender,  bald  wieder  verschwindender  Bergquell  bewässerte 
den  sieheren  Ort  ^)  »  fär  dies  Alles  liegt  die  aUeinige  Ge- 
währ in  der  Schrift  des  Hieronymus  ,,De  Tita  Fänli  Monachi** 
In  dem  Charakter  und  Inhalt  derselben  ist  zugleich  das  Urteil 
über  ihren  geschichtlichen  Werth  enthalten. 

Neunzig  Jahre  alt,  also  erzählt  uns  Hieronymus,  war  An- 
tonios in  seiner  Wflste  geworden,  und  dachte  hei  sich,  es  g&he 
keinen  yoUkommeneren  M5nch  als  er  seihst  Da  ward  ihm  in 
einer  Nacht  geoffenbart,  fem  von  ihm  lebe  ein  viel  grosserer, 
den  solle  er  aufsuchen.  Bei  Tagesanbruch  macht  sich  Antonius 
auf,  ohne  zu  wissen,  wohin.  Schon  ist  es  Mittag  geworden 
und  er  wiU,  als  die  Sonne  über  ihm  kocht,  fast  verzagen,  da 
weist  ihm  ein  Gentaor,  halb  Mensch,  halb  Boss  —  und  Hie- 
ronjmns  will  es  unentschieden  lassen,  ob  der  Teufel  oder 
ein  Monstrum  der  Wflste  —  den  weiteren  Weg.  Darauf  tritt 
ihm  ein  iSatyr  entgegen,  der  ihn  bittet,  er  möchte  für  ihn 
beten,  und  dann  in  die  Luft  verschwindet,  wie  vor  ihm  der 
Centaur.  Endlich,  am  Moigeugrann  des  dritten  Tages,  wird 
Antonius  durch  eine  W((lfin  zu  einer  Höhle,  geheimnisvoll 
verborgen  am  Fuss  des  Berges,  geleitet  Leise,  mit  angehal- 
tenem Atem,  schreitet  er  in  der  Finsternis  der  Höhle  vor^ 
bis  endlich  aus  der  äussersteu  Tiefe  Licht  ihm  entgegenstrahlt. 
Aber  da  strauchelt  er  über  einen  Stein,  föllt,  und  vom  Ge- 
rftusch  erschreckt,  wirft  der  heilige  Paulus  die  TOre  zu.  Yen 
Sonnenaufgang  bis  zur  sechsten  Stunde  und  noch  Ifinger 
muss  Antonius  bitten,  dass  ihm  aufgetan  werde,  aber  erst 
auf  seine  Drohung,  er  werde  hier  vor  seiner  Türe  sterben, 
Offnet  Paulus  und  die  beiden  greisen  Heiligen  —  denn  Paulus 
war  113  Jahre  alt  —  fallen  sich  um  den  Hals.  Unter 
Üpommen  Gesprfichen  treten  sie  vor  die  Hohle,  an  die  Quelle 
unter  dem  Falmbaum.  Während  nun  Paulus  sich  bei  Antonius 
erkundigt,  wie  es  in  der  Welt  aussehe  (c.  10:  „au  in  antiquis 


1)  Anch  noch  bei  lUrckhardt,  Zeit  Constantins  (1853)  S.  4.'33. 

»)  Bei  Migne,  Fatr.  lat.  T.  XXIIJ ;  Ed.  Martianay  IV,  2.  Vallarsi 
war  mir  nicht  zufjänglich.  —  Die  griecliiächeu  Ueberarbeitungen  (Act. 
•Si5.  Bull.  Ja.u.  1,  G02J  sind  wertlos. 


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UKüPKUNü  mONCHTUMS. 


3 


Qibibiis  Bova  ieeta  consurgant,  quo  miradiis  regatnr  imperio**) 

fliegt  ein  Rabe  herbei  und  legt  ein  ganzes  Brot  zu  seinen 
Füssen  nieder.  „Sieb  da",  ruft  Paulus  aus,  „sechzig  Jahre 
schon  bringt  mir  der  Habe  täglich  ein  halbes  Brot,  aber  bei 
döner  Ankanft  «militibiis  snifl  Christas  duplicavit  annonam  V 
Doch  dar&ber,  wer  das  Brot  anbrechen  soll,  geraten  sie  in 
einen  Wettstreit  der  Gastfrenndschaft  und  Denrat,  der  bis 
zum  Abend  dauert.  Zuletzt  vereinigen  sie  sich  dahin,  dass 
sie  sich  gegenüber  setzen,  beide  das  Brot  in  die  Hand 
ndimen,  jeder  sich  nach  seiner  Seite  zurücklehnen  und,  was 
dann  in  seinen  Händen  bleibt,  gemessen  soll.  Also  tun  sie 
und  bringen  dann  die  Naeht  im  Gebet  zu.  Am  kommenden 
Morgen  kündigt  Paulus  dem  Antonius  an,  heute  werde  er 
sterben.  Aber  Antonius  müsse  ihn  verlassen  und  solle  nur 
hernach  seinen  Leichnam  mit  dem  Mantel  bodecken,  den  er 
Tom  Athanasius  erhalten.  Erschreckt  über  die  wunderbare 
Eonde,  die  Paulus  ?on  diesem  Geschenk  besitzt,  b^ebt  sich 
Antonius  auf  den  Rtickweg;  da  erscheint  ihm,  in  der  FrQhe 
des  zweiten  Tages,  Paulus,  hellleuchtend  wie  von  schneeweissen 
Gewändern,  von  Engeln,  Propheten  und  Aposteln  umgeben, 
gen  Himmel  &hrend.  Antonius  füllt  zur  Erde  und  betet  an, 
dann  kehrt  er  zurOck,  um  den  Leichnam  zu  bestatten.  Aber 
ihm  fehlt  ein  Grabecheid;  da  stfirzen  mit  fliegenden  Mähnen 
zwei  L9wen  herzu,  doch  schweifwedelnd  legen  sie  sich  zu 
seinen  Fussen  nieder,  und  nach  erschütterndem  Klagegebrull 
wühlen  sie  mit  ihren  Tatzen  das  Grab  für  den  heiligen 
Paulus  auf.  Dann  bitten  sie  den  Antonius  um  seinen  S^gen 
mid  gdien  auf  sein  Geheiss  in  ihre  Wfiste  znrOck.  An- 
toniuB  aber  legte  den  Paulus  in  dies  LSwengrab  und  trug 
fortan  die  Tuuica,  die  dieser  sich  aus  Palmeublätteru  zu- 
sammengenäht hatte. 

Wo  ist  in  dieser  ganzen  Vita  Pauli  Monachi  auch  nur 
läne  Spur  geschichtlicher  Wahrheit,  von  dem  ersten  my- 
thischen AniBigangspunkte  an,  der  WfistenfUurt  des  Antonius 
ins  Blaue  hinein,  auf  Grund  einer  nächtlichen  Offenbarung^ 
mit  den  Centauren  und  Faunen  als  Wegweisem,  bis  zu  dieser 
Himmelfahrt  und  Bestattung  des  Paulus?  Schon  Zeitgenossen 

haben  deshalb  diesen  „eisten  Eremiten fOr  eine  blosse  Er- 

1*  . 


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4 


VEUlOABTBN, 


findung  aeines  Biographen  erldftrt,  wie  Hieronymus  seibst  mit 
flonverftner  Vetacbtiuig  solcher  Kritik  KQgestefat,  als  er  die 
schon  in  der  Zueignung  des  Panlns  Ton  Theben  an  „?talnm 

senem  Concordiae"  angekündigten  anderen  Kinder  seiner 
Phantasie,  nur  noch  reicher  ausgestattet,  übers  Meer  sandte, 
den  heiligen  Hilarion  von  Gaza  und  den  Syrer  Malchus.  Und 
in  der  Tat,  die  Biistenz  des  Panlus  yon  Theben  ist  durch 
nicht  ein  einziges  anderes  Zengnis  TerbUrgt.  Vor  Hieronymus 
weis3  niemand  etwas  von  ihm;  die  dem  Athanasius  zuge- 
schriebene Biographie  des  Antonius  redet  mit  keiner  Silbe 
weder  Yon  diesem  Paulus  noch  von  seiner  Be^c^nuug  mit 
Antonius,  und  wenn  die  tendentidsen  abendlftndischen  Q«- 
aohichtesdireiber  des  Mönchtums,  wie  Johannes  Gassianus  und 
Sulpicius  Severus,  den  Namen  des  Paulus  im  Zusammenhang 
mit  Antonius  nennen,  so  tun  sie  es  nur,  indem  sie  dem  Hie- 
ronymus nachsprechen^);  existirt  aber  hat  dieser  Pau- 
lus nie.  Ueberhaapt,  von  eiuem  geschichtlichen  Kern  jener 
Schrift  des  Hieronymus  kann  man  nur  dann  reden,  wenn  man 
ihren  litemrisohen  Ghankter  voUstSndig  yerkennt  und  einen 
Boman  zu  einem  frommen  Tract&tchen  verwässert^).  Denn 


^)  EpwX :  „  Si  hoc  munnscolun  plaenerit»  habemna  etiam  alia  eondlta, 
qom  eun  plurimis  orientalibuH  mereibuf  ad  te,     ipiritoi  Sanetoa  affla- 

verit,  navigabunt"  Die  Skepsis  der  ZeiigeDoesen  im  prologns  zur 
Vita  S.  Hilarionis:  ,,qiü  oUm  detrahentes  Paolo  lueo,  nnnc  forte 

dctrahent  Hilarioni  .  .  .  ut  qui  Semper  latuit,  non  fuisse". 

i)  Vgl.  Jo.Ca8sianuB,Collat.XVUI,6;  Salpic.  Sev., Dial.  1, 11 ; 
in  beiden  SteUen  nur  der  Name  des  Paulas  genannt.  Wie  viel  künst- 
liche Möhe  man  sich  gegeben,  das  6ohw«igtn  der  Biographie  des  Anto- 
nius über  Paulas  zu  erklären,  kann  man  auch  aas  der  Anm.  zu  Oassiane 
Coli.  IX,  31  (Lips.  1738)  ersehen.  —  Auch  der  Amathas,  der  im  Prolog 
der  Vita  Pauli  Monachi,  als  Schüler  des  Antonius  und  als  der  figurirt, 
der  den  Antonius  begraben  habe,  ist  dem  Biographen  des  Antonius  ganz 
unlrikannt,  unil  über  seine  andere  angebliche  Autorität,  den  Macarius, 
lamt  uns  Hieronjiiuis  vollends  in  Sticli.  Welchen  Macarius  meint  er, 
könnte  man  fragen,  wenn  Hieronymus  nicht  eben  diese  Gewährsmänner 
einfach,  wie  auch  das  Uebrige,  erfunden  oder  vorgeschoben  hätte.  —  Die 
anderen  späteren  Citate  für  Paulus  von  Tlieben  bei  Tillemont,  Mem. 
eccles.  (in  der  Vcnet.  Amg  von  1732.  4")  VII,  670. 

3)  Wie  Zöckler  gethan  liat  —  Hieronjnuus  (1865)  S.  59—63  — 
trotz  der  Zogeetäiidiiisse  S.  367  t 


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DBSFRURG  DES  UONCHTUMS.  6 

die  geschickt  verhüllte  Absicht  des  Hieronymus  war  hier 
iiichi,  mögiiohst  erbaulich,  sondm  möglichst  pikant  za  sein  % 
und  seine  Vita  primi  mmitae  ist  nur  eine  Nachbfldnng  be> 
liebter  Romane  der  römischen  Eaiserzeit  nnd  will  wie  diese 
beurteilt  sein.  Es  ist  dieselbe  Rücksicht  auf  den  Charakter 
dieser  übersättigten  alten  Welt,  die  nur  noch  durch  die  stärk- 
sten sinnlichen  Keiznngen,  durch  Abenteuerliches  nnd  Schan- 
r^es  Torfibeigehend  aufj^regt  werden  konnte,  welche  die  mi- 
lesischen  nnd  die  späteren  erotischen  BräUilnngen  beheirsebt, 
von  der  uucb  Hieronymus  Tendenz  und  Mittel  für  ein  gut 
Teil  seiner  schriftstellerischen  Tätigkeit  sich  hat  dictiren 
lassen,  nur  dass  er  mit  den  heidnischen  seine  Mönchsphau- 
taaien  sich  vermischen  und  wetteifern  Iftsst.  Gleich  der  Ein- 
gang der  Vita  Pauli  trSgt,  ganz  nach  der  Schablone  der  an- 
tiken Erotik,  den  Charakter  mit  Behagen  angemalter  raffinirter 
Lüsternheit;  die  eine  der  beiden  hier  sehr  überflüssigen  Mär- 
tjrergeschichten  ist  in  ihren  Einzelheiten  fast  wörtlich  einer 
der  lasciTsten  Episoden  des  Apulejus  nachgebildet^);  die 
Wanderungen  des  Antonius,  das  wunderbare  Zusammentreffen 
der  beiden  Greise  in  dem  Felseneilande  erinnern  an  fthnlicfaes 
Wandern  und  SichHnden  in  den  Robinsonaden  der  alten 
Welt,  wie  Deinias  und  Derkyllis,  die  schon  im  Altertum  viel 
verwerteten  Vorbilder  von  „Paul  et  Virgioie",  in  den  grie- 
chischen Bomanen  auf  der  Insel  Thüle  sich  zusammenfanden 
Bein  kGnstlerisch  betrachtet,  ist  dem  Hieronymus  in  diee^ 
Erstlingswerk  seiner  syrischen  Eremitage  (zwischen  374 — a79) 
manches  hübsche  StimniungsbiM  aus  der  Wüste  gelungen; 
handelt  es  sich  aber  um  die  Treue  der  Ue^inuung,  so  hat 


I)  Kommen  doch,  voem  der  Fx«ge  nach  don  neuen  Häusern  in  alten 
Stadteo  und  ausser  dem  Ausrof  bei  der  Rabenmahlzeit,  gar  keine 
Aensserungcn  des  Panhis  nnd  ebenso  wenig  erbauliche  Gespriche  des 
Antonios  in  der  Schrift  vor! 

«j  Vgl.  c.  a  der  Vita  P.  M.  mit  A  pul  ejus,  M-tam.  II,  17,  mir  mit 

dtm  vorsrhi* <knen  Ati^gang,  dass,  •wäbrt.iul  Lucius  und  Phutis  ,.intcr  luu- 
too8  aiuplexus  aiiiJiju.s  anbclantcs  ■",  Hierunyiuus  >ein«  n  uainonlo.son  Märtyrer 
sich  .  cuj  die  Lu>t  zu  unterdrücken,  di'  ZuugGnsjütze  abbti.mn  und  sie 
der  rtizeiidtii  Vtrsuchorin.  die  auf  ihu)  liegt,  ins  Gtisicbt  spucken  läset. 

Vgl.  aach  Pbotius,  Bibiioth.  cod.  166. 


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6 


W£I^'QA&T£N, 


uns  HieroDvmus  selbst  den  Massstab  in  die  Hand  gegeben, 
in  dem  eignen  Urteil  über  seinen  mit  dem  Paulus  von  The- 
ben gleichzeitigen  Brief  ad  Heliodorum^)  und  die  unge- 
mesBen  schwfirmerische  und  von  Trftnen  flbeifliesBende  Ver- 
herrlichung des  MOncfatums  in  demselben ,  den  er  später  selbst 
nur  als  ein  Product  spielender  rhetorischer  Phantasie  und 
Schule  hinstellte 

In  einer  ernsten  Geschichtsschreibung  darf  von  Paulus 
Ton  Theben  als  einer  geschichülchen  Persönlichkeit  nnd  als 
dnem  Begründer  des  Mdnchtums  nicht  mehr  die  Bede  sein. 

II.  Lassen  sich  doch  im  dritten  Jahrhundert  überhaupt  noch 
gar  keine  Spuren  des  Mönchtums  finden.  Denn  jene  Asketen 
des  zweiten  und  dritten  Jahrhunderts,  mit  ihrem  Fasten,  ihrer 
Melosigkeit,  ihrem  Eunuchentum,  mit  ihrem  montanistischen 
Rigorismus  oder  ihren  stoisch -christlichen  Idealen,  lebten 
mitten  in  der  Gemeinde  und  iu  der  Welt;  und  der  ei-ste  Ver- 
such, der,  wohl  gegen  Ende  des  dritten  Jahrhunderts^  in  diesen 
Kreisen  gemacht  wurde,  sich  Tor  der  Welt  zu  verbeigen,  er- 
führ, wie  wir  aus  einer  nachcyprianischen  Schrift  ersehen, 
eine  strenge  Zurückweisung  seitens  der  Kirche*).  Wenn 
Eusebius  von  Cäsarea,  der  Kircheuliistoriker,  in  den  Thera- 
peuten Philos  die  Asketen  seiuer  Zeit  wiederfindet,  so  ist 
jetzt  allgemein  zugestanden,  was  schon  Valesius  erkannt  hat, 
dass  hier  nur  jene  Asketen  gemeint  sind,  die  wir  aus  Athena- 
goras,  Clemens  von  Alexandrien,  TertuUian  kennen.  Dass 


>)  Ep.  XIV  Mi-ne,  V  cd.  Ixtied. 

*)  Ep.  LH,  1  Migne,  XXXIV  Ben. :  „sed  iu  illo  opere  pro  aetate  tunc 
lOflUDiis  et  oalentiboB  adhuc  Rbetorum  studiifi  atque  doctrinis,  quaedam 
•choiaaticoflovedepiiixiiDiu."—  Dies  schliesst  nicht  aus,  dass  Hieronjniiui 
nieht  des  Schein  hat  erwecken  vollen,  als  gäbe  er  wabteGesdikdite; 
dämm  der  feierliehe  Eid  am  Anfang,  mit  dem  er  „Jesom  anroft  nnd 
seuie  heiligeB  Engel*'  als  Zeugen  seiner  Wahrhaftigkeit.  Hieronymas 
war  ein  gewandter  Jonmalist,  aber  er  wollte  als  ein  Heiliger  gelten;  wir 
beurteilen  ihn  naoh  jenem,  e  r  wollte  nach  diesem  Gesichtspunkte  beurteilt 
sein;  nnd  darum  ist  eine  Bechtfertigung ,  wie  sie  Ebert  (Literatur  des 
Mittdalten  [1874],  Bd.  I,  6.  m,  Anm.  8)  versueht,  unTeratandlicb. 

In  dör  dem  Cyprian  untergeschobenen  Schrift  ,,De  singnlaritato 
«tericoram*«  (in  Harteis  An^.  der  Werke  Cyprians,  Bd.  III,  8.  1781) 
finde  loh  die  erste  Spur  eines  TeisuchtenAnachoietentums;  c.  81:  „adhno 


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UB8PRUK6  DES  KÖNCHTUMS. 


7 


aber  Eusebius,  als  er  die  ersten  fiücher  seiner  Kirchen» 
geschichte  schrieb,  nicht  lange  vor  dem  Jahr  324,  noch  von 
einem  MOnchtnm  nichts  wnsste,  geht  zweifellos  grade  ans  der 
Art  hervor,  wie  er  den  chris^tlichen  Charakter  von  Philos  Schrift 
.,lh^l  ßiov  d-tw^rfuxov''  m  verteidigen  versucht  gegen  solche, 
die  in  dieser  essenischen  Zurückgezogenheit  einen  Gegensatz 
znr  christlichen  Lehre  fanden,  bernft  er  sich  nnr  anf  die 
Schihiening  der  apostolischen  Gemeinde  in  der  Apostel- 
geschichte, ihrer  Armnt  nnd  Gfitergemeinsehaft,  nicht  anf 
gleichzeitige  Erscheinungen  in  der  Ciiristenheit  selber;  von 
einem  christlichen  Anachoretentum  redet  die  Kirchen- 
geschichte des  JSosebius  mit  keinem  Wort  Ebenso  ist  den 
anderen  nnd  späteren  Schriften,  allen  seinen  ansßUirlichen  Be- 
schreibungen des  christlichen  Aegyptens,  der  Biographie  Gon- 
«tantins  und  dem  Panegyricus  auf  ihn  (verfasst  zwischen  337 
uud  340,  dem  Todesjahr  des  Eusebius),  das  Mönchtum 
noch  völlig  unbekannt  eine  Tatsache,  die  überaus  befrem- 
den mnss  gegenüber  der  gewöhnlichen  Darstellung,  welche 
dem  Mönchtnm  nnd  vor  allem  dem  heiligen  Antonius  eine 
grosse  Bolle  schon  in  den  Tagen  Constantins  zuweist 

Denn  vou  einigen  Ereignissen,  die  in  der  dem  Athanasius 
zugescliriebenen  Vita  Autonii   berichtet  werden,  und  über 
welche  ein  Urteil  möglicli  ist  auch  abgesehen  von  der  allge-  • 
meinen  Frage  nach  der  Glaubwürdigkeit  dieser  Vita  öberhaupt, 
Begebenheiten,  die  ganz  in  das  Gebiet  der  ausfahrlichsten 


habc'O  quid  niirari:  cum  viilcaiu  de  Christianis  ^ilcrusque  uiaritos  et  mores 
continentiuHi  destinantos  dumicilia  s  i n u  1  a  r ia  magis  cligor«  .  .  . 
dicat  uuiio  eutiuchoruin Caritas,  (licat  ue  forte  in  hac  tjecessioue  magis 
coüjugalis  Caritas  peccet  .  .  . 

Eusebius.  Hist.  eccl.  II,  IT;  vgl.  Valesius  zu  dieser  Sttlle, 
p.  715  in  der  Ausg.  Turin  1746  und  Mangold  a.  a.  0.  S.  47  —  58. 
Ausstrdem  Valesius  zu  Eusebius,  H.  e.  VII,  32.  p.  326.  Anm.  6. 

2)  Vgl.  namentlich  Vita  Const.  IV,  25  und  De  laudibus  Const.  c.  XIII. 
Auch  das  doppelte  Christentum  der  Dem.  ev,  I,  8,  das  Tollkoinmene  der 
Gottgleichen,  geht  nicht  üoer  den  Gnostiker  des  Clem.  Alex,  als  einen 
iv  auQxi  TtiQinoXaiy  ^eof  hinaus,  im  letzten  Grunde  nicht  über  die 
Stoiker,  wie  wir  sie  aus  Diogenes  Laertius  (VII,  119:  f^tiovg  siyat  rot  ? 
ao<f  ovg  u.  8.  und  aus  Seneca  (z.  B.  ep.  .'31  der  Weise  deum  in  corpore 
liomano  h(»pitautem)  kennen,   lieber  Narciäsus  (Ens.  Ii.  e.  IV,  9)  hernach. 


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8 


WCIMGABTEN, 


Belichte  des  Eusebius  fallen  —  ^ann  man  zuversichtlich  be- 
haupten, wftren  sie  geschichtlich,  Eusebius  hätte  sie  wissen 
mflasen  nnd  wfirde  sie  nicht  übergangen  haben.  So  die  Seene 
ra  Aleiandria  in  der  Verfolgung  dee  Maximinns,  weleher  der 

Bischof  Petrus  von  Alexandria  zum  Opfer  fiel,  wo  Antonius, 
dem  Ausweisungsbefehl  des  Richters  ins  Angesicht  trotzend, 
das  Maityriuni  suchte,  aber  nicht  fand  Eusebius  redet 
wiederholt  von  der  Hinrichtung  des  Petras,  einmal  sehr  ans- 
fShrlich  *),  aber  er  Irennt  nnr  hingeopferte  Bischöfe  Aegyp- 
tens; die  glänzende  ZeagenroUe  des  Antonios  und  seiner 
Mönche  würde  er  sich  gewiss  nicht  haben  entgehen  lassen. 
Ebenso  wenig  das  angebliche  zweite  Auftreten  des  Antonius 
in  Alezandria  g^en  den  Arianismns  *).  Und  h&tte  Eusebius, 
der  so  sorgsam  alle  christlich  deutbaren  Züge  ans  Gonstan- 
tins  Leben  zusammengetragen  hat,  nichts  von  dem  ^ef- 
wechsel  zwischen  dem  Kaiser  und  dem  Antonius  erfahren  haben 
sollen,  zumal  wenn  wirklich  Constantiu  lui  diesen  als  sein»Mi  Vater 
geschrieben  und  Antonius  au  den  Kaiser  jene  aller  Kirchen- 
politik Constantins  hohnsprechende  Bussepistel  als  Antwort 
hfttte  ergehen  lassen.  Aber  welche  Männer  wie  Gonstantin  und 
Constantins  sich  gefreut  haben  sollen?*)  Wie  will  es  sich 
reimen,  dass  Gonstantin  und  seine  Söhne  den  Antomus  wie 
einen  Vater  geehrt  hatten^)  und  dass  bei  Eusebius  sich 
nicht  einmal  der  Name  des  Antonius  findetV  ebenso 
wenig,  wie  Sache  und  Name  des  Mönchtums,  trotz  seiner  Be- 
geisterung fttr  Askese!  Ein  um  so  rätselhafteres  Schweigen 
gegenüber  der  wiederholten  Versicherung  des  Eusebius,  sorgsam 
alle  Zeugen  der  Wahrheit  aus  seinem  Zeitalter  vorzufühi*en 


1)  YitaAntooü  (in  der  Benedlctiner-Auäg.  der  Werke  des  Athana- 
aius  [ParU  1698]  h  U)  c  46. 

2)  HM.  eecL  YII,  82;  Vm,  18;  IX,  6. 

9)  yjta  AotoDÜ  G.  69;  von  den  Benedietaneni  0»  da  ^ita  Athana* 
Iii,  dem  I.  Teil  def  L  Bandes,  p.  XX)  wiilkfirhcb  in  das'jahr  384 
Tenetzt. 

«)  Yita  Antonii  e.  81. 

6)  Ibid. 

8)  Z.  B.  Ende  des  VII.  Baches  der  Kirehengeeebichte.  —  Eb  ist 
UiKt  leichtfertig,  wenn  Schaff  (Gesch.  der  alten  Eixehe,  1867)  8.  56^ 


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UBSFBUHG  DES  IIONGHTUUsI 


Allerdincrs  In  dem  Ciirouicon  des  £usebius  begegnet 
ODS  zwei  Mal  der  Name  des  Antomus,  aber  nicht  in  dem 
vnfprfioglidien  Bestandteil  des  Werkes»  sondern  nur  in  der 
selbstftndigen  Fortsetzung  des  Hieronymus.  Weder  die  griechi- 
schen uud  armenischen  Ueberreste  der  Chronograph ia,  auch 
nicht  die  nach  Scaliger  so  genannten  Exccrpta  latiua  Barbari  ^) 
daraus,  noch  die  eusebianischen  Zeittafeln  nennen  den  Antonios; 
erst  Hieronymus  iiat  in  dem  Teil,  der  naeh  seiner  eignen 
Torrede  sein  aasschliessliches  Werk  ist*),  da  er  nidit  nnr 
„interpres*S  sondern  auch  „scriptor"'  sein  wollte,  den  Antonius 
und  den  Paulus  von  Theben  und  rait  beiden  zugleicli  eine 
literariäche  Beclame  für  sich  selbst  eingeschaltet  Daher  hat 
es  gar  keinen  geschichtlichen  Wert,  wenn  wir  in  seiner  nm 
380  abge&ssten  Chronologie  zur  279.  Olympiade  (c  336)  die 
Bemerknng  finden :  „  Oonstantinns  cum  liberis  suis  honorificas  ad 
Antouiüiü  litteras  mittif,  und  zur  284.  Olympiade,  in  welche 
Hieronymus  die  355  gehaltene  Synode  zu  Mailand  verlegt: 
„Antonius  monachus  CV  aetatis  anno  in  heremo  moritur,  so- 
litas  mnltis  ad  se  venientibus  de  Fanlo  quodam  Thebeo  mirae 
beatitadinis  niro  referre  cains  exitnm  brevi  libello  explicui- 
mns "  Denn  die  Quelle  für  diese  Angaben,  deren  Datirung 
natürlicli  rein  willkürlich  ist,  —  wie  denn  auch  alle  die  in  der 
Kirchengeschichte  gläubig  fortgepliaiizten  Jahreszahlen  für  den 
heiligen  Antonius,  sein  Geburtsjahr  251,  sein  Todesjahr  356, 
allein  auf  diesem  unerschrockenen  Hineingreifen  des  Hieronymus, 
in  die  geduldige  Welt  der  Zahlen  beruhen  —  sind  nur  zwei 
Dichtungen,  beide  aus  dem  letzten  Viertel  des  vierten  Jahr- 
biitidFrts,  die  eine,  die  schon  liesprochene ,  des  Hieronymus 
selbst,  die  andere  dem  Athanasius  zugesclirieben. 

Betonen  wir  es,  ehe  wir  zur  Besprechung  der  letzteren 


sa^^ :  .,P:iS  ganz<'  nitunisciic  Zeitalter  vcnlirte  in  Antonius  einen  Muster- 
höiligeir",  naujenthch  gegenüber  den  angelliclion  Belegen  bei  'lillcun  iif. 

»)  In  dem  1875  herausgegebenen  ersten  Bande  der liearbeitung  dtw 
Chronicon  von  Alfred  Schoene. 

2)  Bei  Schoene,  Ens.  thron.  1,3:  a  Cunstantino  autem  •iupra  dicto 
anno  fXX  Ct>nstßntini]  u^ijue  iu\  Cun^ulatura  AugUBtoruni  Valentis  seiie« 
et  Valentiniani  itemm,  totiiui  nie  um  est*'. 

3)  Eus.  ciironicon  ed.  Schoene  II,  192.  li)ö. 


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10 


WEmGA&TEN, 


Übergehen,  noch  einmal :  die  Zeitgenossen  Constantins  und  des 
Eusebius  kennen  ein  christliches  Mdochtum  noch  nicht;  damit 
allein  fiele  schon  die  Sage  von  seinem  Ursprung  in  den  Verfol- 
.gnngszeiten  der  Kirche. 

III.  Es  ist  Zeit,  dass  sich  über  das  Werk,  auf  welchem 
der  Glaube  an  den  zweiten  oder  eigentlichen  Gründer  des 
Mönchtoms,  den  heiligen  Antonius,  beruht,  ein  sicheres 
Urteil  bildet  ^  handelt  sidi  hier  um  eine  doppelte  Frage: 
erstlich,  ist  Inhalt  und  Tendenz  dieser  Vita  Autonii  Geschichte 
im  eigentlichen  Sinne;  zweitens,  kann  sie  von  Athanasius 
Yerfasst  sein? 

Die  Anziehungskraft,  welche  diese  Schrift  schon  in  der 
alten  Kirche  ausgefibt  hat,  beruht  nicht  auf  ihren  Schilde- 
rungen aus  der  Dämonenwelt,  diesen  Kämpfen  ihres  Heiligen 

mit  dem  liöllischen  Heer,  die  für  uns,  um  mit  Burckhardt  zu 
reden,  durch  Jaques  Callot  auf  immer  in  das  Reich  des  Bur- 
lesken verwiesen  sind,  —  es  ist  vielmehr  der  spiritualistische 
Zug,  die  all  diesen  Dämonenspuk  und  Abeiglauben  mitunter 
tief  unter  sich  lassende,  geistige  Erhebung  und  Freiheit, 
welche  diese  Vita  von  den  gewöhnlichen  Heiligenbildern  der 
alten  Kirche  weit  unterscheidet  und  schon  für  Sjnesius  Veran- 
lassung gewesen  ist  zu  seinem  bekannten  Wort  von  der  Geistes- 
grOsse  des  Antonius,  der  keiner  Schule  bedurft  hätte,  weil 
Geistesblitze  ihm  die  Syllogismen  ersetzt      Aber  sind  diese 


Vgl.  G  i  c  s  e  1  e  r ,  K.-G.  1. 1 .  S.  407 : ,,  entweder  unecht  oder  stark  iiiter- 
polirt";  Baut,  Christentum  des  4.  bis  G.  Jahih.  S,  300:  „ hat  Athanasius 
wirklich  die  Vita  Antonii  verfasst . .  .**  Den  wesentlichen  Inhalt  der  Vita  darf 
man  aus  zahllosen  Bt'arbtitung'en  als  bekannt  voraussetzen,  u.  a.  aus  der  aus- 
luhrlichen  vonNeander  (K.-G. II, 2)  und  Bühringer  (auch  in  der  neutü 
Autlage  vom  Zeitalter  des  Arius  und  Athanasius,  Anhang,  mit  dem  veralteten 
Material);  Hases  symi)athische ,  s>>  ;:hh  klich  Ji'j  'Mitte  zwischen  Wahr- 
heit und  Dichtunir  trellludc  Skiz/e  hat  das  Verdienst,  den  Antonius  zu- 
erst wieder  in  die  moderne  Welt  eingeführt  zu  haben.  Ueber  den  ge- 
schichtlichen Antonius  denke  ich  freilich  etwas  anders,  als  mein 
verehrter  Lehrer. 

*)  „Was  ist  früher,  der  Buchstabe  oder  der  Geist?  "  fragt  Antonius  di« 
oeiae  Ungelehrsamkdt  bespöttelnden  Sophisten  (c.  73);  rofwp  6  ¥ovf 
iuymii^f  rov'r^  qvk  drtty^uiia  ja  yqäfifAaia,  Sein  Buch  ist  die  geaaromte 
Schi>pfung,  wie  die  spätere  Thiditi<m  dies  Wort  fortgebildet  (So  er.  IV,  23.) 


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DBBPBÜNO  DES  HONCHTUMS. 


11 


genialeii  Züge  echt?  Man  braucht  nicht  grade  Anstoss  za 
nehmen  an  der  langen,  rhetorisch  so  konstgemassen  Ans- 
einandenetsang  fiher  das  Wesen  der  Askese  (c.  16—44),  mit 
ihren  Gtaten  ans  ziemlich  entlegenen  SteUen  des  Hiob  nach 

der  Septuaginta,  ihren  Urteilen  über  die  hellenischen  Orakel, 
ihren,  im  Munde  grade  dieses  Asketen  so  seltsam  klingenden 
wiederholten  Versicherungen,  er  lüge  nicht  (c.  39.  41)  —  das 
Alles  könnte  freie  Compoeition  sein,  nach  der  Manier  aller 
alten  Geachiditschreibung  bei  den  Reden  ihrer  Helden  — ; 
wäre  nur  der  Inhalt  denkbar  im  Geiste  eines  Wüsten-  und 
Felsenheiligeu,  der  nie  lesen  gelernt,  der  nur  koptisch  sprach 
und  verstand,  der  die  Bibel  nur  kannte  aus  dem,  was  er  in 
der  Kirche  hatte  vorlesen  hören  (c  1),  der  das  Schaffell,  das 
er  nnter  seinem  hfirenen  Mantel  tmg,  niemals  im  Leben  ab- 
gelegt, nie  den  Schmntz  von  seinem  Körper  gewaschen  nnd 
es  als  eine  Sünde  enn'iuiulen ,  wenn  er  seine  Füsse  ins 
Wasser  tauchen  nmssto  (c.  47),  der  sich  täglich  und  körper- 
lich mit  den  Dämonen  herumschlägt,  die  unter  allerlei  Tier- 
nnd  Fanngestalten  ans  den  Wftnden  seiner  Höhle  auf  ihn  los- 
springen. Damit  vergleiche  man  diese  specnlativen  Gespräche  mit 
den  griechischen  Sophisten  (c.  74 — 78),  diese  Kenntnis  und  Be- 
kämpfung platonischer,  neuplatonischer,  stoischer Philosoplu nie! 
Woher  wusste  dieser  Antonius  mit  seiner  Vorbildung  in  Grä- 
bern, Höhlen  nnd  verfallenen  Burgen,  seinen  Kftmpfen  mit 
den  Krokodilen  im  Nil,  von  Plate  nnd  seinem  Fall  der 
Selen  aus  der  himmlischen  Welt  in  die  irdische,  „  ntnXayri<r^t 

avTT^v   (die  Sole)  xa)  Tlfnjwxtyui  dno  rrg  uxjjiöog  küv  olfjuyiüv 

ilg  owfia'\  mit  diesem  fast  philologisch  gerechten  Citat  aus 
Piatos  Phädrus?  ^)  Woher  sollte  er  Plotius  Lehre  von  der 
Sele  als  dem  Abbild  des  i^ov^  nnd  die  anderen  fimanations- 
theorien  kennen?  Dazu  diese  Polemik  nicht  nnr  gegen  Isis 
nnd  Odris,  sondern  anch  diese  Kenntnis  specifisch  griechischer 
Mythologie ,  wie  der  Titanenschlachten ,  von  Zeus'  Sieg  über 
Kronos,  von  den  Kämpfen  des  Typhon,  vom  Raub  der  Pro- 
serpina nnd  von  allen  möglichen  natorphilosopluschen  üm- 

1)  Vgl.Origenes  c.  Celsum  III,  80  (p.  5(K)):  JlXuruyo^  naQttdf^duEyot, 
TitQl  ^v^ris  Xöyoy^  nicf.ixiiua  uyaj^eUytiy  ini  rjjV  dx^idu  rot'  ov{iavov 
xrk.    Pia  tos  Phacdrus  p.  247. 


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WEDiaARTBR, 


deutuiigen  der  antiken  Mythen  durch  die  Stoiker !  ^)  An 
andern  Stellen  redet  Antonius  wie  der  correcteste  Dogmatiker 
fiber  den  Glauben  als  ein  nnmittelbares  Wissen  der  Sele, 
zam  TJutei8€faied  von  dem  durch  Philosophie  und  Dialektik 
vermittelten  Wissen*),  oder  so  specnlativ  wie  Atiumasins 
selbst  über  den  Zweck  der  Menschwerdung  ^) ,  mit  allen  dog- 
matischen Formeln  der  athanasianischen  Logoslehre  (c.  69). 
Neben  dem  crassen  Wunder-  und  Aberglauben  des  M^teichtums 
ein  £sBt  rationalistisohes  Gorrectiv  desselben,  c.  40  erzfthlt 
Antonios,  einst  sei  ihm  ein  Dftmon  erschienen  tnprjXog  Xlay 

fitra  (fuyruatag  und  habe  gesagt,  ^yw  fffAi  r)  dvyafttg  tov  &tov 

und  lyu)  diu  t,  Tinlivoia '  was  du  bittest,  will  ich  dir  gewähren, 
er  aber  habe  ihn  angeblasen  im  Namen  ChriBti  xa)  rvipai  tov-- 
TOP  imxf^^n^i  da  sah  er,  wie  der  Dämon  den  Schlag  em- 
pfing nnd  verschwand;  und  onmittelbar  darnach  dieses  ratio» 
nelle  Wort,  das  dem  Satan  selbst  in  den  Mnnd  gelegt  wird, 
der,  vom  Antonius  befragt,  warum  er  an  seine  Tür  geklopft 
und  Einlass  begehrt  habe,  sich  beklagt,  dass  Christen  und 
Mönche  ihn  ohne  Grund  hassten:  ovx  iyio  tifn  o  fyo/Xwy  av- 
rultg '  aX3i  avrdl  tapaaaovat  wviovg  \  Wie  viel  ist  nicht  von 
Betrug  und  Weissagung  der  Dftmonen  die  Bede,  und  daneben 
das  tiefsinnige  Wort,  das  nicht  im  Schmutz  der  Wüste  ent- 
standen sein  kann:  eine  reine  und  der  Natur  getreue  Sele 
sieht  weiter  als  alle  Dämonen  *).  —  Von  all  diesen  Wor- 
ten griechischer,  philosophischer,  christlicher  Weisheit  ist 
nidit  Eins  in  dem  Munde  und  in  der  Atmoephfire  mOglich,  in 
der  es  entstanden  sein  soll,  und  dieser  geistige  Antonius,  der 
mit  seinem  roh  und  sinnlich  abergläubischen  Doj[jpelgäuger 


^)  C  76:  9uA  ukXtiyoQ8tt9  ttQnuyr^v  xoQ^g  eif  ir^y  yijy  xai  H^aiinw 
/(uAtfrqra  eis      nvQ  xrK 

0.74:  &«T^  wd^mnivji  ystfioti  Motvmvtfitti  noitlati  lovg  uy&Qtti-- 

^)  cdi:  nu^uQBvovau  \l>vxn  nwtuxo^ev  xn\  xatd  ^voi¥  icttäiUf 
&V9«9M  dtüiiartxt,  ytyofiiim  nH(wa  fAuxQt'riQu  ßkimnp  viffy  datfüS^ 
ifmp,  Oder  ist  das  *ara  iattha  schon  nach  deai  Spracbgebnach 
der  Hjstik  aujunlegen? 


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UBSPEUNO  DES  MÖMGHTUHS. 


13 


wohl  auf  dem  Papier,  aber  nicht  im  Leben  vereinigt  werden 
kann,  gebürt  nickt  der  Geecbichtet  mdem  der  Poeeie  an  ^ 
Wird  sieh  nns  docb  die  Welt,  in  welcber  der  geschichtliche 

Antonius  gelebt  haben  kann ,  alsbald  in  treueren  Bildern  ans 
dem  vierten  Jahrhundert  zeigen. 

Dass  die  Vita  des  Antonins  eine  Tendenzschrift  sei, 
haben  schon  die  ersten  Leser  erkannt  nnd  ausgesprochen. 
Und  Gregor  von  Nazianz  hat  recht  gesehen,  wenn  er  von  ihr 
sagt,  sie  sei  die  Darstellung  des  Ideala  des  Mt^nchtoms  in 

Form  der  Geschichte:  tov  fioyadtxov  ßtov  rofio^iaiar  ey 
TtXaafiart  diriytiOKog  Und  damit  stimmt  nicht  nur  die 
Einleitnng  der  Schrift  selbst^),  sondern  auch  ihr  systematisch 
dorehgeftthrtor  Charakter  flberein;  in  dem  Fortschritt  der 
ftosseren  Geschichte  des  Antonins  ist  zugleich  immer  eine 
Steigerung  seiner  Kämpfe,  Aufgaben  und  Siege  enthalten,  von 
den  Versuch unt;^en  durch  die  Dämonen  an  bis  zur  Ueberwin- 
dimg  der  Philosophen,  der  Anerkennung  durch  die  Kaiser, 
dem  glorreichen  Tod;  nnd  diese  Mischung  von  Geist  nnd 
Sfamlichkeit  in  dem  Werk  war  die  Bedingnng  seiner  Verbrei- 
tung  in  all(Hi  Kreisen  der  Kirche.  Nicht  den  nrspriinglichen, 
sondeni  den  idealen  Charakter  des  Möuchtums,  nicht  die  Ge- 
schichte, sondern  die  Aufgaben  desselben  hat  ihr  Verüiseer  ge- 
zeichnet oder  zeichnen  wollen  % 

Stftade  es  nnn  fest,  dass  Athanasius  der  Urheber  dieses 
Kunstlos  gewesen,  so  würde  dch  dadurch  nicht  das  Urteil 
über  dessen  geschichtlichen  Wert,  sondern  nur  die  herkömm- 
liche Anschauung  von  dem  schriftstellerischen  Charakter  des 
grösaten  Bischofs  des  vierten  Jahrhunderts  ändern^).   £s  ist 

1)  Der  Gedanke  einer  Interpolation  in  dem  einen  oder  andern  Sinn 
urird  durch  die  mit  dem  Erscheinen  des  griechischen  Textes  fast  gleich- 
zeitig« lateinische  Uebersetzung,  die  das  gleiche  Ideal  enthält,  ausge- 
schlossen; und  ausserdem  ist  diese  Vita  ein-'  Schrift  aus  Kinem  Qnsa. 

*)  In  der  alsbald  näher  zu  besprechenden  Stelle  Orat.  '21,  5. 

^)  In  der  Vorrede:  fAo^axoii  y*i(f  ii(€tv6g  /aQu*J^Q  nQog  ucx^cw  o 

*)  Wie  schon  die  alten  griechischen  Schrdiast^^n  die  Worte  d«'s  Gregor 
von  Nazianz  auffassen:  a  •/  nu  x  t<n'(  ixivoi  öi^ydad^m  lä  tov  i^tiov 
'AytufVMv,  Kafövuq  iHinto  fioyaihxovs. 

^)  Die  ältere,  allerdingb  wetentUch  ans  dogmatischen  Gr&nden  ab- 


üiQiiized  by 


14 


WfilNOABTBN, 


Yor  allem  die  Autorität  des  Gregor  von  Nazianz,  die  für 
Atbanasiufl  entscheidend  zn  sein  scheint  Denn  Gregor  hat 
seinen  Fanegyricos  aof  diesen  (or.  21)  mit  dem  Wunsch  be» 

gönnen,  dessen  Leben  einst  ebenso  treffend  schildern  zu  können, 
wie  Athanasius  selbst  in  der  Biographie  des  Antonius  das  Ideal 
in  der  Geschichte  gezeichnet  habe,  —  jene  Gedächtnisrede 
freilich  ist  gehalten  zu  Constantinopel  nicht  vor  380,  wenigstens 
neben  oder  acht  Jahre  nach  dem  Tode  des  Athanasins.  Aber 
Mftnner,  ebenikUs  ans  den  Kreisen  der  morgeniftndischen  Kirche, 
die  dem  Ende  des  Athanasius  noch  näher  gerückt  sind,  sprechen 
sich  viel  unbestimmter  aus.  Für  Hieronymus  war,  als  er 
seine  Vita  Pauli  schrieb,  zwei  oder  drei  Jahre  nachdem 
Athanasias  gestorben,  die  Biographie  des  Antonius  noch  eine 
anonyme  Schrift  nnd  erst  etwa  20  Jahre  später,  in  dem 
Werk  „De  scriptoribus  ecclesiasticis**  (geschrieben  um  393) 
nennt  er  den  Athanasius  als  Verfasser  (c.  87),  den  Bischof 
Evagi'ius  von  Antiochien  als  Uebersetzer  (c.  125),  unbedenklich 
freilich  auch  über  die  Echtheit  der  dem  Antonias  zweifellos 
unteigesdiobenen  Briefe  (c.  88).  Mit  welcher  Willkfir  die 
altkirchliche  Tradition  in  solchen  Fragen  verftihr,  zeigt  sich 
aucli  darin,  dass  jenes  decretum  de  libris  recipiendis,  welches 
man  doch  wohl  der  römischen  Smodo  des  Papstes  Gelasius 
vom  Jahr  496  zuschreiben  darf,  noch  den  Hieronymus  selbst 
als  Verfasser  der  Biographie  des  Antonius  bezeichnet '). 

Die  Entscheidung  ist  hier  durch  innere  geschichtliche 
Grflnde  gegeben. 

Gegen  Athanasius  spricht  vor  allem  Charakter  und  In- 
halt der  Widmung ,  mit  welcher  die  Biographie  beginnt 


Bprecbendc  Kritik  ?on  Rivet,  Basnage  hat  zusammengefasst  und 
verstärkt  Oudin,  Scriptores  eccles.l,  358  f.;  vgl.  auch  die  Einleitung  der 
Benedictiner  vor  der  Vita  Ant. 

^)  Vita  Pauli,  [»rologus:  „igitor  quia  de  Antonio  tarn  Graeco  quam 
Bomano  stylo  traditum  est  *. 

*)  c.  4:  „vitas  Patrum  Pauli,  Antoiiii,  Hilarionis  et  omnium  Kreiui- 
taruni,  quas  tarnen  vir  B.  HieronymuB  descripsit,  cum  omni  honore  sus- 
cipimus 

3)  Wobei  auf  die  spätere  UoLerschrift:  ,,nQ6g  rovg  iv  rfi  ^ivri  fAovnxorg 
TtaQti  tov  ivayioif  najQog  r,/4tüy  Ai^avttaiov^'  keine  ßücksicbt  zu  nehmen  iät. 


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>     UBSPSUNQ  DES  MÖMCHTUM8.  15 

Schon  in  der  wiederholten  Bitte,  ihm  zu  glauben,  in  dieser 
doppelten  Yenicherang,  nur  die  Wahrheit  sagen  zu  wollen, 
wird  niemand  den  selbetgewissen  Bisehof  wiedererkennen,  dem 

solche  captatio  benevolentiae  nicht  in  den  Sinn  kommen 
konnte.  Aher  auch  alle  anderen  Voraussetzungen  jener  Zu- 
schrift sprechen  gegen  Athanasius.  Als  Empfänger  werden 
hier  Mönche  ToranageBetzt,  zu  deren  Heimat  endlich  auch  die 
Kunde  vom  MOnchtum  gedrangen  sei,  und  die  nun  zum  Wett- 
Immpf  mit  den  ägypticxshen  Vorbildern  sich  anechicHen ;  der 
Verfasser  beeilt  sich,  an  sie  zu  schreiben,  weil  die  Zeit  der 
Schiffiahrt  bald  zu  Ende  und  dann  der  Verkehr  mit  ihnen  ab- 
gebrochen wäre.  An  das  dem  ägyptischen  fast  gleichzeitige 
sjriflche  und  kleinaBiatische  MOnchtum  zu  denken,  ist  ebenso 
durch  diesen  itatgog  rwy  nXaftft(0¥  wie  durch  jenes  „endlich 
auclr'  verboten;  die  Adresse  des  Briefes  setzt  die  Reise  Uber 
das  mittt'lländische  Meer  voraus.  Seine  Empfänger  waren 
die  ersten  abendländischen  Mönche.  Nun  aber  lassen  Augu- 
stins  Gonfessionen  (YUI,  14.  15)  einen  ziemlich  sicheren 
Schluss  zu  fiber  die  Zeit,  in  welche  für  Italien  und  Gallien 
die  ersten  Anfinge  des  Mönchtams  Ikllen:  als  er  nach  Mai- 
land kam  (385),  hatte  Augustin  noch  nichts  weder  vom  An- 
tonias noch  vom  Mönchtum  gehört  oder  gesehen,  und  die 
Biographie  des  Antonius  gehörte  noch  zur  neuesten  Lectüre^ 
Als  Hieronymos  seine  erste  Beise  nach  dem  Orient  antrat, 
die  nach  seiner  eignen  Angabe  nicht  als  Pilgerfiihrt  auf- 
gefasät  zu  werden  braucht  (c.  373),  scheint  die  erste  Nach- 
richt von  den  Einsiedl eni  der  Wüste  nach  Europa  gekommen 
zu  sein ;  wie  überrascht  war  Hieronymus,  als  er  hörte,  Rufinus 
sei  im  Begriff,  „Aegypti  secreta  penetrare,  Monachorum  in- 
Tisere  chcnros  et  coelestem  in  teiris  circumire  &miliam>)!*« 
Selbst  Sulpicius  ScTeros  stellt  in  seiner  legendenreichen  Bio- 
graphie des  heiligen  Martin  von  Tours  dessen  wundertätiges 
Leben,  mit  seinen  Todtenerweckungen  vor  seiner  Bischofswahl» 
nach  den  letzten  Tagen  des  Hilarius  von  Poitiers  (nach  367), 
nur  wie  das  der  Asketen  der  frfiheren  Zeit  dar,  und  nicht  nach 


1)  Ep.  III  (ed.  Beuea.  I),  3. 
2}  Ep.  Hl  (ed.  Bened.  Ij,  1. 


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16 


WEtHOAltTEN, 


Analogie  des  späteren  Mönchs-  und  Cöuobitentums  Grade 
aber  aus  Sulpidus  Severus  ersieht  man,  irie  früh  in  diesem 
nea  entstamdeiien  galHseheE  Mönchtam  sich  jener  Wetfcbunpf 
und  jene  Eifersudit  dem  ftiteren  orientalischen  Vorbild  j?eG^en- 

über  regio,  welche  die  Toraussetzunc,'  der  Vita  Antouii  ist. 
Ist  doch  dies  die  ansc^esproeheue  Teudeiiz  seiner  drei  Dialoge, 
der  Nachweis,  Martinus  und  das  junge  gallische  Mönchtum 
4(tehe  mehr  als  ebenbArtig  Qber  allim  Heiligen  Aegyptens  und 
Eleinssi^ 

Diesem  unseren  Besultat,  dass  man  im  Abendland  zu  den 
Zeiten  des  Athanasius  kaum  etwas  vom  äg}^tisclien  Mönch- 
tum wusste,  —  wofür  wir  ein  direet  bestätigendes  Zeugnis 
in  einer  Stelle  des  Sozomenos  (Eist.  eccl.  III,  14)  besitzen 
<vgl.  S.  22)  —  seheinen  freilich  einige  sehr  bekannte  Er- 
aSbhingeD  zu  widersprechen,  welche  sich  dem  Aufenthalt 
des  Athanasius  in  Korn  341,  in  der  Zeit  des  Bischofs  Julius, 
ansch Hessen.  Damals  nämlich  schon  hätte  Athanasius  in  den 
beiden  Männern  der  Wüste,  die  ihu  begleitet,  Ammon  und 
Mdorus,  den  erstaunten  AOmem  das  eindrucksvolle  Bild  der 
neuen  Sgyptiscben  Form  der  Askese  voigeffthrt;  Idbroella,  die 
vornehme  und  edle  Patricierin,  sei  „in  jenen  Tagen  der  von 
ihm  ausgegangenen  religiösen  Erweckung"  gewonnen  worden, 
sie,  die  erste  Nonne  des  Abendlandes,  i^'ragt  man  aber  nach 
den  Zeugnissen  für  diese,  eigentlich  erst  durch  Baronius  und 
die  fienedietiner  in  die  Kirchengeschichte  eingeführte  Tra- 
dition, so  zeigen  sich  dieselben  sofort  als  übenius  unzuver- 
lässig. Für  die  Beziehungen  der  heiligen  Marcella  zum  Atha- 
nasius ist  die  einzige  Grundlage  die  recht  vieldeutige  und 
unwahrhafüge  Darateiluog  des  Hieronymus  in  seinem  um 

1)  Sulp.  Sev. ,  De  vita  Martini  c.  4—6. 

^)  Vgl.  Sulp.  Sev. ,  Dial.  II,  5:  „vicisti,  Galle,  vicisti  (durch  die 
Wunder  des  heiligen  Martin) .  .  ereuiitas  onine«  anaeh'netasque  vicisti .  . 
quia  Tuiniuia  iliiuä  aliorum  maximis  majora  esse,  nulli  dubiuin  i^v.  III,  1: 
„  ni>va  Posthuniianus  exspectat,  nuntiatums  Orienti,  ne  se  in  coinparatione 
praeferat  Occidenti".  c.  21 :  ,,cum  vero  ad  Aegyptum  usque  pervenerit,  quam- 
quaiu  illa  suoruiu  Sanctoruia  nuniero  et  virtutibu.s  sit  suporhe,  tanien 
non  deiligni  tur  auJire ,  quia  illi  vel  univcrsae  Asiae  in  solo  Martinu 
Europa  non  cesserit". 

^)  Die  „Erweckung"  bei  Zü ekler,  Hieronymus  S.  109. 


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UBSPBÜJXQ  DES  MONGBTUMS. 


17 


412  veifasston  Epitaphium  auf  diese  seine  fromme  und  bibel- 
foTBchende  Freundm,  die,  nach  der  Eroberung  Boms,  nach 
410,  zwar  im  Greisenalter,  aber  keineswegs  ungewöhnlich  hoch 

l)i'tagt  gestorben,  zu  der  Zeit,  wo  Athanasius  in  Rom  war,  doch 
'ciho  noch  im  Kindesalter  gestanden  haben  muss!  ^)  Und  von  den 
Mönchen,  die  Athanasius  nach  Italien  mitgebracht,  wie  etwa 
Oolumbus  seine  Indianer  nach  Spanien,  weiss  das  vierte  Jahr» 
hunderfc  noch  nichts.  Nicht  nur  der  Oatalogus  Liberianus, 
sondern  auch  Rufinns  in  seiner  Sagenreichen  Fortsetzung  des 
Eusebius  erwähnt  heim  Tapst  Julius  mit  keiner  Silbe  diese 
för  die  römische  Welt  ja  noch  am  Ausgang  des  vierten 
Jahrhunderts  so  aufßlllige  und  neue  Erscheinung  ^) ;  erst  ein 
Jahrhundert  später,  bei  Geschichtsschreibern,  die  ans  allen 
Mönchs -Legenden  des  Palladius  und  seiner  Geistesgenossen 
schöpften,  zeigt  sich  die  erste  Spur  von  dieser  ßinfShrung  des 
Möuchturos  in  das  Abendland  durch  Athanasius  Dieser 


i)  Hieronymus,  ep.  GXXvll  (ed.  Bened.  XCVI),  5,  ad  Prindpiam: 
„Hmg  ab  Airändrinia  saoerdotibiiB,  Papaqae  Athanasio  et  poBtea 
Fetio,  qtü  persecotionem  Arianae  haereseoB  •leclinaDtes . . .  Romain  cou- 
fügerant.  vitam  beati  Antonii  adhuc  tanc  viventisy  monasterionimqae  in 
Thebaide,  Fachoniii  et  virgiouiu  et  viduarum  didioit  dieeiplinam.*' 
Hier  siml  die  Zeiten  recht  illoyal  durcheinandergeworfen.  Atlianasiua 
war  341,  Petras,  sein  Nachfolger  im  ßistuni  von  Alexandria,  d73  oder 
374  in  Rom;  wuseto  Marcella  schon  341  vom  Minichtam,  wozu  noch  etat 
die  Unterweisung  dreissig  Jahre  später?  Und  hat  wirklich,  wie  der 
Woitlant  hier  ea  sagt,  Antonius  373  noch  gelebt,  so  dass  Hierony* 
oraa  seine  frühere  andere  Datirung  im  Chronicon  vergessen  hätte?  — 
Aus  c.  13  u.  14  des  Briefes  geht  hervor,  dass  Marcclla  bei  ihrem  Tode 
^vohl  in  das  „senilis  aetas"  getreten  war,  aber  ..int<'f;ro.  vegetoque  cor- 
pusculo  obdormivit  in  domino".  Wäre  diese  ihre  Rüstigkeit  etwas  für 
ihr  Alter  auffallendes  gewesen,  wie  würde  Hieronymus  es  verwertet 
haben,  nach  Art  seines  Briefes  ad  Pauliuu  senem  Concordiensem  (ep.  X)! 
Aus  c.  2  kann  man  schliesÄCn,  dass  Neratius  Ccrealis  er«t  nach  seinem 
zwfiten  Consulat,  das  in  das  Jahr  358  fällt  (s.  die  Anni.  l»ei  Migno), 
sich  die  schneidige  Zurückweisung  von  der  Marcella  ireh<dt  hat,  die  da- 
mals noch  „wie  seine  'l'oohtcr"  srin  konnte;  und  auch  dieser  Umstand 
liihrt  nicht  über  da.s  Jahr  330  als  (Geburtsjahr  der  Marcclla  hinaus.  — 
Auch  b.i  .l.n  Bollandistcn  (Act.  S.  S.  Jan.  II,  1105,  31.  Jan.)  findet 
Mch  nicht  Ii.  Anuahme  eines  besonders  hohen  Alters  der  Marcella. 

2j  Vgl.  Rufiniis,  Hist.  eccl.  I,  Ib.  19. 

3)  Socrates,  Hist.  eccL  IV,  23. 
Z«it«chr.  f.  K.-a.  2 


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16 


W1SIN0ASTEET, 


selbst  aber,  in  dessen  Werken  sich  der  Name  der  Marcdia 
niolit  findet,  gedenkt  in  der  eignen  Schüdening,  die  wir 
von  ihm  ftber  seine  römische  Zeit  haben,  nnr  seines  regen 

Verkilirs  mit  den  italienischen  Bischüft'U,  und  seines  ein- 
zigen Zweckes,  persönlich  sich  vor  ihnen  und  der  römischen 
Kirche  zu  rechtfertigen  ^):  von  Begleitern  aus  den  Anachoreten 
Aegyptens,  Ton  iigend  welcher  asketischen  Tfttigkeit  kein 
Wort;  es  wftre  widersinnig  gewesen,  hätte  er,  wo  er  Tordem 
Episcopat  und  dem  EIotqs  des  Abendhndes  seine  Stehe  ftthren 
wollte,  die  jedem  hierarchischen  Stand  selbstbewusat  und  fast 
feindselig  gegenüberstehenden  Spiritualisten  der  Wüste  auf 
seine  Elncht,  wie  er  selbst  diese  römische  Zeit  stets  nennt» 
mitnehmen  wollen. 

Was  die  spätere  C^eschichtssehreibong  von  der  Yorbrei» 
tung  des  Mönchturas  im  Abendlande  durch  Athanasius  er- 
zählt, gehört  in  das  weite  Reich  der  Erfindungen  des  fünften 
Jahrhunderts:  man  erfuhr  im  Abendiande  von  den  Einsiedlern 
der  Thebais  nnd  der  nitrischen  Berge  erst,  als  die  Tage  dea 
Athanasias  schon  gezählt  waren:  nnd  ein  abendländisches 
MOnchtam,  an  das  er  hätte  eine  Biographie  des  Antonina 
senden  können,  hat  er  nicht  mehr  erlebt. 

Gegen  die  Autorschaft  des  Athanasius  ergeben  sich  aber 
auch  aus  dessen  echten  Schriften  zweifellose  Beweise.  Könnte 
man  es  auch,  abstract  genommen,  als  za&llig  betrachten,  dasa 
nns  in  ihnen  der  Name  des  Antonios  nicht  ein  einziges  Mal 
begegnet,  trotzdem  die  Biographie  ihren  Verfasser  zum  vertrau- 
testen Freund  und  Begleiter  des  letzteren  macht,  dem  jener  oft 
das  Wasser  über  die  Hände  gegossen,  au^Üiig  genug  freilich 

')  In  seiner  356  geschriebenen  Apologia  ad  Iniperatorem  Constan- 
tiuiu  c  3,  4  (Op]).  I,  1,  297):  fnoyov  ilg  ti\v  'Pui^riy  dyr^X^ov  XiA 
ixx'Ar,(ji(t  id  xar'  ifiavrdy  TittgnfKfieyos  ^  tovtov  }'dQ  fiorov  uoi 
tfQovrlg  lif ,  i  a/d  ka^ov  rat^  avyd^  sai,  d.  h.  er  hat  nur,  wie 
einst  OrigencH,  den  Cultnsstiitten  der  römischen  Kirche  gelebt.  —  Und 
wie  hätte  Athanasius  sicli  auch  bei  den  Zwecken,  die  er  in  meiner 
Flucht  nach  Itahen  verfolgte,  mit  einem  Ballast,  wie  jener  Ammon,  be- 
Bch'weren  können,  der  von  Kolchem  Widerwillen  gegen  das  Bistum  als 
eine  Stellung  des  Hochmuts  erfüllt  war.  dass  er  sich,  um  nicht  Bischof 
werden  zu  müsnen ,  das  rechte  Ohr  abgeschnitteu  hat!  äocrates» 
Bißt.  eccl.  IV,  23. 


UBSPRUNO  DBS  Mmsrnjus. 


19 


bei  der  dem  Antonios  nachgerfiluuten  Wasserscheu —  an 
iäoer  Stelle  mnaste  Athanasius  den  Antonios  nennen,  trenn 
er  diesen  Fiatnarchen  des  MOnehtums  so  gekannt  oder  te- 
sebrieben  bitte,  wie  die  Legende  behauptet.   In  demselben 

Jahr,  in  welches  Hieronymus  deu  Tod  des  Antonius  ver- 
legt, hat  Athanasius  einen  Briet'  an  einen  Mönch  geschrieben, 
der  sich  sträubte,  ein  kleines  ihm  angebotenes  Bistum,  Hermo^ 
poMs,  zu  übernehmen,  aus  Furcht,  an  Heiligkeit  zu  verlieren 
und  sich  mit  einer  Wtirde  zu  beflecken,  die  nur  Anlass  zur 
Sünde  sei.  Diesen  Glauben  des  Drakontius  au  die  höhere 
Würde  des  Anachoretentums  über  dem  Episoopat  —  eine  Nach- 
bildung der  in  früheren  Tagen  der  afrikanischen  Kirche  be- 
anspruchten Prilrogative  der  Gonfessoren  —  socht  Athanasius  zu 
widerlegen  durch  Beispiele  von  Mönchen,  die  sich  den  kirclH 
liehen  Aemtem  nicht  entzogen  Da  weist  er  auf  Yorbilder 
hin,  die  der  späteren  Mönchs  -  Legende  ganz  verloren  gegangen 
sind,  vielleicht,  weil  sie  ihr  antipathisch  waren,  Muitos  in  der 
oberen  Thebais,  Paulus  in  Lato,  Ariston,  Agathon,  die  nicht 
geglaubt  hfttten,  sich  dadurch  zu  eniiedrigen:  den  Antonius 
nennt  er  nicht,  wo  doch  vor  Einem  Wort  desselben  alle  Be- 
denken des  Drakontius  hätten  schwinden  müssen.  Denn  An- 
tonius, wie  sein  Biograph  es  darstellt,  hat  vor  der  kirch- 
lichen Hierarchie  die  „äussei-ste  Ehrfurcht"  empfunden  und 
lidi  stets  geringer  geachtet  als  jeden  Kleriker^).  Warum 
beruft  sich  Athanasius  nicht  auf  diese  Stellung  des  Antonius 
zum  Klems,  wenn  er  wirklieh  bei  dem  ans*  und  eingegangen 
wäre  und  von  solcher  Devotion  etwas  gewusst  hätte?  Der  Grund 
li<^  darin,  dass  diese  in  der  Vita  dem  ersten  Mönche  zoge- 

1)  In  der  Widmung  der  Vita:  rio'/.Xtixig  yuq  avtoy  IwQuxa  .  .  . 
(t'xoitoo^ijtfaf  «vr^  /qqvov  ovx  okiyoy  xal  imj^ita»  ii^otQ  xatd  /et^a; 
avTov. 

2)  Ep.  ad  Draoontinm  (ed.  Bcned.  I,  1,  267).  ungefähr  vom  Jahr 
355.  c.  7.  jU'/  io{yvy  xiDAveToianv  ae  f^6ya/oi  .  .  a»j(fe  av  Tioocpeari^ov 
(ug  j^ei^toy  a€  «vtmv  iaü^evoq.  Das  Bistum  sei  nicht,  wie  sie  raeinten, 
üfiaQjiag  ngotpaaiy  Tigy  imaxon^v ,  man  kömie  auch  als  Bischof 
hungern  und  dürsten. 

3)  Vita  Antonii  c.  67:    tov  %av6va  ir^q  ixxknelaq  vnBQtpvuif 

iovrov  xtX. 

2* 


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20 


WEINGABTEN, 


achriebeue  klerikale  Uuterordnung  erst  der  Wunsch  der  Ge- 
neration nach  Athanasius  war,  das  ursprüngliche  Anacho- 
'  retentnm  dachte  anders. 

Endlich  aber  auch,  das  tolle  Dänionentretben  der  Vita  An- 

tonii  finüL't  bei  Athanasius  sell)st  noch  keine  Analogie.  Dort 
hausen  sie  so  zahllos  und  aller  Orten,  in  der  Luft,  an  Grä- 
bern, in  Felsenkiüften  und  Wüsteneien,  wie  die  Ginns  der 
modernen  muhammedanischen  Aegypter  —  so  feindselig  und 
doch  so  familiftr  — ,  wfthrend  in  den  echten  Schriften  des 
Bischofs  von  AlexLindriu  iiocli  etwas  von  der,  mau  darf  viel- 
leicht sagen,  altkirchiichen  oder  antiken  Scheu  lebt,  diese 
Dämonen  weit  allzunahe  in  die  irdische  Welt  zu  vertlech- 
ten.  Das  Reich  des  Bösen  erscheint  bei  ihm  noch  nicht  so 
individtialisui  und  eben  dadurch  auch  abgesdiwScht,  wie 
in  den  Teufeleien  der  MOnchsphantasie;  es  ist  die  Macht  des 
Teufels,  vor  der  Athanasius  warnt  und  die  Dämonen  identi- 
ticiieu  sich  für  ihn  nur  noch  oder  erst .  mit  den  Göttern  der 
hellenischen  Welt,  ganz  nach  Art  des  jödischen  Hellenismus 
und  der  griechischen  Kirchenväter  bis  zum  Eusebius  ^. 

Es  steht  somit  fest,  dass  wir  in  der  Vita  Antonii  nicht 
ein  echtes  Werk  iles  Athana^iub  und  nucli  viel  wenifjer  eine  histo- 
rische Urkunde  des  alten,  sondern  eine  Tendenzschrift  des  ent- 
wickelten Mönchtums  besitzen,  die  Darstellung  des  Ideals 
eines  in  den  kirchlichen  Organismus  eingeffigten 
und  angeachtet  aller  populären  und  Wfisten-Ele- 
mente  in  eine  geistige  Atmosphäre  erhobenen 
Mönchtums.  Freilich  schwindet  damit  jede  Bürgschaft, 
ob  auch  nur  ein  einziger  Zug  in  dieser,  systematisch  so 
kunstgerechten  Biographie  —  von  der  Bekehrung  an  durch 
das  Anhören  jenes  Evangeliums  vom  reichen  Jfli^ling,  das 
schon  die  alexandrinische  Theologie  des  dritten  Jahrhunderts 
so  viel  beschäftigt  hat,  bis  zu  seinem  verborgenen  Grab, 
gleich  dem  des  Moses  —  Ansi>ruch  darauf  hat,  als  geschicht- 
lich zu  gelten.  Hat  es  einen  Antonius  gegeben  —  und  ein 
„mens  Antonii'^  ist  schon  g^en  das  Ende  des  vierten  Jahr- 


1)  Wie  in  «Iciu  Hri.  f  an  Aniiin  <<^i'p.  <d.  Ikncd.  I,  2,  059). 
Vgl.  Athanasius,  Da  iucaruatiuuti  vcrbi  c.  32  u.  47. 


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URSPRUNG  DES  MÖNX'HTUMS. 


21 


iandertB  von  Bufin,  alsbald  auch  von  den  späteren  abend- 
ländiselien  WallünbFern  gekannt  und  besncbt  worden  ^)  — ,  so 

ist  er  doch  so  wenig  dem  Bilde  ähnlich  gewesen,  welches 
die  absichtlich  dichtende  Doctrin  von  ihm  gezeichnet,  wie 
etwa  der  Peter  von  Amiens  der  Gescbichte  dem  al  fresco  ge- 
malten Bilde  gleicht,  das  die  berechnete  Mönchs -Legende  von 
ihm  als  dem  Urheber  der  Krenzzüge  erfunden  hat.  Auf  jene 
ideale  Gestalt  des  Antonius  haben  »lann  die  späteren  Gene- 
rationen alsbald  ihre  Eigentümlichkeiten  zurückdatirt,  und 
daraus  erklärt  sich  leicht  auch  die  Fülle  von  der  herkömm- 
lichen Zeichnung  abweichender  Traditionen,  die  sich  an  sei- 
nen Namen  angesetzt,  ihn  schon  frfih  zum  Repräsentanten 
der  beginnenden  Mystik  gemacht  *)  und  in  der  Chronologie 
seines  Lebens  eine  arge  Verwirrung  augerichtet  haben  — 
Dass  man  die  Dichtung  dem  Athanasius  zugeschrieben  oder 
unter  seinem  Namen  verbreitet  hat,  hängt  wohl  mit  der  Er- 
innerung an  die  mannigfiushen  Beziehungen  zusammen,  die 
ja  Athanasius  in  seiner  späteren  Zeit,  nach  der  Flucht  aus 
AlfXaiKiiia  in  die  Wüste,  in  der  Februarnaclit  des  Jahres 
356,  mit  dem  ägyptisclien  Möuchtum  hatte,  und  dass  Gregor 
von  Nazianz  das  Werk  gläubig  als  ein  athanasianisches  an- 
nahm, kann  in  einer  Zeit  nicht  äberraschen,  deren  literarischer 
Glaube  nur  durch  dogmatische  Gründe  bestimmt  ward,  und 
in  der  Constantin  und  ein  Eusebius  mit  ihm  glauben  konnte, 
Cicero  habe  die  frriochischcn  sibylliuischrn  Weissagungen 
von  Ciihäto  ins  Lateiniäche  übersetzt^).    Wäre  eine  Ver- 

1)  Bufinits,  Hist  eod.  II,  a  Sulpic  SeT.,  Dial.  I,  IL 

S)  So  das  bei  Job.  Cassiaiiits,  Coli.  IX,  81  ihm  SQgeschriebene 
Wort:  „Don  est  perfecta  oratio,  in  qua  se  monachns  vel  hoc  ipBom  qnod 
«rat.  intelli^t";  oder  die  Erzähhuig,  wie  man  ihn,  wenn  er  die  Nacht 
hiDdnrch  gebetet  hatte,  gehört  habe,  in  fervore  spiritwv proclamantem: 
„quid  Die  impedia  soI,  qni  ad  hoc  jam  oriris,  nt  me  ab  higiu  veri  Innd- 
ois  abBtrahas  daritate?" 

*)  Wie  Socrates  IV,  25  das  bekannte,  in  der  Vita  Antonii 
noch  nicht  enthaltene  Wort  zn  Didynras,  dieser  sehe  nicht  mit  den 
Augen,  wie  auch  Hficken  und  Ameisen  sie  hätten,  sondern  mit  den 
Angen,  damit  die  Engel  Gottes  Licht  nnd  Wesen  erkennen,  in  die 
Zeit  des  Valens  verlegt  (c  370). 

*)  Vgl.  Ensebins,  Omt.  Constant.  ad  Sanctorom  coetum  c.  19» 
in  der  Ausgabe  von  Valesins  p.  637. 


28 


WSIHGABTBif« 


nmtang  über  den  ünprong  gestaiitet,  so  mBchteii  wir  üih 
sieht  aUzufem  von  dem  antioelieBiaehen  II dachtnm  and  dea 

Cirkeln  des  Hieronymus  suchen,  der  in  seiner  Fabrik  mo- 
derner Heiligen  in  der  syrischen  Thebais  dieselbe  ungetreue 
Arbeit  unternahm,  wie  gleichzeitig  die  römische  Kirclie  unter 
seinem  QOnner  Damaaos  in  der  Fixirang  der  M&rtyrer-Legenf- 
den  ihrer  Kaiakomben. 

Wo  aber  finden  wir  die  Ursprünge  des  MAnehtoms? 

IV.  Wenn  die  Entstehung  des  MOnchtums  in  die  Jahrzehnte 
Mlen  mnss  nach  Lactanz  und  Eusebius,  die  noch  nichts  von 

ihm  wussten,  aber  vor  die  Jahre,  in  denen  Basilius  der  Grosse 
und  Gregor  von  Nazianz  in  der  ersten  jugeadliclien  Ik'L^^eiste- 
rung  in  ihrer  kleiiiasiatischen  Heimat  es  nachahmten,  gegen 
den  Ausgang  der  Begierung  des  Constantius  und  kurz  vor 
der  Episode  Julians  des  Abtrfinnigen  (also  um  360)  —  so 
sollte  man  erwarten,  dass  wir  in  den  echten  Schriften  des 
eihzigen  literarisch  eingreifenden  Bischofs  der  ag^^itischen 
Kirche  in  dieser  so  wichtigen  Epoche  des  Uebergaugs  aus  dem 
antiken  in  das  christliche  römische  Staatswesen,  in  den  Briefen 
und  Stieitreden  des  Athanasius  Anhaltspunkte  fQr  die  Ge- 
nesis jener  neuen  kirchlichen  Erscheinung  finden  mfissten. 
Denn  unzweifelhaft  hat  Athanasius,  wenn  auch  viel  später, 
als  gewöhnlicli  angenommen  wird,  dem  Mönchtum  nahe  frostnn- 
den,  nachweisbar  erst  n  a  c  h  seiner  Rückkehr  aus  seinem  zwei- 
ten römischen  und  abendl&ndischen  Exil  die  er  nicht,  wie 
die  Fabel  seit  Bufinus  bis  zu  Hefele  geht,  Drohungen  des 
Gonstans,  sondern  seinem  eignen  Amnestiegesuch  bei  Constan- 
tius verdankte  -).  Aber  jene  Hofl'inmg  wird  nicht  erfüllt. 
Zwar  ist  öfter  die  E^de  von  fxovui^oyus  xtu  aoxr^iui  in.  Aiexau- 

1)  Auch  Itci  Socrates,  Ilist.  eccl.  III,  14,  wird  direct  bezeugt, 
da&s  noch  in  den  Tageo  des  Hilarius  VOB  Foitiers,  des  Martin  von  Tonn, 
des  Auxentius  von  Mailand  (des  Vorgängers  des  Ambrosius)  Europa  vom 
M«  'Tichtum  nichts  erfahren  hatte  ( . , ,  unti  o'<r«i  wiif  MuXovfjUvtfv  EvQuinr^v 
oixoCoi  ei  xttl  dnt{{>tiToi  in  fdoya^ixeSy  öV¥Oott(ov  ^aav),  eine  Bestäti- 
gung uns.  ror  obigen  Ausführungen  über  den  sagenhaften  Charakter  der 
Erzähl  11  ngca  von  der  Wirkaamkeit  des  Athanaaios  ^  in  Rom  für  das 
Jüünchtuni. 

^)  VgL  Athanasias,  ApoL  ad  imper.  Const.  c.  4  am  Schluss. 


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UBSFKUNQ  DBB  HÖMCHTUMS. 


23 


dria  und  die  Ueberschrift  der  um  360  geschriebenen  80- 
geniuinien  Histoiia  AmnoraiiL  ad  Monachos  setzt  deien  Yer- 
breitnng  durch  alle  tokoi,  alle  Landdistriete  Aegyptens  vor- 
ans  %  ein  ansserägyptiselies  M5nchtam  kennt  sie  noch  nicht. 

Duch  in  das  innere  Wesen  desselben  ist  uns  ein  geringer 
Einblick  gewährt  Kaum  ein  Unterschied  von  den  älteren 
Asketen  ist  zn  erkennen;  wird  doch  sogar  noch  die  Ehe  und 
KindarenEeugong  unter  den  Mfochen  vorausgesetzt  %  und  nur 
«inmal  scheint  es  ^) ,  ab  ob  im  Briefwechsel  des  Athanasius 
das  giübelmle  Phantasielcbcu  der  Wüste  und  ihre  Däiiiouen- 
welt  sich  wiedelspiegelt,  aber  nur  um  streng  zurücki^^ewiesen 
zu  werden.  Ebenso  wenig  wie  der  Name  des  Antonius  be- 
gegnet uns  der  des  Padiomius  noch  sonst  einer  der  grossen 
lieblingsfaeiligen  der  alten  Legende. 

Aber  durch  Augenzeugen  wenigstens  der  zweiten  Gene- 
ration des  ägyptischen  Mönchtums  scheint  das  traditionelle 
Bild  des  ersten  Gescblochtes  seine  Bestätigung  und  Illustra- 
tion zu  erhalten f  durch  Männer  wie  Rufinns  und  Palla- 
dius,  die  bis  in  die  Gegenwart  hinein  als  treue  Bericht- 
entatter Aber  ihre  eignen  Erlebnisse  unter  den  Einsiedlern 
der  Wüste  gelten.  Rufinus,  der  von  374  —  380,  Palludius^ 
Später  durch  Chrysustomus  zum  Bischof  von  Helenopolis  ge- 


V)  Z.  B.  Apül.  ad  imper.  ConBt  c.  2ö. 

*)  Opp.  I|  1)  343:  70t;  un«yTaj[eai  xutk  tonor  rdv  fioyi^oii  ßtoy 
««KOMT«,  was  von  den  Benedictinern  nicht  zutreffend  übersetzt  ist: 
,,oinn!bas  nbique  moniutticam  vitara  agentibus";  xard  ronoy  geht  auf 
die  „auf  dem  Lande"  lebenden  Mönche  in  den  Flecken  und  Ortschalten  der 
Twra^/fe*  Aeg}'ptens ;  vgl. Marquardt,  Römische  Altertümer  III,  l.S,  *215. 

•)  Athanasius,  ep.  ad  Dracont.  c.  ^  (Opp.  I,  1,  268):  oUujAsy 
yaQ  Jffa  arifjtTtt  noiovyrai  iniaxönov^,  fiovu^oi^  utj  noinvyrn^  "  uokXoi 
4k  Tiöy  iniaxoTtuiy  ovde  yfya/ui  xrcai  ^  fLio  vc/oi  if  f  nuT&ija  xixroiv 
yiyövaai,  und  das  ist  nii'lit  malitiös  f:,'*?iueiiit,  wie  aus  der  unmittel- 
bar tolgtudeu  Vergleichung  erhellt :  uiantqxa^ijmfxonovi  natiqag 
1  ixvM  y. 

•1)  Athanasius,  Kp.  ad  Amun.  {Opp.  I,  2,  gegen  Mönche, 

welrho  Mt.  15,  18  auf  alle  kürperliclk-n  Au>.schoidungeii  überhaupt  bezogen, 
daher  auch  Ausspucken  für  Sünde  hitlku.  Dein  entsprechend  wird  in  der 
Hist.  Lausiaca  c.  IT»  von  tlem  einen  Macarius  erzählt,  er  habe  von 
seiner  Taufe  an.  im  vi-  r/.igsten  Jahr,  bis  zu  seinem  Tode,  sechzig  Jahre 
lang,  nie  auf  die  Erde  gespuckt. 


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34 


WEINGARTEN, 


weiht,  der  etwa  um  390  in  den  nitrischen  Bergen  und 
in  der  Tbebais  unter  den  Asketen  sich  aofgehalton.  Am 
beiden  haben  hernach  Socrates  und  SoKomeno»,  die  Fortsetzer 
des  Ensebios,  und  ebenso  die  (Jeschichtsschreibnn^  des  Abend» 

landes  geschöpft,  und  den  Eiiion,  den  Palladius,  hat  noch  die 
jüngste  protestantische  Darstelluntr  als  „  besonders  frisch ,  an- 
schaulich und  glaubwürdig*'  ^)  gerühmt.  Hier  tut  es  besonders  • 
not,  dass  die  Axt  an  die  Wurzel  all  dieses  Aberglaubens 
gelegt  und  diese  Zeit  der  Kirche  nach  Ihrem  wahren  Cha- 
rakter gezeichnet  wird.  Denn  des  Knfinus  Historia  Mona» 
chonira,  mit  den  entsprechenden  Partien  seiner  Kirchen- 
geschiclite,  und  des  Palladius  dem  Lausus  gewidmete  Vitae 
sanctorum  patrum^  verdienen  auch  für  das  Meiste,  was  sie 
selbst  gesehen  haben  wollen,  £ast  genau  so  viel  Ghiuben  wie 
Gullivers  Belsen  in  Liliput 

1)  m\h:it  Zocklrr  in  dem  Artikel  „Palladius"  der  Herzoglichen 
Beal-Encyclopädie  XX,  331;  „Das  verhältnismässig'  seltene  Vorkom- 
me von  Wundergescliichten ,  wenigstens  von  solchen  der  krasseren  Alt, 
verbüige  die  Glaubwürdigkeit  in  allem  Wescnttidien/' 

*)  Beide  citire  ich  nach  der  mir  allein  zugänglich  gewosetien 
Migneschen  Ausgabe.  Buf'inas  Migoe,  Ser.  lut.  XXI,  Palla- 
dins:  ij  npo?  Aniaw  Usto^iu  Migne,  F?er.  gr.  XXXIV.  Für  die  vor- 
liegende Autgabe  ist  es  nicht  notwendig,  das  allgemeine  Verliiiltnis 
namentlich  des  Socr.  Schol.  zum  Palladius  zu  untersuchen:  Iis  ält  rc 
Material  nh»^r  diese  Frage  u.  a.  bei  Tillemont,  Mem.  eecl.  XI,  525. 
Dass  Palladius  aus  Rntirn-s  iresi^]ir>jift .  <roht  aus  der  Chronologie  wie 
aus  dem  innen  n  Cliaraktt  r  der  Schrilten  liervor.  wi«'  jetzt  aueli  allgemein 
zugestanden.  Kuliiius  hat  in  A-juileja  um  400,  Palladius  um  420  ge- 
schrieben. Ueb  r  ihr  gegen>:eitiges  Verhältnis  s.  die  ältere  Auffassung 
n.  a.  bei  Tillemont.  Mem.  ecej.  XI,  f)}7.  —  Die  ziKist  von  Ros- 
wevd  (Vit.  patrum),  zuletzt  vuu  ^ligii'  iS-r.  gruec.  LX\'}  als  Anhang 
zum  l'ailadiua  herausgegebrü'^ii  .,'frt  nff  {f  t  y  unr  €c  r  (H  y  ruc  t  t  n  loi'', 
in  der  Form  eine  Art  alphabeiiseh  geordnetes  Mönchs- Lexicm .  haben 
mit  Palladius  gar  nichts  zu  thun;  sie  sind  überhaupt  kein.-  histori.«,c!ie, 
8i.)ndern  eine  ethische  Schrift,  die  einer  viel  späten  n  /«'it  als  dtiü  vierten 
Jahrhundert  angehört,  von  oiner  über  alle  Wertlegung  auf  mön'hisehe 
Askese  und  auf  das  M«")nchtuni  überhaupt  so  erhabrncn.  .^o  reint  ii  und  an- 
ziehenden iJr.-iniuing ,  wie  man  sie  nur  bei  den  b«  st*  n  M\stikern  der 
griechischen  Kirche  findet.  Sie  bieten  keine  Gesciiiehte,  sondern  die 
Kritik  und  Uelxrwindung  der  M«>nchsgesinnung.  —  Von  Job.  Caäsia- 
nus  und  Sulpicius  Severus  wird  weiter  unten  die  Rede  s«Mn. 

3;  Bekaimtlich  hat  schon  Hieronymus,  der  immer  den  fciplitter 


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UBSFRUNG  DBS  MOMGHTUHS. 


25 


Es  ist  fast  uiiglaablich,  was  Rufiims  dieser  absterbenden 
römischen  Welt  als  von  ihm  selbst  gesehen  oder  von  Angen- 
zeugen erkundet  bieten  konnte,  wenn  man  nicht  wflsste,  dasa 

diese  Welt  eben  damals  in  ihrer  Umwandlung  begriffen  war 
aus  dem  ;iiitiken  in  ihr  katholisches  Heidentum.  Da  weissagt 
ihm  nicht  nur  sein  heiliger  Johannes  in  der  Thebais  acht 
Jahre  zuvor  die  Geschichte  des  Theodosins,  seinen  Sieg  Aber 
den  Empörer  Eugenius  und  seinen  baldigen  Tod  darnach;  da 
wird  er  nicht  nur  zum  heiligen  Or  geföhrt,  der  nie  buchsta- 
biren  golcrnt,  jetzt  aber  die  Bibel  liest  data  diviiiitus  gratia 
des  Lesens,  demselben  Gr,  der  ihm  von  einem  Klostergenossen 
erzählt,  der  drei  Jahre  hindurch  keine  irdische  Speise  ge- 
nossen, allein  von  Engeln  genAhrt,  —  sondern  da  sieht  Bu- 
finus  auch  den  Apollonius,  ans  dessen  Rficken  plötzlich  ein 
Dämon  herausspringt,  in  Gestalt  eines  kleinen  Negerknaben; 
Apoljonius  fasst  ihn  und  vergräbt  ihn  im  Saude  der  Wüste, 
diesen  seineu  HochiuutsteufeL  £s  war  derselbe  Apollouius, 
der  einst  eine  grosse  Schar  von  Dionysospriestem  mitten  in 
ihren  Prozessionen  festgezaubert  hatte,  dass  sie  einen  ganzen 
Tag  sich  nicht  vom  Fleck  rühren  konnten ;  Apollonius  erst, 
wieder  herbeigemfen,  hebt  den  Bann  auf,  diese  Heidenpriester 
werden  Mönche,  und  Rufiiius  lernt  sie  in  ihren  Klöstern 
kennen.  Da  reist  sein  Patermutius  durch  die  Luft  und  er- 
scheint bei  geschlossenen  TOren;  da  ruft  sich  der  heilige 
Helenns  ein  Krokodil  herbei,  auf  dessen  Bflcken  er  über  den 
Nil  hin-  und  zurückfährt,  um  einen  Presbyter  herbeizuholen. 
Zu  geschweigen  der  Wundergeschicliten ,  die  Rutinus  in  der 
nitrischen  Wüste  erfährt,  von  dem  heiligen  Macaiius,  einem 

in  seines  iiruder.^,  aber  nie  den  Balkon  im  eignen  Auge  erkannte,  i^ber 
die  Schrift  des  Rurinus  geurteilt  (ep.  CXXXIII  [ed.  Ben.  43],  3,  ad 
Ctesiphonteni):  „qui  (Rufinus)  libruni  quoque  scripsit  quasi  de  Monachis, 
nmlt<?sqn(-  in  eo  ennmcrat .  qui  namquani  fuerunt."  Audi  di>'  iilteron 
katholisciion  Kritik>  r  (Rosweyd  und  Fontaine)  haben  an  den  chrono- 
logischen  Widtr<|irüchen  Anstoss  genounuen  und  drr  letztere  hat  ge- 
meint, RuHnus  habe  nicht  seine  eignen,  sondern  die  Fahrten  seines 
FrotindeH.  des  Bischofs  Petronius  von  Bologna,  dargostt-llt  (vgl.  Migne, 
Ser.  lat.  XXI,  285 f.).  Rosweyd  hielt  sin  sohr  mit  Unrecht  für  eine  Teber- 
getznng  ans  dein  Griechischen.  Sie  it>t  eine  echte  Schrift  des  ßutiuus 
und  Id  seinem  eignen  Namen  geschrieben. 


36 


WEINOASTEK, 


Schüler  des  ADtonius,  der  Todte  beschwört,  die  noch  aus  dem 
Grabe  heraus  ihre  Mörder  nennen,  der  besauberte  und  in 
Stuten  verwandelte  Jnngfi«aen  wieder  zorfickrerwandelt,  nach 
Analogie  des  magisoben  Esels  des  Apnlejos  nnd  Lnctans,  dem 

es  ein  gerin^jes  ist,  einem  von  ihm  geheilten  Mädchen,  zu 
ihrer  eignen  Bewahrung,  männliche  Gestalt  zu  verleihen 

Fast  alle  diese  Zaubergeschichten  und  Gespräche  bat 
dann  Palladius  auch  in  seine  Werke  herübergenommen,  w9rt» 
lieh  nnd  ohne  jede  Veränderung  der  Soenerie  als  seine  eignen 
Erfahrungen  ^■^).  Die  dritte  unveränderte  Auflage  bietet  hernach 
Joh.  Cassianus.  In  dem  aber,  was  Palladius  selbständig  hinzu- 
gefügt, zeigt  sich,  welch  ein  Geist  frommen  Trugs  und  Selbst- 
betrugs in  die  Kirche  dieser  Zeit  eingedrungen  war.  Palla» 
dius  erzählt,  dass  er  mit  eignen  Augen  gesehen,  wie 
durch  das  Gebet  des  Macarius  ein  diesem  zugefShrter,  yon 
einem  Dfuiion  besessener  Knabe,  dem  Macarius  seine  rechte 
Hand  aufs  Haupt,  die  linke  aufs  Herz  legte,  in  die  Luft  ge- 
hoben worden  und  schwebend  angeschwollen  sei  zu  einem 
gewaltigen  Schlauch;  da  habe  das  Kind  plötzlich  angeschrien 
und  aus  allen  seinen  Gliedern  sei  Wasser  henrorgebrochen; 
nachdem  so  der  Teufel  ausgetrieben,  sei  die  frühere  Gestalt 
wieder  zurückgekehrt;  mit  dem  heiligen  Oel  gesalbt  und  mit 
geweihtem  Wasser  begossen,  sei  der  Knabe  von  ^lacarius  ge- 
heilt seinem  Vater  zurückgegeben  worden      Dieses  Schweben 

1)  Rufinus,  Hist.  mon.  c.  1.  2.  7.  9.  11.  28  u.  h.  w.  Xur  einmal 
trüVt  man  einige  psychologische  und  humoristische  Wahrheit  an ,  in  den 
Besichten  des  jüngeren  Macarius  c.  29,  der  in  der  Kirche  bei  der  Messe 
sieht,  wie  vor  jedem  Mönch  <in  kleiner  Teufel  spielt  in  Gestalt  eines 
braunen  Aethiopi»  rjungen ,  der  seinen  Mönch  zum  SclilafVn  oder  zum 
Gähnen  oder  Lachen  reizt,  kitzelt  und  hinter  den  Ohren  kratzt,  zum 
Beweise,  wie  die  Teufel  dem  Macarius  sagen.  ..<|uod  sine  Dobis  nulla 
collecta  agitur";  bei  jeder  Älesse  seien  sie  auch  dabei. 

An  eine  Interpolation  durch  eimn  S|.atcnii,  d<r  etwa  das  Werk 
des  Rufinus  ins  Griechisclie  übersetzt  und  in  den  Palladius  hineinge- 
tragen, braucht  man  kaum  zu  denken:  denn  aus  den»  allein,  was  Palla- 
dius von  sich  sclbjit  berichtet.  «Tgicbt  sii^h  t'm  Charakter,  der  Wunder 
hernalmi,  wo  er  sie  fand.  —  ]>ie  wörtliche  L  cberein.stimmung  zahlreicher 
Capitel  der  Hist.  Laus,  mit  liufinus  ist  auch  in  der  Migne.-chen  Aus- 
gabe der  ersteren  überall  angcgt  lxn,  es  bedarf  hier  nicht  er^t  de.^  lieweiscs. 

3)  Palladius,  Hist.  Laus.  c.  20  (Migne  p.  1059):  vn  üif^ein 


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URSPRUNG  DEB  IfÖKCHTUMS. 


27 


2A  der  Luft  war  vielleicht  nur  eine  Beminiaoenz  an  die  gleir 
ehfln  Wunder  der  Nenplaioniker  ein  Jahrhundert  zuvor,  in 

deren  Ereiseo  auch  Jamblichiis  seine  Schüler  ,,bei  dem  Glau- 
ben Hess,  er  schwebe  beim  Gebet  zehn  Ellen  hoch  über  der 
Brde'*  —  aber  der  Möuch  und  Bischof,  der  jenes  Wunder 
mit  angesehen,  ist  er  noch  ein  glaubwürdiger  Zeuge  ?  Und  wenn 
Falladius  von  eben  diesem  Maearius,  mit  dem  er  drei  Jahre 
in  derselben  Zelle  gelebt,  jenes  andre  Wnnder  gehört  haben 
will,  das  ihiu  angesichts  des  heiligen  Antonius  begegnet  sei 
ist  da  noch  von  Geschichte  die  Rede?  Fällt  nicht  von  da 
aus  auch  ein  eigentümliches  Lieht  auf  jene  angeblich  auf 
Autofsie  beruhende  Schilderung  eben  dieses  Maearius  des 
Jfingeren  oder  des  Grossen,  des  Maearius  von  Alexandria,  dem 
von  der  späteren  und  der  modernsten  Unkritik  ^)  die  sinnigen 
und  tiefen  Homilion  7Aige«^prochen  worden  — ,  der  sieben  Jahre 
lang  nur  von  Kohl  und  faulen  Aepfeln  sich  genährt  habe, 
er,  der  früher  Delicatessenhftndler  in  Alexandria  gewesen;  der 
sechs  Monate  lang  sich  in  einen  Morast  gelegt,  bis  er  von 
Stechft'egen  so  zerstochen  war,  dass  ihn  niemand  wiederer- 
kannte, nur  um  sicli  wegen  einer  von  ihm  zertretenen  Mücke 
zu  bestrafen;  der  in  der  Wü?>tenreise,  als  er  dem  Vei-schmach- 
ten  nahe  ist,  nach  zwanzigtägigem  Fasten  von  einer  Hirsch- 
kuh gesftugt  wird,  die  ihm  dann  in  seine  Zelle  folgt;  der 
emmal  die  ganze  vierzigtägige  Fastenzeit  hindurch  unbeweg- 
lich in  dem  Winkel  einer  Klosterkirche  der  oberen  Thebais 
gestanden  und  seine  Gebete  hergesagt,  nur  um  durch  diese 


«no  nytvfdttiog  j^aifTinv  xtX. 

1)  Burckhardt,  Die  Zeit  ConstantinB  des  Grossen  S.  260. 

2)  Palladins,  Hi8t.  Laus,  c  19  (Mignc  p.  1050).  Maeariiis 
erzählt,  er  hftbe  einst  den  Antonius  an  ans','esucliton  Palmonzweigen  ar- 
beiteu  sehen  nnd  ihn  van  eine  Hand  voll  gebeten;  Antonius  aber  habe 
die  ^tte  abgeschlagen,  weil  geschrieben  stehe,  du  sollst  nicht  begdirm 
demes  näch.sten  Gut.  Aber  kaum  hatte  er  dies  Wort  gesprochen,  so 
seien  alle  diese  Zweige  wie  vom  Feuer  geröstet  gewesen.  Da  habe  An- 
tonius erkannt.  Macariiis  werde  der  flrbe  seiner  Gaben  sein. 

3)  Leider  hat  man  hier  nicht  nur  an  F 1  o  s  s  nnd  seine  sogenannten 
„  Qnaestiones  criticae  et  historicae  de  sauctornm  Macarlomm  vit."  (wieder 
«bgednickt  bei  Migne,  Ser.  gr.  XXXIY)  zn  denken. 


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28 


WEINGARTEN, 


Standhaftigkeit  unerkannt  die  anderen  Möuche  zu  beschil> 
men?  ^)  —  Wie  diese  MOnchstendenz  des  Falladius  ohne  Scheu 
auch  die  bekanntesten  Tatsachen  der  eignen  Zeitgeschichte 
geftlscht  hat,  prellt  aus  der  Erzählung  über  die  Flucht  des 
Athanasius  ans  Alexandrien  (356)  hervor.  Während  es  be- 
kanntlich feststeht,  aucli  durch  das  eigne  Zeugnis  des  Atha- 
nasius, dass  er  sich  in  die  W&ste  gerettet  and  in  dieser 
Zufluchtsstätte  den  Tod  des  CSonstantius  abgewartet,  Iftast 
Palladius  ihn  sich  verborgen  halten  in  dem  Hause  einer 
nicht  viel  über  zwanzigjährigen,  wegen  ihrer  uiigewölinlichen 
Schönheit  berühmten  und  vom  Klerus  gescheuten  alexandrini- 
sehen  Jungfrau,  kraft  eines  göttlichen  Befehls,  sechs  Jahre 
hindurch,  und  erst  als  die  Nachricht  vom  Tode  des  feind- 
seligen Kaisers  nach  Alexandrien  kommt,  erscheint  er  plötz- 
lich wieder  im  Abendgottesdiensl  derselben  Kirche,  aus  der 
er  vor  Jahren  geliuben:  und  auch  für  dieses  Märchen  hat 
Palladius  seinen  Zeugen  in  jenem  Mädchen  selbst,  die  er  als 
siebzigj&brige  Greisin  in  Alexandrien  gesprochen  haben  will 
Dass  bei  solcher  auf  Erfindung  beruhender  Zurechtmachung 
der  Geschichte  nichts  von  dem,  was  Palladius  sonst  noch 
über  Antonius  und  Athanasius  berichtet,  trotz  aller  schein- 
baren Zuverlässigkeit  und  Naivität  der  Darstellung,  Beweis- 
kraft hat,  darf  nicht  erst  hervorgehoben  werden ebenso  wenig 


1)  Vgl.  das  19.  imd  20.  Oapitd  der  HUt.  Lans. 

*)  PalladiiiB,  Hi8t.LaQS.  c.l86:  „nttQ&iyov  m^u  rqr  iv  'JXi^Mf^ 
^QS(^,  xarsiXii^  irwtf  ipSoft^ßtwxu  «rA."  Als  Gnmd  habe  Alba» 
nasiiiA  angegeben,  ausser  dem  gdttUchen  Gebot:  t^mitpvyov  n^s  itttivii», 
n^S  inti^nf  ov^tlf  idwmo  ^uv  tSf  ngog  t$QtuaVy  Mai  vetotigav, 
(fro  juv^t^vottfitvoi  f  jn  jtaXu  xai  ir,i'  amr^^iw  «ct'rqf  *  M^A^tf«  ytiff 
avrip  Xftl  TqV  i/ii^tf  ii^nv  (!)  «ici  aßtfnXiutv.** 

3)  So  wird  seine  Angabe  (c.  i\  dass  Dld^rmas  ihn  za  Alezandria  in 
seine  Zelle  za  kommen  genötigt,  iu  der  auch  der  heilige  Antonius  drei 
}&aX  gewesen,  schon  verdächtig  durch  die  unmittelbar  sich  anscliliesscude, 
ganz  scliabloneniiiä*:s!ige  Erzäbluns;.  wie  Didymos  ihm  das  in  der  Todes- 
stunde dcK  Julian  erhaltene  Gesicht  mitgeteilt:  „Binar e  firfvuto'  atfuegov 
ißdouijy  üioay  treXtvir^nfv  ^lovXiavoi."  Fast  mi^  1  nselben  Worten  wird 
die  gleiche  (  Wcnbaning  den  Mönchen  Pammon  und  1  h-  MLtnis  zugeschrie- 
ben, die  sie  dem  Athanasius  mitgeteilt  (Athanasius.  Oj.p.  1,  2,  8ö9): 
„t«i't5  rf,  i'jQ(t  dvriotf}rf  'Idvhuyog  4y  n€QCidt/^  Palladius  (c.  1)  ist  es 
auch,  der  den  Isidoras,  den  andern  sagenhaften  Begleiter  des  Athanasias 


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USSFBUNG  DEB  HÖNCHTUM8. 


29 


wie  irgend  jemand,  der  sich  durch  diese  Mtochsliteratar 
des  endenden  vierten  nnd  des  fünften  Jahrhunderts  durchge- 
arbeitet, noch  zweifelhaft  sein  wird,  daes  wir  in  ihr  nur  den 

immer  gehaltloseren  Aufguss  auf  den  geßilschten  Stoff  zu  ge- 
niesseu  bekommen,  den  die  Vita  Antonii  und  die  beiden 
grössten  geistlichen  Faiseurs  jener  Periode,  Hieronymus  nnd 
Bnfinns,  znsammei^iebraat  haben  >). 

Und  dennoch,  trotz  aller  Wunder  und  aller  tendenziösen 
Erdichtung,  ist  in  diesen  ältesten  Eremitenromanen  so  viel 
für  die  ganze  äussere  Erscheinung  des  ägyptischen  Mönch- 
tums  und  indirect  auch  für  die  Genesis  desselben  Charakte- 
ristisches enthalten,  dass  der  Versuch  nicht  hofibungslos  ist, 
diesen  Spuren  nachzugehen.  Denn  giade  die  Bilder  der  in 
ihren  Bergzellen  odor  Felsengräbern  oder  in  Pyramiden  Men* 

auf  der  Flucht  nach  Rom  (841)  einlfettirt,  was  ebenso  viel  geschichtlichen 
Wert  hat,  wie  wenn  er  seinen  Hanptbeiligen  (M acarins  den  Grossen)  sieh 
mit  dem  GedanlKn  tragen  ISsst,  nach  Rom  zn  gehen  oi*opofii«f 
Xuqiif  (lOgne  p.  1060). 

1)  Die  Ansbildang  dner  anch  üi  den  Sagen  des  MittelalterB  be- 
liebten Legende  ans  dem  Leben  des  heiligen*  Hacarins  giebt  daflUr 
ein  recht  sSgnificantes  BeispeL  Bei  Bnfinns,  Bist  eed.  n,  4  legt 
eine  L5win,  die  in  «ner  Höhle  neben  Hacarins  banst,  ihr  blindes  Jnnges 
dem  Ifeiligen  vor  die  FBsse,  damit  er  es  sehend  mache.  Er  erfüllt  ihre 
Bitte  nnd  erhält  nicht  lange  darauf  von  ihr  zom  Dank  zahlreiche  Felle 
von  Scbafen,  die  sie  todtgebissen  (morsn  oris  enectas).  Hier  bedenkt 
sich  Macarins  keinen  Augenblick,  die  Gabe  anzunehmen,  ebenso  wenig 
wie  der,  mit  Macarius  wohl  identische  Einsiedler  aus  der  Gegend  von 
Memphis  bei  Sulpicins  Severnu,  Dial.1,9,  bei  dem  aber  aus  dem  einen 
schon  funi'  junge  Löwen  nnd  aus  den  Scha£feUen  ein  seltnerer  Pelz  ge- 
worden (inusitatae  ferae  pellem).  Palladius  dagegen,  der  es  von  Paphnu- 
tins»  di  m  Schüler  des  Macarius,  gehört  haben  will  (M  i  g  n  e ,  c.  20,  p.  lOGO), 
wwandelt  die  leaena  des  Kufiiiua  in  eine  Hyäne  (t'atya)  and  lässt  sei- 
nen Heiligen  ihr  Geschenk  erst  dann  annehmen,  als  sie  ihm,  nach  einer 
Strafpredigt  über  ihre  Mordlust,  durch  Neigen  ihres  Hauptes  schwört, 
nie  wieder  einen  Mord  zu  begehen.  Dieses  ccVwv  tng  vaiviig  liabe  dann 
Macarius  dem  heiligen  Athanasius,  und  dieser  wieder  der  heiligen  Me- 
lania  vermacht;  von  der  letzteren  weiss  es  Palladius  selbst.  Freilich 
ist  Melania  erst  lange  nacli  dem  Tode  des  Athanasius  uach  Alexandria 
gekomnien  (auch  nach  Hieronymus,  Ohron.  II,  198,  in  der  289.  Olym- 
piade). Was  für  Kummer  hat  es  doch  dem  frommen  Tillemont  gemacht, 
dieso  historischen  Widersprüche  und  Unmöglichkeiten  auszugleichen! 
(Mem.  eccles.  Vill,  812  sq.) 


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80 


schenalter  hindurch  sich  einschliessenden  Eremiten,  jene 
redusi  oder  iyxtxXuofiiyoiy  die  uur  „per  feuestram  se  videu-» 
dvm  piaebebaot'*  oder  durch  die  zu  dieseiD  Fenster  so»* 
geBtreckfce  Hand  die  KrankeD  heilen  und  den  Segen  spenden 
diese  ftltesten  nnd  eigentOmlichsien  Formen  der  Askese  weisen 
nur  zu  deutlich  auf  Analogien  hin,  die  sich  schon  in  der  vor- 
chrLitlichen  Zeit  Aegyptens  zahlreich  finden,  und  deren  reli- 
giösen Charakter  grade  die  neueren  figyptolQgischen  Unter- 
snohasgen  dargetan  haben. 

V.  Schon  aus  Porphyrius  wusste  man  von  Asketen  in 
ägyptischen  Tempeln,  die,  vom  Volk  getrennt,  auf  Paimen- 
bl&ttem  schlafen,  keinen  Wein  trinken,  keinen  Fisch  essen,, 
niemals  lachen,  ihre  Hand  stets  unter  ihrem  Mantel  yerboigen 
halten^,  wo  namentlich  die  Enthaltung  von  Fischen  an  d!» 
mit  der  Osirismythe  zusammenhängenden  Verbote  erinnert. 
Aus  den  in  den  letzten  Decennien  entzifferten  griechischen 
Fap\Tushand8cbriften,  die  zum  grossen  Teil  aus  dem  ehemaligen 
Tempelgebiet  von  Memphis  stanunen  —  dem  Hauptheiligtnm 
des  äg}7)ti8chen  Serapiscultus  der  Ptolemäer-  und  der  Kaiser- 
zeit —  und  dit*  in  das  britische  Museum  in  London,  in  den 
Louvre  und  die  ehemals  kaiserliche  Bibliothek  in  Paris  ge- 
konunen  sind ,  erffiel^t  sich  aber  mit  voller  Evidenz ,  dass 
schon  mit  dem  Dienst  des  Serapis,  bekanntlich  des  in 
der  alezandrinischen  Zeit  in  Aegypten  vor  allen  verehrten 
Gottes,  ein  vollständig  organisii-tes  Mönchs-  und  Eloster- 
wesen  verbunden  war.  Während  das  Therapeutentura  Phi- 
los  in  seiner  Zeit  ganz  isolirt  dasteht,  mit  dem  ägyptischen 
Volksleben  in  gar  keine  Berührung  gekommen  ist,  am  wenig- 
sten mit  dem  Oberfigyptens,  nnd  nach  der  Mitte  des  ersten 
Jahrhunderts  unbedingt  spurlos  verschwindet,  daher  schon  des- 
wegen für  die  Entstehung  des  Möncktums  ohne  jede  Bedeu- 
tung ist,  lässt  sicli  jenes  Mönchtum  des  Serapis  urkundlich 
dmch  Jahrhunderte  verfolgen.   Seine  uns  erhaltenen  Haupt- 

*  1)  Vgl.  Kul  inu.s,  Hist.  inon.  c.  1.  G.  PailuUius,  Hist.  Laus.  c.  43: 
„(yxexXna/nh'og  xai  dui  i^v^dos  XufA^uviüV  xrA.**  c.  ö:  „fV  ^•'»j/uan 
iavxiiv  iyxai^stQ^ev",  vgl.  85.  961". 

*)  Porphyrius  (De  abstinentia  IV,  6)  uacli  Chairftmon,  dem  Stoiker, 
bei  Müller,  Fragm.  bist,  gracc.  ed.  Didot  III,  497. 


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UfiSPRUNO  DES  XOMGHTUMS. 


31 


denkmale  —  Bittschriften  eines  gewissen  Ptolemäu'^.  Sohn  de» 
Qkwüdas,  und  seiner  beiden  Schatzlinge,  zweier  ZwillingSK 
flehweskeni,  Prieaterinnen  der  Isis,  Thaoee  und  Taus,  an  den 
König  Ptolemäns  nnd  seine  Schwester  Cleopatra  —  fallen  in 

die  Zeit  des  Ptolemäas  VI.  l'hilometor,  um  165  vor  Chr., 
aber  wir  besitzen  auch  die  Inschrift  eines  solchen  recludua 
des  Serapis  aus  dem  Jahr  211  nach  Christas. 

Die  Kenntnis  dieses  Kloslerwesens  verdanken  wir  tot  aUena 
den  Arbmten  der  fransödschen  Akademiker  Letronne  nnd 
Brun  et  de  Proslc,  dieser,  in  das  literarische  Erbe  jenes 
seines  Vorgängers  eingetreten,  nun  auch  schon  ihm  nach- 
gefolgt. Ihre  Untersuchungen  hat  die  Kirchengeschichte  zu 
lange  ignorirt;  wir  haben  sie  fär  den  ?orliegenden  Zweck 
dankbar  zu  darokforsdien  Tersncbt 

Das  Serapeion  zn  Memphis,  ursprünglich  die  Begrftbnis- 
Stätte  des  Apis,  umschk>3S  in  seinen  weiten  liäunien  eine  Ge- 
sellschaft von  Eremiten,  die  hier  in  Jahre  langer,  unverbrüch- 
licher Clausur  lebten  in  Zellen,  die  an  die  einzelnen  Capellen 
der  Tempelgebftnde  angebant  waren.  Diese  xuroxot,  iyxhoxpt^ 
oder  wie  die  Bittschriften  der  Schwestern  ihren  Beschfttzer 

nennen, //loAf/mrov  loV  tyxiaü/t]  oyxioyty  HO  ufyaXto  ^U()U7Ht{(t)^)y 

Hessen  bei  ihrem  Eintritt  fast  all  ihr  Hab  und  Gut  zurück 

^)  Bruoet  de  Presle,  Memoire  enr  Ic  Serapeum  de  Memphis,  in 
den  Memoires  presentes  par  divers  savants  a  i'academic  des  inscriptions 
et  belle»  lettres,  I.  ser.,  t.  2. 1852;  dazu  die  weitere  Ausführung  dieser  Ab- 
bftDdlong  in  den  Notices  et  Extraits  d<»  Manuscritö  de  la  Ribliothöqae 
Imperiale  XVIII  (1865),  264—349.  —  Unter  den  zahlreichen  älteren 
Arbeiten  von  Letronne  ist  Ichnreicb:  Materiaux  pour  rhi^toirc  du 
Christian isme  en  Kgypte  (Paris  1832).  —  Vgl.  auch  Gaston  Bei ssi er, 
La  relip'  n  romaine  d'Auguste  aux  Antonins  (Paris  1874)  T,  400.  Die 
Dissertation  vnii  PL  w,  De  Sarapide  (18*»8)  bietet  für  die  hier  in  Pe- 
traclit  koninieiuKii  Fragen  leider  nicht  viel  mehr  als  einen  Hin%vcis  auf 
jene  zuerst  genannten  Arbeiten  (S.  38  f.).  —  Die  Insclirift  vom  Jahr  211 
(Corp.  Inscr.  Graec.  31G3)  geht  auf  einen  sulcheu  ^yxaro/r/ffttir« 
ru)  xvQüo  iiuQant^i  naQtl  rotg  ^iaiiiataiv  iv  Ifi^Qfß,  Namens  Papinins. 
Vgl.  Brun  et  de  Prosle,  Mt'ni.  p.  565. 

2)  Noticrs  p,  207.  Dass  xktoxos  nicht  bloss  den  von  einem  Gott  er- 
griffenen oder  begeisterten  bezeichnet,  uianeQ  ol  xtho/oi  lots  nsQi  loV 
Jiovvaorv  oQyiuaual^  (Plnt.  de  Isido  et  Osir.  35j,  sondern  auch  den  im 
Verschluss  gelialteneu,  den  reclusos,  hat  Brunet  de  Presle  nachge- 
wiesen (Mem.  564). 


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32 


WElMaAETEN, 


und  waren  auf  das  Brot  ane^ewiesen,  das  ihnen  ilire  Verwand- 
ten brachten.  Denn  sie  selbst  durften  ihre  Zelle  nicht  ver- 
lassen, nnd  verkehrten  mit  der  Anssenwelt  nnr  durch  eine 
Art  Luftloch,  dm  rov  &vgtSiw  Ptolemäus  hebt  es  immer 
hervor,  wie  lange  Jahre  er  in  seiner  Kapelle,  seinem  Pasto- 
pborion, eingeschlossen  sei  Uubedin<^e  Armut  scheint  je- 
doch nicht  bei  ihnen  geboten  gewesen  zu  sein;  bei  den 
r&uberischen  EiniUllen  wenigstens,  über  die  Ptolem&us  klagt, 
spricht  er  von  den  na^d-fpcuQf  die  den  anderen  iymroxotg  ge- 
raubt seien;  darunter  auch  Eupfermfinzen  %  Sie  nannten  sich 
Brüder  und  sprachen  von  ihrem  Vater,  Bezeichnungen,  die  in 
diesem  geistlichen  Sinne  zahlreich  in  den  i^niechischen  Pa- 
pyrus sich  finden  *).  Auch  von  Träumen  und  Gesichten,  die 
sie  aufzeichneten,  in  welche  Kämpfe  mit  Dämonen  hinein- 
gespielt zu  haben  scheinen,  er&hren  wir^)  und  ein  emster 
religiöser  Grundzug  geht  durch  alle  diese  Documente^t  es 
ist  die  UoÜnung,  „reiu''  zu  werden,  in  möglichst  langem 

1)  Notiees  p.  302,  in  einer  »ler  Bitt^schrüten  des  Ptolemäus:  dsofdai 

■ort  ov  d  V  vo  fiui  (sie)  i^sX'fw'v  (x  jov  Ieqov  ih-Ti'An^iaOiti  avriov 
der  Scliwc-.stern ;  und  hemadi  bei  der  Bitte  für  seine  IJriider.  denen  ihr 
Besitztum  geraubt  war  »  no  ruiv  iv  rfl  xtuuij  nQ/övrioy,  cfuc  ro  ixetvovg^ 
ifioi  71  o  (>  t  ^  o  V  r  «  c  rnt!g  aQrov^,  s  u  k  &  utr  q  e  ff  e  i  y ;  p.  29f}:  (idiXoC- 
fim  {iüvXnf^et'Oi  i^aniiaak  fie  xai  (lynyr^aiu,  Aehuiich  cino  andere  von 
Franz  (C.  J.  Gr.  III,  30f5)  citiitr  St-lle. 

2)  Nutices  p.  292:  hr,  Si/.a  nix  [i^iAii/.vihhog]  ro  na<n[vrf<>i)ioy] 
iv  u)  iyx\txX€i(Sjur(i  ftü?  T]i's  ar,^iQov  //^[c(iffc],  p.  281.  rdiy  iv  xa- 
ro/fi  oyxixty  ly  i'it  ueyüku)  J«^ani£(^  ffof  lovzo  äydixaiov.  p.  297:  ov» 
i'ie'Ar^kvf^ios  ro  7nc<Jxoq:6{Jiov. 

S)  Nutices  p.  293.  208. 

*)  Vgl.  die  Bemerkung  \xni  Bruuet  de  Prciile,  Notice.s  }>.  308,  und 
die  Aufschrift  des  Briefes  des  jünjreren  Bruders  Apollonius.  der  auch 
zu  diesen  reclusi  gehörte,  an  den  iilteren ,  den  Ptolemäus:  \4no'/.Xüiyioi 
ntoXefittito  z  (p  71  f(T  Ol  ■/(((  Qsiv.    Nutices  p.  311. 

5)  Vgl.  die  Träume,  Notices  p.  320—327;  namentlich  p.  324,  35: 
Kai  Xi\}'u)\  iXQnq  xdv  dcäfAOVu  IV«  [7ipo](JXi;j//(T»jf  [u\vi>jv. 

*)  Notices  p.  312,  in  dem  Brief  des  Apollonius:  zoi^-  f>eoig  zi}y  int" 
Hi07it]f  di^ofM.  *Av9»  tm¥  99my  ov&ky  yivtrm.  p.  324,  im  Gebet  des 
Ptolemioi:  iXd^i  fAoi^  M&9tSv,  tXUm  yuntfAtvfi,  inanovaoy /äov,  iXi^ttoy 
Tat  Jtdvftuf,  Ganz  irrtfimhch  spricht  Frans  Ton  der  dananra  homi- 
nimi  inertium  ant  invalidoram. 


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UBSPRUNG  DES  MÖNCHTUMS.  3S 

Didiist  des  Serapis,  welche  diese  xuto/oi  in  ihr  lebendiges 
Orab  führte.  Lag  doch  diese  Todtenstätte  des  Serapeion  ausser- 
halb der  Stadt,  fast  wie  ein  grosses  Grabmal  der  Wüste. 
Derselbe  Gedanke  der  Beinheit  war  es  auch,  der  die  beiden 
Sshwestam  besttminte  zu  ihreni  mflhsetSgeD  Dienst  „jwr  Stn 
pamt  /oug  antrSinmn^"^  (Rem  täglich  dannbring^deD  860  Li*^ 
bationeu  von  Nilwasser,  in  durchlöcherten  Getas.seii  ausge- 
gossen als  Todtonopfer  vor  den  steinernen  Altären  des  Sera- 
pis Denn  ihr  Lohn,  wie  aus  den  Tempelrechnungen  in 
den  Paßyms  und  ans  den  Hülfenifen  der  Mftdchen  erhellt»  was 
.  BOT  tiglich  drei  gebaökene  Brote,  dazu  jährlicfa  ein  Meketes 
Sesam-  und  ebenso  viel  EikiOl,  und  auch  da»  ^rde  ihnen 
nicht  regelmässig  von  der  Tenipelverwaltung  geliefert;  daher 
ihre  Bittbriefe  an  den  Strategos,  an  den  König,  um  nicht 
Hungers  sterben  zu  müssen.  —  Auch  noch  andere  Namen 
aolcher  reelnsi  sind  uns  bekannt,  ans  den  Papyms  des  Briti* 
achen  Mnsenms  und  des  Vaticans,  welche  aof  die  weite  YeN 
breitung  dieses  Mönch tums  schliessen  lassen  das  nicht  bloss 
in  Memphis,  sondern  auch  in  den  anderen  Serapis-  und  den 
oft  mit  diesen  verbundenen  Isistempeln  heimiscli  war  und  wie 
der  Seiapis  selbst,  diese  figj^tisch-gfriechische  Gottheit,  etwas 
ynm  internationalem  Charakter  an  sidi  trog.  Die  grossen  Ma»* 
een  von  Pilgern,  die  jährlich  nach  dem  Serapeum  m  Memphis 
wallfahrteten,  ihre  Opfer  darbrachten  und  in  den  Tempeln  auf 
nächtliche  üffenbarungen  des  Gottes  warteten,  trugen  die  Kunde 
von  diesen  redusi  in  alle  Schichten  der  ägyptischen  Bevölke- 
rung hinein:  bilden  doch  diese  Mönche  ein  wesentliches  Ele- 
ment in  dem  religiösen  Yolksleben  des  späteren  Aegyptens,  ein 
Ausdruck  der  schwermütigen  Stimmung  des  ägyptischen  Todten^ 
und  Gräbercultus. 

Ist  es  notwendig,  noch  ausführlich  die  überraschenden 


1)  NoticM  p.  334,  in  dem  Gebet  des  Ptotem&as  ftr  die  Erhaltung 
der  Schwestern:  iny  dv^iaifw,  ov  yiimvtm  *tt9«Q^t  ntinotB, 
lieber  diese  GhoephOre»  im  Dienst  des  Seiapte  und  des  Isiseoltos  siehe 
Uän.  p.  561  sq. 

>)  Tg),  die  übenras  sorgfiätigeD  Znsammenstellangen  der  Preisschrift 
1^0  Giftcomo  Lnmbroso,  Becfaerckee  sor  T^eonomie  poliüqne  de 
l'ESjpte  soQS  ks  Lagides  (Turin  1870)  p.  SeSsq. 

MUeht.  C  K.-0.  3 


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84 


WEIRQAATEN, 


Analogien  herrmoheben,  die  sich  zwischen  den  ersten  Christ* 
lieben  Eremiten  nnd  diesen  ihren  fi»t  gleichEeitig  nachweis- 

baien  Vorbildern  und  Landsleuten  Hnden?  AVenn  man  den 
ganzen  Rufinus  und  Palladius  durchgelesen,  hat  man  nie  ein 
anderes  Ideal  ihres  Möuchtnms  kennen  gelernt  als  eben  das,, 
wovon  auch  diese  i/tuKkiwfiiroi  nnd  Diener  des  tevgtog  S&^tg 
erfBllt  waren,  das  der  anu^ffo,  der  immer  höheren  „gradns  im» 
patibilitatis**.  Auch  diese  christlichen  reclusi  empfingen,  wie 
schon  hervorgehoben,  ihre  Nahrung  von  Dienern,  die  ganz  deu 
UgoSavXot  jener  y.uio/ot  entsprachen  durch  das  Luftloch 
ihrer  Ehinse');  andere  wurden,  wie  auch  ans  der  sogenannten 
Bogel  des  PachominB  hervorgeht,  ebenso  wie  jener  Ptolemftua 
durch  ihre  Verwandten  erhalten.  Und  wenn  ^e  Räuber  so  oft 
bei  ihnen  cinbraclien,  so  darf  man  sie  sich  ebenso  wenig  in  un- 
bedingter Armut  denken  wie  die  Serapismöuche.  Befand  sich 
doch  in  der  nitrischen  Wüste  eine  Kirche,  in  der  drei  Palmen- 
bäume  standen,  von  denen  Geisseln  herabhingen;  an  den  einen 
Baum  wurden  die  Elostergenossen ,  an  den  andern  die  Oäste, 
die  sich  etwa  vergangen  hatten,  gebunden  und  gegeisselt;  die 
dritte  Palme  war  für  abgefasste  Räuber  bestimnit  '•^),  und  dass 
die  letzteren  nach  Geld  bei  diesen  Eremiten  suchen  konnten, 
mu88  man  aus  den  reichen  Geschenken  schliessen,  die  ihnen  frflh 
zuflössen,  wie  von  der  Nichte  der  heiligen  Melania  ein  Abt 
Borotheus  einmal  600  Solid!  empfing  zur  Verteilung  unter 
die  Anachoreteu,  drei  davon  behielt  er  für  sich ;  einzelne  dieser 
Mönche  blieben  überhaupt  im  Besitz  all  ihrer  Habe  An 
die  strenge  Abgeschlossenheit  des  Serapeum  erinnert  wenig- 
stens noch  jenes  Monasterium  des  Mdorus  in  der  Thebais, 
aus  dem  niemand,  der  eingetreten  war,  wieder  heraus  durfte  ^» 

i)  Tgl.  Frans,  C.  J.  Gr.  III,  806. 

s)  Z.  B.  Palladius,  Hist.  Laos.  o.  48:  ovtof  iyKe*k§taftivos  ««i 

▼gL  Bafin,  Hisi  mon.  c  1  u.  oft. 
S)  Palladias  c.  7. 

Palladius  c.  97. 14.  Spater  hat  Uehwia  die  Jfingere  10000 Solidi 
an  die  Iföncbe  der  Thebais  ?erschenkt  n.  s.  w.   Palladius  c.  119. 

Rofinas,  Hist.  mon.  cl7:  „si  semel  ingiedi  libuerit.  stat  im- 
mobilia  lex.. qua  ingrres.si  ultra  non  exeant".  Es  war  freilich  anii,  nach 
der  ScfaUdemog  des  Bafinas,  ein  Paradies  ohne  Sohment  and  Krankheit. 


uiyiiiiiL-ü  Oy 


UBSFRUNa  BEB  MONCBTUMS. 


35 


Und  diese  christüchen  Asketea,  abgeaehea  von  den  Broten, 
gelegentlich  nach  Feigen  und  Weintrauben  ans  Maroceo, 
die  ihnen  ihre  Engel  oder  Raben  brachten  haben  sie  mehr 
gehungert  als  jene  armen  Choephoren  der  Isis? 

Aber  auch  noch  einen  eigentümlichen  Umstand  darf 
man  nicht  unbeaehtet  lassen :  grade  die  Entstehnngs-  nnd  die 
Haapigehiete  des  ägyptischen  Mönchtnms  lagen  in  onmittel- 
barer  Nähe  berfihmter  Sera{dstempel.  Die  CkburtsstAtte  des  An- 
tonius liegt  bei  Heracleo^Kjlis,  derselben  Stadt,  in  die  auch  der 
Ptoleraäus,  der  xaro/o^,  gehört  —  Heracleopulis  in  unmittel- 
barer Nähe  des  Serapeions  von  Memphis.  Die  erste  Organi- 
sation des  Mönchtoms  wird  dem  Pachomias  zugeschrieben, 
auf  der  Nilinsel  der  oberen  Thehais,  Tabenne;  nnmittelbar 
derselben  benachbart  war  der  Isistempel  zn  Philae,  wo  ein 
glänzender  Dienst  des  Osiris  und  Serapis  sich  erhielt  bis  ins 
sechste  Jahrhundert  hinein,  bis  in  die  Zeiten  Justiniana,  wo 
das  Priester-  und  Prophetenamt  im  Dienst  des  dtanoirfg  nnd 
der  Hanotra,  Osiris  und  Isis,  sich  in  den  Eamilien  forterbte 
und  seine  „Propheten*^  sich  in  Inschrifton  auf  den  Mauern 
des  Tempels  noch  im  fünften  Jahrhundert  nach  Christo  dieses 
Dienstes  rühmten  Viele  von  den  aus  den  42  Serapistem- 
peln Aegyptens  uns  bekannten  Namen  *)  kehren  in  der  alten 
Mdnct^geschichte  wieder,  und  wie  Letronne  för  die  eigent- 
liche Heimat  des  MOnchtums,  die  obere  Thebais,  den  urkund- 
lichen Nachweis  geftthrt  hat  fSr  die  noch  Jahrhunderte  lang 
in  die  christliche  Zeit  hineinspielende  Fortdauer  der  popu- 
lären ägyptisch- alexandrin ischen  Culte,  so  hat  dies  für  die 
anderen  Gebietf*  Aeg}'ptens  schon  Valesius  der  schönredne- 
lischen  Darstellung  des  Eusebius  entgegengestellt 

  (ScUllBB  folgt.) 

Allerlei  Naschwerk   anter  ihnen  verteilt  bei  Fall a »lins  e.  31. 
Bio  "wunderbare  Speisung  mit  Kiiclu.n  und  italienischen  Siidlrücht<iii,  die 
TOii  Ostern  bis  Pfingsten  reichen,  bei  Kufinus,  Hiät.  mon.  c.  7. 
*)  Brunei  de  Presles,  Notices  p.  311, 

3)  Vgl.  die  Inäcbril't  vom  Jahr  ^bü  bei  Letronne,  Matehaux 
p.  61—74. 

*)  In  Parthcys  Ausg.  von  Plutarch,  Isis  und  Osiris  (18rxi)  S.  216. 
^)  Vgl.  Valesius,  Anm.  zu  Eos.  d.  Vita  Constaut.  IV,  25. 


3* 


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Benliard  vw  Glaimei. 

Zttge  zu  einer  Charakteristik. 

Von 

Hermaiin  Reuter 

iu  Breslau. 


Es  war  im  Jahr  lODl,  als  zu  Füutuineö  in  der  Nähe 
von  Dijon  in  Burgund  die  fromme  Aleth  ihrem  Gatten 
Tecelin  den  dritten  Sohn  schenkte,  um  ihn  unter  dem  Na- 
men „Bernbard''  dem  Herrn  zu  schenken.  Das  heisst  in  der 
l^nushe  dj99  Mittelalters:  er  sollte  Mönch  werden.  Aber 
wollte  er  das  auch?  — 

Die  Erziehung  in  dem  elterlichen  Hause,  die  Unter- 
weisung bei  den  Canonikern  zu  Chatillon  erzielten  die  mön- 
chische Scbulong.  Aber  er  verstand  schon  damals  das  Schicksal 
zur  eignen  Tat  zn  machen.  Die  Disciplin  wollte  man  ihm 
anfhötigeB.  Br  legte  sie  sieh  selber  waf.  Man  war  bemüht, 
ihn  abzusperren  von  dem,  was  diese  Zeit  die  Welt  nannte. 
Er  folgte  dem  freien  Zupfc  seiner  Natur,  die  dazu  neigte,  in 
das  mystische  Traumleben  sich  zu  versenken.  Seine  Freunde 
yersachten  wohl  ihn  daraus  aufzurütteln.  Voll  der  Lebenslust 
und  ganz  berauscht  von  den  Ideen  der  Geoossenschaft  dea 
jungen  Frankreich,  welches  mit  Behagen  der  Autorität  der 
Väter  die  Kritik  der  Wissenschaft,  der  asketischen  Kirche 
die  paradiesisclie  Welt  entgegenstellte,  waren  sie  bemüht, 
auch  diesen  Jupgliug ,  wie  die  i^ogi-aphen  sich  äussern ,  zu 
verf&hren.   Man  gab  ihm  den  Aristoteles  in  die  Hand.  Man 


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BEKNllAKD  VON  CLAIRVAUX. 


37 


sachte  Um  fttr  die  weltliche  Poede  zn  Btiminen.   Und  wirk* 

lieh  soll  das  eine  oder  andere  Lied  nicht  geistlichen  Inhaltes 
von  ihm  gedichtet  sein. 

Aber  sicher  ist  diese  Episode  nur  eine  kurze  gewesen. 
Sie  ward  abgeschlossen  durch  jenCQ  heroischen  Entschiiiss,  in 
welchem  er  sidi  selber  iHedetfitnd.  —  Das  geistliche  Heim* 
weh  erwachte  in  seiner  ganzen  Stftrke  nnd  zog  ihn  in  das 
Kloster.  —  Aber  der  Klöster  gab  es  viele. 

Die  Brüdei-schaft  der  Cluniacenser  war  seit  dem  zweiten 
Decenuium  des  12.  Jahrhunderts  der  ursprünglichen  nur  zu 
unfthnlich  geworden.  Einst  war  Clngny  der  geistliche  Idcht- 
pnnkt  gewesen  in  der  Finsternis  des  10.  SScnlnms,  damals 
und  im  '11.  die  Werkstätte,  in  welcher  drei  grosse  Aebte 
nach  einander  gleichsam  den  Stoft'  des  Planes  zubereitet  hatten, 
welchen  das  Talent  Gregors  VJJ.  in  dem  Drama  der  kirchen- 
bistoiischen  Tatsachen  zur  Anschauung  gebracht  hat.  Jetzt 
nnter  dem  Begimente  des  Pontius  war  die  Welt,  welche  Ton 
hier  ans  reformirt  werden  sollte,  in  diese  Musteranstalt  der 
Reform  eingezogen,  die  sonst  so  stark  gespannte  Disciplin  da- 
selbst erschlafft,  darum  aber  der  mönchische  Trieb  überhaupt 
nicht  erloschen. 

Während  des  ganzen  11.  Jahrhunderts  hatte  er  sich  in 
neuen  Her?orbringungen  yenmchi  Jeder  neue  Orden  kehrte, 
sei  es  einen  ausdrücklichen,  sei  es  einen  stillschweigenden 
Protest  gegen  den  früheren.  Jeder  spätere  beurteilte  den 
Zustand  des  älteren  als  einen  entarteten.  Nicht  das  Princip, 
die  Art  der  Lösung  galt  als  irrig.  Also  stellte  sich  dem  ab- 
geihllenen  Clngnj  seit  1098  die  neue  CongrogaÜon  von  Citeaux 
gegenftber.  Aber  die  Strenge  der  Zucht,  in  welcher  sie  sich 
als  die  echte  Schülerin  des  heiligeu  Benedict  erweisen  wollte, 
wirkte,  statt  anzuziehen,  vielmehr  abstossend.  Der  Tod  ver- 
ringerte die  ursprüngliche  Zahl  der  Glieder;  neue  Novizen 
schlössen  sieh  nicht  an.  Da  geschah  es,  dass  im  Jahre  1113 
der  zweinndzwanzigjfthrige  Bernhard  mit  dreissig  Alter^enossen 
bei  Stefan  Harding,  dem  dritten  Abte,  zur  Aufnahme  sich 
meldete.  Ein  Ereignis,  der  Bedeutung  nach  einer  zweiten 
Stiftung  gleichzuachten.  Denn  seit  jenem  Tage  sah  man  in 
Citeaux  die  yerheissnngsroHen  Zeichen  eines  sich  veijfingen- 


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38 


BEUTER, 


den  Lebens.  Die  erste  Schar  der  Ansiedler  zog  nun  andere 
nach  sich;  was  aber  alle  fesselte,  war  die  Hoheit  des  ersten 
Fahrers. 

Asketische  Werke  hatte  man  genug  gesehen;  seit  Jahr- 
hunderten aber  nicht  einen  Werkmeister  wie  diesen,  genial 
in  den  Entwürfen,  heroisch  in  der  Ausführung. 

Wer  demselben  zum  ersten  Male  näher  trat,  empfing 
unmittelbar  den  Eindruck  des  durchans  einzigen  Gontraetes 
zwischen  der  hinftlligen  Erscheinung  nnd  dem  Selenlehen, 
welches  darein  gehüllt  war.  Er  hatte  die  Empfindung,  als  ob 
ein  golieininisvoll  Geisterhaftes  ihn  umschwebte.  Unbedeutend 
war  das  Auftreten  des  Mönchs  und  doch  so  bezaubernd  zu- 
gleich. Diese  nicht  grade  hohe,  abgemagerte  Gestalt,  voll 
der  Malzeichen  massloB  strenger  Zncht,  mit  schlotternden 
Knien  einherwankend,  das  Haupt  gesenkt,  hatte  etwas  ver- 
kümiiiertes  an  sich.  Aber  wenn  die  Fülle  des  mystischen 
Geisteslebens  emporrauschte  aus  der  Tide,  meinte  man  ein 
"Wunder  der  Verwandlung  zu  erleben.  Die  Zeitgenossen  be- 
richten, ein  eigentümlicher  Heiligenschein  habe  das  Antlitz 
verklärt;  wie  die  Angen  in  englischer  Klarheit  geleuchtet;  — 
in  dem  Blick,  in  dem  Wort  strömte  die  wogende  Sele 
über. 

Demnach  ist  er  zu  seiner  Zeit  ein  Bekehrer  geworden 
ohne  Gleichen.  Wer  ihn  gesehen,  wer  ihn  geschaut  hatte, 
ward  fiberw&ltigt,  um  andere  zu  Gberwfiltigen.  Ja  über  allen 
Verband  des  sinnlichen  Verkehres  hinaus  wirkte  die  magische 

Gtj^Vcilt  seines  Namens,  Wie  war  es  zu  verwundern,  dass 
innerhalb  zweier  Jahre  die  Mauern  von  Citeaux  zu  eng  wur- 
den, diejenigen  zu  fassen,  welche  doi*thin  gewallfahrtet  waren, 
um  nimmer  wiederzukehren?  —  Schon  im  Jahre  1115  war 
die  üebervGlkerung  so  gross,  dass  es  nOtig  ward,  manche 
Mtache  nach  einer  Colonie  zu  fQhren.  Das  erste  Tochter^ 
kloster  entstand,  bestimmt,  das  ältere  Mutterhaus  durch  die 
Glorie  seines  Leiters  zu  uberstrahlen. 

In  jenem  schauerlichen,  von  struppigem  Gehölz  bewachse- 
nen Tale  in  der  DiOcese  Langres,  welches,  ein  Versteckort 
lauernder  Banditen,  bei  den  Umwohnern  vordem  das  Wermuta- 
tal  hiess,  hatte  nicht  lange  vor  dem  genannten  Jahre  die  Axt 


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BEBMHAKD  VON  CLAIBTAUX. 


39 


des  Holzhauers  also  aufgeräumt,  dass  die  Erfreuten  es  nun* 
mehr  „LicbttaP'  (Clairvaux)  nennen  konnten.  An  dieser 
Stelle  worde  die  ihr  gleichnamige  Zweiganstalt  gegrfindet, 
welcher  man  den  jungen  Bernhard  als  Abt  Torsetzte.  Das 

ist  er  geblieben  bis  an  seinen  Tod,  aber  ein  Grösseres  ge- 
worden, nicht  bloss  Begründer  der  ausserordentlichen  Epoche 
des  ganzen  Ordens,  sondern  das  Orakel  der  ganzen  Christen- 
heit, der  Lenker  ihrer  weltgeachichtlichen  (beschicke. 

ünd  doch  hfttte  er,  wie  wenigstens  viele  seiner  Selbst- 
bekenntnisse bezeugen,  am  liebsten  in  der  einsamen  Zelle  ge- 
lebt, statt  des  Verkehres  mit  der  Welt  ausschliesslich  den 
mit  Gott,  dem  Heilande,  unterhalten.  Ist  doch  das  M5nchs- 
leben  das  christliche  Leben  im  eigentlichen  Sinne;  die  Pforte 
des  Klosters  der  Eingang  in  die  Vorhalle  des  Himmels.  Biet 
allein  kann  man-  die  Nachfolge  Jesu  Oben,  in  welcher  die 
Apostel  vorangegangen  sind;  hier  ihm  das  Krowv.  nachtiagen, 
wie  Er  es  fordert.  Das  ist  nicht  die  Bewährung  der  Selbst- 
verleugnung im  Ertragen  der  gottgeordneten  Geschicke;  nur 
das  tägliche  Mftrfyrertnm  wird  also  beurteilt,  in  weldiem  der 
Elosterbmder  eigenmächtig  sich  abh&rmt.  ünd  jener  Kampf 
des  Fleisches  mit  dem  Geist,  von  welchem  die  heilige  Schrift 
redet,  ist  nichts  anderes  als  jenes  Rittertum  der  mönchischen 
Kasteiung;  die  Weltflucht  das  einzige  Sicherungsmittel  des 
Heils  auch  nach  dieses  Asketen  Lehre.  Aber  eigentümlich 
bldbt  gleichwohl  die  Art,  wie  er  das  Irrige  derselben  er- 
mSflsigt  hat  Neben  der  Anfstellnng  dieser  positiven  Dogmen 
des  Asketismus  geht  her  eine  idealistische  Iviiiik  der  Zu- 
stände. Niemaud  soll  wiihnen,  das  Einkehren  in  dieses  Haus 
der  Busse  sei  ohne  weiteres  gleich  dem  mönchischen  Sich- 
faekehren.  Der  echte  Mönch  ist  zuhöchst  das  bekehrte  Herz; 
aber  das  hat  sich  anoh  zu  bekennen  durch  Zeichen  der  rinn- 
ftlligeu  ConversioD.  Nicht  der  Ort,  nicht  das  Gewand  heiligt 
unfehlbar  den  Menschen:  vielmehr  der  sich  heiligende  Mensch 
heiligt  beide;  aber  heiligen  kann  er  sich  auch  nur  in  der 
Zelle,  in  dem  Ordenshabit  Das  ist  das  Thema  so  vieler 
seiner  Fredigten  an  die  Genossen.  Grade  diese  zu  behüten 
Tor  den  gewöhnlichen  Selbsttftnschnngen ,  ihnen  die  Yersnchun- 
gen  zur  Hotluiiit  überwinden  zu  keifen,  den  Methodismus  der 


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40  &EUTBB, 

Sitte  zu  veviuneiliclit'u ,  jüngeren  wie  die  älteren  zu  er» 
ziehten,  war  sein  angelegentliches,  aber  nicht  sein  liebste» 
Geschäft.  Denn  je  öfter  er  das  aus&bte,  umsomehr  ward  er 
Toa  sich  selbst  abgezogen. 

Aber  strebte  er  denn  nicht  darnach 9  —  Ja  wohl,  in 
gewisser  Weise.  Abgezogen  wollte  er  werden  von  dem  Welt- 
lichen au  ihm  selber,  abgezogen  wollte  er  werden  von 
dem  Irdischen,  was  sogar  die  Askoso  nicht  hatte  verklären 
können.  Als  die  Seligkeit  der  Seligkeiten  gilt  dem  Mysti» 
ker  Beiuhard  jene  geheimnisvolle  Anf&hit  der  Sole  in  den 
Himmel,  das  sAsse  Heimkehren  ans  dem  Lande  der  Leiber  in 
die  Region  der  Geister,  das  Siclianfgeben  in  und  an  Gott. 

Aber  das  geschieht  nur  in  ^fomenten,  in  denen  der  HeiT 
in  ausserordentlicher  Weise  begnadii^^t.  Von  der  HimmeliBhöha 
der  Gontemplation  sinkt  der  Verzückte  wieder  ebenso  rasch 
nieder,  als  er  emporgetragen  war,  —  dessen  gewiss,  wie  er 
meint,  wenigstens  in  dem  geliebten  Clairvaux  das  stille  Sinnen 
der  Selbstbetrachtnng  fortsetzen  zu  können. 

Und  doch  brauchen  nur  die  Tatsachen  der  Geschichte 
der  hierarchischen  Kirche  mit  ihrem  Ger&usoh  an  diese 
Klostermanem  zu  dringen,  und  der  Grfibler  wird  erweckt^ 
nm  in  der  TJnmhe,  dem  Wechsel  des  welthistorischen  Ge» 
schehens  persönliche  Schicksale  zu  erleben. 

Als  nach  dem  Tode  Houorius'  II.  die  Part^^iung  der  Car- 
dinäle  in  einen  Zwiespalt  der  Wahl  ausschlug,  traten  sofort 
die  beiden  P&pste  Innocenz  H.  nnd  Anaklet  IL  einander 
gegenfiber«  Damit  erneuerten  sich  die  Schrecknisse  des 
Schismas,  abermals  das  Gewissen  der  Christenheit  zu  ver^ 
wirren.  Die  eine  katholische  Kirche  war  augenscheinlich 
zerspalten.  Die  kirchliche  Paiteinahme  zog  die  politische 
nach  sich.  Die  Prätendenten  waren  bemüht,  ein  jeder  sich 
eine  Obedienz  zu  verschaffen,  —  Anaklet  fesselte  Boger  vdn 
Sicilien;  Genua,  das  mfichtige  Mailand  erklärten  sich  fOr 
ihn.  Aber  auch  in  Deutschland,  in  Frankreich  hatte  er  seine 
Verteidiger.  Mochten  die  Cardinäle  Innocenz'  II.  noch  so 
zudringlich  durch  ihre  Berichte  werden,  sie  vermochten  die 
Urteile  nicht  einheitlich  zu  stimmen.  Es  blieb  nur  fibrig, 
sich  zu  dem  zu  bequemen,  wogegen  die  ooasequanten  Kirchen- 


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BERNHARD  WOS  GLAIRVAUX. 


AI 


fitfauer  immerdar  pxotestirt  haben,  ^lio  geschehene  Wahl 
einer  Beoognitioii  za  ontergdben.  Also  kam  es  auf  Asord- 
BVBg  der  Fftrstoa  m  Synodeo  in  beiden  Lftndem.  Aber  nieht 

die  Beratung  der  zu  Etampee  Versammelten,  die  unvergleich« 
liehe  Autorität  des  einen  Bernhard  entschied  die  Majorität 
der  Stimmen  für  Linocenz  II.  Und  als  dieser,  vor  der  wach- 
senden Opposition  in  Italien  weiehend,  im  September  itSO 
m  St  Oiües  landete,  &nd  er  in  demselben,  welcher  ala 
Redner  seinen  Pontificat  verteidigt  hatte,  aneh  den  tat- 
b*äftig€n  Beschirmer  desselben.  Er  war  es,  welcher  den 
König  Ludwig  von  Frankreich  dazu  bestimmte,  in  St.  Benoit 
die  cerimonielle  Huldigung  darzubringen;  gleieberweise  den 
englischen  Heinrich  L,  in  Chartres  dasselbe  zu  tnn.  Er  war 
es,  welcher  den  dentschen  König  Lothar  zor  Anerkennung 
seiner  Sohnespfiicht  nötigte.  Auf  dem  denkwürdigen  Con- 
gresse  zu  Lüttich  (Ende  März  1131)  liat  er  die  Verhandeln- 
den geeinigt.  Als  Lothar  die  Rückgabe  der  laveetitur  als 
Preis  für  den  endgAltigen  Vollzog  der  Obedienz  verlangte, 
ward  er  durch  die  zurechtweisende  Bede  des  grossen  Oister«^ 
densers  entwaffnet  und  empfing,  ohne  diese  Gewfthr,  am 
29.  März  die  deutsche  Krone,  die  Verheissung  der  kaiser- 
liolien.  Die  damals  schon  verabredete  Romfalirt  nollte  diese 
edülleu.  Und  als  die  zu  dem  Eude  angeordneten  kriegerischen 
Yorbereitongen  einigermassen  beendigt  waren,  zog  —  wie 
ebeniiüls  ausgemacht  war  —  der  Papet  nach  Oberitalien 
Toraus,  daselbst  das  deutsche  Heer  zu  erwarten.  Aber  ala 
ein  mächtigerer,  wenngleich  mit  einer  Rüstung  nicht  ver- 
sehener Begleiter  gesellte  sich  ihm  auf  »einen  Wunsch  der 
Abt  Ton  Olairvaux  bei.  Dieser  blieb  seine  Stütze,  als  die 
römisch«  Welthanptstadt  dem  grösseren  Teile  nach  Ton  Lothar 
erobert,  am  8.  Juni  1133  die  Kaiserkrönung  vollzogen,  so- 
gleich darauf  die  Rückkehr  der  deutschen  Streitkräfte  ins 
Vaterland  übereilt  war.  Wer  ilin  in  Genua  walten  sah, 
konnte  den  ordnenden  Staatsmann  im  Möuchsgewaud  bewun- 
dem. Das  im  Verfolg  der  antirömisdien  Tendenz  so  stok 
anftretande  Mailand  ward  an  derselben  irre,  als  es  von  Benw 
bards  zweiter  Ankunft  in  Italien  hörte.  Damals  (1135)  ging 
eine  Anzahl  Mailänder  Kleriker  ab,  den  Beisenden  als  Mittler 


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42 


BEUT£&, 


zwischen  der  Stadt  des  heiligen  Ambrosius  und  dem  römi- 
schen Tnuocenz  anzunifen.  Und  als  er  später  persönlich  sich 
aufmachte,  den  demütigenden  Act  der  Versöhnung  zu  voll* 
ziehen,  eilten  ihm  das  ganze  Volk,  Hohe  und  Niedrige  zu 
Fuss  und  zu  Pferde  entgegen.  Selig  priesen  sich  diejenigen, 
welche  ihn  sehen,  ihn  hören  konnten.  Man  küsste  ihm  die 
Fusse,  man  zerstückelte  seine  Kleider,  um  eine  heilige  Re- 
liquie nach  Hause  zu  tragen;  Leidende  wurden  hergebracht, 
du8  er  sie  heile.  „Auf  seinen  Wink  wurden  alle  Arten  des 
Eirdienschmncks  von  (Jold  nnd  Silber  eingeschloesen;  Mftnner 
und  Weiber  kleideten  sich  in  hftrene  Gewftnder.** 

Ohne  Zweifel  nicht  für  immer,  sondern  nur  so  lange, 
als  der  unmittelbare  Eindruck  des  Mannes  wälirte.  Eine  be- 
deutungsvolle Spur  seines  geschichtlichen  Lebens  bleibt  die 
Soene  dennoch,  aber  scheinbar  rätselhaft  im  Vergleich  mit 
einer  andern. 

Etwa  zwei  Jahre  nachdem  das  in  Mailand  geschehen 
war,  forderte  Arnold  von  Brescia  eine  ähnliche  Socialreform 
von  dem  Klei-us,  von  den  Mönchen.  Die  in  Reichtum  schwel- 
genden Geistlichen,  die  Achte  der  Klöster  sollten  Entsagung 
Qben  oder  zu  derselben  gezwungen  werden:  das  war  das  Ziel 
seiner  kirchlichen  Demagogie.  —  Wo  sind  die  Nachfolger 
der  armen  Apostel?  —  Diejenigen,  welche  sicli  alsu  nennen, 
sieht  man  hineingezogen  in  den  weltlichen  Verkehr,  über- 
bürdet mit  irdischem  Besitz,  durch  Belehnung  mit  den  Re- 
galien zu  Vasallen  des  Kaisers  geworden.  Die  Friedensboten 
des  Evangelinms  uehen  zu  Felde  mit  dem  Schwerte  in  der 
Hand.  Und  daheim  sieht  man  sie  die  Gfiter  vergeuden, 
welche  die  darbenden  Armen  erquicken  könnten. 

In  diesem  Sinne  das  apostolische  Leben  durch  eine 
reinigende  Erschütterung  der  ganz  weltförmig  gewordenen 
Hierarchie  wiederherzustellen,  ist  das  Ziel  der  Agitation  des 
Mannes  von  Brescia.  —  Und  nicht  auch  das  der  Sehnsncht 
Bernhards?  — 

„Könnte  ich  doch  sehen  die  Kirche  Gottes  vor  meinem 
Abscheiden,  wie  sie  in  der  Vorzeit  war.  als  die  Apostel  die 
Netze  auswarfen,  nicht  um  Gold  und  Silber,  sondern  die 
Selen  einzusingen.  0!  wenn  ich  sie  doch  schauete,  die  Braut 


uiyui^ed  by 


BERNHARD  VON  OLAIRVAUX. 


43 


des  Herrn  in  solchem  Glaaben,  in  solcher  Beiaheit  der  Sitte!** 
ruft  er  ans.  —  Und  als  im  Jahr  1145  mitten  in  den  Wirren, 
in  welchen  in  Rom  Arnolds  Reformideen  praktisch  gewuideu 
waren,  sein  einstiger  Zögling,  der  Abt  des  it«nlieniscben  Cister- 
cienserkloöters  des  heiligen  Anastasias,  als  Eugen  III.  auf 
St  Peters  Sitz  erhoben  ward,  schrieb  er  an  dessen  Wahler 
im  Tone  des  Erstaunens,  des  Yorwnrfes.  Es  ist  die  innere 
Wahrheit  des  Bewnssteeins  von  dem  Gegensatze  des  asketi- 
schen Katholicismus  und  des  hierarchischen,  welche  in  diesen 
Zeilen  zu  Worte  kommt.  „Diesen  Cistorcienser,  den  Mann, 
mit  Lumpen  bedeckt,  habt  Ihr  mit  Gold  und  Silber  be- 
kleidet, den  im  Kloster  Begrabenen  wieder  anferweckt,  der 
dem  nrsprfingfiehen  Oelfibde  nach  in  ansserordentlicher  Weise 
znm  Dienst  Vi'rpflichtete  soll  nunmehr  herrschen!"  ruft  der 
Briefsteller  in  Unmut  aus.  —  Er  fürclitet  mehr  das  Ver- 
führerische der  neuen  Würde,  als  dass  er  Glück  wünschen 
könnte;  er  jubelt,  wie  er  gesteht,  aber  mit  Furcht  und  Zit- 
tern. Im  Hinblick  anf  Engen  qnSlt  ihn  der  Gedanke  an  die 
ansserordentliche  Verantwortlichkeit  dieses  Amtes.  —  Schon 
in  diesem  Si^^hriftstfick  dämmert  die  Eiusiclit  in  das  Zwitter- 
hafte der  damaligen  Hierarchie:  der  apostolische  Name,  wel- 
chen sie  trägt,  und  die  Machtstellung  ihres  Regiments  wollen 
sich  dem  Schreiber  nicht  Ycreinigen.  Das  spätere  Buch  „von 
der  Betrachtung*^  ist  dieser  Antithesen  toII.  Das  Leben 
der  Apostel  ist,  meint  er,  so  ganz  anders  gewesen,  als  das 
des  apostolischen  Vaters.  Sie  wollten  niclit  gebieten  über  die 
Gemeinde,  sondern  Genossen  ihrer  Freude  sein.  Kostbaikeiteu 
hatten  sie  nicht,  wohl  aber  die  Macht  des  Wortes  und  die 
Wunderkraft.  „Ihr  Begieren  war  ein  Dienen,  der  Dienst  im 
Worte**,  heisst  es  an  einer  Stelle,  welche  selbst  dem  sprach- 
lichen Ausdrucke  nach  mit  einem  Satze  des  reformatorischen 
Bekenntnisses  zusammentrifft.  —  „Im  Prachtgewand,  mit 
Edelsteinen  geschmückt,  bist  Du  nicht  der  Nachfolger  des 
Petrus^  sMidem  des  Constantin.  Wohhm,  wage  Dir  zuzueignen 
entweder  durch  die  Herrschaft  den  Apoetolat,  oder  durch  den 
Apostolat  die  Herrschaft.  Schlechterdings  musst  Du  Dich  des 
einen  oder  andern  begeben.  Wenn  Du  beides  behalten  willst, 
wirst  Du  beides  verlieren    weissagt  Beruhaid  dem  Papste.  — 


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44 


BEUTER, 


Gleichwohl  hat  er  selbst  dieses  Dilenmia  uicht  ontschieden. 
Ja  es  beherracht  uoaufgelost  vielmehr  sein  eigenes  Gedankea- 
leben,  also,  dass  ea  sich  in  widersprachsvollen  Strömmigeii 
bewegt.  Er  predigt  die  Entsagung.  Dennoch  folgt  wenige 
Blätter  darauf  eine  die  bestehende  Pontificalgewalt  preisende 
Rede.  Und  wie  hat  er  diese  auch  praktisch  unterstützt  grade 
unter  Lucius'  II.  Nachfolger!  —  Aus  seinem  eignen  Munde 
vemehmen  wir  die  Angabe,  die  Leute  sagten,  nicht  Eugen  m.» 
Bernhard  sei  dermalen  Papst  In  der  Tal  blieb  er  der  be- 
herrschende Meister,  der  Mann,  welcher  St.  Peters  Stab  in 
der  Hand  hielt,  den  schüchternen  Schüler  oft  genug  mit  Zu- 
rechtweisungen nicht  eben  sanfter  Art  überraschte.  Jener  for- 
dert und  straft,  giebt  Anleitung  und  weiss  zurückzuhalten,  — 
mkündigt  die  apostolischen  Ideale  nnd  —  kann  sie  doch 
selbst  nicht  erMlen.  Neben  jenem  spiritnalistisch  gedeuteten 
Primat  erhalt  sieh  selbst  in  seiner  theoretischen  Lehre  der 
gewöhnlich  hierarchische;  neben  der  Vorstellung  von  dem 
Petrinischen  Priestertum  der  Demut  die  andere  von  der  Voll* 
macht  zur  theokratischen  WeltheiTschaft.  Vollends  wo  es 
gilt  zu  handeln:  da  zerrinnen  jene  Ideale  gleich  Nebelgebilden 
Tor  dem  mnnlichen  Glänze  der  in  ihren  Domen,  in  der  Gross* 
artigkeit  der  Institutionen,  in  dem  Gange  durch  die  Jahr- 
hunderte als  Realität  sich  aufdringenden  rdmisoh- katholischen 
Kirche.  Diese,  nicht  jene,  zieht  ihn  duich  die  üebermacht 
des  Zaubers  in  ihren  Dienst  Brechen  ernste  Gefahren  heran, 
er  wird,  alle  Mystik,  alle  Askese,  alle  Kritik  Tergessend,  ihr 
Herold  nnd  Retter,  —  eben  dämm  der  heftigste  Gegner  Ar-*^ 
nolds  von  Brescia.  Mit  der  ganzen  Leidenschaftlichkeit  eines 
Eiferers  verfolgt  er  diesen  Ketzer.  Die  Römer,  im  Begriff, 
dessen  Pläne,  den  Bemhardinischen  Gedanken  mehr  als  nor 
ahnlich,  ansauführen,  werden  ob  des  Anfrohrs  gegen  die  apo^ 
stolische  Antorit&t  bedroht. 

Fühlt  er  sich  abgestossen  von  dem  religiösen  Materialis- 
mus eines  abergläubischen  Wallbruders:  so  kommt  er  wohl 
dazu,  ihn  durch  eine  idealisirende  Deutung  zu  belehren. 
Das  sei  die  wahre  Erenafahrt,  meint  er,  dem  Oekreuaigteii 
das  Kreuz  nachzutragen  als  sich  abhftrmender  Asket;  der 
Xampf  gegen  die  sflndhaften  Neigungen  erscheine  heilsame 


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BEHNHAED  VON  OE«AIBVAUX. 


46 


als  das  Waft'engeklirr  in  dem  heiUgeu  Laude.  Seiue  Con- 
templation  vossto  überdies  ¥<hi  «aneni  andern  Weg  als 
demjenigen  y  weldien  die  laiegifgerQsteten  Filgeraebaren  wan- 
delten ,  von  einem  andern  Jerusalem,  als  äas  war,  welehes 

diese  suchten.  Trotzdem  hat  derselbe  Mystiker  dazu  mitge- 
holfen, die  Genossenschaft  zu  gründen,  welche  die  simüiche 
Stadt  beschirmen  sollte.  Der  Orden  der  Tempelherren ,  jene, 
wie  er  nrteilt,  gotl^geweibte  Streitsohar,  in  wekber  das  Bild 
des  betenden  MOnebs  und  des  scblagfbrtigen  Bitters  m- 
schmolzeii  ist,  wird  von  ihm  eingesegnet,  in  Worten  über- 
strömender Begfeisteruug  gefeiert.  —  Er  verherrlicht  die 
geistliche  Pilgerschaft  der  Askese,  welche  der  friedliche 
Klosterbrader  in  seinar  Rinsamkeit  auf  sieh  za  nehmen  bat 
Nidits  desto  weniger  ist  er  der  Schöpfer  der  zweiten  grossen 
bewa£Eb«ten  Kreuzfahrt  geworden,  welche  die  Universal- 
geschichte nennt.  Die  Tatsache  bleibt  unbestreitbar,  wenn- 
gleich dieselbe  anders  motivirt  ist,  als  eine  weniger  kritische 
Geecbichtsschreibung  sie  darstellt. 

Es  ist  nieht  wahr,  dass  der  Fall  Odessas,  als  eine  er* 
scbfittemde  Katastrophe  im  Abendlande  empfunden,  unmittel- 
bar den  Gedanken  an  eine  neue  Expedition  enveckt  habe. 
Auch  weiss  die  beglaubigte  Ueberliefemng  nichts  von  der  An- 
kunft einer  dieselbe  betreibenden  Gesandtschatl  des  Königs 
von  Jemsaleni.  Wir  haben  nur  die  nach  meinem  Dafürhaltenr 
Biobt  einmal  sichere Nachrieht  von  der  Ankunft  klagender 
Boten  aus  Antioobien.  Selbst  Bernhard  bat  zunftchst  keinerlei 
Sympathien  gezeigt;  er  antwortete  sogar  ausweichend,  als 
man  vorschnell  ihn  zur  Kreuzpredigt  aufforderte.  Am  liebsten 
b&tte  er  damals,  wie  er  sagte,  sich  in  sein  Kloster  für  immer 
vergraben.  Erst  als  Ludwig  VII.  von  Frankreich,  durch  die 
Zeitung  ans  dem  Oriente  an  em  altes,  noch  ungelöstes  Ge- 
lübde erinnert  und  von  Gewissensqualen  gefoltert,  den  regie- 
renden ?ai»st  aufgefordert  hatte,  einen  Aufruf  nacli  der  Weise 
Urbans  IL  zu  erlassen,  und  als  derselbe  am  1.  März  1146 
ergangm  war  zugleicb  mit  jenem  apostolischen  Schreiben^ 

1)  VerbältnisiniUsiger  Widensjiruch  hiergegen  bti  Kugier,  Studien 
wu  Qescbichte  des  zweiten  Kreozzogs  S.  02.  84. 


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46 


KEUT£K, 


welches  ilin  selber  bevollmächtigte:  erst  da  änderte  sich  seine 
Stimmung.  An  die  Stelle  der  Beschauung  trat  sofort  die  er- 
r^teste  Agitation.  Sie  hielt  sich  nicht  innerhalb  der  von 
dem  apostolischen  Breve  vorgesdiriebenen  Grenzen.  Dieses 
hatte  lediglich  an  die  Franzosen  als  Helfer  in  der  Not  ge- 
dacht. Bernhard  sammelte  auch  anderäwo  die  Bettungs- 
scharen. 

Die  Kreuzzugsbewegung,  von  ihm  angestiftet  zu  einer 
Zeit,  in  welcher  die  Probleme  einer  kühn  aufstrebenden 
rationellen  Wissenschaft  die  Forscher,  die  die  Weltlnst  feiern- 
den Gesänge  der  Troubadours  die  Höfe  der  französischen  Barone 
bezaiilierten,  ward  zu  einer  mehr  und  mehr  sich  erweiteinden 
Strömung,  welche  Gedanken,  Gefühle,  Willensentschlüsse  von 
allem  diesen  abzog  und  unwiderstehlich  mit  sich  fortriss. 
Er  hat  sie  geleitet  nnd  ist  ihr  doch  gefolgt  Also  ist  er 
zeitweilig  der  Ffihrer  yerzdclrter  Geister  in  halb  Europa  ge- 
worden. —  Es  war  um  iKsteru  I14b,  als  er  auf  einer  Tri- 
büne auf  freiem  Felde  zwischen  Vezelay  und  Ecouenne  zuerst 
den  Willen  des  apostolischen  Vaters  verkündigte.  Aber  nicht 
dessen  Machtgebot,  —  Bernhards  Bede  war  das  Zündende. 
Diese  Worte,  gesprochen  von  diesem  Monde,  dorchschfitterten 
die  Gemfiter  mit  jenen  Stimmungen,  in  welchen  Schmerz  nnd 
Jubel,  Zerknirsch uni^  und  Andacht  wechselten  und  doch  auch 
wieder  durcheinander  wogten,  um  in  tausendstimmigen  Accla- 
rhationen  sich  zu  entladen.  Seitdem  zog  er  selbst  umher 
oder  beauftragte  Mönche  seines  Ordens  in  Frankreich.  Sie 
fiberbrachten  Briefe  an  diesen,  an  jenen  der  mächtigen  No- 
tablen, offene  Schreiben  an  den  Klerus,  an  die  Laien,  reich 
an  Redewendungen,  in  welchen  nach  Art  der  mittelalterlichen 
Ehetorik  Himmlisches  und  Irdisches,  Geistliches  und  Sinn- 
liches in  einem  Zwielicht  erscheint,  welches  nm  so  blendender 
wirken  mnsste.  —  Wer  konnte  sich  dem  Eindrucke  ent- 
ziehen? —  Unser  deutsches  Vaterland  meinte  das  doch.  Es 
war  von  den  Erregungen  für  das  Unternehmen  des  Jahres 
1096  im  ganzen  unberührt  geblieben.  Und  der  dermalige 
König  war  am  allerwenigsten  geneigt,  den  Gedanken  an  Her- 
stellung der  Autorität  im  Belobe  über  den  Bedürfnissen 
religiöser  Romantik  zu  veigessen.  Eonrad  IIL  war  ein 


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BEKNHÄBD  VON  CLAJRVAUX. 


47 


Fflrst  Düchtoraen  Sinnes;  den  bierarchiachen  üeberspannnngen 
fremd,  aber  auch  allen  jenen  gewagten  politischen  Experi- 
menten, darin  sich  die  Bewohner  der  römischen  Hauptstadt 
damals  gefielen.  Gleicherweise  yerhielten  sich  die  Deutsch eu 
den  Kreozzogspredigten  g^nflber  anch  dieses  Mal  verhältniB^ 
mtaig  gleicbgfiltig. 

Bembard  nntemabm  es,  eine  vGllige  ümstinunnng  zu 
bewirken. 

Hatte  er  nicht  oft  genug  daheim  den  Glauben  bewährt» 
welcher  Berge  versetzt?  —  Und  jenseits  der  Grenzen  sollten 
dieselben  nicht  weicben? 

Die  Beise,  die  er  antrat,  musste  die  Antwort  geben; 
sie  ist  begleitet  gewesen  von  weltbekannten  Zeichen.  Die 
deutsche  ^)  Geschichte  kennt  sie  als  ein  £reignis,  welches 
ihr  selber  angehört. 

Ein  Volk  galt  es  zu  bekehren,  zwar  nicht  zn  dem  Evan* 
gelinm,  aber  znm  Olanben  an  eine  Mission  der  katholischen 
Christenheit,  welchem  es  bisher  noch  widerstrebte.  Einen 
Krieg  der  Meinungen  —  und  der  ist  flberall  der  gefähr- 
lichste —  zum  Siege  zu  führeu,  war  die  Aufgabe.  Und  wie 
ist  die  gelöst  von  dem  Mann  in  dem  unscheinbaren  Möncha- 
gewand,  mit  dem  von  der  Qlot  der  Andacht  stmhlenden  Antlitz, 
ohne  Waffen  in  der  Hand  und  doch  bewaffiiet  mit  der  noch 
wirksameren  Gewalt  der  Sprache!  Eine  Sprache,  deren  sinn- 
liche Laute  mau  nicht  verstand  —  deun  dieser  Prediger 
redete  sei  es  lateinisch,  sei  es  französisch  — ,  die  man  desseu- 
nngeachtet  hörte  mit  seligem  Entzücken.  Es  war  die  Sele, 
welche  sich  der  Sele  mitteilte  in  dem  Worte;  der  Atem 
ihres  Lebens  das  feurige  Element,  welches  übertragen  ward 
in  die  Herzen  der  Menschen.  —  Sie  ilammteu  auf  in  allen 
Gradunterschieden  des  Enthusiasmus. 

Nur  König  Konrad  HL  bannte  denaelbeu  durch  seine 
kühlen  Ueberl^gongen.  Zn  Frankfurt  waren  dieselben  un- 
erschüttert geblieben;  den  stOrmischen  Ansprachen  des  Abtes 
hatte  er  unbedingt  ablehnende  Antworten  entgegengesetzt 

1)  Kngler  (a.  a.  0.  S.  96)  sieht  in  der  Beteiligung  Deutach- 
Und 8  an  der  zweiten  Kreuzfahrt  den  Grund  des  Hiidingeiia  dendbw» 
prmM  em  höchst  seltaamer  historischer  Gedanke. 


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48 


&BUT£B, 


Schroff  genug  müssen  diese  p^elaiitet  haben.  Denn  der  Ueber- 
winder  von  Tauseuden  verzweüelte  daraa,  diesen  Einen  zu 
überwinden,  und  wollte  von  danaen  adehen.  Aber  das  Za«* 
xeden  des  Ksehofs  Hermann  von  Gonetana  ermntlgtie  ihn  za 
einem  zweiten  Yersnche.  Gegen  Ende  December  1146  sollte 
ein  Reichstag  zu  Speyer  stattfinden.  Unter  den  dahin  Reisen- 
den bemerkte  mau  auch  den  Abt  von  Clairvaux.  Es  traf  sich 
also,  dass  dieser  demnächst  dort  den  König  mit  Namen  zur 
Teilnahme  aufrufen  konnte.  Aber  entsGlieidend  war  der  Sifolg 
nidii  Selbst  als  am  27.  Deeember  eine  geheime  ünterredmif 
Gelegenheit  bot,  die  Mahnungen  zu  erneuern,  wurden  die  Aus- 
flüclite  wiederholt  —  freilich  mit  schon  halbgebrochenem  Her- 
zen« Da  urteilte  denn  der  Heilige,  kein  Moment  sei  zu  ver- 
lieren, dasselbe  vollends  zu  erweichen.  Der  Fürst  wohnte  an 
demselben  Tage  der  Messe  bei  und  der  Bekehrer  sorgte  dafOr, 
dass  er  audi  die  Predigt  bdrte.  Dieselbe  wurde  gegen  den 
Schluss  eine  durchaus  persönliche  Ansprache,  so  erschütternd, 
als  würde  der  Donner  des  Weltgerichtes  darin  laut.  Sie  er- 
innerte an  die  Wohltaten,  welche  der  Hörer  bisher  empfangen, 
an  die  Marter,  unter  welcher  der  Versöhner  für  ihn  geblutet 
Da  brach  Eonrad  in  sich  zusammen.  Unter  Tränen  sein 
Unrecht  beichtend,  sprach  er  das  Oelübde,  Bernhard  machte 
es  unwiderrurticli  durch  das  Anheften  des  Kreuzes  an  des 
Königs  Gewami;  die  heilige  Fahne  gab  er  ihm  in  die  Hand. 

In  der  Tat  ein  Augenblick  in  Bernhards  Leben,  in 
welchem  es  ein  Stück  der  Weltgeschichte  wird,  und  doch  ein 
Zug,  der  nur  eine  Seite  des  Mannes  malt.  Ist  meine  flüch-^ 
tige  Skizze  auch  nur  annäliernd  riclitii,%  so  macht  sich  an 
dem  Totalbilde  der  grelle  Unterschied  der  Farben  bemerklieb. 
„Ich  bin  das  Ungeheuw  des  Jahrhunderts,  weder  Kleriker 
noch  Laie.  Ich  will  von  mir  sdbst  nicht  schreiben,  was  Dir 
von  andern  gehüit  haben  werdet,  was  ich  tue,  was  ich  er- 
»ele,  in  welchen  Gegensätzen  (diserimma)  ich  mich  umher«*" 
treibe**,  äussert  er  sich  selbst  verratend.  Jone  waren  nichts 
anderes  als  die  verschiedenen  Elemente  des  damaligen  katholi- 
schen Zeitalters.  In  den  grossen  Verhältnissen  der  Geschichte 
kehrten  sie  sich  wider  einander.  Bernhard  prfigte  sie  aus 
in  der  Einheit  der  Persönlichkeit.  Man  kann  dieselbe,  ob- 


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BKBMHASD  VON  CLAIBTAUX. 


49 


-wohl  si^  alle  Beize  einer  originalen  Indivichialitfiii  besitafc, 
dennocli  das  Miniatorbild  der  Bpoehe  in  der  mten  Hftlfte 
^es  zwölften  JabrhnndeitB  nenneD.    Daher  die  Stftrke,  die 

Mannigfaltigkeit  der  Sympathien,  welche  der  Nämliche  an- 
regte. Die  Hauptparteien  fanden  ihre  Entwürfe  beziehungs* 
weise  aach  von  ihm  verfolgt;  daneben  freilich  noch  ein  an- 
dres. Sie  sahen  dieselben  Bilder  kirdilicher  Dinge,  wdche 
ihnen  wert  waren,  aneh  Ton  ihm  gezeidinet,  aber  nnter  einer 
ihnen  fremdartigen  Beleuchtung. 

Bernhard  von  Clairvaux  war  der  Manu  der  Hierarchie, 
aber  zugleich  ihr  strengster  Eichter.  Er  zeigte  sich  grad* 
weise  einferstande^  nü  den  der  ApoefcoUcitftb  sieh  rähmen» 
den  BVeiheitamftnnem;  gleichwohl  bestreitet  er  ihre  prak- 
tischen Conseqnenzen.  Denn  ihn  ahnt,  dass  im  Fall  des 
Sieges  nicht  sowohl  Umgestaltung  als  Umsturz  der  Erfolg 
sein  würde.  —  Er  hat  die  Bedürfnisse,  die  Rechte  der  Wissen- 
schaft nie  verkannt,  aber  auch  niemals  übersch&tzt.  Fem 
war  ihm  der  Wahn,  dieselben  seien  die  einzigen  des  sinnen- 
den Menschengeistes.  Als  Abfthurd  in  diesem  Sinne  ihm  zu 
lehren  schien,  die  unbedingte  Autonomie  des  Wissens  zu  ver- 
fecliten  unternahm,  warf  er  sich  ihm  mit  der  ganzen  Energie 
seines  Wesens  entgegen.  Man  mag  sagen:  das  Leidenschaft- 
liche des  Eiuupfee  hat  sein  Urteil  verwirrt;  darin  wenigstens 
hat  er  richtig  gesehen,  in  diesem  Intellectualismns  r^ge  sich 
ein  Princip,  welches  die  Positivität  der  g()ttlichen  Offenbarung 
überhaupt  in  Frage  stellte.  Und  da  ihm  diese  als  ein  Heilig- 
tum galt,  dessen  Wertschätzung  nicht  bedingt  sei  durch  das 
Mass  des  menschlichen  Verständnisses  seiner  Mysterien,  so 
betonte  er  in  diesem  F^e  lediglich  die  Autorität.  Ja,  er 
verschftrfte  den  Gegensatz  durch  jene  Weise  der  Polemik, 
welche  weder  von  persönlicher  Gereiztheit  frei  ist,  noch  von 
dem,  was  einem  inquisitorischen  Verfahren  ähnlich  sieht. 
Aber  dämm  die  Beweggründe  des  Streites  ausschliesslich  in 
einer  kleinlichen  Eigenliebe  zu  suchen,  wftre  selber  kleinlich. 
Grade  auf  Bernhards  Seite  waren  es  die  umversellsten  In- 
teressMi^  welche  den  Ausschlag  gaben. 

Ist  es  doch  die  Kirche,  für  die  er  immerdar  eingetreten 
ist  mit  solcher  Hingebung,  dass  er  in  ihren  Krisen  die  eigenen 

Z«ltMha  t  K.-0.  4 


50  BEUTJBR,  BERNHARD  VON  CUUKVAUZ. 

ZU  erfahren  meinte.  Sie  zu  heboii  und  zur  Harmonie  zurück- 
zuführen, hat  er  die  Disharmonie  in  dem  sciiärfsten  Wechsel 
der  Lebeosstimmangen  niclit  gescbeaet  Das  bedrohliche 
XJebergewicht  des  einen  Elementes  zum  Zweck  der  StSrlrang 
des  andern  m  brechen,  Um  erfahnmgsmfissigen  Znsfeand  der 
Kirche  durch  Schildenmg  des  Ideals  zu  bessern,  den  aus- 
schweifenden Idealismus  zu  ernüchtern,  kehrt  er  bald  die 
eine,  bald  die  andere  Seite  seines  Wesens  henror  —  und 
bleibt  derselbe,  um  der  persönlichen  Grösse  willen  der  ge- 
waltige Beherrscher  seiner  Zeit  während  seines  Lebens,  nach 
seinem  Tode  von  seiner  Kirche  der  Schar  der  Heiligen  bei- 
gesellt, aber  auch  im  apostolischen  Sinne  der  Heiligen  einer. 


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I 


Die  EfitstehuDS  der  lutherischen  üirche. 

Von 

Albreeht  BitaebL 


„  Die  Idee  des  evangelischen  Protestanticiliius  kaun  nur 
dann  in  ihrer  vollen  Wahrheit  und  Berechtigung  erkannt  wer- 
den, weuu  sie  im  Zusammenhange  mit  dem  Begriffe  der 
Kirche  aufgefaast  wird.**  Dieser  Aussprach  von  Heppe  ^)  ist 
gewiss  richtig,  da  der  Protestantismus  eine  Entwicklangsstnfe 
der  christlichen,  insbesondere  der  abendländischen  Kirche  ist. 
Aus  jenem  Satze  folgt  aber  auch  die  Regel ,  dass  auffallende 
Veränderungen  im  geschichtlichen  Gange  des  Protestantismus 
nnr  richtig  dargestellt  werden,  wenn  man  sie  aus  den  beglei- 
tenden VerSnderangen  in  dem  Begriff  der  Kirche  versteht 
?on  dieser  Begel  hat  nur  Heppe  keinen  Gebrauch  gemacht, 
indem  er  „die  confessionelle  Entwicklung  der  altprotestan- 
tischen Kirche  Deutschlands"  (1854)  verfolgt  hat.  Dieses 
Buch,  welches  zur  Ergänzung  des  oben  genannten  Werkes  ge- 
schrieben ist,  um  die  Entwicklung  des  Protestantismus  bis 
zam  Jahre  des  Angsburger  Religionsfriedens  zu  charakterisiren, 
nimmt  durchaus  keine  RGeksicht  auf  Veränderungen  in  dem 
evangelischen  Begriff'  der  Kirche,  durch  welche  die  Ein- 
schränkung und  der  Umschwung  der  ursprünglichen  Absicht 
der  Beformation  verständlich  würde.  Vielmehr  unternimmt 
Heppe,  festzustellen,  dass  zwischen  Luther  und  Meknchthon 
eine  spedfische  Abweichung  der  theologischen  Gesammt» 


1)  Iiu  Eingang  seiner  „Geschichte  des  deutschen  Protestantismus  von 
lü&ö— löbl",  Bd.  I  (1ÖÖ2). 


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52 


RIT8CHL, 


anachaanogeii  obgewaltet,  daas  die  Offentlidie  Lehrbildimg  im 
Wirkongskreifle  beider  Mftnner  uiaj^iHiiglieb  unter  dem  fast 

ausschliesslichen  Eintluss»^  Mclanchthons  «gestanden  habe,  dass 
also  die  seit  dem  Leipzifj^er  Interim  begiiineiide  Gegenwirkung 
der  sogenannten  echten  Lutheraner  gegen  Melanchthons  Lehr- 
weise,  welche  in  der  Belgischen  Concordienformel  den  Sieg^ 
gewonnen  nnd  die  Bildung  der  Intherischen  Kirche  erreicht 
hat ,  den  einfachen  Abfall  von  der  urspnin glichen  Absicht 
der  Refoniiation  darstelle  Die  Ver^leichnii<j^  der  Lehr- 
weiseu  beider  Reformatoren,  welche  dieser  Darstellung  zu 
Oninde  gelegt  wird,  beschränkt  sich  durchgehend  auf  die 
bekannten  Abweichungen  von  Luther,  welche  Melanchthon 
in  den  Lehren  vom  Abendmahl  und  vom  fireien  Willen 
begangen  hat.  Hierauf  aber  legt  Heppe  das  entschei- 
dende Gewicht  deshalb,  weil  er  darin  die  systematische  An- 
lage und  die  ethische  Tendenz  der  Theologie  Melanchthona 
ausgedruckt  findet,  durch  welche  der  Idee  des  Protestantkonua 
volle  Genüge  getan  und  die  Anschauungsweise  Luthers  Uber* 
boten  wäre.  Nach  Heppe  hat  die  Lehre  Luthers  vom  Abend- 
mahl und  von  den  Sacrainenten  überhaupt  den  Sinn,  dass  die 
Kirche  das  Heil  sachlich  enthält  und  darbietet,  und  ist  Luthers 
Lehre  von  der  Unfreiheit  des  Willens  in  der  Bekehrung, 
welche  das  ethische  Interesse  verletzt,  von  ihm  nur  insofern 
eingeschrftnkt  worden,  als  die  Beteiligung  der  Menschen  an 
dem  Heilsinstitut  der  Kirche  verständlich  gemacht  werden 
sollte.  Umgekehrt  soll  Melanchthons  Wiederaufnahme  der 
Willensfreiheit  in  die  Lehre  von  der  Bekehrung  und  seine 
Deutung  des  Abendmahls  dem  normalen  Gnmdgedanken  der 
persönlichen  Darbietung  und  Aneignung  des  Heiles  in  Christus 
Ausdruck  verleihen*).  Ueberdies  aber  bestimmt  Heppe  den 
Vorzug  der  Theologie  Melanchthons  'ialiin.  dass  er  in  diesem 
Grundgedanken  den  teleologischen  Charakter  der  christ- 
lichen Offenbarung  betont,  die  Soteriologie  in  innigster  orga- 
nischer Besdehung  zur  Theologie  und  Anthropologie  ent- 
wickelt und  so  die  im  Christentum  gegebene  Vermittlung 

1)  Canieu.  EDtwicklang  S.  167.  177. 
s)  A.  a.  0.  S.  14-23. 


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DIE  ENTSTEHUNa  DER  LUTHEKISCHEN  KIRCHE.  53 

des  Göttlichen  und  Menschlichen  zur  reinsten  wissenschaft- 
lichen Anschauung  gebracht  habe 

Gesetst  das»  dieses  alles  richtig  wftre,  so  könnte  loan 
sich  hei  Heppes  ErUftnuig  des  ümsehwuiigB  der  deutschen 

lutherischen  Kirche  schon  deshalh  nicht  he- 
ruhigen,  weil  die  Annahme  eines  einfachen  Abfalls  von  der 
frühem  Richtung  des  Protestantismus  das  Gegenteil  des  ge- 
schichtlichen Verfahrens  ist.    Was  vorläufig  als  Abfall  ?on 
der  Yergafigenheit  oder  als  Broch  mit  derselhen  erscheint, 
darf  man  in  der  Erforschnng  der  Geschichte  nicht  als  die 
vollständige  Tatsache  hinnehmen  oder  für  dieselhe  ausgeben. 
Vielmehr  les^  ein  solcher  Schein  £?nule  die  Aufgabe  nahe, 
durch  die  genauere  Erforschung  der  Tatsachen  dasjenige  fest- 
sQsteUen,  was  ihm  zuwider  und  was  geeignet  ist  ihn  aufzu- 
hehen.   Femer  hat  die  Darstellung  des  theologischen  Gegen- 
satzes zwischen  Luther  und  Melanchthon,  welche  Heppe 
vorträf^t,  keine  Ueberzeuofiingskraft.    Die  Formel,  welche  fflr 
Luthers  Gesammtausicht  aufgestellt  wird,  dass  er  das  Heil 
als  eine  Sache  an  die  Action  der  Kirche  auf  den  Einzelnen 
gebunden  habe,  würde  ihn  Ton  den  directen  Vertretern  des 
t«fflischen  Katholicismus  niclit  unterscheiden,  und  ist  nicht 
der  Sinn  seiner  Abendmahlslehre.    Denn  was  er  über  den  In- 
halt des  Abendmahls  behauptet,  wird  von  dem  Werte  des 
persönlicb'en  Wortes  Christi  abhängig  gemacht,  also  von 
dem  Factor,  in  welchem  yoigeblioh  die  besondere  Eigentäm- 
üehkeit  der  Ansicht  Melanchthons  bestehen  soll.  Der  Vorzog 
der  Theologie  Melanchthons  als  eines  in  seiner  Art  Tollkwft- 
menen  Systems  wird  auch  nicht  zu^^estanden  werden  können. 
Diese  Annahme  Heppes  ist  in  materieller  Beziehung  schon 
Ton  Lande r  er  ^  zurflckgewiesen  worden.  In  formeller  Hin- 
flicht  füge  ich  nur  hinzu,  dass  Melanchthon  gar  keine  Dis- 
position zu  teleologischem  und  organischem  Verständnis  der 
christlichen  Lehre  gehabt  haben  kann,  da  das  lockere  Geföge 
der  Loci  theologici,  bei  weichem  er  stehen  geblieben  ist,  und 
die  Schw&che  ihm  gegenseitigen  Zusammenhanges,  welche 


1)  Gesch.  d.  ProtestantismuB  Bd.  I,  S.  44. 

2)  In  Herzogs  Realencyklopädie  Bd,  IX,  S.  5888 ff. 


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54 


BTTSCHL, 


ihn  nicht  beunruhigt  zu  haben  scheint,  das  Gegenteil  eines 
Systems  darstellt Endlich  verrftt  Melanchthon  selbst  nir* 
gendwo  eine  Spur  davon ,  dass  er  sich  derjenigen  Stellung 
gegen  Luther  bewusst  gewesen  wäre,  welche  Heppe  für  die 
wirkliche  hält.  Man  müsste  aber  erwarten,  dass  Melanchthon, 
der  14  Jahre  lang  auf  Luthers  abgeschlossenes  Wirken  znrQck* 
geschaut  hat  und  den  grOssten  Teil  dieser  Frist  im  Kampfe 
mit  der  Theologenpartei  gestanden  hat,  welche  sich  auf 
Luther  beriet",  die  Einsicht  in  die  Verhältnisse  vorweggenom- 
men hätte,  welche  Heppe  als  dio  rioliti«,^?  vertritt. 

Die  Frage,  wie  die  lutherische  Kirche  als  das  Resultat  der 
deutschen  Formation  zustande  gekommen  ist,  wird  schwer- 
lich richtig  beantwortet  werden,  wenn  man  sich  bloss  die 
Abweichungen  zwischen  Luther  und  Melanchthon  vergegen- 
wärtigt, und  zwar  als  einen  solchen  Gej^ensatz,  der  die  ge- 
sammte  theologische  Art  beider  beträfe  und  nur  durch  die 
Ausschliessung  der  Autorität  des  einen  gelöst  werden  konnte. 
Denn  bekanntlich  behftlt  die  Vorrede  der  evangelischen  Stände 
zum  Goncordienbuch,  welche  mit  zu  diesem  Documente  der  fertig 
gewordenen  liitlierischen  Kirclie  gehört,  die  Autorität  Me- 
lanchthous  vor,  insoweit  seine  Schriften  mit  dem  neu  ge- 


1)  Nur  zwei  Mal,  so  vir)  irh  finde,  ist  Melanchthon  im  S^tande  ge- 
wesen, eine  teleologische  Formel  tnr  <len  Geßaronitinhalt  des  rhrist.  utuinB 
ailfietUkteUcn ;  jedoch  wird  durch  deren  Vergleichung  mit  der  Anlage 
der  Loci  erst  recht  klar,  dass  dieselben  die  teleologische  und  orga- 
nische Betrachtunghweise  nicht  befolgen.  In  den  .,  Elenienta  doctrinae 
ph3*sicae**  fr".  R.  XIII,  199)  bezeichnet  er  die  natürliche  I>kenntnis 
Gottes  als  ,.tenuior  quam  detiuitiu  ecclesiae  necessaria,  in  qua  patcfecit 
dcu8  tres  persona»,  et  arcanam  voluntatem  de  colligcnda  ecclesia 
aeterna  et  de  reniissione  j>'<'e;Unrum ".  Diese  definitio  in  ecclesia 
illustriur  tiihrt  er  •lemnächst  dahin  aus.  dass  der  dreieinige  Gott  condi- 
derit  et  servet  coehim  et  terram  et  oiunes  creaturas,  et  in  gcnere  humano 
condito  ad  iuiagin«  ni  suam  et  ccrtam  obedientiam  «  1  e  e  r  i  t  s  i  b  i  e  c  - 
clesiain,  ut  ab  »  a  hacc  una  et  vera  divinitas -- agiioscatnr.  invoceturet 
colatur  iuxta  verbiinj  divinitus  traditum.  et  in  vita  aeterna  curaui  cou- 
spiciatur  et  celobretur.  —  Enarratiu  symbuli  Nicaeni  (C.  R.  XXIII,  198): 
„Pater  domini  nostri  J.  Chr..  qui  condidisti  genus  hmnanum.  ut  inde 
tibi  aeteroam  ecclesiam  coUigas,  cui  sapieotiaui  et  bonitatem  tuam  com- 
munices." 


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DIS  EKTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIRCHE.  55 

woniienen  Massstabe  der  Kirche  Augsburgischer  Confession 
^l^ereinsümmeii.  Man  wird  also  vielmelur  zu  erforschen  haben, 
welches  Haas  der  üebereinstiinixniiig  zwischen  Melanchthon 
and  der  lutherischen  Partei  in  der  Epoche  des  zwischen  ihnen 
waltenden  Streites  stattgefunden  hat.  Nur  auf  diese  Weise 
würde  erklärt  werden,  dass  der  Sieg  der  lutherischen  Partei 
^ber  Melanchthon,  der  im  CSoncordienbuch  erreicht  ist,  zn- 
glelch  diejenige  CSapitaUtion  zwischen  beiden  einschliesst, 
welche  durch  die  partiale  Anerkennung  des  Üeberwnndenen 
bezeichnet  ist.  Die  Untersuchung,  welche  durch  diese  Be- 
merkungen angezeigt  ist,  wird  auch  dadurch  nahegelegt,  dass 
der  liaaptsächlicbe  Gegner  Melanchthons,  Flacius,  welcher  im 
ganzen  und  grossen  durch  die  Concordienformel  alsSieger  erwiesen 
worden  ist,  ein  specieller  SehfQer  Melanchthons  war  und  von 
dem  charakteristischen  Einfluss  dieses  Lehrers  schwerlich  frei 
geworden  ist,  indem  ihn  die  Ergebenheit  gegen  Luther  und 
dessen  geschichtliches  Werk  in  den  Kampf  gegen  jenen  trieb. 
Also  auch  um  den  theologischen  Charakter  dieses  Mannes  zu 
▼erstehen,  kftme  'es  darauf  an,  den  Punkt  aufeufinden,  in  wel- 
chem fDr  ihn  die  Autorität  der  beiden  Beformatoren  zusam- 
menfliesst. 

Wir  verdanken  P  reg  er  eine  überaus  sorgfältige  Bio- 
graphie Ton  Flacius;  allein  derselbe  hat  sich  der  eben  bezeich- 
neten Au%ab6  nicht  angenommen,  obgleich  an  ihrer  Losung 
das  kirchengeschichtliche  Interesse  jener  Biographie  hängt. 
Für  Flacius  gesammtes  öftentliciies  Wirken  haudelt  es  sich, 
wie  Preger  ^)  sagt,  um  das  Vorherrschen  der  lutherischen 
oder  der  melanchthonischen  Richtung  in  der  Kirche.  Um 
dieses  zu  erläutern,  unternimmt  nun  derselbe  eine  Veigleiehung 
der  theolo^schen  Methode  und  der  kirchlichen  Haltung  beider 
Reformatoren,  welche  wiederum  nur  einen  Gegensatz  zwischen 
ihnen  feststellt.  Nämlich  von  Preger  wird  Luthei-s  Lehre 
mit  dem  Ehren pradic^it  der  organischen  Entwicklung  belegt, 
Melanchthon  als  der  Analytiker  bezeichnet,  der  nie  aufgehört 
habe,  die  Fundamente  der  Eeformation  zu  prfifen,  und  deshalb 
nie  zu  abschliessenden  Resultaten  über  den  Unwert  der  alten 


1)  A.  a.  0.  Bd.  I,  S.  soff. 


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^.6 


JUTäCHL, 


Kirche  ^kommen  sei,  sondern  sieb  stets  durch  dereu  gran^ 

diese  ErscbeinuiiL;  habt*  iiiii)onireu  lassen.  Es  wird  ferner 
festgestellt,  dass  Flacius  auf  Luthers  Seite  gebore,  -la  er  seine 
Heilsgewissheit  durch  gleiche  Anfechtuugeu  hindurch  erreicht 
habe  wie  dieser;  und  es  wird  uns  flberlaesen  duans  zu  folgern» 
dass  er  deshalb  nichts  mehr  mit  seinem  speciellen  Lehrer« 
dem  Analytiker  Melanchihon,  gemein  gehabt  habe,  dessen  Theo- 
logie nicht  aus  Seleukämpfeu  und  inuereu  Erlebnissen  her- 
Yorgewachsen  wäre. 

Ich  bemerke,  dass  die  Aufgabe  der  Biographie  de» 
Flacius  von  P  reg  er  nnrollständig  bezeichnet  ist  Die  Situi^ 
tion,  in  die  jener  Mann  eintrat,  war  der  Kampf  um  die  AntoritÜ 
Luthers  oder  Melanchthous.  Allein  wenn  dieser  Kampf  mög- 
lich war,  so  mussten  beide  Männer  in  dem  Verständnis 
der  kämpfenden  Persoueu  ein  Gebiet  gemeinsam  einnehmen,, 
und  jeder  der  Eftmpfer  mnsste  an  diesem  Gebiet  der  üebeiein» 
Stimmung  der  Beformatoren  mit  seiner  TTeberzengong  beteiligt 
sein.  Also  kam  es  nicht  darauf  an,  zu  zeigen,  welchen  ümfimg 
der  geistige  Gegensatz  beider  Reformatoren  in  der  Wirklich- 
keit eingenommen  hat ,  sondern  auf  die  Frage ,  in  welcher 
Form  und  welchem  Masse  ihre  Uebereinstimmung  denjenigen 
gegenwärtig  war,  welche  übrigens  um  das  Uebeigewicht  de» 
einen  oder  des  andern  gestritten  haben.  Da  Preger  hieran 
nicht  gedacht  hat,  so  hat  er  auch  die  kirchen geschichtliche 
Stellung  seines  Helden  nicht  zu  bezeichnen  vermocht.  E» 
kommt  mir  jetzt  nur  darauf  an,  diesen  Fehler  in  der  Methode 
bemerklieh  zu  machen ;  hingegen  unterhuse  ich  es,  dieparteüschoi 
üebertreibongen  zu  verfolgen,  die  Preger  in  der  Charakte* 
ristik  Luthers  und  Melanchthous  in  demselben  Masse,  jedoch 
in  umgekehrter  Eiclitung  begangen  hat,  als  es  von  Heppe 
geschehen  ist. 

Das  Zusammenwirken  der  inneren  und  der  äusseren  Ur- 
eaehen,  welche  die  deutsche  Beformation  in  die  lutherisch» 
Kirche  ansmtlnden  hissen,  muss  an  den  Yer&nderungen  ge- 
messen werden,  welche  der  ßegriflP  von  der  Kirche  erfahren 

bat,  der  im  Kreise  der  Protestanten  galt.  Nun  kann  mau 
diesen  Verlauf  nur  in  den  Schriften  Melanchthons  verfolgen, 
da  nur  er  eine  stete  Aufmerksamkeit  und  Denkarbeit  auf 


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DIB  ENTSTEHUNG  DBS  UTEHERISGHEN  KIBCHE.  57 

dieses  Thema  verwendet  hat;  und  es  wird  sich  zeigen,  daas 
er  in  dem  Begriff  von  der  Kirche  absohliessende  BcBultate 
erzeugt  hat,  die  mit  der  „grandiosen  Gestalt  der  alten  Kirehe*^ 

nicht  capituliren.  Hat  er  durch  gewisse  HandUuif^eii  oder 
Aeusserungeii  die  protestantische  Kirchenbild uiit,^  compromittirt, 
so  steht  diesen  Fällen  ein  üebergewicht  entgegengesetzter 
Verdienste  gegmfiber.  Indes  setze  ich  mir  nicht  die  Auf- 
gabe, diesen  Stoff  zu  erürtem.  Die  Lehren  Melanchthons  von 
der  Kirche  nnd  den  nüchst  daasn  gehörigen  Beziehungen  habe 
ich  in  literarischen  Publicationen  wiederholt  berührt  Indem 
ich  diesen  Stott  von  neuem  in  Bewegung  setze,  um  die  Mit- 
wirkung Melanchthons  zur  Entstehung  der  lutherischen  Kirche 
za  erkl&ren,  so  darf  ich  mich  auf  sein  eignes  Beispiel  be- 
rufen, dass  er,  was  ihm  wichtig  war,  immer  von  nenem  an»- 
gesprochen  und  niedergeschrieben  hat,  obgleich  er  schwerlich 
Grund  zu  der  Vermutung  hatte,  dass  m&n  seine  Schriften 
ungelesen  Hesse. 

Die  beabsichtigte  Untersnchong  hat  anazngehen  von  der 
gesdiichtiißhen  Erklftmng  des  7.  Artikels  der  Angsbnrgischen 
Confession.  Obgleich  derselbe  von  Melanchthon  ver&sst  ist, 
80  musd  er  doch  als  Ausdruck  der  Gedanken  geschätzt  wer- 
den ,  welche  Luther  vorher  und  nachher  ausgestreut  hat 
Denn  mit  einer  vorangehenden  Lehrüberzeugnng  Melanchthons 
kann  jener  Text  nicht  verglichen  werden,  weil  weder  die  Loci 
von  1621  noch  das  Visitationsbnch  von  1628  einen  Titel  von 
der  Kirche  enthalten.  Die  ganze  folgende  Untersuchung  aber 
würde  überflüssig  sein,  wenn  diejenige  Erklärung  jenes  Lehr- 
artikels richtig  wäre,  welche  von  den  heutigen  exclusiven 
Lutheranern  als  der  berechtigte  nnd  sich  von  selbst  verstehende 
fiinn  desselben  kondgegeben  wird.  Dieselben  erUfiren  nftmlich 
die  fttr  die  Einheit  der  Kirche  notwendige  üebereinstimmung 
in  der  „  Lehre  des  Evangeliums so,  dass  damit  der  gesammte 

i|  „  Ueber  die  Begrifle  sichtbare  und  unsichtbare  Kirche"  in  Stud. 
u.  Krit  1859.  S.  "2i  »5  tf.  —  ..Dio  Pog-rnndung  des  Kircbenrochtes  im  evan- 
gel'vchen  }>egrift"  von  der  Kirche"  in  Zeitschr.  t".  Kircbenrecht  1869, 
lid.  VIII,  S.  25<)ff.  —  „Lehre  von  der  ßechtfertigimg  und  Versöhnung'' 
Bd.  I,  S.  247—252. 

3)  Vgl.  Köstlin,  Luthers  Theologie  Bd.ll,  8.534—537. 


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58 


RlTäCHL, 


Lehrinhalt  der  0.  Ä.,  iDsbesondere  auch  die  Lehre  über  das 

Abondiuahl  in  Art.  lo  gtMiieint  sei.  Nach  dieser  Ansicht 
wäre  die  lutherische  Kirche,  so  wie  man  sie  versteht,  schon 
mit  dem  Acte  der  Verlesung  der  Confession  vor  dem  Kaiser, 
also  1630  gegründet.  Auf  diesem  Standpunkt  erscheint  dann 
die  Frist  der  Vorbereitung  seit  1617  lüs  eine  geringfügige 
Spanne  Zeit,  und  man  hält  Vorlesungen  über  die  Geschichte 
der  lutherischen  Kirche  von  1517  an. 

Diese  Geschichtsbetrachtung  führt  notwendig  zu  schiefen 
mid  yerzerrten  JOrgebnissen,  und  jene  Erklärung  des  fraglichen 
Artikels  ist  nach  geschichtlichem  Massstabe  unrichtig.  E  r  s  t  e  ns 
nämlich  ist  die  Keformation,  indem  deren  Umfang  und  Trag- 
weite für  Luther  selbst  erst  allmählich  klar  ^^ewordeii  ist,  von 
Anfang  an  auf  den  ganzen  Bestand  der  abendländischen  all- 
gemeinen Kirche  gerichtet,  und  auf  nichts  weniger  als  die 
Orfindung  einer  Particularkirche  neben  der  römischen.  Die 
Ansätze  zu  einer  solchen  Kirchenbildung .  welche  die  Evan- 
gelischen etwa  seit  1.^25  unternehmen  iimsstcu,  weil  die  Ke- 
formation  von  Biscliöfen  und  Papst  abgewiesen  wurde,  werden 
zunächst  noch  nicht  als  etwas  Endgültiges  angesehen.  Wie 
lange  diese  Zurfickhaltung  in  der  öfientlichen  Meinung  der 
Protestanten  vorgeherrscht  hat,  ist  erst  ein  Gegenstand  der 
Untersuchung.  Sie  hat  jedenfalls  nicht  so  lange  vorgehalten, 
als  die  Evangelischeu  sich  noch  zu  Religionsf^'esj>rächen  her- 
beigelassen haben,  um  eine  Aussöhnung  mit  den  Päpstlichen 
zu  erreichen.  Denn  indem  Melanchthon  seine  Unterschi'ift  des 
[Schmalkaldischen]  Bekenntnisses  Luthers  mit  der  Erklärung 
begleitete,  dem  Papste  könne  eine  Autorität  menschlicher 
Art  zugestanden  w^erdeii.  wenn  er  das  Evangelium  zuliesse, 
war  er  schwerlich  im  Einklang  mit  der  öffentlichen  Meinung 
der  Evangelischen.  Umgekehrt  aber  ist  die  Absicht  auf  eine 
Particularkirche  schon  deshalb  nicht  in  der  G.  A.  ausgedruckt, 
weil  dieselbe  mit  grossem  Nachdruck  betont,  dass  die  vorge- 
tragene Lehre  nicht  gegen  die  der  katholischen  Kirche,  ja 
auch  nicht  gegen  die  eigentliche  Lehre  der  römischen  Kirche 
Verstösse.  Und  so  wenig  wollen  die  Evangelischen  eine  Par- 
ticularkirche bilden,  dass  sie  im  Augsburger  Beligionsfrieden 
(1555)  der  Gegenpartei  den  besondem  Namen  „katholisch*^ 


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DIE  ENTSTEHUMQ  DER  LUTHERI8CHSN  KIKGHE.  59 

verweigert  haben.  Sie  wollten  ebenso  katholisch  sein  wie  die 
AnhftDger  des  Papstes;  und  deshalb  werden  in  dem  Friedens- 
docoment  die  „der  alten  Religion  Anhängigen*'  den  „Ver* 
wandten  der  Augsbargischen  Confession'^  gegenübergestellt. 
Unter  welchen  Bedingungen  der  Anspruch  der  Evangelischeu 
aut  Katholicitüt  mit  der  Tatsache  und  der  Wertschätzung 
ihrer  particolaren  Kirchenbüdung  in  der  Zeit  von  ld30 — 1565 
im  Einklänge  steht,  ist.  eben  auch  ein  Gegenstand  der  Unter- 
sacbnng.  Weil  also  eine  solche  dnrch  eine  Menge  bekannter 
Data  angeregt  wird,  kann  nicht  zugestanden  werden,  dass 
die  Auseinandersetzung  einer  lutherischen  Particularkirche 
gegen  die  römische  im  Jahre  1530  dnrch  die  Aufstellung 
der  Angsbnrgischen  Confession  vollzogen  worden  sei. 

Zweitens  wird  fteilich  die  zur  Einheit  der  Kirche  als 
notwendig  geachtete  Uebereinstimmung  in  der  doctrina  evan- 
gelii  der  angeführten  Deutung  fähig  sein,  wenn  mau  den  Satz 
ausser  allem  Zusammenhang  mit  den  gegebenen  Umständen 
versteht  Aber  es  ist  auch  nur  mdglich,  doctrina  evan- 
gelii  zu  lesen  und  diese  Verbindung  der  Wdrter  von  dem 
Complex  der  Sätze  der  0.  A.  zu  verstehen;  an  sich  ebenso 
möglich  ist  es,  doctrina  evan;;M'lii  zu  betonen,  und  dann 
erscheint  das  erstere  Wort  nur  als  Hulfswort  für  das  zweite. 
Diese  Erklärung  aber  ist  aus  einer  lieihe  von  Gründen  die 
nach  geschichtlichem  Massstabe  einzig  mögliche  und  notwen- 
dige. Im  deutschen  Text  der  Confession,  der  ebenso  authen- 
tisch wie  der  lateinische  ist,  heisst  es:  ,,Denn  dieses  ist  ge- 
nug zu  wahrer  Einigkeit  der  christlichen  Kirche,  dass  da  ein- 
trächtiglich  nach  reinem  Verstand  das  Evangelium  ge- 
predigt und  die  Sacramente  dem  göttlichen  Wort  gemäss 
gereicht  werden.**  Das  Evangelium,  welches  gepredigt  oder 
gelehrt  werden  soll,  ist  nun  vorzustellen  als  die  Erklärung 
des  gniidigen  Willens  Gottes  und  nicht  als  die  lieihe  der 
Dogmen  als  m  e  n  s  c  h  1  i  c  Ii  e  r  Erkenntnisse.  Jeuer  Sinn  ist 
direct  durch  den  Art.  5  angezeigt,  dass  nämlich  das  Wort 
Gottes  (gleich  dem  Evangelium)  und  die  Sacramente  als  die 
Mittel  zu  achten  seien,  durch  welche  der  beilige  Geist  ge- 
geben wird,  der  den  Glauben  wirkt,  und  welche  als  diese 
Orgaue  der  Wirkung  Gottes  aucli  gelten  sollen,  iudem  sie  den 


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60 


Inhalt  des  Predigtamtes  bilden  ^).  Dass  diese  Wirkungen 
an  dogmatische  Erkeiiutoisse  der  Menschen,  an  doctrina 
evangolii  «geknüpft  sein  sollten,  liegt  ansaerhalb  des  durch 
Art  6  bezeichneten  Gesichtskreises.  Endlich  wenn  das  Be-* 
kenntnis  der  Eircbenglieder  m  den  Glanbensartikeln  als  das 
notwendige  Band  der  Einheit  der  Kirche  geraeint  sein  sollte, 
so  wäre  es  durcliaus  n n verständlich ,  warum  Melanchthon  die 
in  den  Schwabacher  Artikeln  ihm  vorliegende  Fassung  des 
Gedankens  nicht  in  die  C.  A.  anfgenonunen  hat.  In  jener 
Vorlage  lautet  nftmlicfa  der  12.  Artikel:  ,,SoMe  Kirche  ist 
nichts  anderes,  denn  die  Gläubigen  an  Christo,  welche  ob- 
gena nnte  A  r tikel  und  Stücke  glauben  und  leh- 
ren.... Denn  wo  das  Evangelium  gepredigt  wird  und  die  Sa- 
cramente  recht  gebraucht,  da  ist  die  heilige,  christlicbe  Kirche.^^ 
Die  „obgenannten  Artikel*'  (1^6)  betreffen  die  Trinität,  die 
Gottheit  Christi,  seine  Gottmensehheit  und  die  Heilsbestim- 
mung  seines  Todes,  die  Erbsünde,  die  Unfreiheit  des  Willens 
und  die  Gerechtigkeit  aus  dem  Glauben ,  die  Bekehrung  aus 
dem  heiligen  Geist.  Die  „Stücke''  (9.  10)  bezeichnen  den 
eacnunentalen  Wert  ron  Tanfe  und  Abendmahl,  welche  jedes 
aus  zwei  Stficken,  dem  sinnlichen  Element  und  der  UbematGr- 
liehen  Gabe,  bestehen.  Das  Gefüge  dieses  zwölften  Schwa- 
bacher Artikels  ist  freilicli  logisch  ungeschickt;  allein  wenn 
Melanchthon  den  Gedanken  des  ersten  Satzes  überhaupt  in 
der  C.  A.  ausdrücken  wollte,  so  konnte  er  mit  einer  leichten 
Ergänzung  zwischen  den  beiden  Sätzen  des  Schwabacher  Ar» 
tikels  sich  dieser  Vorli^  anschliessen.  Hat  er  dieses  nicht 
getan,  so  hat  er  auch  niclit  den  Gedanken  beabsichtigt,  den 
die  exclusiven  Lutheraner  in  seinen  Text  hineinlegen. 

Aber,  wird  dagegen  eingewendet,  Melanchthon  achtet  als 
Bedingung  der  Einheit  der  Kirdie,  dass  „da  das  Evang^um 
nach  reinem  Verstand  gepredigt  werdet  Das  richtige 


1)  Vgl.  in  Ricliters  Evangeüschen  Kirchenordnuiigcn  I. 266) 
die  erste  Wiirt^niberj^ische  von  1536:  „Denn  diese  zwei  Stink,  nämlich 
Predigt  und  Sacrajuent,  tler  christlichen  Kirelie  notwendig'''  und  Haupt- 
BtQck  sind,  dadurch  tler  Glaube  in  J.  Chr.  unsern  Seliguiucher  von 
Gott  durch  den  heiligen  Geist  geptiauzt,  gestärkt,  ja  die  rechte  Fröm- 
BÜgkelt  und  Seligkeit  aoägeteilt  und  dargereicht  wird." 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIRGHB^  61 

menschliche  Veistfindiiis  des  Qnadenwillens  Ck^ttes,  ohne  dessen 

Veniiittlunir  kein  Prediger  diesen  directen  Inhalt  seiner  Rede 
zum  Heile  der  anderen  vortrilgt,  könne  Melanchtlion  uur 
meinen  als  die  Glaubensartikel  der  C.  A.  Also  würde  der 
Verfasser  derselben  indireei  doch  das  Torschreiben,  was  dem 
Texte  des  Schwabacher  Artikels  entspricht  Wenn  nun  diese 
Beweisführung  triftig  wÄre,  so  mfisste  sie  doch  eine  Ein- 
schränkung erleiden,  welche  ihren  Urhebern  emphudlich  sein 
würde.  In  diesen  reinen  Verstand  des  Evangeliums  würde 
der  Inhalt  von  Art  10  der  C.  A.  nicht  eiuzuachliessen  sein, 
nad  mnsowenigert  da  zur  Einheit  der  Kirche  nur  noch  die  Be- 
dingung gereebiet  wird,  dass  die  Saeramente  recht  gebraucht 
werden  (administratio  sacramentorum).  Hiednrch  ist  eine 
bestimmte  Ansicht  vom  Abendmahl  ebenso  wenig  zu  den  Be- 
dingungen der  kirchlichen  Einheit  erhoben,  als  die  in  der 
vorbeigehenden  mit  gedacht  ist  Jedoch  die  qnellenmSsnge 
also  notwendige  Erldäruug  jenes  Anadmckes  führt  noch  eine 
stärkere  Abweichnng  von  jener  Bestimmung  seines  Sinnes 
herbeL  Nämlich  unter  den  Torgauer  Artikeln,  welche  die 
andere  Vorlage  für  die  C.  A.  bilden,  befindet  sich  ein  Auf- 
satit  weldier  deutlich  in  Luthers  Art  gehalten  ist  und  sich 
mit  dessen  gleichzeitiger  „Vermahnung  an  die  Geistlichen« 
versammelt  auf  dem  Beichstage  zn  Angsbnig*'  berfihrt.  Hier 
findet  sich  eine  authentische  Declaration  der  fiaglichen 
Formel 

„In  der  Kirche  Christi  fordert  man  diese  nachgeschriebene 
Stficke:  Erstlicb  ein  rechtschaffen  Predigtamt,  da  fleissig  und 
treulich  gelehrt  wird  das  heilig  gdtÜieh  Wort  nach  reinem 


1)  Dieses  wird  ab  die  gleichzeitige  Memmig  Hehmchtboiu  tirwiesen 
doreh  eme  seiiier  Au&eichniugen,  welche  in  die  auf  dem  Angsbnrger 
Beicfaftage  gepflogenen  Verbandlnngen  Uber  einen  Aosgleieb  gehört.  Unter 
den  „Articnli,  de  qmbos  non  convenit  nobis  com  adYenuüe"  lautet  der 
sechste:  „Qnod  ad  veram  nnitatem  ecclesiae  non  sit  neoessaria  similitndo 
traditiomm  hnmananun,  sed  consensus  de  evangelio  et  nsn  sacramen- 
tonan.**  C.  R.  H,  377. 

S)  Coifos  Beformatorom  XXVI,  103.  Die  andere  ^Schrift  Latheis 
bei  Walch  XVI,  1171. 


62 


R1T8GHL, 


christlicbeD  Verstand  ohne  Zusatz  einiger  falscher  Bei-^ 
lehre. 

In  solcher  Predigt  wird  klar,  eigentlich  und  richtig  ge- 
lehret und  dargegeben,  was  da  sei 

Christus  und  das  Evangeliuni, 
Rechtschaffene  Busse  und  Furcht  Gottes, 
Wie  zu  erlangen  sei  Veigebang  der  S&nde, 
Von  Vermögen  und  Gewalt  der  Schlfissel  der  Kirche. 
Diese  Lehre  und  die  ganze  Sninme  des  Evangelii  wird  in 
dieser  Kirche  Christi  mit  fleissigem,  wahrem  Anhalten  täglich 
und  ohne  Unterlass,  beides  in  der  Gemeinde  und  bei  einem 
jeden  Christen  für  sich  getrieben  durch  Predigen,  Lesen, 
Trtet^  und  Vermahnen,  durch  Auslegen  der  Psalmen  und 
allerlei  Bücher  der  Schrift,  wie  Paulus  1  Kor.  14  schreibt 

Da  wird  recht  gelehret  von  christlicher  Freiheit,  wie  die 
Gewissen  frei  sind  in  Cliristo. 

Und  solche  Lehre  zu  erhalten  wird  mit  grossem  Ernst- 
und  höchstem  Fleiss  Achtung  gehabt,  dass  Schulen  für  Ejiaben 
und  Mädchen  zu  guter  Zucht  der  Ji^nd  aufgerichtet  und 
erhalten  werden. 

Da  sind  auch  die  Gaben  der  Sprache,  Ikbiilisch,  Grie- 
chisch und  Lateinisch  und  tun  die  Bischöfe  Fleiss,  damit  solche 
Studia,  so  hochnötig  sind  die  heilige  Schrift  zu  verstehen, 
nicht  untergehen.** 

Diese  Darstellung  Luthers  versetzt  das  Verständnis  des 
Artikels  der  C.  A.  auf  ein  total  verschiedenes  Gebiet,  als  auf 
wehiiem  die  geirn*  rische  Ansicht  sich  behaupten  kann.  Die 
Geltung  eines  formulirten  Lehrgesetzes  und  der  Erwerb  eines 
selbständigen  und  umfassenden  Schrifbstudiums  haben  zur  Rein- 
heit des  Wortes  Gottes  ein  grade  umgekehrtes  Verhältnis  der 
Zweckmässigkeit.  Sofern  aber  auch  bei  dem  sorgfältigen 
Studium  der  Schrift  die  ^löglichkeit  vorhanden  i^^t,  den  reinen 
Verstand  des  Wortes  Gottes  in  einer  kurzen  Formel  darzu- 
stellen, so  ist  der  Inhalt,  den  Luther  in  der  „Summe  des 
Evangeliums'*  zusammengefiEtsst  denkt,  dem  vermuteten  Qesetz 
von  so  und  so  vielen  Glaubensartikeln  ziemlich  unähnlich. 
Die  vier  Punkte,  welche  Luther  aufführt,  sind  als  Glieder 
eines  organischen  Ganzen  gedacht,  indem  sie  sich  auf  die 


DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIRCHE.  6^ 

Begelnng  des  pnüctischen  Christentimis  beschrftoken,  welches 
innerhalb  der  richtig  eingerichteten  Kirche  mOglich  ist.  Im 

Vergleich  mit  diesen  Mitteln  der  Aneignung  der  göttlichen 
Gnade  treten  die  vorausgesetzten  Vorstellungen  von  Gott,  von 
der  Sünde  u.  s.  w.  in  den  Hintergnind;  d.  h.  es  handelt  sich 
gar  nicht  am  den  theoretischen  Besitz  einer  Glaubensregel^ 
in  welcher  jeder  Teil  ebenso  viel  Wert  h&tte  wie  alle  anderen, 
weil  auf  jeden  gleich  viel  theologische  Arbeit  verwendet  wäre. 
Antithetisch  ausgedrückt,  bedeutet  der  reine  Vei-stand  des 
Evangeliums  die  Ausschliessung  menschlichen  Verdienstes  von 
dem  Zusanunenhang  der  Darbietung  und  der  Aneignung  der 
Gnade  Gottes.  In  dieser  Hinsicht  reicht  die  £r]d&rang  der 
pora  doctrina  evangelü,  welche  Mehtnchthon  in  der  Apologie 
der  C.  A.  vorträgt,  dem  Torgauer  Artikel  die  Hand.  Er 
deutet  hier  (Art.  TV.  §  20.21)  jene  Grösse  als  die  Erkenntnis 
Christi  und  den  Glauben  an  ihn.  welche  nach  einer  Sentenz 
des  Paulus  (l£or.  3,  12)  das  Fundament  bildet,  auf  welchem 
verschiedene  Lehrer  Lehren  verschiedenen  Wertes  aufrichten. 
Dieselben  Irl^nnen  ertmgen  werden,  wenn  sie  das  Fundament 
nicht  zerstören;  dieser  Fall  aber  tritt  ein,  wenn  die  Römischen 
den  Grundsatz  des  Verdienstes  aufrecht  erhalten,  der  die  richtige 
Bedeutung  der  Sundenvergebung  und  des  Glaubens  durch- 
kreuzt Ein  deutlicher  Wiederhall  dieses  Gedankenganges 
findet  sich  noch  in  der  Schleswig- Holsteinischen  Kirchen- 
ordnung (1542):  „Von  der  Lehre  unserer  Seligkeit,  dailurch 
die  Wohltat,  uns  durch  Christus  erlanget,  verkündigt  wird. 
Die  ganze  unversehrte,  vollkommene  Lehre  des  heiligen  Evan- 
gelü soll  in  allen  Orten  rein  und  einträchtig  sein,  darin  man 
zum  allerhefliigsten  treiben  und  vorhalten  soll  den  Artikel  von 
unserer  Bechtfertigung,  dass  alle  Leute  verstehen  mögen,  was 
der  Glaube  sei  und  was  er  ausrichtet,  uucli  wie  wir  den 
Glauben  überkommen,  welcher  ist  Vergebung  der  Sünden/' 


^)  Den  Schlüssel  zu  dieser  Erklärini^'  bild-  t  der  Satz  in  der  Ein- 
leitung zu  den  ..Loci  theol."  von  1521  (C.  R.  XXI,  „]\nc  >-<t 
Christum  cognoscere .  b<;neticia  eiu.s  cognoscere,  non,  qaod  isti  docent, 
ciaa  natnra.s.  mod<"S  incarnationis  ountueri." 

2)  £ki  Kichtcr,  Kirchenurdnungen  Bd.  I,  S.  dbi. 


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64 


&ITSCHL, 


Endlich  kommt  in  Betraclit,  das«  die  reiue  und  lautere  Pre- 
digt des  Wortes  Gottes  der  Titel  ist,  auf  weichea  zunächst 
alle  Kirchenordaungen  lutherischen  Geprftges  von  der  ersten 
an  (Stralsund  1625)  gefprfindet  sind.  Wenn  nun  nach  dec 
Öffentlichen  Ahle^ng  des  Augsburgischen  Bekenntnisses  grade 
dessen  Lohrinhalt  als  der  reiue  Verstand  des  Evangeliums  au- 
erkauut  worden  wäre,  so  mässte  mau  erwarten,  dass  alle  nach 
dem  Jahr  1530  aufgestellten  Eirchenordnungen  aus  dem  Wir- 
kungskreise Luthers  die  Hinweisung  der  Frediger  auf  die 
C.  A.  Mithielten.  Dieses  ist  jedoch  zunächst  nur  ausnahmst* 
weise  (in  Pommern  15.35,  in  Halle  1541)  der  Fall  gewesen; 
regelmässig  kehrt  die  ursprüngliche  Formel  wieder  ohne  be- 
sondere Erklärung,  oder  mit  einer  solchen  Erklärung,  wie  die 
in  der  Kirchenordnung  für  Schleswig-Holstein  ist  first  die* 
jenigen  Eirchenordnungen,  welche  nadi  1545  erlassen  worden 
sind,  beziehen  sieh  ausdrücklich  auf  die  C.  A.  mid  ihre  Apo- 
logie, sowie  auf  andere  Schriften  gleichen  Ranges.  Diese 
Erscheinung  aber  weist  auf  eine  Veränderung  des  kirchlichen 
Gesichtskreises  der  Wittenberger  Beformatoren  hin,  fiber  welche 
spftter  zu  berichten  sein  wird. 

Also  geschichtlich  angesehen,  ¥rird  durch  den  reinen  Ver- 
stand des  Evangeliums  in  Art.  7  der  C.  A.  nichts  weniger 
insinuirt,  als  dass  dieses  Lehrhekenntnis  selbst  um  der  Einheit 
der  Kirche  willen  gesetzliche  Geltung  haben  müsse.  Dieses 
Ergebnis  kann  auch  nur  dann  befremden,  wenn  man  voraus- 
setzt, dass  der  in  Art  7  angestellte  Begriff  von  der  Kirche 
vollständig  und  er8ch()pfend  sein,  dass  er  deshalb  durch  ettfe 
bestimmte  Erscheinung  von  Kirche  gedeckt  werden  solle. 
Dazu  reichen  aber  die  Bestimmungen  nicht  aus,  dass  die 
Kirche  die  Gemeinschaft  der  Gott  Geheiligten  ist,  welche 
unter  den  Merkmalen  der  unablSssigen  Dauer  und  der  Einheit 
besteht,  und  zwar  gemäss  der  richtigen  Yerkfindigung  des 
göttlichen  Gnadenwortes  und  der  authentischen  Uebung  der 
beiden  Sacramente.  In  dieser  Formel  ist  nämlich  nicht  das 
Predigtamt  als  notwendiges  Merkmal  der  Kirclie  aulgeführt; 
dasselbe  wird  jedoch  schon  in  Art.  5  als  göttliche  Einrich« 
tung  anerkannt;  fehlt  es  also  in  Art  7,  so  ist  der  in  ihm 
ausgesprochene  Begriff  der  Eiiche  gar  nicht  als  der  vollständige 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LDTBEBI8GKEN  KIRCHE.  65 


und  direct  praktische  gemeint.  Also  bezeichnet  er  nur  den 

Umfang  von  Merkmalen  der  Kirche ,  welcher  als  Massstab  des 
"Wertes  aller  möglichen,  für  die  Beobachtung  gegebenen  Er- 
scheinungen von  Kirche  zweckmässig  ist.  Dieser  Begriff  von 
der  Kirche  ist  also  dem  Begriff  des  moralischen  Willens 
gleichartig,  welchen  Kant  in  der  „Gründling  zur  Meta- 
physik der  Sitten^*  entwickelt  hat.  Die  Merkmale  der  All- 
genieingültigkoit  einer  Maxime  des  Handelns,  ihre  Unterord- 
nung unter  den  Zweck  der  Wahrung  der  allgeraeineu  Men- 
schenwürde, und  die  Hervorbringung  derselben  aus  der  Freiheit 
des  Willens  bezeichnen  den  Massstab,  nach  welchem  die 
Handlungsweise  eines  Menschen  oder  die  Sittenlehre  einer 
Schule  auf  ihren  moralischen  Wert  zu  bestimmen  ist.  Darin 
ist  jedoch  eingeschlossen  oder  vorausgesetzt,  dass  jede  wirk- 
liche Handlungsweise,  um  ein  mensciiliclies  Leben  auszufüllen, 
noch  besonderen  Bedingungen  unterliegt,  und  dass  jede  Sitten- 
lehre noch  andere  Giiindsätze  ausser  jenen  enthalten  muss, 
um  das  wirkliche  Leben  ToUsiAndig  zu  regeln.  Dass  der  Ar- 
tikel von  der  Kirche  unter  dem  gleirliartii^on  Vorbehalt  ge- 
meint und  7.U  verstehen  ist,  j^eht  auch  aus  seiner  Verglei- 
chung  mit  den  auä  der  Eeformation  Lutliers  entsprunge- 
nen Kirchenordnungen  hervor,  welche  über  mehrere  Merkmale 
des  Bestandes  der  Kirche  verfßgen,  als  welche  hier  anage- 
aprochen  sind. 

Allerdings  kehrt  die  Formel  des  7.  Artikels  ihre  Spitze  sehr 
deutlich  gegen  die  Anerkennung  der  geschichtlich  gegebeneu 
römischen  Kirche,  ebenso  wie  die  Kautachen  Grundsätze  den 
Sinn  haben,  die  heteronome,  utilitarische  und  eudämonistische 
Moral  der  Zeitgenossen  als  unmoralisch  erkennen  zu  lassen. 
Jene  Absicht  wird  deutlich  durch  die  Erlautorungen,  welche 
Melunchthon  in  der  Apologie  der  C.  A.  vorträgt.  Die  roniisclie 
Kirche,  wie  sie  gegeben  war,  stellte  sich  dar  als  rechtliche 
Ordnung  aller  möglichen  Cultusverrichtungen  und  menschlicher 
Lebensbeziehungen,  also  als  eine  Art  von  Staat  (societas  exter- 
namm  remm  ac  rituum,  sicut  alfae  politiae) ;  so  weit  sie  eine 
Ordnung  religiöser  Vorstellungen  aulcrlegte,  war  dieselbe  durch 
den  Grundsatz  mensohiicher  Verdienste  gegen 
endlich  bestand  die  in  der  römischen  Kirche  zusammengefasate 

Ztltieb.  f.  K.-G.  5 


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V 

66  RTVflCBL, 

Menge  nicht  bloss  aus  Heiligen,  sondern  auch  aus  ünhoiligen 
(bypoeritae  et  mali  admixti  eedesiae),  welche  nach  Massgabe 
der  rechtlichen  Gestaltmig  der  Kirche  von  den  wirklich 

Gläubigen  nicht  unterschieden  werden  konnten.  Nach  dem 
kritisclien  Canon  der  C.  A.  entscheidet  nun  Melanclitlion 
hierüber  so,  dass  die  Kirche  nicht  bloss  Rechtsgeineiiischaft 
ist,  sondern  haaptaächlich  (prindpaliter)  Gemeinschaft  im 
Glanben  nnd  heiligen  Geiste;  dass  eine  Kirche,  welche  den 
Gmndsatz  menschlicher  Verdienste  q:egen  Gk>tt  sfeltend  macht, 
ihre  notwendifre  Gnuidlairo,  nämlich  die  Unbediu<,^th»'it  der 
göttiiciicii  Gnade  in  Cliristus  verlassen  hat;  endlich  dass  die 
in  der  Kirche  befindlichen  Nichtgläubigen  durch  ihre  äussere 
d.  h.  rechtsgültige  Teilnahme  an  den  Merkmalen  der  Kirche 
keinen  Anteil  an  dem  gewinnen,  was  die  Kirche  eigentlich 
ist.  Die  Tragweite  dieser  Entscheidiinireii  wird  mau  sich 
durch  folgeiulf  Anwendung  der  Moralprineiiden  Kants  an- 
schaulicii  machen  können.  Die  menschliche  Gesellschatt  ist 
dnrch  eine  Menge  von  Beziehungen  gegenseitigen  Nutzens  und 
gegenseitiger  Rechte  und  durch  das  Streben  aller  nach  mög- 
lichstem Wohlsein  verbunden.  Allein  sie  ist  nicht  bloss 
eine  solche  Verbindung,  sondeni  hauptsächlich,  ihrer 
eigentlichen  Bestimmung  nach ,  die  Verl>iudung  durch  das  sitten- 
gesetzliche Handeln,  welches  durch  die  drei  Grundsatze  Kants 
bezeichnet  ist  Denn  ohne  die  fiberwiegende  Einwirkui^  sol- 
cher Handlungsweise  würde  die  menschliche  Gesellsdiaft  auch 
in  jeuer  niedrigeren  Wechselbeziehung  aller  nicht  Bestand 
behalten.  Diejenigen  nun,  welche  ihre  Handlungsweise  nach 
ihrem  Hecht,  ihrem  Nutzen,  ihrem  möglichsten  Wohlsein  be- 
stimmen, sind  Genossen  der  sittlichen  Gemeinschaft  nur  in- 
sofern, als  auch  der  gemeine  Nutzen  und  die  Ausgleichung 
der  gegenseitigen  Rechte  zu  den  Zwecken  derselben  geboren; 
aber  man  kann  solche  Personen  nicht  als  moralische  Charak- 
tere für  die  sittliciie  Gemeinschaft  anrechnen.  Fenier  wenn 
anzunehmen  wäre,  dass  die  Gemeinschaft  der  Menschen  vor- 
*  wi^nd  durch  den  Grundsatz  des  Eigennutzes  der  Einzelnen 
beherrscht  wfire,  so  wfirde  man  urteilen  mfissen,  dass  dieselbe 
von  ihrer  Bestimmung  und  ihrem  Grunde  abgefallen  und  nicht 
mehr  als  sittliche  Gemeinschaft  anzuerkennen  sei.   So  sehr 


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f 


DIE  ENTSTEHUNG  DE&  LUTHERISCHEN  KiECHE.  67 

sich  nun  h'm'm  der  kritische  Gebrauch  der  Gnindsatze  Kunts 
lOewährt,  so  würde  doch  niemand  zur  sittlichen  Handlunga- 
•weise  genQgend  ansgerfistet  sein,  wenn  er  bloBs  die  üeber- 
Mgnng  f  on  der  Qftltigkeit  der  drei  Maximen  beaSsse.  Ebenso 
bestellt  anch  die  Kirche  wirklich  nnd  geschichtlich  nicht 
blosa  ilarin,  dass  sie  als  Genieinschatt  im  Glauben  durch  die 
Verlrt!ndigiin<^  des  reinen  Evan£(Pliums  erhalten  wird,  son- 
dern auch  darin,  dass  sie  äussere  rechtliche  Ordnung,  also 
wen%stw8  dos  Predigtamt  an  sich  hervorbringt.  Und  wenn 
ee  dadurdi  mdglieh  wird,  dass  ihre  Kechtsordnnng  anch  Un- 
gläubige nmihsst,  so  gilt  dabei  der  Vorbehalt,  dass  die  recht- 
liche Zugehörigkeit  zur  Kirche  an  die  eigentliche  Bestimmung 
derselben  nicht  hinanreicht. 

So  weit  erstreckt  sich  die  Analogie  dieser  beiden  Ge- 
dankenreihen.  Indessen  liegt  noch  eine  fiehaaptnng  in  der 
Apologie  der  C.  A.  vor,  welche  über  die  Linie  des  kritischen 
Gebrauches  jenes  Begriifes  von  der  Kirche  hinaus  liegt.  Melanch- 
thon  erklärt  nämlich,  dass  die  so  bezeichoete  Kirche  nicht 
ein  Phantaaiebild  wie  die  Kcpublik  Piatons  sei,  sondern  dass 
sie  in  der  Wirklichkeit  innerhalb  des  Gebietes  der  rechtlich 
geordneten  Kirche  in  den  Personen  der  wahrhaft  Frommen 
existiTe.  Dieser  Satz  ist  insofern  befiremdend ,  als  man  schwer- 
lich beweisen  kann,  dass  innerhalb  des  rechtlichen  und  ge- 
meinnützigen Verkehres  der  Menschen  eine  engere  Verbindung 
derer  bestehe,  welche  in  der  Uichtung  der  drei  Kant  sehen 
Ckands&tae  ihre  Handlnngsweise  ansflben.  Wie  können  also  die 
wirklich  fipommen  Menschen,  welche  Aber  die  ganze  Erde  zerstreut 
sind,  und  sich  nicht  in  ihrer  gemeinsamen  Eigenschaft  kennen,  als 
Kirche  zusammengedacht  werden?  Indessen  macht  sich  hier  eine 
mögliche  und  notwendige  Abweichung  zwischen  der  morali- 
schen nnd  der  religiösen  Gedankenreihe  geltend.  Bei  der 
Bestimmimg  desseii,  was  die  christliche  Kirche  ist,  kommt 
mebi  bloss  die  Beziehung  dieser  Grösse  auf  unsere  mensch- 
liche Erkeiiiitiiis,  sondern  innerhalb  derselben  auch  ihre  Be- 
ziehung auf  Gott  in  Betraclit.  Für  die  religiöse  l^otraclitung 
aller  Dinge  ist  ja  das  Merkmal  constitutiv,  dass  alles  auf  seine 
SteUung  za  Gott  ond  auf  seine  Bestimmung  durch  Gott  an- 
gesehen wird.  Wenn  deshalb  die  Wabmehmnng  von  gött- 


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68 


BTTSCHL, 


liebem  Wort  und  die  Ausübung  der  Sacrameute,  dieser  Organe 
der  Heilswirkung  Gottes,  darauf  scbliessen  lässt,  dass  von 
Gottoe  wegen  Kirche,  Gemeinachatt  der  Gläubigen  da  ist,  so 
wird  dieser  Gedanke  dabin  zu  er^nzen  sein,  dass  Gott  selbst 
diese  Gläiibif^ru ,  welche  tlurch  die  AViikungen  der  Gnaden- 
mittel in  eine  Verbindung  nicht  nur  mit  Gott,  sondern  auch 
unter  einander  gebracht  sind,  als  die  Kirche  kennt,  welche 
ihrer  Bestimmung  entspricht  Die  Verbindung  d^  wahrhaft 
Glftubigon  durch  die  Gnadenmittel  besteht  in  Gottes  Urteil, 
obgleich  die  Glieder  der  so  gedachten  Kirche  sich  als  solche 
gegenseitig  nicht  kennen;  nichts  desto  weniger  ist  diese  Ver- 
bindung für  das  tnenschlicbe  Glaubensurteil  wahrnehmbar  oder 
sichtbar,  weil  die  Organe  der  göttlichen  Gnade  sinnen&llig 
sind;  sie  heisst  nnsichtbai  nur,  indem  sie  als  Object  eines 
Glaubensurteiles  vindieirt  werden  soll  nach  Hebr.  11,  1.  In 
dieser  Weise  hat  Luther  jenes  Prüdicat  verwertet  Das 
Giaul)ensurteil  oder  die  religiöse  Beurteilung  der  Kirche  setzt 
demgemäss  die  Gemeinschaft  der  Gläubigen  als  eine  von  Gott 
aus  und  für  Gottes  Urteil  wirkliche  GrOese,  und  nicht  bloss 
als  ein  unwurkliches  Ideal  zum  kritischen  GjBbrauche,  weil  der 
religiöse  Glaube  auf  die  Vermrklichung  der  göttlichen  Heils- 
absicht gestellt  ist.  Die  Annahme,  dass  das  religiöse  Ideal 
immer  nur  er8tre])t,  aber  nie  en eicht  werde,  würde  die  Grenze 
zwischen  der  religiösen  und  der  Ssthetiscben  Anschauungsweise 
aufheben. 

Trotzdem  leuchtet  der  idealistische  Zug  dieser  Lehre  von 

der  Kirche  ein,  welche  Melancbtbon  in  die  neue  Ausarbeitunjr 
seiner  Loci  von  15:iö  aufnahm.  Man  wird  aber  schwerlich 
in  en,  wenn  man  dieses  Gedankengefüge  als  das  Erzeugnis  Lu- 
thers ansieht,  dem  sich  Melancbtbon  damals  als  williger  Aus- 
leger hingegeben  bat.  Denn  wie  sich  weiterhin  zeigen  wird, 
ist  Luther  bei  diesem  Gedankenkreis  stehen  geblieben,  Me- 
lanclithon  aber  hat  sich  später  vod  demselben  entfernt.  Als 
idealistisch  aber  ei*scheint  der  Zusammenhang  auch  darum, 
weil  er  zu  den  Erfahrungen  von  der  Kirche  nur  in  negative, 
nicht  aber  in  positiTe  Beziehung  gebracht  ist.   Von  jenem 


1)  Vgl.  Stud.  u.  Krit.  1859,  S.  197— 20a. 


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DIB  ENTSTEHÜNO  DER  LiriHEllISGmSN  KIBCH9*  69 

Begriff  der  Eiiehe  aus  wird  nur  das  piaktische  ürteU  nahegelegt, 

dass  die  in  ihrer  staatlichen  Verfassung  und  ihrer  Lehre  vom  Ver- 
dienst gegen  Gott  feststehende  römische  Kirche  nicht  die  Kirche 
sei.  Hingegen  wird  hier  auch  nicht  andeutungsweise  der  Ge- 
danke laut,  daas  die  nach  ihren  wesentlichen  Merkmalen  ge- 
dachte Kirche  in  den  der  Beformation  Lathen  folgenden  Ge- 
meindecomplexen  bestehe.  Diese  Tatsache  wird  igno- 
rirt,  indem  eben  der  Bestand  der  authentisclieu  Kirche  nur 
in  den  auf  der  Erde  zerstreuten  Gläubisren  nachc^owieben  wird. 
Diese  Zurückhaltung  hat  unleugbar  den  Sinn,  dass  die  Aus- 
söhnung mit  den  Gegnern  auf  das  Programm  der  Beformation 
hin  offen  gehalten  weiden  soll.  Hiethach  ist  auch  zu  ver- 
stehm,  dass  in  der  C.  A.  nicht  ausgesprochen  ist,  deren  Lehre 
sei  die  katholische  Ghiubensregel,  sondern  nur,  deren  Lehre 
Verstösse  nicht  gegen  die  katholische  Kirche.  Deshalb  schliesst 
nach  geschichtlichem  Verständnis  die  Confession  und  ihre 
Apologie  nicht  die  Absicht  in  sich,  die  evangelisch  oonstituir- 
ten  Gemeinden  als  die  Kirche  zu  bezeichnen.  Dann  ist 
aber  im  Jahre  1530  auch  die  Absicht  ausgeschlossen  gewesen, 
dieselben  als  die  lutherische  Kirche  zu  bezeichnen.  Denn, 
wie  sich  zeigen  wird,  setzt  die  Constituirung  dieser  Gemein- 
den als  lutherische  Kirche  die  Gewissheit  ihrer  Leiter  voraus, 
dass  dieselben  die  eine  katholische  Kirche  seien.  Die  Öffent- 
liche Feststelhng  dieser  Ansicht  musste  also  erst  stattfinden, 
ehe  es  überhaupt  zu  dem  Urteil  kommen  konnte,  da^s  für  die 
richtige  allgemeine  Kirche  ihre  Erneuerung  durch  Luther  ein 
wesentliches  Merkmal  sei. 

Luther  selbst  hat  auf  eine  Öffentliche  Anerkennung  dieses 
XJmstandes  nicht  hingewirkt,  sondern  bekanntlich  den  Gedanken 
an  eine  „lutherische  Kirche"  mit  Entrüstung  von  sich  ge- 
wiesen, obgleich  er  der  Wahrheit  gemäss  sich  bewusst  war, 
das  Evangelium  seinen  Zeitgenossen  enthüllt  zu  haben,  und 
in  seinem  Wirken  Gottes  Zwecke  zu  dienen^).  Man  sollte 
den  Widerwillen  Luthers  gegen  jene  Bezeichnung  nicht  so 
gering  anschlagen,  indem  man  behauptet,  dass  die  deutsche 
evangelische  Kirche  doch  immer  mit  Kecht  den  Namen 


)  Vgl.  die  Vorrede  zu  den  ScbmalkaldisebeD  ArtikeU. 


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70 


der  latheriscben  geführt  habe.  Immer  ist  cUd  aiohl  der  Eall 
gewesen,  denn  die  Beoeiclmiuig  kommt  erst  unter  gans  be- 
sonderen Bedinguugen  nnd  w  gewisser  Zeit  ia  Gebfaiush 

Und  das  Recht  dieses  Sprachgebrauches  unterliegt  vor  allem 
dem  logischen  Bedenken,  welches  grade  Luther  hervorgehoben 
bat,  dass  die  Kirche,  wekhe  den  Anspruch  auf  Katholicitat 
macht,  keinen  besondem  „parteiischen''  Kanten  erträgt^), 
liother  selbst  hat  sich  nur  als  den  Vertreter  der  „einigen 
gemeinen  Lehre  Christi  *S  und  deshalb  seine  Anhanginr  als  nn- 
g^ignet  zu  einer  parteiischen  Bezeichnung  geachtet 

Ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Auseinandersetzung- 
zwischen  der  römischen  Kirche  und  der  sich  bildenden  evan- 
gelischen knüpft  sich  an  den  Convent  zu  Schmalkalden  Ida?, 
und  an  die  dort  yolteogene  Ablehnung  des  vom  Papst  bo- 
nifenen  Concils.  Die  Docnmente,  welche  hiefftr  in  Betracht 
kommen,  sind  teils  von  Lutiier,  teils  von  Melanchthon  ver- 
ftis.t.  Indesen  meine  ich  nicht  die  in  Luthei-s  wie  in  Me- 
lauchthons  Artikeln  übereinstimmend  dargelegte  Erklärung, 
daas  die  Gewalt  des  Papstes  über  die  Kirohe  unbeieohtigt 
und  dass  er  vielmehr  der  Antichrist  sei.  Ylelmehr  finde!  sidi 
in  dem  Ton  Luther  verfossten  Bekenntnis  (in,  12)  die  wmter 
gehende  unumwundene  Erklärung,  dass  die  Römischen 
nicht  die  Kirche  sind,  ein  Satz,  welcher  in  Privatäusse- 
nmgen  der  Reformatoren  län|^t  vorkommt,  jedoch  selbst  in 
der  Apologie  der  0.  A.  erst  noch  zwischen  den  Zeilen  m 
bsen  war.  Aber  die  entsprechende  iärklftrang»  daas  die  Eirchd 


1)  Heppc,  Ursprung'  und  Geichicbte  der  Beseichnaiigeii  Betormirte 
und  Lutherische  Kirclie  (l?s59j. 

2)  Vermalinuüg  tiicli  vor  Aufruhr  za  hüten  (1522).  Bei  Walch, 
Bd.  X,  S.  420. 

^)  Als  Luther  mit  deiu  Witten b-  rger  (  onsistorinra  wegen  der  Gel- 
tung heinilicher  Verlöbnisse  in  Streit  gekommen  war,  schreibt  er  am 
18.  Januar  1545  an  den  Kurfiir3t<}n  Johann  Friedrich,  dass  die  Jurist»'n 
„in  meiner  Kirclien"  Sclnvit'rigk.-it.;ii  Lrreg;en  (De  Wette  Bd.  V.  S.716). 
Diese  Aensstrung  bczeiolHiet  keinen  Widerspruch  mit  der  obigen  An- 
gal)e,  als  ob  T,utlier  (iooh  die  Vorstellung  eiii^  r  lutherischen  Kirche  ge- 
bildet hätte.  Denn  au.s  <lem  l]ri<  t  -J-J.  Januar  1514  (Bd.  V,  S.  616)  ergiebt 
«ich,  dass  er  unter  „seiner  Kirclie  •  die  Localgemeinde  in  Wittenbelg 
▼ersteht,  die  ihm  als  specieUm  Selsorger  anvertraut  ist. 


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DIB  EMTSTEHDUa  I>Cil^  LUTHEBISCHEN  KIBGBE.  71 

bei  den  EYangelischen  sei,  wird  auch  jetzt  noch  nicht  abge« 
gelMn,  sondern  nur  der  allgemeine  Begriff  angestellt,  die 
Kirche  seien  die  Gläubigen,  Heiligen,  die  Schafe,  welche  anf 

die  Stimme  ilnos  Hirten  hören:  die  Heiligkeit  aber  bestehe 
nicht  in  schriftwiliiiffii  Ceriiuouieu,  sondern  im  Wort  Gottes 
und  Glauben.  Auch  in  der  Vorrede,  mit  welcher  Luther  diese 
i^rtikel  herausgab  (1638),  yerrftt  er  die  Scheu  vor  jener  Br- 
IdSrung  grade  durch  die  Art,  wie  er  sich  derselben  annAhert: 
„  Unsere  Kirchen  sind  nun  durch  Gottes  Gnade  mit  dem  reinen 
Wort  iiikI  r(H'ht<»n  Gebrauch  der  Sacramente,  mit  Erkenntnis 
von  allerlei  Ständen  und  rechten  Werken  also  erleuchtet  und 
beschickt,  dass  wir  unserethalben  nach  keinem  Coneilio  fo* 
geo.*'  £r  bleibt  also  der  idealistischen  Betrachtungsweise 
treu>  welcher  Melanchthon  in  der  Gonfession  und  der  Apologie 
Ausdruck  verliehen  hat.  welche  demnach  aucli  in  diesen  Schriften 
vielmehr  als  Luthers  Eigentümlichkeit  zu  erkennen  ist.  Näm^ 
lieh  auch  in  der  Schrift  „  Von  Conciliia  und  Kirchen"  (1539), 
nelehe  ebenfalls  durch  die  B^rufhng  des  Oonoils  nach  Mantna 
veranlasst  ist,  flbt  Luther  den  kritischen  Gebrsnck  des  Be- 
griffs von  der  Kirche  aus,  welcher  in  der  C.  A.  aufgestellt 
worden  wai'.  „Wenn  der  Kinderglaube sagt  er,  „lehret, 
<ia8S  ein  christlich  heilig  Volk  auf  Erden  sein  und  bleiben 
mfisse,  und  wenn,  wie  er  geeeigt  hat,  die  iu  der  pftpstlichea 
Kurdie  waltende  Heiligkmt  nicht  die  echte  ist,  so  kann  doch, 
«in  armer,  irriger  Mensch  merken,  wo  solch  christlich  heilig 
Volk  in  der  Welt  ist."  ^)  Und  nun  entwickelt  er  die  Merk- 
male, an  weichen  die  chrLstliche  Kirche  zu  erkennen  sei,  das 
Wort  Gottes.  Taufe,  Abendmahl,  die  Schlüssel,  Predigtamt, 
^ehet  und  Katechismus,  Kreuz  und  Verfolgung;  ausser  diesen 
»eben  Hauptstfiekeu  fßgt  er  noch  die  Merkmale  des  Christ» 
liehen  Lebens  hinzu.  Die  Aufstellung  der  ersten  Merkmale, 
welclie  nur  nicht  systematisch  geordnet  und  gegen  einander 
abgestuft  sind,  legt  allerdings  den  Schluss  nahe,  dass  die 
Kirche,  die  bei  den  Päpstlichen  nicht  vorhanden  ist,  bei  den 
Evangelischen  zu  finden  sei.  Allein  die  sittlichen  Anforderungen, 
welche  schon  in  der  Erörterung  von  Kreuz  und  Verfolgung 

1)  Walch  XVI,  27ö4ff.  i^ö06. 


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73 


BITSCUL, 


als  Merkmale  der  Kirche  auftreten,  und  dernnflchst  direct 
ausgefllhrt  werden,  erklfiren  Luthers  Zarftckhaltong  vor  jenen» 
praktischen  Schluss  und  bewähren  es,  dass  er  den  kiitischeu 
Gebrauch  des  richtigen  Kirch enbegrriffes  nicht  überschreitet. 

Anders  geartete  Kundgebungen  gehen  in  der  kritischen 
Lage  des  Jahres  löa?  von  Mehinchthon  ans.  Er  ist  nämlich 
der  Ver&sser  der  beiden  Erklftmngen  der  Schmalkaldischen 
Bundesgenossen  an  den  kaiserlichen  und  an  den  päpstlichen 
Gesandten,  iu  welchen  die  Ablehnung  des  Concils  motivirt 
wird  Von  den  beiden  Actenstücken»  welche  in  den  Haupt- 
sachen gleichen  Inhaltes  sind,  ist  das  letztere,  welches  sogleich 
veröffentlicht  wurde,  ausführlicher  auch  in  der  Beziehung^ 
welche  hier  in  Betracht  kommt.  Die  Lage  der  streitenden 
Parteien,  welche  durch  diese  Schrift  aufgeklärt  werden  soll^ 
wird  in  ihr  natürlich  unter  andere  Gesichtspunkte  genommen, 
als  welche  in  der  Bekenntnisschrift  und  in  der  wissenschaft- 
lichen £rOrterung  Luthers  über  den  Begriff  der  Kirche  ange» 
zeigt  waren.  Allein  indem  die  Darlegung  Melanchthons  ihrom 
Zweck  entsprechend  ist,  so  weicht  sie  grade  von  der  Linie 
ab,  welche  Luthers  eben  besprochene  Schriften  inue^n^luilten 
haben.  Melanchthon  nämlich  wiederholt  die  von  Luther  ab- 
gegebene Erklärung,  daas  die  rdmische  Kirche  nicht  die  allge» 
meine  Kirche  Christi  sei ;  aber  dieses  verneinende  Urteil  wird 
mit  aller  wtlnschenswerten  Deutlichkeit  der  Behauptung^ 
untergeordnet,  dass  die  Kirche,  in  deren  Vertretung  die  Schmal- 
kaldiachen  Bundesgenossen  handeln,  die  Trägerin  der  katho- 
lischen Einheit  der  Kirche  sei  Zur  Legitimation  dieser 
Behauptung  wird  auf  das  dem  Kaiser  zu  Augsburg  Qbeneichte 
Bekenntnis  yerwiesen,  dessen  Inhalt  zugleich  die  reine  Lehre 
des  Evangeliums  und  der  Ausdruck  der  Uebereinstimmung  der 
ailgemeiueu  Kirche  sei.   Ks  sei  das  Gebot  Gottes  und  dem- 


1)  c.  R.  m,  noi.  3ia 

>)  p.  8S2:  „Ampleotimiir  bos  qnoque  conaeiisiim  eathoUeae  eodesiAe 
Christi,  8ed  ernnriboB  pootificiis  boh  «tt  praeteiendiim  nomen  ecoleaiM. . . 
HU  eodeda,  qnae  doetnnam  eviDgelii  pimm  hostUiter  peneqaitor,  non 
est  cafholica  eedUaia  Christi  Nee  nos  vUiim  dotbib  dogma  inveximna 
in  ecdesiam»  sed  eodeeiae  catholicae  dootrinam  renoTamos  et  iUa- 
atnumis." 


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DIB  KSrmrEUUNG  D£R  LOTBEBISCHEN  KIBCaBB.  73 

nach  sittliche  Pflicht,  an  diesem  Bekenntnis  zu  Christns  fest- 
zuhalten, auch  wenn  man  dadiircli  mit  dem  Papst  uneinige 
-wird  Eine  Entscheidung  dieses  Streites  sei  einem  vom 
Papst  geleiteten  Concil  nicht  zu  überlassen,  da  derselbe 
schwerlich  anf  eine  Prüfung  der  Lehre  ans  dem  Worte  Gottes; 
d.  h.  ans  dem  Evangelinm  nnd  den  apostolischen  Schrillen 
eingehen  werde.  Also  die  durch  die  Augsburgische 
Confession  bezeichnete  Kirche  ist  die  katholische, 
das  ist  der  neue  Schritt,  der  darch  diese  öffentliche  Erklärung 
gäan  wird.  Es  war  nn?enneidlich  und  dem  praktischen 
Zweck  dieser  Erklftmng  entsprechend,  dass  die  empirische 
Anfesigung  der  allgemeinen  Kirche  an  die  tatsächliche  Gel- 
tung der  C.  A.  geknüpft  wurde.  Sollte  es  nun  so  erscheinen, 
als  ob  diese  Gedankenreihe  sich  zu  weit  von  dem  entfernte, 
was  die  C.  A.  selbst  über  die  allgemeine  Kirche  bestimmt, 
so  wird  dieser  Eindruck  nach  einem  Satze  des  ersten  Acten- 
Stockes  zu  herichtigen  sein.  Hier  wird  das  gesammte  Auf- 
treten der  rvcuigolischtii  Bundesgenossen,  also  auch  ihr  An- 
spruch, als  Anhänger  der  C.  A.  die  katholische  Kirche  zu 
vertreteij,  auf  den  Zweck  bezogen,  dass  das  Evangelium  Gottes 
nun  Heil  der  Kirche  verbreitet  werde,  damit  alle  zur  An- 
erkennung Christi  und  zur  wahren  Verehrung  Gottes  gelangen  *), 
Hierin  ist  ausgedrückt,  dass  die  empirische  Darstellung  der 
Kirche  in  dem  Merkmal  der  mensohliehen  reinen  Lehre  des 
Evangeliums  demselben  Massstabe  des  Evangelimns  Gottes 
unterwoifen  ist,  durch  dessen  möglichste  Wirksamkeit  die 


^)  p.  316.  317:  „  Exhibuiiuus  Caosaroao  iiiaiestati  .  .  .  confossionem 
^octrinao  ;  publice  in  ecclesiis  tradi  hanc  dootrinaiu ,  quam  prolitciuur, 
curanmn  ....  Haec  pura  evangelii  dnctrina,  qiuiu  aiuplexi  suinus,  est 
haad  dubic  cousonsas  catholicao  ccclesiac  Christi  ....  Cum  papa  daio- 
nat  veram  doctrinaui  ecclesiac  nccesgariam,  cogimur  niandato  dei  di»sen- 
tire  a  papa.  Est  eiiim  retineuda  professio  verae  doctriuac  iuita  illud 
Christi:  si  qois  coufitebitur  me  coram  bominiboA  etc." 

2)  p.  207:  „No8  in  bac  tota  causa  nihil  spectanros,  nisi  ut  gloria 
dei  et  domiiii  aostri  J.  Christi  ometiur,  ac  propagetor  evangelinm  dei  ad 
lahitem  totiiis  eeetesiae»  nt  quam  plurimi  homiiies  perveniant  ad  Tenun 
sgnitienaii  Christi  et  vero  \umon  eolant  dfoiii.  Hanc  enim  cnltnm  deo 
«WIM  pfaedpiie  dcbemiiB,  at  Terbam  eins  omni  itadio  prupagari  et  iUui- 
slfaii  ememas." 


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74 


BITSUHL, 


Kirche  überhauyit  zustande  kommt.  Allein  es  liecct  doch  in 
folgenden  Punkten  eine  Veränderung  des  Gesichtskreises  gegen 
die  C.  A.  selbst  vor.  Erstens  wird  die  wahre  Kirche  em- 
pirisch 9xdgei%\g^  während  vorher  nnr  der  Begriff  der  Kirche 
als  Masflstab  jeder  empirischen  Gestalt  derselben  anerkannt 
war.  Zweitens  wird  der  BegrilV  der  pura  evangelii  doctriua 
materiell  und  formell  verändert.  Der  Inhalt  dieses  Titels 
wird  nicht  mehr  auf  den  oben  (S.  62)  nachgewiesenen  Zu- 
sammMihang  von  Gedanken  beschrankt,  sondern  auf  alle  Ar- 
tikel der  Confeesion  ausgedehnte);  formell  kommt  dieser 
richtige  Verstand  des  Hvuugeliums  der  empirischen  Kirche  zu 
einer  selbständigeren  Bedeutung  als  der  früher  behauptete. 
Denn  in  dem  7.  Artikel  der  C.  A.  wird  der  reine  Verstand  des 
Evangeliams  nur  als  das  Mittel  fdr  den  Innern  Zweck  der 
Kirche  in  Betracht  gezogen,  n&mlieh  damit  durch  das  Kvan^ 
gelium  Gottes  die  Gemeinde  der  Heiligen  hervorgebracht 
werde;  jetzt  kommt  die  reine  Lehre  des  Evangeliums  als 
das  genugende  Untei-scheidungszeichen  der  empirischen  Kirche 
gegen  eine  falsche  Kirche  zur  Geltung,  also  zu  einem  äussern 
Zwecke.  Drittens  aber  hat  Melanchthon,  indem  erdieAn<p 
sc'hauung  der  empirischen  activen  Kirche  entwirft,  ein  charak- 
teristisches Merkmal  derselben  entdeckt,  welches  die  C.  A.  nicht 
aufstellt,  nämlich  dass  die  Kirche,  indem  sie  doch  eigentlich 
durch  das  Wort  Gottes  erzeugt  wird,  ihre  Bestimmung  in 
der  gemeinsamen  Verehrung  Gottes  findet  Diesen  Ge* 
danken  hat  er  fortan  nicht  mehr  ans  den  Augen  verloren. 
Am  vorliegenden  Orte  ist  er  noch  besonders  ausgezeichnet 
durch  die  Anwendung  darauf,  dass  die  active  Verbreitung  des 
Wortes  Gottes  als  Hauptgeschäft  der  Kirche  ein  Glied  in  der 
Verehrung  Gottes  selbst  ist.  Auch  Luther  hat  das  Gebet 
unter  den  Merkmale9  der  Kirche  in  der  oben  berflcksichtigten 


1)  p.  316:  ,,Po8tquam  apud  no8  evulvi  ductrina  cliristiana  coepit  de 
Vera  poenitentia,  de  fide,  qua  consocjuimur  remissioiK m  j>eccatorum,  de 
spirituali  iustitia,  de  vere  bonis  operibus  et  veris  cultibus,  de  usu  sacra- 
mentoruui ,  de  potestat/'  occlcsiastica ,  de  diseriniiiie  et  usn  traditionum, 
de  dignitate  rernm  civiliuiu  deque  aliis  multiH  IucIb,  coiistat  plurimum 
lucis  evangr-lio  ex  scriptis  nostrorum  aoceasisse.''  Dies«  Themata  sind 
aber  auch  der  iuhalt  der  C.  A. 


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DIE  ENTSTEHUNG  DES  LE^XHEBiaCHEN  KIRCHE.  75 

Schrift  aogeftthrt  jedoch  hat  er  es  nar  als  ein  Merkmal 
neben  anderen  nnd  deshalb  nicht  in  dem  ganzen  Werte  er- 
kannt, welcher  ihm  für  den  Betriff  von  der  Kirche  zukommt. 

Es  wird  sich  nun  zeii^on,  zu  weU  her  Bedeutung  dieser 
empirische  Bo<2^riff  von  der  Kirche  in  Melanchthons  Gedanken- 
kreis gelangt  ist,  und  welchen  Einfluss  er  anf  den  Entwick- 
Inngqgang  der  evai^lischen  Kirche  gewonnen  hat  Deshalb 
konmit  es  darauf  an,  die  Umstände  genau  zu  bezeichnen, 
unter  denen  die  Veränderung  der  leitenden  Anschuuunj^  von 
der  Kirche  f^r  Melanchthon  selbst  erfol.^  ist  Ausser  allem 
Zweüel  ist  es  mm,  dass  die  jetzt  zuerst  öffentlich  ansgesprochene 
Trennung  der  evangelischen  Kirche  von  der  römischen,  aJ^MX 
die  Abgrenzung  jeäer  nach  aussen,  nur  durch  solche  Auf- 
stellungen bewirkt  werden  konnte,  wie  sie  in  den  besprochenen 
Documeuten  vorliegen.  Der  Widerspruch  zwischen  beiden 
Parteien  in  dem  Verständnis  des  Wortes  Gottes,  in  der  Be- 
stimmung nnd  der  Gestaltung  der  Kirche  konnte  am  toU- 
sttndigsten  und  einleuchtendsten  durch  die  Vei-gleichung  der 
theologischen  Dogmen  und  der  einzelnen  Ordnungen  des  Lebens 
durgcstellt  werden,  welche  auf  beiden  Seiten  galten  und  den 
Anspruch  au!  aosschliessliche  Geltung  machten.  Neben  diesem 
Einfluss  der  unmittelbaren  geschichtlichen  Lsge  ist  jedoch 
noch  die  persönliche  Disposition  Melanchthons  zu  dem  Wechsel 
der  Anschauungen  von  der  Kirche  in  Betracht  zu  ziehen. 
Diese  Bedingung  knüpft  sich  daran,  dass  Melanchthon  nirht 
bloss  der  Theoretiker  der  lieforiuation,  sondern  schon  durch 
die  Art  seiner  Loci  tbeologici«  noch  mehr  aber  als  Yei&sser 
der  C.  A.  ihr  theologischeir  Vertreter  nach  aussen  geworden 
war.  In  jenem  Werke  ist  die  theoretische  Entwicklung  der 
Gedanken  immer  mit  Polemik  durchsetzt;  die  Verbindung 
der  thelischen  und  der  antithetischen  Lebrzwecke  ist  nicht 
derart  9  dass  diese  als  die  geordneten  Mittel  für  jene  ver- 
wendet werden;  sondern  die  dogmatische  Denkarbeit  selbst 

1)  Bei  Walch  Bd.  XVI,  8.  8808:  „Zum  seohBtea  efkennt  mao  das 
«hristiiehe  Volk  am  Ctebet,  €k»tt  bbaa  und  danken  dffeatlioh.  Denn  wo 
da  aiflbeat  oder  hörest,  dass  man  das  Vaternaser  betet,  anoh  Ftalmen 
md  geistliche  Lieder  singet  nach  dem  Wort  Gottes  nnd  rechten  Glanben, 
da  wiese  gewiss,  dass  da  ein  heilig  christlich  Volk  Gottes  sei." 


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76 


EITäCHL, 


ist  immer  polemisch  afficiii;,  und  deshalb  mit  einer  solchen 
Unruhe  behaftet,  wie  es  Melancbthons  DarateUiuig  kondgiebt 
Das  Oe^trage  der  Au^burgischen  Gonfession  ist  davon  ver» 
schieden ;  in  ihr  beherrscht  der  positive  Zweck  der  Sammlung 
der  eignen  Ueherzeugung  die  polemische  Lage,  in  welcher 
dieses  Geschäft  seinen  Anlass  findet.  Aber  es  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  Melanchthon  selbst  einen  bleibenden  Eindruck 
dieser  Verschiedenheit  semer  Schriften  aufgeftsst  hat  Denn 
die  politische  Lage  brachte  es  mit  sich,  dass  er  an  der  Augs- 
bui*gischen  Confessiou  ebenso  stark  ihre  abwehrende  wie  ihre 
sammelnde  Bestimmung  emp&nd.  üeberdies  liegt  ein  Zeugnis 
von  ihm  selbst  darüber  vor,  dass  er  keinen  Abstand  zwischen 
der  hflndigen  Form  der  Oonfession  wid  der  polemisch- raison- 
nirenden  Art  seiner  Apologie  derselben  wahrnahm,  nnd  dass 
beide  Schriften  ibrn  zugleich  als  Diu  Stellungen  der  Loci  theo- 
logici  erschienen  Wie  wird  es  nun  werden,  wenn  Melanch- 
thon, in  dieser  Unklarheit  der  Empfindung  über  seine  eignen 
Arbeiten,  vorherrschend  eingenommen  durch  die  Anlfisse  zur 
Polemik,  ond  dadurch  an  der  rahigen  Verfolgung  der  dogma- 
tischen Probleme  verhindert,  denjenigen  Gesichtspunkt,  welcher 
die  Kirche  nach  aussen  zu  vertreten  geschickt  war,  auch  als 
den  zureichenden  Massstab  für  die  inneren  Beziehungen  der 
Kirche  verwendet?  Wird  die  Lehre  von  der  Kirche  correct 
bleiben,  wenn  das  Lehrbekenntnis,  die  pnra  doctrina  evan- 
gelii,  welche  die  wahre  Kirche  von  der  fhlschen  unterscheiden 
lässt,  anstatt  des  Evangelium  dei  zum  Innern  Ma^^sstabe  und 
Grunde  der  wahren  Kirche  erhoben  wird?  Melanchthon  würde 
sich  vor  diesem  demnächst  erfolgenden  Schritte  bewahrt  haben, 
wenn  er  in  der  Lage  gewesen  wäre,  bloss  als  Dogmatiker  den 
reinen  Verstand  des  Wortes  Gottes  aus  der  heiligen  Schrift 
zu  tiiuittehi,  und  dadurch  die  oberste  Bestimmung  der  Kirche 
zur  Verehrung  Gottes  zu  begründen.  Gelegentlich  hat  er 
auch  in  musterhafter  Weise  vermocht,  den  Abstand  zwischen 

1)  In  der  Vorrede  zur  ersten  Atwgabo  beider  Schriften  (C.  R.  11.446) 
heint  es :  „  Speramus  ounnes  pmdentes  viros  his  libeUia  leoti«  inteUectnros 
esse,  qnod  nulluni  do^a  contra  aiictoritat< m  scriptlinie  sanctae  et  ca> 
tholicae  ecclesiac  proftteamnr ,  sed  quod  nostri  .  .  .  pfaecipnis  locia 
docttiDae  christiaiiae  lumen  attaleriDt." 


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DIE  EirCBTEHDNG  DEB  LUTHEaKISGHEN  KIRCHE.  77 

dem  Worte  Gottes  und  den  Mitteln  der  menschliehen 
Lehrweise  inneznhalten,  wenn  es  ibm  gelang,  die  nrsprüng- 

liehen  reforraatorischen  Gedaiikeu  zu  beachten,  dass  der  In- 
halt des  Wortes  Gotte  der  Gnaden wille  ist  und  die  Offen- 
barong  Christi  in  seinen  Wohltaten  besteht  Dann  erreicht 
er  einen  deutlichen  Untetschied  zwischen  seiner  menschlichen 
forma  doctrinae  chrisUanae  und  jener  coelestis  doctrina,  welche 
in  den  biblischen  Urkunden  gegenwärtig  ist  Aber  die- 
jeuii^'p  Ruhe  der  geistigen  Arbeit,  welche  zum  erfol|d^reiclien 
Betrie}>e  der  systematischen  Theologie  gehört,  hat  ihm  stets 
gefehlt  Deshalb  hat  er  sich  nidit  klar  gemadit,  dass  das 
lockere  Oefftge  der  Loci  theologici  eine  fBac  die  vollstfindige 
Theologie  ungenügende  Form  ist;  deshalb  ist  es  ihm  nie  ge- 
lungen, die  polemischen  Aufstellungen  derjenigen  Gedankon- 
entwicklung  unterzuordnen,  welche  den  aus  der  Sache  selbst 
entspringenden  Bedingungen  folgen  würde.  Unter  diesen  Um- 
ständen hat  es  ihm  niemals  an  einer  pr&cisen  Formel  gefehlt, 
um  Gegner  der  Beformation  zurechtznwmsen.  Allein  wenn 
die  iiuu'ieu  BezieluniLcen  des  reformatorisclien  Begriffes  von 
der  Kirche  daran  hängen ,  dass  der  formelle  Gegensatz  zwi- 
schen dem  verbum  dei  und  der  pura  doctrina  evangelii, 
und  der  Wertunterschied  beider  Eactoren  mit  aller  möglichen 
ScbSife  festgestellt  werde,  so  nimmt  man  in  halbprivaten 
Aeusserungen  Melanchthons  schon  sehr  Mhe  die  üngenauig- 
keit  wahr,  dass  er  die  Glauljensartikel  direct  als  lien  Gegen- 
stand der  Predigt  an  die  Stelle  des  Wortes  Gottes  oder  des 
Evangeliums  zu  setzen  liebt 

1)  Epistola  mmcnpatoria  pnemisBa  CommeutariU  m  ep.  Pauli  ad 
Bona.  (1&32),  0.  R.  II,  611:  „NnUus  deo  gratior  coltos  ezMberi  pot»t, 
quam  Studium  cognoscendae  coelestU  doctrinae.  Haec  est  vere  Xoynt^ 
XatQiia  veibum  dd  cognoscore  ....  Quam  possent  habere  piae  mentes 
firmam  de  dei  voluntate  eententiam,  n  hie  ludue  penDisBUB  esset  inge- 
HÜB?  ....  Christi  benefida  Ulustra?!,  quantum  potui,  quod  nid  lecte 
cognoacatnr,  Terus  cultue  eidstere  nullus  potest  ....  Postquam  retus 
doctrinae  forma,  quam  in  eededam  monachi  invexerunt,  nunc  senesdt, 
ratio  ineatur,  nt  ad  posteritatem  certa  quaedam  forma  doctrinae  chrl- 
stianae  traaamittatur." 

<)  Dies  geschieht  in  verachiedenen  Entwürfen  Uber  die  Frage,  ob 
ausser  der  Confesston  noch  andere  Artikel  auf  dem  Augsbniger  Beichs- 


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78 


Die  Protestanten  konnten  den  Ansprach,  dass  ihre  Kirche 
die  katholische  seit  nvur  in  ziemlich  ungenauer  Art  beweisen. 
Fflr  nnsere  nachtrli^licheGesehichtsb^trachtnu^  ist  es  ja  klar, 

dass  die  lutherische  Rechttertignngslelire  die  Formel  für  eine 
Gedaukeurichtung  ist,  weiche  in  der  abendländischen  Kirche 
von  jeher  als  Gorrectar  des  entgegengesetzten  Dogma  bemerkbar 
ist.  Ferner  kann  es  nur  bestätigt  werden,  dass  die  hanpt» 
sftchlichen  Institutionen  der  römischen  Kirche  verglichen  mit 
dem  kirchlichen  Altertum  Neuerungen  sind.  Indem  die  Pro- 
testanten diesen  Masssbib  geltend  machten,  konnten  sie  in 
manchen  Beziehungen  grade  ihre  Neuerungen  als  den  alten 
Bestand  bezeichnen.  Jedoch  gehörte  ein  starkes  Vertranen 
auf  die  ünbekanntschaft  der  Gegner  mit  den  kirchengeschicbt- 
lichen  Urkunden  und  eine  leidliche  Dreistigkeit  in  der  Aus- 
nutzung derselben  im  eignen  Interesse  dazu,  um  die  Behaup- 
tung der  Katholicität  durchzusetzen.  Wenn  es  deu  Protestan- 
ten gelungen  ist,  diese  Position  im  Augsburger  Heligions- 
Meden  reichsgesetzlich  zu  bewähren,  so  ist  dieser  Fall  eine 
Probe  davon,  dass  grosse  kirchliche  Begebenheiten  ebenso 
wenig  durrli  die  rechtliche  Geltung  eines  liekemituisst  s'',  wie 
das  römisch-katholische  war,  gezügelt  werden,  wie  grosse  po- 
litische Umwälzungen  vor  völkeiTechtlichen  Verträgen  zum 
Stehen  kommen.  Allein  das  hauptsächliche  Aigument  ffir  den 
katholischen  Charakter  der  evangelischen  Eirchenbildung  war 
die  Anerkennung  der  durch  die  ökumenischen  Synoden  fixirten 
Dogmen  von  der  Gottheit  Christi  und  der  Dreieinigkeit  Gottes, 
welche  nicht  bloss  eine  gesichertere  Autorität  besasaen  als  alle 


taige  za  steUen  oder  an  welchen  ArtÜnbi  imbedmgt  festgdialten  werden 
mfiBse.  C.B.IT,  182:  „Dieweil  die  Fücsten  von  den  nötigen  Lehiartikdn, 
die  5flfantUeh  in  ihren  Landen  dem  Volk  gepredigt  werden,  ihr  Bekennt- 
nis getan  haben*'  n.  s.  w.  —  p.  282:  „Dass  man  die  Lehre,  wie  bisher 
bei  uns  gelehrt,  von  den  Artikeln  des  Glanbens,  von  guten  V^ericen  nnd 
TOD  chnstlichor  Freiheit,  laut  unserer  eingelegten  Bekenntnis  und  Con- 
fession  frei  behalten  und  predigen  möge."  —  p.  298:  „Dass  zu  wahrer 
Eini|[;keit  der  Kirche  nnd  des  Glanbens  nicht  not  sei  (ileichbeit  mensch- 
licher Satzungen,  sondern  Gleichheit  in  Artik  In  des  Glaubens  und  Branch 
der  Sacramente/'  (Vgl.  d'  n  lateinischen  Text  einer  fast  gleichlautenden 
Znsammenstellung  II,  377  oben  S.  61,  Anm.  1.) 


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DIE  EasmtEBUSQ  DEK  LmHEBISCHEN  KIBCHE.  7^ 


dogmatiscfaen  Erteugniase  des  Mittelalters,  sondern  anch  Gnind- 
geäetze  des  heiligen  römischen  Reiches  bildeten  Tatsäch- 
lich hatte  die  reformatorische  Bewe^iiig  diese  anerkannten 
Grundbedingungen  des  kirchlichen  Bestandes  unbpnihrt  u^e- 
lassen.  Melanchthons  oben  (S.  63)  angefahrte  Bemerkung 
darfiber,  was  Erkenntnis  Christi  sei,  stellt  allerdings  eine  Ver- 
änderung der  überlieferten  Lebre  in  Aussicht;  allein  sie  ist 
in  ilieser  Hinsicht  zunächst  und  auf  hinge  hinaus  vollkommen 
wirkungslos  geblieben.  Viehnehr  hatten  Melanchthon  und 
Luther  in  ihrem  Kampfe  mit  den  Gegnern  alle  Ursache,  ihre 
Anerkennung  jener  Glaubensartikel  sehr  absiobüich  henror- 
zaheben.  Dieses  geschieht  z.  B.  im  Eingange  sowohl  des 
Au^sburgischen  als  des  Sehmalkaldisclien  Bekenntnisses,  aber 
auch  in  einer  Menge  anderer  Aeusst^rungen  der  Ket'ormatoren. 
Es  ist  auch  wirklich  eine  Probe  für  den  katholisch-kirchlichen, 
nidit  hftretisehen  Charakter  der  Beformation,  dass  dieser  Um- 
fing von  Vorstellungen  f8r  ihre  Vertreter  nach  Ueberliefemng 
feststand,  un»!  dass  sie  deren  Uebereinstimmung  mit  ilirer 
speziellen  Veränderung  der  Heilslehre  und  njit  dem  Wort- 
laute der  heiligen  Schriften  ebenso  wenig  bezweifelten,  wie  in 
Untersuchung  zogen. 

Diese  Umstände  kommen  mit  in  Betracht,  damit  man 
verstehe,  wie  Melanc litlion  in  der  Frist  von  der  Abweisung 
des  Concils  bis  zu  Luthers  Tode  (1537 — 154G)  seinen  Begriff 
YOn  der  Kirche  weiterhin  verändert  hat.  Diese  Veränderung 
besteht  darin,  dass  das  Merkmal  des  tbeologisdien  Lehrbegriffes 
oder  der  rechten  Ghiubensartikel,  welches  zur  Unterscheidung 
der  wahren  von  der  falschen  Kirche  gedient  hat,  demnächst 
zum  Hauptmerkmal  jener  erli<>lM>n,  oder  als  der  Grund  der- 
selben bezeichnet  wird.  Wir  Stessen  hier  zunächst  im  Jahre 
1639  auf  seine  Schrift  „De  ecclesia  et  auctoritate  verbi 
dm*'  IMeselbe  ist  nun  nicht  wie  die  gleichzeitige  und  fiist 
gleichnamige  Schrift  Luthers  zur  Abgrenzung  gegen  die  römi- 
sche Kirche  bestimmt;  ihre  Absicht  gelit  vielmehr  in  der 
grade  entgegengesetzten  Kichtung  auf  die  Abweisung  von 


')  Lehre  von  der  Rechtfertigung  und  Versöhnung  Bd.  I,  S.  181 — 138» 
«)  C.  R.  XXIII,  595—642. 


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%0 


BIT8GHL, 


Servet.  Dieser  Mann  nämlich  hatte  Melanchthon  in  der  Vor- 
anssetzong  gestört,  dass  die  altkirdiliche  Formel  fftr  die  Per- 
son Christi  nnd  der  Wortsinn  der  nentestamentUchen  Schriften 

sich  decken.    Jener  hatte  oreltend  gemacht,  dass  keiner  nach 
der  grammatischen  und  logischen  Erklärungsart  im  Anfang 
des  Johaunueischen  Evangeliums  das  Wort  Gottes  als  die 
zweite  Person  der  Dreieinigkeit  erkennen  werde.  Dadurch 
sah  sich  Melanchthon  bewogen,  auf  die  Autorität  der  Kirche 
zu  reflectiren,  welche  die  letztere  Erklärung  gewährleistet. 
Aber  er  konnte  sich  diese  Entscheidung  nicht  abgewinnen, 
ohne  sie  mit  der  bisher  vertretenen  Ansicht  von  der  Kirche 
auszugleichen.  Bemerkenswert  ist  nun,  dass  er  zunächst  hinter 
die  zuletzt  gefundene  empirische  Betrachtung  der  Kirche 
auf  die  Linie  der  C.  A.  zurfickgeht.    Die  Kirche  bezeichnet 
er  im  Eingang  jener  Schrift  als  die  Genieinscliaft  der  wirk- 
lich Gläubigen,  welche  das  Evangelium  und  die  Saciumente 
haben,  durch  den  heiligen  Qeist  geheiligt  werden,  und  nicht 
an  bischöfliche  Succession  gebunden  sind.   Aber  diese  Kirche 
steht  nicht  immer  in  gleichmässiger  Bifite,  ihre  Iiehre  ist 
bald  mehr  bald  weniger  rein  und  durchsichtig.    Dieses  will 
er  niclit  bezogen  wissen  auf  die  Geltung  von  falschen  und 
gottlosen  Lehren,  wie  Todteumessen,  Gelübde,  Heiligenver- 
ehrung, welche  aus  dem  Kreise  der  Gottlosen  hervorgehen,  die 
in  der  Kirche  den  Gläubigen  beigemischt  sind.  Die  Trübung 
der  rechten  Lehre,  welclie  und)  wirklich  Gläubige,  wie  Am- 
brosius, Hasilius.  Cvprianus  au>ül)en  können,  erkennt  er  z.  H. 
in  der  Wertlogung  auf  das  Quadragesimalfasten,  das  Monchs- 
leben,  die  kanonischen  Gebetsstunden.   Diese  Einrichtungen 
sollen  die  Stoppeln  darstellen,  welche  auf  den  legitimen  Grund 
der  Kirche  aufgetragen  werden  können,  und  die  reine  Lehre 
von  den  Wohltaten  Christi  und  vom  Glauben  verdunkeln, 
welche  aber  das  Fundament  nicht  umstürzen.   Dieses  ist  eine 
Ausführung  der  bekannten  Betrachtung  in  der  Apologie,  welche 
auch  bei  Luther  in  der  Schrift  „Von  Ck)ncUiis  und  Kirchen 
vorkommt.   Aber  indem  Paulus  selbst  als  das  Fundament  der 
Kirche  Christus  in  Person  bezeichnet,  das  heisst  die  von 
Christus  ausgehende  Wirkung,  welche  in  dem  religiösen  Glau- 
ben der  Gemeinde  angeeignet  wird,  und  indem  Luther  und 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIRCHE.  81 

Ifelanelithon  in  der  Apologie  kein  anderes  Yersiftndnis  des 
Textes  kundgeben,  so  hat  Melanebtlion  jetzt  eine  andere  Er- 
klärung? gefunden:  „Fundamentuni  intelli^it  Paulus  articulos 
fi(iei,  hoc  est  summam  doctrinae  christianae  et  doctrinara  de 
beneficiis  Christi''  (p.  600).  Die  beiden  Glieder,  die  hier 
innerhalb  der  Glaubensartikel  nnterschieden  werden,  nämlich 
4er  Inbegriff  der  christlichen  Lehre  nnd  die  Lehre  von  Christi 
TN'uhltüteu,  bt'zeichuen  den  alten  in  der  Kirche  unverfälscht 
erhaltenen  Lehrbestand  der  allgemeinen  Synoden  und  den 
neuen  dogmatischen  Ertrag  der  Reformation.  Diese  beiden 
Gruppen  der  Lehre  achtet  nun  Melanchthon  als  flbereinstim- 
mend  mit  dem  Evangelium;  und  die  evangelische  Kirche, 
welche  an  beiden  festhält,  soll  demgemäss  als  die  rechte  be- 
zeichnet werden  durch  den  Spruch  des  Paulus:  Wer  ein 
anderes  Evangelium  lehrt,  sei  verflucht.  Am  Schlüsse  der 
Schrift  (p.  642)  wiederholt  er  die  Behauptung,  dass  die  reine 
Lehre  des  Evangeliums  oder  die  übereinstimmende  Meinung 
der  katholischen  Eirche  von  den  evangelischen  Kirchen  be- 
kannt werde,  und  knöpft  daran  die  Folgerung,  dass  alle 
Frommen  sich  durch  Gesinnung  und  Bekenntnis  dieser  wahren 
Eirche  anznschliessen  haben.  Endlich  während  in  derselben 
dem  Worte  Gottes  das  oberste  Ansehen  gebfirt,  so  wohnt  doch 
auch  der  dem  Worte  Gottes  getreuen  Eirche  eine  gewisse 
Autorität  bei  (p.  603).  Diese  nun  entscheidet  gegen  Servet, 
dass  im  Johanneischen  Evangelium  das  Wort  Gottes  als 
die  trinitarische  Person  des  Sohnes  zu  verstehen  sei.  Indem 
man  aber  auf  diese  Weisung  der  Eirche  achtet,  gehorcht 
man  nicht  einer  selbstftndigen  Autorität  derselben  über  den 
Glauben,  sondern  überzeugt  sich,  dass  alle  übrigen  gleich- 
artigen Schriftzeugnisse  denselben  Sinn  haben,  dass  also  die 
Irinitätslehre  durch  die  Kirchenväter  von  den  Aposteln  über- 
nommen ist* 

Diese  Schrift  über  die  Eirche  läset  einen  grossem  Ab- 
stand der  von  Melanchthon  unternommenen  empirischen  Be- 
trachtungsweise von  der  in  der  C.  A.  eingehaltenen  Linie 
erkennen,  als  die  Documente  von  1537.  Praktisch  ist  es 
freilich  folgerecht,  dass  alle  Frommen  angefordert  werden, 
nch  der  evangelischen  Eirche  anznschliessen,  wenn  diese  die 

bitsehr.  t  K..a.  6 


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82 


SITBCBL, 


wirkliche  katholische  ist  Im  nfiohsten  Jahre  (1540)  nahmen 
die  zu  SchmaLkalden  versammelten  Theologen  Anlaas,  dieeen 
Ornndsatz  dnreh  Melancbthons  Feder  anch  Öffentlich  geltend 

zu  machen  %  iodem  sie  vor  Srliweukfeld,  Frauk  u.  A.  wara- 
ten,  die  sich  vom  Papsttum  losgesagt  hatten,  aber  uieht  zur 
evangelischen  Kirche  getreten  waren,  deren  ordentliche  Ein- 
liehtongen  sie  scheel  ansahen.  Die  genannten  Mftnner  nnd 
die  „  Skeptiker**,  die  mit  ihnen  zosammengesteUt  werden,  waren 
allerdings  nicht  geeignet,  an  der  rechtlichen  Einrichtung  der 
evangelischeu  Kirche  mitzuwirken.  Ks  giebt  eben  einmal 
Allesbesserwisser,  welche  durch  keine  menschliche  Ordnung 
befriedigt  werden.  Aber  man  darf  wohl  fn^en,  ob  die  fie- 
Stimmungen  in  der  Schrift  „De  ecdesia*'  jenen  Mftanem  ztt 
imponiren  vermochten,  deren  religiöse  W&rme  nnd  Energie 
durch  eine  möglichst  idealistische  Ansicht  von  der  Kirche, 
oder  was  bei  ihnen  dafür  eintritt,  vom  heiligen  Geist  oder 
Innern  Wort  bedingt  war.  Diese  Massst&be  veigegenw&rtigeD 
jenen  Männern  stets  die  unmittelbare  Einwirkung  Gottes  auf 
alle  Menschen,  welche  zur  Kirche  m  reebnen  waren.  Me- 
lancbthon  aber,  indem  er  die  Glaubensartikel  zum  Fundament 
der  sichtbaren  institutionellen«  Kiiclie  erklärt,  lässt  dieselbe 
wesentlich  als  das  Product  der  Menschen,  nicht  Gottes 
erkennen.  Diese  Auskunft  bezieht  sich  also  auf  die  inneren 
Beziehungen  der  Kirche  zu  sich  selbst.  Wir  haben  zu  er- 
gänzen, dass,  indem  die  Menschen  zuerst  dadurch  Kirche  sind, 
dass  sie  sich  in  der  Erkenntnis  des  Inhalts  der  Glaubens- 
artikel und  in  ihrem  Bekenntnis  vereinigen,  sie  auf  diesem 
Grunde  ihre  gemeinsame  Gottesverehrung  ausflben,  die  ohrist- 
Heben  liebespflichtm  gegenseitig  austauschen,  für  die  Ver- 
breitung des  Christentums  sorg^Mi  u.  s.  w.  Die  Art  dieser 
Tätigkeiten,  ihr  Wert  und  der  Antrieb  zu  ihnen  haftet  aber 
daran,  dass  die  Menschen  zuerst  die  Glaubensartikel  Lroinoin- 
schaftlicb  bekennen.  Diese  Betrachtungsweise  nun  ist  der- 
jenigen entgegengesetzt,  welche  in  der  0.  A.  befolgt  war, 
dass  die  Kirche  zu  allererst  als  ein  Erzeugnis  der  göttlichen 
Gnade  zu  erkennen  und  zu  glauben  sei.    Dieser  Gedanke  ist 


1)  C.  B.  988. 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHEKLSCUEN  KI&CHE.  83 

f^ilich  hier  Dicht  eüminirt;  aber  erst  nachträglich  wird 

naclige  wiese  II,  dass  im  Hintergruude  der  beschriebeneu  Kirche 
auch  die  göttliche  Gnade  in  dem  Worte  Gottes  wirksam  ist, 
wdches  dea  Stoff  der  GlaubeBsartikel  bildet,  oder  wenigstens 
m  der  Lehre  von  den  Wohltaten  Christi  vergegenwärtigt  wird. 
Denn  der  andere  Teil  der  GlanbensartiM ,  der  Bestand  der 
altcu  S)mi)ole,  hat,  auch  weuu  er  durchaus  in  der  heiligen 
Schrift  überliefert  ist  ^) ,  doch  ein  eiitternteres  und  nur  in- 
directes  Verhältnis  zu  dem  Worte  Gottes  oder  Evangelium, 
dem  Organ  der  gOttliehen  Heilswirkang.  Wird  dieser  Ab- 
stand innerhalb  der  Glanbensartikel  selbst  nicht  deutlich  em- 
[tfimdon,  SU  erklart  sicli  iliubes  aus  dem  jetzt  hervortretenden 
amphiboliöchen  Gebraucli  von  „Wort  Gottes",  welches  bald 
den  offenbaren  Gnadenwillen  Gottes,  bald  den  Umfang  der  Ur- 
konden  der  Offenbamng  bedeatet 

Hieran  aber  knQpft  sich  die  erheblichste  Yerschiebnng 
des  Begriffs  von  der  Kirche.  Dass  die  patristische  Lehre 
von  der  Trinität  von  den  Aposteln  überliefert  ist,  müsste 
durch  die  Auslegung  ihrer  Bücher  bewiesen  werden.  Diese 
Auslegoi^  aber  mfisste  sich  an  die  grammatischen,  lexikali- 
schen, logischen  und  historischen  Bedingongen  des  Textes 
knüpfen,  wnd  an  nichts  anderes.  Indem  nnn  aber  Servet  nach 
diesem  Grundsätze  dur  Jiieforniat<u-en  verfuhr,  und  dadurch 
deren  Voraussetzung  durchkreuzte,  dass  die  Apostel  die  patri- 
stischen  Deukformen  vorweggenommen  hätten,  so  schob 
Melanchthon  die  Aatorität  der  Kirche  vor,  welche  jene  Yor- 
aassetzung  schlitzen  sollte.  Dieser  Schritt  war  unvermeidlich, 
wenn  aus  dem  refuriiiuLurischen  Grundsatz  der  Auslegung  der 
Schrift  aus  sich  selbst  Ergebnisse  gefolgert  wurden,  die  den 
altkirchiichen  Dogmen  widersprachen,  welche  von  den  Befor- 
matoren  aof  Uebwliefemng  hin  festgehalten  wurden.  Konnte 
man  sich  damals  aus  allerlei  guten  Gründen  auf  eine  Ktitik 
der  Trinitätslehre  nicht  einlassen,  so  ergab  sich  eben  not- 
wendig eine  Annäherung  an  den  katholischen  Kirchenbegriff, 


In  fltiu  Ackiistück  gegen  Schweiikfeld  u.  h.  w.  heinet  es:  ,,Agno- 
sciiüUi^  haec  syujboia  tradita  esse  in  verbu  dei  conöcripto  per  prophetas 
«t  apostolos"  (C.  Ii.  III,  985). 

6» 


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84 


BITSCHL, 


welche  schon  darin  liegt,  dass  die  Glaubensartikel  das  Funda- 
ment der  Kirche  seia  aoUen,  aber  noch  deatlicher  in  dem 
Satee,  daas  die  Aoslegong  der  heiligen  Schrift  dnrch  Wei« 
sungen  der  Kirche  bedingt  ist  Melanehthon  hat  sich  freilidi  be- 

müht,  dieses  in  einem  andern  Sinne  zu  behaupten,  als  welcher 
in  der  römischen  Kirche  hergebracht  war.  Aber  ob  die  be- 
absichtigte Abweichung  von  deren  Gi-ondsatze  Stich  hält,  ist 
sehr  zweifelhaft  Entweder  wird  die  Ton  der  Kirche  aus- 
gehende Erinnerung,  dass  Johannes  unter  dem  „Worte  Gottes'^ 
die  zweite  Person  der  Trinität  meine,  durch  die  richtige 
methodische  Erforschung  aller  einschlagenden  Stellen  des  Neuen 
Testamentes  doch  nicht  bestätigt  werden.  Oder,  wenn  das  Um- 
gekehrte erfolgt,  80  ist  nicht  einzusehen,  dass  da  etwas  anderes 
vorgeht,  als  wenn  ein  katholischer  Theolog  gemäss  der  Er- 
innerung seiner  Kirche  findet,  dass  überall  im  Neuen  Testa- 
ment das  Abendmahl  als  Opfer,  die  Justification  als  Gerecht- 
machung,  die  Einsetzung  von  Bischöfen  im  Sinne  der  aposto- 
lischen Succesaion  zu  verstehen  seL  Wenn  Melanehthon  da- 
gegen einwenden  würde,  dass  in  der  ftlteston  Kirche  andere 
Deutungen  dieser  Begriffe  und  Verhältnisse  nachweisbar  sind, 
als  welche  in  der  römischen  Epoche  zust^iidegekommen 
sind,  so  sind  auch  die  Denkformen  des  Athanasius  von  den 
apostolischen  Schriften  durch  einen  abweichenden  Verlauf  der 
Theologie  getrennt,  der  ursprünglicher  ist  als  jene.  Endlich 
erecheint  in  diesen  Erörterungen  Melanchthons  die  mechanische 
Unterscheidung  zwischen  einem  correcten  Verlaufe  der  Lehre 
in  der  altkatholischen  Kirche  und  den  daneben  auftreten- 
den und  danach  überwuchernden  Verfölschungen  der  Lehre, 
welche  bei  genauerer  Erforschung  der  Geschichte  nicht  be* 
stehen  kann.  In  der  fortgesetzten  Linie  seines  Geschichts- 
verfahrens steht  die  Theorie  des  Calixturf;  aber  (iiich  gegen- 
wärtig ist  die  ^lethode  der  Dogmengeschiohte  über  jene  fehler- 
haften Andeutungen  Melanchthons  noch  nicht  hinausgelangt. 

Indem  ich  den  von  Melanehthon  angedeuteten  Weg  der 
kirehengeechichtlichen  Forschung  als  fehlerhaft  bezeichne,  be- 
schränke ich  den  daran  haftenden  Vorwurf  auf  die,  welche 
noch  immer  keinen  andern  Weg  einschlaf]ren.  Denn  Melaneh- 
thon hatte  grade  damals  wichtigere  Interessen  ak  die  notwen- 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LL'THEKISCIIEN  KIRCHE.  86 

dige  Methode  der  Dogrmengeschichte  zu  Tertreteu.  Der  Kaiser 
erölTnete  gegen  Ende  1039  neue  Verhandlungen  über  einen 
Ausgleich,  der,  wenn  er  gelang,  doch  nur  darauf  hinausführen 
konnte,  dass  die  Klarheit  der  evangelischen  Lehrbiidong  ver- 
wischt  nnd  die  Beinhdt  des  Gottesdienstes  getrflbt  würde. 
Zugleich  nahmen  die  Reformatoren  in  der  (öffentlichen  Mei- 
nung die  Geneigtheit  wahr,  auch  einen  geflickten  Frieden  an- 
zunehmen. Cm  so  achtungswerter  ist  die  Festigkeit,  mit  der  die 
Theologen  ^)  den  in  den  alten  Symbolen  wie  in  der  Aogsboigi* 
sehen  Oonfession  und  der  Apologie  bezengtenConsensos  der  bitho- 
lischen  Kirche  aofirecht  erhalten,  an  dem  sie  weder  eine 
Aendernng  noch  einen  Zusatz  zulassen  wollen.  Mit 
derselben  Entschiedenheit  verwerfen  sie  im  Cultus  die  stillen 
Messen,  den  Messkanon,  die  Anrufung  der  Heiligen,  die  Mönchs- 
gelübde, den  Cölibat  der  Priester,  die  Oommonio  sab  nna,  die 
verschiedenen  Weihongen  von  Wasser  n.  s.w.,  die  Todtenmessen. 
Hieron  werden  als  Adiaphora  unterschieden  die  kanonischen 
Lectionen,  die  Priesterkleidung  und  ähnliclies.  Solche  Uebungen 
werden  nämlich  vorläufig  zugelassen,  sobald  die  Bischöfe  gegen 
den  evangelischen  Gottesdienst  Nachsicht  zeigen;  im  ent> 
gegengesetzten  iVUle  werden  aber  auch  diese  Ordnungen  des 
Coltiis  fOr  nnansfllhrbar  erUftri 

Die  Ereignisse  der  Jahre  1537 — 1540  sind  entscheidend 
für  die  Feststellung  des  kirchlichen  Selbstgefühls  der  Refor- 
matoren. Grade  die  Versuche  einer  Ausgleichung  des  Streites 
erst  durch  das  p&pstliche  Gondl,  dann  durch  die  vom  Kaiser 
angeordneten  Religionsgespräche  rofen  in  den  Beformatoren 
die  Erkenntnis  und  den  Eutschluss  hervor,  dass  ihre  Kirche 
die  authentische  katholische  Kirche,  und  dass  der  Lehrbegriff, 
in  dem  sie  sich  der  päpstlichen  entgegenstellt,  unveränder- 
lich sei.    Deshalb  haben  sie  in  berechtigter  Abneigung 


üebcTeinstimmender  Gedank«  imaiig  in  den  zu  Anfang  1540  ver- 
faästen  Actenstücken,  in  der  ,.Coii-ultation,  ub  die  evanjjeliscben  Fürsten 
einen  weltlichen  Frieden  mit  den  Bischüteii  annehiueii  sollen  '*  (C.  R. 
III,  927),  und  in  dem  von  Melaiiclithon  verfassten  Scbreibtii  Conciona- 
toribus  Norimbergensibus  (III,  ^»5b).  Zu  vergleichen  ist  auch  der  Be- 
scheid der  Schmalkaldiscben  Bandtägenosseo  an  die  kaiserlichen  Gesand- 
ten (UI,  990). 


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66 


JUT8CHL, 


gegen  die  Beligionsge^zäche  zu  Worms  und  liegensburg  sich 
anadrücklich  YOKgeDommeo,  nicht  erneu  Vergleich  auf  Kostoa 
ihm  UeberzeHgiug  eiiusugehen,  vielmehr  die  Gegner  rar  Aih 
erkenniing  4es  Becbtes  ihrer  Lehre  zu  bringen      Und  Me- 

knchthon,  dev  zu  Worms  und  liegensburg  das  Wort  führen 
musste,  hat  damals  unter  den  scbwiexigsten  Umständen  eine 
Festigkeit  •bewiesen,  welche  ebensowohl  m  seiner  Cbanüdie* 
ristik  dienen  dfirfbe  wie  der  Katalog  der  FftUe,  im  welehen  er 
sich  vorgeblich  dnrch  die  grandiose  Gestalt  der  alten  Kirche^ 
hat  imponiicn  lassen.  Pei*söulich  hat  er  nicht  mehr  Zutrauen 
zu  den  Vergieichsverbaadlungen  gehabt  als  irgend  ein  ande- 
rer, vielmehr  in  einem  Privatbrief  (au  Veit  Dietrich,  C  ü. 
IV,  116)  dieselben  für  töricht  und  gefährlich  erklftrt,  indem 
es  das  Einfushste  nnd  Klarste  sei,  sich  anf  die  Augsburgische 
Confession  zurückzuziehen  und  nur  über  sie  Auskunft  zu  ^^eben, 
wenn  der  Kaiser  oder  wenn  eine  Svnode  urteilen  sollte.  Auch 
die  Anej'kennung,  welche  Melanchtiion  zu  Kegensburg  Oonta- 
rinis  DarsteUang  der  Bechtfiertigungslehre  schenkte,  venftt 
keine  Unsicherheit  im  „Bekenntnis^*.  Jene  Formel  war  ein 
Compromiss,  zu  doppelter  Auslegung  bestimmt  und  geeignet, 
aber  überwien^end  evangelisch.  Wenn  der  Kurfürst  und  Luther 
aus  der  Ferne  sie  trotzdem  mi8billiu:ten,  so  waren  sie  in  ihrem 
Recht;  Meianchthon  aber  war  mit  seinem  Verfahren  nicht  im 
Unrecht;  denn  sn  welchem  Zweck  konnte  ihn  sein  Landeshenr 
nach  Kegensburg  schicken,  als  höchstens  dazu,  dass  das  Mass 
der  möglichen  Annäherung  beider  Parteien  ermittelt  werde? 
Und  Contarinis  Darstellung  ist  die  wertvollste  Urkunde  dafür, 
dass,  die  Bechtfertigungslehre  der  Beformatoren  dem  religiösen 
2age  der  abendlftndischen  Kirche  zum  richtigen  Ansdmck 
verholfen  hat*).    Auch  die  Annahme  der  vier  ersten  Ar- 

ij  P>caeiikeii  auf  den  Tag  zu  Worms  (C.  R.III,  1158):  »Und  ist  auch 
in  alle  Wege  anzuzeigen,  wie  wir  in  diese  Unterrede  trrtf  n,  dass  wir  die 
Vergleichiuig  nicht  verstehen  für  dinen  Abfall  odor  Defection,  sondern 
haben  nns  derhalben  eingelasneu,  dass  wir  hoffen»  so  wir  mit  Jjeutcn,  die 
eines  guten  Gewinens,  handeln  würden.  das8  man  befinden  würde,  dass 
die  Jjchr  in  unseren  Kirchen  recht  sei,  dadurch  dann  Kais.  Maj.  besser  za 
berichten,  denn  bisher  gescbeben,  and  alsdann  möchten  Wege  gssaoht 
«Ferden  zur  Einigkeit.'' 

s)  Lehre  Ton  der  BechtfertigtiDg  nnd  Versöhniing  Bd.  III,  &  125. 


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BEB  ENTSTEHtJMO  DKR  UTCHBRISCHEN  KIBCRB.  87 

tikel  das  «„Begensbarger  Baches**  über  den  Uistand  der 
Menschen,  die  Freiheit  des  Willens,  Ursprung  der  Sflnde 
und  Erbsünde  hat  den  Sinn  des  CJompromißses ,  da  sie,  wie 
Melau ehtliou  sagt,  richtig  verstanden  so  hingehen  koimten. 
Hingegen  in  allen  übrigen  Streittiagen  hat  er  damals  nichts 
üacbgegeben. 

Die  Haltung  Melanchihoiis  auf  diesen  BeügionflgeipicheB 
irar  also  unter  den  schwierigsten  Terhfiltnissen  durchaus  cor»* 

rect  und  charaktervoll,  üeberhaupt  erscheint  er  in  dieser 
£poche  auf  der  Höhe  seiner  Leistungen.  Deshalb  ist  sowohl 
ftr  seine  damalige  Stellung  als  auch  für  seine  Einwirkung 
auf  die  folgende  Generation  der  Theologen  die  Verfinderang 
der  Lehre  von  der  Kirche  wichtig,  welche  w  in  der  neuem 
Ausgabe  der  Loci  von  1543  vornahm.  Er  hat  nämlich  jetzt 
<len  seit  1557  praktisch  gewordenen  empirischen  Begriff  von 
der  evangelischen  Kirche  an  die  Stelle  der  kritischen  Behand^ 
Iniig  des  Gegenstandes  gesetzt,  welche  in  der  Ausgabe  tob 
1535  mit  der  Augsbuigischen  Oonfession  und  der  Apologie 
Ubereinstimmte.  Man  kuun  nun  IVeilicli  nicht  behaupten,  dass 
-die  neue  Lehre  von  der  Kirche  das  Gepräi^^e  reilrr  Ueherlegung 
und  zweckmässiger  Anordnung  an  sich  trägt.  Es  kann  nämlich 
fttr  die  dogmatische  Darstellung  irgend  einer  christlichen  Lehre 
luehtB  fttaler  sein,  als  wenn  sie  unter  dem  vorherrschenden  Ein» 
fluflse  des  Fehlers  einer  fremden  Darstellung  steht.  Dann  ffthit 
der  Trieb  der  Abwehr  des  Fehlers  sicher  zu  einer  schiefen 
Anschauung  des  Ganzen,  welches  begriü'en  werden  soll.  Me» 
landithoB  nun  beginnt  den  locus  de  ecdesia  ^)  mit  einem 
AusfeU  gegen  die  schon  1540  behftm^ten  Skeptiker  und  In^- 
dividualisten,  die  sich  mit  einer  nnsichtbaren  Kirche  begnügen, 
und  erklärt,  dass  er  die  Kirche  nur  als  die  sichtbare  ins  Auge 
fässe.  Die  seit  1537  von  ihm  eingeschlagene  Betrachtungs- 
weise, welche  aus  dem  praktischen  Geg^isatz  gegen  die 
vOmiBche  Kirche  und  m^ich  ans  der  theoretischen  Analogie 
mit  deren  Anftreten  entsprungen  war,  ist  ihm  jetzt  deshalb 
massgebend,  weil  sie  sich  am  weitesten  von  jenen  Skeptikern 
entfernt   Dabei  bat  er  aber  übei-sehen,  dass  das  Prädicat  der 


1)  C.  B.  XXI,  825. 


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88 


BITSGHL, 


ünsichtbarkeit  auch  von  Luther  der  Kirche  beigelegt  worden 
war  (8.  0.  S.  68),  uud  doch  wäre  es  die  Aufgabe  des  Dugma- 
tikers  geweeen,  die  BedeatnngeQ  des  gleichlautenden  Aosdnick» 
zu  nnterecheiden.   Hfttte  Melanchthon  diesen  Weg  eingeschla- 
gen, so  wäre  er  auf  den  religiöi^eii  Begriff  von  der  Kirche 
zurückgeführt  worden,  dem  er  selbst  früher  Ausdruck  ver- 
schafi't  hat.    Der  blosse  Gegensatz  gegen  die  Skeptiker  hielt 
ihn  aber  bei  der  empirisdi-praktischen  Beechreibnng  der  Kirche 
znrfick;  er  ist  zDgleich  in  dem  Eingang  der  DarsteUnng  so 
wenig  Herr  derselben,  dass  er  nur  in  verschiedenen  Anlftnfen 
die  Merkmale  zusammenbringt,  auf  welche  es  ihm  ankommt. 
Die  Sätze  lassen  sich  so  zusammenstellen:  „£cclesia  visibiU^ 
est  coetns  Yocatomm,  id  est  profitentium  erangelinm  dei^ 
—  nbi  sonat  vox  evangelii  et  ministerinm  evangdii  conspici- 
tur,  per  quod  patefecit  se  dens  et  per  quod  est  efficax,  — 
ubi  articuli  fiilei  recte  docentur  et  non  defenduntur  idolft, 
et  ad  hanc  ecclesiam  nos  adiongamus  et  noetram  invocatiouem 
et  confeecdonem  ipains  piecibus  et  confessioni  aggregemns,  — 
in  quo  coeta  tarnen  mnlti  snnt  non  renati,  sed  de  vera  do» 
ctrina  consentientes.*^    Die  wissenschaftliche  Genügsamkeit 
^lelauchthons  hat  ihm  gestattet,  diese  Merkmale  ohne  alle 
Ordnung  aufeinanderzuhäufen;  wenn  mau  an  ihn  die  Fragen 
stellte,  welches  das  Wesen  nnd  was  der  Zweck  der  Kirche 
sei,  so  können  dieselben  ans  diesen  Sätzen  nicht  beantwortet 
werden.  Die  Einheit  der  Menschen  als  Kirche  ist  nnr  nach 
gewissen  gleichartigen  Erscheinungen  bcuiesseu;  innerlich  sollen 
sie  von  ungleicher,  ja  ent<:pgengeset7ter  Art  sein.   Warum  sie 
trotzdem  äusserlich  zusammen  sind,  wird  nicht  erklärt.  Sofern 
nämlich  die  Kirche  ein  Gebiet  göttlicher  Wirkao^en  sein  und 
daran  ihren  Wert  haben  wird,  so  ist  das  aetive  Bekenntnis 
zu  dem  Evangelium  oder  die  Anerkennung  der  Glaubensartikel 
dagegen  gleichgültig;  denn  dieses  Merkmal  wird  gleichmässig 
beiden  Massen  beigelegt,  den  Gläubigen  und  den  Unwieder- 
geborenen. Die  Beziehung  der  so  beechaffenen  Kirche  auf  Gott 
wird  also  nor  durch  das  Bestehen  des  Predigtamtes  in  ihr 
bezdchnet,  nämlich  dahin,  dass  Gott  durch  die  Personen» 
welche  dieses  Amt  üben,  also  den  Gnadenwillen  Gottes  unter 
den  rechten  Bedingungen  zu  vernehmeu  geben,  Heüswirkuug 


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DIE  JiaiTSTEHUHG  DER  LUTIlERIisCliEN  KIRCHE.  8» 

auf  einen  Teil  der  Eirchenglieder  ausgehen  Ifisst.  Wenn 

weiterhin  gefragt  wird,  wo  diese  Kirche  besteht,  so  lügt  Me- 
lanchthon  hinzu,  in  derselben  Weise,  wie  es  in  der  Schrift 
„De  ecclesia"  der  Fall  wv»  dass  die  päpstliche  Herrschaft 
die  falsche  Kirche,  die  wahre  aber  da  sei,  wo  das  fundamentam, 
qaod  est  Jesus  Christas  feststeht  „Hoc  dicto  complectitur 
(Paulas)  cognitionem  incormptam  omnium  articulorum  fidel 
et  prohibitionem  idolorum.''  Und  so  sehr  überwiegt  die  Auf- 
merksamkeit auf  diese  theoretische  Function  der  Kirche,  dass 
TOD  dem  rectus  nsos  saeramentoram  nar  beil&ufig  die  Bede 
ist  Endlich  ist  auch  das  Merkmal  der  Gebetsanrufting  Got- 
tes, das  fortan  in  allen  Äeassemngen  Melancbthons  über  die 
Kirche  uns  begegnet,  f^iu'lc  in  der  vorliegenden  Darstellung 
ohne  die  gebüreude  Betonung  geblieben.  In  einer  fast  gleich- 
zeitigen akademischen  Kede  (1644)  de  in?ooatione  dei  erklftrt 
er  freilidi  die  christliche  Gottesverehmi^  für  das  Merkmal, 
das  die  Kirche  von  allen  Völkern  nnterscheidet,  und  am 
deren  willen  erst  die  richtige  Gotteserkenntnis  in  der  Kirche 
notwendig  ist  Das  ist  ein  Gedanke,  der  für  die  Lehre 
von  der  Kirche  den  höchsten  Wert  hat.  Aber  nicht  nur 
hat  Melanchthott  denselben  niemals  gründlich  verfolgt,  sondern 
am  wenigsten  ist  er  in  der  vorliegenden  Lehrdarstellang  dar- 
auf bedacht  gewesen,  das  Merkmal  der  Glaubensartikel  dem 
der  Gottesverehrung  als  das  Mittel  unterzuordnen.  Vielmehr 
gilt  ihm  jenes  Merkmal  so  entschieden  als  das  Fundament 
der  Kirche,  dass  er  den^mfiss  die  Kirche,  welche  nicht  ein 
Staat  sein  soll,  als  eine  Art  von  Schale  begreift'). 

Dieses  Ergebnis  ist  einer  sorgfältigen  Betrachtung  wert. 
Die  Formel  ist  der  folgerechte  Ausdruck  eiuer  Gedankenrich- 


1)  C.B.  XI,  669;  cf.XII,8:  „Verae  dootrinae  adaereratio  neeeosaria 
ad      agnitioiiem  et  inTocatiooem.*' 

^  C.  R.  TU,  836:  „Conoedendiim  est«  ecoleaiaiD  esse  eoetom  visi- 
ISUm,  neqne  tarnen  eaae  xegDom  pontificiun,  aed  ooetm  dmilem  seho- 
lasüeo  coetni.  —  Erit  aliqnia  riribilia  coetiu  eecleaia  dd,  aed  nt  eoetoa 
leholastieiia;  est  oidOi  eat  diserimen  inter  dooentea  et  anditovea." 
XII,  867:  „CooBpidtiir  eeelesia  nt  hooeata  aiiatooratia  aen  pina  oido  do> 
«eDtimn  et  diaeentiom  cbiiatiaoaoi  eateehesin,  qm  diapenoa  eaadem  tarnen 
verae  dodrinae  et  j^ae  invocattonia  vocem  sonat" 


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90 


BIT8GHL, 


tung,  deren  frühere  Spuren  nachgewiesen  sind.  Der  Fehler, 
der  in  diesem  Satze  handgreiflich  an  den  Tag  tritt,  entapringt 
znnftcbst  aus  folgendem  Irrtnm.   Indem  das  Merkmal  des 

schulmüssigen  richtigen  Lehrbegrifts  am  geeignetsten  war, 
zwischen  der  wahren  Kirche  und  der  falschen  unterscheiden 
zu  lassen ,  hat  Melanchthon  gemeint,  dass  er  auch  als  das 
«ntscheideude  Hauptmerkmal,  ja  ak  der  wesentliche  Grand 
för  den  Innern  Bestand  and  Zosammenhang  der  rechten 
Kirche  anzusehen  sei.  Aber  wenn  die  schul mässig  aus- 
geprägte Lehre  dazu  hiureiclit.  den  Wert  der  rechten  Kirche 
nach  aussen  zu  vei*treteu,  so  lolgt  doch  daraus  nicht,  dass  die 
Kirche  an  und  fllr  sich  eine  Abart  von  Schule  sei.  Nun  bleibt 
fi«ilich  dieses  Eigebnis  immer  behaftet  mit  der  Nachwirkung 
des  ursprünglichen  Begriffs  von  der  Kirche,  also  begleitet  TOn 
der  Behauptung,  dass  Gott  durch  die  Predigt  seines  Wortes 
in  der  empirischen  Kirche  heikmässiges  Leben  wirkt.  Aber 
«och  diese  Gorrectur  seines  empirischen  Eirchenbegriffs  macht 
Melanchthon  meistens  dadurch  unwirksam,  dass  er  den  Unter- 
echied  zwischen  der  religiösen  Anschauung  und  der  theore- 
tischen Formulirung  des  Glaubensinhaltes,  zwischen  dem  Evan- 
gelium als  dem  Gnaden  willen  Gottes  und  der  rechten  Lehre 
als  der  m'en schlichen  Erkenntnis  desselben  nirht  festgehal- 
ten hat  Dieses  ist  besonders  deutlich  der  Fall  in  der  so- 
genannten „Wittenberger  Reformation"  (1545),  jenem  wich- 
tigen Document,  welches  das  gesauimte  ünternehuicu  der 
Reformation  vor  dem  Kaiser  logitimircn  sollte,  als  derselbe 
damit  umging,  seine  eigne  Ordnung  der  Kiiche  aufzurichten, 
und  welches  für  die  späteren  evangelischen  Kirchenordnungen 
den  Typus  abgegeben  hat.  In  dieser  von  Melanchthon  deutsch 
und  lateinisch  verfassten  Schriffc  ist  der  Gebrauch  der  ein- 
schlagenden Begriffe  von  Gottes  Wort  und  kirchlichem  Lehr- 
bekenntnis  und  dergleiclieu  durchaus  verworren      Aber  so 

1)  C.  K.  V.  580:  ..Gott  hat  ddi  in  gewinen  Zeugninen  geoffienbtt^ 
und  t  in  b  >  ndere  Lehr  nnd  Wort  gegeben  und  dtmn  aetn  recht  Erkennt* 
nis  gcbundon .  dasR  diejenigen  sollten  eme  Eifche  sein,  so  dieselbe  seine 
Lehre  uikI  Wort  lehren,  lernen,  annehmen  und  bekennen  werden.  Und 
hat  sich  also  nach  dem  Fall  geoffenbaret,  dass  er  wolle  seuisn  Sohn  sen- 
den nnd  durch  denselben  Vergebnng  der  Sünde,  Gnade,  Gerechtigkeit  nnd 


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DIE  ENT8TEHÜNQ  DBR  LUTHERISCHEN  KIRCHE.  91 

viel  ist  klar,  dasB  der  Scfawwponkt  des  kirdblichan  Selbst- 
gcUBhls  aueb  in  diesem  Actenstfick  in  das  Bekenntnis  äet 

Kirche  und  nicht  mehr  in  das  Evangelium  Gottes  i^elci^t  wird. 
Diesem  Umstand  aber  entspricht  die  Formel,  dass  die  Kirche 
eine  Art  Schule  sei.  Es  ist  mwkwürdig.  dass  die  Wert- 
flehfttetng  des  kirdüiohea  Bekenntnisses  in  dem  Gedankenkreise 
Melaaebtliens  nach  einander  in  gans  entgegengesetzten  BidH 
tungen  gewirkt  hat.  Das  kirchliche  Bekenntnis  dient  ihm 
«eit  1537  zu  der  Ausdehnung  des  kirchlichen  Selbstgefühls 
in  der  Behauptung:  die  evangelische  Kirche  ist  die  katholische. 
Jetst  erfolgt  ans  derselben  Wertschäteong  des  Bekenntnisses 
fOr  den  Bestand  der  Kirche  selbst  die  Einschränkung  des 
ürohlichen  Selbstgefühls  in  der  Behauptung:  die  wahre  all- 
gemeine Kirche  ist  eine  Art  von  Schule.  Diese  Sätze  aber 
sind  die  beiden  ersten  Schritte,  iu  denen  die  deutsche  Refor- 
mation wa£  die  Bahn  aur  lutherischen  Kirche  gelangt  Knüpfen 
«ch  nun  an  beide  Behauptungen  entgegengeaetste  Eindrflcke, 
•der  der  Greesartigkeit  an  die  erste,  der  der  Kleinlichkeit  und 
Beschränktiieit  an  die  zweite,  so  haften  diese  abwechselnden 
oder  gemischten  Eindrucke  auch  au  der  nachher  zustandege- 
jKOtmmenen  lutherischen  Kirche. 


ewiges  Leken  geben.  IHeBeB  hat  er  «neh  hemaeh  mit  gewissen  Zeug- 
nissen gesendet,  und  ist  also  die  Khrebe  mf  diesen  Heiland  und  anf  das- 
selbe Wort,  dadurch  der  Sohn  geofl^lNirt  ist,  gegründet  Wer  nnn  diesen 
Sohn  nicht  h5ren  will  und  das  Evangelinm  verachtet ,  ganz  oder  etliche 
AitOdd,  die  können  Gottes  Volk  nicht  sein.  Darom  soll  dieses  in  diris^ 
Hoher  Befoniatioo  das  eiste  Stttek  sein»  dass  das  hdlige  Evangelinm  ran 
und  nnverfUsebt  erhalten  werde,  wie  die  alten  Concilien  ftbmehmlidi  von 
der  Lehre  wegen  gehalten  sind  nnd  das  Nicennm  ein  IdUich  Symbohun 
gemacht  zur  Erhaltung  des  rechten,  reinen  Verstands  vom  Sohn  Gottes. 
Und  wiewohl  hernach  oft  Beformationes  vorgenommen,  so  ist  doch  von 
TOtaefamen  ArtOnSn  christlicher  Lehr  darin  wenig  gebandelt.  Jetzt  hat 
^ott  seine  Gnade  verliehen,  dass  die  Lehre  des  Evangelü  in  allen  nöti- 
gen Artikeln  erküret,  davon  wir  eine  Coofession  1580  Kais.  Mi^.  über- 
antwortet, hei  welcher  wir  za  bleiben  gedenken,  wie  dieselbe  in  ihrem  rech- 
ten Verstand  lautet.  Darum  wir  auch  für  n&tig  halten,  dass  der  Ver- 
stand derselben  Lehre,  die'  wir  in  unseren  Kirchen,  Confession  und 
Katechismus  bekennen  und  lehren,  etntrichtig  in  allen  Kirchen  fsepr^ 
digt  und  gehalten  würde." 


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92 


RIXSCUL, 


Es  wird  nicht  nötig  sein,  f Qr  die  Epoche  von  Luthers  Tode 
an  durch  besondere  Zeugnisse  festzostdlen,  dass  Melanchthon 

sich  in  den  nachgewiesenen  Anschauungen  von  der  Kirche  treu 
geblieben  ist.  l^ei  allen  raögliclieu  öffeutliclien  und  halb  öffent- 
lichen Gelegenheiten  spricht  er  die  Gedankeureihe  aus,  dass  die 
wahre  katholische  Kirche  und  die  rechte  Anbetung  ohne  Götzen- 
dienst bei  den  Evangelischen  sei,  welche  in  den  Symbolen  der 
alten  Synoden  und  in  der  Augsburgischen  Confesrion  den  katholi- 
schen Consensus  bekennen  und  festhalten,  und  bei  denen  Gott 
durch  das  Predigtamt  zum  Heile  für  Viele  wirkt.  In  diesen 
Grundgedanken  war  ohne  Zweifel  der  theologische  Nachwuchs 
seit  den  vierziger  Jahren  durchaus  befestigt.  Ueberdies  bat 
Melanchthon  diese  Lehre  von  der  Eirche  im  Examen  ordlnan- 
durum  und  in  der  Kt'petitio  confessionis  Augustiinae  (beide 
1552)  wiederholt,  Compendieu,  welche  er  nebst  der  letzten 
Ausarbeitung  der  Loci  in  sein  Corpus  doctrinae  (1560)  auf- 
nahm. Melanchthon  hat  übrigens  den  schon  frtlher  fest- 
gestellten Vorsats,  an  der  Lehre  der  evangelischen  Kirche 
nichts  zu  ändern  oder  verändern  zu  lassen,  sowohl  gegen  das 
Interim  Karls  V.  als  auch  in  seiner  ihm  aufgezwungenen  Be- 
teiligung am  Leipziger  Interim  des  Kurfürsten  Moritz,  auf- 
recht erhalten  £r  hat  femer  die  Verbindlichkeit  der  Augs- 
buigischen  Gonfession  gegen  die  Abweichungen  betont^  welche 
Andreas  Oslander  und  Matthias  Lauterwald  in  Elbing  be- 
gingen, dieser  in  dem  Satz,  dass  die  Sündenvergebung  nicht 
bloss  durch  den  Glauben,  sondern  durch  die  Reue  und  andere 
Leistungen  augeeignet  werde  *),  Innerhalb  dieses  Kähmens 
von  Vorstellungen  hebe  ich  nur  folgende  einzebe  Punkte 
hervor. 

Als  die  Streitigkeiten  über  die  Lehre  vum  Abend- 
mahle in  Bremen  zwischen  dem  Ubiquitisten  Timanii  und 
Hardenberg  stattfanden,  hat  Melanchthon  mit  den  übrigen 
Wittenberger  Theologen  ein  Gutachten  g^gen  die  nenge- 
bildeten  Formeln  Timanns  abgegeben  (1657).  Hierin  be- 
richten sie,  dass  in  Kursachsen  „der  Artikel  vom  Abend- 


1)  a  B.  VI,  VII,  98.  883.  466.  47a  5&8. 
t)  0.  R.  Vni,  284.  866. 


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DIB  ENTSTEHONG  DER  LUTHERISCHEM  KIRCRE.  93 

mahl  des  Herrn  Cbristi  einträchtiglicli  laut  der  Coufession  zu 
Augsburg  gepredigt  wird*^^).  DeiDgenita  hat  Ifelanchthoii 
schon  in  der  Wiederholung  der  Angsborgisehen  Oonfession  die 

AbenduialilbLdiiälung  dalün  beurteilt,  dass  sie  nach  dem  Willen 
Christi  selbst  das  Bekenntniszeichen  der  Part icularkirche 
sei  ^y.  Es  ist  nicht  möglich-,  die  Meinung  Melanchthons  anders 
als  80  aofzufassen.  Da  sich  nun  der  Satz  in  seinem  geschicht- 
lichen Sinne  bloss  auf  die  römische  und  die  evangelische 
Kirche  beziehen  kann,  so  gesteht  er  indirect  zu,  dass  Christus 
den  römischen  Katholiken  ihre  Art  von  Abendmahlshandlung 
als  Correlat  ihres  geuus  doctrinae  verordnet  habe.  Dadurch 
aber  ist  die  Voraussetzung  durchkreuzt,  dass  die  römische 
Kirche  die  falsche,  die  evangelische  die  rechte  katholische- 
Kirche  sei.  Wenn  jedoch  die  evangelische  Kirche  festhSlt, 
dass  sie  die  allgemeine  ist,  so  wird  sie  das  in  ihr  richtig  ver- 
waltete Abendmahl  als  das  Bekeuntoiszeichen  der  allgemeiueu 


1)  c.  B.  IX,  le. 

^  C.  B.  XXVIII,  417:  .yFOins  dei  vnlt  baoe  poblioam  snmtioiiem 
«onfoMioiiem  esse»  q«a  ostendas,  qnod  doeiarinae  genns  ampleGtariSy  coi 
coetiu  t»  adiimgM."  —  Der  von  Helanchthon  in  der  ConfiMs.  Saxonica 
aiugeBpiocheiie  Grnndsats  Qlier  die  Bestimniiuig  des  Abendmahls  als  Be- 
kenntniaaeiebett  der  Partioidarldrcli«  wird  vorher  Ton  den  ZUrieher 
Theologen  geltend  gemacht  in  einem  Schreiben  an  die  Straasbuger 
10.  Januar  1547  (G.  B.  XL,  462).  Die  letzteren  hatten  sich  beUagt, 
daaa  zwei  jnnge  Zflricher  Theologen,  welche  in  Strassbnrg  stodirten,  dar 
selbst  nicht  am  Abendmahl  teilnahmen.  Indem  nnn  die  Züricher  die 
Abwdcbnng  Bneeis  von  ZwingU  in  der  Abendmahlslehre  ala  Zustimmung 
m  Luther  beorteüen,  billigen  sie  das  Verhalten  ihrer  Angehörigen  ans  fol- 
genden Grfinden:  „Qnoniam  commnmcatione  sacramentonmi  palam  pro- 
fitemur  fidem  nostrsm,  admonnimns  iUos  diligenter,  ne  cum  Ulis  com- 
mnnieeat,  qnibos  non  eandem  nobiscom  in  dogmatibns  et  sacramentis 
doetiinam  et  fidem  esse  inteüigant .  .  . .  Qoi  sacramentis  ?obisoam  com- 
mnnicant,  ipsa  commvnicaticne  profitentor,  se  eandem  Tobiscnm  habere 
de  sacramentis  fidem.  Aiqoi  ittTenes  nostri  non  eandem  vobiscom  fidem 
hahent:  cur  ergo  opere  profiterentiur  foris,  quod  iutns  in  animo  non 
sentinnt?"  Hieraus  ergiebt  sich  der  Zwinglische  Geschmack  des  Grand- 
Satzes,  dass  das  Abendmahl  als  fiekenntniszeicben  der  Particularkirche 
gelten  solle.  Hierauf  konnte  man  nur  geraton»  wenn  man  die  Hand- 
lung Oberhaupt  als  Bekenntniszeicben  beurteilte.  Der  Grundsatz  Me* 
lanchthons  ist  also  im  Widerspruch  mit  der  objeetiTen  Bedeutung  dea 
Abendmahles  als  Sacramentes  Christi. 


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94 


BTTSCHL, 


Kirche  handhaben,  wenn  sie  alle  dazii  annimmt,  welche  durch 
ihre  ünterwerfnug  unter  Gottes  Gnade  und  die  SQudenver* 
gebuDg  i|m  Christi  willen  ihre  Bichtung  auf  den  reinen  Ver- 
stand des  Bvangeliums  bindgeben.   Freilieh  wer  auf  dem 

Standpunkte  (lie^er  Kirche  als  Ketzer  angesehen  werden  mnsste, 
Mtte  keinen  Anspruch  auf  die  Gemeinschaft  des  Abendmahl* 
der  allgemeinen  Kirche.  Dieses  wären  die  BestimmungeUt 
welehe  folgerecht  aus  der  Gmndbehauptnng  der  evangeliseheii 
Urche,  dass  sie  die  allgemeine  sei,  abzuleiten  waren.  Sie 
würden  der  römischen  Kirche  gegenüber  auch  durchaus  prak- 
tisch gewesen  sein.  Denn  obgleich  deren  Glieder  von  den 
Evangelischen  niemals  als  Ketzer  bezeichnet  worden  sind,  schon 
aus  reichsgesetzliehen  Gründen,  so  macht  die  r(tamsehe  Kirche 
den  gleichen  Anspruch  an  Allgemeinheit,  und  schliesst  daraus, 
dass  die  „der  Augsburgischen  Confession  Verwandten"  als 
Ketzer  an  ihrem  Abendmahl  nicht  teilnehmen  dürfen.  Hieraus 
also  folgte  die  gegenseitige  Absperrung  beider  Kirchen  im 
Abendmahl  tou  selbst.  So  particularistisch  aber,  wie  sich 
Melanchthou  aosdrflckt,  ist  sein  Satz  nur  effectiv  geworden 
gegen  die  Zwinglianer  und  Oalvinisten,  sowie  gegen  die  An* 
luinger  seiner  Abeudinahlslehre.  Ich  sehe  auch  nicht  ein, 
dass  die  Conlusiou  geringer  wird,  wenn  man  diejenige  Vor- 
aussetzung der  werdenden  lutherischen  Kirche,  welche  Me- 
knchthon  bei  dieser  Gelegenheit  bloss  Teigessen  hat,  ausdrftck- 
lieh  in  Abrede  stellt,  in  dem  Bekenntnis,  dass  die  lutherische 
Kirche  nicht  so  stolz  und  bornirt  sei,  sicli  iür  die  allgemeine 
(katholische)  zu  halten"  Denn  wenn  die  lutherische  Kucho 
nur  eiue  particulare  sein  will,  so  hat  sie  kein  Recht,  dem 
richtig  verwalteten  Abendmahl  Christi,  welches  allgemeines 
Merkmal  der  allgemeinen  Kirche  ist,  einsdiränkende  Bedin- 
gmigen  hinzuzufügen,  welche  über  die  Forderung  des  Ver- 
trauens auf  Gottes  Gnade  und  der  Bussfertigkeit  hinausgehen. 
Vielmehr  ist  das  Abendmahl  als  Stittung  Christi  den  i3edin- 
gungen  durchaus  flbergeordnet,  in  welchen  sich  die  Analogie 
der  Kirche  mit  einer  Schule  zu  erkennen  giebt.  Jene  Auf-* 


^)  Delitzsch,  Die  bayetisclie AbeiidDiahl^gemeiDAchAfts-rrag« (1^ 
&  11. 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTBERISCHEN  KIRCHE. 


95^ 


steilang  Mdanchtlums  also  ist  eine  TerbftngiiisroIIe  Folgemngr 
aas  der  Einengni^  seiner  Yorstelliiiig  von  der  al^emeinen 
Kirche  anf  den  Begriff  der  Seh^le. 

Allein  soweit  hieran  etwas  wahres  ist ,  kam  es  doch  darauf 
an,  dass  för  die  evangelisclie  Kirche  als  Schule  ein  anderes  Ver- 
&bren  in  dem  Verständnis  der  heiligen  Schnft  ausgemittelt  wurde» 
ds  die  römische  ausübte.  In  der  letztem  gilt  der  Gnindsatz,  dass 
der  an  sich  nngleicbe  und  undentliehe  Sinn  der  heiligen  Schrift 
den  Massstab  seines  Verstündnisseö  an  der  vorgeblicli  einhelli- 
gen Ueberlieterung  in  der  Kirche  und  iiiren  dogmatischen 
Entscheidungen  linde.  Die  Undeutlich  keit  der  heiligen  Schrift 
khnt  nun  Melanchthon  mit  gutem  Rechte  ab,  so  lauge  er 
dessen  eingedenk  ist,  dass  die  Offenbarung  den  Gnadenwillen 
Gottes  betriftt.  Er  hätte  sich  damit  begnügen  können,  dass 
die  Gedanken,  Tvolche  in  diesen  liegrill'  von  der  OtVenbarung 
einmünden,  mit  aller  m<^llchen  Evidenz  in  der  heiligen  Schrift 
an  den  Tag  treten,  nnd  er  hätte  folgern  dürfen,  dass  anderes 
weniger  Evidentes,  was  za  widersprechender  Aufifassiing  Anlass 
giebt,  zum  Verständnis  der  Offenbanmg  nichts  beitrage.  Diese 
Entsch<ddung  aber  war  ilmi  nicht  zugänglich,  da  er  in  der  Lage 
war,  im  Namen  der  evangelischen  Kirche  sich  ebenso  für  die 
ehiistologischen  Satzungen  der  alten  Kirche  zu  inteiessiien 
wie  fDr  die  Lehre  von  dem  freien  Gnadenwilleu  Gottes.  Des> 
halb  hat  er  diejenige  Stellung  weiterhin  behauptet,  welche  er 
in  der  Schrift  „De  ecclesia''  eingenommen  hat  (S.  81).  Er 
sagt  nämlich  die  Kiiche  sei  velut  grammatica  sermouis  di- 
yini.  In  dieser  Eigenschaft  trage  sie  nichts  neues  vor,  was 
nicht  in  der  heiligen  Schrift  enthalten  sei,  sondern  zeige  in 
derselben  die  Ordnung  der  Sachen  und  die  Eigentümlichkeit 
der  Rede.  Hievon  wird  nun  wieder  die  Anwendung  gemacht 
auf  den  Sinn  des  Johanneischen  Prologs,  nämlich  dass  die  Atha- 
nasianische Deutung  desselben  im  Texte  selbst  überliefert  sei. 
Denn,  heisst  es,  weder  die  Engel  noch  die  Menschen  hab«i  ein 
solches  Ansehen,  um  einen  solchen  Glaubensartikel  zu  gründen. 

Diese  Aulstellung  bietet  ein  mehrfaches  InLcresse  dar. 

1)  In  der  an  ThomaaCnuimer  gerichteten  Vorrede  zu  Flacias*  erster 
Schrift:  „De  Yoee  ac  le  fidei**  (1549)  im  C.  R  TU,  845—349.  Ebenso 
in  der  Vorrede  znr  „Enaxratio  s^boU  Niceni"  (1560)  VII,  576. 


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96 


RITSCHL, 


Was  zunächst  Melanchthons  eignen  theologischen  Gesichtskreis 
betrifft,  so  hat  auch  der  Osiandrische  Streit  seine  besondere 
Aofinerksamkeit  auf  das  christologische  Dogma  gelenkt  Hat 
er  in  der  ursprflnglicheii  religi^Ssen  und  theologischen  Bich- 
tuDg  nicht  die  Natnren  in  Christus,  sondern  sdne  Wohltaten 
als  bemerkenswert  angesehen,  so  hält  er  es  nachher  ftir  not- 
wendig, dass  eine  kirchliche  BlrkUiiuig  erfolge  über  die  Eigen- 
schaften der  trinitarischen  Penonen,  die  Ordnung  ihrer  Ein- 
wobnung  in  den  Heiligen«  fiber  die  Eigenschaften  Christi  und 
seiner  beiden  Naturen  ^).  So  tief  hat  ihn  diese  Frage  bewegt, 
dass  er  unter  den  Gründen  seiner  Geneif^heit  zu  sterben  auch 
die  Aussicht  aufführt,  dass  er  im  jenseitigen  Leben  lernen 
werde,  qualis  sit  copulatio  duarum  naturarum  in  Christo^). 
Hieraus  eigiebt  sich,  dass  das  Problem,  wekbes  auf  Anlass 
der  Streitigkeiten  fiber  das  Abendmahl  einen  so  starken  Ein- 
fluss  auf  die  Fixirung  des  Luthertums  ausgeübt  hat,  und 
welches  den  augenßllligsten  Abstand  zwischen  der  lutherisch 
gewordenen  Kirche  und  dem  ursprünglichen  Massstabe  der 
Reformation  Luthers  bezeichnet,  auch  ffir  Melanchthon  nicht 
gleichgültig  geblieben  ist.  Wenn  auch  andere  Grfinde  sein 
Interesse  an  diesem  Theniu  hervorgerufen  haben,  so  reicht  er 
doch  in  seiner  letzten  Lebensepoche  Bestrebungen  die  Hand, 
welche  in  der  Entwicklung  der  Kirche  bis  zur  Concordieu« 
formel  hin  einen  ganz  besondem  und  benrorragenden  Einflnss 
in  einer  Richtung  geflbt  haben,  welche  scheinbar  Melanchthon 
ganz  zuwiderlief. 

Auf  diesem  Punkte  haben  namentlich  Brenz  und  seine 
würtembergischen  Nachfolger  die  Entscheidung  herlieii^n'führt. 
Dieselben  haben  aber  auch  yerhiudert,  dass  die  von  Melanch- 
tbon  formulirte  Schätzung  der  Kirche  als  der  Grammatik  der 
beiligen  Scbrift  zu  einer  ofßcieUen  Regel  in  der  lutherischen 
Kirche  geworden  ist.  In  dieser  Bezieliung  ist  der  Artikel 
von  der  Kirche  in  der  ?on  Brenz  verfassten  Würtembergischen 
Confession  (1550)  massgebend  geworden  für  die  Grundsätze, 
welche  in  der  Einleitung  der  Concordienformel  ihren  Platz 


1)  An  Herzog  Albrecht  ?on  Preusaen,  C.  fi.  VUi,  457. 
«)  C.  E.  IX,  1098. 


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DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KlACHE, 


97 


gefunden  haben.    Es  ist  eine  sehr  geschickte  Darstellung,  in 
welcher  Brenz  sowohl  der  empirischen  Auffassung  der  Kirche, 
die  seit  1537  bei  Melanchthon  hervortritt,  als  aach  dem 
ideellen  Massstabe  der  C.  A.  zugleich  gerecht  wird.   Er  be- 
zieht das  Urteil:  „ich  glaube  die  eine,  heilige,  allgemeine 
Kirche"  auf  ilie  in  der  Gescliicbte  crscheiueude  Gemeinde,  die 
zwar  vom  heiligen  Geiste  geleitet  wird,  der  aber  falsche  Christen 
beigemischt  sind,  welche  doch  die  Sacramente  richtig  verwal- 
ten können;  in  dieser  Kirche  walte  die  Veigebnng  der  Sün- 
den, de  habe  Zengnis  Ton  der  heiligen  Schrift  abzulegen, 
ühei  alle  Lehrweisen  zu  urteilen,  sei  berechtigt,  die  heilige 
Schrift  auszulegen.    Diese  Merkmale  sind  der  Art,  dass  sie 
ebenso  von  der  römischen  wie  von  der  evangelischen  Kirche 
l&r  sich  in  Ansprach  genommen  werden.   Deshalb  wird  die 
Frage  erhoben,  wo  diese  Kirche  zu  finden  sei?  Die  Antwort 
ist  im  Sinne  der  nrsprünglichra  refonnatorischen  Instanz: 
„  übi  evangelion  Christi  sinceriter  praedicatur  et  sacramenta 
«ins  recte  iuita  institutionem  Christi  administrantur/'  Was 
wsk  aber  die  Befugnisse  der  Kirche  betrifft,  die  heilige  Schrift 
aoszolegen  und  über  die  Lehre  zu  urteilen,  so  bedeutet  das 
nicht,  „quod  ecclesaa  habeat  liberam  potestatem  quicquid  sti^ 
tuendi  uc  etiam  si  libeat  muUmdi  bciipturam  et  fingeiidi  no- 
Tam  doctrinam  ac  instituendi  novos  cuitus  dei".  Vielmehr  hat 
die  Kirche,  indem  sie  die  Stinmie  Christi  anerkennt,  von  ihm 
«ine  sichere  Begel  empfangen,  „propheticam  videlicet  et  apo- 
stolicam  praedicationem,  iuxta  quam  debet  obscura,  n 
quae  videntur,  scripturae  loi-a  iuteipietari  et  de  doctrinis  iadi- 
care''.    In  der  letztern  Hinsicht  aber  hat  sie  sich  zu  halten 
„intra  metas  sacrae  scripturae,  quae  est  voi  sponsi  sui,  a  ({ua 
¥oce  nuUi,  ne  angelo  quidem  fiis  est  reoedere**     In  der  Bich- 
tong  dieser  Bestimmungen  liegt  die  Erklärung  der  schwäbisch- 
niedersachsischen  Concordienformel ,  dass  „allein  Gottes  Wort 
die  einige  Richtschnur  und  Regel  sein  und  bleiben  solle, 
welchem  keines  Menschen  Schriften  gleich  geachtet,  sondern 
4em8elbigen  alles  unterworfen  soll  werden***).   Und  die  Ber- 

1)  Bei  Pf  äff,  Acta  et  scripta  publica  eccL  Wirtenil^rgicae  (1720) 
^  325. 

»)  A  a.  0.  S.  385. 

Z«iUcbr.  f.  K.-O.  7 


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96 


RITSCUL, 


giflche  CoaeoidMiiformel  hat  twt  Bewfthnmg  dessen  hinzugefügt^ 

dass  alle  Symbole  und  die  reforniatorischen  Bekenntnisse  nicht 

tr' 

das  Ansehen  eines  Richters  behaupten,  sondeni  nur  zeigen» 
wie  man  zu  gewissen  Zeiten  die  heilige  Schrift  veistaiidea 
hst  und  wie  die  mit  deraelben  strtttendeD  Satsmigen  Ter» 
woif  en  mä. 

Die  exegetische  Praxis  in  der  lutherischen  Kirche  ist 
freilich  auch  unter  dem  Schutze  dieser  Bestimmungen  zu- 
nächst keine  andere  gewesen,  als  welche  in  Melanchthons 
Yer&hfen  angeieigt  war.  Mao  liese  neb  im  stilkB  doch 
dmch  die  kireblicbe  üeberlielenmg  danm  emnern,  was  in 
gewissen  Sfttzen  der  heiligen  Schrift  gefunden  w^den  durfte. 
Die  Auslegung  der  heiligen  Schrift  aus  sich  selbst  ist  lange 
ein  leerer  Anspruch  gewesen  und  will  auch  jetzt  nicht  jedem 
geüogMi.  Nidita  desto  wenig«*  ist  die  Zugftngüehkeit  der 
Intiierischen  Kirche  für  fthnüche  Befonnationen,  als  aus  wel- 
cher cde  hervorgegangen  ist,  dadurch  gewährleistet,  dasB  der  in 
ihr  gültige  Grundsatz  der  Schriftauslegung  auf  der  Linie  von 
Brenz  und  nicht  auf  der  von  Melanchthon  zustandegekom- 
men  ist.  Die  Aufstellung  des  letztem  kam  in  der  Sache  dam 
rOmiaoh-katholisGhen  Chnmdsatie  za  nahe,  ab  daaa  die  aoig* 
ftltig  herechnete  Form  des  Aasdmcks  znr  Befestigung  der 
notwendigen  Grenze  zugereicht  liiitte.  Aber  in  diesem  Falle 
hat  er  sich  wiederum  nicht  von  der  grandiosen  Gestalt  der 
alten  Kirche  imponiren  lassen,  sondern  hat  nur  einer  Ver* 
legenheit  Ansdrack  verliehen,  deren  GrOnde  ihm  deutlicher 
geworden  sind,  als  denen,  deren  Formel  die  Anwartschaft  auf 
correcte  Schriftauslegung  für  eine  spätere  Zeit  begründet. 
Wenn  man  die  Beiträge  von  Melanchthon  und  Brenz  zu  der 
werdenden  lutherischen  Kirche  mit  einander  vergleicht,  so  hat 
der  letalere  sowohl  in  der  Lehre  vom  Abendmahle,  wie  in 
der  Festaetzni^  der  Methode  der  kurchlichen  Schriftausleguttg 
jenem  das  Feld  ahgewonnen.  Allein  in  der  Lehre  von  der 
Kirche,  welche  den  Umfaug  und  die  Riolitung  bezeichnet,  in 
welcher  sich  die  lieformation  /Air  lutherischen  Kirche  einengt, 
steht  auch  Brenz  nur  auf  Melanchthons  Schultern.  Und  ob- 
gleich jenef^  sich  fther  die  Schätzung  des  kirchlichen  Bekennt- 
nisses im  Siime  Melanchthons  nicht  ausgelassen  hat,  so  ist 


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DIE  £NTBT£IIUMQ  DBB  LUTHEBISCHBN  KIBCBB.  99 

doch  die  Zusammenstellung  der  Concordienformel,  soweit  sie 
auf  Brenz'  Eiufluää  zurückweist,  und  ihre  EecepUoB  eis  tat» 
aftdüicher  Beweis  ö«för,  daas  Melancfathona  AnschaaiuigBweiBe 
die  Tätigleit  aller  dara  mifcwirkenieii  Theologen  beherrschte. 
Die  Concordienformel  enthält  keiiieu  Artikel  von  der  Kirche, 
weil  derselbe  nicht  streitif,'  war ;  der  Bei^riff  von  der  Kirche  aber,  ' 
aus  dem  solches  Unternehmen  überhaupt  aufgefasst  werden 
hoBnte,  ist  die  TOD  Meianehthon  seit  1637  ?artreteiie  Vof- 
steUoDg  fon  der  Enobe,  deren  FaDdamint  Me  «nwandelbiie 
Qlanbenaartikel  sind,  and  welche  einer  Schulgemeinschatt  am 
nächsten  vergleichbar  ist. 

Auch  Flacius  hegt  nur  diejenige  Vorstellung  von  der 
Järehe,  daas  ihre  Einheit  is  der  menschlicheD  Srheontnis  Gettes 
UBd  in  deren  Bekentnis,  Yerbieitiing^  Verteid^mig  bestehe 
Deshalb  yerfolgt  er  auf  Anlass  des  Beligionsgeeprädies  ni 
Worms  (1557)  diLs  Bestreben,  dass  die  Evangelischen  erst  alle 
Abweichungen  von  der  C.  A.,  die  unter  ihnen  selbst  vor- 
kommen, verdammten,  ehe  sie  den  Bömischen  entgegentreten 
-wfiideD.  Fftr  Phidos  nftmlich  sind  alle  einzeken  Gknben^ 
srükel  als  Teile  der  ReHgion  der  Gegenstand  gleieher  Sorge.  Sein 
schulmässiges  luteresso  an  diesen  Objecteu  ist  in  dem  Masse 
ge?t^igert,  als  er  die  Gesaramtbestimmung  der  Kirche  zur 
Anrufung  Gottes  nicht  beachtet,  welche  doch  Melauchthon 
immer  herviNrhebt.  Sein  leideneGhaftliehes  Eintreten  fOr  die 
Bdnheit  aller  einzelnen  Lehren,  wodoieh  er  Gottes  Ehre  er- 


1)  Flacins  an  die  Gesandten  des  Herzogs  Joh.  Friedr.  von  S.-Weimar 
in  Worms,  C.  R.  IX,  199:  „Indem  Jmqb  um  die  Einigmig  der  Jonger  zu 
Gott  betet,  ue  dubitaiemn?.  de  quo  coiniBiiiii(nÜ8  geaere  loqueretor,  ciiv 
eimiMriptioiiem  uaico  verbo  adircit,  ut  unnm  m  nobis  sint,  petens  ni- 
miroiD,  nt  eiosdem  veri  dei  cognitionc,  verae  religionis  acx^ptione,  ardenti 
confeesione,  propagatione  ac  contra  seductores  defensione,  eodemquc  deni- 
qne  spiritu  sancto  ad  glorificationem  patriB  coelestis  inflammarcnmr. 
Goii^  unitatil  partem  praecipuam  declaranH  Paulus  iubet  nos  idein  sea- 
tupe  et  idein  dicere ,  ut  primnm  ncilicet  eandem  veram  religiuneni  imani- 
miter  amplectamur,  idemque  deeaper  omnes  eiuB  partes  secunduin 
veritatem  sentiamus  et  }>ostca  etiara  idem  doccanius,  confit/'amnr,  pro- 
pagemns,  ac  vctIk)  eiuH  contra  omnes  veritatis  corruptores  tiieanmr;  id- 
que  non  frigide  ac  timide,  sed  ardenter  et  oonstonter,  excitante  zelum  in 
dectohbuA  noetris  spirita  Bancto.*' 

7» 


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100 


RITSCHL, 


strebt,  und  worin  er  dem  Antrieb  des  heiligen  Geistes  zn 
folgen  meint,  ist  in  seinem  Verfahren  wie  seinem  Begriff  von  <ler 
Kirche  das  Surrogat  für  das  Merkmal  der  Anrufung  Gottes 
in  der  Kirche.  Jedoch  ist  diese  Auffassang  der  Kirche  ma 
eine  Anwendung  von  Melanchthous  Sats,  dass  die  Kirche 
Schule  ist  Ffir  die  Schule  ist  jeder  Lehrartikel  von  gleicher 
Wichtigkeit.  In  dem  Gemüte  des  raiiatischen  Menschen  ver- 
schob sich  also  die  persönliche  Religion,  welche  alle  Glaubens- 
artikel zu  Mitteln  ihrer  selbst  herabsetzen  würde,  in  den 
brennenden  £ifer  für  die  Reinheit  jedes  Glaabensarükels.  So 
bewfthrfc  (Vilich  Flacius,  dass  er  eine  ?on  Melanchthon  ver- 
schiedene Gemütsart  hat;  aber  er  ])ewrihrt  sich  zugkucli  als 
dessen  directen  Schüler.  Deshalb  konnten  sich  die  Flacianer 
und  Melanchthon  ohne  Schwierigkeit  darin  begegnen,  dass  sie 
beiderseits  die  Aogsboigische  Oonfession  als  den  Massstab  der 
Schlichtung  ihres  Streites  anerkannten,  indem  jeder  dem  andern 
die  Abweichung  von  derselben  zum  Vorwurf  machte  In 
derselben  Richtung  und  unter  Voraussetzung  desselben  Be- 
griffs von  der  Kirche  kam  schliesslich  die  Goncordienformel 
als  die  Urkunde  der  fertig  gewordenen  lutherischen  Kirche 
zustande.  Muas  man  also  als  den  ideellen  Antrieb  zu  diesem 
Ziel  hin  den  allen  theologischen  Färteien  gemeinsamen  em- 
pirischen Begriff  von  der  Kirche  ansehen,  so  ist  in  dieser 
formellen  Hinsicht  Melanchthon  als  der  Urheber  der  luthe- 
rischen Kirche  erwiesen. 

Jedoch  wfirde  die  Bedeutung  dieses  Eigebnisses  und  der 
ümfimg  seines  Sinnes  erheblich  einzuschiftnken  sein,  wenn 
festgestellt  werden  müsste,  dass  die  Bekenntnisgrund  läge 
der  sich  tixirenden  Kirche  durch  Melanchthons  Gegner  und  im  be- 
stimmten Widerspruch  gegen  dessen  eigne  Meinung  mit  der 
Autorit&t  Luthers  identificirt  worden  wäre.  In  dieser  Form 
nftmlich  wfire  der  Umstand  zu  bezeichnen,  welcher  noch  zu 
untersuchen  ist,  da  die  directe  Bezeichnung  „lutherf^che  Kirche" 
auch  mit  der  Concordieoformel  noch  nicht  in  Gebrauch  ge- 


^)  Hehmchthon  an  Fladns  5.  September  1666;  QaUnB  an  Melanch- 
thon  25.  Deoember  1556.  C.  B.  VIII,  842. 932.  Die  weimariaefaen  Theo- 
h^gen  sa  WomiB  CE,  814. 


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Dl£  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIBGHE.  101 

kommen  ist,  sondeni  erst  später.  Nach  der  hergebrachten  Legende 
TOQ  der  FreisiDuigkeit  und  UnionsfreuDdlichkeit  MelanchtboDS, 
welche  in  Heppes  ABDahmen  culmüiirt,  wftre  nur  den  Flacianem 
znzatraaen,  dass  sie  die  Autorität  Luthers  in  die  Omodlagen 
der  ,,ref0rmirten'*  Kirche  eingeschoben  hätten,  welche  von 
ihren  ursprünglichen  Vertretern  als  die  allgemeine,  katholische 
der  römischen  gegenübergestellt  worden  war.  Allerdings  sind 
alle  Gesichtspunkte,  unter  welchen  nachher  in  der  Intherischen 
Kirche  die  Autorität  Lnthers  als  etwas  für  sie  wesentliches 
anerkannt  worden  ist*),  schon  von  üadus,  seinen  Genossen 
und  den  ihm  nalie  stellenden  uiedersächsischen  Theologen  gel- 
tend gemacht  worden.  Ausser  einer  von  P reger  mitgeteil- 
ten Notiz  brauche  ich  nur  die  in  die  Melanchthonische  Brief- 
nnd  Actensammliiiig  dngestreaten  Vereinzelten  Urkonden  zun 
Beweise  dieser  Tatsache  za  verwenden.  Allein  diese  spär- 
lichen Proben  reichen  durchaus  dazu  hin.  Also  im  Anfang 
des  Jahres  1557  liesseu  Flacius  und  die  Magdeburger  Pre- 
diger durch  die  Braunschweiger,  Hamburger  und  Lübecker 
Prediger  von  Koswig  ans  mit  Melanchthon  nnterhandehi  nm 
diesem  ein  öffentliches  Bekenntnis  seines  Fehlers  in  Sachen 
der  Adiaphora  abzugewinnen.  Bei  dieser  Gelegenheit  erklärt 
Placius,  dass  er  nicht  aus  Streitsucht  die  Angelegenheit  be- 
treibe, sondern  „ne  universus  Status  religionis  in  Germania, 
per  Lnthernm  instanratns,  horribiliter  everteretnr Die 
mit  ihm  verhnndenen  Magdehoi^r  Prediger  erklären  ihr  Ver- 
fthren  gleidizeitig  daraus,  „nt  depositnm  Jesu  Christi 
per  Lutherum  nobis  demandatum  diligenter  servent"  *). 
Beide  Gesichtspunkte  haben  schon  die  Hamburger  Prediger 
geltend  gemacht,  als  sie  1549  ein  Waruungsschreiben  an  Me* 
lanchthon  in  Sachen  des  Leipziger  Interim  erlieesen:  —  „qni 
post  Lnthernm,  fidnm  et  constantem  purae  doctrinae  et  veri 
divini  cultus  i  n  s  t  a  u  r  a  t  o  r  e  m  ac  propugnatorem,  ecclesiam  do- 
cuistis  .  .  .  Sanctum  hoc  vestrum  de p es i tum  in  nostris  ec- 
clesiis  huc  usque  custodivimus.'^  ^)   Nicolaus  Gallus  erklärt 

1)  Hoppe,  Ursprung  und  Geschichte  der  Bezeichnungen  Beformirte 
und  Lutherische  Kirche. 
»)  C.  R.  IX,  25.  28. 
8j  C.  E.  VU,  at>7.  368. 


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102 


JUTäCHL, 


demgemäss  (1556).  dass  Melaiichthous  synergistisclie  Lelirwoise 
contra  scripturam  et  doctrinam  Lutheri  in  uostris  eccle- 
siis  veistosse In  roher  üebertreibuug  versichert  Anton 
OUo  sa  Nordkuisen  ui  einem  an  Jnatos  Jonas  geriohMen 
Briefe  (1565),  ^ee  n  sententia  Lutheri  id  est  Christi  non 
discesBumm  Hiemit  verglichen  erscheint  es  als  mässig, 
dass  Flacius  Luther  aLs  den  dritten  Elias  proclamirt,  als 
Wagen  und  Heiter''  der  Kirche  Gottes  (nach  2  Kön.  2,  12), 
den  Qott  zum  Wiederhersteller  der  wahren  AeUgion  in  dieser 
letsten  Zeit  gemacht  hat'). 

Das  smd  die  SÜehwörter,  die  anter  den  Gegnern  Me- 
lanchthons  üblich  waren.  Sie  bezeichnen  die  Autorität  Ln- 
tliers  als  ein  tatsächliches  Merkmal  der  Lehre  und  der  Ein- 
richtungen der  Kirche,  welche  sich  der  r<^mischen  gegenüber 
gertellt  hatte.  Aber  dieses  tatsftchliche  Merkmal  wird  dircä 
dis  BehaaptoDg  der  göttiiehen  Sendung  Luthers  enr  Her- 
st^.'11  uhl,^  (lor  Kirche  zu  einem  wesentlichen  Merkmal  dei-selben 
aus((epräi(t.  Wenn  Gottes  Wort  und  Luthers  Lehr  sich  decken, 
80  kann  auch  Luthers  Meinung  als  die  Meinung  Christi  selbst 
geachtet  werden.  Wer  hat  non  dieses  GofiQge  Ton  Vorstellimgen 
xnersk  in  ümkof  geeetxt?  Das  ist  Melancbthon  ge- 
wesen! Es  ist  erklärlich,  dass  diese  Schätzung  Luthers  erst 
nach  seinem  Tode  an  die  Oeßentlichkeit  tritt  Allein  das- 
jenige, was  wahr  ist,  spricht  Meknchthon  in  dankbarer  Er- 
wigong  der  Fügung  Gottes  auch  schon  Tor  jenem  Zeitpunkt 
ans.  In  der  Vonede  zum  ersten  Bande  dar  lateiaischsA 
Sehriflen  Luthers  (5.  MSrz  1545)  fthrt  er  nach  einer  Schil- 
derung der  frühern  Lage  der  Kirche  fort:  „Sed  pii  agnoscunt 
emendationem  divinitus  factam  esse,  cum  deus  excitavit  meu- 
tern Bev.  Dom.  Doctoris  Martini  Lutheri,  ut  irritatus  impu- 
dentia  Tetselü  pniam  et  salutarem  doctrioam  de  poenitentiA, 


1)  C.  E.  Vm,  898. 

«)  C.  R.  Vlll.  4f^0. 

•)  In  der  AntritUrede  zu  Jena  17.  Mai  1557,  liandschri:( lieh  in  einem 
Helmstedtcr  Codex  (P reger  II,  1U8|,  und  in  einer  Ankl.ige  <regcn  Me- 
lanchthon,  welche  an  den  K<tmg  Christian  von  Daucinark  gericiitet  ist, 
23.  bcptembor  1557  {C.  R.  IX,  297). 


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DIE  EMTSTEHUNQ  DER  LUTHERISCHEN  KIRCHE.  103 

de  iustitia  tidei  etc.  monstiaieL"  ).  Diese  Betrachtung  ist 
bo  unverfönglich ,  das»  jeder,  welcher  sein  Christentum  auf 
dem  Boden  der  Befomuttion  ausüben  will«  in  diesen  Ausdruck 
der  Dankbarkeit  gegen  Qott  eiBstiiniDeii  wird.  Wanim  itfe 
aiDB  dieaer  Wurzel  jene  starre,  tiberfereibende  und  befremdende, 
schliesslich  doirmatisch  tixirte  Beurteilung  Luthers  als  des 
dritten  Elias  hervorgegaugen  V  Weil  die  Gemeinde  der  Ee- 
fMmatioü  durch  die  geschichtlichen  Cmst^ude  ihrer  Selbat- 
erhaltaag  nneohen  der  rfiaueohen  Kirche  nnd  den  eeetiieri- 
fldien  ünternehmnngen  wstk  darauf  hingewieeen  sah,  den  Lehr^ 
begriff  und  die  Kirchenordnungen,  welche  man  gewonnen  hatte, 
als  etwaä  festes  und  unveränderliches  zu  behaupten. 
Dass  Melanchthon  auch  dieser  Bedingung  des  evangelischen 
Kirchentume  den  massgebenden  Anadmek  verliehen  hat,  iei 
oben  berfibrt  worden  (S.  86).  Das  Befremden,  wetehes  dieeer 
Umstend  bei  nns  Naehkommen  erwecken  mag,  wird  beseitigt 
werden,  wenn  ich  daran  erinnere,  dass  die  Männer  der  Ke- 
formation  sämmtlich  der  üeberzeugung  wareo,  dicht  vor  dem 
Ende  der  Welt  zu  stehen.  Das  spiegelt  sich  ja  auch  in  der  Be* 
geichnnng  Latheis  als  des  dritten  Elias  Giade  diese  Eigen- 
schaft IbI  aber  ihm  von  Melanchthon  beigelegt  worden,  inisr 


l)  C.  E.  V,  692. 

')  Schon  im  Jahre  J521  bedient  sich  Melanchthon  der  Bezeichnung 
Xnthers  als  des  Eliaa,  und  zwar  so,  dass  seine  liekäinj)fung  der  Römlinge 
als  Buulsiitaffen  den  Vergleich  begründet;  in  der  Vorrede  zu  Didyrai 
Faventini  advcrsu.s  Rhadiouiu  pro  Luthero  oratio:  .,  Cum  Lutiicrum  tue- 
lüiLT,  sincerac  tliefdogiae  causam  agimus,  quam  ille  hactenus  plane  Heliac 
äimilu  adserit.  liingantur  interini  Kouiancnses  Eccii ,  hirci  et  quid^uid 
«st  prophetarum  Baal."  (C.  R.  I,  28*?.)  In  Melanchthons  Briefen  während 
Lathers  Aufenthalt  auf  der  Wartburg  heisst  derselbe  wiederholt  Nester 
Hellas  (C.  R.  I,  448.  451.  453.  563.  565).  Auch  Luther  selbst  bekennt 
sich  schon  in  einem  Briefe  von  1520  zu  dem  Titel,  freüicfa  mit  der  be- 
scheidenen Wendung,  dass  er  der  Vorläufer  Melanchthons  sei,  dem  er  durch 
mm  heftiges  AnftreleQ  gegm  die  Gegner  den  Weg  bereite  (De  Wette 
478),  ao  daas  Mdaaeblban  id»  Eliaa  mit  deoi  doppeltea  llaaae  dea 
€l«iatea  ibm  naehfiolgea  weide  (II,  la  22.  60).  Bieae  Baidebungen  sind 
jUflsdiDgs  TerUnngun,  indem  nach  dem  Tode  Luthera  mir  der  tqd  lüftp 
kacU  aosgesproobene  Typna  dea  Propheten  gilt,  der  ▼or  dein  End" 
foidita  auf  cÜe  Bekehnng  dea  YaUraa  Gotfcea  liinwirkeii  aoU. 


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104  RTTSCHL, 

dem  ersten  Eindrucke  der  Yerlassenheit,  in  weldie  der  Tod 

Luthers  seine  Anhänger  versetzen  musste. 

„Erat  ilie  omuino  currus  et  auri^a  Israel,  a  deo  excitatuSr 
ut  eraigelii  mimsteriam  instauraret  et  repnrgaret,  qnod  re» 
ipsa  ostendii.  Necease  est  enim  fiiteri,  per  eam  pftte&ctam  esse 
doctrinam,  quae  supra  hnmani  ingenii  oonspectnm  posita  esL 
Tali  docture  et  guberuatore  nos  orbari  magno  dolore  afticimur, 
non  solum  propter  nostram  academiam ,  sed  etiam  propter 
nniversum  totius  orhis  terrarum  ecclesiani.  quam  consiliis, 
doctrina,  anctoritate  et  spiritiie  saneti  anxilio  regebat"  Sa 
schreibt  die  Wittenberger  üoiverntftt  durch  Melanchthons 
Feder  an  Justus  Jonas,  den  Augenzeugen  von  Luthers  Tod. 
„Obiit  currus  et  auriga  Israel,  qui  rexit  ecclesiam  in  hac  ul- 
tima senecta  mundi,  —  quem  a  deo  excitatum  vidimus  fuisse 
q^ricbt  Melanchthon  an  demselben  Tage  zu  seinen  Zuhörern 
Den  Ton  Gott  erweckten  Lenker  der  Kirche  nennt  er  Luther 
kurz  darauf  in  Briefen  an  Amsdorf  und  Anton  Lauterbach 
Gleichzeitig  schreibt  er  an  den  Kurfürsten  Johann  Friedrich^ 
zugleich  in  seinem,  Bugenhageus  und  Crucigers  Namen:  „Wie 
Paulus  zu  Timotheo  spricht:  das  scbOne  Kleinod  (depoeitnm)^ 
das  dir  zu  treuer  Hand  empfohlen,  bewahre  durch  den  heiligen 
Geist,  also  hat  uns  wahrlich  gedachter  Herr  D.  Martinus  ein 
schönes  Kleinod  hinterlassen,  den  reinen  Verstand  christlicher 
Lehr,  den  wollten  wir  auch  gern  imverdunkelt  auf  die  Nach- 
kommen vererben/'  ^)  Die  Bede  beim  Leichenbegängnis  Lu*- 
thers  und  die  Herausgabe  Terschiedener  Bftnde  von  Lutheia 
Werken  hat  ihm  dann  wiederholt  Veianlassung  gegeben,  die 
göttliche  Berufung  Luthers  zur  Herstellung  des  reinen  Ver- 
standes der  heiligen  Schrift  und  seine  Bestellung  zum  Leiter 
der  Kirche  zu  bezeugen  *),  Allein  weitergehende  Erklärungea 


1)  C.  E.  VI,  57.  59. 
t)  C.  R.  VI,  73.  92. 

*)  C.  R.  VI,  72.  Ebenso  Veit  Dietrich  in  Nürnberg:  ..Rcliquit  no- 
bis  Lutherus  depositnm  iion  vnlt,'aro.  videlicet  doctrinam  eccl- siae  r«  pur- 
gataui,  quam  vult  deua  bona  öde  custodiri."  (Brief  vom  25.  März  lo4G 
p.  90.) 

*)  C.  R.  XI,  627;  VII,  398:  „Divinitus  eicitatus  ad  restituendam 
docts-inae  puritatem  in  ecclesia.  .  .  .  Ipse  accenaus  divinituB  doctrinam 


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DIE  ENTSTEHUNG  CEE  LUTHERISCHEN  KIBGHE.  10& 

gleicher  Art  sind  diejenigen,  in  welchen  Melanchthou  sein 
eignes  lehrhaftes  Wirken  der  reformatorischen  Wirkung  Lu- 
thers lediglich  nnteigeordnet  hat  In  einem  offenen  Briefe^ 
Ten  1549,  mit  dem  er  den  ersten  Angriffen  von  Macins  be-^ 
gegnete,  beruft  er  sich  nicht  nur  uuf  die  Uebereinstimmung 
seiner  Loci  mit  der  C.  A.  als  der  Darstellung  der  katholi- 
schen Lehre,  sondern  macht  geltend,  dass  er  das  Yiaitations-' 
buch  von  1528  als  einen  Anssug  der  Lehre  Lnthers  zosam- 
mengestellt  habe  Man  konnte  nun  den  Verdacht  fiussen, 
dsBB  diese  Aeusserung  den  Ansprüchen  des  Gegners  in  Hinsicht 
der  sciiuldigen  Anerkennung  Luthers  etwas  mehr  anbequemt 
wäre,  als  es  der  Gesinnung  Melanchthons  entspräche.  Allein 
die^  wird  nicht  zugegeben  werden  kdnnen,  da  er  bei  anderen 
Gelegenheiten  fireiwüMg  sich  ebenso  aoasinicht.  Dieses  ist 
der  Fan  in  der  Vorrede,  mit  welcher  er  1553  die  deoischc 
üebersetzung  seiner  Loci  der  Frau  seines  Freundes  Camerarius 
zueignet:  „Nachdem  nun  der  allmächtige  Sohn  Gottes  seine 
Lehre  wiederum  durch  den  Ehrwürdigen  Herrn,  Doctorem 
IiDthenim  gnftdiglich  hat  scheinen  lassen,  und  ich  hernach 
als  ein  armer  Schiller  snr  Visitatio  und  Oonfessio  gezogen  bin^ 
habe  ich  von  vielen  Sachen  müssen  disputiren,  dadurch  ich 
verursacht  bin,  diese  Anleitung,  Locos  theoiogicos  zusammen- 
zuziehen, und  ist  mein  Gemüt  nicht  anders  gewesen,  denn 
die  einige  Lehre,  die  in  den  sftchsiachen  Kirchen  ist,  hiut  der 
Oonfesnen  von  1530  zu  erzfthlen/^^  Am  prftcisesten  aber 
drückt  sich  Melauchthon  ^Gleichzeitig  in  der  VoiTedc  aus,  mit 
der  er  die  im  vorangegangenen  Jahre  verfasste  liepetiüo  con- 


emendavit  ....  Denique  conft't;.siunt's  edidit  de  omnibus  ductiinae  capi- 

tibns  Ut  sapiens  et  cruditus  guboriiator  ecclesiae  et  prophctarura 

et  aptostolorum  coraes  .  .  .  enarrat,  considerat  occasiones  prupheticarum 
enarrationnm."  (1549.)   Zu  vt  r{^'leichen  Vlli,  2  (1553). 

1)  C.  R.  Vn.  479:  ,,Cum  in  prima  inspectione  ecclesiarum  com- 
perissemos  admodum  dissonoB  clamores  esse  ineraditorum  de  maltis  rebus» 
gnmmam  doctrinac,  quam  Lutherns  in  diversis  et  interpretationnm  et 
concionum  ToluminibüH  tradiderat,  tanquara  in  unum  corpus  redactam 
edidi  .  .  .  ac  semper  omnia  scripta  iadicio  ecclesiae  nostrae  et  ipsioa 
Lathen  perraisi." 

t)  C.  ß.  VlU,  83.  84. 


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106 


ffBsionis  Augustanae  herausgegeben  hat:  „Nequaquam  volui- 
mus  dibsidia  in  nostris  ecck'siis  ueceudere,  sed  sumraam  doctri- 
oae,  qnae  aonat  ia  ecclesiis  oumibus,  quae  Kev.  D.  Latkeri 
conf essionem  amplectontor,  recitare  Tolttinnui,  ac  r^etimiis 
seotentiani  coDfeerioiiis,  qoae  Imperatori  Oarolo  «iMbita  cmk 
in  conventu  Augustano  a.  1530,  etsi  quaedam  hic  narrantur 
plenius'*  Endlich  beginnt  die  Vorrede  7a\  der  lateinischen 
Aa8g|ji>e  des  Corpus  drw  trinae,  welche  Melanchthon  zwei  Monate 
vor  sNiiem  Tode,  16.  Februar  1660,  geechrieben  bai,  mit  die- 
mm  Satae:  „Multi  senea  sapientia  et  Tirtote  praeataates,  el 
publicae  concordiae  ac  pacis  amantissimi ,  initio  ante  anaee 
quadraginta  doctrinam  Lutheri  non  aliam  ob  causam, 
nisi  qaia  veram  esse  iudicabant,  amplexi  sunt/'  Und  spftter 
ioig^i  „Ne  ipee  qmdem  OaroloB  ioqperator  sine  cognitioM 
delere  doctrinam  Latberi  et  MMtias  «odesiaa  Tolvit** 

Ich  m^e  genügende  Zeagnnse  dafllr  beigebneht  m 
haben,  dass  es  Melanclithon  gewesen  ist,  welcher  diejenige 
Schätzung  Luthers  in  Umlauf  gesetzt  hat,  die  auch  Flacius 
Bnd  GenosBen  und  die  niedersäcbsischen  Theologen  in  dem 
Streite  g^gan  ihren  Lehrer  kandgaben.  Und  weil  sieMelanob* 
tiions  SchtUer  sind,  nnd  als  aolche  grade  in  der  Handhabung 
des  IJegriffes  von  der  Kirche  erscheinen ,  so  wird  es  wohl 
keine  zu  kühne  Vermutung  sein,  dass  sie  auch  in  dem  vor- 
liegenden Punkte  nur  die  ausgesprochene  Ansicht  ihres  Lehren 
fortaetsen.  Melanchthon  alao  iuA  hiemit  den  Anatoss  dam  ge* 
geben,  daae  schliesslich  der  Name  Lathen  m  den  Titel  der 
Kirche  Augsburgischer  Confession  aufgenommen  ist  Er  ist 
sich  durchaus  nicht  bewusst  gewesen,  dass  seine  Lehrweise 
eine  Eigentümlichkeit  und  Selbständigkeit  behaupte,  welche 
Luthers  reformatorischen  nnd  theologischen  Leistungen  gleich 
und  deasen  Ansehen  g^^fibeigestellt  werden  könnte.  In 
dieser  Einsicht  darf  daran  erinnert  werden,  daas  Melanchthon 
die  Autorität  des  „Bekenntnisses  Luthers"  oder  der  Schmal- 
kaldischeu  Artikel  und  seines  Katechismus  in  dem  Examen 
ordioandorum  (1552)  anerkannt  hat  und  zwar  so,  daaa  er  jene 


1)  C.  R.  Vm,  49. 

«)  C.  R.  IX,  1050.  1051. 


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D1£  BM'fSTEUUHG  DEB  ItVTREBIBCHBK  KIRCHE.  107 

Bocameate  vor  der  Augsbargischen  Confession  nennt  In 
den  Verbaadltuigeii  zwischen  Flacius  lud  Melmohthon  am 
Ai^uige  1557  machte  deshalb  Melandithon  keine  Sobwierig»- 
heiien,  den  Ton  den  niedenftcfasischMi  Unterhändlern  vorge* 

legten  Bekenntuisstaud ,  der  auch  die  Schmalkaldiscben  Ar- 
tücei  umfasst .  anzunehmen  Auch  in  den  Verhandlungen 
zwisdien  den  Weimaranem  und  den  T<m  Melancktboa  geAhr- 
tsB  Theelegen,  welche  aof  Anhus  des  Beligionagei^iftcheB  an 
Wenns  (1557)  stattfimden,  werden  die  Aitikel  auf  beiden 
Seiten  aneikuuiit  Also  auch  diese  Tatsacheu  widerlegen 
die  Annahme,  als  ob  Melanchthon  sich  eine  theologische  und 
kirchliche  Autorität  beigemessen  hätte,  weldtö  er  von  dem 
Spselnnm  des  Ansehens  Luthers  aasgenonunai  nnd  auch  nnr 
indireet  gegen  dassslbe  geltend  gemacht  hatte.  Seine  Ab- 
weichungen von  Luther  in  den  Lehren  von  der-Freiheit  und  vom 
Abendmahl  hat  er  selbst  nicht  als  den  Ausdruck  einer  systemati- 
schen Eigentümlichkeit  in  der  Theologie  angesehen,  sondern 
anr  als  erlaubte  einaelne  Ausnahmen  von  der  anerkannten  Beg^ 
Warum  sind  nun  diese  Ansätae  einer  i^edeUen  theolo» 
^iseben  Richtnüg  MelanehthonB  so  scharf  bek&mpft  worden? 
warum  liat  sich  au  ihnen  das  Ansehen  des  Gründers  der  lu- 
therischeu  Kirche  gebrochen?  Dieses  wird  nicht  schon  da- 
<ABzeh  erklärt,  dass  er  durch  seine  Teilnahme  am  Leipaiger 
Interim  unwiederhnngliieh  oompromittirt  worden  wfiie.  Das 
ist  eben  nicht  der  Fall  gewesen,  so  sehr  sich  Flacius  in  sei- 
ner angemassteu  Vertretung  der  Kiiche  ^)  darum  bemuht  hat, 

1)  C.  R.  XXIII,  p.  xxxvin.  Die  erste  Spur  cincT  (»tTentlichea 
Autorität  der  Schmalkaldiscben  Artikel  finde  ich  in  der  Hallischen  K.-0., 
wdebe  Jonas  1541  aufgestellt  bat,  bei  Richter  I,  389.  Hingegen 
kann  ich  den  Brief  des  Kurf.  Johann  Friedlich  an  Melanchthon  vom 
Jahr  1552  (C.  R.  VII,  1108)  nicht  so  verstehen,  als  ob  die  Artikel  in 
der  sächsicfaen  Kirche  schon  immer  öifontliche  Antoritat  gehabt  hatten, 

2j  C.  R.  IX,  36.  39.  54.  60.  62. 

i)  C.  R.  IX,  260.  286.  319.  366. 

^)  £r  scbieibt  an  den  Kdnig  von  Dänemark,  indem  er  dessen  Unter- 
stützung gegen  Melanobthon  anruft  (23.  September  1557,  C.B. IX, 299): 
y^Qnapropter  noa  ego»  aed  tota  ecclesia  dei  veraque  religio  ac  ipse  domi- 
tm  Jesus  nmic  egenus,  afilictae  oppresensqne  te  adit,  toanique  opem 
aterabiliter  imploiat." 


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108 


EITSCHL, 


dass  es  so  sei.  Wäre  bloss  die  Haltung,'  Melanchtlions  zu  dem 
Leipziger  Interim  zu  rügen  gewesen,  so  war  dieser  Schade 
durch  das  Auftreten  des  KurfOrsten  Moritz  gegen  den  Kaiser 
und  durch  den  BeligionsMeden  getilgt  Die  Unternehmung^ 
des  Flacius  gegen  Melanchthon  im  Jahre  1557  wäre  also  die 
Chikane  eines  fanatischen  Menschen  gewesen,  die  trotz  des^ 
Gewichtes  seines  Anhanges  nur  eine  beschränkte  Tragweite 
haben  konnte,  wenn  es  sich  dabei  bloss  um  die  Frage  Aber  die 
Adiaphoia  handelte.  Aber  daneben  kam  auch  die  Lehre  Ma- 
jors von  den  guten  Werken  in  Betracht,  die  ursprllnglich 
Melanchthons  Satz  gewesen  war,  ferner  der  Synergismus 
und  der  sich  regende  Verdacht  wegen  der  Abendmahlslehre» 
Nun  hatte  Melanchthon  selbst,  so  wie  die  Grundlage  für  die 
Selbstftndigkeit  der  evangelischen  Kirche  in  dem  Lehrbekenni- 
nis  oder  den  Glaubensartikeln  von  ihm  festgestellt  worden  war, 
die  Unveräudeilichkeit  dieser  Regel  proclamirt.  Dan  war  unter 
den  damals  obwaltenden  gescliicbtliclion  Bedingungen  eine  un- 
umgängliche Folgerung  aus  dem  Triebe  der  Selbsterhaltung 
der  werdenden  Kirche,  und  blieb  ein  Bedürfnis  auch  unter 
dem  Schutze  des  Beligionslriedens.  Diesem  ftussem  Umstand 
kam  aber  die  vorwiegende  Geneigtheit  der  Generation  von 
Theologen  entgegen,  welche  als  Epigonen  der  Reformation, 
wie  es  im  Wechsel  der  menschlichen  Geschlechter  überall  sich 
findet,  nur  darauf  gefasst  waren  zu  conserviren  und  zu  fixiien, 
was  aus  der  schöpferischen  Bewegung  der  Befoimation  zur 
Buhe  und  statutarischen  Geltung  gekommen  war.  Der  Glaube 
dieser  Schüler  Melanchthons  an  die  Unveränderlichkeit  des 
ofQciell  feststehenden  Lehrbegrilfs  folgte  nun  auch  nur  den 
Orundanschauungen  von  der  Kirche,  welche  sie  ihrem  Lehrer 
Terdankten.  Aber  als  die  Epigonen  verstanden  sie  die  Unver- 
ftnderlichkeit  der  Lehre  in  einem  ernsthafteren  l^nne  als  der 
Manu,  welcher  zuerst  jene  Losung  au^gegelit  n  hatte.  Als  er 
es  tat,  hat  er  den  Umständen  gemäss  gewiss  aufrichtig  ge- 
handelt, und  keine  Ausnahme  für  seine  Person  vorbehalten. 
Indessen  war  es  nun  sein  Ohles  Schicksal,  dass  er  sich  zu  der 
Unverfinderlichkeit  des  kirchlichen  Bekenntnisses  frfiher  be- 
kannt hat,  als  seine  eigne  theologische  Reflexion  zum  Stehen 
gekommen  war.  Dieses  ist  nämlich  die  Wurzel  des  Conflictes 


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DIE  ENTÖTEHLKO  DER  LL'TUERISCHEN  KIßCHB.  109 

mit  seinen  Schlflern,  welche  dem  eigentlichen  GrAnder  ihrer 

Kirche  nicht  zugestehen  wollten,  dass  er  als  Reformator  fort- 
führe seine  eigne  Lehi*weise  in  einzelnen  Punkten  zu  refor- 
miren.  Und  jene  hatten  nur  zu  viel  Recht  gegen  Melanch- 
thon  nnd  die  Anhänger  seiner  eigentümlichen  Lehrabweichongen. 
Denn  wenn  er  selbst  die  Kirche  wegen  des  Lehrbegrilfo,  der 
ihr  Fondament  sein  sollte,  Ar  eine  Schnle  erklärt  hatte,  so 
war  in  dieser  Art  von  Gemeinschaft  kein  Platz  für  eine  Mehr- 
heit von  Schulen  neben  einander.  Und  wenn  er  selbst  die  Auto- 
rität Luthers  als  identisch  mit  dem  Bestände  der  evangelischen 
Kirche  erklärt  hatte,  so  waren  seine  Schäler  nnd  Gegner  durch 
ihn  selbst  berechtigt,  ihn  damit  in  die  Enge  zn  treiben.  Die 
tragisi:he  Schuld  Melauchthons  entsprin^^  also  aus  seiner  Doppel- 
stellung, dass  er  als  der  Genosse  des  Reformators  Luther  sich 
eine  Freiheit  in  der  Lehre  lierausnahm,  die  er  als  der  Gesetz 
geber  der  festen  Kirchenbildong  und  ihres  unveränderlichen 
Lehrb^giiffes  abgeschnitten  hatte.  Er  hat  diese  Schuld  reich- 
lich gebftsst  durch  die  Angriffe,  die  er  erfuhr,  und  deren 
relatives  Recht  er  durch  die  eigentümliche  Empfindlichkeit 
bezeugt,  mit  der  er  dieselben  auümbm.  Diese  Schuld  ist  ihm 
auch  nicht  vergeben  worden,  da  seine  Autorität  in  der  von 
ihm  gegrflndeten  lutherischen  Kirche  nur  in  einem  mistrauisch 
beeehränkten  Masse  anerkannt  worden  ist.  Gradezu  undankbar 
aber  ist  diese  Kirche,  indem  sie  kein  Gedächtnis  davon  bewahrt 
hat,  dass  Melanchthou  durch  seinen  Begriff  von  der  Kirche 
ihr  die  Form  für  ihre  geschichtliche  Existenz  und  für  ihr  eigen- 
tfimliches  Selbstgef&hi  verschafft  hat.  Denn  worin  ihre  Ver- 
treter am  meisten  lutherisch  zu  sein  meinen,  nämlich  in  ihren 
Ansprüchen  lür  das  Bekeiiutuis,  darin  grade  sind  sie  ei^;L'iit- 
liche  MeLiuchthonianer.  Aber  der  Undank  gegen  Melanchthon 
setzt  sich  weiter  fort  in  allen  möglichen  geschicbtswidriixen 
Erfindungen,  wie  neuerdings  die  ist,  dass  ^sein  prüfender 
Kopf  fiber  die  alte  Kirche  niemals  zu  abschliessenden  Resul- 
taten gelangt  sei**.  Freilich  ebenso  unbegründet  ist  es,  dass 
er  in  einem  andern  theologischen  Lager  zum  Helden  und 
Märtyrer  einer  Unionstendeuz  gemacht  wird,  die  er  so,  wie  es 
gewfinscht  wird,  nicht  gehegt,  die  er  nicht  mit  erkennbaren 
Mitteln  als  Lebensaufgabe  verfolgt  hat,  und  die  damals  jeden- 


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110  RITÖCHL,  DIE  ENTSTEHUNG  DER  LUTHERISCHEN  KIRCHE. 

IkUs  zkUoB  war.  Denn  wenn  in  der  AbendmaliMebre  ein 

Compromiss  zwischen  Melanchthoa  und  Calyin  erreichbar  war, 
so  wird  diese  Möglichkeit  aufgewogen  durch  die  Unvereinbar- 
keit der  Ansichten  beider  Männer  über  Freiheit  oder  Unfrei- 
heit des  Willens  in  der  Bekehrung  nnd  aber  PrftdeBtinatieiL. 
Dass  nftmlich  Calvin  in  Hinsicht  der  theologischen  Lehie- 
weitherziger  gewesen  w8re  als  Flacins,  wnrd  keiner  glauben 
und  keiner  beweisen.  Also  mache  man  nicht  die  deutlich 
erkennbare  Kirchengeschichte  zur  Legende ^  indem  man  Me> 
lanchthon  zum  Urheber  einer  fost  fertig  gewordenen  evangeli- 
sehen  Unionskirche  stempelt,  welche  nnr  nicht  Tollstftndig  auf 
die  Ffisse  gestellt'  worden  wSre,  weil  einige  bOse  Menschen  es 
verhinderten.  Der  Urastiind,  dass  mau  immer  noch  um  Ge- 
rechtigkeit für  Melanchthon  kämpfen  muss,  ist  ein  Zeichen 
davon,  dass  die  kirchliche  Parteisucht  bis  auf  die  Gegenwart 
den  gewissenhaften  Qebranch  der  so  leicht  zngftnglichen  ge» 
sdiiditlichen  Urkunden  von  sich  weist.  Sie  will  nnr  von 
Mythen  und  Legenden  leben! 


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Bditische  Uebersicht 

über  die  kirchengeschichUicheD  Arbeiten 

aus  dem  Jahre  1875. 


L 

ÖeBohichte  der  Kirclie  bis  zum  Gonoil  von  Nicät^ 

Von 

Dr.  Adolf  Harnack 

in  Leipzig. 


1.  Das  apostolische  Zeitalter. 

y.  Bleek,  Einleitung  in  das  Neuo  Testament,  3.  Aufl.,  besorgt  ?on 
Dr.  W.  Mangold  (BerliD,  G.  Reimer).   XII,  924  S.  in  gr.  8. 

A.  Hilgenfeld,  Historisch-kritische  Einleitung  in  das  Nene  Testament 
(Leipxig,  Fnee).  VIU,  828  S.  in  gr.  8. 

Das  Jahr  1875  hat  uns  zwar  keine  zusammenfassenden, 
grösseren  Arbeiten  über  die  Geschichte  der  Kirche  im  aposto- 
liachen  Zeitalter  gebracht,  wohl  aber  enthalten  die  beiden 
iiOQtestamentlicben  EinleitnngBwerke  yon  Mangold  und  Hil- 
genfeld  Entwürfe  zu  einer  solchen.  Mangold  hat  in  dem 
14.  und  15.  Paragraphen  seiner  Neubearbeitung  der  Bleek- 
8chen  Einleitung  die  Geschichte  der  neutcstamentlichoii  Kritik 
seit  Strauss  und  Baur  meisterhaft  skizzirt  und  zugh  ich  klar 
und  hestimint  gezeigt,  wo  die  richtigen  Gnmdlagen  für  die 
hiBtorisdie  ▲nffassong  der  EntwicUnng  der  Kirche  im  aposto- 
fiachen  Zeitalter  zu  Sachen  sind.  Mit  Bedit  rftckt  er  Bitsehls 


112 


KliiiLSCUE  ÜBEKälCUTEN.  1875.  I. 


^, Entstehung  der  altkatholischen  Kirche**  (2.  Avfl.  1857)  in 

den  Vordergrund  und  stellt  die  „Geschichte  der  heiligen 
Schriften  Neuen  Testaments"  von  Reuss  (2.  Aufl.  1H53; 
6.  Aufl.  1874)  daneben.  Trotz  mancher  bedeutender  Ab- 
weichuDgeD  in  einzelnen  kritischen  Fragen  —  Mangold  ist 
nicht  so  oonservativ  in  der  Kritik  wie  Bitscbl,  ¥gL  die  Ans- 
fühmngen  über  das  Johannes -Evangelium,  die  späteren  Paulus- 
Briefe  und  den  ersten  Petrus -Brief  —  liefern  doch  die  neuen 
Untersuchungen  fortlaufend  die  Probe  darauf,  dass  die  Ritschlsche 
AufCassnng  des  apostolischen  Zeitalters  Yon  den  richtigen  Ge- 
sichtspnnkten  anigeht  nnd  im  Stande  ist,  eine  Beihe  der 
wichtigsten  Prohleme,  welche  in  den  Resten  der  Literatur 
jener  Epoche  gegeben  sind,  befriedigend  zu  lösen.  Durch  die 
Unbefangenheit  und  Selbständigkeit  aber,  mit  welcher  Man- 
gold die  Untersuchung  geführt  hat,  erhält  diese  Probe  erst 
ihren  wahren  Wert,  nnd  eben  der  Umstand,  dass  das  Ton 
Bitsehl  gezeichnete  Bild  der  Entwicklung  im  einzelnen  Cor- 
rectureu  verträgt,  wahrend  die  wescntlicliea  Züge  unverwischt 
bleiben,  bürgt  dafür,  dass  die  Umrisse  desselben  wirklich  nur 
auf  Grund  der  sicheren  Ergebnisse  der  Geschichtsforschung 
gezogen  worden  sind.  Neben  Bitschis  „Altkatholische 
Kirche^'  und  Weizsäckers  ausgezeichnete  Abhandlung: 
„Die  Kirchenverfassung  des  apostolischen  Zeitalters''  („Jahr- 
bücher für  deutsche  Theologie'*  i?<7^,  S.  6.il  — r>74)  tritt 
nun  das  Bleek-Mangoldsche  Werk,  geeignet,  der  weiteren 
Forschung  die  wahren  Probleme  nachzuweisen  und  Ausgangs- 
punkt und  Grenzen  fruchtbarer  Untersuchungen  zu  bestim- 
men. —  Hilgenfeld  hat  in  der  „Einleitung",  die  mit 
Recht  als  dankenswerte  Zusammenstellung  seiner  vielfachen 
und  oft  wiederholten  Arbeiten  allerseits  begrüsst  worden  ist, 
den  herkönmilichen  Stoff  literargesehichtlich  ange- 
ordnet Ein  reidies  Material,  einheitlich  nnd  gründlich  durch- 
gearbeitet, ist  hier  geboten;  aber  noch  stOrender  als  bei  den 
Eiuzeluntersuchungen  dieses  Gelehrten  tritt  hier  der  metho- 
dische Fehler  hervor,  epliemeren  Ki-scheiuungeu ,  sei  es  zu- 
stimmend, sei  es  ablehnend,  nachzugehen,  Hauptprobleme  in 
die  zweite  Beihe,  Unwesentliches  in  den  Vordergrund  zu 
rQcken.    Ein  richtiges  Bild  vom  gegenwärtigen  Stande  der 


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ALTE  KIRGHENQE8GHICHTE  BIS  395,  VON  HARNACK.  113 

Forachung,  von  dem  TerachiedeDen  Werte  der  schwebenden 
Probleme  wird  der  Lernende  nnr  mit  Mübe  gewinnen,  und 

wenn  man  wirklich  in  manchen  Paiticu  den  Verfasser  über 
seinem  Werke  vergisst,  so  liegt  dies  einzig  daran,  dass  der 
Name  des  Verfassers  bei  niclit  wenigen  Bewe^mgen  der 
kritischen  Brforschimg  des  Neaen  Testaments  unter  den  ersten 
steht  Der  historische  Standpunkt  Hilgenfelds  ist  bekannt. 
Eine  Vergleichung  dieses  seines  neuesten  Werkes  mit  Sch  weg- 
lers  ,, Nachapostolischera  Zeitalter"  (1846  u.  1817),  zu  der 
man  sich  oft  aufgefordert  fühlt,  zeigt,  wie  grosse  Einschrän- 
kongen  das  Banrsche  Grundschema,  welches  fibrigens  Hilgen- 
feld niemals  völlig  acceptirt  hat,  sich  hat  gefallen  lassen 
müssen.  So  ist  Hoffnung  vorhanden,  dass  Öbcr  die  wichtig- 
sten Fragen  aus  der  Entwicklungsgeschichte  der  filtesten 
Kirche  eine  Einigung  zu  erzielen  ist,  wie  man  denn  auch 
selbst  in  Overbecks  Arbeiten  über  die  Apostelgeschichte 
(1870)  und  Justin  („Zeitschrift  fSr  wissenschaftliche  Theo- 
logie" 1872,  S.  305  —  349)  —  so  paradox  dies  erscheinen 
raai:,'  —  Linien,  die  von  Baur  und  Zeller  zu  Ritsehl  führen, 
unschwer  erkennen  kann.  —  üeber  den  Stand  der  Evan- 
gelien-Kritik hat  neuerdings  H.  Holtzmann  in  den 
„Jahrbflchem  fflr  Protestant  Theologie''  (1875,  S.  583—635) 
berichtet.  Die  johanneische  Frage  ist  durch  die  Arbeiten 
von  W.  Beyschlag^),  K.  Hase^),  Th.  Keim=*).  E.  Lut- 
hardt^)  wiederum  bewegt  worden.   Hase  hat  sein  früheres 


1)  W.  Bey schlag,  Zur  johanneischen  Frage  (in  den  „TheoL  Stnd. 
0.  Krit"  1874,  S.607fl;  1875,  S.  235f.  413  f.  Auch  aeparat  enebienen 
in  etwas  erweiterter  Gestalt:  „Zur  johanneischeii  Frage.  Beitrige  anir 
WflrdIgODg  des  vierten  EvaiigelliiiDs  gegenQber  den  Angriffen  der  kriti- 
schen Schnle."  Gotba,  Friedr.  Andr.  Perthes,  1876;  XYI,  2608.  in  gi  .  8). 
Zu  Job.  21,  22f.  vgl.  W.  Grimin  In  der  „Zeitschr.  f.  wissenschaftl. 
Theol.«  1875,  8.  270-278. 

s)  K.  Hase,  Geseh.  Jesu  (Leipzig,  Breitkopf  a.  Härtel,  1876).  YIU, 
613  8.  ia  gr.  a  YgL  §  5  u.  6. 

S)  Th.  Keim,  Geschichte  Jesu  (Zfirich,  Orell  Ffissll  n.  Co.).  Britto 
Bearbeitong,  zweite  vielfach  veriiaderto  Auflage.  XH,  398  8.  in  gr.  8. 

E.  Luthardt,  Das  johanneische  EvangeHom.  Erster  TheiL 
Zweite  erweiterte  n.  mefarfoch  nmgeatb.  Aofl.  (Nfimberg,  C.  Geiger.) 
TI,  530  8.   Das  Werk  Aber  den  johanneischen  Ursprung  des  vierten 

Mtoelur.  t  K.-0.  8 


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114 


KBITISCHE  ÜBERSICHTEN.  1876.  I, 


Urteil  über  den  Verfasser  des  vierten  Evangeliums  dahin  ge- 
ändert, daas  dieses  Buch  auf  Grund  johanneischer  Traditionen 
von  einem  Schüler  des  Johannes,  etwa  ein  Decemdum  nach 
dem  Tode  des  Apostels,  abgefasst  sei.    Mangold  erkennt 

ebenfalls  in  den  inneren  Gründen,  ohne  schon  abschliessen  zu 
wollen,  unüberwindliche  Schwierii^keiteu  gegen  die  Anerken- 
nung der  Echtheit,  während  Beyschlag,  hauptsächlich 
Keims  Thesen  i)estreitend,  aber  auch  schon  tumultuarisch 
von  ihm  abgewiesen,  mit  Oesehick  den  Versuch  gemacht 
hat,  eine  Reihe  der  drückendsten  Schwierigkcitpn  zu  beseiti- 
gen. Das  gute  Reclit  der  Tradition  über  den  Verfasser  des 
vierten  Evangeliums  wird  man  gewiss  noch  lange  bestreiten ; 
vielleicht  aber  wird  man  sich  früher  über  das  Mass  der  Glaub- 
würdigkeit, welches  dem  Buche  zukommt,  einigen.  Den  Ver- 
teidip^ern  der  Echtheit  liegt  es  ob,  die  psychologische 
Frage  eindringender  zu  erörtern.  Unter  den  Arbeiten  über 
die  Paulusbriete  ist  neben  dem  Commentar  Volkmars  ^) 
zum  B5merbrief  der  ausgezeichnete  Ck^mmentar  Lightfoots  ^) 
zum  (üolosser-  und  Philemonbrief  hervorzuheben.  Letzterer 
hier  vor  allem  deshalb,  weil  er  zwei  musterhaft  gründlich 
gearbeitete  Excurse  über  die  Kirelien  im  Lycustale  (S.  1 — 72) 
und  über  die  Irrlehre  zu  Colossä  in  ihrem  Verhältnis  zum 
fiBsenismus  (S.  73 — 179)  enthält.  Auf  die  Echtheitsfrage 
geht  Lightfbot  nicht  näher  ein.  Volkmar  will  in  seinem 
Coraroeutare  vor  allem  Zusammenhang  und  Hauptgedanke 
des  Röraerbriefs  auf  Grund  des  Cod.  B.  klarstellen  und  ener- 
gischer als  seine  Vorgänger  mit  allen  „katholischen"  Zu- 
taten in  Text  und  Erklärung  aufräumen.  Ohne  Gewalt- 
massregeln geht  es  dabei  leider  nicht  ab.  Dies  gilt  besonders 
von  den  üntersuchungen  über  Ursprung  und  Alter  der  an- 

EVangelmms  ist  1875  in  englischer  Uebersetznnp  orscliienen.  E.  Lut- 
hardt,  St.  John  tbe  author  of  the  fourth  gospel.  K^iaed,  trunslat<?d, 
and  the  literature  niiich  enlarged  by  C.  R.  Gregory  (Edinburgh, 
T.  &  T.  Clark).  XU,  3G9  S.  in  gr.  8.  Hier  ist  die  einschlagende  Lite- 
lator  vollständi,£r  mul  mit  der  grOssten  Akribie  verzeichnet. 

V)  G.  Volkmar,  Paulos'  Bdmerbrief  o.  e.  w.  (Zürich,  C.  Sclunidt). 
XXII.  104,  24  S.  in  kl.  8. 

B.  Lightfoot,  St.  Pauls  epistles  to  the  ColosaiaiiB  and  to 
Fbflemon  (London,  MacimOUui  and  Cknnp.).  VI,  4M  S.  in  gr.  8. 


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ALTE  KlRCHENGESCIUCnTE  BIS  325,  VON  liAKNACK.  115 

geblieh  mosaiburtig  zusammengefügten  Seblnsscapitel  dee 

Briefes.  Die  Zuversicht,  mit  welcher  hier  Tendenzen  erspürt 
und  Zeit-  und  Ortsbestimmungen  ermittelt  werden,  stobt  in 
umgekehrtem  Verhältnis  zur  Sicherheit  der  Combinationeu. 
Den  Philipperbrief  bat  Sw  Hoekstra^)  einer  kritischen  Prfi- 
fiing  unterzogen;  0.  Holsten^  hat  mit  einer  solchen  eben 
begonnen.  Jener  schliesst  mit  dem  Resultate  ab,  der  Brief 
sei  um  die  Jahre  120 — loO  uach  der  Apostel-Gescbicbte,  aber 
vor  dem  ei-sten  Tbessalonicherbrief  abgefasst.  Auch  Holsten 
scheint  die  Editheit  des  Briefes  beanstanden  zu  wollen;  er 
hat  bisher  nur  eine  Analyse  des  Gedankenganges  g^ben. 
Man  darf  sicher  hoffen,  dass  diese  neuen  Versuche,  den  Brief 
zur  Urkunde  eines  nachapostolischeu.  conciliatorischen  Unions- 
paulinismus  umzustempeln,  bei  den  Kritikern  iu  Deutschland 
nicht  eben  vielen  Beifall  finden  werden.  Die  Methode,  welche 
Hoekstra  noch  immer  vertrauensvoll  anwendet,  ist  in  der 
Tat  sehr  geeignet,  die  kritische  Forschung  im  Neuen  Testa^ 
ment  wirk^iiii  zu  discreditiren.  Von  Holsten  wird  man  immer 
lernen,  wo  es  sicli  um  scharfe  Erfassung  des  Einzelnen  ban- 
delt. Auf  eine  richtigere  Würdigung  des  Philipperbriefes 
hat  er  selbst  hingewiesen  mit  dem  Satze:  „Paulus  selber  ist 
der  erste,  der  im  Römerbrief  jenen  irenischen  und  concilia- 
torischen Ton  anstimmt,  der  die  nachpaulinische  Entwicklung 
cbarakterisirt .  .  . ,  der  das  tiefe  Bedürfiiis  <^^efüblt  hat,  dass 
um  des  Christentums  willen  das  Judeucbristentura  mit  dem 
fieidenchristentnm  müsse  versöhnt  werden''  („Zeitschrift  für 
wissensohafUiche  Theologie**  1872,  S.  456)    —  Die  Petrus- 


1)  S.  Hoekstra,  Over  de  Echtheid  van  den  Brief  aan  de  Plii- 
hp|>onaen  (in  der  „Theol.  'lijdschi-ift "  1875,  p.  41G  —  47bj.  Da^'cgen 
Hilgenfeld,  Hoekstra  und  der  Philipperbrief  (in  der  „Zeitachr.  L 
wisBenschaftl.  Theol.**  1875,  S.  566—576). 

^)  C.  Holsten,  Der  Brief  an  die  Philipper;  eine  exegetisch -kri- 
tische Studie  (in  den  „Jahrb.  f.  protest  Theol."  1875,  S.  425  —  495). 
Ein  zweiter  und  dritter  Artikel  wird  folgen« 

')  Die  Arbeit  von  C.  Meister,  Kritische  Ennittelang  der  Ab> 
fiwnmgaseit  der  Briefe  dee  heiligen  Pftnlos  (Regensburg,  Pustet.  XII, 
219  S.  in  gr.  8),  ist  swar  von  der  theologischen  Faenlt&t  der  ühiver^ 
sitit  WOrslnug  mit  einem  Pkeise  gekrönt  weiden,  darf  aber  dem  on- 
gtacbtet  als  völlig  wertloe  bezeichnet  werden.  Der  Verfasser  glaubts 

8» 


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116  KRITISCHE  0BEB8ICBTEN.  1876.  I. 

briefe  und  der  Judasbrief  sind  von  K.  von  Hofmaun 
nntennicht  worden.   Hofinann  yenacbt  bekanntUdi  die  tra- 
ditionellen Daten  in  Bezog  auf  alle  drei  ürlmnden  zu  ver- 
teidigen ,  ohne  grade  neue  Gesichtspunkte  hier  geltend  zn 

machen.  Für  die  Echtheit  des  ersten  Petrusbriefes  ist  auch 
ein  niederländischer  Gelehrter,  C.  H.  van  lihijn'^),  einge- 
treten. Die  unverkennbare  Abhängigkeit,  in  welcher  der 
Brief  von  den  panlinischen  Briefen  steht,  sacht  Bhijn  abzn- 
schwftchen;  denn  eine  directe  Benntznug  derselben  dnrch  den 
Verfasser  des  Petrusbriefes  erscheint  auch  ihm  eine  bedenkliche 
Instanz  gegen  Petrus  als  Verfasser.  Allein  die  Beziehungen 
auf  Römer-  und  Epheserbrief  sind  zu  deutlich  und  deshalb, 
wie  auch  Mangold  richtig  sieht,  der  petrinische  Ursprung  sehr 
zweifelhaft.  Aber  mit  der  Daürung  des  Briefes  bis  in  die 
Zeit  Trajans  oder  mit  Zeller  bis  in  die  letzte  Zeit  Hadrians 
hinabzugehen,  ist  «lurcliaus  nicht  angezeigt;  im  Gegenteil:  es 
erscheinen  die  Verfolgungen,  unter  denen  die  Gemeinden  zu 
leiden  haben,  durchaus  noch  nicht  als  staatlich  angeordnete. 
Die  Frage,  ob  Petrus  nach  Born  gekommen  ist,  ist  jOngst 
wieder  zwischen  Zeller  und  Hilgenfeld  ^)  verhandelt  wor- 
den.   Neues  Material,  neue  Gesichtspunkte  konnten  natürlich 


die  Grauten  nicht  übencbieiten  sn  dürfen,  welche  das  ConcU  von  Trient 
der  kritisdien  Forschung  gesteckt  hat.   So  hält  er  es  denn  ancb  ftr 

ansgemacht^  dass  Paulus  vierzehn  Briefe  geschrieben  hat. 

1)  E.  von  Hof  mann,  Die  heilige  Schrift  Neiii n  'IVstamenta  zn- 
sammcnh&ngend  untersucht  (Nördlingen ,  H.  Heck).  VII.  Teil,  1.  Abt.: 
Der  erste  Urief  Pctri  (IV,  2;il  S.);  2.  Abt.:  Der  «weite  Brief  Petri  tmd 
der  Brief  Juda  (V,  22i>  S,  in  8). 

H.  van  Rhijn,  De  jongst^j  Bezwann  togen  de  Eihtheid  van 
den  t-Tston  I'rief  van  Petrus  getoctst  (Utrecht).  122  S.  in  8. 

3)  K.  Zeller,  Zur  Petrusfrasre ;  ein  offenes  Schreiben  n.  s.  w.  (In 
der  „ZeitÄchr.  f.  wis.senschaftl.  TheoL"  1876,  S.  31-56). 

*)  H  i I ge n fei d ,  Petrus  in  Rom ;  ein  offiones  Schreiben  an  ...Zelkr 
(a.  a.  0.  1876,  S.  57—80).  Der  Aufsatz  von  Martin:  „La  venue  et 
le  martvre  de  St.  Pierre  a  Rome  (in  der  ..Revue  des  quest.  lüator.", 
T.  XVIII,  livr.  35,  }».  2028q.  [Jali])  ist  mir  nicht  zugfingli.  Ii  trewesen.  — 
Die  Abhandlung  von  A.  Finger,  Waren  die  ersten  Christon  Coniniu- 
nisten?  (Prgr.;  Frankfurt  a.  M.,  K.  Tk  Vidcker;  15  S.  in  gr.  4)  bringt 
eine  populäre  Erörtenmg  der  Frage  in  durchana  eacbgemieaer  Weise 
(gegen  Benan  n.  a.). 


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ALTE  iUKCUENGEäCUICUTE  BIS  326,  VON  UAENACK.  117 

hier  nicht  mehr  gewonnen  werden.  Mit  Recht  stützt  sich 
Hilgen feld  für  die  Verteidigung  der  traditionellen  Nachricht 
auf  I.  Clem.  ad  Cor.  cc.  5  u.  6 ;  wenn  auch  nicht  Sicherheit, 
80  doch  grosse  Wahrscheinlichkeit  ist  hier  zu  erzielen.  Zeller 
yerBQcht  das  Zeugnis  des  Ensebios,  Papias  habe  den  ersten 
Petrusbrief  benutzt,  zu  entkräften,  verneint  die  Beweiskraft  der 
Clemensstelle  und  will  von  einer  Combimition  von  Papias  bei 
£aaeb.,  Bist.  eccl.  III,  39,  15  mit  Giern.  Alex.  a.  a.  0. 
n,  15,  2  (VI,  14,  6  ff.)  nichts  wissen.  Dagegen  erscheinen 
die  pseudoclementinischen  Geschichtsentstellungen  wieder  im 
Vordergrund,  deren  Alter  ebenso  wenig  ermittelt  ist,  als  der 
Zeitpunkt,  seit  welchem  sie  die  Traditionen  der  Grosskirche 
za  trüben  begonnen  haben.  Dies  führt  indes  schon  in  das 
Bachapostolische  Zeitalter  hinüber. 

2.  Dm  aaoliaposiollsohe  Zeitalter. 

(ApottoliKhe  V&ter.  PseadepigrapheD.) 

Patram  Apostolieornm  Oper».  Textom  . . .  reeeimeniiit . . . 
O.  de  Oebliardt,  A.  Hamaek,  TtL  Zabn.  Edii  post  Dreese- 
lianam  alteram  tertia.  Fase  L:  Barnabae  ep.  Qraeoe  et  Lal, 
0emeiiti8  R.  epp.  B«ceii8Qenmt  atque  iUiistnTenmt,  Papiae  qnae 
sapemut,  Bresbyteromm  leliquiai  ab  lieiL  ferratas,  Epist  ad 
Biognetnin  adiecemiit  O.  de  Gebhardt,  A.  Harnanlr.  (Lipsiae, 
J.  C.  HinricbB.)  XCU,  248  S.  in  gr.  8. 

„Der  Apostolat  des  heilif^'cn  liar u a bas" .  ., Zur  älteren 
GfScUichte  des  liiiiuabah'Driefes'*  (in  der  Zjitschril't  ,,Der 
Katholik*'  1875,  September:  S.  251— 2G7;  Octubcr:  S.  419-477.) 

Hilgenfeld,  Papias  von  Hierapolis  (in  der  „Zeitachr.  f.  wisseuschaitL 
Theol/*  1875,  S.  231—269). 

Loman,  Het  getuigenis  van  Papias  over  schrift  en  OTcrlOTeriDg  0n 
der  „Tbeol.  T^dflchr."  IHlb,  S.  12ö~164). 

L.  iMlmbadh,  Das  BtpiaafragmeDt  (Gotha,  ¥tkär.  Andr.  FtortheB). 
XVm,  189  8.  in  gr.  8. 

D.  Xartans,  Fkpias  ab  Eieget  vaa  Logia  dea  Heeten  (Amsteidam, 
H.  W.  Hooij).  116  8.  in  8. 

0.  Gebhardt,  Collation  einer  Moskauer  Handschrift  des  Mart.  Poly- 
carpi  u.  s.  w.  (in  der  „ZeitÄclir.  für  die  histor.  Theologie"  1875, 
8.  355-395). 

H.  Holtzmann,  Hermas  und  Johannes  (in  der  ,,Zeitficbr.  fftr  wissen- 
BchaftL  TheoL"  lb7ö,  IS.  40—51). 


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118 


KHinSGHB  OBEBaiCHTEM.  1876.  L 


Sa  per  natural  Keligion.  An  enquiry  into  the  rcality  of  divine 
melation.  Vol.  I  (XCVllI,  485  S.);  Vol.  II  (VI,  512  S.  in 
gr.  8).  VI  edit.  [edit  I,  1874].  (London,  Longmami,  Gnien  and 
Co.)  Dazu: 

B.  Ughtfbot,  Sapematiural  Religion  (in  ,,The  Coniempoiuy  Be» 
Tiew"  1875).  Art  n,  Jan.,  S.  169—188:  ,»1%e  silence  of  Enee- 
bins".  Art  m,  F^br.,  S.  337—368:  „The  Ignatian  E^stke«*. 
Art  lY,  May,  S.  827—866:  „Poiycaip  of  Smytna".  Art.  Y,  Aug., 
S.  377-408.  Art  VI,  Oct,  S.  828—856:  „Papias  of  Hie»- 
polis". 

OL  Skworsow,  Ffttralogfsehe  Untersachnngen.  Ueber  ürapning  der 
problematischen  Schriften  der  apoetoliechen  Väter.  (Leipzig,  F.  Flei- 
seher.)  IV,  170  8.  in  gr.  8. 

Bo1>.  Ii.  B«iMly,  The  missing  Ixagincnt  of  the  latin  translatiou  of 
the  fourth  hoolL  of  Ena,  dieeovered  and  edited  with  an  intro- 
dnction  and  notee.  Cambridge,  at  the  üniieriiit)  Press.  95  S.  in 
gr.  4  mit  einem  photogr.  Pacsim. 

Tidemann,  Dt*  apocalypso  van  Henoch  en  het  Esäeni&me  (in  der 
„Theol.  Tijdschr."  1875,      261— 2i*6;. 

In  der  Ani^be  der  Bogenannten  apostolischen  Väter, 

welche  von  Gebhardt  und  Zahn  in  Verbindung  mit  dem 
ßeferentPii  unternommon  haben,  sollen  die  Texte  exact  und 
mit  Zuziehung  aller  Hüliismittel  neu  constituirt,  die  ein- 
schlagenden kritischen,  exegetischen  und  historischen  Fragen 
Irurz  erörtert  und  die  bisherigen  Untersachnngen  fibersichtlich 
resumirt  werden.  In  den  Prolcgomenen  ist  ein  Hauptnach* 
druck  geleert  worden  auf  die  Geschichte  der  einzelnen  Schrift- 
stücke iu  der  Kirche  bis  auf  die  noch  vorliegenden  Hand- 
schriften und  ältesten  Drucke  hin.  Die  Geschichte  des  Bar- 
nabasbriefes (entstanden  nach  Meinung  des  Beferenten  in 
den  ersten  Jahren  der  Regierang  Hadrians),  dessen  alte  latei- 
nische Version  von  Gebhardt  in  Petersburg  neu  verglichen 
hat,  ist  neuerdings  auch  von  einem  Anonymus  im  Katho- 
lik" (s.  0.)  behandelt  worden.  Das  Material  hat  der  Ver- 
fiuser  voUstAndig  znsammengetngen,  aber  das  Urteil,  welches 
gefiUlt  wird,  der  Brief  sei  niemals  im  JB^anon  einer  „Mattei^ 
Idrche"  gewesen,  entspricht  dem  Tatbestande  nicht.  Der  an- 
dere Aufsatz  in  derselben  Zeitschrift  (von  demselben?)  über 
den  Apostolat  des  heiligen  Barnabas  ist  wertlos;  er  bringt 
nicht  einmal  eine  grfindliche  Darstellong  der  Geschichte  des 


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ALTE  KIKCHENGEÖCHICUTE  BI6  ai2.3,  VON  UABNACK.  119 


Begriifos  nApostolat**  in  der  alten  Kirche.  Das  römische 
Gemeindeschreiben  nach  Korinth,  welches  unter 
Clemens'  Namen  bekannt  ist,  ist  vom  Keterenten  in  Ueber- 
eioätimmung  mit  den  meisten  iiiitikern  zwischen  93  nnd  97 
angesetst  worden  0*  noch  genauere  Datirong  wäre 

möglich,  wenn  die  Person  des  Verfassers  sicher  mit  der  des 
Consnl  T.  PL  Clemens  identificirt  werden  dürfte.  Das  ist 
zur  Zeit  noch  nicht  gestattet  Den  sogeuatinten  zweiten 
Clemensbrief  hält  Referent,  Hilgen feld  folgend,  für  das 
römische  Gemeindesohreiben,  welches  Dionysias  von  Korinth 
bei  Eoseb.,  Hist.  eccL  IV,  23,  10,  so  rOhmend  erwfthnt  — 
Die  Fragmente  des  Papias  sind  yon  Hilgenfeld  and  dem 
Beferenten  zusammengestellt^),  von  Lightfoot  (s.  o.)  und 
Hilgenfeld  eingehender  besprochen  worden.  Besonders  aber 
hat  das  berfihmte  Fragment  bei  Eosebins  seit  Weiff enbachs 
Arbeit  (1874)  wieder  an&  neue  die  Kritiker  gelockt  Gegen 
Weiffenbach  stehen  in  der  Hauptsache  Hilgenfeld,  Leim* 
bach,  Martens,  Lightfoot;  für  ihn  Lipsius,  Keim, 
Loman,  sofern  man  als  Hauptsache  die  Beantwortung  der 
Fr^e  bezeichnet,  wieviel  Zwischenglieder  nach  dem  eignen 
Zengnis  des  Papias  zwischen  ihm  selbst  and  den  Aposteln  lie- 
gen, nnd  ob  Papias  den  Apostel  Johannes  persönlich  gekannt 
hat.  Leiml)ach  in  seiner  gniiiiUichen,  aber  breit  und  wenig 
auziehenii  geschriebenen  Abhandlung  entscheidet  sich  dafür, 
dass  unter  den  ngtafivTigoh  als  dem  ersten  Tradition^liede,  die 


1)  Alu  Weitesten  honmter  rückt  die  Abfiissungszeit  des  Jiriefea 
Hausrath  in  seiner  ., Neutostamentlichon  Z»'itgcschichte".  Von  diesem 
Werke  ist  in  zweiter  Auflage  bereits  .1.  r  dritte  15and  (Heidelberg,  Basser- 
niann;  VIII,  510  8,  in  gr,  8)  eri^chienon.  Da  die  neue  Autlage  sich 
nicht  weseutiich  von  der  ersten  unterachcidet ,  ao  genüge  hier  die  Ver- 
weiiUDg. 

2)  Vgl.  betreffe  christlicher  tlavischer  Gräber  die  intere^^santen 
Fände  von  de  Uossi  im  ,,Bullettino  di  archeologia  Criitiaua"  lÖ7ü, 
Heft  I.  §  5;  Heft  II,  §§  4  u.  5. 

3)  Das  sogenannte  Älarienii-agment  darf  nicht  mehr  in  einer  Sanim- 
Itmg  von  i'apias- Bruchstücken  tiguriren.  Schon  1865  hat  Lightfoot 
(Ep.  to  tbe  Galat.,  p.  259sq. ;  vgl.  Contemp.  Rev.  1875,  Oct.,  p.  8528q. 
not  3)  nachge>viesen ,  dass  es  dem  Lexicographen  Papias  (XI  saec.)  ge- 
Urt.  Vgl.  Hofstede  de  Groot,  Basilides  (1868)  p.  112,  not.  2. 


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120 


KBinSOHB  OBEBSICHTEN.  1875.  I 


Apostel  mitzaverstehen  seien,  daas  Papias  mithin  sowohl  di- 
rect  noch  von  den  ersten  Zeugen  gelernt,  als  aach  bei  daran 
Schfilern  Erkondigungen  eingezogen  habe,  ünter  dieser  Vor- 
aussetzung hält  er  es  für  sehr  walirscheinlich ,  dass  der  von 
Papias  gemeinte  „Presbyter  Johannes**  kein  anderer  als  der 
Apostel  selbst  ist  (so  Zahn,  lüggenbach  u.  a.);  jenen  habe  eist 
Bosebios,  der  überhaupt  das  Fragment  misveratauden,  za  einer 
vom  Apostel  versdiiedenen  Person  gestempelt.  Beferent  meint, 
dass  diese  Auffassung  selbst  mit  alkn  diesen  Consequenzen  kaum 
unwahrscheinlicher  ist  als  die  vielen  entgegenstehenden,  hält 
aber  ein  abschliessendes  Urteil  bei  dem  Stande  des  Quelien- 
materiais  überhaupt  für  unstatthaft.  Am  TorsichtigBten  hat 
wohl  Hilgenfeld  in  der  Johannes -Frage  genrteilt;  aber  die 
Möglichkeit,  nuga  im  Eingang  des  Fragments  von  einem  nur 
mittelbaren  Lernen  bei  den  Presb\^tern  zu  verstehen,  muss 
zugestanden  werden,  und  der  mit  li  livögiai  b^iunende  Satz 
braucht  nicht  notwendig  Apposition  zu  xolq  nQtaftviiguty 
Xiyavg  ZU  sem,  wie  Keim,  Weiffenbach  folgend,  richtig 
gesehen  hat.  Zu  einer  Instanz  gegen  das  directe  Zeugnis 
des  Irenüiis  und  mancher  anderer  über  l*ai)ias  als  Johannes- 
Schüler  darf  ein  exegetisch  so  unsicheres  Trümmerstück  nicht 
gemacht  werden.  Die  neue  Erklärung  Leimbachs  zu  ^  ttg 
VTi(fog  —  a  n  ist  SO  unwahrscheinlich  wie  mOglich.  Dagegen 
ist  es  ein  sehr  dankenswertes  Resultat  seiner  Abhandlung, 
dass  aufs  neue  sicher  gestellt  wird,  dass  Papias  in  dem  von 
.  Eusebius  mitgeteilten  Bruchstück  nicht  angeben  will,  woher 
er  die  koyiu  selbst  geschöpft  habe,  soudein  nur  über  welches 
Material  er  für  die  Erkl&rung  derselben  verfügte.  Die  um- 
ächtig  geschriebene  Martenssche  Arbeit  bringt  nichts 
neues;  dagegen  ist  sehr  beachtenswert,  was  Lightfoot 
a.  a.  0.  über  das  Georgios-Hamartolos- Fragment  bemerkt 
hat.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  noch  immer  von  manchen 
Kritikern  (Holtzmann,  Hansrath,  Keim)  aus  diesem 
Bruchstück  geschlossen  wird,  Johannes  habe  in  Fftlftstina  den 
Märtyrertod  erlitten;  als  ob  nicht  —  wenn  denn  Johannes 
wirklich  als  Märtyrer  den  Tod  gefunden  hat,  was  mehr  als 
unwahrscheinlich  ist  —  auch  die  Juden  in  der  Diaspora, 
zumal  in  Kleinasien,  seinen  Tod  herbeigeführt  haben  könn* 


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ALT£  lUBCUEMO£jäCUICilT£  BIS  325,  VON  UA&NACK.  121 


ten  —  Eine  bisher  unbenutzte  Handschrift  des  Mart. 
Pol  VC.  hat  von  Gebhardt  (s.  o.)  in  Mockau  verglichen. 
Die  Handschrift  stinanit  mit  dem  betreffenden  Abschnitt  bei 
Ensebiiis,  Eist  eocL  IV,  16,  mehr  überein  als  iigend  eine 
andere  der  bisher  bekannten,  und  darf  somit  als  ein  sehr 
wichtiofer  Textzeuge  gelten.  Sehr  interessant  sind  die  Schlus»- 
bemerkungen  in  der  Handschrift:  Irenaus  soll  zur  Zeit  des 
Todes  des  Polykarp  in  Kora  gewesen  sein.  Es  ist  diese 
Nachricht  nicht  unbedingt  abzuweisen.  Gebhardt  hat 
zugleich  in  der  Abhandlung  (S.  377 — 395)  Oelegenheit  ge- 
nommen, die  neue  Waddingtonsche  Berechnung  des 
Todesjahres  Polykarps  gründlich  zu  prüfen.  Die  Ge- 
schichtlichkeit der  Tradition,  Polykarp  sei  unter  dem  Proconsul 
Qoadratos  Märtyrer  geworden,  vorausgesetzt,  darf  man  mit 
Sicherheit  jetzt  den  Todestag  auf  den  22.  Februar  155  oder 
156  ansetzen*).  —  In  seiner  Abhandlung  über  das  Yer- 


1)  Ausser  den  ob -  n  über  FajMOB  citirten  Abhandlungen  vergleiche 
aas  dem  Jahre  1875 :  U  i  1  g  e  n  f  e  1  d ,  Historüch  -  kritische  Einleitung  in 
das  Neue  Te8ta,ment  8.  52 f.  391  j f.  u.  s.  w.j  Bleek-Mangold,  Ein- 
leitung in  das  Neue  Testament  S.  1 1  '5  f  :  Keim,  Geschichte  Jesu  (dritte 
Bearbeitung,  zweite  Auflage)  S.  41t".  o78 — 382;  Holtzraann  in  der 
„Äeitschr.  f.  wissenscliaftl.  Theol.*'  S.  442 f.  (über  Luthardt«  Johan- 
neischen  Ursprung);  Ewald  in  den  Gottinger  Gelehrten  -  Anzeigen " 
fc>.  103 f.  (fibcr  Weitfenbach):  Lüdeuiaun  im  „Literar.  ( '  iitralblatt" 
8.  132 f.  (über  denselben);  Hilgenfeld  in  ,,Zeitschr.  für  wissen- 
schaftl.  Theol."  S.  600—606  (über  Leimbach  und  Martens);  Langen 
iui  „Theol.  Lit.-H."  Nr.  18  (über  Leimbach);  Keim,  Neueste  Papias- 
grillen  [in  dor  ,,Prüt.  Kirchen-Zeituti'^'' "  Nr.  38]  (gegen  Hilgenfeld  und 
Leimbacl),  mit  grosser  Zuversicht  in  unstatthaftem  Tone):  dagegen  li.'plik 
von  Hilgen feld  (elx'udort  Nr.  41);  Antikritik  vun  Keim  (ebendort 
Nr.  45);  vsl.  auch  Hilgen  feld  in  der  „Zeiti^chr.  für  wissenschaftl. 
Theol."  1876.  S.  175.  176;  Tietz  (Gymnasial-Directur  in  Hannover)  in 
der  Evang.  Kirchen-Zeitung"  S.  556 — 560  (über  VVeitTeultach  tin«!  Leini- 
tmch).  Tietz  stimmt  im  wesentlichen  mit  Leimbach  gegen  W  eiffcnbach; 
nur  nicht  1)  in  der  Erklärung  des  r,  —  «  jb;  2)  in  der  Identifi- 
cirung  der  beiden  Juhaiuies.  Ligthfoot,  Ep.  to  the  Tolot^s.  p.  1  sq.  ^i^c,  , 
pai>sim.  Der  Aufsatz  über  Papian  in  der  ('Dutenip.  Rev.  (s.  o.)  ist  in 
der  Hauptsache  eine  Polemik  ge^eu  den  Verfastier  von  „Supematoral 
Beligion 

^)  Gegen  <lie  neue  Datirung  hat,  .soweit  Keferent  sieht,  nur  Keim, 
Geschichte  Jesu  (1875)  Ö.  381  f.  Einsprach  erhoben.    Unter  den  von 


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122 


KBmaCHB  OBEBSIGHTEN.  18T5.  X. 


hältnis  des  Hermas  za  Johannes  (resp.  dem  ?ierteii  Evan- 
gelisten) sacht  Holtzmann  (s.  o.),  fibnlieh  wie  er  das  frflher 
G^Zeitschr.  f.  wissenschaftl.  Tfaeol.''  1871,  S.  d36f.)  betreflb 

des  Barnabasbriefes  gezeigt,  nacli zuweisen ,  dass  auch  im 
Hirten  mehr  oder  weniger  schülerhafte  Versuche,  vorbereitende 
Ansätze  eines  christlich  -  theologischen  Gedankenkreises  si<di 
fänden,  der  in  classischer  Weise  durch  das  vierte  ErangaUiuii 
reprSsentirfc  sei.  Die  üntersnchungen  sind  methodisch  ▼((llig 
richtig  angelegt,  indem  sie  einer  riaL;e  nachgehen,  deren  Be- 
antwortung bisher  so  wenig  gelingen  wollte,  wie  das  Johannes- 
Evangelium  und  die  Theologie  seines  Verfassers  geschicht- 
lich zu  begreifen  sind.  Wie  man  auch  über  das  literarische 
Verhältnis  der  beiden  Werke  denken  mag  —  Beferent  hält 
die  Annahrae  einer  Benutzung  in  beiden  möglichen  Formen 
für  ungegründet,  das  Evangelium  aber  zweifellos  für  älter  — , 
solche  Spuren,  wie  Holtzmann  sie  nach  dem  Vorgänge  Zahns 
(Hirt  des  Hermas  [1868]  S.  465  f.)  aufweist,  müssen  sorgsam 
beachtet  werden;  denn  sie  bringen  wenigstens  ein  kleines  licht 
and  bleiben  wichtig,  auch  wenn  der  Hirte  später  als  das  Jo- 
hannes-Evangelium abgefasst  und  von  demselben  unabhängig 
ist.  —  Für  den  Diognetbrief  —  der  nur  aus  Connivenz  gegen 
herkömmliche  Ansichten  in  die  nene  Ausgabe  der  „Apostoli- 
schen Väter**  angenommen  ist  —  hat  Gebhardt  das  „Apo- 
graph.  Stephan!  Leidense"  und  die  „Edii  prinoeps"  dee 
Stephanus  neu  verglichen.  Er  hat  überzeugend  nachgewiesen, 
dass  jenes  sicher  als  eine  Abschrift  des  im  Jahre  1870  in 
Strassbnrg  verbrannten  einzigen  Mannscriptes  des  Briefes 
zu  betrachten  ist.  Beferent  konnte  die  Zeitlage  dieses  Briefes 
nicht  näher  bestimmen,  als  dass  derselbe  nicht  Tor  dem  dritten 
Drittel  des  zweiten  Jahrhunderts  und  nicht  später  als  im 
Anfang  des  vierten  Jahrhunderte  abgefasst  sei.  Er  Yieitm  sich 


ihm  beigebraehteo  Giflnden  kommt  nur  deijetiige  in  Betnwbt,  weleher 
dch'  knnweg  gegen  die  Geschicbtlichiceit  dee  Namens  des  Quadratos 
in  diesem  Zneammenbange  richtet.  Aber  grade  ein  solcbes  Datom  darf 
nicht  ohne  Grand  verworfen  werden.  Die  Waddingtonsche  Berechnnng 
hat  Gehhardt  insofern  Terbessert,  als  Waddington  fälschlich  das  Jahr 
165  allein  angegeben  hatte. 


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ALT£  KLRCUENGiBäCUICUTJ!:  BIS  325,  VON  HARNACK.  123 


dabei  F.  Overbeck  zu  Dank  verpflichtet  —  Durch  die 
fleissigen ,  aber  unkritischen  Arbeiten  des  anoiiyiueii  Ver- 
fassers des  Werkes  „  Supei-natiiral  Keligion  der  in  der  Kritik 
bedingongalos  dem  MisdeBfebietonden  die  Palme  g^eben  hat, 
And  die  sehr  trefEHchen  Anftfttze  Ton  Lightfoot  in  der 
„Contemp.  Rev."  über  die  apostolischen  Väter  in  ihrem  Ver- 
hältnis zu  den  Evangelien  (a.  o.)  hervorgerufen  worden.  Das 
anonyme  Werk  bat  ja  in  England  so  ungeheueres  Aufsehen 
gemacht,  dass  binnen  Jahresfrist  sechs  Auflagen  nötig  waren. 
Man  wird  es  seinem  Verfasser  zugestehen  mflssen,  dass  er 
mit  dem  pünktlichsten  Fleisse  gesammelt  hat;  aber  er  hat 
sicher  vor  Bearbeitung  des  grossen  Materials  mit  seinem  Ur- 
teil abgeschloäseii  und  braucht  die  Geschichte  selbst  nur  als 
illostration  seiner  Dogmatik.  Das  beweisen  die  vielen  halben 
und  ganzen  Betractationen,  Gorrectnren,  Salvimngsversnohe,  die 
er  in  den  folgenden  Auflagen  angebracht  hat  Lightfoots 
Artikel  darf  man  wohl  als  vorhiutige  Abschlairszahluiig  auf 
die  Fortsetzung  einer  mit  den  Clemensbrieten  so  rühmlich 
begonnenen  Ausgabe  der  „Apostolischen  Väter"  betrachten. 
Mdge  sie  nicht  zu  lange  auf  sich  warten  lassen.  —  Die  „F^ 
trolegischen  Untersuchungen*^  des  Eiewer  Professor  Skwor- 
zow  verdienen  —  ohne  Hyperbel  gesprochen  —  eigentlich 
kein  einziges  kritisches  Wort.  Die  Beliandlung  der  deutschen 
Sprache  in  diesem  Buclip  ist  noch  erträglicher  als  die  Be- 
handlung der  Quellen;  letztere  werden  nur  dort  richtig  ver- 
standen, wo  der  Verfasser  wie  znföUig  bald  diese,  bald  jene 


M  F.  Overbeck  (Studien  zur  Geschichte  d- r  alten  Kirche,  Hett  I 
[Schloss- Chemnitz,  E.  Schinitzner,  1875;  Vlli,  231  S.  in  gr.  8],  Ab- 
handl.  I,  S.  1 — „Ueberden  pseudojnptini.schen  Brief  an  denDiognet") 
will  uiit  dem  Brief  in  die  nacliconstaritinisclje  Zeit  hiiiui)g<^hen ,  indem 
er  die  Situation,  aus  welcher  derselbe  gesdiricben  ist,  fiir  fiiii^nrt  er- 
klärt. Davor  sollten  schon  die  chri8tolo<^nschc'n  terniini.  welche  d'-r  Ver- 
üi*6*.r  lies  Brictes  braucht,  warnen.  Da  die  Overbeckache  Abhandlung 
wesentlich  nur  ein  Abdruck  des  Prgr.  von  l.s72  ist,  m  mag  die  Ver- 
woirfung  genügen.  Zusätze  findet  man  S.  (>  f.  70—92.  In  den  letzten 
Jahren  sind  aul  patristischeni  Gebiet  wenig  Arbeiten  erschienen,  aus  wel- 
chen man  nach  Methode  und  Inhalt  so  xh^r<  lernen  kann  wie  aus 
die&er.  Referent  hebt  dies  um  so  nachdnicklieher  liervor,  da  das  Resultat 
der  Arbeit  auf  nicht  wenige  abschreckend  gewirkt  hat 


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124 


KiaiiJStUE  ÜBliKSlCHTKN.  Iblb.  L 


SpecialunterBiicbang  oder  Webers  Weltgeschichte  benutzt.  Nur 

als  Probe  sei  luitgeteilt,  dass  nach  Skworzow  der  Verfasser 
des  ignatianischen  Kömerbriefes  in  dem  Briefe  gar  nicht  von 
seinem  Märtyrertode,  sondern  von  einem  bevorstehenden  Kampf 
mit  Hftretikeni  gesprochen  haben  soll.  —  In  Benslys  PubU- 
cation  (s.  o.)  begrtaen  wir  die  nun  voUstSndige  alte  latei- 
nische Uebersetzung  des  vierten  Esra-Buchcs.  Bensly 
hat  zunächst  nur  das  bisher  in  den  lateinischen  Versionen 
fehlende  Stück  (zwischen  VII,  35  u.  36)  mit  musterhafter 
Treue  aus  einem  vollständigen  Codex  der  Biblioth^ue  Com- 
munaie  zu  Amiens  (Mher  zu  Alt-Corbie)  saec  IX.  heraus* 
gegeben  und  besprochen.  Zugleich  aber  erhalten  wir  hier  die 
wichtige  Einsicht  (Bensly  verdankt  sie  Gildemeister),  dass 
alle  die  zahlreichen  verstümmelten  lateinischen  Esra- Hand- 
schriften, welche  bisher  verglichen  sind,  auf  den  CkKL  Sangerm. 
saec.  IX.  zurflckgehen,  in  welchem  (aus  dogmatischen  Grflnden) 
ein  Blatt  —  eben  das  betreffende  —  ausgeschnitten  worden 
ist.  So  ist  denn  hier  völliges  Licht  in  die  handscliriftliche 
Ueberüeferung  gebracht.  Die  Codd.  Corb.  und  Sangerm.  sind 
allein  zu  benutzen.  Bensly  bereitet  eine  neue  Ausgabe  des 
vierten  Esia- Buches  vor,  die,  nach  dem  grfindlichen  Speci- 
men  zu  urtdlen,  welches  er  vorgelegt  hat,  gewiss  vortrefliich 
sein  wird.  —  Die  neuen  Versuclie  Tidemauns,  die  ver- 
schiedenen Stücke,  aus  welchen  die  jetzt  vorliegende  H  e  n  o  c  h  - 
Apokalypse  zusammengesetzt  ist,  auszuscheiden  und  zu  da- 
tiren  (s.  o.),  fahren  zu  folgenden  Ergebnissen:  1)  Das  ur- 
sprüngliche Buch  sei  aus  den  ersten  Tagen  der  Makkabäer- 

Herrschaft;  2)  C.  17—19.  41,  3—9.  43,  1.  2.  44,  7—55,  2. 
59.  60.  65 — 69,  25.  70.  106.  107  geliören  zusammen  als  Apo- 
kalypse Noah  und  sind  circa  80  n.  Chr.  von  einem  in  Gnostik 
und  Kabbala  heimischen  Juden  geschrieben;  3)  die  drei  Beden 
in  der  Bildersprache:  a)  c  37—41, 3.  42.  43,  2-- 4.  45—54, 7. 
55,  3;  b)  c.  57;  c)  c.  58—65.  69,  26 — 29.  71  stammen 
aus  der  Zeit  Domitians  und  der  ersten  Zeit  Trajaus  zur  Zeit 
der  Partherkriege  (Anspielung  auf  Christen vcifolgung).  Ausser- 
dem werden  Zusätze  eines  christlichen  Qnostikers  (c  108)  der 
Richtung  Satumins  (vgl.  Hilgenfeld)  nach  dem  Jahre  125 
und  katholische  Einscbiebungen  (c.  90,  38.  105,  2)  angenom- 


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ALTE  ia&Cü£Na£SCUICHT£  BIS  885,  VON  UAENACK.  125 


men.  Successiv  soll  an  dem  Buche  pharisäisches  Judentum, 
Essenisraus,  christliche  Weisheit  beteiligt  sein.  Referent 
glaabt  nicht^  dass  diese  immerhin  massvoUe  Hypothese  im 
einzelnen  himeichend  begrOndet  ist;  Spuren  eines  christ- 
liehen Gnosticismns  in  dem  Henoch- Buche  kann  er  ebenso 
wenig  entdecken  als  specifisch  Essenisches.  Ueherhaupt  sollte 
man  mit  der  Anualmic  christlicher  Zusätze  oder  Interpohitionen 
in  den  jüdischen  Apokalypsen  sehr  Torsichtig  sein. 

3.  Cfaiostiker. 

H.  X«.  "MsnMA,  The  OnoBtio  Herenes  of  tfae  fintt  and  second  een- 
ttiries...  edited  by  R  Ligbtfoot  (London,  J.  Mnrray).  XXXII, 
288  S.  in  gr.  8. 

A.  Idpsius ,  Die  Quellen  der  Sttosten  KetaECfigesehxebte  neu  untersucht 
(Leipzig,  A.  Buih).  VIII,  258  8.  in  gr.  8.  Dasn  Volkmar  in 
der  „Jen.  Lit-Ztg."  Art.  531. 

A.  Iiipsius,  Simon  der  Magier  (in  „Schenkels  BiUIlexicon*"  Bd,  V, 
S.  301—321). 

A.  Hilgenfeld,  Dor  Gnostilior  Apelles  (iu  der  „Zeitöchr,  für  wissen- 

schaltl.  Theol."  1875,  S.  51—75). 

A-  Hamack,  itnige  zur  Geschichte  der  raarcioniti^chea  Kirchen  (in 
der  „Zeitscbr.  t.  wieeenBch.  Theol.''  1870,  S.  80—120). 

C  Iiainibaeta,  üeber  den  pokmiaehen  Sofaliue  des  Canon  Hnrat.  (in 
der  „ZdtBcbr.  f.  Infb.  Theo!/«  1875,  S.  461--470). 

W.  Chraf  Bandimdn,  Der  ürsprung  des  Gottesnamene  )m»  (in  der 
,,Zelt8ebrift  ftr  die  histoiisebe  ^Theologie"  1875,  S.  809  —354. 
455..456). 

A-  Geyler,  Das  System  des  Manichäismiis  und  sein  Verhältnis  zum 
Buddhismus  (Inaug.-Diss. ;  Jena,  Deistnng).  62  S.  in  8. 

Die  Vorlesungen  M  a  n  s  e  1 8 ,  weil.  Professor  der  Eirchen- 
geschichte  zu  Oxford,  fiber  die  gnostischen  Systeme, 
welche  Lightfoot  herausgegeben  hat,  sollen  in  erster  Reihe 

wohl  dem  Gedächtnis  des  in  England  hochangeschenen  Pro- 
fessors (vgl.  die  Skizze  seines  Lehens  in  der  Einleitung 
p.  V — ^XXII  vom  Earl  of  Carnarvon)  gewidmet  sein.  Mansel 
war  mehr  Philosoph  als  Historiker:  seine  Darstellung  des 
Gnosticismns  (in  18  Vorlesungen)  lehnt  sich  an  Neander, 
Matter  und  ßaur  an,  ohne  Anspruch  zu  erheben,  Neues 
zu  bringen.    Der  Stell  ist  im  ganzen  einfach  und  Übersicht- 


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126 


KBITISCHB  CB£BSICHTE;N.  I. 


lieh  gruppirt;  aber  die  B»nirteiluiig  ilcr  gnostischen  Bewoo^un- 
gen  im  grossen  und  im  einzelnen,  wie  sie  Mansel  gegeben 
bat,  darf  ia  Deutschland  jetzt  als  antiquirt  gelten.  Referent 
yerweist,  tun  dies  abfilllig^  Urteil  sro  erhärten,  beispielsweiBe 
auf  <iie  14.  Vorlesiini^  über  die  Pseudoclenientinen.  Ohne 
umfassende  und  iiiiiktliche  Quellenkritik  lassen  sich  die  ein- 
zelnen gnostischen  Systonio  und  die  Geschichte  ihrer  Ent- 
wicklungen nicht  beschreiben.  Lipsius,  der  zuerst  1866  in 
seiner  „Quellenkritik  des  Epiphanios*'  hier  Bahn  gebrochen 
bat,  hat  nun  die  Arbeit  von  neuem  wieder  aufgenominea 
und  in  den  „Quellen  der  ältesten  Ketzergeschiohte"  das  ge- 
saramte  Material  einer  zweiten  kritischen  Prüfung  unterzogen. 
Das  Ergebnis  der  neuen  Untersuchungen  unterscheidet  sich 
yon  dem  der  älteren  hauptsftohlich  darin,  dass  Lipsius,  w&h- 
rend  er  frQber  das  Justinische  Syntagma  aus  Irenftus  und 
Hippolyt  nach  Disposition,  Form  und  Inhalt  reconstruiren  zu 
können  glaubte,  jetzt  an  solcher  Reconstructiou  verzweifelt, 
dagegen  als  älteste  heute  noch  erkennbare  Quelle  eine  ketzer- 
bestreitende Schrift  aus  der  Zeit  Soters  statuirt,  welche  Irenftua 
und  Hip])olyt  ausgeschrieben  haben  sollen  (letzterer  bat  neben- 
bei aucli  den  Ti.'cyyo;  des  Irenaus  beiuitzt).  lieber  das  .lusti- 
nische  Syntagma  lasse  sich  nichts  hs^stimmtes  mein*  sagen, 
sicher  wenigstens  sei  kein  Grund  vorhanden  zur  Annahme, 
Justin  habe  den  Marcion,  indem  er  ihn  für  einen  älteren  an-  ' 
gesehen,  vor  die  übrigen  Hauptgnoetiker  gestellt;  die  Map- 
vtmvoi  des  Justin  und  die  MunyjiuifjTai  des  Hegesipp  aber 
seien  nicht  Marcioniten,  sondern  Marcianer  (^larkosier) :  Ter- 
tuUiau  und  Origenes  kämen  als  Quellen  zur  Erkenntnis  des 
Justinischen  Werks  überhaupt  nicht  mehr  in  Betracht;  erste* 
rer  sei  lediglich  pedisequus  des  Irenäus  und  Hippolyt.  Zwei 
sehr  ausführliche  Ereurse  über  den  Namen  ^^Gnostiker"  und 
über  die  Zeit  Marcions  (iJasilides  und  Valentins)  beschliesseu 
die  Untersuchung.  Es  braucht  nicht  erst  bemerkt  zu  wer- 
den, dass  durch  diese  Arbeit  die  Sache  um  ein  gutes  Stück 
gefördert  worden  ist,  und  besonders  an  den  chronologischen 
Baten  wird  nur  Untergeordnetes  zu  beanstanden  sein;  aueb 
wird  man  das  Material  kaum  mehr  vervollständigen  können. 
So  gewiiis  aber  die  Umbildung  der  früheren  H>];)othese  zu  der 


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ALTE  KDICHENGE8GHICHTB  BIS  825.  TON  BABNACK.  127 

nun  vorliegeudeu  als  ein  Fortschritt  zu  bezeichnen  ist,  so 
wenig  kann  sich  Referent  davon  üherzeugen,  dass  die  quellen- 
kritisehe  frage  hiemit  zum  Abschlnss  gebracht  sei.  Volk- 
mar 8  Einwendungen  freilich  wird  Lipsins  meistens  unschwer 

zurückweisen  können-,  aber  schon  (Iiis,  was  Gebhardt  („Zeit- 
schiift  f.  d.  histor.  Theol.**  1H75,  S.  :i70— 377)  beigebracht 
bat,  ist  sehr  geeignet,  die  Combiuation  der  Ma(>xmyoi  vmA 
Ma^wmai  und  ihre  Deatnng  als  „Marcioniten'*  zu  em- 
pfehlen. Der  Stand  der  Frage  fordert  jetzt  eine  genane  kri- 
tische üntersuchnng  des  gnostischen  Systems,  der  Zeitlage 
und  der  Verbreitung  der  Sccte  des  Marcus.  Mit  einem 
abschliessenden  Urteil  wird  man  bis  dabin  zurückhalten 
Blässen.  —  Eine  reichhaltige  und  ansführliche  Abhandlang 
Uber  „Simon  den  Magier''  und  die  Simonianer  hat  Lipsius 
in  dem  von  Schenkel  herausgegebenen  Bibel  -  Lexicon  (s.o.) 
veröö'entlicbt.  Ks  wird  in  derselben  der  Versuch  gemacht, 
die  Hypothese,  nach  welcher  der  gnostische  Simon  erst  aus 
dem  clementinischen  herrorg^angen  sei,  consequent  durch- 
zoffiluren:  der  clementinische  Simon  aber  sei  —  vielleicht 
imter  Anlehnung  an  diesen  oder  jenen  samaritanischen  Goe- 
ten  —  eben  nur  Paulus  selbst.  Referent  hält  diese  An- 
nahme, die  hier  sehr  scharfsinnig  verteidigt  wird,  für  un- 
durehffihrbar,  —  sollen  denn  gnostische  Kreise  erst  von  der 
Groeskircbe  den  „Simon''  erhalteji  und  willig  angenommen 
haben?  Der  Nachweis  ist  zudem  noch  nicht  erbracht,  dass 
die  pseuJocleinentinischen  Geschichtsentstellungeii  l)is  in  die 
ersten  Deceimien  des  zweiten  Jahrhunderts,  wo  nicht  bis  in 
das  £nde  des  ersten  hinaufreichen.  Sehr  lehrreich  ist,  was 
in  der  Abhandlung  über  das  Verhältnis  des  Simon  zu  den 
Dositheanem  ausgeführt  ist.  —  Hilgenfeld  knüpft  in  sei- 
ner Untersuchung  über  das  System  des  Gnustiker  A  pell  es 
(s.  0.)  an  die  Dissertation  des  Referenten  „De  Apellis  gnosi 
monarchica  1874''  an  und  polemisirt  gegen  die  dort  empfoh- 
lene Wertung  der  QueUen,  während  er  in  den  Haupi^unkten 
der  Quellenkritik  sieb  dem  Referenten  anscbliesst.  —  Zur 
Geschichte  der  marcioui tischen  Kirchen  hat  Referent 
einige  kleinere  Beiträge  zu  geben  versucht  (s.  o.).  Seine 
Abhandlung  enthält:    1)  eine  Kritik  des  Berichtes  des 


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128 


KBITISCHE  ÜBERSICHTEN.  1675.  I. 


armenisclion  Bischofs  Esnig  über  die  ^laieioniten  auf  Gmnd- 
lage  einer  zuverlässigeren  deutschen  Uebei'setzung  als  der  von 
Nenmann  1834  gegebenen.  Der  Beriebt  des  Esnig  zeigt  uns 
Maroioniten',  deren  Lehrsystem  von  dem  des  Ifanicbftismns 
nnbeeinfluflst  geblieben  ist;  2)  eine  Besprecbnng  einer  wich- 
ti[^en  marciouitisclioii  Inseln ift  aus  Syrien,  in  welcher  ein 
marcioüitisches  Kirchengebäude  avyayfoyr  genannt  wird.  Bei- 
gegeben ist  ein  Excurs  über  den  Gebrauch  des  Wortes  Gvt'u- 
Ywyfi  ^onym  mit  itekkijata  in  der  alten  Kirche;  3)  die  Mit- 
teOong  eines  nrknndliehen  Zeugnisses  fiber  marcionitisehe 
Psalmen  und  daran  angeschlossen  eine  kurze  neue  Erörterung 
einiger  Worte  am  Schlüsse  des  Fragm.  Murat.  4)  eine 
Untersuchung  des  Wertes  der  Carmina  Pseudotertuiiiani  adv. 
Marc,  für  die  Geschichte  des  abendlandischen  Marcionitis- 
mns').  —  In  der  interessanten  ünterenchnng  des  Grafen 
Baudissiu  über  den  Ursprung  des  Namens  'laot  (s.  o.)  findet 
sich  vieles  F'inzelne,  besonders  in  F]rklärung  guostischer  Aus- 
drücke und  Aeonennaoien,  was  der  Specialforscher  niciit  über- 
sehen darf  —  Die  Dissertation  Gey  1er s  über  den  Mani- 
chftiflmns  und  sein  Terh&ltnis  zum  Buddhismus  (s.  o.)  bringt 
weder  eine  exacte  Daistellung  des  Manichäismus  (die  arabi- 


1)  Vgl.  hiezu  auch  „Zeitschr.  f.  luth.  Theol."*  1875,  S.  2U7.  208, 
wo  Referent  auf  (irund  persönlicher  Einsicht  eine  genaue  Beschreibung 
des  von  ilitn  für  tatiani  gelesenen  Wortes  im  Murat.  gegelx'n  hat.  — 
Leimbacli  verteidigt  mit  K-echt  (s.  o.)  in  seiner  Abhandlung  die 
LA.  psalnioruni.  Das  Neue,  was  der  Verfasser  zur  Kritik  beigebracht 
bat«  ist  unhaltbar. 

2)  Mit  einer  kritischen  und  historischen  PriUnn^r  jener  carmina  liat 
neucrdintjs  E.  TTückstädt,  lieber  das  pscudutertuliianische  Gedicht  ad- 
versus  Marci(ni('m  (Leipzig,  J.  C.  Hinrielis,  l.sTö).  58  8,  in  gr.  8,  be- 
gonnen. Iliiekstiidt  liat  nachgewieKen  (and<TH  urteilt  Hi  Igen  fei  d  in 
der  ,,Z.  its(  ]ir.  f.  wissenseh.  Theol."  187»;,  S.  154  f),  dasB  das  (Jcdicht 
dem  vierten  Jahrhundert  angehört.  .So  liegt  es  ausserhalb  des  Kreises 
der  uns  hier  int^ressirenden  Schriftstücke.  Da  aber  vielleiclit  noch  an- 
dere Kritiker  der  llilgenfeldschen  Hypotheiie  (drittes  .Talir)iun<lert)  zu- 
Rtironien  mögen,  so  sei  hier  auf  die  Arbeit  Hückstödts  weuigstens  ver- 
wiestn. 

3)  Vgl.  auch  die  im  zweiten  Absciinitt  citirten  Arbeiten  von  Liijht- 
foot  (Colost^enieche  Irrlehre)  uudTidemanu  (Gnosticismus  im  iienuch- 
Bucb). 


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ALTE  KIBCHENaBSCHICHTE  BIS  SeS,  VON  HARNACK.  129 

sdim  Qaenen  and  wenig  benutst),  noch  eine  beachtenswert» 
üntersachnng  fiber  die  Yerwandtschaft  jener  beiden  Eeligions- 
Systeme.  Ein  paar  Parallelen  aufzuweisen,  ist  leicht  genug. 
Aber  damit  ist  noch  nichts  erreicht.  Ausserdem  dürften  erst 
noch  ganz  andere  religion^eschichtliche  Untersuchungen  an- 
zustellen, leap.  abzuBchiiessen  sein,  bevor  man  den  Einfluss 
des  Buddhismus  auf  die  vordmaiatischtti  Systeme,  der  a  priori 
nicht  unwahrscheinlich  ist,  zu  erwägen  unternimmt 

4.  Alildrohllolie  Litei*al«rf  esoldolito 

▼OD  Jottin  big  EoMbiiM. 

Corpus  Apologctarura  Christianonun  saec.  sec.  eihd.  Th.  eques 
de  Otto.  Justini  Ph.  et  M.  Opera.  T.  I,  P.  I.  fasc.  I  (plag. 
1  —  6)  edit.  III.  plorimmn  aacta  et  emendata  (Jenae,  H.  Dufit). 
96  S.  in  gr.  a. 

B.  Anbkt  S.  JuHan  Fbtloflopha  et  Uartjr.  iStude  eritique  snr  Tapo- 
kg^tiqiie  ebi^  an  U«  «i^  (FluiB,  E.  Thoila).  LXXVI,  862  S. 
in  gr.  «. 

üu  Thoma,  Justins  literarisches  Verhältnis  zu  Paulus  und  zum  Jo- 
hannes-Evangelium (in  der  „Zeitschr.  f.  wiBseoBch.  Theol.  '  1075, 
S.  383-412.  490—565). 

I».  Faul,  Der  Begriff  des  Glaubens  bei  dem  Apologeten  Theophilns 
(in  dm  „Jahrb.  f.  ptot  TheoL"  1876,  8.  546—669). 

Th.  SUhn,  Zur  Avakgnng  und  Teitfaitik  einiger  achwieriger  patriati- 
Bchtf  Stellen  (in  der  ..Zeitachrift  f&r  die  hiator.  Tlieologie"  1876, 
8.  e2--85). 

B.  Klussmann,  Zu  Miniicius  Felix  {im  „Philologus"  1Ö7Ö,  8. 206—209, 
und  im  „Rhein.  Mus.  i.  Pbilol.''  Ib75,  8.  144). 

Arnobii  adverena  nationea  libri  YII  ree.  et  comment.  crit 
inatnudt  A.  Beültesdbeid.  Corp.  Script,  eed  lat  YoL  IV.  (Yin- 
dob.,  Gerold.)  Till,  363  8.  in  a 

A.  Kurnack,  Uobor  eine  in  Moskau  entdeckte  und  cdirte  alt  bulga- 
rische Version  der  Schrift  Hippolyts  de  anÜchristo  (in  der  „  Zeitschr. 
f.  d.  hirit,  Theol."  1875,  S.  38—01). 

H.  Schultz,  Die  Christologie  des  Origenes  im  Zusammenhang  seiner 
Weltanschaanng  (in  den  „Jahrb.  L  prot.  Theol."  1876,  8. 19a->247. 
369—425}. 

O.  Bolanlar,  Lea  originee  de  la  poMe  ofar^  Lea  apocryph.  et  lea 
SibjlL  (In  der  „Bevne  de  deuz  monda"  1876,  1.  JuiU.,  8.  761!:) 
ZMuht.  r.  E..0.  9 


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130 


XHmSCHE  ÜBEBSIGBTEN.  187B.  I. 


Eusebii  Chronicoriini  über  prior  editl.  A.  Schoene  (Berol.,  Weid- 
mann). XVI,  297,  245  S.  in  gr.  4.  iieiUtaiizeige  io  den  „QiitL 
Gel  -Aiiz.**  1875,  S.  1487— 15i)2. 

8.  Teufifel,  Geschichte  der  ri'anischen  Litcratar»  HL  Aufl.  (Leipugp 
B,  G.  Tealmer).  XVI,  1216  &  in  gr.  8. 

P.  Oaspari,  Ungedinclcte,  unbeachtete  und  wenig  beachtete  QoeUen  zur 
Geschichte  des  Taufsyrabole  nnd  der  GlaabenaregeL  Bd.  III,  Univ.- 
Progr.  (Christiaoia).  XVHI,  514  8.  in  gr.  8. 

X*.  Revillout,  Le  concilc  de  Nicee  d'apres  les  textes  coptes  et  les 
diverses  coUections  canoniques  (im  „Journal  Asiatique"  1H75,  T.  V, 
p.  5—77.  209— 26G  [Seconde  seric  de  documents],  p.  501—564). 

Von  einer  neaen  dritten  Auflage  der  Werke  Justins  (im 
Corp.  Apologeti  ed.  Th.  de  Otto)  liegen  die  ereten  sechs 

•  Bogen  vor  und  bekunden,  dass  dieselbe  wirklich  sowohl  in 
kritischer  wie  in  exegetischer  Hinsicht  „plurimum  aucta  et 
emendata'*  geuaunt  werden  darf.  Der  Text  ist  auf  Grund 
einer  neuen  genauen  Yeigleicbung  des  Cod.  Clarom.  consti- 
tuirt;  ausserdem  aber  erfahren  wir  zu  üreudiger  üeberraschung' 
aus  dem  Vorbericht,  dass  in  einem  bisher  unbekannten  Cod. 
Vat.  ein  grösseres  Stück  der  ersten  Apologie  enthalten  ist, 
welches  von  Otto  nun  benutzt  hat.  Zu  bedauern  ist,  dasa 
der  Herausgeber  sich  nicht  entschlossen  hat,  den  kritischen 
und  exegetiscben  Apparat  zu  sondern  i).  Als  eine  Studie  zur 
christlichen  Apologetik  im  zweiten  Jahrhundert  fUhrt  sich 
die  Arbeit  von  B.  Aub^  über  Justin  ein.  Nach  einer  ge- 
drängten üebersicht  über  die  ersten  Verfolgungen  —  ein 
Gebiet,  auf  welchem  der  Verfasser  besonders  zu  Hause  ist  — 
und  den  moralischen  Zustand  des  BAmerreiches  in  jener  Zeit 
handelt  er  von  dem  Leben  und  Zeitalter  Justins,  von  der 
Zeitlage  der  beiden  Apologien,  der  Philosophie  Justins  in 
ihrem  Verhältnis  zur  stoisch -platonischen  und  besonders  aus- 


1)  Th.  Zahn  bringt  in  seiner  Abhandlnng  (s.  o.)  kritisch- exege- 
tische Vorschläge  zn  drei  schwierigen  stellen  ans  der  I.  Apologie  (c.  3, 
p.  54 C;  c.  4,  p.  Ö5B. ;  c.  10,  p.  58 D.).  welche  Otto  bereite  erwogen 
hat.  Ausserdem  bespricht  Zahn  dort  noch  die  beiden  oft  untersuchten 
Stellen  Clem.  Alex.  Strom.  VIT,  106,  p.  898  nnd  Ixen.  UI,  11,  9.  Die 
Erklirang  der  letzteren  ist  Obeizengend. 


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ALTE  KIBCHENOESCBICHTE  BIS  885,  VON  HAENAGK.  131 

führüch  \on  den  „Bapports  et  analogies  de  la  doctrine  chrä- 
tienne  et  du  pagaiiisme  d'aprte  S.  Justin*'  (S.  119  —  266). 
Anhangsweise  wird  von  den  übrigen  Apologeten  des  zweiten 
Jahrhunderts  und  von  den  Ursachen  der  Verfolgungen  ge- 
sprochen. Die  chronologischen  Untersuchungen  sind  weder 
umfassend,  noch  unter  Berücksichtigung  der  neueren  deut- 
schen Arbeiten  geführt;  die  Jäesultate  deshalb  unsicher 
(L  Apologie  142 — 150,  doch  dem  letzteren  Datum  nfther; 
n.  Apologie  160 — 161;  Tod  163.  Sehr  interessant  ist  der 
Versuch  [S.  68 — 76],  die  Zeit  der  Präfectur  des  Lollius  Ur- 
binus  näher  zu  bestimmen;  hier  ist  auch  bisher  unveröffent- 
lichtes Material  beigebracht  Seferent  hat  noch  nicht  Zeit 
gefunden,  die  neuen  Bestimmungen  genauer  zu  prflfen).  Die 
Teigleichenden  religionspbilosophiscben  Untersuchungen  gehen 
von  einzelnen  richtigen  Gesichtspunkten  aus  und  dürfen  als 
eine  dankenswerte  Bereicherung  unserer  Kenntnisse  der  Apolo- 
getik gelten.  Aber  in  dem  Bestreben,  bisher  vernachlässigte 
Seiten  eneigisch  zur  Geltung  zu  bringen,  die  wahren  Grund- 
lagen der  Theologie  der  Apologeten  aufeudecken  und  zu  zeigen, 
in  welchem  Zusammenhang  dieselben  mit  der  idealistischen 
Popiilarphilosophie  der  damaligen  Zeit  stehen,  gerät  der  Ver- 
fasser fort  und  fort  in  Gefahr,  in  das  Extrem  zu  gehen  und 
den  sicheren  Blick  fär  das  Eigenartige  der  Gedankenkreise 
der  Apologeten  zu  verlieren.  A.  Thoma  sucht  in  seiner 
Abhandlung  (s.  o.),  die  durchaus  gründlich  und  umsichtig 
gearbeitet  ist,  das  Verhältnis  des  Justin  zu  Paulus  und  dem 
vierten  Evangelisten  abschliessend  zu  erörtern.  Er  findet, 
dass  Justin  die  Werke  beider  gekannt,  dieselben  aber  nicht 
zu  den  heiligen  Schriften  gerechnet  habe  (das  Johannes-Evan- 
gelium spedell  nicht  zu  den  anofa'r,i(oyevftaTa)^  ohne  dass  es 
deshalb  notwendig  sei,  ein  direct  feindseliges  Verhältnis  des 
Justin  zu  beiden  Männern  anzunehmen;  das  vierte  Evange- 
lium könne  er  indes  nicht  für  ein  Werk  des  Apostels  Jo- 
hannes gehaltoft  haben  (vgL  S.  410f.  545  —  565).  Letztere 
These  erscheint  nun  durchaus  nicht  sicher  gestellt,  während 
sonst  die  Hauptergebnisse  der  Arbeit  viel  Wahrscheinlich- 
keit haben.    Die  Hypothese,  das  Ansehen  des  Paulus  sei 

durch   Marcion  auch  in  der  Grosakirche  erschüttert  wor- 

9* 


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132  lUUTISCIIE  OSEBSIGHTSM.  1815.  I. 

den,  erscheint  verlockend,  ist  aber,  soviel  Referent  sieht,  nn- 
beweisbar  —  Während  die  neue  Ausgabe  des  Justin  erst 
eben  begonnen  worden  isfc,  liegt  die  Nenbearbeitong  des  Arno- 
biuB-Textes  in  dem  Wiener  nOorp.  Script  ecd.  tet"  be- 
reits vor.  Beifferscbeid  bat,  wie  nicht  enden  zu  erwar- 
ten stand,  alles  getan,  was  bei  einer  so  mangelhaften  Be- 
urkundung des  Textes  überhaupt  geschehen  konnte.  Wir  wissen 
jetzt,  daas  drei  Correctoren  an  der  Handschrift,  der  euuagen, 
die  nnB  erbalten  ist,  tfttig  geweeen  sind.  Der  Älteste  soll 
«ie  nach  der  Vorlage  corrigirt  haben.  Falsche  tettkriiisefae 
Principien  früherer  Editoren  sind  durch  genauere  Feststellung 
der  Diction  des  Amobius  hier  beseitigt.  So  reiht  sich  auch 
diese  Aufgabe  den  Übrigen  des  (Corpus,  die  sämmtlich  für 
die  sichere  Oonstitnirong  der  Texte  epochemachend  sind, 
wlirdig  an.  Möge  der  Tertollisn  bald  nachfolgen?  das  ist 
unser  sehnlichster  Wunsch.  —  Referent  hat  in  seiner  Ab- 
handlung über  die  Schrift  Hippolyts  de  anticbristo  eine  alt- 


1)  Die  Abhandlang  von  L.  Paul  aber  Tbeophilus  {&,  o.)  irt 
mbedeatend  und  wertlos.  —  £.  KlnsBinann  (s.  o.)  bringt  ein  paar 
gm  annehmbare  Coiqectaren  zn  Mi  nnoin  s  Felix,  für  dessen  Text 
anch  nach  der  ausgezeichneten  Ausgabe  von  Halm  noch  genug  sn  ton 
Übrig  geblieben  ist.  Da  die  einzige  Handschrift  viele  kleinere  und 
grössere  Lücken  hat»  SD  schlagt  Klnssmann  an  den  von  ihm  behandelten 
Stellen  Einschiebnngen  einzelner  Silben  und  Wörter  vor.  Die  Zuziehung 
des  lucretianischen  Sprachgebrauchs  —  als  Heilmittel  bekanntlich 
von  Klussmann  empfohlen  —  stört  und  trübt  bei  diesen  Vorschlägen 
nicht.  —  E.  Bährens  hat  („Rhein.  Mus.  f.  Phil."  1875,  S.  308.  300) 
auf  eine  bi.shor  unbenutzte  Handschrift  des  Ge«Hchte.s  ,.De  phoenice'* 
(Lactantius?)  aufmerksam  gemacht  (vgl.  A.  Kbcrt,  (icschichto  der 
christlich -lateinischen  Lite  ratur  von  ihren  Anfängen  [1H74]  S.  98  f). 
Der  Codex  betindet  sich  zu  Paris  (Sangerm.  844)  und  stammt  aus  dem 
achten  Jahrhundert,  ist  somit  der  älteste,  d<^r  das  Gedicht  „De  phoc- 
nice"  enthält.  Es  steht  unter  Gedichten  di  .s  Furtunatus,  leider  aber 
nicht  vollständig  (von  den  170  Hexametern  fehlen  die  50  letzten).  Auf 
das  bekannte  Werk  von  Riese,  Anthologia  latina  etc.,  fällt  durch  die 
Bährensschen  Mitteilungen  kein  gtmstiges  Licht.  —  Eine  deutsche  Ueber- 
setzung  der  Apologie  des  Athenugoras  und  ausgewählter  Schriften 
des  Lactantius  ist  in  der  „Kemptener  Bibliothek  der  Kirchenväter'* 
(1875,  Nr.  145.  146  [198  S.j  und  Nr.  154  fOÜ  S.])  gegeben.  Ek-nda 
auch  eine  Uebersetzung  ausgewählter  Schritten  des  Clemens  Alex. 
(1875,  Nr.  147.  148.  153  [288  S.]). 


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ALTE  KlKCUENüEÖCmCHTE  BIS  32u,  VON  HABNACK.  13;^ 


tnlgarisdie  üdbenetEang  für  d!«  Feststollnng  des  Grandtextes, 

der  uns  nur  in  zwei  sehr  verwandtea  Codexeu  überliefert  i^t, 
zu  verwerten  gesucht.  Diese  Uebersetzung  (saec.  XII  yel 
XIII)  ist  im  Jahre  1868  in  Moskau  von  K.  Newostrujew  mit 
nnniacAiem  Otnnmentar  edirt  worden  und  diurf  als  sehr  widn- 
tiger  Teocteeoge  gelten     —  EndUch  ist  in  diesem  JaJue  die 


1)  Anhangsweiße  verzeichne  ich  hier  die  Studien  zu  den  alten  Bibel- 
übersetzungen und  Bibelcüdd. :  H.  Röosch,  der  unerniüdliclie  Forscher 
auf  dem  Gebiete  der  altlateinischen  Bibel -Uebcrsetzungen,  hat  —  ausser 
„Studien  zur  Itala"  („Zeitschr.  l.  wissenHch.  Theol/*  1875,  S.  425—436 
[Torts,  folgt])  und  einer  neuen  Ausgabe  seines  Hauptwerkes  „Itala  und 
Vulgata"  (zweite  berichtigte  und  vermehrte  Ausgabe  [Marburg,  Elwert]; 
VIII,  626  S.  in  gr.  8),  welcher  Berichtigungen  und  Nachträge  beigegeben 
sind,  —  in  der  „Zeitschr.  f.  d.  bist.  Theol."  1875,  S.  86—161,  die  alt- 
testamentüchen  Citate  in  Cyprians  Werken  untei-sucht:  „Die  alttesta- 
mentliche  Itala  in  den  Schriften  des  Cyprian.  Vollständiger  Text  mit 
kritischen  Beigaben."  Es  ist  diese  Arbeit  ein  Seitenstück  zu  des  Ver- 
fassers Werk:  „Das  Neue  Testament  Tertullians".  lieber  das  Qued- 
linburg c  r  Fragment  einer  illustrirten  Itala  (Bl.  1 :  1  Sam.  1 ,  9  f. ; 
Bl.  11:  ISam.  15,  lUf.)  hat  unter  diesem  Titel  W.  Schum  gehandelt 
(in  den  ..  I  heol.  StiuL  u.  Krit'*  1876,  S.  121—134;  auch  besonders  er- 
schienen [(iotha,  Friedr.  Andr.  Perthes],  IG  S.  in  8,  mit  einer  üLhogr. 
Tafel).  Referent,  der  übrigens  selbst  nicht  Fachmann  ist,  gesteht,  dass 
iliU  diese  Publication  nicht  sehr  bitri. diirt  hiit.  Weder  wird  die  Hand- 
schrift exact  genug  beschrieben,  noch  ihr  Alter  und  ihre  Geschichte  licht- 
voll erörtert.  Das  Magdeburger  Fragment  desselben  Codex,  welchen 
Schum  in  den  AnCang  des  fünften  (Ende  des  vierten)  Jahrhunderts  ver- 
setzt, bat  der  Herausgeber  nicht  benutzt.  Die  beigegebene  Tafel  ist  nur 
eine  Nachzeichnung  (vgl.  zu  dem  Fragment  von  Mülverstedt  in  der 
„Zeitßchr,  d.  Vereins  f.  d.  Gesch.  d.  Harzes"  1874,  S.  251—263).  — 
Ben  seh  („Theol.  Lit.-Bl."  1876,  Nr.  2)  hat  darauf  anfmerksam  ge- 
macht, dan  da«  Qoedlinborger  Fragment  bis  auf  Kleinigkeiteil  mit  des 
Citalen  de«  lauifye  rmt  Calaris  stimme.  ScbliesfiliGh  sei  liiar  noefa  der 
VoDttiiid{glnit  mgm  (eine  üebersicht  Uber  die  seit  Sabaticr  reröffent- 
Kehteii  Itala- Fragmente  hat  Ben  seh  in  der  Tftbinger  „TheoL  Qoart- 
Sdir."  1873,  S.  848»  gegeben)  anf  ehie  vortreffllehe  PdUieatiMi  hinge- 
idmm,  die  aber  sehen  die  Jahxzahl  1876  tilgt:  L.  Ziegler,  Itala- 
Fkagmente  der  Paolusbriefe  nebet  BrochstttdEBn  dner  Torhieronymiamachen 
Uebenetsoag  dea  enten  Johamieebiiefes  ans  PergamentUftttem  der  ehe- 
meligen  FtMagn  StiftsbibUotiiek.  Ztsn  evatenoiale  yeriSlfta^cht  und 
kritisch  belenchtet.  Emgeleitet  dnreh  ein  Vorwort  von  IVoÜBSsor  Ik. 
E.  Bänke.  Hit  einer  photolithograph.  Tafd.  (Marburg,  Elwert.)  VUI, 
151  S.  in  4.  Die  Edition  ist  nach  dem  Urteil  eompetenter  Fachgelehrter 


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184 


KBITISCHE  OBEBSICHTEN.  1876.  I. 


grosse  Schönesche  Aasgabe  der  Chronographie  des 
Easebias  beendigt  worden,  deren  zweiter  Band  bereite  im 
Jahre  1866  erschienen  ist.  Die  erste  Hälfte  des  ersten  Ban- 
des bringt  das  erste  Buch  der  Chroiiofjraphie  lateinisch  nach 
der  armenischen  Uebersetzung.  Professor  Peterraann  hat 
den  Text  nen  constituirt  und  die  Uebersetzung  berichtigt. 
Ffir  einzelne  Abschnitte  stand  ihm  ein  bisher  nnbenntzter 
Codex  zu  Gebot.  Daneben  hat  der  Herausgeber  die  griechi- 
schen Fragmente  (hauptsächlich  aus  der  Fraep.  Kv.  des  Euse- 
bius, aus  Syncellus  und  Nicephoms)  orestellt,  dereu  Texte 
von  Gutschmid  durch  eine  Reihe  der  glänzendsten  Con- 
jectoren  verbessert  hat.  Die  Fragmente  sind  fast  durch- 
gehends  nnr  soweit  mitgeteilt,  als  sie  wirklich  auf  den  Text 
der  ousebianischen  Chronographie  zurückgehen.  Das  grosse 
Pariser  Bruchstück  des  S.  Julius  Africanus  über  die  Olym- 
pioniken hat  deLagarde  neu  verglichen.  Die  zweite  Hälfte 
des  Bandes  (Appendices)  enthalt  chronographische  Beste  spä^ 
terer  Zeit,  welche  mit  den  Werken  des  Eusebius  und  Hiero- 
nymus in  Zusammenhang  stehen:  I,  A  u.  B  (S.  1 — 40)  die 

(H.  RdBseh  im  ,fUt  Central-BL"  1876»  Nr.  3;  Ben  ach  im  „Theol. 
Lit.-Bl."  Nr.  2)  ausgezeichnet;  doch  verbürgt  dies  schon  das  Vorwort 
Rankes.  Weitere  Editionen  von  Itala  -  Fragmenten  durch  L.  Zicgler 
sollen  folgen.  —  Ueber  die  alttestamentliche  Pesch ito  bat  J.  Präge r 
eine  Dissertation  geschrieben  (De  V.  Ti  versione  Sjriaca,  qnam  Pesehittbo 
voeant»  qnaestiones  criticae,  P.  I  [G&ttingen,  Dieterich],  76  ft.  in  8). 
Der  Verfasser  sncht  nacbzaweisen,  dass  sie  jüdischen  Ursprangs  ist 
Für  die  herkömmliche  Ansicht,  nach  welche  die  alttestamentliche  Pe* 
schito  ihrem  Hanptteile  oach  etwa  im  ersten  christlichen  Jahrhundert 
von  Jttdenchristen  geschrieben  worden  ist»  ist  Th.  Ndldeke  („Lit 
Centr.-Bl."  1875,  Nr.  47)  eingetreten.  In  Ndldekes  Beoension  findet 
man  wertvolle  Ifitteilangen  Ober  die  edessonische  Kirche  und  die  Kirchen* 
spräche  bei  den  Syrern.  Auch  Nöldeke  zweifelt  nicht,  dass  schon  im 
zweiten  Jahrhundert  zu  Edessa  das  Fttrstenhans  christlieh  war.  —  Bei* 
läufig  sei  hier  bemerkt,  dass  die  von  Brugsch-Bey  im  SinaiUoster 
im  Jahre  1875  aufgefundenen  und  als  „Neue  BruchstOcke  des  Codex 
Shiait"  (Leipzig,  J.  0.  Blnrichs;  III,  4  S.  gr.  Fol.)  m  prachtiger 
Ausstattung  veröffentlichten  zwei  Bibelblatter  (Bruchstficke  aus  Lev.  22, 
8 — 23,  22)  nicht  zu  dem  von  Tischendorf  entdeckten  Cod.  Sinait 
gehören  können,  wie  von  Gebhardt  („Theol.  Lit.-Ztg.<'  1876,  Nr.  1) 
schlagend  erwiesen  hat.  Sie  brauchen  deshalb  dem  Cod.  Sinait  an 
Alter  nicht  nachzustehen. 


ALTE  KIBCBENaESCHIGHTE  BIS  825.  VON  HARNACK.  135 

Series  Eeguiu  iiach  dem  armemächen  Text  uud  den  Codd. 
des  Hieronymus  (Text  des  Pontacns);  II  (S.  41 — 49)  das 
Ezordium  (Aelt  Handschr.,  saec.  IX);  in  (S.  51—57)  die 
Epitome  Syria  (übersetzt  von  Rödiger);  IV  (S.  59—102) 
das  X()oyoyQa<ff:iay  aivioiioy  (diese  bis  auf  Basilius 
Macedo  [ab  an.  867]  fortgeführte  Chronographie  hat  A.  Mai 
zuerst  TerOffentliclit,  wie  so  häufig,  ohne  den  Vat  Cod.,  dem 
er  sie  verdankt,  zn  bezeichnen;  der  Codex  ist  auch  bis  hente 
nicht  ermittelt  worden).  Den  Maisehen  Text  hat  von  Gat- 
schmid  wesentlich  verbessert.  V  (S.  10:5—172)  Variaiiteu 
zweier  bisher  nicht  benutzten  Codd.  der  Chronic.  Can.  des 
Hieronymus  (Cod.  Middlehilleusis,  jetzt  zu  Cheltenham, 
saec  VIU  [enth&lt  auch  die  f  asti  Idatiani  und  den  Liber 
generationis]  verglichen  ?on  F.  Rfihl  und  Cod.  Fuxensis 
in  einem  Cod.  \'at.  Reg.  verglichen  von  R.  Schöne). 
VI  (S.  173 — 239)  die  Excerpta  Latina  Barbari  (die 
griecliische  Chronographie,  aus  welcher  diese  von  Sca liger 
allein  bisher  ?er6ffentiichien  Excerpte  [Cod.  Par.  saec  Vni] 
geflossen  sind,  stammt  aus  der  Zeit  des  Arcadins  und  Hono- 
rius.  Der  Wert  der  Excerpte,  welche  Schöne  sehr  genau 
schon  im  Jahre  löG7  und  li^li  verglichen  und  jetzt  in  fac- 
similireadem  Druck  wiedergegeben  hat,  für  die  alte  Geschichte 
und  Chronographie  wird  von  den  Fachmännern  sehr  hoch  an- 
geschlagen; umsomehr  ist  es  zu  bedauern,  dass  in  der  Hand- 
schrift ein  grosses  Stück  fehlt,  nämlich  [vgl.  S.  232.  233]  die 
Angaben  über  die  Zeit  zwischen  Domitian  uud  Diocletiau) 


1)  Erw&bnt  seien  hier  noch  die  Arbeiten  von:  G.  Kaafmaan,  Zu 
den  Handschriften  des  Can.  paacb.  des  Yictorios  und  zu  Mommsen  V'IIX 
{Chronik  des  Chronographen  vun  351  edirt  von  Th.  Mommsen  in  den 
„AbhandL  der  königl.  sächs.  Ges<  lisch,  d.  Wisseufich.*' ,  Leipzig  1850) 
im  Philoh>ga8  (1874)  S.  385—413.  Kaufmann  handelt  zuerst  S.  385—398 
ron  den  Handschriften  des  Victorias,  sodann  über  das  Verhältnis  von 
Mommsen  VIII  zur  Chronik'  Prospers,  sowie  über  das  der  beiden  llecen- 
sionen  von  Vlll.  Die  Untersuchung  ist  noch* nicht  zum  Abschluss 
gebaracht,  F.  «-i  rres,  Zur  Kritik  einiger  Quellenschriftstoller  der  spä- 
teren römischen  Kaiserzeit  (in  den  „Neuen  Jahrb.  f.  Philol.  u.  Pädagt^ 
gik"  1875,  S.  201—221).  Inhalt:  I.  S.  201—212:  Zur  Kritik  des  Ano- 
nymus Valrsii;  II.  212 — 219:  Zur  lüitik  des  Anon}Tuu8  post  Dionem; 
lil.  S.  21d~221:  Eine  SteUe  bei  Eusebius,  Vit  Const  I,  16.  Vgl. 


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X36 


KUXiSGUfi  ÜBSifiUCilTiCN.  1876.  l 


Die  Abhaudlung  von  G.  Buissier  über  die  Anfange 
Aer  diristlichen  Poesie  (s.  o.)  bietet  grade  nichts  neues,  ist 
aber  geBchmaclnroll  gesduiebeii  und  deshalb  von  Wert,  weil 
sie  die  cbrisürohe  Typik  und  diehterisdie  Sjrmbolik  mitbe- 
rücksichtigt. So  macht  er  mit  Recht  in  diesem  Zusammen- 
hang (S.  84 — 92)  auf  die  Pseudoclemeutinen  und  den  Hirten 
des  Hermas  aufmerksam.  Boi ssier  hat  sich  durch  sein 
Werk:  r^ioa  Bomaine  d' Auguste  anx  tfimpe  des  Ab- 
tonins**  (P&ris,  Hascher)  schon  als  geistvoller  und  gediegener 
Forscher  bewährt  —  Wie  viele  Vorarbeiten  noch  geliefert 
werden  müssen,  bevor  eine  Entwicklungsgeschichte  des  christo- 
kgischen  Dogmas  und  dauüt  der  christlichen  Theologie  über- 
haupt bis  xuu  Nicänum  geschrieben  werden  kann»  daa  hai 
H.  Schultz  in  seiner  Abhandlung  Qber  die  Christologie 
des  Origenes  (s.  o.)  anfe  neue  gezeigt,  indem  er  selbst 
einen  der  wichtigsten  Funkte  in  Angiiif  genommen  hat 


die  Abhandloog  von  K.  Zangemeister,  Zum  Anonymus  ValeBiainiE 
(in  dem  „Bhein.  Mns.  f.  Philol."  1875,  S.  309~31ü).  (In  dem  1181 
zn  Verona  geschriebenen  Codex  Palat.  Ijeid.  927  der  Vatioana  steht  von 
Bhtt  126  an  der  zweite  AbBCbnitt  des  sogenannten  Anon^ums  Valeaii^ 
nns,  nämlich  die  Odovakar  und  Theoil' rieh  betr(>tT<  n<len  Excerpte.)  — 
Auch  sei  aD  die  neueren  Arbeiten  ?0B  F.  Ritsehl,  L.  MendelBSohA, 
Th.  Mommsen,  W.  Grimm  zu  Josophus  hier  erinnert.  —  Die 
nichtsnutzige  Arbeit  von  Sev.  Wenzlowsky,  die  sich  schon  daroh 
den  Titel  genügend  charakterisirt  („Die  Briefe  der  Päpste  und  die  an 
sie  gerichteten  Schreiben  von  Linus  bis  Pelapus  II."  [v.  d.  J.  67—590], 
zuBammengestellt  u.  s.  w. ,  I.  Bd.  [Liui.  l  —  IV,  S.  1  —  368,  in  16], 
Kempten  1875,  in  der  „Bibliothek  dir  Kirchen -Vater"  von  Thal- 
hof er,  Nr.  157.  158.  161.  KJ2)  ist  bereits  von  BoUBcb  im  „TbeoL 
Lit.-Bl."  1875,  Nr.  24  l>eleuchtet  worden. 

1)  Wichtig  für  die  Geschichte  der  patristischen  Theologie  sind  andi 
die  Arbeiten  von  C.  Siegfried  (Philo  von  Alexandrien  als  Ausleger 
des  Alten  TeKtaiiK'nts  an  sich  und  nach  feinem  geschichtüclien  Einfluss 
betrachtet;  nebst  Untenuchung  über  die  Qiacität  PhiIo\s  [Jenn  1875, 
H.  Dulft;  VI,  418  S.  in  gr.  8])  und  von  H.  von  Stein  (Sieben  Bücher 
zur  Geschichte  de»  PlUtonismns  [dritter  und  letzter  Teil]);  auch  unter 
dem  Titel:  „VerhältniB  des  Piatonismus  zur  Philosophie  der  clunatlichen 
Zeiten"  [Göttingon  1875,  Vandenhoeck  u.  Ruprecht;  VUI,  415  S.  in  gr.  8]). 
Siegfrieds  Werk,  so  dankenswert  es  ist,  macht  eine  umfassciuie  Unter- 
sncbung  über  das  Verhältnis  der  Kirchenväter  zu  Philo  durchaus  noch 
nicht  ttberflttsaig. 


ALTE  KIRCHBIIGB8CBI0HTB  Btt  885»  VON  HABNACK.  137 


Odgenes'  Christologie  wird  nicht  richtig  verstanden ^  wenn 
nan  dieselbe  ein&eli  ala  ZwisehengUed  in  der  giadlitilgen 
EntwicUnni^  der  Dogmen  von  Justin  bis  Atiianasius  wertei 

Man  mus3  erst  klare  Einsicht  in  die  Anschauungen  des  Ori- 
genes  von  Gott,  der  Welt,  dem  Weltverhältnisse  Gottes,  der 
Natur  und  Stellung  des  Menschen  gewonnen  haben,  um  seine 
dmikolegiacbien  Avfstellnngen ,  die  ja  wie  bei  allen  grieehi- 
selien  Y&tern  bOcbetor  AoBdraek  und  znaaanmen&aBender 
Scblnasetein  der  theologischen  Metaphysik  sind,  richtig  zu  er- 
fassen. Ist  hierin  in  Kürze  der  Untei-suchung  der  richtige 
Ausgangspunkt  gegeben  und  mit  dem  alten  Fehler,  heute 
gfiltige  Schemata  Ton  Centraidogmen  und  peripheriBchen  Dog- 
men aaf  ganz  anders  centralisirte  Systeme  za  übertragen, 
gründliofa  aufgeräumt,  so  wird  aneh  nichts  zu  erinnern  sein, 
wenn  Schultz  davon  abgesehen  hat,  die  Lehre  des  Origenes 
chronologisch  zu  verfolgen,  und  wenn  er  Einwendungen  gegen 
SHne  Darstellung,  sofern  sie  sich  anf  die  esoterisdien  Schrif- 
ten des  Origenes  stützen,  für  nidit  hinreichend  beweiskräftig 
erkl&rt  Als  Besultat  der  Untersuchung  bezeichnet  Schultz 
selbst  vor  allem  den  Nachweis  der  inneren  Verwandtschaft 
der  Christologie  des  Origenes  mit  der  gnostisch  -  ebionitischen 
Entwicklungspbase  dieser  Lehre,  weiter  aber  die  Einsicht,  dass 
die  geeammte  Weltanschanung  dieses  Theologen  eine  Färbung 
zeige,  „welche  dem  gewöhnlichen  christlichen  Systeme  sehr 
fremd  ist  \m<\  durcliaus  der  orientalischen  Aiischauun^^  ent- 
spricht, die,  im  Buddhismus  am  l'oigerichtigsten  entwickelt, 
durch  die  Systeme  vieler  griechisclier  Philosophen  teilweise 
in  das  Denken  der  griechisch -gebildeten  Zeil^genoesen  Aber- 
gdeitet  war*S  „Nur  aus  dieser  Weltanschauung'*,  so  ftbrt 
der  Verfasser  fort,  „iSsst  sich  die  Christologie  des  Origenes 
verstehen,  und  es  muss  als  durchaus  unzulässig  beurteilt  wer- 
den, wenn  man,  einzelne  Teile  seiuer  Christologie,  vor  allem 
die  Lehre  vom  ewigen  Sohne,  einseitig  betonend,  ihn  einfach 
in  die  Entwicklungsgeschichte  des  christologischen  Dogmas 

emreibt   Die  theistisch-trinitarisehe  Grundkge  seines 

Glaubens  und  die  Geschichte  Jesu  halten  ilin  in  deu  Grenzen 
des  Christentums,  während  er  sonst  ebensowohl  der  buddhisti- 
schen Denkweise  angeschlossen  werden  könnte/*    Pur  den 


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138 


KBITISCHE  OBBBSIGHTEN.  1875.  I. 


wertvollsten  Teil  der  auagezeicliaetea  Untersuchung  hält  Re- 
ferent die  AiisfQhraiigett  über  den  „ebioniiischen*'  Charakter 
einer  sehr  entscheidenden  Gedankenreihe  bei  Origenes;  die 
Ftarallelen  mit  der  buddhistischen  Weltanschauung  —  sehr 

reichlich  gesammelt  —  werden  zu  näherer  Prüfung  vorge- 
legt; vorsichtig  lehnt  der  Verfasser  ein  entscheidendes  Urteil 
über  directe  Einflüsse  noch  ab.  Parallelen  mit  gnostiach- 
hfiretischen  Denkweisen,  oft  überraschend  tie^ehende,  wftren 
leicht  zn  yermehren.  Am  Schlüsse  würde  man  gerne  eine 
Andeutung  lesen  über  das  Verhältnis  der  origenistischen 
Christologie  zu  der  damals  kirchlich -officiellen  und  über  die 
eigentümliche  und  doch  so  wenig  befremdliche  Ausbeutung 
resp.  Umdeutung,  die  jene  notwendig  bei  dem  „dogmatischen 
Tact'*  der  Kirche  erleiden  musste.  Zu  einer  Vergleichung 
der  VTeltansehauung  des  August  in  mit  der  des  Origenes 
wird  man  fast  auf  jeder  Seite  der  Schultzschen  Alihainllung 
auch  ohne  directen  Hinweis  aufgerufen.  Es  kann  in  der 
Tat  kaum  eine  fruchtbarere  Aufgabe  gestellt  werden,  als  die 
Gedankenkreise  dieser  beiden  BiKnner,  so  sehr  ähnlich  und 
so  durchaus  zu  Gunsten  des  Abendlftnders  yerschieden,  ver- 
gk'iclieiid  darzustellen  —  Führen  die  Schultzsclien  Unter- 
suchungen von  den  kirchlich  Lcültigen  Bestimmungen  ab,  so 
versetzt  uns  das  Ca sp arische  Werk:  „Quellen  zur  Geschichte 
des  Täufeymbols  und  der  Glaubensregel'*,  Bd.  in  (s.  o.)*)« 
mitten  in  dieselben  hinein.  Es  werden  hier  die  Texte  des 
alten  Symbols  der  römischen  Kirche,  sowie  die  q'riochischen 
[übersetzten]  Texte  des  späteren  längeren  römischen  Sym- 
bols, des  sogenannten  Apostolicums,  eingehend  kritisiii  und 
untersucht  In  Betreff  des  ersteren  verfügt  Caspari  über  vier 
Texte  (1.  das  Sjmbolum  des  Marcellus  von  Ancyra  in  dem 
Brief  an  den  römischen  Bischof  Julius  [Epiph.  h.  72];  2.  das 
mit  lateinischen  Buchstaben  geschrie])ene  griechische  Sym- 
bolum  im  Psalterium  des  Köoigs  Aethelstan  |,aus  der  BibL 


1)  Die  l)i>s-rtati'»n  von  A.  Kind:  ..Tcloulogie  und  Naturalismus; 
der  Kam{)f  des  Origenes  g'.gen  Celsus  uiu  die  iSt-  llung  des  Meuächen 
in  der  Natur"  (Jena.  H.  Dufft;  38  S.  in  irr.  8)  ist  werfl-.s. 

*)  Die  beiUeu  crüteu  liasido  erscliieiieu  IbGii  und  Ibü^. 


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ALTE  KlKC'HENGEbCHiCHiE  liLÜ        VON  UARNACK.  139 


€otton.  im  Brii  Mob.];  3.  ein  von  Swainson  ^)  zaerst  mit- 
geteiltes, aus  dem  Griechischen  übersetztes  Symbolum  in 
lateinischer  Sprache  [aus  einer  Handschr.  des  Brit.  Mus.]; 
4.  das  lateinische ,  aber  aus  dem  Griechischen  übei-setzte 
Symbal  im  Cod.  Laad.).  Daa  leiztere  ist  hier  durch  eine 
ganze  Beihe  von  Texten  (griecliiBch ,  aber  aus  dem  Lateini- 
schen fiberaetzt  und  mit  latdnisehen  Buchstaben  geschrieben) 
repräseutirt  (Cod.  Sangall.  336,  Cod.  d.  Corp.  Christi  College 
z.  Cambridge;  der  Text  in  Biuterims  Cod.  Vet.  Lat.  MSS. 
Codd.  Escorialensis,  Ambrosianus,  Vindobonensis,  Yaticaiius, 
Barbarinus;  hinzugefttgt  ist  der  Abdruck  des  lateinischen 
Textes  des  Apostel,  in  einem  Keichenauer  Cod.).  Die  meisten 
der  letzteren  Symboltexte  findet  man  hier  zum  ersten  Male 
veröffentlicht.  Die  historischen  Unterbuchuugeu  sind  mit  der 
grössten  Umsicht  geführt.  Das  Uaoptresultat  des  ersten  Ab- 
schnittes, dass  wir  in  jenen  vier  Texten  das  altrömische 
Symbol  aus  der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  zu  er- 
kennen haben,  darf  als  gesichert  gelten.  Beigegeben  sind 
zwei  grosse  Kxcurse,  deren  erster  (S.  267 — 406)  „Griechen 
und  Griechi.^ch  in  der  römischen  Gemeinde  in  den  drei  ersten 
Jahrhunderten  ihres  Bestehens**,  der  andei-e  '(S.  466 — ölO) 
„Heber  den  gottesdienstlichen  Gebrauch  des  Griechischen  im 
Abendlande  während  des  iVfiheren  Mittelalters**  tiberschrieben 
ist.  Die  erste  Abhandlung  enthält  das  Material  zu  einer 
Literaturgesclücbte  der  römischen  Kirche  und  leistet  dem 
Historiker  nach  den  verschiedensten  Seiten  hin  die  besten 
Dienste:  so  vollständig  und  übersichtlich  findet  man  die  nöti- 

1)  Leider  hat  Referent  das  Werk  von  SwaiDson  „The  Kioene  and 
ApoetleB*  Cieeds ;  their  literaiy  hietoiy,  together  with  an  aoconnt  of  the 
growth  and  leoeption  of  the  eennon  on  the  fSuth  commonly  eaUed  «the 
creed  of  St  Athanaäni'"  (London  1876  ;  542  S.  in  8)  noch  nicht  dn- 
sehen  kdnnen.  Ans  Gaspari  a.  a.  0.*S.  511  f.  iat  zn  ersehen,  dass 
Swainson  an  sehr  anderen  Beanltaten  gekommen  ist  als  der  norwegische 
Gelehrte.  Er  Yerwirft  o.  a.  die  Ansieht,  Marcells  Glanbensbekenntnis 
leptiaentiie  das  iGmische  Symbol;  es  mttsse  vielmehr  fftr  eine  Compo- 
sition  Haioells  selbst  gelten.  AUein  Casparis  Beweisftthmngen  erschei- 
nen dem  Befeienten  nnwiderleglich  nnd  die  Swainsonsehen  Einw&nde 
(s.  a.  a.  0.  S.  51if.)  lassen  sich,  wie  Caspari  schon  gezeigt  bat,  mit 
Grand  abweisen. 


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1-kO  KBITISCUE  CBEttälCHTJEN.  löT5.  i. 

gen  Voniotofsadiaiigeii  nirgends  znsammengestdlt.  (Binige 

unbedeutende  Nachträge  hat  Referent  in  der  „Theol.  Lit.- 
Ztg."  Nr.  1  gegeben.  Bei  Hippolyt  hätte  auch  dessen  Schrift 
xara  ^myiop  Philos.  YI,  39  verzeichnet  werden  müssen.) 
Freilich,  der  Stoff  ist  hier  von  einmB  zwar  wichtigoi, 
aber  immerhin  nnteigeordneien  Geuehtspnnkt  ans  gmppirt 
nnd  yerarfoeitet:  eine  tiefer  gehende  historische  und  sachliche 
Beurteilung  der  Literaturreste  lag  eben  gar  nicht  im  Plane 
des  Verfassers;  aber  jeder  wird  seinen  „Excurs"  dankbar  zu 
benutzen  haben,  der  einen  sicheren  üeberbück  Aber  die  Ge^ 
sehiehte  der  rOmisdi-ehriskUchen  Literatur  gewinnen  wilL 
Die  zweite  Abhandlung  erdlfnet  der  Forschung  ein  ganz  neues 
Gebiet  und  muss  vom  ersten  bis  zum  letzten  Blatte  als  ein 
übeiTaschendes  Geschenk  begrdsst  werden.  Mögen  die  Caspari- 
schen Arbeiten  zu  weiteren  historisch -symbolischen  Stadien 
anr^n.  Fttr  die  Geschichte  des  Tanfbekenntnisses  in  den 
ersten  drei  Jahrhunderten  liegt  noch  in  ganz  zugänglichen 
Schriftstücken  migehobeues  Material  —  Die  neue  Auflage 
der  „Römischen  Literatur-Geschichte"  von  Teuf  fei,  in  wel- 
cher die  christliche  Literatur  gleichm&ssig  berücksichtigt  ist, 
erinnert  die  Eirehenhistoriker  an  die  Pflicht,  die  Arbeiten 


1)  Vgl.  die  sehälsiMieii  BemeriniDgeo  von  Th.  Zahn,  Ignatini  von 
Antiochien  (1878)  8.489. ö90t  Schon  1856  emuümte  P.  deLagarde, 
Beliq.  iur.  eecL  Graece,  p.  94,  7,  zu  Canon  Marat.  v.  28—96:  »perti- 
nent  haee  ad  regiüam  fidei  antiquisahnam  et  tempos  eet  ut  oolligan- 
tor".  —  Die  AoMtse  von  B.  Revillont  (s.  o.)  hat  Referent  noch  nicht 
grtndlieh  stndirt  Aneh  eeUagen  sie  mehr  in  die>naehnicämsche  Periode 
dn  und  emd  noch  nicht  at^eechloeeen.  Hier  in  KDne  der  Inhalt: 
8.  5—18:  Introdoction.  —  Premix  partie :  B^taUieeement  dee  actes  de 
IQc^.  ehap.  I  (8.  19—85):  T^itee  Nic^  feeooatitii^  dans  lea  aetee 
d*Aleiaadrie.  chap.  II  (8.  85—40):  Lee  omMone  intentionnellee  dana 
k  r^tablissement  des  aetee  de  Nic4e.  ehap.  III:  Goup  d^ceÜ  hiitoriqne 
amr  ke  eollectione  canoniqaee  qoi  reprodnisent  des  iextea  Nicteis;  %  1 
(8.  41—52):  Collections  piemi^;  §  3  (8.  53—58):  La  Q4hunenne  dite 
QoesnelUana;  §  3  (8.  58—77):  La  Dionysienne;  §  4  (8.  501—564): 
CdUeetioDs  gieoqnes  et  orientaks  d^^poqne  seoondaire.  Im  sweiten  Stttd^ 
(8.  209—266)  ist  eine  zweite  Serie  coptischer  Doenmeate  zun  Nie.  Concil 
(Le  HS.  Borgia  dans  son  ensembk,  lapproch^  des  textes  correspondantB 
des  papjfnis  de  Turin)  in  coptischer  Sprache  ohne  Üebeiaetenng  ah- 
gedrackl 


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ALTE  KI&CH£N6£SCHIGHTS  BIS  8«»,  VOM  HABNACK.  141 

der  grossen  Theologen  des  17.  Jahrhunderts  fortzusetzen.  Es 
ist  beschämend,  daas  grössere  zusammenfassende  literarhisto- 
rische Werke  Yon  protesbmtiseheii  Theologen  in  Deutschland 
seit  mehr  als  hundert  Jahren  nicht  mehr  geschriehen  worden 
sind  (die  Engländer  haben  wenig55tens  für  die  vornicänische 
christliche  Literatur  das  Werk  von  Donaldson).  Möhlers 
Patrologie,  die  beste  Arbeit  der  Epigonen,  reicht  schon  lange 
moht  mehr  ans,  und  Alzogs  Handbuch  ist  fast  unbrauchbar 
zu  nennen.  Man  muss  noch  immer  zu  Fabricius,  B&hr 
und  Teuffel  greifen,  um  sich  in  Ettrze  fiber  einen  späteren 
christlichen  Schriftsteller  und  seine  Werke  zu  orientiren. 
Vollständig  findet  man  auch  bei  Teuffel  nicht  alle  altlateini- 
achen  christlichen  Schriftwerke  yerzeichnet;  so  fehlen  z.  B. 
ftst  gSozfich  die  so  wichtigen  IJebersetzungen  aus  dem 
Griechischen;  allein  was  geboten  ist  —  natftrlich  kommt  nur 
die  äussere  Seite  der  Literaturgeschichte  in  Betracht  — ,  ist 
fast  durchgehends  mit  rühmenswerter  Akribie  und  unter  Be- 
rücksichtigung der  einschlagenden  Untersuchungen  gearbeitet. 
Die  Yonfige  des  Teuffelschen  Werkes  vor  dem  Bfthr* 
sdien  sind  zn  bekannt,  als  dass  sie  besonders  bezeichnet  zu 
"werden  brauchten.  Bahr  ist  nur  unter  grosser  Behutsamkeit 
zu  benutzen;  er  hat  ein  sehr  reiches  Material  wenig  kritisch 
excerpirt  und  recht  fehlerhaft  abgedruckt 

&  P^litiaolie  Oesoliiolite  nad  VerftuMoiiss-Gesoldolila 

der  Kirche 

US  auf  dto  Z«it  CoMtontlM. 

B.  Anbe»  Histoire  d«s  pen^tiona  de  T^g^  juiqiCa  la  fin  dat  An- 
tomm  (Paris,  Libnirie  A«adflniiqiie,  Didier  Co.).  XI,  470  S. 
in  a 

V.  Ovmfb96k,  Veber  die  Oaaetae  der  lemiadieB  Kaiaer  Ten  Tn^an  bia 
Mato  Anel  gegen  die  Ghriatea  and  ihre  Behandlung  bei  den 
KirolieneobiiflBidleni  (in  den  „Stadien  mr  Qeeehiobte  der  alten 
Kiiohe'S  Heft  I  [Scbleea- Chemnitz,  E.  Schndtnier;  YIU,  231  & 
in  gr.  8J,  S,  93-157). 

V.  OöfTM»  KritiBche  Untemehongen  über  die  Lidnianiaehe  Clirinton- 
Terfolgnng.  Ein  Beitrag  mr  Kritik  der  IBrtjreraeteD.  (Jena,  H.  Dofft.) 
VB.  940  a  in  8  i). 

1)  Dazu  1  h.  Keim  in  dor  „I'rut.  Kirchen  -  Ztg."  18V6,  Nr.  98:  A.  Hilgenf«l(l 
in  ifT  „ZeitMlir.  f.  winMfchaftL  Tktol/*  187a,  8.  lU—lVti  I«ftBg«B  im  „TImoL 
Lit.-Bl.**  28?e,  Kr.  S. 


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142 


KBITISCHE  OBEBSICHTEN.  187S.  I, 


M.  Deutsch,  Drei  Actenstücke  zur  Geschichte  des  Douatismus.  Neu 
herausgegeben  und  erklärt.  (l:{erlin,  in  Commission  bei  W.  Weber.) 
42  S.  in  4. 

H.  Weingarten,  Richard  Rothes  Vorlesungen  über  Kircbcngeschicht^ 
und  Geschichte  »L  s  christlich -kirchliolien  Lebens,  Erster  Teil:  Die 
katholische  oder  kirchliche  Zeit.  (Heidelberg,  B.  Mohr.)  XI,  492  S. 
in  gr.  8. 

P.  Overbeck,  Ueber  das  Verhältnis  der  alten  Kirche  zur  Sklaverei 
im  r<>mischen  Beicbe  (,« Studien  zur  Geschichte  u.  s.  w/'  [s.  o.j^ 
S.  168—230). 

Das  Werk  von  B.  Aub^  Aber  die  Geschichte  der 

ChristeDverfolgungen  bis  zum  Tode  Marc  Aurels  ist 
unstreitig  eine  der  hervorragendsten  Arbeiten,  welche  uns 
das  letzt  verflossene  Jahr  gebracht  hat  Nach  zwei  ein* 
leitenden  Abschnitten  (c.  1:  Dissentiments  intörienrs  dans 
r^lise  primitiTe;  c  2:  tiprenves  des  Chr^tiens  jnsqu*2i  la  per- 
s^cation  de  N^ro)  handelt  der  Verfiisser  in  cc.  3 — 8  von  dem 
Charakter  und  der  Geschichte  der  verschiedenen  Verfolgungen 
unter  Nero ,  Domitian ,  Trajan ,  Hadrian ,  Antoninus  Pius  und 
Marc-AoreL  Beigegeben  sind  in  einem  Anhange  zwei  Ab- 
handlungen Ober  die  Legalität  des  Christentums  im  rOmischea 
Belebe  während  des  ersten  Jahrhunderts  (S.  407 — 439)  und 
über  das  Martyrium  der  heiligen  Felicitus  und  ihrer  sieben 
Söhne  (S.  439 — 465).  Es  ist  keine  Frage,  dass  das  Aubescbe 
Werk  die  gründlichste  und  beste  Arbeit  ist,  die  je  über  die 
Geschichte  der  Verfolgungen  in  den  zwei  ersten  Jahrhundert 
ten  geschrieben  worden  ist  Dieses  Urteil  bleibt  zu  Beoht 
bestehen,  auch  wenn  man  dieses  oder  jenes  Einzelne  glaubt 
beanstanden  zu  müssen:  die  Quollen  sind  ebenso  umfassend 
wie  kritisch  hier  verwertet;  das  gesammte  Material,  christliche 
und  römische  Schriftwerke^  Bechtsquellen,  M&iyreractenf  In- 
schriften vollständig  und  eingehend  untersucht;  die  Darstellung 


1)  Einige  Abschnitte  aus  diesem  Buche  sind  schon  früher  als  be- 
sondere Abhandlungen  erschienen,  teils  in  der  „Revue  Contemporaire 
teils  (so  der  Aufsatz  „De  la  legalite  du  christianisme  dans  Tempire 
romain  pcndant  le  premier  .siecle")  in  den  ,,Conipt»  s  reudus  de  l'acad. 
des  inscr.  et  helles  lettres".  Demselben  Verfasser  verdanken  wir  die 
Studie  über  Justin  (s.  o.  Abscbn.  4). 


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ALTE  KmCHENQESCHICUTK  BT8  323,  TON  RARNACK.  143 

80  anziehend,  lebendig  und  spannend  ohne  jede  Mecthaschereit 
dass  man  sie  mit  steigendem  Interesse  lesen  wird.  Das  Wich- 
tigste aber  ist  —  die  Schilderung  der  Parteieu  uüd  ihrer 
Kämpfe  ist  treu  und  gerecht ;  mit  den  alten  Vorurteilen  über 
das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  in  den  zwei  ei^sten 
Jahrhunderten  ist  gründlich  gebrochen  nnd  damit  eine  Ein* 
sidit  sicher  gestellt,  die  um  so  schwerer  zu  erringen  war,  ab 
ihr  eine  Tradition  im  Wege  stand,  deren  Ursprünge  selbst 
bis  in  das  zweite  Jahrhundert  zurückgehen.  Referent  hebt 
als  besonders  gelungen  die  Abschnitte  über  die  Verfolgungen, 
unter  Nero^)  und  Domitian  hervor,  sowie  die  genaue  und 
äusserst  vonichtige  Untersuchung  des  Briefes  Hadrians  an 
den  Minucius  Fundanus*).  In  jedem  Gapitel  werden  die 
einschlagenden  Martyreracten  ^)  kritisch  erörtert.  Der  Ver- 
fasser ist  bei  ihrer  Beurteilung  gleich  weit  entfernt  von 
raadiem  Verwerfen  wie  von  übermässigem  Vertrauen.  Die 
beiden  Exeurae  am  Schluss  richten  sich  wesentlich  g^en 
de  Bossis  Combinationen.  Der  erste  erörtert  u.  a.  auch: 
die  wichtige  pompejanische  Inschrift  (Inscript.  Lat.  T.  IV, 
ed.  Zangemeister,  Nr.  079),  an  welche  de  Rossi  bekanntlich 
weitgehende,  aber  ganz  unhaltbare  historische  Combinationen. 

1)  Beil&nfig  Bei  hier  erwihnt,  dass  die  peychlatrimh^hiBtorifldie 
UBtereucbnog  von  Wiedemeister,  Der  Cisarenwahnsiiiii  der  Juliach- 
Claudiseben  Imperatoren -FUmlie.  Geachildert  an  den  Kaiaeni  Tiberins, 
Calignla,  ChuidiiiB,  Nero  (Hannover  1875,  Rllmpler;  XII,  309  S.  in  gr.  8) 
Utar  den  OeecbichtBfoncber  völlig  wertlos  iat  (vgl  Ben  seh  im  „TheoL 
Lii-Bl."  1876,  Nr.  28).  Die  neueren  Arbeiten  von  Benl4,  Grego- 
rovins,  Lebmann,  Schiller  sind  telhi  gar  nicht,  teils  sehr  kritik- 
los benaizt,  ohne  dass  der  Verfiuser  durch  eigenes  QneDenstndinm  diesen 
Vangel  gedeckt  hätte.  8o  bat  es  denn  anch  wenig  Bedentong,  sein. 
Urteil  aber  die  schwebenden  Engen  an  vernehmen.  Der  Ornndgedanke 
aber,  »of  welchen  hin  hier  aBe  BrscbeinQngen  gmppizt  worden  sind, 
ist  doch  wahrBch  ein  sehr  nnfrochtbarer« 

s)  Den  Brief  Hadrians  an  Servins  (Yopisc. ,  Vita  Saturn.  8)  hilt 
anch  Anb^  mit  Becht  tta  eine  echte  Urkunde.  Die  Gründe,  welche 
Hansrath,  Neutestament!.  Zeitgeseb.  III,  S.  534  gegen  die  Authentie 
geltend  gemacht  hat,  sind  durchaus  nicht  stichhaltig. 

9)  Der  neue  Band  derActaSanctorum  (Supplem.,  compl.  Auctna- 
rium  Octob.  et  TabuL  generaL  [Paris,  1875])  ist  dem  Referenten  noch 
nicht  an  Gesicht  gekommen. 


144 


mriSCHE  tBflBnOBTEH.  1675.  L 


Über  Ausdehnung  der  NenmiBchen  Yerfol^ng  geknüpft  hat 
(Balkt.  1864,  S.  69  f.).  Nur  das  -HRISTIAN«  ist  sicher, 
aber  auch  ansreichend,  um  die  Nacbricht  Ap.-G.  11,  26  vor 

hypeikritischer  BezwL'ifluug  zu  schützen;  alles  üebrige  ist  un- 
lesbar. Das  Kiessl ingsche  Apo^phon  lässt  keine  Conjec- 
tnreu  mehr  zu.  In  dem  zweiten  Excurse  untersucht  Aub6 
die  M&rtyreracten  der  heiligen  Felicitas  und  weist  nach,  dasB 
ans  diese  Acten  nicht  in  die  Zeit  Marc  Aurels,  sondern  in 
den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  führen  —  Eine 
Specialfrage  aus  der  Geschichte  der  Verfolgungen  bebandelt 
F.  Overbeck  in  der  oben  citirten  Abhandlung.  Die  üeber^ 
einstimmnng  Overbecks  mit  Aub^  in  allen  wesentlichen 
Punkten,  während  beide  Forscher  yOUig  nnabhftngig  T<m  ein- 
ander gearbeitet  haben,  ▼erbflr^  die  Sidierheit  ihrer  Besol- 
tate.  Overbeck  sucht  vor  allem  zu  zeigen,  wie  eigentümlich 
sich  die  Geschichte  der  Verfolgungen  in  der  Tradition  der 
Kirche  wiedergespiegelt  hat  und  wie  kurz  das  wahre  ge» 
achichtliche  Gedächtnis  derselben  —  wenn  man  hier  von 
Kürze  überhaupt  noch  reden  kann  —  gewesen  ist.  „Die 
Kirche  hat  niemals  ein  Recht  des  Staates,  sie  zu  verfolgen, 
anerkennen  können,  eben  daher  aber  sich  ausser  Stande  ge- 
sehen, wo  sie  die  Herrschaft  des  Rechtes  anzuerkennen  sich 
nicht  weigern  mochte,  die  Tatsache,  dass  sie  selbst  zugleich 
verfolgt  worden  ist,  gelten  zu  lassen."  In  diesem  Satze  ist 
(neben  dem  Nachweise  einer  doppelten  parallelen  Traditions- 
reihe über  die  Verfolgungen,  die  sich  auäzuschliessen  schei- 


1)  „Zur  Geschichte  desKaiseiB  L.  Septimins  Seyenis  nod  ad* 
ner  Dynastie"  haben  wir  jetzt  unter  diesem  Titel  sehr  sehätzbare  ünter- 
snchnngen  yon  J.  Höf  ner,  Bd.  I  (Glessen  1875,  Kicker;  IV,  328  S. 
in  8)  erhalten.  Eine  genaue  Kenntnis  der  Begiemogsgeschicfate  des 
Septimias  ist  bekanntlich  fttr  Datirang  nnd  Wertong  einer  Reihe  von 
christlichen  Schriftstücken  (besonders  tertullianischen)  Tcn  Wichtigkeit. 
Höfber  geht  nnn  allerdings  in  diesem  Bande  nicht  näher  auf  die  Pohtik 
des  Kaisers  in  Bezug  aof  die  Kirche  ein;  er  bebandelt  mehr  die 
äussere  Reichs-  und  Staatsgeschichte;  es  werden  aber  diejenigen,  welche 
In  Tertullians  apologetischen  Schriften  bewandert  sind,  vieles  ans  diesem 
Buche  lernen  können.  (Vgl.  besonders  c  VIII:  Severus  und  Pescennins 
Niger;  c.  X:  SeveniB  and  Clodius  Albinos;  c.  XL:  Severus'  Krieg  mit 
den  Parthem.) 


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ALTL  KiiiCililNGESCHICHTE  BIS  325,  VON  HARNACK.  145 

■ 

Ben)  ein  fibnpireBaltat  der  Orarbeekscben  Arbeit  gegeben. 

Referent  wösste  nichts  gegen  dasselbe  einzuwenden:  auch  die 
kritische  Behandlung  der  angeblichen  Kaiser- Rdicte  i^t  nicht 
zu  beanstanden.  Aber  es  ist  zu  bedauern,  dass  Overbeck  sich 
«ben  nar  auf  diese  beacbr&nkt  bat  Beferent  zweifelt  nicbt, 
das8  die  Ergebnisse  der  üniersachimgen  zwar  an  scbemati«- 
seher  Einbeit  und  somit  auch  an  Dberrascbender  Neobeit 
wesentlich  verloren,  aber  an  geschichtlicher  Treue  bedeutend 
gewonnen  hätten,  wenn  die  Edicte  im  Zusammenhang  mit 
allen  übrigen  Nachricbten,  die  wir  über  die  Politik  der  Kaiser 
besitzen,  besprocben  worden  wftren.  Dieser  Wnnsob  isfc  um 
so  berecbtigter ,  als  Overbeck  eine  allgemein^  nnd  um- 
fassende Beurteilung  des  Verhältnisses  von  Staat  und  Kirche 
im  zweiten  Jahrhundert  an  sein,  immerhin  kleines  und  be- 
schränktes, Material  geknüpft  hat.  Man  könnte  manches  da- 
für geltend  machen,  dass  fftr  die  Kaiser  selbst  das  trajar 
nisciie  Ediet  scbon  im  zweiten  Jabrbnndert  nicbt  immer  die 
feste  Richtschnur  gewesen  ist.  Dazu  hebt  es  Overbeck  viel 
zu  wenig  hervor,  dass  nur  für  uns  dieses  Edict  den  Um- 
schwung in  der  römischen  Staatspolitik  bezeichnet,  den  wir 
6infiK)h  deebalb  nicht  weiter  zurückverfolgen  können,  weil 
wir  keine  Mberen  ürkmiden  ans  der  Zeit  Tnyans  be- 
sitzen —  Einen  Abscbnitt  ans  der  Yerfolgungsgescbicbte 
behandelt  auch  F.  Öörres  (s.  o.)  und  zwar  den  hetzten,  die 
Licinianische  Verfolgung  ^).  Wir  begrüssen  in  dieser  Schrift 
die  Wiederanfbahme  kritischer  Untersuchungen  über  die  spä- 
teren Märt^reracten.  In  dem  eisten  Absdinitte  versucht  der 
TerflKser  den  allgemeinen  Charakter  der  Licuiianischen  Ver- 
folgung im  Zusaninionliang  mit  der  Politik  dieses  Kaisers  zu 
bestimmen;  in  dem  zweiten  bespricht  er  kiitisch  die  wich- 
tigsten Martyrien,  welche  in  den  Menäen  und  Martyrologien 
auf  die  Kegiemngszeit  des  Licinius  datirt  worden  sind.  Die 

1)  Den  Overbeck  entgegengesetsten  StMidponkt  in  BeurteUnng 
dit  Tn^junBcben  Ediets  behauptet  Th.  Zahn,  Hirt  dee  Hearmas  (1868) 
S.  12St  Jedeofidls  b&tten  uMuefae  der  Zahnschen  Bemerkungen  zm 
YoiBielit  mahnen  mtkuen. 

Vgl.  die  Ahechn.  4,  8.  186  Amn.  eitirten  üntezsuobimgen  aber 
den  Anonymne  Valei. 

Z«ito«hr.  f.  X.*0.  10 


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146 


KBinSCHB  ÜBESSICHTEai.  1876.  I 


üntersuchniigen  mnd  etwas  weitschweifig  geführt,  auch  möchte 
man  im  zweiten  Teile  Sicheres  und  Unsicheres  noch  schftrfer 
bezeichnet  nnd  geschieden  sehen,  ids  es  hier  g:eschehen  ist. 

Die  chronologischen  Ergebnisse  des  ersten  Alx>chnittes  sind 
zudem  durchaus  nicht  über  allen  Zweifel  erhaben  und  da- 
mit das  ganze  Bild,  welches  von  der  Verfolgung  und  ilirem 
Yerkofe  hier  gezeichnet  ist,  auch  in  seinen  äusseren  üm« 
nssen,  mindestens  Terschiebbar.  Referent  hält  die  Eei mache 
These,  dass  die  Verfolgung  schon  ;315  bci^onnen  habe,  für 
sehr  wahrscheinlich.  Dennoch  verdient  die  Görressche  Ar- 
beit Dank  und  man  musa  wünschen,  dass  dieser  Gelehrte  dies- 
Feld  so  bald  nicht  verlassen  mOge.  Eine  kritische  Geschichte 
der  Mftrtyrersagen  in  ihrer  allmählidien  Entwicklung  und 
Ausbildung  wäre  uns  wichtiger  als  eine  kritische  Märtyrer- 
geschichte —  Die  von  M.  Deutsch  herausgegebenen  drei 
Actenstücke  zur  Geschichte  des  Donatismus  enthalten; 
1)  Die  Qesta  Puigationis  Felids  episcopi  Aptungitaui.  Lei- 
der hat  Deutsch  die  einzige  Handschrift  nicht  neu  vergleichen 
kfVnnen;  aber  er  hat  geleistet,  was  sich  unter  diesen  Um- 
Sünden  tun  Hess:  der  Text  ist  vielfach  verbessert  und  rich- 
tiger als  früher  erklärt.  Die  gegen  Felix  erhobene  Anklage, 
er  sei  des  Vergehens  der  traditio  schuldig,  erscheint  allerdings 
nicht  genfigend  erwiesen.  2)  Die  Gests  apud  Zenophilum. 
Dieses  StQck  aus  dem  Protokoll  der  von  dem  Statthalter 
Zenuphilus  über  den  donatistischen  Bischof  vSilvanus  angestell- 
ten Verhandlungen  wirft  auf  die  Partei  des  Secundns  von 
Tigisis  ein  schlimmes  Licht  und  zeigt  deutlich,  dass  der 
G^ensatz  der  beiden  Parteien  nicht  richtig  bezeichnet  wird, 
wenn  man  ihn  einfhch  als  Gegensatz  verschiedener  Hand- 
habung der  kirchlichen  Disciplin  charakterisirt   Das  dritte 

1)  Die  zweite  Auflage  von  Uhlhorn,  Der  Kampf  des  Christen* 
tmns  mit  dem  Heidentum  (Stuttgart,  Meyer  u.  Zeller;  VIII,  390  8.  in 
kL  8)  ftliergebt  Referent,  da  sie  sich  von  der  ersten  nicht  ivesentUoh 
nnteiBcheidet.  Hingewiesen  sei  anf  den  kleinen  popnlftien,  aber  ganz 
gelungenen  An&ata  von  J.  Sörgel,  Lndans  Stellung  zum  Christentum 
(Prgr.  Kempten  1875;  24  S.  in  8).  S5rgel  fallt  das  richtige  Urteil  in 
der  IVage,  wie  weit  Luclan  Kenntnis  vom  Christentum  hatto,  indt-iu  er 
behauptet,  dass  der  Sat}Tiker  nur  auf  sehr  oberflächliche  Kunde 
hin  spottete.  Lagarde,  Zahn  (vorsichtiger  Keim)  nrteilen  anders. 


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ALTE  KIRCHBN0E8CHIGHTB  BIS  885,  VON  HARNACK.  147 

ActonstGok:  „Bz  actis  Gondlii  Oirtensis^*  ist  sicher  von  katho- 
lischer Hand  geftlscht.   Deutsch  urteilt  zu  vorsichtig,  wenn 

er  sagt,  man  könne  die  Unechtheit  des  Schriftstückes  nicht 
positiv  belianpten.  Die  Schlussbemerkunocn  (Ö.  40 — 42)  über 
den  Urspriini^r  de?;  Streites  sind  in  ihrem  negativen  Teile 
durchaus  richtig.  Es  lassen  sich  keine  Gegensätze  principieller 
Natnr  als  Ursache  der  Spaltung  nachweisen;  erst  im  Ver- 
laufe des  Kampfes  treten  diese  hervor,  hauptsachlich  erst 
durch  dir  Verbältnisse  erzeugt,  in  welchen  sicli  in  der  Folge- 
zeit der  Streit  abspielt. 

Auf  die  Rotheschen  Vorlesungen  fiher  Kirchen- 
gesehichte,  welche  Weingarten  herausgegehen  bat, 
kann  Referent  hier  nur  aufmerksam  ma^'hen.  Als  Handbuch 
zum  Gebrauch  für  Studirende  dürfteu  sie  nicht,  wnii^j^triis 
nur  in  zweiter  Reihe,  zu  empfehlen  sein.  So  lange  aber  noch 
die  Geschichte  der  Kirche  in  Wort  und  Schrift  mit  Vorliebe 
nach  dem  Faden  der  in  Hegelscher  Weise  behandelten 
„  Dogmengeschichte  erzfthlt  und  geschildert  werden  wird, 
werden  diese  Vorlesungen  wenigstens  ein  heilsames  Correctiv 
bilden,  indem  sie  energisch  auf  die  innere  Lebensgeachichte 
der  Kirche  und  auf  die  Geschichte  ihrer  Verfassung  hin- 
weisen. Allerdings  wird  man  in  dem  eigentfimlichen  Bilde, 
welches  Bothe  von  der  Lehensgeschichte  der  katholischen 
Kirche  entworfen  hat,  die  wahren  Züj^e  jener  Geschichte  nicht 
rein  zu  erkoniieu  vermögen  :  aber  selbst  in  den  Fehlern ,  die 
Rothe  hier  begangen  hat,  steckt  viel  Richtiges;  irrtümliche 
Ansichten  sind  oft  an  eine  sehr  treue  geschichtliche  Erkenntnis 
geheftet,  und  wer,  selbst  ausgerOstet  mit  den  nötigen  Kennt- 
nissen, sichten  gelernt  hat,  wird  nicht  oline  Förderung  von 
diesen  Rotheschen  Vorlesungen  scheiden.  —  Die  Abhand- 
lung von  F.  Overbeck  über  die  Stellung  der  alten 
Kirche  zur  Sklaverei  enthält  —  soweit  sie  in  die  hier 
besprochene  Gesehichtsperiode  einschlSgt  —  das  Richtige. 
Es  war  allerdings  schwer  genug,  in  Beantwortung  dieser 
Frage  zu  irren.  Die  alte  Kirche  im  vorconstantinischen  Zeit- 
alter hat  keine  sociale  Institution  der  giiecbisch- römischen 
Gultnr  als  solche  und  aus  dem  Zusammenbange  heraus  in 
Frage  gestellt «  ausser  wenn  sie  in  unmittelbarer  Verbindung 

10* 


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148 


UmSCHB  OBratSIGHTVlf.  1876.  1. 


mit  dem  Götzendienste  stand,  weil  ihr  das  Interesse  für  die- 
selben überhaupt  abging.  Was  0?erbeck  ttber  das  Yeriiftltiiis 
der  naohoonstantinischen  Kirche  mr  Sklavenfrage  bemerkt 

hat,  scheint  dem  Keferenten  durchaus  zutretlend  zu  sein.  Es 
ist  dunkt*iis\v*M  i .  dass  die  richtifron  Gesichtspunkt«'  »Tidlich 
einmal  bestimmt  autgewiesen  worden  sind;  Uebartreibungen, 
wie  sie  dem  Verfasser  vorgeworfen  wurden,  vennag  Beferont 
nicht  za  entdecken. 

U9.  Januar  1076.] 


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ANALEKTEN. 


1, 

Die  Inerhtheit 

der  angeblich  Ailliaehen  IMaloge  „De  qnaerelis 

Franciae  et  Angliae'^  und  ,,De  jure  successionis 
utronunque  r^nim  in  regno  Franoiae''  (aus  den 

Jaliren  1418  bis  lilfS). 

Von 

Lic.  Dr.  Paul  Tschaekert, 

PriTatdocent  d«r  Theologie  an  der  UnlreTritit  in  Breskn. 


In  einer  kleinen  Sammlung  von  Schriften  zur  Ueschichto 
der  Junglrau  vun  Urleuns,  „Sil)yll!i  Francica,  seu  de  mirabili 
puclla  Johanna  Lotharinga  ....  dissertationea  aliquot  etc."  (Ur- 
eellis  IßOü,  iu  qu.)  veröffentlichte  Melchior  üokla.st  am  Schluss 
zwei  theologisch- politische  Dialoge,  in  welchen  die  Anfyirüche 
Englands  auf  Frankreich  von  zwei  llittern,  ein«  iu  Franzosen 
und  einem  Engliinder,  in  erbaulicher  Unterhaltunf?  be8])rochen 
werden.  Diese  beiden  Werke  Böllen  nach  (ioUlasts  Angabe, 
für  welche  er  selbst  keinen  weiteren  Nachweis  geliefert  hat, 
von  „Petrus  cardinalis  Cameracensis d.  i.  Petrus  de  AUuuo, 
Peter  von  Ailli,  verfasst  sein.  Da  über  der  Herausgeber  als 
Kritiker  übel  berufen  ist^),  ferner  ein  Jahrbundert  nach  ihm 
Ellies  Dupin,  wekher  die  beiden  l  nterrcdungen  iinabhan^ag 
Yon  (Joldast  verötlentliclite ,  in  der  ihm  vorliegenden  Hand- 
schrift der  Dialoge  keinen  Verfasser  verzeichnet  fand      da  sich 


1)  Vgl.  Kiezlcr,  Die  lit.  Widersacher  der  Päpste  zur  Zeit  Ludwig 
des  Bayers  (1874)  S.  189. 

»)  Gersonii  Opera  ed.  Dupin  (Antwerpen  1706)  T.  IV,  p.  844. 
Cod.  Vict  699.    Man  hatte  diese  Schriften  auch  Gerson  sage- 


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150 


ANALEKTEN. 


endlich  von  Aillis  Tode  bis  zur  Edition  von  Goldaat  keine 
Spur  dieser  angeblich  Aillischea  Dialoge  aufweisen  lässt  so 
muB8  ihre  Echtheit  in  Zweifel  gezogen  werden.  Eine  Unter- 
Buchung  der  fraglichen  Autorschaft  ist  aber  schon  deshalb  un- 
erlässlich,  weil  Ailli  durch  Abfassung  dieser  Schriften  seiner 
Theologie  den  Stempel  der  Charakterlosigkeit  angedrückt  haben 
wurde. 

Ihr  Inhalt  ist  in  gedrängter  Kürze  folgender.  In  dem 
ersten ')  Dialoge  begegnen  einander  die  beiden  Bitter;  der 
Engländer  auf  einem  friedlichen  Ötreifznge  in  einem  engen  fran- 
zösischen Tale  hat  seine  Kriegsrüstung  abgelegt  und  beginnt 
sofort  ein  unmotivirtes  Gespräch  über  den  englisch-französischen 
Erbfülgekricg;  der  Franzose  sieht  durch  die  Eroberungslust  seines 
Gegners  dessen  Selenheil  gefährdet ;  dieser  indes  beruhigt  sein 
Gewissen  in  naiver  Loyalität  durch  Berufung  auf  den  Gehorsam 
gegen  seinen  König;  aber  als  ihm  der  Franzose  die  Oberhoheit 
de»  Pnpstes  vtbcr  den  englisclicn  Mounrclien  entgt'ijt'iihUlt  und 
als  Weg  zur  Kindschaft  Gottes  die  katliolisehe  llusn^austalt, 
Beichte,  Heue  und  (Genugtuung,  eujj)fiehlt,  wird  der  Engländer 
an  stineiu  vermeintlichen  Kccht  irre  und  Hchliesst  mit  dem 
Wunsche  nach  Frieden ,  um  durch  Befolgung  der  Katschläge 
seines  stlsorf^erisclieu  Feindes  zur  Ruhe  zu  kommen.  —  Nach 
einem  Zeitraum  von  zwei  Juliren  treÜ'en  sie  sich  wieder  und 
kommen  in  der  zweiten  Unterredung  ^)  alsbald  auf  ihr  altes 
Thema  zurück ,  das  sich  al»er  jetzt  im  Munde  des  Franzosen 
zu  der  Frage  nach  «lern  Ann  i  ht  des  englischen  Königs  auf 
den  französichen  Tnai  zuspitzt.  Der  Angeredete  sieht  sich 
bald  in  Verlegenheit  gesetzt,  so  dass  der  Gegner  ihm  ü!)er  das 
Unrecht  Englands  mit  schulmeisterlicher  Ueberlegenheit  einen 
Vortrag  hält.     Von  Engeln  hat  einst  Chlodwich  *)  die  Lilie 


schiiilu'u.  iMipiii  bemerkt  zum  ersten  Diuloirf  ..nomen  Gersonii  non 
praefert  in  cndicc  nee  ejus  t  ert«'  est lliitte  er  eiueu  Autor  verzeichnet 
gefunden,  so  würde  er  ihn  genannt  haben. 

1)  Trithemius,  De  script.  eecl.,  kennt  sie  nicht,  ebenso  wenig 
Gessner  in  seiner  Bibliotheca Tisr.  1583.  Auch  habe  ich  in  keinem 
der  auf  der  Breslauer  rniversitätsbibliothek  betindlichcii  Manuscrlpten- 
katalo'jc  eine  Sch.  ift  diiscs  oder  äludichen  Inhalts  unter  Aillis  Werken 
angeführt  gefunden.  Auch  den  Literarhiätorikeru  nach  Goldast 
(J.  A.  Fabridus,  Cave,  Oudin)  sind  diese  angeblich  Aillischen  IMaloge 
entgangen;  nur  der  Catalopus  impress.  libr.  bibl.  Bodlejatiac  iu  Acad, 
•  Oxoniensi  (Oxonü  1843)  nennt  sie  (voL  I,  p.  57a)  unter  den  Opera 
Petri  de  AlHacf». 

«)  Goldast,  Sibylla  Frantica  (ürsellis  1606)  p.  18 sqq.  —  Ger- 
sonii  Opera  ed.  Dupin.  (Antwerpen  1706)  T.  17,  p.  844  sqq. 

3)  Goldast  p.  28 sqq.  —  Gersouii  Op.  IV,  850 sqq. 
*)  Golda >t  liost  (p.  ::•»  falsch  Ciodoneo,  statt  (wie  Geiaonii 
Op.  051  Aj  Ciudovaeo. 


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T8GHACKBBT,  DIB  AILLI8CHBN  DIALOOB.  151 


«mpfangen,  ist  darauf  mit  Oel  aus  der  heiligen  Ampel  gesalbt  und 
dadurch  sind  (er  und)  alle  gesalbten  Könige  FrankreiohB,  wenn 
sie  den  Spuren  der  göttlichen  Approbation  folgen,  Mrie  allbe- 
kannt —  zu  Wundertätern  gemacht.  Durch  diese  Weihe  tritt 
^er  König  in  priesterliche  Function;  da  aber  Ton  ihr  das  Weib 
ausgeschlossen  ist,  hat  sie  in  Frankreich  nie  das  Recht  der 
Tronfolge,  begründet  dasselbe  also  auch  nie  für  eine  weibliche 
Linie,  z.  R.  die  englischen  Könige.  Nach  dieser  albernen  Be- 
weisführung wehrt  sich  fler  Redner  aber  noth  mit  Geschick 
gegen  den  Englander  auf  CJrund  des  französischen  Gewohnheits- 
rechtes, der  Zustimmung  des  Volkes  und  der  Vers,  liiedciiheit 
der  Nationen.  Grade  dieses  wichtige  Argument  verliert  er 
gU  ichwohl  in  der  Geschichte  des  Erbfolgekriegcs,  welche  er 
jetzt  erzählt,  ganz  aus  dem  Auge ;  den  grossen  Kingkampf  zweier 
Völkerindividualitiitcn  leitet  er  von  der  persönlichen  Intrigue 
<'ines  französischen  Grossen  ab,  weUher  den  englischen  König 
und  seinen  Adel  zum  Kriege  aufg«  reizt  liabe.  Als  Resultat 
seines  langeii  Vortrages  spricht  er  das  merkwürdige  Wort  aus: 
„Eure  (  rtiize  ist  und  bleibt  das  Meer."*)  Ein  ungeschickt 
becrüiideter  Angriff  gegen  die  englischen  Prälaten,  welche  den 
Krieg  >  hüren,  statt  Frieden  zu  stiften,  bildet  den  Schluss, 

Beide  Tractate  bilden  olienbar  ein  Ganzes ;  es  fragt  sich, 
wann  sie  verfasst  sind.  6ie  selbst  bieten  dafür  folgende  An- 
haltspunkte d;ir. 

1.  Erwiilmt  werden  die  Schlachten  von  iSluys  (1340), 
Crecy  *)  (134öj  und  Maupertuis  ^)  (135öi;  der  Tod  Johanns 
des  Guten  «)  if  i:^«4)  und  das  Ende  Richards  II.  ')  <'t  1400). 

2.  Der  Veriasser  verweist  auf  Jean  Froissart,  d.  h.  auf 
seine  Chronik^};  ist  nun  die  letzte  Redaetioii  derselben  erst 
gegen  1400  vollendet  wurden^),  so  könnte  in  unseren  Dialogen 
auf  eine  frühere  Rücksicht  genommen  sein;  allein  sicher  muss, 
wenn  Fruissart  in  populären  Sciirilten,  wie  es  diese  Dialoge 
sind,  ohne  weitere  Aufklärung  als  Autorität  angeführt  wird, 
die  Chronik  schon  lange  in  Umlauf  sein.  Wir  sind  also  in 
eine  unbestimmte  Zeit  nach  1400  verwiesen. 


1)  Teste  uutorietate.  So  Dupin,  Gersoiiü  op.  851  A.  Unverständ- 
lich Goldast  p.  29:  „Teste  notorum  aetate." 

s)  Gold.41;  6er8.op.IV,867D:.,Maree8tete88edebettenikuiaB¥ester.** 

3)  GoM.  35:  Grrs.  op.  IV.  854  C 

4)  (o'lil.  35.        Ge-s.  op.  IV.  854  D. 
.'»J  (lold.  iJO:  Gers.  op.  iV.  855  A. 

•)  Gold.  36;  Gers.  op.  IV,  855  A:  8Ö6B. 
t)  Gold.  40;  Gei-8.  op.  I\  .  -öT  A. 

8)  Gold.  32:  Ger^j.  op.  IV.  8r.2  B. 

9)  Vgl.  Fr«»issart.  Oeuvres  par  Kervyn  de  Letteobove  (ßruxellea 
1870)  T.  1»  (die  Einleitung). 


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AHALEKTBN. 


3.  Der  Franzose  berichtet:  „Neuli'  h  habe  ich  iu  der  iStadt 
Rouen  den  Tod  König  Heinrichs  ertahren."  M  Welcher  Heinricli 
ist  gemeint,  der  vierte  (f  14 lo)  oder  der  fünfte  (f  11*22) — 
Aii^  der  citirten  Stelle  allein  lässt  sich  die  Frage  nicht  be- 
antworten ;  nur  soviel  g  i 1 1  a 1 s  g  e  w  i  s  s ,  d  a  s  s  d  i  e  D  i  a 1 o  g  e 
nicht  vor  1413  geschrieben  sind.  Aber  wt  nn  wir  er- 
wägen, das8  in  der  hier  erzählten  (ic8ehichte  des  K  ru  bres  ^)  die 
Schlacht  vnn  Azincourt  i  l415'i  nicht  angefiilirt  wird,  nachdem 
sich  der  Franzose  nicht  gescheut  hat,  die  bei  Sluys,  bei  Crecy 
und  bei  Maupertni^i  zu  erwähnen:  gilt  als  höchst  n\ alirschcin- 
lich,  dass  jene  Schlacht  noch  nicht  geschlagen  ist,  mithin  die 
fraglichen  Schriften  nicht  nach  1415  verfasst  sind. 
Der  jüngst  Terotorbene  König  Heinrich  ist  also  der  vierte  seines 
Kamens. 

4.  Zu  der  Zeit  1413  bis  1415  passt  auch  der  polltisehc 
Hintergrund  der  Unterredungen:  der  Franzose  hat  not  h  die 
Gcltemlmachiuig  von  cuglischen  Ansprüt  hen  zu  erwarten;  sein 
Gegner  erseheint  ah  der  Miielitige,  welcher  bald  durch  Gründe 
überzeugt,  bald  geistlich  gerührt  werden  soll  *). 

Wer  ist  nun  der  Verfasser? 

Seinen  Namen  liat  er  uns  zwar  verscliwiegen ,  aber  seine 
Nationalitiit  wenigstens  klar  durcliblitken  lassen:  die  Fran- 
zosen sind  gerecht,  leiden  Verfolgung;  die  Engländer  freveln 
übermütig,  sind  profane  Menschen.  Von  den  Collonuenten  über- 
nimmt der  französische  die  Führung  des  Gesjiraches,  die  Ent- 
wicklung der  Gedanken,  die  Erzählung  des  Krieges;  der  Eng- 
länder ist  bornirt,  gefühllos ;  seine  Ratlosigkeit  dient  nur  zur 
Fortspinnung  des  Fadens.  Ein  Franzose  also  hat  die  Dialoge 
geschrieben;  in  sein  Vaterland  verweist  uns  überdies  die  Orts- 


1)  Göhl.  42;  Gers.  op.  IV,  85RD. 

*)  An  den  sechsten  ff  1471)  ist  nicht  zu  denken,  ila  unter  ihm 
der  Krieg  aufhört,  während  er  hier,  nach  der  rhysioguuuüe  der  Dialoge, 
nur  ruht,  so  dass  der  Franzose  noch  Arf?es  befürchtet  und  daher  seine 
ganze  Logik.  Qeschichtskenntnis  und  Theologie  gegen  den  Euglftnder 

ins  Feld  führt» 

3i  Gold.  32 sqq.;  Gers.  np.  IV.  P.'S^qq. 

*)  Wir  erinnern  noch  au  eiu  anderes  entscheidendes  Ereignis  aus 
diesem  Kriege.  Hätte  der  patriotuche  Franzose  den  Sieg  der  Jungfrsa 
von  Orleans  erlebt,  er  würde  diesen  auf  seinem  Stand]»unkt  klarsten 
Bewei<5  für  die  i:»»ttlicho  Ai)prnbatinn  dor  französischen  Sache  bei  der 
Belehnui'/  und  Bekehrun<2  des  bornirten  enjilischen  Geiniers  nicht  über- 
gangen haben.  Nun  lesen  wir  zwar,  dass  der  Krieg  scheu  löu  Jahre 
gedauert  habe  (Oold.  82;  Gers.  op.  IV.  853  A).  Allein  da  dies  Zeit- 
mass  S^hst  für  die  Dauer  des  eanzen  Krieces  zu  hoch  jrejiriffen  ist, 
werden  wir  e^  nirlit  ]>j-o^srn  dürfen,  l'eberd.'es  liis^t  de:-  Vcifassrr  die 
Friudst'li^'keilen  s.  In  n  unter  Philipp  IV.  (1284 — 1314j  beginnen  (Gold. 
30—32;  Gers.  op.  i\,  851—853). 


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TSCHACKERT,  DXB  An.T.IfiCHKH  DULOQE.  16S 


angäbe  Ronen  nagewisB  ob  auch  Vauduse  Demnacli  könnte 
AiUi  der  Ver&aser  lein;  ancb  er  hat  gegenüber  dem  National- 
leind  seinen  Patriotienraa  bewiesen,  als  er  im  Jahre  1416  anf 
dem  Constanzes  Conoil  die  Agitation  gegen  die  Gleichstellung  der 
SnglSnder  als  Nation  mit  den  Tiei  andern  anf  eigne  Hand  in 
Soene  eetate  Auch  sein  Stand  wäre  der  des  unbekannten 
Verfassers;  denn  dass  dieser  dem  Klerus  angehörte ,  beweist 
die  Stelle,  an  welcher  er  den  Engländer  zu  einem  Laien" 
macht  es  wäre  femer  denkbar ,  dass  der  gelehrte  Gavdinal, 
welcher  trotz  dos  Purpurs  vom  Kopf  bis  zur  Zehe  Scholastikas 
blieb,  dies  ICal  sich  xu  der  geistigen  Höhenlage  der  niedem 
Schicht  der  sogenannten  Gebildeten  herabgelassen  und  zu  ihrer 
Orientirung  eine  populfire  Beleuchtung  des  englischen  Unrechts 
▼ersucht  habe.  Die  Sprache  schliesslich  ist  barbviri^ch  genug, 
dass  man  sie  mit  der  Tom  Humanismus  noch  unberührten  La- 
tinität  Aillis  wohl  zusammenstellen  darf;  selbst  ein  eigcntiim* 
liebes  Citat  aus  Augnstin  begegnet  uns  mit  kleinen  Abwei» 
chungen  bei  beiden  Autoren        Aber  welche  Diiteren/cn ! 

a)  Während  der  fragliche  Verfsjsser  im  ersten  Dialoge  die 
weltlichen  Könige  zu  Hörigen  des  Popstes  macht,  It  lirt  Ailli 
fast  zu  derselben  Zeit  die  Selbständigkeit  der  staatlichen  Macht. 
Jener  legt  dem  Franzosen  anf  die  Frage  des  Engländers:  „quis 
regem  et  nos  posset  corripeEre?''  die  Antwort  in  den  Mund: 
„uullus  praeter  summum,  unicum  et  indubitatum  pontifioem'' 
Ailli  hingegen  verwirft  am  1.  October  1416  vor  dem  ganzen 
Constnnzer  Concil  den  „error,  assercre,  papam  ab  ipso  (Christo) 
immediate  habere  primariam  autoritatem,  dominium  et  juris- 
dictionem  in  temporalibus  bonis,  non  solum  ecclesiae  do* 
natia  yel  alias  juste  acquisitis,  sed  ctiam  principibus  sae- 
cnlaribus  subjectis,  licet  dicant  (sc.  die  Gegner),  quod 
papa  in  his  non  habet  executionem  immediatam  nisi  in  qnibus- 
dam  casibus"  '). 

b)  Im  zweiten  Dialoge  stellt  der  Verfasser  den  theologi- 
schen Fundamentalsatz  auf,  dass  Tom  Alten  Testament  nur  das 


^  G«h\.  42;  Gers.  op.  IV,  858 D. 

2)  Gold.  18:  Gers.  np.  IV.  844  B. 

ä)  V.  d.  Hardt,  Magn.  concilium  Constaut.  T.  VI,  p.  42;  vgl. 
T.  V,  P.  3,  p.  57  sqq. 

t)  r;(.Ki  20;  Gers.  op.849B:  „Intelligo  asserta  vera,  sed  mihi  ignaro 

ei  laico  Jifticilia.'' 

5)  V.  d.  Hardt  1.  c.  T.  I.  P.  8.  p.  412:  ,.Qui  faiinmi  suaiii  lu- 
gligit,  crudelis  est.  *  —  Gold.  27;  Geis.  up.  IV,  849  D:  „Crudelis  qui 
funam  aesligit.'^ 

6)  Goid.  21:  Gr  5.  op.  IV.  846. 

1)  V.  d.  Hardt  T.  VI:  AUiaco,  de  pot  ecd.  p.  16^. 


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154 


ANALEKTEN. 


öittengesetz  bindende  Kratt  habe  V).  Durdi  die  Folgerungen 
aus  diesem  Urteil  müsste  der  Verfasser  mit  der  katholischen 
Glaubenslelire  und  dem  kononischen  Recht,  die  beide  auf  der 
solidarischen  Einheit  des  Alten  und  Neuen  Testamentes  ruhen, 
ohne  weiteres  brechen.  Nun  war  Ailli ,  wie  seine  zahlreichen 
philosophischen  Schriften  beweisen,  einer  der  scharfsiunigsten 
Köpfe  seiner  Zeit^l;  einen  so  princijiiellen  CJcdankeu  köLinte 
er  nicht  unüberlegt  hingeworfen  haben,  ohne  sich  über  seine 
Tragweite  auch  nur  im  gerinp;sten  klar  zu  sein;  er  müsste  ihn 
noch  dazu  in  seinem  Grcisenalter  wo  wir  doch  seine  Tlieo- 
logie  als  völlig  abgekliirt  ansehen  dürfen,  aufgestellt  haben. 
Allein  wir  finden  bei  ihm  nicht  nur  keine  Spur  obiger  Folge- 
rungen, sondern  grade  das  entgegengesetzte  Schriftprincip :  das 
Alte  und  Neue  Testament  bildet  nach  mittelalterlicher  Lehre 
von  der  Bibel,  welche  auch  die  Aillis  ist,  ein  einziges  f  esetz- 
buch ;  sein  Inhalt  die  Natzungen  Moses  und  Christi*}.  Göttlich 
inspirirt  ist  das  Ciesetz  Mosis  ebenso  wie  das  Christi  Ohne 
von  einer  Scheidung  zwischen  Cerimonial-  und  Sittengesetz 
etwas  zu  wissen,  lehrt  er  vielmehr,  nicht  nur  die  Sammlung 
von  Geboten  und  \  erboten ,  sondern  den  ganzen  historischen 
A]']  nrnt,  in  welchen  sie  eingereiht  sind,  als  die  kräftigste  Stütze 
des  (.icsetzes  selbst  in  seinen  Begriff  aufzunehmen^).  Auf 
Grund  dieser  Aiisichten  hat  der  Cardinal  im  Jahre  1416,  also 
nicht  lange  nach  der  Abfassungszeit  der  Dialoge,  für  Begrün- 
dung  des   kanonischen  Hechtes   und  für   seine  Theorie  der 


M  Gold.  29;  Gers.  op.  IT,  8G0D:  „Argumenta  legis  antiqaae 
noD  iiabent  efficaciaro  nisi  quatenus  redacta  siut  ad  mo> 
ralia." 

Vgl.  (^iiacstiones  sup.  libr.  sent.  —  De  arte  obligandi  und  viele 
andere.  (Praotl,  Gesch.  d.  Logik  im  AbendL  Bd.  lY,  S.  108—118). 

3)  Er  war  im  Jah:e  1350  geboren. 

*)  Gers.  op.  I.  ').''>(;  A.  In  der  S'  br:ft  ,.Utruin  iinloctüs  in  jure  divino 
possit  jiistc  juacebse  ",  wclclie  wulH^du  inlich  loK)  abjzefasst  ist  (vi;!. 
mehic  Breslauer  Üiss.  „Petrus  AUiuceuus  de  ecclesia  quid  docuciit" 
[1875]  p.  9,  Anm.  36),  lehrt  er;  ,«In  volumine  novi  et  ?eteri8 
testamenti,  exMoysis  et  Christi  legibus  composito,  omni- 
potontissima  dei  sa]>ientift  et  jitstitia  inünita  nullani  sufficienthim  prae- 
terniisit  quoad  b(>Mum,  inio  Optimum  regimen  uuiversi,  super  quo  nuUi 
£deli  haesitare  licitum  est.'^ 

&)  Ib.  668C:  „Lex  divina  sumitur  pro  leg«  divinitus  inspi- 
rata,  qualis  est  lex  Moysis  et  Christi.'* 

*')  Ib.  063 D:  Man  kann  das  (icsctz  (bfiniren  als  eine  Samndun*: 
nicht  allein  von  praecepta  et  prohibitiuiu  s ,  sed  etiani  coiisilia  et  per- 
missiones,  testimonia  historialia,  exenipla  imitabilia,  miracula,  sacra- 
menta,  proiuissiones  praemiorum,  comminationes  suppliciorum  et  multa 
hujusinodi,  quae  licet  non  sint  de  substantia  legis  pr<priae.  quia  nec 
ÜLMTit  nec  oblijiant,  eo  quod  bis  nihil  iniperatur  ar.t  prohibetur:  ipsa 
tau  en  sunt  fortissiuia  adjutoria  ad  legem  sustiueudum". 


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TSCIIACKEBT,  DIE  AILUflCHBN  DIALOas. 


155 


KirchenTeziBSBiiiig  Belege  girade  aus  solchen  altiestamentlieheii 
Stellen  hergenommen,  welche  keine  moralischen  Vorschriften 
enthalten 

Angesichts  dieser  Verschiedenheit  der  echten  und  der  an- 
xiizweifelnden  Schriften  tritt  die  Entscheidung  an  uns  heran, 
ob  wir  Feter  von  Ailli  die  Charakterlosigkeit  zutrauen  dürfen, 
dass  er  als  Greis  von  63  bis  65  Jahreu  entgegengesetzte  theo- 
logische Priacipien  im  Munde  geführt  habe.  Da  sich  trotz  der 
,,Geschiuei(ligküit"  seines  Charakters  weder  in  seiner  Theologie 
nooh  in  seiner  Theorie  der  Kirchenverfassung  ein  principieller 
Brach  nachweisen  lässt  (das  landläufige  Urteil,  welches  einen 
solchen  in  seiner  Constanser  Kiichenpolitik  findet,  beruht  auf 
unechten  SSchriften) :  so  sehen  wir  uns  genötigt,  ihm  die 
Autorschaft  an  den  genannten  Dialogen  abzusprechen. 

Die  Kichtigkeit  dieses  Urteils  wird  noch  durch  folgende 
Umstände  gestützt. 

c)  Die  geistige  Beschränktheit  des  Verfassers  können  wir 
Ailli  nicht  zutrauen.  Die  Dummheit,  dass  jeder  französische 
König  durch  die  Salbung  mit  dem  heiligen  Oel  Wundergabe 
empfangen  konnte  der  hoch  gebildete  Cardinal  nicht  aus- 
apiechcn ,  zumal  er  den  wahnsinnigen  Karl  VI.  und  die  ihn 
umgebende  Cnmarilia  als  königlicher  Beichtvater  gründlicher  als 
irgend  jemand  kennen  gelernt  hatte  Er  selbst  hat  zwar 
auch  gelegentlich  einen  extremen  Wunderglauben  bewiesen,  aber 
doch  nur,  wo  es  sich  um  die  Kanonisation  eines  jugendlichen 
Heiligen  handelte 

Ferner  Itot  der  Verfasser  den  französischen  Unterredner 
dem  englischen  den  Bat  geben,  seine  gottlosen  verheirateten 
Landsleufte  möchten  sich  Dispens  verschaffcD ,  ihre  Weiber  zu 
entlassen,  um  (im  Kloster)  mit  Gott  und  Menschen  Frieden  zu 
Sueben*).  Pur  so  töricht  halten  wir  den  weltcrfahriK  n  AilU 
wieder  nicht;  überdies  hatte  er  selbst  vor  etwa  15  Juhren,  als 
er  nicht  einmal  bei  den  Geistlichen  seine;'  iSpreugeis  die  Ent- 
lassung der  Concubinen  durchsetzen  konnte ,  in  dieser  lieiklen 
Angelegenheit  jedes  strenge  Einschreiten  gegen  sie  nicht  nur 
Termieden,  sondern  sogar  gemisbilligt '). 

i|  V.  d.  Hardt  T.  VI:  Alliaco,  de  put.  eccl.  p.  49.  51.  52. 

8)  Vgl,  Jahrbücher  f.  d.  Theol.  (1875)  lid.  XX,  Hft.  2  meine  Ab- 
handl.:  ,tDer  Cardinal  Peter  Ton  Ailli  uad  die  beiden  ihm  zugeschrie- 
beiu  II  Schriften  De  diff.  ref  in  cottc.  univ.  und  Monita  de  neoess.  ref, 
eccl.  in  can.  et  in  luembris." 

3)  (\r,\(\.  29;  Gers.  op.  IV,  böl  A. 

iiuUeus,  llist.  univ.  P.  IV,  p.  633 sqq. 

ft)  Ib.,  p.  651  sqq.  ' 

6)  Gold.  38;  Gers.  op.  IV,  856  A. 

Alliaco,  Tract  et  aerin.  (Arg.  1490),  der  dritte  sermo  in  synodo: 


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156 


ANALEKTEN. 


d)  Unter  den  wenigen  Citates  in  den  IKalogen  begegnet 
uns  das  Buch  Bemhard»  an  den  Papst  Eogenius  nnd  Ghregozs 
moxalia  in  Job  auch  bei  AüU  oft;  aber  —  soweit  wir  Um 
jetst  kennen  —  weder  Jean  Froissart  ^)  noch  eine  r»Bftnoram 
historia" 

e)  Bpraohlicbe  VerBchiedenbeiten  bieten  sich  in  Menge  dar; 
zwar  schreibt  auoh  Ailli  ein  überaus  schlechtes  Latein;  aber 
wir  zweifeln,  ob  er  Wendungen  gebraucht  habe,  wie  ignoraa 
rei  gcstae  notoriam  ^)  =  dir  ist  die  offenkundige  Geschichte 
unbekannt;  (tanti  regni)  conqunesta  *)  =  Eroberung;  a  casu  •) 
Ä  zufallig;  a  memoria  labi  ^)  =  dem  Gedächtnis  entfallen; 
illis  infelicissimis  die,  loco  et  hora  fiabrioatis  ablatiyi  absolutio 
welche  in  ihrer  unerhörten  Breviloquenz  gar  nicht  zu  Terdeut- 
scheu  sind;  offensa oft,  statt  offensio;  Titiomm  primogenita  ^) 
nnd  anderes  mehr. 

Wir  halten  aus  allen  diesen  Gründen  die  Dia- 
loge für  unecht. 

Ueber  den  wahren  Verfasser  lii*"<t  sich  bis  jetzt  weitM 
nichts  feststellen,  als  dass  er  nach  den  obigen  Andeutungen 
ein  französischer  Geistlicher  war  und  wahrscheinlich  in  Nord- 
Irankreich  lebte 

So  wenig  Bedeutung  seine  beiden  Werke  für  die  Ge- 
schichte des  grossen  Kingkampfcs  der  englischen  und  der  fran- 
zösischen Nation  beans])rucheu  dürfen;  die  Theologie  des  Ver- 
fassers verdient  die  Auftnerksamkeit  des  Dogmenhistorikers: 
das  Urteil  dieses  obscuren  Politikers  über  das  Alte  Ttstament 
erscheint  im  18.  Jahrhundert  als  Schriftprincip  des  Bationa- 
lismus. 

Er  tadi'lt  hier  die  ri^oristist  lion  (JPL'iipr  der  Cuucnbinarii,  .,ho<'  crimen 
acriuö  iuiprobaiidi»  po])uium  subjcctuiii  iu  irreverentiaui  et  iouboedieuti&tu 
suoniin  sacerdotum  inducuut." 

J)  Gold.  32;  Gers.  op.  IV»  852  B. 

2)  (icld.  10:  Gers.  op.  IV.  857 C. 

3)  (;..](!.  3(1;  (iors.  op.  IV.  851  C. 
G(»ia.  64  i  Gers.  op.  IV,  85a  A. 

«)  Gold.  80;  Gers.  op.  IV,  851  CD. 
6)  G'.ia.  30:  Gers.  op.  IV.  Sol  C. 
^)  (Jold.  :;3:  Gers.  op.  IV.  851  C. 

8)  (ö.Kl.  2'»  ti.  a.;  Gers.  .»p.  IV,  845  C.  846D.  649 B. 

9)  Gold.  22;  Gers.  op.  IV,  84GD. 

^0)  Er  hat  den  Tod  KnnijE^  Heinrichs  IT.  in  Ronen  erfahren 
(Gold.  42;  Gers.  op.  IV.  8r.sl>):  vallis  clausa  aber,  tb'r  Ort  der  Hand- 
lnn«r  im  ersten  DialoL^e  ((4old,  18;  (iers.  np.  IV.  8|}T)),  ist  vielleicht 
par  kein  Kit/eiinatne  (Vauclüse  in  der  Provenre).  >onderu  bedeutet  nur 
ein  „enges  Tal",  in  welchem  die  beiden  Reisenden  einander  iiube 
gebracht  weri!en  sollten. 


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VOIGT,  GHRISIOPH  WALTHBR. 


15T 


2. 

Christoph  Walther, 

d«r  Druck-Correotor  m  Wittenbexg. 

Von 

C^eorg  Voigt 

in  Lelpiig. 


Ben  Ruhm,  mindeetena  den  vermeintlichen,  des  Schrift* 
stellers  und  den  Unternehmungsgeist  des  WeAegm,  der  in 
älterer  Zeit  immer  sugleich  der  Drucker  war,  pflegen  die 

Bücher  an  der  Stime  zu  tragen.  Dazwieoben  verbori^c  n  liegt 
die  bescheidene  Tätigkeit  des  Corrcctors,  ein  dunkler  Name, 
nm  den  die  Welt  8i<^  nicht  kümmert,  lud  doch  }mt  es  in 
lahlreiohen  Fällen  von  ihm  abgehangen,  ob  das  Buch  sich  den 
Leeenden  empfahl  oder  nicht.  Der  Autor  war  früher  oft  genug 
ausser  Stande,  irgend  einen  Einftass  auf  Qestalt  und  Correct- 
bcit  seines  Buches  zu  üben.  Auch  erschienen  Genauigkeit  und 
feste  Regel  im  Handwerk  der  Lettern  langehin  nicht  als  eigent- 
liches Erfordernis.  8ie  wollten  gelernt  sein  und  wurden  ge- 
lernt, wo  die  Würde  des  Inhalts  auch  für  den  Buchstaben 
Achtung  gebot.  Das  war  zunächst  bei  den  Classikern  des 
Altertums  der  Fall,  über  deren  Text  die  Verehning  der  Huma- 
nisten wachte.  In  der  neueren  Literatur  aber  ist  Luthen 
deuts«  hc  Bibel  das  erste  Buch,  dem  das  Ansehen  eines  classi- 
schen  beigelegt  wurde,  bei  dem  die  Sorge  für  die  unverfälschte 
Gestalt  und  Keinhaltung  des  Textes  als  gebieterische  Ptiicht 
erschien.  An  der  deutschen  Bibel  erwuchs  das  Amt  des  Coi^ 
lectors  als  ein  stehendes  und  specifisches ,  angelehnt  an  die 
Traditionen  einer  grossen  Wittenberger  OfÜcin. 

Es  war  auch  für  diese  Dinge  von  hoher  Bedeutung,  dass 
die  deutsche  Reformation  in  ihren  ersten  drei  Jahrzehnten  eine 
feste  Residenz  hatte,  dass  ihre  Männer  und  ihre  Hiilfskräfte 
nicht  rnehr  so  unstet  wandern  durften,  wie  die  Humfiiiistcn 
gewandert  waren.  Was  Luther  schrieb ,  wuifle  in  seinem 
Wittenberg  gcdninkt  und  corriprirt,  prinj^  in  <ier  Gestalt,  wie 
sie  unter  «einen  Augen  entstanden  war,  in  die  Welt  hinaus. 
Melanthon  ist  als  Schriftsteller  und  Mens(  h  fast  noch  enger 
mit  seiner  Acndeniia  verwachsen.  Luther  plit  Lct  nicht  jxnr  viel 
von  der  Entstehung  seiner  Schriften  zu  sj)rcchen ;  was  aus 
seiner  Feder  heraus  ist,  wandert  in  die  Druckerei  und  küiomert 


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« 


158  ANALEKTEN. 

ihn  nicht  mehr.  Melanthou  bespricht  wohl,  was  ihn  literarisch 
bcpchüftigte,  mit  seinen  gelehrten  Freunden.  iSo  finden  sich 
bei  ihnen  über  die  Helfer  aiii  Werk  des  Satzes,  Druckes  und 
der  Correctur  nur  wenige  Andeutungen,  am  ehesten  noch  in 
den  Briefwechseln.  Und  doch  sind  es  Männer  von  nicht  ge- 
ringem Verdienst ,  über  die  man  in  Darstellungen  der  Refor- 
mation und  in  Biüpra]»hien  allzuleirht  hinwegzugehen  liebt.  Sie 
gehören  zu  den  Trabanten,  ohne  den  n  Hewep:ung  auch  der  Hel- 
dengang der  grossen  Gestime  nicht  zum  vollen  YerständniB 
gelangt. 

Ein  Brief  des  Correctors  Christoph  Walther,  der  mir  in 
den  Acten  des  Dresdener  Staatsarchivs  zur  Hand  kam,  gab 
Gelf'genheit,  sich  den  Kreis,  aus  dem  er  stammt,  zu  vergegcn- 
wiirtigen.     Solche  Brieff ,   deren  Verfasser  durchaus  an  keine 
Oeffcntlichkeit  dachte,   sind   natürlich  zu  Tausen  den  verloren 
gegangen.    Ein  Zufall,  den  nur  wir  einen  glücklichen  nennen 
mögen,  hat  diesen  erhalten.    NViihrend  der  s(  hnialkaldische  Krieg 
in  Snthsen  tobte,  fing  Graf  Albrcrht  Sclilick,  der  Landvogt  zu 
Lültben,  den  Briefboten  auf,  der  aus  Wittenberg  kam  und  über 
Frankfurt  a.  d.  0.  gelaufen  war.    Er  las  (iie  erbeuteten  Briefe, 
gab  die  unbedeutenden  der  Wittenberger  Kautieute  zurück,  den 
des  Correctors  Walther  aber  schickte  er  an  Herzog  Moritz,  in 
dessen   Canzlei   man   ihn  zu  kunftigem  Gedenken   mit  einem 
Isotabene    bezeichnete.    Dabei   war   ein   Büchlein,   das  dieser 
Walther  vcrfasst  und  gleichfalls  nach  Kiinigsberg  senden  wollte; 
leider  ist  sein  Inhalt  nicht  mehr  sicher  zu  bestimmen  Jener 
Brief  nun  führt  uns  in   die  Offit  in  Hans  Lufts,  des  Druc  kers 
der  ersten  vollstitndigen  deutsclien  Luther-Bibel.    Er  zeigt  uns 
einen  der  bedeutendsten  Mithelfer  an  der  Arbeit,  in  gewaltig 
aufgeregten  und   kritischen  Tagen,  in  denen  mancher  Klein- 
gläubige, noch  kein  Jahr  nach  dem  Hingange  des  Helden,  S'  hon 
an   seinem  Werk   verzagte,  in   denen  Melanth(»n ,  aus  seinem 
\Vittenl)erger  Nestchen  geflüchtet,   schon  das  Evangelium  zu- 
sammen- und  die  alte  unclassische  Barbarei  hereinbrechen  sah. 

W  ittenberg  hatte  im  sächsischen  Kriege  eine  doppelte  Be- 
di  utung.  Es  war  die  wichtigste  und  stärkste  Festung  Joliann 
Friedrichs  nach  seiner  Lage  als  Bollwerk  des  Elbstroms,  seinen 
Mauern  und  Wiillen,  mit  gutem  Kriegsvolk  unter  Bernhard  von 
Mila  beset/t ,  mit  Munition  und  Troviant  reichlich  versehen. 
Es  war  aber  auch  nach  dem  Geiste  seiner  Bürger  und  Be- 
wohner immer  noch  die  Stätte,  in  der  Luthers  starker  Geist 
fortlebte,  immer  noch  „das  HauptboUvverk  gegen  die  Feinde 

1)  hchreibcn  J-chlicks  an  Ilerzoi:-  Moritz,  d.  Lüben  Mittwoch  nach. 
Conversioiiis  Pauli  (26.  Januar)  1547,  im  Dresd.  Arch.  Loc.  9140. 


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VOIGT,  CHEISTOPH  WALTHER. 


159 


des  ETangeliums  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  in  ganz 
Europa",  wie  damals  mitten  im  Kriegsstnrm  einer  seiner  Pro- 
fessoren es  nannte  Gleich  bei  dem  Beginn  des  Slbkrieges,^ 
am  6.  l^ovember  1546,  war  die  UniTersität  auflöst,  waren 
die  Stadiosenp  die  während  einer  etwaigen  Belagerung  ein  nn- 
rahiges  Element  bilden  mochten,  entlassen  worden^.  Der 
giitosere  Teil  der  Dootoren,  znmal  solohe,  die  für  die  Sieher« 
heit  Ton  lYeib  nnd  Kind  zu  sorgen  hatten,  sachte  anderwSrts 
eine  Zuflucht.  Aber  es  blieb  doch  anch  ein  Kern  von  tapfbren 
Männern  der  Hochschule  und  des  lutherischen  Geistes  in  der 
Festung,  Doctor  Cruciger,  damals  Bector  der  UniTersität  und 
Prediger  an  der  Schlosskirohe,  Bngenhagen,  Pastor  an  der 
P&rrkiiohe,  die  Magister  Paul  Eber  und  Georg  Hörer  Mit 
der  Mehrsahl  der  Prediger  und  der  Schulmeister  blieb  den 
Büigem  und  selbst  den  Kriegslenten  ein  starkes  Vertrauen  auf 
Gott  und  sein  Evangelium,  auf  die  Sache  Luthers  und  des 
Kurfürsten.  Denn  auch  die  Bürger  waren  zu  Wachdiensten  in 
der  Stadt  und  unter  deren  Toren,  nicht  minder  auf  den  Wällen 
nnd  Türmen  Terpflichtet.  Sie  mussten  es  ansehen,  wie  die 
Torstädte  mit  den  Lusthäusem  und  Gärten,  damit  der  Feind 
sich  hier  nicht  setzen  könne,  niedeigebrannt,  wie  die  Aecker 
umher  verwüstet,  die  Dörfer  geplündert  und  anch  wohl  mit 
Feuer  vertilgt  wurden^). 

Am  18.  November  erschien  Herzog  Moritz  mit  seinem 
Heere  vor  der  Stadt  und  liess  sie  berennen.  Die  berüchtigten 
Husaren  streiften  mit  wildem  Geschrei  bis  hnrt  unter  die 
Mauern,  wurden  aber  vom  Wall  aus  durch  die  Kugeln  der  Ver* 
teidiger  zurückgetrieben.  Der  Versuch,  ob  nicht  Wittenberg 
demselben  schnellen  Schrecken  erliegen  möchte  wie  Zwickau 
und  andere  Städte,  wor  mißlungen.  Emsthafter  wurde  die  Be- 
lagerung um  die  Mitte  des  Deccmber  wieder  aufgenommen. 
Ein  bedeutender  Teil  von  Moritz'  Truppen  nahm  seine  durch 
Schanzen  und  Gräben  befestigten  Winterlager  in  den  Dörfern 
umher,  er  selbst  das  Hauptquartier  in  Zahna.  Die  Besatzung 
der  Stadt  wurde  durch  Wachtposten  und  Streifzüge  in  stetem 
Atem  erhalten,  die  Zufuhr  erschwert,  die  Dörfer  in  weitem 


1)  Johann  Marccllns  an  Johann  Lanpre  in  Erfurt,  d.  Magde- 
burg Luciae  in  biuma  (13.  Decbr.j  154G  im  Corp.  Reform,  vol.  VI. 

2)  Ebend.,  Anschlag  des  Rectors  Caspar  Cmciger. 

Job.  Bufrenhageiif  Wie  es  vns  zu  Wittemberg  in  der  Stadt 
ge^ranjren  ist  —  ~  —  Warhafftige  Historia.  Wittemberg,  durch  Veit 
Cieutzc",  ir,47.  4".  B.  4. 

Ebend.,  C.  4.  Das  Abkommen  über  die  Wehr-  und  Wach- 
pdichtin  der  Wittenberger  Bürger  von  1543  bei  Wentrup.  Die  BelaR. 
Wittenbergs  im  J.  1647,  im  Progr.  des  Oymn.  zu  Wittenberg  1861^ 
a  28. 


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160 


ANALEKT«. 


Umkreise  ausgeraubt  und  verwüstet.  Zwar  Anirfklle  ichoinen 
<lie  Belagerten  oiobt  gcwnjjt  zu  h.il»cn.  Aber  wenn  die  feind- 
lichen Beiter  einmal  alba  keok  den  Mauern  und  Prüeken  der 
8tadt  sieb  luiherteui  wwrde  ihnen  Ton  den  Kugein  dexeelben 
gar  bald  der  Kückweg  gewiesen. 

Dabei  waren  in  der  st  trlt  Bürger  und  Kriegsknechte  guten 
Mutes ,  in  Verträglichkeit  mit  einander ,  in  sicherem  Vertrauen 
auf  den  Obersten,  Herrn  Ton  Mila,  und  den  Hauptmann  Wolf 
Kreutz.  Man  betete  für  den  Kurfürsten  und  dass  er  bald  mit 
Ehren  in  sein  Land  heiuikeliren  möge;  man  schmähte  auf  Her- 
zog Moritz,  den  Verräter  de.=ä  deutschen  Landes  und  des  Glau- 
bens, „des  Teufels  Bitter  und  Soldat".  Wekber  Jubel,  als 
auf  die  Xacliricht  von  der  Heinikchr  des  KurtÜrsteu  die  her- 
zoglichen Truppen  und  die  vertiuchten  Husaren  am  26.  "Dc- 
eeuiber  davnnz'>L'on .  nl«:  die  bisher  Jk  laürcrten  sich  wieder  iu 
freier  Lnft  fühlten  und  ihrerseits  Streifzii^e  unternalitiit  n !  Dieser 
Triunn  h  tdnt  uu'j  nu«  einem  schwunj^haften  Liedc  ent'j:(';iei:, 
das  damals  nach  dem  belielteu  Ton  „Es  geht  ein  frischer 
{SuiuuM-r  d;ih<'r"  credichtft  wurde  nicht  minder  aus  dem 
Briete  Waithers,  der  zu  Lübbeu  aufgefani;(Mi  wurde. 

.,/a  Wittemhers:  auf  dorn  hohen  Wall 

ilürt  man  die  ÜuchHeu  krachen,  ja  krachen*', 

heisst  es  in  jenem  Liedc,  dessen  Sängersich  einen  freien  Lands- 
kneeht  nennt,  der  zu  Wittenberg  ans  und  ein  gehe  und  nnn 
wohl  „  unyerdrongen "  bleibe. 

Zu  denen,  die  während  der  Belagerung  das  grobe  Oe- 
schütz  bedient,  gehörte  auch  Hans  Luft,  der  Meister  der 
bekannten  Druckerei.  Er  war  unter  kurfürstlicher  Besoldung 
BU  einem  grossen  Stück,  der  Singerin auf  den  grossen  Belg 
commandirt.  Die  Mehrzahl  seiner  Oesellen  hatte  er  kurz  Tor 
dem  Beginn  der  Belagerung  entlassen ,  sie  lagen  jetzt  mit 
Spieas ,  Hallebnrde  oder  Arkebuse  teils  zu  Sonnewalde,  das 
von  Wittenberg  aus  besetzt  worden ,  teils  mit  dem  Kurfürsten 
vor  Leipzig. 

Einen  Versuch,  die  auf  das  Leben  und  Treiben  Meister 
Liitts  he/ii^licben  Notizen  zu  sammeln,  machte  Gustav  Georg 
Zeltner  in  seiner  ,, Kurtzgefassten  Historie  der  gedruckten 
Bibel-Version"  u.  s.  w.  (Nürnberg  und  Altdorff  1 727).  Ks  ist 
doch  Leschämeitd  ,  dass  man  in  so  wichtigen  bibliographischen 
Fragen  immer  noch  genötigt  ist,  auf  diese  alte  Scharteke  zurück- 
zugehen ,  während  uns  jetzt  ganz  andere  Forschuiigsniittel  zu 
Gebote  stehen.    Nach  Zeltner  war  Luit  etwa  1495  geboren. 


M  Ein  new  Lied  von  hevzofj  Moritzen  zu  Sachsen,  abgedruckt  bei 
von  Lilie ncrou,  Hist.  Volkbheder  Bd.  IV,  Nr.  546. 


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VOIGT,  CBBrnOtB  WALIS 


161 


Wann  «f  in  Wittinberg  seine  Oraeketei  eitflfiiet»  lieaae  tidh 
ent  sagen,  wenn  eine  Fonchnng  Uber  seine  Draoke  VorUtge. 
Es  moss  aber  schon  in  seinen  jnngen  JaJnen  gesohehen  sein, 
nnd  der  Schritt  hftngt  ohne  Zweifel  mit  dem  ersten  Anblnhefc 
der  jungen  Umyersität  und  mit  der  Wirksamkeit  Ldthers  an 
ihr  msammen.  Gleich  die  ersten  Erwähnungen  Luits  ent^ 
stammen  nos  Luthers  Briefen.  Sohriftsteller  nnd  Drucker  waren 
damals  selten  p;at  aof  einander  zu  spreehen.  Schon  1521  be- 
klagt sich  Luther  über  schlechte  Typen ,  elendes  Papier  und 
Über  die  NdchläRsigkeiten  der  Lnftschen  Offloin,  deren  Meiste^ 
er  als  den  reinen  (rcHchttftsmann  anaokiagen  scheint:  Johannes 
chalcographus  est  Johannes  in  eodem  tempore"  1527  hatte 
Luft  die  in  Wittenberg  herrschende  Pest  an  überwinden.  Er 
blieb  mit  Luther  immer  im  Zusammenhange,  wie  die  Bruck- 
angaben  mancher  der  älteren  Schriften  desselben  bezeugen 
Seit  den  Bibeldrucken  wird  diese  Verbindung  hochbedeut^ani. 
Aber  zuMeden  war  Luther  mit  den  Leistungen  jener  Werk- 
stätte immer  noch  nicht.  Als  1539  eine  neue  Ausgabe  der 
Bibel  auf  grossem  Median-Papior  gedruckt  werden  sollte,  nahm 
er  sich  tor,  sie  zu  revidiren  und  ,,der  Drucker  Unfleiss  zu 
corrigircn".  Eben  das  führte  zu  eh^m  strafferen  System  der 
Drock-Correctur 

Durch  die  Bibeldrucke ,  wie  es  Scheint,  wurde  Luft  ein 
ang^ehener,  wohlhabender,  weithin  bekannter  Mann.  £r  lebte 
mit  den  Wittenberger  Doctoren  wie  einer  unter  ihnen;  auch 
er  hatte  in  der  Begel  Studiosen  im  Hause  und  bei  Tische  wie 
sie.  Bugenhagen  nannte  ihn  freundschaftlich  seinen  Bruder. 
Er  trat  mit  den  Fürsten  des  lutherischen  Glaubens  in  Ge- 
schäftsverkehr. Er  lieferte  ihnen  aus  halber  Getällii^kcit  die 
beliebten  auf  Pergament  gedruckten  Bibeln.  1539  sollten  ihrer 
drei  Exemplare  gedruckt  werden,  von  denen  jedes  etwa  (50  Gul- 
den kosten  würde.  Selbst  Kurfürst  Johann  Frietlncl. ,  wollte 
er  sich  in  solrhcn  15c5!itz  setzen,  rausstc  ihn  zeitig  hestelleu. 
Weitere  neun  Exemplare,  die  hei  dem  nächsten  Drucke  auf- 
gelegt wurden,  waren  nl^tiald  versprochen  und  verkautt.  Von 
dem  Druck,  den  Luit  für  die  L(  ij  /iger  Frühjahrsmesse  von 
1543  Yorbereitete ,  sollten  auf  mehrlaGhe  Anfragen  von  fürst- 


1)  Brief  an  Spalatin  bd  de  Wette  II,  42.  Ohue  Zweifel  ist  hier 
Luft  gememt,  den  Luther  auch  1524  (8.  606)  als  Joh.  Loft  chalco* 
typum  bezeichnet, 

^)  Ebend.  III,  169.  Auch  zweide  ich  nicht,  dass  die  Datiruiu; 
eines  Briefes  von  1538  (S.  313):  „in  domo  a6rea  et  aetherea"  wh-Uich 
auf  Lufts  Oesdiüftslocal  zu  beziehen  ist. 

s)  Luthors  Schreiben  an  den  Kanzler  Brfkck  Tom  19.  Septbr.  1539; 
ebend.  V,  205. 

ZeitMlir.  f.  K.-G.  11 


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162 


ANALKKTEN 


liclier  Seite  wieder  neue  reipamciit -Exemplare  gefertigt  wer- 
den, deren  Preis  aber  jetzt  schon  90  Gulden  überstieg: 

Unter  den  Correctoren  der  Bibel  und  anderer  lutherischer 
Schrifteu,  die  der  Luftschen  Officin  zur  Seite  standen,  wird 
Doctor  Cruciger  obuiiau  genannt.  Er  übte  nicht  bloss  eine 
oberste  Aufsieht,  sondern  gab  auch  in  technischen  Fragen  die 
letzte  Entscheidung  ab,  wo  das  (Jutachtcn  eines  theologisch 
durchgebildeten  Mannes  erforderlich  war.  Denn  Luthers  Saelie 
war  es  nicht,  sich  um  solche  Dinge  anders  als  im  nachtrag- 
lichen Aerger  über  die  Misgriffe  und  Eehler  zu  kiiuiniern.  Bis 
der  Setzer  mit  seiner  Arl)eit  fertig  geworden,  war  der  vorwarts- 
dringendc  Genius  des  Kcformators  scliou  weit  über  sie  hinaus 
und  bei  anderen  Fragen. 

Der  unermüdliche  Corrector  l>uther8,  so  lange  dieser  lebte 
und  noch  manches  Jahr  nach  seinem  Tode,  war  der  Magister  und 
"Witten berger  Kaplan  Georg  K<»rer,  ein  wohlgelehrter  Mann, 
aber  von  derjenigen  Classe,  die  gar  nicht  den  Trieb  in  sich 
spürt,  in  selbständiger  Untemchraung  und  Leistung  dazustehen, 
die  ihr  Tun  freudig  dem  eines  hidieren  Geistes  unterordnet, 
eine  faniulirende  Xutur.  die  wegen  ihres  braven,  bescheidenen 
"NVesens  in  Wittenberg  bei  jedermann  wohlgelitten  war.  Be- 
kannt genug  ist  Magister  Uorarius  als  Luthers  Tischgenosse, 
iSuchsuhreiber  seiuei  Predigten  und  Vorlesungen  und  als  Mit- 
glied des  Collegium  Liblicum.  Eben  1539,  als  Lutlier  die 
Notwendigkeit  einsah,  der  Druc  ker  Untl^iss  ernstlicher  zu  corri- 
giren,  übergab  er  Körer  das  revidirte  Exemjdar  der  Bibelül>er- 
setzung,  nach  welchem  fortan  gedruckt  und  eorrigirt  werden 
sollte.  Körer  wird  nun  actenmässig  „oberster  und  vereideter 
Corrector  in  Hans  Luftens  Buchdruckerei"  genannt.  Auch  nach 
Luthers  Tode  corrigirte  er  noch  in  Wittenberg  drei  Bände  seiner 
Werk«,  ging  dann  1650  nach  Dänemark,  kehrte  aber  UAoh 
Jena  imrückr  um  auch  hier  dem  Druck  der  Wezke  Lutbeia 
vorzustehen.  Als  Schriftsteller  hat  er  sieb  nie  henrorgethan» 
höchstens  dass  er  an  der  alsbald  su  erwähnenden  Streitlite* 
ratur  in  Sachen  der  Jenaer  und  der  Wittenberger  Ausgabe  der 
Werke  Luthers  teilgenommen Helanthon  erschöpft  sein 
Lob,  wenn  er  es  ganz  und  gar  an  die  Edition  der  Werke 
Luthers  knüpft'). 


*)  Ich  benutze  allerlei  Notizen  aus  der  Correspoudenz  des  Herzogs 
Albrecht  von  Preussen  mit  den  Wittenberger  Gelelirten,  die  das  Archiv 
zu  Königsberg  aufbewahrt. 

i^)  .Tolt  (cnr.  Zeltiier.  Correctorum  m  typographüs  eruditonim 
Centuria  (Nornnb.  ITIC.)  p.  175—478. 

3)  Schreiben  au  ilcizog  Albrecht  vou  Preusseu  vom  18.  October 
1547:   a  viro  integerrÜDo,  qui  rerereodi  D.  Lathen  lucubrationes 


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VOIGT,  CHRISTOPH  WALTHER*  163 

Sein  jüngerer  Mitarbeiter  und  später  sein  EiBatzmann  in 
Lttfts  Druckerei  war  Christopli  Walther.  Er  tritt  daheri 
BO  lange  Hörer  in  Wittenbelg  war,  nicht  sonderlich  herror. 
Aber  in  der  Vorrede  zu  seiner  Streitschrift  von  1558  sagt  er, 
dass  er  nun  länger  als  20  Jahre  in  der  Druckerei  corrigiien 
geholfen,  erst  neben  Doctor  Cruciger,  dann  neben  Magister 
Körer.  Wo  er  herstammte,  wusste  der  ältere  Zeltner  „trotz 
nllcr  Mühe"  nicht  zu  ermitteln;  der  jüngere  beruft  sieb  auf 
die  Ötreitschrift  Amsdorfs,  der  Walther  einen  Hessen  nennt 
und  auch  Ton  seiner  Klage  zu  erzählen  weiss,  man  bezeichne 
ihn  als  den  „dürren  Hessen".  Sofort  wollte  man  anch  daraus 
schliessen,  warum  er  gleich  dem  Landgrafen  von  Heesen  die 
calvinische  Lehre  begünstige,  ein  Vorwurf,  mit  dem  man  da- 
mals schnell  und  in  diesem  Falle  ganz  leicht ferHg  bei  der  Hand 
war.  In  dem  aufgefaDcreiiPii  Briefe  nennt  ^^'althe^  selbst  viel- 
mehr den  Herzog  Moritz  von  »Sachsen  als  seineu  Landesherrn ; 
er  bekennt  das  als  eine  Schande.  Auf  den  Landgrafen  von 
Hessen  aber  ist  er  grade  so  übel  zu  sprechen  ^viv  die  Witten- 
bcrger  sonst:  er  nennt  ihn  ,, Landsehrapf",  halt  ihn  für  den 
Urheber  alles  Unglücks  im  Kriege  G:ei?en  den  Kaiser  und  deutet 
mit  Bitterkeit  auf  seine  Doppelelu  ,  die  Uottes  Zorn  herausge- 
fordert. So  bedenklich  steht  es  um  die  ])ersonalen  Nachrichten, 
die  uns  aus  der  ])olemischen  Literatur  zuflicssen.  So  mag 
auch  unwalir  sein,  was  Johannes  Aurifaber  unscreni  Walther 
in  einer  anderen  Fehde  vorwarf,  er  sei  als  eutlauiener  Mönch 
nach  Witteuberg  gekommen. 

Am  wichtigsten  wurde  Walthers  Tätigkeit,  als  er  an  der 
grossen  Wittenberger  Ausgabe  der  Werke  Luthers  arbeitete, 
erst  neben  Ktirer  und  mit  diesem  in  Freundschaft,  dann  als 
erster  Corrector.  In  dieser  Arbeit  zeigt  ihn  unser  Brief.  Wenn 
er  dann  kl;n;t,  dnss  der  dritte  Teil  der  Werke  Ijuthers  (wohl 
der  zweite  dir  lateinischen)  erst  zur  Hälfte  fertig  sei,  wegen 
der  Langsamkeit  des  Dr.  Cniciger,  so  hatte  letzterer  wolil  die 
Anordnung  auf  sieh.  Um  die  Wittenberger  Ausgabe  der  Werke 
Luthers  drehte  sich  denn  aucli  der  Streit ,  dessen  Anlass  zu- 
nächst otfenbar  die  Concurrenz  der  Jenaer  Ausgabe  wurde,  eine 
Fehde,  deren  realer  Gegenstand  sich  doch  auf  rechte  Haar- 
spaltereien beschränkte,  die  aber  mit  den  bösesten  Schmähungen 
langehin  fortgeliihrt  wurde.  In  ihr  schrieb  Walther  den  „Be- 
riobt  Ton  denen  Wittenbergischen  Tomis  der  Bücher  dee  ehr- 
würdigen HarÜn  Luthers,  wider  Matthes  Flaeium  Illyrieum  An. 
1558''  (4*^,  ap.  Job.  Luffbium)  n.  a.,  was  aus  derselben  Druckerei 


multis  iam  aimis  tnli  curavit  et  fideliter  ecclesiae  Dei  iu  earuiu  emcn- 
datione  sertivlt.*' 

11» 


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164 


ASALBKsnnr« 


und  za  ihrer  EhrenTerteidigung  herrorging.  Auf  einige  der 
«{Aterexi  Schnfiten  Walthers,  die  den  beiden  Zeltner  unbekannt 
geblieben,  macht  mich  der  Herausgeber  dieser  Zeitsohrift,  HeD 
College  Brieger,  in  fireundlicher  Weise  aufmerksam.  Die  ge- 
wiss seltenen  Drucke  finden  sich  in  der  auf  diesem  Gebiete  00 
berühmten  Ponickausohen  Bibliothek  zu  Helle. 

Vier  Jahre  nach  dem  Streit  über  die  geeammelten  Wctke 
Xutlicrs  entspann  aioh  ein  ähnlicher  über  die  neue  in  Jena  nach 
den  Heften  Rörers  gedruckte  FnuBpostille.  Anob  hier  erhob 
eioh  Walther  als  Kämpe  der  Luftschen  Offidn,  „als  ein  alter 
Diener  au  ff  Drückerey,  der  ich  auch  neben  M,  Georg  Hörer 
solche  Hauspostill  zu  Wittemberg  habe  offt  helifen  lesen  und 
corrigim".  Sein  Sendschreiben,  das  er  am  Schlüsse,  aber 
nicht  auf  dem  Titel  mit  ».Christophorus  Walthcr"  unterzeichnet, 
führt  die  Aufschrift:  „Antwort  auff  der  Flacianisten  Lügen  vnd 
falschen  Bericht  wider  die  Hauspostill  Doctoris  Martini  Lutheri.. 
Wittemberg.    (Jcdnickt  durch  Hans  Lufft.  1559."   7  Bl.  4^ 

Ein  vielseitigeres  Interesse  noch  gewährt  die  Philippika 
gegen  die  Nachdrucke  der  deutschen  Bibel:  „Von  vnterschcid 
der  Deudschen  Biblien  vnd  anderer  Büchern  des  Ehrnwirdigon 
vnd  Bcligen  Herrn  Doct.  Martini  Lutiieri ,  so  zu  Wittemberg 
gedruckt,  vnd  an  andern  enden  nachgedruckt  werden.  Durch 
Christolf  Walther,  des  Herrn  Hans  Luffts  Corrector.  Wittem- 
berg 15Ö3."  8  Bl.  4**.  Wie  bedeutsam  sind  hier  gleich  die 
Eingangs bemerkungen  über  die  Notwendigkeit  einer  gleich- 
massigen  Orthographie  in  Druckwerken  deutscher  Sprache,  die 
Grundsätze  eines  denkenden  Corrcctors,  der  sein  Leben  diesem 
Fache  geweiht  und  von  seiner  weiterstreckten  Wichtigkeit  ganz 
durchdrungen  ist!  Und  wie  er  Luthers  Verdienste  um  die 
deutsche  Sprache  und  Schreibung  preist,  bei  der  ihm  Doctor 
Cruciger  treulich  beigesUuidi n,  „welcher  der  erst  oberster  Cor- 
rector der  l^ibheu  vnd  ander  Bücher  Lutheri  ist  gewesen". 
Mit  welchem  Stolze  blickt  er  darauf,  dass  ,,wir  hie  zu  Wittem- 
berg recht  Deudfich  drücken  und  recht  Deudsch  corrigirn  von 
jm  (Lutlier)  selber  gelernet  haben Wer  über  die  Kecht- 
sohreibung  der  Luther-Bibel,  und  das  heisst  ja  zugleich  über 
die  Genesis  der  modernen  deutschen  Orthographie  sich  unter- 
riohteii  will,  in  dieeem  Büchlein  findet  er  die  Grundzüge  der 
SBlMOiia  Mag  entk  jBnnldist  der  Bifer  fiir  das  Luftsche  Ge- 
BohSfit  dem  Aator  die  Feder  in  die  Hand  gedxüekt  haben,  der 
Etfer  l&T  die  Sae^e  und  die  Verebrung  £iii  ian  Heiater,  an 
dfiMon  litemneehe  Laufbahn  Walther  sein  dienaibaxea  Baa^ 
geknüpft,  heben  dasselbe  in  das  Licht  einer  Tolleren  HCfiidigung. 
Er  starb  1572»  nachdem  er  34  Jahre  lang  bei  Luft  die  Ckxr- 
leotiir  yerwaltet,  gewiss  ein  mühseliger  Beruf,  der  den  Oeiat 


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YOIOT,  CBSSnXKPB  WALTHEB. 


SlttttK 


165 


beeohränken  und  yerkümmem  mochtü  und  doch  einen  niolii 
gelingen  Grad  von  Bildung  und  Kenntnis  voraussetzte 

Nun  aber  giebt  sich  Walthcr  in  unserem  Briete  noch  als 
Verfasser  einer  anderen  Schrill  kund.  Er  sagt,  er  habe  die 
\Vittcnberger  Erlebnisse,  die  Berennung  und  Belagerung  der 
Stadt  durch  Moritz  „kurtzlich  beschrieben"  und  verweiset  auf 
die  Schachtel  „bey  den  andern  Büchern".  Auch  Schlick  über- 
ßendet  dem  Herzoge  Moritz  dieses  „gedruckte  Büchlein".  Eine 
Schrift,  auf  die  man  jene  Worte  mit  Sicherheit  bizit  lit  n  kcinntc, 
ist  bisher  nicht  bekannt  geworden.  Freilich  entbehren  wir 
gänzlich  der  bibliogruphisclieu  Hülfsmittel,  bei  denen  man  Hat 
suchen  könnte.  Was  Weller  von  „Zeitungen"  gesammelt  hat, 
enthält  nichts,  was  hier  in  Betracht  kommen  könnte.  Und 
dennoch  muss  die  Schrift  existiren;  möchten  die  Verwalter 
reicher  Bibliotheken  zu  einer  Isaclisuchuug  augeregt  werden! 
Man  duiiic  zunächst  an  dns  üben  citirte  Büchlein  Bugenhagens 
denken.  Aber  es  enthält  die  ausdriuk liehe  Notiz,  dass  es  am 
3.  August  1547  zu  Wittenberg  geschrieben  (beendet)  sei,  es 
wurde  daselbst  durch  Veit  Creutzer  gedruckt.  Am  1.  Augu.st 
sandte  Bagenhagen  dem  Herzog  Albrecht  von  Preussen  den  bis- 
her gedruckten  Teil,  am  21.  August  die  ganze  Schrift.  Zwar 
beruft  er  sich  auf  „etliohe  Historien",  die  über  den  Krieg 
im  Prack  erschienen,  aber  er  meint  damit  offenbar  die  den 
Donaokrieg  betreffenden  BeUitionen  nnd  Zeitungen.  Kein  Wort 
davon,  dass  einer,  der  mit  ilmi  in  Wittenberg  eingeschlossen 
gewesen,  den  er  obne  Zweifel  genau  kannte,  schon  yor  ihm 
die  nSmliehen  Dinge  besehrieben. 

Unter  solchen  Umstünden  mag  eine  Yennntung  gestattet 
sein,  bis  sich  etwa  die  unbekannte  Bmckschrift  Torfindet.  Wie 
wenn  Weither  der  Bichter  des  oben  besprochenen  Liedes  wiie, 
wenn  die  vier  Blätter  desselben  das  „Büchlein"  bildeten?  Base 
es  bald  nach  dem  Absuge  der  moritadschen  Truppen  am  26.  De- 
oember  1646  gedichtet  worden,  geht  ans  der  32.  Strophe  her- 
vor. Dass  ee  in  Wittenberg  gedruckt  worden,  versteht  s&di 
von  selbst.  Bs  enthalt  in  der  Tat  die  Hauptiuge  aus  der  6e» 
sehiehte  der  Belagerung  der  Btadt.  Freilich  nennt  sich  der 
Verfesaer  des  Liedes  einen  „freien  Landsknecht".  Aber  auch 
Walther  mag  unter  den  Bürgern  seine  Wachdienste  geleistet 
haben,  wie  Hans  Luft,  sem  Frincipal,  auf  der  Schanae  sein 
Stuck  bediente,  wie  die  Gesellen  der  Druckerei  sich  au  Kriegs- 
diensten selbet  ausserhalb  Wittenbecks  verwenden  Hessen.  Ea 
wSre  nicht  gar  aufihllend,  wenn  er  sieh  als  Landsknecht  be- 


^)  N&heres  bei  Joh.  Gonr.  Zeltner  S.  543— M7  und  in  dem 
Buche  seines  Bruders  Gustav  Georg  S.  78—91. 


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166 


ANALEICTEN 


zeichnete,  zumal  da  solche  Wcmlungen  in  Kriegsliedcrn  beliebt 
und  alter  Ton  waren.  Aucli  i.>t  der  „freie  Landsknecht "  nicht 
regelmässiges  Epitluton  wie  der  „fromme";  sollte  es  nicht  auf 
einen  freiwilligen  Mitstreiter  hindeuten? 

Der  Adressat  des  aufgefangenen  Briefe.'«,  Andre n.s  Auri- 
faber,  war  ein  in  den  üeleluiuukreistm  gleichtalls  wohlbe- 
kannter Mann,  Er  studirte  seit  154  2  zu  Wittenberg  mit  Unter- 
stützung des  Herzogs  Albrecht  von  Freussen  Medicin,  nachdem  er 
sich  zuvor  |ihilasophi.<chen  »Studien  ergeben.  In  jener  Kunst  ver- 
Tollkomninete  er  sich  dann,  wiederum  ;tut  KmsVi  n  (hs  Herzugs, 
in  Italien.  Lr  war  iinlt  s  langst  nul  Heieue,  einer  Tocliter  des 
Buchdruckers  Luft,  \Lilieiratet.  Als  er  am  1,  August  1545 
aus  Italien  und  nach  Wittenberg  zurückkehrte,  hatte  er  bereits 
drei  Kinder.  Er  übersiedelte  nun  nach  Preussen,  um  dem  Her- 
zog als  Leibarzt  zu  dienen.  Hier  starb  seine  Gattin,  wohl 
schon  Tor  dem  Anbruche  des  Jahies  1547;  denn  nicht  ihr, 
sondern  nnr  ihren  Kindern  sendet  Waltiier  Qrüsse.  Er  rer^ 
lobte  sich  im  December  1549  mit  der  ältesten  Tochter  Osianders. 
Seitdem  etwa  spielt  er  in  den  theologischen  Streitigkeiten  eine 
bedeutende  Bolle,  gleich  manchem  Arzte  seiner  Zeit,  ein  hoch- 
angesehener  geheimer  Bat  des  Herzogs.  Am  12.  December  1559 
traf  ihn  abends  um  7  Uhr  ein  plötzlicher  Tod  durch  Sohlag- 
anfeU  anf  dem  herzoglichen  Schlosse 


Schreiben  Christoph  Walthers  an  Andreas  Aurifaber, 
d.  Wittenberg,  20.  Januar  1547. 

Dem  achtbaren  und  hochgelarten  eren  Andreft  Aurifabroi  der 
ertzney  doctor,  meinem  grosgunstigen  eren. 
(Begistraturbemerkung  auf  der  Adresse :  Dieser  biief  ist  von 
grafen  Albrechten  Schligk  landtvoigt  oto.  erfunden  worden  bej 
einem  boten,  so  von  AVittenbcrgk  geluufcn.  — •  In  einer  anderen 
Begifltraturauftchrift  ist  der  Brief  mit  einem  Notabene  ausge- 
zeichnet.) 

Mein  gantz  williger  dienst  zuvor.  Achtbar  hochgclarter 
lieber  err  doctor.  Von  e.  a.  haben  wir  am  15.  Januarii  brieye 
bekomen,  welche  am  12.  Novembris  gegeben  sind,  darin  be* 


M  Vgl.  den  ihm  gewidmeten  Aitikel  in  Herzogs  Real-Encyklopiulic 
Bd.  XIX.  In  Melauthons  Briefen  wird  er  mehrfach  erwähnt,  so  am 
1.  Juli  und  12.  August  1544,  am  l,  August  1545  und  sonst.  Viel 
Material  Aber  sdn  Leben  enthalten  auch  me  Königsberger  Arehivalien. 
S<  in  jangerer  Bruder  ist  der  in  unserem  Briefe  gleichfalls  erwähnte 
Theologe  Johannes  Aurifaber. 


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VOIGT,  CHBISTOPH  WALTHEB. 


167 


tunden,  das  es  c.  a.  wolgeut,  dcslialbcn  wir  von  hertzeu  troh 
^ind  und  gott  danckeii.  Wir  haben  aber  sider  Michaels  keinen 
Bnef  von  e.  a.  emptangin.  Wir  sind  auch  noch  alle  frisch 
und  gesund,  aber  hertzlich  betrübet,  das  macht  der  verbuchte 
man,  verretherische  man  h.  Moritz.  Wie  derselbe  tolle  un- 
fletiger  mensch  mit  uns  armen  leuten  sider  Michaels  gehandelt 
hat  und  Witeniberg  bcdagert,  hab  ich  kurtzlich  beschrieben,  das 
mag  e.  a.  le<en ,  es  leid  in  der  schachte!  bey  den  andern 
biicheru.  Ich  weis  das  er  die  gnistc  ursaeh  ist,  das  der  keiser 
polchen  krieg  hat  angefangen,  wird  dazu  zu  einem  ott'entlichcii 
Tcrrethcr  deudsclis  landes  mit  seinen  liusBcrn,  die  leider  auf 
den  sommer  den  turcken  werden  herein  brcngen.  Es  ist  mir 
eine  schände,  das  er  mein  landsherr  ist.  Unser  lieber  chur- 
furst  ist  gantz  ergrimmt  über  Le^-pzig,  zuscheusts  gar.  Haben 
sich  erboten,  sie  wollen  im  ein  grosse  summa  gelds  geben,  er 
soll  sie  zu  gnaden  annemen  und  das  kriegsvolk  lassen  frey  ab- 
zihcn.  Das  hat  er  niiht  wollen  thuu,  denn  es  sind  die  ergcsten 
buben  drin,  Ii.  Moritzen  rote*).  Vieleicht  ist  der  ertzschelni 
M.  Frantz  Klam  auch  driunc,  der  sich  zu  sukhei:»  aufrur  wed- 
lich  gebraucht  hat,  und  ist  bey  den  uusern  Iiiuten  und  forn 
gewesen,  ein  rechter  falscher  mensch.  War  dazu  im  sommer 
in  wclschland  und  bey  etlichen  bischovon  dieser  bösen  Sachen 
halben,  kam  auch  kurtz  darnach,  als  er  wider  aus  weUchland 
kam,  zu  den  anaern  gen  Witemberg 

Unser  lieber  herr  Philippus  Melanihon  ist  Tor  acht  tagen 
▼on  Magdeburg  komen,  er  ist  aber  neulich  wider  weg,  wolt 
gern  bie  sein,  aber  weil  wir  ndch  nicht  sicher  sind,  darf  er 
nicht  hie  bleiben,  denn  es  kernen  viel  Studenten  her,  deshalb 
ist  er  wider  weg 

E.  a.  bruder  M.  Johannes  helt  auch  noch  zu  Magdcbnig 
haus.  Am  17.  Januarii  hat  ein  böte  Ton  Breslau  briete  an  in 
bracht,  der  sagte,  das  doctor  Hess,  M.  Joh.  weibs  vater,  ge- 


i)  Aehnliche  Dincro  Uber  die  Zerschiessmifi  LcipziL's  sat't'  ;iut  Ii  der 
Bote  ans,  den  Graf  Schlick  jnit  dein  Hiiefc  ablinL::  tlic  JMailt  sti  an 
drei  Stellen  iu  Tiümiuer  froschoüseu  und  wolle  s>ich  ei^ebeu,  der  Kur- 
fOrst  aber  wolle  sie  mit  Gewalt  stttrmen  und  alles  darin  todtschlageo. 
An  diesen  Aussagen  merkte  Schlick  alsbald,  dass  der  Bote  Dicht,  wie 
er  voreab.  vor  Loinzitr  •rowpsen  soin  könne. 

*)  Sehr  ähnlich  urteilt  Uber  diesen  Franz  (jracum  oder  Cr  am, 
der  sp&ter  Professor  der  Rechte  in  Leipzig  und  Hat  der  Kurfürsten 
Morits  und  August  war,  Ratzebcr^rer  (Gcsdi.  über  Luther  und  s. 
Zeit,  heraus?,  von  Xeudocker  [Jena  S.  151.   DnL'ptren  nennt  ihn 

Ca  me  rar  ins  im  Briffe  an  Melauthon  v.  2.  Januar  1547  (Corp.  lief, 
vol.  VI)  einen  „vir  optiuuis". 

Von  Meianthon  haben  wir  Briefe  aus  Wittenberg  vom  13«,  14 
und  15.  Januar  1647,  am  19.  schreibt  er  wieder  aus  Zerbst. 


168 


storben  were,  brechte  im  derhalb  brieve.  Da  tabeii  wir  in 
iJiUgs  gen  Magdeburg  heissen  lautVn 

Unser  druck erey  ist  gar  wüste  von  gesellen ,  Denn  bald 
als  h.  Moritz  vor  Witteniljcrf;:  zog,  Iiis  der  vater  die  gesellen 
scheubun,  sind  nu  eins  theils  zu  Sonnewald  in  der  besatzung 
eins  theils  aber  vor  Leypzig.  Haben  nur  zu  einer  presse  ge- 
sellen, damit  vierzehen  tage  geerbeit.  Es  hat  auch  e.  a.  vatcr 
besoldung  Yom  churfursten  gehabt,  denn  er  war  lu  einem  grossen 
fltück,  die  singehn  genant,  auf  den  groaMn  bei^  verordnet. 

Die  büoher,  so  der  fiirst  begert,  und  die,  so  e.  a.  begert, 
^  ich  «üt  ■llem  tUoi  liestellen  imd  suschieken  Jks  diitU 
iomns  Lutberi  iit  noch  mcbt  die  hMß  fertig,  so  langsam  iat 
D.  iGreiitsiger  ^).  Wir  haben  im  druck  bibUsm  mit  gespaltan 
Oolemms,  grosse.  postUl  Luth.,  n^w  testament  klein').  Der 
bapft  ist  lang  damit  nmbgangen,  das  er  die  m^verstet  und 
draokerey  acntdiete.  Denn  die  haben  im  sein  reich  aecftorei. 
Itit  leet  siehe  anseban,  als  solts  im  geraten.  Aber  es  wixd 
sieh  das  spiel  wenden.  O  wie  wird  man  die  pfaffto  in  Deudsoh- 
land  stöbern»  die  aqlch  spiel  haben  angerichtl  Als  Tiel  p&ffen 
in  Dendschland  sind,  so  viel  sind  Temther.  Aber  nnaer  heim 
sind  an  linde:  sie  Teijagen  sie,  so  man  sie  doch  alle  billiob 
eolt  todsjofalagen,  weil  sie  in  der  warheit  Tenether,  anlMrer  und 
laaterer  gottos  namens  sind.  E.  a.  wird  sich  wol  wissen  au 
halten  des  bischofe  von  Halle  halben,  denn  er  ist  ein  maig- 
grave  yon  Brandebnig,  obs  auch  den  hofejonokem  oder  forsten 
selber  bew^en  mtfoht,  so  sie  von  e.  a.  httreten,  er  weie  be- 
strickt 7). 


1)  Der  bikauute  Job.  Hess  starb  in  Breslau  nach  Köstlin  „am 
Vorabende  des  Erscheinungsfestes''  (5.  Januar)  1547.  Melanthon  con- 
doliit  dem  ,Tnh.  AurifabfT,  der  während  der  Wittonberger  iielageriuig 
nach  Maj^deburg  getiüchtet,  aus  Zerbst  am  21.  Januar. 

>)  d.  h.  Auriraberg  Schwiegervater,  wie  auch  Mdanfhon  in  dem 
eben  erwähnten  Condolenzschreiben  vom  pater  spricht. 

3)  Kach  dem  Abztijre  der  herzn^rlichcn  Truppen  von  Wittenberg 
nahm  der  dortige  Coniniandant,  Beruhard  von  Mila,  am  5.  Januar  1547 
mit  4  Fähnlän  und  300  Reitern  Sounewalde,  das  dem  Grafeu  von 
Sohns  ziigchörte  und  von  diesem  nicht  verteidigt  wurde. 

*)  Der  Brief  des  Herzogs  Albmlits  von  Preussrn  an  Hans  Luft 
V.  10.  K()vbr.  1.^46.  worin  er  der  durch  Andreas  Auritaber  zu  bp- 
stelleudeu  Bücher  gedenkt,  tiudet  sich  im  Kutwurf  im  Künigsberger 
Archiv.  Auf  diese  Bestellung  bezieht  sich  Walther.. 

Gemeint  ist  wohl  der  2.  Teil  der  latdiUBcheii  Schriften,  der 
1548  erschien. 

6)  Die  hier  aufgeführten  Drucke  ilürftrn  in  einer  mit  Lutber- 
Schriften  wohlausgestatteteu  Bibliothek  zu  luideu  »ein. 

f)  Der  Erzbischof  von  Magdeburg  war  von  Johami  Friedrich  in 
Balle  zur  Abtretung  des  Stiftes  gegen  eine  Pension  geoötigt  worden 
und  hatte  am  II.  Januar  das  Schloss  zu  Halle  verlassen. 


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ToioT,  cmm^m  valtber. 


16» 


Wie  unser  churfarst  sampt  seinen  bundsverwandten  vom 
keiser  sind  abgezogen  und  was  sie  habeu  ausgericht,  kan  mim 
nicht  wissen,  so  still  wirds  gclialten.  Man  kan  auch  nicht 
wissen,  wo  der  keiser  ist.  Etliche  sogen,  er  sey  tod  Pas 
sichs  auch  mit  dem  keiserischen  krieg  so  lang  vcrzoj^en  hat, 
ist  gewis,  wie  ich  bald  im  anfang  sagte:  so  die  unsern  den 
keiser  nicht  bald  schlagen  werden  oder  sonst  glück  haben,  ist 
warhaftig  der  landsehrapf  ursach.  Itzt  war  Crato  drucksetzcr 
von  iStrassburg  allhie,  welcher  dem  churfursten  dienet  und  aus 
dem  lager  von  Leypzig  her  kam,  der  sagte,  das  man  den  keiser 
bald  im  anfang  wol  hett  können  vor  Ingelstad  schlagen,  wenn 
man  hett  nachgefolget.  Fragte  ich ,  was  die  Ursache  were. 
Sagte  er,  des  landgraven,  der  hat  nicht  hinan  gewolt,  dazu 
dem  churfursten,  der  schon  sein  Schlachtordnung  gemacht  und 
hinan  gewolt,  heftig  widerraten  und  gewehret.  Denn  ich  kan 
nicht  gleuben ,  das  der  landgrave  in  solchem  krieg  gluck  solt 
haben,  ursach  weis  ich.  So  hab  ich  auch  die  heilige  schritt 
wol  durcli  lesen,  das  ich  solch  ding  leiehtlich  ersehen  kan. 

Man  hat  noch  heut  diese  nacht  viel  kogeln  und  pulver 
gen  Leypzig  gefurt.  Die  obersten  des  kricgs ,  so  drinne  sind, 
wissen  wol,  das  inen  ir  leben  gild,  wenn  sie  es  gleich  auf- 
geben. Derhalb  wehren  sie  sich  heftig.  So  verschonet  mein 
herr  auch  des  armen  heuflins.  Denn  sie  wollen  das  weiber- 
Tolck  nicht  eiauslasseni  so  es  doch  der  churfurst  an  sie  heftig 
begert  hat.  Nu  ist  mein  herre  entschuldigt,  hat  aach  Sffaiit- 
licb  an  die  landschaft  geschrieben  nnd  im  druck  lassen  aus- 
gehen (e.  a.  schick  ich  S  exemplar),  das  er  zu  solchem  blnt- 
▼eigissen  gedrungen  ist  *}.  Wie  es  noch  ein  ansgang  haben 
wird,  will  ich  e.  a.  in  kortz  auch  zuwissen  thun.  Damit  sey 
e.  a.  gott  befolen.    Datum  20.  Januarii  anno  1547. 

£.  a.  williger 

Christof  Walther. 
Es  ist  auch  ein  brief  zu  Leypzig  gedruckt  (das  sie  ja 
diese  strafe  wol  rerdienen  haben  wollen)  im  namen  D.  Mar. 
Lutheri,  der  heltt  daa  sich  die  Christen  zu  keinem  krieg  be* 
geben  sollen  etc.  ^.    Da  wider  hat  Justus  Menins  itzt  lassen 


1)  Ein  bekanntes,  nicht  nur  in  den  niederen  Stünden  zu  Sachsen 
umlaiifrndes  Gerede.  Wie  man  in  Witteuber*?  iio<h  um  14.  April,  als 
der  Kaiser  bereits  im  Vo^rtlande  war,  an  seinem  Leben  zweifelte,  zeigt 
der  brief  des  iiasilius  Mono  er  im  Corp.  Ref.  vol.  VI,  p.  466. 

*)  Das  Ausschreiben  Johann  Friedriclis  an  die  Landschaft  des  Herzog 
Moritz  V.  27.  Derbr.  154G  bei  Hortleder  Bd.  II,  Buch  8,  Cap.  66. 
Xch  kenne  einrn  OrijrinaUlruck,  der  v.  22.  Declu*.  datirt. 

s)  Diesen  Leipziger  Druck  fiüirt  Bretschueider  im  Corp.  Ref. 
ToL  YI,  p.  356  auf.  Vgl.  auch  Melanthons  Kachweis  der  „fremden 
Zusätze*"  p.  860. 


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170 


ANALEKTBN. 


ein  buchlin  ausgehen  \).    So  drucken  auch  w'iv  itzt  dawider 
Weil  aber  der  Bote  nicht  hat  konneu  harren,  bis  er  fertig 
ward,  schick  ich  dieweil  die  gedruckten  bogen.    Ea  feilet  mir 
am  D.  Pomer,  sonst  wer  e=!  schon  Icrli:;. 

Viel  tausent  gutte  nacht,  sonderlicfi  Kctgen  und  Martgen 
(Orig.  im  Dresd.  Arch.  Loc.  9140.) 


3. 

Zur  Geschichte  der  ProtestanteDverfolgung  in 

fraokreich. 

Yuii 

Arnold  Sehaefer 

in  Bonn. 


Man  hat  häufig  Anstoss  daran  genommen,  dass  in  der  Zeit 
des  siebenjährigen  Krieges  von  preussisclier  und  mehr  noch  von 
englischer  Seite  auf  die  (»etahr  hingewiesen  wurde,  welche  dem 
Protestantismus  durcli  das  Bündnis  des  österreichisclien  und  dos 
iranzüsischon  Hofes  drohe,  und  Imt  jede  Beziehung  dieser  Allianz 
mit  die  kirchlichen  Verhältnisse  in  Abrede  stellen  wollen.  Dass 
dem  nicht  so  sei,  stellt  gegenwärtig  durch  urkundliche  Zeugnisse 
fest.    Gleich  in  den  ersten  Anträgen,  welche  Maria  Theresia 


1)  Die  Schrift  des  Justus  Menius  .,Von  der  Nothwehr  I  nter- 
rteht'*  u.  s.  w.  ist  bei  iiortledcr  Cap.  29  abgedruckt.  Wie  Mclau- 
thon  eine  Falle  von  Zus&tzen  und  Beistttcken  dam  lieferte,  zeigen  seine 
nach  Witt*  iibei^'  seit  dem  16.  NoTbr.  1646  gerichteten  Briefe  im  Corp. 
Kef.  vnl,  VI  \ irlfach. 

I>as  bezieht  sich  nicht  etwa  auf  die  Schiift  „Von  der  D«^fensioii 

und  Gegenwehr  durch  D.  Regium  Selinuui  "  (Basilium  Mouueruin), 

8.  I.  1547,  wiederholt  bei  Hortleder  Gap.  80;  denn  diese  Schrift  war 
schon  am  11.  Decbr.  1546  erschienen,  wie  Melauthons  Brief  an  Cruciger 
von  diesem  Tage  beweist.  Gemeint  ist  vielmehr  die  durch  Ilaiis  Luft 
1547  edirte  „Erkleruiig  D.  Martin  Luthers"  u.  s.  w. ,  die  Bret- 
schneider  neben  dem  Leipziger  Druck  anfahrt  und  die  bei  Hort- 
leder Cai>.  28  wiederholt  ist. 

■•)  l>io  Kinder  Aurifabers.  Im  Octobcr  1553  starben  ihm  zu  Königs- 
berg zwei  Tüchter  aus  der  ersten  Ehe.  v<in  denen  die  jiinL'«Me  .\nna 
hiesSf  die  ältere  in  seinen  Meldungen  an  Herzog  AlbrecUt  nicht  genannt 
wird.  Wohl  aber  nennt  er  bei  dieser  Gelegenheit  den  Namen  semer 
ersten  Frau  Helene, 


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8CHAEFER,  FBOTE8T.-VERFOLOUK0  IN  FRAMKBEIGH.  171 


am  21.  August  17öö  au  den  itanzitsischeu  Hof  richtete,  wird 
Ludwin:  XV.  vorgespiegelt,  dass  England  sich  mit  Preussen  zu 
verbinden  suche,  um  die  Interessen  der  katholisrhon  Religion 
seinen  besonderen  Absirhteu  zu  opfern.  D.is  politisclie  ISysleni 
des  Österreichischen  Hofes,  indem  er  Frankreich  dio  Allianz 
antrug,  lief  darauf  hinaus,  die  ersten  katholischen  Machte  gegen 
die  protestantischen  zu  vereinigen  und  damit  die  bisherige  Ge- 
stalt des  europäischen  Crleicligewichtes  völlig  zu  verändern 

Lu  lwig  XV.  ging  auf  diese  Vorötellungen  lebhaft  ein,  wie 
er  dem  Duc  de  Choiseul  erklärte:  er  sei  des  (Jlaubens,  Gott 
werde  ihn  nicht  venlammen,  wenn  er  als  König  die  katholische 
Religion  erhalte,  und  er  habe  in  keiner  anderen  Absieht  sich 
mit  dem  Hausr  Oi  sterreieh  verbündet,  ah  um  den  Protestantismus 
zu  verniehtcu  -).  (Janz  entsprechend  diesen  (Grundsätzen  cr- 
lolgte  nach  dein  Tode  des  milden  und  treidenkenden  Papstes 
Benedict  XIV.  im  Jahre  1758  die  Wahl  des  beschrUnkteu,  aber 
kirchlicli  eifernden  Clemens  XIII. 

Durch  die  lieldcnmütige  IStandhaftigkeit  Friedrichs  des 
Grossen  ward  das  Vc  rliabcn,  die  Protestanten  zu  unten! nicken, 
vereitelt.  Da  Ii  er  spricht  Maria  Theresia  in  dem  Kescript  au 
ihren  Cicsandteu  in  Frankreich,  Grafen  Starhemberg,  am  28.  Mai 
1762,  ihr  Bedauern  aus,  „dass  Wir  der  in  dem  Laut  des  gegen- 
wärtigen Kriegs  mehrmalilen  sehr  nalic  geschienenen  Hoffnung 
entsagen  sollen,  den  König  in  Preussen  als  Unseren  gefährlich- 
sten Feind  und  Nachbarn  in  die  behörige  Gränzen  zu  sezen, 
und  andurch  nicht  nur  die  Wohlfahrt  und  das  Aufnehmen  und 
die  Sicherheit  Unseres  Erz-Hauses,  sondern  auch  die  Catholische 
Religion  und  deutsche  Reichs^Qrund-Verfiissung  lu  unterstützen 
und  2u  heidrdem  ". 

Mit  diesen  Tendenzen  und  dem  Rüokzchlage,  den  ihre 
Vereitelung  hervorrief,  hängt  es  zusammen,  dass  in  Frankreich 
die  Verfolgung  der  Beformirten  wählend  des  Krieges  sich  ver- 
stärkte und  noch  einmal  blutige  Opfer  forderte,  dass  sie  aber 
mit  dem  Ende  des  Krieges  nachliess.  Dies  hat  Eulhi^re  in 
den  Eclaircissements  sur  les  causes  de  la  R^vocation  de  TEdit 
de  Nantes  II,  cap.  8  (Oeuvres  V,  498  sq.)  in  aller  Schärfe  aus- 
gesprochen: „Wenn  wir  an  der  Hand  der  Geschichte  auf  die 
Regierung  Ludwigs  XV.  zurückkommen,  so  werden  wir  sehen, 
wie  mit  den  ersten  Feindseligkeiten  gegen  England  diese  bar- 
barische Jurisprudenz,  deren  Ursprung  wir  erläutert  haben,  und 
die  Verfolgung,  welche  sie  veranlasste,  sieh  während  der  Dauer 


*)  Arneth,  Maria  Theresia  IV,  äa4.  384. 
*)  St  Priest,  Bist,  de  la  chute  des  Jdsuites  (Paris  1844)  p.  49, 
aus  ChoiseuU  Papieren. 


in 


JÜÜAUSKTEH, 


zxsticr  Kriege  behauptete  (1744 —  174)^,  1756 — 1762j.  Die 
in  den  letarten  Jahren  Ludwigs  XV.  wiederauflebende  Toleraiu 
hat  den  Frieden  von  1702  zur  Epoche  pehabt.  Nicht  eher 
sind  die  Kerker  gesclilossin,  die  Schatibtt«  niedergeschlagen, 
alfi  nach  der  ünterzeiclmung  dieses  Friedens." 

Es  wird  daher  gerechtfertigt  sein,  wenn  ich  nach  den  von 
Fricdricli  Christo})h  Hrhlosser  in  dem  tranzöpipclum  Staatsarchivo 
gemarhten  Auszügen  die  Hau}tt punkte  der  lustruction  mitteile, 
welche  dem  Marschall  Ki<  liulieu  in  Betreti  der  Protestanten  ge- 
geben wurde,  als  er  17 '»8,  von  dem  unrühmlich  geführten 
Commando  der  Armee  in  Deutschland  nbgcrufen,  sich  als 
Cxeneralgouvemeur  nach  Guyenue  begab  Ich  erinnere,  dass 
der  als  Wollüstlinp:  verrufene  Duc  de  Kidielieu  schon  als 
Lieutenant -General  du  Uoy  eu  Languedoc,  namentlich  1754, 
die  härtesten  Massregelu  gegen  die  Protestanten  anbetohlen 
hatte. 

Auf  eine  v()llige  Ausrottung  der  Protestanten  rechnet  die 
Ik'f^iüiung  nicht  mehr:  sie  will  sie  nur  nicdtiliaiten.  So 
heisst  es  denn:  „La  nccessit^  d'en  imposer  aux  Protestuns  —  G»t 
aussi  instante  en  Guyenne  qu'en  Langucdoc.  Le  projet  de  les 
rendre  tout-a-coup  dociles  aux  lois  de  l'eglise  et  de  l'^tat  seroit 
trop  vaste  et  meme  dangereux;  il  paroit  dans  le  moment  pre- 
Mnt  plns  judioieux  de  se  bomer  i  l'objet  de  lee  ramener  an 
point^  dans  iequel  ae  aont  jusqu'ici  oantenas  les  autres  Pro* 
testaBB  dans  le  reete  du  royaume,  o&  on  n'a  poial  encore  «a- 
tendü  parier  d'asaemblto  priv^s  ou  oonsiatoirea»  d'aasembl^ea 
generales,  ni  de  mariagcs  ni  de  baptömes  dans  le  deaeit." 

Die  Scbwierigkeiteii  dea  Einachieitens  werden  nieht  Ter» 
kannt:  aber  in  Guyenne,  wird  bemerkt,  hat  die  Toleians  nicht 
io  tief  einwnzaeln  können,  wie  in  Langnedoo,  wo  der  Manchall 
Mirepoix  Naohaicht  geübt  hatte  *}:  hier  sind  „mit  Auswahl  Be- 
fehle sur  Verbannung  und  Binkerkerung  gegen  die  Angeaehensten 
erlassen  worden'^  Deigleichen  Beispiele  der  Strenge  sollen  aaoh 
ftorner  gogoben  werden,  um  durch  die  Furcht  au  wirken.  Die 
Instruction  sagt  darfiber:  „Puisqu'il  est  inutile  et  qu'il  seroit 
mdme  dangereux  —  de  tenter  de  ramener  lea  Fxotestans  k 
l'obässanoe  par  la  persuaaion,  il  fiiut  y  parrenir  par  la  ciainte. 
On  ne  parle  pae  de  cette  sorte  de  crainte,  qui  imprime  la 


Carton  K.  1Ö2.  1754—1762:  „Instruction  au  Duo  de  Richelieu, 
(r  in\<  ü,  w  (it  iieral  de  Ouveune,  allant  dans  son  gouvemement**  Riehe- 
iieu  >var  hon-its  1755  zu  uicsrni  Posten  ernannt  worden. 

5^)  Der  M.irsdinll  l>iic  (le  MirejHiix  ward,  nachdem  er  im  .lahre 
1755  von  seinem  Oesandtschaftsposten  am  enghschen  Hofe  abberufen 
war,  zu  RichelieuB  Nachfolger  in  Languedoc  emaimt»  starb  aber  be 
reits  1767. 


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SCHAEFEB,  FR0TE8T.<-VSHF(MbGQNG  IN  FRANKREICH*  173 


teitiBi»  eft  cpü  «OBdait  aa  d^eapo»,  ctt  qu»  peut  ainiver  qaaaä 
on  d^ploie  tonte  la  a€x6niB6  des  Ida  et  qa'ön  Im  appUqae  k 
kl  lob  la  multitade  d€B  ooupablas  Bdlia  diatiactioiL;  maia  on 
•litatid  parier  de  la  eiaintSB  «^oi  vient  de  VimpMeaioü  des  exemples 
de  s^v^riU.  CTest  sur  oea  ptiaoipei  qna  S.  M.  a  fiit^  un  ^Uul 
d'op^tionS)  en  lioi  dontfant  pow  base  Poliget  Wn^,  quant 
i  pvdieiit  ^  zaüettev  las  Ptotcstans  de  Guyenne  au  point  de 
ceux  des  autrea  provineea,  ou  lea  asBemblte»  lea  inririagea 
et  lea  baptemes  au  desort  pont  iuconnoa.** 

Um  den  Zweck  der  Einsohüchterung  zu  erreichen ,  wird 
auch  nicht  der  Schein  eines  gerichtlichen  Verfahrena  gewahrt, 
Bondem  ea  0OII  nach  allerhüchstcr  Willkür  Verbannung  und 
Einkerkerung  verhängt  werden:  „Le  Roy  ae  zeaerre  de  donner 
imm^diatement  Ses  ordiea  particolieia  pour  lea  exils  et  lea 
emprisonnemens  sur  les  aris,  qui  ltd  aeront  donn^s  dans  les 
cas  qui  requerront  plus  de  c^l^t^,  qn'on  ne  peut  attendre  dea 
focmalit^s  de  justice." 

Insbesondere  soll  die  Strafe  für  die  Aufnahme  oder  die 
Begleitung  der  Geistlichen  jederzeit  den  durch  Stand  und  Cha- 
rakter ausgezeichnetsten  oder  den  reichsten  tretfen:  „A  1  egard 
des  religionnaires  qui  auront  re<,u  chez  cux  les  ministres  ou 
predicans.  ou  qui  les  auront  aceonipagnes  dans  les  chemins, 
dont  il  aura  6te  donne  avie  a  l'lntendant,  ou  qui  seront  de- 
nonces  au  Procureur  g^neral,  ou  dont  le  S^  Marechal  de  Riche- 
lieu aura  connoissanee  par  lui-meme,  le  procea  ne  sera  fait 
suivant  la  rigucur  de  I'arret  du  21  Xovcrabre  [1757,  du  Parlu- 
ment  de  Bordeaux] ,  pour  raison  de  la  uieme  contravention 
commise  par  plusieurs,  qu'ä  un  seul  de  ces  contravenants.  Le 
S'.  Marechal  de  Rieholieu,  l'lntendant  de  la  Generalite,  le  S'. 
Premier  President  du  Parlement,  et  le  Procureur  geueral  s'assem- 
bleront  ä  l'effet  de  deliberer  sur  le  choix.  II  devra  toujours 
tomber  sur  le  plus  distingue  par  son  etat  et  qualite  ou  sur 
le  plus  riebe." 

Mit  gleicher  Härte  und  Ungerechtigkeit  soll  ,,dcn  Um- 
ständen gemäss"  gegen  die  Vorleser  und  Aeltesteu  einge- 
schritten werden,  auf  Grund  der  von  dea  Behörden  auföjestellten 
Listen:  „II  sera  envoye  au  Secr^taire  d*^tat  du  departemeut 
des  etat?  des  noms  des  lecteuis  et  iiueiens,  de  leur  qualite, 
professiou  et  facultes,  pour  en  rendre  compte  a  S.  M.,  qui  les 
fera  punir  suivant  les  circonstances  plus  ou  moins  aggravantes 
par  la  prison,  par  le  renfermement  dans  des  hopitaux  ou  nud- 
aons  de  force,  dans  des  chuteaux  et  citadelles,  oü  par  l'enl 
en  dea  Ueux  non  suspects  et  hors  de  port^  de  nnire.'^  — 

Ein  Yerzeiohnia  der  Proteatanten  in  der  Dauphin^  Tom 
Jahre  1765,  nach  Pörfiom,  Flecken,  Stildten  geordnet,  enthält 


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174 


ANALBKTEN. 


Carton  E.  155;  die  Gesammtsomme  wiid  auf  nicht  weniger 
ab  7684  Familien  mit  33883  Gliedem  gerechnet. 

Die  dem  Marschall  Ricbelien  erteilte  Instruction  dient  zn 
schlagender  Beleuchtung  des  von  Rulhi^re  in  der  för  König 
Ludwig  XVI.  bestimmten  Denkschrift  ausgesprochenen  Urteils, 
dass  die  gegen  die  Protestanten  in  Frankreich  so  lange  Zeit 
geübte  Bedrücknng  kein  Beispiel  bei  irgend  einem  Volke  ge- 
habt habe. 


Druck  TOD  Friedr.  Andr.  Perthes  in  Gothft. 


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AUgememes  Aber  BedetttoBg  uad  WirkuDg  des 

historischen  Sinoes. 

Von 

Dr.  W.  Gass. 


Theolo£^isclu'  Zmtschrifben  wollon  in  der  Regel  durch 
Abwechslung  der  iu  ihnen  bearbeiteten  Stoße  und  FiTigen 
ihren  Beiz  erhöhen;  ungern  dienen  de  einer  einzigen  Dia- 
ciplin.  Nnr  die  KircfaeDgeBchichte  fßrchtet  die  Gefahr  der 
Bintönigkeit  nicht,  anch  wenn  sie  allein  von  den  Heften 
einer  Zeitachrit't  Besitz  nimmt.  Was  sie  zu  diesem  Selbst- 
vertrauen berechtigt,  ist  nicht  allein  der  unermessliche  üra- 
fiing  Ihm  eignen  Gebietes,  die  Menge  ihrer  Gegenstände 
nnd  Anfgaben,  die  aqch,  wo  sie  erledigt  scheinen,  doch  in 
anderem  Zusammenhange  anfs  nene  herrortreten,  sondern  sie 
gebt  dabei  von  der  Ueberzeugung  aus,  dass  sie  mit  der  Pflege 
ihrer  selbst  auch  allen  anderen  Studien  Nahrung  giebt.  Die 
historische  Theologie  heisst  der  uuttlere  Körper  der  ganzen, 
sie  ist  in  der  Tat  der  grosse  Strom,  In  welchen  anch  die 
flbrigen  wisseiischaflilichen  Leistungen  sich  einzntancfaen  haben, 
von  dem  sie  zuletzt  in  ihrer  jedesmaligen  Gestaltung  auf- 
genommen werden;  um  so  stetiger  soll  sie  iliren  Portgang 
nehmen.  Reinigung,  Berichtigung  und  Erweiterung  der  Kr- 
kemitnis  ist  das  Ziel  aller  Forschung;  wie  langsam  sie  fort- 
schreitet, wie  Tide  Mfihe  versuchsweise  aufgewendet  wird 
und  wie  oft  die  Ziele  durch  Umwege  hinausgeschoben  wer- 
den, weiss  jeder  sell)stiindige  Teilnehmer.  Aber  von  der 
jedesmaligen  Neuheit  der  Ergebnisse  darf  der  Wert  histori- 
scher Arbeit  nicht  allein  abhängig  gemacht  werden.  Sollte 

ZtfftMhr.  1  K.-0.  12 


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176 


GASS, 


das  Forschen  auch  hier  und  da  mislini^en  und  Pausen  lassen, 
oder  die  Kunst  des  Darstellens  hinter  ilim  zurückbleibeilt 
Eins  darf  selbst  unter  momentanen  Fehlgriffen  and  Stockongen 
doch  niemals  abgebrochen  werden,  das  historische  Denken 
als  das  stille,  unentbehrliche  Geschäft  der  Einführung  eines 
Vergangenen  in  das  Bewusütseiii  der  Ge<^'enwart  oder  der  Rnck- 
beziehung  einos  Gegenwärtigen  auf  einen  älteren  Bestand,  die 
trene  Soige  für  Erhaltung  und  Fortleitung  eines  unsichtbaren 
Vermflchtnisses.  Alle  geschichtlichen  Mitteilungen  haben  einen 
Wert,  wenn  sie  aus  einem  historischen  Denken  entsprungen 
sind  und  zu  dessen  Ikdebung  beitragen.    Durch  diestis  Denken 
werden  Ideen  verkörpert,   indem  sie  in  die  Schranken  be- 
gleitender Umstände  und  Zeitverhaltnisse  eintreten,  Hand- 
lungen und  Tätsachen  vergeistigt,  weil  sie  im  Lichte  ihrer 
Beweggrfinde  und  Zwecke  erscheinen;  beide  aber  empfangen 
ein  zweites  Dasein,  welches  eben  dadurch  Aufnierksixmkeit 
verdient,  dass  es  irgendwo  und  irgendeinmal  einen  gewissen 
Moment  des   individuellen   oder  gemeinschaftlichen  Lebens 
wiriotfun  auii^eföllt  hat   Denn  dabei  darf  ja  der  geschieht* 
lidie  Yortrog  niemals  stehen  bleiben,  dass  er  Gewesenes  der 
Zeitfolge  nach  ein&ch  aufzählt,  er  setzt  sieh  damit  zum 
blossen  Ausdruck  der  Erinneruiig  und  zum  Schutzmittel  gegen 
die  Yergesseuheit  herab;  dann  erst  erhebt  er  sich  zu  einer 
höheren  lepiodudienden  Geist(^stätigkeit,  wenn  er  das  Qe» 
sohdiene  als  vormaligen  Bestandteil  des  Menschenlebens,  also 
in  seiner  vollen  Wahrheit  und  Wirksamkeit  zum  Veisttaidnis 
bringen  will. 

Die  besondere  Leichtigkeit  und  Lebliattigkeit  des  histo- 
rischen Denkens  gilt  mit  Kecht  als  Begabung,  aber  sie  ist 
zugleich  eine  Anforderung  an  alle  Mitarbeiter  auf  diesem 
Mde.  üeber  Bedeutung  und  Wirksamkeit  des  histo- 
ri scheu  Sinnes  mit  Anwendung  auf  die  Kirchengeschichte 
sei  mir  gestattet  hier  einige  Andeutungen  zusammenzustellen, 
welche  jedoch  als  individuelle  Meinungsäusserung  nur  den  Zweck 
haben,  diese  Zeitschrift  zu  eröffnen,  keineswegs  de  zu  reprft- 
sentiien 

1)  AniutiikuDg  des  fleraufigcbi^s:   Voriiej^cudur  Aufsatst« 


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BEDEimiNO  UND  WIRKima  niS  IIISTORISGHEN  SINNES.  177 

Das  Ohristentam  ist  im  emineiiieii  Sinne  eine  hiatoriflehe 
Beligion,  die  aber  dennoch  das  Unmittelbare,  ivie  es  im  Grand«- 
wesen  der  Reli^on  liegt,  niemals  entbehren  Icann.  Dnrch 

geschichtliche  Kunde  wird  es  als  solche  weder  erzeugt  noeh 
fortgepflanzt,  so  lange  nicht  das  Bewusstsein  noch  einen  an- 
deren universellen  Factor  hinzubringt,  der  nach  der  Eüir 
femong  der  Zeiten  und  UmslAnde  gar  nicht  gemessen  werden 
kann.  Das  religio  Leben  wftchst  nicht  an  Stfirke  and  Bein- 
heit  mit  der  Menge  dargehotener  Mitteilungen,  ja  es  hat  oft 
genug  zu  dem  Umfang  dieser  Materien  in  umgekelirtem  Ver- 
hältnis gestanden,  sonst  würde  die  Mystik  nicht  zuweilen 
inniger  nnd  wahrer  gewesen  sein  als  die  traditionelle  Eirch- 
lichkeit.  ßine  stofflich  flbedttUte  Ueberliefemng  gleicht  einem 
Walde  ohne  Durchblicke,  der  das  Licht  nnr  nnter  tausend 
Krümmungen  frei  lüsst;  daher  giebt  es  auch  im  Protestan- 
tismus einen  beschwerlichen  und  für  die  Erweckung  der 
Frömmigkeit  nachteiligen  Historismus.  Der  persönliche  Glaube 
mOsste  seine  Btfttte  unmittelbarer  Gtowisaheit  aufgeben,  wenn 
er  allein  der  geschichtlichen  Zuführung  angehören  wollte. 
Aber  indem  er  sich  mit  einem  gemeinschaftliclien  vergleicht 
und  verbindet,  ergeben  sich  Merkmale  der  üebereinstimmuug 
und  der  Vei-schiedenheit,  gleichartige  und  wechselnde  Ein- 
drücke oder  Darstellungsmittel,  die  weder  schlechtw^  zufällig 
erscheinen,  noch  aus  einer  abstracten  Notwendigkeit  hervor* 
gehen;  erst  die  Rückföhrung  auf  ein  früher  Gegebenes  Und 
durch  andere  Persönlichkeiten  Bestimmtes,  zuletzt  auf  ein 
Ursprüngliches,  macht  sie  erklärlich.  So  erwacht  im  kleinen 
wie  im  grossen  selbst  innerhalb  der  religiösen  Gemeinschaft 
die  historische  Frage,  und  einmal  in  Gang  gebracht  leitet 
sie  sich  an  dem  Fkden  der  Lehre  und  des  Cultus,  der  Sitte 
und  Verfassung  von  einer  Stelle  zur  andern  fort,  bis  am 
Ende  die  gesammte  Begrittswelt  sammt  der  Fülle  aller  reli- 
giösen Kundgebungen  nnd  Abzeichen  darauf  angesehen  wird, 
wie  sie  ihr  Gewand  aus  zeitlicher  Bewegung  und  Verftnde- 


wdcfaer  ursprünglich  an  die  Spitze  des  eraten  Heftos  gestellt  werden 
sollte,  iDQsste  leider  wegen  Mangel  an  Baom  Torlanfig  znrQckgel^ 
werden. 

12* 


178 


GASS, 


rang  empfangen  haben.  Pwnzcln  crenomraen  wird  zuletzt 
nichts  melir  als  einfach  aiisserhistorisch  oder  nichthistorisch 
fibrig  bleiben,  denn  selbst  das  Wort,  der  Wecker  des  Qe> 
Wissens,  der  zarteste  TrSger  aller  Geisteswirkungen,  sogleich 
der  Bringer  der  cbristlicben  Kunde,  schwebt  nicht  wie  ein 
Absolutes  in  seiner  Höhe,  sondern  in  V(M  l)iiidung  mit  anderen 
Worten  gewinnt  es  sein  eigentümliches  Gepräge  aus  der  Ge- 
staltong  und  dem  Wachstum  eines  Zweiges  der  redenden 
tfenschheit  selber. 

Das  Tatsftchliche  als  solches  anznerkennen,  onbeirrt  dorch 
einen  zuvor  fixirten  Massstab,  dann  aber  auch  es  in  seinem 
Sachverhalt  zu  vergegenwärtigen,  ist  von  je  her  als  der  ge- 
meinsame Wille  walirer  geschichtlicher  Studien  angesehen 
worden.  In  der  ein&chen  Bereitwilligkeit,  sein  Wissen  ohne 
Vorbebalt  von  der  Kenntnis  eines  frfiher  C^eschehenen,  so  weit 
es  gewHsst  werden  kann,  anMlen  m  lassen  nnd  durch  Samm- 
lung und  Verknüpluiig  von  Kinzelnheiten  einen  Hergang  als 
solchen  zu  verstehen,  gelangt  eine  der  reinsten  Be- 
strebungen des  Menschengeistes  zur  Ausübung.  Hin- 
gebung an  ein  Anderes  und  Bflckkehr  zum  eignen  Bewussi- 
aein  vereinigen  sich  in  ihr.  Ohne  uns  selber  zu  verlieren, 
fRhlen  wir  uns  aufgenommen  in  das  Gesamnitleben  der  Men- 
S4;hen  und  nachtraglich  beteiligt  bei  den  Begebenheiten  aller 
Zeiten;  das  Gesetz  der  Vergänglichkeit  wird  beherrscht  und 
überwunden,  die  natürliche  Abhängigkeit  der  Gegenwart  von 
der  Vergangenheit  verwandelt  sich  in  eine  bewusste  und  er- 
kannte, welche  den  Geist  frei  macht,  indem  sie  sittliche  und 
intellectuelle  Urteile  hervorruft  und  Antriebe  zum  Handeln 
liefert.  Was  wir  suchen,  ist  eine  Gewissheit  und  zwar 
eine  geschichtliche  im  Untersclüede  von  jeder  anderen;  denn 
diese  ist  der  Erfahrung  verwandt  und  wird  dodi  völlig  un- 
abhängig von  Sinneseindrücken  erreicht.  Sie  hat  weder  die 
Evidenz  eines  logischen  oder  mathematischen  Kesultates,  noch 
gewährt  sie  den  Abschluss  einer  systematisch  -  philosophischen 
Gedanken  folge,  dafür  übertriftt  sie  beide  an  Lebendigkeit,  weil 
sie  jedeizeit  auch  effectvolle  sittliche  Bindrücke  mit  sich 
fßhrt;  und  me  in  dieser  ihrer  Natur  zu  püegen  und  gegen 
ünterschätzung  oder  Ueberbürdung  zu  schützen,  ist  da.s  nächste 


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BBDEimmO  ÜND  WnOCUNG  BES  HI8TORT8CHEI7  SINNES.  179 


Brforderais  des  histonschen  Sinnes.  Freilich  li^  die  ge- 
schichtliche Gewiwheit  niemals  auf  der  Hand,  sondern  soll 

immer  aufs  neue  erlan<,'t  werden,  auch  bleibt  sie  stets  mit 
einem  Anhang  dos  Ungewissen  liclmftet,  welcher  sich  zwar 
immer  weiter  hinausschieben,  aber  niemals  vertilgen  lässt, 
tmd  der  sich  zuletzt  bis  ins  Problematische  und  gänzlich 
ünwiflBbare  verliert  Wer  aber  um  dieser  unendlichen  BeU- 
tivität  willen  an  ihr  selber  verzagen  wiD,  dem  fehlt  das  eben 
bezeichnete  Organ,  so  wie  es  auch  umgekehrt  geschelieu  kann, 
dass  eine  philosophische  Skepsis  sich  aut  dem  Felde  der  Ge- 
schichte mit  sicheren  Ueberzeugungen  verbindet.  Es  hat 
theoretische  Skeptiker  gegeben,  welche  der  historischen  Wahr- 
heit ihr  volles  Recht  widerfahren  liessen,  aber  auch  Histo- 
riker, die  sich  jeder  abschliessenden  Systembildung  entzogen. 
Offenheit  des  Gemüts,  Scliärfe  des  auflassenden  Blicks,  Aus- 
dauer und  Geduld  sind  niclit  immer  ganz  leicht  vereinbare 
Eigenschaften,  hier  aber  sollen  sie  sich  zusammenfinden;  denn 
weder  wird  der  emsige  Fleiss  ohne  Helligkeit  des  Auges  je- 
mals Bedeutendes  leisten,  noch  auch  die  geniale  Ck>mbinations- 
gäbe,  bevor  sie  durch  die  Zucht  geduldiger  Arbeit  hindurch- 
g^angen  ist.  Histoiiker  verlieren,  wie  Ranko  sagt,  den 
QennsB  manches  schönen  Tages,  ehe  es  ihnen  gelingt,  ein 
Bealduum  des  geistigen  Lebens  der  Jahrhunderte  ihrer 
Zeit  als  Nahrung  darzureichen,  und  doch  wollen  sie  deshalb 
nicht  bedauert  sein.  Sollte  eine  ZeitscluitL  im  Stande  stnn, 
nach  irgend  einer  Richtung  zur  Aufrechterlialtung  der  histo- 
rischen Denktatigkeit  beizutragen,  so  würde  sie  mit  dieser 
Qesammtleistung  schon  einen  Teil  ihrer  Bestimmung  erfällt 
haben. 

Die  Geistestatigkeit  des  Geschichtsforschers  wird  deut- 
licher, wenn  wir  sie  in  ihre  Bestandteile  zerlegen.  Es  sind 
Functionen,  welche  eine  psychologische  Reihenfolge  bilden, 
obgleich  sie  nicht  in  jedem  Falle  gleichmäasig  zur  Anwen- 
dung kommen.  Das  Gedächtnis  beginnt,  der  Leser  be- 
findet sich  mit  seiner  Quelle  allein,  er  will  mit  dem  Inhalte 
auch  den  Flaum  der  Urkunde  oder  des  Denkmals  abheben. 
Der  Saramlerfleiss  fordert  Selbstvergessenlioit,  kann  aber  bis 
zum  Hunger  und  bis  zur  unersättlichen  Lust  an  der  Auf- 


180 


speicherung  steigen.  Der  Verstand  erschrickt  vor  dieser 
atomistifwli- chaotischen  Stoffmaaae,  oder  er  muss  sieh  mit 
nnteradheidender  Ejuft  hineindrängen,  mnss  wfihlen  in  der 

Menge  der  Nachrichten,  bis  er  Ordnung'  gefunden  hat.  Darans 
ergiobt  sich  das  Geschäft  der  Coiiipusition  oder  dos  histori- 
schen Versbeheus,  welches  nach  dem  Gesetz  der  Causalitat 
mid  nach  dam  chronoiogisohen  und  topographischen  Leitfibden 
erat  den  Eindmek  eines  Yerlanfes  hervorhrii^,  sei  es  nnn 
eines  sieheren  oder  nnr  lückenhaften,  der  durch  Vermntung 
und  Gründe  der  Wahrst  hüinlichkeit  ergänzt  werden  muss. 
Vormals  war  man  der  Meinung,  dass  nun  alles  Nötige  in 
dem  einen  Worte  Pragmatismus  enthalten  sei;  in  der 
Tat  aber  wird  durch  diese  hOehst  ungefähre  Forderung  die 
ScUwierigkeit  nur  aufgedeckt,  nicht  gelOst  Die  Verwandlung 
des  jj^eschichtliclicn  Ganges  in  eine  Kette,  deren  jedes  spätere 
Glied  an  dein  früheren  hängt,  oder  in  eine  unondliclie  Menge 
neben  und  durchoiuauder  laufender  solcher  Fäden,  giebt  sich 
das  Ansehen,  alles  zu  erklären,  während  sie  eigentlioh  niohte 
erklärt  Die  Ursachen  werden  durch  ihre  nächsten  Folgen 
nicht  ausser  Kraft  gesetzt,  ihre  ersten  Wirkungen  erschOpfim 
sie  nicht.  Mit  der  Nach  Weisung  eines  Anlasses  ist  der  wahre 
Gruud  noch  nicht  gefunden,  mit  der  iieiheulblge  einzelner 
Veranlassungen  der  ursächliche  Zusammenhang  nicht  ermittelt 
Weder  ans  hioss  logischen  Verhältnissen,  noch  nach  dnem 
abfltracten  Gesetz  des  FoH»chrittes  oder  der  Gontinuität  haben 
wir  über  den  Gang-  der  Dini^e  abzuspreclien.  Hine  innere 
geistige  Consequenz  ist  Ivein  lieweis  zeitlicher  Aufeinander- 
folge, aus  der  Gleichzeitigkeit  verwandter  Ei-scheinungon  ist 
deren  äusserer  Zusammenhang  nicht  mit  Sicherheit  zu  schlies- 
sen.  Jeder  Endpunkt  wird  durch  den  Zutritt  individueller 
Kigentümlichkeit,  die  aus  blosser  Succession  noch  nicht  be- 
giiiVeu  werden  kann,  selbst  wieder  zu  einem  Anfangspunkt; 
folglich  wendet  sich  dei  Faden  in  jedem  Augenblick,  statt 
einfiuih  fortzuflieasen.  Das  gewöhnliche  progressive  Verfiihren 
der  Erklärung  hält  sich  f&r  sidier,  weil  es  schrittweise  zu 
Werke  geht,  wird  aber  jederzeit  durch  die  schon  vorhandene 
Kenntnis  späterer  Erfolge  beeinflusst;  das  regressive  suclit 
seine  Gewissheit  in  den  Zielpunkten,  es  bindet  sich  an  den 


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Bia>EimmQ  üim  WnXÜNO  DBS  mSTORiaCHBN  SINNES.  181 


Inhalt  gewisser  Eig^bniflse,  kommt  aber,  indem  es  von  dort 
aus  rflokwftrts  schlieast,  jederzeit  in  Gefiihr,  den  individueUen 
ond  nmstendlichen  Anteil  an  dem  vorangehenden  Hergang 

und  somit  diesen  selbst  zu  verkeimen  oder  auf  sich  beruhen 
zu  lassen.  Aus  allem  geht  hervor,  dass  sich  aus  blossen  Ur- 
sachen uud  Wirkungen  unmöglich  eine  Geschichte  zusammen- 
seiseD  Itet,  sondern  nur  eine  lockere  fieihe  von  Voigftngen, 
Begebenheiten  und  Erfolgen,  aber  ebenso  wenig  aus  dem 
Priucip  der  Freiheit  der  sich  selbst  folgenden  Individuen, 
weil  sich  mit  dieser  uUcin  nur  Gedanken,  Entschliesj>ungen 
und  Handlungen  ergeben  würd^.  Beiderlei  Factoren  müssen 
zusammengeleitet  werden,  wenn  ein  höherer  Pragmatismus 
entstehen  aoU,  und  dies  geschieht  durch  eine  stetige  Operation 
der  sittlich  eingeweihten  Vernunft.  Dann  erst,  wenn  der 
Forscher  dahin  gelangt  ist,  wenn  er  die  Anlange  seiner  eig- 
nen Arbeit  vergibst,  Nachrichten,  Qu(>llen  und  Urkunden  bei 
Seite  legt,  um  nur  noch  mit  lebendigen  Grössen  zu  ver- 
kehren, dann  erst  befindet  er  sich  mitten  im  Leben  der  Ver- 
g'tuigenheit,  wird  zum  Nachbildner  des  Geschehenen  und 
vermag,  was  er  geschaut  hat,  auch  nach  seiner  Wahrheit 
wiederzugeben. 

Ein  Letztes  ist  noch  übrig.  Etwas  Ideales  knüpft 
sich  an  alles  Menschenleben,  anliuigs  nur  in  leisen  und  per- 
Btalicben  Ana&tzen,  aber  desto  kräftiger  und  unlYerseller ,  je 
grössere  Bewogungsflächen  sich  auftun.  Der  Historiker  richtet 
tausend  Fragen  an  seinen  Gegeustiiud ;  zuletzt  aber  tritt  dieser 
wieder  fragend  an  ihn  heran,  er  selber  soll  über  die  all- 
gemeine Bedeutung  dessen,  was  er  eiforacht  hat»  Aufschluss 
geben,  die  Einschnitte  und  üeberschriften  der  Epochen  sidier 
bezeichnen  und  den  durciigreifenden  Ideen  der  Entwickelang 
Namen  leihen,  Namen,  welche  die  Mannigfaltigkeit  der  Er- 
scheinung niemals  vollständig  decken  werden.  Es  ist  immer 
ein  Wagnis  des  Erkennens,  denn  vergebens  Terhehlen  wir  uns 
den  Einfluas,  welchen  die  eigene  subjectiTe  Anffiiasungs-  und 
Entsdieidungskraft  des  Forschers  dabei  ausüben  wird ;  aber  es 
bleibt  ein  notwendiges  Wai;nis.  Auf  die  Länge  ertragt  der 
denkende  Geist  den  Eindruck  einer  unendliclieu  Vielheit  und 
fielatiTität  nicht,  er  ist  genötigt,  durch  zusammenfassende  Be- 


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1Ö2 


OA8B, 


leuchtunf(  sich  über  das  bunte  GemüMo  zu  (M'heben,  und  nur 
das  Recht  der  Idee  als  einer  auch  objectiv  gültigen  Gedchichts- 
wabrheit  ermächtigt  ihn  dazu. 

Es  aind  also  sehr  ungleiche  Geschilfte,  welche  aidi  im 
Verlauf  einer  grftndlichen  C^hiehtsforschnng  an  einander 
ansehliessen ,  und  sie  drolien  zu  zerfallen.  Wie  kann  der- 
selbe Mensch  die  Eigenschaften  eines  gedächtnisstarken 
Lesers,  eines  Philologen  und  literarischen  Kritikers  und 
psychologisch  geweckten  Erkl&reis  in  sich  vereinigen  nnd  zu- 
gleich mit  dem  Dichter  und  Philosophen  etwas  gemein  hahen? 
Es  wäre  unmöglich,  wenn  nicht  der  historische  Sinn,  der 
stets  bei  sich  selber  bleibt,  mit  seiner  verbiudendeu  Kiufb 
dazwischen  läge. 

Eine  ähnliche  Wahrnehmung  drängt  sich  auf,  sobald  wir 
von  dem  Forscher  zum  Darsteller  fiheigehen.  Von  diesem 
Letzteren  ist  soviel  gewiss,  dass  er  die  Hfthen,  Schlacken  und 
Umständlichkeiten,  die  ihm  von  der  aneignenden  Arbeit  her 
anhaften,  möglichst  von  sich  abschütteln  muss,  ehe  er  sich 
anschickt  zu  dieser  zweiten,  heiteren  und  beglückenden  pro- 
ducüven  Anstrengung.  Was  er  zuletzt  in  sich  festgestellt, 
soll  er  schon  voraus  wirken  lassen,  und  doch  ist  er  zugleich 
verpflichtet,  dem  Leser  einen  raöj^liclist  tiefen  Einblick  in 
seine  eigene  Werkstätte  zn  gewähren.  Er  wird  zum  Künstler, 
je  mf'hr  es  ihm  gelingt,  beides  zu  leisten,  ahio  in  und  mit 
der  Kundgebung  dessen,  was  er  als  historisches  Wissen  in 
sich  trägt,  auch  zu  sagen,  wie  er  es  emp&ngen  hai  So- 
dann stellen  sich  ihm  mancherlei  Arten  der  Darstellung  zu 
Gebote,  die  vorwiegend  erzählende,  die  untersuchende  und 
reflectironde ,  die  epische  und  dramatische,  die  biographische 
und  idealistische,  die  annähernde  und  die  entfernende.  Keine 
dieser  Formen  ist  unbrauchbar,  jede  hat  eine  Berechtigung, 
alle  dfirfen  an  verschiedenen  Stellen  der  Historiographie 
einen  verhältnismässigen  Anteil  haben,  selbst  das  construc- 
tive  Moment  nicht  ausgenommen,  wenn  auch  der  einzelne 
Schriftsteller  sich  vorzugsweise  der  einen  oder  anderen 
Bichtung  zuwenden  wird.  Was  aber  diesen  Methoden  erst 
Kraft  giebt,  ist  immer  wieder  der  historische  Sinn  und  mit 
ihm  der  aulrichtige  Wille,  ein  Geschöpftes,  das  einst 


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BEDEUTUNG  UND  WIRKUNG  DES  HISTORISCHEN  SINNES.  183 


ab  lebendige  Wirlrlichkeit  nnd  Bewegung  die  Zeit  erfüllte, 

nicht  ein  Erdachtes  in  möglichster  Reinheit  wiederzu- 
geben. 

Es  ist  nötig,  dem  Gegenstande  jetzt  noch  einige  Schritte 
n&her  zu  treten.  Die  Bearbeitung  der  Kirehengescbiebte  setzt 
ganz  dieselben  Eigensehaiten  voraus  wie  jede  andere,  giebt 
ihnen  aber  dadurch  eine  eigentümliclio  Ausdehnung,  dass  sieb 
für  sie  das  Verständnis  des  religiösen  und  gnule  des  christ- 
lichen Geistes  als  unerlässlicb  geltend  macht.  Selbst  ein 
Ganzes  mitten  in  dem  Universum  der  umgebenden  Mensch- 
heit  verbindet  das  Christentum  mit  dem  Triebe  der  Aus^ 
breiiung  noch  den  anderen  einer  stetigen  Fortpflanzung 
unter  allem  Wechsel;  ohne  eigentlichen  Bruch  lässt  es  sich 
nach  allen  Seiten  gestalten  und  fortziehen.  So  gross  die 
Veränderungen,  so  schreiend  die  Gegensätze  sein  mOgen,  — 
das  Band  der  Znsammengehörigkeit  dauert  fort,  die  innere 
Verwandtschaft  bleibt  erkennbar.  Daraus  entsteht  eine  Oon- 
tinuität,  welche  den  Historiker  in  den  Stand  setzt,  jede  Art 
von  Beobacl  1  tu ng  anzustellen;  Uebcrlieferuug,  Entwicklung  und 
Fortschritt  begegnen  ihm  samnit  allen  Uebergängen;  er  kann 
das  Veränderliche  bis  zur  Zerflossenheit,  das  Gleichartige  bis 
zur  Stabilität  verfolgen  und  selbst  in  dem  Starrgewordenen 
noch  Symptome  der  Bewegung  nachweisen.  Wer  Scharfsinn  in 
der  Unterscheidung  und  Verknüpfung  und  Feinfühligkeit  für 
das  Werdende  besitzt,  dem  wird  Gelegenheit  ge])oten,  sie  so 
reichlich  wie  kaum  auf  irgend  einem  andern  Gebiet  zu  betäti- 
gen. Aber  mit  dieser  in  sich  selbst  abgestuften  Stetigkeit  irdi- 
scher Fortpflanzung  ist  nur  die  eine  Hälfte  des  C^enstandes 
ausgesprochen;  die  andere  erhebt  sich  zu  einer  höheren  idealen 
Region.  Die  Schöpferkraft  des  Ursprunges  überragt  alle  späte- 
ren Erscheinungen  und  macht  sie  von  sich  abhängig;  an  Chri- 
stas hängt,  was  christlich  sein  will,  niemals  erlöschen  die  £in- 
flösse,  die  aus  der  immer  frischen  Gegenwart  des  Evangeliums, 
nicht  aus  der  blossen  Continuitat  der  Fortpflanzung  hervor- 
geben. Auch  unsere  Zeit  will  und  kann  diesen  Hauch  nicht 
entbehren,  und  tausend  Gedanken,  von  dem  Schriftzeugnis  ge- 
tragen, fli^n  tftglich  über  die  Beihe  der  Jahrhunderte  heils- 
be^terftig  zu  dem  ürsprflnglichen  zurfick.  Dort  suchen  nnd 


184 


OA88. 


finden  sie  eine  Lobendigkeit  der  Ansprache,  welche  den 
Abstaad  der  Zeit  veigeaaen  läast.  Der  Historiker  aber  moU 
fOr  beides  Empfiliiglichkeit  haben,  uod  ohne  sich  selber 
und  seinem  Berufe  zu  widersprechen,  liat  er  aneh  die  Wir- 
kungen dir  zweiten  Art  als  Tatsaclien  anzusehen  und  in 
den  allgemeiueu  iiahmeu  eineü  geistigen  Geschehens  aufzu- 
nehmen. 

Schon  hierans  erhellt  zweierlei,  teils  dass  die  Kirchen- 
geschichte trotz  aller  Verirmngen  and  Verdnnkelnngen  doch 

religiös  betrachtet  nieiiuils  vollcitiunli^  mit  ihicin  eignen 
Grundchuraiiter  zerfallen  ist,  teils  aber  auch,  da«s  ihre  ver- 
schiedenen Abteilungen  das  historische  Nachdenken  in  hödist 
ungleicher  Weise  beschäftigen  werden. 

Die  alte  Kirche  als  das  antike  Zeitalter  der  Christenheit 
fordert  ihr  Studium  für  sich.  Zahlreiche  Orflnde,  der  ehr- 
würdige Chaiakirr  der  I)(!nkniulc,  die  originelle  Schärfe  der 
handelnden  Persönlichkeiten,  die  Kaschheit  der  Entwicklung, 
die  Stärke  der  Gonflicte  und  die  durchgreifende  Bedeutung  der 
Entscheidungen  kommen  zusammen,  um  diesen  bahnbrechen- 
den Jahrhunderten  ihre  stets  empfundene  Anziehnngskraft  zu 
8i(;hern.  Vor  allem  aber  ist  es  die  Nachbarschaft  iles 
Ursprungs,  wodurch  alle  Erwägungen,  die  in  diese  Epoche 
fallen,  eine  erhöhte  Temperatur  erlangen.  Hier  muss  sich 
jede  Ansicht  beteiligen,  jeder  Standpunkt  irgendwie  Begrün- 
dung und  Rechtfertigung  suchen,  und  jeder  Darsteller  mun 
beweisen  können,  dass  er  nicht  gedankenlos  an  jenen  tief 
einschneidenden  Ereignissen  vorbeigegangen  ist.  Daher  die 
den  zugehörigen  Untersuchungen  immer  noch  anhaftende 
Spannung,  die  sich  aus  dem  blossen  Inhalt  noch  nicht 
allein  erklärt,  sondern  erst  aus  dem  engen  ZusamnMnhang 
der  religiös -dogmatischen  Beweggründe  mit  dem  nrch  ristlichen 
Standpunkt.  Daher  sieht  sich  auch  der  Dogmenhisluriker  in 
rascher  Folge  von  einem  Urteil  jsuiu  anderen  gedrängt,  bei 
jeder  Gelegenheit  tritt  ihm  die  weite  Frage  enlgegen:  Was 
und  wieviel  hat  das  Christentum  als  Glaube  aus  sich  selber 
geschöpft,  und  welches  Andere  hat  es  als  llVissensmoment  oder 
Denkbestiiniiiuiig  bereits  vorgefunden,  um  es  dann  auch  auf 
die  Lehrbildung  einwirken  zu  lassen  V    £s  ist  vergeblich, 


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BEDEUTUNG  U20>  WIRKUNG  DES  msl-OiaiiCIIKN  SINNES.  185 


diese  Frage  xorflelzaweiaeD,  und  indem  m  Aber  die  kirch- 
lichen Sebranken  hinansreieht,  drückt  sie  die  innere  Schwierig- 
keit aller  doginenhistons(!lieii  Erwägungen  aus,  weil  iiui  auf 
diesem  Wege  ein  Masästab  für  die  Bestimmung  eines  cbrisi- 
lich  Notwendigen  gewonnen  werden  kann.  Femer  eröffnet 
sich  in  diesem  Zeitalter  das  weite  Versuchsfeld  der  histori- 
schen Kritik,  —  der  historischen  sagen  wir,  die  sich  aber 
hier  auf  einem  höchst  unsichereu  Boden  bewegt.  So  viel 
darf  im  allgemeinen  gesagt  werden,  da^s  wir  aus  den  ei*sten 
Jahrhunderten  bei  aller  teUweisen  Quellenarmut  docli  mehr 
Schriften  in  der  Hand  haben,  als  genauer  bekannte  Persön- 
lichkeiten, um  sie  herzuleiten,  und  khure  Verhältnisse,  um 
sie  einzus45lialten.  Wie  liäufig  sieht  man  sich  vergebens  nach 
eineui  Verfasser  um !  Und  in  solchem  Falle  richtet  sich  alle 
Aufmerksamkeit  auf  die  etwaigen  inneren  Wahrscheinlich keits- 
grOnde  für  Herkunft  und  Ab&ssungSKeit;  nach  inneren  Kri- 
terien werden  die  Schriften  aneinander  gehftngt,  eine  hat  die 
andere  znr  Voraussetznng,  vielleicht  zor  Quelle.  Die  Kritik 
selbst  wird  auf  diase  Woise  eine  einseitig  literarische, 
die  alsdann  den  historischeu  Siuu  uoch  nicht  zufriedenstellt 
Für  diesen  nämlich  wird  als  allgemeiner  geistiger  Kanon 
unseres  Brochtens  so  viel  feststehen,  dass  Schriften  sich  nicht 
wie  lebendige  Wesen  aus  der  Kraft  des  Gedankens  und  Wortes 
gegenseitig  er/,eu^eii ,  noch  auch  in  jenem  Zeitalter  eine  aus 
der  anderen  einüich  entsprungen  sein  mag,  sondern  stets  ein 
menschlicher  Factor  dazwischen  liegt,  folglich  auch  ein  Baum 
erfordert  wird,  um  den  Schriftsteller  mit  seiner  Absicht  und 
seinen  Umgebungen  denkbar  zu  machen,  üebrigens  scheint 
es  zu  den  Schicksalen  der  kirchenhistorischen  Kritik  iilmlich 
wie  der  biblischen  zu  'jfeliöreii,  dass  sie  gewisse  Untersuchungen 
als  unaufhörliche  Beizmittel  ilirer  selbst  fortfuhren  nmss. 
Die  Ignatianische  Frage  ist  nachgrade  zweihundert  Jahre  alt, 
viel  älter  die  Petrinische,  und  wie  manche  andere  hat  sich 
schon  von  einer  gelehrten  Generation  auf  die  andere  ver- 
erbt; —  und  gleichwohl  würde  es  starken  Widerspruch  er- 
regen, wöüu  mau  die  genannten  Probleme  ebenso  wie  das 
der  Dionysischen  Schriften  oder  der  folschen  Decretalen  für 
gelöst  erklflron  wollte. 


186 


GASS, 


Seit  Augustin  uud  noch  mehr  mit  der  b^giimeiideii  Cen- 
tralintion  des  Abendlandes  and  mit  der  Ti'ennuDg  vom  Orient 
veiftndert  sich  das  ^nze  Gepräge  der  Kirchengeschichte.  Die 

Abhaii.i;igkeit  vom  Altertum,  dem  christlichen  wie  dem  klassisch 
römischen,  lässt  nach  oder  sie  wird  zur  Einkleidung  eines 
selbständigen  Geistes.  Auf  dem  nach  allen  Seiten  erweiterten 
Schanplatz  treibt  das  Zeitalter  neae  Wurzeln,  die  Christenheit 
Qberlfisst  sich  einem  sdiwierigen  nnd  scheinbar  ihrem  eignen 
Wesen  widerB|ireehenden  Stadium  des  Welttebens.  Die  ent- 
fernteren Ursaclien  worden  durch  die  näclistliegenden  verdrängt, 
die  Ueberliefenmg  verdunkelt  und  verschüttet  den  Ursprung, 
statt  ihn  offen  zn  erhalten.  Das  Mittelalter  lediglich  nach 
seinem  Verhftltnis  zum  Urchristentum  oder  zur  Gegenwart 
würdigen  zn  wollen,  wftre  eine  gänzlidie  Verkennnng  seines 
Wertes,  da  gerade  die  ihm  eigentümlich  zukommenden  Er- 
scheinungen das  meiste  Interesse  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 
Zwar  eine  in  sich  selbst  geschlossene  Einheit  bildet  keine 
fipoche,  auch  diese  nicht,  denn  wie  weit  sie  in  einer  Beihe 
von  kritischen  und  aufklärenden  Regungen  Aber  sich  selbst 
und  ihre  eignen  Grenzen  hinausgreift,  ist  uns  erst  vor 
kurzem  in  ausgezeiclmcter  Weise  vergegenwärtigt  worden. 
Im  ganzen  sind  wir  aber  doch  gewohnt,  auf  das  Mittelalter 
wie  auf  eine  fernli^ende  Gegend  hinzuschauen«  deren  Anblick 
nicht  blenden  und  bestechen  soll,  die  aber  durch  ihre  TSler, 
AbgrOnde  und  Höhepunkte,  durch  tiefe  Schatten,  greUe  Schlag- 
lichter und  verschlungene  Pfade  überall  zu  gründliclier  Unter- 
suchung und  zu  nachdenklichem  Verweilen  auffordert.  Wenn 
die  historische  Pflicht  es  erfordert,  zuerst  dicht  an  den  Gegen- 
stand heranzugehen,  dann  aber  auch  yon  ihm  abzutretm:  so 
wird  sie  hier  durch  die  Natur  des  Gegenstandes  sehr  erleich- 
tert. Schon  während  der  Vorarbeit,  welche  die  niülisamsten 
Weitläuftigkeiteu  auferlegt,  weil  Urkunden  und  Quellen- 
schriften ein  eignes  Studium  gebieten,  wächst  die  Unbefangen- 
heit, aber  sie  bringt  auch  reichliche  Frucht,  so  lange  sie 
nicht  in  teilnahmlose  K&lte  ausartet  Auf  allen  Wegen  be- 
gegnet sich  der  kiichliche  Geschichtsschreiber  mit  dem  politi- 
schen, sie  machen  gemeinsame  Sache;  gerade  das  Papsttum 
mit  seiner  Tyrannei  und  seinen  Siegen,  vormals  nur  ein 


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BBDEDTmiO  USID  WIBKUNO  DES  HISnOBiaoiIEN  SINNES.  187 

Name  des  Aeigwnm»,  ist  för  sie  zum  Uebnngsmittel  reiner 
and  freimfitiger  Erkenntnis  geworden. 

Aehnliche  VerhSltnissef  nur  ungleich  reicher  und  viel- 
seitiger, wiederholen  sicli  iu  der  neueren  Zeit.  Der  ganze 
christliche  Lebensgeist  scheint  sich  mit  allen  in  ilim  ruhen- 
den Kräften  und  möglichen  Folgerungen  in  diese  drei  Jahr- 
hunderte zusanmienzu&ssen.  Bahnbrechende  Ereignisse  und 
grossartige  PeraSnlicbkeiten  stehen  an  der  Spitze,  dann  folgen 
die  Zustände  der  Zerklüftung  und  Parteibildung,  aber  auch 
der  züliosten  Anhänglichkeit  an  das  Gegebene  sowie  der 
schulmässigcu  Veraibeituug  alles  Gemeinsamen  und  Gegen- 
sätsslichen,  bis  endlich  die  mAhaam  ausrichteten  Schranken 
wieder  abgebrochen,  die  getrennten  Stimmungen  yon  allgemei- 
neren Wellen  fiberflutet  werden  und  ein  TerSnderter  Zustand 
der  Gesammtcultur  und  der  wissenschaftlichen  BiUlung  herbei- 
geführt wird.  Als  evangelische  Lehrbeatimmuug  geliört  die 
Reformation  ihrem  eignen  Jahrhundert,  als  protestantisch- 
christlicher  Beruf  ebenso  wohl  den  folgenden  an,  und  beide 
Riehtungen  zusammen  in  ihrem  üntersehlede  wie  in  ihrer 
gegenseitigen  Anziehuiig.^kiaft  entwickeln  eine  Fülle  von 
Wirkungen,  die  wir  selbst  jetzt  noch  nicht  vollständig  über- 
schauen. Nirgends  findet  sich  ein  zweiter  Höhepunkt,  der  * 
in  gleichem  Grade  zur  Rflckschau  wie  zur  Vorschau  auffor- 
dert. Das  Evangelium  wird  wieder  entdeckt,  aber  es  wird 
auch  reproducirt  und  aufgenommen  in  eine  selbständige  Be- 
stimmung des  gcsammten  Weltlebens.  Die  groSvSen  refoniia- 
torischen  Persönlichkeiten  und  Leistungen,  indem  sie  den 
apostolischen  Geist  energisch  an  sich  heranziehen,  offenbaren 
zugleich  ihren  eignen,  und  Ton  diesem  vrird  das  gegenwftrtige 
Bewusstsein  noch  berfihrt,  es  will  den  Verband  mit  ihnen 
nicht  fallen  lassen.  So  ergeben  sich  Vergleichungen  nach 
beiden  Endpunkten  und  über  die  weitesten  Flächen  hinweg; 
Neuerung  und  Erneuerung,  Erfüllung  und  Vorbereitung  sind 
dicht  neben  einander  vertreten,  und  mit  dieser  wunderbaren 
Anhäufung  von  Kräften  verbindet  mch  eine  Spannung  ähn- 
lich derjenigen,  die  wir  für  die  Jahrhunderte  des  nachaposto- 
lischen Altertums  angenommen  haben,  weil  alle  kirchlichen 
und  wisseuachaftlitihen  Interessen  an  dieser  Stelle  Anknüpfung 


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188 


OA98, 


suchen.  Grosse  Zeiten  schöpfen  aus  der  Tiefe,  neben  ihiem 
eignen  Hauptstreben  bringen  sie  noch  andere  Tendenzen, 
soweit  sie  innerhalb  der  möglichen  Anwendung  und  Ans- 
dehnnng  ihrer  eignen  Grundsätze  liegen,  wenigstens  in  vei^ 
einzelten  Ansiitzoii  zum  Vorschein.  Glaube  und  Liebe  und 
energisches  Wiederaufnehmen  christlicher  Heilsgedanken  er- 
füllte die  reformatorischen  Geister,  ihr  Werk  war  eine  volks- 
tümliche Eirchenbildang;  aber  auch  ein  exdusiver  Lehrtrieb 
und  ein  kritisch  aufklftrender  Wissenstrieb  regte  sich  zu- 
gleich, und  beide  hatten  wieder  ihre  eigne  Zukunft,  denn 
der  erstere  sollte  im  17.,  der  andere  im  18.  Jahrhundort  zu 
einseitiger  llon^chaft  gelangen.  Mit  der  ganzen  Bewegung 
wird  das  Christentum  ein  bedeutendes  Stflok  weiter  in  die 
Welt  eingefBhrt  und  mit  den  Sdiicksalen  der  Bildung  und 
Wissensehaft  verflochten,  es  wird  geistiger  und  innerlicher 
und  gewinnt  an  Freiheit  und  Biegsamkeit,  was  es  an  Festig- 
keit seiner  Erscheinungsformen  verliert.  Was  dem  Protestan- 
tismus zunächst  vorangolit,  mag  bedeutungsvoll  genannt  wer- 
den, weil  es  als  kirchliche  Weltherrschaft  siegreich  mit  den 
Machten  des  Oesetzes  und  der  Autorität  schaltet,  und  von 
diesen  Erfolgen  ist  selbst  auf  den  neueren  religiösen  Geist 
•  ein  unvertilgbarer  Eindruck  übergei^'angon ;  aber  erst  der  Pro- 
testautismus übernimmt  die  Läuterung  und  die  Ausgleichung 
mit  der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  des  persönlichen  Geistes» 
lehens. 

Und  was  sollen  wir  sagen  von  den  Anforderungen,  welche 
crrad(>  diese  l^»oche  an  den  Forscher  und  Darsteller  erhebt? 
Streng  genommen  sollte  ihm  keine  Eigenschaft  fehlen;  denn 
selbst  zu  der  ins  Kleine  gehenden  Utenirischen  Kritik  und 
zu  jedem  ProhestQck  gelehrter  Akribie  bietet  sich  VeranUusung. 
Aber  mehr  noch  bedarf  er  jener  höheren  psychologisch  ver^ 
tiefben,  sittlich  reizbaren  und  für  alles  Eigentümliche  em- 
pfänglichen Gabe  der  Beurteilung,  mehr  noch  der  gestaltenden 
Kraftf  welche  alles  Persönliche  zuerst  biographisch  und  mono- 
graphisch zu  verdeutlichen  unternimmt,  um  es  dann  dem  all- 
gemeinen Gange  einzuverleiben.  Er  selber  soll  reden  und 
auslegen,  und  docli  muss  er  zugleich  die  Zeiten  und  die  Men- 
2M;hen  für  sich  reden  lassen:  denn  dazu  wird  er  durch  eine 


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BEDEDTima  Dim  WnUCUNO  t»CS  mSTORISCHBN  SINNES.  180 

zahllose  und  immer  noch  im  Wachsen  begriffene  Menge  Ton 
Urkonden,  Zengniflsen  imd  Briefen  in  den  Stand  gesetzt 
üebmll  will  das  Individuelle  liebevoll  aas  sich  selbsfe  ver- 

standon  sein,  aber  es  soll  nirgoiids  für  sicli  bleiben,  sondern 
als  lebend  ige  Gestalt  in  der  allgemeinen  Bewegung  seine 
Stelle  eiuuehmeu.  Das  Material ,  nach  allen  Seiten  in  ein 
uiiBbsehbaros  Detail  sich  verlierend,  kistet  schwer  anf  dem 
DaiBteller  mid  Itet  ihn  kaum  za  Atem  kommen,  kaum  die 
HOhepwikte  gewinnen,  von  welchen  aus  jede  Mikrologie  von 
selber  abgestreift  wird;  umsogrösser  ist  die  Geliilir,  einer  be- 
schreibenden Breite  zu  vergällen  und  in  demjenigen  schon 
Vollendung  zu  suchen,  was  zunächst  nur  die  Vollstftndigkeit 
der  Qaellenbenutzang  beweist 

Der  Xieser  wolle  diese  Bemerkungen  nicht  als  mfissige 
Abschweifung  betrachten.  Es  lag  uns  daran,  kürzlich  nach- 
zuweisen, wie  vielseitig  und  gegensätzlich  die  einzelnen  Ab- 
teilungen der  neueren  Kirchengeschichte  auf  den  Betrachter 
wirken,  wie  ungleich  also  die  historische  Füicht  angeregt 
wird.  Hervonagende  Begebenheiten  und  Helden  der  Ge^ 
sinnung  und  Tatkraft  wie  die  der  Reformationszeit  dringen 
überwältigend  auf  uns  eiu,  uelimen  aber  auch  ein  Stück  un- 
seres eignen  Innern  gefangen;  deim  wer  in  einer  kühlen  und 
abwägenden  Stimmung  gegen  starke  £indrdcke  Schutz  suchen 
will,  wird  unwillkfirlidi  wieder  der  wahren  Gerechtigkeit  Ab- 
bruch tun,  die  ohne  Liebe  und  Bewunderung  nicht  möglich 
ist.  Hingegen  die  ganz  conservativ  gearteten  Zwischenstadieu 
komoien  uns  nicht  entgegen,  sie  wollen  aufgesucht  sein;  un- 
parteilich zu  bleiben  hat  keine  Schwierigkeit,  dafür  bedarf 
es  aber  eines  längeren,  eindringenden  Yerweilens,  um  zu  er- 
kennen, was  mitten  in  einem  starren,  trfigen  oder  tfur  eifer- 
süclitigen  und  rechthaberischen  Treiben  immer  noch  Geist 
atmet  und  Wert  behauptet.  An  einer  Stelle  wird  der  Apo- 
loget, au  der  andern  der  Polemiker,  hier  der  froumie 
Qeschichtsfreund,  dort  der  Politiker  herausgefordert, 
und  zuweilen  wird  dami  wieder  der  quellenkundige  Referent 
allein  das  Wort  bahren.  Der  Zugaug  zu  der  grossen  Auf- 
gabe kann  keinem  versagt  werden;  aber  sollen  sie  nicht  zer- 
iiäUeu  noch  ihren  Gegenstand  zeneissen,  so  müssen  sie  be- 


herrscht  werden  von  dem  Gesetz  des  historischen  Sinnes, 
welcher  in  seiner  Kinplüngliclikeit  für  den  gunzeu  Umfang 
wie  für  den  stetigen  Zusammenhang  des  Geschehenen  jeder- 
zeit fiber  die  Magerkeit  der  bloeseu  Tendenz  hinausführt 

Die  beste  nimtration  zn  dem  Gesagten  gewfilirt  uns  die 
Reihenfolge  der  kirchlichen  Oesehiehtsschreiber.  Zuletzt  ivar 
es  Chr.  Bant,  welcher,  obgleich  am  Mittelalter  beinahe  vor- 
beigehend, von  dem  Gange  der  kirchlichen  Historiographie 
eine  lichtvolle  Uebeisicht  gegeben  hat  ^).  Jedes  Zeitalter  be- 
stellt sich  gleichsam  seine  eignen  historischen  Berichtentatter, 
welche  von  dessen  Autoritfit  beherrscht^  andi  dieses  selber  zn 
Klircii  zu  bringen  beflissen  sind,  bis  mit  dem  Wachstum  der 
Erlahmugeu  der  lUick  sicli  dergestalt  erweitert,  um  auch  an- 
dere Zeiten  zu  schätzen.  Wenn  ßeligion  und  Offenbarung 
notwendig  der  Eirchenbildung  Torangehen,  so  war  es  natur- 
geinSss,  dasB  Eusebius  eigentlich  nur  jene  erstere  als  histori- 
scher Apologet  verherrlichen  wollte,  also  die  Wege  und  Werke, 
Schicksale,  Leiden  und  Prüfungen  des  Gottesreichs  bis  zu 
dessen  Siege  über  die  heidnische  Weltmacht  in  Erinnerung 
bringen;  und  dasselbe  haben  auch  andere  getan,  indem  sie 
wie  etwa  Gregor  von  Tours  die  Verbreitung  des  Glaubens  in 
einem  beschränkteren  Kreise  nachwiesen  und  die  tagliche 
Gegenwart  mid  Gewalt  des  Göttlichen  an  einer  Menge  von 
Wunder-  und  Heiligengeschichten  versinnlichten.  Aber  dieses 
religiöse  Interesse  kleidet  sich  doch  bald  und  sogar  ganz  aus- 
schliesslich in  die  kirchliche  Form;  dem  Bechte  der  katho- 
lischen Kirche  und  dem  h&retischen  oder  sehismatischen  Un- 
recht ihrer  Widersacher  sollen  alle  Denkwürdigkeiten  zur 
llestatii^ung  dienen.  Von  diesem  Standpunkt  sind  schon  die 
>Iachfolger  des  Eusebius,  mit  einziger  Ausnahme  des  Philostor- 
gius,  beherrscht^  ausserdem  feiern  sie  mit  Vorliebe  noch  die 
Grosslaten  mönchischer  Entsagung.  Je  mehr  der  Katholi- 
cismus  auf  stetige  Portpflanzung  seiner  Satzungen  Gewicht 
legt,  desto  gleichartiger  wird  die  Kelation,  und  sie  wachst 
in  die  Lauge,  bis  sie  nur  noch  annalistisch  fortgeleitet  werden 

')  „Die  Epochen  der  kirchlichen  GescbichtsHchreibung "  (Tübingen 


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BEDKUVUNO  UMD  WIBKDNO  DBS  HISTOBISCIIEN  SINNES.  191 


kann;  die  Chionik,  die  nur  nach  Jahren  oder  Jahrhunderten 
rechnet,  will  ehen  damit  der  inneren  Untenicheidnngen  fiber- 

hobeu  sein.  Niuhdem  sich  Morgen-  und  Abendland  getrennt 
haben,  wird  eine  Gesamnitdarstellung  immer  iinmü'^licher, 
and  gelbst  die  Kenntnis  der  abendländischen  Angelegenheiten 
verteilt  sich  nnter  lanter  Berichte  nnd  Denkmale  von  parti- 
calarer  nnd  localer  Abzweckung;  daas  aber  dennoch  der  nni- 
verBdle  (Stesichtspunkt  nicht  verloren  geht,  zeigt  sich  in  der 
häufigen  Gewohnheit,  selbst  einzelnen  Stücken  der  kirchlichen 
Vergaogeuheit  eine  üeberaicht  des  gesammten  Weltverlaufs 
Toranzoschicken. 

Wenn  gefragt  wird,  was  den  Oeschichtsquellen  des  Mittel- 
alters einen  besonderen  Reiz  verleiht,  so  sind  es  die  biogra- 
pliischen  BesUmdteile;  denn  in  ihnen  werden  Liebe  und 
fromme  Anhänglichkeit  lebendig,  der  Vortrag  wird  inniger, 
mag  er  aucli  übrigens  nnr  in  trockner  Aufzählung  einzelner 
Yoigftnge  nnd  Verftnderongen  sich  fortspinnen.  Das  kirchlich 
hist^sche  ÜrteU  freilich  bleibt  bis  zur  Beformation  wesent- 
lich dasselbe,  es  teilt  die  dualistische  SchroflTheit  der  Kirche 
selber;  Verdammung  und  Anerkennung  fallen  durchaus  nac-h 
Massgabe  des  kirchlich  Sanctiouirteu,  und  erst  durch  die 
Wendungen  der  Fapstgeschichte  kann  eine  kiftftige  Partei- 
farbe hinzutreten.  Auch  der  Ftotestantismus  hat  dieses  harte 
Richtenimt  noch  fortgesetzt,  aber  es  wird  in  entgegengesetzter 
Absicht  geübt;  Lob  und  Tadel,  Wahrheit  und  Unwahrheit 
verändern  ihre  Stelle,  und  was  bisher  als  gradlinigte  Fort- 
bilduni^^  i^^egolten  hatte,  erscheint  im  Lichte  grober  Täuschung 
nnd  Willkflr.  Die  Magdebuiger  Centnrien  finden  in  OSsar 
Baronius  ihren  scharfelnnigen  Bestreiter,  beide  Werke  stehen 
an  der  Pforte  zu  einer  /Aviespältigen  Vcnvaltung  der  kirchen- 
geschichtlichen Erträge,  und  es  dauert  noch  eine  Weile,  bi.4 
die  katholisclie  Auffassung  von  der  anderen  an  Gerechtigkeit 
übertroffen  wird.  Geistiger  und  wissenschaftlicher  sind  die 
Unterschiede,  die  sich  uns  innerhalb  desselben  kirdilichen 
Verbandes  durch  Sarpi  und  Pallavicini  vor  Augen  stellen. 
Ein  helles  Licht  ruht  selbst  in  der  protestantischen  Literatur 
bis  tief  in  das  17.  Jahrhundert  auf  allen  Erfolgen  recht- 
gläubiger Strenge  und  auf  ihren  Vertretern,  dann  springt  es 

ZtitMlir.  t  K.-0.  13 


i^iy  u^uo  i^y  Google 


192 


QASS, 


plötzlicli  auf  die  entgegengesetzte  Seite ;  G  o  1 1  f  r  i  e  d  A  r n  o  1  d 
begünstigt  die  Häretiker,  und  erst  oachdem  uucli  diese  Kii*- 
seitigkeit  einmal  durchgefühi't  worden,  ergreift  die  protestan- 
tische Wissenschaft  statt  des  Yerurteilens  den  höheren  Beruf 
des  ürteilens  nnd  Erkennens,  des  Wflrdigeiis  nnd  Yergteicheus, 
um  die  Tcilji.ihmc,  die  sich  einer  einzigen  Rielituiig  fiber- 
likssen  hatte,  dem  Ganzen  zuzuwenden.  Das  religiöse  und 
sittliche  Leben  der  Christenheit  mit  allen  seinen  Abstufungen 
nnd  mit  der  Fülle  seiner  Sinflflsse  auf  die  menschliche  Geistes- 
tätigkdt  nnd  Onltorentwicklnng  wird  fortan  Gegenstand  der 
Geschichtschreibung,  sie  ist  damit  eine  kirchliche  und  clirist- 
licho  und  humanistische  zugleich.  Wie  weitschichtig  die 
sogenannte  pragmatische  Methode  sei  und  wie  zugänglich  für 
ungleichartige  Behandlungen  und  Durchführungen  der  Gausal- 
Verhältnisse,  hat  sich  schon  ob^  ergeben;  um  so  eher  konnten 
die  allgemeinen  Bedingungen  des  historischen  Terstehens,  auf 
welciie  dieser  Name  hindeutet,  seit  Mosheim  und  dann 
wieder  seit  S emier  und  Planck  mit  allen  Standpunkten 
der  neuen  Theologie  yerbundon  werden. 

Baur  rühmt  an  Neander  mit  Beeht  die  diesem  in  so 
hohem  Grade  einwohnende  Fähigkeit,  aus  sich  selber  hemus- 
zugehen  und  sicli  in  die  Eigentümliclikeit  der  verschiedenstfu 
Zeiten  und  Personen  zu  versetzen,  er  rügt  aljer  den  Mangel 
leitender  Principien  in  seinen  Werken  und  macht  bei  Gie- 
seler eine  Ühnliche  Ausstellung. 

Ich  glaube,  man  wird  ihm  auch  darin  beistimmen  müssen, 
aber  es  darf  niemals  vergessen  werden,  wie  schwierig  es  über- 
haupt ist  und  wie  selten  es  gelingen  wird,  beiden  Obliegen- 
heiten in  demselben  Werk  und  in  gleichem  Grade 
genugzntun.  Die  Stoffhaltigkeit  der  Darstellung  und  die 
YoUstSndigkeit  alkr  individuellen  und  zuBtündlichen  iHrbungen 
und  Uebergänge  erschweren  jederzeit  die  kräftige  Hervor- 
hebung principieller  Momente,  oder  es  wird  dem  Leser  an- 
heimgestellt, sie  selbst  zu  finden.  Gieselers  Lehrbuch  war 
ohnehin  nach  jener  idealistischen  Richtung  gar  nicht  augelegt, 
dafür  leistet  es,  was  es  verspricht;  das  Tatsächliche  wird 
sichergestellt,  durch  Belege  verdeutlicht  und  von  einem,  wenn 
auch  oft  ziemlich  diumeu  Faden  fort^eleitet.    Baur  selbst 


L>iyui^uo  Ly  Google 


BEDEUTUNG  UND  WIRKUNG  DBB  lHäTORISCIIEN  SINNES. 

darf  als  Beispiel  der  entgcgcngeseteten  Einseitiglreit  dienen; 
er  ergreift  von  seinem  Standpunkte  aus  die  Ideen  und  lasst 
sie  mit  Hülfe  des  geschichtlicheu  Materials  bis  zur  vollen 
Entfaltung  oder  bis  zur  Zersetzung  siob  selber  forttreiben; 
dagegm  in  der  hingebeftden  Anei^enmuig  des  zeitliahen  und 
pevsQnliehen  Lebeiobodens  hat  er  es  Neander  nicht  gleich- 
getan. Zu  Gunsten  des  historischen  Sinnes,  der  uns  hier  be- 
schäftigt, SCI  bemerkt,  dass  diese  beiderlei  Leistungen,  die 
man  in  der  Gesammtaufgabe  zu  unterscheiden  püegt,  niemals 
ein  Gkiehgewicht  darst^en,  noch  sich  wie  zwei  gleiche 
HfiMten  derselben  Angelegenheit  yerhalten  werden.  IMe  Reihe 
zuaammengehörigcr  Erecbeinungen  wird  zwar  niemals  dem 
Historiker  eine  bestimmte  Formel .  um  deren  Wahrheit  und 
Ziel  auszusprechen,  ohne  weiteres  und  unweigerlich  iu  den 
Mond  legeiif  aber  irgendwie  drängt  sie  durch  sich  selber  schon 
auf  ein  Al^emeines  hin,  welches  sich  ihm  als  der  Deutung 
fiUiig  und  bedOrftig  vor  Augi  u  stellt  Methodisch  mag  es 
einerlei  sein,  ob  der  Denker  dem  Kenner  zu  Hülfe  kommt 
und  vielleicht  vorgieift,  oder  dieser  sich  zu  jeuem  erhebt; 
glückliche  Griffe  sind  in  beiden  Fällen  m^lich ,  und  wer 
möchte  im  einzelnen  dem  Geiste  die  Wege  des  ürkennens 
vorschrnben!  Das  historische  Studium  aber  ninmit  als 
solches  stets  seinen  Weg  von  unten  herauf,  daher  kann 
das  Princip  ffir  den  Mangel  au  materiellem  Gehalt  niemals 
entschädigen,  während  dieser  letztere,  der  gewonnene  Inhalt, 
durch  sich  selber  schon  das  Yertranen  erwedrt»,  daas  bei 
Ifingerem  Betrachten  sich  aus  ihm  wie  aus  dem  Leibe  der 
Qesehichte  auch  etwas  Ideellea  und  Principielles  emporheben 
werde.  Der  historische  Sinn  braucht  nicht  dafür  zu  sorgen, 
däää  überhaupt  historiache  Ideen  vorhanden  sind  und  aus- 
geq^hen  werden,  denn  sie  stellen  sich  von  selber  ein,  wohl 
aber  dafür,  dass  sie  auf  der  Erscheinung  ruhen,  statt 
in  weiter  Entfernung  Über  ihr  zu  sehweben. 

Das  ^\  i<  liligste  wird  immer  sein,  weuu  schliesslich  dem 
ganzen  Ltbeuslauf  der  christlicheu  Religion  eine  einzige  Auf- 
schritt gegeben  werden  soll;  die  dann  aus  dem  Wesen  des 
Cairistentums  geschöpft  und  mit  dessen  Entwicklung  vereinbar 
sein  muss.  Je  abstiacter  die  Namen,  desto  weni^^r  besagen 

13* 


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194 


OASS, 


gie,  je  charaktemller,  desto  eher  befinden  sie  sich  vorzugs- 
weise in  Beziehung  zu  einer  einaselnen  Periode,  statt  fdr  alle 
zu  genügen.   Auch  Banr  fordert  am  Schlüsse  seiner  Dar- 
stellung ein  allgemeines  Princip.   „Alles",  sagt  er,  „was  dem 
Menschen  das  Christentum  nach  seinen  verschiedenen  Be- 
ziehungen sein  soll,  als  OfTeubaning  der  absoluten  Wahrheit, 
als  Anstalt  der  Erlösung,  Versöhnung,  Beseligung,  es  hat 
seinen  absoluten  Begriff  und  Ausdruck  in  der  Einheit 
Gottes  und  des   Menschen,   wie   sie   in  der  Person 
(Jliristi  angeschaut  wird  und  in  dieser  Anschauung  zu  einer 
Tatsache  des  christlichen  Bewusstseins  geworden  ist."  Und 
zwar  soll  diese  Einheit  zuerst  dogmatisch  in  der  Lehre  von 
Ohristo,  dann  hierarchisch  in  der  Machtvollkommenheit  des 
Papstes  als  des  Stellvertreters  Christi,  zuletzt  in  dem  Geiste 
des  durch  Christus  bestimmten  religiösen  Subjects  und  der 
christlichen  Gemeinschaft  zur  Darstellung  gelangt  sein.  So 
antwortet  Baur  im  Anschluss  an  seine  philosophischen  Grund- 
gedanken, und  wir  brauchen  hier  nicht  zu  untersuchen,  ob 
er  auch  spAterhin  derselben  Bezeichnung  als  der  adäquaten 
sich  bedient  hat.    Gegenwäiiig  würde  diese  Ansicht  wohl 
nur  wenig  Zustinnnung  finden.   Man  kann  in  der  Tat  nicht 
einen  Satz  an  die  Spitze  stellen,  der  so  gefasst  niemals  als 
grundlegend  aufgetreten  ist.    Das  altkirchliche  Dogma  be- 
hauptet nicht  eine  Einheit  Gottes  und  des  Menschen  fiber- 
hanpt,  sondern  nur  eine  für  den  Zweck  der  Erlösunjj^  in 
Christo  gegebene;  noch  weniger  das  Papsttum,  denn  dieses 
setzt  grade  eine  von  Gott  geschiedene  und  entfernte  Mensch- 
heit voraus;  in  ihrem  Abstand  bedarf  sie  der  Idrchlichen 
Vermittlung  und  nach  und  nach  der  monarchischen  Ober- 
leitung, welche  dann  ihre  Autorität  von  Christus  borgen 
muss.    Durch  den  Protestantismus  wird  diese  hierarchische 
Intercession  beseitigt  und  der  freie  Zugang  zu  Gott  durch 
Glauben  und  Liebe  eröffnet,  aber  es  soll  ebenfalls  nicht  ein 
Zugang  zur  Einheit,  sondern  nur  zum  Frieden  und  zur  Ge- 
meinschaft mit  Gott  sein.    Die  grössere  Hälfte  des  christ- 
lichen lieligionslebeus  lässt  der  obige  Satz  unerklärt.  Nicht 


1)  „Die  Epochen  der  kirchlicben  Geacbichtsschreibnog'S  S.  251. 


uiyui.(-eci  by 


BEDEUTUNO  UND  WllUCUNU  DES  UiSTOEUiUiiEN  SINNES.  195 

von  jener  Einheit  hat  die  K'eligiou  gelebt,  auch  nicht  vom 
Zwiespalt  allein,  wohl  aber  von  (h^ni  Abstand,  denn  sonst 
wfirde  €8  nicht  Beaeliguug  sein,  sich  zu  Qott  erhoben  zu 
föhlen.  Dabei  drängt  sich  weiter  die  allgemeinere  Frage 
auf,  ob  es  richtiger  sei,  das  christlich  Principielle  als  eine 
l\(\ili{ät  des  Seins  und  Wissens  hinzustellen,  oder  es  als 
ein  Wirken  und  Tun  zu  deukeu,  ob  die  inteliectuelle  oder 
die  ethisch -religiöse  Anschauung  grösseren  Anspruch  habe, 
auf  das  Qanze  der  Eirchengeschichte  angewandt  und  von 
einem  nnbefongenen  historischen  Sinn  bestätigt  zu  werden. 
Denn  das  ist  die  Alternative,  jiach  welcher  sicli  allf  An- 
sichten in  zwei  Gruppen  teilen,  deren  jede  wieder  mancherlei 
Modificationen  in  sich  zulässt.  Auf  die  letztere  Seite  werden 
sich  alle  zu  stellen  haben,  welche  wie  ich  überzeugt  sind, 
dass  Christus  zum  Gutwerden  der  Menschen  und  also 
zum  Zweck  einer  ethiscli  begründeten  Ein  ii^u ng  mit  Gott 
erschienen  ist,  dass  also  die  dabei  im  meiistlilichen  Wissen 
und  Bewusstseiu  stattfindenden  Veränderungen  erst  in  diesem 
^ele  ihre  höchste  Berechtigung  und  Bewahrheitung  empfhngen. 
Der  Tendenz  nach  findet  diese  Ansicht  jetzt  mehr  Bei&ll 
als  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten;  daraus  erklären  wir  uns 
die  so  geflissentliche  Hervorhebung  der  christlichen  Welt- 
verueinung  und  Weltüberwindung  als  des  eigentlichen 
cardo  rei.  Auch  dieser  Gesichtspunkt  wird  dann  leicht  wie 
ein  Eins  und  Alles  von  allen  ergftnzenden  Momenten  isolirt; 
aber  in  das  Innere  des  historisch  bewegten  Körpers  der 
Christenheit  lilsst  er  einen  tieferen  Blick  tun  als  der  Ge- 
danke von  der  Einheit  Gottes  und  des  Menschen,  welcher  die 
Beligion  zugleich  setzt  und  aufhebt. 

Unter  dem  historischen  Sinn  haben  wir  die  besondere 
Fähigkeit  und  Bereitwilligkeit  verstanden,  alles  Geschicht- 
liche im  Unterschiede  von  dem  Gedacliten  als  ein  Wirkliches 
und  bis  auf  die  Gegenwart  herab  Fortwirkendes  in  seinem 
Zusammenhange  zu  verstehen,  die  Kraft  der  Aneignung,  welche 
alle  Teilnehmer  an  dieser  Geistestätigkeit  in  den  Stand  setzt, 
freie  und  dankbar  bewusste  Erben  der  Yeigangenheit  zu  wer- 
den, während  sie  sonst  nur  abhängige  Kinder  ihrer  Zeit  blei- 
ben wüideu,  und  damit  ihre  eigne  geistige  Habe  zu  vervoil« 


196 


GASS, 


.stuudigeu.  Mit  dem  allgemeiiieu  0»'wiim  verbiüdet  sich  ein 
eigeutlioh  wiasenscluiftlicher  imd  gelehrter.  Die  Theologie 
hat  das  geschichtüiche  Denken  in  aUe  Fäidier  aufnehmen 
mflsaen.  Die  Sobrifterldäniiig  hat  ihren  lediglidi  philologi- 
seben  Betrieb  längst  hinter  sich,  überall  siebt  sie  sich  von 
literarhistorischen  und  selbst  historischen  Hüllsniitteln  um- 
geben. Die  systematisclien  Disciplinen,  seit  sie  sich  gewöhnt, 
Qber  die  nftchsten  Schranken  der  Schule  und  Confession  und 
saweüen  sogar  Aber  die  des  christlichen  Namens  hinaosm- 
blicken,  mnd  dadnrch  z^rar  nicht  principiell  imd  tlieoratisch 
scharfer  geworden  —  denn  diesen  Ehilluss  hat  die  geschicht- 
liche Bildung  durch  sich  allein  noch  nicht  — ,  wohl  aber 
reicher  und  besonnener;  sie  lehnen  sich  an  ihren  Hintorgrund 
und  retten  für  sich,  was  an  üuren  Ueberliefenmgen  Wahrheit 
ist  Doch  bei  diesem  Bekannten  zn  verweilen,  ist  nnn<Mag;  lieber 
m5chten  wir  anf  zwei  andere  Wirkungen,  eine  sittliche  und 
eine  religiöse,  noch  kürzlich  aufmerksam  maclien. 

Der  historische  Beweis  ist  so  alt  wie  das  Studium  selber, 
hat  aber  in  seinen  Formen  nnd  fiigebnissm  die  grdsslen 
Wechsel  erUtten.  Yor  Zeiten  war  es  leicht,  mit  Aigomeivten 
dieser  Art  nnd  Herkunft  zn  streiten.  Die  Kirchengesebichte 
lieferte  ein  gewaltiges  Arsenal  von  Angriffs-  und  Verteidi- 
gungswaffen. Durchschlagende  Tatsachen  werden  durch  ihre 
eigne  Wucht  zu  Zeugen  der  Wahrheit  und  des  Rechts, 
madhtlos  prallt  der  Wider^ruoh  an  der  OrOsse  der  Erfolge 
ab.  Die  katholisohe  Kirche  gründete  sich  anf  die  tNMlentungs- 
vollen  Merkmale  ihrer  Erscheinung;  Alter  und  Verbreitung^ 
Einheit  und  üehereinstimmung  wurden  die  Beweismittel  ihrer 
Wahrheit  und  ihres  göttlichen  Ursprungs.  Der  enge  Verband 
der  Concilien  und  die  Stetigkeit  der  Ueberlieferong  liessen 
keine  anderen  Gegensätze  aufkommen,  als  welche  in  imd  mit 
den  tatsächlichen  Verhältnissen  schon  gegeben  waren.  Keine 
andere  als  die  geschiclitlich  vorliegende  Alternative  durfte 
das  Urteil  bestimmen.  Und  au  diesen  zähen  Fortbestand  ohne 
augenfälligen  Bruch  hat  sieh  ja  die  rOmische  Kirche  bis  aif 
den  heutigen  Tag  angeklammert;  sie  wagt  das  Aeusserste, 
sobald  lOS  sich,  wenn  auch  noch  so  notdürftig  und  nnaureichend, 
au  ein  schon  Gewordenes  anachliesst,  und  sobald  es  einstimmig 


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BEDEimJNQ  UND  WISKUNO  BIS  HISTOBISCHEN  SINNES.  197 

durchgesetzt  werden  kann,  —  das  Aeusserste  selbst  zum  Spott 
atter  WicBenschait;  das  blosse  Oelingen  verbfiigt  das  Recht 
Auf  diese  Weise  entstanden  lauter  Beweisfßhrungen ,  die 
schliesslich  nur  auf  sich  selber,  d.  h.  auf  der  Macht  der 
Tatsachen  beruhen  sollten.  Indes  ist  auch  dieser  abeudlän- 
diäcäe  Katholicismus  schon  vor  Altera  mit  historischen  Ent- 
gegnungen nicht  verschont  geblieben.  Als  Morgen-  und 
Abendland  zerfielen,  haben  beide  Kirchen  auch  Grfinde  aus 
der  Geschichte  wider  sich  aufgerufen ;  die  späte  Erhebung  des 
Paj>sttums  und  die  allmäbliclie  Ausprägung  der  römisciien 
Eigentumlichkeiteu  lieferte  dem  älteren  Standpunkt  Zeugnisse 
wider  den  jflngern;  und  etwas  Aehnliches  geschah,  als  im 
Abendhmde  die  Augostinische  üeberlieferung  mit  sich  selber 
uneins  wurde,  oder  als  die  Heformooncilien  ein  halbvergessenes 
Kirchenrecht  wieder  mit  nahmen.  In  allen  diesen  Füllen  fehlte 
der  höhere  Eichter,  die  ältere  Autorität  wurde  von  der  jünge- 
ren niedergekämpft;  nur  scheinbar,  nicht  wiiklich  blieb  der 
SstK  in  Ehren,  dass  das  Altertum  ein  Vorurteil  der  Wahrheit 
in  sich  trage.  Alles  wurde  wieder  anders  mit  der  Reforma- 
tion. Als  die  evangelischen  Wortführer  des  Leipziger  Ge- 
sprächs zur  I^ostreitung  der  damaligen  Papstgewalt  vier  Jahr- 
hunderte zurückgrilfen  und  auf  die  Tatsache  der  morgenlän- 
diflchen  Kirche  hinwiesen,  erdffiieten  sie  damit  eine  historische 
Kritik,  welche  immer  weiter  greifend  die  herrschende  Ge- 
schichtsbetrachtung teils  umstiess,  teils  in  Frage  stellte  und 
einer  s^iäteren  üntoi*suchung  anheimgab.  Die  Beweisführung 
brat  aus  ihren  ersten  rohen  Formen  heraus,  sie  wurde  wahrer, 
aber  auch  Yerwickelter  und  schwieriger.  Die  beiden  pro- 
testantischen Gonfessionen  blieben  der  alten  Kirche  gegenfiber 
einverstanden,  aber  sie  haderten  unter  einander,  und  als  zn 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  beide  Parteien  sich  über  die 
Gründe  ihrer  Trennung  zur  Kcchenschatt  zogen,  als  Hutter 
und  Hospinian  wider  einander  eiferten,  handelte  es  nch  eben- 
Mb  um  bestimmte  Data  der  jflngsten  Geschichte;  allein  diese 
lieferten  immer  noch  kein  handgreifliches  Resultat,  und  grade 
die  Vergleichung  der  beiderseitigen  Handlungsweise  hätte  wohl 
eine  gemilderte  Stimmung,  zumal  auf  lutliorischer  Seite,  her- 
vorbringen mttssen,  wftren  flbrigens  die  Geister  darnach  an- 


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198 


GASS, 


f^otaii  wt '.seil.  Wir  bezeirliiicii  den  allgemeiiifii  iJaiig,  wenn 
wir  sagen:  anfangs  wurde  das  Facüache  durch  einfache  Be- 
hauptuogen  gedeutet  und  ffir  massgebend  erklärt,  nachher 
durch  kritisch  ermittelte,  bis  zuletzt  noch  eine  innere 
Wtirdigung  nach  einem  allgemeineren  sittlichen  nnd  reli- 
giösen Massstabe  hinzAigetreten  ist;  in  dieser  verhesserten, 
aber  aucli  weit  weniger  exacteu  Gestalt  geht  die  Beurteilung 
des  kirchlich  Gewordenen  auf  den  neueren  wissenschaftlichen 
Protestantismus  fiber.  Was  selber  Geschichte  hat  und  ist, 
erhebt  sich  damit  Über  eine  vergftngliche  Tagesangelegenheit, 
es  wird  nachhaltig  und  bedeutungsvoll  und  soll  demgemäss 
auch  geschützt  werden ;  aber  sein  Wert  wächst  keineswegs  mit 
der  Massenhaftigkeit,  noch  sein  Geist  mit  der  äusseren  Er- 
scheinung, 80  wie  die  Wahrheit  eines  Anderen  noch  nicht 
durch  dessen  geteiltes  Auftreten  verloren  geht  Folglich  kann 
auch  der  Massstab  nicht  mehr  an  jone  alten  Dimensionen  ge- 
bunden sein;  auch  andere  und  geistigen'  l'rüt'ungsmittel  treten 
in  Kraft,  uud  wir  dürfen  uus  den  Gedanken  nicht  rauben 
lassen,  dass  hinter  allen  jenen  ofb  beklagten  protestantischen 
Spaltungen  und  Verwirrungen  und  individuellen  Schattirungen, 
an  denen  die  neueren  Kirchen  so  reich  sind,  eine  unsichtbare 
Gemeinschaft  des  religiösen  Lebens  sieb  fortbewege. 

I^ange  Zeit  ging  die  geschichtliehe  Beweisführung  ein- 
fach aus  dem  „historischen  Reibt''  hervor,  sie  glich  einer 
Anwendung  massiver  schwerer  Gewichte;  nach  nnd  nach  hat 
sie  einer  Würdigung  nach  qualitativem  Massstabe  weichen 
müssen,  sie  ist  dadurch  ernster,  gründlicher,  aber  auch  schwie- 
riger geworden.  Der  historisclie  Sinn  dringt  also  notwendig 
in  das  innerliche  und  ethische  Gebiet,  er  nuiss  es  aber  auch 
in  einer  anderen  Hinsicht.  In  der  Wissenschaft  ist  es  dahin 
gekommen,  dass  nichts  historisch  unbelegt  bleiben  soll  Jedem 
einzelnen  Betrachter  steht  die  ganze  Welt  der  Vergangenheit 
otl'en;  wer  möchte  dieser  Art  der  BegrüiuUin^  (irenzen  setzen, 
wer  weiss  zu  sagen,  wo  die  historische  Beweiskraft  aufhört! 
Und  deimoch  ist  sie  keine  schrankenlose.  Was  die  Geschichte 
uns  als  ein  Nachweisbares  danreicht,  sind  Entstehungen,  Grün- 
dungen ,  Bewegungen,  Zusammenhänge,  Kftmpfe  und  bis  auf 
einen  gewissen  Grad  auch  Entscheidungen,  aber  keine  wirk- 


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BBDEDTUNO  UND  WIRKUNG  D£8  HISTOIUSCHEN  SINNES.  199 


liehen  Erlediguiigen ,  zumal  in  geistigen  und  religiösen  An- 
gel^enheiten,  wo  niemals  „rein  abgereclinet^'  wird.  Wer 
also  sich  selM  mit  seiner  ganzen  Uebeizengong  historisch 
rechtfertigen  will,  wird  stets  dieselbe  Er&hmng  machen,  er 

kehrt  gestärkt  und  ge demütigt  zu  sich  selber  zurück. 
Denn  niemals  findet  er  nur  was  er  sucht,  sondern  stets 
noch  einiges  Andere,  was  er  nicht  gesucht  und  worauf 
sich  seihst  der  Gegner  berufen  darf,  immer  überschweilt  das 
ihm  Torliegende  Material  seine  eigne  Absicht,  immer  flihrt 
es  auf  einen  breiteren  Jioden  und  deutet  auf  einen  Keichtuni, 
der  nicht  dazu  da  sein  kaini,  ihm  und  seinen  Interessen  allein 
volles  Genüge  zu  gewähren.  Historische  Studien  haben  na- 
türlich nicht  den  Zweck,  die  Farteibildung  abzostnmpfen  oder 
gar  aufzuheben,  sie  haben  fiberhaupt  keinen  Zweck  als  den 
ihrer  eignen  allseitigen  Fruchtbarkeit,  aber  reinigend  und 
mildernd  muss  der  mit  ihnen  verbundene  Sinn  allerdings 
wirken.  Sie  stellen  das  religiöse  und  wissenschaftliche  Leben 
in  seiner,  wenn  auch  gegensätzlichen,  Vdlligkeit  vor  Augen, 
wie  es  noch  jetzt  fortdauert  Wenn  also  eine  Zeitschrift 
dieser  Art  verschiedene  Richtungen  und  sogar  entgegengesetzte 
Urteile  in  sich  zu  W^orte  kommen  lässt,  so  verföhrt  sie  natur- 
und  geschichtsgemäss,  sie  hält  sich  dann  nur  in  einer  inneren 
Verwandtschaft  mit  dem  Gegenstande,  dessen  Erkenntnis  sie 
gewidmet  sein  wilL 

Die  zweite  Wirkung  nenne  ich  die  religiöse.  Jeder 
bestimmteren  Auslegung  mensehliclier  Geschicke  geht  ein 
allgemeiner  Eindruck  voraus,  der  auch  am  Ende  noch  stehen 
bleibt,  —  ein  Eindruck  giossartiger  Verwaltung,  welche,  nach 
erkennbaren  Oesetzen  fortschreitend,  doch  innerhalb  derselben 
eine  wunderbare  Freiheit  entfhltet,  und  welche  fasslich  und 
unerforschlich  zuglei(;h  durcli  ihre  Wege  und  Erfolge  die 
menschliche  Heredmung  zu  St  liaiideii  inaclit.  Zurückzublicken 
auf  den  Lebcusgaiii;-  der  Menschheit  war  von  jo  hvr  ein  an- 
dachtiges Geschäft,  bald  demütigend,  bald  nachdenklich,  bald 
binreissend  zur  Bewunderung,  und  im  ganzen  ist  es  auch  der 
Frömmigkeit  stets  gfinstig  gewesen.  Die  Behgion  betrachtet 
sich  nicht  allein  selber  als  einen  unentbehrlichen  Factor  der 
Weltgeschichte,  ohne  den  deren  Gefüge  unrettbar  zusammen« 


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200  QASS, 

bricht,  suiKiern  sie  i,'laiibt  aucli  zum  Verständnis  der  histori- 
äclieu  Aügeiogenlieiten  ein  letztes  Wort  sprechen  zu  dürfen, 
wenn  auch  ohne  jedes  TorwiUige  RichtenHOit.  Die  Theologie 
rechnet  es  za  ihrem  natfirliehen  Beruf,  ne  darin  zu  bebftf- 
tigeu;  aber  es  wird  ihr  in  ansem  T^u  mehr  als  sonst  er- 
schwert. Es  sind  mehr  als  vereinzelte  Stimmen,  welche  von 
einer  ganz  anderen  Weltanschauung  ausgehen.  Die  Geschichte 
wird  anter  ans  nicht  mehr  constmirt;  wohl  aber  entsteht  die 
Neigang,  sie  zn  machen;  selbständige  Prodaction  tritt  an 
die  Stelle  der  Erfohrung  und  Erwartnng,  durch  Selbsterzeugung 
aus  dem  Schosse  des  Menschengeistes  soll  die  Zukunft  ge- 
staltet werden.  Cultur  heisst  die  grosse  Lebeusmacht ,  von 
ihr  and  ihrer  Weihe  müssen  alle  getragen  sein,  und  vielleicht 
kommt  ihr  sogar  eine  metaphysische  Bedeutung  zu.  Von  dieser 
Annahme  aus  ist  nenerlich  gesagt  worden,  es  sei  an  der  Zeit, 
dass  jodor  sicli  anschicke,  die  Erzeiigunc^  des  TliiloHophen,  des 
K'rnistlci"s  und  des  Heiligen  in  und  ausser  uns  zu  fördern  und 
dadurch  an  der  Vollendung  der  Natur  zu  arbeiten;  das  sei 
das  Ziel,  auf  welches  der  Einzelne  eine  regelmässige  Selbst- 
tätigkeit zu  verwenden  habe.  Die  Menschheit  soll  fortwährend 
daran  arbeiten ,  einzelne  grosse  Menschen  licrvorzubringen ; 
dies  und  nichts  anderes  sonst  ist  ihre  Aufgabe,  „das  Dasein 
des  Einzelnen  Ist  am  wenigsten  vorschwendet,  wenn  er  zum 
Vorteil  der  wertvollsten  Exemplare  lebt''  Was  hier  mit 
Bezug  auf  den  Philosophen  und  den  Heiligen  behauptet  wird, 
Hesse  sich  alsdann  folgerichtig  auch  auf  den  grossen  Staats- 
mann oder  Feldherrn  anwenden,  auch  sie  und  ihre  Ei-scheinung 
mOssten  durch  hingebende  Mitwirkung  der  Menschheit  be- 
absichtigt  and  vorbereitet  werden.  Dieser  Batschlag  hat  auch 
eine  ethische  Bedeutung,  and  wir  haben  hier  nicht  zu  nnter- 
sudien,  was  sich  ergeben  wttrde,  wenn  alle  bewossten  Träger 
der  Cultur  die  Erfüllung  ihrer  eignen  Selbst[tHichtcn  mit 
der  Fliege  einiger  Auserwäklten  vertauschen  wollten.  Aber 
religi(ls  ist  diese  Ansicht,  wenn  man  Emst  mit  ihr  machen 
wiü,  nicht  mehr,  and  sie  besteht  auch  nicht  vor  der  Ge- 
schichte, deren  Qedenkblätter  ganz  anders  hinten.  Wer  von 

1)  Nietzsohe»  Uiizeitg^oiasse^G^danJceu.  Diitteti.^^iück,  &»dbS. 


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BEDEimJNO  UND  WIRKÜHO  DES  fOSTOBIfiCHEN  8119111».  20U 


sokken  Wftiisdien  för  die  Zukunft  sich  in  die  Yergaugenheit 
niifldcweiidet,  dem  wird  sich  ein  weit  Aber  jene  Intentionen 
hinajutreicbendea  Bild  vergegenwftrtigen.  Der  historische  In- 
halt scheint  eine  Zerle^^uiig  in  zweierlei  Elemeute  zu  gc- 
stiitteu;  die  einen  stellen  ein  Tun,  die  anderen  ein  Erfahren, 
Erle])en  oder  Erleiden  dar,  jene  haben  den  Charakter  der 
Leistung  und  Tat,  diese  der  B^benheit,  und  beide  laufen 
in  Znstfoden  wie  in  Erfolgen  zusammen.  Vieles  mag  nur 
den  Ertrag  persönlicher  Anstrengung  und  Aufopferung  um- 
fassen, in  dem  Aufgebot  der  Kräfte  oder  in  deren  Mangel 
mag  es  seine  Erklärung  finden;  Anderes  gleicht  dem  £m- 
pfiu^fenen,  nicht  dem  Seibstgegebenen;  mit  der  Stärke  des 
Eragnisses,  mit  Leben  und  Tod«  mit  Oonflict  und  zündender 
Reibung,  mit  Scheitern  und  Otlingen,  Sieg  und  Verlust  dringt 
es  treibend  oder  hemmend  in  den  Zusammenhang.  Und  ebenso 
wenig  wird  sich  nachweisen  lassen,  dass  die  Lebeosschule  der 
Vdlker  und  der  Jahrhunderte  darauf  eingerichtet  sei,  einzelne 
wertvolle  Exemplare  zu  erzielen,  in  deren  Vorbereitung,  Pflege 
und  F5rderung  die  üebrigen  ihre  Bestimmung  hfttten.  Die 
GeschichtiC,  so  sehr  sie  aurli  von  den  Werken  genialer  Per- 
sönlichkeiten abhängig  bleibt,  begünstigt  diese  Oligarchie 
nicht,  am  wenigsten  die  protestantisch  beurteilte  Kirchen- 
geachichte,  welche  fordert,  dass  alle  Höhen  und  Tiefen  auf 
der  Unterlage  einer  vor  Gott  gleichgestellten  Gemeinschaft 
ruhen.  Jeder  bringt  den  Auspruch  mit,  von  sich  aus  an  der 
Darstellung  eines  Ganzen  teilzunehmen  j  grosse  Wirkungen 
dringen  von  oben  in  die  Menge  der  Namenlosen  herab,  von 
ihnen  aus  wird  der  Geist  verbreitet,  von  ihnen  aus  der  Boden 
bereitet,  um  neue  Höhepunkte  zu  erreichen;  auch  sie  haben 
an  der  Verbesserung  oder  „Vollendung  der  Natur**  gearbeitet 
Oenifen  mid  ungerufen  sind  die  auserwülilten  Männer  erschie- 
nen, oft  plötzlich  und  von  ungeahnter  Stelle,  unvorbereitet 
durch  ihre  Umgebung  und  im  Widerspruch  zu  ihr.  Ob  ihre 
Zeit  sie  gross  gemacht,  oder  ob  diese  erst  durch  sie  und  ihre 
schöpferischen  Leistungen  gross  geworden,  bleibt  eine  un- 
beantwortliche  Frage;  der  Historiker  mag  für  beides  Beispiele 
sammeln,  aber  niemals  wird  er  sich  an  die  eine  Auffassung 
allein  gefaugen  geben,  noch  weniger  die  Geistestiefe  ergränden 


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«202  GAäij,  BEDEUTUNG  UND  WIRKUNG  DEÜ  iiiäXOK.  »INNES. 

wollen,  aus  welcher  die  geniale  rersönlichkeit  stanmit.  Wollte 
man  also  irgendwie  die  geschichtliche  Entwicklung  «luf  ein 
Gattuugäleben  zurückführen,  welches  seine  Kräfte  aufgewendet, 
um  wenige  wertvolle  Exen^lare  zu  erzeugen  und  diesen  dann 
die  Veredlung  der  Natur  anzuvertrauen,  so  wäre  dies  ein  im 
höchsten  Grade  beschrankender  Ausdruck  der  Geschichte,  ebenso 
unwahr  die  Pflichterfüllung,  die  für  die  Zukunft  daraus  ent- 
stehen würde.  Somit  erhellt  aus  diesem  Beispiel,  das»  über- 
haupt die.  Geschichtswissenschaft  sich  keinerlei  Bahmen  auf- 
nötigen lassen  darf,  welcher  für  ihren  Gegenstand  zu  eng  ist 
Dieser  soll  im  ganzen  Umfange  gewahrt,  der  unendliche  Boich- 
tum  der  Erscheinungen  und  Wirkungen,  der  Vor-  und  Uück- 
bew^ngen,  Wendungen  und  üeberraschungen  und  alles  dessen, 
was  sich  innerhalb  des  Geschehenen  unterscheiden  lässt,  im 
denkenden  Geiste  niedeigelegt  werden,  dafür  hat  der  histo- 
rische Sinn  einzustehen.  Zwar  ist  derselbe  noch  nicht  zu- 
gleich ein  religiöser,  aber  doch  ein  erhebender  und  erweitern- 
der; durch  ihn  wird  die  Umschau  ofTen  erhalten,  deren  auch 
die  christliche  Ansicht  bedarf,  um  die  nionschlichen  Angelegen- 
heiten unter  eine  göttliche  Ffthrung  gestellt  zu  denken. 


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Zur  Geschichte  der  Kircheoväler 

aus  epigraphischen  Ctuellen. 

Von 

Dr.  Ferdinand  Piper. 


Unter  den  Quellen  für  die  Geschichte  der  Kirchenväter 
nehmen  die  Inschriften  eine  au  Umfang  sehr  massige, 
dem  Gehftlt  nach  bedeutende  Stelle  ein  und  dürfen  nicht 
Qbersehen  werden. 

ZavOrderst  haben  die  Eirchenvftter  selbst  auf  die  Tor 
Augen  stehenden  epigraphischen  Denkmäler,  vornehralicli  des 
dassischen  Altertums,  geachtet  ,  welche  sie  sowohl  im  histo- 
rischen als  im  dogmaidschen  Interesse  aufnehmen  und  be- 
urteilen. Das  bietet  nach  beiden  Seiten  manches  Cbarakte- 


Einleitang. 

1.  iu  der  griecliiiichcn  Kirche 
(Inschr.  1 — 7). 

Hippolytoa.  Origenei.  Atb»- 

nasiiu. 
Gregor  von  Nazianz. 
JobaimeB  Chryaostonras. 

IL  In  der  lateinischen  Kirche 
(Insehr.  8—28). 

Comeline.  Cyprianw. 
Damasns. 

Anibrolilu.  (Satyros.  Jnlhma. 

Mucellina.) 
AngnstiniiB.  (Honiea.  Licentius. 


Uebersioht. 

NoTEtoa.  Jnlianiis  von  EcU- 
nnm.) 
HtercmjmQs  (Fteol»). 
Fanlinus  Ton  Nola  (QynegioB). 
Ennodine. 
Victor  von  Oapna. 
Gregor  der  Grosse.  (Petronia. 
SUvb.) 

Inschriften  in  Bibliotheken 
(Inschr.  89-33). 
Nok  (Pfcolmna). 
Favia  (Ennodias). 

Rom  (AgaiM.'tu8). 
SeviUa  (Iridorus). 
Ohne  Ort  (Alcninos). 


204 


PIPER, 


ristisclie  uud  fallt  zumal  tur  die  apologetificbe  und  polemische 
Methode  der  Kircbenräter  ins  Gewicht. 

Nfiher  beteiligt  sind  sie  bei  den  Inschriften  entweder 
durch  eigne  Hervorbringnng,  welche  nach  verschiede- 

neu  Seiten  sicli  wendet,  in  persönlic^lnM-  und  öflentliclicr  Ab- 
sieht, für  das  Haus,  für  das  Kircheiigebaudo,  für  das  Grab: 
wovon  iiariKMitlich  bei  Gregor  von  Nazianz,  Damasus,  Pau- 
linoB  Ton  Nohi,  £nnodins,  Fortunatas  zahlreiche  Beispiele 
sich  findeub 

Oder  es  sind  inschriftliche  Denkmäler  ihnen  gewidmet, 
sei  es  durch  Ervveisunj^  der  letzten  Ehre  oder  sonst  zu  öllent- 
lichera  Gedächtnis.  Von  letzteren  ist  das  Hauptdenknial  die 
Statue  des  Hippoljtus  in  Korn.  Hinsichtlich  der  andern  Art 
und  ihrer  Erhaltung  findet  man  sidi  in  der  gerechten  Er- 
wartung getftnscht:  während  aus  dem  christlichen  Altertum 
unzählige  Grabschriften  von  schlichten  Gliodern  der  Gemeinde, 
Männern,  Frauen,  Kindern,  auch  nicht  wenige  von  angesehenen 
Wardenträgem  im  geistlichen  wie  im  weltlichen  Stande  fiber- 
liefert sind,  sind  von  KircheuTfitem  des  Morgenlandes,  hin 
auf  die,  welche  Gregor  von  Nazians  sich  selbst  geschrieben 
hat,  keine  Grabsclirifteu  aiil  uns  jj^ekommen,  ausgenommen 
etwa  den  Clirysostomus  (was  es  mit  dem  angeblichen  Epi- 
taphium des  Origenes  für  eine  Bewandnis  liat,  wird  alsbald 
sich  zeigen),  —  von  lateinischen  Kirchenvätern,  nächst  der 
des  Fiqpstes  Cornelius  und  wenn  man  den  Damasus  rechnen 
will,  nur  einige  aus  dem  sechsten  und  dem  Anfang  des  sieben- 
ten Jahrhmiderts. 

Eine  dritte  Art  ist,  dass  mittelbar  epigraphiache  Zeug- 
nisse mit  ihrer  Geschichte  sich  berühren. 

Diese  Inschriften  sind  in  geringerer  Zahl  im  Original 
erhalten,  in  Bom  und  Constantinopel,  in  Florenz,  Nola,  Capua, 
Mon/a:  darunter  eine  ganze  Keihe  von  der  Hand  des  Da- 
UULSUS,  zum  Teil  noch  an  ihrer  ersten  Stelle,  und  vermehrt 
durch  wichtige  Funde  aus  neuester  Zeit;  aber  die  beiden 
Grabscbriften  ans  der  alten  Peterskirche  von  Päpsten,  die  zu- 
gleich als  Kirchenväter  anerkannt  sind,  Leo  dem  Grossen 
und  Gregor  dem  Grossen  (die  des  erstoren  zwar  uns  späterer 
Zeit),  sind  mit  dem  wüöteu  Abbruch  derselben  zugrunde  ge- 


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ZUB  Q£äCiüCUT£;  DlilK  KIBCHBNVÄT£Ui.  205 

« 

gangen      jedoch  abschriftlich  erhaHen.  —  Copien  patri- 

stisclier  Inschriftoii  bieten  manche  Werke  der  Kirchenväter, 
namentlich  die  "Briefsammlungen  des  Hieronymus  und  Pau- 
linus, sowie  biographische  und  kircheuhistorische  Werke  des 
Poesidius,  Beda,  JohaaneB  Dlacomia;  vomehmlieh  die  Samm- 
hmgen  altdirisfclicher  Epigramme  und  Iiischxiften  in  der  grie- 
ehischen  Anthologia  Palatina  und  in  dem  lateinischen  Codex 
Palatinus,  —  wie  im  einzelnen  nachgewiesen  werden  wird. 

Die  Bedeutung  aller  dieser  Inschriften  und  die  Veran- 
lafisong,  sie  gesondert  zu  behandehi,  liegt  sowohl  in  dem 
ep^nphisehen  Charakter  überhaupt,  kiaft  dessen  diese  Denk- 
wSler  von  den  Erzeugnissen  der  Literatur  sich  absondern,  — 
als  in  dem  besondern  sich  darbietenden  Mat(MiaI,  welches 
nicht  allein  einzelne  Tatsachen  documeutirt,  sondern  auch  den 
christlichen  und  theologischen  Charakter  erschliesst  und  selbst 
den  kirchlichen  Umkreis  erhellt  Dabei  tritt  öfter  die  Per- 
sönlichkeit Überraschend  hervor,  z.  B.  im  Verhältnis  zn  den 
nächsten  Angehörigen,  wie  in  den  Epigrammen  des  Gregor 
von  Nazianz  auf  alle  Glieder  seines  väterlichen  Hauses,  den 
Grabfichriften  des  Damasus  auf  seine  Schwester,  des  Ambro- 
mm  anf  seinen  Bmder;  —  desgleichen  dem  eignen  Selbst 
gegenüber,  in  Unterschriften  zu  dem  Portrait,  wovon  die 
üeberlieferung  aus  jener  Zeit  wohl  eine  Seltenheit  ist:  sie 
findet  sich  aber  bei  zwei  Kirchenvätern  zu  dem  Bilde,  wel- 
ches dem  einen  sein  üVeund  in  einer  Kirche,  der  andere  sich 
selbst  in  einem  Kloster  gestiftet  hat  (s.  Nr.  19.  23),  —  beide 
prägnant  nnd  charakteristisch. 

Neben  den  Inschriften,  zum  Teil  mit  ihnen  ver- 
Iviiupft  (worauf  eben  schon  die  Kode  kam,  s.  auch  Nr.  5.  G) 
stehen  die  Kunstdenkmaler:  von  denen  auch  für  die  Ge- 


1)  Nur  emige  geringe  Bmchstficke  der  letzteru  sind,  zerstreut,  das 
eine  ungekelirt,  im  FogBlwdai  der  Oiotten  der  heutigen  PeteuBkirche  auf- 
gefondin  (s.  sa  Ib.  25),  —  selbst  ein  Zei<dien  joner  VenrOstuDg,  worüber 
die  Finder  ihren  Unwilkn  aiuweni:  „adeo  foede  pfaMdanun  hoc  marrnor 
in  minima  frnsla  «edaetmn  hne  illnc  in  basOieae  demolitlone  dispersiun 
lUt!"  (Sarti  et  Settel  e,  AppeiuL,  p.  81).  —  Ja  diesen  Grotten  befindet 
sieh  aUeidingB  eine  Steinsehiüt  dea  Danuums,  aber  aieht  ana  der  alten 
.  FMenkiiefae^  eoadem  die  in  der  Nihe  ge&nden  iat 


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206  PIPER, 

schichte  der  Kirchenväter  einiges  aus  erster  Hand  vorbanden 
ist,  neles  ans  der  späteren  Kunstentwickliing  kommt.  Die 
znaammen&asende  beiderseitige  Darstellung  ist  eine  Erweite- 

mng  des  gegenwärtigen  Vorhabens,  womit  seiner  Zeit  ein  Ab- 
schnitt der  Monumentalen  Kirchengesoliichte  des  cbristiicheu 
Altertums  sich  zai  beschäftigen  haben  wird. 

Hier  kommt  es  darauf  an,  ans  den  vorli^nden  inschrift- 
licben  Quellen  das  Thema  zu  erläutern  und  darin  nach  Kräften 
den  Ansprache  dieser  Disciplin  gerecht  zu  werden. 

Doch  so,  nach  dem  Mass  und  Zweck  einer  Zeitsclirift, 
dass  einiges  eingehender,  anderes  kürzer  behandelt,  anderes 
nur  angedeutet  wird. 

I.  In  der  griechischen  Kirche. 

Hippolirtiui.  Origenes.  Athaiiaaias. 
Unter  den  Ehrendenkmälern  nimmt  die  erste  Stelle 

ein  die  schon  erwähnte  Statue  des  Hippel} tus,  welche  im 
Jahre  1551  aus  dem  ager  Veranus  bei  S.  Lorenzo  in  Rom 
auägegrabeu  und  jetzt  eine  Zierde  des  lateranischen  Mu- 
seums ist. 

!•  lo  Rom.  Die  loMhriften  bei  SmetiiiB,  Inscr.  1588,  fol.  XXXVII 
ven.  Soalig.,  Emend.  temp.  (Ausg.  von  1598),  p.  677r.  Grat., 
Thea.,  p.  140f.  Bitcher.,  Doctr.  temp.,  p.  295 f.  (nur Ist)  Fahr  ic, 
Opp.  Hippdjrti  za  p.  38.  40,  Tab.  LH  a.  b.  Blanchini  xa 
Anaetas.,  De  vitis  pontit  Rom.«  T.  II,  p.  169  f.  (beide  mit  Abbild, 
der  Statae).  tfarini  bei  Mai,  p.  70-7a  Perret,  Catac,  T.  V, 
R  L  U.  IV,  mit  Abbüd.  Kirchhoff,  C.  I.  Gr.  8613.  —  Daraus 
das  VenEeicbnis  seiner  Schriften  bei  Cave,  Ser.  ecdes.  hist  Iii. 
P.I,  1688,  p.68^  nach  Grater;  and  P. II,  1698,  p. 45,  nach  Bomard, 
mit  Anm.  von  Th.  Gale;  ed.  Oion.,  YoL  I,  p.  104.  106. 

Bekannt  ist,  dass  die  Seitenstücke  des  Stuhles  das  Ver- 
zeicbnis  der  Schriften  des  Hippolytus  und  seinen  IGjiihrigen 
Ostercydus  enthalten.   Beide  sind  allein  durch  diese  Inschrift 


1)  Diesen  Satz  jjiebt  KleetwooU,  Syll. ,  p.  510,  1  als  eine  In- 
schrift aas  Soioer.  Suicer,  Thesaur.,  T.  II,  p.  185,  führt  die  Stelle 
0.  y.  xvgut»4  an.  £8  ist  der  Anfang  des  Osterkanon  des  Hippolytus. 


ZÜB  GESCHICHTE  DER  KIBCHENVÄTEB. 


207 


Überliefert,  wenn  auch  Eusebius  eine  Anzahl  seiner  Schriften 
nennt  und  der  16  Jahre  des  Cvclus  gedenkt.  —  Aus  dem 
enteren  ist  der  Titel:  „H^og  Jüanam  ij  mi  mgl  tov  noa^Tog'' 
dadurch  Mtiscli  von  Wichtigkeit,  dass  er  ein  Merkmal  ah- 
gegeben  hat,  diesem  Hippolytus  das  neu  aufgefundene  Werk: 
„  Kmim  Tluaag  utotoiig^^  ZU  viiidiciren,  sofern  dessen  Verfasser 
sich  zu  der  Schrift:  „Iltgi  rrjg  tov  tikitoj  ovaiag''  bekennt 
(X,  32).  —  Nach  der  vielfältigen  Behandlung  der  beiderseiti- 
gen Inachrifben  (des  Schriften -Verzeichnisses  zuletzt  durch 
Gaspari  1875)  wird  es  an  dieser  Stelle  genfigen,  nur  darauf 
hinzuweisen. 

Ein  Abguss  dieser  Statue  ist  im  königlichen  Museum  zu 
Berlin;  auch  ist  ein  solcher  dort  käuH ich  zu  haben.  Einen 
Abguss  der  Querseiten  mit  der  Inschrift  besitzt  das  Christ- 
liche Museum  der  hiesigen  üniversität  durch  Schenkung  des 
verewigten  Generaldirectors  von  Olfers. 

Die  älteste  Grabschrift  eines  griechischen  Kirchen- 
lehrers, von  welcher  Kunde  auf  uns  gekommen  ist,  ist  die 
des  Origenes.  Gestorben  in  Tyrus  um  254,  wurde  er  da- 
selbst bestattet:  sein  Grabmal  blieb  erhalten,  so  lange  die 
Stadt  bestand.  Die  Augenzeugnisse  von  demselben  und  seiner 
Inschrift  reichen  bis  ins  13.  Jalirliuiidert.  Guilelmus,  Erz- 
bischüf  von  T)tus  (1175 — 1184),  sjiricht  davon  und  Burchar- 
dus  a  Monte  Sion,  Lehrer  der  Theologie,  der  nach  der  Üeber- 
liefemng  im  Jahre  1283  (erweislich  nach  1274  und  vor  1285) 
in  dem  lande  war,  giebt  das  Nfthere  an:  „Origenes  ibidem 
in  eoelesia  saneti  sepulcri  reqniescit  in  mnro  eonehisus;  cujus 
titulum  ibidem  vidi***).  Die  Stadt  tiel  im  Jahre  1291  den 
Saracenen  in  die  Hände  und  ist  bald  darauf  völlig  zerstört. 


Guilelni.  Tyrins,  Hist.  sacra,  Lib.  XIII,  c.  1,  ed.  Bongars. 
Gesta  (lei  per  Franc,  }•.  834:  „haec  cadeiu  (Tyrus)  et  Origenls  corpus 
occultat,  sicut  oculata  fule  etiam  liodi«-  licet  insincorc". 

^)  Burchard.,  Descr.  torrue  saiictae,  II.  5,  ed.  Laun'nt,  Peregri- 
nat.  inedii  aevi  (piatuor.  18G4,  p.  25.  (Von  den  oben  genannten 
Zeit},'rcnzen  s.  das.  }».  89,  not.  (>4;  p.  30,  not.  10.)  lUmhard  fährt  fort: 
„sunt  ibi  culuüipnt'  iiiarmuree  et  alioninj  lapitliuii  Uuu  niagne,  quod 
stuitor  est  vidcrc".  Hiernach  schildert  ITuetiuH  Origen.,  Opp.  Origen. 
ed.  de  la  Ilue,  T.  IV,  2,  p.  103,  not.  b,  das  Grabmal:  „in  muro  catbe- 
Z«iUclir.  f.  K.-U.  14 


208 


PIPER, 


Aber  eine  aEsehnliche  Eircfaenniiiid  hat  aicli  erhalten 
imter  netterer  Aneiedhing,  in  der  südöstlichen  Ecke  der  heu- 
tigen Stadt  Sur,  welche  bisher  für  die  ehemalige  Kathedrale 
gegolten  liat  (Bitter,  Erdkunde  XYII,  1.  S.  368):  wo  nicht 
allein  das  Grab  des  Origenes,  sondern  auch  des  EaiBero  Bar- 
barossa yermntet  worden  ist.  Sie  ist  als  solche,  auf  An- 
regung' von  Prof.  Sepp,  dnrch  eine  ans  ihm  und  Dr.  Prntz 
bestellende  Exiiedition ,  welche  von  der  deutschen  Reichs- 
regierung ausgesendet  wurden,  im  Jahre  1874  ausgegraben, 
nach  dem  Ankauf  und  Abbruch  der  zahlreichen  (32)  darauf 
erbauten  arabischen  Steinhatten.  Es  sind  jedoch  nicht  die 
vermuteten  Gräber,  und  an  Grabsehriften,  da  alles  l&ngst  aus- 
geraubt worden,  nur  einige  Inschriftstucke  des  13.  Jahrhunderts 
ans  Licht  gekuiumen.  „Origenes",  schreibt  Sepp  vom  Fuss  des 
Libanon^),  „liegt  hier  unter  den  Kuinen  der  Kathedrale  be- 
graben; noch  Wilhelm  von  Tyrus  weiss  sein  Grab  vorhanden  — 
jetzt  forschten  wir  leider  vergebens  darnach.**  AndererseitB  be- 
richtet Pratz  ^  von  der  unter  den  Einwohnern  verbreiteten 
Meinung,  dass  iu  einem,  nördlich  von  dieser  Kuine,  jetzt  in 
der  Erde  liegenden  Gewölbe,  als  dem  liest  einer  uralten  Kirche, 
das  Grab  des  „Oriunus"  sei:  welches  aber,  von  arabischen 
Hfltten  flberbant,  der  Untersuchung  nicht  zngfinglidi  war. 
Derselbe  sucht  aber  auch  darzntnn,  dass  die  neu  aufdeckte 
lüiine  nicht  von  der  ehcnuiligen  Kathedrale,  sondern  von  der 
ehemaligen  S.  Marcuskirche  der  Venetianer  hernihre 

In  Ermangelung  der  echten  griechischen  Grabschnft 
könnte  än  kteinisches  Epitaphium  von  vier  oder  fünf  Disti- 


diilis  eeckriM  ■^nltiiB  Mi  Origenes,  eiyiu  nomen  et  q>itapfainiD  in 
colnnma  marmorea  incosom  et  avro  gemnueqne  onutmn  ibi  etianumm 
legebator  anno  1298";  er  legt  aber  mehr  Unebi,  als  bei  Borahard  zn 
lesen  ist  Dass  dieser  Sdunnck  dem  Epitaphinm  angehSre,  sagt  der- 
selbe nicht;  lud  noch  weniger,  dass  die  Inschiifb  in  etaie  ICarmocsänle 
eingegraben  ad.  Dodi  ist  dem  Hnetins  Bedepenning  gefolgt;  Ori- 
genes, T.  II,  p.  267. 

1)  Sepp,  Beisebriefe  ans  der  Leyante,  VIH  (Augsb.  Allg.  Zig. 
vom  Aug.  1874,  BeiL  8.  8667,  nnd  XI  ebendas.  II.  Sept.,  Beil. 
8.  8943). 

Prntz,  Ans  Phöniden  (Iieipzig  1876),  8.  219.  806. 
s)  Bbendas.  8.  388f. 


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ZUR  GESCHICHTE  DER  KIRCHENVÄTER.  209 

chen  hier  seine  Stelle  finden,  welches  als  von  Origenes  selbst 
verflusl;  —  denn  es  wird  ihm  in  den  Mund  gelegt  —  in 
Cmlanf  gekommen  ist,  aus  folgender  QuellA 

l».Au8  einer  Handsclirift  in  Corbie,  zu  Anfang  von  Origtiiis  7i*()i 
dgxüüy ,  heraus^' geben  von  Mabillon,  Vet.  Anal,  T.  II,  p.  (iGO; 
cf.  p.  6G5;  ed.  nov.  p.  379.  Cave,  Scr.  eccl.  hist.  lit,  p.  Ö3;  ed. 
(hon.  T.  I,  p.  120. 

2\tuhis  Oriffenis  super  tumulum  a  ae  ipso  compositm, 

nie  ego  Origenes  doctor  TeriasiiiiiiB  olim 

etc. 

Mabillon  hat  es  unter  dieser  Aü&chrift  gefunden  (wozu 
er  bemerkt:  „immo  potias  a  qnodam  stndioso  in  persona  Ori- 

genis'')  und  als  epitaphiiim  Origenis  publicirt,  unter  welchem 
Namen  es  auch  von  Cave  aufgenommen  ist.  Neuerdin^^s 
teilt  Schuitzer  (Origenes  über  die  Grundlehreu  der  Glau- 
benswissenschafb,  S.  XXXIII)  „jenes  mönchische  Epitaphiom 
auf  Origenes  bei  Isidor  Hisp.  8,  5**  mit,  —  es  ist  ab«  nur  das 
letzte  Distichon.  Und  Redepenning  wiederholt  diese  Verse, 
„welche  Sciinitzer  bei  Isidurus  als  Epitaphium,  das  ein  Alönch 
für  Origenes  fertigte,  gefunden  haben  will,  ob  sie  gleich  nir- 
gend In  dessen  Werken  vorkommen''  (Origenes,  T.  I,  p.  4li); 
verweiset  aber  nachtrfiglich  (T.  n,  p.  477)  auf  das  ganze  £pi- 
taphinra  bei  CSave  und  Hoetias.  —  Allein  weder  ist  es  ein 
Epit4ii»hiiim,  aucli  nicht  als  solches  vorgestellt;  noch  fehlen 
die  Vei-se  in  den  Ausgaben  des  Isidorus,  wo  sie  in  einem 
grösseren  Zusammenhang  erscheinen,  wie  sie  auch  in  mehre- 
ren Handschriften  erhalten  sind:  wir  werden  weiterhin  (Nr.  d2) 
darauf  znrflckkommen. 

Ein  Denkmal  aber  des  arianisehen  Streits  ist  eine 
gleichzeitige  Inschrift,  die  in  einer  Höhle  bei  Theben  in 
Aegypten  gefunden  ist. 

2*  LepsiuH,  Denkmäler  ans  Aeg}'ptcn  und  Actlnupi  ri ,  IM.  XII. 
Abt.  VI.  Iii  7G,  gr.  59.  Kirchhoff,  C.  1.  Gr.,  T.  IV,  p.  277, 
8607,  mit  FMsimUe  Tab.  XU. 

ng^s  Tovc  fto^l  I  vn^wtat  ete. 

Ks  ist  ein  Brief  des  Athanasius,  den  er  an  die  dortigen 

Anachoretcn  gesclirieben,  und  welchen  diese  so  wert  gehalten, 

dass  sie  au  der  Wand  einer  Grabeshöhle,  die  als  Wohnung 

14* 


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210 


PIPER, 


diente,  ihn  verewigten.  Zwar  ist  nur  die  linke  Seite  meluren- 
ieils  erhalten,  aber  das  Fehlende  hat  sich  ergänzen  lassen  ans 
dem  lateinlachen  *Text  (Opp.,  T.  I,  p.  771f.)  und  verwandten 
grieehischen  Briden,  die  in  seinen  Werken  sieh  finden.  Er 

warnt  darin  die  Einsiedler  vor  den  Parteigangern  des  Arius, 
welche  umhergingen  und  die  Einföltigen  verluhi*ten,  und  er- 
mahnt sie,  den  frommen  Glauben  unverfälscht  zu  bewahren, 
nicht  aber  mit  solchen  Leuten  Gemeinschaft  zu  haben  und 
zu  beten. 

Orejror  Ton  Naziunz. 

Gr^or  von  Nazianz  hat  zahlreiche  Epigramme  gedichtet 
und  diese  wohl  auch  gesammelt,  namentlich  znm  Gedächt- 
nis Verstorbener:  von  denen  manche  das  Ansehen  haben, 

fSr  den  Leichenstein  bestimmt  zu  sein,  wenn  nämlich  auf 
diesen  oder  auf  den  Regriibiiisüi*t  ausdrücklich  hinL!:»'^vi('st»n 
wird.  Zum  Beispiel  das  Epigramm  auf  den  Euphemius,  wo 
auf  die  Frage  des  Wanderers  der  Grabstein  Antwort  giebt 
(Opp.,  T.  II,  ed.  GaiUau,  p.  1121,  XXXTTI.  Anthol.  F&lat. 
Lib.  VÜI,  126),  V.  1: 

auf  den  Martinianus,  wo  das  Grab  in  erster  Person  redend 
eingef&hrt  wird  (Opp.  1.  c.  p.  1124,  XLiV.  Anthol.  l  c 

108),  V.  2: 

und  ebenso  anf  den  Helladius  die  Märtyrer- Kapelle  (p.  1112, 
XXXVUl.  Anth.  162),  v.  2: 

Das  wird  aber  dadnrch  zweifelhaft,  indem  er  auf  manche 
Personen  eine  ganze  Anzahl  Epigramme  gemacht  hat  (auf 
den  Martinianus  14),  dass  zuweilen  mehreren  derselben  eine 

s)  Biemlben  F<»nneln  encbehieii  in  den  Epigrammen  p.  1168,  CXXI 
(150),  T.  1,  8: 

Eva$ßioVf  BaoiXuratt,  fisyaxkieSf  hf^a^B  xtSi^w 

uud  p.  1160,  CXXVIU  (155),  v.  1: 

XioQrji;  rijad'  /ppijc  Ft'nnaciof  uQ)(ieQr,(t 


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ZUB  QBSCHIGHTB  DER  KIBGHSIIVITER.  211 


solche  locale  Bestimmtheit  eigen  ist,  die  doch  nicht  zusam- 
men als  Grabschriften  haben  dienen  können:  wie  auf  seinen 
Brnder  Oftsarius,  welche  alle  drei  besagen,  daas  der  Grabstein, 
den  die  alten  Eltern  bei  Lebzeiten  sich  errichtet  hatten,  * 

nun  ihrem  vorangegangenen  Sohn  zuteil  geworden  1110, 
VIU.  IX.  Anth.  87.  88),  v.  1: 

"UQioi  si  triff op  ^ftey,  or'  iv9nSe  xovtov  l^fMci^ 
h&ttv       q^r^^  y^^l**^  XaoiofiM  etc. 

nnd 

Twäe  Xidw  rwUts  twpnv  imtaa^ro. 

Ebenso  die  dritte.  Desgleichen  drei  auf  seine  Mutter  Nonna 
(p.  11 18,  C,  V.  27.  V.  3;  p.  1136,  LXXIV,  v.  1.  Anth.  71.  60. 
38,  V.  1): 

i«9mt  ^pOlne  9t^e  Ic^^loy  h9a49  x99tm' 

ferner: 
und 

Den  Schlüssel  dafür  giebt  er  selbst  am  Ende  seiner  Epigramme 
auf  Basilius,  deren  auch  nicht  weniger  als  12  sind  (Opp., 
T.  II,  p.  115&,  CXIX,  wo  sie  sämmüich  in  eins  gezogen 
sind;  Anth.  1.  c.  2 — 11)  0*  Das  letzte  nennt  er  selbst 
YQufi^i*  hav^tfttdtov,  dessen  jener  sich  erfreuen  möge;  worauf 
er  mit  dem  Disticlion  schliesst:  „Deinem  Staube,  Basilius, 
habe  ich,  Gregor,  diese  Zwölfzahl  vou  Epigrammen  geweiht.^* 
Darunter  ist  eines,  das  sich  wie  eine  GrabschriA  lieset  (v.25; 
Anth.  1.  c  6,  V.  1): 

%SK^<f<  BmiHmo  Bafihw  a^xtSQ^tt 

^ivTo  /AB  KautetQis^,  P^tiyoQioio  <p{Xw  etc. ; 

allein  es  ist  so  selir  nur  ein  Denkmal  der  Freundschaft  und 
spricht  mehr  von  dem  Verfasser,  der  ihm  im  Tode  bald  zu 
folgen  wünscht,  dass  es  dem  Grabe  nicht  entsprechen  würde, 
somit  aus  jener  ZwOlfisahl  nicht  heraustritt  Aehnlich  ver- 
hält es  sich  mit  den  Epigrammen  auf  den  Rbetor  Amphi- 
lochius  aus  Diocäsareu,  deren  acht  sind  (p.  1118,  CHI — CIX, 
wo  n.  CIY  nach  Muratori  zwei  in  eins  gezogen  sind;  Anth. 

1)  Von  der  Zwöilzahl  s.  Jacobs  not  T.  IU|  p.  417. 


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212 


PIPER, 


n.  131  — 1:58).  Eins  derselbeu  lu-nut  auch  yQafi^i^  innvfi- 
ßldiov  von  einem  Freunde  des  Verstorbenen  (n.  CIV;  132); 
in  einem  andern  beisst  es,  er  habe  es  geschrieben,  durch 
Bede  t&r  die  Bede,  die  er  von  ihm  gelernt,  dankend  (n.  CiV; 
133);  ein  drittes  weiset  auf  das  Grab  hin  (CIX;  138).  lo 
zwei  andern  wird  dasselbe  redend  eingeführt  (CVÜ.  CVIil; 
136.  137): 

*AfAffüuoxw  luaix^  ttn^n  xotng  etc. 

and 

.  .  .  fMtfivMQja  /cAcff  aiyff 

welche  am  ehesten  dort  eingeschrieben  sein  könnten.  Aber 

(luii  h  die  Verviellaltiguug  erscheint  alles  dies  docli  nur  als 
rhetorische  Form. 

Unter  diesen  Epigrammen  erheben  sich  zu  kirchenliisto- 
rischer  Bedeutang  diejenigen,  welche  den  Angehörigen  des 
Gregor  von  Nazianz  gelten,  da  alle  Glieder  dieses  Hauses  der 
Gcschiclitü  angehören,  anch  in  den  Heiligen- Kalender  auf- 
genomiTion  sind.  Es  ist  jedoch  nur  eines,  welches  auch  ge- 
schichtlichen Inhalt  hat,  auf  seinen  Vater,  in  Nazianz. 

3.  Gregor  Kas.,  Opp.,  T.  II,  p.  1128,  LV.  Aniha.  POat  VIII, 
12;  ed.  Jacobe,  T.  I,  p.  642;  ed.  IHklmer,  T.  I»  p.  516. 

fUihxos,  i}^«e}i)j(,  XafMifdg  Tipucifoc  vno^p4T^, 
(fi  ntsffotffw  Xt^g»  ^eoi».  UkX*  Uq^bs 

Die  Amtsdauer  von  4o  Jahren  ist  eine  runde  Zahl,  die 
genauere  Angabe  zu  45  Jahren  enthält  seine  Gedächtnisrede 
auf  ihn  (Orat.  XVIII,  38).  Melirere  Ausdrücke  des  Epigramms 
sind  dem  Verfasser  in  diesen  Gedichten  eigentümlich  und  ge- 
läufig: die  Benennung  seines  Vaters  als  eines  Propheten  der 
Trias,  wie  Gregor  in  seiner  eigenen  hier  folgenden  Grabschrift 
sic'h  Diener  der  Trias  nennt;  diis  Pradicat  Trrfoo^ooa  der  Sele; 
der  Auadmck  yrfiv^ioy  vnvov  ist  homerisch,  wofür  er  der  Nonna 
(s.  zuYor)  %o¥  ßa^vv  wwQp  beimisst.  —  Eine  gemeinsame 
Grabschrifl;  betrifft  die  Eltern  und  die  Söhne:  womach  er  bei 
seinem  Vater  ruhen  sollte,  während  ein  anderes  Grab  seine 


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ZUR  GESCHICHTE  DER  KLRCUENVÄTEB. 


213 


Mutter  Nonna  and  seinen  Broder  Cäsarios  nmschloss  (p.  990, 

CXI  |77|).  —  Ausserdem  hat  er  sich  allein  noch  folgende 
Grabschrift  gedichtet. 

4.  Gregor  Naz.,  Opp.,  T.  ü,  p.  992,  XCVL  Anthol,  Mat.  VlU, 
81,  p.  Ö60  (524). 

Mal  oorfu]  (sotplJK  dsdQayfiiyoff  fT^eof  rt 
MOP  nXoCtw        iht(^*  inwqavUfif, 

Maratori  Termntet,  ja  bSlt  es  fBr  ^^ewisH,  dass  das 
Kitlgicinim  nicht  von  Gregor  ist,  da  nicht  zu  glauben  sei, 
dat>s  er  selbst  dieses  Lob  sich  gespendet  habe.  Allein  was 
er  von  sicii  aussagt,  ist  recht  verstaudeu  nicht  so  verfänglich ; 
jeden  Falls  wird  die  Echtheit  von  allen  Seiten  bestätigt:  denn 
denselben  VeFsanfang  enthält  eine  der  Grabechriften  anf  sei- 
nen Bruder  Casarius  (p.  1112,  XVI  [n.  95]),  —  und  den 
ganzen  ei*steu  Vers  eine  auf  seine  Schwester  Gorgonia,  nur 
dass  dort  xiTfiai  steht  (p.  1116,  XXII  [101]);  die  Bezeichnung 
seines  geistlichen  Amtes:  „Diener  der  Dreieinigkeit**  stimmt 
mit  der  eben  erwähnten  för  seinen  Vater.  Und  dass  er  die 
Weisheit  ergriffen  habe,  entspricht  dem  G^edanken  wie  dem 
Ausdruck,  dass  er  Christum  ergrilleii  habe-),  wie  er  auch 
sagt,  dass  Christus  ihm  die  Liebe  zur  Weisheit  gegeben  habe 
(p.  992,  XCV  [84])*):  und  an  derselben  Steile,  wo  es  heisst, 
er  habe  Christom  eigriffen,  erklärt  er,  dass  er  von  der  Hoff- 
nung nicht  hissen  werde. 

Einer  anderen  Klasse,  den  K  i  r  c  h  e  n  -  Inschriften,  gehört 
ein  Ejdgnmmi  an,  das  zunächst  zwar  namenlos,  aber  mit  Orts- 
angabe überliefert  ist,  als  befindlich  zu  Gäsarea  (in  Cappa- 
docien)  in  der  Kirche  des  Basilius. 

b,  An(M*  MU.  I,  92;  ed.  Jacobs,  T.  I,  p. 25;  ed.  Dfiboer,  T.  I,  p.  11. 

*Elß  K  ni<ja  Q  E  ( (t  tig  ToV  yaof  lov  dylov  BnatXelov. 
Hv  ort  XpioTof  invev  i<p*  dXxa^oe  Ififpvfop  vntfotf, 

1)  Mnrator],  Aneod.  Gracc,  p.  120. 

•)  Gregor  Naa.,  Cann.  LXXXV,  13,  p.  078:  avrdQ  kyw  XqkstoTo 
Mgnyfi4woSi  ovnotB  Aq'I«  ilnidot  etc.  Vgl.  Jacobs»  Anthol.  Palat, 
T.  m,  p.  427. 

9)  8.  aaeb  p.  994,  XCVHX  (83):  ißvSw  h  cmpi^s  nti^«. 


214 


FIFBB, 


nXXvfifyni^  ^nu^vvoi' ,    uvu^  (fi  xtXtv^v  fivaardg 
fitQSfitEiP  aysfiovg  xut  xi'fiaia,  xnl  ntXey  oi/rioj  • 
&uviA(tti  di  tpQaCoyio  i^eov  fpvauf  oi  naqkovtBf, 

„Es  begab  sich,  dass  Christus  ruhend  genoss  im  Schiff 

den  natürlichen  S»  lilal,  das  Moor  aber  von  rauschenden  Win- 
den aufgewühlt  wurde  und  voll  Furcht  die  SchilVer  auf- 
schrieen: , Erwache,  Heiland;  hilf  den  Untergehenden.'  Der 
König  aber  stand  auf  und  be&hl  den  Winden  und  den  Wellen, 
ruhig  zu  sein:  und  so  geschah  es.  An  dem  Wunder  aber 
nahmen  die  Anwesenden  Gottes  Natur  wahr."  —  Offenbar  ist 
es  die  Inschrift  zu  einom  Gemälde,  das  in  der  Kirdio  aus- 
gofülirt  wi^r;  es  steht  dahin,  ob  in  zwei  Scenen  oder  einfach 
als  Schilderung  des  letzten  Moments.  Sie  ist  vertot  von 
Gregor  von  Nazianz,  denn  ne  findet  sich  unter  dessen  Ge- 
dichten ,  freilich  ohne  Ortsangabe  ^) :  und  ist  wohl  von  ihm 
selbst  schon  für  jene  Malerei  besihnnit.  Nach  dieser  Her- 
kunft aber  ist  man  berechtigt,  in  dem  Bilde  noch  etwas  an- 
deres als  bloss  die  Darstellung  einer  Tatsache,  des  Wunder- 
zeichens zu  sehen.  Denn  Gregor  braucht -gern  för  das  mensch- 
liche Leben  Gleichnisse  aus  dem  Naturleben,  namentlich  von 
dem  Meer  und  der  Schiflalut  :  wobei  auch  hibli.sclie  l^reignisse 
/ur  Anwendung  kommen.  So  macht  or  aucli  von  jenem  Er- 
eignis:  „Cliristus  auf  dem  Schill  im  Sturm"  den  üebergang 
auf  die  Zeitverhältnisse  und  sein  eignes  Leben,  aber  in  ent- 
gegengesetztem Sinne,  indem  er  bei  dem  Ausgangspunkt,  dem 
Schlaf  des  Erlösers,  stehen  bleibt.  Gebeugt  von  Todesfällen 
und  anderen  eignen  und  öfTontlichen  Uobeln,  spricht  er  einem 
Freunde  seinen  Kummer,  ja  Hoffnungslosigkeit  aus:  „.  .  Die 
Fahrt  geht  bei  Nacht,  nirgends  eine  Fackel,  Christus  schlätlb. . . 
Es  giebt  für  mich  nur  eine  Erlösung  von  den  Uebeln,  den 
Tod.^'*)  Jene  Inschrift  aber  sammt  dem  Bilde  zeigt  die 
Entwicklung  und  die  wunderbare  Aushülfe  in  der  Not,  wel- 


Wie  Jacol)K  zur  Anth,  Palat.  1.  c.  angemerkt  hat.  —  Iji  der 
neuen  Aufgabe  von  Grciror.  Naz.  Opp.  Cann.  I.  JH;  T.  II,  p.  2*SH. 

*)  Gregor  Naz.,  Episl.  LXW,  ul.  :\\),  a«l  Eudoxium,  Opp.,  T.  11, 
p.  73.    Vgl.  üUmaun,  Gregor  von  Nazianz,  JS.  153. 


üigiiizeo  Dy 


2SUR  OESCmCHTfi  D£R  KIRCHENVÄTER.  216 

ches  Yorbildlidi  genommen  dazu  führt,  an  die  Stelle  der  Ver- 
zagtheit Zuversii^t  nnd  Hoffimng  zn  setzen. 

Johannes  Chrysostonius. 
Höher  hinauf,  in  die  byzantinische  Hof-  nnd  Patriarchen- 
geschichte  reicht  dn  Denkmal,  das  erst  nenerdings  bekannt 

geworden  ist:  die  Inschrift  vorgegenwiii tii^^i  die  Katastrophe 
im  Leben  des  Johannes  Chrysostoni us,  ileii  Aiihisj?  m 
seiner  zweiten  Amtsentsetzuug  und  Verbannung  im  Jahre  404. 

Die  entferntere  Veranlassung  lag  in  dem  Zwiespalt  zwi- 
schen der  Kaiserin  Eudoxia,  Gemahlin  des  Arcadius,  und  dem 
Chrysostoiiius ;  die  nähere  in  der  Errichtung  ihrer  Statue  und 
den  hegh^itendon  Umstünden.  Die  Sache  ist  bekannt  ') ,  be- 
darf jedoch  näherer  Feststellung,  da  im  einzelnen  die  Berichte 
der  Alten  differiren  (Socr.  VI,  18;  Sozom.  VIll,  20). 

Nicht  lange  nachdem  Chrj^ostomus  aus  seinem  ersten 
Exil  von  der  Kaiserin  selbst  zurfickberufen  war  infolge  der 
Unruhen  des  Volkes,  welches  nach  dem  Bischof  verlangte, 
wurde  ihre  silberne  Statue  auf  einer  Porphyr^aule  erricht(ft 
auf  hoher  Basis:  und  zwar  vor  der  Curie  des  Senats,  so  daas 
sie  nur  durch  eine  Strasse  von  der  Sophienkirche  getrennt 
war,  —  wie  Socrates  berichtet;  oder  was  dasselbe  ist,  nahe 
bei  der  Irenenkirche  au  dem  Ort,  welcher  Pittakia  hiess  (wo 
die  Bittschriften  von  dem  Kaiser  entgegengenommen  wur- 
den), —  wie  Tbeopbaaeä  meldet^).  Das  Jahr  403,  welches 
aus  dem  Zusammenhang  bei  Socrates  uiid  Sozomenus  folgt, 
^ebt  Marcellinus  Gomes  ausdrficklich  an ').  Bei  dieser  Ein- 
weihung wurden  öffentliche  Schauspiele  von  Tänzern  und 


1)  Vcrgl.  d u  0 a n ge ,  Constantinopol. Christ, Lib. II, p.  1 77 ;  Tille- 
iDont»  Meni.,  T.  XI,  p.  215;  Montfaucon,  Opp.  Chrysost.  T.  Xll, 
p.  151;  Stilting,  Acta  SS.  Sept.,  T.  IV,  p.  .'■)02;  von  Ilararacr, 
ronstantinopcl ,  IM.  I,  S.  löl.  239;  Nc ander,  Joh.  Chrysostomus, 
Bd.  II,  S.  17(;ff;  Thierry,  St  Jean  Cbiysostome  et  rimperatrioe 
Endoxic  (Paris  1872),  p.  2d0ff. 

Theophancs,  Chron.  ad  Arcad.  a.  12,  p.68A. 

3)  Das  Jahr  iOH,  welches  von  Hammer  a.  a.  0.,  S.  239,  und 
ihm  folgend  Frici<  und  Kirchhoff  (s.  sogleich)  annehmen,  ist  nicht 
richtig;  im  Jahr  40i  am  4.  October  war  Endoxia  sobon  gestorben  nach 
Socrat  VI,  19. 


L.iyui^uo  i^y  Google 


216 


FtPER, 


Mimen  aufgeführt,  wie  es  bei  Kiuweihuug  kuiserlicher  Bild- 
nisse zu  geschehen  pflegte.  Das  rügte  Chrvsostomus  in  einer 
Predigt,  als  geachehen  zur  Yemnelinifig  dar  Kirche.  —  Die 
Basis  nun  dieser  Statne  mit  der  Widmung  ist  noch  vorhanden : 

sie  steht  vor  der  Irenenkirche,  die  jetzt  zu  einer  Wafleusamm- 
luug  und  als  Museuiu  dient,  wo  ich  im  April  1870  sie  ge- 
sehen und  die  Inschrift  re?idirt  habe.   Es  ist  folgende. 

6«  Friok  in  Gerhards  Aiehiolog.  Anzeiger  1857,  SL  89,  nnd  Nach- 
trag, Archäolog.  Zeitung  1868,  8.  133.  Eirohhoff,  a  L  Gr., 
T.  IV,  p.  288,  8614.  Mommsen,  C.  I.  lat,  7ol.  III,  1.  p.  136, 736. 

DN  AKL*  t)  ETDOXUS  SEMPER  AVGV8TAS 
TC*  SIHPUCrVS  PRAEP  YRB  DEDICA?IT. 

Die  Inschriften  auf  bculeji  Seiten  besagen,  dass  der 
Sladtprafect  Simplicius  die  Statue  errichtet  liat.  Theophanes 
berichtet  noch,  der  Stadtpmfect,  ein  Manichäer  und  der  heid- 
nischen Beligion  noch  zugetan,  habe  jenen  Unfug  angestiftet. 
Wenn  das  der  EaU  gewesen,  so  war  die  Bflge  des  Chrysosto- 
rous  desto  mehr  b^ründet.  Aber  die  Kaiserin  nahm  es  per- 
sonlich, fand  sich  beleidigt  und  betrieb  die  Versammlung 
einer  neuen  Synode  gegen  den  Chrysostonius.  Es  wird  weiter 
berichtet,  Chrysostomus  s^  nun  schärfer  hervorgetreten  und 
habe  in  einer  berühmten  Fredigt,  welche  anfing:  „Von 
neuem  wfltet  die  Herodias,  von  neuem  tanzt  sie,  von  neuem 
verlangt  sie  auf  der  Schüssel  das  Ilaupt  des  J<»liannes",  direct 
die  Kaiserin  als  eine  zweite  Herodi;is  angegriffen:  was  die- 
selbe noch  viel  mehr  erzürnt  habe.  Diese  Erzählung  unterliegt 
jedoch  erheblichen  Bedenken'):  erstens  ist  ein  so  leidenschafir 
liebes  Auftreten  dem  Chrysostomus  nicht  zuzutrauen,  auch 
nicht  die  Verwechslung  der  Herodias  mit  ihrer  Tochter  (denn 


1)  Das  ist  Doininae  Nostrae  AKliiae.  l>ic  Abkiirzniifjrcn  bakii  zu 
vorachioil«  neu  Ivcsunp  ri  fdivinae  und  doininae  n[8taU  IjoHtrao)  Anhu«  ge- 
geben, welche  Urichtigt  sind  sowohl  in  dem  crwähnteo  Nachtrage  als 
von  Cavcdoni  Annotaz.  al  C.  I.  Gr.  IV,  2,  p.  4. 

'■^)  Wdchc  schon  Tillcmont,  Montfaucou,  Stiiting  geltend 
gciuaciit  iiabca.   Keander  sagt  von  dieser  Predigt  uar:     möge  wohl 


ZUB  OESCmCHTfi  D£R  KIRCHENVÄTER.  217 

diese  hat  getanzy  nicht  die  Mutter).  Dazu  kommt,  dass  eine 
Predigt  mit  diesm  Anfimg  vorhanden  ist,  auch  schon  im 
Altertum  gekannt,  aber  augenscheinlich  nicht  von  Gbrysosto- 

mus,  ihm  untergeschoben^);  daher  sehr  ghiublich,  das  So- 
cmtes  und  Sozomenus  diese  Predigt  im  Auge  haben  und 
durch  sie  getäuscht  worden  sind.  —  Das  Ende  war,  dass 
Gfarysostomns  am  20.  Juni  404  in  sein  zweites  Exil  abge- 
führt wurde  (Socrat.  VI,  18),  woraus  ihn  erst  der  Tod  be- 
freite, 14.  Sopteiiiber  iuT. 

Eine  zweite  Inschrift,  handschriftlich  überliefert,  deutet 
auf  die  Vei-sohnung,  welche  mehrere  Stufen  hatte.  Daa  erste 
war,  dass  das  kirchliche  Gedächtnis  des  grossen  Kirchenlehrers 
hergestellt,  sein  Name  in  die  Kirchenbficher  wieder  aufge- 
nommen wnrde:  womit  Alexander,  Bischof  von  Antiochien, 
voranging  In  Constantinopcl  geschah  es  durch  Bischof 
Ätticus,  der  zwar  den  Kirchenfricdon  mit  dem  Abendlande 
dadurch  herstellte,  aber  nicht  daheim  mit  den  sich  getrennt 
haltenden  Anhängern  des  Ohrysostomus,  den  Johanniten  *). 
Diese  wurden  erst  versöhnt  durch  die  ZurflckfÜhmng  seiner 
Gebeine,  welche  auf  Antrieb  des  Bischofs  Proclus  erfolgte: 
unter  grosser  Feier  von  allem  Volk  wurden  sie  nach  Con- 
ätautinopel  gebracht  und  in  der  Apostel ki rohe  beigesetzt,  am 
27.  Januar  438  %  —  ein  Tag,  der  noch  jetzt  in  den  Kalen- 
dern der  allgemeinen  Christenheit  aus  diesem  Anlass  seinen 
Namen  trägt.  Da  machte  auch  Kaiser  Theodosius  IL  den 
Frieden  seines  Hauses  mit  dem  Abgeschiedenen ,  einst  un- 
gerecht Vei-triebenen :  er  neigte  Augen  und  Antlitz  zu  dem 
Sarge  und  bat  fär  seine  Eltern,  ihnen  zu  verzeihen,  die  aus 
Unwissenheit  Unrecht  getan ').  —  Daran  schliesst  sich  wohl 
die  folgende  Grabschrift 

«ich  mAnchw  aiu  fUr  VerdrebuDg  durch  die  Feinde  dee  ChryKtAmim 
etngefloBSen  sein. 

1)  Bei  Montfancon,  Opp.  ChiTSOBtonnia  uter.  eporia,  T.  Vill, 
P.  2,  p.  1. 

8)  Theodoret,  Hist.  occl.  Y,  35. 
8)  SocratOB,  Hiet.  eocL  YU,  25. 
*)  £beudaä.  45. 

ft)  Theodoret,  Hiat  ecd.  V,  35. 


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218 


7.  Broiick,  AnaL,  T.  m,  p.297.  684.  Jaeobst  Anfb.,  T.IV,  p.263. 
684a.  Anih.  Mol.  YIII,  1;  ed.  Jacob«,  T.  I,  p.  539;  ed.  D«b- 
ner,  T.  I,  p.  515. 

tt»y  tlQeit}  noXvoXßog  ig  ovQttvov  avToyat  ^X&€f 
Jf«4  «jpftiros'  uexoxovg  tffr^ev  axtjQttitfw. 

Wonach  der  göttliche  Johannes  (Chrysostouius)  und  der  ge- 
feierte TheodosiuH,  der  Stifter  der  Dynastie,  im  Grabe  ver- 
einigt ersoheinen,  also  in  besonderer  Nähe  —  denn  in  jener 
Kirche  waren  sie  ohnehin  einander  nahe,  als  der  Begräbnis- 
statte fiberliaupt  der  Kaiser  und  der  Bischöfe  von  Con- 
stantiiiopel.  Jene  Gemeinschaft  des  Grabes  aber  wird  den 
Sinn  haben,  daas  Theodosius  I.  (und  die  Seinen)  der  Gebete 
teilhaftig  werden,  welche  am  Grabe  des*  allverehrten  Bischöfe 
aufeteigen  wfirden,  gleichwie  Gonstantin  der  Grosse  ehen  diese 
Kirche  mit  den  Kenotaphien  der  Apostel  in  solcher  Absicht 
sich  zur  Grabkirche  erbaute. 

Es  steht  jedoch  dahin,  ob  das  Epigramm  wirklich  als 
Inschrift  angebracht  worden,  was  nach  der  Fassung  nicht 
grade  wahrscheinlich,  jedoch  unter  den  besondem  Umständen, 
30  Jahre  nach  dem  Tode  (wo  man  eine  gew<yhnliche  Grab- 
schrift nicht  mehr  erwartet)  möglicli  ist;  oder  ob  es  nur  ein 
rhetorischer  Entwurf  ist,  wie  so  viele  von  den  Epigrammen 
des  Gregor  von  Nazianz,  denen  man  dasselbe,  obwohl  es  jünger 
ist,  vorangesetzt  hat 

II.  In  der  lateiaiaoheii  Kirche. 

Comeliiu.  Cyprianms. 

Nur  im  Vorübergehen  soll  an  zwei  Bischöfe  und  Mär- 
tyrer aus  der  Mitte  des  dritten  Jalirhunderts  hier  erinnert 
werden:  den  Cornelius  von  liom,  der,  wenn  er  auch  einige 
Briefe  hinterlassen  hat,  zu  den  Vätern  und  Lehrern  der  Kirche 
nur  entfernter  gerechnet  werden  kann;  aber  die  Auffindung 
seiner  Grabschrift,  überhaupt  der  Gruft  der  Päpstgräber,  im 

1)  1^  naw.  Dasselbe  Prädlcat  gicbt  Theodoret  c.  35  dem  Chry- 
Bofitomus. 


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ZUR  OBBGHIGHTB  DER  KIRCHENTATER.  219 

Coemeteriiim  Oallisti  durch  de  fiossi  im  Jahre  1852  gehört 
zu  den  erfrenlichBten  cpigraphisoben  Entdeckongen. 

Und  (ieu  Cv  priaiius  von  Caitliago,  von  dem  eine  Brief- 
steile,  oschatologisch  gedeutet,  zu  einer  merkwfirdigeu  Grab- 
schrift jetzt  im  laterauischeu  Museum  verwendet  ist,  die  zu 
mehrfiicheD  Yerhaadlungen  Anläse  gegeben  hat  Auf  ihn 
selbst  bezflglich  ist  nur  aus  späterer  Zeit,  dem  nennten  Jahr- 
hundert, eine  Inschrift  erhalten,  nämlich  auf  seine  nach  Lyon 
versetzten  Keliciuien  von  dem  Diacouus  Florus  daselbst,  welche 
anfängt  ^): 

Hac  locuples  ChriHti  thc-^aurus  ron<litur  arca 
Purior  argento,  fulvo  pretiosior  auro  etc. 

Und  die  Inschrift  des  Namens  bei  seinem  Bilde,  beides 
halb  verlöscht,  neben  dem  des  Gomelins  in  dem  Ooemeterium 
GaUlsti  zu  Bom^,  bestätigt,  was  als  eine  bedeutsame  litur- 
gische Tatsache  schon  das  röiuisclie  Kaien* Lmuni  von  :i54  er- 
sehen lasst.  dass  beiden  zusammen  ein  Gedächtnis  daselbst 
gewidmet  war. 

IHumuMis. 

Hingegen  den  ersten  bedeutenden  Beitrag  zur  epigraplii- 
schen  Literatur  giebt  Papst  Damasus  (:JGi; — .H84),  der  eine 
Anzahl  Epigramme  verfasst  hat,  die  auch  wirklicli  in  Stein 
gegraben  worden.  Und  was  von  besonderm  Wert  ist,  es  sind 
dieser  Steinschriften  mapche  noch  vorhanden,  ja  es  werden 
immer  noch  Beste  davon  gefunden.  Sie  geben  sich  auch 
sofort  zu  erkennen  durch  eigentumliche  SchriltzQge;  der 
Schreiber,  dessen  Daniasus  sich  bediente,  dem  diese  verzier- 
ten Züge  eigen  sind,  hat  nicht  unterlassen,  sich  zu  nennen: 
Purins  Dionysius  Filocalus,  von  dessen  Hand  wir  auch  du 
Kalenderbruchstfick  haben.  Damasus  selbst  fugt  gewöhnlich 
seinen  Namen  bei.  Er  hatte  dazu  siichlichen  Grund,  da  die 
Inschriften  meist  Widinungen  an  Märtyrer  sind,  wo  also  der 
Name  des  Widmenden  nötig  war.  Aber  auch  sonst  bei  bau- 
lichen Anlagen  fehlt  er  nicht  Indes  auch  wo  er  fehlt,  ist 
der  Verfksser  an  seinem  Stil  zu  erkennen,  insbesondere  an 

i)  Mabillon,  Yet  AniO.,  T.I^  p.407;  ed.  nov.  p.416,  V. 
*)  AbbÜdnog  bei  de  Rosti,  Borna  aotterr.,  T.  I,  p.  298;  TgL 
p.  276,  Tav.  VL  Kraus,  Borna  mtterr.,  S.  17,  Taf.  X. 


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220 


PIPER, 


einem  Vorrat  von  Ausdrücken,  die  zumal  bei  der  Verwandt- 
schaft des  Stofls  leicht  wiederkehren,  —  so  dass  verschiedene 
Gedichte  zum  Teil  als  Combination  derselben  Formeln  er- 
scheinen: das  ist  fßr  die  Kritik  seiner  Denkmftler  von  Er- 
heblichkeit. 

Durch  seiue  Schmückung  der  Märtyrergräber  und  die 
Widmung  wird  nun  zunächst  sciue  Auffassung  des  Standes 
nnd  Wirkens  der  Heiligen,  und  was  damit  zusammenhängt, 
sein  Glaube  im  persönlichen  Verhältnis  2u  ihnen  ins  Lieht 
gesetzt,  aber  auch  sonst  mancher  dogmatische  Funkt  herflhrt. 
Dies  übergehe  ich  hier,  um  einiges  rein  persönliche,  was  in 
seinen  Ids*  liriften  liegt,  hervorzuheben. 

Unter  diesen  sind  zwei  auf  Zeitgenossen,  die  eine  auf 
die  Projecta,  Tochter  des  Florus,  die  nach  ihrer  Verheiratung 
frfih  gestorben,  vom  Jahre  383;  die  andere  auf  seine  Schwe- 
ster Irene,  deren  Anzing  hier  folgt: 

8.  Grut.  p.  L172,  10  aiLs  cod.  Palut.  Baron..  Annal.  a*i  u.  384, 
T.  XII,  App.  p.  OK);  ed.  Mansi,  T.  V,  p.  573.  l;.>,si  ,..  Ii.  s.,  j..  IHf». 
Aringhi,  T.  T,  p.  472.  Flcetw.,  p.  428,  1.  Ihuuasi  Ojtp. 
eil.  Sarazaii  ('ariD  XXVIII,  od.  Merciida  rann.  XXXI.  Fmi- 
Boca,  De  ba.sil.  8.  Laurent,  in  Dauiaso  p.  üU.  Gailandi,  Bibl. 
P»tr.,  T.  Vi.  1».  m 

HnC  TV.MVI.O  SACKATA  L>K(>  iNVNC  MKMUKA  (^VIKSCVXT 
UIC  SüROU  EST  DAMASi  NOMKN  SI  (^VAEKIS  lUKNK 
YOTEKAT  HAEC  SKSK  XFO  CVM  VITA  MANEKET 
etc. 

Auch  hier  zeigt  sich  die  Eigenheit  wiederkehrender  Ge- 
danken und  Formeln;  solche  sind: 

y.  2.  nomen  sl  quaeris]  Garm.  XXX,  ed.  Saraz.  t.  2:  no- 

raina  quiscjue  fNtri  puriter  Paulique  requiris.  Carm. 

XXIX,  1 :  hic  coiigesta  jacet,  quaeris  si,  turba  piorum. 
V.II,  quam  sibi  cum  raperet  melior  tunc  regia  coelij  Cami. 

XXVII,  3:  te  Protum  letinet  melior  sibi  regia  coeli. 

Oarm.  XXIX,  3 :  sublimes  animas  rapuit  sibi  regia  coeli. 
Ausserdem  treten  zahlreiche  ethische  und  dogmatische 
Motive  bedeutsam  hervor,  wie:  sacrata  Deo  membra,  voverat 
sese  Christo,  propositum  mentis,  cum  fugeret  mundum,  cum 
raperet  regia  coeli,  veniente  Deo,  nostri  remtniscere  viigo  etc. 
Das  Persönliche  aber  ist:  die  Irene  hatte  ihre  Jungfrau- 


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ZUR  OESCHIGErrB  DER  KfRnHBNYÄTEB.  S21 


Schaft  Gott  gelobt  and  war  noch  nicht  20  Jahre  alt  gestor- 
ben: Damasos  sieht  sie  scheiden  ohne  Furcht  ffir  sie,  weil 
sie  frei  znm  Himmel  eingegangen  ist:  „aber 'S  sagt  er,  „es 
schmerzt  mich,  ich  gestehe  es,  dit*  Gciiieinschiiit  des  Lebeus 
zu  verlieren/'  (Sed  dolui  fateor  consortia  perdere  vitae.) 
Das  ist  ein  einfacher  rührender  Laut,  —  unter  aller  dcr 
Heiligen?erehningr  unter  so  viel  bischöflichem  Amtseifer  die 
Sptor  des  Familiendnnes:  einmal  der  Ausdruck  eines  mensch- 
lichen Gefülils,  das  nicht  selten  im  christlichen  Altertum  in 
solchem  Verhältnis  verleugnet  worden,  als  ob  das  zur  Ehie 
Gottes  gereiche. 

Sodann  giebt  eine  Bau -Inschrift,  ehemals  in  der  Kirche 
S.  Lorenzo  in  Daraaso,  Kunde  von  dem  Gang,  welchen  dieser 

Papst  in  seinen  Aemtern  genommen  hat. 

9«  (irnt.  p.  llf»4,  11  aus  cod.  Palat.  Baron.,  Ann.  1.  c,  p.  911; 
ed.  Mansi,  T.  V,  p.  ö71.  Flcetw. ,  p.  .'^87,  f).  l>ani!i.si  Opp. 
ed  Sarazan  (^arm.  XIII,  ed.  Merenda  Cann.  XXXV.  Gal- 
landi  1.  c,  p.  ^f)!. 

IllNC;  PATER  KXCKITDK  LKCTOK  I-KVITA  SA('KKl»OS 
CUEVKKAT  niNC  MKUITIS  (iVUNIAM  MKIJnüüU'.S  ACTIS 
HING  .MIHI  IMIOVKCTO  .\7s  CVI  SV.M.M  A  l'(ti  K^lAS 
SEDIS  Al'USlOLICAE  VULVIT  CONCEUEKK  IlUNüKEM 

etc. 

Also  Damasus  war  zuerst  Exceptor  oder  Notarius,  dann 
Lector,  Levita  (l)iaconus),  endlich  Sacerdos,  was  nicht,  wie 
Fleetwood  will,  Bischof  bedeuten  kann,  sondern  Priester; 
dann  wird  er  als  römischer  Bisehof  auf  die  sedes  apostolica 

erhüben.  Er  unternahm  den  Neubau  einer  Sacristei  daselbst 
für  die  „Archive"  und  fügte  der  Kirche  zu  beiden  Seiten 
l^ulen  himcu,  welche  seinen  Namen  durch  die  Jahrhunderte 
tragen  sollten. 

Zwei  andere  Inschriften  verkflnden  Orabgedanken  des 

Damasus:  die  eine  berühmteste  mit  dem  schon  erwähnten 
Anfang:  mc  cunüesta  iacet  qvaeris  si  tvrha  piorvm  nicht  allein 
handschriftlich  flberliefert,  sondern  auch  neuerdings  im  Ori- 
ginal wiewohl  serstfickelt  aufgefunden  in  einer  Gruft  des 
Goemeterium  Oallisti,  deren  bihaber  er  durch  rednerische 
Wiederh(dung  des  Hic  schildert:  da  hätte  er  gern  sein  Gnib 
ersehen;  aber,  wie  er  sagt;  ciNEREts  timvi  sanctüs^  vexake  piouvm. 


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222 


PIPER, 


Die  andere,  seine  wirkliche  Grabachrift  (Canu.  XVi,  Saraz.): 

QVI  GRAOIENS  PBUGI  FLVCTTS  COMPRBSSIT  AMAROS  die.,  WOVOR  im 

Original  ein  Bracbstfick  noch  vorhanden  ist:  sie  bietet  mehr- 
focbes  Interesse  nnd  wird  bei  anderer  Gelegenheit  zur  Sprache 

koiunieu. 

Ambrosius. 

Auch  von  Ambrosius  sind  beide  Glassen  von  Inschrif- 
ten, für  kirchliche  Geb&nde  nnd  fßr  Gräber,  erhalten.  Beides 

trifft  zusjmimen  in  der  Grabschrift  auf  soiiien  Hiiider  Suty- 
rus*),  über  dessen  Heinigang  (f  385)  er  ein  eignes  Bucl» 
geschrieben:  was  demselben  die  Aufnahme  in  das  röniisclie 
Martyrologium  (unter  dem  17.  September)  zuwegegebiacbt 
hat.  Er  wurde  in  der  früher  sogenannten  Basilica  des  heili- 
gen Victor  ad  ooelam  aureum,  jetzt  S.  Satyri,  begraben.  IMe 
Glrabschrift,  welche  nicht  allein  durch  die  Heidelberger  Hand- 
schrift, sondern  auch  durch  Duugal  erhalten  ist,  lautet: 

10.Dungal,  De  coltu  imag.  (ed.  MMBonns,  Paris  1(308),  Bibl.  patr. 
moz.  T.  XIV,  p.  223C.  Grut.  p.ll67,  2  aus  cod.  Palat.  Baron. 
Ana.  a.  383,  n.  XVI,  T.  IV,  p.  486;  ed.  Mansi,  T.  V,  p.  556. 
Puricelli,  Ambros.  basil.  luonura.,  p.  27.  ßenedictini,  Ad- 
nionitio  in  Ambros.  Opp. ,  T.  11,  p.  1112.  Fleetw.  p.  360  ,  2. 
Murat.,  Diss.  XVII  in  raulin.,  Opp.  Paulini  Noi.  p.  840 F.  Stil- 
tin g.  Acta  SS.  Sept,  T.  V,  p.492.  de  Boasi,  Bullet  di  archeol. 
crist.  im,  p.  ö. 

VRANIO  SATYRO  SYPKEMVM  FKATER  HONOREM 
MARTYHIS  AP  LAEV.\M  IH-rTYLIT  AMBROSIYS 

ÜAEC  MKKITl  MKKCES  VT  SACKI  SAN(ni\IS  UYMOR 
FIMTJWAS  l-KNETRANS  A  ULY  AI  KXVVIAS. 

Der  Märtyrer  ist  Victor,  der  Titelheilige  der  Kirche, 
der  zn  Mailand  unter  Maxunian  gelitten  haben  soll  nnd  in 
den  Martyrologien  unter  dem  8.  Mai  anfgefQhrt  wird;  —  die 

Bestattung  zu  seiner  Seite  ist  ganz  im  Sinn  der  Zeit, 
welche  in  dem  Begi-äbnis  nahe  den  MürtyiLru  ein  Unter- 
pfand für  das  künftige  Schicksal  der  sterblichen  Reste  sah. 
Auch  der  Ausdruck  exuviae,  von  der  abgelegten  Rüstung, 


J)  Derselbe  Name  fintlot  sich  in  einer  naliezu  gleichz.  itigen  Grab- 
Schrift  des  vaticanischen  Museums  (vum  Jalire  397)  bei  lie  Kossi, 
Inscr.  1,  p.  4&3:  BENKHEEKNti  IN  PACE  ÖATVKU  (^Vi  YIXIT  JOiHOti 
F^XLV  etc. 


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ZUK  OBSCmCUTE  DER  K1R0UEN7ÄTER.  223 

dem  Kleid  der  Sele  ist  bedeutsam  and  kehrt  öfter  wieder 
(^L  Nr.  11)  1). 

Dieses  nnd  namentlich  v.  3  (sacri  sangiünis  hnmor)  wird 

erläutert  diireh  die  AulTni'Iung  «Ur  Keliquien  des  Nazarius 
(uui  396),  von  dein  man  damals  noch  nicht  wusste,  was  er 
gewesen,  später  aber  wissen  wollte,  dass  er  in  Mailand  unter 
Nero  gelitten  habe.  Man  sah  n&mlich,  wie  Paulinas  als 
Augenzeuge  berichtet,  in  dem  Grabe  das  Blut  des  Bfärtjrers 
80  frisch,  als  ob  es  an  dem  Tage  vergossen  wftre.  Ihm  m 
Ehren  erhaute  Ambrosius  eine  Kirche,  vou  dereu  Eiuweihuug 
die  folgende  Inschrüt  Kunde  giebt. 

ll.Grut.  p.  1167,  1  ans  cod.  Palat  Fleetw.  p.  360,  1.  Pinias, 
Acta  SS.  Jul,  T.  VI,  p.  507.  Hnrat  Ser.  a  L,  T.  IV,  p.  68. 
HftTini  bei  Hai.  p.  146,  2. 

coNDinrr  ahbrosiys  templym  dominoqve  Sacra vit 

NOMIXK  ArOSTOLICO  MVXKHE  KKLLIQVIIS 
FORMA  CKVCIS  TKMI'LVM  KST  TKMTLVM  VICTORIA  XPl 

SACRA  TKIVMPHALIS  Sir.NAT  IMATJO  ]AW\'M 
IN  CAPITE  EST  TKMPLl  VITAK  NAZAKIVS  ALMAE 

etc. 

Darnach  enthielt  das  Kopfende  des  Kreuzes  das  Grab  des 
Märtyrers  (auch  hier  ist  v.  6  Ton  seinen  exavüs  die  Rede). 
Die  Inschrift  ist  bedeutend  fllr  die  Arehitectaigeschichte,  da  sie 
die  Ereuzanlage  der  Kirche  bezeugt  und  symbolisch  erläutert. 

Mit  einem  andern  Moment  im  L<'l)eu  des  Amhiosius, 
auch  einer  Kirch  weih,  hangt  das  üruclistück  einer  Gi-absciiritt 
aas  Florenz  zusammen,  welches,  an  sich  unansehnlich,  durch 
Zusammentreffen  mit  den  literarischen  Quellen  geschichtlichen 
Wert  erhalt.  Zuvörderst  erfohren  wir  von  dem  Biographen 
des  Amhrosius*),  dass  dieser  von  liolog^na,  wo  er  ira  Jahre 
:J93  sich  aufhielt  und  die  Gebeine  der  Märtyrer  Vitalis  und 
Agricola  erhob,  auf  Einhdung  der  Morentiner  nach  ihrer 
Stadt  kam:  dort  weihte  er  eine  Kirche,  wo  er  fieliquien  von 
jenen  Gebeinen  beisetzte.  Sodann  spricht  er  selbst  sich  aus 
in  seiner  Exhortatio  virginitatis,  welches  die  Kode  oben 
dieser  Kirchweih  ist:  denn  es  stimmen  alle  Umstäude  mit 


1)  Denselbea  hat  Ambrosios,  Exhort  viiginit,  c.  1,  7,  T.  UL, 
•  p.  279:  illic  igitnr  niartyris  exiunas  rcquircbaraus. 
i)  Pauiiu.  Vit.  AmbroB.,  c.  27—29.  öü. 
Zoitoclu.  L  K.-ti.  Ib 


224 


PIPER, 


jenen  Angaben  der  Bio^phie      In  dieser  Bede  nimmt  eine 

Frau  Juliana  mit  ihren  Kindern  eine  breite  Stelle  ein,  denn 
sie  hatte  die  Kirche  gebaut.  Sie  bietet  überdies  mit  den 
Ihrigen,  nach  der  Darstellung  und  im  Sinne  des  Ambroeins, 
das  Bild  einer  heiligen  Fkmilie:  der  Gatte  tritt  in  den 
Kirchendienst  als  Diaconns  nnd  wird  bald  daranf  den  Seinigen 
durch  den  Tod  entrissen;  die  Witwe,  wenn  iiuch  gebeugt, 
zeigt  feurigen  Eifer,  ihre  Kinder,  einen  Sohn  und  drei  Töch- 
ter, Gott  darzubringen:  dem  Sohne  spricht  sie  zu,  dass  er, 
von  Gott  erbeten  nnd  schon  vor  seiner  Gebart  ihm  geweiht, 
erkenne,  von  wo  er  gegeben  sei,  nnd  seinem  Dienst  sich  hin- 
gebe, —  er  wird  dann  auch  als  Lector  genannt;  die  Töchter 
ermahnt  sie,  als  Jungfrauen  sich  Gott  zu  geloben.  So  wird 
sie  redend  eingeführt  von  Ambrosius,  der  ohne  Zweifel  den 
Aenssemngen  der  Matter  rednerischen  Schmnck  geli^en  hat 
nnd  alles  das  noch  wdter  ansf&hrt  Diese  Kirche,  welche 
Panlinns  die  AmbroGoana  nennt  ,  ist  nach  alter  florentini- 
scher  Ueberlieferung  dieselbe,  welche  den  Titel  S.  Laurentii 
führt:  womit  es  stimmt,  dass  die  erste  Erbauerin  eine  beson- 
dere Andacht  zu  dem  Heiligen  hatte,  dessen  Fürbitte  die 
Mtem  die  Geburt  des  Sohnes  zu  verdanken  glanbten,  dem  sie 
anch  seinen  Namen  gaben.  —  Nnn  ist  nicht  lange  vor  1727 
in  der  Krypte  von  S.  Lorenzo  folgendes  Bmclistück  einer  Grab- 
schrift gefunden,  welches  alsbald  in  die  vSammlimg  des  Filippo 
Buonarroti  übergegangen,  dann  aber  verschollen  ist,  so  dass 
auch  eine  Nachforschong  über  den  Verbleib,  welche  anf  meine 
Anfinge  Herr  Anziani,  zweiter  Bibliothekar  der  Lanrenziana, 
anzustellen  so  gütig  gewesen  ist,  zu  keinem  andern  Ergebnis 
geführt  hat  (laut  Schreibens  vom  24.  April  1876). 

12,Gori,  Inscript  Etrur.,  T.  I,  1727,  p.  220,  22.  Foggini,  Deprimia 
Florent.  apost.  (p.  4)  in  s.  De  Ron».  S.  Petri  itin.,  p.  292.  Hicha, 
Notiz,  istor.  delie  ch.  Florent.,  T.  V.  1 ,  p.  7  (ungenau).  Mauni» 
AlifcicbiaBiilUt  lajiida  cxisi.  fiienze  1763»  p.  10. 

Atoi 
fllC  KEQVl 
ISCIT  iN  pacü; 
aadLUL  J>KL  IT 
Ittna  QTB  YIXIT 
  ...  BT 

1)  Ambro 8.,  Exhort  virginit.;  Upp.,  T.II«  p.877ff.  —  >)  a.  ÖO. 


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ZUR  GESCmCHTB  DE»  KIRCHENVÄTER.  225 


Die  üebereinstimmiuig  des  Orte  und  Ntmflns  Ifiast  acbfies- 
aeiit  daas  dies  eben  jene  Jnliana,  die  Erbauerin  der  alten 

Kirche,  ist.  I)a.s  I'radidit  uikilla  dei,  wiewohl  ui'sprünglich 
ein  all^aMnoiner  clnistliclier  Ehrenname,  darf  in  dem  spoci- 
tiächcn  Sinne  genommen  werden  von  denen,  die  als  Jungfrauen 
oder  Witwen  sich  Gott  geloben,  entsprechend  der  Sitte  der 
Zeit  und  der  Gesinnung  der  Juliana,  von  weleher  Ambroäus 
Offeutlieh  Zeugnis  giebt.  —  So  legt  dieser  Stein  auch  von 
dem  Aufenthalt  des  Ambrosius  in  Florenz  Zeugnis  ab,  und 
ist  ein  Wahrzeichen  der  Urgeschichte  des  Christentums  da- 
selbst 

Hier  tritt  aber  ein  Bedenken  ein,  infolge  der  um  wenige 
Jahre  späteren  Erscheinung  einer  Juliana  in  Bologna,  welche 

nach  dortiger  Ueberlieferung  zur  Zeit  des  Bischofs  Petronius 
Kirchen  baute  und  als  Heilige  verehrt  wird,  nach  dem  römi- 
schen Martyrologium  am  7.  Februar.  Denn  man  hat  diese  liin 
und  wieder  mit  der  Juliana  des  Ambrosius  identificirt,  unter 
der  Annahme,  dass  sie  von  Florenz  nach  Bologna  gesogen 
sei  Hienach,  da  sie  zu  Bologna  ihr  Grab  hat,  in  S.  Stefanos 
würde  der  Grabstein  zu  Florenz  nicht  mehr  auf  sie  bezogen 
werden  können.  —  Es  hat  indes  an  kräftigem  Widerspruch 
nicht  g^ehlt  In  der  Tat  ist  die  Gleichheit  des  Namen, 
kein  Bewds  der  Identitftt  (auch  wenn  die  Zeiten  stimmten),  — 
mr  selbigen  Zeit  war  auch  zu  Bom  eine  Juliana:  und  der 
Grabstein  zu  Florenz  zeigt  doch  immer  eine  andere  Juliana 
an.  Die  übereinstimmende  Handlung  aber,  der  Kirchenbau, 
ht  vielmehr  ein  Beweis  des  Gegenteils;  denn  die  Juliana  zu 
Florenz  war  keineswegs  wohlhabend.  Daher  auch  Tiopei  Bene- 


1)  Das  ist  die  Meinung  der  Bullandarten ,  Renschen,  Acta  SS. 
Febr.,  T.  II,  p.  51,  §  III.  Auch  Tillemont  halt  es  ffir  glanhliob, 
Mem.,  Ambroise  art.  73,  §  IX.  T.  X,  p.  249. 

8)  Auaftthrlicfa»  mit  patriotinchem  Bifer,  ist  die  Verleagnnng  der 
Juliana  von  Ilorenz  bekämpft  von  Vineenzto  Borgbini  IMscorsi, 
P.  II  (Piorenza  1585),  p.  373 ff.  Auch  Baronius  spricht  sich  fiir  die 
Verschiedenheit  aus  (ut  videtur),  Martyrolog.  Roman,  zum  7.  Febr.  Ent- 
schiedener Benedict  XIV.  in  einem  eignen  Kapitel  des  Lebens  der  Ju- 
liana von  Bologna,  De  festis  Bononons.  celebr.  (als  Uk  III  de  festis 
Jesu  etc.),  c.  5,  §  6-11  (Bassano  17GG),  p.  8i5£ 

16* 


226 


PIPER, 


dict  XIV.  (a.  a.  0.),  obwohl  er,  als  ehemaliger  Erzbiscbof  von 
Bologna,  den  dort  einheimischen  Heiligen  ein  besonderes  In-> 
teresse  widmete,  es  fui  leichtslDiiig  erldftrt,  m  behaupten,  die 

.hiliana  von  Bologna  sei  diet^lbo,  vou  welcher  Ambrosius 
spricht. 

Alsdann  kann  man  auch  dem  Grabstein  die  nahe  liegende 
Bedentnng  nicht  nehmen. 

An  den  Aufenthalt  des  Ambrosius  in  Florenz  erinnert 

auch  eine  daselbst  befindliclie  Marmorsäule,  worauf  ein  Kreuz, 
welche  augeblich  von  ihm  nebst  Bischof  Zenobius  gowoilit, 
aber  im  Jahre  laaa  erneuert  worden  ist,  laut  folgender  In- 
schrift bei  Qoriy  ilorent  antiq.  numm.,  Vol. II,  p.  29,  not  2: 

SANCTVS  AMBROSIVS  CTM  SANCTO  ZENOBIO  PROFTER  ORANDR 
HISTERIYM  HANC  CRTCRM  HIO  IX)CAVgRVKT  ET  IN  MCCCXXXni 
NOTITER  DIE  YIDo  AYQTSTI  RECONSECRATA  EST  etc. 

liier  schliesst  sich  das  epigraphische  Gedächtnis  der 
Marcel  Ii  na,  Schwester  des  Ambrosius,  an,  welche  nicht 
bloss  durch  die  Beziehung  auf  ihren  Bruder  in  der  Kirclien- 
geschichte  einen  Namen,  sondern  auch  im  römischen  Mar- 
tyrologium  (17.  Joli)  Au&ahme  gefanden  hat.  Wir  haben 
erstens  die  bekannte  Rede  des  Papstes  Liberins,  wodurch  sie 
am  Weihnachtsfi'st  zur  Jungfrau  Gottes  eingeweiht  wurde: 
als  solche  lebte  sie  mit  andern  Jungfrauen  nicht  in  einem 
Kloster,  sondern  in  dem  Yäterlichen  Uause  zu  Bom  Sie 
stand  aber  in  beständigem  Austausch  mit  dem  Ambrosius, 
von  welchem  drei  Briefe  an  sie  erhalten  sind  (ep.  XX.  XXII. 
XLII,  ed.  Beiied.);  man  ersieht  daraus  das  tict'irchende  In- 
teresse, welches  sie  au  den  kirclilichen  Angelegenheiten  nahm 
und  das  der  Bruder  vollkommen  würdigte.  Besondeis  hatte 
in  der  grossen  Frage  des  Jahrhunderts,  dem  Kampf  mit  dem 
Arumismos,  wie  sie  eben  in  Mailand  brennend  geworden  war, 
der  kaiserliche  Versuch,  dem  Ambrosius  die  Heniusgal)e  einer 
Kirche  «m  die  Arianer  abzunötigen,  selbst  in  Träumen  sie 
erregt  und  zu  häufigen  Aufragen  über  den  Stand  der  Sache 
de  veranhttst:  worauf  er  eingehend  antwortet  (ep.  XX).  In 


1)  Desaoi  Ambrosius  gedenkt,  £p.  V  ad  Syagr.  §21,  Opp.,  T.IX^ 
p.  771. 


ZÜR  OESCHICBTE  DER  KIBGtlGNVlTER. 


227 


dem  zweiten  Bi  ii  tV.  worin  er  von  der  Auftindung  der  Gebeine 
des  Gervasius  und  Protasius  Nachricht  giebt,  was  nicht  min- 
der fftr  eine  Hauptangelegenheit  galt,  erklärt  er:  „er 
pflege  nichts  zn  fibei^ehen,  was  in  ihrer  Abwesenheit  ge- 
schehe". In  einer  Pisciplinarsache ,  in  der  er  auf  sie  sich 
beruft,  preiset  er  ihre  Einsi<*,ht  und  üir  Verhalten;  in  dem 
Buch  über  die  Jungfrauen  stellt  er  sie  als  Muster  hin  und 
rühmt  besonders  ihre  asketischen  Tagenden,  voran  ihr  Fasten 
▼on  ungewöhnlicher  Daner Sie  (Iberlebte  den  Ambrosius, 
was  zwar  nicht  aus  der  Acusserunf,^  seines  Biographen,  dass 
er  ül)er  dessen  Leben  sie  befragt  habe  ^)  (das  Ixoinite  auch 
\m  Lebzeiten  des  Ambrosius  geschehen  sein),  aber  aus  ihrer 
Grabschnft  hervorgeht,  deren  Anfang  hier  folgt. 

18.  Baron.  Ann.  ad  a.  383  ans  einer  Handschrift  der  Beterskircbe;  ed. 
Mansi,  T.  V,  p.  567.  Grnt  p.  1065,  6  nnd  Pnrieelli,  Ambtee. 
basil.  monmn.  p,  174,  ans  der  Handscluifk  des  AIciatns.  Fleetw. 
p.  442,  1.  Onper,  Acta  SS.  JnL,  T.  lY,  p.  283. 

MARCELUNA  TVOS  CVM  VITA  RRSOLVERET  ABTVS 
SPREVISTI  PATRIIS  COBPVS  SOCIARB  SEPVLCRIS 
CVM  PIA  FBATERNI  SPBRAS  CONSORTIA  SOMNI 
8ANGT0RVMQVB  CVPIS  CARA  REQVIBSGERE  TRRRA 
etc. 

Der  erste  Teil  der  Orabschrift  deutet  hin  auf  ihren  rö- 
mischen Wohnsitz,  dessen  Entferiiun£^  von  Maihmd  (das  ist 
die  longinqua  domus  v.  5)  der  schwesterlichen  Liei)e  nichts 
entzogen  habe,  welche  auch  im  Tode  sich  bewährte.  Denn 
sie  verschmähte  die  väterliche  Grabstätte  in  Rom  nnd  vroUte 
vielmehr  mit  dem  Bnider  vereint,  in  der  aola  firatema  be- 
stattet sein,  nämlidi  der  ambrosianischen  Basiliea  in  Mailand 
(wo  nach  Pauliii.,  Vit.  Ambros.  c.  48,  Ainbrosius  ruhte), 
liom  aber  trauerte  damber,  dass  es  an  heiligen  Gräbern  nun 
den  dritten  Verlust  (das  ist  nach  Satyrus  uTid  Ambrosius)  er- 
leide: daraus  folgt,  dass  sie  als  die  letaste  der  drei  Gescbwister 
gestorben  ist  Der  andere*  Teil  der  Inschrift  bezieht  sich  auf 
das  Grab  im  Gotteshause  und  das  ewige  Haus  im  Iliumiel, 
welches  ihr  als  Lohn  des  keuschen  Wandels  zuteil  geworden. 

1)  Id.  De  virg.  III,  4.  §  Ifj.  T.  II,  p.  178. 

2)  Paul  in.,  Vit.  Aiiibruti.,  c.  1,  Die  Folgerung  macht  Baron., 
Mart>'rolog.  Korn,  zum  17.  Juli. 


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228 


Augustinus. 

Für  Augustinus  kommt  epigraphiscUe  Aufklärung  von 
TeKBchiedenen  Seiten.  Zavörderst  eine  topographische  Be- 
stLmmnog  fftr  seine  Vatonrtiadt  Thagaete.  Sie  ist  als  das 
jetzige  Seak-Arras  erkannt  (worüber  man  firfiber  nur  Ver- 
mutung hatte)  durch  eine  dortige  Inschnft,  derzufolge  d»T 
ordo  splendid  iss  im  US  (Decuiionum)  Thagastensium  dem  M.  Amul- 
lios  Optatus  Glementianas  eine  Statue  errichtet  hat Durch 
die  Lage  von  Thagaate  ist  die  von  Madanra  festgestellt,  wo 
Auguslanus  den  ersten  ünterricbt  in  der  Literatur  und  Rede- 
kunst emptaugen:  es  liegt  in  der  Nähe  und  ist  das  jetzige 
Mdaourous 

Durch  das  Leben  des  Augustinus  bis  zur  Epoche  seiner 
Bekehrung  zieht  sich  die  Einwirkung  seiner  Mutter,  der  das 
neunte  Buch  seiner  Confessionen  zum  grossen  Teil  gewidmet 

ist.  Der  Name  der  Monica  wird  mit  Pietät  genannt  wer- 
den, so  lange  das  Gedächtnis  des  Augustinus  se]l)5il  hosteht, 
das  heisst,  so  lange  es  in  der  Kirche  ein  geschichtliches  Be- 
wuBstsein  giebi  Es  ist  daher  erfreulich,  wie  wir  die  letzten 
Tage  derselben  kennen  und  den  Ort  ihres  Abscheidens,  — 
sie  starb  bekamitUch  zu  Os^  im  Jahre  387,  als  sie  nach 
Afrika  zuiückkeliren  wollte  —  und  das  Gedächtnis,  welches 
Augustinus  ihr  widmete;  daää  nun  auch  die  Grabschrift  fum 
licht  gekommen  ist. 

U.  Riese,  Anth.  Lst  (Lipe.  1870),  Fase.  II,  p.  127,  670,  ans  zwei 
Flarifler  Handscbriften  und  dem  eod.  Voseian. 

In  UmuHo  Mameae, 
mC  POSVIT  GINKRES  aENETIUX  CASTISSIMA  PROLIS 

AYQTSTINB  TVI  ALTERA  LTX  KERITl 
QVl  SE&VANS  PACIS  CAfiLfiSTLA  IVRA  SACEKUOS 

COMMISSOS  I'OrVI.OS  MORIRVS  INSTITVIS 
GLOKIA  VOS  MAinii  (JESTOIIVM  LAV1»K  ('ORONAT 
VIBTVTVM  MATER  FKUUIÜK  ÜVBÜUS 

WO  zu  Anfiulg  Augustinus,  am  Sdiluss  beide  angeredet 
werden,  die  Mutter  und  der  Sohn  (subolis).  Die  Verse  haben 


1)  Zuerst  publicirt  von  Rerbrupgcr,  dann        Tlcnior,  Inscr. 
d'Alger.,  n.  2002.    Siehe  bi^omlrrs  Ilenicr,  Quchiuos  inscr.  des  villes 
de  Thagaüte  et  de  Madanre,  in  der  Rev.  archeol.  18ü7,  p.  liJ4f. 
8.  Benitir  iu  der  augef.  Kevuc  p.  131.  136 L 


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ZUR  GESCHICHTE  DER  KIRCHENVATEB.  229 


die  Deberschrift  des  Bassas:  Venus  inlustrissiiiie  memorie 
fiassi  exoonsiiL  etc.  Das  war  also  Anicins  Bassiis,  Consiil  im 
Jahre  408.   Wenn  er  exconsnl  genannt  wird,  so  muss  die 

Insclirift  später,  also  eine  Zeit  lang  nach  dem  Tode  der 
Mouica,  gesetzt  dein,  —  wie  auch  die  Anrede  au  Augustinus 
beweiset,  der  im  Jahre  387  weder  sacerdos  war,  noch  eine 
ihm  anvertraate  Bevölkemng  unterwies;  aber  bei  Lebzeiten 
des  Äugustinos,  vuh  dem  es  heisst  institnis.  Sie  ist  ein  Be- 
weis, wie  hoch  mit  seinem  Ansehu  das.  Audeukeu  der  Mutter 
bchüü  damals  gehalten  wurde. 

Im  Jahre  143(>  wurden  ihre  Gebeine  von  Ostia  uach 
Bom  übertragen  auf  Veranstaltung  Martins  V.  und  auf  Kosten 
des  Maphens  Veghius,  —  ein  Act,  der  im  römischen  Mar- 
tyrologium  am  9.  April  gefeiert  wird  >).  —  Sie  wurden  bei- 
gesetzt in  einer  Kapelle  von  S.  Agostino,  welche  dei*selbe  zu 
ihren  Hlu'eu  errichtet  und  sich  selbst  zur  Grabstätte  ersehen 
hatte  (t  wahrscheinlich  1457),  in  einem  Saroophag  mit  fol- 
gender Inschrift,  bei  Papebroch,  Act  SS.  Miyi,  T.  I, 
p.  491;  fehlerhaft  bei  Andr.  Schottns,  BibL  patr.  max., 
T.  XXVI,  p.  632  G. 

Hic  Aupustini  suiicLam  veiicrare  p;ireuU'ra, 
Votaqiic  tcr  tiUDulo,  quo  jacet  illa.  sacro. 

Quae  quundum  gnat<j,  toti  umu-  Muuica  maiido 
Succarrit  piccibus,  praestat  opciuqae  siüfi 

a)  l'  *  j>  0  b  r  o  r  h :  sihi. 

Man  erkeunt  den  Unterschied  der  Zeiten  der  ersten  Bestattung 
und  dieser  Versetasung. 

Von  Augustinus  selbst  haben  wir  eine  Inschrift,  welche 
durch  seinen  Biographen  überliefert  worden  ist  Poesidius 

bemerkt,  da^s  er  stets  Gasttreundschaft  bewiesen  habe;  und 
bei  Tische  selbst  mehr  Lesung  und  Gespräch  als  l]sseu  uud 
Trinken  liebte.  Das  Gespr&ch  aber  hatte  er  verwahrt  gegen 
eine  „Pestilenz*)  menscblicher  Gewohnheit'*  durch  folgende 

1)  Von  dieser  VersotzuDg  s.  Baron.,  Martyrolog.  Ivom.  zum  9.  April, 
r.ip'^broch  a.  a.  0.  Fiil<ric. ,  Bibl.  med.  et  inf.  latiii.  ed.  Manai, 
T.  V,  p.  15.    Platnnr,  Ii  ...hrcib.  der  St.  Koni  HI,  3.  S.  315. 

2)  Mit  demselbea  Aiuidruck ,  der  öfter  sich  bei  ihm  findet,  spricht 
AuguHtinus  eine  verwandte  Kiige  aus,  im  Gegensatz  g'gen  den  con- 
GÜiatoriMhen  ärnn  seiner  Matter,  über  eine  weit  verbreitete  bonenda 


üigiiiz 


230 


PIPER, 


Inschrift  auf  dem  Tische,  welche  oft  wiederholt,  auch  iu  lu- 

schriften-Samiulungeii  übergegaageu  ist. 

15.Po8Bict.  Vii  AuguBtin.,  Opp.,  T.X,  App.  p.  188C.  Jac  a  Vorag. 
c  134»  Tita  Angnstiiii  p.  656.  (Pitboens),  £pigr.  IIb.  J.  Paris. 
1690,  p.  S8;  Lugd.  1596,  p.  23.  Sirmond  zu  Jheodolfi  Gami., 
Opp.  Theodnlfi  1646,  p.  287;  und  Opp.  Siimondi,  T.  U,  p.  1061 
not.  Bnrmänn,  Anth.  lat,  Lib.  III»  144,  T.  L  p.694.  Marin i 
bei  Hai,  p.  75,  1.  Ifejer,  Anth.  ht,  n.  275.  Zell,  Ddect, 
n.  1969.  Riese,  Anth.  lai,  n.  769. 

QYISQVIS  AMAT  DlCnS  ABSENTYH  RÖDERS  TITAM 
HANG  HENSÄH  INDIONAH  •)  NOVERIT  ESSE  SIBC  b). 
•)  Fithoens:  v*UUm.    t>)  Kiese:  md, 

Marini  hat  sie  in  dem  BÜapitel:  arae  etc.  Nun  heh»t 
zwar  der  Altar  auch  mensa;  aber  nicht  jede  mensa  ist  ein 

Altar,  uud  dieser  Tisch  gewiss  uicht,  au  welchem  niuu 
speiste. 

Von  der  Inschrift  desselben  machte  Augustinus  bei  Ge- 
legenheit auch  nachdrücklich  Gebrauch.  Er  warnte  jeden 
Gast  vor  schftdlichem  Gerede  und  Verleumdung.  Und  als 
einstmals  einige  ihm  nahe  befreundete  Bischöfe  den  Sjuiu  li 
ver«^'iusseu  und  da^^eofen  sprachen  (d.  h.  nicht  den  Spru(;li  he- 
liämpften,  sondern  i(e<^^eu  ihu  \  erstiesseu) ,  wurden  sie  von 
Augustinus  scharf  gerügt  und  bekamen  die  erregt  gesproche- 
nen Worte  zu  hören:  „entweder  mfissten  die  Verse  von  dem 
Tisch  vertilgt,  werden,  oder  er  müsse  mitten  aus  der  Erholung 
in  sein  Zimmer  gehen".  Das  heiast  doch  liespect  vor  einer 
Inschrift  haben  und  fordern! 

Endlich  bieten  sich  einige  Inschriften  von  Personen  aus 
dem  Kreise  des  Augustinus  dar.  Liceniius,  auch  aus 
Thagaste,  Sohn  seines  väterlichen  Freundes  Bomanianus,  war 
dem  Augustinus  innig  verbunden,  so  dass  dieser  nach  seiner 
Liebe  zu  ihm  Vater-  und  Mutten*echt  beanriprurlicn  lü»nnte, 
wie  Paulinus  von  Nola  schreibt.  Drei  Abschnitte  in  beider 
Leben  geben  näheren  Einblick  in  dies  Verhältnis.  Augusti- 


pestilentia  pcccatoruiii ,  non  solum  iratonim  iniinicoruiu  iratis  inimicis 
dicta  proderc,  sod  ttiaui  <juae  non  dicta  siiit,  atldcro.  ('ontcss.  IX,  '.», 
§  21.  Vgl.  ebenda».  IV,  10,  t;  15:  dosideiiis  pcstiL  ntiosis.  V,  11,  §20: 
ex  hoc  initio  pestileutioso.  VI,  7,  §  12:  ab  illa  \H^6tc,  von  der  Lust  an 
den  CircQsspielcn. 


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ZUR  OESCmCHTfi  DER  iCIItCHENYATES.  ^331 

QU8,  aoch  vor  seiner  Bekehmng,  hatte  den  Licentius  von  klein 
auf  „mit  der  ereten  Milch  der  weltlichen  Weisheit  genährt^*  % 
Erwachsen  nahm  dieser  Teil  an  den  philosophischen  Gesprä- 
chen, welche  unter  Leitung  des  Augustinus  im  Jahre  386, 
kurz  vor  dessen  Taufe  auf  dem  Landsitz  Cassiciacuni  bei  Mai- 
land gehalten  wurden,  und  zeigte  darin  Gewandtli«'it  des 
Denkens,  nicht  ohne  Tiefblick  in  der  Lösang  philosophischer 
Probleme.  Licentias  erinnerte  sich  später  mit  Sehnsucht  an 
diese  Zeit  nnd  mit  dem  Verlangen,  wiedenmi  den  Fnsstapfen  des 
Meisters  zu  folgen,  in  einigen  Versen,  welche  saninit  dem 
gatr/en  Gedicht  Augustinus  selbst  ihm  vorhält  Das  war 
der  dritte  Abschnitt  kurz  vor  und  zu  der  Zeit,  in  den  Jahren 
395  nnd  396,  als  Augustinns  sein  bischöfliches  Amt  antrat 
und  um  die  Nachfolge  in  solchem  Dienst  werben  mochte, 
aber  heisse  Sorge  um  diesen  seinen  einstigen  Zögling  kund 
giebt.  Es  ist  derselbe  Sinn  imd  derselbe  Eifer,  der  in  iler 
eignen  Bekehrung  des  Augustinus  erscheint  und  (hm  er  in 
der  Schilderung  derselben  ausspricht:  ja  dieser  Abschnitt  sei- 
ner Gonfesdones,  welche  auch  kurz  nach  der  Zeit  verfasst 
sind ,  enthält  gi-adezn  den  Schlüssel  zu  solcher  Action 
Drei  Briefe  sprechen  davon*):  einer  von  Augustinus  an  Licen- 
tius; ein  anderer  von  ihm  au  Paulinus,  durcli  den  Vater  des 
Licentius  überbracht,  worin  er  ihn  zum  Teilnehmer  der  Borge 
macht;  endlich  ein  Brief  des  Paulinns  an  Licentius,  in  Prosa 
und  in  Versen,  worin  er  im  eignen  und  im  Namen  des  Augn- 

^)  Paulin.,  £p.  ad  Lioent  (inter  ep.  Aagnatto.  8.  sogleich),  c.  4, 
p.  45. 

^)  August  in.,  Ep.  ad  Liccnt,  c  4,  p.  31.  We^'on  dieses  G<v 
dichttf  hat  Fabricius  ihn  aur<::onomnien  in  seine  IHbliDtlicca  med.  et 
inf.  latinitatiä;  in  der  patristischen  Literatur  bei  Cave,  Schoene- 
mann,  Biihr  ist  er  nbor^anj^n. 

*)  Was  von  dem  Liccntiiw  j^efonlert  wird ,  ist  wörtlicli  duss.  lbc, 
was  An^'nHtlnus  als  die  Fracht  st.>incr  Bckehnmg  bezeichnet ,  Oont*. 
VXll,  12,  §  80:  convertisti  me  ad  tc,  ut  nec  aioiem  quacrorcm  nec 
aliquem  spem  higns  saecnli,  —  wofOr  der  podtive  Ausdruck  scrrire 
deo  ist 

1)  M.  Ep.  XXVI  ad  Licent.  Ep.  XXVII  ad  Paulin.,  Opp..  T.  U, 
p.  29.  32.  Paulini,  Ep.  ad  Licent.  ebenda«.  Ep.  XXXII,  p.  45.  — 
lX}r  letztere  als  Kp  VIII  in  Paulini  Opp.  cd.  Murat.  p.  37,  wo  auch 
p.  16  jene  £p.  Augustini  ad  Paulinum  abgedruckt  ist. 


232 


PIPER, 


dUnos  YorhaltuDgen  und  Ermahnungen  giebt.  Beide  ermah- 
nen den  Licentins,  das  Joch  Christi  auf  sich  m  nehmen 
(Matth.  Ii,  29);  aher  das  Joch  der  Welt,  achreibt  Aogostiniis, 
sei  ihm  wohl  lieber.   Da  hält  er  ihm  das  Beispiel  des  Pan- 

linus  entgegen,  der  allen  Pomp  der  Welt  —  er  hatte  sena- 
torischen Rang  und  war  zur  höchsten  Würde  aufgestiegen  — 
demut^  und  hochherzig  bei  Seite  gesetzt  habe,  um  Christo 
zu  dienen.  Paulinus  aber  weiset  ihn  auf  das  Beiq>iel  des 
Augustinus,  dem  folgend  er  nicht  in  ertrftnmten  Phantasie- 
bildern, sondern  in  Wahrheit  Consul  und  Pontifcx  sein  werde, 
nach  der  Wirkung,  welche  Christus  hervorbringt.  Kr  macht 
in  Versen  ihm  den  Vorhalt:  jetzt  gefielen  ihm  die  falschen 
Qöter;  aber  noch  kdnne  er  das  Joch  Christi  ergreifen,  da  kein 
Band  ihn  znrflckhalte,  keine  eheliche  Soige  noch  hohe  Ehren- 
stelle ihn  fessele  (v.  17.  31).  Und  fasst  seine  hierauf  gerichteten 
Gedaukeu,  als  einen  Abfall,  mit  dem  Gedanken  der  Wieder- 
herstellung also  zusammen  (v.  91): 

To  thalamoB  licet  et  celaoB  mediteris  honores 
nunc,  olim  Domino  restitneie  tao. 

Also  Licentins,  auf  die  weltliche  Laufbalm  bedacht,  trachtete 

nach  hohen  Ehren  und  nach  Vermählung;  Augustinus  und 

Paulinus  wollten  ihn  davon  zurückbringen,  ihn  zu  dem  Herrn 

rufen,  nämlich  auf  den  Weg  des  geistlichen  Lebens  und  des 

kirchlichen  Amtes  leiten.  —  Zu  dieser  Zeit,  in  solcher  Lage 

verseil  windet  Liceutius  aus  der  Geschichte.   Nun  kuiumt  aber 

Aufschluss  über  den  Fortgang  und  das  Ende  durch  folgende 

Inschrift  eines  Sarcophags,  der  zu  Rom  in  dem  Gottetiacker 

von  S.  Lorenzo  im  Jahre  1863  gefunden  ist. 

16*  de  BosBi,  Bullet  di  archeoL  crisi  1863,  p.  7,  mit  Ficsfanlle 
Le  Blant  in  der  Bev.  aroh^.  1863,  I,  p.  486. 

DKrosiTVS  LICKNT1V8-  VC-  Vlll  IDVS  NOHEN B  • 
AKCADIÜ-  AVU.  ET  ANICIO  l'KOBO-  VC- 

•  GONSVLIBVS  (Falmzweir.) 

Da  erscheint  ein  Licentins,  nur  mit  dem  Cognomen  be- 
nannt, der  am  6.  November  406  (Arcadio  Aug.  [VIJ  et  Ani- 
cio  Probe  consolibus)  bestattet  ist.  Da  Ort  nnd  Zeit  stim- 
men und  der  Name  in  Rom  nicht  häufig  ist,  so  ist  es 
wahrscheinlich  (wie  de  Eossi  gesehen  hat),  dass  dies  eben 


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ZUR  GESCHICEn^E  DES  KIRCHENVXTBR«  233 

jener  Lioentins,  der  F^!eimd  des  Angiigtiniis  ist,  den  wir  im 
Jahre  396  m  Rom  auf  dem  Wege  zn  einem  hohem  Staats- 

aiul  Liutreiren.  Die  Grabsclirift  l)eweiset,  durcli  das  Pradicat 
V|ir|  C[larissimui»|,  dass  vr  es  bis  zu  senaWrisclicm  Range 
gebracht  hat,  also  gegen  die  Abniahnuiigen  des  Augustinus 
und  Paulinus  in  der  weltlichen  Laufbahn  beharrt,  und  dass 
er  früh  gestorben  ist  Der  Fundort  aber  des  Sarcophags  an 
der  gefeierten  Grabstätte  in  agro  Verano  beweiset,  daas  er  als 
Christ  seinen  Lauf  vollendet  hat. 

Ein  aijderes  Grabmal  zu  Nola  für  einen  Cynegius 
hängt  zusammen  mit  der  Veranlassung  zu  der  Schrift  des 
Augustinus:  De  cura  pro  mortnis  gerenda.;  Aber  die  In- 
schrift geht  naher  den  Paulinus  an;  daher  de  bis  weiterhin 
(Nr.  20)  für  diesen  auf])ehaltpn  wird. 

Im  römischen  Nordafrika  selbst  aher.  /ai  Setif  in  Maure- 
tanien, ist  im  Jahre  1853  der  Grabstein  des  Novatus, 
Bischof  von  Sitüis  gefunden,  der  mit  dem  Augustinns  be- 
freundet war,  mit  ihm  an  dem  Religionsgesprftch  zu  Carthago 
im  Jahre  411  und  der  dorii^n  n  Synode  von  419  teilgenom- 
men und  noch  unläiH^si  vor  dessen  Tode  hrioflichen  und  per- 
sönlichen Umgang  mit  ihm  gepflogen  bat,  wie  aus  eineui 
Briefe  des  Augustinus  an  den  Comes  Darius  hervorgeht.  Die 
Grabsdirift  giebt  'das  Todesjahr  des  Novatus  (das  man  bis 
dahin  nicht  kannte),  a  •  p[rovineiae]  CCCGI,  das  ist  nach  der 
Aera  von  Mauretanien  i  U)  n.  Chr.,  so  dass  er  den  Augustinus 
um  zehn  Jahre  überlebt  liat. 

Noch  ist  die  Grabschrift  eines  Mannes  überliefert,  der 
in  seiner  Jugend  von  Augustinns  mit  väterlicher  Zuneigung 
leitet  war,  aber  sp&ter  in  dem  pelagianisohen  Streit  sein 
bedculciKlstcr  Gegner  wurde:  Juliaiius,  Hischof  von  Eclanum, 
der  unter  Valentinian  III.  gestorben  ist.  Sie  hat  augeblich 
in  einem  Flecken  Siciliens  gestanden. 

n.Vignier,  Aits^tmi  opp.  Supplementom,  T.  II  (Paris  1664),  Pme- 
tat  extr.   Garn  1er  zn  Haiii  Bfercat  Opp.,  P.  I,  1678,  Diss.  I, 


1)  Benier,  Inscr.  d*Algdr.  3480.  Förand,  Hist.  de  vmee  de 
la  proT.  de  Conataiithie,  in  Ree.  do  la  Soe.  aroh^L  de  Constantme, 
YoL  XV,  1872,  p.  46. 


234  PIPER« 

* 

c.  i,,  \>.  ir»l.  Cave,  Scr.  occl.  bist,  lit.,  p.  im-,  od.  Oxon..  T.  1, 
\K  4<M).  Die  Beiied ict iner  in  Angnistiiii  opp.  Antv.  17(M).  i'rae- 
fut.  zum  op.  iiiii»crf.  c.  Julian.,  T.  X,  1'.  2,  p.  75H.  Funtaiiini, 
Di  sjuitu  Columba,  p.  23.  —  Französisch  Ix'i  T  i  1 1 1  in  o  n  t ,  Mcui. 
T.  Xlll,  p.  ö20i  deutBcli  bei  Wale  Ii,  Hiüt  der  Ketzereku,  lld.  JV, 
S.  704. 

HEIC  IN  I'ACK  QVIESCET  IVLIAN\S 
KPISCOPVS  CATIJOLICVS. 

Die  Cirabsclirift  soll  vou  den  Pelagianern  ilim  j^esotzt 
sein,  hol  denen  er  zuletzt  als  Sclmlmeister  gelebt.  Diese 
Nachhclit  nebst  Inschrift  kommt  aber  erst  dnreb  Vignier  bei 
Oelegenheit  der  ersten  Au^be  des  opus  imperfectam  contra 
Julianuni  (lG5d)  zum  Vorsdioin.  Er  bemerkt  dazu:  einige 
Semipela«,naner  hatten  daraus  Anlass  genommen,  dan  Andenken 
des  Julian  herzustellen;  indes  hätten  die  kundigen  Bischöfe 
dieses  Jahrhunderts  (welches?)  gezeigt,  dass  das  Pr&dicat 
catholicns  auch  von  den  Pelagianem  gebraucht  sei,  und  wie- 
sen die  Erdichtung  von  Julians  Katholiciiat  zurück.  —  Die 
spätem  Schritlsteller  haben  einzig  aus  Vignier  gescho])ft  mit 
oder  ohne  Nennung.  Garnier,  der  erste  nach  ihm,  bemerkt, 
dass  er  keinen  andern  Zeugen  habe;  Tillemont  und  Walch 
nennen  ihn  nicht,  letzterer  spricht  der  Nachricht  alle  Be- 
glaubigung ab.  Auch  Schoenemann,  ohne  die  Inschrift  be- 
sonders namliat't  zu  machen,  setzt  die  Angahe  des  Vignier 
von  den  letzten  Schicksalen  des  Juliauus  mit  einiger  Ironie 
bei  Seite  *).  —  Allerdings  ist  mehreres  darin  bedenklich,  zu- 
mal nicht  erhellt,  woher  Vignier  dieselbe  hat  Bleibt  man 
bei  der  Inschrift  stehen,  so  ist  heic  keine  Form,  die  in 
dieser  Zeit  in  Gebrauch  gewesen,  wahrend  das  hic  in  Grab- 
schriften aller  Orte  ei-scheint,  wie  in  den  Wiederholungen  der 
Inschrift  von  Damasus;  Hic  cougesta  jacet  etc. . .  Hic  comites 
Xysti  etc.  (?gL  oben  zu  Nr.  9).  Auch  episcopus  catholicus 
würde  man  nicht  sagen,  sondern  episcopus  sanctae  oder  ca- 
tholicae  ecclesiae,  —  wie  grade  von  Eclanum,  dem  bischöf- 
lichen Sitz  des  Julian,  die  Grabschrift  überliefert  ist  eines 


1)  Sc  ho  (II  cm  an  11,  Dibl.  hist.  Vder.  patr.  latin.,  T.  II,  p.  574 
not.:  duFKc  luiitcs,  undc  tarn  rara  ipsi  iiutit.iii  protlnxerit,  ituutcscaut ; 
soluiü  cum  liac  do  re  doctiorem  case  lacili  animo  tcramas. 


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ZUB  OEflCniGHTB  DER  KUICHENVATER.  235 


lector  sanctae  ecdesiae  Aedanemns  vom  Jahre  494^);  oder 
wie  es  in  einer  Giabschrifb  aus  Rom  vom  Jahre  462  (von 

dem  comes  Ilorilu)  lieisst:  depositus  in  pace  fidei  catholicae 
Das  ist  aber  richtif^'.  dass,  während  die  Gegner,  namentlich 
Augustinus,  seit  dem  Concii  yoq  Carthago  im  Jahre  418  die 
Pehigianer  für  Ketzer  ansahen,  wie  denn  auch  der  Lehr- 
b^riff  des  katholiaefaen  Teils  als  in  der  Ifitfce  zwischen  Ma- 
nichäismus  und  Pelagianismus  hingestellt  wurde,  die  Pelagia- 
uer,  die  auch  niemals  eine  getrennte  Kirchenpartei  gebildet 
haben,  katholisch  zu  sein  nicht  aufhören  wollten.  Jiiliauus 
selbst  erklärt  gegen  Augustinus:  die  Verständigen  (aof  seiner 
Seite)  würden  durch  gehässige  Ketssemamen  sich  nicht  ein- 
schüchtern lassen,  sondern  der  Meinung  sein,  dass  man  diese 
vielmehr  uut  sich  nehmen  müsse,  (luiiiu  tidcni  catholicani  re- 
linquendam  Daher  auch  die  Pelagianer  für  ihre  IJiscböfe 
das  Prädicat  catholicus  unbedenklich  geltend  machen  konnten. 

HIeronymiu. 

Von  Hieronymus  verfavsst  haben  wir  ein  Epitaphium 

in  der  Gediichtnisschrift  auf  die  Paula,  jene  edle  römische 

Frau,  welche,  Ton  hoher  Abkunft,  Heimat  und  i«'amilie  ver- 

liess,  um  an  der  Geburtsstäfete  des  Erlösers  in  Betrachtung 

und  frommen  Werken  ihr  Leben  snznbringen.   Dahin  zielen 

auch  die  letzten  Worte,  die  sie  sterbend  wiederholte,  aus 

Ps.  25,  8:  Domine  diiexi  decorem  domus  tuae  et  locum  habi- 

tationis  gloriae  tuae.    Sie  starb  am  26.  Januar  404.  Ihr 

«Name  steht  von  Beda  her  in  den  Martyrologien,  aber  am 

folgenden  Tage;  Baronius  im  römischen  Martyrologium  hat 

ihn  an  dem  wirklichen  Todestage.    Die  Grabsclirift  lautet: 

18.  Hicronyin.,  E]».  OVIII  ad  Euntoch.,  Opj..,  T.  l.  ji.  718  od.  VaUare. 
nnd  ia  Acta  bb.  d.  JülVI.  Janaar.,  T.  Ii,  p.  722. 

Titulus  sejndcri. 
SCIPTO  QVAM  GKNVIT  PAVLI  FVHKRK  PAKKNTKS 
r5KA(  (  (»UVM  SOimi.KS  Ar.AMKMNoMS  IXCLYTA  IMioLES 
HOC  lACKT  IN  TV.MVI.o  l'AVLAM  lUXKKK  I'KIOUKS 
KVSTOCIIll  (iKMTKIX  ICOMA.VI  l'KIMA  SKNATVS 
rANTEUlEM  CliiÜbii  Kl  ULTÜLEiHTA  KVKA  SE(iVVTA  KSl. 

1)  MommBen,  L  R.  N.  1399. 

t)  de  BoBfli,  L  «rlns  Rom.  ehr.  I,  807. 

3)  Jaliao.  bei  Angnstiti.  Dp.  imiicrf.  Lib.I»  c.  75.  T.X,  |k.G89E. 


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236 


riPEB, 


In  fronte  speinmuiv. 
ASriCIS  .\N(JVSTVM  ncAKCISA  IN  KVI'K  SKl'VLCKVM 
HO.SriTIYM  I'AVLAK  KST  CÄKLKSTIA  RK(JNA  TKNKXTIS 
FKATREM  COGNATOS  KUMAM  i'ATKIAMQVK  KELINQVKNS 

etc. 

DOKMIVIT  SANCTA  KT  BEATA  PAVLA  VII.  KAL.  FKBUVAIUA.S . . . 
SEPVLTA  EST  QVINTO  KAL.  EARYHDEM  etc. 

Der  Stammbaum  wird  weit  hergeholt;  im  übrigeu  ist 
es  ein  wertvolles  Zeugnis  im  Gedanken  und  Ausdruck,  auch 
das  hospitiom  wohl  sn  bemerken.  Von  besonderem  Interesse 
ist  die  Verwendung  einiger  Verse  f&r  andere  Felsengräber,  — 
wie  solches  Öfter  bei  antiken  nnd  christlichen  Epitaphien  ge- 
schehen ist  (s.  auch  unten  Nr.  25:  die  Grabschrift  Gregors 
des  Grossen).  Hier  aber  so,  dass,  während  der  erste  Vers  un- 
verändert blieb,  in  den  zweiten  gegen  das  Metram  statt  des 
ursprfluglichen  der  fremde  Name  eingeschoben  ist.  Nämlich 
in  der  Grabschrift  aof  einen  Abt  Honorins  za  BVejenal  im 
südwestlichen  Spanien 

R«'spici^  ungUHtuni  jircci-sa  rupo  srjMilcnira 

Hospitiuiii  beatüaimi  II(/norii  abbaiis  celestia  re^iia  toiientiR. 

Und  auf  einen  Diaconos  Romains  zu  Atripalda  in  Italien  *)i 

Kespicis  angastom  pnMwifla  rape  sepnlchnim? 
Hospitiiiin  BommU  LevUae  ett  eaetartia  i^a  tenenÜB. 

Paolliias  Yon  Nohu 
Bekannt  ist  die  poetische  Arbeit,  welche  Panlinns  an 

die  Ausstattung  einicfer  Kircheu  mit  Inschriften  gewendet  hat. 
Ans  diesen  möge  eine  iim  persönlich  betreffende  iicrvorgehoben 
werden.  Sein  Freand  Sulpicius  Se?eras,  Presbyter  in 
Primuliacam  in  Aquitanien,  hatte  in  dem  von  ihm  errichteten 
Bapiisteriiim  an  der  einen  Wand  das  Bildnis  seines  Lehrers 
Martinas  von  Tours,  an  der  andern  das  des  Paulinus  malen 
lassen  und  verlangte  von  letzterem  Verse  für  diese  Gemälde. 
Dem  entsprach  derselbe  durch  folgendes  Gedicht. 


1)  Salazar,  Martyrol.  Hiap.,  T.  III,  p.  362.    Hübner,  loser. 

HiapaiK  <  hrifjt.,  p.  17,  49. 

')  Atta  SS.  Februar.,  T.  JI,  \k  —        Kntl.'hnun^'  ans  Hio- 

ronyiuns  Ini  ilieser  uiul  »ler  vorigen  (irabKciiril't  ist  uacltgcwUäen  von 
L«  Blant  im  Journal  des  Savauts  lö73,  p.  356. 


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SSUR  GBSCRICHTB  DBR  KIBCHENVÄTER.  237 

19.Faalin.,  £p.  ad  Scver.  XXXII,  c.  3,  p.  195  etl.  Murat  Dentsch 
TOD  AngQBti,  Beiträge  zar  Knos^geflebichte  I,  S.  157. 

•  ABLTITIS  QYICTNQVB  ANIMAS  ET  MKHBBA  LATACHIS 
CERNITE  PROPOSITAS  AD  BONA  FACTA  YIAS 

ADSTAT  PKUKECTAE  MARTINVS  RKGVLA  VITAK 

PAVLINVS  VEMAM  (iVo  MKUEARK  IKK'ET 
HVXC  rECCATOKES  fU.VM  Si'KCTATE  ÜKATI 

KXEMFLAK  i^ANClit>  ILLE  SIT  ISTK  liKlÖ. 

Br  stellt  ihm  statt  dessen  noch  ein  anderes  zur  Ver- 

fSgung,  iiaclidem  er  zuvor  gerüi^  hat,  dass  er  dem  Bilde  des 
Martinas,  der  durch  die  vollkommene  Nachahmung  Christi 
das  Bild  des  himmlischen  Menschen  an  sich  trug,  —  sein 
Bild  gegenflbeigestellt  habe,  „da  wir  uns  weder  an  ünachald 
mit  dem  Kinde,  noch  an  Weisheit  mit  dem  Manne  ▼erglei- 
cheii  küuuen".  Er  unterstellt  die  Absicht,  dass  der  Glanz 
dos  Martinus  durch  die  Vergleichung  mit  der  Finsternis  (des 
Paulinus)  desto  leuchtender  hervortrete,  will  demnach  durch 
die  Verse  ausdrücken:  der  Zweck  der  Anfetellnng  entgegen- 
gesetzter Bilder  sei,  dass  die  ans  der  Tanfijiielle  Hervorgehen- 
den zugleich  das  erblicken,  was  sie  vermeiden,  als  was  sie 
nachalmieii  sollen.  Er  macht  darüber  meliv  Worte  als  wiin- 
scheuBwert  ist;  wenn  auch  die  Aufrichtigkeit  seiner  Demut 
nicht  in  Zweifel  gezogen  werden  soll,  so  ist  doch  jene  Unter- 
steUnng  einem  Fremide  gegenüber,  noch  daza  mit  so  grell 
aufgetragenen  Eorben  des  Gegensatzes  der  Bilder,  kanm  fifir 
ernsthaft  zu  nehmen. 

Andernteils  sendet  Paulinus  seinem  Freunde  die  In- 
schriften, die  er  für  die  Kirchen  des  Felix  in  Nola  entworfen 
hatte.  Darunter  eine  Inschrift  von  besonderem  Interesse, 
welche  weiterhin  (Nr.  29)  vorkommen  wird. 

Audi  einem  Grabmal  hat  er  seine  Sorge  zugewendet, 
wovon  die  Inschrift  teilweise  erhalten  ist,  und  die  Umstände 
sind  merkwürdig  genug.  Es  betrifft  den  Cynegius,  Sohn 
einer  Witwe  Namens  Flora,  die  offenbar  im  römischen  Nord- 
aMka,  nicht  fem  von  dem  Sitz  des  Angostinns  (Hipporegios) 
lebte  and  von  ihm  wert  gehalten  war.  Denn  er  bezeichnet 
sie  als  filia  nostra  religiusissima;  und  ihre  Leute,  welche,  von 
Nola  zurückkehrend.  Trüger  von  Briefen  an  sie  waren,  brach- 
ten dem  Augustinus  einen  Brief  mit  Ihr  Sohn  nämlich  war 


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238 


PIPER, 


in  der  Gegend  von  Nola  (in  eis  partibus)  gestorben;  wo i auf 
sie  von  dem  dortigen  Bischof  Paulinos  verlangt  hatte,  dass 
er  in  einer  Märtyrerkapelle  bestattet  werde.  Dieser  ant^ 
wortete,  sie  tr(tetend:  ihrem  mQtterliehen  und  frommen  Ver- 

langen  sei  Genüge  gesclichtui  durch  seine  Ik'stattung  in  der 
Biisilica  (l(^s  Felix.  Zugleicli  sandte  er  au  Augustinus  jenen 
Brief  mit  der  Frage:  „ob  es  jemandem  nach  seinem  Todo 
nütze,  dasa  er  in  der  Kapelle  eines  Heiligen  beigesetzt  werde 
wobei  er  selbst  für  die  Bejahnng  sich  ausspricht,  aber  mit 
dem  Bedenken  aus  2  Kor.  10,  dass  doch  jeglicher  em- 
pfangt nach  dem  er  goliiindelt  liat  bei  Leibes  Leben,  wenn 
wir  vor  dem  Richterstulil  Christi  offenbar  werden.  Die  Ant- 
wort auf  diese  Frage  ist  die  Schrift  des  Augustinns:  De  cuiu 
pro  mortnis  gerenda,  welche  an  diese  Yorgftnge  nebst  der 
Fragestellung  anknüpft  %  —  Zur  Bestätigung  dient  die  schon 
(S.  2:^:5)  erwähnte  Grabschrift  des  Cynegius,  die  an  eben  jener 
Stelle  gefunden  ist  und  ihrerseits  durch  diese  Angaben  er- 
läutert wird;  der  Stein  ist  nicht  mehr  vorhanden.  Mit  den 
Ergänzungen  Remondinis  lautet  sie  also: 

20.  R(  iiiondini,  Deila  NolanA  eodes.  storia,  T.  1,  1747,  p.  012. 
Murini,  Tapiri  dipl.,  p.  244.    llommsen,  L  B.  N.,  p.  lOtt, 

2070. 

ITAM  FLüUENTE  CYNECilLS  AEVO 
S  SANCTA  FLACIDAE  REQVtESCrF  IN  AVLA 
MC  FEUCIS  HABET  DOBIYS  ALMA  BEATl 
NC  OS  SVSCBPTVM  POBitouiqoe  Mpulcro  est 

CITO  LAETATVU  INOSPITA  SAXO 
hie  nbi  tu  TVS  KUIT  IWKNIS  SVn  IVDICK  CHRWTü 
iloiioc  torri    Uli. IS  S<tN'I  I  Y  ('(»NCVSSN  S  sihono 
iii.lo  tul>ac  (-xt.ro   MAK  liVUS\  M  LN  SVA  CAStra  vocatus 
et  Victor  no.  is   IIIC  SOClAHlTVJi  ANTK  TKl  buiml 

his  quibus  ;  IN  GKKMIO  ABRAHAM  pax  diva  rofuljfot. 

Da  nun  Paulinus  die  Bestattung  des  Cynegius  in  der 
Basilica  des  Felix  auf  Bitten  der  Mutter  besorgt  hatte  und 
in  der  Grabschrift  die  beiden  Gedanken,  die  er  aus  diesem 

Anlass  dem  Augustinus    zur  Ausgleichung   vorgelegt,  das 
'sicherte  Ruhen  in  der  Märtyrerkupelle  und  die  Verantwort- 
lichkeit vor  dem  Bichterstuhl  Christi,  sich  zusammenlinden, 


üxt'git  V 
ot  laotu 
pacis  en  ho 
euJus  nu 
{pae  sab  boc  ta 


*)  Aitgii8tiii.|  De  cura  pru  mort  ger.  c.  1.,  Opp.,  T.  VI,  p.  a7ö. 

/ 

i^iy  u^uo  i^y  Google 


ZUR  OESCHICHTB  DBR  K] 


anrÄTER. 


239 


so  darf  man  schlieBsen,  dass  diese  Grabechrifb  von  Paolinns 
selbst  verfiuist  ist 

EnnodiDS. 

En  11  od  ins,  Bischof  von  Pavia  (511 — .')2l),  hat  unter 
seineu  zahlreiclien  P^piiLji'amnien  mehrere  für  Kirehengebäude 
und  auf  Verst<»rl)tnie,  die  ohne  Zweifel  inschriftliche  Verweo- 
dang  gefunden  haben.  Auch  seine  Qrabsehrift  ist  erhalten.  — 
Nur  seine  Inschrift  filr  mn  Bibliothekssnmmer  wird  in  einem 
besondern  Zusammenhang  unten  (Nr.  ;iu)  aufgeführt.. 

Hier  folgen  noch  zwei  Namcu  aus  dem  Öchlujw  des  pa- 
triätischen  Zeitalters. 

Yietor  Ton  Capna. 

Victor,  Bischof  Ton  Gapna  (541—554),  als  vir  doetissimns 

et  sanctissinius  von  Beda  ausgezeichnet  (De  rat.  temp.,  c.  51),  ist 
Von  Haronius  in  das  römische  Martyrologium  auf<^MMiommen  unter 
dem  17.  October,  und  so  ist  jüngst  auch  in  den  Actis  Sanctorum 
der  Bollandisten  (1853)  die  Reihe  an  ihn  gekommen.  Lange 
wenig  beachtet,  hat  er  in  neuerer  Zeit  wieder  Teünabme  ge- 
funden sowohl  infolge  der  AuttinJuni^  neuer  Fragmente,  unter 
denen  das  über  das  Pascha  hcrvc^rgehoben  zu  werden  verdient, 
als  durch  die  sorgfältige  Kenntnisnahme  und  Herausgabe  der 
Fuldaer  Handschrift  des  Neuen  Testaments,  in  welcher  seine 
genau  datirten  Unterschriften  Zeugnis  von  der  Lesung  und 
ihrer  Wiederholung  in  den  Jahren  546  und  547  geben  — 
Auch  das  kommt  seinem  Andenken  zu  Gute,  dass  sein  Grab- 
stein zu  Capua  sich  erhalten  hat  mit  folgender  Inschrift. 

21*  (Michael  Honaohas,  Sanctoariam  Capnanom.  NeapoU  1630. 
4*».  p.91.)  Ughelli,  Ital.  sacr.,  ed.  2,  T.  VI,  p.  306.  Pr.  Ant 
Vitale,  Deila  Constantiniana  vescovile  boj^ilica  deir  antica  Gapova. 
Roma  17.%.  4^  p.  41.  Mommseu,  1.  R.  N..  p.  2()2,  :mi. 
Pitra,  Spicile^.  Solesm.,  T.  I,  p. L.  Joh.  van  Hecke  Act.  SS., 
Oetobr..  T.  VUI,  p.  83D. 

(In  einem  Kranz.) 
VICTOK  Kl'ISC.  SKHIT  ANN.  XIII.  DIES  XXXVIIl 
DEmSlTVS.  SVB.  niK,  IUI.  »)  NüN.  APKIL.  ANN.  XlJl. 
P.C.  BASIU.  V.a  INDICTIONE  SECVNDA 
•)  nU]  Uffbelli:  UI;  daniMli  PUra. 

»)  Pitra,  Spicik'^,'.  Solcsiu. ,  T.  1,  p.  2(i.')lV.  2fK;ff.  Ranke, 
üebcT  den  Fnldaor  C>>d('\  des  Neuen  Testaments  (Theul.  Sfiid.  u.  Krit. 
18&6,  S.  410.  41211.)  und  Codex  Fuldciuns  S.m4ö2. 

SMtMbi.  C  K.'U.  16 


240 


riP£K, 


Elr  ist  also  gestorbon  anno  decirao  tertio  post  cousulatnm 
Basilii  viri  clarissimi  ^)  iudictione  sccunda,  das  ist  im  Jabre 
554:  und  zwar  be^ben  am  2.  April,  nachdem  er  den  bischöf- 
lichen Stuhl  13  Jahre  38  Tage  inne  gehabt  Rechnet  man 
diesen  Zeitraum  von  dem  gedacbtcn  Tage  der  dopositio  zurück 
(aus  welcbeni  Grunde  icb  diesen  tonn  Inns  ml  (|ii('in  für  das 
sedere  nehme,  werde  ich  bei  auderer  Gelegenheit  erlilutem), 
80  ergiebt  sieh: 

554  n.  Chr.  —  13  Jahre  =  541  n.  Chr. ; 

2.April  — 38Tage  =  24.  Februar, 

let/toro8,  wenn  man  laufende  Tage  nimmt,  da  ja  der  letzte 
wie  der  erste  mitzählt  Demnach  am  24.  Februar  541  der 
Antritt  seines  Amtes.  Eine  Bestätigung  giebt  der  Wochen- 
tag dieses  Datums.    Das  ist  nacli  der  Formel-): 


wo  t  das  Jahr  n.  Chr.,  d  das  Datum  vom  1.  Januar  an  ge- 
rechnet, q,  r  den  Quotienten  und  den  Rest  bezeichnen,  —  da 
t  =  541,  d  =  55: 


der  erste  Wochentag:  welcher  dem  Herkommen  entspricht, 
die  Ordination  am  Sonntag  vorzunehmen. 

Durch  die  authentische  Kunde  aber  von  seinem  Todes- 

jabre  werden  zahlreii-lie  in  tüiuer  niittelalterUcber  Scbriftsteller 
Über  seiu  Zeitalter  (welche  Ughelli  autlülirt)  beseitigt. 

Oregor  der  OresM. 

Sein  Gedaclitnis  tritt,  uns  in  einer  ganzen  Reihe  epigra- 
phischer Denkmäler  entgegen,  von  denen  einige  von  ihm  selbst 

»)  V.  C.  IxMleutct  nicht,  wie  Ranke  a.  a.  0.,  8.411,  un.l  ('(m1.  Ful- 
dcnsiH,  8.  V^III,  anniiiiuit,  vir  conHularis,  alu  einen  tast  unglaublichen 
Pleona.siuu{<.  «ondem:  vir  clarissimiis. 

2)  Piper,  Kirchennrhmini:  (Ikrlin  1S41),  S.  11.  Nr.  VII.  2.  Die 
Form«?!  mit  Hülfetafelu  dche  Art.  „  Festrechnung "  im  Evang.  Kalender 
Ifeöö,  Ü.  67  ff. 


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ZUR  aESCBICHTE  DER  KIRCHENVÄTER. 


241 


hen'ühreii,  die  andern  ihm  geweiht  sind  zum  Zeugnis  hoher 
und  dankbarer  Würdigung,  in  der  er  bei  Mit-  und  Nach- 
lebenden stand.  Die  meisten  sind  nur  abschriftlich  überliefert; 
aber  wenigstens  zwei  im  Original  erhalten,  das  eine  in  Stein 
zu  Born,  das  andere  in  Elfenbein  zu  Monza. 

Zuvor  verdienen  einige  Inschriften  Krwälmung,  die  seine 
Vorfahren  betreiYen,  und  zwar  aufwärts  reichen  bis  in  das 
fönfte  und  sechste  Glied.  Er  selbst  nennt  den  Papst  Felix 
(es  kann  nur  der  m.  sein,  483—492)  seinen  atayus^),  das 
ist  der  Orossvater  des  ürgrosmters,  also  in  der  Anften  Gene- 
ration vor  ilini.  Nun  befand  sich  in  S.  Paul  zu  Rom  bis 
ins  17.  Jalirhiindert  ein  Grabstein,  den  eiu  Diaconus  seiner 
Gattin  Petronia  im  Jahre  472  errichtet  hat  und  der  aus 
späteren  Jahren  noch  das  Ged&ehtnis  zweier  Töchter  und 
eines  Sohnes  enthftlt:  da  wird  er  also  auch  f9r  sich  das  Grab 
ersehen  liaben.  Papst  Felix  III.  aber  ist,  nach  dem  römisclu'n 
Pontificalbuch,  grade  in  S.  Paul  begraben,  als  der  einzige  in 
dieser  Reihe  von  Päpsten,  welche  übrigens  seit  seinem  Vor- 
gänger Simplicius  in  S.  Peter  ihre  Ruhestatte  gefunden.  Wie 
also  die  Zeit  (Diaconus  im  Jahre  472,  Fäpst  im  Jahre  483) 
und  der  Ort,  die  Grabstätte  in  S.  Faul,  äbereinstimmt ,  und 
zwar  das  crcnannte  Familiengrab  zur  Erklärung  dient,  weshalb 
für  die  Stätte  des  Papstgrabes  von  dem  Herkommen  ab- 
gewichen ist;  so  ist  wahrscheinlich,  dass  jener  Diaconus  kein 
anderer  als  der  nachmalige  Papst  Felix  in.,  der  ataTus  Gre- 
gors des  Grossen  gewesen*).   Die  Grabschrift  lautet  also: 

aa.Smetius  p.  CXLII  wn^.,  11.    0  rut.  \k  1057,  5.    Bosio  R.  8., 
p  151.    Aringhi  ß.  S.,  T.  I,  p.  250.    Reines.,  Inscr.,  p.  289, 


1)  Ort  iror.  M.  In  evang.  hom.  XXXVIU,  15.  Opp.,  T.I,  p.  1642 D. 
Dial.  IV,  IG.  T.  II,  p.  397  D. 

*)  Wie  de  Rossi  aufgerührt  hat.  Iiiser..  T.  I,  p.  372.  Aucli  von 
dem  VatcT  dieses  PapstoH,  als  welchen  Uas  rinnisclu'  Pontilicalbucb  den 
Presbyter  Felix  titnli  Fasciola«'  nennt,  i^t  ein  m  inunentales  Zeu<;nis 
erhalten,  wenn,  wie  wulusi  hrinlidi,  mit  diesem  der  rrcsbyt«  r  Felix  iden- 
tisch ist.  der  im  Jahre  471  gi.t<torl)en  .  in  S.  Paul  Ue^^rabon  ist  und  da- 
durch hervorragt,  das.s  er  im  Auttrag  dva  l'apstes  Tieo  T.  der  Wieder- 
herstellung der  Paulskirehe  vorstand,  —  wie  die,  bis  auf  finigc  Jiruch- 
«tücke  de«  Originals,  ai»s<  liriitlieh  »rhaltene  Urabschrilt  anzeigt.  Siebe 
de  Uossi  1.  c,  n.  831  und  dazu  p.  373. 

IG* 


242 


PIPEfi, 


'SCiS.  F 1  e e  t  w  0  od  p.  456,  2.  Nicolai,  Dasil.  di  S.  VmAo.  \k  212, 
451.  de  lioKöi,  Inscr.,  T.  I,  p.  371,  b43.  Jedes  Distichou  iiiiumt 
eiFie  Zeile  ein. 

I.KVI  I  AE  CUM \  XX  PETHONIA  FORMA  rVDORIS  • 

IIIS  MEA  DEPONENS  SEDIBVS  088A  LOGO 
PARCITB  TOS  LAGRIMIS  DTLCES  CTM  CONITQB  NAT&E  • 

THISNTEMQTE  DEO  CREDITE  FI.ERE  NEFAS 

D^-  IN  PACE  ni-  NÖN  OCTOB*  FESTO?^  CO^S- 

Worauf  noch  die  Grabschrifken  der  Paula  cl  f  (clarissima 
IViiiina)  vom  Jahre  484,  des  Gordianns  vom  Jahre  485  und 
der  Aemiliana  sc.  vTj.  vom  Jahre  489  folgen.  —  Darin  sind 
bemerkenswert  die  Tröstung  an  die  Hinterbliebenen,  welche 
der  beimg^angenen  Qattin  in  den  Mund  gelegt  wird;  sodann 
die  Namen  Oordianns,  Aemiliana  und  die  Bezeichnung  der 
letztem  als  sacra  virgo.  Denn  diese  Namen  und  der  Cha- 
rakter keinen  wieder  in  der  nächsten  Generation  vor  Gregor: 
worin  der  Faniilieneinfluss  von  den  Vorfahren  her  nicbt  zu 
verkennen  ist  Sein  Vater  hies  Gordianns,  dessen  Schwe- 
stern Tbarsilla,  Gordiana,  Aemiliana;  und  alle  drei 
waren  sacra(^  virgines,  —  wie  Gregor  erwähnt  ').  Von  soichfiii 
Stamm  also  ist  er  entsprossen. 

Das  Gedächtnis  .seiner  Eltern  hat  Gregor  verewigt,  in- 
dem er  sie  in  dem  Atrium  des  von  ihm  auf  dem  oölischen 
Berge  (dem  cliims  Scann)  errichteten  Klosters  noalen  Hess. 
Die  Widmung  fOr  die  Mutter  lautet: 

(iKK*J<)T?IVS  STfiVlAE  MATRI  FECIT. 

Er  hat  auch  sein  eignes  ßild  iHMstellen  hissen  in  einer  klei- 
nen Apsis  des  Klosters  mit  folgender  Inschrift: 

2S.  Job.  Diac,  Vit  Gregor.  IV,  84,  bd*  tfabiUcm,  Act  SS.  Bened. 
Saee.  I,  p.  489  (n.  A.  8.  zn n.  25).  Baron«,  Ann.  ad  a.  604,  XXV. 
T.  Vm,  p.  179;  ed.  Manfli,  T.  XI,  p.  56.  Ciacon.,  Vit  pontif. 
cum.  Dotifl  Oldoin.,  T.  I,  p.  409.  Ale  mann.,  Pariet  Lateran.,  p.  40. 
Marin i  bei  Hai  p.  20,  1  >). 

GHRISTB  P0TEN8  DOIONE  N08TRI  LARGITOB  •)  BONOBIS 
INDVLTVM  OFnCIVH  SOLITA  PIETATE  GVBERNA. 
•)  M»rUI:  iMgilw. 

Gregor.  M.,  Jn  cvang.  lioiii.  XXXVIll,  s.  ziivor. 
*)  Marin i  a.  a.  0.  t^'ilt  diesem  Bilde  auch  ein  ollene.s  i>ueh  zu 
mit  einer  Insclirift  au«  Ph.  1  ir>  fllH),  175.    Allein  dies  Ilnch  hatte, 
nach  dem  I^rieht  de»  Juliaiiiic»  Diac,  uiciit  Gregor,  sunderu  Beine  Mutter 
Silvia  in  der  üand. 


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ZÜR  OESCmCRTE  DER  KIRCHENVÄTER. 


243 


Diese  Inschrift  ein  Beweis  seiner  GmndstimmuDg,  wie  er  sein 
Amt  als  Gabe  yon  dem  Herrn  ableitet  und  anter  dessen 
Fühmug  sich  stellt. 

G^enüber  diesen  gunz  persönlichen  Aussprüchen  ist  aus 
der  letzten  Zeit  seiner  päpstlichen  Regierung  eine  ein- 
zelne Verfügung  inscbrifUich  erhalten,  welche,  für  die  Pauls- 
kirche bestimmt,  in  eine  giesse  steinerne  Tafel  gegraben, 
noch  ji  tzt  sich  daselbst  befindet  Sie  ist  vom  25.  Januar  604 
(der  Papst  starl)  um  12.  März)  und  überweiset  dieser  Kirclie 
die  massa,  genannt  Aquas  Salvias,  mit  den  einzelnen  namhaft 
gemachten  Gnindstücken  zur  Bestreitung  der  Kosten  der  Lich- 
ter: der  rector  patrimohii  Appiae,  an  den  dieselbe  gerichtet 
ist,  wird  beauftragt,  die  Besitzfibertragung  zu  bewirken.  Der 
80  specielle  Erlass  bietet  aber  in  der  Motivirung  verschiedene 
Gesichtspunkte  von  allgemeinerem  Interesse,  wobei  noch  zu 
verweilen  ist 

24.  Gregor.  M.,  Begirtr.  üb.  XIY,  ep.  14,  Opp.  ed.  Bened.,  T.  II, 
p.  1273  (es  fehlt  der  Emgang  und  SeUiue,  s.  T.  lY,  p.  338).  Und 
nach  dem  Original  die  Bened ic tiner  ebendan.  T.  IV,  p.  329. 
Blanehitti  m  Ahastas.  T.  I,  Praefat  c.  46.  Galietti»*Inacr. 
Rom.  Inf.  act,  T.  I,  p.  V.  Nicolai,  Banl.  di  S.  Paolo,  p.  205. 
Marini  bei  Hai,  p.  218. 

Das  erste,  was  in  die  Augen  fällt,  ist  im  Eing-ang  der 

neue  Titel,  welcliea  dieser  Papst  angenomiiieii  und  der  scildem 

geblieben  ist: 

t  GUEGOHIVS  fiPlSC  .  SERVVb  äKRVOBVH  lÜ  — 

welches  sein  Biograph  Johannes  Diaconus  (II,  1)  hervorhebt,  — 
neu  nämlidi  für  die  r((mischen  Bisdiöfe,  denn  sonst  war  der 


1)  Ein  aiul.  1  r  Erlass  Gregors  in  zwei  Mannortatclii  clor  Kirche 
S.  JohanniH  et  Pauli  auf  dem  cöli»chcn  Hügel,  mit  denelbon  Eiogangs- 
formel  (Murini  bei  Mai,  p.  211,  2),  enthält  nur,  auf  das  Gesuch  der  vor- 
stehenden PreBbyter,  die  (*üii(innation  von  Ländereien  für  die  Kirche. 

TlinfTOgen  ein  Privilcgiiun ,  gestiftet  von  Gregorius  indignna  senrns, 
welches  zahlreicho  liändereien  mit  OUvenwaldungen ,  <'boiiralls  ]iro  con- 
cinuationc  luininariorum ,  der  vaticanischcn  Basilica  übcrweiaet,  auf 
«  incr  St/?intafel  daselbst  (Marini  bei  Mai»  p.  209),  ist  zwar  Gregor  dem 
Grossen  beigemessen  y>n  Petrus  Manlius,  an  dem  sogleich  (zu  Kr.  25) 
auzuf.  0.  c.  4,  p.  4.3;  danuich  von  Baronius,  Ann.  ad  a.  604,  n.  XIII, 
den  Benedictinem  Opp.  Gregorii,  T.  IV,  p.  330;  Blanchipi ,  De  vit 


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244 


PIPER, 


Aiudruck,  z.  B.  von  Augustiuua,  üchoü  gebraucht^).  —  So- 
dann die  herkömmlidid  Benennung  der  rdmischen  Kirche 
als  Sinshe  der  Apestel  Petrus  and  Paulus,  —  nickt  des 
Petrus  allein,  wenn  auch  seit  Papst  Leo  dem  Grossen  der 

Stuhl  Petri  in  Itom  im  Vorder^fninde  der  Ansprüche  steht; 
und  der  Grundsatz,  dass  die  Besitztümer  der  Kirclie  «gemein- 
sam sind  und  nur  zum  Zweck  wirksamer  Admiuistratioa  be> 
sondere  Besitztitel  eingeführt  werden: 

LIGKT  OMNIA  QVAB  HAEC  APOSTOLICA  UABRT  ECXJLESIA  BEATO> 
RVH  PRTRI  AC  PATU  QVOBVM  HONOBE  ET  BENEKICIIS 

M '(/VI  SITA  SV  NT 
DU  SiM"  AVCTOKK  L'OMMVMA  KSSK  TAMKX  hKHKT  IN  AMMiNlS- 
TKATiÜfiE  ACXIONVM  DJVEUÜ1TA8  i'KlibUNAItVM  etc. 

Zur  BegrQndung  des  Beschlusses  dient  die  schuldige  Sorge 
fflr  die  Kirche  des  Päolus,  welche  den  Papst  erinnerte: 

NE  MINVS  II. LH"  liAHKRE  LVMINAKIA  ISDKM  l'KAKCO  KIKKI  CVM- 
NKKKTVli  TUTVM  MVNOVM  lAMINIi  rUAKiUCATiONIS 

IMPLEVTT  - 

ein  Beweis,  wie  viel  auf  eine  i^liUizeiide  Beleuchtung  in 
der  römischen  Kirche  gegeben  wmde,  angesehen  den  be- 
deutenden Um&ng  des  hier  daasu  fibereigueten  Grundbesitzes; 
und  welche  Symbolik  dafftr  in  Anwendung  kam,  die.  durch 
den  Gesichtspunkt  2U  erg&nzen  ist,  den  Hieronymus  in  dieser 
Frage  gegen  Vigiluntius  geltend  machte.  —  Zur  Ueberweisung 
grade  dieser  massa  aber  leitoti^  die  Tlucksicht  auf  den  dort 
erfolgten  Märtyrertod  des  Apostels  i;*aulu8: 

ET  [GVM)TALikDE  INCONGRWM  AG  ESSE  DVBISSIMVH  YIDERETTK 
VT  TLhk  m  SPECIAUTEB  POSSESSIO  NON  SERVIRET  IN 
QVA  PALMAM  SVMENS  MARTY- 

Rll  CAPITB  EST  TRVNCATVS  VT  VIVEBET  - 


p«intif.  T?oni,,  T.  I,  Praefat.  c.  45.  u.  A.  Eh  golutrt  al»er  nicht  dic- 
t;«iii,  sondern  Gregor  11.  f7ir> — 7;J<))  an:  nicht  alleifi  naeh  der  Untor- 
schrilt  (die  freilich  hei  d  u  Me<lietinern  und  bei  Marini  fehlt):  <latuiu 
Idibuä  Nuv.  inijtenuiU  idussiino  Leune  ^da.s  ist  Leo  III.  der  I.saurier, 
717 — 741),  wie  .seiion  Tagi  gegen  lUroninn  notirt  iiat;  s.Midern  aueh 
wegen  der  Angaben  über  seinen  Lebensgang,  die  auf  (iregor  I.  nieiit 
pEu^sen.  wohl  aber  auf  Gregor  IL,  von  dem  es  im  Lib.  pontif.  c.  &J,  1 
heiüst:  qui  a  jiarva  aetate  in  jiatriarehio  nutritus  etc. 

1)  Vergl.  die  Beucdictiuer  rrat^lut.  iü  cyist.  Gregorii,  T.  II, 
p.  481. 


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ZOB  OEBCmCHTB  DBB  KIBCHENVÄTEB.  245 


WO  die  Sa^^e  von  der  Hinrichtung  des  Apostels  an  der  Stelle 
ad  aqoas  Salnas  zum  ersten  Mal  im  Abendlande  bekundet 
wird     —  Schliesslich  werden  die  Praepositi  der  Fänls- 

kiiohe  —  ein  Amt,  das  schon  in  einer  Grabschrift  vom  Jahre 
526  erscheint^)  —  emialuit,  <la  sie  nun  weiter  keine  lOni- 
schuldigung  hätten,  in  der  Beaoiguug  der  Lichter  sich  keine 
Versäumnis  zu  Schulden  kommen  zu  lassen.  Worin  eine 
Rüge  fOr  die  Yeiigangenheit  erkennbar  ist  nebet  der  Ver- 
anlassung, welche  zu  dieser  Anordnung  geffthrt  bat. 

Zwar  nicht  in  einer  Inschrift,  aber  in  Beziehung  und 
im  Zmiainmenhang  mit  einer  äolchen  von  älterem  Datum  ist 
in  der  alten  Ueberlieferung  derselben  von  der  Bibliothek 
Gregors  und  seiner  Arbeit  darin  die  Rede,  worauf  wir  noch 
(Nr.  31)  zurfickkommen. 

Unter  den  dem  Andenken  Gregoi-s  geweihten  Inschriften 
ist  die  vornehmste  seine  Grabschrift,  die  einst  in  der 
Peterskirclie  sich  befand  und  mit  derselben  zugrunde  gegangen 
ist  bis  auf  drei  kleine  Bruchstücke,  welche  im  Fussboden  der 
vaticanischen  Krypten  von  Sarti  und  Settele  ao^efunden  sind. 
Der  Text  aber  ist  in  seltener  Weise  durch  eine  ganze  Reihe 
von  Zeugen  aus  dem  Mittelalter  überliefert.  Zueist  von  llcda 
in  seiner  Angelsächsischen  Kirchengeschichte  als  ein  Ehren- 
denkmal für  den,  welcher  die  Bekehrung  dieses  Volkes  auf 
dem  Herzen  getragen  und  ins  Werk  gesetzt;  dann  hat  sein 
Biograph  Job.  Diaconus  sie  aufgenommen,  sowie  die  sechs 
ei*sten  Verse  ,Iacobns  a  Voragine  ebenfalls  in  dem  Lebens- 
abriss.  Zuvor  findet  sit^  sich  in  der  ältesten  Sammlung  ihrist- 
licher  Inschriften,  der  Heidelberger  Handschiilt,  dann  kommen 
die  Beschreiber  der  Peterskirche,  Manlius  im  12.,  Panvinius 
im  16.  Jahrhundert,  —  jener  hat  zuerst  auch  die  persdn- 
liehen  Daten  am  Schluss  der  Inschrift.  Neuerdings,  auf  Be- 
fehl Gregors  XVI,  iat  die  Inschrift  wieder  aufgestellt,  in 


t)  Vgl.  BaroD.  Ann.  ad  a.  OOl,  XIV;  od.  Mansi,  T.  XI.  p.  52 
(d«r  auch  den  Eingang  der  liuichnlt  mitteilt),  de  Kossi,  Bullet  di 
ueh.  cri8t.  18()9,  p.  85. 

i)  Bei  <1*  R  ossi,  luäcr.,  T.I,  p. 456, 1004.  ISiehe  auch  da»  Frag- 
ment p.  542,  1200. 


246 


PirJilU, 


Stein  u^<!luuH'n  nach  dem  Text  der  Heidelberger  HiimlM  lii  ift 
iiiul  dem  Sellins;?  bei  Maiiliiis,  mit  Einsclialtung  jener  Frag- 
mente des  Originals      Hier  folgt  der  Text  nach  Beda. 

2&.  Beda,  Hist.  ecd.  II«  1.  p.78  ed.  Smith.  Job.  Diftc.  Vit.  Greg. 
IV,  68;  bei  MabiUoD,  Act.  SS.  Bened.  Saec  I,  p.  482;  BoUand. 
Aot.  SS.  d.  XII.  Mart.,  T.II,  p.202;  Opp-Ongorii  ed.  Ben.,  T.IV, 
p.  lea  Pctr.  Hanliiie,  Lib.  de  Baail.  S.  Petri  in  Vat.  c.  4,  ed. 
Janniog  Act.  SS.  Jon.,  T.  VII,  1,  p.  42F.  Jac  a  Vorag.,  Leg. 
aur.,  e.  46,  §  15.  Cent,  Magdeburg,  Cent.  VL  Baail.  1562,  c  10, 
p.  687.  PanYin.  m  Piatina,  Vit  p<»itif.  Lovan.  1572,  p.  65  und 
De  baaiL  Vat.  VI,  22,  p.  360,  ed.  Hai.  Baron.  Ann.  ad  a.  604, 
XVn,  T.  Vm,  p.  176;  ed.  Manai  T.  XI,  p.  53.  Grnt  p.  1175, 
1,  ans  ood.  Palat  Bosio  RS.,  p.36.  Aringhi  R.  S.,  T. I,  p.251. 
Ciacon.,  Vit.  pontif.  com  notia  Oldoin.,  T.  I,  p.  40G.  Floct  wood 
p.411,  1.  Cancc'llieri,  De  secret.  baslL  Vat.,  T.  II,  p.  671.  Ban- 
sen, Jieschreib.  der  St.  Rom.  II,  1.  p,  7:3.  vSarti  et  Sttt«  Ic. 
App.  a.l  Dionys.  Crypt.  Vat.  \).  125  und  p.  80tt  Tab.  XXIX 
(nach  der  Inschrift  mit  den  Fragmenten).  Lau,  Gregor  d.  Gr., 
p.  300.  Mozzoni,  Tav.  cionol.  erit  See.  VII,  p.  75. 

SVSCIPE  TERRA  TVO  CORPVS  DE  CORPORE  SVMPTVM 

KEDnKKE  QVOI»  VALKAS  VIVIKICAXTK  DKO 
SI'IKrrVÖ  A.STKA  PETIT  LEIT  NIL  IVKA  NOCKßVNT 

CVI  VITAE  ALTEKIVS  MOKS  MAWIS  II'SA  VIA  EST 
5.    PONTIKICIS  SVMMl  IKH'  (M.AVDVNTVK  MKMHUA  SEl'VlAliO 

(^VI  INNVMEULS  .^Ejli'hU  VIVIT  Yliil^VE  UONXS 
ESYRIEM  DAPIBV8  SYPERAYIT  FBIGOBA  TESTE 

ATQVB  ANIMAS  MONHIS  TEXIT  AB  HOSTE  SACUlS 
lUPLBBATQTE  AGTV  QVICQVID  SERMONE  DOCKIIAT 
10.         ESSET  VT  EXEMPL>Ti  MYSTICA  VERBA  l.OQVENS 
AI)  niKISrVM  ANlJLOS  CONVKKTIT  IMETATE  MAUISTKA 

AlHiVIKEXS  FH»EI  A(iMINA  (lENTE  NOVA 
mC  LAIlOK  HOC  STVDIVM  HAEC  TUM  CVKA  HOC  PASTOii  AUEBAS 

VT  DOMINO  OFFEKKES  l'LVKIMA  EVCKA  tMJKiilS 
ir».    IllbQYE  DEl  CONSVL  FACTVS  LAEIAKE  IKlVMl'lllS 

NAH  MERCEDEH  OPERVM  lAM  SINE  FINE  TENES. 

mC  REQVIESCIT  GREGORIVS  I.  PP.  QVl  SEUIT  ANNOS  Xlll  MENSIS 
VI  DIES  X.  DEPOSITTS  IV  IDVS  MARTH. 

V.  3.  IVBA]  J»e.  m  Vor^g.:  vira,  walehe«  Orisse  voniebi.  —  Varianten  de» 
Joh.  Diac:     4:  Oa;     11:  AMsfm  ad  Ckrigbm  terbti  r.  19:  ßdeiqtu. 

Die  reichhaltige  Inschrift  bietet  Anlass  zu  mancherlei  Er- 
wiv-jim^S  durch  den  Gedanken  wie  den  Ausdruck,  z.  B.  v.  2: 
reddcre;  v.  3:  leti  jura;  v.  10:  myatica  verba  loquens;  v.  tf): 
dei  consul;  v.  16:  mercedem  operum.  Jedoch  den  Ausdruck 


1)  Sarti  et  Settele,  App.  p.  81,  not.  1. 


Digitizeo  by  LiOügle 


ZUR  GESCinCHTB  DER  KIRCHENViLm. 


247 


wie  den  (loguuitiscIitMi  Gcliult  bei  Seite  gesetzt,  wullrn  wir 
anr  das  mehr  Persöuliche  ins  Auge  &saen.  Das  bestellt  in 
dem  Nachruhm,  der  ihm  zuerbinnt  wird,  im  Hinweis  auf 
das  unzählige  Gute  (innumera  bona),  welches  von  ihm  fort- 
lebe (v.  G).  Zuerst  seine  Mildtätigkeit,  die  am  häuHgsteu 
gerühmte  Eigenschaft  auch  in  den  Grabscliriftou  der  Tupste, 
so?rie  seine  Fredii^t  und  Warnuu<,r  vor  dem  bösen  Feinde 
(v.  7. 8:  Esnriem  dapibus  supeiavit,  frigora  Teste,  atque  animas 
monitis  texit  ab  hoste  sacris).  Und  diese  Predigt  in  üeber- 
einstinimung  mit  seinem  Charakter:  „er  eifullte  durch  die 
Tat,  was  er  in  der  Rede  lehrte"  (v.  9:  implebatque  actu 
quicquid  sermone  docebat),  —  ein  Cbarakterzug,  für  den  ima 
der  alten  Christenheit  grade  dieses  Zeugnis  von  Gottfr. 
Arnold  hervorgehoben  wird  Ebenso  heisst  es  in  einer 
Antiphone  auf  ihn  aus  der  Liturgie  des  ersten  Advents 
(s.  sogleich  Nr.  28): 

Quod  docuit  tieri  lecit  et  ipso  prior. 

Bs  ist  dasselbe  Ehrenprftdicat,  welches  Gregor  von  Nazianz 
dem  Basilius  giebt*): 

»uA  piotw  furi^ot  xfci  (iioTiiti  Xoyov. 

Dann  fol^^t  eine  eiuzehie  Tat,  die  iilier  durch  das  Leben  sich 
hinzieht,  die  Sorge  für  die  Bekehrung  der  Angelsachsen:  ad 
Christum  Auglos  convertit,  was  er  selbst  hatte  vollbringen 
wollen,  dann  durch  Augustinas  zur  Ausführung  brachte.  Die 
Summe  dieses  ganzen  Hirtentums  ist:  „viele  Frucht  der 
Herde  dem  Hen*n  darzubringen"  (v.  14;  ut  Domino  offerrt^ 
plurima  liicra  c^regis). 

Als  Veri'asser  dieser  Grabschrift  wird  zwar  Petrus  Oldra- 
dius,  Erzbischof  von  Maikind  (etwa  7ö4— 805),  genannt  in 
einem  Werk:  Successores  8.  Bamabae  apostoli  in  ecclesia 
Mediotanensi,  welches  ans  einer  vaticaniscben  Handschrift  von 
»Kdi.  de  Diis  und  d.uin  wiederholt  herausgegelieu  ist:  iLirnach 
soll  er  im  Auftrage  des  Papstes  Hadrian,  «lessen  Sekretär  er 
gewesen,  die  Werke  Gregors  gesammelt  and  das  Epitaphium 

1)  G.  Arnuld,  Wahre  Ab!»iM.,  T.  I,  S.  237. 
^)  Aiithol.  Pulat.  Vm,  4,  V.  5.   Gregor  Naz.  Upp.,  T.  U,  ed. 
CaiUaa,  p.  1156,  v.  17. 


L.y         L-y  Google 


248 


gedichtet  haben.  Die  Angabe  hat  sich  verbreitet  in  liaitd- 
scliriftliohen  Werken  über  die  Peterskirche  von  Torrigio  und 
Alfai-ano:  Canoellieri,  der  sie  dort  gefunden,  nahm  sie  mit 
Eifer  auf  (a.  a.  0.)  und  wflnacbte  sich  Gldck  zu  dieser  Auf» 
findnng  Aber  nicht  su  «gedenken ,  dass  die  vaticanische 
fl.uulschiift  die  Stolle  niclit  enthält,  so  ist  an  sieh  nicht 
wahrscheinlich,  dass  das  Grab  Gregors,  gegen  die  Sitte  seiner 
Zeit,  ohne  metrische  Inschrift  geblieben  sei,  —  wie  Sarti 
und  Settele  (ohne  CSancellien  zu  erwfthnen)  einwenden^). 
Dazu  kommt  als  entscheidend  zur  Widerlegung,  dass  die 
Grabschrifk  schon  von  Beda  mitgeteilt  wird,  der  mit  dem 
Jahr  731  seine  Kirchengeschiclite  schliesst.  Allein  wir 
haben  viel  frühere  Spuren.  Und  es  ist  anzunehmen,  dass  sie 
unmittelbar  nach  seinem  Tode  gesetzt  worden. 

ZunSchst  wird  auf  die  Person  des  Gregor  in  den  Epi» 
taphien  zweier  bald  folgenden  Päpste  Bfleksicbt  genommen, 
in  denen  er  als  ihr  Lehrer  (beidemal  heisst  er  niagister)  er- 
scheint. Der  eine  ist  Bonifacius  IV.  (608 — 615),  in  dessen 
Grabschrift  es  heisst  (v.  9)  ^): 

GREGORII  SEMPER  MONITA  ATQVR  EXEMPI.A  MAGISTRI 
TITA  OPBRE  AC  DKINIS  MORIBVS  ISTE  8E(|VENS; 

WO  die  monita  atque  exempla  an  v.  8  (s.  zuvor)  und  t.  10 

(esset  ut  exenipkuii  niystica  verba  loquens)  der  Grabschrift 
Gregors  erinnern.  Und  noch  das  Epitaphium  des  Honorius 
(625—630)  besagt  (v.  17)^): 

SANCTILOQVI  SEMPER  IN  TE  COMMENTA  MAOlSTKl 
KMICYEHK  TVI  TAMl^VAM  |sioJ  ■»)  FKCVXDA  NIMIS 

NAMQVE')  «iKKCOlIIl  TANTI  VESTICIA  IVSTI 

DVM  SK(i\Hi;iS  CVriKNS  KT  MEKlTVMliVK  «iKUlS. 

•)  Iii  <li<'.-ifMn  Versf^,  den  Sarti  und  Settelo  als  inihrillmr  b«!y.«'ichnj'u,  ist  wohl  e^tAÜ 
t»iii<iuuiu  zu  ICHcii  tüiaqao,  —  eine  dum  VerfaKtiur  geläufige  Fomi,  wie  xovor 

Icli  habe  die8c  Ansiclit  aofgfenoninicn  in  meiner  Mythologie  <ler 
christlichen  Kunst,  Bd.  I,  1817,  S.  GO,  Aniu.  3,  von  wo  sie  iu  Bjix- 
luann,  Politik  der  Piijwte,  IM.  I,  S.  4,  nbergegaugon  ist  Sic  bedarf  je- 
doch nach  dein  Obigen  der  Derichtigung. 

^)  Sarti  et  iSettelc,  App.,  p.  81.  Daa  ZeugniK  de«  .Johannes  Diac., 
worauf  sie  sich  aucli  berufen,  aus  dem  9.  Jahrhundert  über  die  Ur- 
sprünglich keit  der  Inschrift  will  nicht  so  viel  sagen. 

»)  C;rut.  p.  1160,  1.    Sarti  et  Settole,  App.,  p.  128. 
Grut.  p.  1165,  11.   Sarti  et  Settele,  App.,  p.  IUI. 


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ZUR  OESCmCHTB  D£R  KIRGHENVÄTEB.  249 


tc<pi.'  um!  IUI  r(il>,'finlcii  D»in<iu**,  j.itti'iiie,  m  »•  r  i  t  u  m  <• ;  'itii!  lUv  ''oustrnc- 
tioa  ioi:  t»eu)p«r  iu  io  cutnmcDU  Uiu  fccuod»  MJicUluqai  lut  tnügistii  uiiuiti  omi- 
co«re. 

I»)  IM«MlbeD  wollen  «tett  uanqn«  leaes  umn  qai  und  die«  ProBomeii  mit  gerle 

verbinden;  aWr  j^frin  idt  otTt  ubar  Bndvorbuiii ,  v/U-  oiui  euere,  Ht<-ht  ilHiiiit  pn- 
rallel  und  «lürf  nicht  diirt  h  «lui  ?.»  eiui-m  Vi  rtli  rH.it/  ^iiiuu  lit  werden,  wodurrb 
äbordiu«  die  Cooütructiou  »cliloppuBd  wird:  auch  ul  dt^  que  iu  oanxiuc  uichi 
beftendUeher  als  in  j  «  m  q  n  e. 

HifM-  wird  also  Papst  Grei^or  <,^etoiert  sowohl  als  siincti- 
loc^uus  wie  als  Justus  (welches  zusamineu  dem  v.  ü  der  Grab- 
scbrift  desselben  gleichkommt):  seine  Lehren  (commenta)  als 
sehr  fruchtbar,  sein  Wandel  voll  Verdienst,  —  mit  der  An- 
wendun«^  auf  FTonorins,  dass  die  Lehren  des  Meisters  in  ihm 
herYorl(  U(  )it«'t«'ii,  und  dans  er,  da  er  eifrig  den  Fusstapleii  des 
üerechleu  iolgto,  auch  seiu  Verdicust  besitze.  —  Es  ist 
immerhin  von  Gewicht,  dass  noch  auf  dem  Grabe  zweier 
Nachfolger  die  Bedeutung  und  Einwirkung  des  Mannes  solche 
Anerkennung  gefunden. 

Ausserdem  sind  die  beiden  ersten  Vei*se  zuweilen  iu 
GrabscliritU'U  verwendet,  und  zwar  entlidint,  wie  es  sclieint, 
aus  der  Grabschrift  Grei^'ors  (wo  sie  den  Eindruck  machen, 
an  der  urBprOnglichen  Stolle  zu  stehen,  nach  dem  Zusammen- 
bang von  V.  3  und  v.  l :  spiritus  und  corpus),  —  nicht  dass 
umgekehrt  der  Verfasser  der  letztern  sie  vorgefunden  habe. 
So  bestellt  aus  ihnen  ein  Epiuqdiium  vielleicht  aus  Pavin» 
welches  die  Heidelberger  üandschrift  verzeiclmet ');  uud  eiu 
*  anderes,  das  noch  erhalten  ist,  im  lateranischen  Museum 
(Abt.  IX,  36)  stellt  in  barbarischer  Nachahmung  sie  vonin  *). 

Noch  von  einer  andern  Seite  kommt  ein  antwortender 
und  l)ekrärtiLreiuler  Spruch  zu  der  Grabsclirift  Gregors  oder 
vielmehr  zu  einem  Werke  seines  Lehens,  welches  darin  ge- 
feiert wird,  der  Bekehrung  der  Angelsachsen.  Denn  zumal 
in  England  lebte  das  dankbare  Gedächtnis  dessen:  und  die 
Grabschrift  des  Apostehi  von  England,  Augustinus,  gestorben 
ein  Jahr  nach  Gregor,  hebt  die  Mission,  die  für  beide  ehren- 
voll war,  namentlich  hervor. 

2«.  Beda,  Hist  (kgL  II,  3.  p.  »2.    Baron.  Aon.  ad  a.  604,  LXil, 


1)  (Jrut.  p.  11  «S.  1.    Fl.  ttwood  |).  2. 

*)  Marini  Fiatr.  Arv.,  p.4U2.  tiarti  et  Settel«,  App.,  pl82. 


250 


PIPER, 


T.  VJIl,  y.  193:  ,-.1.  Muiisi  T.  XI,  p.  70  (au8  Beda).  Grat. 
]).  11  (i7,  7  (iiu«  Daruuiuü).    Flcctwood  p.  513,  2. 

nie  KKQYIRSCIT  KOMNVS  VVOVSTINVS  HOHVVKUNKNSIS  AUrHIKl'I- 
SCOl'VS  PKIMVS  gVl  OLIM  HVC  A  P.KATO  CKKiiOUlO  KOMAN AK  VK- 
lUS  roNTIFICK  IMHKlTVJS...  AKülM'.KmTVM  KKiiKM  AC  CKN  1  KM  IL- 
LIVS  Ai;  II»()I,OUVM  CM/rV  AI)  CIIKISTl  FIDKM  rKUDVXIT  cU-. 

Das  Grab  war  im  Kloster  bei  Gauterbury,  erst  ausser- 
halb, und  als  der  Bau  beendet  war,  innerhalb  der  Kirche  des 
Peirus  und  FaulnB.  Durch  eine  Verwechselung  gieH  Grater 
an,  das8  er  in  Rom  juxta  templum  apost.  Petri  et  Pauli  be- 
graben sei 

Auch  aus  Spanien  ist  eine  Inschrift  überliefert,  die 
dem  Gregor  fiberhaapfc  als  Kirchenlehrer,  insbesondere  als 
Kirchenscfariftsteller  höchste  Anerkennung  zoUi  Es  ist  eine 
der  Aufschriften  in  der  Bibliothek  desMdoros,  von  denen  zu 

Nr.  32  die  Rede  sein  wird. 

27.  Salazar,  Murtyrolog.  ITispan.,  T.II,  p.  489.  Murat.,  Anecd.  ex 
Anibrosian.  bibl ,  T.  II,  p.  209.  ArevftL  Opp.  Isiduri,  T.  YU, 
App.  p.  181,  XI. 

QVANTVM  AVr.VSTIN'O  CLÄRES  TV  •)  llirrONA  »>)  MAölSTKO 
TAN!  VM  KOMA  ÖVÜ  TBAESVLE  UKEUÜKIO. 
»)  Salazar:  i>(AUt  U. 

b)  Ralazar:  Iftfitponn.    Hurnt.  AroTaU:  Hippone. 

Isidoras  von  Sevilla,  walirscbeiulicli  Verfasser  des  Sprucbs, 
ein  jüngerer  Zeitgenosse  Gregors,  mit  dem  sein  Bruder  Lean- 
der, sein  Vorgänger  im  Bistum,  in  naher  persönlicher  Ver- 
bindung gestanden  (wovon  noch  drei*  Briefe  des  Pftpstes  an 
ihn  Zeugiüss  geben),  spricht  von  ihm  in  Ausdrücken  der  Be- 
wuinloi-ung.  Hier  stellt  er  seinen  Ruhm  dem  des  Augustinus 
gleich;  in  dem  Buch  De  viris  illustribus  (c.  40,  T.  VII, 
p.  159)  erklärt  er:  Gregor  sei  durch  die  Gnade  des  heiligen 
Geistes  mit  einem  solchen  Licht  der  Erkenntnis  b^bt,  dass 
weder  in  den  gegenwärtigen  noch  in  den  vergangenen  Zeiten 
einer  der  Lehrer  ihm  gleich  gokonimen. 

Die  Inschrift  endlich  über  der  Figur  Gregors  auf  einer 
Klfenbeiutafol  im  Schatz  der  Basilica  zu  Monza  weiset  auf 
seine  hochwflrdige  Abstammung. 


1)  Flcctwood  hat  dieselbe  zwar  io  der  UeberscUrift  wiederholt, 
dann  aber  berichtig 


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ZUR  OEBCmClITB  DER  KIRCHENVlTER.  251 


28.  Mabillon,  Ikr  ItaL  in  «.  Museum  lüil.,  T.  I,  1G87,  i».  213.  Ab- 
bililnnp  der  Tafel  sammt  der  Inschrift  bei  Uori,  Thos.  diptych., 
T.  II,  p.  215.  Tab.  VL  Friei,  M.^m  stor.  di  Monza,  T.  III.  p.  5. 
Tab.  XI.  Abgnss  in  Gype  von  der  Arundel  Society,  s.  Oldfield, 
Catal.  Cl.  III,  c  p.  36. 

t  GREr.OIMVS  P(re]SVf.  MKRIIITT^^  KT  NOMINK  inCNVR  ; 
VNDK  <;knvs  nvciT  i  svmmvm  conscex  DIT  HONOKKM. 

T.  2  Maliillon  fehlorUafl:  <^uo  gtnm  Imnc  dnxit.   Daa  JdiBuale  von  Poitiers  hv\ 

M  a  r  t  r»  n  0  :  dttxit. 

Die  hohe  Würde,  undc  genus  ducit  (wie  durch  Irivcrsiou 
gesagt  wird),  ist  eben  die  päpstliche,  zu  der  sein  Stammbaum 
hinaufreicht^  da  Papst  Felix  (III.)  sein  atavuB  gewesen.  Da- 
mit indes  ist  der  Sinn  dieser  Inschrift  nicht  erschöpft.  Denn 
die  beiden  Verae  sind  nur  der  Anfang  eines  Lobliedes  und 
lassen  an  das  Ganze  denken.  Zuvor  ist  zu  bemerken ,  daas 
diese  Tuiei  mit  der  zugehörigen,  auf  welcher  König  David 
voFgestellt  ist,  den  Deckel  eines  Antiphonarium  Gregors  bil- 
den: sie  stehen  zusammen  als  Hymnendichter  und  Sanges- 
meister nnd  dienen  als  solche  demselben  zur  Einfassung.  Die 
Inschrill  aber  ist  hergenonmien  von  der  Antiphone  auf  Gregor, 
weiche  ia  vielen  Kirchen  durch  Jahrhunderte  am  ersten  Ad- 
ventssonntage bei  der  Messe  vor  dem  Introitus  gesungen  wor- 
den Der  Spruch  wurde  jedoch  verschiedentlich  eigftnzt, 
in  Versen  wie  in  Prosa.  So  heisst  es  nach  jenen  beiden 
Versen  in  dem  Missale  von  Poitiers  (])ei  Martene  a.  a.  0.), 
in  dem  Antiphonar  der  Angelici  in  liom,  und  wenig  ver- 
ändert in  dem  Antiphonar  von  Compiegne,  als  Titel  des 
Buches^: 

renovaiit  momunenta  patram  prionun,  tone  composnit  hmic  libeUum 
mnaicAe  artis  Bcbolao  eantonnn  anni  eirculi. 

Und  in  einer  vaticiinischen  Handsclnitt  (Uegin.  17()i>)-'),  sowie 

gleichlautend  in  dem  Antiphonar  von  St  Galleu,  Nr.  3du, 

geschrieben  von  dem  Mönch  üartker^): 

>)  Den  Nachweis  für  eine  Anzahl  Kirchen  m  Frankreich  giebt 
Martene,  De  anttq.  ecdee.  ritib.  ed.  2,  T.  III,  p.  82.  Yeigl.  Gerbert, 
De  caotn  et  unuica  sacra,  T.  I,  p.  250. 

s)  J.  M.  Thomaeii  Opp.  ed.  Vozznsi.  T.  IV,  p.  172  not.  Die 
Benedictiner  zn  Gregor.  M.  Opp.,  T.  III,  P.  1,  p.  650. 

8)  Vezzosi  zn  Thonia.sii  <)]ip.  a.  a.  0, 

^)  Lambillotte,  Antipbonaire  de  S.  Gr^ire,  p.  37. 


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252 


PIPER, 


Tradidit  liic  cantuni  juipulLs  norinaiuque  canendi  ^ 
Quod  Düinino  laudcK  rcferant  TKH^tuque  diequc. 

Es  wird  also  beidemal  sein  Verdi m^l  um  deu  Kirchen- 
gesang  geprieaen.  Worauf  in  dem  Lobgedicht  noch  von  son- 
stigem Verdienst  die  Rede  ist  nnd  schliesslich  der  schon  er- 
wähnte Vers  den  Charakterzug  giebt:  quod  docuit  fieri,  fecit 
et  ipse  prior.  —  In  dem  Antiphonarium  von  S.  Gallen  aber 
(bei  Gerbert  a.  a.  0.)  folj^^t  auf  die  beiden  Verse  das  all- 
gemeine md  höchste  Lob,  in  Bezug  auf  den  summus  honor 
des  päpstlichen  Stuhles,  den  er  bestiegen: 

Quem  vitae  splcndore,  snao  lueutisque  sagaci 
Iiij[ronio  ]>otiQ8  coiiijisit,  quam  comptüB  ab  illo  est. 

Es  wai'  der  letzte  der  Kirchenväter,  von  dem  man  solches 
aussagte. 

Insobrlflen  hi  BibUolhekm  dof  ehriitlloliea 

An  die  schöpferische  Periode  der  Kirchenväter  schliesst 
sich  das  Zeitalter  literarisch  sammelnder  Tätigkeit  und  dem 

entsprechend  die  Anlegmig  von  Bibliotheken,  besonders  in 
Klöstern:  womit  der  ostgothische  Staatsmann  CassidiliuiLs 
am  Abend  seines  Lebens  ein  scliönes  Beispiel  gegeben  hat. 
Indes  haben  auch  zuvor  die  Kirchenväter  nicht  ohne  Bücher 
sich  beholfen.  Und  aus  beiden  Perioden  finden  sich  In* 
Schriften  von  Bibliotheksräumen:  worauf  wir  schliesslich  (so- 
weit das  chiisiliclie  AUeitum  sich  erstreckt)  noch  achten,  da 
sie  das  Andenken  von  Kirchenvätern  und  Kirchenschrift- 
stellem  äberliefem  und  einer  charakteristischen  Tätigkeit  zum 
Zeugnis  dienen. 

Die  Bfichersammlungen  der  Kirchenväter,  von  denen  wir 
Nachricht  haben,  warei^  teils  für  den  persönliclion  Bedarf  an- 
gelegt und  dadurcii  der  Zerstreuung  unterworfen,  oder  sie  er- 
füllten einen  bleibenden  öffentlichen  Zweck.  Der  Vater  der 
Kirchengeschichte,  von  dessen  umftnglicher  literarischer  Aus- 
rOstnng  bekannte  neuere  Schriften  handeln,  hätte  dieses  Amtes 
nicht  wart(Mi  können,  wenn  nicht  ffir  die  Erhaltung  und  Zu- 
güuglichkeit  des  Materials  seit  Jahrhunderten  ihm  vorgearbeitet 


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ZCn  0B8CHIGHTB  DER  KIRGBENVÄTBR. 


953 


irfire.  So  hatte  Alexander,  Bischof  von  Jerasalem  (um  212 
hls  251),  daselbst  eine  Bibliothek  zustandegebracht,  welche 

ileni  Eusebius,  wie  er  rühmt  Stoft'  zu  seinem  Ge.sclüclitsworko 
bot,  uauientlich  reich  an  Briefen  kirchlicher  Mannor  war 
(Euscb.  Hist.  eccl.  VI,  20).  Und  der  Presbyter  Pamphilus 
zu  Gftsarea,  Märtyrer  im  Jahre  309,  hatte  sowohl  die  sämmt- 
liehen  auf  seine  Zeit  gekommenen  Schriften  des  Origenes  als 
die  Werke  anderer  Kirchenschriftsteller  gesammelt,  welclie 
Eusebius  in  dessen  Leben,  dem  dritten  verloren  gegangenen 
Buch  verzeichnete.  (Euseb.  Hist.  eccl-  VI,  32.  Hieronym. 
Apologet  adv.  Bufin.  II,  23;  De  vir.  illustr.  c.  75.) 

Von  Inschriften  aber,  die  hier  aufeuffthren  sind,  gehört 
die  erste  nicht  dieser  Art  von  Bibliotheken,  welche  die  kircb* 
liehe  Literatur  umfassen,  sondern  der  Bibliotheca  sacra  nach 
der  iionennung  des  Hieronymus  an.  Sie  ist  von  Paulinus 
von  Nola  verfasst  und  durch  die  Mitteilung  an  seinen  Freund 
Snlpicius  Severus  erhalten. 

29*  Zu  JkiA  in  einer  der  beiden  Sakristeien  der  alten  Kirche  des  Felix. 
Panlin.  Epist  XXXII,  16,  p.  205  ed.  Mnrat  Remondini, 
Deila  Kolana  eccles.  Btoria,  T.  I,  p.  413.  dn  Caogc,  Constan» 
ünopoliB  ehrisi,  Lib.  III,  p.  60.  Bottari,  Borna  eotterr.,  T.  I, 
p.  68.  Bingham.  Orig.,  Vol.IIl,  p.  249;  VoLV,  p.  95.  Marini 
bei  Mai,  p.  128.  Metrisch  ttbersetzt  bei  Augasti,  lieiträge  snr 
Christi.  KmiBtigeech.,  Bd.  I,  S.  169. 

SI  QVEU  •)  SANCTA  TENET  HBDITANDI  »)  IN  LEGE  YOLVNTAS 
BIO  POTERIT  BBSIDENS  SACRIS  INTENDERB  LIBRi& 

•)  BeniOlldini:  QVAM. 

*»)  rw«»  Ausgaben  dfis  Fimlinus  von  RosweydUH  (1022),  Lftbrun  (1(185).  Murritori 
hab<*n  mtßitiimln ;  hingegen  du  Cange,  Kemondini,  Bingbani,  ohwobl  or  auf 
die  Autigabe  des  UonwvfduR  sieh  benifl,  Mftribi  lesen  meiU'UnuU.  Und  das  istobne 
Zweifel  dM  Bkhlige,  «t«  mw  S  folgt,  wo  dns  hittndgn  der  vekmia»  in  1 
enUpricbt:  ist  aber  nicht  oino  sneitt  ivlunttu  beim  Loaeo,  Mndern  zu  lexon  ge- 
nieint.  Ri  stfiti^t  wird  dioM  Leseart  daroh  dns  aogleieb  ra  «rw&lmeBde:  im  lege 
Duniini  iiKdit.vntiiini. 

Ebeüso  hatten  die  vier  Kapellen  (cubicula),  welche  iu 
der  von  ihm  neu  erbanten  Basilica  des  Felix  an  den  Laiig- 
fwiten  Bich  befiuiden,  ausser  der  aepulcnlen,  die  Bestimiining, 
zn  einem  stillen  Aufenthalt  zu  dienen: 

Orantinm  Tel  in  lege  Domini  meditantinm  (c.  12,  p.  203). 
Auch  diosp  Kapellen  waren  mit  Inschriften  versehen,  die 
Paulinus  alior  nicht  niit^^eteilt  hat. 

Jene  alte  Kirche  des  Felix  hatte  im  Anschluss  an  ihre 


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264 


PIPER, 


Apsis  zwei  kleine  Apsidos  (conchulac)  als  Sakristeien:  die  eiue 
für  die  Bereitung  des  Abendmahls  (a  13,  p,  204),  wie  auch 
die  Inschrift  besagt:  qua  veneranda  penns  conditnr  (c.  16, 
p.  205);  die  andere,  von  der  hier  die  Rede  ist,  um  in  ihrem 
weiten  lüiuni  die  Betenden  aufzunelimon.  Gcnanrr  i^ieht  die 
Inschrift  die  Bestimmung  an:  „Wenn  jemand  das  heilige  Vev- 
hingen  hat  meditandi  in  lege,  kann  er  hier  weilend  sacris 
intendere  libris."  Beide  Olieder  des  Satzes  geben  wichtige 
Anfschlfisse. 

Zuvörderst  erliellt,  dass  hier  vom  Lesen  die  Rode  ist 
und  nicht  vom  Hören  dem  so  wenig  das  eine  als  das  an- 
dere Prädikat  entspricht.  Denn  wer  die  biblische  Vorlesung 
hört,  hat  es  mit  dem  lebendigen  Wort,  nicht  mit  dem  Buch 
in  der  Hand  des  Vorlesers  zu  tan;  er  kann  auch  nicht  nach- 
sinnen über  das  Gesetz,  da  er  seine  Autmerksamkeit  auf  den 
VortruLC  richten  muss.  Und  will  er  über  das  Gehörte  nach- 
doiikeii,  so  ist  das  nicht  an  den  Ort  geknüpft.  Auch  war 
nicht  die  Sakristei  der  Ort,  wo  ans  der  Bibel  vorgelesen 
wurde,  sondern  in  der  Kirche  selbst  die  Kanzel  (Ambon); 
und  CS  bildeten  diese  lectiones  einen  Hauptbestandteil  des 
Gottesdienstes.  Darauf  bezieht  sich  die  Inschrift  des  Ambon 
in  der  alten  Peterskirche  zu  liom,  welche  an  den  Vorleser 
sich  richtet^): 

SCANDITE  CANTANTES  DOMIKO  DOMINTHQVE  LE6ENTES 
EX  ALTO  rOPVLIS  VEKBA  SVPBRNA  30NENT. 

Von  der  Hohe  sollen  die  erhabenen  Worte  der  (Gemeinde 

erschallen:  das  ist  etwas  auderes  als  das  meditari  in  lege. 


*)  Das  iatdie  Auslegung  von  du  (^ange,  dem  die  HerauKgel"  r  les 
Panliniw  Lchru  n  (  T.  I,  Not.  [>.  75)  und  Muratori  (p.  »17,  not.  CLXXJl) 
folgen,  dasB  (Ho  Inschrift  aal'  biblische  Vorlesungen  asiele,  die  oacli  dem 
OottoHdienst  in  der  Sakristei  stattgefunden  liättea:  was  nach  dem  Obigen 
abzulehnen  ist.  Zwar  beruft  Kich  du  Gange  auf  den  Gebrauch  in  der 
griechiachcn  Kirche;  wie  en  aber  auch  damit  sich  verhalte,  so  ist  er  für 
den  vorliegenden  Fall,  überhaupt  den  Gebrauch  im  Abondlande  nicht  he- 
wcisend.  Jedenfalls  ist  orarc  (was  du  (lange  auch  darauf  kicziekt) 
nebst  meditari  in  le^e,  und  das  Anhören  von  IJi  bei  Vorlesungen  zweierlei. 

«)  Cod.  Eimidl.  p.  360,  11,  ed.  Mabillon,  Vot.  Annal.  ed.  nov. ; 
p.  BO,  ed.  Urlich.^.  Murat.,  Tbes.,  p.  1022,  <>.  Und  aus  Martini 
Marini  bei  Mai  p.  Ib2,  1. 


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ZOK  QE8C3BIICHTE  DER  KIBCHENVÄTER.  366 

Die  lex  ist  hier  das  Wort  Gottes  überliaupt,  die  ganze  heilige 
Schrift,  wie  es  im  Sprachgebrauch  nicht  oiinder  als  im  Ideen- 
kieise  des  christlicheii  Altertfuns  liegt,  auch  das  Christentom 
ohne  weiteres  als  lex  m  bezeichnen.   F^nlinm  selbst  spricht 

sich  darüber  aus  iu  einer  Insclirift,  die  er  dem  Sulpicius  Se- 
verus auf  dessen  Verlangeu  für  das  von  ihm  erbaute  Ijaptiste- 
rium  in  Primuliacum  schickte,  welches  in  der  Mitte  zwischen 
zwei  Kirchen  stand 

AHPLA  OKDIT  POPTLO  QSMINI8  FASTIGU  TBCTIS 
LEGIBTS  VT  SAGRIS  C0NGB7ERET  NTMERTS.  .  . 
'  LEX  ANTIQVA  NOVAM  FIKMAT  VETEREM  NOVA  COMPLET 
IN  VBTEBI  SPES  EST  U)  NOTITATB  FIDES. 

Da  wird  die  antiqua  und  die  nova  lex  unterschieden;  wo- 
gegen die  Inschrift  der  Bibliothek  des  Agapctus  (Nr.  31) 
unter  der  divina  lex  die  beiderseitige  Offenbarung  zusammen- 
iasst.  Gleichwie  in  der  Inschrift  der  Bibliothek  des  Mdoms 
von  Sevilla  eine  Bibelhaadschrift  dnrdi  volnmina  geminae 
legis  nnd  in  einer  bischrift  von  Alcuin  der  Bibeltext  durch 
sacrae  famina  legis  bezeichnet  wird  (s.  unten  S.  262  u. 
263).  —  Das  mediliiri  in  lege  aber  ist  aus  dem  ersten  Psalm 
und  andern  Psalmen  genoniiiieu:  es  erscheint  das  „Sinnen 
Qber  dem  Gesetzes  nämlich  das  andachtsvolle  Bibellesen 
derer,  die  darnach  Verlangen  trugen,  giadezn  als  eine  Er- 
gänzung des  öffentlichen  Gottesdienstes.  Und  es  ist  be- 
merkenswert, dass  eigne  Räume  dafür  in  beiden  Kirchen 
angeordnet  waren:  die  eine  conchula  an  der  Apsis  in  der 
alten,  die  cobicufai  an  den  Langseiten  in  der  neuen  Kirche 
des  Edix.  Zum  andern  Ifisst  die  Insdurift  erkennen,  dass  in 
diesen  Räumen  Exemplare  der  heiligen  Schrift  znr 
Hand  waren ;  denn  die  libri  sacri  sind  die  Voraussetzung  für 
beides,  das  intendere  und  das  meditari.  Es  begreift  sich, 
dass  die  wenigsten  von  denen,  die  scur  Kirche  kamen,  im 
Besitz  von  Bibelhandschiiften  waren;  aber  solche  waren  da- 
selbst den  Gläubigen  zugänglich,  —  eine  fBr  die  Pflege  des 
christliclicn  Löbens  wichtige,  auch  principiell  in  Bezug  auf 
das  iieckt  des  Üibelgebrauchs  bedeutsame  Veranstaltung.  Die 


1)  Paul  in.  a.  a.  0.  c  5,  p.  IUI.  Marini  bei  Mai  p.  172f. 
ZMMckr.  LIL-Q,  17 


256 


PIPER, 


Inschrift  aber,  die  von  beiden  Tatsaclieü  Zeugnis  giebt,  moBB 
für  eiu  Deakuuil  ersten  Bang^BB  ms  der  alten  Kirche  angeeeiieii 
werden. 

Bibliographisdi  fteilich  war  es  ein  eingeschrftnkteBTBrraui: 

oine  Sakristei  mit  heiligen  Huchem.  Hundert  Jahre  spater 
iretVcii  wir  auf  ein  Epigramm,  das  eine  wirkliche  Bibliothek 
bezeichnen  soll,  von  Ennodius,  Bischof  von  Pavia  (511 
bis  521) 

30.  Id  Pavia.  Bniiodfi  Lib.  n.  Gam.  GXXni.  Opp.  ed.  Sinnond, 
p.  636,  und  in  Sirmondi  Opp.,  T.  I,  p.  1897.  Oalland.  BibL 
Patr.,  T.  XI,  p.  212. 

In  cubiculo  super  codicca  in  ordine  j)omtos. 

l.STK  (JALLIS  EST  SVPGKNAM  (^VI  l'AUAT  l'OTENTIAM 
LTX  PVDORIS  ESCA  IfENTIS  FAX  HKDETA  CLARITAS 
MVNDl  FABCE  QVl  FVCANTVB  äVNC  T£NfiB£  NESCIVNT. 

Es  tritt  der  Gedanke  der  AnfUfirong  voran,  die  dort  m 

haben  it^t:  lux  pudoris,  tax,  claritas;  zugleich  ist  von  der 
Nahrung  des  Geistes  die  l{cde.  Docli  auch  von  einer  medela; 
und  es  wird  die  sittliche  YoraussetzuDg  für  den  /Zugang  zu 
dieser  Literatur  angedeutet:  „die  von  der  Hefe  der  Welt  ge- 
förbt  werden,  können  diesen  Weg  nicht  einhalten**,  der,  wie 
es  zu  Anfang  heisst,  „mit  höhern  Kräften  ausrüstet".  — 
Uebrigens  ist  die  Fassung  des  Gedichts  zienilicli  unklar:  ohne 
die  Ueberschrift  würde  man  die  Beziehung  nicht  erkennen. 
Zwei  Verse,  die  noch  folgen,  erscheinen  fremdartig,  obwohl 
sie  dem  Versmass  nach  dazu  gehören. 

Dagegen  hat  die  folgende  päpstlidie  Inschnlt  historisdien 
Gehalt  und  Wert. 

ftl.  In  Koni.  Cod.  FAnsidl.  p.  3(12,  51,  ed.  3Iabillon;  p.  05,  ed.  Urlicbs. 
Mural.  Tbes.  p.  1H22,  6.  Blasius  bei  Oderici  Diw.  p.  301. 
Mari  Iii  bei  Mai  p.  181,  2. 

In  hibUirtiheca  S.  Gregorii,  ffuae  est  in  monasterio  diti  Scami 

SANCH'OKVM  M5NKKANHA  cnHORS  SEDET  •')  OIRMNE  longo«) 

mVINAE  LECilS  .MVSTIOA  DICTA  DOCENS 
HOS  IMEK  REÜUiE.NS  AlJAl'ETVS  IVKE  SACEHDOS 

«ODICIBVS  FVLCHRVM  OOWDIDIT  AKTE  MMÜVM 
GRATIA  l'AH  CVN'CTIS  SAXCrVS  <»M\ir.VS  VN'VS 

DISSONA  VEUBA  QVID£M  SED  TAMKN  VMA  FIDES. 
•)  Cod.  nBlnvlAl. :  Tmtri. 

h)  Urll«1iB:  $td  d;  doch  hat  tdioa  lt«billo»  du  richtige  atdet. 
e)  Der  foblende  TenfliBs  von  Mariol  frg&iitt. 

1)  £ia  anderes  Epigratuiu  deci  Enuodiub  bezieht  »ich  aul  »olcbu 


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ZUR  GESCHICHTE  DER  KIRCHENVÄTER.  257 

« 

Die  Inschrift  verewigt  sranächst  das  Gedächtnis  des  Papstes 
Agapetus  (535  —  536)*),  dass  er  „den  Büchern  den  schö- 
nen Ort  gegründet  habe  :  das  heisst  nicht  bloss  einen  leeren 
Baum,  sondern  er  hat  auch  fnr  die  Bibliothek  gesorgt  Es 
wifd  ferner  die  kunstroiche  HeiBteUnng  bemerkt;  der  Baum 
war  mit  Büdera  geschmüdkt:  ,,in  langer  Reihe  sitzt  die  ehr- 
würdige Schar  der  liciligeu  Schriftsteller  und  zwisclieu  ihnen 
Bischof  A<^petus"  als  der  Stifter,  —  wie  in  den  Mosaiken 
der  Kirchen  der  Stifter  zwischen  Heiligen  erscheint.  Denn 
das  sedet  und  reeidena  kann  nicht  anders  als  beiderseits  von 
ihrer  Figur  Yerataodeii  werden:  von  Bfiohem  Itat  sieh  nicht 
sagen,  dass  sie  sitzen.  Unter  der  Schar  der  Heiligen  aber, 
welche  divinae  legis  mystica  dicta  docet,  sind  ohne  Zweifel 
die  doctores,  die  Kirchenlehrer,  zumal  die  Schrii'taualeger  ver- 
standen, —  als  die  Vei&SMr  der  Godioesi  die  hier  gesammelt 
waren;  also  aieht  bloss  die  Verfasser  biblischer  BQcher,  ans 
denen  aJldn  die  Bibliothek  doch  nicht  bestandei  haboi  kamL 


AufKchrittcu,  wio  der  Titel  anzeigt,  u.  III,  p.  GOO:  Do  epi^ranmiatifi  per 
ariuaxia  doinni  Fauäti  factis. 

1)  Eine  andere  Auslegung  giebt  Blasius  a.  a.  0.,  indem  er  das 
Verhältnis  des  Aga})etus  und  Gregorins  unikehrt:  „Gregorius  habe  die 
Bibliothek  gegri'indet,  luid  nacliinals  uum  refecit  Agapetus  ue^ciu  tjuis 
ei»iscoi)iis.*'  Allein  die  beiden  Zeugnisse  der  Inschrift  imd  der  Ueber- 
Bchrift  «tehen  sitb  nicht  gleich:  das  eine  ist  das  urkundliche,  das  an- 
dere ist  Zutat  des  J^l(>nclis  von  Einsiedcln  uder  seines  ( Jcwivlii.  'uami'S. 
Letzterer  sagt  nicht  einmal,  dass  Gregor  die  IJibliotlii  k  gegründet  habe, 
er  ntimt  sie  nur  nach  iiiiii ;  aWr  die  hischrilt  sagt  ausdrücklich:  Aga- 
petus cotidiilit  codicibus  locum ,  —  das  ist  etwas  anderes  als  refecit. 
Wie  sollte  auch  ein  fremder  Bischof  dazu  kuiuiiicn,  mit  der  Bibliothek 
Gregors  sich  zu  befassen,  und  dann  mit  solcher  Inschrift  gefeiert  zu 
HFcrden,  wo  doch  Name  und  Prädikat  vor  allem  an  den  Papst  AgapetuK 
[1.]  deokeu  lässt.  Diesem  ist  die  Stiftung  auch  zuzutrauen  (wie  oben 
Dldlgewiefleii  wird).  Und  das  Prädikat  jure  sacerdos  ergiebt  sich  aus 
der  'Oralwchrift  seines  munittelbaren  Yorgäugcrs  Johannes  II.,  worin 
deiwibfl  TeroB  flocerdot  heisst,  nacbdem  er  zuvor  primoB  jwre  levita 
(AxoiiSduwaBus)  gewesen,  Grai  p.  1166,  5;  biurti  et  Seltde,  App. 
p.  121.  Gans  anden  ist  es  mit  der  noch  stehenden  Insehiift  hi  S.  Sa- 
bina, welche  aneh  ehie  6rflndn&g  anzeigt  nnd  swar  durdi  den  FreBfajter 
Ftetrne,  der  aber  kein  Fremder  mehr  war:  er  wird  nicht  aUein  naher  he- 
leiehnet  de  geute  lllyrica,  sondern  ee  steht  andi  der  Name  des  Papstes 
Coelestinna  voran. 

17» 


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258 


HPER, 


Sie  werden  schliesslich  charakterisirt,  indem  das  Göttiiehe 

und  das  Menschliche  in  ihnen  sowohl  unterschieden  als  zu- 
sanimengefasst  wird:  gleiche  Gnade,  einerlei  heilige  Arbeit 
sei  ihnen  eigen  gewesen;  zwar  yerachiedene  Worte,  aber  ein 
Glaube.  Es  wird  damit  in  der  Mannigfoltigkeit  des  Ausdrucks 
die  Einheit  der  kirchlichen  üeberlieferung  bekundet. 

I);is  ist  aus  dem  doj^m atischeu  BewuSvStsein  des  rö- 
miachen  Kirch entuins  gesprochen.  Das  historische  Zeugnis 
dieser  Inschrift  aber  bleibt  eine  wertvolle  Ergänzung  zu 
der  Kunde,  die  vou  den  gleichartigen  erfolgreichen  Be- 
strebungen des  Oassiodorus  auf  uns  gekommen  ist  Dieser 
hatte  in  Geiueinschaft  mit  dem  Papst  Agapetus  eine  theo- 
logisciie  Schule  in  Rom  errichten  wollen:  es  schlug  aber  fehl, 
,,weil  ein  Werk  des  ii'riedeus  in  unruhiger  Zeit  nicht  Baum 
findet**  Gassiodor  zog  sich  Im  Jahre  638  von  den  Ge- 
schäften zurflck  und  grOndete  in  Squillace  ein  Kloster  mit 
einer  Bibliothek,  in  der  er  einen  grossen  Schals  theologischer 
und  allgemein  wissenschaftlicher  Bücher  mit  Eifer  und  Um- 
sicht zusanimeubrcichte.  Die  Inschrift  aber  beweiset,  dass 
dieser  Papst  dasselbe  Interesse  gehegt  und  zu  Rom  wenigstens 
dem  stillen  Studium  eine  heimische  Stätte  bereitet  hat,  dem 
Gassiodor  darin  noch  vorangehend.  Und  dafBr  ist  die  Inschrift 
die  einzige  Urkunde;  das  römische  Pontificalbuch  in  seinem 
Bericht  über  Apagetus,  der  allein  über  dessen  Sendung  uach 
Constantinopel  sich  ver))reitet,  schweigt  davon. 

Die  Ueberachrift  des  Mönchs  von  Einsiedeln  bezeiclmet 
als  den  Ort  der  Inschrift  die  Bibliothek  des  h.  Gregor, 
welche  im  Kloster  ad  cByum  Scann  (nicht  Tauri)  sich  be- 
finde. Es  ist  das  Kloster  des  Andreas  auf  dem  cölischeu 
Hügel,  welches  Gregor  der  Grosse  vor  seiner  Krhebung  auf 
den  päpstlichen  Stuhl  erbaute,  wo  er  selbst  als  Mönch  ge- 
wohnt hat  und  Abt  gewesen  ist  Wenn  die  Inschrift,  als 
der  Mönch  von  Einsiedeln  sie  las,  noch  an  ihrer  ursprüng- 
lichen Stelle  stand,  so  nuiss  Gregor  den  Bau  mit  der  Biblio- 
thek des  Agapetus  in  das  von  ihm  erbaute  Kloster  aufgenom- 
men haben:  was  um  so  wahrscheinlicher  ist,  da  der  Ort  der 


i)  Casfliodor.,  De  inrtit.  di?.  Iii.  PMdkt 


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ZUR  OESCmCOTE  D£B  KIRGH£NVÄT£B. 


259 


Inschrift  auch  als  Bibliothek  bezoichnet  wird.  Ks  wäre  al)er 
auch  möglich,  dass  die  Inschrift  versetzt  worden.  —  Die 
weitere  Nachricht  in  der  üebeischrift,  dass  Gregor  da- 
selbst seine  Dialoge  geschrieben  (nbi  ipse  dyalogonun  scripeit), 
mag  einer  üeberliefemng  in  diesem  Kloster  entstammen,  die 
aber  schwerlich  gegnmdet  ist.  Denn  er  hat  diese  Bücher, 
worin  er  der  P^rbauung  des  Klosters  gedenkt  und  dass  er  dort 
Abt  gewesen,  als  Papst  im  Jahre  393  oder  394  Tor&sst,  also 
nicht  als  Bewohner  einer  MOnchsoelle,  —  wenn  er  auch  bei 
seiner  literarischen  Tätigkeit,  noch  auf  dem  päpstlichen  Stuhl, 
der  Bibliothek  seines  Klosters  öfter  zugcsprofhcii  luiben  mag. 

Wir  komnion  schliesslich  auf  die  Iiiöchntl  zuriu-k ,  ilie 
als  Epitaphium  des  Origenes  bis  auf  die  neueste  Zeit 
galten  hat  (s.  o.  S.  209),  aber  vielmehr  diesem  Zusammen- 
hang, den  Bibliotheks- Inschriften  zuzuweisen  ist 

32.    a)  AiLs  einer  Handschrilt  von  Origenes  ne^t  oQ^tHy  zu  Corbie, 
herausg.  von  Mabillon  u.  A.,  h.  Nr.  1,  a, 

b)  In  Sevilla.  Salazar,  Mart}Tülog.  Hispan.,  T.  II,  1(152.  d.  IV. 
Apr.  \>.  189.  Huctius,  Origeniana  IIb.  II,  1G85,  p,  22H;  Opp, 
Origcu.  ed.  de  la  Rue,  T.  IV,  2,  p.  284  (aus  Guido).  Murat,  Anecd. 
ex  Ambros.  bibl.,  T.  II,  1698,  p.  208  (ans  einer  ambroeian.  Hand> 
Schrift,  als  nnedirt).  Fabric,  WA.  med.  et  inf.  latiiL,  ed.  Uausi, 
T.  p.  316.  Florez,  K.s|)ana  sagr ,  T.  IX,  p.  47.  67.  ArevaL, 
Opp.  bidori,  T.  YU,  App.  p.  180  (desBen  Text  hier  folgt);  vgl. 
T.  U,  p.  Iff. 

Versus  qui  in  bihliotlieca  S.  Jsidori  cpiscopi  Jlisjtalouiis  legcbanlur. 
ILLE  (»KJÜENK.S  EiiÜ  DOCTOK  VKKISSIMVS  OLIM  1) 

PBAEREFTVS  8VB1T0  LINGVA  NOCENTE  FVI 
CONDERB  SI  CKEDIS  STVOYI  TOT  HtUA  LIBROS 

QYOT  LEOIO  MISSOS  DVCIT  IN  ARMA  TIROS 
NVLLA  MROS  VNQVAM  TET161T  BLASPHE3UA  SRNSTS 

SED  VIOIL  CT  PRVDEXS  TVTVS  AH  HOSTE  FVI 
SOLA  MIHI  OASVM  PKKIARCHON  DICTA  DEDEKVNT 

HIS  UE  CONiECTVM  IMPU  TELA  PKEMVNT. 


Die  HancteolirifteB  wie  cUe  Aufgaben  bieten  sahheiche  Varianten. 
Naeh     1  sclialtet  Salasar  die  Yerae  ein: 

QVEM  IMIIMV.M  FIDEl  GRAECIA  •)  CLARA  DEDIT 
rFI,SVS  EHAM  MEKITIÖ  ET  CLARVS  CüPU  FANDL 

»)  Mal.  il  Ion:  liKATLV, 

Den  ersten  derHolben  iiat  auch  MabiUon,  der  aber  die  folgenden  beiden 
Versr  b*  i  Salazar,  deren  letzter  der  zweit4i  bei  Arevalus  ist,  weglässt. 
V.  3.  Mabiüuu:  si  mihi  credere  viti  libros  tot  miüia  scriptd.    v.  4.  ISaiu- 


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260 


FIPEE, 


Da  ist  nicht  von  Leben  und  Sterben,  sondern  von  Lebre  und 
Schriften  des  Origenes  die  Hede,  der  einst  ein  Lehrer  der 
lautersten  Wahrheit  gewesen  und  die  Zahl  seiner  Schriften 
auf  Legion  (6000)  gebracht  habe,  —  wie  die  Sage  ging*): 
worflber  Hieronymiis  öfter  dcb  aofhfilt')  und  was  er  (an  der 
2nv(yrS.S63  angef.  Stelle)  auf  noch  nicht  ein  Dritteil  erm&ssigt. 
Keine  Blasphemie  habe  jemals  seinen  Geist  berührt:  das  if?t 
Abwehr  eines  Vorwurfs,  der  von  seinen  Gegnern  crlioben 
wurde,  einem  Theophilus,  Bischof  von  Alexandrien,  nach  dessen 
Anssprach  in  einem  Osterbriefe  vom  Jahre  402  Origenes  alle 
Häretilrer  magnitndine  blasphemiae  übertroffen  babe^);  und 
Andern  (Methodius,  Eustathius,  Apollinaris)  mit  ihm,  welche 
von  Socrates  (Hist.  eccl.  VI,  13)  i,^erügt  werden,  dass  sie 
schmähsüchtig  viele  verführten,  den  Origenes  velut  blasphenium 
ZU  meiden,  —  wovon  im  Abendlande  die  Knude  umlief  durch 
die  Uebersetssung  jenes  Osterbriefes  von  Hieronymus  und  die 
Historia  tripartita  des  Gassiodor  *).  Vielmehr,  fährt  die  In- 
schrift fort,  wachsam  und  klug  sei  er  sicher  vor  dem  Feinde 
gewesen,  —  das  ist  derselbe  Feind,  vor  dem  Gregor  der  Grosse 
laut  seiner  Grabschrift  die  Selen  verwahrt  hat  (oben  Nr.  25, 
V.  8).  Lediglich  die  Beden  von  den  Qrundlehren  (in  den 
Bfichem  ^x*^)  bfttten  ihn  zu  Falle  gebracht.  —  Diese 
Erkliirung  ist  bezeichnend  für  die  Anerkennung^  und  Unter- 
scheidung der  Schriften  des  Origenes.  In  der  Tat  knü])!!  sicli 
die  Verdammung  an  das  genannte  Werk,  aus  welcliem  Kaiser 
Justinian  alle  Stellen  zog,  die  er  seiner  Verurteilung  zum 
Grunde  legte:  wfibrend  die  Gommentare  zur  heiligen  Schrift 
hoch  angesehen  und  benutzt  blieben.  Daher  Oassiodor  über 
Origenes  das  zweiseitige  Urteil  fallen  konnte,  nach  dem  Vor- 


zar: nostros  ducit;  MabiUon:  missos  mittit.  v.  6.  Mabi1lon:  -8ed  probus 
atqne  vigiL  v.  8.  Salazar:  cougestum.  Ebendas.  Salazar:  tela  proterva; 
liabillon:  undiqoe  teU. 

1)  Epiphan.,  Adv.  haeies.  LUV,  63. 

*)  Hieronym.,  Apolog.  adv.  Bnfin.  II,  la  32.  98. 

8)  TheophiL,  Epist.  paachaL  intopr.  Hi«nm.  c.  16.  Oalland. 
BiU.  patr.,  T.  VII.  p.  689. 

i)  Hieronym.,  Epiat  XOVIII,  c.  16.  Opp.  ed.  Vallan.,  T.  I, 
p.  598.  Cassiodor.,  Hiat  tripark  X,  11.  Opp.  T.  l,  p.  SM. 


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ZDB  GESCHICHTE  DBR  KlRCHEmrÄTER.  261 

gang  des  Su^i<»iiB  SeTerus  (Dial.  I,  9),  aber  in  aohüiferer 
Eassiing:  nbi  bene,  nemo  meHor;  nbi  male,  nemo  pejor 

Indes  wird  der  Sinn  durch  den  Zusammenhang  und  die 
Oertlichkeit  näher  bestimmt.  Denn  dies  Epigninim  steht 
nicht  allein,  sondern  ist  eines  von  vielen,  welche  eine  Reihe 
von  Eirchenscbriftstellem  kurz  chaiaktenairen,  indem  aie  teils 
angeredet  werden,  teils  in  eigner  Person  sprecben  oder  ?on 
ihnen  in  dritter  Person  geredet  wird:  die  Ordnung  ist  in  ver- 
schiedenen Handschriften  verschieden.  Bei  Arevalus  stellt  Ori- 
genes  an  zweiter  Stelle:  die  übrigen  sind  Hilarius,  Ambrosius, 
Hieronymus,  Chrysostomus,  Cyprianus;  und  die  Dichter  Pru- 
dentins,  Avitns,  Jnvencus,  Sedulius;  femer  Eosebius,  Orosins, 
znletzt  Gregor  der  Grosse  nnd  Leander,  woranf  die  Juristen 
und  Medicinor  lolgeu.  —  Die  üeherschrift  des  Ganzen  ist 
nach  einer  Handschrift  in  Madrid  und  ähnlich  in  einer  vati- 
caniscben:  titulus  bibliothecae  a  domuo  Isidore  editus  (])ei 
Arevai,  Isidor.  T.  U,  p.  24);  in  der  ambrosianisehen 
(s.  znvor):  versus  qni  olim  in  bibliotheca  Sancti  Mdori  etc. 
legebantur:  —  jener  Lesung  folgt  Salazar,  dieser  Arevalus. 
Was  für  eine  Bibliothek?  Letzterer  vermutet:  die  Epi- 
gramme, seien  sie  von  Isidor  oder  einem  andern  verfasst, 
möchten  den  B&chern,  deren  Verfasser  sie  preisen,  beigefägt 
gewesen  und  sp&ter  von  Biaulio  oder  einem  andern  gesammelt 
sein.  Aber  die  Handschriften  sprechen  nicht  von  Büchern, 
sondern  von  der  Bibliothek  des  Isidorus.  6s  scheint  doch, 
dass  die  Epigramme  als  Inschriften  dieses  Raumes,  oder  viel- 
mehr der  Schränke  auf  die  dort  aufgestellten  Werke  sich 
beziehen,  —  wie  aus  ihnen  selbst  zu  entnehmen  ist  Denn 
eine  Einleitung,  welche  flberhaupt  ermahnt  zu  lesen  und  nidit 
faul  zu  sein  (sie  steht  voran  in  der  Handschrift  zu  Madrid 
nnd  bei  Salazar,  bei  Arevalus  unter  u.  XI Y),  hat  diesen 
Anfang: 

PeimiütOB      1.:  Non  tocos)  UbiOB  gestant  haec  seriiUa  wmtn: 
Qtd  enpis,  eeoe  lege,  si  tim  vota  libent; 

woraus  auch  hervorgelit,  wenn  man  die  folgende  Anrede  frater 

hiuzuoiuimt  ,^  dass  diese  Büchenammlung  nicht  bloss  zum 


1)  Cassiodor.,  huät  dif.  litt.  o.  1>  T.  II,  p.  640. 


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262 


FIFER, 


?rivat*;ebrauch  des  Isidoras  diente.    Das  Epigramm  auf  die 

Werke  dee  Eusebius  und  Orosius  lautet  (n.  XI): 

GBstoiias  lenun  et  tmuacti  tempora  aeeli 
Oondita  meuihrams  hMC  simiil  area  gerit. 

Und  von  Hieronymus  lieisst  es  (n.  VI): 

Hieronymc  interi>res,  viiriis  doctissinio  lingiiis. 
Te  Bethlehem  celohrat.  totns  te  jK^reonat  orbis. 
Te  qooqae  nostm  i\m  promit  bibliotheca  Ii  bris. 

In  allen  diesen  wird  durch  membrana  und  libri,  arca  (der 
Kasten  für  die  Handschriften)  und  scrinia  Inhalt  und  Ein- 
richtung der  Bibliothek,  deren  Name  überdies  in  der  letzten 

vorkommt,  deutlich  bezeichnet.  Wahrscheinlich  ist  Isidonis 
der  Verfasser,  wie  denn  die  Epigramme  mit  seinen  Zeit- 
genoflsen,  Gregor  dem  Papst  und  Leand^  seinem  Bruder  ab- 
schliessen.  —  Beides,  diese  Abfiissung  und  die  inschriftliche 
Verwendung'  der  Epigramme,  spricht  der  alte  Katalog  der 
Bibliothek  des  Klosters  Lorsch  aus,  in  welchem  dieselben 
unter  andern  Schrü'ten  des  Isidorus  aufgeführt  w(;rden:  versus 
qui  Bchpti  sunt  in  armaria  sua  ab  ipso  (Isidore)  compositi  *). 

Das  erste  Epignunm  in  der  Ausgabe  des  Arevalus  (wel- 
ches von  der  voranstehenden  Einleitung  nicht  unterschieden 
ist,  auch  den  Titel  des  Hiichs  am  Uande  nicht  bei  sich 
hat  —  bei  Öalazar  fehlt  es  ganz)  verdient  noch  augemerkt 
zu  werden: 

Hic  gem&iM  radiant  venennda  Tdamuia  legis, 
Condita  rant  paiiter  hic  nora  cam  veteri. 

Das  sind  die  Bücher  Alten  und  Neuen  Testaments,  —  die 
gcniina  lex  nach  dem  Sprachgebrauch,  der  vorhin  angezeigt 
worden  (zu  n.  29;  s.  auch  X)h.).  Womit  verglichen  werden 
mag  (auch  fär  den  bibliothekarischen  Ausdruck  candüa,  be- 
wahrt, nämlich  aufgestellt)  das  juristische  Epigramm  n.  XIY: 

Conditur  hic  juri»  series  amplissima  Icgnm, 
Veridico  Latium  quae  regit  ore  forum. 

1)  Das  Verzoiohuis  der  Schritten  des  Isidorus  aus  «licx  in  K.italo«^ 
nach  der  H«  idelb-iger  Handschrift  bei  Arevalus,  Isi«lor ,  T.  I,  ]>.  3IK>; 
v^^l.  T.  II,  p.  7.  Der  ganze  Katalog  bei  Mai,  ^picilcg.  liomao., 
T.  V,  p.  187. 

^)  Doch  wird  es  richtig  erklärt  von  Arevalus  T.  II,  p.  6,  6. 


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ZOR  OEBCBIGBTE  DEB  KIBCHBNylTBB.  368 


Das  vorletzte  dieser  Epigramme,  auf  Gregor  den  Grossen,  ist 
8dion  vorhin  n.  26  voigekommen. 

So  tritt  diese  Folge  von  Inschriften  der  Bihliothek  des 
Mdoms  ZQ  Sevilla  in  eine  Reihe  mit  denen  der  Bibliotheken 

des  Ennodius  zu  Pav  ia,  des  Agapetus  zu  Rom,  von  denen  zu- 
vor die  Rede  war.  —  Auf  der  andern  Seite  steht  die  In- 
schrift des  Alcuinus  in  einem  Kloster,  dem  er  vorstand. 
88«  a)  Alcnin.,  Cann.  CVII,  Opp.  ed.  Proben.,  T.  H,  p.  216. 

übt  Ubri  eusiodnmUir. 
PARWLA  TECTA  TENENT  C0BLEST18  DONA  SOPHIAS 

QVAE  TV  LECTOR  OVANS  PECTORE  DISCE  PIO 
OMNIBVS  EST  OAZIS  MEUOR  SAPIENTIA  DONIS 

QVAH  UODO  QVI  SEQMTVR  LVCIS  HABEBIT  ITER. 

Wo  die  Gaben  der  himmlischen  Weisheit,  welche  das  kleine 

Gemach  umschliesst,  dem  Leser  zu  frommer  Aneignung  em- 
pfohlen werden:  einer  Weisheit,  deren  Nachfolj^'e  auf  den 
Weg  des  Lichtes  führt.  Ein  anderes  Epigramm  desselben 
Verfassers  eröffnet  den  Blick  in  -das  Arbeitszimmer  der  Ab- 
schreiber, das  Scriptoriom,  imd  ihre  Tätigkeit,  welches  be- 
ginnt: 

b)  Alcuiu.,  Caim.  LXVll  1.  c.  p.  ^211. 

Äff  Mumrum  Jibros  scrihentium. 
eiO  SEDEANT  SACKAK  SCHIHKNTES  FAMIXA  I.F.t.IS 
NEC  NON  ÖANOTÜKVM  DICTA  SACRATA  l-AiRVAI 

etc. 

die  also  mit  der  heiligen  Schrift  (sacra  lex)  nnd  den  Schrif- 
ten der  Kirchenvater  beschftftigt  waren  nnd  weiterhin  emstliche 

Ermahnungen  empfangen. 

Schliesslich  gedenke  ich  des  Plaues  zu  einer  grossen 
Klosteranluge  vom  Jalire  .s2ü  in  der  Bibliothek  von  St.  Gallen, 
worin  für  beide  Zwecke  durch  ein  zweistöckiges  Gebäude  ge- 
sorgt war,  dessen  Bestinmiang  die  Worte  anzeigen:  infra 
sedes  Bcribentinm  —  su^ra  bibliotheca.  (Keller,  Bauriss 
des  Klosters  S.  Gallen  S.  20  und  in  dem  Riss.) 

Das  sind  die  gesegneten  Stätten,  in  welchen  die  Texte 
der  christlichen  wie  der  klassischen  Literatur  aus  dem  Alter- 
tum bewahrt  und  fortgepflanzt  wurden. 


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lieber  den  sogeoattuteB  zweiten  Brief  des  Ueoieiis 

au  die  Koriuther. 

Von 

Prof.  Dr.  Adolf  Huruack 

in  Leipzig. 

In  dem  denkwürdigen  67.  Kapitel  der  Apologie  des 
Justin,  in  welchem  der  aonntSgliche  Gottesdienst  der  Christen 
geschildert  wird,  heisst  es     xai  tfi  rov  fiXiov  A^^o/i% 

Ttuyiujy  xaiu  noXeig  tj  uyi^iolg  /ntyoyTWy  kni  lo  uvio  rsvyt).tvniQ  ytyt- 
tutf  xui  TU  ano/4yr^fioytv^tuTa  iioy  nnaaroXiuy  t«  av^ygufiftuia 
Tüjy  npoqffßüii^  ayttytrwaxnaif  n^/Qtg  fYZWQfi.  tha  navaufuyov 
jov  araymlintoyjog  o  n^o tat  wg  diä  Xoyov  rt;y  rov^eaiar 
xa}  npoxXfiatff  t^s  rßy  xaXtSr  Tovrwy  fiifitiaiutg  not- 
uTat.  Wir  erfahren  hieraus,  dass  die  Predigt  bereits  um 
di»;  Mitte  des  zweiton  Jahrliunderts  in  Korn  einen  bestimmten 
Platz  in  der  festöteheudeu  Ordnung  des  Gottesdienstes  er- 
halten hat,  dass  sie  fast  ausschliesslich  schon  als  eine  amt- 
liche Function  des  Oemeindevorstehers  gegolten  haben  mnss 
und  an  das  geschriebene  und  yerlesene  Apostel-  und  Pro- 
phetenwort gebunden  war  Somit  war  sie  bereits  Cu  1  tus- 
Predigt  von  esoterischem,  exegetist  liem,  paräneti- 
scbem  Charakter,  ihrem  Zwecke  nach  scharf  geschieden  von 
der  Mission 8- Predigt,  ihrer  Form  nach  nicht  mehr  zu  ver- 
gleichen mit  den  freien  Wechselgesprachen  und  Lehneden, 

1)  Justini  Opp.  e(li<l.  Otto,  edit.  III  {187G),  p.  184 sq. 
^)  V^H.   i  h.  Hariiack.  Der  christliche  Gcineindegutt^esdieiiät  im 
apostolificheu  uud  aitkatholiscben  Zeitalter  (1864)  S.  244  £ 


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DBB  SOG.  n.  BIOBF  DES  CLEMKIIB  AN  Dn&KORIMTHBB.  266 


welche  in  den  gottesdienstlichen  Versamralungen  der  paalim*» 
sehen  Gemeinden  der  An&ogBzeit  von  Allen  gehalten  werden 
konnten,  die  das  Xß9^f*»  jfjc  Mazni  besassen  %  Schon  in 
dem  zweiten  Jahrhnndert  wird  flbrigens  xwischen  der  Predigt- 
weise der  abendländisclieii  und  morgenländischen  Kirche  der 
Unterschied  gegolten  haben,  dass  hier  das  exegetiscli - theo- 
rot  iscbe,  dort  das  paränetisch  -  praktische  Moment  überwog. 
Wenigstens  ftthren  alle  Zeugnisse,  die  wir  fiber  die  Öffent- 
liche Predigt  im  Abendlande  durch  Tertnllian,  Cyprian 
u.  A.  besitzen  2),  darauf,  dass  die  abendlaiulisclie  Kirche  den 
Haui)tiia('li(lrnck  in  der  Predigt  auf  exbortatio,  castigatio,  cen- 
sura  divina  gelegt  hat  ^).  Damit  in  Zusammenhang  tragen 
die  Predigten  im  Abendlande  einen  schlichteren,  knnstloseren 
Charakter  als  die  oratoriscben,  alexandrinisch- gelehrten  Ho- 
milien  des  Morgenlandes*).  Gegen  Ende  des  zweiten  Jahr- 
hunderts schon  niuss  im  Orient  und  Occident  die  urspning- 
lich  esoterische  und  paranetische  Cultusprcdigt  durcli  Ein- 
dringen eines  neaen  Elementes  wesentlich  modificirt  worden 
sein:  nach  iänrichtang  des  Eatechumenats  wurde  sie  nicht 
mehr  allein  vor  ToUbürtigen  Gläubigen,  sondern  auch  Tor 
deu  Katecbumcueu  gehalten      Didaktische  und  apologelibcbe 

1)  Vgl.  IKor.  12.  14.  Rom.  12,  öfF. 

i)  Stellen  bei  Angasti,  I>enkwnrdigkeikn  Bd.  VI (1833)»  8.  262£ 
281«".;  Th.  Harnack  a.  a.  0.  S,  353ff.  364 ff. 

*)  lodirect  wird  dies  auch  durch  die  ethisch  -  asketischen  Abhand' 
Inngen  der  abendländischen  Väter  bestätigt,  w.Hhrend  Homilicn  und  exe- 
getische Tractate  fehlen,  ücber  ITipi»ol}'t,  seine  Houiilien  und  sein 
Verhältnis  zu  Origencs  vergl.  Phutius,  Biblioth.  cod.  121;  Hiero- 
nymus, De  vir.  ill.  Gl;  Caspari,  Quellen  zur  Gcschiciitc  dos  Tauf- 
symbols Bd.  III  (1876),  S.  352  f.  374.  Anm.  184.  3S1  ff.  Charakte- 
ristisch i^t,  dass  Tertullian  (Apolog.  39)  als  Inhalt  der  öffentlichen 
Predigt  „cxliortationcs.  castigationes  et  censura  divina**  nennt,  während 
Origencs  (contra  Ccla.  III,  50)  von  den  Gottesdienst  feiernden  Christen 
schreibt:  ol  dt^  ayayyeaafiftTüjy  xal  dia  Toiv  ei^  et  v  t  (t  d i^yqoeißt 
nQoxQETiovreq  ^kv  t'ril  rtiv  dg  tov  f^tov  ztov  oXoyv  Bvn^^mtv. 

^)  üclier  die  viellK-sproclicne  Nachricht  des  Sozoincnus  (Hist. 
eccl  VII.  19):  orrf  d'k  6  entaxonog,  ovre  fikXoc;  ti<;  «V.^aVf  (seil.  Komae) 
tn'  fxxkrjoiug  (hddaxEi  siehe  das  Richtige  bei  Bunsen  (Hi]>polytu«  und 
aeme  Zeit  Bd,l  [ISfri],  S.  231. 352)  u.  Th.  H  ariiack  fa.  a.  U.S.  246  f.). 

6)  Vgl.Th.fiariiack  a.a.  O.S.^tiUff.  Dort  auch  die  Belegstellen. 


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266 


HARNAC3K, 


Tendenzen  treten  nnn  melir  und  mehr  in  den  Vordergrund; 
manchem  iimsstc  verschwiegen  oder,  nur  den  Ein*(eweihteii 
verstand  lieh ,  angedeutet  werden.  Die  discipliaa  ecclesiae 
nimmt  allmählich  die  Fonn  einer  schulmäsaig  anflgebiideten 
Lehrdisciplin  an  nnd  diese  Wandelnng  mnss  sich  notwendig 
in  dem  Charakter  der  Geraeindepredigt  abgespiegelt  haben. 

Wir  glaubten  l)isher,  keine  Predigten  aus  jener  iilte- 
ren  Zeit,  von  welcher  Justin  zeugt,  zu  besitzen.  Sie 
wären  die  wichtigsten  Documente,  aas  denen  wir  4^ect  auf 
die  in  der  Grosskirche  damals  geltende  Popnlfirdogmatik 
scbliessen  könnten.  FGr  die  Feststellung  grade  dieser  sind 
wir  ja  auf  spärliche  Zeugnisse  angewiesen.  Die  upulogetisehen 
Werke  aus  jener  Epoche  sind  sehr  wenig  geeignet,  diesen 
Mangel  zu  decken;  die  polemischen  Schriften  —  zudem  &st 
sftmmtlich  nur  in  Bmchstflcken  erhalten  —  dfirfen  fttr  das 
Zeitalter  der  entstehenden  katholischen  Kirche  nur  mit  groeser 
Behntsanikeit  zur  Hrmittelnng  der  gemein -christlichen  Denk- 
weise lierangezogeii  werden:  man  muss  sich  bescheiden  nur 
aus  dürren  Büchertiteln,  wie  sie  uns  Eusebius  überliefert  bat, 
und  ans  Ausf&brungen,  wie  sie  der  Hebräer-,  Gemens-,  Bar- 
nabas-Brief, der  Hirt  des  Hermas  nnd  der  justinische  Dialog 
mit  Trypho  bieten  (vgl.  auch  des  Celsus  „Wahres  Wort"), 
einige  Hauj^tschlösse  zu  ziehen.  Bis  heute  sind  dieselben 
freilich  noch  nicht  gezogen  worden:  das  einseitige  Interesse 
an  solchen  Lehrbildungen,  die  in  bestimmte,  noch  jetzt  gül- 
tige Formeln  ausliefen,  wie  es  die  dogmengeschichtlichen  Ar- 
beiten auch  noch  der  Neuzeit  mit  wenigen  Ansnahmen  be- 
stimmt, stellt  den  Versuchen,  die  christliche  Denkweise  einer 
bestimmten  Epoche  vollständig  darzustellen,  hemmend  im 
Wege  £s  mnss  auf  diese  Aufgabe  immer  wieder  gewiesen 
werden;  in  Bezug  auf  die  Geschichte  der  Kirche  im  voir- 
irenäischen  Zeitalter  aber  ist  die  Vernachlässigung  derselben 

^)  Hieraus  erklärt  sich  auch  Vorliebe  und  Unsriinst ,  mit  mlclit-r 
die  aus  der  Knt.strliuiig.szi  it  der  altkathülischen  Kirche  stiiiuin»  inkfi 
Schriftstücke  btliaiidclt  /.u  \VLr<lL'ii  ]»He^'en.  So  ist  es  z.  B.  charakte- 
ristisch, dasö  die  Acta  Pauli  et  Thtclac  bisher  noch  fast  gaiizliclj  un- 
berücksichtigt geblieben  sind.  Nur  Kitsehl  (Entstt^-hung  der  altkatholi- 
scben  Kirche  \2.  Aufl.  1857]  S.  hat  sie  verwertet. 


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DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIB  KORINTHEB.  267 

am  TerbängiiisTollsteii;   denn  Fredigt  und  Unterweisung 

waren  noch  nicht  —  oder  war  in  ferhftltnismSssig  freier 

Weise  —  an  eine  bestimmte  theologische  Lehrform  ge- 
buaden. 

Die  neueste  Entdeckong  einer  vollständigen  Handschrift 
der  beiden  Briefe  des  römischen  Clemens  an  die  Korinther  0 
hat  uns  eine  altchristliche  Predigt  gebracht;  denn  als  solche 

erweist  sich  der  nun  vollstiiiulige  sogenannte  zweite  Brief  des 
Clemens  aul  das  bestimmteste      Der  tretUiche  Herausgeber 


1)  Tov  fV  ttyioiq  TittTQog  ij/uiov  KXrifABvtoc:  iiita/.onov  J'wyMr/f  td 
Svti  nonc:  Knnty'^fovg  imataXid ,  yvy  ngtaiov  txtiidofxBvui  nXijQ£ii  v7to 
4».  HQvtvyiov.  ConstanthiojH  l  1875. 

2)  So  hatten  auf  (inind  di  s  Frafrn)cnt<}8,  welches  der  T'od.  A.  ent- 
hält, schon  Vendelinus.  Grabe  u.  A.  geurteilt  (vgl.  Uagemann 
in  der  „Tübinger  Theologischen  Quartalschrift"  18G1,  S.  nilff.).  Die 
neuen  Stücke  machen  die  Sache  zweifellos;  vgl.  c.  17,  3:  x«i  fAn  fiovov 
üoxi  doxtijuey  Tiiaf£v€iy  xai  jiQoai^Hy  iy  rtfi  wov&tre^&at  vno  xtav 
7tQtafiirTt\wjy,  akhi  xai  Sray  «<?  olxoy  ana^aytiäfity,  (xv^fAWtvtofiBv  tviv 
rnv  xvQiov  ivraXfAtttiay.    c.  15,  2.  C.  19,  1:  &9tS,  u^ehpoi  9ui  a&iXtpai, 

ToTg  ysyQttfi/isvüig ,  i'va  mi  iavwod(  ctio^M  JMti  top  draymSaxarta  iv 
vfiiy.   Die  schwierigen  Worte  fi«f<Ä  tw        tns  (iXij»Biits  lassen  katmi 
eine  andere  Erklärung  zu  ßla  die  tob  BiTenmns  TOigesehlagaie  =  fUiti 
TTty  ayuyytacw  zOv  UQtiSv  yQucptoy^  iy  «U  Mg  iOTiv  i  XMy,  Dafür 
s^cht  auch  das  roig  yey^ufiiAtyoi^ ,  welches  man  ni<dit  auf  den  Inhalt 
der  Predigt  (obgleich  awayivtitt*»  h^tv^nf  steht)  dentan  darf,  som* 
dem  anf  den  Inhalt  des  vor  der  Predigt  yerlesenen  Sehiiftabeehmttes 
besiehen  mnss.  Dann  aber  wird  ToUends  klar,  dass  wir  es  hier  mit  einer 
solchen  offimtUchen  Fredigt  zu  ton  haben,  von  welcher  Jnstin  Apolog. 
c.  67  gesprochen  hat  —  Es  ist  nach  dieser  Einsidit  ftrder  nnmöglich, 
den  sogenannten  zweiten  CXemensbiief  mit  dem  Brief  des  x9misehen 
Bischoi^  Soter,  welchen  DionyainB  von  Eorinfh  (bei  Enseb.,  Hist.  eccL 
IV,  23,  11)  ger&hmt  hat,  zn  identifidren  (vgl  Hilgenfeld,  Nov. 
Teetam.  extra  can.  recept  fasc.  I  [1866],     XX2IX;  unsere  Ansgabe 
der  FP.  Apost  fosc.  I,  p.  XCIsq.).  Diese  Er&hmng  mahnt  wie  keine 
andere  zur  Vorsicht;  ich  bekenne  ^  nnd  gewiss  nicht  wenige  Faeh- 
genoesen  mit  mfar  — .  dass  ich  die  Combination  mit  dem  Briefe  des  Soter 
für  sehr  wabrsch«inlich  gehalten  habe.  Eine  genaue  Prüfung  der 
Oeschichte  der  üeberliefiBrang  der  Homilie  hatte  schon  einige  Zweifel  er- 
regen müssen.  Die  W  och  ersehe  Hypothese  (Briefe  der  i^ostoL  Viter 
Clemens  nnd  Polykarp  [1880]  S.  204),  der  sogenannte  zweite  Clemens- 
lirief  stamme  vielleicht  von  Dionysius  von  Korinth,  ist  ein  uncontrolir- 


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868 


derselben,  Bryennius,  hat  keineu  Anstand  genommen,  du 
Homüie  fOr  ein  echtes  Werk  des  rdmisdien  Clemens  za 
halten.   Das  Fragment,  welches  bisher  bekannt  ww.  setzte 

man  jetzt  ziemlich  allgemein  iii  die  Zeit  um  170;  viel  weiter 
darf  man  keinesfalls  hinuntergehen:  daran  hindern  die  reich- 
lichen Citate  aus  apokryphen  Evangelien  Also  bleibt  für 
die  Abfassungszeit  schon  bei  flüchtigem  Einblick  ein  Spiel- 
raum von  80 — 90  Jahren.  Wir  werden  Tersachen,  die  ter- 
müii  a  quo  nnd  ad  quem  näher  zn  rflcken  und  zugleich  die 
Zeitrichtung  und  die  christliche  Denkweise  des  Verfassers 
dieser  Homilie,  womöglich  auch  den  Ort  der  Abfassung  zu 
bestimmen.  Wir  beginnen  mit  einer  Prüfung  der  Ueber- 
liefemng.  Abgesehen  von  den  treffliehen  Bemerkungen  Light- 

barar  EinfiüL  Bryonnins  (8.  e^c')  int,  wenn  er  Woeher  als  den 
Urheber  der  Soter*HypotheM  beieiohnet  Ein  Irrtum,  deo  Wagen- 
mann  G» Jabrb.  f.  deatsclie  TheoL"  1876,  S.  181)  lepetirt  hat  ~  Auch 
darauf  aei  hiagewieae&r  daaa  die  Fkedigt  nicht  frei  rorgetragen,  sondern 
vorgelesen  worden  ist  Man  nahm  bisher  allgemdn  an  (vgL  Th.  Ha r- 
naok  a.  a.  0.  S.  371),  dass  dies  la  der  alten  Hircbe  niemals  geodiah. 
Der  freie  V<»rtrag  wird  aoeh  die  B^gel  gewesen  sem;  manche  gdatlidien 
Beden  sind  uns  nur  dadmeh  erhalten,  dass  Sienogra{)hen  sie  naefa> 
geiehrieben  haben.  Vgl  Enseb.,  Hist  eocL  71,  36^  1:  rore  if^... 

9vXl6^afi89or  i»  T^s  funtgSs  «ric^mnecv^  ^<*^>  «nc        tov  xomw 

n^rt^i^  non  rovfo  ya^^  «ir^jiftti^qxora.  Dan  Hist  eoeL  YI, 
23,  1.  2,  mid  Photins,  Biblioth.  c.  121  (wo  fälschlich  Hip]>oIyt  statt 
Ambrosius  genannt  ist).  Die  Verhandlimgen  der  letzten  antiocbeniseben 
Synode  gegen  Paul  von  Samosata  wurden  von  Tad^giaphen  nieder- 
gesehrieben  (Eii.sc-b. ,  Hist.  eccl.  VII,  29,  2:  int^f4Uovfiivt»y  rcgfvy^- 
qrtutr),  Aiu^  die  Katechesen  des  C}Till  von  Jerusalem  sind  uns  aitf 
diesem  Wege  erhalten;  vgl.  dif  Notiz  im  Cod.  August,  der  Katechesen 
(edit.  Touttee  [1720]  p.  CCLXVl):  ravrag  {sdL  catoch.)  di  fxoyag  ^ 
rui  Hyta&tti  Tiir  cnov^aüav  nvkq  ixkaßöyrif  eyQatffttr  iv  rm  ryß'  Irci. 
£pipb.  Panar.  IIb.  HI,  t.  II,  Expos,  fid.  cath.  c.  21.  Möglicherweise  ist 
auch  der  Archetypos  unserer  Homilie  nicht  das  Concept  des  Fredigeis, 
sondern  die  Naclinchrift  eines  Hörers  gewesen. 

1)  Meines  Wissens  ist  Grabe  (SpicU.  T.  I  [1700],  p.  2G9)  der 
Einatge,  der  das  Fragment  in  die  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  setzen 
woUte.  £r  stützt  seine  Ansicht  lediglich  auf  den  Mangel  einer  üebor- 
lieferang  vor  Eusebius.  Dieses  Argument  wird  im  VeriauÜs  der  Unter- 
snehuBg  berOcksichtigt  werden. 


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DBB  SOG.  n.  BBIEP  DES  GLEBIBI»  AN  DIB  KOBINTHEB.  869 

foi>is  (dement  of  fiome  p.  173 sq.)  oiid  emigen  Winken  in 
der  neuen  Ausgabe  der  Apostoliadien  Yftter  ven  Gebhardt, 
Met  man  Aber  dieselbe  nichts  Qmifigendes. 

L 

Hegesippas,  Dionysius  von  K<wrinth,  Irenftus, 
'Glemens  Alex.,  Origenes  sprechen  von  dem  Bri^e  des 
rSmiscfaen  Clemens  an  die  Eorintber  in  einer  Weise,  dass 

man  sicher  schliessen  darf,  ihnen  sei  kein  anderes,  zweites 
Schreiben  unter  diesem  TiU4  bekannt  gewesen.  Ebenso  wenig 
verraten  sie  in^^end  eine  Kunde  von  der  Homilie,  die  ap&ter 
ah  sEweiter  Kohnther- Brief  des  Clemens  beeeidinel  wurde. 
Kam  enlen  Male,  so  viel  wir  wissen,  wird  ein  «weiter  Brief 
des  römischen  Clemens  von  Eusebius  erwähnt.  Hist.  occl. 
in,  16;  IV,  22,  1;  IV,  23,  11;  VI,  13,  G  spricht  er  zwar 
immer  nur  von  dem  einen  allgemein  anerkauuteu  Brief, 
den  er  bei  Hegesippns,  Dionysias  von  Korinth,  demens  Alex, 
allein  bezeugt  gefunden  hat;  aber  an  der  einen  Stelle  (Hist. 
ecd.  in,  38,  4)  fügt  er  der  ansfllhiüchen  Charakterisining 
dieses  Briefes  folgende  Notiz  hinzu:  „Es  ist  aber  bemerkens- 
wert, dass  es  noch  einen  zweiten  Brief  des  Clemens  geben 
so  Ii.  Wir  haben  durcbaos  keine  Kunde,  dass  auch  dieser  in 
ähnlicher  Weise  wie  der  ersbs  anerkannt  sei;  denn  wir  wissen, 
dass  audi  nicht  die  Alten  ihn  benntist  haben.**  ^)  Man 
sdieinl  vielfach  diese  Worte  so  verstanden  zu  haben,  als 
habe  Eusebius  seibat  den  Brief  in  Händen  gehabt;  allein 
grade  das  Gegenteil  besagen  seine  Bemerkungen.  Das  „cimm 
Uyenu^*  sgncht  so  klar  als  mO^di  dafSr,  dass  ihm  der  Brief 
B  icht  SU  Gesieht  gekommen  ist  Er  halt  von  seiner  fixistens 
nur  gehört  durch  Zeitgenossen*);  nicht  einmal  die  Adresse 
des  Briefes  ist  ihm  bekannt  und  er  registrirt  ihn  überhaupt 
nur,  um  zu  bemerken,  dass  es  sich  mit  diesem  angeblich  cle- 
mentioisohen  Schrütstäcke  vdUig  andeis  verhalten  müsse  als 

iniatoXiq.   (hi  ^qr      <Qfio(os      nQor^^  ata»  ntvT^  yimiQtfior  intnä^ 

2)  Dem  Sinne  nach  abio  völlig  richtig  Rufinus:  „Dicitor  tarnen 
esse  et  alia  C^ementis  epifitsla,  cuius  no8  notitiam  non  aoee- 
pimos." 


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270 


ÜAJKNAÜK, 


mit  dem  aiicrkaiintcu  Briefe  des  römischen  Bischofs.  Also 
in  keinem  Citat,  in  keiner  Abschrift  —  geschweige  denn  in 
einer  Bibelhandschrift  —  ist  dem  bflcherkimdigsten  Manne 
seiner  Zeit  ein  zweiter  Brief  des  ClemeDs  begegnet  Das  ist 
wichtig.  Man  wird  hieraus  schlicsscn  dürfen,  dass  der  Brief, 
den  Eusebius  meint,  in  den  Kirchen  des  Orients  überhaupt, 
80  weit  die  Beziehungen  des  Eusebius  reichten,  unbekannt 
gewesen  ist:  also  werden  wir  die  Kreise,  ans  welchen  eine 
ganz  unbestimmte  Kunde  von  der  Existenz,  wohl  auch  von 
der  ehrenvollen  Benutzung  des  Briefes  zu  Eusebius  gedrungen 
ist,  nicht  in  Alexandrien,  niclit  in  dem  griechischen  Syrien, 
Kleinaaieu  oder  Byzauz  zu  suchen  haben.  So  steht  es  mit 
der  ersten  Bezeugung  unserer  Homilie;  ein  Skeptischer  kannte 
leicht  auf  die  Vermutung  kommen,  dass  es  sich  hier  noch 
gar  nicht  um  das  Schriftstfick  handele,  welches  erst  um  ein 
Jahrhundert  später  unter  dem  Namen  zweiter  Koriiither- 
brief  des  Clemens"  nachweisbar  aulgetaucht  ist.  Warum 
sollte  z.  B.  nicht  einer  der  pseudo  -  clemen tinischen  Briefe  de 
viiginitate,  die  sicher  im  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts 
schon  vorhanden  waren,  hier  gemeint  sein?^)  Auch  an  die 
ep.  Clementis  ad  Jac-obum  könnte  gedacht  werden;  überhaupt 
war  ja  schon  manches  Pseuduclementinische  zur  Zeit  des 
Eusebius  in  Umlauf-).  Diese  Einwüiie  sind  nicht  mit  völli- 
ger Sicherheit  abzuweisen.  Nur  das  wird  man  entgegenhalten 
können,  dass  dcfin  ersten  Glemensbrief,  so  viel  wir  jetzt 
wissen,  niemals  ein  anderes  SehriftstQek  als  „zweites^  zur 
Seite  gesetzt  worden  ist,  abgesehen  von  jener  Homilie,  welche 
die  alexandrinische  und  die  coustantinopolitanische  Handschrift 
enthalten und  dass  man  in  späterer  Zeit  die  Notiz  des 

^)  Wir  werden  im  Verlaufe  der  Untersuchung  aiil  eine  Anjxabe  ge- 
fiihrt  werden,  nach  welcher  der  sogenannti^  zweite  Koriiitlur- Hriof  als 
dritter  Brief  des  Clemens  nach  den  beiden  Briefen  de  virginitate  ge- 
zählt wurde. 

«)  Vgl.  Euseb.,  Eist.  ecci.  Hl,  3S.  5. 

3)  Dazu  kommt,  dass  die  Briete  de  virgiiiitat4.'  ättt.s  j>aarw<  ise  auf- 
treten trte  ep.  Cleni.  ad  Jacob,  ist  in  den  griecliisclien  Kirchen  vom 
fünften  Jahrhundert  ab  viellfirbt  uiclir  gebraucht  ah  geehrt  worden. 
Mit  dem  Korintlier- Brief  de»  Clcuiens  hat  sie  meines  Wissens  niemand 
^mmnuuengestellL 


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OCR  SOG.  U.  BBIüIF  DES  CL£M£Nä  AN  DIE  KOKI^'Tli£R.  271 

Eusebius  allgemein  auf  diese  Homilie  bezogen  hat  Letz- 
teres besagt  mm  allerdings  sehr  wenig,  da  die  griechischen 
Gelehrten  im  siebenten  bis  zwölften  Jahrhundert  die  Nach- 
richt des  Eusebius  mit  demselben  Vorurteile  betrachten 
mnssten,  wie  wir;  allein  die  erstere  Beobachtong  macht  es 
wenigstens  wahrscheinlich,  dass  das  Gerdcht,  welches 
Eusebius  zu  Ohren  kam.  sich  wirklicli  auf  das  Schriftstück, 
welclies  damals  schon  oder  später  erst  den  Namen  „zweiter 
Korinther  -  Brief  des  Clemens^'  erhalten  hat,  bezog.  Wir  con- 
statiren  also  nur  dies,  dass  in  den  Kirchen  und  Kirchen- 
biblioiheken,  welche  Eusebius  kannte,  im  Anfimg  des  Tierten 
Jahrhunderts  von  unserer  Homilie  keine  Kunde  zu  finden 
war.  Auch  dem  Kufiuus,  Hieronymus,  Epiphanias 
ist  sie  unbekannt.  Kufiuus  ^)  und  Hieronymus  ^)  sprechen  zwar 
auch  von  einem  zweiten  Briefe  des  Clemens;  aber  die  Nach- 
ric|iten  beider  sind  von  Eusebius,  Hist.  ecel.  in,  38,  4 
abhängig.  Dem  fügen  sie  nichts  hinzu,  nicht  einmal  die 
Adresse  —  also  haben  aiicli  sie  von  der  Homilie  uichts  ge- 
hört und  kommen  überhaupt  nicht  weiter  als  selbständige 
Zeugen  in  Betracht.  Epiphanius  kennt  mehrere  Briefe  des 
Clemens  *);  allein  man  muss  starke  Zweifel  h^n,  ob  er  auch 
nur  den  ersten  Koriniher -Brief  des  Clemens  vollständig  in 
IQUiden  hatte  Ihm  stehen  jeden&Us  die  Briefe  de  virgini- 
tate  im  Vordergrund,  und  dass  er  um  die  Existenz  eines  zwei- 
ten Korinther -Briefes  des  Clemens  gewusst  habe,  ist  eine 
völlig  grundlose  Hypothese.  Die  Homilie  hat  mithin  bis  zum 
Ende  des  vierten  Jahrhunderts  keine  nachweisbare  Qeschidite. 


1)  So  dfirfen  wir  nach  den  Bemerlnuigen  des  Photins,  Syncellus, 
Nicephorns  CalL  scUiesBen. 

Bnfinns*  Angabe  habe  leb  oben  S.  269,  Anm.  2  mitgeteilt. 

^  De  vir.  illoatr.  15:  Fertor  etiam  seconda  eins  nomine  epiatola, 
qnae  a  veteribna  reprobatar.  Beziehungen  auf  unsere  Homilie 
sind  bisher  m  den  Wericen  des  ffietonymns  nicht  nachgewiesen  worden. 

«)  Vgl  Haer.  27,  6;  30,  15. 

YgL  Fatr.  App.  Opp.  &sc.  I,  edid.  Gebhaidt  etc.  p.  LXVIL 
Die  Briefe  de  rirginitate  meint  Epiphanins,  wo  er  von  encyclischen 
Biiefien  des  Clemens  spricht.  Seine  Worte  beweisen,  wie  rasch  diese 
apokryphen  Kachwerke  sn  Ansehen  gelangt  sind;  er  nennt  sie  difoynfm^ 

Zftiticiiu.  f.  K.-o.  18 


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272 


HAKNACK, 


So  Tfttselhaft  dies  ist,  so  rätselhaft  ist  nun  ihre  erste  Be- 
zeugung. 

Die  74.  Responsio  der  pseudojustinischen  Quaest.  et 
Kespous.  ad  orthodoios  beginnt  mit  dem  Satze  ^) :  u 
nugf^vofig  xataaTUKfiUtg  to  tiXos  iarlr  ^  Ji«  tov  3tv^  xgiins 

Xtav,  IVi  9i  xeei  tiJ^  StßvXXtjgf  xadtag  (pr^otr  o  fiuxaptog  Kkr^ur^g 
iv  rf^  noog  Koniv&tovg  ^ntaroXfj,  xrk.  Dieses  Citat  war  bisher, 
so  lange  man  dio  Briefe  des  Clemens  nicht  vollständig  be- 
sass,  nicht  unterzubringen;  die  meisten  Herausgeber  (auch 
Hilgenfeld  und  Lightfoot)  waren  geneigt,  es  in  die 
grosse  Lflcke  des  ersten  Briefes  zu  setzen,  welche  sich  in  der 
alexandrinischen  Handschrift  nach  Kapitel  57  findet.  Be- 
achtenswert ist  es,  dass  Hilgen  fehl-)  vorschlug,  die  Worte 
x«^f<  —  SißvkkriQ  als  Bemerkung  des  Verfassers  von  dem 
Citat  abzutrennen  und  nur  den  Satz  d  rfjg  —  wnßtHy  als 
dementinisch  gelten  za  lassen^).  Allein  Bryennins*)  er- 
klärte nach  Darchmnstening  des  TollstAndigen  Textes  der 
beiden  Briefe  dies  Citat  für  apokr}^ph,  da  es  sich  in  keinem 
derselben  fände.  Ein  neuer  Beleg  also,  so  scheint  es,  dafür, 
wie  sehr  der  Name  des  Clemens  in  der  alten  Kirche  mis- 
hraucht  worden  ist.  Indes  ich  halte  es  ffir  zweifellos,  dass 
Bryennius  sich  geirrt  hat  und  Pseudo-Jnstin  mit  seiner  An- 
führung im  Rechte  Ist.  c.  17,  e  der  Homilie  heisst  es,  nach» 
dem  schon  c.  16.  3  von  dem  Tag,  |}a  alles  in  Feuer  schmelzen 
werde*),  die  Kede  war:   rr^y  ttUgav  ixfiyr^y  Uyti  li^g  y.Qhni>g^ 

oVoK  olffomu  roi  g  ir  r}fiTy  uo(ßr;aatfTac  xoXul^or» 

rat  iiivaXi  ßaau¥QiQ  nvgi  aaßiaT(^,    DaSB  die  Sta  tov  nv^g 

xgtaig  rwy  uaißtSr  das  Ende  des  gegenwärtigen  Zustandes  sein 


1)  Vgl.  Otto,  CoHK  Apologett.  T.  Y  (1860),  p.  104. 

<)  Nov.  TestaiD.  extra  oan.  recept  fbw.!  (1866),  p.XVin,  not  1. 

s)  In  unserer  Ausgabe  der  Apöstol.  Väter  habe  ich  das  Citat  be- 
stimmt dem  Yer&Bser  des  ersten  Briefes  abgesprochen  und  es  ftr  wahr- 
BobdnUch  erklärt,  dass  es  smn  zweiten  Briefe  gehOre. 

xttM/iflvof,  lad  xwt^90¥t»t  nyS(  rmv  oi*gmfvt¥,  »«A  nüaa  ^ynmf  ftiJUßof 
inl  nvfA  TifKOfitvog. 


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DER  SOG.  U.  BKILF  UEiy  CL£M£NB  AN  DIE  KUKINTüEIi.  273 

weide,  wie  Pdeodo«  Justin,  die  Worte  des  Clemens  fni  ¥rieder- 

gebend,  sagt,  wird  hier  mit  klarcu  Worten  gelehrt  und  ist 
im  Zusammenhange  der  ganzen  Homilie  einer  der  wichtig- 
sten Gedanken.  Also  steht  nichts  dem  im  Wege,  anzuneh- 
men, die  Homilie  sei  hier  wirklich  benntst  worden  Und 
onter  welcher  Citationsformel?  Genau  nnter  derselben,  weldie 
sonst  dem  alten  rOmisehen  KorinÜierbriefe  gilt:  KXrj/iuyTog 
TiQog  KoQiv^tovQ  intarolf..  Wunderbar  genug;  das  erste  Mal, 
wo  die  Homilie  in  der  Geschichte  unverkennbar  auftOQcht,  er- 
scheint sie  als  Brief,  näher  als  Korintherbrief,  nnmittelbttr 
neben  den  heiligen  Schriften,  nnd  ftst  hat  es  den 
Anschein,  als  wolle  sie  dies  alte  Schreiben  TerdrSngen;  denn 
kurzweg  wird  sie  der  Korintherbrief  des  Clemens  genannt, 
als  wenn  es  einen  andern  gar  nicht  gäbe.  Doch  auf  letzteren 
Umstand  wird  kein  Gewicht  zu  legen  sein;  vielleicht  ist  das 
„ß'^*  nach  huajoXjj  durch  Schuld  des  Abschreibers  aufgefallen 
oder  Psendo- Justin  hat  ungenau  citirt  Schreibt  dodi  au<^ 
Irenaus  wo  er  den  zweiten  Thessalonicher-Brief  des  Paulus 
anführt:  „ea  quae  est  ad  Thessalonicenses  epistula''.  Ebenso 
nennt  Chrysostomus  einmal  ^)  den  zweiten  Timotheus -Brief 
TiiAoihov  (imaxoXry'.  AuB  welcher  Zeit  staimnen 
aber  die  pseudojustinisohen  Quaestiones?  Die  filteren  Oe-^ 
lehrten  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  nennen  (Ibereinstimmend 
das  5.  Jahrhuudert;  ihnen  hat  sich  Möhler^)  angeschlossen. 

1)  AuflMlend  Ueiben  die  beiden  oooldhiirten,  pamOdeii  8fttze 
9ta9n  —  I^iilhiB  vnd  ntMq  —  ifuatol^»  Es  geht  daraus  henror,  daes 
Pieado-jDBtüi  d^  von  ihm  benutzten  Glemensbiief  nicht  sa  den 
Yqn(f€ti  n(fo^i3v  u  Mal  thf/>n6Xtov  gerechnet  hat;  dennoch  mvoB  er 
bd  ihm  in  hohem  Anaeben  gestanden  haben,  sonst  h&tte  er  ihn  nicht 
neben  jenen  Schriften  dtirt  Vgl.  die  treffende  PanUele  m  Hieronym. 
Comment  ad  Ezecb.  48,  19  (Opp.  ed.  Vall.  T.  p.  581):  „Yittdnm 
autem,  qni  pro  nobis  iromolatas  est,  et  mnlta  scriptnrarnm  loca 
et  praeeipne  Barnabas  epistnla  nominat."  Lightfoot  (Aea- 
demy  20.  Kai  1876)  schiebt  ?or  xn^'c  ein  xtä  ein. 

t)  Iren.  lY,  27,  4. 

4  Braef>  ad  ep.  ad  Coloss.  Opp.  T.  XI  p.  882B.  edit  Bened.  An- 
ders mag  es  sieh  verhalten  I.  Cüem.  47,  1,  wo  der  erste  Korintber- Brief 
des  Paulus  mit  den  Worten:  wtikdfin%  MioroA^  tvO  fioaw^iov 
Uailw  citirt  wird. 

4)  Patrologie  (1840)  8.  230f. 

18* 


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274 


harmack:, 


Genauer  hat  Gass  die  Zeitlage  untei'sucht  Derselbe  sucht 
wahlscheinlich  zu  machen,  dass  das  Werk  im  Anfang  des 
fünften  Jahrhunderts,  TieUeieht  auch  schon  gegen  Ende  des 
vierten,  abgefosst  ist*).  Seine  Grttnde  sind  sehr  beachtens- 
wert uud  bisher  nicht  widerlegt.  Wir  düiieii  also  aunehmeu, 
dass  um  die  Wende  des  vierten  Jahrhunderts  zum  fünften  in 
der  PrOYinziaikirche ,  welcher  der  Verfasser  der  Quaestiones 
angehorte,  unsete  Homüie  als  zweiter  Koiintherbrief  des  Cle- 
mens gelesen  wurde  und  das  gleiche  Ansehen  wie  der  alte 
Korintherbrief  des  Clemens  genoss.  Wenn  nicht  alles  tnigt,  so 
führen  die  Quaestiones  auf  einen  Verfasser,  welcher  der  syriseh- 
antiochemschen  Kirche  angehörte.  Aeltere  Gelehrte  haben 
gradezu  an  Diodor  yon  Tarsus  oder  an  Theodoret  ge- 
dacht^); dies  sind  freilich,  wie  Maranus  und  Gass  gezeigt 
haben,  haltlose  Vermutungen;  aber  auch  der  letztere  versetzt 
den  Verfasser  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  nach  Syrien,  in- 
dem  er  auf  Beziehungen  der  Quaestiones  zu  Theodoret, 
Chrysostomus,  Ephraem  Syrus  aufmerksam  macht 
Hiemit  stimmt  nun  trefflich  zusammen,  dass  —  allerdings 
hundert  Jahre  s[  äter  —  die  Homilie  als  Brief  des  Clemens 
bei  den  Moaophysiten .  und  zwar  vorzugsweise  bei  den  syri- 
schen gelesen  und  besonders  der  Anfang  des  ersten  Kapitels 
vieltach  citirt  worden  ist  Severus  von  Antiochien  (um 
615)  fuhrt  den  Eingang  des  Briefes  an  mit  den  Worten: 
„aus  dem  zweiten  Brief  an  die  Eorinther*'  Timotheus 
von  Alexandrien  (f  535)  dasselbe  Stflck  unter  der  For- 


1)  ..Die  unter  Justins  des  Märtyrerö  Schriftcu  bcliudlichen  Fragen 
an  die  Rechtgläubigen"  in  der  «.Zeitschrift  f.  d.  histor.  TheoL"  1042, 
Heft  IV,  S.  35-154.    Vgl.  S.  143f. 

*)  Als  ziemlich  sicherer  terminus  ad  qui-m  darf  etwa  das  Jahr  5tK) 
gelten,  da  Quaest.  71  behauptet  wird,  die  Welt  werde  GOOO  Jahre  be- 
stehen, während  die  Abiiu>.>uugszeit  der  i>auiiiiischen  Briefe  bereit«  in  das 
sechste  Jitlirtausend  verleg-t  wir<l.  Also  befolgte  der  Vcrfa.sser  die  Zeit- 
rechnung: der  JAX,  auch  welcher  die  Welt  zur  Zeit  Chribti  550Ü  Jahre 
alt  war. 

S)  Vgl.  Mühler  a.  a.  0.;  Gass  a.  a.  <>.  S.  141  ff. 
*)  Vgl.  Cure  ton,  Corp.  Ignat.  p.  2lo.  Jlö.   Lightfoot,  Cle- 
lueüt  ul  liuuie  15.  185. 


DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLExMENÜ  AN  DIE  KORINTHEK.  275 

mel:  „ans  ^em  Anfong  des  dritten  Briefes  [des  Gemens] 

rnmittelbar  vorher  hat  er  den  ersten  angeblichen  Brief  des 
Clemens  de  vivginitate  citirt.  Dies  ist  im  höchsten  Grade 
beachtenswert;  denn  es  ist  das  einzige  Zeugnis  (von  Eusebius 
abgesehen),  ans  weldiem  wir  scUiessen  können:  l)  dass  der 
Brief  nicht  überall,  wo  er  gelesen  wnrde,  als  Eorinther- 
brief  galt,  also  sich  wohl  erst  allmfthlich  den  Platz  neben 
dem  alten  Korintherbriefe  des  Clemens  erobert  hat;  2)  dass 
er  auch  mit  den  [pseudocleraentiuischenj  Briefen  de  virginitate 
hie  und  da  zosammengest^Ut  wurde.  Die  Zeugenreihe  für 
die  Homilie  begann  —  freilich  spftt  genng  —  sehr  glfinzend 
mit  dem  Gitate  des  Verfassers  der  Qnaestiones;  nun  zeigt  uns 
doch  noch  die  spät  beginnende  üeberlieferung  ein  erfreuliches 
Schwanken.  Zwar  als  Brief  und  als  clementinischer  gilt  ja 
auch  dem  Timotheus  unsere  Homilie,  aber  er  bringt  ihn  in 
keinen  Znsammenhang  mit  dem  alten  römischen  Schreiben 
und  scheint  somit  auch  von  der  korinthischen  Adresse  nichts 
zu  wissen').    Sparen  der  Unsicherheit  über  den  angeblich 

*)  Vgl.  Cnreton  a.  a.  0.  p.  212.  244;  Lightfoot  a.  a.  0. 
Beide  Stücke  sind  io  syrischer  Sprache  überliefert  Lightfoot  bemerkt: 
,,0f  the  SjrriM  MS3.  containlDgtheae  eitracts,  the  former  may  date  from 
the  6^  to  the  8^  eeatmy  (Corp.  Ignat.  p.  355),  and  the  hitter  mm 
written  not  later  than  Ä.  D.  562  (ib.  p.  368).  Moreorer  the  opcniug 
werde  d^$Up9t  —  ycx^aiv  (c.  1,  1)  are  fonnd  hi  »ereral  Syriae  ei* 
traets,  of  which  one  ie  given  by  Cnreton  (Corp.  ignat.  p.  365)  and 
another  by  Cowper  (S>Tiac  MieeeU.  p.  57).  Of  theee  Dr.  Wright  of 
tbe  Britieh  Hnaenm  eende  me  f^Uowhig  aeeonnt:  »Tbere  aie  in  the 
Syriae  coUeetion  seyeral  laige  Tolnmes  ranging  from  the  7^  er  8^ 
eent.  to  the  10^,  and  entitled  Booka  of  DemonstrationB,  i.  e. 
extracte  from  the  Fatbera  to  be  need  in  eombating  varioas  heresiee. 
They  are  all  Monophyeite  eompUatienB.  The  extraet  oeeors  hi  eeveral 
of  Üieee  volnmes.  I  send  the  tezt  eopied  from  Add.  17,  214,  fol.  77  a, 
▼hieb  US.  seems  to  be  of  the  7^  centmy.'"  Lightfoot  hat  (a.a.O. 
S.  185  t)  diesen  Tezt  abgedmekt.  Zugleich  stehen  die  f&nf  ersten  Verse 
des  9.  Kapitel  in  diesem  syrisehen  Sammelbande;  ehi  dentlicher  Beweis, 
dass  die  Homilie  nm  ihrer  ebristologiaehen  Ansf&hmngen  willen  den 
Monopbydten  Syriens  Ton  Wert  gewesen  ist 

>)  Dieser  TJmstand  ist  wobl  geeignet,  in  manchem  Zweifel  an  der 
oben  empfohlenen  FeststeUnng  der  Abfassnngszeit  des  Qnaeptiones  zn  er- 
regen. Allein  entscheidend  kann  dieses  Zengnis  des  Timothens  doch 
nicht  sein. 


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276 


HABNACKt 


clemeutinisclieii  Brief  lassen  sieb  vielleicht  auch  noch  bei 
einem  Tjandsroapn  des  Timotheus,  bei  dem  Schreiber  der 
Torlage  der  alexandrinischen  Bibelhandschrift 
entdecken.    Der  Index  libromm  freilich,  der  dem  Cod.  A 

voransteht,  enthält  beide  Briefe  unter  derselben  Bezeich- 
nung: KXrifxivioQ  intOToXr;  «'.  HXiffierTOg  ImaioXt]  .i'.  Beide 

stehen  dort  (und  auch  im  Codex  selbst)  hinter  der  Apoka- 
lypse, aber  vor  den  bedeutungsrollen  Worten  „ofiw  ßiflkia 
xrX.^y  deutlich  getrennt  also  von  den  Psalmen  Salomons,  die 

den  iitschlusö  des  Ganzen  —  gleichsam  nach  dem  Redaktions- 
striche —  bilden.  Man  wird  also  mit  Sicherheit  urteilen 
dürfen,  dass  dem  Schreiber  des  Cod.  A  unsere  Homilie  so 
gut  als  ein  dementinischer  Korintherbrief  galt,  wie  der  wirk- 
liche Korintherbrief  des  romischen  Presbyters  Auf&llend 
aber  ist  nun  der  Umstand,  dass,  während  der  erste  Korinther- 
brief im  Codex  selbst  die  Ueberschrift:  Kli^faviog  ngog  Kopiv- 
^iovs  a        und  die  Unterschrift:  Kkr^fttyrog  ngog  KoQty&iovc 

ImaToXtj  a  trägt,  der  sogenannte  zweite  Brief  gar  keine 
Aufschrift  hat  unmittelbar  nfimlich  folgen  nach  der  Unter- 
schrift des  ersten  Briefes  die  Worte:  khXtfoly  ovrtog  SfT  xrX. 

(c.  1,  1).  Dieser  merkwürdige  Mangel  kann  gar  nicht  anders 
gedeutet  werden,  als  durch  die  Annahme,  dass  in  der  Vor- 
lage des  Cod.  A  die  Homilie  nicht  vdllig  gleichbenaunt  dem 
Eorintherbriefe  zur  Seite  stand,  wenn  sie  auch  in  derselben 
schon  als  eine  Clementina  bezeichnet  war.  Jedenfalls  aber 
beweist  der  Cod.  A  selbst,  dass  zu  der  Zeit,  da  er  geschrie- 

1)  Bedenken  könnte  es  erregen,  dass,  während  im  Cod.  A.  der  erate 
Brief  Seitenüberschriften  über  den  Cohminen  hat,  solche  bei  dem  zweiten 
Brief  fehkD.  Ich  habe  bisher  nicht  ermitteln  können»  ob  dieselben  von 
AnCEtDg  an  gefehlt  haben  oder  abgefichnitton  worden  sind. 

Zu  lesen  ist  nur  [  ]  Kogiv^iovf  a\   Die  EiganzoQg  ist 

«ichor.    Vgl.  Gebhardt  a.  a.  0.  p.  70. 

5*)  Die  Unterschrift  kann  niclit  ermittelt  werden,  da,  wie  bekannt, 
der  Schluäs  der  Homilie  im  Cod.  A.  fehlt.  Wenn  aber  in  den  Ausgaben 
der  zweite  Brief  mit  der  Ueberschrift  [K).r,ueiTot;  Ttodg  Koon\h'ov?  ß'\ 
versehen  wurde ,  so  hätte  nicht  unterlassen  werden  sollen .  darauf  auf- 
merksam zu  machen.  da.ss  dies  lediglieh  auf  Conjectur  beniht.  d.  h.  dass 
die  Handschrift  an  dieser  Stelle  keine  Lücke  bietet»  die  eine  solche  Er- 
gänzung erfordert  hätte. 


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DER  80Q.  U.  B&I£F  D£Ü  AN  DI£  KOBINXUER.  277 


ben,  die  Homilie  in  der  alexandrinischen  Kii'che  im  höchsten 
Ansehen  stand  uud  als  Zwillingsschwester  des  alten  römischen 
Schreihens  allgemdin  uater  dem  Namen  „zweiter  Korinther* 
brief  des  Clemens*'  gebraneht  wurde  0*  Vom  sechsten  Jahr- 
Irandert  an  teilt  nun  anoh  die  Homilie  alle  Oesehicke  des 
römischen  Korintheibriefes.  Sie  wird  übersehen ,  wo  dieser 
übersehen  wird;  von  anderen  den  heiligen  Schriften  zugerech- 
net, wie  dieser;  von  anderen  mit  ihm  zusammen  unter  die 
apocrypha  vel  melioris  vel  deterioris  notae  gestellt.  Dabei 
ist  jedoch  weiter  zu  beachten,  daas,  wo  das  Urteil  des  Euse- 
bius Aber  den  ersten  Brief  nachwirkt'),  man  sieb  des  Ter- 
dicts,  weh'hes  dieser  Bischof  über  einen  zweiten  angeblichen 
Clemeusbrief  verhängt  hat,  wiedermn  erinnert  und  es  auf  den 
zweiten  Korintherbrief  bezog.    Syncellus'),  Photiu^^) 

*)  Leider  lässt  es  sich  durchaus  noch  nicht  genau  feststellen,  wann 
der  Cod.  A.  geschrieben  ist :  man  kann  um  150  Jalire  und  mehr  schwan- 
ken. Dass  er  nicht  vor  dem  Commentar  des  Andreas  zur  Apokalypse 
geschrieben  sein  kann,  lässt  sich  vielleicht  noch  beweisen. 

Eusebius  hat  den  ersten  Brief  in  keine  Bezieliuni,^  zu  den  heiligen 
Schriften  Neuen  Testaiuents  gestellt,  sondern  betrachtet  ihn.  wie  die 
Ignatianen  und  den  Brief  des  Polykarp,  nur  als  alte,  ehrwürdige  Ur- 
kunde. 

•)  Syncellus  (.\nfang  d.  s  neunten  Jalirhunderts)  schreibt  (Clironog-r. 
I,  p.  651 ,  ed.  Dindorf):  tovrov  (seil.  Clenientis)  iriiaroXr,  ula  yyiiaiu 
KoQiyx^ioig  (pioijai  ojg  uno  rf/g  'Ptouadov  fxxXrjOÜcg  yf}uq:€ia(c ,  aruasiog 
iy  k(iQiy!^(o  avu^ant^g  t6i£  ,  tu»  fxuQtvQsi  'Hytiannof  (also  hatte  er  den 
Eusebiuii  gelesen),  ijri?  xrä  6xx'Ar,ai(K€T(ei. 

*)  Photius  (Biblioth.  c.  llci)  fahrt,  nachdem  er  sich  kurz  über  den 
ersten  Brief  verlnitt't  hat,  also  fort:  i)  rfc  keyoutifi  dsvrtna  7i(>o\-  rotV 
uiiroi'g  (das  gilt  alsu  jetzt  für  lUi bezweifelt)  to&oi  linnduxiui.^txta. 
Dieses  Urteil  geht  natürlich  ebenfalls  auf  Eusebius  zurück;  erleichtert 
wurde  es  dem  Patriarchen  durch  die  Wahrnehmung,  dass  <ler  zweite 
Korinther- Brief  manchea  dogmatisch  Anstössige  enthalte.  Kine  —  von 
seinem  Standpunkt  aus  —  sehr  tretlliche  Charakteristik  desselben  hat 
er  c.  12tj  (init. :  Uviyvuiax^ti  ^ipA^ÜQiov  iv  w  KXi[ueyTOi  intarokecl  nQog 
KoQivMovg  ß'  iyetf^Qoyjo)  gegeben,  ohne  sich  hiebei  über  die  Echtheit 
zu  äussern:  'H  de  devrega  xni  avr fj  vov^iatav  7ca$  nagafyeaiy  XQtiTKwos 
ciattysi  ßtov,  MtA      ^QXU  Xffunov  xjj^vaaet,  nXi^y  ort  (triui  riwa 

t3e  nni  t^S  ^ti'as  yQdffhi  IfWCoiv«  nuffHcüyst*  n»v  ovd*  i,  nQuirti 
«nrrjiUanrro  nttynhSe'  tral  iQfxriyiU«;  dl  Qnrdiv  Xivth'  ätXoxArwi  l/e« . 


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27ö 


UABNACK, 


und  Nicephorus  Call.  sind  hier  zu  nennen.  Es  geschah 
dies  aber  wohl  erst  seit  dem  iieunteu  Jahrliuudert ,  von  wel- 
cher Zeit  ab  beide  Briefe  mehr  und  mehr  ihr  Ansehen  ver- 
loren Nun,  da  die  Bezeichnung  „Eorintherbrief untrenn- 
bar an  der  Homilie  haftete,  musste  notwendig,  wo  das  Urteil 
des  Eusebius  nachgesprochen  wurde,  der  Brief  als  ein  psend- 
epigraphes  Machwerk  gelten.  So  ist  es  ja  manchen  altchrist- 
lichen Schriftstücken  ergangen.  Erst  in  unkritischer  Zeit  um 
einer  dogmatischen  Laune  willen  emporgehoben  und  rasch  mit 
einem  Ehrennamen  beschenl^,  der  ihnen  nicht  gebührte,  den  sie 
nie  selbst  beansprucht  haben,  brachten  sie  ihre  unschnldigen 
und  lauteren  Verfasser  bei  einem  späteren  Geschlecht,  sei  es 
um  einer  neuen  Laune  willen,  sei  es,  weil  die  Kritik  sich 
regte,  in  den  Verdacht,  sie  hätten  selbst  sich  in  ein  Gewand 
gehüllt,  das  ihnen  nicht  zukam.  Der  zweite  Eorintherbrief 
des  Clemens  ist  allerdings  ein  ro&oyj  nicht  aber  die  namenlose 
Homilie,  welche  Unberufene  zu  jenem  erst  gestempelt  haben. 

Doch  wir  dürfen  unsere  Uebersicht  nicht  schliessen.  ohne 
diejenigen  Zeugen  noch  zu  nennen,  die  vom  sechsten  Jahr- 
hundert ab  der  Homilie  (des  Briefes)  Erwähnung  tun.  In 
den  Canones  Apostolornm  (das  sechste  oder  siebente 
Jahrhundert  wird  gewöhnlich  als  Abfiusungszeit  derselben 
genannt;  ob  mit  Grund,  soll  hier  nicht  untersucht  werden) 
werden  beide  Briefe  unter  den  neutestamentlichen  Schriften 
erwähnt^);  in  den  Sacrae  ParalL,  die  gewöhnlich  unter 


1)  Vgl.  Hist.  eccl.  U.  45.  40. 

>)  Merkwürdig  ist,  dass  schon  Maximus  Confessor  die  beiden 
Briefe  nicht  mit  MUitchen  Büchern,  sondern  mit  Werken  de«  Pant&nns 
znsammenfltelK  (Pkolegg.  In  Bionjs.  Areop.  Opp.  Dionys.,  T.  II,  p.  2QI. 
ed,  Cinder.  Venet.  1756):  xol  fAt,i  (seil.  Ensebins)  ovrc  BmtUwv  rovs 

inMToktop,  In  dem  Codex,  welcher  Photins  vorlag,  folgte  der  Poly- 
kaipbrief  auf  die  Clemensbriefe.  Also  war  es  kein  BSbdcodex.  In  der 
constantinopolitantaeben  Handschrift  des  Bryennins  stehen 
die  Briefe  mit  den  Briefen  des  Ignatius  (längere  Becension)  zusammen 
und  Nicephorna  nennt  sie  zusammen  mit  den  Werken  des  Pdlykaip, 
Ignatins,  Jnstin. 

s)  YgL  Canon  76  (86)  bei  Lagarde,  Beliq.  ior.  ecel.  (1856) 
p.  35,  4 sq.:  'Bftttiga  i4,  rov? *  Im  rq;  «cti^qc  (f<a^4*9ff,  9wyyiha 


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DER  80Q.  U.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHER.  279 

dem  Namen  des  Johannes  Damasc  citirt  werden  (siebentes 
Jahrhundert),  wird  ein  Iftngeres  Stück  ans  dem  Schlusscapitel 
des  zweiten  Briefes  mit  den  Worten  eingeführt:  toiT  ayhv 

ktig  ^ ).  Der  Archimandrit  Dorotheus  (siebentes  Jahrhundert) 


'kmvpw  fffits'  *iiaenßov  ftia*  Volmer  ^fo*  Kkifiiytof  in$9tolal 
iiio.  So  bieten  alle  Haodsehrifteo,  welche  Lsgarde  verglichen  hat  Da- 
gegen macht  die  Reoennon  dieses  Canons,  welche  Gebhardt  anf  der 
Mcflhaner  Synodalbibliotheh  (Cod.  CXLIX,  saec  XV)  collationurt  hat 
(▼gl.  unsere  Ansgabe,  fiuc.  I,  p.  LXXIsq.)»  die  merkwflidige  Aus- 
nahme, dass  sie  JÜüy^cyro;  «'  bietet.  Es  liegt  nahe,  einen  Schreibfehler 
zn  vennnten;  allein  die  Hoskaner  Becenslon  hat  anch  sonst  manches 
Eigentflmlicbe,  so  dass  man  immerhin  annehmen  kann,  hier  wirke  das 
Urteil  des  Ensebins,  vennlttelt  durch  Photius,  Nicephorus  oder 
sonst  einen  spateren  Gelehrten  nach.  Das  Verzeichnis  des  7i>.  Canon 
wird  von  Alexius  Aristenus  (um  1160)  rej>etirt  (De  can.  Ajxtst.  S6 
in  Beveregii  Synodlco  I,  p.  53,  Oxon. ;  vgl.  Credner,  Gesch.  d.  nea- 
teetamentl.  Kanon  [18<^01  S.  252),  und  von  Matthäus  Monachus 
fBlastaris,  14.  Jahrh.i  im  S}nt. .  vgl.  Leverep.  Syiiod.  II.  p.  56; 
CreJner  a.  a.  0.  S.  253 IV.  Betreffs  der  Wertung  der  beiden  Clemens- 
briefe in  der  griechischen  Kirche  darf  man  sich  durch  den  Verfasser  der 
Canones  nicht  iiuponiren  lassen;  denn  das  meiste,  was  io  der  Constitll- 
tionen-  und  Canones -Literatur  steht,  ist  znm  Glück  immer  frommer 
Wnnsch  geblieben. 

1)  Vgl.  Sacr.  Parall.  (MS.  Kupef.)  in  Joann.  üaniasc.  Opp.  T.  II, 
p.  783  (ed.  le  Quien).    Wie  sehr  damals  Echtes  und  Unechtes  ver- 
träglich unter  dem  Namen  des  ClcTnens  ging,  mag  folgende  Uebersicht 
beweisen:  Sacr.  Parall.  II,  p.  31U  wird  unter  der  Formel  KX^fAivroq 
'VüifttiS  ein  Stück  aus  dem  ersten  K'  rinther-Brief  (c.       2 — G)  citirt. 
Sacr.  Parall.  II,  p.  752  werden  Stücke  aus  den  clementinischeu  Ho- 
milien  (III,  7.  8.  10.  39.  43;  vgl.  Lightfoot  a.  a.  0.  S.  215 f.)  mit 
der   Ueberschrift    tov  ('.}iov  Khjfjiriof    inioxonov  'Ptoufji  angofuhrt. 
Sacr.  Parall.  II.  p.  783  tindet  sich  der  eben  citirte  Abschnitt  aus  dem 
zweiten  Korinthcrbrief  und  Sacr.  Parall.  II,  p.  787  wird  mit  den  W<.)r- 
ten:   ror  r'tyiov  KX>]fj,ivToq  ix  lij^  TiQog  KoQnOiovc  ß'  eine  Satzgruppe 
eingofiihrt.  die  weder  im  ersten  noch  im  zweiten  Korintherbriefe,  noch  in 
den  Homilien  steht!    Auch  im  Orient  niu.S8  man  in  späterer  Zeit  meh- 
rere Briefe  des  Clemens  ausser  <kn  Briefen  de  virginitato  und  der  ep. 
r'I.'m.ntis  ad  Jacob,  gekannt  haben.    So  wird  in  dem  zweiten  Buche 
der  Sacr.  Ber.  des  Leontius  und  Johannes  (Mai,  Scriiit  Vet.  Nova 
Coli.,  T.  VII,  p.  81)  ein  Stück  mit  den  Worten:  ror  uyiov  Kh'iuirio^ 
ix  tni  ^'  intaiok^f  citirt.    Anastasius  Sin.  (Odnyös-  edit.  1777, 


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280 


IIAKNACK, 


ffthrt  eine  SteUe  ans  dem  7.  Kapitel  mit  den  Worten  an: 
4tfg  Xlytt  y.ai  o  nytog  KXrjir^z  In  der  a  11 1  i  0 c  h 6  n  i  SC  he n  (?) 
Sticliometv i e,  die  Nicephorus  Byz.  veröftentlicht  hat 
(sechstes  \j6\  Jahrhundert),  werden  die  beiden  Briefe  onter  die 
imtmifvipa  t^g  gerechnet.  Ihre  Stickenzahl  wird  auf  2600 
angegeben').  In  einer  Handschrift  der  „Fides  orthodoxa"* 
des  Johuunes  Damasc.  werden  sie  unter  den  neutesta- 
meutlicheu  Schriften  erwähnt^).  Noch  im  11.  Jahrhundert 
citirt  Xicon  Raithensis  einen  Sats  aus  dem  dritten  Ka- 
pitel des  zweiten  Briefes  und  in  der  constantinopolita- 
nischen  Handschrift  (im  Jahre  1056)  heisst  die  Homttie 
—  trotz  Photius  —  sowohl  in  dem  Index  als  in  der  Ueber- 

SChrift:  K).t]utvTog  ngog  KoQivd-iovg  fi'  *). 

Das  ist  die  Geschichte  der  Homilie  in  den  morgen- 
ländischen Kirchen.  In  dem  Abendland  hat  sie  keine 
Geschichte.  Sie  ist  dort,  so  riel  wS*  wissen,  nie  gekannt 
und  gelesen  worden;  ja  nicht  einmal  ein  Oerficht  von  ihr^), 

wie  von  dem  alten  Clemensbrief  ist  je  in  das  Abend- 
land vor  dem  Jahre  1633  gedrungen.  Und  doch!  Stammt 
sie  nicht  trotzdem  vielleicht  aus  dem  Abendlande?  Wir 
stellen,  um  dieser,  wie  es  scheinen  kann,  sonderbaren  Frage 


p.  205)  briiiirt  (jar  eiuni  Absclniitt  au.s  üciu  TiooJrof  Xnyo;  mr  U^>oi  xai 
u7in<jT()Xtxoi  <h^hi(TX((Xov  K'f.t'fUH'Tng  nSQt  tjqoi  nt'«^  xiu  (itxuioxgttrifti  und 
erwähnt  oino  (h&uaxaXiu  kkt]uevTog  (vgl.  Credncr  a.  u.  ü.  fe.  241). 
1)  Doctr.  XXin. 

8)  Kai  Off«  T'",c  vi€tg  fhoxQVff«  .  ,  .  .  kXruSyrnc  a' .  \  <xr//ot  ,ßx'' 
(Vgl.  Crediier  a.  a.  0.  S.  244).  Es  i,st  beaclitouswcTt,  dass  dk  Briete 
auch  in  der  vollständigen  alexandrinischen  Handsclirift  etwa  27lhj  Stichen 
gcfiiUt  haben  müssen.  Bringt  man  die  Halbzcilcn  in  Anschlag,  so  kumuit 
mau  auf  2<J(.)0.  Ebenso  viele  zahlte  auch  die  Vorlage  der  constantino- 
politaniscben  Handschrift;  denn  zu.  ,^x'  ^  vobl  das  arZ/ot  des  Schrei- 
bers zu  ergänzen,  nnd  die  Stieheiizahl  aeiner  eignen  Schrift  kann  er  nicht 
meinen.  Mithin  moss,  so  dürfen  wir  ecUiessen,  die  Angabe,  beide  Briefe 
zählen  zusammen  2600  Stichen,  eine  sehr  alte  sein. 

>)  De  fide  ortfaod.  IT,  17:  Nach  Kennung  der  Apokalypse  heisst 
es:  *m/6$fte  riüy  uykav  n7to9r6lwp  nak  intvroXni  &vo  dui  fCXiffUVTOs 
<vgL  Credner  a.  a.  0.  S.  247ff.). 

Bryennins  a.  a.  0.  S.  n\  8.  118. 

^)  Von  Hieronymus  nnd  Bufinns  ist  abzusehen. 

^)  VgL  nnsere  Aufgabe  p.  LXIX. 


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DER  SOG.  n.  BRIEF  DBS  GUBMBNS  AN  DIE  KOBINTHER.  2B1 


nähfir  zu  treten,  die  wicktigsteu  Krgeboisse  der  Untersuchung 
sns&nunen: 

1)  Die  namenlose  Homilie,  welche  später  der  zweite  Brief 
des  Clemens  an  die  Kerinther  genannt  wurde,  hat  eine 

Zeit  lang  überall  oder  in  einzelnen  Gegenden  für  cle- 
mentinisch  gegolten,  ohne  als  Kor intherbrief 
bezeichnet  worden  zu  sein«  Also  ist  die  Adresse  ,,an 
die  Kerinther**  völlig  wertlos  und  bei  der  Untersuchung 
des  Ursprunges  der  Homilie  einfoeh  aosser  Acht  m 
lassen. 

2)  Noch  im  sechsten  Jahrhundei*t  war  ihre  Stellung  neben 
dem  Brief  des  Clemens  an  die  Korinther  nicht  völlig 
gesichert;  Einige  zählten  sie  auch  nach  den  beiden 
Briefen  de  viiginitate. 

8)  Die  Homilie  wurde  besonders  in  monophysitisdien  Krei- 
sen viel  gelesen;  wie  denn  auch  die  Zeit,  in  welcher 
sie  so  plötzlich  zu  hohem  Ansehen  gelangt,  mit  der 
Zeit  der  brennenden  christologischen  Kämpfe  zusammen- 

mt 

4)  Eusebius  hat  von  der  Existenz  der  Homilie  h(kshst  wahr- 
scheinlicher Weise  schuu  gehöii,  aber  auch  nur  gehört. 
Die  Kreise,  in  denen  sie  damals  gelesen  wurde,  lasen 
sie  als  einen  Brief  des  römischen  Clemens.  Dieselben 
sind  nicht  in  Alexandrien,  überhaupt  nicht  in  den 
dem  Eusebius  bdmnnten  orientalischen  Kirchen  zu 

suchen. 

5)  Aus  der  Geschichte  der  Homilie  in  den  orientalischen 
Kirchen  vom  sechsten  Jahrhundert  ab  kann  man  betreffs 
Ursprung  und  Herkunft  derselben  nichts  lernen. 

Und  was  besagen  diese  Besultate?  Allerdings  nicht  eben 
viel.  Sie  lassen  nur  mehr  oder  weniger  wahrscheinliche  Hypo- 
thesen zu.  Wenn  die  Hoiiiilie  nicht  deshalb,  weil  sie  vu*sprüng- 
lich  auch  zur  korinthischen  Gemeinde  in  einer  Bezieiiiinü^  stand, 
dem  Briefe  des  römischen  Clemens  an  die  Korinther  beige- 
sellt worden  ist,  so  scheint  das  tertium  compamtionis  bei  den 
Terfassern  gesucht  werden  zu  mflssen^  oder  —  vorsichtiger 
ausgedruckt  —  so  ist  es  eine  nicht  ganz  unbegründete  Hypo- 
these, dass  die  Homilie  deshalb  in  den  Bannkreis  des  clemen- 


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282 


HABKACK, 


tiüischen  Korintherbriefes  versetzt  wurde,  weil  sie  wie  dieser 
aus  dem  Abendland  in  das  Morgenland  gekommen  ist. 
Und  wenn  keiner  der  griechisehen  Väter  Tor  EnsebiuB  eine 
Kunde  von  der  Homilie  gehabt  hat,  Eusebias  aber  eine 

solche  verrät,  ohne  doch  die  Schrift  selbst  ge^ellell  zu  haben, 
so  ist  es  wiederum  nicht  unwahrscheinlicli ,  dass  die  Homilie 
abendländischen  Urspniiit^^  ist  und  eben  damals  um  den  An- 
&ng  des  vierten  Jahrhunderts  von  dort  in  den  Orient  kam. 
Wenigstens  weiss  ich  keine  bessere  Erklärung  der  hier  vor- 
liegenden Tatsachen.  An  das  griechische  Syrien,  welches  man 
in  Vorschlag  bringen  könnte,  weil  dort  die  Homilie  för  uns 
am  frühesten  aufgetaucht  ist,  möchte  schon  deshalb  nicht  zu 
denken  sein,  weil  die  mangehide  griechische  Bezeugung  und 
die  Unkenntnis  des  Eusebius  sich  dann  schwerer  erklären 
lassen,  während  doch  die  Homilie  jedeuMs  noch  dem  zweiten 
Jahrhundert  angehört  Gegen  das  Abendland ,  näher  Rom, 
als  Abfassungsort  spricht  aber  weder  die  griechiche  Spraclie, 
in  der  die  Homilie  verfasst  ist  ^) .  nocli  das  tiefe  Schweigen 
der  abendländischen  Väter.  Was  das  letztere  betrifft,  so 
braucht  nur  daran  erinnert  zu  werden,  dass  ja  auch  der  Eo- 
rintherbrief  des  Clemens,  d.  h.  das  alte  römische  Gemeinde- 
schreiben, völlig  vergessen  worden  ist.  Kein  Römer  hat  es, 
so  viel  wir  wissen,  vor  dem  17.  Jahrhundert  je  citirt.  Die 
äusseren  Zeugnisse  für  die  Homilie  weisen  uns  also  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  auf  das  Abendland;  kam  von  Born  her 
nach  Ablauf  des  dritten  Jahrhunderts  oder  um  die  Mitte 
des  vierten  durch  irgend  welche  Zuliilligkeiten  eine  Abschrift 
der  Homilie  in  das  Morgenland,  kam  sie  Zeitbedürfnissen  ent- 
gegen —  und  schon  ihre  Anfangsworte  griffen  in  die  christo- 
logischen  Streitigkeiten  ein;  viele  Mahnungen  in  ihr  gefielen 

^)  Man  wende  nicht  ein,  Eusebius  un»l  keimr  <ltr  iilUren  priechi- 
Bchen  Väter  kenne  die  In  iden  Briefe  de  virginitate-,  d.  rin  es  liegt  kein 
Grund  vor,  diese  Sclnütstücke  vor  Ablauf  des  dritten  Jahrhunderts  ent- 
standen sein  zu  lasse  n 

2)  Vgl.  den  Ab^ollllitt:  ..Wie  es  sich  im  zweiten  und  dritten  Jahr- 
hundert in  der  rüiuisehcn  Genit-iiide  beim  Gottesdienst,  bei  der  Kate- 
chese und  beim  Taufact  in  Bezug  aut  den  Gebrauch  des  Griechischen 
und  Lateinischen  v.rlijelt"  bei  Caspar i,  Quellen  zur  Geschichte  des 
Taut'ü^üib'jls  m  (1870),  S.  451—465. 


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DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KOBIMTHBB.  283 

dem  asketischen  Sinne  der  Zeit  — ,  trug  sie  deutliche  Spuren 
eines  höheren  Alters  —  und  wer  konnte  diese  verkennen?  — , 
80  erscheint  es  nicht  mehr  anfbUend,  dass  man  sie  mit  dem 
Namen  des  Mannes  in  Verbindung  brachte,  der  dem  Orient 
als  der  grösste  Abendländer  galt,  dessen  Ansehen  noch  immer 
im  Wachsen  begriüen  war,  dessen  Beziehungen  zum  Morgen- 
lande man  mmderbar  phantastisch  zu  Termehren  trachtete. 
Das  flbrige  ergab  dch  von  selbst  Wir  werden  zu  nnter- 
saehen  haben,  ob  innere  Gründe  diese  Hypotiiese  stfitzen« 

  (Schluas  folgt.) 

1)  Wie  man  daza  gekommen,  die  HomiUe  Ifir  einen  Brief  ana- 
zugeben,  w&hiend  doch  ihre  Form  dentlieh  dairidefspiichfy  ist  nldit  mehr 
zu  ermitteln,  aber  anek  wenig  wichtig. 


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Kiiti«che  Uebersiclit 

Aber  die  kircbeogesebiditlicheii  Arbeiten 

aus  dem  Jahre  1875. 


n. 

Geschichte  der  Kirche  von  325  bis  768. 

Von 

Prof.  D.  W.  Moeller. 

1.  Allgemeinere  Darstellangen. 

Bich.  Rothe*8  Vorlesimgen  über  Kirchengeschichte  und  Geschichte 
dos  christlich -kirchlichen  Lebens,  herausgeg.  von  H.  Weingarten. 
II.  Teil:  Die  katholische  imd  ]>rotestantiscbe  Zeit.  (Heidelbeig» 
Mohr.)   XX,  556  S.  in  ^.  S.    S.  1—187. 

Qust.  Fr.  Hertzberg,  Die  Geschichte  Griechenlands  niiter  der  Herr- 
scbalt  der  Römer.  III.  Teil:  Von  Septiiuius  Severus  bis  auf  Justi- 
nian  I.  Auch  unter  dem  Titel:  Der  Untergang  de.s  HLllenismus 
und  die  Univenitat  Athen.  (Halle,  Waueohana.)  VIII,  571  S.  in 
gr.  8. 

Ueber  den  ganzen  hier  za  berOcksichtigeuden  Zeitraum 
erstreckt  sich  der  erste  Abschnitt  des  zweiten  Bandes  der 
Ko theschen  Vorlesongea,  welche  allerdings,  so  wie  sie 
Weingarten  herausgegeben  hat,  nicht  eine  vollständige 
Kirchengeschidite  enthalten,  da  alle  sich  nur  an  die  Dar- 
stellungen von  Gieseler,  Hase  und  Baur  anlehnenden 
Stücke  mit  Recht  weggeblieben,  nur  die  für  Rothe's  Auf- 


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KJLKCJU£NQ£ÖCH1CUT£  VON  325-766,  VON  MOiuLi£K.  285 

fassimg  des  geistigen  und  sittlicheu  Entwicklungsgangs  der 
Kirche  cbanikteristischen,  wirklich  eigentOmliehen  Ahsclinitte 
zum  Abdruck  gekoninKMi  sind.  Sie  bilden  einen  mit  Botbe» 
8chw  Z&higkeit  durchgeiahrten  historischen  Gommentar  za 
seinem  Kirchenbegriff.  Auch  heute  noch  wird  man  die  Er- 
Meningen  über  das  Idrchliche  und  moralische  Leben  der 
Kirche  des  römischen  Reichs,  die  Skizze  über  Gregor  den 
Grossen,  die  Bemerkungen  über  die  prondentielle  Bedeutung 
des  Islam,  die  Schilderungen  des  christlichen  Lebens  in  den 
germanischen  Kirchen  mit  Gennas  nnd  Gewinn  lesen,  wenn 
anch  die  starke  Neigung  zum  Constmiren  das  historische  Ge- 
wissen zu  manchen  Einscliräükungeu  und  Modificationen  lieraus- 
fordert.  Von  anderer  Seite  bietet  sich  für  den  grösseren  Teil 
unseres  Zeitraums  als  ein  willkommenes  Hülfsmittel  auch  für 
den  Kirchenhistoriker  der  dritte  Teil  Ton  G.  Hertzbergs 
Geschichte  Griechenlands  (s.  o.),  welche  bis  anf  den  Unter- 
gang der  Universität  Athen  unter  Justinian  herabgeht.  Der 
grosse  Fleiss  des  belesenen  Verlassers,  der  die  einschlagliche 
Literatur  im  vollsten  blasse  heranzieht,  beleuchtet  im  Kähmen 
der  allgemeinen  Zeitverhältnisse  die  Geschichte  des  Nieder- 
ganges des  dassischen  Landes  unter  Berflcksichtigang  auch 
der  kirchlichen  Verhältnisse.  Während  die  politische  Ge- 
schichte Griechenlands  zur  ünbedeutendheit  herabsinkt,  bietet 
die  mit  besonderer  Vorliebe  und  Ausführliclikeit  behandelte 
Geschichte  des  wissenschaftlichen  Athen  ein  hervorragendes 
Interesse  durch  den  grade  hier  bei  zähem  Widerstand  der 
antiken  Anschauungen  sich  vollziehenden  geistigen  Um- 
schwung 

2.  Zw  patristlsolMa  Iiltorator. 

Bibliothek  der  Kirchenviiter.    Auswahl  der  vorzüglichsten  pft- 
tristischen  Werke  in  deutscher  Uebcrsetzung,  herauBgegeben  unter 


^)  TJnbekaimt  sind  mir  einige  hierher  gehörige  Cransöeisehe  Sehriften 
geblieben.  J.  E.  Ckmstaatin  le  Grand.  2.  öd.  Parle.  144  8.  in  8. 
A.  Bi^oby,  L*AMqiie  an  IV"«  ei^e,  Limoges.  192  8.,  und  die  neue 
Anflage  von  Am.  Tbierry,  B^ts  de  rbietoire  romaüie  an  V"«  si^. 
St.  J4xm».  La  Socidt^  ebr^tienne  en  Ocddent.  2.  ^d.  Paris.  XIV, 
529  6.  m  a 


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286  KRITISCHE  CBEKölCHTEN.  i876.  n. 

der  Oberleitung  von  VaL  TbaXbofn.  (Kempten,  Kösel),  in  gr  16 
Hefte  m-132.  187-140.  142-^144.  151-152.  155^102 
Sanctomm  Patrum  opasenla  selecta  ad  u.sum  pra.?8ertiin  stu- 
dioeomm  ttaeologiae  ed.  et  cammentariis  auxit  H,  Hurter,  s.  j 
Oeoiponti,  Ubr.  Acad.  Wagneriaiia.  Vol.  XXVU.  s.  Aur  Aui^u- 
ßtini  de  eocleeia  Chr.  opuao.  ael.   3ÜCIX.  S.  JtauDis  Cbr.v- 
sostomi  homOiae  V  de  ineomptelieiiBibm  et  S.  Gregorii  Tbeol 
volg.  Na«.  orationeB  theel.  V.  XXX.  S.  Ambrosii  Mediol  de  fide 
ad  Grat  Aug.  a  V.  XXXL  S.  Baailii  Caes.  üb.  de  auir.  s. 
ad  Anph. 

Synestt  episeopi  hjnmi  metricL  Apparatu  criticu  adiecto  ed  Job 
Flach  (Tiibiiig.,  Pnee.).  XVI,  58  S.  in  kl.  8. 

J.  P.  K.  Iiaad,  Aneedota  Syriaca.  Tom.  IV  {Specialtitel:  Otia  Sv- 
riwa).^  (Lugd.  Bat.,  E.  J.  Brill.)    XVI.  23G  lat.,  224  syr.  S.  in  4. 

IL  Pabbe  UaaeUxi,  Saint  Pierre  et  J^aint  Paul  daus  I  cglise  Nesto- 
rieofie.    (EsMt  de  la  Kevue  des  scieuces  eccle«ia.«?ti.jues).  Paris 
Maison  nenve  (Amiens,  Glorieiuv}.    151  S.  in  S.   Dazu  der' syrische 
Anhang:  Offices  en  l*honneur  des  öainta  Pierre  et  PaiU  1  Office 
Nestorien.  (51  8.) 

Mavoi  Biaooni  vita  Pori-hyrii  episc.  Gazensis  ed.  ex  cod.  Vindob. 
BW.  a  Hanr.  Haupt.  (Berlin,  Düiumler.)  s7  S.  in  gr.  4.  (Ab^ 
dmck  ans  den  Abbandlungen  der  köni^I.  Akad.  d.  Wissensch.) 

W.  Nowack.  Die  Bedeutung  des  Hieronymus  lür  die  alttestamentüche 
Textkritik  (Göttingen.  Stäge).    55  S.  in  8  i). 

J.  G.  Tii.  Miülerus.  ^uaestiones  Lactantianae.  60  S.  in  8.  Göttinir. 

J.  Dräaeke,  M.  Tullii  Ciceronis  et  Ambrosii  ej..  Med.  de  officiis  libri 

tres  inter  se  comparantur.    Aug.  Taur.,  Loeecber.   46  S.  in  gr.  8 

(Abdruck  aus  der  Rivi>ta  di  Filologia.) 
I*.  Ii.  Rochat,  Le  catL-ehumcuat  au  lV»e  siecle  d'apres  les  cat^chc^ses 

de  St.  C^Tiile  de  Jerusalem.    144  S.  in  gr.  8.  (Genfer  theolog. 

Dissert.) 

Pr.  Boehringer,  Die  Kirche  Christi  und  ihre  Zeugen.    VIL  Band. 

2.  Aufl.  2.  Ausg.  (Stuttg.,  Meyer  u.  Zeiler.)  VIII,  184  8.  in  gr.  8. 
Martin,  St.  Jean  Chrysostome,  ees  ccuvres  et  son  sitele.  Paiie.  8  voU. 
Punk,  Johannes  Chrysostomus  und  der  Hof  von  Conatantinopel,  in  der 

Tübing.  „Theol.  Quartalschrift".   57.  Jahig.  S.  449—480.  ' 

J.  Ciampi,  J,  Cassiodori  nel  V  e  nel  VI  aecnlo.  Ptote  I.  Imola. 
220  S.  «-v«. 

W.  Zsohimmer,  Salvianne,  der  Pkeibyter  von  Massilia,  nnd  »eine  Schrif- 
ten. Ein  Beitrag  znr  Geechichte  der  christlich -lateinischen  Lite- 


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KIBCHENGESCmOBTE  TON  825—768«  TON  MOELLER.  287 


ratur  im  fünften  Jahrhundert.  IV,  90  8.  in  gr.  b.  Jenaer  philos. 
Dissert.  (auch  im  Bacbbandel:  Halle  a/S.,  Niemeyer). 

K.  WenMT»  Beda  der  EhrwQrdi^  und  seine  Zeit  (Wien,  BranmflOer). 
VIH,  286  8.  in  gr.  a 

Ph.  Diel,  Der  heiL  Maximinus  und  der  heil.  Paulinus,  Bischof  von 
Trier,  oder  Geschichte  Triers  im  vierten  Jahrhundert  mit  beson- 
derer Blteksiebt  auf  den  Kampf  der  Kirche  mit  dem  Arianismus 
(Trier,  Groppe).   X,  322  S.  in  8. 

Ffir  die  patristiscbe  Literatur  hat  die  bekannte 
Eemptener  Bibliothek  der  Kircben^ftter  in  einer  weitem  Zahl 

von  Heften  deutsche  üebersetzungen  von  ausgewählten  Schrif- 
ten von  Athanasius»  Basilius,  Hieronymus,  Chrvsolocfus  und 
Gregor  dem  Grossen  und  der  im  ei*sten  Hefte  dieser  Zeitschrift 
bereits  hinlänglich  charakterisirten  „Briefe  der  Päpste'*  ge- 
geben, w&hrend  die  Hnrtersehe  fOr  das  Studium  der  katho- 
lischen Hieologen  bestimmte  Sammlung  ausgewählter  Väter- 
schriften in  lateinischer  Sprache  bis  zum  31.  Bändchen  fort- 
geschritten ist.  Einen  kritischen  Wert  haben  die  Textabdrücke 
nicht,  und  das  Griechische  scheint  den  studiosis  theologiae 
erspart  werden  zu  sollen,  denn  Schriften  von  Chiysostomus, 
Gregor  von  Nazianz,  Basilius  erscheinen  hier  nur  in  lateini- 
scher  üebersetzung.  Von  den  Hymnen  des  Synesius  hat 
Flach  eine  billige  Ausgabe  des  griechischen  Textes  ge- 
liefert mit  einem  zur  Orientirung  nicht  recht  genügenden, 
aber  einiges  neue  bandschriftliche  Material  bietenden  kri- 
tischen Apparate.  Der  vierte  Band  von  Lands  Anecdota 
Syriaca  gewährt  zwar  nicht  so  wichtige  kirchengeschichtliche 
Ausbeute  wie  seine  Vorgänger,  immeiliin  aber  doch  Be- 
merkenswertes. Wir  erhalten  hier  1)  die  Loü^k  Paulus  des 
Persers,  eines  christlichen  Philosophen  aus  dem  sechsten  Jahr- 
hnndert«  mit  einer  Dedicationsvorrede  an  den  fOr  einen  Freund 
der  Wissenschaft  geltenden  Chosru  Nuschirwan;  2)  den  Fbysio- 
logus  Leidensis  mit  eingehenden  Erörterungen  des  gelehrten 
Herausgebers  über  das  Verhältnis  der  verschiedenen  uns  er- 
haltenen Recensionen  oder  Gestaltungen  dieser  auch  vom  la- 
teinischen Mittelalter  mit  grosser  Vorliebe  gepflegten  christ- 
lichen Natun^bolik,  deren  eigentliche  Heimat  Land  in 
Alexandrien  sucht.  Femer  Fragments  Syropalaestina ,  Evan- 

ZdlMkf.  f.  K..0.  19 


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288 


KRITI8GHB  ÜBERglCHTEN.  lS7d.  IL 


gelien-  und  Psalmenstücke  aus  Lectionarieii ,  und  einige  ia 
griechischen  Sammlungen  nicht  nachweisbare  s\Ti sehe  Hymnen 
(einige  auf  Johannes  dra  Tftufer  und  eine  anf  die  Mflrfyrer); 
endlich  Mftrtyreracten  des  Philemon  (f  311).  Hinsichtlich  des 
aristotelischen  Logikers  Paulus  hat  Nöldelre^)  bereits  die 
nichts  woniger  als  kirchlich  befangene  Sprache  der  Vorrede 
charakterisirt.  Freilich  niiiss  Paulus  auch  der  Ueberlietcrung  als 
ein  lauer  Christ  gegolten  haben,  da  Barhebr&us  (wie  Land  nach 
Assemani  anführt)  zwar  sot'ohl  seine  kirchliche  Wissenschaft 
als  seine  Philosophie  rfihmt,  aber  auch  weiss,  er  sei  asu  den 
.Magiern  übergegangen,  nachdem  es  ilini  nicht  geglückt  sei, 
Metropolit  von  Pei-sien  zu  werden.  —  Der  Abln^  Martin  hat 
mit  eingehenden  Untersuchungen  über  das  nestorianische  Bre- 
viarium  ein  syrisches  Officium  Sti  Fetri  et  Pauli  herauagegeben. 
Er  steht  dabei  freilich  ganz  unter  dem  Einfluss  der  Bestrebungen 
der  unirten  Nestorianer  (Chaldäer) ,  welche  die  vollste  üeber- 
einstimraung  der  nestorianisclien  Tradition  mit  Rom  hinsicht- 
lich aller  Dogmen  und  namentlich  auch  hinsichtlich  des  Pri- 
mats Petri  nachzuweisen  bemüht  sind:  ich  erinnere  nur  an  den 
Bischof  Geoigius  Ebedjesus  EhayTftth  von  Aroeh-  Diarbekir,  den 
VerÜGisser  der  Schrifl;  „Syri  Orientales,  seu  Ohaldaei,  Nestoriani, 
et  Romanorum  Pontificuni  primatiis*',  welcher  den  chaldäischeii 
Patriarchen  Jussuf  Audo  zum  vaticanischen  Concil  nach  Rom 
begleitete.  Allein  der  Wert  d^r  T'ntersuchungcn  über  das  bis- 
her noch  wenig  bekannte  syrische  Brevier  (vgl.  Bichel,  Gon- 
spectus  rei  Syroruro  literariae  p.  87 sq.),  wofSr  er  auch  das 
1866  in  Mossnl  gedrackte  sogenannte  Dakdam  vebätbar  be- 
nutzte, wird  direct  durch  solche  Tendenzen  wenig  beeintriich- 
tiirt.  Weiüi  in  den  Gebeten  des  mitgetoilten  Ofhciums  die 
beiden  Apostel,  Petrus  der  Apostelfurst  mit  den  Schlässeln 
und  Paulus  der  Lehrer  der  Heiden,  welcher  der  Gesidite 
gewürdigt  ist,  ihr  Kommen  nach  Rom,  ihr  Kampf  mit  Simon, 
ihr  ^liirtyrertuiii  unter  Nero  in  ermüdend  sich  wiederholenden 
Wendungen  und  mit  Betonung  ihrer  Zusammengehörigkeit 
gei>riesen  werden,  so  sind  dies  freilich  nach  der  kirchlichen 
Tradition,  wie  sie  bereits  im  vierten  Jahrhundert  voUkonraien 


1)  Lit.  Centr.-Bl.  1876,  Nr.  5. 


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KIECHENGEiiCHlCHTE  VON  3-25 -763,  VON  MOELLER.  28& 


feststand,  ganz  selbstventftndlicbe  Dinge,  von  denen  nicht  ab- 
zusehen ist,  wie  der  Rom -freundliche  Verfasser  daraus  Walfen 
gegen  die  moderne  Kritik  der  römischen  Petrustradition  ent- 
nehmen zu  können  hofft,  auch  wenn  es  mit  dem  hohen  Alter 
des  Officiums,  d.  h.  mit  dem  Zorfickreichen  desselben  vor  die 
^  Trennung  von  der  griechischen  Reichsitirche,  seine  Richtigkeit 
hat.  Auf  die  Arbeiten  desselben  Verfassers  über  Jakob  von 
Sarng,  welche  un.'^  dernnüchst  näher  genickt  sein  werden,  sei 
hier  nur  vorläutig  liiiiL^ewiesen.  —  Den  Druck  der  griechi» 
sehen  Vita  des  in  Zerstörung  des  Heidentums  zu  Qaza  tätigen 
Bisehofs  Porphyrins  zur  Zeit  des  Arkadius,  welche,  von  seinem 
Scbtiler  Marens  Diakonns  geschrieben,  bisher  nur  lateinisch 
bei  Surius  und  den  Bollandisten  (26.  Februar)  bekannt  war, 
verdanken  wir  noch  Mor.  Haupt,  der  sie  bereits  1869  der 
Berliner  Akademie  vorgelegt  hatte. 

*  Von  Einzeluntersuchungen  zur  patristischen  Literatur^- 
geschichte  sind  zu  erwähnen:  1)  Nowacks  von  Sachkennern 
günstig  beurteilte  Untersuchung  über  die  Bedeutung  des  Hie- 
ronymus für  die  alttestamontliche  Textkritik;  unter  anderm 
erhärtet  er  aufs  neue  den  bereits  von  TTupfoM  gei^di.'nen 
Nachweis,  dass  Hieronymus  einen  Text  ohue  Vokale  und  dia- 
kritische Zeichen  vor  sich  hatte,  und  zeigt  durch  sorgfältige  Zu- 
sammenstellungen, dass  doch  in  einer  ganzen  Reihe  von  Stellen 
Lesarten,  die  dem  Hieronymus  eigentümlich  oder  mit  dem  Chiil- 
däer  und  Syrer  gemeinsam  sind,  auf  einen  vom  MaöoretliiscUen 
abweichenden  Text  hinweisen.  2)  Sehr  mit  Recht,  wie  mir 
scheint,  ist  Muller  (s.  o.)  f&r  die  Echtheit  der  drei  auch 
noch  in  Fritzsches  Au^be  unter  den  Text  verwiesenen 
„dualistischen"  Stellen  des  Lactanz  (Instii  div.  II,  8;  VH, 
5,  de  opif.  dei  19)  eingetreten.  Die  Handschriftenfrage  be- 
dürfte dabei  wolil  noch  eines  reicheren  Materials  zur  Ent- 
scheidung, als  dem  Verfasser  zu  (Gebote  stand;  aber  dass  der 
angebliche  Mamchftismus  der  Stellett  gar  kein  Manichäismus 
ist  und  die  wirklich  vorhandene  relativ  dnalistlsche  Anschauung 
auch  sonst  bei  Lactanz  sich  findet,  dass  die  Diction  in  den 
beanstandeten  Stellen  in  Wahrheit  durchaus  für  Lactanz 
spricht,  auch  der  Zusammenhang  durch  sie  keineswegs  unter- 
brochen wird,  hat  MuUer  gut  nachgewiesen.    Nur  hätte  er 

19* 


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390 


KBinSGHE  ÜBERSICilTBN.  1876.  IL 


nicht  zuletzt  darauf  verfallen  aoUen,  den  dualistischen  Zug* 
bei  Lactanz  doeh  auf  manichäischen  Einfluas  (den  er  sogar 
darin  findet,  daas  Lactanz  chriatiannm  stipendia  &cere  vetat!) 
zurückführen  zu  wollen,  geschweige  denn  das  christologisch  Be- 
denkliche auf  Arianismus!  Richtiger  kommt  er  dann  auf 
allgemeinere  philosophische  Einflüsse  und  ganz  zuletzt  auf  die  ' 
Fseadoclementinen.  3)  Nachdem  zuletzt  noch  E her t  das  in* 
teraasante  YerhSltnis  zwischen  dem  antik- römischen  Moralisten 
C^eero  nnd  dem  christlich -Irirchlichen  Ambrosins  fein  nnd 
umsichtig  dargestellt,  l)ringt  die  in  gutem  Latein  geschrie- 
bene Dissertation  Dräsekes  (s.  o.)  für  das  literarische  Ver- 
hältnis und  die  principielle  Charakteristik  zwar  nicht  erheb- 
lich nenes,  ist  aber  doch  geeignet,  an  einer  Beihe  einzelner 
Punkte  sowohl  Abhängigkeit  und  Verwandtschaft  als  auch 
die  teils  specifisch  christlichen,  teils  specifisch  kirchlichen 
Umbildungen  und  Gegensätze  klar  zu  machen.  4)  Rochats 
Dissertation  über  den  Katechumenat  im  vierten  Jahrhundert 
nach  Cyrills  Katechesen  (s.  o.)  ist  zu  wenig  vertraut  mit 
den  neuen  Untersuchungen  und  zeigt  zu  geringe  Selbständig- 
keit, als  dass  sie  wissenschaftlichen  Wert  beanspruchen 
dürfte 

Von  grösseren  jiatristischen  Monographien  ist  der  siebente 
Band  von  Böhringers  begehst  brauchbarem  Werk,  Basilius 
enthaltend,  zu  nennen.  Das  Werk  (wohl  nur  neue  Aufgabe) 
Aber  Job.  Chrjsostomus  von  Martin  (s.  o.)  ist  mir  lei- 
der nicht  zugänglich  geworden.  Funks  akademische  Rede 
über  Johannes  Chrj^sostomus  und  den  Hof  von  Constantinopel 
(s.  0.)  ist  unbedeutend  und  ziemlich  farblos.  Auch  der  erste 
Teil  eines  italienischen  Werks  über  die  Cassiodore  im  fünften 
und  sechsten  Jahrhundert  (s.  o.)  ist  mir  noch  unerreichbar 
geblieben  *).  Eine  gute  Monographie  Ober  den  fUr  die  christ- 
liche Sittengeschichte  des  fünften  Jahrhunderts  so  wichtigen 
Salvian  hat  Zschimmer  geliefert.    £s  werden  hier  di« 


1)  Beiläufig  sei  hier  noch  angemerkt:  W.  HoUenberg,  Kritische 
Bemerkungen  za  TheodoruB  Mops.  JohanneB- Scholien  (in  den  TheoL 
Stod.  u.  Krit.  1875,  S.  748—52). 

s)  Die  dritte  Auagabe  von  Beinkens'  „Martin  von  Tonn"  ist 
nur  neue  Titelauegabe. 


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KIBGHENOEBCHICBTE  VON  825  -  768,  VON  MOELLBR.  291 


ziemlich  ddrftigen  Notizen  über  sein  Leben  besfprochen,  der 
Gehalt  seiner  schrifistelleriseheii  Tätigkeit  im  (Gegensatz  gegen 
die  Hohlheit  der  Rhetoren- Literatur  und  Sebulpoesie  hervor- 
gehoben und  die  Schriften  De  gubernat.  und  Adv.  avaritiam 
eingehend  analysirt  und  beleuchtet.  Empfiehlt  die  zuletzt 
genannte  Schrift,  indem  sie  in  der  Tat  von  der  ciasaesten 
VorsteUnng  der  Yerdienstlicbkeit  kirchlicher  Werke  ausgeht, 
eifrig  die  Maiime«  seine  Gflter  der  Kirche  zu  vermachen, 
80  bonliht  sich  der  V^rfiisser,  an  die  Stelle  der  so  oft  des- 
wegen laut  gewordenen  Verdammung  eine  gerechtere  Be- 
urteilung zu  setzen,  worin  ihm  allerdings  Ebert  und  An- 
dere vorangegangen  sind.  Wie  er  mit  Kecht  betont,  dass 
Salvian  in  De  gubemat  in  der  scharfen  Kritik  der  Zeit- 
sQnden  sich  keineswegs  einseitig  auf  den  kirchlichen  Stand- 
punkt stelle,  sondern  auch  die  volkswirtschaftlichen  und  socialen 
Misstiinde  in  den  Bereich  seines  Urteils  ziehe,  meint  er,  dass 
Salvian  iu  der  Schrift  De  avarit.  eine  durchgreifende  Keform 
der  ganzen  bestehenden  GesellschaftsverhältDisse,  und  zwar  auf 
christlich-asketischer  Grundkge  angestrebt  habe.  „Wir  hatten 
also  hier  einen  ersten  VeTsuch,  die  sogenannte  sociale  Frage 
vom  christlichen  Suiiiii'Uükt  aus  in  grösserm  Umfang  zu 
lösen.''  Wenn  schon  oft  auf  die  Berührunpf  Salvians  mit 
Lactanz  hingewiesen  worden,  so  zeigt  Zschimmer,  dass  die 
sftmmtlichen  Citate  aus  ältem  lateinischen  Schriftstellern  in 
De  gubem.  sich  bei  Lactanz  und  zwar  auf  wenigen  Seiten 
zusammen  finden  und  dass  fast  alle  Gedanken  des  ersten  con- 
strueiiven  Teils  jener  Schritt  dem  ersten  Buch  der  Institu- 
tionen entlehnt  erscheinen.  Die  Armut  an  Gitaten  steht  im 
scharfen  Gegensatz  zur  prunkenden  Bhetoren  -  Literatur.  Unter 
die  wenigen  Citate  aus  unbekannten  Schriftstellern  (S.  63) 
rechnet  der  Verfesser  auch  zwei  Schriftcitate,  die  er  nicht 
als  solche  erkannt  hat,  iiäinlicb  Prov.  5,  22  und  Sir.  3,  30. 

Ans  K.  Werners  Beda  (s.  o.)  Ifisst  sich  zwar  ein  be- 
quemer Ueberbiick  über  Bedas  Werke  gewinnen ;  wissenschaft- 
liche Forderung  aber  dürfte  das  überflüssig  breit  angelegte 
Werk  nicht  bieten,  weder  hinsichtlich  der  historischen  Be- 
deutung Bedas  und  der  angelsllchsischen  Kirche  sowie  ihres 
vom  Verfasser  nur  ganz  oberflächlich  gestreiften  Verhältnisses 


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zur  altirisch  -  britischen  Kirche,  noch  in  l^etreft'  der  literar- 
hibtviiächun  Fragen.  Hier  lässt  namentlich  die  Besprechung 
der  geschichtlichen  Werke  Bedas  ganz  unbefriedigt.  Aulungä- 
weise  berühre  ich  hier  die  Schrift  Diels  über  Maximinos  und 
Paulinus  von  Trier,  welche,  da  die  Erhaltung  der  wenigen  ge- 
schichtlich siehern  Nachrichten  über  diese  Mftnner  grösstenteils 
ihrer  Verflechtung  in  die  arianischen  Streitigkeiten  zu  danken 
ist,  einen  guten  Teil  der  arianischen  Kämpfe  mitbehandelt, 
freilich  in  wenig  wissenschaftlicher  Weise.  Damit  verbindet 
sich  denn  der  Inhalt  der  legendenhaften  vitae  und  der  „Trier- 
scheu  Traditionen*'  zu  einem  seltsamen  und  wüsten  Ganzen. 
Denn  auch  wo  Diel  nicht  geradezu  für  die  Geschichtlichkeit 
der  Sagen  einzutreten  wa^^t,  kann  er  es  nicht  über  das  Herz 
bringen,  sie  niclit  in  behaglicher  Breite  einzutiechten.  Auch 
in  dem  Anlauf  kritischer  Untersuchung,  welchen  er  bei  dem 
angeblichen  Kolner  Concil  von  346  macht,  hat  der  Yertoer, 
wie  er  übrigens  ehrlich  zugesteht,  nur  das  Verdienst,  die 
Bettung  dieses  Concils  durch  den  Ijollandisten  de  Buck  (im 
•  11.  October- Bande),  nebenbei  auch  durch  Friedrich,  zur 
Widerlegung  Binterims  zu  verwerten 

3.  Zur  Qnelloakrltlk. 

J^aUaal  finpevatoriB  qiue  supenimt  praeter  reliqnias  apud  C}  rillnm 
omnia,  ree.  Fr.  C.  Hertlein.  Vol.  L  Lipsiae,  ap.  Teabner.  Tin, 

432  1).  in  a 

C.  Henning,  Vau  uugeUruckter  Brief  tles  Kaii>ers  Julian,  in  „Heruies** 
IX,  S.  257-2G6. 

Ammiani  Marcellini  reruni  gestaruni  libri  qna*^  sajKTHUut.  R<?c. 
ni'ti.Miae  sekt?tis  instruxit  V.  Gardtbauseu.  Vül.  IL  Lipa.  ap. 
Tcubner.    iiöU  b.  iu  8 

1)  Nicht  gesehen  habe  ich:  Grcgorioe  Nasiancenns.  Eloge  fanebre 
de  C^saire.  Expliqud  litt^ialeiaent,  tradnit  en  fran^ais  et  annot^  par 
£.  Sommer.  Paris.  HO  p.  —  Deagh  V.  Hansen,  Tie  de  Sl  HUaire, 
4veque  de  Pottters  et  doctenr  d^^glise.  Litxemb.,  Bruck.  86  p.  in  8.  — 
DesgL  Lottls  Pierrngnea,  Vie  de  St  Honorat,  fondatenr  de  L^rins 
et  ereqne  d*Arles.  Origines  cbr^tiennes  de  Provence.  Paris,  Braj  et 
Betaux.  846  p.  in  8. 

2)  Vgl.  „Nene  Jabrb.  f.  Phüol."  Bd.  CXI,  S.  509—512  (Eysaen- 
bardts  A^ngriffe)  und  S.  653—656  (Gaidtbansens  Entgegnung).  Bfibl 
in  der  Jen.  Lit.-Ztg.  1876,  Nr.  8. 


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KIBCHENOESCmCHTB  VON  825*768,  VON  MOELLER.  293 

F.  Qdrres,  Zttr  Kritik  einiger  Quellen -Schriftsteller  der  spätercu  rö> 
mischen  Kaiserzeit  (in  ,,Neite  Jahrb&cher  für  Philologie'',  Bd.  CXI» 
S.  201—221). 

G.  K!aaffinaim,  Die  Fasten  der  8|^teren  Kais*  rz^it  als  ein  Mittel  zur 
Kritik  der  weströun' sehen  Chroniken  (im  „PliüologaB''»  Bd.  XXXIV, 
&  286—296  und  886-418). 

O.  Holdoir-Bgger,  Üeber  die  Wdtdmnik  des  flogenannten  Sevenu 
SnlpitiiiB  nnd  afidgaUiaolie  Annalsn  des  fOnftoi  JabrhnndBtts.  Ein« 
Qnelknnntanochnng.  75  S.  in  &  Gdtting.  philoi.  Dim.  (anek: 
Güttingen,  PeppmtUler)  i). 

W.  Axndt,  Bimhof  Marius  von  ATentieum.  Sein  Leben  und  seine 
Chronik.  Nebet  einem  Anhang  Über  die  Coosnlreihe  der  Chronik. 
96  S.  in  8.   Leipziger  Habilitationsselirift. 

H.  Hertzberg,  Uober  die  Chroniken  des  Isidorus  von  Sevilla.   In  den 

„Forschungen  zur  deutschen  Geschichte",  Bd.  XV,  8.  289—360. 

O.  Stäckel,  Zur  Kritik  des  Gregor  von  Tours.  23  S.  in  4.  Ik  rlin.  Frograiuni. 

Einen  interessanten  Fand  hat  G.  Henning  veröffent- 
licht, einen  bisher  unbekannten  Brief  des  Kaisers  Julian,  der 

deun  wohl  in  der  zu  erwaitiMiden  Fuiisetzung  der  Teubner- 
schen  Handansirnbe  der  Werke  Julians  von  Hertlein  Aiil- 
ualime  üudeu  wird.  An  der  Autorschaft;  Julians  ist,  obwohl 
er  so  wenig  wie  der  Briefempfänger  genannt  ist,  nicht  zu 
zweifeln.  Wir  machen  da  die  Bekanntschaft  eines  Bischofs 
„der  Galiläer*',  Pegasins,  der  schon  bei  dem  Besuche  Neu- 
iliums  durch  den  Prinzen  Julian  von  diesem  als  ein  heim- 
licher Freund  de?  Götter  durchschaut  worden  war,  der  die  heid- 
nischen Heiligtümer  klug  zu  schützen  gewusst  hatte  und  als 
er  sie  dem  Julian  zeigte,  weder  sich  bekreuzte,  noch  Zeichen 
des  Absehens  kund  ^ab;  Julian  belohnt  ihn  dann  mit  einer 
wahrscheinlich  eiiillussr»'ichon  priesteiiichen  Stellung  und  reclit- 
fertigt  das  in  sehr  bezeichnender  Weise:  „Deun  wenn  wir 
die  freiwillig  Kommenden  zurückstosseu,  so  dürfte  so  leicht 
keiner  den  Ermahnungen  [zur  Bückkehr  zu  den  Göttern]  fol- 
gen.*^ —  Die  Gardthausensche  Ausgabe  des  Ammianus 
Marcellinus  liegt  nun  mit  dem  zweiten  Bande  vollendet 
vor.  Der  Herausgeber  hat  die  wichtige  Handschrift  den 
Vaticanus  (ehemals  Fuldeusis)  187ü  ueu  collationirt  und  ihm 


1)  Vgl.  Litcrar.  Ceatralbl.  1:75,  Nr.  43. 


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294 


KBITI8CHB  ÜBEBSKXBTEN.  1876.  H. 


das  entscheideude  Wort  eingeräumt,  auch  einen  zieuilich  reich- 
lichen kritischen  Apparat  beigefügt   Wie  in  den  Ausgaben 
seit  der  Yalesinsschen  üblich,  hat  anch  Qardthansen  die 
Eicerpte  des  sogenannten  Anonymns  Valesianns,  richtiger  der 
beiden  Anonymi  angefügt.   Er  verdankt  Fr.  Rühl  eine  Colla« 
tion  des  einst  von  den  Brüdern  Valesius  benutzten  Claramon- 
tanas, der,  nach  niaiiclieu  Schicksalen  in  England  wieder  aof- 
getaacht  (Bibiioth.  Midelhillensis) ,  jetzt  in  Oheltenham  sich 
befindet;  daneben  hat  Zangemeister  ihm  fftr  den  zweiten 
Anonymus  die  Lesarten  eines  Palatinus  (927)  der  vaticanischen 
Bibliothek  zur  Verfügung  gestellt.  F.  Göri  es  (s.  o.),  zunächst 
veranlasst  durch  seine  Untersuchungen  über  die  Liciniauische 
ChristenTerfoignng,  ist  nicht  nur  für  die  bereits  von  Th.  Momm- 
sen  begrdndete  Behauptung,  dass  wir  es  mit  zwei  verschie- 
denen Schriftstellern  zn  tun  haben,  eingetreten,  sondern  sacht 
auch  die  Zeit  beider  Schriftsteller  näher  zu  bestimmen.  Momm- 
sens  Hauptargumeut  acceptirend,  dass  der  Anonymus  A  nach 
manchen  geogi'aphisch  politischen  Bezeichnungen  vor  die  Zeit 
geh<^re,  wo  unter  Arkadius  und  Honorius  die  mit  der  notitia 
dignitatum  zusammenhängende  Provinzeneinteüung  an  die 
Stelle  der  diocletianisch - constantinischen  trat,  rückt  er  ihn 
doch  nicht  so  hoch  hinauf,  wie  Moinmscn  geneigt  ist  zu 
ton,  sondern  setzt  ihn  etwa  um  390  und  vermutet,  dass 
er  ausser  dem  ndier  Ym  ihm  benutzten  Eusebius  auch  die 
uns  verlorenen  Bücher  des  Ammianos  Marc:  als  Quelle  vor 
sich  gehabt.   Hinsichtlich  des  Anonymus  B  verweist  Görres 
auf  Fall  man  US  Ausführung,  wonach  der  Verfasser  nach 
Theoderichs  Tode,  aber  vor  dem  Ende  der  Ostgotenherrschafb 
schrieb,  und  erinnert  nur  mit  Dahn  gegen  Pallmann,  dass 
der  Verfasser,  der  die  Ostgoten  einmal  alienigeni  nennt,  nicht 
germanischer  Abstammung  sein  künne.    Zur  Kritik  emes 
dritten  Anonymus,  des  sogenannten  An.  post  Dionem  (dem 
Cassius  Dio  in  der  Dindorfschen  Ausgabe  nach  Ang.  Mai 
angehängt),  der  freilich  mit  Dio  direct  nichts  zu  tun  hat, 
weist  Görres  nach,  dass  diese  Sammlung  von  Apophtbegmen 
und  Anekdoten  einiger  Kaiser  und  Feldherm  von  Yalerian 
bis  Oonstantin  einen  christlichen  Verfasser  hat,  der  den  Sozo- 
menos  benutzt,  also  jedenfallä  nach  439  zu  setzen  ist;  er 


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KmCHENGESCRICHTE  TON  826  -  7e8,  TON  MOELLES.  296 

ireist  Niebahrs  Verinatung  ab,  dass  an  den  Petrus  Patridaa 
(Magister)  za  Jostinians  Zeit  zu  denken  sei.  —  Seit  den 

Untersuch  ungea  von  Mommsen  über  den  Chronographen  von 
354  und  über  Cassiodorius,  und  von  Waitz  über  die  Raven- 
nater  Aonalen  ist  ein  reger  Eifer  erwacht  für  die  kritische 
Anfhellimg  der  weströmischen,  den  Uebergang  ins  Mittelalter 
bildenden  Chroniken.  Auch  das  verflossene  Jahr  bringt  dazu 
wichtige  Beitrftge.  Eanffmann  (s.  o.)  hat  seine  bereits 
1874  begonnenen  Untersuchungen  über  die  Fasten  der  spä- 
teren Kaiserzeit  fortgesetzt,  c^eleitet  von  dem  Gesichtspunkt, 
dass  die  Nachrichten  der  weströmischen  Chroniken  nur  dann 
mit  Erfolg  zu  vergleichen  und  zu  verwerten  sind,  wenn  nidit 
bloss  die  Nachrichten  selbst,  sondern  auch  die  Gonsahreihen 
geprüft  sind.  Holder-Egger  untersucht  in  methodischer 
Weise  eine  von  Florez  (Espana  sagrada  IV)  nach  einem 
Manuscript  des  13.  Jahrhunderts  bekannt  gemachte,  bisher 
wenig  beachtete  compilatorische  Chronik,  welche  in  der 
Schlnssnotiz  einem  „Severus  qni  et  Snlpitius**  zugeschrieben 
wird,  womit  wahrscheinlich  der  viel  ftitere  bekannte  YerilBsser 
der  Historia  sacra  gemeint  sein  soll.  Da  die  bis  öio  reichende 
Chronik  am  Schluss  die  von  da  au  bis  zur  Zeit  des  Schrei- 
bers verflossenen  Jahre  (nach  der  spanischen  Aera)  bezeichnet 
und  sagt,  dass  von  dort  an  sich  jeder  selbst  die  Bechnung 
nach  Indictionen  oder  nach  der  Aera  fortsetzen  könne,  so 
glaubt  Holder- Eggt  r  sich  berechtigt,  die  Abfessung  der  Chro- 
nik selbst  auf  733  p.  Chr.  festzusetzen  und  benennt  darnach 
den  Verfasser  als  Chronist  von  733.  Ob  der  Schluss  nicht 
zu  schnell,  wagt  Beferent  nicht  zu  entscheiden.  Holder-Qgger 
weist  den  stark  compilatorischen  Charakter  dieser  an  eigen- 
tdmlichen  Nachrichten  ziemlich  armen  Chronik  nach  und  findet 
in  ihr  die  Spuren  südgaliischer,  näher  arelatensischer  Annalen, 
welche  mit  Spuren  derselben  Quelle  bei  der  Chronik  von  641 
(Continuat.  Frosp.  Havn.),  Isidors  histor.  Goth.  und  Gregorius 
Turon.  zusammenträfen.  Angehängt  ist  der  Abdruck  des 
zweiten  Teils  der  Chronik  (von  379  an,  also  von  da,  wo  sie 
die  Grundlaj^e  des  Eusebius -Hieronymus  verliert),  worin  durch 
den  Druck  hervorgehoben  ist,  was  der  Chronist  nach  dem 
Urteil  des  Verfassers  aus  den  ravennatischen  und  den  arela- 


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296 


KiUTlbCHl::  tüEKöICHTEX.  1675.  Ii. 


tensischeu  Annalen  entnommen  hat,  so  wie  was  sonst  ans 

sc'iiioii  bekannten  (Quellen  nicht  zu  erklären  ist.  Wichtige 
weiter  gehende  üutei"suchuugen  des  gut  geschulten  Kritikers 
wird  der  nächste  Jalirgaug  zu  berücksiclitigen  haben.  Hier 
sdilflgt  anch  W.  Arndts  (s.  o.)  Bisohof  Marios  von  Aven- 
ticom  ein,  da  die  Schrift  auch  die  Chronik  des  Marius 
untersucht.  Arndt  nimmt  an,  dass  diese  Chronik  im  An&ng 
ein  Exemplar  der  Havennater  Aanalen  excerpirt  hat,  welches 
mit  Zusätzen  aus  Arier  Annaleu  versehen  gewesen,  trifft  also 
darin  mit  Hoider-Egger  zusammen,  während  er  anderseits 
abweichend  von  diesem  doch  auch  eine  Benutzung  des  Marina 
durch  Severus  für  wahrscheinlich  hält.  Von  500  an  findet 
er  burgiuiilisch -frünkisclie  Aniiuk'a  bei  Marius  benutzt  und 
vernuitet  als  dritte  Qui^ile  Inzantinische  in  ^lailand  verfasste 
Auualen.  Die  Abfassung  durch  Marius  zu  bezweifeln,  sieht 
er  keinen  Grund,  und  da  nach  ihm  die  Marius -Handschrift 
direct  auf  eine  merovingische  Vorlage  und  durch  diese  wieder 
auf  den  Archetypus  fßhrt,  so  wSre  damit  auch  fOr  das  so- 
genannte Chruüicon  Imperiale  (Prosperi  Tironis-Pithoeaniim), 
worau  die  Marius -Chronik  mit  „Cousule  su]>ra  scri}*to''  (455) 
sich  unmittelbar  anschliesst,  eine  sehr  alte  handsciniftliche 
Beglaubigung  nachgewiesen.  Arndt  druckt  dann  die  Chronik 
nach  der  Collation  der  jetzt  im  britischen  Museum  befind- 
lichen Handschiill  al*  und  LUst  «'iue  Uiitersucliuug  der  Consul- 
reihe  folgen.  Was  das  Leben  des  Bischof  Marius  betritlt,  so 
zeigt  er,  dass  das  Caiiulariuni  Lausannense  des  Propst  Conon 
(Schlussredaction  1235),  dem  wir  die  haupts&chlichen  Kach- 
richten verdanken,  auf  die  zweihundert  Jahre  filteren  Annales 
Lausanneuses  sich  stfitzt  (vgl.  Jaff^  bei  Mommsen,  Die  Chron. 
des  Cas^iuJ.  Sen..  Alih.  der  kirl.  säehs.  Ges.  d.  W.  VIU, 
p.  685).  Die  weitere  Quelienuiiter&uchung  erklärt  die  Zeit- 
angabe 601,  welche  mit  der  zuverlässigen  Nachricht,  dass 
Marius  am  31.  December  des  Todesjahres  KOnig  Guntrams 
gestorben  sei,  in  Widers]^ruch  steht,  in  einleuchtender  Weise 
aus  späterer  Combination,  die  sich  schon  durch  die  Rechnung 
nach  Christi  Geburt  als  solche  erweist.  Auch  Arndt  bleibt 
bei  der  Annahme,  dass  es  Marius  gewesen  sei,  der  den  Bischofs- 
sitz von  Avenches  nach  Lausanne  verlegt  hat  —  H.  Hertz- 


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KIBCUENGESCHICHTB  VON  835  -  768,  VON  MOELLEB.  297 

borg 8  Untersuchung  über  die  Chroniken  des  Isidorus  von 
Sevilla  achUeast  sich  an  die  1874  erschienene  Schrift  des- 
selben Aber  die  Historien  ^  an.  .  Umgekehrt  wie  bei  den 

Historien  sieht  er  hier  die  kürzere  Chronik  als  die  spatere 
an  und  untersclieidet  zwei  auf  Isidor  selbst  zurfickgebende 
Recensionen.  Hinsichtlich  der  grösseren  Chronik  unterschei- 
det er  von  dem  in  den  Ausgaben  vorliegenden  Volgftrtext 
(A)  einen  anderen  durch  fttnf  Handschriften  reprüsentirten  (B), 
der  trotz  grosser  Verderbnis  eine  entschieden  sorgfältigere 
Yerwiiumi?  des  zugrundegelegten  historischen  Stofts  zeige. 
Der  Qut'llenerörterung  entnuhuieu  wir,  dass  wesentlich  erst 
von  Justins  II.  Regierung  au  die  von  anderen  Autoritäten 
unabhängigen  Nachrichten  beginnen,  die,  obwohl  hdehst  mager, 
doch  einige  wichtige  Notizen  enthalten.  —  Hier  sei  auch  des 
Beitrags  zur  Kritik  Gregors  von  Tour  gedacht,  worin 
Stäckel  (s.  0.)»  anknüpfend  an  die  von  Juughans  u.  A. 
gegebenen  Nachweisungen  sagenhafter  Elemente,  solche  au 
dnigen  weiteren  Stellen  des  U.  und  III.  Buches  der  Histor. 
Franc  aufzuzeigen  sucht,  so  namentlich  an  dem  Bericht  Ober 
die  Vermählung  Chlodovechs  mit  der  burgundischen  Prinzessin 
Ciirotechildis  (II,  28). 

4.  Zur  Missionsgesohichte. 

Viilfila  oder  die  lt  >tisolu>  liiitel.  Mit  ikui  fnts]ir  «  Ih  nili-n  gricclii.sclien 
Text  \iiKi  mit  cin-.iii  kritisch»'ii  und  f'rkiäR-Ti«I('ii  (.'UiiiijL'iitar.  !i<'l»t  dem 
Kalender.  d^T  Skejreins  und  den  u'"ti<i  ht  ii  rrkiinden.  IIcrauHgegeijen 
von  E.  Bernhardt  (Halle,  Waisenhaus).  LXXII,  654  S.  in  gr.  8 

A.  Ebrard,  Die  Keledoi  in  Irland  und  Schottland  (in  der  Zeitscbr. 
f.  d.  bist.  TheoL  1Ö75,  459->498). 

O.  Hertel,  lieber  des  heiligen  Colnmba  Leben  und  Schriften,  besonden  « 
über  Mine  Klosterrogel  (ebendas.  S.  396— 454.  VgL  Ebrards  Gegen- 
bemerkungen ebendas.  S.  499—505). 

^)  ,,Dio  Historien  und  die  Ciir  iiiken  des  Isidonis  von  Sevilla. 
I.  Teil:  Die  Histori»  n.  Eine  Quelkuuntersucbung."  (Gött.  pliil.  Diss.) 
Vgl.  dazu  Kautiiianu  in  Sybels  Zeitschr.  XXXIII,  S  4'>4f.  Genannt 
sei  hier  auch  noch  Dressi-l,  D*'  Isidori  <>riginuni  l'^ntibus.  (.Vugustae 
Taurin.  1874.  Ala  diss.  iuaug.  Gott,  aas  der  „ßivista  di  ülol. '*  abge- 
druckt.) 

S)  Vgl.  den  Aufsatz  Kirchners  über  ültila  in  den  „Grenzboteu" 
1875,  Nr.  40. 


ijiyiiizoa  by  GoOglc 


298 


KKITISCU£  (}B£RälCUT£N.  1875.  U. 


Alois  Iluber,  Geschichte  der  Einführung  und  VerbrLitung^  dos  Christen- 
tums in  Südost -Dout>chlaud.  Bd.  IV:  Die  JSlaveiizeit  (Salzburg, 
Cuinmiss.  von  Pustet  in  Regciipburjr )    482  S.  in  gr.  8. 

Aug.  Werner,  Bunii";icius,  der  A^ix-vUl  der  Deutschen  und  die  Komani- 
Birung  von  Mitt*  leuropa.  Eine  kircheugeächicbtl.  fetudie.  ^Leipzig, 
Weigel )    VI,  400  S.  in  8. 

H.  Hahn,  Noch  einmal  die  Briefe  und  Synoden  des  Bonifazius  (in  den 
„Forschungen  zur  deutecben  Oe^ichichte"  XV,  S.  43—124). 

A«  J*  XThxiff»  Bedenken  gegen  die  Echtheit  der  mittelalterlichen  Sage 
von  der  Enttronung  de8  Merovingischen  KönigsbauMB  dorch  doi 
Papst  Zachariaa  (Leipzig,  Veit).   ViXl,  81  in  gr.  & 

Gehen  wir  auf  die  Missionsgeschichte  des  Abend- 
landes ein,  so  darf  hier  die  Einweisung  auf  die  neue  von 
den  Kennern  beilallig  autgenommeue  Ausgabe  der  gotischen 
Bibel  (s.  0.)  vonuigeschickt  werden,  welche  den  dritten  Band 
der  germanistischen  Handbibliothek  von  Zacher  bildet  — 
A.  Ebrard  finden  wir  wieder  tätig,  die  Grandanschauungen 
seiner  früheren  Aufsätze  und  seiner  Iroschottischen  Missions- 
kirche'' zu  ergänzen.  Durch  reichlich  herangezogene  eng- 
lische Literatur,  worunter  namentlich  Reeves  in  den  Trans* 
actions  of  the  B.  Irish  Academ,  vol.  24,  der  eine  ganz  andere 
Ansicht  vertritt,  ihm  doch  reichliches  Material  geliefert  hat, 
sucht  Ebrard  seine  Gnindtbese  zu  erhärten,  dass  die  Keledei 
der  späteren  irischen  und  sch«.>ttischen  Urkunden,  welche  dort 
im  Con^ct  mit  dem  officiellen  römischen  Kirciientum  er- 
scheinen, wirklich  die  geschichtliche  Fortsetzung  jeuer  von 
Fatriks  Schalem  und  Nachfolgern  begründeten  Kirchen-  und 
Gönobialgemeinschafk  seien,  welche  ihren  Mittelpunkt  in  Jowa 
(Hij)  hatte.  Der  Nachweis  soll  hier  besonders  für  das  sprach- 
liche Argument  stringenter  geführt  werden,  dass  Keledeus 
nur  aus  dem  altiriscU-gadelischen  cele-d^  abgeleitet  und 
dieses  sprachlich  richtig  nur  mit  vir  dei  erklärt  werden  kOnne, 
dass  aber  grade  bei  den  continentalen  Oliedem  der  Missions- 
kirche von  Jowa  der  Ausdruck  vir  dei  sich  in  dner  ganz 
specifischen  Weifee  als  stabile  Bezeichnung  finde,  was  eben 
auf  die  zugrundeliegende  irische  Titularbezeichnung  c^le-d6 
schliessen  lasse.  Die  sprachlichen  Aafstellungen  bedürfen  der 
fachmännischen  Prfifung;  aber  es  will  uns  bedünken,  als 
wenn  die  wichtigen  Untersuchungen  Ebrards  doch  eine  ein- 


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KIBCHENOESCmCHTB  TON  885-768,  YOK  MOELLER.  299 

gehendere  Beachtung  yerdienten,  als  sie  Uweii  bis  jetzt  zuteil 
geworden  ist.  Freilich  sind  an  letzterem  Ebnurds  abschreckend 
wirkende  tendenziöse  Manier,  seine  üebertreibnngen  und  die 

nngeachichtliche  IdealisLruug  der  romfreien  Mission  nicht  ohne 
Schuld.  Gegen  eine  Seite  seiner  Aufstellungen  wendet  sich 
Hertels  Aufsatz  üher  (Kolumbas  (des  jüngem)  Leben  und 
Schriften,  besonders  über  seine  Klosteiregel  (s.  o.).  Er  scheint 
mir  mit  Recht  die  Ankunft  Oolumbas  im  Frankenreich  früher 
auzusetzeu  als  Ebrard.  nämlich  uoch  zu  Lebzeiten  Sigeberts  I. 
(590),  ebenso  die  gegen  Columba  vorgehende  fränkische  Sy- 
node noch  vor  Gregors  des  Grossen  Tod.  Seine  Instanzen 
scheinen  mir  durch  Ebrards  Gregenbemerkungen,  die  allerdings 
einige  MisventibidnisBe  beseitigen,  nicht  entkrfiftet.  Die 
Untersuchung  Hertels  fiber  die  Schriften  CiOlumbas  spitzt  sich 
zu  auf  die  über  die  Klosterregel,  einmal  die  sogenannte  re- 
gula  monastica,  welche  nicht  eigentlich  den  Namen  einer 
B^gel  verdient,  die  aber  Ebrard  allein  als  die  echte  gelten 
lassen  will,  und  über  die  eigentlich  in  Frage  kommende 
regula  coenobialis.  Verdienstlich  ist  jedenfidls  die  auch  von 
Rettberg  versäumte  Vergleichung  der  beiden  Redactionen, 
der  kürzeren  (Biblioth.  pp.  max.  XII)  und  der  längeren  (bei 
Holstenius),  so  wie  die  Erörterung  des  Verhältnisses  zum 
FOnitential.  Wenn  auch  die  Frage  noch  nicht  abschliessend 
erledigt  ist:  dass  es  sich  Ebrard  mit  der  ünechtheitserklftrung 
dieser  ihm  so  verhassten  Prfigelregel  zu  leicht  macht,  dürfte 
doch  auch  noch  nach  seinen  Gegenbemerkungen  anzunehmen 
sein.  —  Von  der  überaus  weitschichtig  angelegten  Geschichte 
der  Einführung  und  Verbreitung  des  Christentums 
in  Sfldostdeutschland  von  dem  Salzbuigischen  Weltpriester 
Alois  Huber  (s.  o.)  liegt  nun  der  IV.  Band  vor,  welcher, 
„die  Slavenzeit"  behandelnd,  grossenteils  über  unseren  Zeit- 
abschnitt herabführt,  aber  doch  mehrfach  in  die  vorkarolingische 
Zeit  zurückgreift;  so  nicht  nur  in  der  ersten  überleitenden 
Abteilung  (Verfieü!  der  Salzbuiger  Landeskirche  und  Bestau- 
ration  des  b^joarischen  Eirchenwesens  im  allgemeinen  und 
der  Salzburger  Kirche  im  besonderen;  —  die  von  BonlÜMsius 
errichteten  bajoarischen  Bistümer),  sondern  aueli  in  der  zweiten 
Abteilung  (die  Slavenbekehrung)  hinsichtlich  der  slavischen 


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300 


KBmSCBE  ÜBEßSICHTBN.  1876.  IL 


Ansiedelungen,  der  Wenden  im  bairischen  Nordgau,  der  Eausr 
slaven,  Karanthanen  u.  s.  w.,  und  ihrer  VerhältoisBe  za  Baiera 
und  Frankee.  Der  Standpunkt  des  Yeifassers,  in  welchem 
grosse  Vertrautheit  mit  den  Quellen  mit  einer  oft  lecht  naiven 
Behandlung,'  kritischer  Fragen  sich  vereinigt,  wird  charakteri- 
sirt  durch  die  (auch  von  Friedrich  noch  festgehaltene)  Vor- 
aussetzung, dass  der  heilige  Rupert  ins  sechste  Jahrhundert 
gehöre,  dass  er  bereits  den  Leib  des  angeblichen  Amandus 
von  Worms  nach  Salzburg  gebracht  (S.  335 f.),  dass  demzu* 
folge  von  da  an  eine  unter  Salzburg  stehende  allgemeine 
(wesentlich  römisch  gedachte)  bajoarische  Landeskirche  be- 
standen habe,  welche  im  siebenten  Jahrhundert  fast  ganz  in 
Verfall  geraten  sei.  Bonifacius  soll  ferner  bereits  719  in 
£aiem  eine  nmfiissende  Tätigkeit  entfaltet  haben;  die  „Salz^ 
burger  Landeskirche"  hat  aber  im  dritten  Decennlum  dee 
achten  Jahrhunderts,  begünstigt  von  dem  kirchlich  gesinnten 
Lande^^herzog  Hugibert,  ilire  Kräfte  wieder  gesammelt  und 
namentlich  mittelst  Reform  des  Kathedralklosters  St.  Peter 
nach  der  Begei  des  heiligen  Benedict  den  Grund  zur  gross- 
artigen  Begeneration  des  bairischen  Kirchenwesens  gel^ 
welche  dann  am  Schlnss  des  vierten  Decenniums  vom  heiligen 
Bonifacius  durchgesetzt  worden.  Die  Emchtuiig  der  bairischen 
Bistümer  durch  letzteren  bezeichnet  der  kirchliche  Local- 
Patriotismus  des  Salzburger  Priesters  als  Zerlegung  des  alten 
Landesbistums  Salzburg  in  Specialbistümer.  Der  heilige  Pir» 
min  restaurirte  (!)  nicht  ohne  selbstverstftndliche  und  un- 
mittelbare Beteiligung  des  damaligen  Kectors  (nicht  geweihten 
Bischofs)  der  bajoarischen  Landeskirche,  des  Abt  Johann  von 
St.  Peter,  drei  Abteien  am  linken  Donauufer,  nämlich  die 
beiden  (!)  Altach  und  Münster  (Pfaffenmönster),  indem  er 
jeder  zwOlf  Lehrmeister  der  Benedictinerregel  aus  Rei- 
chenau gab.  Zu  derselben  Zeit  möge  auch  St.  Emmeram  in 
der  Landeshuuiitstadt,  wahr.-clieinlich  von  St.  Peter  in  Salz- 
burg aus,  die  Benedictinerregel  erhalten  hab^.  Der  Verfasser 
meint  nun,  dass  schon  die  „ Vor- Benedictiner- Mönche''  unter 
Herzog  Theodo,  dem  Zeitgenossen  C!orbinian8,  indem  sie  bei 
den  sporadisch  im  Nordgau  wohnenden  Bieren  die  Seisorge 
übten,  Mission  unter  den  Wenden  an  der  Naab  und 'am  Bai»- 


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KJKCHENOLöCUICHTE  VON  3-20-  769,  VON  MOELLEK.  301 

risclien  Walde  versmcbt  bfttten,  aber  ohne  nennenswerten  Er* 

folg,  (lass  aber  dann  namentlich  die  Beiiedictiner  von  Xieder- 
altaioh  und  St.  Emmeram,  nngeführ  von  731  an.  d.  Ii.  noch 
während  der  Kei^ierung  des  Herzogs  Hugibert  die  Bekehrung 
der  Naabwenden  in  viel  grösserem  Umfang  und  mit  so  ge- 
eegnetem  Erfolg  in  Angriff  genommen  hftttent  dass  sie  in  den 
ersten  Jahren  Herzog  Otilos  im  wesentliehen  vollendet  gewesen. 
„  Damit  ist  aber  auch  dargetan,  dass  diese  Bekehrung  nocli  von 
der  alten  Salzburger  Landeskirche  ausgegangen,  geleitet  und 
kirchlich  organisirt  worden  war''  (quod  erat  demonstrandum!). 
Virgil  habe  also  den  vereinzelten  Siavenstamm  der  Naabwen- 
den bereits  dem  Ghristentnm  gewonnen  vorgeftinden  nnd  dieses  ' 
kostliche  Erbstück  scheine  in  ihm  jene  grosse  Idee  angeregt 
zu  haben,  (leren  umtassende  Verwirklichung  (!)  ihm  den  wohl- 
verdienten fclhrennamen  des  Slavenapostels  erwarb.  —  So  sehr 
ntin  aneh  üast  alle  Grondpocdtionen  des  Verfassers  von  der 
Kritik  in  Ansprach  zu  nehmen  sind,  so  dOrften  doch  nament- 
lich seine  topographischen  auf  die  Ortsnamen  sich  stfitzenden 
un«!  den  einzelnen  christlichen  Stiftungen  nachgehenden  Unter- 
suchungen die  Beachtung  corapetenter  Forscher  vordienen, 
obwohl  es  auch  hier  nicht  ohne  starke  Sichtung  abgehen 
wird.  —  Um  Bonifacius*  Person  und  Werk  dreht  sich  ein 
lebhaftes  Interesse  der  Gegenwart,  dem  die  geschickte  Dar- 
stellung von  A.  Werner  entgegenkommt.  Er  ist  von  Ebrard 
bedeutend  beeintlusst,  in  einem  Grade,  der  manche  Einwen- 
dung erfahren  wird,  allein  gefangen  von  ihm  ist  er  nicht, 
wie  er  denn  zu  nnbe&ngen  denkt,  um  die  Goldeer  Kirche 
nach  dem  nrkirchlichen  oder  reformatorisehen  Ideal  sich  vor- 
zustellen; auch  die  kflnstlicfae  Auf&ssnng  von  Wilibrords 
Stellung  teilt  er  nicht,  ebenso  wenig  die  Annahme  eines  frühen 
Einverständnisses  der  fränkischen  Hausmaier  mit  Bonifacius. 
Wenn  nocli  zuletzt  H.  Hahns  Aufsatz  über  die  Briefe  und 
Synoden  des  BonifiMsins  (s.  o.)  gezeigt  hat,  wie  viel  hier  noch 
die  Kritik  im  Einzelnen  zu  schaffen  hat,  um  namentlich  hin- 
Mciitlich  der  kirchenorganisatorischen  Tätigkeit  des  Bonifacius 
überall  festen  Boden  zu  schaflen,  so  lag  es  nicht  in  der  Auf- 
gabe Werners,  diese  Detailkritik  weiter  zu  fuhren.  Eine 
sorgfältige  Durcharbeitung  und  Verwertung  des  gelehrten  Ma- 


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302 


KBITISCHE  OB£BaiCiIT£N.  1875.  U. 


teiials  aber  ist  überall  erkenubar.  Da  es  des  Verfassers  Zweck 
erheischte,  uur  die  notwendigsten  Verweisungen  auf  die  Quellen 
onter  dem  Texte  aBzumerken  und  im  flbrigen  auf  den  ge- 
lehrten Apparat  in  Anmerbmgen  zu  verzichten,  vfthrend  er 
doch  andererseits  das  Bedürfuis  fühlte,  seine  Auffassung  in 
so  vielen  streitigen  Fragen  zu  rechtfertigen,  so  suchte  er  das 
Wesentliche  solcher  Untersuchungen  in  seine  Darstellung  selbst 
zu  verweben,  die  denn  z.  B.  von  zahkeichen  Auseinander* 
Setzungen  mit  dem  Holländer  Mfiller  einerseits,  Ebrard 
andererseits  durchzogen  ist  Dadurch  ist,  wie  der  Verfiisser 
selbst  anerkennt,  der  I  luss  der  Darstellung  beeinträchtigt; 
überhaupt  aber  herrscht  eine  gewisse  Breite,  die  wir  im  In- 
teresse des  Buches  selbst  vermieden  gewünscht  hätten  — 
Wenn  hier  noch  Uhr  ig  8  „fiedenken  gegen  die  mittelalter- 
liche Sage  von  der  Entfernung  des  Merovingischen  Königs- 
hauses durch  Papst  Zacharias*'  gedacht  wird,  so  geschieht  es 
nur  der  Vollständigkeit  wegen,  denn  eine  wissenschaftliche 
Bedeutung  kann  der  Schrift  nicht  beigelegt  werden. 


O.  X  von  Hefele,  Conciliengüechicbte.  Bd.  II  (von  381  bis  Dreikapitel* 
strcit  und  Schisma).  Zweite  verb.  Aufl.  (Freibiirg  L  Br.,  Heider.) 
XU,  968  S.  in  gr.  8. 

K.  Tabbö  Kartln,  Le  Bwado- Synode  eomiii  dans  llüstoire  aons  le 
nom  de  Brigandage  d*Ephtee,  ^tndi^  d*apite  aes  acte«  retrunT^i  en 
Sjriiaqne  (Paris,  Haisonnenve).  XXI,  3H  p.  in  8. 

Die  zweite  verbesserte  Auflage  des  zweiten  Bandes  von 
Hefele 3  Concilieugeschichte  hat  in  der  Tat,  dank  der  Be- 
rücksichtigung neuerer  Literatur,  manche  Nachbesserungen  im 
Einzelnen  erfahren«  auch  einige  Zusätze,  wie  denn  namentlich 
die  Canones  der  sogenannten  vierten  Garthag.  Synode  von 
398  —  die  statuta  ecclesiae  antiquae  —  vollständig  aufge- 
nommen sind.    Sehr  tief  greifen  indes  die  Veränderungen 


1)  Noch  nnbekannt  ist  mir:  J.  Weicherding,  Der  St  Pirmins- 
berg, seine  Kapelk,  Qaelle,  Euudedelei  nnd  der  beitige  Piimui,  ein  Gkn- 
Iwssbote  der  WUtaer  Ardennea,  ein  Grflndor,  Instanrator  nnd  Reformator 
veiBchiedener  SlSeter  im  »BdweBtlichsn  Dentechland.   QneDenmasaigef  , 
Beitrag  sor  Kircfaengeechichte.  (Lniembnrg,  Bdlck.)  JY,  171  S.  in  8. 


5.  Zur  ConoiUengesohiohte. 


KIBCHENGfiiSCanCBaEB  VON  8&5-«768,  VON  MOELLER.  308 


nicht  Ein  empfiBdlicher  Mangel  ist  es  aber,  dass  Hefele  dii6 
neu  entdeckten  syrieohen  Acten  der  aogenannten  Bäubereynode 
noch  nicht  benutzt  hat,  obwohl  dieselben  doch  sohon  1873 

durch  G.  Hoffmuüu^)  iü  deutscher  Uebersetzuag  und  mit 
trefflichen  Noten  bekannt  gemacht  worden  sind.  Dadurch  ist 
Hefeies  Darstellang  dieser  Synode  and  der  Yoraosgehenden 
Ereignisse  in  wicbtigiBn  Punkten  gradeza  antiqnirt.  Der  sy* 
Tische  Text  ist  inzwischen  pubiicirt  von  S.  G.  F.  Perry*), 
und  in  Frankreich  hat  der  oben  erwähnte  gelehrte  und  ruh- 
rige Abb^  Martin,  nachdem  er  bereits  1874  eine  fran- 
zösische üebersetzung  der  Akten  und  einen  Aufsatz  über  ihren 
Inhalt  veröffentlicht  hatte  nun  auf  Grand  einer  kritischen 
Erdartening  derselben  eine  Darstellnng  der  Synode  nnd  der  ihr 
t«raufgehenden  Ereignisse  gegeben  (s.  o.).  Ans  rersehiedenen 
syrischen  Mauuscripten  des  britischen  Museums  bringt  er 
Zeugnisse  für  die  Bekanntschaft  der  syrischen  Kirche  mit 
dem  Inhalt  der  Acten  bei,  deren  Echtheit  freilich  auch  ohne- 
dies gar  nicht  ernstlich  in  Zweifel  zu  ziehen  ist  Die  Er- 
^rtenmg  der  geschichtlichen  Anfeinanderfolge  der  Ereignisse 
ist  sehr  beachtenswert.  Die  Ansicht,  welche  "Zahn  in  seiner 
Anzeige  von  Hoftmanns  Schrift  über  die  in  Edessa  gegen  Ibas 
entstandenen  Unruhen  und  die  Datirung  der  Schriftstücke  bei 
fiol&naim,  S.  7ff.  geltend  gemacht  hat,  bekämpft  Martin 
meines  Eracfatens  mit  Becht.  Audi  darin  dflrfte  er  Becht 


1)  G.  Hoffmanii,  Verhandlungen  der  Kirchen versammluDg  zu 
Epbemis  am  22.  August  449  aus  einer  syrischen  Handiohrift  vom  Jahre 
585  Übersetzt  (Festschrift,  Herro  Dr.  J.  dahanseD  gewidnwt  Ton  der 

Universität  zu  Kiel  1873). 

*)  Der  erste  Teil,  den  syrischen  Text  enthaltend,  ist  erschienen. 
Angekündigt  sind  vol.  II:  S.  G.  F.  Perry,  An  exact  English  Version 
of  tbat  seoond  synod  of  Ephesas  with  a  free  translation  of  those  extracta 
and  notes  exegetical,  philological  and  historicai.  Vol.  III:  A  nevr  and 
complete  historj'  of  the  latrociniura  with  dissertations  on  the  questions 
raised  or  settled  by  the  Ms.  E.  Prickard  Hall  and  J.  H.  Macey,  Ciaren« 
don  Press  Oxford.   Ich  weis,s  nieht,  ob  sie  bereits  erschienen  sind. 

3)  Actes  du  Brigandage  d'Ephese,  traductioii  faitc  sur  le  texte 
syriaque  (Paris,  Maisonneuve  1874),  in  8.  —  Le  Bri«;andage  d'Ephese 
d'apres  ses  actes  rccemmeut  decouverts  (in  der  B/dvus  des  qaestions  histo- 
riques  1874.  juillet.  Tom.  II,  p.  1—59). 

ZMiMiif.  f.  £.-0.  20 


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804  -  KBITISGBB  OBEBSIGBT£N.  1876.  n. 


haben,  dass  die  ganze  Yerhaudltmg  über  Flavian  und  Eutyches 
bereits  vor&ber  war,  als  an  dem  von  den  Acten  als  erstem 
bezeichneten  Tage  (Sonnabend,  20.  August)  die  rOmischen 

Legaten  und  Domnus  von  Antiochien  nicht  erschienen  ^  jener 
erste  Tag  mithin  nicht  mit  der  ersten  Sitzung,  der  Eröffnung 
der  Synode,  gleichzustellen  ist,  so  dass  die  Difi'erenz  der 
Datimng  mit  der  griechischen  sdch  wohl  lösen  Iftsst  Er 
hat  anch  wahrgenommen,  dass  der  Brief  des  Domnus  an 
Flavian  (Holfiai.  S.  61  f.)  mit  einer  geringen  Abweichung^ 
in  der  Mitte  des  Briefs  und  einer  wiclitigeu  am  Schlüsse 
desselben  sich  unter  Theodorets  Briefen  (ep.  68)  findet.  Da- 
gegen wird  wohl  der  Vermutung,  dass  Philoxenus  der  Ueber- 
setsser  der  Acten  sein  könne,  ein  positiver  Wert  nicht  bei- 
zulegen sem.  —  Nicht  berüclmichtigt  hat  Hefele  (Bd. 
S.  101  f.)  die  Publication  Lamy*s  zu  dem  angeblichen  Concil 
von  Seleucia^),  welche  ich  nur  aus  einem  Citat  Martins 
(Salut  Pierre  et  S.  Paul,  p.  X)  kenne 


1)  Lamy,  Concilium  Seleuciae  et  Ctesiphonti  Labitom  auuo  410 
(Louvain  ISGS),  4. 

2)  Hinsichtlich  der  wcit^chichtig  angelegten,  noch  nicht  abgeschlosse- 
nen Arbeiten  von  E.  ReviUout  muss  ich  mich  vurhuitig  mit  Kiickwei- 
sung  auf  Harnack  (Htft  I  dieser  Zeitschrift  S.  130  u.  140  Anm.)  be- 
gnügen. Zu  dem  dort  Anzeftihrten  ist  inzwischen  im  Tome  VI,  p.  473 
bis  5G('  der  §  5  Collectiuns  gauluiscs  gekommen.  Eine  Geschichte  des 
Papsttums  ist  mir  noch  nicht  zugänglich  gewesen :  Em.  Ca  st  an,  Histoire 
de  la  ]>apaute.  Äloyen  üge,  comprenant  les  temps  barbares  et  les  tcraps 
i'  ■laiix.  Paris.  ölG  p.  in  8.  Ebenso  die  Schrift  von  L.  Drapeyron, 
De  la  suh^titution  d'un  ei>i6C"pat  rmain  ä  Tepiscopat  romain  eu  Gaule 
6oas  les  Merovingiens  et  les  Carolingiens.  Paris. 


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0 


ANALEKTEK 

1. 

Zur  Textkritik  der  neuen  Clemensstflcke. 

Von 

Dr.  0.  Ton  Oebhaidt 

in  Leiptig. 


Im  neunten  Baude  des  Archivs  der  CTesellschaft  für  ältere 
deutsc)ie  Gescliiclitskunde  (1^'4  7,  S.  645ff.j  verüfientlichte  Pc  rtz 
ein  Verzeichnis  Ton  Handschriften  des  Jerusalemischen  Patriar- 
chats zu  Conftantinopel,  welclies  Dr.  Bethmanu  im  -lalire 
1845  an  Ort  und  Stelle  angefertigt  hatte.  Das  Augenmerk 
Scheint  dabei  haupt?:iiclilich  auf  classische  Autoren  und  Werke 
geschieht  Ii  (Ii  eil  Inhalts  gerichtet  gewesen  zu  sein,  und  diesem 
Umstände  ist  es  wohl  zuzuschreiben,  dass  noch  drei  Deceunien 
verstreichen  mussten,  bevor  der  lange  gehegte  Wunsch  nach 
dem  Besitz  der  vollständigen  Clemensbriefo  seine  Erfüllung  fand. 
Die  treffliche  Edition  des  Metropoliten  Bryenuios^),  der  so 
glücklich  war,  aus  eben  jener  Bibliothek  den  lange  verborgenen 
Schatz  heben  zu  dürfen ,  setzt  uns  nun  endlich  in  den  Stand, 
die  lückenhafte  Uebcrlieferung  der  Alexandrinischen  Handschrift 
meist  sicher  ergänzen  und  so  die  wertvollen  Urkunden  ältester 
Kirchengeschichte  in  unverkürzter  Gestalt  übersehen  zu  können. 
Indes,  so  gewiss  es  ist,  dass  die  neue  Textquelle  sich  nament- 
lich im  ersten  Brief  als  verhültuismässig  treu  bewährt,  so  wenig 


1)  Toi  tlyiotq  ntaQOi  tj^iSv  KXr,uBvtog  iniffxonov'Vuifir]^  id  &vo 
-nno;  Kooify*^iovg  intaroXtei  .  ^Ex  j^iiQoy^ütfov  i^g  iv  4>ay(tQiio  XwVyTioAewj 
bifii.tolh]xffg  Tov  IJiivayiov  Täipov  yvy  nQtSroy  ixdiSöfisvai  nki'Qeis  uixtt 

J£tQ(my,  *Ev  Kmt^ayrwovnoXu  1875, 

20* 


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306 


ANALEKTEN. 


war  von  Tornherem  zu  erwarten,  dasB  sie  sich  Ton  Fehlem 
völlig  frei  zogen  werde;  und  je  öfter  in  dem  zwiefach  über- 
lieferten Teil  beim  Auseinandergehen  beider  Zeugen  dem  älteren 
der  Vorzug  gegeben  werden  muss,  desto  sicherer  ist  anzuneh- 
men ,  dass  in  den  neugefundenen  Stücken  an  yielen  Stellen, 
über  die  wir  ohne  Anstoss  hinlcaen,  der  "Wortlaut  und  das 
Wort  gefüge  nicht  das  ursprüngliche  sein  wird.  Sofern  aber 
.  hiemit  eine  wesentliche  Alteration  des  Sinnes  nicht  immer  not- 
wendig verbunden  ist,  können  wir  uns  getrost  darüber  hinweg- 
setzen, und  nur  da  wird  zur  Kmendation  geschritten  werden 
dürfen,  wo  die  überlieferte  Textesgestalt  durch  untrügliche 
Merkmale  sich  als  yerdorben  erweist.  Leichtere  N'ersehen  des 
Abschreibers  übergehend,  beschränken  wir  uns  hier  auf  wenige 
vor  anderen  anstossige  Stellen,  um  teils  unnötige  Aenderungen 
abzuweisen,  teils  auf  fehlerhafte  Lesarten  aufmerksam  zu  machen, 
die  der  erste  Herausgeber  unbeanstandet  gelassen  hat,  und  diese 
womö^lidh  zu  verbessern. 

1.  Der  Eingang  dee  solennen  Gebets  c.  59  lautet  bei 
Brjrennios  (S.  103 f.):  ...  xet/  uhr^aoue&u  . .  onwg  roy  agi^/ihr 
roy  KaTtjQtd^ftrjfiiyoy  TWy  ixXtxiwy  uvroi  .  .  diarf  vluit,  aS^^avaroy 
o  dt}fitovQyog  xuiy  anuyvuty  dtu  .  .  ^h]aov  Kgiaioi,  6t  oi  ixalt^ 
aty  rjfiag  uno  axotovg  flg  cptog,  uno  uyycom'ag  itg  Inlyywtty  deftig 
orOfMJog  avTOv.  ElmZety  tni  lo  a^xfyoyoy  nuatjg  xrhftog  oyofia 
üOVf  iti^iSaS  tcvg  wpd-aXfiovg  Ttjg  xa^iag  tj/nwy  tlg  t(>  ytydtaxuv 
<f$  Toy  fi&yoy  d^unoy  h  vxjjiaToig  xrX.  Damit  aber  das  iknil^tty 
nicht  ganz  in  der  Luft  schwohe ,  bemerkt  der  Herausgeber,  es 
sei  dator  in  Gedanken  oder  factisch  etwa  ^og,  S^anora,  zu 
ergänzen.  Eine  directe  Verbindung  des  InfinitiTS  mit  dem  Vor- 
hergehenden schien  ihm  dadurch  ausgeschlossen,  dass  dort  Ton 
Gott  in  der  dritten,  hier  in  der  zweiten  Person  die  Bede  ist. 
Allein  so  hart  der  unvermittelte  Uebergang  zur  directen  Anrede 
auf  den  ersten  Blick  erscheint,  so  schwer  hält  es,  an  eine  Aus- 
lassung zu  glauben,  für  welche  jeder  graphische  Erklärungs- 
grund fehlt,  während  die  Trennung  des  D.ntZfiy  von  dem  vor- 
hergelienden  ^xuXtaty  r/näg  durch  ein  solclies  Einschiebsel  nur 
geeignet  ist,  den  Fluss  der  Kede  in  stürendster  AVeise  zu  unter- 
brechen und  den  zugrunde  liegenden  Gedanken  selbst  abzu- 
schwächen. Wenn  \^ir  es  hier  wirklich  mit  einer  Lücke 
zu  tun  haben,  so  muss  sie  unseres  Erachtens  gnisser  sein 
(siehe  Harnack  in  bchürers  Literaturzeitung  I,  S.  101);  da 
aber,  wie  Harnack  (ebendas.)  gezeigt  hat,  ein  äusserer  Anhalt 
für  eine  solche  Annahme  nicht  vorhanden  ist,  so  wird  es  wohl 
dabei  sein  Bewenden  haben,  dass  nach  oyo/naiog  mrot  nur 
schwach  zu  interpungiren  und  llnClftv  yrX.  auch  noch  von  ixuXiaey 
rfi^S  abhängig  zu  denken  ist.   Beispiele  eines  ähnlichen  Ueber^ 


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QEBHASDT,  TETIKRinK  DBB  NEUEN  CLBHEN88TÜGKE.  901 


ganges  aus  der  oratio  obliqoa  in  die  oratio  reota  finden  sioh 
bei  Winer,  GrammatÜL  des  neutestameBUioben  Sprachidioms 
(7.  Aufl.)  S.  539. 

2.  Im  weiteren  Verlaufe  des  Gebets  heisst  es  (Brjennios, 
8.  105):  Toi  c  fy  d^Xixptt  i](A.iov  a(Zaov  '  Tovg  lunfivovg  iXtr^GOv  ' 
rovg  nfTiTwxoTug  tynQov '  joTg  deofutrotg  i7H(f  uyr^^i  *  Tovg  am- 
ßtlg  luaat  '  lovg  nXavio^tvovg  lov  Xuov  nov  tniojQi'ipoy  '  /uomüoy 
Tovg  ntiyioyxug  xtX.  Hier  läge  es,  sollte  man  meinen,  am 
nächsten,  bei  Toi;^  aaißiTg  an  die  Heiden,  bei  xovg  nlavio^il- 
vovg  rov  Xuov  nov  an  die  Juden  zu  denken.  Doch  wäre  es 
in  hohem  Grade  auf  lallend  und  verriete  den  völligen  Mangel 
einer  geordneten  Disposition,  wenn  die  Fürbitte  für  die  ausser- 
halb der  Gemeinde  Stehenden  in  so  ganz  unvermittelter  Weise 
mitteu  iu  das  (»ebet  um  Aufri(  htung  der  Gefallenen,  hülfreiches 
Erscheinen  zum  Beistand  für  die  lieäurftif;en ,  Sätti^xun^  der 
Hungernden  in  der  Gemeinde  hineinverwoben  erschiene.  Die 
Schwierigkeit  schwindet,  wenn  man  statt  uofßeTg  —  eine  gra- 
phisch sehr  leichte  Correctur  —  ao^tyng  liest.  Dann  sind  die 
uXaviofitvoi  auch  nicht  Juden,  sondern  irrende  Gemeindegliedex, 
ui)d  Ton  Heiden  ist  überhaupt  hier  nicht  die  Kede.  Sollte 
aber  dagegen  eingewandt  werden,  dasfl  der  Verfasser  sich  dann 
einer  müssigen  Wiederholung  schuldig  gemacht  hätte,  indem 
er  weiter  unten  eehneb:  ^^iLalr^aoy  rorc  hadtyovrrag,  aa  ist 
daran  xa  erinnern,  daes  hier  nicht  wie  oben  phjriech  Svenka 
(vgl.  Lok.  9,  2),  Bondem  geistHoh  Sohwaehe  (vgl.  das  gleich 
folgende  iXtyoipv/ovyjug  und  n  dem.  17:  tüvg  aad'$yavyvui 
arayttv  nifji  to  uyad^oy)  gemeint  aind.- 

3.  Grössere  Schwierigkeit  bereiten  c.  60  die  Worte  (Bryenn. 
S.  106):  0  uya&og  iy  Totg  oQWfi^yotS  xct2  marbg  h  Totg  mnot^ 
&6Qty  inl  üi.  Dass  das  vQWfA^votg  verdorben  sei,  kann  wohl 
kaum  einem  Zweifel  unterliegen.  Wie  aber  ist  es  zu  emen- 
diren?  Die  denkbar  leichteste  Aenderung  wäre  ohne  Frage  die 
in  (juQtfjftiyoig ,  welches  entweder  neutriaeh  Ton  der  gesanunten 
Weltordinung  (wobei  in  Gedanken  vno  aov  zu  auppliren  wäre), 
oder  persönlich  von  den  zum  Heil  Bestimmten  su  TCrstehen 
wäre.  Süsslieh  ist  nur,  dass  der  Gebrauch  von  oqICuv  im  letz- 
teren Sinne  nicht  nachweisbar  zu  sein  scheint,  während  man 
bei  der  ersteren  Fassung  einen  völlip:cn  Paralleliemns  der  bei- 
den 8atzglie<'er  vermissen  würde.  Allen  Anforderungen  in  dieser 
Hinsicht  genügt  Harnacks  Conjeetur  awi^Ofn^yotg ,  für  welche 
nicht  nur  das  >'cue  Testament  ivgl.  1  Kor.  1,  18.  2  Kor.  2,  15), 
sondern  auch  der  erste  Clemens brief  selbst  (c.  58)  trcfiende 
Parallelen  liefert;  und  wenn  auch  die  Entstellung  des  opw,a/- 
yoig  sich  hieraus  nicht  so  leicht  erklärt  wie  aus  cü^«a^^oi;. 


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308 


AKALEKTEN. 


so  nehmen  wir  doch  keinen  Anstand,  der  schwieritrcreii  Emen- 
dation den  Vorzug  zu  geben,  wo  sie,  wie  hier,  eiuea  so  un- 
gleich voizügUcheren  Siun  berzustelieu  dient. 

4.  Bine  iweite  Lücke  irennatet  Bryennios  am  SchloM 
des  60.  Kapitels,  wo  es  heisst  (8.  107):  Joq  Oft&yoiay  xol 
ügirmpf  ijfiTv  n  xul  nuai  joTq  waeromovm  xry  yipff  nadwQ  tiio- 
xag  Totg  nargaaty  ^ft^y,  knmaXov^Uymy  a(  ui  Tcay  iy  nlaxH  wä 
aXjjd^duy  vnfjxoovg  ytyofniyovg  Tta  TtayrmtQOfOQt  xeä  navagino 
oroftari  aov.  Indes  dürfte  es  sich  eher  empfehlen,  für  vjttjmovf 
ytvoi^tivovi  —  mittels  der  leichten  Acnderang  toh  t;  ia  *  — « 
vnr^xnoig  yivo^tiyotg  herzustelleii|  als  mit  firyennios  jenes  anver- 
findert  beizabehalten  und  daTor  etwa  Kfd  maaoy  tifjtaq  einzu- 
schalten. Für  navTay.nuTOQi  nach  c.  8,  5  nayxox^TOQOtCi  zu 
emendiren,  ist  im  Hinblick  auf  Herm.  Vis.  III,  4  nicht  absolut 
notwendig. 

5.  Im  14.  Kapitel  des  zweiten  Briefes  lesen  wir  (Bryenn. 
S.  183  f.):  OvK  otofMu  Si  vfuSg  ayyofty  ort  ittnltjala  ^ßaa  adifit 
iart  Xptavov'  "kiytt  yuQ  ri  ygufpfi  *  *Enfthpny  o  &ihg  tok  ay&Qto- 
noy  Itooty  xul  9^Xv  *  ro  agaiy  iarly  o  XQtruog ,  ro  S-r^Xv  ti 
imXfiaia'  xoä  ori  ta  ßißXla  xtä  ol  SaiLaxoXot  xtiy  ixxktjoiay  ov 
yvy  ilyaty  aXka  ayatd^iy.  Hier  ist  zunächst  klar,  dass  die  Worte 
Xiyfi  yuQ  —  Ixxkfiaitt  parenthetisch  zu  fassen  sind.  Ob  aber 
Bryennios'  Vorschlag,  nach  anooroXoi  (nicht  lieber  nach  ihtui) 
ein  ifual  oder  M&mumai  zu  ergänzen,  genügt,  den  Ursprünge 
liehen  Wortlaut  wiederherzustellen,  möchten  wir  nicht  mit 
Sicherheit  behaupten.  Sin  erträglicher  Sinn  wird  dadurch 
allerdings  erzielt,  und  wir  gestehen,  etwas  Besseres  nicht  an 
die  Stelle  setzen  zu  können. 

Je  sonderbarer  der  »Stil  und  die  Gedankenverbindungen 
im  zweiten  Clemensbrieie  sind,  desto  schwieriger  und  unsiche- 
rer ist  das  Geschäft  des  Eraendirens,  und  nicht  selten  ist  man 
versucht,  Fehler  zu  argwöhnen,  wo  es  sich  in  der  Tat  vielleicht 
nur  um  eine  Breviloqnenz  oder  eine  sonstige  stilistische  Eigen- 
tümlichkeit des  Verfassers  liandclt.  Es  geschieht  daher  nur 
mit  aller  Reserve,  wenn  wir  im  Eingang  des  10.  Kapitels  einen 
Fehler  vermuten.  Llaity  adth^oi  y.ai  uthhfai',  heisst  es  hier 
(Bryenn.  S.  140),  fara  loy  &foy  Ti'^g  ult^&tutQ  avuytvioar.io  v/niy 
l'yTfrhy  ifg  ro  rtnocs^/iiy  ToTq  ytyQUfA^ttyoig  xil.  Das  ^ara  rby 
d'U.y  paraphrasirt  Bryennios:  TovTftrrt ,  ftnn.  i  ty  ayu-putaiy 
noy  ifQoyy  yQa<f(ov,  h'  tag  o  &tog  tiuir  o  /.c/joy.  Vielleicht 
hat  es  damit  seine  Richtigkeit.  Die  Versuchung  lag  nicht  fern, 
TONQN  oder  TOS  OY  für  T0\(51\  zu  conjicircn.  —  Mit  völli- 
ger Sicherheit  (lagcgcn  lässt  sidi  in  dem  gleicli  darauf  folgen- 
den »Satze  die  ursprüngliche  Lesart  herstellen.   Er  lautet:  Tüvtq 


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OEBHABDr,  TEXTKRITIK  DER  NEUEN  CLEBIENSSTOCKE.  309 


yoQ  (so.  fifTavof,aat  i§  oXfjg  xagdtag  xrA.)  non;aayTtg  xoitor 
nSai  TOTff  yibitf  ^tjOOfif^y  rotg  ßovXojuiyoig  mgl  rr^v  noi^itiay 
xut  TTjy  /orjfTTOTfjTa  rov  &((w  gulonoytiy.  Da  qtXoTfOyfty  in 
der  Handschrift  aus  q^tXoaofftty  corrigirt  ist,  könnte  man  ver- 
sacht sein,  letzteres  für  die  richtige  Lesart  zu  halten  und  dies 
sowohl  als  die  yeoi  in  malam  partem  zu  deuten,  wobei  etwa 
an  gnostiscbe  Neuerer  zu  denken  wäre.  Oder,  ipiXomytiy  als 
die  richtige  Lesart  angenommen,  läge  es  nahe  zu  yermuten, 
dass  vor  noi'nui'Tfc  die  Negation  ausgefallen  sei.  Beides  wäre 
gleich  weit  vom  Ziele  gctohlt.  Der  Fehler  liegt  in  xonoy^  wel- 
ches aus  axonoy  verdorben  ist  (vgl.  l.  Clem.  19,  2.  63  in.)  — - 
ein  leicht  erklärliches  Versehen ,  wenn  man  si(  h ,  ohne  Wort- 
trennung,  ILOlHCANTECCKOnON  als  Vorlage  des  Abschrei- 
bers denkt. 

V.Wenn  die  Construction  von  xQvyay  mit  doppeltem  Accu- 
sativ  gcbräuchlioli  wftxe»  80  könnte  der  folgende  Satz  unbean- 
standet so  belassen  weiden,  wie  iiin  die  Handschrift  bietet 
(Bryenn.  S.  141):  Muxa^m  oi  rowro/g  tJtWiOvoyTtg  loTg  ngoa- 
Tuy^uüi '  Kay  okiyoy  x^oyoy  xaxonad^awriy  iy  tio  x6afi<^  rot  roi, 
toy  S'&ymoy  r^g  uyaaraatwg  xa^jtoy  TQvyt]aovau  Bass  es 
den  Frommen  beschieden  sei,  einst  Tom  Tode  gewissennassen 
die  Frucht  der  Auferstehung  abzuernten,  würe  swsir  ein  höchst 
origineller,  keineswegs  aber  unmöglicher  Ausdruck  für  die  im 
Jenseits  ihrer  wartende  ewige  Seligkeit.  Aber  wenn  auch  tqv- 
yäy  allerdings  sowohl  mit  dem  AecusatiT  der  Frucht  Terbunden 
wird,  welche  man  erntet,  als  auch  des  Baumes,  Gartens  u.  s.  w., 
welche  man  aberntet,  so  ist  doch  die  Verbindung  beider  Con- 
structionen  nicht  bdegbar.  Somit  bleibt  nichts  übrig,  als 
das  störende  dm^aroy  zu  beseitigen,  und  hiefür  bietet  sich 
mne  Emendation  dar,  welche  die  Aenderung  nur  eines  einzigen 
Buchstaben  erfordert,  nftmlich  JAQ ANATON  für  AEQ ANA- 
TON,  Es  wSre  also  zu  lesen:  thy  6*  a&&yatoy  Trfi  iyaara- 

8.  Zum  Sehluss  nur  noch  ein  Wort  über  den  rätselhaften 
Satz,  welcher  im  20.  und  letzten  Kapitel  des  zweiten  Briefes 
der  Schlussdoxologie  unmittelbar  voraufgeht.  Nachdem  im  Hin- 
blick auf  die  Tatsache,  dass  die  Gerechtigkeit  nicht  inimer 
schon  in  diesem  Leben  belnlmt  wird,  auf  Gottes  weise  Üeko- 
nomie  hingewiesen  worden  ist,  welche  den  Lohn  nicht  kurzer 
Hand  abzalilt,  sondern  solcher  Weise,  dass  man  seiner  harren 
muss,  heisst  es  weiter  (Bryenn.  S.  142):  El  yuQ  xhy  fttad^oy 
T(7)y  dixa/(üy  o  &tog  oiviü(.i(o;  amöi^ot.,  tv&kog  iftnOQi'ay  t]oxoi~ 
/n(y  xui  ov  &eoo^ßftuy  '  idoxoi  uey  yug  th'ai  öt'yjuot,  ov  to  nat- 
ßig  akka  to  xtQÖaUoy  duuxoyTtg,  xai  diu  lovio  &iia  xqiaig 


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ANALEKTBf. 


tßXütxl  ^  Tyevttn^  /i^  o»'  dUuiuv ,  xai  ijiuQvyf  ^eajiwc.  T'^s  ist 
nicht  zu  leugnen,  dn^s  die  AVorte  xui  dih  toito  —  dtij^iog  der 
ErkUiiiinir  trrosse  Schwierigkeit  bereiten.  Glaubt  man  das  nyevua 
fiT}  üy  dtxutoy  nach  Analogie  von  2  Petr.  2,  4  (vgl.  Henoch  90, 
21  ff.)  verstehen  zu  müssen,  so  findet  man  sich  von  vornherein 
in  die  Unmöglichkeit  versetzt,  zwischen  diesem  nveijua  einer- 
seits und  denjenigen ,  welche  „  aus  der  Gottseligkeit  ein  Ge- 
werbe machen",  andererseits  ein  auch  nur  einigcrmas^en  plau- 
sibles tertium  coinparationis  aufzuweisen.  AVoUte  man  aber 
Sinn  und  Zusammeulumg  der  Stelle  dadurch  retten,  dass  man 
unter  nvnua  (coUectiv;  Menschen  verstünde  und  l'ßhtu>i  und 
Ißnnvvt  wie  r^rryoiuiy  und  id(jy.nviiiy  hypothetisch  lasste  (so, 
wie  es  scheint,  Br}'ennio8,  der  /i/j  o»'  dtmauv  durch  adi'xw;  er- 
klärt), so  bedürfte  es  dazu  nicht  nur  des  Nachweises,  dass 
7iviv(.ta  überhaupt  in  diesem  Sinne  gebraucht  sein  könnte,  son- 
dern auch  der  {Erklärung ,  die  schwerlich  gelingen  wiirde,  wie 
insonderheit  der  Verfasser  des  zweiten  Clemensbriefes  zu  einer 
solchen  Ausdrucksweise  kam,  nach  dessen  Sprachgebrauch  (vgl. 
bes.  c.  14)  mau  viel  eher  i//r//;  dafür  envarten  müsste^  Unter 
solchen  Umständen  könnte  man  dazu  neigen ,  die  Stelle  für 
verdorben  zu  halten.  Weim  sie  aber  verdorben  ist,  so  muss 
sie  es  gründlieh  sein;  durch  Emeiiihition  eines  oder  des  andern 
Wortes  ist  hier  sch^Ye^ueh  etwas  auszurichten. 

[26.  Februar  1876.] 


2. 

Ceber  deu  Sehliisssatz  des  MaratorisehcD 

Braebstflckes. 

Von 

Hermann  Roenseh, 

Ärehidiaconiu  in  Lobenttein. 


Dieser  Schlusssatz  lautet:  Arsinoi  autem  seu  Vs- 
lentini  vel  m  .  tia  .  [is]  (so  ursprünglich  in  der  Eds.; 
später  Mütiadis  ooirigirt)  ^)  nihil  in  totnm  reoipemut  . 


1)  Siebe  Harnack  in  der  Zettschr.  t  d.  luth.  Theo],  u.  Kirche 
1874,  S.  277 ff.;  1875,  b,  207 f. 


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fiOEKSCH,  SCHLUSSSATZ  0E8  HÜRATOR.  BBUCB8TÜCKES.  311 


qui  atiam  noTnm  psalmoram  libTum  Mareioni  eon- 
Bcripaefuat  una  cum  Basilide  Aaaiaxmiii  Catafry- 

eum  conetitutorem. 

Wir  haben  hier  die  handschriftliche  Interpnnctioii  und  Of^ 
thographie  beibehalten,  nur  sind  die  Namen  mit  grossen  An- 
Ümgabnchstaben  yersehen  worden»  während  in* der  Hde«  In  nnd 
Conatitutorem  (nebst  nonii)  geschrieben  steht. 

Pür  Maroioni  haben  verschiedene  Kritiker  verschiedene 
andere  Lesungen  vorgeschlagen :  entweder  Marcionitae  (Hil- 
gcnfeld  in  der  Zeitschr.  f.  wissensch.  Theol.  1<^74,  vS.  218), 
oder  Marcionitis  (Leimbach),  oder  Marciani  (Credner, 
Hesse,  Hilgenfeld  in  der  „Einleitung  in  das  Neue  Testa- 
nent'S  S.  94).  £benso  hat  man  Marcionis  für  Arsinoi, 
in  gl  eichen  teils  quia  teils  qnin  für  qui  zu  lesen  für  nltti^ 
gehalten,  hauptsächlich  infolge  jener  erstgenannten  Abänderung. 

Aber  sollte  Mareioni  wirklich  geändert  werden  müssen? 
Wir  zweifeln  daran;  jedoch  nicht  für  einen  DaÜYUs  oommodi 
[=  für  Marcion]  sehen  wir  dasselbe  an,  sondern  vielmehr 
füi  abhängig  von  dem  unmittelbar  folgenden  conscripserunt. 

Es  gicbt  nämlich  eine  grosse  Anzahl  von  Zeitwörtern,  die 
mit  con  zusamnu  upcsctzt  sind  und  nach  Art  ihrer  griechischen 
Vorbilder  einen  Dativ  der  Person  regieren. 

Dahin  gehören  die  in  meiner  tSchrift  Itala  und  Vul- 
gata  (2.  A.  Marburg  1875)  S.  183—187  u.  355.  384  auf- 
geführten: collaborare,  vgl.  Phil.  4,  3:  quae  in  evangelio 
collaboraverunt  vel  concertaverunt  mihi  vel  m e c u m 
[fjvyild^lr^auy  fiOi],  Boern. ;  —  commori,  vgl.  2  Tim.  2,  11: 
si  enim  comraortui  sumus  [avvuntd^ayontv^j^  Christo,  Ter- 
tuU.  Scorp.  13;  —  eompati,  concreare.  condolere, 
congaudere,  congratulari  [rsvyyaigtiv^  coniucundari, 
convesci,  con  vivi  ficnre,  vgl.  Eph.  2,  5:  couvivifi- 
cavit  nos  Christo  [av^'tloJ(>no^r^aiy  t*^  XQtoii^\  Clar.  Amiat« 
Fuld. ;  - —  corridere,  coHdhere. 

Ich  füge  jetzt  diesen  ]»elegen  noch  einige  bei.  Die  in 
den  altlateinischen  I'ibelübersetzungen  vorkommenden  Verba 
sind  auch  hier  durch  gesperrten  Druck  hervorgehoben. 

commoraii.  Sirac.  25,  23:  commorari  leoni  et  draooni 

[avvoiwflcu  kioytixal  d^oxoKTi]  ])lacebit  quam..,  Vulg. 
configere  ^  nvaiuvQotv.  Jo.  19 1  32:  alterius  qui  con- 

fixns  erat  illi,  Palat. 
oonlaetari.  Luk.  15,  6:  eonlaetamini  mihi  [av^^i^T/ 

fiih],  Pseud.-Cyprian.  ad  Novatian.  15. 
conperire  «  avranoXlva&ui.  Hebr.  11,  31:  non  conperi- 

bit  [d.  i.  conperivit]  infidelibus,  Cantabr. 
consepelire.  Kol.  2,  12:   consepulti  ei  [avyiauptyrtQ 


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312 


AKALEKTfiN. 


avT(y]  in  baptismo,  Clar.  Boen.  Amiat.  Fuld.  Viüg.  — 

C)-prian,  Ep.  67,  6:  alienigcnis  consepultoB. 
com-egnare.    Tertull.  adr.  Jud.  8:    adhuc  Cleopatra  con- 

regnavit  August o  annis  XIII. 
consurgerc,    ronresurgere.    Kol.   3,   1:    si  conaur- 

rexistia  Christo,  Cy^iriau.  d.  Zelo  et  Liv.  14.  Testini. 

III,  11;  —  si  conresurrexistis  Christo,  Amiat. 
coinfiudinre.    Iren.   IV,  38,  2:    propter  hoc  coinfautia- 

tum  est  [awivfiniulUv]  ho  mini  verbum  dei. 

EfBiaht  man  nun  ans  diesen  Beispielen,  welche  eich  noch 
Tennehron  Hessen,  wie  gebräuchlich  es  auf  dem  Gebiete  der 
kirchlichen  Latinität  gewesen  ist,  nach  dem  Vorgange  der 
Griechen  derartige  Composita  mit  dem  Dativ  zu  construiren, 
xind  erwägt  man,  dass  einem  daran  gewöhnten  Leser  diese 
Wortrerbindung  in  unserer  Stelle  des  Muratorischen  Fragmen- 
tes um  so  leichter  verstiteidUch  sein  musste,  da  der  Ton  dem 
Verbum  regierte  Dativ  unmittelbar  neben  demselben  steht, 
so  wird  man  kaum  bezweifeln  können,  dass  Marcioni  con- 
scripserunt  als  gleichbedeutend  mit:  cum  Marcione  scri* 
pecrunt  oder  mit  dem  griechischen  tco  Muoy.uovi  nvyfyQuxf/ay 
aufzufassen  ist.  Mit  uUTerändertem  qui  besagt  daher  das  be- 
treffende Satzglied:  „welche  [nämlich  die  vorhergenannten 
Häretiker]  sogar  ein  neues  Psalmbuch  mit  Marcion 
geschrieben  haben."  Was  die  darauffolgenden  Worte  be- 
triift,  so  würde  es,  vom  rein  grammatischen  Standpunkte  ans 
betrachtet,  am  einfachsten  und  natürlichsten  sein,  sie  als  eng 
mit  den  vorausgebenden  verbunden  zu  betrachten  und  zu  über» 
setzen:  „in  Gemeinschaft  mit  Basilides,  dem  Be- 
gründer der  asiatischen  Kataphrygcr".  Denn  im 
Vulgärlatein  sind  incongrucnte  Structuren  von  der  Art ,  wie 
cum  Basilide  .  .  co  nstitutore  m,  so  häufig  nachzuwei- 
sen dass  die  Annahme  einer  solchen  in  diesem  Schriftstücke 
weder  Befremden  einflössen  noch  daran  hindern  könnte,  in 
dem  von  den  Kestitutoren  seines  Textes  durchgängig  nach  con- 
8 titu torein  noch  supponirtcn  rc]irobamus  oder  reicimus 
eine  unnötige  Zutat  zu  erblicken  und  anstatt  dessen  den  das 
Ganze  beschliessenden  Accusativ  von  der  Bräposition  de  ab- 


^)  Vgl.  z.  6.  im  Italacodex  von  Cambridge  Mark.  1,  29:  cum  Ja- 
cob o  et  Johannen:  6.  2»>:  projitor  insiuraiid «i m  et  propter  simul  re- 
cunibent  i  b  u  5.  Luk.  11,  29:  ab  oiici  t  c  et  oci  iileiitem.  Ferucr  in  dem 
von  Vercelli  Matth.  9,  11:  cum  publicanis  et  peccatorcs,  —  sowie  in 
dem  noch  älteren  Palatmus  Joann.  6^  71:  de  Juda  Simon  em  Carioth. 
1,  18:  neque  ex  voluntatem  carnis  r.e<p.:e  ex  vohmtate  Desglei- 
chen in  (lern  alttestanicntlirhpn  Codex  des  Grafen  von  Ashbumham 
Kum.  13,  24:  de  grauatis  et  äcos. 


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BdHRIGHT,  BETTBlOE  ZUR  OE8CHIGHTE  DER  GEISSLER.  313 

hängig  zu  machen.  Auch  würde,  da  nicht  bloss  dem  Valen- 
tinas Toa  Seiten  Tertullians  und  dem  Basüides  toü  Seiten  des 
OrigeneSy  sondern  auch  den  Maroioniten  —  wie  ^^-i^  in  diesen 
Tagen  gelesen  haben  —  von  dem  arabischen  Verfasser  der 
Prnefatio  ad  toncilium  Nicaenum,  welche  der  Maronit  Afarah. 
Ecchellensia  lateinisch  übexsetst  hat,  die  Abfassung  solch  neuer» 
ausserkanonisoher  Psalmen  «ngescbrieben  wird,  ohne  alles  Be* 
denken  anzunehmen  sein,  in  dem  vorliegenden  Biblienverzeich- 
nisse  werde  zugleich  mit  Valentinus  und  Üarcion  auch  der 
zuletzt  angeführte  Basilides  als  Urheber  derartiger  Psalmen 
dargestellt.  Ob  freilich  und  inwieweit  dieser  ein  eonstitu- 
tor  Asianorum  CataphrTp:um  piinauut  werden  konnte, 
das  zur  Evidenz  zu  bringen  müssen  wir  den  Kirchenhiatorikern 
ex  pro£esso  überlassen. 


3, 

Bibliographisebe  Beiträj^e  zur  Gescbiebte  der 

Geissler. 

Von 

fieinhold  ROhrickt 

in  Berliu. 


Trotzdem  die  Geschiebte  der  Oeissler,  der  JudeuTerfoIgungen 
und  des  grossen  Sterbens  eine  ganze  Beihe  tüchtiger  Special- 
unteiBUchungen  erfahren  hat,  ist  auf  diesem  Gebiete  docli  noch 
so  Tiel  zu  tun  übrig,  dass  es  dem  Verfasser  nicht  überflüssig 
erschien,  auf  viele  zum  Teil  ganz  unbekannt  gebliebene  Punkte 
hinzuweisen. 

Die  Geschichte  der  Geissler,  welche  im  Jahre  1261  in 
Italien  auftreten,  muss  infolge  der  Publication  des  Chronicon. 
Salimbene  und  des  Schirrmacherschen  Buches  über  die  letzten 
Hohenstaufen  ganz  umgearbeitet  werden;  der  Ur?|  runs^  der 
ganzen  Beweguni;  ist  aus  dem  Studium  der  joachiniitischeu 
Leliren  zu  begriinrlen ,  n  ich  denen  im  Jahre  1260  die  dritte 
Weltperiode,  die  de«  heiligen  Geistes,  lepsin nt  (Döllinger  in 
lUumers  Histor.  Taschenbuche  1871,  b.  624:,  '630Q. 


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1 


314  ANALBKTEN. 

Die  Vorgeschiehte  der  Geisslerfahrten  von  1348,  die  Ge- 
schichte des  grossen  Sterbens  \rurde  durch  Hecker,  Die 
grossen  Volkskrankheiten  des  Mittelalters  (herausg.  von  Hirsch 
[Berlin,  1865]  S.  19 — 101);  Haeser,  Lehrbuch  der  Geschichte 
der  Medicin  (2.  Aufl.,  H,  S.  105)  von  der  medicinischen  Seite 
her  gründlich  beleuchtet;  hingegen  ist  der  ausfiihrliche  Brief 
eines  Canonikus  von  8t.  Donation  aus  Avii^iion  im  Breve  chro- 
nicou  des  Corp.  chrou.  Flandriac  ed.  de  Sniet  III,  p.  14 — 19, 
der  Bericht  des  Aegidius  Ii  Muisis  ibid.  II,  p.  280  u.  341. 
3öl — 385  noch  nicht  berücksichtigt.  Bio  Naturereignisse  und 
Witteningsverhältnisse,  welche  dem  Jahre  des  grossen  Sterbens 
vorangingen,  behandeln  die  Würtembergischcu  Jahrbücher  Bd.  I, 
S.  94—96.  Zur  Geschichte  der  Verbreitung  der  furchtbaren 
Seuche  trage  ich  nach:  Bremisches  Jahrbuch  1872,  S.  238 ff. ; 
Stüwe,  Geschichte  des  Hochstifts  Osnabrück  I,  S.  212 f.; 
Wiarda,  Osttxiesisehe  Geschichte  I,  S.  309;  Perizonius, 
Geschichte  Ostfrieslands  I,  S.  102  f.;  Hansen,  Geschichte  der 
friesischen  Uthlande  S.  51  ;  Boll  mann,  Geschichte  von  Mecklen- 
burg S.  309.  393.  423;  Fromm,  Chronik  von  Schwerin  S.  53; 
Jahrbücher  für  Schleswig  -  Holsteinische  Landeskunde  Bd.  X, 
S.  48;  Neue  Schleswig -Holsteinische  Provinzialberichte,  heraus- 
gegeben von  Petersen  (1823),  Heft  3,  S.  81;  Güthens  Chro- 
nik von  Meiningen,  herausgegeben  von  Schaubach,  S.  12ö; 
Erhard,  Geschichte  von  Passau  S.  124;  Sin  na  eher,  Bei- 
träge zur  Geschichte  Brixens  V,  282 ff.;  Archiv  des  historischen 
Vereins  von  Bern  VI,  239 — 241;  Schweizer  Geschichtsfreund 
VIII,  S.  105.  XVII,  S.  12  u.  21.  ~  Noch  heute  erinnert  an 
die  Pest  in  Fulda  die  auf  dem  Frauenberge  dasulbst  aut'2:e- 
stellte  Pestsäule  und  die  dahin  gehende  Wallfahrt  (Arnd,  Das 
Hochstift  Fulda  S.  82).  Ebenso  sind  die  noch  zahlreich  vor- 
handenen  Amulette  („Pestkreuze")  Wahrzeichen  jener  furcht- 
baren Prüfung  der  Menschheit  (Archiv  für  die  Geschichte  Käm- 
fhens  X,  242  fr.) 

Wie  bekannt»  worden  die  Juden  bezüchtigt,  durch  Brunnen* 
Teigiitung  die  Peet  angeitiftet  zu  haben,  und  die  Testui 
erpresste  übeiall  darauf  bezügliche  Oeatlindnisse  (H ecket  I 
S.  96 — 100;  Justin ger,  Chronik  von  Bern  [herausgegeben 
Ton  Studer]  S.  III;  Heyer-Herian,  Baael  im  14.  Jahrhun-  ^ 
dert  8.  170ff.;  Stobbe,  Die  Juden  in  Deutschland  S.  186  ff.). 
Die  Bäte  der  einzelnen  Städte  teilen  sich  ihre  Erfohrunge« 
in  Bezug  auf  die  Juden  mit;  so  kommen  Wamungsbriefe  toa 
Whisby  auf  Gothland  nach  Bostock,  dessen  Bürgermeister  in 
gleicher  Weise  die  von  Wismar  und  Thom  von  der  Tücke  der 
Juden  benachrichtigt  und  su  gemeinsamen  Massregeln  auffordert. 
Ebenso  schreibt  der  Lübecker  Bat  an  den  Hersog  Otto  von 


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BÖHBICHT,  BEITRiOS  ZOB  GESCHIGBTE  DEB  QEIB8LBM.  815 


Bxmissclnreig-LüiMbiug  und  bittet  ihn  „am  Liebe  su  Qott 
und  der  Gefechtlgkdt",  die  Juden  zu  massaoriieii  (Donath» 
Die  Xuden  in  Heoklenbuig  8.  20;  Lübecker  Urkundenboeb, 
in,  103),  während  Bern  und  andere  oberdeuteehe  StKdte  ihre 
STachbam  ebenfalls  zur  Wachsamkeit  emulhnen;  auch  TOn 
Brüssel  treffen  Briefe  iu  Aachen  ein  (Haagen,  Gcschiohte  von 
Aachen  I,  277).  Vergeblich  suchte  die  Obrigkeit  an  vielen 
Stellen  die  Juden  gegen  den  Föbel  zu  schützen ,  wie  in  Ulm 
(Fischer,  Geschichte  Ton  Ulm  S.  X94),  Meiningen  (Güthen 
S.  125),  Naumburg  (Anzeiger  des  german.  Museums  1866, 
8.  87  ff.),  Köln  und  Erfurt.  Der  Rat  von  Köln  forderte  sogar 
den  von  Winterthur  zum  ener^chen  Schutze  der  Juden  auf 
und  wehrte  den  Todfeinden  derselben,  den  Geisslern,  den  Ein- 
tritt anfangs  mit  Erfolg,  aber  am  24.  August  X349  ward  das 
Judenviertel  nach  mannhafter  Gegenwehr  erstürmt  und  vcr- 
wüstet;  25000  Juden  sollen  hier  gefallen  sein.  Der  Bischof 
teilte  sich  mit  dem  eingeschüchterten  und  machtlosen  Rate  in 
die  Beute  (Aegidius  Ii  Muisis  p.  343  sq.;  Wey  den,  Die  Juden 
in  Köln  S.  189,  vgl.  330  —  337).  Ebenso  ging  es  in  Bonn, 
in  Wildeshausen  (21.  Juni  1350)  bei  Bremen  (Brem.  Tahrb. 
1872,  S.  2-15),  in  Erfurt  und  Franklurt,  wo  ebenfalls  die 
Geissler  und  die  mit  ihnen  verbundenen  Judenschläger'*  den 
"Widerstand  der  Übrigkeit  brachen  (Zeitsrhr.  des  Vereins  für 
thüriiig.  Gesch.  IV,  S.  145 ff.);  Zunz,  Synagogale  Poesie 
S.  39;  Schudt,  Jüdische  Denkwürdigkeiten,  II.  A,  S.  43.  46). 
In  Aachen  hatte  der  Rat  Massregeln  gegen  die  Pest  getroffen 
und  strenge  Strafen  jedem  Geissler  angedroht ,  der  die  Stadt 
beträte*,  und  auch  jedem,  der  aus  freiem  Antriebe  sich  geissele 
(Lorsch,  Rechtsaitertümer  Aachens  S.  66;  Haagen,  Ge- 
schichte Aachens  I,  S.  277).  Ebenso  drohte  der  Rat  von 
Nürnberg  jedem  Geissler  die  Todesstrafe  durch  Säcken ,  aber 
umsonst  (Lochner,  Geschichte  von  Nürnberg  unter  Karl  IV. 
S.  36).  Ueberau  wurden  die  unglückliLheu  Söline  Jakobs 
massenweise  gemordet  (vgl.  Frind,  Kirchengesch.  Böhmens  II| 
S.  367;  von  Muchar,  Geschichte  Steiermarks  III,  S.  318 f.; 
Klemm,  Chronik  von  Dresden  S.  72  ff. ;  Emek  Hab  ach  a 
von  Wiener  S.  52.  185 ff.).  In  Speier  (Remling,  Gesch. 
der  Bischöfe  von  Speier  I,  609  f.)  verbrannten  sich  die  Juden 
selbst,  ebenso  in  Worms,  Main-^  und  W^ürzburg  (Histor.  Archiv 
für  Unteriranken  XII,  Heft  2,  S.  182  —  184).  An  die  Ver- 
folgung in  letzter  Stadt  erinnern  die  nachstehenden  Verse ; 

Anno  milleno  trecentesirao  quadragesimo  pofttquam  uoveuo 
Victoris  festo,  lector  rogo  te,  mernor  estol 
^uee  dieeeente  luiAe  Christoque  fovente 

Esftü  poena  Mayi  CaleiidaB  duodeua  Judaeos  digne  proprio  con- 
sumeit  in  igne 


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316 


ANALEKTEN. 


Plebs  hebraea,  rea  i)uteo8  iu  quaque  platea  Didtur  obsceno  prios 

infecisse  veneno 
Hinc  ratione  pari  meniit  pariter  cruciari, 
jSerbipoli  pago  ruit  illa  nefanda  propago. 

Milia  tria  centuin  quadruni  ]>n(^t  tcr  tres  igne  flagrum 
lutorf<'conmt  Judacos,  qui  perierunt 
Festo  Victoris  uec  non  lummaiibus  horis 
Calcndas  Majf  duodenis,  tunc  Adonayl 
Omnes  dainabant,  quos  flaiiiniao  conglommerabant, 
Invcctis  puteis  infamia  cipvit  ab  eis. 
Hic  caiisib  ipj=iis  vitao  procrssit  edipsis. 
Heibipolcuse  forum  cruciatibus  affiiit  horuoi. 

l^ur  wenige  Fünten  acfaütsten  die  ünglücklicben  vor  der 
Wut  und  Grausamkeit  ilixer  Biänger^  wie  der  F&Ugiaf  Bap- 
pxecht,  der  Hersog  HagnuB  Ton  Braunschweig  (Dürre,  Gesch. 
Ton  Braunschweig  8.  64)  und  der  Heizog  Albrecht  von  Oester- 
reich. Ijetzterer  namenÜich  schritt  sehr  eneigisch  ein,  als  am 
Tage  Tor  Hiohaelis  1349  in  Krems  und  Stein  eine  allgemeine 
Jttdenhetse  in  Scene  gesetzt  worden  war.  Biese  Städte  sowie 
Hantem,  die  Dörfer  Bohrendorf,  Weinzierli  Stratsing  und  Lei- 
hen wurden  sofort  von  Truppen  besetzt,  zwischen  den  beiden 
oben  genannten  Städten  ward  ein  Galgen  aufgerichtet  und  strenge 
rntersuchung  eingeleitet.  Drei  Hauptradelsfiihrer  wurden  ge- 
henkt, mehrere  Bürger  verhaftet  und  beiden  Städten  als  Strafe 
400  riund  auferlegt,  Mantem  sogar  600  (Kinzl,  Chronik  der 
Stadt  Krems  und  Stein  S.  22  f.).  Audi  fanden  die  Juden  in 
Schaffhausen,  Goslar  und  Kcgensburg  Hube;  in  letzterer  Stadt 
empfingen  sie  1349  am  Sonnabend  Tor  St.  Dionys  eine  Schutz- 
urkunde, welche  alle  Jahre  erneuert  wurde  (Gemeiner,  Re- 
gensburger Chronik  I,  349).  Ganz  besonders  nahm  der  Papst 
Bonifnz  die  Juden  in  seinen  Schutz  (Raynaldi  Anuales  1349, 
!Nr.  20f. ;  vgl.  Konrad  von  Megenberg,  Buch  der  Natur 
S.  216 — 218);  auch  der  Kaiser  Karl  IV.  traf  in  ihrem  In- 
teresse einige  Massregeln,  aber  doch  ohne  Energie  und  mehr 
nur  zum  Schein  (Wiener,  Regesten  zur  Gesch.  der  Juden  in 
Deutschland,  1862,  S.  127—130).  In  Frankfurt  bestimmte  er, 
falls  die  Juden  erschlagen  werden  sollten,  im  voraus,  was  zu 
tun  sei.  Er  verpfändet  ntimlich  am  25.  Juni  1349  die  Juden 
an  die  Stadt  für  15200  Pfun  1  Heller;  sollten  diese  erschlagen 
werden,  dürfe  die  Stadt  da.^  llnh  und  Gut  derselben  an  sich 
nehmen,  müsse  aber  den  etwaigen  Ueberschuss  über  jene  Summe 
an  Karl  herausznlileii  fStobbe  S.  99).  Ebenso  überlässt  er 
den  Bürgern  von  Worms  und  Sj  eier  die  Juden  mit  Leib  und 
Gut  (Wolf,  Die  Juden  in  Worms  S.  34;  Speierische  Chronik 
S.  701  A);  die  Judenschliiehter  in  Augsburg  und  Küln  empfangen 
billige  Verzeihung  (Laromblet  III.  No.  489;  Stobbe  S.  85). 
lieber  die    jN'ürnberger  Verhältnisse  gicbt  namentlich  Loch- 


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BÖHRICBT,  BETTRlOB  ZUR  GESCHICHTE  DER  GEI8SLER.  817 


ner  (Nünibeig  nnter  Karl  IV.  S.  26—42)  aualührliohe  Nach- 
richten. 

Im  C^olge  der  Pest  erscheinen  auch  die  Oeisaler,  deren 
Geschichte  aus  den  bereits  hekannten^  aber  neu  und  kritisch 
berau^;^ebencn  Chroniken  Ton  Konrad  von  Herford,  do- 
sen er  nnd  Twinger.Ton  Königshofen  das  meiste  Licht 
empfängt;  nachzutragen  ist  die  Magdeburger  Sohöppenchronik^ 
einige  Notizen  bei  Krüge  Ist  ein,  Nachrichten  TOB  der  Stadt 
Ohrdruf  S.  128;  £no blich,  Die  Herzogin  Anna  von  Sohle- 
aien  S.  95.  Von  ausserordentlicher  Wichtigkeit  sind  die  bis- 
her noch  ganz  unbenutzten  Berichte,  welche  im  Recueil  des 
chroniques  de  Flandre  oder  Corp.  chron.  Flnndr.  ed.  de  Smet 
(Bruxelles  1837)  I,  p.  22Gf.  und  III,  p.  24—26.  361—385 
(Aegidius  Ii  Muisis)  veniffcntlicht  sind.  Es  pelit  daraus  hervor, 
dass  der  ru]>st  zur  Abwehr  der  Pest  iu  Avip:iioü  selbst  ei:ic 
Geisslerprozcssion  peliilirt,  dass  man  ebendaselbst  wissenschaft- 
liche Anntomie  zur  Diagnose  der  Kranklieit  versuchte,  die  Be- 
hf  irde  sanitäts  -  polizeiliche  Anordnungen  getrotieu,  kurz,  so  viel 
Interessantes,  dass  die  Vernachlässigung  jenes  Ik-riihtcs  schwer 
zu  bedauern  ist.  Hier  m'üpc  nur  diejenige  Stelle  ausführliche 
Berücksichtigung  finden,  welche  das  Auftreten  der  Geissler  in 
Flandern,  speciell  in  Tournay  behandelt 

Die  ersten  Geissler,  200  im  ganzen,  kamen  von  Brügge 
nach  Tournay  am  15.  August  1349,  stellten  sich  auf  dem  Markt- 
platze auf  und  begannen  angesichts  einer  zahlreich  versammel- 
ten Volksmenge  ihre  Geisselübung.  Am  folgenden  Tage,  einem 
Sonntage,  wiederholten  sie  im  St.  Martinskloster  dieselbe  und 
einige  Stunden  später  auf  dem  Markte.  Dienstag,  den  18., 
zog  das  Volk  unter  Vorantritt  des  Decans.  des  ganzen  Capitels 
und  der  Mönche  ebenfalls  nach  dem  St.  Martinskloster,  wo  der 
Minorit  (»erhard  de  Muro  in  eindringlicher  Weise  zur  Busse 
mahnte,  um  die  Pest  von  der  Stadt  abzuwenden;  da  er  aber 
nm  Schluss  seiner  Predigt  vergass,  für  die  Geisseibrüder  zu 
bitten,  so  wurden  seine  Zuhörer  erbittert,  und  diese  Stimm ung 
bemächtigte  sich  auch  allmählich  aller  Kiuwoliner  gegen  ihn 
und  den  ganzen  Klerus,  hmvischen  trafen  noch  vor  Ablauf 
der  Woche  ungefähr  450  Geissler  von  Gent  ein,  300  von  Sluys 
und  4  00  von  Dorti-echt,  welche  täglich  abwechselnd  auf  dem 
Markte  und  im  Hofe  des  Klosters  sich  geisselten.  Sie  wurden 
ii(»ch  verstärkt  durch  eine  neue  Schar,  welche  aus  Lüttich  am 
29.  August  eintraf  und  sofort  wie  auch  am  folgenden  Tage 


1)  Vgl.  Zachere  Artikel  „Geissler"  In  Erseh  und  Grubere 
Encyklopadie;  sonst  auch  das  Buch  Ton  Co  Oper:  Flagellation  and 
tbe  flageUa&ts  (London  1878). 


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Z16 


iJSUdMKTBS, 


unter  der  Führung  eineB  Dominikaners  ihre  Uebongen  wie  jene 
begann.  Der  Letztere  empfing  die  Erlaubnis  vom  Decan  und 
Capitel,  an  derselben  Stelle,  wo  der  Minorit  Gerhard  gepredigt 
hatte,  zu  predigen,  und  wühlte  fils  Text  die  Worte  Joh.  12,  24  : 
Es  sei  denn,  dass  das  NN'eizenkorn  ersterbe.  In  seiner  Kede 
lobte  er  die  Geissler  als  ..rote  Streitei;*',  tadelte  dagegen  die 
Bettc'lmunche  als  „  Scorpione  und  Antichristen  weiche  jene 
80  hitzig  verfolgten,  und  erklarte,  seitdem  Christus  sein  Blut 
vergossen,  sei  niemals  ein  kostbareres  Opfer  <TOtt  dargebracht 
worden  als  von  den  Geisseibrüdern.  Der  Eindruck  jener  Kede, 
welche  von  vielen  Zuhörern  eifrig  nachgescluieben  wurde ,  war 
ein  gewaltiger;  fiast  alle  begannen  iLlerus  und  Könche  arg  zu 
beschimpfen. 

Infolge  dessen  setzten  jene  für  den  1.  September  eine 
Prozession  an,  welche  von  der  Katharinenkirche  nach  dem 
Martinskloster  ziehen  sollte.  Am  bestimmten  Tage  sammelte 
sich  hierauf  die  Menge  im  Kloster,  aber  der  Zulaut  war  nicht 
so  bedeutend ,  als  er  bei  den  Geisselpredigcrn  gewetscn  war, 
und  der  Augustiuermönch  Bobert  predigte  über  die  Heilung 
des  Aussätzigen  und  Stummen.  Kaum  aber  hatte  er  begonnen, 
den  Satz  des  Dominikaners,  worin  dieser  von  dem  Blutopfer 
der  Geissler  gesprochen  und  es  dem  Tode  Christi  gleichgestellt 
hatte,  anzugreifen,  als  die  Menge  stürmisch  ilin  unterbrach,  und 
einzelne  Stimmen  sich  erhoben,  dies  hätte  der  Geisslerprediger 
nicht  gesagt.  Endlich  trat  wieder  Schweigen  ein  und  Kobert 
konnte  mit  ILühe  seine  Rede  beendigen ,  worauf  das  Volk  er- 
bittert sich  zerstreute.  Erst  als  am  (>.  September  jcn«j  Pro- 
zession wiederholt  wurde,  und  Kobert  in  Gegenwart  des  gesamm- 
ten  Klerus  und  der  Sladtoberslen  von  neuem  predigte ,  legte 
flieh  der  Aufruhr. 

Aehnliohe  Seeuen  wiederholten  sich  auch  in  anderen  Städ« 
teiii  wie  YalfincieniiM,  wo  ein  Bruder  Jacobita  predigte,  dem 
einige  Möndie  zu  widennpreohen  wagten;  sie  massten  ihn  je- 
doch, da  er  viele  Oeifsler  mm  Sehntie  bei  sieh  hatte,  mhäg 
eeine  fitnase  ziehen  lassen. 

Bald  machten  sieh  die  Folgen  des  Treibens  der  Flagellan- 
ten in  Tournay  geltend;  das  psychische  Gontagium  wi^te. 
Gegen  665  Ifaim  sammelten  sieh  in  der  Nacht  des  8.  Septem- 
ber mit  Erlaubnis  der  Obersten  der  Stadt,  geisselten  sieh  anf 
dem  Hackte  nnd  sogen  dann  ab.  Sie  kehrten  am  10.  Ootober 
sniüdL,  geisselten  sieh  an  diesem  und  dem  folgenden  Toge 
wieder  auf  dem  ICarktplatse  nnd  wandten  sich  daranf,  wie  man 
sagte,  nach  Frankreich,  nnd  swar  in  der  Bichtang  auf  Soissons. 
Ihre  Führer  waren  Johannes  Ton  Lyanoonrt,  Johannes  ICackes, 
Johannes  Wanckiers  und  Jacob  Ton  Haida;  ebenso  schloss  sich 


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BÖHRICBT,  BEITBlGE  ZÜR  OBBCUlCUTE  DER  0EES6LBR.  319 


ihnen  der  Augustinerprior  mit  einem  lirudcr  und  zwei  Pres- 
bytern nu,  um  die  Beichte  zu  hören  und,  wenn  nötig,  das 
Sacrameut  zu  reichen.  Kurze  Zeit  darauf  sammelten  sich  250 
Mann  in  Tournay  und  verpflichteten  sicli  eidlich  ,  ganz  so  wie 
die  Geissler,  welche  die  Stadt  eben  verlai^scn  hatten,  sich  zu 
geissoln  am  Tage  ihres  Auszuges  wie  in  der  folgenden  Woche; 
ihr  Führer  wurde  der  Augustinermönch  Kobert.  Ferner  be- 
schlossen sie,  ohne  Kreuze,  Fahnen  und  Kerzen  ihren  Umzug 
um  die  Stadt  zu  halten,  sonst  aber  deuselbcii  Habit  wie  die 
übrigen  Geissler  zu  tragen.  Am  bestimmten  Tage  kamen  sie 
hierauf  in  der  Marienkirche  zusammen  und  hörten  die  Messe 
in  der  Ludwigskapelle ,  wobei  zwei  Kerzen  brannten ;  dann 
legten  sie  ihre  Bussgewänder  an  und  zogen  ab.  Voran  schritten 
die  Bettelmönche,  dann  die  Kanoniker  und  Mönche,  dann  das 
BürgercoUegium,  welches  den  Namen  der  Doniicellen  führte  und 
das  Muttergottesbild  trug,  alle  barfuss.  Diesen  schlössen  sich 
an  die  Geisslerbrüder  unter  der  Führung  Roberts,  zwei  und 
zwei,  sich  geisselnd;  von  den  zwei  oben  genannten  Kerzen 
blieb  eine  brennend  zurück  vor  dem  Marienbilde,  die  andere 
Tor  dem  Bilde  nm  Klostereingange,  bis  die  Prozession  vorüber 
war.  In  den  folgenden  acht  Tagen  kamen  die  Geissler  in  der 
vSt.  Michaeliskapelle  zusammen,  liörten  dort  die  Messe,  legten 
die  Bus!5gewänder  an  und  beteten  vor  dem  Marienbilde  das 
Vaterunser  und  Ave  Maria,  worauf  sie  sich  geisselnd  wie  früher 
die  Stadt  umzogen  und  sich  dann  in  ihie  Wohnungen  zerstreu- 
ten. Am  zehnten  Tage  dieser  Uebungen  zog  der  gii^sste  Teil, 
nachdem  sie  die  Messe  gehört,  nach  dem  S.  Aubeitsberge  and 
kehrte  sich  geisselnd  wieder  snrüek.  Bas  Volk  beteiligte 
sieh  ansserordentiieh  eifrig  an  dieser  PMiession;  viele  setiten 
sie  dreissig  Tage  lang  fort,  und  wie  in  Touinay,  so  überall  im 
Hennegau.  Aegidini  enühlt,  es  seien  gegen  10000  Menschen 
oft  an  jenem  Wall&hrtsoite  beisammen  gewesen  und  hätten  mit 
Inbrunst  dort  die  Predigt  gehihrt. 

BicQenigen,  welche  den  Oeiwlem  sich  nicht  angeschlossen 
hatten,  wurden  durch  den  Emst  jener  blutigen  Bussübungen 
ergriffen  und  stellten  eine  Menge  Ton  Missbräuchen  in  Tracht 
und  Mode  —  so  namentlich  die  Weiber  ^  —  ab ;  Spiel  und 
Tanz  sowie  jede  Leichtfertigkeit  des  Lebens  verschwand.  In 
Flandern,  Hainaut,  Brabant  und  allen  übrigen  belgischen  Pro* 
Tineen  wiederholten  sich  diese  Beweise  enistlioher  Einkehr;  aus 
Pentichland  sollen  2000  Büsser  nach  Avignon  gekommen  sein. 


1)  Aegidius  Ii  Huisis  ed.  de  Smet  p.  346:  „ipsae  ealm  instar  et 

similitudinem  horoinum  in  vestibus  et  omnibus  suis  ornanientis  seque- 
bantur  stricte  se  vestieudo  et  per  strictas  vestes  forma  nuditatia  earum 
apparebat.' 


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320  AHALEKTSN. 

um  dort  aus  der  Haud  des  Papstes  sicher  die  Absolution  zu 
empfangen.  Trotzdem  waren  Klerus  und  Mönche  sehr  wenig^ 
mit  jener  extrjivaganten  Askese  zufrieden,  so  wesentliche  und 
dankenswerte  Dienste  in  jener  schweren  Zeit  die  Oeissler  bei 
der  Pflege  und  Beerdigung  der  Kranken  und  Todtcn  leisteten, 
aber  sie  konnten  es  nicht  wngen,  gegen  jene  täglich  neu  an- 
kommendtn  und  sich  verstärkenden  »Scharen  aufzutreten.  Aegi- 
dius z.  B.  berichtet,  dass  vom  8.  September  bis  3.  October  in 
Toumay  nicht  weniger  als  3700  (leiasler  durchgezogen  seien! 
Erst  im  Jahre  1350  wurden  die  Gcisslerzüge  von  der  Obrig- 
keit direct  verboten,  und  der  Papst  gab  diesem  Verbote  Nach- 
druck durch  Drohung  mit  dem  Banne,  wofür  er  als  Entschädi- 
gung vollen  Siindenablass  verkündigte. 

Ut'ber  die  innere  Organisation   der  ( Jeisslerbrüderschaften 
entwirft  uns  derselbe  Gewährsmann  folgendes  Bild. 

Jeder  neu  Eintretende  musste  sich  verpflichten  zu  einem 
frommen  Lebenswandel  und  einer  General  beichte  seiner  Sünden, 
zur  Verteidigung  der  Rechte  der  Kirche  und  ihrer  Lehre ;  doch 
musste  jeder  von  seinem  SeUorger  und  Ton  seiner  Frau  sich 
mi  Erlaubnis  zum  Eintritt  «inholen.  In  der  Brüderschaft  hatte 
er  pünktlich  zu  gehoroben,  die  didnnddieiasigtägige  Geisselung 
aussttfuhien,  Bequemliobkeit  sa  Termeiden  und  Almoaen  nor 
anjninefamen,  nicht  sa  ertntten.  Beim  Eintritt  in  die  Herbeig» 
wie  beim  Yerlaaaen  derselben  moaate  jeder  fSnf  Mal  daa  Yater* 
unser  mit  dem  Ave-Maria  beten,  ebenso  lün&ehn  Kai  dasselbe 
an  jedem  Morgen,  ausserdem  fünf  Mal  vor  dem  Frühstück,  fünf 
Mal  nach  dem  Frühstück  und  fünf  Mal  in  der  Nacht;  die  Bünde 
wusch  man  mit  gebeugten  Knieen.  Am  Tisch  durfte  kein  Wort 
gesprochen  werden;  ebenso  war  allea  unnütse  Sdkwüren  ver- 
boten und  natürlich  jede  gottesUsterliche  Bede.  Gefiwtet  wurde 
am  gansen  Freitage»  sonst  Überhaupt  nur  Faatenspeise  beliebt; 
am  Karfreitage  erfolgte  eine  dreimalige  Selbstgeisselung  bei 
Tage  und  bei  Nacht.  Streitigknten  weiden  durch  die  Beich- 
tiger geschlichtet.  Keiner  darf  Kriegsrüstung  tragen  oder 
Kriegsdienste  tun  für  einen  andern  als  für  Christum ,  ebenso 
darf  niemand  das  Kreuz  ablegen  oder  ohne  Erlaubnis  aus  der 
Bmderachaft  austreten.  Verboten  ist  ÜBrner  die  übertriebene 
Selbstgeisselung,  welche  Siechtum  oder  Tod  zur  Folge  haben 
kann,  sowie  die  Abweisung  und  Verweigerung  ton  Almosen. 
Hingegen  soll  jeder  fUi  die  ganze  Christenheit  und  um  Be- 
freiung von  der  Pest  bei  Gott  bitten.  Stirbt  einer  der  Brüder, 
so  muBS  jeder  sich  geiseeln,  so  lange  als  fünfzehn  Vaterunser  mit 
dem  Ave-Maria  dauern.  Endlich  soll  jeder  die  Geissei  auf  sei- 
nem Lager  stets  vor  sich  haben  als  Erinnerung  an  das  Leiden 
Christi,  sich  der  Ehe  und  aller  fleischlichen  Lust  enthalten. 


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SOTTTKKMAUMSK»  Sm  LPTBBBBKTBF* 


821 


Ihr  Anzug  bestand  in  einem  schmalen  Mäntelchen,  auf 
dessen  Vorder-  und  Rückseite  ein  rotes  Kreuz  aufgeheftet 
war;  auf  der  einen  Seite  hatte  es  einen  Schlitz,  wo  die  Geissei 
hing  mit  drei  Knoten  und  drei  Stacheln.  Auf  dem  Kopfe 
trugen  sie  eine  Knpnze  und  darauf  einen  Hut,  ebenfalls  vorn 
und  hinten  mit  einem  Kreuz  versehen.  Dem  Zuge  ward  ein 
Kreuz  vorangetragen,  Fahnen  und  Wachskerzen;  sie  sangen  in 
ihrer  Muttersprache  und  beendigten  jedesmal  ihren  (iesang  in 
der  Kirche  des  betreffenden  Ortes  vor  dem  Muttergottesbilde. 
Dann  vereinigten  sie  sich  auf  dem  Markte  oder  im  Klosterhofe, 
legten  in  ihren  Herbergen  Kleider  und  Schuhe  ab  und  traten 
mit  entblösstem  Oberkörper  im  Kreise  zur  Geisselung  zusam- 
men ;  in  der  Mitte  desselben  stimmten  ihre  Vorsänger  das  ge- 
wöhnliche Geissellied  an  und  die  übrigen  respondirten.  Sie 
warfen  sich  in  der  Form  eines  Kreuzes  drei  Mal  auf  den  Bo- 
den, erhoben  sich  nach  Beendigung  des  Liedes  aufs  Knie,  und 
einer  ihrer  Führer  hielt  eine  Ansprache  und  ein  Gebet,  worauf 
sie  unter  dem  Gesänge  eines  Marienlicdes  sich  nach  ihren  Her- 
bergen zerstreuten ;  doch  waren  diese  Gebräuche  nicht  bei  allen 
gleich.  Oft  emjjfiügen  sie  von  einzelnen  Zuschauem  freund- 
liche Herberge,  die  sie  mit  Erlaubnis  ihrer  Oberen  annehmen 
durften ;  sonst  campiiten  sie  auch  bei  milder  Witterung  auf 
dem  Marktplatze. 


4. 

Eis  istberbrief. 

Mitgeteilt  von 

Fr.  Schlmuaeliar 

ia  Bottock. 


Venerablll  viro  domino  Marquardo  Schuldorp,  soroo 
Christi  8U0  In  domino  charlooino 

(1525  Deo.  22.) 

Gnad  vnd  fride  ynn  Cliristo.  Meyn  lieber  Er  marquard. 
Das  yhr  habt  genomen  zur  ehe  ewrs  scbuester  oddez  bruder 


1)  Das  Original,  ein  Quartblatt  zwischen  Glas  in  schwarzer  Eiu- 
fassuugj  auf  der  Universituts-Bibhothek  zu  liubtuck.    Nur  eine  Zeile 

21* 


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322 


AMAL£KT£N. 


tochter,  liab  ich  yor  hyn  gesagt  vnd  geschrieben,  sage  auch 
noch  vnd  schreybe,  das  es  nicht  vnrecht  sey  für  got.  Ist  auch 
keyn  Spruch  noch  exempel  da  weddcr  yn  der  schrifft,  sondern 
viel  mehr  da  für  vnd  da  bey,  das  yhr  cwrs  gewisseus  halben 
ia  wol  sicher  scyt.  Auch  so  findet  inaii  wol,  das  der  Babst 
ettwa  selbst  hat  zugelasscii  vnd  dispensiert  vmb  p^elt  vnd  p^oust 
Tnd  widder  scyn  recht  eyn  ander  recht  gesetz,  das  ia  au  yhm 
selbst  nicht  newe  ist.  Vud  obs  gleich  der  bapst  nicht  tliette, 
odder  yhe  bei  yns  new  were,  so  ist  gnug,  das  bey  got  nicht 
newe  ist.  V^nd  was  bapst  rmbs  gelt  odder  gonst  willen  zu> 
gibt,  mögen  wyr  auch  wol  Tinb  gotts  willen  brauchen.  Das 
sich  nw  viel  dran  ergeren  vnd  die  ergenis  (sie)  auff  euch  trey- 
ben,  was  fragt  yhr  daznaoh,  wolt  yhr  den  niohte  leyden?  odder 
sollen  die  leate  Tmb  ewr  willen  anders  eeyn  vnd  thun,  den  rie 
künden?  Wene  gleich  thetten,  die  es  eaoh  geratton  hetten, 
sollt  yhr  doeh  drome  nicht  sappeln,  md  mehr  gotts  recht  an- 
sehn» den  sie,  wen  es  nw  doch  nicht  anders  seyn  kan,  Tnd 
yhr  sie  mit  gutem  gewissen  nicht  lassen  knndt»  so  die  ehe 
geschehen,  vnd  sie  ewr  lieb  ist,  bis  man  sie  euch  mit  gewalt 
neme.  Vnd  weyll  den  das  eigemis  so  hart  dringet,  vnd  stellen 
sich,  als  sey  es  ?niecht,  solt  yhr  ia  da  gegen  desto  mehr  trotsen, 
wie  yhr  wisset,  das  s.  paulns  leret,  Tnd  thut,  wo  man  yhm  die 
freyhttt  waren  will  vnd  eben  den  flart  varet  [ynd]  sie  auif  yhm 
dringen,  Tnd  sibet  widder  eigemis  noch  gesette  an.  Den  wyr 
müssen  yhe  trotslich  Tnd  keoklich  handeln,  so  sie  Tns  die 
ireyheit  schwechen  odder  weren  wollen.  Isto  recht,  so  halt  man 
druber,  Tnd  yhe  mehr  so  mehr  mans  weren  odder  nicht  leyden 
wiU  Hie  mit  gott  befolen  Amen ,  Tnd  grasset  myr  ewr 
liebe  hanna.    Ich  habe  ia  TieU  sa  schaffen. 

Zu  Wittonbeig  freytags  nach  a.  Thomas.  1525. 

Hartintts  Luther. 


.  der  klaren  und  ruhigen  Schrift  hat  durch  das  Zusammenfalten  gelitten.  — 
Bisher  bcsassoii  vnr  an  Marquard  Schuldorp.  Prediger  in  Kiel, 
nur  das  eine  ^^chroiben  Luthers  vom  5.  Januar  152r)  (de  Wette  III, 
88.  VI.  595).  Deiu  obigen  ging,  wie  der  Eingang  zeigt,  ein  erstes,  in 
derselben  Angelegenhsit  Termsstes  voraus. 

^  Yor  ^ befolen**  ist  „befoh**  ausgestrichen. 


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FÜURNIER,  EIN  UEMOIllE  DES  CAROINALS  V.  LOTUlilNOKN.  323 


Efai  Nenoire  des  Canimals  voi  Uthrio^en 

über 

die  kirohliclien  Zustände  in  Prankreicli* 

(1563.) 

Von 

Dr.  Aiignst  Foarnier 

In  Wien. 


In  den  Tagen  v(»m  16.  bis  zum  22.  Februar  des  Jahres 
1563  war  Karl  von  Guise,  der  Cardinal  von  Lothringen,  Fer- 
dinands I.  Gast  am  Hoflager  zu  Innsbruck.  Im  verliossenen 
December  hatte  er  die  Königin  Katharina  um  ihre  Zustimmung 
zu  dem  Besuche  gebeten,  und  dieselbe  war  um  so  bereitwilliger 
erteilt  worden,  als  der  Gang,  den  die  Verhandlungen  des  Con- 
cils  iu  Trient  nahmen,  ein  Einverständnis  mit  dem  Kaiser  im 
höchsten  Grade  wünschenswert  machte ,  dieses  hinwieder  nur 
durch  eine  persönliche  Verhundlung  vollständig  zu  erreichen  mög- 
lich schien.  Daneben  aber  führten  den  Cardinal  noch  ganz 
andere  Zwei  ke  an  den  Kaiserhof.  Der  eine  war  in  einer  Ver- 
tindung  König  Karls  IX.  von  Frankreich  und  seiner  Schwester 
iiargucrite  mit  den  Kindern  des  römischen  Königs  Maximilian 
gelegen.  Ein  zweiter  Plan,  der  für  den  Cardinal  von  ^anz 
besonderem  Interesse  war  und  ihm  noch  mehr  als  jener  am 
Herzen  las,  betraf  die  Vermählung  seiner  Nichte,  der  Xönigin- 
witwe  Maria  Stuart,  mit  einem  Sohne  des  Kaisers.  Das  letz- 
tere Projekt  war  schon  zu  Beginn  des  Jahres  1561  aufgetaucht, 
ohne  dass  man  sieh  bisher  für  den  einen  oder  andern  der 
beiden  Erzherzoge  Karl  und  Ferdinand  bestimmt  ausgesprochen 
hätte.  Jetst  als  Karl  von  Guise  in  Innsbruck  erklärte,  er  habe 
Vollmacht  in  der  Sache  zu  yerhandelni  entschied  man  sich  in 
einer  Untenednng  am  18.  Februar  definitiT  für  den  Erstmn  ^). 
Was  die  Condlsangelegenheiten  anging,  so  legte  der  Cardinal 
seine  Anschauungen  darüber,  welche  Stellung  man  besonden 
in  dem  Punkte  „nt  libertas  sanoia  in  eoncilio  serretur"  ein- 
xnnehmen  habe,  in  einem  schriftlichen  Gutachten  nieder'}. 


>)  Schreiben  K.  Ferdinands  an  Erzherzog  Karl  vom  19.  Februar 
166S  im  Wiener  Staatsarchive.  Vgl.  Sickel,  Zur  Geschichte  des  Con- 
cfls  Ton  Trient  S.  434. 

2)  Sichel  a.  a.  0.  8.  438f. 


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324 


AMALEKTEN. 


Ausser  diesem  ist  ans  noch  ein  «weites  von  ihm  herrührendes 

S>  hriftstüek  erhalten:  ein  Promemoria  über  die  kirchlichen 
Yerbiltniase  und  Parteien  ia  Fraakreich,  worin  er  alles  das  in 
Kürse  susammen&sste»  was  er  darüber  dem  Kaiser  im  Ge- 
sprtche  mitgeteilt. 

Wie  aus  dem  Diktat  entnommen  werden  kann,  drehten 
sieh  die  Auseinandersetzungen  Karls  von  Guise  im  Wesentlichen 
am  die  wichtige  Frage  der  Reformation  des  Klerus,  die  kurz 
zuTor  —  am  3.  Januar  1563  —  Ton  den  französischen  Prä- 
laten dem  Concil  snr  Entscheidnng  vorgelegt  worden  war. 
Nicht  den  Kaiser  Ton  der  Wichtigkeit  der  Sache  an  sich  zu 
überzeugen,  hatte  sich  der  Cardinal  TOlgesetzt,  denn  Ferdinands 
Gesandte  in  Trient  waren  schon  ror  der  Ankunft  desselben 
angewiesen  worden,  sich  in  diesen  Dingen  keinesfalls  von  den 
französischen  Oratoren  zu  trennen.  Ihm  war  vielmehr  daran 
gelegen  f  die  hohe  Bedeutung  der  geistlichen  Reform  für  die 
inneren  Verhältnisse  seines  Vaterlanrle?  dnrzutun  un^l  auf  die 
Gefahr  aufracrkpam  zu  machen,  die  für  dn«^  katholische  Be- 
kenntnis in  Frankreich  daraus  erwachsen  konnte,  wenn  das 
Concil  darüber  zu  keiner  Entscheidung  gelangte. 

In  einem  aber  unterschied  sich  die  Anschauung  des  fran- 
zösischen Prälaten  ganz  Tresentlich  von  der  des  Kaisers.  Fer- 
dinand I.  hatte  die  Hotinunp;  noch  immer  nicht  aufgegeben,  es 
könnte  durch  Zugeständnisse  seitens  der  katholischen  Kirche 
eine  Annäherung  der  deutschen  Protestanten ,  eine  Beilegung 
der  Religionsspaltung  im  Reiche  möglirh  werden.  Anders  der 
Cardinal.  Indem  er  von  den  religiösen  Parteien  in  Frankreich 
spricht .  wirft  er  einen  Teil  der  Bevölkerung  vorneweg  zu  den 
Todtcn,  die  Hugenotten  gelten  ihm  für  unverbesserlich,  „nullam 
de  se  nobis  spem  reliquenint".  Was  er  verhütet  sehen  will, 
ist  nur  weiteres  Umsichgrciten  der  häretischen  Glaubensmeinung 
in  den  Reihen  derjenigen,  die  sich  noch  zur  Lehre  der  alten 
Kirche  hielten.  Ist  es  doch  bekannt,  dass  namentlich  die  ge- 
bildeten Stände  Frankreichs  in  Ansehung  der  Misbräuche  im 
Katholicismus  und  der  Sittenverderbnis  unter  der  Geistlich- 
keit dem  Indifferentismus  huldigten,  dass  die  Humanisten,  wenn- 
gleich sie  der  starren  Lehre  Calvins  nicht  ihre  Sympathien 
entjjegentrugen ,  sich  doch  nur  äusserlich  als  Katholiken  be- 
kannten, dass  gelehrte  und  praktische  Juristen,  die  Dumoulin, 
Pasquicr,  L'Hopital,  ohne  gerade  in  das  Lager  der  Hugenotten 
überzutreten,  doch  in  Wort  und  Tat  die  Autorität  dts  Staates 
gegen  die  Anmassung  der  Kirche  verteidigten         Schon  auf 


^  Ranke,  FranaOsiscfae  Gescbiehte.  SAmmtliche  Werke  VDl, 

S.  192.  273. 


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FOÜBMIER,  EINMEMOIB8DB90ABDINALSy.LOTHBINGEN.  826 


den  Versammlungen  der  Generalstände  in  Orleans  (13.  December 
1560  bis  31.  Januar  1561)  und  in  S.  Germain  (August  1561) 
hatte  sich  der  Kuf  nach  Reformation  an  Haupt  und  Gliedern 

hören  laspen,  und  selbst  die  geistlichen  Stünde  konnten  dazu* 
mal  der  Klage  über  den  unwürdigen  Zustand,  in  welchem 
sich  der  Kleru?  befand ,  und  die  ärgerlichen  Umstände  in  der 
Kirche  nicht  aUe  Berechtigung  absprechen.  Allgemein  machte 
sich  das  Verlangen  nach  einem  freien  Nationalconcil  geltend, 
und  wenn  ein  Moment  im  btando  war,  die  Wiedereröffnunj* 
der  ökumenischen  Synode  in  Trient  zu  beschleunigen,  so  war 
es  die  Furcht  vor  einem  Schisma  im  Schosse  der  katho- 
lischen Kirche,  welches  durch  jene  Versammlungen  eingeleitet 
werden  konnte.  Als  1562  das  Concil  wieder  aufgenommen 
wurde,  erklärte  man  sich  allerdings  auch  in  Frankreich  be- 
reit, dasselbe  zu  beschicken,  doch  war,  was  man  vor  an- 
deren Dingen  verhandelt  sehen  wollte,  die  Keformfrage.  Konn- 
ten die  Väter  in  Trient  darauf  nicht  die  gewünschte  Ant- 
wort finden,  dann  war  man  fest  entschlossen,  zu  dem  auf 
jenen  Reichstagen  angeregten  l:*rojQkt  eines  NationalconcilA 
zurückzukehren . 

Von  diesen  Gesichtspunkten  aus  ist  das  Memoire  des  Car- 
dinais von  Lothringen  zu  betrachten.  Eine  Publikation  des- 
selben wird  wohl  schon  die  hervorragende  Stellung,  die  wir 
den  Autor  in  der  Geschichte  Frankreichs  jener  Tage  einnehmen 
sehen,  gerechtfertigt  erscheinen  lassen.  Das  Sihriftstück  be- 
findet sich  unter  der  Signatur  „Romaua''  im  AViener  Haus-, 
Hof-  und  Staatsarchiv  und  wurde  dem  Kaiser  am  Tage  nach 
der  Abreise  des  Cardinais,  23.  Februar,  präsentirt 


Oe  statu  reifgionis  In  Galiia  deque  variis  hominum  in 
ea  sententiia  et  de  habende  cencilio  national! 

Es  me  uerbis  intellezit  uestra  Maiestas  quis  esset  rerum 
Qallicanim  status  in  causa  religlonis,  cuiasqmdeni  (ut  scripto 
bxeviter  comprehendam)  summa  haec  est. 

Kobifl  oam  tiibus  hominam  generibot  m  eft. 


1)  Vgl.  auch  8 i ekel  a.  a.  0.,  wo  dieses  Dokumentes  mit  kursea 

Worten  Erwähnung  freschieht. 

s)  Von  der  Hand  des  Vicekanzlers  Seid  in  tergo. 


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326 


▲NALEKTEN. 


Unum  eorum,  qui  in  erroribus  obdurati  obfirmatic^ue  voluti 
deplorati  millam  de  se  nohia  sj»em  reliqueruiit. 

AlttruLu  genus  est  plurimorum  huminuin,  cum  ex  nobili- 
bus  familiis  tum  ex  iis,  qui  magistratus  perunt  ac  muneribus 
publicis  in  (rallia  funguntur,  atqiie  etiam  cx  iis,  qui  literis  et 
diseiplinis  imbuti  diiiereas  artes  et  functiout's  prütiteiitiir,  qui 
quidem  probe  uiuunt  ac  in  fide  ecclesiae  manent  sanctissimae- 
que  sedi  Apostolicae  libenter  obedientes  adhuc  uidentur.  Teruin 
tarnen  significant  se  plurimum  offendi  discipliua  et  moribus  in 
ecclesia  corruptis,  praeterea  nonnulUs  scrupulis  torqueri,  quibua 
ut  liberentur  summopere  Optant  reformationem  in  ecclesia  Dei 
at(|ue  etiam  moderationem  et  temperamentum  aliquod  adhiberi 
quibusdam  ecclesiasticis  coustitutionibus,  quae  iuris  pusitivi  esse 
noscuntur,  quae  constitutiones  uti  primum  non  improbando  con- 
silio  introduetaa  et  receptas  esse  existimandum  est,  ita  non 
minore  fortasse  prudentia,  pro  ratione  tcmporum,  immutari 
posse  uiderentur.  Idque  non  paruo  religiouis  et  publicae  tran- 
quillitatis  comniodo.  Quae  si  niature  fierent,  huius  generis 
homiues  ita  (ut  dictum  est)  affecti,  probi  tarnen,  et  qui  erga 
8.  sedcm  Apostolicam  reuerenter  se  geruiil,  m  uiticio  et  fide 
continereutur ,  ac  retinereutur  ne  se  reprobarum  opiuiouum 
erroribus  implicarent. 

Tertium  genus  est  principum  nobilissimorumque  ac  maxi- 
mae  dignitatis  uixorum  aetate  iam  prouectorum,  qui  prima«  in 
administratione  regni  partes  habent,  qui  quidem  sua  pnuatim 
causa  nttllam  in  oonstitationibiis  aut  xitibus  ab  eoclesia  zeceptis 
mntationem  Tel  modmtionein  quaemnt.  Veram  infimitfttis 
eorum,  quos  paulo  ante  dizimasy  lationem  babentes,  ao  saluti 
publicae  imprimis  consultum  uolentes,  capiunt  scrupulos  Ulos, 
qui  torquent  huiuscemodi  iniirmoiam  animos,  salutaribns  zeme- 
Äis,  quae  in  oecomenici  coneilii  authoritate  et  potestate  sita 
sunt>  sanari  posse. 

Uuapropter  hoc  postremnm  principum  et  optimorum  ho- 
minum  genus ,  aliorum  cura  et  publicae  salutis  causa  commoti^ 
Goniunctim  cum  illis  obnizissime  eupplicesque  postulant  ac 
effiagitant  imprimis  seriam  exactam  et  sinceram  oormpto- 
lum  moTum  coUapsaeque  disdplinae  in  ecclesia  dei  lefonna* 
tionem  a  capite  ad  aniuersa  membra.  Quod  solum  et  uni* 
cum  xemedium  ad  salutem  xeligioni  in  extreme  pericnlo 
constitutae  supcresse  putant  neque  nlla  alia  ratione  in- 
numerabilium  (ooboram  et  piorum  hominnm  animos  Tariarnm 
opinionum  fluctibus  iactatos  in  tranquillo  constitni  posse  esistl- 
mant.  duibns  causis  impnlsi  prindpes  illi  et  primae  digni- 
tatas  bomines  Henrico  primum,  deinde  Francisco,  ac  demum 
Carolo  (qui  nunc  in  solio  sedet)  Henrici  filiis  authores  et  con- 


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I<>l7KMIER,£INliEMOIBEDE8CABDIMAL8V.LOTH]UNai&N.  327 


sUiBzii  Semper  ftienmt,  nt  apud  eimimoe  ponttfioes  oonuocatio- 
nem  et  indiotionem  oecnmenici  nmuenalis  ac  Uberi  concilii 
acriter  procoiarent  ad  reformandos  mores  et  disciplmam  oon- 
stituendam  stataendamque  christianam  pacem  ac  opiniomim 
(si  fieri  posset)  oonsensionem  in  ecclesia  dei.  Sin  minus  saltem 
iniretnr  ratio,  qua  qui  adhuc  in  nnione  ecclesiae  persenerant 
sediqne  Apostolicae  parent  sordibns  et  maonlis  sio  mandentnr, 
nt  eomm  saorificia  et  preces  deo  gratae  et  aceeptae  ipsom 
nobis  pacatum  ac  propitium  reddant»  quo  se  tutorem  ac  defen- 
Borem  praestet  aduersus  malignantium  conspirationes ,  qui  pro- 
focto  cooperante  diuina  gratia  eo  facilius  ad  ueiitatis  agnitionem 
perducentor,  quo  clarius  puriusque  luoebit  in  ecclesia  dei  uitio- 
Tum  superstitionis  ac  cormpti  usus  sordibns  pnrgata.  Atque 
etiam  cum  Ulis  christianam  pacem  oomponi  maxime  cupiunt, 
nt  positis  armis  sedatisque  odiis  nos  libenter  uidere  audire 
et  nobiscum  uersari  familiariter  uelint,  ut  uirtute  nerbi  dei 
tandem  ad  sanitatem  redeant. 

Haec  est  summa  rerum  GalUcamm  susoeptiquc  in  causa 
leligionis  consilii  a  Carole  christiamssimo  rege,  qui  licet  annis 
adhuc  impubes,  animum  tarnen  cum  natura  tum  uigilantissima 
leginae  prudentiBsimae  püssimneque  matris  cura  supra  aetatem 
informatum  instructumque  habet  ad  sanctisBimas  et  mazimo 
principe  dignas  cogitationes. 

Praetcrea  nieminisse  oportet  in  diiobus  conuentibus ,  qui 
generales  in  Galliu  sunt  habiti ,  communi  omnium  ordinum 
postulatiiine  conclu«5uni  decretumque  fuisse ,  ut  nisi  concilium 
oecumenicum  quam  primura  concederetur ,  aut  ?i  concessum 
minus  esset  liberum  secusque  cek'braretur  quam  retepto  a 
maioribus  ritu  et  veterum  conciliorum  more,  siue  occultis 
artibus  uel  suspenderetur  vel  interrumperetur,  seu  quid  aliud 
fieret  non  legitime,  neglecto  patrum  iudicio  et  principum,  qui 
se  decretis  cuncilii  parituros  promiseruut:  conceptis  (inquam) 
•  uerbis  declarntnm  est  in  duobus  iUis  conuentibus,  ut  cum 
primum  ad  priuatos  aftectus ,  non  ad  gloriam  dei  concilium 
trahi  uideretur  reuocarentur  Gallicae  ditionis  episcopi  in- 
dicereturque  nulla  interiecta  mora  concilium  in  Gallia,  quod 
nationale  uocunt,  quo  iamdiu  periclitanti  patriae  succurratur. 
Nempe  quo  in  statu  res  sunt  neque  manere  neque  a  probis 
tolerari  diutius  possunt,  eoque  minus  quo  pluribus  experimen- 
tis  sumus  edocti  quam  exitiales  imperio  et  regno  sint  dis- 
cordiae  ciuilcs,  quae  nascuntur  ex  dissensione  opinionum  in 
religione.  Ad  illud  tarnen  remedium  non  nisi  desperatis  Omni- 
bus aliis  et  tanquam  ad  extremaiii  anchoram  confugiemus. 
l^on  euim  ignoramus  quam  sint  anci]>ites  huiusmodi  rcmediorum 
exitus,  quaeque  ex  iis  gravissima  incommoda  uel  schismatum 


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328 


uel  aliarum  perturbationum  in  Christiana  republica  £acile  con- 
sequi  possent.  In  quae  pericula  ne  incurramus  prouidendum 
est  omni  ratione,  ut  uoncilium  Tridenti  legitime  congregatum 
fructum,  qui  ab  uniuersis  prouinciis  tanto  desiderio  expectatur, 
niatnre  reddat.  Quod  ei  per  diuinaiii  gratiam  contigeht  portum 
inueniemus  tutum  a  periculis. 


Druck  von  Friedr.  Aüdr.  Perthes  ia  Goth». 


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3m  gleidjcit  8ccUge  ctfc^icn  foeben:  Jk  ^ 

MamS,  3.  Cm  ©efc^ic^te  oon  3q)Qn  oon  ben  frü^erteit 
Reiten  VA  auf  bie  <Bcgen»art  Ueberfett  oon  (S.  l^et  * 
mann.  L  8anb:  8i«  ium  3al^re  1864.  iDht  einer 
ftarte  unb  gtoet  9f&nen  12  — 

laufen,  S^eobof/  ^ilnf'  bem  ^cijetagebuc^e  eined  eoanget. 

2:^fo(ogcn  unb  ^i^nbagogcn  3  60 

dunilff^  ä^^v  ^efen  unb  ^ere^ttguni}  bed  SO^et^obidmud    1  — 

M|Icr,  ••ti|irk,  ^te  ®efe(rung  ber  ^entf^en 

(S^nfio,  na4  i^rem  0ef4i(ttü((cn  ®ang  ....  —  60 


9«fntt,  tt.         'iDer  @4aupta^  ber  otetttgjö^rigen 

Qfiftentoanberung  Q^raefl».  3)l}it  fmif  Sparten  .    .  12  — 

%^ttx^t,^vc,  9t.       Briefe  unb  ^kten  über  ba«  Ü)2ar< 

burger  9?eligion0gefpräc^  unb  ben  ^ugdburgerOieic^dtag  12  — 

2fU|»tttt(r,  Onllal^  !Z)ie  $(atomf4e  grage  ....    3  — 

Z^iM,  W.,  $rebf0ten  über  bie  ^auptflfide  be«  c^riftt. 

<S^lanbenO  unb  SebenO.  I.  8anb,  1.  Hbt^citung   .    2  80 

Uei^tri^,        d.,  <^tubien  eined  Säten  über  bod  (Soan» 


gclium  uq(^  3ot)anne^  10  — 

0l|1te(en,  ^.        T^ic  ireltgqcti^tUc^e  ^ebeutung  m 

moberneu  vt^ociüli^muö  1  20 

^U^inger,  Dad  ©Aftern  ber  c^riftlidieu  (l^tauben«' 
unb  ®ittcii(ct)re  Dom  begriff  be«  (iiclfien  i^utcd  au3 
aufgefagt  unb  bargeftcQt  12  — 


2>er  Serfftffer  be9  tettgenannten  SBerfe«  1^  fi(^  eine  9teo>nflnictiott 
M gonics  @irfkemd ber 4iSpIt^         oom  ctl^ifc^eniSefi^ttpunlte 

aus  jur  tCufgaBe  gemacht,  ^ie  ba0  Sonoort  nSl^er  ausfahrt,  fu<i(t  er 
tnefe  Aufgabe  )tt  ßfen  nittclf)  einet  beflimmt  gefaxten  ,,et^if(6en  üT^a^ 
teriQt^)rin3i^)«",  burd^  beffen  confequente2)urc^fü^rung  jeber  einzelne  Öel^r* 
))un!t  in  einer  me^r  ober  n?enigcr  eigentl^timlic^en  STuffajfung  erfc^eint. 

2)er  ©tanbpunft  be«  Serfaffert  ift  im  iißcfentlicben  üSereinftimmenb 
ntit  bcm  53efenntnijfe  ber  cbangetifdien  Äirc^e,  jebocl^  in  ber  freieren 
SBcife,  bag  er  bie  gormcl  ber  Äirc^enle^re  nod^  bem  @(§riftfanott 
|>rüft  unb  ba  unb  bort  biefe  gormel  alö  nit^t  ftrcng  fc^riftinägig 
nac^toeifl.  SBenn  in  Jüicf)tigen  $)au^tte^ren  (wie  über  bie  igrbftinbe, 
bie  (S^rifiologic ,  bie  SSerfö^nungöte^rc  unb  bie  ©oframcnte)  eine 
mel^r  bem  ©c^riftinl^atte  fui^  annä^embe  äuffaffung  borgetragen  wirb, 
fo  ifl  bieS  ni(^t  int  @inne  einer  ^nngi)>ieüen  ^Ibmetc^ung  ton  ber 
Är*ente^re  gemeint,  wie  über^au^)t  im  ganzen  ®u(!^c  baö  Söefheben 
|tt  erlennen  ifl,  ntc^t  fo»o^l  gegeniUber  ben  einzelnen  Sel^rbeftinnnungen 


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M  Im^Iic^en  ^!enntui|[cS  eine  frittf^e  ^teHtnig  einzunehmen,  M 
inetmel^T  eine  leBenbtge  innere  SerBinbung  aanidien  ^ogmatif  nnb 
dtij'it  gu  gewinnen,  anderen  SBorten:  bie  grage  na^  bem  fßtx* 
]^a(tni|  Don  9ted)tfertigung  unb  ^citicjung,  9on  tS^Ianben  nnb  guten 
SBeifen,  welche  ja  bie  große  Lebensfrage  für  bie  eöongetifd^e  ,^irc^c 
bilbet,  [udu  ber  Serfaffer  in  i^rer  gangen  SDit^tigfeit  tnS  Xuge  gu 
faffen  unb  bttrfte  bamit  cca^  einem  praftif^en  Qebürfniffe  entgegen» 
lontmen.        ja  bO(^  in  unferer  $earfaC[  ©mit^fc^e  ^e^ 

n)egung  bie  Xnf^erffamfeit  olkr  ^rifltii^  Iheife  onf  bie  grage  ncu^ 
ber  Heiligung  unb  il^rem  Ser^tntg  jur  IRe^tfertigung  toi^  onf  9 
iReue  l^ingeloilt  nnb  biefelbe  gen)if{emia|en  in  ben  ^orbergrunb  ge» 
fieOt.  dfi  bie  Heiligung  nur  bie  (!((  toon  felbfl  ergebenbe  grud^t 
ber  9te(^tfertignng  ober  ifl  fie  ein  Mn  ber  9{cd^tferttgung  glei(^fam 
ol^eldM  Befonbered  3^^^  M  dringend  nnb  Strebend?  Unb 
in  lotlfym  8inn  ifi  bie  9f2ot]^n)enbigfeit  guter  Skrte  für  bie  (Sxe 
langung  ber  @eßg|feit  )u  Beja^  ober  )u  bemeinen?  ^Dad  finb 
Sragen,  rotläit  eBenfo  in  |>raftif4«religtdfem  M  m  toiffenfil^aftG^* 
t^eologifd^  dntereffe  eine  erneuerte  tlnterfud)ung  erfovbent  unb  bereu 
bibUfc^e  Sefung  bie  9ttffaffung  ber  cbrifttid^en  (Glaubenslehre  eben 
3u  einer  ttjal^r^oft  ct^ifc^cn  ntad^t.  Xqx  S3erfafier  torliegenben  ©uc^eS 
fuc^t  ten  feinem  ett;ifd)en  9Katetial))rin3i)>  auS  fon^o^I  bie 
Rechtfertigung  atS  bie  Heiligung  unb  Erneuerung  in  i^rer  ff)qiftf(hen 
!£:ignität  feftguftellen  unb  ben  ^^ermitthmgSpunft  gu  geiotnueu,  in 
loeldKui  beifcc  unter  fi6  notbrocnbig  i>ertnmt)en  evfcbeinen. 

Xa  bie  ^u«fü()i-ung  fic^  ganj  auf  fccn  53oben  ber  ®(^rift  ftettt 
unb  bie  Biblifc^en  ©runbpeücn  in  guin  Xi)c\\  ganj  eigent^ümlic^r 
Xttffaffung  erjd)cinen^  fo  bilrfte  mol^l  fein  iOefer  biefeS  ^ud^S  ol^ne 
irgenb  ttelc^  '2Inregung  5[ciben,  n^enn  er  aud)  mit  ber  Kuffaffung 
im  ®an3en  unb  (l^tn)ebien  nic^t  etnoerftanben  fein  fodte. 


Mi^CMf  1876.  J^tütis  ^ 
9lb(anb(ungcn. 

1.  ÄJftfi,  Tic  3f[u*nn)töeii  be«  galant. 

2.  ^d)mtbt,  Tir  ctliifdjrii  @rgeiuätje  in  tcm   flrgcnrofirtioctt  itampfe  ber 

bibnfrfjcn  unb  ber  niobfrn'thfologifd)fn  SScUanfcfianung. 

3.  J ect)Ur,  Xic  iBffc&ninc^  ber  Xrutfcftfn  ju  (Sbrifto,  nncfi  i^rcm  gtfdjit^tl.  ©aag. 

©ebniifen  unb  ©em  er  fangen. 

1.  @ttad,  !i:ie  !]{braiid)en  ^Stbtl^anbfdinftru  in  6t.  ^etei'tfbuvg. 

2.  Leibern ann,  3^^^  '}{eforniatioudgefd)i(^tc. 
S.  ^atnatf,  3n  ^ebr.  9,  8.  4. 

9{ecenfionen. 

1.  Gebhardt,  Ormeeus  Yenetus;  tec.  von  ftamp^aufeiu 

2.  St)rlfi(i(b,  D.  iSavt  Sem^rb  ^unbev^^agen*6  Snlgnofi^tte  fteincie 
6(^riftcn  unb  Slb^nMungen;  vte.  oon  9tie(im. 


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Inhalt  der  Zeitschrift  fttr  Kirchengeschiehte. 

Jahrgang  1876.  Zweites  Heft. 

Un t er suchim ge II  und  Essays. 

1.  W.  Gass,  AUgemeiuea  Uber  Bedeutung  und  Wiikuog  des  historischen 

Sinnes. 

2.  F.  Piper,  Zur  Geschichte  der  Kirchenväter  aus  epigraphischen 

Quellen. 

8.  A.  Harnack,  Ueber  den  sntrenanuten  zweiteu  Brief  des  Clemens 
an  die  Koriuther  (erster  Artikel). 

Kritische  üebersichten. 

Die  ki'chrn^eschichtlicheu  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1876.  IL  Geschichte 
der  Kirche  von  326—768  von  W.  Mo  eller. 

Analekten. 

1.  0.  T.  Gebhardt,  Zur  Textkritik  der  neuen  Clemenastacke. 

2.  H.  Roensch,  Ceher  den  Schlusssatz  des  Muratorischen  Brachstückes» 

3.  B.  Röhricht,  Bibliographische  Beiträge  zur  Geschichte  der  G^ler« 

4.  Ein  Lutherbrief,  mitgetheilt  Ton  Fr.  Schirrmacher. 

6.  Em  Memoi!-e  des  Cardinais  Ton  Lothringen  aber  die  kirchlichen  Zu- 
stände in  Frankreich  (1568).   Mitgetheilt  von  A.  Fournier. 


ga$iBü((ei  fui  öeut|((e  ^(eoCogie 

Dr.  MwMi«  ttnb  Dr.  ^mrncr  in  8erltn,  Dr.  fl(r(nfMi4tet  itnb 
Dr.  WU^mmmm  in  (^Bttingen,  Dr.  Siiitocr  unb  Dr.  fiMifMnr 

in  Stttbtngen. 

1876.  m.  \\l  §cft  1. 

'3n()aU:  föcijfötfcr,  T'xt  ^Intängc  cfiiiftlidin  3ittc.  —  f)t|ieT,  lieb«  ttix 
livd)ci;ö£id)id)tlid)tu  @eiuum  ou«  3nid)vifteu,  üorntf^mlidj  bc«  c^rifl» 
lidjtu  Altertum«.  —  3i^u(^,  Xit  ^Ibreffe  bct  Urteil  SiapM  be« 
Briefe«  an  Me  ^önuc—  ttageiimgiia,  ^iv(^cngr{(^id)tli(^e  6(cular« 
erinnerungeii. 

SKnieige  neuer  $4nfitn. 


Goebcn  erfc^ien  unb  roivb  auf  l^evlangen  gvatid  unb  fvanco  orrfoiibt: 

IMrnt^^^  ^nififft  256:  ilratefiaiitifdie  S^olofie. 
ItejfatmaHondf^rtfleii.  673  ^^nmmctn. 

grantfuvt  o.  SD?.,  fRai  1876. 

3afc^^  ®aer  6:  du.,  diogmartt  is. 


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3u  (Karl  fBintec'd  UuiDcvfiläiebud^^aiiblung  in  ^tUeUet^  ift 
foebcit  (i-fd)ifnen: 

Uthtt  bie  9tiffe  ttttü  S^nftftmtgett  itt  Her 

^etttisett  iüefettf^aft  Vortrag  gehalten  im  ©uftat?^ 
Slbotpl)«^  *  Sl^crein  ui  (5lbcrfclb  am  15.  ^J^oDcmbcr  1875 
ton  Dr.  3.  £onge,  Oberconfiftorialrat^ ,  orb.  ^]?rof. 
an  ber  UniDcrjität      ^onn.  gv.  8^  brof^.  80  $f.  ^ 

—   ! 


Verlag  yod  HerniMB  Koeninr  in  WÜtealiargr. 

Soebon  crsrhirn  uiul  ist  in  a!l(>n  litichhandlungen  zu  haben: 

Dr.  Riehard  Kothe's  Entwürfe  zu  den  Abend- 
a  n  (1  acht  c  n  über  die  Pastoralbriefe  u  n  d  andere 
Pastoraltexte.  Gehalten  im  Prediger-Seminar  zu  Witten- 
berg. Aus  Bich.  Rothe's  lianJschriftl.  Nachlass  heraus- 
gegeben von  C.  Pulinie,  Pastnr.  In  2  I)ilnden.  1.  Band: 
Die  Briefe  Pauli  an  Tiniothcus  und  Titus  nebst 
einem  Anhang:  Luther's  Gedäcbtnij>btage.  gr.  8^ 
26  IJogen.    Preis  Mark. 

Eiu  LDinueteutes  ürtheil  bezeichnet  diese  Eutwiirfe  nach  Form 
und  Inhalt  als  dn  homileti Bebes  Meisterwerls,  welches  den 
weitostou  Leserkreis  zn  boansprucht'n.  troeignet  sei  Insbesondere 
wird  allon  Freunden  der  Werke  Rotlit's  diese  neue  Publicatiou 
aus  seinem  literarischen  Nachlass,  welche  längst  gewünscht  wurde, 
f'ine  willkotnineni*  Gabf»  sein. 


®ct  bfr  Spang,  fifidjtrßfftuog  tn  Btntfgart  tfl  forben  ccfi|iftiCK  anb  bim^ 
bie  flnd)i)aii))lnog  bcc  (Soanii.  defdlf^tfl  boct  blieben: 

SRitnild  (»ciC.  Vxm),  Einleitung  in  bte 
Bibliff^en  Ocf^id^ten  unb  8ugfta|)fcn  bee  (Stauben« 
Slbra^amd.  9{eu  bearbeitet,  gr.  8^  61  ^ogen.  ge).  6  SR. 

SOen  ^v-ruiibeii  ber  I)ril.  Sdjrift  bittet  bicfe  nett  anfocleflte  Gcbrift  bc6 

kfannten  ^SAriftforfrficv^  TL  '\^v.  Ofoov^  nidit  :ini-  nnm  SDJcflttJcifev  ^um 
5?crnaub!ih:^  fcö  :?llten  Itcftamcuti',  foiibtin  and)  eine  reiche  güttf  ürnftifd)  er« 
baulK^ei-  'ilubeiitutigen,  fid)  bie  gngftapfcn  ber  alten  ®ottedmäiuici-  )um 
Sonbd  im  ®(auben  )u  9ht^  )u  machen. 

9Rnn  brad^te  ntf.  ben  beinebeftetcn  Catalog  im 
l^reiüie  ermässigter  ßneher  aM  dem 
t^crfane  uon  9riebri4l  ttitbrcaö  i^cvt^t^  (etitbaltenb  tbea^ 
lofltc  iiiib  (Srbauungi^fcbriftcn,  !^btUfo|i()te,  fotnic  einen 
flnbann:  ^ttmi\t^M  [nomentiii^  ^ibine  ^iUxatut  na^ 


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KeliOiöfe  Steint  iller  Ue  ©ruiihtoaliriieiten  m 

aixi^tvi^m^  ^ur  Utf^tt  uttii  Erbauung  t^etfagt 

Don  Lia  Dr.  ünftav  )lorttg,  eDangeIifd^>»ltttl^mfd^em 

^rebigcr  ju  3^^^icf^^it  ^-  ®-  ®ot^a  1876.  3Scrüg 
^on  griebrid^  ^brea^  ^ert^e^. 

^  Serfaffer  Bel^onbelt  in  |el^n  9teben  bte  (Ihmnbwol^Tl^itm 
M  (E§#eitt^tt>n^  VSct  tie  lefietittgen,  gcSilbeten  ©lieber  bcr  (S^einbe, 
ait^ge^enb  bon  ben  erfo^ng^ügig  gegebenen  Utt^atfa(^cn  ber  relis 
giBfen  (Srfa^rung,  toon  ber  ©ftiibe  nnb  (S^nabe,  mn  ©lauBen  imb 
ber  9{ec^tfertigung,  fortfc^rettenb  Dom  gef^ic^tlic^en  @^ri)luS  unb  beffen 
(Srlöfertob  Bi^  jum  er^ö^ten  iinb  bedien  l^igem  ^tift,  um  ftc^  bo^ 
burt^  ben  SSBeg  ju  Bahnen  jur  5^ctrad^tung  ber  d)riil(itl^en  ^eBcnö« 
BetBatißungen  in  bcr  ttrd^c.  (Sd  ift  ein  reid^eö  ÜKag  bon  njiffen» 
{d^aftlt^en  6tubicn  in  biefe  ^cben  l^inetn  berorbeitet,  fo  bag  leine 
totd^tigere,  ben  ©ebitbeten  intereffirenbe  grage  üBergangen  fein  bürfte; 
bie  (Sc^n)erfäfligfeit  bcr  cjetef)rten  ivonn  i)at  ber  35erfaf|er  aber  böUig 
abgefheift.  8^rad)e  be^  ^uc^e^  if^  nic^t  bloß  äugerft  !(ar,  Ipräcig 
ttnb  )^ragnant,  fenbem  er^eBt  fit^  auc^  nid)t  fetten  (;c^em  pottis 
fd)em  gtug  (bergt,  bie  Sd)i[bening  ber  Sünbe  <B.  1 — 5;  ben  crften 
Streit  ber  2.  9eebc;  <B.  74.  97.  125  iL  126  jc).  2)er  »erfojfer 
I)at  ujcbcr  Btoge  '^^rebigtcn  gcBen  njofleit  —  oBwol  einige  feiner 
„  Sieben "  ouö  fotAen  entfianben  finb  — ,  noc^  auc^  bloge  Vorträge 
in  Der  Seife  bon  ^ut^arbt  unb  Dielen  Anbeten;  er  ^at  bietinefr 
burc^  feine  Tetigii>fen  ^eben  ein  3^neinanber  bon  53ete]^rung  unb  ßr= 
Bauung  geben  a^böen,  n)ie  cö  faum  in  einem  äljntic^cn  S3uc^e  feineö 
tfu'ptogif^en  !?tanb^unfte§  ju  fmben  fein  bürfte.  Je^terer  ip  ber 
^ofitii)  gtäidMc^e,  aber  Tuiffcnfc^aftli(^  freie,  n^etc^er  ein  gefunbe^  ?ut^er= 
tt;um  innertjalb  ber  Union  tertritt.  öm  ©injetncn  beübeifen  UMr 
Qiif  felgenbe  55arlegunj-\t' n :  bie  9?olfitrenbigfcit  ber  Srlijfung  unb  Die 
5kt  bcr  (^nabe  8.  13—15;  baö  5lkrl;dttnig  bcr  c^etttid^en  ::?tatüiffcn= 
l^cit  ',iiv  mcnfcbtidien  greibeit  S.  16;  ber  53cgrift  be§  C^tauben§ 
(5.  25;  Onl;ati  beö  (^taubenö  ©.  28ff. ;  ber  Vorgang  ber  (Srlöfung 
im  lobe  Sbrifti  8.  59ff. ;  bimmtifdie  ^eibtic^fcit  ®.  77ff. ;  n^elt= 
gefd)id)i[id>c  ^ebeutung  be^  (ibriftenlbumö  @.  84ff. ;  ©egriff  ber 
£)ffenBarung  <B.  104  ff.,  bed  Sunberd     106  ff.  ^  Se^re  Dom  ©atan 


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(S.  127 ff.;  ÜKatertati8inu8  unb  ??Qnt^eiömu«  S.  132 ff.;  bie  ^erfon 
^^rifH  6.  153;  Mre  bon  bev  (Schrift  «2.  159  ff.,  bom  53efcnntiti§ 
<B.  175  ff.,  üom  (ä)ebet  <B.  178,  ))om  %^enbma^(  (S.  Iö3ff.,  oon 

^  Äird^e  187  ff. 

jDer  emjelnc  geSifbete  ^\ite  bat  oftmatö  toebcr  ^cit  no&i  i^nji, 
bie  SBe^anbtung  bcr  jd^micrigeren  (vvagen  bc§  dfn'iftentbum«  nacfaju» 
tefcn  in  fcfcroerfä tilgen,  tangatbmtgen  (lompenbicn,  cv  unii  btoö 
fultate  ^abcn  in  fdicner,  ebtcr  (>enn.  Dicfem  43eDuvfnt6  hat  t)cx 
35erfafler  entgcgcnfoinmcn  lücUou ,  iinb  fcariuu  ^at  er  in  fein  iöud) 
fc  i>iel  gufamincngcbvängt,  une  fid)  ctiuad  ^e^nUc^ed  in  Eeinem  a)>olo- 
getifc^n  ^eite  ber  ©egenu^art  finbet. 


taff  »<R  0tlM|  takwai  VotM  Is  M|a. 


DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORDTTIIEIL  333 

greifen  habe.  Ist  die  Synagoge  nicht  etwa  von  Anfang  an 
das  satanische  OegenbiM  der  wahren  Kirche,  die  Knpcllo  des 
Teufels  neben  der  Kirche  Qottes,  oder  ist  sie  das  Zerrbild 
derselben,  auf  einer  Grundlage  von  Misverstftndnissen  der 
göttlichen  Offenbarung  auferbaut,  oder  ist  sie  am  Ende  doch 
eine  Vorschule,  wenn  auch  eine  unvollkommene,  für  die  Kirche 
Gottes?  Besitzt  sie  eine  Si)ur  wii*kliclier  Gotteserkeimtnis, 
oder  ist  ihr  Gott  zwar  derselbe,  wie  der  der  Kirche,  ihre 
Gotteserkenntnis  aber  nur  eine  scheüibare,  angebliche? 
Hat  sie  einmal  einen  Bund  mit  Gott  besessen«  oder  niemals, 
luid  wenn  jenes,  wann  ist  derselbe  aui'gcliuben  worden?  Unter- 
scheidet sich  ihre  GotLesverehrung  specihsch  von  der  heid- 
nischen oder  nicht?  Wie  ist  ihr  ganzes  Opferwesen  zu  be- 
urteilen? Ist  es  ein  Hohn  auf  alle  gottlichen  Gebote,  ist  es 
eine  Verzerrung  derselben,  oder  steht  es  nnter  göttlicher  Zu- 
lassung? Alle  diese  Fragen  sind  im  vorirenäischen  Zeitalter 
in  der  lieidenchristlicheu  Grosskirche  beliandelt  worden,  ohne 
eine  bestimmte  einheitliche  Lösung  zu  erfahren.  Sie  bezeich- 
nen auf  das  deutlichste  die  Kntfemung,  in  welcher  sich  das 
heidenchristliche  Bewusstsein  von  den  Fragen,  welche  in  dem 
apostolischen  Zeitalter  brennende  waren,  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  l)etand.  Es  zeigt  sich  hier, 
mit  wie  geringem  Kecht  man  wenigstens  nach  dieser  Seite 
hin  von  dem  paulini sehen  Gepräge  der  heidenchristlichen 
Kirche  sprechen  darf.  Dagegen  tritt  nun  andererseits  an 
diesem  Punkte  wie  Zusammenhang  so  Gegensatz  der  Idroh- 
lichen  Behauptungen  zu  allen  den  sogenannten  gnostischen 
Speculationcn  zutage.  Genau  dieselben  Fragen  nämlicii  mit 
eben  demselben  Erfolge  werden  in  den  gnoätiächea  Secten  im 
zweiten  Jahrhundert  betrefiCa  der  Synagoge  aufgeworfen,  wie 
in  der  Grosskirche:  weder  in  den  Fragestellungen  noch  in 
den  Beantwortungen  zeigt  sich  irgend  ein  wesentlicher  Unter- 
schied. Dort  wie  hier  geht  man  genau  bis  au  dieselben 
Grenzen  auseinander.  Aber  darin  liegt  nun  die  grosse  Diffe- 
renz, dass  man  in  den  gnostischen  Secten  die  völlige  Schei- 
dung, welche  die  Kirche  zwischen  Altem  Testament  und 
Synagoge  vollzogen  hatte,  nicht  acceptirte.  In  den  meisten 
gnostischen  Secten  ist  jede  Aussage  über  die  Synagoge  zu- 


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334 


BASKACK, 


gleich  eine  Aussage  über  das  Alte  Testament,  die  Aufjatellnn- 
gen  der  Grosskiiche  dagegen  über  das  Judentum  berühren  die 
Frage  nach  dem  Alten  Testament  und  seiner  Geltuns^  gar 
nicht.  Dieses  ist  ja  eben  dem  Juden volke  (genommen  und 
darum  haben  alle  Verbandlungen  über  jenes  nach  vollzogener 
Trennung  beider  eine  untergeordnetere  Bedeutung:  sie  kOnnen 
in  gewissem  Sinne  freigegeben  werden.  Man  mag  an  dieser 
Beobachtung  lernen,  welcher  Wert  dem  allgemeinen  Oerede 
von  den  unbistorischen  Verflücbtiguiigen  und  Allegorien  der 
Gnostiker  im  Gegensatz  7Air  „gescbicbtstreiien "  Tbeologie  der 
kircb lieben  Männer  zuzuerkennen  ist.  So  wie  die  Dinge  da- 
mals lagen,  stand  man  vor  der  Entscheidung,  entweder  mit 
Prel^hen  des  Alten  Testaments  die  absolute  Neuheit  des 
Christentums  zu  behaupten,  damit  aber  zugleich  auf  den  ein- 
drucksvollsten Teil  der  Apologetik  vor  eignem  und  fremdem 
Forum  und  auf  eine  unersetzbare  Grundlage  cbristlicben  Lebens 
und  Denkens  zu  verzichten,  oder  das  Alte  Testament  dem 
geschichtlichen  Boden  völlig  zu  entziehen  und  es  zur  authen- 
tischen Urkunde  der  christlichen  Reli^on  umzustempeln. 
Die  hellenistischen  „Gnostiker"  (von  den  ältesten  ist  hier 
überliaupt  nicht  die  Rode)  entscbieden  sieb,  im  einzelnen 
raauuigtacli  auseinandergebend,  gleich  anfangs  aber  schon 
Vermittelungen  suchend,  für  £rsteres  —  doch  wohl  nicht  des^ 
halb,  weil  ihnen  der  „nüchterne,  hbtorische  Sinn*^  mangelte; 
die  Grosskirche,  gewiss  ohne  jede  theoretische  Üeberlegung, 
wählte  den  anderen  Ausweg.  Ibr  geborte  die  Zukunft:  ja 
man  kann  sagen,  dass  sie  nicht  zum  mindesten  eben  desbalb 
„Grosskirche"'  geworden  ist,  weil  sie  das  Alte  Testament, 
welches  sie  aus  apostolischer  Zeit  fiberkommen  hatte,  aller- 
dings um  einen  eigentümlichen  Kaufpreis,  bewahrt  hat  und 
so  das  Bewusstsein,  treue  Hüterin  und  Erbin  jener  Zeit  zu 
sein,  leicbt  aufrecbterbalten  und  die  iierecbtigung  desselben 
ohne  Schwierigkeiten  äusserlicb  erweisen  konnte.  So  wenig 
vollständig  in  dieser  Gedankenreihe  der  Gegensatz  zwischen 
den  Speculationen  der  Groaskirche  und  denen  der  hellemsti- 
schen  Gnostiker  angegeben  ist,  so  gewiss  ist  in  ihr  einer  der 
wesentlichsten  Ditterenzpunkte  zwis<-ben  beiden  ])ezeichnet. 
£s  ist  aber  bisher  noch  nicht  genügend  darauf  aufmerksam 


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DER  SOG.  II.  BEIEF  DES  CLBIfENB  AK  DIE  K0B1NTHE».  335 


^remacht  worden,  dass  die  verschiedenen  Stellungen  der  gnosfei- 
^en  Lehrer  zom  Alten  Testament  genaue  Parallelen  an  den 
Terschiedenen  Stelinngen  der  kirchlichen  Lehrer  zur  Syna- 
goge haben. 

Aber  das  Streben  der  Grosskirche,  sich  selbst  uud  der 
Welt  Kecht  nschaft  zu  geben  von  ihrer  Unabhängigkeit  und 
Allgemeingültigkeit  gegenüber  allen  andern  Beligionsformen 
und  Denkweisen,  jenes  Streben,  sich  selbst  in  den  Allein- 
besitz aller  Gottesoffenbarungeu,  wo  dieselben  sonst  noch  an- 
•erkannt  werden  mussten,  zu  setzen,  wurzelt  doch  im  letzten 
<}runde  in  dem  ßewusstsein  ihres  einzigartigen  Verhältnisses 
zu  Gott  und  in  den  Er&hrungen  von  der  überragenden  Grösse 
•der  Heili^ter,  die  ihr  geschenkt  waren.  Dieses  Bewnsstsein 
soll  in  den  ehristologi sehen  Formeln  zum  Ausdrucke 
kommen,  und  zwar  werden  dieselben  von  Anfang  an  in  der 
Heidenkirche  so  getasst,  dass  in  ihnen  zugleich  der  Besitz 
des  Alten  Testaments,  welches  die  Kirche  für  sich  allein 
in  Anspruch  nimmt,  die  abschliessende  Aufhebung 
aller  Particularoffenbarungen  Gottes,  wie  solche 
von  Einigen  in  ausserchristlichen  Gebieten  zugestanden  wur- 
den, und  der  Gegensatz  gegen  die  Synagoge  —  also 
wiederum  Unabhängigkeit  und  Allgemeiiigültigkeit  des  neuen 
Glaubens  —  deutlich  hervortritt.  Von  hier  aus  erklart  sich 
auch  die  so  wundersame  Erscheinung,  dass  sich  in  der  fieiden- 
kirche,  so  Tiel  wir  wissen,  von  Anfang  an  so  selten  ein  nennens- 
werter Widerspruch  gegen  die  höchsten  Schätzungen  der  Person 
Christi  erhoben  hat  und  dass  ein  Rückzug  auf  die  Schätzung 
Christi,  wie  sie  etwa  in  den  Bezeichnungen  des  gottgesandten 
Propheten  und  Lehrers  ausgesprochen  ist,  nicht  mehr  ange- 
treten wird,  obgleich  in  der  Fassung  der  Heüsgfiter,  welche 
Christus  gebracht,  und  in  der  Bestimmung  des  Heilsyerhält- 
nisses,  in  welches  er  die  Menschen  versetzt  hat,  eigentlich 
(für  die  Apologeten  z.  B.)  keine  Nötigung  gegeben  war,  über 
die  Schätzung  Christi  als  des  gottgesandten  Propheten  der 
Wahrheit  hinauszugehen      £s  ist  irrtümlich,  wenn  man  aus 


M  Die  Schätzung  der  Person  Obristi  wir«!  el>en  in  dem  vorireniiiscben 
Zeitalterinder  Heidenkirche  nicht  vornehmlich  von  seinem  Heilswerke  her 


uiyiiizo 


336 


HAIINACK, 


einigen  Stellen  bei  Justin  glaubte  scbliesseu  zu  dürfen,  dass 
dieser  Tbcologe  unter  Umständen  seine  \'erknapfuDg  der  Logos- 
idee mit  der  Person  des  historisehen  Jesus  prei^egeben  und 
sich  auf  die  Anerkennung  Jesu  als  des  Lebrers  der  Wahrheit 
zurückgezogen  hätte.  Eine  genaue  Er^vfifjrung  der  betreffenden 
Stellen  führt  zu  ganz  anderen  Resultaten. 

Deshalb  aber  ist  die  uns  vorliegende  iiseudoclenientinische 
Predigt  so  wertvoll,  weil  ihr  Eingang  auf  das  deutlichste  be- 
zeugt, welches  Interesse  man  an  dem  Verbote  des  fiot^a 
qQovtfv  nf^\  *hj<rov  Xptarov  nahm.  Die  Gr(^sse  des  Hefls 
(awir^Qt(t)  und  der  Gegensatz  gecren  ih>  Heidentum  und 
die  „Judenkirche'*  kann  nicht  mehr  sicher  behauptet  und 
erwiesen  werden,  wenn  man  Über  Christus  nicht  wg  mgi  &(ov 
denkt.  Daas  diese  £rwfigangen  aber  in  einer  esoterischen 
Schrift,  in  einer  Fred  igt  zum  Ausdnick  gekonmien  sind» 
ist  ein  Erweis  daffir,  wie  sehr  jene  Gedanken  im  Vordergiund 
standen  und  wie  falsch  diejenigen  urteilen,  welche  die  alt- 
chriätlicbe  Apologetik  immer  nur  auf  ein  heidnisches  Forum 
beziehen  wollen. 

Des  Näheren  aber  fOhrt  der  Prediger  seine  einleitenden 
Gedanken  also  ans:  Wer  Geringes  Ober  die  Person  Christi 
denkt,  der  beweist  damit,  dass  er  auch  geringe  Vorstellungen 
hat  von  dem  durch  ilin  uns  gebrachten  Heile  und  von  dem 
Erbe,  dessen  Mitteilung  wir  noch  erhoffen.  Somit  sündigt 
er,  indem  er  verkennt,  nodty  ixkrj^rf/uy  xak  vno  j(yog  xoi  dg 
oy  tonoy^  xol  Saa  vn4fi(tyty  V.  Xg.  na&^y  {Vcxot  ^fitSy,  Deat- 
licher  kann  gar  nicht  ausgesprocben  sein,  wie  verhängnisvoll 

gewonnen ,  sondern  ist  Ausdruck  der  Weltstcllung  der  von  ihm  j^'eHtil'te- 
ten  Gemeinde.  Damit  soll  nicht  i,'eleugnet  werden,  da«s  nicht  auch  der 
rehgi«).se  Sinn  au  diesen  Bestimmungen  Anteil  genommen  bat;  aber  die 
Reflexion,  sofern  sie  von  dem  fiictisch  bestehenden  Heilsverbältnisse  ans 
auf  die  Person  des  Begrfindera  desselben  znrfickgebt,  kommt  Ober  die 
Scbätzong  Gbristi  Ab  des  vollkommenen  Ldirets  der  Wafariieit  nicbt 
hinaas.  Dieser  Hange!  ist  nur  verdeckt  durcb  die  Einftbrang  der  theo- 
logischen Specolationen,  in  denen  im  letzten  Oronde  allerdings  anoh 
eine  Forderang  des  nenen  religiösen  Bewosstseins  zom  Aosdrack  kommt. 
Ein  Verständnis  fttr  die  alttestamentUchen  Ornndlagen  des  neaen  Glau- 
bens, vor  allem  anch  für  die  messianische  Idee,  fehlt  der  Heidenkirche 
eben  g&nzlich;  sie  hat  es  niemals  besessen. 


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DER  SOG.  II.  BRIEF  DE6  CLEMENS  AN  DIE  KOIilNTHEU.  337 


dem  Prediger  jede  Üntersebätzaiig  der  Person  Christi  er- 
scheint.  Dieselbe  schliesst  ihm  die  <,'aiizlicbe  Verkennung  des 

Eleriiles,  in  welchem  wir  vorher  hx^^en ,  der  Würile.  welche 
wir  null  erhalten  haben,  des  Urhebei's  unseres  Heiles  uud  deö 
Werkes  Christi  in  sicii.  Ihm  liegt  es  deshalb  am  Herzen,  die 
Dimkellieit  der  vergangenen  T&ge  and  die  herrlichen  Gaben, 
die  wir  jetzt  besitzen,  za  schildern:  „Das  Licht  hat  er  uns 
geschenkt,  wie  ein  Vater  hat  er  uns  seine  Söhne  genannt, 
[schonj  verloren  hat  er  uns  ge'.ettet.  Blind  waren  wir  iu 
unserem  Siuu,  Holz  und  Steine  und  Gold  und  Silber  und  £rz, 
Menschen  werke,  beteten  wir  an;  ja  unser  ganzes  Leben  war 
nichts  anderes  als  ein  Sterben.  Die  Finsternis  hat  er  uns 
genommen;  wir  kOnnen  wieder  sehen.  So  hat  er  sich  unserer 
erbarmt  und  voll  Mitleid  uns  erlöst,  uns,  die  wir  keine  Hoff- 
nung auf  Heilung  mehr  hatten,  ausser  auf  Heilung,  die  von 
ihm  käme;  ixaktan^  i^fioc  oix  ovtag  xm  iji^iktfQiy  ix  fitt  orrog 

Ist  in  diesen  Ausführungen  der  volle  Gegensatz  gegen 
die  heidnische  Vergangenheit  enthalten,  aus  welcher  die 
Hörer  stammen,  so  schliesst  nun  der  Prediger,  scheinbar  ganz 
unvermittelt,  daran  (c.  2)  eine  Erörterung  an,  die  den  Gegen- 
satz des  Gottesvolkes  zur  Synagoge  und  die  überragende  Würde 
desselben  ihr  gegenüber  ausdrücken  solL  Wir  wissen  jetzt, 
weshalb  eine  solche  notwendig  erschien.  Der  Prediger  citirt 
Jos.  54,  1  und  knüpft  an  diesen  oftmals  (seit  Gal.  4,  27)  in 
ähnlichem  Siune  verwendeten  Sprucli  folgende  Bemerkungen: 
„Unfruchtbar  war  unsere  Kirche,  bevor  ihr  Kinder  ge- 
geben worden.  «Schreie  auf,  die  du  nicht  in  den 
Wehen  liegst S  wird  uns  gesagt,  damit  wir  nicht,  Ereissen- 
den  gleich ,  lass  werden ,  unsere  Gebete  ohne  Ceremonien 
{anho;:  im  Gegensatz  zum  jüdischen  Cultus)  zu  Gott  zu 
bringen.  Endlich;  ,Mehr  sind  die  Kinder  der  Ein- 
samen, als  derer,  die  den  Mann  hat^  gilt  uns.  Denn 
nicht  mit  Kindern  von  Gott  begabt  schien  unser  Volk; 
nun  aber,  gläubig  geworden,  sind  wir  zahlreicher  geworden 
als  die,  welche  Gott  zu  haben  scheinen."  Hierauf  lenkt 
der  Verfasser  wiederum  in  die  «•.  l  gegebenen  Ausführungen 
ein  mit  den  Worten;  „Und  eine  andere  Schrift  sagt;  «Nicht 


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338 


HABNACK, 


bin  ich  gekommen,  Gerechte  zu  berufen,  sondern  Sünder.*" 
Er  betont  noch  einmal,  dass  die  wunderbare  Grösse  des  von 
ChristuB  gebrachton  Heiles  darin  beetohe,  dass  er  schon  Ver- 
lorene gerettet  habe,  ond  findet  nnn  den  Uebergang  zu  dem 

eigentlichen  Tlienia  indem  er  die  Frage  aufwirft:  „Da 
Christus  uns  ein  so  grosses  Erbarmen  geschenkt  hat  und  wir 
durch  ihn  den  Vater  der  Wahrheit  erkannt  haben  —  xig  ^ 
yvwtt^  {  nffOQ  avw^"'  Schon  gleich  im  Eii^nge  hatte  er 
iUinliche  Fragen  aufgeworfen:  riy»  lAv  ^/icic  vor^  9wtofnv 

ayrtfua&iuy ;  i]  rlra  y.aonop  o^iot^  oJ  rfttv  etvTog  (Smttr  (c.  1,3)? 

ßofity  (c.  1,  5)?  Bevor  wir  untersuchen,  wie  der  Verfasser 
in  seiner  Predigt  sie  beantwortet,  liaben  wir  noch  einige 
Ponkto  zu  erledigen,  die  sich  aus  der  Betrachtung  der  beiden 
ersten  Kapitel  ergeben. 

Erstlich  ziehen  die  Aussagen  über  Christus,  welche  der 
Verfasser  macht,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Sie  scheinen 
eine  modalistische  Denkweise  zu  bekunden.  Zwar  will  es 
noch  wenig  besagen,  wenn  es  im  Eingange  heisst,  man  solle 
Aber  Christas  denken  wie  fiber  Gott;  denn  damit  ist  nur 
Im  allgemeinen  die  Kategorie  angegeben  Auch  die  Frage: 
vno  ri'yog  hXr;itt^uty  (c.  1,  2)  Hesse  sich  im  Sinne  des  Ver- 
fassers noch  mit:  vno  ^;or  beantworten.  Allein  auffallen  muss 
es,  wenn  v.  4  die  Spendung  des  Lichtes  auf  Christus  zurück- 
geführt wird«  von  ihm  gesagt  wird,  er  habe  uns  wie  ein  Vater 
Kinder  genannt,  er  habe  nns  gerettet,  er  habe  ans  ans  dem 
Nichtsein  zum  Sein  berufen,  und  dabei  Gottes  selbst  gar 
nicht  gedacht  wird.  Zwar  wird  dei-selhe  c.  2,  2.  3  genannt 
als  der  Empfänger  der  Gebete  und  der  Lenker  der  Geschichte; 
Allein  unmittelbar  darauf  wird  ein  Herrenspruch  als  Gottes- 


1)  Ein  bestiiniiitci  biblit.clier  Text,  au  wclclieu  die  Predigt  an- 
knüpft, kann  nicht  nucliycwiescn  wer-len. 

^)  Der  weitere  Zusatz:  oig  Titni  xoit"C  C^vroj»'  xctl  vfxntov  t-nt- 
staiuiiit  wohl  oinom  schon  damals  gültii^en  Synil)rth>  (vi:!  l!arn.  7.  2; 
Poho.  ivd  Pnil.  2,  1  (Acta  10.  42;  1  Pctr.  4,  5;  2  Tim.  1.  1]).  Dieses 
Pnidicat  steht  ja  üborhaujit  im  VorderyniiKio.  und  der  Verfasser  nennt 
es  ausdrücklich,  weil  er  «ich  in  seinen  weiteren  Ausiuhrungcn  auf  das- 
selbe zurück  bezieht. 


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DER  SOG.  II.  BRIEF  DES  CLEMtiNJj  AN'  DIE  KORINTilEli.  .339 

«pruch  eingefUhrt  (Matth.  9, 13)  und  nun  fortg«&hran:  o  Xpt- 

xut  xuUaug  ijftuq  tjdij  anollvutvovq.  Ziehen  wir  hier  i^leich 
die  Aussagen  über  Christi  Person,  die  sich  in  der  Predigt 
sonst  noch  finden,  mit  zu  fiate.  In  c  3,  5  wird  Jes.  29,  13 
^fach  als  Ansspiuch  Jesn  eingeMhrt  %  während  umgekehrt 

13,  4  ein  Herrenspmch  ^  mit  der  Formel:  Xiyu  o 
citirt  wird.  Christus  ist  es,  der  sich  unserer  erbarmt  liat 
(c.  3,  1.  16,  2);  Christus  wird  schlechthin  als  der  Herr,  der 
uns  berufen,  der  uns  erlöst  hat  (vgl.  c.  5, 1.  8,  2.  9,  5  u.  s.  w.), 
bezeichnet^).  Nicht  nur  ?on  den  hrisikai  und  i^taXfitua 
Christi  ist  die  Bede  (e.  3,  4.  4,  5.  6,  7.  8,  4.  17,  1.  3.  6), 
sondern  c.  6,  7  (vgl.  14,  l)  wird  gradezu  von  dem  noifTy  ro 
d-^Xriuu  zov  Xotmov  gesprochen.  Den  Tag  der  Erscheinung 
Christi  erwarten  wir,  oV^  A^r^V  yvigwanai  ri^üg  txuoToy  x«ra 
Ta  t^'u  avTov  (c.  17,  4),  das  ßuaiXitov  tov  xooftov  wird  dann 

in  seiner  Hand  sein  und  er  wird  das  Gericht  halten  (c.  17, 6t), 
wie  er  auch  die  Verheissungen ,  deren  Erf&llung  noch  zu  er- 
warten steht,  gegeben  hat  (c.  5,  o).  Ihm  gebOhrt  deshalb 
Lob,  Dank  und  Gegenleistung  (e.  1,  3  f.  u.  s.  w.).  Vor  allem 
in  dem  ganzen  erston  Abschnitt  der  Predigt  bis  c.  9,  5  wird 
Yon  dem  religiösen  VerhiUtnis  meistens  so  gehandelt,  als  be- 
stftnde  dasselbe  wesentlich  zwischen  den  Gläubigen  und  Chri- 
stus. Umgekehrt  heisst  nun  c.  10,  1  der  Vater  der  Be- 
rufende*); er  ist  es,  der  uns  als  Söhne  annimmt  (c.  9,  10. 
16,  1),  er  ist  der  Heilung  Bringende  (c.  9,  7);  er  hat  die 
Verheissungen  gegeben  (c.  11,  l.  6.  7);  sein  Boich,  ja  den 


1)  Aeyu  (seil.  Christus)  dl  xul  iy  'Haaltf.  Vgl.  auch  c.  13,  2; 
17,  4,  wo  Jes.  52,  5 ;  GG.  18  Christiui  in  den  Mnnd  gelegt  ist. 

«)  Vgl.  Luk.  6,  32-35. 

3)  „KvQtog"  ist  in  <ler  Dredigt,  wie  ea  scheint,  immer  Christus 
<?gL  c.  8,  4).  Hie  und  da  folgt  es  auf  ^foV,  ohne  dass  ein  Wechsel  der 
Personen  angedeutet  wäre  (vgl.  c.  14,  1 ;  15,  3.  4).  Dennoch  darf  man 
ans  solchen  Stellen  nicht  sicher  schJiessen,  dass  der  Verfasser  Gott  selbst 
xvQioi  genannt  bat.  Dafür  fehlen  smverlassige  Belege.  Aach  c.  15,  4 
ist  nicht  zwingend. 

"Sl<iT6  TioiijfftafifV  TO  d^^Xrjfirt  tov  -narqoq  tov  xtAicttPrOf  liiftäs, 
Ygi.  16,  1:  inm^hfwfiep  ini  zov  xakd^utra  ij/Ms  ^tov. 


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340  HABNACK, 

Tag  seiner  ErscheiauDg  (c.  12,  if.)  erwarten  wir  (c.  6,  9. 
9,  6.  11,  7.  1-2,  1);  er  wird  das  O^ericht  ausfiben:  unoitdwm 

ixursToj  rac  uvxt^uü&hQ  rcoy  l'oyior  avTov:  ihm  fDüssen  wir  da- 
her allein  dienen  (c.  11,  i.  17,  7.  18,  1.  20,  1),  seinen 
Wiileu  eriüllea  und  Lob,  Dank  und  Gegeuleistung  ihm  als 
UDserm  Erlöser  spenden  (c.  9,  7 f.  17,  7).  Also,  um  es  kurz 
zu  sagen,  wo  der  Prediger  von  den  Beziehungen  der  Gemeinde 
zo  Gott  bandelt,  wo  er  das  religiöse  Verb&ltnis  seiner  Be- 
gründung oder  seinem  Vollzuge  nach  beschreibt,  "«o  er  das 
religiös- sittliche  Verhalten  regeln  will,  da  führt  er  ohno  jede 
nachweisbare  Unterscheidung  bald  Gott  selbst,  bald  Christus 
ein.  In  diesem  Sinne,  aber  nur  in  diesem',  ist  er  allerdings 
Modalist  und  zwar  in  einem  Grade,  wie  er  sich  bei  keinem 
nentestamentlichen  Schriftsteller  und  ebenso  wenig  in  irgend 
einem  kirchlichen  Sciiriftstücke  des  zweiten  Jahrhunderts 
nachweisen  lässt  Das  Wichtige  aber  ist  nun  dies ,  dass 
die  religiöse  Betrachtung,  für  welche  Wirkungen  Gottes  mid 
Wirkungen  Christi  zusammen&llen,  die  theologische  Meta- 
physik des  Predigers  gar  nicht  beeinflnsst  hat.  Dies  hätte 
man  schon  aus  dem  alexandrinischen  Fragment  der  Pfomilie 
erschliessen  künnen;  nun  al)er,  nachdem  sie  vollständig  vor- 
liegt, ist  es  gar  nicht  mehr  möglich,  den  Verfasser  einer 
patripassianiscben  Denkweise  zn  beschuldigen.  Die  Ohristo- 
logie  des  Predigers  steht  in  gewissen  Grundzfigen  der  des 
Hirten  sehr  nahe').  Gott  allein  ist  uugeschaffen ,  er  allein 
der  Schöpfer  (c.  15,  2)^).  Christus  ist  ein  vor  der  Welt 
geschaffenes,  pneumatisches,  himmlisches  Wesen  (9,  5.  14,  2  f.), 
welches,  von  Gott  gesandt  (20,  5),  menschliche  aa^'^  ange- 
nommen hat  (c.  9,  5)  und  in  den  letzten  T^n  ezschienen 
ist  (14,  2),  um  uns  zu  erlösen  und  uns  als  rrwtrjQ  und  (xQ/jr/og 
Ti^g  (Uf  l^uQntag  die  Wahrheit  und  das  hinmilische  Leben  zu 
offenbaren  (c.  20,  5).    Der  Prediger  trägt  noch  kein  Be- 


1)  Aehnlidios  findet  sich,  wie  bekannt,  Hchon  bei  Paulos  und  AlK 
deren,  aber  nicht  mit  der  gleichen  Unbeiangenbeit  und  Coiueqnenz. 

-)  Unterschiede  iin  Einzelnen  sind  nnverkennbar. 

3)  Die  Monarchie  Gottes  ist  stark  betont  in  der  Scblossdozologie; 
aber  auch  sonst  in  der  Predigt  ist  m  ausgesprochen. 


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DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTIIER.  341 

denken,  die  Steile  Gen.  1,  27,  an  welche  schon  die  Alexan- 
driner ihre  Specolaiionen  von  der  Erschaflün^  eines  himm- 
lischen Urmenschen  geknüpft  haben  auf  die  Schöpfuii£(  d»'s 
hiiumlischen ,  pnenraatischni  Christus  zu  deuten,  ihiii  ist 
also  der  präexistente  Christus  identisch  mit  dem  uy&awnog 
<w^ptog  der  Alexandriner  Auf  Grund  der  Stelle  e.  9,  5 
hat  man  gemeint,  der  Piediger  hielte  den  prftexistenten  Chri- 
stus ffir  den  heiligen  Geist;  allein  das  nyrv^a  soll  hier  nur 
die  Geist-  und  überirdische  Licht- Natur  Christi  der  Kate- 
gorie nach  bezeichnen*);  das  wird  aus  c.  14,  2 f.  völlig  deut- 
lich. Aus  dieser  Stelle  erkennt  man  aber  nun  noch  weiter, 
dass  die  Fragestellung  eine  ungehörige  war.  So  viel  nftmlich 
läset  sich  aus  den  krausen  und  verwirrten  Allegorien  c.  14, 
3 — 5  erkennen ,  dass  für  den  Verfasser  das  m'tv^u  uywy  gar 
keine  Hypostase  ist^).    Er  kennt  nur  die  Grössen:  ^a^, 

TivH'fta  {XgtGTog,  fxxX^^or/«) ,  aug'i  {ayt^Qtünog).    Christus  wie 

die  Kirche  sind  ihm  beide  pneumatische  Wesen;  die  ao^ 
aber  des  erschienenen  Christus  ist  ein  Abbild  der  Kirche, 
oder  richtiger:  in  dem  Fleische  Christi  ist  die  Kirche  selbst 

erschienen;  denn  sie  ist  ja  der  Leilj  Christi.  Hieraus  folgt 
die  Mahnung  an  die  Gläubigen,  dass,  wer  ^eiu  Fleiscli  ver- 
unehrt,  die  Kirche  verunehre,  und  umgekehrt,  dass,  wer  sein 
„Fleisch*^  bewahrt,  auch  des  Besitzes  des  „Geistes''  sicher 
sein  dflrfe,  weil  Kirche  (Fleisch  Christi)  und  Christus  (Geist) 


»)  Vgl.  Sieirfricd,  Pliilo  von  Alex.  (1875),  S.  221.  2i2  u.  b.  W. 
Der  bimmliscbe  Adam  PbUo's  ist  gescbleohtsloi^. 

*)  Diese  Voretellnng,  Christus  als  der  himmlische  Adam,  ist  oft 
genug  altchristUcheD  Schriftstellern  ohne  Grand  zugcwjesen  worden.  Sie 
ist  im  Ganzen  sehr  selten:  Anklänge  finden  sich  1  Kor.  15,  45f. 
Die  Adam-Speculationen  in  den  clementiniscben  Honiilicn  gehen  nur 
zum  Teil  auf  alexandrinische  Ideen  zurück  (v<,'l.  Kit  sc  hl,  Altkathol. 
Kirche  [1857],  S.  mSL  Horn.  Clem.  XVI,  12Bqq.  Recog.  1,  4Ö8qq. 
Epipb.  baer.  XXX,  3). 

3)  XQiaroi  6  xi'mog  o  aoiaag  'uds ,  (ov  f4ty  ro  TtQiätoy  nvevfia^ 
iyiyero  ouq^.    Im  Cod.  C  stebt  ßtatt  nvev^w.  X6y()?\ 

^)  So  richtig  schon  Uellwag  in  den  Tbeolog.  Jabrbücberu  (1848), 
S.  233. 

5)  Vom  heiligen  Geist  ist  nnr  in  dem  Abschnitte  c.  14,  3—5  dia 

Bede. 


342 


HABNAGK, 


eine  imBefireimliche  Einheit  Mlden  Wenn  dieser  Gedanke 
negativ  so  ausgedrCleIrt  ist:  i  vßQina^  rr/y  au^im  vftptot  tit^ 

tx)ikr,aiuv  '  o   Toim  jog  ov  fUjuXiiUftTai  tov  rryn/nuTog ,  positiv 

dagegen  in  den  unklaren  Worten:  tuy  vig  rfiüiy  irigt^ati  al-xr^y 
ifnaüa^iay)  ly  rjj  aagyi  yut  jtttj  (f  &tt^r},  unoXtjrf/nat  avjijr 
TtyfvftaTi       iyiffi '  ij  fUQ  aagi  ovtt^  wxltvnhg  iau  tov  nyai^ 

fittxoQy  80  ist  klar,  dass  der  Ansdrack  to  nvwfta  ro  07101^ 

nichts  anderes  bezeichnen  soll,  als  was  im  nyetfiu  selbst  ge- 
geben ist :  das  pneumatische  Lebensprincip,  welches  in  Christus 
erschienen  und  durch  ihn  den  Gläubigen  zuganglich  geworden 
ist.  Das  ntfivfia  ist  Christus  selbst  (X4yofity  tlmt  tipf  av^fm 
ixitkiialuy  xai  to  nvtSfta  Xqiatw)%  der  Yon  ihm  aasgehende 
und  mitgeteilte  Geist  ist  der  heilige  Geist  Weder  von  Iden- 
tität der  Hypostasen  des  heiligen  Geistes  und  Christi,  noch 
von  Unterscheidung  dei-selbeii  darf  also  hier  die  Rede  sein; 
denn  der  heilige  Geist  ist  für  den  Verfasser  eben  keine  Hypo- 
stase     Wenn  es  nun  trotzdem  den  Anschein  hat^  als  unter- 


Der  za  Gnmde  llegtode,  aber  Tersehwlegene  Gedanke  ist  viel- 
leicht  hierbei  der,  daee  jeder  Christ  sich  selbst  za  einem  Abbilde  des 
ersehieneiieii  Christas  amigestalten  soU.  Angedeutet  ist  dieser  Oedanke 
dorch  die  Werte:  1}  a«^  «01-9  avtitvnog  im  xoB  nvtv/unot;  jedooh 
soUea  dieselben,  wovon  man  sieb  leiebt  dnieh  aniberksamc  Beachtung 
des  Conteztes  flberzeogen  kann,  zwei  disparate  Gedankenreiben  be> 
gründen. 

Man  beachte  hier  den  Unterschied  «wischen  dieser  Christologie 
nnd  der  des  Hirten.  Für  den  Hirten  ist  das  nyevfut  äytoy  eine  f^oll>ätän- 
dige  creatürhch- himmlische  Hypostase  und  zwar  schon  vor  der  Erschei- 
nung Christi.  Der  präexistente  heilige  Geist  ist  aber  der  präexistente 
Sohn  Gottes.  Also  kennt  auch  Hermas  nnr  eine  präexistente  Peraon 
(abgeselien  von  den  vor  der  Welt  gescbaflfenen  sechs  übrigen  Krzengeln). 
Die  Differenz  ist  in  den  Ausdrücken  gross,  in  der  eigentlichen  Grund- 
Torstellung  sehr  gering.  Grade  der  Uirte  zeigt,  wie  schwankend  man 
noch  bei  näherer  Tio^tiinmung  der  präexistenten  Hypostase  in  den  Com- 
biuationen  und  Analogien  gewesen  ist.  Der  Prediger  ist  auf  seine  Be- 
zeichnung des  Christus  als  avSQuTto^  ov^yio^  gekommen,  weil  ihm  eben 
diese  das  beste  Mittel  bot,  die  enge  Zusammengehörigkeit  von  Xotarog 
und  ixxkr,ai((  und  damit  die  cinzi^'arti^e  Würde  der  Kirche  schlagend  zu 
erweisen.  Gewiss  verfügte  er  auch  noch  über  andere  V'>rst<  llnngcn  von 
der  präexistenten  Christushypostase,  während  es  uniifkrhrt  Zufall  sein 
kann,  dass  Uermas  jene  in  seiner  Schrift  nicht  benutzt  hat  Die  Logos- 


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DER  SOG.  II.  BBIEF  DBB  GLEMEK8  AN  DIE  KOBINTHBR.  34$ 


scheide  der  Prediger  beide  so  hat  man  das  als  eine  An- 
lehnung an  die  durch  die  TaafiTormel  voigeschriebene  Wtmmg 
za  beurteilen,  deren  Verständnis  ihm  nicht  mehr  zugänglich 

gewesen  ist 

Neben  dem  himmlischen  Christus  erwähnt  der  Prediger 
nur  noch  eine  himmlische  Hypostase,  die  ixxXtiwu.  Schon 
aus  c.  3,  1  u.  3  musste  man  schliessen,  dass  ihm  die  ixxXff- 
aia  mindestens  so  alt  erBofaeint  als  die  jftdische  Fseudokirchei 
existirt  hat  sie,  sie  war  nur  arftga  und  l'grjinog.  Diese  Vor* 
Stellung  musste  sich  von  selbst  ergeben;  sehr  mannigfache 
Erwägungen,  deren  Aasgangspunkt  hier  nicht  untersucht 
noch  angegeben  werden  soU^),  haben  zu  ihr  geführt.  Man 
würde  irrig  urteilen,  nähme  man  an,  dass  gerade  historisch» 
üeberlegungen  sie  herrorgerufeD.  Schon  ein  solcher  Gedanke, 
wie  der  im  F.pbesorbriefe  des  Paulus  c.  5,  23  fi.  ausgeführte, 
legte  die  Vorstellung  nahe.  War  einmal  die  Kirche  in  das 
„Pneumatische''  gerückt,  und  fiiirte  man  die  religiöse  Be- 
trachtung, dass  die  Welt  um  der  Kirche  willen  geschaffen 
sei,  und  Gott  die  Gläubigen  nah  ua^afioXijg  xocfunf  erwählt 
habe  (Eph.  i,  3f.),  so  war  damit  in  der  Denkweise  jener 
Zeit  die  Vorstellung  von  der  Kirche  als  einer  himmlischen 
vorweltlichen  Hypostase  eigentlich  schon  gegeben.  Aber  auch 
das  Recht  des  Alleinbesitzes  des  Alten  Testaments,  welches 
die  Christen  in  Anspruch  nahmen,  Hess  sich  nur  von  dieser 
Prämisse  aus  erweisen,  während  umgekehrt  diese  selbst 
wiederum  durch  den  Gebrauch,  den  man  vom  Alten  Testa« 
ment  machte,  erhärtet  wurde.  So  nennt  denn  der  Prediger 
c.  14,  1  die  Kirche,  der  er  angehören  will,  die  „erste''  (im 


S|K?oulatioiien  aber  haben  Bei^le  sicher  nicht  gekannt.    Die  Auffassung 
vum  MenHclien  als  attQ^,  welcher  durch  Christum  das  nvivua  als  Lebcns- 
princip  einwohnt,  ist  bei  HermAs  und  dem  Prediger  dieselbe ;  vgl.  Sim. 
5—7  mit  c.  14  Öchluss. 

^)  Vgl.  c.  14,  5:  joaavxtiv  dthnjui  r,  <y«o|  (tl'ttj  ueraXu^tiv 
x«i  d(f^'}((Qöiav  xoX/.r^U^yrog  avrfi  tov  nyti'uc.To^  tov  ayiov. 

')  Auoh  Justin  belolgt  ja.  und  viele  Andere  iiuch  nach  ihm.  die 
Unterscheidung  des  Äo;'oc  vun  dem  nykifAu,  ohne  derselben  irgend  cmcu 
Sinn  ahgcwinneu  zu  k<'>niieii. 

3)  Vgl.  Patr.  Äpüst.  Opp.  ed.  Gebhardt,  fasc.  1,  1  zu  II.  Clem.  14. 


HABNAt  K, 


Gegensatz  zur  jüdischen  Pseudoldiclie),  die  „geistliche**  (im 
Gegensatz  zu  ihrer  empirischen  Erscheiniingsform),  die  ,,Tor 

Sonue  und  Mond  geschaffene"  (im  Gegensatz  7ai  ihrer  zeit- 
lichen Erscheinung),  die  „Kirche  des  Lel)enh";  er  liudet  es 
im  Alten  Testament  und  von  den  Aposteln  bezeugt,  dass  die 
Kirche  ov  vvv  ihaiy  oUa  avta^v.  Das  ist  sie  aber,  weil  sie 
<tt7}fm  XimTTikv  ist  Diesen  Gedanken  beogt  er  nnn  in  eigen- 
tümlicher Weise  dahin  ab,  dass  die  pneumatische  Kirche  die 
axXvyuQ  des  himmlischen  Christus  ist,  indem  er  Gen.  l.  27 
auf  die  Erschaffung  der  beiden  Aeonen,  Christus  und  Kirche, 
deutet.  Beide  sind  sie  als  eine  Einheit  vor  der  Weltschöpfimg 
im  Himmel  yorhanden  gewesen;  beide  dann  ^n*  iaxartar  rmr 
t-ttfQfoy  erschienen  und  zwar  —  eine  sehr  ungeschickte  Ver- 
knüpfung zweier  dispanitor  Vorstellungen  —  ist  die  Kirche 
zugleich  mit  Christus  erschienen ,  nflnilicli  t/;  ou^jxi  (u  tov. 
Es  ist  wenig  lohnend,  die  Speculatiouen  des  Predigers  noch 
weiter  zu  verfolgen:  in  seiner  Deutung  der  Genesis -Stelle 
auf  Christus  und  die  Eirdie  hat  er  keine  Nachfolger  gehabt. 
Im  Kampfe  gegen  die  Gnostiker  hat  die  Kirche  gelernt,  in 
der  Wahl  ihrer  Bilder  und  in  der  Speculation  über  himm- 
lische Aeonen  vorsichtig  zu  werden:  zur  Zeit  des  Irenaus 
schon  wäre  gewiss  die  Christus- Kirche -Sj^ygie  des  Predigers 
in  der  katholischen  Kirche  nicht  mehr  geduldet  worden.  Ja 
man  ist  überhaupt  mistrauisch  geworden  gegen  die  Annahme 
von  himmlischen  Aeonen,  die  auf  p]rden  erschienen  sind.  Audi 
die  Präexistenz  der  Kirche  wiid  in  dem  Sinne,  wie  Pseudo- 
clemens  und  der  Hirte  sie  vortrutren.  nicht  mehr  gelehrt. 
Die  Ausarbeitung  des  Prädicats  der  Katholicitftt  der  Kirche 
und  die  Vorstellung  von  der  himmlischen,  triumphirenden 
Kirche  als  der  Gemeinde  der  Vollendeten,  des  Urbildes  der 
irdischen,  rechtfertigten  ebenfalls  das  eigentümliche  Selbst- 
bewusstseiu  der  Kirche  und  gaben  zu  bedenklichen  Specula- 
tionen  keinen  Anlass 


^)  Kino  trcü'ende  Parallele  zu  Pseudoclcinens  littet  nur  Herraas; 
vgl.  Vis.  II,  4,  wo  es  von  der  in  (Jestalt  oiiitr  allen  Frau  erseheinendon 
Kirche  heisct:  rjcfTcoy  -nQtorr,  hxjiaUti'  6ui  xoi  to  ngen-tnoi:  x«i  diu 
rcevrqv  6  xöa^of  xurfigTia^ti.   Vis.  I,  1.   Aua  den  Wortcu  Vis.  I,  3 


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DER  800.  n.  BRIEF  DES  GLBMENg  AN  DIE  KQRINTHER.  345 

Doch  geben  wir  nun  zur  Betrachtuog  des  eigentlichen 
Biauptinhaltes  der  Predigt  Ober.    „Das  Thema  der  Schrift 

ist  die  Empfehlung,  die  Gebote  Christi  zn  erfQllen;  und  das- 
selbe wird  von  drei  Seiten  behandelt,  nämlich,  dass  darin  das 
wahre  der  Grösse  der  Erlösung  entsprechende  Bekenntnis  Jesu 
best^e,  dass  darin  der  Gegensatz  gegen  die  Welt  ausgedrückt 
werde  und  da»  dafttr  der  Lohn  der  Anfaistehnng  und  des 
Irilnftigen  Lebens  festgesetzt  sei/*  ^)  Mit  dem'  mosaischen 
besetze  hat  sich  der  Prediger  niclit  mehr  auseinanderzu- 
setzen: hier  liegen  ihm  keine  Schwierigkeiten  vor;  er  spricht 
als  rechtgläubiger  Katholik^).   Das  rechte  Bekeontms 

imtktfiU»  uvroC,  *a$  iivXdytiaiv)  darf  man  TieUdeht  acUicwen» 
da»  Hermas  ebenfalls  Gen.  1,  27  f.  auf  die  Schdpfiuig  der  Kirche  be- 
logen hat.  Dies  tot  tun  so  wahrscheinlicher,  als  Hermas  unmittelbar 
Toriier  von  der  Weltschöpfang  berichtet  hat.  Gewarnt  sei  hier  aber 
TOT  dem  Fehlachlaase,  als  jnQsse  Pscadoclemens,  weil  er  Gen.  1,  27  auf 
•die  8eh5pAing  des  Chnatus  und  der  Kirche  deutet,  notwendig  gelehrt 
haben,  diese  beiden  Aeonon  seien  nach  Erschaffung  der  Welt  von  Gott 
ins  Leben  gerufen.  Eine  solche  Nötigung  bestand  för  ihn  ganz  nnd 
gar  nicht,  auch  nicht  für  seine  Zeitgenossen.  Zudem  sagt  er  ja  aos- 
drflcklich  wenige  Zeilen  vorher,  die  Kirche  sei  vor  Sonne  und  Mond  ge- 
achalfen-  —  Aebnlich  ist  auch  die  Vorstellung  im  Bamaba8brie£(c.  13, 6): 
pXintje  ini  jivujv  Tt&tixtv,  tw  Xaw  wiov  elyat  TtQWTov  xet\  Tr,s 
diaOrlxrts  xXrtQovöfioy.  (lanz  anders  dagegen  schon  Clera.  Alex.  (Strom. 
IV,  8,  p.  593)  und  Tertullian  (Stellen  hei  Rothe,  Die  Anfänge  der 
christlichen  Kirche  [1837],  S.  G12f.).  ßotlie  hat  den  Unterschied  nicht 
jrenfigend  festgestellt.  Der  Kirchenbegrift*  des  vorirenäischen  Zeitalt^^rs, 
besser  des  Zeitfdters  vor  dem  brennenden  gnostisclien  Kampf,  ist  durch 
das  apologetische  Interesse  —  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  — 
vorwiegend  bestimmt ;  der  Kirchenbegriff  seit  Irenaus  ist  im  vorwiegen- 
den Q^ensatz  gegen  die  Häresien,  also  in  einem  polemischen  In- 
teresse, ausgearbeitet  worden. 

1)  So  richtig  Ritsehl  a.  a.  0.  S.  28Gf.  Diese  Analyse  hat  durch 
den  Tieuentdeckten  Schlussteil  der  Homilie  keine  Erweiterung  erhalten, 
c.  15,  1  bezeichnet  der  Prediger  selbst  seine  Rede  als  avfißovkut  negi 
iyxQCKTBtag,  zunächst  im  Tliiiblick  auf  die  Ausführungen  in  c.  14.  Die- 
selben beurteilt  er  mit  der  nämlichen  Selbstgefälligkeit,  mit  der  Barnu- 
bas  c.  9,  i)  siiii  '  Auslegung  von  (Jen.  17.  23 f.  und  der  echte  Clemens 
c.  41,  4  seine  Vergleiehung  des  ulttestamentlicben  Priestertums  mit  dem 
nentestamentliclien  begleitet  hat. 

Gegen  Sc h wegler  und  Hellwag  (a.  a.  0.  S.  233)  das  Ricb- 

Z«U«elLr.  L  S.-Q.  ^ 


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346 


ZU  Jesu,  welches  mit  der  ErfÖlkng  seiner  Gebote  idoiitiscb 
ist  (c.  3,  4),  besteht  in  der  werktätigen,  brüderlicben  Liebe 
und  in  der  sittlichen  Jäegelong  des  eignen  Lebens  aber  es 
ist  nur  dort  wirklich  vorhanden,  wo  die  Menschenfiurcht  fibi^r- 
wunden  ist  (c.  4).  Nur  wer  bereit  ist,  die  Welt  zu  ver» 
lassen  ,  nur  wer  sie  als  eine  mtQoixtu  betrachtet  und  die 
weltlichen  Güter  als  afloiQia  beurteilt,  deren  Besitz  gleich- 
gültig ist,  nach  denen  zu  tnuihten  dem  Gerechten  nicht  ziemt^ 
wird  die  herrliche  Verheissung  Christi  erlangen  (c  5).  Hieras 
schliesst  sich  nun  weiter  der  Nachweis  Ton  der  völligen  Un- 
verträglichkeit der  beiden  Welten,  des  «/w»'  otroc  und  ftOlvjy, 
Weltflucht  ist  wie  im  liuche  des  Hirten  die  Parole^ 
Weltfreiheit  nur  durch  sie  möglich^).  Das  Motiv,  wel- 
ches angegeben  wird,  ist  die  drückende  Aussicht,  widrigen&lls 
der  ewigen  Strafe  zu  yerfiülen  und  des  himmlischen  Lohne» 
verlustig  zu  gehen.  „Mit  welcher  Zuversicht  kOnnen  wir 
auf  den  Eintritt  in  das  Rfich  Gottes  rechnen,  wenn  wir 
die  Taufe  nicht  rein  und  unbetieckt  bewahren?  Wer  wird 
unser  Paraklet  sein,  wenn  wir  nicht  im  Besitz  frommer  und 
gerechter  Werke  erfunden  werden?**  (c.  6,  9;  vgl.  7,  6.  8« 
4.  6  ;  14).  Unter  dem  Bilde  eines  Wettkampfes  wird  die 
Aufgabe  vorgestellt:  Nur  der  wohl  vorbereitete  und  tiipfere 
Kämpfer,  der  den  richtigen  Weg  läuft,  erlanf^t  den  Kranz. 
In  einer  nicht  ganz  durchsichtigen  Wendung  fügt  der  Pre- 


tijre  bei  Dornor  (Ent\si(klungsj:esch.  d.  Lehre  v.  »1.  Person  Christi  in 
den  vur  erst*!!  Jahrliumlcit-n  [184')],  S.  144);  Hil{;cnlcld  (AjKistol. 
Väter  [185:3],  S.  119 f.):  Rit.schl  ^u.  u.  ü).  Schweglers  Ansicht  darf 
jetzt  wohl  als  aotiquirt  gelton. 

1)  c.  4.  3:  rot^  tg/oig  ttvrov  öfAoXoy&fA^y  iv  dyanay  I«»- 
Torc,  ir  itu  fitj  ^oi/ua&ai  fjr^di  xaTaXttXtuf  okXijXiüv  fjitjdk  Cl^ovy,  «IIA* 

fiey  xHi  ut,  (fiXuQyvQftf. 

2)  c.  5.  1 :  f|cA^f(V  ix  Tov  xottfiov  rovrov.  AuB  dem  ZoBammeii* 
hange  von  c.  .'),  1  mit  c.  4,  4  und  5,  3f.  gebt  hervor,  dan  der  Yei&BBer 
auch  an  Martyrien  hier  gedacht  hat. 

3)  c.  G,  o :  ltfT»y  Ä  wwof  4  ohip  Mai  6  ftiXkiav  if i'o  ^/»qoC  '  ovtog 
Xeysi  fÄoiyitav  xtd  <f9oQttV  xcrl  ^ptXaQyvffittP  lud  ttfH(Tr,y,  ixtü^g 
lot  Toig  anoTtiaiitrm'  ov  &vtfäftt1^n  ov»  ttSif  Svo  ^Xm  bIpm*  dH  dk 


Digiti^ 


DER  80O.  U.  BBIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHER.  347 


fliger  biuzu:  ,,Uü(1  wenn  wir  auch  nicht  alle  gekrönt  werden 
können,  so  lasset  uns  doch  dem  Eranase  wenigstens  nahe  kom* 
men*'  (c  7;  TgL  auch  16,  2:  o;iaic  laxvaa  x&y  l'y/vg  rr^g 
Stxtttoaiyrig  ytyh&aiy  nnd  Hennas  Sim.  Vni»  2.  8).  Die  wich- 
tigste Bedingung  aber  dafür  ist  die  fUTuyotu.  c.  8,  1  wird 
diese  Forderung  zum  ersten  Male  in  der  Predigt  erhoben; 
sie  wird  nun  bis  zum  Schlüsse  unermfidlich  in  ziemlich  stereo- 
typen Wendungen  wiederholt  (ygL  9,  8.  13,  1  f.  16,  If.  4. 
17,  1.  19,  1):  „Lasset  nns  Bosse  ton,  so  lange  es  noch  Zeit 
ist,  Busse  aus  ganzem  und  lauterem  Herzen;  fuaiot  yuo  {a/.iiy 
noVJ.g  uyoiug  xui  7ror;^'oi«g*'  (c.  13, 1),  Der  Prediger  bekennt 
von  sich  selbst,  dass  er  noch  ganz  und  gar  ein  Sünder  sei, 
noch  dnrohans  nicht  die  Yersnehung  fliehe,  ja  ip  fdaoig  ror^ 
oiff&i^iq  Tov  Siaflokov  sich  befinde  (c.  18,  2)  Was  Busse 
eigentlich  sei,  weiss  er  aber  gar  nicht  mehr  anzugeben;  er 
vermag  nur  den  Zustand  vor  und  nach  der  Busse  zu  schil- 
dern. Der  letztere  besteht  einfach  genug  —  in  dem  Halten 
der  Gebote  Christi  und  in  der  Bewahrung  des  Fleisches  vor 
Befleckung  (c.  8).  Hier  aber  liegt  es  ihm  am  Herzen,  dem 
falschen  Grundsate  entgegenzutreten  dass  „dieses  Fleisch 
weder  gerichtet  wird  noch  aufersteht".  Dieser  häretische 
Gedanke  wird  durch  den  Hinweis  darauf  widerlegt,  dass  wir 

1)  Wie  Henuas  setzt  also  der  Prediger  die  Mögliclik.  it  der  Busse 
für  die  Gläubigen  voraus;  er  drängt  ebcni^o  ungestüm -rhetorisch  zu 
derselben  wie  jener,  ohne  doch  sie  irgendwie  in  Zusammenhang  zu  setzen 
mit  der  atüT^oirc^  welche  der  Christ  schon  besitzt,  üeber  die  Frage,  ob 
eine  mehruialige  Busse  den  Christen  möglich  sei ,  spricht  er  sich  nicht 
aus;  man  hat  keinen  Grund,  ihn  auch  in  dieser  Frage  fiir  einen  Ge- 
nassen des  Hirten  zu  erklären.  Mit  den  Worten  des  Verfassers  kann 
man  die  ganze  Predigt  als  eine  ad^oQt^u  ov  f^uQu  eig  to  fiBxavo^atu*' 
bezeichnen. 

2)  c.  9,  1  f .  und  c.  10,  3—5  sind  die  einzigen  dircct  ji  jkmi.sclu  n 
Stellen  in  der  Predigt.  Hier  aber  ist  wiederuui  die  Berührung  mit 
Hormas  sehr  auffallend;  vgl.  Sim.  V,  7  ouQxct  aov  ravrr^y  qvXctaae 
xa^uQur  xui  ((uiiii  ioi',  Iva  ro  nvevixa  rd  y.utoir.ovv  iv  uvx^  ^uaoTVQ^np 
fn  it],  Xfu  JiXHitox^Ji  aov  i]  ouqS  '  ßX^ne  (Arnoxt  (tvaßß  ini  rt]y  xaQ^iay 
aov,  ri]y  aüoxic  aov  xai  ir,i'  if  duQxi]y  tivin ,  xu\  na^aXQ^*^Q  «vVß  iv 
uiuauin  nvi-  iur  tf^  /^«ä'/if  rijV  aä^xa  aov,  juuiyeig  xal  to*  n¥99(M  ti 
uyior)  mit  ILClem.  U,  If.  U,  3  f.  Zu  c.  10,  3—5  veraehiedene  Stellen 
bei  Hermas. 


348 


HAKNACK, 


ja  in  eben  diesem  Fleische  berufen  worden  sind,  also  auch 
in  ihm  die  Verheiflsniig  erfüllt  erhalten  werden,  nnd  daas 
Christna  selbst  aigi  geworden  ist  (o.  9,  Hienuif 
scbärft  der  Redner  aufs  neue  einige  Oebote  Christi  dn  mid 
wiederholt  die  Mahnung,  die  Freuden  der  Welt  zu  fliehen 
(c.  9,  ü  —  10,  5).  Gerecht  werden  wir  nur  sein,  wenn  wir 
Gott  mit  reinem  Herzen  dienen;  diesem  Dienst  sollen  wir 
nna  nicht  entziehen  durch  Unglaaben  an  Gottes  Yerheissong. 
Der  Prediger  tritt  denen  entgegen,  die  an  der  Wiederkunft 
Christi  zu  zweifeln  angefangen  haben,  weil  sie  so  lange  ver- 
ziehe ^).  Auf  Gmnil  eines  apokryphen  Herrenwortes  schiebt 
er  den  Termin,  den  niemand  kennt,  scheinbar  in  die  Ferue :  erst 
wenn  alle  unter  einander  die  Wahrheit  reden  und  einmütig 
geworden  sind,  wenn  die  Sele  in  guten  Werken  so  sichtbar 
geworden  ist,  wie  der  Leib  sichtbar  ist,  wenn  alle  geschlecht- 
lichen Beziehungen  unter  den  Christen  aufgehört  haben 
dann  kommt  das  Reich  Gottes  (c.  11.  12).  Von  nun  au  ist 
ein  Fortschritt  in  der  Predigt  nicht  mehr  nachweisbar;  der 
YeifiiaBer  wiederholt  in  immer  neuen  Ansätzen,  die  durch  taum 
Bussruf  eingeleitet  werden,  die  frflheren  Gedanken;  nur  in  den 
Motivirungen  bringt  er  Einiges  nach.  c.  13  begrüiKJet  er  den 
Bussruf  durch  Hinweis  auf  die  Heiden.  Der  Name  Christi  wird 
sonst  verlästert:  für  Mythen  und  Irrtum  mosaen  die  Heiden 
die  Lehren  Christi  halten,  wenn  sie  sehen,  wie  wenig  die 
Taten  der  Christen  zu  den  gepredigten  Worten  stimmen'), 
c.  14  schärft  er  den  Bassruf  ein  durch  die  Mahnung,  dasa 


Es  ist  bekannt,  wie  oft  die  Einschärfuiig  der  christlichen  Hoff- 
nung auf  die  [baldige]  Wiederkunft  Christi  in  den  Schriftstücken  aus 
dem  nachapostolischen  Zeitalter  wiederkehrt;  vgl.  auch  den  Hirten. 

*)  Bios  schwebt  jedenfalls  auch  dem  Hirten  als  Ideal  vor,  wie  sich 
leicht  erweisen  lässt;  vgl.  z.  B.  Vis.  II,  2:  yywQiaoy  ravTa  ri;  avußfto 
aov  xf  fxBXXovan  aov  udeXtpg.  Beide  denken  natürlich  nicht  daran, 
für  jetzt  die  Ehe  unter  Cliiisten  zu  beanstanden.  Aeliniich  Faolus 
IKor.  7. 

3)  Zu  der  Berücksichtigung^  der  ffoj  avi^nainoi  vgl.  1  Kor.  5,  12  f. 
Kol.  4,  5.  1  Thess.  4,  12.  1  Petr.  2,  12.  1  Tim.  3,  7.  I.  Clem.  47.  7. 
Ignat.  ad  Trall.  8,  2.  Polyc.  10,  2.  Const.  App.  II,  8.  Zu  d.>m  iva  ro 
öt'ouce  fxi]  ßkua^rjf^ijTai  meine  Bemerkungen  zu  I.  Clem.  1,  1  UDd 
Keim,  Cahna'  Wahres  Wort  (1073),     mt,  Aam.  2« 


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DER  800.  n.  BRIEF  DES  diEliENS  AK  DIE  KORIMTBER.  349 


wir  nur  unter  der  Bedingung  der  Erföllang  der  Gebote  Gottes 
Glieder  der  wabren  Eircbe  sind,  and  niroint  dabei  aufs  neae 

Gelegenheit,  die  Reinerlialtung  des  Fleisches  zu  betonen. 
Nach  den  einleitenden  Worten  des  15.  Capitels  erwartet  man 
den  Schliiss  der  Fredigt;  denn  der  Prediger  spricht  bereits 
von  dem  Werte  seines  „nicbt  geringen  Batschlages  zur 
Busse**:  er  hofft,  dass  Gott  ihm  selbst  die  Wirkung  derselben 
anreehnen  werde,  wenn  seine  Hörer  rechte  Hörer  gewesen 
sind  (vgl.  auch  c.  19,  1)  allein  in  c.  16  nimmt  er  wiederum 
einen  neuen  Anlauf.  Noch  einmal  soll  eine  ausführliche  Hin- 
weisung auf  den  furchtbaren  Tag  des  Gerichtes  die  Büss- 
wiliigkeit  hervorrufen.  Wie  Blei  wird  die  Erde  schmelzen» 
auch  etliche  Himmel  werden  zergehen  Vor  diesem  Tage 
schützen  Almosen,  welches  der  Sündenbusse  gleich  ist,  Fasten 
und  Gebet.  Ausdrücklich  wird  bemerkt,  dass  von  diesen 
dreien  Almosen  das  beste  ist;  Fasten  aber  immerhin  noch 
wertvoller  als  Gebet!  Daneben  wird  auch  nachtrftglich 
—  in  Form  einer  alten  Beminisoenz  —  die  Liebe  genannt; 

aber  mit  dem  Satze:  IXirj^toavvr}  xovffiajua  ä^opnag  ylvtxut 
schliesst  der  Verfasser  diese  Reihe  ab.  Als  neues  Motiv  zur 
Busse  wird  c.  17  der  Schluss  a  maiori  ad  minus  eingeführt: 
,,Wenn  wir  den  Befehl  erhalten  haben  und  ihn  auch  befolgen^ 
die  Heiden  von  den  Götzen  abzuziehen  und  zu  unterweisen  % 


1)  In  diesem  ZusammeTibang  blitzt  einmal  ein  erwärmender  Ge> 
danke  auf  (c.  16»  df.):  i/tfAtivm/dsy  ory  i<f'  oU  iniajei'aufiti^  ^itttuM 

kaXavyrcg  irov  igtS  Afov  nvq^u,  tovro  y<tQ  ro  Q^fut  fiiyvXia  iaxly 

c,  16»  d:  tttxtjaot^Ktf  Tivee  tmv  ovqnvwv»  Der  Prediger  ireifls 

also  auch  Ton  mehreren  Himmeln. 

3)  Diese  drei  „  Grundtiigen<Jen "  sind  besonders  durch  den  Gebrauch 
der  sogenannten  alttestamentlichen  Apoknphen  (Sirach,  Tobit),  nach 
denen  man  Matth.  6  erklärte,  in  dieser  Stufenfolffe  in  die  christliche 
Ethik  eingeschleppt.  Judith  (Esther),  Tobit  wurden  schon  im  Au.sgange 
des  erst'  n  Jahrhuntlerts  in  der  römischen  Gemeinde  gerne  gelesen .  Die 
drei  „  Grundtogenden "  auch  bei  Uermas»  aber  ohne  Angabe  ihrer  Ötufen* 
folge. 

*)  Vgl.  Matth.  28,  19  f. 


350 


HABMACK, 


wie  Tiel  mehr  mass  darauf  gesehen  werden,  dass  eine  Sele, 
die  schon  Gott  erkannt  hat,  nicht  yerloren  gehe.*'  Aber 
nicht  nur  während  des  Gottesdienstes  sollen  wir  zu  glauben 

und  zu  hören  scheinen,  sondern  auch  zuhause,  damit  nicht 
der  plötzlich  hereinbrechende  Gerichtstag,  au  dem  Jesus  er- 
scheint, uns  ungl&ubig  finde  und  wir  mit  Schrecken  gewahr 
werden  mflsaen,  dass  er  es  ist,  und  wir  durch  Unglauben  und 
Ungehorsam  gegen  die  Predigt  der  Presbyter  unser  Hefl  f&r 
ewig  verscherzt  haben.  An  jenem  Tage  wird  man  die  gott- 
losen Christen  in  dem  Feuer  sehen,  aber  die  asketischen  Ge- 
rechten werden  darob  Gott  preisen;  deun  die  Hoffnung  ist 
ihnen  erfüllt.  Der  Prediger  will  sich  selbst,  wie  er  aus- 
drttcUich  (c  18)  versichert,  nicht  zu  den  Vollkommenen  z&h- 
len;  er  bedarf  selbst  der  Busse  in  hohem  Grade.  Damit  ist 
er  am  Kn<Ie  und  blickt  auf  seine  Predigt  /.uiück  (c.  19). 
Als  Lohn  vei langt  er  von  seineu  Hörern  die  wahre  Busse: 
wenn  sie  Busse  tun,  so  werden  sie  sogleich  allen  den  „Jungen'* 
{nuat  toTg  ein  richtiges  Ziel  vorstrecken.  Auch  ermahnt 
er  sie,  nicht  unwillig  zu  werden,  wenn  jemand  sie  straft; 
denn  von  Zweifel  ^)  und  Unglauben  umnachtet,  erkennen  wir 
oft  selbst  nicht  das  Böse,  das  wir  im  Herzen  haben.  End- 
lich fordert  er  sie  auf,  sich  durch  die  Erfahrung,  dass  die 
Gerechten  wohllehen  und  die  Knechte  Gottes  geängstet 
werden,  nicht  von  dem  Wirken  der  Gerechtigkeit  abbringen 
zu  lassen ;  er  tröstet  sie  mit  dem  Hinweis  auf  die  zukünftigen 
Güter  und  gibt  ihnen  zu  bedenkm.  Jass,  wenn  Gott  den 
Lohn  der  Gerechten  sofort  auszahlen  würde,  die  Gottseligkeit 
ein  Geschäft  w&re  *).  Mit  der  Doxologie:  „Dem,  der  allein 
Gott  ist,  dem  unsichtbaren  Vater  der  Wahrheit,  der  uns  aus- 
gesandt hat  den  Heiland  und  Fürsten  des  Lebens,  durch  den 
er  uns  aucli  oftenbar  gemacht  hat  die  Wahrheit  und  das 
himmlische  Leben,  ihm  sei  die  Ehre  in  Ewigkeit.  Amen"  — 
schliesst  die  Predigt  ab. 

1)  c.  l^,  2:  duffv/Cai  vgL  c.  11,  2.  5.  Ein  dein  Hermas  sehr  ge- 
läufiger Begriff. 

2)  Der  I^hra-sc  fc,  2u,  4):  yai  dtr  tovto  Setu  xQfai^  l'/iÄaC'f  ru  ftarr, 
ju)]  dixuioy ,  xtti  (ßüovyt  öiofAoq  lässt  ^ich  keia  Sinn  abgewiuuen« 
Hier  muss  der  Text  gründlich  verderbt  sein. 


üiyiiizoü  D 


DER  SOG.  II.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHER.  351 

Mit  wenigen  Worten  sei  die  Gesammtanffassong  vom 
Wesen  des  Christentums  bestimmt,  aus  welcher  die  Predigt 

.geflossen  ist  Nach  den  einleitenden  Ausführungen  sollte 
man  erwarten,  dass  der  Verfasser  ein  Verständnis  für  die 
<3äter  besitzt,  welche  die  Gläubigen  bereits  in  ihrem  gegen- 
wärtigen Heilsstande  erhalten  haben  und  g^essen,  und  dass 
er  den  Zusammenhang  noch  angeben  kann,  in  welchem  jene 
Güter  zu  dem  Heilswerke  Christi  stehen.  Redet  er  doch  von 
der  awTr^Qi'u,  die  wir  als  Christen  jetzt  schon  besitzen,  von  der. 
Kindsobaft,  von  der  Würde,  zu  der  uns  Christus  erhoben  hat, 
und  in  unmittelbarer  Anknüpfung  daran  Ton  der  GrOsse  des 
Leidens  Christi.  Allein  die  Predigt  selbst  zeigt,  dass  er  weder 
fÖr  das  HeiLswerk  Christi,  noch  für  den  apostolischen  Ge- 
danken von  der  Neusohöpfung  der  Gläubigen  durch  Christus 
auch  nur  das  geringste  Verständnis  hat.  Beides  liegt  gänz- 
lich ausser  seinem  Gesichtskreise*).  Somit  sind  es  nur 
Beminlscenzen,  die  er  in  c.  1  wiederholt,  und  dass  er  sie 
überhaupt  noch  biaucht,  erklärt  sich  einzig  daraus,  dass  sie 
ihm  zwar  nicht  deutlich  mehr  für  seine  eigne  praktische  Auf- 
fassung des  Christentums,  wohl  aber  noch  für  die  Apologetik 
von  Wert  sind.  Für  ihn  selbst  ^t  die  atatfi^loj  sofern  sie  sich 
schon  voUzogen  hat,  ein&ch  mit  der  aXtfoiq  zusammen.  Dies 
ist,  wenn  auch  undeutlich,  schon  aus  den  beiden  einleitenden 
Capiteln  ersichtlich  (vgl.  c.  1,  2.  8.  2,  4.  7),  wird  aber  aus 
der  Predigt  selbst  völlig  klar  (vgl.  c.  5,  1.  9,  4.  5.  10,  1. 
16,  1).  Der  Prediger  braucht  die  Ausdrücke  xetXccV  und  aitf(E<K 
für  gewöhnlich  als  Synonyma  (vgL  c.  9,  4 f.),  und  wenn  er 
ausnahmsweise  davon  abweicht,  so  versteht  er  unter  atittü^t 
eine  zukünftige,  nocli  zu  erwartende  Rettung  (vgl.  c.  8,  2. 
13,  1).  Was  Christus  seiner  Gemeinde  bisher  gebracht  hat, 
ist  also  wesentlich  nichts  anderes  als  die  sichere  Anwartschaft 
auf  ein  zukünftiges  Heil,  die  inayytUa  (TgL  c.  5,  6.  10,  3  f. 

>)  Yortiefflicb  Ist  die  kurze  Charakteristik  des  Lehrbegriflb  des 
Predigers,  welehe  Bitsohl  (a.  a.  O.  8.  287t)  gegeben  hat. 

*)  Der  Aaferstehong  Christi  gedenkt  er  niemalSi  seines  Leideos  nur 
c  1,  2.  Uebrigens  kann  schon  der  echte  Clemens  die  Anferstehnng 
Christi  entbehiett;  zwar  erwähnt  er  sie  zweimal  (c.  24  n.  42),  aber 
mcht  im  Zosammenhange  seiner  religiös -ethischen  OrondanffiMSong. 


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362 


HABNACK, 


11,  1.  7.  15,  4  u.  8.  w.);  sonst  erwähnt  der  Prediger  nur 
etwa  noch  die  Aussicht  der  Christen  auf  Gebetserhönmg* 
(€.  15,  d),  ohne  diesem  Gedanken  eine  weitere  Folge  zu  geben. 
NatOrlich  ergiebt  sich  nun  weiter  daraus,  dass  die  fiMtUta 

Tov  &(ov  rein  zukiiiiltii^  geilacht  ist:  wir  werden  erst,  wenn 
diese  Welt  vergangen  sein  wird ,  in  jene  eingehen  (vgl.  c.  5^ 
5.  9,  6.  11,  7.  12,  if.);  sie  ist  überhaupt  noch  nicht  er- 
schienen. £s  lohnt  sich,  hiebei  einen  Augenblick  zu  ver- 
weilen: die  beiden  Begriffe  toXi^a/a  und  ßumUia  tov  ^tov 
fidlen  f^x  die  Anschauung  des  Predigers  völlig  auseinander. 
Jene  ist  ein  vorweltlicher  himmlischer  Aeon  nnd  kann  nicht 
nahe  genug  an  Christus  selbst  herangerückt  werden;  sie  stelU 
sieb  aber  zugleich  jetzt  in  der  empirischen  G^emeinde  der 
Getauften  im  (Gegensatz  zu  Heiden  und  Juden  dar  als  die 
Heilsanstalt  Gottes,  die  Endehungsschule  fSr  die  künftige 
Herrlichkeit;  diese  dagegen  ist  ein  Ziikfinftif^'es ,  das  erst  er- 
scheinen wird.  Beide  VorstellunL^en  wiiken  alnr  auf  die 
Fassung  der  sittlichen  Aufgaben,  welche  in  dem  wirklichen 
Leben  an  den  Christen  herantreten «  gar  nicht  ein,  wie  denn 
auch  die  Gaben,  welche  die  Christen  als  Christen  vor  anderen 
bedtzen,  in  keine  deutliche  Beziehung  zu  ihnen  gesetzt  er- 
scheinen. Die  ursprüngliche  Vorstellung  vom  „Reiche  Gottes**, 
das  Christus  vom  Himmel  gebracht  und  auf  Erdeu  gestiftet 
hat,  ist  gespalten,  und  jeder  der  beiden  Teile  ist  vwi  der 
Dogmatik  glücklich  wieder  an  den  Himmel  und  in  das  üeber» 
zeitliche  versetzt  worden;  der  eine,  die  Kirche,  ist  an  den 
Anfang  gestellt,  der  andere  an  das  Ende.  Aber  dio  Erde 
ist  entleert  oder  vielmehr  der  Gegenwart  bleibt  nur  ein  irdi- 
sches Gehäuse  des  himmlischen  Aeons  nach,  welches  dem 
Theologen  und  Apologeten  zwar  Schutz  gew&hrt,  in  welchem 
aber  das  christlich»  sittliche  Leben  verkümmern  muss,  sofern 
es  in  dem  Banne  desselben  bleibt. 

Völlig  erschöpft  ist  übrigens  das  Heilswerk  Christi  nach 
Auffassung  des  Predigers  nicht,  indem  man  es  allein  als  Be* 
lufong  zur  himmlischen  Herrlichkeit  bestimmt^).  Christus 


1)  Man  beachte,  dass  es  in  der  Schlussdoxologie  lieisst ,  Christus 
habo  ans  das  himmlische  Leben  offenbart.   Nicht  gebracht  hat  er 


üiyiiized  by 


DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHEK.  '6b'^ 


bat  uns  zugleich  die  „Wahrheit*',  d.  h.  die  rechte  GnoBia 
Gottes,  der  der  Vater  der  Wahrheit  ist,  gebracht  (vgl.  c.  3,  i. 
19,  1.  20,  6).  Der  Prediger  legt  auf  diesen  Gedanken  (c.  3,  1) 
ein  grosses  Gewicht,  wie  alle  seine  Zeitgenossen,  und  das  ist 
sehr  ¥ei8täadlich.  Die  richtigen  Vorstellungen  von  Gott  ge- 
wonnen zu  haben,  wobei  der  Hauptnachdruck  auf  die  Er- 
kenntnis der  sogenannten  metaphysischen  Eigenschaften  fiült, 
des  rfihmen  sich  die  Heidenchristen  vor  allem  »).  üebrigens 
ist  die  Mitteilung  der  yywaig  doch  insofern  schon  in  der 
»Xriatg  mitbegriffen,  als  die  Aussicht  auf  die  Erfüllung  der 
imty/Mt ,  zu  welcher  die  k^atg  berechtigt,  die  Kenntnis  dea 
göttlichen  Wesens,  seiner  Gebote  und  seiner  Heüsreniistaltun-* 
gen  voraussetzt.  Hiemach  ist  es  nun  nicht  mehr  zu  erwarten, 
dass  der  Begriff  des  Glaubens,  wie  er  dem  Apostel  Paulus 
eignet,  dem  Prediger  noch  irgendwie  deutlich  ist.  Der  Glaube 
besteht  ihm  in  der  sicheren  HoÜuung  auf  die  zukunftige  Er- 
füllung der  Yerheissung  (vgl.  c.  11, 1  u.  sonst);  ungl&ubig  sind 
ihm  die,  die  an  der  Wiederkunft  Christi  zweifeln  (c.  17,  5); 
so  identificirt  er  c.  11,  l.  5  die  iXmg  mit  der  niang ,  wäh- 
rend er  umgekehrt  c.  19,  2  die  di^i'v/Ja  mit  der  amaua  zu- 
sammenstellt. Uebngens  braucht  er  auch  den  Begrilf  mmvur 
in  jenem  allgemeinsten  Sinne,  nach  welchem  er  das  ganz» 
Verhalten  der  Christen  gegen  Gott  umschliesst  (c  2,  3. 
15,  3.  17,  3.  30,  2).  Wenn  aber  die  Berufung  das  Heils- 
werk Christi  erschöpft  und  der  Glaube  auf  die  feste  Zuver- 
sicht zu  dem  Empfange  zukünftiger  Heilsgüter  bescliränkt 
wird,  „so  wird  das  faktische  Heilsverhältnis  des  Einzelnen 
ausschliesslich  auf  sein  eignes  Verhalten  reducirt''^.  In 
der  Tat  spricht  der  Prediger  den  Grundsatz  aus,  dass  man 
nur  durch  ErfQllung  der  Gebote  Christi  und  Keinerlialtung 
des  Fk'isches  das  ewige  Leben  erreichen  werde.  iMit  Kecht 
bemerkt  Ritsch  1,  dass  dieser  Grundsatz  der  allgemeinen 


es  alio  schon,  sondern  nur  gezeigt,  worin  es  bestehen  wird,  and  wie 

nan  zn  demselben  gelangt. 

1)  IXe  Gnosis  hat  übrigens  für  den  Verfasser  Torwiegend  praktische 
Bödeutang,  wie  für  den  Hirten  (vgl.  Mand.  If.  u.  a.  St). 

2)  Vgl.  Ritsehl  a.  a.  0.  S.  287.  Alles  hier  Bemerkte  findet  aach 
anf  die  di^gmatisdien  Anscbanimgen  des  Hirten  Anwendung. 


354 


HARNACK, 


apostolischen  Tradition  entspreche  und  nicht  im  Widerspruch 
mit  Panlns  stehe.  Aber  dem  Yer&sser  ist  die  Bedehong 
▼OlUg  unbekannt,  in  welcher  nach  apostolischer  Tradition  diese 

sittlichen  Forderungen  zu  den  ITeilsgfltern  stehen,  welche  der 
Ohrist  schon  besitzt,  eben  weil  er  von  einem  solchen  Besitz 
keine  deutliche  Vorstellung  hat Darum  entbehi-t  bei  ihm 
die  Forderung  zur  aufrichtigen  Sittlichkeit  des  religiösen 
Fundamentes:  der  Mensch  ist  bei  seinem  Verhalten  einzig 
und  allein  auf  sich  selber  angewiesen  *).  Hieraus  folgt  weiter, 
dass  die  Gerechtigkeit,  welche  Gott  für  den  Eintritt  in  sein 
zukünftiges  Reich  fordert,  lediglich  abhängig  erscheint  von 
dem  aufrichtigen  Werkdienst,  der  aus  eignen  Kräften  zu  leisten 
ist  (vgl  c.  11,  1.  7.  12,  1.  13,  1.  18,  2.  19,  2.  3.  20,  If.)^ 
Daran  musste  sich  aber  die  weitere  Vorstellung  von  selbst 
knüpfen,  dass  das  zuküuiuge  Heil  den  Gerechten  als  Luiin 


1)  Die  Taufe  ist  ihm  nQr  das  „Siegel"  (e.  7,  6.  8,  6),  d.  b.  in 
ihr  ist  die  Qewinhdt  der  jrl^oii  dem  EinzelDeD  Terhüirgt  Von  einer 
Eiafty  die  in  derselben  g^ben»  redet  er  niemals,  wohl  aber  von  den 
Verpflichtongen,  welche  sie  auferlegt  (e.  6,  9.  7,  6.  8,  6:  inQBTit  id  ^- 
ntiOft«  panülel  mit  ttigtip 

*)  Es  ist  sehr  ohamkteriBtisch,  dass  die  Mitteilnng  des  g5ttlichen 
nvtv/da  c.  14  ebenfalls  abhängig  erscheint  von  der  menschlichen  Selbst- 
tätigkeit: sie  wird  denen  als  Lohn  zugesagt,  die  ihr  Fleisch  rein  be« 
wahrt  haben.  Ein  stärkerer  Widersi)ruch  gegen  Paulus  kann  gar  nicht 
gedacht  weiden.  Allerdings  citirt  der  Frediger  einmal  (c  2,  4)  den 
Herrenspmch :  „  Ich  bin  nicht  gekommen ,  Gerechte  zu  rufen ,  sondern 
Sünder";  aber  der  Sinn  dieses  Spruches  erschöpft  sicli  ihm  in  der  Tat- 
sache, dass  die  Kirche  aus  du  Heiden  gesammelt  ist.  Somit  dient  er 
dem  Verfasser  wiederum  lediglich  zor  Fundamentirung  der  Apologetik, 
ohne  die  dogmatische  Grundanschaunng  irgendwie  zu  bestimmen, 

S)  Vgl,  hesondere  c.  11,  If. :  »J/iCiV  ory  iv  xrtdctQu  xuodia  dov).n'~ 
^»/«Sy  ^£ip ,  xu)  iaojuB^a  Ji'xcnot '  etty  &k  fÄiq  dovktvdtaiÄiv  dut  xov 
ft^  nuntvM'  ^fMS  Tff  inayytkitf  tov  ^tov  laXainoiQot  taöue^a . . ,  iar 
it^y  Tjoir^aufity  Tf]v  dtxnwavrriy  ivttyrloy  rov  (teov ,  a'ai^io/Atv  eis 
ßftaiUiav  atrrov  xt*l  kni^öfik^u  t<U  f'ntiyyeUaq.  Dieser  ganzen  Be- 
trachtungsweise musste  eine  unvollstaudige  Erkenntnis  der  Herrenspnlche, 
auf  welche  sich  der  Prediger  beruft,  Vorschub  leisten  (vgl.  c.  4,  2),  wenn 
es  eines  solchen  noch  bedurft  Iritte.  UeberflüHsig  i>t  es  fa^t,  zu  be- 
merken, dass  die  (fixfaofTi'j  /^ ,  auf  welche  der  Verfasser  di  inirt,  mit  der 
jüdi.sch  -  pharisäischen  niclits  gemein  hat.  Ueberhaupt  fordert  er  keine 
äasserlicbe  Legalität,  sondern  eine  gerechte  üerzen^esionang. 


Digitized  b;. 


DER  SOG.  n.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHER.    '6b ö 

Ton  Gott  werde  gegeben  werden  (vgL  c.  3,  3.  9,  5.  1 1,  5.  6. 

15,  1.  20,  4).  Anch  diese  Vorstellung  steht  an  sich  durch- 
aus in  keinem  Gegensätze  zu  der  Lehre  des  Ai>o>tol  Paulus; 
aber  es  fehlt  dem  Prediger  auch  hier  die  Einsicht  in  die 
religiöse  Grundlage,  auf  welcher  das  Lohnverhältnis  za  Rechte 
1)e8teht;  zadem  mangeln  ihm  fut  alle  diejenigen  fibeigeordneten 
Ansehannngen ,  welche  bei  Pftnlns  das  Schema  von  Lefstnng 
und  Lohn  modificiren  Die  Leistung  aber  einer  ausieiclum- 
deu  Gerechtigkeit  ist  nur  möglich  auf  Grund  der  Busse.  In- 
dem der  Prediger  unaufhörlich  zu  dieser  ermahnt,  kanu  er 
sich  auf  das  Gebot  Christi  berufen;  allein  er  richtet  ja  seinen 
Bnssmf  an  solche,  die  bereits  der  Gemeinde  Christi  angeboren, 
und  er  vermag  die  Busse  nur  noch  als  Abkehr  von  der  Wielt- 
lust  zu  bezeichnen.  Es  ist  aber  ein  sehr  charakteristisches 
Merkmal  der  Mattigkeit  der  Zeit  und  des  Verlustes  der  leben- 
digen sittlichen  Kraft,  dass  ein  übertriebenes  Bekenntnis  der 
ftctisehen  Heillosigkeit  des  gegenwärtigen  Zustandes  die  hoch- 
gespannten Forderungen  zu  sittlichen  Leistungen  begleitet. 
Für  eine  solche  sehr  bedenkliche  Methode  in  Predigt  und 
Unterricht  ist  bekanntlich  das  Bucli  des  Hirten,  wo  es  tadelt 
und  wo  es  ermahnt  und  verheiast,  eine  klassische  Urkunde 
ältester  Zeit  Auch  der  Prediger  gewinnt,  indem  er  über- 
spannte Forderungen  einer  sittlich  angeblich  sehr  tiefstehen- 
den Gemeinde  entgegenhält,  ein  starkes  Motiv  zur  Bussmah- 
nung: ?;djj  Ttoii  fiiTuyoi]aüJfÄ(y  '  ^toio't  yag  ia^iti'  no'hKi^i  aroiug 


1)  c  20,  8'  braucht  er  wohl  da«  Bild  von  der  Frucht;  aber  er 
liast  es  sofort  wieder  falleo.  c.  1,  4  n.  9,  10  spricht  er  von  dem  Kinde»- 
verhiltnis,  in  welchem  wir  zu  Gott  stehen;  er  benutzt  diesen  Gedanken 
aber  nicht  w^ter.  —  Eine  Ahnung  des  Biohtigen  scheint  der  Prediger 
zu  verraten,  wenn  er  das  sittliche  Yeriialten  des  Menschen  als  Gegen- 
leistung  gegen  die  von  Gott  empfangene  Gnade  (vgl.  c  1,  3.  5.  9,  7.  8. 
15,  2)  fordert.  Wenigstens  ist  damit  doch  ein  zwdtes  MotiT  ffir  den 
WillensentBchlass  sum  sittlichen  Leben  angegeben  neben  der  Aussicht» 
die  zukfinftige  Herrlichkeit  su  verdienen.  Der  Prediger  ist  diesem  Ge- 
danken, die  Dankbarkeit  zum  Motive  des  lieUigen  Ijebens  zu  machen, 
nicht  weiter  nachgegangen,  und  so  dOrfen  wir  ihn  auch  nur  an  dieser 
Stelle  erwähnen.  Aber  schon  dien,  dass  or  ihn  ausgesprochen,  zeugt  für 
die  Wärme  seines  christlichen  Gefühls,  dessen  Inhalt  die  kurzsichtige 
Beflezion  nur  noch  nicht  zu  erheben  rermag. 


356 


HABNACK, 


ml  norr^gi'ag  (c.  13,  l).  Es  ist  natürlich,  dass  solch'  forcirte 
BusBmahnuDgen  die  Schätzimg  der  Tugenden  comunpiren. 
Opera  snpererogatiimis  mfissen  gesacht  werden:  Almoeen,  Fasteot 
Oebetsleistnngen  sollen  den  Ansfall  decken;  der  Prediger  bat 

ausdrücklich  (c.  10,  4)  die  Vollkoninieiilieit  in  solchen  Lei- 
stungen gepriesen:  xaXby  ovv  iktii^ootyr^  foc  iutu^'oiu  anupTta^, 
IXuj^rufVt^  xowpiafia  uiiagriag  firfTfu.  —  üieses  sind  di»'  Grund- 

anschairangen  des  Predigers.  „Der  Widersprach  dieser  An- 
sicht nicht  nur  mit  Paulas  t  sondern  mit  den  Aposteln  fiber- 
haupt  liegt  auf  der  Hand,  und  doch  wird  der  Verfasser  in 

voller  Unbefangenheit  Anspruch  auf  die  apostolische  Begrün- 
dung seiner  Ansicht  erheben"  Es  ist  nicht  neu,  was  wir 
aus  dieser  Predigt  über  die  in  der  Heidenkirche  des  nach- 
apostolischen  Zeitalters  herrschenden  Anschauungen  gewinnen: 
aber  was  man  sich  sonst  mflhsam  aus  wenden  Besten  suchen 
und  deuten  niuss,  das  tritt  hier  zusammenhängend  und  un- 
misverstandlich  zutage,  weil  es  durch  lieine  Polemik  getarbt 
erscheint.  Daria  liegt  die  hohe  Bedeutung  dieser  Uonnlie. 
Nicht  durch  Gompromisse  zwischen  Torschiedenen  apostoÜBchen 
Traditionen  ist  dieser  vulgftr- heidenchristliche  Lehrtypus  za- 
stande  gekommen,  noch  weniger  darf  er  als  eine  DegeneratioD 
der  paulinischen  Dogmatik  bezeichnet  werden;  er  ist  das 
natürliche  Product  der  Heidenkirchc  und  ist  vor  allem  aus 
der  Weltstellung  dei*selben  zu  erklären,  —  aus  der  Welt- 
stellung, welche  sie  einnahm,  bevor  sie  tie^hende  Spaltungen 
in  ihrer  eignen  Mitte  erlebt  hatte.  Aber  stammt  diese  Pre- 
digt wirklich  aus  einer  so  frühen  Zeit? 

III. 

Um  die  Frage  zu  beantworten,  zu  welcher  Zeit  diese 
Fredigt  abge&sst  ist,  stelle  ich  zunächst  die  Beobachtungen 
zusammen,  aus  welchen  sich  der  terminns  a  quo  bestimmen 

lässt,  und  lasse  darauf  diejenigen  folgen,  welche  den  terminus 
ad  quem  begrenzen.  Einige  entscheidende  sind  bereits  im 
Yorigen  Gapitel  dargelegt;  an  diese  ist  hier  nur  zu  er- 
innern. 


1}  Ritschi  a.  a.  0. 


üiQiiizüü  by 


DiuK  SOG.  IL  BRIEF  DEÖ  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHER.  357 

1.  Die  dogmatischen  GnmdanschauungeQ  der  apoetolischen 

Zeit  siud  dem  Prediger  völlig  fremd;  er  liat  keine  derselbeu 
mehr  wie  der  römische  Clemens  und  Barnabas  in  mehr  oder 
weniger  ouverstaDdeuea  Formeln  wiederholt,  sondern  er  be- 
wegt Bich  in  einem  ganz  anderen  Gedankenkreise.  Keine 
AusfUumng  erinnert  an  die  paolinischen  Lehren.  Es  ist  doch 
mehr  ab  ein  nnaicheres  Geschmacksnrteil,  wenn  man  annimmt, 
dass  vor  dem  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts  in  der  Heiden- 
kirche so  nicht  gepredigt  worden  ist. 

2.  Das  kirchliche  Bewnsstsein,  ans  welchem  heraus  der 

Prediger  redet,  ist  in  seiner  gegensätzlichen  Bestiiuuitheit 
zur  Synagoge  dasselbe,  welches  den  Ausführungen  des  Ver- 
fassers des  Bamabasbriefes  und  des  Apologeten  Justin  zugrunde 
liegt  Wir  haben  keinen  Grund  zu  der  Annahme,  dass  die 
Heidenkirche  schon  in  yorhadrianischer  Zeit  so  bestimmt 
dieses  Bewnsstsein  an^eprägt  nnd  zur  Grundlage  ihrer  theo- 
logischen Speculationen  gemacht  hat.  Die  Theologie  des 
Predigers  aber  erscheint  wesentlich  durch  die  Apologetik  be- 
einflusst.  c.  2,  3  behauptet  zudem  der  Verfasser,  die  Zahl 
der  Christen  sei  bereits  grosser  als  die  der  Juden.  Wir  wer- 
den nicht  irren,  wenn  wir  annehmen,  so  habe  man  Tor  den 
Jahren  120 — l3ü  nicht  gesprochen. 

8.  Auch  zu  den  Formeln,  in  welche  der  Verfasser  seine 
nttUchen  Ermahnungen  gekleidet  hat,  zu  der  ganzen  Weise 
seiner  Paribiese  findet  dch  in  keiner  ftlteren  Schrift  eine 

Parallele  als  in  dem  Buche  des  Hirten.  Hier  aber  bieteu 
sich  überraschende  Verwandtschaften 

4.  Der  Verfasser  bekfimpft  die  Martyriums- Scheu,  setzt 

also  blutige  Verfolgungen  voraus  (c.  4,  4  —  5,  4.  10,  3  f. 
17,  7). 

5.  Aus  den  christologischen  Specuktionen  ISsst  sich  für 

Bestimmung  des  terminus  a  quo  nichts  folgern  (nur  die  Pa- 
rallelen zu  der  Christologie  des  Hirten  sind  wiederum  zu  be- 


^)  Vgl  Hagemann  In  der  Tübinger  TheologiBchen  QnartalBctarift 
1861,  8.  622-680. 


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358 


HARNACK, 


rficksichtigen);  aach  die  Oleichgflltigkeit  gegen  die  Unter* 

scbeidung  von  ^^^^o^  und  Xoigtoq,  wo  es  sich  uui  die  Begrün- 
dung  des  lelie^iösen  Verhältnisses  bandelt  und  die  tlieologische 
Speculatioü  unbeteiligt  ist,  bietet  keinen  siebern  Anhalts- 
punkt. Ebenso  wenig  Itot  sich  daraas  etwas  sicheres  schlies- 
sen,  dass  der  Prediger  alttestamentliche  Sprftche  auf  Christus 
zarfickf&hrt  (c.  3,  5.  13,  2.  17,  4;  vgl.  Barn.  5,  6:  o{  npo^ 

Endlich  ist  es  auch  kein  Zeichen  späterer  Zeit,  dass  sieb  der 
Frediger  auf  Herrensprüche  in  derselben  Weise  beruft  wie 
auf  das  Alte  Testament;  denn  von  Anfang  an  ist  yon  dea 
Aposteln  und  in  den  Gemeinden  den  Herrensprfichen  gleiche 

Autorität  beigelegt  worden  wie  der  Schrift  Alten  Testaments. 
Wohl  aber  ist  es  wichtig,  dass  c.  8,  5  ein  Herrenspruch  mit 
der  Formel:  ?./ya  yug  o  xtgwg  iiayytUt^  eingeführt 

wird,  c.  3,  4  ein  anderer  mit  den  Worten:  ml  iz4^  6i 
ygotfTi  Uyfif  und  c  13,  6  ein  dritter  mit  der  Formel:  JJyu 
0  d-tog.  Hieraus  folgt,  dass  zur  Zeit  des  Predigers  bereits 
Evangelienschriften  gelesen  wurden,  die  als  Sammlunp:en 
von  Herrenworten  (so  dürfen  wir  wohl  annehmen)  in  gleicheua. 
Ansehen  standen  mit  den  Schriften  Alten  Testaments.  Das 
älteste,  allerdin^  beanstandete  Zeugnis,  ffir  die  Gleichstellung 
einer  Herrenworte -Sammlung  mit  dem  Alten  Testament  findet 
sich  bekanntlich  bei  Barnabas  (vgl.  c.  4,  14).  Bei  Justin 
ist  die  Gleichstellung  völlig  deutlich  (vgl.  Apol.  I,  67:  t« 
anOf*vij/*oyiVfiaiu  %(av  iaioüxiXMv      tu  avyyQaf.tf.taTa  ruiy  ttoo- 

^üiy  ayaytvwaxtTtu),  Zwischen  Justin  und  dem  Prediger 
besteht  aber  weiter  die  frappante  üebereinstimmung,  dass  sie 
beide  in  gleicher  Weise  das  christliche  Gesetz  auf  Grund  der 

Herrensprüche  anbauen,  ohne  dabei  irgendwie  auf  aposto- 
lische (paulinische)  Weisungen  Rucksicht  zu  nehmen.  Doch 
ist  diese  Beobachtung  bereits  geeignet,  Erwägungen  über  den 
terminus  ad  quem  der  Abfossungszeit  der  Predigt  herrorzu» 
rufen. 

Es  ist  mit  einiger  Sicherheit  zu  behaupten,  dass  die 
Predigt  nicht  vor  der  Mitte  der  Rof^ieninü^szeit  Hadrians  ent- 
standen sein  kann,  dass  man  den  terminus  a  quo  mithin  etwa 
um  das  Jahr  130  ansetzen  darf;  wahrscheinlich  ist  es,  dasa 


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DER  800.  U.  BRIEF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTHEE.  359 


er  noch  um  ein  Geringes  später  *).  An  die  Identit&t 
des  Predigers  mit  dem  Verfasser  des  ersten  Clemensbriefes 
ist  natflrlieh  nicht  zn  denken.  Anscbannngen  nnd  Stil  sind 
völlig  verschieden-):  das  römische  Gemeindeschreiben  stammt 
zudem  sicher  aus  dem  letzten  Becenniom  des  ersten  Jahr- 
hunderts. 

Für  die  Bestimmung  des  terminns  ad  quem  bieten  sich 
folgende  Beobachtungen. 

1.  Die  Lehre  von  der  Kirche,  welche  der  Prediger  ver- 
'Icflndigt,  steht  lediglieh  unter  dem  Einflüsse  der  Apologetik; 
der  Frediger  sieht  sich  durchans  noch  nicht  genOtigfe,  auf  die 
Unterscheidung  zwischen  einer  wahren  Kirche  und  häretischen 
Afterkirchen  aufmerksam  zu  machen.  Es  fehlt  also  die  Auf- 
fassung von  der  katholischen  Kirche,  wie  sie  sich  im 
Gegensatze  zu  den  gnostischen  Gemeinschaften  allmählich 
herausgebildet  hat,  noch  völlig.  Somit  wird  auch  die  Kirche 
noch  nicht  als  die  Hüterin  einer  reinen  Lehre  im  Gegensatz 
zu  den  Irrlehren  TorgefBhrt  üeberhaupt  fehlen  die  Begiiffe: 
apostolische  Tradition,  Lehrautorität,  bischöfliches  Amt 
u.  s.  w.  giinzlicb.  Keine  der  dogmatischen  Grundauschauun- 
gen  des  Verfassers  ist  durch  irgend  eine  iunerkirchliche  Po- 
lemik schon  bestimmt  Also  ist  seine  Schrift  nicht  etwa  nur 
Yor  dem  relativen  Abschluss  der  gnoslaschen  Kämpfe,  vor 
völliger  Ausscheidung  der  Häretiker  aus  der  Kirche,  geschrie- 
ben, sondern  sie  ist  mit  Sicherheit  einer  Zeit  zuzuweisen,  in 


1)  iHiriten  wir  annehmen,  dam  der  Bamabasbrief  und  unsere  Pre- 
digt aus  derselben  Kirche  Btsminen,  so  wäre  die  Predigt  nach  'lein 
Briefe  zn  setzen;  allein  eine  solche  Annahme  ^räre  nicht  nur  gnmdloSy 
sondern  positiv  unwahrscheinlich.  —  Die  unsicheren  Beziehungen  in 
c.  1,  1  und  c.  14  auf  eine  in  der  Gemeinde  geltende  GlanUensregel  lassen 
keine  Schlüsse  behufs  Bestimmung  des  terminns  a  quo  zu.  Ebenso  wenig 
gestattet  die  beiläufige  Polemik  gegen  solche,  die  da  behaupten,  dass 
das  Fleuch  weder  gerichtet  werde,  noch  aoferstehe  (c.  9,  l),  einen 
zwingenden  Schlnss  auf  diesen  terminus. 

3)  Es  ist  nicht  nacbweiabar,  dasa  der  Prediger  den  ersten  Ckmens- 
brief  gelesen  bat. 

3)  Ein  Bischof  wird  nicht  erwähnt;  c.  17,  3.  5:  nneaßvregoi.  Das 
jr«Tf/fiv  ist  noch  Aufgabe  aller  Christen  (c.  17,  1).  Eine  Unterschei- 
dung Ton  Eatecbumenen  ist  noch  nicht  nachweisbar,  auch  nicht  c.  19*  1. 


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360 


welcher  iuuerkirchliche  Gegensätze  uoch  gar  nicht  deutlich 
zur  Aussprache  gekommen  sind;  denn  die  Polemik  gegen 
diejenigen  „Gaostiker^S  welche  man  in  c.  9,  1  gefunden  hat, 
ist  gewisB  80  alt  wie  die  Heidenkirche  selbst  Man  muas 
daher  behaupten,  dass  die  Predigt  spätestens  nm  160  abge- 
fasst  sein  kann,  mag  sie  nun  in  Alexandrien,  Kleinasieu  oder 
Rom  entstanden  sein.  Alles  aber,  was  hier  von  dem  Cha- 
rakter der  Predigt  ^resagt  ist ,  das  gilt  auch  vom  Buche  des 
Hirten:  eine  solche  Polemik  gegen  Iirlebren,  wie  sie  der 
Hirte  fahrt,  wftre  auch  bei  dem  Yeiftsser  der  Predigt 
denkbar. 

2.  Die  Speculationen  des  Verfassers  über  das  Aeonea- 
paar  Christus  und  Kirche  hätten  sich  im  Zeitalter  des  Irenäos 
kirchlichen  Theologen  von  selbst  verboten.   Audi  die  naive 

Vorstellung,  Christus  habe  nur  eine  menschliche  <t«(7^  ange- 
nommen, und  die  unentwickelten  Aussagen  über  da^  Verhältnis 
TOD  nywiita  uud  ouQ^  legen  für  eine  frühere  Zeit  Zeugnis  ab. 
Die  Logos-Christologie  ist  dem  Prediger  wie  dem  Hirten 
noch  unbekaimt.  Auch  diese  Beobachtungen  fähren  in  das 
zweite  Drittel  des  zweiten  Jahrhunderts. 

3.  Der  Verfasser  beruft  sich  allerdings  schon  auf  £van* 
gelienschriften  als  r^^o/,  mindestens  auf  eine  als  f^^, 
wayyiXti^.  Bs  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  alle  Herrensprfldie, 
die  er  citirt,  einem  oder  mehreren  Evangelien  entnommen 
sind,  und  ob  der  Prediger,  falls  er  mehrere  kannte  —  was 
wahrsclieinlich  ist  ^)  — ,  allen  die  gleiche  Autorität  als 
Schriften  beigelegt  hat.  Soviel  aber  ist  gewiss,  dass  er 
zwischen  den  Herrensprfichen,  die  er  einfährt,  keinen  Unter- 


Neben  c.  9,  If.  kommt  nur  noch  die  SteUe  c.  10,  3 — 5  in  Be- 
tracht, wo  von  solchen  gesprochen  wird,  oV  i-nifxetfovciy  xaxodidaaxa'Aovt^^ 
Tff  tag  (hatriovg  tpvx^g.  Ihnen  wird  ein  nagayeiv  <f6ßovg  dy^gioni- 
vovs  vorgeworfen  und  gesagt,  dass  sie  verkennen,  welche  Qualen  ein 
weltf<»rmige8  Leben  nach  sich  zieht.  Es  mögen  diese  Leute  immerhin 
(Jjiostiker"  gewesen  sein,  wie  die  Irrlehrer,  welche  Hcrma«  bek:imi>ft. 
Daä  Entscheidende  aber  ist,  dass  der  Prediger  sich  uoch  nicht  veranlasst 
siebt,  theoretisch  sich  mit  ihnen  auseinanderzusetzen. 

Es  spricht  wenigstens  nichts  dagegoi,  dass  er  das  Matthäus« 
and  Lucas -ETangeliam  geleaea  hat. 


I 

DER  SOa.  n.  BRIEF  DES  OLBMBES  AN  DIB  KORINTRER.  361 


schied  macht,  und  daas  eine  beträchtliche  Zahl  dieser  Heiren- 
sprfiche  äea  Wer  Evangelien,  welche  im  letzten  Viertel  des 

zweiten  Jahrhunderts  allein  kirchlich  gebraucht  wurden,  nicht 
angehört  Das  Mumtorische  Prat^mient  /.eigt,  dass  man  in 
Kom  um  170  — 180  von  anderen  Evangelien  nichts  wissen 
wollte  als  von  jenen  vieren.  In  den  fibrigen  Landeskirchen 
wird  es  damals,  wie  wir  vermuten  dürfen,  nicht  anders  ge- 
wesen sein. 

4.  Das  £vangeliam  Johannis  benutzt  der  Prediger  nicht; 
er  verr&t  Oberhaupt  keine  Kenntnis  der  johanneischen  Schriften. 

5.  Ein  neutcstaraontlicher  Schriftenkanon  exiatirt  lur  ihn 
noch  nicht.  Zwar  ist  oben  bemerkt  worden,  dass  er  sich  aof 
Evangelien  ebenso  beruft  wie  auf  das  Alte  Testament,  aber 
eben  deshalb  nur,  weil  die  Evangelien  die  Herren  werte  ent- 
halten, c.  14,  2  will  der  Prediger  erweisen,  dass  die  Kirche 
eine  himmlisclio ,  vorzeitliche  Existenz  gehabt  habe;  er  sagt: 
€VK  ftSofUu  6i  vfiOQ  ayyo^y,,»f  ori  t«  ßgßXla  ual  oi  ani- 
otoXot  tip^  ixxkfjakty  ov  vvy  iirm  aXXa  arw9ty  {^iSiaKovaty). 
Tai  ßißXia  sind  zweifellos  die  Schriften  Alten  Testaments*); 
Ol  ttnotJToXol  lieziclit  sich  also  auf  die  gesammte  aposto- 
lische Tradition,  die  dem  Prediger  Autorität  ist,  ohne  dass 
er  hier  an  eine  schriftliche  Fixirung  derselben  appellirt 
Unter  ol  iaioarolot  können  vielleicht  auch  die  Evangelien  mit 
einverstanden  sein  als  ano^iyrjfioywfiaTa  rtay  anofniXmy.  Allein 
das  ist  nicht  wahrscheinlich;  denn  hätte  dem  Verfasser  ein 
Herrenwort  für  seinen  Lelirsatz  von  der  Kirche  zu  Gebote 
gestanden,  so  hätte  er  gewiss  ra  ßißUa  Koi  o  «v^io; ,  oder 
vielleicht  auch  schon  t«  ßißUa  xol  to  UwffÖuQv  gesdirieben. 
Somit  bringt  uns  diese  Stelle  eine  neue  Einsicht:  dem  Pre- 


1)  Vgl.  Hilgenfeld,  Apostolinche  Väter,  S.  1211  Der  Prediger 
kannte  das  sogenannte  EvaDgchuui  »kr  Acgyptor. 

8)  Vgl.  Hilgenfeld,  Einleitung  in  das  Neue  Testament  (1875), 
S.  29 f.  Es  ist  nicht  nachweisbar,  so  viel  mir  bekannt,  dass  man  im 
zweiten  und  dritten  Jalirhundcrt  die  Evangelien  sclilechthin  r«  ^^ßUa 
genannt  hat.  Somit  ist  es  unstatthaft,  in  der  oben  angeführten  Stelle 
XU  ßißXia  auf  die  Evaugclien,  ol  dnotnokoi  auf  die  noutestamentlichen 
Briefe  zu  beziehen. 

SaitMhr.  f.  K.-0.  S4 


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362 


HAENAGK, 


diger  ist  Autorität:  1)  das  alte  Testament;  2)  die  Herren- 
worte, und  zwar  schon  in  scliriftlich  fixirter  Form  ;  o)  die 
Weisungen  der  Apostel;  —  diese  aber  sind  för  ihn  noch  nickt 
in  einem  „Apostoloe*'  gnuaminengefiwet.  Letztere  Beobachtung 
ist  nnn  nicht  geeignet,  den  terminns  a  quo  der  Zeit  dee  Pre- 
digers bestimmen  zu  helfen,  wie  mau  meinen  könnte,  wohl 
aber  wird  durch  dieselbe  der  ternuuus  ad  quem  b^euzt 

6.  Eine  besondere  Anfmerlminkeit  verdient  noch  das 

Verhältnis,  in  welcher  unsere  Predigt  zu  den  [►auliuiscbeu 
Briefen  steht.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  der  Verfasser 
Paulusbriefe  gelesen  hat;  völlig  sicher  erweisen  lässt  es  sich 
nicht  ans  der  Homilie Ist  dieselbe  zwischen  130  und  160 
abge&sst,  so  darf  man  die  Frage  der  Bekanntschaft  mit  paa- 
linischen  Briefen  doch  wohl  a  priori  im  bejahenden  Sinne 
entscheiden.  Um  so  auffallender  kann  das  Schweigen  des  Pre- 
digers erscheinen;  aber  es  ist  nicht  mehr  so  auffallend,  wenn 
wir  seine  Zeitgenossen,  Hermas  und  Justin,  mit  berücksich- 
tigen. Anch  Justin  baut  das  christliche  Gesetz  nur  auf  Grand 
der  Herrensprüche  an  und  schweigt  über  Paulus  (s.  o.);  Her- 
mas benutzt  paulinische  Gedanken ,  ohne  ihren»  Ursprung  an- 
zugeben. Wird  nicht  auch  der  Prediger  den  Lehrsatz  von 
der  Kirche  als  dem  Leibe  Christi,  den  er  so  zuversichtlich 
eingef&hrt  hat  (c.  14,  2:  ovk  cXopm  6i  lnäq  ayyo^  on 
fxxX9;ata  t^uksa  auifiu  taiiy  X^ioiüv)^  dem  Paulus  verdanken? 


1)  Zur  Verglcichung:  Hegesipp.  ap.  Stoj.h.  Hobar.  in  Photii  Biblioth. 
232,  p.  2»S8 :  TtSy  rt  d^Utov  yqaqpöiv  xu\  tov  xvQiov  Xsyomog.  Hegcsipp. 
ap.  EiLscb.  Hist.  eccl.  IV,  22,  3:  o  vofAoq  xrjQtHran  xni  ol  tt^o^pf/t«» 
weit  6  xil^toi.  PapiaB:  Xöyut  xvQiaxn.  Polyc.  ad  Philipp.  G,  2:  xa^tif 
avtof  i¥8T9ikato  xai  ol  tvayyeXiaä/ievoi  ^fui^  dnoctoXoi  xai  ol  nqo^ 
tfi^tu»  2  Pete*  8«  2:  fiyyja&rfyai,  räiy  nQosiQtjfj.h'aiy  Q^fuittay  vno  rtüv 
^ty^uP  ntpMf^t^  xcri  xfäv  dnoatoXtay  i^/atSy  iyroXijg  jov  xv^iw  »ol 
Dionys.  Cor.  ap.  Euseb.,  Higt  eocL  IV,  33,  12:  cd  xvquouU 
ffftt^nL  Justin.  ApoL  1 ,  67 :  xa  dnof^ytjfiovBv/ÄaTtt  TtSv  tinoaxoXtw, 
%  Petr.  3,  1^  Fragm.  Morat.  77  f.  ücbrigens  beachte  man ,  dass  Pan- 
lus  selbst  in  gewissen  Fälkn  seiiien  Weismigea  die  gkiche  Aatorität 
beigelegt  hat  wie  den  Ylerrenworten. 

s)  MögUoh  wt  anch  die  fienutsiing  des  eisten  Petras-  and  des 
Hebrfierbriefes. 


Uigiiizea  by  G' 


DER  80Q.  n.  BKIfiF  DGS  GLEUENä  Aü  DIE  KOmNTHEft.  363 


Die  üraadien  dieses  Schweigens  zn  erörtern,  welches  kaum 
mehr  ein  zufalllgeä  genamit  werden  darf,  würde  hier  zu  weit 
fflhren  i). 

Comhinirt  maQ  alle  diese  Beohaditniigeii,  so  darf  man 
das  Eigebois  fSr  ein  sehr  wohl  gesichertes  erochteo,  dass  die 
Predigt  swischen  130  und  160  abgefasst  ist.    Aber  man 

kann  noch  einen  Schritt  weiter  gelien.  Die  Verwandtschaft 
der  Predigt  mit  dem  Buche  des  Hiii;en  ist  eine  so  grosse, 
dass  es  nicht  aUankühn  ist,  zu  behaupten^  daes  beide  Schrift- 
stflcke  ans  derselben  Gemeinde  stammen,  d.  h«  der  römi- 
schen^. Wir  haben  oben  gesehen,  dass  die  Geschichte  des 
sogenannten  zweiten  Clemensbriefes  in  der  Kirche  dieser  Hy- 
pothese durchaus  nicht  ungünstig  ist.  Dann  aber  muss  die 
Predigt,  wenn  hier  ein  Schluss  erlaubt  ist,  in  die  ersten  bei- 
den Deoennien  des  dnrch  die  Jahre  130  nnd  160  bezeichneten 
Zeitranms  &llen;  denn  in  Rom  bitte  man  nach  150  gewiss 
anders  gegen  Irrlehrer  gepredigt,  sobald  man  überhaupt  pole- 
misirte.  Der  Abschnitt  c  9  o.  10  der  Predigt  hätte  anders 
gelautet 

Anf  die  Gombination  des  Yerftssers  dieser  ersten  Christ» 
liehen  Predigt,  die  wir  besitzen,  mit  dem  bei  Hermas  (Vis. 

11,  4)  genannten  Clemeus,  der  für  einen  Zeitgenossen  des 

1)  Erinnern  möge  man  sich  hiehei,  dass  in  den  Acta  Panli  et 
Theclae  die  Reden,  welche  Paulus  in  den  Mund  gelegt  werden,  nach  dem 
Muster  der  Bergrede  und  <ler  Redestiick»'  in  der  Apostelgeschichte  com- 
l)onirt  sind.  S^nc  eignen  Briefe  sind  üchlechterdings  gar  nicht  dabei 
beräcksichtigt  worden. 

Die  Verwandtschaft  ist  von  Schw»'gler  (Nachapost.  Zeitalter 
I,  S.  450),  RitHchl  (a.  a.  O.  S.  288),  IIa  gern  an  n  (Tübinger  Theol. 
QuartaLschr.  18(>1,  S.  521  f.),  Skworzow  (Patrolog.  Untersuchungen 
[1875],  8.  47.  5i)— 55)  bemerkt  worden.  Ilagoniann  gebiirt  das  Ver- 
dienst, zum  ersten  Mal  ausführlich  das  VcrwundtHcluiftsverhältnis  dar- 
gelegt zu  haben.  Auf  Orund  d<»88cll>en  hat  er  beroitij  die  Vermutung 
ausgesprochen,  der  sogenannte  zweite  OlenKmsbricf  sei  <las  Begleitsclirei- 
ben  zum  Buch  des  Hirten  gewesen  (Vis.  II,  4);  er  luilt  aber  noch  daran 
fest,  dass  der  dort  erwähnte  Clemens  der  Ijeriihnit^?  römische  sei,  zn 
dessen  Zeitgenossen  sich  der  Verfasser,  der  sich  für  ältfr  ausgeben  wolle 
als  er  ist,  unreclitinüssigcrweise  mache.  Weil  man  den  sogenannten 
zweiten  Clemensbrief  für  den  Hrief  des  Sot<T  halten  zu  mnsgen  glftobte, 
80  würdigte  man  nicht  gebüiend  das  Verbältois  zum  Hirtx'n. 

24* 


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3G4  HARNACK,  n.  BRUIF  DES  CLEMENS  AN  DIE  KORINTIIEB. 

Hennas  gehalten  werden' mn»,  verrichte  idi,  obgleieb  ich 

nicht  verhehlen  kann,  dass  sie  lockend  erscheint  Nur  das 
Eine  sei  bemerkt,  dass  nach  c.  17,  3.  ö  u.  18  es  wahrschein- 
lich ist,  dass  der  Prediger  dem  Clems  Borns  so  wenig  an- 
hört hat  wie  Hemaas.  Laienpredigten  waren  damals  trotz 
Jnstms  Angahe  (Apol.  I,  67)  gewiss  noch  nichts  Seltenes*). 
Auf  welchem  Wege  die  Predigt  in  das  Morgenland  s<>  s}>at 
gedrungen  ist,  ist  nicht  mehr  zu  ermitteln;  aber  diLss  sie, 
einmal  als  uralte  Urkunde  der  römischen  Kirche  anerkannt, 
dem  berflhmten  Clemens  beige^gt  wurde,  hat  nichts  Auf- 
fidlendes;  es  wftre  allerdings  noch  hegreiflidier,  wenn  man 
annehmen  dürfte,  dass  die  Predigt  in  der  Ueberschrift  von 
Anfang  ao  und  mit  Kecht  den  Titel  jov  Kkt^fityrog  ge- 
führt hat. 


1)  SkAVLfrzow  (a.  a.  0.)  ist,  wie  es  scheint,  imabluiugig  von 
Hagem  an  11  auf  die  Identificirung  des  vun  llenua«  genannten  Clemens 
mit  dciu  Verfasser  des  sogenannten  zweiten  Olemciisbriefe«  verfallen. 
Er  leugnet  aber,  dass  Hermas  Vis.  IT,  4  den  btTuhmten  Cb^mens  gi»- 
meint  hal>c,  und  l>rancht  deshalb  niclit,  wio  Hagemann,  den  fiogenannt*  n 
zweiten  IJriet  für  ein  dem  Clemens  untergeschobenes  Schreibi^n  zu  luilten. 
Diese  wehr  beaclitenswerte  .^nsiclit  hat  Skworzow  durch  eine  bodenlos 
wiUkiirliche  Erklärung  des  zehnten  Capitels  zu  stützen  gesucht. 
VgL  Th.  Uarnack     a.  0.,  8.  244f. 

[12.  Mai  1876.1 


Z«r  Geschichte  der  Ethik. 

Vinoenz  von  Beauyais  und  das  Specolum  morale« 

Von 
Dr.  Oasö« 


L 

Mebr  ab  ein  halbes  Jahrhundert  ist  vergangen,  seit 
Friedrich  Christoph  Schlosser,  dessen  hundertjähriger  Geburts- 
tag in  den  laufenden  Monat  f^llt  dem  merkwürdigen  Ency- 
klopfidiker  Vinoenz  von  Beanvais  eine  Monographie  gewidmet 
hat  Es  war  eine  seiner  frflheston  grosseren  Sdiriften  —  die 
erste  gilt  der  Geschichte  der  bildei*stürmenden  Kaiser  — ,  doch 
sie  ven*üt  durchaus  sclion  den  üni Versalhistoriker  und  um- 
fassenden Kenner  der  Literatur  und  zugleich  den  Schriftsteiler 
¥on  kr&ftiger  Qesinnnng,  welcher  fiberall  aufinerksam  wird« 
wo  er,  sei  es  auch  in  mönchischem  Gewände,  Herz  und  Ver- 
stand Terbanden  findet.  Was  ihn  zunächst  anzog,  war  das 
vielgenannte  „Lehrbuch  für  königliche  Prinzen  und 
deren  Erzieher*'  (De  institutione  filiorum  regiorum  seu 
nobilium),  welches  er  daher  in  dentscher  Uebersetzong  voran- 
stellt, weiterhin  aber  mit  ansfOhrlichen  Abhandlungen  Aber 
Gang  und  Zustand  der  sittlichen  und  gelehrten  Bildung  in 


1)  So  eben  bat  die  üniveraitftt  Oeiddheig  diesen  Tag,  den  17.  No- 
Tember>  dorcb  ehie  akademisehe  Rede  des  Profeeeor  Erdnuumsdörflfor  ge- 
feiert, mudidem  sehon  Dr.  0.  Weber  eine  leiofahaltige  „FesftMfarift"  yor- 
angceehiokt:  Fr.  Chr.  Sehloeser  der  Historiker,  ErinnernnguMatter 
MB  seinem  Leben  und  Wirken,  Leipzig  1876. 


366 


Frankreich  bis  ztan  13.  Jahrhundert  und  im  Laufe  desaelben 
begleitet 

Nodi  jetzt  wird  niemand  ^eses  Bfiehlein  ohne  Anteil 

lesen.  Wir  vernehmen  den  Münch,  aber  auch  nicht  weniger 
den  pädagogisch  und  didaktisch  durchgebildeten  Lehrer  und 
Batgeber,  der  die  Wege  intellectueller  und  sittlicher  Ent- 
wicklung wohl  kennt,  sie  von  den  Abwegen  zu  untersdieideii 
und  gegen  Fehlgriflfe  sieher  zu  stellen  weiss;  und  ein  grosser 
Teil  dessen,  was  er  einschärft,  behauptet  unttT  veränderten 
Formen  noch  gegenwärtig  sein  Recht.  Jeder  Inhalt,  so  lautet 
seine  Bede,  muss  unter  das  Gesetz  der  Methode,  jede  Fähig- 
keit unter  das  BUdungsmittel  der  Zucht  gestellt  werden,  nur 
so  entsteht  wirkliche  Aneignung.  Die  Abbftngigkeit  vom 
Lehrer  geht  notwendii^  voran,  die  freiere  üebung  mit  eigeuein 
Nachdenken  muss  folgen,  bis  ein  selbständiges  Studium  mög- 
lich wird.  In  der  Beligion  sucht  alle  Weisheit  und  Erkenntnis 
sei  es  ihren  H(^hepunkt  oder  ihre  Grundlage.  Die  Demut  und 
der  Gehonttm  unter  richtiger  OMiut  des  Erziehers  sind  die 
beste  Vorschule  der  Freiheit  und  des  Charakters.  Der  Unter- 
richt selber  hat  mit  der  Sprachwissenschaft  zu  beginnen,  an 
welche  sich  dann  Uebung  im  mündlichen  Vortrage  und  im 
Sohleiben,  Logik  und  Grammatik,  Anleitung  zur  Disputation 
anschliessen  werden.  Alles  Wissen  bleibt  unfruchtbar,  so  lang« 
dUvS  Vermögen  der  Anwendung  fehlt,  und  dieses  zu  wecken, 
werden  wir  durch  die  Eigenschaften  des  jugendlichen  Alters 
in  jeder  Weise  aufgefordert.  Was  denmuchst  über  BehenachttUg 
und  Abhärtung  des  Leibes,  Strafen,  Betragen,  Umgang  und 
geselligen  Terkehr  und  Anstandstugenden  gesagt  wird,  ist 
meist  noch  heute  walir,  vieles  fein  und  treü'end;  und  selbst 
über  die  Bedingungen  des  ehelichen  Glücks  weiss  er  bessere 
Auskunft  zu  geben,  als  man  voi»  einem  Dominiumer  erwai-tett 
sollte.  Doch  Tenaten  sich  hier  und  noch  mehr  bei  den  An- 
weisungen über  weibliche  Erziehung  die  VorurteUe  seines 
Standes,  der  Ma^sstab  ist  in  letzterer  Beziehung  beinahe  ein 


1)  Fr.  Chr.  SehloBser,  Yinoenz*  von  BeauTais  Lehrbuch  fftr 
k5nigliche  Prinzen  und  ihre  Lehrer,  als  voDstftndiger  Beleg  so  drei  Ab- 
handlungcii,  2  Teile,  Fiankfiirt  a.  H.  1819. 


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ZU£  Q£SCHICHT£  D£B  ETHIK. 


367 


noimenhafter.  Auch  schliesst  das  Ganze  mit  einer  Anpreisung 
der  ewif^en  Jungfrauschaft,  indes  ist  dieser  liat  ungefährlich 
geblieben;  von  den  französischen  Prinzen  und  Prinzeasinneu 
damaliger  Zeit  hat  nieniand  ihm  folgen  wollen. 

Neben  diesem  Emehnngslmch  vereetaen  nne  die  groflsen 
Arbeiten  dieses  Mannes  in  das  weite  Gebiet  der  Weltliteratur, 
welches  damals  kein  anderer  in  gleicher  Vollständigkeit  über- 
sah; es  sind  die  drei  grossen  Spiegelbilder,  das  Speculum 
hietonale,  natorale,  doctrinale,  welche  zusammen  als  Speculum 
inajufl  einen  Inbegriff  des  vorbandoien  Wissens-  und  Brkenn1>- 
uisstofles  aus'/üglich  überliefern  wollen.  Auszüglich  sagen  wir, 
denn  zu  eigner  Production  entzieht  sich  der  Schriftsteller 
beinahe  den  Kaum,  er  will  sammeln,  anordnen,  verknüpfen, 
meist  nur  in  der  Composition  und  Auswahl  und  in  mancherlei 
Zwischenbemerkungen  zeigt  sich  ein  selbstSndiger  Wille  und 
Geist.  Dennoch  ist  mit  Recht  behauptet  worden,  dat^  ein 
Compilator,  der  von  Citateu  und  Lesefrüchten  lebt,  der  sich 
selber  in  jedora  Augenblick  das  Wort  abschneidet,  indem  er 
fremde  Quellen  unablässig  auf  sich  einwirken  Ifisst,  darum 
noch  keineswegs  zu  den  Leerk9pfen  gerechnet  werden  müsse. 
Schlosser  hat  ihn  besser  verstanden.  Zu  diesem  Zweck  ver- 
folgt er  in  ausfuhrlicher  Abhandlung  den  Gang  der  wissen- 
schaftlichen Bildung  und  die  Entwicklung  der  Klosterschulen 
seit  Karl  dem  Grossen.  Zwei  Denk-  und  Lehrweisen  gehen 
neben  einander  her,  die  eine  fuhrt  zur  dialektischen  Kunst  und 
Methode,  als  Scholastik  wird  sie  die  Vertreterin  der  höheren 
Wissenschaft;  die  Bettelmönche  bemächtigen  sich  unter 
Ludwig  IX.  der  Katheder;  im  Streite  der  Bettelorden  mit  der 
UniTeiat&t  unterliegt  die  letztere,  Wilhelm  yon  8t  Amour 
musB  weichen  und  seihst  der  Etoig  stellt  sich  auf  die  Seite 
jener.  Daneben  hat  sich  aber  auch  eine  andere,  mehr  päda- 
gogisch geartete,  dem  pi-aktischen  Nutzen  und  der  Sitten- 
bildung  dienende  Tendenz  aufrecht  erhalten  und  diese  wird 
durcb  die  Lehrer  des  Klosters  vom  heiligen  Victor  repr&sentirt, 
ebenso  durch  Männer  wie  Johannes  von  Salisbury,  welcher  den 
Aristoteles  als  den  Verderber  der  rechten  Forschung  aiikhigt, 
weil  er  alle  Wahrheit  mit  den  Spinnengeweben  der  Distinction 
verschleiert  habe. 


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368 


QAflS, 


lu  diese  Keilie  gebort  unser  Vincenz,  welcher  das  Dida- 
8€alioain  des  Hugo  Tom  heiligen  Yiotor  benatsEt  hat ;  sdiohutiaehe 
Kunst  und  Demonstration  venneidet  er  durchans,  sein  uni- 
verseller gelehrter  Trieb  föhrt  ihn  statt  dessen  zu  einer  um- 
fassenden Kenntnisnahme  von  allen  Gebieten  menschlicher 
Wissenschaft.  Die  Absicht  seines  Hauptwerks  geht  dahin, 
ivas  seit  Anfang  der  Dinge,  sei  es  als  Handlung  oder  als 
Denktätigkeit,  von  Menschen  ausgegangen,  was  .in  der  sicht- 
baren und  unsichtbaren  Welt  geschehen  sei  und  fortbestehe, 
in  wohlgeordneten  üebersichten  zusammenzufassen.  Si'hon  als 
blosses  Vorhaben  würde  heutzutage  ein  solcher  Gedanke 
Schwindel  erregen,  damals  konnte  er  in  einem  gedächtnia- 
starken  und  allseitig  empfänglichen  Kopfe  nicht  nur  entstehen, 
sondern  auch  mit  relativer  Yollkommenheit  angefahrt  werden, 
aber  freilicli  nur  so,  dass  der  sammelnde  Fleiss  und  ein- 
teilende Verstand  die  erfindende  Geisteskraft  und  freie  Ge- 
dankenbihlung  grösstenteils  auräckdrftngte,  nur  durch  An- 
'reihung  von  Fftchem,  Kapiteln  und  Kat^rien,  welche  dann 
mit  Belegstellen  aller  Art  ausgefOllt  werden.  Der  Schriftsteller 
si>richt  selber  uiclit  viel,  dafür  lässt  er  die  gesammte  vor- 
christliche und  christliche  Literatur  zu  Worte  kommen;  selbst 
mit  den  heidnischen  Büchern  befindet  er  sich  auf  bestem 
Fuss.  Zwar  erwfihnt  er  auch  die  ängstlichen  Träume  eines 
Hieronymus ;  aber  er  weiss  auch  zu  sagen,  warum  von  diesem 
die  Schriften  der  Heiden  dem  wohlgebildeten  Christen  zur 
Benutzung  empfohlen  werden;  haben  doch,  bemerkt. er  naiv, 
die  bösen  Geister  oftmals  Wahrheit  gesagt  oder  vmusgesagt, 
wenn  auch  nur  gezwungen  und  gedrängt  Und  grade  diese 
Ausbeutung  der  klassischen  Literatur  ist  dem  Vincenz  von 
der  Nacliwelt  gedankt  worden.  Wir  wollen  uns  niclit  bei 
der  r'rage  aufhalten,  ob  er  die  Schriften,  aus  denen  er  schöpft, 
selbst  vollständig  gelesen  und  nicht  vielmehr  manches  aus 
schon  vorhandenen  Sentenzensammlungen,  Auszügen  oder 
Chrestomathien  geschöpft  habe.  Wir  räumen  das  letztere 
ein  und  halten  es  für  wahrscheinlich;  allein  seine  Citato  sind 
so  massenhaft,  dass  auch  in  diesem  J^'alle  auf  eine  höchst 


1)  Schlosser  a,  a.  0.  8.  63. 


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ZUR  OESCmCHTB  DER  ETHIK.  369 

sQflgebreiteie  eigne  Lectfire  geschlossen  weiden  mim  Die 
ansehnliebe  kSnigliehe  Bibliethek,  welche  ilim  offen  stand  und 

die  er  vielleiclit  aelbst  eine  Zeit  lang  zu  verwalten  hatte,  wird 
ihm  auch  geläufig  geworden  sein. 

Von  dem  Geschichtsspiegel  des  Yincenz  hatSchloseer 
einen  ansprechenden  Anszug  geliefert  Mit  der  Trinität  nnd 
Schöpfung,  mit  Kosmologie  und  Naturordnuug  beginnend,  setzt 
sich  diese  Skizze  grossenteils  ebenfalls  nur  aus  Citaten  und 
entlehnten  Abschnitten  zusammen;  die  christlichen  Zeitalter 
füllen  sich  mit  Legenden  nnd  Wondererzählungen,  die  Y^er* 
gescbichte  wird  in  answfihlender  Art  nnd  nach  ganz  einseiiagen 
Gesiehtspunkten  Torgefahrt,  und  erat  in  den  letzten  Abschnitten, 
die  Selbsterlebtes  berichten,  erwächst  die  Dai*stellung  zu  einer 
lehrreichen  Quellenschrift.  Nach  Schlossers  Urteil  war  dieser 
Mann  zum  Oescbichtssohreiber  überhaupt  nicht  geeignet,  weil 
er  an  den  Menschen  nnd  Begebenheiten  nur  das  Qnte  sieht 
und  benrorbebt.  Ich  bin  nicht  der  Meinung,  dass  nur  die 
Pessimisten  zum  historischen  Studium  berufen  seien,  auch  war 
Vincenz  nicht  ohne  weiteres  einer  von  ihnen.  Die  Mönchs- 
zelle hat  ihn  nicht  bitter  noch  tadelsüchtig  genoacbt,  daas  er 
aber  auch  nicht  geneigt  war,  das  Menscbenleben  in  ein  rosiges 
Liebt  zu  stellen,  ergiebt  sieb  am  Schlüsse  dieses  Werls,  wo 
gesagt  wird,  erst  dem  letzten  Weltalter  werde  es  vorbehalten 
sem,  der  Herrschaft  der  Bösen  über  die  Guten,  welche  bis 
dahin  gedanert,  ein  Ende  zu  machen,  und  diese  Klftmng 
sei  die  Yorstofe  zum  Gericht 

Die  Wissenschaft,  sagt  Yincenz,  ist  dem  Menschen  zum 
Tröste  in  der  Schwere  des  irdischen  Lebens  und  zum  Schutz- 
mittel gegen  so  viele  üebel  verliehen.  Um  so  lieber  will  er 
sie,  soweit  sie  nur  immer  reichen  mag,  als  TielgUedrigeB 
Qanze  flbenchaaen,  nnd  das  zweite  Werk,  der  Lebrspiegel, 
in  welchem  dies  geschieht,  —  von  dem  Naturspiegel  haben 
wir  weiter  unten  zu  reden  —  verdient  dm*ch  die  AUsoitig- 
keit  der  hier  entwickelten  und  mehr  als  oberflächlichen  Kennt- 
nisse unsere  yolle  Bewundemng.  Alle  Fächer  weiden  um- 
schrieben nnd  durcbwandelt,  die  Philosophie  erOflbet,  die 


^)  Schlosser  a.  a.  0.  S.  239. 


370 


GlflB, 


Theologie  besohlieaBt  den  Beigen;  dazwiaohen  liegen  Sprach* 
kmide,  Logik,  Poetik,  Shelorik,  ansfllbrlidier  dann  die  Mond, 

an  weicht'  sich  weiterhin  Äledi«  in  uii  l  Chirur^^ie,  Geogiu|«lue, 
Naturkunde,  Agricultur,  Zoologie,  Oekouomie,  Hausei uriclitung, 
KriegBwisaenschaft,  Kunst,  Astronomie,  Astrologie  und  Alcbemie, 
beeonders  aber  Antbiopologie  and  Psychologie  aucfalieaeen, 
und  libeTall  reichen  die  Mitteilungen  bis  ine  Detail.  Wenn 
die  Theologie  vermöge  ihres  höheren  Uiisprungs  sich  not- 
wendig auf  biblische  Aussprüche  gründen  muss:  so  sind  alle 
anderen  Eächer  nicht  weniger  berechtigt,  ihren  eigenen  Anto- 
ritftlen  2a  folgen,  welche  sich  denn  aach  in  einer  staanene- 
werten  Menge  von  Belegen  za  Gebote  stellen. 

In  Frankreich  ist  Viiiccnz  immer  sehr  hoch  gestellt  wur- 
den, er  wird  zu  den  „grossen  Männern"  gezählt.  Cuvier  war 
der  Meinung,  daas  er  als  Kenner  und  Beechreiber  der  Natur 
Alberfcas  Magnus  weit  fibertreffe.  Sin  neoerer  Schriftsteller, 
Bourgeat,  sacht  nachzuweisen,  dass  die  intelleetnellen  Ver- 
dienste und  Bestrebungen  des  Mittelalters  in  seinen  Werken 
umfassender  als  in  anderen  zur  Darstellung  gelangen. 

In  Deutschland  hat  sich  Yincenz  seit  Schlossers  Buch  als 
der  Encyklopädiker  seines  Zeitalters  nadi  verschiedenen  Seiten 
eingebfh^ert;  woher  er  schöpfte  —  was  namentlich  ffir  den 
Geschichtsspiegel  von  Wichtigkeit  ist  —  und  wie  er  zu  Werke 
ging,  ist  ziemlich  bekannt  geworden.  Der  Historiker  und 
litenurhistoriker  des  Mittelalters  kann  ihn  nicht  entbehren, 
aber  auch  der  Philologe  moss  ihn  der  zahhreichen  klassisdien 
Citate  wegen  znr  Hand  nehmen;  nor  die  Theologen  haben 
niiMiies  Wissens  nicht  viel  nach  seinen  Schriften  gefragt, 
olienbar  in  der  Meinung,  nichts  Selbständiges  in  ihnen  zu 
linden.  Wenn  ioti  nun  dennoch  ihm  und  seinem  Namen  diese 
Abhandlung  widme:  so  geschieht  es  im  Inteiesse  der  Ethik 
und  ihrer  Geschichte,  aber  unter  einer  doppelten  Rubrik. 
Zunächst  hat  er  selbst  zwei  Bucher  des  Spcculum  doctrinalc 
dem  Moralstoft  gewidmet,  welche  als  Schema  und  Begiiffsreihe 
unsere  Aufmerksamkeit  verdienen;  sodann  aber  findet  sich  noch 
ein  viertes  Spiegelbild  als  ^eculnm  morale  sdnen  Werken 
einverleibt,  welches,  o))gleich  als  spater  entstandenes  Sammel- 
werk längst  erkannt,  doch  wohl  geeignet  erscheint,  für  den 


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ZCB  GESCmCUTE  DER  ETHIK. 


371 


Zweck  einer  vollsliftndigen  üebersiolit  der  Idichlidieii  Moral- 
wissenschaft, wie  sie  unter  den  Dominicanern  vorgetragen 
wurde,  ins  Auge  [,'efasst  und  gepnifb  zu  werden.  Zunächst 
siud  wir  der  Persönlichkeit  und  dem  Leben  dieaes  Mannes 
noch  eine  kurze  Einechaltang  schuldig. 

Biogpraphiscbe  Notizen  sind  von  Trithemius  bis 
Albort  Fabricius,  von  du  Boulay  und  den  Verfassern 
der  Literaturgeschichte  Frankreichs  aufgesucht  worden,  das 
Resultat  blieb  ein  sehr  bescheidenes  Die  Zeitgenossen  sagen 
nur  ftusserst  Weniges  Aber  V incenz,  die  meisten  Machrichten 
sind  jimi,'  and  nnsicb^.  Baas  er  mehr  ak  480  Schriflsteller 
alter  und  mittlerer  Zeit  gekannt  und  aus  2000  Werken  Citate 
oder  Auszüge  mitgeteilt,  lioss  sich  berechnen,  über  das  Leben 
des  Mannes  ergab  sich  nur  Spärliches  mit  Sicherheit.  Von 
neueren  deutschen  Gelehrten  hat  allein  Aloys  Vogel  in  einem 
Programm  gründliche  Auskunft  gegeben  Vincentius  Bei- 
vacensis,  Belluacensis  oder,  wie  er  sich  selbst  nennt,  Bello- 
vacensis ,  lebte  während  der  Regierungen  Philipp  Augusts 
(1180  —  1223)  und  Ludwigs  IX,  (1226—1270);  nach  Einigen 
soll  er  in  dem  Städtchen  Bellovacnm  in  der  Ficardie,  jetzt 
Beauvais  im  Departement  Oise  am  Therain  geboren  sein, 
andere  nennen  ihn  einen  Burgunder  von  Abstammung.  Sein 
Geburtsjahr  fslllt  zwischen  118  4  und  111)4.  Aus  den  filtesten 
Nachrichten  über  ihn  geht  indes  nur  soviel  hervor,  dass 
er  dnem  Omvent  der  Dominicaner  zu  Beauvais  als  Mitglied 
angehörte,  und  schon  dieser  Umstand  kann  jenen  Beinamen 
veranlasst  haben.    Höhere  geistliche  Würden  oder  Ehrenämter 


Du  I>uula).  Hist.  uiiivcr«.  Paris.,  T.  III,  i>.  713,  diuii  <ler 
Artikel  der  Biogr.  univ^Tselle.  T,  XTJX  und  Abschnitte  in  den  liti'rar- 
biHtoriHclien  Werken  vnn  Echard  et  Qu  et  IT,  l>e  scriptoribu«  urdiniö 
]»ra<dicatnriini ;  Touren,  Vios  des  Doinhiirains  illustres;  Daunoo, 
Coutinuation  de  rhistoiro  litteraire  de  la  Franc»',  T.  XVIIL 

5«)  Hanjl.er<,'er.  Zuverl.  Nachricliteu,  Bd.  IV.  8.  417.  Neu- 
dcckcrs  Artikel  in  Herzogs  Roakncyklopädie ,  besonders  aber  Aloys 
Vogel,  Literarliistüriscbe  Notizen  über  den  mittelalterlichen  Gelehrten 
Vineenz  von  Beauvais,  Festiiro^Tanini,  PVcib.  181:5.  Mit  Vn£f»'ls  Angaben 
stimmt  im  wescntli»  In  n  tiberein  :  Ktudes  sur  Yiuceut  de  Üeattvais,  p«ur 
11.  lAbbc  J.  B.  Bourgeat,  Far.  1856. 


372 


GASS, 


scheint  er  nicht  erlangt  zu  haben,  er  wurde  nicht  Bischof, 
wie  jfiogere  Beferenten  angeben,  nicht  Docior  der  Theologie 
nodi  Öffentlicher  Lehrer,  so  leicht  ihm  auch  der  Bnf  eemer 

bedeutenden  Kenntnisse  dergleichen  Auszeichnungen  hätte 
eintragen  können.  Audi  sein  Bildungsgang  ist  unbekannt, 
nur  durch  die  Verbindung  mit  dem  französischen  Hofe  wurde 
sein  Übrigens  gewiss  stUles  und  stetiges  Qelehrtenleben  unter- 
brochen. Die  Dominicaner  hatten  erst  seit  wenigen  Jähren 
(1215)  ihre  Wirksamkeit  eröffnet,  und  1218  wurde  ihnen  zu 
Paris  ein  eigner  Klostersitz  einj^a^äumt.  Du  Boulay  in 
der  Geschichte  der  Univeisität  bemerkt,  unter  Philipp  August 
sei  Vincenz  des  Studiums  w^n  nach  Paris  gekommen  und 
daselbet  bei  dem  Beginne  dee  Predigerordens  in  denselben 
eingetreten,  und  wenn  dies  nach  einer  anderen  Nachricht 
schon  vor  1220  gesclielieii  sein  soll  ^):  so  war  er  danmls  noch 
ein  junger  Mann  und  nahm  erst  nachher  einen  'dauernden 
Aufenthalt  in  fieanvais.  Gewiss  ist  femer,  dass  der  fronune 
Ludwig  IX.  1228  in  der  NShe  seines  Schlosses  Boyanmont 
(mons  regalis)  den  Cistercicuscrn  eine  Abtei  mit  reichlicher 
Ausstattung  gründete;  dorthin  berief  er,  wir  wissen  nicht  in 
welchem  Jahre,  auch  Vinceuz  und  unterhielt  mit  ihm  einen 
engeren  Verkehr.  Der  Mönch  in  der  Nfthe  des  Fürsten  ist 
eine  dem  Mittelalter  eigentflmliche  Erscheinung,  die  Domi- 
nicaner namentlich  wurden  durch  ihren  Lelir-  mid  Trcdiger- 
beruf  frühzeitig  auch  in  vornehme  und  höchste  Kreise  einge- 
führt, und  in  diesem  Falle  wurde  das  Verhältnis  ein  ernstes 
und  aufrichtigeB  von  beiden  Seiten.  Der  KOnig  war  mit  seinen 
eignen  persönlichen  Neigungen  beteiligt,  seine  Frömmigkeit 
hatte  selbst  einen  raönchisclieu  Anstrich,  war  aber  mehr  als 
Cereinoniendienst  oder  Aberglaube;  auch  Thomas  von  Aquino 
hat  er  einmal  um  liat  gefragt  und  bei  sich  gesehen,  auch 
den  Franciscaner  Hugo  zu  sich  eingeladen,  der  jedoch,  dem 
TolkslAmlichen  Charakter  seines  Ordens  getreu,  jede  längere 


i)  Hiflt.  UniT.  Für.  m»  713:  „  Kegnaiifa  fliilippo  Angnsto  Lntettiin 
ad  stodiB  prafectDs  sab  initio  oidhus  Domimcaiii  ei  se  adsciipeit."  ^ 
BaMt  Iii  de  la  France,  T.  XYIU,  p.  462:  ,,11  est  piobaU^  qne  Vmcent 
^tait  avaat  1220  im  des  mohiea  de  oe  eonrai" 


ZUU  ÜESUmCHTE  DER  ETUIK. 


373 


Anweeenbeit  bei  Hofe  ablehnte.   Yincefiz  selber  miifls  aus 

der  Verbindung  mit  der  köuit,'lichen  Familie  einen  nach- 
haltigen Eindruck  erapfaugeu  haben,  sonst  würde  er  nicht 
als  Sdiriftsieller  f&rsüiche  Tugenden  und  Pfliehteu  mit  solcher 
Vorliebe  ins  Ange  getot,  noch  der  FflrBtenmoral  eine  be- 
sondere Anfinerksamlreit  gewidmet  baben.  Aber  nicht  eigent- 
lich als  Prinzenerzieher  haben  wir  ihn  zu  denken,  denn 
in  dem  Vorwort  an  die  Königin  Margareta  unterscheidet  er 
sich  von  dem  Lehrmeister  des  Prinzen  Philipp,  einem  Kleriker 
£Smon,  sondern  nur,  wie  er  selber  sagt,  als  qualisconqne  lector, 
als  Berater  und  geistlichen  Fromid  und  aufgenommen  in  den 
häuslichen  Kreis  der  Königsfamilie,  welcher  er  durch  Predigten 
und  Vorträge  Dienste  leistete.  Es  erklärt  sich  nun  leicht, 
dass  diese  Verbindung  literarische  Früchte  brachte ;  abgesehen 
von  dem  im  Auftrage  der  Königin  verfossten  Erziebungsbfieh- 
lein:  De  institntione  regiomm  pnerorum,  widmete  er  nachher 
1260  dem  schmerzlichen  Tudi!  dos  Prinzen  Louis  ein  Trost- 
schreibeu  (Epistola  consolatoria)  und  handelte  in  eiuer  noch 
nngedruckten  Abhandlung  von  der  moralischen  Unterweisung 
des  Fürsten  (De  morali  principis  institntione)  Sein  wich- 
tigstes literarisches  Unternehmen  wurde  durch  den  Aufenthalt 
zu  Royaumont  teils  aufgehalten  teils  gefördert;  er  selber 
klagt  über  verkürzte  Müsse,  aber  er  genoss  auch  den  freiesteu 
^igang  zu  der  grossen  ktoiglichen  Bibliothek;  daher  hatte 
Ludwig  einen  indirecten  Anteil  an  dem  Speculum  migus,  er 
'  gewährte  und  berdcherte  fOr  ihn  die  literarischen  Hfllfemittel, 
wenn  er  auch  diesen  seinen  geistlichen  Freund  nicht  selbst 
zu  jener  Lebensarbeit  aui^efordert  haben  sollte     Audi  lässt 


1)  Beigelegt  werden  ihm  noch  Libri  de  gratia,  Landes  virginis  glorioeae, 
De  Johanne  evangelista,  mit  zwei  der  obigen  Schriften  verbunden,  BasiL 
per  Job.  Amerbach,  1487.  Ein  boal)sichtigte8  giossee  Werk  über  Fürst<?n- 
stand  nnd  fürstliches  Hans-  und  Hofgesinde  kam  in  dieser  f  om  nicht 

mr  AujjfnliruTig. 

^)  In  dem  Vorwort  zn  dem  Tractatva  oonsolatorios  helsst  es: 
„  Rcgiae  majestati  vestrae  soribeodi  fidnciam  et  ansam  mihi  praebet  sub- 
limitatiä  vestrae  dignatio,  qna  plcnrniqn»,  com  jnxta  beneplacitam 
vestnun  in  monasterio  regalis  montis  ad  exerccndnm  lectoris  offidom 
liabitaram,  ex  ore  meo  diTinom  eloqninm  hnmiliter  com  Bei  rererentia 


uiyiii^uü  Ly  Google 


374 


OA88, 


ach  nicht  mehr  ermittelii,  in  welchen  Jahren  er  sein  gream 
Werk  zom  AtiBchliieB  brachte ,  ee  mag  ihn  bis  ans  Ende 
seines  Lebens  beschäftigt  haben,  also  über  die  Zeit  hinaus,  als 
K(^nig  Ludwig  durch  sein  kriegerisches  Vorhaben  von  der 
Ueimat  abberufen  wurde  (1248).  Vincenz  selbst  rauss  das 
Jahr  1260  flberleht  haben,  kann  aber  auch  der  Wahrschein- 
lichkeit nach  nidit  spftter  als  um  1270  gestorben  sein.  Alk 
Stimmen  sind  einig  in  dem  Lobe  seines  ehrenhaften  Charakt^^rs, 
welchen  man  nach  dem  Geiste  seiner  Schriften  verbürgen 
möchte,  seiner  Sittenreinheit  und  seines  ausdauernden  Fleisses, 
nnd  gewifls  war  er  einer  der  ehrwürdigsten  Repräsentanten 
des  Donunicanerordens,  welcher  nachmals  den  von  ihm  er- 
griffenen Gelehrtenbemf  mit  Eifer  gepflegt,  hat. 

Zu  unserer  Aufgabe  zuiückkolireiul,  bezeichnen  wir  noch- 
mals den  Zweck  und  Organismus  des  Hauptwerks,  dessen  Titel 
sich  an  den  eines  firflheren  nnd  nicht  mehr  Torfaandenen:  Specn- 
Inm  sen  imago  mnndi,  anschlieast,  nm  sodann  ein  einzelnes  Stfick 
dieser  Wissenschaflslehre  für  unseren  Zweck  herauszugreifen. 
WcLs  universelle  Bildung  sei,  davon  hat  Vincenz  einen  hohen 
Begriff,  sie  gilt  ihm  als  geistige  Aneignung  dessen,  was  die 
Welt  in  den  Kichtnngen  der  Natur,  des  £rkennens  nnd 
der  Erfahrung  dem  sinnbegabten  nnd  denkenden  Menschen 
zuführt.    Keuutiiis  der  natürlichen  Dinge,  Uebersicht  aller 
Wissens-  und  Unterrichtsfächer  und  Sammlung  geschichtlicher 
Erlebnisse  schliessen  sieli  i^'esetzmfissig  an  einander  an,  und 
in  dieser  Folge  will  das  Specolnm  m^^ns  den  ganzen  Umkreis 
^  menschlicher  Wissenschaft  durchmessen.    Der  grosse  Gang 
durch  diese  Regionen  soll  mit  den  Gegenständen  der  sinn- 
lichen Anschauung  beginnen,  daher  tritt  das  Naturbild 
voran  in  der  Form  einer  sorgfaltig  gegliedei-ten  Geschichte 
der  Schöpfung,  eingeteilt  nach  den  Rubriken  des  Sechstage- 
werks und  durchaus  auf  religiösen  Voraussetzungen  mhend,  zu- 
gleich in  der  Beschreibung  der  ein/A;liien  lieiehe  so  genau,  daas 
selbst  Naturkuudige  diese  Details  zu  beachten  haben.  Aber 


Hnsot:i»istiH ,  nccnon  et  ilo  «criptis  nostris,  {»rout  mihi  vcstra  benijjnita« 
retulit,  ciun  diligentia  jtorleg^istis :  iuKii|>«'r  cti.uu  in  siiuij.tiltns  ad  eadem 
scripta  coufkicDda  liberaliter  interduoi  uiibi  HuUiidia  itraebiiiätiB." 


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ZUR  GESCHICHTE  DER  ETHIK* 


375 


aach  die  Zfige  der  Trinit&t,  der  göttlichen  EigeDSchafteii  und 
die  Potenzen  der  Engel  und  Dämonen  sind  dem  SchOpfimge- 

gemälde  eingewebt  Die  dritte  Stelle  nimmt  das  Ge- 
schichtsbild ein  als  die  Reihe  der  Gedenkblätter  mensch- 
licher Schicksale.  Daher  bleibt  für  den  Lehr  Spiegel  nur 
der  mittlere  Baum  offen  als  der  allgemeine  Boden  des  Wiasena, 
auf  welchem  andi  die  beiden  anderen  Ereiee  eammt  allen 
ihren  Segmenten  und  Unterabteilungen  Aufnahme  finden. 
Der  Sündenfall  hat  die  Menschheit  herabgesetzt  und  mit 
Mühen  belastet,  aber  er  hat  zugleich  hülfireichen  Kräften  und 
edeln  Trostmitteln  den  Zngang  erO^en  mflsaen.  Drei  Uebel 
schSdIgen  das  Leben:  Unwissenheit,  Begehrlichkeit  und  Schwäche 
des  Leibes;  drei  Güter  sollen  ihm  wieder  emporhelfen:  die 
Weisheit  als  Wissenschaft,  die  Tugend  als  Tüchtigkeit  und 
Kraft,  und  die  Herbeischafiung  der  zum  Dasein  notweudigeu 
Hfil&mittel  (necessitas).  Dem  Wissen  dient  die  Theorie,  der 
Tugend  die  Praxis,  dem  Natnrbedarf  die  Mechanik,  welcher 
es  obliegt,  die  äusseren  Män<^el  des  gegenwärtigen  Lebens  zu 
beherrschen.  Es  sind  ähnliche  Gesiclitspunkte,  nach  welchen 
das  Mittelalter  überhaupt  den  Weg  aus  dem  Paradiese  in  die 
Welt  der  Sände,  aber  anch  der  Uebnng  nnd  Anstrengong 
sammt  allen  ihren  Erfolgen  sn  ▼eranschanlichen  pflegte,  nnd 
immer  legen  sie  wieder  äm  alten  Gedanken  nahe,  dass  der 
Baum  der  Erkenntnis  ein  dunkler  Name  sei,  ein  zweideutiges 
Gewächs,  weil  so  eutg^eugesetzte  Früchte  von  ihm  gepMckt 
worden  sind. 

Auch  als  Darstelkr  des  Sittlichen  wiU  Tlncenz  weit 
mehr  der  excerpirende  als  äear  selbständig  entwickelnde  Schrift- 
steller seiu  aber  sollte  sich  nicht  demioch  seineu  Sammlungen, 
welche  das  ganze  Werk  einem  Cento  ähnlich  machen,  Sinn, 
Farbe  und  CSharakter  aktgewinnen  htteen? 

Die  Moralwissenschalb  nimmt  das  ffinfte  und  sediste  Buch 
des  Lehrspiegels  ein.  Ihrem  grössten  Um&nge  nach  soll  sie  in 


>)  Bemerkenswert  für  diese  theologia  naturulis  ist  beäonders  das 
19.  Buch  des  Speculura  naturale. 

2)  „Se  non  per  modaui  auctoris  sed  excerptoria  nbique  pruccJcit;.*' 
Vogel,  8.  37.  5G. 


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376 


OAflS, 


drei  SiAcke:  monostica,  oeconomica,  poliiica»  zerfallen,  sodass 
zuerst  Yon  der  Selbstffihnu^,  dann  von  der  ökonomischeii  und 
endlicb  von  der  politischen  Lei  tun  l;  gehandelt  wird;  aber  nur 
der  erste  Teil  bezeichnet  die  Ethik  im  ciigerou  Sinn  Da- 
neben wird  noch  eine  andere  Einteilung  offen  gelassen.  Das 
Gute  ist  alleiniger  Gegenstand  der  Moial;  woher  es  stamme, 
muss  zuerst  nntersncht,  kann  aber  nur  theologisch  beantwortet 
werden;  es  soll  dann  zweitens  zunächst  in  der  Erkenntnis 
auftreten,  sodann  als  Uelmng  und  Gewöhnung  in  der  Be- 
herrschung des  Leihas  wirksam  sein  und  endlich  als  Kraft  der 
Sele,  welche  durch  Vorschrift  und  Gesetz  alles  Schädliche 
fem  zu  halten  strebt,  woraus  sich  vier  Teile  ergeben  würden. 
Doch  hftlt  sich  der  Verfasser  an  die  erstere  Bestimmung,  seine 
Ethik  ist  die  Anleitung,  sich  selbst  dergestalt  zu 
regieren  '-),  dass  es  nichts  zu  bereuen  giebt,  dass nichts  Un- 
erfreuliches, Nachteiliges,  Verwerflidies  unternommen  wird; 
und  wie  einige  Denker  unserer  Tage  alles  Handeln  in  Social- 
pflicbt  auflösen  wollen :  so  soll  es  sich  hier  vollständig  in  der 
Selbstpflicht  wiederfinden,  in  ihr  ist  jede  andere  Obliegenheit 
enthalten.  Der  Name  des  Guten,  mag  er  im  Denken  oder 
Wollen,  im  Wünschen  und  Begehren  hervortreten,  bringt 
immer  denselben  Wohllaut  mit,  immer  deutet  'er  auf  ein 
Letztes  oder  Erstrebenswertes,  das  durch  sich  selber  Be» 
friedigimg  verheisst.  Allein  aus  der  Menge  des  Wünschens- 
werten ,  dessen  Besitz  jede  vorangegangene  Anstrengung 
durch  Freude  belohnt,  hebt  sich  das  Sittliche  als  honestum 
doch  wieder  als  eine  selbständige  Bealitftt  hemus,  und  dieses 
allein  haben  schon  die  Stoiker  für  das  Oute  erklftrt.  CScero 
definirt  die  Tugend  als  den  vollkommenen  Inhegrifl'  dessen, 
was  der  Natur  als  Same  eingepflanzt  sei;  schon  darum  wird 
sb  von  allen  als  höchster  Gegenstand  der  liebe  gepriesen, 


1)  Vgl.  Spec.  düctr.  V,  die  ersten  Artikel. 

*)  Spec.  dactr.  V,  1 :  ,,  Ktliica  i.  o.  umralifl  bIvc  monostica  (nicht 
monastica)  est  Kcientia,  quae  sui  curani  gercns  cuiictis  sese  origit  et 
eiomat  virtutibus,  nihil  in  vita  admittoiis ,  (jao  non  gaudeat,  iiihilque 
faciens  puciiitcndum."  Das  Wort  raonostica  wird  hergeleitet  aus  moiios, 
quod  est  soIuh,  et  icos,  quod  est  scicntia  (!!).  Griechisch  ist  nur  ein  Ad- 
jccÜviuu  fioytanutosy  dieses  aber  in  niünchischer  Bedeutung  nachzuweisen. 


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ZÜB  QE8CHICHTB  DER  ETHIK. 


377 


erforscht  und  nach  ihren  vier  wichtigsten  Gestalteu  abge- 
bildet; allein  es  reicht  nicht  aus,  sie  zu  rühmen,  ehe  sie  nicht 
selber  in  uns  wirkt,  ihr  eignes  Frädicat  soll  auf  unser  Werk 
ubergehen.  An  dieser  Stelle  ergi*eift  Aristoteles  das  Lehramt, 
indem  er  nachweist,  das^s  Tugenden  durch  blosse  Naturanlage 
noch  nicht  zustande  kommen,  sondern  erst  durch  Willens- 
tätigkeit, Uebung  und  Gewöhnung  (virtus  consnetudinalis)  er- 
worben werden,  indem  dch  aus  der  Aehnlichkeit  vieler  Hand- 
lungen eine  sittliche  Fertigkeit  in  uns  befestigt  Und  ferner 
ist  es  niemals  eine  einzige  Bewegungsart,  welche  das  sittliche 
Vermögen  hervorbringt;  niemand  wird  tugendhaft,  wenn  er 
lediglich  nach  der  einen  Seite  hin  zustrebt,  während  er  nach 
der  andern  nur  zurückweicht  und  flieht,  nein  er  muss  beides 
können,  mnss  mit  dem  Streben  auch  den  richtigen  Widerstand 
verbinden,  um  im  Gleicligewicht  vorwärts  v.u  geiion.  Triebe 
und  Aüecte  regen  sieb  in  ihm,  ohne  ilm  darum  gut  zu  machen, 
er  wird  es  erst,  wenn  er  jenen  Anwandelungen  g^nfiber  den 
richtigen  Habitus  entwickelt.  Die  wahre  Tugend  ist  nach 
Aristoteles  die  K^^nnerin,  P Hegerin* und  Erfaalterin  einer  mitt- 
leren Richtiin^^  der  Tätigkeit,  welclie  sich  gegen  den 
doppelten  Fehler  hier  des  Excesses  und  dort  des  Mangels  oder 
Defidts  mit  Sicherheit  abgrenzt  Auf  diesem  Boden  behauptet 
sie  ihre  Würde  und  Freihmt,  denn  alle  Tugend  ist  freiwillig 
und  giebt  umsonst,  statt  Lohn  zu  fordern  (mereenaria),  könig- 
lich in  ihrem  Walten  (regia),  übcrlasst  sie  es  den  LuÄtern, 
knechtisch  einherzugehen 

Durch  diese  wohlbekannte  Pforte  Aristotelischer  Begriffe 
gelangt  der  Sammler  auf  den  weiten  Pten,  wo  ihm  Tugenden 
und  Untugenden  in  ganzen  Scharen  begegnen;  er  ginippirt 
sie  nach  \ier  Haufen,  welche  von  je  einer  Cardinal tugend  an- 
geführt werden,  er  lässt  die  intellektuellen  vorangehen  und 
die  mehr  praktischen  folgen  *),  Allein  diese  Einschnitte  gelten 
nur  ungefÜur,  die  Ordnung  ist  locker,  auch  werden  vieliiEush 


1)  IMd.  y,  10—17.    De  virtate  consnetadinftli  et  quod  ipea  sit 
habitoB.  —  De  modo  et  difficnltate  oosmstendi  in  roedio. 
Ibid.  e*  18.  De  qnatiior  virtutibiis  cardinalibiu. 
2«itMlir.  f.  K.-0.  26 


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378 


GASS, 


bloss  sittliche  Zustande,  Neigiint^en,  Lcidcnsch?*'ten  idugcmischt. 
Weun  fast  überall  die  vorcbristlicben  Stimmen  die  Vorband 
haben,  so  merkt  mau  doch  sofort,  dass  die  Liste  im  chrijst- 
liehen  Intfiresse  aufgestellt  imd  an^geföllt  ist,  denn  sie  ver- 
weilt mit  besonderer  Vorliebe  bei  dem  Lobe  der  Frömmigkeit, 
Siinrtiiuit,  MildUitigkcit,  Eintracht,  Geduld,  Koiisclibcit  und 
bei  dem  Tadel  der  Ruhmsucht,  Prahlerei,  Heuchelei,  Traurig- 
keit, Ungeduld  and  Sinnenlast,  and  nennt  sogar  die  mönchische 
Acedia,  die  ans  später  noch  beschäftigen  wird.  Aach 
SelbBtgenuq[Bamkeit  and  freiwillige  Armut  sollen  gleiehsam 
heidnisch,  d.  h.  durch  Zustimmung  eines  Dioc^enes  und  Epicur 
accreditirt  werden.  Zugleich  verrät  sich  Viucenz  als  wohl- 
kandiger  Pädagoge,  denn  er  belehrt  ans,  dass  jede  Tagend 
mit  einer  Lebensknnst  verbunden  sein  muss,  weil  es  stets 
darauf  ankommt,  sie  den  IJmstftnden  durch  „Discretion*^  an- 
zupassen und  den  richtigen  Zeiti>unkt  zu  ergreifen,  dass  ferner 
der  erscheinende  Mensch  stets  der  Ausdruck  des  innerlich  er- 
regten sei 

Das  folgende  sechste  Buch  gebt  von  den  Mitteln  per» 
söplicber  Selbstregienni<(  zu  den  allgemeinen,  nttlichen  Zu- 

SLÜudtMi  und  Tätigkeiten  über,  wie  sie  durch  Stand,  Geschlecht 
und  Lebensalter  bedingt  werden.  Wie  der  Fürst  in  der  freien 
Verbindung  von  Langmut  und  Kraft  seine  schönste  Unter- 
stützung findet,  —  Eigenschaften,  die  dann  auch  auf  seine 
Umgebung  übergehen  werden:  so  müssen  alle  Lebenslagen 
ihren  lioitra":?  zum  Wachstum  des  Guten  liefern.  Doch  ist 
dieses  Ziel  nur  unter  den  giössten  Scliwierigkeiten  erreich l)ar; 
nach  Augustin  hat  das  Schlechte  überall  die  Vorhand, 
jedem  Starken  ist  ein  Schwaches,  jedem  Guten  ein  Verwerf- 
liches vorangegangen ;  das  Zeitalter  stellt  eine  Vervielfältigung 
des  Unrechts  dar,  weil  jede  Freiheit  zur  Licenz  der  Sünde 
geworden  ist  und  alle  Fehler  sich  in  die  GestaH  der  Tugen- 
den kleiden.  Sitten  könneii  daher  nur  fortschreiten,  wenn  die 
zuvor  herrschend  gewordenen  Unsitten  an^rottet^  wenn  selbst 


1)  Und.  y,  29.  177:  „De  rignis  eiterioiibiifl  intetioris  meotis  har 
bitiis,  —  foimido  paUet,  robet  ira»  raperbia  tuiget." 


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9EUB  GESCHICHTE  DER  EKHK. 


379 


geringere  Sönden  Temiiedeii  werdeo,  wenn  Busae  and  Umkehr 
eine  eingeriaaene  NachlSasigkeit  heilsain  unterbrechen.  Jeder 
soll  sich  selbst  gehören  und  seines  Leibes  Herr  werden,  um 
zur  Einheit  des  guten  Wandels  zu  gelangen ,  und  er  veriuag 
es  nur,  sobald  er  auf  die  inuern  Zeugnisse  seines  Gemüts 
achtet,  imd  nSchstdem  mnss  er  auch  äussere  Helfer  und  Be- 
urteUer  zur  Teilnahme  an  sich  henumehen.  So  entsteht 
das  „sociale  Leben"  mit  Verkehr  und  Wechselwirkung  und 
mit  AbwechseluiiLron  von  liuhe  und  Arbeit.  Studium,  Nach- 
denken und  Unterricht  sind  die  Hebel  sittlich  -  persönlicher 
Bildung,  aber  erst  unter  Zutritt  der  Selbsterkenntnis 
werden  sie  zu  eiaee  Harmonie  von  Leben  und  Lehre,  von 
Empfangenem  und  Selbstgegebenem  hinleiten.  Auch  die  Natur- 
betrachtung wirkt  erhebend  auf  das  Gemüt  Der  ößent- 
liche  Nutzen  ist  dem  Privatvorteil  vorzuziehen;  nur  durch 
Schätzung  engerer  und  allgemeinerer  Verbindungen  können 
Eintracht,  Gemeinsamkeit  und  Freundschaft  gedeihen.  Alle 
übrigen  Güter  bedürfen  einer  ernsten  l*rüfimg  ihres  Wertes 
oder  Scheinwertes ;  Macht,  Ktihni  und  lieichtum  werden  auch 
zu  Uebeln,  die  Armut  bringt  Segnungen,  Glück  und  Unglück 
schaffen  nicht  immer  was  sie  bedeuten,  sie  haben  ein  Doppel- 
antlitz  und  können  ihre  Bollen  vertauschen.  Bei  der  GrOsse 
dessen,  was  uns  obliegt,  scheint  sich  der  Tod  allzu  früh  ein- 
zustellen, und  dennoch  ist  es  häufig  Unseligkeit  und  üeber- 
druss  am  Irdischen,  was  die  Sele  schon  vor  ilim  im  Zeiten- 
laufe empfindet  Auf  diese  Weise  entstehen  schwierige  und 
schwankende  Erwägungen,  und  nur  derjenige  fiberwindet  aUe 
Täuschungen,  der  den  Tod  wie  alles  Vergängliche  des  Daseins 
gerinj^scliätzeu,  den  waliren  und  schon  diesseitigen  Segen  der 
Gerechtigkeit  verstehen  lernt  und  bei  der  Hofi^ung  der  Un- 
sterblichkeit anlangt 

ffiemit  will  Yincenz  den  ganzen  üm&ng  der  praktischen 
Lebensweisheit  und  der  scieniaa  monostica  uni8(;hri€bon  haben. 
Von  den  ersten  natürlichen  B^ungen  au  durch  alle  seine 


1)  Spec.  doctr.  VI.  63:  De  spoctaculiy  nutiirac;  der  Wert  des 
Naturgen iLsscs,  dcs^s.  ii  Am  rkciimmg  man  jetzt  hu  gern  der  Neuzeit  allein 
viadicircu  luüelite,  wird  hier  atark  geuug  hervurgehoben. 

26* 


380 


OAflS, 


persönlichen  und  gerne inscbaftlichen  Aeusserungen ,  Obliegen- 
heiten und  Stadien  verfolgt  er  den  sittlichen  Trieb  bis  dabin, 
wo  der  Mensch  von  Leid  und  Freude  and  jedem  Wechsel 
hin-  und  liergewori<Mi,  seine  letzte  Sehnsu<;ht  aus  jedem  Ver- 
bände mit  irdischen  Gütern  losreisst.  Dazwischen  liegen  gegen 
:^oo  Kubriken,  man  darf  sie  zwar  kein  System«  aber  in  ihrem 
Zusammenhange  eine  Nomenclatur  der  Ethik  nennen. 

Wir  haben  die  Men^e  der  üeberschriffcen  dieses  Ab- 
schnitte mit  l»L'iiiitziing  der  nicisicn  Monienii'  in  einen  Ibrt^ 
laufenden  Gedankentaden  aufnehmen  woUen,  der  dann  in  der 
Tat  ziemlich  weit  reicht.  Wer  alle  diese  Gesichtspunkte 
übersah,  dessen  Blick  musste  über  die  Mönchszelle  hinans- 
gehen ,  das  Werden  und  Wachsen  des  Sittlichen ,  dessen 
Hemmungen  und  Förderungen  musst^n  ihm  im  grossen  vor 
Augen  stehen;  man  erkennt  den  Verla.ssir  dos  Erziehuugs- 
buches  wieder.  Nun  wolle  der  Leser  die  Fülle  der  Beleg-  ' 
stellen  hinzudenken;  Dichter  und  Philosophen  melden  nch 
abwechselnd  zum  Wort,  der  Mehrzahl  nach  Heiden,  die  wir 
unmöglich  all«'  aufzählen  können.  Die  Griechen  sind  natür- 
lich schwach  vertreten;  Plato  wird  selten  genannt,  häufiger 
Sokrates,  die  Stoiker  und  besonders  Aristoteles,  der 
jedoch  hier  noch  nicht  der  Philosoph  schlechtweg  genannt 
und  dessen  filtere  Ethik  von  der  neuen,  d.  h.  der  damals  erst 
iM'kannt  gewordeiu^n  Nikomachischen ,  unterschieden  wird. 
Unter  den  Lateinern  stellen  Cicero,  Qi^i'^^tilian ,  Macrobius, 
Varro,  Valerius  Maximus,  Plinius,  Boethius  das  stärkste 
Gontingent;  von  den  lateinischen  Dichtem  möchte  kaum  einer 
fehlen,  Lucan,  Tibull,  Juvenal,  Horaz,  Martiat,  Plautos,  Terenz, 
Persius,  Statius  u.  v.  A.  werden  ausgebeutet,  auch  die  christ- 
liehen  Dichter  wie  .luvencus,  Sidonius,  Prüden tius  vieltäch  be- 
nutzt. Aus  der  Beihe  der  Kirchenscbriftstelier  werden  Lao- 
tanz,  Augustin,  Hieronymus,  Hildebert,  Bichard  hauptsftchlich, 
doch  mit  Ausschluss  aller  Bibelstellen,  herbeigezogen.  Ton 
Philologen  ist  dieser  Citatenrei(  htum  längst  tlurchnmstert 
worden,  weil  er  teüs  vergleiciienswerte  Texte  darbietet ,  t^ils 
Folgeningen  erlaubt  in  Bezug  auf  den  damaligen  üm&ng  der 
klassischen  Lectfire.  Was  ein  einzelner  unermfidlicher  Leser 
wirklich  erreichen  konnte,  mnss  im  allgemeinen  doch  zu- 


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ZUB  0ESCHICHTB  DER  ETrEOK 


MIHI 


381 


gftnglich  gewesen  sein;  aach  anderweitig  hat  sich  ja  ans 
neueren  Forschungen  ergeben,  dass  das  philologische  Studium 

in  eiiii^^'on  Schulen  des  Mittelalters  weiter  reichte  als  früher 
angenoniiiien  worden  und  als  man  bei  der  überraschenden 
Neuheit  des  späteren  Humanismus  wahrscheinlich  finden 
mochte.  Uns  hingegen  li^n  hier  einige  andere  £rw9gungen 
nahe. 

iMiL  sichtlichem  WuLlgefallcu  schöpft  Vincenz  aus  dem 
breiten  Strome  der  Weltliteratur;  wo  so  viele  und  so  helle 
Stimmen  laut  werden,  hält  er  gern  die  seinige  zurück.  Die 
zusammengehäuften  Auszflge  stellen  einen  oonsensus  gentium 
et  aetatum  dar,  der  his  in  den  inneren  Kreis  christlicher  Ge- 
danken reicht,  also  den  Unterschied  des  Christlichen  und  Vor- 
christlichen zurücktreten  liisst,  zumal  wenn  die  feineren  Grenz- 
linien unnntersucht  bleiben.  Dass  moralische  Sätze  weit  leichter 
ab  Lehrbestimmungen  fAr  ähnlich  oder  selbst  fßr  unterschieds- 
los erklärt  werden  können,  selbst  wenn  sie  es  nicht  sind, 
ist  eine  Tatsache.  Gegen  Ende  des  6.  Buches  lautet  Nr.  128 
die  Ueberschrift :  De  couteraptu  mundi,  womit  nach  der  Kir- 
chensprache die  Erhebung  des  Geistlichen  über  das  Säculare 
oder  Weltliche  gemeint  war.  Für  diesen  Grundsatz  kOnnen 
freilich  weder  Empedokles,  wenn  er  die  Verachtung  eines 
momentanen  Ueherflusses  eniptiehlt,  noch  auch  Cicero,  wenn 
er  rät,  die  Fruchte  der  Gegenwart  gering  zu  schätzen  in 
Hoffnung  auf  den  Erfolg,  den  die  Nachwelt  verheisst,  als  Ge- 
währsmänner dienen.  .Etwas  Anklingendes  sagen  sie  aber 
doch  und  sind  schon  darum  nnserm  Schriftsteller  willkommen, 
welcher  damit  Gelegenheit  erhält,  den  Umkreis  des  Gemein- 
samen weiter  vorzurücken.  Und  ähnlich  verhält  es  sich  mit 
dem  Artikel  Nr.  120:  De  fortuna,  wo  Terenz  und  Cicero  über 
die  Hinfälligkeit  des  Qlflcks  und  Ober  die  Bedingungen  einer 
„gewissen**  schon  im  Diesseits  erreichbaren  BeMedigimg  zu 
Gehör  kommen.  Diesmal  aber  fügt  Vincenz  ausdrücklich 
hinzu,  dass  jene  Männer,  obgleich  der  göttlichen  Gnade  un- 
teilhaftig und  des  rechten  Glaubens  entbehrend,  dennoch  durch 
einen  Zug  der  natürlichen  Vernunft  bewogen  worden  seien,  • 
auf  die  vergänglichen  Gaben  der  Zeit  herabsehend,  den  Tugen- 
den nachzujagen,  von  ihrem  Erwerb  Glückseligkeit  und  VoU- 


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■ 


382 


GASS, 


komnieiiheit  zu  erwarten  nnd  mit  noch  höheren  Hofi&iiiiigen 
sich  der  Zukunft  nach  dem  Tode  zu  «,'ctrösten  »). 

So  sagt  Vincenz  Kt'legentlich  und  sein  eiufjicher  raenschen- 
Iroundlicher  Sinn  liess  es  ihn  unbefangen  aussprechen;  för 
die  Ethik  lag  darin  die  Kechtferfcigang  seines  ganzen  Unter- 
nehmens.  Die  Literatur  bot  einen  ansehnlichen  Vorrat  mo- 
raÜBcher  Gemeinplätze,  und  diese  sollten,  nur  nach  Rubriken 
geteüt,  wie  auf  einer  Fläche  sich  ausbreiten,  damit  eine  üui- 
schau  möglicli  werde  über  alles,  was  der  sittlich  angelegte 
Menschengeist  aus  sich  selber  geschöpft,  der  christlich  ge- 
weckte  aber  bestätigt  oder  schärfer  bestimmt  bat   Und  mit 
dieser  AufiEassung  trat  Vincenz  noch  nicht  aus  seiner  Kirche 
heraus.    Man  nenne  das  Mittelalter  exelusiv,  herrisch,  zur 
Verdammung  und  Verfolgung  aUes  fremdartigen  bereit;  es 
war  dies  alles  im  hohen  Grade,  nur  in  praktischer  nnd  m<K 
lalis.  her  Beziehung  zeigte  es  sich  zugleich  empfänglich  nnd 
weitherzig,  denn  es  folgte  dem  Triebe  einer  Univei  salitat,  weh  he 
alles  in  sich  anfhehmen  will,  was  d^n  Zwecken  der  Menscben- 
erziehung  Dienste  zu  leisten  verspricht. 

Dei  Abbe  Bourgeat  benutzt  unsren  SchriftsteUer,  um  seine 
eigne  schroff  katholische  und  antiprotestantische  Glaubens- 
Philosophie  aus  ihm  herzuleiten.  Er  nennt  Vincenz  den  Be- 
kenner eines  primitiven  und  universalen  Ciiristentums,  denn 
wie  er  die  Idee  der  Einheit  Gottes  schon  in  der  antiken 
Weltweisheit  augedeutet  gefunden:  so  sei  er  Oberhaupt  bestrebt 
gewesen,  die  Früchte  des  Menschengeistes  und  dessen  Erleb- 
nisse  in  ihrer  Vereinbarung  mit  den  Zwecken  der  Olld.harunrr 
nnd  Kirche  nachzuweisen.  Schrift,  Tradition  mid  Vernmilt,  statt 
w  feindliche  Mächte  zu  zeriaUen,  sollen  auf  einen  gemein- 


»)  VI,  J2():  „Nam  et  ipsi,  qiuunvis  giatiao  divinao  ^'ratilicantis 
enortes  rectacjue  «dd  ex,M,frs  essor.t .  .juo.lain  (a.uen  natiirali  rationis 
daetn,  ^  qno  otiam  lüulta  vcra  uniun  dciUti«  aotemitak  et  ani- 
manmi  pori>etuitatc  sonscrunt  ut^ue  scrii.s..runt .  -  ista  fortunae  booa 
▼ana  et  caduca  despicicnti'« .  virtntum  formaiu  ex  parto  secUbant  per 
quam  etiam  ad  fclicitatom  cont.iulol.ant.  quam  ttian,  in  praesenti  vita 
Tirtutmn  perfectione  so  adcptos  vel  aUepturos  pataUant  ot  de  futura  sibi 
pOBt  rnoitem  blandicbaut.** 


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zuic  a£;iäcuicu'rii:  der  etiuk. 


383 


samen  Boden  geleitet  und  von  demselben  Interesse  einer  christ- 
lichen Gesaumitphilosophie  iimfasst  werden.  Die  Tradition 
drückt  selber  nur  ein  Naturgesetz  aus,  es  ist  verkehrt,  sie  der 
Bibel  oder  der  Vernunft  entgegenzusetzeii ,  —  so  urteilt 
Boorgeat  ^).  Bin  primitiveB  Christentam  finde  ich  bei  Yinoenz 
nirj^ends  angesprochen,  ausser  in  dem  Sinne,  in  welchem  es 
die  Kirchenväter  längst  anerkannt  liattcn.  Darin  aber  hat  der 
Genauute  gewiss  Recht,  dass  Viuceuz  eine  möglichste  Aus- 
dehnung wisseiischaiUicher  Erkenntnis  innerhalb  der  kirch- 
lichen Schranken  einbflrgem  wollte.  Nicht  blosse  Lesesucht 
und  Sammlerfieiss  machten  ihn  zum  Encyklopädisten,  sondern 
er  folgte  dal)ei  einer  enisteren  Gesinnung.  Der  kirchlichen 
Ueberlieferuug  getreu,  wollte  er  diese  mit  dem  allgemeinen 
Strom  einer  alten  und  neueren  literarischen  Tradition  nm- 
L/cben,  damit  beides  innerhalb  des  kirchlichen  Eatholiciamus 
zur  Vei  wonduiii;  i(i  hinge.  Natur  und  Lehre  und  Gescliichte 
werden  für  ihn  zu  Abteilungen  eines  einzigen  grossen  Spie- 
gelbildes der  Wissenschaft,  und  diese  soll  sich  der  Kirche 
überlassen,  weil  sie  keinen  höheren  Beruf  haben  kann,  als 
von  ihrem  Standpunkt  aus  überschaut,  gepflegt  und  verwsütet 
zu  werden.  Vincenz  übte  dieses  literari.sclie  Amt  mit  Weit- 
herzigkeit, und  er  berührte  sich  dabei  mit  den  Tendenzen  des 
kirchlichen  Mittelalters  selber,  welches  bei  aller  ricliterliclien 
Strenge  doch  die  Neigung  hatte,  allen  geistigen  Vorräten 
und  Verrnftchtnlssen  ein  Unterkommen  m  gewfihren.  Am 
meisten  über  ei-schieneu  die  Materialien  der  Moral  zur  Auf- 
nahme geeignet,  denn  iu  dieser  Richtung  bot,  was  alte  und 
neuere  Gewährsmänner,  vorchristliche  und  christliche  Dichter 
und  Schriftsteller  bezeugt,  so  viele  verwandte  Anklänge,  dass 
es  nch  id  eine  harmonische  Gedankenreihe  von  humanistischer 
und  zugleich  kirchlicher  Herkunft  zusammenfügen  Hess. 

Ich  meine,  wir  dürfen  noch  einen  Schritt  weiter  gehen, 
indem  wir  auf  die  Entstehung  einer  gemeinchristlichen  £thik 
zurfickblicken.  Das  Christentum  hat  ein  neues  Gottes-  und 
Selbstgef&hl  geschaffen  und  eine  andre  Weltansicht  hervor- 


Boargoat,  £tadM  vor  V.  de  B., 


384 


GASSf 


gebracht,  aber  es  hat  weder  eine  alleingültige  Psychologie 

einiget ührt,  denn  auch  das  Dogma  ist  niclit  vuii  oiner  einzigen 
psychologischen  oder  physiologischen  Vomussetzung  abliuiigig 
gewordeu,  noch  hat  es  die  allgemeine  Natur-  oder  Lebens- 
ordnimg  mit  einer  anderen  vertauschen  wollen.  Soweit  also 
die  vorhandenen  sittlichen  BegrÜFe  ans  der  Erklftmng  der 
Selenkrfifte  hervorgingen  oder  auf  den  Fortbestand  i^finoii)- 
sanier  iiatürliclier  oder  bürgerlicher  Rechte  oder  Verpiiich- 
tungen  hiDgerichtct  waren,  konnte  sich  ihnen  die  christliche 
Lehre  so  wenig  wie  den  wissenschaftlichen  Bildlingsmitteln 
auf  die  Länge  verschliessen ;  indem  die  Gemeinschafk  sich  er- 
weiterte, trat  sie  in  den  Bereich  längst  aneikannti-r  Ptliclit- 
uud  Kraftfibungen  ein,  die  sich  wolil  modificiren  und  anders 
wenden .  aber  niclit  beseitigen  liesaen.  Die  Sittlichkeit  der 
ersten  Jahrhunderte  ist  eigentlich  nur  das  Wirkenlassen  des 
Glanbens  und  der  Liebe;  das  verdflsterte  Weltbild  wird  ge- 
einigt, Natur  und  Freiheit  gesondert,  das  Irdische  dem 
Geistigen  unterworfen,  der  Wert  des  Sinnlichen  beschränkt; 
ein  waiires  Gut  soll  alle  andren  vergessen  lassen;  wo  Glaube 
und  Heiligung  regieren,  hat  die  irdische  Sorge  ihre  Kraft, 
die  Sinnenlust  ihren  Reiz,  der  Tod  seine  Sehrecken  verloren. 
Später  aber  reichte  dieses  Thema  nicht  mehr  aus,  der  Ein- 
tritt in  die  Welt  forderte  zahlreiche  andre  gemeinsame 
Leistungen  oder  Fertigkeiten,  es  waren  die  Officien,  von 
denen  Ambrosius  wortspielend  bemerkt,  quae  nulU  ofiiciant, 
prosiut  Omnibus Die  Schrift  des  Ambrosius:  De  oflSciis 
ministrorum,  ist  in  dieser  Beziehung  ebenso  historisch  merk- 
würdig, wie  sie  der  Gesinnun«:  ihres  Urhebeis  l'Uire  niacht; 
wie  Ambrosius  von  der  Herkunft  eines  ehrenhaft  erzogeneu 
Kömers  aus  sich  die  praktischen  Eigenschaften  eines  christ- 
lichen Lehrersund  Bisehofs  anbildete:  so  soll  der  antike  Pfücht- 
charakter  ohne  Bruch  auf  den  neuen  Boden  verpflanzt  werden. 
„Niemand  wähne",  behauptet  Ambrosius,  „duss  die  g^eu- 


M  A  itihro  s. .  Dooflic.  ininistr.  1,  S:  „  Noe  ratio  ij)sa  ablioiTot,  quan- 
doquidoiu  olliciuin  ab  efiiciendo  dictuoi  putaiiius .  .nuisi  «  IHcium,  sed 
proj)k-r  docoR'iQ  sfniionis  nna  iinmutatu  litera  oflicium  uuacu|»ari«  vel 
ccrtc  ut  ca  sl^slh,  (|U£kü  duIü  oüiciaut,  prguint  uomibuB/* 


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ZUK  OESCmCmE  J>£R  ETHIK 


385 


s»Mti^'e  Unterstützmii;"  <l;inini  wonit^or  notwendig  sei,  weil  Gott 
für  alle  sorgen  will."  Cicero  wird  bei  diesor  Bearbeitung  der 
Moral  niamals  bei  Seite  gelegt^),  aber  die  Tugenden,  welche 
er  empfiehlt,  geboren  nach  seiner  ErUftrung  nicht  der  alten 
Schule  allein  an,  sondern  weisen  ein  noch  Slteres  biblisches 
Gebiirtsreclit  nach,  indem  sie  nacli  allen  Seiten  auf  das  Ge- 
ziemende, Gemeiuüützige  und  auf  deu  zur  Vollkoiumen- 
heit  bezogen  werden.  Honestnm,  decormn,  verecnndia,  bene- 
ficientia,  modestia,  liberalitas,  benevolentia,  castitas,  —  alle 
diese  Namen  werden  willkommengeheissen  und  verwertet,  in 
iliruMi  verzweigt  sich  der  Stamm  der  virtutes  cardinales, 
welclie  in  der  Mitte  stehen  und  von  Ambrosius  zuerst  ange- 
legentlich erwogen  und  christlich  interpretirt  werden.  Die 
Klugheit  wird  zum  sittlichen  Verstand,  zur  Frömmigkeit,  die 
Tapferkeit  wftchst  an  Inhalt  und  Bestimmung,  denn  sie  soll 
im  Hause  wie  im  Felde  regieren  und  ih^ii  Kampf  mit  iil]»n 
l'eindbeligeu  Gewalten  des  rieisches  bestehen;  auch  die  Aus- 
dauer ist  Tapferkeit,  auch  die  kräftige  Befehdnng  der  Leiden- 
schaften stellt  den  christlichen  Athleten  dar.  Nicht  weniger 
muss  die  Gerechtigkeit  als  der  innere  Massstab  ffir  jede  Gebür, 
die  Massigimg  als  Sorge  für  das  Angemessene  und  Wohl- 
tuende sich  entwickeln.  Allerdings  hatte  Ambrosius  zunächst 
die  Obliegenheiten  der  Kleriker  im  Auge,  aber  der  Inhalt 
seiner  Pflichteidehre  beansprucht  zugleich  eine  a%emeine 
Gflltigkeit;  Vergleichungen  und  Beziehimgen  auf  alle  Öffent- 
lichen Bedürfnisse  des  Volkerlebens  und  der  staatlichen  Ord- 
nung boten  sich  ohne  Schwierigkeit  dar. 

Eine  Schrift,  kenihaft  wie  diese,  verdiente  sehr  wohl  als 
Trieb  eines  neuen  kirchlichen  Literatnrzweiges  fortxawirken, 
sie  wurde  im  Abendlande  die  Grundlage  einer  klassisch  be- 
nannten, aber  keineswegs  heidniscli  gemeinten  Muiultheologie, 
welcher  um  ihrer  praktischen  Wiclitigkeit  willen  auch  von 
den  Vertretern '  der  strengen  Kirchlichkeit  der  Zugang  nicht 
versagt  werden  konnte.  Und  neben  ihr  entstand  eine  andere 


1)  J.  Draesecke,  M.  Tnllü  Cicenmls  et  Ambniflii  de  offieüslibri 
inter  se  comparantiir.  Aug.  Tanr.  Loescber,  1875. 


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386 


GASS, 


oiigor  umschräukte,  denn  auch  aus  dem  mönchischen 
Princip  der  fiotBagong,  des  Gehonams  und  der  Welüosig- 
keit  ergab  sieb  eine  Anzahl  von  Stichworten  und  Regeln,  die 
einen  gewissen  Ausbau  und  Alibchluss  in  sich  selbst  suchten. 
Daher  selien  wir  z  weie rle i  Traditionen  neben  einander  fort- 
geben, die  eine  der  asketiscli  gesteigerten,  die  andere  der 
gleichsam  weltlichen  und  doch  christlich  anzuerkemienden Moral; 
sie  Hessen  sich  weder  zusammen  leiten  noch  völlig  trennen, 
die  bekannte  Unterscheidung  der  Vorschriften  und  der  evan- 
gelischen Ratschläge  war  die  natürliche  Folge  des  doppelten 
Bestandes.  Beiderlei  Uandlungsweisen  forderten  ihre  eigne 
Pflege,  die  mönchischen  Satzungen  gestatteten  keine  Erwei- 
terung; wohl  aber  konnten  jene  andern  Anweisungen  immer 
mehr  in  die  Breite  anwachsen  und  Verwandt(?s  an  sich  ziehen 
bis  znr  Berührung  mit  dem  asketischen  Standpunkt. 

Auch  von  andern  Seiten  wurde  der  Apparat  der  sittlichen 
Betrachtangen  bereichert.  Apologeten  wie  Lactanz  waren  ge- 
neigt, den  ganzen  cbristlidien  Wandel  unter  den  Gesichts- 
punkt einer  von  Christus  selber  angeführten  höheren  Ptliclil- 
und  Tugendübung  zu  stellen  Prudontius,  obgleich  weit 
fester  als  jener  mit  dem  Dogma  verbunden,  bewegt  sich  gern 
auf  diesem  Gebiet;  er  widmet  der  „Psychomachie**  ein  höchst 
rhetorisches  Gedicht,  indem  er  die  Sele  als  kampfgerüstet 
denkt;  Glaube,  Schani luittigkpit,  Nüchternheit,  Wohltätigkeit 
heissen  ihre  Wallen ,  und  mit  ihnen  hat  sie  die  feindiicheu 
Anlftufe  der  Götzendieneiei ,  der  Wollust,  des  Zornes,  der 
Schwelgerei  und  des  Geizes  zurückzuweisen Man  gewühnte 
sich  auf  mancherlei  Art  an  die  Zusammenstellung  solcher 
Kräfte  oder  Gefahren.  Diese  ganze  Hochschätzung  dessen, 
was  der  Mensch  aus  eignem  Wollen  zu  leisten  unternimmt, 
geriet  allerdings  nachher  mit  der  veiBchftrften  Sündentheorie 
in  OoUision;  denn  wenn  der  sündhaft  yerderbten  Menschen- 
natiu-  das  Vermögen  überhaupt  abgesprochen  wird*,  von  sieb 
aus  etwas  Gutes  zu  vollbringen:  so  scheint  damit  der  Tugend- 
lehre der  Baum,  dessen  sie  zu  ihrer  Begründung  bedarf,  ent- 


*)  Lact.,  Divin.  inslif utionr.ii  Lib.  IV,  c.  26. 
*)  Prudcutü  *iuac  cxsUut  cd.  Ccllurius,  p. 


ZUK  GE^mCUTU  DER  BTIOK. 


387 


zogen  zu  wertloii.  GleichwoliI  hat  sie  sich  auch  in  dieser 
Weiitlung  aufrecht  erhalteu.  Im  ßewusstseiii  seiner  sündhaften 
Schwäche  vermag  der  Mensch  auf  Iluhm  und  Verdienst  zu 
Temchten,  indem  er  einen  höheren  (Jeist  als  das  eigentlich 
Treihende  und  Producfcive  in  sich  anerkennt;  aher  daians  fo\\^ 
immer  noch  nicht,  dass  er  auch  die  Täti}:(keitsfonncu,  welche 
ihm  eine  uneutHiehbare  praktische  Notwendigkeit  vor  Augen 
stellt,  und  die  durch  ihre  Namen  schon  anfeaemd  auf  sein 
Selbstgefühl  wirken,  als  nichtssagend  beiseite  zu  legen  hätte. 
Die  antiken  Cardinaltugenden  haben  die  Wand  durchbrochen, 
welche  ihnen  der  schrofle  Aut^ustinisnms  entgegen  hielt. 
Augustiu  ist  selber  der  beste  Zeuge,  bei  aller  Einseitigkeit 
war  er  ein  zu  universeller  Kopf,  um  das  Feld  der  sittlichen 
Begriffe  neben  den  religiösen  unbebaut  zu  lassen.  Tugend 
und  Pflicht,  um  sich  allseitig  zu  entfalten,  fordern  eine 
Mehrheit  der  Inipnlse  und  Willensbesiiiiiniungen,  auch  setzen 
sie  jederzeit  eine  Selbstknift  von  Seiten  de»  Täters  voraus. 
Diese  bestreitet  Augustiu,  er  hat  daher  grosse  Schwierigkeit, 
jene  einfache  Gestalt  sittlicher  Selbstbetätigung,  deren  Lihalt 
er  nicht  entbehren  will,  in  sein  religi(}8es  Sjstem  auftunehmen. 
Dennoch  schliesst  auch  er  sich  an  die  überlieferten  Namen 
an,  um  die  menschlichen  Willenskräfte  durch  das  christliche 
Geistesprincip  zu  beseien;  es  ist  die  Liebe,  in  der  sie  ihr 
einheitliches  Band  emp&ngen  sollen.  Die  Liebe  soll  als  Ein- 
heit aller  sittlichen  Tugend  erstarken,  und  sie  vermag  es, 
wenn  sie  mit  besonnener  Mässigung  sich  ihrem  Gegenstand 
hingiebt,  wenn  sie  duldend  und  tapfer  im  Kampfe  ausharrt, 
wenn  sie  mit  gottabulicher  Gerechtigkeit  die  menschlichen 
Dinge  beherrscht  und  endlich  als  Klugheit  einer  sittUdien 
Zweckmässigkeit  in  allem  Handeln  Vorschub  leistet.  Es  war 
Beides  möglich,  entweder  das  christliche  Princip  in  jene  vier 
Formen  und  Arten  einzuführen,  oder  diese  dergestalt  zu  steigern 
und  zu  erweitem,  dass  sie  mit  ihm  zusammentrafen,  mochte 
auch  in  beiden  Ffillen  noch  ein  disparates  Verhältnis  übrig 
bleiben.  Weniger  als  Augustin  war  Gregor  der  Grosse  durch 
dofifmatische  Voraussetzungen  gehemmt,  er  muss  als  der 
eigentliche  Fortsetzer  der  Püichtenlehi'e  des  Ambrosius  be- 
trachtet werden,  und  seine  Moralia  werden  durch  den  pirak- 


388 


GASS, 


tiscben  Zweck  des  SchriftstellerB  auf  eine  Menge  kirchlicher 
Obliege uheiten  bingeleitet 

Das  ganze  Lchnstück  war  iiiiinor  noch  sehr  im  Worden, 
befand  sich  aber  seitdem  doch  auf  einer  uDangefoclilcuen 
Bahn.  In  den  Sentenzen  des  laidorns  erscheint  das  Material 
bedeutend  erweiteri  Indem  die  Tagend  sich  ihr  eignes  Ge- 
genteil im  Seite  stellt,  wird  es  n^tig,  zwei  entgcgengesetste 
Kichtungi'n  zu  übersehen.  Die  systematische  Anlage  fehlt 
durchaus,  doch  wird  im  einzeluea  geordnet,  gruppirt  und 
combinirt*  Die  Sünden  zerfallen  in  schwere  und  leichtere« 
in  öffentliche  und  geheime;  es  rouss  gesagt  werden,  welchen 
Anteil  das  Denken  und  das  Wort,  die  Sinnlichkeit  und 
Macht  der  Gewohnheit  und  das  Gewissen  an  der  Handlungs- 
weise habe.  Die  Absicht  und  Oosinnung  des  Handelns,  iii- 
tentio  animi  <),  hatte  schon  Augustin  als  das  Unterscheidende 
herroigehoben,  fortan  bleibt  sie  als  der  allein  richtige  Wert- 
messer aller  Wirksamkeit  stehen.  Und  ebenso  bedarf  jedes 
Betragen,  soweit  es  auf  Personen  Beziehung  hat,  der  persön- 
lichen Anwendung,  es  ist  eine  „Discrotion durch  die 
es  erst  löblich  und  heilsam  wird  Fehler  und  Tugenden 
haben  beide  ihren  eignen  innem  Natorverband,  sie  entspringen 
aus  einander  und  sammeln  sich  wie  feindliche  Streitkrftfte, 
aber  der  Kampf,  den  sie  eröffnen,  bleil)t  ein  ungleich- 
artiger, weil  jene  weit  leichter  als  diese  von  Statten  gehen. 
Fehler  werden  durch  Täuschungen  und  sinnliche  Beize  be- 
günstigt, Tugenden  fordern  Anstrengong,  auch  steigert  sich 
dadurch  das  Unheil,  dass  die  erstem  häufig  in  der  Gestalt 
der  and(M-n  einhorgehon,  oder  dass  Tugenden  bei  indiscreter 
Ausführung  selbst  wieder  zu  Sünden  werden.  Von  den  Men- 
schen muss  gesagt  werden,  dass  sie  ans  der  Tugend  selber 
ihre  Sünde  nähren,  an  der  sie  znletzt  zu  Grunde  gehen, 


')  S,  N  call  der,  Vorl«'sunj;t'T)  über  die  (leschicbtc  der  cliristlichcu 
Ethik,  S.  228ir.    Wuttke,  Sittenlehre,  lid.  I  (1.  Aufl  ),  S.  139ff. 

^)  Isiduri  St.iitentiar.  lih.  II.  e.  27:  ..Oculus  honiinis  int.ritia 
operis  ejus  est.  Si  «Tgo  intentio  ejus  bona  est.  » t  opus  inteiitionis  ipsius 
büiittüi  est.  —  lJuna  est  or^^o  int  iitio.  quiui  proptcr  Deoiu  eöt,  iiial;^ 
vuro,  quae  pro  t<Treno  hu  ro  aat  vauu  gloria  est." 

3)  lUid.  Ub.  III,  c.  4U. 


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ZUR  OESCHICnTE  DER  ETHIK* 


389 


während  es  Gott  öberlaaaen  ist,  aus  dem  menschlichen  Abfall 
vermöge  seiner  allmächtigen  Kunst  wieder  rettende  Kräfte  zn 

erwecken  Solche  Bemerkungen  leiteten  schon  tiefer  in  das 
Innere  ethischer  Botrachtun<^ ,  (hiin  ljon  wird  wieder  alU's 
locker.  Auf  eine  bunte  Mischuug  sittlicher  Uebungcn  folgen 
gewisse  Hülfsmittel  zur  Ueberwindung  des  Unsittlichen,  wie 
Gebet,  Gontemplation  und  Lection;  dann  f&hrt  die  Bede  zu 
den  Verbindlichkeiten  des  MOnchslebens,  bis  zuletzt  kirchliche, 
bürgerliche  und  reclitliche  Ordnungen,  Zucht  luid  Gehorsam 
an  die  Keihe  koninien.  Als  Lasternauien  werden,  obgleich 
noch  ohne  bestimmte  Zählung,  vornehmlich  jactautia,  invidia, 
superbia,  gula,  cupiditas  vorgeführt;  zur  Beurteilung  des 
Rechten  dient  zweierlei,  intentio  und  discretio.  Er^^fTnet  wird 
die  Gedankeiitulge  durch  Sentenzen  über  VVeiaheit,  Glaube, 
Liebe  und  Gnade. 

Einige  spätere  gleichartige  Schriften  zeigen  schon  einen 
festeren  KOrper.  Alcuin  war  strenger  Katholiker  und  lässt 
den  vorchristlichen  Hintergrund  vergessen;  sein  kurzes  mora- 
lisches HandbiK  lih'in  beschreibt  den  Verlauf,  weldier  vom 
Glauben  aus  durch  Busse,  Bekehrung,  Fasten,  Almosen  und  im 
Kampfe  mit  den  acht  Formen  der  Sönde  zum  persönlichen 
Besitz  des  Guten  fahrt*);  das  Ziel  ist  herrlich,  denn  es  ist 
die  Tugend  selber  als  rechte  Besehaffenheit.  der  Sele,  Zierde 
der  Natur,  Zweck  des  Lebens,  Fnirnmigkeit  der  Sitten,  Cultus 
der  Gottheit,  Khre  des  Menschen,  Verdienst  zur  ewigen  Selig- 
keit Kirchlich  war  sie  damit  vollkommen  gerechtfertigt,  mit 
den  Ehren  der  Beligion  sollte  sich  der  Wert  persönlicher 
Heiligung  und  Tfichtigkoit,  ja  der  Adel  der  Natur  selber 
auf  sie  fibertragen.  Ein  Charakter  der  Verdienstliclikeit,  ob- 
gleich früher  verpönt,  stciitc  sich  bald  genug  wieder  ein. 
Ausführlich  und  in  allgemeinerem  Sinn  wird  das  Thema  etwas 


1)  Ibid.  lih.  II,  c.  33  sqq. 

2)  Alcnini  De  virtntibus  et  viciis,  c.  14:  „De  non  tardando  con- 
vrrti  '.u\  Douii).  —  Forte  roKpondes;  cras  cras.  O  vox  corvina!  Corvus 
non  rtdit  ad  ai(  am.  odiiinba  redit." 

3)  Ibid.  c.  .Ho:  Virtus  est  aninii  liabitus,  iiatiirae  deciiH,  vitac 
ratio,  nioruni  pictas,  eultus  divinitatis,  bonor  hominis,  aeteruat;  beatitu- 
diuis  mcrituui«" 


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390 


später  von  Rhabanus  Maunis  behandelt.  Der  menschliclie 
Wandel  gloi<  lit  einer  Keiuibahii  um  den  höchsten  Preis,  seit 
Adam  das  Paradies  verlassen  nrassto,  haben  sich  verderbliche 
Feinde  dem  Heile  seines  Geschlechts  entgegengeworfen,  acht 
an  der  Zahl  and  jeder  mit  einem  grossen  Gefolge  hinter  sich. 
Mag  die  Tiiulo  schon  die  ererbten  Goljrocben  und  Verschul- 
dungen getilgt  haben:  so  befindet  sich  docli  jeder  Christ  im 
gleichen  Falle;  kaum  in  die  Jahre  der  Reife  eingetreten, 
sieht  er  sich  jenen  anheilvollen  Angriffen  ansgesetzt,  jeder 
böse  Dämon  fordert  Waffen  zur  Abwehr,  so  viel  Streiche  und 
Wunden,  so  viel  Heilmittel  sind  erforderlich.  Es  gilt  allen 
dämonischen  Anfallen  die  Spitze  zu  bieten,  aber  möglich  wird 
dies  erst  unter  einer  kirchlich-asketischen  Uebnng  (conveisatio 
religiosa)  nnd  sodann  durch  eine  contemplative,  Aber  die  Welt 
der  Erscheinungen  und  Genüsse  erhobene  Geistestätigkeit. 
Der  Glaube  mit  seinen  christlichen  Folgerunf^en  erfiffnet  den 
Weg  zur  Tugend.  Diese  aber  kann  nicht  genug  gepriesen 
werden;  „alle  Tngend^S  sagt  Bhabanns,  „ist  heilige  ein  gött- 
liches Ding,  nnkörperlich  nnd  rein^S  selbst  nnlantere  Ge- 
müter vermögen  sie  nicht  zu  schädigen,  werden  vielmehr 
von  ihr  gebessert;  durch  ihren  Anteil  wird  das  Schwache 
gestärkt,  das  Todte  aufgerichtet,  das  Kranke  geheilt,  das 
Feindliche  versöhnt,  Leib  nnd  Sele  geheiligt  Niemand  be- 
sitzt sie  als  aus  Gott,  aber  nnfreiwillig  wird  sie  auch  keiner 
orhiiigoii  und  keiner  verlieren,  den  nicht  der  eigne  "Wille 
darum  betrugen  hat*).  „Dass  aber",  falirt  der  Schriftsteller 
fort,  „vier  principale  Tugenden  anzunehmen  seien,  haben 
die  Philosophen  l&ngst  gewosst  und  die  Dnsrigen  bestätigt, 
auch  kann  niemandem  das  Sacrament  der  Vierzahl  unbekannt 
sein;  vier  Weltgegeuden,  vier  Buchstaben  des  Nameus  Adam, 


1)  Bhaban.  Maar.,  Devitüs  et  virtatibi»  lib.  II,  p.  6:  ^ViitaB 
narnqne  omniB  sancta»  res  est  ^lixia,  ioooiporea  nuBiu  atqae  anrndiBsiina. 
Qnam  meDtes  inqninatae  non  inqunant»  sed  ipsa  inquinatas  emaeolat» 
ciqQB  pMiaoipatioiw  fiimaDtnr  inflmia,  snedtantur  mortua,  Banaiitar  in- 
firma,  oomgontor  piaTa,  lecondliAntor  advena.  Haue  lum  habet  niai 
Dens  et  iB  eai  dederit  Jkm,  qaae  io  aouno  habital^  eed  animam  eorpiuqiie 
aanetificat,  ad  quam  nidhis  aoeedit  imitna,  quam  mdlaB  amittit  niai 
jpiopria  Tolimtate  deceptna." 


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ZUB  0EBCHICH7B  DER  ETHIK.  391 

Tier  Elemeiite  des  EGipers  und  Mectionen  der  Sele,  vier 
Flfisse  des  Ptodieses  und  vier  Evangdien,  —  fiberall  kehrt 
derselbe  Stempel  der  VollkommeDheit  wieder.**  ^)  Das  dritte 

Buch  der  Schrift  liefert  nun  eine  Art  von  moralischer  The- 
rapie, in  welcher  die  Fehler  und  Laster  nach  Gattungen, 
Arten  und  Individuen  geordnet  werden,  überall  mit  Angabe 
ihrer  Merkzeichen,  ans  denen  sich  eigeben  soll,  wie  ihnen 
beiKnkommen  sei. 

Durch  solche  Zusammenstellungen  erlaugte  die  üeber- 
lieforung  der  sittlichen  Begriüe  eine  gewisse  Consistcuz,  wenn 
auch  eine  weit  geringm,  als  die  eigentlichen  Glaubenssätze 
längst  erreicht  hatten.  Man  yerfBgte  Aber  zahlreiche  Namen, 
unter  denen  das  sitüiche  Handeln  auftreten  mfisse,  um  im 
Streit  gegen  die  ebenso  vielteilige  Macht  der  Sünde  ohzusiegen. 
Die  Entwürfe  konnten  sehr  ungleich  ausfallen,  es  war  nicht 
einmal  entschieden,  ob  man  bei  der  £ntwicklung  das  christ- 
liche Prindp  voianstellen  oder  erst  Im  Verlauf  herbeiziehen 
müsse,  ob  es  richtiger  sei,  vom  Geist  und  Glauben  oder  von 
der  Natur  auszugehen.  Die  kirchliche  Moral  aber  wurde 
wesenUidi  eine  Tugend-  und  Lasterlehre,  sie  allein  bildet 
einen  Stamm;  in  ihr  sind  zugleich  die  Pflichten  enthalten, 
weO  alles  tugendhafte  Handeln  zugleich  vorschriftlich  ge- 
bunden wird ;  eine  besondere  Güterlehre  aber,  wie  sie  Neander 
in  sointn-  Gt  scliitiitt^  der  Sittenlehre  heraushebt,  ist  noch  nir- 
gends angelegt.  Umso  mehr  erhob  sich  die  Togeudidee  zu 
hohen  Ehren,  sie  drückt  eine  Betätigung  aus,  ohne  die  nie- 
mand Gott  wohlgefällig  wird;  die  Viernhl  ihrer  Gestaltungen 
wurde  willig  aus  den  Händen  der  alten  Philosophie  ent- 
lehnt, und  wenn  Khabanus  Maurus  keinen  Anstand  nahm, 
sie  mit  Pradicateu  zu  rühmen,  welche  in  dogmatischem  Zu- 
sammenhange yielmehr  der  göttlichen  Gnade  hätten  beigelegt 
werden  müssen:  so  beweist  er  damit,  wie  sehr  es  im  üiteresse 
der  kirchlichen  Praxis  lag,  ein  halb  rohes  und  fahrlässiges, 
halb  träumerisches  Geschlecht  moralisch  anzuspornen  mit  der 
Vorhaltung,  daae  jeder  sich  selbst  anzuklagen  habe,  wenn  ihm 
mit  dem  eignen  Verdienst  auch  das  Heil  abhanden  komme. 


1)  ibid.  üb.  II,  c.  10. 


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392 


OAflS, 


Im  12.  and  13.  Jahrhundert  sah  sich  die  Kirche  uoch 
starker  zu  einer  solchen  pädagogischen  Wirksamkeit  heraus» 
gefordert,  sie  stallte  alle  Krftfte  in  ihren  eignen  Dienst  Es 
war  noch  die  Zeit  der  BVirtschreituDg,  der  Oeist  des  MittelaUers 
<^laiibte  Much  an  sich  seihst  und  an  das  Kecht  aller  in  ihm 
leheudigeu  Bestrebuugeu ,  ohne  durch  unheilbare  innere  Spal- 
tungen erschüttert  zu  sein,  und  besonders  Frankreich  bot 
den  Schauplatz  vielseitiger  Bührigkeit.    Schule  und  Kirche, 
Htochtum  und  Rittertum  befiuiden  sich  in  wetteifernder  An- 
8trengunj(.    Welcher  Wert  j^rade  im  Zeitalter  des  \  iiiceuz 
auf  die  Einschärfuug  der  Tugeudvorschriften  gelegt  wurde, 
lässt  sich  noch  auf  andere  Weise  dartun.    Die  Darstellong 
sittlicher  Schönheit  und  sündhafter  oder  diabolischer  Mis- 
gestalt  war  in  die  Symbolik  der  Baukunst  übergegangeu,  sie 
wurde  zur  Aussi  liiiiQ(  kung  der  grossen  Dome  immer  reich- 
licher verwendet.    Ein^t  hatte  Rhabanus  Maurus  von  sanctae 
virtutes  gesprochen,  jetzt  wurden  sie  als  solche  personifiart 
und  ihren  unheiligen  Widersachern,  den  Lastern,  gegenüber- 
gestellt. Einladende  und  abschreckende  Figuren  sollten  schon 
an  den  Eingängen  der  grossen  Munster  oder  in  di'ii  Wuhullen 
der  KreuzsdiiiVe   dem  Bescliuuer  mahnend  entgegentreten; 
symbolische  Gestalten  geseilten  sich  zu  den  historischen,  um 
die  ganze  ßni^klopädie  sittlich -religiöser  Erfiihrung  zu  ver- 
anschaulichen.   An  der  berühmten  Kathedrale  zu  Chartres, 
die  im  Laufe  des  13.  Jahrhunderts  ausgebaut  wurde,  finden 
sich  vierzehn  Statuen  mit  den  Namen  löblicher  Eigenschaften 
oder  hoher  Lebensguter,  sie  bedeuten:  virtus,  libertas,  honor, 
velocitas,  fortitudo,  concordia,  amidtia,  majestas,  sanitas, 
securitas,  bei  welcher  Auswahl  freilich  begriffliche  Strenge 
nieht  massgebend  gewesen  ist;  au  andern  Stellen  des  Gebäudes 
sind  noch  crudelitaä,  Justitia,  curiositas  angebracht.  Aelmliche 
moralische  Schaustellungen  enthalten  die  Dome  zu  Amiens, 
zu  Paris  und  in  Strassburg,  in  welchem  letzteren  zwölf  gegen- 
sätzlicne  Paare  abgebildet  sind.    In  einem  und  demselben 
Bauwerk  siml  iin  hr  als  hundert  Stiltuen,  sümratlich  Tugenden 
und  Fehler  reprasentirend,  nachgewiesen  worden 


1)  Belege  m  dem  Obigen  liefern  J.  Kreaser,  Der  christUehe 


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ZDR  aEBCHIGSrB  DES  ETHIK. 


393 


Im  Zusammenhang  mit  diesen  lUusteationen  tdtt  auch  die 
Sentenzensanunlaiig  des  Yincens  in  ihr  volles  Licht,  sie  liefert 
ZQ  den  zahlreidien  Veninnlichongen  der  Ennsteymbolik  ein 

literarisches  Seitenstück.  In  der  üeberliefcnmg  fand  er  eine 
Reihe  von  Vorstellungen,  Gesichtspunkten,  Weisungen  vor, 
seine  eigne  Yielbelesenheit  setzt  ihn  in  den  Stand,  sie  in 
eine  weitreichende  moralische  Goncordanz  anfinmehmen.  Die 
Literator  aller  Zeiten  läset  er  ihre  BdtrSge  liefern,  wefl  me 
überall  ein  Interesse  für  da,s  Gute  verrät.  Mit  Cicero  und 
Seneca,  die  niemals  vergessen  waren,  will  er  alle  Stimmen 
der  Philosophen  und  Dichter  zu  Gehör  bringen,  damit  sie 
von  einem  sittlichen  Geschmack  Zeugnis  gehen,  der  sich  mit 
den  ErUftmngen  der  christlichen  Schriflstoller  herfihrt,  von 
einem  Sinn  für  das  Gute,  welcher  auf  dem  Boden  der  Kirche 
vollständig  gewürdigt  und  genossen  werden  soll.  Keine  ernste 
Mahnung  soll  verloren  gehen,  kein  wohllaatendes  Wort  unge- 
nutzt verhallen. 

Je  mehr  nun  femer  das  Material  der  Ethik  sich  er- 
weit^rte,  desto  mehr  forderte  es  seinen  eignen  Betrieb  und 
entfernte  sich  von  dem  Bereich  des  Dogmas,  wie  es  sich  in 
scharfen  und  scblecbtbin  gültigen  Bestimmungen  abgeschlossen 
hatte;  daran  knüpft  sich  eine  zweite  für  uns  wichtige  Be- 
obachtung. IMe  nngldche  Beschaffonhdt  dieser  heiderseitigen 
begrifllichen  Charakterbilder  ist  eine  längst  anerkannte  Tat- 
sache. Man  denke  beispielsweise  an  die  damals  so  nach- 
drücklich hervorgehobene  Discretion,  welche  von  Bernhard 
von  GLiirvanx  als  die  wahre  Handhabe  der  Togendübungen, 
moderatrix  et  auri^  virtntnm,  empfohlen  wird*).  Was  sie 
sei,  liesö  sich  nur  zur  Hälfte  defiuiren,  zur  andern  musste  es 
durch  Vorbild  und  praktische  Anleitung  erläutert  werden,  und 
ähnliche  Hül&mittel  waren  überhaupt  unentbehrlich,  weil  es 
eben  eine  Oienze  giebt,  wo  die  Ethik  aufhört  lehrbar  zn  sein, 

Kirehenhan,  Bd.  I,  Bonn  1851,  S.  EOaft  Sehnaaie,  GoddoUe  der 
bildendfln  KBnfte  im  Hittdalter,  Bd.  lY,  8.  S97  £f.,  2.  Avfl.  F^lioie 
d'Aysae,  Lea  statnefl  de  poitnit  de  Ghartne,  Fte.  1B4B,  Bevne 
areh^ologiqae,  Tome  VI,  p.  4S7.  Didron,  leoDographie  disßtiam,  Ub.  I, 
Hjitoire  de  Bieu,  p.  476. 

1)  Vgl  Iflidori  Sententiar.  Ub.  ü,  cap.  27;  UI,  cap.  48. 
Ztitflhf.  t  K.-0.  96 


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GASS, 


WO  sie  sich  durch  (3ignes  Handeln  und  Erleben  ergänzt  Das 
Dograa  war  hart  und  exclusiv  i^ewordeu,  die  Moral  bewegte 
sich  ia  laxeren  Formen,  iu  weit  weuiger  Msge^rägten  Be- 
griffen« die  aber  geeignet  waien,  sieh  ünmer  melur  dnrofa 
Analogien  und  Teihetstellnngen  eq  bereiebern.  Bisher  batto 
sich  die  Tugeiullchre  in  einer  Reihe  eigner  Scliriften  furtge- 
pflanzt, in  ihnen  stellt  sie  einen  gemeinsamen  Stoff  dar, 
zwar  auch  einen  gegensätzlich  entwickelten,  aber  im  Vergleich 
mit  dem  Dogma  einen  viel  weicheren»  dehnbaren  und  friedlich 
flberlieferten.  Aach  Vinoenx  hfilt  die  beiden  diesem  Gegen- 
stände  gewidmeten  Bücher  seines  Speculum  doctrinalo  uniib- 
hfiugig  von  der  eigentlichen  Theologie,  die  überall  biblis<;he 
Beweise  sucht.  Und  doch  konnte  es  dabei  nicht  anf  die 
Lftnge  bewenden,  die  Sittenlehre  mnflBte  eine  eqgere  Ter- 
bindung  mit  dem  religi(taen  nnd  dogmatischen  Standpunkt 
aufsuchen,  wenn  überhaupt  die  kirchliche  Wissenschaft  als 
Ganzes  zusamniengefasst  werden  sollte.  Die  Scholastik  hat 
auch  dieeen  Schritt  gewagt,  wir  würden  ihr  Verdienst  unter- 
sohätsEettt  wollten  wir  m  diesem  Beweise  ihrer  nniveneUen 
Qeiettsarbeit  nnd  yon  der  Ausweitung  ihres  wissenschaftiiöbea 
Rahmens  absehen.  Die  erste  scholastische  Epoche  hat  in  dieser 
Beziehung  nur  vorbereitend  und  durch  grelle  Behauptungen 
aufregend  gewirkt.  Männer  wie  Anselm  bew^ten  sich  fast 
anflwshlissBlieh  auf  dem  metaphysisoh  specnlatiTen  Gebiet; 
Petras  Lombardos  hat  die  Cardinaltugenden  und  einige  andre 
verwandte  Lehrstücke  seinem  Corapendium  kurz  eingeschaltet. 
Nur  von  Abälurd,  dem  kritischen  Denker  und  leidenschaftlich 
erregten  Beidenchristra,  war  die  ethische  Frage  scharf  und  selb- 
st&ndig  ins  Auge  geiEUSt  worden.  Auch  er  ging  wie  Vincenz 
auf  die  Alten  zurAdk,  aber  nicht  allein,  um  das  sittlii^  Stmbei& 
als  Gemeingut  der  Literatm*,  auch  der  vorchristlichen,  nach- 
zuweisen, sondern  in  der  weit  bestimm teren  Absicht,  um  dos 
sittliche  Princip  schon  in  der  antiken  Philosophie  seiner 
Reinheit  nadi  wiedenufinden.  Sokrates  und  Plato  wurden 
idealisirt  und  Aber  de»  Standpunkt  des  lohnsflchtigen  Juden-* 
tums  erhoben.  Die  Intention,  erklärt  AbäJard  an  An- 
giistin  anknüpfend,  ist  die  Sele  aller  Tätigkeit,  sie  allein 
verleiht  oder  entsieht  den  an  sich  gleichgüitigeu  Handlungen 


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e£SCHICHT£         4^TaUL.  39^ 

den  sittlichen  Wert«  welcher  dann  fireiUch  noch  dmch  den 

Einfluas  des  Urteils  bedingt  sein  kann.  Gut  ist  wer  ohne 
selbstische  Ansprüche  das  Gute  um  seiner  selbst  willen  sucht 
und  liebt  und  wer  niedrigen  Antrieben  widersteht;  denn  selbst 
die  andringende  Sinnlichkeit  briiigt  die  SOnde  noch  nicht 
mit,  80  lange  der  sittlidie  Wille  die  Oherhand  behauptet 
AbÄlard  warf  Schlaglichter  um  sich  her,  uud  unbrauchbar  waren 
seiue  Gedanken  keineswegs,  sie  reizteu  und  weckten  andere; 
der  gescholtenen  Lohnsacht  konnte  eine  eigentimliche  reli- 
giöse Wendung  gegeben  werden,  auch  traten  Freiheit  wä 
Katar,  Gesetz,  Gehorsan  nnd  Autorität  nnd  fthnliche  Ifo- 
mente  in  den  Vordergrund  der  Untersuchung.  Jedoch  wurde 
zngleich  in  den  durch  ihn  veranlassten  Streitverhandlungeu 
eine  aehi  ernste  AlteraatiTe  nahe  gelegt.  Wären  Abälards 
Tendensen,  anfertig  and  anglcichmflasig  wie  sie  waren,  dsr 
Bttls  durchgedrungen:  so  würde  die  Moni  noch  weit  mehr 
als  bisher  verselbständigt,  vielleicht  nahezu  emancipirt  worden 
sein.  Sollte  dies  nicht  geschehen:  so  'wurde  es  nötig,  auf 
den  kirchlich  religiösen  Standpunkt  zurückzolenken  und 
von  dort  ans  auch  jenes  andre  Gebiet  zu  überschanen.  Und 
eben  darin  lag  der  Anstoss  zu  einer  ins  Grosse  gehenden  und 
conservativen  Systembildung,  welche  der  kritisch  gesinnte 
Abälard  auch  in  dieser  Beziehung  indirect  herbeiführen  half. 
Zwar  das  System  als  solches  ist  keineswegs  das  Zaabermittel, 
welches  darch  sich  selber  schon  die  innem  Fragen  zn  lösen 
yermag;  hat  es  doch  —  and  grade  die  Scholastik  beweist 
dies  —  die  Schwierigkeiten  der  Beurteilung  eben  so  oft 
verdeckt  als  klar  gelegt.  Wohl  aber  gewährt  die  System- 
bildnng  den  unendlichen  Vorteil  einer  Uebersicht,  immer 
drängt  sie  zor  Yollstftndigkeit  and  roft  den  Geist  ans  der 
Vereinzelung  des  Erkennens  zorfick,  immer  erOflhet  sie  einen 
weiten  Raum,  in  welchem  alle  zur  Sache  gehörigen  Momente 
Stellung  nehmen.  Was  im  System  Aufnahme  gefunden,  bleibt 
zwar  noch  der  Willkfir  der  Beihenfolge,  Ordnnqg  and  Unt«r- 
ordnong  angesetzt,  aber  ignorirt  darf  es  nicht  mehr  wwden. 


1)  Neanders  Vürlesnngen  über  Geschichte  der  Ethik,  S.  274 ffi 
£cater,  Oeachichtc  der  Aolkläning  im  MittelAlter,  Bd.  I,  S.  190 a: 

26* 


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3 90  GASS,  ZUß  GESCHICHTE  DEK  ETHHv. 

Unsere  NachweunmgeD  haben  bis  dahin  geführt,  wo  sich 

der  kirchliche  Geist  aller  theoretisch eu  und  praktischen  In- 
teressen, deren  er  damals  überhaupt  filhi^  war,  bemächtigt 
hatte.  Nach  oben  hin  das  alte  Dogma,  einem  festen  Gewölbe 
ähnlich,  nach  unten  eine  teilweise  sehon  gegliederte,  teilweise 
noch  roh  angehäufte  Menge  monüsdier  Yerstellnngen ,  da^ 
zwischen  eine  verknüpfende  Anthropologie  und  Sacraments- 
lehre,  —  alle  diese  Bestandteile  sollten  in  den  weiten  Umkreis 
kirdilicher  Wissenschaft  eintreten.  Es  war  eine  Arbeit  der 
Composition,  deren  Verdienst  und  Schwäche  erst  richtig 
beurteilt  werden  kann,  nachdem  die  Beschaffimheit  der  ihr 
dargebotenen  Materialien  zuvor  erkannt  ist. 

Für  die  Ethik  ist  Thomas  von  Aquino  der  eigentliche 
Sjstematiker,  aus  ihm  schöpft  auch  das  Speculum  morale, 
welches  uns  in  dem  zweiten  StAck  dieser  Abhandlung  be- 
schäftigen und  Gelegenheit  geben  wird,  auf  die  Werke  des 
Vincenz  und  deren  Ausgaben  nochmals  zurückzukommen. 

[Heidelberg,  im  November  1876.] 


• 


lieber  die  beideo  PrindpieD  des  ProtestaDtismiis. 

Antwort  auf  eine  25  Jalire  alte  Frage. 

Yon 

Aibreeht  Ritsdü. 


In  dem  24.  Jahrgang  (1851)  der  Theologischen  Studien 
und  Kritiken,  Heft  2,  S.  408,  hat  Herr  Carl  Beck,  Archi- 
diakomiB  za  Beailiiigeii  (jetzt  PriÜat  zu  Hall  in  Wflrtembeig) 
eine  Anfrage  an  Ullmann  Ober  das  Princip  des  Prote- 
stantismus gerichtet.  Dieselbe  bezog  sich  darauf,  seit  wann 
und  von  wem  sich  die  Distinction  zwischen  dem  formalen  und 
dem  materialen  Princip  des  Proteetantismiis  herschreibe,  welche 
man  gewohnt  sei,  als  eine  AnieteUnng  der  Reformatoren  oder 
wenigstens  der  alten  Intherischen  Dogmatiker  anzusehen.  Beck 
constatirt  nun,  dass  die  Lehre  von  der  Rechtfertigung  durch 
den  Glauben  in  Luthers  Schmalkaldischen  Artikeln  als  der 
Haaptartikel  bezeichnet  ist,  und  dass  die  ausschliessliche 
Normalität  der  heiligen  Schrift  für  die  Feststellong  der  kirch- 
lichen Lehre  ebendaselbst  angedeutet  nnd  darnach  in  der  Con- 
cordienformel  ausgesprochen  wird.  Er  berichtet  dann  ganz 
richtig,  dass  diese  beiden  Gedanken  durch  die  lutherischen 
Dogmatiker  bis  auf  HoUatz  hin  nicht  in  die  gegenseitige  Be- 
ziehung gebiaeht  worden  sind,  deren  Bedeutung  man  durch 
ihre  Bezeichnung  als  materiales  und  formales  Princip  des 
Protestantismus  ausdrückt.  Endlich  vermutet  er,  dass  dieses 
fiesoltat  erst  im  18.  Jahrhundert  erreicht  sei,  und  zwar,  wie 
die  wissenschaftUdie,  an  den  Kantianismua  erinnernde  Ter- 
minologie annehmen  lasse,  in  dem  letzten  Drittel  desselben« 
Die  an  UOmann  gerichtete  Anfrage  um  Bestätigung  oder  Be^ 


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398 


&ITSCHL, 


ricbtigung  dieser  Anmilune  ist  seit  25  Jahren ,  so  viel  ich 
weiss,  von  niemand  beantwortet  worden.  Um  so  ungehinderter 
eigeht  sich  das  Vertraoen  auf  die  Brauchbarkeit  der  Disünctioii 
zum  Verständnis  der  Reformation  nnd  ihrer  directen  Folge, 
des  Protestanli^ums.  Icli  tVeilich  teile  dieses  Vertrauen  nicht,  | 
vielmelir  habe  ich  gegen  jene  Formel  Widerspruch  erhoben  i 
(Lehre  von  der  Rechtfertigung  und  Versöhnung,  lid.  I,  S.  162 
)m         Am  mir  henws  habe  ick  auch  kein  Bedflrfnis  en* 
pAinden,  dem  Ursprung  jener  „apokryphen*^  Disfcincticm  nach- 
zuforscheiu   Durch  einige  jüngere  Fach^^rcnossen  bin  ich  jedoch 
angeregt  worden,  der  Herkunft  der  Distinction  nacli/ugeJien, 
und  mit  Unterstützung  des  Herrn  Lic.  theoL  i^attenbusch, 
der  die  änssersten  Fäden  aufgespürt  hat,  ist  es  mir  gelungen 
folgendes  zu  ermitteln. 

Die  Foniiol  ist  auch  im  18.  .lahrlmudert  nicht  uaeh- 
weisbar,  und  die  in  der  Distinction  auftretenden  Pradicate 
däiften  schwerlich  von  Kant  entlehnt  sein,  da  sie,  wenn  auch 
in  anderer  Beoehnog,  iader  luiherisohen  Sdnlthedogiis  vor- 
komnen.  Der  alte  Bai  er  (Compendium  theologiae  poeitaviie, 
prolegom^na  I,  25)  unterscheidet  als  Ohjecte  der  Olfen- 
barungstheologie  das  materiale,  nämlich  res  revelatae,  quae 
in  theologia  revelata  oognoacuntor,  und  öbb  formale,  uAmlich 
principinm  et  ratio  eogiiosoendi,  onde  pendet  «ognitio  remm, 
quae  in  theologia  revelata  proponanttr,  also  die  revelatk) 
divina.  Die  Verbreitung  gerade  dieses  unzählige  Male  uul- 
gelegien  Compendiums  macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  vor- 
liegende Distinction  aus  ihm  entlehnt  wurde,  ^s  die  OQÜiaion 
Kirisebeft  fiationaiinras  und  PositivismiB  in  der  l%eolegie  die 
AnfloMrkmnkeit  darauf  hinlenkte,  umIi  welchen  entHsheldMMbB 
Gründen  man  sich  als  protestantisch  zu  beuiieilen  habe.  Dieser 
Fall  trat  am  Anfang  unseres  Jahrhunderts  ein  auf  Anlass  der 
Predigt  Keinbards  am  Befonuationsfeste  1800.  Reinhard  sf^ndi 
in  deieelhen  aus,  dass  „imsem  Kirche  ihr  Dasein  vor- 
nehmlich der  Bmenemng  des  Lehrsatzes  von  der  fteien 
Gtiade  Gottes  iu  Christus  schuldig  sei;  dass  dadurch  unsere  I 
Kl  ich  6  ihre  Gestalt  gleich  bei  ihrem  Entstehen  empUng , 
Unter  dettjenigei  mm,  welche  hiegegea  Widereprach  einlegten, 
ist  fGbr  nnsero  Zweck  von  beeonderear  Wichtigkeit  Gabler. 


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ÜBEi;  DIE  BEIDEN  I  KlNiJiriEN  DES  PB0TE8TANT1SMUÖ.  399 


Ib  zwei  Reoensioneii  jener  Predigt  (in  seinem  Joanial  fÖr 

äieol(^i8cbe  Literatur,  M.  I,  1801,  S.  500.  58ö)  iimohte  er 
geltend,  dass  „das  Do^nia  von  der  freien  Gnade  Gottes  zwar 
Liitiiern  vorzüglich  iiitcressirte,  dass  man  aber  aas  demeelbeii 
keine  bleibende  protestantieche  Ornndsätee  und  immerwfilifende 
Kennzeichen  eines  Proteetanten  ableiten  kOnne.  Lather  mi 
von  einem  höhern  Gesichtspunkte  als  dem  eines  blossen  Dogma 
au8^n^«(an<^'en,  nämlich  von  der  evangelisdien  Freiheit  in  Glau- 
benssachen. Dieses  sei  das  liöchBte  proteslontiäche  Princip 
als  Basis  alles  Protestantismos;  ihm  mnssten  auch  die 
wichtigsten  lieblingsdogmen  LntheiB  untergeordnet,  nicht 
aber  gleichgesetzt  werden;  denn  auch  Luther  wollte  nicht 
lutherisch  sein(!),  ohne  Sötern  er  die  heilige  Schrift  rein 
lehrte;  die  Wichtigkeit  der  Gnadenlehre  für  ihn  sei  zttfälliger- 
weiae  dorch  den  Streit  fiber  den  Ablass  hervorgerafen  worden.^ 
Ja  dieeem  Znsaamienhaiig  flibernischt  die  Einmisehnng  der  hei- 
ligen Schrift.  Sie  wird  in  einem  unmittelbar  folgenden  Auf- 
satze Gablers  dadureb  erläutert,  dass  „die  Unabhängigkeit 
von  aller  menschlichen  Autorität  in  Glaubenssachen  für  sich 
aHein  nicht  den  Protestantismiis,  sondern  nmr  den  Batio- 
naUsnoiaB  feststelle.  Zu  jenem  gehOre  noch  die  Anerkennung 
der  heiligen  Schrift  als  einziger  untrüglicher  Richtschnur  unsies 
Glaubens  und  Lebens,  was  mit  dem  Riitionulismus  unver- 
einbar sei;  also  beide  Grundsatze  zusammen  maclMn  erst  die 
Basis  des  Protestantismtts  aus.**  Ueber^timmend  hat  8i<^ 
Gabler  kurz  vorher  in  einem  Aulsatz  seines  Journals:  „üeber 
die  Grenzen  der  protestantischen  Kiichengewalt  über  die  Ueli- 
giouslehrer  in  Glaubenssaclien''  (S.  157.  472)  —  ausgesprochen, 
indem  er  den  Grundsatz  der  absoluten  Atttoritftt  der  heiligen 
fidinft  näbw  auf  die  Freiheit  ihrer  Auid^gung  nach  riohtigisn 
Auslegungsregeln  hinausgeführt  hat. 

In  diesem  Gedankenzusammenhang  koniuit  zwai  die  Di- 
stiuctiou  nicht  zur  Geltung;  indes  ist  nicht  nur  diese  Contro- 
versc  mit  Beinhard  ein  Zmchen  einer  eigentümlichen  Frage- 
stellnag,  von  weldier  voiher  keine  Spur  verkommt,  sondern 
später  wird  sich  dieselbe  ais  einflussreidi  für  die  uns  be- 
sehälligeude  vSaclie  erweisen.  Die  Distiuctiou  selbst  aber  be- 
gegnet uns  zuerst  bei  dfemselben  Gabler  in  einer  iioceusion 


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400 


RTTBCHLy 


Über  die  zweite  Ausgabe  von  Aramons  Summa  theologiae 
christiuiae  (a.  a.  0.,  Bd.  Y,  1810,  S.  594  ff.).  Hier  aber 
handelt  es  ddi  nicht  nm  Frindpien  des  Froteeiantiflmiu, 
sondern  nm  principinm  materiale  et  fennale  tbeologiae  chri- 
stianae,  und  zwar  um  das  Verhältnis  dieser  Bestimmungen 
zum  fimdamentum  fidei.  Für  das  Fundament  des  Christen- 
tums oder  den  Mittelpunkt  der  christlichen  Beligion  erkl&ri 
er  einen  Lehrsatz,  anf  den  sieb  alle  fibrigen  Lehrai  be- 
riehen würden  oder  der  ihnen  mittelbar  oder  unmittelbar  ab 
Quelle  diente.  Ein  solches  materielles  höchstes  Glaubens- 
princip,  welches  man  gesucht  habe,  um  dadurch  die  Dogmatik 
ab  Wissenschaft  zu  begründen,  sei  aber  nicht  möglich 
anzugeben,  wenn  die  christlidie  Ohiubenalehre  ihren  posi- 
tiven Chaiaktor  behalten,  und  nicht  in  blosse  Vemunfbreligion 
verwandelt  werden  soll.  Aus  diesem  Grunde  sei  der  Artikel 
von  der  Rechtfertigung  durch  den  Glauben  zwar  mit  Luther 
för  den  locus  praecipuus  fidei  christianae,  nicht  aber  für  du 
snmmum  prindpium  materiale  iheologiae  christianae  zu  halten. 
Deshalb  habe  man  sich  anf  ein  formelles  Prindp  der  christ- 
lichen Dogmatik  zu  bcscliränken ,  welches  als  Regel  der  Be- 
urteilung dessen  dient,  was  zum  wahren  christlichen  Glauben  ' 
gehört,  und  dieses  formelle  Frinoip  sei  ein  doppeltes, 
mn  philosophisches,  nm  die  Ansprflche  der  Vernunft  bd 
der  Construction  der  Dogmatik  zu  befriedigen,  und  ein  her- 
meneutisches,  um  den  Misbrauch  der  Bibel  iu  der  Dog- 
matik zu  verhüten. 

Diese  Bemerkungen  Gablers  sind  also  die  ersten  Spuren 
einer  Fragestellung,  die  keiner  der  folgenden  Theologen  so 
beantwortet  hat,  wie  er.  Vielmehr  treffen  wir  denmächst 
auf  verschiedene  Versuche,  nicht  bloss  ein  formales,  sondern 
auch  ein  materiales  Princip  für  die  Dogmatik  aufzustellen. 
Nftmlioh  zunächst  erklärt  Bretschneider  (Handbuch  der 
Dogmatik  der  evangelisch- lutherischen  Kirche  1814,  2.  Aufi. 
1822,  1.  Tl.,  §  9),  dass  die  symbolischen  Bücher  der  luthe- 
rischen Kirche  kein  System  der  Glaubenslehre  dai"stellen,  aber 
die  Materialien  dazu  enthalten,  und  zwei  Principien  aufstellen, 
ein  formales  und  ein  materiales.  Das  formale  bestinunt,  unter 
welchem  Gesiditspunkt  die  christliche  Lehre  anzusehen  sei,  | 


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OBEE  NE  BEIDEN  VtaXKUPBESS  DES  FBiOTESTAETISIfüS.  401 

Bftmlich  als  göttliche  Offenbarongr  deren  Codex,  die  heilige 
Schrift,  ab  das  einzige  Eriterinm  der  Wahrheit  aller  Reli- 

^onslelueii  aufgestellt  wird.  Das  materiale  Princip  bestimmt 
die  Gnmdlehre,  welche  als  regulativ  für  alle  andern  Lehren 
gilt,  und  dieses  ist  die  Lehre  von  der  Erbsünde  und 
die  daraus  entspringende  Notwendigkeit  der  ErKtenng  dnich 
Christas  durch  den  Glanhen  ohne  Werke,  oder  die  Lehre  von 
Christus  als  dem  Erlöser  von  der  Schuld  und  Strafe  der  Sünde. 
Das  letztere  Princip  umfasst  das  erstere,  da  das  Verderben 
der  Sünde  einen  göttlichen  Unterricht  in  der  Religion  not- 
wendig macht;  aber  nmgekehrt  beniht  auch  die  Zuverlftssig- 
keit  des  materialen  Prindps  auf  dem  Offenharungswert  der 
heiligen  Schrift.  Es  ist  klar,  dass  hier  die  Principicn 
der  lutherischen  Dogmatik  bezeichnet  werden  und  daas 
Bretschneider  in  Abweichung  von  Gabler  ein  materiales  Princip 
der  lutherischen  Dogmatik  und  zwar  in  der  angegebenen  Weise 
aufstellen  konnte,  weil  er  es  nur  als  regulativ,  nicht  aber  wie 
Gabler  als  constitutiv  oder  organisirend  auffasste.  —  Um  die 
Principien  der  theoretischen  oder  dogmatischen  Theologie 
handelt  es  sidi  auch  bei  Wegscheider  (InstitutioneB  theo- 
logiae  christianae  dogmaticae,  1815^  §  22).  Er  bestimmt  also 
als  snmmnm  principium  materiale  oder  als  summa  fidei  den 
Satz:  Deus  rcrum  omniiun  auctor  atque  gubemator  omnibus 
hominibus  per  Jesum  Christum  viam  et  rationem  patefecit  ad 
salntem  aetemam  adipiscendam.  Hieraus  sollen  sich  die  vier 
Teile  des  Systems  Bibliologie,  Theologie,  Sbterologie,  Escha- 
tologie  ergeben.  Das  formale  Princip  wäre  idea  dei,  qualis  ex 
ipsa  legis  monilis  conscientia  menti  nostrae  iiisita,  adstipulante 
scriptura  sacra  cognoscitur.  In  der  fünften  Aufgabe  des  Buches 
(1826)  finden  sich  neben  diesen  Aufstellungen,  die  der  Ansicht 
des  Yerfossers  entsprechen,  auch  noch  solche,  welche  der  sym- 
bolischen  Lehrweise  accommodirt  sind.  Hiemach  lautet  das 
materiale  Princip  der  Dogmatik:  Deus  triunus  generi  humano 
per  peccatum  originale  penitus  dcpravato  per  Jesum  Christum 
theantiiropon,  morte  expiatorio  defimctnm,  viam  et  rationem 
patefeeit,  qua  homines  per  fidem  in  morte  illa  vicaria  collo- 
catam,  adiuvante  spiritu  sancto,  gratiam  dei  et  salutem  aetcr- 
nam  amissam  recuperare  posäiut,  —  das  formale  Princip: 


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402 


RIT8CHL, 


sententia  de  univeno  scriptarae  saerae  aigamento,  qood  modo 
supianatwali  a  deo  revelatmn  eaae  a^itor.    Von  wd^er 

Au^be  des  Buchen  an  dk'se  Korinelü  aufgeuoiumeu  siud, 
habe  ich  nicht  prniitteln  können. 

Diese  MitUMlungen  strllon  fest,  Uass  die  Distinction  eines 
formalen  und  eines  maierialen  Principa  der  Bogmatik  fast 
gleichzeitig  von  zwei  verschiedenen'  Tbeotogen  sowohl  auf  die 
positiv -lutherische,  wie  auf  die  rationale  AusITilnuni;  der- 
selben aii'^^cwi-ndet  worden  ist.  Ks  luüst  sich  allerdings  nicht 
positiv  beweisen,  dass  Beide  nur  durch  Gablers  Vorgang  auf 
diese  fietrachtimgaweise  hingeleitei  worden  sind;  denn  keiner 
von  ihnen  beruft  ach  ausdrflcküch  auf  diesen  Vorgänger. 
Wenn  dieses  also  nicht  aus  Kucksi<hteH  der  zeitliclien  Nahe 
und  des  gegensrdtigen  Verkehrs  j»Mier  Männer  wahi-scheinlich 
ist,  80  drängt  sich  die  Vermutang  auf,  dass  die  Distinctioo 
von  Baier  entlehnt  ist  Dieser  nämlich  wird  in  einem  Aufsätze 
des  Gablersclien  Joomals  (Bd.  V,  Stück  3,  S.  470):  Ver- 
dient unser  kirchlich -tlieologischer  LehrbegrilV  den  Namen 
eines  SyskrnsV"'  —  ausdrücklich  citirt,  einem  Aulkitze,  den 
Wegscheider  in  der  ersten  Ausgjibe  seiner  Dogmatik  anfahrt, 
nnd  der  wahrscheinlich  von  ihm  selbst  vertot  ist  Hingegen 
ist  es  ausser  Zweifel,  dass  de  Wette  (Dogmatik  der  evan- 
gelisi'h  -  lutherischen  Kirche,  181  ti)  /u  der  Terminologie  durch 
(rahler  gefuhrt  worden  ist,  auf  dessen  Controverec  mit 
lieinhard  er  sich  2n)  ausdrucklich  beruft,  da  er  doroh  den 
Gebranch  der  Distinction  dieselbe  schlichten  zu  kOnnen  und 
den  Meinuttf»en  beider  xugleich  gerecht  eu  werden  überzeugt 
ist.  Ehe  aller  auf  diesen  t§  i'o  einzugehen  ist,  erwiiline  ich, 
dass  de  Wette  in  §  8  in  einer  iicihe  historischer  Erörteruugeu 
über  den  Protestantismus  folgendes  ausspricht:  „Luther  er- 
scheint bei  seinem  ernten  Auftreten  in  jener  Lebendigkeit  and 
Regsamkeit  des  Ctowissens  als  das  reinste  Bild  ehristlidier 
Selbständii^keit.  Die  Idee  des  Glaubens  und  d;is  Zurück- 
gehen aul  die  heilige  Schrift  als  einzige  (Quelle  der 
Wahrheit  enthält  alle  Gegensätze  gegen  den  Katholicismus 
und  alle  Bedingungen  des  erneuerten  christ- 
lichen Lebens.**  Glaubt  man  demgemiss  erwarten  m 
dürfen,  dass  diese  beiden  Tactoreu  der  Keformation  Lutbei-s 


ÜBER  DIE  BEIDEN  PRINCIPIEN  DES  TUOTESTAMTISMUS.  403 


ia  §  20  (Ftincip  und  Charakter  des  F^toafcaiitisinus)  in  der 
bekannten  Weise  als  die  beideu  Principieu  der  Geaamnat* 

erscheinung  formulirt  würden,  so  ist  das  docli  ni<:lit  der  Fall. 
Nur  zur  Hälfte  er<»iebt  sich  eine  Uebereiastinmiung.  Denn 
ab  das  maieriale  Primap  des  ProtestantismiiB  wird  die  „Lehre 
ron  der  fmm  Gnade  Gottes  und  der  Rechtfertigung  dwroh 
den  Glauben"  angegeben.  Aber  als  das  formale  (d.  Ii.  sub- 
jective,  erzencronde)  Princip  wird  ni(^ht  die  besondere  Wert- 
sohfttzung  der  heiligen  Schrift  bezeichnet,  sondern  viehnihr 
„die  Selbständigkeit,  Wahriieitsliebe,  Regsamkeit  des  Ge- 
wissensy  sittlicher  Bnist*^  Allerdings  Iftsst  sich  die  Bedentaiig 
dieses  Factors  des  Protesiautisiuus,  welcher  schon  oben  in  der 
Be«rteilun[(  Luthers  zur  Geltunfj  gebracht  worden  ist,  nicht 
verkennen;  und  dieser  (Jmstand  stellt  es  auch  sicher,  dass 
de  Wette  hier  wirklich  eine  Formel  fiber  den  lebendigm  Prote- 
stantbmos  und  nicht  Aber  die  lutherische  Dogmatik  bildet. 
Aber  in  dieser  Darstellun<r  ist  keine  Stelle  für  den  Wert 
der  heiligen  Schrift  übrig  gclasst'ii.  Der  Satz,  welclier  zwisclieii 
den  Angaben  über  die  beiden  Pi'incipien  steht:  „Die  Dar- 
sfaellttBgs-  und  Auffiissongsweise  ist  ethisch -dogmatisch,  eigen- 
tftmlich  aber  ist  dem  Proteetantismos  die  Kritik  *S  —  besieht 
sich  auch  nicht  auf  die  Autorität  der  Schrift.  Lii^gt  also  hier 
ein  unerwarteter  Mangel  an  Uebereinstiramung  zwischen  den 
beiden  Paragraphen  vor,  so  wird  auch  die  Bestimmong  des 
formalen  Prindps  selbst  aufGallen.  Zar  Aufklfinmg  darflber  ist 
die  „Biblisdie  Dogmatik  Alten  und  Neuen  Testaments"  zu 
vergleichen,  welche  —  1813  erschienen  —  den  allerersten  Ge- 
brauch der  Distinction  in  der  Beurteilung  der  Religion  des 
Alten  Testamentes  und  der  Religion  Jesu  darbietet  Für  jene 
unterBcheideii  u&mlioh  de  Wette  (§  71)  objectives  und  sub- 
jeetiyes  Princip,  und  innerhalb  jenes  zwischen  materialem  und 
foruialem.  Also  das  o  b j  e  c  t  i  v  e  m  a  t  e  r  i  a  1  e  Piüncip  des 
Hebraisums  wäre  „die  Idee  eines  Gottes  als  eines  heiligeu 
Willens,  symbolisirt  in  der  Theitotie.*^  Unterschieden  hie- 
ven „das  formale,  wslches  voHstfindig  symbolisch  ist:  die 
Idee  des  heiligen  Willens  ist  ethisch  symbolisirt,  also  in  das 
Gebiet  der  Vei-standesansicht  herabgezogen".  Von  beiden  ob- 
jecUven  oder  ErscheiAunga-Priacipien  wird  dann  das  subjec- 


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404  RTTSCHL, 

tive  oder  hervorbringende  unterschieden,  welches  als 
Wahrheitsliebe  und  sittlicher  Emst  beKeiehnet  wird.  Ferner 
wird  io  der  Bearteilmig  der  Religion  Jeea  (g  205)  als  ma- 
teriales  Priiicip  die  Lehre  vom  Reich  Gottes,  also  derselbe 
ethische  Charakter  wie  im  Hebraisraus,  nur  nicht  politisch- 
fliymbolisch,  sondern  ethisch  frei  —  angegeben;  als  das  for- 
male, erzeugende  Pnncip  wiedemm  die  Wahrheiisliebe 
and  flittlieher  Bimst.  Kehrt  nun  dieees  Merkmal  auch  in 
Luthers  Oliuial^teristik  und  als  das  formale  erzeugende  Princip 
des  Protestantismus  wieder,  so  zeigt  sich,  dass  de  Wette  in 
den  sp&terra  Fällen  den  Begriff  des  Formalen  und  den  des 
SubjeetiTen  oder  Erzeagenden,  welche  er  am  Hebiaismas 
anterschieden  hat,  nicht  mehr  onterscheidet.  Die  Ungleich- 
heit, welche  sich  der  Auwendung  dieses  formalistischen  Ver- 
fahrens anheftet,  setzt  sich  also  darin  fort,  dass  de  Wette  für 
die  Bedeutung  der  heiligen  Schrift  als  anerkannter  Bedingung 
des  reformatorisehen  Wirkens  Luthers  in  seiner  Formel  fftr 
den  Protestantismus  keinen  Platz  imdet.  Dieses  ist  am  so 
auffallender,  als  schon  Gabler  die  charaktervolle  Selbständig- 
keit nicht  ohne  Einschluss  der  Autorität  der  heiligen  Schrift 
als  das  formale  Princip  des  Protestantismus  anerkannt  hatte. 
Also  de  Wette  hat  die  Elemente  zu  dem  gangbaren  Ausdrack 
beigebracht,  dessen  Herkunft  ermittelt  werden  soll;  allein 
direct  kann  er  nicht  als  der  Urheber  desselben  proclamirt 
werden. 

Achtet  man  aber  zugleich  darauf,  ob  die  von  ihm  vor- 
bereitete Formel  richtig  sein  wird,  so  ist  es  von  dem  höchsten 
Interesse,  die  Abhandlang  Schleiermachers  „üeber  den  eigen» 

tümlichen  Wert  und  das  bindende  Ausehen  symbolischer 
Bücher"  (1819;  Werke,  zur  Theologie,  Bd.  V,  S.  451)  zu 
Bäte  zu  ziehen.  Qegea  das  Ende  dieser  Schrift  kommt 
Schleiermacher  zn  dem  Schlüsse,  dass  die  Etymbolischeil  Bflcher 
der  evangelischen  Kirche  die  ersten  Öffentlichen  Urkunden 
protestantischer  Denkart  und  Lohre,  aber  zugleich  ganz  nach 
aussen  gerichtet  sind,  um  uusern  Gegensatz  gegen  die  Katho- 
liken festzustellen,  dass  sie  demgemiss  die  Punkte  enthalten, 
von  denen  alle  Ptotestanten  ausgehen  und  um  die  sie  sich 
immer  sammeln  müssen.  Indem  also  übrigens  die  Fortbildung 


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ÜBER  DIE  BEn>EN  PBIHCIFIBH  DBB  FBOTliBTAa^^  405 


dar  in  jenen  Bflchm  dafgel^^n  L^re  vorbehalten  wird«  soll 

jeder  Geistliche  angehalten  werden,  seine  Znstimmimg  zn  den- 
selben in  diesem  Umfange  kundzugeben.  „Ich  erkläre,  daas 
ich  alles,  was  gegen  die  Irrtümer  und  Misbräuche  der  rö- 
mischen Kirche  —  beeonden  in  den  Artikeln  von  der  Becht- 
fertigung  und  den  gnten  Werken,  von  der  Kirche  nnd  der 
kirchlichen  Gewalt,  von  der  Messe,  dem  Dienst  der  Heiligen 
und  den  Gelübden  —  gelehrt  ist,  mit  der  heiligen  Schrill 
und  der  ursprünglichen  Lehre  der  Kirche  übereinstimmend 
finde,  und  dass  ich,  so  lange  mir  das  Ldiramt  anvertraut  ist, 
nicht  aufboren  werde,  diese  Lehren  vorzutragen,  und  Uber  den 
ihnen  angemessenen  Ordnungen  in  der  Kirche  zu  halten." 
„Wer  nun  aber",  filhrt  Schleiermacher  fort,  „hierin  nicht 
mit  den  symbolischen  Büchern  übereinstimmt,  wer  z.  B.  nicht 
auf  die  Bechtfertigung  durch  den  Glauben  und  auf 
den  freien  Gebrauch  des  göttlichen  Wortes  hftlt, 
der  kann  unmöglich  ein  protestantischer  Lehrer  sein  wollen;  . 
denn  entweder  neigt  er  sich  zur  katholischen  Kirche,  oder  er 
hält  den  ganzen  Streit,  also  auch  dasjenige,  um  dessen  willen 
der  Protestantismus  entstanden  ist,  für  geringfOgig. 

Die  beiden  von  Schleiermacher  HDr  unumgänglich  er- 
klärten Grundsätze  der  symbolischen  Bücher  berühren  sich 
direct  mit  den  Grundsätzen  Luthers,  aus  welchen  de  Wette 
das  durch  denselben  erneuerte  christliche  Leben  ableitet. 
Allein  Schleiermacher  i^richt  von  denselben  nicht  als  Gründen 
der  Entstehung  des  Protestantismus,  sondern  behandelt  sie  als 
Regel  für  die  Erhaltung  seines  Bestandes  in  der  Gegenwart. 
Allerdings  wird  der  Bestand  einer  solchen  Grösse  durch  die- 
selben Kücksichten  bedingt,  welche  bei  ihrer  Entstehung  mit- 
gewirkt haben.  Weil  nun  hiebei  der  Gegensatz  gegen  die 
romische  Eirdie  ungelöst  geblieben  ist,  so  hftlt  Schleier- 
macher die  Urkunden  dieses  Vorganges,  die  symbolischen 
Bücher,  zunächst  für  unumgängliche  Mittel  der  Orientirung 
auch  in  der  Gegenwart.  Er  geht  aber  weiter,  indem  er  sie 
als  n^tive  Normen,  und  zu  diesem  Zweck  in  gewissen 
Beziehungen  auch  als  positive  Nonnen  fttr  diejenigen 
gültig  erklärt,  welche  als  Lehrer  den  Protestantismus  ver- 
treten und  in  seiner  Eigentümlichkeit  erhalten  wollen.  Als 


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406 


S1T8CUL, 


positive  Norm  der  kirchlichen  liphrer  also  bezoiclmet  es 
Schleiermacher,  dass  man  auf  die  Lehre  von  der  KechUer- 
tigung  durch  dtu  Glauben  hiüt,  und  auf  dmi  freien,  d.  h. 
zugleich  ansschlienlichen  Gebmach  der  heiligen  Schrift  zur 
Begrenzung  der  berechtigten  Lehrweise.  Diese  Grundsätze 
bezeichnet  er  nun  niclit  als  die  Priuci]äeii  oder  Entstehuags- 
gründo  des  Protestantismus;  aber  luaa  kann  ihn  auch  nicht 
mit  Becht  flo  verstehen,  als  eb  er  es  so  meine.  Meint  er 
sie  vielmehr  nur  als  die  Merlmiale  and  die  Mittel,  durch  deren 
Behauptung  der  Piotestuntismus  in  der  lüchtuiig  auf  seinen 
Zweck  erhalten  wird,  „um  dessen  willen  er  entstanden  ist", 
so  ist  diese  Betrachtung  gegen  die  Frage  nach  den  Gedanken, 
aas  welchen  der  Protestantismas  entstanden  wire,  gleichgültig. 
Die  Lehre  von  der  Bedhtfertigung  würde  der  ihr  zogewiesenen 
Bestimmung  dienen,  wenn  sie  auch  nur  der  praktische  com- 
pcndiarische  Schlusdsatz  der  Gedankem'eihe  ist,  aus  der  die 
Keformation  m^lich  wurde.  Die  Schätzung  der  anasohliesa- 
lichen  Autorität  der  heiligen  Schrift  kann  als  notwendig  ge- 
achtet werden,  um  die  riditige  Methode  ftr  die  gegenwftrtige 
Lehrweise  zu  sichern,  ohne  dass  damit  zugestanden  wäre,  daas 
die  Reformation  hieran  ihren  ui-sprüngiichen  einigen  Hebel 
besessen  hätte.  Also  nicht  als  die  Principien  des  Protestan- 
tismas zur  geschichtlichen  ErUSrong  dssselbeii  werden  dieas 
Grundsätze  von  Sohleiermacher  aufgestellt,  sondern  als  die 
Minimalforderung  an  die  üeberzeugung  der  evangelischen 
Lehrer,  sofern  sie,  richtig  verstanden,  für  die  entsprechende 
Au£Gusnng  der  ganzen  protestantischen  Weltanschauuiig 
bürgen. 

In  Twestens  „Vorlesungen  über  die  Dogmatik  der  evaor 

gelisch- lutherischen  Kirche  nach  dem  Compendium  des  Herrn 
Dr.  de  Wette"  (1.  Bd.  1626)  zeigen  sich  die  Aufstellungen 
des  letatam  als  maseigebend,  ohne  dass  eine  berichtigende  Ein- 
wirkung der  Schrift  Schldermachera  zu  bemerken  wäre.  Zu* 
gleich  aber  ist  das  Verfahren  des  Gommentators  mit  dem 
Text  seines  Vorgängei-s  so,  wie  es  in  aller  Scholastik  zu  sein 
pflegt  Die  ursprüngliche  Begrenzung  der  Ansichten  des  Vor- 
gängers wild  nicht  innegehalten.  Hatte  de  Wette  unter  §  8 
gesagt,  die  Idee  des  Ghinbens  und  der  eigentfimlidie  Ge- 


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Ober  die  beiden  PRINGIFIBN  des  PB0TBSTAim8MU&  407 

brauch  der  keUigen  Schrift  durch  Luther  enthielten  alle  Be- 
diugaogen  des  emeoerton  christlichen  Lebens,  so  fiisst  Twesten 
diese  Angabe  als  die  der  Principien  der  Reformation 

auf  und  bestimmt  deren  Wert  daliiu,  dass  sie  der  pelagia- 
uisjcheu  Riclitun^  des  Katholicismus  und  der  katholischen 
Theorie  von  der  Tradition  und  der  kirchlichen  Autorität  ent- 
gegengesetzt seien.  Deutlieher  aber  ftberschreitet  er  deWettes 
(Gesichtskreis,  indem  er  in  der  Weise  ^tsofaneiders  bemerUich 
macht,  d'dss  der  zweite  Grundsatz  aiü  den  ersten  zu  reduciren 
oder  von  ihm  abzuleiten  sei.  Denn  dieses  theoretische  In- 
teresse entfernt  sich  weit  von  der  Art,  in  welcher  de  Wette 
sich  darauf  beschränkte,  Orientirangspnnkte  für  das  geschicht- 
liche Verständnis  der  Reformation  zu  bezeichnen.  Unter 
§  20  richt<;t  nun  Twesten  mit  do  Wette  die  Frage  auf  das 
Princip  und  den  Charakter  des  Protest  an  tiamus;  rechnet 
aber  darauf,  durch  die  Antwort  befähigt  zu  werden  von  vorn- 
herein den  Wert,  die  Notwendigkeit  und  die  Stellung  aller 
Dogmen  richtig  m  wärdigen.  Darin  kfindigt  sich  die 
charakteristische  üngeiiauif(keit  an,  mit  welcher  die  Formel 
von  den  zwei  Principien  fortan  behaftet  bleibt.  De  Wette 
hat  in  seinem  §  20  wirklich  und  treffend  die  Principien  des 
Protestautismus  bezeichnet;  nur  hat  er  deren  Aufistelinng 
mit  seinen  früheren  Angaben  über  die  Bedingungen  der  Re- 
formation nicht  ausgeglichen.  Twesten  aber  scheint  einer 
Einwirkung  Bretsclnieiders  nachgegeben  zu  haben,  indem  er 
die  Lehre  von  der  Kcchti'ertiguug  durch  den  Glauben  als  das 
materiale  Princip  der  Dogmati k  in  unsrer  Kirche  bezeichnet, 
während  man  erwartet,  dass  er  nach  Anleitung  deWettes  die 
principielle  Stellung  dieser  Lehre  oder  dieses  Gedankens  zu 
der  Lebensgcstalt  des  Protestantismus  nachweisen  werde. 
De  Wette  hat  in  seinem  g  20  als  das  formale  Princip  des 
Protestantiamus  die  subjective  erzeugende  Kraft  der  Gewissen- 
haftigkeit und  den  sittlichen  Emst  aufgeführt;  von  Autorität 
der  heiligen  Schrift  war  in  diesem  Zusammenhang  überhaupt 
hieht  die  Kede,  sondern  nur  noch  von  dem  Antriebe  zur 
Kritik  im  Protestautismus.  Das  stimmte  also  nicht  direct  mit 
dem  Inhalte  von  §  8.  Twesten  nntemimmit  es  nun,  diese 
Ueber^nstimmnng  herznstellen,  und  der  Autorität  der  hei- 


408 


BITHCHL, 


Ilgen  Schrift  ihre  Stelle  als  formales  Prindp  des  Prote- 
-stantiBmns  zu  verschaffen.    £r  dedncirt  nfimlieh,  daas  die 
im  materialen  Prindp  mitgesetzie  ErlOanng  auch  die  Er- 
leuchtung des  Verstandes  verbürge,  dass  also  mit  dem  recht- 
fertigenden Glauben  auch  das  Vertrauen  aui'  die  in  der  heiligen 
Schrift  au tl)e wahrte  Offenbarung  zusammen  sei.   Wamm  nnn 
dieser  Grundsatz  formaieB  Princip  des  FroteatantismuB  ist, 
darQber  hat  sich  Tweeten  mit  der  abweichenden  Ansicht 
de  Wettes  nicht  auseinandergesetzt.    So  wie  die  Ableitung 
der  Auetoritat  der  heiligen  Schrift  an  dieser  Stelle  erfolgt» 
darf  dieselbe  nur  als  eine  Bestimmung  innerhalb  dee  ma> 
terialen  Principa  der  Dogmatik  geltend  gemadit  werden. 
Sofern  de  Wette  die  persönliche  Gewissenhaftigkdt  als  das 
formale  oder  erzeugende  Prindp  des  Protestantismus 
behauptet,  ist  es  eine  directe  Verletzung  der  Grenzen  des 
Lehrbuchs,  dass  durch  Twesten  stillschweigends  die  Antoritftt 
der  heiligen  Schrift  als  das  fonnale  Prindp  dea  FroteBtantismns 
eingesdioben,  nnd  die  Gewissenhaftigkeit  zwar  als  das  snb- 
jecti verzeugende,  aber  nicht  mehr  in  dem  Sprachgebrauch 
de  Wettes,  als  das  formale  Princip  des  ProtesUntismus  aner- 
kannt wird.  Twesten  bringt  sein  formales  Frindp,  die  An- 
toritftt  der  heiligen  Sdirift  zwar  noch  in  Yeibindnng  mit  dem 
von  de  Wette  beiläufig  berücksichtigten  Merkmal  der  Kritik 
im  Protestantismus.    Jener  Massstab  der  heiligen  Schrift, 
sagt  er,  diene  zur  Ausscheidung  alles  blos  menschlichen 
irrigen  Yerstftndnisses  der  Sache,  die  Anwendung  desselben 
stelle  sich  also  als  Kritik  dar.    Es  unterliegt  mir  jedodi 
keinem  Zweifel,  dass  dem  Text  de  Wettes  hierin  ein  fremder 
Sinn  aufgezwungen  wird,  so  wie  es  klar  ist,  dass  dessen  Ter- 
minologie zerrissen  wird,  um  die  Autorität  der  heiligen 
Schrift  als  formales  Princip  des  Protestantismus  einzuschieben. 
Erklärt  wird  diese  Neuerung  (freilich  durch  das  Bestreben,  den 
§  20  de  Wettes  durch  dessen  S  ^  zu  ergiinzi  u;  ich  kann  aber 
nicht  umhin  zu  vermuten,  dass  Bretschneiders  Formulirung 
hiezu  mitgewirkt  hat.    Nun  lautete  dessen  Formel  in  beiden 
Gliedern  auf  die  Prindpien  der  lutherischen  Dogmatik. 
De  Wettes  Vorlage  lautete  auf  das  Princip  des  Protestan- 
tismus, und  zwai*  sehr  deutlich  darum,  weil  der  Factor  der 


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ÜB£R  DIE  B£U>£N  PROiCIPlEN  DES  PfiOTESTAMTISMUS.  409 

persßiilicheii  Gewissenhaftigkeit  und  des  sittlichen  Ernstes  als 
subjectives  Princip  iu  Anschlag  f^ebracht  war,  ein  Factor,  der 
für  die  Intheriache  Dogmatik  als  WiaseiiBeluift  nieht  apecifischer 
betont  m  werden  braucht,  als  für  alle  Bemfsaufgaben.  Also 
durch  die  de  Wettesche  Vorlage  war  Twesten  nicht  auf  die 
lutherische  Dogmatik,  sondern  auf  die  Lebensgestalt  des  Pro- 
testantismus hingewiesen.  Hat  er  non  aber  das  materiale 
Prindp  auf  die  Glanbenslehre  bezogen,  so  stimmt  das  im 
wesentliehdn  mit  Bretschndder;  hat  er  daneben  die  Antoritftt 
der  heiligen  Schrift  als  da^  formale  Princip  des  Prote- 
stantismus aufgestellt,  so  stimmt  das  zwar  gar  nicht  mit 
de  Wette,  aber  zur  H&lfke  mit  Bretschneider,  und  die  halbe 
Abweichnng  Ton  dessen  Eormel  ifüai  daher,  dass  bei  de  Wette, 
dem  Twesten  efficieU  folgt,  von  Protestantismns  nnd  moiht  von 
lutherischer  Dogmatik  die  Rede  ist. 

So  ist  die  Formel  durch  Twesten  im  Jahre  1826  zustande 
gekommen,  in  der  unsichem  Beziehung,  dass  man  bei  den 
Yertietera  deiseLben  nie  weiss,  ob  die  beiden  Prindpien  fifir 
den  Protostantismns  oder  (ftr  die  Intherisehe  Dogmatik  gelten 
sollen.  Diese  schillernde  Haltung  erklärt  sich  jetzt  sehr  ein- 
fach daraus,  dass  die  Formel  in  einem  Commentar  über  die 
fremden  Gedanken  de  Wette's  durch  die  Einmischung  der  noch 
fremderen  Gedanken  Bretschneiders  fertig  gemacht  ist 

Eine  abweichende  Haltung  zn  dem  Torliegenden  Problem 
nimmt  Hase  ein  (Hutterus  redivivus,  1829,  §  9).  Zunächst 
deutet  er  die  Frage  nach  dem  Wesen  des  Protestantis- 
mus so,  dass  es  sich  um  ein  Princip  handele,  aus  welchem 
alle  eigentflmlichen  Dogmen  hervorgehen  oder  durch  welches 
sie  eigwitltmlieh  bestimmt  werden.  Br  scheint  nnn  alter- 
nativ zu  verfahren,  indem  er  annimmt,  das  Princip  könne 
materiell,  oder  es  könne  formell  sein;  in  jenem  Falle  ein 
Dogma,  welches  alle  anderen  modificirt,  also  der  Satz  von 
einem  solchen  Yerderben  der  menschlichen  Nator,  dass  die 
Vefsdhrnrng  mit  Gott  durch  den  Glauben  allein  mOglich  sei; 
in  diesem  Falle  ein  Gesetz  Aber  Ableitung  sämmtlicher 
Dogmen,  also  die  alleinige  Autorität  der  heiligen  Schrift 
Indes  nimmt  Hase  doch  an ,  dass  beide  Prindpien  zusammen 
den  Protestantismus  diarakterisiren  sollen.   Er  billigt  aber 

Mtoehff.  i:  K.-0.  27 


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410 


äieauk  Vcfsehtagf  oichi    Denn  entwote  wArde  jenen  Prin* 

cipien  absolute  unfehlb««  Autorität  beigelegt;  dann  wäre 
der  Protestantiäuius  nur  eine  Abart  dea  KathoUcismaß.  Oder 
die  Wahrheit  des  materiellen  Principe  kann  durch  das  fonoflUe 
widerlegt  fneidea,  dieees  eelfaet  aber  berobt  anf  einer  Auange 
dar  Kirche,  welche  eelhet  niebt  nnfeblhar  ist    ,,Ihdtor  isfc 
der  Protestantismus  notweiuiig  aus  einem  höheren  Gesiclits- 
punkt  aufiuiiitösen/'   Sein  positiver  Charakter  sei  ,,das  Heil 
dnffoh  Christus  ergrüTen  im  Glauben 'S  sein  negativer  ttdaa 
PvoMiren  wider  birchliabe  Unfehlbarkeit^.  Ich  fthre  diese 
fSrOrtemag  im,  nidht  um  in  die  DiecnsBioB  fiber  dieselbe  0tn- 
Zwutroton,  soiulei  II  um  die  ünklarhwt  zu  constatiren,  in  welclier 
Ha&e  die  Ansicht  darstellt,  die  er  bestreitet ,  die  er  also  aur 
in  dieser  Unklarheit  voigefüaden  hat,   Erat  handelt  es  «Ld^ 
bei  dem  Princip  des  ProtaBtantiamua  wa  mm  den  GniDd 
der  Erirlftrmijf  aller  seiner  Dag men  uid  ihres  gegensmtigen 
Zuijammcnhanges;  die  widerlegende  Beurteilunt^  aber  richtet 
amU  AU^  4i6  Anschauung  eiues  praktischen  Lobeuszusamaiieii- 
bangas,  der  eatwedar  auf  unfohlbarer  Autorität  beruht,  und 
daMi  aichi  fvotestaatlsoh  wftra«  oder  ohne  dieselbe  inahi 
bindern  kann,  daas  die  Oeltani?  der  beiden  Principiea  in  der 
Ueborzeugimg  ilor  Menschen  sich  ula  widerspruchsvoll  crweisoH 
würde.   Die  lidiaiulluiig  aber,  welche  Hase  der  uns  beschäf* 
tigendeB  Formal  mrendet,  ist  nkdit  mur  absiehtiieh  g^en 
Bretsohneider  gipriehtet,  aondem  venii  aoeb,  daas  Hase  4en 
modemea  Ursprung  derselben  von  den  AnUsaen  ganan  unler- 
si;hoidßt,  welclie  sie  in  den  von  ihm  angeführten  äcbuuil« 
kaldipchen  Artikeln  findet. 

Oean  kommen  niu  aber  noch  Solganda  Baobaohtgagen, 
ladm  3Vastan  van  aatnen  FQbrer  de  Wette  an  den  oben 
anBeiaander^esetaten  Aaadrfiokia  sich  verleiten  liess,  bat  er 
ilamit  üffinibaj'  mclitü  Endgültiges  und  luibodingt  Massgebeudes 
aufstelkn  wollen.  Dean  S.  75  des  angeführten  Üaade»  er- 
l^eant  er  deo  Q^easats  der  katboliachen  aad  der  pvotestan* 
Uaslm  I#ebre  van  der  Kireka  als  den  Punkt  an,  ««lamit  die 
meislea,  am  niebt  in  sagen  alle,  fibrigen  Versdiiadenbaiiea 
zusammeabängen."  Er  beruft  sich  ferner  S.  74  auf  Melancli- 
Üäm  und  Uellaiaiin  daför,  dsßs  die  Abweiühuagen  zwiacUea 


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tinm  i>m         msmm  9Ea  mimmAwmuxjB.  41 1 

Katholiken  und  Protestanten  unter  4m  zwClf  Artikeln  des 
apoBtoliaeheii  Symbolum  lianpiBfichlioh  n«r  die  von  der  Kirche 
und  ¥0B  der  Bfindenvergebung  befarefflm.  Twesten  bat  Uevon 

keinen  directen  Gebrauch  zur  Beetiramung  des  Princips  des 
ProtestaJitismus  gemacht ;  sonst  würde  er  mir  die  Formulinmg 
Yorw^enommen  haben,  welche  ich  in  der  YeroOhiiaiigBiehre 
a.  a.  0.  aitfgesleUt  Inbe.  Aber  eeiae  Bemerkangen  beweisen, 
€to8B  es  ihm  mit  den  F(Mnneln,  die  er  naeb  der  Anlage  seines 
Buches  auf  Anliiss  von  de  Wette  gebildet  liat,  nicht  so  ernst 
gewesen  sein  kann.  Dieselben  sind  auch  durchaus  nicht  so- 
bald überall  recipirt,  flberbaupt  nicht  fiberall  bdrannt  gewesen. 
NUasseb  in  der  „Protsetanlisohen  Beantwortong  der  Symbolik 
noblen**  (Stndlen  and  Kritilten  1634.  1635)  maebt  keinen 
Gebrauch  von  der  Formel.  Erst  durch  die  gleichzeitige  (1834) 
Schrift  U Ilmanns  über  Johann  Wessel  (S.  181)  sind  die  von 
Twesten  ausgeprägten  Formehi  zu  der  Einwirknng  auf  die 
gesehiebtliebe  BeortMlnng  der  Befoimaiion,  des  Prote- 
stenttraraB,  nnd  der  in  ibm  entsliaadenMi  Confessionen  gelangt, 
welche  sie  fast  als  kanonisch  erscheinen  lasst. 

Darauf  aber  werde  ich  nicht  weiter  eingehen.  Ich  will 
itnr  nedi  an  einem  Beiqnel  zeigen,  wie  yerscbieden  die 
Distinelien  swisoben  materialem  nnd  formsdem  Princip  anf  dem 
Gebiete  der  Theologe  m  der  Zeit  angewendet  werden  konnte, 
welche  hinter  der  Dogmatik  von  Twesten  liegt.  Sartori us 
(IMe  innere  Verwandtschaft  des  Ratioualisnnis  und  des  lioma- 
nismnB,  1826)  sagt,  der  Bationalismns  vertrete  „die  Ansicht, 
dass  die  BrkenntniBqnelle  oder  das  materiale,  Erkenntnis 
gebende  Princip  der  Beligton  (denn  fiber  das  formale  oder 
Erkenntnis  empfangende  kann  kein  Streit  sein)  innerhalb  der 
Grenzen  der  menschliclicn  Natur  zu  suchen  sei**,  —  und 
nicht  in  gOtÜieber  Offenbarung  (fik  16).  Die  Lehre  von  der 
Beebtfertigung  durch  den  Glauben  nennt  Sartorius  die  Fnn- 
danientallehre  des  evangelischen  Christentums  (S.  55.  190); 
er  kennt  also  den  S|>r.icligebrau(-]i  gar  nicht,  welcher  seit 
zehn  Jahren  sich  vorbereitete.  In  dem,  was  er  als  das  un- 
zweifelbaAe  formale  Princip  der  Erkenntnis  in  d«rBeligion 
anerkennt,  ebne  es  m  bOKelefanen,  daif  er  woU  mit  Weg- 
scheider  und  de  Wette  zusammengestellt  werden.  Allein  wenn 

27* 


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412 


BnrBGHL, 


man  uach  den  Andeutungen  von  Sartohos  eine  Formel  für 
den  Protestantiamos  zn  bilden  hiUAe,  ao  wfiide  daa  materiale, 
also  daa  Erkenntnis  gebende  Princip  auf  die  Offeidtoruug  in 

der  heiligen  Schrift  lauten  müssen,  das  form  nie  Fmicii»  des 
evangelischen  Christentums  aber  auf  die  persouliolie  Qewissheit 
der  Rechtfertigung  durch  Chriatua. 

Also  giade  omgekehrt  ginge  ea  anehi  Und  zwar  würde 
diese  Formel  dem  unprOnglichen  Sinne  des  Begri  Iispaares, 
also  dem  Sinne  entsprechen,  den  Aristoteles  damit  verbunden 
hat.  Dass  es  anders  gekommen  ist,  ist  nun  zwar  richtig; 
allein  mir  scheint  es,  als  ob  dieses  in  sehr  zu^liger  Weise 
geschehen  ist  Es  erinnert  mioh  an  die  Art,  wie  die  Be^ 
hauptuug  der  sieben  Sacramente  der  Kirche  dnrch  den  Lom- 
barden in  ihrer  Ueberzeugungdkrull  dadurch  unterstützt  worden 
ist,  dass  die  Vorstellung  von  septem  sacrameuta  schon  vorher 
im  Umlauf  war  (vgl.  Steitz  in  Herzogs  Bealencjkiopfidie 
Xin,  Sb  243.  244).  Man  wnsate  von  aeptem  sacrameDla 
regenerationis,  d.  h.  von  den  Acten  der  Einweihung  der  Eate- 
chumeneu,  und  von  septem  saoramenta,  quibus  ordo  domiuiaie 
dispeusationis  impletur,  d.  h.  von  den  Geheimnissen  des  Lebeus 
Christi ;  die  Formel  war  zur  Aufnahme  verschiedeoai-tigeu  In- 
haltes diaponirt,  also  warum  auch  nioht  zu  dem,  wekfaen  der 
Lombarde  fßr  sie  &nd  ?  Aehnlich  setzte  man  die  Distinction 
eines  formalen  und  materialen  Principe  mit  der  lutherischen, 
mit  der  rationalistischen  Dogmatik,  mit  der  lieformatiou,  mit 
dem  Protestantismus  in  Beziehung ;  die  Formel  ging  um, 
und  suchte,  welchen  Inhalt  aie  veiachliDgen  konnte.  Ea  iat 
ganz  zuftlüg,  daas  ihr  Gebraudi  nicht  in  der  Linie  Bret- 
schueiders,  dem  Köllner  (Symbolik  der  lutherischen  Kirche, 
lbJ7,  S.  599)  zustimmt,  nicht  in  der  Linie  Wegscheidels, 
sondern  in  der  Linie  deWettes  zur  weitern  Verbreitung  ge- 
langt ist  Die  Zufälligkeit  dieses  Erfolges  wird  nur  dadurch 
eingeschränkt,  dass  bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  die  Schule 
Schleiermachers  am  Ruder  war,  und  dasa  in  ihr  die  Autorität 
von  Twesten  und  Uilmaun  natürlich  den  Ausbchlag  gah. 

Es  ist  doch  merkwürdig,  wie  kurz  das  Qed&chtnis  der 
Menschen  ist  Als  Beck  im  Jahre  1861  die  Anfrage  an 
Ullraann  richtete,  bemerkte  er,  unaere  Generation  sei 


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ÜBER  DIE  BEIDEN  PRINCIPIEN  DEb  riiOTEaiANTISMUS.  413 

gewohnt,  die  Dirftinction  als  eine  Ueberlicferung  von  Luther 
oder  von  der  ältesten  Epoche  lutherischer  Theologie  her  an- 
zusehen. Damals  war  die  Formel  durch  Twesten  grade  vor 
fÜnftindzwaDzig  Jahren  fertig  geworden.  Ihre  ersten  Eeiine 
lagen  nnr  ftinfzig  Jahre  rarflck.    Trotzdem  galt  die  Sache 

• 

als  unvordenklich  feststehend!  Die  beste  Auskunft  konnte 
schon  damals  Twesten  geben,  vielleicht  auch  Hase.  Haben 
dieselben  die  Anfrage  in  der  weit  verbreiteten  Zeitschrift 
fiberaehen,  oder  haben  sie  es  nicht  der  Mfihe  wert  geachtet, 
sie  zn  beantworten,  oder  war  ihnen  selbst  nicht  metor  er- 
innerlicli,  dem  einen,  dass  er  bei  der  Feststellung  der  Formel 
beteilii^t,  dem  andern,  dass  er  als  ihr  Gegner  mit  ihrer  Neu- 
heit bekannt  war?  üllmann  bat  geschwiegen.  War  er  als 
Historiker  in  den  dogmatischen  Bttchem  nicht  heimisch,  oder 
hat  ihm  die. geschichtliche  Spflricraft  gefehlt,  am  den  Faden 
der  Entdeckung  zu  ergreifen?  Kurz  es  hat  seit  der  Anfrage 
Becks  fünfundzwanzig  Jahre  gedauert,  bis  ich  mit  einer  Ant- 
wort dienen  kann,  nach  welcher  vielleicht  nur  wenige  fragen, 
und  die  vielen  eine  nnangenehme  Enttäoschnng  bereiten  wird. 
Denn  die  Formel  erfrent  sich,  wie  ich  beobachten  kann,  einer 
ganz  ungemeinen  Gunst;  Gunst  und  Misgunst  aber  sind,  wie 
ich  weiss,  sehr  starke  Stützen  und  Hebel  theologischer  üeber-  . 
agengnng.  Aber  es  hilft  nichts.  Die  Formel  ist  grade  fünfzig 
Jahre  alt;  einschliesslidi  ihres  vorbereitenden  Stadiums  reicht 
die  üeberlieferuiig  bis  auf  fünftmdsiebzig  Jahre  znrfick ;  weiter 
nicht.  Also  alt  ist  die  Formel  noch  gar  nicht;  aber  ich  hoffe, 
sie  hat  ausgedient.  Vielleicht  wirkt  diese  Nachweisung  ihrer 
Entstellung  dazu,  ihre  völlige  Unsicherheit  deutlicher  erkennen 
zn  hissen,  ab  es  durch  technische  Widerlegung  erreichbar 
zu  sein  scheint.  Nebenbei  aber  darf  man  sich  überlegen,  ob 
eine  Formel  für  das  Wesen  des  Protestantismus  zweckmässig 
sein  kann,  welche  nicht  an  dem  Begriff  von  der  Kirche  orien- 
\irt  ist 

[Geschrieben  im  December  1875.] 


Kritische  Uebersicht 

über  die  kircheiigeschiehtliehea  Arbeiteii 

aus  dem  Jahre  1875. 

IIL 

Geschickte  des  französischen  Froteatantismus. 

Von 

Prof.  Dr.  Tkeodor  Sekott  in  Stuttgart 


filnloliiuig. 

Societe  de  Thistoire  du  Protcstantisine  Iran9ais. 

Jbi  ihrer  Discipliiie  ^eol^siastiqo»  (Y.  ari  3^)  lat  die 
fnmOfBwhe  proiestaiitiflche  Eiiolie  die  erwfthneiisipirte  Ter- 

Ordnung:  „Ea  cbacnne  (^glise  (on)  dressera  des  memoire»  de 
troutes  chosea  notables  pour  le  iait  de  religiou."  Ist  dieselbe  auch 
nicht  überall  buclistäblicb  befolgt  worden,  so  hat  sie  dock  die 
reichstea  Eriicbte  getngeii;  deun  der  hittorische  äimiy  die 
Liebe  ÜQr  die  QeseUehte  ihrer  Kirche  wurde  daD  Froteetanten 
Frankreichs  damit  gleichsam  eingeimpft,  und  was  die  Ver- 
gangenheit an  Schätzen  aller  Art  gesammelt  und  aufgespeichert* 
liat,  wird  iu  der  G^enwart  studirt,  benütst,  herausgegeben 
und  mit  einem  Interesse  aoij^ommen,  wie  matt  es  bi>mn 
grosser  wftnschen  Inum.  Die  taritische  Lage,  in  welcher  sich 
gegenwärtig  der  Protestantismus  jenseits  der  Vogesen  befindet, 
von  ParteiuQgen  zerüeiscbt  und  vom  Ultramontismus  bearg- 


OSSCmCHTS  DES  FIUMZ.  PBOTEBTANTISIIUS  TON  SGBOTT.  415 

wdfant  uod  bedroht,  lenkt  den  Blick  von  selbst  zurück  auf 
eine  gleichfalls  leidernivolle,  aber  doch  «^Horreiche  Vergangenheit» 
um  aus  der  Fülle  bedeutender  Charaktere,  Männer  wie  ftaaen, ' 
iM  dem  weohMiToUeD  Boliickad,  der  gewAltigM  LebcBtemigii, 
womit  der  Mb  verfdgto  sieb  nie  mideliteii  liesB,  neM 
Leben  zu  schöpfen  und  für  den  Kampf  der  Jetztzeit  Bich  zu 
stärken.  Nimmt  man  noch  das  Tn^che  hinzu,  welches 
diesem  Zweig  der  christlichen  Kirche  seine  eigentümliche 
£ftrb«ng  gibi,  80  leblt  ee  licht  an  Momenten,  welche  den 
Oesebiehtecliteiber  locken,  dies  Gebiet  ürseieDd  so  dttüb- 
wandern;  die  Grenze,  mit  welcher  Kaum  mid  Zeit  es  um- 
schränken, scheint  die  Arbeit  leichter  zu  maclien,  und  die 
Verbindung,  in  welcher  der  fmnzosische  Protestiintismua  stets 
mit  dem  Audaiide  stand«  fthrt  aacb  die  SobrifksleUer  aadiOT 
Nationen  diesem  Teile  der  finmiOsisdiea  Qoeehiohte  sn. 

IXii)  grösste  Verdienst  um  Belebung  und  Förderung  dieser 
Studien  hat  sich  ohne  Frage  die  Societe  de  l'histoire 
du  Protestantisme  fran9ai8  erworben.  Im  Jahr  1862 
g^grflndet  ist  oe  in  den  dioiwidswanzig  Jahren  ihiee  Be- 
stehens ibiem  Ziele,  die  Gksddohle  ihrer  heimatlioihen  Kirche 
nach  allen  Seiten  hin  bekannt  zu  machen,  mit  einem  Kifer 
und  einer  Umsicht  nachgekommen,  welche  alle  Anerkennung 
verdienen  das  Görnitz  bat  stets  bedeatende  Männer,  ausge- 
zäcbmte  Gelehrte  zn  semen  Milgliedeni  gerthli,  wir  nemieii 
YOD  den  gegenwirtigen  nnr:  Fem.  Schiekler,  JnL  Delaborde, 
Jul.  Bonnct ,  Muur.  Block,  Hen.  Bordier,  Charl.  Kead, 
Ed.  Sayous,  Charles  Waddington;  die  Gesollschaft  lasst  auf 
ihre  Kosten  NacMorschungen  in  BiUiotheken  und  Archiven 
vennskaHen,  gibt  nnedirte  oder  forgrifliKie  SdiriAen  henma, 
stellt  Preisanfgaben «);  in  ihr  haben  ^e  BMkA  wenigstens 
auf  französischem  Boden  einen  festen  Mittelpunkt,  und  es  lässt 

1)  Die  Qeaelkcfaaft  veröflontÜGbte  antfir  dem  Tito] :  Notico  gor  la 
Bocicte  de  lliißtoire  du  Protestantisme  fraiivais  1S52— 1872"  (Paris  1874), 
eine  ebenso  interes.sant4?  als  anziehende  IJebersicht  nl)cr  ihre  Geschichte. 

*)  Eine  Fraclit  davon  ist  s.  B.  das  Tortrefflkb«  Wtrk:  Antoine 
Court,  Histoire  de  la  resianmtion  da  ProltstantisiiiB  m  taape  n 
XViU«  siedo  d^aprie  4m  doouMiii  Mditi  pw  fi.  Hagvea  1.  9. 
Paris  1878. 


416  KlUmCUK  ÜBIiltöKJUTEN.  1876.  UI. 

sich  niclit  verkennen,  daes  unter  ihrer  sieheren  und  beskimmtoa 

Leitung  die  Fom  huni^cti  fruchtbarer  geworden  sind. 

Ein  treffliches  Or^m  steht  der  Gesellschaft  zur  Seite,  in 
ihrem  monatlich  erscheinenden  Bulletin  von  dem  tätigen 
SekretAr  der  OeseUaehaft  JnL  Bonnet  nmaiehtig  und  ge- 
flohmaekvoU  geleitet,  bat  jeder  seiner  Jalirgftnge  die  Geschicliie 
de»  tianzösischen  Protestantismus  wesentlich  gefordert ;  uuedirte 
Dokumente  werden  abgedruckt,  interessante  Fragen  angeregt, 
zuweilen  auch  geltet,  mancher  Aufsatz,  der  später  zu  einem 
stattlichen  Buche  anschwoll,  hat  hier  zueiat  das  Licht  der 
Welt  erblickt;  tUr  den,  der  sich  mit  der  Geei^ichte  dee  Pro- 
testantismus bekauiit  machen  will,  ist  es  der  uneiitbthi liehe 
Handlanger,  aber  seit  der  vorteilhaften  Umwandlung  im  Jahr 
1866  aus  einer  historisch -archivalischen  Zeitsclirift  in  eine 
literarische  ist  es  auch  in  vielen  franzfieischen  fVunilien  ein 
gern  gesehener  Hansfreund,  Ar  die  sieb  gegenfiberstehenden 
Parteien  der  reforiiiirten  Kirche  ist  es  ein  friedlicher  Tummel- 
platz zu  der  gemeinsiiraen  Arbeit  an  ihrer  Helden-  und  Mär- 
tyrergeschichte. Dass  manches  Unbedeutende  in  den  23  Banden 
des  Bulletin  sieckt,  wer  wollte  dies  leugnen!  aber  da»  das 
Wertvolle  bei  ireitem  tiberwiegt,  zeigt  ein  einziger  Kick 
auf  den  Inhalt  jedes  Jahi  >,an^^s  -). 

Ein  weiteres  Hülfsmittel  stellt  die  Gesellschaft  dem 
Forscher  ihrer  Geschichte  zur  Verfügung:  ihre  Bibliothek. 
Lange  war  die  Qrllndung  einer  solchen  in  Aussicht  genommen, 
am  10.  November  1865  vrurde  sie  beschlossen  und  sogleidi 
ins  Werk  gesetzt.  Dieser  glückliclie  Gedanke  ist  vom  schön- 
sten Erfolge  gekrönt  gewesen;  kostbare  Bücher,  seltene  Aus- 
gaben, Manuscripte,  Medaillen,  Stahlstiche,  Photographien  eta 
(denn  die  Bibliothek  soll,  etwa  nach  Art  des  germanischen 
Museums  in  Nfimberg,  eine  Vereinigung  von  aUem  auf  den 
französischen  Protestautismus  Bezfiglichen  bieten)  strömten 
von  allen  Seiten  als  Geschenke,  durch  testamentarische  Ver- 


1)  Bulletin  lüstorique  et  ytt^raire,  T.  XXJV.  Deuiieme  ^m. 
Dijdemc  Annee.    Paris,  Agence  centrale  de  la  socieU',  1875.  p.  57G. 

^)  D<  r  Inhalt  des  Jabigaugs  1875  wird  bei  den  gingelneo  Perioden 
aDgeTülirt  werden. 


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OBBGBXCHTB  DE8  FRANZ.  FBOTEBTAMTISlfUB  VON  SCHOTT.  41 7 

füguüg  dem  Coniiti';  zu,  manches  wird  aucb  durch  Kauf  er- 
worben; aber  den  Haaptsafloss  bilden  die  Geschenke,  nnd  das 
Balletin  bat  jedes  Jahr  mehrmals  die  angenehme  Pflicht, 

lange  Listen  von  Guben  aufzuführen.  Statt  des  bescheidenen 
Schrankes,  der  im  ersten  Jahre  die  weuigeu  Bücher  uraschloss, 
genägt  jetzt  ein  geräumiger  Lesesatil  (Place  Yendöme  N.  16) 
kaum  mehr,  am  alle  Beichtflmer  (mehr  als  7000  Bftnde)  za 
beherbeigen.  Noch  ist  sie  keineswegs  vollstftndig,  aber  doch 
leuchtet  der  Wert  dieser  in  sich  geschlossenen  Sammlung 
ein;  wer  in  Paris  Studien  machen  will,  ist  in  der  vorteil- 
haften Lage,  eine  jedenüeills  in  diesem  Fache  sehr  reiche 
Bibliothek  aar  YerflQgang  za  haben;  die  katholische  Yer» 
folgung  hat  sich  bekanntlich  anch  anf  die  Bücher  ausgedehnt 
und  die  sonst  so  ausgezeichneten  öttentlichen  Bibliotlit'ken  in 
der  Hauptstadt  Frankreichs  besitzen  nicht  alles,  was  man  von 
ihnen  verlangt.  Als  besonders  wertvolle  Bestandteile  sind 
hervorzoheben  die  Papiere  Faal  Babaats  aas  dem  Naehhisse 
▼on  Äthanase  Coqaerel  fils,  die  grosse  Sammlung  von  Joomalen 
und  Zeitschriften  aus  dem  Nachlasse  von  Fr^d(jric  Monod,  die 
Werke  Aber  Port  Royal,  von  Ste  Beuve  geschenkt,  die  Papiere 
der  Gebrüder  Haag  a.  a. 

Die  Brwfihnang  dieser  letzteren  führt  aaf  ein  weiteres 
Werk,  welches  im  Erscheinen  begriffen  ist,  die  Kenheraasgabe 
der  France  protestantc').  Trotz  des  eminenten  Fleisses, 
welchen  das  gelehrte  Brüderpaar  auf  das  Werk  ihres  Lebens 
verwandte,  sind  doch  manche  Lücken  geblieben,  za  der  Welt  von 
Todten,  welche  sie  aas  dem  Grabe  der  Yergeesenheit  erweckten, 
sind  im  Laafe  der  Zeiten  neae,  ihnen  nnbekannte  entdeckt 
worden,  welclie  in  der  allgemeinen  Biograpliie  der  Hugenotten 
ihren  Raum  beanspruchen,  das  Werk  war  schon  längst  ver- 
griffen and  so  entschloss  sich  die  Gesellschaft,  unter  ihren 
Aospicien  es  nea  heraoszageben.  Das  Oomite  dafttr,  an  dessen 
Spitze  H.  Bordier  steht,  der  kenntnisreiche  Heraopgeber  des 


^)  La  France  protestante  on  vie  des  protestants  fran^'ais  qui  sc 
8ont  fait  nn  nom  dans  rhistoire  par  M.  M.  Eng.  et  Em.  Haag. 
T.  1—10.  Pariß  1846-1858. 


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418 


KRinSCliü  ÜbEKÖlUITJiN.  1876w  HL 


Chaasoider  hvgueiioi     und  das  Namen  wie  ProüeaMnr  Nieolas, 

Rod.  lieuss,  Ch.  Road,  F.  Schickler,  Ch.  Waddington  unter 
seinen  Mitgliedern  hat,  erweiterte  den  Plan  dahin,  daas  nicht 
nur  die  bedeutendere&  fraiubteiBebeD  Protestanten  darin  Auf- 
nalime  finden  aollen,  aondern  aneh  aUe,  wekbe  aMfc  dem 
16.  Jalirhimdert  bis  zum  Jahre  1789  für  ibfen  Glauben  elwas 
erlitten  haheu,  und  da  es  kiiuui  eine  französische  Familie 
giebt,  welche  sich  nicht  in  dieser  traurigen  Lage  beiunden 
hätte,  so  werden  wohl  alle  französisch  prolestantudien  Familiea 
hier  sieh  msammenfinden.  Auf  die  eiate  Attgabe  wird  stete 
verwiesen  werden  nicht  blos  aas  Grflnden  der  Pietöi,  sondern 
weil  die  Gebrüder  Haag  manche  Abschriften  antührteu,  deren 
Originalien  seitdem  vernichtet  worden  sind,  wie  z.  B.  die 
Civilstandsregister  von  Paris  durch  die  Brandfackel  der 
Commune;  genaue  Begistar  am  Ende  jeden  Bandes  werden 
die  Benutoang  sehr  eiieiditem,  und  so  Inan  man  das  Weit 
nur  mit  Freuden  begrüssen  und  ihm  rasche  Förderung  wün- 
schen 

Noch  drei  wichtige  Werke  möchte  die  Gesellschaft  im 
La«fe  der  Jahre  rar  Aasfiftnuv  bringen:  eine  üteraloige- 

schicbte,  eine  Bibliographie  und  eine  Geographie  des  iim5- 

sischcn  Protestantismus.  An  die  let/.tere  hat  Pastor  Auzirre 
schon  Hand  angelegt,  ihm  wird  auch  die  schwierigste  Auf- 
gabe zugefallen  sein;  denn  die  Angabe  der  Diöcesan-  und 
Provindal-Grenzen,  dea  Bntstebens  und  Yeraohwiadens  einsdner 
Kirchen  wird  auf  gewallige  Sobwierigkeilen  stoesen,  aber  das 
plastische  Bild,  das  in  einem  Atlas  die  refoiiniite  Kirchen- 
geschichte auaführt,  wird  jede  darauf  gewandte  Muhe  reich- 
lich lohnen. 

An  einem  ausföhrliohei  Gesammtwerke ,  wekhes  die 
ganae  Geschichte  des  firanzOoschen  Prolestantisttus  umfiuneD 

wüi'de,  fehlt  es;  die  Geschichte  von  de  Feiice  ^)  ist  zwar 

<)  Le  Cbaosonier  hagaeuot  du  XVI«  si^cle  (p.  H.  Bordier).  Farn 

1870. 

2)  Ikr  cnUi  Halbhuixl  (\^r  rieueu  Aufgabe  A— Aubigue  iift  mir 
Anfang  Juni  dieses  Jahres  zugckotiiuen. 

s)  6.  de  Füiice»  Uistoire  dos  Frofceitaatii  de  Fnuice  QwiüaB«e 


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OE8GHIGBTB  DES  FRAMZ.  FBOTBSTAllTJSHI»  VON  SCHOTT.  41 9 

wiederum  in  neuer  Auflage  enohienen  und  von  Prof.  ßonifas  in 
Montauban  bis  auf  die  Gegenwart  fortgeföbrti  aber  so  töehtig 


FT" 

■Kl 

l>ll 

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Handbuch;  dem  deutschen  Kriegsmanne  der  die  letzten 
30  Jabre  eines  vielfach  bewegten  Lebens  diesem  Zweig  der 
Geschichte  widmete,  war  es  nicht  vergönnt,  sein  Werk  zu 
Tolleaden;  wer  es  je  wcdter  i&hrt,  wird  in  dieselbe  Klage  ein- 
stimmen, die  Polenz  erhoben  hat,  dass  die  Ueberftklle  des 
Stoffes  eine  kaum  zu  bewältigende  sei ,  denn  Monographien 
über  Personen,  Städte,  Provinzen,  einzelne  Perioden,  ebenso 
Quellensammlungen  aller  Art  bieten  sicli  in  reichster  Fülle 
dem  FoTBcher  dar.  Die  literarische  Arbeit  des  Jahres  1875 
hat  in  jeder  Hinaicht  zu  diesen  Schätzen  nene  gefQgt,  aber 
charakteristisch  ist  auch  hier:  so  wcuig  es  an  guten  Bio- 
graphien, anregenden  Essays,  wichtigen  Doknraentensammlungen 
fehlt,  bedeutende  ^stematische  Darstellungen  sind,  einige  Fort- 
setmngsn  aoagenoinmen,  nicht  erschiensn,  dm  spoehemsdien» 
des  Werk  haben  wir  in  dieser  üeberneht  mcbt  an&uB&hkii« 


1.  Vota  Aafiaiis;  der  Relbrmation  bis  Bttm  Ediot  voa 

NaatM  UAl— 1698. 

L  Oofpns  Befofmatornm,  ToL  41.  4Si*  Joamds  Calml  opera  qnae 
«npemitit  omnia  ed.  G.  Bavia,  E«  CniiitB,  E.  BeasB,  theologi 
Argentofstemefl.  VoL  XSL  XIV.  —  'SbrnwA  epistottBi  T.  IV. 
EpifltDlM  ad  aniMM  1548  Juli  166a  1651—1653.  BrauBvigac, 
Schwetschke  1876.  p.  684.  742.  4«. 

2.  Karl  Pietschker,  Die  lutherische  Refonnation  in  Genf.  Hifitorische 
SStudie.    Cötlien,  Schettler  1875.    p.  90.  8". 

3.  J.  EL  Merle  d'Aubigne,  Histoirc  de  la  rüforniation  en  Euroixi  au 
tomps  de  Calvin.  T.  VI.  EcuBse,  SoiBüe,  Genove.  Fan»,  M.  Levy- 
lireres  1875.      656.  8« 

4.  B.  Böget,  HiBtoire  da  peuplc  de  Genöve  depms  la  Refonue  juaqa^a 
rOMsated».  T.  lU.  Qmbw,  J.  Juilkn  1875.  p.  383.  8*. 


deyiiit  1861  jiwqa'aa  temps  actael  par  Banifas.  VL  Tooloue, 
Lagarde  1875.  XIV,  819  p.  Diese  Aiu^be  ist  mir  nw  dnreh  eine 
Anzeige  bekannt. 

1)  G.  TOS  Polenz,  Geeehiehte  des  französischen  Galvlnismas  bis 
zur  KaiÜMiSlVetsanuglhing  im  Jafaie  178S.  Bd.  I— V  (Us  xm  Gnaden- 
«diefe  inn  Ulmet  1688).  Gotha,  F.  ä.  FMm  1857—186». 


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420 


KKITI8CHE  OB£BSiCUT£N.  1875.  lU. 


5.  E.  A.  Berthault,  Mathurin  Conlicr  ot  l\nHcigneraent  cbez  les  pre- 

micTH        inistcK.    Paria,  Uonhourc  iHTß.    p.  88.  P". 

6.  Gaufres,  Lea  ouUegcs  protostants,  IlL  N'unes.  Bulletio  1875. 
p.  4  ff.  8". 

7.  R.  von  Dalwigk,  Das  lieben  und  dio  Schriften  des  Fran^ois  de 
La  Nooe  (QymnasiiüprograuitD).  Coburg  1875.  p.  24.  4*. 

8.  O.  Sohobi»  Hubert  Langnet  als  Irarsaehsiaehcr  BeriohteiBtatter  und 
Gesandter  in  Fnuikretoh  wahrend  der  Jalire  1560—1673.  Halle, 
Genenina  1875.  p.  63.  8* 

9.  DonzlAme  rappoit  aar  lea  recbeichea  Mtes  an'  Briti^  Huseam 
et  an  Beoord  offioe  conoemant  des  docnmcnts  relatifb  a  lliistoire  de 
France  au  XYI«  ai^le  par  le  oomte  de  1a  Ferri^re  in:  Archivea 
des  miflsions  eeientifiiinea  et  litterairea.  Ser.  HL  Tom.  3.  Faria 
1875.  p.  1—147.  8». 

10.  Documenta  inedits  }xmr  si-rvir  ä  l'hi.st^iiix'  de  la  lli/runnc  et  de 
hv  Li'jTiK-  ;)ur  J.  Lou tchitzi^^.  Pariti  1870,  Sandoz  et  Finch- 
bacbcr.    p.  ^-i.    kl.  4. 

Die  grösste  Epoche  der  neuen  Geschichte,  die  Reforraa- 
tionszeit,  hat  auch  in  diesem  Gebiete  am  uieisten  Bearbeiter 
gefunden;  der  Grund  davon  liegt  einmal  in  dem  Umstände, 
dass  fllr  die  historische  Betradiiang  das  Werden,  Entstehen 
und  frische  Wachsen  von  etwas  Neuem  viel  mehr  Interesse 
einflösst  als  das  ruhige  Fortleben  und  Veralten,  lerner  in  der 
wissenschaftlichen  Richtung  uusrer  Zeit,  welche  wie  auf  die 
Uigeschichte  des  Christentums,  so  auf  die  Erneuerung  des* 
selben  in  der  Befornution  zurfickgeht,  um*  den  Ghinben  und 
dtis  theologische  Wissen  der  Gegenwart  nach  den  dort  gelten- 
den Principien  zu  untei-suclien  und  neu  zu  begründen ,  und 
endlich  in  dem  lockenden  Anblick,  welchen  diese  Heldenzeit 
des  Oaivinismus  durch  die  glänzende  Reihe  ihrer  grossen 
Männer  (OEilTin,  Coligny,  Beza  u.  a.)  und  edler  Frauen  (Jo- 
hanne d'AIbert,  Renata  von  Ferrara)  darbietet.  Hoch  über  allo 
andern  ragt  Calvins  gewaltige  Gestalt;  der  Reionnator  von 
Genf  ist  eine  ganz  einzigartige  Erscheinung  in  der  Geschichte, 
und  keinem  der  Beformatoren  ist  so  schwer  gerecht  zu  werden 
wie  ihm.  Dem  Strom  der  Beformatioo,  der  in  Deutschland 
begann  langsamer  zu  fliossen,  hat  er  neue  Kraft  gegeben, 
seine  Arme  nach  Frankreich,  Italien,  Schottland  geleitet,  aa 
ihm  wie  einem  rocher  de  bronze  zeischellten  die  wilden 


UJiSCmCUTE  DJÜÖ  FRANZ.  PROTESTANTISMUS  VON  SCUO'IT.  421 

Wogen  der  katholiseben  Reaction  olminftebtig;  ein  Fremdling 

blieb  er  mitten  in  der  Stadt,  in  welcher  er  so  viele  Jahre 
seines  Lebens  zubrachte  und  welcher  er  deu  Stempel  seines 
Wesens  auidrackte,  kosmopoUüsoher  rar  er  als  Luther  nnd 
Zwingli,  von  dem  kleinen  Hans  in  der  me  des  Ghanoines  bat 
er  den  Zng  der  Reformation  dnreb  die  Welt  flberwacbt.  An 
Schärfe  des  Verstandes  und  Cousequenz  des  Denkens  und 
Handebis  stand  er  über  seinen  Geuossen ;  der  schwache  uervös- 
reizbare  Körper  verbaig  einen  nnbeugaamen  Willen  und  eine 
nnermfidliche  Arbtttsbaft;  des  Lebens  heiteres  Dasein  schien 
dem  ernsten  Mann  nie  nahe  getreten  zn  sein;  mensdilicbes 
Fülilen  schien  ihm  nianchuuil  so  sehr  abzugehen,  und  doch 
baiig  sein  Herz  viel  Gemfi tliches  (wie  wAre  es  aonst  mOgUck 
gewesen,  einen  solchen  Einfloss  zn  gewinnen!);  ein  ansge- 
zeichneter  Theologe,  ein  weitblickender  Staatonann,  deesen 
Ideen  für  Staat  nnd  Kirche,  Humanität  nnd  Cnltnr,  Yolks- 
souveränität  und  politisclie  Freiheit  die  weitgreifendsten  Folgen 
hatten,  ein  trefflicher  Jurist,  der  ein  Gesetzgeber  der  Welt 
geworden,  ist  er  für  die  einen  ein  Gottesmann,  zn  dem  sie 
in  Verehrung  emporblicken,  für  andre  eine  abstoesende,  nn- 
sympathiflcbe  Gestalt,  ein  finsterer  Zelot  Mehrfach  ist  er  im 
Jalirc  1875  literarisch  behandelt  worden. 

Die  siclierste  Grundlage  füi*  seine  Biographie  bietet  das 
Corpns  Beformatorum;  die  verdienstvollen  Henn^geber 
deflselben  haben  nns  mit  zwei  nenen  Bftndim  beschenkt,  welche 
die  Correspondenz  der  Jahre  1548—1553  enthalten;  es  waren 
die  Zeiten,  da  nach  aussen  die  Blicke  der  Schweizer  Hefor- 
niatoren  sich  den  wechselnden  Geschicken  Deutschlands  zwi- 
schen dem  Interim  nnd  dem  Faaaauer  Vertrag  bald,  fürchtend, 
bald  hoffend  anwandten,  da  nnter  Bdnards  VI.  Regierung  die 
Reformation  einen  vielversprechenden  Frühling  in  England 
feierte,  da  jenseits  der  Alpen  das  Concil  von  Trient  wieder 
zusammengerufen  und  in  Frankreich  gegen  die  zahlreich  sich 
mehrenden  Ketzer  das  Kdict  von  Chateaubriand  erlassen  wurde. 
Die  Schweizer  Theologen  wurden  durch  den  consensus  Tigu- 
rinus  bewegt  und  in  Genf  selbst  wilhrte  der  Kampf  zwischen 
den  Parteien  fort.  Calvins  Einfluss  stieg  zusehends,  der  Streit 
mit  Bolsec  wurde  ausgefochten  und  Servetes  Scheiterhaufen 


43S 


Tm,  187&  IXL 


wuf  eineii  blatigen  Sohimmtr  auf  die  pioteslBiitiBdie  SMt 
am  Leman.  Welchea  Wert  die  Briefe  Oal^ns  haben,  bedarf 

keines  Commentars,  uiid  nach  den  liusserst  genauen  Nach- 
forschungen, welche  die  Herausgeber  in  den  bedentemlsten 
Bibüetheken  and  Archiven  angeitelli  haben,  wird  die  Nach* 
lese  ?on  Briefen  Calvins,  welche  ehra  nodi  ans  Lidit  gezogen 
weiden  k(tanten,  nnr  eine  sehr  spArliehe  seu.  Der  Fleiss 
iiinl  die  Umsicht,  womit  der  Text  behandelt  und  die  An- 
merkungen gegeben  werden,  sind  allgemein  anerkannt  (für 
den  Gebrauch  sehr  wflnschenswert  wAie  freilich  am  Schlüsse 
jedes  Bandes  dn  Inhalt  nnd  ein  Register),  und  dadurch,  dass 
nicht  nnr  die  Briefe  Calvins,  sondern  anch  die  seiner  Corres- 
pondenten  (Melanchtlion,  IJezii,  Farel,  Viret,  Bullinger,  Haller 
und  unzähliger  anderer)  teils  in  extenso  teils  in  Ausaageo 
mitgeteilt  werden,  dus  überhaupt  allca,  was  sich  sonst 
auf  Oslvin  bezieht,  hier  seine  Stelle  indet,  wird  das  Werk 
80  vorzüglich.  Tag  für  Tag  kann  man  Calvins  lieben  verfolgen, 
man  erhalt  ein  Hild  von  ihm  und  seiner  Zeit,  zu  welchem 
er  selbst  die  meisten  Pinselstriche  geliefert,  hat. 

Sehr  erfreulich  ist  flberdiee,  dass  das  Werk  so  rasch 
voranschreitet,  und  nnr  zu  nahe  liegt  der  Wunsch ,  dass  dae- 
selbe  der  Fall  wäre  bei  dem  ebenfalls  sehr  l)edeuteDden  Werk 
von  Herminjard  *),  das  erst  bei  dem  Jahre  1538  auge- 
langt ist. 

Die  Beformation^geschiehte  Qenfii  vor  Oalvins  Auftreten 
behandelt  Pietsehker,  parallel  mit  den  zwei  ersten  BQchem 

von  Kanipschnlte  *)  und  auch  friedlich  mit  ihm  Hand  in 
Iland  gehend,  so  lange  das  roligiöHc  Moment  nicht  in  Be- 
tracht kommt.  Mit  dem  Anfange  der  Reformation  (kirch-> 
liehe  Opposition,  Abschaffung  des  Katholidsmus,  Sieg  der 


1)  Com^siiondance  de»  Reformatours   dans   les   jwiys   de  languc 

fran^aine  |iuhl.  p.  A.  L.  Herrn  in jard.  T.  1 — 4,  1612 — 1588.  Gcd^vs 
1866-1872. 

*)  Johannes  Calvin ,  seine  Kirche  und  sein  Staat    von  F.  W. 

Kamp8chulte.  lid.  I.  Leipzig  1809.  Nach  einer  Notiz  in  der 
IkCvne  critique  1874,  II.  S.  209,  soll  der  zweite  Band  von  dem  Vefiasser 
vor  seiiiem  Tode  noch  vollendet  worden  sein.  (?) 


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STB  DES  FBAHZ.  PIIO««rA»riaifl»  YON  8CH0TT.  42t 


fiefonnation)  scheiden  sich  die  Wege  beider,  und  es  bofi^iuit 
die  Polemik  gingen  die  Purteilichkeit)  mü  welcher  Kamp» 
teholte  4ie  CtewalUaten  der  Pretotliaiiieii  lli»er(areibt  (2.  B. 

beim  Morde  Wehrlys,  bei  der  Aiifliobiiii*,^  der  Klöster)  oder 
die  der  Katholiken  verscbweigt  und  hestihönigt  (wie  bei  dein 
Yersach  Yiret  m  ?eigiften).  Das  Buch  ist  frisch  und  an- 
regend geiohriebeB,  Mkak  sieh  besMiden  auf  die  tob  Kamp» 
schalte  nicht  genügcDd  bemtzten  RatspuotokoUe  ond  soll  der 
Vorläufer  einer  grösseren  Arbeit  über  Calvin  und  die  Liber- 
tiner  sein;  angeacluckt  gewählt  ist  der  Ausdruck  „lutherische'* 
Reformation,  es  sollte  „die  Reformation  vor  Calvin''  heisscn. 

Binen  Schritt  weiter,  bis  zum  Jahre  X540  ftthrt  das 
Werk  von  Mo  rl  e  d* An  b  i  g  n  ^ ,  nach  den  vorhandeBen  Ifann- 
scriptcn  herausgegeben;  bis  zum  Tode  Calvins  hatte  er  sich 
Foi-genouimen,  die  lief ormaiioDHgeäch ich te  darzustellen,  aber  dies 
Ziel  20  erreichen  war  ihm  nicht  vergteat;  bis  an  den  Tag 
seines  Todes  (er  stub  am  19.  Oetober  1872,  beiBabe  80  .Tahro 
alt) ')  ist  seine  Jagend-  nnd  OeistesIVisdie  diesem  seltenen 
Manne  treu  goblieben,  auch  durch  diesen  Band  weht  dieser 
friscbe  Hauch;  das  Feuer  der  Begeisterung,  dius  ihn  im  Jahre 
1817  diesem  Teile  der  Literatar  zuführte,  ist  nicht  verglüht, 
der  omtovische  Schwang,  die  aBschanliche,  man  mitchte  sagen 
behagliche  Detaifanderei  nnd  dieselben  geblieben,  die  ana- 
rührlichen  Reflexionen  sind  nicht  weniger  geworden ,  und  am 
wenigsten  veriindert  sich  seine  ganze  Anschauung  von  der 
Beform&tion  and  ihren  Helden.  Sin  Stück  der  Geschichte  des 
Reidies  Oottes  will  er  sehveiben;  was  ihm  aas  der  Feder 
fliesst,  ist  nicht  bloss  Ei^nis  seiner  faistorischaa  Porsdiung, 
aonderji  Herzen suberzeugung.  60  Jahre  hat  er  —  seinem 
eignen  Geständnis  gemäss  —  mit  den  Männern  der  liefor- 
mation  and  besonders  mit  seinem  Liebling  Oalvia  in  «nanter* 
broohenem  geiatigen  YeMa  gesiandsB;  ihre  AnaichteB,  vob 
Anfang  aa  ihm  symiNithisd),  sind  immer  mehr  die  seinen  ge- 
worden, ihr  Glaube  war  der  seinige,  und  kein  Angriff  der 
Gegner  konnte  ihm  diesen  streag  bibUscheu  Stand^kt  rauben. 


')  Y^L  den  trefflichen  Vortrag  von  .1,  Bonn  et,  Notico  8ur  la  viu 
et  8ur  Ics  ecrits  de  M.  Mcrle  d'Aubigne.    Uulletiu  1871.    S.  158. 


424 


KBlXlflCHB  OBEBSICBTBII*  1875.  m. 


So  steht  er  als  Apologet  Calvins  ebenfalls  in  bewus^tem 
GegensatK  za  Eampschulte,  der  gelehrt,  geistraicb,  doch  kfihi 
his  am  HerE  hinao  OBlyin  mii  kritiflchem  Micke  mnBfeeit  nnd 

^em  darauf  anfnierksam  macht,  wo  eine  BlOese  sich  zeigt  — 
In  diesem  Bande  schildert  Merle  d'Aubignö  das  Auftret^^'u 
Calvins  luGenf^  die  bedeatungsvolle  Disputation  in  Lausanne, 
die  Verbannnng  Oalvina  und  aeiner  CoUßgen,  adneii  AiifeDt> 
halt  in  Straasboig,  seine  Yeiheintimg  mit  Idelette  de  Bore, 
seine  Streitschrift  gegen  Sadolet  und  seine  bevorstehende  RQck- 
kehr  nach  Genf;  viel  Neues,  bisher  Unbekanntes  in  Tatsachen 
oder  Gruppirung  findet  sich  nicht  in  dem  Buche,  manches 
ist  nicht  richtig  an^gefitast  sein  Wert  liegt  besonders  in 
der  znBammenhängenden  DarateUnng  der  gansen  BefoF> 
mationsgeschichte. 

Zeigen  die  beiden  Bände  des  Corpus  Refonnatonim 
Calvins  weitumfiaasende  gewaltige  Tätigkeit,  so  gibt  uns 
Böget  ein  Bild  m  dem  Eänfloss,  den  er  in  der  g^eichea 
Zeit  1548^1653  speciell  anf  Oenf  ansObte.  Die  Prooeaw 
gegen  Perret  und  M^gret,  die  unaufhörlichen  Streitigkeiten 
zwischen  Rat  und  Geistlichkeit  über  die  Kirchenzucht,  das 
Hereindringen  der  italienischen  und  französischen  Flüchtlinge 
(unter  den  ktsteien  Besa  nnd  Bob.  Stephanns),  die  Untere 
stfitsnng,  weldie  Calvin  an  den  Fremden  fimd,  der  Wider- 
stand der  eingebornen  Genfer  gegen  sie,  der  Process  gegen 
Bolsec,  der  als  Vorläufer  des  Processes  gegen  Servete  be- 
handelt wird,  bilden  den  Inhalt  des  gelehrten  und  gut  ge- 
sdiriebenen  Buches.  Die  Physiognomie  seiner  Heunatstadt, 
wie  sie  in  den  28  Jahren,  da  Oalvin  in  ihr  lebte  und  cum 
Teil  herrschte,  so  sehr  sicli  veränderte,  wie  sie  ihr  eigen- 
tfimliches  calvinisches  Gepräge  annahm,  will  lieget  darstellen, 
und  in  der  Tat  recht  anschaulich  spielt  sich  das  durch  poli- 
tische und  religifise  Eftmpfe  hoch  aufgeregte  Leben  der  Genfer 
Bevftlkemng  vor  dem  Leser  ab;  sehr  merkwQrdig  sind  oft  die 
Details,  die  er  anfulirt  und  die  er  besonders  den  Ratsproto- 
kollen  entnommen  hat;  seitenlange  Citate  werden  daraus  ge- 


1)  Die  deutschen  Citate  wimmeln  auch  von  entsetzlichen  Drack- 
fehlem ;  hier  sollten  die  Jkrausgeber  weit  mehr  Soi^gfalt  üben. 


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OESCmCHTB  DBB  FRANZ.  PROTlISTAIiTISlIUS  VON  SCHOTT.  425 

geben,  so  dass  die  Dantellung  hie  und  da  beinahe  den  Gharakter 
einer  Chronik  annimmt  nnd  nidit  den  der  Byebemataflchen 
GesebichtsBchreibung.   Den  Löwenanteil  in  jenen  Kämpfen 

nimmt  der  Streit  zwischen  Staat  und  Kirche  ein,  nach  Roget 
das  specifische  Kennzeichen  der  calvinischen  Beformation 
(was  doch  wohl  mit  einiger  Einschr&nkmig  gelten  wird). 
GalTin  ist  nicht  immer  als  Sieger  ans  demselben  hervoige- 
gangen^  oft  hat  der  Rat  sein  üebergewioht  bewahrt,  aber  anf 
Calvin  selbst  fällt  ein  neues  und  niclit  immer  sehr  <(üustiges 
Licht;  es  macht  gradezu  einen  kläglichen  Eindruck,  wie  der 
grosse  Keformator  von  dem  Teil  der  Genfer  Bevölkerung, 
welcher  sich  gegen  die  Einfthnmg  der  strengen  Kirchenzacht 
sperrte,  verhöhnt  nnd  verfolgt  wird,  nnd  wie  er  seinerseits 
die  geringste  Abweichnng  von  Lehre  und  Gesetz,  jeden  Fluch 
und  Tanz,  jeden  falschen  Schnitt  in  der  Kleidung  dem  Rate 
anzeigt  und  auf  Bestrafung  der  Schuldigen  dringt  So  grofi&- 
artig  die  Idee  ist,  den  Massstab  des  Evangeliums  an  alles  an- 
zulegen, hier  fIBhrte  sie  zn  einer  bedanerlieben  Kleinlichkeit, 
nnd  sie  fUlt  imisomehr  anf,  da  sie  der  firderen  Anschaanng 
unsrer  Zeit  giadozu  ins  Antlitz  schlägt.  Mag  Reget  auch 
mit  einigem  Behagen  hei  diesen  Scenen  verweilen,  sein  Buch 
ist  bedeutend  und  wird  stets  für  jene  Periode  mit  Gewinn 
benntzt  werden. 

Mit  der  Geschichte  der  Bdbrmation  eng  verbunden  ist 
die  des  Humanismus;  er  war  ihr  Vorläufer  und  ging  ihr 
gegen  das  Papsttum  streitend  zur  Seite,  und  in  allen  Ländern, 
wo  die  Reformation  Eingang  gewann,  sorgte  sie,  den  literari- 
schen Gewinn  des  Humanismus  durch  gute  Schalen  zum  Ge- 
meingut zu  machen.  Die  Vorliebe,  mit  wel<dier  geganwftrtig 
die  Geschichtsschreibung  inch  dem  Humanismus  zugewandt 
hat wird  auch  in  Frankreich  geteilt.  Dem  Genfer  Schul- 
mann Matlmrin  Cordier  hat  Berthanlt  eine  kleine  Studie 
gewidmet;  Cordier  (geb.  1471),  gest.  1564)  war  Calvins  Lehrer 
in  Paris  gewesen,  hatte  dort  im  Hanse  von  Stephanns  die 


1)  Vgl.  die  treffliche  Abhandlung  von  L.  Geiger,  Neue  Schriften 
zur  Geschichte  des  HamaniBiDiui  in  Sybelg  HistoriBcher  Zeiiichrift  1875, 
Bd.  XXXm,  8.  i»fL 

ZrttaAr.  &  K.-0.  28 


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uciu!  Lehrß  kenneu  gelernt,  mutiste  deöwegen  1531  Paris  ver- 
la&sei),  ging  nach  Bordeaux  und  von  dort  auf  seines  Schülers 
liuf  1537  nach  Qenf,  «<n  jet^  an  hlieb  er  in  der  Schweiz 
(Nen^hatel,  LamHume);  4669  übemahm  er  hocbbeUigl  matt 
SWIe  an  im  imoigaaisIrteB  OolHge  in  Ctaf.  Hier  hat  er 
auch  sein  llaujjtwerk:  Colloquiorum  scholasticoruni  libr.  IV, 
lange  Zeit  ein  beliebtes  und  vielgebrauchtem  Uebungsbuch 
i)rAPZösl8chen  Schulen,  verfasät, 

Cordier  gehdit  4er  tbeologiairf^iiden  Sichlaag  dea  Hii9i%- 
mnua  an,  er  war  AnUfaigar  der  tbeologia  liiUmta«  md  gndia 
dieser  Charakter  wird  von  Berthault  und  Bonnet  mit  warmem 
Lobe  hervorgehoben.  Als  Humanist  soll  er  der  erste  gewesen 
sein,  welcher  ücaozösiscl)  lehrte;  auch  sprach  vergleichende 
atndiei)  kgeii  ihm  nicht  fern.  Dm  Yfetk  ven  BerthaiUt  ent- 
hltt  naoh  der  Biogripliie  Goadi^ri,  die  dnroh  nupobe 
n^iigse  Deklimation  vemoetaltet  und  aidit  sehr  wertvoll  ist, 
iÄteresi>mite  Auszüge  aus  den  Statuten  des  Genfer  Coll<^ge 
sowi/e  aus  d^n  ziemlich  seltenen  Büchern  Ck)rdier8;  die  Ver- 
gleiebiUlg  mi  dem  deutscheu  fiowauismus  wäre  kier  aahr 
HBk»  gjftleg^Pt  ist  aber  niebt  g^gelHNi;  aa  wünachen  wl|pre«  data 
ei»  Fonpber  im  HamanisinnB  die  DnrstelliuBg  des  iDaenen  Chga* 

nismns  der  Schulen  des  16.  Jahrhunderts  in  Angriff  nehmen 
und  dabei  sich  nicht  auf  ein  einzelnes  Land  besohrankoi^  m^öchbei 
die  iUbeit  wäre  ebenso  wt^essant  als  dankenswert. 

Per  Qeephiobte  der  proteetantischeii  Coll^ee  ia  Fmnk- 
XfUk  haii  eiäh  0anfr^8  zugewendet;  nach  dein  Vorbilde  von 
Gkuf  erheben  sich  unter  dem  Sobntae  des  hi^eDOttisdien 
Adels,  der  es  für  seine  Ehi'enpflicht  erkannte,  seinen  Söhnen 
eine        BildMVig  %u  geben  und  in  den  Stadteu,  welche  dieeem 

priyilegiTten  Stande  Oultuefreiheit  verdaakteo,  anoh  Ar  maf 
geliaobe  SUdangwmtalten  ait  soigen,  and  «ntecakUtat  to«  äßt 
sbnbeamen  BQgemhaft  der  Ortje,  wo  die  wformirte  BevOlr 

kftiung  überwog,  eine  Reihe  dieser  segensreichen  Anstalten 
(wenigstens  fönfunddreissig);  gut  eingoriciitet  und  geleitet  siind 
sie  die  Pflanzstätten  unzähliger  Geistlichen  und  Lehrer  ge- 

1)  Mailtiuiu   (^«.jaüicr  ou   1»  n'-ionnt'  frau9Äiße   et  TeBiyui^DuiiiOiit 
vluäüiquc  (JluUctin  Ibliö,      i'VJ),  Iriäch  und  aiizieh(#<l  gcttcj^^UfA* 


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OfiäCmCHTE  ££a  FaAH^  PIKO: WAliTVÜICW^  TON  SCHOTT.  42  7 

worden.  Aber  das  Las  dieser  friedlichen  Schulen  war  nicht 
aufs  liebliche  gefallen,  dem  Kampf  ums  Daseiiif  der  dem  Pro- 
taetantisnms  anf  allen  Gebieten  bestimmt  war,  waren  sie  nicht 
gewidiaeii;  seit  der  TroobestoigQng  Ludwigs  XIIL  war  Uum 
die  Axt  an  die  Wnrsel  gelegt;  sie  erlagen  den  königlichen 
Edicteu  und  der  Concurrenz  der  Jcsuitencollegien  Ihre 
Geschichte  ist  eine  fast  vollständig  unbekannte;  um  so  ver- 
dienstvoller ist  das  Bemühen  von  Qaofr^,  dieses  onheschriebeue 
Blaifct  w£  Grund  soigfUtiger,  genauer  Forsohugen  wflrdig 
i^Bnifttllen.  Ein  eratmr  Artikel  (Bulletin  1873,  S.  269) 
skizzirt  die  Genfer  Einrichtungen,  ein  zweiter  (ebend.  S.  413) 
giebt  einen  kurzen  Gesaniiutfiberblick  über  die  Geschichte 
dieser  Anstalten,  dann  geht  der  Verfasser  über  zu  dem  Collie 
von  Ntmes,  der  protestantischen  Hanj^tatadt  des  Sfldena, 
dMeBi  Geaehicfate  hia  zum  Jahr  1660  fortgefßhrt  wird. 
Fnma  L  hatte  1636  ein  Coll^  dort  errichtet;  unter  der 
Fürsorge  seiner  geistreichen  Schwester  Margaretha  von  Navarra 
gedieh  es  bald  zu  hoher  Blüte,  1540  berief  sie  als  Rektor 
Claude  Baduel  (1500—1561),  den  Schüler  von  Melanchthon 
und  Johann  Stunn,  und  fim  Zeit  lang  war  dessen  Iieheiu^e- 
aeUdhte  enge  mit  der  seiner  Anstalt  verflochten.  Streitig- 
keiten mit  seinem  Collegen  und  Nehenhuhler  Bigot  tröbt^ 
seine  Lehrtätigkeit,  so  dass  er  vorübergehend  sich  zu  seinem 
Fremide  Sadolot  nach  Carpentras  begab  (Bulletin  1874» 
S.  289*  937.  335).  Aber  anch  bei  ihm  hatte  sich  eineUm^ 
Wandlung  rcrheieitejt,  der  steigende  üinfluss  Oalvins,  noit  dem 
er  seit  einiger  Zeit  iu  Briefwechsd  stand,  fthrte  i|m  der 


1)  Dies  Schickaal  traf  merkwürdigerweise  auch  luanchea  katholisch- 
stiwltiHche  Coll(5ge,  z.  B.  daa  in  Bordeaux,  dem  seit  1G27  durcli  da« 
neu  gcgri^ndete  Jesuitoncollepium  der  Ltbi  iisnerv  abgeschnitten  war; 
vgl.  darüber  das  trefflivh  ,  auf  nuucn  urchivalischen  Forschungen  be- 
ruhende Wt.'rk  von  (iaullieur,  Hitttoire  du  coücge  de  Guyenne;  Paris, 
Sandoz  A:  Fisch  Uacher  1874.  Der  Verfawser  hat  aueh  die  ßcformation 
in  Bordeaux  ziemlich  ausführlich  behandelt,  ebenso  die  Tätigkeit 
Iii  Cordiers  daselbst  und  stellt  eine  Histoire  de  la  Beformatiou  a  Bordeaux 
et  daos  la  Basse-Guycnne  in  haldige  Aussicht,  dMBidletiD  1875,  S.  4  ff. 
bringt  eine  Episode  davon. 


428 


KKITISGHE  ÜB£BaiCHT£N.  1876.  UL 


Reformation  zu,  er  verliess  Nimes  1550,  flüchtetie  uach  Lyun 
und  von  dort  nach  Genf,  wo  er  1561  starb. 

Wenden  wir  uns  einen  Schritt  weiter,  so  fallt  der  erste 
Blick  auf  den  gFtaten  Hugenotten  jener  Periode  Goligny, 
und  wir  freuen  uns,  endlich  eine  Mograpbie  ankflndigen  zu 
können,  welche  den  Fordenmgen  der  modernen  Geschiebis- 
schreibung  und  der  Bedeutung  dea  Mannes  vollständig  ent- 
spricht. Graf  Jules  Delabordo  beschäftigt  sich  schon  seit 
Jahren  mit  dem  Sammeln  der  Materialien,  die  Bibliotheken 
und  Archive  Frankreichs  nnd  der  benachbarten  Lftnder  hat  er 
genan  durchforscht,  nm  die  umfangreiche  Correspondenz  dea  Ad- 
mirals  möglichst  vollbtäudig  in  Händen  zu  haben,  die  Aus- 
beute ist,  nach  einzelnen  Proben  zu  schlicssen,  eine  sehr  reiche 
gewesen,  und  der  enge  liahmeu  der  Familiengeschichte  der 
Ghatillons  erweitert  sich  zur  Qeschichte  des  fnnzöaiadien 
Frotesiantismus  und  Frankreichs  bis  zur  BartholomSiisnaclit 
Das  Bulletin  hat  in  TerBchiedenen  Jahrgängen  ^)  anziehende 
Skizzen  von  dieser  Feder  gebracht,  selbstverständlich  gnippirt 
sich  in  denselben  alles  um  Coligny  als  die  Hauptperson;  sein 
inneres  und  äusseres  Leben,  der  Einfluss,  den  er  auf  die  huge* 
nottische  Tomehme  Oesellschaft  ausQbte,  sind  die  latendeo 
Motive  in  der  gewandten  Darstellung  dieser  Zeit.  Von  dm 
sonstigen  Beiträgen  zu  Colignys  Leben,  welche  die  Ictztt'ü 
Jahre  gebraclit  haben,  ist  wohl  als  der  wichtigste  die  schöne 
Schrift  von  Tessier^)  zu  erwähnen.  Die  Jahre  1555  bis 
1672,  während  welcher  Zeit  CJoligny  eigentlich  erst  eine  be> 
deutendere  politische  Bolle  spielte,  schildert  er  klar  und 
lebendig  und  sucht  nadizuwdsen,  wie  dieser  seltene  Mann 
trotz  aller  Schwierigkeiten  in  der  Collision  der  Plliditen, 
welche  ihm  Glaube  und  Untertanenstellung  auü^;te,  doch 


>)  Bolietin  1870,  p.  210:  Les  demion  jonn  d'El^nore  de  Roye, 
prinoesae  de  Condö;  1873,  p.  386:  Leu  Protesluiti  k  la  cour  de  St.  Ger- 
midii  Ion  du  eolloqne  de  Poiaey;  1871,  i>.  49:  Lee  ftuteetaiiti  »la coor 
de  St  Gennain  apite  le  oolloqne  de  Foimrfi  ihid.  p.  484:  CSiarlee  de 

T^ligny. 

S)  I/Amiral  Ooligtiy.  l^de  biitorique  par  Jolee  Tenner.  F^aia, 
Sandel  A  Finebbaeher  1872. 


GEsäcrnanm  des  franz.  PKOTEsxANTiaMus  von  scuutt.  429 

den  Weg  geftmden  hat,  seiiiem  €k)ti,  seinem  Lande,  seinem 

Monarchen  gleicherniaiöuu  getreu  zu  bleiben;  ein  Held  des 
Pflichtgefühls,  der  üeberzeugungstreue  ist  der  ernste  Hugenotte 
gewesen,  und  seine  Grösse  bestand  darin,  dass  die  antiken 
Tagenden  in  ihm  mit  den  fimchtbaisten  Ideen  der  Neuzeit 
sich  Tereinigten,  Menschlichkeit  im  Kriege,  Duldsamkeit  in 
einer  Zeit  dos  glühendsten  Fanatismus,  Fürsorge  für  allge- 
meinen Unterricht;  sittliche  und  politische  Grösse  machon  ihn 
zu  einer  der  bedeutendsten  Erscheinungen  seines  Jahrhunderts. 
Wenn  sc  in  dem  Urteil  Yon  Tessier  beinahe-  des  Schattens 
za  wenig  auf  diese  Lichtgestalt  des  Fretestantismus  f&llt,  so 
ist  das  uro  so  bemerkenswerter,  weil  diese  liebevolle  Zeichnung 
einem  Katholiken  entstammt;  erhöht  wird  der  Wert  des 
Buches  dui'ch  die  26  pi^ces  justificatives,  die  seinen  Sdiluss 
bilden. 

Ein  tragisdieB  Geschick  hat  Colignys  Witwe  Jacqueline 
d*Entremont8  getroffen;  in  ihrem  Heimatlande  Savoyen 

wurde  sie  ihres  Glaubens,  noch  mehr  ihrer  Besitzungen  wegen 
verfolgt  und  eingekerkert,  sie  schwor  ihren  Glauben  ab  und 
starb  endlich  1599  im  Geföngnis.  Graf  Delahorde  hatte 
im  Bulletin  (1867,  S.  220)  ein  ergreifendes  Bild  ihrer  Trübsal 
gezeichnet;  bald  aber  wurde  erwidert,  dass  B.  Bicotti  in  seiner 
Storia  della  luoüarchia  piemontese,  T.  IV.  auf  Grund  unan- 
fechtbarer Dokumente  aus  dem  Turiner  Archive  den  Glaubens- 
mut und  die  Sittlichkeit  der  neuen  Marcia  auf  das  schwerste 
angegriffen  hatte.  Die  Soci^tö  de  Thistoire  stellte  nun  eine 
eigne  Commission  auf,  um  die  Streitfrage  genau  zu  prüfen; 
ihr  Urteil  (Bulletin  1875,  S.  289 f.;  auch  als  Separatabdmck 
erschienen)  geht  dahin,  dass  Culif^iiys  Witwe  von  der  An- 
klage der  Sittenlosigkeit  zwar  vollständig  freizusprechen  sei 
und  dass  ihre  schwersten  Verbrechen  in  ihrem  Beichtum  und 
in  ihrer  Anhänglichkeit  an  Frankreich  bestanden  haben;  un- 
vorsichtig und  mannigfach  unüberlegt,  bot  sie  ihren  Feinden 
bequemen  S[>i('lrauni  zu  Verdächtigungen;  auch  in  ihrem 
Glauben  zeigte  sie  nicht  die  Festigkeit,  die  man  erwartete, 
eine  bedenkliche  Hinneigung  zur  Magie  ist  aus  dem  Charakter 
der  Zeit  eher  zu  entschuldigen;  aber  dem  hohen  Bilde,  das 
man  sich  Ton  ihr  machte,  entspricht  sie  nicht  ganx. 


430  KKiTIHUHE  ÜUUi;»l(JUT£K.  1875.  III. 

Sb  tflt  wohl  hier  der  passendste  Ort,  aoeh  die  lahlreiGheB 

Fainilieiibrieto  zu  erwähnen,  welche  vuu  Colignys  ältester  und 
Liebliugalucliter  Louise,  der  Gattin  Wilhelms  von  Oraoien, 
der  Stammmatter  des  deutachen  Kaiserhauses,  herraUren;  sie 
Stand  in  reger  CJenespondenz  mit  ihren  Stieftdchtem,  und 
ihre  Briefe  an  die  Herzogin  Yon  la  IMmoille  ^)  gebw  das 
getreoste  Bild  der  edlen,  geistig  bedeatmden  Frau,  der  eoi^ 
genden,  von  den  Kindern  hochverehrten  Mutt*?r,  endlich  auch 
der  vielgeprüften  Dulderin,  die  von  dem  tragischen  Q^echidi 
ihres  Hauses  so  viel  auf  sich  zu  nehmen  haite.  Knüpfen  wir 
daran  noch  die  firinnerang  an  eine  andra  evmigeliMhe  Ftretia 
Frankreichs:  der  1:1.  Juni  1875  war  der  90()jähnge  Todestag 
von  Renata  \on  1  »  rrara;  auch  zu  diesem  Zeitpunkt  ist 
die  längst  in  Arbeit  genommene  Biographie  der  edlen  DauH; 
von  Jules  Bounet  ^)  nicht  erschienen;  sie  scheint  —  und  das 
wftre  nur  erfreulich  —  sich  zn  einer  voHstindigen  OeaiAichte 
der  Reformation  in  Itafiea  ausdehnen  zn  wollen.  Die  kune 
Biographie  von  ihr  in  Cantn  ^)  ist  ebenso  obertiachlich  als  un- 
historisch  von  ulti-amontanem  Shindpuukt  aus  geschrieben. 

Ueber  einen  WatVengefährten  Colignys  Jean  de  Soa- 
bise  (1513  — 1566)  *)  sind  aeitgendusische  Memeireü  er- 
siAienen,  geschrieben  von  dem  Hansfrennde  Fr.  YiHe,  dem 
die  Familie npapiere  zur  Terfßgung  standen  und  der  einfkoh 
und  schlicht  das  Leben  dieses  tapfern  Mannes  erzählt,  öber 
das  intrigante  Parteitreiben  am  üofe  Franz'  I.  und  Hein- 
richs iL  interessante  Aufecbitos  giebt,  den  Uebertritt  aeinsa  | 
Heiden  zum  Protestantismus  und  aaine'  Tätigkeit  im  eisten 
jRelij^OBBkriege  genau  schildert.  Bin  anderer  bedeutender 
Hugenotten liihrer,  Franyois  de  la  Noue  (Ib'dl — 1591),  hat 


1)  Lettres  de  Looise  de  Coligny,  prSnoeHe  d*Orangc  a  m  beU^^SUe 
Charlotte  Bnbanthie  de  Nawan,  ducheaao  de  la  Mmoillc,  puM.  par 
F.  Marehegay,  Bidkl.  1871,  S.  481;  1873,  8.  3?  —  auch  als  Boeh 

s)  Auszüge  davon  e.  Balletln  1866,  &  66:  JettneaM  dB  Bn^  d» 
Franoe;  ibid.  1878,  S.  159:  Gleaeot  Harot  k  la  eenr  de  Fdrraro. 

^)  Cantü,  Italiani  iUtiatri  (Hilano  1875),  Vol.  I,  8.  687. 

4)  M4moim  de  la  vle  de  Jeban  d'ÄrehevMqiie  Siear  de  Soablw, 
BoUethi  1874»  &  IdA)  1875,  t.  31. 


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GESCUlCUTE  Dm  FRANZ.  l*UUTEÖTANTISilÜS  VON  äCUUTT.  431 

swei  Bio^fraphen  gdfimcfm;  Dalwi^k  hat  dtmslmas  nichts 

Neues  über  ihn  beigebracht  und  dem  Zweck  seiues  Pro- 
gramms entsprechend  besonders  betont,  wie  eifrig  La  Neue 
fttr  fiiDreihung  der  Healien  in  den  Schulnntorricht  besorgt 
gewesen.  M.  de  Vincens  ^)  will  ihn  in  weiteren  Kreisen  be- 
kannt und  als  Christen  trad  Helden  den  protestantischen  Fa- 
milien wert  machen.  Und  doch  wäre  es  sehr  wünsclieiiswert, 
wenn  dieser  Mann,  der  Schwert  und  Feder  gleich  <^ut  führte, 
mit  den  bedeutendsten  Männern  in  Verbindung  shmd,  w^en 
seiner  sprichwörtlicben  Rechtschaifenheit  der  Vertranenstnann 
aller  Parteien  war,  einen  tflchtigen  Biographen  Ande.  Der 
noch  bedeutendere  Agrippa  d'Aubignö  wird  nicht  hinge 
mehr  auf  einen  solchen  zu  warten  haben.  Denn  die  Societe 
de  rhiätoire  liat  als  Preisaafgabe  für  1877  das  Thema  ge- 
wfthlt:  Agrippa  d*Aabign^  consider^  oomme  historien  dans  ses 
oeuTTes')  et  sa  oonespondanoe. 

Den  trefflichen  Hohert  Languet  (1518—1581),  den 
gewiegten  Diplomaten  und  geistreichen  Publicisten,  hat  Scliolz 
behandelt;  einige  neu  entdeckte  Briefe  von  ihm  aus  dem 
Dresdener  Archiv  (die  den  Anhang  der  Schrift  bilden  and 
Ton  welchen  der  vom  S9.  Jnni  16B7  der  wichtigste  Ist)  gaben 
ihm  Veranlassang ,  Laoguets  Tätigkeit  als  Diplomat  des 
Kurfßrsten  August  von  Sachsen  am  französischen  Hofe  zu 
schildern,  besonders  seine  Bemühungen,  den  Umtrieben  des 
emestiiriachen  Hauses,  welches  durch  Frankreichs  H&lfe  seine 
verlorenen  Länder  and  Wflrden  wieder  gewinnen  wollte,  ent- 
gegenxawiHcen.  Die  Schrift  ist  klar  and  frisch  geschrieben, 
erweckt  aber  nur  aufs  neue  die  Sehnsucht,  dass  die  wichtig;» 
Correspondenz  dieses  scharfblickenden  Diplomaten  in  einer 
guten  kritischen  GesammiauQgabe  veröffentlicht  werden 
möchtet 

Das  Andenken  einee  andern  berAhmten  Pablicisten  des 
16.  Jahrhunderts  Fran9ois  Hotman  (1&24— 1590)  ist 

Les  Heros  de  lu  Keforme  trauvaise,  Fran^ois  de  lu  Noue  p.  Ch. 
ViuccuH.  TariH  1875;  mir  nur  durch  Kritiken  bekannt 

^)  Seine  Werke  crHchcinen  gegenwärtig  in  neuer  kritisohor  Aasgabe : 
Oeuvres  coiupletcH  d'apres  los  manascrits  originani  Ipar,  E.  Beaame 
et  F.  d«  CautiHadc,  T.  1—3;  Pari»  1^73—1874 


432  KBITiaGHB  OBBRUCBTEN.  187&.  UI. 

durch  die  Herausgabe  des  Tigre  ^)  aufgefrischt  worden;  dieses 
glflhende  Fämphlet  gegen  den  Oardinal  von  Lothringen  galt 
lange  ftr  gänzlich  verlcren,  bis  es  1834  doch  in  einem 

Exemplar  entdeckt  wurde;  wie  durch  ein  Wunder  entging  es 
zum  zweileu  Mal  dem  Flammentod  durch  die  Commune,  von 
der  Bibliothek  des  Stadthauses  von  Paris  ist  es  allein  gerettet 
nnd  nun  von  Ob.  Head  mit  auaigezeichnetei^  Anmerkungen  ver- 
'  sehen  allgemein  bekannt  gemachi  Die  Studie  v<a  Cougny  *) 
über  ilotman  kam  mir  nicht  zu  Gesicht. 

Einige  Dokumentensammlungeu  aus  dieser  Periode  sind 
ebenfalls  zu  ei*wähneü,  vor  alleui  die  Correspondeuz  zwischen 
Herzog  Christoph  von  Wurtemberg  und  dem  Heraog 
Franz  von  Guise,  dem  Stuttgarter  Archiv  entnommen  % 
die  Zeit  vom  2.  Juli  1661  bis  15.  Mai  1563  umfinasend; 
die  Hauptmomente  hilden  die  Gespräche  in  Elsasszabeni  15. 
bis  18.  Fehruar  und  das  Blutbad  von  Vaasy  1.  März  1562. 
Stälin  und  Kugler  hatten  die  Briefe  in  ihren  Werken 
verwertet,  einzelne  derselben  waren  schon  frflher  veröffent- 
licht, aber  die  ganze  oomplete  Sammlung  zeigt  erst  in 
vollem  Lichte  die  Perfidie  der  Guisen,  mit  welcher  sie  den 
arj^losen  Herzog  in  die  Falle  lockten  und  ihn  lange  in  dein 
Glauben  erhielten,  dass  es  dem  Scliläcbter  von  Vassy  wirklich 
um  die  Religion  zu  tun  gewesen  sei,  während  sie  den  W&r- 
temberger  nur  bei  seinen  fürstlichen  Gollegen  discreditiren 
wollten  und  die  Eeformirten  Frankreichs  gegen  ihn  mis- 
trauisch  machten. 

Ueber  die  Zeit  vom  Frieden  von  Amboise  (1563)  bis  zu 
dem  von  St.  Germain  (1570)  giebt  uns  der  Rapport  des  Grafen 
Ferri^re  Aufschlösse  durch  die  Blumenlese,  die  er  englischen 
Archiven  entnommen  hat.  Die  Wiedergewinnung  von  Havre 
durch  die  Fraozoseu,  die  Annahme  der  Trientiuer  Beschlüsse, 


1)  Jje  Tigre  de  1560  leprodait  poor  U  premih«  fob  en  facBimUe 
par  Ch.  Read,  PaiiB,  Acad^mie  des  bibliophUes  1875.  p.  15SI. 
9)  Cougny,  Hotmail,  Paris  1875. 

ft)  Correspondaiioe  de  F^aii9oi8  de  Lomine  dne  de  Qidse  aveo 
Christophe,  due  de  Wurtembetg,  sdr.  1.  2.  Bnlletm  1875,  8.  71  ff. 

«)  Wirtembagiaobe  Gesehiehte  ven  Gh.  F.  t.  Stilio,  Ti.  IV, 
S.  611.  Christoph  Huiog  zu  Wftrtemberg  tod  F.  Kugler  II,  a  331. 


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GESCHlCHTl!;  DE&  FBAHZ.  PKOTESTANTIBBIUS  VON  SCHOTT.  433 

der  Process  Colignys  mit  dem  Hause  Guise,  die  Werbung 
Karls  IX.  um  die  vielumfreite  englische  Königin,  die  Kund- 
reise des  französischen  Monarchen  dorcb  sein  Land,  die  Zu- 
sammenkonft  in  Bayonne,  der  ssweite  und  dritte  Religionskrieg 
sind  die  Ereignisse,  anf  welche  rieh  die  vielen  Original- 
dokumcute  (Briefe  von  Joliaiiiui  trAlbret,  Heinrich  IV.,  den 
beiden  Condes?,  Culigny  und  von  seinen  Brüdern  Odet  und 
Andelot,  ferner  von  Catbarina  und  Elisabetb)  bezieben.  Die 
Hugenotten  standen  in  steter  Verbindung  mit  dem  glauben»- 
verwandten  Inselreiche,  Havre  hatten  sie  an  England  ausge- 
liefert und,  als  Frankreich  es  zu  erobern  sich  anscbickte, 
waren  sie  in  der  peinlichsten  Lage  ihren  Lundsleuten  und 
ihren  bisherigen  Verbündeten  gegenüber;  im  zweiten  und 
dritten  Beligionskri^  war  England  wieder  anf  ihrer  Seite 
and  nach  der  Niederlage  von  Jamac  machten  sie  verzweifelte 
Bestrebungen,  um  sich  diese  Hfilfe  zu  erhalten.  Die  Ver- 
handlungen darüber,  die  nicht  immer  das  günstigste  Ijiclit 
auf  die  Loyalität  der  Hugenotten  werfen,  sind  selir  interessant, 
nicht  minder  die  iierichto  des  englischen  Agenten  Smyth,  der 
den  Hof  bei  seiner  Rundreise  begleitete,  ebenso  einzelne 
kleinere  Notizen,  wie  die  Nachricht  der  Entstehung  einer 
katholischen  Verbindung  (Confrairie),  eines  Vorläufers  der 
liigne.  —  Derselbe  erfabrene  HIjDturiker,  dem  wir  diesen  Rap- 
port verdanken,  ist  mit  der  Sammlung  und  Herausgabe  der 
Briefe  vonGatherina  von  Medicis  beschäftigt,  die  einen  Be- 
standteil von  der  „GoUection  des  documents  in^its  sur  rhistoire 
de  France"  bilden  sollen;  unzweifelhaft  werden  sie  vom  höchsten 
Interesse  sein  und  zur  l/>sunj^  der  Frage  über  die  Conferenz 
von  Hayonne,  über  die  Bartholomäusnacht  etc.  viel  beitragen. 

Den  Zeitraum  bis  zum  Edict  von  Nantes  schliesst  ein 
Teil  des  umfoseenden  Werkes  ein,  das  Loutchitzky  unter  dem 
Titel  „La  rfection  f(Sodale  en  France  pendant  le  XVI*  et  XVIP 
siecle'*  herausgibt;  essoll  eine  socialpolitische  Studie  werden, 
aber  da  in  dem  Kanipr«'  zwischen  der  centralisirenden  Macht 
des  Königtums  und  den  particularistischen  Elementen  des 
hohen  Adels  und  der  Municipien  der  grtaem  Stfldte  die  Re- 
formation grade  unter  diesen  beiden  Ständen  ihre  haupt- 
sächlichsten Vertreter  gefunden  hat,  so  hat  auch  die  liefor- 


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434 


KRITISCHE  ÜBfiKälCHTEN.  1B75.  m. 


matioti8g*eflchiehto  an  dioses  W«rk  ihr  gutes  Anrecht,  wnä  be» 

sonders  in  deiu  bisher  Erscliienenen     tritt  dies  deutlich  hervor; 
hier  kommen  die  Burtholoiimiisnackt,  die  Belagerung  von  Saii- 
cerre  und  La  ßochello,  der  Calvinismus  im  aUgt^meineHf  seine 
Orgameation,  die  Parteien,  die  im  Schoese  deaeelben  sioh 
Uldeten,  rar  Sprache,  und  ^rade  die  Ansichten,  dass  der 
CalvinisinuH  durch  den  Geist  der  Unubhäiigii^keit,  den  or  ein- 
Hösstc,  besonders   geeignet  gewesen,  die  [»articularistischen 
Elemente  zu  stärken,  dass  die  Adligen  ihm  die  militärischen 
nnd  politiaehen  FAhrer  gaben,  die  Bflfgenchaft  das  zahlreiehato 
Gontingent  stellte,  die  Gonsistcnialen  (die  Geistlichen),  von 
Calvins  Principien  erfüllt,  ihm  die  ausgezeichnete  Organisation 
lieferten,  dass  zwischen  diesen  Parteien  ein  stet-er  ober-  und 
unterirdiselier  Kampf  statttand,  in  welchem  z.  H.  in  Hochelle 
die  Gonsistorialen  siegten,  ^tor  aber  die  Adligen  durch  ihre 
Verbindung  mit  den  (1[atlM>li8chen)  Politikern,  wodurch  der 
Kampf  immer  mehr  ins  politische  Lager  geriet,  sind  sehr 
merkenswert.  Kin  dankenswerter  Gewinn  sind  ferner  die  zahl- 
reichen Dokumente,  welche  Loutchitzky  in  den  Archiven  vou 
St  Petersbuig  und  Frankreichs,  besonders  in  den  Departe* 
ments  des  Sfldens,  anf^efhnden  hat  und  mit  freigiebiger  Hand 
publidrt;  das  BuUetra  brachte  als  Beitrag  xu  den  kiiegetischen 
Ereignissen  in  Languedoc   und  (luienne   (1578 — 1574)*) 
Briefe  der  bedeutendsten   katholischen  Heerführer,  Villars, 
Damville,  Biron,  Montpensier,  ferner  die  wichtigen  Protokolle 
der  politischen  Versammlungen,  deren  jedes  Jahr  ein  oder 
mehrere  gehalten  wurden,  der  von  Ntmes  (1562) dann  der 
von  ßagiiols  (loG3),  die  mehr  als  alles  andere  in  die  poli- 
tische und  tiuanziello  Organisation  der  Hugenotten  hineinsehen 
lassen.    Endlich  hat  der  fleiasige  Vei  fiasser  seinem  nächsten 


1)  li'Aristucratie  foodale  et  Ich  Calviuistca  cu  France  par  J.  Ii.  Lout- 
chitzky, Kiew  1871  (rusHisrh). 

*)  Quatrienie  et  cirnjuitnic  gu«Tre  de  religion.  Lettrt's  tAtiiutoH 
dcH  ninnu8crit8  de  la  Bibliothöqu«}  inipcrialu  d«  JSt.  Peterabourg  par 
Loutchit/ky.   Bulkliii  1^73,  S.  202fr. 

8)  Collection  (Ich  proce.s- verhau x  des  asscinblec»*  pulitiqucs  dtu 
rffüriiies  de  Franco  pciidaut  Ic  XVi'  siecle  par  Loutchitzky.  Ibid. 
p.  öOü;  1876,  p.  314. 


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OESCUICUTE  D£S  PJIANZ.  PBOXfiBTANTiSMUd  VON  SCHOTT.  435 

Bande  eine  Sammlung  von  Dokumenten  vorangeschickt  über 
die  20  Jahre  von  1574 — 1594;  die  Entstehung  der  Ligue  als 
provinsieller  Yerbinduiig  im  Sftden,  ihre  Anerkennang  durch 
Heinrich  m.  in  Blois,  ihr  gewattiges  Umdchgreifen  mich 
der  Emordung  derGnisen,  der  Widerstand«  den  sie  besonden 
in  Toulouse  Heinrich  IV.  entgegenstellte!,  die  Vorbindungeu 
der  Protestanten  mit  den  katholischen  Politikeru,  das  Her- 
TOrtreton  der  feodaien  Besirebungen  des  Adels,  welche  die 
Baaern  der  GaieBne  nun Anfetand  der  ChHinaatB  trieben,  werden 
darin  in  Briefen  der  widitigeton  Persönlichkeiten,  der  Herzoge 
Lesdiguieres ,  Mayenne,  Joyeuse,  Montpensier,  Guisi^  in  Ans- 
zügtm  aus  Kats-  und  Parlamentsprotokolleu  etc.  behandelt.  — 
Wenn  auch  manche  Ansichten  des  Verfassers  nicht  lialtbar 
sind,  das  ganse  Werk,  das  hoffontlich  ins  Französische  über« 
setet  werden  wird,  ist  jedenfidls  bedentungsvoll.  —  Die  (nach 
Kritiken  treffliche)  Schrift  von  i'aillard  kam  mir  nicht 
zu  Gesiebt,  überdies  war  Vaienciennes  dannala  uoch  spanische 
fiesitzung. 

2.  Von  dem  Erlass  bis  znr  Aufhebuii^  des  Ediota 

▼oa  Nantes  1598—1685. 

J.  Bonnet»  Denden  t^ia  du  seizi^ine  dtele»  Pm,  Gnanurt  1676(5)^ 
8.  850. 

Von  jeher  isi  diese  zweite  Periode  dos  franzcsisdiea  Pro« 
testantismus  die  am  wenigsten  behandelte  gewesen;  an  viele 
ihrer  grossen  Mftnner:  Heinrich  lY.,  Lesdigni^res ,  ChfttilloDi 
Tnrenne,  heftet  sieb  der  Makel  der  Abechwörung  und  solche 
zu  beschreiben  ist  nicht  jedermanns  Ding.  Die  Kriege  der 
Protestanten  gegen  Ludwig  XIII.  waren  mehr  als  andre  von 
politischem  Interesse  getragen,  ond  unter  dem  Medlichen 
Scepter  Mazarlns  absorbiren  theologische  Streitigkeiten  die 
Krftfte  des  Protestantismus.  So  ist  die  literarische  Ausbeute 
auch  dieses  Jahres  von  geringem  Belang.  In  seinem  üeff- 
licben  Werke  Heinrich  IV.  und  Philipp  lU.  berührt 


1)  Histoire  troubIcH  religioiix  de  Valeiuüeiiiifls  (1660—1567)  par 
Ch.  PailUrd,  T.  1.  2;  Piuis  1Ö74-1Ö75. 


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436 


KKITISGHB  ÜBEBSIGHTBM.  1875.  III. 


Philippson^)  auch  die  proteetantiacbeii  Verhftlbiuse;  üm 
Stellung,  ihre  bedeatendsten  Häupter  weiden  gezeichnet,  das 
Ediet  von  Nantes  als  Morgenröte  einer  besseren  Zeit  ge- 
schildert, und  wenn  allerdin^  durch  das  ganze  Werk  hin- 
durch Heinrich  mit  dem  Yollsteu  Lorbeer  des  Monarchen, 
Staatsrdanns  und  Kriegers  geschmfiekt  erscheint,  seine  Fehler, 
seine  Sinnlichkeit  u.  a.  w.  werden  auch  nicht  TCiachwiegen. 
Wenn  Philippson  Heinrich  IV.  als  religiös  indifferent  darstellt, 
so  koinniL  er  damit  gewiss  der  Wahrheit  näher  als  Abbe 
Peret*),  der  noch  die  merkwürdige  Behauptung  vei-ficht, 
Heinrich  liabo  den  salto  mortale  mehr  aus  religiösen  als 
politischen  Qrfinden  unternommen.  Manchen  Anfschluss  fiber 
die  Protestanten  Frankreichs  werden  wir  in  den  Briefen 
Maziirins^)  finden;  der  kluge  Cardinal  hatte  fest  im  Sinne, 
die  religiöse  Freiheit  in  Frankreich  aufrecht  zu  erhalten,  die 
Empfindlichkeiten  dieser  Partei,  die  in  Heer,  Magistrat  und 
Diplomatie  einflussreiche  und  bedeutende  Männer  iftblte,  zu  be- 
ruhigen, aber  mit  wachsamem  Auge  sie  zu  beobachten  und 
auf  dem  stillen  Wege  der  Gunst  üebertritte  herbeizuföhren ; 
dies  alles  ist  ihm  auch  gelungen.  Grade  diese  friedliche  Zeit 
des  Protes^ntismus  zu  beschreiben  wäre  eine  schöue,  dankbare 
Aufgabe;  sie  würde  ein  Bild  von  der  Gesammtlage  geben,  auf 
dem  das  Auge  mit  Wohlgefallen  ruhen  wfirde,  ehe  es  sich 
der  Buine  zuwendet,  in  welche  Ludwigs  XIV.  Bigotterie  diesen 
blühenden  Garten  Gottes  verwandelte.  Auch  die  literarische 
Bewegung,  die  reformirte  Theologie  in  ihren  vei-schiedenen 
Vertretern,  in  ihrem  Zusammenhang  mit  Philosophie  und 
Jansenismus  ist  noch  nicht  eingehend  gewürdigt     —  Ein 

1)  Henrich  IV.  und  Philipp  III.  Die  BegrOndnng  des  finuuritaiselraD 
Uebei^wiebts  in  Eoiopft.  I,  Berlio  1870;  II,  ibid.  1873. 

»)  Heori  IV.  et  r%liae  catholiqoe  p.  TAbbe  Peret,  Paris  1875; 
mir  durch  Becenrioneii  bekannt. 

s)  Lettien  da  eardinal  Mazarin  pendant  son  ministere  pubL  par 
Ch^rnel,  T.  1,  Deoember  1642  hw  Jnin  1644,  den  flbrigen  Werken  in 
der  GoUection  dei  docnmente  inidiie  enr  Thietoire  de  Firance  sieh  wSidig 
anacUlenend. 

4)  Isaak  GasanboD  (1550—1614)  hy  Mark  Pattison,  London 
1875.  Das  Werk  Qber  Gasanbonns  (naoh  Kritiken  sehr  tttebtig)  konnte 
ich  leider  nicht  bekommen. 


OESCmCHTB  DES  FRANZ.  PROTESTAimSlfDB  VON  80H0TT.  437 

hfibsehes  Lebensbild  der  geistreioben,  liebenswQrdigen  Dichterin 
Anne  de  Rohan  (1584 — 1646)  hat  J.  Bonnet  in  seinen 

Derniers  recits  (S.  227)  uns  gegeben,  wie  alles,  was  er  schreibt, 
fein  und  geschmackvoll  geraalt,  mit  vielen  Auszügen  aus  ihren 
wenig  bekannten  Gedichten  und  in  wertvoller  Weise  verwoben 
mit  der  ganzen  Geschichte  des  erlauchten  an  bedeutenden 
MBnnem  und  geistreichen  Frauen  reichen  Hauses  Bohan- 
Fftrthenay.  Die  Archive  dieses  Hauses  sowie  der  naheetehenden 
Bouillon  und  Tr^uoille  haben  in  der  letzten  Zeit  viele  Fa- 
milienbriefe der  literarischen  Welt  gespendet  ^);  das  anmutige 
Geplauder  gescheiter  Frauen,  das  sich  freilich  viel  um  die 
Kinderstube  und  Toilette  dreht,  liest  sich  ganz  angenehm, 
hat  flir  die  Familiengeschichte  manchen  Wert,  auch  für  die 
Kiichengeschichte  f^Ut  hie  und  da  ein  Brocken  ab. 

3.  Von  der  Anfhebniig  des  Ediots  Ton  Nantes  bis  zum 
Toleranzedlot  Ludwins  XVI.  1685—1787. 

L  S.  A.  BerUiault,  J.  Sanrin  et  la  prcdicAtion  proteRtantc  jusqu'  a  la 
fin  da  rtgne  do  Lovis  XIV.  Paria,  Boohome  187&  p.  383.  8^ 

8.  IX  Benolfe»  ün  mart>yr  du  Ddsert  Ja«qiiw  Bogor,  netaimiieiir  da 
protestantisnie  dans  le  Dauphin^  aa  XviII»  atmete  et  aea  oompagDODB 
d*oeinrie  (1675—1745).  Toulonae,  Lagarde,  p.  276.  8^ 

8.  O.  DennoirMtwreB»  Yoltain  et  Ja  aod^  an  XVIII«  ai^,  T.  VI, 
Ydtaire  et  J.  J.  BonaaeaiL  Ptoia,  Didier  1875.  p.  516 

Als  Ludwig  XIV.  das  Edict  von  Nantes  aufhob,  glaubte 
er  ein  gut  yerdienstiich  Werk  getan  zu  haben;  von  der  Welt 
von  Jammer  und  Ungerechtigkeit,  welche  er  durch  einen 

Federstrich  über  Hunderttausende  seiner  besten  Untertanen 
heraufbeschworen,  hatte  er  keine  Ahnung,  ebensowenig  die 


1)  Lettrea  de  Catherine  de  Phriheiiay  et  de  aea  denz  fiUea  Henriette 
et  Anne  k  Gharlottine  Brabantfaie  de  Naasan,  dneheaae  de  la  TrAnoiUe 
pnbL  par  Inibert,  Niort  1874.  —  Lettres  choisics  de  la  dneheaae  de 
Bonfflon  a  la  duchessc  de  la  Tr^iOe  (1598—1688)  pnbl  par  Mar- 
ehegay,  Bulletin  1874,  S.  64  ff. 

*)  Gaillardin,  Tlistoirc  du  regne  de  Louia  XIV.  R^ta  et 
tableaoz.  8®  partic.  La  Decadencc:  (luerre  de  la  secondc  coalition  et 
<^»'  la  succession  .ri'lspagne  (=  T.  5).  Paria  1875.  p.  650.  8".  —  Diesea 
Werk,  Ludwig»  XIV.  Politik  gegen  die  Erangeliacben  enthaltend,  iat 
mir  erst  wihrend  der  Correctur  angekommen. 


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438  KUlTläüIit^  Ü^P^CUXfiN.  mSt,  lU. 


katholische  Bevölkerung  Frankreichs,  welche  ihres  Monarchen 
Anschauung  tollte  und  durum  aucli  mit  liecht  ihren  Teil 
zu  tragen  hatte  an  dam  Fluche,  der  auf  dieser  Tat  ruhte» 
fi.  Benoit  hat  in  seiiim  klaawachan  Werke  alle  besfiglichflii 
Fn^,  Entsidiajig,  Aofhebmigf  Folgen  b^iandelt;  nidit 
eine  Nenberausgabe  des  selienen  Bncbee  wfiie  wQneehen, 
sondern  eine  Neubearheitung,  welche  die  bisherigen  Forscliungen, 
wie  sie  in  umfassender  Weise  diesem  Ereignis  zuteil  ge- 
worden, berücksichtigte.  Sehr  reiebe  Hülfsmittel  bietet  dazu 
das  Bulletin;  fiist  keine  Nommer  eracbeint,  in  welcher  nidit 
über  eine  AbschwOniDg  oder  Answandemng,  Ober  einen  Mftr- 
t^re^  auf  den  Galeeren  oder  einen  (Jeistlichen  der  WÖsfee 
etwas  neues  erwähnt  würde,  und  wenn  ein  namenloses  Elend 
in  diesen  Zeilen  sich  vor  dem  Leser  auftut,  so'  kann  andrer- 
seits die  Standbaftigkeit,  der  Gknbensmat,  die  Aofopfernng, 
wekbe  in  tansend  Ugtm  bei  Ifbiaera  und  Fintaen  berror- 
treten,  nur  die  bOebeto  BewundereBg  erregen.  Verhältnis- 
mässig am  glücklichsten  waren  die,  welchen  es  gelang,  mit 
oder  ohne  Vermögen  das  Königreich  zu  verlassen ;  seitdem 
spielen  die  Refugi^  in  allen  Ländern  protestantischen  Glau- 
bens eine  oft  ziemlicb  bedeutende  Bolle. 

Ibre  Gescbicbte  bat  Weiss  ^  in  mustergültiger  Weise 
geschrieben  und  damit  den  Impuls  gegeben,  den  in  alle  Ge- 
genden der  Windrose  zerstreuten  Gliedern  der  französisch- 
protestantischen  Familien  nachzuspüren,  und  mit  grossem  Eifer 
und  scb^nem  £ifolg  ist  das  gescbeben.  Gbavannes*)  be- 
richtet ausAbrlieb  und  genau  Uber  die  ISnwanderung  im 
Waadtland,  Clapar^de*)  Uber  die  in  Gex,  und  ein  interes- 
santer Artikel  im  Bulletin  ^)  giebt  eine  Liste  von  Geistlichen, 


1)  Vgl.  z.  B.  BnUetin  1872  den  iatereeaanten  Easai  sux  Lea  ab- 
jiiratiunB  parmi  les  reforni^  de  SV«poe  soui  le  rhgoe  (ic  Ijouia  XI Y. 

J.  Oha  van  n  CS,  S.  8  ff. 

2)  Histoire  des  r^fngicH  protestan^  de  Frfnoe  per  Cb.  Weiss, 
T.  1,  2;  Pili»  186a 

s)  Les  i^fiigi^  ftanfaiB  daw  le  pa^.s  4e  Ytod  «1  psrtieidldinpHiii 
a  Yevey  par  J.  ObaYamiee,  Li^nsaniie  187i. 

4)  Lea  i^fiigida  puoteataals  du  pays  de  Gti;  BoUetbi  187S>,  8.  St 
fi)  Liste  de  pastenn,  proposantis  ei  antEes  bemmsB  mrtii  du  D^ir 


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QEsumcHTfi  ^  wEum,  ywssffSA^mud»  von  schott.  439 

welche  1G83  nach  Genf  flüchteten.  Denen,  welche  der  grosse 
Kurfürst  in  seine  Staatea  aufgenoxnmeii  hat,  widmet  Beheim- 
Schwarzb^oh')  ein auafubrliches,  sehr  interesaaates  Kapitel: 
auf  GnuMl  von  arcldvalisolien  DokumeDtra  giabt  er  eine  kurze 
Geecbichte  der  Binwandemng,  genaue  itatulisohe  Daten  fiber 
ihre  Zahl  und  Naiuen  (luicli  der  Liste  vom  December  1703), 
ihre  Verteilung  in  Stadt  und  Land,  ihren  mächtigen  Einfluss 
auf  Industrie  und  Uaodfelf  Kunst  und  Wieienschaft,  dann  ihre 
kirchliche  Ver&usenng  nod  reohtliche  Loge,  fttbrt  kurz  ihre 
Geecbichiie  bis  in  die  Qegenwait  fort  und  ecblieasi  mit  einer 
Beschreibung  der  beiden  Gemeinden  Gross-  und  Klein-Ziethen 
bei  Angermünde.  Die  französische  Kirche  in  Kopenliagen  hat 
Clement^)  beschrieben,  und  dem  gewaltigen  Strom,  der 
wk  Uber  d^n  Oanal  nach  Qrenibrita(mien  nnd  ItkMMl  exgOBSi 
gilt»  daa  bedeutende  Werk  von  Agnew  In  diesen  Ziasam- 
menhang  fBgt  rieh  am  besten  das  oben  angeführte  Werk  Ton 
Berthault;  auch  Saurin  war  R^fugiö,  sein  Vater  flüchtete 
mit  dem  7jährigen  KuaJ^an  nach  Genf,  als  Jüngling  kämpfte 
er  unter  fifTigny  gegen  seine  LandäleoUt  später  verliees  er 
die  JPUuBe,  wurde  Geistlicher  in  Hai^  und  galt  seitdem  fOr 
den  bertUmitesten  evangBlischen  Eanzelredner  Frankreichs. 
Berthault  aualysirt  ausführlich  seine  Predigtweise  sowie  das 
Eigentümliche  der  calvinistischen  Predigtart  übeihaupt.  Für 
uns  bat  nur  die  Lebensbeschreibung  Saurins  Interesse,  sie 
anmutig  geschrieben,  ohne  aber  nenes  au  bieten,  und  in 
den  kurzen  Lebensskizsen  der  bedeutenden  refonnirten  Fkediger 
wäre  gi'össere  historische  Genauigkeit  zu  wünschen. 

Von  den  in  Frankreich  zurückgebliebenen  oder  zurück- 
gehaltenen Protestanten  wanderten  viele  in  die  Bastille,  um 


phinö,  da  Bas  Laugueduc,  des  CevejiAe«  et  Viv&r&is  et  rei'ijigi^s  a 
Qeneve  cn  1G83;  Biülütiu  1870,  S.  301. 

Hoheüzullcröclie   (Jolonisationon ,   ciii   lioitrag   zur  Geschichte 
dcK  prcassisch^  ^toatcü  und  der  Colonmtiou  des  östUcbcii  Deutschland«. 

*)  L'eglise  reformöe  de  Copeuhaguo  p.  Clement.  (  Jopeuhague  1870. 
^)  Protestant  exiles  from  France  in  the  reigu  oi"  Louis  XIV.  or  tho 
Hu^^mnot  rufuj^et^  aud  tUeir  deticendauts  in  Great-Britain  and  Ircland, 
Agnew,  Vul.  1,  2;  London  1871.  Mir  ^uich  üecenaLunen  IxJuuint. 


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440 


KBITISCHE  OBEBSICUTÜIN.  1875.  Hl. 


dort  zu  bleiben,  bis  sie  abschwuren  oder  starben.  Genaue 
Aufschlüsse  darüber  <^qebt  das  Werk  von  Ravaisson  mit 
eiiK'r  gewisaen  Wehmut  geht  der  Verfasser  au  seine  Angabe, 
die  Gefimgeoen  lud  ihre  Leiden  dansnBtellen;  er  giebt  nur  in- 
edita;  da  der  hohe  Adel  meistena  schon  vorher  flbergetreten 
war,  so  finden  wir  hier  besonders  die  Leidensgeschichte  der 
Gefangenen  aus  dem  Bürgerstande  oder  Edelleute  zweiten 
Hanges;  meistexis  waren  es  Pariser,  deren  Los  überdies  noch 
milder  war  als  das  der  onglflcklichen  Profinzialen.  Diese 
Archive  werden  anch  in  ihroi  folgenden  BSnden  von  Widi- 
ti^'kcit  sein,  das  SchielsBl  manches  spurlos  Yerschwündenen 
will!  hier  aufgedeckt  werden.  Ein  Bild  von  den  namenlosen 
Leiden  der  Protestanten  auf  den  Galeeren,  eine  wahre  Mar- 
^refgescbichte ,  giebt  das  Journal  des  gaUres'),  sowie 
einzelne  ergreifende  Briefe')  der  „Strftflinge'S  die  merk- 
wfirdigerweise  eine  siemlich  hftufige  Oorrespondenz  führen 
durften.  —  Das  Hauptwerk  über  die  Cevenuenkriege  von 
La  Baurae*)  ist  durch  eine  neue  i^mte  Ausgabe  wieder  allge- 
mein zugänglich  gemacht;  Montbounoux  oder  Bonbonnoax, 
einer  der  HanpÜeate  Gavaliers,  hat  sein  wildes  abentenerliches 
Leben  in  all  der  naiven  Lebendigkeit  eines  alten  Soldaten 
auf  die  Aufforderung  von  Court  niedergeschrieben ;  einen  Teil 
dieser  Memoiren  hat  Frosterua  veröffentlicht,  den  Aufaug  giebt 
das  Bulletin  % 

Die  Kirche  der  Wdste  hat  Hngnes,  wie  oben  angegeben, 
in  dnem  epochemachenden  klassischen  Werke  geschildert;  einen 
christlichen  Helden  im  schönsten  Sinne  des  Wortes  haben  wir 


Arcliivcs  de  la  Bastille,  Docnmenta  in^dits  recueiüis  et  publiea 
par  F.  Ravaisson.    Paris,  T.  8,  1876. 

8)  Joamal  »Us  galrrcs ,  eitraits  des  lettres  ecrites  par  leB  fidMes 
00ilf€88eurs  de  Marjit'iile.    Bulletin  1869,  p.  33;  1870,  p.  62. 

*)  Um  for^at  des  galercH  de  Louis  XIV.;  lettre  de  David  Serres  4 
M.  St.  BiMK)it,  i>ast<'ur  a  Lausanne.    nulUtin  1875,  j».  447. 

*)  La  Ii  an  nie,  Delation  historiquc  de  la  revolte  des  fanatiqties 
on  des  caniisard«.  Ouvragc  edit«  p.  Qoiffun.  Nimes  1875.  —  Mir  leider 
nicht  zu  Gesiebt  gekommen. 

6)  Meinuires  de  Montbonnonx,  brigadier  des  Camisards  dans  la 
troupe  de  Ca  valier.    Bulletin  1873,  p.  42. 


OESCmCBTB  DES  VRkVZ.  FBOTBSTAMTISHDS  VON  flCHOTT.  441 

in  Antoine  Court  vor  uns,  dessen  entsagungs-  und  glaabens- 
Yolles  Tan  von  einem  Erfolg  gekrönt  war^  wie  selten  ein 
Diener  Gbristi  sieh  eines  ähnlichen  rflbmen  kann,  eine  in  den 
Stanb  getretene,  beinahe  vernichtete  Kirche  wieder  ins  Dasein 
zu  rufen  und  neu  und  dauernd  zu  organisiren.  Ergänzt  kann 
dieses  Buch  nur  dadurch  werden,  dass  einzelne  Geholfen  Courts 
ihren  eignen  Biographen  finden,  wie  dies  z.  B.  bei  Jacqnes 
Boger  in  dem  Boche  von  Benoit  der  IUI  ist;  Roger  hatte 
schon  yor  Conrt  angefangen,  die  Gemeinden  der  Dauphin^  zn 
sammeln,  später  ist  er  die  rechte  Hand  von  Court  gewesen, 
er  hat  die  erste  „Nationalsynode"  in  der  Wüste  (16.  Mai 
1726)  geleitet,  siebzig  Jahre  alt  wurde  der  unermüdliche 
Greis  verraten  und  starb  am  92.  Mai  1745  in  Grenoble  am 
Galgen,  ein  standhafter  Bekenner  seines  Glaubens ;  anspruchlos, 
aber  mit  warmer  Empfindung  und  treuem  Fleisse  hat  Benoit 
sein  Leben  und  das  seiner  Collegen  geschildert. 

Unbillig  wäre  es,  an  dieser  Stelle  eines  Ortes  zu  ver- 
gessen, der  wie  kaum  ein  andrer  im  düstersten  Andenken  der 
französischen  Protestanten  steht:  der  Turm  La  Oonstance 
in  Aigues-Moites;  wie  viele  cvangeliselie  Flauen  mussten  dort 
Jahre,  Jahrzehnte  lau^^  scbmacbteu,  weil  sie  einer  religi(5sen 
Versammlung  angewohnt  hatten;  M.  Durand  z.  B.  hat  acht- 
unddreissig  Jahre  hinter  diesen  Mauern  zugebracht  l  das  Bulletin 
giebt  von  bewflhrter  Hand  eine  ausführliche  Beschreibung  des 
Tuimes  ^)  und  eine  genaue  Liste  seiner  unfreiwilligen  Be- 
wohnerinnen. In  einer  kleinen,  aber  interessanten  Familien- 
Bchrift  bat  A.  Lombard')  das  Andenken  einer  Verwandten 
erneuert,  welche  von  1735—1750  dort  eingesperrt  war.  Das 
Ereignis  endlich,  welches  die  Grausamkeit  der  ftanzOeiadien 
Regierung  und  die  entsetzliche  Lage  der  Protestanten  am 
meisten  offenbarte,  die  Hinrichtung  von  Jean  Calas,  hat 
in  dem  Biographen  Voltaires  einen  unparteiischen,  ausfuhr- 
lichen Historiker  gefunden.  Klar  ist  auf  Grund  der  erschöpfen- 


1)  La  Tom-  de  Constauoe  d'Aiguee-MorteB  par  Ch.  Frossard. 
Bullet.  1875,  p.  173. 

8)  IsaU'au  Mcnct,  ]>ri<4onni(^re  a  la  toor  de  Constauoe  1735 — 1750 
p.  A.  Lombard.   Qeotive  1875. 

Z*itoehz.  t  K.-0.  29 


442 


KEIT10CXI£  OBfiKttUiTEM.  1876.  Ol. 


den  Arbeit  von  Coquerel  welcher  Desuoiresterres 
alles  Lob  zollt,  der  ganze  Hergang  geschildert,  überzeugend 
die  Doflohuld  toa  Calas  naohgewieaeii,  auch  der  Znslaiid  der 
Piotestanten  richtig  hearteOl;  und  wenn  DesBoiratemB  dem 
Zweck  seiner  Arbeit  entsprechend  VoltairBS  Tätigkeit  beeonders 
hervorliebt,  der  seine  gewaltige  Stimme  so  lanpc  erbebt,  bis 
Europa  auch  diesmal  darauf  hört,  der  nicht  ruht  und  keine 
Opier  adieut,  bis  Vemiuilb  imd  Recht  heigeeteUt  werden  und 
Tokniis  und  Mensehlichkeit  zum  SUgi  gehngen,  w  können 
wir  dies  nicht  tadeln  nnd  stimmen  ihm  darin  bei,  dasB  er 
der  Siicho  der  Humanität  imd  Toleranz  einen  unbesahlbnren 
IMenst  geleistet  hat,  soviel  er  auch  scmst  gegen  das  Christou- 
iom  sündigte.  Wesentlich  neues  hat  der  Verfasser  nicht  bei« 
gebracht,  aber  sein  ürleü  ist  doch  von  hohem  Werte,  dn  ea 
immer  noch  seltsame  Leute  giebt,  welche  das  Purfament 
in  Toulouse  verteiiligen !  Paul  Uabaut  und  Court  de 
Oebelin  haben  in  dieser  Angelegenheit  zuerst  die  Unschuld 
verteidigt;  sie  haben  noch  keinen  ihrer  würdigen  Biographen 
gefanden,  ihr  Leben  nnd  damit  das  ilirar  Kirche  in  der  zweiten 
mflie  dee  18.  Jahrhunderts  ani  achüdem  wfire  eine  schOne 
Aufgabe  für  den  Biographen  A.  Courts. 

4.  Von  der  firnaxSalaohen  BeTolntlon  bis  zur  Gegen* 

wart  1789—1875. 

l,  £.  Doomeigue,  L  onite  de  V6gU9e  ti£otm6e  d»  France  (1569— 187d^ 
Padfl»  Gzaaart  1876.  p.  288. 

n.  A  Banbert,  Alexandre  Yiaet,  histoin  de  ea  vie  et  de  see  ouvrageB. 
Laneaniie^  G.  Bridel  1876.  p.  620. 

Vor  beinahe  30  Jahren  ist  fiher  diese  Periode^  ein 

treuliches  Werk  erHchieuen,  immer  noch  bedeutend  fBr  die 
Geschichtsforschung  französischer  und  fremder  Zunge;  ein 
ähnliches  Werk  bis  auf  die  Gegenwart  fortgeführt,  welches 
das  seitdem  Erschienene  in  sich  vereinigte,  wäre  ein  sehr 
verdienstlichea  üntemehmen;  denn  die  Geschidite  der  Be» 


1)  Joan  ( 'ahiH  et  sa  tauiillr.  Etüde  hiHtoriqutMrapres  ies  docaiueiits 
originaux  jiar  A.  Co*|iH'rel.    11.  F^d,    Paris  18G9. 

•)  Die  protestantische  Kirchs  Frankreichs  von  1787-  IStG  (von 
A.  Müder),  hcrausgcgelicu  von  GieHcler.   Bd.  1.  2.    LeijÄig  lö-lö. 


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GESCmCHTlS  DES  FRANZ.  X'£OT£STANTIfiaiUa  VOM  äCUOTT.  443 

formirten  unter  der  Republik  und  Napoleon  sowie  unter  den 
späteren  Herrschern  Fraukreichs  ist  noch  sehr  wenig  im  ein- 
zelnen gekannt,  und  doch  hat  in  dieser  Periode  der  franz5- 
siaßhe  Arotastaiitkiinu  Gnltaafiraiheit  «ad  bfiigtrlklM  Gleksh- 
benchtiguDg  emiBgeii,  er  bat  in  den  ?erachiedeD8feini  Prevuusen 
SVankmchs  sieh  anagebreitet  und  in  Organisation  und  Theo- 
logie eine  sehr  interessante  innere  Entwicklung  gehabt ,  lauter 
Momente,  welche  diesen  Stoff  anziehend  machen.  Die  firan- 
sOsisebe  Eirebe  befindet  sieb  öbenües  gegenwftitig  in  einer 
innem  Eriae,  so  schwer  wie  sie  kanm  in  den  eeUinmiiien 
Zeiten  der  Verfolgung  eine  getroffen  bat,  und  noch  ist  mcbt 
abzusehen,  ob  sie  dieselbe  ungeschädigt  überstehen  oder  ob 
ein  Schiaina  sie  in  zwei  Hälften,  die  reformirto  und  die  neue 
Kirche,  scheiden  wird.  Bonifas^)  (in  seiner  Fartsetzong 
zn  de  F61ioe)  giebt  klar  nnd  licbtvoU  7on  ortiiodoKein  Staads 
pnnkte  ans  einen  TfeberbMck  Uber  die  Gesehichte  seiner  Eiidie 
iu  den  letzten  zwölf  Jahren,  besonders  nach  der  Seite  ihrer 
inneren  EiitvvRkluug,  die  wesentlich  durch  die  deutsche  Theo- 
logie beeinflofist  ist;  die  Parteien,  welche  bei  der  XXX.  Ge- 
nBoikjwßä»  so  scfareff  einander  gegenüberstanden,  batten  siob 
sobon  wibiend  der  Bestanratien  gebildet;  bei  der  Absetzung 
von  Ad.  Monod,  dem  erweckten  Prediger  von  Lyon,  platzten 
sie  zuerst  aufeinander.  Ein  mächtiges  Organ  und  eine  viel 
entschiedenere  Richtung  erhielt  die  rationalistiäche  (spater 
Mbmk)  Partei  duiob  die  Gründung  der  Beiroe  de  tböologie 
in  Stcaasbnif  1860;  ihre  talentvollen  Bedactenre  Cobuii  und 
Ssberer,  Anbflagmr  der  Tfiblnger  Sebnle,  sanunelten  unter 
ihrer  Fahne  einen  ziemlichen  und  keineswegs  den  talentlosesten 
Teil  der  jüngeren  Geistlichkeit,  besonders  des  Südens;  bald 
worden  fundamentale  Artikel  des  Gbriatentuma  von  ihnen  über 
fioid  genrorÜHu  die  Aatwert  der  gUnbigen  BMrtei  war  die 
Nicbtbestfttigong  von  Athanase  Coqnerel  fils  dnreb  das  Pteiser 
Consistorium  löGl;  und  da  die  Organisation  der  reformirten 
liirche  und  das  allgemeine  Verlangen  eine  Generais^ode  end- 


1)  Siehe  oben  8.  418.  auch  ala  Wsonderes  Buch  erschicneo: 
HiKtoire  des  Protestant«  an  France  depois  1861  par.  F.  Bonifas. 
Toulouse  1874. 

29» 


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444  KRITISCHE  ÜBEBSICUTEN.  1876.  m. 

lieh  herbeiflOmn  mnaste,  suehte  sie  nadi  Ganutieiit  um  Um 

Kirche  gegen  den  Einfloss  der  negativen  Purtei  zu  schötzen. 
Das  active  Wahlrecht  wurde  durch  eine  Erklärung  des  Con- 
sistoriums  von  Caen  1866  von  einem  Glaubensbekenntnis  ab- 
hfti^  gemacht,  und  als  endlich  unter  ThieiB*  PrftaidentBchaft 
die  XXX.  Generalsynode  >),  die  gitate  Emmgenadiaft  te 
neueren  firamOaBdienProtestantlBiiiiis,  susBrnmeDtarat,  legte  rie 
sich  einen  coustitutiven ,  nicht  bloss  beratenden  Charakter 
bei  und  stellte  in  ihren  Sitzungen  Juni -Juli  1872  und  No- 
▼ember-December  1873  ein  Glaubensbekenntnis  fest,  das  in 
seiner  positiven  Fassang  den  Idbenlen  die  Zugehörigkeit  an 
der  Kirche  unmöglich  su  machen  schieiL  —  Eine  Streitsciifill 
gloiclifalls  von  positiver  Seite  ist  das  Werk  von  Doumergu  e; 
der  Verfasser  suclit  historisch  nachzuweisen ,  dass  durch  alle 
Phasen  ihrer  Existenz  hindurch  die  reformirte  Kirche  festhielt 
an  dem  von  der  Reformation  Aberkommenen  Glaabensb^enot- 
nis  und  der  Kirchenordnung  (discipline  eodMaakiqae),  daas 
ebeniGedls  immerdar  Geistliche  und  Aelteste  gebunden  waren, 
diese  beiden  Pfeiler  der  Kirche  anzuerkennen,  dass  endlich 
die  synodale  Eiurichtung,  welche  in  der  Generalsynode  als 
der  rechtmässigen  Vertreterin  des  Protestantismus  gipfidlt,  auch 
durch  das  Gesetz  von  1 802  nicht  geindert  wurde,  dass  so  die  refor- 
mirte Kirche  in  Lehre  und  Ordnung  ihre  Einheit  bewahrt  und 
der  von  Deutschland  importirte  Radikalismus  kein  Heimatrecht 
in  dem  französischen  Protestantismus  hat.  Die  Vereinigung 
der  Parteien  wird  durch  diese  klare,  aber  etwas  scharfe  Schrift 
keineswegs  geßirdert,  die  ftanaOeische  Kirche  scheint  auch 
nicht  den  Mann  in  sich  zu  hegen,  der  im  Stande  wAre,  die 
gegenwärtige  Krisis  zu  beschwören,  auch  sie  wird  in  den 
grossen  allgemeinen  Kampf,  der  auf  religiösem  Gebiete 
überall  entbrannt  ist,  immer  tiefer  hineiugesogen  und  dessen 
Schicksal  teilen. 

Zum  Schluss  unseres  Berichtes  dürfen  wir  eines  Mannes 
nicht  veigessen,  der  zwar  nicht  Franzose  von  Geburt,  doch 


1)  Hifltoiie  du  Synode  gtfnM  de  rEglise  rffoim^e  de  Fnuiee.  Ftoie, 
Jaia-Jaillet  1879  pnr  K.  Bersier.  T.  1.  S.  1Mb,  Sandes  Fieeh- 
bacher  1872.  Stand  mir  leider  nicht  sa  Gebote. 


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OE8CHIGm?BDBBI1KANZ.PllOTE8TAl!IT18ia3STON8Ca9^^  445 

vortrefilich  franz^kdsch  schrieb  and  mit  Frankreich  und  dessen 
Protestanten  in  engster  Yerbindnug  stand,  als  Yorkftmpfer  ftlr 
die  firde  Kirche  wesentlich  anf  die  kirchlichen  YerbfllinisBe 

Frankreichs  einwirkte  und  auch  in  Deutschland  ein  hochbe- 
kannter Name  ist:  Alex.  Vinet.  Mit  aller  Liebe  eines 
Freundes  und  Schülers  hatRambert  das  Leben  dieses  edlen, 
geistreichen»  liebenswfirdigen  Waadtlftnders  geaeichnet;  die 
Fkmilienpapiere,  besonders  ein  sehr  sorgfiUtig  geführtes  Tage- 
bnch  standen  ihm  mt  YerfSgiing,  persönliche  Bekanntschaft 
ergänzt  die  schriftlichen  Nachrichten,  und  so  können  wir  diese 
Biogi-apliie,  die  zugleich  für  das  kirchliche  Leben  der  letzten 
Jahrzehnte,  fQr  die  kirchlichen  Wirren  in  der  Schweiz  sehr 
instmcti?  ist,  als  würdiges  Seitenstfick  zu  der  Biographie 
Nitzschs  von  Beyschlag  anis  wftrroste  empfehlen  nnd  zugleich 
den  Wunsch  aussprechen,  dass  eine  gute  Uebersetzung  sie 
auch  weiteren  Kreisen  in  Deutschlaud  zugänglich  machen 
möchte. 


ANALEKTEN. 


1. 

JAdische  Proseiyteu  im  Mittelalter. 

Von 

Ernst  JDUiiLiiiler. 


Unter  der  Rogienmp  liTidwijrH  des  Frunimon  machte  es  diiö 
grössto  Aufsehoii  und  ern'^'te  wdliros  Kiitsetzen,  djuss  ein  um  II»»fe 
wolil^^ülittoner  Diaconus  aus  Schwaben,  liodo,  im  Jahre  838  zum 
Judentum  ahtiel,  sicli  verheiratete,  seinen  Netlon  grleichfallü  zum 
Ueliertritte  zwang  und  als  Eloazar  sicli  unt(>r  dem  Schutze  der 
spanischen  Araber  in  Sanujfossa  niederlioss.  Ja  sein  Eifer  für  den 
neuen  Glauben  war  so  gross,  dass  er  sogar  den  Kmir  von  (Nir- 
dova  zur  Verfolj^nang  und  Au^ruttung  der  spauiboheu  Chriötoü  zu 
verhetzen  suchte 

Von  einem  ähnlichen  Abfalle,  der  freilich  viel  unbemerkter 
geblieben  ist,  gibt  die  nachfolgende  Aufzeichnung  Kunde.  Ich  ent- 
nehme sie  dem  Codex  der  Lanrentmna  zu  Florenz  Plut.  LXXXIX 
Buper.  1 5 ,  der  nach  Bandini  *)  zuletzt  von  Bethmann  (Pertz, 
Archiy  XII,  722)  beschrieben  wnrde.  Hinter  dem  lateinischen 
Dionysius  Areopagita  ist  von  einer  Hand  dos  eilften  Jahrhonderts 
auf  Fol.  104  dies  Stflck  ohne  tJeberschrift  eingetragen.  Die  Zeit 
der  Niederschrift  ist  hier  auch  als  die  Zeit  der  Ab&ssung  anzu- 
sehen und  am  nächsten  läge  ee  wel  bei  dem  Könige  Heinrich, 


1)  Alle  ^taclirichteu  über  Bode  uiud  erschöpfend  zusammengestellt 
bei  Simsen,  Jahrbücher  des  fränkischen  Beiehes  miter  Ludwig  dem  Fr. 
n,  252-254. 

^)  Catalogus  bibUothecae  Mediceo-IiaarentiauM^  Codio.  latini  III,  963 

(a.  1776). 


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DOMMLER,  jüdische  PBOSRLYTKN  im  MirrELALTEB.  447 

4er  später  (WeUinachten  1046)  Kaiser  wurde,  an  Heinrich  III. 
n  denken.  Unter  diesem  gab  es  einen  Herzog  Conrad  von  Baiem, 
ernannt  2.  Febniur  1049,  abgeietzt  1054,  wobei  nnr  der  Um- 
stand störend  ist,  dus  er  erst  unter  der  kaiserliolien  Begimiiff 
Hoinriclis  Herzog'  wurde.  YieUeiobt  dürfte  man  also  mit  grÖSNram 
Beeilte  an  den  im  Jahre  1039  verstorbenen  Herzoir  Conrad  von 
Kärnien,  den  Vetter  Conrads  11.,  denken,  da  das  Verhältnis  We- 
cilins  zu  ihm  in  eine  etwas  firObere  Zeit  fiülen  kann.  In  Besog 
auf  den  Ort  der  Bekehrung  wortlon  wir  violleicht  andi  hier  an 
Spanion  denken  dürfea,  weil  der  Angrilf  desAMrfiDnigSD  auf  das 
Cliristcntum  einen  gesicherten  Aufenthalt  Toraussetzt  Ab  Ver- 
kehr mit  dios'om  Lands  fehlte  es  damals  durdiaas  niolit;  so  er- 
zälilt  z.  B.  Petrus  Dsmiani  (Opusc.  45,  c.  G)  von  einem  gewissen 
Walter,  einem  Genossen  seines  Lelirern  Tvo,  dass  er  aus  Wissens- 
durst ungetahr  dreissig  Jahre  hindurch  von  einem  Lande  zum 
andern  gezogen  sei,  „et  non  modo  Tentonnm,  Gallorum,  sed  et 
Saracenorum  quoque  Hispaniensium  urbes  o])pida  simul  atque  pru- 
vincias  penetraret".  Ueber  den  Inhalt  der  Polemik  selbst  mnss 
ioh  den  Sachverständigen  das  Urteil  überhiesen. 

In  diebns  Hsinriei  regis,  qui  postea  benedietione  apoetoHca 
impmtor  effsetos  est,  qnidsm  Wecelinos,  qni  fserat  dneis  Cuon- 
ndi  clericds,  illnsione  diabolioa  sednctos  erroii  ludaeormn  oon- 
sensü,  ei  oontni  Christmn  eiosque  sanctae  aeodesise  stabfle  fir- 
msmentom  episiolsm  ansns  est  emetnare.  Hoc  atidiens  rsx  mmia, 
nt  instom  M%,  coniorbatione  conpnnctos  est  atqne  OUits  iussione 
mras  disoipnlomm  snorom  nomine  Heinricns  predictom  apostatam 
▼eradssinus  sacrae  scriptiire  testimonüsy  nt  eins  epistola  affirmati 
fidsa  vetba  in  Christom  einsqne  ssnotos  dixSsse  dsTicit. 

Temm  referrs  nimc  toIo  de  illo  apostata,  qni  relicta  reli- 
gione  dericatos  in  0  perfidoram  Toraginem  incidit  Indaeonun. 
Sed  in  ipsa  relatione  exsolTonda  tot»  oontremesoo  et  bonentlbns 
piüs  capitis  terrore  concntior,  diabolmn  potidsse  hondni  persua- 
dere,  ot  tantas  sordes  ansns  esset  contra  Christom  et  sanctos 
eins  isAlasse.  Scripserat  enim  ftmestis  litMs  infelicismmns  ille. 

„Qnid  eontradicis  insto,  insiplensY  Lege  Absenc  prophetam 
in  qno  dens  dixit:  Ego  snm  deos  et  non  mntor').  Si  Ule  se- 
cnndnm  Testram  msledictem  fidem  mutareiar  et  mnüeri  commis- 
cerstor,  prindpinm  verbomm  snomm  non  esset  Caritas.  Dixit 
dens  ad  Moysen:  Non  enim  videbit  me  homo  et  viTere  potest^). 
Qnem  filium  hominis  pretermisit?   Dicit  enhn  David  propheta: 


1)  im  Hh. 
S)  uuragionem  Us. 
s)  Halae.  3,  6. 
A)  Eiod.  aS^  SO. 


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448 


AKALBKTBK. 


Nolito  confidere  in  principibns  in  filiis  hominum,  in  quibus  non 
est  salns  Et  Ezechiel  <iui  ah  Ilieremiu  hoc  protulit:  Malodictus 
homo  «Uli  confiilit  in  hnmino  et  pnnit  ciuiiom  hr;ic)iiiim  snnin. 
Erit  enim  quasi  myrico  in  de,serto  et  non  vidobit  Iructum,  cum 
vonerit  bonum  Quid  contrahi&cis  aninial  ?  Quem  filium  h<t- 
miois  pretermisit ?  Num  Potmm  et  lohannem  atque  Martiuuui 
et  alios  daem(»nes,  quos  sanctos  vocatiriV  In  oinnibn^s  locis  le- 
gitur  dous  T^;r:io]  et  non  deus  gentium.  Ubi  est  ve^ter  sensus  ? 
Dicit  David:  Momor  erit  dominns  in  seculum  tostamenti  sui 
verhi^),  quod  mandavit  in  mille  generatiuncs ,  quod  disposnit  ab 
Abraliam  et  iuramonti  sui  ad  iBaac  *).  Hoc  est  lex  saa  saucta 
et  circumcisio  quam  dedit  Mojrsi  soiyo  sao.^' 

Heinrici  epistola. 

„Bwpondere  calümpniae  tnae,  o  ladaee  incredole,  quam  ex 
blaaphemo  ore  in  Christnm  einsqtie  sanctos  nunc  noviier  evo- 
mnisti,  cuique  in  militia  christiana  instructo  facile  esset,  si  non 
facilius  esset  saxa  in  moUitiem  *)  posse  converti,  quam  corda  vo8tra 
ad  recipiondiim  veritatcm  discindi.  Quippo  cum  et  illa  auctorem 
suuni  m»»riontem  scissa  reco<,'novi'riut,  et  tarnen  adbuc  insonsibi- 
litas  rordis  vrstri,  quamvis  oli-^;!,  qnamvis  prostrata,  in  duritia 
iuvetcratao  ini(|aitiitis  j)orsovcict,  et  licet  per  coetcrnam  dei  sa- 
pientiam,  qua  mundus  oi  mirabilitor  est  conditus  et  mirabilins 
roformatuä,  obstructum  est  os  lo(|uontium  iniqua  ^)  et  iniquiUts 
veötra  meutita  hü  sihi  tob»  seculo  vorbi8(iuo  i»nq)lit'tarum  et 
oxemplis  öanctonuu  oluccat;  quamvis  sit  tlntnpnata  iniideVitatis 
Yf'strac  ccca  iinpiotiks  et  quam  gloriUcatii  assumpbao  in  Christo 
mortalitati«  intirmita^;.  Tarnen  (|Uoniam  adbuc  non  desi)erat  de 
machinationibuB  suis  ludaicao  malignitiitiä  obstinata  iui})r«*biUtö  et 
ad  confutmdam  christianam  religionom  scelorato  fiwtu  inmnr- 
murat  et  per  exempla  ]»:itruni  dictaque  prophotarum  stantein 
Ü<»renteraquo  ccclosiam  ipsa  iam  totions  dovictji  et  omuino  pro- 
strata iterum  ad  certameu  provocat,  aggrediamui*  cos  dante  et 
iuvauto  ipsa  dei  sapientia  verbo  dei  dei  filio  coqne  primum  la- 
pido  lapidea  corda  feriamus,  quem  Dauihol  prophotii,  nt  dicitis 
voster  innuo  noster,  vidit  sine  manibus  de  monte  concidi  et  im- 
plere  Universum  mundiun      Ait  enim :  Aspiciebam  in  visu  noctis 


1)  PiMl  145,  2. 

*)  lerem.  17,  5.  6. 
8)  Psal.  110,  5. 
4)  Pnal.  1C)4,  8.  9. 
Hioliticm  Hs. 

6)  Ftal.  e2,  12. 

7)  Pßal.  26,  12. 
Dan.  2,  34.  85. 


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DÜMMLER,  JÜDISCHE  FBOSELYTCN  IM  MITTBLALTEB.  449 


et  eooe  m  nabibns  eaell  filins  hominis  rwai  et  datnm  est  ei 
regnum  et  honor  et  omnes  popnli  trilnis  et  lingnae  servient  ei 
Qäd  nimc  infolixt  Eeoe  Alias  hominis.  De  qno  aetiam  et  David 
didt:  Eraetnavit  cor  menm  Terbnm  honnm  ^  Idemque:  Dominos 
dixit  ad  me  filins  mens  es  to,  ego  hodie  genni  te  %  Idemque: 
Omnia  in  sapientia  feeisti*).  Et  Salomen:  Dominos  poesedit  me 
initio  Yiarom  soarom').  Sed  qnoniam  non  de  aeten»  Christi 
naHvitste  %  in  qoa  Semper  ioit  patri  aeqoalis  sed  de  tempo- 
rali,  in  qna,  sicnt  David  damat,  minoratos  est  paolo  minus  ab 
angdis^y  com  lodaeo  nobis  sermo  est,  andiamos  qnid  dicat 
et  obiectioni  eins  conseqoenter  lespondeamos.  Dids  Indaee:  Qoave 
contradicis  iosto,  indpiens?  Primom  vdim,  mihi  respondeas: 
Qoem  diois  instnm,  te  ant  prophetam?  81  prophetam,  assentier, 
tarnen  in  eo,  qnod  QU  me  non  contradicere  ostendam,  te  men* 
tttom  esse  iore  eonTincam.  Bi  vero  te  dicis  instam,  qnem  con- 
stat  prios  esse  menütnm,  nesdo  qno  pacto  obtinebis  iostitiam, 
qnem  mendacii  pollnit  macola.  Neqne  legis  tnae  eongmentor 
nmnl  poteris  assertor  et  prevaricator  dicentis:  Non  loqoeris 
oontra  proximnm  tnnm  fidsnm  testimonium  ^.  Qnod  d  nti  pnv- 
misi  prophetae  non  contradicam,  com  ipse  pro  me  dicat,  et  qnae 
tn  tibi  contra  mo  comparaveris  ama,  bis  tibi  laetaiia  infligam 
vulnera,  qnoniam  intulisti  proximo  too  fiilsnm  testimonium  contra 
legis  preceptnm,  legis  incnrris  reatom.  Beatus  antem  trabet  te  ad 
poenam,  poona  vorn  perducet  te  nsqoe  ad  mortem.  Sed  Tideamns 
seqncntia.  Infelis  Indaee,  quem  yocas  insipientom?  Num  nos 
credentes  in  cmdfixum,  qui  factns  qnidem  est  vobis  lapis  offen- 
donis  et  petra  scandali?'^  Qnoniam  qnidem  lapidem  quem  re- 
probavonmt  aedificantos,  bic  factii«  est  in  capnt  anguli A  do- 
mino  factum  est  istud  et  est  mirabile  in  oedis  nostris.  £!jrgo 
nos  in.sipiontee  et  TOS  sapientes  estis.  Tarnen  per  stnititiam  pre- 
dicationis  iam  mondi  superbia  cocidit  et  in  frontibus  rogum  cmcis 
videtiä  tropbeum.  Quia  qnae  stdta  mundi  sunt,  elogit  dciiä,  ut 
confundat  fortia^^).  Ac  per  hoe  libenter  anq>lectimTir  Htultitiam 
cmds  Christi  qm  oredidimns  nos  perrentoros  ad  gloriam  Christi. 


1)  Dan.  7,  13.  14. 
^  FUÜ.  44,  2. 

3)  VaslI  %  7. 
*)  Psal.  103,  24. 
6)  Prov.  8,  22. 
6)  nauitate  Hs. 
n  lob.  5,  18. 
«)  Psal  8,  6. 
0)  K\r,fl.  ^>(»,  IG. 

W)  1  IVtr.  2.  8. 
")  ITetr.  2,  7. 

M)  icoT.  1,  sa 


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450 


ANAUKTBH. 


Sed  (luid  sojnlo  nairo  Malam?  Aiit  qud  oeoo  appoiio  hamtm 
V6l  ludaM  mumgelium  predioo?  Bedeamw  ad  eegiatia.  laqvis: 

Lege  Abacnc  prophetam,  Don  m  quo  vi  in  dios,  sed  per  quem 
ipse  deus  dicii:  Ego  mm  dens  et  non  amtor.  T'raeniki  tibi» 
ludaee,  teätimonio  Abaeao  naUatesoB  me  coutrudicere  et  oom 
soliim  Abaeac  sed  et  onmiiim  prophetarom  et  legis  doeumeBte 
me  dico  sascipero,  enm  eoio,  qui  non  Tenit  solTere  legen 
sed  adimploro  Dixit  dens  per  Abaeac:  Ego  siim  deas  et  nofi 
mntor  Et  hoc  firmitor  credit  christiuna  religio.  Qnod  vero 
snbsecutas  es:  Si  ilie  secundum  Yestram  maiedictam  fidem  muta- 
retur  et  muliori  cemmiBceretnr,  principium  verborum  suoram  iu*n 
osset  veritag.  Quid  miruiu  est,  cum  caecus  sis,  si  non  vides 
lucem  illam,  quam  non  vident  nini  qui  mundo  sunt  oordo^*)? 
Immo  cum  more  frcnotici  contra  medicunt  rosilias  et  .saiuirt'  te 
volenti  maledicta  et  convicia  opponasV  Tarn  enim  excolya  et 
|)rofundji  sunt  incaruationis  Christi  mistoria,  quomodo  verbiim  dei 
incoinmutiibilitor  apud  deum  patrcüi  semper  iiianens  cnniom  de 
vir;j^ine  sumpsit,  naturauique  nostram  soao  iiiiivit,  quod  nemo  haec 
cai>it,  nisi  «itii  spiritualitor  .saitit,  nemo  sapit  nisi  de«»  dunante 
capiat,  (1110  {loiianto  rrodit  qui  iiondiim  capit.  Nisi  enim  credi- 
deritis ,  inquit.  ]»r«)pli<'ta  ,  n^m  intcilegütis  Krgo  oredenti  colli- 
gitur  moritum,  vidonti  rocMetur  preminm,  qnoniam  si  vidos,  nun 
est  tides.  Qiiandin  enim  juTogrinainur  in  huius  muudi  tenebhSy 
tide  mundautur  corda  eorum,  qui  deum  visuri  sunt" 


2. 

Pseudo-ZabareIla\s  ,,eapi(a  a^eDdorani^^ 

und  ilir  wahrer  Verfaaaer. 

Von 

Lic  th.  Dr.  P.  Tseliaekert, 
FkiTatdooent  in  liieidau. 


Unter  iloii  lüiliänern,  wolcho  auf  den  h'erormconcilien  von 
Pisa  and  Constanz  eine  hervorragende  Tätigkeit  entfaltet  haben, 

1)  Matth.  5,  17. 
x)  Malac.  3.  6. 
s)  Matth.  5,  8. 
«)  IsaL  1,  9. 


üioilized  hj  fla^jlr 


TSCHAGKEBT,  PSBDDO-SABABBLLA'S  „CAFITA  AOBMD/'.  461 

ist  nidii  aa  letster  Stelle  der  Cardinal  von  Florws  Franz  Za* 
bar 0 II a  zu  nennen.  Noob  aU Piofteeor  das  kanoniBchen  Rechtes 
zn  Bologna  yerfasste  er»  um  tob  seiner  vielseitigen  Tätigkeit  im 
akademieohen  Lehramt  nnd  in  der  Advocatur  zn  schweigen 
ohngefahr  nm  das  Jahr  1408  eine  Schrift  „de  schismato "  ^)  im 
Interesse  der  Oardinäle,  welche  im  Begriffe  standen,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  beiden  päpstlichen  Prätendenten  anf  eigene  Uaud 
der  KirchenH])a1tnng  ein  Ende  zu  machen.  Später  verhandelte  er 
als  Cardinal  (1413)  im  Auftrage  des  Papstes  Johann  XXIII.  mit 
KOnig  Sigismund  über  den  Ort  für  das  zu  beiTifonde  Concil 
und  iu  Cunstanz  hat  er  bis  an  seinen  Tod  (1417)  eine  papst- 
freundliclie  *)  uud  nach  Johann 's  Absetzung  zu  Gunsten  des  Car- 
dinalcollegs  eine  consorvativo  '')  Kirchenpolitik  getrieben  ^).  Ein 
wosontlicii  höheres  Interesse  knüpfte  sich  indes  bis  jetzt  dadurch  an 
seinen  iSanion,  diuss  der  unkritische  Quellous:ini raier  Hermann  von 
der  Hardt  ihn  mit  einem  Werke  in  Verbindung  gebnicbt  bat,  in 
welchem  wichtige  Vorlagen  der  Constanzer  Rpforraarbeiten  nioder- 
geletift  sind:  mit  den  v.m  deni  Heraungeber  willkürlich  so  ge- 
nanuteu  Capita  agendorum  in  concili<»  generali  Con- 
stantiensi  de  occlosiuo  ref  o  rni  a  i  i  o  n  u oder  wie  der 
handschriftliche  Titel  lautet^),  dessen  wir  n?i^  loi-tan  bedienen, 
Trantataa  agendorum  in  ooncilio  generali  Constan- 
tiensi. 

Die  Schrift  enthält  eine  Reibe  ..selbständiger  Bills"  für  die 
Reformation  der  Kirche  zur  Sicherstoilnng  des  katholischen  Glau- 
bens, zur  Hebung  des  grossen  abendländischen  S(  liisma  und  Ver- 
hütung einer  neuen  Spaltung,  zur  Vereinfachung  des  Cultus.  Re- 
gulirung  dos  Geschäftsganges  der  Curie,  zu  besserer  Verteilung 
der  kirchlichen  Reneficion,  zu  regelmässiger  Abhaltung  von  Sy- 
noden und  Kirchen  Visitationen  u.  a.  ra.  Leider  fohlen  in  der 
Wiener  Mandschrift,  welche  dem  Drucke  Hardt  s  zu  Grunde  liegt, 
mehrere  Kapitel,  welche  wir  nach  dem  ihr  Yoraostahendeu  In« 


»)  Schwab,  Gerson  (1858),  S.  658,  Anm.  1. 

^)  In  Schardius.  De  jurisdictionc  (15«6)  ct<:.  689  sqq.;  vgl.  709 
uud  8}'ntagraa  tractatuuui  {UiQ&)  235  aqq.  (Hübler,  CoostaiiMr  Ke- 
form.  1867,  S.  379,  Anm.  33.) 

»)  Palackj,  Documenta  M.  Job.  Hus  (1869),  p.  513. 
Vgl.  s.  B.  Hanei,  GMe.  ooU.  27,  543.  Hardt,  Magnnm  oee. 
Constant.  concilium.  Tora.  TV,  25  (Hefelc,  Cunc.-Oeeeh.  Vfl,  TO.  74) 
nnd  die  Acten  der  III.  Generalsession  Mansi  27,  581. 

^)  Z.  B.  im  Aonatenstieit,  v.  d.  Hardt  1,  556.  621  (Hohler 
1.  c,  S.  84). 

<*)  Hübler  (1.  c,  S.  7)  macht  ihu  irrtümlich  zu  einem  „Theologen 
eratea  Bangee  vad  JPttbrar  der  naakirohlichea  fWiei". 
T)     d.  Hardt  1.  c.,  I^mb.  I,  Pan  JX. 
•)  T.  d.  Hardt  L  o.,  S.  509» 


L;iyiu^oa  by  GoOgle 


463 


AHALEKTEN 


haltsverzeichnis  erwarten  mOsston  —  Kirchenifeschichtlich  wichtig- 
ist  ihr  Inhalt  besonders  durch  drei  Vorachlage.  Erstens  wünschte 
der  Verfasser  eine  Reorganisation  dos  Cardinalculleg's;  es  sollte 
etwa  viomndzwanzig  bis  dreissiir  Mitglieder  zählen,  womü^'iich  aus 
allen  Ländern  dor  Christenheit,  und  der  Eintritt  in  dasselbe  unter 
anderem  iiuch  durch  den  Besitz  des  theologischen  oder  jaristi^chen 
l)oct«»nits  oder  durch  hohen  (leburtsadel  bedingt  sein  Zweitens 
wollU^  er  das  so  zusaramengosotzte  CardinalcoUeg,  um  den  Absolu- 
tismus des  Pap.sttums  zu  brechen,  dem  Oberhaupt  der  Kirche  als 
controlirendo  Beliörde,  als  oino  Art  von  unverantwortlichem  Staats- 
rat, an  die  Seite  stellen;  behufs  Begründung  dieses  Verhältni5?ses 
sollte  demnach  der  von  den  ('ardinälen  zum  Papst  Erwählte  zur 
Beschwörung  einer  sta;itsrechtlichen  Capitulatinn,  statt  wie  bisher 
zur  Ablegung  eines  Glaubensbekenntnisses  verpflichtet  werden  — 
ein  auf  dem  Boden  der  gregorianischen  Tapstkirche  gradezn  revo- 
Intionärer  Vorschlag  Drittens  verlangte  er  in  Bezug  auf  kirch- 
liche Censuren  im  Auschluss  an  einen  Aufsatz  Üersons,  da«s 
eine  völlige  „  Communionssporre "  (excommunicatio  major)  erst 
dann  eintreten  sollte,  wenn  ein  besonderes  Urleil  gegen  den 
Schuldigen  gefällt  und  öffentlich  bekannt  gemacht  worden 
wäre;  d.  h.  er  schränkte  die  grosse  Kxcommunication  auf  die  Fälle 
ein,  in  welchen  das  kirchliche  Urteil  die  Merkmale  der  „Specia- 
lität"  und  der  „Publicität"  an  sich  tnige 

Vergleichen  wir  mit  diesem  tractatus  agendonim  die  (Jon- 
stanzer Reformarbeiten,  die  Protokolle  des  ersten  Keformati»riumß 
oder  Fünfunddreissiger- Ausschusses,  des  zweiten  Reformatoriams 
oder  des  Fünfuiulzwanziger-Ausschussos,  die  Genoralreformdecrete 
dor  IPJ.  und  43.  Sitzung,  die  Keformacte  Martin's  V.  und  end- 
lich die  Sejtarat-Concordate,  welche  mit  den  (Jonciisnationen  ab- 
geschlossen wurden;  so  orgicbt  si<  li,  dass  er  für  die  meisten  Ma- 
terien mehr  (»der  weniger  als  Vorh^'e  benutzt  worden  ist.  Wir 
gehen  auf  daa  Einzelne  nicht  ein,  sondern  verweisen  auf  die  in 


^)  v.  (1.  Hardt  I,  R.  5f>4.  Wir  vcmiisscn  die  Kapitel  de  furo  poo- 
nitcntiae  et  casihiiK  re.st^rvatis;  de  ecclcsiastica  jurisdictione  et  oxactio- 
nibus  atqne  abuüionibus  (!)  quac  per  illa  fiunt  jiraesertiiu  in  Francia 
(was  niebt  in  c.  16  gefonden  werden  kann);  de  litilnu  breviandis  et  lo- 
corum  distantia;  auod  doctoros  ptaebcndati  rasideant  et  Icgant  (was 
nicht  in  c.  11  steht);  de  vacantiis  jira-laturarmn  et  bencficionim,  et  de 
iiiipositioni'  (l«'ciniannn  et  taxationc  fnictuum  et  aliia  ctiani  nun  con- 


tatiliQs  aoeMarnin. 

*)  Tnci  (Cap.)  ag.,  e.  7  (▼.  d.  Hardt  I,  S.  515). 
8)  lUd^  «.  6  (▼.  d.  Hardt  I,  S.  513). 

4)  Ibid.,  T.  d.  Hardt  I,  8.  590  sqq.,  entnommeii  ans  Gereon,  de 
vita  gpiritnali  (Gem.  op.  ed.  Dapin.111,  id— 50).  ^  Hfibler,  S.  1868qq. 
189.  dSisqq. 


TBCHACKERT,  FSEirD0-ZABAHELLA*8  ,,CAPITA  AQEND.**  463 


kirchenrechtlieher  Beziehung  ausgezeichnete  Schrift  Hühl  er' 8, 
„die  ConstaDzer  Reformation"  (1867)  S.  67  sqq.,  desson  Beweis- 
Ähmng  dargetan  hat,  dass  die  reformirenden  Y&ter  weder  nach 
links  dem  innerkirchlichen  Badicalismos  eines  Dietrich  ?on  Nte- 
heim,  des  Ver&sserB  der  Schrift  „avisamenta  pulcherrima  de  nnione 
et  reformatione  membromm  et  capitis  fienda**  (de  neoessitate  re- 
formatioiiis)  gefolgt  sind,  noch  nach  rechts  la  dem  von  con- 
servativen  Cardinälen,  unter  ihnen  Zabarella,  TOrgeschlagenen 
seil  wachen  Heilmittel  einer  päpstlichen  Hausordnung  m  Hebung 
der  kirchlichen  Misbränche  *)  gegrifliBD,  sondern  sich  im  allge- 
meinen  auf  der  H6he  des  tractatuB  agendornm  ge- 
halten haben 

Schon  der  zweite  oben  berührte  Vorschlag  kennzeichnet  den 
Geist  dieser  Schrift  als  einen  oligarchischen.  Um  dem  Cardinal- 
coUeg  die  dort  in  Aussicht  genommene  Unabhängigkeit  zu  erhalten, 
wollte  der  Verfasser  vor  allem  dessen  Einkünfte  sichergestellt 
wissen  nnd  zwar  in  so  splendider  Weise,  dass  man  ihm  in  Geld- 
sachen auch  keine  Spur  von  Heformationslust  abmerkt  *).  Sonst 
war  er  wenigstens  der  Theorie  nach  freimütig,  wie  sein  Urteü 

1)  V.  d.  Hardt,  Tum.  1,  Purö  Vli.  Vgl.  ak  iiuucatc  Literatur 
darüber  Leas,  Diel  Tractate  ans  dem  Sehriftencyeliis  dos  GonstaDser 
Gondls,  1876. 

2)  V.  d.  Hardt,  Tom.  IV,  p.  25.  —  Hansi  27,  p.  643.  — 

(Hofele  Vn,  73.  74.) 

3)  Nur  das  Schicksal  der  oben  angeführten  drei  Vorschlage  sei  hier 
angedeutet  Der  erste  ging  über  in  das  erste  Ret  c  5  (v.  d.  Hardt  1, 
S.  594),  in  die  Beformacte  Martinas  V.,  Art.  I  (Hfibler,  8.  128)  und  in 
die  Concordate  (Httbler,  8.  166.  195.  208).  Der  zweite  hat  zweimal 
eine  flüchtige  Anwendung  gefunden,  in  der  W.iltlea['itnlation  des  Papstes 
Eugen  IV.  (1431)  und  in  dem  Statute  foudamcntalc  Pius'  IX.  (1848) 
(Bavn.  Ann.  XViU,  81^  Döllingcr,  Kirche  und  Kirchen,  S.  G04; 
HHoler,  8.74.  75);  der  dritte  ging  als  „Indult"  (Gnadenhezengnng), 
nach  seinen  Anfangsworten  Ad  vitanda  gLiiaunt,  in  das  deutsche  Con- 
conlat  Art.  Vll  über  und  wunic  bald  darauf  (Jrundlage  für  den  Bmnch 
der  ganzen  ri»mi8chen  Kirche  (Hüblcr,  S.  186.  180.  334  ff.). 

*)  Er  verlangte  für  jeden  Cardinal  ein  jährliches  l^'iium  von  24,000  Flor. 
—  eine  Suumie,  welche  Martin  V.  sclUt  in  seiner  Beformacte  auf  COOO 
herabsetzte.  Tract  ag.,  c.  7  (v.  d.  Hardt  I,  8.  515)  und  Hftbler, 
S.  158.  —  Für  Anfunigang  jenes  Gehaltos  hatte  der  VerfaBser  voige> 
aohlagen,  dass  mit  jedem  einzelnen  Cardinalstitd  Pfründen  von  hohen 
Einkünften,  aUr  mit  wenig  Verwaltung  vereinigt  würden;  die  Cardinäle 
BoUteu  dann  nur  zu  gelegentlichen  Visitationen  verpflichtet  sein  (1,  ölG).  — • 
86U)8t  Min  Yonefalag  „nt  ommno  oessent  annatae*'  (Ibid.,  e.  9;  Hardt  I, 
8.  51^  hebt  unser  im  Text  gefälltes  Urteil  nicht  auf,  da  er,  in  Sachen 
des  impatlichen  Collationsrechtcs  allzu  conservativ,  die  Einkünfte  der  Curie 
durch  „Reservationen"  in  einer  Weitic  sicherte,  wie  sie  selbst  Martin  V. 
später  annehmbar  fand.  (Tract  ag.,  c.  9,  Hardt  I,  S.  521.  522;  c  10, 
HaTdt  I,  8.  584.  —  Martinas  Beformaote,  Art  8.  4.  10.  Httbler, 
8.  185.) 


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j 


464 


über  die  Wandelbarkoit  des  kanonificben  Bechts  beweist  (^necesse 
est,  ut  statuta  humann  possint  variari") 

Verfocht  er  aber  das  Interesne  des  Cardinalcollegs  in  so 
hohem  Grade ,  so  i«t  dor  Schluss  berct  hti^^ ,  dass  er  ihm  selbst 
augehoi-ü»  oder  wciiip-stcns  nahe  stand.  Schon  aus  der  Art,  wir 
er,  wemi  von  dor  L'urie  oder  den  Ciirdinäien  die  Rede  Ist ,  »la^ 
Fürwort  der  ersten  Person  Tliiralis  gehraucht  (»der  auch  da.s 
CardiualcoUeg  „  im  Stil  der  Curie '*  nur  ,.OoUegium'*  noiint.  <-'-hl»»8ii 
von  der  Hardt  auf  ein  Mitglied  desstdben  als  Verta,'-ser,  wählte 
aber  in  bodenlos  wiilkürlichor  Weise  den  ersten  besten,  Frans  Za^ 
barolla,  aus '^).  In  neuerer  Zeit  haben  öich  indes,  seit  J.  B. 
Schwab  in  seiner  Schrift  über  üerson  die  Kritildosig keil  iirudtß 
aiifL-edorkt  hat,  auch  pegen  diese  Vürmutuntf-  Stimmen  erh<djen: 
wahrend  jener  LTade  die  vorliegende  Eründung  Hardts  noch 
uuaJttgefochten  Hess  ist  von  Stein  hausen  der  Tractat  Zaba^ 
rella  abgesprochen  und  sein  Verfasser  in  Frankreich  gesucht 
worden  ');  dajsu  hat  jungst  Lenz  auf  den  Cardinal  Pierre 
d'AilÜ  als  den  fraglichen  Autor  hingewiesen').  Mit  He- 
aülbKung  bisher  unbekannter  Handschriften  ist  es  möglich,  für 
die  Richtigkeit  dieser  scharifimnigen  Vermutung  den  Beweis  zu 
liefern. 

Wegen  seiner  unionsfrenndlichen  Haltung  anf  dem  Concil 
zu  l'isa  (140y)  war  Ailli,  damals  Rlschof  von  Cauibrai,  von  einem 
treuen  Anhänger  des  Avignoner  Papstes  Benedict  XHI.,  dem 
Karthänsorprior  Bonifaz  Ferrer,  in  einem  Tractat  vom  7.  .lanuar 
14  11  '  )  personlich  so  ehrenrührig  angegriffen  worden ,  dai>s  er 
dazu  uninöirlich  schweigen  konnte;  der  Karthäuserorden  stand  iJim 
fibordi(\s  auch  viel  zu  nahe,  als  da.ss  er  nicht  hätte  bedacht  sein 
Süllen,  seine  Ehre  in  den  Augen  der  Mönche  wieder  herzustellen. 
Zu  diesem  Zwecke  verfasste  er  deshalb  seine  „Apologie  des 
Pisaner   Concils"   ala    „Antwort    auf    den  Traciat 


1)  Tract.  ag..  c.  17.  (H.  1,  530). 
»)  V.  d.  Hardt  I,  503.  606. 
s)  Schwab,  Gereon,  S.  048. 

*)  Steinhaueen,  Analecta  ad  bistoriam  conc.  Const  (Diss.  inaug. 
BcroL  1862),  p.  4.  5  —  Der  Verfasser  des  Tract.  ag.  hat  Kcimtnis  von 
dcui  Zustande  der  franzosischen  Kirche  [c  IG  Ü,  Ö2d);  c.  Ü  (1,  519)]  und 


„traotatiiluK  tractans  de  gcneralibus  princi[>ii8  nostrae  fidei"  c.  1  (H.  I, 
506)  und  de  visitationibus,  c.  18  <1,  625),  TgL  GerBOllii  op.  edDipin. 
(1706),  To».  U,  p.  558  sqq. 

Lens  a.  a.  0.,  S.  86»  Anm.  1. 

6)  Bei  Marione  et  Dur.,  Thesaams  II,  p.  liSOnqq.  —  Zu  Ailli 
Tgl.  bes.  p.  1464  D.  —  (Das  Datum  p.  1529  D.) 


steht  Gerson  nahe,  von  welchem 


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T8CHACKEBT,  WBDDOHKARAMI.I.A^S  „OAFITA  AQBND.".  466 


Bonifaz  Ferrers''  Sie  ist  datirt  vom  10.  Januar 
1412  «). 

In  dieser  Schrift  beruft  sich  Ailli  auf  seine  Tätigkeit  für 
die  Reformation  dor  Kirclie  mit  den  Worten:  „Taceo  ...  de 
h\H  i[\\iiv  intrepidns  scripsi  super  roformationo  ec- 
clesiac  in  capite  ot  in  membris;  super  qua  re  nii- 
per  quandam  oitistolam  ausus  sum  scribcro  domino 
nostro  pap.'u»'*  (es  ist  Johann  XXTIL  fenieint);  ausserdem 
(amplins),  föiirt  er  dann  fort,  liabo  er  schon  vor  dem  Concil  von 
14011  den  7.\]  Vhti  versammelten  Cardinälen  seine  Zustimmung  in 
zwei  Bfii'iuii  ausge^sprochen,  „sicut  copia  literarum  inferius  sub- 
scriptu  ])lonius  manifestat".  Nun  folgt  am  Schluss  ausser  diesen 
beidoTi  Hriefen  der  uljcn  erwähnte  an  l'apst  Johann  XXllL, 
welclier  mit  den  Worten  „Apostolicam  decet  Ma<aüficentiam 
vostram"  beginnt  und  bereits,  aber  ohne  Zeitangabo,  trodruckt 
vorliegt  Er  hatte  ihn,  wie  er  in  der  Adresse  tselbst  sagt,  als 
Cardinal,  also  zwischen  dem  7.  Juni  1411  (wo  seine  Er- 
hebung zur  Cardiiuilswlirde  stattfand)  his  zum  10.  Januar 
14  12  (der  Zeit  der  Abfassung  der  ..Apologie")  geschrieben.  Wo 
aber  linden  wir  Aulschluss  über  diejenige  schriftstellerische  Tätig- 
keit des  Absenders  in  Sachen  der  Ueforniatioii  der  Kirche  an 
Haupt  und  üliedeni,  welche  «liesem  Briefe,  nach  der  oben  ange- 
führten Stelle  der  Ap4)logie,  vorangegangen  istV  Wir  kannten 
darüber  bis  jetzt  keine  Zeile;  erst  tiieser  Brief  Ailli's  an  Papst 
Joiiann  führt  uuh  zur  richtigen  Beantwortung  unserer  Frage. 

Der  Schrcil>or  bittet  sich  im  Kin^'unir  vom  Empfiingor  die 
Erlaubnis  a.u^,  mit  kindlicher  lauobenbeit  <1;ls  zu  besprechen,  was 
diesem  selbst  als  die  wichtigste  Sorge  erscheinen  uiüssto,  die 
Keformatum  der  K  irchc.  1 )  c  r  g  a  n  z  e  Briet  s  i  i  ui  m  t  nun 
mit  einem  Teil  t  r  a  etat  u  s    a  lt  e  u  d  (» r  u  m   (cap.  4  von 

aperiendi  ebsent  m*'*ii  ratiunabiles  bis  zum  Schluss)*)  fast 
wörtlich  überein.  Wie  lüßst  sich  dieser  Umst4ind  erklären? 
Entweder  ist  das  Schreiben  dem  Tractat  entnomiiieii,  oder  aber, 
was  bei  dem  Maugel  an  innerem  Zusammenhang  des  letzteren  mög- 

^)  Petri  de  Alliaco  apologia  conc.  Pis.  contra  tractatum  doniini 
Bonifacii,  qucndam  prioris  Cartbosiae.  —  Cod.  mecr.  Bibl.  regiac  S.  Marci 
Venetianao:  Cod:  lat.  129  cbari.  Baee.  XV.  a.  296.  1.  214.  (Z^  L. 
CXCni)  B.  Fol.  82 >>  sqq.  —  Ich  gedenke  sie  in  kurzem  in  der  Appendiz 
n  meiner  Schrift  iibor  „P.  v.  Ailli"  zu  veröfl'entliohon. 

^)  Am  Schluss  der  Schrift  steht  lilos.s  ..datum  Avininne  die  decima 
mcnais  .Tanuarii " ;  da  er  aber  in  dersellxu  seine  Erhebung  zum  Cardinalat 
(Mitte  1411)  alb  „nupcr"  vollzogene  erwähnt,  sind  wir  aul  den  10.  Ja- 
snar  1412  gewiesen  („fbi  nnper  a  domino  Johanne  papa  XXIII  pn- 
motus  in  . . ,  oaidinakai"). 

3)  Gersonii  opcra  ed.  Dupinius  (170(>),  T.  II,  p.  882.  889. 

4)  V.  d.  Hardt,  Tom.  1,  Fan  XX,  pag.  511.  512. 


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456 


ANALEKTEN. 


lieh  wira,  In  dieaeii  eingefügt.  Webber  ron  beiden  FOlm 
wiildieh  etattgefimden  bebe,  lebrt  der  Sebleee  dee  Briete  eelbe^ 
in  welebem  Ailli  dem  Paj^  icfanibt:  „Cum  . . .  dndiim  eoper 
bis  (d.  L  die  Befoimatioii  der  Kirche)  plenine  ecripaeriai,  haue 
tarnen  epistolam  nuie  teetrae  Beatitndini  eolnm  pro  brevi 
memoriali  buiailiter  porrigere  dignum  duxL''  Mit  der  Be- 
stimmung ,,pro  brevi  memoriali"  kann  der  Abeender  lUMslt  dem 
Znaammenbaiig  der  btiden  Sfttae  nmr  auf  die  von  ibm  feitesle 
aoeffibrlicbe  Sdirift  Terweieeii  wollen,  an  welebe  der  P^st 
dnidi  diesen  Brief  bloss  erinnert  werden  soll;  beide»  der  Brirf 
und  die  fhigUebe  Sebrift,  bebandeln  also,  wie  anob  sebon  die 
oben  angefBbrte  Steile  ans  der  Apologie  des  Pisaner  OoneÜs^ 
andeutet  (vgL  die  Yerbmdmig  „super  qua  re'Oi  denselben 
Gegenstand»  die  Reformation  der  Kirobe;  da  sieb  non  der  ganse 
Inbalt  des  besproebenen  Sobrelbens  anf b  in  dem  traotatoa  agen- 
domm  findet»  weleber  eben  nnr  Befoimvorscblige  entbUt:  eo  neben 
wir  in  dieeem  duttenige  Scbrifk  des  Cardinals»  welcbe  dem  Papste 
in  Srinnerong  gebxacbt  werden  sollte^  balten  also  Peter  von 
Ailli  für  ibren  Verfasser»  wodurcb  ngleieb  die  Annahme 
nlHig  wird»  dass  das  genannte  Bebreiben  em  Eieerpt  aus  Ihr  ist 
Auf  Ailli  passt  nim  anob  die  Bekanntschaft  Ihres  Yerftsaers  mit 
dem  Zustand  der  fransQeiscIien  Kirobe  nnd  das  nahe  VeriiSltBhi 
desselben  zu  Qerson  —  des  Cardinais  treuem  Sohfiler 

So  ansprechend  diesee  Brgebnis  ist,  es  treten  ibm  doch 
Umstinde  entgegen»  welcbe  seine  Bicbtigkelt  iweifelhaft  an  machen 
scheinen.  Man  wbrd  m  dieselben  emen  Tollstfindigen  ^bliok 
gewinnen,  wenn  man  die  Zeit  der  Abfassung  dee  Tractates 
za  bestimmen  snobi  Fflr  die  Beantwortimg  der  hiemit  anf» 
geworfenen  Frage  gewfihrt  der  oben  angeftbite  Scblnss  des 
AOliscben  Briefes  einen  sicheren  Ansgangspunkt:  hieaach  Ist  dMr 
Tractat  nfimlicb  geranme  Zeit  vor  diesem  geschrieben,  also  tot 
der  swelten  Hüfte  des  Jahres  1411.  Heber  das  Pissner  Oondl 
von  1409  dflrte  wir  aber  rOckwirts  nicht  hinanageben»  da  dieses 
selbst  emigemal  genannt  wird*).  Als  die  beiden  Zeitgrenaen, 
innerhalb  deren  der  Tractat  entworfon  ist,  ergeben  sich  dAmn^^h 
miftcbst  der  Scblnfls  des  Conclls  Ton  Pisa  (7.  Angost  1409)  nnd 
die  Mitte  des  Jahres  1411.   Das  ConcU  selbst,  welches  bei  Ab- 


1)  Vgl.  S.  454,  Anin.  4.  —  Ailli  schwebte  wohl  auch  diese  Schrift 
vor,  als  er  am  1.  November  14 lü  die  kirchenjM>litiftcheu  Gegner  des  Car- 
^oatooUegi  ermahnte,  de  möchten  doch  übertegeo,  due  es  in  BetretT  ds 

Reform  der  römiBchen  Kirche  und  seiner  selbst  tatsächlich  (efTectnaliter) 
mehr  f5f n  itwillij^keit  an  den  Tag  gelegt  habe,  als  irgend  jemand  von 
einem  aiuloren  kirchlichen  Stande.  Tract  de  refonn.  c  2  (Hardt  I,  YUi 
„canones  rcf.",  \\  4U»)- 

2;  Hardt.  T.  1,  P.  Viil,  p.  017.  519. 


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nSGHAGKEBT,  FflBDDO-SSABABBLLA^S  „CÄFITA  AQEMD.^  467 


fassung  desselben  nahe  bevorstand,  wäre  mithin  nicht  das  Con- 
stanzer,  sondern  das,  welches  Papst  Johann  XXIII.  am  29.  April 
1411  auf  den  1.  April  1412  nach  Korn  berief,  aber  erst  gegen 
Ende  dieses  Jtilires  eröffnete  und  die  Zeitbestimmung  in  der 
Uoberschrift  im  Wiener  Codex  „tractatus  agondorum  in  concilio 
generali  Constantie nsi"  wäre  irrtümlich  von  dem  Abschreiber 
beig-cfügt  Die  gesammte  Tendenz  der  Schrift,  die  Kirchen- 
politik im  oligarchischen  Cardinalsintoresse,  pcosst  auch  auf  Ailirs 
Stellung  in  den  Jahren  1409  bis  1411,  noch  ehe  er  in  das 
CardinalcoUeg  eintrat,  sehr  gut,  wie  seine  beiden  oben 
erwähnten  Ergebenheitsbriefe  an  dieses  und  im  besonderen  sein 
darin  berührtes  Freundschaftsverhältnis  zum  Cardinal  von  Bar 
bozengt  ^).  Der  tractatus  agendorum  wäre  daher  ein 
vom  Bischof  Ailli  im  Sinn  der  freiconservativen 
Cardinulo  entworfenes  Programm  für  die  auf  dem 
Pisaner  Concil  in  Aussicht  genommene  Reformation. 
Nichts  desto  weniger  kann  derselbe  in  der  uns  jetzt  Torliegenden 
Gestalt  nicht  schon  vor  Mitte  1411  abgefasst  sein. 

Der  Verfasser  befindet  sich  nämlich  erstens  an  der  Curie, 
ist  ihr  Mitglied,  gehört  selbst  dem  CardinalcoUeg  an*);  der 
7.  Juni  1411  (s.  oben)  ist  also  schon  vorüber.  Zweitens  setzt 
eine  beiläufige  Bemerkxing  voraus,  dass  Papst  Johann  XXDI. 
bereits  drei  Jahre  regiert  hat  ^) ;  diese  konnte  also  erst  nach  dem 
17.  Mai  1413  gemacht  werden.  Dadurch  sind  wir  im  Suchen 
nach  der  Abfiissungszeit  dem  Boden  der  Jahre  1409  bis  1411 
entrückt  und,  da  doch  ein  allgemeines  Concil  in  Aussicht  steht, 
wolflios  nunmehr  aber  kein  anderes  sein  kann  als  das  Constanzor, 
in  die  Zeit  vom  17.  Mai  1413  bis  zu  dem  Termin  der 
Eröffnung  desselben,  dem  5.  November  1414  gewiesen. 
Dem  entspricht  auch,  dass  Papst  .Tolumn,  welcher  am  29.  Mai 
1415  in  Constanz  abgesetzt  wurde,  nocii  in  vollem  Anseben 

1)  Hefclc,  Rd.  VII,  8.  15.  17.  —  Lenz  a.  a.  0.,  8.  87  nenot 

irrtöixilicli  das  Jahr  141.'}. 

^)  V.  d.  Hardt  1,  :m.    8o  schon  Lenz  a.  a.  0.  87. 

ich  werde  dicBC  I  {riefe  aus  dem  oben  bezeichneten  Venetianer 
Codei  nächstens  mit  der  „Apologie"  vei^flknilioben. 

*)  Tract.  (cap.)  ag.  o.  9:  „Status  n oster"  (der  Cardinale)  (y.  d. 
Hardt  I,  517.  519);  „nos  praevcnireniuH ",  ,,nobis  obocdiant"  (ibu 
519).  Das  „dniii  veniunt  ad  curiam"  ist  (la^'o^'on  nicht  zu  pressen, 
da  es  im  Sinn  des  Vf.  ebenso  „gehen",  wie  „kommen"  hois8cn  kann. 
Vgl.  c.  11  (p.  625,  durch  Druckfehler  524)  c.  14  (p.  527);  c.  17  (p.  629). 

^)  Tract  (cap.)  ag.  c  15  (t.  d  Hardt  I,  p.  527):  „praeter  modos 
in  jQie  scriptoa  foit  focta  in  nrbe  anno  tertio  doniini  nostri  Johannis 
constitutio  poenalis,  qnani  (1ol»ot  liaUore  dominuH  Pisanus",  d.  i.  der 
Cardinal  Alaiiinnnus  A<l:uiiarius,  der  spater  mit  Ailli  und  Zabarella  das 
Colleg  im  1.  Kel'onuatoriuui,  dem  Fünfunddreissigeraufitichuss,  zu  Cunutanz 
T«rtrat.  Vgl.  Hftbler  a.  a.  0.  10. 

ZtitMhi.tK.-0.  30 


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458 


ANALKKTm. 


ätoht  ferner,  dasa  König  Sigismand  noch  in  einer  Weiso  geehrt 
wird,  wie  es  jon  Ailli  in  Constanz  aus  vorscbiadeneu  Gründen 
nicht  mehr  geechah  ,  endlich ,  dimn  die  Zulassung  der  anderen 
Fürsten  zum  Concil  noch  der  Krwiigniig  anheimgegeben  wird,  w»»r- 
über  man  auf  der  Constanzer  Synode  uicht  mehr  im  Zweifei  war 
Lä&st  sicti  trotzdem  die  Autorschaft  Ailli's  noch  halten?  Wir 
meinen,  dass  der  vor  1411  entworfene  tractatns  agen- 
doram,  da  auf  der  Synode  eu  Rom  (1412)  von  Reform  keine 
Rede  war,  kurz  vor  Boginn  des  Coustauzer  Concils 
innerludb  des  Cardinalcollegs,  welchem  Aüli  seit  1411  angeh«>rte, 
zu  dem  Zweck  neu  redigirt  worden  ist,  dass  die 
seinem  Ver&eser  gleichgesinntcn  Mitglieder  desselben  ihn  als 
Programm  der  dort  vorzunehmenden  Reformation 
der  Kirche  zu  Grunde  legen  konnten. 

Streng  beweisen  lässt  sich  diese  Auffassung  nicht;  sie  ist 
aber  höchst  wahrscheinlich  richtig.  Schon  die  Bemerkung  „fuit 
£ucta  in  urbe  aunu  tortiu  dumini  notiiri  («mstitutio  poenalis 
opportuna,  quam  debet  habere  dominus  Pisanus"  (der 
Cardinal  Alamannns  Adamarius  von  Bisa)*)  lässt  schlicssen,  dass 
der  tractiituH  air^ndurum  sen)Ht  für  Feststellung  von  iieformvor- 
Ht'hJiigcu  iunorltttlb  des  CoUeirs  benutzt  wurde;  die  vorhin  an- 
genommene spätere  Kcdaction  desnelhen  liegt  also  nahe.  Dabei 
sind  auch,  dcus  lügen  wir  gleicli  hinzu,  walirncheinlich  nicht  bloss 
formelle  sondoni  auch  inhaltliche  Veränderungen  an  ihm  vor- 
genommen wordon,  wie  z.  B.  grade  diese  Bemerkung  Ober  den 
Cardinal  von  Pis;i  offenbar  später  eingeschoben  ist  *').  Finden 
aich  doüli  auch  in  auiieren  Schrü'ten  Ailii's  spätere  Zutuitze  von 


1)  IVftßt  (cap.)  ag.  c.  9  <t.  d.  Hardt  I,  520):  „posset  pha  qnaa 
nnne  Ubenlins  papa,  eni  volucrit,  providere,  nee  propter  boe  ligarentur 
Trinnira  ejus,  ncqnc  c$iB  poiataB  arctentnr  alii  de  iniMfltate  quin  eerto 

casD  et  ii<  <'eK.sitate 

^)  Tract.  (cap.)  ag.  c.  4  (v.  d.  Hardt  I,  510):  „ad  coDcilinm 
tcneatur  etiam  Imperator  intereflie  tamqiiam  defensar 
eeeleaiae;  mc  «Koaetar,  nisi  ob  gravem  infirmitatcui  vcl  mctoni  mor- 
bonun  propter  viamui  discriniina  et  tunc  mittat  solutiores  oratores.  De 
cctoriH  |>ri  n  c  i  j)»  1j  US  oogitctur,  quid  ordinanduui  8it."  Ucber  Ailli's 
gC8pannU.s  Verhältnis  zu  {Sigismund  in  Constanz  vgL  z.  B.  v.  d.  Hardt 
fv,  57.  58,  und  dazu  de  pot.  eccl.  pars  I,  c.  4  (BL  YI,  43). 

»)  Traoi  ag.  c  4  14  (H.  1«  510.  628). 

4)  Siehe  S.  457,  Aom.  6. 

6)  „Status  noaier»  nea  pnnmumn,  aebU  oboediaat",  vgL 

&  4^7,  Amu.  4. 

6)  »Sckon  der  ZuBaramtriliang  tirweist  den  Satz  al»  sjxätero^i  ELn- 
scbiebsel :  er  ist  als  ErzähluJ1g^uiat^  im  Perfectuni  zwinchen  zwei  Ahsicbt«- 
ifttze  eiBgvsehobea  w^en,  war  vielleiefat  «npruagUch  aar  Baadbener- 
kang:  „Aviaentar  modi  o(^ortandi  iaetit)|K>utaa0e,  at  voceat  eaoe 
inferiores  (ad  coaeilioai  proviadaleX  nt  eompareaat  —  piaeter  aaidoa 


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TSCIl ACKERT,  rSEÜDO-y.ARARKiJ.A  S  „OAPITA  AG£ND. 459 

soiuor  eiireiicii  ILuid  JJei  dem  zusammen hangslosun  Charakter 
des  TrartatvS  war  übrigens  leicht,  mehrere  ueue  „belhbtäudigü 
Billfl"  eiiizuschalton. 

Wurde  abor  der  ti-uctatus  ugoiidorum  d:Ls  lietorinprogramm 
der  frciconsorvativen  Cardinäle,  so  halten  ihre  irleii-hiresinnten 
DeputuUiii  im  Fünfiinddreis.sigerau.ssclnLs.s,  dem  1,  Cvaistaiizcr  lie- 
formatoritun  Ailli  von  Uambrai  und  AJamannns  Adamariii.s  von 
Pisa  —  Zabarella  von  Florenz  war  woni^'-.stöiiis  im  Anlanjr  des 
Concils  al  t  f unser vativ  ^)  —  höchst  wahrscheinlich  nach  ihm  in 
diener  Commission  ihre  Vorschlage  gemacht,  und  sein  oben  l)e- 
rübrter  Kiuiiubd  aiü  die  ollicielleu  Keiurmarbeiteu  deä  Coucils 
iüt  erkl^irt. 

Zum  Schluss  uiibi'jer  Auseinandersetzuni^  machen  wir  eine 
Probe  auf  die  Richtigkeit  des  Resultates  derselben,  indem  wir  den 
tractatus  airoudorum  mit  der  von  Ailli  am  1.  November  lilG 
veruflentlicditen  Sclirift  de  refonnationo  occlosiae  (die  v.  d.  Hardt 
willkürlich  „ cauones  retbnnandi  etc."  nennt*)  vorgleichen.  Die 
Lösung  dieser  Anft^'abe  driingt  sich  uns  überdies  durch  den  CJia- 
raktor  dieser  SchnlL  vuii  si  llist  auf,  da  ihr  VerUusser  in  ihr  eine 
zusammenfassende  Darstellung'  seiner  silmmtlichen  bis- 
herigen IJeformailjeit^n  giobt*),  wo)>€i  er  nur  den  tractatus 
agendorum  und  etwa  noch  seine  im  Fimfunddreissigcrausschuss 
gestelltim  Amendements,  au  denen  er  es  wohl  nicht  wird  haben 
fehlen  bissen,  vor  Augen  u'ehabt  haben  kann,  da  von  einer  anderen 
aus  seiner  Feder  geflossenen  reformatorischen  Literatur  keine  Spur 
vorhanden  oder  in  seinen  Werken  auch  nur  angedeutet  ist. 

Einen  gewissen  Unterschied  zwischen  heiden  Scliriften  wird 
man  von  vornherein  allerdings  erwarten  (liirli'n,  da  ihr  Verfasser 
in  der  späteren  auch  die  reichen  Erfahrungen,  welche  er  1415 
in  der  Itefonncommission  unzweiteliiati  ^cnnu-ht  liaite,  verwerten 
konnte.  Die  Schrift  de  reformatione  untc^rscheidot  sich  denn  auch 
zunächst  in  formeller  Hinsicht  vorteilhaft  von  dem  tr;u-tatus 
agendorum;  die  lose  Aneinanderreihung  „selbständiger  JJills"  ist 


in  }\\rv  Hcriptos  fuit  facta  in  iirlx»  nnno  tertio  .  .  .  constitutio  .  .  . 
(juam  dt'ljc't  }i;ib('re  dominns  IMsliuuh  —  iteiu  ut  statuta  synodalia 
et  uruviacialia  ...  laicis  eipiiceutar  et  couticriban tur."  (Hardt 
I,  p.  687.) 

1)  In  de  pot.  eccL  j^ae  I,  c.  1  MB  SehluBs  (?.  d.  Hardt  VI, 

p.  2G),  wo  der  nach  de  pot.  eccl.  iierausgegebene  Tractat  de  reform, 
cccl.  citirt  wird  (vgl.  Hardt  L  418).  Femer  in  einem  Hriefe  AilliX 
Gen.  0^.  cd  Dupin.,  T.  11,  p.  lüü  U;  —  io  ewem  anderen  Tractat  ibid. 

s)  H&bler,  die  Conrt.  Befbmi.  (1867),  &  10. 
»)  8.  oben,  8.  463»  Ann.  % 

v  d  Hardt,  T.  I,  pan  VIII. 
ft)  Ibid.,  p.  409. 

80* 


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460 


ANALEKTEN. 


TerlasMn;  der  Verfasser  folgt  jetzt  einer  den  praktischen  Bedürf- 
nissen ganz  entsprechenden  Dispesition  (1.  Reform  der  Kirche  im 
aUgemeinen;  2.  der  Curie;  3.  der  Frfilaten;  4.  der  MOadisordMi; 
5.  des  niederen  Klerus;  6.  der  Laien).  Inhaltlieh  betrachte^ 
«racheinen  in  der  Schrift  de  reformatione  swar  manche  Fordemnsea 
ein&ch  surflchgenemmen  oder  geSndert»  andere  hingegen  bei  weiten 
inhaltsreicher  und  klarer  ausgef&hrt;  Ja  die  BatscUSge  snr  Heflnng 
der  Schäden  waren  so  trefflich,  dass  ihre  gewissenhafte  Durch- 
führung die  Beformation  des  16«  Jahrhunderts  noch  hfitte  hinmns- 
schieben  kOnnen. 

Unsere  entere  Behauptung  betreib  des  Inhaltes  rechtfertigt 
sich  durch  die  Wahrnehmung»  dass  grade  drei  charakterlstisGhe 
Merkmale  des  tractatus  agendornm  m  de  refonnatione  weht  aa- 
sutreffeu  sind:  das  oUgarcbische  Cardinalsinteresse,  der  persto- 
liehe  Freimut  und  der  sfihe  Conservatismus  in  GeldsadMii 
aber  sie  finden  sich  alle  drei  in  anderen  Schriften  AiUi's:  das 
erste  in  de  potestate  ecclesiastica  vom  1.  October  1416  (pars 
n,  c.  1)  das  sweite  in  einer  Bede  de  ad?entn  Ohristi  vom 
Jahre  14,14  und  auch  in  de  pot  eccL  (pars  n,  c.  2)  das 
dritte  endlich  wieder  in  de  pol  eccl.  (pars  II,  c.  2)  *).  Die 
eigentlichen  Aenderungen  der  Beform?oi8chlige  sind  nirgends 
principieller  Natur;  a.  B.  hatte  Ailli  im  tractatus  agendornm 
Periodisimng  der  Generalcencilien  „von  sehn  zu  zehn  Jahren" 
Toigeschlagen ;  in  de  ref.  dringt  er  nur  auf  Öftere  Berufdug  der- 
selben ;  umgekehrt  aber  wollte  er  jetzt  die  FrovincialconcOien 
von  drei  zn  drei  Jahren  abgehalten  wissen,  während  Mher  diese 
Zeitbestimmung  fehlte  %  Im  tractatus  agondorum  hatte  er  die 
Cardinäle,  wenn  sie  bei  der  Papstwahl  durch  Einschüchtemng 
becinflusst  würden,  ohne  weiteres  zu  einer  Neuwahl  autorisirt; 
mich  de  ref.  soll  eine  Untorsuchung  über  die  behauptete  Boein- 
flussunsr  stiittlinden,  das  Concil  3il>er  mög-e  bestimmen,  wer  .sie  zu 
führen  habe       —   Noch   weiter  lusst  die  Schrill  de  ret.  den 


1)  Vgl.  ..bot)  R.  4r>3.  Anin.  4;  S.  454,  Anm.  1. 

^)  V.  d.  iiardt  Vi,  5<)  -f/i.  —  In  «le  pot.  eccl.  pars  II,  c.  2 
(Hardt  VI,  öO)  flndet  sich  auch  in  IJczui;  auf  die  prufessio  papae 
die  an  den  tract  ag.  (vgl.  oben)  erinnernde  Notiz  „juxte  ramm  eri^tiam 
in  hoc  saero  Gomtantienfli  eoaeOio  ratioiiabiUter  (mit  Qrond)  poterit  am* 
pliar  i 

3)  V.  d.  Hardt,  Tora.  I,  Pars  VTII  („do  officio  ini|>eratoris  etc.") 
p.  443.  444  (,.11108  )>idaicu8",  v^'l.  oben),  nnd  y.ui.  eccl.,  T.  I,  p.  2 
über  den  Wort  des  (jewohnbeitsrediU'H  (v.  d.  Iiardt  VI,  p.  30). 

4)  V.  d.  Hardt  VI,  p.  51»qq. 

ft)  lYaci  ag.  c.  6  (H.  I,  514);  de  let  e.  1  (H.  I,  411). 
«)  Tract.  ag.  c.  15  {E.  I,  527);  de  i«f.  c.  I  (H.  l,  411). 
7)  De  lefonn.  c.  2  (H.  I,  415). 


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TBCOAGKERT,  F8EDDO>ZABA]i£LLA*8  „GAFITA  AOEND.**.  461 


tractatus  agondonim  durch  ihro  Reichbaliigkeit  an  Boformfor- 
sehligen  hinter  sich  zurück.   Eines  Beweises  tiberheben  wir  uns; 
nur  sei  erwähnt,  dass  de  reL  die  kirchlichen  Provinzen 
xnr  Grondhige  f&r  die  Znaunmensetzung  des  Concils  macht 
woran  der  tractatus  agendorum  noch  nicht  gedacht  hatte. 

Sind  schon  otnerseits  die  eben  scimirten  Unterschiede  swisoihen 
beiden  Schriften  nicht  stark  genng,  um  einen  Zwmbl  an  der 
Antorsohaft  Ailli*s  aufkommen  m  lassen»  so  befestigt  uns  andrer- 
seits  die  Aehnlichkeit  des  Inhalts  beider  nur  nmsomehr  in  unserer 
Amdoht.  Wir  flUiren  eine  Beihe  von  Besdehnngen  an: 
Traet  ag.  a  4  (v.  d.  Hardt  I,  512)  zn  ,»sanctiiarinm  quasi 

haereditBrie  possidere"  (auch  c  7,  p.  515,  papatos  hae- 

reditarius)  vgL  de  reformatione  eccL  c  2  (Hardt  I. 

VnL  „Canonee  reformandi"  p.  414);  ebendas.  über  alle- 

gatio  metos. 

Tract  ag.  c.  5  (▼.  d.  Hardt  l,  613)  de  enltu  dei  et  ofBcto 

ecclesiastico  vgL  de  reform,  c  3  (H.  I,  423). 
Tr.  ag.  c  7.  (I,  615),  Aber  die  Yermeidnng  der  camalis  affectio 

bei  Promotion  von  Cardinftlen,  ygl.  de  ref.  c.  2  (H.  I,  415). 
Tr.  ag.  c.  7  (I,  515),  Aber  Beoiganisation  des  CaidinalcollegSt 

Tgl.  de  rel  c.  2.  (H.  I,  414). 
Tr.  ag.  c.  10  (I,  523),  BisdiOfe  sollen  bene  Mmorigerati''  pro- 

moTiren  nnd  c.  12  (1,  525)  derlei  docti  et  bene  „morige- 

rati"  nm  sich  haben.  Vgl.  de  ref.  c.  5  (I,  428)  u.  c.  6  (ibid.). 
Tr.  ag.  c  10  (I,  524),  über  die  Promotion  Ton  Oradnirten  oder 

Adeligen  auf  bedenkende  Pflründen,  vgl.  de  rot  c.  5  (U.  I, 

426.  427). 

Tr.  ag.  c.  11  (I,  523),  über  billigere  Yerteilnng  von  Beneflcien, 

vgl.  de  ref.  c.  2  (I,  416). 
Tr.  ag.  c.  11  (1,  525),  über  ResidenzpÜicht  der  Bischöfe,  vgl. 

de  ref.  c.  3  (I,  421),  hier  nur  bestimmter. 
Tr.  ag.  c.  12  (1,  524),  die  Prälaten  sollen  ihren  Pomp  ein- 

scliiiink«'!!,  vgl.  de  ref.  c.  3  (I,  420). 
Tr.  ag.  c.  14  (I,  528),  über  dio  Ziihussung  von  Doct^Tcn  zum 

Concil ,  vgl.   do   ref.  c.  6  (I,  431);  (ausfülirlicli  AUii  bei 

Hardt,  1.  II,  p.  224  sqq.). 
Auch  (lor  im  Anhang  aus  Gerson  ontnuinm(me  Vorschlag'  zur 

Kiuöchnuikiiüg  der  Kxcommunication     ist  schon  durcli  Ailli's 

Klage  über  die  häufige  Verhängung  dieser  Strafe  in  einer 

seiner  Jugendpredigteu  vorbereitet  % 

1)  Do  reforui.  c.  6  (H.  I,  431). 
3«)  S.  oben  S.  452,  Anm.  4. 

3)  P.  de  Alliaco  scrmo  in  synodo  üi  cccl.  Parisiuiiw,  iiu  Codex  iiiacr. 
CoUegii  EmaDoelis  Oaatabrigieiuds  Nr.  I,  ans  wekbem  ich  nSchstens 
«uigewfthlte  Stfleke  mit  der  Apologie*'  mitzateilsii  gedenke. 


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462  ANAUKTBN. 

SchliesBlich  noch  ema  Uomorkun^  zn  Tr.  a^-  c.  15   (I,  528>.  I 

Von  dm  Iteitlen  Ausdrücken   „  i»nwücare",   ausffiJircn ,  an-  ' 
■  wenden,  uml  „in  ulicnjns  praejniUcium zum  S<*ha(len  Je- 

mamls,  tindot  sich  jener  de  jk»!  eccl.  Hardt  VI,         dieMT  i 

il).  p.  :rs  und  de  ref.  2  u.  3  (I,  118.  421). 
Die  wesentliche  Uebereinstimmang  beider  Schriften  mit  ein- 
ander berechtigt  nach  unserer  Ansicht  zu  dem  Urteil,  dass  die 
spätere  Redaction  des  tractatus  agendonim,  falls  sie  nicht  atf  ^ 
Ailü  selbst  ntrfiekmfQhren  sein  sollte,  gewisH  ^^anz  in  seinen 
Sinn  Yorgenominen  worden  ist,  so  dass  der  Charakter  der  sicher 
?on  ihm  herrührenden  Gnmdächrift  nicht  geändert  etselieint,  AiÜi 
selbst  also  als  Verfasser  des  Tractates  angesehen  werden  dar£  | 

Nun  wissen  wir  auch,  wer  die  „Consoltationes  Car- 
dinalinm",  welche  v.  d.  Hardt  im  Tomns  II,  p.  584  unter  | 
cap.  1  herausgab^),  yer&sst  hat:  sie  sind  die  beinahe 
wörtlich  anfgenomm enen  und  weiter  ausgeführten 
Vorschläge,  welche  sich  im  vierten  Kapital  de« 
tractatus  agendornm  und  in  dem  besproelieDeii 
Briefe  Ailli's  an  den  Papst  Johann  finden^). 

Sowohl  der  traotstns  agendonun  als  anch  die  oonsoltatioDes 
Cardinal ium  sind  oft  benutst  worden;  fortan  aber  liefern  sie 
wichtige  Bausteine  xnr  Charakteristik  des  Cardinais  Peter  tra 
AiUi^ 


s)  Das  dort  angefügte  eap.  2  modo  et  fonna  eHgeadi  papan*' 
ist  schon  in  P*  tri  de  AUiaco  tractatOB  et  sennonet  s.  I.  ei  a.  W 
Aigentor.  14'J()  gedruckt. 

»)  Tr.  ag.  c.  4  (H.  I,  511.  512)  und  P.  do  AUiaco  epistula  iii  Gere, 
op.  ed.  Dnpin.  (1706),  T.  11,  882.  883. 

3)  Auf  Grund  dieses  Rosultatcü  iuüti80o  Jetzt  ciiizelno  liehauptuugeB 
in  meiner  Abhandlmig  „Der Card.  P.  y.A.  a.  a.  w.*'  (in  Jahrb.  r.  d.Th. 
XX,  2)  inodifloirt  werden;  das  kritische  ETgebnis  dieser  Arbeit  bleibt 
aber  trotzdem  nnangcfocbtea. 


 DigiliÄ«ö.by-<!»6^e 


Eiue  kircblicb-politische  Rerormschrift  vom 

Bader  GooeiL 

Neu  BufgefiuideB  und  angenigt 

vra 

Dr.  Max  Lenz, 
Frivatdocent  der  Geschichte  ao  der  Universität  Uarbafg. 


Es  ist  mir  ^eglOckt,  anf  dem  hiesigen  Staatsarchiv  eine 
deutsche  Flugschrift  vom  Hiisler  CfoncU,  aus  dem  Jahre  1442, 
zu  finden.  Über  die  eine  Mitteilung  selbst  in  dem  Falle  erwünscht 
sein  möchte,  wenn,  wonach  zu  forschen  ich  noch  keine  Gelegen- 
heit fimd,  das  Ten  mir  entdeckte  Exemplar  nicht  das  einzige 
noch  vorhandene  sein  eollte.  Dem  Heränsgeber  der  Constanzer 
Concils-Akten,  Hermann  t.  d.  Hardt,  hat»  wie  ich  weiterhm 
zeigen  werde,  die  Schrift,  wol  in  einem  anderen,  Siteren  Exemplar, 
vorgelegen.  Das  von  mir  gefundene  Mannsoipt  ist  allerdings 
eine  späte  Abschrift,  aber  Zeit  nnd  Entstehung  derselben  wird 
kaum  minderes  Interesse  erwecken  als  ihr  Inhalt  Hehrere  Anf- 
schriften  anf  dem  Umschlage  Uiren  nns  Aber  die  Umstände, 
die  diese  Copie  veranhusten,  anü  Ich  teile  sie  daher,  so  weit 
mir  ihre  Entdffemng  mOglich  geworden  ist  mit,  und  zwar 
in  der  Beihenfblge,  m  der  sie  auf  emander  folgen.  Oleich  su 
Oberst  stehen  ein  oder  zwei,  wohl  abgekflrzte  Worte,  deren  Deu- 
tung mir  nicht  möglich  war.  Yen  derselben  Hand  folgt  in,  wie 
mir  scheint^  franz(ieischen  Schriftzägen  eine  finmzQsisGhe  Aufschrift: 

O»  liure  est  contre  le  pape  et  contra  le  (so!)  Gardinel  (so!) 
et  pour  aprendre  ung  hon  conseil  et  anltre  Escript  le  dixsteme 
jour  de  Amrier  lau  mille  cinq  cent  et  vingt  an  De  propre 
numi  8.  K.  (k?  rf)  de  Fraack  ec  (9)  *) 

1520. 

Es  tblgeu  zwei  deutsche,  wieder  durchstrichene  Worte  in 
deutscher  Kanssleischnft: 


1)  Den  Herren  Iteaiuten  des  hiesigen  Archivs,  Dr.  lieiiuer, 
Dr.  Scbuchard  und  Dr.  Wys.s,  Hchulde  ich  für  die  üölt'e,  die  tue  luir 
hierin  gclcist<.'t,  iiiciu«-ii  Wätcu  Dank. 

Ich  habe,  um  die  Treue  der  WiedMgmbe  su  wabiea,  dis  Intv 
ponktkniea  weggelaBsen.  Man  wird  indes  zw«  Ponkte  aetoen  dOiflni, 
hinter  anltre  und  an  das  Ende. 


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464 


AMALaCTBN. 


Aiifnliemang  des. 
Dann  eine  lateinbcbe  Bemerkungr: 

Hic  libellus  ob  Teritatem  oontentam  latore  eogitnr,  quare 
et sub  alio  titulo. 

Gleich  darnnter,  vielleicht  von  derselben  Hand  wie  »Anf- 
nhemong  des",  iii  deutscher  Kanzleischrift: 

Die  heilig  Bebetlich  Erbarkeit.   ec.  hie  libelius. 

Nnn  kommen  drei  AnfiBohriften  Ton  einer  Hand  in  dentschen 
Schriftzflgen: 

1)  Disie  buch  hab  leh  vff  Ebembeigk  fänden  less  ise  so 
liebt  DiiBS. 

2)  Hic  Uber  . . .  Johann!  Helwig  ex  gerawe  (durchstrichen  und 
aosgewischt). 

3)  Dem  EmTCsten  Helwiggen  von  Ruckerashanssen  amptman 
So  interessante  Au/scbllksse  diese  Aufechriften  geben,  lassen 

sie  doch  noch  manche  Zweifel  flbrig.  Einmal,  wie  kommt  auf 
die  deutsche  Schrift  ein  franzdsisches  Schild?  War  der  Schreiber 
ein  Franzose  oder  ein  französisch  Terstehender  Deutscher?  Die 
fhinzösischen  SchriftzQge  der  Aufschrift  lassen  fiist  das  ersten 
Termuten.  Ihr  Schreiber  sagt,  er  habe  die  Copie  verfasst,  und 
nennt  uns  den  Tag.  Man  sollte  daher  meinen,  die  SchriftsQge 
der  Copie  und  des  Titels  mitesten  aufe  genauste  übereinstimmen, 
letzterer  unmittelbar  nach  Beendigung  der  ersteren  gesetzt  sein. 
Es  ist  aber  nicht  nur  die  Tinte  bei  letzterem  viel  blasser  —  und 
dass  ftussere  Einflösse  ihre  Farbe  abgeschwächt  haben,  scheinen 
die  andern  Au&chriften  zu  widerlegen  — ,  sondern  die  Schrift 
selbst  zeigt  in  Titel  und  Inhalt  wenn  auch  nur  geringe  Ver- 
schiedenheiten. Auf  den  ersten  Eindruck  erscheint  der  Unter- 
schied sogar  grösser  als  bei  nfiherer  Yergleichung.  Es  finden 
sich  doch  alle  Buchstaben  der  Au&chrift  in  dem  Tractat  gleich- 
geformt  wieder,  ausgenommen  das  e,  das  freilich  ganz  verschieden 
gchiUlet  ist.  So  sehr  daher  die  Bemerkung  des  Titolsetzers  und 
die  fast  völlige  ülcichhoit  der  ScliriftzOge  dos  Tractates  mit  denen 
dos  Titels  einen  Schreiber  für  beide  zu  fordern  scheinen,  dürfen 
wir  dies  doch  nicht  ohne  allen  Bückhult  annehmen.    Es  liosöe 


1)  Zwei  Sigko,  deren  erste  l  q  Zj  in  Waltbers  Letieon  Diploma- 

ticoui  nicht  verzeichnet  ist.    DocD  scheint  nur  die  Ptutoiig  zweift  Uos. 

-)  TIelwig  V.  Rückershausen,  Aiutiuaim  zu  rrbor^  (Auerberg  im 
DarnistiMltiscbon  ?),  wird  in  Lanzes  (i«wliiclit<'  Philipps  (Üurli  II.  c.  10; 
1,  iS.  5t>ö)  erwähnt.  Iö2ö  bcvollnKlclitigt  der  Landgrat  Ikiwig  von  liuckcrs- 
bauscn,  Oberaratmann  der  obem  Grafschaft  Katzenelnbogen,  zu  einer  münd- 
lichen Werbung  bei  Ludwiff  Ton  derPfals  (Originaloredenz  Im  Harb.  St-A., 
also  nicht  abgoganjicen).  In  dem  hiesigen  Archiv  befindet  sich  ein  F^Mcikel 
über  dirs  Geschlecht.  Darin  wird  eio  Uelwig  von  Rackersbaoaen  gcnaiui^ 
der  starb. 


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LENZ,  REFORMSCHRIFT  VOM  bAÖLER  CONCIL.  465 


sich  immflrlim  denken,  dass  ein  Zweiter,  ein  Genosse,  die  6e- 
merlning  über  den  Yerfaseer  aof  den  Umschlug  gesetrt  habe. 
Die  Worte  ^^Aaftibenrang  des"  Teretebe  ich  nicbt 
Zweifelhaft  bleibt  ferner,  wie  die  Anfiscbriften,  Ton  der 
französischen  abgesehen,  zeitlich  aufeinander  folgen.  Das  Wahr- 
scbeinlichäte  möchto  sein,  die  di'ei  untersten  später  als  die  drri 
vorlier^'ehondon,  unter  diesen  aber  die  lateinische  früher  als  die 
dunmter  stehende  zu  sotzon ,  8o  dass  diese  der  titulus  war,  der 
zu  jener  sarka^stischen  HemerkiniiLr  den  Anlass  jrab. 

Die  klarste  und  am  meisten  erwüiisclite  Aufschrift  ist  jeden- 
falls die  drittletzte.  Danach  haben  wir  hier  eine  Schrift  vor 
uns  aus  der  Beute  der  Ebemburg,  mithin  das  erste  Stück  aus 
den  IJücherscluitzeu  der  Sikkingischen  Burgen,  deren  Verlust  wir 
beklagen.  Der  Wunsch,  die  Abschrift  mit  Ulricli  von  Jlutteu 
zusammenzubringen,  ist  erklärlich.  Wir  wissen,  dass  der  huma- 
nistische Kittor  grade  in  der  Zeit,  aus  der  die  Copie  stammt, 
eifrig  nach  älteren  ])aiistfVindlichen  Schritten  suchte.  Im  Herbst 
151  *J  fand  er  in  <ier  Klnsterbibliotliek  von  Fulda  den  Tractat 
des  angeblichen  William  von  Naumburg  (Strauss,  U.  v.  H. 
IT,  47),  im  Mai  zu  Bopiiard  jene  Flugschrift,  aus  der  Zeit  des 
beginnenden  Scliisma,  die  apokryphen  Sendschreibeit  der  Oxfnrdcr, 
Prager  und  Pariser  TTniversität  und  Konig  Wenzels  (Strauss 
II,  55;  vgl.  Th.  Ijindner  in  den  Theid.  Studien  und  Kritiken 
187.'i)-  Ks  war  die  Zeit  seines  Uebert.ritts  aus  dem  humani- 
stischen in  das  reformatorisclio  Lager,  „da  er  die  Bande  der  Ge- 
duld spremrte  und  hinaustrat,  wie  er  war",  und  ebenso  die  Zeit 
der  beginnenden  Freundschaft  mit  Sikkingon.  Ende  Febniar  1510 
ward  die  Bekanntschaft  geschlossen;  sie  ward  dann  in  dem 
Würtembergischen  Feldzuge  und  in  den  kirch1i«*h-i>o]itischen  Be- 
strebungen, denen  unsere  Copie  iliron  fhsprung  \or«l;inkt,  hesieirelt; 
im  üerbet  lö20  siedelte  Hutten  auf  die  Eberuburg  über  ').  Der 

•)  Die  Zeit  der  orston  IVgegnung  beider  Rittor  Kann  ich  aus  einer 
eben  falls  auf  dem  liitsii."  n  Arrhivo  l>ctinfl1ich«'n  rrkniuli'  nidier  als  bislicr 
bestiiumen.  Ka  int  die  t'opic  eines  Briefes  Frowin»  vou  Hutten  au  Franz 
▼on  Silddngen  vom  26.  Februar  1519  (der  Ort  ist  nicht  angegel^cn).  Der 
Mainzer  Marsclialk  berichtet  seinem  Freunde  fiber  diu  Ke^ultatloHlgkcit 
eines  zu  Schwciuf'nrt  an<:es(.'tzten  Tages  der  „sechs  (>rf'  "  in  Frank«  fi 
und  dir  Anl)€ranniuni,'  einer  neuen  Versnninilung  am  11.  April,  zu  deren 
ik'such  er  dringend  aulfordert.  Der  Ueberbringer  aber  ist  Ulrich:  „Si» 
schick  ich  euch  hieniit  zu  (=  bei,  mit)  meinem  vettcr  her  Ulrichen  von 
Hnttenn  die  eredentz  mit  fünf  sccreten  nnd  bittschicren  Terwart."  Er 
bift  f ,  ileiu  Vetter  Ulrieh  eine  schrifHiche  Antwort  mitzagebcn,  und 
sehliesst:  ..Und  iK'durHrt  «lie  zeitt  kein  sor^'  tragen.  Ich  weiss  euch  an 
die  end  wo!  sicher  zu  itrin<|eTi."  Da  Ulrich  am  1.  Mär/  schon  wieder 
auf  Stcckelberg  die  Widmung  Peines  deutschen  „Fiebers"  an  Franz 
sollrieb  nid  den  Tag  vorher  in  Rotenburg  a.  d.  Tauber  gewesen  war,  so 
kann  dieser  erste  ^neb  nur  am  26.  und  27.  Februar  oder  an  einem 


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466 


AlULBKTJili. 


Sarkaömns  dor  latemibchen  Aufsclirilt  klinj^  fast  au  Hutten  an, 
das  „Itttere  cogitur"'  eDt8priclit  aber  »einer  damaligem  Stimmuug  ^ 
nicht.  Die  Schrift  gewälirt  uns  keinen  Anhaltepunkt ,  der  eine 
derartige  Vermutung  rechtfertigen  könnte.  Wir  können  nicht 
einmal  sagen,  dass  sie  auf  der  Kbemburg  gesclunebeu,  nur,  «lass 
sie  im  Sommer  1523  nach  der  Eroberung  dort  gefunden  ki. 
Das  genügt  aber  jedenfalls,  um  in  dieser  Flugschrift  eine  neue 
TUiistratiun  der  Hutten -Sikkingisciien  kirciüich-poliüiiGiien  ü/diorvt- 
plane  zu  erbliokon.  ' 

Denn  dieser  Tractat  ist  eine  kirchlich -politische  Reform- 
schrift, eine  Anklage  der  römischen  Absolution,  eine  Apologie  der 
concUiaren  Idee  und  des  i'apstes  Felix,  zugleich  aber  ein  Vor-  ' 
schlag  für  die  politische  lieformation  des  Reiches.    Auf  40  Seiten  I 
behandelt  der  Yerüaaser  die  Notwendigkeit  und  Nützlichkeit  des 
Generale«  mcilsy  seine  Snperiorität  über  den  Papst  und  —  der 
Angelpunkt  in  dem  Kampfe  zwiechen  Eugen  und  den  BaBlern  — 
das  Recht  dee  Concik»  die  ihm  nachfolgende  Synode  nach  seinem 
Belieben  nnd  zwar  in  eine  dem  Papste  nicht  unterworfene  Stadt 
zu  verlegen.  Die  Schrift  ist  gut  gegliedei*t,  ihre  DaratelluDg  klar, 
ihre  Sprache  naiv  und  kräftig.    Sie  zerfallt  in  einen  n^ntim 
und  einen  positiven  Teil.    In  dem  ersten  (S.  1 — 20)  giebt  aos 
der  Verfasser  einen  Ueberblick  über  die  allmaliliche  Entwioklinig 
des  päpstlichen  Absolotismns,  der  eine  völlige  YerkehnuB^  der 
alten  rechtlichen  Yerh&ltniflse  seL   Mit  Eifer  wendet  er  och 
gegen  die  Misbr&uche,  die  ans  dieser  Oentnüisatioii  entsprangen 
sind,  die  Ersohöpfnng  der  DiOoesen  doroh  Anmten  und  PaUieii-  i 
gelder,  die  Yerannnng  der  Klöster  dnrch  ihre  Ueberlmgnng  an  die  | 
hohen  Würdentriiger  der  Kirche,  die  BeTonogimg  der  Kurtisanes»  j 
welche  Stallknedite»  ünndewirter,  K5ohe  der  Gaidinale  geweeen 
sind,  vor  den  Doktoren  in  der  heiligen  Schrift^       ^  gaiitM  | 
cristenglanbe  ane  hanget*',  den  Mishiaoeh  der  weihbischöflichsn  i 


dieeer  Tage  stattgefundeii  haben.  Es  handelt  siohwohl  mn  dieWOrtoa- 

bergisclio  Angelegeobeit  (vgl.  I*MM  king.  Hütt.  op.  1,  262;  Strau.ss  I. 
ai>5.  3,'>(;;  Ulluann,  F.  v.  S.  144.  1(>G).    I>;ih  Original  <lirxrs  üricfis 
iitaninit  aus  dem  SikkiiigiscliLii  Archiv ;  Ui  dessen  VerUiliiug  in  Hei- 
delberg iiu  Juli  1523  iät  dit'hc  C'U[iic  verfertigt  wurtleu.    Eb  üiideu  sich 
in  dem  hiesigen  Afchiv  die  Copien  von  nooh  drei  Briefen  Frowin»  von 
Hutten,  an  Si'inen  Bruder  Hans  If^.  H.  irK>7,  an  hcIuo  Frau  19.  7.  1518 
(z.  T.  über  Franz)  und  an  Franz  7.  2.  1523,  die  Antwort  auf  einen  ' 
Brief  vom  2<».  .laiiunr  .  der  die  Niederwerfuni,'  Hans'  von  .Sikkinp  n  ge-  j 
meldet  hatte    ik^uden»  letzterer  i»t  von  Wichtigkeit.   Ich  laud  noch  | 
eine  Rohe  interessanter  ans  den  Sikkingischen  Archiv  hentammeiider  ' 
Aktenxtiicke,  Originab'a  oder  Coiden,  u.  a.  dn  zweites  Testament  | 
Sch  wickers  v.  S. ,  dea  Vater«,  Kpiitcr  al«  das  von  Ulm  an  n  entdeckte? 
(a.  a.  <).  11,  1),  nach  der  „Meerfalirt",  die  erwähnt  wird,  nebst  »muciu 
Hrief  an  Margaretha  und  ,,  Francibcus",  beide  Originalia,  leider  uiidatirt,  ' 
für  die  FamilieuverhältDii»e  recht  bedeutemi. 


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LENZ,  BErOBMBCmm  YOM  BASLER  GONCai«.  467 


iBsthotioii»  die  Aiwaiigaig  te  Tolk«  doreh  dim  BnporkOiniiiUnge 
»mit  nniedalidier  SeMmk*',  ibre  Unkensdüieity  H(^hit^  ßimoiuei 
und  die  YerBehtiiiig  md  dea  Haas,  ut  die  dadurch  der  ganse 
geietiiehe  Stand  bei  dea  Laien  gerate.  Es  eind  die  bekannten 
Klagen  in  eigentfiBlicher  Sntwicklnng.  Ein  Aigoment  ist  von 
beeonderem  InleresBe:  die  Zenplilteniiig  der  weUliehen  Leben 
wird  ebenftlb  anf  die  KnrttflanenwirtBobafI  snrtkskgefthrt^  weil  die 
jüngeren  Mme  der  edlen  F&milien  dadnroh  von  der  geistliehen 
liBnlbehn  abgedrängt  werden.  Mit  Beispielen  aoa  der  Gegenwart 
nnd  der  nftchsten  Yergaugenheit,  z.  B.  dem  GOlner  Bieehi^Btrul 
swlBehen  „dyetherichen  von  morse"  und  dem  Bischöfe  ?on 
„palborne'',  werden  die  Sätze  belegt  Nachdem  der  Ver&sser 
80  die  Verderblichkeit  des  Absolntismus  der  Päpste  dargetan  hat, 
beweist  er  die  Unmöglichkeit  einer  Ik'sserunjr  durch  sie  selbst: 
die  Cardinale  würden  nie  daran  hindern.  Der  lioweiii  hiofür  wird 
aus  der  Geschichte  der  lutzton  siebzig  Jährt'  ^^eföhrt,  durch  das 
Beispiel  Urbans  VI.,  des  Constanzer  und  doo  IJ.Ldler  Concils. 
Und  diese  Aubluiiiungen  beweisen,  dass  wir  in  dieser  Scliritt  die 
„antiqua  historia  MSCta  Katoruni  Concilii  C»ak^t^ntiensis  ac  15a- 
sileensis,  A.  1440,  anno  I.  Friderici  Oaesaris  scripta"  vor  nns 
haben,  aus  der  Hardt  oft  benutzte  Sätze  über  die  grosso  K'at;i- 
struphe  düH  Constanzer  Concils  im  September  1417  abgedruckt 
hat  (Hardt  M.  C.  C.  IV,  1125.  1427).  Diese  Sätze  finden  sich 
wörtlich  in  unserer  Flugschrift  wieder;  die  geringen  Abweichungen 
in  der  Schreibweise  sind  meist  auf  Rechnung  Hardts  zu  setzen, 
der  die  Schrift  des  15.  Jahrhunderts  ziemlich  modemisirt  hat. 
Ich  habe  früher  (König  Sigismund  und  Uohuich  V.  von  Eng- 
land, S.  171)  gegen  die  Glaubwünligkeit  dieser  Angaben,  wonach 
der  Sieg  der  curialen  Paitoi  diuxh  den  Tod  des  Bischofs  von 
Salisbury  und  die  Bestechung  Wallenrods  von  Riga  und  Habiindis 
von  Cbiir  lin  beigeführt  wäre,  Einwendungen  erhoben.  Dass  diese 
begründet  waren,  zeigt  ein  voi»  Hardt  nicht  abgedruckter  Zusatz: 
„und  als  die  Diisclien  fallen  wulten,  da  fielen  auch  al)  «lie 
andern  nacioii  und  koren  Miirtinum  zu  oynem  babst".  Wäre 
dieser  Satz,  der  die  wirklichen  Verhältnisse  einfach  umkehrt,  von 
Hardt  hinzugefügt  worden,  man  liätte  diese  Quelle  sicherlich 
niclit  7.11  r  Grundlage  fiir  die  Schilderung  des  entscbeidenden  Wende- 
punktes im  Constanzer  Concil  gemacht 

Gewinnen  <lie^(^  und  die  anderen  historischen  Angaben  un- 
serer Flugschrift  hierdurch  nicht  an  Glaubwürdigkeit,  so  verlieren 
sie  doch  kaum  etwas  an  Interesse.  Sie  berühren  femer  noch  die 
Bestechungen,  durch  die  Martin  V.  die  Reformation  verhindert 
habe ,  dann  die  Hinterlist  Kugens  und  der  Cardinäle ,  besonders 
des  Tarentinns,  gegenüber  den  B^uslem  in  den  Verbandlnogen 
mit  Avignon  nnd  den  Grieclien. 


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468 


ANALEKTEN. 


Ist  also  RefonD  durch  Papst  und  Gardiiifile  munBg^idi».  so 
bleijl>t  nur  der  Ausweg  des  allgemeinen  Ckmdls  (2.  Teil:  S.  fO 
bis  40).  Ihm  gebart  die  Strafgewalt  Uber  das  Hanpt  und  die 
Glieder,  deren  nicht  geringere  Yerderbtheit  ebenfUls  gesehadort 
wird.  Anch  diese  werden  sich  der  Beform  wideraefami.  Dalnr 
mnss  das  Coneil  den  Arm  des  rOmischon  Kaisers  oder  KnigB 
zn  seinem  Schntse  haben.  Mit  seiner  HlUfe  von  lefan  m 
sehn  Jahren  gehalten  kOnnen  die  Goncüien  an  obersten  Ge- 
richtshöfen der  Christenheit»  die  ewigen  Frieden  sicheni,  sieh  er- 
heben. 

Und  hiermit  findet  der  Yerftsser  den  Uebeigang  su  d«n  Be- 
formvorschlfigen  f&r  das  Reich  selbst.  Anch  dasa  wird  das  Oondl 
nnd  Papst  Felix  helfen,  denn  der  ist  ein  wahrer  Beformpapet, 
reich,  nnabhSngig  nnd  ein  Ffiist  des  Reiches;  dasn  hat  er  in 
seinem  Lande  Frieden  nnd  ein  Parlament  aoö^erichtet  von  be- 
soldeten Doctoren,  flberhanpt  den  geistliehen  Stand  seines  Ffinten- 
tnms  reformirt,  „  da  eyn  grora  latins  bnch  ?on  gemaohet  ist^  das 
konig  albrecht,  dem  got  giioiligh  sy,  m  dnsehe  wolte  Immb 
setsen".  Ebenso  mnss  das  Reich  reformirt  werden.  Der  Ver- 
fasser will  einen  allgemeinen  Landfrieden,  ein  yom  Könige  un- 
abhängiges, an  einem  Orte  festes  Gericht,  wie  die  zu  „pary^-z, 
lunden  und  j,'ebcniic",  besetzt  zimi  Teil  mit  Docti^ren  beider 
Keclite.  Er  veriani^t  eine  ^^oinischte  IJeyetzunj,'  des  Hofgerichte« 
mit  besi'ldoton  Kätcii  des  Könif,'s  und  der  Kuriiirötim,  endlich 
eine  t'cijto  KiiikcmnienKtouer:  joder,  der  über  hundert  Guldeu  ein- 
nitnmt,  soll  einscclhstel  Gulden  an  iliis  Koich  zahlen. 

So  notwendig-  und  nützlich  die  Sui»erioritiit  des  Concils. 
ebenso  berechtigt  ist  sie.  Der  Beweis  hioriu-  bildet  den  Sehluss- 
teil.  Kr  wird  geführt  durch  den  Hinweis  auf  das  Oecretum 
Frequens  des  C«»nst{uizer  Concils,  sodann  mit  zwei  „redelicben 
Sachen",  d.  h.  mit  der  dogmatischen  Unfehlbarkeit  dos  Concils 
im  Geirensatz  zum  Papste?  imd  seiner  näheren  Stellung  zu  Christiki 
als  Ivepriisentanten  der  Kcdesia  universalis,  der  Braut  Christi, 
wahrend  der  Papst  nur  dessen  Knecht  und  S(din  ist,  ferner  aus 
der  heiligen  Schrift,  mit  den  bekannten  Stellen  Matth.  IG  u.  IS 
und  ihrer  Auslegung  durch  die  Vater,  nnd  endlich  durch  histo- 
rische l'eispiele  die  von  der  veithumung"  den  Liberius  bis 
zur  Altse</ting  Kugens  liernntergefülirt  werden.  Hieran  schliesst 
sich  ein  heftiger  Ausfall  gegen  den  Siegeldieb  Tarentinus.  Mit 
einem  Aufruf  an  dio  Fürsten  der  Christeuheit,  dem  Coneil  treu 


1)  Ans  der  DiiTorenz,  die  der  Veriasser  zwischeo  den  Jahnen  dirser 
hiBtorisclK  ii  Puten  Qod  seiner  Zoit»  bi  rechiiet»  erkeDuen  wir  das  Jahr  1442 
als  das  fiotstehongsjahi  der  FlugBchrilL 


USNZ,  KEFORMSCHRIFT  VOM  BASLER  OONÜIL. 


469 


ZU  bleiben,  besonders  die  Kurfürnten,  die  an  den  Tag  von  fiank- 
fort  1439  erinnert  werden,  schliesst  die  Abhandlung  0* 

In  dem  Verfasser  möchte  ich  einen  Thüringer  vermuten.  Die 
sweimalige  speciellere  Erwähnung  von  Erfurt  und  die  von  dem  Probet 
von  Dorla  (Kreis  MAhlbaufien)  scheint  mir  darauf  hinzudeuten. 
Möglich,  dasB  ein  Hitglied  der  Erfurter  üniversität  der  Schrift- 
^  steller  war.  Die  Frage,  ob  der  Schrift  ein  lateinischer  Text  zu 
Qrmide  liegt,  mnas  ich  noch  offen  lassen.  Der  Yer&sser  bemtUit 
sich,  sn  jedem  lateinischen  Citat  oder  Fremdwort  die  deutsche 
Uebersetsong  hmznzofQgen:  man  erkennt  die  Absicht  weiterer 
Yerbreitang. 

Eine  nähere  Beieichnnng  der  Zeit  habe  ich  noch  nicht 
finden  können.  Friedrich  wird  römischer  König  genannt  Seine 
Krönung  fimd  17.  Juli  1442  statt  Man  konnte  aber  schon  dem 
Qewihlten  diesen  Titel  beilegen.  Doch  werden  wir  kaum  fehl- 
gehen, wenn  wir  die  Schrift  in  die  Zeit  des  Frankfurter  Reichs- 
tages von  diesem  Jahre  vexlegteiL 

Zu  einer  üntersnchnng  der  Sprache  fohlte  es  mir  bisher 
an  Zeit  und  Kenntnissen.  Der  Abschreiber  scheint  den  Text  ein 
wenig  umgewandelt  zu  haben.  Dennoch  erkennt  man  auch  ans 
ilmi,  wie  mich  Herr  Professor  K.Lncae  belehrte,  Mitteldeutsch- 
land als  die  Heimat  des  YecflLssers.  Kach  der  sprachlichen  Seite 
wird  die  Schrift  ebenfidls  Interesse  in  Anspruch  nehmen  dürfen, 
so  dass  nicht  nur  diese  Anzeige,  sondern  auch  wohl  die  Heraus- 
gabe der  Flugschrift  angebracht  sein  möchte. 


4. 

Notiz  Aber  Melaachtbons  aDgeblichen  Brief  an 
deo  veueliauiseheu  Senat  (1539). 

Von 

Lic.  Dr.  Karl  Benrath 

in  Bodo. 


Das  bozf^i^'bneto  Schreiben  wird  in  „Vh.  Melancbtlion  uiul 
M.  Servet,  eine  Quelienstudie  von  Lic.  tbeoi.  ü.  ToUin"  (Berlin 

1)  Auch  Hardt  bezeichnet  sie  als  „Principibos  Imperii  exhibita*' 
(a.  a.  0.  1427). 


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470 


ARALESCrBN. 


1876)  benutzt,  um  darauf  das  ganEe  siebente  ITapHel  zu  baneo, 
dessen  Inhalt  sich  durch  die  üeberschrift  kennzeichnet:  „Me- 
lanchthon  verfolgt  Servet  1535 — 1543".  üeber  die  Genesis  des 
Schicibens  findet  sidi  dort  S.  186  folgende  Auskiiiift:  „Im  Früli- 
jahr  1539  kam,  zur  Fortsetzung  seiner  Studien,  nach  Witten- 
berg ein  Venetianer  Braccieti,  auch  Michael  Braccioli  *)  genannt, 
vielleicht  des  berülimtcn  Bibel  übe  rsotaera  Antonio  Braccioli*). 
Bruder.  Dieser  überbrachte  einen  SchmeisensBehrei  vieler  hoben 
Senatoren  in  Venedig  über  den  furchtbar  um  sich  greifenden 
SorvctiauigmuB.  Melanchthon,  der  den  Venetianem  schon  seit  Ende 
Joli  1630  ein  finnnntenmgBSchreiben  dankte,  das  4Bn  Witten- 
beiger  im  Kampfe  gegen  Born  anfreeht  erhalten  nnd  st&iieii 
sollte,  flUüte  sich  Terpffiohtet,  gegen  den  apoaisohen  Antitnni- 
tarier  dem  Senat  Ton  Venedig  Bat  nnd  HlUi^  ro  bringen." 

Die  Avftehrift  dieses  Sohreibens  (Ad  Senatum  Tenetom)  ist 
schon  dem  t^reffliehen  Schelborn  ak  nioht  snTerUssig  erBchkmen. 
Er  erUfirt  in  den  ,,EigötElichkeiteB  ans  der  Kirohenhislorie  nad 
Literatur^  I,  S.  422  (üfan  nnd  Leqpiig  1762),  dass  er  ihr  die 
andere  Anfeehrift:  „Ad  Venetes  quosdam  Evangelü  stadiesoe" 
▼oruebe,  nnter  welcher  sich  das  Sehreibmi  in  den  DeelamatleneB  III, 
8. 579  sqq.  (Strassbnig  1570)  Toifindet  „Melandithon  wnsste  wolil% 
sagt  Schdhom,  „nach  der  Hofireise  an  grosse  Henen  an  sefareiben: 
er  wflrde  also  iriel  demfitigere  nnd  ehrerbietigere  Ansdrttdra  ge- 
bründit  haben,  wenn  der  Brief  an  den  hohen  Bat  xn  Venedig 
selbst  gerichtet  gewesen  wftre,  nnd  er  bitte  schweHSch  so  ver- 
tranlich  ?on  der  Beligion  an  rOmiach- katholische  Begenton  in 
Italien  geschrieben,  mit  denen  er  snvor  in  keinem  Briefwechsel 
gestanden.  Bs  befindet  sich  kein  gebärender  Ehrentitel  darin,  den 
er  gewiss  sonst  dem  DorcUancfatigen  Doge  nnd  Bat  wflxde  ge- 
geben haben." 

Wir  lassen  die  Beanstandung  der  Adresse  wegen  innerer 
Grunde  auf  sich  berahen.  Jfingnt  ist  ein  neues  Moment  m  Tug9 
.L,'etroten,  welches  die  Frage  viel  radikaler  berührt,  uidem  es  die 
Echtheit  des  ganzen  Schreibens  «weifeUiBft  macht.  Es  findet  sich 
nämlich  in  dem  1875  erschienenen  dritten  Bande  der  Geschichte 
Karls  V.  von  De  Leva'),  S.  327,  ans  einer  Handschrift  der 
Markusbibliothek  (M.  c.  7,  cod.  802)  die  lol^^  ndo  Mitteilung:  „Me- 
lauchthon  si  ha  obcusato  con  me  di  uua  operotta,  ossia  epiätola 


1)  C(»rpiw  lief.  III,  1045  (Brief  an  Veit  vorn  f).  .l.iii.  153S)  srhrribt 
Bracchiülus;  so  auch  die  frähcren  Ausgaben  von  MtManohthona  Briefen. 

*)  Dieser  Gelehrte  bien  Bmomoli,  wie  auch  Schelborn  (Ergötz- 
liebkeiten  I,  S,  421)  riebtfg  flcbreibt,  don  man  die  obige  Coojeetur  ver- 
daakt. 

3)  Storia  dociiincntata  di  Carlo  V.  in  correlazione  all*  Itaüa  del 
IHTofefiSore  Giuseppe  De  Leva  (Vol.  Ui,  Padova  1875). 


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BENRATH,  EDV  ANOEBUGBER  BRIEF  MELANCHTHOMS.  471 

data  foora  intitulata  al  Senate  Yeneto»  dicendomi  non  esser  sna, 
ma  altri  Thaveano  fatta  ot  publicata  sotto  il  suo  nome,  come 
fimno  in  molte  altre  coso,  et  ancora  che  la  oosa  fosso  bona  in 
86,  non  per5  Teiamente  l'haYea  Mta,  rharia  intitulata  a  qnel 
exc.*"^  senato  senza  qualche  ocoasione." 

Diese  Angjibe  ist  einem  offiziellen  Berichte  entnommen, 
welchen  der  Gesandte  der  Kepiihlik  beim  Kaiser ,  Francesco 
Contarini,  unter  dem  29.  Harz  1541  von  Regensburg  aus,  wo 
grade  das  bekannte  Keligionagespräch  stattfand,  nach  Venedig  ere- 
ri'-hfet  hat  Melanchthon  stellte  damit»  offenbar  mfindlich  dem 
Gesandten  gegen  über ,  in  Abrede,  dass  er  das  Schreiben,  welches 
bereits  1539  in  Nürnberg  im  Dmck  erschienen  war^)»  verfasst 
habe:  „Er  würde'',  sagte  er,  „ein  solches  Schreiben  nicht  ohne 
specielle  Veranlassung  an  den  hohen  Senat  gerichtet  haben.** 
Wir  sehen,  Schelhom  \si  besQglich  der  Etiqnettenfhige  ganz  anf 
der  richtigen  F&hrte;  denn  wo  Tollin  den  „Schmenenasdirei 
*  Tieler  hohen  Senatoren  in  Venedig"  geb6rfc  haben  will,  ist  nns 
unerfindlich.  Was  Jedoch  den  Inhalt  des  Schreibens  bn  allge- 
meinen betrifft,  so  ertdftri  sich  Melanehtbon  —  nnd  jeder,  der 
die  Stellung  des  Beförmatoren  zii  den  tnnitarisehen  Fragen  kennt, 
wud  das  natflrlicb  finden  —  danut  einverstanden.  Oflirabar  bat 
man  es  dieser  materiellen  üebereinstimmnng  m  danken,  dass  das 
Schreiben,  von  dem  Melanchthon  doch  selbst  sagt,  „ein  Andrer 
babe  es  verfiisst  nnd  nnter  seinem  Namen  ▼erölTentlieht*',  trotz- 
dem m  die  Sammlnng  seiner  Briefe  als  ihm  angehOrig  aolge- 
nommen  worden  ist 


i)  Unter  dem  Titel:  „Epißtola  PhiJippi  Melanchtlionis  ail  Senatum 
Venetum";  vgl  Bibliothcca  Ebneri  1,  33^.  Auk  Bock,  Hist.  Anti- 
trin.  II,  S.  898  wQrde  benroigobeD,  dass  das  Scbniben  berrits  1538  in 
HBnibeig  gedrockt  woiden  sei. 


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472 


ANALBKTEN 


5. 

Zwei  Briefe  Johaoa  Eckis. 

Mitfireteilt  von 
V.  8cliuitze  in  Neapel. 

I.  Eck  an  den  Cardinal  Farnese. 

Ingolntadt,  1.  April  1541. 
OrifuuJ  ÜB  QimMU  iirclÜTio  s« 

Pimtiaauiia  obsequia,  salatem  com  sni  oommendatioiie. 

B**  et  amplissune  Fftter,  non  oportebat  labores  colloqmi 
Woimatleiins  taut»  honons  prefittione  extollere:  agnosoo  enim 
me  debitorem  Sedia  Apostolieae  et  D.  K.,  qaare  Ubenter  et 
dili{^nter.  eis  insenriam. 

Laue  Deo,  quod  per  gratiam  SpiritoB  oonfido,  me  posse 
focUe  TiDcere  eos  hostee  fidei  et  echiematicos,  ei  disputando  in 
arenam  deBcenderint 

Poet  ooDTentna  Fzankfoidie  et  Magenee  habitoe  spargebant 
magno  fiiatn  arroganter  in  plebem,  neminem  andere  congredi  cum 
eia.  Yerbum  Dei  stare  pro  eis  inviete.  Hoc  et  editi»  ]ibellis 
sparsemnt  in  vulgus.  Quod  si  ego  Äussern  vocatus  liugenoam, 
represäiääem  et  obstruxissem  ego  eis  oia.  At  uomo  me  con- 
duxit 

QuamviH  ergo  pancis  diebtis  disputaverimus ,  tarnen  profuit 
pluriinuni  et  miiltis  millibus  florenomin  non  poterit  estiiuari. 

.liuu  oiiim  oxperti  t'kium  illiun  iinti'iaum  imperterrit^j  animo 
ausuin  cum  e'm  conirredi  sicut  et  ante  XXI  annos,  jam  vero  vana 
eorum  <"essat  jactantia,  cum  obtulisöcra  me  paratuin  iinii  t,^>\um  diopu- 
tatuniiii  cum  Melancbthono,  verum  otiam  cum  sin^ilis  Xl'"  At 
dum  ventum  est  in  palestram,  ita  e<'.s  ternii,  ut  etiam  adhortaute 
Melancbthono  nulluH  änderet  surgeio  et  «  niigredi 

Ad  bec  mitiores  facti  sunt;  qni  uii^  prius  criminabantur 
hoHtem  evan^olii,  inimicum  voritati.s,  jam  me  laudant,  salutant, 
conveniunt,  invitant,  offemut  se  parat08  et  libenter  auditoroä 
meam  informatiouem. 

1)  luilibus  (?). 

2)  Dirso  fiir  die  l)okannto  Selbst Iti  riueboninfj  Ecks  bezeichnenden 
Worte  oiiiptanj^i'ii  ihr«'  richtige  TVdeuclitun^^  durch  die  Urteile  d<'r  Vro- 
testant«;»  iibei  d:Ls  Auttret^  n  Kck»  bciu)  WonuKer  Gesprüche  vuin  14.  bis 
18.  Januar  Man  vgl.  die  Briefe  Goldsieina  mid  Molkn  Corp. 


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ZWm  BSBBTE  JGBAMH  BCKS. 


47S 


Cor  aotem  non  vocer  Ratisbonam,  miror;  injussos  non  renio 
Hoc  autem,  R"**'  Pater  offero  amplitndiui  tue,  ut  poflBU  ovnia  de 
me       D.  K.  poUiceri.    Yaleas,  fAÜomsime  PrinMpe. 

Iqgolstadü  KL  Aprilie.    Ann»  gntie  1541. 

obseqaentiBsimaK  scrvitor 
Ja.  ülckiua. 


Post  oscula  pednm  beatorum  et  sui  commendationom.  Boatis- 
sime  pater,  quao  scbismatici  moliantur  adveräiis  eccloäiam  Dei  ac 


Ref.  IV,  26.  27,  boßonders  aber  Calvin  an  Farcll,  Strassb.  1.  Febr.  1541 
(Corp.  Bei'.  XXXIX,  146):  „Non  rut'eram  bic  quanto  liiatu,  i|uanta  au- 
dafiia,  losolentia,  impoaentia  Todftntiu  lit  flle  nogator.  Ffbpooe  ÜYA 
efßgiem  btttbari  sopliintac  inter  illitcratos  stolide  cisnltuiiis  et  habcbis 
dunidiani  partem  Ekcii."  Da  sieb  audi  snnst  Sjniren  davon  find.n, 
dass  seine  eigenen  Part(?igeno88cn  und  luuiientlicb  Granvella  übel  mit  ihm 
zutrieden  waren,  so  werden  wir  (^alvin  auch  darin  Glauben  acbeuken 
cteifen,  wenn  er  wdier  berichtet:  „  (Caeftariani)  abatiuitiir  (EcUo)  tan- 
qnain  morione."    [TIj.  llricger.] 

Eh  scheint  in  <l<r  Tat,  als  sei  Eck  anfangs  absichtlich  von  Re- 
gensburg fem  gehalten  worden,  wabrecheinlich  weil  er  sieb  bei  <iranvclla 
mialiebig  gemacht  batti'.  Die  Herzoge  von  I]^ye rn ,  welche  bcbun  am 
11.  Wkn  ui  Rcg  nsburg  waren  (Corp.  Ref.  XjüliJl,  172),  hatten  ihn 
diMDMll  nicht  Diitgebradilt  (vgl.  anch  den  Brief  Cnicigers  vom  29.  März : 
von  gcgncriHchen  Theologen  sei  nur  CochlaeuK  da:  ,,Eceiuni  aiunt  cupidum 
bic  acrnrrendi,  nt  snas  eftlaret  gloria-s  apnd  stnlton.  rctineri  a  Bavarie"; 
Corp.  Rei.  iV,  14(i  b<|.  und  Cocblaeus  an  Nauäca,  iCegensb.  3.  April  1541: 
Jban.  Beldas  nondom  adrat",  Epistolanim  niseeUaneaiiim  ad  Prid. 
Nanseani  libri  X.  ßasileae  M.  D.  L.  {>.  304).  Wann  and  7on  wem  Eck 
nach  Regersljurg  berufen  ist,  halx?  ich  nicht  ennitteln  können:  er  be- 
findet sich  unter  den  am  20.  April  vom  Kaiser  crnamiten  sechs  Collocu- 
toren  und  nimmt  am  21.  an  der  Audienz  teil,  welche  Carl  Y.  denselben 
gewährte  (Corp.  Ref.  XXXIX,  SOO).  —  Im  Widersprach  mit  mitersmBriefb 
weis8  Wied  e mann  (Job.  Eck,  S.  313)  seinen  Lesern  Zü  ersShlen,  Eck 
habe  mit  Widerwillen  an  den  Verliandluugen  Anteil  gcnonmicn,  zmiachat 
habe  ihn  der  Befehl  seines  Fürsten  zur  Teilnahme  b'wogon  ii.  s.  w.  — 
Uebngens  hatte  über  gleiche  Zurücksetzung,  wie  aiiiaugs  Eck,  walireud 
des  ganzen  Regensbniger  Beiehstages  Job.  Cochlaeas  zn  klagen.  Schon 
am  S.  Wn  hatte  er  lich  in  Begioaborg  eingeetellt»  mnsste  sich  aber  zs 
seinem  Leidwesen  davon  libcrzrugen  .  dass  man  seiner  Hülfe  ganz  und 
gar  nicht  bedurfte,  sr.ndeni  jetzt  <^'anz  andere  Männer  verwenden  zu  müssen 


m  «einen  Briefen  an  den  ihm  befremideten  Nansea,  Bieäiof  roa  Wen, 
der  elegischen  Stinmrang  Anadmck,  in  welche  ihn  die  Nicfafbeachtong 


2.  Eck  an  den  Papst. 


In^Mlstadt,  I.Januar  1524. 


OrigiQul  IUI  Ciraudv  Ai-cliivio  ta  Nekpel. 


&  D.  N.  PsQlo  m.  Sanete 
Bonume  et  spoetolioe  eoclosie 
poni  opt  miui. 


81 


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474  ANALEKTJSN. 

sed.  ap.  liouorem,  potuisti  \um  ob.scure  ex  relatione  S.  T.  logala, 
viri  oppido  venerandi,  ac  impio  Buceri  Hbro  ms.  relligere.  Kiro 
pro  virili  part4^,  ne  principes  a  sycopliuntiis  liereticoruin  circuiii- 
veiiireiitur  Ifatisponae,  jam  i)or  littcra«  a  me  scriptas,  jain  per 
littenu>,  dum  per  iiiürmit^iteiii  scriboro  mn  possem,  a  me  dit-tiitos, 
])erpptuo  iiiaiflto  officio  meo.  Evulgato  autem  Buceri  infauii  libro, 
iu  quo  uou  holum  K.  ecclesiam  ac  R.  hujus  lopitum  mullis  meii- 
daciis  proscidit  ac  impietatibm» ,  sed  et  principes  Catholicos  et 
revend.™""-  EpiscojK)»  ac  illustrissimos  proceres  mnltis  injuriis 
afTccit,  e^'"o  qni  debeo  honorem  Cliri.sto,  ecclesie  catholire  et  8od. 
ap.  ac  priin'i])ibus  meis  Bavario  diristianissimis ,  maledictionibus 
illius,  ad  Catholicorum  consolationeni,  uccnrri,  otsi  me  nun  fuiriat, 
(juanto  id  facerem  cum  poriculo  ac  discrimine  vitae,  quia  caiies 
isti  ac  lujii  nos  ubiqiio  circumdaut.  At  deus,  qui  salvavit  Da- 
niclom  in  laco  leonum ,  etiam  ernet  a  framea  animam  meam  et 
de  manu  caiiis  unicam  meam,  ut  (-um  jubilo  dicam:  principes 
pcrse«  uti  sunt  me  ^nratis.  Hunc  laborem  S.  T.,  maximu  sia4-rMrura 
nntistiti  ac  Ka<:r<)  tuu  collegio  dedicavi  pro  mca  in  sed.  aj».  «»b- 
sorvantia.  R"***  Cardinali  A.  Farnesio  Vicecancellario  srrijiöi,  uou 
tamen  importune,  Bcd  quantuni  pbicuorit  ch'uieiitiiu'  tuae. 

1).  0.  M.  conserva  S.  T.  inrolnmeni  in  multos  aimos. 

Ingolstadii  Bavarie  Kl.  Jan.  Anno  1512. 

8ervitur  ac  capellauus 
a  pedflnu 

J.  Bekivs  0. 


seiner  Person  versetzt  battc.  So  am  3.  April:  „Konio  ad  operandnm  hob 
conducit,  nemo  rcquirit  ojxTam  nostram"  (Kpist.  ad  Naus.,  S.  30tt);  am 
2.  Mai:  „Mei  nullus  est  hic,  qucuiadmodum  et  Wonuatiae,  ukus.  Ne« 
multi  ex  catholicis  Theologis  hic  sunt"  (ib.  S.  310);  am  8.  Mai:  „Ego 
. . .  Teint  Petnw  longo  gtaos,  sequor,  ut  videam  finem  hnins  de  religione 
concordanda  tractatus"  .'>nv,  endlich  am  22.  Juni:  „Ego  ad  omnia 
spectator  fui,  male  perdcns  (ut  »licitur)  olenn»  ot  operam,  <|ni  cum  (hiubus 
equiB  et  faraulis  quinque  iam  hic  mcusibus  subsistOi  cum  uou  levi  damiio 
domi"  (S.  321).   [Tb.  Brieger.] 

1)  Hit  diesem  Briefe  bq^leitete  Eck  die  üebenendnng  seiner  gegen 
Bocer  gerichteten  „Apolor^ia  ])ro  revercndis.  et  illustr.  rrincipibue  Ca- 
tholicis  .  .  Ingolstadii  1542".  »Sie  wird  eroffiiet  mit  einer  au  Paul  III. 
und  da«  ('ardinalscollegium  gericbteten  Dedicationscpistel  vom  Decomber 
1541;  den  Schluss  bildet  ein  Brief  Ecks  an  Granvclla  vom  18.  December. 
Die  Apologie  yerliess  in  der  vorletzten  Woebe  des  December  1541  die 
Presse  (8.  Eck  an  Nausea,  Ingolstadt  den  20.  December  UAl,  Epist.  ad 
Naus.,  :V,iO;  in  diesem  wichtigen  Briofo  findet  sieb  auch  die  Klage, 
dass  er  durch  seine  lickiimpfung  d(»  ßegcusburger  Buclies  die  Guust 
Granvella's  völlig  verscherzt  habe  und  für  alle  seine  Anstrengungen  iu 
Worms  Dicht  bdohnt  sei).  Uebrigens  scheint  Fmna»  es  nicht  der  M Ohe 
wert  gehalten  zu  haben ,  den  vorliegenden  Brief  Ecks  an  seine  Adresse 
gelangon  zu  las8on,  da  er  sich  sonst  schwerlich  in  dem  Famesischen  Naeh- 
lasae  vorfinden  würde.   [Th.  Brieger.] 


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ZUR  KIRGBLICUfiN  STATISTIK. 


475 


6. 

,  Zur  kirchliebeD  Statistik. 

EIm  Umsohaa  la  der  Kirohe  OrleohoalMMU. 

Von 

Ath.  Papalukas  Eutaxias. 

Schon  mit  dem  Anfang  dieses  Jahrhunderts  eröffnete  sich 
für  die  griechische  Kirche  eine  mm  Flpncbe.  Es  begann  damals 
dor  Druck  der  türkischen  Unterjochung  der  lüijas  etwius  nachzu- 
lassen, und  die  günstige  Gelegenheit  wurde  sofort  ergriffen,  um 
für  Hebung  des  kirchliclien  Lebens  zu  sorgen.  Auch  in  den 
früheren  Jahrhunderten  waren  einige  vereinzelte  Beispiele  theo- 
logischer Gelehrsamkeit  unter  der  höheren  Geistlichkeit  vorge- 
kommen; von  jetzt  an  aber,  nachdem  ni;in  eine  gewisse  Berech- 
tigung von  der  hohou  Pforte  erlangt,  höhere  Schulen  in  don 
gr<»sseren  Städten  dos  Reichs  zu  gründen,  wurden  die  Fälle  der 
früher  Jintor  derselben  herrschenden  tiefen  Unwissenheit  allmählich 
8elk>iiüi.  Doch  ein  grosser  Umschwung  ist  erst  seit  Ende  der 
zwau/itrer  Jahre  eingetreten,  nachdem  nach  einem  verzweifelten 
siebeiyiilirigen  Kriege  Griechenland  für  einen  freien  unabhängigen 
Staat  eiklürt  war.  Zu  den  früheren  sechs  von  einander  unab- 
hängigen Kirchen  (ExxXrfoUu  yivjoxtq^aXoi)  innerhalb  der  griechi- 
schen Kirche  (den  Patriarchaten  von  Konstantinopel,  Alexan- 
drien, Antiochien  und  Jerusalem  und  den  Erzbistümern 
von  Oypern  und  vom  Berge  Sinai  —  letzteres  eigentlich  eine 
Abtei  mit  erzbischöflichem  Titel  — )  kam  Jetzt  eine  neue  hinzu, 
diejenige  vom  freien  Griechenland,  die  zwar  den  Patriarchen 
von  Konst;intinopel  noch  immer  als  primus  inter  pares  anerkennt, 
doch  keine  Rechte  des  Primats  ihm  in  Beziehung  auf  sich  8ell»st 
zugesteht,  wie  es  sonst  bei  den  älteren  unabhängigen  Kirchen  in 
der  Türkei  der  Fall  ist  Die  Regienmg  Griechenlands  betrachtete 
es  als  eine  ihrer  ersten  Aufgaben,  der  Kirche  zu  ihrer  Erhebung 
zu  verhelfen,  und  dies  meinte  sie  nicht  besser  tun  zu  können, 
als  wenn  sie  sofort  für  die  Bildung  der  Geistlichkeit  Anstalten 
traf,  und  zwar,  da  es  natürlicherweise  nicht  auf  einmal  für  alle 
Geistlichen  geschehen  konnto,  anfangs  bloss  für  die  höheren  unter 
ihnen,  nämlich  für  die  Bischöfe  und  die  Reiseprediger,  die  den 
ersteren  Beistand  in  ihrem  liohramte  leisten  sollten.  Ein  erster 
schwacher  Versuch  dazu,  den  schou  die  liegieruug  Kapodistrias 


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476 


ANÄLEKTBN 


dudi  die  Erricbtong  eines  Seminan  auf  der  Inael  Faros  madite, 
miisste  bald  «Weitem.  Unffcer  dem  König  Otto  I.  wurde  1837 
die  XTniTeraitftt  zn  Athen  begrttiidet,  der  man  anch  eine  theo- 
logische Facnlt&t  beigab,  die  sidi  bidd,  soweit  es  die  Ümstfade 
erbmbten,  naeb  dem  Mutter  der  ef&ngolisch-'ttMlogischen  Facnl- 
tftten  DeutseUands  gestaltete.  Ton  jetat  an  wurden  die  Bischöfe 
nnd  ^e  Beiaeprediger  Toraalaillab  ana  den  BaBian  daqenigen  ge- 
wählt, die  den  Lehrcnxans  dieser  Faenitäl  durchgemacht  hatten. 
Dem  Beispiele  der  Krobe  Tom  freien  Griechenland  sind  dann 
anch  ihre  Sebwesten»  die  noch  unter  der  Heciscbaft  der  IChmI- 
männer  stehen,  nachgefolgt,  sobald  sie  die  daan  nOtige  Freiheit» 
namentlich  nach  dem  Erlasse  des  Hattischeriffs  von  Gfllliana 
(1839)  und  des  Hatti*Hnmajams  (18.  Febraar  I8166)  er- 
hielten. Doch  da  die  Mittel  nicht  zur  BegrOndnng  einer  UttiTer* 
aittt  ausreichten,  so  hat  man  sich  mit  der  Errichtung  von  iwni 
theologischen  Seminaren  (QioAoyiMÜ  Jl^eW)  begnügen  miasiB, 
T«i  welchen  das  eine  auf  der  Chalke,  einer  nicht  weit  ven  Kon- 
stantinopel liegenden  Insel,  das  andere  In  Jemsalim  eniehtet 
wnrde.  Leider  aber  shid  sie  beide  grösstenteils  nach  dem  Muster 
dw  katholischen  Seminare,  wie  sie  neeh  heutraitage  in  Italien, 
FMmhreish  «id  Belgien  bestehen,  eingerichtet,  und  ob^^^ch  sie 
immerhin  besser  als  nbhts  sind,  so  b&tten  sie  doch,  wenn  die 
Verhfiltnisae  dar  Kirche  ««ter  d«r  Türkei  eine  nmfbssendere  und 
0reisinnigere  Anordnung  eilanbt  hfttten,  unxweifeUiaft  Tiel  sehtom 
FrMita  tragen  kOnnen«  Assih  diese  Semiaaffe  sind  eigentlich  ainr 
Ahr  4a»  hSheren  MstUchen  bestonm^  «af  die  man  vor  allsai  aiMdi 
hier  die  ente  AnflneikBamk^t  rieten  mnsste.  Der  einsigev  Ar 
die  Kirche  Tom  ftelan  Godechenland  sehr  beklagenswerte  Untar* 
schied  besteht  darin^  dass,  indem  aan  in  ihr  noch  nicht  gcaeti 
lieh  bestuamt  hat|  ob  es  fir  die  n  wihlanden  ^schöfo  onbo- 
dingt  eribideilich  sei,  die  thaologiaefaen  FaevltfttMtadiin  an  d«r 
Atiieniaelisii  UuTeiBltibt  absolvirt  n  haben,  die  Kirehe  onter  der 
TQiM  aehon  länen  Vorsprang  in  der  BeaiehHqg  gemacht  nnd 
in  sttem  Begtament  (Ko^oyiainoi  riwr  «ro^wa^  n^i^vmtf 
wߥ  tfg  uQxuQax^wf  hiktiifiituf  etc»  art  2)  angeordnet  hat,  dass 
SS  Ar  die  Silangang  der  Bischoibwitode  unbedingt  notig  sei, 
dass  man  seme  Studien  in  einem  von  den  genannten  theologischen 
Seminam  erledigt  habe  oder  weajgstena  soTiil  theologische 
Kanatnisse  besitaa  wie  ein  Abiturient  aus  diesen  Seauaarea. 
Immerhin  also  ist  f&r  den  hdhareii  Klerus  sowohl  in  der  Kirehe 
Yom  fteien  Qriedienlaad  als  auch  in  deijenigen  unter  der  TQrfcei 
etwas  geschehen.  Allem  nicht  genug  ist  es  ro  bedauern,  dass  man 
■och  in  keiner  von  beiden  anch  Ahr  die  niedere  Geistlichkeit  Hob 
nötige  Sorgo  getragen  hat  In  der  Türkei  ntailioh  geM  man 
jetit  eist  mit  den  Gedanken  m,  Ptiestennnmaz^  Abprall,  wo 


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ZDB  KIBCBLSCBfSS  STAHSTIK 


477 


es  möglich  ist,  zu  errichten ;  im  freien  Griechenland  hat  man  achoB 
laehrere  solche  gegründet,  aber  damit  so  viel  als  gor  nichts  slqb*- 
gerichtet.  Das  erstgegrQndete  von  diesen  Seminaron  war  die 
kirchliche  fiizarissche  Schule  in  Athen  (ExxXfiatttarani 
Pit^a^tog  2/oXri)f  so  genannt,  weil  man  dieselbe  dem  Grossmute 
der  Gebrüder  Bizaris  verdankt,  die  alle  Mittel  fQr  das  erforder- 
liche Geb&nde  und  dann  filr  die  Besoldung  der  Professoren  und 
die  Unterhaltung  der  Seminaristen  heigabeik  Der  Biiazieschmi 
Schule  sind  dann  noeh  drei  neue  Priesterseminare  (hgu- 
rmal  ax^tkal)  gefolgt,  eines  für  das  FestgrieeheuUnd  in  Chalkis, 
mm  zweites  für  den  Peloponneeoe  iu  Tripolis,  und  das  diiUe 
für  die  Inseln  in  Uermopolis  (auf  der  Insel  Syra),  denen 
neuerdings  noch  ein  viertes  für  die  jonisclien  Inaehi  auf  Corfu 
hinzugefügt  wurde,  —  alle  derch  Mittel  der  Regierung  errichtet 
nnd  erhalten.  Das  Gemeinsame  aUer  dieser  Anstalten  ist,  daae 
sie  fast  ohne  Ausnahme  nach  dem  auch  in  Kassland  surAnwei^ 
dung  gebraehton  Systouic  der  katholischen  Pricsterseminare  des 
Mittelalters  eingerichtet  sind,  weshalb  sie  denaelben  Vorwurf  mit 
den  in  der  Tarkei  bestehenden  Semiuaien  terdienen.  £ine  Amn 
nähme  unter  allen  diesen  bildet  wohl  in  einer  Beziehung  die 
Rizarissohe  Sehule,  die  anoh  aehon  früher  vollständiger  als  die 
übrigen  Seminare  organisirt  war,  in  der  letzten  Zeit  aber  sehr 
bedeutende  Verbesserungen  erhalten  hat,  —  Dank  dem  unermüd- 
lichen Eifer  ihres  jetzigen  Direetora,  des  gelehrten  Archimandriten 
Sokrates  Koliatzos,  der  vor  einigen  Jahren  so  dem  Zwecke  daa 
Abendland,  besonders  Deutschland  bereiste,  um  hier  eingehMidere 
Studien  in  verechiedenen  geistlichen  BUdongBaoatalten  zu  machen. 
Trotz  alledem  aber  bleibt  ee  noch  immer  eine  sehr  traurige  Tat» 
eaohe,  dass  bei  der  niederen  giieohiBchen  Geistlichkeit  noch  keine 
merhUohe  VerbeflMmng  eingetieten  ist,  und  dass  unter  derselben 
im  gnrossen  nnd  ganien  —  vereinzelte  Ausnahmen  konunea  hier 
nicht  in  Betrucht  —  noch  hentzatage  die  frohere  Unwissenheit 
herrscht  Wir  mitosen  es  uns  versagen,  näher  anf  die  Ursaohen 
dieser  Erscheinung  einsugehen,  da  dies  die  Qremen  einer  «n* 
fachen  ümaohaa  weit  fiherechreiten  würde. 

Nur  so  viel  sei  bemerkt:  die  erwähnten  PriestersemiiMire 
hatten  auch  mit  allen  ihren  Mängeln  dazu  aosreichen  kOnnen, 
um  niedere  Geistliehe  so  weit  auszubildon,  dass  sie  immerhin  fßr 
die  Bedürfnisse  des  Augenblicks  als  hinroicheod  nnterrichtet 
gelten  konnten.  Doch  bis  jetzt  ist  die  Zahl  derjenigen  Zöglinge 
dieser  Seminare,  die  sich  dem  Dienste  der  Kirche  gewidmet 
haben,  veischwindond  gering  geblieben.  Es  giebt  hierfür  viele 
Ursachen,  unter  donen  wir  die  allerwichtigston  erwähnen  möchten. 
Man  hat  nämlich  bisher  in  der  Kirche  Griechenlands  wie  der 
Türkei  bloes  für  die  Verheeeemng  der  finapziellen  Lage  der 


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478 


ANALEÜvTEN. 


höheren  €(ei8tiichkeit  (Bischöfe,  BeiMpredi^er  u.  s.  w.)  gesorgt, 
indem  man  ihr  ein  bestimmtes  (Jehalt  von  Seiten  der  Regierung 
sicherte.  Zwar  ist  auch  dieses  ziemlich  dürftipr,  —  in  Griechen- 
land z.  B.  erhalten  die  Er/.bischöfe  monatlicli  luigelTihr  3lK»,  die 
Bischöfe  250  nnd  die  Keisepredigcr  kaum  150 — IGO  Mark;  doch 
selbst  diese  gerini^on  Summen  genügen,  um  ihre  Stellung  wenig- 
stoiiH  ertrjlglich  zu  machen.  Ganz  anders  vorhfilt  ch  sich  mit  der 
niedei  oii  (joisilidikoit.  Diese  wurde  noch  jetzt  ihrem  früheren  Schick- 
sale ülierlassen,  indem  iiiun  sie  noch  immer  auf  ihre  l>isheriiren 
Casnalien  oder  Stolgebiiren  verwies.  Allein  diese  sind  .s«.«  iin- 
zurcH-hend,  besonders  für  einen  Fiunilioiivater  — -  denn  in  der  grie- 
chischen Kirche  hat  sich  die  (Jewolmbeit  festgesetzt,  bloss  ver- 
heiratete Priester  als  Pfarrer  anzustellen  — ,  dass  diese  sich 
genötigt  sehen,  neben  ihrem  Amte  noch  ein  Gesehaft  zu  ihrer 
Solbsterhaltung  zu  treiben .  meistens  Ackerhau  nnd  dergleichen. 
Deshalb  wird  man  es  gewiss  nicht  ganz  unbegreiÜich  finden, 
dass  junL-^e  heute,  die  schon  eine  gewisse  Bildung  erreicht  haben, 
wie  diejenigen  in  den  Priesterserainaren.  sehr  leicht  nachher  eine 
andere,  bebairlichere  Carrierc  einschhigen ,  sich  also  nic})t  immer 
dazu  entsrhliessen ,  eine  Ijaun)ahn  zu  wählen,  die  wie  diejenige 
dos  Pfarrers  so  mühe-  und  dornenvoll  Ist.  Die  Folgen  dieser 
Verwahrlosung  der  niederen  Geistlichkeit  haben  sich  leider  bald 
genug  gezeigt.  Der  Mangel  an  umfassenderer  Bildung  bei  den 
niederen  Geistlichen  war  früher  nicht  so  sehr  fühlbar,  denn  sie 
vennochten  auch  mit  ihren  geringen  Kenntnissen,  die  sich  meistens 
auf  die  biblisehe  Geschichte,  den  Katechismus  und  das  Einstndiren 
der  goitesdienstlichen  Handlungen  beschränkten,  bestärkt  durch 
den  Glauben,  die  ungeheucbclto  Frömmigkeit  und  einen  als  Vor- 
bild dienenden  heiligen  Lebenswandel ,  wodurch  sie  sich  fast 
immer  auszeichneten,  den  Ansprüchen  ihrer  Gemeinden  nachzu- 
kommen. Ganz  anders  ist  es  aber  jetzt,  seitdem  neue,  vorher 
ganz  ungeahnte  Gefahren  ihre  Herde  zu  bedrohen  angefangen 
haben.  Bei  uns  hat  man  vielleicht  zu  früh  mit  der  pcditischen 
Freiheit  auch  eine  unlieschränkte  geistige  Freiheit  eingeführt,  unter 
deren  Schutz  jeder  lehren  und  schreiben  kann,  was  er  will. 
Viele  junge  Leute  aber,  die,  ohne  vorher  in  ihrem  Glanben  be- 
festigt genug  zu  sein .  nach  dem  Abendland  kamen  und  hier  in 
nähere  Bekanntschaft  mit  antikirchlichen  und  überhaupt  anti- 
christlichen und  irreligiöscTi  Lehren  nnd  Principien  eintraten, 
haben  dieselben  nach  ihrer  Heimkehr  auch  unter  ihrem  Volke 
zu  verbreiten  gewusst.  (iegenid)er  solchen  Lehren  nnd  Prin- 
cipien mussteu  uusero  niederen  Geistlichen,  die  grade  in  unmittel- 
barer Berührung  mit  dem  V(dkc  stehen,  gänzlich  machtlos  bleiben, 
da  ihre  bisherige  Bildung  nicht  im  Kntfcnitesten  zur  Bek;imi>fnng 
uud  Widerlegung  derselben  ausreichen  konnte;  und  daher  haben 


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ZUR  KISCHUCBBH  STATISTIK. 


479 


diese  Gmndsifate  eine  so  weite  Yerbreitong  gewonnen ,  dass  sie 
für  unsere  Kirche  von  sehr  bedenkliehen  Folgen  sein  wird,  wenn 
diese  nicht  bald  genug  Sorge  dafltar  trSgt»  die  Lage  ihrer  niederen 
Geistlichkeit  ra  Terbessem,  und  wenn  sie  sie  nicht  in  den  Stand 
setit^  nachdem  sie  isich  eine  Yollstfindigere^  der  jetsigen  Zdt  ent- 
sprechende Bildung  angeeignet^  das  Volk  in  seinem  Glanben  auf 
wahren  christiichen  Grundlagen  m  belehren  und  g^n  jene  An- 
griffe zu  schlltwn. 

Viel  glücklicher  war  die  griechische  Kirche  mit  ihren  Ter- 
suchen  zur  Wiederbelebung  der  theologischen  Wissenschaften  in 
ihrem  eigenen  Schosse.  Vortrefflich  war  der  Gedanke,  begabte 
junge  Mianer  au  ihrer  wissenschaftlidien  Unterweisung  nach  dem 
erangelischen  Deutschland  zu  schicken.  Kicht  allein  die  Supre- 
matie, welche  dieses  Land  heutcutage  unstreitig  auf  dem  Gebiete 
der  Wissenschaft  behauptet,  hat  sie  dazu  bewogen.  Sie  hat  einen 
und  denselben  Feind  mit  ihm  zu  bdüimpfen,  Born,  welches  noch 
nicht  aufgehört,  seine  AngriffiB  sowohl  gegen  die  griechische  als 
auch  gegen  die  CTangelische  Kinthe  Deutschlands  Ton  Zeit  zu 
Zeit  SU  erneuern;  und  ausserdem  wusste  sie  ganz  wohl,  dass  sie 
▼on  evangelischer  Seite  grade  in  Deutschland  gar  nichts  zu  fSrehten  ' 
hatte,  da  man  sich  hier  einzig  und  allein  mit  seinen  eigenen  An- 
gelegenheiten beschäftigt,  und  dass  die  Studien  auf  wissenschaft- 
lichem Gebiete,  obwohl  von  yerschiedenen  Principien  ausgehend, 
nichts  desto  weniger  immer  der  Wahrheit  allein  dienen  wollen, 
ohne  Nebenabsichten  dabei  zu  verfolgen.  Daher  hat  bis 
Jetzt  schon  eine  grössere  Anzahl  von  joiigcn  Theolügen  in  Deutsch- 
land ihre  Ausbildaug  gesucht,  von  welchen  zur  Zeit  nicht  wenige 
biadiMliche  Stflhle  und  fhet  alle  Professuren  der  theologischen 
Faeult&t  an  der  Atiienischen  üniversit&t»  der  Bizarisschen  Schule 
und  der  beiden  theologischen  Seminare  in  der  Tflricei  besetzt  sind, 
oder  die  sonst  als  höhere  Geistliche  (Beisepiediger,  Secretftre  bei 
den  verBchiedenen  Synoden  u.  s.  w.)  wirken.  Die  segensreiehen 
Folgen  dieser  genaueren  Bekanntschaft  der  griechischen  Kurcbe  mit 
dem  evangelischen  Deutschland  haben  sich  schon  frOhzdtig  ge- 
zeigt. Alle  die  Jungen  Theologen,  die  in  Deutsehland  ausgebildet 
wurden,  haben  rieh  mdh  Ihrer  Hehnkehr  bemtiht»  nicht  allein  die 
deutsehe  Wissenschaft  zu  pflegen,  sondern  auch  aus  dem  Leben 
der  deutschen  evangeliBchen  Kirche  nfltdiehe  und  mit  dem  Geist 
und  eigentümlichen  Charakter  der  griechischen  Kurehe  vereinbare 
Einrichtungen  dorthin  zu  Yerpflanzen.  —  Hier  mOchten  wir  noch 
als  einen  Beleg  f&r  das  Gesagte  die  Publicationen  auf  dem  Gebiete 
unserer  Theologie  in  den  letzten  Decennien  mit  einigen  Worten  er- 
wähnen, die  fast  alle  der  Geist  der  deutschen  evangelischen  Wissen* 
Schaft  beselt.  In  erster  Beihe  gehören  hierher  die  Werke  des  älte- 
sten Professors  der  Theologie  an  der  Athenischen  Universität  und 


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480 


langjSlirigVIi  Bedafitenrs  der  gediegenen  ÜMologiechen  Zeitschrift 
«Der  erngvliache  Predigtr*'  (Evvyyflaic  »9^),  Dr.  th.  et  ph. 
Komstantinus  Kontogoties,  unter  denen  sich  besonders  dar 
Grundm  dar  hebräischen  Archäologie,  der  Leit£idMi  der  Ein- 
leitung in  das  Alte  und  Neue  Testament,'  seine  sweibändtge 
Patrologie  und  andlicii  das  Handbuch  der  Kirchengeeohiohte,  yon 
Widchem  aber  bis  jetst  nur  der  erste  Band  erschienen  ist,  dunsk 
eine  milde  Auffassung,  durch  Reinheit  und  Klaciieit  das  Ans- 
dmckea  und  durch  eine  pjrfignante  stilvolle  Darstellung  ans/oichnen. 
In  zweiter  Keihe  kommen  in  Betracht  die  Arbeiten  des  leider  der 
Wissenschaft  durch  den  Tod  zu  früh  entriieenen  Professors  der 
Theologie  und  Uofpfarreia  der  Königin  von  Qriechenland  Dr.  th. 
Panagiotes  Pempotes;  es  sind  dies  seine  Lehrbücher  der 
biblischen  Geschichte  des  Alten  und  Neuen  Testamentes,  der 
Dogmatik»  der  £thik  und  der  Litnr<,nk,  in  denen  aUen  man  tiefe 
Auffassung  des  (jh)genstaiules  mit  tretHicber  Anordnung  des  Stoffes 
vereinigt  findet,  obwohl  die  OarsteUungsweise  neeh  fiinigae  an 
Klarheit  ond  Deatliebkeit  zu  wünschen  übrig  lässt.  Ans  der 
aUemeiieeten  Literatur  mo«  hten  wir  liesonder»  die  Weiite  von  mei 
Jungen  sehr  begabten  theologischon  Lehrern  an  der  Universität 
ta  Athen  hervorheben,  die  Einleitung  in  das  Neue  Testament 
von  Dr.  Nikolaus  Daniala,  eine  sehr  umfangreiche  bahn- 
brechende Ar})oit  für  die  Isagogik  und  Kritik  der  neutestament- 
liehen  Schriften  in  der  griechischen  Kirche,  und  den  Grondriee 
der  Kirchengeschichte  von  Dr.  Anastasius  B.  Kjriakoe, 
ein  in  klarem  fliesscndem  Stile  geschriebenes,  wenn  auch  leider 
zu  kurz  gefasstes  Werk;  übrigene  etfitzen  Hieb  beide  Werke  nnf 
die  jüngsten  Ergebnisse  der  wissenschaftlichen  Forschungen  im 
eTungelischen  Deutschland.  Ueber  ein  kirchenrechtliohes  Werk: 
n  Tov  KayoytuQV  JiKoiov  rrjg  *  Og^oäb'iov  jirajuX,  ^ExxXfjlfSmQ 
TU  77^(u  UfKKmtff  '£{ova/c«c"  von  Dr.  Job.  Papalukas 
Eutaxias,  den  ersten  Yersnch  einer  wissenschaftlichen  Be- 
handlung des  allerwioktigeten  Teile«  dee  kanonischen  Rechts  dmr 
griechischen  Kirche,  mfissen  wir  uns  ans  naheliegenden  Gründen 
Jedee  Urteiles  enthalten.  Vollends  flberdfiaeig  wKre  es,  noch  ein 
eignea  Urteil  zu  äussern  über  die  auch  in  Deutschland  viel 
beqifoebene  und  als  in  jeder  Hinsicht  TorzQglich  anerkannte 
Herausgabe  der  clementin  Ischen  Brietz  vom  jetmgen  Ketr^liten 
von  Serres  Dr.  Philotheus  Bryennius.  Genug,  mag  gleieb 
im  ganzen  unsere  theologische  Literatur  gegen  die  dee  Abend«- 
laudes  noch  sehr  zurflckstehen,  so  dflrften  doch  so  manche  Werke 
derselben  als  erste  verheiaBongaTolIe  YerBuclie  eehr  hea^tenawert 
erscheinen. 

Druck  TOD  Friedr.  Andr.  reiihes  in  Gotba. 


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Das  ursprüogUcbe  BasUidiaDiscIie  System« 

Vott 

Dr.  J.  L.  JacobL 


Das  System  des  BssUides  wird  bekanntlich  in  zwei  sehr 
verschiedenen  Gestalten  flberliefert.   Die  Frage,  welche  Y<m 

beideu  die  ursprüngliche  sei,  lat  lucliL  unwiclitit^,  weil  8ie  die 
Entwicklungsgeschichte  der  Gnosis  überhaupt  berührt.  Auch 
für  die  Kritik  des  vierten  £?angeliums  ist  die  Beantwortung 
wegen  des  Zeugnisses,  was  dem  Basilides  zagescfarieben  wiid, 
nicht  ohne  Wert  Ich  halte  die  Abfassung  des  Evangeliimis 
durch  den  Apostel  Johannes  für  sicher,  weil  mir  die  damit 
verbundenen  Schwierigkeiten  viel  geringer  zu  sein  scheinen, 
als  diejenigen,  welche  die  Annahme  eines  nichtapostolischen 
'ünpmngs  begleiten.  Ein  ftnsseres  Zeugnis  mehr  oder  weniger, 
selbst  wenn  es  der  ersten  Hftlfte  des  zweiten  Jahrhunderts 
angehört,  hat  für  mich  keine  entscheidende  Bedeutung;  aber 
es  ist  darum  von  Wichtigkeit,  weil  es  in  dem  Grade,  als  es 
zur  Anerkennung  gebiacht  werden  kann,  die  Untersuchung 
dui:ch  Beseitigung  einer  Anzahl  von  Hypothesen  verein&cht. 

Die  Bekanntmachung  des  grossen  polemischen  Werkes, 
jetzt  gewöhülich  Philosophumeiia  oder  ^E).(y/og  xuru  namov 
aiQ^amv  genannt ,  welches  mit  immer  wachsender  Ueberein- 
stimmung  dem  Hippolytns  zugeschrieben  wird,  durch  Miller 
im  Jahre  1851  hat  den  Untersuchungen  Aber  die  Gnosis 
einen  neuen  Impuls  gegeben,  und  keinem  Gnostiker  ist  seit- 
dem ein  so  eifriges  Studium  zugewendet  als  dem  Basilides. 
Die  von  mir  auf  Grund  des  Hippolytus  gegebene  Dar- 

WMkt,  t  K.-0.  82 


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482 


JAOOBI« 


Btellaog  ^)  ist  von  Uhlboni^,  Oimdert  ^  Baar^),  Hilgenfeld 
Möller^  berichtigt  nnd  erweitert  werden.  Herr  D.  UhDunrn 
hat  dareh  den  Hinweis  anf  den  Einflnss  des  Stoicismns  einen 

'  Gesichtspunkt  von  weitgreifender  Wichtigkeit  lür  das  System 
eröfihet,  wiederum  aber,  wie  ich  glaube,  durch  zu  consequente 
Anwendung  desselben  in  mehreren  Punkten  die  Ideen  des  fia- 
silides  nicht  in  das  richtige  Licht  gesetzt.  Die  Darstelluttg 
des  Herrn  Gundert  leidet  alles  Scharfsinnes  und  aller  Gründ- 
lichk*»it  ungeachtet  an  dem  Fehler,  dass  er  auch  in  der  von 
Hippolytus  gegebenen  Entwicklung  überall  schroft'  dualistische 
Prindpien  wirksam  findet.  Mit  Ausnahme  des  Herrn  D.  Hil- 
genfeld haben  die  Obengenannten  bei  Hippolytns  die  echte 
Form  der  Hasilidischcn  Lehre  zu  linden  geglaubt.  Von  deisolbeu 
Ansicht  geht  Herr  D.  Hase  aus,  ebenso  die  Herren  D.  Kurtz, 
D.  Weizsäcker  in  seinen  Untersuchungen  über  die  evange- 
fische  Ctoschichte,  D.  Hofstede  de  Greot  in  seiner  Sduift 
Uber  BasiHdes,  Niedner  in  seinem  Lehrboeh  der  Eireh«»* 
geschichte,  D.  Godet  in  seinem  Commentar  zum  Evanireliiiiii 
Johannis.  Dagegen  erklären  die  Hfiren  D.  Hil^^onfeld, 
B.  Volkmar  7),  D.  Lipsius,  auerieke,  D.  F.  Nitaecb  sieh  Inr 
die  Priorität  der  fiüher  bekannten  Darstellung,  bei  welaher 
fifuch  D.  Ebfftrd  und  D.  Herzog  in  ihren  Kiiekengesdiiehten, 
ThoinasiiLs  in  seiner  Dogiiieni^eschichte  und  D.  Luthardt  in 
seinem  Commentar  zum  Evangelium  Johannis  stehen  bleiben. 
Diese  Gestalt  des  SysteoMs  wird  ans  einer  Gruppe  ?on  Sdoilii» 
steilem  abgeleitet,  welche  ▼oraehmNoh  durch  irenias  (I,  94) 
bezeichnet  ist.    Dazu  gehört  ferner  der  Anhang  zu  Ter- 


Ba'<ili<1i8  phil()so]i}ii  gnostici  scntentias  ex  Hi^poJ^  libro  fcuni 
naatüi-  al^tatmy  nuj)er  reperto  illustr.    Bcroi.  Ldö2. 
Das  .Syst.'ui  des  Basilides.  1855. 

3)  Zeitschrift  für  lutherische  Theologie  und  Kirche  von  Kadel* 
bach  und  On  er  icke  1H55.  56. 

•*)  Das  Ohrifitentum  nnd  die  christliche  Kirclie  der  drei  ersten 
jAbjrhuiuiert^?  1853.  nnd  Theol.  Jahrbücher  von  Baur  and  Zell  er  185(1. 

f*)  Thoolüg.  Jahrb.  von  Baal  und  ZeUer  1856;  Zeitsohr.  für 
•wwsensch.  Theol.  Ib62,  S.  4. 

f')  Gesch.  der  Kosmologie  1860,  S.  344  f. 

7)  Hipp<dgrtafl  und  die  lÖBUsdien  Zeitgenoaseo,  1866. 


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DAS  UHSrKÜNüUCUE  BASlLIDIANlöCUE  SYSTEM.  483 


tuUiaiis  Präscriptionen,  welcher,  wie  Volkmar  und  Lipsius 
nachgewiesen  haben,  die  lateinische  üeberarbeitung  einer  ver* 
loraiMD  kürzeren  Streitschrift  des  Hippolytus  ist.  Ausserdem 
kommt  E^phanius  (H.  21)  Theodore!  (Fab.  h.  I,  4)  und  in 
QBtergeerdiieter  Weise  Philasi^  (H.  82)  in  Betraehti).  Mit 
diesen  Zeugnissen  werden  die  Fragmente  aus  den  Schriften 
des  Ba^ilides  und  seines  Sohnes  Isidorus,  welche  Clemens  von 
Aiexandria  in  den  2T^oft$eT%i^,  Origenes  und  die  Disputatien 
des  Aichdans  von  Kaskar  mit  Manes  (c.  65)  mitteilen ,  in 
Zusammenhang  gebvaebt.  Aber  das  ist  eben  die  Frage,  ob 
diese  Fragnu  nte  mit  grösserem  Recht  zu  der  Gruppe  des 
Irenaus  oder  zu  dem  Beriokt  im  '£kiyx9<  Hippolytus  zu 
beziehen  sind. 

Das  System,  welches  man  ans  der  Yereinigfnng  der  Fra^ 

mente  mit  jener  Gruppe  herstelltf,  hat  Dualismus  und  Ema- 
nation zu  seinen  Grundzügen.  Den  Dualismus  fasste  man 
auf  als  dureb  die  parsischen  Einflüsse  bestimmt,  die  Materie 
daher  als  etwas  Positives,  Tftti^es;  der  Gegensatz  waid  also  in 
grosser  Herbigkeit  gedacht  IMe  einzige  namhafte  Ansnahme 
bildete  Gieseler  2),  welcher  den  Gegensatz  durch  die  Be- 
sUmmuDg  der  Materie  nach  platonischer  Analogie  milderte. 
Wenn  nnn  aber  die  Fragmente  des  Giemens  und  der  Dispu- 
tatio  vorlftniig  ansser  Anwendoag  an  hissen  sind,  weil  aidi 
yen  denen,  welche  anf  der  Seite  des  Hippolytus  stehen,  An«- 
sprfiche  auf  sie  gemacht  werden,  so  verliert  die  Annahme 
eines  principiellen  und  schroffen  Dualismus  einigermassen  an 
^herheit.  Dennoch  halte  aneh  ich  es  fitar  das  Wahrscheinr 
lidie,  dass  ein  solcher  in  der  Darstellnng  des  Irenftus  nnd 
seiner  Genossen  als  Ausgangspunkt  vorauszusetzen  ist.  Die 
Zusammenstellung  mit  SaLurnin,  die  herbe  Charakteristik  des 
Arcbon,  von  welchem  man  auf  eine  Materie  von  noch  wil^ 
denm  Gegeasate  sc^iliesssn  mtehte,  Tomehmlich  aber  der 


1)  üeber  das  Yerhiltnis  dieser  Zeugen  sn  einander  und  in  dem 
genannten  verloienen  Werk  e.  Lipsius,  Zur  Quellenkritik  des  Epi- 
phsnhis,  8.  98. 

s)  Haa  AUgen.  Lii-Z^i.  1828,  8.  IM.  SMIco  und 

Kntüeen,  1880,  S.  373  iL 

32* 


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484 


JAOOBI, 


DoketismiiB  der  Peraoa  Christi,  dies  alles  sebeint  darauf  si 
f&hien.   Ebenso  der  Begriff  der  pil^n  rtiv  mmv  and  des  Basen 

als  Ivvnoaxuiov,  wovon  Epiphanius  redet,  gehört  zwar  jeder 
Art  von  Dualismas,  ist  aber  hauptsächlich  geläutig  iu  diesem 
Kreis.  Allerdings  fehlt  dieser  Ausdruck  in  den  anderen  Dar- 
stellnngen  derselben  Omppe,  nnd  Epiphanias  scheint,  indem 
er  ihn  yorbringt,  den  Faden  zu  yerlassen,  der  ihn  vor-  and 
nachher  leitet;  indes,  wenn  er  ihn  auch  wirklich  aus  einer 
anderen,  nicht  bezeichneten  Quelle  geschöpft  hätte,  so  würde 
er  doch  meinen,  etwas  den  Ideen  des  Basilides  Entsprechendes 
hinzazoftgen.  Das  System,  welches  Hippolytas  in  der  Qnmd- 
Schrift  des  Paeudotertullianischen  Anhangs  zu  den  Präscrip- 
tionen vortrug,  stimmte  ohne  Zweifel  damit  überein.  Aber 
Qaellen,  weiche  ihm  bei  genauerer  Nachforschung  bekannt 
worden,  Teranlassten  ihn,  diese  Aoffossang  aa&Qgeben.  Die 
Gestalt  des  Systems,  welche  er  im  ^(yyoq  beschreibt,  ist  in 
der  Grundrichtung  viel  pantheistischer,  und  die  dualistische  Be- 
trachtung erscheint  nur  in  vereinzelten,  sehr  gedämpften  Ein- 
wirkungen. Statt  der  emanatisti^chon  Form  der  Entwioklong 
entfilltet  sich  die  Vielheit  der  Wesen  im  Ao&teigen  von 
anten  nach  oben.  Wie  in  allem  diesem  ein  mehr  hellenischer 
Geist  herrscht,  so  zeigt  er  sich  auch  in  einer  grösseren  Nüch- 
ternheit, in  stärkerer  Abstraction  der  allgemeinen  Formen 
and  in  höherer  Schätzung  des  Realen  und  Geschichtlichen. 
Soweit  die  Frage  nach  der  Prioritftt  der  einen  oder  anderen 
Form,  welche  wir  der  Efirze  halber  als  tie  des  Irenäos  oder 
des  Hippolytus  bezeichnen  wollen,  eingehender  behandelt  wor- 
den ist,  hat  man  teils  in  dem  Nachweis  der  inneren  Ab- 
hängigkeit der  Qaellen  ?on  einander,  teils  in  der  Yeigleichimg 
des  Gehaltes  beider  Systeme  die  Entscheidnng  geaocht.  Das 
erste  ist  zu  Gunsten  der  Form  des  Irenäiis  Tor  allen  von 
D.  Lipsius  geschehen.  In  seiner  höchst  scharfsinnigen  Ana- 
lyse der  Quellen  hat  er  die  Häresien  des  ersten  Buches  des 
benäas  and  Pseudotertallian  ^)  zam  grossen  Teil  an  das  rar- 


1)  Von  der  älteieii  Streitschrift  des  Hippol^-tos,  welche  diesem 
XetzereienTerzeichniB  ZQgnuide  liegt ,  sagt  P  h  o  t  i  u  s  cod.  IV :  javxag 
(d.  i.  mV  ole'atK)     fpfiuf  (nftmlieh  Happolytos)  iHyxoif  ^«^Af^^^H 


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DAS  URäFRÜNGLICHE  BAÖILlDIAlilSCUE  SYSTEM.  485 

lorene  polemische  Werk  Justins  des  Märtyrers  angeknüpft. 
Wenn  diese  Grundlage  feststände  und  es  ferner  gt;sichert  wäre, 
dasä  Irenäus  auch,  bei  Darstellung  des  Basilidischeu  Systems 
sich  keiner  anderen  Grundsehnft  bedient  hätte,  so  würde 
damit  der  Streit  Aber  die  Priorität  entschieden  sein.  Denn 
Justin  war  ein  Zeitgenosse  des  Basilides  nnd  hatte  bereits 
^egen  ihn  sfeschrieben,  als  er  seine  erste  Apologie  verfasste, 
was  nach  der  spätesten,  wahrscheinlich  zu  späten  Datirung 
nm  147  geschehen  ist  Wenn  er  nun  das  System  des  Basi- 
lides wesentlich  gleichförmig  mit  Irenäns  gezeichnet  hätte, 
so  konnte  man  nicht  umhin,  welche  Schwierigkeiten  auch 
sonst  entgegenständen,  die  Beschreibung  des  Hippolytus  für 


ofiikovviof  Eioiit^atov.  Mir  seheint  dies  scblechterdings  nnr  von  münd- 
lichen Vurt rügen  des  IrcnäQS  verstanden  werden  zu  können.  Die  Deutung, 
welche  Herr  Professor  Harnack  giebt  (Zeitschr.  för  hiat.  Theol.  1874, 
8,  176):  „Die  Ketzereien  seien  der  Widerlegung  unterzogen,  indem  Ire- 
Bäus  sich  mit  ihnen  befasste'S  ist  n  kfinstlich.  Wie  sollten  HippolytoB 
imd  Photius  dazu  kommen,  .es  unbestimmt  zu  lassen,  ob  Irenaus  mflnd- 
licbe  oder  sohriftliehe  Widerlegangen  gegeben  habe ,  da  man  in  solchem 
Falle  erwarten  müsste,  dass  sowohl  schriftliche  als  auch  mftndliche  be- 
zeichnet wflrden.  Wenn  Photius  zuvor  den  Hippolytos  einen  Sehtiler  des 
Iienftns  nennt»  soll  das  sicher  mit  dem  HSren  seiner  Vorträge  motivhrt 
werden.  Ich  kann  als  einzig  haltbare  Anffassnng  daher  nur  verstehen: 
lindem  Irenäns  Yortrige  hielt".  Hamaek  würde  selbst  dem  nkhl  ab- 
genagt sein ,  wenn  der  Sprachgebranch  fikr  die  ersten  Jabrhnnderte  er* 
weislich  wäre.  Annähernd  wenigstens  ISsst  er  sich  erweisen.  Der  Can.  1 
des  Conc  Aikcynxk,  a.  31i  verbietet  gewissen  Plresbytem  nQOf^^uv, 
n  4fuXtiy,  $  ltX»(  Utrovgyfiif  ri  etc.  I)er  Aosdmck  erscheint  hier  schon 
teehniseh  nnd  in  einem  Gesetze,  er  mna«  also  lange  ha  Qebranch  nnd 
allgemein  im  dortigen  Umkreise  verstindlich  gewesen  sein.  Das  Sah* 
stantlY  ifiiUtt  als  Streitiuredigt  legt  den  gleichen  Gebranch  des  Zeit- 
worts nahe,  namentlich  in  Wendungen  wie  Clement  Homil.  1,  20  raV 
xa&'  ixamoy  ivumSy  4/MXt«s  tt  tttä  nffal^itf.  Das  Bedenken  Hamacks 
gegen  eine  tfvvo^c  des  Hippolytus ,  die  sich  nicht  auf  schriftliche  Dar- 
legung znracld»esiebe,  hebt  sich  leicbt,  weil  er  die  Vorträge  natürlich 
nachgeschrieben  vor  sich  hat.  Auch  das  iUyx^i  passt,  da  Hippidlytns 
ebenso  von  sich  in  semem  grösseren  Werke  I,  1  sagt,  er  habe  in  dem 
frflberen  eine  Widerlegung  gegeben  (iUy^artt^),  Ist  nun  diese  Auf« 
fassung  richtig,  so  wird  man  auch  nicht  umhin  können  zuzugeben,  dass 
das  ilteie  kikzere  Werk  des  Hippolytus  hauptsächlicb  auf  Vorträgen  des 
Irenäoa  beruhte. 


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486 


JAOOBI, 


eine  sp&tere  Eatwlcklungdform  zu  erkläreu.  Freilich  rnüflste, 
um  dag  gsgeowirtig  Von  Jostm  zu  behaupten,  je&e  anden 
Yonuisseiaiuig  hinziÄoiiimdii,  daas  Irenäns  und  PseodotartaUiaa 

Beine  Auseinaudei Setzung  wesentlich  treu  wiedergeo^eben  haben. 
Und  dies  wird  sich  uicht  wahi-scheinlioh  machen  lasseo. 
D.  Lipsios  selbst  aber  hat  mit  einer  Gewissenhaftigiciit, 
wekiie  ioh  gma  n  wflrdigen  waias,  aeiiie  aeheinbare  und 
glftaaand  durchgeführte  Hypothese  prei^eg€dieii  %  Allem  m 
wird  nun  auch  um  so  weniger  als  blosse  unkritische  Willküi 
getadelt  werden  dürfen ,  wenn  die  Frage  aufe  neue  auf- 
geworfen wird,  was  die  echte  Basilidische  Lehre  und  wo  sie 
sm  Sachen  sei.  Wenn  die  Schrift,  welche  Irenftna  vor  Aagfta 
hatte,  wie  Lipsins  es  jetzt  bestimmt,  am  170 — 75  und  ra 
einem  nicht  näher  zu  ermittelnden  Verfasser  geschrieben  ist, 
80  sind  wir  damit  in  eine  Zeit  herabgerückt,  in  welcher  die 
Umbildang  der  Partei  wahrscheinlich  schon  geschehen  war. 
Denn  Irenaus,  welcher  etwa  10,  nnd  Glemena,  welcher  etwa 
20  Jahre  später  schreibt,  lassen  fiber  die  Wandlung  keinen 
Zweifel,  und  wenigstens  von  Clemens,  welcher  seine  aufge- 
speicherten Kenntnisse  nur  beiläufig  auszustreuen  püegt,  wird 
man  nicht  glauben,  dass  er  erst  um  die  Zeit,  wo  er  von  den 
Baailidianern  berichtete,  genaue  Beobachtungen  fiber  de  ange- 
stellt habe.  —  Dass  lienaus"  Darstell  uü<;  Bestandteile  enthält, 
welche  unmöglich  dem  Basilides  selbst  gehören  können,  ist 
von  den  älteren  Forschern,  wie  Neander  und  Giedeler,  iu  ziem- 
lich grossem  Umfange  anejkannt  Seit  Benutzung  des  Hippo- 
lytus  ist  es  von  denen,  welche  IrenSus  bevorzugen,  zwar  nicht 
ganz  übersehen,  jedoch  keinesweges  hinlänglich  beachtet  wor- 
den. Die  Art,  wie  hier  dem  Erlöser  Doketismus  beigelegt 
wird,  als  die  Kunst,  sioh  unsichtbar  zu  machen  und  aich  zu 
verwandeln,  und  wie  er  nun  den  Simon  statt  seiner  unter- 
schiebt, ihn  kreuzigen  iSsst  und  die  Juden  verhöhnt,  hat  etwas 
so  Frivoles,  dass  mau  eine  solche  Erfindung  dem  Stifter  der 
Secte,  den  wir  in  den  Excerpten  seiner  Schriften  als  ein^ 


ij  Dk  Qu-llen  (kr  ältesten  Ketzergescb.  1875,  S.  178.  Die  Schrift 
Justins  Hchfint  fiühzeitic  veisoli wunden  zu  sein.  Eusebius  (Kit- 
4^eiigescliicbte  4,  Ii)  bat  sie  ufieubar  uicht  xuebr  gesehen. 


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DAS  UBSPKÜNGLICHE  BA&ILdDIANIäCUE  SlfST£M.  48% 

«rnsten  und  strengen  Charakter  kennen  lerueii,  auf  keine  Weis» 
zuschreiben  kann,  sondern  sie  vielmehr  für  die  Verkehrung 
eines  ursprünglichen  tieferen  Gedankens  halten  musa.  Dieselbe 
Vorsteiiniig  hatte  aber  f&r  diese  Klasse  von  Gnostiton  «Ina» 
weiteren  Wert  nnd  Znsammiiban^.  Denn  sie  selbst  Mpftoa 
gerade  hieran  iliren  VorzAiir  als  Pneuraatiker  und  Erlöste,  die 
nach  ihrer  inneren  Hoheit  für  die  Menschen  von  uugeistiger 
«Beschaffenheit  verborgen  seien,  denen  selbst  aber  alles  oSeDbar 
sei.  Man  darf  annehmen,  dass,  wie  die  theoretisdie  Qiiens, 
so  auch  die  iNraktiedie,  die  Magie,  kiemit  in  genetiscbem  Zu- 
sammenhange stand.  Inileui  die  HeiTschaft  des  Geistes  üher 
das  Sinnliche  in  eine  Gleichgültigkeit  des  freien  Geistes  gegen 
die  simüicbe  Foim  nmgedentet  wird,  begrftndet  dieselbe  Vor^ 
slelkmg  Ton  Christo  ihren  IndiflGsrentisaras  binsiehtUch  des 
Martyriiims.  Die  leichtfertige  Verachtun;^  desselben  steht  in 
entschiedenem  Widerspruche  mit  den  bestimmtesten  Aensse- 
TUDgen  des  Ba^ilides,  welclier  das  Martyrium  nach  Clemens' 
Zeugnis  (Str.  IV,  p.  506  Sylb.  Colon.)  als  ein  yoii  Gott  go- 
wiites  Mittel  zur  SoH^keit  beianditete.  Aber  Irenftns  »d 
vemiutlich  sein  Gewährsmann  haben  es  mit  verscbuldet ,  dasä 
die  iü  eine  Theorie  gebrachte  feige  Selbstsucht  der  späteren 
von  der  ganzen  Gruppe  der  Berichtei-statter  am*  abschrecken- 
den Charakteristik  des  Stifters  der  Partei  verwendet  wurde. 
Das  nnsittliobe  Leben,  welches  ihr  nachgesagt  wird,  war  mr 
ein  weiterer  Ausdruck  der  Einheit  von  Gesinnung  und  Grund- 
anscbauung.  Hier  finden  wir  die  ausdrückliche  Bestätigung 
des  Cäemens  (Str.  III,  p.  437),  welcher  die  unsittlichen  Basi- 
lidianer  seiner  Zeit,  die  ihr  toterhafteB  Leben  mit  den  fi»> 
griffen  Ton  Freiheit,  Vollkommenheit  und  Erwäblnng  recht- 
fertigten, vom  Basilides  und  Isi  lor  unterscheidet,  welche  keinen 
Anstoss  nach  dieser  Seite  hin  gegeben  haben. 

Wenn  man  mm  beachtet,  dass  Ireo&us  von  anderoii 
Dogmen,  welobe  an  der  Stelle  dieser  geiwiss  nicht  ursprfing^ 
liehen  gestanden  haben,  gar  nichts  weiss,  und  dass  er  nirgends 
eine  Fuge  bemerklich  macht,  wodurch  er  die  Benutzung  von 
zweierlei  Berichten  andeutet,  so  wird  es  um  so  weniger  m 
leognmi  sein,  dass  wir  in  seiner  fiesohreibmig  den  in  eÜMor 
gewiflsen  Klasse  von  spftter«i  Basilidianem  gangbaren  Oe» 


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488 


JAOOBI, 


dankennifluiiiDeiiliaiig  m  eikouieD  haben.  Der  Beridit  als 
Ganzes  kann  also  niebt  das  sein,  wofttr  Irenftos  und  seine  Ge- 
nossen ihn  ansehen,  Lehre  des  Ba^ilides,  und  es  kommt  viel- 
mehr darauf  au  auszusondern,  was  etwa  an  ursprünglichen 
Elementen  darin  ist,  worüber  sieli  weder  nach  ihm  selber« 
Boeh  flberbanpt  nach  Lrenfins  enteoheiden  Itet.  Denn  diem 
hat  gar  kein  Interesse  an  einer  grundlicheren  Forsch unj::  über 
Basilides,  wie  daraus  erhellt,  dass  er  den  L^idorus  mit  keinem 
Worte  erwähnt 

Mithin,  wenn  es  sich  um  den  Wert  des  Iren&os  nnd 
seiner  Grandschrift  im  Vergleich  zn  Hippolytns  und  seiner 
Quelle  bandelt,  so  steht  die  Sache  vorläufig  so,  dass  Hippo- 
Ijtus  einer  Quellenschrift  folgt,  welche  vielleicht  nicht  die 
ursprünglichen  Ideen  giebt,  Iren&ns  aber  sicher  nur  das  ab-^ 
geschöpft  hat,  was  eine  sp&tere  Genemtion  der  BMiKi^innftr 
darbot. 

D.  Hilgeiifeld  hat  den  Beweis  für  die  Ürsprüngiichkeit 
desjenigen  Sydtemes,  welches  aus  der  Gruppe  des  Irenaus  ab- 
zuleiten ist,  Yomehmlich  ans  dem  strengeren  Zusammenhange 
seiner  Ideen,  welche  mit  den  Fragmenten  ans  anderen  Quellen 
combinirt  werden,  zu  fBhren  gesucht.  Es  ist  ihm  oliue  Zweifel 
gelungen,  das  dualistische  System  gegenüber  dem  des  Hippo- 
lyttts  hier  und  da  in  den  Vorteil  grösserer  Folgerichtigkeit  ni 
setzen.  Indem  er  das  letztere  zu  den  Consequenzen  de» 
ersteren  bintreibt,  glaubt  er  jenes  als  das  abgeleitete  er- 
wiesen zu  haben.  Allein  ich  venuag  nicht  mit  dem  Er- 
gebnis übereinzustimmen.  Der  allgemeine  Gesichtspunkt,  dass 
logische  und  systematische  Consequenz  fQr  die  PrioritAt  en^ 
scheide,  darf  nicht  in  ToUer  Strenge  auf  eklektische  und  ia 
phantastischen  Formen  schwankende  Gebilde,  wie  die  gnosti- 
schen  Systeme,  angewendet  werden.  Den  augenscheinlichen 
Beweis  für  das  Unzulängliche  dieser  Argumentation  lieferte 
Baur,  indem  er  im  Gegensatz  zu  D.  Hilgenfeld  das  Sjpstem 
auf  Grundlage  dee  Hippolytns  anfbaute  und  es  an  originellem 
und  strengem  Zusammenhange  dem  anderen  System  eben- 
bürtig zu  zeigen  suchte.  Und  so  viel  scheint  mir  richtig", 
dass  der  Zusammenhang  bei  Irenäus  mindestens  ebenso  lose 
md  Iflckenhaft  ist  als  bei  Hippolytns.    Die  unverkennbaren 


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DAS  URSPBONGLICHE  BASiLIDIANISCHE  SYSTEM.  4S9 

Sporen  einer  vom  Meister  abgewichenen  Schfilersebaft  bei 

Irenaus  sind  von  D.  Hilgenfeld  ferner  nicht  so  gewürdigt, 
dass  sie  irgend  ins  Gewicht  fielen,  und  die  Combination  zwi- 
schen Irenäus  und  den  Fragmenten  aus  Clemens  und  anderen 
ist  zwar  zuweilen  glftcklich,  zuweilen  möglich,  in  mehreren 
Fällen  aber  durchaus  unhaltbar.  Nimmt  man  diejenigen  Zu- 
taten dieses  Ursprungs  hinweg,  'welche  sieh  ebenso  gut  und 
welche  sich  besser  mit  dem  System  des  Hippolytus  in  Har- 
monie setzen  lassen,  so  bleibt  ein  Werk  von  so  verstdmmelter 
Beschaffenheit  flbrig,  dass  man  darin  nur  Trflmmer,  aber  kein 
Ganzes  zu  erkennen  vermag. 

An  und  für  sich  ist  es  ebenso  wohl  denkbar,  dass  das 
ursprünglich  pantheistiach  geartete  System  in  ein  vorherrschend 
dualistisches  überging,  als  umgekehrt»  Die  eine  Seite  der 
Yalentinianer  hat  die  doketische  Betrachtung  weiter  ausge- 
bildet, was  eine  Steigerung  des  Dualismus  eiiischliesst,  wie- 
derum einige  Parteien  der  Marciouiten ,  worauf  schon 
Dr.  Ouericke  zum  Vergleiche  hinweist,  haben  den  ursprüng- 
lichen Dualismus  gemildert.  Um  zu  einer  möglichst  sicheren 
Entscheidung  zu  gelangen,  werden  wir  den  schmaleren,  aber 
graderen  Weg  beschreiten,  diejenigen  Stücke,  welche  zuver- 
lässig Basilides'  Ideen  enthalten,  auszuwählen  und  sie  nach 
ihrer  Verwandtschaft  mit  der  Gruppe  des  Irenftus  oder  mit 
Hippolytus  zu  prflfen. 

Die  geringen  Notizen,  welche  Eusebius  aus  der  Gegen- 
schrift des  Agrippa  Castor  gegen  Basilides  herausnimmt, 
fördern  wenig.  Eine  derselben,  die  Anklage  wegen  Ver- 
achtung des  M&rtyrertums,  ist,  wie  wir  sahen,  entschieden 
falsch,  und  matk  möchte  daraus  schliessen,  dass  Eusebius  im 
Irrtum  ist,  wenn  er  Agrippa  zur  Zeit  des  Basilides  selber 
gegen  ihn  schreiben  lässt. 

Theodoret  giebt  möglicherweise  eine  Bestätigung  dieser 
Yermutung  (Fab.  h.  I,  4),  indem  er  die  Auseinandersetzung 
über  Basilides  und  Iddorus  und  ihren  Anhang  damit  schliesst, 
dass  Agrippa,  Irenaus,  Clemens  und  Origenes  gegen  sie  ge- 
schrieben haben.  Allein  ich  halte  diese  Bemerkung  für 
summarisch  und  wage  deshalb  nicht  Agrippa  unter  die  Be- 
kftmpfer  des  Isidor  zu  zählen.    Jedenfalls  lässt  sich  aus 


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490 


JACOBI, 


Eusebius*  dflrftigea  MitteihiB^  kein  Sobltiss  a«f  die  Be- 

scliaff^'iiheit  der  im  Buche  hekänipfU'ii  Leliirn.  und  füf  unseie 
Zwecke  nui"  ein  iintergeordueter  Nutzen  zielien. 

Dagegen  ist  Clemens   von  grossester  Wichtigkeit;  er 
kennt  die  Basilidinner  seiner  Zeit,  er  ist  aaeh  in  den  Sohrif- 
ten  des  Basilides  nnd  Isidoras  bewandert,  er  untersobmdel, 
was  den  Stiftern    und  den  Späteren  zukonimt,  mit  einer 
grösseren  Genauigkeit,  mit  mehr  wissenacliaftlicher  Kubo  und 
mehr  Gerechtigkdt,  als  sie  sich  in  der  gewöhnlichen  leiden- 
schaflliehen  Polemik  der  Kirchenvftter  findet.   Nicht  flberall 
freilich  erfordert  es  sein  Zweck,  besthmnt  zu  bezeichnen,  ob 
ein  Ausspruch  dem  Hasilides  oder  seiner  Schule  gehöre:  in 
solchen  Fällen  wird  also  für  unsere  Aufgabe  nur  mit  grosser 
Vorncht  davon  Qebiaoch  gemacht  werden  dQifan.  So  viel  ieh 
libersehe,  setzen  alle  Forscher  ein  fthnliehes  Yertranen  fai 
die  Angaben  des  Clemens,  und  es  wird  daher  keinen  erusteii 
Widerspruch  finden,  wenn  ihm  gewissermassen  der  Kicliter- 
spruch  in  dem  Streit  zwischen  Irenftus  und  Hippolyttts  an- 
heimgesteUt  ist.  In  der  Tat  würde  man  dies  anerkennen  odar 
die  Hoffhnng  aufgeben  mGsseo,  das  msprflingliobe  System  des 
Basilides  zu  ermitteln.  Die  einschlagenden  Stellen  des  Clemens 
sind  von  D.  Hilgenfeld,  D.  Uhlhorn  u.  A.  bereits  gründlich 
und  lehrreich  erörtert  worden,  jedoch  mehr  unter  dem  €to- 
sichtspnnkt  der  Constmction  des  Systemes  als  vnter  dem 
kritischen.    Meine  Aufgabe  macht  diesen  xnr  Hanptsache, 
hingegen  beabsichtige  ich  nicht  die  ziemlich  grosse  Zahl  aus- 
fülii'licher  Eatwicklungen  des  eineu  oder  anderen  Systems  um 
eine  zu  Termehren. 

Ausser  den  Glementinischen  Fragmenten  and  zwei  sohwieilg« 
Stellen  in  der  Disputatio  Arehelai  von  grosser  Bedeutung. 
Mit  diesen  werde  ich  den  Anfang  machen,  jedoch  schicke  ich 
eine  Erörtemug  über  den  Aufenthalt  des  Basilides  voraas.  £a 
liegt  darin  kein  Moment  ersten  Banges,  aber  doch  immer 
eines,  welches  mit  anderen  verbunden  wirksam  ist  Gehörte 
er  zuerst  Syrien,  dann  Aegypten  an,  so  ist  zwar  dauüt  die 
ürspiünglichkeit  der  orientalisch  Juaiistisclien  Form  des 
Systems  keineswegs  erwiesen,  denn  die  griechische  Cultor  ifwc 
damals  in  Syrien  tief  eingedrungen,  aber  sie  hfttte  ein  gtti^ 


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DAS  URSPRÜNGUCHE  BABILLDlANIäCHC  SYSTEH.  491 


stiges  VonirteU  Ar  rieh,  wShrend  dieses  sich  znm  Vorteil 
der  anderen  Gestalt  wenden  würde .  wenn  er  von  Anfang  an 
in  Aegypten  und  Alexandria  geweseji  wäre.  loh  glaube,  dass 
Aber  diesen  Funkt  eine  zimnliohe  Sicherheit  su  erreichen  ist 
Die  ftlte0te  Naehricht  Aber  den  Anfenthalt  des  Basitides 
giebt  Irenaus  (I,  24,  1):  „Von  diesen  (d.  i.  Menander  und 
Simon,  dem  Urheber  aller  Häresie)  naliinen  Saturn  in,  welcher 
von  Antiochia  war,  und  Basilides  den  Ausgang  (occasioneB 
aodpientes)  nnd  zeigten  Terschiedenartige  (dutantes)  Lehren, 
4er  eine  in  S^n,  der  andere  in  Alezaaidria.*^  Bleibt  man 
bei  dem  strengen  Sinne  der  Worte  stehen,  so  ist  daraus  nicht 
notwendig  zu  entnehmen,  dass  Irenäus  den  Basilides  für  einen 
Schüler  des  Menander  im  eigentlichen  Sinne  halte.  Fär  ein 
«Mies  Verhältnis  pflegt  er  bestimmtere  Ansdrftcke  zn  wfthlen: 
fi€t&r,Tr^g,  ^ittd^HF^,  Ol  TTf^/ Und  andere  büdllche.  Hier  abor 
weist  er  nicht  nur  durch  das  tovuo»'.  ex  iis,  auf  ein  unbe- 
stimmteres Verhältnis  zu.  den  Vorgängern  hin,  sondern  auch 
4wtdh  die  Worte:  oeoasiones  accipientes»  Der  ttrsprfioglidie 
Text  hatte  itpogfiiif  Xaflimg^  wie  man  am  dentlichsten  aus 

I,  27 :  Kfpdutv  $i  ann  Tfoy  mgi  ^itaova  rag  «f^o()/ia?  \ußiov^ 
occasioiiem  accipiens.  zu  erkennen  vermag.  In  beiden  Fällen 
besagen  die  Worte  keine  persönliche  Verbindung,  sondern  nur : 
•einen  Antrieb  T<m  etwas  empfiingen.  Zwischen  Eerdon  nnd 
Simen  sind  die  Aebnlichkeiten  so  gering,  so  sehr  nnr  auf 
ein  allgemeines  dualistisches  Schema  beschränkt,  dass  man 
wohl  sieht.  Irenaus  habe  nichts  weiter  als  ein  allgemeines 
Verwandtschaftsverbältnis  andeuten  wollen.  Nicht  viel  anders 
yerhält  es  sich  mit  dem  Znsammenhange  zwischen  Basilides 
nebst  ßatnmin  nnd  der  ▼oraugehenden  Gruppe  von  Gnostikem. 
Irenäus  glaul>t  in  Basilides  und  Saturuiu  einen  vei-wandten 
Dualismus  zu  erkennen  und  will  ihn  als  Fortsetzung  des  von 
den  vorangehenden  Häretikern  gelehrten  darstellen.  Es  folgt 
also  anch  gar  nicht,  dass  er  der  Meinnng  gewesen  sei,  Basi- 
lides habe,  wie  Satmninns,  in  Syrien  verweilt.  Vielmehr 
scheint  er  über  seinen  Ort  nichts  zu  wissen,  als  dass  er  sich 
in  Alexandria  aufgehalten  habe. 

Weiteres  scheint  anch  Hippoljtos  nicht  in  den  Angaben, 
die  ihm  vorlagen,  gefonden  zn  haben.    Der  Anhang  zn  den 


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492 


JACOBI, 


Fiteriptionen  Tertuliians  bringt  Satarnin  und  BasilideB  m 
durch  eine  zeitliche  Folge  mit  Menander  und  Simon  in  eil 

VerhältniB,  und  den  Basilides  sogar  als  den  späteren  nach 
Saturnin.  Beruht  die  hierin  excerpirte  Schrift  Hippolyts  und 
Irenftus,  wie  sich  nach  Lipsius  fieweisfulirung  ^ )  kaum  in  Ab- 
rede stellen  Itot,  in  der  Scbildemog  des  fiaailidea  anf  mts 
Gmndflcbrift,  so  wird  diese  eich  demnach  nicht  bestimmter 
als  Irenäus  über  die  Heimat  desselben  ausgelassen  haben. 
Denn  dass  der  Epitomator  eine  klar  ausgedrückte  Nachricht 
darüber  geändert  hätte,  ist  unwahrscheinlich,  nnd  ammMiur, 
wenn  man  das  grössere  Werk  des  Hippolyt!»  vergleicht 
Deun  hierin  ist  die  Zusammenfassung  beider,  welche  Irenäus 
giebt,  gelockert,  in  dem  Bewusstsein,  dass  dem  Verfasser  ganz 
verschiedenartige  Systeme  vorliegen.  Er  sagt,  dass  Satumiiuis 
in  Antiochia  verweilt  and  solche  Lehren  wie  Menander  T0^ 
getragen  habe.  Er  sei  Zeitgenosse  des  Basilides  gewsssn; 
von  diesem  aber  erwähnt  er,  dass  er  in  Aegypten  seine  Schule 
gehabt,  und  dass  er  ebendort  seine  Philosophie  i^elernt  hahe. 
Dies  kann  wohl  nur  so  viel  heisseu,  als  dass  er  in  Aegypten 
seine  Studien  gem^t,  nicht  aber,  dass  er  aus  der  figyptiscfaen 
Mythologie  geschöpft  habe,  anf  welche  Bippolytus  bei  Aus- 
einandersetzung des  Sjrstemes  keine  Rücksicht  uiiiimt.  Euse- 
bius hat  fär  seine  Mitteilungen  über  Basilides  den  Irenäu?, 
Agrippa  Castor  und  Hegesippus  benutzt  und  nennt  ihn  einen 
Alexandriner  (H.  e.  4,  7).  £r  leitet  diese  Notiz  ohne  Zweifel 
aus  Irenftus  ab  und  scheint  in  seinen  andern  Quellen  wenig- 
stens nichts  über  eine  Abkunft  aus  Syrien  gefunden  zu 
haben. 

Dagegen  haben  Epiphanius  (H.  7a,  24),  Theodoret  (H.  2), 
dem  Irenaus  folgend,  seine  Worte  von  einer  SchtileiBchalt  im 
engeren  Sinne  verstanden,  und  Eiüphanius  und  Philaster  lassen 
ihn  daher  nach  Aegypten  einwandern.  Jener  nennt  sogar 
ausser  Alexandria  und  Umgegend  drei  andere  Orte,  wo  er 
sich  aufgehalten  habe.  Die  Folge  der  Orte  bezeichnet  den 
Weg  von  Osten  her  nach  Alexandria;  hier  liegt  höchst  wahr> 


1)  Zur  Quellenk  des  Epiph.,  S.  93 ff.  Die  Qoellen  der  filtesten 
Ketsergesdiichte,  S.  162. 


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DAS  LKSPKÜNQLICI1£  BAi^ILIDIANISCU£  SYSTEM.  493 

scheinlich  nur  ein  Schluss  vor,  den  Epiphanius  aus  dem  Vor- 
handensein Basilidianischer  Gemeinden  an  den  genannten  Orten 
20g.  Selbst  wenn  er  einer  Tradition  folgte,  wäre  sie  doch 
eine  sehr  qpftto.  Philaster  (H.  82)  hat  zwar,  wie  Lipdos 
gezeigt,  Kenntnis  der  kürzeren  Schrift  des  Hippolytns  nnd 
redet  von  einer  Einwanderung  des  Basilides  in  Aegypten ;  indes 
woher  er  auch  geschöpft  haben  mag,  so  kann  er  doch  keine 
Autorität  haben  gegen  die  Bezeugung  PseudotertuUians  und 
Hippolytos*  selbst  Die  Angabe  der  Acta  Arohekii,  dass  Basi- 
lides unter  den  Persem  seine  Lehre  Terkfindet  habe  (c  55), 
hat  durchaus  keine  Zuverlässigkeit. 

Nach  dem  Obigen  verlegen  die  ältesten  Gewähi-smänner, 
welche  zugleich  die  Quellenschrüten  unmittelbar  benutzt 
haben,  den  Basüides  nach  Alezandria;  dagegen  einige  des  4. 
und  5.  Jahrhunderts,  welche  nur  einen  Wert  zweiten  Banges 
haben,  lassen  ihn  ursprünglich  dem  syrischen  Umkreis  ani^e- 
hören.  Es  kann  mithin  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  seine 
Zubehörigkeit  nach  Alexandria  das  fast  ausschliessliche  Ge» 
wicht  der  geschichtlichen  Zeugnisse  fttr  sich  hat.  Daher  ist 
es  auch  eine  ziemlich  überflössige  Vermutung,  dass  sein  ur- 
sprünglicher Name  Malchion  gewesen  und  nach  der  Ueber- 
siedlung  von  ihm  ins  Griechische  flbertragen  sei '). 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Acten  der  Disputation  des 
Archelaus  von  Easkar  mit  Manes ').  Dass  diese  Schrift  eine 
Erdichtung  ist  und  nicht  einmal  die  Tatsache  der  Disputation 
historische  Glaubwürdigkeit  besitzt,  hat  Beausobre  ^)  bereits 
unwiderl^lich  dargetan  ^).  Die  Unriditigkeit  und  Verwimmg 
der  geographischen  Angaben,  welche  Beausobre  und  FlOgeP) 


1)  Der  Name  Basilides  ist  in  dieser  Zeit  nicht  selten;  nnter  anderen 
fuhrt  ihn  der  Stoiker  BaeiUdes,  welcher  Lehrer  des  11.  Anreline  war. 

Zuerst  herausgegeben  Ton  Zacagni  in  den  Gollectanea  mona- 
maitor.  veter. 

>)  Histoire  oritiqoe  du  manieh^isDie  I,  129. 

*)  Daes  die  Acten  dennoch  groeien  Wert  als  Quelle  snr  Kenntnis 
des  ManichSinam  haben,  ist  am  grttndlichsten  neaerdingb  nachgewieBen 
worden  von  H.  von  Zittwitz,  Zeitschrift  für  bistorieche  Theologie 
187d. 

ft)  Hanl  1868. 


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494 


gezeigt  haben,  ist  nicht  nur  ein  starker  Beweis  gegen  die 
Wirkliohkeit  des  Yoigaoigefi«  aoadeni  auch  dafär,  da»  te 
y4»fii8aer  dem  ScbanplatK  der  angeblichen  Handlimg  fose 

steht.  Wüie  Ireilich  die  Biiuerkuiig  des  Hieronymus  (Vir. 
iJ].  72)  begründet,  dass  der  Urtext  der  Acten  syrisch  i:e- 
wesen  sei,  so  würde  man  den  Verfasser,  seiner  Unkunde  unge- 
achtet, in  einem  nicht  zn  weiten  Uinkmse  d«r  Begebenheiil 
gDchen  mtaen.  Doch  Beausobre  «id  Zittwita  erkttm  mit 
Recht  Hieronymus'  Au<,^abe  für  falsch.  Die  Beschaffenheit  des 
vorliegenden  Textes  bestätigt  dies  Urteil;  denn  die  lateinische 
Uebersetznng  ist  ohne  Fr^ge  aus  dnem  griechiaßhen  Tffit 
flbeortngen,.  mi  die  ansehnlichen  Fragnie&te  daa  Msteien, 
welche  wir  dnvch  Epiphanins  und  CyriU  von  Jerusalem  be- 
sitzen %  zeigen  keine  Spur  einer  syrischen  Grundlage.  Was 
Zacagni  zur  Unterstützung  des  Hieronymus  anführt  (praeL 
c  4),  dasa  c  22  der  Ausdruck  sphaera  durch  dan  Zonta 
qoae  apud  Graecos  Yocatur  als  fimndea  Wort  beseichiiet  wode» 
rührt  vom  lateinischen  Uebersetzer  her,  der  das  Wort  sphaeia 
rechtfertigen  will.  Er  liebt  dergleichen  Einführungen  ,  wenn 
er  griechische  Ausdrücke  beibehält,  wie  aus  den  von  Zacugoi 
(pcaef.  c.  5)  aogef&hrtea  Beispielen  herfoigeht.  Rdhrte  eia 
solcher  Znsatz  vom  Autor  des  griechiseben  Tente»  her,  9^ 
würde  man  ihn  vielmehr  an  den  vorangehenden  Stellen  c  6 
und  8  erwarten,  wo  dasselbe  Wort  im  griechischen  Text  er- 
scheint, jedoch  ohne  diesen  Zusatz.  Wenn  es  eine  synsebe 
^ecansion  der  Acta  gegeben  hat,  wovon  indes  anderweitig 
keine  Spur  vorhanden  ist,  so  wird  sie  eine  üebersetaung  aai 
dem  Griechischen  gewesen  sein.  Nun  könnte  allerdings  der 
Verfasser  sehr  woM  in  Syrien  oder  auch  in  den  Gegenden  des 
Euphrat  und  Tigris  gelebt  und  dennoch  griechisch  geschrieben 
haben.  Aber  es  ist  ein  anderer  Umstand,  der  es  unwah^ 
scheinlich  macht,  dass  in  dieser  Gegend  sein  Sitz  war. 
legt  nämlich  dem  Archelaus  Worte  der  äussersten  VerachtuDg 
gegen  die  semitische  Sprache  jener  G^enden  in  den  Mu^'^- 
Maaes  ist  nach  den  Yorsusseteungen  der  Acten  in  der 
Gegend  von  Babylon  aufgewachsen  (c  53)  und  bringt  andi 


^)  Ebesfallfl  bei  ZacagnL 


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DAS  UBSFRONGLICHE  A^fllUDIAlfllSCHB  SYSTEM.  496 


€a&  babylonisches  Bach  mit  zur  Dis|»utati<»i  (c  13).  In 
Easbir,  welches  die  Akten  (c  4)  mit  gewohnter  geographi- 
scher Unkenntnis  nach  Mesopotauiicn  verlegen,  obgleich  es 
sudlich  von  Babylon  liegt  (Flügel,  S.  25),  ist  wesentlich  die- 
aeibe  Sprache  als  Volkasprache  foianflgesetzt  Die  Bispatation 
moss  in  dieser  Sprache  vor  sich  gehend  gedacht  werden,  aor 
gesicbts  des  Volkes  (vgl.  c.  46  und  48).  Denn  dem  Manes 
wird  vorgeworfen  (c.  3G),  dass  er  nur  Chaldäiscb ,  nicht 
Griechisch  verstehe,  obgleich  er  der  Paraklet,  der  Verleiher 
der  Spraohengabe,  sein  woUe.  Ton  einem  DoUmetscher  ist 
nirgends  die  Bede,  troti  auafölirlicher  Beschreibung  der  Eänzel- 
heiten.  Ohne  Zweifel  soll  Archelaus  als  KeiiiuT  des  Griechi- 
schen und  auch  Chaldäischen  dem  Manes  überlegen  eracheinen  ^). 
Hierbei  also  sagt  Archelaus  (c. -36)  zum  Maues:  er  sei  ein 
peisiseher  Barbar,  habe  keine  Kenntnis  der  griechischen, 
iügyptischen,  römischen  noch  irgend  einer  anderen  Sprache  als 
nur  der  chaldäisclien,  quae  ne  in  numerum  quidem  aliquem 
ducitur.  W^e  der  Verfasser  ein  von  syrisch  oder  chaidäiack 
ledenden  Gemeinden  nmgebener  Mann  gewesen,  hätte  er  mit 
ihnen  selbst  in  ihrer  Sprache  Terkehi^n  mtaen,  so  wflrde  er 
schwerlich  den  Archelans  Worte  der  Verachtong  gegen  diese 
Sprache  reden  lassen,  welche  veiiotzeud  wirken  mussten. 
Wenn  aber  der  Verfasser  in  einem  giiechischea  Territorium 
schrieb  {  erklärt  sieh  das.  Nun  Itat  er  ausser  der  griechi* 
sehen  und  römischen  Sprache  der  ägyptischen  die  Hauptehre, 
woraus  wir  schliesseu  dürfen,  dass  - seine  Stätte  in  Aeg}pten 
war 


1)  Dies  2DQ8S  auch  bei  den  beidnisclien  Richtern  der  Dispatatioii 
(c.  12)  angenommen  werden,  wenn  man  nicht  etwa  den  Verfasser  elotr 
T«rwirrung  in  der  BeschreihDog  der  Vorgang  Imdwidigen  will. 

3)  PbotitiB  (Cod.  85)  nennt  ihn  Hegemonius  auf  Autorität  die 
Heraclianns ,  irdcher  zur  Zeit  des  Kaisers  Anastasius ,  also  gegen 
500,  Bischof  von  Chalcedon  war  (Le  Quien,  Oriens  christianus  I, 
p.  602),  mitbin  ein  doch  zieuilich  später  Zonge.  Der  gräcisirte  Name 
4MheUili  ist  offenbar  ^mbohsche  Fiction,  um  den  rechten  YollufiUmr 
gegonfiber  dem  YffHUuer  zu  bezeichnen.  Es  ist  «OBjOlMbar,  dass  auch 
Hegemonina'  Nen»  eine  ahnliobe  BedwtaDg  baL 


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496 


JAOOBI, 


Da  der  Verfiuser  c  54  Ton  Orten  redet,  wo  ii^geheim 
die  Bflcher  der  Christen  abgeschrieben  worden,  so  scheint « 

ebenfalls  dabei  von  Anschauungen  auszugehen ,  die  ihm 
Alexandria  und  andre  ägyptische  Orto  darboten,  denn  hier 
war  das  Abschreiben  mehr  als  irgendwo  zu  einem  Gewerbe 
•entwickelt. 

Wss  die  Zeit  der  Abfossnng  betrifft,  so  kann  sie  nicht 

nach  Mitte  des  4.  Jalirlmnderts  fallen,  da  ])ereits  Cyrillus  ?on 
Jerusalem  in  der  sechsten  Katechese  um  347  ihrer  Er- 
wfthnnng  tot  Den  rflckwftrts  gelegenen  Grenzpnnkt  glaubt 
Beaosobre  ans  der  Aensserong  desArchekns  c.  27  erscbliesBei 
zn  dürfen,  dass  Manes  nicht  der  Paraklet  sein  kOnne,  weil 
Christus  alsdann  nicht ,  wie  er  verheissen ,  den  Paraklet  so- 
gleich, sondern  mehr  als  300  Jahre  später  gesandt  haben 
mfisste.  fieaosobre  meint,  dass  der  Verfasser  hier  nnwill- 
kfirlich  seine  eigne  Zeit  kundgebe,  wfthrend  Archelaos,  den 
er  hier  reden  lässt,  zugleich  Zeitgenosse  des  Manes  sein  solle. 
Allein  da  unmittelbar  darauf  der  Zeitpunkt  durch  den  Kaiser 
Probus  (bis  282)  bezeichnet  wird,  so  sieht  man,  dass  jene 
Angabe  nur  eine  üebertreibnng  zn  polemischem  Zwecke  ist 
Sie  wflrde  streng  genommen  zn  nahe  an  die  Zeit  des  Oyrilli- 
sehen  Citates  lieranfuhren.  Die  Abfassungszeit  lässt  sich  in 
folgende  Grenzen  einschliessen.  Da  c.  53  angedeutet  wird, 
dass  die  Christen,  die  Verfolgung  der  Heiden  fürchtend,  ihre 
heiligen  Bflcher  insgeheim  abschreiben  nnd  vor  den  Heiden 
verborgen  halten ,  so  m>i88  die  Diocletianische  Verfolgung 
mindestens  schon  im  Gange  gewesen  sein;  denn  in  d'mer 
iabndete  man  nach  den  heiligen  Büchern,  Also  der  Anfang 
derselben,  308,  würde  die  ftosserste  Grenze  sein.  Die  Verfolgung 
scbeint  aber  schon  vorflber  zn  sein,  da  bei  der  Disputation 
Heiden  als  Schiedsrichter  eingesetzt  werden,  denn  wfthrend 
der  Verfolgung  wurde  es  schlecht  gepasst  haben,  ihnen  die 
Stelle  der  Unparteilichen  zu  geben.    Wiederum  findet  man 


1)  Das  Fragment  bei  Cyrill  findet  sich,  soweit  es  üespräch  ist, 
nicht  in  nnteren  Acten,  setzt  abo  eine  abweichende  Recension  derselben 
voraus.  Zittwitz'  Vt^rmutunfr .  da88  Cyrill  aus  dem  Gedächtnis  ciftiMb 
leicht  wagen  der  Genaaigkeit  des  Wechselgespräcbes  nicht  ans. 


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DAS  UBSPKÜNGUCUE  BASlJLlDIANIäCüE  SYSTEM.  497 

keine  Spur  von  dem  EmflüBse  des  Arianisdien  Streites  und 

des  Nicänischen  Dogmas,  obgleich  sich  wohl  Gelecfenheit 
dttf&r  geboten  hätte,  z.  B.  c.  Biese  Spuren  müsstc  mau 
um  so  frühzeitiger  und  sicherer  erwarten,  wenn  der  Verfasser 
Aegypten  angehörte,  demjenigen  Lande,  Wiehes  am  frühesten 
und  tiefsten  von  dem  Streite  erregt  war.  Man  wird  daher 
mit  der  Abfassung  nicht  zu  weit  nach  der  Nicäuiscbeü  Synode 
heiabgeben  dürfen.  Die  Zeit  kurz  vor  oder  nach  32ö  mag 
akK>  ungefähr  als  fintstehnngszeit  gelten*  DenAnlass  gah  die 
Verbreitong  der  Manidiäer  nach  Aegypten  und  andern  Gegen- 
den  des  römischen  Reiches.  Das  Edict  dos  Dioclctian  gegen 
sie  um  287  war  nach  dem  westlichen  Nordafrika  gerichtet, 
aber  in  Alexandria  erlassen  und  setzt,  wie  Eusebius'  Aeussenmgen 
(H.  e.  VII,  31),  schon  grosse  Fortschritte  yoraos. 

Naeh  diesen  Ergebnissen  lebte  der  Verfosser  der  Acta 
zwar  in  Aegypten,  aber  der  Zeit  nach  weit  vom  Basilides 
entfernt  Wir  werden  weiterhin  Gelegenheit  haben  zu  beob- 
achten, wie  bsechrftnkt  und  unzuverlässig  seine  Kenntnis  des 
gesammten  Ideenkreises  der  älteren  Hftreden  ist  Seine  Ueber- 
liefenmgen  sind  daher  für  uns  wenig  wert  und  seine  Ver- 
mutungen noch  weniger.  Zu  den  letzteren  gehört  offenbar 
die  Behauptung,  dass  Basilides  in  Persien  gelebt  und  gelehrt 
habe.  £&  ist  nur  ein  Scbluss,  wehshen  er  ans  der  Anföhmng 
einer,  vielleicht  auch  mehrerer  doalistisidier  Stellen  sieht 

Um  die  beiden  Fiagmente  des  Basilides,  welche  er  am 
Schlüsse  seines  Werkes  vorlegt  (c.  55),  ist  es  uns  zunächst 
zu  tun.  Zittwitz  hfilt  die  von  Basilides  handelnde  Stelle  für 
einen  sp&teren  Zusatz.  Mit  Unrecht  Die  Heranziehung  des 
Basilides  und  seiner  Worte  soll  die  OriginaKtftt  des  Ifones 
durch  ein  ähnliches  Beispiel  alterer  Zeit  verringern.  Dafür 
werden  Zeugnisse  versjjrochen  und  beigebracht.  Die  Er- 
wähnung der  altbarbarischeu  Abkunft  des  Mauichäismns  ent- 
halt bereits  eine  Hindentong  anf  das  weiter  inten  gegebene 
Oitat:  „Quidam  enim  barbaromm*^  etc.  Dass  kein  anderer 
Basilides  als  der  bekannte  Gnostiker  gemeint  sei,  ist  wohl 
jetzt  allgemein  anerkannt 

Der  Znsammenhang  und  die  Absicht,  welche  der  Yer- 
ftsser  bei  Anf&hmng  grade  dieser  Stellen  hat,  ist,  soviel  ich 

ZeitMhr.  &  K..0.  38 


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498 


JACOBI, 


i 


sehe,  flberall  entweder  nngenaii  oder  unriditig  vevstaiideii.  ünd 

hieran  ist  zura  Teil  der  Zacagnische  Text  schuld,  welcher 
stets  mit  allen  Fehlern  wieder  abgedruckt  und  deshalb  yoi- 
errt  ein  wenig  zu  ordnen  ist 

Bonsens  Oaiyectar  paiabolam  fttr  parmlam  ist  allgemein 
als  gelungen  anerkannt;  femer  aber  mnas  für  Nonne  oontiaet 
et  alium  sermonem  gelesen  werden:  Nonne  cuntioet  aliennm 
sermonem.  Das  Griechische  hatte  i^yoy  ).6yoy,  in  dem  Sinne 
Ton  befremdlich,  seltsam,  was  durch  alienum  übersetzt  und 
nnr  durch  den  Fehler  der  Abschreiber  in  alium  verwandet 
ward.  Der  Sinn  erfordert  diese  geringe  Aendening,  denn 
von  einem  zweiten  im  Tractat  des  Basilides  befindlichen  Ai>- 
schnitt  kann  nicht  die  Kede  sein,  da  eben  ein  solcher  aus- 
drücklich mit  den  Worten  Yomeint  ist:  „hoc  aatem  solun 


^)  Fuit  praedicator  apnd  Persas  etiam  Basüides  qnidam  antiqnior, 
non  loDge  post  nostronmi  apo^^tolorom  tempora,  qoi  et  ip6e  cum  esset  | 
versntuB,  et  vidiaset  quod  co  tempore  jani  cssent  oninia  praeooeoptte» 
(Iiuilitatem  istaiu  voluit  affinnare,  quae  etiam  apud  ScythiaDnin  esit 
Deniqae  cum  nihil  haberet,  quod  asseieret  proprium,  aliis  dictls 
propoBuit  adver.«ari is.  Et  omnes  ejus  libri  difticilia  quaedam  et 
a^pcrrima  continent.  Extat  tarnen  tertius  docimus  über  tractataam  ejus, 
cüjuB  iniiiüiii  tale  est:  Tertinm  deeinram  nobis  traotataum  .scribeiitibu  ^ 
libnuD,  necessarinm  sermonem  nberemqoe  salntaris  semo  pneetaTil  Fer  | 
paryulam  (L  parabolam)  divitis  et  pauperis  natnram  sine  radioe  et  j 
sine  loco  rebus  superrenientem,  unde  pullula?erlt,  indicat  Hoc  antem 
soloin  capnt  über  continet.  Nonne  continet  et  alium  senttonem,  et 
sicat  opinati  sunt  quidam,  nenne  omnes  offendemini  ipso  libro,  cnjos 
initium  erat  hoc?  Sod  ad  rem  rediens  Basilides  intej^eetiB  plus  nunos 
Tel  qniDgentia  Tenibos  ait,  desine  inani  et  coriosa  vaiietate,  nqid- 
ramuB  antem  magis,  quae  de  bonis  et  malis  etiam  barbari  inquiaianint, 
et  in  qua«  opiniones  de  bis  omniboB  pervenertmt.  Qnidam  enim  bonUD 
dixeront,  initia  omnium  duo  eBse,  qnibns  bona  et  mala  assodavenmt, 
Ipsa  dioentes  initia  sine  initlo  esse  et  iogenita,  id  est  in  princip&s 
Inoem  fnisse,  ae  tenebras,  qnae  ex  semetipsis  erant,  non  quae  esse  dke» 
bantnr.  Haec  com  apnd  semetipsa  essen t,  propriam  ummqoodqiK 
eoram  vitam  agebat,  quam  Teilet,  et  qnalis  sibi  competeret;  ommbos  | 
enim  amicnm  est,  quod  est  proprium ,  et  nihil  sibi  malnm  Tidetiir. 
Postqnam  antem  ad  altemtnm  agnitionem  nterque  perrenit,  et  tenelrae 
contemplatae  sunt  hicem,  tanqnam  melioris  lei  smnpta  eooeopisoentiB» 
insectabantnr  ea  commiscerL 


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DAS  UBSP&ÜMaLICilE  BAälLIDIAinSCH£  SYSTEM.  499 

Caput  liber  continet".     Dagegen  bandelt  es  sich  um  die 
schwierigen  und  ungefügigen  (difticilia  et  asperrima)  Aus- 
drücke in  seinen  Sdiriften.    Wie  anderen  Gnostikern,  so 
wurde  auch  ihm  dei^leichen  Fremdartiges  und  Unverständliches 
vorgeworfen.    Es  ^^<4iürt  daliin  ebenfalls,  was  Agrippa  Castor 
bemerkt,  dass  Basilides  Propheten  mit  barbarischen  Namen 
ffir  sich  angewendet  habe,  um  durch  diese  einen  grosseren 
Eindruck  zu  machen.  Daher  ist  nun  weiter  das  folgende  „et 
sicut  opinati  suntquidam**  zu  Sndem,  entweder  in  ,,et  sie'  oder 
in  „sicut  et"  (otg  y.m)  etc.    Der  Satz  weist  eben  darauf  hin, 
dass  Basilides'  Lehrform  ein  solches  Urteil  schon  öfter  er- 
fahren habe.    Der  Misverstand  des  ganzen  Satzes  hat  auch 
diese  Corruption  herbeigeführt.  In  dem  Satze:  „denique  cum 
nihil  haberet,  quod  assereret  proprium,  aliis  dictis  proposuit 
adversariis"  —  ist  proprium  und  aliis  zu   verbinden,  das 
Komma  zu  streichen;  erstens,  weil  sonst  das  Object  fehlen 
würde  zu  proposuit,  und  zweitens,  weil  dictis  nicht  damit 
Torbunden  werden  darf.  In  diesem  Wort  steckt  abermals  ein 
Tehlei ;  dds  dictis  adversariis  giebt  keinen  irgend  erträglichen 
Sinn,  mag  man  den  Inhalt  der  Fragmente  des  Basilides,  oder 
die  hinzugefügten  Worte  des  Archelaus  betrachten.  Es  ist  zu 
ändern  in:  „de  initiis  proposuit  adversariis.'^   Die  Aenderung 
ist,  namentlich  wenn  man  Abbreviaturen  des  Textes  voraus- 
setzt, eine  höchst  geringe.    Die  iuitia  adversaria  sind  die 
o^/ctt  hayilni,  die  duo  initia  im.  zweiten  Fragment.  Der 
Smn  dieses  Satzes  ist  also:  kurz,  da  er  nichts  hatte,  was  er 
lehren  konnte,  trug  er  das,  was  anderen  eigen  war,  über  die 
feindlichen  Prindpien  vor.    Sind  diese  Verbesserungen  ein- 
leuchtend, so  ergiebt  sich  folgender  Zweck  der  Rede  des 
Archelaus:  zweierlei  wird  dem  Basilides  vorgeworfen:  einmal 
die  absonderliche,  schwer  verständliche  Darstellung;  dann, 
dass  er,  selbst  ideenlos,  andern  Qehüriges  über  Dualismus  in 
seinem  Bache  vorgetragen  habe.   Zum  Beweise  fQr  jenes  ent- 
nimmt der  Verfasser  dem  Buche  des  Basilides  das  erste  Frag- 
ment; zum  Beweise  für  das  andere  dient  das  zweite.    Es  ist 
mithin  klar,  dass  das  erste  Fragment  gar  nicht  zu  dem  Zudecke 
beigebracht  ist,  den  Dualismus  des  Basilides  zu  erhifarten. 
Das  erste  Fragment  lautet,  wie  angegeben,  in  der  Exegese 

33* 


500 


JACOBI, 


des  Basilides:  ,,per  painbolam  divitis  et  panperis  natamm 

sine  radice  et  sine  loco  rebus  supervenientem ,  unde  pulluh- 
verit,  indicat*'.     Er  hat  mithin  ein  Gleichni.^  wn  einem 
Reichen  und  Annen  vor  Augen,  mit  welchen  er  das  Gfitß 
und  das  Btee  yergleicht.    Da  der  Ansdniek  salataria  senao 
in  der  Einleltcmg  zn  der  Stelle  auf  eine  Evangdiens^rift 
deutet,  wird  man  leicht  veranlasst,  eine  Auslegung  der  Pl- 
rabel  Luk.  16  von  Lazarus  hier  zu  vermuten.  Dennoch  kana 
immOglioh  diese  Parabel  gemeint  sein.   Denn  Basilides  ver- 
steht nncweifelhaft  unter  dem  Beiehen  das  Qate  und  unter 
dem  Armen  das  BOse,  und  dagegen  wtirde  jene  Parabel  so 
entschieden  streiten,  dass  selbst  gnostischer  Exegese  die  Uiu- 
kehnmg  der  Parallele  ohne  evidenten  Nachweis  nicht  zuzu- 
schreiben ist   Hilgenfelds  Versudi  ^)  mag  zeigen,  in  welche 
Schwierigkeiten  die  Besiehuttgen  auf  dies  Oleicfanis  verwii^elii. 
Hr  sagt:  ,fln  dem  Gleichnis  vom  reichen  Manne  und  dem 
armen  Lazarus  hat  Basilides   die  OlVenbarung  eines  bösen 
Princips  hervorgehoben,  welches  ohne  Wurzel  und  Stätte  über 
die  Dinge  kommt,  nämlich  das  Unglück  des  Lazarus  bewirkt, 
ohne  dass  das  Gleichnis  eine  Andeutung  seiner  Terschulduiig 
enthielte."  Aus  dem  Stillschweigen  also  der  Parabel  über  eine 
Verschuldung  des  Lazarus  soll  der  dogmatische  Schluss  gezogen 
sein,  dass  eine  solche  Ursache  nicht  vorhanden  sei.  Während 
demnach  Basilides  aus  der  Verneinung  die  Frage  sidi  negatir 
beantworten  soll,  würde  er  deunodi  einen  Ursprung  angezeigt 
gefunden  luiben,  wie  die  Worte  lehren:  „unde  pullulaverit 
indicat."    Auch  ist  nicht  einzusehen,  welche  Bedeutung  fSr 
den  fi^iff  des  onvemrsachten  Unglücks  das  sine  loco  habea 
könne.    Bndlich,  „wenn  dem  Beiche  des  Lichts  und  des 
guten  Gottes  ein  schlechthin  unabhängiges  Beich  der  Finster- 
nis  gegenüber  steht*'  (S.  455),  und  das  Böse  nun  in  Gestalt 
des  Utjbels  an  den  Armen  herankommt,  so  müsste  dieser  ja 
zuvor  den  Dingen  der  guten  SchOpftmg  gleich  stehen,  und  dia 
fitwfihnung  des  Reichen  wäre  müssig. 

Der  Arme  kann  nur  identisch  sein  mit  der  bösen  Natiff, 
der  g>votg  artv  Qi^tig  xüu  jonov;  uud  ich  kann  daher  auch 


1)  Zdtechr.  f.  wiMensek  TheoL  1802,  S.  454. 


Üigi  y  Googl 


DAS  UBSPROKGLICHE  BASILU>IANISCH£  STBTEIC.  501 


D.  Mollers  ^)  Deutung  des  Auiidrucks  auf  die  Moyi}  ina^uo* 
üfiiog,  welche  aus  der  inateriellen  Welt  in  üiren  üisprung  zu* 
rflckkehre,  nicht  für  die  richtige  halten,  ohgleich . diese  Auf* 

fassung  dem  Gleichnis  Luk.  ig  mehr  gerecht  würde.  In 
unseren  ncutestiimentlichen  Schriften  lässt  sich  nicht  mit 
Sicherheit  eine  andere  passende  Zusammeustollung  von  arm 
und  reich  aufweisen;  Basilides  hat  daher  wahrscheinlidi  ein 
apokryphisches  Evangelium  yor  Augen. 

Mit  dem  Bilde  der  Wurzel  wird  das  wirksame  Princip, 
was  die  zu  klarem  Denken  entwickelte  Philosophie  u^/J  nennt, 
in  den  mythischeren,  an  Bildern  reichen  Vorstellungen  der 
älteren  griechischen  Philceaphie,  der  Onosis  und  des  Hani- 
chSismus  bezeichnet  Ein  bekannter  pythagorischer  Yen 
nennt  die  Vierzahl  utyuuv  (fvatwg  QiUo^aiu.  und  Valentin 
dies  nachahmend  die  oherbte  Vierzahl  der  Aeonen  qi%u  xm 
nwimp.  Den  Manichäern  lag  der  Vergleich  grade  mit  dem 
finsteren  Princip  nahe,  weshalb  Epiphanias  in.  der  Darstellung 
ihrer  Hftresie  (H,  66,  9)  von  der  uyrtxtiin^yrf  uqxt)  yat  ^/Ja 
redet.  Die  Wurzel  bezeichnet  das  Princip  als  solches,  gegen- 
über dem  davon  abgeleiteten.  Wird  hiemit  der  Begriff 
eüies  besonderen  Ortes  verbunden,  so  ist  dadurch  ein  weiteres 
Merkmal  seiner  Selbständigkeit  und  ünabhingigkeit  von  einer 
anderen  Macht  hinzugefügt. 

Nun  bemerkten  wir  bereits,  dass  Epiphanius  (H.  24,  6) 
den  Basilidianern  die  Lehre  zuschreibt,  das  Böse  stamme  aus 
einer  ^iljat  tov  xoxov,  habe  selbständigen  Bestand  {vnomaatQ 
Tfjs  noyr,gtug),  wogegen  er  die  Ableitung  aus  der  Freiheit  setat. 
Man  kann  vielleicht  Zweifel  dagegen  erheben,  ob  diese  Notiz, 
^vie  Lipsius  meint  %  aus  dem  kürzereu  Werke  des  Hippolytus 
entsprungen  sei;  dennoch  wird  Epiphanius  sie  mit  gutem 
Grund  in  die  Darstellung  des  Systems  nach  der  verwandten 
Gruppe  von  Berichten  eingereiht  haben.  ErklSrt  aber  Btir 
silides  in  dem  obigen  Gegensatze  den  Armen  für  das  Böse, 
was  ohne  Wurzel  sei,  so  befindet  sich  seine  eigne  authen* 
tische  Aussage  im  directen  Widsispruch  mit  der  Grund» 


')  Gesuch,  der  Kusuiologie,  S.  851. 
^)  Zur  Qaellenkr.  des  Epipb.,  S.  100. 


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602  JAOOBI, 

anscbauung,  welche  ihm  von  den  Zengen  jener  Art  beigelegt  ' 
wirdt  and  sie  können  nicht  das  ursprQngliche  System  da* 
selben  Yortragen.  Nicht  nor  ein  tätiges  nnd  aggresdfBB 
böses  Princip  ist  damit  ausgeschlossen,  sondern  jeder  Dualis- 
mus, welcher  eine  ewige  Hyle  als  selbständige  Existenz  and 
Quell  des  Bösen  Gh)tt  gegenüberstellt. 

Das  „esse  sine  radioe  et  sine  looo'*  iSsst  mehrere  Deu- 
tungen tu.  Erstens  binn  damit  gemeint  sein  die  Unbe- 
dingtheit,  sofern  dadurch  die  Beschränkung  auf  einen  be- 
stimmten Quell  des  Daseins  und  den  Raum  aufgehoben  wird. 

In  diesem  Sinne  fiisst  Neander  die  Prftdicate  anl  £r 
versteht  richtig  unter  dem  Armen  das  b($se,  unter  dem  Beichin 
das  gute  Princip  und  fügt  hinzu:  „Das  ohne  Wurzel  und 
Stätte  Sein  bezeichnet  die  Absolutheit  des  Principes,  welches 
auf  einmal  bervortaucht  und  in  die  Entwicklung  des  Daseins 
sich  einmischt.** Mich  dfinkt,  dass  hier  zwei  B^priffe  nicht 
klar  auseinandergehalten  sind:  die  ünbedingtheit  des  Seuis 
und  die  Plötzlichkeit  der  Erscheinung.  Für  das  Erste  verweist 
Neander  auf  die  Analogie  der  Zendlehre,  welche  im  Anfang 
des  Bundehescb  von  den  beiden  Priucipien  aussagt,  dass  sie 
caeh^  dans  Fexc^  du  bien  on  du  mal  et  sans  bomes  posfe^ 
rienres  pamrent.  Diese  Worte  des  französischen  Textes  lassen 
es  ungewiss,  ob  das  sans  bornos  posterieures  von  der  Zeit  gdte, 
und  der  deutsche  Text  von  Kleuker  (III,  56)  macht  die  Ant- 
wort noch  ungewisser,  indem  er  Unbegrenztheit  im  allge- 
meinen und  zugleich  der  Fortdauer  ausdrückt.  VieUeidit  i 
könai»  man  passender  die  von  Kleuker  (S.  55)  angefahrten 
Worte  aus  dem  Ulema  i  Islam  vergleichen,  in  welchen  die 
Ewigkeit  und  aseitas  des  Zervanam  Akaranam  damit  bezeich- 
net wird,  dass  er  ohne  Wurzel  sei.  Bundehescb  und  das 
andere  noch  sp&tere  Buch  sind  freilich  erst  zur  Zeit  des  Islam 
redigirt  ;  jedoch  abgesehen  yon  diesem  Bedenken  gelangt  man 
mit  dem  Begriffe  der  ünbedingtheit  in  den  Worten  des  Basi- 
lides  zu  keinem  entsprechenden  Vergleiche.  Denn  wenn  das 
BOse  als  der  Arme  charakterisirt  wird,  kann  es  unmöglich 


1)  Kirchengescb.  IX,  Genet.  Entw.  der  vomeUmsteu  'gaost 

Systeme,  ä.  36.  78. 


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DAS  UfiSPBÜNGUCHB  BASfLIDIANISCBE  SYSTEM.  608 


von  Sehen  seiner  Unendlichkeit  und  Unbedingtheit  in  Parallele 
gestellt  werden.    Diese  Prftdicate  würden  viel  eher  mm 

Gegenteil  der  Vergleichung  führen.  Wenn  aber  der  Begriff  des 
Absoluten  in  jenem  Sinne  verstanden  wird,  so  sieht  man 
nicht  ein,  wie  er  zum  Begriffe  des  Pl6tzlichen  fähren  soll. 
Dieser  setzt  vielmehr  ein  abruptes  unvermitteltes  Eintreten 
entweder  in  die  Existenz  oder  in  die  Erscheiming  nnd  Wirk- 
sam keit  voraus.  Das  erste  könnte  an  sich  wohl  aiis?edrückt 
sein  durch  sine  radice  et  sine  loco;  aber  es  widerstrebt  dem 
Begriff  des  Plötzlichen  der  Existenz,  dass  in  demselben  Satze 
doch  iigend  welcher  Gansalzusammenhang  (indicat  nnde 
pnllnlaverit)  angezeigt  worden  sein  soll.  Im  anderen  Fall, 
wo  die  Einwirkung  und  Einmischimg  in  die  Dinge  der  wirk- 
lichen Welt  in  Erwägung  kommt,  ist  nicht  zu  erkennen,  wie 
das  Moment  des  Plötzlichen  eine  Bedeutung  in  Basilides' 
Ideenzusammenhange  haben  solle.  Auch  mflsste  man  bei 
dieser  Auffassung  die  Worte  sine  radice  et  sine  loco  sehr 
gezwungener  Weise  dem  Sinne  nach  mit  dem  Verbum  super- 
venientem  verbinden,  während  sie  doch  offenbar  ein  allge- 
meines Prftdicat  zu  naturam  sind.  Vermutlich  hat  das 
supervenire  Neander  in  der  Annahme  bestftrkt,  dass  von 
einem  plötzlichen  überraschenden  Auitreten  des  Bösen  die 
Rede  sei.  Super  venire  ist  aber  nach  dem  Sprachgebrauch 
des  üebersetzers  nichts  Andres  als  imdrjfiftt^ 

„Ohne  Wurzel  und  Statte  sein''  kann  ferner  den  Sinn 
haben:  der  Selbständigkeit  entbehren,  welche  mit  der  Zube- 
böiigkeit  zu  eiat  iu  eigiicn  und  unabhü Hungen  Principe  ge- 
setzt ist.  Dem  Anscheine  nach  finden  sich  verwandte  Bilder 
und  Ideen  in  dem  Dogmenkreise  des  Parsismus.  SpiegeP) 
erklart  eine  Stelle  im  Bundehesch  so,  dass  Agromainyus  im 
Kampfe  gegen  das  Licht  besiegt  und  von  seinem  eigentlichen 
Wohnsitze,  der  unendlichen  Finsternis,  abgeschnitten,  zurück- 
zulaufen wünschte,  aber  keine  Brücke  oder  Furt  finden  konnte. 
£r  habe  daher  das  Loch  der  Hölle  in  die  Erde  gebohrt,  und 


1)  Cf.  Act.  Arcb.  c.  7 :  yyoyra  ik  voy  uya&oy  nariqa  t6  mtotoe  iif 
yi  avTov  iTTidedtjurixoi'  ad  terrani  saam  sapenreniase. 
Eranische  Alteitomskimde  U,  121» 


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504 


MOOBI, 


diese  sei  nun  sein  Aufenthalt,  und  von  dem  Ursitz»^  zu  nnter- 
ßcheiden.   Hier  scheint  also  das  sine  loco  oder  ladice  eine 


düBlistischeii  Ideenkroi»  ist  der  nngrigen  so  ähnlich,  wie  ein 

manichäischer  Mvthus ,  wekbon  der  Fihrist  überliefert 
Nachdem  der  Kampf  des  Urmenschen  und  ürteufels  un<i  iie 
MiscbaDg  der  entgegeogeeetzten  je  fünf  Elemente  beschrieben 
werden,  heisst  es  weiter:  Als  nun  die  fönf  dunklen  Qe> 
schlechter  mit  den  fSnf  lichten  Gesehlechtem  vennieeiit 
waien,  stieg  der  Urmensch  zu  der  untersten  Tiefe  des  Ab- 
grundes herab  und  schnitt  die  Wurzeln  der  fünf  dunklen  Ge- 
schlechter ab,  damit  sie  keinen  Zuwachs  erhielten.  Freilich 
wild  der  Wert  der  Analogie  schon  dadnrch  abgeschwichi, 
dass  es  liier  sieh  nicht  nnr  um  ManidiAisrans  handelt  sondern 
auch  um  eine  Darstellung  desselben  ans  dem  lö.  Jahrhundert, 
welchem  der  Fihrist  angehört  Man  könnte  sogar  ver- 
muten, dass  das  katholische  Dogma  von  der  Höllenfahrt  Qirisfei 
anf  die  ^dnng  dieser  manichlischen  Lehre  eingewirkt  habe. 
Alierdings  enthalten  bereits  die  Acten  des  Archelaus  c.  8 
(vgl.  Epiphan.  p.  65,  27)  den  Mythus,  dass  die  Pest  aus- 
bricht, wenn  ein  Dfunon  die  Wurzeln  der  Menschen  ab- 
schneidet; allein  darin  ist  war  dne  Verwandisohaft  der  Form, 
nicht  aber  der  Idee. 

Indes,  bei  genauerer  Betrachtung  versehwiudet  auch  die 
Analogie  in  den  Stellen  im  Bundehesch  und  Fihrist  mit  der 
aus  dem  Werke  des  Basilides,  und  es  ergiebt  sich,  daas  er 
unmöglich  einen  solchen  Gedanken  beabsichtigen  konnte.  In 
jenen  persischen  nnd  manichSlschen  Mythen  ist  ein  Kampf 
der  Principien,  und  zwar  als  lange  entbrannt,  vorgestellt, 
und  es  soll  nun  das  Böse  in  seiner  Schwächung,  welche 
den  Sieg  des  Guten  erleichtert,  dargestellt  werden.  Basilidea 
dagegen  zeigt  das  Herannahen  der  bOsen  Natur,  er  hesdirdbt 
nur  die  allgemeinen  Gegensätee  nnd  den  Beginn  der  Mischung 
von  gut  und  böse  in  der  Welt.  Er  konnte  nicht  von  einer 
geminderten  Kraft  bandeln ,  da  er  den  Anfang  der  Be- 
rfihrungen  darstellt,  wo  sie  in  ihrer  Unversehrtheit  erscheinen 


1)  Flügel,  Mani,  S.  b9. 


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DAS  IIBSPRÜNGLICHB  BASIUDUNISCHE  SYSTEM.  505 

vom.  Er  beschreibt  hier  überhaupt  keinen  Kampf,  wozq 
eehon  das  Bild  des  Armen  und  Reichen  nicht  passt.  Höch- 
stens war  die  üebertraguiig  des  allüfemeiiieu  Prädicates  der 
Schwache  mögUck,  aber  diea  erklärt  sich  leichter  aua  anderen 
Philosophemen. 

Es  erhellt  also,  daas  die  „natara  sine  radice  et  sin^ 
loco'*  sich  nicht  ans  dem  Ideenkreise  des  schroffen  Dualismus 
erklärt,  wohin  die  Gruppe  des  Irenäus  den  Ba^ilidos  verlegt. 
Wenn  jene  orientalischen  Systeme  von  dem  Verluste  der 
Wurzel  und  des  Ortes  reden,  so  geben  sie  davon  aus,  dass 
beides  dem  Wesen  naeh  dem  Bfeen  zukomme;  grade  dies 
leugnet  Basilides.  Zugleich  ist  aber  auch  dri  -emässigtere 
prinzipielle  Dualismus  ausgeschlossen.  Kann  er  nicht  mit  der 
Leognung  der  radix  bestehen,  so  noch  weniger,  w»m  dem  Bösen 
ladix  et  locus  abgesprochen  wird. 

Ebenso  wenig  Itat  sich  ein  anderer  Hauptbegriff  in 
dem  Satze  des  Basilides  aus  dem  Duali^mus,  welcher  zwei 
ieiiidselige  Principien  und  Keiche  entg^ensetzt ,  erhärten. 
Das  hose  Piincip  kann  nicht  arm  genannt  werden,  weder 
nach  den  orientiüisoh  heidnischen,  noch  nach  den  dahin  g^ 
hörigen  gnostischen  Ansehauungeu.  Die  Beschreibung  des 
phönizischen  oder  ägyptischen  Typhon  schliesst  dies  Prädicat 
nicht  ein  Im  Parsismuä  sind  Licht  und  Finsternis,  rein 
und  umrein,  gut  und  bdse,  im  Manichäismua  ansBerdem  Geist 
und  Materie  die  Merkmale  des  Gegensatzes,  niemals  reich 
und  arm.  In  den  Zendscbrifben  wird  zwar  das  Lichtweeen 
als  Geber  des  Reichtums  angeredet,  aber  auch  das  böse 
Princip  vermag  irdisches  Glück  zu  verleihen  Ebenso  weuig 
findet  sich  der  Ausdruck  oder  etwas  ihm  Verwandtes  in  den 
Andeutungen,  welche  die  Gruppe  des  Irenäns  über  Basilides* 
Lehre  von  der  Materie,  dem  Bösen  und  der  Schöpfung  giebt. 
Wo  das  Keich  des  Bösen  als  ein  mächtiges,  furchtbares  und 
im  Angrift'  tätiges  erscheint,  kann  ihm  wohl  Begier  nach  dem 


1)  MovetB,  fielig.  der  Phimizier  I,  435 if.  523 If. 
S)  Spiegel,  Avesta,  Yendidad  farg.  19,  23.    Tl.  I,  S.  244. 
Agramainyos  spricht  zu  Zarathustra:  Yerflucbe  das  gute  Geaetz,  eriuige 
GlBcfc. 


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606 


Liebt,  aber  nicht  Armut  zugeschrieben  werden.  Nor  wenn 
der  Gegenaati  gegen  das  göttliche  Priodp  als  negatiT«  an 
sich  leer  nnd  nichtig,  vorgestellt  wird,  finden  sich  Begriffe, 
welche  dem  der  Animt  verwandt  .siud,  z.  B.  das  xli-ioua  der 
Valentinianer.  Femer  passt  es  nicht  recht  zu  dem  ent- 
schiedenen Dualismus,  dass  in  dem  Fragment  des  Baailides 
die  Dinge,  welche  das  BOse  erfasst,  ohne  weitere  Bestimmni^ 
hezdchnet  sind.  Denn  nnter  der  Voranssetinng  des  prind- 
piellen  Gegensatzes  würde  ein  Piädicat  vermisst,  welches  die 
Zi^ehörigkeit  derselben  zum  guten  Princip  aussagt  Daher 
z.  B.  die  Zendschrülen,  welche  Enengnisse  des  guten  und 
des  bOsen  Principes  nnterscheiden,  nirgends  darflber  in  Zweifel 
lassen,  dass  es  die  Dinge  der  ^^uten  Schöpfung  seien,  welche 
das  Böse  ergreift.  Allenfalls  Hesse  sich  der  unbestimmte 
Ausdruck  bei  Basilides  daraus  erklaren,  dass  er  die  der  Kin- 
miachnng  der  bOeen  Nator  preisgegebenen  Dinge  nur  ab 
Objecte  derselben,  nicht  nach  ihrer  sittlichen  Beschaffenbdt 
bezeichne;  aber  man  wird  nicht  leugnen  k()nnen,  dass  das  in 
dem  Moment,  wo  er  die  Gegensätze  in  ihrer  Allgemeinheit 
und  unter  den  scharf  abscheidenden  Kategorien  von  arm  und 
reich  vorfahrt,  wenn  er  sie  als  prindpiellen  Duaiismns  anf- 
fhsste,  nnerwartet  nnd  verwirrend  sein  wfirde. 

Fassen  wir  die  Resultate  zusammen,  so  ergiebt  sich,  dass 
das  erste  Fragment  des  Basilides  weder  zu  dem  Zweck  hin- 
gestellt ist,  den  dualistischen  Charakter  seines  Systems  su 
erweisen,  noch  auch  der  Dualismus  zn  dem  im  Fragment  ent- 
haltenen Begriffe  des  BOsen  nnd  seinen  Einzelprftdicaien  passe, 
am  wenigsten  der  persisch  geartete  Dualismus,  aber  auch 
nicht  der  gemässigtere  einer  passiven  Hyle. 

Jedoch  ist  auch  ein  zweites  Fragment  in  den  Acten 
vorhanden,  welches  unzweifelhaft  einen  persischen  Dnalismos 
ansspricht  und  dämm  von  denen,  welche  anf  der  8^  des 
Irenäus  die  authentische  Berichterstattung  zu  finden  meinen, 
als  ein  Hauptbeweismittel  augesehen  wird.  Auch  ist  die 
Frage  nicht  zn  umgehen,  welche  Meinung  der  Verfasser  der 
Acten  von  Basilides*  Dnalismns  habe,  nnd  welcher  Wert  seinem 
Urteil  beizumessen  sei. 

Sagt  der  Verfasser  der  Acten ,  dass  Baailides  dem 


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DAS  URidPHCNQLICHE  BA$ILIDIANISCU£  SYSTKtf.  507 

Diialisuius,  welclieii  das  zweite  der  von  ihm  selbst  mitge- 
teilten Fragmeute  eotbält,  zugestimmt  habe? 

Dass  er  es  aussage,  ist  freilich  die  allgemeine  Annahme, 
und  Hilgenfeld  ^)  Ifisst  die  Acten  sogar  befannpten,  dass  Bad- 
lides mit  Worten  anderer  die  eigne  Theorie  Torgetragen 
liabe.  Soweit  ist  nun  die  Tdentificiruug  auf  keinen  Fall  ge- 
trieben, wie  sich  aus  der  ßichtigstellung  der  Worte  Denique  — 
adTersarüs  ergiebi  Sie  sagen  nnr,  dass  er  Fremdes  über  die 
'  feindseligen  Principien  yoigelegt  habe,  weil  er  nichts  Eignes 
hatte.  Dies  lässt  sich  so  verstehen ,  dass  damit  die  Zu- 
stimmung ausi^ediückt  sei;  aber  notwendig  ist  es  nicht.  In 
den  vorangehenden  Worten  sagt  der  Verfasser  der  Acta,  Ba- 
Bilides  wollte  den  Dualismus,  welcher  sich  auch  beim 
Scythianus  fand,  behaupten  (dualitatem  istam  voluit  affirmare, 
quae  etiam  apud  Scythiunum  erat).  Waiuni  saijt  er  nicht 
gradezu  affirmavit?  War  dies  nicht  das  Einfachste,  Selbst- 
verständliche, wenn  er  in  Basilides'  Worten  eine  kkre 
Billigung  gelesen  hätte?  Statt  dessen  schreibt  er  ihm  die 
Absicht  zu,  die  natflrlich  nur  seine  eigne  Vermutung  ist; 
und  diese  Absicht  wird  dann  mit  der  ebenso  subjectiven  Vor- 
aussetzung unterstützt,  dass  er  den  Mangel  des  eignen  mit 
fremdem  Gut  verdeckt  habe.  £s  scheint  doch  daraus  hervor- 
zugehen, dass  der  Yerfiuser  in  Basilides*  Schrift  keine  evidente 
und  unbedingte  Zustimmung  erkannt  hat,  nnd  dass  er  m 
wahrheitsliebend  ist,  um  ganz  zu  verhehlen,  wie  er  nur  seine 
eigne  Vermutung  ausspreche,  wenn  er  den  Dualismus  auch 
dem  Basilides  zuschreibe.  Ueberhaupt  behandelt  der  Ver- 
fhsser  diesen  sehr  oberflächlich.  Es  genQgt  fSr  seinen  Zweck, 
darzutun,  dass  auch  Basilides'  Buch  Zeuge  für  dualistische 
Lehren  der  Barbaren  lange  vor  Maues  sei.  Von  diesem  ge- 
steht er,  dass  er  die  ererbten  Dogmen  verändert  habe.  Das- 
selbe h&tte  er  von  Basilides  berichten  mflssen;  statt  dessen 
sagt  er  ihm  nach,  er  habe  nichts  vorzubringen  gewusst 
Wahrscheinlich  hielt  er  die  alten  jetzt  unschüdlichen  Häre- 
tiker keines  genaueren  Studiums  wert.    Noch  grösser  ist  die 


1)  Theologische  Jahrbücher  185(> ,  S.  92.  Zeitschrift  1872, 
S.  455. 


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508 


JACÜBI, 


ünknncle  der  ReHgionsgysteme,  woraus  er  den  MamehSianras 

ableitet.  Er  lä-t  den  ersten  Vorgänger  des  Manes  seinen 
Dualismus  aus  der  Weisheit  der  Aetryptier  entlehnen,  die, 
mag  luan  daniuter  den  Polytheismus  oder  die  esoterische 
Form  verstehen,  jedenfalls  Yielraebr  pantheisiisch  als  doft» 
listisch  war.  Er  wirft  dieselhe  Lehre  dann  wieder  mit  dem 
Buddhismus  zu>aiii!iieu.  indem  Terebinthus,  der  gleiehgesinnte, 
mit  ihm  in  Aegypten  lebende  Schüler,  sich  Buddhas  nennt; 
eine  Notiz,  die  insofern  von  Interesse  ist,  als  sie,  wenn 
aach  nur  sehr  im  allgemeinen,  die  Annahme  bestfttigt» 
dass  der  Buddhismus  von  Indien  nach  Aegypim  hinfiber- 
f^ewiikt  habe.  Man  würde  dem  Verfasser  zu  viel  Ge- 
nauigkeit und  Kenntnis  zuti'aueu,  wenn  man  meinte,  er 
habe  jene  Zusammenhänge  in  Bezug  auf  Einzelnes  behauptet» 
etwa  Ton  den  Aegjptem  die  Selenwanderang ,  von  den 
Buddhisten  die  Askese  abgeleitet,  denn  er  identificirt  viel- 
mehr das  Ganze  (c.  53  omiiia  illa  quae  ( Terebinthus]  secura 
de  Aegypto  pertulerat)  und  insbesondere  den  Dualismus  mit 
jenen  Quellen  des  Manioh&ismns.  Der  Parsismus  bot  sich 
vor  allem  am  leichtesten  als  üisprung  desselben  dar,  und  es 
war  zu  erwarten,  dass  der  Verfasser  diese  Verbindung  nach- 
weisen und  daraus  gegen  Manes  argumentiren  würde.  Jedoch 
im  Gegenteil  berichtet  er  von  häufigen  Disputationen  der 
Magier  gegen  die  von  Manes  gepredigten  Lehren,  unter  wel- 
cher auch  das  bellum  in  principiis  (c.  52).  Und  nicht  etwm 
ist  hiebei  Kenntnis  des  Verfassers  von  Secten  unter  den 
Persern  vorauszusetzen,  welche,  wie  die  Anhänger  der  Lehre 
vom  Zervam,  einen  monotheistischen  Ausgangspunkt  hatten 
und  deshalb  den  absoluten  Dualismus  bekftmpfton;  denn  von 
solcher  Kunde  zeigt  er  keine  Spur.  Die  mit  ihm  Streitenden 
sind  Priester  und  Fro]>lieLen.  al-o  anerkannte  Autoritäten  der 
Perser.  Dem  Epiphanius  entging  die  Confusion  des  Berichtes 
nicht,  und  er  macht  daher  daraus  einen  Streit  gegen  dea 
PolytheismuB.  Die  Verwirrung  des  Ver&asers  der  Acten  Aber 
die  ausserkirehli^en  religiösen  Erscheinungen  ist  mithin  so 
gross,  dass  wir  ihm  nur  so  weit  einen  Einfiuss  auf  das  Urteil 
über  Basilides'  Grundideen  gestatten  dürfen,  als  seine  urkund- 
liche Bezeugung  reicht,  und  nicht  weiter. 


* 


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DAS  UBSPBONQUCHB  EA8IL1DIANISCHE  SYSTEM.  509 

Das  zweite  Fragment  war,  wie  der  Yedamr  der  Acten 
sagt,  von  dem  ersten  dnreb  etwa  600  Zeilen  getrennt.  Das 

ist  ein  sehr  grosser  Zwisclieiiraiim,  namentlich  nach  dem 
Massstab  der  chnstlicheu  Schriftstellerei  im  Anfang  dee 
2.  Jahrkunderts.  Man  kann  zweifeln,  ob  das  zweite  Frag- 
ment demselben  13.  Bache  der  Traktate  angehöre,  aas  wd* 
cbem  das  erste  geflossen  ist.  Da  er  in  dem  Zwischenräume 
kein  ihm  passendes  Stück  gefunden  bat,  wie  denn  anch  das 
angefahrte  eine  neue  Wendung  zu  bezeichnen  scheint,  so 
moss  man  schlieseen,  dass  die  Vorliebe  des  Basilides  fflr 
Stellen  jener  Abkunft  und  jenes  Gehaltes  nicht  so  stark  ge- 
wesen ist,  wie  man  ihm  zuzuschreiben  pflegt,  wenn  man  ihn 
zum  Anhänofer  jpiier  Priucipienli^lire  macht.  Aus  dem  Ein- 
gang des  Fragmentes:  desine  ab  inani  et  curioea  Tarietate; 
requiramuB  antem  magis  (potius  /uaAAoy),  quae  de  bonis  et 
malis  etiam  barbari  inquMerant,  et  in  quas  optnionee  de  h» 
Omnibus  pervenerunt"  —  erhellt,  dass  er  vielspältige  Meinungen 
über  eine  Anzahl  von  Punkten  aufgeführt  hat,  diesen  keinen 
"wahren  Wert  beilegt  und  sich  von  ihnen  abwendet,  wie  die 
Acta  urteilen,  nach  einer  Abschweifung  zur  Sache  zurflck- 
kehrend.  Die  gewöhnliche  Ansicht,  dass  er  Meinungen  grie- 
chischer Philosophen  erörtert  und  abgewiesen,  hat  ihre  Be- 
rechtigung wegen  des  folgenden  Gegensatzes  etiam  barbari 
jedenfalls  insofBm,  als  sie  wenigstens  mitbehandelt  sein 
mfissen.  Inwieweit  er  nun  den  Inhalt  des  Fragmentes  seinen 
Ideen  anbequemt  habe,  lässt  sich  nicht  entscheiden,  da  die 
Schrift  mit  dem  Fragmente  abbricht;  die  kühle  und  objective 
Weise,  mit  der  er  einleitet:  „quidam  horum  dixerunt  initia 
OBminm  duo  esse''  etc^  begOnstigt  keineswegs  «die  Annahme 
vollen  Einklanges,  es  iet  offenbar  die  erste  von  mehreren 
Meinungen,  und  es  ist  leicht  möglich,  dass  er  keine  klare 
Entscheidung  gegeben  hat.  Ich  möchte  glauben,  dnss  das 
Bruchstück  ihm  nicht  aus  einem  Original,  sondern  unter  Ver* 
mittlung  einer  griechischen  Darstellung  zugekommen  ist. 
Denn  die  Bemerkung  Ober  die  getrennten  Principien:  „Om- 
nibus amicum  est,  quod  est  proprium  et  nihil  sibi  ipsiun 
malum  videtur",  hat  ganz  die  Art  einer  griechischen  Keflexion. 
Sie  verwischt  bereits  das  Eigentümliche.    Nach  dem  Zand« 


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510 


JACOBI, 


Avesta  kami  der  Gedanke,  dass  das  böse  Princip  uicht  böse 
sei,  gar  keineo  Baum  fuideo.  Ea  will  gar  nichts  anders 
als  der  Böse  and  Unreine  sein  (vgL  Spiegel ,  E.  A.  n,  206). 
Hier  dagegen  ist  schon  ein  Uebergang  tn  der  Vor- 
stellung, dass  das  Böse  nur  böse  sei  im  Vergleich  mit  «lern 
Höhereu.  Der  ethische  Gesichtspunkt,  welcher  im  Parsiamus 
vorschlägt,  ist  zorückgedräogt  Wir  knüpfen  hieran 
allgemeinere  £r5rtening. 

Die  Unsicherheit  des  Urteils,  welche  man  bei  dem  Ver- 
la^si'i  <lor  Acten  wahrnimmt,  beruht  nicht  bloss  auf  persön- 
licher Unkenntnis,  sondern  zugleich  auf  dem  Mangel  an 
Kritik,  weicher  dem  gesammten  Synkretismus  jener  Jahr- 
hunderte anhaftet  Man  hemfiht  sich,  Ideen,  in  welche  man 
sich  eingelebt  hat,  in  iiiideien  Gedankciikitisen  wiederzuer- 
kennen, und  begnügt  sich  oft  mit  äusserlicb  Verwaudteni,  ver- 
quickt auch  das  Verschiedenartige. 

Was  Philo  ?on  jüdischem  Standpunkt  tat,  findet  zahlreiche 
Analogien  in  der  hellenischen  Philosophie,  namentlich  in  der 
uiexandrinischen  GeisteiSpLäre.  Plutiiius  hatte  bereits  seine 
Spekulation  monistiach  gestaltet  und  versuchte  doch  eiue 
Heise  nach  Persien,  weil  er  dort  wesentlich  dieselbe  Weisheit 
zu  finden  hoffte.  Der  Syrer  Numenius  meinte  bei  Moses,  den 
persischen  Magiern  und  den  indischen  Brahmanen  die  platoni- 
schen Lehren  wiederzufinden  Erj>t  mit  der  grö>serea 
Sicherheit  m  der  Erkenntnis  de^  eigentümlichen  Ciuuakters 
des  Christentums  wurden  Linien  gezogen,  welche  der  Ver- 
wischung der  Gegensätze  Einhalt  taten,  hauptsächlich  in  der 
katholischen  Kirche,  viel  weni^a-r  aber,  dem  Heidentum  gegen- 
über, in  derGnosis.  Basilides  wird  sicher  keine  Ausnahme  von  der 
Methode  gemacht  haben,  den  eignen  Standpunkt  trotz  grosser 
historischer  und  sachlicher  Unterschiede  in  fremden  Ideen 
wiederzuerkennen.  Das  Wort  Piatos,  was,  wie  Neander  be- 
merkt, den  leitenden  Gesichtspunkt  aussprach:  die  Grieclicn 
seien  immer  nur  Kinder,  sollte  durchaus  nicht  leugnen,  dass 
sie  im  .Besitz  wahrer  Erkenntnisse  seien,  sondern  nur  das 


1)  EuBeb.  praep.  ev.  IX,  ti.  7;  vgl.  Möller,  Geschichte  der  Koe 
mologie,  S.  92. 


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DAS  tiWi'liC.N GLICHE  BAblLlDiANIbCtLE  SYSTEM.  511 

höhere  Alter  der  Weisheit  gewissen  Barbiuren  beilegen 

Dies  hinderte  gar  nicht,  dass  die  echten  oder  vermeintlichen 
orieotaliscben  Ideen  gänzlich  oder  bis  auf  die  Form  in  die 
eignen  umgesetzt  wurden.  Wir  sind,  wenn  Isidoras,  der  Sohn 
des  Bssilides,  sich  det  Weisheit  des  Cham  rOhmt,  so  wenig 
sicher,  echt  persische  Ideen  za  finden,  wie  wenn  die  Giemen- 
tinischen  Recognitionen  (IV,  27)  den  Cham,  der  Zoroaster  sei, 
zum  Lehrer  der  magischen  Kunst  dor  Perser,  Babylonier  und 
Aegypter  machen.  Unter  demselben  Gesichtspunkt  mnss  auch 
die  sogenannte  heidnische  Frophetie  betrachtet  werden,  welche 
überall,  wo  wir  sie  aus  eigner  Kenntnis  beurteilen  können, 
sich  als  untergeschoben  erweist.  Alle  solche  Erzeugnisse  wie 
die  Sibylliniscben  Orakel  und  die  Weissagungen  des  Hermes 
Trismegistns  sind  fem  davon,  Eigentämlichkeiten  und  Entr 
wicklnngsstufen  anzuerkennen,  sondern  die  Lehren,  die  man 
begründen  will,  werden  völlig  gleichartig  in  das  Altertum 
zurückverlegt.  Nicht  anders  wird  es  sich  mit  den  von  Ba- 
'  silides  und  Isidor  benutzten  Propheten  Barkoph  und  Parchor  ^) 
yerhalten,  deren  Schriften  schwerlich  in  Persien  entstanden 
sind  und  wahrscheinlich  wenig  persische  Weisheit  enthalten 
haben.  Aus  dem  eklektischen  Zustande  der  Philosophie 
während  des  2.  und  3.  Jahrhunderts  und  aus  dem  Neoplaton Is- 
mus entstanden  die  assimilirenden,  auf  den  Orient  gerichteten 
Versuche,  denen  whr  unter  andern  die  von  Franz  Patricius 
tjesa umleiten  so<?enannten  Zoroastrischen  oder  chaldftischen 
Orakel  verdanki'ii  Sie  sind  nicht  für  den  Parsismus, 
sondern  für  den  Eklekticismus  und  Neoplatonismus  gemacht, 
und  wo  sie  jenen  berühren,  stellen  sie  sich  die  Aufgabe ,  ihn 
ihrem  Zwecke  gemftss  umzuschmelzen.  Die  Yermntnng  liegt 


1)  VgL  Clem.  str.  I,  903. 

>)  F^or  Glem.  Str.  VI,  6  lat  oSenbar  identiaeh  mit  Fferkos 
Aet  Aich.  62.  Der  Nsme  hingt  sicher  mit  dem  altpondMhen  Worte 
park,  Ohua,  siuammeii.  Ob  der  Name  Barkoph,  velohen  Agiippa  Gaetor 
Knaeb.  IV,  7  als  den  emes  Fkopbeten  nennt,  daiana  verdorben  ist,  oder 
wie  er  sich  za  dem  anch  dort  genannten  BarkabbaB  verhält,  Ist  nn» 
gewies. 

*)  Cndworth,  Bystema  mteUectuale  mit  den  Amnerkongen  von 
]£oiheim,8.887it  Klenker,  Zendavesta.  Anhang,  Penika,  8.  161. 


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512 


JAOOBI, 


uicht  terüf  da&s  sie  zum  Teil  dea  Inhalt  jener  prophetischen 
Schrift^  ausmachten.  Doch  wenn  das  anch  nicht  der  Fall 
war,  80  hat  es  doch  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  daas  in 

den  Piophetieii  des  Parchor  ähnliche  Gesichtspunkte  walteten. 
Wenn  daher  Tsidorus  sie  commentirte  (Clem.  Str.  VI,  B).  so 
sollte  man  vielmehr  schliessen,  dass  dem  Parchor  hellenische 
Philosopheme,  als  dass  dem  Isidor  principielier  DnaUsmiis  sii- 
anschreiben  seien. 

Auch  hinsichtlich  des  Basilides  selbst  müssen  wir  daher 
behaupten,  dass  weder  das  dualistische  Fragment,  noch  die 
allgemeinen  Beziehungen  zara  Parsismos,  in  die  er  verBeiit 
wird,  für  sich  irgend  den  Beweis  seines  Dnalismns  lidfeoL 
Nur,  wenn  er  ohnehin  ausgemacht  wftre,  konnten  sie  Besti- 
tiguni?  abgel)en. 

Hat  äich  uns  nun  erwiesen,  dass  eine  ungekünstelte  Ver- 
einigung des  ersten  Fragmentes  mit  der  DarsteUang  des 
Systemes  nachlrenäns  nicht  vollziehbar  ist,  so  wird  uch  ims 
dagegen  zeigen,  dass  es  sich  mit  dem  Bericht  des  Hippolytus 
und  den  entsprechenden  Notizen  des  Clemens  harmonisch  zu- 
sammenfügt. Ich  werde  die  einschlagenden  Fandamental* 
ideen  des  Systemes  daher  voranstellen,  und  benutse  die  Ge- 
legenheit ,  mich  zngleich  mit  Dr.  Uhlhorn  darflber  anaeiii- 

auderzusetzen. 

Die  Materie  und  die  Entstehung  der  Welt  beschreibt 
Basilides  zum  niclit  geringen  Teil  nach  stoischem  YorgaDge. 
Dies  hat  Dr.  Uhlhorn  mit  Becht,  nur  in  zn  weiter  Aus- 
dehnung, meiner  Mheren  Darstellung  des  Systems  entgegen- 
gehaltt  n.  Man  muss  die  Gedankenverbindungen  dieses  Gno- 
stikers  in  ihrem  Eklekticismns  bestehen  lassen.  Ich  will  es 
daher  versuchen,  die  Grenzen  der  stoischen  Einwirkungen  zu 
bestimmen.  Basilides  geht  von  der  äuwrsten  Abstractton 
aus;  im  Anfang  sei  nichts  gewesen,  weder  Gott  noch  Materie. 
Der  nicht  seiende  Gott  (o  ovx  oiy)  wirft  unter  sich  in  die 
Tiefe  hinab  einen  Samen  der  Welt  {an%ia  tov  xoafiov)^  in 
welchem  die  ganze  Welt,  aber  nicht  wirklich,  sondern  den 
Keimen  nach,  enthalten  ist.  Das  aneQ/nu  ist  also  identisdi 
mit  der  nuyamQf.ua.  Die  üngeschiedeuheit  der  einzelnen 
Dinge  bringt  es  ohne  weitere  Begimdung  mit  sich,  dass  sie 


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DAS  UBSFBONOLIGHE  BiHUDUmSCHE  SIBTEIf .        6 18 


in  einem  chaotischen  Zustande  durcheinander  gemischt  liegen 
{avyiuxvfiiya),  Sofem  alles  nur  potenziell  und  nidit  in  ifirk- 
lichem  Dasein  TOrhanden  ist,  nennt  er  diesen  Urzustand  olx 
oyTu;  und  sofern  das  ausgestaltete  Eiuzelsein  fehlt,  die  aaoQ<p{a, 
Diese  ist  also  von  Anfang  mit  der  noy^jug^ta  vorhaDiien,  ist 
identisch  mit  ihr,  indem  sie  die  vkij  an  sich  «und  in  ihrer 
Formlosigkeit  bezeichnet 

Aus  ihr  scheiden  sich  nun  in  der  Welteutwicklung  die 
Lebenskeime  in  immer  vollständigerer  Sonderuug  der  Arten 
ans  {(pvXoxQiyrjtng);  die  geistige  Natur  (rlori;^)  mit  Ausnahme 
eines  Teiles,  welcher  wa£  der  Stufe  der  Menschheit  zurQck- 
bleibt,  eilt  voran  und  zu  Oott  empor,  und  indem  das  Niedere 
jedesmal  unter  dem  Höheren  seinen  Ort  findet,  baut  sich  die 
Stufenfolge  der  Wesen  auf,  welche  vom  höchsten  Gott  bis  zu 
unserer  Bagim  heiabreicht  Man  kann  nicht  lenken,  dass 
das  «TTf^^ftTixor  der  Stoiker,  ihre  anmog  vXri  und  die  durch 
Ausscheidungen  entstehende  Welt  der  concreten  Wesen  hier 
eine  Analogie  finden.  Indes,  so  nahe  sich  beide  Begriftsreihen 
stehen,  so  enthalten  sie  doch  auch  Unterschiedliches;  und  eine 
weitere  Heranziehung  stoischer  Principien  stösst  in  Baaüides* 
Ausdrücken  auf  Schwierigkeiten,  weldie  zum  Teil  von 
D.  Uhlhorn  selbst  bemerklich  gemacht,  aber  zu  gering  ange- 
schlagen sind.  Während  die  Stoiker  eine  ewige  Materie 
lehren,  geht  Basilides  von  dem  alsoluteu  Nichtsein  aus,  eine 
Voraussetzung,  welche  eher  buddhistisch  als  stoisch  ist,  wie 
schon  Gundert  und  Niedner  bemerkt  haben.  Dies  Nichts 
soll  nach  Uiilhorn  die  Ureiuheit  sein  von  Gott  und  Materie. 
Es  scheint  mir  nicht  ohne  Schwierigkeit,  dass  Basilides,  nur 
vom  stoischen  Standpunkt  aus,  dessen  realistisches  Frincip  in 
die  ftusserste  Abstraction,  welche  jemals  in  der  Speculation 
vorgekommen  ist,  umgesetzt  haben  sollte.  Lag  es  nicht  nahe, 
wie  die  Stoiker  eine  ewige  immanente  Vernunft  auszudrücken? 
Warum  ist  der  Begrifi'  der  avyx^atg  nicht  auf  das  Ineinander 
des  ovx  äy  und  des  and^fia  außgedehnt?  Hippoljtus  bezieht 
ihn  entschieden  nur  auf  das  im  anig^a  Enthaltene,  und  die 
Parallelstellen  des  Clemens  führen  nicht  darüber  hinaus. 
Schon  an  diesem  Punkte  scheinen  doch  also  andere  Ideen 
einzuwirken,  ferner  aber,  der  stoische  Gott,  welcher  sich  von 

Zcttfdir.  t  K.-0.  84 


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514 


JAOOBI, 


der  Materie  sondert,  ist  durch  diesen  Gegensatz  schon  concret 
geworden  und  müsste  der  Seiende  heissen,  soweit  er  irgend 
als  die  tätige  Kraft  Yon  dem  leidenden  Stoffe  nnteradiiedeit 
mrd.  Statt  dessen  heisst  er  mit  seinem  spedfisehen  Namen, 
durch  alle  Perioden  des  weltfornienden  Processes  hin,  bei  Ba- 
silides  der  Nichtseiende.  Dies  führt  bestimmt  auf  eine  Gott 
Ton  dem  irdischen  Sein  weiter  abscheidende  Betrachtang,  als 
es  in  der  stoischen  geschieht.  Da  nnn  der  Stoieismon  nadh 
Uhlhorns  eigner  Angabe  am  Endpunkte  der  EntwicUnng,  der 
ApokatastcOsis,  felilt,  so  ist  er  von  dem  Begriffe  Gottes  während 
des  gesammten  Verlaufes  des  Weltlebens  ausgeschlossen,  und  es 
ist  nmsomehr  die  Frage,  ob  der  Nichtseiende  in  demselben 
Sinne,  wie  das  weltliche  Sein,  im  Beginn  als  nicht  seioid 
anzunehmen  sei,  da  er  unmittelbar  nach  der  Setzung  des  Welt- 
samens mit  der  höchsten  Schönheit  ausgestattet  und  als 
überweitlicher  Weltbeweger  erscheint.  Denn  es  ist  keine 
Firage,  dass  der  üebeigang  zn  dieser  positiv^!  Beschreibong 
leichter  geftmden  wird,  wenn  die  Verneinung  die  Qberweli- 
liche  Erhabenheit,  als  wenn  sie  die  Niclit^^xistenz  ausdrückt. 
Weiter  scheint  es  allerdings  in  den  Kreis  stoischer  Gedanken 
zn  gehören,  dass  die  Gründung  des  omgitm  mit  dem  Xiyo^ 
veiglichen  wird  ^).  Uhlhorn  findet  darin  den  ersten  Anfang 
der  Scheidung  von  Cbtt  nnd  Welt  ansgedrfickt,  nnd  zwar 
so  weit  zurückgegi-iffen ,  dass  von  dem  gesprochenen  Wort- 
das  ontQiAa^  sofern  es  immanent  in  Gott  war,  unterschieden 
werde.  Es  stimmen  abor  auch  hier  keinesw^  alle  Begriffe 
mit  dem  Stoicismns  überein.  Der  Weltsame  wird  Xo^  o^  ge- 
nannt in  dem  Sinne  von  Wort,  während  er  bei  den  Stoikern 
immer  nur  mit  dem  Begi'iff  der  Vernunft  geeinigt  wird 
Basilides  nennt  dies  Wort  gesprochen,  hervorgebracht  durch 
die  Stimme;  er  hat  dabei  nicht  den  Gegensatz  der  Immaneni 
in  Gott,  sondern  den  des  Schweigens,  also  in  Bezog  anf  den 


VTI,  22  yiyovB,  <p^aiy^        ovx  oVrfuy  lo  cniQfAa  toC  xoa^ov, 
«)  Zeller,  Theol.  Jahrb.  1852,  S.  297.   Gesch.  d.  Piulos.  Ul,  U, 

mit 


* 


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DAS  LRSPBÜNGLICHE  BASILIDIANISCHE  SYSTEM.  515 

Weltsamen  don  des  Nichtseins  vor  Augen.  Hätte  er  die 
IJntersclieiduiig  eines  in  Gott  erst  eingeschlossenen  und  dana 
hervorgetretenen  Weltsamens  beabsichtigt,  so  wärde  er  grade 
den  fiegriff  der  ngofloX^  behauptet  haben,  welchen  er  unmittel- 
bar znvor  mit  aller  finteehiedenheit  abgelehnt  hatte.  Es  ent- 
spricht auch  nicht  den  stoischen  Vorstellunfjen  vom  Uranfang, 
dass  die  Materie  aas  der  Immanenz  in  Gott  zur  Besonderheit 
hervorgeht,  sondern  Oott  wärde  ans  der  Immanenz  in  der 
Mat^e  zor  realen  Existenz  kommen;  denn  wenn  anch  der 
Geist  nayT  iy  lavzoi  moi^x^y  heisst  (s.  Zeller,  S.  126),  so 
herrscht  hier  schon  die  Ansdiainmrr  der  wirklichen  Welt; 
aber  das  Ursprüngliche  und  das  im  Verhältnis  zu  Gott  äusser- 
liehe  ist  doch  immer  die  Materie. 

D.  Uhlhorn  ist  der  Ansicht,  dass  hier  flberall  nnr  stoi- 
scher Pantheismus  in  christlichen  Formen  vorhanden  sei.  Ich 
sehe  aber  nicht  ein,  warum  man  Aeusserungen ,  welche  be- 
stimmt Yon  stoischen  Begriffen  abweichen  und  alle  Zeichen 
tragen,  mit  üeberlegnng  getan  za  sein,  f&r  Stoidsmns  halten 
solle.  Von  einem  klar  gedachten  Theismns  ist  Basilides  fsm; 
der  negativ  gedachte  Gott  steht  zuletzt  auch  im  Gegensatz 
•  zur  Persönlichkeit,  aber  einzelne  Momente  sind  es,  in  denen 
JBasilides,  durch  die  Bibel  bestimmt,  die  stoischen  Gedanken 
in  biblische  umsetzt;  und  dies  geschieht  hier  in  dem  Punkt, 
dass  er  den  Weltsamen  durch  die  göttliche  Allmacht  gesetzt 
werden  lässt.  Es  ist  dasselbe  Schwanken  zwischen  Pantheis- 
mus und  einzelnen  theistiachen  Momenten,  wie  es  sich  im 
Verhältnis  des  Bythos  zu  den  Aeonen  im  Yalentinischen 
Systeme  findet  Wenn  femer  von  den  pneumatiscben  Naturen 
gesagt  wird,  worauf  D.  Uhlhorn  besonders  Gewicht  legt,  dass 
sie  dem  ovx  oy  gleichen  Wesens  seien  (o/aootam'  natt 
navta)^  SO  lautet  das  allerdings  pantheistisch.  Der  Unter- 
achied  zwischen  den  Geistern  und  Gott  ist  nur  ein 
fliessender,  aber  doch  ein  Unterschied;  es  sind  dieselben 
unsicher  begrenzten  Gedanken,  wie  in  dem  eben  besprochenen 
Ealle.  Denn  gleichen  Wesens  und  Ortes  mit  Gott  sind  die 
Pnenmatiker  zunächst  unter  dem  Gesichtspunkt,  dass  sie  als 
vn^ytoaijua  dem  xocrfioc  entgegengesetzt  sind.  Uebrigens  aber 
ist  ja  die  zweite  Klasse  der  Pnenmatiker  noXv  wnSitatiffa 

84» 


516 


JACOBI, 


flfi  die  enie  und  ihr  nur  nachstrebend,  fufurjrtxTi,  womit  sndi 

ein  niedrigerer  Ort  verbunden  ist.  Am  entschiedensten  zeigt 
Bich  dieser  Paatheismus  immer  im  Verhältnis  des  Geisten 
zum  Weltleben. 

üeberbliokt  man  alle  dieae  taila  wideratarebendeii,  teäa 
zweifelhaften  Beetinunun^en,  so  ergiebt  nch  als  Resultat,  daaa 
Basilides  eine  idealistische  Gottesidee  mit  einer  realistischen, 
stoisch  gearteten  Weltbetrachtung  verbanden  hat,  und  dauia 
dürfte  ein  firklftnmgegnuid  li^n,  wie  das  Sjatam  in  des 
Doalitmnia  binfiber  gebildet  werden  kennte.  Der  idealistiaehe 
Einflnss  ist  auch  darin  kenntlich,  daas  der  Geist  nicht  nach 
stoisclier  Weise  als  körperlich  gedacht  wird,  sondern,  so  viel 
es  einem  Guostiker  möglich  ist,  als  unmateriell  und  deshalb 
als  fiberkosmisoh  nach  Natnr  und  findbestimmmg. 

Oott  nmfiisst  das  Ganze  der  Welt,  indem  er  6m  Samen 
derselben  in  die  Tiefe  gelegt  und  die  Keime ,  die  darin  ent- 
halten sind  und  sich  nach  dem  immanenten  Gesetze  entfalten, 
sollicitirt  und  die  Heihe  der  Lebensformen  durch  seine  An- 
ziehnngskiaft  ordnet  Vollendet  wird  die  fintwicUnng  sein,  wenn 
alle  Wesen  sieh  ans  dem  chaotischen  Znstande  losgemngen, 
sich  von  fremden  Bestandteilen  befreit  und  ihre  eigentüm- 
liche Stelle  in  der  Reihe  der  Geschöpfe  empfangen  Laben. 
Gem&ss  der  pantheistischen  Betrachtung,  welche  hier  hemcht» 
entwiekda  sieb  auch  die  auf  der  hrdisdien  Stufe  befindliohaa 
pnenmatisohen  Keime  dnreh  verschiedene  Formen  hinauf  bis 
zur  Gestalt  des  menseli liehen  Bewusstseins,  welche  ilirer  Natur 
iHikommt.  Je  weiter  die  allgemeine  Ausgestaltung  der  Dinge 
msobreitet,  desto  mehr  Scheidung,  Grenze  und  Ordnung  ist 
in  der  Welt,  nnd  desto  »ehr  schwindet  die  Verworrwdieit 
und  Mischung,  welche  ihr  anfänglicher  Zustand  war. 

Nach  dem  angegebenen  Begi'ifTe  der  Materie  ist  es  iiichi 
schwer,  zu  dem  des  Bösen  zu  gelangen,  von  welchem  Basi- 
lidesi  wie  der  wichtige  Begriff  der  mdupatg  beweist,  sicher 
eingehender  gehandelt  hat,  als  der  Bericht  des  Eippoljta 
unmittell)ar  zu  erkennen  giebt.  Wenn  die  Materie  die  afto^tpia 
ist,  Zweck  und  Ziel  der  Schöpfung  aber  Gestaltung  und  Ord- 
nung des  Einzelnen  und  Ganzen,  so  dass  in  der  festen  Hai^ 
nu>nie  dea  Weltalls  sich  die  Answiiknng  der  g(M4fichen  M 


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DAS  UBi}PliC>iGUCU£  BAblLIDUNISCHE  ST8T£M.  517 

heit  offenbart,  so  ist  dasBftoe  in  der  Eraoheinnngswelt  ttbenll 

da,  wo  ei^ne  Existenz  und  Ordnung  authürt.  Es  ist  der  nocli 
nicht  geätalteto  liest  d^  u/iioQ(pta  an  den  Dingen,  die  Nach- 
wirimngen  der  niederen  Stufen  des  Daieins  aaf  die  liöberen 
Formen,  wodnreh  die  Yemuflchnng,  Veranreinigong  nnd  Ver* 
donklang  an  ihnen  bis  zu  gewissem  Grade  fortdauert,  und 
wovon  sie  durch  höhere  uooffwatg^  welche  mit  der  xa&u(jatg 
zusammenfallt,  geläutert  und  befreit  werden.  Das  Böse  be- 
steht also  nirgends  für  sich,  es  ist  die  Gestaltloeigkeit  an  der 
navanfQiultt  nnd  haftet  ab  ungestalteter  Rest  derselben  an  den 
einzelnen  Dingen,  l'erner  betrachtet  ßasilidos  das  Ziel  der 
Entwicklung,  die  Herstellung  der  Weltordnung  (S.  376.  378. 
ed.  D.  S.)  mit  Vorliebe  unter  dem  Gesichtspunkte,  welcher  auch 
den  Stoikern  gelftnfig  ist,  daas  jedes  Wesen  den  ihm  nadi 
seiner  Naior  (mä  ^mw)  nnd  Eigentllmliefakeit  zukommen- 
den Ort  einnehme  (r«  oixtTa,  Toy  ohtToy  xonov).  Wenn  es  also 
in  dem  ersten  Fragment  dei'  Acten  heisst,  das  Böse  sei  ohne 
Warze!  nnd  ohne  Ort,  so  ist  dies  den  bezekhneten  Vor- 
stellungen Ton  seiner  Natnr  Tlfllig  angemessen.  Ebenso  stimmt 
damit  vortrefflich  überein,  daas  Isidorus,  und  höchst  wahr- 
scheinlich auch  Basilides  selber,  nach  Clemens'  Angabe  die 
hylischen  Elemente,  welche  der  Sele  ankleben,  Anhängsel 
(n^ga^riima  Str.  II,  409)  nannte.  An  einer  anderen  Stella 
spridit  Clemens  in  engem  Znsammenhange  mit  einer  Erör- 
terung über  Basilides,  so  dass  Uiebur  also  jedenfalls  raitge- 
meint  ist,  von  der  Behauptung  der  Basilidianer ,  dass  die 
Wirkungen  des  B(Ssen  sich  den  Dingen  anhängen,  wie  der 
Best  dem  Eisen 

Wenn  Basilidee  jene  Stelle  der  Acten  nach  Masagabe  des 
Hippolytus  in  einem  Bilde  ausdrücken  wollte,  so  konnte  er 
kein  passenderes  finden.   Selbst  das  imavfißaiyH  zois  n^y^ 


1)  Str.  IV,  p.  609:  6  novot  ««i  i  g>6ßos^  ti^  wJtiA  Xfyovctr,  Im- 
99i»fitti¥H  tvXt  nqdyiAtutw  mg  6  Üs  auf^Q^.  Alle  Binge  sind  Fonnen 
des  anÜBttiigcnden  Iiebens  und  es  weiden  daher  auch  die  niederen,  nicht 
bloss  der  Henscb,  von  den  na^v  betroffen.  Die  niedere  Sehopfung  seufzt 
und  sehnt  sieh  naeh  der  Offenbarang  nnd  Befreiong  der  Khider  Gottes» 
wie  es  bei  HipiK^b  tos  e.  25,  p.  368  heisst 


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618 


JACX>BI, 


fiaatr  entspricht  bis  aufs  Wort  dem  supenrenire  rebus.  So 

wenig  dieses  zu  dem  Pai-sismus  oder  Irenäur^'  Bericht  passte, 
60  leicht  fügt  es  sich  jetzt  in  den  Zusanimenhang.  Die 
Dinge  sind  das  Seiende,  das  Böse  ist  das  nur  am  Sabsteat 
einer  Existenz  Erscheinende,  für  sich  ohne  Selbstftndigkeit  und 
Ort  Dass  es  bei  dieser  Nichtigkeit  seines  Wesens  dem  Armen 
in  der  Parabel  der  Acten  verglichen  ^sx*rden  kunnte,  erbellt 
ohne  weiteres,  aucli  wenn  wir  Yon  dem  bei  Hip[»oIytua  sehr 
wichtigen  Begriffe  des  cvf^crciV  absehen,  welcher  wieder- 
holt Yon  dem  Geistesleben  ausgesagt  wird,  sofern  es  die 
irdische  Welt  durchdringt  und  die  Dinge  der  Schöpfung  oder, 
wie  es  im  Text  ausgedrückt  wird,  die  Selen  derselben  gestaliet, 
(vgL  z.  B.  c.  25  und  27).  Solchem  Sinne  und  Zusammen- 
hange, WO  das  Sein  ohne  Wurzel  und  Ort  die  in  sich  nichtige 
^^ualitSt  des  Bösen  bezeichnet,  wideistrebt  es  femer  nicht, 
dass  nach  seinem  Ursprung  gefragt  wird,  iinde  piillulaverit  ? 
Die  Antwort  ist:  dass  es  aus  den  orx  mz«,  dem  au(jo(^or  an 
4er  navofUQ^a  stamme;  und  wie  gut  hier  auch  der  Ausdruck 
des  Keimens  mit  dem  des  Samens  stimmt,  sieht  jeder.  Der 
ganze  Satz  besagt  also,  die  Figur  des  Armen,  welcher  dra 
Reichen  autritt,  bedeute  das  Böse,  welches  nichtig  in  seinem 
Ursprunir,  ohue  eigne  LebeDskitift  und  eigentümliche  Stelle, 
sich  den  Dingen  anh&ngt 

Einen  Einwand  gegen  unsere  Auffassang  des  BOsen  in 
•dem  Fragment  wird  man  yielleicht  aus  der  Bezeichnung 
natura  schöpfen  und  ihn  verstärken  durch  die  gpwt">hnliche 
Combination  der  ngogoQtijfiuva  mit  den  peräischen  Dews. 
Allein,  jene  Benennung  besagt  so  wenig,  dass  sie  nur  die 
Besonderheit  irgend  welchen  Daseins  ausdrflckt,  daher  selbst 
Plotin,  welcher  die  abstracte  Negativität  der  Materie  sehr 
consequent  lehrt,  dennoch  nicht  Austand  nimmt,  sie  als  qt  aig 
zu  bezeichnen  (?gL  Vogt,  Neopl.  und  Cliristeutum,  S.  68). 
Basilides  ward  ausserdem  veranlasst  durch  den  Vergleich  mit 
dem  persönlich  gedachten  Armen.  Die  Combination  aber  der 
hyüschen  Krüfte  im  Menschen  mit  den  Dtlmonen  ist  in  da- 
maliger Zeit  zu  selir  verbreitet  gewesen,  als  dass  man  auf 
persischen  Zosanunenhang  schliessen  dürfte.  Plotin  ist  neben 
andern  abermals  ein  Zeuge  dafür,  indem  auch  er  die  Men» 


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DAS  UKbFKÜNGLICüE  BAälLlDIANISCHE  SYSTEM.  519 

sehen  nach  ihren  tierischen  und  vegetabilischen  Neigungen 
den  entsprechenden  niederen  Dämonen  zuordnet  und  in  die 
verwandten  Gebilde  übergehea  lässt  (vgl  S.  Öö).  Ein 
Schwanken  der  VoistelloDgen  ron  der  Hyle,  so  dass  sie  trots 
ihres  abstracten  Begriffes  zuweilen  mit  positiveren  Prftdicaten 
ausgestattet  erscheint,  ist  überdies  gewöhnlich  und  fast  un- 
vermeidlich in  der  Mamiigfaitigkeit  ihrer  Verknüpfungen. 
Jene  Schilderung  der  n^ga^t^fiota  bei  Clemens  macht  sie  ja 
ebenMs  gleichzeitig  zu  Dftmonen  und  Eigenschaften,  zum 
Teil  höchst  passiven.  Ebenso  fasst  Basilides  dem  Hip^olytus 
zufolge  die  Materie  vorübergehend  einmal  als  etwas  Selb- 
•  ständigeres,  weil  iu  die  Zeit  der  Apokatastasis  Hineindauern- 
des, da  Christas  in  der  vorbildlichen  Scheidung  der  Elemente, 
aus  denen  er  zusammengesetzt  ist,  seinen  Leib  der  a/noQqfa 
übergiebt.  Sogar  Plutin  lässt  seine  sonst  vöUi*^  in  passiver 
Negation  verharrende  Hyle  bei  einer  Gelegenheit  zum  An- 
grifi'  übergehen 

Unter  den  Aussprüchen,  welche  Clemens  dem  Basilides 
selber  in  den  Mund  legt,  stellen  wir  denjenigen  voran,  worin 
es  heisst,  die  Vorsehung  sei  mit  der  Entstehung  der  Dinge 
von  dem  Gott  des  Alls  iu  sie  hineingesät  (Str.  IV,  p.  509: 
£37  itQoi^oia]  l/3carecrffo^  xaTg  ovaioug  ot'v  xai  Tjj  tuir  Qwjttüp 
ytvioti  TiQog  rov  TCtfy  tXtav  d'iov).  Dass  er  von  Basilides,  wie 
in  dem  ganzen  vorangehenden  handelt,  kann  nicht  zweifelhaft 
sein;  er  redet  nur  etwas  unbestimmter  über  den  Gegner,  weil 
er  sich  eine  bloss  mögliche  Einwendung,  die  von  Basilidiani- 
scher  Seite  konunen  könnte,  entgegengehalten  hatte.  Der  Ge- 
danke, welcher  im  weiteren  Zusammenhang  auch  auf  die  leitende 
Tätigkeit  des  Archon  hinblickt,  ist  derselbe,  welchen  Hippo- 
lytus  (c.  24)  vorträgt:  im  Bereiche  der  niedersten  Entwick- 
lungsstufe, in  der  navant^^ia,  geschehe  alles  nach  dem  Gesetz 
der  Natur.  Hier  gebe  es  keinen  Vorsteher  oder  Versorger 
oder  Bildner,  sondern  es  genüge  der  immanente  Gedanke, 
welchen  Gott  (0  inx  fo*'),  als  er  schuf,  dachte.  Aus  Irenäus 
und  den  verwandten  Darstellungen  des  Systems  vermag  mau 
wohl  die  Idee  eines  göttlichen  Gesetzes  zu  erkennen,  welches 


1)  Neandfcr,  Gnodt.  JSyst<;me,  S.  78. 


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620 


Ton  der  obenten  Stufe  in  Nachbildnngeii  bis  auf  die  ontente 
wirlrt;;  jedoch  jene  VoreielliuigBweise  Ktal  sieh  nieiit  dann» 

ableiten.  Dass  hier  eine  Differenz  zwischen  Clemens'  und 
Irenaus'  Berichten  vorliege,  ist  D.  Hilgenfeld  nicht  entgaugeiu 
Er  schwächt  aber  den  Begriff  der  Yorsehang  bei  Clemens  abv 
indem  er  sie  auf  ein  Uebergreifen  Aber  den  Jndengett  Imians 
beedirftnlrt  (Keitsebrifl;  1856,  S.  98).  Das  ist  etwas  sehr 
anderes,  als  die  Entfaltung  des  schf^pferi sehen  Gredankens  in 
den  Dingen.  Nur  aus  den  Angaben  des  Hippolrtus  ist  hier- 
flber  zur  Klarheit  zu  kommen.  Die  ansserhalb  des  Zusammen- 
hanges nn?erstfind1iche  Bezeichnung  des  ov«  iSr  hat  CSemena 
entweder  in  die  des  Gottes  des  Universums  umsresetzt;  oder 
er  hat  die  letztere  bereits  vorgefunden.  Weder  in  dem 
zweiten  Falle  noch  in  dem  ersten,  und  in  diesem  noch 
weniger,  passt  sie  gnt  zu  der  Annahme,  dass  Clemens  dem 
Basilides  einen  absolnten  Dnalismns  zugeschrieben  habe. 

Es  lässt  sich  zwar  unter  gewissen  Bedingungen  auch 
ungeachtet  dualistischer  Voraussetzungen  von  einer  Allherr- 
schaft Gottes  reden,  allein  doch  nur  dann,  wenn  der  dna- 
listische  Gedanke  in  den  pantheistischen  fibergeht.  Dies  Ist 
aber  in  Hippolytns'  Darstellnng  fortwährend  der  Fiall,  wc^egen 
die  Gewährsmänner  der  andern  Seite  kaum  eine  Spur  davon 
zeigen.  Wenn  die  Hyle  die  Abstractiou  des  Ungeformten  ist, 
60  kann  Gott  der  Gott  alles  fixistirenden  sein;  aber  unter  den 
übrigen  Polemikern,  welche  die  iidisdie  SchOpfhng  im  OegeiH 
satz  gegen  den  höchsten  Grott  aufzufassen  pflegen,  ist  höchstens 
in  dem  zweifelhaften  Worte  Pseudotertullians,  dass  die  Welt 
zur  Ehre  Gottes  gebildet  sei  eine  Motivirung  jenes  gött- 
lidten  jPrftdicates.  Daher  nm&sst  bei  ihnen  allen  der  Name 
Abnias,  der  den  Inbegriff  der  Emanationen  und  den  bdchsten 
Oott  bezeichnet,  wohl  die  365  Himmel,  den  der  Sterngeister 
mit  eingeschlossen,  nicht  aber  die  liylische  Schöpfung. 

Derselbe  Begriff  von  Gott  and  Welt,  wie  ihn  Hippolytns 


1)  Diese  Angabe  steht  so  sehr  in  Widersprach  mit  den  fierichtes 
der  ganzen  Gruppe,  dass  man  darin  einen  durch  die  Zasammen- 
ziehnng  der  Vorlage  entstandenen  Fehler  des  Bearbeiters  erkennen 
aniss. 


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DAS  UBSP&ÜNaUCH£  BASLLIDUMIäCHE  SYdT£M.  521 

Überliefert,  findet  sich  wieder  in  der  Mitteiluni,'  des  Clemens 
Moses  indem  er  nicht  gestattete«  aa  yieleu  Oiiien  Altäre  und 
Heiligtämer  herzustellen,  sondern  nnr  einen  Tempel  gründete, 
verMndigte,  wie  BadUdes  sagt,  die  einheitliche  Ahbinft  der 
Welt  (juoyoytvij  xfiajiioy).  Die  Worte  erinnera  so  lebhaft  an 
die  Ausführung  desselben  Gedankens  durch  Philo  im  Anfang 
des  zweiten  Buches  de  monarchia,  dass  man  sich  versucht 
Dahlen  könnte,  eine  Kenntnis  desselben  bei  Basüides  anzu- 
nehmen. Auch  bei  dieser  Stelle  des  Clement  sieht  man  fdch 
unter  den  dualistischen  Voraussetzungen  zu  durchaus  ge- 
zwungener Auslegung  genötigt.  Hilgenfeld,  welcher  für  den 
Terminus  /loyo^^cK^c  passend  auf  den  /loi^o}^«»^;  ovQm^g  des 
Plate  verweist  (Zeitschrift  1863,  S.  458),  yeisteht  die 
aus  dem  ürwesen  hervorgegangene  Lichtwelt  unter  dem 
xlmnoQ,  was  ganz  unhaltbar  ist.  Nicht  nur  müsste  Clemens 
den  liasiiides  misverstanden  haben,  da  er  ihm  im  folgenden 
die  Inconsequenz  vorhält,  dass  er  nicht  einen  einigen  Gott 
lehre,  obgleich  er  ein  einheitliches  Universum  anerkenne; 
sondern  Basüides  müsste  wirklich  lauter  Ausdrücke  gebraucht 
haben,  welche  unter  den  Gesichtspunkt  der  Einheit  fallen, 
während  seine  Absicht  gewesen  wäre,  das  Licht  im  Unter- 
schiede von  dem  niederen  Weltleben  zu  bezeichnen.  Koa^og 
kann  niemals  die  Lichtwelt  bezeichnen,  da  Besilides  nach 
Clemens'  ferneren  Angaben  xoofwg  und  vnfQxofjfna  unterschied, 
welche  wir  als  die  Hauptteile  der  Schöpfung,  das  Irdische  und 
Pneumatische,  durch  Hippolytus  und  zwar  mit  denselben  Be- 
neminngen  kennen  lernen  Die  Ideen  von  der  Einheit  des 
Weltiehens  nach  Ursprung  und  Beschaifenhdt  werden  weiter 
ausgeführt  in  Worten,  die  um  so  bedeutungsvoller  sind,  weil 
sie  die  Verknüpfung  der  religiösen  und  ethischen  Seite  ent- 
halten.   Basilides  redet  (Str.  IV,  p.  508)  von  der  Offen- 


1)  Str.  V,  }).  583  D.  c<l.  Colon. 

2)  Str.  IV.  p.  j-loD.  —  ^^y',y  r  ]v  fx/o-r^'r  jov  xoOficv  6  BaaiXtid^f 
$iXrj(fByai  Xeyii,  uy  vntoxoauioy  cfvati  ovauy.  Entweder  ist  mit 
Uhlhorn  fiXrij(iym  zu  lesen,  oJer,  was  ich  vorziehe,  tcV  xoa/Aov  als 
Accnsat,  des  Snbjectes:  Basihdes  sagt,  dass  die  Welt  die  Erwftli]t<.n 
(d/  i.  die  Pneuniatiker)  in  ibreiu  Besitze  habe,  als  fremde,  da  sio  Uber- 
irdischer Natur  seien. 


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622 


JACX)BI, 


banmg  des  WOlens  Oottes,  den  er  ohne  Zweifel  zogkidi  ib 

unser  sittliclies  Vorbild  verstaudeu  wissen  will.   Hier  ist  nun 


sogleich  beaditeuswert,  dass  er  ihn  deu  sogenannten  Willen  i 
Gottes  nennt,  was  nichts  anders  sein  bmn,  als  die  Abwehr 
jeder  menschliehen  Analogie,  die  mit  dem  Begriff  des  WiOsDs 
auf  Gott  übertragen  werden  k((nnte.  Auch  hier  trifft  Cle- 
mens' Aussage  mit  Hippoiytus  ungesucht  zusammen.  Dean 
der  Bericht  dieses  ist  weitläufig  grade  in  der  Verwerfung 
aller  positiven  Frfidicate  Qottes,  des  ovx  wr,  insbesondere  ia 
den  Bestimmungen  Aber  den  göttlichen  Willen  >). .  Die  Weite 
bei  Clt'iueniS  heisren;  „Ein  ^tück  des  öGgeaaiiuten  Willens 
(i'y  fti'(jog  ix  jQv  Ityojtayov  ^fAy/arof)  Gottes  ist,  wie  mi  es 

auffassten,  dass  er  alles  geliebt  liabe  (ryanrfxiyat)^  weil  jed» 
Ding  ein  Verhältnis  zu  dem  All  bewiriirt  (on  Xayop  axooi^wMn 
nglg  To  näy  Snarra);  ein  zweites,  dass  er  niclits  begehre;  m 

drittes,  dass  er  nichts  hasse."  Der  stoische  Einfluss  ist  hier 
unverkennbar.  Die  Idee  der  unu&em  ist  in  deu  beiden  letzta 
Aenssemngen  des  gOttiiohen  Willens  enthalten;  sie  eipei 
allerdings  auch  anderen  Philosophien;  der  Gedanke  aber,  ta 
das  Einzelne  zum  All  in  Bezug  stehe,  ist  die  Voraussetznng 
des  den  Stoikern  sehr  wichtigen  Begrifts  der  avunü^m 
der  Teile  im  organischen  Ganzen  der  Welt  '^).  Die  Liebd 
Oottes,  als  ein  Act  der  Yeigangenheit  bezeichnet,  kann  nur 
anf  die  Grfindong  des  Weltalls  v^ohea,  Aneh  hier  madit 
Basilides  bemerklich ,  dass  or  den  licgriti'  uneigcutlicb  ver- 
stehe uud  sich  an  einer  früheren  Stelle  darüber  erklärt  habe, 
i^nuXf^ipafav).  Die  Motivirung  der  Liebe  aus  dem  Zusammea- 
hang  des  Einzelnen  zum  Ganzen  bemht  teils  auf  dem  fliesseih 
den  Unterschiede  Gottes  nnd  des  üniyersnms  in  der  stoisches 
Physik,  teils  anf  ihrem  Dogma,  dass  das  Dose  nur  an  der 
üiinzelerscheinung  hatte,  im  Zusammenhange  des  Weltgauzea 
aber  verschwinde.  Die  Liebe  Gottes  znr  Welt  ist  den  älteres 


'vnQoftiQiroiSf  änu^tod  ap9nt^vfÄr,tas  xoüfiw  ti^Xnai  notr^aoh    Ti  H 
i)  Vgl.  Brandis,  Handb.  der  Oescb.  der  FhiloB.  III,  II»  ISIC 


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DAS  U£äFRÜNGLICH£  BAtilLIDIANIäCHE  äläXfiM.  523 

Stoikern  zwar  kein  geläufiger  Begriff;  aber  Seneca  (ep.  95) 
xecbnet  Güte  und  Woliltuu  zu  einem  Attribut  der  höchsten 
Natur,  und  auch  der  fromme  .Mark  Aurel  hält  sich  die 
dnoiia  der  Götter  gegenwftrtig.  Auf  fiasilides  wirkte  ohne 
Zweifel  das  Christentum  in  Anwendnng  des  Begriffes.  Ton 
Dualismus  ist  im  ganzen  Fragment  keine  Spur ,  dagegen 
schlieäst  ea  sich  au  die  Darstellung  des  .Hippolytus  voll* 
kommen  an. 

So  lange  der  Bericht  des  Hippolytns  unbekannt  war,  hatte 
man  ein  Recht,  die  Begiiffe  des  ra^a/og  und  der  ovy/yaig  uq/jx/, 
welche  Clemens  ^)  aus  der  Principienlehre  des  Basilides  (denn 
es  scheint  nirgends  bezweifelt  zu  sein,  dass  er  selbst  mit  ein- 
geschlossen sei)  mitteilt,  mit  dem  vorausgesetzten  Dualismus 
zu  verknflpfen;  denn  an  sich  mOglich  ist  dies.  Allein  nach- 
dem durch  Hippolytns  ein  eigentümliches  Verständnis  und 
ein  weiter  Zusammenhang  dieser  Ideen  aufgedeckt  ist,  nament- 
lich die  Bewegung  vom  chaotischen  Zustande  zu  dem  geord- 
neten besonderen  Dasein  {gtvXox^yiiatg)^  welche  zu  den  Grund« 
gedanken  des  Systems  gehört,  ist  os  kein  unbe&ngenes  Ver- 
fahren, alle  jene  Bestimmungen  des  Clemens  den  dualistischea 
Berichten  einzureihen. 

D.  Hilgenfeld,  welcher  bei  dieser  Betrachtungsweise  be- 
harrt ^),  glaubt  in  der  Darstellung  des  Hippolytns  eine  wider- 
spruchsvolle Verftnderung  der  ursprünglichen  Gedanken  zu 
erkennen.  Dass  in  den  Begriff  der  ovyyvaig^  welche  nur  das 
Nochnichtgeschiedensein  des  weltlichen  Daseins  ausdrücke,  die 
Vorstellung  einer  Hemmung  des  ScheidungBprooesses,  (wie 
z.  B.  schon  bei  der  Aussonderung  der  zweiten  vioxt^)^  und 
einer  ungehörigen  Verbindung  des  Verschiedenartigen  hinein- 
komme, erkläre  sich  nur  aus  dem  Hineinspielen  der  dualisti- 
schen alyyvoig  des  echten  Basilides.  Die  Inconsequenz  des 
pantheistischen  Systems  zugegeben,  so  ist  sie  nicht  grösser, 
als  die  einer  ganzen  Reihe  von  philosophischen  Systemen 
alter  uu'I  neuer  Zeit,  welche  von  einer  Einheit  ausgehen  und 
die  Abstufungen  des  wuklichen  Daseins  und  die  Gegensätze 


1)  Str.  U,  20,  p.  408. 

Zeitschr.  f.  w.  Theol.  1862,  S.  462. 


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524 


JACOBI, 


▼on  Geist  irad  Materie ,  gnt  und  böse  eonstniiren  wollen. 
Darin  Ymj^  al-o  kein  ausreichender  Grund,  die  rait  Hii»iH>lyta5 
in  der  Darlegung  der  Moineute  zusammenialieDde  Beschreibung 
des  Clemens  von  diesem  loezuieissen.  Das  Hineinspielen  des 
I>aalismiis  mftsste  Qberdies  dem  Veriteer  des  puiilieistifldMfi 
Systems  vollkommen  unbewusst  sein,  denn  über  nichts  i>t  er 
so  sicher,  als  dass  er  mit  dem  Nichtseienden  anfangen  wüL 
Aach  in  einem  anderen  Funkte  vermag  ich  D.  Hilgenfeld  nidit 
beizapfliditen.  In  der  von  Cleroens  angegebenen  Anafthmnc^ 
Uber  die  avyxvatg  nnd  die  na&ff,  als  Anbftngsel  der  vernünf- 
tigen Sele,  unterscheidet  D.  Hilgenfeld  nämlich  eine  zeit- 
liche Folge  von  Momenten:  eine  uranfaugliche  Yermifichoag 
der  vem&nftigen  Sele  mit  fremdartigen  Geistern,  irorui  die 
nrsprünglicbe  Schuld  liege,  and  das  Hinznlrommen  der  Tier- 
nnd  Pilanzenge ister,  welche  der  Sele  seit  dem  Bestehen  der 
irdischen  Schöpfung  angewachsen  seien.  Die  Voraussetzung 
des  Dualismus  hat  hier  ebenfalls  inege leitet.  Die  Unter* 
Scheidung  der  na&fj  ist  eine  lediglich  sachliche;  die  emii 
sind  spedfisch  menschliche,  andre  gehören  dem  Tieileben  oder 
den  Pflanzen  oder  den  Steinen  an.  Da  nberall  nur  sachliche 
Gegen.sitze  und  logische  Partikeln  ans^ewendet  sind,  so  kann 
nach  der  Absicht  des  Autore  das  Zeitwort  7iQogf7it(fvw$^at  nur 
eine  Addition  der  Gegenstände,  nicht  eine  Zeitfolge  besagen. 
Es  wird  also  die  Mischung  der  Gegensfttxe  überhaupt  als  eine 
ursprungliche  betrachtet.  Dass  Anhängsel  niederen  Lebens 
den  Geist  auf  seine  höhere  Stufe  in  der  Weltentwicklung 
begleiten,  ist  Notwendigkeit  und  Schuld  zugleich;  sobald  die 
Freiheit  des  Geisteslebens  erreicht  ist,  hat  der  letztere  Ge- 
sichtspunkt seine  Stelle.  Dies  alles  stimmt  vortrefflich  n 
Hippolytus  Bericht;  nicht  minder  passt  das  Dogma  der  Selen- 
wanderung, welches  Clemeuä  und  Origenes  dem  Basilides  zu- 
schreiben, sehr  gut  zu  seinen  Ideen  einer  Stufenleiter  dea 
Weltlebens.  Die  catwa&agatg,  welche  durch  die  qwkox^lvr^aiq 
das  höhere  Leben  von  den  Elementen  des  niederen  befreit, 
entspricht  der  Bemerkung  des  Clemens  (Str.  IV,  508),  dass 
die  Sünden  gebüsst  werden,  die  vor  der  gegenwärtigen  £in- 


i)  Ssdtsehr.  18&6,  S.  86. 


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DAS  UBSBFONGUGIK  BAjEOUDIANISGHE  8T8TBM.  5S5 


kOrpenuig  begangen  seien.  Wenn  auch  Hippolytos*  Berieht 
den  Ausdruck  It^wju&twrtg  nicht  enthftlt,  so  nfthert  er  sich 

doch  dem  Gedanken  einen  Schritt  weiter   damit  an,  dass 
niclit  bloss  Isidorus,  sondern  auch  Basilides  alle  Dinge  von 
'  Selen  belebt  zu  glauben  scheint  (YII,  27). 

Die  christologischen  Andeutungen  des  Clemens  fOhrea 
zwar  nicht  mit  voller  Evidenz,  aber  doch  mit  grösster  Wahr- 
scheinliclikeit  auf  die  Combiuation  mit  dem  Berichte  des 
Hippolytus.  Soviel  ist  allgemein  zu2:ef]:eben ,  dass  der  Doke- 
tismua»  welchen  IrenSns  und  Päendo-TertulUan  als  Lehre  der 
Basilidianer  mitteilen,  mit  den  Fragmenten  des  Basilides  bei 
Clemens  nicht  zu  vereinigen  ist.  Diesen  zufolge  hat  Christus, 
wie  andere  Menschen ,  eüi  ufta^Tr^uxoy  in  sich ,  einen  Keim 
der  Sfinde,  der  jedoch  niemals  zur  Tatsünde  entwickelt  wor* 
den  ist  Diese  sftndige  Anlage  kann  nur  in  der  Teilnahme 
an  einem  materiellen  Körper  liegen.  Nach  Hippolytus*  Be- 
richt ist  Christus  an  Leib  und  Sele  wesentlich  Mensch,  nur 
dass  in  ihm  die  Kräfte  aller  irdischen  und  überirdischen 
Lebensstofen  eine  Vereinigung  fanden  und  er  Ton  der  Jung^ 
frau  geboren  ward.  Insoweit  stimmen  die  Angaben  wohl 
zusammen,  obgleich  Hippolytus  nicht  ausdrücklich  von  der 
Sündhaftigkeit  redet.  Das  Leiden  Christi  lassen  beide  von 
verschiedenen  Seiten  auf,  die  sich  indes  nicht  ausschliessen. 
Nach  Hippolytus  hat  er  die  Elemente  des  üniversims  mi«- 
krokosmisdi  in  sich  Eusammengefasst;  sein  Tod  sondert  sie 
wieder  und  führt  den  Scheiduugsprocess  zur  anoy.uTuüTuutg, 
Dagegen  nach  Clemens  wird  Christus  dem  allgemeinen  Gesetz, 
dass  Leiden  durch  Schuld  verursacht  sei,  unterworfen;  sein 
Leiden  hat  dalMr  eine  Bedeutung  ffir  ihn  selbst  als  Sühnung. 
Nun  ist  die  wichtigste  Frage,  ob  man  bei  Clemens  die  Person 
Christi  auf  das  Menschliche  beschränken  ,  oder  den  lümm- 
lischen  Nous,  welcher  nach  Irenäua  der  Erlöser  ist,  hinzu- 
treten lassen  solle.  Dem  würde  am  meisten  ent^recben,  was 
Oemens  in  seinen  Auszügen  aus  der  MaamUu  omctoAi»^  mit 
einer  mageren  Notiz  bezeichnet:  die  BasiHdianer  (ol  ««o 
DamXfuyrw)  behaupten,  dass  der  dm/.ui'og  bei  der  Taufe  in 
Gestalt  der  Taube  erschienen  und  auf  den  somatischen  Christus 
heiabgekomnwn  sei.    Hierdurch  wurde  man  darin  bestärkti 


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526 


JAOOBI, 


die  gewöhnliche  gnostische  Znsammenfessiing  eines  himm* 
lischen  and  irdiscfaen  Erlösers  aneh  dem  BasUides  roziieclirei- 

ben,  und  D.  llilgenfeld  ist  noch  in  seinen  angeführten  Ab- 
handlungen dieser  Ansiclit.    Nun   hätte  es  zwar  auch  bei 
dieser  Zusammensetzung  einen  dogmatischen  Wert,  ob  der 
irdische  Messias  fOx  sQndig  oder  i&r  sflndlos  erklfirt  würde: 
Jedoch,  wenn  mit  ihm  ein  himmlischer  Oenins  yeitanden 
war,  so  war  dieser  der  Erlöser,  der  irdische  Messias  nur  sein 
Instrument,  und  jener  war  von  so  überragender  Wichtigkeit, 
dass  man  kaum  anders  erwarten  kann,  als  dass  fiasilidea  auf 
ihn  hingewiesen  hätte,  nm  sich  gegen  den  Vonnirf  der  Im- 
pietät  zn  verteidigen.    Clemens  teilt  mehreres  aus  seiner 
Selbstverteidigung  mit;  aber  keine  Anspielung  findet  sich  in 
der  ziemlich  langen  Erörterung  auf  einen  himmlischen  Er- 
löser.  Die  Notiz  aus  den  Exceipten  sagt  nicht  mit  Sicher- 
heit flher  Badlides  selbst  ans  und  enthält  in  der  Erwfthnnng 
des  diayMyog  eine  ziemlich  deutliche  Beziehung  auf  das  7i%tifia 
Staxoyoiy,  welches  in  dem  Bericht  des  Hippolytus  eine  eigen- 
tümliche und  grosse  Bedeutung  hat^),  nur  dass  die  Fonnsn 
bereits  unter  dem  emanatistischen  Gesichtspnnkt  gefiisst  za  sein 
scheinen.   Bemerkenswert  ist,  dass  bei  Hippohins  YII,  26 
die  mit  den  überirdischen  Kräften  erleuchtete  vtaTtjc,  welche 
dem  Archon  das  Evangelium  offenbart,  /gtarog  genannt  wird. 
Während  in  der  Begel  nur  Kräfte  herabsteigen,  tritt  hier 
plötzlich  eine  Hypostase  auf.   In  ähnlicher  Weise  ist  andi 
das  nrtvfta  Sytov  bald  identisch  mit  dem  nyivua  iufd^optoy^ 
bald  die  von  diesem  weitergetragene  Himmelski-nft.  Solche 
lebergänge  vom  Dynamischen  zum  Hypostatischen  erleichtem 
die  Erkenntnis,  wie  die  eine  Form  des  Systems  sich  in  die 
andere  wandeln  konnte^ 


1)  Vgl  Baur,  Jahrb,  1856,  S.  158  ff. 

2)  Der  mystische  Name  Canlacan  wird  bekanntlich  in  einer  doreh* 
offenbare  Corrnption  Fchwierigen  Stdk  bei  Iren.  I.  24,  5.  6  ZQgleielL 
auf  den  Erlöser  und  auf  die  Welt  besogen:  qaemadnodiim  et  rnondtu  nomeii 
esse  in  qno  diennt  desccndisse  et  aseendiBse  salvatorem  esse  Canlacan.  Man 
könnte  sich  yenncht  fühlen,  nrandus  als  YersetEimg  eines  Glossemt  an 
erklären,  welehe  die  ZnsBmmenfiusimg  der  Elemente  des  ünifenona' 


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BA8  UBSFBONGUCaaB  BASIUDIANISCHB  8T9IBU.  527 

Abgesehen  yon  der  Bezeugung  dmch  Gemens,  nnd  die^ 
Besehreibung  der  F^n  Christi  in  dem  Berichte  des  Hippo- 
lytus  für  sich  betrachtet,  sclieint  mir  dieselbe  nicht  undeut- 
liche Merkmale  sehr  hohen  Altertums  zu  enthalten.  Wahrend 
die  Yon  der  Omppe  des  Irenftns  TOigelegte  dokeüsche  Christo- 
logie  auf  keinen  Fall  anfhentiseh  ftlr  Badlides  ist,  finden  wir 
dort  eine  Schilderung,  in  welcher  das  Kealistisclie  und  Mensch- 
liche das  Charakteristische  ist.  Alle  überirdischen  Bestand* 
teile,  die  ihn  zum  Centruni  der  geistigen  Welt  machen,  sind 
nur  Krftfte,  mit  denen  der  Sohn  der  Jong&an  anifgestattet 
wird.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  das  Bild  Christi/ 
soweit  es  mit  dem  neutestamentlichen  übereinstimmt,  nach 
den  synoptischen  oder  ihnen  verwandten  £\rangelien  gezeichnet 
ist.  Nun  kennt  der  Bericht  das  £?angelium  Johannis,  aber 
die  Ideen  desselben  haben  noch  keine  constitutive  Bedeutung 
ffir  das  System.  Dieses  nimmt  in  seiner  Lehre  vom  Logos 
und  vom  Geiste  eine  ganz  andere  Richtung  als  das  Evangelium 
Johannis.  Wäre  das  System  in  der  zweiten  Hälfte  des  2.  Jahr- 
hunderts entstanden,  nach  den  Schriften  Valentins,  Justins 
des  Märfyrers,  nahe  der  Zeit  des  Irenftns  und  Clemens,  wo- 
das  Evangelium  bereits  auf  den  verschiedensten  Standpunkten 
Anerkennung  fand,  so  würde  es  dieser  Autorität  höchst  wahr- 
scheinlich wenigstens  in  der  Lehre  von  Christo  und  dem 
Geiste  grosseren  Einfluss  gestattet  haben.  Man  darf  nicht 
dagegen  einwenden,  dass  die  dementmisehen  Homilien,  noch 


k  ChriBto  aussagte.  DesBeumgeaehtet  haltt  ich  ea  f&r  ebenso  wahr» 
sebfliidich,  daaa  kdiglieh  dn  FeUer  su  Onmde  liegt  Der  nrsprltaiglieh» 
Teit  nag  vieUddit  gelautet  haben:  m&n9^  Mtä  «m^«.  Ans  dem  abge* 
honten  aral  und  Spo/m  entstand  iirtOnlidi  das  Wcürt  incftoe  und  dann 
auch  die  Lesart  n^fiof  S^ofm^  was  ttbersetst  wurde  durch  qoemadnuK 
dum  et  mnndiu  nomen.  Wirft  man  mnndns  nnd  esse  ans  dem  Text  nnd 
besieht  das  in  qno  anf  nomen«  so  Ist  die  Stelle  in  Uebereuistumnnng  mit 
dem  folgenden  Gapitel  nnd  mit  dem  Qebranch  des  Ganlacan  als  Name 
des  firlteers  andi  bd  den  Ophiten.  Die  Bedentong  des  ^p^ip  ist  wabr-- 
sehehilidi:  Luiie  xnr  Lhiie  nnd  enthalt  damit  die  mikrokosmiscbe  Be- 
dentnng  des  ErlOsen,  wdche  nach  Hippdjtns  die  Elemente  aller 
0umii»na  in  iiGh  vmhdgt.  Da  dieses  von  dem  erlösenden  wSt  in 
der  DanteUnng  des  Irenlns  nidit  gUt,  so  sehehit  hier  die  Eiinnenmg 
an  die  andere  Fonn  des  Systems  defa  erhalten  ta  haben. 


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528  iAßOU, 

spät  im  2.  Jahrhundert,  es  bei  eiuer  äufiaeriichen  Berührong 
mit  demEraiigeliiuii  bewenden  laesen;  deim  das  BasiüdiaiiuGlM  i 
System  bot  oogleioli  mehr  ?erwandte  Seiten  dar,  von  weldun  ' 

aus  eine  Durchdringung  erfolgt  wäre. 

Zwei  Stellen  des  Clemens  sind  vorhanden,  aub  welchen 
möglicherweise  gefolgert  werden  könnte,  daas  er  den  Basili4tt 
znm  Anhänger  eines  Dualismas,  nnd  zwar  eines  sehr  schroÜBa 
mache.  Die  erste  ist  jene,  wo  er  ihm  vorwirft,  ans  der  ^ 
heit  der  Welt  nicht,  wie  es  folgerichtig  sei,  auf  die  Einheit 
Gottes  geschlossen  zu  haben.  Allein  dies  bezieht  sich  uui 
auf  den  üntei-schied  des  höchsten  Gottes  und  des  Archon; 
wenigstens  ist  man  nicht  genötigt,  aas  dieser  8teDe  nubr 
abzulöten. 

Deutlicher  würde  der  Dualismus  in  einer  zweiten  Stelle 
liegen,  wenn  sie  w^örtlick  aufgefasst  werden  müsste.  Clemens 
wirft  dem  Basüides  ?or,  er  veigöttore  den  Teufel  Dm 
scheint  auf  ein  bOses  ürwesen  zu  führen  und  wird  von  maa- 
ohen  als  Argument  dafür  angesehen.  Indes  hat  Gieseler  zu- 
erst damuf  aufmerksam  gemacht,  dass  Clemens'  Gesichtsituukt 
kein  so  directer  sei  „Basilides'S  sagt  er,  „leitete  die  Ver- 
folgungen der  Christen  von  der  göttlichen  Vorsehong  ab, 
weldie  Clemens  als  Versuchungen  des  Teufels  betrachtete; 
sofern  jener  uLo  leulliM  he  \  iianstaltungcii  für  göttliche  hielt, 
giebt  ihm  der  letztere  schuld,  dass  er  den  Teufel  vergöttere'*; 
es  sei  mithin  hier  gar  nicht  von  einem  Basilidianischen,  San- 
dern von  dem  katholischen  Teufel  die  Bede.  Diese  Aus- 
legung befriedigt  in  der  Hauptsache,  und  hat  daher  den  Bei- 
fall von  Neander,  Baur  und,  wie  es  scheint,  der  Mehrzahl  der 
Forscher  gefunden.  Doch  will  ich  nicht  leugnen,  da^s  die 
Form  nidit  ganz  symmetrisch  zur  Beweisffihrung  des  Clemens 
passt.  Denn  in  dieser  ist  fiberall  die  Vorsehung  das  logische 
Subject,  zu  welchem  das  Prädicat  gesucht  wird,  und  genauer 
hatte  daher  Clemens,  wie  Licent.  Gundert  bemerkt,  sagen 
müssen,  üasilides  verteufle  die  Vorsehung.  !Man  muss  also  einen 
momentanen  Wechsel  des  logiechen  Verh&ltmsBes  annebmeo. 

1)  Str.  IV,  jj.  OlJ?:  dtu<Ca»r  röj  du'ißoJioif, 
'IbeoL  Stttd.  o.  KhU  im,  S.  379. 


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DAS  UKSPRÜNQLICHE  BASIUDIANJDSCHE  dYSTBlC  529 

Und  dafür  lässt  sich  sagen,  dass  die  directe  Beziehung  auf 
ein  böses  ürweseu  völlig  abrupt  in  den  Zuaammeuhang  bin- 
einMren  würde 

Oanz  unbegrflndet  dagegen  ist  es,  wenn  Onnderfc,  Banr 
nnd  andere  die  Yerfolgungen  der  Christen  vom  grossen  Archen 
ausgehen  lassen.  Denn  erstens  sagt  das  Clemens  keineswegs 
in  der  Stelle  p.  509,  ed.  Colon. :  „  Die  Vorsehung  aber,  wenn 
sie  anch  sozusagen  von  dem  Archon  ihre  Bewegung  beginnt, 
isl  doch  von  dem  Oott  des  WeltaUs  den  Dingen  mit  ihrer 
Entstehung  eingepflanzt."  Er  verfolgt  hier  einzig  die  Absicht, 
den  Basilides  bis  zu  dem  Punkte  zu  treiben,  wo  er  zuge- 
stehen muss,  die  göttliche  Vorsehung  selbst  sei  Ursache  der 
Yerfolgnng.  Da  nnn  der  Archon  regelnden  Anteil  hat  an 
dem  Yerlanf  der  Entwicklungen,  so  konnte  entgegengehalten 
weiden,  die  Beteiligung  betreile  den  Archon ;  dem  will  Cle- 
mens zuvorkommen,  indem  er  behauptet,  die  Ursächlichkeit 
li^  vielmehr  in  dem  göttlichen  Acte,  der  Archon  sei  Neben-* 
Sache.  Den  Aiehon  berQhrt  also  nur  die  Frage  nm  die  Vor- 
sehung, nicht  um  die  Verfolgungen.  An  diesen  kann  er  un- 
möglich Anteil  haben,  da  ihm  nach  Clemens  (Str.  11,  p.  ^'ib) 
das  Evangelium  mitgeteilt  wird,  welches  er,  wie  Hippolytus 
weiter  ausmalt,  nicht  mit  der  Gesinnung  eines  Feindes  des 
höchsten  Oottee,  sondern  eines  Dieners  aufnimmt  Es  ist  un- 
mOgHch,  einen  Act,  der  so  bestimmt  mit  dem  Eintritt  des 
Christentums  zusammenrallt ,  zeitlich  ganz  unbestinimt  zu 
verstehen,  wie  Gundert  es  wilL  Ohne  Zweifel  trifft  Hippo- 
lytus mit  Clemens*  Vorstellungen  zusammen,  indem  er  die 
Mitteilungen  an  Christus  und  an  den  Archon,  welche  von 
obenher  erfolgen,  in  einem  Acte  geschehen  lässt.  Es  bleibt 
also  keine  Zeit,  in  welcher  der  Archon  die  Anhänger  Christi 
verfolgen  konnte. 

Als  Oeeammtergebnis  unsrer  Untersuchung  dürfen  wir 
also  hinstellen,  dass  eine  Anzahl  von  authentischen  Stellen  in 


i)  Wire  diM  nicht,  lo  WBmt»  man  aaeh  an  yonfteUangen  denken, 
wie  TertoUian  sie  ftanert:  nU  materia  eum  Deo  aeqnator,  Zenonii  dia- 
eiplina  est.  praeecr.  7.  Er  hat  aber  dabei  Hermogenea  im  Sinne  und 
die  Ewigkeit  der  Materie. 

ZtttMhr.  1  K.-a.  35 


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530 


JAGOBI, 


den  Acten  des  Archelaus  und  den  Stromata  des  Clemens  sieb 
leicht  und  nngezwnngen  mit  dem  Bericht  des  Hippolytos 
vereinigen  lassen,  während  sie  zu  der  dnalistisehen  Form  im 
Widerapmch  stehen;  dass  Ton  anderen  wioliligen  SteBeii  das- 
selbe,  wenn  nicht  mit  gleicher  Evidenz,  doch  mit  höchster 
Wahrscheinlichkeit  ^It;  dass  keine  authentische  Stelle  und 
keine  sonstige  verbürgte  Nachricht  diesem  Resultat  entschieden 
widerspricht;  nnd  endlieh«  dass  auch  ein  dogmatisehes  Meiit- 
mal  hdioi  Altertums  nicht  fbhlt. 

Bei  so  vielfachen  Berühningen  zwischen  Clemens  ul. 
Hippolytus  darf  man  der  Frage  näher  treten,  ob  sich  eine  ge- 
meinsame Quelle,  woraus  beide  schöpfen,  nachweisen  lasse. 

Da  Hippdytos  am  Eingänge  seiner  Daratellnng  des  BIp 
rilldiamsehen  Systemes  (YU,  30ff.  27)  sagt:  Basüidee,  Mkt 
und  der  weitere  Anhang  behaupten,  die  geheimen  üeber- 
lieferungen  des  Apostels  Matthias  zu  besitzen ;  und  da  er  sich 
die  Aufgabe  stellt,  zn  zeigen,  wie  sehr  diese  den  eckten  Ueb«^ 
Hefeningen  des  Ifatthias  nnd  Ouristi  seihst  widersprechen,  so 
wild  man  annehmen  mUssen,  dass  das  Werk,  ans  welchem  sr 
die  Basiiidianischen  Ideen  zusammenliest,  in  der  Sect«  unter 
dem  Namen  nagaSoaug  tw  MaT&hv  bekannt  war.  Auch 
Clemens  gedenkt  der  TtagaSimig  des  Matthias.  Ans  der  Weisa, 
wie  er  fde  erwfilint  hat  Lic  Gnndert')  geschlcesen,  te 
Clemens  die  Schrift  nicht  selber  gesehen  habe.  Diese  Fol- 
gerung ist  indes  irrig.  Denn  Clemens,  welcher  nicht  an  die 
Ableitung  von  Matthias  glaubt,  da  er  vieles  den  Aposteln 
Widersprtehendes  in  den  Meinungen  der  Secie  findet  (fgi 
8.  765),  wül  diesen  Ursprung  mit  jenen  Worten  nur  als  eil» 
Behauptung  anderer,  die  ihm  aber  fremd  sei,  cbarakterisiren. 
Es  kann  nichts  gegen  die  Identität  der  Schrift  ausmachen, 
dass  die  Cätate,  welche  er  daraus  entnimmt,  nidit  bei  Hippo- 
lytus stehen.  Denn  eretras  wire  es  doch  höchst  mnnln<* 
scheinlich,  dass  in  derselben  Partei  zwei  verschiedene  Sehlis 
ten  desselben  Titeis  in  Ansehen  und  Verbreitung  gewesen  sein 


Str.  VII,  p.  748:  Xeyovai  tfk  iv  raff  naQaöoaiaw  Max^Ua^ 
dit6<nokov  tioq'  ixa<n(t  eigr^xivai,  cf.  II,  p.  436. 
Zeitftohr.  t  luth.  Theol.  1856,  S.  42. 


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DAS  UBOPKOMGLIGHB  BAfilUDI&NIBGBE  SYSTEM.  581 

sollten.  Ferner  sind  die  Oitate  daians  kurz  und  vertragen 
sich  andi  mit  dem  Beriebt  des  HippoI:fta8.  Es  handelt  sidi 
hier  natürlich  nur  von  solchen,  welche  Ckinens  ausdrücklich 
mit  dem  Namen  des  Matthias  bezeichnet.  Das  zuerst  er- 
wähnte lautet :  wenn  der  Nachbar  eines  Auserwählten  sändigt» 
80  hat  auch  der  Anserwählte  gesfindigt.  Denn  wenn  er  sich 
80  geführt  hätte,  wie  die  Tenmnft  (oder  Lehre,  xiyog)  es 
fordert,  so  würde  sein  Leben  den  Nachbar  beschämt  haben, 
sodass  er  nicht  sündigte.  Das  andere  befiehlt  das  Fleisch  zu 
bekämpfen  and  die  Sele  durch  Glauben  nnd  yrßai^  za 
kralligen« 

Der  strenge  ethisehe  Gehalt  der  Worte  entspricht  ganz 
der  Moral  des  Basilides  und  die  Erwähnung  des  Glaubens 
neben  der  Gnosis  ebenfalls  seiner  speculativen  Auffassung  der 
nionc.  Die  Worte  können  aach  sehr  wohl  in  der  Qaelle  des 
Hippolytus  gestanden  haben.  Er  beschliesst  nämlich  die 
seinem  Bericht  vorausgeschickte  Parallele  des  Aristoteles  mit 
der  Erwähnung  seiner  Ethik  c.  19,  und  lässt  darum  auch 
eine  Basilidiauisclie  Ethik  erwarten.  Es  kann  sein,  dass  er 
dabei  nnr  die  Ethik  dte  Mdoms  im  Sinne  hatte;  es  ist  aber 
m6ti  möglich,  dass  die  na^Simt^j  welche  er  excerpirte,  Aus- 
sagen ethischen  Inhalts  enthielten ,  Ausfülu  ungen  über  die 
xa&agatgj  von  welcher  bei  Hippolytus  die  Kede  ist.  Dieser 
Bess  sie  bei  Seite,  weil  er  fär  seine  Zwecke  in  den  meta» 
physisdien  nnd  dogmatischen  AmeinanderBetsongen  geeigneteres 
fand.   Eine  dritte  Stelle  (Str.  II,  p.  380),  in  welcher  das 

Staunen  über  das  Sinuenföllige  {&avjitaßoy  rä  nagoyra)  als 
Vorstufe  der  Erkenntnis  des  Uebersinnlichen  {rijg  inixuya 
f^woHof)  anempfohlen  wird,  findet  sich  zwar  ebenMls  nicht 
bei  Hippolyt!»,  stinmit  aber  vortretSidi  mit  der  eigentftm- 

lichen  Beschaffenheit  des  von  ihm  geschilderten  Systemes  zu- 
sammen. 

Da  Clemens  aber  noch  eine  andere  Quelle,  die  Eiegetica 
des  Basilides,  gebraucht,  so  ist  es  h&nfig  sweifelhaftf  ob  er 
aus  ihnen  oder  den  FsradoBeis  die  Oitate  entnonhnen  habe. 

Auch  Zusammenfassungen  beider  mögen  stattfinden.  Nach 

einer  ziemlich  langen  Erörterung ,   welche  aus  der  ersten 

stammt  (Str.  IV,  p.  606),  scheint  Caemens  mit  einer  Ein- 

86* 


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532 


JAOOBI, 


Wendung  abzuscliliessen ,  die  er  sich  selbst  entgegenhält 
(p.  508),  und  bringt  in  der  Beantworiong  zuletsst  die  achon 
erwSliDten  Gedanken  vor  (p.  509),  dass  im  Sinne  des  Baa* 
Ildes  der  Archou  zwar  eiue  mitbewegende  Ursache  der  Vot^ 
sehung,  dass  diese  aber  doch  wesentlich  den  Dingen  einge- 
pflanzt seL  Diese  Worte  stimmen  nicht  nur  nach  dem  lubalt» 
sondern  auch  in  einzelnen  charakteristischen  Bezeicliniuigea 
nnd,  was  beachtenswert  ist,  in  der  Oedankenfelge  so  sdir 
mit  Hippel} tus'  Auseinandersetzung  (VII,  24)  überein,  dass 
man  hier  eine  Bezugnahme  auf  dieselbe  Quelle  für  nicht  unwahr- 
scheinlich halten  darf.  Erwägt  man  ferner,  dass  beide  Schrift- 
steller auf  eigne  Hand  Anszfige  und  Znsammen&asDngea 
liefern,  und  dass  dennoch  soviel  Gemeinsames  in  GMaokeo 
und  einzelnen  Ausdnlcken  vorkommt,  so  wird  dieses  unge- 
achtet untergeordneter  Verschiedenheiten  zur  Bestätigung 
jener  Voraussetzung  dienen.  Namentlich  scheint  die  Stelle 
(Str.  II,  p.  375)  Aber  den  Eintritt  der  Erlösung  in  den  Be- 
reich  des  Archen  die  gleiche  Grundlage  vorauszusetzen  wie 
bei  Hippolvtus  (c.  26.  27  Schluss).  Die  einzelnen  Züge  de3 
Vorganges  sind  wesentlich  dieselben,  nur  bei  Clemens  abge- 
kürzt, doch  nach  Anleitung  von  Hippolytus  c  27.  Di^ 
eigentflmliche  Deutung  der  Schriflstelle:'  iQ/rj  aoqlug  qoßo^ 
xvQiov ;  ist  beidemal  dieselbe.  Beide  enthalten  die  Begrirte 
des  tvayytkiov  und  der  dvyu/ntg  (pvloxQttfrjiixrj.  Der  erste  wird 
bei  Hippolytus  genauer  bestimmt,  der  zweite  erh&lt  bd 
Clemens  verrollstftndigende  Zusätze.  Alles  ergänzt  sich  und 
be^ert  das  Verständnis.  WQl  man  nicht  die  gleiche  Quelle 
annehmen,  so  müssen  es  wenigstens  sehr  verwandte  sein. 

Diejenigen,  welche  die  ältere  Form  des  Systems  bei 
Ireuäus  und  der  Terwandten  Gruppe  suchen,  urteilen  über  die 
TfagaSlüiig  iUar^/o«,  dass  sie,  obwohl  in  seiner  Schule  ab 
Autorität  gebraucht,  nicht  ein  Werk  des  Basilides  seien. 
Wir  halten  dennoch  die  Abfassung  diivch  Basilides  für  das 
viel  Wahrscheinlichere.  Lipsius  bemerkt  dagegen,  dass 
BasUides  selbst  sich  auf  den  Apostelschfller  Glaukias  und  auf 
die  Propheten  Barlabbaa  und  ^koph  berufen  habe.  Ich  will 


0  Zur  QueUenkritik  d.  Epiph.,  S.  102. 


DAS  mSPBONGUGHB  BASILIDUZnSCHB  SYSTEM.  533 


kein  Gewicht  darauf  legen,  dass  die  Nachriebt  über  Glaukias 
einer  Stelle  des  Clemens  (Str.  VII,  p.  764)  entlehnt  ist,  deren 
historisebe  Angaben  mehrere  nngelOste  Schwierigkeiten  ent- 
halten. Aber  Clemens  hat  die  Kenntnis  davon  nicht  aus 
Basilides'  Schriften  selbst,  sondern  durch  Aeusserungeu  von 
BasUidianern  seiner  Zeit  und  seine  Angabe  hat  daher  keinen 
grtaeren  Wert,  als  wenn  die  Secte  damals  die  nagaSoaug 
Mtn^lfnt  in  der  Meinnng  gebranchte,  welche  doch  zweifellos 
bei  ihr  galt,  dass  ihr  Meister  diese  Traditionen  von  dem 
Apostel  empfangen  habe.  Da  viele  Gnostiker  sich  an  mehrere 
Apostel  und  Evangelien  ansohloasen,  konnten  sie  sehr  wohl, 
wenn  es  ihnen  sonst  dienlich  schien,  mehrere  apostolische 
Gewährsmänner  für  ihre  geheime  üeberlieferung  anführen. 

Die  kirchlichen  Alexandriner,  welche  über  die  geheime 
Erkenntnisquelle  den  Gnoatikeru  sehr  Verwandtes  lehren,  leiten 
diese  Tradition  Ton  sSmmtlichen  Aposteln  ab.  Dass  aber 
BasUides  sich  anf  die  Propheten  der  Barbaren  berufen  hat, 
bildet  vollends  gar  kein  Hindernis  für  das  Verhältnis  zu  einem 
oder  mehreren  Aposteln. 

Hippolytus  lässt  keinen  Zweifel  darüber,  dass  er  die 
fftt^oocic  des  Matthias  als  ein  Werk  des  Basilides  betrachtet 
Mag  es  an  sich  fin^^ch  erscheinen,  ob  in  dem  Bache  Matthias 
selbst,  oder  Basilides  als  sein  Dolmetscher  der  Redende  ge- 
wesen sei,  der  viermal  auch  in  der  ersten  Person  citirt  wird, 
so  nimmt  Hippolytus  doch  in  den  häufigen  Namennennnngen 
immer  nur  auf  Basilides  directen  Bezug.  So  pflegt  er  zu 
tun,  wenn  er  den  Autor  des  Buches  mit  dem  Häretiker, 
welchen  er  bekämpft,  für  identisch  hält:  bei  Justinus  und, 
vrie  es  scheint,  bei  £lchasai  (IX,  15);  bei  diesen  vielleicht 
mit  Becht,  bei  Simon  gewiss  mit  Unrecht.  Da  er  am  Schlüsse 
des  Berichtes  sagt,  dies  seien  die  Erdichtungen  des  Badlides, 
die  Früchte  seines  Studiums  Jtr  ägyptischen  Weisheit,  so  ist 
das,  mit  der  erwähnten  Erscheinung  zusammengenommen,  ein 
Moment,  was  die  Waage  zu  Gunsten  der  Annahme  neigt,  dass 
nadi  Hippolytus*  Meinung  Basilides  selbst  als  Yer&sser  der  in 


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534 


erster  Person  Kedende  sei.  Die  Worte,  mit  welchen  Hippo- 
lytus  seine  Auseinandersetzung  beginnt  ^) :  Baailides  und  Iaido* 
nis,  sein  Sohn  und  SchQler,  sagen,  dass  Umea  MaMibias  ge- 
heime Lehren  an^geqiiochen  habe,  aind  in  dieeon  Edle  dahin 
m  yerstehen,  daas  das  Zeugnis  des  Basilides  in  der  Schrift 
selber  von  ihm  niedergelegt  sei.  Wenn  Hippol^lus  behauptet, 
dass  Basilides  und  Isidoras  sich  mit  jenen  Worten  geäussert 
haben,  ao  ist  es  eine  nngeiedhtfiBriigte  WiUkfir,  <u»«miftittnffl|^ 
er  habe  diese  Aenaserungen  nicht  gelesen,  sondern  sage  das 
nm*  80,  um  die  nagaSbanq  mit  Basilides  und  Isidor  iu  Ver- 
bindung zu  bringeu.  Der  Wert  seiner  Beobachtung  bedarf 
der  Erörterung,  aber  er  giebt  nirgends  Anlass  zu  dem  Vor- 
wurf, daaa  er  eine  Wahrnehmung  lediglich  erdichtet  habe.  Be* 
kannte  nch  nun  Basilides  in  einem  andern  Werk»  zum  Inhalt 
dieser  Schrift,  so  ist  damit  erwiesen,  dass  er  sie  und  ihr 
System  verfasst  habe,  man  müsste  denn  einen  Basilides  anto 
I^lidem  Toraussetzen.  Befand  sic^  aber  adne  Bezeugung» 
wie  wir  ea  als  wiihrscheinlidier  erfcamiten,  in  dem  Buche 
selber  ausgedrückt,  so  konnte  sie  sammt  dem  Buche  unter- 
geschoben sein.  Für  Beurteilung  dieser  Hypothese  ist  die 
Bemerkung  wichtig,  dass  auch  Isidor  sich  zu  den  Traditionell, 
des  Matthias  bekannt  haben  soU.  Seine  £rwAhnung  setzt 
ebenso  wohl  eine  tatsächliche  Beobachtung  voraus,  wie  die 
Meinung  des  Basilides.  Hippolytus  unterscheidet  ihn  auch 
deutlich  vom  grossen  Haufen  der  Basilidianer.  Diese  konnte 
er  ohne  weiteres  in  die  Charakteristik  der  Lehren  des  Stifters 
einschlieasen,  nicht  aber  jenen  bedeutenden  Lehrer  und 
Schriftsteller.  Die  Aenaserung  nötigt  zu  dem  Schlüsse,  dass 
er  Isidoras  als  übereinstimmend  mit  der  Lehre  des  Matthias 
kannte  und  eine  bestimmte  Erklärung  darüber  vor  Augen 
hatte.  3e&nd  sich  diese  in  anderen  Schriften  das  Isid<n',  ao 
wftre  die  Hypothese  von  einer  Unterschiebung  im  Namen  des 
Basilides  nur  in  der  Gestalt  zulässig,  dass  Isidoras  selber  der 
Fälscher  der  nvLf^öoaug  wäre.    Damit  wäre  aber  wiederum 


CLoq  y.tn  uaOr^rr,q,  (paalv  fiorjxirai  at'TOi<;  Mar&tar  Xoyovs  anoKQV<pOVSp 


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DAS  UBSPROMGUOEB  «AfllUDIAmSCBB  SYBITBIf.  686 


4ie  Bestftügung  g^eben,  daas  das  System  der  Tw^doauq  mü 
der  vrq^rfiiigliohen  Besdhaffenheit  der  Eartei  Terbnaden  war. 
Es  bliebe,  so  viel  ich  sehe,  nur  noch  die  eine  Möglichkeit 

übrig,  dass  die  Zeugnisse  des  Isidoras  und  Basilides  mit  den 
Tia^aioa^  verbundeu  waren,  und  das  Buch  nach  dem  Tode 
beider  nntexgeeohoben  wurde.  Ein  hinlänglicher  Zeitaum 
bis  zu  demens*  fierichterstattung  lieBse  sieh  wohl  ermitteln. 
Denn  obgleich  man  nach  den  vorhandenen  Fragmenten  ur^- 
teileu  niuss,  da^s  Isidor  ein  reifes  männliches  Alter  erreicht 
habe,  so  wissen  wir  doch  sein  Todeejahr  nicht  Allein  es 
Ifiast  sich  keine  passende  Zusammenatellung  m  Vater  und 
Sohn  als  Zeugen  der  Ttu^^ianq  denken.  Da  nur  Matthiaa, 
nicht  aber  ein  Hermeneut  desselben,  der  Ceberliefernde  ist, 
so  kann  Isidor  nicht  als  unmittelbarer  Empfänger  genannt 
worden  sein;  denn  damit  wäre  eine  chronologische  Unmög<* 
liohkeit  behanptet,  wodurch  der  Yerfinsser  in  einer  noch  dazu 
YöUig  unnötigen  und  ungewöhnlichen  Weise  seine  eigne 
Fiction  ^)  zerstört  hätte.  Wäi  e  aber  eine  der  Zeit  nach  abge» 
stufte  Vermittlung  von  Basilides  und  Isidor  dargestellt  ge« 
Wesen,  so  dürfte  man  nicht  anders  erwarten,  als  daas  Isidor 
als  nädister  Bürge  der  Tiadition  bei  Hippolytua  viel  Mskat 
hervorgetreten  wäre.  Dasselbe  würde  von  einem  dritten 
gelten,  bis  7x1  welchem  luun  etwa  die  Hypothese  weiter  spinnen 
möchte,  der  aber  gar  nicht  einmal  die  Erwähnung  von  Seiten  des 
Hippolytus  für  sich  hätte.  Auch  ein  Fälscher  hätte  |in  der 
Partei  doch  nur  dann  mit  dem  Namen  des  laidcr,  dessen 
Schriften  bekannt  waren,  Eindiuck  machen  können,  wenn  das 
System  des  Isidor  mit  dem  seinigen,  und  nicht  mit  dem 
dualistischen  wesentlich  übereinstimmte,  fir  würde  also  als 
IJenge  für  die  von  uns  als  uieprflngUeh  angesehene  QeeMi 
wenigstens  bei  Iiddor  gelten  dürfen.  Nun  setzt  aber  demena, 
welcher  die  Schriften  des  Basilides  wie  deä  Isidoiub  kennt, 


1)  Für  chronologische  Wahrheit,  wie  D.  Hofstede  (Basilides,  S.  4) 
tut,  kann  ich  diese  Angabe  nicht  halten,  daher  auch  keinen  Schluss 
Saf  Basilides'  Lebenszeit  daraus  nUMhen.  Vielleicht  ist  Matthias  ge- 
nannt, weU  mftD  ihn  alt  letsten  4a  ZwiUfo  aooh  den  jUagstttL 
hielt 


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536 


JACOBI, 


ohne  Flage  die  wesenilich  gleichen  Ideen  bei  bdden  toisqs; 
folglich  fahrt  auch  dieser  Znsunmenhang  wieder  anf  dasBelbe 

System  als  das  ursprüngliche  zurück.  Dieser  Schluss  ergriebt 
sich  auf  noch  schnellere  Weise,  wenn  die,  wie  wir  erkanuten^ 
wahrscheinliche  Annahme  berechtigt  ist,  dass  Clemens  dis 
nu^oouc  selber  gekannt  hat  In  den  erkoinbaraa  Zwecken 
und  historischen  Bedingungen  liegt  also  kein  Grund,  von  der 
Anc^abe  des  Hippolytus  über  Basilides*  und  Isidors  Zeugnisse 
abzugehen.  Und  was  treibt  denn  zu  der  Notwendigkeit,  seine 
elnfiiche,  alle  Schwierigkeiten  lösende  Aussage  zu  verwerfen 
nnd  eine  Reibe  wülkfirlicher  Hypothesen  yonsrndehen,  wenn 
doch  evident  ist,  dass  die  Gruppe  des  Irenaus  einen  grosseu- 
teils  nicht  ursprünglichen  Bericht  liefert  und  durchaus  keinen 
Kacliweis  eines  literarischen  Zusammenhanges  mit  Pftffilidfw 
oder  ieddor  an  die  Hand  giebt? 

Ich  habe  freilich  hiebei  dem  Zengnis  des  Hippolytus 
ein  Zutrauen  bewiesen ,  welches  nach  der  Meinung  des 
Herrn  D.  Volkmar  ^)  völlig  unbegründet  ist.  Ich  moss 
anerkennen,  dass  Herr  D.  Volkmar  mit  seinen  Beweiseit 
wenigstens  nicht  im  allgemeinen  verharrt  wie  andre, 
sondern  bestimmte  Merkmale  der  ünznverlässigkeit  in  dem 
grösseren  Werke  Hippol}i;s  nachzuweisen  sucht.  In  der  Aus- 
einandersetzung der  Lehre  Marcions  (VII,  30  f.)  habe  Eippo* 
lytus  dem  Marcion  einen  Dualismus  zugeschrieben,  indem  er 
einen  falschen  Schluss  gemadit  von  der  vermittebden  Prin- 
cipienlehre  seines  Schülers  Prepou  auf  den  unvermittelten 
Gegensatz  in  der  Lehre  des  Meisters.  Gegen  den  Vorwurf 
einer  solchen  Willkür  moss  ich  Hippolytus  mit  Unterstützung 
Volkmars  selbst  verteidigen.  Denn  da  er>)  gezeigt  hat,  daas 
Pseudotertnllians  Schrift  gegen  alle  Häretiker  auf  dem  Slteren 
polemischen  Werke  des  Hippolytus  beruht,  dort  aber  wesent- 
lich dieselbe  Darstellung  von  Marcions  Lehre  und  nichts  vom 
Prepon  angetroffen  wird,  so  muss  Hippolytus  auf  anderem 
Wege  zu  seiner  Kenntnis  gehmgt  sein,  welche  fibrigens  mit 
TertuOian  adv.  Marc.  I,  2  in  dem  Hauptpunkte  zusammen- 


i)  Tbeol.  Jahrb.  1864,  8.  mt 

^  Hippolyt,  und  die  lem.  Zeitgenone»,  S.  84. 


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DAS  UBSP&ÜNOUGHB  BA8ILIDIAMI8CaiB  SYSTEM.  637 


trifFI;.  Doch  dies  ist  Kleinigkeit  gegen  die  schwere  Anklage, 
Hippolyt  zeige  grade  hiebe!,  wie  fthig  er  sei,  Lehren  der 
Sdifiler  einfiush  und  nnbedenklich  auf  den  Heister  zu  fibertiagen, 
selbst  da,  wo  er  das 'Bewnsstsein  von  ihrer  Differenz  habe. 

Nachdem  er  nämlich  erst  Marcious  Lehre  auseinandergesetzt, 
dann  Frepons  YermittlungsTersuch ,  schreibe  er  eben  diese 
Neaemng  dem  Meister  selber  za.  In  der  Tat,  wenn  es  sieh 
80  Torhielte,  so  würde  Hippolytus  ein  Lügner  sein,  nnd  zwar 
aus  blossem  Vergnügen  an  der  Luge;  denn  welche  Ab- 
siciit  er  bei  dieser  Unwahrheit  sonst  haben  könute,  ist  uner- 
hndlich.  Oder,  er  mflsste  in  einer  Verwirrung  sein,  die  von 
Schwaehsinnigkeit  kanm  noch  za  unterscheiden  wSre;  denn  er 
hfttte  nicht  nnr  yergeesen,  was  er  in  seiner  alteren  Strdt- 
schrift  von  Marciou  vorgetragen,  sondern  auch,  dass  er  zwanzig 
Zeilen  zuvor  gesagt  hatte,  die  älteste  und  echte  Secte  Mar- 
dons  sei  die  dnaUstische.  Und  während  er  dann  hinzofiOgi, 
der  Anbänger  Marcions,  Prepon,  der  zu  seiner  Zeit  aofge» 
treten,  habe  drei  Frincipien  gelehrt,  würde  er  zehn  Zeilen 
weiter  behaupten,  Marcion  sei  ein  Anhänger  Prepons  gewesen. 
Mich  wundert,  dass  es  dem  Scharfsinn  des  D.  Volkmar  ent- 
gangen ist,  dass  S*  396,  Z.  71  Il^m  statt  Mn^iW  za 
lesen  ist,  oder  vielleicht  weder  das  Eine  noch  das  Andere, 
so  dass  das  Subject  aus  Z.  57  zu  eutuelimeu  ist.  Der  Name 
Marcions  ist  nur  durch  einen  Abschreiber  Inneingesetzt,  wel- 
cher durch  die  folgende  Stelle  aus  Marcions  Evangelium  und 
die  Erwähnung  Marcions  am  SchhiaBe  c  31  irregeführt  ward. 
Aach  Herr  D.  Volkmar  findet  darin  eine  bestätigende  Zu- 
rückbeziehung  auf  die  Lehre  des  Prepon,  welche  fälschlich 
dem  Marcion  zugeschrieben  werde.  Allein  im  Gegenteil;  es 
ist  der  zasammenfassende  Schloss  des  ganzen  Capitels  über 
Mareion  and  seine  Schale.  Das  ist  die  Lehre  von  Marcion, 
sagt  Hippolytus,  wodorch  er  die  gottlose  Secte  gründete,  die 
ich  hinlänglich  widerlegt  zu  haben  glaube.  Dass  an  der 
obigen  Stelle  ITmTTCoy  zu  verstehen  ist,  geht  schon  daraus  her- 
vor, dass  Hippolytus  zam  Beweise  Aossprüche  in  Cätatenform 
anführt,  welche  der  Schrift  des  Prepon  gegen  Bardesanes  an» 
gehören,  die  er  zu  diesem  Zwecke  genannt  hatte.  Wenn  Schrift- 
stellen, welche  Prepon  darin  gebrauchte,  dem  Text  des  Marcion 


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$38 


entspreoii«!,  so  renMsk  sich  dts  von  sellMst  und  bildet  keinea 
Gegengruüd  gegen  die  volle  Evidenz  der  Conjectur.  Zm  Bc- 
^t&ügaog  dient  die  kürzere  Darstelluog  X,  19;  denn  auch 
hier  nntenoheidet  Hippc^us  UMEwm  und  Prapons  Ukn, 
Da  er  den  Verglsidi  mit  EmpedoUee  iiioht  beabdehtigi,  ffigt 
er,  wie  auch  Tertullian  tut,  die  Hyle  hiuzu,  und  redei  bei 
Marcion  von  drei  Priucipien,  bei  Prepon  von  \ier.  Es  ist  an 
aUea  Stellen  klar,  dass  er  dem  äiMotoc  bei  Manaoa  um 
andere  Bedeatiiqg  giebt,  als  bei  Prepon. 

Den  Streit  dee  Prepon  mit  Bardeeanes  lernen  wir  dnick 
Moees  von  Chorene  gleichfalls  kennen  So  bewährt  sidi 
Hippolytos  ald  ein  Mann,  welcher  uns  die  Schule  des  Mardou 
geoanor  als  irgend  ein  andrer  Polemiker  bescbreibti  und 
ohem  eine  abnchUiolie  Tecdopkelnng  dee  Tatbeetandea  Csm- 
liegt ,  der  vielmehr  dch  Mühe  giebt ,  die  ^igentfimlidMB 
Quellen  und  Standpunkte  zu  unterscheiden*). 

Wo  wären  also  die  entscheidenden  Gründe  für  die 
atehnog  der  Schrift  naoh  Bsailidea'  Zeit?  loh  b^^nne,  äm 
die  weite  AnaMdang  dee  Systems  mir  wohl  ein  Bedenkoi 
erregt  hat,  indes  ich  finde  es  durchaus  nicht  hinlänglich, 
weil  wir  es  mit  philosophisch  geschulten  Männern  zu  tun 
haben,  weil  auch  nach  den  Acten  des  Archelau9  und  Glemfim 
dieser  Onoetiker  ein  frnohtbarer  Sohnftsteller  gewesen  sem 
mofls  und  w^l  swisohen  der  Entstehnng  seines  l^tems  nnd 
dem  ebenso  umfassenden  valentinischeu  nur  ein  kurzer  Zeit- 

Einen  Zweifel  gegen  den  Mhen  ürq^mng  der  Sohnft 
kannte  aiich  dies  hervormfen,  dass  einige  nentestnmentliAe 
Stellen  bereits  mit  Formeln  eingeleitet  werden,  welche  Merk- 
male zu  sein  pflegen,  dass  man  sie  für  inspirirt  halte.  Indes 
nachdem  die  ersten  Kapitel  des  Barnabasbriefes  im  griechi- 
sdhen  Text  aa%efimden  worden  sind,  welche  gieioh&Us  eine 
«oldie  F(Mrmel  enthalten  (c.  4);  auch  der  sogenannte  aweite 
Brief  des  Clemens  von  Bom,  welcher  etwa  der  Mitte  des 

1)  Vgl  auch  Hilgenfeld,  BaEdeame,  S.  16. 

s)  Siehe  such  die  treSMen  BenerkimgeQ  D.  Weisiftekere 
aber  die  Genauigkeit  dir  Gltatioiisweiee  dee  Hippolytoe.  Unter- 
sachungen  aber  die  eyaog.  OmtAu,  & 


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t 


DAS  UltSFRÜHaUGHE  BASU4DXANISCHS  ^39 

%  Jahrhunderts  angehören  mag,  sie  ebenfalls  darbietet,  so  ist 
man  veranlasst,  den  Gebraadi  diaser  i'ormela  bis  in  die  Zeit  dee 
BasIHdes  hinauf  zu  datiien. 

Was  nnn  die  beiden  Citate  ans  dem  Evangelinm  Johannis 
betrillt,  welche  übri^^ens  ohne  die  feierliche  Formel  beige- 
bracht werden,  so  steht  und  fällt  der  Wert  dieser  Zeugnisse 
f&r  die  Authentie  des  Evangelioms  mit  der  Anerkennung,  dass 
inr  in  der  Quelle  des  Bij^lytns  ein  Froduet  des  Basilides 
^er  seiner  Zeit  besitzm.  leh  glaube  wenigstens  soviel  dar- 
getan zu  haben,  dass  die  bisher  dagegen  vorgebrachten 
Grunde  nicht  geeignet  sind,  diese  Annahme  zu  erschüttern. 
Die  Behauptung,  dass  die  Citate  nicht  uisprflnglioh  der 
<tuelle  gehören,  sondern  von  Hippolytus  aus  Beobachtungen 
oder  Schriften  seiner  Zeitgenossen  hinzugefügt  sein,  ist  hieuach 
völlig  willkürlich.  Herr  D.  Zeller  hat  die  Bemerkung  gemacht, 
dass  das  iipr}  des  Textes  gar  nicht  notwendig  auf  Basilides 
als  Subject  gehen  mflsse.  Diese  Bemerkung  ist  sehr  fiberr 
fltaig  Ar  mich,  gegen  den  sie  gerichtet  war,  und  fttr  jeden, 
welcher  die  Citaiionsweise  des  Hippolytus,  Origenes  und  anderer 
griechischer  Kirchenväter  kennt.  Es  handelt  sich  vielmehr 
darum,  mit  welchem  Hechte  man  behaupten  dflife,  dassHippo« 
lytus  plötzlich  zweimal  nach  einer  anderen  Quelle  greif(Ci, 
wihrend  er  durch  Anfang,  Bnde  und  susaramenhängendea 
Inhalt  der  uns  vorliegenden  sie  als  ein  einiges  Ganze  be- 
zeichnet; und  da  er  doch  sonst  gar  nicht  sparsam  in  den 
Angaben  dfuraber  ist,  wober  er  sein  Material  sohOpft  Man 
lüinnte  mit  gleidiem  Recht  behaupten,  dass  er  jede  andre 
Schriftstelle  aus  einer  anderen  Quellenschrift  entnommen  habe. 
Welches  Interesse  hätte  ihn  leiten  sollen,  grade  die  Wort^ 
HOS  Johannes  hier  einzuflicken? 

Ob  die  ffci^cNKic  tw  Mm&iw  auch  bei  anderen  Sectoi 
in  Qebmuch  gekonmien,  ist  nidit  ncher  zu  entscheiden. 
Allerdings  scheint  Clemeus  es  mit  den  Worten  auszusagen: 
Die  Valentinianer ,  Marcioniten  und  Basilidianer ,  auch  wenn 
sie  sich  mit  der  Lehre  des  Matthias  brüsten^)  u.  s.  w. 


^)  Str.  VII,  765;  tcJ**  d'  alQtaeojy  al  fi^y  dno  oyofAarof  nQoaayo- 


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540 


JACOBI, 


Wirklich  zeigt  sich  Verwandtschaft  in  einigen  Punkten,  z.  B. 
der  negativen  Bezeichnung  Gottes,  welche,  wie  Lipsias  erinoeri, 
flidi  bei  Valentinianeni  Eingang  Teracbafft  hat«  und  femer 
in  der  kosmischen  Zerteüung  der  Person  Christi  nadi  der 
Lehre  des  Apelles.  Möglich  ist  also  immerhin,  dass  andere 
Parteien  Einzelnes,  was  ihnen  zusagte,  sich  aneigneten.  Allein 
sie  konnten  diese  Gedanken  auch  aus  anderen  Quellen  ge- 
winnen. Es  hat  einige  Schwierigkeit,  dass  ein  so  eigentfim- 
lich  ausgeprägtes  System,  wie  das  der  nuquöomtgy  sich  Bür- 
gerrecht bei  Valentinianern  und  Marcioniten  verschafteii  sollte. 
Es  iät  mir  sogar  walu-scheinlicher,  dass  Clemens  in  jenen 
Worten  nicht  die  Absicht  hatte,  die  Autorit&t  des  MattioM 
auf  alle  drei  Secten  auszudehnen.  Br  verfolgt  gar  nicht  du 
Interesse  dabei,  geiura  üljer  die  erdiehteteu  apostolischen  TlS- 
ditionen  der  Häretiker  zu  berichten,  sondern  es  genügte  ein 
Beispiel,  das  mehrmals  von  ihm  erwähnte  der  Basilidiaoer; 
und  dass  er  diese  ssuletat  stellt,  hat  doch  wohl  den  Zwedii 
anzudeuten,  dass  grade  sie  der  Tradition  des  Matthias  nch 
rühmen. 

Femer  soll  nach  Lipsius'  Annahme  ^)  die  Stelle  bei  Clemens 
Str.  III,  p.  436 beweisen,  dass  die  nagadicug  auch  bei  des 
Earpokratianem  in  Ansehn  standen.  Dass  hier  die  nu^oaa^  ge- 
meint sind,  obgleich  diese  Benennung  nicht  hinzugefügt  ist» 
scheint  auch  mir  sicher  zu  sein,  unrichtig  dagegen  die  Ver- 
bindung mit  den  Karpoki*atianern.  Denn  Clemens  handelt 
Ton  melireren  Classen  unsittlicher  Antinomisten,  und  wenn  die 
na^Hatig  einer  ?on  diesen  zugeschrieben  werden  sollten,  ee 
wären  die  Nicolaiteu  die  iiüchsteii,  zu  welchen  er  sich  durch 
Erwähnung  der  Karpokratianischen  Lehre  von  der  Gemeinschaft 
der  Weiber  den  üebeigang  bahnt,  zugleich  an  das  II,  411 
Gesagte  erinnernd.  Jedoch  jene  Worte  des  Matthias  weidea 
von  Clemens  yielmehr  als  Bestätigung  seiner  eignen  Ethik 

MuT^iov  rii'/tuG»  7tQos(tyta&ai  do^av.    Es  ist  mir  zweifelhaft^  ob  nicit 
d6{a  richtiger  durch  Ruhm  zu  öb^rsetzon  sei. 
1)  Zur  Quellenkrit  d.  Epiphar.,  S.  102. 

8)  Aiyovüi  yovy  X(ä  ruy  Mtai^ücy  oi  Tujg  didd^ui'  augxl  ufy  fidx^ 
^vxny  dk  av(eiv  dut  niorewg  xai  yytiotus. 


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DAS  UBSPBONaUCHE  BASIUDUNISCHB  8TSTEM.  541 

angef&hrt,  ohue  dass  er  angiebt,  ob  eine  der  mancherlei  und 
zum  Teil  gar  nicht  benannten  Parteien  diese  Autorität  aner« 
ketine.   Nachdem  er  den  Nioolaiten  die  eigne  Deutung  des 

von  ihnen  verkehrten  Ausspruches  nuguxQtjaS^ut  i?'  nwoxt  ent- 
gegengehalten,  führt  er  zur  Bestätigungr  die  unzweideutig 
asketischen  Worte  des  Termeintlichen  (Xdywai)  Matthias  an* 
Hätte  er  sagen  wollen,  dass  sie  von  den  ]ffilretikem  fttar  ihre 
Zwecke  benutzt  und  unagedeutet  würden,  so  hätte  er  die  Be- 
richtigung hinzugefugt. 

Melirmals  wird  ein  Evangelium  des  Matthias  genannt. 
Die  ältesten  Zeugen  sind  Origenes,  Eusebius  und  das  Decret 
des  r5mischen  Bischofs  Oelasius  ^).  Obgleich  man  nichts 
Sicheres  behaupten  darf,  so  ist  es  doch  wahrscheinlich,  dass 
es  identisch  sei  mit  den  nupadooug.  Diese  müssen  auch  des 
Historischen  mehr  enthalten  haben,  als  nnmittelbar  aus  den 
Auszflgen  des  Hippolytus  hervoigeht  Denn  YII,  27  sagt  er, 
nachdem  er  von  der  Geburt  Jesu  ge:>prochen,  seine  weitere 
Geschichte  sei  in  Uebereinstimmung  mit  den  Evangelien.  Sie 
konnten  daher  um  so  leichter  mit  dem  Namen  eines  Evange- 
liums benannt  werden.  Wenn  Hippolytus  bemerkt  (VU,  27), 
dass  Basilides  nach  Aegypten  gehöre,  was  ohne  Frage  ebenso 
von  Isidorus  gelten  soll,  so  ist  wahrscheinlich,  dass  auch  die 
Anhänger  derselben,  welche  er  bestreitet,  vorzugsweise  dort 
zu  suchen  sind.  Clemens  sammelte  vermutlich  ebendoit  seine 
Kenntnisse  und  Beobachtungen  über  sie.  Die  erste  Erwähnung 
des  Evangeliums  des  Matthias  durch  Origenes  stimmt  damit 
zusammen.  Nun  mag  es  in  denselben  Gegenden  auch  Basili- 
diauer  anderen  Schlages  gegeben  haben ;  indes  erhellt  aus  den 
bezeichneten  Möglichkeiten  wenigstens  soviel,  dass  es  nicht 
notwendig  ist,  die  Baalidianer  des  Hippolytus  in  den  Occident 
zu  verlegen  und  damit  ein  Prfljudiz  gegen  die  ürsprünglich- 
keit  ihrer  Lehren  zu  Schäften. 

Ausser  den  genauuben  Bezeichnuugen  von  Schriften  ist 


1)  Orig.  hon.  Luc.  L  V,  87  od.  Lomm.  Euacb.  h.  e.  III,  25. 
Decret.  Gelas.  ed.  Thiel,  p.  24.  Diese  und  andere  minder  wichtige 
Zeugnisse  bei  Credncr,  Geschichte  des  KentesttunentL  Canon.  Her- 
Ansgegeben  Ton  Volkmar  186a 


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542 


VOD  einem-  Evangelium  des  Basilides  die  Rede.  Agrippa 
Gastor  (Easeb.  H.  e.  IV,  7)  gedenkt  eines  Werkes  von  vier- 
Bndzwanng  fiflchern,  wdohes  er  tlg  th  wayfiknm  geachrielMn 
habe.  Bb  ist  allgemeiiie  und  wobl  begrfindete  Amiahine,  da» 
es  kein  anderes  sei,  als  dasjenige,  welches  Clemens  l^r^yr^rixu 
nennt  (Str.  IV,  5U6)  und  welchem  der  Tractat  angehört,  aus 
dem  die  Acta  Archelai  c  65  MitteUimg  machen.  Die  Worte 
des  Agrippa  rnstehe  idi  naeh  dem  ^piachgebiaacfae  des 
2.  Jahrhunderts  von  dem  eyangelischen  Inhalt  überhaupt. 
Dieser  wird  sicher  nicht  bloss  kirchlichen,  sondern  auch 
häretischen  Evaugelieuschriften  entlehnt  worden  sein;  es  läasi 
flieh  nun  kamn  anders  denken,  als  dass  Basilides  eine  Zu* 
sammenstollmig  der  Einzelheiten  vor  Angen  hatte,  ond  hOehsfe 
wahrscheinlich  hatte  er  selber  sie  gemacht 

Auf  eine  solche  Arbeit  passt  es,  was  Origenes  sagt 
(Horn,  in  Luc.  p.  86),  Basilides  habe  ein  Evangelium  unter 
seinem  eignen  Namen  geschrieben  (Mira  BamUidf^y,  Schwer 
aber  ist  eine  andere  Aussage  des  Origenes  genau  m  dentoi». 
Er  sagt  von  einer  Lesart,  dass  sie  sich  in  dem  Evangelium 
finde,  welches  die  Yalentinianer,  Basilidianer  und  Marcioniteo 
gehrsnchen^.  Irenflns  nnd  Tertollian  folgend,  wird  man 
Tonnhsst,  den  anderen  Pttrteien  eigene  Evaagdien  zozn- 
flchreiben.  Freilich  ist  Origenes'  Notiz  eine  spätere.  Er 
kann  sie  nach  Eusebius  (h.  e.  VI,  36)  erst  nach  dem  Jahre 
245  geäussert  haben.  Bei  den  Veränderungen,  welche  die 
Secten  erlitten,  wflre  es  möglich,  dass  der  Gefaraach  eines 
Evangeliums  von  der  einen  zur  andern  tibeiging.  Dann  frQge 
es  sich,  ob  das  des  Valentin  oder  des  Basilides  oder  des 


i)  Vgl.  Credner,  Geschichte  de«  Neutestamentlichen  Canon, 
S.  11.  D.  Hilgenfeld,  Einleitung  in  das  Neue  Testament,  S.  46, 
versteht  darunter  eine  Evangelienschrift,  welche  einem  unserer  Evan- 
gelien, dem  des  Lukas,  verwandt  war.  Dann  müsste  ro  etayyiXiov 
so  viel  sein  als  das  Evangelium  des  Basilides.  Das  wäre  aber  ohne  den 
Zusatz  hivjov  ein  sehr  mis verstandlicher  Ausdruck. 

*)  Fragment  aus  Hora.  34  in  Luc.  V,  240  ed.  Lomm.:  xavta  «fl 
ttQtjTai    nQos   roi*f   rtno    OvaXayrfvov   xcii    BttaiXtlSov  xtti    tov(  dnS 


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DAS  URSPRÜNGLICHE  BASILIDIAinSOHE  SYSTEM.  643 

Msydoii  gemeint  wftre.  Weiiti  hkuI  die  Angabe  des  Clemens 
über  die  Autorität  des  Matthias  (Str.  VII,  p.  766)  in  dem 
allgemeinen  Sinne  nimmt  and  sie  mit  der  des  Origenes  com- 
binirt,  kOnate  nun  neh  an  das  BvHngi^am  des  Matthias 
danken.  Allein  wir  bemerkten  flehen,  dasa  diese  Dentnng 
der  Stelle  nicht  die  wahTBcheinlichste  ist.  Das  Zusammen- 
treifen  mit  Origenes  ist  vermutlich  hier  nur  zußllig,  und 
wir  urteilen,  dass  dieser  mit  dem  einen  bestimmten  £?an- 
gelinm  das  des  Lukas  meint,  was  damals  alle  drei  Secten«  wenn 
ancb  niebt  in  ttbenül  gleicher  Gestalt,  deeh  in  dieser  Lesart 
übereinstimmend,  gelten  liessen.  Die  Ansicht  aber,  welche 
Gundert  (Zeitschrift  1866,  S.  42)  ausspricht,  dass  das  £yan- 
gelinm  des  Basilides  in  den  Acta  Archelai  und  die  na^Soattg 
Mard-iw  identisch  seien «  halten  wir  ftr  nicht  zatreffend. 
Denn  die  naQaSiüitg  haben  seihst  se  sehr  den  Obarakter  eber 
darlegenden  und  ausführenden  Schrift,  dass  es  unwahrschein- 
lich ist,  hiezu  habe  Basilides  noch  einen  weiteren  Commentar 
geschriehen. 

Ans  diesen  Angaben  Aber  das  Evangdinm  des  Basilides 

und  den  Schriftgebranch  spftterer  Anhänger  erwiebst  nns  kein 
weiterer  Gewinn  für  die  Entscheidung  der  Hauptfrage,  welche 
uns  beschäftigt  Aber  die  vorangehenden  literarischen  Er- 
örterungen stimmen  alle  fiberein  mit  dem  aus  der  Unter- 
suchung des  Inhaltes  gewonnenen  Besultat,  dass  Hippolytus  in  • 
dem  grösseren  Werke  das  ursprüngliche  System  des  Basilides 
'  überliefere. 

Wenn  es  sich  so  verh&lt,  wenn  Alexandria  so  frühzeitig 
ein  gncBtisdhes  lästern  Ton  stark  hellenischer  Färbung  er- 
zeugte, so  wird  man  nicht,  wie  D.  Lipsius  ^)  in  seiner  sehr 

verdienstlichen  Abhandlung  über  die  Gnosis  getan  hat,  die 
hellenischen  Systeme  von  den  syrischen  durch  eine  Zeitfolge 
unterscheiden  dürfen.  Die  Gründe  gegen  diese  Betrachtunga- 
weise,  welche  ans  den  Naduichten  Aber  Oerinth  und  Ear- 
pokrates  hervorgehen,  scheinen  mir  ebenfhlls  nicht  binlfinglich 
gewürdigt  zu  sein.  Doch  will  ich  an  dieser  Steile  nicht 
naher  darauf  eingehen.   Die  Gnosis  ist  eine  so  allgemeine 


1)  Art  „Gnostisiiuiii"  in  Ersoh  jl  Oruber,  Encydop.  ISGOi 


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544      JAOOBI,  DAS  UB8FR0NOUGHE  BASILIDIAll.  SYSTEM. 

BewegiiDg,  nnd  sie  hat  in  d0r  aleiandriiiiaeh^jüdiaoheii  Philo- 
sophie eine  so  bestimmte  VoTbenitniig,  dass  es  ganz  den  ge- 
schichtlichen Bedingungen  entspricht,  wenn  sie  nicht  nur  ans 
Syrien,  sondern  auch  aus  anderen  Bildungsstätten,  namentlich 
ans  Alexandria  abgeleitet  wird. 


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Uff  UrsproDg  des  MtaehtuM 

im  nachconstantiniselien  Zeitalter. 

Von 

Prof.  D.  Hermann  Weingiurteu 

in  Bieslan. 
[IVirtBetzaiig  und  ScblanJ 

YL  Dem  BcBuliat  unserer  üntersadinng,  dass  wir  In  den 
Anftngen  des  MOncbtnms  nmr  die  Üebertragung  altherge- 
brachter Formen  des  ägyptischen  religiösen  Volkslebens,  na- 
mentlicb  des  Serapisdieiistes,  iu  das  Christentum  zu  erblicken 
haben,  stellt  sich  von  selbst  der  Einwand  fragend  ent^g^^en, 
welches  denn  die  Motive  za  solchem  Uebergang  gewesen,  and 
ob  wirklich  in  den  Docomenten  des  Sliesten  MOncbtams  sieb 
Spuren  solchen  vorchristlichen  und  populären  Ursprungs 
finden? 

Vor  allem  mnss  hier  der  Irrtum  sarflfdqgewiesen  weiden, 
der  am  meisten  ein  richtiges  Urteil  getrflbi  hat,  der  Glanbe, 

dass  das  christliche  Mönchtum  den  Verfolgungszeiten  der 
Kirche  entstamme.  Nicht  nur  das  schon  früher  hervorge- 
hobene völlige  Schweigen  der  Zeitgenossea  der  letzten  Ent- 
scheidnngskiUnpfe,  eines  Eusebius  undLaetanz,  widerlegt  den- 
selben,  in  viel  höherem  Grade  spricht  gegen  denselben  der 
Charakter  der  ältesten  Mönchsliteratiir  seihst.  Man  wird  in 
all  jenen  Eremitenbiographien  des  vierten  und  fünften  Jahr- 
hunderts auch  nicht  Eine  nachweisen  können,  in  der  sich  eine 
historisch  mögliche  AnknQpfnng  an  die  Zeiten  Diodetians 
findet.  Unter  den  Moüven,  die  bei  Bufinus  und  FaDadius  in 

Zeibtchi.  f.  K.-a.  86 


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546 


WIBINCtABm, 


die  Wfiflto  ziAheo,  wiid  niigendB  die  Flocht,  immer  nur 
spontene  asketische  Oeflimiimg,  neben  der  Beae  über  dn  ver- 

gangeoes  liauber-  und  Sündenleben  genannt  Kein  Wort 
verrat  einen  Gedanken,  der  die  Ertödtung  alles  sinnlichea 
Lebens  als  ein  neues  geistliches  Martyrium  und  eine  Fort- 
selznng  der  Mftrtyrenseiien  betrachtete.  Wo  einmal,  und  niir 
äusserst  spärlich,  eine  Verfolgungslegende  Torgebracht  wird, 
die  sich  auf  den  ersten  Blick  als  ohne  jeden  geschichtlichen 
Kern  erweist*),  ist  sie  immer  nur  wie  eine  fironune  reizende 
Episode  eingeflochten.  Ist  doch  aoch  in  die  eigentliche  Heu- 
mat  der  ersten  Möndie,  nadi  Oberilgypten,  die  diodetianisehe 
Verfolgung  zweifellos  nicht  vorgedrungen.  Und  wie  wenig  för 
die  allt^'emeinen  Erinnerungen  des  vierten  und  fünften  Jahr- 
hunderts das  M^chtom  mit  der  Märtyrerepoche  der  Kirche 
Terbnnden  war,  geht  ans  einem  Wort  hervor,  das  man  dem 
Antonius  in  den  Mnnd  legte:  „Gottes  Gnade  verschone  ab- 
sichtlich sein  Zeitalter  mit  Kriegen",  ein  Ausspruch  undenk- 
bar, wenn  mit  dem  Mönchtum  der  Gedanke  an  die  welter- 
schättemden  Kämpfe  der  Zeiten  Diodetians,  Constantins,  des 
Maxentins,  des  ladnios  verknüpft  gewesen  wäre*).  £nt  die 
Pbaniasie  des  Hieronynras,  die  grelle  'SehlagUditer  bedmrfte, 
hat  die  Asketen  in  Blutzeugen  umgetauit  und  spätere  Zeiten 
sind  ihm  darin  gefolgt;  aber  noch  Tillemont  hat  gesehen, 
da»  das  Mönchtum  eine  Entwicklung  der  Kirche  lange  nach 
überwundener  Verfolgung  gewesen  ist^y 

1)  Um  nur  an  die  hervorragendsten  Gestalten  zn  erinneni:  dar 
h.  Ammon,  den  Soerat.  h.  e.  IV,  2.)  als  Stifter  des  Mönchtuiofl  nennt, 
ähnlich  wie  PseudoathaB*  vita  Antonü  c.  60.,  der  den  Antonios 
mi  MöDfilitnm  bewogen  worden  lässt,  als  er  dk  Sele  des  sterbaadsD 
Ammon  von  Engeln  gen  Himmel  tragen  sieht  ->  gebt  in  die  Wüste,  nur 
mn  ehl  Leben  TinQ^sriag  xal  äyvBütg  fuhren  ZU  können;  nnd  mit  Zu* 
Stimmung  seiner  Frau,  Pallad.  biet.  Lwu.  S.  Der  jüngere  Maearins 
wird  Mönch  rar  Bnne  Ar  einen  früher  Ton  Um  Tenekaldetea  XeMUag» 
Pallad.  17  u.  s.  w. 

s)  Z.  a  Pallad.  bist  Im  c  8.  66. 
Apophthegmata  patrnm   I,   23   (Migne  ser.  giaet. 
65,  84):  «lue  nftW  (Antonios)  öu  i         ov»  aipin  rovc  noX^vs 
M  tih^  ^tPtdp  tmfhtiiF,  ihntQ  M  ttSr  cr^/oletr*  oUi  ytl^  «r«  mg^§HS^ 
aim  Jwi  ev  ßaar^mm. 


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UBfiFRUMa  DBS  MÜNCUTUMS. 


647 


Yielmeiir  es  ist  nur  der  Eine,  schon  hervorgehobene  Ge- 
danke, der  alle  diese  Hösser  beselt,  der  des  Strebens  nach  unbe- 
dingter dnut^tutf  uacii  völliger  Vernichtung  aiier  Empfindungen« 
die  mit  dem,  was  sinnlich  an  ans  isfc,  siwsmmeiihtngsttt 
ovroc  o  iata^  der  h((ehsie  Ehrentitel  Oi  die  ErtOdtnng  des  KOr* 
pers,  der  Materie,  uml  die  durch  solche  Abtödtung  der  Welt 
zu  erlangende  Heiligkeit  das  einzige  sittliche  Ideal,  aber 
dieses  Ideal  ohne  jeden  christlichen  Zog!  Serapion,  Sindonius 
gemumt,  weil  er  ausser  einem  leinenen  Ueberworf  nie  etwas 
anf  seinem  K((rper  getragen,  fährt  Ton  Aegypten  naob  Bern, 
um  zu  erkunden,  wer  dort  der  gröbste  Asket  sei.  Da  hört  er 
durcb  Domninus,  deääen  Bett  noch  nach  seinem  Tode  Krank-  ^ 
heiten  heilte,  tod  einer  Jnngfiraii,  die,  ftofondswanzig  Jahre 
in  ihrer  Zelle  vmchlossett,  mit  niimiand  geredet  habe. 
Serapion  swingt  sie,  ihm  in  eine  Kirobe  zn  folgen,  und  ge- 
bietet ihr,  zum  Zeichen,  dass  sie  wahrhaft  der  Welt  abge- 
storben sei,  alle  ihre  Gewänder  auszuziehen,  wie  er,  sie  auf 
ihre  SebnUer  zn  legen  nnd  in  sokber  Bltoe  mitten  düroh 
die  Stadt  an  gehen.  Und  als  die  Jnngfrsn  sieh  desssn  wei'* 
gert,  um  des  Aergemisses  willen  nnd  mn  nicht  fftr  wahn- 
sinnig gelialten  zu  werden,  erwidert  ihr  dieser  „Athlet 
Gottes'':  „nun  sehe  ich,  dass  du  noch  der  Welt  lebst  und 
den  Mensefacn  ni  gsfrUen  trachtest.  Ich  bui  emtorbener  als 
du;  dem  Uh  tue,  was  kb  dir  geboten,  ebne  Sebsn  and 
Aergernis/'  „So  war'',  schliesst  Palladius  diese  Biographie 
ab,  „das  Leben  Serapions,  des  Vollendetsten  in  Leidensk>sigkeit 
nnd  Armnf  Und  wenn  vom  heiligen  Ammon ,  dem 
MOndh  der  nitriseheo  Wiste,  den  die  [Legende  s«m  Vorbild 
des  beiligen  Antonins  gsstempelt  bat,  errittdt  wivd,  er  bebe 
einen  solchen  Abscheu  vor  allem,  was  der  Sinnenwelt  ange- 
hört, gehegt,  dass  er  anch  sieb  selbst  nie  nackend  gesehen 
nnd,  als  er  einst  einen  Fluss  aherschreiten  mnsste,  einw 


Z.  E  PalUd.  bist.  Um.  20. 
«)  Pallad.  bist  Laos.  89-86.   Die  S«bbiMMi0  dai  Bmafkmi 


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548  WEINGARTEN, 

Engel  herbeigerafeD  habe,  der  ihn  herSbeigetragen,  mn  niebt 

seine  Kleider  ausziehen  zu  müssen  so  sieht  man ,  dass  es 
sich  hier  um  eiüe  Askese  handelt,  deren  Motive  nicht  in  der 
christiiGhen,  sondern  in  der  antiken  und  in  der  Welt  da 
Oriente  liegen.  Die  Bilder,  welche  Chaiiemon  der  Stoiker 
nnd  nadi  ihm  Perphyrins  yon  der  Lebensweise  der  ftg>i)ti9cheB 
Asketen  entwirft,  kann  man  —  abgesehen  von  deren  drei- 
maligem täglichen  Bad  im  Nil  —  fast  buchstäblich  und  un- 
verftndert  auf  unser  Mönchtum  überteagen'),  und  man  irini  i 
nioht  einen  Zug  vermissen,  der  von  den  durigüichen  Askieteo 
Aegyptens  berichtet  wird.  Nicht  der  leiseste  Anklang  findet 
sich  bei  diesen  an  tin  pnist  gedachtes  Vorbild  Christi,  ge- 
schweige an  den  Paulinischan  Lebensgedankeu :  et  ant&dyontr 
avw  XQiar^,  nmeCofity  Stt  xa}  avr^iiaofur  ovr^.  Von  ihDflQ 
gilt  nur,  was  Cbairemon  von  jenen  Serapisdienem  m^* 

^axovy  öixfjav  xai  ntU'uv  xa)  uXiyooniav  Tiaoa  Travra   tok  ßloi^' 

Auch  geht  durch  diese  Askese  mit  ihrer  innerlichen  Leere  and 
Oede  ein  Geist  egoistischer  Abgeschlossenheit,  in  dem  ^<^^ 
kaum  je  ein  Element  chrisUioh  humaner  Gesinnung  leigti 
niehte  Ton  der  Macht,  wodureh  das  Ohnstentom  die  alte 
Welt  überwunden  hat.   Fast  ist's,  als  ob  man  auflebte,  weM  ; 
man  anter  diesen  Wüstenasketen  endlich  einmal  auf  einen 
trifft,  der,  wie  Eulogius,  die  Kranken  besucht*),  oder  auf  j^do 
alten  fieduinenscheicfa,  der  zur  Busse  für  sdne  Banbtafcci  | 
sechs  Jahre  hindurch  allnächtlich  in  mühseliger  Arbeit 
Wasserkrüge  der    anderen  Einsiedler  mit  Cisternenwasser 
gefüllt  hat I 

Wie  wenig  man  bei  diesem  Ägyptischen  M^teehtom  an 
spedfisch  christliche  Zflge  zu  denken  hat,  tritt  recht  mgosSr 


1)  Vgl  (Äthan.)  Tit.  Anton.  82.  6a  67  und  Soor,  bist  eecL 
IST,  28. 

^  Hat  doch  die  Sitae  Kritik  in  Cbairemon  «icb  die  Qodle 
Philo*B  nieiipeaten  am  finden  gegilaiibt,  dieselben  Tberapenten,  «elcik 
die  spatere  Ijiehe  Ar  Cbrurten  geoommen  bat.  üebar  jene 
Jablonski*B  vgl  La  Crosii  Tbcs.  cp.  I,  180  O^üller  inga^ 
hiei  giaee.  HI,  499.) 

s)  Pallad.  bist.  Lana.  26. 

*)  Sosom.  biit  eed.  VI,  29. 


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URSPRUNG  DES  M()NCHTÜMS. 


549 


cant  aas  der  Legende  Ton  Pftulns  dem  Einftltigeu  bervor, 

in  der  trotz  alles  mytholof^ischeu  Beiwerks  unzweifelhaft  treue 
Bilder  der  Wirklichkeit  «ich  erhalten  haben  Er  war  ein 
Greis,  als  er  Eremit  wurde.  £r  hatte  eine  jmige  und  hfibaohe 
Frao,  die  aber  scbon  binge  im  Ebebincb  lebte.  Als  er  einst 
von  der  Feldarbeit  znrflcirlrebrte,  flberrasebte  er  sie  auf  der 
Tat.  Da  überlässt  er,  ohne  ein  weiteres  Wort  des  Tadels* 
Frau  und  Kinder  dem  Verführer  und  geht  in  die  Wüste  zum 
heiligen  Antonius.  Der  legte  ihm  die  härtesten  F^rflfongen 
auf:  einen  ganzen  Tag  lang  Wasser  schöpfen  und  wieder  auf 
die  Erde  giessen,  Körbe  flechten  und  wieder  auflösen,  Honig 
ausschütten  und  mit  Muscheln  wieder  aufkratzen,  aber  Paulus 
bestaud  alle  diese  Proben  mit  unverdrossener  Geduld,  und 
Antonius  nimmt  ihn  an.  Eines  Tages  traf  er  diesen  im  Ge- 
spräeh  mit  andern  Eremiten,  wie  sie  Yon  idefen  und  gebeim- 
nisvolleu  Dingen  sieb  unterredeten ,  über  das  Verbältuis  der 
Propheten  zu  Christus.  Da  fragte  der  heilige  Paulus,  ob 
Christus  vor  den  Propheten  oder  die  Propheten  vor  Christus 
gewesen?  wegen  weldier  Bibelkenntnis  denn  doch  der  heilige 
Antonius  dem  Vater  Paulus  befobl,  wegzugehen  und  zu 
schweigen.  Paulus  zog  sich  in  seine  Zelle  zurück  und  tat 
viele  Tage  hindurch  seinen  Mund  nicht  mehr  auf,  bis  dass 
der  heilige  Antonius  ihm  beMl  zu  reden  und  ihn  fragte, 
warum  er  so  beharrlich  geschwiegen?  Weil  du  es  befohlen 
lui^t,  mein  Vater,  erwiderte  der  Alte,  von  dem  nun  Antonius 
sagt,  fürwahr,  er  beschämt  uns  alle.  Der  Lohn  dieses  Ge- 
horsams war  die  Gabe,  Teufel  auszutreiben,  die  vor  keinem 
Andern  widien.  Einst  ward  zum  heiligen  Antonius  ein  Jüng- 
ling gebracht,  der  von  einem  der  obersten  und  bösesten  Teufol 
besessen  war  und  bellte,  wie  ein  wütender  Hund.  Antonius 
betrachtet  ihn,  sieht  aber  bald,  den  könne  er  nicht  heilen, 
und  bringt  ihn  zum  Paulus,  dass  der  den  Dftmon  austreibe. 
Tu  du  es  doch,  mein  Vater,  meint  der  heilige  Paulus,  aber 
Antonius  entgegnet,  er  habe  jetzt  keine  Zeit  dazu,  und  geht 


1)  Pallad,  bist  Latis.  28.  Rnflnns,  bist  monaob.  31. 
Sozom.  bist.  eccL  I,  18.  Vgl  Tillemont,  wim,  eecL  YII, 
1U& 


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WEIMUAKTEN, 


we^.   PftQlQB  nun  beschwort  den  Jüngling  erat  im  KaiBflB 

des  Antunius,  dann  CliHsti,  aber  dor  Teufel  lästert  auf  beide. 
Da  stieg  der  heilige  Paulus  aut  einen  hohen  Felsen,  am 
heUeii  Mittag  uiter  den  brennendeten  Stmhlen  der  Sonne 
and  lien  nicht  ah  im  Gebet:  „Jeeas  Chiietoe,  der  dn  unter 
rontius  Pihitus  gekreuzigt  bist,  ich  schwöre  dir  zn,  ich  wenie 
von  diesem  Felsen  nicht  herabsteiL^'en  und  von  hout  ab  weder 
essen  noch  trinken,  sondern  Hungers  sterben,  wenn  du  nicht 
TO  dieser  Stande  den  Teafel  aostreibst.^  Er  hatte  noch  nicht 
aoBgeredet,  da  fohr  der  Tenfel  schon  ans  mit  grossem  Qe» 
schrei,  nahm  die  Gestalt  eines  Drachen  an  von  siebzicr  Ellen 
und  fuhr  ius  rote  Meer.  Das  war  der  Höhepunkt  dieses  ' 
Christentums.  —  Nicht  bei  vielen  der  eisten  Eremiten  trifil  | 
man  aof  solch  onwillkürliGhen  Hamor,  wie  bei  Pluihis  dem 
Eünftltigen  ;  aber  an  Christentam  and  Tsgewerken  stehen  sie 
nicht  höher  als  er. 

Die  ParaUeiea  aus  der  heidnischen  Welt  zwingen  sich 
ans  aaf. 

Wenn  die  Boskoi,  welche  gegen  IMe  des  vierten  Jahr- 
honderts  in  den  südlichen  Abhängen  Armeniens  hausten ,  zur 
Rf«enszeit  auf  die  Berede  hinaussoh>\ilniiten,  mit  ihren  Sicheln 
die  Kräuter  schnitten,  wovon  sie  lebten,  und  auf  die  Weide 
gingen  wie  das  Vieh  oder  wenn  die  Mtechsbanden  der 
Messslianer  im  Baphratgebiet  in  den  Zeiten  des  Valens  ihre 
Tänze  aufführten,  gleich  den  indischen  Derwischen,  znm 
Zeichen  des  IViuniphs  Aber  die  Dämonen,  und  die  Finger 
Bpitaten,  wie  um  Pfeile  gegen  sie  zu  werfen^),  so  waltet  i 
kaum  ein  Zweifel  ob,  dass  die  Muster  für  diese  ohrialliöheo  ' 
Fiakirs  im  Fflnfetromland  nnd  in  den  Gangesebenen  sn  mchen 
sind.  Dort  finden  sich  die  Originale  für  Bflsser  wie  Batth.nnis 
der  so  selten  gegessen  haben  soll,  dass  ihm  die  Würmer  aus 
den  Zähnen  gekrochen  sind oder  fflr  jene  halbnackten  Aske* 
ten,  die  von  den  Hirten  für  wilde  Tiere  gehalten,  mit 
Steinen  verjagt  wurden,  und  die  in  den  heiligen  Wahn- 
sinnigen  in   den    muhammedauischeu    Dörfern  fortgelebt 

1)  Sosom.  hht.  moL  VI,  38. 

VgL  Thaodertt  htot  «od.  IT»  10.  hwnet  fiibal.  IV,  U. 
9)  Soiom.  bist  eecL  lY, 


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UBSPBUNQ  DES  MÖNCHTUMS 


651 


baben.  Doch  jenm  MOnchtam  auf  dnem  Boden,  wo  die  defe- 

lichsteu  Grenzen  des  römischen  Reichs  sich  vielleicht  schon 
mit  den  vorgeschobensten  Posten  des  ßiiddhismua  berührten, 
ist  um  einMenaohenalter  jQnger  als  das  ägyptische,  und  wi^ 
oidit  ohne  die  Anregmigen  entstanden,  die  Ton  der  Thebais 
ausgegangen  waren.  Aber  für  die  Entstehung  des  ägyptischen 
Mönchtums  darf  indischer  Einfluss  nicht  in  Anspruch  ge- 
nommen werden.  Allerdings  besteht  zwischen  den  Heiligen 
Obeiflgyptens  und  den  alten  brahmanischen  Btoem,  die  im 
Walde  von  Frflehten,  Wuneln  und  Wasser  sieb  nfthxen,  be- 
kleidet mit  deni  Fell  einer  schwarzen  Gazelle  oder  einer 
Rindshaut,  beschäftigt  nur  mit  ihrer  heiligen  Leetüre  und 
ihrem  täglichen  füntTachen  Opfer,  die  im  höchsten  Stadium 
der  Busse  auch  ohne  das  heilige  Feuer  einsam  und  nur  von 
Ahnosen  leben,  durch  bestftndiges  Schweigen  rieb  fllr  den 
Eingang  in  die  Zeit  des  ewigen  Schweigens  vorbereiten*), 
vielfache  äussere  Aehnlichkeit;  fast  noch  grössere  mit  dem 
buddhistischen  Mtochtum.  Konnte  man  doch  die  beiden 
Stufen  des  buddhistischen  höchsten  ethischen  SSeles,  des  nir- 
väna  ^),  die  eiste:  völlige  ünterdrfickung  aller  Leidenschaft,  die 
zweite:  Aufhören  des  Daseins,  last  als  den  bewussteii  Aus- 
druck für  die  Ideale  auch  der  ägyptischen  Asketen  auflassen 
und  in  den  buddhistischen  Fek^nklöstem  im  westlichen  Indien, 
bei  Aganta  und  auf  dem  üdajagiriberge  nur  die  gewalti- 
geren Vorbilder  für  die  Felsenhöhlen  der  thebaischen  Anacho- 
reten  erblicken.  Aber  entscheidend  gegen  die  Zurückführung 
des  äg}'ptischdn  Mönchtums  auf  indische  Einflüsse  ist  die 
Tatsache,  dass  volksiflmliche  fierOhrungen  der  figypti- 
sdien  Welt  mit  den  religiösen  Gestaltungen  der  buddhistischen 
schlechtbin  iiiierweislich  sind.  In  der  christlichen  Kirclie  gab 
es  wohl  eine  gelehrte  Kunde  von  den  indischen  Gymnoso- 
pbisten  und  Philosophen,  den  Brahmanra,  die  Clemens 
Alexandrinus  aus  den  Schilderungen  des  Megasttienes  gesdiöpft 


1)  Vgl.  IL  a.  Lassen,  Indisehe  Altatnmslnmde  I,  580ff. 
s)  üebor  dless  Bedeutung  des  nkf&na  tfß.  Lassen,  Indische 
Altertunelronde  II,  468ff.,  gegen  Mai  HlUkr  n.  a. 
Vgl.  Lassen  II,  1183. 


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553 


WEniOABTBN, 


liafc^),  und  ähnlich  Tertulliaa.  Man  mag  auch  dem  virtuoeeii 
Kenner  des  apftteren  Hellenismus    die  Vennntong  zogeateheii, 

dass  die  im  Jabihuiideit  nach  Alexander  dem  Grossen  in  der 
griechischen  Literatur  auftauchende  Gattung  der  Reiseiuär- 
chen  nicht  ganz  ohne  den  Einiiuss  asiiitischer  Vorbilder 
sich  entwichet  habe,  wenn  auch  die  indischen  Phantasie- 
Gebilde  ^nnr  dorch  die  Yermittlangen  anbiseher  Dichtung 
in  die  griechisch-orientalischen  Reiche  der  Diadochen  gedrungen 
sind:  aber  solche  literarischen  Traditionen  sind  nicht  die 
Mächte,  welche  neue  Entwicklungen  im  religiösen  Volkaleben 
hervonmfen.  Und  jene  pwsischen  und  indischen  Kanfiahror, 
die  ihre  Quartiere  im  östlichen  und  mittleren  Aegypten 
hatten  sind  siclierlicb  keine  buddhistischeu  Büsser  gewes«?n. 
Ueber  Kabul,  Taberistan  und  Kardistau  hinaus  ist  der  Badd- 
hismns  nicht  nach  Westen  vorgedrungen*). 

Darf  man  daher  üQr  Aegypten  nnr  an  das  Serapismönch- 
tum  ^)  und  seine  Ideale  di^r  Eatiialtiuig  und  Einsamkeit 
denken,  und  steht  der  Einklang  derselben  mit  denen  des 
ersten  Mönchtoms  fest^),  wie  denn  auch  die  Heimat  des 

1)  Clem.  Alex,  ström.  I.  p.  305.  ISjlb.  VgL  auch  Tert  apoL  42 
and  Lassen  a.  a.  0.  III,  369. 

^)  Erwin  fiobde,  der  grieehiaohe  Boman  und  seine  Yorhuifier, 
1876,  S.  183. 

3)  Die  ]}elege  bei  Luiubroso,  rechorches,  p.  <»1. 

*)  Pcschel,  Völkerkunde,  1876,  S.  2J>0.  Vielleicht  können  mehr- 
dftitige  Nachrichten  arabiacber  Quellen  eine  Verbreitun»;  des  Boddhiailiiu 
nach  Kabylonien  beweisen;  nach  Aegypten  aber  ist  er  nicht gedrnngen ;  TgL 
Chwolsohn,  Sabier  I,  113.  134  u.  ö.  KeuBier,  lar  Genoui  des 
manichriisclieii  Reiigionssystems  1876,  8.  & 

^)  Wenn  Locian  nnd  Philostratus  von  äthiopischen  Gvnino- 
sophisten  reden,  so  braocht  darin  nicht  eine  Verwechslung  mit  den 
indischen  Brahmaneu  zu  liegon ,  wie  Rohde,  S.  441,  anuimmt. 
Letronne,  auf  den  Roh  de  recnrrirt,  beweist  nur,  dass  für  AethiopieR 
auch  wohl  die  Bezdehniuig  Indien  vorkommt,  aber  nicht  UDgekdurt; 
und  jene  äthiopischen  yvfAyoi  sind  eben  die  Serapis'  ttatoj(oi. 

6)  ChairemoD  bei  Porphyrine  de  abstin.  lY,  6  Ober  die 
Serapisprieeter,  was  aber  auch  von  den  rnfvo/o«  gilt:  an^do^ttr  Shnf 
t^p  ßiop  rdiy  ^tiwp  ^f»q(^  9tal  ^utati  .  .  ro  ytig  aü  €vrsTrai 
»t((t  yv(oaH  xak  imnyoiq,  ....  xmastiXku  «fl  rei  ndlhi  .  ,  ^tjßfmm 
(fl  vvxia  fAkv  tif  imttiqticaß  ovfjwitnf  (was  freilich  die  Hteche  nkibt 
taten),  iptott  &k  utA  tis  äytat$wp,  ifdqu»  cfi  ttf  ^ß^aniiup  rmr  dmhi 


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URSPRUNG  DES  MÖNCHTUMS. 


553 


letzteren  sich  aufs  engste  mit  den  grossen  Heiligtümern  des 
Serapiscultus  berührte^),  so  handelt  es  sich  nnr  noch  um  die 
J^rage,  welcbes  denn  die  Motive  zur  Nachahmung  der  Serapis- 
olaasuren  für  christliche  Eremiten  geweeen  seien?  Und  da  ist 
ein  nicht  bedentungsloser  Fingerzeig  eine  Aenssemng  Chai- 
remoüs  über  die  Verehiung,  die  seine  ägyptischen  Landsleute 
den  Priestern  und  Asketen  ihrer  Tempel  weihten;  „Sie  haben 
sie  geehrt  wie  die  heiligen  Tiere  in  denen  sie,  vrie  im 
Apisstier,  Incamationen  der  Gottheit  anbeteten;  sie  waren 
saeroeanet  wie  diese.  In  der  Askese  der  Priester  nnd  der 
xdio/oi  war  das  Volk  gewohnt  den  Höhepunkt  religiöser 
Heiligkeit  zu  erblicken,  und  als  das  Christeutum  im  mittleren 
und  oberen  Aegypten  zur  immer  siegreicheren  Volksreligion 
geworden  war,  nnd  jene  durch  eine  Reihe  von  Jahrhunderten 
hindurch  urkundlich  nachweisbaren  Fornieu  altägyptischer 
lieligiösität  auch  daa  Ziel  eines  irregeleiteten  christlichen 
ötrebens  nach  höherer  Vollkommenheit  geworden^).  Das  leben- 
dige Grab,  das  die  einfiu^hen  christlichen  Kirchen  nicht  so 

religidie  UnterhaltiuigeD,  Studien»  Bdehnugen  such  bei  den  ersten 
ehristlidien  Asketen.  —  Dass  man  {r&b  zwischen  dem  Serapisdienrt  nnd 
dem  ChriBtentom  Verwandtiebaftlichea  zu  sehen  glaubte,  gebt  anoh  ana 
dem,  Kiüaer  Hadrian  angeschriebenen  Briefe  berror  (Hadrianiis  an  Ser- 
▼iaaoB  bei  VopisouB  vit.  Satnm.  8,  in  Script  bist.  Angosi  ed  Peter 
II,  209),  wo  TOD  Aegypten  gesagt  ist:  „illi,  qni  Serapem  colnnt,  Chri- 
s^ani  snnt  et  deyoti  snnt  Serapi,  qoi  se  Christi  epiucopos  dicnnt,  nemo 
illic  aicbisynagogns  Jadaeomm,  nemo  Samarites,  nemo  Christianomm 
piesbyter  non  mathematiens,  non  bamspcx,  non  allptes.  ipse  ille  patri- 
arcba,  com  Aegyptam  yenerit,  ab  alüs  Senpidem  adoraie,  ab  aliis 
cogitor  Christnm/'  WSie  der  Brief  echt,  ao  würde  er  doch  nur  anf 
cbristlicbe  Gnostiker  geben  b(^nnen;  wSre  er,  wie  Hansrath  annimmt 
(NtL  Zeitgeschichte  m,  584),  eine  cbristlicbe  Fälschung  ans  der  Zeit 
kniz  Tor  Enaebiiis,  so  wQide  er  immerhin  Ttir  jene  Miechung  altügypti- 
scher  nnd  christlicher  Elemente  zeogeu ,  die  zum  Mönchtam  geführt 
haben ,  eine  Auffassung ,  die  ich  auch  aus  einer  Zoschrift  von 
Dr.  Harnack  glaube  entnehmen  zu  könneu. 

1)  Vgl.  Teil  I,  S.  35. 

Chairemon  a.  a.  0.:  xtt&ftneQ  rtyd  IsQa  ^tpa  ndvimy  nfnov- 
ttatf  Tovs  q>tXoa6q>ovc ,  diese  Asketen. 

8)  Nach  demselben  Trieb,  der  in  den  cbristliclien  Sani,  nlieiligen 
des  fünften  Jabrliinulerts  Nachbildungen  der  Säulenheiligeu  der  syrischen 
Astarte  zu  Hierapulis  hervorgerufen  hat. 


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554 


WEINGABTBN, 


darbieten  konnton,  wie  die  riesigen  Tempelgebäude  zu  Theben 
oder  in  Alexaiulria,  suchte  man  in  der  Wüste,  zu  der  docti  die 
bewunderndea  und  Almosen  o])fernden  Scharen  ebenso  zahlreich 
sferOmteD,  wie  tu  dm  im  Serapion  Begnbttien.  Soll  doch  Ab- 
tonii»  Dar  -durch  fromme  List  vor  viel  wigebetenen  Be- 
suchern sich  haben  schützen  köimen,  indem  er  dem  Macariib 
geboten,  bloss  Neugierige  als  A^pter,  Ernstere  als 
Jerusalem*-  anzumelden;  jene  wurden  mit  Einem  Segen  ent- 
lassen, mit  diesen  betete  der  Heilige  die  Nacht  hindoreh, 
aber  kamen  auch  viele,  von  denen  Macarius  nur  mgm 
konnte,  fn'yua  nnl ,  Melange!^)  Manchem  dieser  ältesten 
Anachoreten  sind  die  Schrecken  der  Einsamkeit  zuerst  zu  , 
sehwer  auf  die  Sele  ge&llen,  und  „das  Heimweh  der  fia-  \ 
samkeit**  hat  sie,  wie  jenen  Aht  Nathanael*),  wieder  m  dii 
Nähe  der  bewuhiiten  Welt  /ui  ückf^eführt;  die  in  der  Wfcte 
blieben,  haben  nur  zu  olt  Aehnliches  von  dt>m  erfahren, 
was  Scheffels  Bergpsalmen  lehren:  „Der  Waldnacht  Phan- 
tasmen stellen  sich  ein  Mit  unheimlicher  Pein.** 

Vll.  Nur  sehr  allmählich  hat  sich  der  üebergang  vom 
SgTptischen  zum  christlichen  Mönchtum  voUzogen,  und  uo 
das  Jahr  340  hat  es  noch  keine  cbrisüichen  Eremiten  ge- 
geben. Dalür  ist  ein  directes  Zeugnis  der  zehnte  unter  den  ; 
Festbriefen  des  Athauasius,  vom  Jahr  338  (Aer.  Diocl.  64), 
der  im  Anschluss  an  daa  Leben  des  Elias  von  der  Bedeotong 
der  Wüste  redet:  nirgends  ist  da  von  der  Wüste  als  ^ 
Stätte  gegenwärtiger  Heiligen  die  Rede,  der  Blick  richtet 
sieh  nur  in  die  alttestamontliche  Vergangenheit;  für  seine 
Gegenwart  kennt  Athanasius  nur  Kleriker  ?^  Erst  die  Schrif- 
ten etwa  aus  den  Tagen  Julians  setzen  die  YerbieituDg 
voraus  „des  einsamen  Lebenaus  das  als  Künobitmileben  fOfi 
Atlianüsius  selbst  iiocli  niclit  erwähnt  wird;  denn  von  Met*' 
sterien  redet  erst  die  unechte  vita  Antouii.  Als  Basilius  der 
Grosse  das  Mönchtum  gegen  die  Anfeindungen,  die  es 
Neocaesaroa  erfuhr»  verteidigte,  in  einem  um  375  ^ 

1)  Pallad.  hißt.  Laus.  26. 
«)  Pal  lad.  bist.  Laus.  18. 

8j  Lai£>o\v,  Fuitbriui'e  de»  b<;iligeü  Athuuaüiutf,      104 ff. 


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• 


UAaP&UNO  DE8  MONGHTUMS.  665 

fassten  Sendschreiben,  spricht  er  vom  ägyptischen  Mönchtnra 
wie  von  einer  neuen  Erscheinung,  von  der  jetzt  erst  zu  itim 
das  Oerfidht  gedningen  >). 

Freilioh  wflrde  sicli  die  ganze  Gesohichte  des  Mtoöhtums 
umgestillten  müssen,  wenn,  nach  dem  Glaul>en,  den  Wetz- 
stein-) ausgesprochen,  die  gewaltigen  Klosterbauten  auf  den 
Abhängen  des  Haur&n  in  Ostayrien,  die  den  Ghassaniden  und 
ihren  Königen,  den  Gafhiden,  zugeschrieben  werden,  unter 
ihnen  das  Hiobskloster ,  schon  aus  dem  zweiten  Jahrhundert 
herrührten  ,  oder  irar  aus  dem  er.sten.  Aber  die  Hypothesen 
Wetzsteins  sind  einfach  in  die  Luft  gebaut.  Denn  die 
Ghassaniden  sind  nicht,  wie  der  Consul  in  Damaskus  mit 
einer  an  der  arabischen  Poesie  groes  gewordenen  Phantasie 
dichtete,  Christen  des  nachapostuli  sehen  Zeitaltcis  oder 
gar  „als  Nation  der  erstgeborue  »Sohn  der  Kirche  ge- 
wesen'', ihre  Mflnzen  tragen  den  Namen  des  sabäischen 
Idols,  Dü  Sarft,  des  IMonjsos,  dessen  l^mbole  auch  den 
Schmuck  ihrer  Tempel  bilden.  Und  das  Beich  der  Ghassa- 
niden, welche  nach  allen  Nachrichten  die  byzantinische  Ober- 
hoheit auerkaimten,  und  deren  letzter  König  Gabala  unter 
Omar  sich  dem  Isfaun  unterwarf,  ist  nicht  im  Kweiten  Jahr- 
hundert, sondern  im  ffinften  Jahrhundert  gegründet  worden*). 
Wetzstein's  Illussionen  gründen  sich  wesentlich  nur  auf  die 
widerspruchsvollen,  wirren  und  unkritischen  Angaben  einer 
sehr  späten  arabischen  Chronik,  des  Hamza  Ispahensis,  der 
seine  Annalen  im  September  961  vollendet  hat,  „in  denen 
auch  abgesehen  Ton  den  Abschreibefdilem ,  noch  Selbst- 


1)  Bii.sil.  von  Oaes.  (opp.  ed.  Bened.  Paris  1730.  III,  310)  ep. 
207:  yvv  de  iv  Jtyvnrtu  /niv  dxoi'io  ruiavT^y  slyat  lu'jQiur  (t(>£r^>i'. 

Wetzstein,  Tioisel>ericht  über  Hauran  und  die  Trachoueo, 
1860  und:  „Das  Job.sklusUr  im  Hauran 'S  Anbang  zu  Delitzsch* 
Couuncntar  zinii  .Tob.  \>^i'A. 

^)  W e  t /.s  t c  i  n's  ebristlicbes  Konigroicb  im  Haur.iu,  mit  der  Haupt- 
stadt Bosra,  im  zw<'ittii  Jahrhundert,  ist  auch  durch  alle  cbri.>^tlichen 
Quellen  unbedingt  ausgesehlüösen ;  Eu.'^tbiu.^  könnt  dort  W(»hl  Miirtvrer 
in  der  Zeit  der  diocletianiijchen  Verfolgung,  aber  von  einer  grossen  selb- 
ständigen cbristlichiii  Fiirstonnuioht  weiss  er  nicht«. 

*)  Um  Dillmann  reden  zu  hwsen,  dem  ich  für  freundliche  Teil- 
nahme an  dieser  Frage  zu  herzUcbem  Dank  verpflichtet  bin. 


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556  WEINGARTEN, 


I 


wideraprflche  genug  fibrig  bleiben,  die  bew^n,  daae  er  in 

diesem  Capitel  über  die  Ghassaniden  seinen,  uns  übrigens  un- 
bekannten Quellen  »ehr  unkritisch  gefolgt  ist/'  A.Sprengers 
Berechniuig  im  Journal  of  the  Asiatic  Society  of  Beogal  (fid. 
XIX)  fttbrt  den  üisprang  des  Gbasaanidenreiebs  ungeflüur  üif 
das  Jahr  400  n.  Chr.  zurück  mit  dem  Hinzuftgen,  das 
schon  bei  der  Dämmenni«,'  der  raoslimischen  Geschiclite  Ur- 
sprung und  Wanderungen  der  Gbassaniden  sich  in  Fabeln 
gehflUt  finden,  die  sieh  an  den  Koian  anlehnten.  Was  eod- 
lidi  die  groBBen  Elosierbanten  betrifft,  specieü  das  Hiebs* 
kloster,  die,  wenn  sie  von  den  Ghassaniden  erbaut  sind,  nur 
in  byzantinischer  Zeit  entstanden  sein  können,  so  führt  die 
einzige  datirte  Inschrift,  die  in  ihnen  gelesen  wird,  in  das  Zeit- 
alter Jnstinians,  auch  abgesehen  von  der  einsigartigen  ardifto- 
logischen  Kritik,  die  Professor  Piper  mit -seiner  Aera  der 
Himuielfalirt  Jesu  ilaiaii  geübt  hat.  Eusebius,  auf  den  sich 
Wetzstein  für  sein  uraltes  Hiobskloster  beruft,  kennt  nur  die 
Tradition  eines  „Wohnhauses*'  Jobs  in  Asthaioth  Kamsiin, 
und  GhrysostomuB  nicht  ein  Kloster  in  Arabien,  sondern  nur 
den  Dün<;erhaufen ,  auf  dtiu  Job  gelegen  und  zu  dem  dift 
Pilger  von  den  £uden  der  Erde  wallMrten,  um  ihn  zq 
küssen. 

Die  Klöster  im  Haur&n  gehören  einer  Zeit  an,  die  doreh 
wenigstens  anderthalb  Jahrhunderte  von  den  üniprungssdteii 

des  Möuchtmus  getrennt  ist. 

YBL  Ist  auch  das  ursprflngliche  MOnchtnm  Anachoreten- 

tum  gewesen,  so  scheinen  doch  in  nicht  zu  langem  Zwi- 
schenraum Hremitencolonien  sich  zusaniiiiengefunden  zu  haben, 
aus  denen  in  den  letzten  üecennien  des  vierten  Jahrhunderts 
oiganisirte  Koenobien  und  Monasterien  heryorgiogen.  Nur 
darf  man  sich  ein  richtiges  Urteil  nicht  durch  Fanfaronnaden 
der  Rufine  trüben  lassen,  die  in  Bezug  auf  die  Zahl  der 
ersten  Klöster  so  zu  sagen  mit  Milliarden  um  sich 
werfen.  In  Oxyrinchus,  der  alten  Tempelstadt  westlich  ?om 


1)  Diese  Abhandlung  selbst  ist  mir  hier  nicht  zagänglicfa, 
doch  vgl.  das  Weitere  bei  A.  Sprenger,  die  alte  Geographie  Arabieoi 
1875,  S.  43  ff. 


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UKSPRUNQ  D£S  MÖNCUTUMS.  557 

Nil,  findet  KufinuB  ein  Klosterpai-adies  von  zehntausend  Mön- 
chen und  zwauzigtauseud  heiligen  Jungfrauen,  die  sich  alle 
dämm  reissen,  seine  und  seiner  Begleiter  Kleider  und  M&ntel 
zu  kttesen,  Apollonins  hat  fünfhundert,  Ammon  dreihundert, 
Serapion  tausend  Anadioreten  um  sich,  in  Memphis  leben 
„innumerae  multitudines".  In  den  nitrischen  Bergen 
kommen  die  Mönche  wie  Bienenschwärme  herbeigeflogen,  ihre 
Brote  und  Waaserkrflge  in  den  Händen,  wenn  sie  hören, 
Fremde  seien  da.  Nach  Mladius  hätte  jedes  Kloster  auf 
der  Tabenne  vierhundert  Genossen  gezählt  nach  Sozomenos 
betrug  ihre  gesammte  Zahl  über  sieben  Tausend.  Aber  alle 
diese  Zahlen  und  das  ganze  Mönchsparadies  erweisen  sich  als 
dieselbe  unwahrhaftige  üebertreibung,  die  dieser  ganzen 
christlichen  Bomanliteratnr  zor  Last  ftllt,  wenn  man  an  die 
uns  bekannten  agraiidchcn  Verhältnisse  Aogyptcus  denkt 
Kein  Land  war  so  genau  vermessen  und  hatte  so  sorgfUltige 
yerzeichnisse  auch  der  kleinsten  Landschollen  und  Bodener- 
träge, wie  giade  Aegypten,  das  in  der  Kaiseizeit  in  dieser 
Hinsicht  zu  einem  Musterland  der  eingehendsten,  durch  ein 
zahlreiches  Heer  uberall  inspicirender  Beamten  geführten  Ver- 
waltung geworden  war:  wie  sollten  da,  wo  jede  Arura  Landes, 
auf  der  Menschen  wohnen  ktonen,  nach  ihrem  Ertrag  und 
ihren  Verpflichtungen  emr^gistrirt  war,  und  jedem  Untertan 
seine  Steuern  und  Frohnden  aufs  genaueste  vorgeschrieben, 
sich  solche  Mönchsrepubliken  habuii  bilden  können,  mit  ihren 
Tausenden  von  Steuer- und  frohndeni'reien  Genossen,  und  noch 
dazu  in  einer  Zeit,  wo  das  constantinische  Kaiserhaus  so 
eifersflchMg  Aber  den  Erträgen  wachte,  die  aus  der  Korn- 
kammer des  Keichs,  dem  Nillande,  kamen.  Um  diese  Zeit 
aber  hätten  jene  Klosterreiche  entstanden  sein  müssen,  denn 
Bufinus  lässt  kaum  einen  unter  seinen  Anachoreten  auftauchen, 
der  nicht  wenigstens  achtzig  Jahre  alt  ist  und  mindestens 


1)  lUitinus  bist,  inoiiast.  5.  7.  18  vgl.  den:  Aegyptiurum 
m  0  n  ac  h  0  r  u  m  p  a  r a  «i  i  .s  u  s  bei  (Hotelier,  monamenta  ecel.  graec. 
111,  171  ff.    Pallad.  bist.  Lauß.  VX 

Vgl.  Luiübroao,  recherches  p.  289—293. 


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»68 


toHRg  Jahn  m  WMe.  Vielmdir  jam  niinfcMinMhliii 
im  Baäum  sind  wMb  ab  eine  NacUanag  ani  üeber- 

bietan^  der  iTj.i.'-<!ihatt*^n  Priester.: "Ihnen  d»^r  ägyptischen 
lempel.  wie  seine  MiLrciieiisu:jt*^n  Ii ri lieft- r  Mönche  und  KüDues 
aieht  fiel  mekr  ak  ein  Abklatsch  jener  inael  der  Qlficidiebflait 
«dehe  dia  flftte  giiaduadie  VwboMriSk  gadiehtot,  «o  fia 
MendM  andi  150  Jahre  alt  wodes,  toi  Kn^ontaB  fm, 
in  Abteilungen  von  je  4W  Hymnen  und  Loblieder  den 
Göttern  darbringend  Die  Spöttereien  Lucians  über  die 
laaal  dar  Saligaii  »igea,  wia  jaaa  Dlepka  d«  Phatttaaie  im 
der  Kiiianeit  üMMmt^  getiagaB  dudi  den  idaalea  Qage»- 
saiz  zu  allem  Druck  der  Gegenwart  —  Vielmehr  geht  aus 
dem  Ix  kannten  FMict.  das  Kai-ni  VaK  iis  im  Jahr  365  erliess, 
ker¥Or,  da»  die  Zahl  der  Mönche  damals  noch  verhältnismässig 
gering  mkd  aneh  Ar  die  wachsame  Controlie  der  EmmaäA 
fetboigea  aein  koiuita'^ 

Die  Namen  koptischen  Ursprungs  ^)  im  ülteren  Mön»  h- 
tum  bestätigen  das  indirecte  Zeugnis  dieses  kaiserlichen  £r- 
laawa,  dass  es  zuerst  die  gakaechtetsten  Schichten  der  ohar- 
agypUachen  BefAlkenuig  waten,  die  unter  hartem  FkühndiaBal 
seaftte,  welche  In  den  KMern  Rettung  saehtaa.  Die  hei- 
iiiisi  hen  Namen ,  welche  Hieronymus  för  die  ägyptischen 
MöQohaklaasen  zuführt  %  weisen  ebenlaUs  auf  diese  Landbe- 
v6lhening  aa  den  Grauen  Aekhi^eM  hin.  Srnm,  die  eoe> 


»)  Vgl.  Rohde,  griech.  Roraan,  S.  2L»9ff.  über  Jambidoß. 

s)  Cod.  TbeodoB.  XII,  1,  63:  quidam  igUTiae  sectatores  de- 
Mitis  «nttttom  siimcribai  oapteat  ■oUtodines  ac  secrcta,  et  speci«  rolt» 
glonis  com  coetibiu  monazonton  ooogreguitur.  Hos  igitur  atque.h  n  j  n  s> 
modi,  intra  Aegypton  dt-jin  bensos,  percomiteiu  OrieDtis  orni  e  latebris 
eonsDlta  praaeeptioDe  mandaranoa.  —  Gtmdnt  alao  ist  daa  Mönch toa 
fl^bcrtia^pi. 

^  8o  mter  den  Namen  bei  Soz.  bist.  eccl.  Tll,  14:  Paphnutios 
kopilseh:  der  Gftttliehe;  Amipb  koptisch  =  Annbia;  Ptu:honiiua  >ie)leicht: 
der  Aegypter;  oder  der  Adler.  Die  Erklärung  der  koptischen  Namea 
«eidanke  kh  liem  Dr.  Kessler  In  Maihvig,  der  andi  die  Verant* 
woftoDg  Ar  diBselbe  tdigt. 

«)  Hieronymua  de  enstodU  Tiighdlatis  IV,  2,  44  (aC 
Ben.). 


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URSPKüNa  DES  MÖNCHTUMS. 


559 


nolniae,  siod  die  Ai^erkiite,  von  dem  koptischen  aoeolie, 

Acker;  ßemuoth:  die  Bauern,  von  dem  koptischen  romi,  ira 
Plural  remooi.  Ueberaus  mühselig  ist  zu  allen  Zeiten  die 
Arbeit  gewesen ,  die  auf  diesen  Landbebauem  Oberägyptens 
liegt,  namentilich  bei  niedrigerem  Stande  des  Nil«  wo  sie  mit 
ihren  Schöpfeimern,  die  an  einem  Hebebadm  Ton  den  beiien 
Ufern  herabhängen  und  jeder  eines  Menschen  Kraft  erfordern, 
(las  Wasser  in  ihre  Aedcer  heben  müssen.  Mit  rücksichtsloser 
Gewalt  sind  sie  za  allen  Zeiten  tum  Frohndienst  an  Strassen 
nnd  andern  Offdnilidien  Bauten  ausgehoben  worden  Diesem 
"  Jammer  gegenüber  war  die  Felsenhöhle  mit  ihrer  Freiheit  und 
Verehrung  und  das  Kloster  mit  seinen  Almosen  eine  Erlösung. 
Dazu  kam  die  Not,  die  aus  der  UebervölkeniDg  ^)  auf  den 
s&dlichen  Nilinseln  hervorging,  und  die  Neigung  der  Aegjrpter 
ftberhanpt,  vor  der  Enge  des  Staatskirchentnms  sich  zv 
flüchten.  Als  die  kaiserliche  Erlaubnis  zur  Einweihung  einer 
neu  erbauten  Kirche  in  Alexandria  nicht  eintraf,  machte  das 
Yolk  Anstalt,  sich  seinen  freien  Gottesdienst  in  der  WMe 
zu  sneben*). 

Frdlidi  haben  jene  armseligen  FeUahs  alles  äussere 
.  und  innere  Elend  «inor  durcli  tausendjährigen  DespotiHiims 
gedrückten,  versumpften  und  verlogenen  JBevölkerung  mit  in 
ihre  eisten  Monasterien  herübergenommen.  Das  zeigen  die 
Ältesten  Begeb,  denen  sie  unterworfen  worden. 

Pachomius,  den  die  Legende  zu  einem  SchOler  des  An« 
ton  ins  macht,  auf  dem  Röcken  von  Krokodilen  über  den  Nil 
fahren  und  fünfzehn  Jahre  hindurch  nur  auf  einem  Stein 
schlafen  Ifisst,  soll  sie  für  seine,  Yon  ihm  fost  militftrisch 
oigsnisirten  Scharen  ^)  anf  der  Nilinsel  Tabenne  geschrieben 


Eberi,  durch  Goeeo  nm  Sbua,  S.  467. 
S)  Liinibrofo  74. 
Athanaiius  apologetiens  ad  Gonstaat  19  (ed.  Ben. 

*)  Auch  die  Seiaphidleiier  waioi  in  veraehiedeiie  KUam  mit  ge- 
tramteD  Abseieben  geteilt  Btes  daher  aaofa  du  oberlgTptisdie  Udiusb- 
tom  ihnlieh  akfa  OKgaiiiairte,  ist  nicht  nnwalncheittlich,  wenn  auch  die 
Snihlong  bei  Sosomenoi  nnr  in  den  Wonicb^  die  psjchologiaehe  Yliw 


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560 


WEINGARTEN, 


haben.  Er  gilt  dadmch  fllr  den  BegrOnder  dee  eigentlichen 

Klosterlebens.  Ist  auch  die  urepröngliche  Form  aus  den 
niannichfacben  Aufsätzen,  die  unter  dem  Namen  der  „regulae 
Pachomii''  zusammeugefasst  sind,  nicht  mehr  festzustellen, 
80  sind  doch  durch  Ftelladins  und  Sossomenoe  wesentüehe  Be> 
standteile  als  schon  ans  dem  Ende  des  vierten  Jahrhonderts 
herrührend  bezeugt  Welche  Erbsünden  der  ägyptischen 
Bevölkerung  werden  doch  darin  auch  in  den  Klosterzellen 
yoransgesetst,  Log,  Trug,  Spott,  Diebetahl,  und  welche  Oaatelen 
für  notwendig  erachtet  fOr  das  Znsammenleben]  Keiner  darf 
des  Andern  Zelle  betreten:  sie  essen  gemeinsam,  aber  ihre 
Häupter  mit  ihrer  Capuze  verhüllt,  so  dass  sie  nur  den  Tisch  und 
die  Schüssel,  von  der  sie  essen,  aber  nicht  die  Tischgenossen 
sehen  kennen.  Ihre  Kleidung  ein  Fell  Aber  einer  leinenen 
Tnniica,  von  einem  ledernen  Gtlrtel  zusammengehaltMi,  ihre 
Capuzcii  aus  rauliem,  ungewalktem  Tuch,  unterschieden  nur 
durch  die  Purpurstreifen,  welche  die  verschiedenen  Klassen 
bezeichneten  und,  nach  der  äthiopischen  Begel,  auch  ein  ein- 
gebranntes Kreuz  trugen.  Nor  Sonnabend  nnd  Sonntags 
konnten  sie  ihre  Felle  ablegeu  nnd  ihre  GHlrtel  Ideen;  auch 
schlafen  durften  sie  nur  in  ihren  Kleideni,  gegürtet  und  mit 
ihren  Fellen,  gleichsam  eingesargt  in  Sesseln  von  üacksteinen. 


toMdtftt  d«i  PlMhomiiif  xn  pieiaeii,  ihren  Gmiid  haJb,  Smtiilaiig  in 
24  XUasni  nach  den  24  Buchstaben  des  grieehisehen  AlphabetB 
ist  ftr  eben  geboienen  Kopten  em  Unding,  noch  meihr  die  Art,  wie 
dieee  Emteflang  nach  der  fV>rm  der  Bncbstaben  dnroligefllhrt  gewem 
eem  solL  Die  Klasse  Jota  die  EinfUtigeren,  C  und  {  die  «xoW,  die 
VereeUaganen  nnd  Listigeien.  Wie  kemmen  die  andern  einnndswansig 
Temperamente  nnd  ihre  Bnohstabenfthnliebkeit  lierans? 

t)  Hanptqnellen:  Pallad.  bist  Laos.  88.  Soiom. 
bist  eccL  VI,  14.  Die  lateinische,  angeblich  von  Hieronymus  her- 
rtthrende  Uebersetanng  bei  Holsten,  codei  regnlamm  I,  26—86;  ich 
citire  nach  dem  Abdruck  im  Anbang  snr  Leipsiger  Ausgabe  (1788)  der 
Werke  des  Job.  Gassianns,  p.  8168qq.  Vgl  den  Artikel  von  Man. 
gold  in  Herzogs  Bealenoyclopidie  X,  760.  —  Eine  irertvolle  Be- 
reieberong  ist  durch  die  Herausgabe  der  ftthlopiseben  UeberaefanmgeD  ge- 
geben, die  wir  Dillmann  verdanken  (chiestomathia  aetbiopica  186^ 
p.  57—68),  deren  dritte  Bedaetion  eine  ganz  elgentllmlicbe  nnd,  wie 
ich  glauben  m<tefate,  ziemlich  alte  Wwm  darstellt. 


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URSPRUNG  DES  MÖNCHTUMS. 


561 


die  ringsum  maddoflsen  waren,  asor  YerhAtong  altäg}i)i3sclier 
Greuel.  Eine  Elle  Zwischenraam  sollte  zu  jeder  Zeit  den  Einen 

vom  Andern  trennen  ^).  Auch  Wahnsinnige  fanden  sich  in 
den  Nonnenklöstern  in  Tabenne ;  sie  müssen  doch  nicht  selten 
gewesen  sein,  denn*  es  hatte  sich  eine  feste  Bedensart  ge~ 
bildet,  um  ne  yor  den  Besuchern  zn  verbergen,  man  sagte 

von  ihnen,  sie  seien  in  der  Küche  Dass  die  Disciplin  der 
Sclaven  und  der  Frohnknechte ,  dio  Geissei  und  der  Stock 
diesem  altägyptischen  Mönchtum  nicht  fem  blieb,  gegen 
Diebstahl,  flucht  und  Zanksucht,  kann  nicht  aufibllen^und 
ist  durch  die  Regeln  besengt  %  Wie  muas  es  aber  such  in 
den  Klöstern  auf  der  Tabenne  mitunter  ausgesehen  haben, 
wenn  die  Nonnen  sich  die  Fäuste  ins  Gesicht  stiessen,  eine 
der  andern  das  Abspül  wasser  über  den  Kopf  goss  oder  Senf 
in  die  Nase  rieb  *}.  Und  dabei  dennoch  der  Glaube,  heiliger 


1)  Regula  Pachomii  52:  nemo  in  tenehriB  alteri  loquatur. 
rrnllus  cum  altero  dorroiat.  manniu  alt<?riiis  nemo  teneat  sivo  ambula- 
verit,  sive  sederit  aut  steterit,  nno  cubito  distet  ab  altero.  90.  Si  de- 
prehensuB  fuerit  aliquis  de  fratribus  libcnter  cum  pueris  ridere  et  ludere  et 
habere  amicitias  aetatls  infirmae,  tertio  commonebitur ,  ut  recedat  ab 
eonun  nccessitudinc.  si  non  cesgaYerit,  corripietnr  ut  dignos  est  oone- 
ptione  severissima.  lt?S.  pracpositus  non  imbrietur. 

Pal  lad.  bist.  Laus.  42:  dem  heiligen  Pitimm,  der  die  Nonnen 
in  Tabenne  auffordert,  sammtlicb  vor  ihm  zn  erscheinen,  dem  sie  aber 
eine  verbeißen  woUeii:  Xiyovaty  avr^'  fjUetp  ix^l*^  caXt]v'  iy  fia- 
yHQif  iotiv.  oiln»  yiq  inei  »alovat  tdi  nm^z^vtas  (qvae  non  annt 
sanae  raentiB). 

^)  Regula  Paohomii  87:  qoi  habet  pessimam  oonsuetudinem, 
ut  fratres  suo  sermone  soUidtet,  nach  dreimaliger  vergeblicher  Er- 
mahnung: separabunt  eom  extra  monasterium,  et  verberabunt  eum 
ante  fores  triginta  novem;  ausserdem  zur  Nahrung  nur  Wasser  und 
Brod.  121:  si  in  furto  fuerit  dcprehensus»  triginta  novem  verbe- 
r  a  b  u  n  t  eum  et  lori  dabunt  ei  edere  panem  et  aquam  tantum  et  opertom 
cilicio  et  einere  per  singnla  orationum  tempora  cogent  eom  agere  poeni- 
tentiam.  eadcnKino  lex  in  fugitivis  observabitnr. 

*)  Pal  lad.  bist.  Laus.  42  die  Geständnisse  der  Nonnen:  iyi^ 
«Vf^y  vßQiCoy  (fifüTKuaav'  xai  ndXiy  aXXrt-  iyüi  lov  nivuxo^  ro  dno- 
nhfÄu  noXXäxii  ai/r^  xorc^f n  *  tiXXtj  *  nk^yäi  avt^  ifm  edunta  *  xa\  higa 
naXiy'  iyoi  nfttpf  xoifdiiXovs         imf^nfwfUini*  «Alf  ntiliP'  iyti  nok- 

SellMhr.  t  I.-a.  37 


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562 


WUNGAJKTBN, 


za  sein  ib  die  „Wer  einm  Bnlder^  heM  «b  in  der 

fithiopischen  Regel,  ,,bei  seinem  bürgerlichen  Namen  toemit** 
(wörtlich:  bei  dem  Geschlecht  seiner  Er3chafTiin<if),  „das  ist  eine 
grosse  Verirrung  im  Hause  der  Heiligen.  Denn  ea  hat  mir 
geoffinberfe  der  Herr  in  Beireff  diesee  Dinges»  dase  sie  gerioktoi 
trerden  mitFeaernndSdiwefel;  nnd  nm  deaeentwiUeB  spreche 
ich  :  er  soll  fasten  vierzig  Tage,  und  soll  jeden  Tag  fünfhundert 
Mal  niederfallen  und  sein  Fasten  soll  sein  bei  Wasser  und 
Broi."  DasB  alle  natorliche  Verwandtschaft  als  sündig  galt, 
'war«notwendige  Oenae^uenz,  wie  F^omioa  seine  Schweato 
nie  TO  rieb  gelaassn  hat^  es  genfige  ihr,  m  wissen,  daas  er 
lebe.  Er  hat  seine  Mouche  nur  Eine  Tugend  gelehrt:  den 
Gehorsam,  aber  den  Gehorsam  ala  Selbstzweck. 

IX.  Wenn  wir  die  Anfänge  des  Mönchtums  nicht  den 
Ohristenkun,  sondern  der  vergleichenden  Religionsgeschichte 
zuweisen,  und  seinen  nrsprfinglichen  sittlichen  und  dunstUeken 
Gehalt  sehr  gering  anschlagen,  so  sind  wir  anf  den  Ein- 
wurf gefasst,  wie  es  denn  eine  so  grosse  Anziehungskraft  auf 
die  reichsten  Geistei:  des  Zeitalters  habe  ausüben  und  so 
grosse  Yerehning  erweiimi  kUnnen.  Die  Antwort  daimnf  iat 
eine  doppelte:  einmal,  weil  es  innerhalb  der  Welt  griecbiacher 
Bfldnng  sich  mit  dem  ethischen  Omndzug  aller  idealistischen 
griechischen  Philosopliie  verschmolz,  und  eine  neue  Gestalt 
gewann;  der  andere  Grund,  weil  eine  christlidie  14oman* 
literstnr  entstand,  die  das  M(taichtnm  grade  dadurch  popnlir  nnd 
beilig  macbte,  dass  sie  alle  Elemente  altbeldnischen  Sagen- 
und  Wunderglaubens  in  dasselbe  hineintrug,  und  so  die  alten 
Mächti'  antiken  religiösen  Volkslebens  in  neuer  Form  fort- 
wirken iiess. 

Man  kann  fissUins  den  Grossen«  von  Caesam,  als  den 
Regenerator  des  MiMbtnms  flir  die  griechisohe  Welt  be- 
zeichnen, das  durch  ihn  mit  ganz  neuen  Motiven  durch- 
druugen  ward.  Ihm  war  das  Mönchtum  nielit  Unterdrückung, 
sondern  Ü&ckkehr  zur  Natur,  und  nicht  G^ensatz,  sondern 
Vollendung  antiker  Weish^t  Denn  ihn  hat  in  seine  berOhmte 
Beteaite  am  Iris  in  Armenien  nicht  die  Nachahmung  der 
ägyptischen  Oder  syrischen  Eremiten  gefuhrt,  deren  er  in 


UBSFBime  DES  mOmchtuiis.  663 

joner  Zeit  mit  keinem  Wort  gedenkt,  und  die  er  Yielleioht 
nie  geeahen  hat»  trots  des  tnditioiieUen  Glaubens  auch  unarar 
moderaen  EireheogeBchiohte vielmehr  ein  Zxig  innerlicher 

Verwandtschaft  mit  dorn  Geist  antiker,  stoischor  Askt'.se:  es 
ist  die  Armut  eines  Zeno,  Kleauthes,  Diogenes,  die  er  sich 
erwählt  hat,  die  er  bewundert,  weil  sie  sieh  genügen  lassen  an 
der  Natnr Weltflüchtigkeit  war  ja  auch  einer  der  Grund- 


1)  Die  Art,  wie  auch  noch  neueste  Kirchenbistoriker  das  Lebfln  des 
liasiliius  behandeln,  ist  recht  lehrreich  für  die  Decke  des  TraditionaUsmiis, 
die  noch  über  der  alten  Kirchengescbicbtc  liegt.  Man  lieat  Qberall: 
„  Basilius  suchte  die  berühmtesten  Asketen  in  Syrien ,  Palästina  und 
Aeg^-pten  auf  und  war  erstaunt  fiber  die  Herrsehaft,  die  sie  über  dtn 
Korper  ausübten."  So  Klose,  Herzogs  Realencyclopädie  I,  718. 
Gfrörer  U,  1,  318.  Schaff  I,  IHG.  Alzog,  Tutrologie  223 
u.  8.  w.  Aber  diest'r  ganze  Asketenbesuch  des  l^asilius  beruht  nur  auf 
dem  Alisvtrständiii.s  »lor  iiltoreii  katholischen  Historiker,  auch  Tülcmouts 
und  der  IJciiodi«. tiiicr  (l'illemunt,  meni.  eccl.  IX,  24;  die  Vorrede  der 
Benedictiner  zu  Grrg  Nitz.  I,  93).  Es  handelt  sich  um  die  Reise,  die 
Basilius  kurz  imcli  Vollendung  Keiner  Studit  n  und  nacii  seiner  Küekkehr  ans 
Athen  iu  seine  kappadoeische  Pleimut,  untornommen  hat.  Wir  haben  dar- 
über Heine  eigene  Kr/iihlung,  im  ersten  seiner  Briefe  (upj).  III,  ü'J  cp.  I) 
an  Eu^tatllius  den  riiilosophen.  Diesem,  aber  nicht  den  Asketen,  ist  er 
nachgezogen,  nach  8}rieji,  nach  Alexandria,  und  zwar  iu  einer  philo- 
«ophischen  Stimmung,  die  noch  im  Zweifel  war,  ob  die  Welt  von  der 
rvxn  <>der  der  uvüyxq  regiert  werde;  als  er  den  Freund  und  Lehrer 
ni«  ht  fand,  ist  er  nach  Ciisarea  zurüekgekehrt.  I)a.s  war  um  darf  Jahr 
30ö.  Auch  Uregor  von  Nazianz ,  iu  der  liedächtnisrede  auf  seinen 
grösseren  Freund,  spricht  von  dieser  Reise  -  der  eijizi^^n,  die  wir  aus 
dem  TiCben  des  Basilius  kennen  -  ohne  jede  weitere  !3etonung  der- 
selben ,  ohne  jedes  Wertlegen  auf  dieselbe  filr  die  Entwicklung  des  Ba- 
silius; ganz  tlüchtig  ^'eht  er  ülwr  die  „iyffr^^iiiu  tiveq"  hinweg  (Greg. 
Naz.  1,  790).  Dagegen  was  Hasilius  in  spateu  Jahren  einmal  von  seinem 
Kennenlernen  der  Asketen  in  Alexiuulria,  Aegyi)tiM,  rala^tina,  Coelesyrieu 
und  Mesu})otamien  gesagt  hat,  in  bisclirtflicher  Khet<»rik  (Opp.  III,  337; 
ep.  CCXXIII),  das  geht  nur  aui  das  Erlahren  und  Kennciili  rnen  im  Geist 
and  durch  NaeiirichtA^-n.  Denn  im  Euphrat-  und  Tigrisgebiet  ist  Basilius 
nie  gewesen.  Daher  denn  auch  iu  den  obengenannten  Kirchpng«:itchichten 
Mesopotanjicn  und  Co<'les)rien,  als  zu  unwahrscheinlich,  numer  ausgelasseja 
ist;  nur  Tillemont  ist  ehrlich  genug  gewesen,  es  mit  aufzunehmen. 

*)  Bas  iL  III,  7li,  ep.  IV  geschrieben  iu  der  Wliste :  Da  lässt 
Basilius  die  Armut  seine  (icfahrtin  sprechen:  or»  jovk^  Qvfoixtty 
elXdfAify  iyta^  vvy  fJiky  roV  Zrivmva  irtaivovyji  .  .  yvv      tov  KXeay^ip'  ,  , 

37* 


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664  WfilNOASTfiN, 

f 

zöge  platonischer  Ethik,  nameutlich  in  der  Form,  die  sie  in 
NeupythagoreismoB  gewonnen  hatte.  Aus  diesem  Geist  de^ 
Altertnnn  stammen  die  Beminiseenzen  tu  die  clwiarh^ 
Welt,  wenn  Bedlins  seine  Eremitage  in  Pontns  Yer^MdA 
mit  der  Insel  der  Calypso,  „^>'  dt]  naaior  nXiov  'Oftr^^og 
xukkog  x^uiftnaug  (pwvtiat.  Alkmaeon,  nachdem  er  die  £>*hi- 
naden  gefiinden ,  ist  nicht  weiter  in  die  Irre  gingen  ^y- 
Dieser  homerische  Anhauch  beaeichnefe  am  treaestoi  die  £d- 
pfindmigen  des  Badlins,  als  er  die  kng  ersehnte  Bnhe  in  Bef|^- 
und  Waldeseinsamkeit  gefunden,  viel  wahrer,  als  die  matteii 
theologisch  doctriuareu  Gedanken,  die  er  vorher  dem  Jugend- 
freunde, Gr^r  von  Naaianx,  auseinander  gesetzt  hatte  Die 
Stadt  hat  er  Terlassen«  ihr  Häoseimeer  und  ihre  Letden- 
Schäften  mit  dem  GefAhl  eines  Seelrranken ;  sein  Sdbsi  wollte 
er  wiederfinden.  Und  welch  ein  ganz  anderer  Geist  lebt  in 
der  Elostercolonie  am  Iris,  welch  ein  Familiengefühl  zum 
Unterschied  von  der  Yemichtung  aller  natflrächen  Bande  in 
den  Ägyptischen  Klteteml  Die  Mutter  Enunelia,  die  Schwes- 
ter Macrina,  die  Brüder  sind  bei  ihm,  und  anch  an  einem 
dienenden  Sclaven  fehlt  es  in  dem  prcnieinsamon  Haiishalt 
nicht  ^).  Als  man  den  ältesten  Bruder,  der  die  Ziirückgezogenheit 
des  Basilius  geteilt,  eines  Tages  todt  ?<m  der  Jagd  mrQdE- 
hrachte,  da  sank  Emmelia  vor  Schmerz  hewusstlos  nieder, 
und  mühsam  gelang  es  der  Tochter,  die  Mutter  wieder  aui- 
zurichten  *). 

Grade  die  stür mische  Unruhe  einer  an  Kriegen  und  Ge- 
walttaten so  reichen  Zeit,  wie  das  halbe  Jahrhundert  von  Julian 
bisTfaeodosius,  rief  naturgemfiss  den  Gegensatz  antiker  Weltfludit 

hervor,  und  auch  daraus  erklärt  sich  die  Anziehungskraft  des 
Mönchtums  für  edlere  Geister,  die  zudem  Ekel  empfanden  vor 
einer  verweichlichten,  ihrem  Unteigang  entgegeneilenden  Cnltor, 


1)  BftBil.  m,  93.  94  (ep.  XIV). 
s)  Basil.  m,  TOsqq.  (ep.  II). 
S)  Wie  man  ans  dem  dritten  Brief  ersieht. 
^)  Greg.  NjBB.  in  der  Tita  Macrinae  bei  Tillemont,  mem.  ecd. 
IX,  33. 


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URSPRUNG  DES  UOMGBTUMS. 


565 


an  allem  gleissneriscben  Schein  der  vornehmen  Welt.  Gleich 
jenen  Männern  am  Hofe  zu  Trier,  von  denen  Aagustin  be- 
richtei,  die  sich  sagten:  was  erreichen  wir  mit  all  unserer  Arbeit 
und  Mfibe?  im  besten  Fall  die  unsichere' Gunst  des  Kaisers; 
„amicus  uutem  dei  si  voliiero  esse,  ecce  nunc  fio"  Die  Welt 
war  den  Männern  jener  Tage  bitter  verleidet  worden,  wie 
Basilius  selbst  von  der  Zeit  seines  Episcopats  schreibt,  er  sei 
Yon  so  viel  Spionen  und  fiüschen  Freunden  umgeben  ge- 
wesen, dass  er  ihst  zum  Menschenfeind  geworden  wfiie,  hätte 
ihn  nicht  Gottes  Barmherzigkeit  davor  bewahrt;  zuletzt  habe 
er  keinem  Menschen  mehr  getraut^).  Vor  dieser  Welt 
war  das  Kloster  und  die  Wflste  eine  stille  Zuflucht  Ja,  es 
liegt  ein  sozusagen  Bousaeausches  Element  darin,  wie  Basilius 
und  seine  Freunde  ihre  Askese  dachten,  das  sich  auch  in 
dem  Natursiüii  wiederspiegelt,  der  die  Schilderungen  des  Ba- 
silius weit  über  die  Landschaftsmalerei  der  alten  Welt  hin- 
aushebt Vom  vierzehnten  Brief  des  Basilius  und  von  seinen 
Homilien  zum  Hexaemeron  hat  schon  Alexander  Ton  Hum- 
boldt ^)  gesagt :  es  sprechen  sich  in  dieser  einfachen  Schilderung 
der  Landschaft  und  des  Waldlebens  Gefühle  aus,  welche  sich  mit 
denen  der  modernen  Zeit  inniger  verschmelzen  als  alles,  was 
uns  aus  dem  griechischen  und  römischen  Altertum  überkonunen 
ist*^  Dieselbe,  sentimental-schwermfltige,  der  Natur  zugewandte 
Stimmung  tritt  uns  auch  in  Gregor  von  Nyssa  entgegen. 
Das  ist  jenes  Naturgefühl  und  jenes  Leben  in  Natur-Einsam- 
keit und  -Schönheit,  welches  auch  in  allen  späteren  Jahr- 
hunderten dem  Mdnchtum  seinen  poetischen  Beiz  und  idealen 
Ohmz  Terliehen  hai 

Es  ist  ein  milder,  massvoller  Geist,  der  sich  durch  alle 
Aeusserungen  des  Basilius  hindurclizieht,  jeder  Ueberspannung 
feind.  Besonders  ansprechend  in  der  herzlidien  Ermahnung 
an  Chilon,  seinen  Jfinger*),  in  dieser  Verbindung  antik- 

Angnstin.  coatmAnmeB  VIII,  15. 
^  Basil.  m,  888  (cp.  223). 

s)  In  der  bekannten  Stelle  im  9.  Btnd  des  Kosmoe,  S.  27it 

«)  Basilias  III,  125  (ep.  XLU):  »f4>i  ev^s  ek  «htQoitita 
dax^tus  ixtt(yfit  üHtvtw*  *  •  .  UQ^Sacw  yttq  n  tm^  oXtyw  n^ojfif  .  . . 
9uA  Ihm  xi  fÄaxQoXoytS*  Bno»       utA  ahot  ö  cwriif  i9ttlv^t^&^  iSnkQ 


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666 


WEINGARTEN, 


asketi^clipr  und  waliihaft  cbristlicher  Motive,  die  Seihet l>e- 
herrschung  als  Nachbild  der  Geduld  und  dos  Leidens  Christi 
Freilich  Wßä  ffir  ibn  das  Kbenbild  Gotiee  bestehend  in  der 
ani&tia^)\  VoT  allem  hat  fianlius  gewarnt  vor  dem  einnedleii- 
schen  Leben,  als  vor  dem  «/laprvpo?  ßfog,  und  wohl  hauptsäcbli^ 
dunh  seinen  EinHuss  ist  in  der  griechischen  Welt  diese  älteste 
Form  de^  Mönchtums  überwunden  worden,  als  die  nicht  frn 
sei  von  bösem  Verdacht^).  Die  Möncb^geeeUschaft,  die  er 
als  Bischof  in  der  Nfthe  seines  Oftsarea  gegiOndet  hat,  um  375, 
nnter  viel  Anfechtung,  als  ob  er  etwas  ganz  neues  einführen 
wolle,  sollte  der  bürgerlichen  Welt  niclit  fremd  gegenüber- 
stehen. Das  ist  einer  der  Gedanken  des  {^ologetischen  Send* 
BchreibenB,  das  er  damals  verfiust  hat:  irc^  T§ktMowijrog  ßim 
fnoya/joy  Wenn  spittler  einmal  vom 
sagt,  dass  der  Mensch  in  der  Einöde  zum  Tier  werde  nnd 
diese  Heiligen  die  MetJimorphosc  besclileunigt  hätten,  weil 
sie  sich  wenigstens  den  Teufel  zum  Gesellschafter  in  die 
Binöde  mitnahmen,  so  steht  Basilios  anch  dadm!ch  über  dieser 
Metamorphose,  weil  bei  ihm  noch  nichts  von  dem  Damoncpii- 
Unwesen  der  Mönchsnacht  sich  findet,  die  nur  zu  bald  in  der 
Kirche  hereinbrach.  Der  noyr^Qog  da/fiwy,  von  dem  Basilius 
wohl  gelegentlich  redete  ist  bei  ihm  noch  nicht  nnterachiedeii 
von  dem  Dixuon  eines  Aeschjlos,  Euripidss,  oder  tou  dem 
Heliodors  in  dessen  äthiopischen  Geschichten*).  Audi  bei 
Basilius  ist  die  Welt  noch  nicht  angefüllt  vom  Teuielsspiik 
und  Trug  der  nta  Autonii 

ifMvrip  n^hms        wov  tt4cfi9V  m«Mv  Jiilfy  ttIA'         iyti  ^mc  vor 

^)  Im  Bermo  asceticns  II,  318:  o  yuQ  ro  dn«$kf  t^t  ^timt 
^wttM^  iip*  ittvrov  fAifttiOHfiiyoe,  .  . . 

s)  Vgl.  Basil.       483  (ep.  295)  nnd  senno  YUI:  i/i/Ai^QTVQo^ 

s)  BasiL  m,  98  (ep.  XXII),  vgl  Baor,  CMstentnm  dw  i.  Ms 
6.  Jshrhnnderts,  8.  301. 

4)  Vgl.  Bohde  a.  s.  O.,  435. 

Hu  mag  von  Baailins  dneo  Blick  mrka  auf  aeiaea  FtmaA, 


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UBSPEUNG  DEÜ  MÖNCHTUMS. 


567 


Aus  solcher  Schtile  und  solohem  Geist  sind  wohl  Mftnner 
hervorgegangen  von  lieroischer  Selbstbeherrscliung  und  Bedürf- 
nislosigkeit, geschaffen,  die  Welt  zu  überwinden.  AsketeUf  wie 
Chi^BOBtomiiB,  dem  Basilius  gleioh  ein  Freond  und  Schüler  des 
LibanioB,  oder  wie  die  iSiXqtol  /tiuxpoiy  wie  Isidoms  von  Peln- 
sium  mögen  wohl  einer  Zeichniiug  wert  sein,  wie  sie  ßurck- 
hardt  entworfen  Dort  hat  sich  auch  ein  Leben  im  Geist 
hindurchgeruugen ,  in  welchem  die  euthustiastische  Mjstik 
und  Ethik  des  Neuplatonismos  ihre  christliche  Emenenuig 
and  VerklSrung  gefunden  und  in  den  Schriften,  die  den 
Namen  des  Dionysius  Areopagiüi  tragen,  eine  durch  Jahr- 
hunderte reichende  tiefi?reifende  Einwirkung  auf  die  Christ^ 
liehe  Kirche  aasgeübt  hat 

X.  Doch,  wenn  irgendwo  gilt  hier  der  Spruch  antiker 

Mysterien:    yaQi)^rjxn(fOQOt  ftiy   nolXoiy   ßuxxot  Si  ri  navQOt. 

Und  jene  Mönche,  die  kaum  ein  Menschenalter  nach  Baailias, 
wfthrend  der  Fastenzeit  des  Jahres  415  in  der  Basilica 

Caesarea  in  Alexandria  initer  Anführung  eines  Klerikers  der 
Hypatia  das  Gewand  herunterg('ri^st'u ,  sie  rait  Scherben  zer- 
schnitten und  gliedweise  in  Stücken  gehauen,  die  Glieder  ver- 
brannt habend,  —  jene  Anthropomorphiten  der  sketiachen 
Wüste,  die  das  Haus  des  Theopbilus  von  Alexandria  stürm- 
ten, bis  er  in  ihnen  das  Ebenbild  Gottes  sah,  oder  jenes 
alexandrinische  Mönchsgefolge  des  Dioscur,  das  in  der  Marien- 


Gregor  von  Nazianz,  der  freilich,  mo  er  immer  In  Ekstase  war,  auch 
sein  MöDchtnm  fanatiscber  liebte.  Daher  sehie  Diehtiingen  über  die 
Marter  und  Wunder  der  paUstiniBohen  Anachoreten ,  mit  ihren  elBemea 
Ketten  an  den  FfiMCO,  ihran  swanrigtägigw  Fasten  in  den  Höhlen, 
wie  sie  unbew^lieb  anf  dem  Oelberg  ateben  bis  zn  ibvem  Tode  oder 
wie  Baben  ihm  Bissen  teilen  xl  a.  YgL  Greg.  Nas.  opp^  ed.  Ben. 
H,  999. 

1)  Bnrckbardt,  Zeit  Gonstantm^s  d.  Gr.,  S.  482,  gegen  dne 
gewisse  Kritik  vom  Standpunkte  des  iiiodeiasn  gesohäftigea  T^dbeaB  aus, 
die  nicht  im  Stande  sei,  „die  geistigen  Uttlite  auch  nv  zu  abnea,  die 
jene  Bisseonaturen  in  die  Wfiste  tridl)en.  Jene  Einsiedler  sind  es  ge- 
wesen, die  dem  gansen  geistlioben  Stand  der  üolgendsn  Jabrlraadsrte  die 
höhere  aeoetisehe  Haltung  des  Lebens  oder  doch  den  Anspraefa  daraof 
nitfeeilten.'* 

s)  Socrates  bist  eccL  TII,  Ib* 


^  kj  i^Lo  l  y  Google 


568 


weingakti:n, 


kiiehe  za  Ephesas  den  Flftvian  mit  FOsBon  eq  Tode  getreten» 

überhaupt  die  Massen,  denen  «las  Kloskr  alsbald  nur  die  be- 
quemste Form  sorgenloser  Verptiegiing  war,  mit  dem  Geruch 
der  Heiligkeit  und  dem  Selbstbetrug  ihrer  venTieinten  hdbmn 
Tagend,  —  diese  sind  aus  anderen  Schichten  hervoigegaiigeoL 
In  Betracht  kommen  sie  fQr  das  fönfte  Jahrhundert  nur  ab 
die  Trabanten  und  Freiioips'  der  Hierarchie  in  den  kirch- 
lichen Parteikämpfen  und  in  der  Vernichtung  der  Denkmale 
heidnischer  Culte.  Aber  die  Literatur,  die  sich  an  sie  ange- 
schlossen, darf  ein  allgemeineres,  cultnigeBchiohtUcheB  Intorenne 
in  Anspruch  nehmen.  Denn  in  ihr  stellt  sich  die  Fort- 
setzung desantikenRomansund  die  G  rundlag  e  der 
kirchlichen  Volksdichtungen  des  Mittelalters  dar. 

Als  die  griechische  Bomandichtung,  gleichzeitig  mit  dem 
untergehenden  Heidentum,  „das  nun  einmal  die  eigentliche 
Welt  der  Kunst  war^^  im  Zeitalter  Theodosius  des  Grossen 
ihre  künstlerisch  gestaltende  Kraft  erschöpft  hatte,  sind  die 
einzelnen  Elemente  dei*sclben,  wie  sie  im  Volke  lebten,  in 
diese  diristliche  Mönchs-  und  Heiligenlegende  übeigegBDgen, 
und  die  ganze  Wunder-  und  Zauherwelt  der  Tita  Antcoii« 
wie  der  unübersehbaren  Reihe  der  ,,Titae  patrum",  die  mit 
den  bewussten  Dichtungen  des  Hieronynms,  den  mehr  sagen- 
haften der  Historia  Lausiaca  beginnen,  ist  nur  durch  die  hinein- 
gesetzten christlichen  Goulissen  und  Decorationen  von  der 
phantastischen  Fiabelwdt  des  vorchristlicben  griechischen 
Romans  unterschieden.  Der  Nachweis  im  Einzelnen,  wie 
sich  der  letztere  in  der  cli ristlichen  Literatur  des  vierten  uud 
funl'ten  Jaiirkonderts  fortgesetzt  bat ,  überschreitet  die 
Grenzen  der  vorliegenden  Skizze,  und  Iflsst  sich  gmtigeiid 
auch  nur  in  dem  grossen  Zusammenhange  fOhren,  der  die 
antiken  Grundlagen  und  Beziehungen  auf  allen  Gebieten  der 


1)  und  unabsichtlich  im  grossen  uud  ganzen  daa  durchgefOhrt^ 
was  zuerst  in  den  CI<  ]ii<  ntiiiiflcheii  Homilien,  vielleicht  auch  im  Pastor 
Herniac  im  zweiten  Jabrhtmdert  Tersucht  worden  ist,  „dem  Sebema  des 
heidnischen  Abenteuerromans  einen  christlichen  Inhalt  zu  geben",  wi« 
Rohdc,  S.  476,  sieberlicb  geschichtlich  zutreflfender  als  modooM  dqp- 
matisirende  Kirchengeechicbte  die  Stellang  der  Glementiiieii  angiedMitei 
bat 


UBSPKUNG  DES  MÖNCHTUMS.  569 


katholischen  Kirche  jener  Tage  darlegt.  Aber  an  einigen 
Beispielen  mögen  wir  auch  hier  nicht  vorübergehen. 

Die  paradisische  Oase  in  der  Thebais,  die  Bofinus  entdeckt 
haben  wiU,  deren  Manche  in  seliger  Hohe,  ?on  keiner  Krank- 
heit betroffen,  in  nngeschwftchter  Jngendkfaft  ihre  Gebete  nnd 
Wunder  verrichten,  ihren  Tod  vorhersagen  und  dann  fröhlich 
abscheiden^),  hat  schon  vor  Cäsar  und  Augustua  Jambulos 
gefunden  in  seiner  Wonderinsel,  mit  ihren  erquickenden 
Quellen,  ihren  blflhenden  Wiesen,  ihren  ohne  Krankheit  bis 
ins  hnndertfünfzigste  Jabr  lebenden  Menschen,  die  sanft  hin- 
überschlummern unter  dem  betäubenden  Duft  des  Mandrago- 
rabaums Die  wunderbare  Kettung  aus  dem  Scheiterhaufen, 
die.  dem  heiligen  Kopres  zu  Teil  wird,  hat  schon  ein  Jahr- 
hundert zuvor  der  Held  der  Bphesischen  Geschichten  desXeno- 
pBon  erfahren,  den  der  Sonnengott  rettet,  als  er  schon  ans  Kreuz 
gebunden,  und  hernach  mitten  aus  dem  brennenden  Scheiter- 
haufen heraus  *).  Auch  die  anderen  Bewahrungen  in  grossen Qe- 
fafaren  sind  ganz  nach  den  Schablonen  der  heidnischen  Dichtungen 
des  dritten,  vierten  Jahrhunderts  gezeichnet  Gleichermassen 
stanmien  die  Wunder  dieser  Asketen  aus  der  antiken  My- 
thographie.  Die  Metamorphosen,  die  Macarius  vollbringt  (vgl. 
oben  S.  26),  sind  schon  in  den  heidnischen  Sammlungen  der 


^)  finfiniiB  hJitoria  monachomm  17:  „intrinaeeoB  putei  plnres, 
horti  inigni,  mnniiim  qnoqiie  pomomm  arbonun^  pendiBL"  Die  Mdnohe 
MAnimi  viitatibiu  pollentee,  nt  omnes  signa  fiidant:  et  qood  vera  omniom 
miiificam  aigiiiim  Bit,  dqUiib  eomm  aegritudinem  d^OBqiiam  infirmitfttas 
iacnirit^  Bed  oom  unicniqne  vitae  fiais  aAurit,  omahnodia  pmeaoBoeiiB 
et  üidicaaB  ceteris  fratriboB  bqIb  de  bqo  edta  atqiie  emaibaa  vale  dioeoB, 
ad  hoc  ipsom  leeabaiiB,  Bpiiitam  laetna  emitfeit." 

s)  Bobde  a.  a.  0.,  S.  227ff.  Dasa  die  Insulaner  dee  JambaloB 
Bieh  freiwiUig  den  Tod  geben,  naoh  dem  YorbiM  der  Btoiaeben  Weieen, 
konnte  in  der  ohrietlicben  Diefatnng  natOrlich  nicht  beibehalten  werden; 
geblieben  iat  nur  das  glttcklicbe  nnd  TorheigewiiBBte,  wenn  auch  nicht 
BdbsCbeBtiaunte  Ende. 

Ygi.  Bohde  a.  a.  0.,  8.  884fll 

*)  Man  Teigleiclie  s.  R  die  Enihhing  Palladiae  hist  LanB. 
148Bqq.  ftber  die  Att,  wie  eiöh  euM  cbriBtUdie  Jnngfran  in  einem  5ffent- 
licfaen  HaoB  an  Bchtttien  weiBs  nnd  wie  Bio  gerottet  wird,  mit  der  glei* 
ehok  Lage  nnd  Befreiang  der  Thanna  bei  ApollcoinB  tod  Tyrus  (Bohde 
410}  nnd  der  Aatheia  in  den  EpheeiBchen  Oesdhiehten  (Bohde  887). 


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670 


WEINGASTEN, 


Paradoxa  er/ahlt.  Auf  inständiges  Gebet  der  Galatea  wa.ü(h'li  ^ 
Leto  deren  Tuchter  in  einen  Jüngling;  des3  zu  Ehren  die 
Phaistier  auf  Greta  die  Mima  feierten  Poseidon  erfüllt 
die  Bitte  der  Tochter  des  li^ithenfUrBten  filatoe,  TsmaiiMl 
de  in  einen  Maoni  um  sie  onverwnndbar  m  maeheii;  die 
xuiylq  wird  zum  xuivtvg  Und  auch  die  historische  Sorg«- 
falt  und  Akribie,  mit  welcher  diese  antiken  Berichte  ihre 
Transsubstantiationsmirakel  ausstatten,  Itet  an  scheinbarer 
Sioberheit  nichts  sn  wünschen  ftbrig  gegenüber  den  hiatori- 
sehen  Datirangen  der  dirislllichen  Romane^);  die  Heiden 
konnten  sich  auf  ihre  KaLser  berufen,  etwa  auf  den  Altar, 
den  Kaiser  Claudius  auf  dem  Capitol  dem  Zeus  Alexikakos 
errichtet,  sam  Andenken  an  die  Tat,  die  zu  Antiochien  ge- 
sdiehen ,  wo  die  nnsSgliehen  Sobmenen  einer  Bnnt  endUcb 
ihre  Brklftning  in  den  mftnnlichen  Gliedern  toden,  die  deh 
Mädchen  gewachsen  waren.  Todtenerweckungen  haben  schon 
die  Neuplatoniker  ihren  Magiern  und  Weisen  zugeachrieben, 
wie  Philostratos  dem  ApoUonins  von  Tyana,  Jamblichna  seinen 
Chaldflem Nor  die  tflcldsdhe  Gewalt  der  Tyche,  dieeeB 
leitenden  Dämons*'  des  späteren  Hellenismns  und  seiner 
Fabelwelt,  ist  für  die  christliche  in  das  ebenso  unberechenbare 
neidische,  boshafte  Keich  der  Dämonen  umgewandelt,  zu  dem 
freilich  auch  die  antiken  Wald-  und  FeldgOtter  ihr  Bild  und 
Mythus  beigesteuert  haben.  Koch  nicht  bei  Athanasias  und  Ba- 
silius, welche  auch  die  Macht  der  Tyche  noch  unter  den  Gesichts- 


1)  Antonias  Iiiberalii,  bei  Wesiermann,  njthogn^hi 

s)  PhUgon  Trallianns  5,  bei  Westermann,  pandozognipfai 
ISOsqq.;  Tgi  c  4  dss  ähnliche  Wonder  des  Xheslas,  auf  Apolloa 
Bat. 

*  9)  Phlegon  TralUanns  6.  Uan  kann  gar  nieht  seheinhsr  ge- 
nauer datiren :  a^x^^  ^J^^m^gut  Utrrtnat^v,  ^nmftwopwmp  #r  f^ftg 

^rof.   Am  vierten  Tige:  «vV  fi9jMi§  ^^fi^  taw^aywSmts»  iUf¥m 
4)  YgL  Bohde  868;  auch  die  gewies  sntntade  AnsL  & 


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UBfiP&UMG  I>i;8  MOWCHTUMS. 


571 


punkt  der  Frage  nach  dem  Weltgesetz  stellten;  erst  Hierony- 
mus und  seines  Gleichen  haben  sich  ein  ungewolltes  Ver- 
dienst nm  die  veigleidiende  Mythologie  erworben.  Unwill- 
kflrlich  aber  erinnert  man  sieh  bei  dem  bunten  und  mOg'lichet 
barock  costümirten  Getfimmcl  der  von  den  Dämonen  Besessenen 
an  verwandte  Monstra  griechischer,  an  der  indischen  genähr- 
ter Phantasie;  ist  niftht  jenes  nx^/ua  Satfiorim  nvQwQif^\ 
das  alles  Genossene  in  Dampf  und  Baudi  verwandelt  nur 
der  Antipode  des  indischen  Bflssers,  der,  mit  den  Ffiasen  an 
einem  Haum  hängend,  nur  von  eingeatmetem  Rauche  lebt? 
oder  der  äoiofwi  des  Megastlienes,  die  sich  nur  vom  Duft  der 
Blumen  und  Braten  nähren')? 

Mit  dem  griechischen  Boman  teilen  die  vitae  patrum  den 
eintönigen,  schablonenartigen  CSiarakter  der  Erzfthlung,  bei 
der  «ich  selten  unterscheiden  lässt,  was  bewusste  Erfindung, 
w;is  unbesehen  aufgenommene  Sage  ist.  Der  Legemh*  aber 
hat  sich  alsbald  die  theologische  Doctria  bem&chtigt,  und  die 
vierundEwanzig  collatioiies  patrum  des  Jobannes  Cassianus 
verhalten  sich  zu  Rufinusund  Aehnlichen  wie  der  Tendenzroman 
zur  Vulkspoesie.  Des  Cassianus  oherägyptische  Schilderungen 
mit  ihren  mythischen  Städten  und  Hölileu,  wo  uralte  Greise, 
die  kaum  noch  herankriechen  kennen,  aus  Cicero  de  fato 
eitiren  und  Ober  griechische  Philosophie  discutiren  werden 
nach  demselben  Gesetz  beurteilt  werden  müssen,  das  H  e  r  c  Ii  e  r 
für  die  geographischen  Erdichtungen  Homers  und  der  Dia- 
skouasten,  Roh  de  für  die  principienmässig  ausgemalten 
Utopien  eines  Jambulos  und  Anderer  nachgewiesen  hat  Die 
Dialoge  selbst  aber  bei  Ghssian  sind  nmr  Darlegungen  seiner 
eignen  dogmatischen  Ansichten,  seiner  Stellung  zu  den 
Fragen  des  augustinisch -pelagiauischen  Zeitalters,  den  Ein- 
siedlern in  den  Mund  gelegt;  daneben  ein  System  der  Askese, 
welches  die  Grundlage  aller  [mönchischen  Tugend  in  die 
„discretio*'  setst^),  bei  whftltnismlsBig  besonnener  Btanng 


1)  Palladiu8  bist.  Laus.  19.  20. 

2)  Vgl.  Rohde  178. 

>)  Vgl.  die  ganze  Coli  XI;  Xlli,  5  u.  a. 
*)  coli.  U,  2. 


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572 


WEINGA&TEN, 


des  Wertes  dieser  Askese  und  gelegeDtl icher  ratiuDoler 
Deutung  des  Dämonenglaubens  *).  Die  Söhne  Gottes 
(iMoa.  6)  sind  die  Sethiten,  die  Töchter  der  Menschen  die 
Töchter  Gains,  weil:  n^xSio  modo  credendnm  est,  ^nritua- 
les  natnms  ooire  com  feniinis  canialiter  poese"*).  Aber 
auch  bei  Ciissiau  fahrt  der  Teufel  mit  Schwefelgeruch  ans 
dem  Schooss  des  Serapion  aas,  nach  dessen  eigner  £r- 
zfthhug*). 

XI.  Die  Nachbildungen  des  'ägyptischen  Mönchtutns  in 
Palästina,  ferner  in  Armenien,  Paphlagonien  und  Pontos  (unter 
dem  Einfluss  des  Eostathius  von  Sehaste),  die  weiteren  Ver- 
zweigungen im  römischen  Asien  können  kaum  ein  selbständiges 
Interesse  beanspruchen,  und  mögen  hier  übergangen  werden.  Aber 
wir  k<lnnen  nicht  umhin,  noch  auf  das  Al)0]i(]land  einen  Blick 
zu  werfen.  Das  occidentaliscbe  Mönch tinn,  eiit standen,  wie  früher 
nachgewiesen,  erst  um  die  achtziger  Jahre  des  vierten  Jahr- 
hunderts, trägt  urspröngliche  Zeichen  genug  der  nnr  äosser- 
liehen  Umwandlung  heidnischen  Wesens  in  christliche  Formen. 
Hat  doch  Hieronymus  selbst,  allerdings  zu  einer  Zeit,  wo  er 
fiberj  den  römischen  Klerus  nicht  boshaft  genug  reden 
konnte,  die  ersten  italienischen  Mönche  mit  ihren  weibischen 
Trachten  als  grobe  Heuchler  und  Schlemmer  gebrandmarkt 

1)  coli  I,  10:  eoiporalk  enerdtatio  ad  nodloum  ntflis  est»  pietw 
avteni,  qnao  nne  dubio  eaiitas  mtelligitor,  ad  omnia  atiUs  wt. 

s)  colL  YU,  27  wird  der  Abt  Moses,  eine  der  Autoritäten  des 
Gassian,  der  sehr  weise  Sberdie  „diseretio''  Tortrigt,  von  Maearius  ätSät, 
dass  er  voischneU  efai  Wort  gegen  ihn  gebrochen,  damit  besivaft,  dass 
er  Kot  isst:  „tarn  dioo  eonfestim  est  traditos  daemoni  nt  huinanas 
egestiones  ori  sao  ab  eo  sappletas  ingemet/'  Uge  solcher  plötdidieB 
Wandlung  ans  hoher  Speeniation  ins  Tierische  eine  Tatsache  an  Gninde, 
wie  mOsste  man  sich  den  Qmt  dieses  Mönohton»  an  den  Grensen  des 
Wabnsmns  denken  I  aber  das  Ganze  ist  nnr  eine  theoretische  Erfindung» 
um  zu  zeigen,  dass  wer  schon  auf  Erden  bestraft  werde,  die  Hoffiiung 
h^gen  darfo  einer  Yeiachonung  am  Jenseiti  und  umgekehrt.  YgL  oolL 
YII,  81. 

a)  coli.  Ym,  21. 
^  «)  coli,  n,  11. 

a)  In  dem  um  886  in  Bom  geschriebenen  Brief  ,»de  cuatodia 
virgiuitatis",  wo  er  Ton  dem  genus  deterrimum  atqne  neglectam 
spricht»  quod  in  ncstn  proviscia  aut  solum  aut  primum  est  apud 


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DEBniUNO  I>li8  MÖMCffnnUS. 


573 


Aber  wie  ftnsserlich  und  achaaspieleriach,  nur  aof  den  Schein 
aditend,  hat  nicht  anch  Panlinns  Ton  Nola,  der  Freond  und 

Zeitgenosse  Augustins,  asketische  Tugend  gedacht*),  er,  der 
noch  ^anz  nach  altheidnischer  Sitte  sich  dem  heiligen  Felix 
weiht,  indem  er  den  Phstlingsfiaum  seines  Bartes  an  dessen 
Grabe  niederlegt  Am  Mönchtnm  hat  er  yor  allem  das 
Stamien  und  die  Devotion  gepriesen,  die  es  bei  den  Zeitge- 
nossen fand,  wie  er  über  den  Besuch  der  heiligen  Melania, 
der  Freundin  des  Kufinus,  declamirt:  „die  Reichen  bewun- 
derten die  arme  Heilige.  Die  Söhne  in  seidnen  Kleidern 
und  nach  ihrem  Oesohledit  in  Stola  oder  Toga  zu  glflnzen 
^<  wohnt,  freuten  sich,  ihr  Unterkleid,  welchee  wie  aus  dickem 
Schilf  geflochten  war ,  und  ihren  ärmlichen  Mantel  mit  der 
Hand  berühren  und  ihre  Kleider  von  Pelzwerk,  Gold  und 
künstlicher  Arbeit  zu  ihren  Füssen  hinlegen  zu  können,  damit 
sie  dieeelben  berflhre;  denn  de  glaubten,  von  der  Befleckung 
ihres  Beichtnms  -geheilt  zu  werden,  wenn  sie  von  dem  Staube 
ihrnr  Fusssoll len  bedeckt  würden  Es  ist  dieselbe  heidnische 
Zauberwelt,  welche  die  Staffage  seiner  Natalitien  des  heiligen 
Felix  bildet,  der,  durch  einen  iSngel  befreit,  seinen  todten 
Bischof  durch  die  Traube  von  einem  Wunderbaum  zum  Leben 
zurttckruft.  Wahrend  einer  Verfolgung  flflchtet  sich  dieser 
heilige  Felix  in  eine  Höhle,  die  durch  eine  Spinne  alsbald 
dicht  zugesponnen  wird.  Am  Abend  verlässt  er  diese  Zu- 
fluchtsstfttte,  verbirgt  sich  in  einer  aufgetrockneten  Qisteme 

hoö  affectata  sunt  omnia,  laxae  manicae,  cali^Mc  follicant^H,  vestis  cras- 
sior,  visitatio  virginiiru,  dctrectatio  clericorom,  et  si  quando  dies  festns 
venerit,  saturantur  ad  vomituiu. 

*)  Welche  froninie  Eitelkeit  and  Selbstgervolitij^kt  it  spiegelt  sich 
nicht  in  der  Art,  wie  Paulinns  von  Nola  in  seiner  Predigt  „de 
gazophylacio"  zur  Wohltätigkeit  auffordert:  „plurimi  te  cxspectant 
et  in  adventum  tuuni  pendent"  (ähnlich  wie  die  dienten)  „circuraspi- 
cientes,  qnando  te  videant.  Aliud  est,  quando  tu  solu«  oraa  pro  et 
aliud,  quando  niultitudo  pro  te  apud  deuni  trepidat.  Tu  tact.<  et  cum 
taces,  Uli  pro  te  clamant.  Et  vidont  te  et  arrident.  Iiivt  niunt  te  et 
salutant  .  .  .  .  m  omnibus  ecclesiia  pro  te  rogaut,  in  oiuuibuH  plateis 
tibi  gratulantur,  et  in  locis  singulis  ad  commemorationeni  tui  nominis 
erigimtar,  beuedioeotes  dominum,  et  abflentem  te  in  suis  manibos  osca- 
lantur!" 

Buse,  PaoUnos  von  Nola  I,  342. 


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674  WBDiaABnBI,  UMFSUm  DBS  MOHGBÜT 


irf; 


sechs  Monate  hindurch,  und  wird  w&hreud  dieses  gauzeo 
hiibfiu  Jahres  Ton  einer  Frau  erludten,  die»  ihr  mUM  «nbe- 
wuBBi,  in  der  Ekstase  ihm  die  Speisen  intragt.  Dnroh  Tn* 
Wölken,  die  ihm  Christas  losendet,  wird  sein  Durst  gestillt 

XIL  Ein  segensreiches  Element  des  Cnlturlebens  ward  dss 
Mönchtam  erst  durch  den  heiligen  Benedict  und  die  Bene- 

(iictiner  des  beginnenden  Mittelalters.  Arbeit  war  in  keiner  der 
älteren  Vorschriften  als  eine  feststellende  Tagesaufgribo  vorge- 
schrieben; auch  die  Regeln  des  Pachomius  entbalten  nur  Ein 
Hauptgebot:  Schrifimeditation ,  Gebet  und  Gottesdienst  Sie 
setzen  zwar  Anfertigung  yon  EOrben  aus  Nilsehilf  und  Ver- 
arbeitung von  Palmenzweigen  voraus,  aber,  wie  es  scheint,  nar 
zum  eignen  Gebrauch  der  Klostergenossen.    Eine  Verwertung 
im  Sinne  der  Industrie  kennen  sie  nicht       Die  Heimat  d» 
ersten  Mönchtums  blieb  die  Wfiste.    Erst  die  Benedictioer 
haben  Wflsteneien  und  ürwfilder  in  Ackerland  umgcwandcit 
und  neue  Heimatcn  der  Menschheit  geschaffen.  Sie  haben  das 
unverbnlchlicho  Gelübde  an  die  Stelle  der  ursprünglich en  Un- 
gebundenheit  gesetzt.  Goncentration,  Organisation  und  rdmiscb-  i 
hierarchische  Bedeutung  hat  das  MOnditam  durch  Oagoj 
und  Citeaux  gefunden.   Zu  einer  religiösen  Macht  aber  iflt  | 
es    erst   durch    den    heiligen   Franciscus   geworden  ,  und 
durch  jene  Klöster,  in  denen  die  erblühende  deutsche  Mystik  < 
dem  christlichen  Leben  neue  Gestalt  und  Inhalt  gewann.  Das  , 
war  der  Geist,  aus  welchem  in  der  Augustineraelle  zu  Witten- 
berg Luther  sein  Büchlein  gescliriebeu  hat  „  Von  der  Freiheit 
einee  CliristenmeDschea''. 


1)  Viel  zu  matt  iKjhandolt  dies  alle«  Ebert,  cliri8tlich-lat*;iiiiöcbc  i 
Literatur  291  als  „nicht  ohu«'  sü^renhafte  poetische  R<»ize".  ' 

*)  Die  60.  Reg-el :  ad  otficiiia^  tliversaruni  artiuiu  soli  |>ergaiit  prie- 
positi,  ut  accipiant,  quud  necesHariuin  est,  bezieht  sich  offenbar  nur  w(  i 
Einkäufe  drr  IJediirfnisse  des  Klosters»  niclit  aul  Hun«!«  Isgcsciütftc.  !>** 
nach  modüicirt  n'ich  Üurckhardt,  Zeit  Contitaiitijrii 


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DelNNT  dei  VerCuMr  der  Schrift  „Vm  der  W#UUt 

Christi^ 

Von 

Lic  Dr.  Karl  Benmtti 

ia  Bonn. 


In   dem  Jnnuarheftc  der  „Kivista  Cristianu**   187(1  und 
zugleich  in  einem  etwus  sputer  zum  Abdruck  gelangten  Artikel  der 
Berliner  NationaUcitun^  hatte  ich  den  obigen  Gepienatand  km"z 
behandelt.     Darauf  ist  von  Jules  Bonnet  (Iliv.  Crist.  III,  1S70) 
gegen  meine  Austuhrungen  Einsprache  erhoben  worden.  J)ieser 
Gelehrte  sagt  in   einem   an  den  Herausgeber  der  Florentiner 
Zeitschrilt  gerichteten  Briefe:  „  J'ai  lu  avec  toute  Tattention  t^u'il 
merite  Tarticle  de  votre  savant  coUaborateur,  M.  Karl  Benrath, 
ßur    la    qucstion    tant    controversee    relative    u    l'auteur  du 
,Beneiizio*.    Avec  le  plus  r<Scent  editeur  de  ce  celebre  opuscule, 
M.  Chufchill  Babington  et  contrairoment  a  Topinion  eoutcnuc 
par  Leopold  Ranke,  je  n'ai  point  breite  a  attribuer  cet  ecrit 
a  Paleario.   L'cüoquent  accusd  de  Sienne,  le  touchant  martyr 
du  Pont  Saint-Ange,  m'a  paru  le  seul  auteur  possible  du  ii?re 
qui  r^sume  toute  sa  theologie  et  dont  il  assume  courageuse- 
ment  la  responsabilit^  devant  ses  jugcs.    En  depit  des  doutes 
exprim^s  par  IC.  Benrath,  je  demeure  tr4s  &app^  des  singuli^res 
concordanoes  qui  existent  entre  le  passage  tant  de  fois  cit4 
du  plaidoyor  de  Sieoae  et  le  MBenefino"  publie  la  m&ne 
annie  (1542)  en  langue  toscaae,  ayec  de  nombrenx  t^moignagea 
empnintes  a   ces  m^mes  P^res   dont  je  retrouvc  les  nöms 
dans  la  defense  de  Paleario.   „Si",  disais-je  en  1863,  ,,il  n'eat 
pas  Tauteur  du  »Beneflzin',  -i  (juel  autre  opuscule  Italien  du 
16*"^  si^de  penvent  s'appliqaer  les  declarations  ai  nettes  et  ai 
categoriquea  de  aon  discours?"  C'est  a  cette  qneation  qua 
M*  Benrath  croit  pouToir  r^pondre  victorieuaementj  par  une 
note  de  M.  le,  profeaaeur  De  Lera  qui  d^lare  afoir  tu  a  la 


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576 


BENRATH, 


Biblioth^que  de  Saint  Pierre  aux  LiexiB  im  manoserit  oontenant 
un  Qxtrait  du  proct^a  de  Paleario,  dans  lequel  on  lit  qoe 
l'oaYrage  inGrimin^  avait  ponr  titre:  della  pienesBa»  snffloieiu» 
et  satisfatione  della  pastione  di  Cnsto  (Storia  docomeiitata  di 
Carlo  V.,  t  m,  p.  363 — 369).    Vous  raTOiiflni«je ,  Honaienr, 
nialgc^  rautorit^  qui  B'attache  k  Topiiiion  du  dooto  pyofoMOur 
de  Padoue,  j'ai  peine  ä  yoir  an  Ütn  dana  la  phnaa  xedon- 
dante  et  oonftaae  qoe  je  viena  de  tnuneiixe.  Elle  eoatiaste  per 
tcop  arec  la  noUe  fonnole  qm  verient  aana  cease  aona  la 
plame  de  Paleario  pour  ezprimer  ion  dogme  &Tori,  celni  de 
la  redemption:  „Beneftoium  aangoinia  Cluiiti".    Le  noiiTeaa 
titre  qu'on  alldgaei  rar  la  Hol  d'nn  raeoontenr  *  inooima,  ne 
aeraitril  paa  plutdt  un  r^um^,  une  eaxaoteriatiqQe,  ploa  on  moma 
oonrectei  qui  a'appliqne  d'aiUeun  paifidtement  au  »Benefiilo'? 
Pour  que  la  eoigectuze  de  II.  De  Le?a  derlnt  une  oertiiade, 
ü  laudrait  que  le  myaterienx  4cni  A6ngfi6  dana  le  oodez  de 
Saint  Piene  aus  Liena  (rariasima  aTial)  fikt  produit  au  giand 
jour  et  que  de  plna  il  oorreapondlt  anari  bien  ehe  le  MBene* 
fisio"  aux  indicationa  foumtea  dana  le  diaeouza  de  Sienne. 
Tant  que  oette  double  condition  n'eet  paa  zemplie,  la  r^Mm 
aemble  eommand^  aus  teiTaina,  qui,  plaoda  entre  Im  <m  dU 
ai  direiB  du  16***  aiicle  et  lea  ooiqeetiiiea  d'une  ^poque  ult^ 
rieuze,  ereient  a? oir  adopt^  la  tlidae  plua  plauaible  et  n'en- 
tendent  paa  Ifioher  la  proie  pourl'ombre.  • 

Dieser  Brief  wurde  seitena  des  Herauagebera  der  ^Biviata 
Criatiana",  da  ich  mich  aelbat  etwas  wdt  entfernt,  nftmlich 
in  Dublin  mit  der  Untersuchung  der  im  Trinity  College  auf- 
bewahrten InquisitlonsmanuBcripte  beschiiftigt,  befSuid,  nmächat 
an  den  mir  befireundeten  Professor  Giuseppe  De  Leva  in 
Padua  gesandt.  De  Lera  war  insofern  direkt  bei  der  Ange- 
legenheit beteiligt,  als  ich  eben  nach  seinem  Yorgange  daa 
mysUrieux  4GnV  dtirt  hatte.  De  Leva  erwiederte  nun  in 
einem  Bchreiben  Tom  28.  Februar  (s.  a.  a.  0.,  8.  90 — 92), 
dass  er  gern  bereit  sei,  mich  in  dieser  Frage  su  Tertreten, 
daas  er  jedoch  der  Ansicht  sei,  meine  Ausführungen  bedürften 
keiner  weiteren  Erklllrung.  Dagegen  hebt  er  noch  ein  Drei- 
faches herror:  Erstens,  dass  die  damalige  allgemeine  IJnbe> 
kanntaohalt  mit  dem  Verfesaer  des  „Benefiilo'*  uneddirlich 
sei,  wenn  angenommen  werde,  eben  daa  „Benefliio"  sei  die 
Schrift,  zu  der  Paleario  sich  so  minnlich  in  seiner  Vertei- 
digungsrede selbst  bekannt  hatte.  Zweitena,  dass  nicht  ein 
^yon-dit"  oder  Tage  Gerüchte  den  wahren  Yerfesser  des  Büch- 
leins bezrichnen,  sondern  LeutCt  die  sehr  gut  über  die  Sache 
Bescheid  wissen,  und  zwar  mit  Toller  Bestimmtheit.  Drittens, 
dasB  in  jenem  Mannscripte  ton  S.  Pietro  in  Yineuli  die  andere 
Schrift  „Della  pienessa,  sufilcienaa  et  saüsfetieiie  della  pasaione 


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Ober  d.  vjbrf.  d.  schrift  „von  d.  wohltat  chbisti*'.  577 


di  Cristo"  dem  Paleario  nicht  beigelegt  werde  von  einem 
„rapporteur  iuconuu",  sondern  seitens  des  Inqiiisitionstribiuialea 
und  auf  Grund  von  Zeugenaussagen  vor  den  Richtern. 

Ich  möchte  noch  Einn  hinzufügen,  um  den  Gang  der  fol- 
genden Untersuchung  zu  kennzeichnen.  Herr  Bonnet  stützt 
sich  hau])t8ächlich  darauf,  dass  uns  keine  andere  Schrift  aus 
jener  Zeit  bekannt  sei,  auf  deren  Inhalt  dasjenige  passe ,  was 
Paleario  in  seiner  Rede  als  in  seiner  eignen  Schrift  enthalten 
erwähnt.  Bei  der  ünvollständigkeit ,  die  unserer  Kenntnis  der 
literarischen  Erzeugnisse  jener  Periode  und  Bewegung  immer 
noch  anhaftet,  würde  ein  solches  Moment  auch  dann  nur  von 
relativem  Werte  sein ,  wenn  wir  den  Fingerzeig  des  von  De 
Leva  angezogenen  Manuscriptes  entbehrten.  Die  Frage  ist  eben 
nicht:  ob  sich  in  dem  „Beuefizio  di  Cristo"  gewisse  Gedanken- 
gänge wiedertinden,  von  denen  Paleario's  Rede  uns  sagt,  dass 
sie  auch  in  seiner  eignen  Schrift  vorhanden  waren  —  denn 
bei  der  Eigentümlichkeit  des  beiderseits  behandelten  Stoffes  ist 
das  gar  nicht  anders  zu  erwarten.  Sondern  die  Frage  geht 
dahin :  ob  die  Summe  aller  hier  in  Betracht  kommenden  Mo- 
mente uns  erlaubt,  bez.  zwingt,  das  „Benefizio''  als  mit  der 
von  Paleario  Texfiuwten  Sohiift  identisch  zu  betrachten.  Dieie 
Frage  soll  nun  •  im  folgenden  einer  abermaligen  Prüfung 
unterworfen  werden,  die  auch  eine  Reihe  Ton  Momenten  be- 
rücksichtigt» welche  bei  der  kürzeren  Darlegong  nicht  zu  ihrem 
Aeohte  kommen  konnten. 


Wenn  uiau  die  Prozessacten  mustert,  welche  uns  bisher 
ans  den  ersten  Jahizehnten  der  Tätigkeit  der  römischen  In- 
qnisitioD  im  sechzehnten  Jahrhundert  zngSiigliGh  gewesen 
sind,  und  wenn  man  damit  die  zahlreichen  Schlossurteile 
solcher  Prozesse  vergleicht,  wie  sie  sich  in  den  Inquisitions- 
Acten  in  der  Bibliothek  des  Trjnity-Gollege  in  Dublin  dem 
Stadium  darbieten,  so  wird  man  fibenascht  sein  Yon  der  oft 
wörtlich  Qbereinstimmenden  Gleichartigkeit  der  Anklagen,  wie 
sie  seitens  des  Inquisitionstribuiuiles  gegen  die  vor  ihm 
stehenden  „Häretiker''  erhoben  wurden.  Obgleich  die  refor- 
matorische  Bewegung  in  Italien  keineswegs  einen  ähnlichen 
dominirenden  Mittelpunkt  gefunden  hattOi  wie  dies  bei  der 
deutschen  mit  Wittenberg,  der  schweizerischen  mit  Zflridi  mid 
der  Ii  uiizöHischen  mit  Genf  der  Fall  war,  so  sind  doch  die  her- 

ZaiUelu,  f.  8.-0.  38 


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578 


BENEATH, 


vurragendsten  evangelischen  Lehren,  die  von  der  Recht- 
fertit^mg  durch  den  Glauben  und  von  der  Ohnmacht  des  i 
Menschen,  durch  seine  Werke  die  Seligkeit  zu  erwerben ,  die 
TOD  dem  alleinigen  Ansehen  der  heiligen  Schrift  gegenfiber  der 
Tradition,  dann  der  Gegensatz  gegen  Papättnm  nnd  Priester- 
tum,  gegen  Transsubstaiitiatioii  und  Lehre  vom  Fegfeuer 
nnd  eine  Keihe  von  anderen  Punkten  so  entschieden  und  so 
gleichmässig  innerhalb  der  evangelischen  Bewegung  in  Italien 
ausgebildet  worden,  dass  man  fest  den  Eindruck  bekommt, 
als  hätte  man  es  hier  mit  einer  in  sich  zusammengeechlossraen 
theologischen  Schule  und  nicht  mit  einer  an  den  versjchieden- 
sten  Orten  fast  gleichzeitig  zutage  tretenden  Beaction  des 
christlichen  Volk^istes  zu  tun.  £6  ist  bemerkenswert  und 
mag  wohl  damit  in  ursächlichem  Zusammenhange  stehen, 
dass  die  reformatorische  Bewegung  in  Italien  sich  mit  einer 
verhältnismässig  L^eriiigeu  Anzahl  von  literarischen  Erzeug- 
nissen ,  in  denen  die  alle  Welt  bewegenden  Fi-ageu  er- 
örtert wurden,  begnügt  hat  Durdi  eine  beispielloe  erfolg- 
reiche Tätigkeit  der  Inquisition  nach  dieser  Seite  hin  sind 
dann  auf  uiih  von  den  wenigen  nur  die  wenigsten  gekouinieii. 
und  in  vielen  Fällen  sind  es  eben  die  Verzeichnisse  der  durch 
die  Inquisition  auf  das  strengste  geübten  Büchercensur ,  wel- 
chen wir  die  einzige  Notiz  über  italienisdie  refonnatoriache 
Schriften  Terdanken.  Da  nun  das  Lesen,  ja  schon  der  blosse 
Besitz  eines  solelieu  Buclies  einen  schwerwiegenden  Ankl^e- 
punkt  vor  dem  Tribunale  der  Inquisition  bildete,  so  ist  es 
erklärlich,  dass  dasselbe  auch  in  den  Froaessacten  und  ina^ 
besondere  in  den  Schlnssurteilen  als  solcher  bcig^gnet  und  bei 
der  Verurteilung  des  Angeklagtoi  mit  ins  Gewidit  fällt  Und 
da  ißt  es  denn  vor  allem  eine  Schrift,  welche  in  den  Händen 
der  meisten  gewesen  ist,  die  von  der  Inquisition  ?erurteilt 
worden  sind,  und  die  einen  weitreichenden  üünfluss  auf  die 
ganze  evangelische  Bewegung  in  Italien  gehabt  hat,  ntmlicii 
der  Traktat  „Von  der  Wohltat  des  Todes  Christi 

Die  wimderbare  Geschichte  dieser  Schrift  ist  bekannt. 
Zu  Vergerios  Zeiten,  also  in  den  vierziger  Jahren  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts,  in  mehr  als  vierzigtansend  ßzemphrai 
allein  Ton  Venedig  ans  durdi  Italien  verbleitet,  ist  sie  ännk 


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Ober  d.  verf.  d.sciirift  ^von  d.  wohltat christi'^  579 

die  Inquisition  später  mit  solchem  Erlulge  aufgesucht  und 
überall  vernichtet  worden,  dass  es  bereits  im  vorigen  Jahr- 
hundert als  unmöglich  galt,  ein  £xemplar  der  Schrift  aufzu- 
finden, mid  dasB  in  den  dreuasiger  Jahren  tmeeres  Jahrhnnderts 
ein  Bänke  sie  als  ▼((llig  Teracbwnnden  nnd  unanfSndbar  be- 
zeichnen zu  müssen  glaubte.  Aber  ein  güiustiges  Geschick 
hat  das  Büchlein  doch  wieder  an  das  Licht  gebraohL  Nach- 
dem eine  Uebersetzong  in  das  Engliscbe  yon  Mr.  Ayre  anf- 
gefhnden  nnd  1847  verOffentliobt  worden  war,  g^ang  es 
1856,  das  italieniflcbe  Original  in  Csmbridge  za  entdecken 
und  zur  allgemeinen  Kenntnis  zu  bringen. 

Das  treffliche,  aber  namenlose  ßüclilein  hat  nun,  indem 
es  zun  zweiten  Male  in  zahlreichen  Ausgaben  und  Ueber- 
setznngen  seinen  Lauf  durch  die  Welt  nahm,  dem  ge- 
lehrten Publikum  die  Frage  gestellt,  wer  als  sein  Verfasser 
zu  betrachten  sei?  Und  auf  diese  Frage  hat  vor  allem  der  erste 
Herausgeber  des  neu  auigefundenea  Originales,  Herr  Churchill 
Babingtea,  freilich  nicht  ohne  Besenre,  die  Antwort  erteilt: 
Aonio  Paleario  —  eine  Entscheidung,  welche  von  ihm  mit 
Aufwand  grosser  Gelehrsamkeit  verteidigt  und  von  den  Meisten 
als  maRsgeboiul  angenoninicn  worden  ist,  nachdem  sie  bereits 
im  vorigen  Jahrhundert  durch  J.  G.  Schelborn,  den  gelehrten 
Bibliothekar  in  Memmingen,  gegeben  und  begrOadet  worden 
war.  Ein^  Daten,  welche  eist  in  den  letzten  Jahren  be- 
kannt geworden  sind,  machen  es  möglich,  die  Frage  jetzt  mit 
Zuverlässigkeit  zu  beantworten.  Wie  aber  auch  das  End- 
resultat beschaffen  sein  möge  —  eine  abermalige  Unter- 
suchung wird  sieh  der  Mühe  nicht  entschlagen  dürfen,  die 
von  Schelborn  und  zuletzt  von  Babington  vergebnehten  Be- 
weismittel auf  das  genaueste  zu  prüfen. 

Schelborn  gebt  zunächst  in  dem  ersten  Üaude  der  Amoe- 
nitates  Historiae  Ecdesiasticae  et  Literariae  (Frankfurt  und 
Leipzig  1737,  S.  156)  auf  die  Frage  ein.  Im  Ansehluss  an 
eine  Aeusserung  Veigerio*8  fiber  das  Bfichlein  sagt  er:  „Es 
ist  überaus  selten  und  in  den  Verzeichnissen  der  verbotenen 
Schriften  schwarz  angestrichen.  Sein  vollständiger  Titel 
lautet:  Trattoto  del  beneficio  di  Christo,  fis  ist  in  das 
Franzödscbe  fibersetzt  und  1645  in  Lyon  durch  Jean  de 

SB» 


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580 


BENRATH, 


Tonniee  gedrackfe  w<Mrden  onter  dem  Utal:  Da  bMfioe  de 

Jesus-Christ  crucifi^  envera  les  Chretieus,  tradait  de  vulgairo 
Italien  eu  Fran9ois.  Dies  geht  aus  dem  von  der  Sorbonne  aul- 
gesteiiten  VerzeiehnisBe  verbotener  Bficher  her?ort  wie  e8  bei 
Da  PleBBiB  d*AigenM  (Odlectio  jadiciomin  de  nofis  Srrori- 
bns,  t.  II,  f.  175)  abgedrackt  ist   Daes  die  Schrift  «ach  in 
das  Spanische  übersetzt  worden  und  unter  dem  Titel:  Tratado 
utilissimo  del  beneficio  de  Jesa  Christo  erschienen  ist,  zeigt 
der  Sotoiiiigor*8ohe  Index  ▼erboiener  Scbiiften.  Aas  aUedem 
mag  man  räf  die  Yortreffliobkeit  dieees  JBfichleins  achlieasen. 
Ich  glaube  aber,  dass  Verfasser  desselben  Aonio  Paleario ,  der 
fromme  Märtyrer  Jesu  Christi,   gewesen  ist,  welcher  um 
seines  evangelischen  Bekenntnisses  willen  1569  in  £om  vet* 
bnmnt  werden  ist  Es  scheint  mir  nftmlieh,  dass  anf  diese 
Schrift  daqenige  posst,  was  Paleario  selbst  in  einer  vor  dem 
Rat  von  Siena  gehaltenen  liede  erwähnt.    Doi-t  sagt  er  näm- 
lich: „Als  ich  im  Laufe  dieses  Jahres  in  einer  italienisch 
verfasstcn  Schrift  die  Wohltaten  dargelegt  hatte,  welche  der 
Tod  Ghiisti  der  Menschheit  gebracht,  worde  mir  dies  in  der 
Anklage  vorgeworfen.   Lfisst  rieh  etwas  ScbmflbMcheres  sogen 
oder  denken?    Ich  behauptete,  wir  sollten  nicht  zweifeln  an 
Gottes  Gnade,  da  ja  Er,  in  welchem  die  Gottheit  wohnte, 
filat  and  Leben  aas  lauter  Liebe  am  onsretwiUen  dahioge* 
geben  habe;  ich  bradite  aas  den  Sitesten  and  sicheisfeen  ür- 
bmden  den  Beweis  dafür  bei,  dass  das  Ende  aller  Uebd  da, 
dass  alle  Schuld  denen  getilgt  sei,  welche  sich  von  Herzen 
2a  Christus  bekehrten,  sich  seiner  Treue  anheimgäben  und 
nor  anf  ihn  ihre  Hoi&aQg  seteten,  der  ihren  Glauben  nicht 
zu  Schanden  machen  werde.    Diese  Behauptong  ist  jenen 
Zwölfen  als  so  hart  and  verabscheuenswürdig  erschienen,  dass 
sie  mich  deshalb  des  Feuertodes  wert  erachteten;  nun  wohl, 
soll  ich  deshalb  den  Tod  erleiden,  so  bin  ich  glücklich,  denn 
wer  ein  Christ  sein  will,  kann  heutzutsge  nicht  in  seinem 
Bette  sterben.'' 

Soweit  Sclielhom.  Seine  Angaben  bedürfen  einiger  Be- 
merkungen. Zunächst  ist  der  Titel  der  Schrift  nicht  genau 
wiedergegeben;  er  lautet  vielmehr  in  üebereinstimmung  mit 
dem  der  spanischen  Ueberaetaui^:  Tnttato  atiüssimo  del  bene* 


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ÜBER  D.  VEKF.  D.  3CHBIFT  „VON  D.  WOHLTAT  CHBISTI*^  581 

ficio  di  Jesu  Cristo  crocifisso  verso  i  Christiani.  Die  Ver- 
schiedenheit in  der  Titelangabe  erklärt  sich  daraus,  dass  es 
Schelhom  selbsfe  nie  ^langen  ist,  ein  EKemplar  der  Schrift 
m  Geeicht  so  bekommen;  noch  im  Jahre  1763  hat  er  dies 
gelegentlich  en^^ähnt  (Ergötzlichkeiten  II,  27).  Ferner  hat 
gich  bei  der  Angabe  über  das  Todesjahr  Paleario's  ein  Irrtum 
eingesciilicheD ,  sofern  dieser  nicht  1569,  sondern  erst  im 
Jnli  1570  ien  Tod  erlitten  hat  Was  die  von  ScfaeUMMm 
erwflhnte  Yerteidigungsrede  Paleario*9  vor  dem  Rate  von 
Sieua  angeht,  so  lässt  sich  deren  Datum  bestimmen  und  mit 
diesem  wurde  dann  nach  Schelhorns  Conjectur  das  Datum  der 
HeiEOßgabe  unserer  Schrift  übereinstimmen  mtaen.  In  der 
Bede  (Ph>  se  ipso)  erwfihnt  Paleario  Bemaidino  Ochino's 
Flucht,  und  man  hört  es  dem  Redner  an,  dass  er  nnd  seine 
Zuhörer  noch  schmerzlich  von  diesem  Ereignisse  bewegt  sind. 
Die  Flucht  Ochino's  fand  g^gen  Ende  des  Monats  August 
1542  statt  Auch  Sadoleto  erwflhnt  in  einem  an  Paleario 
gerichteten  Schreiben^),  dass  er  ihn  bei  einem  Besuche  in 
Siena,  „als  eben  das  erste  Gerücht  über  Ochino*s  Flucht 
ging",  mit  der  Abfassung  der  obigen  Rede  beschäftigt  ge- 
funden habe.  Beides  deutet  auf  1542  hin  als  frühesten  Termin 
fttr  das  Bfscheinen  Ton  Paleario's  Schrift.  Der  Oonjectur  Schel- 
homs  sind  nun  eine  Reihe  Ton  Gelehrten  gefolgt.  Bei  Gerdes 
(Specimen  Ital.  Reform,  p.  315),  bei  M'.  Crie  (History  of  the 
Reformation  in  Italy,  2.  Aufi.  1833,  S.  344),  minder  zuver- 
sichtlich bei  Tiraboschi  (Storia  della  Lett.  Ital.  VII, 
p.  1452  sq.)  findet  sich  diese  Angabe  wiederholt,  und  die 
beiden  loteten  IKographen  Mleario's,  Jules  Bonnet  nnd  Mrs. 
Young,  nehmen  dieselbe  als  unbezweifelbar  in  ihre  Werke 
auf.  Der  verdiente  Herao^eber  des  in  Cambridge  wieder 
aufgefundenen  Originales,  welches  im  Jahre  1543  in  Venedig 
ohne  BesBdchnung  des  Verfessers  erschienen  ist,  hat  die 
Hvpothese,  welche  Schelborn  in  Ermangelung  eines  Exem- 
plare s  der  Schrift  selbst  nicht  im  einzelnen  durchföbren  konnte, 
in  folgender  Darling  zu  st&izen  gesucht:  „Aus  dem,  was 
Paleario  Aber  seine  eigne  Schrift   in   der  angefahrten 


»)  Lib.  IV,  n.  2,  Op.  ed.  HaUb.  S.  556  £ 


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582 


BENRATH, 


Sielle  seiDer  Vertoid^migBrede  89^,  ongiebt  sieh:  1)  dasB 
dieselbe  nicht  von  grossem  Umfange  war  (libellns):  2)  ätss 

sie  in  italieniseber  Sprache  verfasst  war;  3)  dass  ihr  Titel 
oder  ihr  Gegenstand  war  ,dcr  Tud  Cliristi  und  die  Wohl- 
taten, welche  derselbe  der  Menschheit  gebracht  hat';  4)  das 
sie  hervorhob,  ,wir  sollten  an  der  Gnade  GoUes,  dessen  Sohn 
sich  aus  Liebe  zu  uns  in  den  Tod  dahini^egebon  habe,  nicht 
zweifchi';  5)  dans  sie  aus  den  '/uverläsc,! lösten  Jieugnisseu  der 
Väter  nachwies,  unsere  Uebel  hätten  ihr  Ende  erreicht,  die 
Handschrift,  welche  gegen  ons  zenge,  sei  ansgelfiecht  allen 
denen,  welche  sich  in  völligem  Glanben  an  Obristna  wen- 
deten ;  6)  dass  die  Schrift  Paleaiio's  in  demselben  Jahre  er- 
schien, in  welchem  die  Kede  selbst  «(ehalten  wurde." 

Herr  Babington  sucht  nun  nachzuweisen,  dass  diese  sechs 
Punkte  bei  dem  wiedergefundenen  Traktate  voUstftndig  zu- 
treffen ,  und  rieht  darans  den  Sobluss  auf  Identitftt  dieser 
Sclirift  mit  der  von  Paleaiio  als  seine  eigne  bezeichneten. 
Die  obigen  Punkte,  obwohl  scheinbar  individueller  Art,  sind 
jedoch  von  solcher  Natur,  dass  man  das  Erstere  mehr  oder 
minder  eingeschränkt  zugeben  könnte,  ohne  sich  zu  derdaiaus 
gezogenen  Folgerung  zu  bekennen.  Dies  bedarf  rficksicbt* 
lieh  de^  eraten  und  zweiten  Punktes  keines  Beweises,  eiier 
bezüglich  des  dritten.  Der  Ijetreffende  Ausdruck  Paleario's 
lautet  wörtlich:  „Ex  Christi  morte  quanta  commoda  allata 
sint  generi  humane  cum  hoc  ipso  anno  Thusce  scripsieBem, 
objectum  fuit  in  accusatione."  Bezielit  man  die  Worte  Pa- 
leario's  lediglich  auf  den  Inhalt  der  von  ihm  verfasst-en 
Seh  ritt,  80  ist  es  klar,  dass  sie  nur  im  allgemeinen  angeben 
wollen,  dieselbe  handle  von  Christi  Verdienst  und  dessen 
Wirkung  auf  die  Erlösung;  versteht  man  sie  aber  selbst  von 
dem  Titel  der  Schrift,  so  kann  doch  nicht  zugegeben  werden, 
dass  in  dieser  Weise  von  keinem  andern  als  unserm  Traktate 
geredet  werden  könne.  Denn  dasjenige,  was  diesseit  der 
Alpen  „Bechtfertigung  aus  dem  Glauben''  genannt  wurde, 
bezeichnete  man  in  Italien  durchweg  als  „Wohltat  Christi^, 
wie  denn  dieser  Ausdruck  in  gleiclizeitigen  r<'forn)atc)rischeD 
Schriften,  ganz  besonders  aber  bei  Ochino  und  Valdes,  haußg 
b^iegnei  Dasselbe  werden  wir  bezüglich  des  vierten  Punktes 


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OüEK  D.  VERF.  l>.;:>CHiiIFT  „VON  D.  WOHLTAT  CHRISTI**.  583 


sagen  müssen:  auch  liier  sind  die  Ausdrücke  so  allgemein  ge- 
halten und  dabei  so  sclir  mit  der  für  diese  Tatsachen  der 
inneren  Erfahmog  allgemein  fiblichen  Redeweise  in  Ueber« 
einatimmiing,  dasB  wir,  selbst  wenn  sie  sieh  annähernd  wOrt*- 
Hefa  in  dem  Traktate  wieder  finden  sollten,  darin  noeh  keinen 
zwingenden  Grund  für  die  Identität  7ai  erblicken  ver- 
möchten. Nun  ist  aber,  obwohl  der  Inhalt  des  dritten  Ca- 
pitels  in  nnserm  Traktate  denselben  Grundgedanken  wie 
P^i]eario*8  oben  wiedergegebene  Anfllbmng  verfolgt,  dodi  keine 
Stelle  in  demselben  nachweisbar,  in  welcher  jene  Worte  buch- 
stäblich wiederkuhrten.  In  den  unter  5)  angegebenen  Punkten 
findet  Bubington  den  Inhalt  von  Kap.  4  und  6  unseres  Trak- 
tates wieder,  welche  eine  Reihe  von  Zengnissen  ans  Kirchen- 
vätern KU  Gunsten  der  evangelischen  RechtfertigungBlehre  ent- 
halten. Aber  auch  zugestanden,  dass  unter  den  „monumeuta 
vetustisöima  et  certissima"  notwendigerweise  solche  Zeugnisse 
von  Kirchenvätern  —  und  nicht  die  der  heiligen  Schrift,  in 
der  doch  das  Wort  von  der  gelöschten  Handschrift  vor- 
kommt —  sn  verstehen  sein  sollten,  so  Iftsst  sich  doch  ent- 
gegnen, duss  eine  Schrift  über  die  gedaclitt  Fuiidanieniallehre 
der  Kirche  überhaupt  schwerlich  ohne  den  erforderlichen  sei 
es  biblischen,  sei  es  aus  den  Vätern  geschöpften  Beweis- 
appaiat  gedacht  werden  kann  nnd  dass  somit  die  Einfügung 
eines  solchen  in  unserem  Falle  auch  kein  entscheidendes 
Moment  bildet. 

Wir  kommen  damit  zu  dem  sechsten  Punkte.  £s  ist 
der  einzige,  der  uns  ein  entscheidendes  Kennzeichen  giebt: 
-Paleario*s  Schrift,  was  auch  immer  ihr  Titel  gewesen  sein 
mag,  kann  nicht  vor  dem  Jahre  1542  erschienen  sein.  War 
also  unser  Traktat  bereits  früher  vorhanden,  oder  aber  ist  er 
nachweislich  späteren  Datums,  so  haben  wir  in  beiden  Fällen 
einen  sichern  Anhaltspunkt  daffir,  dass  er  ni<^t  mit  der  von 
Paleario  erwähnten  Schrift  identisch  ist.  Das  in  Cambridge 
aufgefundene  Exem|dar  trügt  die  Jahieszahl  1513.  Ein  von 
niederer  in  den  „Nachrichten  zur  Kirchen-,  Gelehrten-  und 
üächergeschichte*^  beschriebenes  ihm  selbst  zugehöriges  Exem- 
plar, welches  heutzutage  verschwunden  ist,  geh5rte  offenbaf  der- 
selben Ausgabe  und  sieher  demsdben  Jahre  an.   Ob  aber 


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I 


584  BENRATH, 

diese  Au^abe  ab  die  ente  angeselieii  eeiii  wolle,  dafir  fahtt 

•  jeder  Anhalt,  die  einzige  Bemerkung  seitens  des  Druckers  , 
geht  dahin:  er  veröffentliche  die  Schrift  ohne  den  Namen  ^ 
des  Ver&ssenit  t,daiiiit  die  Sache  selbsi  und  nicht  (imm  j 
Name  anf  den  Leser  Eindrack  maeben  mOgs.^  Da  nun  die  I 
im  Laofe  der  leteten  Jabraebnte  hier  nnd  da  wieder  warn 
Vorschein  gekoniraenen  Abdrücke  des  italienischen  Originals 
sowie  die  üebersetzungen  des  Traktates  in  verschiedenen  • 
Sprachen  sftnuntlioh  jüngeren  Datams  sind  —  die  franangisBhe 
ist  von  1545,  die  ftUesie  englische  von  1546  — ,  so  linl  aioh 
aus  dt'ui  vorhandenen  Material   die  Frage   nach  dem  Br-  | 
scheinungsjahr  des  Traktates  nicht  direkt  beantwort-en ,  und 
wird  es  somit  erforderlich,  die  Mitgen^Jssiacbe  Litsratur  und 
(beschichte  nm  Ansknnft  annigehen. 

Was  uns  nnn  nach  dieser  Seite  hin  bisher  beksnat 
war,  beschränkte  sich  im  grossen  und  ganzen  iluI  das  Fol-  | 
gende.  ' 

Der  Erste,  welcher  den  „Traktat  von  der  Wohltat 
Christi^*  erwihnt  nnd  ihn  so  deutlich  beaeichnet  nnd  so  md- 
gehend  bebandelt,  dass  kein  Zweifel  an  der  Identitti  «ut  der 
in  Cain])ridge  aufgefundenen  Schrift  obwalten  kann,  ist  Frä 
Caterino  Politi,  ein  Dominikaner  aus  Siena,  ein  wütender 
Feind  aller  Ketser  und  eigebener  Diener  der  kirchlichen  i 
Beaction,  die  eben  in  Born  tiiomphurt  nnd  sich  in  deoi  Tri- 
bnnal  des  S.  üffizio  ein  laut  redendes  Denkmal  g^etzt  hatte. 
Politi  veröffentlichte  1544  ein  „Compendio  d*errori  et  in- 
ganni  lutei-nni ,  contenuti  in  un  Libretto  senza  nome  de 
rautore,  intitolato  Trattato  ntilissimo  M  benefitio  di  Chrislo 
cmeifisso^S  In  diesem  Oompendinm  bekämpft  er  die  Lebres, 
welche  er  in  unserem  Traktate  vorfindet,  vor  allem  die  von  , 
der  Rechtfertigung.  Auf  die  Frage,  wer  den  Traktat  ver- 
&8Bt  habe,  und  wann  er  zuerst  erschienen  sei,  weiss  er  kaiaa 
Antwort  „Der  Veitaer  dieser  Schrift'S  ssgi  er  in  der 
Vorrede,  gegen  die  ich  gezwungen  bin  anzugehen,  wird  Im 
jedem  Unbefangenen  schon  dadurch  Verdacht  erregen,  dass  er 
seinen  Namen  nicht  nennt.  Denn  wenn  er,  wie  die  Vorbe- 
merkung sagt,  ein  Mann  yon  Gewicht  ist  nnd  fibeneugt  war, 
die  Wahrheit  zu  ssgen  und  zwar  eine  den  Christeii  .so  fibe»» 


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Ober  d.  verf.  D.scmtFT  „von  d.  wohltat  chbisti".  586 

aas  uütztiche  Wahrheit,  so  hätte  er  diese  auch  noch  mit 
dem  Gewichte  seines  Namens  stützen  müssen''  a.  s.  w. 

Nach  Poüti  ist  6b  abennab  zanftohst  ein  geBcfaworener 
Feind  der  evangeliscben  Bewegnn^,  welcher  den  Traktat  nam- 
haft macht.  Im  Mai  1548  oder  1549  veröffentlichte  der 
päpstliche  Nuntius  in  Venedig,  Giovanni  della  Casa,  den 
ersten  Index  verbotener  Schriften.  Unter  den  siebenzig 
Nommem  findet  sieh  anch  venEeichnet:  „11  benefido  di 
Christo;  nn  libretto  cosi  intitolato.^  Ancb  hier  fragen  wir 
vergebens  dem  Verfasser  oder  dem  Jahr  der  ersten  Ausgabe 
nach;  so  oft  auch  in  den  zahlreichen  folgenden  Verzeichnissen 
verbotener  Schriften  nnser  Traktat  erwähnt  wird,  stets  bleibt 
man  anf  jene  Fragen  die  Antwort  schuldig.  Aber  sdion  bevor 
della  Casa  seinen  Index  zusammenstellte,  war  die  Inquisition 
auf  das  Buchlein  aufmerksam  gewürdeii;  sie  fragt  darnach  in 
den  Verhören,  welchen  die  der  Ketzerei  Beschuldigten  sich 
zn  nnterzi^en  hatten,  nnd  ans  dem  Mnnde  eines  Francesco 
Spiera,  zn  dessen  Prozess  die  wichtigsten  Acten  unlftngst  ver- 
öffentlicht worden  sind  hören  wir  1517  das  Geständnis,  dass 
er  sich  im  Besitze  des  „Benefizio  di  Cristo*'  befinde. 

Pietro  Paolo  Vergerio,  damals  als  Flüchtling  in  Deutsch- 
land lebend,  hat  den  delhi  Oasa'sehen  Index  mit  Noten  pole- 
mbchen  fohalts  verseben  nnd  abdrucken  lassen.  Er  hatte  um 
seiner  protestantischen  üeberzeugungen  willen  sein  Vaterland 
verlassen  müssen;  so  glaubt  man  voraussetzen  zu  dürfen,  dass 
er  wenigstens  um  den  Namen  des  Verfiissers  wusste.  Aber 
sei  es,  dass  dies  nicht  der  Fall  war,  oder  dass  er  Veran- 
lassung hatte,  denselben  nicht  zu  nennen  —  kurz,  er  bllllt 
sich  in  Schweigen  und  macht  nur  die  folgenden  Andeutungen: 
„Zwei  haben  daran  gearbeitet,  der  Eine  hat  es  angefangen, 
der  Andere  bat  es  beend^^  und  gefeilt;  Beide  leben  in  Italien 
und  sind  den  höchststebenden  Prftlaten  in  Rom  wobl  bekannt 
und  bei  ihnen  in  grossen  Ehren,  während  hier  ihr  Buch  als 
ketzerisch  verdammt  wird." 

So  lassen  una  denn  diese  Zeugnisse  von  Zeitgenossen  be- 


1)  FranreRco  Spiera,  Episodio  della  Bifofna  religioba  in  Italia^ 
natmto  da  G.  Comba,  1872. 


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BBHRATR, 


z^gliefa  der  Frage  nacii  der  Zeit  der  Abfimuig  und  dem 
Verfasser  des  Traktates  im  Stidi.    üiid  doeh  hat  Palemo 

schon  Jahre  lancf  vorher  und  zwar  iu  einer  öffentlichen  Ver- 
haudlung,  welche  Aufsehen  in  Italien  erregte,  die  Veraiit- 
wortlicbkeii  f&r  die  Abfaesong  eeiner  eignen  Schrift  auf  aicb 
genommen.  Ist  es  denkbar,  dass  Politi,  der  selbst  ans  8ma 
stammte,  der  in  engen  Beziehungen  zu  dem  Rate  seiner 
Vateiutadt  stand  —  wie  dies  Briefe  beweisen,  welche  er  nach 
Ocfaiao*8  Flncht  dorthin  richtete  — ,  von  dieser  Tatsache  k^ine 
Kenntnis  erhalten  haben  sollte?  Ist  es  denkbar,  daaa  ¥§r 
leario's  eignes  Bekenntnis  so  bald  nnd  so  vollständig  rer- 
hiillt  sei,  dass  es  den  Vertretern  der  Iuqül^ition  bei  Ab- 
fassung iiirer  Verzeiclinisso  verbotener  Schriften  unmöglich 
wurde,  zu  dem  yerhassten  Traktate  den  Verfuser  zu  findea, 
wenn  dieser  sich  doch  selbst  genannt  hatte? 

Allein  wir  k<(nnen  noch  andere  Zeitgenossen  fiber  dm 
Traktat  befragen.  Zunächst  einen  Mann,  welcher,  obwuhl 
ohne  OiuikI,  selbst  für  den  V^ertaaaer  desselben  gehalten  wor- 
den iat,  nämlich  den  Cardinal  Morone.  Als  unter  Paul  IV. 
die  Inquidtion  in  Rom  in  nie  gekannter  Strenge  auflebte, 
wurden  fast  gleichzeitig  vii^'  Prälaten  als  der  Ketzerei  ver- 
dächtig in  die  Kerker  der  Kiigelsburg  geworfen:  der  Cardinal 
Polo,  die  Bischöfe  San  Feiice  von  la  Cava  und  Foscarari  von 
Modena,  sowie  der  Cardinal  Morone.  Ent  der  Tod  des 
Papstes  hat  diesen  Letstern  nach  zweijähriger  Gefimgenaehaft 
befreit.  Währen»!  nun  sein  Verhör  vor  dem  S.  llffizio  sich 
hinzog,  hat  Morone  im  Juni  1557  eine  schrütiicke  Ver- 
teidigung ver&flst,  welche  sieh  unter  seinen  Prozessacten  im 
vatikanischen  Archiv  vorfindet  nnd  von  Qintü  (Gli  Bretlei 
d*rta1ia  II.  176  ff.)  mitgeteilt  wird.  Der  Cardinal  spricht  fndi 
dort  über  mehrere  Punkte  aus,  über  die  Rechtfertignngslehre, 
über  die  Verdien&tlichkeit  der  Werke,  über  ketzerische  Bücher 
im  allgemeinen,  und  eingehender  fiber  das  „Benefiao  di 
Christof  „Ich  habe  dieses  Bfichldn^S  sagt  er,  „mit  B»» 
gierde  gelesen  und  so  zu  sagen  verschlungen,  weil  es  mir 
von  hohem  religiösem  Werte  zu  sein  schien,  und  insbe- 
sondere erinnere  ich  mich  noch  mit  Vorliebe  dessen,  was  es 
fiber  das  Abendmahl  sagt.  Da  ich  nun  davon  ausging» 


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ÜBER  D.  VBBF.D.  SCHRIFT  „VOM  D.  WOHLTAT  CHBISTI^^  587 

die  häretischen  Schrifteu  alle  Sacramente  verwerfen,  ao  kam 
es  mir  gar  nicht  in  den  Sinn,  dasB  dieses  Schriftchen,  wel- 
ches 80  treiBidi  vom  heiligen  Ahmdmahl  redete,  Lehre 
in  sich  bergen  könnte,  im  Gegenteil,  ich  freute  mich  sehr 
darüber,  diias  es  mir  in  die  Hände  gefallen  war,  und  ich  be- 
»tellie  bei  dem  Buchhändler  eine  grössere  Anzahl,  nachdem  auch 
mein  Vikar  sieh  dahin  g^nssert  hatte,  dass  es  gut  katholisdi 
sd.  Einige  Zeit  nachher  kam  es  za  meiner  Kenntnis,  dass 
man  Einwendungen  gegen  das  Buch  machte.  Ich  war  damals 
in  Kom,  und  als  ich  mit  dem  Cardinal  Cortese,  der  selbst 
zn  den  Inquisitoren  gehörte,  darüber  sprach,  sagte  er  mir 
wöitlieh  das  Folgende:  „Wenn  ich  morgens  mein  Qewand 
anlegen  soll,  so  weiss  ich  mich  nicht  anders  als  in  die 
Wohltat  Cliri^ti  zu  kleiden."  Aelinlich  sprach  sich  auch 
<ler  Cardinal  von  Trient  (Polo),  während  das  Conclave  ge- 
halten wurde,  gegen  mich  aus:  „Ich  verdanke  ihm  die  höch- 
sten Qenfisse;  ich  hahe  es  zu  Hause  in  Gold  gebunden/* 
Was  den  Verfasser  angeht,  setzt  Morone  hinzu,  so  muss  ich 
Hagen,  dass  ich  erst  nach  Jahren  von  ihm  geb«>rt  habe;  man 
beiiauptete,  Flaminio  sei  der  Verfasser,  der  aber  bestritt  es. 
Sp&ter  hörte  ich,  es  sei  ein  Benediktinermönch  gewesen,  ich 
glauhe  aus  Sicilien  oder  aus  dem  Königreich  Neapel;  seinen 
Namen  habe  ich  nicht  erfahren.-* 

Diese  letzten  Aeusserungen  Morone*s,  wenn  auch  nicht 
bestimmt  genug,  um  unsere  Frage  mit  Sicherheit  zu  ent- 
scheiden, weisen  uns  doch  nach  einer  ganz  anderen  Richtung 
hin,  als  diejenige  ist,  in  welcher  wir  hisher  dem  VerfiEuser 
des  Traktates  nachgeforscht  haben.  Aus  dem  nördliclien 
Italien,  wo  wir  ihn  in  Venedig  und  durch  Morone  selbst  in 
Modena  verhreitet  £uiden,  werden  wir  plötzlich  nach  dem 
Sflden  versetzt.  Sollen  wir  aher  dort  den  Verfasser  suchen, 
so  ist  es  von  vornherein  einleuchtend,  dass  derselbe  sich  in 
Beziehnnijen  zu  jenem  Kreise  von  Evangelischi^^csinnten  be- 
funden haben  wird,  der  in  Neapel  Jahre  lang  um  .huin 
de  Vald^  Tersammelt  war.  Wird  doch  von  Morone  selbst 
eins  der  hervornigendsten  Mitglieder  dieses  Kreises,  Mar* 
oantonio  Flaminio,  in  Verbiudung  mit  der  „Wohltat  Christi" 
genannt. 


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588 


BENRATH, 


Eben  dorthin  weist  uns  auch  dasjenige,  was  der  Biograph 
CaraftVs,  des  späteren  Paul  IV.,  über  die  „Wohltat  Christi" 
und  ihren  YetSmer  mitteilt  Don  Antonio  Oaraoololo  hat  dv 
Material  za  seiner  omHuaenden  Geediiohte  FmiIb  IV.  as 
Quellen  schöpfen  können,  welche  zum  Teil  heute  nicht  mehr 
zu^nglich  sind.  Die  Archive  der  römischen  lujjuisition 
standen  ihm  offen,  und  er  hat  um  so  ausgiebiger  von  ihneo 
Gebianch  geoiacht,  ala  CSaraffia  eelbefc  der  Qrfinder  dieses  la* 
sHtnies  und  sfcets  daraof  bedacht  gewesen  war,  dessen  Ttti|r- 
keit  zu  verschärfen  un.l  für  die  Zwecke  der  Reaction  nutzbar 
zu  machen.  Caracciolo  0  Werk  ist  nicht  gedruckt  worden; 
Abschriften  desselben  finden  sich  in  Bom  auf  d«  OBsanaten- 
siachen  Bibliothek  und  im  British  Moseom  in  Lond<».  fis  M 
das  Yerdiensi  Leopold  Ranke*s,  anf  die  Wichtigkeit  dieses  Muni- 
scriptes  für  die  Geschichte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  zu- 
erst hingewiesen  und  insbesondere  die  f&r  die  Entscheidung 
unserer  Frage  beUngreidie  Stelle  zaerst  mitgeteilt  m 
haben. 

Oaraociolo  gebt  in  dem  dritten  Buche  anf  die  Ver- 
breitung der  reformatorischen  Bewegung  in  Italien  um  die 
Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ein.  Da  er  selbst  nicht 
mehr  Zeitgenosse  dieser  Bew^ng  war,  so  kann  er  sich  nar 
anf  Mitteilnngen  von  filteren  Lenteii  nnd  insbeeondore  auf  die 
actenmässigen  Darlegungen  beziehen,  welche  er  in  dem  Archive 
der  Inquisition  vorfand.  Er  giebt  selbst  an,  dass  er  seine 
Nachrichten  aus  einem  Oompendium  der  vor  das  S.  Uffisio 
Gitirten  geschöpft  habe,  in  welchem  er  eme  umfassende  2a- 
sammenstellung  vorihnd.  Ob  dieses  „Gompendinm**  heatn- 
tage  noch  irgendwo  vorhanden  ist  im  Original  oder  in  Ab- 
schrift —  wer  mag  das  sagen?  Jedenfalls  würde  es  ein 
äusserst  schfitabares  Material  Ar  denjenigen  darbieten,  welcher 
den  Charakter  und  Umfang  der  reformatorischen  Bewigong 
in  Italien  untersuchen  wollte.  Wenn  wir  aber  jetzt  von  dem 
„Compendium"  nur  soviel  wissen,  wie  Caracciolo  selbst  daraus 
mitteilt,  so  gestatteu  doch  die  aus  dem  Archive  der  romi- 
schen Inquisition  herrfthrenden  und  gegenwfiiüg  in  DnbUa 
aufbewahrten  Aden  einen  Schhiss  darauf,  aus  welchen  QuelleB 
das    Oompendium^'  selber  geschöpft  haben  wird.    Dort  sind 


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OBERD.  TBRF.  D.  SCHKIFT  „VOH  D.  wohltat  CHBI8TI*^  &89 

nftmEch  die  BämmiliGfaen  ürteile,  welche  eeitens  des  S.  ü£Bao 

im  Verlauf  einer  Reihe  von  Jahren  geßillt  wurden,  aufbewahrt. 
Aus  diesen  Zusammenstellungen  und  aus  den  Prozessacten  selbst 
wird  nun  das  Compendium geschöpft  haben,  und  die  Daten, 
welche  es  bietet,  haben  ohne  Zweifel  den  Vorzug  der  Za?er- 
UMglceit,  wenn  man  andi  nicht  amser  Augen  lassen  dar^ 
dass  sie  von  Gegnern  der  Bewegung  zusammengestellt  wor- 
den sind. 

In  dem  Caracciolo'schen  Manoscripte  fand  nun  Bänke  die 
folgende  vidbemfene  Stelle  ans  dem  nCompendimn*^  Aber  den 
VerfiiSBer  der   Wohltat  Christi'*:  „Bin  Mtoch  ^on  S.  Se?e- 

rino  in  Neapel  hat  es  geschrieben,  ein  Schüler  des  Vald^; 
Flamlnio  hat  es  revidirt'^  (ßanke,Die  römischen  Päpste,  6.  Aufl. 
Bd.  1,  S.  .91).  Wir  sehen,  wie  nahe  dies  mit  demjenigen, 
was  Moione  gehdrt  hat,  übereinkommt  Aber  noch  immer 
keine  genaue  Angabe  Ober  den  Verfasser.  Wie  erfolgreich 
hat  er  seinen  Namen  zu  verbergen  gewusst!  Es  wird  nicht 
ohne  Interesse  sein,  die  von  Eanke  citirte  Stelle  in  ihrem 
vollen  ümiange  Tor  Augen  xn  haboi.  Sine  Veigleichung  mit 
dem  Originale  eigiebt  dabei,  dass  das  „Compendium**,  wenn 
es  auch  nicht  den  Namen  des  Ver&ssers  zu  nennen  weiss 
oder  zu  nennen  wünscht,  ihn  doch  noch  etwas  genauer  bezeich- 
net, sofern  es  vor  ,discepolo  di  Valdäs'  einschiebt  „Siciliano''. 
Bas  ist  ja  genau  dasselbe,  was  wir  ans  Morone*s  Munde 
gehört  haben.  An  der  obigen  Stelle  heisst  es  nun  weiter: 
„Die  Schrift  wurde  mehrfach  gedruckt,  insbesondere  iii  Modena 
,de  raandato  Moroni'  ')  und  leitete  Viele  irre,  weil  sie  von 
der  Rechtfertigung  in  anziehender  Weise  aber  häretisch 
handelte,  dem  Ghiuben  allein  jede  Kraft  zuschrieb  und  die 
Worte  des  Apostels  Paulus  im  ROmerbrief  Msch  erUfirte. 
Sie  setzte  die  guten  Werke  und  ihr  Verdienst  herab,  und  da 
dies  der  Glaubensartikel  ist,  an  welchem  eine  grosse  Anzahl 
von  Prälaten  und  Mönchen  in  jener  Zeit  strauchelten,  so  er- 
hngte  sie  grosse  Verbreitung  und  wurde  von  Vielen  gebilligt. 


Der  Nftine  te  modenMiwheii  Baebhladltit,  welcher  es  dnuken 
Vum,  war  Antonia  Oadal^o»  wie  ms  diner  andeni  Stelle  den  „Com- 
lendimiiB"  bervoig^t 


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590 


BSHKATH« 


Nor  in  Yerona  müde  die  Sdurifk  erinunt  rad  iriderl^ 
Kaeb  Jahien  wurde  sie  Ton  Panl  IV.  und  Pins  IV.  auf  dk 

Verzt'ichnisse  der  verbotenen  Bücher  gebracht.**  Ich  möcLk 
statt  „Verona"  den  Namen  „Borna"  lesen  und  mit  der  be- 
treffenden Angabe  auf  die  von  Fii  Gatenno  Poüti  1644  ver- 
tote  Gegenschrift  hingewiesen  sehen  —  daas  aadi  in  Yenm 
dne  solche  erschienen  sei,  ist  nidit  bebinni 

Die  Auszüc^e,  w(»lcli<^  Caracciolo  aus  dem  „Corapeudium" 
giebt,  lassen  deutlich  erkennen,  in  wie  hohem  Grade  das  lu- 
scheinbare  BAchiein  ,,Yon  der  Wohltat  Christi'*  auf  die  gs- 
sammte  reßgiOse  Bew^ng  von  Eäninss  gewesen  sein  mm. 
Denn  noch  an  vier  anderen  Stellen  ist  von  ihm  die  Rede. 
So  wird  erwähnt,  dass  der  Cardinal  Cortese,  von  dem  wir 
schon  wissen,  wie  hoch  er  das  Büchlein  schätzte,  obgleich 
Benedicünermöncb,  von  Allen  geehrt  wegen  sdaer  Gutherag* 
keitnnd  feinen  Bildung,  doch  ohne  irgend  welche  ROckincht  vom 
S.  UfHzio  vorgeladen  wurde,  weil  er  die  ,  WolilUit  Christi  *  gelegen 
und  gebilligt  hatte."  Aber  den  Namen  des  Verfassers,  überhanpl 
eine  n&here  Angabe  über  Ort  und  Zeit  des  ersten  Druckes, 
erfthren  wir  auch  hier  nidit,  und  dieser  Umstand  isfc  es, 
welcher  den  Verteidigern  der  Autorschaft  Paleario*s  Gelegenheit 
geboten  hat,  die  Zuverlässi^xkeit  der  Angabe  des  „Compen- 
diums"  über  den  Verlasser  der  „Wohltat  Christi"  überhaupt 
in  Zweifel  sn  ziehen.  »Bb  ist  sehr  schwer**,  sagt  Babingt» 
in  der  Vorrede  zn  seiner  Ausgabe,  S.  XL VII,  „ irgend  «ne 
Hypothese  zu  widerlegen,  die  sich  selbst  in  Zweideutigkeit 
des  Ausdnicks  und  in  Dunkelheit  einhüllt.  Wenn  die  In- 
quisitoren genau  wussteu,  wer  den  Traktat  geachriebeu  hat, 
warum  geben  sie  uns  dann  nicht  seinen  Namen  an,  statt  iha 
obenhin  einen  ,M9ncli  von  S.  Sevoino  und  Schüler  des  Vald^* 
zu  nennen  ?  Bs  ist  leicht  zu  erkennen .  weshalb  man  aut 
einen  Schüler  des  Vahles  schliessen  zu  müssen  glaubte:  näm- 
lich, weil  Einzelnes  wörtlich  aus  den  ,  Hundertundzehu  fromoMO 
Betniehtungen*  von  Vald^  herfibergwommeB  ist,  einoa 
Werke,  welches  auch  im  allgemeinen  einen  offenbaren  Ein- 
fluss  auf  den  li.iktat  ausgeübt  liat.  .  .  Soviel  ist  gewiss, 
wenn  die  Inquisitoren  mit  ihrer  Angabe  deu  Traktat  einem 
obscuren  Verfasser  zusprechen  wollen  —  und  so  haben  wir 


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0B£KD.V£BF.D.BgHBirrt,VOND.  WOHLTAT  CH&IfiTI^  591 

ohne  Zweifel  ihren  Ausdruck  zu  verstehen  —  ,  dann  treten 
sie  der  ausdrücklichen  Angabe  Pietro  Paulo  Yergerio's  ent- 
g^en,  deasen  Urteil  in  dieeer  Sache  ebenso  viel  gilt  wie  das 
ihrige." 

Wir  sind  damit  auf  eine  weitere  Fi-age  gefiihrt,  welche 
leider  keiner  von  denjenigen  Gelehrten,  welche  die  Autor- 
schaft Paleario'e  verteidigen,  einer  näheren  Untersuchung  unter- 
zogen hat.  Wie  stand  Paleario  zu  Vald^  aus  dessen  ,Cento 
e  dieci  divine  Oonsidenunoni^  einzefaie  Parüeen  wQrtlleh, 
andere  dem  Sinne  nach  in  uuseru  Tmktat  übergegangen 
sind')? 

Wäre  es  tnnlich,  in  ihm  selbst  den  „Schüler  des  Vald^" 
zu  erblicken,  so  dass  in  den  wideretreiteDden  Angaben  Mo- 

roiic's  und  des  Compendiums  auf  der  einen  und  den  Fol- 
gerungen aus  seiner  eignen  Aeusseruiii,^  auf  der  anderen  Seite 
schliesslich  nur  die  Bezeichnung  „ein  Mönch  von  S. Severine " 
als  unlösbar  übrig  bliebe?  Sovi^  ist  sicher,  dass  Paleario 
nicht  zu  dem  Kreise  der  in  Neapel  um  Yaldte  ▼ersammeHen 
Freunde  gehört  hat.  In  den  Jahren,  als  Vennigli,  Ochino, 
Flaminio,  Carnesecchi  u.  A.  sich  um  Vald^  scharten,  um  unter 
seiner  Anregung  und  Leitung  tiefer  in  das  wahre  Wesen  des 
Christentums  einzudringen,  beilMid  Paleario  sich  in  Siena,  und 
es  lässt  sich  mit  Gewissheit  behaupten,  dass  er  nicht  ein 
einziges  Mal  an  den  Versammlungen  in  Neapel  teilgenomnu'u 
hat.  Freilich  war  er  mit  einigen  aus  jenem  Kreise,  wie  mit 
Flaminio  und  Ochino,  eng  befreundet,  allein  Beziehnngen  zu 
Yald^*  lassen  sich  schlechterdings  bei  ihm  nidit  nachweisen, 
und  weder  in  seinen  Reden  noch  in  seinen  Briefen  kommt 
Vald^  Name  je  vor.  Und  doch  war  zu  der  Zeit,  als  die 
„Wohltat  Christi''  erschien,  das  gedachte  Werk  des  Valdäs 
noch  nicht  gedruckt  vorhanden,  sondern  cirfculirte  erst  unter 
den  nächsten  Freunden  ana  jenem  Kreise  in  Abschriften, 
bis  es  dann  1550  zum  ersten  Male  gedruckt  worden  ist. 
Somit  bleibt  es  untunlich,  die  Verschiedenheit  der  An- 


V)  Die  Parallelst«^llcn  sind  mit  grosser  CJenanigkeit  zusamnienge- 
sU'llt  bei  Hd.  Boehmer,  Le  cento  o  dieci  divine  Considerazioni  di 
Giovauni  Valdesso,  HaUe  1860,  S.  üi^at 


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692  BElNEATIi, 

gaben  auf  diesem  Wege  in  Einklang  zu  bringen,  und  wir 
werden  uns  anderswo  nach  dem  nötigen  Materiale  umsehen 
müssen ,  am  die  ¥x9g^  im  oder  wider  Paleario  definitiv  u 
entBcheiden. 

Wenn  der  Verfaser  des  Tniktstes  berate  vod  zvfi 

Seiten  aus  als  Scbülcr  des  Valdes  bezeichnet  worden  i^t,  so 
wird  mau  in  jenem  Kreise  selbst  trotz  der  Geheimhaltuug 
am  dieee  Sache  gewasst  haben.  Und  in  der  Tat  Itat  sich 
von  dienr  Seite  her  ein  Zeagnis  beibringen,  welches  mir  ab  • 
geeignet  eieeheint,  nm  die  Frage  nnn  mit  Bntseluedeiihsit 
zu  erledigen.  Ein  edler  Florentiner,  Pietro  Carnesecchi,  der 
bereits  als  Mitglied  des  Neapolitanischen  Kreises  erw^Dt 
worden  iet,  waide  1666  Ton  dem  Herzog  Coeinio  an 
Pins  y.  naeh  Rom  anqgeUefert  nnd  am  16.  Angoet  1667  m 
der  Inquisition  zom  Tode  Temrteilt.  Das  ürteU  befindet  nA 
im  Original  in  der  Dnbliner  Sammlung  und  ist  von  R.  Gib- 
bings  1856  veröffentlicht  worden.  Einer  der  Anklageponkte 
lautet:  ^Da  hast  an  alle  diejenigen  Irrtamer  nnd  HftioM 
geglaubt,  wekhe  in  dem  Bache  ,Von  der  Wohltat  Christi' 
enthalten  sind'*  (S.  43);  „du  hast  die  starrsinnige  Vir- 
teidigungsschrift  des  Marcantonio  Flaminio  zu  Gunsten  jenes 
yerderblichen  Bachee  «Von  der  Wohltat  Christi'  geieseo." 
(S.  89). 

Von  dem  ProMBe  GMrneBeechi*8  sind  tu»  anaser  den 

Schlussurteile  seit  einigen  Jahren  auch  die  Acten  der  zühJ- 
reichen  mit  ihm  angestellten  Verhöre  bekannt  und  in  diesen 
findet  sieh  fiber  die  beiden  angegebenen  Funkte  nfthenr 
Ao&chloBB. 

Gamesecchi  hat  das  Bliehlein  „  Von  der  Wohltat  Ohrisfei* 

in  Neapel  kennen  gelernt.     Diese  Tatsache  ist  für  unsere 
Frage  ?on  der  grössten  Bedeutung  und  fast  allein  schon  ent- 
sohddend«   Denn  der  Aufenthalt  €Sameeecehi*s  in  Neapel 
streckte  sich  nur  bis  nun  liai  des  Jahres  1641«  wie  av 
seiner  eigenen  Angabe  in  demselben  Veriidre  hervorgeht.  Da- 


1)  Eetratto  del  ¥ncem  4i  Fiotro  CmMaochi  efito  da  Gia* 
como  ManzoDi,  in  den  MifloeUaiiea  di  Storia  pabia,  Tuia  1090 
(B.  X). 


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ÜB£BD.  V£EF.  D.  SCHRIFT  „VOM  D.  WOHLTAT  CHEISTI^^  593 


ffegen  haben  wir  gesehen,  wieviel  den  Veiieidigeni  der  Autor- 
ücliafb  Paleario*s  darau  gelegen  sein  muss,  duss  der  Traktat 
nidit  Tor  1542  erschienen  seL  Hat  nicht  Faleario  selbst  in 
der  Bede  „Pro  se  ipso**  angegeben,  dass  seine  Schrift  in 
diesem  Jahre  erschienen  aei?  —  Es  ist  bemerlrattswert,  wie 
das  Urteil  Camesecclü's  über  den  Inhalt  des  „Benefizio"  mit 
dem,  was  wir  aus  dem  Munde  des  Cardinais  Morone  darüber 
horten,  übereinstimmt:  „Ich  hielt  es  ffir  gnt,  fikr  katholisch 
nnd  fftr  heilig,  als  es  zuerst  erschien,  nnd  so  glanbie  ich 
alles,  was  in  ihm  enthalten  war.'*  Als  nun  die  Inquisitoren 
ihm  die  direkte  Frage  nach  dem  Verfasser  der  Schrift  vor- 
igen —  es  war  in  dem  Verhöre  vom  21.  Augast  1566  — , 
antwortet  er:  „Der  erste  Urheber  derselben  war  ein  schwarzer 
Benediktiner,  mit  Namen  Don  Benedetto  von  Mantoa;  er 
gab  an,  dass  er  es  verfasst  habe,  während  er  sich  in  dem 
Kloster  seines  Ordens  nicht  weit  vom  Etna  beüaud.  Don  Be- 
nedetto, als  Freund  ¥on  Marcantenio  £1amtnio,  machte  diesen 
mit  der  Schrift  bekannt  nnd  bat  ihn,  er  mOge  es  dnrdiseh^ 
nnd  mit  sdnem  Mnen  Süle  verbessern,  um  es  desto  lesbarer 
und  angenehmer  zu  machen.  So  arbeitete  denn  Flaminio  die 
Schriit,  indem  er  ihren  Inhalt  ungeändert  liess,  nach  bestem 
Ermessen  nm,  und  von  ihm  habe  ich  sie  zuerst  erhalten  und, 
wie  ich  ne  denn  för  gut  hielt,  auch  einigen  Freunden  Exem- 
plare davon  gegeben.** 

So  haben  wir  denn  aus  dem  Munde  eines  Mannes,  welcher 
ohne  jeden  Zweifel  genau  unterrichtet  gewesen  ist,  eine  Be- 
st&tigung  der  Angaben  des  Gsrdinals  Morone  wie  auch  des 
„Oompendiums  der  Inquisitoren**  bei  Caracciolo.  Die  Ver- 
schiedenheit in  der  Bezeichnung  des  Autors  der  „Wohltat 
Christi"  auf  der  einen  Seite  als  Mönch  von  S.  Severine  und 
auf  der  andern  als  BenediktinermAnch,  4er  die  Schrift  in 
dem  bekannton  grossartigeii  Kloster  seines  Ordens  in  Oa- 
tania  —  denn  das  ist  augenscheinlich  mit  der  Bezeichnung 
„nicht  weit  vom  Etna"  gemeint  —  verfasst  habe,  löst  sich 
leicht,  sofern  S.  Severine  ein  Kloster  desselben  Ordens  in 
Neapel  war,  in  welchem  Don  Benedetto  zeitweilig  seine 
Wohnung  haben  mochte.  Ich  glaube,  bezüglich  der  Angaben 
Carnesecchi's,  wenn  sie  zu  der  Angabe  im  „Compendium" 

Zditaolur.  t  K.-0.  . 

9 


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594 


BENRA.TH, 


iB  MStigende  Bttitkang  ges^M  imdm  Mlkn,  wa  mm  1 

Eiiiwaüd  fürchten  zu  müssen:  dass  näralich  die  ersteren  der  | 
letzteren  als  Quelle  gedient,  dasB  das  „Compeadiom''  eben 
ans  den  Acte  dee  Oarneseoehi'KheD  FrogMSBM,  wakkt  a 
glflcUidtor  SteM  ung  bentEDtage  wiedAr  zugiiiglicli  nMÜi, 
geschöpft  Ittb«.    OuiUMsiolo,  dem  wir  die  Anfbewahnrog 
uns  bekannten  Teiles  jenes  „Compendiums"  verdanten.  i«t  zw» 
der  Ansieht,  dasselbe  sei  in  den  „ersten  Jahren    nach  Er-  { 
riehtiBg  dea  8.  üfBiio  in  Bim  nsainiMpgastellt  wetim;  | 
ftbtr  «r  widerlegt  sieh  aelbst,  sofern  er  ans  dem  ^Oompn-  i 
diuni  '  Angaben  macht,  welche  den  Piozess  Carnesecchi's  und 
seine  Hinrichtung  betreft'en.  Wird  man  aber  auch  zugeben  müssen, 
dasi  unter  seloben  Umständen  die  eine  Angabe  nicht  als  Be- 
stätigDBf  der  andern  aoftieta  ioyui,  so  Yevbletbi  doch  fr 
Oaraeieodii^B  Mittoihnigeo  das  ToHe  Oewielit  beatahen,  ni  ' 
sind  dieselben  um  so  schÄtzenswerter ,  da  sie   noch  cmi^ 
Einzelheiten  geben,  welche  bisher  weniger  beachtet  od«  »-  , 
bekannt  waren. 

ZanldM  Aber  die  Batabelrang  der  SeMft  BsBist  ftr 
Yerfasser  Don  Benedetto,  der  ohne  ZweifBl  in  Neapel  ^ 
legenheit  gehabt  hatte,  sich  mit  den  religiösen  Anschauungeü 
das  Vald^  bekannt  zu  machen,  fibeigiebt  sein  Mannscript  an 
Mareantonio  Ramisday  damit  dieser  es  in  Berng  aof  ^ 
Ausdruck  revidire.  Ob  er  selbst  oder  etwa  Flaanai»  die 
wühuten  Stelleu  aus  Vald^s'  „  Hundertundzelm  frommen  Be- 
trachtungen" eingefügt  habe,  wird  sich  nicht  mehr  env 
scheiden  hisssn:  jedeafidls  teilt  er  die  tGmndanschanaiifBfi 
des  YaUUs  fite  die  wesantiidMn  Ponkte  des  CHanbens  vi 
dar  kfrchlielMn  Biuicbtungen  ToUsfcändig  mii  whd  soaM 
ganz  richtig  als  ein  Schöler  desselben  bezeichnet,  üeber 
spätere,  wie  über  das  frühere  Leben  dieses  Don  Benedeiu 
breitet  siek  jedoch  fOUiges  I>niikel  ans;  nur  das  ein»  mfpn^ 
sieb  aaa  dir  ebigan  gaheinmiavoUan  Andentoig  YaigaM 
daas  er  1549  noch  lebte,  sich  in  Italien  beftmd  ani  ^ 
hochstehenden  Prälaten  in  Rom  Iioehgeschätzt  wurde.  Fla- 
min io,  dem  wir  die  jetzige  classische  Form  des  Traktates  ver- 
daakasi  bat  siek  nkdit  mit  der  Bevisieii  allein  begnflgl  i 
bat  aiwh,  wie  Oamoooccki  in  euNm  sebiiflikdMo  MuM^ 


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ÜBERD.  VBBF«  I».  QCBtOPf  ,jY01l  D. 


»n^  695 


Diese,  ireldieB  semen  PromMcfceii  vtngshefM  utr,  mitteilt, 

dne  Verteidigungsschrift  för  das  „Benefizio"  Terfasst.  Car- 
npsecrhi  befand  sich  im  Besitz  eines  Exempkres  dieser 
Schrift,  welche  mit  den  Wortea  anling:  ,,Voi  mi  doman- 
date**  ^  Q&d  gegen  die  von  miB  erwAhnte  Sebrift  dee  M 
Qftleriiio  Politi  gerichteft,  also  nicht  vor  1644  Tertail  wor- 
den war.  Flanünio  8  Verteidiguiigsscbrift  ist  nicht  gedruckt 
worden  und  scheint  uicht  bis  auf  unsere  Zeit  gekommen 
zu  sein. 

Sa  dnd  wir  denn  mmnelir  Aber  den  Yerftawr  der 
„Wobltat  €8iriBti**  dnrch  nnferweifliehe  Zeugenaussagen 
unterrichtet.  Ks  ist  wahr,  wir  müssen  Paleario  eine  Ehre 
streitig  machen,  die  ihm  nicht  zukommt.  Das  wird  jedoch 
mflere  Hoduicbtang  und  DankbarkMt  gegenüber  dieeem  edlen 
nnd  nnflchnldigen  Blntsengen  des  Evangelinme  in  Itihsa  niclit 
yermindem.  Bf  selber  —  und  damit  komme  ich  auf  den 
letzten  Einwand,  der  gemacht  werden  könnte  —  hat  nie  An- 
sprach darauf  gemacht,  die  „Wohltat  Christi"  veifasst  zu 
haben.  Man  wird  mir  vielleicht  noch  die  Aenflserungen  Pa- 
learlo^s  in  seiner  Bede  in  Siena  entgegenhalten  und  fingen: 
auf  welche  Schrift  beziehen  sich  demi  jeue  Worte,  wenn  nicht 
auf  das  „ßeuefizio"? 

I>ei  unserer  nur  mangclliaften  Kenntnis  der  reformatori- 
schen literatnr  jener  Zeit  dürfte  es  nidit  gegen  uns  verwertet 
werden,  wenn  wir  die  Antwort  schuldig  bleiben  mtlssten.  Aber 
seit  kurzem  sind  wir  in  die  Lage  versetzt,  auch  diese  Frage 
zu  beantworten. 

Einer  mir  persönlich  von  Giuseppe  De  Leva,  dem  ver- 
dienten Yerfittser  der  „Geschichte  Karls  V.  in  seinen  Be- 
sdehm^en  zu  Italien"  gegebenen  Notiz  verdankte  ich  zuerst  den 
Titel  derjenigen  Schrift,  welche  Paleario  wirklich  verfasst  hat. 
Er  lautet:  „Deila  pienezza,  sufhcienza  ed  efQcacia  della  morte 
di  Gristo."  De  Lava  &Qd  ihn,  als  er,  angei^  doruh  eine 
auf  den  Ckigenstand  bezflglidie  Notiz  bei  LAmmer,  Zur  Kir- 
chengeachichte  des  16.  imd  17.  Jahrhunderts,  gewisse  Acten- 
stücke  in  der  Bibliothek  von  S.  Pietro  in  Vincoli  in  Rom 
durchsah,  welche  sich  auf  Paleario's  Prozess  beziehen.  Später 
hst  De  Lava  denselben  auch  in  dem  dritten  Bande  seines 

89* 


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596         BBNEATH,  „YOIH  DSU  WOHLTAT  GHRian^. 

obigen  Werkee  (Pado?a  1875,  S.  368,  Annu  2)  aagegeboL 
Wiederholte  Nachfonehongea,  welche  ich  selbet  in  der  Zwi- 
schenzeit an  Ort  nnd  Stelle  vorgenommen  hatte,  führten  zo 
keinem  Resultate;  der  von  Lämmer  und  De  Leva  benutzte 
Band  ist  ans  dem  mittlerweile  durch  die  italieuische  Kegie- 
nmg  eingesogenen  Kloster  venchwanden.  Allein  an  der  Ge- 
nauigkeit der  von  De  Leva  gegebenen  Notiz  zu  zweifehi,  11^ 
auch  nicht  der  geringste  Grund  vor. 

Somit  kennen  wir  nuu  von  der  wirklich  dem  Paleario 
aneignenden  Schrift  den  Titel  und  im  allgemeinen  den  Inhalt 
Mochte  die  AoBnchi,  ein  ohne  Zweifel  kostbares  liteniiscltfs 
Vermächtnis  des  edlen  M&rtyrers  ans  der  Verborgenheit  us 
Licht  zu  ziehen,  die  Nachforschungen  competeuter  Männer  auf 
diesen  Punkt  hinfuhren  und  für  die  Schrift  Paleario's  ein 
jkhnliches  Wiederanfleben  herbeiführen,  wie  dies  dem  ihm  in- 
tllmlich  zugeschriebenen  „Benefino*^  zntell  geworden  ist 


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Kritische  TJebersiclit 

Uber  die  kirchengesehicbUieheD  Arbeitea 

aus  dem  Jahre  1875. 


JV. 

Die  Eefonnationsgeschichte  Englands. 

Ton 

Dr.  B.  Bttddensleg  in  Dresden. 

L  J.  H.  Merle  d'Aubigne,  Uistory  of  tbe  Refonnation  in  Eorope  m 
the  tirae  of  Calvin.  Transl.  by  W.  L.  R.  Cfttes.  Vol.  VI:  Soot- 
lan«l,  Switzcrland,  (J^ii'^va.  8°.    London,  LongTnans  &  Co. 

a.  J.A.  Wylie,  Tbc  HiHtory  of  Pioteftantian.  lllnstr.  VoLL  Lon- 
don, Cassel,  Petter  &  Galpin. 

8.  Frederiok  8e«bohin,  Tbe  £n  of  Protestant  Bevolatun.  With 
4  colonied  niape  and  12diagr.  on  wood.  8**.  London»  LongmanR  &  Co. 

4k  Iicttcra  and  Papers,  Foreign  and  Domes tic,  of  tbe  Reign 
of  Henry  the  £ightb,  preserved  in  tbe  Pablic  Record  Office,  tbe 
Britisb  MuseiUtti  and  clsewbcrc  in  England.  Airanged  and  catalogued 
by  J.  S.  Brewer.  Vol.  IV.  Introdnctions  and  Appendii.  Boy.  8*. 
London,  Longmane     Co.  (Boll*a  Seriee  Vol.  VI). 

6.  8.  R.  Gardiner,  A  Hirtoij  of  England  nnder  the  Doke  of  Bnokinghani 
and  Charles  I,  1634—28.  2  yoIb.  8^  London,  Loogmaos  ^  Co, 

6.  W.  V.  Hook,  LiToe  of  the  AichMshopi  oS  GanteilMiiy.  YoL  X 
(?oL  y,  New  Series):  Befonnation  Peiiod:  Livea  of  Qrindal,  Whitgift» 
Baneroft  and  Abboi — Vol.  XI  (?oL  VL  N.  8.).  Bei  Pariod  (oondnsion): 
Lives  of  Land  and  Jnion.  8*.  London,  B.  Bentl^  4k  8on. 

7.  F.  IioiüDATt  John  Enox  and  the  Ghnidi  of  England;  hhi  werk  in 
her  polpit  and  hie  inflnenee  npon  her  Litingy,  Artielee  «nd  Fua- 


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■ 


698  KBmfiCH£  ÜBEBfilCUTüIN,  1875.  IV. 

graphs.    A  Monograpb .  founded  opon  several  iinportant  pap«s  öf 
Knox,  nevcr  bcfore  pui»lif>ht*d.    lioy.  8".    London,  K'iup  Sc  Co. 
8.  A.  R.  Pennington,  The  Life  and  Charactcr  of  Eraf^iuus.    WitJi  j 
preface  by  the  Bisbop  of  Linoolo.   8*^.  London,  Seeldj,  Jamin  aoi 
üaUiday. 

Ein  Htnariscbes  Ereignis  auf  theologischem  Ckbiete  U 

der  englische  Büchermarkt  vom  Jahre  1875  nicht  aufzuweisen; 
das  bereits  im  1.  Hefte  dieser  ZeitschrU't  erw&hnte  kritiA 
Werk:  „Sapeni»tanilBAUgioa*^  gebart  nur  mit  seinen  spAte» 
Auflagen  diesem  Jahre  an,  und  der  im  literarischen  Kampfe 
gegen  das  Werk  hereitB  geschwundene  Enthusiasmus  der  Eng- 
länder für  ihren  „benifenen'*  Kritiker  des  UrchristriituinN 
sowie  die  eini^etretene  Ernüchterung  dürften  kaum  nocli  er- 
lauben, dieser  kritischen  Leistung  eine  irgendwie  herrortreteide 
Bedeutung  beixumessen.  —  Die  exegetischen  Arbeiten  ani 
(Li^'htfoot,  über  die  Briefe  an  die  Colosser  und  Philemon,  VB- 
genommen)  in  sclimerzlicher  Weise  vernaclilässigt  worden; 
die  kirch engeschichtlicben  beschränken  sich,  soweit 
tflchtige  und  gewissenhafte,  methodische  Arbeit  denselben  «ina 
Platz  in  der  gegenwärtigen  Bespiechuag  sichert,  auf 
sehr  geringe  Zahl.  —  An  originalen  allgemeinen  Be- 
arbeitungen der  Iteformationsgeschichte  hat  es  £ast  g^^ 
gefohlt;  und  was  sich  die  Engländer  aus  fremden  Werken 
zusammenfibersetzt  haben,  ersetzt  diesen  Mangel  selbetfindigir 
Arbeit  erst  recht  nicht.  —  Eine  firanzOsisehe  Arbeit  führt 
in  ihrer  Uebereetzung,  resp.  Ueberarbeitung ,  mitten  in  das 
Oentrum  der  reformatoriachen  Bewegung  hinein.  In  äea 
6.  Bande  seiner  R^rmatkNMgesehiofate  widmet  Merle  d*Aa- 
bign4^)  den  ersten  Teil  der  Reformation  Schotthinds,  ^ 
zweiten  derjenigen  der  Schweiz,  im  btisondeicu  Genfs,  um 
auf  jeder  Seite  zu  zeigen ,  dasn  die  Genfer  Bearbeitung  eine 
ebenso  tüchtige,  daa  neue  Material  der  Genier  Stadtarcliive 
grftadlieh  ausnutzende  und  selbettadige  Forschuiig,  als  ^ 


1)  Eh  ist  der  11.  Raud  der  panzen  Serie,  welche  die  Refornia^^^ 
Luthers  mit  uinfasHt.  so  dans  die  s<"liHtti.  <  ht«  nud  ciiglischt.'  EntwicUun- 
ohne  die  notwendige  Wartung  ilirer  Scllj-t.m.iigkcit  gegenüber  h^ti^ 
lud  Calvin  zu  der  calviniäcUcn  Bewegung  niitgcrcclmct  tund. 


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DIE  E£FO&MAT10N8Q£8Cai.  ENQLANDB  V.  BUDDENSOSO.  Ö99 

schottische  eine  uicht  einmal  geschickte  Compüatiou  aufweist. 
Zwar  die  auffallendeu ,  zuweilen  trivialen  Irrtümer  der  Be- 
arbeitung der  englischen  fieformation  sind  hier  vermieden,  doch 
leidet  auch  dieser  Band  an  den  bekannten  Fehlem  der  Merle 
d^Anbign^him  Arbeiten,  welche  den  geietvollen,  enfhneiae- 
mirten  Scliriftriteller,  aber  nicht  den  Geschichtsforscher  be- 
zeugen. Die  ausgezeichneten  Schätze  der  (Cottou -)MSS.  des 
British  Mnaeun  sind  nicht  ao^genotzt,  ebenso  wenig  die 
aelion  Vednickten  Teile  der  „State  papsfs  ef  the  reign  of 
Henry  Ylllth*««  in  der  weder  guten  noeb  echlediten  Gom- 
pilation  sind  eine  Menge  Ungenauigkeiten  enthalten,  an  welche 
die  Kritik  anknüpfen  kann  Die  politische  Entwicklung 
drängt  in  dem  vorfiegenden  Bande  die  kirchliche  in  den  Hinter- 
gmnd,  nnd  was  wir  von  letzterer  haben,  ist  «ne  ZnsNmnen- 
Stellung  etwa  von  Patrik  Hamiltons  und  Georg  Wisharts 
Trubsaleii  und  Martyrium,  nach  der  Methode  und  im  Geiste 
von  Foxes  „Acts  and  Monuments''.  Kuox  ist  dem  nächsten 
Bande  vorbehalten  (S.  266).  Der  DebeisetMr  (Bearbeiter?) 
Gates,  dem  die  englischen  Qnellen  zn  Gebote  standen,  bitte 
hier  eine  Aufgabe  zu  erfüllen  gehabt,  deren  Lösung  der  eng- 
lischen Ausgabe  einen  entschiedenen  Vorzug  vor  dem  Original- 
werke eingebracht  hätte. 

Die  Gesdiiclite  des  Protestantismns,  die  als  ein  neoss 
und  wicbtiges  Werk  von  Dr.  Wjlie  angezeigt  wird,  ist, 
wie  der  schottische  Teil  Merles,  gleichfalls  Compilation.  Das 
Bedürfnis  nach  einer  derartigen  Arbeit  erklärt  sich  aus  der 
Fnrcht  gewisser  eqglischer  Kreise  vor  der  Uebennacht  des 


1)  Dia  CoHm  s.  B.  ihid  oadi  Mide  „GidtoiM  dd",  die  Mgw 
IkNdMii  WaldMMr  und  Hwdten,  die  unter  aUriidger  Zngmndelegimg  dir 
heiligen  Schrift  Heiligendienet,  CftUbAt,  TiaiiMabekMiltolion,  Bettquieii- 
vwehrang,  BUderanbetiiiig  v.  a.  w«  verwarfiBii:  wir  haben  da  beiviti  im 
9.  Jabrirandert  die  Paiitaiier.  Mit  sD  te  bat  die  Ifttik  gebrochen; 
nad  waa  wir  tob  dem  nordirjadien  Abte  mid  Biadidfe  Aengus,  dem 
,pCeile«De'S  wiaMn,  lerbiiMfert  nicht,  daaa  trotz  der  Aibeiten  Grabe  in 
•einer  HSodeiiastical  History  of  Sootland"  und  Been»  „Acoooot  of 
tht  Irish  Cnldees "  (abgedruckt  in  den  Prooeedinge  of  the  Royal  Iriah 
Academy)  das  Problem,  das  sich  an  diesen  Namen  knüpft,  nkht  go- 
iSet  ist 


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600 


KEITISCHE  OBEBSICSBTEN.  1875.  IV 


nea  um  ideli  graf  enden  Pftpismns.  Von  wiannaoliaftHofaem  Werte 

sind  die  gut  gemeinten  Untersudiungen  über  die  Entwicklung 
des  Urchristentums,  des  Papsttums,  der  WaWenser  und  Albi- 
genser  (die  Arbeiteu  voa  Habu,  Dieckhofif  und  Herzog  sind 
nicht  benntzfc),  ,,Wycliffe6^^  (ohne  Bücksicht  auf  das  ansge- 
zeichnete  Werk  Leohlere),  der  Hnssiten,  Luthers  n.  s.  w. 
nicht:  alles  illustrirt  „niade  to  stand  out  holJly  froni  a  back- 
grouud  of  dark  popery*';  damit  ist  das  ganze  Buch  be-  und 
gezeichnet  —  Nach  einer  andern  Seifce  hin  hat  das'M^k 
d*Aubigntehe  Werk  gleichfalls  eine  ErgSnzong,  bzw.  Be- 
richtigung gefanden  in  See  höh  ms  Arbeit  Aber  die  protestan- 
tische „Revolution"  Hier  wird  Emst  gemacht  mit  dem 
traurigen  Factum,  dasä  etwa  mit  dem  Jahre  15 Gö  die  Kraft 
des  reformatorischen  Gedankens  in  Luther  nnd  Galm  sich 
erschöpft  hatte,  nnd  daas  alle  Ansfarengungen  des  neuen 
Geistes  nach  dieser  Zeit  nichts  anderes  waren  als  schwache 
Proteste  des  Dogmatismus ;  vier  inüillible  Kirchen  —  Witten- 
berg, Genf,  Schottland  und  Horn  —  eiferten  mit  einander,  das 
Dogma  demjenigen  zn  Terbittem,  die  für  die  Freiheit  ge- 
kämpft hatten,  nnd  in  diesem  Kampfe,  dem  der  Oeist  Luthers 
und  Calvins  fehlte,  eroberte  sich  Rom  ein  grosses  Gebiet  zu- 
rück. Die  Macht  der  iueinanilergreifeudea  politischen  und 
kirohlichen  fiteren,  die  Bedeutung  der  englischen  Königs- 
macht gegenfiber  einem  Fendakdelt  der  seine  Kraft  in  den 
Kriegen  der  roten  nnd  weissen  Rose  yereehrt,  und  den  Mittel- 
daääon,  deren  Macht  noch  nicht  begonnen,  wird  vom  Verfasser 


1)  Auch  all  erster  Band  der  „Epoehs  of  Hittoiy,  a  sericB  of  books 
tfeating  of  the  Hisioiy  of  England  and  Ewopo  at  BaooeBsife  epocha 
Bttbfieqiient  to  the  Christian  Eia 'S  edited  by  Edw.  E.  Morris»  H.  A.  A 
J.  Snrtees  Philipotts,  B.C.  L.;  demselben  Werke  gehdran  fiemer  an: 
»,Tbe  Age  of  Elizabeth^  Ify  the  Bct.  U.  Creighton,  H.  A.  (Lon- 
don, Longnuras  A  Co.)  nnd  das  die  änssersten  Endpunkte  nnserar  Periode 
nooh  berfthrende  „The  Fall  of  the  Stoarts  and  Western  Enrope  fnm 
1648— 97 'S  by  Bot.  Edw.  Haie,  M.  A.  (London  ebendas.),  die  Bcfe- 
renten  nicht  snganglicb  geworden  sind.  Letzteres  gilt  anoh  Ton  „Ca- 
lendar  of  State  Piapen  relating  to  Iceland  1608—1610*',  by  C.  W. 
Bnssell,  D.  D.  J.  P.  Pkendeigast,  Eaq.  Barrister-at-Law,  (BoU'a 
Series)  London. 


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DIE  REF0&MATIOM8OESCU.  ENGLANDS  V.  BUDDENSIEG.  601 

in  durchsichtif^^or  Darstellung^  aufgezeigt;  Heinrich  VT  II.  konnte 
mit  mehr  Wahrheit  als  Louis  XIV.  sagen :  „  L'c^tat  c'est  moi 
Sein  heftiges  Verlangen  nach  einem  Leibeeerben  ist  der 
Schltael  za  all  seinem  Tan,  m  seiner  Naehglebigkeit  gegen 
liom  das  eine,  7ai  seinem  lvaiii})fe  das  andere  Mal.  So  lange 
er  auf  den  Papst  rechnen  konnte,  der  ihm  zur  Erfüllung  jenes 
Verlangens  half,  so  lange  war  er  der  „Verteidiger  des  Glau- 
bens^, sowie  Born  anf  Karls  V.  Seite  trat,  kam  der  Bmch. 
Innerhalb  von  vier  Jahren  wnrde  aas  dem  leidensehafUichsten 
Anhänger  der  heftigste  Gegner,  und  „  das  waren  die  .Tahre,  in 
denen  das  Schwanken  des  Papstes  zu  einem  Ende  kam,  und  er  im 
Interesse  des  Kaisers  und  seiner  Tante  Katharina  von  Arragonien 
fftrditete,  der  Scheidung  entgegenzatreten'^  Das  hatSeebohm 
den  geistreich- paradoxen  Behauptungen  Mr.  Froudes  gegen- 
über von  seinem  Standpunkte  der  Tatsachen  aus  und  mit 
frischem  common  sense  dargelogt.  —  Diese  Seebolimscho  Auf- 
steUung  der  rflckdchtslosen  Eneigie,  schlauen,  aber  patrio- 
iaschen  Politik  Heinrichs  und  der  klugen  Schritte  Wolseys 
zur  Beeinflussung  des  Königs  für  soinn  antikaisi-rliche  T*olitik 
finden  ihre  Bestätigung  in  der  meisterhaften  Arbeit  Bre- 
wers^),  der  uns  zwar  nur  eine  Einleitung  und  Appendix 
zum  dritten  Teile  des  vierten  Bandes  der  „Boirs  Series**, 
aber  dnroh  das  reiche  Material  eine  wahre  Fundgrube  fttr 
eine  Darstellung  von  Heinrichs  wichtigsten  Regienmgsjahren 
geboten.  Wir  verfolgen  die  Bedenken  des  Königs  gegenüber 
seiner  armgonisehen  Heirat,  die  Mission  Oampeggios,  die 
üntersachung  vor  dem  Legatengericht  (vgl.  hiezn  namentlich 


1)  Einen  höchst  intcres-sanUn  Hoitr»i{;  zur  WiiriU^j^ung  der  Resultat*? 
dicees  Ruches  giobt  Harpsfiold  in  stinuiu  ok-ii  tTsehieucncn ,  jiuk  iler 
Zeit  Pllis'abotlis  stammenden  „Treatyse  »>f  Marr^  inge  (»ecasionrd 
by  t  lic  p  r 0 1 c n  (1  od  D  i  v  o rc r  «» f  King  U  <•  n  r y  1 1»  c  K  i  g  h  t  Ii  et«'.**  ( TiOn- 
don  IHTfi).  de.ss*  n  I{r.s|)p?<'binig  doin  niu-hst^^n  Ri'fcrato  zufiiilt  ll;iv]'S- 
ti»'ld  lifhaupkt  im  (leginsatzo  zu  Brewcr  auf  das  entsthiodtuHU' ,  du.s.s 
Wulsoy  in  erster  Lini<'.  ( ntwcdcr  direct  (xkr  durch  des  K«inigs  IVichtiger, 
Bischof  Longhind  von  Tjiu  uhi .  Heinrich  die  Seht  idung  vorgescidagen 
habe.  Im  IJebrigon  cij^'äuzf  Harpsfield  die  Hrewersclie  ruldication 
mehrfach,  boriclitigt  zwcifrlhaftc  oder  dunkle  fcJtcUen  und  füllt  die 
Lücken  iu  Brewers  Docomenten  aud. 


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602  KJBlTIHOiiB  ÜB£RälCHTEM.  1876.  IT. 

Har}isfiel»i ,  A  tieatise  etc.)  und  den  Eintiuss,  Fall  iind  Tl«] 
Wolseys.    Dieser  Mann,  der  scbarfsinuigste  und  politischste 
Kopf  aus  Heiurichs  Umgebung  tritt  allen,  auch  dem  Könige 
voran,  in  den  Vortegmnd:  das  Bneh  ist  ober  mbo  QeeMMB 
Wokieys  als  HeiBriobft   Der  wahrliaftsn  Grosse  dieses  Chr* 
dinals  und  Staatsnii nisters  (rjeht  Brewer  durch  das  Gewicht 
seiner  Documentc  die  rechte  Wertung.   „In  keinem  audera 
Eslle  (als  in  dem  Wolseys)  ist  man  Miiger  sofgfidtig  ge- 
wesen, Motive  und  Handlungen  sn  prfifen  und  zn  anatysnB; 
man  bat  die  Wflrdigung  seines  Charakters  willig  von  «kn» 
jenigen  angenommen,  die  ein  specielles  Interesse  daran  hatten, 
denselben  in  dunklem  Lichte  darzustellen.  Dem  Bekenuer  d^ 
alten  Glaubens  war  Wolsey  niehts  anderes  als  der  Anstifter  und 
Betreiber  der  Scbeidnng,  der  skmpeUoee  Widmsdier  des 
Papstes,  der  Feind  derjenigen,  mit  deren  Sache  die  alte  Re- 
ligion stand  und  fiel.    Dem  ßeformirten  war  er  der  Typus 
des  Keichtums,  des  Aufwandes  und  der  Weltlicfakeit  der  altes 
Kircbe,  der  stolze  FriUat,  der  durch  seinen  Hodimnt  und 
Bbrgeiz  den  beilsanien  Binfiuss  der  kOnigUcben  Aitoritit 
paralysirte  und  in  seiner  Person  und  Tätigkeit  die  unerträg- 
lichen Angriffe  der  geistlichen  auf  die  weltliche  Gewalt  dar- 
stellte ....  Bis  ist  unmögliob,  eine  gerechte,  billige  und  nchtig 
sondernde  Wflrdigung  von  Wolseys  Charakter  und  Handhugen 
zu  erhalten.    Ein  Reformer  insoweit,  als  er  kein  besonderes 
Interesse  in  der  Aufrechterhaltung  des  strikten  üitnimontanis- 
ums  zeigte;  ein  eifriger  Beförderer  der  neuen  Bildung  und 
Brsiehung;  wenn  g^n  die  reiigülsen  Orden  nicht  unfrsond- 
lich,  doch  auf  die  Verwendung  ihrer  Emolumente  zu  besBerea 
Zwecken  bedacht,  hing  er  doch  noeli  treu  an  der  alten  Uebor- 
zeugung  und  Herkommen  in  seiner  Vorliebe  für  glänzendes 
Ceremonieli,  in  seiner  politischen  Abneigung  gegen  das  Luther- 
tum, in  seiner  üeberzeugung  von  der  Notwendigkeit  einer  . 
geistlichen  Centnilgi  walt ....   Wenn  er  länger  gelebt  bitte, 
wenn  er,  wie  Richelieu,  dem  er  in  der  Grossarti((keit  seiner 
Pläne,  seinem  Verlangen  nach  Reorganisation ,  seiner  gewal- 
tigen Arbeitskraft  glich,  als  Herrn  einen  Ludwig  XIII.  an- 
statt Heinrich  VUL  gehabt  hätte,  wfirde  er  wahrachelnlidi 
ebenso  grosse  als  umfimgreicbe  und  bleibende  Befiirvien  in 


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DIE  &£F0BMA1S01iSaJKKa.  MM»hAMX»y*  JUJPDENaifiO.  603 

£ngland  eingeführt  haben.    Die  verschwenderischen  Aua<^abeii 

des  lü^niglichen  Haashaltes  suchte  er  zu  ordnen  ;  er  gab 

feflere  imd  billigere  Bestiminiiiigeii  dem  Oourfe  of  Obonoeiy, 
der  seitdem  la  seiner  gegenwfirügen  Bedentmig  sieh  zu 
heben  begann;  er  beabsichtigte,  die  mönchischen  Institute 
ganz  oder  teilweise  höheren  Erziehungszwecken  zu  oj^era;  er 
\ai  YOigeechlageQ,  durch  einen  billigen  Vergleioh  die  an  Born 
Mlendea  Annaten  ind  Zehntes  der  Geistliehen  abzulösen;  er 
wollte  eine  Reformation  der  Finanzen ....  und  der  nnverani- 
wortlirhon  Ausgaben  dos  Jvöiiigs  ;  aber  in  all  diesen  Vor- 
schlägen und  vielen  anderen,  die  zum  Heile  des  Staates  und 
der  Kirche  gemacht  waren,  wurde  er  durch  den  Willen  eines 
herrisehen  Königs  gehemmt «  der  auf  interasirte  Ratgeber  zu 
hören  geuoi^rt  war.../*  Kiii  einlacher  Engländer,  voll  von 
leidenschaitUchem  Enthusittsnius  für  die  Interessen  seiner  Na- 
tion, bat  er  in  den  Tagen  eines  Macchiavelli ,  wo  Lug  und 
Trug,  Ohicanen  und  Intriguen  die  europfiische  Politik  bezeidi» 
neten,  sich  nie  dbeiüsten  lassen,  hat  aber  selbst  den  grössten 
Schlaulvojir  unter  seinen  Gegnern  hinters  Licht  gefülirt.  Die 
Kühnheit  und  Originalität  seiner  Gedanken,  die  Klarheit,  mit 
der  er  seine  Zwecke  verfolgte,  die  Ausdauer,  mit  der  er  seinen 
Plftnen  aachging,  so  unm<)glich  deren  Ausflihrung  seinen  arg- 
listigen Feinden  und  seinero  rechthaberischen  Könige  gegen* 
über  auch  schien,  alles  dies  macht  seine  Grösse  —  der 
Mangel  an  höherem  sittlichen  Pflichtgefühl,  das  er  unter  die 
unsittliehen  Forderungen  seiner  Diplomatie  begraben,  seinen 
Unwert  ans.  —  2u  diesem  Seebohmsehen  Gharakterbilde  ftgt 
das  Drama,  das  Wolseys  Namen  trägt  keinen  neuen  Zug; 
nicht  ohne  dramatische  Kraft,  aber  ohne  Originalstudien,  trägt 
es  einen  ÜEdschen  Namen,  da  in  Anna  Boleyns  Schicksale  das 
Interesse  sich  centralisirt  —  Aehnliches  gilt  von  den  Studien, 
die  Poesie  und  Prosa  um  den  Oavalier  Karl  I.  gruppirt  haben, 
jene  in  Butlei^  Drama      das  in  seiner  Nachahmung  aner- 


1)  Cardinal  Wolst-y  and  tlie  love  of  tli<'  lN»cU.  A  historical 
Drama  in  5  Acts.    Uy  W.  S.  l'jileigh.    Luiidun,  F.  Scott. 

2)  Charlesthr  First.  A  Tragcdy  in  5  Actrf.  By  Charlea  Arthur 
Gr^jr  Butler,  M.  A-,  Un»dw,  IiottgiOAiu»  &  Co* 


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604 


KJUTI8CHB  OBEBSICHTEN.  1876.  IT. 


kannter  Muster  die  traditionelleQ  Züge  der  Hauptpersoneu  and 
Coutlicte  bewahrt,  diese  in  Gardinen  Arbeit  (s.  oben  Nr.  5),  die 
abermals  einen  iUschen  Namen  trägt:  es  ist  eine  pdlitascl»»  Ge- 
sehiebte  Karls  und  Bnckinghams,  nicht  des  englischen  Volkes.  Die 

religiösou  Fragen  fiii«leii  nur,  soweit  sie  den  politischen  ilienen, 
die  herkömmliche  Besprechong,  dagegen  hat  Gardiner,  naincut- 
lieh  unter  Benutzung  mehrerer  neuer  Quellen  die  poiitisdieii 
Ereigniflse  jener  Jahre  einer  grdndliehen  Prfifluig  unterzogen. 
Er  hat  mit  Hülfe  eines  MS.  aus   dem   Rrit.   Mus.  einen 
h^^cliöt  schätzenswerten  Beitrag  zu  der  wichtigen  Parlaiuentd- 
aession  ¥on  1628  und  Sir  John  EUiots  wie  Sir  Thomas  Went- 
worths  einflussreicher  Teilnahme  an  derselben  gegeben,  wfik- 
rend  seine  peinliche  (Gewissenhaftigkeit  s^en  Helden  gegen- 
über eine  objective  Geschichtsbetrachtung  durch  die  Schlag- 
schatten der  Parteilichkeit  verdunkelt;  Karls  notorische  Cn- 
aufrichtigkeit  z.  B.  ist  nicht  ein  moralischer,  sondern  ein  intel* 
lectneller  Defect;  Buckingbam  „is  not  so  unscrupulous  as 
infortanate^S  nnd  Lands  absolutistische  Neigungen  sind  nicht 
hierarcli isolier  Herrschsucht,   sondern   seinem  intellectuellen 
Widerstande  gegen  den  Dogmatismus  des  Torgeachritteoen 
Calvinismns  zuzuschreiben. 

Die  groesartige  und  einflussreiche  Tfttigkeit  des  Letzteren 
hat  iiucli  Deuii  Hook,  dessen  flcissiger  Hand  der  Tod  vor 
Jahresfrist  die  Feder  entwunden,  in  seinem  grossen  bio- 
graphischen Werke,  das  eine  englische  Kirchengeechichte 
im  besten  Sinne  des  Wortes  ist,  der  Betrachtung  unterzogen, 
und  zwar  im  11.  Bande  seiner  „Lim  of  ihe  Archbishops  of 
Caiitcrbury",  dem  erst  im  Fnihjahre  der  10.  I^and  mit  den 
Biographien  von  Grindal,  Whitgift,  Bancroft  und  Abbot  vorausging 
(s.  oben  Nr.  6).  —  Der  kirchliche  Standpunkt  des  gelehrten  und 
gewissenhaften  Forschers  ist  bekannt;  seinem  ,,High-Chur- 
chism"  fehlen  die  Sympathien  ffir  die  puritanische,  noucon- 
formistische  Opposition,  wie  das  auch  beide  Bände,  namentlich 
Bancrofts  und  Lauds  Leben,  beweisen;  wenn  aber  Liebe  zum 
G^enstande  eine  der  notwendigen  Voraussetzungen  zur  Ab- 
fassung eines  tflcbtigen  Buches  ist,  so  konnte  Canterbury  m 
keiner  besseren  Hand  behandelt  werden.  Die  wissenschaft- 
liche Competeuz  fehlt  dem  Dean  vollends  nicht;  hier  finden 


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DIE  BEFOBHATIONSGESCH.  BNOLAND8  V.  BUDDKNSIEG.  606 

wir  reiche  Qaellen  geöffiiefc,  eine  übersichtliche  Verteilang, 
maaBToUe  Wertung  nnd  geschickte  Yenurbeitnng  des  Stoflfee, 
eine  tüchtige  Methode,  mit  ciuem  Worte,  eine  wisseuscliaft- 
liche  und  schaifsinnige  Partei  Forschung.  —  Grindal  machte 
seines  Vorgängers  Parkers  Wege  zu  den  seinigen,  und  das  ge- 
schah in  ebenso  gnMaaer  Schwftche  and  Inconsequenz  (vgl. 
Grindflls  Stellung  zum  göttlichen  Bechte  des'  Episcopats)  wie 
harter  Strenge,  die  in  eine  Art  geistlichen  Druckes  ausartete ; 
,ydie  Schuld,  dass  der  reine  Calvinismus  so  ^venig  Boden  in 
der  anglicaniflchen  Kirche  gewann,  trifit  deshalb  zum  Teil 
ihn;  denn  obgleich  BeprSaentant  der  Beformation  in  Eng- 
land war  er  dennoch  gewillt,  den  Traditionen  der  katholischen 
Kirche  die  schuldige  Achtung  zu  enveiscn,  indem  für  ihn 
„die  Kirche"  dieselbe  Autorität  war,  wie  für  andere  Luther 
and  Calvin;  nur  dass  er  in  Weiterftthrong  seines  protestan- 
tischen Princips  die  Traditionen  der  Kirche  an  der  helligen 
Schrift  erprobte,  alles  MiiUlalterliche  abstiess  und  das  Ur- 
kirchlichc  festhielt".  Persönlich  milde  l^te  er  die  Hand 
seiner  straffen  Zucht  auf  die  Kirche  und  bewies  Kühnheit 
and .  fiberzeugongsvoUe  Mannhaftigkeit  in  dem  Widerstände 
seiner  letzten  Jahre  gegenfiber  der  eigenwilligen  Elisabeth. 
Seinen  Nachfolger,  der  noch  nach  Brooks  „vielgewandt  war 
in  der  Kunst  der  Höflinge",  der  seiner  eignen  Sache  mehr 
schadete  als  nützte,  lüsst  die  Hooksche  Ehrenrettung  der 
*  Yerleamdong  seiner  böswilligen,  puritanischen  Feinde  bisher 
erlegen  sein.  Unter  Bancroft  kam  der  auf  Tod  uiul  Liben 
geführte  Kampf  zwischen  Kirche  und  Dissont  auf  seine  erste 
Höhe;  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  namentlich 
die  wichtige  Hampton-Court-Gonferenz  ausführlich  g^eben, 
wobei  zugleich  die  Tätigkeit  Bancrofts  (damaligen  Bischofs 
von  London)  und  Jacobs I.  des  „britischen  Salomon"  auf  hellem 
und  dunklem  Hintergrunde  hervortritt.  Die  Pacitication  aller 
Parteien,  die  ihr  Zweck  war  und  die  der  gelehrte  König 
durch  die  Angabe  einiger  unwesentlicher  Punkte  gegen  die 
Anerkennung  der  Lehre  und  Ordnungen  der  Kirche  zu  er- 
reichen hotVte,  gelang  indessen  auch  dem  Einflüsse  Bancrofts 
nicht,  für  den  Hook  ungeteilte  Bewunderung  hat;  auch  dieses 
PriUaten  ,,Unpopularitftt,  seine  begehrliche  Habsucht,  Grauaam- 


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606  KsrnscHic  übkusicutem  .  im.  it. 

kelt,  SBin  qroi^plumtiscliflB  Wohlkben  sisd  oiditi  «k  purii»* 
BiaGhe  ▼erlemndniigeii'^S   Abbot  aber  !rt  ein  „bescbrftnkter 

und  unfähiger  Mann",  ein  „prosaischer  Cliarakter",  auf  dem 
der  Schandfleck  blutiger  Ketzerverfol^aiug  ruht  (wobei  der 
Standpunkt  des  YerfiMners  in  den  tugafägten  Satie:  ^Wümod 
deB  langen  Primates  Abbeto  eracblaflfte  die  kireblidie  Di»- 
ciplin",  einmal  recht  unverdeckt  und  ungedeckt  hervortritt; 
denn  die  Toleranz  Abbots  gepen  die  Puritaner  ist  gemeint). 

Aber  als  grosiiartige  unübertroff'ene  Gestalt  charaktenroller 
Conaeqnenz,  ab  die  Incarnation  dee  engliachen  High-Chniek- 
Princips,  ein  Pttiatenideal  nach  dem  Hensen  des  Deana  triti 
der  gewaltige  I^ud,  der  Erzbisch of  und  liatgeber  Karls  I., 
der  gelehrte  Sammler,  daher.    ,,£s  ist  unmöglich  für  den 
GeschiichtBachreiber*',  sagt  Hook  einmal  in  einer  Bemerkimg 
m  Sfcongfatons  „Eoolesiasfcical  History^S  „nnparteüseh  an  aeb; 
man  kann  nicht  erwarten,  daas  derselbe,  genftbrt  mit  Um 
Principien,  wenn  nicht  den  Vorurteilen  der  einen  Seite,  mch 
in  den  Qeist  seiner  Gegner  versetzen  könne**.    Das  Laudsche 
Leben  ans  des  Deans  Feder  ist  die  ttefiendste  Dlasiia- 
tton  diesee  ürtefls.   Land  ist  nicfat  „das  h6m  Ftincip  der 
englischen  Kirche";   sein   in   der  Geschichte  schwankendes 
Charakterbild   ist  niiht  das  Product  wissenschafblicher  For- 
schung, sondern  abermals  puhtaniseher  Verleumdung;  Laad 
war  vielmehr  der  TrUger  der  aweiten  giflsseicn  Refoimatioa, 
die  Heinrich  YIU.  unter  dem  HSnUnsse  seiner  LeidensoMlsn 
verfehlte,  die  Parker  mit  seinen  hochkirchlichen  Principien.  j 
denen  auch  Whitgiit  treu  blieb,  anstrebte,  ohne  sie  zu  er- 
reichen: das  ist  Hooks  Ton  der  Blässe  objectirer  GescbicMa^ 
betmchtnng  alterdii^  nidit  angekränkeltes  Lehensbäd.  hmi 
war  ein  Mann  von  persSnüchem  Mute,   kräftiger  üebar* 
Zeugung  und  unerbittlicher  ConspipK'nz,  der  seinen  Feinden 
zwar  erlegen  ist,  der  aber  der  Kirche  ihre  alte  triumphireade 
Kraft  aber  den  „unreinen  wnd  aEUSgestossenea"  PurilaaiaaRii 
vnd  das  Schisma  wiedergab,  so  dass  sie  (HmmU  diMkMg 
und  siegreicli  war.    Für  den  Widerstand  und  dessen  Träger  i 
gab  es  kein  Erbarmen;  von  den  Kanzeln,  Lehratöhlen,  am 
hoher  Lebens-  und  Amtsstellung  nmssten  sie  weieben  in  dis 
Kerker,  die  Yerbannwig,  an  den  Pranger,  in  ffangar  aa4 


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DIE  REFOBMATIONSGESCH.  ENGLANDS  V.  WODDENSIEG.  607 

Tod ;  und  dennoch,  oder  vielmehr  gerade  darum  wuchs  ihre  Zahl 
und  kam  die  Stunde  ihres  Triumphes  (1640 — 48).  Auf  Lands 
grossen  Erfolgen  rnht  diese  schliessliche  Erniedrigung  der 
Kirche:  in  der  treaen  Hingabe  an  seine  grosse  Lebensan^be 
wankte  er  niehi,  bis  er  beides,  Kirche  nnd  Staat,  Temichtet 
und  beide,  sich  selbst  und  seinen  Herrn  unter  deren  Ruinen 
begraben  hatte.  Mit  mannhafter  Hand  ergriff  er  die  Zügel 
des  Kirchenr^^ento,  nachdem  er  schon  als  junger  Geistlicher 
(als  feUow  Ton  St  Jofan%  Oxford,  dann  Dean  von  OHmcester, 
sebliesslieh  Bischef  Ton  St.  Davids)  Zeugnisse  seines  eminenten 
Herrsch talentes  abgelegt,  und  gnh  sie  erst  auf  dem  Blocke 
aus  der  Hand,  um  den  Märtjrertod  für  seine  Sache  zu  sterben. 
£r  war  kein  Papist,  soviel  es  ihm  andi  T<m  Foritanem 
sohnld  gegeben  ist,  kein  Poritaner,  wie  die  Bömisehen  ihm 
vorwarfen;  viel  eher  gehört  er  zu  den  Arminianem,  die  in 
jenen  Tagen  einen  unfreien  Dograatismus  ebenso  wie  Papisten 
als  Feinde  Gottes  bekämpft  wurden.  Nicht  dass  er  mit  neuen 
Ideen  henroigetreten  wftre;  „was  er  getan,  bestand  einfiidi 
darin,  dass  er  eine  strikte  Beohaciitung  des  Cksetaes  sowohl 
in  Staat  als  Kirche  forderte";  „die  wirklichen  Neuerer  waren 
die  Puritaner  unter  Heinrich  VIII.,  Eduard  VI.  und  Elisabeth 
gewesen ;  ffir  die  Regolinu^  des  Gottesdienstes  und  die  Jaris* 
diotion  der  Kirche  waren  gewisn  Gesetae  gegeben  worden. 
Diese  Bsstimmnngen  waten  ganz  allgemein  von  den  Fori« 
tanern,  die  fremde  und  calvinische  Formen  einföhrten,  be- 
seitigt worden:  diese  waren  die  Neuerer 'S  Kirche  und 
Ktaig'S  daa  war  die  Devise  asines  Lebens;  die  Bechte  beider 
aufrecht  an  eihalten,  scfaente  er  keine  penOnHdie  Geftihr. 
Sein  Leben  war  ein  beständiger  Kampf  nm  diese  Fragen;  er 
ist  darin  unterlegen;  denn  nicht  die  von  Hook  ausführlich 
behandelte,  einfache,  aber  in  der  englischen  Kirche  berüchtigte 
fkage  naidi  der  Stettnng  des  Abendmahlstisches  hat  ihn  «nter 
das  Beil  gebracht;  das  war  nur  das  eine  Glied,  an  sid»  k^ 
Veffat,  aber  dazu  angetan,  „in  jenen  Tagen,  in  denen  es 
viel  mehr  Theologie  als  Evangelium,  viel  mehr  Eifer  als  christ- 
liche Liebe,  swar  Ghnatcntum,  aber  keine  Christen  gab'S  in 
Yerhindang  mit  aadern  Gliedom  eine  Kette  m  bildm,  die 
dsA  Tiefgehasstsa  miter  die  Binde  im  Henkais  zog;  ntt 


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608 


KBinSGHB  OBBBSICHm.  I875w  tT. 


Wftrde  und  dem  Mute  eiiiM  fibeneqgQDgBtreiieii  Mnamaa 
gab  Land  sein  Leben  hin,  in  dem  festen  Glanbent  dm  es 

um  das  Staatswohl  aui  besten  stehe,  wenn  ein  energische? 
kirchliches  Regiment  die  Geister  zögle.  —  Sein  Sitz  blieb 
16  Jahre  ohne  Nachfolger.  Jnxon,  der  kanm  3  Jahre  anf 
demselben  saas«  hat  keine  Oesehichte;  sdn  Gang  anf  das  k(taiig- 
liche  Schaffet  in  Whitehall  an  Karls  Seite  hat  ihm  in  der 
Ge^jchichte    der    „öreat  rebellion"   eine   Figur  verschafft; 
Hooks  anspruchslose  Umrisse  seines  Lebens  erfordern  keine 
weitere  Bemerkung.  —  Soviel  vom  Inhalt  dieees  11.  Bandes; 
nnKweifelhaft  mnss,  was  die  Form,  die  VenrbeitnDg,  die  Ans» 
iiutzuug  neuer  Quellen  und  die  DetailfurschuDg  betiiili,  den 
früheren  und  noch  dem  10.  Bande  gegenüber  die  wankende 
Gesundheit 9  die  wachsende  Unfähigkeit  des  Verfusera  zu  an- 
gestrengter Sanmielarbeit  nnd  die  Ennattung  des  sonst  so  eoer- 
gischen  und  arbeitsfrohen  Geistes  in  Betracht  gezogen  werden, 
wenn  dieser  letzte,  die  Ueformation  abschliessende  Band  von 
Gardiner  in  der  Academy     nicht  nur  unwürdig  der  wohl- 
Terdienten,  wissenschafUidien  Bedeutung  Hooks,  sondern  auch 
alles  historischen  oder  biographischen  Wertes  ermangehid,  voll 
von  bedeutenden  und  unbedeutenden  Intfimern,  von  willkür- 
lichen, unbegründeten  Anschuldigungen  gegen  Personen  und 
Parteien"  genannt  wird  (zu  vergleichen  wäre  der  Montague- 
sdie  Handel  im  Farhiment  von  1625  p.  43«  die  Chaiakte- 
ristik  des  langen  Ptolaments  S,  318  und  die  Behandlung 
der  Frage  von  der  ul't  heliaiipteteu  Grausamkeit  Lands).  — 
Einen  weit  nüchterneren  SUmdpunkt,  aber  den  gleichen  En- 
thusiasmus für  den  Helden,  ein  weit  massvolleres  Urteil,  aber 
gleich  tfichtige,  ja  gründlichere  Behandlung  des  Stoffes  weist  die 
vortrefifliche  Monographie  Lorimers  fliber  seinen  berfthmten 
Landsmann  Ivnox  auf.  Diese  Biographie  kann  in  jeder  Weise  die 
Ansprüche  macheu,  wie  die  Hookschen  früheren  Arbeiten;  ja 
der  Beiz  ihrer  neuen  Besultate  stellt  Hooks  posthnmea  Weit 
in  den  Hintergrund.  —  Bei  einer  Durchsicht  der  Bibliothek 
von  Dr.  Williams  fand  Lorimer  Documente,  die  Knox  ange- 
hören und  geeignet  sein  sollten,  auf  einen  ganzen  Abschnitt 
von  dessen  reicher  reformßtx>ri8cher  Tätigkeit  neues  Licht  zu 
werfen;  auf  eine  höchst  gl&ckliche  Weise  hat  der  Verfiisser 


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DIB  &EF0&MAT10NSa£SCH.  SNQLANDS  V.  BUDDENaiEO.  609 

es  verstanden,  diese  Mauuscripte  zur  Ausfßllung  der  Lücken 
zu  verwerten,  welche  die  biographische  Forschung  über  Knox, 
namentlidi  Dr.  McCrieB,  Neala  in  seiner  „  Geschichte  der 
Puritaner 'S  Brooks  nnd  Prices,  noch  sehnidig  geblieben  ist; 
und  indem  er  zwar  in  breiter,  aber  sprachgewandter  Ausführ- 
lichkeit auf  den  ersten  200  Seiten  die  einsclilagende  refor- 
matorische  Bewegung  mit  geschickter  üiinflechtong  des  braach- 
bar  gewordenen  Materials  nen  schreibt,  Iftsst  er  uns  seine 
Docnmente  den  Beweis  liefern,  dass  Knox'  „evangelisch-organi- 
satorische Bedeutung  nicht  mehr  in  der  alten  Ausschliesslich- 
keit auf  seine  schottische  Beformtätigkeit  zu  beschranken  ist, 
sondern  dass  von  nnn  an  auch  die  englische  Staatskirche  ihn 
unter  ihre  «Yftter*  zu  zahlen  hat'S  Genauer  anf  den  ersten 
—  geschichtlicheu  —  Teil  einzugehen,  ist  hier  nicht  der 
Ort  *) ;  Lorimer  fesselt  die  Aufmerksamkeit  an  Haddingtou, 
den  Geburtsort  von  Knox,  an  Glasow  und  St  Andrews,  die 
Bildungsstätten  des  jungen  Studenten,  an  Samuebton  und  St  An- 
drews, das  erste  Arbeitsfeld  des  Pastors,  an  die  Jahre  der 
Galeerenliaft,  der  Tätigkeit  im  nördlichen  England  (seit  1549) 
und  endlich  an  seine  Arbeit  unter  den  englischen  Flüchtlingen  • 
auf  dem  Continent  (I56d — 69);  in  diese  10  Jahre  englischer 
T&tigkeit  Mtt  die  Geburtsstunde  des  englischen  Puritanismus, 
und  John  Knox  ist,  noch  ehe  sdne  Edinbnrgher  Energie  ihn 
in  den  Vordergrund  der  schottischen  Kefurmation  ])rac]ite,  als 
dessen  B^ünder  anzusehen.  Das  ist  Lorimers  erster  Haupt- 
sata;  der  andere  weist  die  wichtige  Bolle  auf,  die  der  „schot- 
tische Reformator"  in  der  Organisation  der  englischen  Kirche 
spielte,  seineu  Einttuss  auf  die  den  Abeiidiiiahlsdienst  hetrclVeii- 
den  Rubriken  des  „Praycr-books'*  Eduards  YL.  und  auf  die 
durch  ihn  bewirkte  Modihcation  eines  der  „Beligionsartikel". 
Durch  die  vier  neuen  Documente  werden  beide  HauptsStse 
erwiesen.  In  dem  ersten,  einer  langen  Epistel  IB^ox'  an  die 
Gemeinde  vuii  Bcrwick,  erscheint  das  Feuer  und  der  Starrsinn 
des  Schotten  gemildert  und  zeitgemassen  Zugeständnissen  go- 


Im  Bande  XX,  Heft  III.  der  „Jahrb.  für  deutsche  Theol."  hat 
licferent  Uum  Buch  bereits  ausführlich  besprochen  und  genauere  Inhalts- 
angabe gemacht. 


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610 


KBITISCHE  CABBSIGHTEN.  ld7S.  IV. 


neigt;  er  giebt  m  lad  empfielilt  der  OmeiDde  die  Gub-  I 

mersche  Kiiiebeuguog  beim  Abendmahl,  die  er  in  Nr.  2  aufe  I 
heftigste  bekämpft.  —  Nr.  3,  eine  Beschreibung  des  Abend-  I 
mahbritna  in  dmalbeii  GemeiBda»  entbilt  vahncheiBliQk  «n  1 
FngnMiit  des  eraieii  Eftlwurfr  nun  Frajer-book,  dar,  aM  Im  1 
Händen  der  Genfer  Verbannten  in  die  reformirto  Kirche 
Schottlands  überge^ran^en ,  dort  grossen  Anklaug  fLiiid;  dm 
vierte  Documenta  ein  von  unbekanntem  Yec&saar  an  Knox  ge- 
adunabaeer  Brief,  fiült  ina  Jahr  1666  mnd  mUt  HiarkwMjg»- 
mae  die  paritaaiBciian  Anfänge  der  kirelilldieii  Separatioa 
von  der  Nationalkirche ,  die  übrigens  von  Knox  gemisbilligt 
werden,  schon  in  diese  frühen  Jahre  zurück.    Das  bei  weiu^iD 
wiohtigBle  Sciuriftstück  ist  aber  daa  veo  Loriner  unter  Nr.  i 
gedmokte,  die  ,,ConfiBBBkMi**  ven  Knox  nnd  eimgea  Gleiob- 
goghinten  an  den  Ktaig  nnd  s^en  Oheimen -Bat,  voai 
27.  October  1552.    Knox  war  von  Eduard  VI.  noch  vor  Ein- 
führung des  neuen  Praycr-books  zu  einer  Aeusaening  öto 
die  dnrah  leiatena  obligatoriaoh  gemachto  Kaiebengnng  Mb 
Abendmabl  angefordert  w<MPd8n  nnd  benntito  diese  Cklegenkdl  | 
TU  einem  schartcii  Angi'iflfe.    Der  38.  Artikel  des  PraTe^  ^ 
books,  „dass  dasselbe  in  jedem  Ritus  und  jeder  Ceremonie  der  ' 
Schrift  entq[Hreohend  und  in  keinem  Punkte  ihr  wider^rech<ai4 
sei",  atinune  nickt  nut  der  Wahrhttt;  ea  Meie  ntk 
grosse  Zahl  nnhaliibBrer  Punkte  sor  FÖlemik,  doeh  woHema 
die  übergehen;  die  Kniebeugung  beim  Abendmahl  aber  ver-  I 
danke  ihre  Entstehung  der  irrtümlichen  Meinung,  daas  Christi 
natürlicher  Leib  anf  tiananbstantiala  Weise  dadn  eufchaUoi 
sei;  diese  ftbobe  Anaicbl  dürfe  nidit  dnroh  ein  Qeooti  be-  I 
stätigt  werden,  sondern  verlange  die  Censur  der  h^igtt 
Schrift;  zweitens  würden  die  schwachen  Brüder  durch  den 
fingUehen  Bitnsawang  verletzt,  da  sie  unter  Auflehnung  ihi^ 
Gewiaaena  dagt^gn  Gott  in  einer  Weiae  in  verehren 
flwnngen  wftrden,  wie  weder  das  Beispiel  Cbristi  noeh  vgaad  , 
ein  ausdrückliches  Gebot  es  zu  tun  lehre;  drittens  würde  fi^ 
bereits  erstarkende,  reine  Kirche  durch  die  triumphirende 
Götaendienerei  achwer  geschädigt  und  in  ihrem  reinen  Be- 
stände bedroht  Dem  Cranmerachen  Einwände  gegenflbei,  dtfi 
die  Kniebeugung  eine  Erweisung  der  Sehen  nnd  SStateeU 


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DIE  REF0&MAXI0Näa£»01I»  ^«GLANDB  V.  BüDDENSIEO.     Gl  1 

vor  Gott  iu  der  heiligen  Handlung  sei,  weiBeii  sie  daraiii  hin, 
dass  „in  der  heiligen  Schrift  nichts  davon  erwälint  sei,  dass 
das  Sitwn  am  Tische  über  Christi   Institution  Verachtung 
briaseB  würde'*;  Ofaristiui  mUmI  haba  darm,  dasa  adna  Abend» 
mabli^noflBeii  an  ednem  Tiaolie  aasBen,  nlmab  eine  Ver- 
achtung seiner  Einsetzung  erblickt,  aber  die  Menschen  wollen 
klfirrer  nnd  umsichtiger  als  Gott  seibat  sein  u.  &  w/^  — 
Dieae  heftige  Polemik  gegen  die  Cetemenie,  die  in  ihiem 
letaten«  von  dem  trinmphirenden  Spotte  der  papistiselLen  Gegen- 
partei handelnden  Teile  wie  eine  Anteoipation  der  gegenw&i^- 
tigen  ritualisti schon  Argumente  für  deren  papistischen  Cnltus 
erscheint,  hat  indes  den  Widerstand  der  Cranmerschen  Partei 
niohi  gebrochen,  die  Geremonie  blieb  erhalten,  aber  ee  wurde 
eine  Revision  des  fraglidien  Artikels  vMgenommen,  md  „die 
iUibrik  über  die  Kniebeugung''  am  Ende  des  Abendmiihls- 
dienstes  eingefügt,  welche  die  reformirte  Lehre  über  Christi 
Gegenwart  im  Abendmahle  so  scharf  präcisirt  ansa^iaeh,  daas 
Knos  nnd  sein  Anhang  tarotz  ihres  bleibenden  Protestes  gegen 
die  erhaltene  Ceremenie  doch  im  Dienste  der  Natkmlkirehe 
zunächst  zu  verbleiben  sich  im  Stande  sahen.  —  Die  Knoxi- 
sche  Authenticitat  dieses  wichtigen  Docomentes  zu  wahren, 
setai  Lorimer  seine  bestm  Krtfte  ein;  Aber  die  Greace  der 
Wafar8diein]icfaM.t  konulifc  er  aber  nicht  hinaios^  auch  daa 
oben  angedeutete  Besnltat,  ahi  in  SV>lge  der  Eingabe  ein- 
getreten, scheint  eine  nicht  ganz  ungefährdete  Aufstellung,  da 
auch  Lorimer  genauere  Mitteilungen  über  die  Vorgänge  im 
Schosse  jener  Prayar-bei^-^BedaiotionaooauiiiaBien  nicht  m 
maohen  vermag«  —  Das  Bndi  ist  ab  ein  wertvoller  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Prayer-books  Eduards  VI.  von  der  eng- 
lischen Kritik  ^)  recht  gflnstig  aufgenommen  worden  und  hat 
bereits  ein  lebendigeres  Interesse  für  den  grossen  Schotten  in 
Enghmd  geweckt 

Aehnliches  kann  kanm  von  Penningtons  Arbeit  über 
Era^us  (s.  o.  Ni\  b)  gesagt  werden.  Er  bricht  über  Erasmus 


1)  Vgl.  dio  Besprechungen  in  We«t.-Rev.  1875,  Nr.  48,  \k  215; 
Liter.  WorW,  S.  280  und  282  von  lö7ö;  Kcho  Nr.  lUM;  Daily  Newe 
Nr.  yolO;  Academj  Nr.  156  (? 

40* 


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612  KBiCDCHB  OBBBSKararar.  nr. 

grmun  den  Stab,  ohne  durch  sein  am&ngieiGlies  Werk  dnen 

Schlüssel  zu  den  Widersprüchen  des  Charakters  zn  bieten  und 
für  die  scheinbaren  Inconsequenzeu  des  Mannes,  der  wechst  l-- 
weiae  ¥Oii  EvangeliBchen  und  BOmiachen  als  der  Ihre  in  Ajisptrach 
genommen  w<ndeii  ist,  anfkokommeD.  Ntob  den  neueBlen 
franzOoflclien  nnd  engluchen  Yorgängem  ptonnd  de  Lanr, 
G.  Feugere  und  Drummond)      bietet  das  englische  Werk,  das 
vom  Standpunkte  dogmatischen  Hochkirchentums  geschrieben 
ist,  nichtB  Eigentfimliohes;  der  Schmuck  der  bischöflichen 
Yonede  erscheint  aach  zweifelhaft  „Braamas  opferte  die 
Wahrheit  seiner  liebe  zur  Einheit»  Luther  die  Einheit  seiner 
Liebe  zur  Wahrheit;  wer  kann  sagen,  ob  nicht  beide,  Walir- 
heit  und  Einheit,  hätten  erhalten  werden  können?**  Von  dem 
Standpunkte  dieser  hoohhudilichen  Einheit  um  jeden  Preis, 
die  das  Beoht  des  [rOmisdien]  Gegners  in  keinem  Pnnkte  an- 
erkennt, wird  nun  Erasmus*  Scheidung  von  der  lutherischen 
Bewegung  scharf  getadelt,  über  seine  verstandcsniussi^en  Nei- 
gungen, sowie  seine  Sympathien  mit  den  Arianeru  hergefaliea. 
Neues  aber,  auch  über  den  englischen  Aufenthalt  des  Eiasmn, 
nach  den  Arbeiten  von  Knight,  Jortin,  Drummond  und  Butter 
nicht  g^eben.  —  Penningtou  hat  ihasiiius'  Werke  stark  ex- 
cerpirt;   zu  umfönglich  ist  die  Schilderung  von  Vitrarius, 
Erasmus*  Freund  (8  S.)  und  das  „Colloquium  über  religite 
Wallfthrten''  fUlt  fast  14  Seiten.  —  Auch  Nichola  hat  uns 
eine  Ueiberseteui^  der  „Wallfiüurten*^  *)  in  2.  Auflage  ge- 
geben; der  Text  ist  in  dem  geläufigen  Englisch  der  1.  Auf- 
age  wiedergegeben;  er  giebt  graphische  Schilderungen  des 
ndigifisen  Lebens  im  damaligen  England;  die  erlftutttmdea 
Noten  haben  lediglich  die  Massenwallfahrten  in  IVankimh 
und  Belgien  während  der  letzten  Jahre  zur  Folie  und  geben 


^)  Vgl.  aach  Fräsers  „Magazine",  Januar  1876:  ErMmn«  (ohne 
Angabe  des  Veil,  wafandiAinlicb  iit  es  Bnuüogton  Belbst). 

^Pi)gihDag«8  ta  St  Maiy  of  Wthdngfaam  ä  St  ThomM  ef 
Canterboiy,  with  the  ooUoqoj  of  Bwh  Yowi Bj  J>m*  Enoras.  Tnaa^ 
Uted,  wiib  an  IntiodiMtion  aad  illnitntife  notos,  hj  J.  Ctoagh  HGoholi 
F.  S.  A.  2d  Ed.  a  IiQnd«»,  Mnmy  1875. 


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DIE  GESCH.  DER  BEFOBMATION  IM  ITAUER  V.  BEMBATH.  613 

ebenso  wenig  wie  die  historische  KinleitoDg  zu  einer  Be- 
merkung Anlaas 


V. 

QescMclite  der  Befonnation  in  Italien. 

Von 

Lic.  ür.  Kurl  Benratli  in  Bonn. 


L  Giuseppe  De  Leva,  Storia  docnraentata  di  Carlo  In  oonelaadoiie 
all'  Italia,  Vol.  III.    Venezia  1867.    541  S.  8« 

a.  Karl  Benrath,  Bernardino  Ochino  von  Siena.  Ein  Beitrag  znr 
Geschichte  der  Reformation.  Mit  Originaldocumenten ,  Porträt  und 
Schriftprobe.    Leipzig,  Poes' Verlag  (R.  Beialand).   XU  U.382S.  8°. 

9,  C*  A.  Hase,  Bernardino  Ochino  von  Siena.  Ein  Beitrag  znr  Refor- 
mationsgeschichte (Jahrbücher  für  proteetant.  Theol.  I,  S.  496—535). 

4.  Jules  Bonnet,  DernierH  R^>cits  du  Seizi^me  Siecle.  Paris,  Graaear^ 
1876.   Troisieme  K»  cit.   La  Bronne  k  Venise,  S.  71—145. 

6.  Jules  Bonnet,  Uu  manage  aous  Fnmgoia  I  (Berne  Chx^tiemie, 
Paris.   Heft  V  u.  Vi). 

6.  La  Rivista  Cristiana.   Periodico  raensile.   Firenze.   12  Hofte 

7.  Historia  della  Vita  di  Galeazzo  Garaooiolo  chiamato  II  Signor  Mar- 
cheee,  nella  qaale  ü  oontiene  nn  mo  e  aingolaie  eeenqiio  di  ooetanza 


1)  In  Bezug  auf  das  Biographien,  u.  a.  von  Wol<wy  und  Cranmer, 
enthaltende  Buch:  „Men  of  Mark  in  British  Church- Histor}  **,  by  Wil- 
liam Marshall  (Edinburgh,  Oliphant),  genügt  zu  bemerken,  dass  es 
„für  die  aufwachsende  Generation"  geschrieben  ist.  —  Scenes  and 
Sketches  from  English  Church-Hist.",  by  S.  M.  S.  Clarke.  Kdinbur^h 
Oliph.  (Biographie  u.  a.  von  Marie  Stuart,  M.  Godolphin  u,  s.  w.), 
ist  von  „Miss"  Clarke  verfasst  und  als  ,,Schaol  price  for  ladies'  schools" 
intendiert;  Dr.  Strughton  hat  uns  mit  einem  ,,rich  lookinf?  volume" 
beschenkt:  ..TTomes  andHaunts  of Luther"  (Ijondon,  Kel.  Fr.  Soeic).  — 
Tennysons  Drama:  „Queen  Mary",  a  Drama  (London,  H.  S.  King 
&  Co,),  bat  mit  kircheDgeechichtUchen  Stadien  nichts  zu  ton. 


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e  di  $mnmam  adto  ufetaeneUft  wem  täigiim  msAU^  4m  Kiü^ 
Uo  Balbani  (1587)  .  •  .  ripubUkato  dA  Emüio  Comb«.  Bmo^ 
Finnse.  8*.  76  S. 
a  Dell'  Emia  in  Bergamo  nel  XVI  Seoolo  e  di  frate  Michelc  GhiaUeri 
Inqniiiitore  in  detia  citta,  indi  ool  nome  di  Pio  Y.  Bontifioe  mawrimo 
«I  Santo.  Bieetehe  storicbe.  Von  AUbate  Uocelli  In:  Ia  Senida 
Cattolioa  (Mailand)»  lOn-,  Jnni-  nnd  Septemberiieft. 

Der  ehrwtkrdige  italienische  Historiker  Giuseppe  De 
Leya,  Professor  in  Padna,  mit  dessen  Werk  wir  unsere 

Uoborsicht  er/^ffnen,  j^ehört  unter  den  Geschichts(  hrt  ibern  ira 
moderueu  Italien  unbedingt  mit  iü  die  erste  Reihe.  Seine 
Forschungen  sind  durchweg  von  grösster  Sorgfalt  und  Ge- 
wissenhaftigkeit, sein  Urteil  ist  ruhig,  ohne  teilnamlos«  und  seine 
Darstellung  ist  f^ehoben,  ohne  gekfinstelt  zu  sein.  Von  dem 
vortreiriicben  Werke  über  Karl  V.  in  seinen  Beziehungen  zu 
Italien  ist  für  unser  Gel)iet  der  dritte  Band  von  liervorriigen- 
dem  Interesse.  Derselbe  trfigt  die  Jahreszahl  1867.  Allein 
in  Wahrheit  ist  er  erst  1875  erschienen,  und  der  Unterschied 
crkhlrt  sich  daraus,  dass  den  Verfasser,  als  der  Druck  der 
ersten  sieben  Bof^en  vollendet  war,  eine  lebensgefiihrliche 
Krankheit  und  jahrelange  Schwäche  beüel,  die  ihn  erst  1875 
zur  Fertigstellung  des  Ganzen  kommen  Hess.  In  die  Zwischen- 
zeit fallen  dann  noch  einige  kleinere  (^u  eilenarbeiten  desselben 
Vc'itiussers  —  „Gli  Eretici  di  Cittadella"  „Giulio  di  Mi- 
lauo**  — ,  die  wir  nunmehr  in  die  Gesaniratdai"stelhing  ein- 
gefügt linden.  Das  fünfte  CSapitel  ist  ausschliesslich  der  Dar- 
stellung der  religiösen  Bewegung  in  Italien  bis  zum  Anfange 
der  vierziger  Jahre  gewidmet  und  enth&lt  auf  gedrängtem 
Räume  (S.  311-  :i9U)  eine  Fülle  von  Tjitsiicben,  die  zum  Teil 
neu  oder  wenig  hekannt,  immer  aber  von  Quellenbelegen  be- 
gleitet sind.  De  Leva  ist  Katholik.  Das  hindert  ihn  jedoch 
nicht,  die  reformatorische  Bewegung  im  ▼ollsten  Masse  zu 
würdigen.  Dass  dieselbe  in  seinem  Vaterlande  nicht  Wurzel 
geschiugeu  hat,  und  die  verborgene  Ursache,  weshalb  sie  oichi 

1)  Degli  Sietici  di  GitliideUa,  (Atti  deU*  Istitaio  Tenelo»  lot  11, 
ser.  lY,  1873.) 

s)  CKnlto  di  MQano ,  Appendioe  alla  Storla  del  Movimento  icUgioio 
in  Italia  nel  Seoolo  X?L  (Ai^hivio  Yoneto.  T.  TIU,  p.  1.) 


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DIE  QmJII.  DEB  EEFOBM ATION  IN  ITALIEN  V.  BEMJiATH.  615 

durchgreifen  konnte,  Diimlich  der  „Mangel  an  Glauben''  — 
das  ist  für  ihn  das  schmerzliche  Resultat  jener  Periode,  wie 
es  noch  drei  lange  Jahrhunderte  hindurch  seinen  verderblichea 
Einflnss  auf  die  Entwicklang  ItaUens  geübt  hat.  Dass  De  Leva 
den  Begriff  des  Glaubens**  nicht  in  dem  traditionellen  Sinne 
der  lömischen  Kirche  fasst,  geht  schon  aus  dem  Obigen  her- 
vor; die  Vertreter  dieser  Kirche  sind  denn  auch  mit  seiner 
Aufibssang  nnd  Darstellang  der  ganzen  Periode  wenig  ein- 
verstanden. Aber  indem  er  den  Gknben  im  protestantischen 
Sinne  als  den  wichtigsten  Faktor  im  nationalen  Leben  be- 
trachtet und  mit  leicht  erkennbarer  Teilnahrae  das  Aufsprossen 
solchen  Glaubens  in  dem  skeptischen  Zeitalter  der  Renaissance 
und  seine  vielversprechende,  aber  nur  allzukorze  Blüte  in 
Italien  verfolgt,  steht  er  den  einzelnen  dogmatischen  Fest- 
setzungen und  Meinungen  der  Zeit  um  so  unbefangener  gegen- 
über. In  nicht  wenigen  Punkten  führt  er  die  Ansichten 
früherer  Darsteller  über  die  Verbreitung  und  den  Charakter 
der  Bewegung  auf  das  richtige  Uass  zurück.  Den  protestan- 
tischen Schriftetellero,  die  nach  dem  Vorgänge  von  Gerdes  die 
Bewegung  zu  weit  ausdehnen,  indem  sie  in  Jedem,  der  irgend 
einmal  sein  Mia£allen  an  den  jeweiligen  kirchlichen  Zuständen 
und  Lehren  ausspricht,  einen  Protestanten  erblicken  wollen, 
tritt  De  Leva  entgegen.  Aber  er  hebt  auch  hervor,  dass  das 
summarische  Verfahren  der  katholischen  Geschichtschreiber, 
welche  „  die  Selen ,  die  ihnen  als  verlorene  erschienen ,  ver- 
fluchten, nicht  untersuchten'*,  die  Herstellung  des  wahren 
Sachverhaltes  in  gleichem  Masse  erschwert  Im  Gegensatz 
zu  der  Aufihssung  der  meisten  protestantischen  Bearbeiter 
liegt  für  ihn  der  Schwerpunkt  der  damaligen  Bewegung  in 
den  Versuchen  tiefergeheuder,  aber  noch  innerkirchlicher  Refor- 
men, wie  dieselben  in  Gaspare  Contarini  ihren  edelsten  nnd 
wftrpsten  Vertreter  gründen  haben.  Diese  Bestrebungen  ver- 
folgt De  Leva  eingehend  und  dringt  dabei  bis  auf  den  Grund 
auch  der  dogmatischen  Anschauung.  Aber  es  ist  eine 
notwendige  Folge  von  der  Entschiedenheit,  mit  welcher 
er  die  innerkirchlichen  Beformversnche  in  den  Vordergrund 
rückt,  dass  die  eigentlich  protestantische  Richtung  nicht  zu 
ihrem  Eechte  gelangt    Dieses  zeigt  sich  besonders  an  dem 


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616 


KBITI8CHE  OBBSSICHTBN.  I87i.  T. 


Beispiele  des  Juan  de  Yald^i  und  des  Ereieee  von  ge- 
gebildeten  und  frommen  Ifibinern  und  Fnmen,  der  BiA  um 

ihn  in  Neapel  i,n\siiniiüelt  hatte.  Dort  finden  wir  eiuen  Ber- 
nardino  Ochino,  j?ietro  Martire  Verraigli,  Giovanni  MoUio, 
Maieantonio  Flaminio  und  den  Ver&sser  des  Bfiohleins  ,,Yod 
der  Wohltat  Christi",  Jkm  Benedetto  di  liuitovn.  Will  man 
den  Standpunkt,  welchen  diese  Mitglieder  des  ValddopcJwn 
Kreises  einnehmen,  mit  einem  Worte  bezeichnen,  so  kann  nian 
sie  nicht  anders  ak  „  Protestanten nennen.  Haben  doch 
anch  die  beiden  Erstgenannten  sehr  bald  nachher  durch  die 
Tat  bewiesen,  daas  sie  an  jeder  innerkirchlichen  Reform  ver- 
zweifelten und  Kühe  tüi  ihr  Gewissen  nur  in  oflener  Sclieidon^ 
von  der  katholischen  Kirche  Huden  zu  können  ghiubteu.  l  n^i 
Valdäe  selbst  zeigt  sich  bei  näherem  Einblick  in  seine  Werke 
gerade  so  wie  Jene  —  wftre  er  nicht  kurz  vor  dem  Anabroche 
der  gewaltsamen  BeacUon  in  Rom  gestorben,  so  hStten  wir  andi 
ihn  wolil  unter  den  Schaaren  der  Flik-iitlinge  oder  unter  den 
Märtyrern  der  cvangelidcheu  Bewegung  in  Italien  zu  suchen.  Ick 
weiss  nicht,  was  De  Leva  veranlasst,  an  der  Authentie  der  „  Hm- 
dertundzehn  frommen  Betrachtungen"  des  Vald^  die  ffir  m» 
eine  Hauptc|uelle  zur  Erkenntnis  »einer  religiösen  Ansichten  sind, 
zu  zweifehi  oder  ihre  InteriK)Iatiun  anznnelimen  (vgl.  S.  366  f.). 
Aul"  mich  haben  diese  Betrachtnngen  stets  den  Kindruck  ge- 
schlossener Einheitlichkeit  gemacht.  Dass  die  Begriffe  mid  Ge- 
dankengänge, denen  wir  hier  begegnen,  sich  nicht  der  ge- 
bräuchlichen Kirchensi)rache  anpassen,  nnd  daneben  noch  die 
überall  hervortretende  Weite  des  G es iclitsk reise»  und  Tiefe 
der  Eeligiosität,  der  die  kirchliche  Formel  gleichgültig  ist,  — 
diese  Umstände  erklären  die  Erscheinong,  dass  man  Yaldifo 
in  die  damaligen  Klassen  protestantischer  Richtungen  nicht 
recht  einzurangiren  gewusst  hat.  Aber  irrtümlich  ist  es. 
wenn  auch  De  Leva  noch  ihn  in  der  katholischen  Kirche 
zurückhalten  möchte  und  ihn  teilnehmen  l&sst  an  der  Messe 
nnd  den  übrigen  kirchlichen  Gebräuchen.  Denn  die  Stelle, 
welche  er  S.  367  A.  3  aus  Balbanis  Leben  des  Marchese  Ca- 
racciolo  (s.  Nr.  7)  anführt,  geht  nicht  aul  Valdes  selbst, 
sondern  ausschliesslich  auf  die  Lebensweise;  gewisser  uns  dem 
Namen  nach  unbekannter  Freunde,  vielleicht  auch  frühere 


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DIE  GESCH.  DER  BEFORMATION  IN  ITALIEN  V.  BENRATH.  617 


Schüler  des  Meistere,  wie  sie  noh  zebn  Jahre  nach  VMU 

Tode  gestaltet  hatte.  Dass  z.  B.  ein  Giovanni  Francesco  Caserta 
nicht  zu  diesen  gehört  hat,  können  wir  nüt  Bestimmtheit  be- 
haapteo«  Der  reinste  Ausdnick  der  eYangelischea  Anschaiiimgeii 
des  Yaldteohen  Ereiaes  ist  und  bleibt  In  dem  ganz  proteobui- 
tischen  Bfichlein  „Von  der  Wohltat  Christi"  zu  suchen,  und 
dass  diese  Schrift  eine  dirokte  Abhängigkeit  von  den  „Hun- 
dertundzehn  Betrachtungen"  des  Vald^  aufweist,  ist  bereits 
anerbumt  weiden,  als  man  noch  gkubte,  ihren  Verfasser  in 
Aonio  Paleario  erblicken  za  mfissen.  Bei  De  Leva  wird  dann 
im  sechsten  Capitcl  die  Dai'stellnng  der  reformatorischeu 
Bewegung  weitergeführt.  Es  ist  erklärlich,  dass  das  Begeus- 
burger  Gespräch  von  1541  seine  Anfinwksamkeit  iji  besondere 
hohem  Grade  in  Ansprach  nimmt:  sollte  sich  dodi  hier  zeigen, 
ob  die  innerlrircblichen  Reformversnche,  wie  Contarlni  und 
andere  der  edolslcn  Geister  innerhalb  der  römischen  Kirche 
sie  vertraten,  geeignet  und  kräftig  wären,  in  die  Wirklichkeit 
überzngehen.  Bis  dahin  war  auch  die  Partei  der  Beaction, 
geleitet  von  Giovanni  Pietro  Osralfo,  wenigstens  nicht  offen 
gegen  die  Mittelpartei  aufgetreten.  Man  wartete,  bis  die 
günstige  Oelegeniicit  sich  darbot,  Contarini  selbst  wegen  seiner 
angeblich  zu  grossen  Nachgiebigkeit  gegen  die  „Lutheraner" 
ZU  verdächtigen,  und  das  geschah  denn  mit  dem  bekannten 
Erfolge:  anf  das  Scheitern  der  Regensburger  Verhandinngen 
folgte  nach  .Jahresfrist  der  entscheidende  Sieg  der  Rcaction, 
nämlich  die  Gründung  des  S.  Ufßzio  in  Rom  am  21.  Juli  1542. 
Es  waren  das  zwei  Schläge,  die  alle  Hoffnung  zertrümmerten 
nnd  deren  letztem  Oontarini  nor  nm  wenige  Wochen  flber- 
lebt  hat. 

Die  Grenze,  welche  De  Leva  sich  in  dem  angeführten 
dritten  Bande  gezogen  hat,  erlaubt  ihm  nicht,  die  Rückwir- 
kung insbesondere  der  letztern  Massrogei  anf  die  reformatorische 
Bewegung  im  allgemeinen  darzulegen.  Denn  da  er  nicht  fiber 
lö4i  hinausgeht,  so  können  nur  die  allernächsten  und  zuerst 
zu  Tage  tretenden  Folgen  der  neuen  Organisirung  der  Inquisition 
berücksichtigt  werden:  Ochinos  und  Vermiglis  Flucht,  die 
Verfolgung  der  Akademiker  in  Modena,  die  Verurteilung  Pietro  • 
Oittadellas.  Wir  hoffen,  dass  der  folgende  Band,  der  ja  wohl 


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618 


KHlTiaOHE  OBBRSICHTnr.  18TS.  T. 


dm  AbBohlufls  des  gansen  WeriEes  enthalten  wird,  die  üniM^ 
drUokoDg  der  Reformation  in  Italien  mit  eben  derselben  Treue 

und  Klarheit  darlegen  werde,  wie  sie  die  vorliegende  kurze 
Darstellung  ihrer  Entstehung  und  Verbreitung  kennzeichnet. 

,,BemardinoOofainovonSiena**vonEarlBenrath  (».Nr.  2) 
ist  die  umfluigreichBte  monegraphiaohe  VerOümtliobnng  Aber 
nneer  Gebiet,  welcbe  das  Jahr  1875  aofweisi  Da  aber  in 
diesem  Falle  Verfasser  und  Berichterstatter  eine  Person  sind, 
so  wird  hier  nur  hervorgehoben  werden  können,  was  die  Arbeit 
von  Neuem  und  Eigentfimliohem  bietet.  Ochinoe  Leben  ist 
bisher  monographisoh  nicht  oder  doch  nnr  in  eng  umsehrftnkten 
Grenzen  bearbeit^'t  worden.  Für  die  lauge  Zeit  hindurch  sehr 
vage  Tradition  über  ihn  auf  der  Seite  seiner  Gegner  von  der 
katholischen  Partei  hat  Boverios  Darstellung  in  den  Annalen 
des  CSapusinerordens  (1682  ersohienen)  die  Torzfigliobste  Quelle 
gebildet  Die  üntersuchangen  von  Bayle  im  „Didaonnaire 
historique  et  critique"  und  andererseits  von  Schelborn  in 
den  „  Ergötzlicbkeiten Bd.  III,  haben  dann  wenigstens  so 
viel  zu  Wege  gebracht,  dass  jetzt  auch  Ton  katholisch-kirch- 
licher Gescfaiehtsohreibung,  wenn  sie  ernst  sein  will,  die  einst 
auf  Ochlno  gehäuften  Beschuldigungen  nur  noch  zum  kleinsten 
Teile  erhoben  werden,  wie  denn  z.  B.  die  Darstellung  bei  Cantü 
einen  weit  ruhigeren  und  Ochino  günstigeren  Charakter  ange- 
nommen hat,  als  man  dies  sonst  auf  jener  Seite  gewohnt  war. 
Trotzdem  hat  jedoch  audi  Osnth  nicht  einmal  den  Venuch  ge- 
macht, das  psychologische  Problem,  wie  aus  dem  Generalvic^ir 
des  Capuziuerordens  der  protestantische  Prediger  geworden  ist 
und  werden  mnssto,  näher  ins  Auge  zu  fiissen.  An  dieser  Stelle 
setzt  nun  zunächst  die  neue  Bearbeitung  ein.  Dem  Yerftssw 
hat  ein  längerer  Aitfenthalt  in  yersehiedenen  Städten  Italiens 
die  Möglichkeit  geboten,  das  Material  für  die  italienische 
Periode  in  Ochinos  Leben  in  einer  bisher  nicht  erreichten 
Vollständigkeit  zusammenzubringen.  Da  er  zugleich  die  ganze 
gleichzeitige  reformatorische  Bewegung  ins  Auge  fasst  und  die 
bisherige  Kenntnis  der  innern  Entwicklung  Ochinos  dnrch 
zwei  noch  nicht  benutzte  aus  der  Periode  vor  der  Flucht  ber- 


t)  cm  Eretid  d*  UOIm,  Bd.  H  (Tann  1867). 


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DXK  Q£SUU.  Dm  RI&rOKliATlOM  IN  ITAUKN  V.  BfitUtATH.  619 


rührende  Schriften  desselben  erweitert  und  ergänzt,  so  kann 
er  dem  Leaer  einen  genaueren  Einblick  iu  die  Entwicklung 
dtts  MamiBB  Ymchai»  and  ihn  va  dem  YmUndnk  der  Ta^ 
sadie  hittfthrmi,  dais  bei  OoUno  ein  Punkt  emtreten  mveste, 
an  welchem  Amt  und  üeberzeugung  in  unlösbaren  Conflict 
gerieten.  Die  einzelnen  Urnntändo,  welche  diese  Entwicklung 
begleiten  und  vermitteln,  werden  eingehend  in  Betracht  ge- 
zogm  und  teilweise  dnroh  neue  Doonmente  erlintert.  Der 
Bmdmok,  den  Ochinee  Flneht  in  Italien  henrorbraohte,  wird 
sowohl  in  den  Massrogeln ,  die  man  gegen  die  Verbreitung 
seiner  Anschauungen  innerhalb  de»  Capuzinerordens ,  als  auch 
durch  dne  Chankteriaining  der  eftinmtlicben  Streit-  und 
Qegeneobrilten  der  Zeit,  wie  aie  sieh  in  beklohilieher  AnzaU 
gegen  ihn  ricfateden,  nachgewiesen,  üeberhaupt  nimmt  die 
bisher  stiofinütterlich  behandelte  und  dunkle  italienische 
Periode  von  den  neun  Capitelü  des  Buches  fünf  ein  und  füllt 
gerade  die  HSlfte  des  Volimens.  Eine  so  reiche  Nachlese 
war  beifiglich  der  folgenden  Perioden  in  Oohinos  Leben  nioht 
mehr  zu  halten.  Seit  er  in  Genf  iiiul  dann  in  Augsburg  eine 
Zuflucht  gefunden,  hat  man  diesseit  der  Al|»en  mit  grösserer 
Leichtigkeit  seinen  Spuren  2U  folgen  vermocht.  Die  wechsal- 
vollen  SieignisBe  seines  spAteren  Lebens,  seine  Flucht  ans 
Angsbufg,  als  das  kaiserliche  Heer  im  soiimalkaldisohen  Kriege 
seine  Auslieferung  verlangte,  seine  Berufung  nach  England 
unter  Eduard  Vi.,  seine  abermalige  iilucht  von  dort,  als  die 
blutige''  Maria  auf  den  Txon  kam,  seme  Anstellung  in 
ZOrich  and  seine  weiteren  SohickBale  hatte  schon  Bayle  im  ganzen 
genan  dargestellt  und  Sohelhorn,  sowie  später  Ferdinand  Meyer  in 
dem  trefflich  i^^earheitoten  Werke :  „Die  evangelische  Gemeinde 
in  liOcaruo'S  2  Bde.,  Zürich  1836  —  durch  Einzelforschungen 
noch  genaner  bekannt  gemacht  Die  sftmmtlichen  in  diese 
Periode  Menden  Werke  Oebinos  werden  namhaft  gemacht 
und,  soweit  der  Raum  es  gestattet,  durch  Proben  charakteri- 
sirt.  Auch  ist  es  das  Bestreben  des  Verfassers,  innerhalb 
dieser  seiir  zahlreichen  Erzeugnisse  der  schriftstellerischen 
Tätigkeit  Ochinos  gelegentiieh  die  ffBden  nachsnweisen,  wekhe 
anf  die  eigeotAroliche  und  selbständige  Stellung  zuhrafen, 
die  wir  Ochiuo  iu  der  letzten  Zeit  bezuglich  tief  eingreiiender 


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620 


KRITIBCim  ÜBiatölCiriEN.  1875.  Y. 


dognmliflelier  Fragen  dnBehmmi  mhm.  Bs  ist  lielaiiiiit,  dns 

seiner  Vertreibung  aus  Zürich  1563  ein  von  ihm  kurz  vorher 
veröfieutlichtes  Gespräch  zum  Aulass  diente,  in  welchem  er 
sei  68  die  Monogamie  zu  sdiinieh  Verteidigt  oder  die  Poly- 
gamie mit  la  etarlroii  Oegengrilnden  so  Worte  kommen  liesa. 
Dass  der  wahre  Grund  tiefer  lag,  ist  teils  von  den  Züricher 
Theologen  jener  Zeit  mit  Bezupf  auf  Ochiuos  Stellung  zu  der 
Lehre  vom  Verdienst  Christi  und  zu  der  orthodoxen  fassung' 
der  TrinitAtelehre  direkt  zogeetanden,  teik  Ton  Meier  mit 
Bezug  auf  das  VerhSltnis  der  eingewanderten  Looamer  Uber- 
haupt  zu  den  Eingesessenen  nachgewiesen  worden  und  wird 
auch  hier  hervorgehoben.  In  der  Tat  hatte  Ochino,  schon 
ehe  seine  „Dreissig  Dialoge*^  Yon  1663  seinen  G^em  za 
dem  enteidieidenden  Yoigehen  gegen  ihn  die  Waffen  darboten« 
beireib  der  ersteien  dieser  dogmatischen  Lehren  AnäiMen 
ausgesprochen,  die  sich  mit  den  späteren  socinianischen  sehr 
nahe  berühren,  und  in  jenem  letzten  Werke  gesteht  er  offen, 
dasB  er  eine  Weeenatrinitftt  nicht  anerkenne,  eondem  nur  eine 
(Mfonbamngstrinität.  Anf  die  bdden  Anhftnge  muerer  Schrift 
sei  noch  hingewiesen,  von  denen  der  erste  eine  Reihe  von 
teils  bisher  unbekannten  teils  wenig  bekannten  Briefen  und 
anderen  Schrift-  und  Actenstücken  enthält,  der  zweite  die 
Schriften  Ochinoa  in  einer  bis  jetzt  anderewo  nicht  erreichten 
YdhrtAndigkeit  anfzfihli 

Bezüglich  der  Abhandlung  Carl  Alfred  Hases  über 
denselben  Gegenstand  (s.  Nr.  3)  muss  zunächst  constatirt  wer- 
den, dass  dieser  die  Priorität  zukommt,  sofern  die  beiden  Ar* 
beitenwohlgleichaeitiggedmckt  worden,  aber  die  nmAmgieicheie 
erst  später  zur  Ansgabe  gelangt  ist.  Bei  dieser  vöU^en  ün* 
iibhängigkeit  der  einen  von  der  andern  ist  der  Umstand  um  so 
bedeutungsvoller,  dass  sie  bezüglich  der  spätem  theologischen 
Entwicklung  Oohinos  zu  durchaus  Ubereinstimmenden  Besul- 
taten  gelangen.  Beide  weisen  einen  direkten  Zusammenhang 
der  Anschauung  Ochinos  mit  dem  modernen  theologischen 
Geaammtbewusstsein  nach.  Hase  sagt  darüber  (S.  197): 
^,Die  Schriften,  welche  seinem  Leben  einen  so  traurigen  Aus- 
gang bereitet  haben,  enthalten  im  Keime  vielfiMsh  schon  die 
Oedanken,  aus  welchen  dte  neuere  pieleetentisohe  Thedegio 


QigUized 


DmOE8GH.D]gtBEFQBlU19raiNITALIBNV.  BEiiEATH.  621 


ms 


hervorgegangen  ist.^^    Und  bei  Benrath  heiast  es:  f^fir  ge- 
borte zu  dea  Mftmieni  jener  Zeit,  in  welchen  wir  gewisse  im ' 
GegensatB  ssa  den  gleichzeitigen  kirchlidi  lecipirten  stehende 

Anschauungen  verkörpert  finden,  die  dann  im  Lauf  der  Zeit  in 
das  theologische  Gesammtbewusstsein  übergegangen  siud'^ 
(S.  292);  und  an  anderer  Stelle:  ,,Der  Prozess,  welcheu  die 
protestantische  Anschaanng  in  Jahrhunderten  langsam  dnreh- 
laufen  hat,  findet  sich  in  Ochinoe  Entwicklung  pTftformirt 
und  bis  zu  einem  bestimmten  l'unkte  bereits  ilurcbgekampft'* 
(S.  221).  Was  nun  die  Behandlung  im  einzelnen  angeht,  so 
hat  fQr  die  italienische  Periode  von  Ochinos  Leben  Hase,  dem 
d«r  Vorteil  eines  so  langen  Anfenthaltes  in  Italien  nicht 
geboten  war,  das  ihm  yorliegende  Material  mit  Sorgfidt  ans- 
genutzt  und  übersichtlich  und  lebendig  dargestellt.  Der 
Lösung  des  psychologischen  Problemes,  die  wir  vergebens  bei 
Gantü  sachten,  widmet  Hase  besondere  Beachtong.  Wer  ihm 
mit  Aufinerksamkeit  folgt,  wird  das  Gediegene  nnd  Eiinheii 
liehe  der  Persönlichkeit  Ochinos  auch  bei  scheinbar  unver- 
mittelten üebeigaügen  herausfühlen ,  wie  denn  auch  die 
spätere  und  abschliessende  theologische  Entwicklung  des 
Mannes  in  ihren  tie&ten  Gründen  nnd  verboigensten  Fftdea 
weit  zorfickreicht.  Wie  bei  so  yielen  grossartig  und 
vielseitig  angelegteu  Naturen  tritt  auch  bei  Ocliiiio  die  Ein- 
heit seines  Wesens  nur  dann  heraus,  wenn  wir  das  Ethische 
in  ihm  zur  Erklärung  gewisser  Erseheinongen  des  intellec- 
tuellen  Gebietes  hinzonebmen. 

Eine  znsammenfiissende  Geschiebte  der  Reformation  in 
Venedig  giebt  Jules  Bonnet  in  den  „Derniers  Räcits" 
(s.  Nr.  4),  die  noch  1875  erschienen  sind.  Während  er 
De  Lefas  Arbeiten  über  die  Häretiker  von  CüttadeUa  und 
in>er  Ginlio  di  Milane  vor  Angen  gehabt  hat,  scheint  ihm 
dessen  dritter  Band  der  Geschichte  Kaiis  V.  noch  nicht  zu- 
gänglich gewesen  zu  sein,  sonst  würde  Bonnet  nicht  den 
Brief  Melanchthons  von  1539  ohne  weiteres  als  echt  be- 
trachten und  auch  an  anderen  Stellen  die  von  ihm  selbst  als 
rayerlSssig  gerühmten  Forsohnngen  des  italienischen  (Stolehrten 
benutzt  haben.  Im  übrigen  ist  die  obige  Darstellung  mit 
Sorgfalt  durchgeführt  und  geschmackYoll  in  der  Eorm,  wie 


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69d  KJU'fitfüm«  OBsniGBrEN.  israi 

aUflBi  was  HIB  der  Feder  dieses  äcMftsUUen  harveiydity  dsm 

wir  die  Wiederbelebung  des  Interesses  für  unsere  Periode  in 
niclit  c^erint^em  Grade  verdanken.    Wesentliches  Neue  bietet 
sie  jedoch  nicht.    Wie  lange  wird  es  noch  dauern ,  bis 
fionnet  endlioh  seia  Wort  einltei  and  ans  die  Gescbichte  der 
^fToehter  Frankreichs  *S  Renate  iron  Fenaia,  sclMiikt,  ni  wal- 
cher seine  saiiuntlicbeu  bislierigeu  Ai'beiten  nur  vorbereitende 
Studien  sein  sollten  und  von  der  er  doch  bis  jetzt  erst  einige 
Ghips,  danmier  suletii  die  obige  kleine  Abschiagmahlimg,  in 
der  Beyne  C^r^tknne  (&  Nr.  6)  g^ben  haif  Denn  eine 
weiter  reichende  Bedeutung  soll  doilli  wobl  diese  DaretelliiBg 
nicht  haben ,  in  welcher  mit  genauer  Berücksichtigung  der 
Kiuzelumstande  die  Kheschlieaeoug  zwischen  Ban^  YOüFimkr 
reich  und  dem  spAteven  fienoge  Itode  L  von  Fenm  ffs- 
scihildert  wird.  Bonnets  ^Mariage  sons  Fran^oii  1"  stellt  die 
Familienverhältnisse  der  beiden  Persönlichkeiten  und  die  all- 
gemeiueu  historischen  Verhältnisse  ms  Licht,  unter  denen  die 
Verbindung  sich  vollzieht,  chaiakterisirt  Reuees  frauzösiache 
BegliiAnagf  die  ja  bestimmt  war,  in  dar  religiösen  Bewagong 
in  Ferrara  eine  wichtige  Rolle  ta  spielen^  ond  Usst  nns  dann 
den  festlichen  Zug  der  Nt-uveruiählten  bis  au  den  Uuf  selber 
mitmachen,  der  einst  ein  Schauplatz  so  bitterer  Leiden  fir 
die  edle  Königstochter  zu  werden  bestimmt  war 

Binen  Blittolpnnkt  fitar  die  anf  die  reformateriadie  Be^ 
wegung  in  Itelien  hesftglichsB  Stndien  soU  die  ,,Rivi0te 
Cristiana"  (s.  Nr.  6)  bilden,  eine  Monatsschrift,  welche  mit 
Anfang  1873  in  iilorenz  gegründet  worden  ist^).  An  der  Spitze 
des  Unternehmens,  welches  übrigens  nigleich  a«Gh  den  In- 
teressen der  Bvangelisatien  im  weiteren  Siane  dient  nnd 
Artikel  des  verachiedebartigsten  Inhalts  mr  Vefi^ffentlicfaung 
bringt,  steht  Eniilio  Combii,  Professor  <ler  Kirchenge- 
schichte  an  dem  theologischen  Colleg  der  Waldenser  in 
Flerena,  ein  belehrter,  der  sieh  bereits  früher  dorch  kleinere 


1)  Früher  bat  Boonet  aus  deniielben  Bereiche  in  dem  BaHetin 
hietoriqoe  et  litteraife  verÖlSbntlichty  1866,  S.  65:  „  Jeanefle  de  Ben6e  de 
Fnmee";  1872,  S.  159:  „dteient  Msnt  a  la  ooar  de  Fenan". 

t)  De  die  BiTute  Criittaiia  dtaeit  de»  Alpen  nodi  wenig  MteMit 


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DIEOBBCB.DBIIBEranAnCnilimUBRT.BEl^  628 

Schriften,  ioabesoMkre  dnnsh  seineD  EraDCeseo  Spien»  be» 
kanni  gemadit  hatte  ^.  In  dem  Jahrgang  1875  der  ^BiTisfai 

Cristiana"  zeichnet  Comba  zuuäcbst  an  der  Hand  von 
neuen  Actenstücken  aus  dom  Archivio  de'  Frari  in  Venedig 
die  Geschichte  von  Frk  Balde  Lupetinos  Prozess  und  teilt 
dabei  das  bemerkenswerte  G^tonbensbekenntnis  dieees  M&rtyren 
in  sechzehn  Artikete  mit.  Denelbe  yerOffentlidit  an  gleicher 
Stelle  die  Verzeichnisse  der  Prozesse  vor  dem  Tribunal  des 
S.  Uftizio  in  Venedig  mit  Angabe  des  Namens  mid  der  Vater- 
stadt des  Angeklagten,  sewie  des  Jedesmaligen  Gegenstandes 
der  Anklage.  Wir  können  jedoch  diese  TerMentlidiiogen, 
sc  belangreich  sie  auch  sind,  ähnlich  wie  die  kleinen  Bonnet- 
sehen  Arbeiten  bezüglich  Renatas  von  Ferrara,  nur  als  eine 
Abschlagszahlung  entgegennehmen.  Denn  aus  den  unerschöpf- 
lichen Fnntamben  des  Arehifio  de*  frari«  dem  auch  diese 
Listen  entoommen  sind«  nrass  noch  Tiel  mafongreicheres  Ma- 
terial zu  Tilge  gelordort  werden.  Von  anderweitigen  Publi- 
cationen  an  derselben  Stelle  ist  hier  noch  der  von  dem 
Verfasser  dieser  Uebersicht  veranstaltete  Neudruck  der  italie- 
nisdUD  „Dottrina  Vecchia  e  Dottrina  Nmm^,  flbersetat 
lach^  einer  Schrift  des  ürbanns  Rhegins,  zn  nennen,  die  einen 
nicht  geringen  Einfluss  uul  die  reformatorische  Bewegung  in 
Italien  geübt  zu  haben  scheint  Ans  dem  genannten  vene- 
ibuiiachen  ArchiTC  sind  dann  noch  die  Angaben  geschöpft, 
dnrch  weksfae  G.  P.  Pens,  waldensischer  Pfarrer  in  Venedig, 
zuerst  Anischluss  Aber  den  Gang  des  Prozesses  gegen  den 
Uebersetzer  der  Bibel  Antonio  Brucdoli  gegeben  und  das 


ist,  80  erRcbcint  es  angezeigt,  aacli  aus  den  beiden  vorbeiziehenden  Jahr> 
gfingen  die  auf  unser  Gebiet  bezüglichen  Artikel  hier  zu  verzeichnen: 
Jahrgang  1873:  „Girolamo  Galateo,  nuurtire  veneziano  "  (Comba).  — 
„L^Eeilio  dei  Locanien"  (Benrath).  —  ,,yera  storia  del  Montalcino*' 
(Elze).  —  „n  pfocesso  di  Pier  Paolo  Vergerio"  (Comba).  —  „La  fnga 
di  Oohino"  (Benrath).  —  Jahrgang  1874:  „Una  Icttera  inedita  di  Fiaa» 
C6S00  Negri"  (Comba).  ~  „Letteia  a  Paolo  JH.,  docnmento  aconoeciiito 
delSecolo  XVL«  (Benrath).  —  „H  ritratto  di  Paleario"  (Benrath). 

1)  „Vnneeaeo  Spiera.  Episodio  della  Riforma  BeligioBa  in  Italia. 
Cos  aggiimta  di  döctunenti  originali.  Iffansto  da  Emilio  Comba.^ 
AmtSy  Wkmm  1873.  IdS  8. 


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Datum  seines  Todes  (4.  Dezember  1566)  festgestellt  hat. 
Eudlicb  giebt  Oomba  an  gleicher  Stelle  eine  Piobe  ans  der 
Yon  ihm  neu  verOffentUchten  im  Original  sehr  selien  ge- 
wordenen „Historia  della  Tita  di  Galeazso  Caracciolo** 

(s.  Nr.  7).  Bei  der  grossen  Seltenheit  vieler  der  Haupt- 
Schriften  jener  Zeit,  die  auf  die  reformatorische  Bewegung  in 
Italien  Bezug  haben,  igt  ee  driogend  wünschenswert,  dass  Neu- 
drucke in  grosserer  Anzahl  erfolgen.  Die  Londoner  „Beli- 
gious  Tract  Society"  hat  eine  besondere  Zwei«,'gefcellscliatt  in 
Florenz,  mit  einer  vortrefflichen  Druckerei,  —  sollte  sie  nicht 
zugleich  den  Interessen  der  heutigen  Evangelisatiou  in  her- 
vorragender Weise  dioien,  wenn  sie  einige  ^nptwerhe  ans 
der  Zeit  der  Reformation  in  Italien  von  neuem  zugänglich 
machte  ? 

Die  Abhandlungen  über  die  Häresie  io  Beigamo  (Nr.  d), 
im  allgemeinen  ohne  Wert,  enthalten  docb  eine  Anzahl  von 
beachtenswerten  Dokumenten  ans  dem  dortigen  bischOflidien 
Archive,  welche  teils  das  Vorgehen  des  Bischofs  Pietro  Lip- 

pomano  1527  und  1533  gegen  Ketzer,  teils  seine  Massregelii 
gegen  die  Verbreitung  ketzerischer  )uid  verdächtiger  Schriften 
ins  Licht  stellen.  Wir  lernen  hier  als  „Hanptketzer^  einen 
Giorgio  Medolago  de  Yavassoribns,  einer  vornehmen  Familie 
in  Bergiimo  angehörig,  kennen,  der  1537  eingekerkert  wurde, 
jedoch  enttluli  und,  abermals  eincfekerkert,  sich  zum  zweiten 
Male  durch  die  Flucht  zu  retten  wusste.  Auf  dieselbe  An- 
gelegenheit bezieht  sich  ein  von  üccelli  miligeteiltes  Urteil 
des  Bischöfe  Matteo  Giberti  in  Verona  (vom  4.  Jnli  1639), 
welches  einen  Priester  Namens  Gio.  Pietro  Medolacho  de 
VavassoribuH  verurteilt,  weil  er  seinem  Verwandten  bei  der 
Flucht  behülflich  gewesen  sei.  Mit  besonderer  Vorliebe  ver- 
weilt jedoch  der  Verfasser  bei  der  Mission  Ghislieris  in 
Bergamo  und  bei  dem  Prozesse,  welchen  dieser  gegen  den 
Bischof  Vittorio  Soranzo  und  seinen  Vic^ir  einleitete  und  der 
danii  später  iu  Kom  mit  Abschwönin<^r  eudigte.  Leider  scheinen 
die  Docnmente,  welche  dem  Verfasser  zu  Gebote  standen, 
grade  Ober  diesen  beziehungsreichen  Prozess  nichts  Näheres 
zu  bieten,  nicht  einmal  über  die  Vorgänge  in  Bergamo,  welche 
den  Inquisitor  zwaugeu,  die  Stadt  zu  verlassen,  um  seiu  Leben 


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DIE  GESCH.  DER  KEFORMATION  IM  ITALIEN  V,  BEM^TH.  625 

2ti  rettOB.  Was  Soranzos  Tätigkeit  als  Bischof  angeht,  so 
lernen  wir  nur  einit^e  cUsciplinarische  Edicte  kenneu,  von 
denen  eins  (von  1547)  das  ,,Summarium  Scriptoiae^*  und  die 
itSermoneB  Bornardim  Ochini''  verbietet  Das  ttSoiniiisne*^ 
iet  auch  von  einem  Priestor  Simone  de'  Borsetti  gelesen  wor- 
den, dem  ein  anderer  Priester,  Sebastiane  in  Poscauto  bei 
Bergamo,  das  Büchlein  gelieben  batte  (S.  256,  A.). 

Schliesslich  mögen  nocli  einige  Schriften  erwähnt  sein, 
die  zwar  nicht  direkt  auf  die  Darstellung  der  relormatoriscben 
Beweguig  abzwecken,  aber  doeb  in  mebr  oder  weniger  enger 
Beziebting  m  unserem  Gegenstande  stoben. 

In  Alfred  von  Reuraonts  (beschichte  Toskanas  *)  entwirft 
einer  der  bestunterrichteteu  Kenner  der  Zeitgescbiclite  in 
klaren  Zügen  ein  Bild  von  der  Entwicklung  Toskanas  seit 
dem  finde  der  florentimseben  Repablik  und  lässt  zugleieb 
einen  Bück  anf  die  glelcbzeitige  politische  Gestaltni^f  der 
Dinge  auf  der  ganzen  Halbinsel  tun.  Mit  Vorliebe  berück- 
sichtigt er  die  allgeniein»'n  culturhistorischen  Verhaltnisse, 
aber  die  religiöse  Bewegung  wird  daneben  nur  sehr  kurz  be- 
bandelt. Der  Verfasser  erkefint  z.  B.  an,  dass  „anf  dem 
florentiniscben  Gebieto  wie  in  dem  benacbbarton  Lncca  die 
reforniatorischen  Meinungen  Boden  gewannen",  und  setzt 
hin/AI,  dass  Cosinio,  ,.um  zahlreiche  Machinationen  wie  um 
Verbindungen  mit  dem  Auslande  wusste,  die  ihm  höclist  be- 
denklieb erscbeinen  musston''  (S.  131).  Aber  das  ist  alles,  — 
worin  diese  „  Macbinationen  *^  bestanden  baben  und  von  wem 
und  zu  welchem  Zwocke  die  „Verbindungen  mit  dem  Aus- 
lande'' angeknüpft  worden  sind,  darüber  bleiben  wir  im 
Dunkeln.  Von  den  Vertretern  der  reformatorischen  Bewegung 
wird  dort  Bemardino  Ochino  genannt.  Es  ist  misverstftndlicb, 
wenn  es  beisst,  dieser  babe  sieb  i,  gegen  das  Gebet*^  ausge- 
sprochen. Auch  kann  von  „Kämpfen  mit  ßucer,  Beza  uud 
Calvin"  (S.  1^2)  bei  Ocbino  nicbt  die  Bede  sein. 


1)  Alfred  tod  ReumoDt,  Gcflohicbte  Toskanas  Mit  dem  Ende 
j    des  floientiiiiBebeii  F^taates.  L  Band.  Die  Mediei  i.  J.  1680—1737. 
/    Gotha,  F.  Jl  Pertbes  187G,  jedocb  sdum  1875  ausgegeben. 

ZtitMlir.  f.  K..0.  41 


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626 


KRinSGHE  ÜBEB8ICHTBH.  1876.  T. 


Von  den  an  Alfred  von  Reumonte  „Lorenzo  il  Magni* 

fico''  sich  anschliesäenden  Artikeln  sind  herromiheben : 
„Lorenzo  il  Maguüico  e  Savouarola"  in  dem  Januarhefte  der 
Naova  Antologia  (Firenze)  sowie  Laureut  le  Magnifiqae'\  in 
Bevae  des  Dem  Mondes,  15.  Februar. 

Ana  der  in  der  letzten  Zeit  sehr  rmchhaltig  gew<»ndeneD 
Literatur  über  Alberigo  Gentiii  entföllt  in  das  Jahr  1875: 
Alberigo  Qentili ,  von  A.  Valdarnini  (Eivista  Universale,. 
Firenze,  Maiheft) 


1)  Olimpia  Morata  ist,  wie  auch  bereits  Pietro  Canies«?cchi ,  zum 
Mittelpunkt  eines  historisclieii  Romanes  geworden:  „01iin]»ia  Morata,  scene 
della  RiCorina .  raceonto  storico  del  Swolo  XVI,  di  Virginia  Mulazzi. 
Parte  prima.  Milano."  Damit  iiai  freilich  die  historische  Wipsenfechaft 
nicht  viel  gewonnen,  aber  die  Tatsache  beweist  doch,  das«  der  St-  il"  selbst 
dem  heutigen  Italien  nicht  mehr  so  antipathisch  ist  wie  dem  tiuheren. 


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ANALEKTEN. 


t. 

£iDe  ReforDisehrift  vom  Basler  Coneil. 

Nachtrag. 

Von 

Dr.  Max  Lenz 

« 

in  Mubiurg. 

Die  Memong,  in  dem  Mannscript  des  hiesigen  StaatsarehiTes, 
auf  das  ich  in  dem  leisten  Hefte  dieser  Zeitschrift  hingewiesen 
habe»  eine  noch  nicht  gedruckte  Schrift  geftinden  zu  haben,  war 
Irrtflmlich,  nnd  der  Wunsch»  dieselbe  mit  Hatten  in  Terbindnng 
zu  bringen,  hätte  sich  unschwer  erfüllen  lassen  können.  Denn 
sie  ist  identisch  mit  der  Flugschrift,  die  Hutten  1521  unter 
dem  Titel:  „OoncUia,  wie  man  die  halten  sei.  Vnd  Ton  yerleyhimg 
gejstlicher  lehenpfrunden.  Antzoig  damit,  der  Bäbst,  Cardinälen^ 
Tud  aller  Curtisanen  list,  yrsprung  vnd  handel  bitz  vff  diss 
zeit*'  zusammen  mit  dem  Traktat  des  Bamberger  Vicarius  Conrad 
Zärtlin  „  Ermannng,  das  ein  yeder  bey  dem  rechten  alten  Christ- 
lichen glauben  bleiben,  vnnd  sich  zu  keiner  newerung  bewegen 
lassen  soll "  herausgegeben  hat.  Wie  er  in  der  Vorrede  ansieht, 
hat  er  erstere  bei  seinem  „besondem  trostlichen  guten  freund 
ymi  onthalter  Frantzen  von  Sicking^eii ,  haubtman  etc.  in  seinem 
Echlo&bz  Kbernbiir^'',  vnter  anderen  alten  Biu-hrTeu ,  im  villycbt 
Ton  seinem  vatter  seligen  verliiöözeü "  gefunden.  Der  Druck  zeigt 


1)  S.  468—469. 

41* 


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628  ANALEKTEN. 

gegen  das  "M.ipnscript  oine  Reihe  von  Diflferenzen.  tVi^  sidi  meist 
(Inrrh  rmm«>(leJuni:-  :i!t.M-tnmliclier  Aii^^'b/üclve ,  Flüchtigkeiten  im 
Abtli  iicken  oder  als  rit  htige  Ergänzt  r.i'^^  ri  unverstünillicher  Stellen 
der  iiaiidschril't  erklaren  lassen.    Hier  und  da  sind  diese  Con- 
jortrren  jndoch  so  ausführlich,  p'nize  einirer-*'hobone  Sätze,  dass 
man  an  der  fast  selbstverstiiudlirli    klingenden  Annahme ,  hier 
eben   das    von    Hutten    L:efTin<]eno    Mauuscript    V'^r    sich  zu 
haben,  irre  werden  mochte,  zumal  da  sie  durch  die  Jahreszahl 
der  Copie,  1520,  ebenfalls  erschüttert  werden  muss.    So  liest 
man  z.  B.  in  der  Handschrift:  „Da  fant  der  babst  ejn  neuwe 
wyso ,  das  er  den  lesten  gracien  hatten  vnd  waren  yn  truter 
hoflFenunge  das  sie  belehent  solten  werden,  wanne  sie  die  ersten 
waren,  so  wurden  sve  die  lesten  vnd  hatten  Ire  arbevt  vnd 
dyenste  vnd  dar  zu  das  gelt  verloren.**    In  dem  Druck  kommt 
darch  die  fiinschiebung  der  Worte  „gab,  brachten  sye  pfennig', 
das  sye  in  ire  gracien  einen  voiganck  hatten,  Tor  allen  dan  die 
vor  acht  oder  zehflon  joren  giacien"  zwischen  „gracien"  imd 
chatte n"  in  diesen  ganz  unverständlichen  Satz  erst  Sinn  und 
Zusammenhang.    Daif  man  hier  und  an  einigen  ähnlichen,  nicht 
ganz  80  auffallenden  Stelleu  blosse  Coiyectur  und  nicht  die  Grund- 
lage einer  älteren  Copie  annehmen,  s'^  wfirde  dies  dem  philo- 
logischen Scharfsinn  Huttens  alle  Ehre  machen.    Eine  sichere 
Ansicht  über  diese  Frage  habe  ich  mir  nicht  bilden  k(innen. 


2, 

leber  dnen  ang^eblifh  ueuea  Berietil  über  das 
Marburger  Religionsgespr&ch. 

Von 

Prof.  D.  Brieger 

in  Marburg. 


Herr  Professor  Schirrmacher  hat  kürzlich  einen  Bericht 
tiber  das  Marbnrger  Religionsgespräch  von  1529  (Acta  coUiXjuii 
Mar^rgmsi&  in  cama  sacratmntariaj  verö£fentiicht  welchen 


1)  Briefe  und  Acteu  zur  Geschichte  de^i  lidigiuuä^piachcä  zvl 


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BKIEGER,  ZUM  MARBUBGER  COLLOQUIUM.  629 


er  nicht  ohne  Grund  als  die  „einzige  nmfanirreic.he  Relation  cvan- 
geliöcher  Seits"  bezei-^hnot  I  i  der  Ta'.  i-t  «iieser  Bmicut  unter 
allen  bisher  verötf entlichten  Originalberichten,  die  von  Seiten  der 
Anhänsjfor  sei  es  liUthers  sei  es  Z'ving-li.s  gelieleit  -iu'l,  iiu  ht  nur 
der  unifanLqe'n  li.-tc,  sondern,  wie  ein  Verirleich  mit  dcui  Herichte 
Kudolf  Collins  ')  zu  /eigen  geeignet  ist,  iinoh  der  ^'t^nutieste 
und  vioiif'icl.t  ziiverlüssigste,  den  wir  tür  das  th  ui»tg''s|.;a  i  voui 
2.  Oc:olc.-  :  p>,iizen.  Eine  kxiti.-rlif  Würdigur.g  allnr  e:n«^f  ;!l:i- 
genden  Herichte,  zu  welcher  mich  im  vergangenen  Winter  die 
von  mir  geleiteten  kirclienhi^torisclion  Uebnngen  im  hiesigen 
Seminar  nötigten,  denke  ich  später  gelegentlich  zu  gelten.  Heute 
wollte  ich  nur  anmerken,  da^.-  Schinmacher  im  Irrtum  ist,  wenn 
er  die  von  ihm  abgedruckte  wertvolle  Relation  für  bisher  un- 
bekannt um!  -ingodruckt  uolialtcn  hat.  .U..n  v.iiij  einem 
UniversalListoriker  dies  Verseilen  aber  um  00  weniger  hart  an- 
rechnen dürfen,  als  b^iinuntliclie  Theologen,  welche  sich  in  den 
letzten  vierzig  Jahren  mehr  u<ler  wiiiiiier  eingehend  mit  dem 
Mai  f'.irger  Keligionsgcspriich  beschiutigt  hüben,  diesen,  wie  gesagt^ 
wichiiirsteu  Uericht  ebenfalls  nicht  gekannt  li  i'  '^n;  dies  gilt,  um 
nur  die  bedeutenderen  zu  nennen,  von  Schmiit  Ebrard*), 
Hao  >enkamp  ^) ,  Keim-'),  Mörikofer')  und  Köstlin**). 
Die  ivclation  eines  ungenannten  Aniianger>  Luthers,  welche  Schirr- 
macher jetzt  ;t(H  der  Hand>chrit't  .loh.  Aurifabers  verölYentlicht 
hat,  ist  mindestens  ^^ch  n  15^4  gedruckt'*),  nnd  zwar  von 
Joh.  Wigand  in  seinem  »ekannten  Bach:  De  Sa-  tainentariisym^ 
genauer  in  dem  vieliach  auch  als  selbständige  Schrift  citirten 


Marburg  1529  und  des  Roichstages  zu  Aug.sbarg  ir)30,  nach  der  Hand- 
«hrift  dcK  Job.  Aurifaber.   Gotha,  F.  A.  Perthc«,  187ti.   S,  1—17. 

J)  Vorndc,  S.  IX. 

»)  K  u  d  o  1  p  h  i  C o  1 1  i  n  i  Samraa  colloquii  Marpurg^jnsis  bei  H  0 s - 
pinian,  Histor.  sacram.  (ed.  Il.j,  II,  123^^126^;  anch  (weniger  gut) 
in  Zwinglü  Opera,  ed.  Sohnler  et  SehnltlicBg,  IV  (Tiguri  1841),  p.  175 
Iris  180. 

^)  L.  J.  K.  Schmitt,  Daa  Religionsgespräcb  zu  Marburg  im  Jahre 
1529.    Marburg  1840. 

^)  Das  ^gma   vom  heiligen  Abendmahl  II   (Frankfin*!  1846), 

Hesalwbe  Kiiohengeflchicbte  II,  1.  Abteil.  (Narboig  1855), 

&  05  fr. 

.^chuabische  Reforniatiourigeschichte,  Tübingen  185^  S.  119 ff. 
1)  Uhich  Zwingli  II  (Leipzig  18«9),  S.  238. 
8)  Martin  Luther,  sdn  Leben  und  seine  Schriften,  II  (Elberfisld 
1875),  S.  619. 

^)  Ob  sie  nicht  schon  früh  r,  wfnig'stens  teilweise,  an??  Licht  «re- 
treten  ist,  mnss  ich  wegen  Mang«!  an  Hültümitteln  unentschieden 
lassen. 

1^)  Diese  Ezegesis  hat  einen  selbstftndigen  Titel,  «nf  dem  Wigand 


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«30 


ANALEKTOf. 


Anhang  desMlben:  Exegeais  coUoquiorum  aliquoi,  cum  mMera^ 
fnentariU  habitorum,  (Lipsiae  1584)  fol.  424«"— 431*.  FrOher 
gehdrte  dieser  Änonjfimm  Wiffondi  za  den  aUgemeln  bekannten 
Quellen;  so  finden  wir  ihn  angefttbrt  bei  Löscher^),  Bnd- 
deus^,  Job.  Alb.  Fabrlcins^)»  Salig»,  Ffisli^)  bk 
herab  anf  Planck'),  Ukert^)»  Bommel^;  nnd  aelhst 
noch  von  Gteseler^  wird  er  citirt,  aber  aneh  nnr  citirt; 
benutzt  ist  er  von  allen  Genannten  wenig  oder  gar  nicht  So 
Mtten  wir  hier  eine  in  neuerer  Zeit  von  niemandem  auagebenteie 
Quelle  vor  uns,  wenn  nicht»  was  dem  neuesten  Herausgeber  ent- 
gangen ht^%  dieser  Anonymus  von  Abrah.  Scultetus,  dem 
er  handschriftlich  vorgelegen  hat,  dem  eignen  Bericht  i^)  xa 


nicht  genannt  int,  daneben  aber  die  Folio-Zahlong  des  Hauptwerkes 
(fol.  423  -5S-2). 

1)  Vul.  K.  LöHclier,  Ausführl.  Historia  motaum  1  (Ii 07), 
S.  158  (2.  Aufl.  1723,  S.  iil). 

Franc.  Bnddei  dissertatio  hittorico-tbeologiea  de  eolloquüs 

charitativis  saeculo  XVI.  per  Geriuaniam  irrito  evontu  iustitutU.  Jen, 
1719  {au.-ii  in  .I  n  Mi.,-.  >.uTa,  .1.  ii.  1727.  IH   1":J-528;  8.  p.  492), 

3)  ('entifoliuiii  Luthoranum  (Ilauiburg  17J8),  103. 

*)  Historie  der  Augab.  Confession  1  (Halle  1730),  S.  145, 

ft)  J.  C.  Ffiflslio,  Beyträgc  zur  Erlauteronff  der  Kirehen-Betbr* 
mationsgeschicliten  des  Schweitserlandes  III  (Zürich  1747),  S.  156  und 
Vorrede  S.  XVIII. 

^)  Gesclücbte  uuaers  protest.  Lebrbegrifb  III  (2.  Aufl.  Leipz.  1792), 
S.  518. 

^)  Luthers  Leben  (Gotha  1817)  U,  231. 

8)  PhiUpp  der  GrossmQtige  II  (Oieeeen  1830),  S.  222.  Bommel 
acheint  hier  (fälschlich)  Oslander  fm  len  Verfasser  zu  halten. 
.     y)  Lehrbuch  der  Kin-h.^n.T.N.  li;,  hU'  III,  1  (Bonn  1H40).  8.  236. 

Es  i.st  das  um  au  autlalkndor ,  als  8chirnuacher  von  einem 
Stocke  der  Relation  [ß,  15,  von  Tum  Lutherus  UsUmenti  —  mortalmm 
^robare  poU$t)  doch  selber  richtig  bemerktp  dass  es  sich  „fast  w5rtlich** 
in  Scolteti  aiitiales  iindo  (Vorrede  S.  IX,  Anm  1).  Dieae  Ueberein- 
stimninnt;  li  ift  I  i  Ii.  sollt»  man  meinen,  reizen  raiii^scn  ,  das  genauere 
VerhiltuiH  (it'f  lt''i'lon  Bericht»;  zu  untersnclien.  —  Beihvuhg  ma;^  ange- 
merkt sein,  dass  nicht,  wie  Schirrmacher  a  a.  0.  meint,  „der  An- 
fang der  Relation"  (8.  3)  fast  wdrtlich  hi\  Sleidan  steht,  sondern 
die  Relation  fAngt  erst  S.  5  an  und  Aurifinbcr  hat  derselben  als  Sum- 
mariura  die  betreffende  Kr/ihhing  Sleidans  ed.  Chr.  am  Ende  I.  .'>SOf. 
(mit  einigen  rt;dactionollen  Veränderungen)  und  ausserdem  da.s  bfkannt<}, 
unzahlige  Male  gedruckte  Gedicht  dcä  Euriciu.s  Cordurt  (Schinmacher, 
8.  4)  voransgesonickt  (zwei  Stücke,  die  von  Sohirrniacher  wohl  besser 
forti^  lassen  wären).  Und  zwar  hat  Anrifaber  den  Sleidan  ziemlich  ge- 
dankenlos ausgesciirieben,  indem  or  auch  den  unrichtigen  Satz  mit  her- 
übernahra:  ..Sidnn  autem  Lutheru:^  at  (iie  Zwinglius  causam  di.-<ce|>ta- 
bant",  wälirend  in  der  naoh(olgend*;n  rv.dation  aU  dritter  Hauptredner 
wieder  nnd  wieder  Oekolampad  auftritt. 

*>)  Abrah.  Scult-  ti  Annalium  evangelii  pa^sim  p?r  Earopam.» 
xenoTati  Decas  secnnda  (Heidelbergae  1620),  p.  197  sq.  216—229, 


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BKIEGER,  ZUM  HA.KBUKGEK  COLLCH^UIUM.  631 

Orumlt'  ^^elog-t  iiini  zum  Teil  wörtlicli  ;iu>geschriebeii  worden 
wäre  und  dann  in  dieser  Fikssnug  vielfach  auf  die  neueren  Dar- 
stellungen Einfluss  g-ewonnen  liatte. 

Das  Verhältnis  i'or  Kehition  Scaltets  zu  unf^erem  An(»nymu8 
verdient  mit  ein  paar  Worten  genauer  gezeichnet  zu  werden. 

Nachdem  Scnltetus  nach  einer  einleitenden  Erzählung 
(p.  l'Jö — r.>8)  vier  Briefe  Melanchthons ,  ljutiiers,  Butzerb  und 
Oekolanipatl.s .  welche  über  daij  Marburger  Colloquium  berichten, 
mitgeteiit  hat  (]).  198 — 215),  fahrt  er  (p.  215)  fort:  da  man 
glaube,  da^ss  nicht  nur  Lnthern,  sondern  auch  dem  iMehtnchthon 
in  iliror  Darstcdlung  der  Marburger  Vorgänge  etwas  Mensch- 
liches begegnet  sei,  so  habe  er  bona  lido  zwei  handschriftliche 
Eelationen  verglichen ,  deren  eine  er  aus  der  Schweiz ,  deren 
andere  er  aus  der  Biblinthok  seines  Collegen,  des  Kurpfälzischen 
Consi>tormlrates  WiHi.  Schumann,  erlialten  liabe.  Wenn  man 
sich  auf  die>p  1  törichte  verlassen  dürfe,  so  sei  mit  Heiseitolassung 
der  im  Coll'uiuium  lieihiutiir  vorgekommenen  Streitigkeiten  das 
Wesentlichste  F(dgendes  gewe>eu,  vvjls  er  (p.  210 — -221))  in  «diiem 
ausführlicht'H  Berichte  darlegt.  Schon  ein  ilüchtiger  Blick  zeigt, 
dass  (hksjpnige  Manuscript,  welches  ihm  die  Bil)rh)thek  Scliumanns 
geliefert  hatte,  identisch  ist  mit  dem  Anonymus,  den,  ohne  dass 
Scultetus  es  ahnte,  doh.  Wigand  schon  vor  36  Jahren  gedruckt 
hatte;  und  zwar  hat  Sculteti  s  von  dieser  Handschrift  einen  sehr 
ausgiebigen  Gebrauch  gemaclit.  Schon  in  seiner  einleitenden  Er- 
zählung hat  er.  ohne  seine  Quelle  anzudeuten,  eine  Iioiho  von 
Sätzen  hist  wörtlich  aus  dem  Berichte  des  Anonymus  entlehnt 
voUeiols  aber  seinem  Bericht  über  die  flauptdisputation  vom 
2.  October  (p.  210 — 226)  ist  der  Anonymus  fast  ausschliesslich 
zu  Grunde  gelegt,  so  dass  die  schweizerische  Quelle  nur  an 
ganz  wenigen  Stellen  aofinahmsweUe  zu  Worte  kommt  ^) ;  während 


*  1)  S.  197 f.;  vgl.  daiuit  den  Anonym,  bei  Wigand  fol.  424^ 
Scbiirm.  p.  5  (die  ente  halbe  Seite:  Die  Jovis  —  id  quod  sequenti  die 
Veneria  ita  factum  est).  So  eotnabm  Scult.  an  dieser  Stelle  aus  dem 
Anonymns  z.  B.  die  cig*'nartige  Bcgn'issung  Bnt?:'  r-^  durch  Lutlier  (tu 
es  neqii.vni  et  n<  biüo),  welche  von  hier  aus  in  alle  ucueren  Darstellungen 
eingedrungen  i»t. 

>)  nur  p.  218  in  den  Sätzen:  „Si  joberet,  inqntt,  ttmnm  comedere, 
facercm,  mth  sciene,  hoc  mihi  esee  ealntifimtm.    Uterqne  tandeui  pro- 

testutus  CHt,  se  in  sua  sententia  perBeveraturutn ,  quunJo  neut- r  alteri 
satiHt'ecisset "  und  „  praejndicii  Lutlieruin  ;i(  cu.->:it.  protcstautem  s.'  a  sua 
nolle  decedere  seutentia"  und  p.  211)  in  deu  JSatzeu:  „Zwinglius  acri- 
ptnrae  inter  se  esae  oonferendas  monet,  tropoe  nsitatoe  esee  in  Seriptora, 
nt  com  andis:  fratr«'s  riiristi.  et  signatam  pro  signo  eaepe  poni;  ^ 
item  Phase  est  transitns"  und  ..Lutlierus  frater  pro  patrueH  ex 
Scriptnra  ]tr<)batiir.  sed  hie:  hoc  est  corpus  meuin,  tropus  non  |»<)t<'st 
probari."  Es  lässt  sich  leicht  fcststcUeu,  welche  schweizerische  QucUö 
Scnltetoa  für  das  Hauptgespräch  vom  2.  October  benntst  hat.   Bs  war 


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633 


AHALBKTEN. 


umgekehrt   der  Bericht  flher  das  Gespräch  Tom  3.  Octob«r 
ip.  236 — 339)  huiptsäehlich  waf  Gnmd  scfaweoerischer  Mit- 
teilnngen  gregeben  ist  mit  nur  gelegentlicher  Benntimig  dea  Ano- 
nymus 0-   Soaltetns*  Darstollnng  des  Hanptgespr&ohee  ist  daher 
nichts  anderes  als  ein  ziemlich  wort^treuer  Auszug  tarn  dem 
Anonymus:  der  Faden  des  Gespriches  ist  treu  und  genau  fest- 
gehalten, in  der  AnsAlhnuiig  einiges  ausgelassen     anderes  ver- 
hflrzt  (mitunter  auch  in  der  Art,  dass  Terochiedene  Weohsal» 
reden  durch  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Aignmeate  in 
eine  zusammengesogen  sind     manches  ist  frei  reproducirt,  sehr 
▼  ieles  aber  wörtlich  oder  doch  mit  nur  ganz  an» 
wesentlichen  Abweichungen  wiedergegeben^).  Doeb 
whrd  es  haum  der  Bemerkung  bedürfen,  dass  dieser  Auszug  keinen 
genügenden  Srsatz  darbietet  ftr  den  seit  1684  vorliegenden 
Mginalbericht. 

Ueber  den  Yerihsser  desselben  Ifisst  sich  Torl&ufig  nicUU 


ein  Bericht,  der  ebenfalls,  ohne  dass  Scnltetus  es  wnsste,  schon  1609 
von  HoRpinian  im  3.  Batide  scliior  Ilistoria  saor.iinenturia  ge  druckt  wät. 

Die  b^  itli-n  orston  und  d  v  letzt-*  dor  cljL'n  vnit^'-t'tcilt' n  Sf\tz  sind  wort- 
lich,  d' r  dritte  don^  Sinne  nach  aus  Collin  cntnommeu  (bei  Hospin. 
1.  c.  p.  124*  und  124'  ). 

1)  Dieser  ist  benutzt  p.  236  für  die  Einleitnngsfonnd ,  die  ento 
Antwort  Lutiif  is  und  die  2.  Rede  Zwingiis  und  Luthers;  ferner  ist 
p.  228  eiji  liiilb«'  St  ile  tust  wi)rtlicb  ans  dwu  An  »üvtn  entnommen : 
„Addui'it  igitur  alinni  locum  Aui;u?tini  nt  a  di.<[»utalione  utrinque 
cessetur"  (cf.  Wig.  ful.  430»,  431» :  Scmnuj.  p.  lösq.  17).  —  Auch  für 
diesen  Teil  des  Gespräches  wird  sich -die  Schweizerische  Quelle,  welche 
Scultctns  zu  <!runde  <:elegt  hat  (es  ist  dies  hier  nicht  ausschliesslich 
Collin).  nix'li  mit  Siilierlieit  nachweisen  hassen.  Auf  alle  Falle  Vasut 
fciicli  schon  jt.tzt  so  viel  sagen,  dass  der  Bericht  des  .Scultotaa 
alä  ein  nur  aus  uns  noch  erhaltenen  Quellen  abgeleiteter 
fbr  die  Darotellnne  dos  Gangps  der  Disputation  in  Zukunft  nicht 
mehr  in  der  bislu  rigen  Weise  verwertet  werden  darf. 

'A  (iross.  rc  Partien  nur  zweiuial,  und  hier  ist  die  Auslassung  beide 
Mab'  ani-drii«  klicli  angemerkt:  p.  220:  ..Atque  hoc  loco  altcreatio  snb- 
orta  de  qua  .-itione,  an  malus  »acerdos  corpus  Christi  elücerc  pus!>it.  ucc 
ne,  Zwiuglio  negante,  Luthero  affirmante"  (cf.  Wig.  fol.  427* sq.,  iSchirrm. 
p.  10);  nnd  p.  223:  „Hie  qnaedam  inteijecta  sunt  de  vera  Christam 
eialtatuui  c^'iisid  raudi  ratione"  (cf.  Wig.  fol.  428*'8q.;  Schimn.  p.  13). 

So  die  Reden  Zwingiis  ]>.  219  oben  und  in  der  Znsainnipn- 
fassung  der  Argumente  Zwingliä  und  der  Entgegnungen  Lutherä  p.  'iid 
bis  221. 

^)  Man  wird  nicht  Ton  mur  erwarten»  dass  ich  für  die  Richtigkeit 

dcB  in  den  letzten  Sätzen  gegebenen  Ergebnisses  einer  Vergleichung  der 
beiden  Berichte  erst  ein^m  Beweis  liefere;  ich  müsste  dann  diese  Miscelle 
mit  einem  Ballast  liiulist  langweil ieer  Einzelheiten  beladen.  Wört- 
lich oder  doch  nahezu  wörtlich  aufgenommen  hat  Scul- 
tetus  etwa  ein  Drittel  des  Schirrmaohersohen  Textes,  von 
den  zahlrdcheu  w^tlichcn  Anklängen  in  den  rerkürztcn  Partieen  lüi» 
gesehen. 


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BRIEGER,  ZUM  MARBURGER  COLLOQUIUM.  639 

fiMtimmtes  sagen.  Dass  er  von  einem  Anhänger  Luthers  und 
einem  Ohrenzengen  hecrfihrt.  wtkrde  man  auch  ohne  die  ane- 
drflckliche  Versichening  Wigands  0  Berichte  selbst  auf 

den  erbten  Blick  warnehmen.  Jedenfolls  mü&ien  wir  den  Ver- 
fasser unter  den  sächsischen  Theologen  suchen.  Anwesend  za 
Harburg  waren  ausser  Luther  und  Melanchthon  bekanntlich  nicht 
nur  Justus  Jonas,  sondern  auch  Caspar  Crucigor,  Frie- 
drich Mecum,  Justus  Menius  und  Luthers  Amanuensia 
Oeorg  BOrer       Unter  diedcn  hat  man  also  die  Wahl. 

Wichtiger  ist  es,  Schluss  noch  die  Beschaffenheit  der 
beiden  jetzt  vorliegendcu  Texte  ins  Auge  zu  fiissen,  welche  nicht 
unwesentlich  von  pmander  abweiclien.  Die  zahlreichen  in- 
differenten Abweichungen  in  einzelnen  WOrtem  oder  ganzen 
Wendungen,  vollends  in  Stellung  der  Wörter,  Interpunction  und 
dergleichen  sind  dabei  selbstverständlich  zu  Übergehen. 

Der  Text  Wigands  (\V)  ist  ungleich  eorreeter  und  zugleich 
yolIstän<1iger  als  der  Aurifabers  (A).  Allerdings  haben  wir  es 
mit  Dank  anzuerkennen ,  dass  \\  an  einer  ganzen  Reihe 
Ton  Stellen  durcli  A  verbessert  wird  wennschon  nur  an  wenigen 
von  Belang       Aber  zahlreicher  im  Vergleich  damit  und  vor 

M  Wig.  fol.  424'*:  Qnciiiaiio  vero  sit  facta  collatio ,  narrationein 
et  consignationeui  cujusdaiii,  c[ui  iiitorluit,  vi.sum  est  aubjicere. 

s)  VgL  z.  B.  Frid.  Myeonii  Hist.  reform.  (Uipzig  1718), 
p.  80. 

-|)  An  luimier  bel:in£rrei«-bou  «nlcr  von  selbst  anffoUenden  Scluneib- 
oder  DriioktVlilern  ist  Folgendes  zu  verbessern: 

fol.  42.)'^  Z.  (i  von  oben  lies  qutis  q^mdum  ytatt  ywo*  qnulcm. 

ibid.  Z.  13  von  unten  lies  ae  elaritale  cerbi  dei  statt  de  carüate 

rcrlii  (h  i. 

fol.  427»  Z.  12  von  oben  lies  afj'rrrr  statt  offene. 
fol.  '128^  Z.  IT)  von  oben  lies  ahfntuntm  statt  ad/'uturum. 
ibid.  Z.  12  von  unten  nitmur  statt  uiimur. 
fol.  429*  Z.  1  von  unten  lies  maginis  statt  ünagines. 
fol  4.'i(ib  Z.  5  von  oben  lies  9ed  statt  »cii. 
ibid  Z.  n  von  unten  lies  ideoque  statt  adeoquc. 
fol.  4.il^  Z.  7  von  oben  lies  corpus  et  sanguitutm  statt  corpus  «an- 
fjumcut. 

ibid.  Z.  18  von  ob^i  lies  te  coffi  non  posse  statt  cogi  non  poftse. 
An  AnslaBSungen  ist  hier  anzumerken: 
fol.  427<^  Z.  f)  von  unten  ist  nach  effieaeia  sint  ausgefallen:  ad  effi- 

rieiuhnv  id  qund  s(i"nfif. 

fol.  427'*  Z.  lö  von  oben  iüt  vor  in  cuena  aufgefallen  in  terni. 

fol.  428^  Z.  15  von  unten  ist  smper  nach  sc  non  eiuzuscbalten. 

fol.  4^)*  Z.  13  von  unten  ist  esse  nach  m  vno  loeo  aufgefallen. 

fol  4o(ß'  /.  14  von  unten  li<  s  c  nticvtutjcum  esse. 

■*)  ful.  425''  ist  in  der  Aiifzitlilunfr  der  den  Schweizern  vorgtworfenen 
Abwiichungen  ein  Punkt  ausgelat^scn :  vor  de  vocaU  rerbo  mubs  einge- 
schoben werden:  de  poteatate  clavium,  —  fol.  42ü*':  statt  creücnUhuSf 
gut  non  spiritualiter  tantum,  sed  simul  etiam  eorpora' 
tit€r  manducent  ist  zu  lesen:  credentilms,  qvi  non  eorpormlii$r 


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634 


ANALEKTBN. 


allem  schiiinmer  sind  die  den  Siuu  oft  ar«,'  oni^tollonden  Fehler 
Yon  A.  Auch  von  den  Sciureibfehlem  ^)  abgedehea  bleiben  deren 
noch  genug. 

iantum,  sed  etiam  simul  spiritualiter  manducent,  —  foL 
426^  ist  mit  A  zu  lesen:  eredU  tarnen  sub  pane  et  viuo  os  moft- 

äucare.  —  fal.  427»  Z.  8  von  oben  ist  rcrba  nach  concesait  ausge- 
fallen. —  Ibid.  Z.  12  von  unten:  Lulherus  conccssit;  A  liest  besser: 
rcupondU.  —  Ibid.:  cui  conwti^sa  enaet   verhi,  eidem  et  signorum 
dispensatio;  hier  gind  nach  A  einige  Worte  aiugelasaen;  ee  ist  zn 
lesen:  .  .  eidem  et  signorum  administrat  io  eommisea  esf,  imo 
est  major    rrrbi    quam   sftfnornm    (llsprn'nifio.    —  fol.  427b 
Z.  1  von  unten  lies  ' /v/'*  Chrt^sti  cfirfnis  m  coena  nrm  est  statt  .  .  in 
coclo  non  est.  —  fol.  428»  ist  statt  des  »innloseu  Satzes  twn  duhium 
est,  quin  n  non  prae^entia  üUua  non  nobi»  solum  non  utilis  sit^  eed 
et  impediat  za  lesen  non  dubium  eet,  quin  si  non  abent,  praexentia 
{Ih'ns  nnfn's  unn  f<nlum  non  utilis  est,  sed  cet.  —  tbl.  428''  Z.  14 
von  oben  ist  statt  ^lumlxin  diritiitatcm ,  gratiam  et  poenam  siiam 
zu  lesen:  .  .  .  potentiam  ttuam.  —  fol.  431»  Z.  4  von  oben  ist  rc 
spondit  zum  Folgenden  sn  ziehen.  —  Abgesehen  von  dem  bedenUiehen, 
jeden&IUi  fehlerhaften  Znsats,  welchen  A  zn  fol.  427«  nach  den  Worten 
sicut  alü  corporis  citn  hat  ^sT'd  uf>i  m  nifJHca)i'<  se  ipsitm  digerit  et  in 
8c  (raHsiimtdt ;  Scliimii    |>.  '.»},  bietet   W   nur  ein   Mal  eine  kürzere 
Fassung:    wahrend    es    tui     430^    hcisst:    Üespundit    Lutherus  ad 
utramque  interpretationem,  lesen  wir  in  A  (Schirrm.  p.  Ib): 
Beeponait  hutherue,  ee  istant  interpretationem  in  neutro 
ietoruin  rerhornm  accijtfrr. 

1)  Als  solche,  zum  Teil  sehr  böse  Sc!) reibfehler,  welche  der  auf- 
merksame Leser  des  Schirrmacherschen  Textes  meist  von  selber  verbessern 
kann  und  wo  W  das  Richtige  bietet,  merke  ieii  folgende  an: 

S.  5  Z.  4  von  nnten  1.  conferret  st.  eonfere^, 

S.  G  Z.  18  von  nnten  1.  oUeM  st.  dliem, 

S.  6  Z.  10  von  unten  \.  sc  non  con^enfirc. 

S.  6  Z.  8  von  unt^?n  I.  sonant  st.  sonarent. 

S.  6  Z.  C  von  unten  1.  esse  st.  esset. 

8.  6  Z.  9  voo  nnten  1.  äUeM  st.  altCMt. 

S.  7  Z.  15  von  oben  1.  voluisee  st.  vahtieee, 

S.  7  Z.  17  von  nnten  1.  ansa  st.  anaam. 

S.  7  Z.  14  von  unten  1  st.  sese, 

S.  7  Z.  9  von  uuteu  1.  dupücis  st.  duplici. 

8.  8  Z.  5  von  nnten  1.  in  propheta  manifeeta  eet  atlefforia  st 

.  .  .  '  ^  gantia. 

S.  9  Z  7  von  unten  1.  cihum  esse  adeo  verum  et  utilissimum,  qui  a 

tnandiicantihus  dif/eri  fwn  possit  st.  .  .  .  quin  mauducantibu^  etc. 
S.  9  Z.  2  von  unten  1.  sed  cum  .  .  proferantur  .  .  ^^gni/icant 

st  St  cum  .  .  proferatur  .  .  signifkat. 
8.  11  Z.  1  von  oben  1.  9t,  cum  eit  in  eoelo,  mos  ^uoerasiHS  eim  m 

terra  st  cum  sit  in  coeJo  et  n08  quaeramm  etc. 
8.  11  Z.  18  von  unten  1.  ad  istam  manducationem, 
S.  12  Z.  G  von  unten  1  producta  st.  praedicta. 
S.  13  Z.  1  von  oben  lies  pauperes,  quibus  suo  nomine  benefacere 

possemus  st  suo  more, 
8.  13  Z.  2  voo  oben  1  ssfif«tiftaiii  st  senteniia. 
S.  13  Z.  5  von  oben  1.  sursum  st  rnnxim. 
S.  13  Z.  18  von  oben  i.  ita  ut  certt  st»itM  st  .  .  .  sumus» 


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BRIEOER,  ZUM  MARBURGER  COLLOQUIUM.  635 

8.  9  Bteht  wider  den  Sinn:  »Qaod  haeo  Christi  ooncio  fum 
ad  spiritnulem  mandacationem  pertineat,  satie  manifeBtnm  eet^ 
4iiod  et  hanc  camalem  omnino  repndiaTit*';  es  miiss  heissen: 
yyhaec  Christi  coneio  cum  ad  spiritnalein  mandacationem  tota 
pertineat»  satis  manifiBstnm  est,  quod  per  hanc  camalem  omnino 
zepndiavit"  (et  Wig.  fol.  426*"). 

8.  10  heisst  es:  ^Si  persona  proferentis  respicienda  om- 
nino non  est,  adeoque  si  impins  in  impiorom  coetu  coenae  Terba 
profert,  et  tamen  effieacia  sunt  .  creditur"  etc.  W  foL 
427^  liest  besser:  „Si  persona  proferentis  respicienda  omnino 
non  Sit  adeo,  ut,  si  impins  .  .  .  proferat,  ea  tamen  efficaciA 
8int**  etc. 

Ehend.:  i,de  hac  weertus,  de  illa  nemo  dnbiture  potesf; 
es  ist  zu  lesen:  „de  hac  enim  nemo  eertus  esse,  de  illa  wen 
-dnbitare  nemo  potest**  (cf.  Wig.  fol.  427*). 

8.  12  steht  gans  verkehrt:  „Dicit  idem,  non  ipsnm  corpus 
esse  in  coena**  fOr:  ,yDicit  item,  hoc  ipsnm  corpus etc.  (cf. 
Wig.  fol.  428*). 

Ebenda  wird  der  Sinn  völlig  verkehrt,  indem  eine  Ans- 
legung  Luthers  den  Gegnern  in  den  Mund  gelogt  wird :  „  Verom 
cum  ab  adversani»  quaeres,  cur  non  in  hac  sententia  potius 
quam  in  vorbis  coenae  faciant  tropum,  tunc  dicent :  Videri  sibi 
germanum  ejus  sensum  esse,  quod**  etc.  Dagegen  liest  W 
(fol.  428^):  „V'erum  si  adversariis  cum  coenae  verbis  haec 
seiittntiiL  cont,'ruere  ^)  videretur,  quare  non  in  huc  potius 
quam  in  illis  tropum  facereut?  Hunc  dicens  videri  sibi  ger- 
manum esse  öen.^um,  quod"  etc. 

S.  13  Z.  17  von  nnttn  1   na^  st.  ne. 

S.  14  Z.  ')  von  oben  1.  Itu  et  Jiucc  fitj'ira  st.  Ifa  ii  t  Imec  iiy, 
S.  14  Z.  12  von  uiitt^u  l.  non  tamen  j»t  nec  tamen. 
S.  14  Z.  1  von  nnten  1.  repraetentatire  ist.  repraesentive, 
S.  15  Z.  4  von  oben  1.  $onent  8t.  fonatU. 

S.  15  Z.  10  von  unten  1  uooqiy  n/t,uafi  PhiL  2  st.  fto^t»xrifta, 

S.  15  Z.  5  von  unten  1.  esset  st.  esse. 

S.  Iti  Z.  11  von  obt-n  1.  Ätl  quem  st  Äd  quam. 

8.  16  Z.  14  von  unten  l  hoc  egisse  st.  hec  effieee. 

8.  IG  Z.  4  von  unten  ].  sit  si  est. 

8.  17  Z.  17  Voll  untön  1.  dehere  st.  dehen. 

An  kleineren  Au.^lus.sungen  notire  ich  beiliiutig:  S.  8  Z  5  von  oben 
ist  ta)dnm  vor  lirecii't  aus^etiillen ;  ibid.  Z.  ö  von  oben  ist  imo  doce- 
mu8  nach  minitne  Mgamus  au^gelasden;  ibid.  Z.  2  von  unten  Exigente 
Ohrieto;  1.  exigente  id  Chrinto,  was  mit  dem  vorheij^henden  zu  ver- 
binden ist;  8.  9  Z.  4  von  nnten  ist  quam  hinter  mhü  aliud  ansgs- 
üsUen 

M  Auch  dan  conf/nfre  ist  falseh ;  e.s  ist  «lies  eine  der  wenigen 
Stellen,  au  denen  beide  Texte  au^i  Scultetus  berichtigt  werden  müssen; 
8ealt  liest  p.  223:  ,,Veram  si  adveisoriis  dictum  hoc  cum  coenae  verbis 
vidsatnr  pugnare,  quserit:  cur  non  in  hoc  potius"  etc. 


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6oG  AVALBiCTBII. 

Aneh  S.  13  hai  A  Yerwimiiig  angerichtet,  indem  er  dem 
Oecokmpa^tu  folgende  Worte  in  den  Mund  legt:  „Non  sie  ha»- 
mdmn  eet  in  bnnuinitate  et  came  Ciiristi,  eed  rurenin  ki  divi- 
«itatem  Christi  mentem  extollendam.  Hmnanitatem  Ohrieti  plus 
satib  exttnmri/'  Das  Richtige  bietet  W  (fol.  4281»):  „Hie  mi»- 
nere  Lnthenun  Oecolampadios  ceeplt,  ne  sie  in  hnnuuiitate  et 
came  Cbrieti  haerexet»  eed  Burenm  in  diTinitatem  Christi  meutern 
estoUeret,  hmnanitatem  Christi  plns  satis  eximmam.** 

Ebenda  hat  A  einen  Vordersats  ausgelassen,  so  dass  fiein 
NaohsatK,  ftlseh  verbanden,  keinen  Sinn  giebt.  Vor  „ita  ut 
eerÜ  snmns"  [1.  simns]  fehlt:  „Seeundnm  spiritam  antom  oo- 
gnoecimns"  (et  Wig.  fol.  429»). 

Ebenda  in  der  Entgegnung  Zwingiis  liest  A  ffileehlich: 
nCuuL  tarnen  ipsi  vdttis  sinechdochen  figuram,  admittere  cogu- 
mini."  Es  muss  heissen:  „eum  tarnen  ipsi  velHis,  noliiis 
flgnram  Synecdoehen  admittere  cogamini  (cf.  Wig.  fol.  429*). 

Dazu  kommt  die  üble  Interpunetion,  welche  durch  Aoe* 
elnanderreissen  der  SatKbftlften  oder  durch  Yerbindnng  nicht  tn- 
sammengehöriger  Satzteile  den  Sinn  oft  stark  verdunkelt  ^). 

Doch  A  ist  nicht  bloss  durch  diese  Fehler  entstellt,  sondem 
nnteroclieidet  sich  auch  durch  eine  Menge  tod  Auslaseuugen  nnd 
einige  Verkürzungen  des  Textes  zu  seinem  Nachteile  von  W. 
Hiebt  nur,  dass  hier  die  Zeitangaben  fehlen,  welche  für  die 
Vergloichung  mit  den  Berichten  Anderer  Ton  Wert  sind')-.  W 
hat  oft  auch  ausführlichere  Uebergäuge  ^)  oder  ist  im  I^og  in 


1)  Ich  gebe  nur  ein  paar  Beispiele.  8.  7  hoisst  es:  „quantum* 
liß  enim  camulia  vidoantur  ipdt,  esse   tainen  interim  nihilominUB 

sniDniat.'  raajeHtiitis,  id  quuil  nogare  ncni<^  {n.tr.st  :  vcrba  et  opcra  adi  oqne 
nentiquaiii  cnriialia  et  Ininiilia"  (1.  .  .  iK»te8t,  vt  rba  et  opcra,  adooque  .  .). 
S.  lU:  Mali  Kucerdotis  veibuiu.  Cliristi  corpus  eilicere  non  potcst," 
8.  11:  „<'iiT  non  potius  in  hac  sententia?  Aecendit  in  eoelnm  ,  tropoa 
fingitur."    (Rtatt  .  .  .  sententia:  Ascendit  cet ,  tropus  fingitur?"). 

2)  S.  }|  vor  ..  Z\vi?iLrlius :  8crij>tnTii  est"  Cehlt  ({]>'  Anpabc,  dass  das 
Folgende  der  I )i,vi»utat  ioii  d«  s  Sonnabend -Nachiuittutr  angehört;  vgl. 
Wigand  ful.  42<>'';  „Atque  de  luic  re  cum  batis  rixatuiu  utrinque  easet, 
ad  piandium  est  diseessum.  A  pranäio**  etc.  S.  16  vor  „ZwingUoa 
nigere  rarHU'^"  ist  einzui«chalten:  „Dominica  ante  meridiem  Zwteg- 
lir..'?  onm  ],nthor.V*  (W,  4;><Ki. 

•^t  S.  ö  hat  A  kurz:  ,.  Hie  dixit  ZvvingliuH  :  Judaeornni  erruri 
(JhriHtuti  rcHpondere  voluit",  wahrend  wir  bei  Wigand  fol.  42i»^  le&en: 
yyBehinc  oongressos  cnm  Lnthero  Zwinglins.  Zwingh'os  pfinsquam 
qnlcqnam  confenet,  pra*  latebatnr,  se  nihil  aeerbe  adversus  Lttthemm 
diccre  ncc  mouiiniHsc  velb  corum,  qnao  duriora  forta^-sis  utrinque  alt^ 
in  nltuuni  sjeri]>si.''.'^(  t .  laiituni  op<  r;nn  datiiriiin,  ut  quantnni  [»er  S€ 
liceret,  e  tenebris  veritaö  trucretur,  rugann  ßiniul  ut  ne  alter  alterum 
haereBeoH  crimine  notaret.  Dcinde  argunjentum  ex  G.  cap.  Job.  dcprom- 
psit,  in  banc  fiHrman.  .ludaeorun  crrori"  etc.  Aebnliche  AusiassaDgen 
oder  Verkürzungen  der  Uebeigangslbnneln  finden  sich  oft 


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BSIEUKB,  ZUM  MAKUUKQER  COLLOQUIUH. 


637 


einzoinon  Weiuluiigen  ansfüliiliclier  und  geiiiiuor  als  A  E3 
würde  sicli  nicht  verlohnen,  alle  diese  Lücken  hier  anzugeben. 
Die  liishoriL'on  Bouierkungen  werden  ohnehin  schon  die  Wahr- 
neiiniuug  naiie  gelegt  liaben ,  das^  wer  diese  Quelle  bennt/en 
will  gut  tut,  unter  Borücksiciitignng  der  oben  angemerkten  Ver- 
beääerungen  sich  an  den  Wigaiidgchen  Text  zu  halten. 


Bei  der  oben  (S.  629)  angedeuteten  Vermutung,  dass  die 
in  Rede  stehende  Belation,  obwohl  kein  einziger  der  mir  bekannten 
Autoren  einen  anderen  Druck  kennt,  mßglicherwoi.se  ;'-li'>n  vor 
1584  ans  Licht  getreten  sei,  dachte  ich  daran,  dads  Wigand  selbst 
schon  früher  den  Bericht  ganz  oder  teilweise  yeröffentlicht  haben 
möchte.  Diese  Vemmtimg  hat  sich  bestätigt.  Denn  es  ist  mir 
nachträglich  geglftckt,  den  Bericht  schon  in  einer  nenn  Jahr« 
filteren  Schrift  Wigands  zu  entdecken.  Er  ist  gedruckt,  und 
swar,  wenn  wir  Wigand  trauen  dürfen,  überhaupt  zum  ersten 
Male,  in  dem  Buche:  „Argumenta  Sacramentariorum, 
refutata  per  D.  Mart.  Lntherum.  Ex  scriptis  Lutheri  ad  usum 
Ecdesiae  Christi  bona  fide  coUeota,  per:  D.  Johan.  Wigan- 
dum.  Item:  Colloquium  Marpurgense,  tali  modo 
hactenus  non  impressum.  M.D.LXXy/'  (Ich  verdanke 
die  Schrift  der  Herzogl.  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel.)  Hier  lesen  wir 
fol.  1 54* — 176^  unter  dem  besonderen  Titel:  „Colloquium  Marpurgense 
super  causa  sacramentaria  anno  domini  1529.  A  quodam  qui 
interfhit  collectum"  genau  denselben  Bericht,  welchen  Vigand  dann 
1584  in  seiner  Exegeeis  abermals  herausgab  (doch  ohne  auf  den 
früheren  Druck  zu  Terweisen).  Beide  Wigandsche  Drucke  stimmen 
auf  das  genaueste  mit  einander  überein,  so  dass  alles,  was  ich 
oben  über  den  Druck  von  1584  bemerkte,  auch  für  diesen  älteren 


Während  A  S.  8  die  ziemlich  abgerisacoen  Sätze  hat:  „Zwing- 
liuf:  Ezech.  f).  Dp  capill'^rmn  »^t  Ivarbac  in  tres  partes  divisione.  Tsta 
est  Jherusalem.  In  qua  hu.titt  ntia  .  - -t  •  pro  ,Hignificat'  uecessc  est  iii- 
telligi.  Ergo  et  in  hac  quoque  scnUiitia:  hoc  est  corpus  meum,  ssiuii- 
liter  interpretari  oportet*',  lesen  wir  bei  W  fol.  426»:  „Poethaee  Zwinc|^ 
lins  locuiii  ex  Ezechiele  5  de  eapiÜormn  et  barbae  in  tres  partes  din- 
aione  prodtixit,  niaxime  haec  vcrba:  Ista  est  Hierusalein,  in  qua  sen- 
t'iitia  verbum  HubstaDtivinu  .est'  j)ro  ,significat*  necosse  esset  intcllij^'i, 
iudti  prubare  vuIcds,  in  hac  (^uoquti  ucntentia:  hoc  est  corpus  meuui, 
oportere  Bimiliter  interpretari."  —  8.  10:  „quemadmodam  verbiun  dei 
et  deu8  a  lr..  ipse  credulia  utile  lemedinm  acTerbum  ntae  aetemae  est**; 
W  fol.  427*»  giebt  den  G<  danken,  um  den  es  sich  handelt,  jjenaner 
wieder:  „.  .  .  (ineniadiuodiim  et  verbum  dei  et  deus  adeo  ipse.  Porro 
quemadmodum  incredulis  inutilis  ac  laetifera,  ita  et  credentibus  utilis, 
lemedium  ae  vita  aetema  esset/'  Aehnliches  häufig. 


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638  ANALBKTEN.  BRIBOEB,  ZUM  MAKBUBOEB  OOLLOQUIUM. 


gilt^).  —  Beachtenswert  ist,  das  Wigand  hier  (Yomde,  Blatt 
8^)  Anakiinft  darflber  giebt»  wie  er  zn  diesem  Berichte  gekommen 
ist:  „Adiunxi  antem  CoUoqninm  Uaipnigense,  exceptam  et  de« 
scriptum  a  vire  eradito,  qni  interfoti  Sgo  Tero  accepi  aat^ 
amios  fere  triginta*)  a  D.  Hichaele  Coelio,  qni  Smalcaldiae 
celebri  conventDi  Theologonim  interfoit** 


1)  Selbst  in  der  Intcrpuncti  >n  herrscht  in  allen  wichtigen  Punkten 
Ui.beivin.stiinmünp.  Orthoprajthische  Abweichungen  kommen  selten  vor, 
und  ebenso  selten  sind  dit-  siuiisti^en  kleinen,  ganz  gleich^'ültigen  Diffe- 
renzen. Man  sieht  leicht,  dasö  Wigand  diesen  älteren  Druck  dem  neueu 
zn  Grande  gelegt  hat,  doch  erat  nachdem  einige  Druckfehler  yerbeoert 
waren.  Von  den  oben  S.  633  An  tu.  3  u.  4  gegebenen  Verbesserungen 
enthält  an  sielx n  Stollen  aueh  der  Druck  von  1575  das  Bichtige;  an 
den  übrigen  vStelien  sind  beide  Drucke  gleich  lehlerhaft. 

Also  etwa  1540;  denn  von  1646 — 1553  war  Wigand  gemeiuüaiu 
mit  Goelins  PMdiger  in  seiner  Vatentadt  Hamifeld. 

•)  Gemeint  ist  der  Convent  von  1537,  auf  welchem  Ceelius  auch 
die  Schmalkaldischen  Artikel  mit  unterschrieb  (s.  R.  p.  357).  Auch  in 
seiner  Selbstbiographie  erwähnt  Wigand  diesen  Umstand  (Unschuld. 
Nachr.  1738,  S.  605).  —  Uebcr  den  Mansleider  Schlossprediger  und  Decau 
Mag.  Mich.  Coelinii  ist  En  vergl.  Bieck,  Dreyf.lnterini,S.188;8aIig 
I,  637ff.  III,  506ff.;  Rotermund,  Erneuertes  Andenken  I.  177ff. ; 
Krumhaar,  Die  Grafschaft  Mansfeld.  S.  UOf.  I75ff.  tt.  oft;  Bnrck- 
hardt,  Luthers  Briefwedisel,  S.  249.  250.  371. 


REGISTEK 


I. 

Verzeifhiiis  der  absedrocbteB  QoellenstAeke. 


11.  Jahrlmihlert :  Aiifzeichiiuügen  über  einen  jüdischen  Proseljrten 

Wecelinus  447—450. 
1525  Dec.  22:  Luther  an  Marquard  Schuldorp  321  fer. 

1541  April  1:  Johann  Eck  an  den  Cardinal  Farnese  472  f. 

1542  Jannar  1:  Johann  Eck  an  Papst  Paul  III.  473  f. 
1547,  Januar  2U:  Christoph  Walther  an  Andreas  Aurifaber 

166—170. 


1)  Za  dieäcu  Uidcn  Briefen  sind  einige  ikricbtigungen  nachzutragen, 
welche  der  Herausgeber  Tomehmlieb  der  66te  des  Herrn  Dr.  t.  Broffel 

in  München,  zum  Teil  aucli  einer  nochmaligen  CoUatioii  durch  Herrn 
V.  Schulze  in  Neapel  vcnlankt.  1)  Eck  an  Farncse:  d'v'ser  Brief 
ist  nicht  Orip-inäl,  gondern  Copie.  Z.  1  saluteni]  lies  pro  8a Inte. 
Z.  4  Sedie  Apobtolicae  et  S^i  D.  N.]  die  Copie  hat  Sed.  Aptice  et 
8.  D.  N.,  was  Herr  Dr.  v.  Druffel  anflöten  will:  sedi  apostolicae  et  san- 
etissimo.  Z.  11  et]  lies  etiam.  Z.  18  et]  L  etiam.  reto]  L  erpro. 
7.  20:  das  m  [milibus]  ist  zu  tilgen.  Z.  29:  Princeps]  1.  apostolico 
rrincopB. —  2)  Eck  an  den  Papst:  S.  474  Zeile  2:  ms.  relligere]  lies 
intelligere.  Z.  3:  parte]  Herr  Dr.  v.  DruÜel  lie.st  das  sehr  undeutlich 
gescfariebese  Wort  jedenfalls  richtiger  cavi.   Z.  G:  per}>etuoJ  1.  Ita 

E^rpetno.  Z.  7  lies  RomanaiD  ecclesiain  ac  Rev"«".  Z.8  1.  Catbo- 
008  Rev"o«.  Z.  11:  maledictionibus]  1.  maledicentiae.  Z.  13: 
quia]  1.  ita.  Z.  15  laco]  Druckfehler  für  lacu.  Die  Datirnntrszeile 
lautft  genau  genommen:  Ingolstadii  Baioaria»-  Kl.  Jan.  anno  42  supra 
sesquiniiUesiniom  EUi]  SI^»]T.  —  Endlich  schulde  icl»  Herrn  Dr.  v.  Druffel 
Dank  für  die  Mitteiltug,  dass  die  Famesischen  Pa|»iere  za.  Neapel  vqb 
Acten  der  apostolischen  Kanzlei  bestehen,  m  der  grade  die  an 
den  T*a]ist  bestellten  Briefe  niedergelegt  wurden.  Hiernach  ist  die 
Vermutung  8.  474  A.  1,  dass  der  Aufbewahrungsort  des  Briefes  einen 
Anhaltspunkt  für  die  Nicbtbestellung  an  die  Adresse  gewähren  könne,  zu 
vnterdrnckeii. 


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(740 


REGISTER. 


1563:  Memoire  des  C  a r  d  i  ii  Ji  1  s  von  L  o  t  h  r  i n  g  e  d  über 
die  IvircLliclien  Zustände  in  Franlaeicii  :i'2b  :\2S. 

1758:  Aii.^züg-e  ans  der  I  n  s  t  r  ii  «•  t  i  n  au  Duc  de  Kicbelieu, 
Gouverneur  General  de  Guyenne*'  112.  f. 


II. 

Verzeichnis  der  besprorheoen  Srhriflen. 


Acta   Sun c tu r Ulli.  Auctariuiu 

Octobris  lÜ 
Archivo^i  desujissions  scientifiquos 

et  littt-rairt«  III.  '1:  432  f. 
Arndt,  Bisdiof  Marius  von  Aven- 

ticuni  2^  2mi 
Aubt-,   S.   Justin   Philoiiophe  et 

Martyr  121L  loO  f. 
— .  Histoire  des  persecutions  14X. 

li2lV. 

Bährens,  De  pbuenice  132. 

B  a  1  b  a  ni ,  GaleazzoCaracciolo  <jl3f. 

Baudissin,  Der  Ursprung  des 
Gottesnaniens  Yfra>  12.").  1 2H. 

Benoit,  Un  martyr  du  Desert 
.1  aequo  Roger  437.  AAL 

Benrath,  Bemardino  Oebino  613. 
•ilöti: 

Bensly,  The  niissing  fragment  of 
tbo  latin  translation  of  the  fourt 
book  ot  Ezra  U>L  124. 

Bernhardt.  Vulfila  oder  die  go- 
tische Bibel  297  f. 

Berthau  lt.  Matliurin  Cordier420. 
42äf. 

— ,  J.  Suunn  •  t  la  jindicati  ^n  pro- 
töitante  jusqn'a  la  tiü  du  regne 
de  Louis  XIV  :  HiL  iÜli 

Bey  schlag,  Zur  Johanneischen 
Frage  113  ty. 

B 1  ö  c  h  v  ,  LWlritjue  au  IVm*  siecle 

Bleek-Mangold ,  Einleitung  in 

das  N.  T.  III  f. 
Böhringer,   Die  Kirche  Christi 

VU:  m  21111 


!  Boissier,  Les  i^rigines  de  la 
•      poesie  ehret.  129.  13i) 

ßonnet,  Derniers  Recits  du  sei- 
zienie  Siecle  4Üi  iüL  tiia.  Ü21  f. 

— ,  Un  mariage  sous  Francois  I : 

Brewer,    Lettei-s  and  Papers  of 
the  Reign  of  Henry  Vlllt'^,  IV: 
iiiiL  mit'. 
B  r  u  g  s  c  h  -  B  e  y ,  Neue  Bruchstiicke 
!      des  Co.i.  Sin.  l.U. 
I  Bryennios,   Neue  Ausgabe  der 
Clemensbriefe  2ül  f.  -Mi  tt' 
Bulletin  historique  et  litteraire 
de  la  Societe   de   riiistoire  du 
Protestantisrae  tranyais  4  !<'■ 
I  Butler,  Charles  the  First 

Calvin!  Opera  Vol.  XIII.  XIV: 

IJiL  i21f. 
Cantii,  Italiani  illustri  I:  430. 
C  a sp  a  r  i .  Quellen  zur  Ge.schichte 
I      des  Tautsynibols  lÜLL  IM  ff. 
Castau,  Histoire  de  la  papante 

Ciampi.  J.  Cae.siodori  2011  290. 
Claparede,  Les  relugity  prote- 
stants  du  pays  de  Gex  43s 
'  C  0  ni  b  a  ,  Galeazzo  Caraeciolo  ^13  f. 
Ö2L 

Corp  u  s  R''formatorum  Vol.  4L  42 : 
,      lllL  42if. 

Correspondance  de  Fran^ois  de 
j  Lorraine  duc  de  Guise  avec  Chri- 
st jj^he  duc  de  Wurteiuberg  432i 
;  Cougny,  Hotman  432. 

C  r  e  i  g  h  1 0  n  ,  The  Age  of  Elizabeth 


REGISTER. 


641 


Dalwigk,  Pran9oi8  de  la  Noue 
420.  4H0  f. 
•  De  Leva,  Storia  di  Carlo  V,  III: 

Desnoiresterres,  Voltaire  VI: 

437.  Mlf. 
Deutsch,  Drei  Actenstticke  zur 

Geschichte  des  Donatismus  142* 

14ßf. 

Diel,  Maxiiuinus  und  Paulinus  von 

Trier  2HL  2112. 
Doumergue,  L'unite  de  Teglise 

reformöe  de  France  442,  444. 
Dräseke,   Ciceronis  et  Aiubrosii 

de  officiis  libri  tres  2ÖiL  22tL 
Drapeyrou,   De  la  Substitution 

d'un  episcopat  germain  a  l'epis- 

copat  rouiain  cn  Gaule  304 . 

E  b  r  a  r  d ,  Die  Keledei  in  Irland  und 
Schottland  221  ff . 

Feiice,  de,  Histoire  des  Prote- 
stantö  de  France,  continuöe  par 
«onifas.  VI.  edit.:  418  f. 

Ferriere,  le  comte  de  la,  Deu- 
xieme  rapport  etc.  421L  4ii2f. 

Finger,  Waren  die  ersten  Chri- 
sten Communisten?  IIB. 

Flach,  Synesii  hymni  raetrici  2Hß  f. 

Frossard,  La  Tour  de  Constance 
ML 

Funk,  Johannes  Chrysostomus  28iL 
2IilL 

Gaillardin,  Histoire  du  regne 

de  Louis  XIV.  V: 
Gardiner,   History  of  England 

l(j24— 28:  äilL  mL 
Gardthausen,   Ainraiani  Mar- 
cellini qnae  supersunt  292.  293  f. 
Ganfres,  Les  Colleges  protestants 

III:  42il  4211  ff 
GauUieur,  Histoire  du  College  de 

Guyenne  427. 
V,  Gebhardt,   Martyrium  Poly- 

carpi  117.  121.  127' 
V.Gebhardt,  Harnack,  Zahn, 

Patrura  Apostolicoruin  Opera  I: 

Ul  ff. 

Gey  1er,  Das  System  dos  Mani- 
chäismus  und  sein  V(>rhältnis  zum 
Buddhi.smus  125.  128  f. 

G  ö  r  r  0  8  ,  Zur  Kritik  einiger  Qucllen- 
schriftsteller  der  späteren  römi- 
schen Kaiserzeit  13ä.  21?^  2M  t 

Z«itiichr.  f.  K  -G. 


•  G  ö  r  r  e  8 ,  Kritische  Untersuchungen 
über  die  Licinianische  Christen- 
verfolgung 14L  14üf. 

Haag,  Eug.  et  Em.,  La  France 
protestante,   neue  Ausgabe  von 
i      H.  liordier  411  f.  ' 
Hahn,  Die  Briefe  und  Synoden  des 

Bonifacius  223.  3ÜL 
Haie,  The  FaU  of  the  Stuarts  60(L 
Hansen,  Vie  de  St.  Hilaire  de  ' 
I      Poitiers  222. 
Harnack,  Beiträge  zur  Gesch. 
der  marcionitischen  Kirchen  125. 
I      121  f 

I  — ,  lieber  eine  altbulgarische  Ver- 
sion der  Schrift  Hipi)olyt«  de  anti- 
christo  122.  Iil2f 
I  — ,  Patr.  Apost.  I:  III  ff. 
'  Harpsfield,    The    Divorce  of 
I      Henr>'  VIIDh  6ÖL 
j  Hase,  C,  Geschichte  Jesu  113  f. 
'  — ,  C.  A.,  Bemardino  Ochino  füS. 
I  G2üf. 
Haupt,  Marci  Diaconi  vita  ^or- 

phyrii  ep.  Gazensis  28t>.  289 
Hausrath,  Neutestamentl.  Zeit- 
geschichte 119. 
v.  H  e  f  e  1  e ,  Conciliengesch.  2.  Aufl. 

II:  3Ü2ff. 
Henning,  Ein  Brief  des  Kaisers 

Julian  222  f. 
Hertel,    ("olnmbas   Leben  und 

Schriften  221.  222. 
Her  tiein,  Juliani  Iraper.  quae 

supersunt  292  f. 
Hertzberg,  G.,  Die  G-schichte 
Griechenlands  unter  d.  Herrschaft  • 
der  Römer  III:  284  f 
I  — .  U_j  lieber  die  Chroniken  des 

Isidorus  v.  Sevilla  223.  22L 
j  Hilgenfeld.   Einleitung  in  das 
N.  T.  LUff, 
— ,  Hoekstra  und  der  Philipperbrief 
'  115. 

'  — .  Petrus  in  Rom  US  f. 
I  — ,  Papias  von  Hierapolis  117. 119  f. 
]  — ,  Der  Gnostiker  A  [Milles  125. 12L 
Höfner,  Zur  Gesch.  des  Kaisers 
I      Septiniius  Severus  144. 
I  Hoekstra,  Over  de  Echtheid  van 

den  Brief  aan  de  Phili]»pen8en  115. 
V.  Hofmann,    Die  Petrusbriefe 

und  der  Brief  Judä  1 16 
,  Holder-Egger,  Ueber  d.  Welt- 
j      Chronik  des  sog.  Severus  Sulpitiua 

22a.  225  f. 

42 


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642 


BEOI8TER. 


Hollenbcrg,  Zu Theodoruß  Mops- 
vcBt.  21>0. 

Holsten,  Der  Brief  an  die  Phi- 
lipper Hü 

Holtzmann,  Umschau  auf  dem 
Oebitte  der  neutcstam.  Kritik  I : 

m 

— ,  Htriuas  imd  Johannes  117.  122. 

Hook.  Lives  of  the  Archbishope  of 
Canterbury  X.  XI :  äSL  ßü^  ff. 
'Huber,  Einführung  und  Verbrei- 
tung dos  Christeuturas  in  8i'id- 
08tdeut«chland  IV:  m  ÜÖÜfT. 

Hückstädt,  lieber  das  pseudo- 
tertuUianische  Gedicht  advcrsus 
Marcionem  128. 

Hurter,  Sanctorum  Patruw  opu- 
scuhi  ÜMÜf 

Rauf  mann,  Zu  den  Handschriften 
dos  Can  pasch,  des  Victorius  IHö. 

— ,  Die  Fasten  der  spateren  Kaiser- 
zeit  2ÜÜ.  2iiä 

Keim,  (ieschichte  Jesu  IIIL 

Kind,  Teleolojfio  und  Naturalis- 
mus; der  Kampf  des  Origines 
gegen  Celsus  IHM. 

Kludsmann,  Zu  Minucius  Felix 

123. 

La  Baume,    Relation  Iiistorique 

de  la  rc'volte  des  cauiisanles  44i> 
L  a  ü  d ,  Anecdota  S}  riaca  IV :  286  tT. 
Leim  buch.  Das  Papiasfragment 

ULL  Uüf. 
— ,  ücber  den  polemischen  Schluss 

des  Canon  Muratori  125.  12H. 
Lighioot,  St.  Pauls  epistles  to 

the  Colossians  and  tu  Philemon 

— ,  Supernatural  Religion  118.  12iL 
L  i  p  B  i  u  s ,  Die  Quellen  der  ältesten 

Ketzergesch.  12IL  12H  f. 
— ,  Simon  der  Magier  12L 
Lo m all ,  Het  getnigenis  van Papias 

over  Schrift  en  overkvering  1 1 7. 

lliL 

Lombard,  Isabeau  Mcnet  441 
Lorimer,   John   Knox   and  the 

Chnreli  of  Knglan<l  iM^  M  tf. 
L  0  u  t  c  h  i  1 7,  k  y ,  Documents  inedits 

pour  servir  ä  riiistoire  de  la  Re- 

forme  420,  4a; i  ff. 
— ,  CoUection  des  proces  -  verbaux 

des  assemblees  politiqucs  des  re- 

form^'8  de  France  pendant  le  XVI« 

ßiecle  4'i4. 


;  L  u  t  h  a  r  d  t ,  Da«  JohanneiscbeEvan- 
I      gelium  1:  lliif. 

f 

Man  sei,   The    Gnostic  Heresies 

I  Marchegay,  Lettres  de  Louise 
de  Coligny  m 

Martens,  Papias  LLL  US  f . 

Martin,  St.  Pierre  a  Roiue  1  lt>. 
1         St  Pierre  et  St.  Paul  dans 
I      1  eglise  Nestorienno  2M.  208  f. 

— ,  St.  Jean  Chrysostome  2H1L  2^ 

— ,    Lc    Pscudo  -  Synode  d'Ephdse 

im  ff. 

Meister,  Abfassungszeit  der  Briefe 
des  heil.  Paulus  Höf. 

I  Mcrle  d'Aubigne,  Histöiro  de 
la  reformation  en  Europe  au 
temps  de  Calvin  VI:  UiL  423 f. 

!      5112  ff 

!  Morris    and    Surtees  Phill- 
potts,  Epochs  of  History  ^i<K). 
M  u  1  a  z  z  i ,  Olimpia  Morata  1 :  ti2<L 
Müllems,   Quaestion«^8  Li^tan- 
tianae  m  2Jiü  f. 


^  o  w  a  c  k ,  Die  Bedeutung  des  Hie- 
ronymus für  die  altteötamentl. 
I      TextknUk  2ÜiL  'ML 

I  V.  Otto,    ('orpus    A i>ölogetaruiü 

I  12Ilf. 

I  Overbeck,  Studien   zur  Gesch. 

I  der  alten  Kirche  I :          Ul  f . 

j  141  f.  U7  f. 

P  a  i  1 1  a  r  d  ,  Histoire  des  troubles 
religieux  de  Valencieunes  LH: 
4ääu 

Paul,  Der  Begriff  des  Glaubens 
bei  dem  Apologeten  Theophilus 

1      m  1Ü2. 

Penning  ton.  The  Life  and  Cha- 
I      ractcr  uf  Erasmus  598.  ÜLlf. 
'  Peret,  Henri  IV.  et  l'Egliso  ca- 
tholique  43<>. 
Perry,  The  second  synoil  of  Ephe- 
sus  803. 

'  Pierrugues,  Vie  de  St.  Honorat 
2^ 

Pietschker,  Die  lutherische  Re- 
j      fonuation  in  Genf  41iL  422  f. 
Prager,  De  V.  T.  versione  S}Tiaca 

IM. 


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REGISTER. 


643 


Raleigh,  Cardinal  Wolsey  ßü3. 
R  a III  b e  r  t ,  Alexandre  Vinet 
Ml  f. 

Ravaisson,  Arehivos  do  la  Ba- 
stille VIII :  Uli 

Read,  Le  Tipre  de  ]M:  432. 

Reifferscheid,  Arnobii  ad  versus 
nationes  libri  VII:  12iL 

Reinkens,  Martin  v.  Tours  290 

V.  Reuniont,  Gesch.  To-scanas  I : 

R  e  V  i  1 1 0  u  t .   TiC  concile  de  Nicee 

m  Uli  3Ü4. 
van  Rhijn,  De  Kchthf'it  van  den 

ersten  Brief  van  Petrus  LÜL 
Rivista  Cristiana  \illL  622  flF. 
Rochat,    Le    catechunionat  au 

IVm.  siecle  2hiL  290. 
Rons  eh,  Studien  zurltala;  Itala 

und  Vulgata;  Die  alttestaraent- 

liche  Itala  in  den  Schriften  des 

Q-prian  liÜL 
Roget,  Histoire  du  peuple  de  Ge- 

neve  III :  ilS.  421  f. 
Rothe.  Vorb'sungen  über  Kirch«  n- 

gosch.  I.  11:  112.  IIL  2hl  f. 
Roy,  Constantin  Grand  'IH'^ 
Rüssel,  Calendur  of  State  Papers 

ÜDiL 

Scb  ö  n  e ,  Eusebii  Olironicorura  über 
prior  mi  IM  f. 

Scholz.  Hubert Languet  12!lliiL 

Schultz,  Die  Christologie  des 
Originei»  129.  ff. 

Schuni,  Das  Quedlinburger  Frag- 
ment einer  illustrirten  Itala  KU. 

Seebohni.  The  Era  uf  Protestant 
Revolution  äüL  üüü  f . 

S  i  e  g  f r  i  e  d .  Philo  von  Alexandrien 
IM. 

Skworzow,  Patrol logische  Unter- 
suchungen 1 IH  L2äf. 

Sörgel,  Lucians  Stellung  zum 
Christentun)  Uli 

Sommer,  Grtgorins  Xaziancenus 
29  li. 

Stäckel,  Zur  Kritik  des  Gregor 
von  Tours  22iL  21iL 

V.  Stein.  Sieben  Bücher  zur  Ge- 
schichte des  Platonisinus  III:  lÜlL 

Supernatural   Religion  1 18. 

S  w  a  i  n  s  o  n  .  The  Xicene  and  Aj>ost- 
les'  Cneds  LID. 


Tessier,  L' Amirai  Coligny  428 f. 
Teuf  fei,  Gesch.  der  röm.  Litera- 
tur m  140  f. 
'  Thalhofer,  Bibliothekd. Kirchen- 
väter 132.  lail  28').  287 
Thierry,  Recits  de  l'iiistoire  ro- 
j      maine  au  V"»«  sieele  '280. 
i  T  h  0  m  a ,  Justins  literarisches  Ver- 
I      hältnis  zu  Paulus  und  zum  Jo- 
[      hanues-Evangeliuni  12£L  lülf. 
Tidemann,   De  apocalyiw<e  van 
Henoch  en   hot  Essenisme  HS. 
121  f. 

l'ccelli,  Deir  Eresia  in  Bergamo 
I      tili.  ti21  f. 
Uhlhorn,  Der  Kampf  des  Christen- 
tums mit  dem  HeidL-ntum  liti. 
U  h  r  i  g ,  Bedenken  gegen  die  Echt- 
I      iieit  der  mittelalterli(h<.n  Sage 
'      von   der  Enttronung  des  Mero- 
I      vingischen    Königshauses  durch 
den  Papst  Zachariaa  20h. 

Vald  a  r  n  i  n  i ,    Alberigo  Gentiii 

Vinccns,  Fran(;^)is  de  la  Noue  431. 
Volkmar,  Paulus'  Römerbrief  III  f. 

I  W e  i  c  h  e  r  d  i  n  g ,  Der  St  Pirmins- 
berg und  der  h.  Pirmin  li<^'2. 
Weingarten.  Rothes  Vorl  sungcn 
\      über  Kirchengeschichte  1 :  112* 
i      IIL  II:  2hl  f. 

W  e  n  z  1 0  w  s  k  y ,    Die   Briefe  der 
I      Papste  von  Linus  bis  Pelagius  II. 
I:  liÜL 

Werner,  A,  Bonifacius  2M aoi f. 
I  — .  K,  Beda  28L  221f 

VV  i  e  d  e  m  e  i  s  t  e  r ,    Der  Casaren- 
wahnsinn 143 
;  W  y  1  i  e ,  The  History  of  Protcstan- 
j     tism  .jaL  599f. 

'  Zahn,  Zur  Auslegung  und  Text- 

I  kritik  einiger  schwieriger  patri- 

I  stischer  Stellen  L2Ö.  IM. 

I  Zangemeister,    Zum  An<»nym. 

i  Vak-8.  m. 

I  Zelle r.  Zur  Petrusfrage  llfi  f . 

Ziegler,  Itala-Fragmente  LÜä  f . 

I  Z  8 c  h  i  ra  m  e  r .    Salvianus    280  f. 

I  2Üüf. 


644 


REGISTER. 


III. 

Sach-  uud  NameDregister. 


A b  äl a  r  J :  von  Bernh.  v.  Clairvaux 
bekämpft 49i  zu seinerEthik 394f. 

A  b  b  0 1 ,  Erzb.  von  Canterbnrj- 

Abendmahl,  bei  Melancbthon  u. 
den  Zürichern  als  Bekenntnis- 
zeichen der  Partikularkirche  9iL 

Acta  Archelai,  Ort  und  Zeit 
ihrer  Abfassung  ili^i  -497;  die 
Fragmente  des  Basilides  darin 
497- .012.  all  f. 

Aegypten,  das  hier  einheimische 
Mönchtum  des  Serapis  Üü  —  tÜL 
545.  Charaktf  r  des  ägyptischen 
Mönchtnms  Mlff. 

AgapetusL  Oriinder  einer  Biblio- 
thek, ff. 

Ailli,  Peter  von,  niclit  Verlasser 
der  Dialoge  ,,De  quaerelis  Fran- 
ciae  et  Angliae  "  und  „  De  jure 
Bucctssionis  utrorumque  regum  in 
regno  Franciae  "  149— 158;  Verf. 
d.  lalhchl.  d.  Zabarella  ^ugeschrieb. 
„capita  agendorum"  45(J-46'2; 
auch  Verfasser  der  „  Consultatio- 
nes  Cardinalium  '*  4fi2. 

Alcnin,  Inschriftliches  von  ihm 
263;  zu  seiner  Ethik  im 

Ambrosius,  Inschriftl.  von  ihm 
222 ff.;  seine  Ethik  384 f. 

A  m  m  o  n  ,  Der  lieilige  547  f.  557 

Anonymus  Valesianus  2M^ 

Antonius,  der  angebl  Stifter  des 
Mönchtums,  dem  Eusebius  unbe- 
kannt ii  f. ;  die  un historischen 
Angaben  des  Hieronymus  über 
ihn  9j  die  Vita  desnelben  keine 
Geschichtsquelle  für  die  An- 
fänge des  Mönchtums,  sondern 
spätere  Tendenzschrift  Iii  — 13; 
nicht  von  Athanasius  verfasst 
13—22;  sein  Name  findet  sich 
nicht  bei  Athanasius  lÜ  f. 

Apelles,  der  Gnostiker  12L 

Apologie  der  Aug.  Conf,  ihre 
Lehre  von  der  Kirche  fi5  ff. 

Arnobius  132. 

Athanasius,  nicht  der  Verf.  der 
Vita  Antonii  Iii— 22;  auch  nicht 


[      Verbreiter   des   Mönchtarus  im 
Abendlande    Iii  ff. ;    seine  Be- 
ziehungen zum  Mönchtum  22£.; 
eine  ihn  betr.  Inschrift  2ü2  f. 
A  u  g  u  8 1  a  n  a ,  Art.  VII :  öl  ff . 
Augustinus,  Inschriftliches  über 
ihn  228  ff  ;  zu  seiner  Ethik  3ÖL 
!  Auri faber,  Andreas  166. 

I  Baduel,  Claude  421  f. 

Bancroft,  Erzb.  von  Canterbury 
!  tkJ^f 
Barnabasbrief  118. 
Basilides,    sein  ursprüngliches 

System  481-544;  seine  Heimat 
'      ist  .Alexandrien  49li  — 493_l  die 

Fragmente  in  den  Acta  Archelai 
I  493.  512.  511  f ;  die  Fragmente 
!      bei  Clemens  515  ff. ;  ob  Verfasötr 

der    nnQftdootis    ivi-  MutiHo» 

530  ff. ;  sein  sog.  Evan.'elium  iden- 
I  tisch  mit  seinen  Exegetica  542  f. 
I  Basilius  der  Grosse,  Regenerator 

des  Mönchtums  5ti2ff. 
I  Basler  Concil,  eine  kirchlich- 
i  politische  Kefonnschrift  von  dem- 
1  selben  4fi3— 4G9.  Ü2If. 
!  Benedetto  di  Mantova,  Mönch 
I  von  S.  Severino,  Verf.  d.  Schrift 
I  „Von  der  Wohltat  Christi "  593  f. 
j  OHL 

I  Bernhard    von  Clairvaux, 
Charakteristik  desselben  3G — 50. 
Brenz,  sein  Beitrag  zur  werdenden 

lutherischen  Kirche  9G— 99. 
Bretsc  h ne  ide r,  Ueber  das  for- 
male und  materiale  Princip  der 
luther.  Dogmatik  4UÜi. 
,  Bruce ioli,  Antonio  023  f.  p 

Calvin  420—425.  l 
C  a  r  n  e  s  e  c  c  h  i .  Pietro  592  ff. 
[  Christen  Verfolgungen  142  ff. 

Chrysostomu.s,  luschriftliches 
I      zu  seiner  Geschichte  215  ff. 
Clemens    von  Alexandria. 
Ueber  seine  DarbteUung  des  Ba- 
silidianischen  Svi>tom.s  4h3.  4^  f. 
491L  51L  5111  ix. 


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REGISTER. 


645 


Clemens  von  Rom  1 19;  zur 
Textkritik  der  neuen  Clemens- 
8tücke  305—310. 

Clemensbriet',    der  sogen, 
zweite  illL  2M-28£L  32i>  bis 
301 :  eine  altchristl.  Predigt  2fil  f. ; 
Prüfung  der  Ueberlieferung  2G9  ff. 
Zeitrichtung  und  christl.  Denk- 
weise des  Verfa8ser8  ä2Ü  —  35G ;  ' 
Bestimmung  der  A  bfassungszeit  | 
der  Humilie  iihü  ff. ;  Ort  der  Ab-  , 
fassung  2t>2  f.  363  f. ;  zur  Text- 
kritik 3üi4  ff. 

C  0 1  i  g  n  y  iM  t :  Heine  Witwe  Jac-  I 
queline  d'Entromots  i2^;  seine  ' 
Tochter  Louise  iML  I 

Cnlumba  der  Jüngere  2119. 

Con Stanzer  ('oncil.  die  sogen, 
capita  agendoniiu   für  dasselbe 

C 0 n t a r i  n  i  tilf)  617:  seine  Dar- 
stellung der  Rechtfertigungslehre  , 
und  ihr  gtsehichtl.  Wert  ÜiL 

Cor 'Ii  er,  Mathurin  425  f. 

Cornelius  von  Rom,  seine 
GrabBcijrift  21iL 

C  r  u  c  i  g  e  r ,  Caspar,  oberster  Cor- 
rector  der  Lutherschriften  lfi2.  1 
IM. 

Cyprian,  Inschriftl.  über  ihn  2JiL 

Daraasus  von  Rom,  Inschriftl.  < 

von  ihm  21i»  ff.  I 

de  Wette,  üeber  Princip  u  Cha- 
rakter des  Prot^tantiamus  4()'i  • 
bis  m.  4n7ff.  j 

Donatismus  HÜ  f.  | 

.  Eck,  Joh.,  zwei  Briefe  desselben 

üjL  ff,  vgl.  s.  üaiL 

England,  Reformationsgeschichte  ; 
desselben  5iü  — fll3 

E  nnodius  V  un  Pavia,  Inschrif- 
ten von  ihm  239  2iitL 

EpistolaadDingnetuml22f. 
Erasmus  tiüi. 

Ethik,  zu  ihrer  Geschichte,  Vin- 
c^'nz  von  Beauvais  and  das  8i)e- 
culum  morale  J:  365—396;  die 
Entstehung  einer  geujeinchristl. 
Ethik  :m  iF 

Eusebius  von  Caesarea,  ihni 
ist  das  Mönchtum  noch  unbe- 
kannt fiff;  s»'in  Chronicon  134f. 
seine  Aeusserung  über  den  zwei- 
ten Clemensbrief  2üÜ  f. ;  über  , 
Basilides  iMt.  432.  , 


Flacius.  ein  specieller  Schüler 
Melanchthuns  55f. ;  sein  Kirchen- 
begriff u.  dessen  Verwandtschaft 
mitde?n  Melanchthons  üüf.;  sein 
Anteil  an  der  Aul'richtung  der 
Autorität  Luthers  Uli  f. 

Fl  aminio,  Marcantonio,  sein  An- 
teil an  der  Schrift  „Del  bene- 
fizio"  öML  582.  M!3ff 

Frankreich,  kirchliche  Zustände 
daselbst  um  1563 :  323—328 ;  Pro- 
testantenverfolgung unter  Lud- 
wig XV.  170-174;  zur  Gesch. 
des  franz.  Protestantismus  il4 
bis  ;  die  Protestant.  Colleges 
426  f. :  die  gegenwärtige  Krisis 
der  refurmirten  Kirche  Frank- 
reichs Müf. 

Gabler,  Ueber  das  Princip  des 
Protestantismus  und  die  Prin- 
cipien  der  cliristlichen  Theologie 
398-400. 

Gei ssler,  Bibliograph.  Beiträge 
zu  ihrer  Gesch.  dläff.;  ihr  Auf- 
treten in  Flandern  iiU  ff. 

Genf,  Die  Retormation  daselbst 
422  f.  424  f. 

Gnostiker,  zur  Quellenkritik  ihrer 
Geschicht4j  12i2  f . 

Gregor  der  Grosse,  Inschrift- 
liches zu  seiner  Gesch.  240—252. 
2üfif.;  seine  Moralia  '3hl  t 

Gregor  vonNazianz,  Inschrift- 
liches von  ihm  2iüff. ;  Verehrer 
des  Mönchtums  567. 

Griechenland,  Statistisches  über 
die  Kirche  desselben  475  -4S0. 

(iriudal,  Erzb.  v*in  Canterbury 

^  tili5. 

Guise.  Karl  von.  Cardinal,  sein 
Memoire  über  die  kirchl.  Zustände 
in  Frankreich  1563:  323—328. 

Hase,  Ueber  die  Principicn  des 
Protestantismus  4<  il«  f. 

Heinrich  VJll.  601  ff. 

Herrn  as,  sein  Verhältnis  zum 
4.  Evangelium  l-'2. 

Hieronymus,  seine  „Vita  Pauli 
Monachi"  nicht  eine  Quelle  für 
die  Anfänge  des  Mönchtums, 
sondern  ein  Roman  2  — ti:  seine 
unhistorischen  Angaben  über  An- 
tonius 9i  sein  Epitaphium  auf 
die  Paula  235  f. 


646 


REGISTER. 


H i  p  p u  1  \  t  u s ,  de  Antiobristo  132  f.  , 
seine  Statiu'  ;   die  Philo 

H^liliuuicim  als  Quelle  für  das  ur- 
8|tninglicheBasilidianisclie  System 
ISl  -  044. 
H  u  III  :i  Tii  s  lu  u  8 .   Zur  Gesch.  des- 

K<dben  in  Frankreich  42.')  ff. 
Hutten.  Ulrich  V  .  die  Zeit  Heiner  , 
ersten  Ik'gegnung  mit  Sickingen  , 

f. ;  seine  Flugscliritt  ,.  Con- 
eilia"  etc  1121  f.  | 

i 

Johannes  Cassianus,  Charak-  | 
ter  peiner  collationes  i)atrum  iill  f. 

Irenaeus,  über  seine  Darstellung 
d.  BasUidianischen  Systems  4S2  tf. 

1 8  i  d  0  r  u  8 ,  der  Gnostiker  iilil  f.  / 

IsidurusvonSe  Villa  2ÜI ;  seine 
Bibliothek  und  deren  Insclirilten 
2i>9tf.;  seine  Ethik  3881".  1 

Italien,  zur  Gesch.  der  Refor- 
mation daselbst  (j13 — G2G.  [ 

J  u  1  i  a  n  u  H  von  E  c  l  a  n  u  m ,  seine 
Grabschrift  211^  ff. 

J  u  s  t  i  n  u  s  M  a  r  t  y  r  UiÜ  ff. 

Kirche,  die  Grosskirche  des  zwei-  j 
ten  Jahrb.  aM ff.;  die  Entstehung 
der  lutber.  Kirche  OU  -llO;  die 
lutiier.  Kirche  nicht  schon  15.30 
gegründet  [»s,  ÖÖ:   zweifelhaftes  i 
Kecht  der  Bezeichnung  „lutber. 
Kirche*'  ÜÖfg.    Die  beiden  ersten 
Schritte  (1537  — Ifji.j),  in  denen  . 
die  deutsche  Reformation  auf  die  ! 
I>abn  zur  lutber.  Kirche  gelangt  ' 
ILL    Durch    wen   die  Autorität 
Luthers  als  ein  für  die  Kirche  { 
des    deutschen    Protestantismus  | 
wesentl.  Stiick  aufgestellt  ist  l<K)ff. 
(Flacius  101  f.  Mrlanchthon  102ff.) 

Kirchenväter,  Beitrüge  zu  ihrer  ! 
Gesch.  aus  epigrapb.  Quellen  2Ö2  ' 
bis  2Ü3.  I 

Knox,  John  608  ff  ' 

Konrad  III.  und  Bernhard  von  , 
Clairvaux  4G  ff.  ,    ..  I 

K  r  e  u  z  z  u  g ,  Der  zweite,  eine  Schö- 
pfung Bornh.  v.  Clairvaux      ff.  ' 

Lactantius  289  f.  2fLL 

Land,  Erzb.  von  Canterbury  GOG  ff.  | 

Luft,  Hans,   seine  Druckerei  zu  i 

Wittenberg  üiüf.  I 
Luther,    seine    Aeusserung  in 

den  Torgauer  Artikeln  von  Be- 


lang für  das  Verständnis  des 
L  Art.  der  Augsb  Coiif.  tU  IT. ; 
sein  Widerwille  gegen  die  Be- 
zeichn. ,,  lutber.  Kirche  '*  ßll  f. ;  die 
Aufrichtung  seiner  Autorität  als 
eines  wesentl.  Merkmals  d.  Kirche 
der  deutschen  Reformation  lU)tf. ; 
ein  Brief  an  Marq.  Schuldorp  vom 
22-  Dec.  1525:  aüf. 

M  a  c  a  r  i  u  s  der  Gros.se  2L  5(>9  f. 
Marburger  Col  loq  u  i  um,  über 

einen  angcbl.  neuen  Bericht  über 

dasselbe  G28-638. 
M  a  r  c  i  0  n  536  ff 

Marcionitismus,  zu  seiner  Ge- 
sciiichte  121  f. 

Marius  von  A  ^'  e  n  t  i  c  u  m  '296. 

Matthias,  die  sog.  nnondocug 
desselben  530  ff. :  sein  sog.  Evan- 
gelium 511. 

Mazarin  43G. 

Mel  an  c  h  t  h  on  ,  seine  Mitwirkung 
zur  Entstehung  der  lutb.  Kirche 
52  ff.;  die  von  ihm  vorgetr.  Lehre 
von  der  Kirche,  die  idealistische, 
mit  Luther  harmonirende.  in  der 
Augsb.  Conf.  51  ff,  in  der  Apo- 
logie üäff.,  in  den  Locis  von 
1535:  üö:  2j  die  spätere  empi- 
rische ,  von  LutlkT  abweichende, 
seine  Erklärungen  zu  Schmalkal- 
den 1537:  12  ff.,  Erhebung  des 
Lehrbekenntnisses  zum  inuern 
Massstabe  und  (irunde  der  wah- 
ren Kirche  liL  12  ff.  Si  ff,  die 
Kirche  eine  Art  von  Schule 
ff.  —  Melanchthons  Festhalten 
an  diesem  empirischen  Kirchen- 
begr.  ii2ff. ;  er  liegt  der  ('on- 
cordienformel  zu  Grunde  iiü  f.  IM; 
M  giebtden  Anstois,  dass  j^cbliess- 
lich  der  Name  Luthers  in  den 
Titel  der  Kirchs-  Augsb.  Conf. 
aufgenommen  winl  102  ff. ;  ist 
Griinder  der  lutber  Kirche  lu7; 
nicht  der  Urheber  einer  Unions- 
kirche lÜL  110:  macht  keinen 
Anspruch  auf  Selbständigkeit  sei- 
ner Lehrweise  Luther  gegenüber 
lOGf.;  warum  •  ie  .Vnsätze  einer 
si>cciellen  theol.  Richtung  M.'« 
bekämpft  sind  lü2  ff.  —  Sein 
angebl.  Brief  an  d' n  Venetian. 
Senat  (1539)  4G9-471. 

Mönchtura,   sein  Ursprung  im 
nachconstantin.  Zeitalter  1— Ö5; 


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REOI8TKR. 


647 


545 — 574:  k  int'Situren  dessolben 
im  dritten  Jalirlnmtlcrt  ü  IV. ;  dciu 
Kni;ebius  nn bekannt  ütV. ;  wann  es 
im  AUndland  nacli^'ealmit  ist 
IQ  ff. ;  die  Zeit  seiner  Entstellung 
iiü  Orient  22:  das  Mönchtuin  di\s 
Serapis  und  .>eine  Analogien  luit 
dem  ersten  cliristl.  Anachoreten- 
tum  ÜÜ— 3^  <lie  Mutive  der 
Ucbertra^'ung  des  5^eraj»isinoneli- 
tumH  ins  Christentum  5.).'i  f.  Die 
Zeit  derselben  iiLA  (T  —  Das  ^I. 
stajniiit  nieht  aus  den  Vcrtol- 
^'ung^szeiten  der  Kirclit*  5451'.  — 
Cliarakter  dts  ägypt  M.  547 rt\; 
Parallelen  dazu  aus  der  li«^idn. 
Welt  55iilf.:  indischer  Einfluss 
nielit  anzunehmen  551  f. —  Ent- 
st<*hungtizeit  und  Beschaffenheit 
der  ersten  Monasterien  558  ff  — 
Das  M.  in  .1er  griech.  Welt  5H2  tf. 
Die  sieh  an  das  Monchtum  an- 
knüpfende Romanliteratiir  älifi  tf . 
Das  31.  im  .\lx'ndland  512 rt'. 
M  0  n  i c  a,  ihre  (irabsehrift  228  f. 
M  o  r «)  II  e  ,  Giovanni  58 (>  f, 
M  II  r  a  t  0  r  i  s  c  h  e  s  Frag  m  e  n  t . 
über   den  Schlusssatz  desselben 

oio— ;;i:i. 

Novatus  vonSitifis,  s.  Todes- 
jahr  2äiL 

Ochino  tili5  ff. 

0  r  i  g  e  n  e  s ,  seine  (!hri>tol(>g.  lÜiJ  If ; 
sein  Grabmal  zu  Tyrus  )7  f. : 
ein  angebl.  Epitaphium  auf  ihn 
2ui5f.  25Üff. 

Pa  c  ho  m  i  us ,  von  Athanasius  nieht 
erwähnt  2^  der  Ueberlieferung 
nach  erster  Organisator  d.  Mönch- 
tums  35j  seine  Regel  5511— 562. 
5  71. 

Paleario.  Aonio,  nicht  Verfasser 
tier  Schritt  „Von  der  Wohltat 
Christi"  575— 59G. 

P  a  1 1  a  d  i  u  s ,  in  seinen  Vitae  san- 
ctorum  patrum  durchaus  unglaub- 
würdig 23  f.  26—29.  56*L 

l'apias  UÜlf. 

Patres  .Vpostolici  llltf. 

Paulinus  von  Xola,  Inschrift- 
liches von  ihm  2Mff.  25titf. :  als 
Lobredner  des  Mönchtums  57H. 

Paulus  der  Einfältit'O  549 f. 


Paulus  von  Theben,  keine  ge- 
seiiichtl.  Porsouliclikeit .  sondern 
j      eine  Erfindung  sein.\<  fliograjdien 
!      Hieronynms  2—6. 
Petrus,  ob  in  Rom  11 6 f. 
Polykarp,  sein  'louesjahr  1 2 1  f. 
Predigt,  ihie   Reschaffeiiheit  in 
I      der  Kirche  des  2.  Jahri».  264  If. 
Proselyten,  .füdi>che  im  Mittel- 
alter 44*;  45)1 
Protestanten  vor  folgung  in 
FrankTcieh   unter    f-iuiwig  XV. 
,      170  171 

P r o t e s t a  n t i s mu s ,  n b. d.  beiden 
;      Prineipien  «lessclben  ,  wann  und 
von  wem  sie  foruuilirt  sind  397 
]      bis  4 1 1) ;  zur  Gesch.  des  Protest. 
I      in  Frankreich  414-  445.  in  Eng- 
I      lami   597—613.  in  Italien  6JUi 
bis  «;2(i.  -    \^]  Kirche. 
P  s  e  u  d  e  p  i  g  r  a  p  Ii  e  n  124  f. 

I  Räubersynode  303  f. 

Rhabanus  Maurus,   zu  seiner 
I      Ethik  a9üf. 
Rör er ,  («Horg, Correctordt'r Luther- 

schrift<n  lti2 
Roger,  .lae(|ucs  441. 
Rufin  US,  I)ie  Unglaubwnrdigkeit 
seiner  Historia  Monachorum  2Ü 
bis  26 :  556  tf.  56IL 

'  S  a  1  v  i  a  u  u  s      >  f. 
Schleier  m  a  c  h  e  r ,  lieber  das  An- 
sehen der  Symbol.  Biichtr  404 tf. 
8  c  h  m  a  1  k  a  1  d  i  s  c  h  e  Artikel 
70 f.:  ihre  ötfentl.  Autorität  H'7. 
j  Scholastik,  ihr  Beitrag  z.  Ethik 
I      aM  tf. 

Schwabach  er  Artikel,  das 
;      Verhältnis  des        zum  L  Art. 

der  Augsb.  Conf.  6LL 
!  S c  u  1 1  e  t  u s .  sein  Bericht  über  das 
!      Marburger  ('olloquium  üMtl*. 
■  Serapion,  Der  heil.  547.  557 
I  Serapis,  sein  Mönchtum  30—35. 
545.  552  f. 
Simon  M  a  g  u  s  127. 
Sklaverei,   Stellung   der  alten 

Kirche  zu  ihr  141  I. 
Statistik,  Kirchl..  eine  l'mschau 
in  der  Kirche  Griechenlands  47.5 
bis  48(1 

j  S  y  m  b  0 1  u  m  A  p  o  s  t  o  1  i  c  u  m  138  f. 
I  Tb  erapeutentum,  ohne  Bedeu- 


648 


REGISTER. 


tung  für  die  Entstehung  des 
Mönchtums  3(L 

Torgauer  Artikel  iHf. 

T  w  e  8 1  e  n ,  Urheber  der  ietzt  gang- 
baren Formel  von  den  beiden 
Principien  des  Protestantisraos 
4(H>— 409.  Üüt. 

Valdes,  Juan  de  590f.  61«f. 

Victor  von  Capua,  seine  Grab- 
schrift 2afi  f. ;  sein  Todesjahr  24tL 

Vincens  von  Beau^ais,  seine 
Bedeutung  in  der  Gesch.  d.  Ethik 
3ß5  —  30() ;  Biographisches  über 
ihn  ällff. ;  seine  Schrift  „De 
institutione  filiorura  regiorum " 
36Ö  f. ;  der  Organismus  seines 
Hauptwerkes,  desSpeculum  majus 


auf.;  Speculum  historiale  3^ 
Speculum  doctrinale  Mi*  f.  3 
Speculum  naturale  374  f.  | 

W  a  1 1  h  e r ,  Christoph,  Druckc'>iT 
tor  zu  Wittenberg  lülff. ;  n 
Brief  an  Andreas  Aurifaber  vi 
211  Januar  1547:  l»i6-168.  * 

Wegscheider,  lieber  die  Pr. 
cipien  der  Dogmatik  ililf. 

Wittenberg,  die  Zustände  di 
während  des  sächsischen  Krieg 
1546:  IM  ff. 

Wolsey  t502f. 

Zabarella,  nicht  der  Verfass* 
der  ihm  zugeschriebenen  „capit 
agendorum  '*  4^0  ff. 


Druck  Ton  Friedr.  Andr.  Perthes  in  Odtba. 


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763  984 


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