1; für Geschichte
der Deutschen
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Verein für
Geschichte der
Deutschen ın ...
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Mittheilungen
des
Vereines für Geſchichte der Dentfchen
in Böhmen,
XXVI Iahrgang.
Rebigirt von
Dr. Sudwig Sclefinger.
Nebit der
literarifiıhen Beilage
Drag 1888,
Im Gelbftverlage des Vereins und in Commiſſion bei H. Dominicus
für bie a ser Monarchie.
Germany
-Peipzig und Wien.
In Commiffion bei $. U, Brockhaus.
(657
7032
v: 26
(TIERE)
R. t. Hofbuchbruderei A. Haafe, Prag.
— —
Inhallsverzeichniß.
Die Feſtfeier zum fünfundzwanzigjährigen Beſtande des Vereines am 11. Juni
1887. Bon Dr. Buftav E. Laube -: 2 200 0 u m nn
ur Geichichte ber deut en Sprade u. Literatur in Böhmen. Von W. Toiſcher 26
Der Rubin und feine Umgebung. Ein Beitrag zur Urgefchichte Bbhmens. Von
an; Theodor Steiner
Beiträge zur Gejchichte des böhmiſchen Aufftandes von 1618. Won Dr. Julius
. )
Ein Fohanneslied aus Dentihböhmen. Nach einer jchriftlihen Aufzeichnung be—
richtet von E. W.
Simon von Tiihnow. Ein Beitrag zur Geſchichte des böhmischen Wichfismus
EEE EEE ETF TITEL ER TETTE
Beiträge zur Geichichte Nordweitböhmens. Bon Heinrih Gradl - +. 266
en der deutihen Spradinfel von Neuhaus und Neubiftrig. — Von
Dr. The
Erinnerungen an Bhil. Jacob Fallmerayer. Ein Richt und Schattenbild —
Conſtantin R.von Höflee. een
Miscellen.
Wann iſt die Stadt Plan deutſch geworden. Eine Studie von Dr. M. Urban . 107
Bericht der „Hiſtoriſchen Gejellihaft für die Provinz Pofen” . - - 2... - 113
Sagen aus dem weftlihen Böhmen. Von Franz Wilhelm.» - -» » 2.2.2.0. 215
Sagen über Friedland und Umgebung. Bon Ferdinand Thomas . . 112, 217, 322
Literariſche Beilage.
Seite
Ammann Friedrih: Die Schlaht bei Prag am 6. Mai 1757. Verlag von
Dtto Peters 1887. Bon Th. Tupeb oo 0 nennen een 25
Archiv desky öili star& pisemnds pamätky desk& i moravsk& sebran& z ar-
chivü domäeich. Bon W. Biete eo rennen nennen 70
Binhad Franz: Die Markgrafen im Nordgau. Fahrg. 1887. Bon -[n.. 53
Bohemica aus periodischen Zeitichriften. Jahrg. 1887. Bon W. Hiefe . . . -» 87
Carinthia, Beitihrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung.
Bon: De. Ewa a re ea 15
Dollinger Franz: Geihichte von Pürglig, Von —n.. ..: 222000. 30
P. Focke Franz: Böhmen ift das angeftammte Vaterland der Deutſchböhmen.
Im Selbftverlage 1887. Bon —n. «2 sr rennen 30
Balliftl Thomas: Heimatskunde des politiihen Bezirkes Krummau. Selbft-
berian. Won RE a a a a a ae 82
Genauck Rarl: Die gewerblide Erziehung im Königreiche Belgien. Verlag von
J. Fritfche in NReichenberg 1886. Bon id.» 22. 27
— — Die gewerbliche Erziehung durh Schulen, Lehrwerfftätten, Mufeen und
Vereine im Königreiche Belgien. Reichenberg, 3. Fritiche 1887. Bon Kid 54
Geſchichte der Burg und Stadt Winterberg. Verlag des deutſchen Handwerker—
vereines in Winterberg. Bon C. o . 2 2 2 20er 47
Neue Geologiſche und patäontologifhe Arbeiten über Böhmen. Von Lbe. .. 78
Gradl Heinrih: Geſchichte des Egerlandes. Wit in Eger. Bon Ch... - - - 33
Habermann Gag. Dr.: Aus dem Volksleben des Egerlandes. Verlag von
Kobrtih und Gſchihay. Bon H. Gradl » » 2: 2 22 une 13
Hallwich Hermann Dr.: MWallenftein und Waldftein. Ein offener Brief an
Dr. Gindely. Leipzig 1887. Bon Ze 0 se nennen 1
Herbft Eduard Dr.: Das deutſche Sprachgebiet in Böhmen. Prag-Keipzig 1887,
Tempsty, Freytag. Bon re oo 00 euere 7
Hieke Wenzel: Gefchichte des Kirchiprengels — Bon 8.... 34
Holder Auguſt: Die Ortschroniken, ihre culturgeſchichtliche Bee —
pädagogiſche Verwerthung. Stuttgart 1886. Bon W. Hieke. . - 35
Immermann Franz: Das Archiv der Stadt Hermannftadt und der ſächſiſchen
a na ee an eh 16
Kalenderſchau. Von Wenzel Hiete Be ne 39, 58
Kat Hermann: Klutſchak's Führer durch Prag und Umgebung. Bon —r.. . - 15
Klutſchak Franz: Chronik des Annallofers in Brag. Bon r.— . ..... 48
Knothe Hermann Dr.: Fortfegung der Geſchichte des Oberlaufiger Adels und
jeine Güter. Görlig 1887. Bon W. Hiefe. . - nennen 38
Krauß Hans N md Dümml ©. N: „Eghalandriſch's. Schwanf und
Schnaugn.“ Verlag von U. E. Wit. Bon H. Gradl .» » 2... 14
Seite
Krebs Julius Dr.: Zacharias Allerts Tagebuh aus dem 3. 1627. Von ©.
Reitmeriger Lehrerverein. Heimatskunde des politifchen Bezirkes Leitmeriß.
Im Selbitverlage des Vereins. Bon W. Diele.» - - - rn...
Lippert Julius: Kulturgeſchichte der Menjchheit in ihrem organischen Aufbau.
Stuttgart, Ferdinand Enke 1886. Von Chevalier - - » nennen
Loeſche Dr.: Johann Mathefius, ein Beitrag zur böhmischen Reformations-
Gefchtihte, Bon 2, ©.. aa a a a nun
Löw Georg: Ein Gedenfblatt den Vercehrern und Freunden desfelben. Bon R.
P. Mannl Oswald: Die Ocenpation der königlichen Stadt Pillen durch den
Grafen Ernft von Mansfed. Bon —r. » » ser ennnen
Moißl Konrad: Der politifche Bezirk Auffig, umfalfend die Gerichtöbezirke
Auſſig und Karbitz. Von W. Hiekſteee.
Neuwirth Xofef Dr.: Gefchichte der chriftlichen Runft in Böhmen bis zum
Ausfterben der Bremyfliden. Bon dr. h.. ».» 22er
Osborne W.: Das Beil und feine typiſchen — in vorhiſtoriſcher Zeit.
Dresden 1887. Von L...8
Paudler U: Sagen und Märchen, Umdichtungen. Bon
— — Baftor Schlegel Chronik von Benjen. Drtankgrgrhen von Aman Böhm.
Benſen 1897. Von &.:::. 205 ir ra nn
Peez Aler. Dr.: Aus Eger und dem Egerlande, Minden 1887, Bon 9. ©. -
Peters Ignaz: Hans Bufteters ernftlicher Bericht. Bonn, Emil Streuß 1887.
ou U Denia sn 0 a a ne ae
Programmanfjäge aus dem Jahre 18387. Bon B....
Quellenbuc zur Gefchichte der öſterreichiſch- ungarifchen Monarchie. Wien.
Alfeen Hölders Verlag - » oo 0 0 0 ee een
Rabl Joſef: Illuſtrirter Führer durh Böhmen. Von © - - -» - 8
Reisgenftein Karl Freiherr von: Der Feldzug des Jahres 1621 mit Belig-
ergreifung der Oberpfalz. Von Heinrih Grad! . » rennen
Riezler Siegn.: Die Ortdnamen der Münchner Gegend. Von U. Hrufhfa -»
Rotter Rihard Dr.: Andreas Ritter von Wilhelm. Biographiiher Beitrag
zur öfterreichiichen Schul- und Staatsgefhichte in den letten 75 Jahren.
Wien 1884. Von Er
Rößler Karl: Geſchichte der Graslitzer Schule. Bon Chevalier » : . +»
Ruby Franz: Das Iglauer Handwerk in feinem Thun und Treiben von der
Begründung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts urkundlich dargeftellt,
a ee a a
Schleſinger Ludwig Dr.: Die Nationalitätsverhältniffe Böhmens. Stuttgart.
Verlag von J. Engelhorn 1886. Bon —r.. » 222er
Schober Karl Dr.: Heimatskunde von NMiederöfterreih. Wien 1884. Alfred
Dülber Be DS, ee a
Städte-Wappen bei Königreihes Böhmen. Wien, U. Schroll & Comp.
a
Taubmann Joſef Alfred: Märchen und Sagen aus Nordböhmen. Reichen—
berg 1887. Von W. Hiekfkke...
. 21
Seite
Tuha Edmund: Die Kirchenbauftyle des Mittelalterd und deren wichtigere
Dentmale in Böhmen. Bon —T— . : 2 2 2222er 28
Tutte %. und Hlozek A.: Der Bezirk Lobofig in feinen fififaliichen, topogra=
phiſchen und Hiftoriichen Verhältniffen. Bon W. Hiele. . - - .....
Weber Dttofar Dr.: Die Duadrupel-Allianz vom Fahre 1718. Bon —n.. . .
Weinhold Rarl: Zur Entwidlungsgefhichte der Ortsnamen im bdeutfchen
Sclefien. Bon Wois Hruſchkfe... nnn
— — Die Verbreitung und Herkunft der Deutihen in Schlefien. Stuttgart,
Engelhorn 1887. Bm L. ..
Winter Guftan: Niederöſterreichiſche Weisthümer. I. Theil. Von ©... . - -
Wolkan R. Dr.: Beiträge zu einer Gefchichte der Reformation in Böhmen. I.
Das Decanat Auffig. Wien und Leipzig 1887. Von W. Hiele . . . . »
Zäpisky Vilöma Slavaty z let 1601--1603. (Sonderabdrud a. d. Abhandl. d.
böhm. Geſellſchaft der Wiffenfchaften. VII. 2.) Bon 9.- - » - » 2...
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im. as
ee
Üittheitungen es Vereines
für
Öeschichte der Deutschen in Bühmen.
Br. a
Schsundzwanzigfter Jahrgang. Erites Heft. 1887/8.
Die Feſtfeier zum fünfundswanzigjährigen
Beftande des Vereins am 11. Inni 1887.
Ein Verein von der Bedeutung, welche der unfrige durch feine erfolg:
reiche und unermüdliche Thätigfeit fich errungen, hätte alle Urfache, nach
einer fünfundzwanzigjährigen Dauer feines Beftehens das Feſt feiner
Gründung unter Entfaltung von öffentlichem Gepränge und der Theilnahme
aller deutſchen Stammesgenofjen in Böhmen zu begehen, ja man wird es ihm
vielfeiht von mancher Seite verübeln, daß er fich zu einer derartigen
jolennen Fejtfeier nicht aufgerafft, ſondern auf eine folche im engjten Familien»
freife, könnte man jagen, bejchränft hat. Indeſſen braucht der Ausſchuß Feine
andere Rechtfertigung zu erbringen, als auf die Gründe hinzuweiſen, welche
ſowohl durch die gejchäftl. Mittheilungen, als auch in den bei der Feier
gehaltenen Reden hiefür angeführt worden find. Es war dies keineswegs
von allem Anfange beabfichtigt, vielmehr hatte man jchon vor mehreren
Jahren Vorjorge getroffen, die Feier des Zdjährig. Beitandes des Vereins
in einer würdigen Weiſe fetlich zu begehen, und es war hiefür ein Comite
bejtehend aus den Herren Schlefinger, Schulz, Laube, Biermann, Schebet
eingejegt worden, welches zahlreiche Berathungen in diefer wichtigen Ans
gelegenheit pflegte, deren endliches wohl erwogenes Ergebniß eben die den
gegenwärtigen ungünftigen politifchen und nationalen Berhältniffen Rechnung
tragende bejcheidene Feier war, die fich gleichwohl, ohne Ruhmredigkeit
darf dieſes gejagt werden, zu einer folchen gejtaltete, an welcher das
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— 2 —
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ganze deutſchböhmiſche Volk theilnahm, indem von alfen Seiten durch
unfere Vertretungen jowohl als von einzelnen Mitgliedern: herzliche, oft in
ſchwunghafte Worte gefleidete Begrüßungen einliefen, denen ſich nicht minder
zahlreiche, ſowohl mündlich als jchriftlich dargebrachte Beglückwünſchungen
von Seite bejreundeter Vereine zugejellten.
Unjern auswärtigen freundlich gefinnten Mitgliedern und wohlwollenden
Freunden gegenüber erjcheint es unjere Pflicht, im nachjtehenvden eine furze
Schilderung der Feier zu geben.
Im Spiegelfaale des Deutſchen Haufes in Prag hatte ſich am Abend
des 11. Juni d. J. eine anſehnliche Gejellfchaft eingefunden, hervorragende
und bedeutende Männer unjeres Volkes, jowie eine Anzahl deutjcher Frauen
und Mädchen, welche gefommen waren nicht nur unfer Feſt zu verjchönern,
jondern auch zu beweifen, daß ihr Gejchlecht warmen und vollen Antheil
nimmt an allem, was das Deutſchthum in Böhmen betrifft.
Nachdem der Vicepräfident die Berfammlung eröffnet hatte, erjchienen
die Vertreter der Leſe- und Nedehalle der deutjchen Studenten, des deutjchen
juridiſchen Vereines, um die Glückwünſche ihrer Körperjchaften mündlich
zum Ausdrude zu bringen. Bon den Prager deutjchen Blättern hatte die
Bohemia an der Spige der am Jubiläumstage erjchienenen Nummer
eine warme Begrüßung gebradjt. Nach der Bollführung der üblichen
Formalitäten nahm der Bicepräfident Dr. 2. Schlefinger das Wort zu nach—
ftehender Begrüßungsrede:
Hochgeehrte Berjammlung!
„Seien Sie mit deutſchem Gruße herzlich willfommen geheißen, meine
hochverehrten Damen und Herren, zu der Feier unferes fünfundzwanzig-
jährigen Gründungsfeftes, welches der Ausjchuß des Vereines nur in
befcheidenen Grenzen zu begehen den reiflich erwogenen Entjchluß gefaßt
hat. Wohl gewährt ung auch nur ein flüchtiger Rückblick auf die durch:
laujfene Bahn innige Befriedigung treuer und erfolgreicher Pflichterfüllung,
und böte uns am heutigen Tage vielfachen Anlaß zu gehobener und freu-
diger Feſtesſtimmung. Aber e8 widerjtrebt unſeren Gefiihlen, angefichts der
auf unferem argbedrängten Volksſtamme laftenden Nothlage hellere Yubel-
Hänge anzuftimmen, und nur ſtrenge Nechenjchaft wollen wir ablegen im
ernjten Augenblicde der Zeit über das, was wir angejtrebt und was wir
erreicht, jowie iiber das, was wir noch für die Zukunft zu erftreben und
zu verwirklichen als unfere hohe Aufgabe erachten.
Bei einer ſolchen gewiſſenhaften Prüfung unferer finfundziwanzig-
jährigen Vereinsthätigfeit wird man den in unferen Sagungen geftellten
— —
Zweck und die uns zur Verfügung geſtellten Mittel gegen einander billig
abſchätzen müſſen. Nach zwei Richtungen hin hatte ſich im Allge—
meinen unſere Vereinsarbeit zu erſtrecken. Es galt einerſeits die Ge—
ſchichte unſeres Volksſtammes nach den ſtrengen Geſetzen der Wiſſenſchaft
zu erforſchen, anderſeits aber wurde das Ziel ins Auge gefaßt, die
gewonnenen Ergebniſſe durch volksthümliche Darſtellungen zum Gemein—
gute unſeres Stammes zu erheben und in die Herzen von Jung und
Alt zu verpflanzen. Denn nicht eine ausſchließlich gelehrte Geſellſchaft,
lediglich eine Vereinigung von Meiſtern und Jüngern der Wiſſenſchaft zu
bilden, lag in den Abſichten der Gründer, ſondern das von kundigen Männern
des Faches aus den Tiefen der Forſchung zu Tage geförderte Edelmetall
ſollte als gangbare Münze geſchlagen und in die Hände aller Volksgenoſſen
zur verſtändnißvollen Aufnahme gebracht werden. Durch dieſe zwiefach
gegabelte Zielſetzung erhöhten ſich von allem Anfang an die zu überwin—
denden Schwierigkeiten und bedurfte es der ſteten Wachſamkeit der leitenden
Kreiſe, das Schifflein im Fahrwaſſer der goldenen Mittelſtraße ſicher zu
ſteuern und allen Anfechtungen und Verlockungen zu begegnen, welche dasſelbe
entweder in die ſtarren Klippen einer gelehrten Akademie oder auf die
Sandbank unwiſſenſchaftlicher Verflachung zu lenken ſuchten.
Warum aber gerade dieſe Doppelrichtung mit zielbewußtem Sinne
einzuſchlagen bei uns eine dringliche Angelegenheit war, erklärt ſich zunächſt
aus dem Weſen und der Natur des Gegenſtandes ſelbſt, der zur Bearbeitung
vorlag. Wir befanden uns vor einem Viertel-Jahrhundert auf faſt noch
unbebautem Boden, der nur geringe Spuren der wenigen Spatenſtiche
vorhergegangener Thätigkeit verrieth. Das deutſchböhmiſche Volk in ſeiner
geſchichtlichen Entwicklung als eine beſondere ſelbſtändige Einheit aufzufaſſen
und demgemäß das Verfahren der Forſchung einzurichten, hatte man nur
in jchüchternen Verjuchen begonnen. Dagegen überwucherte eine halb-
amtliche Zandeshiftoriographte, die fid) bewußt oder unbewußt angemöhnt
. hatte, den Antheil des deutfchen Stammes an der Landesgeſchichte - als
nebenjächliches Anhängjel zu betrachten. Da diefe tonangebende Ge:
Ihichtsschreibung ausschließlich von tichechifchen Gelehrten beherricht wurde,
diefe aber der tichechifch nationalen Bewegung, welche auf literarifchem
Gebiete lange vor dem Jahre 1848 begonnen hatte, ſich nicht zu entziehen
vermochten, entjtanden einfeitige gefchichtliche Auffafjungen und Darjtellungen,
welche das deutſchböhmiſche Volk in der Landesgejchichte als armſeliges
Achenbrödel erjcheinen ließen. Daß dergleichen parteimäßig gefärbte Geſchichts—
erzeugniffe geeignet waren das nationale Bewußtjein unſerer jlamifchen
Zandesgenofjen wejentlich zu heben, wird Niemand leugnen. Befremdend
1*
EP REN
aber bleibt es, daß jelbjt von den Gebildeten unjeres Volkes die Ergebniſſe
jolcher Hiftoriographie ohne Prüfung gläubig hingenommen und nicht jchon
viel früher, als mit der Begründung unjeres Vereines, feierlicher Einſpruch
erhoben wurde. Wohl hatten die Vorgänge im Fahre 1848 gar vielen
Bertrauensfeligen die Augen geöffnet, und Einzelnen war es auch Klar
geworden, daß man von jener Seite die Wiſſenſchaft ſchon lange in den
Dienft der nationalen Politik geftellt hatte.
Der Gedanke aber, planmäßig der bisherigen Behandlung der böhmischen
Landesgejchichte entgegenzutreten, verwirklichte ich evjt mit dem Wiederer-
wachen des verfallungsmäßigen Lebens im Anfang der Sechziger-ahre
dur Entjtehung unferes Vereines. Einem tiefgefühlten nationalen Bedürf-
niffe entjprungen, fonnte derjelbe umjomehr auf die Zuftimmung des deutjchen
Bolksitammes rechnen, da er jich in feinen Grundbeſtimmungen auf wolf:
thümlicher Unterlage aufbaute und jeine Mitglieder in allen Schichten der
Bevölkerung, in allen Theilen des deutſchen Sprachgebietes zu fuchen bejtrebt
war. Der geſammte deutjche Volksſtamm follte für ein Tebhafteres Intereſſe
an der gejchichtlichen Erforjchung feiner ftolzen Vergangenheit gewonnen,
die von ihm unbewußt aufgenommenen, vielfach falſchen und undeutſchen
hijtorifchen Auffaſſungen, die bis in die Schulbücher vorgedrungen waren,
befeitigt und an Stelle derjelben der wiljenjchaftlihen Wahrheit entjpre-
chende Darjtellungen zur allgemeinen Verbreitung gelangen. Diejes Biel
hätte eine in ſich abgejchlofjene gelehrte Geſellſchaft nimmermehr erreichen
fönnen. Es bedurfte hiezu des großen, glücklich zuftande gefommenen
Zandespereins, welcher Lehrer und Lernende zu eimer fich gegenfeitig
ergänzenden fraftvollen Bereinigung zufammenjchloß und jeine höhere Weihe
durch die fittlichen Fdeen der gehobenen Liebe und Treue zum deutjchen
Bolfe und der Hochachtung vor der geſchichtlichen Wahrheit erlangte.
Die Geſchichte des deutjchen Stammes in Böhmen zum jelbjtändigen
Gegenftande wiſſenſchaftlicher Unterſuchung zu erheben lag jomit nahe genug.
Die Zweitheilung der Landesgejchichte beruht in dem thatfächlichen Umſtande
des Nebeneinanderwohnens zweier Völker mit grundverjchiedenen natürlichen
Anlagen, verjchiedenartigen Entwidlungsjtufen und vielfach auseinander-
gehenden Lebensrichtungen und Strebezielen. Bruchtheile zweier großer
Bölkerfamilien fanden fich in einem Lande, das ſeit Alters eine territoriale
Abgeſchloſſenheit bildete, unter gemeinjamen Herrjchergefchlechtern zujammen.
Land und Regent bildeten das einzig Gemeinfame, Vergangenheit, Sprache,
Sitte, Rechtsanjchauung, Bildungsftufe, mit einem Worte der Gegenjag
der deutschen und ſlawiſchen Volfsfeele, das Trennende. Dieſe Grundver-
jchiedenheiten erzeugten von allem Anfange an einen ſcharfen Dualismus
N ee
in der Zandesgejchichte, welcher nicht blos in den einzelnen culturellen
Entwidlungsformen der beiden Völker, jondern durch das ganze Mittelalter
hindurch und über diefes hinaus aud durch eigenartige praftifch giltige
Rechtsunterlagen zum Ausdrude gelangte. Bis zu den Hufitenkriegen
behaupteten die Deutjchen Böhmens eine weitgehende nationale Selbjtän-
digkeit in Verwaltung und Gerichtsbarkeit, Schulen und Kirche, wie fie ſich
die erjten Anfiedler am Porſchitſch ausbedungen hatten. Unmittelbar unter
der Krone ſtehend, entwidelten fie allein einen freien Bauern- und Bürger:
ftand, der fich felbjt verwaltete und richtete, die Jugend in nationalen
Schulen erzog und fir jeine veligiöfen Bedürfnijje durch Freigewählte Priefter
forgte. Dagegen bewegte fich das politiiche Leben der Tſchechen in ven
Feſſeln der ſlawiſchen Gauverfafjung, in den mehr oder minder ftrengen
Formen der Abhängigkeit vom einheimijchen Abel.
Die Dauer diefer dur ein jlawifches Dynajtengejchlecht ins Leben
gerufenen Verfajjungszuftände fällt zujammen mit den glücklichjten und
glänzendften Zeitabichnitten der böhmischen Gejchichte überhaupt. In ihnen
beruhte eine kräftige Stüße der Krone gegenüber dem widerſpenſtigen Adel,
aber auch ein jtarfer Schuß der ſich immer mehr entfaltenden Freiheit der
Gejammtbevölferung jelbit. Denn auch das tichechische Volk beftrebte jich,
das jus teutonicum der deutjchen Bauern und die ftädtifchen Verfaffungen
der deutfchen Bürger zu erringen, um fid jo vom läftigen Zupenzwange
zu befreien.
Auch die durch die unglüceligen Hufitenfriege gewaltjam hervorge-
rufene Ummwälzung der Dinge vermochte die politich nationale Zweitheilung
der Älteren Zeit nicht völlig auszutilgen. Wer die Spuren derjelben ver-
folgen will, made ſich mit dem Inhalte der deutſch-oböhmiſchen
Dorjweisthümer vertraut und erinnere jic) an die befannte Thatjache,
daß im deutjchen Norden bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts nad ſächſiſchem
Rechte verfahren wurde und bis 1548 an den Schöppenhof zu Magdeburg
die Appellation stattfand. Und als Ferdinand I. diefen Inſtanzenzug ins
Ausland unterfagte und den Prager Appellationshof begründete, wurde
derjelbe des Bedürfnijfes halber in einen deutſchen und tſchechiſchen
Senat gegliedert, den Beifigern des deutjchen Senates aber wurde die
Kenntniß des ſächſiſchen Rechtes zur Verpflichtung auferlegt; denn das—
jelbe bejtand troß des Verbotes der Berufungen nad) Magdeburg im
deutichen Norden des Landes auch fernerhin in lebendiger Kraft, und erjt
durch den Landtagsbeſchluß vom Jahre 1610 wurde der Gebraud des
Magdeburger und aller anderen fremden Nechte unterfagt. Die Trennung
aber in zwei nationale Senate beim Appellationsgerichte blieb beftehen, und
FERN
durch die vernenerte Landesordnung vom Jahre 1627 wurden auch beim
Landrechte ein deutjherundeintfhehijcher Senat gegründet
und bei der Hoffanzlei ein deutjcher und ein tſchechiſcher Secretarius bejtellt.
Die jchweren Folgen des großen Krieges im XVII Jahrhunderte
- und der alles gleichmachende Abjolutismus mit jeiner jtarfen Bevorzugung
der deutjchen Sprache verwifchten zwar jene ſcharfe Sonderung der beiden
Stämme im Lande immer mehr, löfchten aber das Gedächtniß an viejelbe
nicht völlig aus. Kaum waren die Völfer im Jahre 1848 nad) langent
Schweigen wieder zum Worte gelangt, erhalte von beiden Stämmen der
lebhafte Auf nach adminiftrativer Gliederung des Landes nach Sprachge—
bieten, und dasjelbe, wenigjtens von Seite der Deutſchböhmen heute noch
mit viel größerem Nachdrud aufgejtellte Verlangen bedeutet nichts Anderes
als den Wunſch nach Niücderlangung und Wiedergewinnung des Jahrhun—
derte lang bejejjenen nationalen Selbjtbejtimmungsrechtes und der natio-
nalen Freiheit.
Wenn jomit zuvörderjt in politiich nationaler Beziehung die Gejchichte
des deutſch-böhmiſchen Volkes einen volljtändig abgejchlojjenen jelbjtändigen
Stoff für wiljenjchaftliche Unterfuhung und Forjchung bildet, jo gelangt
diejes in noch viel ausgeprägterer Weife in culturhiſtoriſcher Richtung
zum Ausdrude. Sie werden mir, meine Damen und Herren, die Beweis—
führung für die ohnehin allgemein bekannte Thatſache exlafjen, daß die
Deutjchen in diefem Lande von der Einführung des Chriftenthumes begonnen
bis auf den heutigen Tag fi) als ein lebensfräftiger Zweig des großen
deutſchen Eulturvolfes erwiefen und auf allen Gebieten der verjchiedenen
eulturellen Entwidlungsformen menschlicher Thätigkeit die fruchtbaren Keime
gelegt und zum Sprofjen und Blühen gebracht haben. An diejer Thatjache
vermag die ja anderwärts auch beobachtete Erjcheinung nicht zu rütteln,
daß der deutjche Lehrmeijter in Kunſt und Wiljenjchaft, im Gewerbe, Berg:
bau, Handel und Induſtrie nicht immer den Dank ſelbſt der gelehrigjten
Schüler eingeerntet hat.
So vielgejtaltig und weitverzweigt ſich der Stoff der deutſchböhmiſchen
Geſchichte auch darftellt, jo ijt er doch zu einem einheitlichen, eigenartigen
Gebilde verwachlen, und im Verlauf der Jahrhunderte hat ſich auch der
geographiſche Schauplag zu einer immer mehr abgeſchloſ—
jenen Unterlage verdidtet.
Wenn nun die Frage gejtellt wird, inwieweit wir während unjerer
fünfundzwanzigjährigen Thätigfeit unferem Ziele näher gerüdt find, jo
muß ich die Beantwortung den fachlichen Auseinanderjegungen des geehrten
zweiten Rednerg überlafjen. Nur auf eine Erjcheinung will ich hinweiſen,
— —
deren aufmerkſame Verfolgung wohl geeignet iſt, uns heute mit einiger
Befriedigung zu erfüllen.
Die allmälige Beſiedelung des Landes mit deutſcher Bevölkerung
erfolgte keineswegs von einer großen Ausgangspforte unſeres Mutterlandes,
ſondern ſtrahlenförmig von allen Seiten entſendete die Mutternation deutſche
Volkselemente in das waldumgürtete Bojenland, das die Markomanen
einſt beſaßen. Hiedurch erklärt ſich die ſeltſame Configuration des deutſchen
Sprachgebietes längs der ganzen Peripherie des Landes, aber auch die
Thatſache, daß die Deutſchen in Böhmen ſich zwar immer als Angehörige
eines und desjelben großen Volfes fühlten, daß es aber langer Zeit bedurfte,
ehe jich bei ihnen das Bewußtjein der engeren Zufammengehörigfeit innerhalb
des Landes herausbildete. Wenn nun heute der Franfe im Wejten, der
Thüringer und Meißner im Norden, der Schlefier im Oſten und der
Bajuvare im Süden troß ihrer mundartlichen Verſchiedenheiten und fonftigen
Eigenartigfeiten durch das Kräftige Band des einheitlichen Stammesbe-
wußtſeins ſich enge verbunden fühlen, jo hat hiezu nicht in letzter Linie die
zunehmende Erfenntniß der gemeinjamen gejchichtlichen Vergangenheit bei-
getragen. Die im Gedächtnijje aufgefriichte Erinnerung an die gemeinjant
verlebten Tage der Freude und des Leides, das wachgerufene Angedenfen
an die erhebenden Thaten und jtolzen Werfe der Altvordern, die Wider:
jpiegelung des. jchweren Streites der Gegeuwart in den noch viel grimmiger
tobenden Kämpfen vergangener Zeiten hat bei unjerem Volke das geſtei—
gerte Empfinden an dem ihm zugewieſenen gejchichtlichen Berufe belebt,
das Stammmesbewußtfein vertieft, das Gefühl der unzertvennlichen Waffen:
brüderjchaft gehoben und das Vertrauen in den eigenen Werth mit neuer
Stärke und Kraft erfüllt.
Unſer Volk erhebt fih an dem Bewußtſein des geiftigen Zuſammen—
banges mit der großen Mutternation, es fühlt die innigfte Zuſammen—
gehörigkeit aller Deutjchen in unferem geliebten, aus der alten Oſtmark
herausgewachjenen Kaiferftaate, den es mit aufbauen half: aber es erfreut
ſich aud) feiner eigenartigen engeren Stammesgeſchichte, deren tiefere Er-
fenntniß zunächſt geeignet ift, dem immer fejteren Kitt für die erlangte
Einheit und nothwendige Einigkeit zu bilden.
So hat demm unfer Verein durch feine wiſſenſchaftliche und volks—
thümliche Thätigfeit naturgemäß mitgewirkt an der nationalen und politifchen
Erziehung unjeres Volkes und nad) Kräften jenes politifch-nationale Rüſtzeug
zur Derfügung geftellt, welches die Geſchichte al8 Lehrmeifterin der Ge—
genwart zu bieten vermag. Dabei ſchwebte ung aber immer als höchites
Biel die wifjenjchaftliche Wahrheit vor Augen, und find ung Irrthümer
ie A
unterlaufen, jo haben wir, eines Beſſern belehrt, diejelben bereitwilligjt
zugeftanden. Niemals aber haben wir uns abjichtlich in gejchichtlichen
Phantaftereien ergangen oder gar zu dem Mittel zweifelhafter Entdedinngen
und überrajchender Erfindungen gegriffen, um dem nationalen Eigendinfel
zu fröhnen. Den nothwendigen wiljenjchaftlichen Kampf haben wir mit
Freimuth, aber ohne Leidenschaft geführt, und man wird uns das Zeugniß
nicht vorenthalten können, daß wir auch den vielen verdienftlichen Leiſtungen
unjerer jlawijchen Landesgenofjen jtetS gerecht geworden find. Und jo
wollen wir e8 auch in Zukunft halten. Den einmal eingejchlagenen Pfad
wollen wir weiter verfolgen, unbeirrt von allen Anfechtungen und Anfein-
dungen, von denen ja auch wir nicht verjchont geblieben jind.
Nur langſam haben wir uns dem uns geftedten Ziel genähert. Noch
große und wichtige Aufgaben harren der Löſung; denn faft unüberjehbar
breitet jich das vor uns liegende Arbeitsfeld aus. An rüſtigen Mitarbeitern,
jowohl an älteren bewährten, jowie an jüngeren, eifrig aufjtrebenden,
gebricht e3 uns nicht. Die Zahl der mitwirkfenden Kräfte hat jih im
Berlauf der Jahre in erfreulicher Weiſe fortwährend vermehrt. Allein die
Spärlichfeit der uns zur Verfügung gejtellten materiellen Mittel fteht in
feinem Berhältniffe zu der Größe der zu bewältigenden Arbeiten und hemmt
die wünjchenswerthe Ausnügung der vorhandenen Leiftungsfähigkeit. Wir
find nicht jo glüdlich wie viele andere Gejellichaften und Vereine, uns
einer Unterftiigung des Landes oder des Staates zu erfreuen, wir müſſen
uns mit den Beiträgen bejcheiden, welche unjere treuen Vereinsgenoſſen
zu widmen nicht ermiden. Bei einem folchen knapp zugemeflenen Vereins-
haushalt darf es nicht befremden, wenn wir namentlich in der Publication
größerer Werfe nicht jo raſch vorwärts jchreiten, als es wünſchenswerth,
aber auch möglich wäre. Es liegen uns für die von uns herausgegebenen
Serienwerfe der Bibliothek der mittelhochdeutſchen Literatur
in Böhmen, der deutfhen Chronifen aus Böhmen, jowie
der Städteurfundenbücer drudfertig neue Bände vor, deren jofor-
tige Veröffentlihung nur an dem Umstand jcheitert, daß wir den hiefür
nothwendigen Koftenaufwand in den Rahmen unjeres Jahresvoranſchlages
nicht unterbringen Fünnen. Abgejehen von diejen fortzufegenden Arbeiten
jhwebt uns für die nächſten Jahre die Herausgabe einiger nmfafjender
Werke vor, zu welchen theilweije die Vorarbeiten in Angriff genommen
worden find. Als ein immer dringlicheres Bedürfniß ftellt ſich die wiljen-
Ichaftlihe Bearbeitung des deutjchen Sprachgebietes in Böhmen nad) der
hiſtoriſchen, geographiſchen und ftatiftiichen Richtung in einem einheitlichen
Werfe heraus, und haben wir feit geraumer Zeit dem Zuftandefommen
T urn. .
— 9 —
einer derartigen erſchöpfenden deutſchböhmiſchen Heimatskunde unſer Augen—
merk zugewendet. Nur durch äußere Umſtände ſind wir verhindert worden,
: Ihnen, meine Damen und Herren, jchon heute die erjten Lieferungen des
geplanten Buches als Feſtſchrift unjerer fünfundzwanzigjährigen Jubel—
feier in die Hände legen zur können. Nicht minder wichtig erjcheint ung eine
genaue, bis in die Einzelnheiten vorzunehmende Feittellung der innigen
Antheilnahme und der erfolgreihen Mitwirfung unjeres
Stammes an der fortjhreitenden Entwidlung der allge
meinen deutichen Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft, welches
Forſchungsgebiet wir ja bereits vielfach betreten haben.
Und jo fühlen wir uns gedrängt, nach vielen anderen Seiten hin
unfere Kräfte zu entfalten. Ich will nur auf das rechtshiſtoriſche
Feld verweiſen, für welches aus dem Nachlafje unferes erjten Bereinsprä-
jidenten ein umfajjendes Material im Vereinsarchive vorliegt, welches eine
weitere Ergänzung in der Sammlung der deutſch-böhmiſchen Dorfweis-
thümer findet. Ueber den Reichthum der vielgegliederten heimijchen
Mundarten haben wir bereitS mancherlei Leiſtungen aufzuweiſen, und
es wird nur der ergänzenden Sammlung bedürfen, um zur ſyſtematiſchen
und jahmännischen Zufammenfafjung jchreiten zu können. Anregungen zu
einer gewiß ebenfo wichtigen als interefjanten deutſchböhmiſchen Induſtrie—
geſchichte find meueftens wieder eingeleitet worden, und auch in der
Richtung der von uns bislang weniger gepflegten prähiftorijchen
Forſchung widmen fich jüngere Kräfte einer erfveulichen gehobenen Thätigfeit.
Sp möge denn der Markftein, den wir heute in unjerer Vereinsge:
Ihichte fegen, die Inschrift der erfolgreichen Pflichterfüllung, aber aud)
den Anfporn zu noch raſtloſerer Thätigkeit für die Zukunft in jcharf einge
meißelten Strihen enthalten. Möge unfere Vereinigung nach den glücklich
überjtandenen Lehrjahren, gewachjen durch die eigene Kraft, muthig der
Zukunft entgegenftreben. Die betretenen Geleife haben fich durch die Erfah-
rung bewährt, heller und klarer denn je ſchwebt der unwandelbare Leitjtern
über Nichtweg und Ziel. Das deutjche Volt in Böhmen hat in einer
nahezu taufendjährigen ruhmvollen Vergangenheit eine jelten zähe Lebens-
fraft beurkundet; diefes Volk wird getreu den alten Ueberlieferungen feine
nationale Selbftändigfeit, Freiheit und Würde auch in Hinfunft zu behaupten
wiffen. Wie wir uns heute an deu glänzenden Thaten unſerer
Borfahren erfreuen, jo jollen unfere Enkel einftens erzählen,
daß der ſchwere Ernft der Gegenwart fein kleines Geſchlecht
vorgefunden hat. Darum wollen wir unbeirrt durch das
jortwährende Shwanten_und widrige Kreifhen der poli-
= A =
tiſchen Wetterfahnen uns und unjerem Volke die alte
deutſche Treue bewahren immerdar. In dem unerjhütter-
lichen Fejthalten an diejer nationalen Treue, in der liebe-
vollen Hingabe an die dem Deutihthum eigene fittlid-
ideale Richtung, inderdurd ftrengfte Arbeitununterbrocden
zu ſtählenden Schaffensfraft beruht die glüdlihe Zufunft
unjeres Volfes und unferes Vereines!
Nach diefer von der Verſammlung mit dem lebhafteſten Beifalle
aufgenommenen Ansprache, begann der dermalige Gejchäftsleiter Profefjor
Dr. Laube:
t
Hochgeehrte Verſammlung!
Eine Reihe von Gedenktagen, die wir ſonſt in freudig gehobener
Stimmung mit feſtlichem Gepränge zu feiern gewöhnt ſind, ſind in dieſer
Zeit ſchwerer Bedrängniß an uns vorübergegangen, ohne daß wir dem
alten Brauche gehuldigt hätten, uns aus Nah und Fern zu verſammeln
und des frohen Zuſammenſeins Deutſcher mit Deutſchen zu erfreuen.
Niedergebeugt durch die Hand des Schickſals, die ſo ſchwer auf unſerem
Volke liegt, vermögen wir uns zu keiner hellen Feſtesfreude aufzuſchwingen,
vermögen wir den Ernſt, der ſich bei einem Ausblicke in die Zukunft
unſeres Volkes auf unſeren Blicken lagert, auch nicht für eine kurze Stunde
zu verbannen, wiewohl wir die Hoffnung nicht aus dem Herzen verlieren,
daß es einmal anders ſein wird, und daß wir dann Gelegenheit haben
werden, unſeren Gefühlen voll und unverkümmert den gebührenden Ausdruck
verleihen zu können. Die Zeit, die wir herbeiſehnen, wird nicht als
eine Gabe des Himmels uns beſcheret werden, ſie muß erſtritten, muß
errungen werden, und eifriger als je, das wiſſen wir alle, müſſen wir in
unſeren Tagen die Hand am Werke haben, nicht fragend, ob wir oder erſt
unſere Kinder und Kindeskinder die Frucht unſeres Ringens einheimſen,
die frohen Feſte nach unſern ſauren Wochen feiern werden; das deutſche
Volk in Böhmen wird fie ernten!
Von diefer Erwägung geleitet, bejcheiden wir uns bei ſolchen Ge—
fegenheiten des Gedanfens froh zu werden, daß ein jeder jolcher Gedenktag,
wie wir jie feither erlebt haben, die Gründung eines Bündniſſes bedeutet,
an dem unjer Volk in feiner gegenwärtigen Bedrängniß eine ſeſte Stüße
und einen ficheren Rückhalt für fein Stammesbewußtjein findet, und bliden
befriedigt zurüd auf eine Zeit, welche wir nicht unbenügt vorübergehen
ließen, uns eng aneinanderzufcharen, um nun mit vereinten Kräften für
— 5
unjer gutes echt einjtehen zu können. Faſt möchte man glauben, das
deutjche Volf habe vor fünfundzwanzig Jahren, als die Gründung von
Vereinen jo an der Tagesordnung war, daß fie wie Pilze aus der Erde
ſchoßen, in Borgefühle zukünftiger Ereignifje gehandelt. Allein wenn
damals auch jo manches deutliche Vorzeichen nahender Stürme fichtbar
wurde, ja deren Raunen jchon vernehmlid durch die Lifte jtrich, jo hatte
man fie doch noch nicht allgemein als jolche, und damit die Nothwendigkeit
erkannt, jich durch enggejchlojfene Bundesbrüderjchait zu rüften, um ihrem
auf die Vernichtung des deutschen Volkes gerichteten Anprall kräftigen
Widerjtand zu leijten. Viele Vereinigungen, die hevvortraten, jollten ganz
anderen, dem öffentlichen Leben oft fernabliegenden Zwecken dienen, aber
doh nahm man damals jchon darauf Bedacht, ihr deutjches Wejen in
ihrem Namen auszudrücken, und andere ältere Vereine jahen ſich genöthigt,
wollten jie dem ficheren Untergang entrinnen, rechtzeitig dem Grundjaße
der Zweitheilung zu huldigen, wodurch zuerjt der Beweis erbracht ward,
wie diefer allein zu unjerem Heile frommt Waren die erjteren jolcher
Dereine, und heute würden wir wünſchen, es wären deren viele gewejen,
daranf angelegt, das Deutjchthum in Böhmen zu hegen und dafür ein—
zujtehen, jo erwachte der deutjche Geiſt von jelbjt in den anderen, und
ward ihr jtärfendes und belebendes Element. Alle jene Verbände, die jich
diejem entjchlagen zu können glaubten, bei denen das deutjche Bemwußtjein
nicht zum Durchbruche fam, find längjt den Weg alles Beitlichen gegangen,
wie Frühlingsblüthen, denen feine Früchte nachreifen, während die anderen,
nun alle freudig dienjtbar der Sache unjeres Volkes, troß aller Stürme,
die iiber unſer Vaterland dahinbrauften, ftehen geblieben find, zur Freude
und zum Segen unjeres Volkes, taujendfältige Frucht tragend, Schatten
und Labung fpendend in guten und böjen Tagen und immer freudiges
Hoffnungsgrün hervortreibend fefter und fefter den Boden der Heimat
mit ihren Wurzeln umklammern, damit feine Scholle der heiligen Erde
unjerem Bolfe verloren gehe. — In den Tagen heißen Kampfes, wo es
von allen Seiten herandrängt, uns unſer gutes Recht auf Deutſchthum und
Heimat jtreitig zu machen, und jeder Fußbreit ficherer Boden doppelten
Werth Hat, rufen wir ihnen, die damals vorforglic den Weckruf ergehen
ließen, und deutjchen Geift und deutſche Gejinnung großgezogen haben,
nicht jeftlich jubelnd, aber mit umfo größerer Innigkeit zu: Dank ihnen,
Ehre ihnen allen, die zu jener Zeit ein ſolches glüdlidhes
Samenkorn ausgeftreut, fie haben damit Großes für unjer
Bolt gethan. Aus ihren Schöpfungen erfließt uns Muth und Stärke
in unjerem jchweren Ringen. Iſt einft die ſchwere Pritfungszeit vorüber
BE
und erreicht, daß das deutjche Volk Waffe und Wehr beifeite legen und zu
friedlicher gewohnter Arbeit zurücfehren fan, dann werden die Namen
diejer Männer im hellen Jubel froher Feſte erklingen, und unvergänglich
von Gejchlecht zu Gejchlecht ihr Andenken vererbt werden!
In diefem Sinne joll aud heute der Gedenktag der Gründung
eines Vereines begangen werden, der ſich rühmen darf, glüdlich und
erfolgreich für unſer deutjches Volk dur nunmehr fünfundzwanzig Jahre
thätig gewejen zu fein. Gejtatten Sie mir, Ihnen in kurzen Zügen ein Bild
jeiner Wirkſamkeit zu entwerfen, und Ihnen biebei zugleich jene Männer
nambaft zu machen, welche fich in hervorragender Weife an der Errichtung
und Förderung diejes Unternehmens betheiligt haben. Es ſoll dies zugleich
eine Selbjtichau fein, wie fie ja Jeder zu halten pflegt, der eine Stufe des
Zebens erflommen, von der er ein weites Stüd feines zurückgelegten
Dafeins überjieht.
Die Gejhichte des Entjtehens und der Gründung unferes Vereines
eingehend zu beleuchten bin ich überhoben, da ein Mitbegründer desjelben,
Dr. Uler. Wiechowsky, einen jehr ausführlichen Bericht hierüber in der
Feſtrede mittheilte, welche er bei Gelegenheit der Feier des zehnjährigen
Beſtandes des Vereines hielt. Es genügt, wenn ich Ihnen in Kürze Folgendes
hierüber mittheile:
Bor fünfundzwanzig Jahren erwachte in drei jungen, damals nod)
den Studentenfreifen unjerer alten deutjhen Hochſchule angehörenden Ge—
ſchichtsforſchern der glücliche Gedanke, einen Verein hervorzurufen, der jich
mit der Förderung, Hebung und Verbreitung der Kenntniß der Gejchichte
des deutjchen Volkes in Böhmen befaffen follte, die jo vielfach von ungün—
jtiger Hand entjtellt und verunglimpft worden war. Bald fanden jich
weitere wadere Gejinnungsgenoffen, welche jih ihnen amjchlojjen. Auch
unter den Lehrern der Hochjchule fand der Gedanke freundliche Auf—
nahme. Die Form dafiir war raſch gefunden, und das Banner des
Bereines für Geſchichte der Deutjchen flatterte bald Fröhlich durch
die Lüfte. Ueber die Bedeutung und Berechtigung dieſer Schöpfung tft
Ihnen von anderer, berufenerer Seite jeeben eine eingehende Darlegung
geworden. Wohl waren feine Gründer aus dem Kreife der Hochſchule
hervorgegangen, doch lag in ihrer Abficht ein Verein, der das ganze
deutjche Volk in Böhmen umfaſſen ſollte; glücklicher al8 mancher ähnliche
Verein, der den Weg, aus der engen Gemarkung feines Urjprunges heraus»
zutreten, nicht gefunden, war der unjere; unglaublich ſchnell überjchritt er
die Grenzen jeiner Geburtsjtätte, um feine Wirffamfeit über das ganze
deutſchböhmiſche Land auszubreiten. Allerwärts hieß man ihn willfommen
rn
und bereitete ihm eine freundliche Aufnahme. Die Gunft, die ihm vom
eriten Anfang an aus allen Schichten der Bevölkerung entgegengebradht
wurde, ift ihm erhalten geblieben bis auf den heutigen Tag. Wir zählen
die Namen erlauchter Gejchlechter, hoher Kirchenfürſten, weltbefannter Ge:
Ichrter, biederer Bürger und jchlichter Landleute unter feine Mitglieder.
Ihre große Zahl ijt weit über die Grenzen Böhmens hinaus verjtreut.
Das Samentorn, das vor fünfundzwanzig Jahren hoffnungsvoll in die
heimiſche Erde gelegt wurde, hat taufendfältige Wurzel getrieben, nun fteht
e3 da ein mächtiger, ein jegensreicher Baum, weithin fichtbar und fröhlich
grünend trotz mancher Bedrängniß, die auch ihm nicht erjpart blieb. Denn
daß unſere Widerfacher gar bald erkannten, welch einer großen Zukunft
der Verein entgegenjprieße, und wel ein Hort und Bollwerf er dem
Deutſchthum zu werden bejtimmt jei, das erſah man früh an den Bejtre-
bungen, ihn zu vernichten oder doch unjchädlicy zu machen. Was aber von
tapferer Hand abgewehrt der Feinde Tide nicht zu erreichen vermochte,
das brachten auch alle die fchweren Zeitjtürme nicht zuwege, die über
unjere Heimat dahin brauften und jo manches dahin rafften, das hoff-
nungsvoll einer frohen Zukunft entgegenjproß. Treue Liebe zu unje
rem deutjchen Bolfe legte den Grund, treue Xiebe hütete
ihn und zogihngroß, treueLtiebewirdihn fürder bewahren,
und in Ehren hochhalten, wie er es verdient. So war und
bleibt er gefeit gegen alle Schläge und Tüden des Scidjals. Kein
freudig glänzendes Sonnenlicht umftrahlt heute diefen Bau, doch fteht er
da ftolz und fejt! Eine fefte Burg des deutichen Volkes in Böhmen, auf-
gebaut durch einträchtiges Wirken, ein Hort für alle Zukunft! Und dankbar
nenne ich Ihnen die Urheber des Vereines, von denen leider einer heute
nicht mehr unter ung Lebenden wandelt: Ludw. Schlejinger, Julius
Lippert und Aler. Wiechowsky. Die Profeſſoren der Hochſchule,
melde an der Gründung des Vereines theilnahmen, waren: Profeſſor
Dr. Bolfmann, E. von Höfler und Alois Brinz, und namentlich
Legterem iſt es zu danken, daß derjelbe den glüclich gewählten Namen
eines „Vereines für Gejchichte der Deutfchen in Böhmen" angenommen hat.
Leicht war die Aufgabe, welche ſich der Verein gejtellt hatte, Feines-
wegs. Er mußte, wollte er für unfer Volf Erſprießliches leiften, vom ernten
Geiſte ftrenger Wiljenfchaftlichkeit getragen fein, und wollte er ſich als
Volksverein die Gunſt feiner zahlreichen nichtgelehrten Mitglieder dauernd
bewahren, dann galt es in feinen VBerdffentlichungen leichtverftändlich und
Ihlicht zu diefen zu fprechen. Die unvermeidlichen Klippen diefer ihm auf-
gedrungenen Doppelitellung, an welcher jo manches Unternehmen ähnlicher
Art gejcheitert ift, hat unjer Verein glücklich umſchifft und iſt der gejtellten
Aufgabe in glänzender Weiſe gerecht geworden. Seine Veröffentlichungen
nimmt der gelehrte Fachmann ebenfo gern in die Hand, wie der einfache
Handwerker, es findet Jeder darin zu jeiner Belehrung reichlichen Stoff,
und alle Kreife wifjen ihm hiefür veichliche Anerkennung zu zollen.
Dieje glückliche Löſung feiner Aufgabe verdankt der Berein zunächit
der trejflichen Leitung der Herausgabe feiner Mittheilungen, die, anfänglich
in raſchem Wechjel von B. Scheinpflug, Anton Shmalfuß und
Dr. Birgil Grohmann bejorgt, jeit nunmehr 17 Fahren unausgefegt
in den Händen Dr. &. Sclejinger's liegt, der mit jeltener Sicherheit
und vichtigem Verſtändniß den jich reichlich bietenden Stoff jo zu gruppiren
weiß, daß er Jedem nach feiner Art und Bedürfniß etwas zu reichen vermag.
Anderjeits aber wäre alle Bemühung fruchtlos gewejen, wenn fich nicht eine
große Scyaar bewährter Mitarbeiter gefunden hätte, deren Zahl
weit über Hundert beträgt, welche jid) thätig in allen Zweigen der Wiſſen—
Ichaft, die der Verein gepflegt, der Schriftleitung bereitwilligjt zur Seite
geftellt haben. So jind die fünfunzwanzig Bände der Mittheilungen eine
reihe Schaglfammer für deutjchböhmifche Gejchichte geworden, an deren
Zuftandefommen viele fleigige und emfige Arbeiter theilnahmen. Unter
ihnen verdanfen wir namentlic) Archivar Dr. Ad. Berger werthvolfe
Mittheilungen aus dem jildlichen Böhmen, Prof. Dr. J. E. Födiſch
wichtige Berichte über vorgefchichtliche Funde, Dr. Bine. Göhler hijtoriich-
ftatiftifche Mittheilungen, Achivar Heinr. Gradl, dem fenntnißreichen und
verdienftvollen Gejchichtichreiber des Egerlandes, Berichte über jeine Heimat;
Dr. Herm. Hallwid, der eifrige Vertheidiger Albreht Wallenfteins,
Hofrat Conſtantin von Höfler, der erft in neuefter Zeit wieder die
Hefte der Mittheilungen durch einige Abhandlungen von weittragender
Bedeutung bereicherte, der unermüdliche Sagenjammler Franz Hübler,
der genaue Kenner des Böhmerwaldes und feiner Bewohner Hofrath
Friedr. Lauſecker lieferten zahlreiche Beiträge, ebenfjo Julius Lip-
pert dur Forjchungen in deutjcher Städtegefchichte, Prof. Dr. Johann
Loſerth in Ezernowig durch feine quellenkritiichen Abhandlungen, Prof.
Rudolf Miller in Neichenberg durch Funfthiftoriiche Auffäge, Auton
Auguft Naaff dur ſolche über deutſchböhmiſche Volksdichtung, Prof.
Mathias Banger! brachte wichtige Arbeiten über die Stifter und das
Freibauernweſen im ſüdlichen Böhmen, Prof. Bernhard Scheinpflug
über die uralten Pflanzſtätten, deutscher Cultur, die Ciſterzienſerſtifte Oſſegg
und Plaß. Dr. Ludwig Schlefinger veröffentlichte quellenmäßige Dar-
ftellung deutſchböhmiſcher Gejchichte im Mittelalter und altdeutſche Dorfweis—
..
-
— 1) —
thümer, Joſef Stodlöw jeine Beiträge aus dem Tachauer und Kaadner
Bezirke und dem Erzgebirge und Dr. Tobias in Zittau viele jchäßeng-
werthe Mittheilungen aus der einft zu Böhmen gehörigen Laufig. Noch
fünnte ich Ihnen eine lange Lijte nicht minder verdienjtvoller Mitarbeiter
aufzählen, wenn ich nicht fürchten mitßte, Sie hiedurch ungebührlicy zu
ermüden. Sch will nur noch frz auf die zahlreichen und hervorragenden
Zeitungen von Dr. Rihard Audree, Dr. U. Benedikt, Friedr.
Bernau, Dr. J. Virgil Grohmann, Prof. Bernh. Grueber,
Karl V. von Hansgirg, A. Jäger, Brof. Dr. W. Katzerowsky,
Dr. F. Kürſchner, Prof. Dr. E. Martin, Ignaz Petters, Karl
Renner, Dr. Ed. Schebek, Dr. W. Toiſcher, Dr. T. Tupetz, Dr. M.
Urban, Th. Wagner, K. Werner und A. Zeidler hinweiſen, um
auch noch anderer Veröffentlichungen gedenken zu können. Eine ſtattliche Reihe.
von Bänden gibt davon beredtes Zeugniß, daß der Verein eifrig bemüht
war, auch ſtreng wiſſenſchaftlichen Anforderungen durch größere Arbeiten
gerecht zu werden. Hier finden wir die Geſchichten deutſchböhmiſcher
Städte, Leitmeritz und Trautenau von Julius Lippert, altehrwür—
dige Städtechroniken von Elbogen, Trautenau und Eger veröffentlicht
von L. Schleſinger und H. Gradl, Urkundenſammlungen,
das Stadtbuch von Brüx von L. Schleſinger, Johannes von Abens—
bergs Geſchichte der Krönung Karls IV., die Chronik des Heinrich von
Dieffenhoven von Conſtantin v. Höfler veröffentlicht, Kunſt und Eul-
turgesjhichte, Prof. Bernd. Grueber's Werk über die Kaijerburg
zu Eger, Joſ. Virgil Grohmann Aberglauben und Gebräuche aus
Böhmen. Eine Anzahl Bände füllen die hochwichtigen Denkmäler
mittelbohdeutfcher Literatur aus Böhmen, herausgegeben von
Prof. Ernſt Martin und feinen Schülem Dr. Toiſcher, Dr. Kni—
{chef und Dr. Benedikt, welche den unumftößlichen Beweis liefern, daß
die Wiege unferer heutigen hochdeutſchen Sprade am
böhmiſchen Königshofe ftand. Nicht unterlaſſen darf ich endlich unter
den größeren veröffentlichen Werfen noch Dr. Schleſinger's vortreff-
lihe Geſchichte Böhmens zu erwähnen, die ein echtes Volfsbuch im
beiten Sinne des Wortes nach ihrem erjten Erjcheinen raſch eine zweite
Auflage nöthig. machte, und der nun bald eine dritte folgen dürfte, ein
Harer Beleg dafür, wie werth und lieb auch unferem deutjchen Volke die
Geſchichte jeines Heimatslandes ift.
Neben dieſen Verdffentlichungen von eigenen Forjchungen darf ich
nicht unterlajfen auch der Beachtung zu gedenken, welche in der den Mitthei-
lungen beigegebenen literarifchen Beilage, deren Leitung ebenfalls jeit
einer Reihe von Jahren Herrn Dr. Schlefinger anvertraut ijt, gejchicht-
liche und andere auf Böhmen Bezug habende Werke finden, deren nicht
weniger als 1106 in den abgelaufenen Fahren eine eingehende Beiprechung
erfahren haben, abgejehen von den vielen fiirzeren Anzeigen und Notizen
über jchriftjtellerifche Erzeugniffe von minderem Belang. Füge ich noch hinzu,
daß diejelbe als befondere Beigabe Georg Schmid's erjchöpfende und mit
ganz befonderem Fleiße gefammelte Bibliographie der gefammten Literatur
über Albrecht von Wallenftein enthält, jo kann man ohne Ueberhebung aud)
dieſe Blätter als eine werthvolle Fundgrube fiir auf Böhmen bezughabende
Schriften bezeichnen, welche namentlich, da fie auch aufin tichechischer Sprache
gejchriebene gefchichtliche Veröffentlichungen Bedacht nimmt, für diefer Sprache
nicht mächtige Gelehrte von befonderem Werthe ift. Auch hiebei fei in dankbarer
Anerkennung ſtets bereiter und bewährter Mitarbeiterichaft der Herren
Schulrath Dr. &. Biermann, Dir. Dr. Shevalier, Prof. Dr. Rulf,
Prof. Dr. Tupetz, Prof. Dr. Toiſche Prof. Hruſchka, Prof. Dr.
Ulbrid, Archivar Mörath, Prof. Dr. H. Lambl, W. Hiefe und des
verewigten K. V. von Hansgirg gedacht, welche neben anderen fich in
ganz hervorragender Weife an diefem Blatte betheiligten.
Ich will Ihre freundliche Aufmerkſamkeit nicht länger durch die
Beiprechung der fchriftjtellerifchen Thätigkeit unferes Vereines in Anspruch
nehmen; laſſen Sie ſich nur noch durch einige Zahlen raſch vor Augen»
führen, was auf dem Gebiete der Veröffentlichungen bisher geleiftet wurde.
Die Zahl der gedrudten Bogen der Mitteilungen des Verein jammt der
literariſchen Beilage beträgt dermalen 1,158.706. Hiebei ftieg bei einer
ziemlich gleichbleibenden Auflage von 2000 Stüden die Zahl der Bogen in
den Jahrgängen von anfänglich fiebeneinhalb vor zehn Fahren auf zmwei-
undzwanzig und beträgt in den legten Jahren nicht unter dreißig. Bon
achtzehn größeren in Auflagen von 500 Stüd gedrudten Werfen im
Umfange von neun bis dreiundvierzig Drudbogen wurden 146.912 Bogen
ausgegeben. Die beiden Auflagen von Schleſingers Gefhichte Böhmens,
3500 Stück zu dreiundvierzig Bogen, beanfpruchten 148.625 Drudbogen.
Bon den zahlreichen Sonderabdrüden hervorragenderer Aufjäge aus den
Mittheilungen gänzlich abgefehen, Hat demnach der Verein in den
fünfundzwanzig Jahren feines Beftandes 1,354.243%, Drud-
bogen veröffentlicht. Gewiß eine ftattliche Zahl, welche ein unzweifel:
haftes Zeugniß für die Wirkfamkeit des Vereines und ein unmiderleglicher
Beweis für das Beſtreben ift, nach beftem Vermögen das geſteckte Ziel zu
erreichen. Dabei kommt ja noch der Umftand zu erwägen, daß der Verein
bisher ganz auf eigene Kräfte und wohlwollende Freunde angewiejen iſt,
wobei ich ganz bejonders der werfthätigen Unterftügung dankbarſt gedenken
muß, welde die bbhmiſche Sparcaſſa dem Berein feit einer Reihe
von fahren gewährt, und ſich feiner Unterftügung feitens des Landes oder
Staates erfreuend, nur mit ſehr bejcheidenen Mitteln arbeiten konnte, die
ihm leider nur zu oft ein Hemmniß für weitgehendere Pläne waren.
Die Verdffentlichungen find nicht das einzige Lebenszeichen des
Bereines. Häufig gaben Wanderverfammlungen, zu deren Abhaltung
der Verein durch jeine Sagungen berechtigt ift, Gelegenheit, in engere
Beziehungen zu feinen auswärtigen Mitgliedern zu treten. Freudig wett
eiferten die deutichen Städte Böhmens darin, den Verein einzuladen, in
ihren Mauern eine Berfammlung abzuhalten, die fich ftets zu einem
Bundesfefte treugelinnter, deuticher Männer gejtaltete. Nicht allein die
jorgfältig gewählten fejjelnden Vorträge, welche bei folcher Gelegenheit
gehalten wurden, jondern fo manches erhebende und befeligende Wort, das
da gefprochen wurde, begeijter die Fejttheilnehmer fir die Sache des
deutichen Volkes. 2 |
So haben die ferndeutjchen Städte: Leitmeritz (1868), Trau—
tenau (1869), Leipa (1870), Zeplig (1871), Carlsbad (1872),
Warnsdorf (1873), Krummau (1875), Brüx (1877) und Eger (1879)
den Verein der Reihe nach als ihren Gaft begrüßt. Die fejtlichen Stunden,
welche dort verlebt wurden, die nur zu raſch verraufchten, bleiben allen
Theilnehmern und in der Gejchichte des Vereins unvergefjen. Sie haben
am beiten die Bedeutung dargethan, welche der Verein in den Augen des
deutschen Volkes in Böhmen gewonnen hat. Wenn feit einer Reihe von
Fahren von der Gepflogenheit, Wanderverfammlungen zu veranjtalten,
Umgang genommen wurde, jo find hiefür theilmeife diejelben Gründe
maßgebend geweſen, welche dazu veranlaßten, die heutige Feier der Grün:
dung in bejcheidener Geftalt zu begehen, anderſeits bieten die zahlreichen
von anderen Vereinen veranjtalteten VBerfammlungen, die Kaifer Joſef- und
anderen Feſte gegenwärtig jo reichliche Gelegenheit, das deutſche Volfsbe-
wußtjein zu jtärken und zu heben, daß der Verein feine Kräfte auf die
Erreichung anderer geſteckter Ziele vereinigen fan. Doch joll damit durchaus
nicht auf die Ausübung des Rechtes zur Abhaltung von Wanderverſamm—
lungen für alle Zeit Verzicht geleiftet fein. Vielmehr wird der Verein, jobald
e3 ihm geboten fcheint, unverzüglich und beveitwilligit aus feiner gegenwärtigen
Zurücgezogenheit hervortreten, und die alte Gepflogenheit wieder üben.
Ungeftört durch äußere Ereignifje pflegt der Verein jeit jeiner Gründung
wiſſenſchaftliche Forſchungen im engeren Kreife feiner Mitglieder. Alljährlich
bietet die ftille Zeit der Wintermonate den verjchiedenen BERNER
Mittheilangen. 26. Iahrgang, 1. Heft. 2
a 8
(Abtheilungen) Gelegenheit zu Wochenverfammlungen, in welchen wiſſen—
Ichaftliche Berichte aus allen Zweigen der böhmischen Gejchichte erjtattet
und entgegengenommen werden. Unter diefen haben namentlich die unter
der langjährigen, umfichtigen Zeitung der Herren Schulrath Dr. ©. Biermann
und Landesſchulrath Dr. M. Pfannerer ftehende erfte bez. dritte ganz
bejonders eifrig und mit hervorragendem Erfolge gearbeitet... Geben dieje
Vereinigungen nun namentlich jüngeren Forſchern eine willkommene Gele-
genheit ihren wifjenjchaftlichen Eifer zu bethätigen, jo gereicht e8 ung zur
befonderen Freude, den Neftor deutſchböhmiſcher Gefchichtsforjchung die rege
Theilnahme, die er diefen Arbeiten vom Anbeginne des Vereines zumendete,
diefen auch in neuerer Zeit wieder widmen zu jehen.
Bon Yahr zu Jahr wächjt der Verkehr, welchen der Verein nach
außen hin mit verwandten Geſellſchaften durch Schriftenaustaufc
unterhält; derartige freundjchaftliche, gegenjeitig fördernde Wechjelbeziehungen
finden nad) allen Ländern hin ftatt, und obwohl die Zahl derjelben bereits
118 beträgt, ift jie doch noch in jteter Zunahme begriffen. Beweiſe der
Hochachtung, welche uns von allen diefen Seiten entgegengebracht werden,
find die zahlreichen, in warmen Worten der Anerkennung abgefaßten Glück—
wunjchjchreiben, die ung zu unferer Gründungsfeier zugefommen find.
Um aber auch bei unſerer hoffnungsvollen Jugend und ihren
gefinnungstüchtigen Bildnern, jowie bei dem nach Bildung vingenden
Arbeiter Liebe zur Heimat und zur Gejchichte unjeres Volkes zu erweden,
bat der Ausihuß in freigebigjter Weile Schul- und Bolfsbibliothefen,
namentlich die Stiftungen des deutjchen Schulvereines an der Sprachgrenze,
mit verfügbaren Schriften des Vereines, darunter viele Bände von Schle-
fingers Gefchichte von Böhmen, ausgejtattet.
-Das Andenken verdienftvoller Stammesgenojjen bei
der Nachwelt wach zu erhalten hat der Verein fich jederzeit angelegen jein
lafjen, und mit Befriedigung darf er darauf hinweijen, daß feinen Anre-
gungen, das Gedächtnis eines hervorragenden Mitbürgers durch eine ihm
gewidmete Denktafel zu ehren, von Seite vieler deutjcher Gemeinde gerne
entjprochen wurde und entjprochen werden wird.
Wilfenjchaftliche Arbeiten innerhalb oder außerhalb des Vereines zu
fürdern war der Verein jederzeit bereit und hat hiezu veiche Hilfsmittel
aufgejpeichert, deren allfeitige Benügung er gerne gejtattet. Cine Bücherei
mit 17.000 Bänden, eine zahlreiche, werthvolle Schriftjtücke bergende Urkun—
denfammlung, eine an bemerkenswerten Blättern veiche Kupferſtichſammlung,
eine manche Schäße enthaltende Alterthiimer- und eine jchöne, reichhaltige
Miünzenfammlung vermag der Verein zur Verfügung zu stellen. Gerne
— —
hätte man die Gelegenheit uuſerer Gründungsfeier wahrgenommen, in einer
beſonderen Ausſtellung die bemerkenswertheſten Gegenſtände den Mitgliedern
vorzuführen, doch haben ſich der Ausführung dieſes Gedankens leider
unüberſteigliche Hinderniſſe entgegengeſtellt, und wir müſſen dieſelben bitten,
die Heimſtätte des Vereines aufzuſuchen, um von deſſen Sammlungen Einſicht
zu nehmen. Auch dieſe ſind der ſprechende Beweis eines gedeihlichen einmüthigen
Strebens, da ſie faſt durchwegs durch Geſchenke von Seite wohlwollender
Freunde und Gönner zu Stande gekommen ſind. Aus der langen Liſte
gütiger Geſchenkgeber, deren Namen hier dankbar zu erwähnen wären, will
ich, weit entfernt, dieſelbe auch nur annähernd erſchöpfen zu können, nur nennen:
Verlagsbuchhändler Karl Bellmann, Bankdirector Norbert Benedikt,
Schulrath Dr. Biermann, Weinhändler K. Binder, Bruno Biſchoff,
Handelskammerpräſident O. Biſchoff, Buchhändler H. Blömer, Gym—
nafialdirector Dr. Ludwig Chevalier, Buchhändler Herm. Domi—
nifus, Großhändler Richard Ritter von Dosauer, Buchbinder
K. Eberl, Verlagsbuhhändler Fried. Ehrlich, JUDr. Lud. Ehrlich,
Fürſt Mar Egon von Fürjtenberg, Frau Juliane Glaſer, Ere.
Minifter Rudolf Glajer, Fabrik. Jakob Goldſchmidt, Archivar
Gradl, Statthaltereirath Dr. V. Grohmann, Prof. Bernd. Grueber,
Maler Julius Gruß, JUDr. Rud. v. Haaſe, kak. Rath Herm. Hall—
wich, Hofrath Conſt. von Höfler, Prof. Joſ. Holzamer, Re. Fr.
Klutſchak, Kaufmann DO. Keindl, JUDr.X. Knoll, Redact. D. Kuh,
Alois und Anna Laube, Koppelmann Lieben, Prof. Dr. Joh.
Loſerth, Bilhh. Emanuel Marx, Abt Saleſius Mayer, JUDr.
Franz PBelzel, Landesichulinjpector M. Pfannerer, Generalinjpector
M. Pfeiffer, Reichsrathsabg. Dr. 8. Pidert, Abt Yoh. Nep. Rotter,
faiferl. Rath Dr. Edm. Scebef, Hofrath Prof. Carl Schenkel,
Prof. Bernd. Scheinpflug, Dr. Lud. Schlejinger, Bezirksrichter
J. Stocklöw, Eultusgemeindejecretär Ph. Teweles, Prof. Dr. Volk—
mann, Director Mer. Wiechowsky, Director B. Joſ. Willomiger,
Karl v. Zdefauer, Konrad v. Zdefauer, Fried. Graf Zedwitz,
Apotheker Zad, B. Val. Zodl, die den Vereinsjammlungen reiche Beiträge
jpendeten. Nicht unvergejjen fer die geehrte Yeitung des deutihen
Caſino's, welche der Vereinsbücherei die öffentlichen Blätter überläßt,
aus welchen nach und nach eine ganz unjchäßbare Quellenfammlung für
geichichtliche Vorgänge der Neuzeit erwächſt.
Schon zu enge find die Näume, welche den Verein dermalen und
zwar jeit jeinem Beginne beherbergen, und längjt iſt der Wunſch vege
geworden nad einer eigenen, bleibenden Heimftätte. Aber wenn auch bisher
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— 20 —
alle Verſuche, dieſen ſeiner Erfüllung zuzuführen, ohne Erfolg blieben, ſo
hoffen wir doch, daß der Verein ſeine Mitglieder bei ſeinem nächſten Jubel—
feſte im eigenen Hauſe werde begrüßen und willkommen heißen können.
Mit Liebe und Hingebung hat der Ausſchuß, dem die Leitung des
Vereins obliegt, alle Zeit geſtrebt, der übernommenen Pflicht gerecht zu
werden, und die Angelegenheit des Vereines nach Thunlichkeit zu fördern.
An ſeiner Spitze ſtanden nach einander die um denſelben hochverdienten
Männer: Dr. F. Pelzel, Generalabt Freiherrv. Zeidler, Edm. Graf
Hartig und gegenwärtig Atgraf Franz Salm-Reifferſcheid, ihnen
zur Seite al8 Stellvertreter (Vicepräfidenten) vorwiegend in gedeihlichiter
Weiſe mit der Verwaltung der Bereinsangelegenheiten bejchäftigt die Herren:
Eonftantin v. Höfler, Aler Wiechowsky und gegenwärtig Dr.
8. Schlejinger. Die VBermögensverwaltung des Vereines bejorgt jeit
1864, nachdem die Herren Prof. Volkmann, Herm Marbad und
Dr. Ed. Konrad vor ihn damit betraut waren, Herr k. k. Rechnungsrath
Guſtav Rulf in der forgfältigften und uneigennügigjten Weife. Die
Stelle des Gejchäftsleiters des Vereines ging von Dr. Aler. Wiechowsky
auf Dr. Pickert, von diefem auf Dr. 2. Schlefinger, nad) deſſen Be-
rufung nach Zeitmerig auf Dr. V. John und fodann auf Karl Renner
über. Nach dejjen frühzeitigem Ableben leitete Prof. Laube eine Zeitlang
die Gejchäfte des Vereines, um dieje ſodann an Prof. Matth. Bangerl
abzutreten. ALS diejer wegen jchwerer Erfranfung hievon abgehen mußte,
übernahm Prof. Hans Basler für eine furze Zeit die Gejchäftsführung,
und von deijen Nachfolger der gegenwärtige Gejchäftsleiter in einer den
veränderten Verhältniffen angepaßten Form un mehr als ein Ehrenamt.
Opferwillig nnd dienjtbereit haben die Mitglieder des Aus-
Ihußes und die Berwalter der Bereinsjammlungen ihre Zeit
der Miühewaltung im Dienfte des Vereines gewidmet und ji in dankens—
werthefter Weife Verdienjte um diefen erworben. Wenn es den Ausjchuß
num auch mit großer Befriedigung erfüllt, Ihnen heute ein jo erfreuliches
Bild des gedeihlichen Wirkens unjeres Vereines entfalten zu können, jo tt
er mweit entfernt, dies als Verdienſt für ſich allen in Anjpruch nehmen zu
wollen, indem er fich mwohlbewußt ift, wie viel hievon der treuen Mit-
arbeiterichaft, thatkräftigen Unterftügung und uneigennügigen Miühewaltung
zuzutheilen ift, welche die Vertreter des Vereines auf dem Lande
demjelben bisher gewidmet haben und noch widmen. Ohne ihren fürdernden
Beiftand wäre es kaum denkbar, daß der Verein trog der ungünftigen
Zeitverhältnijfe, der Gründung anderer Vereine und der vielfachen Inan—
jpruchnahme aller erreichbaren Hilfe fiir jo viele andere Zwecke und
RER. WENN
Bedürfniſſe unjeres Volkes fich gleichmäßig auf einer Höhe von andert-
halb Tauſend Mitgliedern erhalten hätte. Ihnen iſt es wejentlic)
mit zuzujchreiben, daß Sinn und Verftändniß für die Beſtrebungen des
Bereines in ihrem Wirkungskreis Eingang und Ausbreitung gefunden, und
fi) unter allen ungünftigen Verhältniſſen erhalten haben. So jehr wir
alfen unſeren Vertretern hiefür Dank wiljen, jo gilt er am heutigen Tage
namentlich den Herren: Siftsjecretäv B. Juftin Bauer in Hohenfurth,
Bezirksichulinfpector Joſef Girſchik in Saaz, Apotheker Eduard
Janota in Falkenau a. E., Fabrifant Franz Jordan in Bodenbach
und Fräulein Aloifia Maier in Betichau, ferner den Herren Realitäten-
befiger Franz Pfannſchmidt in Lobofig, Bezirksſchulinſpector Franz
Schneider in Trautenau und Notar Karl Schubert in Böhm.-Kamig,
welche ihr Amt unausgejegt feit Beginn des Vereines verwaltet haben.
Heute zu feinem Gründungsfefte von allen Seiten mit warmen
Worten freundlicher Anerkennung begrüßt, gejtaltet ſich dieſes zu einem
Ehrentage für den Verein, und im Hinblid auf feine Leiftungen darf er
fi) der ihm entgegengebrachten Ehren und der gewordenen Anerkennung
dankbar erfreuen. Der höchſte Lohn aber für feine fünfundzwanzigjährige
Arbeit findet er in dem Bewußtjein, das Stammes- und Vaterlandsgefühl
des deutschen Volfes kräftigſt gehoben und gefördert zu
haben. Ohne anmaßlich und ruhmredig zu fein, darf er ich das Verdienſt
zufchreiben, zumeijt mit dazu beigetragen zu haben, daß unjer Volk
fi dejjen klar und fejt bewußt wurde, ein uraltes, fejtbe-
gründetes Recht zu bejigen, Böhmen als Heimatsland zu
betrachten, und daß alle die hämijchen Bemerfungen und Anſchläge
unjerer Gegner, welche die Deutschen jo gern als Fremdlinge und Ein-
dringlinge betrachtet und behandelt wiſſen wollen, ſiegreich widerlegt und
niedergeworfen find, jo daß fie ſelbſt bei den Leidhtgläubigften nicht mehr
zu verfangen vermögen.
Gehoben von diefem Gefühle durfte der Verein auch daran denfen
eine Anzahl hervorragender Gelehrter und um den Verein verdienter Männer
zu feinen Ehrenmitgliedern zu wählen, um fie dem beiten Manne
unjeres Volkes beizugefellen, dem der erjte vom Bereine ausgeftellte Ehren:
mitgliedsbrief als Ehrengabe zu feinem vom deutjchen Volke in Böhmen
feftlich begangenen 60. Geburtstage überreicht worden war.
Leider hat aber der unerbittliche Tod aus der Reihe diefer Männer,
die der Berein heute zu ehren gedachte, erſt in den jüngjten Tagen einen
entführt, der wie jeder deutjchen Sache in Böhmen auch unferem Vereine
vom Anfange ein wohlwollender, ſtets hilfreicher Freund und Gönner war,
— 22 —
unſer ſtiftendes Mitglied Richard Ritter von Dotzauer. Mit
trauererfülltem Herzen legten wir auf die Bahre des edlen Verblichenen,
deſſen Wahlſpruch „Treu und deutſch“ ſein ganzes Leben lenkte und leitete,
als letzten Scheidegruß noch einen Kranz nieder, unvergänglich bleibt ſein
Andenken allezeit auch in unſerem Vereine dankbar bewahrt.
Aber noch vieler Anderer muß ich gedenken, die wir heute ſo gern
in unſerer Mitte ſähen, deren Verdienſten um unſeren Verein wir ſo gern
rückhaltsloſe Anerkennung zollen möchten, die uns im Laufe der Jahre
durch den Tod entrückt worden ſind. So vermiſſen wir heute ſchmerzlich
den Mitbegründer des Vereines, den langjährigen Vorſtandſtellvertreter und
Gejchäftsleiter Dr. Aler. Wiechowskh, die verdienſtvollen Vorjtände Dr.
3. Pelzel, Generalabt Freih. v. Zeidler, Grafen Edm. Hartig und
Prof. Volkmann. Für immer und zu früh entrückt find uns auch die
geweſenen Gejchäftleiter Ant. Shmalfuß, 8. Renner und Matth.
Pangerl, die verdienjtvollen Mitarbeiter E.Bictor Ritter v. Hans-
girg, Prof. J. E Födiſch, Dr. Kürfchner, Prof. Bernd. Schein—
pflug, Dr. €. Tobias, Prof. Thurnmwald und Andere, und ebenfo
hatten wir vor Kurzem erjt das Ableben unferes Iangjährigen Rechtsfreun-
des und Ausschugmitgliedes Dr. Fried. Ritter v. Wiener zu beflagen. Auch
die Reihen unferer Stifter hat der Tod mit unerbittlicher Hand gelichtet,
Clemens Bachofen v. Echt, Joſ. Bayer, Abt Athanafius Bernd.
v. Oſſegg, Alois Borroſch, Ehrift. Bufhbed, Andreas Haafe
von Wranau, Alois Haafe in Trautenau, Dr. Edm. Konrad,
Herm Marbach in Raufhengrund, Ed. Rößler in Sigmaringen,
Wenzel Rofenauer in Budweis, Abt Johann Rotter von Brau-
nau, Franz Rittervon Schmitt in Böhm.-Aicha, Eduard Seutter
von Lötzen, Joſef Singer, Eduard Edler von Starf, Guftav
Tetzner in Görkau, Clemens und GregorWalzelvon Wiejen-
treu in Parjchnig, fie Alle betvauern wir heute als abgefchiedene Freunde
und Förderer des Vereines, und mit ihnen eine lange Reihe anderer trefflicher
deutjcher Männer, die wir zu unferen Mitgliedern gezählt haben. Allen,
welche jemals unferem Vereine angehört haben, weihen wir heute in dieſer
feierlichen, dem Abſchluß eines BVierteljahrhunderts gewidmeten Stunde,
was wir mit ihnen und durch fie in fo glüdlicher und ehrenvoller Weife
vollbrachten, einen Augenblid danfbarer und wehmüthiger Erinnerung. —
Nachdem wir fo Rückſchau gehalten über eine fünfundzwanzigjährige
gedeihliche Thätigkeit unferes Vereines, dirfen wir nun auch noch einen
Blick in die Zukunft werfen. Noch lange nicht ift die Aufgabe, die fich
der Verein geftellt hat, gelöft, das Biel desjelben entgiltig erreicht, noch gibt
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er —
es viele verborgene Schäge zu heben, und Licht zu bringen in Gejchehnijfe,
die heute noch in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt find. So bietet die
Geſchichte des deutschen Volfes in Böhmen auch in der Zufunft ein weites
Feld für erjprießliche wijjenjchaftliche Arbeit und zur Entfaltung jegens-
reicher Thätigfeit für die Erjtarfung und Erhaltung unferes Stammesbe-
wußtjeins. Als der Verein vor fünfundzwanzig fahren jeine erſten ſchüch—
ternen Schritte ins Leben wagte, da fonnte man fragen: Wird er erfüllen,
was er verheißt, wird ererreichen, was ererjtrebt? Doch heute jehen wir,
daß zur Erreichung des Zieles die richtigen Bahnen eingejchlagen wurden,
und daß nicht eitler Schall von ihm ausgegangen jei. Dahin gelangt
durch gemeinjames Streben, wo wir uns heute jehen, fünnen wir vertraus
ensvoll die Lojung für die Zukunft geben: Freudig und unermüdet
auf unferer Bahn vorwärts! — Die Wurzeln unjeres Vereines
jtehen in unſerem Volke, die Kraft, ji) mächtig und prächtig zu entfalten,
hat er aus ihm, mit ihm wird er leben und weben — und untergehen.
Aber ein Volksſtamm, der wie der deutfche in Böhmen eine Fahr:
taujende alte Gejchichte hat, der wie der unfrige aus allen ſchweren, geradezu
auf jeine Vernichtung abzielenden Bedrängnifjen immer fieghaft, geläutert
und gefräftigt hervorging, kann und wird nicht untergehen, jo lange er ſich
jelbft getreu bleibt! — Und wie wir nun hoffen und wünſchen, daß das
deutfche Volk in Böhmen aus allen Stürmen und Gefahren der Gegenwart
jiegreih, ungebrochen und veredelt hervorgehen und feine Kraft in unges
trübtem Glanze neuer glücklicher Tage entfalten werde, jo hoffen und
wünfchen wit, daß der Verein für jeine Gejchichte, die heute nur düstere
Tage zu verzeichnen hat, in deren Geſchichte ſich gleichwohl mancher glän-
zende Goldfaden deutjcher Mannesthat verwebt, dereinſt auch jene Tage
einer bejjeren Zukunft zu verzeichnen haben werde, von denen wir und
unfere Nachkommen auf unfere Gegenwart als auf eine Zeit jchwerer, doch
glücklich überjtandener Brüfungen zurücdbliden werden. — Das walte Gott!
Auch diefe Rede erfreute fich der freundlichjten Aufnahme feitens der
Zuhörerſchaft, und nun erbat ſich Herr Dr. Franz Schmeyfal das Wort
zu nachfolgenden, oft durch Beifallsfundgebungen unterbrochenen Worten:
„Wir haben uns heute über den Ruf des Vorſtandes des Vereines
für Gefchichte der Deutjchen in Böhmen hier eingefunden, um der Er:
innerung an den Zdjährigen Beſtand dieſes Vereines einen würdigen und
feierlichen Ausdrud zu verleihen. Seine eigene 2öjährige Gejchichte hat
der Verein uns zu diefer Erinnerungsfeier vorgelegt, und was wir dabei
vernommen, das gereicht dem Vereine und jeinem Vorftande zu hoher
Ehre und uns Allen zu freudiger und ernter Erhebung. Dazu gejchaffen,
——
der Wahrheit in der geſchichtlichen Darſtellung der culturellen Leiſtungen
und Verdienſte der Deutſchen in dieſem Lande und um dieſes Land zu
ihrem lang und oft verkümmerten Rechte zu verhelfen, der gegneriſchen
Trübung oder Unterdrückung der geſchichtlichen, das dentſche Volksthum
im Lande betreffenden Quellen zu wehren — das gleichwerthige Heimats—
recht der Deutſchen in Böhmen durch den Nachweis ſeiner vollgiltigen auf
tauſendjährige legitime Anſiedlung und ſchaffende Arbeit beruhenden Titel
klarzuſtellen und gegen die übergreifenden ſlawiſchen Anſprüche eines pri—
vilegirten, ausſchließenden Rechtes zu dieſem Lande kräftig zu ſchützen —
das lebendige Recht des Reiches mit den ſcharfen Waffen der Wahrheit
und Wifjenfchaft gegen die in jeder Phaje unferer verfaſſuugsmäßigen
Kämpfe immer wieder, wenn auch in wechjelnten Formen erneuerten An-
maßungen einer ftaatsrechtlichen Sonderftellung Böhmens zu vertheidigen
— hat der Verein in 2djähriger eifriger und opfervoller Arbeit jeine
wiſſenſchaftliche und nationale Sendung treu erfüllt und den reichiten
Anſpruch auf das Vertrauen und den Dank des deutschen Volkes in
Böhmen erworben. Diejes Vertrauen, diefer Dank fei an dem heutigen
Gedenk- und Ehrentage dem Vereine und feinem pflicht- und zielbewußten
Borjtande von uns ausgefprocdhen. Damit aber haben wir nicht genug
gethan. Wir wollen und follen mit der Kundgebung des Vertrauens und
des Dankes die feierliche Zufage verknüpfen, alfezeit treu und mannhaft
für unfer bedrohtes deutsches Volksthum einzuftehen in Wort und That
und im Streite für dasfelbe und unfer gutes Recht auszuharren jtandhaft
und ungebeugt, auf daß der deutjchhiftorifche Verein in jenen Blättern,
auf welche er die Gejchichte unferer Tage jchreibt, gerecht und wahr über
uns den Saß verzeichnen könne: Sie haben Alle vollauf ihre Pflicht
gethan und gehandelt als treue deutfche Männer. Und einen Wunſch noch
lajjen Sie mic, ausfprechen: Möge der Tag nicht ausbleiben, welcher den
deutjchhiftorischen Verein dazu ruft, den Sieg unferer gemeinfamen natio-
nalen Beftrebungen in feine Tafeln einzutragen. Geſtatten Sie mir zum
Schluffe die Bitte, uns zur Ehre des gefeierten Vereines und zum Zeichen,
daß wir in diefen Gefinnungen einig find, von den Sigen zw erheben.“
Nachdem die fämmtlichen Anwefenden der Aufforderung. des ver-
ehrten Führers des deutfchen Volkes nachgefommen waren, verkündete ver
Gejchäftsleiter die einjtimmige Wahl der nachfolgenden Herren zu Ehren:
mitgliedern des Vereines:
Se. Ereellenz Dr. Ritter Alfred von Arneth, geheimer Rath, Mitglied des
Herrenhaujes, Director des ka k. Haus, Hof- und Staatsarchives
in Wien.
—- 25 —
Dr. Alois von Brinz, Univerſitäts-Profeſſor in München,
Chriftian Ritter von d'Elvert, f. f. Hofrath in Brünn.
Hubert Ermiſch, königl. Archiv-Rath in Dresden.
Dr. Wilhelm Gieſebrecht, geheimer Rath, Univerſitäts-Prof. in München.
Dr. Colmar Grünhagen, k. Staats-Archivar, Univerſitäts-Prof. in Breslau.
Dr. Conſtantin Ritter von Höfler, Hofrath, Univerſitäts-Prof. in Prag.
Dr. Alfons Huber, Univerjitäts-Profefjor in Innsbruck.
Dr. Franz Krones Ritter von Mardland, Univerfitäts-Brofeifor in Graz.
Dr. Johann Loſerth, Univerfitäts:Brofefjor in Czernowitz.
Dr. Ernjt Martin, Univerfitäts-PBrofefjor in Straßburg.
Dr. Hermann Markgraf, Archivar, Univerfitäts-PBrofeflor in Breslau.
Dr. Anton Springer, kön. ſächſ. geheimer Hofrath, Univerfitäts:Profejjor
in Leipzig.
Dr. Sigumnd Niezler, Oberbibliothefar in München.
Dr. Theodor von Sidel, k. k. Hofrath u. UniverfitätssProfefjor in Wien.
Das Ausihußmitglied Herr Prof. Dr. Hans Lambl brachte nunmehr
nad einer furzen jchwungvollen Einleitung die zur Feſtfeier eingelangten
Begrüßungsfchreiben und Zelegramme zur Verleſung. Durch längere Zu-
Ichriften jprachen ihre Glückwünſche aus:
Herr JUDr. Alois von Brinz, Univerjitäts-Profejfor in München.
Der Löblihe Verwaltungsausfhuß des Gejammtvereines der deutjchen Ge—
ſchichts- und Alterthumsvereine in Berlin.
Der löbl. Verein „Herold“ in Berlin.
FE „ Fir Gedichte und Altertum Schleſiens in Breslau.
a „ für Hamburgiſche Gefchichte in Hamburg.
ie „ für Erdkunde zu Leipzig.
un » für Lübedifche Geſchichte und Alterthumskunde in Lübeck.
„.„ hiſtoriſche Verein von Oberbayern in München.
Die „ “ Geſellſchaft für die Provinz Poſen in Poſen.
"m anthropologifche Geſellſchaft Wien.
Die löbl. Vertretungen des Bereines für Gejchichte der Deutjchen
in Böhmen in Eger, Falfenau, Grulich, Iglau, Joſephſtadt, Karlsbad,
Landskron, Tannwald, Teplitz, Tetihen a/E., Trautenau.
Im telegraphijchen Wege gratulirten:
Herr Dr. Hermann Hallwich, Faiferlicher Rath, Handelsfammerjecretär in
Reichenberg.
„ Anton Meißler, E. k. Hauptmann, Neichsraths - Abgeordneter in
Deutſch-Mlikojed.
Herr Dr. Karl Bidert, Buchdrucdereibejiger, Reichsraths-Abgeordneter in
Leitmeritz. |
Der löblihe Stadtrath in Böhm-Xeipa, Brüx, Eger, Kaaden.
Die löbliche Nedaction der Brüxer Zeitung.
Der löbliche afademifch-hiftorifche Verein in Berlin.
Die Töbliche jchlefische Geſellſchaft für „Vaterländiſche Kultur” in Breslaı.
Der Töblihe Verein für Erdkunde in Dresden.
Der löbl. Verein für ſiebenbürgiſche Landeskunde in Herntannjtadt.
Die löbliche deutſche Leſehalle in Hohenelbe.
Die löbliche Hiftorifche Gefellfchaft für Poſen in Poſen.
Die löbl. Vertretungen des Bereines für Gejchichte der Deutjchen in
Böhmen in Ach, Auſſig, Arnau, Böhm.-Leipa, Bodenbah, Braunau,
Brüx, Budweis, Elbogen, Friedland, Gablonz, Graslig, Hohenelbe, Hohen:
furth, Joachimsthal, Kaaden, Karbig, Komotau, Königswart, Krumau, Leit—
merig, Loboſitz, Marienbad, Neudek, Oberleutensdorf, Petſchau, Pilſen,
Reichenberg, Saaz, Schönlinde, Trautenau, Warnsdorf, Wien.
Nachdem der Vorſitzende den Anweſenden, insbeſondere dem Herrn
Dr. Franz Schmeykal für ihr Erſcheinen in herzlichſten Worten gedankt
hatte, wurde ſodann die Verſammlung geſchloſſen.
— — — —
Zur Geſchichte der deutfhen Sprache und
Literatur in Böhmen.
Von W. Toiſcher.
LV.
Zwei Förderer deutſcher Dichtkunſt in Böhmen um die
Wende des 13/14. Jahrhunderts will ich Hier in Erinnerung bringen,
von denen der eine wenigjtens in diefer Eigenfchaft bisher noch nicht ge-
würdigt wurde, wenn auch fein Name den Hijtorifern befannt genug ift,
der andere aber überhaupt vergejjen zu jein jcheint. Der erfte ift
Ulrich (11.) von Neuhaus.
Die Geſchichte der erjten Herren von Neuhaus hat (abgefehen von
dem wenig verläßlichen Werfe von Claudius) Pangerl dargeftellt im Arch.
für öfterr. Gejchichte 51, 559 ff. bricht aber da leider jchon mit Ulrich I.
ab. Die Herren von Neuhaus bilden einen Zweig der mächtigen Familie
der Witigonen und jie führten wie ihre Vettern, die Herren von Krummau,
von Roſenberg, von Landjtein, die fünfblättrige Roſe im Wappen.
Der Ahnherr der Linie Neuhaus hieß Heinrich, darnach nennen die
ZTichehen Stadt und Burg Neuhaus auch Jindrichüv hradee (Heinrichs-
burg). In den Urkunden iſt am häufigjten die Bezeichnung de Nova
domo, jeltener de Novo castro. Heinrich von Neuhaus erjcheint urkundlich
in den Jahren 1205-1237. Ein Enkel von ihm ijt Ulrich von Neuhaus,
der erſte dieſes Namens, auch einmal deutjch de Newenhaus (1265 jiehe
Reg. Boh. Il, Wr. 484) genannt. Er war 1265—1269 fünig. Unter:
fämmerer, erjcheint häufig in Urkunden in den Jahren 1260—72, lebte
aber noch 1277. Seine Gemahlin war Maria von Pleien-Hardegg, die
ihn lange überlebte (1294 Maria comitissa de Hardek, relicta quondam
d. Ulriei de Nova domo ſ. Reg. Boh. II, Nr. 1597; vergl. Nr. 1830,
vom Jahre 1299). Ulrich wurde in der Kirche des deutjchen Ordens in
Neuhaus begraben.
Der Sohn Ulrichs und der Maria hieß wieder Ulrih. Als Zeuge
begegnet er das erjtemal zugleich mit feinem Bruder Otto im Jahre 1251
(Reg. 11, Nr. 1265), dann gleich wieder 1282 in einer Urkunde Heinrichs
von Rojenberg, die wichtig ift für die Entjcheidung der Frage der Herkunft
der Witigonen, weil Heinrich von Nofenberg hier Albrecht von Habsburg
feinen consangwineus karissimus nennt und. fih auf den Grundjag
jtüßt: quos sangwinis unit ydemptitas — etiam vniat et concordet
ydemptitas animorum (f. Reg. II, Wr. 1271). In demfelben Fahre
begegnet auch wieder der deutjche Name in lateinifcher Urkunde Ulricus
de Nevehovs, wenn hier nicht Ulrich 1. gemeint iſt (Reg. II, Wr. 1278):
diejelbe bayrische Wortform wie fpäter in der deutjchen Urkunde von 1300
(Reg. II, Nr. 1857): von dem Newenhaus. Als der junge König
Wenzel II. im Alter von 12 Jahren jelbft die Regierung wenigjtens formell
übernommen hatte, war Ulrich von Neuhaus unter denjenigen, welche für
die Verfühnung des Königs mit Zawiſch von Falfenftein wirkten. Am
24. Mai 1284 (Reg. I, 1316) erfolgte nad) längeren Kämpfen und
Unterhandlungen der Friedensichluß;") hinter einander find da die Herren
von der fünfblättrigen Roſe unterzeichnet: der dämoniſche Zawiſch von
Falfenjtein, der Gemahl der Königin-Mutter zuerft, dann jein Bruder
Witigo von Krumman, königl. Unterfämmerer, dann Heinrich von Rojen-
berg, zulegt Ulrich) von Neuhaus. Zawiſch hatte da den Gipfel der Macht
1) Ausführlich hat darüber gehandelt Pangerl, Mittheilungen X., 171 ff.
— —
erreicht, thatſächlich war er Regent des Laudes. Doch nur wenige Jahre
verfloſſen und es zeigte ſich auch hier, wie auf die großen Höhen „der
tiefe, der donnernde Fall“ folgt. Ulrich von Neuhaus ſcheint nicht zu den
unbedingten Bewunderern und Anhängern des mächtigen Vetters Zawiſch
gehört haben. Schon in der Schenkungsurkunde vom 23. October 1285
(Reg. II, 1358) vermiſſen wir unter den Zeugen d. i. Anhängern Zawiſchs
unfern Ulrich. 1288 brach der Kampf aus zwifchen dem König und
Zawifc und feinen Anhängern. Aber obgleih in diefem Jahre die Ver:
pflichtungen, die auch Ulrich mit ſchwerem Eide 1234 auf ſich genommen
hatte, aufhörten, er jcheint dem Könige die Treue bewahrt zu haben. Am
24. Auguft 1990 fiel das Haupt des mächtigen Zawiſch vor Frauenberg,
das Witige von Krummau hartnädig vertheidigte, aber ſchon am 10. Ja—
nuar 1289 war Ulrich von Neuhaus in Prag anweſend bei der Huldigung
Kazimirs, Herzogs von Oppeln, und iſt als Zeuge diejer feierlichen Hand-
lung mit genannt, er allein von allen Witigonen (Reg. II, 1466). Sein
Bater war 1276 mit den Vettern von König Ottofar II. abgefallen und
die Eonfiscation feiner Güter war 1277 verhängt worden. Die Strafe
wurde zwar nicht vollzogen, da ja Ottofar jchon im folgenden Jahre fein
tragifches Ende fand, aber es ift wohl möglich, daß dieje Eindrüde aus der
Jugendzeit jo fejt in der Erinnerung des zweiten Ulrich hafteten, daß er
davor zurücjchredte, das Schwert gegen den König zu erheben. Sicher
rühmt nicht umſonſt ein Dichtersvon ihm (um das hier gleich zu erwähnen)
er habe jein Wort nie gebrochen.
1293 übergab Ulrich eine neue Kapelle in Neuhaus ſammt einigen
Grundſtücken in der Umgebung dem deutfchen Orden, der dafür den Gottes:
dienst in der Kapelle übernahm; in der Urkunde, die darüber ausgeftellt
wurde‘(Reg. II, 1628), wird Neuhaus zum erjtenmale Stadt genannt. —
1294 bejtimmte er, daß jein Beſitz an den König fallen follte, falls er
ohne männliche Erben fterbe. Falls er noch Töchter befomme, wird der
König diefen dafür eine ftandesgemäße Ausjtener geben. Eine Reihe von
Beſitzungen ift feiner Gemahlin Mechtildis vorbehalten, die aber der König
um 1000 Mark reinen Silbers ablöjfen kann. Falls Meechtildis vor ihm
jterben und er ein zweitesmal heiraten follte, jo darf er der zweiten Frau
diejelben Güter jchenfen. Vorbehalten ift der Befig feiner Mutter Maria,
vorbehalten auch das freie VBerfügungsrecht über einige andere Güter. Der
König hat ihm dafiir mehrere Güter zum Nußgenuß während der Zeit
jeines Lebens überwiejen, diejelben Rechte an der Straße, welche dur)
Neuhaus führt, ihm bejtätigt, welche fein Vater und Großvater beſeſſen
hatten, endlich) ihm erlaubt, 3 Juden mit ihren Familien in Neuhaus
— ..:
anzufiedeln mit denjelben Rechten und Pflichten ihm gegenüber, wie fie
die übrigen Juden dem Könige gegenüber haben. Wie fein Vater will er
in der Kirche des deutjchen Ordens in Neuhaus begraben fein. Zuletzt
ijt eine frühere Schenkung feiner Güter an den Vetter Heinrich von
Nojenberg für den Fall, als er ohne Kinder fterben jollte, widerrufen. —
Die Urkunde ift ausgeftellt am 25. Yuli 1294 in Prag (Rer. II, 1650).
Der Widerruf am Schluß läßt auf eine Verftimmung zwilchen den Vettern
— wenn nicht ärgeres — jchließen; ob die Urſache davon vielleicht gerade
die Königstreue Ulrichs war?
Die folgenden Jahre machte er wieder einige Schenkungen an Klöſter
und Orden: 1296 an Welehrad (Reg. II, 1723); 1297 an ven Tempel—
orden (Reg. II, 1765), und zwar ift das ein Hof bei Rudgerslag wie
der Name bier gejchrieben tft, in einer früheren Urkunde (Nr. 1656) hieß
es Rudegerschlog; 1298 (Reg. II, 1786 die Beftätigung einer Schenkung
an das Klofter Wizowig (Smilenheim); 1299 wieder eine Schenkung an
Welehrad für das Seelenheil feines Urgroßvaters (attavus) Heinrich, der
dort begraben iſt (Reg. II, 1830), und zwar gejchah diefe Schenfung mit
Beiftimmung feiner lieben Mutter, der Frau Maria. Dann finde ich ihn
nur noch einmal als Zeuge in einer Urkunde vom 8. December 1303
(Reg. I, 1982): als erſter - unterzeichnet da Heynricus de Rosenperch,
summus Boemie camerarius, al$ dritter Ulricus de Nova domo,
purchrauius de Brunow.
Ulrich hat aber den König Wenzel II. und deſſen Sohn überlebt.
Jene obenerwähnte Schenkung an den König war auf alle Fälle gegen:
jtandslos geworden, da Ulrich doch noch einen Sohn gewann, der gleich:
falls Ulrich hieß. 5. Mat 1312 bejtimmt König Johann, daß die Witwe
des Ulrich von Neuhaus und fein Sohn und feine Unterthanen während
eines Jahres nicht vor Gericht citirt werden dürfen (Reg. III, Nr. 76):
dieje Beſtimmung ift doch wohl getroffen aus Anlaß des Ablebens des
Heren Ulrich. Ausdrücklich fteht übrigens da, daß der König Johann dem
Ulrich felbit das Verfprechen gegeben hat: quod per nos praefato Ulrico
(der Sohn iſt in der Urkunde nicht benamıt) commissum est expresse ...
Diefer Ulrich IH. ift danıı genannt 1317 (Reg. III, 408: Ulrich von
den Nuwen Huse), 1319 (Reg. III. 535) u. d. Dieje letzte Urfunde
betrifft eine Schenfung an das Klojter Wilhering, und zwar gejchieht das
auf Rath und mit Willen der Mutter Mechtildis für das Seelenheil jeiner
Schweiter Agnes, domine de Schawenburg.
So viel oder fo wenig weiß ich über das Leben Ulrich IL. bei-
zubringen: vielleicht unternimmt es einmal ein Kumdigerer, die Biographie
&
— 30 —
des Mannes weiter auszuführen. Sp viel geht aus den angeführten
Daten hervor, daß er nicht zu den großartigen Gejtalten des Witigonen-
gejchlechtes gehört, aber vielleicht war jeine Perſönlichkeit deſto liebens—
würdiger. Er betheiligte ji wenig an den großen Händeln der Zeit, er
jheint ein frommer Mann gewejen zu fein, der till auf feinen Gütern
baute, bedacht auf die Hebung der Eultur in feinem Gebiete. Ein Mann
des Friedens war er und als jolcher war er natürlich empfänglich für den
Sauber der Kinfte, erwies er fich hold den Sängern und Dichtern.
In zwei Dichtungen begegnet jein Name!) Auf feiner Burg Neu:
haus lebte eine Zeitlang der Dichter von Ludwigs des Frommen Kreuz—
fahrt und er hat nicht unterlafjen, feinen edlen Wirth zu rühmen.*) Bei
Abfaſſung des Werkes (noch bei Lebzeiten Wenzel IL) war Ulrich von
Neuhaus noch am Leben. Wenn der Dichter trogdem im Präteritum von
ihm Spricht, jo erklärt jich das daraus, daß er eben, wie er zweimal ver:
jichert, das berichtet, was er ſelbſt früher gejehen und erfahren hatte, als
er fich bei ihm aufhielt, während das Gedicht in Schlefien abgefaßt zu
jein jcheint. Anlaß zum Preiſe Ulrichs bietet die Erwähnung eines Grafen
Leutolt von Pleyen in feiner Erzählung (V. 1018). Da jegt er hinzu,
das war der Ahne der tugendreichen Gräfin Maria (V. 1038 ff.), deren
Brüder Otto und Konrad bei Laa fielen.?) Dieje edle Maria hatte einen
1) Pangerl, Arhiv für öfterr. Geſch. 51, 527 würde jchon Beziehungen zwifchen
den Witigonen und deutfcher Dichtkunft annehmen, wenn, wie er für möglich
bält, da Krumbenouwe im Frauendienft Ulrichs von Richtenftein (Lachmann
477. 502. 504.) das Krumman im füdlichen Böhmen wäre. Aber da hat ficher
Karajan Recht, der das mähriſche Krummau darunter verftanden willen will.
Uri von Lichtenftein wird zu einem Turnier bei Krummau eingeladen, als
er bei Wiener: Neuftadt fi) aufhält. Die Botin der Frau Ehre, die ihm die
Einladung überbringt, fommt im Geleite des Weis Kadolt, dem Ulrich v. 2,
das höchſte Lob ertheilt, und diefer war ein Mährer. Er erjcheint als Katoldus
Orphanus in Urkunden 1254—58 (Reg. II, 24. 153); 1261 macht jeine Witwe
Elijabeth eine Schenkung an ein mähriſches Klofter (Reg. IL, 318 vergl. 523).
Außerdem jcheint mir auch die Entfernung zu groß zwilchen Wr. Neuſtadt
und Krummau in Böhmen für eine jolhe Einladung. Denn dieje geſchah auf
14 Tage nad) Annahme derfelben, und Ulricy bleibt noch dazu von den 14
Tagen eine volle Woche vor Wiener-Neuftadt, jo daß nur 8 Tage für den
Zug übrig blieben.
Was Röhricht, Zeitihrift für deutiche Philologie 8, 440 über Ulrich von
Neuhaus vorbringt, ift voll arger Verwirrung.
Vergl. Zeitichrift f. deutſches Alterthun 30, 213 und die dort citirten Schriften.
— Wenn man jchon irgend eine hochgeftellte Perfönlichkeit zur Vermittlung
der literariichen Traditionen zwiſchen Defterreih und Böhmen namhaft maden
wollte, wie R. Müller (Zeitichr. für dag Alterth. 31, 101) will, fo wäre dieje
8
3
u
Mann, der aucd reich war an Ehren und durchaus mannhaft, ev hieß von
dem Nuwenhuse. Seine Ahnen — fährt der Dichter V. 1059 FF. fort —
waren hohe Grafen in Thüringen, Meißen, Schwaben, einige derfelben
jtanden dem Landgrafen bei auf feiner Kreuzfahrt. — Wenn das über:
haupt einen Sinn hat, jo kann es nur heißen: feine Ahnen ſtammen aus
Deutichland, und wir hätten damit auch ein altes Zeugniß fir die deutjche
Abftammung der Witigonen, für die auc ihre VBerwandtichaft mit den
Habsburgern u. a. Ipricht. Vgl. Bangerl, Archiv ſ. öſt. Geſch. 51, 507 ff.,
wodurd die Frage freilich nody nicht emdgiltig gelöft iſt. Der Dichter be-
richtet danı V. 1066 ff. weiter:
„Diejer Ulrich hinterließ einen Sohn, der auch Ulrich hieß von dem
Nuwenhuse. Mit Wahrheit kann ich jagen durchaus jo, wie ich ihn er-
fannt habe: der vereinigte in fich alle guten Eigenschaften. Nach dem
Gebot der wahren Liebe liebte er Gott innig aus allen feinen Kräften und
jene Mitmenfchen wie fich jelbjt. Er war gütig und gnädig und dabei
doh mannhaften Sinnes. Arme und Neiche waren ihm gleich, er trat
allen mit derjelben Freundlichkeit entgegen. In großer Demuth ehrte er
die Armen, gern half er ihnen und theilte ihnen mit von dem ihm ger
liehenen Gute nach dem Gebote jener Lehre, daß der Menſch alles von
Gott zu Lehen trage. Auch den Befigenden erwies er jich hilfreich, Gott
zu Ehren und jeinem Anfehen gemäß. Er war ein fröhlicher Wirth allen
Gäſten, felten war fein Hof leer von jolchen; für fie war er ein Burgherr
ganz ohne Tadel (ein volkumen wirt), auch gütig und wohlgefinnt gegen
jein Gefolge und feine Diener. — Ich fage euch nichts als was wahr ift,
wie ich ihn jelbft fennen gelernt habe.“
Für Ulrich von Neuhaus hat auch ein gewifjer Friedrich die Ale—
randreis Ulrichs von Eſchenbach (wohl äußerlich bejonders prachtvoll, wer
auch nicht mit großer Genauigkeit) abgefchrieben, und Friedrich konnte
fich nicht enthalten feinerfeit3 einmal ein größeres Stüd, enthaltend eine
etwas jonderbare Hymne an ein Schentmädchen, und zu wiederholtenmalen
einzelne Verſe eigener Fabrication in die Dichtung einzufchalten. Ulrich von
Eſchenbach preiſt den König Wenzel und verjichert, ihn, in deſſen Lande
er geboren jei, nächjt Gott für jeinen Herrn zu chren. Friedrich jet
dazu (nad) V. 27628): „Dasjelbe thu ich zu Ehren meinem lieben Herren,
Herrn Ulrich; ihm will ich gleichen, dem milden Aar, der ſtets jein Wort
Maria von Neuhaus geborene Gräfin von Pleien-Hardegg viel eher zu nennen
als Heinrih von Dewin. Uber die Verbindungen diefer Länder feit Ottofar IL.
find jehr zahlreich und mannigfaltig und e3 darf eine folhe Vermittlung nicht
einem oder einigen einzelnen zugelchrieben werden.
a BB
hält. Darum muß er gepriefen werden heute und immer." 3. 27635
kann er auch die Bezeichnung von Neuhaus anbringen: von dem neuwen
hous die werde vruht für das urjprünglic;e Wenzeslawe die reine
vruht. Friedrich hat dabei dem Brauche der Zeit gemäß die Dichtung in
die ihm geläufigen d. i. bayrifchen Sprachformen umgejchrieben. Es ift
anzunehmen, daß Friedrich den entfprechenden Lohn für feine Mühe von
feinem Herrn erhalten hat, wie er es erwartete. Die Alerandreis muß
bei Ulrich von Neuhaus jedenfall großen Anklang gefunden haben, denn
von da geht ihre weiteſte Verbreitung aus. Die meiſten Hſſ., die ums
von dem Werk Ulrich von Eſchenbach erhalten find, gehen auf die Neu-
hauſer Hſ. zurück, dieſe ſelbſt ift jedoch nicht erhalten.
Neben den Witigonen tritt unter Ottokar II. das Geſchlecht der
Rieſenburger durch Borſo beſonders hervor. Auch in dieſer Familie findet
ſich ein Freund und Gönner deutſcher Dichtkunſt. Es iſt
Borſo II. von Rieſenburg.
Der Anhang zur Alexandreis Ulrichs von Eſchenbach beginnt mit
einem ſchwungvollen Gebet und dann heißt es V. 87 ff. (des ganzen
Werkes 28087 ff.):
„Gott, Herr, in deinem Namen beginnt diefes Werk, wie der Vor—
nehme, Werte und Edle das wünſchte, der Denken und Sinnen und fein
füßes Herz in den Jahren blühender Jugend richtete auf weiſes Gebahren
und auf die Lehren der Tugend, der ftrebte nach ritterlicyen Ehren und
ſich jehr darum bemühte, als er noch unter ehrenvoller Aufjicht jtand
(? unde muote grözlich in @ren huote; die hier einzige Hſ. lieft gute).
Die Bücher, die von kühnen Thaten berichten (die buoch der tugende
tete) wollte er bejtändig hören und die merkte er fid) wohl. Zu dieſem
Werke hat er mich verpflichtet nach feinem Begehren und ich komme feinem
Wunfche mit dem Werfe nad) und es foll mic) dabei nichts verdrießen,
joweit ich nur überhaupt kann und meine jchwache Kunft reicht (min kranc
kunstlöser sin des bewiset) und mir dabei Hilfe gewährt derjenige, der
die Weisheit ift, der Sohn der Jungfrau, Jeſus Chriftus.
„Eine Begebenheit von Alerander hatte ich ausgelafjen, die ich bisher
nicht erzählte und nicht hinzufegen wollte und zwar deshalb, weil ich mich
genauer erkundigen wollte. Ich hatte fie nicht vollftändig erfahren, jeßt
aber bin ich auf den Grund gefommen (ze ende komen). Derjenige, dem
die Erzählung vielleicht wohl anfteht, der foll Freude darüber empfinden,
der junge wohlerzogene Mann, der edle Riefenburger mit Namen Borjo HU.
ans; Feige OUT
— BB
(der junge ®renbzere, der edel Risenburgere mit namen Borse
der ander).
Wer war nun diefer Borjo? In welchem Berhältniß ſtand er zum
eriten Borſo?
Eine genealogifhe Studie iiber „Die Anfänge der Rieſenburge“ hat
Joſ. Teige Mitth. XXII, 166 ff. veröffentlicht. Aber die genealogifchen
Forſchungen diefes Herrn jcheinen ebenjo oberflächlich zu fein wie feine
fiterarhiftoriichen. Er fennt einen Borso II. gar nicht, objchon er bis
1310 die Gefchichte des Hanfes verfolgt. Was bei ihm Borefch II. ift,
iſt thatjächlich Borso J., denn jein Vater Bohuslaus hat fich zuerſt nad)
der Riefenburg genannt. Dieſer Borjo, einer der Verräther an König
Dttofar II., ift im Jahre 1278 gejtorben. Ein Sohn von ihm hieß
Zlabko (Slavko, Slavik), der neben dem Vater unter anderen in der Ur:
funde über den Frieden mit Ungarn vom 13. Juli 1271 unter den ba-
rones regni mitunterzeichnet iſt (Zlabko filius Borschonis, f. Reg. II,
753 u. vgl. Nr. 442 vom 13. März 1264). Er muß früh geftorben fein,
da er in Urkunden fpäter nicht wieder begegnet. Ein anderer Sohn Borjos
hieß Bohuslaus. Diejer überlebte jeinen Vater, wie aus einem Briefe
Rudolfs von Habsburg, der fich für ihn verwendet, hervorgeht: Cum no-
bilis vir Borlaus (= Bohuslaus) quondam Borsonis filius — paterno
solatio destitutus . . . (Reg. II, 1162). Er war vermählt mit Agatha
von Schönburg. 1280 ift auch er jchon todt. In einer Urkunde (Reg.
II, 1219) vom 12. Nov. 1230 wird die Agatha de Schomburg, die
Schweiter Friedrichs von Schomburg, relieta prefrati (prefati) d. Bo-
huzlai de Rysemburg genannt. Friedrich von Schönburg wurde zum
Bormund der Kinder feiner Schwejter beftellt. Urk. v. 18. Juli 1281
(Reg. II, 1244): loco d. nostri Friderici de Schonburg, tutoris
puerorum de Rysenburg. (Es ijt eine Schenkung an ein Klojter
ob salutem et remedium animarum d. Borsonis de Rysenburg et
suorum heredum.) Unter den Mündeln war nun auch Borjo II, ver
aljo ein Sohn des Bohuslaus von Riefenburg und der Agatha von Schön-
burg iſt. Das zeigt die Urkunde ddto. Udelig, 7. April 1295, wo Borso
de Risenburch eine Schenfung feiner Oheime (Mutterbrüder) Friedrich
und Theodorich auch jeinerjeits beftätigt (Reg. II, 1684). Er ift aljo in
diefer Zeit bereits mündig.“) Eine andere Urkunde jtellt er aus im Fahre
1) Die Brüder Wilhelm, Bretislaw, Protiwa Depold und Uri, die Zeige als
Abfmmlinge Slawco's, des Sohnes des erften Borjo, aufführt, gehören gar
nicht in das Geſchlecht der Riefenburge, jondern der Rieſenberge. Das hat
Mittbeilungen. 26, Iahrgang. 1. Heft. 3
DE
1302 (Reg. II, 1913), eine ijt undatirt (1300—1303 |. Reg. II, 2759;
Schlefinger Stadtbuch von Brür ©. 14). As Zeuge erjcheint Borſo von
Niefenburg im Juni und im Auguſt 1303 (Reg. II, 1971. 1973), beide-
mal bei Schenfungen au das Klofter Marienthal. Noch 1312 wird einer
auf der Niefenburg ausgeftellten Urkunde das Siegel Borjos angehängt
(Reg. III, 105 Stabtb. v. Brür ©. 19), Am 4 März 1314 begegnet
juerft Boyzlaus dietus de Risenburch (Reg. III, 183. Stadtb. v.. Brüx
©. 20) und noch im folgenden Jahre 1315 tft einer Urkunde, die diejer
Bohuzlaus de Rysenburch ausjtellt, da8 Siegel feines Vaters Borjo an-
gehängt (Reg. III, 242; Stadtb. v. Br. ©. 20). Wem ich nun noch
hinzufüge, daß noch 1320 ein Streit erwähnt wird zwifchen Hermann von
Schönburg und feinem Oheim Borjo von Ryſenburch (Reg. III, 638),
jo habe ih auch jchon alles erwähnt was mir über diefen Mann
befannt tft.
So viel geht aus dem Angeführten mit Sicherheit hervor, daß auch
er nicht zu den thatenreichen Männern feiner Zeit gehört, daß ex darin
weit zurücjteht Hinter jeinem Großvater. — Damit man nun aus diejer
bejcheidenen Stellung. die die beiden Förderer der deutſchen Dichtkunft, von
denen ich hier berichte, im reichbewegten politifchen Leben ihrer Zeit ein-
nahmen, nicht übereilter Weife ungünftige Schlüffe auf die Wirkung der
Pflege der Poeſie überhaupt mache, muß ich doch ausdrücklich darauf hin-
weiſen, daß in derjelben Zeit auch der thatenreiche, Huge Raimund von
Zichtenburg als Gönner eines deutjchen Dichters: erfcheint, daß auch der
abenteuerfrohe Johann von Michelsberg als folcher anzuſehen ift (ſ. Mit-
theil. XV, 149 ff. XXI, 194 ff") XXIII 329 ff). Damit ift auch die
Thatſache feftgeftellt, daß ich in der zweiten Hälfte des XIII. und zu
Beginn des XIV. Jahrhunderts nicht nur die böhmischen Könige, fondern
ihon Emler im under zu den Regeften bemerkt, nah den Urkunden vom
28. April 1287 (Nr. 1406): Willehelmus, Brzeslaus, Prothiva, Ulrieus, filii
Thieboldi de Resenbere und vom 28. April 1297 (Nr. 1750) Brzetis-
laus, Prothiwa et Dipoltus, filii quodam Dipolti de Rismberg. In
Nr. 1492, de dto. 17. Februar 1290 waltet einfady ein Schreibfehler, wenn da
ſteht Wilhelmus et Psretzlaus et Protziwa fratres de Risenburch. Das
hätte Teige finden müſſen, auch wenn ihm Emler nicht ſchon das richtige vor:
gejchrieben hätte, aber er führt die Leſer abfichtlich irre, wenn er ©. 172 jene
Namen de Rismberg und de Resenbere verfchweigt. Wenn 1280 oder 1281
ein Bormund aus einem anderen Haufe für die Enkel Borjos beftellt wird,
jo fünnen unmöglic 1287 ſchon 4 mündige Urenfel vorhanden fein.
1) Klimeich bemerkt S. 197 richtig, daß die NRitterfahrt nicht 1303 ftattgefunden
hat; ich hatte das nad dem Erſcheinen der Ausgabe des Dalimil von Jiredek
— 85 —
dieſen nacheifernd auch Männer, die den vornehmſten und mächtigſten Adels—
geſchlechtern Böhmens angehörten, den Königen nacheifernd der deutſchen
Dichtkunſt zuneigten, während Reimar von Zweter noch Klage geführt hat,
daß niemand im Lande Böhmen ihn ehre als der König (Wenzel J. —
S. Mitth. XVI, 22).
— —
Der Schwerttanz im ſüdlichen Böhmen.
Von 3. J. Ammann.
Seitdem K. Müllenhoff in den „Feſtgaben für Guſtav Homeyer“,
Berlin 1871, ſeine intereſſante Abhandlung über den Schwerttanz geſchrieben
und denſelben auf Grund der verſchiedenen Ueberlieferungen kritiſch unter—
ſucht hat, iſt die Sammlung der Schwerttänze verhältnißmäßig nur um
weniges erweitert worden. Müllenhoff ſelbſt hatte erwartet, daß bald von
verſchiedenen Gegenden Deutſchlands neue Ueberlieferungen aus Vergan—
genheit oder Gegenwart einlaufen werden (S. 147), allein ſchon in der
Zeitſchrift für deut. Alterth. 18.9 weiß er nicht viel Neues beizubringen
und ebenſo in Zeitſchrift 20. Außerdem iſt im Seeboten aus Ueberlingen
am Bodenſee Nr. 27, 1886 (auch in Alem. 14 S. 247 abgedruckt) eine
hübſche Mittheilung zu finden über eine Aufführung des Schwerttanzes,
welcher daſelbſt im 16. Jahrh. üblich war und noch im vorigen Jahre am
Faſtnachtsdienſtag in hiſtoriſcher Tracht (d. i. die alte Tracht der Rebleute)
zur Beluſtigung des Volkes aufgeführt wurde. Vgl. auch Alem. 14 S. 183.
Auch das deutſche Volk Oeſterreichs hat Antheil an dem Schwerttanz, und
zwar iſt es Salzburg in erſter Linie, wo ſich derſelbe ſowohl unter den
Dürrnberger Knappen in Hallein (vgl. J. Schieſtl im Jahresberichte des
Salzburger Muſeums vom J. 1865 und ſeparat abgedruckt), als auch
unter dem Landvolk findet (vergl. Oeſterr. Sagenbuch von J. Gebhard,
Peſt 1863). Ferner hat Dr. U. Schloſſar in den „Oeſterr. Cultur- und
Literaturbildern”, Wien 1879 (W. Braumüller) einen höchſt interejjanten
Schwerttanzg aus Oberjteiermarf v. %. 1808 mitgetheilt, deſſen langer
Prolog mit dem Salzburgifchen und mit unjerem böhmifchen vielfach
felbft jhon bemerkt und im Anzeiger f. deutfches Alterth. 5, 354 auf die Stelle
im Dalimil verwiefen. Den dhronologiihen Angaben des Dalimil möchte ich
aber auch nicht ohne weiteres glauben, — Einen andern Fehler will ich hier
berichtigen: Heinrich v. Freiberg jpricht nicht von einem gehenden Löwen auf
dem Schilde Johanns, jondern von einem gähnenden. (Lexer I, *
3
übereinjtimmt, jo daß ſich alſo an Oberfteiermarf, Salzburg, Oberöfterreich,
(Ried) nun ergänzend Sidböhmen Hinfichtlic des Schwerttanges anjchlieft.
In einem Bericht über einen altheidnifchen Opferftein (Eibenftein)
an der Grenze von Böhmen und Oberöjterreich (ſ. Mittheil. der Anthrop.
Gef. in Wien XVI. Bd.) habe ich bemerkt, daß der zu Ehren des germ.
Kriegsgottes Ziu aufgeführte Schwerttanz in Oberhaid noch volfsthiimlich
jei, und auch die Namen HZiefreund und Zuliffen bier vorfommen. Darauf
hatte mich Herr Bürgerjchullehrer L. Brunner in freundlicher Weife auf-
merfjam gemacht. Durd) weitere Nachforjchungen erfuhr ich, daß auch
außerhalb Oberhaid in den Dörfern um Rofenberg der Schwerttang noc)
befannt ijt, ja fogar im J. 1881 noch aufgeführt wurde. Dieje Erfcheinung
ift im ſüdl. Böhmen um jo auffallender und merfwürdiger, da wir an
dem äußerjten Rande deutjchen Landes gegen jlawijches Gebiet einen altgerın.
Brauch finden, der in jo vielen deutjchen Ländern untergegangen ift, hier
aber mit jeltener Zähigfeit fich erhalten hat. Das ift ein hiftorifcher
Beweis fir den jtrammen deutjchen Sinn unferes Volkes in Südböhmen,
an dem in Anbetracht folcher Treue und Feſtigkeit für altdeutſches Leben,
für deutfche Sitten und Gebräuche niemand zweifeln jollte. Der Schwert:
tanz, wie ich ihn hier mittheile, ftammt aus Rukendorf bei Nofenberg und
beruht auf den Mittheilungen eines ehemaligen Hauptmanng des Scywert-
tanzes, die mir ein Schüler zu verichaffen wußte. Es waren aber früher
mehrere Gejellfchaften in dieſer Gegend, die den Schwerttanz aufführten,
jo in Rojenthal, Halbersreith, Dberhaid, Unterhaid, Zettlersreith, ja faſt
in jedem Dorf zwijchen Kaplig und Rojenberg. Nach der Erinnerung des
heutigen Volkes wurde der Schwerttang in diefer Gegend nur in der Fajt-
nachtszeit aufgeführt und zum legtenmal in Zettlersreith im Jahre 1881
am Faſchingsdienſtag.
Bevor die Spielgejfellichaft ins Dorf einzieht, um bei irgend einem
Bauern den Tanz aufzuführen, wird einer aus ihnen, gewöhnlich ver
Junggeſell (der erjte nad) dem Hauptmann), dem fid) Ronwai oder Foſchai
anjchließt, vorausgejchicdt, um zu fragen, ob jie dem betreffenden Bauer
genehm find. Wenn diejer dazu feine Einwilligung gibt, melden fie dies der
Geſellſchaft und ziehen in das Dorf ein zu dem Hauje diejes Bauern, voran
eine Blehimufif von 6—12 Mann. Früher waren Trommler und Pfeifer,
hernach auch dieje verbunden mit Blechmuſik. Bezeichnend iſt in Hinficht
der früheren Muſik, daß der Pfeifer oder Flötenbläjfer auf bejonderes
Verlangen auch beim Tanze noch allein fpielte. Die Mufifanten gehen
zuerjt in die Stube und nehmen dort Plag, dann tritt der Hauptmann
ein. Diejer hat einen weißen Schurz als Binde um den Leib gejchlungen
ee
und an beiden Enden mit einem Niemen verbunden, in dem wie in einem
Gehenfe das Schwert tet. Diejelbe Tracht führen heute auch die jechs
Gefellen und der Foſchai, d. i. der Faſchingsnarr. Der Hauptmann zeichnet
ſich nur durch einen breiträmpigen Hut, auf den ein Strauß von Kunſt—
blumen ftedt, vor den übrigen aus. Früher aber trugen fie weiße Hemden
mit baufchigem Kragen und weiten bis auf die Finger hinausreichenden
Aermeln, Schwarze Hoſen und hohe Stiefel. Heute ift die Tracht in obiger
Weije vereinfacht. Der Foſchai (Narr), jcheinbar einfältig und dumm, in
Wirklichkeit aber der jchlauejte von allen, erinnert an den deutjchen Hans:
wurjt, er führt aber fein Schwert. Dazu fommt noch als 9. Perjon das
jogenannte Mehlweib, früher ein Weib (wie man mir jagte!), heute aber
ein Mann in SHarlefinskleidern, der, wie auch der Foſchai, hinten und
vorne eine Schelle angenäht hat und überdies noch an den weißen Harlefing-
hoſen Schellen trägt, jowie einen Schellenfranz um die Mitte. Während
aljo der Hauptmann eintritt in die Bauernftube, warten die Öefellen draußen
auf das weitere Commando ihres Hauptmannes. Diejer beginnt gleich
einen freisfürmigen Gang in der Stube und, während die Zufchauer ſich
aufmerfjam und ruhig verhalten, eröffnet er den Schwerttanz mit folgenden
Worten, indem er nad) der Einleitung die Gejellen der Reihe nach hereinruft.
Sauptmann:
Ich tret’ herein mit Schwert und Degn,
Ich grüß’ den Hauswirt ſammt jeine Gäſt'.
Wenn ich das eine thät und das andere
nicht,
Wär’ ich kein rechter Andeuter nicht.
Ich tret’ dem deutjchen Kaifer in jein Land
Mit Trommel und Pfeifen und Hingen-
dem Spiel.
Herein! Herein! Herr Junggeſell!
S$unggeiell:
Warum heiß’ ich Junggeſell?
Sch bin erit fommen aus der Höll'!
Hauptmann:
Was haft Du in der Höll gemadyt?
Junggeſell:
Ich hab verſpielt, was ich hab' g'habt.
Hauptmann:
Wer hat Dir zugeſchaut?
Junggeſell:
Der Wirth auf der Bärenhaut,
Der hat Würfel und Karten auf den Tiſch
hergebradht.
Hauptmann:
Was macht der Hin! (Großvater) ?
Junggeſell!
Der klaubt im Garten Birn und Speinl
(gelbe Pflaumen).
Hauptmann:
Was macht die Anl (Großmutter)?
Junggeſell?
Die ſitzt in der Kuchel und reibt Schüſſel
und Kanl (Kanne).
Hauptmann:
Was macht der Knecht?
Sunggejell:
Der liegt bei der Dirn und meint, er mach"
ihr's recht.
Sauptmaun:
Was macht die Dirn?
Junggeſell:
Die liegt beim Knecht und laßt ſich lieb'n.
Hauptmann:
Was macht der Bua?
Junggeſell:
Der arme Narr, der ſchaut durch die
Finger zua.
. Hauptmann:
Herein! Herein! Herr Schellnerfriedl !
Schellnerfriedl:
Warum heiß ih Schellnerfriedl?
In mein’ Wald gibt's viele Prügel.
In meinem Maul hab' ich ein böſes Bein.
Hauptmaun:
Herein! Herein! Herr Grünerwald!
Grünerwald:
Hoho! Warum heiß ich Grünerwald?
Ich grab' die Wurzeln, ſind's jung oder
alt;
Gib's in ein kleines Gſpaderl (Schachtel)
hinein,
Laff' 24 Stunden drinnen fein.
Es rinnt nit und ſchwimmt nit
Und macht der Dirn fein Kind nit,
Wenn liegt der Herr und der Knecht bei
ihr:
Kann der Grünerwaldhans auch nir dafür.
Hauptmann:
Herein! Herein! Herr Landsdrommet!
Landsdrommet:
Hoho! Warum heiß ich Landsdrommet?
38
Zum Raufen und Schlagen bin ich der
allerbeſt'.
Wenn man die guten Nudeln ſchupft,
Bin ich der erſte, der dazu hupft;
Wenn man die guten Krapfen bacht,
Bin ich der erſte, der ins Maul facht.
Hauptmann:
Herein! Herein! Herr Ronwai!
Ronwai:
Hoho! Warum heiß' ih Ronwai?
Die Bauern müffen vogelluftig fein.
Der Rurmdunft hat fih im Wirthshaus
verredt,
Hat müſſen die ganze Naht liegen auf
dem Brett.
Hauptmann:
Herein! Herein! Herr Rurmdunſt.
Rurmdunft:
Hoho! Warum heiß ih Rurmdunft.
Der Foſchai hat fi im Wirthshaus ver-
| ſeſſen,
Hat müſſen einen bratenen Holzſchlägel
freffen.
Hauptmann:
Herein! Herein! Herr edled Blut!
Edles Blut Goſchai):
Hoho! Warum heiß ich edles Blut?
Wer wenig verdient und viel verthut!
Sch hab verthan meines Vaters Gut,
Bis auf einen alten Filzhut.
Sch hör’ was rauſcheln!
Ich thät meine Roudel (Schelle) vertau—
ſchen
Um ein ſchönes Menſch oder um ein Trum
Speck.
Während nun die Geſellen in dieſer Reihenfolge und unter ſolchem
Prolog eintreten, ſetzt der Hauptmann ſeinen kreisförmigen Gang in der
Stube fort, immer von links nach rechts, und die nach einander Eintretenden
ſchließen ſich ihm an.
Wenn alle in der Stube ſind, gehen ſie noch drei
bis vier mal im Kreiſe herum, ſelbſt hintereinander einen Kreis bildend;
— 38 —
der Foſchai iſt der letzte. Nun zieht der Hauptmann ſein Schwert und die
Gefellen folgen feinem Beijpiel.
Alle halten die Schwerter weit über die Achjel nach Hinten geneigt,
indem zugleich jeder die Spite des Schwertes vom Vordermann mit der
Linken faßt. Da aber der Fojchai fein Schwert hat, jo tritt er ein wenig
aus dem Kreife und die Schwerttänzer gehen: wieder 3—4mal in diejer
Haltung im Kreife herum. Dieſes Herumgehen geht nun in ein Springen
oder Zanzen nah Art der Bauerntänze über, verbunden mit. einem
Zufammenschlagen der Schwerter. Das Zuſammenſchlagen gejchieht folgen-
dermaßen. Die im Kreife hintereinander Gehenden halten mit der Rechten,
‚wie wir gehört haben, das eigene Schwert, mit der Linfen die Spitze des
Schwertes vom Vordermann. Beim Tanze halten fie nun die Schwerter
an Griff und Spitze feft, jeder nimmt aber jein Schwert von der Achjel
herab und nähert die Spige des Schwertes in der Linken jo dem Griff:
theil des Schwertes in der Nechten, daß die Klingen gegen Spige und
Griff und die Hände eines Jeden fich übereinander Freuzen. Die Spitze
_ dom Schwerte des Vordermannes wird aber immer dem Grifftheil des
eigenen Schwertes untergehalten und dann in diejer Lage 5—6mal die
obere Klinge auf die untere gejchlagen, was ein lautes Schwertgeflirr ver-
urjacht. Während des Zufammenjchlagens müſſen die Schwerttänzer
natürlich einander etwas näher jtehen als ſonſt, daß die Schwerter über
einander zu reichen vermögen, ohne daß einer eines losläßt. Wenn fie jo
einigemal herumgetanzt und etwa 5—6mal die Schwerter angejchlagen
haben, bfeiben fie ftehen, und der Ronwai tritt in die Mitte des Kreijes,
nachdem er ſein Schwert dem Foſchai gegeben hat, der an jeiner ftatt
eintritt. Ronwai läßt fih in der Mitte auf alle Viere nieder, und die
6 Gefelfen halten nun ihre Schwerter mitten auf den Rüden des Ronwai,
die Spigen freuzweife über einander. Der Hauptmann ftellt fich auf feinen
Rüden und auf die gefveuzten Spigen der Schwerter zugleih und thut
folgenden Sprud).
Hauptmann:
Ich bin Heraufgeftiegen mit Schwert und Deg'n,
Es wär’ gfcheidter gwen (geweſen)
Ich wär' drunten blieb'n; es möcht den Hausherrn nicht verdrieß'n,
Er möcht' ein paar Thaler herſchieß'n,
Ein par Thaler wären zu viel,
Ein paar Silberzehner wären das rechte Ziel.
Wer will mein Spiel abgewinnen,
Der muß über die Klingen ſpringen.
Der Hauptmann jpringt vom Rüden des Ronwai (ein rauher, jtarfer
Burjche) herab, und alle treten die Schwerter einſteckend wieder in den
urfprünglichen Kreis zujammen. Nun fehrt ſich der Hauptmann gegen den
Junggeſellen um und bietet ihm die Spige feines Swertes, das er allein
eben wieder gezogen hat. Mit der Rechten hält der Hauptinann fein eigenes
Schwert, die Spige desfelben der Junggeſell mit der Linken. Der Haupt:
mann faßt mit der Linken die Rechte jeines Hintermanns, der Funggejell
mit der Rechten die Linke jeines Hintermanns und jo weiter im Kreiſe,
bis alfe einander die Hände gereicht haben. Nun beginnt in diefer Haltung
das Schwertjpringen. Der hinter dem Hauptmann ftehende jpringt zuerjt
über die Klinge, dann der Hintermann des Junggefellen und jo fort, aber
ohne daß einer die Hand des andern losläßt, bis alle ohne Hauptmann
und Junggeſell übergefprungen find. Ebenfo fpringen alle wieder in derjelben
Ordnung zurüd, ohne die Hände noch losgelajjen zu haben. Der erjtere
Kreis biegt ſich alfo über das horizontal gehaltene Schwert zu einem neuen
Kreis aus und wieder zurüd. Das Schwertjpringen wird zugleich mit
echtem Volkshumor durchgeführt, indem das Schwert nad) der Sprung-
fähigkeit der einzelnen höher oder niedriger gehalten wird. Im allgemeinen
halten der Hauptmann und Junggeſell die Klinge jo hoch, daß der Betreffende
nur mit größter Anjtrengung hinüberfommt. Bleibt er mit einem Fuße
hinten, jo wird er in diefer unangenehmen Lage in der Schwebe gehalten.
Bejonders angethan ift diefe Gelegenheit für die Narrheiten des Foſchai,
der gleichfalls über die Klinge jpringt und zur allgemeinen Heiterfeit am
meiften beizutragen hat. Nach dem Schwertipringen läßt der Junggeſell
die Schwertipige des Hauptmanns los, und diejer hält das Schwert wieder
über die Achjel wie vordem, und die übrigen folgen feinem Beijpiel. Es
bildet jich wieder der frühere Kreis, die Schwerter über die rechte Schulter
nach hinten geneigt, während die Linke die Spige des Schwerte vom
Vordermann hält. Fojchat ijt wieder aus dem Kreis getreten, die Schwert:
tänzer gehen wieder einigemal im Kreije herum. Es folgt die legte Figur.
Der Hauptmann gibt das Schwert von der Schulter und hält es mit
geſtrecktem Arın hinaus, die übrigen gleichfalls. Dadurch treten alle in
einen erweiterten Kreis mit den Gefichtern nad) dem Innern des Kreiies,
jo daß die geftrecdtten Hände und Schwerter den Kreis bilden. In diejer
Kreisjtellung gehen fie wieder einigemal herum, dann fällt die Muſik ein,
die während des Schwerttanzes jchwieg. Die Schwerter werden eingejtect
und jammt Gehänge dem Hausherren bis zum Abjchied zur jicheren Aufbe-
wahrung übergeben. Der Hauptmann eröffnet den Tanz mit der Tochter
des Haufes, während Foſchai (Narr) den Hanswurſt jpielt. Die Tanzunter-
==. A.
haltung nimmt nun die ganze Gejellichaft in Anſpruch. Bon dem Bauern,
bei dem die Gejellichaft ihren Schwerttang aufgeführt hatte, erhalten fie
für ihre Bemühung und Beluftigung Korn und Hafer, aus deſſen Erlös
jpäter zuerſt die Muſikanten, dann die Tänzer entjchädigt werden. Die Muſi—
fanten werden nach Volksbrauch überdies für die einzelnen Tänze nody von
den Zänzern bezahlt. Aber auch das jogenannte Mehlweib hat die Aufgabe,
alferlei Gaben einzuheimjen. Diejer Gejelle in Harlekinscoſtüm unterjucht
vor allem die Bratröhre der Bäuerin, wo er hofft nach altem Herfommen
Krapfen oder Fleisch (ſchon für ihn hergerichtet) jtehlen zu können. Aber aud)
in höflicherer Werje weiß ex ſich Eßbares zu verſchaffen. Er hat auf feinen
weißen Gewand eine Menge rother Flede oder Lappen aufgenäht, die ihm
keckere Kinder abzureißen fuchen. Erwiſcht er dabei eines der Kinder, jo
trägt er es unter dem Gejchrei der übrigen hinaus. Der Hausfrau aber
gibt das Mehlweib freiwillig von jeinen vothen Flecken, indem es jolche
von feinem Gewande reißt. Die Bäuerin legt diejelben in die Nejter ihrer
Hennen in dem Glauben, daß die Hennen dann recht viele Eier legen
werden. Für die rothen Flecke muß die Bäuerin vorher natürlich etwas
gejpendet haben, und wenn vie Flecke dem Mehlweib ausgehen, werden neue
aufgenäht. Eine ſolche Schwerttanzgejellichaft zog in früheren Jahren ın ver
Faftnacht von einem Dorf zum andern — Städte mit polizeiliher Ordnung
vermieden fie —, und da gewöhnlich auch in andern Dörfern fi) Spielge-
jellichaften bildeten, jo trafen oft zwei oder mehrere vor einem Dorfe
zufammen. Auch hier vermied man beim Zufammentreffen das Dorf jelbit,
um bei etwaigen blutigen Kämpfen nicht geftört zu werden. Bei einem
jolhen Zufammentveffen zweier Gejellichaften vor einem Dorfe wurde
immer ein regelrechter Vorgang eingehalten. Beide bleiben in einiger
Entfernung von einander ftehen, geben das erhaltene Getreide in Säden auf
den Boden und fchließen beiderfeits einen Kreis um dasjelbe. Dann tritt der
Hauptmann von jener Gejellichaft, die die andere nicht unbehelligt weiter
ziehen lafjen will, vor und fragt den andern Hauptmann, ob er ſich ergeben
wolle. Iſt er dazu bereit, jo muß er mit den Seinen die Schwerter und
das Getreide hergeben. Die Schwerter befommen fie zwar wieder zurüd,
aber das Getreide nimmt die feindliche Partei mit fich. Wenn der Haupt:
mann aber fich nicht ergeben will, jo gibt der Herausforderer ihm Räthjel
zum Löſen, was aber jehr jelten gelingt. Hier jpielt der Foſchai (Narr)
eine große Rolle, denn er ſoll mit jeiner Gejcheidtheit dem Hauptmann
aus der Verlegenheit helfen künnen. Gelingt e8 aber weder dem Haupt:
mann noch dem Foſchai, die gegebenen Räthſel zu löſen, jo werden die
Schwerter beiderfeitd um das Getreide in den Boden geſteckt, und die
Muſik beginnt auf beiden Seiten zu fpielen. Der herausfordernde Hauptmann
tritt vor und greift den Gegner an, worauf fich zwijchen beiden Hauptleuten
ein harter Ringkampf entſpinnt. Die Muſik jpielt während diefer Scene.
Sobald der eine von beiden unterliegt und fällt, vennt alles auf einander
[08 zu gemeinjfamer Kauferei. Die Muſik jpielt weiter; wenn aber der Kampf
zu heftig wird, juchen die Muſikanten abzuwehren, jelbjt mit Zuhilfenahme
ihrer Inſtrumente. Iſt aber der Hauptmann mit jeinem Narren im Stande
die Räthſel zu löſen, jo gibt er umgekehrt jegt dem anderen Hauptmann
Räthſel auf, was dann wieder denjelben Verlauf nimmt. wie früher, wenn er
fie nicht zu löjen vermag. Iſt er im Stande fie zu löfen, jo gehen fie im
Frieden wieder auseinander. Erklärt fich die eine oder andere Partei früher
oder jpäter- für befiegt oder ergibt fie fi, jo muß fie von ihrem Getreide
und den Schwertern abziehen, bis der feindliche Hauptmann ihr Halt zuruft.
Dort müfjen ſie ftehen bleiben, bis ihnen von der feindlichen Partei die
Schwerter zugetragen werden, indem jeder Mann jeinem Gegenmann das
jeinige bringt. Das Getreide erhalten fie nicht wieder, aber das Mehlmeib
gibt dem andern Mehlmeib gleichfalls das von ihm Gejammelte zurüd.
Es fommt dann nach erfolgter Ausſöhnung auch vor, daß die zwei Gejell-
Schaften zufammen weiter ziehen und jpielen, in diefem Falle behalten fie
aber nur ein Mehlweib bei. Bei jo harten Bedingungen und keckem
Gegenübertreten läßt fich leicht denken, daß nicht immer ein friedlicher
Ausgang zu erwarten ift. In Angern bei Kaplig joll eine Kapelle jtehen
zur Erinnerung an einen blutigen Kampf mehrerer Schwertgefellichaften,
die hier etwa in den 6Oger Fahren zujammengetroffen waren. Ein Bild
joll viele Todte und Verwundete darjtellen, wie fie von der. feindlichen
PBartei mit den Schwertern niedergehauen werden. So erzählte der Bruder
eines dort Gefallenen, So viel habe ich bisher herauszubringen vermocht,
und ich hoffe, e8 wird dies fein undeutliches Bild geben vom Schwerttang,
wie er im füdlichen Böhmen aufgeführt wurde. Eine genauere Vergleihung
mit den übrigen Schwerttängen werde ich in einem II. Theil folgen lafjen.
Sch bemerfe hier nur beiläufig, daß unſer Schwerttanz in den meijten
Punkten mit den ältejten Ueberlieferungen übereinftimmt. Er vereinigt aber
auch in fich allein verjchiedene Momente, die ſonſt nur zerjtreut zu finden
find. Mit dem heffiichen Schwerttang v. %. 1697 (Feitg. D.) herrjcht im
Prolog wörtliche Uebereinſtiuung an einer Stelle, ebenjo iſt eine Ver—
wandtjchaft zum Ulmer v. %. 1551 (Men. 14 ©. 113) zu erfennen. Aber
neben diefen Beziehungen zum heſſiſchen und ulmiſchen Schwerttanz ift
nichtsdeftoweniger vieles zu finden, das ſonſt nur in nordiſchen oder
engliihen Schwerttänzen vorkommt. Davon im Folgenden.
—— u We
nn
— 43 —
Der Rubin und ſeine Umgebung.
Ein Beitrag zur Urgeſchichte Böhmens,
Zweiter Beridt.
Von Franz Theodor Steiner.
Seit meinem legten Vortrage, welchen ich) vor etwa anderthalb
Fahren in den Räumen des Vereines für Gefchichte der Deutjchen in
Böhmen vor einem ehr geſchätzten Publicum zu halten die Ehre hatte,
und welcher jodanı in einem der nächitfolgenden Hefte der Meittheilungen
unjeres Vereines mannigfach erweitert und bereichert als jelbjtändiger
Aufſatz erſchien,) bin ich, theils in Folge eigenhändiger Nachgrabungen,
theil8 durch die Güte und Freundlichfeit mehrerer Gönner und Freunde
wiederum in die angenehme Zage verjegt, heute über zahlveiche, neuere
Funde einige nähere Mittheilungen machen zu fünnen.?)
Bevor ich jedoch an die nähere Bejchreibungdiefer einzelnen Funde
gehe, jei es mir geftattet, zur Nechtfertigung diejer Zeilen ſowie des be-
reits früher in diefen Mittheilungen abgedrudten Vortrages einiges zu
bemerfen. Wenn ich dann und wann dor einen größeren Lejerfreis trete,
1) Vergleiche: „Mittheilungen de3 Vereines für Geichichte der Deutihen in
Böhmen“, 24. Jahrgang, 3. Heft, Seite 303—325: „Der Rubin und jeine
Umgebung. Ein Beitrag zur Urgeihichte Böhmens“,
2) Eine nicht gerade fehr zahlreiche, jedoch ziemlich werthvolle Sammlung urge-
chichtlicher Gegenftände, welche faft ſämmtlich von bereits näher befannten
Fundorten des mittleren Goldbachgebietes ſtammen, verdanfe ich biesmal der
Güte meines verehrten Freundes und Gönners, des Herrn MDr. Anton Tijcher
in Michelob, wofür ich ihm hier nochmals meinen wärmften und aufrichtigften
Dank entgegenbringe. Desgleichen verdanfe ich eine nicht unanſehnliche Collec—
tion prähiftorischer Objecte dem regen Sammeleifer de3 Herrn Joſef Schmied,
derzeit Wirthichaftsbefiger in Groß-Otſchehau, welche meift aus den urgefchicht-
lichen Anfiedlungen des den Leſern meines früheren Aufſatzes ſchon näher
befannten Dorfes Podletis ftanımen. Nehme auch er an diefer Stelle nochmals
meinen aufrichtigften Dank entgegen. Auf dem Rubin und feiner nächjten
Umgebung unternahm ich felbft wie ehedem meine gewohnten Rumdgänge,
während ich auf der ſüdlich vom Dorfe Schaab gelegenen Todtenftätte mit
eigener Hand Nachgrabungen veranftaltete, die, ohne zwar ein befonders reich—
haltige3 Fundmateriale zu ergeben, es dennoch ſchon jegt ermöglichen, einige
wichtige Schlüffe bezüglich der früheren Bevölferungsverhältniffe diefer Gegenden
zu ziehen.
a
um denfelben mit urgejchichtlichen Funden meiner engeren, heimatlichen
Gaue des näheren befannt zu machen, jo joll und kann dies nicht etwa
den Zwed verfolgen, jelbem mit. Zugrundelegung der jeweilig gefammelten
Fundgegenftände einer oder mehrerer Anfiedlungen diefer Gegenden Flare
und deutliche Bilder jener frühen, dunklen Zeitepochen in jtreng cultur-
geichichtlichem Rahmen vorzuführen. Dies wäre auch vor der Hand aus
verschiedenen Gründen unmöglich. Denn erftens kennen wir ja die meijten
urgeschichtlichen Anſiedlungs- und Begräbnißftätten diefer Gegend, ja, ich
darf wohl jagen, alle derjelben nur erjt bruchjtüchweife und jomit unvoll-
jtändig und es kann daher ſchon aus diefem Grunde allein ein veales
Geſammtbild der Beftrebungen jener früh- und vorgejchichtlihen Zeiten,
joll anders diejes Bild der Treue und Wahrheit nicht entrathen und mehr
als ein phantaftiih und willfürlich ausgefhmüctes Zeitgemälde darjtellen,
unter diejen Verhältnijfen noch nicht gegeben werden.
Dazu fommt noch ein zweiter exjchwerender Umftand. Wie anderen
Ortes, iſt e8 auch hier der Fall, daß wir für einzelne diefer alten Wohn-
jtätten mehrere zeitlich auf einander folgende Bejiedlungen, die verjchiedenen,
einander ablöfenden Stämmen ihre Entjtehung verdanken, annehmen müfjen,
jei es nun, daß die früheren Anfiedler diefe ihre altgewohnten Sige ſchon
vor dem Anrüden neuer Ankömmlinge aus uns unbekannten Gründen
freiwillig verlaffen hatten, oder aber erjt durch nachrüdende, mächtigere
Schaaren zum Wufgeben derjelben gezwungen wurden. Da es nun für
die neu anrüdenden Völker in den meisten Fällen das Bequemfte war, fich
auf den von den früheren Bewohnern verlafjenen und bereit3 wohnlicher
eingerichteten Dertlichfeiten ihr neues Heim zu gründen, fo darf es ung
nicht Wunder nehmen, wenn wir in den uns hinterlaffenen, jene Zeugen
einer grauen Vorzeit und frühen Eultur bergenden Fundichichten namentlich
dann, wenn dieje einzelnen Schichten nicht ftrenge von einander gejchieden
find, oder bereits in früherer Zeit Erdarbeiten ftattfanden, welche dieje
innig mit einander vermengten, häufig Gegenjtänden begegnen, welche, weil
verjchtedenen Völkern angehörig, bezüglich des verwendeten Materiales, der
Formen, des Styles, der Technik 2c. ac. oft ſehr weit auseinander gehen.
Daß in Folge deſſen eine richtige Scheidung der dem einen dieſer
Völker angehörigen Alterthimer von denen der anderen in den meijten
Fällen jehr ſchwierig fein muß, ift Har. Und es kann eine ſolche voll:
giltige Scheidung daher infoferne und infolange nicht angeftrengt werden,
jolange wir nicht einerjeits diejenigen Anfiedlungspläge, welche wir mehreren
Völkern zuzujchreiben bemüßigt find, volfftändig und genau kennen gelernt
haben, andererjeits aber auch in jene Fundpläge, welche wir zufolge der
u.
Sleichartigfeit der Formen, des Stiles und der Technik nur einem einzigen
Volke zuweiſen dürfen, tiefe gewichtige Einblide genommen haben.
Daß zu einer folchen richtigen Scheidung namentlich) auch auf die
Gräberfunde bejondere Nüdficht genommen werden muß, ijt jelbitver-
jtändlich, ebenjo wie der Umftand, daß das aus den Gräbern gehobene
Schädelmateriale bei Beſtimmung der vorgefchichtlihen Racen eine wichtige
Rolle jpielen werde. Auch wird es unfere Pflicht fein, darauf zu achten,
ob wir es bei manchen Funden mit Erzeugnifjen heimijcher Induſtrie
oder aber mit Handelsproducten ferner Länder und Völker, welche durch
die oft mannigfach verjchlungenen Handelswege jener fernen Vorzeit aus
jonnigem Süden oder von benachbarten Volksſtämmen zu den Bewohnern
unſerer vaterländiichen Gaue gelangt find, zu thun haben.
Auf alles dieſes hat natürlich der Urgefchichtsforfcher zu achten.
Seine erjte und wichtigfte Sorge aber muß es bleiben, durch ſyſtematiſche
Nachgrabungen ein möglichjt zahlreiches und vollftändiges Fundmateriale
aus einer größeren Anzahl von Anfiedlungsftätten, Wohnplägen und
Zodtenjeldern zu ftande zu bringen. ft einmal diefes vorhanden, dann
fann er auch die orbnende und fichtende Hand daran legen. Dann erjt
it es ihm möglich, tiefe Einblide in die Gejammtheit der Funde zu
thun, Vergleiche zu ziehen zwiſchen den Gegenftänden verjchiedener Dert-
lichfeiten behufs gänzlicher Verſchiedenheit, theilweifer oder volljtändiger
Uebereinftimmung, dann erſt kann er den Einflüffen nachjpüren, die eine
Eultur auf die andere ausgeübt, dann erſt ift e8 ihm möglich geworden,
den ganzen, vielverzweigten Apparat kritiſchen Forjchens ins Feld zu
führen. Ein ſolch möglichjt zahlreiches und vollftändiges Fundmateriale
zu ftande zu bringen, das foll eben vor allem anderen mein ernftejtes
Beitreben fein, und die jeweiligen Berichte über diefe meine Thätigkeit
mögen daher nur als das, was fie eben find, betrachtet werden, als Vor»
jtudien und Baufteine für einen fünftigen Baumeifter der Urgefchichte
unjeres engeren Vaterlandes.
Bon einem Kleinen, jedoch Feineswegs unmichtigen Centralpunkte, dem
Rubin und feiner näheren Umgebung ausgehend, will ich immer weitere
Kreife in den Bereic meiner Beftrebungen einbeziehen, und mir auf dieje
Weife etwa das Gebiet des ehemaligen Saazer Kreijes als Arbeitsfeld
auserjehen. Der waderen, thätigen Mithilfe meines verehrten Freundes
nnd Lehrers, des Heren Dr. Tifcher in Michelob, gewiß, werde ich alle
meine frei verfügbaren Kräfte diefen Beftrebungen widmen. Möge nur
ein günftig Gejchid die Arbeit mit Erfolgen krönen. Wenn ich nun zuerjt
zur Beiprechung jener Funde übergehe, welche mir Herr Dr. Tifcher zu
— 46 —
übergeben die Güte hatte, jo muß ic) gleich anfangs bemerken, daß die-
felben im Großen und Ganzen nicht gerade viel des Neuen bieten und
meist ſchon durch die vorzüglichen Arbeiten des genannten Herrn über
urgejchichtlihe Funde des mittleren Goldbachgebietes in weiteren Streifen
befannt find.) Da diefelben einer größeren Anzahl von Fundorten ent:
jtammen, jo kann ich es mir wohl meijt an der namentlichen Anführung
derjelben genügen lajjen. Die ganze Collection befteht etwa. aus 60 Ge—
genjtänden, welche fich auf folgende 14 Localitäten vertheilen: Groß—
Holetig, Horjchowig, Groß- und Klein-Tſchernitz, Liboritz, Liſchwitz, Miche-
lob, Schellefen, Seltih, Teſchnitz, Welhütten, die Fundftelle „in den
Gruben” bei Zarch, die Todtenftätte von Schaab und den Rubin.
Unter diefen Gegenjtänden befinden ſich 11 Wirtel, darunter ein ſehr
Ihöner, aus Bein gearbeiteter, jedoch unverzierter von Liſchwitz. Faft
ſämmtlichen der hier vorliegenden Formen, die von verjchiedenen Orten
ſtammen, begegnen wir am Rubin wieder, welcher aljo, wie wir das noch
des öfteren gewahren werden, als eine Art Centrale erjcheint. Unter den
undurchbohrten Geräthen aus gejchliffenem Stein ragt namentlid) ein von
Klein-Zjchernig ftammendes Stück in der befannten Meifelform durch
untadelige Erhaltung und vollendete Arbeit hervor. In größerer Anzahl
finden jich ferner Steinmefjer, -Meißel und -Hämmer (darunter auch die
befannten Formen von Welhütten aus feinfürnigem, etwas jchieferigem
Amphibolit), Schleifjteine, Neiber, Pfriemen aus Knochen, mehrere Stücke
bearbeiteten Hirſchhorns, ein zugejchnigtes Hörnchen mit ziweimaliger jeitlicher
Durhbohrung, Webftuhlgewichte in der befannten abgeftugten Pyramiden-
form, ein unvegelmäßig geformtes Bronzeftüc aus den Gruben bei Zarch
und neben mehreren Scherben drei volljtändige Gefäße. Das eine der:
jelben ift ein Eleines unfchönes, aus freier Hand gearbeitetes Töpfchen von
jehr primitiver Form, ohne jegliche Verzierung und fchlecht gebrannt,
welches Arbeiter, die mit dem Ausheben von Baumftümpfen bejchäftigt
waren, im Walde hinter Michelob unter einem derjelben vorfanden. Es
ſoll mit Aſche angefüllt gewejen fein.
Das zweite Gefäß, das fojtbarjte Stück der ganzen Sammlung, tft
eine Doppelurne von feltener Form und Schönheit. Gefunden wurde die-
1) Bergleihe: „Mittheilungen d. Wiener anthropologiihen Geſellſchaft,“ Band 8,
Seite 1—7: „Ueber prähiftorifhe Wohn: und Begräbnißpläge im mittleren
Goldbachgebiete in Böhmen.“ Won MDr. A. Tifcher in Liboritz, ferner Bd. 10
desjelben Werkes, Seite 264—272: „Neuere prähijtorifche Funde im mittleren
Goldbachthale.“, Mit Benüsung eine Berichtes des Hrn. MDr. A. Tiſcher
mitgetheilt von Ernſt Kittl.
— —
ſelbe auf einer Anſiedlungsſtätte in der Nähe des Dorfes Groß-Holetitz.
Sie gehört jener jehr jeltenen Urnenform an, die bisher, wie es jcheint,
nur in den öftlichen, in frühgeſchichtlicher Zeit von Slaven bewohnten
Gebieten Deutjchlands und der Sudetenländer in mehreren Eremplaren
vorgefunden wurde. Voß erwähnt nad Heger') in der Sitzung der
Berliner Gejellihaft für Anthropologie, Urgefchichte und Ethnologie vom
18. März; 1876 5 Urnen diefer Art, von denen 2 aus Böhmen, und von
den übrigen je eine aus Pommern, Sachjen und Preußiich- Polen ftammen.
AS 6. Urne diejer Art reiht jih eine im f. k. Wiener naturhijtorischen
Hofmujeum befindliche an, welche Heger a. a. O. des näheren bejchreibt.
As 7. derartige Urne käme nun die in meinem Beſitze befindliche hinzu.
Bielleicht dürften aber mittlerweile (jeit 1876) jo gejtaltete Urnen auch
anderwärts gefunden worden jein, und da wäre es num jehr interejjant,
zu erfahren, ob diejelben auch in anderen Ländern vorzufommen pflegen,
oder aber, ob fich deren Vorkommen nur auf jene ehemals von Slaven
sewohnten Gebiete Deutjchlands und der Sich anfchließenden heile
Rußlands und Defterreichs bejchränfe, in welch Tegterem Falle wir na-
türlih gänzlich außer Zweifel wären, welchem Volke wir diejelben zuzu:
ichreiben hätten. |
„Urnen diefer Art (id) jpreche hier mit den Worten Hegers) beftehen
eigentlich aus zwei übereinander liegenden, durch eine mehr oder weniger
ſcharfe Einjhnürung von einander getrennten Formen.“ Diejelben erjcheinen
uns al3 zwei urjprünglich jelbjtändige Formen, die auch an verjchiedenen
Orten jchon des öfteren getrennt vorgefunden wurden, und e3 dürfte daher
feinem Zweifel unterworfen fein, daß diefe Doppelurnen der Combination
eines gejchicten Töpfers oder vielleicht auch dem Zufall ihre Entjtehung
verdanken und auf diefe Weife zu einer einheitlichen Form fich gejtalteten,
welhe dann allmälig bei dem Bolfe, dem wir fie zuzufchreiben haben,
allgemeiner in Berwendung Fam. Bezüglich der Form jtimmt die in
meinem Beſitze befindliche fast volljtändig mit der von Heger näher be-
ſchriebenen überein, bezüglich der Dimenfionen dürften beide wohl nur
etwas wenig auseimandergehen. Ich kann daher von der in meinem Be—
fige befindlichen fajt dasfelbe anführen, was Heger über die Wiener jagt.
Er bejchreibt diejelbe folgendermaßen: „Die Baſis iſt ſchmal, der untere
Theil des Gefäßes jcharf, die Linien jchön gejhwungen, elegant. Ueber
1) Vergleihe den Artikel von Franz Heger im 8. Bande der Mittheilungen der
Wiener anthropologifchen Gejellichaft auf Seite 366-367: „Ueber eine jeltene
Urnenform“, jowie die demjelben beigegebene Abbildung.
BETRITT FENDER TEE OT DEFAULT —
’ eH = 2 — * N x ae 2* * — Se ei 2 . SE age" — * d
Be
der ſcharfen Einjchnürung erhebt jich gleichſam wie ein darauf gejegtes
zweites Gefäß der obere Theil, fajt eben jo hoch, aber bedeutend ſchmäler
ala der untere.” Dagegen fehlt der in meiner Sammlung vorhandenen
die an dem Wiener Gefäße angebrachte, charakteriftiiche Zeichnung. Auch
darim umterjcheiden fich beide in etwas, daß die in meinem Bejige befind-
liche, indem nämlich die zwei von der Bafis herauflaufenden Seitenlinien
(vergleiche dazu immer die dem Heger’ichen Artikel beigegebene Zeichnung)
des unteren Gefähtheiles ſanfter gefchwungen find, in Folge deſſen die
Stelle des Zufammenlaufes derjelben mit den von oben herabjteigenden
Linien nicht jo ſcharf erjcheint, wie bei der Wiener, jondern etwas mehr
gerundet. Ferner fcheint die in meinem Befige befindliche Urne vom
Töpfer wirflid noch aus den zwei urfprünglich vorhandenen, jelbjtändigen
Formen aufgebaut worden zu fein, was daraus hervorgeht, daß der obere
Gefäßtheil von dem unteren an der Innenwand abgejprungen und hernad)
wieder mit Thon überjtrichen erſcheint, was wohl nicht möglid) wäre, wenn
das Gefäß einheitlich aufgebaut worden wäre, während die von Heger
angeführte wohl ſchon als einheitliche Form erzeugt worden fein mag,
was aus den Worten Hegers hervorzugehen jcheint: „erhebt sich gleichjam
wie ein darauf gejegtes zweites Gefäß ꝛc. ꝛc.“ Ebenſo wie die Wiener
it die in meinem Befige befindliche Urne ohne jede Beihilfe der Dreh:
iheibe gemacht und wie dieje ohne Henkel. Sie ift aus einer feinen,
wahrjcheinlich gejchlemmten, röthlihen Thonmaſſe, die zahlreiche, äußerft
feine Glimmerblättchen als Beimengung zeigt, angefertigt und war auf der
Außenfeite urjprünglich ſchön geglättet.
Während die im Wiener Hofmufeum befindliche Urne neben Ajchen-
erde drei volljtändige Bronzeringe fowie mehrere Bruchjtücde von folchen
enthielt, fand jich in der meinigen, welche ich von Hrn. Dr. Tiſcher nod)
mit der urfprünglich darin vorhandenen Aſchenerde angefüllt erhielt, außer
diefer Aſchenerde und einigen wenigen Kleinen Holzkohlenſtückchen nichts
weiter vor. Die Afche felbjt dürfte wohl von einem Leichenbrande her-
gerührt haben, da fie jchwärzlich glänzend war, ſich etwas fettig anfühlte
und beim Anhauchen einen eigenthümlichen Geruch verbreitete.
Heger hält Urnen diefer Art als dem Laufiger Typus angehörig.
Vielleicht Tießen fich bei einer etwaigen jpäteren Nachgrabung auf der
Anfiedlung, von welcher diefes Gefäß ftammt, noch weitere Anhaltspunkte
für eine nähere Beziehung diefer Urnen zum Laufiger Typus gewinnen,
falls dieſe Anfiedlung nicht etwa ſchon vollftändig abgebaut ift, wie dies
in unferen Gegenden theilmeife jchon mehrfach der Fall ift, da die Defo-
nomen die fruchtbare Afchenerde folcher alten Culturftätten wegen ihres
=. A
vorzüglichen Dungwerthes gar wohl zu würdigen wiljen. Freilich geht
bei jolchen Abgrabungen viel, oft auch alles wieder verloren, wenn jich
fein einjichtsvoller Mann der Sache annimmt, leider —- leider.
Es wäre übrigens jehr leicht möglich, daß dieje Urne mit der von
Heger angeführten von einer und derjelben Fundſtätte ftammt, da die in
Wien befindliche in der Umgebung von Saaz — der nähere Fundort ift
nicht angegeben — gefunden wurde, und die von Dr. Tiſcher mir über-
gebene ebenfalls aus der näcjjten Umgebung von Saaz (das Dorf Holetig
ift nur etwa %, Stunden von der alten Kreisjtadt entfernt) ftammt. Eine
directe Beitätigung diefer meiner Anſicht ijt freilich nicht mehr möglich, da
der urjprüngliche Befiger derjelben, Kreisarzt Dr. Woſtry aus Saas, der
uns vielleicht hätte näheren Aufſchluſs darüber geben können, jchon lange
nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Das dritte diefer Gefäße, welches ich von Hrn. Dr. Tiſcher zuſammen
mit noch einem bereits ziemlich defecten, größeren Bruchſtücke eines vierten
Gefäßes erhielt, zeigt ebenfalls urnenartige Form. Dieſe beiden letzteren
Stücke ſtammen aus einer unweit der von Lieboritz nach Miltſchowes
führenden Straße, unmittelbar oberhalb letzteren Ortes gelegenen, röthlichen
jchotterigen Diluvialfand führenden Sandgruße, in welcher wie in den Sand-
gruben bei Schaab einzelne Brandgräber vorzufommen pflegen. Wahr:
jcheinlich gehörten beide einem einzigen Grabe an. Sie enthielten Leichen-
brand, bejtehend aus Ajchenerde, zahlreichen fleinen, angebrannten nicht
mehr bejtimmbaren Knochenſtücken, die wahrjcheinlich einem Kinde ange:
hörten, jowie einzelne Holzkohlenſtückchen; in dem nur als Bruchjtüd er-
haltenen Gefäße fanden ſich außerdem noch 2 Bronzejtücichen, das eine
von quadratiicher das andere von unvegelmäßiger Form, welch letzteres
lange im euer gelegen haben muß. Beide Gefäße find aus freier Hand
gearbeitet und zeigen eine fcehwärzlich- braune Farbe des Thones. Sie
jollen nad) Berjicherung Hrn. Dr. Tiſchers mir gegenüber ſowohl in Bezug
auf Form al3 Berzierung auffallend jenen Gefäßen gleichen, welche er aus
den Reihengräbern von Welhütten erhielt. Sie erinnern bezüglich ihrer
Form und Verzierungsweiſe namentlich bezüglid) der leßteren, weldye aus
Reihen eingebrücdter Punkte oder Tupfen bejteht auch an die von Ludwig
Lindenschmit auf dem berühmten altgermanifchen Zodtenfelde am Hinkel—
jteine bei Monsheim ausgehobenen Gefäße mit gerundetem Boden, welchen
Lindenjchmit ein jehr hohes Alter zufchreibt.') Doch ift bei dem volljtän-
1) Vergleiche 2. Lindenfhmit bei Johannes Ranke: „Der Menjd, 2. Band,
Seite 516 fod.” und die darauf bezüglihen Abbildungen. Das vollftändigere
Mittbeilungen. 26. Jahrgang, 1. Heft. 4
2. Bl: u
diger erhaltenen der beiden Gefäße von Miltſchowes die Rundung des
Bodens jchon bei weiten nicht mehr jo markant, wie bei den Monsheimer
Gefäßen, jondern wir gewahren bier jchon eine Webergangsjtufe von Ge—
füßen mit Bodenrundung zu Gefäßen mit ebenem Boden. Sehr zu be-
lagen ift es wiederum, daß hier nicht mehr von diefen jo alten und
intereffanten Grabfunden erhalten it. Wahrjcheinlich diirfte auch hier wie
anderen Orts viel werthvolles Material in früheren Zeiten zu Grunde
gegangen fein.
Ferner lagen diejer Collection no bei 3 Schädel und zwar 2 Men-
ichenjchädel, jowie ein Stirnjchädel vom Rinde. Bon den beiden Men—
Ichenjchädeln jtammt der eine von Zjcheradig bei Saaz, der andere von
der Schaaber Todtenftätte, auf welche ich noch zurückomme, her. Der
eben angeführte Stirnſchädel vom Rinde jtammt wie die vorhin erwähnte
Doppelurne von demjelben Grabfelde bei Groß-Holetig und wurde in ge-
ringer Entfernung von derjelben aufgefunden. Derjelte ift auf der Stirne
eingedrücdt und es wollte mir bei Betrachtung vdesjelben jcheinen, als jei
dies auf Fünftliche Weije gejchehen, und als hätten jene alten Anfiedler bei
der Tödtung des Rindes ſchon ganz dasjelbe Verfahren angewendet, wie
unjere Fleiſcher heutigen Tages, indem jie nämlich das Thier zuerſt durch
einen mit großer Wucht auf die Stirne desjelben geführten Schlag be-
täubten, bevor fie es volljtändig tüdteten.
Diefe Schädel zu mefjen und die Race des damals gezüchteten Haus-
rindes zu beftimmen, muß ich natürlic) berufeneren Leuten überlaffen,
welchen ich, wenn ich im Bejige einer größeren Menge bejtimmbarer menjch-
licher und thieriſcher Knochenrejte jein werde, jelbe zur Bejtimmung zu
übergeben gejonnen bin. Von diejen hie und da gemachten Einzelfunden
gehe ich nun zu den neuerdings erworbenen Objecten von drei den Lejern
meines früheren Vortrages bereitS näher befannten Fundorten über. Es
find dies: PVodletig, die Todtenftätte bei Schaab und der Rubin.
1. Die urgeſchichtliche Anjiedlung von Podletitz.
Diejelbe ift ziemlich ausgedehnt, liegt jedoch im Gegenjage zur Aus
. binev in einer Ebene, welche ſich unterhalb des Clumberges gegen die
Dörfer Podletig und Witſchitz erſtreckt. Diefelbe ijt über zahlreiche Felder,
die einzelnen Fundjtellen meift in größerer Entfernung von einander, ver:
der in meinem Befige befindlichen Gefäße ftimmt bezüglich der Form jo ziemlich
mit Nr, 10 auf Seite 517 überein, als Verzierung trägt ed allerdings nicht
in derjelben Weile die auf Nr. 5 befindliche Punktverzierung.
jtreut. Hier jollen in der ganzen Umgebung der beiden Dörfer in früheren
Jahren mehrmals einzelne Gerippe mit verschiedenen Beigaben aufgededt
worden fein, manchmal auch theilweife Beifegung vorgefommen fein. Von
einem Friedhofe jedoch in der Art wie bei der Schaaber Todtenftätte
fonnte hier noch nichts bemerkt werden. Zwar foll ſich nach Anficht dor-
tiger Defonomen auf einer Feldflur bei Witjchig eine weite Todtenftätte
befinden, indem man bier jchon öfters bei Tiefaderungen zahlreiche Mengen
von Knochen aushob. Ob wir eS hier aber wirklich mit Menjchenfnochen
zu thun haben, oder ob es vielleicht nur Abfallsjtätten der Ueberrefte von
den Mahlzeiten der einftigen Anſiedler find, iſt fraglich. Ich ſelbſt konnte
diefe Stätte nicht genauer befichtigen, da in den legten Jahren, während
welcher ich öfters in dieje Gegend Fam, dieje Felder mit Klee angebaut
waren, jonad eine eingehende Befichtigung diefer Stätte unter jolchen
Berhältnifjen nicht möglich war, und wir müſſen es alſo noch dahin ge-
jtellt fein lajjen, ob wir es hier wirklich mit einem ausgedehnteren Beer:
digungsplage der Vorzeit oder vielleicht nur mit Neften ehemaliger An-
jtedlungen zu thun haben. Auch in der oberhalb Witichig gelegenen Sand—
grube, deren ich ſchon in meinem früheren Berichte Erwähnung gethan,
jollen einzelne Gräber (ob Brand» oder Scelettgräber weiß ich nicht zu
jagen) mit reichen Bronzebeigaben in früheren Fahren aufgededt worden
jein, und es ift im Intereſſe der Wiljenfchaft nicht wenig zu beflagen, daß
ſich zu diejer Zeit fein Menſch um dieſe wahrjcheinlich jehr werthvollen
Ueberrejte urgefchichtlicher Zeit bekümmerte, fie gefammelt oder ung wenig:
ſtens einen genauen, wahrheitsgetreuen Bericht über diejelben hinterlajjen
hat. Das meifte von diefen Gegenftänden dürfte wieder jpurlos verloren
gegangen fein, einiges davon aber wohl noch Hr. Apotheker Mattujch in
Wien in Verwahrung haben. Auch wurden an einzelnen Orten oft große,
jelbjt Eimergröße erreichende Gefäße aufgededt, die wahrjcheinlih als
Speicher zur Aufbewahrung von Mil, Getreide und anderen Lebens—
mitteln dienten, aber ſämmtlich unbeachtet blieben, ja meiſtens jogar voll»
ſtändig zertrümmert wurden. Ich bewahre in meiner Sammlung aus
hiefiger Gegend noch mehrere folder Gefähfragmente, welche uns von der
erjtaunlichen Größe jener Behälter Aufichlufs geben. Wirtel, Steinmefjer
und Meißel, polirte Hämmer manchmal von prächtiger Form und Erhal-
tung, Schleif- und Neibjteine und dergleihen andere fir den gewöhnlichen
Hausbedarf nöthige, auch jonjt häufiger vorfommende Artefacte wurden
auf vielen Feldern in der Umgebung der beiden Dörfer in früheren Jahren
oft zu hunderten ausgeadert, ja jelbft heute treten fie noch vielfach zu tage.
Diefe Gegenftände wurden von den Findern auch meijtentheils aufgelejen,
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da man für dieſelben eher Verwendung hatte. Faſt in jedem Haufe trifft
man daher dergleichen Dinge an, fo befonders zahlreich die Wirtel, welche
meiſt als Träger des Schlüfjelbundes von der Hausfrau benügt werden.
Auch Steinmeffer, Schleiffteine und Steinhämmer findet man nod) öfters
vor. Auch dieje benigt man und zwar meijtens zum Abziehen der Rafter-
mefjer. Bon manchen Yamilien werden namentlich die Steinkeile und
-hämmer jehr forafältig aufbewahrt, da fie als jogenannte Donnerkeile
das Haus, fo einen beherbergt, vor der ſchädlichen Wirkung des Bliges
ihügen follen, — die allgemeine Anjchauung im Volke bezüglich diefer
Gegenjtände. So gewahren wir aljo auch bier diefen faft über die ganze
Erde verbreiteten Aberglauben, weshalb es meift auch jehr jchwer ift, dieſe
Gegenftände zu erwerben.
So lajtet aljo auch hier noch auf diefen Zeugen einer läugftvergan-
genen Cultur wie vielfah anderwärts ein eigenthümlicher Fluch. Was die
fchügende, bergende Hille der Erde feit Jahrtauſenden uns Tiebevoll und
getreulich bewahrt, auf daß es uns künde von ferner Vorzeit Leben und
Treiben, hat fie, wie oft! eben nur darum aufgejpeichert, daß es dem
Unverjtande der Menfchen zum Opfer falle und aufs neue wieder, diesmal
aber einer volljtändigen Vergeſſenheit und Vernichtung anheimfalle. Welch’
traurige Erfahrung! Und doch jtehe ich nicht an zu behaupten, daß, hätte
eine fundige Hand alles das, was hier jeit 20—30 Yahren aus taujend-
jährigem Schlummer erwachend wieder des Tages lichte, freundliche Helle
geichaut, getrenlich gefammelt, man mit den Ueberrejten diefer Gegend allein
ein Kleines Mufeum hätte füllen fünnen. Wie viel theilweife noch jeßt zu
finden ift, zeigt der Umjtand, daß ich bei einem gelegentlichen Bejuche
diefer Fundftätten innerhalb 3 Stunden nicht weniger als 30 Gegenjtände
auflas. Doch laſſen wir die Klagen um den Berluft jo unerjegbarer
Dinge, und bejchäftigen wir ung lieber mit dem, was von diejen Dingen
noh auf uns gekommen ijt. Sehr freudig ift es da zu begrüßen, daß
einzelne der hiejigen Fundftellen fajt noch gänzlich unberührt find, und des—
halb dürfen wir wohl getroften Blickes in die Zukunft fchauen und hoffen,
daß fpätere fachgemäße Ausgrabungen, wenn fie uns aud) das bereits
Verlorene nicht mehr gänzlich zu erjegen im Stande find, uns vielleicht
doch einigermaßen über dieje früheren Verluſte tröften werden.
Wie ich jchon eingangs diejes Berichtes erwähnte, bin ich durch die
Güte des früher in Podletig anſäſſigen Oekonomen Hrn. Joſ. Schmied,
welcher auf den ihm gehörigen Feldern die hier in großen Mengen auf:
tretende Achenerde zu Dungzwecken abbaute, wieder in den Beſitz einer
größeren Anzahl von Fundgegenftänden gelangt, die, wenn jie auch an und
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——
für ſich nicht gerade ſehr viel des Neuen bieten, doch um der Vorvollſtän—
digung willen und namentlich deshalb ſehr willkommen ſind, weil ſie das,
was ich früher nur mehr ahnte, ſchon ziemlich wahrſcheinlich machen.
Unter den Fundgegenſtänden habe ich zuerſt einer größeren Anzahl von
Beinpfriemen zu erwähnen. Intereſſant find einzelne bier gefundene
manchmal- ganz merkwürdig zugearbeitete Geweihjtüde vom Hirſch, die
wohl zu ganz bejtimmten Berrichtungen -gedient haben mochten.
Bon Geräthen aus gejchlagenen Stein las ich jelbjt bei einem gele-
gentlichen Bejuche die erjte volljtändige Pfeiljpige, die ich von hier bejige,
auf. Daneben jammelte ich noch eine ziemlich große Anzahl von Abfalls-
jplittern und mehr oder minder Spuren der Bearbeitung tragenden Stüden
von Hornjtein, Flint, verichiedengefärbten Feuerſtein, Porzellanjaspis,
weißem, fürnigen Quarz und dergleichen anderem Steine. Bon Geräthen
aus gejchliffenem Steine erhielt ich diesmal neben 5 volljtändigen, kleineren
Keilen und Mefjern eine größere Anzahl von Bruchjtüden von jolchen
fowie mehrere Hammerfragmente. Auch einzelne Schleifjteine fanden ſich
wieder dor. Die Erzeugung von ſolchen Steingeräthen dürfte demnach
auch hier, wie ich das bereits in meinem erjten Berichte vom Rubin be-
merkte, jchon ziemlich jchwunghaft, vielleicht jchon als Gewerbe einzelner
betrieben worden jein. Von Bronzeobjecten liegen mir vor: Eine Bronze
jpirale von 2%, Windungen, beiverjeitS abgebrochen, welche Spuren ehe:
maliger VBergoldung zeigt, ferner mehrere Stücke diden Drahtes, ein jäulen-
artiges Stüd mit parallelen Streifen geziert jowie ein dünnes Reifchen
von der Größe eines Armbandes, wozu es vielleicht auch verwendet worden
jein mochte.
Bon Thongeräthen erwähne ich zuerjt einer jehr interejjanten Col:
lection von Gefäßreften (weldye uns jpäter bei Behandlung der Aubiner
Funde noch näher bejchäftigen werden, da ſich an diejelben eine Frage
von principieller Bedeutung Fnüpft), die im Großen und Ganzen diejelben
Verzierungsweiſen, ja in vielen Fällen vollfommen gleiche und überein—
jtimmende Ornamente wie die Rubiner tragen, ferner eine größere An—
zahl jehr verjchieden geformter Henkel, daneben mehrere Wirtel (einzelne
bier gefundene find auch aus Stein und grünem Glaſe angefertigt) und
neben mehreren volljtändigen Eremplaren Heiner Thonfugeln, wie wir die
jelben jchon aus der Umgebung des Rubin fennen, eine größere Anzahl
von Bruchſtücken von jolhen. Darunter befindet fi) auch eine aus vother
Thonmafje, die an der Aufßenjeite fajt den Glanz der terra sigillata zeigt.
Einen directen Erweis fir die eintige Benützung derfelben bietet uns
Caesar in feinem bellum gallieum lib. V, cap. 43. Die Stelle lautet
ee
folgendermaßen: septimo oppugnationis die maximo coorto vento fer-
ventes fusili ex argilla glandes fundis et fervefacta jacula in casas,
quae more gallico stramentis erant tectae, jacere coeperunt. Sie
wurden ſonach dazu benüßt, die aus Stroh und Flechtwerf beftehenden,
feindlichen Hütten in Brand zu teen, welchem Zwecke fie, nachdem fie
im Feuer ordentlich durchgeglüht waren, auch vollfommen entſprechen
mochten, aljo gewifjermaßen eine Art Artilleriegefhoß der Urzeit. Bon
fonftigen Geräthen aus Thon liegen mir noch vor ein winziges Webjtuhl:
gewichtchen in Form eines Kegelftuges und ein vecht jonderbares und merk:
würdiges Stüc, ein Ihonlöffel, welcher mir leider in 5 Stücke zerbrochen
übergeben wurde, der fich aber ganz gut wieder zujammenjegen ließ. Der
hintere Theil, die Handhabe fehlt. Er. gleicht bezüglicd) feiner Form voll:
fommen unferen heutigen, gewöhnlichen Blechlöffeln, und wurde wie aus
der jehr ftarfen Abnübigung des vorderen Theiles der linfen NRandfläche
deutlich hervorgeht, zum Auskratzen und Ausſchaben benigt. ")
Höchſt fonderbar und merkwiirdig find auch Länglichgeformte Röhr-
chen aus einer feinen, gupsartigen Maſſe. Urjprünglich jchienen mir die—
jelben jehr verdächtig und neueren Urjprungs zu fein. Ein gewöhnlicher
Mann aus dem Bolfe, dem ich mehrere diefer Stüde vorzeigte, äußerte
ganz unverhohlen, das fünnten wohl Bruchjtüde von Gypspfeifen fein, wie
fie in früherer Zeit allgemeiner im Gebrauche waren. Nachdem ich die—
jelben aber auch von 2 prähiftorischen Fundftellen aus der Umgebung des
Rubin, jo in befonders großer Anzahl von einer oberhalb des Rubin am
Poderjamer Bache gelegenen Dertlichfeit von obgenanntem Wirthichafts-
bejiger Schmied erhielt und diefelben auch auf prähijtorischen Anfiedlungs-
ftätten in der Sarfa bei Prag vorfamen, wie ih in der Sammlung des
Hrn. Mikſch zu jehen die Gelegenheit hatte, nachdem mir ferner aud Hr.
von Weinzierl verficherte, daß jelbe auch auf prähiftorifchen Fundplägen
in der Umgebung von Loboſitz häufiger vorzufommen pflegen, gewinnt es
doch faſt den Anjchein, als ob fie wirklich) der alten Zeit angehörten.
Wozu diefelben aber, wenn dies wirklich der Fall wäre, gedient haben
mochten, dürfte jehr jchwer zu bejtimmen fein. Wurden fie vielleicht als
1) Einen ähnlich geformten, nur etwas ſchmäleren und tieferen Löffel aus Thom
gleichfall3 ohne die Handhabe fand ich neben einigen anderen Gegenftänden auf
dem unmittelbar hinter dem Dorfe Dollanfa an der von Schaab nah Schönhof
führenden Straße gelegenen Felde de3 Hrn. Körner, welcher dafelbft probeweiſe
Grabungen vornahm und wirklich auf reiche Lager von Aichenerde ftieß. Aehnlich
geformte Thonlöffel wurden, wie ich durch Hrn. Mikſch in Prag erfuhr, auch auf
der großen Gräberftätte bei Xiboß in der Nähe Prags gefunden.
Trinfröhrchen benügt? Die in meiner Sammlung vorfindlichen Stücke
von Podletig und der Umgebung des Rubin find meiſt unverziert, manch:
mal tragen fie jedoch Verzierungen und zwar in der Form von aftartigen
um das Nöhrchen Herumlaufenden Linien mit Blätteranfag zu beiden
Seiten, welche Verzierung ich auf anderen von diejen Fundſtellen ftam-
menden Geräthen nur jehr jelten vorfand. Die Farbe vderjelben ijt meist
gelblich weiß, öfters auch ins Bläuliche und Schwärzliche gehend. Ob wir
es hier aber wirklich mit urgefchichtlichen Gegenftänden oder mit Erzeug-
niffen ans gejchichtlicher Zeit zu thun haben, das bejtimmt zu eruiren,
werden erſt fpätere ſyſtematiſche Nachgrabungen und genauere Unterfu-
ungen darthun fönnen.
Ohne erjt aus den Podletiger Funden ein kurzes Refume zu ziehen,
gehe ich, da ich diefelben bei einer allgemeinen Schlufsbetrachtung näher
ins Auge zu faffen habe, jogleich zu den menerlich auf der jüdlich vom
Dorfe Schaab gelegenen Todtenftätte gemachten Funden über.
2. Die Todtenftätte bei Schaab.
Ich hatte in meinem erjten Berichte bei einer jehr furzgefaßten Be—
iprechung der hier gemachten Funde gehofft, daß fich diefe Funpdjtelle als
bejonders reich und ergiebig darjtellen würde und unternahm deshalb in
gutem Glauben und Bertrauen darauf in den verfloffenen Ferien mit
eigener Hand Nachgrabungen. Mein Hauptziel. dabei war, auf ein oder
mehrere Gräber zu jtoßen, um die Anlage derjelben genauer jtudiren zu
fönnen. Seit meinem legten Berichte, in welchem ich bereit3 6 Gräber
erwähnt batte, wurden in meiner Abwejenheit abermals 4 Gräber auf-
gededt, und ic) war fo glüdlich, 3 der aus denjelben gehobenen Schädel
(den einen, wie ſchon eingangs bemerft, durch die Güte Hu. Dr. Tiſchers)
zu erwerben. Den 4. der hieher gehörigen Schädel konnte ic) leider nicht
erhalten, da er, weil ji) das Grab, dem er entnommen wurde, nur 1’ tief
unter der Oberfläche befand, jchon gänzlich zerfallen und vermorjcht war,
daher ihn die Arbeiter nicht weiter beachteten. Die Leichen ſelbſt jollen,
fo entnahm id) wenigstens den Angaben der Arbeiter, wieder in zuſammen—
gefauerter, hodender Stellung, wahrjcheinlich auch volljtändig beigelegt ge-
wejen fein. Außer zuſammengedrückten Urnen jollen feine weiteren Bei:
gaben vorgefommen fein. Um die Leichen herum befand fich wie bei den
früheren Gräbern ein Kranz roher Steine. Dr. Tiſcher, der die von hier
jtammenden Schädel befichtigte, hält jie für gut entwidelte Dolichofephale.
Genaueres über diejelben fünnen natürlich erjt Spätere Meſſungen ergeben.
— 560 —
Obwohl nun die Arbeiter nach ihrer Angabe in den einzelnen Gräbern
ſelbſt keine Beigaben fanden, ſo laſen ſie doch in dem Raume zwiſchen
denſelben wieder einzelne Fundſtücke auf, und ich konnte alſo hoffen, doch
wenigſtens eine beträchtliche Anzahl ſonſtiger Funde zu machen, falls es
mir nicht vergönnt ſein ſollte, ein Grab aufzudecken. Allein meine Hoff—
nungen wurden leider nur in beſcheidenſtem Maße erfüllt. Ein Grab blos—
zulegen, war mir überhaupt nicht vergönnt, und auch die Anzahl der bei
dieſen Grabungen gemachten jonftigen Funde ift nicht jo beträchtlich, daß
man das Ergebniß derjelben ein bejonders glänzendes nennen könnte; ich
fand nämlich) in dem Raume, der einer Oberfläche von etwa 20 [Meter
entjpricht, nur an achtzig Gegenftände vor. Wir müſſen daher diefe Fund-
jtelfe al8 nicht gerade jehr ergiebig betrachten. ')
Wenn nun aber auch die Zahl der bei diefen Grabungen gemachten
Funde ſonach eine bedeutende ‚nicht zu nennen ift, jo machte ich dabei doc)
eine recht. beveutfame und intereflante Entdedung, die jpäter, falls uns
die Funde von hier und den anderen, größeren Fundplägen einmal ge:
nauer und vollftändiger vorliegen werden, nicht wenig zur Aufhellung der
urgejchichtlichen Bevölferungsverhältniffe unferer Gegend beitragen dürfte.
E3 fand ſich nämlich unter den Zaufenden der hier zu Tage geförderten
Scherben trog jorgfältigjten Nachforfchens auch nicht ein einziger, der als
Verzierung das Wellenornament oder auch nur eine welfenlinienähnliche
Zeihnung trüge, was mir um jo auffälliger war, als ja, wenigſtens nad)
den bisherigen Erfahrungen die übrigen hier gemachten Funde in gewiſſer
Beziehung zu dem nur etwa 20 Minuten von hier entfernten Rubin zu
jtehen jcheinen, auf welch Teßterem das. Wellenornament als Gefähver-
zierung wenigjtens in der oberſten, meinen bisherigen Unterfuchungen zu:
gänglichen Schichte jo häufig auftritt, daß die mit dieſem Motive verzierten
Scherben dajelbjt vorherrjchend erjcheinen, und auch die meisten übrigen
1) Im vergangenen Herbfte Mleßen wie alljährlidy wieder die Defonomen Schmal=
fuß und Siegl auf ihren zur Todtenftätte gehörigen Feldern Erdabgrabungen
vornehmen, doch wurde bei denjelben fein nened Grab aufgededt, obwohl eine
ziemlich große Fläche abgegraben wurde. Auch die Anzahl der dabei gemachten
Funde war eine äußerſt geringe. Die vom Felde des erftgenannten Herrn
ftammenden Fundgegenftände, zwei wirtelartige Geräthe ans weißem Kalkſtein,
ſowie ein größeres, beiderjeit3 angebohrtes, rundliches Webftuhlgewicht (?) aus
demſelben Materiale in Verbindung mit einer größeren Anzahl von Thierknochen
erwarb ich, während die auf dem Felde des letteren gefundenen Objecte,
beitehend ans einer Bronzefibula vom QTene Charakter, zwei Thonmirteln,
einigen Kuochenpfriemen, 2 Bruchjtüden von Hänmern aus Hirfhhorn neben
einem ebenjoldhen aus ſchwarzem Stein hat nod) der Eigenthümer in Verwahrung.
VBerzierungsweifen, die auf dieſem VBeerdigungsplage an den Gefäßen auf-
treten, auf dem Rubin ſich wiederfinden.
Die legten Conjequenzen aus diefer Beobachtung ſchon jeßt zu ziehen,
find wir freilich) noch nicht berechtigt, da einerjeitsS die Zahl der hier ge—
machten Funde, wenn jelbe auch bereits das zweite Hundert jchon bedeutend
überjteigen dürfte, doch noch zu geringfügig tft, um ein gemügendes Wer-
gleichsmaterial mit den zwei bedeutenderen und bis jegt am meijten be—
fannten Fundorten, dem Rubin und Podletig, abzugeben, und andererjeits
auch dieje beiden noch nicht jo Kar und vollftändig in ihren Funden vor-
liegen, als daß wir annehmen fünnten, fie böten alle Momente dar, die
wir zu eimer richtigen Vergleihung benöthigen, da ja die von diefen beiden
Anſiedlungen in meinen Befige befindlichen Artefakte meijt nur der oberjten
Schichte, wie jelbe durch einfache Tiefackerung zu Tage treten, entnommen
find, und wir zu einer vollgiltigen Vergleichung auch der den tiefer liegenden
Schichten angehörigen Gegenjtände bedürfen.
Auch das Fehlen von Eijen ıjt für diefe Fundſtätte noch bejonders
bemerfenswerth.
Was jih aus diejen beiden negativen Rejultaten im Bergleich zum
Rubin und Podletig übrigens jet jchon erjchließen läßt, werde ich am
- Schluffe diefer Betrachtungen in ein kurzes Endergebniß zufammenfaffen.
Da ih in meinem erften Fundberichte diejer Fundftätte uur ganz neben-
fählih Erwähnung gethan, jo will ich die bisher auf derjelben gemachten
Funde heute etwas näher ins Auge fajjen. Dieje Fundſtätte erſtreckt ſich
auf der jüdlich vom Dorfe Schaab gelegenen Ebene mit ihren Ausläufern
zientlich weithin, wie die auf den meisten umliegenden Feldern bei neueren
Tiefaderungen vielfach zu Tage tredende Ajchenerde beweift. Dody wurden
wirkliche Gräber und zwar die vorhin fchon erwähnten zehn bis jegt nur
auf dem Felde des Hrn. Schmalfuß vorgefunden, und es hat den Anſchein,
als ob in der unmittelbaren Umgebung diejer Gräber auch eine ziemlich
bedeutende Anfiedlung geftanden hätte, was eben aus der großen Menge
von Aichenerde jowie aus einzelnen Ejtrichjtücden, die ich im der Umge—
bung der eigentlichen Zodtenftätte jchon zu wiederholtenmalen vorfand, her:
vorgeht. Die einzelnen, ajchehältigen Stellen befigen manchmal nur ge
tingere Ausdehnung, und wir werden wohl nicht jehlgehen, wenn wir dieje
als die Standpläge ehemaliger Wohnhütten anjehen. ')
1) Hier muß ich auch noch desjenigen Feldes erwähnen, welches fich unmittelbar
an die eigentliche Todtenftätte anjchließt und von derfelben nur durch einen
Feldweg abgetrennt if. Diefe dem Herrn Reichsrathsabgeordneten Steiner
gehörige Feldparzelle birgt ſolche Mengen fruchtbarer Aichenerde in fich, dat
a —
Wenn ih mun zur Aufzählung der bier gefundenen Gegenftände
jelbjt übergehe, jo fällt zuerjt die große Menge der aus Bein und Hirjch-
horn angefertigten Artefakte auf. Unter diefen herrfchen wieder die Formen
der Nadeln und Pfriemen vor. Ich zähle von diefen etwa 12 volljtän-
dige Eremplare und au 20 Bruchjtüce, welche natürlich mehreren Formen
angehören. Einzelne von den Pfriemen tragen an ihrem ftumpfen Ende
Löcher und mögen wohl mitteljt Schnüren befeftigt für den jeweiligen
es dem Befiter derfelben ermöglicht iſt, Jahr für Jahr neue Abgrabungen vor-
nehmen zu laſſen. Wie mir Hr, Steiner verficherte, hat derfelbe ſchon einige
taufend Fuhren Erde von hier weggeführt. Da ftießen nun Wrbeiter vor etwa
10 Fahren auf eine Platte von mörtelartiger Maffe, über welche Hr. Dr. Tiicher
in feinem bereit oben angeführten Berichte folgendes jagt: „Man jchaffte
öfters ganze Platten anjcheinend von Cement aus der Erde. Sie befteben aus
einem groben Sande mit einem Bindemittel, die Oberfläche derfelben ift
geglättet, blättert fich ftellenweie davon ab und iſt blaßblau gefärbt. Die
Platten jelbft find äußerft feft, ruhen auf lofem Mauerwerk, deſſen Eindrud
die untere Fläche darbietet.“ Hinzuzufügen hätte ich noch, daß diefes loſe unter-
halb der Platte liegende Manerwerk ſich, wie es durch fpätere Abgrabungen
deutlich fihtbar ward, an den beiden Enden der Platte in einer fchiefen Linie
ziemlich tief in die Aſchenerde hinein fortiegte, während es fich in weiterem
Verlaufe gegen die Mitte zu etwa 1' die ziemlich gleichmäßig unterhalb der
Platte, die fich felbit nur gegen 1' unterhalb der Oberfläche befand, hinzog.
Unter derjelben fand man nad Hru. Dr. Tiſchers Angabe nichts als Knochen
und Scherben und in einer trichterartigen Vertiefung 7 Spinnftöde. Bei
neuerlichen Grabungen fand man dagegen eine größere Anzahl Feiner Bronze—
ringe, welche aber von den Arbeitern nicht weiter beachtet und mit der Ajchen-
erde zugleich auf ein anderes Feld überführt wurden, ſowie eine Bronzenadel
mit schön verziertem Knopfe und eine größere Unzahl ganzer Gefäße, von denen
jedbody nur zwei, ein Heineres, urnenartiges Gefäß ohne Henkel, ſowie ein
Feines Näpfchen mit Budeln unterhalb des Randes vollftändig erhalten blieben,
während bie anderen, unter denen ſich ein großes, Ichüffelartiges Gefäß, jowie
mehrere Topffornen, — ein Gefäß fol jogar Eimergröße gehabt haben — fi
befanden, von den geldgierigen Arbeitern zertrümmert wurden. Das erjte der
beiden Gefäße bewahrt noch Hr, Siegl, während das zweite, näpfenartige erjt
unlängit in meinen Belig überging. Daß diefe Platte nun mit der unmittelbar
darüber befindlichen Todtenftätte in innigftem Zufammenhange gedadyt werben
muß, geht Har und deutlich aus den hier gefundenen Scherben, welche denen
von der Tobdtenftätte vollfommen gleichen, hervor, Schwer jedody ift es zu
beitimmen, was für eine Bedeutung dieſem fonderbaren Denkmale zu vindiciren
jet. Wurde es vielleicht al3 Opferftätte bei den allenfalld hier vorfommenden
Todtenopfern benüst? Möglich wäre die wohl, doch ſcheint der Umſtand
dagegen zu jprechen, daß man in der unmittelbaren Umgebung desjelben nur
ringe Knochenmaſſen, die nirgends bedeutender waren, als an anderen Stellen
a y Funbdftätte, gefunden hat.
— 59 —
Bedarf ftändig mit umbergetragen worden jein. Ferner liegen vor eine
ſchöne Doppelnadel, eine einfache Nadel mit Dehr, die Hälfte eines Hammers
aus gewöhnlichem Knochen, ein Eleines Plättchen mit der befannten Ber:
zierungsweije, dem Kreis mit Punkt in der Mitte, jowie 2 Bruchjtüce
von wahrjcheinlich aus Fußfnochen des Pferdes angefertigten Knochen-
Ichlittichuhen, von denen das eine. derjelben faſt vollftändig iſt. Dazu
fonımen noch die zwei jchon oben erwähnten Bruchitiide von durchbohrten,
hammerartigen Geräthen, das eine aus Hirjchhorn, das andere aus Knochen
angefertigt, eine ſchöne, jehr Tauber gearbeitete Pfeilfpige und mehrere
Pfriemchen, welche jih noch in Herrn Siegls Befige befinden. Ferner
ſammelte ich noch zahlreiche Stüde thieriicher Knochenreſte, welche mir der
näheren Beftimmung werth jchienen, jo bejonders Schädeljtüde, Kiefer,
Zähne, Knochen des Fußes u. d. a, wozu noch die ſchon erwähnten
3 menfchlihen Schädel kommen, alfo ſchon ein ziemlich bedeutendes und
werthvolles Knochenmaterial.
Steingeräthe, jowohl ſolche aus geſchlagenem wie jolche aus gejchlif-
fenem Steine, die als Waffen verwendet werden fonnten, find von diejer
Dertlichfeit ungemein jelten; überhaupt fällt hier das faſt volljtändige
Fehlen von Waffen, jeien diefelben num aus Stein oder Bronze ange:
fertigt, auf. Was ich von ſolchen Steingeräthen bis jegt gefammelt habe,
erreicht etwa die Zahl 12. Darunter befindet fich die untere Hälfte einer
Pfeilfpige aus weißem Feuerftein, welche aber etwas weiter von der
eigentlichen Todtenjtätte gefunden wurde, ſowie einige wenige Bruchjtüce
von Mejjerchen aus Feuer- und Flintjtein, desgleichen ein Abfallsſtück von
ſchwarzem Feuerjtein, welche ich ſelbſt ausgrub. Von Geräthen aus ge-
ſchliffenem Stein zählte ic) 2 ganze Mefjerchen, etwa 3 Bruchjtüde von
ſolchen, jowie 2 Bruchſtücke von hammerartigen Geräthen; das eine der-
jelben ift mitten entzwei gebrochen und zeigt an der jegigen Mitte Spuren
einer abermaligen Anbohrung, ein Beweis dafür, daß man mit diefem
Materiale jparfam umzugehen genöthigt war. Uebrigens fanden fich aber
alle dieje Stüde von gejchliffenem Steine gegen die Oberfläche zu oder
an derjelben, in der eigentlichen Fundſchicht traf ich noch auf feines,
während die Stüdchen aus gejchlagenem Steine ſämmtlich in bedeutender
Tiefe faft am Boden der Anfiedlung vorfamen. Ein ſchönes Bruchſtück
von einem ziemlich großen und fchweren Hammer bewahrt no Hr. Siegl.
Auch ein für die Herjtellung von ſolchen Steinwerfzeugen wichtiges Stüd
fand ſich vor, nämlich) ein in voher Form hergerichtetes, ſchon ziemlich
angejchliffenes, jedoch nocdy unducchbohrtes Stüd von etwa 12" Länge in
Form eines Doppelhammers, welches wahrſcheinlich zur Erzeugung einer
——
Art Steinhaue dienen ſollte. Leider wurde dasſelbe vom unvernünftigen
Arbeiter in 3 Stücke zerſchlagen.
Von anderweitigen Steingeräthen liegen mir drei wirtelahnliche
Formen aus weißem Kalkſtein, welche ſämmtlich von beiden Seiten erſt
die Anfänge der Durchbohrung zeigen, vor. Letztere ſcheint mir bei dieſen
und Ähnlichen Geräthen mit Zuhilfenahme von Knochenpfriemen in Ver—
bindung mit Wafjer und Quarzſand durchgeführt worden zu fein, da ein-
zelne der hier vorgefundenen Pfriemenbruchjtüde vollkommen in dieſe Ber:
tiefungen pafjen. Merkwürdig find einzelne kugelförmige Steine, wie die
borigen aus weißem Kalkſteine bejtehend und etwa die Größe einer Mannes:
fauſt erreichend, welche in der Mitte theils ſchon völlig durchbohrt, manchmal
auch erſt angebohrt find. Wahrjcheinlich dürften. diefelben zu dem gleichen
Zwecke verwendet worden fein, wie die hänfig auftretenden, befannten Web—
jtuhlgewichte. Ein diejen volltommen gleiches, vom Rubin ftammendes
Geräth jah ich vor Fahren bei einem Arbeiter. Ferner finden fich aus
demjelben Steinmateriale noch Kleine, runde Scheiben mit Loch in der
Mitte, wie ich jolhe auch auf dem Nubin fand. Auch das Bruchſtück
einer jolchen größeren Scheibe, welche beiläufig 8" im Durchmeſſer hatte,
liegt mir vor. Merkwürdig ift die große Anzahl von länglich und kugelig
geformten Flußgeſchieben meist aus hartem Kiejel beftehend, von denen
die meiften immer an zwei einander gegenüberliegenden Seiten befonders
ſtark abgerieben erjcheinen, weshalb wohl unjere Vermuthung ganz gerecht—
fertigt erjcheint, die dahiıt geht, daß wir es hier mit Farbenreibern oder
Quetſch- und NReibjteinen für Handmühlen zu thun haben, von denen mir
eine ziemlich große, länglich geformte wirklich vorgezeigt wurde, weldye
allerdings, wie das jchon nicht anders zu gehen fcheint, wiederum völfig
zertrümmert war. Zu erwähnen hätte ich ferner noch eines rundlich ge:
formten Steines mit einer in dev Mitte rings um denjelben verlaufenden,
vertieften Rinne, der wohl als Schleuderjtein aufzufajfen jein mag. Leider
iſt derſelbe nur in Bruchſtückform erhalten.)
» Einen | vollfommen gleichen, vollitändig erhaltenen Stein diefer Art beftehend
aus hartem Kiefel erhielt Hr. Dr. Tiſcher. Derſelbe iſt prachtvoll gearbeitet,
die Rinne um den Stein herum mehr vertieft und- höchft jorgfältig ausgeführt.
Er ftammt aus dem ſchon genannten Fundfelde „in den Gruben“ bei Zard,
welches überhaupt mit der hier beſprochenen Todtenftätte, ſoweit ich dies nad
den wenigen FInnden, die mir von dort zu Gefichte kamen, beurtheilen kaun,
jo ziemlich übereinftinmmen dürfte, Leider ift diefe Fundftelle in Folge Anlage
von Hopfengärten jchon ihrem größten Theile nach ausgebeutet. Einen jehr
ähnlichen Scleuderjtein, welcher entweder von Libotz oder Wodowig aus der
Umgebung Prags ſtammt, Jah ich bei Hrn. Mikſch in Prag abgebildet.
— 4 —
Auch Geräthe aus Bronze wurden bis jetzt nur in ſpärlicher Anzahl
vorgefunden, ich zähle deren in meiner Sammlung bis jegt bloß 14 Stück.
4 Stüde, von denen ich weiß, befinden jich noch in anderen Händen, wie
die bereits in meinem erſten Berichte erwähnte, ſchöne Halskette, welche
der Finder jedoch in Petroleum legte, wodurch fie ihre jchöne, glänzende
Patina faſt gänzlid verlor und jene ſchön verzierte Bronzenadel, jowie
eine Fibel von Tene Charakter, letztere beide in der Heimen Sammlung
Hrn. Siegls in Schaab.
Unter den in meinem Beſitze befindlichen Gegenjtänden befindet ſich
eine zierlich geformte, gut erhaltene Pfeilfpige, mehrere Stüde in Form
von Nadeln und Stiften, ein Stüdchen einer Pferdetrenje und zwei Kleine,
plattenförmige Stüdchen Bronzeblehs, das eine von rundlicher Form,
das andere iſt Bruchjtüd und jcheint vieredig geweſen zu jein. Beide
ſind mit Löchern verjehen und jollen bei einem Grabe gefunden worden jet.
Wir ſehen alfo, daß von Waffen mit Ausnahme jener vorhin angeführten,
wenigen Steinmefjer und Bruchſtücke von Hämmern nichts weiter vorliegt
als etwa noch diefe Bronzepfleilipige, die aber wahricheinlic auch nur zur
Jagd verwendet wurde. Dürfen wir aus diefem vorläufigen Ergebnif
einen Schluß ziehen, jo muß wohl die Bevölkerung, deren Nefte uns bier
vorliegen, in jehr friedlichen Verhältniffen gelebt haben.
Eifen fand fich nur in einem einzigen Falle und zwar ein kleines
plattenfürmiges Stüd jedoch in ziemlich geringer Tiefe und noch an der
Grenze der eigentlichen Fundjchichte und der darüber laftenden Adererde,
jo daß man wohl annehmen kann, es Könnte erſt in fpäterer Zeit durch
irgend einen Zufall in diefe Schichte gerathen fein, was auch wahrjcheinlic
fein dürfte, da es nur als einziges Stück gegenüber diefer größeren Anzahl
von Bronzen erfcheint und, trogdem es in fo geringer Tiefe lag, nur wenig
von Roſte angegriffen ijt.
Bon fonjtigen Metallen läßt ſich noch das Gold nachweijen. Ich
habe jchon in meinem erften Berichte des Fundes von Goldringgeld erwähnt,
der auf Hrn. Siegls Felde gemacht wurde. Dasjelbe hatte die Form eines
doppelten, jpiralig gewundenen, mehrmals und ziemlich regelmäßig ver-
knüpften Drahtes, welcher durch Hrn. Dr Tiſcher vom obgenannten Herrn
für das ka k. Wiener naturhiftorische Hofmufeum erworben wurde,
Unter den Geräthichaften aus Thon fällt uns zuerst eine länglich—
runde, anderthalb Zoll breite, und etwa "/,* die, längliche Thonjcheibe
auf, welche feitli 3 etwa "/," von einander abjtehende Querlöcher trägt.
Diefelbe dürfte wahrjcheinlich zum Drehen von Schnüren, überhaupt bei
der Seileret verwendet worden fein.
Merkwürdig ift hier das äußert jeltene Vorkommen eigentlicher Wirtel.
Trogdem nämlich von diefen Dertlichkeiten jchon taufende und aber tau-
jende Fuhren Erde weggeführt wurden, fanden ſich im Ganzen bis jeßt
erſt 3 Stücd, von denen 2 noch Hr. Siegl befigt, das dritte iſt in meiner
Sammlung vorhanden. Diefe Erjcheinung muß um jo mehr auffallen,
als gerade Wirtel auf allen urgefchichtlichen Wohn: und auch auf Be—
gräbnißpläßen, die ich bis jeßt fernen gelernt habe, jich in größerer An-
zahl finden. Ferner habe ich noch zu erwähnen eines Webjtuhlgewichtes
von der bekannten Form einer abgejtugten Pyramide, das aber nur etwa
Y/, der gewöhnlichen Größe zeigt, jowie eine Eleine, kreisförmige Scheibe
ähnlich den aus Stein gefundenen und das Bruchſtück eines rohen, Löffel-
artigen Geräthes mit noch erhaltener Handhabe.
Bon ganzen Gefäßen bewahre ich in meiner Sammlung bis jeßt
drei volljtändige, winzige, jchalenartige Geräthe neben mehreren Bruchſtücken
eben folcher. Eines derjelben weiſt die beiläufige Form einer Kaffeejchale
aus, doch ift der Boden desjelben gerundet. Ferner erwähne ich eines
winzigen, blumentopfartigen Gefäßes (leider nur zur Hälfte erhalten) mit
einer durch eine Knochenfpatel erzeugten Bodenöffnung. Dieje Gefäße
dürften wohl nur als Kinderjpielzeug zu betrachten jein, oder jollten wir
es vielleicht hier mit Erzeugniffen von Kindern ſelbſt, die jich in der Töpfer—
funft verfuchten, zu thun haben? Auch die Hälfte eines größeren, am
Boden jiebartig durchlöcherten Rauchgefäßes (?) welches ich aus drei Scherben
zufammenzufegen im Stande war, liegt mir vor. Ein jehr großes Gefäß,
welches leider jchon zerdrüdt vorgefunden wurde, jammelte ich in feinen
Scherben und trug es nach Haufe, wo es noch der Zujammenfegung hartt.
Groß, erjchredend groß ijt die Zahl der hier gefundenen Scherben;
es muß ſonach die Zahl der Gefäße, welche hier in Verwendung ftanden,
eine äußerjt zahlreiche gewejen fein. Umfomehr ijt es daher zu bedauern,
daß namentlich von größerem Gejchirre nichts auf ung gefommen ijt. Die
Form der einzelnen Gefäße muß, wie wir das aus größeren Bruchjtüden
erkennen können, eine jehr verjchiedenartige gewejen jein. Ich konnte bereits
folgende Formen nachweiſen: urnenartige, frugfürmige, ſchüſſel- und teller-
artige Flachgefäße, gewöhnliche Zopfform in größeren und Fleineren Exem—
plaren, winzige Töpfe, Schalen, ſowie Seiher und Rauchgefäße, wie man
fieht eine ziemlich große Mannigfaltigfeit. Die Scherben jelbjt find bald
dünn- bald dickwandig, zeigen von mehr oder minder guter Brennung, find
aus jehr grober bis zur feinſt gejchlemmten Thonmaſſe angefertigt, haben
manchmal verjchiedene Beimengungen und jind häufig an ihrer Außenfeite
—
ſeltener an der Innenwand mit verſchiedenen Farben geziert. Auch grafitirte
Scherben finden ſich ziemlich häufig vor.
Was die Verzierung anbelangt, jo trägt eine große Anzahl derſelben
gar feine, namentlich ein großer Theil der dickwandigen, aus gröberem
Thone angefertigten; vielfach erjcheint aber auf den verzierten roheren das
Fingernagel:, Tupfen- und Strichornament. Auf den feineren, dünnwandigen
Gefäßen tritt namentlich das Punkt-, Tupfen- und Linienornament, doc)
meijt in combinirter Weife auf. Nur in eimem einzigen Falle fand ich das
Dreiedornament in Verbindung mit Kreisornament. Sehr beliebt fcheint
bei den jeineren Gefäßen namentlid die Verbindung des Kleinen Tupfen-
mit dem Linienornamente (eine ziemlich große Anzahl parallel verlaufender
Geraden in beiläufigem Abjtand von einem Gentimeter) gewejen zu fein.
Dieje Gefäße tragen in der Regel auch Grafitüberzug und müſſen jelbe
ein prächtiges Ausjehen gehabt haben.
Die Verzierung ſelbſt ift bei diejen im der Weiſe angebracht, daß
unmittelbar unterhalb des Gefäßrandes eine größere Anzahl parallel ver:
laufender, jehr forgfältig durchgeführter Striche manchmal bis zu 20, meiit
aber weniger parallel mit dem oberen Rande um das Gefäß herumlaufen,
während oberhalb und meijt auch unterhalb verjelben, ja in einzelnen
Fällen jogar mitten zwifchen den Linien felbjt eine einfache oder Doppel-
reihe von zarten Tupfen angebracht it. Dieje Art von Verzierung fommt in
derjelben Weife auf dem Rubin nicht vor, wenigjtens habe ich fie noch nicht
vorfinden fünnen. Auch die hier jehr zahlreich auftretenden Henkel bieten
mannigfache, oft recht merfwürdige Formen dar. Was die äußere Färbung
der Scherben anbelangt, jo findet ſich meijtens gelbliche, röthliche, oder
jchwärzliche, ſowie Grafitüberzug. Auch die Maſſe des Thones ift eine
jehr verjchiedenartige, oft jonderbare Farbennuancen zeigeride, was wohl
von verjchiedenen Beimengungen herrühren mag.
Sämmtliche der hier in Bruchjtücen vorliegenden Gefäße waren ohne
jede Beihilfe der Drehſcheibe gearbeitet. Erſt durch die legten Grabungen
vom vergangenen Herbite erhielt ich von Hrn. Siegl 3 Bruchjtücde von
Gefäßen, welche jedenfalls mit Hilfe der Drehicheibe gearbeitet find, doch
babe ich vor der Hand in diejelben Fein rechtes Vertrauen.
Glas, welches auf dem Aubin bereits häufiger nachgewiefen wurde,
liegt mir nur in einem einzigen Stüde vor; es iſt dies das jchon in meinem
erjten Berichte erwähnte Bruchjtiid eines Armbandes, das größte und bis-
lang am weiteften erhaltene Stüd, welches ich überhaupt bejige. Doch
ſtammt dasjelbe nicht von der eigentlichen Todtenftätte, jondern wurde von
BA
mir jelbft auf der jich unmittelbar anjchließenden Feldparzelle, auf welcher
fih die vorhin erwähnte Mörtelplatte befand, aufgelefen.
Wenn wir uns nun diefe Funde im Großen und Ganzen betrachten,
ſo bieten fie, wein wir von einzelnen Dingen, die wir anszujcheiden haben,
abjehen, bis jegt wenigjtens noch ein ziemlich einheitliches Bild, und es
hindert uns vor der Hand nichts, anzunehmen, daß diefelben nur einem
einzigen Volke angehörten, welches in der Umgebung diefer Todtenftätte
durch längere Zeit jeßhaft war und hier jeine Todten begrub.
Im Anhange zu dem bisher Gefagten hätte ich noch vorzubringen,
daß bei neuerlichen Grabungen in der am Wege von Schaab nach Liſch—
wis liegenden Sandgrube, in welcher jchon öfters einzelne Brandgräber
aufgededt wurden, wiederum eine Urne zu Tage trat, welche ich jelbit aus
dem umgebenden Erdreiche ablöfte. Auch fie war ſchon vom dariiber ge-
henden Pfluge zerdrüct worden. Ich konnte daher nur die Scherben
jammeln, welche fich vielleicht noch zufammenjegen lafjen werden, Sie
war ohne jede Verzierung, zeigte außen eine bräunliche, innen eine ſchwärz—
liche Färbung und war ohne jede Beihilfe der Drehfcheibe ziemlich roh
gearbeitet. Dem Thone waren Sand und Heine Steinchen beigemengt.
Der Inhalt derjelben bejtand in Leichenbrand.
3. Neuere Funde auf dem Berge Rubin.
Wenn ich nun zu den neuerlich auf dem Aubin gemachten Funden
übergehe, jo kann ich zu meiner großen Freude und Befriedigung conjta-
tiren, daß die Anzahl derjelben wiederum eine ziemlich bedeutende: ift.
Indem ich bei Aufführung derjelben in jener Neihenfolge vorzugehen be-
abjichtige, welche ich ſchon in meinem erjten Berichte einhielt, gelange ich
zuerst zu den Artefakten aus Bein. Bon dieſen fanden ſich diesmal 6 Stück
und zwar drei vollftändige Pfriemchen und 3 Bruchſtücke von folchen,
über welche ich hier wohl nichts weiter zu bemerken habe. Ein von friiheren
Funden herrührendes Stück, welches ich der Güte des Hın. Dr. Tiſcher
verdanfe, ift jener bereit3 in meinem erften Berichte erwähnte Bärenzahn
(bon ursus spelaeus?) mit ſchönem Bohrloche an der Wurzel. Derſelbe
wurde vor etwa 5 Fahren von einem Arbeiter bei Abgrabung einer unter
halb des Rubin gelegenen aſche— und ſchuttführenden Halde vorgefunden,
und gelangte bald darauf in den Beſitz Hrn. Dr. Tiſchers. Ob dieſes
Stüd, weldes meines Wiſſens bislang das einzige hier aufgefundene ift,
nur. als Anhängjel und Schmudjtüd oder vielleicht als Amulet zu be=
trachten jei, das fünnen wir hier natürlich nicht mehr entjcheiden.
ie Val en
Neben jonjtigen Knochenreſten, die nicht die Spuren menjchlicher Be-
arbeitung tragen, habe ich außer einer größeren Anzahl thierifcher Knochen:
reſte, welche ich für eine fpätere Bejtimmung aufbewahre, noch bejonders
dreier Bruchftüde von menjchlihen Schädeln zu erwähnen, darunter eines
vom Hinterhauptichädel, vom os oceipitale; dieſe Stüde find aber nicht
etwa nach den Nähten abgetrennt, jondern jo unregelmäßig abgefplittert,
daß es wohl ganz gerechtfertigt erjcheint, wenn wir annehmen, daß wir
diefelben als Zeugen eines der vielen, blutigen Kämpfe, die wegen des
Beſitzes des Rubinberges ftattgefunden haben mögen, zu betrachten haben.
Daß e8 um dieje Befigung fo manchen heißen Kampf gegeben hat, er-
jehen wir auch aus den ung als Ejtrichjtüden erhaltenen Bekleidungen der
ehemaligen Lehmhütten. Es muß ſonach die auf und an dem Rubin be-
findliche Anfiedlung wenigjtens einmal, vielleicht auch mehreremale durch
Teuersbrünfte zerftört worden fein, da fich diefe aus Stroh, Flechtwerk
und Lehm beftehende Hüttenverkleidung jonft nicht hätte erhalten können.
Daß dies eher in einem Kriege als zur Friedenszeit gejchehen fein mag,
fönnen wir wohl annehmen. Daß aber der Rubin auch jo manchen neu
anrücdenden Völkerſchwarm, mögen e8 nun Feinde oder Theile desfelben
Bolfes geweſen fein, die gezwungen waren, fich neue Wohnfige aufzufuchen, -
mächtig anloden mußte, ift leicht erflärlich, weil derjelbe für die damalige
Zeit eine ziemlich ftarfe und günftige, leicht zu vertheidigende, aber jchwer
zu nehmende Bofition war, um welche e8 fich ſchon verlohnte, einen Kampf
zu wagen.
Bon Neften aus dem Pflanzenreiche fand fich diesmal nichts vor,
da ich in den vergangenen Ferien auf dem Rubin eben feine Nachgrabungen
veranftalten fonnte, wie id) es urfprünglich geplant hatte und ſämmtliche
neu vborgefundene Gegenjtände nur beim Umhergehen von der Oberfläche
aufgelefen wurden.
Bon Artefatten aus gejchlagenem Steine fand ich auch diefesmal
wieder eine ziemlich bedeutende Anzahl und zwar neben einigen Stein-
fernen und etwa 20 vollftändig erhaltenen Eremplaren eine ziemlich große
Zahl (über. 150) von Abfallsfplittern und mehr oder minder Spuren
menschlicher Bearbeitung zeigenden Spänen. Das Material, aus welchem
diejelben angefertigt find, ift das befannte: Flintftein, Fenerjtein, Hornjtein,
Porzellanjaspis, gewöhnlicher Qnarz, Achat, Chalcedon ꝛc. ꝛc. Unter den
vollftändigen Exemplaren finden fich einige hübjche Mefjerchen, ein aus
Flintſtein (?) angefertigter, jehr fein gearbeiteter und prächtig erhaltener
Schaber (Cabinetsſtück), ferner fünf vollftändige Pfeilſpitzen, unter dieſen
eine, welche an. Adel der Form, Feinheit der Behandlung und eleganter
Mittheilungen. 26. Yahrgang, 1. Heft. 5
> BR
Arbeit alle bisher gefundenen übertrifft. Ferner fand ſich auch diesmal
wieder ein Bruchjtüd eines jägeartigen Inſtrumentes.
Bon Geräthen aus gejchliffenem Steine fand ſich diesmal nur das
hintere Bruchſtück eines rieſigen Steinhammers von jchwärzlichgrüner
Färbung am nordöftlichen Abhange des Berges, ferner ein ziemlich roh
gearbeitetes, kleineres Meſſer ſowie eine größere Anzahl von Schleif-
jteinen, darunter ein jchöner, ziemlich ſchmaler und regelmäßig geformter
mit Loch an dem einen Ende, welcher aljo wohl an einer Schnur befeftigt
zum ftändigen Gebrauche vom Eigenthümer mit umbhergetragen wurde.
Bon anderen Steingeräthen liegen mir noch zwei größere Kugeln
vor, die eine aus weißem Kalfjtein, die andere aus anderem Materiale ge:
arbeitet, welche wahrjcheinlich demfelben Zwecke dienen mochten, wie die
früher erwähnten Thonfugeln von Eichelgröße. Zu erwähnen habe ich
ferner noch eines aus rothem Steine oder einer Mafje (?) angefertigten
Schmuckſtückes (Anhängfels), welches ich als von früheren Funden ſtammend
von Hr. Dr. Tifcher acquirirte. Auch zahlreiche, größere und Eleinere Stüde
von verjchiedenen Gebirgsarten, welche manchmal aus ziemlich weiter
Ferne herbeigeholt fein mögen, um bier aus ihrer rohen Urgeftalt heraus
zu verjchiedenartigen Dingen verarbeitet zu werden, gab ich mir Mühe zu
fammeln, da diejelben ung vielleicht jpäter einmal ermöglichen werben,
die Bezugsquellen des hier verwendeten Steinmateriales aufzufinden.
Bon Gegenftänden aus Glas fanden ſich diefesmal nur zwei Stüde,
nämlich eine ſchöne aus hellgrünem Glaſe gefertigte Perle mit abwechſelnden
Streifen meißlichen Glaſes und eine ebenfolche aus dunfelgrünem Glaſe.
Bronzegegenftände war ich diesmal nicht jo glüdlich vorzufinden,
dagegen ſammelte ich wieder drei Gegenſtände aus Eijen: ein Feines
Ningelchen, das Bruchjtüd eines länglich geformten Mefjers, jowie ein
anderes unregelmäßiges Stüd.
Bon Geräthen aus Thon liegen mir vor 2 Berlen, 6 Wirtel und
3 aus Scherben gefertigte, Heine durchlöcherte Scheiben. Außerdem
fammelte ich wieder eine große Anzahl Scherben, um allmählich ein ge:
eignetes und zahlreiches Vergleichsmaterial mit den übrigen Fundorten zu
gewinnen. Unter denfelben befanden jich diefesmal befonders jchön verzierte
mit dem Wellenlinien- und Dreiedsornament. ')
1) Scherben mit dem Wellenlinienornament als Verzierung, welche denen vom Rubin
auffallend gleichen, erhielt ich von dem jchon mehrfach genannten Herrn Schmieb
and von einer urgefchichtlihen Anfiedlungsftätte in der Nähe des Dorfes
MWeinern.
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Ich gelange nun am Ende diefer befonderen Ausführungen und Be-
trachtungen zu einer gemeinfamen Schlußbetracdhtung. Der eigentliche Zweck
aller meiner bisherigen Unterſuchungen ſollte vor allem der fein, zu con-
jtativen, ob wir auf den verjchiedenen Anfiedlungsplägen unſerer Heimats-
gegend eine oder mehrere durch verjchiedenartige, einander ablöjende Volfs-
ftämme erfolgte Befiedlungen anzunehmen genöthigt feien. Freilich bedürften
wir zu einer genauen und volljtindigen Beantwortung diefer Frage
eines reichlicheren und volljtändigeren Bergleichsmateriales. Indeſſen
dürfte aber doch jchon das bis jegt Zuſammengebrachte ung einiges Wichtige
über die früheren und früheften Bevölferungsverhältniffe diefer Gegenden
erſchließen laſſen. Gehen wir nun die drei näher befannten Fundorte nach
ihren Fundgegenftänden aufmerkſam durch und wenden wir uns zuerjt zu
dem Rubin, als dem bis jeßt wenigjtens am meijten befannten Punkte.
Sehen wir die einzelnen Fundgegenftände etwas genauer durch, und laſſen
mir fie an unſerem geiftigen Auge vorüberziehen. Da gewahren wir
I. zahlreiche Waffen und Werkzeuge aus gejchlagenem Steine als da find:
Pfeil- und Lanzenfpigen, Meſſerchen, Krager, Schaber, Sägen ac. neben
zahlreichen Spänen, Abfallsiplittern und Steinfernen; IL Gegenftände aus
gejchliffenem Steine, als: Hämmer, Meißel, Meſſer und Keile neben zahl-
reichen Schleiffteinen und einer Menge anderweitiger Steingeräthe, als:
Handmahlmühlen, Drehjcheiben (?) mit centralem Bohrloche, Farbfteinen,
großen Mühlfteinen, Würfeln, Perlen aus Kalkſtein, verjchiedenen Schmuck—
jtüden, Wirteln 2c.; III. eine große Anzahl von Geräthen aus Bein und
Hirihhorn, als: Nadeln, Pfriemen, Kämme, Amulete, Pfeilfpigen, durch—
bohrte Thierzähne, verfchiedenartige Schmudjtüce, perlenartige Scheibehen,
Spinnwirtel, Pferdeſchmuck und Hirihhornhämmer (Teßtere beide im Mu—
jeum des Vereines für Gefchichte der Deutichen in Böhmen); ferner
IV. eine ziemliche Anzahl von Geräthen aus Glas, jo verichiedengeformte
Perlen, Wirtel und einige Bruchſtücke von Armbändern, ja ſogar Email:
arbeiten finden fich einzeln vor; daneben V. verjchiedenartige Bronzegeräthe,
als: Pfeiljpigen, Nadeln, Pfriemen, kleine Ringe, Armbänder, Obrgehänge,
Ketten, Celte (deutſch-hiſtoriſcher Verein in Prag), Fiichhäfen, Figuren von
Thieren (Wiener naturhift. Mufeum), zahlreiche Stücke Bronzedraht, Bronze:
Ipiralen; ferner VI. Gegenjtände aus Eifen, als: Bruchſtücke von länglich-
geformten Mefjern, Angelhafen, Heine Ningelchen, Pfeil- und Lanzenſpitzen
und daneben verjchiedene verroftete und nicht mehr erkennbare Stüde;
VII. zahlreihe Objecte aus Thon, als: Wirtel, Schmucverlen, Webjtuhl-
gewichte, Schmelztiegel, ganze Gefäße (wurden nur in früherer Zeit, in
welcher Grabungen vorfamen, vorgefunden und befinden ſich theils in Prag,
5*
— ie
theils in Wien), Löffel, Thonkugeln von Eichelgröße, Ejtrichjtüde, Scheiben
mit centralem Loche, jowie eine große Anzahl verjchiedener Gefäßrefte.
Dazu fommen VII. noch ſolche Gegenftände, welche wir nicht als Pro-
durcte einheimischer Eultur anjehen Fünnen, wie Korallenſchmuck, Reſte von
Gefäßen aus terra sigillata und Serpentin, jowie verjchiedene andere
merkwürdige Dinge, wie 3. B. Stüdchen rothen Glaskopfes, Antimons und
verschiedener anderer Mineralien, deren Zweck und etwaige Benügung .
manchmal nicht recht zu erklären tft.
Wenn wir num berücjichtigen, daß erjt ein geringer Bruchtheil des
Berges und feiner Hänge wirklich durchgegraben ift, und wir alſo hoffen
fünnen, daß uns fpätere Ausgrabungen noch gar manche andere werth-
volle und merfwürdige Dinge erbringen fünnen, jo müfjen wir ung doc}
ſchon nach diefem Furzen und ungenanen, flüchtigen Ueberblid gejtehen,
daß der Reichthum diefer Fundftätte an Gegenftänden jowohl als an
Formen ein jehr bedeutender ift. Lafjen wir aber bei diefer Betrachtung
den Geiſt etwas tiefer eindringen, jo werden wir gar bald zu der Leber:
zeugung fommen, daß jene Gegenſtände unmöglih nur einem einzigen
Bolfe angehört haben. Sehen wir hier ja doc) zahlreiche Gegenftände aus
dem Stein: jowohl als aus dem Bronzealter, ja jogar der Eifenzeit innig
mit einander verbunden auftreten. Wenn wir nun auc in manchen Einzel-
fällen aus dem gleid)zeitigen Vorkommen von Steingeräthen mit ſolchen
aus Bronze ja manchmal jogar mit ſolchen aus Eifen nicht auf verjchiedene
Perioden jchliegen dürfen, wie wir ja ſogar noch auf dem Frievhofe von
Samfon und in den burgundiichen Gräbern des Waadtlandes neben Ge—
räthen der ausgejprochenditen Eifenzeit noch einzelnen Pfeilfpigen aus
Feuerſtein begegnen, ') jo ift es doch etwas ganz anderes, wenn uns die
„einzelnen Gegenftände in jo bedeutender Anzahl und ſolch großer Mannig-
faltigfeit vorliegen wie hier, und ich möchte fonach für den Rubin bis
jegt wenigjtens drei verjchiedene Anftedlungen, deren eine der Steinzeit, die
zweite dem Bronzezeitalter und die dritte der Eifenperiode zuzufchreiben
1) Bergl. L. Lindenihmit: „Handbuch der deutſchen Alterthumskunde.“ I. Theil,
©. 153, 154. Hier fünnen wir zugleich deutlich erjehen, wie lange ſich manch—
mal einzelne Gegenftände aus graueften Alterthume bi3 in fo ferne Zeiten
erhalten haben, in denen man die eigentliche Bedeutung ſolcher Dinge ficher
nicht mehr kannte und ihnen deshalb wohl eine ſymboliſche Bedeutung beimaß.
Einen intereffanten Beitrag zu diefem Thema liefert und aud die römiſche
Geichichte, welche uns erzählt, daß ſich die Priefter bei Thieropfern fteinerner
Meſſer bedienten, In diefem Falle können wir wohl als ſicher annehmen, daß
dieſem Gebrauche eine tiefere, ſymboliſche Bedeutung zu Grunde lag.
— *
— BG
wäre, annehmen. Freilich dürfen wir uns diejelben nicht ohne jedweden
Bufammenhang von einander denfen; es mögen wohl Uebergänge von
einer Periode zur anderen jtattgefunden haben, vielleicht auch in jeder
diefer Perioden ſelbſt wieder einzelne Abtheilungen zu unterjcheiven jein.
Klareres Licht über diefe Dinge können natürlich erſt fpätere, genaue For:
ſchungen verbreiten.
Eine andere Frage ijt aber nun die: „Welchen Völfern haben wir
denn dieje einzelnen Befiedlungen zuzuweijen?" Daß dieſe Frage natürlich
noch weit fchwieriger zu beantworten ijt, wie die vorige, ijt Har, und wir
werden diejelbe jo lange nicht in genügender Weife beantworten können,
jo lange wir nicht einerfeitS ein zahlveicheres Fundmateriale zuftande ge-
bracht, anderſeits aber aud die Grabftätten entdedt haben, auf welchen
die Aubiner Anwohner ihre Todten beifegten. Vielleicht Tieße jich aber
aus gewiffen Vorkommniſſen doch jchon jegt das Volt, welches die legte,
der Eifenzeit angehörige Anfiedlung errichtete, erjchließen. Zu dieſem Zwecke
müffen wir aber etwas weiter ausholen. Ich habe jchon bei Befchreibung
der von der Schaaber Todtenftätte ftammenden Gefäßreſte auf das äußerjt
zahlreiche Auftreten des Wellenornamentes auf Aubiner Scherben auf-
merfjam gemacht. Nun wiſſen wir aber, daß eine große Anzahl gewiegter,
deutjcher Forjcher, allen voran ein Altmeifter deutſcher Urgeſchichtsforſchung,
Rudolph Virchow, diefes Ornament für ſpecifiſch jlavifchen Urjprunges
hält. Eine wejentliche Unterftügung und wifjenjchaftliche Unterlage erhält
diefe Anficht in dem merkwürdigen Umftande, daß eben dieſes Ornament
in den alten Burgwällen Schlefiens, der Laufig, Polens, Brandenburgs ꝛc.,
alſo in jenen Gegenden vorherrſchend auftritt, welche in frühgejchichtlicher
Beit von Slavenvölfern bewohnt wurden, und es hat daher diefe Anficht
einen großen Grad von Wahrjcheinlichkeit für ſich. Freilich dürfen wir
aber nicht annehmen, daß überall, wo das Wellenornament auf Gefäß-
reiten und dergleichen Dingen auftritt, ſlaviſche Völkerſtämme gewohnt
haben müfjen. Dadurch würden wir auf arge Abwege gerathen. Fand
ſich dieſes Ornament jadoch auc auf Gefäßen der von Schliemann auf
Hiſſarlik wieder entdecdten Trojanerftadt; ferner ſoll dasjelbe auch auf
prähiftorifchen Gefäßen Perus, überhaupt Südamerikas vorkommen. Auch
bei den Römern wurde e3 allerdings in einer ganz verjchiedenen Weije
auf Geräthen verwendet, es tritt hier nämlich in der Regel nur eine
einzige elegant geſchwungene Wellenlinie und diefe meiſt nur als ab-
ichließende Verzierung auf), und jo wird fich diefes Ornament wohl
1) Eine ähnliche Verwendung der Wellenlinie finden wir auf den bekannten,
Ihönen Gefäßen von Hradiſcht bei Stradbonig in Böhmen. Vergl. dazu ben
We
in mehr oder minder verjchieden angewandter Weife vielleicht auch noch bei
anderen Bölfern und in anderen Ländern nachweijen laſſen, oder vi.leicht
ſchon nachgewiejen fein. Gingen wir num von ähnlichen PBrincipien aus
wie die Keltomanen, jo würden wir gar bald die ganze vorgefchichtliche
Welt mit Slaven bevölfern können. So weit wird fi) aber natürlid)
fein auch nur einigermaßen Vernünftiger hinreißen Lajjen.
Betrachten wir uns nun das Wellenornament an und für fi) etwas
näher, jo müſſen wir ung gejtehen, daß dasjelbe gerade jo wie das Linien:
und Dreiedsornament unmittelbar aus den Anfchauen der Natur jidy ent-
widelt hat. Ein gleichmäßig dahin verlaufender Höhenzug mit feinen ab-
wechjelnden Kuppen und Einfchnitten, die langjam dahingleitenden Wellen
des flutenden Meeres mochten etwa die Urbilder fiir dasjelbe abgegeben
haben. Aus diefem Grunde ijt e8 daher auch leicht einzufehen, daß das-
jelbe zu verjchiedenen Zeiten und bei verjchiedenen Völkern entjtehen und
ſich entwickeln Fonnte, und nur dadurch können wir e8 ung auch erklären,
daß wir dasjelbe in folchen, manchmal jo entlegenen, jo ungeheuer weit
von einander entfernten Gegenden, zwijchen denen wir einen etwaigen
Handelsverfehr unmöglich annehmen Können, finden. Daß nun diejes
Ornament bei verjchiedenen Völkern verfchiedenartige Anwendung finden
fonnte und auch wirklich fand, ift gleicher Weife nur natürlich, ebenjo wie
der jonjt merkwürdige Umstand, daß es gerade bei den Slaven jo beliebt
war, zu Folge deſſen es auf den Gefäßen derjelben al3 vorherrjchende
Berzierungsweije erjcheint. Bewohnten vdiefelben ja doch ein Land, das
mehr oder minder hügelig und wellig verläuft, und es wäre fonach nicht
unmöglich, daß diefem häufigen Auftreten diejes Ornamentes noch ein
anderes, tieferes Motiv zu Grunde läge. Es hindert uns ja doch nichts
anzunehmen, daß der Slave durch dieſe wellenfürmig um den Gefäßrand
gezogenen Ringe etwa den ihm oder einer größeren Anzahl von Nachbarn
zugehörigen Beligftand andeuten und gewijjermaßen verfinnbildlichen
wollte, aljo vielleicht ein Ausdruck des bei dem Slaven ja ohnehin
ungemein ſtark entwidelten Heimatsgefühles, der Liebe zur heimatlichen
Scholle. Auf diefe Weife fünnten wir uns dann auch das oft zahlreiche
Auftreten diefer Linien jelbft näher erklären. Betrachtet man nämlid von
einem größeren Hügel aus das deufelben rings umgebente Hügelland,
Aufſatz W. Osbornes im 10. Bande der Mittheilungen der Wiener anthro=
pologiſchen Gefellihaft auf S. 234—59: „Zur Beurtheilung des prähiftorischen
Fundes auf dem Hrabifht von Stradonig in Böhmen. Mit 6 Tafeln.”
Osborne jchreibt dafelbft diefe Gefäße der fpäteren von der römischen bereits
ziemlich ſtark angehauchten und beledten markomanniſchen Cultur zu.
jo erjcheint es uns, als wenn ſich dieſes wellige Hügelland in immer
weiteren, concentrifchen Kreifen um den Hügel, auf dem wir ftehen, her-
umzöge; es erjcheint uns in Folge dejjen das umgebende Land in der
Form einer größeren Anzahl welliger, concentrischer Kreife. Da fih nun
diejes Bild auf Gefäßen natürlich nicht in vollkommen entjprechender
Weije anbringen ließ, jo mußte der Töpfer die einzelnen, welligen Kreiſe,
die hier natürlih als um den Gefährand verlaufende Wellenlinien auf-
treten mußten, neben d. h. untereinander anbringen. Ob dieje Vermuthung
und Deutung als die richtige anzufehen ift, oder ob vielleicht veligiöfe Mo-
tive mit hereinfpielten, können wir natürlich nicht endgiltig entjcheiden, wir
haben eben mit diefer Deutung nur das wiederzugeben verfucht, was ung
beim näheren Betrachten und Studium diefes Ornamentes in den Sinn fam.
Sei dem nun aber wie ihm wolle, eines fteht jedenfalls feit, daß
das Wellenornament im Großen und Ganzen eine jpeciell der jlavijchen
Borzeit eigenthümliche Erjcheinung if. Den endlichen und vollgil-
tigen Exrweis für die Zugehörigkeit diefer in den chemals von Slaven
bewohnten Ländern auftretenden Verzierungsweife zur ſlaviſchen Eultur
wırd uns jedoch erjt die Beantwortung einer Frage von eminenter Be-
deutung, welche auf der 9. allgemeinen Verſammlung der deutjchen Ge—
jelljchaft für Anthropologie und Urgefchichte in Kiel") angeregt wurde,
erbringen. Dieſe Frage, weldhe den Mitgliedern dieſer Geſellſchaft zur
Würdigung und weitgehendften Berücjichtigung vorgelegt wurde, lautet:
„Welche Anhaltspunkte bieten fi dar, um in den einzelnen Gegenden
Deutfchlands die etwa vorhandenen jlavifchen von den germanijchen, vor:
gefchichtlichen Alterthümern zu trennen?” (Verbreitung der ſlaviſchen Burg:
wälle? Bejchreibung ihres Baues. Was liefern die Ausgrabungen in den-
jelben? Knüpfen fich hiftorische Ueberlieferungen an ſolche Dertlichfeiten an?
Germanifche und flavische Begräbnißftätten. Der jlaviiche Schläfenring.)
Zur Beantwortung diefer Frage wäre es natürlid) auch vor allem
anderen nothwendig, zu willen, ob das Wellenornament in eben der Form,
wie es auf den öſtlichen Burgmwällen Deutjchlands auftritt, auch in folchen
Gegenden Deutjchlands häufiger zu finden ift, die nie ein flavischer Fuß
betrat, da wir dann dem Einfluffe nachgehen fönnten, den dasjelbe auf
die germanischen Stämme, bei denen e3 allerdings nicht durchzudringen
vermochte, geübt hat. Und dies wäre vielleicht auch nicht gar jo jchwer
zu conftativen, da wir ja die Grenze, bis zu welcher die Slaven in Deutjch:
1) Bergl. „Correfpondenzblatt der deutfchen Geſellſchaft für Anthropologie, Eth-
nologie und Urgeihichte”, Jahrgang 1879.
FR
land nach den Stürmen der Völkerwanderung vordrangen, heute ‚bereits
genau anzugeben im Stande find; es bedürfte chen nur einer fleißigen,
ordnenden Hand, um uns über den Einfluß der flavifchen auf die ger-
manifchen Alterthümer in genügender Weife aufzuklären. ')
Sehr wichtig und mit diefer Frage im engften Zujammenhange
ftehend dünkt mich auch die Frage: „Brachten die ſlaviſchen Völferfchaften
die Töpferſcheibe ſchon aus ihrer früheren Heimat mit, oder lernten jie
jelbe erjt jpäter im Verfehre mit ihren westlichen Nachbarn kennen?" Die
Beantwortung diefer Frage dürfte allerdings feine fo leichte fein, doch
wird auch fie mit der Zeit jich löſen lajjen. Einen diesbezüglichen Um-
ftand haben wir auch vom. Rubin etwas näher ins Auge zu faffen. Unter
den zahlreichen Scherben vom Rubin finde ich ſolche mit dem Wellenor-
namente verjehene, weldye aus freier Hand gearbeitet jind; deren Zahl tjt
jogar eine jehr bedeutende; jelbe find in der Negel dickwandig und be
zeugen, daß die Gefähe, denen fie einjt angehörten, ziemlich plumpe Formen
aufwieſen. Erſt in jüngjter Zeit, als ich den Scherben jelbjt ein größeres
Augenmerk zu fcherfen begann, ſammelte ih auch eine Menge von
jolhen Scherben mit dem Wellenornamente, welche mir unbedingt auf
der Drehjcheibe erzeugt zu fein fcheinen, denn darauf deuten ſowohl die
1) Daß diefe Anfiedlung aus der Eifenzeit, welche auf dem Rubin befonders durch das
Wellenornament harakterifirt ift, wirklich Slaven zuzuſchreiben fei, das dürfte ic)
vielleicht Schon in den kommenden Ferien direct ermeifen fünnen. Etwa 1 Stunde
vom Rubin entfernt befinden ſich nämlich die Reſte eines Kirchleins, des jo-
genannten Wenzelskicchleins, von dem allerdings nur mehr eine einzige Wand,
auf welder fi) das Bildniß des Heiligen befindet, vorhanden iſt. Mit diefem
Kirchlein nun foll in früherer Zeit ein lofter in Verbindung geftanden fein.
Daß neben der Kirche noch andere Gebäude hier geftanden haben, geht Har
und deutlich aus der ungeheuer großen Anzahl von Mauerreſten und Steinen,
jowie aus den großen Mörtelmaffen hervor, welche in der Umgebung des Kirch:
leins auf einer größeren Feldflur ausgegraben wurden und nod ausgegraben
werden. In der Umgebung diejes Kirchleins nun, vielleicht unmittelbar um bie
Kirchenwände felbit, bearuben die Beiftlichen ihre Todten, und was jehr merk:
würdig ift, unterhalb diefer Todtenftätte aus neuerer Zeit befindet fich eine vor-
oder frühgefhichtliche Anfiedlung, und aud in diefer jollen Gräber vorkommen.
Aus der Bezeichnung der Kirche ald St. Wenzelskirche dürfen wir num fchließen,
daß wenigſtens die Anfänge derfelben bis in graueftes Altertum zurüdgehen, und
daß die damals ſchon chriftfichen Bewohner, die natürlich nur Slaven geweſen
fein fünnen, hier ihre Todten begruben. Aus der Uebereinftimmung allenfalls
bier zu findender Gegenftände mit den Funden der legten Rubiner Periode und
dem gleichzeitigen Auftreten des MWellenornamentes ginge jodann klar und
deutlich hervor, daß die Bewohner der legten Anfiedlung auf dem Rubin nur
Slaven gewejen fein können.
25. —
befannten, parallelen Streifen an der Innenwand, als aud) die jcharfen
Eonturen, die Schärfe des Gefäßrandes ſowie einzelner vorjpringender
Linien am Gefäße und die vollfommene Rundung. Doch muß man hier
jehr vorfichtig fein, da man fich jehr oft arg täufchen kann, denn manche
Scherben, die man als von mit der Drebjcheibe erzeugten Gefäßen her:
ſtammend anfieht, find trogdem nur mit freier Hand gearbeitet’), und ich
will mit diefer Bemerkung eben nicht all zu viel behauptet haben. Vielleicht
finden ſich aber fpäter noch einzelne ganze Gefäße, an denen wir eher zu
entjcheiden im Stande jein werden, ob fie mit oder ohme Hilfe der Dreh:
jcheibe erzeugt wurden. Merkwürdig ift es num auch, daß zwifchen beiden
Arten von Scherben auch fonjt noch Unterſchiede beftehen. Bei der erjten
Art findet fich neben dem Wellenornament, wenn es in Verbindung mit
anderen Ornamenten auftritt, meift nur das Strichornament, bei den
legteren in der Regel noch ein aus größern Punkten oder Heinen Tupfen,
die fich zu fchiefen unterhalb der Wellenlinien verlaufenden Strichen ver:
einigen, bejtehendes Ornament. Auch find die Wellenlinien manchmal jehr
verichieden. Bei den erjteren Scherben finden ſich auch manchmal weiße
1) Wie jehr man bei ſolchen Beftimmungen vorfihtig fein muß, geht aus folgender
Stelle hervor, die ich bei dem ausgezeichneten, nieberöfterreichifchen Urgeſchichts—
foricher Dr. Mathäus Much finde. Derjelbe jagt nämlich bei Beſchreibung
der von der in der Nähe de3 Manhartöberges gelegenen Heidenſtatt ſtam—
menden Gegenftänbe in feinem zweiten Berichte über urgefchichtliche Anfiedlungen
in Niederöfterreich (vergl. Mittheilungen der Wiener anthropol. Gef. Band 2,
Seite 105--130) folgended: ........ Es ift übrigens nicht ganz leicht,
hierin (nämlich bei Beſtimmung, ob einzelne Gefäßjcherben von Gefäßen her-
rühren, die mit oder chne Hilfe der Drehicheibe erzeugt wurden) immer eine
fihere Unterfcheidung zu machen. Allerdings wird man in den meiften Fällen
von einem vorliegenden Gefäße oder nad) den Bruchftüden desjelben mit Bes
ftimmtheit jagen fünnen, ob e3 aus der Hand geformt fei, aber nicht immer
wird man mit gleicher Sicherheit die Erzeugung auf der Töpfericheibe zu be—
haupten im Stande fein, Denn wenn man mit naſſem Finger das noch unges
brannte Gefäß in horizontaler Richtung ftreicht und glättet, jo entftehen auch
dadurd jene feinen parallelen Riefen, welche man als Kennzeichen der For—
mung auf der Drehfcheibe anfieht. Bei ganzen Gefäßen ift eine Enticheidung
jedenfalls durch die Beitimmtheit der Konturen, die Vollkommenheit der Run—
dung und die Schärfe des Randes oder der herumlaufenden Ninnen oder
Erhabenheiten ſehr erleichtert, bei bloßen Scherben aber wird jene Niefung
oft täufchen. So gewähren einige Stüde (die Nr. 650, 651, 654, 1090 und
1091 der Serie V) meiner Sammlung den Beweis, daß diefe Niefung, die ich
an der inneren und äußeren Fläche diefer Stüde im Winkel kreuzt, allein
nicht hinreicht, um daraufhin die Anwendung der Töpferjcheibe immer annehmen
zu können.
a Wi
und gelbliche jowie andere Farben als äußerer Schmud, bei den letzteren
fand ich dies niemals. Merkwirdig tft auch der Umftand, daß ich noch
auf feinem Scherben mit Wellenlinien Orafitirung nachweiſen konnte, obwohl
jelbe auf Scherben mit, anderen Ornamenten nicht jelten vorfommt. Wäre
nun das richtig, daß die Scherben der zweiten Art wirflid von Gefäßen
herrühren, die auf der Drehjcheibe erzeugt wurden, jo möchten wir wohl
bezweifeln, daß die hier anſäſſige Völferfchaft, welcher diefe Ueberrefte an-
gehören, die Töpferſcheibe ſchon aus früheren Sigen mitgebracht habe,
da neben diejen legteren Scherben eine große Anzahl von Scherben vor:
liegt, die von Gefäßen herrühren, welche aus freier Hand gearbeitet find,
denn es ließe ſich da nicht einfehen, warum man die Töpferfcheibe nur zur
Erzeugung von Gefäßen der einen und nicht auch der anderen Art verwendet
hätte, da das Verfahren mit der Drehjcheibe doch viel bequemer fein mußte
und auch andererjeits vielfache Vortheile bot.
Fafjen wir nun in Kürze alles zufammen, was fic) aus den bis jeßt
gemachten Funden und den bisherigen Darlegungen ergibt, jo gelangen
wir zu folgendem Schluffe: „Der Rubin war ſchon während der Steinzeit
und zwar während der neolithijchen Periode derjelben, vielleicht aber ſogar
jchon zu Ende der paläolithiichen Periode von einer zahlreichen, gejchäftigen
Bevölkerung bewohnt. Während der Bronzezeit dilrften vielleicht mehrere
Völkerſchwärme — ob demjelben oder verjchiedenen Volfsjtämmen angehörig,
fann ung vor der Hand gleichgiltig fein — den Rubin nad) nnd nad)
befievelt haben. Daß diefe der Bronzezeit angehörigen Völker mit der
Eultur des Südens in zeitweifer Verbindung jtanden, beweijen einzelne
hier gemachte Fundgegenftände. Von da an gewahren wir einen allmäh-
lichen Uebergang zur Eifenzeit, als deren legte Vertreter wir eben, wie
oben des weiteren ausgeführt wurde, flaviiche Völkerftämme, alfo in unferem
Falle, die Zichechen, anzunehmen haben. Daß der Rubin jedocd vom Be:
ginne der erjten Anfiedlung an ununterbrochen ald Wohnort gedient habe,
werden wir wohl nicht annehmen dürfen, es mögen vielleicht manchmal
größere Zeiträume vergangen fein zwiſchen dem Ende einer Anſiedlung
und dem Beginne einer folgenden.
Aehnlich wie auf dem Rubin, allerdings nicht in ganz derjelben Weiſe
— ich brauche hier wie bei der Todtenſtätte wohl nicht erjt die Funde einzeln
wieder anzuführen, find vdiejelben ja doch aus dem Vorangehenden und
meinem früheren Auffage deutlich erſichtlich — Tiegen die Verhältniſſe in
Podletig. Auc hier fünnen wir die Spuren der Anfiedler durch Die
Steinperiode bis zur Bronzezeit verfolgen. Merkwürdig ift hier aber der
Umſtand, daß ich noch fein einziges Eifengeräth von hier erhielt, obwohl
das Wellenornament hier fajt eben jo häufig und in vollfommen ähnlicher
Weije auftritt, wie auf dem Rubin. Wahrjcheinlich ift dies lediglich nur
einem ungünftigen Zufalle zuzufchreiben, da ja die übrigen Funde von
bier font jehr genau mit den Rubiner Funden übereinjtimmen, und es
dürften ung wohl fpätere Nachgrabungen noch hinreichende Nachweife einer
hier vorhandenen Eijenperiode erbringen. Wir hätten aljo ſonach aud)
bier ſowie in dem etwas entfernten von hier gelegenen Weinern, wo das
Wellenornament ganz in derjelben Weije auftritt, wie auf dem Rubin,
zulegt am Schluſſe diejer Anjiedlungsreihe eine ſlaviſche Anſiedlung an-
zunehmen.
Wejentlih anders liegen die Verhältnijje auf der Todtenjtätte bei
Schaab. Hier findet ſich weder das Wellenornament, noch fonnten wir
das Eijen nachweifen. Es kann aljo von einer ſlaviſchen Beſiedlung bier
nicht mehr die Rede fein. Im Großen und Ganzen bieten zugleich dieſe
Funde noch ein ziemlich einheitliches Bild und es dürfte wohl nur ein
einziger Volksſtamm etwa am Anfange oder in der Mitte der Bronzezeit
hier durch längere Zeit feßhaft gewejen fein. Sicherere Daten können
natürlich erſt weitere, jadhgemäße Nachgrabungen bringen.
Die Berka von Duba und ihre Beſihungen
in Böhmen.
Bon Wenzel Hiefe.
II.
Die Gütertheilung von 1502. — Zdislaw Berka.
Am 21. Jänner 1471 ließen jich die Bürger von Leipa das Bittauer
Recht, das ihmen von den frühern Befigern gewährt und verbrieft worden,
durch ihre neuen Herrn, die Söhne des 1470 verjtorbenen Heinrich Berka,
bejtätigen.') AS Ausfteller der Urkunde nennen ſich: Jaroslaw Birke
von der Dauben, oberfter Hofrichter; Georg Birfa von der Dauben, ge:
ſchworner Kämmerer des böhmischen Königs; John Birke von der Dauben,
oberjter Vorfchneider der Königin, und Peter Birke von der Dauben, Ge—
brüder, Herrn zu Leipa. — Wie mın hier die Brüder als gemeinjchaftliche
1) Original im Leipaer Archiv.
—
Beſitzer erſcheinen, ſo auch am 10. Auguſt 1472, wo ſie vom Könige die
Beſtätigung der Gerechtigkeiten ihrer Stadt Gabel erwirkten.“) Ueberhaupt
blieben ihre ererbten Güter durch mehr als dreißig Jahre ungetheilt.
Jaroslaw, den älteſten Sohn, finden wir bereits einigemal mit dem
Vater erwähnt; auch war er ſchon bei Lebzeiten desſelben, ſeit dem
Juli 1469, Oberſt-Hoflehenrichter und bekleidete dieſes Amt bis 1490,
wo er vermuthlich ſtarb.) Von 1492 bis 1500 hatte dasſelbe dann fein
nächjter Bruder Georg inne.?) Es fehlt natürlich auch fonjt nicht an ge-
legentlihen Erwähnungen der Brüder, aber unter jenen Herren, die im
damaligen politiſchen Leben am meiſten hervortraten, finden wir fie nicht.
Auch das Verhältniß zur Laufig war nicht das frühere, nachdem diejes
Land ſich König Mathias angejchloffen hatte.) Erft durch den Tod des
Ungarnfönigs trat eine Aenderung ein, und da war es Georg Berka, den
K. Wladislaw an die Sechsftädte abjandte, um mit ihnen über den Anfchluß
an Böhmen zu verhandeln.?) Und Georgs Reife war von Erfolg gefrünt.
Ihre gemeinschaftlichen Befigungen im Norden Böhmens haben die
Brüder nicht unbeträchtlich vermehrt. Sp erwarben jie gleich nach dem
Tode des Vaters einen ehemaligen Befig ihres Haufes, Bürgſtein, wieder
zurüd. Dieſes Gut hatte befanntlih Hinko Hlamwacz von Leipa 1412
an Hans Wölfl von Warnsdorf verfauft; von diefem war es, wir wifjen
nicht wie, übergegangen an die Familie der Panzer von Smoyn, und die
Brüder Johann und Friedmann hatten es dann an Wilhelm von Ylburg
verkauft. Bon diefem nun erwarben das Gut am 11. Jänner 1471 die
Brüder Berfa.*) Es umfaßte nad) der betreffenden Urkunde Burg, Meierhof
und Dorf Sloup Bürgſtein), Rodowitz, Nedoftojow, Lindenau, Soor (Za—
hoiin) und Yanow.”?) Syede directe Nachricht fehlt uns über eine andere
1) Abichrift im böhm. Mufeum. — Eine gleihe Confirmation durch K. Georg
hatte Heinrih am 22. Dec. 1466 erwirft. Ebenba.
2) Sicher ift, daß in einem Vertrag mit den Bürgern von Leipa vom 3. Dechr.
1493 nur noch die 3 andern Brüder genannt find. Laudt. 552, L. 12.
3) Palacky, Sousasny prehled.
4) Indeß darf nicht auf feindliche Beziehungen gefchloffen werden. Am 10, Mai
1482 erfucht 3. B. Jaroslaw den Rath von Görlitz, ihm den Nachrichter
nach Friedland zu leihen. (Abichrift im böhm. Muf.)
5) Am 9. April 1490 meldet der König den Bautznern die Abfendung George;
bereit3 am 3. Mai folgt dann die Einladung, nad) Prag zur Huldigung zu
fommen. — Abichriften im böhm. Mufeum.
6) Relig. II. 361 = Archiv Zesky III, 579.
N) ©. im 1. Theile ©. 131, Anm. 4. Janow fann nicht Johannesdorf jein, da
diejes erft im 18. Jahrhunderte von Johann Joſ. Mar Kinsky gegründet
wurde, Sommer, ©. 291.
— —
Erwerbung. Ich meine Herrſchaft Reichſtadt. Wir wiſſen nur, daß auf
derſelben, einem alten Erbe der Herren von Wartenberg, noch 1463 Beneſch
von Wartenberg und Reichſtadt gebot.) Daher müſſen wir ſchließen, daß
ſie von Beneſch ſelbſt oder feinen Nachkommen?“) an die Leipaer Berka
überging.
Johann, der dritte der Brüder, wendete ſich en Mähren und ge
langte dort zu Gittern. Ludmilla nämlich, eine der 4 Töchter des Georg
von Kramat, hatte bei der Theilung nach dem Tode des Vaters (1466)
Herrichaft Sternberg geerbt und vermählte ſich zum zweitenmale mit
Johann Berka von Duba.?) Sie nahm ihn dann auch in die Güter:
gemeinjchaft auf, und weil fie wahrjcheinlich ohne directe Erben ftarb, jo
gingen ihre Befigungen, nachdem auch Johann im %. 1501 verfchieden
war, *) an deſſen Sohn Wenzel über. Ein genaueres Eingehen auf diejen
Zweig liegt nicht im Plane meiner Arbeit. Ich führe daher gleich hier
furz an, daß nach den mir zu Gebote jtehenden Büchern legterer Wenzel
bis 1520 Sternberg inne hatte, wo es dann an feinen Sohn Ladislaus
gelangte. Diejer hinterließ die Herrjchaft wieder einem Sohne Johann
Wenzel, der bei des Vaters Tode noch unmündig war.) Johann Wenzel
vermählte ji um 1551 mit Magdalena von Zerotin (7 1562), die ihm
nur eine Tochter gebar, Katharina. Als dann 1565 Johann Wenzel ftarb, ®)
erbte diefe Tochter feine Güter, worauf diefelben durch ihre Vermählung
mit Karl von Münfterberg (1570) an diefe Familie kamen.
Wir kehren zu den norbböhmifchen Befigungen zurüd. Von den
früher genannten 4 Brüdern war Jaroslaw, der ältefte, um 1490 geftorben
und hatte zwei Söhne hinterlaffen, Adam und Zdislaw. Da nun der 1501
verftorbene Johann auf Sternberg nur einen Sohn hatte, fo gab es 1502
folgende Befiger auf jenen Familtengütern: die zwei noch lebenden Brüder
1) Am 17. März 1463 ift er Beifißer des Hoflehengerichtes. Arch. éesky V, 156.
2) No im 16. Jahrhunderte gab e3 „Zakupsti* von Wartenberg.
3) Wolny, die Markgrafihaft Mähren V, 720. Zuerft wird Johann unter den
mäbrifchen Herrn erwähnt 1486 (Archiv Gesky V, 429.) — Vergl. Johanns
Vergleich mit feinem Schwager Heralt von Kunftatt, Sternberg betreffend.
Ebenba VI, 523.
4) Er wurde in der Kloſterkirche zu Sternberg begraben. — Paprocky, Zr-
ceadlo LXXVI.
5) Nach Paprocky a. a. O. ftarb Ladislaus 1532 und wurde begraben in der
Sternberger Kirche. — Nah Wolny ging die derrſchaft 1544 an Johann
Wenzel über.
6) Wolny a. a, D. und Lazensky-Matzner, Chronif von Sternberg. — Paprocky
a. a. D. gibt ald Todesjahr des Joh. Wenzel irrthümlich 1536.
— —
Georg und Peter und ihre Neffen, einerſeits Adam und Zdislaw, ander .
ſeits Wenzel auf Sternberg. — Dieje fchritten am 31. Mai 1502 zur
Theilung.‘) Die darauf bezüglichen Urkunden wurden jpäter, nach dem
Brande der Landtafel, neuerdings in diefe eingelegt und find uns jo er:
halten. ch gebe danadı im Folgenden eine kurze Ueberficht über den
Umfang der einzelnen Zheile.?)
E3 waren deren vier, und zu jedem fam ein Viertel von Schloß
und Stadt Leipa und das entjprechende Stüd der Vorſtadt. Allen ge-
meinfam aber blieb hier das Patronat, dann je eine Mühle in der Stadt
und in der Vorſtadt. Die Zinje, die von den Gewerbtreibenden u. a.
eingingen, folften gleichmäßig getheilt werden. Jedes Viertel wählte drei
Rathsmänner, der Bürgermeifter und Richter wurde jährlih aus einem
andern Viertel genommen. Im UWebrigen ſollten die Bürger bei ihren
allen Ordnungen belaffen werden. — Sonft gehörte zu den einzelnen
Theilen:
1. Zu Georgs Theil:?) In Leipa das Viertel beim Kreuzthore und
die Kreuzvorftadt; der Meierhof in Manifch; die Dörfer Kofel, Robitz,
Pießnig und Dobern;t) — Gabel mit Marfersdorf, Böhmiſchdorf und
Kriesdorf (Sucha); endlich Ledeẽ ſüdöſtlich von Mſcheno. — Auch wurden
diefem Theile zugewiejen die Lehenbefiger Peter Roſenhain und Hanuſch
Blekta (von Audishorn).
2. Beter erhielt:) Von Leipa das Viertel beim Frauenthor und die
Frauenvorſtadt; den Meierhof beim Schloß mit den „Petrzikowskiſchen“
Gründen und denen in Pihl; — Schloß Bürgjtein und das Dorf dabei;
dann Rodowig, Nedoftojom, Langenau, Kottowig, Tanfow, Bokwen.“) —
Bon den ehemals Doraner Kloftergiitern famen zu diefem Theile: Städtchen
Graber, Dörfel, Johnsdorf, Krojjendorf und die wüften Dörfer Smrezin
1) Landtafel 252, B. 7,
2) So intereffant e3 wäre, die beſonders topographifh wichtigen Angaben der
einzelnen Theilzettel genau wiederzugeben, muß ich doc) darauf verzichten. Viel:
leicht bietet fi) anderswo Gelegenheit.
3) Landtafel 45, G. 9.
4) Die Urkunde nennt auch den „Langenauer” Wald und den Wald „Scheibe“;
1547 find bier bereit3 zugefommen die Dörfer Neu-Langenau und Scheibe.
Rehentafel 62, 628.
5) Randtafel 45, G. 13.
6) Dad Verzeichniß ift nicht ganz vollftändig. 1565 werden noch angeführt:
Aſchendorf, Arnsdorf, Blottendorf, Falkenau, Zwitte, Lindenau, Wellnig.
Randtafel 58, G. 11.
— — —
Te
und ober (Javorsko). — Die Eulauer Lehensmannen Stanislaus und
Zimo (von Lungwig) und Hans (von Gersdorf).")
3. Der Theil der Brüder Mam und Zdislaw umfaßte:?) Das
Leipaer Viertel beim Langen Thor mit der VBorftadt; den Meierhof „Zito-
nice" mit den Gründen von „Vlekovice“;*) die Dörfer Schwora, Alt-Leipa,
Schießnig, Hermsdorf, Weſſeln; die Einfünfte von je 1 Unterthanen in
Klein-Aiha (Doubice), Straußnig und Liebih; Zins in Rain (zwifchen
Hohlen und Bleiswedel).*) — Weiter die geiftlichen Pfandgüter: Städtchen
Neuftadtel; das halbe Dorf Waltersdorf; Hermsdorf, Morgendorf, Staupen
und Borzetin ganz.) — Die Mannen Johann Dlouhy, Melchior Kaucz ®)
und Johann Blekta (von Audishorn).
4. Endlih kam an Wenzel:”) Von Leipa das Viertel beim Wieden:
thor und die Wieden-VBorjtadt; — der Meierhof in Reichſtadt mit den
Gründen von „Blaftibotice”; Herrnhaus und Städtchen Reichſtadt, Götz—
dorf, Brenn, Voitsdorf (Bohatice), Schiedl, Schaflowig und Poppeln; —
Schloß Mühlſtein, Städten Zwickau, Kleingrün (Grima), Röhrsdorf;
das Kunnersdorfer Gut; ein Haus in Stra (?).) — Bon den ehema—
ligen Gütern des Klojters Doran: Ober: und Nieder-PBolig und die andere
Hälfte von Waltersdorf.) — Die Lehensmannen Liebenau (in Herms—
dorf?) und Sebajtian in Prerupt (Prorubi).
Bon den Weingärten in Stratjchen (bei Wegftädtel), auf welchen
Leute aus Strziſchowitz (nd. von Gaftorf) Robot zu leiſten hatten, Fam
auch zu jedem Theil ein Vierte. — Dem Klojter Doran hatte man ver-
1) Die von mir in Klammern beigefügten Namen nah ode, Aus dem älteften
Geſchichtsgebiete I. 128 u. a.
2) Zandtafel 6, D. 21.
3) Ueber diefen Meierhof f. im 1. Theil S.133, Anm. 5. — Die Urkunde führt
auch Zins von „Zaluzi* an.
4) Nachzutragen wäre Vokresice, 1 Bauer in Schoßenborf. (Urf, v. 1532, Land»
tafel 42, J. 13.)
5) Borzetin kommt fälfchlih unter die Pfandgüter. — PVergleihe im 1. Theil,
©. 132, Anm. 8.
6) Kaſpar Kanz verkauft 1506 ein nad Vater und Großvater ererbted Lehen in
Liebich. Lehentafel 62, 318.
7) Zandtafel 250, J. 6.
8) Landtafel 5, B. 20 (von 1543) werden noch aufgeführt: Kamnitz von ber
Reichitädter, Krombach, Ober: und Nieder-Mergthal, Ober- u, Nieder-Lichten-
walde und Glafert von der Mühlfteiner Herrichaft.
9) In der Urkunde folgen bier Schiedl, Schaklowis und Poppeln fälſchlich als
Pfandgüter.
tragsmäßig jährlich zu Georgi und Galli je 3 Schod zu zahlen; dazu
blieben alle zu gleichen heilen verpflichtet.
Bon diefen 4 Theilen vererbte ſich nun bloß derjenige Peters auf
-feine Nachkommen. Bei den andern wechjelten die Befiger in furzer Zeit
gar mannigfach. Da leider die betreffenden Urkunden nur zum geringjten
Theile erhalten find, jo iſt bejonders die Chronologie diefer Beſitzverände—
rungen ziemlich unficher.
Am früheiten verfaufte Wenzel ‚(anf Sternberg) fein Erbtheil, u. 3.
erwarb dasfelbe fein Oheim Peter, jedenfall? vor 1505.') — Die Brüder
Aam und Zdislam überliegen gleich nach der Theilung, am 2. Juni 1502,
den Ritterfig in Walten mit Zugehör, worauf ihr Lehensmanı Johann
Blekta ſaß, diefem zu erblichem Beſitz.) Am 28. Juli desfelben Jahres
beftätigten jie die Privilegien ihrer Leipaer Unterthanen.?) Auch noch
im %. 1505 waren jie Herrn ihres Antheils, wie ſich aus dem unten
(Anm. 3) Ungeführten ergibt. Aber nicht lange fpäter ging er käuflich
über an den Oheim Georg.) Der Zeitpunkt läßt ſich annähernd fejt-
jtellen, wenn man das Nachftehende damit zufammenhält.
Unter den Befigern von Leipa in dem Furz vorher in der Anmerkung
citirten Streite mit dem H. von Biberftein im J. 1505 erjcheint auch
Heinrich „mit feinen Brüdern“, d. h. alfo die Söhne Georgs. Daher
hatte diefer bereits vorher fein Erbtheil den Söhnen abgetreten, und diefe
jtellten dann am 31. Auguft 1507 den Bürgern von Leipa eine Confirma-
tions-Urfunde über ihre Gerechtigkeiten aus.) — Wenn nun aber am
15. März des nächſten Jahres ihr Vater Georg jelbjt der Stadt ein
ähnliches Document ausfertigte,e) jo läßt ſich das nicht anders erklären
als dadurch, daß er mittlerweile, wie oben erwähnt, das Erbe von Adam
und Zdislaw erworben hatte. Auch das Jahr, in dem Georg diejer An—
1) Die Thatſache ift ausgeſprochen Landtafel 45, F. 17. — Daß es vor 1505
gefhah, zeigt Folgendes: 1505 hatten die Herren von Leipa Streit mit Ulrich
von Biberftein wegen des Zutreibens von Vieh von feiner Herrichaft zu
Marfte nach Leipa (Landt. 45, A. 8). — Beliter von Leipa find da: Peter,
Adam, Heinrich und ihre nicht abgetheilten Brüder.“
2) Yandtafel 5, F. 23 (Neneinlage von 1544).
3) Original in Leipa.
4) Landtafel 42, J. 13 = 2, F. 17 wird gejagt, daß Adam und Zdislaw ihren
Theil an Georg verkauften, diefer wieder an Sigmund von Wartenberg.
5) Original in Leipa. Es find die Brüder Wenzel, Heinrich, Hinko, Albrecht,
Jaroslaw, Peter und Chrijtoph.
6) Orig. ebenda: Georg verbrieft damit das Recht, Häufer, Mobilien und Güter
an wen immer zu vererben. — Die Urkunde ift tſchechiſch.
Ze
theil nemerdings verfaufte an Sigmund von Wartenberg, wird uns nirgends
angegeben. Es muß das einerjeit3 nach dem 20. Juli 1511 gefchehen
fein, da unter diejem Datum noch Georg feinem Leipaer Unterthanen, dent
Meifter Johann Schloffer (Zamecnif) die Erlaubniß ertheilt, auf einem
bejtimmten Plage fich ein Haus zu bauen.) Andrerjeits war wohl Sigmund
bereit8 am 21. October 1512 Herr des "beiprochenen Theiles, da er an
diefem Tage die Freiheiten der Stadt neu verbürgte.?) — Am 24. Mai 1514
war Georg nicht mehr am Leben, wie eine jo datirte Urkunde feiner
Witwe Margarete, geb. von Koldig, uns beweift.?)
Schon einige Jahre früher hatten Georgs Söhne ihren Antheil von:
Leipa jelbft, dann die Dörfer Kofel, Robis, Pießnig, Maniſch (Meierhof),
auch Ledet und ihr Viertel von ven Stratjchener Weingärten veräußert,
u. 3. jedenfalls an Yohann von Wartenberg. *) Von diefem bewahrt das
Leipaer Archiv eine Privilegiums-Urfunde vom 11. Auguft 1509; °) ver
Kauf mag alfo nicht lange vorher erfolgt fein. Aber auch Johann Tann
diejen Beſitz nicht lange behalten haben, und vermuthlih war Sigmund
von Wartenberg 1512, als er die oben genannte Urkunde ausjtellte, auch
bereit3 Herr diefes Theil der Stadt. — Sigmund ftarb 1519. Die
zulegt erwähnten Befigungen um Leipa erbte von ihm fein jüngerer Sohn
Profop ; dagegen jener Theil, den einſt Adam und Zdislaw Berka befaßen,
ging an den ältern, Chriftoph, über. Beide Söhne überließen dann diefe
Güter 1532, am 6. Sept. an ihren Better Wenzel von Wartenberg auf
Rübenan. ©)
Bon den beiden Brüdern Adam und Zdislam Berka wird der erfte
nad) 1513 nicht mehr genannt. ?) Ihr Erbtheil war, wie wir ſahen, an
die Herren von Wartenberg gefommen; fpäterhin jedoch brachte Zdislaw
wieder ziemlich viel von den 1502 getheilten Gütern an fih. Von dem
Antheile Wenzel, den bekanntlich Peter erworben hatte, trat diefer am
1) Urkunde in Nachod. Abſchrift im böhm. Mufeum (tichechifch).
2) Drigimal in Reipa. — Sigmund hatte das Jahr vorher Tetfchen, Benjen und
Kamnitz verkauft. j
3) Original in Leipa.
4) Daß Fohann gerade diefen Theil erwarb, ift nirgends direct gejagt; allein
es kann nur an diefen gedacht werden, nahdem die Beier der übrigen
Theile bezeugt find. — Obiger Umfang ergibt fih aus der Verkaufsurkunde
von 1532; ſ. u,
5) Original in Leipa.
6) Landtafel 5, B. 27 (Prokops Antheil) u. 42, J. 13 = 2, F. 17 (Chriſtophs).
7) Im $. 1513 erwarb Adam 35 Sch. b. Gr. Zins in Rarbig u. Peterswald.
Rehentafel 62, 367.
Vtittheilungen. 26. Jahrg. 1. Heft. 6
4.44 32°
BR —
13. December 1518 die Herrſchaft Reichſtadt auf Lebenszeit an Zdislaw
ab.) Dieſelbe fiel aber nicht zurück, ſondern am 20. November 1532
überließen die Söhne des mittlerweile gejtorbenen Peter (Sigmund und
Aegid) auch den Reſt jenes Antheils demjelben Zdislaw ?) und verzichteten
zu gleicher Zeit auf den Heimfall von Neichjtadt. — Inzwiſchen hatte
Zdislaw noch eine andere Erwerbung gemacht. Wir wiſſen, daß die Söhne
Georgs bereits um 1509 ihr Viertel. von Leipa und einige umliegende
Dörfer an Johann von Wartenberg verkauft Hatten. Es war ihnen
dann noch Herrichaft Gabel geblieben; auch dieſe traten fie (genauer
Heinrich, Hinfo und Chriftoph) am 29. April 1528 fäuflih ab an ihren
Better Zdislaw.“) — Außerdem gehörte ihnen noch Dobern. Hier war
die Mitgift ihrer Mutter, Margarete von Koldig, verfichert gewejen. Als
diefelbe Witwe geworden, trat fie ihre Anfprüche auf diefes Dorf an die
Söhne ab (am 24. Mai 1514).*) Es gefchah wohl ebenfalls um 1528, daß
die Legtgenannten auch ihren Antheil an Dobern an Zdislam verfauften.?)
Das Nefultat aller dieſer Bejigveränderimgen bis 1532 war alfo
dies: Die oben aufgeführten 4 Theile hatten nunmehr 3 Herren inne:
Wenzel von Wartenberg bejaß den Antheil der Brüder Adam und Zdislaw
und ein Stüd von dem des Georg; Zdislam den Reit von Georgs Theil
und das Erbe Wenzels. Peters Erbtheil bejaßen feine Söhne Sigmund
und Aegid (Gilgen).
E3 war unbedingt nothwendig, das Borausgehende im Zuſammen—
bange zu behandeln, ohne Beichränfung auf einen einzelnen Zweig der
Familie. Zwei ſolcher Zweige werde ich in den nächjtfolgenden Capiteln
zu behandeln haben: die Nachkommen Peters und Georgs. Hier jchließe
1) Randtafel 45, 5. 14.
2) Ebenda 45, F. 17 — 6, J. 5. Öenauer gibt den Umfang an die Neneinlage
von 1543 (5, B. 20) Auch die Pfandgüter O. u. N,-Polis und halb Walters-
dorf gingen 1532 an Zdislaw über, wie das Spätere zeigt. Im die Landtafel
wurden diejelben nicht eingelegt, weil fie nicht hingehörten.
3) Randtafel 43, J. 10 = 5, A. 19. Durdy Zdislaw kamen wohl aud) die Dörfer
Hermsdorf, Herendorf und Peterödorf mit der Ruine Falfenburg wieder zu
Gabel. Jene Dörfer hatte jedenfalld Hinko Dubsky auf Mühlftein im Jahre
1409 an Albert von Dohna verkauft, damals ald er den auf Hermsdorf ver:
fiherten Theil der Mitgift feiner Fran auf andere Dörfer übertrug. Siehe
Mittheil. 25, ©. 58. — Infoweit find Knothes Ausführungen in den Mitth.
des nordböhm. Exc.Cl. 10, ©. 19 f., auf die ich fonft verweife, zu berichtigen.
4) Original in Leipa.
5) Wir wiffen nur die Thatjache des Verkaufs aus zwei Neneinlagen (von Heinrid)
und Hinko) von 1543—44. Landtafel 5, A. 20 u. G. 3,
Be
ich zunächſt noch das an, was weiter über Zdislaw zu fagen tft; u. zw.
in erſter Linie einige Notizen, welche zeigen, wie er beftrebt war, feine
vorher beiprochenen Güter möglichjt abzurunden. So lag 3. B. fein Dorf
Poppeln weit abſeits von der Herrichaft Neichjtadt, mitten in den Be-
jigungen Wenzel von Wartenberg. Zdisla trat e8 daher 1546 an dieſen
ab und erhielt dafiir einen Karpfenteich, ?) In dem gleichen Streben war
es wohl auch begründet, wenn er nicht gar lang vor feinem Tode (1553)
das Viertel von Stadt und Borftadt Leipa (beim Wieden-Thor), das ihm
gehörte, verfaufte an Katharina von Hungergoft,?) die es dann 1562 in
ihrem ZTejtamente ?) ihrem Sohne Johann von Wartenberg auf Neufchloß
übertrug, jo daß diefer num drei von jenen 4 Zheilen der Stadt im Be-
fite hatte. Sein Viertel vom Leipaer Schloß hatte Zdislaw bereits früher
jeinem Better Sigmund überlafjen.
Unter den Erträgniffen diefer nordböhmiſchen Herrſchaften Zdislaws
fungirte auch der Zoll (clo a mejto), den er als Gutsherr von allen
Kaufmannswagen, die Gabel oder Zwidau in irgend einer Richtung
paflirten, einzuheben berechtigt war. Dieſe Einnahmen erhöhte Zdislam,
indem er am 19. Juli 1543 von 8. Ferdinand eine Urkunde ermirfte, *)
die ihn ermächtigte, von jedem Pferd an den bemwußten Wagen der
Handelsleute von da an um 1 weißen Pfennig mehr einzuheben.
Solche königliche Verleihungen zu erlangen konnte Zdislaw nicht
ihwer fallen bei der einflußreichen Stellung, die er einnahm, und der
Gunſt, die er fich bei Ferdinand zu erwerben gewußt. Es iſt keineswegs
meine Aufgabe, eine eingehende Würdigung von dem politiichen Wirken
Zdislaws zu Fiefern; ich befchränfe mich auf kurze Andeutungen über feine
Laufbahn. — Bereits unter 8. Ludwig, im %. 1523, erlangte er das
Amt eines oberjten Landrichters, das er dann bis 1533 befleidete. Bei
der Königswahl 1526 war er eifrig im Intereſſe Ferdinands thätig, und
nachdem diejer gewählt war, wurde er ein Mitglied der Gejandtichaft,
welche dies dem neuen Könige in Wien zu verkünden hatte. Dieſer ent
Ihädigte ihn in der Folge nicht blos für die bei diefer Gelegenheit aufge
laufenen Unkosten, °) er fuchte Zdislaw für feine vielfachen Verdienjte auch
1) Lehentafel 62, 694. Vergl. Wolkan, Mitth. 24, 36.
2) Landtafel 10, K. 20.
3) Original in der Landtafel.
4) Landtafel 5, D. 17.
5) Ueber die aus den Rüdftänden der Türkenftener dem Zdislaw angemwiejenen
300 Schock ſ. Wolkan, Mitth. 24, 35. Bald darauf wurden ihm wieder 720 fl.
rhein. angewieſen. ,
6
anderweitig zu belohnen. Als daher Erasmus Hirfchberger vom Königshain
in Wartenberg von feinem eigenen Neffen erjtochen worden und die Herr»
fchaften desjelben an den König gefallen waren, !) erhielt Zdislaw davon
die Hälfte des Gutes Schönbrunn ſüdöſtl. von Görlig, freilich nur, um
dasjelbe bereitS 1531 wieder an Sigmund von Warnsdorf zu verfaufen. *)
Auf diefelbe Weife erlangte er in der Lauſitz 1534 nad) den Finderlofen
Hinfcheiden des Jakob von Megradt Bernsdorf und Schmerkwitz; erjteres
verfaufte er wieder an Gangolf von Lüttichau, das andere an Chriftoph
von Mepradt. Nicht minder wurde ihm 1540 nad) Meldyior von Haugwig
Auppersdorf bei Zittau verliehen, das er fogleich wieder an Dr. Ulrich)
von Noftig überließ. ?)
Diefe Erwerbungen in der Ober-Laufig zu machen, hatte Zdislam
die bejte Gelegenheit, nachdem er feit 1527 Landvogt dafelbjt war. Die
mit diefem Amte verbundenen Gefchäfte überließ er aber fpäterhin mehr
und mehr feinem Amtshauptmann in Baugen, denn feine Stellung in
Böhmen felbit nahm ihn zu viel in Anspruch. *) Er wurde 1533 Oberft-
hofmeifter und hatte dieſe Stelle bis zu feinem Tode inne; ſpäter ernannte
ihn der König zugleich zum Hofmeifter der Föniglichen Prinzen. — Die
Würde eines Landvogts der Oberlaujig legte er dann im Jahre 1549
nieder. Vorher war es ihm aber gelungen in den Pfandbefig der Herrichaft
Oybin zu gelangen, nad) der er längft geftrebt hatte. Wenigftens hatten
ihm die Görliger ſchon 1538 vorgeworfen, daß er ein Auge auf diejelbe
habe. Im Anfange des Jahres 1547 wurde fie ihm auch wirflid vom
Könige um 13.000 Thaler auf 3 Jahre verpfändet. Er bejaß diejelbe aljo
nur bis 1551, wo fie wieder eingelöft wurde. Die Unterthanen in mehreren
Dörfern bejchwerten fich nachträglich, dah Zdislaw fie mit neuen LZaften
bevrüct habe, und diefelben wurden danı auch wirklich abgeftellt. °)
Nicht jo Schnell wurde eine andere Fönigliche Herrſchaft wieder ein-
gelöft, die Zdislaw in Böhmen inne hatte. Bereit3 am 9. Mai 1542
hatte ihm nämlich König Ferdinand die Herrichaft Melnik, die kurz vorher
noch den Herren von Wartenberg verjchrieben gewefen, um 4500 Schod
1) ©. Wolkan, Mitth. 24, 35.
2) Knothe, Oberlauf. Adel 270.
3) Dbiges ergibt fi, wenn man Landtafel 41, D. 7 zufammenhält mit Knothes
Angaben, a. a. D. 364, 555, 646.
4) Knothe ebenda 168.
5) Moſchkau, Oybin-Chronik 248, PVielleiht war das durch übereifrige Beamte
angeordnet worden. So möchte man mwenigftend vermuthen nad der Ver:
fügung für Reichſtadt in Zdislaws Teftament, ſ. u.
— er
böhm. Gr. verpfändet. Dieje Pfandſumme wurde in den nächſten Jahren
mehrfach erhöht, jo dafs fie 1551 bereits über 8700 Schod betrug. Auf
diejelbe Weije Fam dann 1545 auch Micehoft (an der Moldau oberhalb
Melnit) in Zdislaws Befig. Und als 1547 die Stadt Melnik ihre Güter
jtrafweife hatte abtreten müjjen, verjchrieb ihm der König aud) davon auf
Lebenszeit die Dörfer Maſtirſchowitz, Strzednig, Straſchnitz, Wyſoka, Klein:
Auiezd und Podblat.) — Zu dem allen erwarb Zdislam 1550 kaufweiſe
von Bohuslaw Felir von Lobkowig deſſen Pfandbejig in derjelben Gegend,
d. i. (Melniker:) Wtelno, Zamach, Choruſchitz und Choraufchek. *)
Zdislaw Berfa war dreimal verheiratet. Die erjte Gemahlin hieß
Magdalena von Schebitow, die zweite war Beatrix von KRolowrat, die
Witwe von Zdislams eigenem Oheim Peter. Diefe fiarb um 1541; °)
und obwohl Zdislaw bereits hochbejahrt war (ein Siebziger) jo gieng er
doch noch eine neue Ehe ein mit Anna von Wartenberg. Als er dann
am 30. Mai 1553 fein Teſtament verfaßte,*) wies er diefer den Nutz—
genuß feiner Herrjchaft Neichjtadt auf 3 Fahre zu; erſt nach diefer Zeit
jollten jeine Erben durch Auszahlung der Mitgift die Herrichaft einlöjen
fünnen. (Das gejchah dann auch wirklich 1556.)
Weil num Zdislam aus feiner der drei Ehen Nachkommen hatte, jo
verfügte er über feine Güter zu Gunften feiner Verwandten folgendermaßen.
— Bon den Söhnen des Georg Berka, die 1528 ihr ererbtes Gut Gabel
an Zdislaw verfauft batten, lebte zur Zeit noch Ehriftoph. Diejer jollte
nun Gabel wieder erben. Die Herrichaften Melnik und Reichjtadt dagegen
jollten erhalten der jüngere, noch unmündige Sohn diejes jelben Chriftoph,
und Zbynek Berka, Grandprior des Maltejerordens, ein Sohn eines ent-
fernteren Verwandten, Heinrich Berka von Duba auf Diewenig. Bon dem
übrigen Inhalte des Teſtamentes jei, mit Übergehung der vielen Legate
u. ſ. f, nur noch dies erwähnt. Seinen Unterthanen in Reichitadt, Kamnig,
Brenn, Götzdorf und Voitsdorf ließ er 2 Nobottage jährlich nach, weil fie
fih beim Baue des Schlofjes in Reichitadt ſehr dienjtwillig gezeigt hatten.
Zugleich jchenfte er den Bewohnern von Neichjtadt und Gögdorf den
Kamnig-Berg öſtlich von Neichjtadt, mir die Fagd- blieb vorbehalten.
1) Das alles fagt die fpätere Theilungsurkunde von 1565. ſ. u.
2) Zandtafel 48, E. 22, |
3) Ihr Teftament, Landtafel 1, A. 5 ift datiert vom 8. März; 1540. Den Tod
meldet zum Jahre 1541 Dacicky, Pam. I, 71 mit dem Zuſatz: „Zlä baba,
rad ji präzen.“
4) Ebenda 11, B. 22.
— BB.
2000 Schod beftimmte er für die Spitäler in Neichjtadt und Leipa (vor
dem langen Thor gegenüber der Magdalenenkirche).
Eiwas über 3 Monate nad) diefem ZTejtamente, am 11. Sept. 1553,
verschied Zdislaw als Söjähriger Greis, nicht infolge von Altersichwäche,
fondern an der Peſt, die damals wüthete. Er wurde in der Leipaer De-
canalkirche beigejeßt. ')
Wie erwähnt wurde, war der eine jeiner Erben, Zdislaw, noch un-
mündig. Die vormundjchaftliche Verwaltung der Herrſchaften Neichjtadt
und Melnif hatte der Erblafjer neben dem Grandprior Zbynek noch Johann
von Lobkowitz auf Tocnik übertragen. — Während der Zeit dieſer Vor—
mundfchaft gieng mit gewiljen Gütern eine Veränderung vor fich, zu deren
Berftändniß ein kurzer Rückblick nöthig if. — Wie befannt, wurden im
Sabre 1502 auch die Pfandgüter, die einft dem Doraner Klojter gehörten,
mit in die Theilung einbezogen. Graber mit einigen Dörfern war an
Peter gefommen, nach dem es jegt der Sohn Sigmund befaß. Zu dem
Theile Wenzels waren beide Poli und die Hälfte von Waltersdorf ge-
ſchlagen worden; diefer Theil war auf die früher beiprochene Weife Eigen-
thum Zdislaws geworden. Der Reſt endlich, d. i. die andere Hälfte von
Waltersdorf, Hermsdorf, Morgendorf und Staupen, war mit dem übrigen -
Erbtheil der Brüder Adam und Zdislaw fchlieglich an Wenzel von War-
tenberg auf Rübenau gelangt (1532).
Nicht gar lange darauf erwirkte Klojter Doran vom Könige die Be—
willigung, feine verpfändeten Güter einzulöfen. Darauf hin wurde nun
zunächſt Wenzel von Wartenberg belangt, er möge vor dem Kammer:
gerichte feine Rechte auf die genannten Dörfer beweifen. 2) Wenzel wendete
jedod) gegen die Klage ein, feine Hälfte von Waltersdorf fei nicht Pfand»
beſitz, ſondern erblich, und habe ſeit jeher zu Neuftadtel gehört; ?) dieſelbe
fei aljo nicht in die Klage einzubeziehen gemwefen. Das Klofter konnte
augenbliclich nicht das Gegentheil erhärten; das Gericht entjchied im Sinne
Wenzel3 und wies die Klage wegen des Formfehlers ab (am 1. Sept.
1544), — Das Klofter erneuerte aber fogleich diejelbe, indem es vorläufig
den Waltersdorfer Theil wegließ; und diesmal erfannte das Gericht, daß
1) ©. die Grabſchrift: Illuſtr. Chronik I, 49. Ueber den Tod fiehe Beckovski,
Poselk. II, 1, 215. (Rezek.)
2) Rammergericht3-Regifter 11, J. 67, 108, 165.
3) Es jcheint, Wenzel war im Recht, denn 1454 ſchon wurde die Hälfte von
Waltersdorf als Theil der Herrichaft Leipa aufgeführt (f. im 1. Th., ©. 132).
Und obgleich Doran auch Hinfichtlich diefes Beſitzes 1546 die Klage erneuerte,
fo blieb doch dieſe Hälfte bis auf unfer Jahrhundert bei Neufchloß.
Wenzel die Dörfer Hermsdorf, Morgendorf und Staupen binnen 2 Wochen
abzutreten habe, u. 3. ohne Entjhädigung, nachdem er nicht nachweifen
fonnte, daß diefelben einmal vom Könige um eine beftinmte Summe ver:
Ichrieben worden jeien (am 29. April 1545).
Die andern beiden Theile, die im Befige der Berfa von Duba
waren, erwarb jedoch das Klofter nicht zurüd. Vielmehr kam es ſchließlich
im %. 1560 (14. Oct.) zu einem Saufvertrage mit den augenbliclichen
Inhabern, alfo einerjeits Sigmund Berfa auf Leipa, andererfeits oben
genannten Vormündern nad Zdislaw; danach wurden diefe gegen eine
Jahreszahlung erbliche Befiger, u. 3. behielt Sigmund, was ihm bis dahin
gehört, alſo Graber, Dörfel, Johnsdorf, Kroffendorf und ober, und
zahlte 50 Schod; die Erben Zdislaws erwarben aber nicht nur Ober- und
Nieder: Polig und ihre Hälfte von Waltersdorf, fondern auch die 3 Dörfer,
die Wenzel von Wartenberg abgetreten; ihre Zahlung betrug 30 Schod. *)
Dies gehörte fortan zu Reichitadt als Gut Politz.
Der junge Zdislam erlangte endlich 1565 feine Volljährigkeit ;*) man
Ihritt daher am 25. Juni d. J. zur Gütertheilung. Zoynef erhielt dabei
die Herrſchaft Reichitadt, nachdem Zdislaw, als der Jüngere, fich für Melnik
entjchieden hatte.) Zu legterem wurde aber jenes Viertel von Stratfchen
und Strziſchowitz gejchlagen, welches feit der Theilung von 1502 zu Reich:
jtadt gehört hatte. — Auf der anderen Seite wurden die Dörfer Meajtir-
Ihowig, Strzednitz, Strafchnig, Wyſoka, Klein-Aujezd und Podblat nicht
in die Theilung aufgenommen, weil diefelben der König nach des alten
Zdislaw Tode dem Zbynet und feinem älteften Sohne perjünlich auf
Lebenszeit verjchrieben hatte (1556, 15. Mai). — Demjelben Zdislaw
hatte König Ferdinand noch am 25. April 1552 in der Stadt Baugen
22", Schod Zins verjchrieben ; davon hatte Zdislaw die Hälfte jeinem
Better Sigmund Berka beftimmt, die andere kam jegt zum Melnifer Theil.
Der Beſitzer diejes Theils mußte jedoch an den andern 7000 Schod b.
Gr. herauszahlen;*) denn jener Bejig hatte einen viel höheren Werth als
Meichftadt, befonders nachdem feit dem Tode Zdislaws die Pfandſumme
noch bedeutend erhöht worden, jo daß jie jetzt beinahe 13,000 Schod
böhm. Gr. betrug. °)
1) Landtafel 55, A. 15 = 14, B. 7.
2) Siehe Vormundſchafts-Abdankung ebenda 15, H. 13,
3) Ebenda 57, H. 16,
4) Diefelben find jedoch nicht gezahlt worden, denn Zbyneks Erben behaupteten
noch 1619, diefe Forderung an Herrihaft Melnif zu haben; a. a. DO. Juxta.
5) Die einzelnen BVBerjchreibungen verzeichnet genau die Theilungeurkunde; dazu
vergl, man die Beftätigungen in den Landtagsacten. II. Bd.
——
Die Nachkommen Peters auf Leipa und Bürgſtein.
Es wurde bereits im vorausgehenden Capitel näher ausgeführt, daß
von den vier Theilen, in welche die Berka auf Leipa im J. 1502 ihre Güter
getheilt hatten, drei binnen kurzer Zeit mehrfach die Befiger wechjelten.
Peter allein vererbte jeinen Antheil auf feine Nachkommen, die ihn auch
bis zum legten Gliede behaupteten, d. i. etwas mehr als 100 Jahre.
Bon Peter ſelbſt wiſſen wir auch jchon, daß er gleich nach der Theilung
das Erbe jeines Neffen Wenzel auf Sternberg an ſich brachte; nicht minder
aber iſt gejagt worden, daß er im J. 1518 die Herrjchaft NReichjtadt davon
abtrennte und an einen andern Neffen, Zdislaw, zu lebenslänglichem Bejige
überließ. — Das ift alles, was wir von Peter wiſſen. Im %. 1522 war
er nicht mehr am Leben; denn jeit diefem Fahre finden wir feine Witwe
Beatrix von Kolowrat als VBormünderin nad ihm mehrfach in Proceſſe
verwickelt. Mit diefer gemeinschaftlich führte die Vormundſchaft der eben
genannte Neffe Zdislam, defjen Frau dann Beatrig wurde.
Sie hatte dem erjten Gemahl außer den zwei Söhnen, Sigmund
und Aegidius, auch vier Töchter geboren, Namens Anna Ludmilla, Iſolde,
Elifabeth und Lukretia.“) Von diefen hatte ſich Iſolde an Johann Borita
von Martinig auf Smetjchno verheiratet und war 1560 bereits todt. Die
dritte, Elifabeth, wurde zuerjt die Gemahlin eines Herrn von Guttenjtein,
dann des Lorenz Schlid. Auch brachte fie jpäter das Gut Pomeisl (bei
Poderjam) käuflich an fi) und vermachte e8 1560 tejtamentariich ihren
beiden Kindern, dem Heinrich Grafen von Guttenftein und der Lufretia
Schlid.?) Anna Ludmilla wurde die Frau des Franz Thurn und jtarb
1558.) Zufrezia blieb, wie es jcheint, unvermählt.
Ueber Aegidius, den jüngeren Sohn Peters, ift nur eins zu berichten.
Am 1. October 1539 Elagte ihn Rudolf von Bünau bei Gericht an, daß
er ihn bejchimpft und einen Schelm genannt habe.) — Kurz nachher ift
Aegid gejtorben, nachdem jchon 1541 der ältere Bruder in die Landtafel
einlegen ließ, daß er die VBormundfchaft über Urjula, das einzige Kind
Aegids, übernommen habe. *) Diefelbe wurde 1549 mündig,”?) und damals
— — — —
1) Kammergerichts-Regiſter I, F—B 29. u. öfters.
2) Das jagt das Teftament der Mutter von 1540, Zandtafel 1, A. 5.
3) Ebenda 16, A. 20. - Sie hatte e3 1551 von den Kindern nah Albrecht
Schlick gefauft. Landtafel 10, C. 9.
4) Beckovsty, Poselk. II. 1, 348,
5) Relig. I. 350.
6) Randtafel 2, H. 24.
7) ©. die Vormundſchafts-Abdankung ebenda. 9, A- 27.
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verglich ih Sigmund mit ihr über ihr Erbtheil und zahlte ihr 400 Schod
aus. Zu Galli desfelben Jahres vermählte fie jih dann mit Sebajtian
Forjt von Fort, k. Hauptmann auf B.Aicha.) Im %. 1556 aber erhob
fie Klage gegen Sigmund, daß er fie bei der Auszahlung ihres Erbes
verfürzt babe. Doch das Gericht wies fie mit der Klage, ab, nachdem fie
erjt jo viele Fahre jpäter gegen den PVergleih von 1549 Einjpradye er:
hoben habe. ?)
Sigmund jelbft hatte fi) mit Sidonie Schlid, der Witwe des Frie—
drich von Biberftein auf Dewin vermählt. Ihr war von diefem erjten Ge—
mahl die Mitgift von 6800 fl. rhein. jichergeftellt worden auf den Herr:
Ichaften Dewin und Ralsko-Niemes. Aus nicht näher befannten Gründen
erhielt fie nach feinem Tode (1530) das Beſitzrecht auf jene Herrichaften
gerichtlich zugefprochen.?) Als Sidonie dann die zweite Ehe eingegangen
war, jtellte jie dem neuen Gemahl Sigmund Berka eine Schuldverjchreibung
über 2000 Schod aus; danach jollte nad) ihrem Tode Dewin an ihn ge
langen, während fie jih über Ralsko-Niemes das freie VBerfügungsrecht
wahrte.*) Allein jchon im J. 1543 verzichtete Sigmund auf die jo er-
worbenen Anjprüche, und 1547 beftimmte Sidonie in ihrem ZTejtamente,?)
daß die beiden genannten Herrſchaften ihr Sohn erfter Ehe, Karl von
Biberftein, erben jollte; dafiir hatte derjelbe an Sigmund Berka 2000 Schod
auszuzahlen. Sidonie muß noch in diefem Jahre 1547 geftorben jein,
nachdem wir Sigmund jchon 1549 zum zweitenmal verheirathet finden.
Inzwiſchen hatte diefer feinen Herrjchaftsbejig nicht unbeträchtlich
vergrößert. Am 17. December 1545 hatte er nämlich von Marquard Stra-
nowsky von Sowojowig deſſen Gut an der fer ſüdlich von Jungbunzlau
gefauft.*) Dasjelbe umfaßte Schloß Neu-Stranow mit dem Meierhofe,
Städten Zamofcht (jet ein Dorf), Lhota, Wodierad, Smilowig, außer—
dem noch Theile von Iſer-Wtelno, Bezdierzin, Neprewazka, Straſchnow,
Sedleg und Predmiekitz. — Als jih dann Sigmund, wie erwähnt, zum
andernmale vermählt hatte mit Kunigunde Gräfin von Eberjtein, jo verfchrieb
er derjelben ihre Mitgift (im J. 1549) auf dem neuerworbenen Gute. ?)
1) Diefer verjchrieb ihr 1550 die Mitgift auf Dorf Budifow bei Böhm.Aicha.
Ebenda 9, F. 7.
2) Kleine Zandtafel 231, H. 18.
3) Zandtafel 1, D. 27.
4) Ebenda 84, A. 16.
5) Ebenda 8, 0. 9.
6) Zandtafel 46, B. 23 = 7, H. 12.
7) Ebenda 8, Q. 7.
= Me
Auch fonft Haben wir noch Kleine Erwerbungen Sigmunds zu ver-
zeichnen. Sein Better Zdislam Berka überließ ihm jein Viertel von dem
Leipaer Schloſſe.) Am 14. März 1554 verkaufte ihm Katharina von
Hungergoft, die Witwe Wenzels von Wartenberg auf Rübenau und Bor:
münderin ber Kinder desjelben, 9 Chalupner in der Stadt Leipa.“) —
Endlich wurde bereit gegen Schluß des vorigen Capitels genauer aus-
geführt, daß 1560 das Kloſter Doran feine bis dahin verpfändeten Güter
um Graber und Poli an die Berfa von Duba zu erblichem Beſitze ver-
faufte. ) Sigmund erhielt dabei das, was er bisher in Pfandbeſitz gehabt,
nämlich Graber, Dörfel, Johnsdorf, Kroffendorf, ober und die „Reißen-
mühle oberhalb Krofjendorf”.
Mit feiner Frau Kunigunde jchloß Sigmund im %. 1562 einen
Vertrag, wonach derjelben nach feinem Tode Gut Bürgjtein zufallen follte.*)
Sie hat es auch wirklich dann lebenslänglich bejejjen.
Im Fahre 1565 traf Sigmund mehrfach Verfügungen für den Fall
jeines Todes. Er hatte 2 Söhne: den einen, Peter, von der erjten Frau,
Sidonie Schlid;; den andern, Dietrih Georg, von der zweiten Gemahlin.
Lepterer war zur Zeit noch unmündig. — Am 21. Auguft 1565 beftimmte
num der Vater, diefe zwei Söhne follten ich nach feinem Tode in feine
Güter gleichmäßig theilen. Seine Frau Kunigunde jollte die Vormund—
Ihaft des jüngern Sohnes führen.) Aber ſchon am 7. November d. J.
änderte er feine Verfügung dahin, daß er jelbjt den ältern Sohn Peter
mit Herrichaft Neu-Stranow abtheilte; außerdem wies er demjelben 2000
Schod zu, die ihm von jeinem damals verjtorbenen Better Johann Wenzel
auf Sternberg teftamentarisch vermacht worden waren. ®) Weil jedoch auf
Nen-Stranow die Mitgift der Frau Kunigunde verfichert war, jo übertrug
er diejelbe zu gleicher Zeit auf jeine Güter bei Zeipa.”) — Vom 11. Dec.
desjelben Jahres datirt endlih Sigmunds ZTejtament;*) es enthält die
bereits befannte Beftimmung über die Vormundſchaft, wobei bemerfenswerth
it, daß der ältere Sohn Peter direct ausgefchloffen wurde; warum, weiß
ich nicht anzugeben, |
1) Ebenda 10, K. 20.
2) Ebenda 11, F. 12.
3) Ebenda 55, A. 15 = 14, B. 7.
4) Ebenda 14, F. 8,
5) Landtafel 15, J. 7.
6) Ebenda 65, I. 16. — Peter beftätigt, fein Erbtheil erbalten zu haben, ebenda
15, K. 7. ä
7) Ebenda 58, G. 11.
8) Ebenda 17, C. 27.
Zr,
Wenn vielleiht Sigmund diefe Anorönungen wegen Krankheit traf,
fo hatte dieje doch nicht jogleich den Tod zur Folge. Erjt zum 1. Aug. 1570
meldet Kriejche, Leipas Chronift, daß Sigismundus Berka „mit Tode ab-
gegangen” und in der Kirche Petri und Pauli begraben worden. ?)
Sigmunds älterer Sohn, Peter Berka auf Neu-Stranomw, vermählte
fi) mit der Schweſter feiner Stiefmutter, nämlich mit Gräfin Sibylle von
Eberftein, und jtellte ihr 1567 auf feinem Gute die Mitgift ſicher.“) —
Der jüngere, Dietrich) Georg, itbernahm mindig geworden 1575 von der
Mutter die Herrichaft Leipa in eigene Verwaltung.) — Zugleich wurde
damals bejtimmt, daß die Mitgift der Mutter noch 5 Jahre auf dem
Gute ftehen bleiben jolle, gegen eine jährliche Zahlung von 300 Schod.*)
Als jedod nach diefer Friſt die Auszahlung nicht erfolgte, ließ ſich Ku—
nigunde in die Herrichaft des Sohnes gerichtlih einführen, verjtand ſich
aber (am 8. Juni 1581) dazu, einen neuen Aufſchub von 5 Jahren zu
gewähren, ) unter gleichen Bedingungen.
Dietrih Georg hatte zur Gemahlin Eva von Biberjtein, deren Mit—
gift er 1579 auf 2 Dörfern des Gutes Bürgftein, Zwitte und Wellnig,
ficherftellte.*) Die Vermählung hatte jchon viel früher jtattgefunden. —
Wie es jcheint, war die Gefundheit Dietrich Georgs nicht grade jehr feit.
Wenigftens ließ er deshalb jchon am St. Wenzelstage 1583, obwohl er
nur etwa 33 Jahre zählte, fein Teſtament abfafjen.”) Die VBormund-
fchaft über feine zwei Kinder übertrug er darin feiner Mutter Kunigunde,
indem er wieder, wie feinerzeit jein Vater, den Bruder Peter auf Neu-
Stranow ausdrüdlicd davon ausſchloß. — Nicht ganz zwei Jahre jpäter,
am 7. Juli 1585, ereilte auch wirklich bereits Dietric) Georg zu Görlitz
der Zod; er wurde zu Leipa in der Frauenfirche begraben. Am 20. Juli
huldigten dann die Bürger des ihm gehörigen Viertels von Leipa der
Vormünderin Kunigunde. ®)
1) Mittheil. 20, 299.
2) Randtafel 16, A. 29.
3) Krieſche, Mitth. 20, 299. — Vergl. die Vormundſchafts-Abdankung des Diet-
rich Georg in der Randtafel 18, N. 21. — Borher muß er im Ausland ſtudirt
haben; das beweilt fein Stammbud im germanifhen Muſeum mit Eintra-
gungen aus Wittenberg, Straßburg, Tübingen (1566—70). ©. Mittheil. des
nordböhm. Exc.⸗«Cl. II. 138.
4) Landtafel 62, D. 23.
5) Ebenda 65, J. 25.
6) Ebenda 20, K. 5.
7) Ebenda 23, A. 29,
8) Krieſche's Chronik; ſ. Mittheil. 20, 300.
u. >
Zur Führung der Vormundjchaft wäre eigentlich zunächſt die Witwe
Dietrich Georgs, Eva von Biberjtein, berufen gewejen. Aber die Ehe
beider war nicht glücklich. In feinem Tejtamente machte er ihr viele Vor:
würfe über ihr Benehmen gegen ihn und darüber, daß ſie ihn während
jeiner Kränklichkeit verlaffen habe (mindeftens jchon jeit Ende 1582).
Er beftimmte daher nur, es jolle ihr nach feinem Tode die Mitgift aus-
gezahlt werden. — Es iſt aljo wohl jehr erflärlich, daß auch Kunigunde
nad) dem Tode des Sohnes jicy nicht gerade jehr freundjchaftlich gegen
die Schwiegertochter benahm. Deshalb erhob der Vater diejer, Karl von
Biberftein, im %. 1587 Bejchwerde bei Gericht und führte folgende Punkte
an: Die Güter, worauf die Mitgift verjchrieben wäre, trügen nicht die
Zinſen; auch habe Kunigunde Vieh und Wirthichaftsgeräthe von dem Hofe
in Zwitte fortichaffen lafjen, jo daß derſelbe wüjt liege. — Er ſelbſt habe
die Tochter jchon jeit 4 Fahren auf eigene Koften ernähren müſſen,
Kunigunde habe ſogar nicht einmal die in Leipa zurücgelajjenen Kleider
herausgegeben. Er bittet dann noch, im ZTeftamente Dietrich) Georg
möchte die gegen feine Tochter gerichtete Stelle gelöjcht werden. Auch
möchte derjelben gewährt werden, zum wenigjten zeitweilig ihr Kind Anna
bei jich zu haben. — Das Gericht bewilligte die Löfchung des bewußten
Paſſus im Teftament; ") Hinfichtlich der andern Punkte vermittelten Schiedg-
richter einen Vergleich (am 10, December 1587), worin bejtimmt wurde,
Kunigunde habe die Mitgift auszuzahlen nebſt Entſchädigung für den ent-
gangenen Genuß derjelben. Die Kleider jollten herausgegeben werden,
auch die Bitte hinfichtlich des Kindes wurde gewährt. ?)
Diejes Mädchen, Anna, vermählte jich jpäter mit Wenzel d. j. Berka
von Duba auf Reichftadt, worauf wir feinerzeit noch fommen. Außer ihr
war ein Sohn Adam vorhanden.
Wenige Monate nad) Dietrich) Georg verjchied auch jein älterer
Bruder Peter auf Neu-Stranow, am 19. December 1585, und wurde
neben jenem beigejegt.?) In jeinem nicht lange vorher (am 9. Det.) er-
richteten Teftamente hatte er feiner Gemahlin Sibylle feine Herrichaft zu
lebenslänglihem Genuffe beſtimmt; dann follte diefelbe in den Beſitz des
Neffen Adam übergehen.) Diejes Recht auf den Iebenslänglihen Nuß-
genuß wurde aber von Kunigunde als Adams Vormünderin nicht anerkannt;
1) Landt. 23, A- 29, juxta. Es jind davon uur ſchwer einige Worte zu entziffern.
2) Ebenda 68, J. 19.
3) Krieſches Chronik, a. a. O.
4) Landtafel 23, C. 5.
Er
Sibylle jtrengte deshalb einen Proceß an, allein am 20. October 1587
entichied das Geriht:') Nachdem jeinerzeit Sigmund Berka in feinem
Teſtamente beftimmt, wenn einer feiner Söhne ohne männliche Erben jterben
würde, hätte das Gut desjelben an den Bruder oder deſſen Söhne zu
fallen, deshalb fei jet der Sohn Dietrich Georgs der Erbe. Sobald alfo
Kunigunde die Mitgift und die ſonſt verjchriebenen Gelder ausgezahlt haben
werde, habe Sibylle Neu-Stranow abzutreten. — Das gejchah auch 1588.
Aber ſchon im nächften Jahre, am 5. Juni 1589, verkaufte Kunigunde
diefe Herrichaft um 13.000 Schod an Karl von Biberjftein. *)
Sibylle dagegen erwarb 1592 von Wenzel Mitrowsky von Nemyfchl
den Nitterfig Lhota mit Meierhof und dem Dorf Slatina um 4700 Sc. ?)
Doc fie jollte ich des neuen Beſitzes nicht lange erfreuen, da jie bereits
am 7. Juli 1594 verjchied.*) Das Gut erbte die Schwejter Kunigunde,
als dann auch diefe am 11. Dec. des gleichen Yahres im Tode nad):
folgte, °) fiel dasjelbe an den Enkel Adam Berka.
Wie die Herren von Wartenberg 3 Viertel der Stadt Leipa im Be—
jige hatten, jo gehörte ihnen auch eine Hälfte des Schlojjes. Eine Aende-
rung war jeßt unter der Vormundichaft der Kunigunde eingetreten, indem
diefe im %. 1591 von Fohann von Wartenberg deſſen Antheil am Schloſſe
um 1000 Schod käuflich für den Enkel erwarb. ®)
Um die Zeit, wo die Großmutter jtarb, wurde Adam miündig.
Gleich im Fahre 1596 ging er daran, fich in Bürgſtein ein neues
Schloß zu errichten.”) Bald darauf vermählte er ſich mit Anna, geb.
Berka von Duba, welche ihm um Lichtmeß des J. 1598 eine Tochter
Anna Marie gebar,°) die auch das einzige Kind blieb. — Die Mitgift
hatte er der Frau auf feinem gejammten SHerrichaftsbejige werjchrieben
und zugleich bejtimmt, daß vderjelbe, falls er kinderlos bliebe, nach feinem
Tode an ie fallen jolle.?) Nachdem nun die genannte Tochter. vorhanden
war, mußte Adam an eine Aenderung denken.
1) Ebenda 68, J. 13.
2) Zandtafel 166, E. 22.
3) Ebenda 26, F. 14, Das Gut liegt ſüdweſtlich von Rakonitz.
4) Krieſche's Chronik; Mitth. 20, 300. Sie wurde in der Leipaer Frauenkirche
begraben.
5) Ebenda. Begraben bei St. Peter und Paul in Leipa,
6) Landtafel 168, A. 27.
7) Kriefhes Ehronif. — ©, Illuſtr. Chronik I. 54.
8) Ebenda.
9) Landtafel 128, J. 21.
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ee U:
In einer neuerlichen landtäflichen Einlage vom J. 1604 traf er daher
die Verfügung, daß feine Güter nach feinem Tode an die Tochter Anna
Marie zu fallen hätten, und jegte über diejelbe feine Gemahlin zur Vor—
münderin ein. Für den Fall eines frühzeitigen Todes der Tochter machte
er die Frau zur Erbin.) Jun einer zweiten, gleichzeitigen Urkunde verjchrieb
er diefer neuerdings die Mitgift auf feinen Gütern, u. 3. auf Leipa und
Bürgftein. Das einſt vom Klofter Doran gekaufte Graber mit den zu—
gehörigen Dörfern war jedod) diesmal ausgeſchloſſen; denn dieſen Beſitz
hatte er bereitS vorher?) veräußert an Frau Elifabeth von Wartenberg,
die Herrin von Neufchloß, für die Zeit, fo lange fie beide leben wilrden.?)
Auch Lhota und Dorf Slatina, das er befanntlich durch feine Großmutter
von Sibylle von Eberjtein geerbt hatte, war nicht mehr in feinem Beſitze,
jondern es war fchon 1602 von ihm Fäuflich überlafjen worden an Chriftoph
Kober von Kobersdorf. *)
Adam war wenig über 33 Jahre alt, als ihn am 13. Juli 1607
ein Sclagfluß dem Leben entriß.?) Nachdem nun auch Elijabeth von
Wartenberg auf Neufchloß bereits 1604 geftorben war, fo hätte jeßt Graber
wieder zurüderwerben werden fünnen. Es fehlte aber an dem nöthigen
Gelde, und jo entjchloß fich die Witwe bald nachher, diejes Gut endgiltig
zu verkaufen, u. 3. an Johann von Wartenberg) als den Bruder Sig-
munds von Wartenberg; diefer nämlich war der Gemahl jener Elifabeth
gewejen und hatte alle ihre Güter geerbt.
Anna, die Witwe Adams, ging am 3. December 1609 eine zweite
Ehe ein mit Johann Abraham von Salhaufen, Herrn auf Markersdorf.
Und als die Tochter herangewachfen war, reichte fie ihre Hand dem Ru—
dolph Seidlik von Schönfeld (am 14. September 1616). Diefer Gemahl
war Herr auf Polna, Chogen und Pribislau. Wahrjcheinlich war es jchon
mit Rückſicht auf diefe Heirat gefchehen, daß Anna Marie einige Monate
vorher, am 1. Juni 1616 ihr väterliches Exbtheil, die Herrjchaft Leipa-
1) Zandtafel 132, G. 23.
2) Späteftens anfangs des $. 1604, nachdem Elifabeth am 17. Apr. d. J. ftarb.
3) Die betr. Urkunde iſt nicht erhalten, doch ergibt fi das oben Gejagte aus
der jpäteren Verkaufsurkunde.
4) Landtafel 131, B. 18.
5) Krieſche's Chronik. Mitth. 20, 300,
6) Landtafel 134, M. 30. — Eingelegt wurde diefer Kauf 1609; allein er muß
ihon 1607 abgejchloffen worden fein, denn Sigmund von Wartenberg ftarb
am 19. Febr. 1608, während er dort als lebend vorausgeſetzt ift.
=
Bürgſtein an ihre Mutter verfaufte, *) die zugleich die väterlihen Schulden
übernahm.
Die neuen Befiger von Leipa, Frau Anna von Salhaujen und ihr
Gemahl Johann Abraham geboten jedoch hier faum ein Jahr. Am
6. September hatte Letzterem das betreffende Viertel der Stadt gehuldigt, *)
und ſchon am 16. Detober desjelben Jahres machte er das Tejtament,
worin er jeine Güter, weil er kinderlos war, feinem Bruder Wolf zu:
jprad). ?) — Am 1. April 1617 ſchied er aus dem Leben, und am 14. Juli
d. J. folgte ihm auch die Gemahlin ins Grab. *)
Bereit3 am 16. Juni war dem Erben, Wolf von Salhaufen, ge:
huldigt worden. Derſelbe betheiligte ſich an dem böhmischen Aufitande;
daher wurde er nad) der Schlacht auf dem Weißen Berge jeines ganzen
Vermögens für verluftig erflärt (1622). Sein Viertel von Leipa mit Dorf
Achendorf und jonjtigem Zugehör erwarb dann Albrecht von Walbdjtein.
Herrichaft Bürgftein aber wurde an Zdenek Leo Libjteinsfy von Kolowrat
verfauft.°) Die weiteren Schidjale diejer beiden Güter zu verfolgen liegt
dem Plane der Arbeit zu fern.
Die Gabler Linie.
Die Brüder Jaroslaw, Georg, Johann und Peter, welche gegen
Ende des 15. Jahrhunderts gemeinjchaftlich auf Leipa geboten, begründeten,
wie wir fahen, vier Linien. Drei derjelben wurden in den beiden vorher:
gehenden Capiteln bis zu ihrem Erlöfchen verfolgt; es erübrigt nun noch
die Behandlung der Nachkommen Georgs, des zweiten der ebengenannten
Brüder. Daß diefes erſt an legter Stelle gejchieht, dafür war maßgebend
der Umstand, daß diefe Linie um faft genau hundert Jahre länger blühte
als die drei übrigen, indem mit derjelben überhaupt das Gejchlecht der Berka
von Duba in Böhmen ausjtarb.
Was von Georg, dem Stammvater der Gabler Linie, und jeinen
Beligungen zu jagen ijt, wurde bereits im vorletzten Kapitel des näheren
ausgeführt.) Danach erhielt er bei der Theilung vom %. 1502 außer
einem Viertel von Zeipa und gewiſſen Dörfern bei diefer Stadt noch Gabel
1) Zaudtafel 190, M. 20. Anna trat es gleidy darauf wieder ihrem Gemahl ab.
Kleine Landtafel 237, L. 9.
2) Krieſche's Chronik. — Illuſtr. Chronik I. 240,
3) Landtafel 138, N. 23.
4) Krieſche a. a. O. u. Mitth. 20, 309.
5) Bilet, Döj. konf. 562 f.
6) Siehe oben ©. 78 ff.
8 Eee a SEELEN NETT MRS Ka Men Sl Se Zei are LTE u are
vr. 5 2.8 — —* *
mit Zugehör, überließ aber dieſen ſeinen Theil bald an ſeine Söhne.
Auch der Theil ſeiner Neffen Adam und Zdislaw, den er dann erwarb,
ging um 1512 über an Sigmund von Wartenberg. Im Jahre 1514
war er bereits todt. — Auch von feinen jieben Söhnen namens Wenzel,
Heinrih, Hinko, Albrecht, Jaroslam, Peter und Chriftoph war jchon die
Nede. Bon dem erwähnten Erbtheil des Vaters kam jpätejtens 1509 das-
jenige, was in und um Leipa dazu gehörte, an Johann von Wartenberg,
nur ihren Gabler Bejig behaupteten fie. Dagegen trat ihnen ihre Mutter
Margarethe geb. von Koldig, am 24. Mai 1514 ihre Anfprüche auf
Dobern ab, worauf fie ihre Mitgift verjchrieben hatte. *) Damals waren
noch alle fieben Söhne am Leben. Im J. 1525 jedoch geichieht Jaroslaws
und Peters feine Erwähnung mehr.”) Und die Urkunde vom 29. April
1528, womit ihre Herrichaft Gabel an Zdislaw Berfa von Duba ver:
fauft wurde, nennt al8 Verkäufer nur mehr Heinrich, Hinko und Chriftoph.?)
Zu derjelben Zeit wahrjcheinlich ging an Zdislaw auch ihr Befig in Dobern
über. Wir fennen darüber jedoch nur die landtäflichen Neueinlagen von
1543 und 1544, welche das urfprüngliche Datum nicht enthalten. *) Dieje
beiden Neueinlagen gejchehen durch Heinrich (1543) und Hinfo (1544);
diejes find zugleich die legten Nachrichten, die mir über diefe zwei Brüder
befannt geworden find. 1553, in dem befannten Zejtamente des Oberſt—
Hofmeijters Zdislaw Berka, worin ſonſt alle Verwandten bedacht find, wird
bloß noch Ehriftoph erwähnt. Wie diejer alfo alle jeine Brüder überlebte,
jo ift er auch der einzige, von dem wir Nachkommen fennen.
Seit dem J. 1528, wo nach dem eben Gefagten der Reſt der er-
erbten Güter in fremde Hände fam, finden wir überhaupt feinen jener
Brüder im Befige irgend eines Gutes. Erſt im %. 1553 gelangte Chriftoph
und jeine Linie neuerdings zu einem jolchen, nämlid durch das furz vor-
her erwähnte Teſtament Zdislams. Chrijtoph felbjt Fam dadurch wieder
in den Bejig der Herrichaft Gabel; fein jüngerer, noch unmündiger Sohn
Zdislaw aber follte ſich außerdem mit dem Malteferordens-Grandprior
Zbynek Berka (aus der Drzeweniger Linie) in die Herrjchaften Melnif und
Neichjtadt theilen. Als dann am 25. Juni 1565 dieſe Theilung vorge-
nommen wurde, wählte Zdislaw die Herrichaft Melnif. >)
1) Orig.Urkunde in Leipa.
2) In der Urkunde, womit den Untertbanen der Herrichaft Gabel die Robot er-
feichtert wurde. Hamburger, Lemberg und Gabel, ©. 131.
3) Landtafel 43, J. 10 (— 5, A. 19) — In diefer Urkunde ift auch von zwei
unverheirateten Schweitern Elifabeth u, Johanna die Rebe.
4) Vergl. oben ©. 82, Anm, 5.
5) Die Belege dafür f. oben S. 85—87.
a —
Chriftoph gebot nicht mehr lange auf Gabel. Im %. 1554 bejtätigte
er den Unterthanen dajelbjt die bisherige Robotpflicht und das Erbrecht;
dagegen ftellten jchon im nächjten Jahre feine beiden Söhne Heinrich und
Zdislaw als die neuen Herrn eine ähnliche Urkunde aus.') Genauer ge:
jagt, Heinrich für fich und feinen viel jüngeren Bruder, der erit 1565
mündig wurde. Bis zu diefem Fahre aljo verwaltete Heinrich die ganze
Herrſchaft Gabel. Am 2. Mai 1565 aber wurde die brüderliche Theilung
vorgenommen. ?) Jeder der Brüder erhielt dabei eine Hälfte der Stadt
Gabel. Auf Heinrichs Theil kam außerdem noch die untere Vorjtadt, das
Dörfchen Nieder-Krotumful mit 3 Häufern, Böhmiſchdorf, Petersdorf und
ein Theil von Hermsdorf; auf Zdislaws Theil die obere Vorjtadt, Herrn:
dorf, der zu Gabel gehörige Antheil an Marfersdorf?) und der Reit von
Hermsdorf. Ä
Ganz jung aljo übernahm Zdislaw die Verwaltung jeiner Herrichuften
Melnif und Gabel. Trotzdem führte er diefelbe nur zehn Jahre, denn
bereit8 1575 jtarb er. Seine Gemahlin Marianne von Eljtiborz war
ihm im Tode vorausgegangen. Sie war beigejegt worden im Kloſter
St. Zaurenz unter Melnik, und für diefes bejtimmte Zdislam aus dem Anlaß
einen jährlichen Zins von 10 Schod auf Gabel. *) — Nad) den beiden
Gatten blieb ein no) ganz junger Sohn Johann und 2 Züchter Katha-
rina und Margareta. Bon diefen vermäbhlte jich Katharina um das %. 1587
mit Nikolaus Seferfa von Sedſchitz auf Obrzijtwi.d) Die Bormundfchaft
diejer Kinder übernahm der Oheim Heinrich.“) So hätte er diesmal auch
die Verwaltung von Melnif zu führen gehabt. Allein gleich nad) Zdislaw
Zode ging die fünigliche Kammer an die Einlöfung. Die Pfandfumme
wurde ausbezahlt und Heinrich) mußte Melnif abtreten (1576, 28. März). ?)
Bon dem großen Pfandbejig in diefer Gegend blieben nur noch einige
Dörfer, von welchen weiter unten die Rede fein wird.
Indem wir nun auf Heinrich jelbjt übergehen, müſſen wir zunächjt
von feinen Gitererwerbungen fprechen. *) Als erſte treffen wir da das
1) Hamburger a. a. O. 134.
2) Randtafel 57, F. 30—G. 19.
3) Der andere Theil von Markersdorf gehörte zur Herrfhaft Lemberg.
4) Zandtafel 20, L. 8.
5) Ebenda 24, B. 12.
6) Ebenda 62, E. 8.
7) Ebenda 52, H. 16. Juxta. — Melnik erhielt dann Georg von Lobkowitz.
8) Schon 1564 hatte er von Chriſtoph von Berbirsdorf Gut Boretz bei Loboſitz
erworben, aber bereitö 1565 trat er es wieder ab an Zdislam Kapler v. Sule:
wis auf Skalken. Zandtafel 87, K 30 und N. 13.
Mittheilungen. 26. Jahrgang. 1. Heft. ö 7
wüſte Schloß Malkau mit dem Meierhof Klein-Horfa und 3 Unterthanen
in Petifozel, erworben durch Kauf von Johann Habartigfy von Habartitz
im %. 1580.) m gleichen Jahre trat ihm auch Dietrich Hruſchowsky
von Hruſchow den Hof in Ezetno ab. *) — Bedeutender war die Erwerbung
des nächjten Jahres 1581, wo Heinrich die Herrjchaft Lemberg von Hein-
rich Kurzbach von Trachenburg kaufte. Zu diefer gehörten Schloß und
Meierhof Lemberg mit 2 andern Höfen; ein Theil von Markersdorf, dann
Klein-Herrudorf, Neu-Jüdendorf, Kunewald, Ringelshain, Schwarzepfüge
(neu), Johnsdorf, Seifersdorf, Kriesdorf (theilweife), Neuland (neu),
St. Chriftophsgrund (neu).“ — Eigentlich hatte Heinrich die Herrſchaft
für feinen Miündel Johann erworben, aber auf ſpecielles Verlangen des
Berfäufers wurde fie für Heinrich jelbjt in die Landtafel eingelegt. Und
al8 genannter Johann dann 1593 feinen Beſitz antrat, weigerte ex fich,
Lemberg mit zu übernehmen und Heinrich mußte es aljo behalten. *)
In diefen Fahren erbaute ſich Heinrich ein neues Schloß, u. z. an
der Stelle, wo damals das Heine Dürfchen Krotumful ftand, und benannte
es Neu-Falfenburg. >) Bon jegt an heißt er auch gewöhnlich „von Gabel
und Neufalfenburg".
Heinrich war in erjter Ehe vermählt mit Elifabeth von Wartenberg,
die aber ſchon 1572 ſtarb, mit Hinterlaffung eines einzigen, unmündigen
Sohnes Chriftoph.*) Die zweite Gemahlin Heincihs wurde Anna von
Schmolz. — Der genannte Sohn erjter Ehe wurde im J. 1589 mündig
und erhielt zu gleicher Zeit vom Bater 6000 Sc. b. Gr. als Erbtheil
ausgezahlt.) Diefer Chriſtoph Tieß jic) dann am 9. Nov. 1590 von
Hans Leimar dejjen Hälfte von Warnsdorf, Grünthal genannt, mit dem
gleichnamigen Nitterfige und einem Meeierhofe abtreten. Aber nicht ganz
3 Jahre fpäter, am 6. Juli 1593 überließ er diefen Beſitz bereits wieder
an Elijabeth von Schleiniß, geb. Schlid.*) Bevor die ausbedungene Kauf:
jumme noch ganz gezahlt war, ſtarb Chriftoph (wohl 1595), und der
Bater Heinrich als Erbe nach) ihm hatte noch langen Streit darum, den
wir jedocd im einzelnen nicht verfolgen fünnen.
1) Ebenda 21, A. 28. Gelegen meitlih von FJungbunzlau; auch Czetno.
2) Ebenda 89, K. 21.
3) Landtafel 21, D. 19.
4) Ebenda 169, F. 28.
5) Diefe Thatſache ift in mehreren jpäter anzuführenden Verkaufsurkunden von
Gabel erwähnt.
6) Landt. 17, M. 13. (Heinrich übernimmt die Verwaltung der Hinterlaffenichaft.)
7) Ebenda 166, E. 8, Vergl. 24, M. 30 und 25, K. 29.
8) Ebenda 91, C. 13 und 170, L. 12,
EEE
Inzwiſchen war auch der ältejte Sohn aus der zweiten Ehe, Namens
Wolf, herangewachjen. Diefem trat der Bater am 25. September 1597
alle jeine Bejigungen ab, alſo neben der halben Herrſchaft Gabel noch)
Lemberg, dann Malkau und Gzetno. Zugleich jollte Wolf für feine Ge-
ihwijter bi8 zu ihrer Mündigkeit ſorgen und ihnen dann die gebührenden
Theile ausfolgen.”) — Aus dem folgenden Jahre datirt eine Urkunde
Wolfs, womit er die Privilegien von Gabel bejtätigt. 2) Aber noch im
Monat Juni desjelben Jahres ftarb er; der Vater Heinrid) fegte ſich wieder
in Bejig aller der genannten Güter, ohne jogar den vworgejchriebenen,
gefegmäßigen Weg einzuhalten. Er nahm dabei Feine Rückſicht darauf,
daß Wolf eine Witwe, Helene, geb. Lajansky von Bufowa, und zwei uns
mündige Kinder Heinrich Wolfgang und Eliſabeth Wolfamina Hinterlaffen
hatte. Helene wendete ſich darauf an den Kaiſer; infolge deſſen kam durch
Vermittlung der k. böhmischen Kanzlei am 4. März 1599 ein Vergleich
zuftanve, nach dem Heinrich an die Witwe jährlich 150 Schod b. Gr. aus-
zuzahlen hatte. ®)
Die betreffenden Güter aber gingen wenige Wochen jpäter ſämmtlich
in fremde Hände über. Zunächſt verfaufte Heinrich) am 23. April 1599
jeine Hälfte von Gabel mit Neufalfenburg u. j. w., danı auch Malkau
und Ezetno an Margarete Haslauer;*) und am 22. Juni die Herrichaft
Lemberg an Wratislam Burggraf von ‘Dohna. ®)
Nachdem jo alle Herrjchaften verkauft waren, verließ Heinrich mit
jeinem jüngern Sohne das Land; fern von der Heimat ereilte ihn bald
der Zod. Folgendes Schreiben gibt darüber einige Auskunft. Unterm
15. Juli 1601 berichtet nämlich Chriftoph Wilhelm Sezima auf Bolit
dem Erzbiichof Zbynek Berka, er habe einen Brief erhalten von den
Bürgermeiftern der Stadt Rendsburg im Lande Holjtein, mit denen er
früher gut bekannt gewejen, worin ihm dieſe mittheilten, es jei in ihre
Stadt gekommen H. Hendrich Berfa, der Vater von Hynek und Joſef
Berka, welcher jüngere Sohn Joſef ſich noch immer dort befinde.
Indem Sezima den Brief zugleich überjendet, bittet ev den Erzbiſchof um
baldige Nachricht, wie für diefe junge Waije gejorgt werden jolle, „die in
1) Ebenda 172, N. 9,
2) Hamburger, a. a. O. 150.
3) Zandtafel 173, E. 3. Die Zahlung wurde anf Herrihaft Gabel fichergeftellt;
Helene quittirt den Empfang bis 1623.
4) Ebenda 175, 0.6 — 130, L. 29.
5) Ebenda 173, N. 3 = 129, H. 13. Die Erben Heinrichs behaupteten jpäter,
böje Leute hätten den altersihwachen Mann zum Verkaufe getrieben.
Tr
— 100 —
fremden Landen verwaiſt ſei und dort keinen Freund habe als den lieben
Gott“.) — Was in dieſer Hinſicht geſchehen ift, darüber fehlen uns die
Nachrichten. Nur ſo viel iſt ſicher, daß gen. Joſef Berka wieder in die
Heimat zurückkehrte. Er wird noch 1606 genannt, 1607 aber als verſtorben
bezeichnet.?)
Hinko, ſein älterer Bruder, führt 1600 das Prädicat „auf dem
Kaltenhofe“.“) Dieſen Hof, der nahe bei Gabel lag, hatte ſich Hein—
vich 1597, als er die Herrichaft an den Sohn Wolf abtrat, vorbehalten
und auch 1599 vom Verkaufe ausgenommen. Im J. 1607 (am 13. Augujt)
faufte Hinko von Johanna Horniatedy von Chotfow ihr Gut Mefchit
(Ritterjig, Meierhof und Dorf.)*) Doch behielt ev diefen Beſitz nicht
lange; als er im J. 1609 ſtarb, hatte er denfelben beveits wieder abge:
treten an Magdalena Trezfa, geb. Lobfowig. °)
Wohl hatte ſich Hinfo im Berein mit Helene, der Witwe feines
Bruders Wolf, bemüht, die väterlihe Hälfte der Herrjchaft Gabel wieder
zu erlangen, indem jie 1603 einen Proteſt gegen den Verkauf einlegen
liegen; aber ohne Erfolg. Auch wäre wohl dadurch nicht viel gewonnen
worden, da eine bedeutende Schuldenlaft darauf haftete.*) War aljo jo
diejesg Erbe vorläufig für die Familie verloren, jo blieb doch die andere
Hälfte von Gabel erhalten, die nach Zdislaw Berka an feinen Sohn
Johann gefallen war. Die Bormundjchaft, die der Oheim Heinrich über
diejen geführt hatte, endete im J. 1593, °) und in diefem Jahre bejtätigte
Johann auch die Privilegien von Gabel.) Die Herrichaft Melnif, die
jeinem Bater gehört hatte, war befanntlich beveit3 1576 von der Kammer
eingelöjt worden. Nur ein anderer, Kleinerer Pfandbefig in diejer Gegend
war Johann geblieben, nämlich Meelnifer-Wtelno, Zamach, Choruſchitz und
Choraujchef.?) — Jetzt hatte Joachim Novohradsty von Kolovrat, welcher
1) Eopie im böhm. Landesardiv.
2) Zandtafel 173, N. 3. Juxta.
3) Ebenda 173, 0. 7. Das Folgende ergibt ſich aus den betreffenden Yandtafel-
Urkunden.
4) Ebenda 182, M. 3. (um 15.500 Sch. m.).
5) Das Todesjahr bei Hamburger a. a. DO. 150. Hinko Hinterlich die Witwe
Margarete, geb. Hirſchberger. — Die Verkaufsurkunde habe ich nicht finden
können; die Thatjache wird erwähnt Landtafel 185, F. 2.
6) Den Proteft |. Kandtafel 175, O. 6. Juxta. — Ueber die Schulden fam es
erſt 1604 zu einer gerichtlichen Entfcheidung; f. ebenda 178, HH. 9,
7) Am 6. Nov, 1593 legte der Vormund Rechnung. Ebenda 169, F. 28,
8) Hamburger a. a. D. 149.
9) Ueber die Erwerbung diefer Orte vergl, oben ©. 85.
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um diefe Zeit auch Melnik nach Georg von Xobfowig an ſich brachte,
vom Kaiſer die Bewilligung erlangt, ji) mit Johann Berka über die ge:
nannten Dörfer zu vergleichen. Daraufhin wurden diefelben am 9. Mat 1595
wirklich an Kolovrat verkauft. ')
Johann Berka befand ſich damals nicht im Lande. Er war Truchſeß
des Erzherzogs Ernſt von Dejterreich geworden, und als dieſer 1594 als
Statthalter nach den Niederlanden ging, begleitete er ihn dahin. Ernft
war freilich Schon am 12. Feber 1595 geftorben. Johanns Abreife ver:
zögerte fich aber, weil er, wie obige Berfaufsurfunde jagt, wegen Schulden
in Gefangenjchaft gehalten wırde. — Wenige Fahre darauf (1600) er-
eilte ihn ein gewaltfamer Tod.“) Da er finderlos war, fiel jein Beſitz an
die Erben feines Bruders Heinrich, die ihn auch gegen die Ansprüche
mehrerer Gläubiger behaupteten.
Bon diejen blieben 1609, wo der legte Sohn Heinrichs, Hinko, jtarb,
nur die zwei Kinder übrig, welche der 1598 verftorbene Wolf hinterlafjen
hatte, nämlich Heinrich Wolf und Elifabeth Wolfamina, unter der Vor—
mundjchaft der Mutter Helene, wie mehrfacd erwähnt wurde. Dieje ver:
mählte jich fpäter zum zweitenmale mit Sigmund d. j. Materna von
Kvetnig und lebte ſeitdem meist auf dejjen Beſitze Trzebeſchitz bei Kutten-
berg. Hier wurde auch die Tochter erzogen, die fich dann 1613 mit Johann
Georg Zdiarsky verheiratete. ?)
War früher der Beſitzſtand der Familie bedeutend zuricdgegangen,
jo zeigte fich bald ein großer Auffchwung, nachdem Heinrich Wolf die
Berwaltung übernommen hatte. An dem Wufitande von 1618 war er
wenig betheiligt, jo daß er vom Kaifer am 31. October 1622 unter ge-
wiffen Bedingungen begnadigt wurde.) Wir finden ihn in Fatjerlichen
Kriegsdienften und 1623 ift er Steuer-Inſpector im Königreich Böhmen.
Mit diefem Jahre beginnen auch feine Gütererwerbungen, u. z. machte
die andere Hälfte von Gabel den Anfang. Margarete Haslauer hatte
diejelbe ihrem Gemahl Wladislaw Haslauer von Haslau hinterlaſſen;
diefer verkaufte jie am 7. Auguft 1610 an Ladislaus Berfa von Duba
auf Groß-Meferitich in Mähren.) Für den unmündigen Sohn des legteren
verwaltete die Güter Leo Burian Berka auf Nichenburg, und von diejem
1) Abſchrift der Verkaufsurkunde im böhm. Landesarchiv,
2) Soviel ergibt fi) über Zeit und Art des Todes aus Acten im Statth.-Arch.
Nähere Umftände find mir nicht befannt.
3) Datickh, Pam. 105 und 136.
4) Bilek, Dj. konf. 15.
5) Zandtafel 183, K. 20.
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erwarb Heinrich Wolf am 25. Sept. 1623 jene Hälfte um 35000 Sc. m. ')
Dazu fam gleih am 3. Mai 1624 ein Meierhof und einige Unterthanen
in Ober-Walten, gefauft von Johann Odkolek von Aujezdeg.?) — Einige
Jahre fpäter folgten neue Erwerbungen ſüdweſtlich von Jungbunzlau.
1628 faufte hier Heinrich Wolf, damals Hauptmann der Prager Neuftadt,
Ritterfig, Meierhof und Dorf Nemeslowig, das jeit langen Jahren den
Rittern WIE von Quitkau gehört hatte; ?) zwei Jahre darauf einen Theil
von Melniker Wtelno (mit einem Ritterfig und 2 Meterhöfen) und die
Dörfer Ezerzelig, Borek und Wojetin. *)
Ganz bejonders aber wurde der Familienbefitz erweitert durch die
erſte Gemahlin Heinrich Wolfs, Magdalena Katharina geb. von Zerotin.
Die Mutter derjelben, Elifabeth, geb. Waldftein, hatte 1623 einerfeits die
den Johann Dionys Brzeziy von Plosfowig confiscirten Güter Oſtrow
und Hodfow gekauft, anderſeits etwas nördlich davon, unweit Kuttenberg,
die der böhmischen Kammer gehörige Herrichaft Maleſchau.“) — Ihre ge:
nannte Tochter al3 Erbin diejer Befigungen hinterließ diejelben mit Teſtament
vom 17. Jän. 1639 zur Hälfte ihren Gemahl Heinrich Wolf felbjt, halb
ihren Rindern von ihm, u. 3. jo, daß dieſelben jchließlich ganz an den
Sohn Franz Karl fallen follten. ©)
Auch diefen Beſitz vergrößerte Heinrich Wolf bald durch mehrere
Zufäufe in der Nahbarichaft: im J. 1640 Faufte er das Dorf Milch:
fowig; 1647 erlangte er das Gut Sukdol durch gerichtliche Abſchätzung
wegen einer Schuldforderung; 1648 endlich brachte er die Dörfer Dobrzen
und Malenowitz duch Kauf in feinen Befit. ”)
Diefer langen Reihe von Gütererwerbungen haben wir zum Schluß
noch dieje Kleinere hinzuzufügen. Ejther Mitrowsky, geb. Lazansky, hatte
1) Zandtafel 297, L. 5.
2) Ebenda 309, X. 11.
3) Ebenda 309, X. 14. Beliger waren damals Johann d. j., Felix, Radislam
und Adam, Brüder WIE von Quitkau.
4) Ebenda 297, Q. 22. Wtelno war Stammfig der Ritter Wielensfy v. Wtelno;
obiger Befis war dem Johann Wtielensky confiscırt und an Martin Kuifen
von Kobach verfauft worden GBilek a, a. DO. 918). Des leßteren Witwe über-
ließ denfelben an Heinrich Wolf im Taufche gegen Unter-Kralowis, welches
diefer zur jelben Zeit gekauft hatte, Landtafel 297, O. 6. — Ein Theil von
Wielno gehörte übrigens zu Hft. Melnif, vergl. oben ©. 85.
5) Ueber den Umfang |. Bilef a. a. O. 41 und 16,
6) Zandtafel 148, D. 17.
7) Zandtafel 307, M. 8 (Kauf von Miſchkowitz); 149, K. 6 (Mbihägung von
Sufvol; vergl. H. 18. Jurta); 310, A. 30. (Kauf von Dobrzen :c.)
gg
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in ihrem ZTeftamente 1639 auch die Kinder ihrer Schweiter Helene mit
Legaten bedacht, d. h. aljo unſern Heinrich Wolf und feine Schwejter
Eliſabeth Wolfamina, die in zweiter Ehe an Karl Hiejerle von Chodau
vermählt war. Ejthers Bruder Ferdinand Rudolf Lazansty als Haupt:
erbe trat dafür an Heinrich Wolf das in die Erbichaft gehörige Gut
Petrowig ab; es umfaßte Dorf Petrowig mit dem Nitterfig und einen
Theil von Mecholup (dftl. von Prag). ")
Wie ſich alſo die Beſitzungen Heinrich Wolfs ungemein vermehrt
hatten, jo war er auch in Rang und Stellung immer höher gejtiegen.
Wir haben ihn als Stenerinjpector, dann als Hauptmann der Prager
Neuftadt kennen gelernt. 1634 finden wir ihn unter den Statthaltern,
bald darauf wurde er Inſpector der Eöniglichen Herrichaften in Böhmen ;
von 1640 an bis zum Tode war er Oberjt-Hoflehenrichter, jeit 1645 aud)
noch Bräfident der Kammer.?) Für feine Verdienſte hatte ihn ſchon
K. Ferdinand II. mit Diplom vom 15. Juli 1637 in den Neichsgrafen:
ftand erhoben; er nennt fich ſeitdem Heinrich Wolf Berka Neichsgraf Ho-
wora von der Dauba und Leipa.?) — Schließlich war er auch Ritter
des jpanischen Ordens ©. Jago von Galicia.
As im J. 1648 die Schweden Prag bejegten, fiel auch Heinrich
Wolf mit feiner Familie in ihre Hände (26. Juli). Seine ältejte Tochter
Elifabeth Barbara, die mit Karl Ferdinand von Waldftein vermählt war,
gab damals ihr ganzes Silber her zum Loskaufe.“ — Zwei jahre darauf
jtarb Heinrich Wolf. Er war in zweiter Ehe verheiratet mut Eleonore von
Lobfowig, die nun über ihre Kinder von ihm, einen Sohn Franz Anton
und zwei Töchter Marie Katharina und Anna Therejia Eleonore die Bor:
mundjchaft übernahm. Auch Franz Karl, der Sohn erjter Ehe, war nod)
nicht mündig; als Vormünderin über ihn trat feine kurz vorher genannte
Schweiter Elifabeth Barbara von Waldftein ein (17. Sept. 1650.) °)
1) Ebenda 147, M. 15. Bergl. 316, E. 28,
2) Palackh, Soudasny prehled. — Die andern Angaben nad feinem Titel in
den verjhiedenen Urkunden,
3) Vergl. Land. 624, D. 26, — Durch die Wahl ded Namens Howora knüpfte
man an den fagenhaften Stammvater des ganzen Gefchleht3 au, jenen Howora,
der 1003 den Herzog Jaromir gerettet haben jollte.
4) Dudit, Schweden in Böhmen und Mähren 421: „Heinr. Graf Berka, bö-
heimbicher Kammerpräfident, deſſen Frau Gemahlin, 3 Töchter und 1 Sohn.“
— Den Loskauf erwähnt der Vergleich, der 1669 wegen gewiſſer Aniprüce
der Kinder von Eliſ. Barbara geichloffern wurde, Landtafel 318, E. 11.
5) Landtafel 150, I. 28 und 626, C. 2.
Am 21. October 1651 wurde dann eine Theilung der Gilter vor:
genommen. Für Franz Anton wählte die Mutter Gabel, Wtelno und
Nemeslowig; auf Franz Karl fielen alfo die Befigungen bei Kuttenberg
und Gut Petrowig.") Lebteres aber verkaufte dieſer bereits am 24. ah
1656 an Andreas Borowansky von Borowant. ?)
Franz Karl vermählte jic um dieſe Zeit in den Niederlanden mit
Marie Antoinette von Berlayment. ?) Aber die Ehe war nicht bloß Finderlos,
jondern währte auch faum 7 Jahre, indem Franz Karl ſchon am
23. Juli 1663 ſtarb. Erbe jeiner Güter war nun der jüngere Bruder,
und die Mutter Marie Eleonore, wiedervermählte Nojtig Tieß ſich auch
zunächſt als VBormünderin am 10. Yan. 1664 in diejelben einführen. *)
Allein gar zu viele Schulden hafteten darauf, theils noch alte von Heinrich
Wolf her, theils neuere von Franz Karl ſelbſt. Weil alfo deshalb der
Befig nicht zu halten war, fo stellte Marie Eleonore den Antrag auf
executiven Verkauf. Dieſer wurde num auch eingeleitet und die Herrichaften
Maleſchau mit Oſtrow, Sukdol, Dobrzen und Mifchfowig gingen am
23. Juni 1666 über an den Grafen Johann Sporf (um 114000 fl. chein.). ?)
Auch nachdem Franz Anton miündig geworden, führte die Mutter
mit jeiner Vollmacht nocd einige Zeit die Verwaltung der Güter. Sie
glich ſich mit verjchiedenen Berwandten iiber ihre Forderungen aus, °) be:
jonders aber führte fie den Proceß um das Berfaijche Fideicommiß erfolg:
reich zu Ende.
Diejes umfajste die Herrſchaften Richenburg und Roſſitz in Böhmen
und Datſchitz in Mähren und war von Leo Burian Berka 1625 begründet
worden.“) Nachdem dann deſſen Sohn 1644 kinderlos geſtorben war,
fiel e8 nach mehrjährigem Streit mit der Familie Fürjtenberg an die
— Reichſtädter Linie u. zw. an Bohuslaw Ferdinand Berka
n S. den Theilzettel über Gabel u. ſ. w. ebenda 71, D. 16.
2) Ebenda 316, E. 28.
3) Der nachträgliche Heirats-Contract wurde am 24. Jänner 1657 abgeſchloſſen.
Ebenda 311, 0. 6. Marie Antoinette ftarb 1705 und liegt bei St. Thomas
in Prag begraben,
4) Ebenda 113, N. 26.
5) Ebenda 392, D. 30.
6) So vor allem mit der Witwe des Franz Karl über das derjelben zufommende
Heiratögut. Vergl. ebenda 317, H. 16.
7) Die befte Darftellung der Gerichte dieſes Fideicommiffes gibt Sebdläcel,
Hrady I, 83 ff., auf die ich hiemit verweife. Einige Abweichungen werde ich
näher begründen, wenn ich dazu komme, die Richenburg-Reichftädter Linie in
einem 5. Theile meiner Arbeit zu behandeln.
— 15 —
(1651) als das einzige noch lebende männliche Glied derſelben. Aber dieſer
jtarb ſchon am 14. Jän. 1659. Da die Witwe Marie Elifabeth, geb.
Kinsfy, der Geburt eines Kindes entgegenjah, jo wurde fie am 25. Jän.
1659 zunächſt in die Herrichaften eingeführt.) Als fie aber dann einer
Tochter das Leben gab,*) trat Franz Karl aus der Gabler Linie als
nächjter männlicher Erbe mit feinen Anjprüchen hervor und erlangte auch
wirklich am 4. Juni 1659 die gerichtliche Einführung.) Allein die Witwe
erwirkte es, daß durch ein kaiſ. Nefeript vom 16. Juni 1660 dieſe Ein-
führung behoben wurde, „weil darin etwas vorgeeilet worden”, und diejelbe
führte die Verwaltung weiter, auch nachdem fie ſich wieder vermählt hatte
mit dem Grafen Georg Stephan von Würben. *)
Die Gabler Linie verzichtete indes nicht auf ihre Auſpriche, ſondern
brachte alles herbei, um ihre Verwandtſchaft mit der Richenburger Linie
nachzuweiſen.“) Darüber ſtarb aber Franz Karl, wie wir wiſſen (1663);
doch nahm nun die Mutter Franz Antons die Sache in die Hand, und
jo Fam es emdlih am 21. October 1669 zu dem Urtheil des größeren
Landrechts, welches zu Gunften Franz Antons entichied. Darauf hin wurde
dann Marie Eleonore als Bevollmädtigte des Sohnes Anfang November
in Richenburg u. j. f. eingeführt.*) Dabei mußte. Gewalt angerwendet
werden, weil fich die Gräfin Würben dem Urtheil nicht fügen wollte.
Gegen Ende des %. 1670 übernahın endlich Franz Anton felbjt die
Verwaltung feiner Güter.”) Am 11. Auguft 1672 vermählte er fich mit
Ludowilia Anna von Montecuculi.?) Von Veränderungen in jeinem Herr:
Ichafts-Befig ift wenig zu verzeichnen; das wichtigſte iſt wohl, daß er 1684
durch gerichtliche Urtheil einige Dörfer wieder erlangte, die 1656 von
1) Zandtafel 113, L. 37.
2) Maria Therefia (ftarb jung). — Das erfte Kind war Francisca Nofalia, die
1706 das Fideicommiß erbte. ©. unten,
3) Ebenda 113. M. 1.
4) Ebenda 628, B. 3 und C. 8. — 113, M. 17.
5) Daß der Nachweis ſchwer war, zeigt das Verzeichniß der Belege, die 1664 bei
der Erneuerung der Klage beigebradht wurden. Man gab da 3. B. aud Er:
tracte aus der böhmischen Chronifa (aljo Hajek) und dem Mährishen Spiegel
(von Baprocky).
6) Landtafel 739, C. 3 und 115 A. 14. Die Reviſionsklage wurde 1672 abge:
wiejen; ebenda 692, B. 28.
7, VBormundihaft3-Abdanfung. Randtafel 264, J. 8.
8) Ehe-Gontract ebenda 381, N. 2.
— |, —
dem Richenburger Beſitz abgetrennt worden waren.) Daß er feine Zu—
käufe machte, erklärt ſich vollſtändig aus ſeinem Leben. Er war Diplomat
geworden und gieng als Geſandter nach Spanien, Dänemark und Schweden,
Holland, endlich 1699 nach Venedig, wo wir ihn noch Ende 1703 finden.
Stets war er beſtrebt, alle andern Geſandten durch den Glanz ſeines
Auftretens zu überbieten, und ſetzte dabei aus Eigenem bedeutende Summen
zu. Deshalb mußte ihm auch 1701 König Leopold die Bewilligung
ertheilen, auf das Fideicommiß eine Summe von 20000 Fl. aufzunehmen,
einerfeit8 um eine Schuld von 8000 fl. infolge von Auslagen für die
Benediger Gejandtichaft zu tilgen, anderjeitS zum Neubau der verfallenen
Dominicaner-Kiche in Gabel.) Eine Anerkennung der vielen Verdienſte
war es aud), daß ihm der Kaifer am 10. Juni 1701 die Würde eines
Oberſtlandmarſchalls übertrug. Diefelbe hatten bis auf den dreißigjährigen
Krieg die Herren von Lipa innegehabt, dann war fie auf Leo Buriau
Berka übertragen worden. Nach ihm war die Würde an die Traut:
manusdorf übergegangen, zulegt hatte fie Hermann Jakob Czernin bekleidet,
der aber jegt Oberjt-Landhofmeifter geworden war. ?)
Die neue Witrde war erblich verliehen worden. Allein Franz Anton
war finderlos, und als er am 24. April 1706 zu Wien jtarb, erloſch mit
ihm nicht bloß die Gabler Linie, fondern das ganze Gejchlecht der Berka
von Duba im Mannesftamme, wenn wir von den im Auslande Lebenden
Nachkommen der protejtantischen Linie abjehen.
In jeinem Teftamente vom 18. April 1706 hatte Franz Anton
zunächjt verfügt, daß er neben feinem Water bei den Dominicanern in
Gabel, u. zw. in der Tracht derjelben, begraben fein wolle. — Eine jeiner
Schweſtern war wohl noch am Leben; allein diejelbe war Oberin bei den
Urfulinerinen von St. Anna auf dem Hradfchin. Franz Anton jegte aljo
zum Erben feines Allodial-Bermögens feinen Stiefbruder Anton von Noitig
ein, einen Sohn aus der zweiten Ehe der Mutter Franz Antons mit Hans
Hartwig von Noftiz. *) — Das Fiveicommiß dagegen fiel jegt, nachdem
1) Nämlich die Dörfer Aurzetis, Dwakatſchowitz u. Zaſade, welche damald mit
Herrſchaft Chraft an das Bisthum KRöniggräß verkauft worden waren. Ebenda
712, G. 15. Verkauft hatte Franz Anton 1676 das Berkaiſche Haus auf der
Kleinjeite Prags (Rarmelitergaffe) und 1677 einen öden Hof in Hoftimis. —
Ebenda 392, C. 1 und 393, C. 24.
2) Ebenda 468, H. 30,
3) Ebenda 555, Q. 5.
4) Landtafel 274, F. 18. Vergl. 118, K. 15. Einführung des Grafen Noftis in
Gabel u. ſ. w. (3. Aug.)
— 10 —
der Mannesſtamm ganz erloſchen war, ohne Widerſpruch an Francisca
Roſalia, die erjtgeborene Tochter des Bohuslaw Ferdinand Berka, die
1669 den Anſprüchen des Franz Anton hatte weichen milljen. Sie war
vermählt an Wilhelm Kinsky. !)
ELITE
Miscellen.
Wann if die Stadt Plan deutfch geworden ?
Eine Studie von Dr. Miryael Urban,
Es ift eine belichte Methode der tichechijchen Gejchichtsjchreiber, die
Bewohnerſchaft der jegigen deutjchen Städte und Dörfer in Böhmen vecht
lange als der tichechiichen Nation angehörig darzujtellen. Allen voran
marſchirt Franz Palackh. Sp jagt er in feiner Gefchhichte von Böhmen
(II. 2. ©. 42): „Zur Beit Wenzels IV. (1378--1419) und noch jpäter
war zumal das Landvolk im Wejten und Norden von Böhmen, 3.3. um
Hoftan, Pfrimberg, Tahau, Plan, Zepl, Theufing, Buchau, Duppau,
Raaden, Brürx, Teplig, Aufjig, Böhmiſch-Leipa, Gabel, jowie in allen von
da nach dem Innern des Landes zu liegenden Städten und Ortjchaften
nod ganz böhmiſch; die Germanifirung der genannten und anderer
mehr landeinwärtS gelegenen Gegenden und Orte erfolgte erjt größten:
theil3 durch den dreißigjährigen Krieg und feit demfelben."
Dem ift nicht fo. Die Germanifirung der jegigen Stadt Plan (und
theilweife auch der umliegenden Ortjchaften) begann bereits zu Ende des
XIII. Jahrhundertes und war zu Ende des XV. Yahrhundertes voll:
ftändig durchgeführt.
Bereits im Jahre 1251 (13. März) überträgt König Wenzel von
Böhmen dem Klofter Waldfafjen das Patronat der Kirche in Plan (jus
patronatus ecclesiae in Plan Pragensis dioecesis) zu jeiner und feiner
Gemahlin Kunegundis Seelenheil.?) Daß die deutschen Mönche des Klofters
Waldjaflen es mit der Einführung der deutichen Sprache als Umgangs»
ſprache in Plan ernſt nahmen, und daß fie deswegen hier auf heftigen
Widerſtand ftießen, beweiſt, daß Biſchof Johann II. von Prag mit
Reſcript vom 16, März 1275 alle Jene mit der Sentenz der Excommu—
1) Die Einführung erfolgte am 7. Mai 1706. Ebenda 118, K. 6.
2) Monumenta Egrana, I. 1. nr. 218. — Grben, Regest. Boh. I. 1266, s. 587,
— 18 —
nicatton und des Interdietes belegte, welche die dort weilenden Mönche
am ruhigen Bejige hindern wollten.) Zur Bekräftigung des Schuges der
dentichen Mönche in Plan erneuert 8. Ottofav am 12. Sept. 1275 den
Brief feines Vaters Wenzel betreffs des Patronats dafelbjt,”) welcher Brief
am 23. Dec. 1290 von Gottſchalk, Quardian der Minoriten zu Eger und
Heinrich, Pfarrer und Komtur der Brüder des deutjchen Haufes ebenda,
„transſumirt und vidimirt wurde".?)
Am 29. September 1281 beftätigt der Prager Biſchof Tobias dei
Klerifer Siegfried, Sohn des edlen Chunrad von PBaulstorf, den ihm der
Abt des Klofters Waldjaffen zum Pfarrer der Kirche in Plan präjentirte,
da dieje zu Necht erledigt ift, als jolhen.*) Die „Edlen von Paulsdorf“
aber waren ein anjehnliches deutſches Gejchlecht, und wenn ein Deutjcher
von ſolch vornehmer Geburt bereits um diefe Zeit als Pfarrer von Plan
angeführt wird, jo muß die Germanifirung der Stadt und Umgebung
im vollften Zuge gewejen fein. In dieſe Zeit fällt auch die Gründung
der urjprünglich deutfchen Dörfer Stodau, Stiebenrenth, Heiligenkreuz und
anderer Orte mit rein deutfchen Namen. So ſchenkte Albert Seeberg am
17. Feber 1290 die Einkünfte von 5 Mark in feinem Dorfe Stodau bei
Zahau (in villa mea Stockeich, penes Tachawe sita) der Kirche von
Waldjajjen zum Heile der Seelen feiner Vorfahren und Gattinen und
verjpricht, fo lange er lebt, jelbft Gewähr hiefür leiften zu wollen.) Das
° Dorf Heiligenkreuz aber nahm fo an Umfang zu, daß es bereits im
Jahre 1363 als Pfarrdorf aufgeführt wird. Wohl wird es in der be-
treffenden Urfunde®) zugleich als Chodendorf angeführt, allein Dr. M.
Pangerl hat längjt klar geftellt, daß felbit die Bewohner der Choden in
und um Neuftadtl nicht der tichechifchen Nation angehörten?) gejchweige
denn die Inſaſſen der Tachauer Ehodendörfer, die dem deutjchen Lande
enge anlagen. Deutſche Siedelungen find Khoau, Hinterfotten und der
heutige Marktfleden Kuttenplan. Khoau ift von Gehau, Hinterfotten von
„Hinter“ und „Kothen“ — einzeln ftehende Bauernhäufer abzuleiten, welche
1) Ibidem I. 2 nr. 300 — Acta Waldsass, p. 408, nr. 730. In diefer Urkunde
wird aud angeführt, daß außer der Pfarrkirche in Plan eine Kapelle (capellam
eidem jure filiali subjeetam) befteht, und kann das nur die heutige St. Auna—
firche fein.
2) Ibidem I. 2. nr. 302.
3) Ibidem I. 2. nr. 422.
4) Regest. boie. IV. 158.
5) Regest. boic. IV. 436.
6) Lib. confirm. 2. p. 20. (edit. Dr. Emler, 1874.)
7) Mitth. d. V. für Geh. d. Deutichen in Böhmen. XIN. 155 u, 215.
— 19 —
Deutung ficherlih auch auf Ruttenplan anzuwenden ift. Plan und Kutten-
plan find und waren ftetS an der Handelsjtraße, die von Nürnberg über
Eger ins Innere von Böhmen führt, gelegen und war Plan ein Markt:
plaß für die weitere Umgegend, während Suttenplan in diefer Beziehung
als Borort von Plan aufzufafen if. Im Jahre 1380 (18. October)
vermacdht „Hans der voyzperger, gejezzen zu der fotenplan” dem Kloſter
Waldfajfen 24 Schod guter großer Prager Pfennige.') Die „Voyzperger“
waren ein angejehenes deutjches Geſchlecht. Eine rein deutſche Anlage
aber ijt die Bergjtadt Michelsberg und ihr Vorort Wafchagrün. Michels-
berg wird urkundlich zum erjtenmale im Jahre 1506 genannt.?)
Ich habe weiter unter gütiger Mithilfe des verdienjtvollen Archivars
der Stadt Eger, Heinrich Gradl, das Urfundenmaterial des Egerer Archives,
das die Stadt Plan angeht, geprüft und gefunden, daß der Beliger der
Herrichaft Plan („zu der Plan") Buſchko von Zebergk im J. 1476 zum
erftenmale an den Magiftrat der Stadt Eger eine deutjche Zufchrift richtet,
daß aber vom Jahre 1479 an alle Zufchriften, die von Plan aus nad
Eger abgegangen find, in deutjcher Sprache abgefaßt find. Im %. 1508
find Niklas Gurr von Ottengrün und fein Bruder Sebaftian Hauptleute
zu Plan. Im Jahre 1533 ift Simon Wagner Stadtrichter, im Jahre
1536 Ulrich Goetz Amtmann, im Jahre 1539 Lufas Zader Stadtrichter,
im Jahre 1567 Hieronimus Herklotz Stadtrichter zu Plan und findet
fih auch weiterhin Fein tſchechiſch klingender Name in diejen oder anderen
Urkunden angeführt.
Im Jahre 1591 waren Bürgermeifter der Stadt Plan: „Hans
Hanfling, Joachim Kleinhempel, Veit Walter und Thomas Sichart." Ein
Grabjtein, der heute noch an der nad) Süden gelegenen Außenwand der
Pfarrkirche Iehnt, führt die Umfchrift: „WU. 1595 den 9. September Ber-
jhied in Gott der Erbare Thomas Sichart allhier, dem Gott Ein fröh—
liche Auferftehung verleihe.“
AS Rectoren der Planer Schule werden ung genannt: Von 1593
an Franz Gariſch, 1598 Adam Weinmann, 1601 Johann Zwölfer, 1604
oh. Alberti, 1608 Theophil Drefler.?)
1) Mitth. d. B. für Geh. d. Deutichen in Böhmen. XXI. 169.
2) Sternberg: Die Bergwerfe Böhmens, I. 260.
3) Zu bemerken wäre noch, daß bereit3 im Jahre 1571 die Einführung der pro»
teftantiichen Religion in Plan und den umliegenden Orten ganz durchgeführt
war und wenn damals noch einzelne Tichechen bier gelebt haben jollten, dieſe
ſicherlich in diefer Zeit der fcharfen Germanifirung den Stab weitergejegt
haben werden.
— 10 —
Die im Jahre 1530 (24. Juni) am Tage Johannis des Täufers
von Peter, Weihbiichof zu Negensburg geweihte jogenannte Kalenberger
Kapelle, neben der Pfarrfirche gelegen, enthält eine deutjche Auffchrift.
Vor mir hängt die Photographie eines Epitaphiums, das aus der
St. Peter und Paulskirche ftammt und jegt im Befite eines Planer
Bürgers ift, und folgende Aufjchrift Hat: „Anno 1563 ift Chriftina den
12. jeptember: David und Moricz den 9. nouember: Johann den 16.
Novbr: Matthes Ortmans Mariana feines Cheweibs Eheleiptliche kinder
in Chriſto Sellig Entſchlaffen.“
Noch viele hundert andere Belege ließen fih anführen, daß die
Stadt Plan viel — viel früher ganz deutſch geweſen ift, als fie Franz
Palacky in feiner Befangenheit als deutſche Stadt in feiner Gefchichte
Böhmens anführt.
Hagen über Friedland und Umgebung.
Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannmwald.
7. Die Hufiten bei Friedland.
Die Belagerung des Schloſſes.
Da die Herren von Biberjtein, die Befiger des Schlofjes Friedland
und der weiten Landjchaft um dasselbe, Feinde der Hufiten waren, fo
famen dieſe auch in das „Friedländiſche“ gezogen und richteten auch hier
Berwüftungen an. Die Sage behauptet jogar, daß Johann Zizka,
Ritter von Trocnomw, ſelbſt hier geweſen ſei und das Schloß habe
belagern laſſen. Als jedoch die Belagerung ungewöhnlich lange dauerte,
ließ ſich — wie die Sage weiter erzählt — der blinde Hufitenführer bis
an den Feljen führen, auf dem fi) das Schloß erhebt. Hier klopfte er
nit jeinem Stabe an das Gejtein, und dann ſprach er: „Kinder, diejes
Schloß iſt niht von Menjchenhand erbaut worden und wird auch nicht
von Menjhenhand zerjtöret werden, wir heben die Belagerung auf!" Und
jo wurde denn das Schloß von nun an in Ruhe gelafjen.
Umſo ſchlimmer hauften aber die Feinde jegt in der Gegend. Die
Stadt Friedland wurde eingeäfchert, die Holzburg auf dem Humrich—
jteine bei Bärnsdorf, von der nur die Sage etwas weiß, ganz nieder:
gebrannt und die alte Jakobskirche bei Heinerspdorf zerjtört. Von der
legteren jtehen noch bis auf den heutigen Tag die öden Mauern als
Zeugen der Verwüſtung.
— 11 —
Die Sage vom Predigtftuhle.
Im Heere der Hufiten ging man indeß mit dem Plane um, das
fefte Schloß in Friedland mit Lift zu nehmen. Eines Tages erjchien auf
dem Schlofje ein fremder Mann in Prieſterkleidung. Er verlangte mit
dem Herrn don Biberftein zu jprechen; da diefer aber gerade abwejend
war, ließ er fi) vor die Freifrau führen und erfundigte fich bei ihr nad)
dem und jenem. Dann verabjchiedete er fich und ging wieder davon.
Ein alter Diener, dem der Fremde verdächtig vorgefommen war, gab
acht, welche Richtung derfelbe einfchlagen werde, und da bemerkte er denn,
daß der Priefter gegen Dittersbach zu ging, wo das Lager der Hufiten
war. Alſogleich meldete er es feiner Herrin, und diefe ließ den Prieſter
unter irgend einem Vorwande wieder zuricdholen. Im Schloßhofe hatten
fi inzwischen alle Bewohner des Schloſſes verjammelt. Als der Fremde
wiederfam, befahl ihm die Freifrau von Biberftein, jegt durch eine Predigt
zu beweifen, daß er ein Priefter fei. Nun trat er auf einen aus der
Mauer ragenden Stein und beganı zu predigen. Kaum hatte er aber
den Namen Gottes ausgejprochen, jo jtürzte er auch fchon unter einem
Jammerſchrei zu Boden. Oleichzeitig jah man eine fchwarze Schlange
entweichen, die ihn mit ihrem Biß verwundet hatte.
Selbjtverjtändlid war alle Hilfeleiftung vergeblich; unter fchmerz-
haften Zudungen gab der faljche Prieſter den Geift auf. Aus feinen
Papieren erfah man deutlich, daß er ein Spion der Hufiten geweſen war.
Der Stein, auf dem ev hatte predigen wollen, heißt jegt noch der „Pre:
digtſtuhl“.
Das Marienbild vom Haagberge.
Dem Schloſſe gegenüber erhebt ſich am linken Wittigufer der Haag-
berg, dejjen nordmweitlicher Theil wegen der Kreuzmwegjtatuen dafelbjt auch
„Kreuzberg“ genannt wird. Damals, als die Hufiten im Friedländiſchen
hauften, wurde von ihnen — wie eine Sage meldet — ein Marienbild,
das fie an einem Baume des Haagberges fanden, herabgejchlagen und in
den Koth getreten, Am andern Tage fand es ein Manu, hob es auf
und reinigte e8. Wie er es näher bejah, bemerkte er zu feinem Entjegen,
daß es blutete. Er ging nun mit dem Bilde zur Gemahlin des Herren
von Biberjtein und bat fie, dasjelbe aufzubewahren. Dieje ließ es in
einem entlegenen Gemache der Burg aufhängen, wo es bald unbeachtet
blieb. Als jpäter einmal im Schloffe Feuer entjtand, blieb jenes Gemad),
in welchem das merfwirdige Bild hing, von den Flammen gänzlich ver-
jhont, obwohl es jich in der Nähe ves Feuers befand.
— 12 —
8. Die Reformationszeit.
Wie der Hemmrich zu feinem Namen gefommen fein foll.
Nach dem Auftreten Martin Luthers verbreitete fich die evangelifche
Lehre von Sachen und der Laufig aus auch über die Gegend von Fried:
land. Die Einfiedler, die fich damals um das heutige Dorf Einjiedel auf:
hielten, gingen davon; nur einer, Hans Emmerich mit Namen, floh
tiefer in das Gebirge hinein. Zu ihm gefellte fi) auch ein Mönch. Beide
lebten lange in der Wildniß und nährten fich nur von Wurzeln und
Kräutern. Als fie ſich aber nicht mehr recht ficher fühlten, verließen jie
die Gegend und wandten jich nach Polen. Der Gebirgszug aber, in deſſen
Wäldern der Einfiedler ſich jo lange aufgehalten hat, heißt nach ihm der
Hemmrich. Durch denjelben ift heute die Eifenbahn (auf der Strede
Fsriedland-Reichenberg) gebaut. Der Hemmrichtunnel ijt 528 Meter
lang und war der erjte, welcher mit Hilfe von Dampfbohrmajchinen her:
gejtellt wurde.
Das Hufeifen.
Zu Anfang des 17. Jahrhunderts herrichte über Friedland Katha—
vina, die Witwe Melihors von Rädern, der als Feldherr Kaifer
Rudolfs II. auf der Heimfehr aus Ungarn am 20. September 1600 ge-
jtorben war. Katharina, eine geborene Gräfin Schlid, war eine jtulze,
hartherzige Frau. Uebermuth begleitete jeden ihrer Schritte, Verderben
zermalmte den Unglücklichen der ihr im Wege war. Das Oberhaupt der
Stadt Friedland verfiel auf ihren Befehl ohne Schuld dem Schwerte des
Scharfrichters, jechzehn der hervorragendjten Bürger wurden den namen-
lojen Qualen des Hungers überliefert, um in taufendfacher Marter ihr
Daſein zu enden.
In diefen schweren Stunden der Noth und des Schredens gejchah
es, daß die Herzloje eines Tages mit ihrem Gefolge vom Schloſſe herab
zur Kirche ritt. Bei derjelben erwartete fie eine Schar abgehärmter Frauen,
an deren Spige ein Greis mit filberwallendem Haar als Fürjprecher ftand.
„Erbarmen, hohe Frau, laßt uns Armen zu Theil werden, um Gotteswillen
gebet den Hilflofen die Ernährer zurüd!" So flehte der Greis mit zit:
ternder Stimme, indem er die Hände bittend emporhielt. „Zurüd, elendes
Gelichter!“ vief Katharina unter Hohngelächter und riß, von Zorn erfaßt,
an den Zügeln ihres Roſſes. Das erjchredte Thier bäumte zuerft hoch
auf und fchlug dann im Sprunge mit den Hinterfüßen jo heftig auf die
Straßenfteine auf, daß eines der Hufeijen abſprang und dem Greife die
— 113 —
Stirne zerjchmetterte. Todt ſank der Arme unter Wehruf zu Boden.
Katharina riß ihr Roß zurüd und jprengte auf ihr Schloß Hinauf. Von
nun an ſah man fie nur felten in der Stadt. Das Hufeifen aber wurde
zum ewigen Andenken an der Außenfeite der Rädern'ſchen Begräbnißftätte
angebracht, als ein Wahrzeichen unheilvoller Tage.
* *
Aber nicht nur in dieſer Sage, jondern noch in vielen andern lebt
das unfelige Andenken Katharinas in der Bevölkerung von Friedland fort.
So wird im Schloßhofe in der Nähe der Capelle ein Stein gezeigt, an
welchem eine Herrin ein Kind ermordet haben joll, weshalb der Stein
auch immerfort naß bleibt. — Einft ſoll im Schlojfe eine Edelfrau gewohnt
haben, die einmal alle jungen Mädchen umbringen ließ und fich in dem
Blute derjelben badete, um nur recht fchön zu werden. — Die Gemahlin
eines Ritters war eine ſehr böſe und jtolze Frau. Sie pflegte aus Eitelkeit
nur Schuhe mit hohen Abjägen zu tragen. Einft murrte fie gegen Gott
und brach zur Strafe ein Bein. Die Schuhe ſollen noch heute im Schlofje
aufbewahrt werden. — Dort, wo jet der Schloßwächter wohnt, Tebte einft
eine hartherzige Frau, vie einen böjen Geijt hatte. Als fie todt war, kam
der Geiſt alle Abende um Mitternacht ins Schloß. Auch heute foll dies
noch gefchehen. — Wenn in diefen Sagen aud nicht Katharinas Namen
genannt wird, jo ijt deren Urfprung jedenfalls auf fie nur zurücdzuführen.
Der Vorstand der „Hiftorifhen Geſellſchaft für die
Provinz Poſen“ erſucht uns um Aufnahme folgenden Berichtes:
Die „Hiftorifhe Gefelfhaft für die Provinz Pofen‘“ hielt am
21. Mai unter dem Vorfige des Oberpräfidenten Grafen Zedlig ihre
diesjährige Generalverjammlung ab. Nach dem von dem VBorftande er-
ſtatteten Gejchäfts- und Eajjenbericht hat ſich die Gefellichaft während ihres
zweijährigen Bejtehens in ununterbrochen auffteigender Linie entwidelt.
Sie hat zur Zeit einen thatfächlichen Mitglieverjtand von 545 Mitgliedern,
der Jahresetat jtellt fich in Einnahme und Ausgabe auf etwa je 5400 Mk.,
und die Sammlungen haben bereit8 einen folchen Umfang gewonnen, daß
zwei große Zimmer, welde der Gejellihaft im Fünigl. Staatsarchiv zu
Pojen eingeräumt worden, bereits vollftändig angefüllt find. Die werth-
vollſte Vermehrung erfuhr während des verflojjenen Jahres die Bibliothef
der Gejelljchaft, indem ihr auf Beranlafjung des Herrn Cultusminifters
von Goßler die Dubletten aus den preußifchen Univerfitätsbibliothefen
(etwa 5000 Bände) überwiejen wurden, jo daß die Fe der Bände
Dlittheilungen, 26. Jahrg. 1. Heft.
— 14 —
nahe an 10.000 beträgt. Zu Ehrenmitglievern wurden ernannt: der bis-
herige Vorfißende, Oberpräfident a. D. Ercelfenz von Guenther in
Frankfurt a. O., ſowie der Director der Fünigl. Staatsarchive, wirklicher
geheimer Dberregierungsrath Prof. Dr. von Sybel in Berlin. Was die
literarifche Thätigkeit der Gejellfchaft anbetrifft, fo wird außer der in
Bierteljahresheften von je 7--8 Bogen erfcheinenden Zeitſchrift, an der
im vergangenen Jahre nicht weniger als 31 Herren mitgearbeitet haben,
für das neue Jahr die Herausgabe des erjten Bandes einer im größeren
Maßſtabe gedachten Veröffentlichung „Geſchichtsquellen der Provinz Poſen“
beabjichtigt.. Der Band ſoll die älteren Urkunden der von deutjchen
Ciftercienjern im PBolenland gegründeten und lange Zeit ausschließlich
deutjch gebliebenen Klöjter Wongrowig, Obra und Lond enthalten und
wird einen völlig neuen und erjchöpfenden Auffchluß über die im 16. Jahr—
hundert von der polnischen Staatsgewalt gewaltfam durchgeführte Poloni—
firung der im Lande vorhandenen deutjchen Klöfter ergeben. Nachdem
früher bereits für diefes Urkundenbuch die Poſener, Gnejener, Warjchauer
Archive 2c. reiche Ausbeute gewährt hatten, ift unlängft im Archiv der
Stadt Köln, von welcher aus die Gründung des Klofters Wongrowig
erfolgt war, noch ein überrafchender Reichthum an einschlägigen, bisher
zum großen Theil gänzlich unbekannten Urkunden entdedt worden. —
Nachdem der Bericht von der Verfammlung einftimmig genehmigt war,
wurde der bisherige Vorſtand wiedergewählt. Derjelbe jest ſich zufammen
aus den Herren: Oberpräfident Graf Zedlig, Staatsarkhivar Dr. Prümers,
Oberlandesgerichtsrath Dr. Meisner, Oberregierungsrath Perkuhn, Re—
gierungs- und Schulrath Skladny, Stadtratd W. Kantorowicz, Gymnafial-
Director Dr. Meinertz, Gymmafial- Director Nötel und Archivaſſiſtent
Dr. Ehrenberg. — An die Verfammlung jchloß ſich ein Vortrag des be-
rühmten 79jährigen Breslauer Hiftorifers, Prof. Dr. R. Röpell: „Ueber
die Ideen J. J. Rouſſeau's über die polnische Verfaſſung“, der jo zahl-
reich bejucht war, daß Hunderte feinen Pla mehr in dem geräumigen
Saale fanden und unverrichteter Dinge wieder umfehren mußten. —
Aus dem Mitgetheilten wird hervorgehen, welche Bedeutung die
Hiftorische Gefellichaft für das öffentliche Leben Poſens gewonnen hat, und
wie wichtig fie fiir die innere Erftarfung und Kräftigung des in der
Provinz Poſen von dem Slaventhum hart bedrängten Deutſchthums ge-
worden ift. Daß fie deshalb von der polnischen Preſſe befümpft wird,
tft, wohl erflärlich; in welcher Weife dies jedoch gejchieht, dafür möge
folgendes als Beifpiel dienen. In der an den Vortrag Röpells jich
anfchließenden zwanglofen Vereinigung der Gefellfchaft ſprach Profeſſor
— 115 —
Dr. Röpell in der Erwiderung eines auf ihn von Seiten des Ober-
präfidenten Grafen Zedlitz ausgebrachten Zrinffpruches der Hiftorijchen
Geſellſchaft feine Freude über die bisherige Thätigkeit der Gefellichaft in
warmen Worten aus. Wenn er auch bei den Polen vieljache Anerkennung
gefunden habe, jo habe er doch nie feinen deutichen Standpunft verleugnet;
in nationalen Fragen gebe es nur entweder Deutjche oder Polen. Darum
babe er ſich gerade gefreut, daß jich in Poſen die Deutjchen zu einer
hiſtoriſchen Geſellſchaft zuſammengethan hätten, und ebenjo freue er fich,
daß diefelbe eine Gefahr, an der mitunter die provinzialgefchichtlichen
Bereine Franken oder zu Grunde gehen, nämlich die Klippe des Dilettan-
tismus vermieden habe. — Diefen Toaft gibt nun der „Dziennik Pozn.“
in feiner Nummer vom 25. Mai wieder, und zwar in directer Nede, aber
jo entjtellt und verdreht, daß genau das Gegentheil herauskommt. Danadı
hätte Prof. Röpell die Gejellichaft geradezu der tendenziöjen Einfeitigfeit
gezieheu und fie gewarnt und ermahnt, nicht mehr dem Vorbild der oft-
(weit) preußifchen Hiftorifchen Geſellſchaft (die er, beiläufig bemerft, itber-
haupt gar nicht erwähnt hat) jondern lieber feinen Pfaden zu folgen. —
- Mit folhen Mitteln wagt die polnische PBrefje zu kämpfen! Um eine von
ihr gehaßte Gefellichaft zu verdächtigen, ſcheut fie nicht davor zurück, einem
angeblich von ihr hochverehrten deutjchen beinahe achtzigjährigen Gelehrten
Worte fäljchlich in den Mund zu legen, die geeignet find, denjelben in den
Augen feiner eigenen Nation auf das empfindlichjte herabzufegen. Das Urtheil
über eine jolche Handlungsweije jich zu bilden, überlaſſen wir dem Xefer.
Mitteilungen der Gefdäftsfeitung.
Die P. T. Herren Mitglieder werden erfucdht, alle für den Verein
beftimmmten Werthfendungen, Geldbriefe wie Poftanweifungen zur Bermei-
dung von Irrungen an die Adreſſe des Herrn Dr. Guftav C. Laube,
f. £, Umiverfitäts-Profeffor und Gefchäftsleiter des Vereines, Prag, k. k.
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu lajien.
Neu befegt wurden die Vertretungen in Yeitmerig mit Herrn
JUDr. Wilhelm Gollitſchek, Edler v. Elbwart, Advocat; in Krumman
— 116 —
mit Heren Franz Büchſe, JUDr. Advocat; in Poderſam mit Herrn
Fohann Hübl, k. k. Bezirksgerichts-Adjunft.
Der Bibliothef wurden werthvolle Geſchenke übermacht:
Aus dem Nachlaſſe des Herrn Richard Ritter v. Dotzauer in Prag.
Die Ernennung zu Ehrenmitgliedern aus Anlaß des 25jährigen
Beitandes des Vereines ift im Berichte über die abgehaltene Feftverfamm-
lung (jiehe Bogen 2, Seite 24) erfichtlich.
Nachtrag zum VBerzeichnif der Mitglieder.
Geſchloſſen am 9. Auguft 1887,
Ordentlide Mitglieder:
Berehrlihe Zischgefellichaft „Altdentfhe Zierſtube“ in Röchlitz.
Herr Veer Theodor von, Beamter in Komotan.
Löblicher Bezirksausſchuß in Neichenberg.
Herr Brandner Wan, k. k. Auscultant in Poderjam.
„ DBurkert Joſeph, Buchhalter in Prag.
„ BZorfter Ferdinand, k. k. Oberlandesgerichts-Vicepräfident in Prag.
» Gabriel Franz, k. k. Berg-Obercommiffär in Komotau.
„ Hirfh Mar, Maſchinenfabrikant in Sclan.
„ Kugler Julius, JUDr., Advocat in Komotau.
» Mandl Yulius, Buchhändler in Komotau.
„ Müller Johann, Bankfilial-Dirigent in LZeitmerig.
„ Müller Karl, Eifenbahn-Beamter in Leitmerig.
„ »Preißler Wenzel, kaiſ. kön. Oberlandesgerichts-Rechnungs-Revident
in Prag.
„ Dr. Quark Mar, Redacteur der „Deutſchen Zeitung” in Wien,
„Riichter Karl, Prof. Cand. in Prag.
„Riitſchel Baul, Sparcafjaverwalter in Komotau.
» Bolkmann von Vollmar Karl, jur. cand. in Prag.
„Weis Franz, Stadtdehant in Auffig.
— —— — —
K. k. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — ESelbftverlug.
Vittheilungen des Vereines
für
Gesthichle der Deutschen in Böhmen.
Nedigirt von
Dr. Kudwig Schlesinger.
Schsundzwanzigiter Jahrgang. Zweites Heft. 1337/8.
Wenzel JZacharias Reſſel.
Von Dr. Ludwig Sıhlefinger.
Der Lehrer.
Ich Fam im Herbſte des Jahres 1853 als Schiller an das Brüxer
Dbergumnaftum. Die vier erjten Gymnaſialelaſſen hatte ich in Kommotau
befucht. Beide Gymnaſien waren damald noch Ordensgymnafien. Die
Grimde meiner Auswanderung von den Kommotauer (Dfjeg) Eiftercienjern
zu den Brürer Piariften mögen bier unerörtert bleiben. Ich habe alle
Urjache, beider Orden in inniger Dankbarkeit eingedenf zu bleiben. Selbjt
Schulmann, weiß ich die Stärken und Schwächen meiner ehemaligen
Lehrer recht wohl zu beurtheilen, und es wäre verlocdend, auf Vergleiche
und Einzelheiten einzugehen. Eine pajjendere Gelegenheit wird jich hiefür
bieten. Im Allgemeinen jet nur bemerkt, daß Eijtercienjer, wie Piariſten
nach fejtjtehenden Grundjägen den Betrieb des Unterrichtes leiteten, und
es bei ihmen unficheres Umbertappen und Vetſuchen nicht gab. Der
jeit dem Jahre 1349 vorgezeichnete Studienentwurf von Bonig wurde in
Kommotan wie in Brüx von gejchietten Händen zur Ducchführung gebracht.
Die Einführung des Fachlehrerſyſtems bot gewiſſe Schwierigkeiten, welche
die Brüder der frommen Schulen leichter zu überwinden verftanden, als
die Mönche von Oſſeg. Waren doch erjtere jeit jeher ausſchließlich Schul-
männer und verfügten in ihren zahlreichen Volks-, Latein- und Realſchulen
über ein reichhaltiges Lehrermateriale jeglicher Fachbildung. Die Eijter-
a
— 18 —
cienjer jahen fi) auf einen Kleinen Kreis verfügbarer Kräfte bejchränft
und mußten ſich ihre Hiftorifer, Mathematiker, Phyſiker und Naturhiftoriker
erſt heranbilden. Den Vortheil aber befaßen jie wieder, daß fie ich zur
Bejegung ihres einzigen Gymnaſiums die geeignetjten Kräfte ausjuchen
fonnten, während bei den Piariſten ein jedes Ordensmitglied in Verwen—
dung gebracht werden mußte. Und fo jtanden denn an beiden Schulen
neben Lehrern erjten Ranges Mittelmäßigfeiten gewöhnlichen Schlages in
Neih und Glied. Das ſoll fein Vorwurf fein. Es beftand diejes Ver—
hältniß zu allen Zeiten an allen Schulen aller Länder, es bejteht heute
nod und wird auch in Zukunft beftehen. Man muß nur gerecht fein und
vom Lehrerftand nicht das Unmögliche erwarten. Treffer und Nieten gibt
e3 eben in allen Ständen der menschlichen Gejellichaft.
An den oberen Claſſen des Brürer Gymnaſiums wirkten in den
fünfziger Jahren mehrere Lehrer von ganz ungewöhnlicher Begabung.
Der Mathematifer und Phyſiker Iſidor Voigt, der claſſiſche Philolog
Albrecht und der Hiftorifer Wenzel Zaharias Kefjel waren Ge:
lehrte im wahrjten Sinne des Wortes und hätten einer jeden Hochjchule
zur Zierde gereicht. Mit dem veichen Schage ihrer gründlichen Fach-
fenntnifje aber vereinigten jie die feltene Kunjt einer erfolgreichen, den
Berhältniffen angemefjenen LZehrthätigfeit. Und was ich nicht als das Ge—
ringjte anjchlagen will, die drei gelehrten Schulmänner — ſelbſt voll-
endete edle Charaktere jeder in feiner Art — hatten es nicht bloß auf
das Wifjen der ihnen anvertrauten Jünglinge abgejehen, jondern auch auf
das Können und Wollen derjelben. Sie waren nicht bloß Lehrer, jondern
auch Erzieher im beiten Sinne des Wortes. Weitaus am wirkſamſten
aber auf die Charafterbildung feiner Schüler gejtaltete ſich die Thätigfeit
Reſſels, und feine erziehlihe Einflußnahme auf die ftudierende Jugend
blieb für dieje bis in das reife Mannesalter eine nachhaltige und unver:
wiſchliche. Deßwegen jpricht man in engeren Kreijen von einer Schule
Reſſels, die er herangezogen, nicht jo jehr mit Rückſicht auf die von ihm
vertretenen Fachgegenftände, jondern vielmehr auf die durch ihn gewon—
nenen abgeflärten Lebens- und Weltanfhauungen.
Zu gleicher Zeit mit mir war em Meitjchüler von Kommotau nad)
Brüx überfiedelt. Wie ftaunten wir, als wir die erſten Gejchichtsjtunden
Reſſels Hinter uns hatten. Welch' unbekannte Welt eröffnete jich da unſerm
bejchränften Gefichtsfreife, welche reiche Fülle neuer Ideen jtrömte uns
entgegen, welch' freier Geift athmete aus jedem Worte des Lehrers, welch’
bezwingende Beweiskraft ergab ſich aus dem fein gegliederten Gedanken—
gang, und welch' jeltfamer Zauber lag in der edlen einfachen Sprad):
Bu. —
— — ERS
— 19 —
und Vortragsweije des Redners. So jung wir waren, wir fühlten es
bald, daß wir vor einem ganz ungewöhnlichen Lehrer jtanden, der unfere
volle Verehrung in Kurzem eroberte, eine Verehrung, die ſich zur Liebe
und Begeijterung bei vielen jeiner Schüler jteigerte.
Reſſels Lehrmethode in der Gejchichte war eine fehr einfache. Eine
halbe bis dreiviertel Stunde verwandte er auf den Vortrag, den Reit
zum Prüfen. Nach Abſchluß einer gewiſſen Periode verhielt er uns zur
Wiederholung und Zuſammenfaſſung größerer Abjchnitte und endlich des
ganzen Lehrftoffes am Schluſſe des Semejters. Gegen das mechantjiche
Memoriren trat er mit aller Strenge auf. Ihm handelte es ſich
immer nur um das Verſtändniß des Stoffes und die freie Behandlung
desjelben. Dabei legte er aroßes Gewicht auf die Form, juchte uns
an eine edlere Ausdrucksweiſe zu gewöhnen und verbejlerte unermüdlich
jede unglüdliche Wendung, jeden Sprach- oder Sprechfehler. So ge
jtalteten ſich feine Geſchichtsſtunden zugleich zu einem höchſt fruchtbaren
Unterricht in der deutjchen Sprade. Selbſt ein Meifter derjelben zeigte
er fih in jedem einzelnen Vortrage als mujtergiltiges, unerreichtes
Vorbild. Feſſelte uns jchon die vollendete Form diefer Worträge, To
vegte und das Sachliche derjelben auf das Innerſte an. Das trodene
Gerippe der Thatfachen in unjerem Lejebuche hiüllte jich in warmes Fleiſch
und füllte ji) mit rollendem Blut, das Wefentliche ſchied ich vom Un—
wejentlihen, das Echte vom Falſchen, die Wahrheit von der Lüge, das
Schöne vom Häßlichen, das Gute vom Böjen. Immer klarer wurde uns
das Verjtändniß des inneren Zujfammenhanges zwiſchen Urſache und Wir:
fung, immer deutlicher trat uns das Gejeg von der fortichreitenden Ent—
wicklung des Menjchengejchlechtes vor Augen; wir lernten Freude empfinden
am Schönen, wir wurden mit Liebe erfüllt zum Guten und begetjterten
uns am wahrhaft Großen. Wie der gewiſſe rotbe Faden durchzog die
Vorträge Nefjels die jtete Betonung der fittlihen Idee in der Geichichte.
Nur die jittlich gute That jand Anerkennung, die Verleugnung derjelben
wurde aufs jchärfite gegeißelt und der Götze des Erfolges vom Altare
gejtürzt. Der noch jo hell erftrahlende Glanz gar mancher Helden verblich,
wenn Reſſel jeimen jtrengen fittlichen Maßſtab anlegte. Wie lebhaft er:
innerlich bleiben mir 3. B. jene Stunden, in denen uns Rejjel die Thaten
Napoleons I. vorführte. Wie wuchs vor unferen Augen gleich dem Bilde
des Malers auf der Leinwand die Eleine Figur des franzöſiſchen Lieute-
nants allmählich zur blendenden Kaifergejtalt des Welteroberers heraus.
Welch eingehende Charafteriftit erfuhr der Korje mit feiner jeltenen Ver—
jtandesschärfe und unerbittlichen Willenskraft, mit meld’ fatten Farben
g”
— 10 —
ſchilderte er uns den gewaltigen Schlachtenlenker und ſiegreichen Volksbe—
zwinger, dem die Welt huldigend zu Füßen lag. Und doch, ſo führte
Reſſel zum Schluſſe aus, war dieſer außerordentliche Menſch kein großer
Mann. „Ja ja, in der That, denn zur wahrhaften Größe fehlte ihm die
fittliche Unterlage.” Und als Reſſel die Begründung fr diefe jeine Auf-
faſſung vollendet hatte, waren wir alle von der Wahrheit derjelben tief
überzeugt, und jo mancher unter uns, der ſich aus damals nod) oft
gelejenen voltsthümlichen, auch in den Schülerbibliothefen vorfindlichen
Schriften eine gewijje Schwärmerei fir den „großen“ Franzoſenkaiſer, für
„den Helden von Elba und Waterloo”, für „den Gefangenen auf Delena“
angelejen hatte, jagte jih im Stillen: „a ein wahrhaft großer Mann
war er nicht.“
Ab und zu, befonders in den oberen Claſſen, gab uns Reſſel jchrift-
liche Schularbeiten. Bei denjelben zielte er feineswegs auf die Erprobung
der Stärke unſeres Gedächtnijjes und Fleißes ab, fondern auf eine Prü—
fung unferes Verſtändniſſes des pragmatiihen Zufammenhanges, unferer
Fähigkeit in der Behandlung des hijtorischen Stoffes zu Barallelen und
Analogien oder unſeres Vermögens in der jelbjteigenen Auffindung des
Cauſalnexus Jcheinbar innerlich nicht zufammenhängender Ereignijje. In
ganz ähnlicher Richtung bewegten fich die in jeder Stunde von Nejjel vor-
genommenen mündlichen Brüfungen, die jich jehr oft zu Unterredungen leb—
hafter Natur gejtalteten, wobei der Tehrer oft zu größeren Auseinanderjegungen
ausholte, mitunter aucy einen anmnthenden Humor verrieth, dev mandmal
jeinen Anlaß von einer ungejchicten Antwort nahm, aber niemals virleßte.
In den beiden oberjten Clajjien des Gymnaſiums genojjen wir bei
Reſſel auch den Unterricht in der vdeutjchen Sprache. Durch denjelben
wurden wir dem geliebten Lehrer noch viel näher gerüdt. Wir hatten
nun jtatt einem zwei Lieblingsgegenftände und wußten nicht, welchem von
beiden wir den Vorzug einräumen jollten. Den Schwerpunft des Unter:
vichtes verlegte Rejjel in die Lectüre und den Auffag. Wir laſen viel,
aber nach ſtrenger Auswahl und feſtem Plan, joweit es das Mozart’sche
Lejebuch ermöglichte. Zunächſt hielt unjer Xehrer viel auf ein gutes Yaut-
leſen, wie er denn jelbjt jebr gut, und wenn es galt, ergreifend zu lejen
verjtand. Auf Declamiren legte er feinen Werth. Ich erinnere mich nicht,
daß wir jemals zu demfelben angehalten worden wären. An der Hand
ver Leejtiike wurden wir in die Geheimnijje des Regelwerfes einer guten
Proia eingeführt und hiebei Lejiing in den Mittelpunkt gejtellt. Mit
eigentlich Grammatifaliichem wurden wir wenig geplagt. Dagegen fanden
die Gejege der jprachlichen Entwicklung mit Anfnüpfung an ältere Formen
— —
genaue Erörterung und wurden ſtete Uebungen in Begriffsbeſtimmungen,
Synonymen, Ableitungen, wo ſich Gelegenheit ergab, auch mit Hinweis
auf die claſſiſchen und neueren fremden Sprachen vorgenommen. Weckung
und Entwicklung eines vertieften Sprachgefühls ſchwebte ſtets als Ziel
vor. Reinheit der Sprache galt als eine der oberſten Forderungen, weß—
wegen Fremdwörter nach Möglichkeit verpönt wurden. Reſſel liebte es,
uns auf fehlerhafte Fügunngen, vergriffene Wahl des Ausdruckes im
Geleſenen aufmerkſam zu machen, und freute ſich, wenn er uns auf die
richtige Verbeſſerung hingeleitet hatte. Dabei hielt er vor keiner Größe
inne. Die deutſche Sprache iſt ein lebendiger Organismus, der ſich ſtetig
weiter entwickelt, war ein oft von ihm ausgeſprochener Grundſatz.
Die poetiſchen Leſeſtücke boten Gelegenheit zur Erörterung der ver—
ſchiedenen Dichtungsarten, ſowie des Weſens der Kunſt im Allgemeinen.
Wie leicht wurden uns die äſthetiſchen Grundbegriffe beigebracht, und wie
ſicher verſtanden wir dieſelben in der praktiſchen Anwendung zu behandeln.
Wir ſelbſt wurden angehalten, das Leſeſtück, nachdem es ſachlich und
ſprachlich erklärt worden war, auf ſeinen Charakter und Werth als Dich—
tung zu prüfen. Das Auffinden der „höheren Idee“, die Unterſuchung,
ob die äußere Form die „entſprechende“, die Idee deckende, ſomit gefallende
oder ſchön ſei, wurde unter Anwendung der ſokratiſchen Methode unſerer
Selbſtthätigkeit überlaſſen. Bei dieſer äußerſt werthvollen geiſtigen Uebung
erfreuten wir uns des gewonnenen Ergebniſſes, auch wenn dieſes manchem
verſificirten und gereimten Leſeſtücke die hervorſtechenden Merkmale des
Weſens einer wahren Dichtung abſprach. Die Beſtimmung der Dichtungs-
art jelbjt, die Auffuchung befonderer Formjchönheiten, deren Abhängigkeit
vom Stofflihen u. dgl. bildeten die weiteren Gegenftände der überaus
anregenden und belehrenden Unterredungen des Lehrers mit jenen Schülern.
Der literarhiftorifche Theil des Unterrichtes jchloß fi naturgemäß an. die
Lectüre an. Reſſel zeichnete aber nur in großen Strichen die bedeuten:
deren Geſtalten und Schulen unfjerer Literatur. Er ließ ſich nur ungern
auf die Kritif von Werfen ein, deren Kenntniß oder Verjtändniß er über—
haupt nicht bei uns vorausjegen fonnte.
Die Pflege des fchriftlichen Aufjages betrieb Reſſel nach einem wohl
ducchdachten Plane mit ernjter Strenge und dem feinjten Berjtändniß.
Gewandtheit im Ausdrucde, Angewöhnung einer einfachen und natürlichen
Sprache, ſtrenge BedBachtung der jprachlichen Gejege und der kleinſten
Erfordernijje der äußeren Form, der Nechtichreibung, jowie der Zeichenjegung
waren nicht die einzigen und wichtigjten Ziele, die er verfolgte. Faſt noch
mehr handelte es jih ihm um das tiefere Eindringen in den zu bear-
u IRB
beitenden Stoff, um das jolgerichtige Denken und die klare Anordnung
der Gedanken jelbjt. Die lebtere durfte nicht erjt im Laufe der Ausar-
beitung erfolgen, ſondern jollte die wichtigjte Geijtesarbeit fein, bevor man
zur Feder griff. Deswegen wurde mit aller Feſtigkeit die Angabe der
jogenannten „Sfizze" am Kopfe der Arbeit verlangt. Diejelbe durfte
jedody nur wenige Hauptpunfte enthalten und nicht etwa eine ausführliche
„Dispofitton“ jein. Demgemäß erfolgte die Wahl der Stoffe nach be-
jtimmten Grundfägen, nicht nach Zufälligkeiten oder nach beliebten Ueber—
lieferungen. ine Sammlung der Stoffe, die Reſſel im BVerlaufe feiner
Lehrthätigkeit zu Haus- und Schularbeiten gewählt hat, gäbe ein für alle
Fachmänner höchſt Tehrreiches Verzeichniß, das zugleich durch feine Ori-
ginalität den Beweis liefern würde, wie wenig ſich unjer Lehrer an den
herkömmlichen „Schimmel” hielt. Die Beurtheilung der jchriftlichen Arbeiten
nahm Reſſel jehr gemiljenhaft. Er begnügte fich nicht mit dem An—
jtreihen der einzelnen Fehler, jondern erläuterte durch Rand- und Schlup-
bemerfungen die Mangelhaftigfeit des Ausdruds, die Widerjprüche im
Gedanfengange, ungejchiefte Gruppirungen u. j. w. Dabei aber ließ er es
nicht bewenden. Bei der Rückgabe der gebejjerten Aufgaben mußte eine
derjelben von einem Schiller aus dejjen Unveinhefte laut verlejen werden,
während der Lehrer die Neinjchrift verfolgte. Es folgte dann die münd—
liche Berbejjerung, wobei aud) die Arbeiten der andern herangezogen wurden.
Das Thema wurde nad allen Seiten gründlich durchiprochen, und jeder
Aufmerfjame konnte zum Bewußtjein der Gebrechen jeiner eigenen Zeiftung
gelangen. Gerade an mißglüdten Berjuchen lernten wir am meijten. War
es feinem von uns gelungen, die Aufgabe zur Befriedigung zu löſen, jo
entwicelte Nejjel zum Schluß der Befprehung im mündlichen Vortrag die
ganze Ausarbeitung vor feinen jtaunenden Zuhörern. |
AS wir eine gewilje Fertigkeit erlangt hatten, führte Reſſel die jo-
genannte „Gegencorrectur“ ein. Die Schüler wurden in zwei Gruppen
getheilt, und jede derjelben erhielt ein bejonderes Thema. Je zwei vom
Lehrer bejtimmte Schüler aus verjchiedenen Gruppen wechjelten die Rein:
jchriften, um jie zu bejjern und zu beurtheilen. Die Arbeiten gingen
zunächſt an die Verfaſſer zurid, die berechtigt waren, die Correctur des
Mitichülers zu erörtern, gegebenen Falls zu befämpfen. Dann erjt erfolgte
die Gejammtbeurtheilung durch den Lehrer, welcher in diejelbe die Ver—
bejjerungen und Gutachten, fowie die Gegeubemerfungen der Schiller mit ein-
bezog. Selbitverjtändlich erfolgte jchlieglid) die mündliche Beiprechung. Diejer
Vorgang geitaltete ſich außerordentlich anregend und fruchtbar. Er ift ja nicht
nen und wird beiſpielsweiſe an Seminaren noch immer geübt. Die glückliche
— 13 —
Behandlung der Methode der Gegencorrectur it allerdings an eine Voraus:
jegung gefmüpft, die am Brürer Gymnaſium zutraf. ES dürfen nicht
allzuviel Schüler in einer Claſſe fich befinden. Bei vielen Schülern er-
mattet der Lehrer ohnehin ſchon an der einfachen Verbefjerung, und es
kann ihm nicht noch zugemuthet werden, fich in die Eorrectur und Gegen-
correctur der Schüler zu verſenken und die Doppelfritif zn üben. Ich
weiß recht wohl, daß auch Bedenken anderer Art gegen Schülerfritifen
bejtehen, kann mich aber hier nicht auf deren Widerlegung einlajjen. Ich
gejtehe nur, daß ich als praftiicher Schulmann jelbjt Gelegenheit nahm,
jie mit großem Erfolge in Anwendung zu bringen.
Das Angedenfen Rejiels verblaßte bei jeinen Schülern niemals. Als
wir nach abgelegter Reifeprüfung die Hochjchule bezogen, wurden wir
uns durch den Vergleih unferer neuen Profeſſoren mit dem geliebten
alten Lehrer erſt vecht der Ueberlegenheit des legteren in jedweder Bezie—
hung bewußt. Wir, die wir uns den philoſophiſchen Studien zumandten,
fanden für ihn feinen vollwerthigen Erjag. Reſſel blieb fiir uns derjenige
Meiſter, der unter allen Lehrern von der Volksſchule angefangen bis zur
Fachſchule hinauf den tiefjten Einfluß auf uns genommen, der auch für
unjer jpäteres Leben die nachhaltigiten Eindrücde hinterlaffen hat. Und
wohl wenige unter feinen ehemaligen Schülern dürfte e8 gegeben haben,
welche nicht von den wehmiüthigiten Gefühlen innigfter Dankbarkeit er:
griffen wurden, als jie die traurige Kunde von jeinem am 9. September
1886 erfolgten Hinjcheiden vernahmen.
Der Lebendgang.
Vieles von dem, was zur Charafterijirung eines bedeutenden Mannes
gehört, jieht die Jugend nicht, fie begreift jo manches nicht, e8 fehlt ihr
insbejondere das Verſtändniß für das Ringen und Kämpfen des mitten im
Leben jtehenden und mit den Wirrſalen desjelben jtreitenden Mannes.
Was wir num in jpäterer Zeit über Reſſel in Erfahrung brachten und mit
der Reife der „Jahre zu beurtheilen vermochten, war nur geeignet, unjere
Verehrung für den geliebten Lehrer zu erhöhen, aber auch mancherlet zu
erflären, was uns als Schülern unverjtanden geblieben war. Ein Gejammt-
bild jeines äußerlich einfachen, innerlich aber jo vielgejtaltigen Lebens zu
entwerfen, wäre eigentlich ein Alters- und Ordensgenoſſe zunächit berufen.
Diejenigen aber von den Biarijten, die ihm im Leben näher gejtanden,
jind meines Wiſſens auch ſchon dahingegangen. Mein ſchwacher Verſuch
ſtützt ſich zumeiſt auf die eigenen Erinnerungen und, was den äußerlichen
Lebensgang betrifft, vielfach auf die Mittheilungen ſeines Neffen G. A. Reſſel,
— 14 —
des dermaligen Schriftleiters der trefflichen in Auſſig erjcheinenden Tou—
rijtenzeitung.
Refjel ijt ein Neichenberger Kind. Aeltere Leute erinnern ſich noch
an das Fleine, vom grünen Hedenzanı umrahmte Holzhäuschen in der
jogenannten „Aue“ am Neifjeufer, vor welchem zwei jtattliche Eberejchen
— „Abſchen“ — die Wache hielten. Hier haujte der ehrſame Schneider:
meister Anton Reſſel, gewöhnlich der Abſchen-Reſſel genannt zum Unterſchied
von anderen Familien gleichen Namens in der Stadt. In dieſem Eleinen,
aber behaglichen Heim, das jpäterhin in fremde Hände überging und einem
nüchternen Steinhaufe Blag machen mußte, feierte am 28. September 1809
Anton Rejjel die Ankunft feines dritten Sohnes, unferes Wenzel Zacharias.
Den Namen des Landespatrones verdanfte der Heine Weltbürger offenbar
dem Umftande, weil er am Feſttage des heiligen Wenzeslaus feine irdijche
Laufbahn begann. Zacharias it der jpäter angenommene Ordensname.
Der Bater Reſſel wird als jtiller janfter Mann, die Meutter aber als eine
äußerjt thatkräftige Natur gejchildert. Da die Eltern in ziemlich bejcheidenen
Berhältniffen lebten, und die Zahl der Kinder allmälig auf fünf Söhne
anwuchs, galt es ritjtig zu jchaffen und wader Haus zu halten. Von den
vier Brüdern Wenzels widmeten ſich Anton, Joſef und Ignaz dem Hand»
werfe des Vaters, während Franz der Jüngſte die Beamtenlaufbahn
einſchlug und nachher als Steuercommiſſär in Ungarn jtarb.
Der Knabe Wenzel war von jehr Schwächlicher Leibesbeichaffenheit,
und man war gendthigt gewejen, die Nothtaufe bei dem zarten Geſchöpfe
in Anwendung zu bringen. Frühzeitig aber offenbarten jich bei ihm die
herrlichiten geiftigen Anlagen. Noch bevor er zur Schule geſchickt wurde,
hatte er aus der Fibel feiner älteren Brüder jchreiben und leſen gelernt.
Die Aufgaben der Bolfsjchule bewältigte er jpielend, und frühzeitig ergriff ihn
ein leidenjchaftlicher Hang zum Leſen. Tas Buch „von den zwölf ſchlafendeu
Jungfrauen“, eines der erſten, das ihm in die Hände fam, fejjelte jein ganzes
Weſen, und noch als Mann ſprach er gerne von dem tiefen Eindrud, den
es bei ihm hinterlaffen. Als ihm einjt ein Mitſchüler ein Bändchen Eleiner
Erzählungen lieh, veizte ihn die Freude an denjelben zur Nachahmung und
eigenem Schaffen. Bon feinem Taſchengelde, bejtehend in einem Kreuzer
Wiener Währung an jedem Sonntag, kaufte er ſich das billigjte Papier
und bejchrieb dasſelbe in Kleinfter Schrift mit jelbfterfundenen Erzählungen
zumeiſt in Geſprächsform. Ein ganzer Band joll nad) und nad entjtanden
und in der Familie mit Stolz gezeigt worden fein.
Ein offenbar wohlunterrichteter Gewährsmann jchreibt von der Jugend
Reſſels: „ALS Sohn armer Eltern in Reichenberg 1809 geboren, von jeiner
ne ua
= OB
Kindheit an Schwach, Fränflich, dem Aeußeren nach unanſehnlich, mußte er lich
zeitig zu einem leichteren Handwerk bequemen. Dies die Worte feiner furzen
Autobiographie. Dennoch gab er das Streben nad) einer höheren Bildung
nicht auf; feine mangelhaften Elementarfenntnijje juchte er insbejondere durch
Zectüre zu ergänzen. Seine fortgejegte Correjpondenz mit feinen ehemaligen
Mitſchülern, die bereits das Gymnafium in Leitmerig bejuchten, gab Ver:
anlaſſung, daß ein dajelbft jtudirender Theolog, der nachmalige Profeſſor
der Theologie Anton Jakl, fich feiner annahm. Mit deſſen Hilfe fam er
1823 an das Gymnaſium zu Leitmerig".") Ich jchalte diefe Bemerkung ein,
weil jie die Mittheilungen des Neffen G. A. Reſſel ergänzt. Von einer
Autobiographie des Onfels ift diefem nichts bekannt. Eine jolde wäre in
der That von außerordentlichem Intereſſe. Aus den Aufjchreibungen des
Neffen entnehine ich weiter, daß der junge Gymmafialjchiiler in feinem
Lerneifer nicht ermattete, jtetS zu den beiten Schülern des Gymnaſiums
zählte, aber auch jeiner Neigung zu dichteriichen Verſuchen treu blieb.
Ein Epos von 200 Herametern „ver Huſitenkrieg“ hätte er ſchon in der
Secunda verfaßt, und aus der Oymmafialzeit hätte er eine größere Samm-
fung von Gedichten aufbewahrt, die er fpäter wiederholt zu veröffentlichen
beabfichtigte. Der mir nur theilweife befannte Nachlaß des unvergeßlichen
Lehrers wird wohl darüber und über manch’ Anderes erwünjchten Auf:
Ihluß bringen.?)
In den Jahren 1829 und 1830 befuchte NRejjel die philojophiichen
Studien an der Prager Univerjität, und fand er im der großen Stadt
Gelegenheit feiner Ausbildung in den von ihm bejonders gepflegten Fächern
der Gejchichte und der deutjchen Literatur auc außerhalb des Hörjaals
ji mit allem Eifer hinzugeben. Ueber die eigentlichen Beweggründe Refjels
zu jeinem Eintritte in den Piariftenorden ſchwanken die Nachrichten. Die
beſchränkten Verhältnijje der Eltern, der Wunſch der Mutter, einen ihrer
Söhne im Priejtergewande zu jehen, und die eigene Neigung zum Lehramte
werden wohl ven Ausjchlag gegeben haben. Nach der oben angegebenen
Mittheilung der Bohemia hätte Nefjel einen Jahrgang der Theologie in
Prag als externer Hörer vollendet, hätte aber dann die angejtrebte Auf-
nahme in eines der wohlhabenden Klöfter Oeſterreichs wegen jenes
Fränflichen Ausſehens nicht gefunden. Der Neffe Reſſels erzählt, der Onfel
jei nach Zurüdlegung der philofophijchen Studien zu Fuß zum Prämon-
1) Bohemia v. 20. September 1886.
2) Im Jahre 1828 vollendete er die IL. Humanitätsclaſſe in Reitmerig, wird aber
nicht unter den Prämianten angeführt. Gym. Programm Yeitmerig 1877).
— 126 —
jtratenjerflojter Geras in Niederdterreich gewandert, habe hier nach Ueber-
windung großer Schwierigkeiten, die ihm eine mürriſche Haushälterin in den
Weg legte, Gehör beim Secretär „Kolſchak“ gefunden und’ habe auf deſſen
Veranlafjung alsdann in Wien zwei Jahre lang erternirt. Als er aber nod)
ein drittes Jahr externiven fjollte, habe er jih an den Provinzial der
Biarijten in Nifolsburg gewendet und durch diefen Aufnahme in den Orden
gefunden. Es fünnte dies wohl erjt im Fahre 1832 gejchehen jein. Nach
dem Ordensfatalog wurde Zacharias Nefjel am 1. Detober 1831 einge:
Hleidet, am 9. Weber 1834 legte er die Ordensprofeß ab, und am 7. Auguſt
1836 wurde er zum Priejter geweiht.
Der Piarijtenorden bot feinen Mitgliedern niemals ein glänzendes
Los. Im Gegentheil, er gewährte nur die bejcheidenditen Mittel zur
Friſtung des Dafeins und verlangte die angejtrengtejte Thätigfeit, Entbehrung
und Entjagung. Auf dem Piariſten laftete dev Alp des allgemeinen nicht
ausjterbenden Schulmeifterelends, und dazu hatte ev noch die Feſſeln des
katholischen Priefters zu tragen. Die armen Brüder der frommen Schulen
aber erwarben jich troß alledem die größten Verdienjte um das Schulwejen
Dejterreichs, die leider die berechtigte Anerfennung nicht immer fanden.
Katjer Joſef ließ es an einer jolchen nicht fehlen, wenn er jagte: „Die
Piariſten jind meine beiten und billigjten Lehrer." Gerade deswegen aber
jtellten die Piarijten eine große Anzahl hervorragender Schulmänmer und
Gelehrter. weil ihre Gemeinjchaft für Streber und irdiſchem Wohlleben
Huldigende jo wenig Verlodendes bot. Die mit dritdender Armuth und
ſchwerer Arbeitlaft Kämpfenden traten denn auch dem Wolfe weit näher,
als andere Orden, und wußten den fortjchrittlichen Bedürfniſſen der Zeit,
wie den örtlichen Verhältniſſen billige Nechnung zu tragen. War eg die
bei ihnen ſich ausbildende freiere Auffafjung kirchlicher, politifcher und
jocialer Fragen, die fie namentlich den Jeſuiten gegenüber in einen jchroffen
Gegenſatz jtellten, war es der bittere Mangel irdiſcher Güter, oder lagen
noch andere Gründe vor, daß fie allmälig aus ihren Schulen ſich ver-
drängt jahen, ihre Eollegien zujammenfchrumpften, und jie heute ihrem
Ausjterben mit jtummer Ergebung entgegenbliden?
Reſſel war wie gejchaffen zum Piariſten. In ärmlichen Verhältnijjen
anfgewachfen war er gewohnt nur geringe Anforderungen an das Leben
zubilvden und durch Wort und Schrift zur Aufklärung und Wohlfahrt feiner
Mitmenjchen thunfichjt beizutragen. Die geijtige Begabung hiefür bejaß
er in reichlichem Maße, und fein eijerner Wille wußte auch das einzige
Bedenken, hervorgerufen durch ſeine ſchwächliche Körperbejchaffenheit,
=
fiegreich zu überwinden. Durch eine ftreng geregelte Lebensweiſe und ein
vernünftiges Abhärtungsverfahren, verjtand er es, ſich bis in jein höheres
Lebensalter gefund und Fräftig zu erhalten, abgejehen von einem Augenübel,
welches ihn allerdings in jpäteren Fahren mit jchwerem Kummer erfüllte.
Es war ein zwedmäßiger Vorgang, welcher von den Piarijten einge-
halten wurde, ihre Mitglieder nicht fir eine Gattung von Schulen allein
auszubilden, jondern fie jowohl für den Unterricht in den Bolfsjchulen,
wie in den Mitteljchulen zu befähigen. Daß der junge Biarijt ſich zunächſt
in der Volksſchule jeine Sporen verdienen mußte, konnte demjelben gewiß nur
zu großem Vortheile gereichen, auch wenn er nachher an eine Mittelſchule
überjegt wurde. Die Kunſt des Unterrichtens ijt in der Volksſchule
jchwieriger, und jeder Mittelſchullehrer wird noch heute gut daran thun,
wenn er jich mit den an derjelben beftehenden und ſich immer fejter
gejtaltenden Grundjägen des Lehrverfahrens vertraut macht. Hat man
doch anderwärts längjt erkannt, daß für die unteren Clafjen der Mittel:
ihulen jeminarijtiich gebildete Candidaten den fogenannten afademijchen
vorzuziehen jind. Unſer Rejjel begann denn jeine Laufbahn als Schulmann
in den Hauptjchulen ven Kremfier, Aufpig und Haida. 1833 rüdte ev an
die Realſchule jeiner Vaterſtadt Reichenberg vor, und nad) fünfjähriger
Wirkſamkeit an derjelben jegte er jeine Lehramtsthätigfeit an der Rakonitzer
Realſchule fort, wo er mit einer furzen Unterbrechung vom Jahre 1844
bis 1849 verblieb. ES fennzeichnet feine Vieljeitigfeit, daß er an beiden
Anstalten nicht bloß die Gejchichte, Geographie und deutfche Sprache unter:
richtete, ſondern ſich auch für das damals an den Realjchulen nod) behandelte
Fach der „Technologie" verwenden ließ. Nicht als ob er in demjelben lediglich)
einen Lückenbüßer abgegeben hätte. In Neichenberg ſchon jchrieb er ein Lehr—
buch der mechantjchen Technologie, das von den Schulbehörden die „Appro-
bation” erhielt, allerdings aber nicht zum Drud gelangte. Im Jahre 1346
wurde Reſſel nad Wien gejendet, um, wie jein Neffe jchreibt, noch einen
Sahrgang Theologie zu jtudiren. Nebenbei fupplirte er einige Zeit am
Thereſianum. Sein lebhafter Wunsch war es, an diejer Anjtalt fortwirken
zu fünnen, da ihm ja die Großſtadt jo leicht die Mittel zur eigenen Fort—
bildung und zur Durchführung feiner fchriftitelleriichen Pläne gewährte.
War es die bei ihm jcharf ausgeprägte Wahrheitsliebe und fein ehrlicher
Freimuth gegen Jedermann, wodurd er jich diefe Vergünftigung bei den
Drdensoberen vericherzte? Der ſtrebſame Piariſt mußte in das tichechiiche
Städtchen Rafonig zurüd. Einen großen Schatz brachte ev aus Wien mit,
den vollitändig durchdachten Plan für das Hauptwerk feines Lebens „die
Univerjalgejchichte für gebildete Leſer“, und einen mit der Univerjitäts-
— u a ———
Band 3. ol
Buchhandlung „Anton Dolls Enkel“ abgejchlojienen Vertrag, betreffend die
Herausgabe desjelben. Welch fühnes Unternehmen überhaupt eine Univer—
jalgejchichte zu ſchreiben! Dieſen Berfuch aber in einer Heinen Stadr zu
wagen, wo es der geijtigen Anregung jo wenig gab, und wo die wijjen-
ſchaftlichen Hilfsmittel jo jchwer zu bejchaffen waren, dazu gehörte ein
entichlojjener Wille, ein muthiges Selbjtvertrauen und die zähejte Aus—
dauer. Die Univerfalgefchichte erjchien in monatlichen, 6 Bogen jtarfen Lies
ferungen, und noch 1846 war der erjte Band fertig. Im Fahre 1853
erichien der achte und legte Band. Welch Uebermaß von geijtiger Arbeit
für den an fich jo Sehr bejchäftigten Meitteljchullehrer! In wie weit
dem Hijtorifer der große Wurf gelungen, werden wir nod zu unter-
juchen haben.
Das Fahr 1848 Scheuchte auch Reſſel eine Zeit lang aus feinen Stu-
dien auf, und er verfolgte mit Spanming die jtiirmifchen Bewegungen im
Aus: und Inlande. Als der befannte Abjagebrief Palacky's vom 11. April
an den fünfziger Ausschuß des jrankffurter Parlaments erjchien, konnte er
jich) nicht enthalten, eine jcharfe Antwort dem Slavenführer zu ertheilen,
in welcher er die Unrichtigfeiten und Widerjprüche der Palacky'ſchen Ausein—
anderjegungen aufzudeden juchte. Diejelbe erjchien in der conjtitutionellen
Prager Zeitung vom 28. April; wir werden auf den Inhalt jelbjt une
zurücfommen.
Im Fahre 1850 wurde Reſſel als Lehrer an das Gymnaſium in
Brüx verjegt. Durch volle zweinndzwanzig Jahre wirkte ev Hier mit
jeltenem Eifer und ungewöhnlichem Erfolge in feinem Berufe und fand
noch Zeit und Kraft, feine wiljenjchaftlichen Studien und Arbeiten fortzu:
jegen. Die Univerfalgejchichte wurde vollendet, und zahlreiche Aufjäge in
den Gymnajialprogrammen geben Zeugniß von der geijtigen Nührigfeit
und Friſche des verehrten Lehrers. Sein Berfahren in der Schule habe
ih im Eingange diejer Zeilen zu jchildern verfucht. Reſſel jtand in den
fünfziger Jahren auf der Höhe feines körperlichen und geijtigen Lebens,
Sein äußeres Bild aus jener Zeit ſchwebt mir noch heute deutlich vor
Augen. Auf der Heinen gedrungenen Gejtalt jaß ein wahrer Charafterfopf.
Eine gewaltige Stirn überwölbte das fein marfirte Gejicht, das von einem
dunklen, jpäter erbleichenden Bart umrahmt wurde. Die Augen bevedten
ſcharfe Gläſer; ıhr Glanz jtrahlte nur Milde und Liebe aus. In der Schule
erjchten Rejjel immer in einfachen Schwarzen Ordensgewand. Bei jeinen tägli-
chen Spaziergängen aber trug er fich nad) Art eines fchlichten Bürgers; man
jah ihn in der Regel im nicht zu langen dunklen Rod, grauen Beinkleivern
und einen weißen Hut, in der Hand einen Negenihirm oder Stod. Be
= IB
feiner großen Kurzlichtigfeit erfannte er nicht inımer, was um ihn vorging.
Er juchte daher raſch das Freie zu gewinnen. Wenn er jchnellen Schrittes
auf der Saazer oder Kommotauer Straße dahinwanderte, geihah es denn
auch manchmal, daß er, vom lebhaften Gedankenjpiel überwältigt, laute
Neden hielt und feinen Stod in heftiges Schwingen verjegte. Das mochte
im Anfang das eine oder das andere Bänerlein, das auf dem Felde nebenan
ruhig jeine Zurchen zog, jonderlich befvemden. Bald aber war der gelehrte
Profeſſor im ganzen Weichbilde der Stadt wohlbefannt, und Niemand un—
terließ e8 dem verehrten und beliebten Manne einen freundlichen Gruß zu
bieten. Wenn die Sommerferien heranfamen, hing ſich der Wanderluſtige
eine Reiſetaſche um und ſtand gerüftet zur weiten Fahrt. Xeichten Fußes
und Gepädes, wie ein Jüngling, beveijte er nad) und nach die Kronländer
Defterreichs, ſowie das benachbarte Sachſen, ſtets ſcharf beobachtend und das
Wahrgenommene in jich verarbeitend.
Abgejehen von Rejjels großer Meijterichaft als Schulmann gewannen
jein mildes freundliches Wejen, jeine jtrenge Wahrheits- und Gerechtigfeits-
liebe, jeine Begeijterung für Alles Hohe und Edle nicht bloß die Herzen
der Jugend, jondern aller Unbefangenen, die ihn näher kannten. Daß er
durch feinen Freimuth und Biederſinn nicht immer den Beifall der Mächtigen
des Ordens gefunden, ja auch allerlei Berdächtigungen und Anfeindungen
erfahren, ijt ja jehr erklärlich. Mißgunſt umd Uufrieden, die häßlichen Ge—
wächje in allen menjchlichen Vereinigungen, wuchern mehr, als man glauben
jollte, in den Zellen der Klöjter. Reſſel ſchwankte feinen Augenblick in jeiner
Ueberzeugungstreue. Seinen Schülern verzieh der ſonſt jo wohhvollende
Lehrer am ſchwerſten die Züge; über jeine Lippen aber gelangte niemals
eine bewußte Unmwahrheit, und Nichts in der Welt hätte ihn bewegen fünnen,
jeine Grundjäge und Gejinnungen nur um Haares Breite zu verleugnen.
Eine jchwere Verſuchung trat an ihn heran. Schulvath Schilhavy, der die
hohe Begabung und jeltene Gelehrſamkeit Reſſels zu würdigen verjtand,
lenfte die Aufmerkjamfeit maßgebender Kreije auf ihn, als es ſich im Jahre
1551 um die Bejegung der Lehrfanzel der Gejchichte an der Bejter Uni-
verjität handelte. Reſſels Berufung jchien jo viel wie ficher, und jchon
hatte man für einen Nachfolger in jeiner Brüxer Lehramtsſtelle gejorgt.
Aber auch die jtille Arbeit des Verdächtigens hatte bereits begonnen. Die
allzu freiſinnige Weltanfchauung des Gelehrten, die man bejonders aus
jeiner Weltgejchichte entlehnten Stellen beweifen wollte, bot den in der
rüchchrittlihen Strömung jener Tage jo günjtigen Angriffspunft. Reſſel
erichten beim Unterrichtsminifter in Wien, wir wiſſen nicht ob aus eigenem
Antrieb oder hohen Orts befohlen. Ueber die lebhaften Museinanderjegungen,
— 130 —
die der freimüthige Piariſt mit Sr. Excellenz hatte, wurde feiner Zeit in
Brür viel erzählt. Ich vermag etwas völlig VBerbürgtes darüber nicht zu
berichten. So viel ijt aber ſicher: hat es ſich etwa darum gehandelt, Reſſel
zu Verſprechungen zu bewegen, die fi) mit jeinen Ueberzeugungen wicht
vereinbaren liegen — er war nicht der Mann, auf eine ſolche Zumuthung
einzugehen, auch nicht um den Preis, der ihm winkte, um feinen Preis.
Im Gegentheile, es iſt jehr wahrjcheinlich, daß der geiinnungsfejte Dann
jenen edlen Feuereifer, mit welchem er allzeit für jeine Anjichten und Ideale
eintrat, auch im Meinifterzimmer zum Ausdrude brachte, was dann aller:
dings genügt hätte, auch die legte Hoffnung auf die Peter Profeijur zu
vernichten. Thatſache iſt nur, daß Reſſel jchmerzlich enttäufcht von Wien
zurücdfehrte, und er alle Noth hatte, feine alte Zehrjtelle am Gymnaſium
wieder zu erhalten. Ob bei diefer für Reſſel fo peinlichen Angelegenheit auch
Franz Palady, wie eine Nachricht lautete, jeine Hand mit im Spiele hatte,
will ich nicht entſcheiden. Reſſel ſelbſt glaubte, wie mir Herr Profejjor
Nebhann mittheilte, bis an jein Lebensende an eine ihm feindjelige Einmi-
Ihung Palady’s, welche er in Zufammenhang mit jeinem oben erwähnten
offenen Schreiben vom 28. April 1848 brachte.)
Wie 08 ſich mit dem einige Zeit jpäter an Reſſel ergangenen Auf
der Univerfität Marburg verhalten hat, iſt mir nicht genauer bekannt.
Nach einer Nachricht *) habe der damalige DOrdensprovincial die Ernennung
des Gymnafiallehrers zum ausländischen Univerjitätsprofejjor zu verhindern
verjtanden. Reſſel, dem wohl die Thätigfeit an einer Hochſchule als ſchönſtes
Biel des Strebens vorgefchwebt haben mag, wußte ſich zu bejcheiden. Mit
gleicher Liebe, mit gleichem Eifer wie vorher, widmete ex fich feinem Lehr:
amte am Brüxer Gymnafium. Die ihm treu anhängliche Jugend frente -
ſich jeines Bleibens. Aber auch die Bürgerjchaft wußte das jtille Frucht:
bare Wirken, die feltene Charakterjtärte und nnbeugjame Wahrheitsliebe
des ehrenhaften deutjchen Gelehrten zu jchägen. Sie entjendete ihn im
Jahre 1861 in die Gemeindevertretung, eine Auszeichnung, die ev wohl
zu würdigen verjtand. Es war eben in jenen Tagen nicht jo leicht, unter
die erbgejejjenen Väter unferer heimischen Städte aufgenommen zu werden,
falls man nicht felbjt zu den Grundherren der Gemeinde gehörte. Reſſel
nahm fein neues Ehrenamt gewiljenhaft wie Alles, dem ex ſich unterzog.
Selten nur fehlte er in einer Sitzung. Auch gehörte ev nicht zu den
1) Herr Profeffor Rebhann bezieht fih auf eine Unterredung, welche er mit
Reſſel fünf Tage vor deifen Tode hatte.
2) Brürer Zeitung 1886, Nr. 73.
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ſtummen Beijigern, deren NRedegewandtheit erjt nach Verlaſſen des Rath—
haujes zu glänzen pflegt. Die dürftig geführten Sigungsberichte ?) ver-
zeichnen zwei jelbjtändige Anträge Nefjels, die wir hervorheben wollen. Am
29. Jänner 1862 trat er für eine Erhöhung der Bejoldung des Lehrper-
jonales des Gymnaſiums ein und beantragte, zu diefem Zmede einen Mehr:
betrag von 910 fl. in den Gemeindevoranjchlag einzujegen. Der in An-
betracht der jpärlich bemeijenen Bezüge der Piariften wohl berechtigte und
vollfommen begründete Antrag fand zunächſt wohl feine Unterftügung im
Kreife der Gemeindevertreter, hatte aber doch einen gewiſſen Erfolg aufzu:
weijen. Denn auf Anregung des f. f. Kreisgerichtsrathes Anton Podubetzky
wurde dem Piarijtencollegium für das Schuljahr 1862 ein Theuerungs-
beitrag von 500 Gulden bewilligt. Der zweite in derjelben Sikung von
Reſſel eingebrachte Antrag war ganz geeignet, die Stadtväter in einen ge-
linden Schreden zu verjegen. Es war nämlich in Brür altes Herfommen,
einen Theil der reichen Mittel der Stadt zur Entlaftung der Grundſteuer—
pflichtigfeit der bejigenden Bürger zu verwenden. Diejes nur den mohl-
habenden Claſſen zu Gute kommende Privilegium zum Falle zu bringen,
war die wohlgemeinte Abjicht des gerechtigkeitsliebenden Gemeindevertreters.
Welche Betroffenheit mochte das geradezu revolutionäre Anfinnen des jchlichten
Piarijten unter den Nathsgewaltigen hervorgerufen haben, die ja zumeiſt
der jüßen Steuerfreiheit fich erfreuten. Es ijt bedauerlich, daß wir von
dem Redekampf über die heikle Frage nichts erfahren. Der Sigungsbericht
bemerkt lediglih: „Ein Antrag des Herrn Stadtverordneten Profeſſor
3- Reſſel auf Behebung der Ungleichheit, welche durd die Steuer:
freiheit in der Bürgerjchaft herbeigeführt wird, fand feine Unter—
ftügung." Wenn in fpäterer Zeit der alte Brauch oder bejjer Mißbrauch
doc befeitigt worden ift, jo bleibt es Reſſels ungejchmälertes Verdienſt, das
erjte Deal in offener Sigung das befreiende Wort freilid) wie der Rufer
in der Wilfte muthig ausgefprochen zu haben. Nach Ablauf der dreijäh-
rigen Wahlperiode jchied er im Fahre 1864 aus dem Stadtverordneten-
collegium fir immer. Die regierende Partei mochte den „unpraftiichen
Gelehrten” nicht mehr candidiren,; ev jelbjt jtrebte eine Wiederwahl nicht
an, da ihn immer jchwerer die bittere Bejorgniß ob jeines zunehmenden
Augenübels belajtete.
Reſſels in früher Zeit ſchon auftretendes Augenleiden verjchlimmerte
fic) mit den Jahren trog der aufmerfjamften Pflege. Gelegentlich jeiner
1) Mein Freund Herr Stadtſecretär Pawlowsky hatte die Güte, diefelben durch—
zuſehen.
u —
Miener Neije im Jahre 1851 hatte er befammte Fachärzte zu Rathe ge-
zogen, und in Brüx jelbjt leitete das Heilverfahren mit unermüdlicher
Sorgfalt Dr. Killiches. Die anftrengenden Nachtarbeiten des vajtlojen
Gelehrten mußten eingejchränft werden, und der nicht minder aufreibende
Schuldienjt wurde öfter zum großen Leidweſen der Jugend unterbrochen.
Am 22. April 1869 ftürzte er in Folge feiner Schwachlichtigfeit über die
Treppe und erlitt einen Beinbrud. Der Religionsprofefjor jand ihn auf
ten Boden liegend. Auf deſſen Frage, was dein gejchehen jet, antwortete er
mit echt ſtoiſcher Ruhe: „Ich babe mir nur ein Bein gebrochen." Wohl war
er im Juli wieder joweit hergejtellt, um feinem Berufe nachgehen zu können.
Nach zwei Jahren aber, al3 die Augen immer mehr den Dienft verjagten,
im Jahre 1872, 309 er ſich im den Ruheſtand zurüd; das Schulprogramm
vom Fahre 1872 hatte ex noch mit einem Auffag bereichert. Siebenund-
dreißig Jahre hatte er ſich dem Unterrichte der Jugend mit jeltener Hinge-
bung und ungewöhnlichem Erfolge gewidmet. Die wadere Gemeindever-
tretung von Brüx beſchloß dem langjährigen Mitbürger, der im Dienjte
der Menjchheit nahezu erblindet war, den innigjten Dank auszujprehen
und dem „verehrten Lehrer, dem es wie wenigen gelungen jei, nicht nur
auf die Geiſtes- fondern auch auf die Charafterbildung feiner Schüler in
erfolgreichjtev Weife einzuwirken“, als äußeres Zeichen der Anerkennung
einen Ehren-Ruhegehalt anzubieten. In diefer feiner zweiten VBaterjtadt
entſchloß ſich Nefjel, feinen Lebensabend zu verbringen. In den jtillen,
zulegt nur noch von einem zweiten Ordensbruder bewohnten Räumen des
Piarijtencollegiums verlebte ev zurücdgezogen gleich einem Einfiedler die
Jahre der Ruhe. Der Ruhe wohl nicht im vollen Sinne des Wortes.
Denn unaufhaltfam pulfirte das vajtlofe Geiftesleben des Forſchers und
Denfers weiter, und immer wieder vertiefte er fich, foweit das Augenlicht
reichte, in das Studium der alten Claſſiker und die Lefung der vornehmiten
Werfe der neueren Eulturvölfer, deren Sprachen er alle gründlich verjtand.
Auch als er faſt völlig erblindet war, konnte er fich von der Gejellichaft
jeiner geliebten Bücher nicht trennen. „So jonderbar," jchreibt die Brüxer
Zeitung, „jo wenig glaubhaft es erjcheinen mag, der greife Gelehrte hat
es jelbjt furz vor feinem Lebensende Freunden gegenüber immer behauptet,
jein geiftiges Auge habe das körperliche Gebrechen überwunden, mitteljt
jeines geiftigen Wahrnehmungsvermögens jei es ihm möglich gewejen, jelbjt
zu ſtudiren und zu „lejen”, und manchmal waren Freunde des alten Ge—
lehrten augefichts diefer tiefwurzelnden Ueberzeugung, geiftig erfaſſen zu
können, was fürperliches Ungemach unmöglich gemacht, verjucht, an dieje
Ueberzengung zu glauben." Acht Tage vor feinem Tode noch hatte Reifel
Zu, VER —
ein altgriechijches Werf vor fich liegen, aus welchem er geiftig zu jchöpfen
meinte, und bis an fein Lebensende las er auf diefe Weije die „Brüxer
Zeitung", deren langjähriger Abnehmer er gewejen.
Die Weltgeſchichte.
Reſſels gedrudtes Hauptwerk bleibt das „Dandbud der Uni-
verjalgeihichte für gebildete Lehrer", Wien 1846—1853. Es
erjchien in 8 Bänden, wovon nad) der landläufigen Eintheilung einer auf
das Alterthum, zwei auf das Mittelalter und fünf auf die Neuzeit ent-
fallen. Nach Reſſels Bezeichnung beginnt die Neuzeit Schon nach Abſchluß
des Alterthums, umfaßt daher auch das Mittelalter; er gliedert fie in
Neuzeit (Mittelalter) (2 Bd.), Neuere Zeit bis zur großen franzöſiſchen
Revolution (2 Bd.) und Neueſte Zeit (3 Bd.). Für diefe Art der Einthei-
lung der Weltgejchichte ſprach ſich unter andern auch der Philoſoph Her-
man aus. Wie Refjel feine Aufgabe erfaßte, und nach welchen Gejichts-
punkten er diefelbe zu löſen fuchte, darüber gibt er uns genügende Auf:
Härung im Vorworte zu jeinem Werke: „Der Gefchichtichreiber hat einen
jchweren Beruf, und nur Wenige, die ſich diefen Namen beilegten, haben
ihn ganz erfüllt. Der Gejchichtichreiber jell dem Leſer als Führer dienen
durch das weite Chaos des Gejchehenen, und durch das endloje Wirrjal
der Begebenheiten ihm den jichern Weg zeigen zum vorgeftedten Ziele. Er
muß weile Maß zu halten wijjen in der Auswahl der darzuftellenden Be:
gebenheiten gemäß dem jejtgejegten Plan: wählt er zu wenig, jo bleibt die
Darftellung unvolljtändig und interejjelos ; wählt er zu viel, jo leidet die
leichte Ueberichau, und der Lejer geräth in Verwirrung. Er muß mit
jchnellem und fcharfem Blide den Knoten erkennen, iu welchen die Fäden
der Begebenheiten zufammenlaufen;; diefer ninımt den Mittelpunkt der Dar-
ftellung ein und erhält die ganze Fülle der Beleuchtung, jo daß die unter-
geordneten Glieder ſich ihm anfchliegen, und je nach der nähern und ent—
fernten Beziehung zu demfelben Licht und Bedeutfamkfeit erhalten. Dod)
während er den Lefer tief in das Innere der Erzählung einführt und ihm
die Einzelheiten erklärt, muß fein Auge fortwährend das Ganze umfaſſen;
leichten Fluges ſchwingt fich feine Phantafie über den ganzen Schauplaß
der Begebenheiten, erkennt das Verwandte, jei es auch durch Raum umd
Zeit getrennt, und bildet fo, indem er das Gleichartige verfnüpft und das
Verſchiedene ausfcheidet, die wirre Mafie zu einem jchönen, wohlgeoröneten
und innig verbundenen Ganzen. Doch ijt alle dieje Arbeit eitel Stückwerk,
wenn er fich damit begnügt, die Begebenheiten bloß äußerlich an einander
gereiht und geordnet zu haben; er hat einen todten Mechanismus gejchaffen
Mittheilungen. 26. Jahrgang. 2. Heft. 10
is.
und feine Gefchichte. Sein Werk erhält erft dann Werth und Bedeutſamkeit,
wenn er die Scele erkennt, die in den menschlichen Geſchicken waltet —
wenn er den Weltgeijt erjchaut, der über den menjchlichen Ereignifjen
ſchwebt, ie leitet und ihnen ihre Bahnen vorzeichnet — wenn er fortwährend
die menschlichen Dinge zu dem Höchften in Beziehung jegt, den Gang nach—
weijt, welchen die Vorjehung in der Erziehung des Menjchengejchlechtes
einſchlug, und die Gejege, nach welchen jie dieſe Entwicdlung vor ſich gehen
ließ; allüberall weije er die Leſer auf das Göttliche hin und auf die leuch—
tenden Spuren, welche der wirkende Finger der Weltregierung in ven
Marmor der Gejchichte drücdte. Und wie er das Auge unabläjjig nad
oben gerichtet hat, jo muß ev zugleich fein Geſchlecht mit Liebe umfaſſen,
vejjen Leben er bejchreibt; nur jo wird er den Perfonen, die er ung auf:
führt, warme Theilnahme erwerben können, und die Darjtellung wird jene
Lebendigkeit und Innigkeit erhalten, die uns an einer Erzählung jo anzieht,
und die wir ungern vermijjen, wo immer Meenjchen von ausgezeichneter
Perſönlichkeit uns entgegentreten.“
Die Geichichtfchreibung, erklärt Reſſel weiter, jolle eine nationale
fein, da fie nur dann dem nationalen Lejer im Denken und Fühlen nahe
fommt. In Frankreich, England, Deutjchland nehme man dieſen Stand-
punft Schon ein; nur in Dejterreich jei man noch vielfach andrer Meinung.
„Oeſterreich ift fein Staatenbunmd, wie mancher es gerne nennen möchte,
jondern ein Staat im vollen Sinne diefes Wortes." Es jolle allmälig
„ein wahrer öfterreichifcher Nationalſinn erwachlen, das feſteſte dev Bande,
die Nationen zufammenzuhalten, und die ſtärkſte Grundlage aller politifchen
Macht”. „Zu diejem edlen Zwede das Meinige beizutragen — die Volks—
meinung über die wichtigjten ragen unferer jtaatlichen Exiſtenz aufzuklären,
die Gemüther für die gute Sache zu gewinnen und die vielfach auseinander
laufenden Kräfte nach dem einen Ziele hinzuweiſen — in meinen großen
und jchönen Baterlande den Sinn für gefchichtliche Anfchauungen und Ge-
nüfle zu beleben, echte Grundfäge zu verbreiten über die höheren Bezie-
hungen des Menjchenlebens, und gegenüber den materiellen und frivolen
Beitrebungen der Zeit, eine ſtarke geiftige Nahrung zu liefern, gleich au:
ziehend für den Verſtand, als anvegend für das Gemüth und jtählend zu
echter männlicher Willenskraft: das war der Plan, der mir vorjchwebte,
als ich diejes Werk unternahm. Ob ich diejes Ziel erreicht habe, darüber
zu entſcheiden it nicht meine Sache; nur bin ich mir Far bewußt, dag
ich e8 ernjt und fejt in das Auge faßte, und ich glaube mich immerhin der
Hoffnung hingeben zu dürfen, daß ich nicht weit von der rechten Bahn
abgeirrt bin. Auch werde ich, jo lange ich Leben und Athen habe, diejent
— 155 —
Ziele nachjtreben.” — Zur Erläuterung diejes jeines echt altöjterreichiichen
Standpunftes, den Reel im Fahre 1846 einnahm, über welchen wir nicht
vornehm lächeln wollen, da uns cher eine gewiſſe Wehmuth bei Betrachtung
desjelben bejchleicht, fügt er zum Sclujje des VBorwortes noch Folgendes
bei: „Daß ich übrigens jenes Volk zum Mittelpunkt wählte, dem ich jelbft
angehöre, und deſſen Sprache ich ſpreche, kann mir nicht zum Vorwurfe
gemacht werden; der Kosmopolitismus jagt mir nicht zu. Sehr oft iſt
unter diejer täufchenden Hülle Mangel an Gefühl und jchnöde Selbjtjucht
verborgen: die Welt ıjt zu groß für den fleinen Raum eines einzigen
Herzens; Jeder jei nur auf feiner Stelle das, was er jein ſoll, und er
wird es auch für das Ganze jein. Doch bin ich mir bewußt, die Wahrheit
nie abjichtlich verfälicht oder verhüllt zu Haben; was ich jage und urtheile,
ijt meine tiefjte Ueberzeugung. Darum kann ich wohl getrojt diejes Er-
zeugniß meiner Muße der Deffentlichkeit übergeben; ich habe genug gethau,
wenn es nur einigermaßen den Zwed erreicht, den ich bei der Entwerfung
desjelben ins Auge gefaßt habe.”
Dem Borwurfe, den man ihm machen Fünne, daß er verhältuigmäßig
zu wenig Stoff und zu viel Betrachtung bringe, begegnet der Verfaſſer
in dvorhinein mit dem Bemerken, daß er nicht für Fachgelehrte, ſondern
für den großen Kreis der Gebildeten jchreibe. Die Gejchichte jolle aus
der einjamen Studierjtube und aus den Hörjälen der Hochſchule ins Leben
übergehen. „Es iſt ein achtungswerthes Beginnen, aus den Scoße der
Berge das edle Erz herauszuholen und zu Tage zu fürdern; allein nicht
minder wichtig und jegensreih it e8 aus dem rohen Erze das koſtbare
Gold zu jchmelzen, damit es im Leben brauchbar jei und Nugen ſchaffe.“
An feine Darjtellungsweife, an die äußere Form, legt Reſſel einen
jtrengen Maßjtab; ein edler Geijt folle ſich in eine edle Hülle einkleiden.
Gegen diejenigen, welche feine Sprache zu warm und bilderreich finden,
richtet er die Worte: „ES iſt nicht Jedem gegeben, überall und jederzeit
die falte Ruhe zu bewahren, die dem ernjten Denker ziemt; auch läßt ſich
ja bei Weiten nicht Alles mit dem bloßen Berjtande auffallen. Wenn
Jemand bei der Anfchauung eines gothiichen Domes nichts weiter zu thun
weiß, als die Fenſter zu zählen und die Säulen zu mejjen, jo wollen wir
ihm dies nicht verargen; nur möge er feinen Vorzug darin juchen und fich
nicht vornehm erheben iiber das gläubige Gemüth, das in den gewaltigen
Formen eine Seele ahnt und von dem Wehen derjelben ſich angehaucht fühlt."
Die Borzüge, wie die Mängel feines Gejchichtswerfes deutet jomit
der Verfaffer jelbjt in der Vorrede genugjam an. Seine Stärke beruht
in der originellen jubjectiven Auffaſſung, in den kunſtvollen Aufbau und
10"
— 156 —
in der jchönen, gefühlswarmen Darjtellungsweije. Ganz im Gegenjag zu
jener objectiven diplomatischen Geschichtichreibung, die in Ranke ihren ftolzen
Höhepunkt erreicht hat, ftellt Reſſel fortwährend die ethifchen Ideen dem
vein Sachlichen entgegen und läßt, wie er felbjt jagt, „die Neflerion die
Materie überwiegen." Hiedurch gelangt ev in eine gewiſſe Aehnlichfeit zu
Schloffer, von dem er jedoch Feineswegs als abhängig betrachtet werden
fan. Die fittlihe Strenge, die unverjöhnliche Feindichaft gegen alles
Schlechte und Gemeine, der Freimuth in der Auffafjung aller menschlichen
Fragen, die Liebe zum Volke Fennzeichnet beide Hijtorifer. Dagegen über:
vagt nad) meiner Meinung der Prarift den protejtantischen Geſchichtſchreiber,
dem er in der Beherrichung des Stoffes nachiteht, in der Unbefangen-
heit der Auffaffung, der Milde des Urtheils und in der liebevollen Berjen-
fung in das geheimnißvolle Walten der menjchlichen Natur. Bejonders
gilt dies von der Auffaſſung und Darftellung religiöfer Fragen. Das
Briejtergewand des Ordensbruders bildete für ihn fein Hinderniß in der
Berurtheilung der vielfachen Berirrungen der römischen Curie und in den
tadelnswerthen Auswüchjen der Kirche — hielt ihn aber auch nicht zurüd,
jenen außerordentlihen Aufſchwung zu betonen, welcher durch die Refor—
mation im wiſſenſchaftlichen und Künftleriichen Leben der Völker hervorge-
rufen wurde. Die Blüthe dev deutjchen claffischen Literatur, die hohe Ent:
wicklung der wiljenjchaftlichen Philojophie in Deutjchland ift 3. B. nad
Reſſel in erfter Linie. lediglich duch die vorhergegangene Befreiung der
Geiſter durch die Neformation ermöglicht worden.
Einen Vergleich zwijchen den jo volksthümlich gewordenen Heidelberger
Profeſſor und den jelbjt in Fachkreiſen jo wenig befannten deutſchböhmiſchen
Hiftorifer zu ziehen, dürfte Vielen gewagt erjcheinen. Man nehme nur aber
einmal die Schriften des Legteren zur Hand, und man wird finden, daß
die Ebenbürtigfeit hier, wie jo oft, nicht an dem äußeren Erfolg zu er-
meſſen ift. Daß Reſſel jo wenig zur Geltung gelangte, Tag in dem Um—
jtande, daß er ein freifinniger Fatholifcher Priefter und überdies ein Defter-
veicher war. Der Mönch, der es wagte, das PBapftthum zu Feitifiven, den
Flammentod des Hus zu bewundern, den Protejtantismus mit jeinen ge-
waltigen Folgen freimüthig zu erörtern, Kant, Schiller und Goethe zu
feiern, konnte im eigenen Lager auf eine Unterjtügung nicht rechnen. In
Deutjchland aber war es, wie noch heute manchmal, in den fünfziger
„jahren aber insbejondere, üblidy zu fragen: Was kann aus Dejterreich
Gutes fommen? Man erinnere ſich une, welch langer Zeit es bedurfte,
ehe draußen im Reiche Grilfparzer nur halbwegs die verdiente Anerkennung
gefunden!
—
— 137 —
Wir wollen indeß ohne weiteren Vergleich mit Schloſſer noch einige
Geſichtspunkte und Eigenthümlichkeiten der Reſſel'ſchen Geſchichtſchreibung
hervorheben.) Daß er den Worten ſeiner Vorrede entſprechend mehr als es
fonjt in allgemeinen Gejchichtswerfen zu gejchehen pflegt, den weltgejchichtlichen
Beruf des alten Defterreichs, deſſen Namen jchon beveutungsvoll fei, her:
vorhob, kann nur die Billigung jedes Unbefangenen finden. So gerecht
er nun auch den einzelnen Nationalitäten zu werden jucht, und jo eingehend
und liebevoll er namentlich die Entwiclungsgejchichte Böhmens und Ungarns,
jo weit das allgemeine Verſtändniß es erheifcht, behandelt, Reſſel iſt mit
jeder Faſer feines Herzens ein durch und durch deutjcher Mann, und fein
ungemein tief empfundenes Nationalbewußtjein drängt ihn fortwährend All:
deutjchland in den Mittelpunkt der geſchichtlichen Betrachtung zu rücken.
Altdeutichland jagen wir. Denn in Dejterreich erblidt er den politischen
Kern des alten Katjerreiches, die Schutzmauer gegen den barbarifchen Oſten,
den jtarken Arm, der das jinfende Schiff noch über Waſſer hält. Und
wie er tief erjchüttert am Sarge des legten Sprofjen aus den herrlichen
Gejchlechte der Staufer Schmerzliche Klage erhebt, erfaßt ihn innerjte Be—
Ihämung und herbe Entrüftung über den jchmählichen Untergang des
altersjchwachen Reiches, dag wie ein Kartenhaus vor dem Windhauch eines
Befehles des korſiſchen Eroberers zerjtiebt. Nur Hoffnung kann er Schöpfen
aus dem Umjtande, daß zwei Jahre vorher jchon Kaifer Franz den djter-
reichiſchen Einheitsjtaat wenigjtens dem Namen nad) jeftgeitellt hat.
Die Ideen Reſſels über den Aufbau eines Iebenskräftigen Einheits-
jtaates Defterreich zu verfolgen, bietet ja heute noch ein gewiſſes Intereſſe.
1) In den wenigen Anmerkungen der Weltgeichichte Reffels ift eine gegen Schloffer
gerichtet. (Neuere Zeit 2. TH.) Wir führen diejelbe al3 recht charakteriftiich
an. Es handelt fih um die Beurtheilung des Aufjtandes der Bergichotten
im Jahre 1746, welchen Freiheitskampf Neffel mit Theilnahme verfolgt. In
der Anmerkung jagt er: „Schloffer nennt in feiner Gejchichte des 18. und
19. Jahrh. dag Ganze eine „tolle Unternehmung“. Wir beugen uns recht gern
der Gelehrſamkeit jenes verdienftvollen Geſchichtſchreibers; allein wir müſſen
geftehen, daß wenn dies „Geichichte Schreiben beißt“, jedem Maune von Gefühl
nichts Anderes übrig bliebe, als augenblidlic; die Feder niederzulegen. Wahrlich
ed iſt mit unſeren gelehrten Herrn manchmal zum PVerzmweifeln. Da werden
Berge von geihichtlihem Mlaterial augehäuft, nicht jelten von Lappalien, die
eben nur für fie intereflant find; dagegen werden die edelſten Ericheinungen
im Lebe der Bölfer, die fchönften Beiſpiele von VBaterlandsliebe, Trene und
begeifterter Aufopferung für eine höhere Idee — dieje werden oberflächlich be-
rührt, oder doc nicht jelten mit einer falten Derzlofigfeit behandelt, einer
Philifterbaftigkeit, die Einem das Blut ind Geficht treiben kann.“
— 183 —
Sein Gedanfengang bewegt ſich ungefähr wie folgt: Die Gegenfäge in
der Nationalität, aber auch in dem verjchiedenen Bildungsgrade der ein:
zelnen Völker ftellen fich als größtes Hemmniß einer „innigen Bereinigung
der einzelnen Theile zu einem harmonischen Ganzen" dar. Ein pafjendes
Mufter für die Ordnung der Dinge in Dejterreich gibi es in Europa nicht.
Die Eentralifation nach der Art, wie fie Richelieu in Frankreich eingeführt,
ijt nicht anwendbar. „Die Verfaſſung müßte eine völlig eigenthimliche, ſie
müßte immer mehr föderativ al3 centralifirend jein; fie müßte den ein-
zelnen Elementen volle Freiheit laſſen, jich in eigenthimlicher Weile zu
entfalten und doch durch feite Bande fie zu einem Ganzen vereinigen.
Gleiches Necht für Alle und gleiche Berückſichtigung der individuellen
Wiünfche und Beftrebungen, infofern dieſe die Intereſſen des Ganzen nicht
gefährdeten. Dadurdy wilrden diejenigen, die ſonſt nicht jelten einander
feindlich gegenübergejtanden waren, zu Brüdern gemacht, wenn auch ver:
jchiedenen Charakters, verjchtedener Sprache und Sitte doch von einem
Geiſte bejeelt; Dejterreich wirde, falls ihm eine hinreichend freie Bewe—
gung gelajjen wiirde, dann gleichjam eine großartige Pflanzſchule für die
verjchiedenen Völkerſtämme, deren Bruchtheile das weite Reid) umjchließt,
und es könnte nach allen Seiten belebenden und anregenden Einfluß äußern.”
„Allein die Völkervereinigung,“ Fährt Reſſel fort, „die man Oeſter—
reich nannte, bedurfte eines ſtarken Kernes, an den die iibrigen nationalen
Gebilde ringsum ſich anjchliegen konnten. Diejer konnte nur Deutjchland
jein. Denn fürs erjte gehörte ein großer Theil der djterreichischen Lande
ſchon jeit alter Zeit zu Deutjchland, und dahin wurde er auch großentheils
durch Volfsthümlichkeit gewiefen; ferner hatte Deutjchland mit Dejterreich
einerlei politiiches Intereſſe, diejelben Gegner, diejelben Gefahren. Eine
nähere und bleibende Verbindung war jomit ganz natürlih; aber auch
höchit vortheilhaft für die Lande, die ſich jo an Deutfchland anfchloffen.
Denn die höhere Eultur der Deutjchen ging dann, wie ein befruchtender
Strom nad) Often und wirkte nährend und anregend auf die noch auf
tieferer Stufe der Bildung jtehenden Völker; ein unermeßlicher Schag
geiftigen Reichthums wurde hier aufgethan. Endlich war durch die alt-
befannte deutjche Sprache ein Organ der Verbindung gejchaffen worden,
das die Äußere Genojjenjchaft auch zu einer inneren alljeitigen machte;
Mitteleuropa wurde dann eine wahre Vülfervereinigung, ftarf nach außen
und dennoch mit hinveichender Freiheit der Bewegung im Innern, nicht
allein gejichert gegen äußere Störung von Seite der öftlichen und weit
lichen Mächte, jondern auch wohlbefähigt, immer mehr verwandte Elemente
mit ſich zu vereinigen und ihren Bereich immer weiter auszudehnen."
— 1393 —
Wohlgemerft: unfer Hiftorifer fchrieb diefe Zeilen mit Rückſicht auf
die Beit des legten Viertel des vorigen Jahrhunderts, als noch die Habs—
burger im Befige der Kaiferfrone fi befanden. Der Kaiferthron, meint
er weiter, müßte wieder werden, was er einjt gewejen, der wahre Mittel-
punft der Nationaleinheit und Nationalmacht. „Auf diefe Weije wäre der
Weltfriede in einer Weife begründet worden, wie e8 feine Gleichgewichts:
politif je vermocht hätte; Schwerpunft Europas hätte Deutfchland mit
Deiterreich Kraft genug gehabt, den Welttheil vor den Erjchütterungen zu
bewahren, die den Weſten jowohl, wie den Dften bedrohten. Darum hätte
der Menfchenfreund, auch wenn er nicht durch nationale Beweggründe
geleitet wurde, mit Freuden den politischen Wiederaufbau eines großen,
einjt jo hochberühmten Volkes begrüßen jollen.“
Man fieht, Reſſels Anüchten und Wünſche für ein ftarfes Dejterreich
und ein mit demjelben verbündetes großes Deutjchland fallen mit dem ſo—
genannten „großdentichen Programme“, welches jeiner Zeit in Süddeutſch—
land jo viele Anhänger bejaß, ziemlich zufammen. Das mitteleuropäifche
Staatenbündniß mit einem habsburgischen Kaijer an der Spite vollzog ſich
nicht, jondern blieb, wie Reſſel jich ſelbſt ausdrüdt, „ein Gebilde ver Phan—
tafie". Wir wollen nicht auf die Urfachen und Hinderniſſe eingehen, an
deren Widerftand nach Nejjels Meinung die Verwirklichung feines politischen
Traumes jcheiterte. Ihn berührt es beſonders jchmerzlich, daß auch Kaiſer
Joſefs Schwache Verſuche, das Kaiſerthum zu kräftigen, miklangen.
Wie gerecht Reſſel Licht und Schatten bei feiner gejchichtlichen Dar-
ftellung zu vertheilen verjtand, zeigt ich beifpielsweije gerade in feinem
Urtheile über Joſef, „den edeljten Sohn des 18. Jahrhunderts". „it
der Werth eines Menſchen nad) feinem Streben zu beurtheilen und nicht
nach der That, fo erjcheint Joſef in einer Reinheit, wie wenige Männer
der Gejchichte; der Forfcher beugt jich voll Bewunderung vor demfelben,
und in nie erlöfchenden Zügen leuchtet fein Name in den Annalen der
Menjchheit." Mit folchen und noch jchwungvolleren Worten preift er den
bon den „reinjten Grundjägen der Humanität geleiteten Herrſcher“, „in
deſſen Bufen ein großes Herz jchlug, wie es jelten eine Fürftenbruft
bewegte”, den wahrhaft deutjchen Mann im ganzen Sinne diejes Wortes.
Dagegen weijt er mit aller Schärfe auf die von Joſef begangenen politi-
chen Fehler hin, „die aber mehr der Zeit angehörten, der er gleichfalls
den Tribut zahlen mußte". Zu jolchen Verivrungen rechnet er hauptiächlich
jein Verhalten gegen Belgien und Ungarn, jowie das Bejtreben, Alles zu
uniformiren. Sein Grundirrthum aber, dem das Mißlingen jo vieler feiner
Pläne zuzufchreiben fei, lag in dem „Glauben, es hätten Andere diejelbe
— 140 —
Unbefangenheit des Urtheils, dasjelbe reine Streben nad) Wahrheit, diefelbe
glühende uneigennügige Menjchenliebe, wie er". „Ein zweiter Hauptfehler
war, daß er fi in feinen Maßregeln überjtürzte; von jeinem Eifer fort-
gerijjen und im Bewußtjein, daß er die ‚größere Hälfte feines Lebens
bereits hinter jich habe, glaubte ex eilen zu müſſen, um das Biel zu er:
reichen, das er fich vorgejtedt; er bedachte nicht, daß im moralifchen
Leben wie im phyſiſchen Alles feine bejtimmte Entwidlungszeit habe, und
daß es ein umglücliches Beginnen fei, der Natur der Dinge, die nad)
jejten Gejegen ſich entfaltet, Gewalt anthun zu wollen.“
Um Reſſels Stellung zu den firchlichen Fragen noch näher zu charaf-
terifiren, wird es jich empfehlen, noch einen Augenblick bei jeiner Erörte-
rung der diesbezüglichen Joſefiniſchen Neformen zu verweilen. Der Katjer
war nad) ihm fein Feind der Religion oder der Kirche, jondern wahrhaft
religiös gefiunt und frommen Gemüthes. Seine Freifinnigkeit bejtand nicht
in jenem Indifferentismus Friedrichs von Preußen, der feiner Confejjton
den Vorzug einväumte, weil er alle zugleich gering ſchätzte. Joſef achtete
jeinen Glauben, aber auch den der Anderen. „Durch das Toleranzedict
brady er das mächtigjte Bollwerk alter Tyrannei und ebnete den Boden
für eine nee beſſere Zeit." Der Kaiſer aber, erörtert Reſſel, „wußte wohl,
daß ihm in feinen Beftrebungen, Licht zu verbreiten und das Volf mündig
zu machen, eine ftarfe wohlgerüftete Phalanx entgegentreten wilrde, Die,
thatjächlich wenigjtens, nur zu oft. als furchtbare Feindin alles freien
geiftigen Strebens jich bewährt hatte; wir willen, wie die Kirche nicht
immer jich begnügt hatte, die ihr anvertraute Wahrheit zu vertheidigen und
zu bewahren, wie jie vielmehr nicht felten weit über ihr Ziel hinaus:
ſchießend alle jelbftändige geiftige Thätigkeit zu erſticken beftrebt geweſen war.
Auch für die Zukunft ſchien kaum ein anderes Ergebniß zu erwarten; eher
konnte, jo ſchien es wenigjtens, der Erdball aus jeinen Angeln fich heben,
als die Kirche aus den Zuftänden, in denen jie ſich damals befand, ſich
aus jich jelber beſſer geftalten.”...... Daher fonnte die Neugejtaltung
und Verjüngung der Kirche nur auf zwei Wegen erreicht werden. Der
eine war die Wiederherjtellung der alten Synodalverfajjung mit hinreichender
Vertretung der unteren Clajjen des Elerus..... Allein es iſt einleuchtend,
daß ein jolher Weg damals in den oberen Negionen des Staatslebens
wenig Freunde finden fonnte..... Daher konnte nur der zweite Weg ein-
geschlagen werden. Die Kirche wurde unter näherer Aufjicht des Staates
gejtellt, damit fie nicht die Macht habe, den Zwecken desſelben gefährlich
zu werden. Joſef verfolgte denjelben mit gewohnter Energie." — guter:
eſſant ift e8 dann, den Hiftorifer, der jelbjt einem Ordensverbande ange-
{ ' !
| = ie
hörte, über die Maßnahmen der Klojteraufhebung zu hören. Er lobt die
großen VBerdienjte der Mönche im Altertum und im früheren Mittelalter
um die Gejittung der Menjchheit. Aber „im achtzehnten Jahrhundert war
das Klojterwejen in feinen alten Zuſtänden bereitS eine Anomalte
geworden; die düjtere Lehre, daß man dur Entjagung der Freuden
dieſes Lebens an ſich, d. h. ohne daß dieſe durch einen zu erreichenden
Zweck insbejondere nothwendig gemacht wurde, und durch abjichtliche
Herbeirufung der dunklen Seiten unferes irdijchen Dafeins ſich Gott wohl-
gefällig macjen könne, — dies widerjtrebt zu jehr dem edleren Gefühle,
jowie dem Begriffe der Gottheit ſelbſt als eines Liebenden Vaters, der ja
Freude hat, wenn feine Kinder froh und glücklich find." Gedeihlicher wäre
es allerdings gemwejen, meint Reſſel wiederholt, wein die Kirche jelbit zu
inneren Reformen gejchritten wäre, was ja jeit dem Tridentinum nicht
verjucht wurde. Er verjchweigt auch nicht, daß bei mancherlei Verfügungen
Joſefs die rechtliche Form mangelte, die ja nicht gleichgiltig jei.
Man wird zugejtehen, ein wahrer Mannesmuth und eine ungebrochene
Kraft innerer Ueberzeugung mußte dem geiftlichen Gymnaſiallehrer von
Brig innewohnen, der in den Fünfzigerjahren die Joſefiniſchen Reformen
im ſolcher und ähnlicher Weife beſprach. Dazu aber fei ausdrücklich hervor:
gehoben, daß es wohl feinen treueren Sohn der Kirche, feinen frommeren
Ehriften geben konnte, als Neffel, der gerade deswegen durch äußere
Rückſichten ich nicht zurüchalten ließ, die zeitlichen Gebrechen der altehr-
würdigen Inſtitution aufzudeden. Wie ein vother Faden durchzieht jein
ganzes Gejchichtswerf die dee von der Wiedergeburt des Menjchen-
geichlechtes durch das Chriſtenthum, von deſſen belebender Kraft insbejondere
die germanijchen Völker bewunderungswürdig erfüllt wurden. Nur dann
fieht er Heil für die Zukunft des Menjchengejchlechtes, wenn die jchlichten
Worte des Evangeliums — „zu denen eine viertaufendjährige Geſchichte
den Commentar liefert" — bleibend auch in den höheren Kreifen der Gejell-
Ihaft feſten Fuß fallen, und die Lehren Macchiovellis, die nur allzulange
jhon gewaltet, verdrängt werden. Als Kants höchſtes Verdienſt jtellt er
hin, daß er den Glauben an Gott und ein Fünftiges Leben philoſophiſch
begründet hat. Die dogmatifchen Lehren feiner Religion taftet ev nie an;
im Gegentheil diefe Seite religiöfer Neuerungen auch des Proteftantismus
befämpft er auf das Entjchiedenjte und in vielen Fällen um jo glüclicher,
weil er die anderswo liegenden Fehler der Hierarchie für die Seceſſionen
verantwortlich macht, die alle urjprünglich ihre Veranlaffung aus Mißbräuchen
genommen und jomit durch rechtzeitige äußere Neformen hätten verhütet
werden können.
— 142 —
Reſſel hatte vom Berufe des Gejchichtsjchreibers eine außerordentlich
hohe Meinung, und an verjchievdenen Stellen feines Werfes — abgejehen
vom Vorworte — fommt er auf die Aufgaben desjelben zurüd. „Er ſoll,“
jagt er (Neuere Zeit 2. 475 flg.), „Jeiner Nation auf dem weiten Felde
der Erjcheinungen, joweit fie der Vergangenheit angehören, als Führer
dienen; er joll die inneren Gründe derjelben Kar vor Augen jtellen und
die Gefete, nad) denen fie fich gejtalten; er foll die Grundfäge ableiten,
welche den Völkern ſowohl, wie den Einzelnen auf der Bahn des politischen
jowohl, wie des privaten Lebens als Leitſtern dienen ſollen.“ In feinen
Einleitungen und Rückblicken zu den verjchiedenen Perioden jucht er ins—
bejondere den inneren Zujanımenhang der Gejchehnijfe darzulegen, die
Gefegmäßigfeit der Entwicklung des Menfchengefchlehhtes zu erläutern und
die Lehren zu ziehen, die Völfer und Einzelne aus der Erkenntniß der
Bergangenheit gewinnen können. Ihm it die Weltgejchichte ein großer, in
fich vollendeter Organismus. Nicht Zufall und Willkür bereichen, fondern
nach ewigen Geſetzen gejtalten jich die Ereigniffe und bilden ſich fort,
gegeben und aufrecht erhalten von jener Macht, die hoch über der Bewe—
- gung jchwebt. Meberall gibt fi das Dafein der Weltregierung fund,
und wehe dem Sterblichen, der ihres Daſeins vergißt und ihrer Macht zu
trogen wagt. In dem wahrhaft erhebenden Schlußworte zum legten Bande
jucht er in knapper Zufammenfaflung des gewaltigen ganzen Gejchicht3-
ſtoffes dieſe Ideen noch einmal auszuführen und jtellt als Ergebniſſe jeines
gejchichtlichen Denkens folgende allgemeine Grundjäge feit:
I. Nach dem Willen der Weltregierung bejteht ein allmäliger Fort—
Ichritt in der Geſchichte. Verfuche, demjelben entgegenzuarbeiten, haben nur
dazu beigetragen, denfelben zu fürdern.
1. Nicht alle Theile der geihidhtlihen Welt nehmen
gleihmäßig an der Forteutwidlung Theil. Einzelne Indi—
viduen, einzelne Nationen bilden die Mittelpunfte, von denen ftrahlen-
artig Licht und Bewegung ausgeht. Die Bewegung jchreitet vom
Diten nad) Nordweiten vorwärts.
2. Das Fortjchreiten ift nicht ftetig, jondern geht nach gewiljen Perioden
gleich der Pflanze, welche blüht und ftirbt, aber doch befruchtenden
Samen hinterläßt.
3 Was die Art und Weile des Fortichrittes anbelangt, jo jehen wir
nicht zu allen Zeiten und überall alle Zweige de$-
jelben vertreten; die Umſtände entjcheiden. Doch finden wir:
PRRITETTT
,
— 13 —
a) Zwiſchen den beiden Hauptrichtungen menjchlichen Strebens, der
foeialen und geiftig fittlichen, befteht eine innige Berbindung,
und Wechjelwirfung.
b) Jeder Fortjchritt ijt nur dann von Erfolg, wenn ev allmälig
und naturgemäß gejchieht.
e) Nicht die äußeren Formen, unter denen das menschliche Streben
zur Geftaltung fommt, entjcheiden, jondern nur der Geiſt, der die
Form belebt.
DO. Was die Kräfte anbelangt, durch welche Erfolge höherer Bedeut-
jamfeit herbeigeführt werden, jo nehmen die geijtigen und moraliſchen
die erfte Stelle ein; fie haben — weil belebt und frei — über die mate-
riellen auf die Dauer immer den Sieg gewonnen. Insbeſondere jpielen
edle Begeijterung auf der einen, Fanatismus auf der anderen Seite eine
Hauptrolle.
III. Die Beweggründe, welche ven Menſchen von jeher leiteten, waren:
1. Heußeres Bedürfniß und Strebennad Genuß.
2. Liebe und Haß. „Wohl hat der Haß dem äußeren Umfange nad)
mehr gethan, doch das Höchjte und Edeljte im Menjchenleben voll-
brachte die Liebe.”
3. Seltener war der Beweggrund reine Meberzeugung von einer
höheren Pflicht.
IV. „Und doc kaun das Menschenleben nur dann gedeihen, mein
diefe Pflicht allfeitig und überall erfannt und geübt wird, nicht allein in
den unteren Rreifen, im Leben der Individuen, jondern auch in den höheren,
im Berfehre zwijchen Volk und Boll”... .. Tugend und Recht jind die
Genien des menschlichen Dafeins Sie müſſen auch im Verfehre der Völker
und iiberhaupt in der Politik eine bleibende Stätte finden, wenn anders
ein Heil der Menjchheit zu erwarten ijt. Reſſel hofft es, weil ev an den
Fortſchritt glaubt.
Wir wollen auf eine Beurtheilung der Reſſel'ſchen Weltanſchauung
nicht eingehen und auch feine Vergleiche ziehen mit den Lehrmeinungen
anderer Hijtorifer und Philofophen. Die Räthjel der Weltgefchichte hat der
Brürer Gejchichtjchreiber gewiß für Viele nicht gelöft. Ebenjowenig aber
haben dies feine Gegenfüßler, die Anhänger der mechanischen, naturalijtifchen
Geſchichtsauffaſſung, gethan. Soviel aber fteht feſt, Viele würden noch
immer eine hohe Befriedigung und einen edlen Genuß empfinden, die jich
in Refjels Gefchichte vertiefen könnten. Weſſen Herz noc fähig it, warm
für die Geſchicke des Menjchengefchlechtes zu fühlen, wen Tugend und Recht
— 14 —
noch fein leerer Schall geworden, wer ſich einen gläubigen, Gott ergebenen
Sinn bewahrt hat, der wird in dem Gefchichtswerfe des Piariften Tugudige
Erfenntniß und herzhafte Erbauung finden. ine befondere Befriedigung
wird dem deutſchen Lefer die glühende Liebe des Verfajjers zu feinem
Volke gewähren, dejjen hohe Eigenjchaften, deſſen Verdienjte um die allge:
meine Cultur und dejjen weltgejchichtlihen Beruf "Nejjel im jo warmen
Gefühlstönen zu ſchildern verfteht. Die ſchöne Darjtellungsweije hätte jollen
insbejondere beitragen, Reſſels Gefchichte einen großen Lejerkreis zu fichern.
Die edle Sprache des Gefchichtjchreibers, die nicht jelten zu poetiſchem
Schwunge ji erhebt, erinnert an den hiftorischen Styl Schillers und
gewinnt durch ihren einjchmeichelnden Rhythmus befonders beim Lautleſen
einen eigenthümlichen Zauber. ')
Im Sadlichen mögen gar manche Partie und zahlreiche Einzelheiten
des Reſſel'ſchen Werkes ſchon bei feinem Erjcheinen den jtrengen Anforde
rungen der Wiſſenſchaft nicht völlig entiprochen haben. Heute wird auch
dem minder Kundigen vecht Vieles veraltet erjcheinen. Die rajtlofe Kritik
und vertiefte Specialforjchung unferer Zeit überholen ja in der Feitjtellung
des Thatfächlichen nicht blos weltgefchichtliche Werke noch während ihres
Erjcheinens. Die allgemeinen Umriſſe, in welchen fi) das Bild der Welt-
ereignijje abfpiegelt, verändern ſich trogdem nicht jo raſch, nur bequemt fich
die philoſophiſche Gejchichtsauffaffung im Ganzen dem jeweiligen geijtigen
Geſichtskreiſe der einzelnen Völker, Gefchlechter und der einzelnen Per—
jonen au. Reſſels Gefchichtjchreibung ift eine jubjective, deutjchöfterreichifche ;
jeine Weltanfchauung beruht auf den ihm eigenen philofophifchen Ideen,
die er zu einem jelbftändigen Syſteme ausgebildet hat, auf das wir noch
zurückkommen.
Kleinere Abhandlungen.
Von der geiſtigen Rührigkeit Reſſels geben unter Andern auch ſeine
zahlreichen kleineren Abhandlungen geſchichtlichen, pädagogiſchen und philo—
ſophiſchen Inhalts lautes Zeugniß. Es liegen uns aus der Zeit von
1851 bis 1872 zunächſt nicht weniger als dreizehn Programme des Brüxer
1) Wie weit Reſſel in der Beachtung ſprachlicher Feinheiten überhaupt gebt, mag
ein Beiſpiel zeigen: Seite 203 Weltgefh. Mittelalter II. Theil fieht er ſich zu
folgender jpradhliher Anmerkung veranlaßt: „Jeder Stylift wird chen oft die
Erfahrung gemacht haben, wie unangenehm es fei, daß Indicativ und Con-
junctiv in manchen Fällen nicht umterjchieden find. Sie unterfcheiden ſich aber
wenigften® in der Ausſprache dadurch, daß der Conjunctiv geyehnter gejprodhen
wird. Ich jchreibe daher (als Conjunctiv) „häben“.“
— 15 —
Gymnafiums vor, welche Reſſels Feder mit wiſſenſchaftlichen Artikeln
zierte, Diejelben gehören jedoch Feineswegs in die Weihe jener meijt
erpreßten Arbeiten oder jener erjten wiſſenſchaftlichen Verſuche, denen wir
jo Häufig in unjeren Meittelfehulprogranmen zu begegnen gewohnt find.
Sie bilden vielmehr die reifen Früchte langjähriger Studien und ernfter
Sedanfenarbeit, und hätten ein befleres Schidjal verdient, als in der be-
fannten Programmengruft der Bibliotheken begraben zu werden. Wir
wollen den Ideengang der einzelnen Aufjäge verfolgen. Vielleicht regt
dies einen oder den anderen umjerer Leſer an, nad den verfunfenen
Schätzen jelbjt zu greifen; wir können ihm nur Genuß und Belehrung
in Ausjicht ftellen. Eine kritiſche Beleuchtung der Nejjel’jchen Arbeiten
und die etwaige Gegenftellung der eigenen Ueberzeugung oder der Lehr:
meinungen Anderer zu bringen liegt wicht in unſerer lediglich berichter-
jtattenden Abjicht.
1. „Die Bölferfamilie der Germanen in ihrer Ver
gangenheit und Zukunft.” (1851). Die in der „Weltgefchichte" an
verschiedenen Orten ausgejprochenen Anjchauungen iiber die drei Gruppen
der germanischen Völkerfamilie — Scandinaven, Deutjche, Eugländer —
werden in großen ‚Zügen in jchwungvolljter Sprache zujanmengefaßt.
An gejchichtlicher Bedeutjamkfeit werden die Germanen von feinem Bolfe
der Welt übertroffen; jie haben unter allen die boffmungsreichjte Zus
kunft. Durch fie erfolgte die Verjüngung des alten Europa, und zwar
bauptjächlich durch zwei charafterijtifche Eigenſchaften: die Liebe zur
Freiheit und die innige Hingabe an das Chriften
thbum. Die Gruppe Deutjchland führte die Vorherrſchaft unter den
Bölfern des Welttheils anfangs durch das Kaiſerthum, dann durch die
höchſte geiftige Entwicklung insbejondere auf dem Gebiete der abjtracten
Wiſſenſchaften. Die zweite Gruppe England erjtieg im Weiche der tech:
nischen Künjte, der Induſtrie und des Handels eine ungeahnte Höhe
und beherrjcht die Dceane, Der germanijche Freiheitsjinn baute die erite
und noch nicht übertroffene Verfafjung aus. Bon England aus führte
der Wandertrieb die Germanen nad) Amerifa und Auftralien, dieſen
MWelttheilen germanifches Gepräge aufvrüdend. — Im Ausblide auf die
Zukunft rühmt der Verfalfer von den Scandinaven das lebendige Na—
tionalgefühl, die jugendlich aufblühende Literatur, die im Kampfe mit
der rauhen Natur gejtählte Kraft, und verweijt auf eine innige Freund-
ichaft, welche die biutsverwandten Scandinaven und Deutjchen im beider
jeitigen Intereſſe verbinden ſollte. — Deutjchlands Zukunft fieht Reſſel
nicht ohne dunkle Punkte. Doch meint er, müſſe man vor Allem nad)
= 1
Einigfeit jtreben und die Einheit werde erfolgen. Deutjchland im
Herzen des Welttheils habe den hohen Beruf, als verjühnendes „Medium“
zwijchen Norden und Süden, Weſten und Often zu vermitteln. „Möge
es beharrlich fortjtreben und fchaffen auf dem Felde, auf dem es fo viele
der jchönften Erfolge errungen, auf dem die Denfmale jeiner herrlichiten
Siege jtehen, auf dem Felde der Wiſſenſchaft und Kunft; indem es alle
Funken höheren geijtigen Lichtes, wo immer jie aufgebligt, mit empfäng-
licher Seele in fich aufnimmt und in jich jammelt, möge es das gewonnene
Licht zurücjtrahlen als belebende und erwärmende Leuchte über den Djten,
wo es noch vielfach dunfelt und dämmert, wo noch jo mandje edle Kräfte
ungewedt ſchlummern. Vielleicht gelingt es dann, den alten National:
haß zu befhwicdhtigen und die Völker dauernd zu verfühnen, die zu
einem engen Bunde mit ihm gewiefen jind; durch jeine geiftige Ueber:
legenheit ihnen voranlenchtend und durch jeine materielle Kraft fie erfolg:
reich ſchirmend, dürfte es dann im Stande fein, den vielgetheilten Mittel
europa jene Bedeutſamkeit zu geben, die ihm gebührt, und es jenem Ziele
zuzuführen, das ihm durch Stellung und Umfang der Kräfte geftect iſt.“
— Der dritte Kreis des germanischen Volksthums jei jedoch der hoffnungs-
reichte. Das eigentliche England habe zwar feinen Höhepunkt ſchon über:
Ichritten, aber jenfeitS des Deeans habe fich ein neues Germanien gebildet,
die Südfee und das Auftralland ſei in deſſen Machtfreis einbezogen und
eine neue großartige Periode der Weltgeſchichte bereite jich vor. Für die
Folgezeit werden die Loje der Weltgefchichte in Amerika fallen. „Und
dorthin schaue Volf der Germanen, dort ijt eine neue Zeit der Jugend
für dich aufgegangen, dort iſt deine Zukunft.“
2. „Ueber den Charakter der wichtigſten Völfer der
Neuzeit” (1853). Auch diefe völferpfgchologische Abhandlung ftellt ſich
als ein Ergebniß der weltgefhichtlichen Studien Reſſels dar, der ja eben
erit im Jahre 1853 fein großes Werk beendigte. Eingehend werden nur
die Spanier, Italiener, Franzoſen, Engländer und die Deutſchen behandelt.
In wenig Zeilen wird auf die flavifche Welt und die afiatischen Völker
hingewiejen. Die Charvaftereigenthümlichfeiten der erjtgenannten Nationen
aber werden uns in der anjchaulichiten Weite geichildert. Diefelben werden
erklärt durch die Abftammung, Mifchung des Blutes, geographijche Lage
des Landes und insbeſondere durch die gejchichtlichen Schiefale der Ein—
zelnen. Die Liebe zum eigenen Volke hindert den Verfaſſer nicht, tie
Borzüge der andern hervorzuheben und die Schattenjeiten des eigenen zu
betonen, Kühner Unternehmungsgeit, Freude an Gefahren und Aben—
tenern, rege Wanderhuft, Streben nach individueller Freiheit und Unge:
TEE 2
bundenheit, Fleiß und Ausdauer find die hevvorjtechenden Charakterzüge
der Deutjchen. Die oft gepriefene deutſche Semüthlichfeit, jo wohl-
thuend ſie im Verfehre des gemühnlichen Lebens wirkt, will Reſſel nicht
unter die gejchichtlichen Charaftereigenthümlichkeiten jeines Volkes gerechnet
wiſſen. Höchitens nur injofern, als die Deutjchen ſich wie fein anderes
Bolf der Welt jo leicht Anderen anfchmiegen, ihrer Nationalität ſich ent-
äußern umd eine fremde annehmen — jo daß große deutjche Völferichaften
fajt }purlos untergegangen find. Denjenigen aber, welche den Mangel der
Deutjchen an practifcher Tüchtigkeit jo ſtrenge tadeln, ruft der Verfaſſer
zu: „Non omnia possumus omnes.“ „Syeder kann nur das ausbilden
und zur Vollkommenheit ausbilden, was er zu üben in feinem bejonderen
Kreiſe Gelegenheit hat." |
3. „Meber den Einfluß der geographiidhen Berhält-
nijje auf die Entwidlung der Völker (1860). Der Verfafjer gibt
zu, daß die gejchichtliche Entwicklung der Völker von der geographiichen
Lage, Bodenbejchaffenheit und dem Klima des von ihnen bewohnten Landes
ftarf beeinflußt wird. Wer weiß nicht, daß die charafteriftiichen Unterjchiede
in Temperament, Sitte u. j. w. der Nord: und Sitdländer, der Bewohner der
Gebirge und der der Ebenen, der Binnenvölfer und der jeefahrenden Nationen
zunächjt auf ängere Umjtände zurücdzuführen find? Die horizontale und
vertifale Gliederung der Welttheile und Länder, die oro- und hydrogra-
phijche Entwiclung bedingen den Gang der geichichtlichen Ereignifje in hohem
Grade. Man denke ſich beijpielsweife das Mittelmeer in eine Wüſte ver-
wandelt, welch’ wejentlich andere Richtung hätte die Entwicklung nicht blog
der Mittelmeervölfer, jondern ganz Europas, der Welt eingejchlagen ?
Wenn nunn auch der Berfajjer zugibt und es jelbjt an vielen Beifpielen
nachweilt, daß dev Menjch in jeiner Entwidlung an die ihn umgebenden
Berhältnifje gebunden iſt, jo bejtreitet ev doch auf das lebhaftejte die öfter
aufgejtellte Behauptung, daß der legte Grund aller Ereigniſſe in jenen
äußeren Umftänden zu juchen fei, daß Alles gefchehen mußte, was erfolgte.
Damit würde ja die menschliche Freiheit im Principe aufgehoben werden.
Im Gegentheil, die Stärke eines Staates oder Volkes beruht vorzugsweiſe
in feinen geijtigen und fittlichen Kräften. Dieſen Grundjag fr
die Entwiclungsgejchichte der Menjchheit jucht nun Reſſel in eingehender
Weiſe zu erörtern und zu beweiſen. Maßgebend in erſter Linie wird der
Stammesharafter ins Auge gefaßt werden müfjen. Derjelbe iſt ein
Ergebniß der phyſiſchen Eigenthümlichkeit, die an jeder Claſſe von Natur:
wejen wahrgenommen wird. Vergleicht man Chinefen und Indier, Aegypter
und Babylonier, Griechen und Nömer, Germanen und Slave, Engländer
ung enerT
— 1485 -
und Franzofen, Nord: und Südamerifaner, jo wird gar viel hervortreten,
was ji) nur aus den nationalen Eigenthümlichfeiten erklären
läßt. Weiters fommt in Betracht die Erziehung der Völker. Diejelbe
erfolgt durch diejenigen, welche geiftig und fittlich über die Majje empor:
ragen. Einzelne ausgezeichnete Perfünlichkeiten wirken bejtimmend auf die
Geſchicke ihres Volkes. In China, Indien, Aegypten, in Mejopotamien
lagen die äußeren Verhältniffe gewiß nicht ungünftig. Doc dem Wolfe
der Chineſen drücte der Geiſt Kingfues jeinen Stempel auf und verurs
theilte die Gejelljchaft zum ftarren Formenmechanismus ohne jegliche jittliche
Ideen, ohne Bewegung. Die Aegypter und Inder lagen im Banne des
berrjchenden Kaftenwejens, die Babylonier und Affyrier unter dem Drude
des Sübelregimentes. Dieje Völker blieben geiftig unmündig und brachten
es nur zu einfeitigen Entwidlungsftufen. Welch großer Gegenjag befteht in
der Geftaltung der gejchichtlichen Verhältniife ver Juden und Phönikier,
die in ziemlich gleichen äußeren Verhältniſſen lebten ? Die jüdische Gefchichte und
der jüdische Bolfscharafter erhielt fein jcharfes Gepräge durch den Geſetzgeber
Mofes. Der alten Griechen hohe kulturhiſtoriſch Entwicklung beruht nicht
allein in ihrem günjtig gelegenen Lande, jondern weit mehr in dem ihren
Charakter eigenthümlichen Streben nad Selbjtändigfeit im Individuum,
in der Gemeinde, im Stamme im der Allfeitigfeit ihrer Veranlagung und
in der großen Anzahl ausgezeichneter Männer, die aus ihrer Mitte hervor-
gingen. Im Gegenjage zu den Griechen beherriht die Römer ein
ftrenger Zug der Negelmäßigfeit, der höchjten praktischen Ausnügung aller
phyſiſchen und geijtigen Kräfte, ein dunkler Geiſt der Gewalt mit einem
einheitlichen Ziele. Wie die Germanen ihre weltgefchichtliche Bedeutung
hauptfächlic dem ihnen innewohnenden hohen Grade fittlicher Kraft und
den heftigen Drange nach individueller Freiheit verdanken, führt Reſſel
wie an anderen Orten auch hier wieder aus. Er bemerkt zu den Slaven
übergehend: „Daß die hohe Wirkfamfeit des germarischen Volkes der
Hauptjache nach nicht in den äußeren Berhältniffen, jondern in den geifti-
gen und jittlichen Zuftänden derjelben ihren Grund hatte, erjehen wir,
wenn wir dasſelbe mit der urverwandten, ihm in jeder Hinficht am nächjten
jtehenden Völferfamilie der Slaven vergleichen. Ihnen jchien das Gejchid
die Nolle, welche die Germanen im Weften jpielten, im Oſten zugetheilt
zu haben. Allein jenes fühnen Unternehmungsgeiftes der die Germanen
befeelte, bar, bedurften fie jtetS des äußeren Anjtoßes und waren nur fo
lange thätig, wie derjelbe währte, fie drangen nur felten bis an die Küſten
und Mündungen der Ströme vor und wu dies auch geichah, ließen fie
ſich jpäter diefelben, die Mittel des Weltverfehrs, wieder entreifen. Sie
a U —
entwidelten nie in ſich jelbjt einen höheren Grad jelbitändigen Lebens,
weder in politiicher und focialer Hinficht, noch in Wiſſenſchaft, Kunſt und
Gewerbe; nur dort, wo jie in den Geift der germanifchen oder romanischen
Völker eingingen und der Strömung desjelben folgten, finden wir gelungene
Berjuche einer höheren Entfaltung.” Nach weiterer Erörterung jeiner An-
Ihauung an den Beifpielen dev Engländer, Franzojen, Spanier, dev Romanen
und Germanen in Amerika jchließt dev Verfaſſer: „Somit find es nicht äußere
materielle Mittel — günjtige geographiiche Lage, Größe und Reichthum
des Landes, Fülle von materiellen PBroducten — welche die wahre Stärke
eines Staates bilden, jondern vorzugsweiſe jeine geiftigen und jittlichen
Kräfte; es wird alſo darauf anfommen, diefe zu weden, zu beleben und
in entjprechender Weije für das Geſammtwohl zu benügen. Ein Volk das
an diejen Kräften veich ift, wird als ſtark und mächtig fich bewähren,
wenn es auch nicht viele Meillionen zählt; e8 wird jich behaupten und
fejtitehen, jollte auch eine halbe Welt gegen dasjelbe im Kampfe jtehen.“
4. „Die deutſche Spradhe als Ausfluß des deutjchen
Volkslebens“ (1861). Nach einleitenden Bemerkungen über die menſch—
lihe Sprache im Allgemeinen weist Reſſel nach, wie jede Sprache aus dem
innerjten ureignen Leben der einzelnen Nationen ſich herausgebildet und
vervollkommnet hat. Da die Sprache nicht jchlechthin eine außere Form,
jondern die Verfürperung des Begriffes und Gedanfens ift, jo kann jie
ein Kunſtwerk im ausgezeichneten Sinne dieſes Wortes genannt werden.
Jedes Kunjtwerk aber muß dem Meiſter — in unjerem Falle dem Bolfe
— in feinen wefentlihen Charafterzügen eutjprechen. Demgemäß trägt
die deutſche Sprache vor Allem jenes Merkmal an fich, das wir als
eines der edeljten und fojtbarften unjeres Bolfes anerkennen müſſen:
volle Selbjtändigfeit und Urſprünglichkeit. Trotz aller Nei—
gung, fremde Eigenthiümlichfeiten in ſich aufzunehmen, bewahrte die deutjche
Sprache ihren nationalen Grundcharakter. Das Fremdartige zog fie oftmals
als nährenden Bejtandtheil an ſich und wußte es organisch auszubilden.
Eindringlinge anderer Art fünnen mit leichter Mühe wieder ausgejchieden
werden. Die Urjprünglichkeit der deutjchen Sprache zeigt jich in ihrem
Zonfall befonders. „Die Perjönlichkeit des Sprechenden tritt Hauptjächlich
im Zone auf, den er auf die einzelnen Sprachlaute legt; derjelbe ift das
jnbjective Element in der Sprache gegenüber dem objectiven, diejen Lauten
jelbft." Je ftärfer die Subjectivität, je energifcher die Willenskraft, eine
dejto einflußreichere Rolle wird der Zon fpielen. Die in den vomanijchen
Sprachen hervortretende Bedeutjamfeit des Tones erkläre ſich aus der
Trübung des Sprachgefühls infolge der nationalen Mifchung — in der
Deittheilungen. 26. Jahrgang, 2. Heft. 11
-- 109 —
deutjchen Sprache aber aus dem Bejtreben, die volle Kraft einer energijchen
Perjönlichkeit zur Geltung zu bringen. Fe mehr ſich nun die Spracde
den Willen des Sprechenden fügte, deſto inniger verband ſie jich mit
feinen Gedanfen. Doch entftand auch ein Nachtheil: die Silbe, welche den
Zon trug, nahm die volle Kraft des Sprechenden für ſich in Anſpruch,
andere Silben verdunfelten jich, jchwächten ſich ab, oder wurden tonloje
Schattengejtalten. Das volllautende Spradhgebilde des Althochdeutjchen
ſchrumpfte ein — im Englischen zu einem faum mehr erkennbaren Skelett,
während im Deutjchen, wo fich die gejchriebene Sprache von der gejpro:
thenen nicht Lüfte, dem fortjchreitenden Verderben Einhalt geboten wurde.
Wenn nun das Deutiche auch einen Theil feiner üppigen Körperlichkeit ein:
büßte, jo gewann es jchon im Mittelhochdeutichen, noch mehr aber im Neu:
hochdeutſchen an Ebenmaß der Tonverhältnifje — den Rhyth—
mus, in welchem fie eine Entwiclung erlangte, wie kaum eine der befannten
Sprachen. Bon einer guten Profa zur einfachen gebundenen Rede tft im
Deutjchen daher nur ein Eleiner Schritt.
Doh kann die Schönheit der Tonbildung einer Spradhe nicht von
hauptjächlicher Bedeutung fein; es kommt immer darauf an, wie fie ſich als
Berförperung des Gedankens vervollkommnet: Durch die Abjchler:
fung der volltönenden Endfilben erlangte fie Gefhmeidigfeit und Ge:
wandtheit, jene Tugend der Sprache, welche fie befähigt, den fortichrei:
tenden Bedürfnijjen des fich verſeinernden Volfsgeiftes anzufchmiegen. Diejes
Anpafjungsvermögen entjpricht eben wieder einem hervorſtechenden Charak—
terzuge der deutjchen Nation ſelbſt. Durch dasjelbe aber gewann die
Sprache eine feltene Bildſamkeit, Durhjichtigfeit innere Klar—
heit und Sinnfülle, deren Bedeutſamkeit erjt dann im vollen Maße
hervortritt, wenn man die romanischen Mijchlingsidviome zum Bergleiche
heranzieht. Dieje Lebenskraft treibt fort und fort neue Sprojjen und
Zweige; „wenn ja ein Volk der Entlehnung fremden jprachlichen Stoffes
nicht bedarf, fo ift es das deutjche — eine Wahrheit, die gerade diejenigen,
denen die Sorge für den geiftigen Schaß unferer Nation vor Allem obliegt,
die Männer der Wifjenjchaft, von jeher am wenigjten beobachtet haben.“
Die Mannigfaltigfeit der Bildungen zeigt ſich in allerhand
Neubildungen, befonders aber in der Ausbildung und Ausnügung des
zahlreichen Gejchlechtes der Fremdwörter und in der Fähigkeit, durch
Zujammenfegung neue Bezeichnungen zu jchaffen. In diefer Bezie-
hung ftcht das Deutjche in der Mitte zwijchen den romanischen und jla-
viichen Sprachen. Sie wird hiedurch die Sprade der Denfer; da jie
aber troß ihrer rhythmiſchen Entwicklung doc eine jelbjtbeftinmte Quan—
— 151 —
tität befigt, vief jie auch eine ausgezeichnete Verskunſt ins Daſein. Sie
wurde ferner in den Stand gejegt, die charafterijtiichen Eigenthümlichfeiten
fremder Idiome in einer Weiſe nachzubilden, wie kaum eine andere Sprache,
und bequemte jie jo wiederum der Allſeitigkeit des deutjchen Bolksgeijtes an.
Der Reihthum der Sprache aber findet jeinen Grund in der Urjprüng:
lichfeit derjelben, da jie ja eme Stammjprade it, und in dem den
deutjchen Volke jo eigenthümlichen Streben nad) individueller Frei:
heit. In der einheitlichen Schriftiprache wurde die Einheit der Mannig-
faltigfeit der Stammesſprachen bewahrt. (Auf die Dialecte geht Reſſel
nicht ein.)
Bei aller Freiheit und Beweglichkeit waltet doch das Geſetz, um
macht jich eine jtrenge Gejhlojjenheit bemerkbar. Gerade im Sap-
bau der deutſchen Sprache zeigt ſich eine harmonische Vermittlung zwiſchen
Geſetz und Freiheit. Reſſels intereſſante Bemerkungen über dieje Frage,
ſowie über die „Wortſtellung“ bekunden ſein außerordentlich feines
Sprachgefühl. Das Einzelne würde uns zu weit führen. Eine ſachge—
mäßere Wortfolge und Gruppirung der Saptheile als im Deutſchen könne
es kaum geben. Der jo ausgejprochene Gedanke bringt eine ganz andere
Wirkung hervor, „als wenn derjelbe wie z. DB. im Franzöſiſchen gleichjam
theelöffelweife mitgeteilt wird". Zwiſchen der jtarren Gebundenheit der
franzöſiſchen und der unbedingten Freiheit der lateinischen Wortfolge jteht
die deutsche in der Mitte mit freier Beweglichkeit und doch geregeiter Ge-
jegmäßigfeit. Der Verfaſſer jchliegt: „Je volltommener wir jelbjt werden,
dejto mehr wird es auch unfere Sprache jein, der Ausflug und der Ab:
druck unſeres geijtigen Lebens.“
5. „Ueber die Bedeutjamfeit der gejhichtlihen Sage"
(1863). Wiewohl es dem Verfaſſer als Gejchichtsichreiber nur um die
Wahrheit zu thun ift oder vielmehr deswegen, weil ein Korn Wahrheit
mehr werth ift, als der ganze bunte Flitter der Phantafiegebilde, wender
er jih mit aller Schärfe gegen diejenigen, welche die Sagenfchöpfungen
ihonungslos zerpflücden und auch den gejchichtlichen Kern nach Ablöfung der
Schale nicht gelten laſſen wollen. Nicht gegen diejenigen Heißſporne, die
ihre wifjenjchaftliche Laufbahn damit beginnen, daß jie Alles, was nicht
gleich mit ihren Anfichten übereinjtimmt, über den Haufen werfen, will ex
anfämpfen, jondern er richtet jeine Worte an die Männer ernjteren
Strebens, an „die Großmächte der Wiljenjchaft". Der menſchliche Zer-
jtörungstrieb und die Eitelfeit jpielen auch bei namhaften Forichern
einen verderblihen Einfluß. Wenn Jemand über die Urzeit der Völker
nur Vermuthungen bringt, wie es ja zumeijt der Fall üt, jo verfährt ev
i1*
nicht anders als der Sagenfreis ſelbſt. Die Voltsdichtung diefer Art war
eben die erjte Weiſe der Geichichtsichreibung. Am Nibelungenliede, ver
‚sliade und dem römischen Sagenfreis weit dann Reſſel eingehend nach,
welch’ thatjächlichen Gewinn der Hiftorifer aus den Sagendichtungen, ziehen
fan, und wie weit oftmals das Uebermaß einer einjeitigen Kritik über
das Ziel hinausichießt. Die Sage darf nicht von vornherein als Ge—
ſchichtsquelle ausgejchloffen und gegen fie Feine ftrengere Kritif geübt
werden, al3 man gegen eine gewöhnliche Chronif anwendet. Der Unter:
ſchied beider liegt eben in der Verſchiedenheit, * zwiſchen der mündlichen
und ſchriftlichen Rede beſteht.
6. ‚Ueberſetzungen, deren Be a und Aufgabe”
1865). Die Sprache eines Volkes iſt das treue Abbild feines ganzen
geiftigen Weſens, ſie iſt das große Vorrathshaus, in welchem alle Be:
griffe, welche die geiſtige Thätigkeit eimer Nation hervorgebracht, aufbe-
wahrt find. Dringen wir in den Kreis einer fremdnationalen Sprache
ein, jo fühlen wir uns wie in einem fremden Lande; nicht blos fremde
Klänge und völlig andere Formen, jondern ein durchaus anderer Geijt
tritt ums entgegen. Diefe Gedanken werden von Reſſel unter Heranziehung
jener Sprachen ausgeführ‘, die er jelbjt kennt: die beiden claffiichen, die
italienifche, Spanische, Franzöjiiche und engliſche. Eine oder zwei moderne
Culturſprachen, meint er, jollte jeder Gebildete erlernen. Ueberfegungen
werden niemals die Leſung in der Urſprache erſetzen, ebenjo
wenig wie die Copie das Originalbild. Doch können jie einen gewiſſen
Werth erlangen, wenn der Ueberjeger jeine Aufgabe verjtcht. Derfelbe
hat uns nicht blos die Gedanken des Verfaſſers mitzutheilen, fondern er
voll auch alle nationalen und individuellen Eigenthünlichkeiten wiedergeben,
die das Werf auszeichnen. Er muß daher auch die anderen Schriften des
Verfaſſers kennen, dejjen ganze Perſönlichkeit erfaffen, jowie mit der ’zeit-
genöſſiſchen Literatur und der gejchichtlichen Entwicklung der gefammten
Nation des DVerfajjers vertraut fein; dabei wird vorausgefegt, daß die
Sprache des Ueberjegers einen Grad der Eultur befigt, welcher jener der
jremden mindejtens gleich ift, und daß die fremde Sprache nicht einen allzu
verjchiedenen Bau und Entwidlung aufweift. Erſchwert wird die gute
Ueberjegung oder Nachbildung aud) durch die geiftige Individualität des
Ueberfegers jelbjt, der ja auch, wenn er ſich über die Flächenhöhe der
Alltagswelt erhebt, einen ausgeprägten Charakter bejigt, der bekanntlich
ih in Auffafjungs- und Redeweiſe Kar ausſpricht. Wenn nun auch
Ueberjegungen nur höchſt unvollfommen ihrem Zwecke entfprechen können,
jo bleiben jie doch unentbehrlich. In der Frage, ob wörtliche oder
— 1593 —
freie Ueberjegungen vorzuziehen jeien, eitjcheidet jich der Verfaſſer
für die erjteren, wobei natürlic) der eigenen Sprache feinerlei Zwang an-
gethan werden darf. Mit der Gepflogenheit, bei Ueberjegungen poetijcher
Darftellung auch das Versmaß der Urjchrift machzubilden, erklärt ſich
Reſſel nur in Ausnahmsfällen einverjtanden. Die Schwierigkeiten werden
nur gehäuft, namentlich wenn man auc den Neim beachten will. Es gibt
ja auch eine rhythmiſche Proſa, welche, weije geübt, au Wirkſamkeit
dem metrifchen Rhythmus nahe fommen kann, die noch überdies den Vor:
zug hat, nad) Bedürfniß wechjeln zu können. — Die fogenaunten freien
Ueberjegungen jind thatjächlich Bearbeitungen, ſtehen alſo zwijchen
eigentlichen Weberjegungen und jelbjtändigen Arbeiten in der Mitte und
haben deren Mängel ohne deren Vorzüge. Zum Schluße führt der
Verfaſſer noch den Sag durch, daß die Heberjegung aus einer minder
gebildeten in eine höher gebildete Sprache in Beziehung auf Gedanken
und Ausdrucd höher jtehen kann als das Original.
7. „Iſt es wahr, dag dienenere Bildungaufder Grund
lage der antifen erwachſen tjt?" (1867). Die an der Spige ſte—
hende Frage vermag der Verfaffer nicht mit ja zu beantworten, jo vielen Ge—
lehrten auch die zuftimmende Antwort als feſtſtehender Grundjag gelten mag.
Wenn die neueren Völker auc) verſchiedene Bildungselemente dem claffiichen
Alterthume entlehnt haben, jo hat fic doch der neuere Culturjtaat auf
wejentlich anderen Grundlagen aufgebaut. Diefe werden insbejondere mit
Rückſicht auf die germaniſche Völferfamilie erörtert. Abgejehen von den
grundjäglic verichiedenen Charaftereigenthümlichfeiten derjelben gegenüber
den antiken Nationen jegen in die Bildungsbahnen Kräfte ein — wie das
Chriſtenthum, die Abjchaffung der Sclaverei, die Erhebung der Frauen zu
voller gejellfchaftlicher Berechtigung — die allein in Stande waren, den
Leben eim neues Gepräge aufzudrüden, die Entwidlung in völlig neue
Geleiſe zu lenken. „Nehmen wir noch hiezu den Umstand, daß gerade
jene Zweige der Nationalökonomie, die in der Gegenwart eine jo große
Rolle jpielen, Induſtrie und Handel, als eines freien Mannes minder
würdig, im Alterthume nicht zu höherer Entwidlung gelangen konnten; be-
trachten wir die ungeheure Bedeutjamfeit der Buchdruderfunft, die ein Zu:
ſammenwirken der Geifter zu den höheren Eulturzweden möglich machte,
wie dies im Alterthume nicht entfernt möglich war; fajjen wir das nähere
Zuſammenrücken der Völker zu einer großen freien Genoſſenſchaft ins Auge,
— mit welcher das mit Gewalt zufammengebrachte und zufammengehaltene
große Nömerreich durchaus nicht verglichen werden kounte — und die Ein-
flüſſe dieſer Ordnung der Dinge auf die Wedung und Belebung aller
— 14 —
Zweige der menschlichen Thätigkeit: jo ergibt fich daraus, daß die Bil-
dung Neueuropas anderen Charakters fein und in anderen Bahnen ich
bewegen mußte, als jene der alten Welt. Mochte immer der Aufſchwung,
den die clafjiichen Studien im Beginne der neueren Zeit nahmen, auf den
Gang der geijtigen Entwidlung Einfluß üben — derjelbe konuie nur vor
übergehend fein, berührte nur die Oberfläche, ging nur ‚wenig über die
Kreife der Schule hinaus, konnte bei feiner Abgeſchloſſenheit und feinen
beſchränkten Mitteln die gewaltige geijtige Bewegung, die in den Völkern
der Neuzeit vorgiug, weder in ihre Bahnen Ienfen, noch ihr fein Gepräge
aufdrüden; es ift daher Fein genügender Grund zur Annahme vorhanden,
daß die Bildung des neueren Europa auf den Grundlagen der antiken
Eultur erwachjen jei und derjelben ausſchließlich oder doch vorwiegend ihr
Dajein verdanfe."
8. Weltgeſchichtliche Ideen. (1868) Die in diefem Aufjage
niedergelegten Gedanken finden ſich großentheils fchon in Reſſels weltge-
Schichtlichem Werfe zum Ausdrude gebracht und fünnen wir uns kurz
faſſen. Oberfter und heiliger Grundſatz des Gejchichtsichreibers bleibt die
Erforschung der gefhihtlihen Wahrheit. Als eine folche ſtellt ſich
zunächjt der Fortſchritt im der Eulturentwiclung der Menjchheit dar.
Diefer joll und wird gefunden hauptjächlich in der geiftigen Bildung,
da der Menjch ein geiftiges Weſen iſt. Gleichwerthig iſt die ſittliche
Bildung, ohne welche weder der Einzelne noch ein Volk zu höherer Ent—
wicklung gelangen kann. Unter den Bedingungen, unter welchen ſich der
Fortſchritt des Menſchengeſchlechtes vollzieht, erkennen wir als erſte die
Geſelligkeit. Die Entwicklungswandlungen folgen nur allmälig
in langen Zwiſchenräumen; das Neue aber muß immer den
beſtehenden Verhältniſſen entſprechend ſein. Eine andere
Bedingung iſt die Freiheit, namentlich die Freiheit des Indivi—
duums. Unerläßlich aber für das Gedeihen des geſelligen Lebens iſt die
Einigung, welche immer der Einheit vorhergehen muß.
9. „Was kann die Schule?" (1869). In der Zeitſchrift für
öſterreichiſche Gymnaſien (1866) findet Reſſel einen Aufſatz über das
Schulweſen Rußlands mit dem Denkſpruch: „Gebt mir die Schule und ich
will die Welt umgeſtalten.“ Gegen dieſen kühnen Sag, jo wohlgemeint
er jein mag, glaubt der Verfaſſer gewichtige Einwendungen erheben zu
müfjen. Denn es ſei nicht gleichgiltig, wenn man die Wirkfamfeit der
Schule iiber alles Maß erhebe; der Lehrer könne die Verantwortung für
die ins Unendliche gejteigerten Forderungen und Erwartungen nicht über:
nehmen. Vor Allem it es Sache jedes Einzelnen die entiprechende
— 15 —
Bildung zu gewinnen. Die Schule fünne nur erjagweile und vorbereitend
wirfen. Zuerſt aber ijt es Aufgabe der Familie, der Eltern, die fitt-
liche, Sowie die geijtige Erziehung der Kinder in die Hand zu nehmen.
Diefelbe hat Schon vor der Schulzeit zu beginnen, während derjelben und
nad) derjelben unuuterbrochen fortzumirfen. Da der Menjch ein fittlich
freies Weſen ijt, muß der Zögling fortwährend zu freier Thätigfeit
angehalten werden; das jtete Ziel muß die fittlich gute That fein. Diefer
Grundſatz habe auch den Unterricht zu beleben, und auch diefer werde am
beiten von den Eltern bejorgt. Den Einfprucd, daß es diefen an Zeit und
oftmals an den nöthigen Kenntniſſen fehle, läßt Neffel nur in Ausnahms—
fällen gelten. Und erjt für dieſe Ausnahmsfälle joll die Schule als
Erjag eintreten. Da aber die thatfächlichen Verhältniffe die Ausnahme
zur Negel gemacht haben, und jo in Wirklichfeit die Bildung der Jugend
zum großen Theile durch die Schule gefördert werden ſoll, jo will Reſſel die
Licht- und Schattenjeiten dev Schule unterfuchen. Die Vortheile des
öffentlichen Unterrichtes liegen 1. in der Möglichkeit der entſpre—
chenden Auswahl der Lehrer, 2. in dem Umſtande, daß diefe Lehrer ihr
Fach zum Lebensberufe gewählt, und 3. daß der Kreis der Schüler ein
größerer, in Folge deſſen Mannigfaltigkeit, Wetteifer u. ſ. w. den Unter:
richt beleben kann. Die Nachtheile der Schule aber feien folgende:
1. Mehr oder weniger bleibe der Lehrer dem Schüler gegenüber doc)
der Fremde; wohl fünne jich ein gewiſſes freundjchaftliches Verhältniß
zwijchen beiden entwiceln, doch erjtrede jich dasjelbe immer nur auf wenige
Schiller und könne die Innigkeit der Eltern: oder Gejchwifterliebe nicht
erreichen. 2. Der Berufslehrer lebe in der Gefahr, fein Amt allmälig
wie ein Geſchäft anzujehen, und gewöhnliche Lehrer erliegen diejer Ge—
fahr. 3. Die Schule fei eine Anjtalt, in welcher vie LZehrarbeit im
Großen vorgenommen werde; jie verhalte ji zum Privatunterricht wie
die Fabrik zur Eleinen Werkjtätte. So komme denn auch oft nur „Fabrifs-
arbeit” zu Stande. Aber nicht „ſchablonenmäßige Fabrikate“ ſollen erzeugt
werden, jondern jelbjtändig entwidelte freie Menſchen jollen erzogen
werden, dazu berufen, in jelbitgewählten Berufskreifen als freie Wejen
mit Erfolg ſich zu bewegen. Je größer nun der Schülerkreis, deſto
weniger fünne diejes Ziel erreicht werden. Die ungleihen Fähigkeiten, die
verjchiedenen Charaktere erheijchen die individuelle Einwirkung, wofür der
Majjenunterricht nur wenig Mittel biete und jelten Zeit übrig laſſe.
Diejen Grundgedanken fügt Reſſel noch zahlreiche feine Bemerkungen,
der Schulprazis entlehnt, bei, die nur beweilen, wie ernjt ev jelbjt jein
Lehramt genommen. Wie bei den Berichten über die andern Programme
— 16 —
aufjäge beabjichtigen wir auc an diejem feine Kritik zu üben, da es ſich
ja uns nur darımı handelt, den Zejer die Anjchaunngen des Verfaſſers vor-
zuführen. Aber gerade mit Rückſicht auf den Verfaſſer fünnen wir nicht
umhin hervorzuheben, daß Lehrer, wenn fie jo wie Reſſel ihren Beruf er:
füllen, auf ihre Schüler einen größeren geijtigen und fittlichen Einfluß
ausüben, als es jelbjt in vielen Fällen die Familie im Stande tft.
10. Die Mitteljchule (1870). Reſſel ift Anhänger der einheit-
lichen Mitteljchule, und es dürfte bei dem Umftande, als die Mittel:
Ihulfrage ja heute wieder auf der Tagesordnung jteht, interejjiren, jeine
Anschauungen über den Gegenftand ausführlich zu hören. Auch die Mittel
jchule habe feine andere Aufgabe als die Volksſchule: wie dieje, nur im
höhern Grade, joll fie den Menjchen beranbilden zur freien Thätig-
keit nach jedweder Richtung; ihre Aufgabe jet nicht, Vorbereitung jür das
Gejchäftsleben, ſondern jene allgemeine Bildung, die den Menjchen
als ſolchen auffaßt, zu gewähren. Wie erfüllen nun zunächſt die Gym—
naſien diefe Aufgabe? Diefer ältere Zweig der Mittelfchulen, entjtanden
in einer Zeit, als die clafjischen Sprachen das europäiſche Kulturleben
beherrjchten, habe zwar der fortjchreitenden Entwidlung einige Zugeſtänd—
nijje gemacht, kranke aber an dem Umſtande, daß man die Philologie immer
nod) als den eigentlichen cdyaraftergebenden Mittelpunkt des Uuterrichtes
anjehe. In einem bereits befprochenen Aufſatze des Verfaſſers (7.) hat
diejer den Nachweis verfucht, daß es ein Irrthum ſei, zu meinen, die
nenere Bildung jei auf Grundlage der antiken erwachſen. Demnach jei
es ein veralteter Brauch, die claffischen Studien bei einer allgemeinen
Bildungsanjtalt in den Vordergrund zu ftellen. Die Culturvölfer unjerer
Zeit haben unermeßliche Literaturſchätze angehäuft, denen gegenüber die
wenig erhaltenen antifen jich wie Schwache Anfänge ausnehmen. Soll eine
Sprache überhaupt im Mittelpunkt des höheren Unterrichtes jtehen, jo
dürfe es nur die Mutterjprache fein. Diefe it der Ausflug des
Volkslebens, wie der Verfaffer in einer befonderen Abhandlung (4) an
dem Beijpiele der deutschen Sprache dargeftellt hat. In der Mutterfprache
erfolgen in der jungen Seele die erjten Negungen des Denkens, und ulle
Eutwicklung erfolgt an und mit derjelben. Die Pflege der clajjiichen
Studien fünnte nur dann eine tiefere Wirkung haben, wenn der Geijt der
Schüler mit dem geijtigen Leben des Altertfums auf das Innigſte ver-
traut gemacht werden fünnte, was aber, wollte man auch der Philologie
noch mehr Schuljtunden widmen, nicht möglich ijt. Die oberflächliche und
lückenhafte Kenntniß einiger Schriftſtücke joll etwa ausreichen ? Bollftändig
verfehlt aber jei es, die claffiichen Studien die humaniſtiſchen zu
=. —
nennen. Das höhere Menſchenthum, Sinn für Menjchenrecht und Men—
ichenwürde gehören erjt der Neuzeit an; es ıjt ein Werk des germanischen
Geijtes und des Chrijtenthums. Weder Griechen noch Römer huldigten
den fittlichen Ideen unſerer heutigen Anſchauungen — man denke nur an
die Sclaverei, Ausjegung der Kinder, Gladiatorenjpiele, Stellung der Frau,
Mangel des Begriffes eines allgemeinen Völkerrechtes, einer Idee der Welt:
vegierung u. ſ. w.
Was nun die Realſchulen aubelange, jo jollen dieje für die tech-
nischen Schulen vorbereiten, wie die Gymnaſien für die Univerjitäten. Ja
warum joll denn aber die allgemeine Schulung des Geijtes, die Ent-
wiclung zur freien Selbjtthätigfeit beim Arzt eine andere als
beim Kaufmann, beim Advocaten eine ardere als beim Ingenieur ſein?
Auf die fachliche Bildung jolle es ja die Mittelfchule nicht abgefehen haben.
Dafür ſeien Fachjchulen vorhanden. Und jei der Menſch denn lediglic)
Berufsmenſch? Iſt er nicht Yamilienmitglied, Vater, Erzieher feiner
Kinder, iſt er nicht Angehöriger jeines Volkes und Staates? Soll nicht
allen gleichmäßig die höhere Meenjchenbildung zu Gute fommen? Ein Un—
terjchied, eine Kluft zwiſchen verjchiedenen Lebenskreiſen herbeizuführen, jei
vergriffen und bedenklich.
. Da jomit die Zweitheilung der höheren allgemeinen Jugendbildung
unbegründet erjcheine, jo dürfe es nur Eine Mittelſchule geben.
Diejelbe mühje jich ftrenge in jenen Grenzen halten, die ihr durch ihre
Stellung als eine Borbildungsanjftalt für das ganze Leben
im Allgemeinen angewiefen jind. Gegenjtände rein fachlicher Art
müſſen ausgejchlojjen bleiben. Die Kenntniß der Natur und ihrer Erjchei-
nungen jei jedoch ein vorzügliches allgemeines Bildungsmittel. Allein nicht
minder verdiene das geijtige Leben volle Beachtung. Hieher gehören die
Fragen über die Geiftigfeit des Menjchen uud die Willensfreiheit, über
Gott und Unjterblichkeit, über das Gute und Schöne. Die Neligionslehre
juche diefe Fragen durch den Glauben zu löjen. Indeſſen jei die Jugend
auch durch Ueberzeugung zu gewinnen. Wenn man mun auch fein voll-
ftändiges philoſophiſches Syitem biete und auch ſich nicht an ein beſtimmtes
Syitem anjchließe, jo jeien doch außer Logik und Pſychologie die wid):
tigjten Lehren der Metaphyſik und Ethik vorzunehmen. An den natur
wijjenjchaftlichen und philojophiichen Wiſſeuskreis können jich die claſſiſchen
Studien anſchließen, doch in weit vermindertem Umfange, als in den heu—
tigen Gymnaſien. Mittelpunkt der geſammten Schulbildung aber müſſe
die Mutterſprache werden, jedoch nicht als gelehrte Sprachwiſſenſchaft,
ſondern als praktiſche Denklehre. Sie habe die Aufgabe, den Schüler
— 18 —
von den Elementen des Denkens ftufenweife zu höherer Entwidlung nad)
Umfang und Tiefe emporzuführen.
Die aht Jahrgänge des Gymnaſiums will der Verfajjer für die
einheitliche Mittelfchule, ebenjo die Theilung derfelben in eine Unter» und
Dberabtheilung beibehalten wiſſen; nur mitjfe in Bezug auf Lehrmethode,
Unterrichtsftoff, disciplinäre Behandlung der Schüler und Stellung der
Xehrer ein ftrengerer Unterjchied eingeführt werden zwijchen der niederen
und höheren Mitteljchule. Die niedere Mitteljchule biete vor Allem
ſtoffliches Wiſſen. Gegenftände jeien: Neligionslehre, Mutterjprache,
Geographie und Gejchichte, Mathematik, Nuturwilfenichaften, Zeichnen,
Schönjchreiben. Als freie Gegenjtände ließen ſich Muſik, Turnen und
fremde Sprachen anjchließen. In der höheren Mittelfchule müſſe
der Schüler für die höhere geiftige Thätigfeit und Selbjtändigkeit gewonnen
werden. Gegenjtand der Lehrthätigfeit jei der Schüler jelbjt, d. h. die
alfjeitige und harmonische Entwicklung feiner geiftigen Kräfte. Als Lehr-
gegenjtände jeien aufzunehmen: Religionslehre, Mutterfprache, Philojophie
(Logik, Pſychologie, Metaphyſik, Ethit), Tateinische, griechiihe Sprache,
Sejchichte mit Geographie, Mathematik, Naturwiſſenſchaften und Zeichnen.
Daran reihen jich freie Gegenjtände.
Zum Schluß ſpricht ſich der Berfaffer noch gegen das allzugroße
Stundenausmaß ım öffentlichen Unterrichte aus, das weder für den Schüler,
noch für den Lehrer erjprießlich ſei. Der Schüler joll zur freibewußten
That herangezogen werden, er ſoll nicht Alles unter der Bevormundung
des Lehrers thun, jondern jeiner freien Thätigkeit foll ein großer Spiel-
raum eingeräumt werden. Der Lehrer aber, namentlich der an der Mittel-
jchule, bediirfe eine gewiſſe berufsfreie Zeit zu feiner Fortbildung, zur Er-
haltung jeiner Lebensfrische, feiner geiftigen Jugend. Er muß eine all-
gemeine Bildung fi erwerben, er bedarf einer genügenden Kenntniß
vom geiftigen Menjchen, der Gejebe, der Erjcheinungen und Bewe—
gungen in der Menjchenwelt; er bedarf endlic) einer überfichtlichen Kenntniß
der Wiffenfchaften, die feinen Berufsfächern verwandt find, weil ja das Wiſſen
in der Wirklichkeit fich nicht jo ſcharf abtheilen und gliedern läßt, und weil
ja die Bildung des Schülers ein harmoniſches Ganzes darjtellenjoll. — Es
it gewiß bezetchnend fir den jo hoch und vieljeitig gebildeten Gelehrten
und den mujterhaften Schulmann Reſſel, wenn ex in jeinem vorgerüdten
Alter die Summe jeiner Erfahrungen zieht und in Bescheidenheit jchreibt:
„Der Xehrer der Mittelfhule hat eigenthümliche und ums
jajjende Studien nöthig, die mit der Kenntniß der ihm
übertragenen Lehrfächer durchaus nicht abgeſchloſſen ſind;
— 159 —
er bedarf hiezu eines ganzen Lebens, und wenn er am
Schluſſe eines in feinem Berufe zugebradten Menſchen—
alters fteht, jo findet er, daß er mit feinen Studien nod
lange nicht am Ende iſt.“
11. „Dejterreihs gefhichtlihe Laufbahn“ (1871). Dieje
von warmer djterreichifcher Baterlandsliebe durchorungene Abhandlung jucht
den weltgejchichtlichen Beruf unjeres Staates von jener Gründung ange:
fangen bis zur neuejten Zeit herab Kar zu jtellen. In jeiner Weltgejchichte
Schon hat der Verfaſſer diefen Gegenjtand mit Vorliebe erörtert, und wir haben
oben bereits einige diesbezügliche Grundanjchauungen Reſſels hervorgehoben.
Seit dem Erjcheinen des letzten Bandes der Weltgejchichte und dem in
Rede stehenden Auffage waren nahezu zwanzig Jahre verflojjen, Jahre
inhaltsjchwererer Wandlung in der äußeren und inneren Entwidlung der
djterreichiichen Monarchie. Wenn nun auch die Ereigniſſe entgegen den
Wünfchen und Hnffnungen des Verfaſſers jich "vollzogen, jo hält er doch
jeinen urjprünglichen Standpunkt in der Hauptfrage fejt. Der freie Bund,
den verjchiedene Völker an der mittleren Donau gründeten, bleibt ein Ver:
dient der Deutjchen. Derjelbe bewahrte feinen Beitand mit einer wunder:
baren Zähigfeit und überjtand die ſchwerſten Heimjuchungen und Unglücds-
fälle. Die Grundlage feiner gedeihlichen Entwicklung aber beruht in der
dem Staate und feiner Politik innemohnenden fittlichen Idee: „wenn
auch das geschichtliche Wirken Oeſterreichs nicht frei von Makel ift, jo iſt
es doch in diefer Hinjicht reiner, als das irgend eines der größeren euro—
päiſchen Staaten, reicher an edlen für das Gemüth erhebenden Erjchet-
nungen." Auf völlig gejegliche Weife, zumeift durd) Kauf, Verleihung und
Bertrag vollzog ji) der Aufbau des Neichsgebietes. Gemaltthätige Erobe-
rung lag der öjterreichifchen Politif ferne. Daß z. B. Nudolf den Otto:
farischen Staat zertriimmerte, hatte jeine Berechtigung in der Wider:
jpenjtigfeit des Vajallen. An die Spige Deutſchlands durch das Kaijer-
thum gejtellt, ift Defterrrich diejfem jeinen Berufe, wenn auch nicht immer
mit Glanz und Auszeichnung, jo doch mit unwandelbarer Treue und
Hingebung nachgefommen. Die füihrende Stellung in Deutjchland nützte
es nicht zum eigenen Bortheil aus; es ſetzte ſich vielmehr das Intereſſe
Europas und Deutjchlands zum Ziele. „Das Haus Habsburg bildete die
erhaltende Macht in jeder Nichtung des Strebens. Während jie im
Weiten das eroberungsjüchtige Frankreich mit Erfolg niederhielt, bildete
ie ım Oſten einen Damm gegen die vordringende Völferfluth der Aſiaten
und rettete Chriftentgum und Eultur in Mitteleuropa.” Das nach dem
dreigigährigen Krieg immer mehr dem Berfalle entgegeneilende dentjche
=‘ 0 te
Reich konnte nur noch durch Dejterreichs Kraft gehalten werden. Schwer
geijhädigt wurden das Reich und der habsburgische Staat durd) das Auf:
jtreben des eroberungsluftigen Preußens. Der Gegenfag der öfterreichtichen
und preußijchen Politif wird nun vom Berfajjer weiter auseinandergeſetzt
und an der Hand der Gejchichte bis zum Jahre 1866 durchgeführt. Oeſter—
veich habe den Rechtsſtandpunkt, Preußen aber ven des jeweiligen eigenen
Bortheil immer im Auge gehabt. Die jtarren Formen des alten Bundes:
tages hätten jich vielleicht günftig ausbilden laſſen. Metternich aber jet
ein schlechter Berather des Kaiſer Franz geweſen. j
Ueber die innere Entwicklung Defterreihs jeit 1848 jpricht fich Reſſel
nur jehr knapp aus. Das genannte Jahr habe den Staat überrafcht, aber
derjelbe habe ſeine Lebensträftigfeit bewiejen. Die Aufhebung der Ber-
jajjung vom 4. März ſei ein Irrthum gewejen. - Dafür habe man aber
in der gegenwärtigen Verfaſſung den vehten Weg gefunden.
In derjelben erblidt ex, wie er bier und au anderen Orten andeutet, den
geeigneten Mittelweg zwifchen Central- und Föderativſtaat, angepaßt den
Eiaenthünlichkeiten des Neiches. „Möge man das Errumgene fejthalten ;
möge man mit Kraft und Entjchiedenheit Stellung nehmen gegen die Feinde
desjelben, die fein Defterreich wollen und jedes Zugejtändniß nur als fejten
Boden zu neuen Forderungen benügen — aber auch gegen die allzu eifrigen
Freunde, die in ihrer Berbejjerungsfucht fein Maß kennen, damit wir
nicht, indem wir das „Bejte” im Auge haben, abermals in die Gefahr
fommen, das jchon gewonnene „Gute“ zu verlieren. „Oeſterreich, das viel-
geprüfte, bedarf einer feften Ordnung der Dinge; mur jo it es
möglich, dap die erregten Elemente zur Ruhe fommen, und bei den ganz
eigenthümlichen Berhältuiiien, die bei uns bejtehen, kann nur Erfahrung
und lange Erfahrung entjcheiden, was gut tft."
Bittere Worte find es, die Reſſel zum Schlujfe gegen Preußen und
jeine gewaltthätige Politik, welche die Verdrängung Oeſterreichs aus
Dentjchland zur Folge hatte, richtet. Ein Segen könne auf jolchen Erfolgen
nicht ruhen. Wir wiljen nicht, ob ſich der treue Patriot mit dem weiteren
Laufe der Ereigniffe, der zum feiten Bunde zwiſchen Dejterreich und Deutjch-
land führte, verföhnt hat. Vielleicht. Als er den Auffag jchrieb, waren die
Dinge noch nicht jo weit gediehen. Er jchließt: „Wohl meint der Radica—
lismus unjerer Zeit vielfach jich von dem Göttlichen emaneipirt zu haben,
von jener Macht, deren Wille einjt das Weltgebäude in das Dajein rief
und in einem Augenblide es in Trümmern jtürzen kann; man meint, die
Gejege gelten nicht mehr, die unwandelbar jene Macht unferem Gejchlechte
vorgejchrieben. Man täujcht ſich; die ganze Weltgejchichte liefert den Goms
— —
mentar zu der Wahrheit, daß aus Böſem nichts Erſprießliches erfolgen,
und daß nur das Gute auf Segen von Oben hoffen könne — denn
Ein Gott iſt,
Ein heifiger Wille lebt!”
12. „Die Erziehung der Völker" (1872). Die tiefſinnige Ab-
handlung geht von dem Gedanken aus, daß es, wie bei einzelnen Menjchen,
auch bei ganzen Völkern eine Erziehung geben müſſe. Die Erziehung des
Volkes joll wie die des Einzelnen die Wedung und Entwidlung der
geiftigen Kräfte und bejonders die fittliche Heranbildung als Ziel im
Auge haben. Jedes Volk habe jeine höhere Lebensaufgabe; dieſe ſcharf zu
erfaſſen, jei die Hauptjache. Die Erziehung müſſe demgemäß eingerichtet
werden. Prieſter, Staatsmänner, Männer der Wiſſenſchaft
und Kunst betheiligten ji am Erziehungswerfe. Doch die gewonnene
Fülle von äußeren Bildungsmitteln gemüge nicht. Bei der Erziehung
fomme es immer anf die freie Selbitthätigfeit an. In der Ent-
wiclung der Natur gehe Alles nach bejtimmten Geſetzen vor ſich. Solche
Geſetze herrſchen auch im Leben der Völker; doch jeien diejelben ganz
anderer Art, da beim Menschen der freie Wille als bewegende Kraft
eintritt. Die Weltregierung werde wejeutlih Erziehung der
Menschheit Jein. Dieje habe dem Menjchen, entiprechend jeınem Doppel:
wejen, einen zweifachen Inſtinet verliehen: den leiblichen und den geiftigen.
Den Winfen desjelben nachzukommen, dem Fingerzeige der Natur ſowohl,
als der Stimme des Gewiſſens zu folgen, ſei die Aufgabe des Menjchen,
der Völfer; das Ziel könne immer mur das Sittlich-Gute jein. Erfaßt
das Volk jeine Aufgabe, dann ruhe Segen auf jeinem Wirken und um—
gekehrt. — In einer großartigen Völkerſchau von den Indern und Aegyp-
tern angefangen bis auf die Nationen unferes Jahrhunderts herab jucht
num der Verfajjer jeine Ideen an der Hand der gejchichtlichen Ereigniſſe
weiter zu veranjchaulichen. Wir begegnen hier vielfach gleichen Gedanken,
die er Schon in früheren Aufſätzen ausgefproden, wie denn überhaupt von
den aufmerkjamen Leſer ein innerer Zufammenhang der einzelnen Programm:
abhandlungen wahrgenommen werden fann. Wiederum find e8 die Griechen und
und Germanen, welche Reſſel iiber alle anderen Völker, ftellt, und auf deren
geichichtliche Laufbahn er mit Vorliebe eingeht. Nicht verfennen aber läßt
e8 ji, daß mit dem höheren Lebensalter eine gewifje düjtere Stimmung
des Verfaſſers jich bemächtigt, die ihn namentlid mit Rückſicht auf die
Zukunft feines eigenen Volkes erfüllt.
13. Ueber die Freiheit des Individuums (1854). Der
Verfaſſer behandelt zunächit den Sag, daß beim einzelnen Menſchen, wie
— 162 —
bei ganzen Bölfern der eigentliche Gehalt keineswegs in der Fülle der
Kenntniſſe, in der gefelligen Verfeinerung, in der weichen Gefühljamfeit
oder Gemüthlichfeit zu juchen, jondern vielmehr in den feſt ausgeprägten
Charakter und in der Kraft der That iſt. Der Charakter aber müjje ein
edler, die That eine gute jein. Der höchſte Werth des Menjchen
beruhe jomit in der alffeitig durchgebildeten Kraft, jich jelbjt zu beſtimmen
und das frei Gewollte zur vollen That umzuwandeln, jowie in den blei-
benden Streben, nur das Gute zu wollen und zu thun. Demgemäß jet
denn auc die Erziehung der Jugend einzurichten, und man müſſe mit dem
leivigen Mechanismus namentlich in der Schule brechen, welcher den Men—
jchen zu einer Majchine machen will. Aber nicht etwa einem zügel- uud
vegellojen „Libertinismus“ dürfe ſich der Zögling hingeben. Er jolle gegen
jede moralijche Verführung genügenden Schuß erhalten; vor Allem aber
müſſe ihn gelehrt werden, wie er jelbjtthätig die Gefahren überwinden
fönne, Er muß ferner gewöhnt werden, den eigenen Willen zu beugen
und der Stimme der Pflicht zu gehorchen. Der Erzieher jolle der Freund
des jüngeren Genojjen fein; jein Beruf jet nur, das Drgan der höheren
Gejege zu jein. Nicht ihm, jondern der Pflicht, den höheren Gejegen ge-
horche der Zögling. Eine Willkür ſei alsdann nicht möglich. Auf diefem
Wege laſſe fih die volle perjünliche Freiheit mit dem ſtrengſten
Gehorjam recht gut vereinigen. Da aber die geiftige Entwidlung
jehr mannigfaltig ift, jo irre man jich, wenn man meine, man könne nur
auf der Schulbank lernen: „Die Schule, welche dem eifrigen Lehrlinge vie
meisten und Eojtbarjten geiftigen Schäge bietet, ijt die des Lebens.“
Auch die Völker machen verjchiedene Entwidlungsformen duch uud
werden erzogen. Alles aber, was in einer Nation Großes und Aus:
gezeichnetes gejchehe, gehe von einigen hervorragenden Männern aus; —
dieje jeien die moralijchen Erzieher ihres Volkes. Doch aud) das Bolt
dürfe nicht zur Maſchine herabgedrüct, jondern muß zur freien Selbſt—
thätigfeit herangezogen werden. Keineswegs aber jei eine jchranfenloje
Freiheit gemeint, jondern nur eine durch wohlthätige Gejege geregelte.
Das Gejeg aber jolle nicht blos negativ abwehren, es jolle auch pojitiv
fürdern und unterjtügen. Es jei eine faljche Anficht, wenn man annimmt,
die ſtaatliche Gejellichaft jei dadurd) entitanden, daß eine Anzahl von
Menjchen zujammentrat, um jich gegenjeitig gegen die Unbill der Natur
und Menjchen zu unterjtügen; der Staat jei nicht lediglich eine Verei—
nigung zur alljeitigen VBerwirflihung der Rechtsidee. Vielmehr jei ver
Staat in jeiner erjten Entwidlung ein erweitertes Familienleben, und die
Bande, welche die Glieder der Familie aneinander Tnüpften, verbanden
— 198 —
auch urſprünglich die ftaatlichen Genojjenjchaften, die Völker, die Reiche.
Dieje Gefichtspunfte jeien von den „Meiſtern“, die die Völker erziehen,
im Auge zu behalten; gleichweit von übermäßiger Bevormundung, wie
von allzu großer Zoderung aller Bande habe man ſich zu halten. An den
Priejterherrichaften und Dejpotien des Alterthums, an den Staaten der
Griechen, Römer, Germanen und Romanen jucht jchlieglich der Verfaſſer
feine Ideen in zutreffenden Beijpielen noch tiefer zu begründen.
Reſſel und die böhmiſche Geſchichte.
Beſondere Quellenſtudien über böhmiſche Geſchichte liegen von Reſſel
nicht vor. Doch bleibt es anziehend, zu verfolgen, wie er ſich über den Gang
und einige wichtige Punkte derſelben ausſpricht. Er trifft hiebei nicht ſelten
den Nagel auf den Kopf. Es kommen in Frage die einſchlägigen Partien ſeines
weltgeſchichtlichen Werkes, ein in dieſen Blättern (Jahrg. III.) veröffentlichter
Aufſatz: „Bemerkungen über die allmälige Geſtaltung der Be—
völkerungsverhältniſſe Böhmens in nationaler Beziehung"
und „Auch ein Wort zu Herrn Balackys Zuſchrift an deu
fünfziger Ausſchuß in Frankfurt“ (Eonjtitutionelle Prager Zeitung
vom 28. April 1887). Bojen und Markomannen bejfaßen zur Zeit, als fie
Böhmen bewohnten, ſchon einen gewijjen Grad von Eultur, an die vielfach
anzufnüpfen jei, weswegen Reſſel die keltiſche und altgermanijche Periode
genauer erforjcht jehen will, als es bis jet gejchehen. Zudem hätten die
Drearfomannen das Yand niemals volljtändig verlajfen, und jeien Reſte
derjelben nicht blos in den Gebirgen, jondern auch im Flachlande ſitzen
geblieben, welch’ letztere allerdings von den nachrüdenden Slaven aufge
faugt worden wären. Diefe Anficht verfiht Reſſel au verjchiedenen
Orten mit großer Standhaftigfeit, indem er näher auf die Wanderungen
der Dftgermanen eingeht und ſich insbefondere auf jene Stelle des Pro:
copius beruft, welche von dem Zuge der VBandalen nach Afrika handelt.
(Bell. Band. 2%. I. E. 22.) Mit Entrüftung weit er daher jchon im Jahre
1847 (Mittelalter I. 359 Arm.) die Bezeichnung „Eindringlinge“
zurüd, welche von gewifjer Seite auf die Deutſchböhmen angewendet wurde,
und läßt es auch an einem jcharfen Seitenhieb auf diejenigen Deutjchen
nicht fehlen, die in jenen Tagen mit dem Slavismus zu liebäugeln pflegten.
Daß er in jeinen Anfichten über die Urgefchichte der Slaven, über die
Eulturzuftände derjelben in der älteren Zeit, ja auch über manch andere
Punkte der älteren Zeit, z.B. Einführung des Chriftenthums, den befannten
Lehrmeinungen Schafatits und Palackys, die fich ja jpäter vielfah als
hinfällig erwiejen, fich anfchließt, it wohl entjchuldbar. Sobald er aber
= —
auf feſterem Boden tritt, macht er fich völlig frei von Palackyſchen Anjchau:
ungen. Die Gejchichte des Landes erjcheine ihm deshalb von einer größeren
Bedeutung, weil in demjelben das ſlaviſche Volksthum mit dem deutjchen
in unmittelbare lebendige Wechjelwirfung trat, damit es, mit jelbem theils
freundlich, theils feindlich verfehrend, höheres geijtiges Leben einfauge und es
allmälig auf die öftlihen Stammesgenoſſen übertrage. „Das Eleine Böhmen
hat nur zwiſchen zwei Loſen zu wählen, entweder im Zuſammenſtoße zweier
Bölfercomplere zermalmt zu werden, oder das verjühnende Mittelglied zu
bilden zwifchen zwei großen Völferfamilien, Kunſt und Wiſſenſchaft von
Weiten nach Oſten zu tragen und diefen Diten jelbjt den Völkern des
Weftens näher zu führen.” (Neuejte Zeit 3. 122.) Das Abhängigfeits-
verhältnig vom deutjchen Kaiſer habe fi in Böhmen früher gelodert, als
in den anderen Reichslanden. Unter Ottofar IL, „dem großen Staatsmanne
und Feldherrn“ „hochemporragend ſowohl im Glüde als im Unglüde,
jtieg Böhmen zu einer europätjchen Macht empor; dieſe fiel, weil der Aufbau
eines großjlaviichen Staates im Herzen Deutichand legteres zum Entjchei-
dungskampfe herausforderte. In Karl IV. erblickt Rejjel den hervorragenden
Vertreter jener Zeit, in welcher die politische Gewalt Deutjchlands jichtlich
im Niedergange begriffen iſt, dagegen die geiftige Macht allmälig zum
Auffteigen gelangt. (Univerfität.) Die dufitiichen Wirren habe Karl theil:
weije mit vorbereiten helfen. Hus' VBerurtheilung zum Tode ſei ein jchwerer
Fehler gemwejen. „Er bewies in der legten Stunde, in der Erwartung eines
entjeglichen, martervollen Todes eine Kraft der Secle, die auch des edeljten
Apoftels der Wahrheit würdig gewejen wäre; jein glänzender Duldermutb,
den er, von aller Welt verlafjen, inmitten feiner furchtbaren Feinde zeigte,
warf einen tiefen Schatten auf jeine Gegner; nicht Siegmund und ‚das
Coneil, ſondern Hus erfchien als Sieger." Klüger jei man 3. B. mit
Wycliff, den geiftigen Bater des Hus, in England vorgegangen, indem man
es unterlajjen habe, ihn zum Märtyrer zu machen. Wie die religidfe Be—
wegung des Hufitismus immer mehr in eine nationale und wildjociale
ausartete, welche Greuel im Gefolge derfelben fich ergaben u. ſ. w., führt
der Berfaffer kundig durch. Durch Georg von Podiebrad, der allerdings
nicht im Stande war, die Krone für jein Gejchlecht zu behaupten, noch
mehr durch die unter Wladijlaus erfolgte Vereinigung mit Ungarn babe
jic) Böhmen immer mehr von Deutjchland losgelöft. Die innigere Anglie—
derung erfolgte erjt wieder durch das habsburgische Kaiſerthum. Die
Weipenberger Schlacht vernichtete die böhmiſche Adelsherrichaft, ſowie alle
Anſätze zu einer weiteren jelbftändigen politischen Entwidlung. Ferdinand II.
findet in Reſſel einen geſchickten VBertheidiger, Wallenftein dagegen, „welcher
— 15 —
jeine Pläne weit hinaus fchweifen ließ über die Sphäre, in die er gejtellt
war, der daher frühzeitig auf eine falſche außergeſetzliche Bahn gerieth,
auf der ihm fein Segen blühen konnte, und deijen tragisches Ende jeinem
Leben entſprach,“ einen beachtenswerthen Ankläger.
Im dem oben angegebenen Aufjage Reſſels: „Ueber die allmälige
Geſtaltung der Bevölferungsverhältniffe Böhmens in nationaler Beziehung"
führt er den Gedanken aus, daß Böhmen zu einem rein jlavijchen Lande
fich nicht entwideln fonnte wegen feiner geographijchen Lage, wegen der
alten deutschen Ueberreſte und der fpäteren deutjchen Rückwanderungen.
Die Tſchechen jelbjt aber jeien in den weſteuropäiſchen Culturbereich ein-
bezogen und vom flavifchen Dften abgelöft worden. „So eifrig auch in
der Gegenwart die Tichechen als Vorkämpfer des Slaventhums ich her-
vordrängen, jo muß doch zugejtanden werden, daß der eigentlich jlavijche
Charakter, wie er an den reinflaviichen Völfern des Oſtens erjcheint, bei
ihnen ungleich weniger zu Tage tritt; fie unterjcheiden ſich von den
Deutihen mehr negativ als positiv, ja ihnen fehlt jehr häufig
gerade das, was fie jo angelegentlic zur Schau zu tragen jich bemühen,
das „Slavifche*. In der deutjchen Eolonijation des Mittelalters erblidt
Reſſel nur die Rücdgewinnung altgermanifchen Bodens, der dem deutjchen
Boltsthume in unglüdlicher Stunde entriffen worden war. Die Tichechen,
meint Refjel jollten nicht jagen: „Ja wir fünnen nicht gleichgiltig zufehen,
daß; jo bedeutende Theile unferes Landes unferem Volksthume entrijjen
und einer fremden Nationalität anheimgefallen find.“ „Dasjelbe können
eben fo gut die Deutjchen jagen, wenn fie jehen, wie von Djten her mitten
in urdeutjches Land und deutjches Volksleben ein ſlaviſcher Keil eingetrieben
worden tft. Beide Völker haben aljo jo ziemlich gleichen Grund zur Unzu—
friedenheit, und es wird jedenfalls am beiten fein, jich in die Lage der
Dinge zu finden, wie jie eben iſt; die Zeiten gewaltiamer Unter:
drüdung find Hoffentlich für immer vorüber, und jenes Volt wird die
Ueberlegenheit gewinnen, welches das geijtig tichtigere und ſittlich—
bejjere iſt.“ Daß das durch den Hufitenfrig jo jehr gejchwächte Deutjch-
thum nad) dem dreißigjährigen Kriege in noch größerer Ausdehnung, als
früher, im Lande jich vorfindet, erklärt der Verfaſſer hauptſächlich durch
Einwanderung Fatholifcher Bevölkerung aus Sachen, Thüringen und Ober-
franfen, welche nicht geneigt war, der gewaltfamen Protejtantifirung im
Heimatlande fich zu fügen. Die in Folge der Gegenreformation in Böhmen
entjtandenen Lücken wären hiedurch mehr als reichlih ausgefüllt worden.
Indem der Verfaffer zum Schlujje auf die Aufgaben des Vereins,
der diefe Blätter herausgibt, zu ſprechen kommt, kann er ich I die Her-
Mittheilungen. 26. Jahrgang, 2. Heft.
— FB:
ausgabe von Städtechronifen nur dann erwärmen, wenn dieje ſich dur)
Stoff und Form fo auszeichnen, daß fie am fich auch noch gegenwärtig
von Intereſſe find. Er will dagegen mehrere Fragen, die ſich auf die
Keltenzeit, die altdeutſchen Ueberrejte, die Einwanderungen im Mittelalter
und den jlavifchen Einfluß auf die Deutſchböhmen evjtreden, erörtert
wiſſen. |
Das Berhalten der Tichechen in der jtürmijchen Bewegung des
Jahres 1848 findet in der Weltgejchichte Reſſels eine eingehende Beſpre—
hung. Der „literariſche Panſlavismus“ Habe dem Ausbruche des Sturmes
vorgearbeitet. In der Volfsverfammlung vom 11. März im St. Wenzels-
bade überwog bereits das nationale Streben; auch habe der Antrag auf
eine nähere Vereinigung Mährens und Schlejiens mit Böhmen, ſowie auf
ein eigenes verantwortliches Minijterium gezeigt, wohinaus die Pläne
abzielten. Noch gingen die Deutichböhmen Hand in Hand mit den Tjchechen,
jo lange es fi um den Kampf für die ftaatliche Freiheit handelte. Durd)
die ablehnende Haltung Palackys aber gegenüber den Wahlen ins Frank:
furter Parlament entitand der erjte große Riß. Die Gründe Palackys
für fein Verhalten lagen in der feit dem Mittelalter bejtehenden Feind—
jeligkeit der Tichechen gegen Deutjchland. Andere anzugeben jei überflüſſig
gewejen, da man, was man that, im Nothfall auch chne Grund zu thun
entjchlojjen war. Rejjels Antwortichreiben auf Palackys Abjagebrief wird
übrigens noch weiter erörtert werden. Die Leidenjchaftlichkeit der Tichechen
machte fich indeifen immer mehr bemerkbar; jie verloren das eigentliche
Biel, die politiſche Freiheit, ganz aus den Augen. Der auftretende Terro—
vismus brachte auch jene Deutjchen zur Beſinnung, die nicht jelten aus
„Hyperevangelifcher Nächſtenliebe“ mit in das tichechifche Horn geſtoßen
hatten. Bald wurde das eigentliche Ziel klarer. Der Banjlavismus jollte
wenigftens innerhalb Defterreihs zur That werden; es galt den Kaiſer—
jtaat von Deutjchland [oszureißen und ein ſlaviſches Dejterreich zu jchaffen.
Die Einladung an den Kaiſer, feine Reſidenz in Prag aufzujchlagen, und
der am 2. Juni in Prag eröffnete Slavencongreß enijchleierten die Ziele.
Den bekannten Juniaufſtand will Reſſel zwar nicht mit einer „weitver—
zweigten Verſchwörung“ in Verbindung bringen, „aber,” jchreibt er, „es
heißt unfere Leichtgläubigfeit auf eine harte Probe jtellen, wenn ung die
Männer der Gegenpartei, nachdem der Anjchlag mißglüdt war, glauben
machen wollen, die ganze Sache ſei ein zufälliger minderbedeutender
Straßencrawall gewejen." Doch die Nieverwerfung des Aufitandes habe
die tichechifche Partei nicht verhindert, ihre Pläne weiter zu verfolgen.
Günſtige Gelegenheit fanden fie auf dem Boden des Reichsparlamentes.
Ta
GEGEBEN PET"
— 167 —
Reſſels Entgeguung auf das offene Schreiben Palackys an den
Fünfzigerausihuß des Frankfurter Parlaments vom 8. April 1848 fpricht
jich mit großem Freimuth über die Stellung Böhmens zu Deutjchland aus.
Er bedauert lebhaft die jchroffe Ablehnung Palackys, in den Fünfziger:
Ausihuß einzutreten. Der angeführte Grund, daß in demjelben nur
deutjche Intereſſen gefördert werden jollen, ſei hinfällig gewejen. Man
dringe von allen Seiten auf die Eintradht der Stämme, auf die Verföh:
nung des unglüdlichen Zwiftes, der die ſprachlich verfchiedenen Bewohner
eines und desjelben Baterlandes auseinander halte. „Dürfte es wohl dazu
beitragen, dieje Eintracht zu fürdern, wenn von Männern, welde vie
öffentliche Stimme mit Achtung nennt, förmlich ausgeiprochen wird, das
Deutihe und Slaven nie zujammengehen fünnen?* Nidt
um deutjche Intereſſen, jondern um die Intereſſen Deutjchlands habe es
ji) gehandelt, und gerade in einer jolchen VBerfammlung wäre Palacky
am Plage gewejen. Der Behauptung des böhmischen Hiſtorikers aber, als
ob Böhmen nicht zu Deutichland gehört habe, jtellt Reſſel folgende Erwä—
gungen entgegen: „Wir hegen alle Achtung vor den tiefen und umfajjenden
Kenntnijjen des vaterländifchen Gejchichtfchreibers; doch möge er es mir
nicht verargen, wenn ich über eine mir völlig neue Sache mein Erjtaunen
wicht verbergen kann; er darf ung Deutſchen überhaupt nicht übel nehmen,
wenn wir in die Wahrheit diefes Ausſpruches Zweifel fegen, da derjelbe
nicht nur unferem Nattonalgefühle, jondern auch Allem, was wir bisher
von der Gejchichte wußten, durchaus zuwider läuft. Die Unterſcheidung,
die F. Palacky angibt, daß zwifchen Böhmen und Deutjchland bloß eine
perjönliche Einigung der Herrjcher, nicht der Länder, jtattgefunden, iſt für
uns völlig neu und etwas fein, um die gejchichtlichen Verhältniſſe beider
Länder zu einander aufzuklären, jedenfalls zu fein für die fchlichten, an jo
jpigfindige Dijtinctionen nicht gewohnten, mittelalterlichen Staatsmänner.
Nie finden wir in der Negel die Perfünlichkeit des Fürjten und das Land
in diefer Weife gefchieden. Der Fürft erfcheint als der Repräfentant des
Landes, das er beherrichte, und fand als folder Geltung; Verträge des
Fürſten waren bindend auch für das Land. Wenn es auch jegt Könige
ohne Königreiche gibt, jo gab es doch meines Wiſſens in Deutſchland nie
Kurfürjten ohne Kurfürjtenthümer. Als Kaifer Karl IV. den König von
Böhmen unter die Zahl der Kurfürjten grundgejeglich aufnahm, hatte er
jene Unterfcheidung ficherlich nicht im Sinne; der König von Böhmen
wurde Kurfürt, weil er der Fürjt eines der größten deutjchen Länder
war, und er wird den übrigen Kurfürſtenthümern zur Seite gejtellt. Auch
wurde diejes Verhältni in diefem Sinne ducchgehends gerommen. Wie
12*
— 108 — u
hätten auch die deutichen Fürſten zugeben können, daß eines der wichtigjten
Neichsrechte dem Beherrſcher eines fremden Landes als eine Art von
Privilegium eingeräumt würde. Wahrlich jo tief war damals Deutjchland
noch nicht gejunfen, um jolhe Schmach über ſich ergehen zu lafjen, und
hätte Karl es gethan, jo wäre es jchnöder Verrath gewejen an den Pflichten,
die er als Kaijer beſchworen. Daß die Verbindung Böhmens mit Deutjch:
land bis weit über die Hälfte des Mittelalters hinaus eine nur loje war,
wird gern zugejtanden; allein jie wurde in demjelben Grade inniger, als
der Staatsverband im deutſchen Neiche ſelbſt fich Lüfte, jo daß fpäter
zwijchen Böhmen und den übrigen großen Reichsländern nur ein geringer
Unterjchied bejtand. Wir willen, daß Deutjchland bei dem fortwährenden
Sinfen der Staatsgewalt jchon zu Ende des Mittelalters thatjächlich in
einen fürmlichen Staatenbund übergangen war; erkundigen wir uns nur
oberflächlich in den Specialgefchichten deutjcher Länder, jo finden wir, daß
jie, jobald ihnen die äußeren Mittel in Hinreichender Menge zu Gebote
jtanden, fi) im Allgemeinen genommen nicht minder frei bewegten, als
Böhmen. Namentlid war dies der Fall in Beziehung auf die inneren
Angelegenheiten ; es kann wohl Niemandem einfallen, die volle Entwidlung
des Königthums in allen feinen Zweigen, der gejeßgebenden, richtenden
und vollziehenden Gewalt ſchon im Mittelalter Juchen zu wollen, und am
alferwenigjten in Deutjchland. Alles dies mußte in Beziehung auf das
mächtige Böhmen im höheren Grade der Fall jein. Wir finden daher
diejes Neich in der Zeit unmittelbar vor jenem Anſchluß an Oeſterreich
thatſächlich unabhängig von Deutjchland, da das tiefgejunfene allbeengte
deutſche Königthum damals nicht im Stande war, feinen Nechten Geltung
zu verjchaffen; es war daher leicht erflärlih, wenn es im Drange un—
günftiger Verhältniſſe es nicht verfuchte, die Kreiseintheilung und Wirf-
jamfeit des Reichsfammergerichtes auch auf Böhmen auszudehnen ; es fonnte
dies um jo weniger thun, da ein ähnlicher Verſuch gegen die Schweiz jo
unglüdlicd, ausfiel. Allein diefer Zuftand der Dinge war doch nur thatjäd-
lich, nie vehtlidh. Böhmen hörte nie auf, ein deutsches Kurfürſtenthum
zu jeim, und gehörte als folches dem deutſchen Staatsförper an; erjt im
wejtphälischen Frieden wurde den Ständen die volle Landeshoheit gejeglich
zuerfannt. Doch aud) jett wurde Böhmen nicht wie die Schweiz bon
Deutſchland gelöft; ja die Verhältniſſe desjelben als eines Reichslandes
wurden unter Joſef I. fürmlich beſtätigt. Als 1815 Deutjchland eine
neue politiiche Geftaltung nahm, und das alte Reich der Deutjchen zu
einen bleibenden, unauflöslichen Bunde wurde, trat daher auch Böhmen
als Glied desjelben ein, und es beharrt in demjelben noch zur Stunde
be 1 WESER N
— 169 —
(1848). Eben jegt tagen die Vertreter der ſämmtlichen deutihen Staaten
zu Frankfurt, den Gejandten Dejterreihs (und fomit auch Böhmens) an
der Spige, um das unvollfommene Werk der Diplomaten im Sinne des
Bolfes Fortzujegen und zu vollenden.“
Im weiteren Verlaufe jeiner Erörterungen jagt, Reſſel, daß es
unbegreiflich jei, wie man noch über die Frage, ob ein Anſchluß Böhmens
an Deutjchland erfolgen jolle oder nicht, jich ereifern könne. Die Frage,
die zu entjcheiden ift, könne nur folgende fein: „Was ift zu thun, um die
provinzielle Selbjtändigfeit Böhmens unter den neuen Verhältniſſen zu
fichern, namentlich den Fortbeſtand und die erfolgreiche Fortbildung der
tichechischen Volksthümlichkeit und Sprache?” Es jei unerläßlich, daß diefe
Frage in einer die gerechten Forderungen der Tſchechen befriedigender
Weiſe entjchieden werde. Daß aber, wie Palacky meine, Dejterreich ſelbſt
duch einen engeren Anjchluß an Deutjchland in jeiner Kraftentwicklung
Rußland gegenüber gejchwächt werde und der Anjchluß der mindermächtigen
Grenzvölker, der Südſlaven, Schfipetaren und Walachen gehindert werde,
ift jchwer einzujehen. Dieſer Anjchluß ſei mindejtens ungewiß. „Dafür
jtehen an unferen Grenzen 30 Millionen Deutjche, an die alte, in Freude
und Leid treugehaltene Genofjenjchaft mahnend. Welche Bundesgenoijen
jolfen wir (Dejterreicher) wählen? Doc, wohl lieber die Deutfchen; denn
find wir mit ihmen enge verbündet, jo haben wir feine Macht Rußlands
zu fürchten, und wir brauchen, um ein fveies, innerlich blühendes und
nach außen geachtetes Gemeinwejen zu bilden, weder die ungewiſſe Bundes:
genoffenjchaft der Walachen, nod die der Südflaven und Schkipetaren.”
— So jchrieb Rejjel im Jahre 1848, als Böhmen noch deutjches Bundes-
land und Dejterreich die Präfidialmacht des deutjchen Bundes war. Dabei
hatte er für die Entwidlung der Zukunft, wie er oftmals an anderen
Orten ausſprach, als Ideal ein enges Bündniß zwiſchen Dejterreich und
Deutfchland und zwar unter Defterreihs Führung im Auge. Unleug-
bar verrieth der Rakonitzer Realjchullehrer einen tieferen ftaatSmännijchen
Blid als der flavifche Hijtorifer. Denn das Bündniß zwijchen Dejterreich
und Deutjchland hat jih in unjeren Tagen vollzogen. Reſſel dachte ſich
dasjelbe unter ganz anderen Formen, und er knüpfte diesbezügliche Hoff
nungen noch an den Frankfurter Fürjtencongreß im Jahre 1863; das legt
aber nur Zeugniß ab von jeinem großen, echt öſterreichiſchen Patriotismus.
Schluß.
Mit Rejjel iſt ein jeltener Mann aus dem Leben dahingejchieden,
ein deutscher Mann von cchtem Schrot und Korn, ein ausgezeichneter
— 1% \
Lehrer, ein vortrefflicher Gejchichtichreiber, \
hat mit Ausnahme der unmittelbaren Schüle!
Seine Schriften blieben ungelefen oder unv t
dahin im großen —— Strome, viel zu ſtanden. ee
ſchmeichelnden oder Lärm machenden Kritik ahen * —— als
Gelehrter, wie als Menſch geſtaltete ſich ſein Leben geren
a ee mer mehr zu einem
rein innerlichen, und bejchäftigte jich jein weltabgejd) opener Geift immer
inniger mit jenen großen Fragen der Menjchheit, welche de tiefften Denfern
aller Zeiten und aller Völker doch nur ungelöfte Räthfe Der
Gelehrte ſchrieb die gezeitigten Früchte feiner langjährigen phr,
Gedanfenarbeit noch nieder, brachte fie aber nicht in Drud. In fein
lajje befindet ji ein umfangreiches Manuſcript mit der Ueberjchrift:
Wijjenihaft vom Geiste" Es ift mir wohl gegönnt geweſen,
blie in dasjelbe zu nehmen; indejjen fühle ich mich nicht berufen, auf
Inhalt des Näheren einzugehen. Soviel kann ich wohl andeuten, daß
Ihweres Stück geijtiger Anftrengung eines nach Klarheit und Wahrhe alt
tingenden Denfers in der Handjchrift niedergelegt it. Im erjten Theibrene
jenes Werkes unterjucht Nefjel die Syſteme der neueren Bhilofophen ſeidag
Kant, wobei er zu dem Ergebniſſe gelangt, daß ihn kein einziges befriedigen | |
sin tiefer Denker. Die Mitwelt
: feine Bedeutung nicht erkannt.
kann. Gr baut daher im zweiten Theile „der Wiſſenſchaft des Geiſtes“
jein eigenes Syſtem auf, das in feiner Art ſeltſam und originell genug
it, um die Beachtung weiterer Kreije, wie der der Fachmänner, auf fich zu k
lenfen. Die Schwierigkeiten einer Veröffentlichung, aucd nur einer auszugs- |
werfen, jcheinen aber dermalen unüberwindlih, und jo möge wenigjtens
den Verfügungsberechtigten gegenüber der Wunſch ausgejprochen werden,
die werthvolle Handjchrift nicht fiir immer der Vergefjenheit oder wohl gar
der Vernichtung Preis zu geben.
Was fich weiter noch in Reſſels Nachlaß an Handichriften vorgefunden
bat, ijt mir nicht befannt. Nach meinem Ermeſſen follte wohl mancherlei
vorhanden jein. Mir ijt 3. B. ganz genau befamnt, daß Rejjel in den
fünfziger Jahren an einem Buche „über die deutſche Sprache" arbeitete.
Ich balf als Gymnaſialſchüler dasjelbe mit zu Papier bringen, indem ich
eine Zeit lang dem dictirenden Gelehrten als Schreiber diente. Gedichte
Reſſels follen durch Herrn Bittner in Brüx der Deffentlichfeit demnächſt
übergeben werden. Diejelben dürften aus der Fugendzeit des Gelehrten
jtammen. Von großem Intereſſe wäre es, die Briefe Reſſels zur Einjicht
zu baben. Der der Welt Entfvemdete jchrieb nur jpärlich; aber jeine wenigen
Briefe dürften um jo wertbvoller für die Benrtheilung feines innerjten
Weſens fein.
Pa ee
— 171 —
Es würde mir zur großen Befriedigung gereichen, wenn ich mit vor—
ſtehenden Zeilen bei meinen deutſchböhmiſchen Stammesgenojjen ein gewiſſes
Intereſſe für unjeren Landsmann W. 3. Reſſel erwedt hätte. Hervorragende
Männer, wie Rejjel, dürfen vor Allem bei den engeren Stammesgenojjen
nicht der völligen Vergefjenheit anheimfallen. Wir Deutſchböhmen find
nicht arm an Männern, welche die Ehrung der Nachwelt verdienen; wir
brauchen gar nicht auf den Tächerlichen Abweg zu gerathen, Mittelmäßigfeiten
zu Größen aufzubaujchen. Das Angedenfen wahrhaft bedeutender Männer
aber jcehuldet der Geburtsort in erjter Linie durch irgend ein Äußeres
Zeichen zu ehren. Das Anbringen von Gedenktafeln an den Geburtshäufern
hervorragender Ortsfinder ijt gewiß eine jchöne Uebung. Im vorliegenden
Falle wird es wohl feiner weiteren Anregung bedürfen, um Rejjels Namen
in jeiner Baterjtadt Neichenberg auch äußerlich in dauernder Erinnerung
zu erhalten. Maßgebende Perſönlichkeiten haben in diefer Beziehung bereits
das freundlichjte Entgegenfommen befundet. Brüx, die zweite Vaterſtadt
Reſſels aber, welche den Gelehrten bei Lebzeiten vielfach auszeichnete und
ehrte, wird wohl auch die Fürſorge übernehmen, den Dahingejchiedenen
durch ein würdiges Grabdenfmal in treuem Angedenfen zu bewahren. Im
Herzen werden dies Alle thun, welche ihn gefannt und erfannt.
Beiträge zur Gefdidte des böhmifhen Auf-
ſtandes von 1618.)
Bon Dr. Iulins Krebs.
I
Ertract aus einem Barticularjhreiben von Prag,
vom 23. Mai 1618.
Nachdem die böhmischen Stände der veformirten Religion sub utraque
zur Erhaltung ihrer Kirchen und freien Erereitiums ihrer Religion, dieweil
1) Bon den folgenden Actenſtücken ftammen diejenigen, deren Urſprungsort nicht
näher bezeichnet ift, au? dem im föniglichen Staatsarchiv zu Breslau befind-
lichen Copialbuche des Herzogs Georg Rudolf von Liegnig. Die beiden eriten
Berichte find bezeichnend für den Eindruck des großen Ereigniſſes auf die
Gemüther der Zeitgenoffen; der dritte gibt einige bisher noch unbefanute Ein-
zelheiten und ergänzt damit Skalas und Slawatad Mittbeilungen über den
Fenfterfturz nicht unweſentlich.
u: A
man ihnen diejelbe wieder nehmen und einreißen wollen, eine Zuſam—
menfunft gehalten und fie nach gehaltener Zuſammenkunft von dem
Oberjten Herrn Burggrafen und Präfidenten Herrn Schlawata und Herrn
Schmetzanßky hinauf in das Schloß in die Canzelei feind erfordert worden,
und als jie alda erjchienen, warum fie wider Ihr. Maj. Verbot dieſe
Zuſammenkunft gehalten, befragt worden, hat ſich ein Unmwillen unter
ihnen zugetragen. Man kann aber noc) nicht eigentlich wiſſen, was für
ein Streit e8 muß geweſen jein; aber vermutlich, daß gemelter Herr
Schlawata und Herr Schmetzanßky etwas gröblicy wider gemelte Herren
böhmishe Stände müſſen geredet haben. Sintemalen gemelte Herren
Stände in großem Zorn ermelten Herrn Schlawata, Herrn Schmetzanßky
jammt dem Secretario Philippo aus der Kanzlei zu dem enter hinaus
in den Schloßgraben gejtürzt haben und den böhmischen Secretarium,
Michna genannt, zu einem öffentlichen. Schelmen gemacht, und wo er
nicht wäre ausgerifjen, hätte er ohne Zweifel auch den Sprung thun
müſſen. Männiglich vermeinet allhier, daß was Sonderliches daraus ent-
jtehen werde; injonderheit, weil gemelte Stände dieſe Verſammlung ſammt
der Bürgerjchaft der reformierten Religion wider Ihr. Maj. höchſtes Ver—
bot bei Berlierung Leib, Ehr und Gut gehalten haben. Und follen gemelte
zwene Herren und der Secretarius, als fie aufgehoben worden, noch ein
wenig gelebt haben, jei aber unmöglich, daß fie beim Leben fünnen bleiben,
jintemal der Fall gar zu hoch gewejen. Was weiters daraus werden wird,
giebt die Zeit.
1.
Ertract aus einem vertraulichen Schreiben, ddo. Bran-
dei3, 25. Mai 1618.
Den 24. dito wird mir aus Prag gefchrieben, daß den 23. ejusdem
zwijchen 10 und 11 Uhr Herr Wilhelm Schlawata, Kammerpräftdent und
Oberjter Landrichter des Königreichs Böhmen, wie auch Herr Schmeganfky,
Burggraf zum Karlftein, ſodann Magifter Philipp, Secretarius, zu den
Fenſtern aus der Kanzlei in den Schloßgraben geftürzet worden, von
welchem Fall fie, ob fie zwar damals, als das Schreiben datiert, noch
nit gejtorben, jedoch weil es nicht eine jchlechte Höhe und die Graben von
lauter Steinfelfen, wie leicht zu erachten, wenig Lebens mehr in fich ge
habt und feine Hoffnung gehabt, daß jie mit dem Leben jollten davon
fommen. Wie e8 aber zugangen, und aus was Urjachen und durch men
jolches begangen, wird particulariter nit gemeldet; jedoch, weil berichtet
wird, ſam ſich die Stände sub utraque hernady des Schlofjes impatro—
— 153 —
niert, ijt leicht zu gedenfen, daß fie nicht weit davon gewejen fein müjjen.
Denn diejes einmal gewiß, daß die Vornehmſten unter ihnen jehr er-
grimmt geweſen und vefolvieret beim Majejtätsbriefe alles zuzufesen. Daß
es aber jo plöß zu einer Extremität gedeihen jollen, ijt wohl nicht zu
vermuten gewejen. Was nun daraus erfolgen wird, ift leicht zu er—
achten; es will auch die Rede gehen, jam Michna zu einem Schelmen
gemacht worden.
Aus Hungarn berichtet man, daß König Ferdinand eher nicht, als
nad Erledigung felbiger Gravaminum und Confirmierung der Privilegia
und Bündniſſe mit anderen Ländern gekrönt werden jolle, und daß Sig-
mund Forgatich, des verftorbenen Cardinals Bruder, Balatinus worden.
II.
Zeitung aus Prag vom 25. Mai 1613.
Nachdem den 23. Mai die Herren Defenjores und evangelijchen
Stände in großer Anzahl als fie den Tag zuvor im Collegio Caroli IV.
zufammen fommen und gleich im Rat gewejen, werden jie avijieret, daß
die oberjten Herren Landofficierer und Statthalter die Wache im Schloß
von ein hundert Daun gejtärfet, mit dem Anfchlag, daß mıan allein die
Herren Defenjores, jonjten aber fein Gejindel ins Schloß hätte laſſen
jollen, alsbald bat man diefelben gefangen nehmen und ihres Teils kürzer
machen jollen. Wie jolches lautbar worden, haben die Herren Stände
Gejandte aus allen drei Ständen in die Kanzlei abgeordnet, mit Begehren,
dag man ihnen auf folgenden Tag Audienz geben wolle; dazu die oberjten
Herren Yandofficterer und Statthalter auch gewilliget.
Interim hat ſich ein jeglicher Cavalier zu Haus gemacht, jich mit
Musfetierern, Piftolen und anderen Röhren zu Roß und Fuß in großer
Frequenz verfammelt, in Meinung, daß fie nod) diefen Tag in die Kanzlei
ſich hätten verfügen follen, jo aber bis auf folgenden Tag differiert und
verlegt worden. Wie jolches die Jeſuiter erfahren, jind ihrer mehr als
ein zwanzig Paar aus dem Collegio gangen und beim Herrn Schlawata
und Schmeganßfen und anderer Orten bis in die Nacht Rat gehalten,
daß alfo diefen Tag über es ganz jtille gemwejen.
Den 23. diefes haben fich teils Cavaglieri und Stände beim Herrn
Grafen von Thurn, teil beim Herrn von Fels und Herrn von Lobkowitz,
und teils im Collegio verfammelt, doch aber nachmals einhellig jich auf
den Saal und in die Kanzlei verfüget, aber fi) niemand anders als Herr
Oberſter Burggraf, Herr Wilhelm Schlawata, Herr von Martinig, Herr
— 1714 —
Grandprior von Lobfowig und Secretarius Philipp befunden. Wie die
Herrn Stände vorfommen, haben jie die Originalia des Taiferlichen Be—
fehls zu fehen begehrt. Darauf man geantwortet, man wiſſe nicht, wo
jie wären. Wie mans nit herfürgeben wollen, fängt Herr von Ruppa
an, thut eine ftattliche Rede und verweifet ihnen die Untreue, jo an ihnen
den Herren Dejenjoren und evangelifchen Ständen, dann auch am allge:
meinen Vaterlande jie übeten und erwiejen hätten. tem ward ihnen
eingehalten, daß fie sub — et obreptitie diefelben Befehliche erpracticieret.
tem hat man ihnen den Majejtätsbrief ratione religionis, item die Ca—
pitulationes8 und Bereinigung, jo zwijchen den Evangelijchen und Katho—
lichen aufgerichtet worden, item die Landtagsbeſchlüſſe, wie auch die Pro—
tejtation, jo wider Herrn Oberſtkanzler, Herrn Schlawata und Herrn von
Martinig, daß diejelbe obbemelte Capitulationes nicht unterjchreiben wollen,
die evangelischen Stände bei der Landtafel eingelegt, und alſo eins nad)
dem andern ablejen lajjen und darauf gejchlojien, daß jonderlich Herr
Schlawata und Herr v. Martinig diejenigen wären, welche die evangelijchen
Stände dem erteilten Majejtätsbrief und habenden Brivilegien zuwider bis
anhero verfolgt und gedrucdt hätten. Darauf bald einer, bald der andere
großer Beichwerungen fie bejchuldiget und entjchlofjen, weil der Majejtäts-
brief bejage, daß zu dergleichen Perſonen, als zu Berhinderern und Ber-
jtörern des gemeinen Friedens jollte gegriffen und fie in die ausgejegte
Strafe gezogen werden, als wird die umjtehende Gemeine befragt, ob jie
dieje beiden für dergleichen hielten, und ob zu ihnen möchte gegriffen
werden, haben fie einhellig Ya, Ja gejchrieen. Darauf hat man Herrn
Oberſten Burggrafen angeredet, ob ihm zwar gebühret hätte, jolches zu
verhüten, jedoch weil er überſtimmt worden und darem conjentieren müjjen,
wolle man es ihm zu diefem Male gejchenft haben, wie auch Herrn
Kreuzheren dem von Lobfowig ſolches nicht zumeſſen, weil er zu dergleichen
Natjchlägen nicht gezogen worden, derowegen begehrt, beide Herren jollten
aus der Kanzlei entweichen. Alldar fich bald Herr Peter von Schwan:
berg und Herr Gottlob Berka befunden, Herrn Oberjten Burggrafen in
die Mitte genommen und zur Kanzlei hinausführen wollen; da dann der
gute Alte vor Erjchrednis faſt nicht fortgehen können, aljo daß auch fie
beide Herren ihn bis zum dritten Male ermahnet, jagende: E. Gn. gehen
fort, es ift Zeit! Wie man ihn aljo hinaus geführt, vufet Herr von
Martini: Ad, E. Gn. Herr Vater verlaffen mich nicht. Weil er aber
fortgehen müſſen, fraget er heraujen vor der Kanzlei in der Wartjtuben:
Ah, man wird fie ja nicht umbringen! Aber ihm ward Feine Antwort
auf jeine Fragen.
— 15.—
Wie nun dieje beiden herausgeführt waren, wird nod) einmal gefragt,
ob zu diejen beiden, als Herrn Schlawata und Martinis, als Zuverhin-
derern und Zerjtörern des Landfriedens zu greifen je. Wird einhellig:
Ya, ja! geantwortet. Darauf ward erſtlich Herr von Martinig herfürge-
zogen, zum Fenſter geführt, und wiewohl er jich jehr gejpreizet und ge:
wehret, auf die Kniee niedergefallen und um Gnade gebeten, hat doch
nichts jchaffen wollen, jondern aufgehoben und zum Fenjter hinaus ge:
worjen worden. Nachmals wird Herr Schlawata genommen, welcher ſich
nicht hart gewehret, jondern allein zuvor zu beichten begehret; weil es
aber nicht Zeit gewejen, ijt er ebenermaßen aufgehoben und zum Fenſter
binausgejtürzt worden. Wie ingleichen und zum dritten Herr Secretarius
Philipp Fabricius, weil er ebenermaßen in dem Ratſchlag ſolle gewefen
jein. Weil aber an demjelben Orte viel Kehricht und weicher Schutt ge-
iwejen, ijt feiner auf der Stelle tot geblieben, jondern Secretarius Philipp
ijt incontinenti davongelaufen; Herr von Martinig hat fi) auch bald
wieder aufgerichtet, Herr Schlamata aber hat jich nicht rühren können, wie
man ihn auch davon halb tot in der Fran Oberjten Kanzlerin Haus
tragen müſſen. Was nun diefer Proceß bei männiglichen für eine Con-
jternation erreget, iſt nicht zu bejchreiben. *
Wie diefer Paß vorüber, haben die Herren Defenjoren den Oberjten
Herrn Burggrafen, wie auch Herrn von Lobfowig, Kreuzheren, zu dero
Loſament begleiten laſſen, nachmals vom Herrn Schloghauptmann einen
Handjtreic) genommen und ihme die Schloßguardi ſchwören laſſen, darnach
allerlei Fürjorge angeordnet, daß fie in allen Städten ficher und ftille
verblieben und die Gemeine auf folgenden Tag um 3 Uhr in die Land—
jtube zu erſcheinen beſchieden. Diefen Tag hat jtrads die Fran Oberfte
Kanzlerin zu Herrn Grafen von Thurn geſchickt und ſich in der Herren
Defenforen und Stände Schuß recommendieret.
Den 24. diejes, als die Landjtube ganz voll von vielermelter Ge:
meine fich verfammelt, haben alle niedergefnieet und ingleichen zu Gott
gejeufzet und gebetet und darauf ein andächtig Lied gejungen, nachmals
Rat gehalten und endlich die Gemeine ermahnet und befraget, daß welche
wollten bei den Herren Defenforen halten, die jollten zwei Finger auf:
heben, jo aud) incontinenti von allen bejchehen. Nach vollbrachtem Jura—
ment haben die Ratsperfonen aus allen dreien Städten für jih und an
Statt der Gemeinden, wie auch die anderen zwei oberen Stände den
Herren Defenforen Blenipotenz und Vollmacht aufgetragen, Kriegsoberite
zu bejtelfen und Volk zu werben. Welches auch gejchehen, und Herr Graf
von Thurn zum Oberjten Feldherrn, Herr Leonhard Eolonna, Herr von
= —
Fels zum Oberjten Feldmarjchall, Herr von Bubna zum Oberwachtmeiſter
und Herr Caplivs zum Ober» Quartiermeijter damals incontinenti iſt
elegieret und publicieret worden.
Nach bejchehener diefer Declaration, weil fonderlich der Rat der alten
Stadt Brag derofelben Gemeinde verwarnen wollen, daß fie nit unter die
Herren Defenforen hätten fommen follen, nachmals aber Gnade gebeten,
jo fie auch erlanget: Als ijt allen Ratsperjonen aus allen drei Städten
mitgegeben worden, ihre von jich gegebene Plenipotenz mit dero größeren
Ratsinjiegeln zu befiegeln, wie auch ein Verzeichnis derjenigen Perjonen,
welche die Verhindernis gethan, daß die Gemeinde nit hat unter die Herren
Defenjoren fommen dürfen, auf folgenden Zag um 8 Uhr in die Land—
jtube mit ich zu bringen und ven Herren Defenforen einzujtellen ; welches
fie gerne zu thun alsbald verwilliget.
Weil Doctor Ponzon viel giftige Ratſchläge wider die evangelijchen
Stände eine Zeit Hero geben helfen, ſich auch verlauten laſſen, er habe den
Zutheriihen und Calviniſchen Hunden das Bad zu Wien ziemlid) geheizet,
bat ſich der Beitiazza aus Furcht jeines böſen Gewiſſens zu den Kapu—
zinern ins Klofter verjteckt, wie auch jonjt eine Truhe mit Silber und
eine mit Schriften und Briefen zu Peter Baul Falfenmeijter in der Neu—
jtadt in Verwahrung gegeben. Derowegen man demjelben nachgejtellt und
durch Commiſſarien aus allen drei Ständen aus der Kapuziner Klojter,
welche anfangs gar nicht bekennen wollen, daß jie ihn veceptiert, bis jie
mit Bedräuung einer Bifitation dazu genötigt worden, jo über der Kirche
unter dem Dach im feinen Thirmlein verhehlet geſteckt, den ſchönen Vogel
ausgenommen und um 12 Uhr zu den Herren Defenjoren gefangen ge-
bracht; welcher auch bald etliche Stunden nach einander iſt gütlich era:
miniert worden und wie man jagt viel feltfame Sachen und Praktiken
jolle gepfiffen haben. Nacmals hat man ihn auf [das] Kleinfeitner Rat—
haus bis auf weiteren Beſcheid ins Gefängnis gegeben. Was man weiter
mit ihn vornehmen wird, giebt die Zeit.
Diejen Tag in aller Frühe um 6 Uhr ijt Herrn Schlawatas Frau
Gemahlin zu Heren Grafen von Thurn gekommen, ihm einen Fußfall
gethan und darüber in Ohnmacht gefallen. Nachmals, als man jie wieder
erquidet, vermeldet, daß ihr lieber Herr die Stände um Gottes Willen
um Berzeihung bitten ließe und befennete, daß er unrecht gethan, dieſe
Strafe verdient, weil er wider Gott, wider die LZandesprivilegien, fein
Gewiſſen und das Vaterland gefündigt hätte, Derowegen er auch alles, als
cin Sterbender, ihnen verziehen; allein weil er vom Herrn Schmegansty
und den Jeſuiten wäre dazu angeleitet worden, er aud den Papſt in dieſem
I
ar
Fall gratificieren wollen: Als bäte er Perdon und vecommendierte ſich den
Herren Ständen zu Gnaden und Schuß, begehrte auch feinen Dienft, allein
daß er mit jeinem Weib und Kindern auf jeinen Gütern im Frieden ver:
bleiben möchte. Hierauf die Herren Stände ſich rejolvieret, weil er aud)
beinebens andeuten lafjen, daß er noch andere Praftifen mehr entdeden
wolle, jo wider die Stände augejehen gewejen, daß er einen Revers dies-
falls von jich geben und alles jchriftlich verfaſſen folle, jo er auch zu than
fih willig anerboten, daß ihm Gnade erzeigt werden folle.
IV.
Ertract aus einem Schreiben, jo datiert Brag, den
2!. Juli 1618.
Was Ihre Maj. vom 9. diejes an hieſige Divectores gejchrieben, und
was ihre Antwort darauf, fo gejtern mit einem eigenen Courier fortgeſchickt
worden, werden E. Gn. aus beiden Copien, jo der Herren Directoren
Schreiben beigebunden, vernehmen. Welches Schreiben mir Herr Graf
Johann Albin Schlid fortzujchiden zugejtellt, welches ich aud ohne Be—
denfen, nachdem ich dejjen Inhalt zuvor gelefen, angenommen und hiermit
durch dieſe Poſt aljo fortgejchidt.
Herr Graf von Hollach hat ſich nunmehr jeines Oberjten Standes,
als die Gejandten von Kurſachſen zurüd fommen und gemelter Graf, weil
er aldar in Beitallung, Rejolution befommen, gänzlichen angenommen; die
foll diefen Morgen in consilio directorum abgelefen und ihm zugeftellt
werden. ") Seine Reiteret joll er bereits meistens aus dem Neid und den
Niederlanden in geheimer Bereitfchaft haben, daß er aljo deſto ehender
damit aufzufommen vermag. Der Stände Volk befindet jich in 8000
dato, 2 Regiment und 2000 Pferde. Es wird aber noch fort ein Fähndel
nach dem andern, wie aud von Neiterei, hinnach geſchickt.
Diejen Morgen jollen etliche Compagnieen Reiter des Bernheims
und anderer gemuftert werden, die jollen beides au Mannjchaft und Roſſen
wohl gerüftet beftehen und werden bald von der Mufterung aufs Land
einquartiert. Seind den Bauern unangenehme Gäfte, müfjen ihnen Bier,
Wein und Fleiſch zuführen, wechjeln und tauchen mit den Rofjen, nehmen
fie aud) wohl gar, jchonen feiner Religion, Herrichaften noch Güter,
Dergangenen Donnerjtag hat man die Altjtädter gemujtert, künftigen
Montag jol’s mit den Neuftädtern auch bejchehen, zu erkundigen, wie, da
Gott für fei! aufn Notfall man fich zu verlaffen.
— 18 —
Um Budweis ift beiderfeits noch Stille; die Einwohner daſelbſt auf
des Grafen von Thurn Gutheißen ſollen ficherlich einernten. Wie aber zu
vernehmen, joll das Ffaiferliche Volk im Anzuge fein und wird beiderfeits
feines die Schanze gerne verjchen.
Der kurpfälziſche Geſandte iſt geſtern wieder von hier, iſt wohl allhier
gehalten und von einem und dem andern eingeladen worden, wegen I
Herrn gute Reſolution und Aſſiſtenz hinter ſich gelajjen.
Den 18. diefes ijt der [jchlefischen] Herren Fürften und Stände
am 14. datiertes Schreiben anhero kommen; ) find nunmehr wohl content,
und hat man faſt dejjen Juhalt ein 14 Tage zuvor allhier gewußt, wie
ic) in der nächſten Poſt vermeldet.
Graf Schlid muß in der deutichen Sache jelbjt Secretarius fein,
hat dies und vorige jchleftsche Schreiben ſelbſt concipieret, halten gute,
fleißige und jtete Correfpondenz ins Reich, dahin von hier aus Boten
liegen; wie auch nad) Niederland zu den Herren Staaten, die gar freundlich
geantwortet und hülflichen in ihren Widerwärtigkeiten ſich erboten.
Die große Apologia ſoll künftige Woche in böhmischer Sprache im
Drud publicieret, nachmals zu fremder Nationen Rundbarfeit in deutfche,
lateinische und weljche Sprache vertiert werden. Sie fümen zwar ungern
daran, müßten e8 wegen böfer Ratgeber thun, weil jte auch nunmehr
den Ernſt verjpürten, Es wären Pfaffen- und jefuitiiche Conſilia, wie
ihnen denn beigelegtes lateiniſches Schreiben intereipiert worden.?) Der
Höchſte aber würde ihnen widerjtehen und es durch vornehmer Botentaten
Interpoſition einen anderen Anschlag gewinnen, dazu fie nächjt Gott
vorncehme und der Länder Aſſiſtenzen hätten.
Der Landeshauptmann in Mähren wider öffentlichen Schluß hat
wollen alterieren und zweien Landſaſſen befohlen kaiſerlich Kriegsvolk durch—
pajjieren zu laffen und an die Grenzen zu begleiten, die es gleichwohl,
weil e8 wider ihren Schluß, nicht thun wollen. Es ift aber jchon in
anderen terminis, und möchte auf eine Zeit nicht wohl neben ihm zu figen
ſein, denn bald von hier aus an die meijten mährifchen Herren gefchrieben
worden. Sonften iſt's in hiefigen Prager Städten und aufm Lande gar
fiher. Es wird nur eim Fähndel Knechte, jo täglich zum Wachten auf-
1) Abgedrudt bei Palm, Acta publica f. 1618, 142.
2) Dies Schreiben eines Jeſuiten Gregor Rumer, ddo. Pafjau 19. Juni 1618,
an den Rector de3 Jeſuitencollegiums in Gras Peter Wilhelm Lamormain
ftegt bei. Es findet ji) darin der Sat: Nunquam erat major occasio eri-
piendi Bohemis omnia privilegia, quae sunt in detrimentum religionis.
— 179 —
und abgeführet, allhier gehalten, es läuft aber noch fort aus allen Landen
zu. Wer da fortreifen will, jonderlich auf die Wiener Straßen und von
föniglichen Leuten, gehet es ſchwer mit dem Paß her, wird genaue Acht
darauf gegeben.
V.
Zeitung aus Prag vom 3. Juli 1618.
Geſtern nachmittag ſind die Herren Defenſoren wegen des Feſtes in
der Landſtuben nicht, ſondern bei Herrn Wilhelm von Lobkowitz vorm
Sandthor zuſammengekommen und um ſechs von einander gezogen; alldar
die Geſandten, ſo in Mähren geweſen, gehört und ihre Verrichtung abge—
nommen. Seind wohl acceptiert worden, weil ſie ſo gute Expedition ge—
habt, erfreuen und getröſten ſich darüber, daß die Mährer alſobald und
in der Geſandten Anweſenheit umgeſchlagen und alſo mit gutem, auser—
leſenem Volke?] in voller Bereitſchaft fein, hätten ſich mehr, als bei
währendem Türkenzuge angegriffen und wollten interim die Grenzen ein—
nehmen. Ingleichen haben die Herren Directores damals Gejandte au
Kurpfalz, als Herrn Georg von Ruppa, Herrn Silber und von Städten
den Köchel diefen Morgen fortzueilen, ſowohl auch nach Baiern abgefertigt,
etliche Hanptleute zu einem Regiment wiederum bejtellet, und ziehen nicht
allein von gemeinen, wohlverfuchten Soldaten, fondern auch von Haupt:
und Befehlichslenten zu, daß fie ausklauben können. Haben nur Mangel
an Musfeten, daß man das Volf nit bewehren kann; deswegen die Burjchen
noch unbejtallet umblaufen. |
Wie ich von Herrn Frühwein und Sereto vernommen, wird man
wo nit heut, doch morgen einen Courier nah Schleſien abjertigen, zu be:
richten, was Ihre Maj. vergangenen Sonnabend den Ständen zugejchrieben,
daß fie männiglich bedreuet, mit Kriegsmacht hereinzuriiden. Die 9 Fahnen
Fußvolk und bis in 7000 Pferde, fo nad Budweis und Krumau gejchidt,
weil ſich die Budweijer widerjegen und die Bejagung nicht gutwillig ges
ſchehen laſſen wollen, damit joll Herr Graf von Thurn mit Gewalt fort:
Tahren, ihnen das Wafjer benehmen und [auf?] die Teiche auf der anderen
Seite Iosziehen. Wie denn gleich ein Courier kommen, mit Bericht, ſie
hätten jchon etliche Stürme gethan, und wofern fie zu ſchwach, jollte als—
bald das Volk bewehret und etliche Fahnen ihnen nachgejchieft werden; an
welchem auch wohl was fein muß, weil die Herren Directores eines Theils
zu dem von Lobkowitz erfordert worden.
Es ijt nur das Gejchrei allhier von beiden Parteien von den Schle—
jiern, wenn ſie fommen würden, jo würde es ein rechter Ernſt fein; zumal
-— 460.
weil jie nun aus Mähren, daß fie bei Böheimb diesfalls halten wollten,
jo gute Botjchaft befommen.
Ein Fähndrich, Reymund Ducher genannt, joll nachmittags auf Wien
pajjieren und auf das ſcharf abgegangene Schreiben die Antwort, was die
Böhmen endlich zu thun entjchlojjen, oder was ſie von Ihr. Maj. be:
gehren, dem Kaijer zubringen. Diefer und anderer mehr jeithero abge-
gangener Schreiben hätte ich gerne Copien mitgejchidt, wird aber mit
commmmuniciert, bis fie fortgejchict, e8 auc mit dem Transferieren ſich
etwas verzeucht.
VI.
Zeitungen aus Wien, vom 14.,, 15., 17. und 18. Auguſt 1618,
(im Auszuge).
Den 11. nachmittags ijt König Ferdinand von hier big auf Wolfers-
dorf über Nacht, folgends nach Brünn zu dem allgemeinen Landtage auf
gebrochen; der Kaifer begehre der Mährer Volk zu jeiner Hilfe. Es gehe
aber gemeine Nede, daß diejelben weiter als zur Landesdefenſion, erprefie
aber und durchaus wider die Böhmen nicht wollen, und ſollen an die
300 Knechte bereits entlaufen ſein. Es wird gemeldet, daß Ihr. Maj.
Bolf, jo bei Znahm Znaym] auf Räzer, der Frau Kraufenedin, ) Grund
und Boden ihr Feldlager haben, aufbrechen und fortrüiden jollen, darunter
das auserlejene bejte Wolf das des Don Balthajar jei, welcher aber noch
bis dato, wie auch der Oberjte Artolleriemeijter, der Fuchs, an dem kaiſer—
lihen Hofe allhier ji) aufhält. So liegen auch allhier Ihr. Maj. etzlich
Bol zu Roß immer und außer der Stadt, wie auch zu Fuß, von dejjen
Aufbruch man aber nichts höret.
Klejl ift den 29. Juli zu Innsbruck in dem güldenen Thurm mit
einer ihm unangenehmen Euftodi und Lofier verjehen worden; Ddesjelben
confisciertes bares Geld, ohne Gold und die Weine — zu jehweigen der
Schulöbriefe, des den Venedigern vorgejtredtten Geldes und anderer Dar-
lehen — welches mit den obigen Poſten auf viel Millionen neben vielen
heimlichen Schreiben befunden worden, in fiebzehn anderthalbeimerigen
Fäplein auf 20.000 Millionen [!] ſich erjtredet. Hiervon alsbald zur Ab:
zahlung etlichen Kriegsvolts 50.000, dann zu der türkischen Botjchaft Ab-
jertigung und zu Fortjendung an die türkische Pforte jtatt Ihr. Mai.
180.000 Gulden deputieret und ausgezahlt worden. Und ijt bet jolcher
Legation Herr Ludwig von Molar Orator. Ueber hiejiger türfifcher Bot-
1) Eine intereflante Nachricht über fie bei Balm I. c. 153.
wg
— 131 —
ſchaft Abfertigung ift man jet in deliberatione. Sonften joll dem Gra-
tiano allerdings wegen Verluſt Kleſls nicht mutig und zu Paß fein, indem
er fürchtet, daß er diejes dem türkischen Kaifer nicht werde verrichten können,
was von ihm wäre promittiert worden und eßlichermaßen wegen der 60
Dörfer hevvorgeblidt [?]. Wie vornehme Converfationes gebeu, jo muß er
gewißlich ein Unerhörtes tractiert haben. Es iſt dem Klejl zu Ehren ein
jonderlicher induftrialifcher Weg zur Abfuhr gemacht worden, welchen ex
gewiß hat vor die Zeit feines Lebens nie gefahren, und ijt hiervon beijer
zu reden, als zu jchreiben.
Den 11. diefes it Herr Johann Paul, von Ihr. Durchl. kurfürſt—
licher Heidelbergifcher Gejandter allhier zu Schiff auf der Donau anfommen, ’)
der erwartet ehejt3 anderer mehr; und wird berichtet, daß er eher bei Ihr.
Maj. um Audienz nicht anhalten werde, bis die anderen ihm zuftoßen.
Hat fein Lojament nahe beim roten Turm beim jchwarzen Elephanten ge—
nommen.
Gejtern Abend [13. Auguft] nahend 4 Uhr find durch göttliche Ver—
leihung J. F. Gn. Herzog Johann Chriſtian in Schlejien zur Liegnitz und
Brieg aus Schleften allhierv wohl und mit einen ſchönen Comitat der jei-
nigen und anderer jchlefischer Geſandten, in die hundert und fiebzig Roſſe,
eingezogen und zum voten Krebs einquartiert worden.
Herr Siegfried Kollonitich iſt bis dato nicht befreiet, wird auch von
der ganzen Liberierung nichts gehöret.
Jeſſensk Jeſſenius] wird etwas linderer und milderer im Gefängnis
als zuvor gehalten, doch von feiner Roslaffung hört man noch zur
Zeit nichts.
| VI.
Verzeichnis
des kaiſerlichen Kriegsvolks, ſo bereits wider die böhmiſchen
Landſtände und innerhalb 8 Tagen an derſelben — gegen Wiegla
und Neuhaus ankommen und einfallen werden:
1) Ueber Andreas Pawel und ſeine Thätigkeit in Wien findet man Näheres
in meinem oben angeführten Büchlein p. 90 fge.
Mittheilungen. 26. Zahrg. 2. Hert. 13
x
\
— 132 -
Reiterei Pferde
Herr Graf von Buchheim 1000
Graf Dampierre 500
Don Balthaſar 500
Grenzhuſaren 300
Herrn Oberſt Fuchs Artollerei 300
Fürſt von Sachſen 100
thut 3200 Pferde
Fußvolk
Sächſiſch Regiment | 3000
Graf Collalto 1500
Stauder 1500
Oberſt Striechingen 2000
Oberſt Fuchjen 3 Fähndel 900
Heiducken 500
thut 9400
Summa zuſammen 12600 Mann.
Und was der Counte de Bucquoi aus dem Reich und Niederlanden
mitbringen wird.
VIII.
Balthaſar Hoffmann, ſtändiger Agent der ſchleſiſchen Fürſten
und Stände, an den Oberlandeshauptmaun Herzog Johann Chri—
ſtian von Brieg, Prag 25. September 1620. (Im Auszug.) Archiv
der Stadt Breslau.
Die Reiſe des Königs, die geſtern hätte fortgeſtellt werden ſollen,
iſt aus ſonderlichen Bedenken bis auf künftige Woche verſchoben worden.
Er wird dem königlichen Hoflager auf Johann Chriſtians Wunſch bei des
Königs Abreiſe folgen und immer berichten, wo der König ſich aufhält.
Der Großhofmeiſter Graf von Solms hat ihn gefragt, ob er wegen der
begehrten taufend Pferde Nachricht habe, welche zu Ihrer Maj. Fortzuge
auf die Grenze verordnet werden jollten:!) ob die alfbereit im Anzuge
wären, oder ob jie ſchon fortmarjchieren thäten. „Hab aber Ihr. F. Gn.
zur Antwort geben, daß mir hiervon nichts wiſſend.“
Geſtern Vormittag zwifchen 11 und 12 Uhr hat man den von Grünthal
jammt jeinen Aufmwärtern und Gejindlein von der Zittau auherobracht und
ihn hinter der Schloßkirche beim St. Annenklofter in ein Haus einguartiert.
1) Balm, Zeitſchr. d. V. f. Geſch: und Alt. Schlefiend XII. 290,
J —* Pe ö .
— 19 —
Hernach gegen Abend hat Herr Obrijter Kanzler und der alte Herr
Budewig (Budowec), Appellationspräftdent, mit Zuziehung Herr Vicefanzlers
Mill und Secretarii Günzels ihm zugejprochen und zur Geduld ermahnt:
mit dem ausdrüdlichen Zujaß, ev jolle verjichert fein, daß man ihn nicht als
Feind, jondern als Freund tractieren wilde. Darauf er ſich bedanft und
gebeten, man wolle jeine Berjon gegen Ihro Maj. zum bejten entschuldigen ;
was er gethan, hätte ev vermöge der Commiſſion und aus Befehl ver:
richten müjfen. Ob man nun mit Inquiſition und Examinierung weiter
an ihn jegen wird, mag die Zeit lehren.
Geſtern wurde der Rat auf der feinen Seite erneuert, wobei alle
Landofficierer zugegen waren. „Wie mu nach verrichten Sachen die Herren,
wie gebräuchlich, auf dem Rathaus zur Tafel gejejlen," wird Herr von
Schwamberg vom Schlage gerührt und*in das nächſte Haus gebracht. Er
ſtirbt deuſelben Abend 10 Uhr. Herr Erlaher (Hans Ludwig Erlach von
Cajtelen) des Herrn Generals Hofmeijter fam gejtern Abend aus dem
Hauptlager mit Zeitungen auf der Bojt allhier an, wonach der Feind mit
jeiner ganzen Armee wieder nad) Böhmen gerüdt jet und sich zwiſchen
Wittingau und Neuhaus gelagert habe. Unjer Lager iſt auch gejolget, dazu
auch Herr Graf von Thurn und Herr Graf von Mansjeld mit ihrem
Bolf gejtogen; das hält ſich anigo zu Weſſely, nur eine Meile Wegs vom
‚Feinde. Und weil der König in Ungarn ſtark begehret, daß man ſich mit
dem Feinde in feine offene Schlacht, bis die Ungarn dazu kommen, ein:
laſſen jolfe, wird man ſich unterdejfen wohl jo viel temperieren. Gott helfe
nur, daß fie nicht zu lange ausbleiben! Der Herr General, als welcher
zu dem König in Ungarn kurz zuvor gejchrieben, er dürfe mit der Hilfe
nicht eilen, wäre noch zur Zeit dem Feinde bajtant genug, iſt Urſache in
diejem Berzuge. !) Wir ftehen anigo bloß genug, und dürften uujere mäch—
tigen Feinde, welche uns auf allen Seiten zujegen, den Unfrigen mit ihrer
Eelerität den Vorteil ablaufen. Heute Zufperrung und Bejegung aller
Klöfter in allen drei Städten. Die Katholiſchen jollen viel Munition und
Gewehre eingeführt haben; andere meinen, es jei deshalb geichehen, weit
die Fatholifchen Pfaffen auf etliche ihnen vorgelegte Punkte wicht ſchwören
wollten.
1) Eine wichtige Nachricht, die — falls fie thatjächlih begründet it — mein
an anderer Stelle abgegebene günftiges Urteil über Chriftian von Anhalts
Verhalten vor und in der Schlaht am Weifen Berge weſentlich abichwächen
müßte, Die neuen ungarischen Hilfstruppen unter Bethlens Kanzler Simon
Behy waren am 8. November erit bi3 Schwarz-Koſteletz gekommen; d'Elvert
III., 562.
13*
IX.
In dem erwähnten handichriftlichen Sammelbande befinden ſich drei
Iingere Abhandlungen:
1. Conſilium Anonymon, daß Ihro Majeftät ven Aufjtand in Böhaimb
wit per arma, fondern durch gütige Wege jtillen jollen. — Die Schrift
it ganz zu Gunften der Böhmen abgefaßt; aus der böhmischen und anderer
Bölfer Gejchichte wird nachgewiejen, wie verderblich, gefährlich, auch poli—
tisch unklug es ſei, ein im Aufſtande begriffenes Bolt mit Waffengewalt
niederwerfen zu wollen. Am ande wird bemerkt: Iſt nachmals gedrudt
worden. Dieje Nachricht beftätigt jih. Die Flugſchrift erjchien 1618
inter dem Titel: Ein treuherziger Nat an J. Kaiſ. Maj. Sie befindet
jich unter- den Varia ad bellum tricennale de 1617 —1619 in der
töniglichen Bibliothek zu Berlin.
2. Discuvs, jo etwa von Wien aus an den Grafen dv. Thurn in Böhaimb
abgegangen jein joll. — Er enthält cine Mahnung au die Böhmen, die
Waffen niederzulegen und den Erzherzog Maximilian, jowie den Kurfürjten
von Sachſen um Beilegung des Streites zu erſuchen. Ob die Schrift
gedruckt wurde, ijt mir nicht befaunt.
3. Discursus, salvo aliorum judicio conscriptus. NB.: Hierbei
joll Klejl mit im Math geweſen jein.
Es ſind 37 Borjchläge, wie dem böhmischen Unweſen zu begegnen,
eingegeben von einem unverſöhnlichen, vachjüchtigen Gemüth, geichrieben
von einen den Böhmen ſehr jeindjelig gejinnten Manne. 3. B. Pfalz
wäre nicht allein gern König in Böheim, jondern „jtinket ihm auch das
Maul nach dem Kaiferthum”. Pfalz und Brandenburg müßten um vielerlei
Motiven willen der Kur entjegt werden. Der Berfajjer jcheint ein gebo-
vener Böhme gewejen zu fein, Sach: und Perſonenkenntniß ijt ihm wenig—
jtens nicht abzujprechen. Er jchreibt z. B. vom budligen Zerotin und vom
diden Poppel. Der Kaifer ſolle den vertriebenen Kinsty mit 2000 Koſaken,
damit jener ſich rächen könne, nach Böhmen ſchicken, denn Kinsky ſei am
meijten deshalb von den Ständen condemniert worden,!) weil er in An—
jehen und Gratia bei dem Kaiſer gejtanden u. j. w. Schmirfigfy habe
auf die Rebellion 50.000 fl. hergegeben, denke auch ihr König zu werden,
weil er des Bfalzgrafen Schwager wird [?|. Der von Waldſtein von der
Leefig, der den Buchdruder hat juitificiven lafjen, den Vogel hab’ man
1) Vgl. aud) Balın, das Verhalten der jchlei. F. u. St. im Jahre 1618. Zeitſchr.
d. V. f. Geſch. u. Alt. Schlefiens V. 262.
u
8
— 185 —
wohl in acht, denn er viel zur Rebellion gerathen. — Die Böhmen wiſſen
wohl, wenn die Jeſuiter, die Principalen der katholiſchen Religion, aus
dem Lande ſind, daß ſie die anderen armen Religioſos und Ordensleute
wiederum in ihrem Blute ertränken können und von den Dächern der
Kirchen, wie anfangs der königlichen Regierung beſchehen, zu Prag das
Maria de Nives erfahren, würgen und töten werden, das merk' man wohl!
Auf die Zeit der Abfaſſung führt vielleicht die Notiz: Oberſt Khuen
ift zu Prag, den wollen die Böhmen mit jehenden Augen blind machen.')
X.
Schlieglich jei noch einer im Manujeripte befindlichen Serie von
Briefen gedacht, die den verjuchten Einmarſch des Markgrafen
Johann Georg von Jägerndorf, Anführers dev 3000 zur Berjtär:
1) Wenzel Kinskys Urtel, 1616. (Arch. d. St. Breslau.) Den 11. Marti
ift nadı 5 Uhr gegen Abend über Herrn Wenzel Kinsky ohngefähr diejer Aus:
ſpruch und Urtel publiciert und abgelefen worden: Nachdem 1. Die vornehmften
Verbrechen, jo Kinsky erjtlich wider Kaiſer Nudolphum 2. Dann wider
jeßige K. Maj. 3. Sowohl daß er Ihre Durchl. Erzherzog Leopoldum wider
jegige vegierende Kat. Maj. auhegen wollen. 4. Wie nicht weniger, daß er
wider die gehorjamen Stände diejes Königreichs Böheim 5. und endlich wider
dero wohlerhaltene Landesordnung und Recht diefes Löblichen Königreichs
Böheim gethan, recapituliert worden, ift in ınaterialibus diefer Sentenz und
Urtel ergangen : Erſtlich, weil er jih auf Gnad und Ungnad Ihr. Kaiſ. Mai.
und den Herren Ständen ergeben, ift im Urtel fürbradt worden, daß hr.
K. Maj. für ihre eigene Perfon ihm alles condemniert und*gnädigit verziehen
hätten; weil er aber wider das ganze Königreih Böheim und die Herren
Stände ſowohl Dero Landesordnung und Nechte ſich vergriffen: Als iſt ihm
zwar zuerkannt, daß er das Leben und Ehr verloren, doch auf gnuädigite In—
tercefiion Ihrer Kaiſ. Maj. diefe endliche Decifion bis auf der gefamten Herren
Stände Zulanmenkunft-differiert und juspendiert, interim aber lift er] zu ewiger
Gefängnis condemmiert und verurteilt worden mit diejev cautela, [daß] weder
J. Kaiſ. Maj. noch dero Erben und Nachkommen die Könige zu Böheim oder
jemand anders von ‘derjelben Haft ihn befreien folle noch könne. Was die
Herrihaft Kolin belangt, joll diejelbe wie vor Alters des Königs zu Böheim
Tafelgut verbleiben, jowohl die Herrſchaft Chlumes Ihr. Kaiſ. Maj., weil fie
fälfchlich expracticiert worden, wieder zurüd und in Dero Hand gefallen fein,
Er, Kinsky, joll auf das fün. Schloß in der Grafichaft Glat gelegen geführt
werden, zu demfelben foll niemand mehr, außer jein Weib und Sohn, dann
zween Diener, ein Medicus und Beichtvater (doch alle mit ftarfen Eiden ver:
bunden) gelaffen werden. Die Guardi ſoll aud mit jonderbarem Eid und
Pilicht belegt fein. Keines Practicierens joll er ich unterftehen, auch bei Ber:
Iuft Yebens, Ehr uud Gut niemand mit ihm etwas zu thun haben. Und endlid)
ſoll kein Bapier, Feder noh Tinten oder was Menſchen Lift erdeden mag, damit
— &6—
fung der Böhmen beftimmten jchlefischen Hilfstruppen, ins Gebiet der
Grafſchaft Glag betreffen. Es ift diefe Angelegenheit zwar fchon von
Palın (Acta publica 1618 p. 277), von Gindely (30. Sir. I. 404) und
von Ad. Menzel (Neuere Gejch. der Deutjchen VL, 242) erwähnt worden;
immerhin dürfte es von Nugen jein, jie nochmals im Zujammenhange
aus den Acten und beſonders volljtändig zu behandeln.
1. Der Generalfeldoberjt Johanu Georg der Aeltere,
Markgraf von Jägerndorf, an das kaiſerliche Oberamt,
Neihenjtein, 13. September 1618.
Gejtern erjchienen Gejandte aus Böhmen, wie aucd Abgeordnete der
Herrſchaft Glatz bei ihm und baten mit Abjendung der verjprochenen Hilfe
möglichjt zu eilen. „Worauf wir ung rejolviert morgenden Tages aufzu—
brehen und von binnen nach Glag zu rüden.” Vor wenigen Stunden
feien ihm ferner Schreiben der böhmischen Stände und der Grafen Thurn
und Hohenlohe zugefommen, aus denen hervorgehe, daß man jegiger Zeit
tie Sachen wohl in acht halten muß. Man könne jegt mit wenigem ver:
hüten, was hernad; mit großem, unwiederbringlidem Schaden nicht zu
repariren jein werde. Da die Noth nicht größer jein könne, bitte er das
Dberamt um Gutachten, ob er fortrücken jolle. Im anderen Falle müſſe
er wieder zuricdgehen, weil er fich in diefev Gegend wegen Armuth der
Duartiere mehr als zwei Tage nicht aufhalten könne.
2. Schreiben der böhmischen Directoren an den Mark:
grajfen von Jägerndorf, Prag, 11. September 1618.
Gleich diefe Stunde haben fie des Markgrafen Schreiben vom 8. d. M.
empfangen, worin ev jich zur wirklichen Fortjtellung der Untonshilfe er:
bietet. Ste verlajfen jich nunmehr ficherlich darauf. Der Marfgraf werde
jelbjt ermejjen, daß auf die von Kaiſer, „ihrem allergnädigjten Herrn“,
man jcehreiben kann, ibm bei böchiter Straf gegeben noch gelaffen werden, und
wer ſolches ihm reichen oder bringen wird, joll das Leben ohne alle Gnad’
verfallen haben. Hierauf Herr Frühwein nomine Mandatariorum ſich gehor-
lamft des gerechten Urtels bedankt, er, Kinsky, aber um die Barmherzigkeit
Gottes und um das jüngfte Gericht Ehrifti, auch der Mutter Gottes gebeten,
ihn anf jeines Herren Vettern Schloß in gefängliche Haft liefern zu laſſen,
aber nichts erhalten können; jondern weil Herr Kaba, Unterburagraf, chen
präjens in der Landſtuben gemejen, denjelben aus den Schranken bis in das
Burggrafen- Amt in ein Zimmer (weil noch über jeine Ehr nichts decidiert
worden, da er joniten in die Taleburg bätt' gehen müſſen) mit etlihen Musfe-
tierern begleitet und gar ſtark gefänglichen, bis er wird nach Glat transportieret
werden, verwahren laſſen. Damit alſo diefer pönaliihe Proceß geendet und die
heilſame Juſtitia wirklich effectuieret worden.
— 117 -
wiederum vorgefchriebenen, unthunlichen und unerträglichen Mittel Feine
Tractation vorgenommen werden fünne. Da die Noth je länger, je gefähr-
licher andringe, und der Feind etwas zu gänzlicher Vertilgung der evange-
liſchen Religion vornehmen möchte, jolle er die Glager Grenze iiberjchreiten ;
böhmiſche Commiſſare erwarten ihn zur Geleitung der Truppen.
3. GrafThurn an die böhmischen Directoren, Ezaslau,
1l. September 1618.
Sobald der Tag angebrochen, ließ ich der Feind aus dem Lager
von Reitern und Fußvolk gegen fie in Haufen jehen und machte drei
Batterien von Stüden, in der Meinung, den Böhmen zwei nugbare Hügel
zu nehmen, ihnen Schaden und Furt einzujagen. „Gott hat uns das
Ort aus feiner Barmherzigkeit bejcheret, wir können auch mit Ehren und
gutem Zitel unfer Kriegsvolf von den Kanonaden aufhalten und ziemlicher:
maßen jichern.“
Geſtern hat der Feind über 57 Schüſſe gethan, die größte Kugel
war 30 Pfd., doch wurden nicht über 13 Berjonen bejchädigt oder getötet.
Heute gab er aus feinen Stüden jchon etliche 30 Schuß ab, und es jei
erjt halb 9 Uhr früh. „Gott jei Ehr und Lob gejagt, nit ein Mann noch
Roß bejchädigt, jegt aber ein Schuß 4 Nofje und Mann weggenommen.
Uns in folchem Vortel anzugreifen, hat er hohes Bedenfen, glaub’ ich; er
gehet auf eine andere Lift, jich näher an ung zu bangen und fich zu lo—
jieren. Giebt ich eher auf die rechte Hand, uns aus dem Vortel zu be:
wegen.” Er jchide den Directoren, was ihm Herr Gersdorf) darüber
gejchrieben, daß das ſchleſiſche Wolf bewilligt jet. Um das Forteilen zu
befördern, habe er Gersdorf eine Abjchrift feines Schreibens an die Di-
rectoren gejandt, worin ev über die teuflische, verlogene ZTractation (darin
Ihro Kai. Maj. ich folemniter ausnehme) ſich geäußert und habe den
Markgrafen gebeten, um der Ehre Gottes Willen nicht zu ſäumen und
die Hilfe nach Czaslau zu jchiden. Der Feind verfchanze fich gewaltig.
Die Direetoren möchten auf Pulver und Blei zur’ Fürforge Befördernis
thun; er hoffe jtündlich auf feinen lieben Herrn Grafen von Hollach, und
daß man das Geſchütz, auch „was möglich" geworbenes Volk, befürdere.
4. Graf Thurn an den Markgrafen von Jägerndorf,
„Zaſchlaw“ im Lager 11. September 1618.
Seit zwei Tagen iſt er hart am Feinde, „wir geben einander gute” 2)
Er möge die Hilfe befördern und jelbjt fommen, jie wollen ihm die Hand
1) Ulrich von Gersdorf weilte mit Georg Hanenichild ſeit e. 20, Auguit als Ge—
ſandter der Directoren in Sclefien,
— 183 —
unterlegen, alle Dienjtwilligfeit, Ehre und jchuldigen Nejpect erweijen und
„mit Gott und E. F. Gu. große Thaten thun”. Kur: und Fürften, ſowie
die löblihen Stände Schlefiens jeien zu der Böhmen nicht geringen Ge-
fahr, da jie jo lange ohne Menjchen Hilfe gelajjen würden, hinterliftiger
Weije betrogen und verführt worden. Was Graf Dampierre in Böhmen
für heidnifche, tyrannifche Sachen ausgeführt, habe doch nicht jufficient
jein wollen, um „Ihn“ [wen?] zur Commijeration zu bewegen, es jei
alles blindlich auf die gültige Tractation gebaut worden.
5. Georg Friedrih Graf von Hohenlohe an den Mark—
grafen von Jägerndorf, Prag, 11. September 1618.
Als hochlöblicher Fürſt und Liebhaber der Religion werde der Mark—
graf feinen Fortzug ohne Zweifel alſo befördern, damit durch jeine Gegen-
wart und jene bei fich habenden .hrlichen Leute ſie ſämtlich conjunetim
etwas Rühmliches und Nügliches zu Erhaltung ihrer Religion verrichten
könnten. „Wie wir denn jämtlih E. %. Gn. auf ſolchen Fall auf den
Dienjt warten werden.“
b. Der Markgraf an das kaiſerliche Oberamt, Patſch—
fau, 25. September 1618.
Ueberjendet ihm, „da wir's der Wichtigkeit befunden haben”, das
heute morgen durd eigenen Courier erhaltene Schreiben der Grafen
Hohenlohe und Thurn und des Herrn von Wels.
7. Georg Friedrid Grafvon Hohenlohe, Heinrich Mat-
thias Graf von Thurn und Leonhard Eolonua Freiherr
von Fels an den Marfgrafen von Jägerndorf dv. Mal-
hau, im Feldlager bei Kuttenberg, 20. September 1618.
Aus jeinem Schreiben hatten ſie vernommen, daß er Ordinanz er:
halten babe, ins Königreich Böhmen zu rücken. Sie hatten gehofft, die
furchtbare Plünderung des Feindes in ihrem Lande werde den Sporn zum
Fortzuge gegeben haben, „wenn gar feine jolche hochbeteuerte Union zwijchen
uns wäre”. Nun vernehmen fie von ihrem Commiſſar, welcher den Mark—
grafen mit jeinem Kriegsvolfe durchs Land fiihren jollte, ganz unverhofft,
daß der Markgraf feinen Truppen befohlen habe, wieder in die jchlejtichen
Quartiere zu rüden. Dies gereiche zu ihrem hohen Schaden und Nachtheil,
da fie aus wohlbedächtigen Urfachen das Quartier verändert und auf fein
Volk ihren Anjchlag gemacht. „Der gemeine Mann entjegt ſich und er:
ihricdt darob, unjere Widerſacher frohloden, trogen und pochen darauf,
fahren fort mit Rauben, Brennen und armer Leute Blutvergiefung. Gott
erwece das Gewiſſen, wer zu diefer Säumnis und Verlaſſung Urjache
— 139 —
gegeben. Wo kann dies vor Gott und der chrbaren Welt bejtehen, daß
man der Sache einen Schein giebt, weil das böhmiiche Wejen zur fried:
lichen Tractation ein gutes Anjehen habe, jo bedürje es der Hilfe nicht,
da doch der Feind im Land an 200 Dörfer verbrannt, auch etliche tauſend
Heiducden nach Böhmen geführt habe." Sie fünnten durch Originalichreiben
belegen, daß die blutdürſtigen Jeſuiten die goldene Zeit für gekommen
glaubten, um Böhmen den Meajejtätsbrief, die Religion und Privilegien
gewaltjam zu nehmen. Sie fünnten vor dem Nichterjtuhl Gottes bejtehen,
begehrten herzlich; Ihrer Maj. unterthänigit treu und gehorjam zu ver-
bleiben bis in den Tod, ſuchen nichts anderes, als daß man eine Hand
über dem Meajejtätsbriefe habe. Um die verjprocdhene Hilfe mit einen
Scheine des Rechts prolongieren zu können, wolle man auf der Zuſammen—
kunft der jchlefischen Fürjten und Stände etwas Unnötiges movdieren, wer
die jchlefische Hilfe fortrüden, wie c$ mit dem Volke gehalten werden jolle
und drgl. „Davon thut unfere Union feine Meldung. Woher das fommt,
bedarf feines Kopfzerbrechens." Der Markgraf werde in Böhmen Cavaliere
finden, die joldyen vermeinten Subtilitäten mit ihrer Diseretion wohl vor:
gehen könnten. Als ein löblicher Kriegsheld, der da verjteht und weiß,
was Krieg und Friede, aud) Compactaten in jich vermögen, jolle ex feinen
Zug fortjtellen.
Post seripta: Soeben fommt Nachricht, dag der Feind das dem
Herrn Terzky zujtändige Haus Leckdetſch genommen; der Pfleger, welcher
1000 Mann ſtark war, hat's aus Furcht übergeben. Etliche Herren uud
der Adel vom Lande hatten ihre beiten Sachen, als Kleinodien, Geld,
Zapezereien, Waaren, Betten, Möbel hineingeflüchtet. Das alles erbeutete
der Feind, an 100 Wageır voll Silbergeſchirr, Geld und anderen fojtbaren
Sachen wurden jene Beute. Die im Sclofje Befindlichen retirirten ſich
theils in die Wälder, theils jtürzten jie ſich um dem Meuthwillen der
Soldaten zu entgehen, jelbjt von den Mauern der Burg herab. „In summa,
es iſt micht zu schreiben, was für ein großer Schaden diefen Königreich
beigebracht worden iſt, welches alles hätte verhütet werden fünnen, wenn
die jchlejiihe Hilfe angefommen wäre. Und obgleich die Friedensmacher
aus Mähren!) beiven Lagern einen Stillftand zu erkennen gegeben, jo hat
doc) der Feind, ob wir gleich unjeres Teils nichts vorgenommen, mit ob-
1) Liechtenftein, Karl von Zerotin und ein Herr von der Leipa. Ausführlicheres
über ihr Verhalten in den Tagen vom 29. Auguft bi zum 23, September
iteht in meinen Anhalt 72-73. Gbenda 77 finden ſich Nachrichten über den
Eindrud, den der Rückmarſch des Markgrafen von Fägerndorf in Prag,
Heidelberg und Amberg bervorrief.
gemeltem Haufen inmittel$ aljo verfahren und noch überdies bei dreißig
Dörfer geplündert und ausgebrannt, daraus zu jehen, wie diejer Friedens-
handlung zu trauen."
8. Der Oberlandeshauptmann Herzog Johann Ehrijtian
von Brieg an den Markgrafen von Jägerndorf, ddo. Peiſter—
wig 15. September 1618.
Des Markgrafen Schreiben „wegen anderweit mit höchſt injtändigem
Anjuchen begehrter jchlefischen Hilfe nah Böhmen“ iſt heute morgen
zwijchen 4 und 5 Uhr in Brieg abgegeben worden. Es wäre ihm nichts
lieber, als daß ohne weitere Umſchweife eine endliche Itejolution genommen
werden fünnte; aber er weiß nicht, wie wett jich Fürften und Stände feit
jeiner Abreife nach Wien in „denen Sachen“ eingelaſſen haben, eine jondere
Relation ift ihm von dem jubjtituirten Oberamtsverwalter noch nicht zu—
gegangen. Er hat nur Kenntniß von dem Schreiben, welches F. und St.
augsburgischer Eonfejlton auf ihrer legten Zuſammenkunft au den Kaiſer
gerichtet. Danach war diejer zu gütlicher Compofitton der böhmischen Sachen
und König Ferdinand zu gewiſſer Interpoſition ermahnt worden; ehe man
ſich mit wirklicher Hilfe gegen die Böhmen erzeige, hätten die ſchleſiſchen
Stände zuvor beim Kaiſer um Affecuration des Majeſtätsbriefs und des
Neligionserereitiums angehalten. Die böhmijche Hilfsjache hätte noch vor
dent Oberreht auf einer bejonderen Zuſammenkunft verhandelt werden
jollen ; weil dazu aber nur noch 14 Tage übrig, ſei die Beiprechung ver
Frage auf die DOctoberverfammlung der F. und St. verjchoben worden.
„Ber jo gejtalten Sachen wird uns niemand zu verdenfen haben, daß wir
zum Fortzuge der Hilfe einige Ordinanz oder Bewilligung zu geben, über
ung nicht nehmen können.“ Die nächjte Ständeverfammlung werde darüber
zu bejchließen haben; auf ihr werde jeine Berrichtung in Wien mitgetheilt
werden, auf ihr wolle der Katjer auch, wie ein gejtern eingelaufener Brief
von ihm bejage, durch eigene Commiſſarien das Schreiben der jchlefiichen
Stände augsburgischer Eonfejjion beantworten. Wäre aber auch die Fort:
jendung der Hilfe allbereit bejchlofien, jo würde der Markgraf doch jelbjt
erachten müſſen, daß gewiſſe Tractaten wegen Aſſecuration dieſes Landes,
und wie es mit dem ſchleſiſchen Volke allenthalben zu halten, vorhergehen
müßten. „Wollen demnach nicht zweifeln, daß E. L. den Fortzug noch zur
Zeit einzuſtellen und Ihr Quartier voriger Ordinanz gemäß im Lande
Schleſien zu nehmen nicht unterlaſſen werden.“
Ba a Pr
-— 191 —
XI.
Punkte, welche den böhmiſchen Ständen bei etwaiger
Compoſition, ſie gejhehe wann und durch wen jie wolle,
zu ihrer fünftigen Ajjecuration an die Hand zu geben. (Herz.
Anh. Eentralarchiv zu Zerbſt.)
1. Vor allen Dingen allen Disputat, Dubia und bisher verjpürte
Eontraventiones wider den Meajeftätsbrief dergejtalt im acht zu nehmen,
daß bei der Handlung desjelben eigentlicher Verjtand und Erklärung und
Anterpretationes über alle Dubia von ermeltem Meajeftätsbrief oder Aus—
trägen, Concejjionibus und dem Herfommen herrührend gethan und beider-
jeitS aufgerichtet werden.
2. Daß fie nahmals auf Richtigmachung der bewußten vier Punkte,
welche hiebevor zu Budweis erörtert werden follen, nämlich) der Conföde—
ration mit den übrigen Erbländeru, der freien, ungehinderten Zujam-
menkunft und endlich der Bereinigung mit anderen benachbarten Ständen
dringen follten.
3. Daß zuvörderjt von der Faiferlichen Majeſtät richtige und gewiſſe
Amniſtia ftatuiert, verglichen und verfichert werde.
4. Daß binfüro die hohen Aemter communibus suflragiis der
jamtlichen Stände und zwar nach Proportion — wie die Evangeliichen
die Päpftiichen an Zahl übertreffen — bejtellt und aljo fie von ben
dignitatibus et muneribus coronae nicht ausgejchloifen, jondern aufs
wenigſte etliche gewilfe Aemter benannt werden, welche jtets bei den evan—
gelifchen Ständen jein und verbleiben jollen.
5. Daß ihnen die Händ auch bei dem gemeinen Aerario zu haben
zugelajien.
6. Daß hinfüro fein Landtagsabjchied, als von allen oder dem mehrern
Zeil der Stände gemacht gültig jein folle.
7. Daß fie die freie Wahl eines Königs wiederum in Nichtigkeit
bringen und fich deſſen genugjam verjichern laſſen. [Oben unter 2 des
Gutachtens jpricht fein Verfaſſer von. Erbländern !]
8. Den Böhmen jeien zu mehrerer Afjecuration gewilje Ort and
Pläße einzuräumen.
9. Sie jollten Macht haben, gewiſſe Summen Geldes im Reiche
anzulegen, um im Notfalle um jo viel eher gefaßt zu fein.
10. Daß die Juftitia von gleicher Anzahl der einen und der anderen
Religion Zugethanen bejegt werde.
11. Die Verfaſſung wegen der Jeſuiten alfo zu verjehen und zu
ftabilieren, daß dagegen ın Ewigkeit nichts vorgenommen oder unterjtanden
werden Fünnte. |
12. Daß fie ſich die drei ausgerifjenen Dfficiers Slawata, Schmet-
jansft und den Secretär nimmermehr wieder aufdringen liegen.
13. Daß Sie fünftig, wann und jo oft es die Notdurft erfordere,
Colleeten unter ihren Religionsverwandten ſammeln dürften.
14. Daß ihnen gewiſſe Reditus zu Unterhaltung ihrer Kirchen und
Schulen verordnet und eingeräumt wilrven. .
15. Daß alle jolhe Punkte der Landtajel einverleibt würden und
jie, die Stände, ihnen endlich auch vorbehalten auf den Fall Eontraven-
tionis wider den einen oder anderen Punkt, daß fie dann Eides und
Plichten ledig und frei jein jollten und wollten.
16. Dabei auch Pfalz eigene Privata in acht zu nehmen und bei
den Ständen womdglicd dahin zu richten wäre, damit Pfalz in ihren mit
der Krone Böhmen habenden ftrittigen Sachen, jonderlich wegen Waldſaſſen
und der prätendierten Jurisdiection auf der Kron Böheim in der Ober:
pfalz Landſaſſerei gelegenen Lehen, wider Billigfeit und mit allerhand
Praejudieiis {wie bis daher aus der böhmischen Kanzlei gefchehen) nicht
beichwert werde.
17. Darauf zu jehen, daß, jollte es endlich beiderjeits zur Disarmierung
kommen, vdiejelbe dergejtalt bejorgt wirde, das Pfalz und andere benad)-
barte Stände außer Gefahr jein möchten.
18. Endlich müſſe man darauf bedacht fein, wie mit ihnen, den
Ständen, engere Correjpondenz und VBergleihung eines mutui succursus
mit Pfalz oder den ſämtlichen unierten Ständen anzuftellen ſein möchte,
welches der Oberpfalz halber in vielen Wegen für nüglich erachtet werde.
Signatum Heidelberg, + Augujt 1618. (Ohne Unterjchrift, aber —
wie die Handjchrift erkennen läßt — aus der Nanzleı des Fürjten von
Anhalt. ')
XI.
Kurzes Verzeihniß des Kriegszjuges, jo von dem
ſchleſiſchen Hobergiihen Negimente, den drei Fähndlein
zu Fuß, als des Herrn Obrijten-Lieutenants von Hoberg,
Kapitän Dönhofs und Kapitän Boleys, jamt zwei Compag-
nien Reiterei, des Herrn Rittmetjters von Seidlig und des
1) Val. dazu meinen Chriftian von Anhalt p. 92.
rd
— 193 —
Herrn Rittmeifters Roge, mit verrichtet [worden], nahdem
fie empfangener Ordinanz nad in Böhmen zu der ganzen
Armada rüden müfjen.‘) (Arch. d. St. Breslau.)
Den 5. Juli anno 1619 find wir im Namen Gottes aus unjerm
Quartier von der Stadt Guhrau aufgebroden, nämlich des Herrn Obrijt-
lieutenants von Hobergs eigen Fähnlein, dabei des Negimentsjtabs Per—
jonen. Und nahmen unjeren Zug über die Waſſer Bartſch und die Oder,
durch das Neumarktiſche, Kanthniſche, Zobtnifche und Reichenbachiſche. Bei
Frankenſtein find obbenannte alle drei Fähnlein und gemelte zwei Com-
pagnien Neiterei zufammengejtopen und den 22. Juli ſim Orig. jteht irr—
thiimlicy Junius) vor Franfenftein bei der Bogeljtangen de novo ge:
mujtert worden.
Den 24. Juli zogen wir aus dem Quartier zu Frankenſtein bis
gegen Neurode, den 25. von Neurode bis gegen Braunau, von Braunau
nahmen wir unjern Weg nad Königgräg in Böhmen; dafelbit zogen wir
über das Waller die EIb genannt.
Bon Königgräg, allda wir zwei Tage jtill lagen, zogen wir nad) der
vornehmen Bergftadt in Böhmen Kuttenberg, von Kuttenberg auf Januwiz
[Janowitz), Nazaratz [Marzeradecz), Woſitz [Wojchig] und das Städtlem Sa-
visla [Sobieslau]; dajelbjt zogen wir das erjte Deal über das Waſſer die Mol-
dan [? die Luſchnitz'!) auf Wesla [Wejjely] und kamen hernach am Sonntag
Dominica als den 4. Auguſt bei Lumbniz [Lomnig], einem Märftlein zwo
Meilen von der Stadt Bırdweis, zu dem ganzen Feldlager des Königreichs
Böhmen, ?) jchlugen dajelbiten bei Yıunpnig unjer Xager neben dem anderen
ſchleſingiſchen Speerijchen *) Regiment. *) Den 7. Augujt gegen Abend zog
der Feind von der Stadt Buhweis auf und machte uns etwa eine Stunde
vor Abend Yärmen, deromegen wir die Nacht durch in armis bleiben und
etwas nad) Mitten in der Nacht mit dem ganzen Feldläger aufbrechen und
auf Weſſely zu marjchieren müſſen.
1) Obwohl Gindelys Erzählung über die friegeriichen Vorgänge des Jahres 1619
ziemlich ausführlich erfcheint, jo tft fie doch, wie der hier abgedrudte Bericht
beweilt, noch der Erweiterung fähig.
2) Nach Gindely, Dreiß. Air. II, 124 zählten die neuankommenden ſchleſiſchen
Hilfstruppen 2000 Musketiere und 360 Weiter, eine für die Infanterie —
drei Fähnlein — offenbar zu hoch gegriffene Ziffer.
3) Das Regiment des Obriftlieutenant3 Seger-Spee. Nach A. publ. III, 93 war
es ım Mai 1620 2000 Mann ftarf und ftand damals nicht mehr in Böhmen.
4) Die Schlefier hatten ich auf ihrem Marſche mannigfacher Bedrüdungen ſchuldig
gemacht und nicht weniger als 500 Stuten gewaltfam requirirt. Gindely II, 128.
— 14 —
Bei Weßla ward mit dem Feinde ſcharmuziert, hernach rückt der
Feind Bechin zu, welches er eingenommen und beſetzt hatte (thät auch
mächtigen Schaden mit Brennen, denn unterſchiedlichen auf einmal man
etliche und 20 Feuer ſehen konnte) und zog nah Mühlhauſen. Dagegen
zogen wir auf die Stadt Tabor zu, dajelbften Ichlugen wir oberhalb Tabor
unjer Lager, verharreten in 10 Tage lang alldar; interim trafen wir und
der Feind im etlichen Ambuscaden auch auf der Fütterei einander an und
Iharmuzierten. Auch fiel der Feind einftmals in unſere Reiterwacht und
ward Lärmen; in folcher Zeit zog der Feind über die Moldau, belagert
die Stadt Piſſka Piſek). Wir zogen vom Tabor auf Mühlhaujen, wollten
PBijifa entjegen, zogen mit etlihem Volk bei der ſchönen Feſtung Klingen:
berg, jo dem Herrn von Schwaanberg [Schwamberg] gehörig, über die
Moldau, und weil die Neiterei nicht den Paß dafelbjt haben Fonnte, mußte
das Fußvolf wieder vor Tags zurüd und ward Piſſka dem Feinde aufge:
geben. Hernach rüdten wir von Mühlhauſen einen anderen Paß zu über
die Moldau mit der ganzen Armada, begaben uns nachmals etwas bejjer
nach der rechten Hand, 7 Meilen Wegs unter Prag, über die Moldau,
beugten dem Feinde vor und „uhinten" ihm den Paß auf Prag ab. Schlugen
unfer Lager bei dem Markt Wörlig [? Miromig!], darauf der Feind gegen
uns marjchiert und liſt) zu feiner Ankunft ſtark mit der Artillerie beider:
ſeits gegen einander gefpielet, auch ein ernftliches Scharmüßel zu Roß und
Fuß gehalten worden. Wie man denn auch nicht anders wußte, als daß
man auf den Morgen ein völliges Treffen mit dem Feinde würde thin
müſſen, denn in unferm Campo vom Herrn Generalen commandiert ward,
dag folgenden Morgen [ich] jedermann, er wäre zu Roß oder Fun,
zum Bejten armieren und ſich eines Treffens mit dem Feinde verjichern
jollte; gejtalten Dingen nach denn aud) die Armaden gegen einander in
Bataglia ftunden und ernftlih Scharmügel gehalten, doc) ohne völliges
Treffen, zu beiden Zeilen wieder das Volk abgeführt und bei uns das
Lager anders gejchlagen und mit Schanzen und einer Wagenburg verwahrt
worden. Weil der Feind alſo nichts enden konnte, jchlug er gegen us,
über ein Thal auf einer Höhe, jein Lager, bejegt einen gegen ung ihm
an der rechten Hand gelegenen Wald; lagen aljo beide Armaden gegen
einander in 14 Tage lang, und hatten die Wachten oft mit einander zu
thin. Desgleihen wo wir auf der Fütterei einander antrafen, ſchenkten
wir einander nichts und ward täglich mit dem Feinde ſcharmuziert und
Lärmen gemacht. An diefem Orte jtieß das Mansfeldiiche Volf zu Roß
und Fuß zur Armada, nämlich 14 Fähndel Soldaten zu Fuß und 5 Com:
paguien Neiterei, darunter 100 Kitrajjiere unter dem Herrn Grafen von
= 395,
der Lippa.“) Darauf folgends der Feind den 7. September ohne Gefahr
eine Stunde vor Abend durch feine ganze Armada [mit] Musketier- und
anderen Hand-Röhren eine Salva jchießen ließ, dadurch Lärmen ward.
Werl er fich aber ‚nicht erzeigte, zog man unſererſeits wieder ins Lager,
und ward gute Wacht bejtellt. Künftige Nacht aber ungefähr drei Stunden
vor Tag, welches folgenden Tag Mariae Geburt 8. Sept.) war, geſchah
von dem Feinde wieder erjtlihh mit den Musfetier- und Hand-Nöhren,
darnady mit der Artollerei, groß und flein, eine Salva von etlichen
90 Schiffen in unjer Lager, konnte aber feinen Schaden thun, denn e3
nur mit der Artollerei in Bogenſchüſſen gefchehen mußte. Darauf zog er
folgenden Tag wieder zurüd auf Bechin zu und verließ viel Musfeten und
Proviant im Lager. Es ward auch im Abziehen mit ihm ſtark jchar-
muziert. Den andern Tag hernach zogen wir auch auf und nahmen unjern
Weg wieder an einem andern Ort über die Moldau, ließen ven Feind zur
rechten Hand, welcher von Bechin Pißka und Budweis zuzog, und wir
marjchierten wieder auf Mühlhauſen, den Tabor und Weſſely. Dajelbit
zu Weſſely lagen wir in 14 Tage jtill, und ward Pißka dur einen
nächtlichen Einfall von den Ufern wieder eingenommen und ziemliche
Beute gemacht, auch der Kapitän gefangen in unferer Generaln Hände
bracht. Hernach als der Feind Böhmen verließ?) und nad) Dejterreich und
Mähren marjchierte, zogen wir ihm aufm Fuße nad, nahmen unjern Weg
auf Ploz Platz] und durch den öfterreichifchen Winkel, wie man es nennet,
in Mähren, liegen den Feind alle Zeit etwas uns an der rechten Seite
ziehen, nahmen unjern Weg auf Thaya in Mähren, von dannen aus wir
folgenden Tags vom Feinde einen Lieutenant mit einem Haufen Muske—
tierer gefangen befommen, rücten hernady wieder über das Wajjer die
Thaya und nahmen um die Stadt Znaim in Mähren Quartier. Daſelbſten
erwarteten wir weiter Ordinanz und lagen bis in 14 Tage ftill. Von
dannen brachen wir hernach auf und zogen nach der rechten Hand wieder
Oeſterreich zu, jtießen den 22. October zur mährijchen Armada. Darauf
wir folgends mit den uns von dem Bethlehem Gabor zu Hilf gejchidten
Ungarn den 24. October ins Feld rüdten, ungefähr eine halbe Meile
von der Donau vor der Wiener Bruden im freien Felde alle zu Roß
und Fuß, nämlich Böhmen, Ungarn, Mährer und Schlejier, waren in
1) Gindely II, 129 jhäßt die Mansfelder auf 3500 Maun; fie famen über Be—
raun, und ber Fünftige Oberbefehlshaber Fürft Chriftian von Anhalt befand
ji) bei ihnen.
2) Buquoy brady wegen Betblens Einfall am 19. September aus jeinem Lager
bei Miromig auf. Gindely II, 271.
——
Patalia geſtellt, und gegen uns von der Brücke her machte der Feind
ebenmäßige Patalia, ward auch ernftlic mit einander jcharmuziert, und
bejtund an deme, mit dem Feinde gänzlich im Haufen zu ſchlagen; wie
denn jchon das TFeldgefchrei als das Wort Prage in unſerer ganzen Ar—
mada von dem Herrn Generalmachtmeijter ausgegeben. Es ward aber
zu jpät am Tage und war von unjeren Generalen anzuhalten befohlen.
Darauf der Feind mit dev Artilleria unter uns ernſtlich ſpielen ließ bis
ungefähr eine Stunde in die Nacht, verbradt in 100 Schüſſe und that
großen Schaden. Dagegen ließen unſere Generalen auch mit Stücken
wieder unter ihn fpielen, ungefähr in 35 Schüfje und [dieje] hatten mehr
Schaden gethan als ung wiederfahren. Die Nacht durch mußte unfere
Armada alle in freiem Felde zu Roß und Fuß in armis verbleiben. Und
war ein unnatürlicher Nebel, bei welchem ver Feind alle jeine Bagage,
Artillerie und anderes über die Brücke rücken laſſen. Morgens nach Ver—
lierung des Nebels hielt er nur mit etlichem Fußvolk noch zwifchen zwei
alten Schanzen über der Brüde im Halt [Hinterhalt?]. Derowegen ward
unſere Jufanterie auch mit jelbigem Bolt zu treffen angeführt; evjtlich
das Hohenlohifche Negiment, danach als der Feind ſich in eine neben der
Brüde gemachten Orefte [?] und hohe Schanz retiriert, wurden die gräflich
Mansfeldiichen 14 Fähnlein auch commandiert, welchen das jchlefifche Fuß:
volf, nämlich 9 Fähnlein, folgten und den ganzen Tag. bis in die finftere
Nacht zu dem Feinde „plangiereten" und beiderjeitS ein ewnjtliches und
unaufhörliches Schießen vorbrachten und unjererjeit$ ziemlich viel Soldaten
tot blieben und befchädigt worden. Jedoch von dem Feind eine größere
Niederlage gemacht ward. Derowegen er die Nacht durch die Schanze
verlaffen und die Brücke abgeworfen, fich gänzlich in die Schütt falviert.
Folgenden 26. hernach ward die Schanze gänzlich eingezogen und ge—
jchlicht[et], und wir zogen wieder aus dem Felde ins Quartier bei Kor-
Neuburg herum. Dajelbjten zogen die jchleiiichen 1000 Pferde unter
Herrn Obriftlientenant Rohr in Schlejten, wie auch 10 Fähnlein von dem
Mansfeldiſchen Fußvolfe in Böhmen; blieben wir anderen in 14 Tage
alldar till liegen, brachen hernady auf, nahmen unjern Weg von dannen
hinunter nach Preßburg in Ungarn, zogen über die Donau, und als man
alles Volk hinüberbracht, nahmen wir unjern Weg mit der ganzen Armada
ans Ungarn in Dejterreich, da wir ungefähr deutjches und ungariſches
Kriegsvolf zu Roß und Fuß in 100.000 Mann ſtark [?] vor Wien uns
jehen liegen. Nahmen das neue Gebäude, darin des Kaijers Lujtgarten
von Wien, ein, plünderten es, desgleichen gaben die Ferdinandeiſchen Sol:
daten, jo im Jagdhauſe lagen, dasjelbe auf und ward ihnen erlaubt mit
— 197 —
Sad, Pack und ihren Oberwehren nah Wien abzuziehn. Die VBorjtädte
vor Wien waren angezündet, auch St. Ulrichskloſter vor Wien geplündert
und hernach jonjten viel Märkt, Fleck und Dörfer an dem Gebirg „hin-
umb“ gegen die Wienerijche Neuftadt zu und allenthalben in Dejterreic)
angezündet und verbrannt. Nach jolchem ward die ganze Armada wieder
aus Dejterreih in Hungarn Preßburg zu geführt, dajelbjt war interim
eine Schiffbrüde über den Donauftrom gejchlagen worden und ward das
Bolf wieder auf dies Land der Donau geführt. Die Ungarn zogen wieder
ins Winterlager nach den ungarischen Bergjtädten und in [die] Zips, die
Böhmiſchen in Defterreich, die Mähren in Mähren. Und weil wir von
den Herren Fürften und Ständen gleich zuvor, che man aus Ungarn vor
Wien rückte, Ovdinanz befommen, uns eilends nach Schlejien zu begeben,
wir aber vom Herrn General der böhmischen Armada nicht eher Erlaubnis
haben fonnten, bis wir wieder zurüdfommen, empfingen wir hernach jolche
und wurden uns Commijjarien, verordnet, die führten ung von Preßburg
aus Ungarn durch Oeſterreich auf Angern und Lichtenwardt zu, aus
Dejterreih in Mähren, Eisgruben, Neumühl, Auſpitz, Aujterlig, Olmütz,
Sternberg, Römerjtadt, Altjtadt und Guldenjtein zu, empfingen von hr.
Fürſtl. Gn. Herrn Marfgrafen, unſerm General, Ordinanz ins Ottma-
chauiſche zu rüden, mehr andere Ordinanz aus dem Dttmachauischen uns
in das Oppeliſche zu begeben und bei Zublinig die Päſſe zu bejegen und
dajelbjt zu quartieren.
Auf unſer bei J. F. Gn. dem Kön. Oberamt Supplicieren und
Anhalten, weil wir mit den 3 Fähnlein ſchwach und ungenüglich wären,
gemelte Päſſe an der polnischen Grenze zu befegen, friegten wir endlich
Befehlich ung nach Krappig [zu begeben], allda unjer Abdanken neben der
Bezahlung von den Herren Commiffarien zu gewarten. Weil ſich's aber
in Mangel Geldes was verzog, friegten wir andere Ordinanz von dannen
ind Schweidnigifche und Jauerſche zu rücken, allda die Nejtanten der ver-
jeffenen Steuern zu zwingen, zu Contentierung unferer Bezahlung abzu-
legen ; Eriegten aber unterwegs andere Ordinanz zum Großtinz bis auf
‚weiteren Bejcheid ftille zu liegen. Alldar wurden wir hernach nach ge-
thaner Mufter- und Bezahlung den 18. Januar [1620] in Gottes Namen
abgedantt.) Amen!
1) Vgl. dazu A. publ. II, 5. Es fehlten bei der Abdanfung mehr al3 zwei
Drittel der im Juli 1619 aus Schlefien Ausmarſchirten.
Deittbeilungen. 26. Jahrg. 2. Heft. 14
— 19
Sn
Künftler der Wenzeit Böhmens.
Piographiihe Studien von Prof. Rudolf Müller.
X.
Julius Melzer.
Schluß.)
9. Juli. „Die Figur „Lomnicky“, jchon zweimal geändert, modellive
ich jeßt von Neuem." — Der angejchlofjenen Notiz vom 15. Juli tt zu
entnehmen, daß Melzer in gewiljenhafter Rückſicht auf die Stiftungsbe-
dingung bereits eine Votivarbeit für die Kirche jeines Geburtsortes vor:
bereitete. Bejtätigung deifen ijt, was er am 19. Auguft ins Tagebuch
eintrug: „Während der Zeit habe ich zwei Modelljfizzen zu einer Mutter:
gottes-Natur für Bürgjtein entworfen; die eine davon in Gyps ausge:
goffen. Noch hat ſie Niemand gejehen, werde mir aber jedenfalls, bevor
ih an die Ausführung jchreite, guten Rath holen bei einem der hiefigen
Kunſtpatriarchen . . . ."
Nebenbei modellirte ich ein Relief, die Entführung der ſchönen Jutta
durch Bretislaw I. vorjtellend.
Eingeflochten in diefe, das eigene Thun betreffenden Daten tjt eine vecht
interejfante Bejchreibung der Werfjtätte des jchon öfter genannten Prof.
Joh. Mar. Wagner. „In den legten Tagen bejuchte ich mehrere Bildhauer:
atelier’3 Älterer wie jüngerer Meiſter. Unter diejen feijelte mich bejonders
das von Prof. Wagner. . . Die ganzen Wände feines großen Studio
iind mit Neliefs bededt und zwar mit den Modellen für den umfangreichen
Marmor-Fries in der Walhalla bei Regensburg — vorjtellend die Völker:
wanderuug der Ur- und Neuzeit. Ungemein reicher Vhantjie erfunden, find
viele Einzelbilder auch jehr ſchön ausgeführt, befonders in der zweiten
Abtheilung. Daß jene der erften nicht gleicherweife befriedigend, iſt wohl
zurüczuleiten auf die Uebergangsperiode Wagner's vom Maler zum.
Bildhauer, in welcher die Reliefs der erjten Abtheilung entjtanden. —
Bekanntlich entdeckte König Ludwig von Baiern noch als Kronprinz, den
im Maler Wagner verftectten Bildhauer in Folge feiner Neife nach Grie—
chenland, und gab ihm als ſolchem 1821 den erſten Auftrag — den Kampf
der Gentauren mit den Lapithen — für die Münchener Nealfchule, diejem
folgte 1822 der für die Walhalla für die weiteren Aufträge des Königs,
für's „Siegesthor" ꝛc. die im Bronzeguß zur Ausführung famen, gingen
die Modelle nach München, find demnach im Atelier blos die Thonfkizzen
RFERT N,
— 19 —
vorhanden. — Dermal, im 77ſten Lebensjahre, ruht Meiſel und Hammer,
ruht Wagner zugleich) auf feinen Lorbeeren. — Hagejtolz, dabei im Bejige
großen Vermögens wie guter Gejundheit, iſt ihm das Leben feine Laſt.
Selbjt die vielen Würden und Zitel jcheinen ihn nicht zu drüden. —
Objchon wiederholt nach Baiern berufen, fehrte ev doch immer wieder
nach Rom zurück — wo er bereit 40 Jahre verbrachte, und jedes zweite
Fahr von Neuen ſich der unveränderten Freundichaft feines Königs zu
erfreuen hatte. Denn regelmäßig fam bislang König Ludwig innerhalb
diefes Zwijchenraums auf fürzere oder längere Zeit hieher, und war dann
auch Wagner jein fteter Geſellſchafter. Bon der Intimität, in der ſie zu
einander jtehen, konnte ich mich bei der angedeuteten, jüngjten Abreife des
Königs hinreichend überzeugen: denn zärtlicher wie diefer 66jährige Regent
von Baiern vom 77jährigen Bildhauer jchied, jcheiden kaum jich innigſt
liebende Brüder. . . . Im Studio Wagner’8 arbeitet jest der Bildhauer
Peter Schöpf, ein Schitler Thorwaldjens, und vertritt Wagner ganz
vorzüglich, wie eine Reihe von Modellen und in Ausführung begriffenen ‘
Marmorwerke nachwiejen.‘
3. Sept. „Ich ſetze meine Ausflüge in die Umgebung Rom's fort,
um jowohl meinen Körper wie meine Phantaſie fiir gedeihliches Schaffen
zu kräftigen... . Wanderte alſo am Sonntag nad) dem mir lieb gewor-
denen Albano, fünf Stunden lang in wahrer Sonnengluth. . . . Bon da
nach Genſano, wo es eine harte Probe meiner Katholicität zu bejtehen
galt. Denn in eine der Kirchen eingetreten, fam ich eben zum Gottesdienfte,
bei welchen die frommen Landleute durchweg auf den Knien lagen, Um
fein Aergerniß zu geben, mußte ich ebenfalls eine Halbe Stunde lang das
Marmorpflafter gleicherweife honoriren, was mir ziemlich jauer wurde.
Gott wird mir's verziehen haben, daß ic) während dem meine Blide auf
die Schönen Beterinen wendete und Gejchmad fand an ihrer kleidſamen
Gewandung, dem jchneeweißen, nett gefalteten Kopftuch, dem niederen
ſchmiegſamen Mieder, über welchem der vollgerundete Bujen vorquoll,
dem eng anliegenden weißen Spenfer, knapp gefalteten Rock und bunt
gejticten Schürzen — alles maleriſch jchön, insbefondere bei den Schönen.
Verſichert jei, daß dieſe fünftlerifche Abjchweifung unauffällig vor ſich gung,
und Niemanden in der Andacht ſtörte. ...
Ein anderer Sonntagsansflug war nac dem muſikgeſchichtlich be-
fanuten Palejtrina, der Geburtsjtätte des Giovanni Pierluigi, von dieſer
Palejtrina benannt, gerichtet. „Der Weg — ſchrieb Melzer — führte
lange Zeit noch im und am Abhange des Albanergebirges dahin, endlich)
in jenen Theil der Campagna, welcher ſich zwijchen jenem und dem Sabi-
14*
— 200 —
nergebirge nach Süden erjtredt, doch nicht jo dürr und öde ijt wie der
um Rom, jondern fruchtbar erjcheint, indem ſich Wiejen, Felder, Gärten
und Wälder bis vor die Thore Paleſtrina's erſtreckten. Kurz vor dieſem
betrat ich wieder altrömiiches Pflaſter, das jtrecdkenweije neben dem im
Bau begriffenen Neuen hinläuft. Als am Sonntage war die Straße von
der Stadt herab mit Spazierenden zu Paaren, Hleineren und größeren
Gruppen beiderlei Gejchlecht8 beſetzt. Im Innern gleichen die Gaſſen
mehr oder weniger ſteil anlaufenden Stiegen, auf welchen ein Verkehr mit
Wagen kaum denkbar. Ich hatte mir Paleſtrina anders in der Lage und
ſchöner vorgeſtellt. Es iſt eines der größeren Städtchen der Gegend, dehnt
ſich den hohen Gebirgsabhang hinan, mit der Front der Ebene zugewendet.
Am Gebirgszuge weiter wandernd gelangte ich nach einigen Stunden auf
eine Hochebene von überaus erfriſchendem Anſehen durch ihre grünen
Weideplätze, Aecker und das ſie umſäumende Strauchwerk. An den Ab—
hängen weideten Heerden, ihre Hirten blieſen gar liebliche Melodien, die
mir wahrhaft zu Gemüthe gingen. . . . Ich Fam hierauf nach dem Flecken
Capranica mit einer ſchönen gothiſchen Kirche, raſtete bei einer Foglietta
Wein und ſtieg dann wieder abwärts... . . berührte das ziemlich freundliche
Genejano und das noch freundlicher gelegene, von Weingärten, Delpflan-
zungen und jchattigen Alleen umzogene Dlevano. Das anziehende der Lage
und Umgebung machten diefe Ortichaft auch zu einem Lieblingsaufenthalte
für deutjche Künſtler, und ich ging nicht fehl in der Vermuthung, mehrere
bier zu finden. Auf eine diesbezügliche Anfrage nad) dem außerhalb, auf
einer Anhöhe gelegenen, weißgetünchten, mit der Aufjchrift „Hotel“ ver:
jehenen Gebäude gewiejen, fand ich richtig eine ganze Anſiedlung jolcher:
Die beiden ausgezeichneten Landſchaftsmaler Villers und Hottenrott, den
Bildhauer Haſſenpflug — Sohn des heifiichen Minifters, — die beiden
Brüder Meg aus Frankfurt, der eine Landichafter, der andere Architeft;
den Landichafter Schlegel, einen niederländiichen und einen italienischen
Maler — dieje hatten das ganze Hotel in Bejig genommen. Es war juft
Mittag, als ich den Hügel hinanftieg "und das Locale betrat. Villers lag ge-
müthlich in einem altväter’fchen Lehnſtuhl; neben ihm jaß Hafjenpflug, der eben
“ die Küche mit der dien Köchin ſtizzirte. Bald kam Hottenrott herein, mich
freundlichjt zu begrüßen und fich nach den Freunden in Rom zu erkundigen.
Nicht Lange, und wir jagen jammt und fonders um den Meahlzeitstifch,
geniegend und plaudernd, bis wieder tabula rasa entſtand, die Gejellichaft
ſich zerftreute, Einige jich mit dent Boccia (Kugeljpiel) zu unterhalten, die
Anderen um Siejta zu balten, ih meinen Rückweg anzutreten. Hottenrott
— 201 —
begleitete mich und zeigte mir, wie ich am Kürzejten nach Civitella fomme,
welches „Paeſe“ neuerdings auf einer erjtaunlichen Höhe lag.
Eine lange Strede ging’s noch bergan, bevor der Weg gemäcdhlicher
und durch einen Kaſtanienwald führend Fühler wurde. Leider nur kurz,
denn bald wurde es wieder fahl bis zu dieſem Felſenneſte. Wie maleriſch
ſchön dieje Bergjtädtchen von Weiten ausjehen, jo widerlid unangenehm
zeigen jte fich im der Nähe. Schon von dem, das jegt vor mir lag, be—
währte jich’s. Leute jedweden Alters waren unter Aufficht eines Geiſtlichen
mit den Bau einer Straße beichäftigt, wozu das Matertal, Steine, Erde ıc.,
wie es jtets in Italien Brauch ift, auf den Köpfen herbeigetragen wird,
Raum diefen Leuten zu Gefichte gefommen, erhob jung wie Alt ein Gefchrei
in allen Tonarten: Pitto! Pittol Mezzo Bajochio! Pitto date me un
Bajochio, un Bajochio! Pitto! Pitto! Berdrießlich zwar über den Heiden-
lärm warf ic) ihnen etwas Münze zu, ohne aber dadurch erlöft worden zu
jein von noch fortgejegtem Nachrufen auf Diftanz; ja jelbjt durch die Ort-
Ihaft hatte ich den Anruf zu bejtehen, blos mit der Variante, day ich hier
als — celebre Pittore — weil alle Duchfommenden für Maler gehalten
werden — angebettelt wurde. . . . . An Rocca di San Stefana und
Subiaco vorbei, verjchiedenen Abirrungen im Wege verfallen, gelangte ich
nächiten Tuges guten Muthes wieder in mein Standquartier.“
Des Weiteren folgt nun im Tagebuche eine höchjt interefjante, vom
6. September datirte Bejuchsepijode: „Heute befuchte ich den Bildhauer
Ahtermann — zu Minjter geboren — deſſen Mittheilung über die
Art, wie er Künjtler wurde, überaus ermuthigend auf mich eimwirkte,
Treuherzigſter Weije erzählte er: „Achtundzwanzig jahre war ıd) alt, war
Landmann und ging hinter dem Pfluge her, wurde dann Zijchler, und
vermochte exit in. meinem 32. Jahre nad) einigen Erſparniß und durch
Kunſtfreunde unterjtügt, dem inneren Triebe folgend, die Berliner Kunſt—
afademie bejuchen, wo ſich der geniale Chrijtian Rauch ganz bejonders
meiner annahm, mir jpäter, auf Grund meiner Leijtungen auch zur Reiſe
nad Italien verhalf. Allerdings fam ich vorläufig nur bis Carrara, wo
fich indes Gelegenheit fand, eine Marmorfigur auszuführen, mit deren
Erlös die Weiterreife — nad) Nom — angetreten werden fonnte. Wie
leicht und forglos ich die Reife in die Hauptitadt der katholiſchen Welt
angetreten, harrten meiner doch die bitterjten Enttäuſchungen: Einzig nur
dem Studium, der Vervolllommmung obliegend, gejchah diejes unter größter
Entbehrung, lange Zeit bei Waſſer und Brod — ſchmerzlich bewegt jeßte
er hinzu — als ic) leßteres nicht mehr aufbradhte, bios von Wafjer. Das
dauerte drei Tage, danıı befam ich von einem Bekannten, 3 Bajocco geborgt,
— 202 —
die mir wie eine Himmelsgabe erjchienen, für die ſogleich Brod gekauft
wurde, das an der Fontana ZTrevi in friihes Waſſer getaucht, meine
nächſte Mahlzeit abgab,“ — fortjegend erzählte er: „Auch nahe daran Schulden
halber eingejperrt zu werden, ſchickte mir der Himmel ebenfalls vechtzeitige
Hilfe durch einen Kunſtfreund, der ſich herbeiließ, meine inzwijchen ange-
fertigten Meodells zu betrachten, und darauf hin eine Ausführung in Mar:
mor bejtellte. Yon da ab traten Kummer und Sorge in den Hintergrund
und leuchtete mir die Sonne der Gunſt.“ — Sich entjchuldigend, ging
Achtermann hiernach in den rüchwärtigen Theil des Atelier’s, einen jchon
vorbereiteten Gypsgus perfect zu machen, wodurd ich Zeit gewann, feine
theils vollendeten, theils in Ausführung begriffenen Werfe näher zu
betrachten... . . Da jtand nun diejelbe überlebensgroße Gruppe — Maria
mit dem vom Kreuze abgenommenen Heilande am Schoß — die mir bein
früheren Bejuche des Ateliers wenig, zujagend erjchien, ergreifender Wir-
kung vor mir; alles daran war formvollendet und wunderbar durchgeiftigt.
Woher dieje veränderte Auſchauung mich unwillkürlich fragend, gab der
eben wieder herbeigefommene Meifter, als hätte er meine Gedanken errathen,
die mein Gewiljen beruhigende Antwort: „was Sie früher jahen, ift nicht
mehr dasjelbe, was jegt vor Ihnen fteht. Die Gruppe erlitt feither eine
totale Umarbeitung." .. . . Noch im Ausführung begriffen war eine zweite,
gleich großartig erfaßte Conception — die Kreuzabnahme darjtellend. Mit
nur Fünf Figuren wußte der an claſſiſchen Vorbildern herangereifte
Künſtler das ganze tieftragische Thema zu erfchöpfen! Maria, ſchon am
weiteſten durchgeführt, bildet auch hier im fchmerzvollften Hinlangen nad)
dem Leichnam des Sohnes das Centrum. Die Wirfung des Ganzen tjt we-
jentlih) erhöht durch die Behandlung als Hochrelief, womit es gelungen,
die Hauptfiguren ebenjo mittels breiter Lichtmaſſen, wie tiefer Schatten
von den flächer gehaltenen Nebenfiguren abzuheben. Das Werk iſt auf
den Betrag von 16.000 The. für den Dom zu Münjter beitellt.
Nach Beendigung der Umſchau, bei welcher Achtermann noch allerlei
interejjante Auskünfte gab, wie diejes und jenes von den vorhandenen,
zahlreichen Modellen zu Stande gekommen und als Marmorwerk in die
Welt gegangen jei, waren wir in jenen „Studienwinkel“ zurücgefommen.
Sih in den ganz primitiven Lehnſtuhl niederlajjend mich zum Segen
anffordernd, gab es dann noch ein äußerſt animirtes Gejprächsgeplänfel —
wie ich's nennen möchte. Wie muthvoll im erjten Anlaufe unterlag ich
doch: vielleicht vichtiger, ergab ich mich. Denn wahrhaft feſſelnd legte er
die Grundiäge dar, nach welchen der Künftler als ſolcher ſchaffen und
wirken müſſe; md es Hang das Alles jo lauter, berzinnig und erwär-
mend, daß ich trog mehrfach empfundener moraliicher adeljtiche mich
gehoben fühlte. Am wirkſamſten griff er mit der in zartefter Form ausge-
ſprochenen Mahnung ein: nicht wie mehrere vor mir dagewejene Lands—
leute „frommthuende Speculation” treiben zu follen. Ich erſchrak völlig
ob der Bejtätigung dejjen aus dem Munde diejes ehrlichen Kunjtrichters,
was vordem ſchon hie und da als Anklage vernehmbar wurde, und merfbar
machte, wie bedeutend inzwijchen der von Kadlik und Führich für die
Prager Künjtler erworbene Eredit gejchmälert worden je." . . .
Nach Eintragung unmwejentlicher, blos TFamilienangelegenheiten be-
treffender Notizen vom 19. Sept. und 16. October, iſt im Zagebuche eine
Lücke gelajien bis zum 1. Mai 1852. Unter diefem Datum hebt Melzer
wieder an: „Eine geraume Zeit ijt hingegangen, jeit ich aufhörte hier ein-
zutvagen. Seitdem hat ſich vieles in und mit mir geändert: mein Lebens-
zujtand ift ein geruhigterer, mein Sinnen und Trachten ein geflärteres
geworden. Dieſe Berändernng bewirkte aber nicht allein mein ernjter
Ville, Jondern guten Theils äußere Einflüffe. Diefem Zuſammenwirken
rejultirte, da ich mir Achtung als Menſch, Anerkennung als Künſtler
erwarb, mich friih an Geift wie am Körper fühle"... . Motivirt
ericheint dieſe Selbjttröftung durch das Nachjolgende. —
„Mitte vorigen Monats beendete ich eine Arbeit — die erite,
vollfommen ausgeführte in Nom, und fandte fie am 22. derjelben
in die Kunftausftellung nad Prag. Es ift das die ſozuſagen veformirte
Figur des Dichters Lommicky (3 Fuß hoc). — Von einer Anzahl
hieſiger Künftler, welche die Figur ſahen, günftiger beurtheilt als ich er-
wartete, hoffe ich mm auch bei meinen Landsleuten freundliche Aufnahme
für fie zu finden; hoffe dazu freilich noh auf den Verkauf derjelben,
damit ich freie Hand gewinne für fröhliches Weiterarbeiten.“. . . -
Aeußerſt charakteriftiich it der angeſchloſſene Nechenjchaftsbericht:
„Lange, lange Zeit hatte ich daran zu thun; wohl dreimal hätte ich während
dejjen fertig werden können. Aber was ich den einen Tag vollbrachte,
wurde den anderen vernichtet, umgeändert und verbefjert und nächjt ſchon
wieder anders gemacht. Nun damit zu Ende, bin ich deſſen auch herzlich
froh. Denn ich habe dabei etwas ordentliches gelernt; das eigene Ermejjen
wurde duch jortwährende Anſchauung gediegener Kunftwerfe, jo wie durch
Beurtheilung maßgebender Künſtler geläutert und richtig geftellt. Mit der
erlangten Fertigkeit im Technifchen gewann aljo auch der Geiſt an
Schärfe für Auffaſſung, und veredelte jich der. Geichmad. Dieſer Gewinn
joll meiner nächſten Ausführung, dem Gegenjtücde zu Lomnicky, der Dichter:
mad „Eva Lobkowitz“ zu jtatten kommen. Bereits habe ic) fie aus dem
ae SSR 4 ESG
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— 204 —
„Groben“ herausmodellirt, um morgen — den 21. — die Detaillirung
beginnen zu fünnen. . . . Der gute Meijter Max, als ex mir nad) langem
Harren schrieb, legte zugleich die gewunjchene Pauſe des Lommicky:
Portraits bei. Gewiß wird er meine neuerlich an ihn gerichtete Bitte
um das Bilduiß der Lobfowig vdenmac gewähren. Auch an Herrn
Kreiscommiffär Klar jchrieb ich wieder, um die Vorwürfe zu entkräften,
die er mir im jeiner Antwort auf meinem erſten Bericht hin machte, be—
jonders darüber, ihm nicht jogleich angezeigt zu haben, wie meine Lage
bejchaffen jei, wodurd er jie günftiger gejtalten könne. Du lieber Gott,
ih glaube das war jchon in jenem Berichte deutlich genug zwilchen den
Zeilen zu lejen. Das NRechtfertigungsjichreiben dürfte nun zugleich mit
der Lomnickyſtatue in Prag eingetroffen fein und dadurch entiprechenden
Nahdrud gewonnen haben... . .. An Ruben jchrieb ich ebenfalls.
Anlaß dazu gab die Bejorgnig, daß die Statue möglicherweije erſt nach
Eröffnung der Kunftausjtellung eintreffen fünne, Für welchen Fall ich
„. . . Nicht gering überrafchte mich diefer Tage aud) die Wahrnehmung,
daß bereit die mir gewährte zweijährige Stipendienfrijt abgelaufen jet.
Ich beeilte mich deshalb mittels einen Geſuches an die Statthalterei Für
Böhmen eine Frifterftredung für's dritte Jahr zu erwirfen mit Berufung
auf die gleiche, den früheren Penjionären gewährte Gunjt." Einer ſpäteren
Eintragung — ohne Datum — iſt zu entnehmen, daß ihn Hr. Kreis:
commiſſär Klar mittlerweile aufforderte, „behufs der Stipendienverlängerung
die ufuellen Zeugniffe über die bisherige Verwendung, von namhaften
römiſchen Künſtlern ausgeftellt," einjenden zu jollen. Mit Bezug darauf
heißt es im Tagebuch weiter: „Aljo gleich erjuchte ich Hijtortenmaler Flag
und Bildhauer Steinhäufer, zwei der erjten hiejigen Kiünftler, um
jolhe Zeuguiffe, die ohneweiters ausgejtellt, hoffentlich dort gleicherweife
befriedigen werden, wie jte mid) hier befriedigten. Sie gingen mit einem
Schreiben an Meijter Mar ab. *
In Fortjegung verzeichnete Melzer folgende höchſt charakteriſtiſche
Schilderung jeiner Lage während der abgelaufenen Nothzeit. „Ich hatte
Lomnicky zu modelliven begonnen, und Herrn Flag erjucht, mich gelegen:
heitlich bejuchen zu wollen. Er fam bald. Eintretend — wie es nicht anders
ging, in das Gemach, in welchem ich umgeben von einem über alle
Maßen bejcheidenen Mobilar, bejtehend aus einigen Stühlen, einem elenden
Tiſche, einer Rohrbanf und einem Koffer, meine Häuslichkeit aufgejchlagen
hatte, wo ich diefer Zeit (December) der herrſchenden Kälte wegen
äugleich modellirte, indem jich Hier durch einen kleinen Blechofen eine
TRERPRERITT"
— 205 —
erträgliche Temperatur erzielen lieh, im Studio dagegen fein Wärmejpender
anzubringen war — aljo eintretend in dieje jeltfame Wirthichaft, überflog
feine gewöhnlich ernjten Züge ein humorvolles Lächeln. Indeß ſchweigſam
vorgehend zum Boſſirſtuhle, Scharf mujternd den jchon im hauptjächlichen
durchmodellirten Lomnicky, erfuhr ich alsbald eine Kritik, wie jie treffender,
aber auch ermuthigender kaum gegeben werden Fonnte. Hierauf die
Treppen ins Studio mit mir hinabjcdreitend, waren es hier namentlic)
die in Modellen und Skizzen vorhandenen Frauengejtalten, die jeinen
Beifall gewannen, ob welchen er mir auch das Compliment machte:
„Sie haben für die Formen des zarten Gejchlechtes eine bejonders feine
Fühlung.”. . Unerwartet fnüpfte Flag jedody an jeine Wohlmeinung
ein Examen, das wich in die größte Verlegenheit verjegte und zwar zu:
vörderjt mit der Frage: „wo wohnen Sie denn eigentlich?" weil ſich
aber feine andere Antwort geben ließ als: Hier. Diejes Hier übte
nur Conſequenz durch die Nachforihung: „wo haben Sie denn Ihre
Sclafitelle?" Schwer wurde mir’s, aber es war nicht in Abrede zu
jtellen, daß die Rohrbank für's Nachtlager herhalten müſſe. „Aber
Sie haben ja weder Matrage noch) Dede!" Allerdings nicht, war meinte
befangene Erwiderung. Er blidte mid) längere Zeit an und jprach dann
mir die Hand entgegenreichend: „sch habe alle Achtung vor Ihnen! Sie
(eben jo jtreng, ja jtrenger denn ein Ordensbruder.“ Wahrhaft innig mir
die Hand dridend, empfahl er jih. —
Zwei Tage ſpäter Fopfte jemand an. — Flag war es! „Werzeihen
Sie," begann er, „ich fomme heute in einer bejonderen Abjicht zu Ihnen.
Habe vorgejtern wahrgenommen, in welchen gebrüdten Verhältniſſen Sie
leben, bei alledem fleißig arbeiten und jo alles jtrebjamer Künſtler fein
ordentliches Lager, nicht einmal ein Bett bejigen. Auch brennen Sie —“
anf das Reiſig beim Ofen deutend — „ſolch Holz, was feine Wärme gibt
— ic) fenne jolche Heizung! Bei diefer im Falten, naſſen Thon Tag über
arbeiten, dazu auf Schlechter Schlafjtelle die Nächte verbringen, kann nicht
anders als gejundheitszerjtörend wirfen — was Sie ja leer jchon
erfuhren. Mit ihrer Verköſtigung jteht es, wie ich Grumd zu glauben
habe, nicht zuträglicher. Aus alledem, entfchuldigen Sie, bleibt zu jchließen,
daß Ihnen die Mittel abgehen, beſſer und gefünder leben zu können.
Ueberzeugt von Ihrer Berufstüchtigkeit, aber auch vom Abgange ver
Mittel um vollkräftig wirken und jchaffen zu können, komme ich.“. . . --
Ahnend was er num vorbringen wolle, fiel ich ihm ins Wort, verjichernd
mich jegt Gott jei Danf recht wohl zu fühlen; die Kälte anbelangend, jei
ja doc die ſchlimmſte Jahreszeit im Abzuge, und das harte Lager, ſchon
as Gr eg x — = - „ r —i Br er . pn . r age TTS
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— 206 —
jahrlang daran gewöhnt, übe kaum mehr nachtheiligen Einfluß. Solcher
Weiſe ausweichend, der Meinung ihn dadurd von jeinen Thena abgelenkt
zu haben, hatte ich mich dennoch verrechnet. Denn Flag wußte gemüth:
volljter Beredjfamfeit jo viele mit erlebte, gleichartige Fälle entgegen zu
jtellen, die mich nahezu widerjtandslos machten bis zu dem Momente, in
welchem er den eigentlichen Kern jeiner Abjtcht bloslegte. — „ES wird
Ihnen bekannt fein" — Hub er janften Tones an — „daß Maler
Küchler dor Kurzem in den Franzisfanerorden eintrat; da er als Kloſter—
bruder Fein Vermögen bejigen darf, darum all’ jein Hab und Gut vor
der Einkleidung verjchenfte, betraute er mid) zuvor noch, fein aus dem
Verfaufe einiger Arbeiten erzieltes Baarvermögen, jein hinterlajjenes
Mobilar, jowie die übrigen unveräußerten Gegenjtände, nad) memem Gut—
dünken an Bedürftige zu vertheilen. — Wohl habe ich ſchon iiber mehreres
verfügt, aber was noch übrig” . .. Außer Stande mich zurückzuhalten,
legte ich num auch fieberhaft erregt Verwahrung ein gegen das offenbar
beabjichtigte mir Zumenden des Reſtes jener Verlaſſenſchaft. Der Künſtler—
jtolz war eimmal wachgerufen und verhielt mich trog feines freundlichen
Dränges zum Ablehnen des mir Zugedachten. . . . Allem Anjcheine nad)
verließ er mich gefränft, dürfte aber beim Hand aufs Herz legen, mir
dody bald wieder verziehen haben — wie ich jpäter auch erfahren fonnte.
Denn aufmerkſam gemacht auf die in Nom beftehende dentiche Künſtlercaſſa
wendete ich mich an Flag als Ausjchugmitglied — und erhielt ſogleich
den momentan nöthigen Vorſchuß.“
In den nachfolgenden Notizen iſt zwar die Urſache verſchwiegen,
das verzeichnete Faetum „Seit Anfang des Jahres bewohne id) ein anderes
Duarttier, welches zugleich mein Studio iſt,“ Führt indes von jelbit auf
dieje zurüd, nämlich auf den „kritiſchen“ Bejuch von Flag — wie M. die
obig bejchriebene Scene nannte. Des Weiteren jagt ev aus: „ic wohne
jest am Monte PBincio, in der Via della Purifteatione, aljo mitten
unter Dentjchen, das heißt ringsum wohnen Landsleute und haben dieje
bier faſt alle ihre Werfftätten, jo in diefer Gaſſe, der de Capueini, Felice,
Gregoriana, Guatro, Fontana, Iſidore, einjchlieglich von Piazza Barbarini
als dem Centrum dieſer Straßenzüge" ... Mit Vergnügen gehe ich
hiev an die Arbeit, fühle daber das Wohlthätige gefunden Wohnens und
einer bisher entbehrten bequemen Lagerjtätte te mi
die Quartiergeber beigeftellt wurde" . .
Weniger zuridhaltend it M. nun auch im Tagebuche wie vordem
Flatz gegenüber, wenn ev des Weiteren jchreibt: „Jetzt, da ich geſund bin,
jene drüdende Seit hinter mir babe, kann ich freier darüber denfen, ob
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Ws
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und wie viel ich ſelbſt Schuld war, daß mich ſolch Ungemach überfam.
Allen voran ging freilich das Unzulänglihe der Mittel überhaupt, als
Verſchlimmerung deſſen das jelten vechtzeitige Eintreffen der von zu Haufe
erwarteten Beihilfe. Mei Leben wurde dadurd) jo unordentlich, daß ich
bald zu wenig fürs körperliche Wohl thun fonnte, und wenn dadurd)
herabgefommen, der jpätere Mehrgenuß gleich ſchädlich wirkte... . Wie
mit dem Menschen, jtand es dabei mit dem Kiünjtler. Entfräftet war ich
eben aud außer Stande, das durchzuführen, was ich mir vorgenommen
hatte. Große Pläne hegte, weitfichtige Zwede verfolgte ich — Ichuldig
bleibend aber das reale Gejtalten und Erreichen. . . . „Doch,“ ſich auf:
richtend, heißt es weiter: „wie viel jomit verloren ging und zu beklagen
bleibt, nuglos verſtrich dieſe Zeit nicht. Ich lernte während dem
mehr, ols ſich augenblicklich nachweisbar machen läßt, weil es mehr nad)
der Tiefe, anjtatt auf die Oberfläche überging. Aus diejer innerlichen
Vertiefung, das fühle ich, ging das nun klare Bewußtjein hervor, id) jei
Künjtler, memen Vorgängern in der Klarjtiftung ebenbürtiger Künſtler
geworden!" ...
In weiterer Ausführung des aufgegriffenen Themas, jchreibt er:
„Nicht mehr jo vereinfamt wie früher erweiterte ſich der Kreis meiner
Freunde und Bekannten, die guten Theils Mittag und Abends meine Ge—
jellichafter jind. Sie vertheilen fi” auf die „Katakomben“ — Tratorta
al Gabbione — wo ih Mittag halte, und auf die Abendzeit in der
Dfteria al tre Fachini, wo jtets eine große Anzahl deutjcher Künjtler
zufammen kommen, und zu künſtleriſch anregendem Geſpräche wie geift-
jchärfenden Debatten gruppiren”. . .
„Dierher kommen aud) die Zugvögel deutjcher Zungen, welche aus
verjchiedenen Richtungen fommend Rom auf einige Wochen bejuchen. Das
währt bis zu intritt der heißen Jahreszeit, in welcher ein Theil der
Geſellſchaft, befonders die Landjchaft- und Genremaler ſei es zum Studium,
jet es zur Erholung aufs Land — ins Albaner, Sabiner- oder aud)
Bolsfergebirge überjiedeln. Bereits jind wir an der Zeit, jchon beginnt
die drückende Schwille, die die bewegende Luft den Athmungsorganen läftig
zu werden.” . .
„Mod; ehe es dazu Fam, feierten die deutjchen Künſtler das welt-
befannte Gervarofeit. Bier Jahre lang war es der Beitereignijje wegen
unterblieben. Vieles änderte jich feither in den Verhältniſſen, wohl aud
in der Stimmung, dennoch fiel es gegen alle Erwartung günjtig aus." —
Die nächjtfolgende, vom 2. Juni datirte Notiz befagt: „Habe die nieder:
drücende Nachricht erhalten, daß mein Lomnicky zu jpät in Prag anfam
ed
und für die Ausjtellung wicht mehr berückſichtigt werden konnte. . . Das
wird mid) nun wieder in Noth bringen. — Hatte ich doch auf jicheren
Verkauf und damit auf eine nothwendige Beiſteuer zu den geringen. Pen—
jionsbetrage gerechnet." ...
23. Juni. „Diefer Tage. begann ich eine Skizze zur Pflichtarbeit für
die Kirche meines Geburtsortes — den auferjtandenen Heiland voritellend.
Es joll eine jchöne Figur werden, denn ich habe Freude an der Aufgabe...
Die Figur der Lobfowig fonnte ich noch immer nicht vollenden, weil
mir das von Mikowetz verjprochene Portrait bis dato nicht zufam” ...
Im Stillen befchleicht mich die Sorge, wieder in den alten Zuftand zurück—
geworfen zu werden. Schrieb, deshalb an den Grafen Franz Thun —
welcher endlich direct bejtätigte, dag die Lomnickyfigur erſt am Schlußtage
der Ausjtellung anfam — und erjuchte ihn um Beiftand von Seite der
„Geſellſchaft patriotiſcher Kunſtfreunde“. . Aus dem Thun-Briefe geht hervor,
daß die Kiſte noch auf der Hauptmauth liegt, mein erſtes in Rom voll—
endetes Werk, auf das ich die beſte Hoffnung ſetzte, alſo noch von Niemand
betrachtet und beachtet wurde!" ...
1. Inli. „Nachträglich fam mir der Gedanke, mich an Hru. Kreis:
commijjär Klar zu wenden, damit ex ji des Lommidy annehme und
jelben in jeinem Salon zur Befichtigung aufjtelle. Liegt es doch zugleich
in jeinem Intereſſe, diefem Werke des jüngjten Stiftlings „Anſehen“ zu
verschaffen" ...
19. Auguft. „Vom Bruder Ferdinand dafür angeregt, modellive ich
jegt eine Statuette der Kaiſerin Maria Therefia mit der Abjicht, fie im
Großen auszuführen. Ich habe diefe hohe Frau als jegenfpendende Mutter
der von ihr beherrjchten Kinder mit vorgejtredter Nechten, das Scepter,
von Eichenlaub umflochten, in der Linken haltend, dargejtellt" ...
— Aus einer umfangreihen Selbjtihau vom 14. October, die
ſich wohl auch eine Selbjtgeigeluug nennen ließe, da ſie ſchönungslos dem
„Julius“ vorwirft, wie vieles ihm noch immer abgehe, um das zu jein,
was er jein folle, hebe ich bloß die Hauptfäge hervor: „Wenige Monde
noch und ich trete in das dreißigſte Lebensjahr! ... Welch’ hohes Alter
bei jo wenig Erreihtem... Du Dreimalzehn, du jollit mir eine ernjte
Mahnıng fein, um feiten Schrittes dem gejtedten Ziele zuzueilen“ ...
— Offenbar ſich beim Worte haltend, werden von da ab die fchrift-
lichen Ergießungen jpärlicher und fürzer, zahlreicher und gediegener dafiir
die Fünftlerifchen Ausführungen. Die Schreibepauje iſt erſt wieder durch
die flüchtige, in der „Chriſtnacht 2 Uhr” eingetragene Notiz unterbrochen:
„Eben bin ich aus der Mette gekommen. In Santa Maria Maggiore Jah
209 —
ich wieder den throngetragenen Bapit, in San Coſimato e Domiano die
großartigen Mojaikbilder der Tribune beim Kerzenjchein, das alte trümmer—
reihe Forum bei Mondlicht. Weihnachten, ach das einjt auch für mich jo
finderjelige Weihnachten ift da — umd gewijjermagen doch nicht da für
den Bürgſteiner Julius.“
Etwas mehr Licht über die Situation verbreitet die anſchließende,
vom 1. Januar 1553 datirte Eintragung: „Ein neues Jahr begann und
gäbe Anlaß zu Betrachtungen, wozu mir jedoch, wie zum Schreiben, die
Luſt fehlt. Längere Zeit vernachläſſigte ich dieſe Blätter, und doch iſt Be—
deutſames genug vorgefallen, was die Mühe des Niederſchreibens verdient
hätte. Entſchuldigung für mich ſelbſt liegt nur darin, daß mir mittlerweile
viel zu thun oblag; daß ich mich emſig mit der Kunſt zu beſchäftigen
hatte . . . Ich greife darum einige Spannweiten zurück, und notire: die
Figur der Eva Lobkowitz iſt fertig modellirt und in Gyps abgeformt. Der
Abguß befand ſich bis 16. December unter den Händen des Punctirers;
nächſten Tages ſchon ging ich au die Ausführung in Marmor. Es war
das erjtemal, daß ich im dieſem fchönen Materiale arbeitete, deshalb mit
den technischen Schwierigkeiten in der Bearbeitung zu kämpfen hatte. —
Es war jedenfalls unflug, mich nicht jchon früher in Vorübungen ein—
zulafjen, um jicherer wie jegt vorgehen zu fünnen. Nun iſt's überwunden,
und das Urtheil hiefiger bedeutender Künstler konnte kaum günftiger und
ermuthigender jein, als es war. Ich darf mich, Gott dank, num für über:
zeugt halten, in Rom etwas gelernt, meinen Aufenthalt in diefer Kunjt-
metropole nugbringend angewendet zu haben. Man fpricht jest mit Achtung
von mir; ich fühle mich gehoben und angefpornt wie noch feinerzeit. Aber
es war auch nöthig, daß es endlich jo Fam, follte ich anders nicht der
Jämmerlichkeit verfallen"...
„Weitere Anjpornung übte ein Schreiben des Hrn. Kreiscommiſſärs
Klar. Im neuerbauten Militärhojpital zu Karlsbad wird auch eine Kapelle
eingerichtet. Anjtatt eines Altarbildes it hiefür eine Marmorgruppe mit
Chriſtus am Kreuze und zwei zu Seiten Intenden Engeln bejtimmt, deren
Ausführung mir zugedacht wurde. — Skizze und Koſtenüberſchlag gilt es
demnächſt einzujenden.
Nach der Andeutung Klar's wären bei entjprechenden Ueberſchlag
auch noc zwei andere Figuren — St. Franz Ser. ımd St. Joſeph —
in Ausfiht... Bin ich jo glücklich diefe Aufträge zu erhalten, dann wird
liebes Baterland der bisher unbekannte wohl bald auch dein gerngenannter
Sohn!... Mit wahrer Luft gebe ich an die einzufendenden Entwitrfe für
dieje Aufgaben“...
— 210 —
Diefer mit eben fo viel Idealität wie Feuereifer erfaßten Angelegenheit
entjpriht die vom 13. März 1853 datirte Notiz: „Am 27. Jänner
jandte ich die Zeichnungen für den Altar der Karlsbader Hoipitalscapelle;
vier Wochen fpäter jene fiir die beiden Außenfiguren an Herrn Kreis:
commiffär Klar. Bor ihrer Abjendung der Prüfung von maßgebenden
Künftlern, überdies noch der des k. k. djterr. Gejandten unterworfen, und
übereinjtimmend gutgeheißen, befürderte ich fie denn auch mit beiter Hoff:
nung." .... „Die Preije anbelangend, forderte ich für die Altargruppe
350 Scudi, für die anderen beiden Figuren 540, alfo in Summa 1390
Scudi. Die Berechnung ijt derart gewiſſenhaft gemacht, daß, wenn mir
der Auftrag zufommt, ein Ausfommen nur durch opfenwilligjten Fleiß zu
erzielen bleibt. Aber jo will ich's — wahrfcheinlih auch Hr. Rlar.. . -
Unter gleichem Datum findet fich notirt: „Mein Gejuch an die böhmischen
Stände um eine Subvention für längeren Studienaufenthalt in Jtalten,
ift, wie ich erfuhr, an Hrn. Klar geleitet worden, damit er auf von hier
einzuholende Urtheile iiber mich fein Gutachten abgebe. Alſo verjtändigt,
juchte ich dem nachzufommen durch Erhebung eines Leumundszeugnifjes
bei der öſterr. Gefandtichaft, wie durch Einladung namhafter Kunjtrichter.
Kühn genug, lud ic) den nach außenhin namhafteften — Dverbed — zu
mir ein. Und er fam, was an fich fchon eine Auszeichnung war, welche
diefer große Künſtler jelten einem kleineren erweift. Ueber die Lobfowig
äußerte er ſich jehr günftig, gratulicte mir namentlich, jo raſch der Mar-
mortechnif Herr geworden zu fein. Aller Aufmerkjamfeit mujterten ſeine
Blicke hierauf die vorhandenen Modelle und Skizzen, aus welchen er ganz
bejonders die Gruppe, den ungläubigen Thomas vor Chriſtus, als „glücklich
erfaßt“ bezeichnete. Das mir auf diefen Beſuch Hin ausgeftellte Zeugniß
war eine vollftändige Wiedergabe feiner Aeußerungen, und dürfte wohl
die Prager Herren befriedigen. — Gleich ehrenvoll lautete das Tejtimontum
des k. k. Geſandten.“ ...
Zu welchem Erfolge die unter dem 12. März geſchehene Einſendung
dieſer Zeugniſſe führte — darüber fehlen nähere Angaben. Unerklärlicher—
weiſe gingen nämlich 8 Seiten des Tagebuchs verloren, und findet ſich
auch in den mir zur Benützung anvertrauten Privatbriefen kein Erſatz dafür.
Noch bedauerlicher enden die Tagebuchnotirungen überhaupt mit
jenem vom 13. März 1853 — gerade zur Zeit des frohmüthigſten Auf—
ſchwunges und der geſpannteſten Erwartung auf durchgreifend künſtleriſche
Erfolge, die augenſcheinlich Melzer ſelbſt hegte, als er die Worte nieder—
ſchrieb: „Je länger ich hier in Rom lebe, je lieber wird mir meine Kunſt;
deſto klarer auch die mir obliegende Aufgabe.“
*
— 211 —
Beſonders bezeichnend für den nunmehr gehobenen Zuſtand, wie
für die ihn beſeelende Zuverſicht ſind die letzten Sätze des Tage—
buchs: „Ich ſchrieb dem Bruder Ferdinand jetzt ganz aufrichtig: Meine
Neigung zur ſchönen Nachbarin Rofina-reifte zum Entſchluſſe, fie
zur Lebensgefährtin zu erwählen. Doch erſt nach einem oder zwei
Jahren, bis ich guten Gewiſſens ihr eine geſicherte Zukunft bieten kann.“
— Sachliche Ergänzung fand ich blos nod) in zwei Schreiben von
der Hand des Hrn. Kreiscommijjärs Paul Alois Klar, adrejjirt an den
Bruder (Ferdinand) Melzers; das erjte vom 31. März 1855, mit der
Angabe: „Das Militärhofpital in Karlsbad anbelaugend, ijt die Aus:
führung jo gut wie jicher... bleibt auch ein angemefjener Vorſchuß darauf:
hin zu erwarten”... Das andere, unter dem 18. April an die gleiche
Adreſſe gerichtet, lautet: „Im Anſchluſſe folgen die Gejuchsbeilagen Ihres
Bruders Julius zurid, Vom Landesausſchuſſe erhält vderjelbe zwar
feine Unterjtügung, weil diefer für das Hospital 6000 Fl. jpendete, aber
er befömmt jiher die ſchöne Kapellenarbeit, woriiber Sie mit
Ihrem Bruder jubeln können”... Weitere Ergänzungen finden ſich in
einem unter den 9. Auguft begonnenen, doc erſt am 5. Sept. fertig
gejchriebenen Briefe Melzers an den vorgenannten Bruder: „... Die
Lobkowitz ijt vollendet, werde jie diefer Tage dem Grafen Thun an—
kündigen . . Der Chrijtus für Karlsbad ijt begonnen, dev Marmorblod
dazu Schön"... Der übrige Juhalt bereitet troß aller Selbftbejchwichtigung
doch jchon vor auf die nachjolgenden Schlußberichte. „Einen jchredlicd)
heißen Sommer“ — heißt es nämlih — „der mich krank und arbeits-
unfähig machte, hatte ich zu überleben“ ... Der hier in hohem Rufe jtehende
deutſche Arzt Mlerg erkannte auf Leberleiden und wollte mich durchaus
nah Karlsbad exrpediven: „In zwei Jahren, lieber Doctor, wenn ic)
mit dem jegigen Auftrage fertig bin, dann ja" — fiel ich ihm in's Wort.
„Seither curirte ex mich mit ven Toskaniſchen Wajjer „Aqua dell Tettreccio“,
hierauf mit A. dell Tamaricci und ich fam Gott lob, wieder auf die Beine.“
Ergreifend wirkt, wenn ev weiter fchreibt:
„Doch genug davon —
Entfliehet ihr Sorgen!
der fommende Morgen
bringt Freude den Traurigen mit ꝛc.“
„Du keunſt doch dies Lied, lieber Bruder, welches die felige Meutter zu
Defterem vor fih hinſang?! Ich ſinge es ihr jeßt gerne nach und laſſe
mich durch fein Mißgeſchick jo Leicht mehr anfechten" ...
=.
In grellem Widerſpruche dazu jtcht das von den Freunden und
Studiengenojjen Simon und Knüpel aus Nom, 23. October an Joſ.
Mar adrejjirte Schreiben... „Wir halten uns fir verpflichtet, mitzutheilen,
daß Julius Melzer ſeit 3 Monaten Fränflid, und daß feit den legten
Tagen eine bedenflihe Wendung eingetreten, nad Ausiprud des Arztes
wenig Hoffnung für ihn je"... Ein folgendes Schreiben von denjelben
Künstlern unterzeichnet an Mar vom 13. Nov. enthält die Verſtändigung:
„Am 10. November (1853) Abends 7 Uhr haben wir den dahin-
geihiedenen lieben Freund und wackeren Künjtler zum einfamen Fried-
hofe bei St. Lorenzo begleitet und für diesjeits Abjchied von ihm ge:
nommen. Wir werden nicht jäumen, jein Grab mit eigener Hand zu
ſchmücken, woran auch noch viele hiefige deutſche Künſtler ſich innigſter
Liebe für den zu frühe Abberufenen betheiligen werden.“
(Eine Gedenktafel ſchönſter Form wurde dem Grabe beigeſtellt.)
— Die namhafteſten Werke Melzers „Lomnicky von Budet“ kamen
1853, „Eva von Lobkowitz“ 1854 auf die Prager Ausſtellung und er—
warben ſich hier, wie auf der Ausſtellung des öſterreichiſchen Kunſt—
vereines in Wien, die Anerkennung von Werfen eines unſerer hoffnungs—
vollſten Künſtlers. — Letztere mittlerweile von Sr. Durchl. Fürſten
Ferdinand von Lobkowitz (um 300 Seudi) erworben und hierauf
im öſterreichiſchen Kunſtvereine zu Wien ausgeſtellt, erfreute ſich auch dort
der gleichen Anerkennung. Ueber den Verbleib der erſteren vermag ich
nur anzugeben, daß die Gypsmodelle beider bis dato ſich im Beſitze
der Schweſtern Melzers in Bürgſtein befinden. — Ein gleichfalls an ſie
gelangtes, ebenſo trefflich componirtes, wie meiſterlich durchgeführtes Hoch—
relief — die Begegnung Chriſti mit Maria Magdalena am Oſtermorgen
— widmeten dieſelben der Bürgſteiner Kirche als Erſatz für die unvollendet
gebliebene „Stiftlings-Pflichtaufgabe“. (Vergl. oben.)
— Die erſt zum Theil fertige Gruppe für die Karlsbader Militär—
hoſpitals-Kapelle — die M. als „Krönung feiner Studien in Rom” in
Angriff nahm — überging zu weiterer Ausführung an den Bildhauer
Wenz. Lewy, jenem Nachfolger im Genuſſe der Klarjtiftung.
Der größere Theil der fein Atelier zierenden Modelle und Thonffizzen
verblieb nach legtwilliger Anordnung in Rom, im Befise feiner dortigen
Freunde und Studiengenojjen. Alles leichter bewegliche Eigenthum, feine
Zeichnungen, Kupferjtiche, Münzen, Schriften ze. von Flag übernommen,
gelangten an — den oft genannten — „Bruder Ferdinand“, k. k. Landes:
gerichtsbeamten — 7 18...
Die Werke Melzers, in der Conception immer noch beeinflußt vom
Weſen jeines „geliebten Meijters”, Elärten fich über dem Studium der
Antike doch allmälig zur Originalität. In glücklicher Bereinigung der
von jenem erlernten Bejeelung des Materials wußte er von diefer zugleich
ven Schönen Rhythmus der Formen auf jeine Gebilde zu übertragen.
Alzufrühe unterbrochen im Schaffen und Streben, unterbrochen durch
beflagenswerthe Verhältnijfe, marfiren die wenigen Schaffenswerfe in Ber-
bindung mit jeinem Memoire dennoch einen bedeutenden, bleibender Er-
innerung wirdigen Künſtler.
Ein Johanneslied aus Deutſch-Böhmen.
Nach einer ſchriftlichen Aufzeichnung berichtet von E. W. Zenker.
Das Geſangsbuch eines alten Vorbeters auf Wallfahrten verſpricht
gemeimiglich Feine veiche Ausbeute an bislang verborgenen Runjtichägen.
Um jo angenehmer überrajfcht uns eim Fund wie der nachfolgende. Ein
ssohanneslied in Böhmen wäre nichts eritaunliches; jelbit die dialogiſche
Form, wo man offenbar nicht die Abjicht Hatte, ein dramatiſches Spiel
zu liefern, gäbe dem Stüde feinen Vorzug vor hundert anderen Flachheiten
ähnlicher Durchführung. Aber unjer Lied hat eine wirkliche, innere dra-
matiiche Steigerung und es hat eine gewiſſe metriiche Neinheit. Das
it viel von einem Liede, das in ein Xeder gebunden ift mit hundert
Walfahrtsfängen befaunter flacher und abgejchmacter Natur! Käme es
aus einer Zeit und Quelle mit .diefen, jo blieben uns dieſe Eigenjchaften
unerklärt. Wir müſſen es ficher in eine Seit zuriidverjegen, wo ſich
die Sangestraft im Volke noch in breiteren und reicheren Strömen ergoß,
worauf auch die Sprache weiſt, die, wenngleich ganz in unjerer Zeit doch
Nedewendungen aufwetit, welche im VBollsmunde jest ebenjo ungebräuchlid)
jind, wie jie jeiner Zeit gebräuchlich waren, 3. B.: „ein Sad) geht uns
nicht ein”, „ihr kommt theilen ein Gemüth von Zweifel blind", (eine rein
a SAU), „es bringt fein Plap" die „Miſſe“ ftatt
Meſſe ı.
— das Gedicht ſelbſt, deſſen Wortlaut ich nur dort —
wo offenbar orthographiſche und grammatiſche Sünden des letzten Schrei—
bers vorlagen.
Mittheilungen. 26. Jahrgang. 2. Heft. 15
-Rönig:
Ihr ſeid mein einz'ge3 Leben,
Johannes, fommt herbei!
Wir wollen euch erheben
Heil ihr ung allzeit treu.
Wir haben euch aufgenommen
An unjern Hof mit Freud,
Ihr könnt noch höher fommen
Wenn ihr gehorjam jeid.
Johannes:
Viel Gnad' hab ich genoſſen
Bon Eurer Majeftät,
Bu folgen bin entichlofien,
Was hr befehlen thät.
König:
Johann! Thut un? vernehmen:
Ein Sach geht uns nicht ein.
Von Herzen thut ung nehmen
Ein zentnerihweren Stein!
Johannes:
Wenn anders wir vermögen
Ein armer Prieſter hier,
Den Stein gleich zu bewegen
Und nehmen nach Gebühr!
König:
Ja, ja, ihr könnet theilen
Ein Gemüth von Zweifel blind;
Thut euch nur nicht verweilen
Und gebt Antwort geſchwind!
Johannes:
Erlaubet mir zu fragen,
Wir ſind jetzt grad allein!
König:
Johann, thut mir es ſagen
Es kann und muß auch ſein.
Macht euch nur fein Gewiſſen,
Sagt an es ift ganz leicht.
Mir müſſen heut noch willen
Was unjer Gemahl gebeicht ?
Johannes:
Ach Himmel hilf mir klagen!
Wie ſchwer iſt dieſe Frag!
214
König:
Nein, nein, thut es nur ſagen!
Es bringt euch gar kein Plag.
Johannes:
O König thut erwägen.
Der Beichte hohen Bund,
Wo Gott befiehlt zu legen
Den Finger auf den Mund.
König:
Wer fann euch was verbieten,
Wenn euch ein König fragt?
Der Finger darf nicht hüten
Was euch Johanna gejagt.
Auch Könige dürfen wiſſen,
Ihr Vrieſter nicht allein.
Die heilge Beicht und Miſſen
Darf nicht verſchwiegen ſein.
Johannes:
Wie gottlos dieſe Frage?
Wie ſündhaft dieſes Wort?
Die Straf, ſo drauf geſchlagen
Steht an der Hölle Pfort.
König:
Man wird euch nicht entlafjen,
Ihr müßt das Geheimniß jagen,
Sonſt wird man Zorn fallen,
Und euch weit ſchärfer plagen.
Johannes:
Die Hand thu' ich ausſtrecken,
Will Band und Eiſen tragen,
Eh’ euch die Beicht entdecken,
Und nur das mind'ſte jagen.
König:
Fohann, thu wohl bedenken
Die Zeit bringt oftens Ken.
Johannes:
Es wird mich gar nicht kränken;
Ja, ja, es bleibt dabei!
König:
Was gilts? ich will dich zwingen
Daß du bekenneſt bald,
— 215
Will Folterbant herbringen,
Did ftreden aus mit Gewalt!
Johannes:
Mit Gewalt kanuſt zwar ausſtrecken
Den Leib; den Mund nicht ganz (?)
Der dir foll heut entdeden
Johannes reine Beidht.
König:
Ich will dic, laſſen fchlagen
Und peitfchen bis aufs Blut!
Johannes:
Ich will doch nichts ſagen,
Wie weh' es mir auch thut.
König:
Mit Fackeln laß dich brennen
Und zwingen durch das Feuer!
Johannes:
Thu' dir doch nichts bekennen;
Es iſt verſchworen theuer.
König:
Zum letzten will ich fragen,
Weil Gnad vorhanden iſt.
Johannes:
Nein, nein, ich werd nichts ſagen!
König:
Zum Tod verdammt du biſt.
Johannes:
Mein Mund wird nicht verkaufen
Was mir verbietet Rom!
König:
Nun mußt du Waſſer ſaufen
In unſerm Moldauſtrom.
Johannes:
Wie gerne will ich gehen
Aus diefer eitlen Welt,
Den Martertod ausftehen
Weils dir mein Gott gefällt.
Den Tod haft jelbit gefunden
Den Schluß gemacht gar ichnell!
In Jeſu Hand und Wunden
Empfehl’ ic meine Seel! — Amen!
Sagen aus dem weftliden Böhmen.
Bon Franz Wilhelm.
6. Das Pferd am Hungerberge.
Am wejtlihen Ende der Stadt Buchau erhebt jich der „Hunger⸗
berg”, ein Baſaltkegel von mäßiger Höhe, der gegenwärtig eine Capelle
trägt. An der Stelle der Letteren befand ſich ehemals der Hungerthurm,
von dem der Hügel den Namen erhielt. Am ſüdweſtlichen Abhange diefes
Hügels iſt ein Loch, das gemeiniglich das „Zwergloch“ genannt wird,
obwohl man von Zwergen, welche bier gehaujt haben jollten, wie die
Bezeihnung vermuthen Liege, nichts zu erzählen weiß. Aus diefem Loche
fommt von Zeit zu Zeit ein großes weißes Pferd heraus und wartet bis
ihm Jemand Hafer reicht. Der Beherzte würde dann das Pferd mit
15*
— 216 —
nehmen und jein eigen nennen können. Bisher wagte es jedoch noch
Niemand, ſich den Schimmel zu holen.
. Die Sage vom Buchauer „Heiligen Geiſt“.)
1. Verſion.
As Buchau durch die Truppen König Georgs zerjtört worden war,
und die Stadt wieder nun an jener Stelle erjtand, wo jie heutzutage nod)
ji) ausbreitet, ward auch eine neue Kirche erbaut und mit den noth-
wendigen Bildern und Statuen verjehen. Gott Vater und Gott Sohn
hatten bereits ihre Pläge eingenommen, nur der Ort für den heiligen
Geiſt unter dem Dache des Predigjtuhles war noch leer. Da dieje Figur
bejonders ſchön ausfallen jollte, ward fie bei einem Künftler in der Haupt:
jtadt bejtellt, der einen Tag beſtimmte, bis zu welchem er die Gejtalt
fertig haben wollte. Zwei Männer aus dem Rathe erjchienen bei dem
Meijter, um den heiligen Geift in Empfang zu nehmen. Die Zeit war
aber zu kurz gewejen, um den Auftrag ausführen zu können. Um nun
noch einige Tage für die Tyertigjtellung der Figur zu gewinnen, half id)
unjer Meijter durch eine Liſt. Er gab den guten Buchauern in eine
geräumige Schachtel nebjt dem nöthigen Futter eine weiße Taube mit
dem Bemerfen, dieſelbe nicht früher zu öffnen, als bis ſie in die Kirche
gefommen wären. Zufrieden machten fi die Bürger auf den Heimweg;
allein die Neugierde ließ ſie nicht lange warten.
Es war gerade an jener Stelle, wo heute die Straße nad) Luditz
abzweigt, als Vater Kunz den Dedel der Schachtel lüftete. Die Taube,
erit nach einigen Tagen die Bläue des Himmels wieder einmal erblidend,
fuhr rajch aus der Schachtel heraus, ftieg hoc; empor und nahm dann
nicht eben die Richtung, die fie nach der Anficht der Buchauer hätte
nehmen jollen. Die erjchrodenen Begleiter aber jchrien aus Leibes—
fräften: „Deiliger Geiſt auf Buchau zu, Heiliger Geift auf Buchau zu!”
1) Wer hat nicht ſchon vom Buchauer „Heiligen Geift“ gehört? Vielen tft dieſes
geflügelte Wort befannt, ohne um deifen Herkunft zu wiſſen. Darum jeien
bier im Anhange zu den Sagen aus ber Umgebung von Buchau auc zwei
Verfionen über das Zuftandefommen diefer Sage mitgetheilt. Die erfte Ver—
ſion ift nach der Erzählung eines alten Buchauer Bürgers aufgezeichnet,
während die zweite in gebundener Rede und im Buchauer Dialect gefchriebene
Perfion anonym an den Herausgeber des „Deutihen Turnerliederbuches“,
Joſef Hofmann in Karlsbad, eingeſchickt worden it. .B.
a Te
— Nach einigen Tagen erichtenen zwei andere Narhsherren bei dem
Künjtler in der Hauptitadt und befamen einen „heiligen Geiſt“, der nicht
mehr davonflog.
2. Berlion.
Der heilih Geift vo Buchan war
Ganz hing'richt ſcho; dau geb'n fie 'n dar
Zan Reparirn in d' Hauptftod Prauch —
Da Miapner, der fährt nauch.
U wöi er firti g'weſen is,
Päckt ihn der Miaßner in ra Rift‘.
Am Hoimmeh fröigt er möida Boi
Un legt fih dar am Roi.
Durt ſchlauft ev a, — ſchnarcht wöi a Bär,
Dou fumma flotte Burihu ber.
Sie thoun dian heil’hen Geiſt an Schrein
Und geb’'n an Täub'rich 'nein,
U wöi der Mua afg'wachen is,
U! mädt er dau a olwers G'fries:
Der heilich' Geift oa z' frabeln fängt,
Wer hätt ſich denn des denft?
Dau mou i nandfäa, jagt er draf,
Un mächt' dian Kiſtendeckl af.
Huſch, huſch! dau flöigt dian olwern Mua
Der heilich' Geiſt davna.
Z' erſcht war der Miaßner ſteif u ſtar,
Afft ſchreit er, wöi a halwer Nar:
„Hbi! Heil'cher Geiſt, af Bucha zou,
Af Bucha, Bucha zou!“
Sagen über Friedland und Amgebung.
Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannwald.
Der Pferdemarkt und der Trauerjteg.
Die Regierungszeit Katharinas dauerte von 1600—1612. Daun
trat Melihors Sohn Chrijtoph von Rädern die Erbichaft jeines
Baters au und fuchte wieder gut zu machen, was jeine Mutter verjchuldet
hatte. Da er aber das Heer der Aufſtändiſchen unterjtügte, fo wurde er
nad der Schlaht am Weiten Berge bei Prag (1620) feiner Güter für
J
— BB
verlujtig erklärt und mußte mit feiner noch Tebenden Mutter das Land
verlafjen.
Zwiſchen dem Kupferberge und der Zafelfichte Tiegt in der Nähe von
Lusdorf ein unbewaldeter Wiefenplag, „VPferdemarkft” genannt. Hier
mitten im Iſergebirge joll der flüchtige Chriftoph von Rädern feine Pferde
verfauft und fich dann auf einem Waldwege gen Weißbach zu gewendet
haben. Bon da führt an einzelnen, verjtreut liegenden ärmlichen Häuschen
ein steiler, einfamer Weg über den Iſerkamm an die Landesgrenze; er
heißt der „Drauerſteg“. Auf demfelben follen Chriſtoph und Katharina,
begleitet von einem einzigen treuen Knechte, in die Verbannung und das
Elend gewandert fein. Bei dem Kreuze, wo man eine herrliche Weberjicht
über das unten liegende Land genießt, wurde der Sage nad) noch einmal
geraftet und dann die Flucht fortgeſetzt.
Die Pfarrlinden.
As Wallenjtein Herr von Friedland geworden war, mußte im der
Gegend wieder die Fatholiiche Religion eingeführt werden. Zunächjt wurden
alle Intherifchen Geiftlihen aus dem Herzogthume Friedland verwiejen.
Es war am 15. Mai 1624, als der glaubenseifrige Superintendent Mag.
Wolfgang Günther unter „großer Jammerklage“ jeiner Anhänger
die Stadt Friedland verließ; ihm ſchloß fich auch der Baftor von Kun—
nersdorf David Senftleben an.
Gegen 2000 Kirchkinder aus Friedland und Kunnersdorf begleiteten
unter Schluchzen und Weinen die geliebten Seelenhirten. Auf einer Höhe
bei Kunnersdorf hielt der Superintendent von dem Wagen herab eine
Abfchiedspredigt. Dann wurde Abfchied genommen und die Seelenhirten
gingen auf immer von dannen. Zur Erinnerung an den Abjchied fegten
die zuriicgebliebenen Anhänger an diefer Stelle eine Linde, welche allge:
mein die „Pfarrlinde“ hieß, und die wohl gegen hundert Jahre dort
gejtanden hat. Später wurde jie von boshafter Hand umgejägt. Heute
befinden ſich aber auf derfelben Stelle wieder drei Lindenbäumchen und
erinnern an die Wirren alter Beiten.
Die Pfaffenſteine.
Als noch Wallenjtein das Friedländer Schloß im Beige hatte, ge-
ſchah es nicht jelten, daß einige der vertriebenen Iutherifchen Prediger über
die Grenze kamen und den Bewohnern an entlegenen Plägen die Lehre
Luthers verfündeten. Man hieß folche Prediger „Bufchprediger”. In der
Nähe der Stadt Friedland, am Fahrmege nah Schönwald befinden
— —
ſich mehrere Steine, welche vom Volke die „Pfaffenſteine“ genannt
werden. Wie die Sage erzählt, ſollen bei denſelben ſolche heimliche Pre—
digten ſtattgefunden haben. Auch Chriſtoph von Rädern ſoll nach ſeiner
Flucht wiederholt ins Friedländiſche gekommen ſein. Im Jahre 1640 er—
ſchien er auf ſeinem Schloſſe, das kurz zuvor von den Schweden erobert
worden war. Als dieſe aber Böhmen verlaſſen mußten, war alle Hoff—
nung auf Wiedererlangung des verlorenen Beſitzes vernichtet. Er ging
wieder über die Grenze, und man weiß nicht, warn und wo er geſtorben tft. .
9. Der Todtenhain.
Wenn man von Friedland auf der „Hohen Straße” gegen Neuftadtl
wandert, jo geht man an einem herrlichen Walde vorüber, der ſich zur
Rechten gegen das obere Wittigthal hin ausbreitet; es ift der Glitzbuſch.
In demjelben erhebt fich ein anmuthiger Hügel, der größtentheils mit
Buchen bewachjen iſt. Er wird der „Hohe Hain” genannt. Am Fuße
desjelben liegt gegen die Lommig zu (im Vollsmunde Lunze genannt) ein
Waldplan, welher Todtenhain heißt.
Ueber den Urſprung diefes Namens werden mehrere Sagen erzählt:
Bor langer Zeit lebte in Lusdorf ein Mann, der jchon über hundert Fahre
alt war. Als einmal zwei Nachbarn bei Gericht einen Grenzſtreit auszu—
machen hatten, wurde der Alte als Gedenkmann vorgeladen. Er mußte
feine Ausſage beeiden und that dies mit den Worten: „Ich ſchwöre bei
Gott, daß es jo ift, wie ich gejagt habe. Wenn ich aber eine Lüge an-
gegeben habe, jo joll meine rechte Hand verdorren, und auf der Stelle
wo ich im Grabe liegen werde, foll nichts wachſen!“ Schon in der darauf:
folgenden Nacht fühlte der Greis, daß feine vechte Hand verdorrte. Damit
e3 Niemand erführe, jtürzte er jich in das Waſſer der Lomnig und machte
jo jeinem Leben ein Ende. Der Platz, auf welchem er begraben wurde,
blieb immer öde. Mean nannte denjelben, wie auch deſſen Umgebung den
ZTodtenhain.
Im Sriedländiichen hat zu wiederholten Malen auc die Bejt ge-
wiithet, jo im Jahre 1599, 1600, 1633, 1680. Einmal fielen ihr be-
jonders im Dorfe Schönwald viele Leute zum Opfer. Da traf man
die Einrichtung, daß alle jene, an denen ſich Zeichen der Annäherung der
furchtbaren Krankheit bemerken Liegen, jofort das Dorf verlajjen mußten.
Sie wurden nämlich mit Lebensmitteln auf drei Tage verjehen, tm den
- 9 -—
Glitzbuſch geſchafft, wo die meijten von ihnen bald jtarben und begraben
wurden. Nur eine alte, ledige Weibsperjon ſoll gejund wieder ins Dorf
gefommen jein. Der Platz, auf dem die Verjtorbenen begraben wurden,
ift der „Zodtenhain".
Die in Friedland an der Belt Gejtorbenen begrub man, wie er
zählt wird, auf den Friedhof beim Aingenhainer Kirchleit.
Mittheilungen der Gefdäftsleitung.
Nachtrag zum VBerzeichnif der Mitglieder.
Geſchloſſen am 26. Octeber 1887.
Ordentlide Mitglieder:
Herr Danzer Dttofar, MUDr. in Marienbad.
„ P. Reſtler Melichor Alexander, Pfarrer in Rojan,
» Sfalnik Karl, Hausbejiger in Marienbad.
Herr Dr. Alois von Brinz,
Hofrath und Univerfitärts-Brofejflor in Münden und Ehrenmitglied
des Vereines.
Geſtorben am 13. Sept. 1837.
Die P. T. Herren Mitglieder werden erſucht, alle für den Verein
beftimmten Werthjendungen, Geldbriefe wie Poftanweilungen zur Vermei-
dung von Irrungen an die Mdrefle des Herrn Dr. Guftav C. Raube,
f. k. Univerſitäts-Profeſſor und Gejhäftsleiter des Vereines, Prag, k. k.
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen.
>
8. Hofbuhoruderei A. Haafe, Drag. — Selbitverlag
Hittheilungen ıles Vereines
.
Öeschichle der Deutschen in Böhmen.
Redigirt von
dr. Judwig Schlesiugen.
Schsundzwanzigiter Jahrgang. Drittes Heft. 1887/8.
Simon von Tifdnow.
Ein Beitrag zur Geſchichte des böhmiſchen Wichfismus
von
Prof. Dr. 3. Loſerth.
Es war eine erhebliche Zahl nicht unbedeutender Talente, welche die
Fahne des böhmischen Wichfismus verließ und aus der einzelne, wie
Stanislaus von Znaim, Stephan Palecz, Andreas von Brod u. a., den
Wortführer der neuen Richtung Johannes Hus und feinen Anhang in
heftigfter Weife befämpften. Welche Umftände den Simon von Tiſchnow
bewogen haben, der wielif-huſitiſchen Bartei verhältwigmäßig jpät den Rücken—
zu fehren und jich der katholiſchen Seite wieder zuzumenden, ijt vorläufig
noch unbekannt. Daß er dies gethan, dariiber fanıı nach dem, was in
diefen Blättern (XXV. 338) iiber ihn bemerkt wurde, kaum ein Zweifel
jein. Sein Tractat gegen die vier Prager Artikel mußte ihn nothwendiger
Weiſe von feinen früheren Parteigenojjen jcheiden. Die Ausführungen,
welche er gegen den erjten Prager Artifel — die freie Verkündigung des
Wortes Gottes vorbringt, ftehen in grundjäglidem Widerjpruch zu dent,
was fein Freund und Parteigenojie Hus und er felbft die Jahre hindurch
gelehrt und verfochten. Der Kampf Wielifs und darnach aud) jener jeiner
Nachfolger in Böhmen gegen das beftchende Kirchenregiment hatte zum
großen Theile „die Freiheit der Predigt”, die „freie Verkündigung des
Wortes Gottes" — nicht Seitens des verweltlichten Clerus oder reich
- gewordener und in Ueppigkeit lebender Mönche, jondern durch foldye
16
— 2 —
Priejter, die im Geifte Chrifti und der Apoftel leben, zum Ziele. In dem
genannten Tractate finden wir aber jchon einen Tadel über die freie
Predigt — Tiſchnow nennt fie eine ungezügelte — ausgejprocdyen. Und
wie in bdiefem, fo weicht er nun auch in anderen Punkten von jeinen
früheren Lehren ab und wird Verfechter — allerdings ein milder — der
Grundfäge, die er einftens befämpft. Und jo erjchien er auch in den Augen
fpäterer Zeiten diefen aber fchon als der eifrige Gegner der Steger,
wie 3. B. Balbin von ihm nichts anderes zu jagen weiß, als: Simon von
Tiſſnow hat zu derjelben Zeit gelebt (nämlich wie Andreas von Brod und
Prokop von Pilfen) und die Keger in jcharfer Weiſe bekämpft.) Noch
vier Jahre, bevor er die oben erwähnte Abhantlung dem Czaslauer Land-
tage einjendet, finden wir ihn in einem lebhaften Streit mit dem Doleiner
Pfarrer Paul von Prag, der einjtens Secretär und Caplan des Erz
biſchofs Shinfo von Prag gewefen und dann auf Verlangen des Königs
Sigismund mit anderen Magiftern nach Ungarn ging, wofelbjt es jih um
die Errichtung einer Univerjität handelte. In diefem Streite, das iſt im
Jahre 1417, verfiht Simon noch die wiclif-hufitiichen Lehren und zwar
mit einem ungewöhnlichen Eifer und (wie es den Anjchein Hat) nicht ohne
Erfolg. Der Magifter Johannes Hus ift ihm fein Keger, fondern ein
hl. Märtyrer, deſſen Lehrmeinung über die Fatholifche Kirche die rechte
fei. Ueber diefen Streit liegen einige werthvolle Berichte vor, die aus
einer Handjchrift des landftändischen Archives in Brünn jtammen und von
denen bisher nur ein einziger (aus der Sammlung Anton Boczek's) be-
kannt war.?) Bevor wir diefelben mittheilen, beziehungsweije einer Erör—
terung unterziehen, jcheint cS doch nicht ohne Belang zu fein, die Angaben
über das Leben und die Wirkfamfeit des Simon von Tiſchnow, fo weit
jie dem Schreiber diefer Zeilen erreihbar waren, zufammenzuftellen. In
vielem dürften felbige mehr oder minder lückenhaft erjcheinen: viclleicht
gelingt es heimischen Forichern auch über das Geburts- oder Todesjahr
Simons und namentlich über die Urfachen feines (wie es ſcheint) jähen
Abfalls vom Hufitenthum genaueres beizubringen.
Ueber den Geburtsort Simons kann fein Zweifel fein; er wird
gewöhnlich Simon de Tifinow genannt; aber diefes Tiffnow iſt — ähnlich
wie Hus Huſſinetz — nur die abgefürzte Form für Tiſchnowitz. Daß jich die
1) Balbin, Bohemia docta II. 187: Simon de Tissnow eadem etate claruit et
haereticos acriter oppugnavit. Quendam librum eius continet biblioth. Treb.
Lit. Z. 2, alium H. 3. |
2) Documenta magistri Johannis Hus p. 363—365.
— 23 —
Sache jo verhält, darüber gibt die Prager Univerjitätsmatrifel genaue
Auskunft: Als Student, Baccalaureus und als Magifter heißt er anfänglich
Simon de Tuſſnowycz.) Vom Fahre 1404 angefangen wird gemöhnlich
die abgefürzte Form Tiſſnow gewählt; zum erjtenmal eben in diejem
Jahre.“) Nur ausnahmsweife wird er wieder einmal und zwar zum
Jahre 1411 als Simon de Tyfjnowig verzeichnet.) Es dürfte wohl bloß
als eine Auslajfjung des Schreibers anzufehen fein, daß er zu demjelben
fahre nur mit feinem Vornamen genannt wird.*) Häufiger tit dies in den
Spottliedern der Fall, die jener Zeit jtarf im Schwunge waren. So wird
in dem Banıphlet, welches unter dem Namen der Wiclififtenmejje befannt
ift,®) gejagt: Knyn, Simon... . sequitur.
Der Liber Generationis in der Wielifiſtenmeſſe nennt ihn Tiſſnow
allein ©) und fo auch eine aus dem Jahre 1418 ftammende „Invective“
gegen den König und die Vornehmen, jo auf Wiclifs Wegen wandeln :”)
Istis Tissnow — heißt es dort — sociabo.
Simon war aljo von Geburt ein Mährer; nach Mähren als feinem
Heimatslande weifen noch andere Spuren: jene Stiftung die zu jeinen
Sunjten in Meferitich (gemeint ift wohl Groß-Meſeritſch, nicht Wal.
Mejeritich) gemacht wurde, dann der Umſtand, daß er ſich zuerjt dahin
wendet, als er der Lehrthätigkeit in Prag entfagte, dann dag mährische
Studirende unter feiner Leitung die Eramina beftehen u. a. m.
Ueber fein Geburtsjahr läßt fich feine bejtimmte Angabe machen.
Im Allgemeinen fann man wohl fagen, daß er ein Altersgenojje von Hus
war; viel jünger dürfte er faum gewejen fein.) Seine Studien hat er
in Prag gemacht; dort hat er auch akademische Grade und Würden er:
langt und hat aud) daſelbſt längere Zeit als Lehrer gewirkt. Sein Examen
1) Monumenta hist. univ. Prag. I. pag. 371. Hier ift er jhon Magifter. Eodem
anno (1402)... .. existentibus magistris ..... Simone de Tussnowyez. Bunt
Eramen als Baccalaurus wird er 1395 zugelaffen. Much hier heißt er Simon
de Tuſſnowicz, ebenjo zum Jahre 1303 ib. pag. 375.
2) ib. pag 380. 418. 419. 422. 424. 426. 428. 430. 434. 437.
3) ib. 1. 417.
4) ib. 415.
5) Gedrudt in meinem Hus und Wiclif pag. 299 ff.
6) Zdenico genuit Tissnow, Tissnow genuit Koniprus.
7) Doc. mag. Hus pag. 693.
8) Hu3 wird 1393 (M. M. univ. Prag. I. 286), Simon 1395 Baccalaurud, das
ergäbe, fall3 beide im gleichen Alter zum Studium gelangten, einen Unter-
Ichied von 2 Fahren.
16*
24 -
als Baccalaureus hat er nah Pfingjten 1395 beftanden.!) In die theo—
logische Facultät wurde er im Jahre 1398 „einvegiftrint".*) Als Bac-
calaureus der bi. Theologie wird er mehrfacd genannt, jo 3. B., um nur
einen Fall herauszuheben, in jenem bekannten Anjchlage, in welchem er
fi — am 29. Juli 1410 — erxbietet, Wielif's Tractat De Probacionibus
Proposieionum wider jedermann zu vertheidigen.?) Am 17. März 1401
war er jchon Magijter. Als jolcher wird er nämlich in einer Urkunde
erwähnt, die ich vor einigen Jahren auf dem Schugblatt des Wiener
Eod. 1294 gefunden und in diefen Blättern (XXI. pag. 223) abgedrudt
babe. In diefer Urkunde jtiften der Pfarrer Nikolaus von Meferitich und
. Briceins, genannt Balaſch einen Altar in der St. Nitolausfirche zu Me-
jeritfjch und weijen die Bezüge von dem Dorfe Rohy für Simon von
Tiffnow an. Er wird dajelbjt Subdiafon und Magifter der freien Künſte
ud Kapellan der Stifter genannt. Zu feinen Verpflichtungen gehört, daß
er wöchentlich vier Meſſen zu leſen hat oder lejen läßt. Vom Fahre 1402
an finden wir ihm an der Univerjität als Lehrer und Examinator thätig;
als folder wird er zu den Jahren 1403, 1404 und 1405 erwähnt.*)
An dem Kampfe zwijchen den Deutjchen und Tſchechen im J. 1409
hat er gewiß einen lebhaften Antheil genommen. Es ift befannt, welchen
Ausgang der Stimmenjtreit — zu Gunften der Tſchechen — genommen,
und unter welchen eigenartigen Verhältniſſen Simon Decan der Artiften-
jacultät geworden iſt. Er jelbjt ſagt:“) Am 9. Mai des Jahres 1409
wurde ih Simon von Zifjnow, Magiſter der freien Fünfte, wegen des
Zwiſtes und der Streitigkeiten der vier Nationen an der Univerfität nnd
er Magifter an der philofophiichen Facultät, die fi) um die Decanswahl
jtreitend über die Perjon des Decans nicht einigen fonnten, vom Könige
1) M. M. univ. Prag. I. 303.
2) ib. II. 1. p. 48.
3) M. Simon de Tissnow, sacre theologie baccalaurus, proxima feria tercia
(29. Juli) ventura hora undecima, premittendo protestacionem fidelem, vult
defendere tractatum de probacionibus proposieionum M. Johannis Wiclif
contra condempnatores eiusdem et sustinebit quod nulla heresis nec
aliquis manifestus error in eodem continetur. Doc. mag. Joh. Hus p. 400.
4) Monumente hist. univ. Prag. I. pag. 375, 381, 385.
5
— —
ibid. I. 408. So heißt es auch in dem Chronicon Bohemiae Lipsiense: Post
hee fuit lecta quedam litera domini regis publice in curia collegii Karoli
in qua mandat dominus rex ut magistrum Zdeniconem de Labun recipiant
in rector&m et magistrum Simonem de Tissnow in decanum facultatis
artium; damit war das große Ereigniß, der (naher auch von Simon jo viel
bedauerte) Abzug der dentichen Profefforen und Studenten von Prag eingeleitet.
— 225 —
Wenzel als Decan präſentirt und von dem fgl. Rathe Nikolaus und den
Rathsherren der Prager Altjtadt. in den Beſitz eingeführt und von der
genannten Facultät angenommen.)
An den Streitigkeiten, die in diefem und dem nächjten Jahre über -
die weitere Ausbreitung des Wichfismus in Prag ausgefochten wurden und
die große bisher einige tſchechiſche Partei auseinander rißen, hatte
Simon einen lebhaften Antheil.?) Ich habe an anderer Stelle des näheren
ausgeführt, wie warm, oft leidenjchaftlih, Simon für die Lehre Wiclifs
eintrat und daß er gegen die Verurtheilung Wieclifſcher Schriften am
Ihärfiten vorgegangen iſt. Es kann unfere Anfgabe nicht fein, den ganzen
Berlauf des Kampfes, den Simon zu Gunsten einer einzelnen Wieclif'ſchen
Schrift geführt Hat — mit Argumenten aber, die für alle gelten — neuer:
dings darzuftellen. Im J. 1411 war Simon Rector der Prager Univerfität.
Während feines Rectorates einigten fich die Univerfität und der Erzbiſchof
Sbinko dahin, alle ihre Streitigkeiten in der Angelegenheit des Magiſters
Johannes Hus der Entjcheidung des Königs Wenzel und des fgl. Nathes
zu überlaffen.?) In deu folgenden Jahren ijt er als Eraminator und
Aſſeſſor, Dispensator librorum, Disputator und Colleetor an der Uni—
verjität thätig. *) Zulegt im Jahre 1417, in welchem er fchon als Pfarrer
von Tobitſchau in Mähren auftritt und als folcher nochmals einen Strauß
zu Gunjten der Lehre Wiclifs durcchficht, wie wir weiter unten des Näheren
darlegen werden. Vom fahre 1412—1417 jcheint er in Sachen des
Wichfismus wenig hervorgetreten zu fein; doch fungiert ex bei Lebzeiten
des Hus einigemal als Zeuge in deſſen Proceßſachen. Vielleicht iſt
dies Zurüctreten nur ein jcheinbares; dem Goncil galt er als Erzketzer,
und als folder wurde er auch vor den päpftlihen Stuhl citirt, ohne
daß er natürlich diefer Einladung Folge leistete.) ALS der König Wenzel
im Jahre 1413 einen allgemeinen Vergleich der ftreitenden Parteien in
1) Bergl. meinen Hus und Wichif pag. 107, 108.
2) Zdenko von Labun wurde gleichzeitig Rector der Univerfität. Sollte bierauf
vielleicht die Stelle Sdenico genuit Tissnow in der Wiclifiitenmefle Bezug
nehmen. Jh muß jagen, daß e3 nicht recht verftändlich ift, in wie weit Zdenko
mit Recht ald Lehrer des Simon bezeichnet wird.
3) Doc. de dato Prag. 3. Juli 1411. Doc. mag. Joh. Hus pag. 434.
4) M. M. univ. Prag. pag. 406, 408, 411, 415—419, 422, 423, 424, 126, 423,
430, 434, 437, 445.
5) Geichichtzich. der huj. Bewegung. II. 241: Item quod prineipales heresiarche
ac inductores illius secte ad curiam Romanam et sedem apostolicam venire
compellantur; et sunt hii Jessenicz Johannes, Jacobellus de Myza, Symon
de Tissnow. .
— 226 —
Böhmen zu Stande bringen wollte, rief er von den Parteigängern des
Hus auch den Simon von Tiſſnow zu der Berathung. Dieſelbe erreichte
ihren Zweck nicht, weil es ſchon über die principielle Frage, was man
unter der Kirche zu verſtehen habe, zu keiner Einigung kam. Dieſelbe
Frage war es, die einen heftigen Zuſammenſtoß zwiſchen ihm und dem
Doleiner Pfarrer Paul von Prag herbeiführte. Zuvor aber — denn er
dürfte ſich damals noch in Böhmen aufgehalten haben — forderte er den
Jacob von Mies zu einer Disputation über die Communion der Kinder
heraus. ') Die legtere jei jowohl nad ihrem Inhalt, als auch nach ihrer
Form irrig. Indem Jacob von Mies die Schriftjtellen fälſchlich anführe
und auslege, treibe er Mißbrauch mit der. Hl. Schrift. Simon erflärte
fich bereit, die Disputation vor der geſammten Univerfität abzuhalten und
gab fi) der Hoffnung hin, alle Streitigkeiten, die aus Anlaß des Abend-
mahls der Kinder in Böhmen entftanden waren, mit der Wurzel auszurotten.
Diefe Hoffnung ift nun bekanntlich nicht in Erfüllung gegangen.
Im Fahre 1417 war Simon Pfarrer von Tobitihau in Mähren.
Er iſt es höchſt wahrjcheiulich evjt in diefem Jahre geworden, denn exftlich
finden wir ihn anfänglich noch in Prag in amtlichen Angelegenheiten au
der Univerjität thätig und in Steitigfeiten mit anderen Hufiten verwidelt,
zweitens ijt es jehr wahrjcheinlih, daß Paul von Dolein, der fich wohl
als der echte und rechte Nachfolger des berühmten Stephan von Dolein,
des befannten Gegners Hufens und der Hufiten fühlen mochte, feinen
Streit mit Simon gleih im erjten Jahre führte, da er nicht wünſchen
fonnte, daß diejer berühmte oder berüchtigte Ketzer ihm die Seelen feiner
Gläubigen abtrünnig mache. Die wenigen Schriftftüde, die iiber diejen
Streit vorliegen, zeigen, dak Paul von Prag den Streit begann, indem
er an dem wiclfshufitifchen Lehrbegriff won der Kirche rütteltee Simon
von Zifjnow, in deſſen Bejig fich, wie jchon erwähnt wurde, jenes ſchöne
Eremplar von Wielif's Buch von der Kirche befand, weldes Nicolaus
Faulfiih im Fahre 1406 in England copirt und nach Böhmen gebracht
hatte, hatte ſich den Lehrbegriff Wiclif's von der Kirche vollflommen zu
eigen gemacht. Wichf war nämlid in feinem berühmten Zractate der
landläufigen Meinung entgegengetreten, als ob man unter der Kirche den
Papſt und die Cardinäle zu verftehen habe, denen alle gehorchen müfjen. *)
Haupt der Kirche, Iehrt er, ſei nicht der Papſt, jondern Ehriftus. Die
Kirche bejtehe aus der trinmphirenden im Himmel, der jchlafenden im
1) Doc. mag. Joh. Hus pag. 673.
2) Mitth. XXIV. pag. 382 Note.
— BT
Fegefeuer und der ftreitenden hienieden auf Erden. Es iſt fein Artikel
des Glaubens, daß man dem Papft gehorchen müſſe, um jelig zu werben.
Man kann ihn al8 Haupt eines Theiles der Kirche — der ftreitenden —
bezeichnen, aber * dies iſt er nur dann, wenn er (was man nicht
weiß, aber aus ſeiner Lebensweiſe und ſeinen Handlungen ungefähr er—
ſehen kann) praedeſtinirt, d. h. von Ewigkeit her zu Seligkeit beſtimmt
iſt und wenn er lehrt und thut, was ſchriftgemäß iſt. Man muß alſo
bei jedem Befehl des Papſtes fragen, ob das, was er anordnet, auch
ſchriftgemäß ſei. Man ſieht aus dieſem, welche Rolle die „Schrift“ bei
Wiclif ſpielt. Und das — ſagt er — iſt auch eine der Urſachen, weshalb
jeder Chriſt die Schrift kennen müſſe. Man ſieht daraus auch, daß Wielif
hier ſchon auf dem Boden ſteht, den mehr als ein Jahrhundert ſpäter Luther
einnahm. Dieſe Lehrmeinung des Wielif hat Hus bis auf den Buchſtaben
angenommen und Simon von Tiſſnow desgleichen.
Nun trat Paul von Prag auf und behauptete in einer Predigt, daß
man „in dieſen Tagen“ nicht ein jedes Wort des hl. Evangeliums zu glauben
und feſtzuhalten brauche (quod non omne sancti evangelii verbum est
in hiis diebus crelendum), jondern daß man fich nach den Beitläuften
richten müſſe (sed magis ad qualitatem temporum attendendum est).
Daun foll er weiter geäußert haben, daß Jeder, der einer Beſtimmung
des Papftes und der Cardinäle widerfpreche (qui contradicet cnicunque
eonstitutioni domini pape et suorum cardinalium), nicht anders zu be-
handeln jei, al3 wer dem Evangelium Chrijti widerjpreche.
Man Sieht, daß diefe Aeußerungen das Fundament des Wichfis-
mus berühren und Simon ſäumte nicht gegen viejelben Verwahrung
einzulegen. Indem er beide Ausſprüche als erjchredliche bezeichnet, zeigt
er in einem an Paul gerichteten Briefe, wie beide der Schrift, den
Ausjprüchen der Kirchenväter und den canonifchen Beitimmungen wider:
jprechen.
In feiner Antwort gibt Paul zunächft eine Definition des Kirchen—
begriffs, die natürlich jener des Hus (Wiclif) durchaus entgegegejeßt ijt, und
num erläutert Simon feine, beziehungsmweije die Definition Wichf’8 von der
Kirche, im Wefentlichen mit den Worten S. Auguftins und der Decretalen.
Derjenige, der Wiclifs Lehre kennt, wird in den Ausführungen Simons faum
irgend ein neues Moment herausfinden. Er jteht ganz auf dem Inhalte von
Hufens, richtiger Wiclif$ De Ecclesia. Hus ift ihm der Hl. Märtyrer,
dejjen Lehre die Wahrheit enthalte. In einem weiteren Schriftjtüce, welches
an den Generalvicar der Olmüter Kirche gerichtet ift, führt Simon Klage
m —
über Paul, der ihm als Keger nicht Nede und Antwort jtehen wolle und
die Leute abhalte mit ihm zu verkehren oder feiner Predigt beizumohnen
— und dies wegen der Härefien des Wiclif und Hus, deren Lehren die
Univerfität Prag gebilligt habe und aus denen er ſelbſt viel Gutes und
Nupbringendes gelernt habe. Paul habe fich nicht nur nicht gejcheut, dieje
beiden Männer, die nun vor Gottes Richterftuhl ftehen, zu verunglimpfen,
er greife auch ihre Anhänger an und daher bitte er (Simon) um Abhilfe.
Der Streit war damit nicht zu Ende; beide Theile wandten ſich an
die Prager Univerfität, wo fie ihren Zwiſt auszufämpfen verſprachen.)
Paulus erfchien jedoch nicht und mußte nun den Wunſch der Univerfität
itber ſich ergehen laſſen, daß er doch jeine thörichten Lippen gejchloffen
gehalten hätte.) Dem Simon von Tiſſnow dagegen wurde unter dem
6. September 1417 ein glänzendes Zeugniß ausgeftellt, daß er jich immer
vor Gott und den Menfchen als tapferer Athlet und ſolider Bertheidiger
der Wahrheit benommen habe. °)
Nach diefem Streite verichwindet Simon für einige Jahre aus un—
jerem Gelichtskreife, bis zu dem Momente, wo er die bereits früher mit-
getheilte Streitfchrift gegen die 4 Prager Artikel an den Landtag nad)
Czaslau jendet, die Wandlung in feinen Anfichten und Zehrmeinungen ſich
alſo jchon vollzogen hat. In den von katholiſcher Seite ausgegangenen Gafjen-
hanern und Spottliedern jener Zeit wird er zwar noch genannt. So in
einer Synvective, die aus dem Jahre 1418 ſtammt und in welcher er als
Erzfeger, Deutjchenfeind und Zerſtörer der Univerfität gefcholten wird ;
es iſt aber doc) fraglich, ob diefe Invective nicht aus einer früheren Zeit
ftammt. Wir kennen noch einige Arbeiten Simons, die wohl noch aus der
Zeit feiner Lehrthätigkeit in Prag herrühren. Daß er ein gewandter
Disputiver war, *) erjiceht man aus einzelnen Disputationen, die fich noch
erhalten haben. |
1) Concordi voto et animo ambo pariter sponte et libere coram presencia
nostra se statuere personaliter suasque sentencias in audiencia ipsorum
alterutro proponere promiserunt, velut super hoc nobilium dominorum de
marchionatu Moravie testimonium reverenter excepimus ad nos missum.
2) Qui utinam sua dementata labia cohibuisset et se talem exterius qualis
fuit interius, tacuisset, optassemus. ... |
3) Ideo ne cuiquam desuper prava surrepat opinio et ne de alterius eorum
puta venerabilis viri M. Simonis promptitudine et obediencia .... omnino
taceamus .... profitemur ... quod ipse.... . velut fortis athleta veri-
tatisque solidus defensor meruit obtinere.
4) ®ergl. auch M. M. univ. Prag. I. 428.: Simon de Tissnow electus et re-
electus est in quodlibetarium . . ...
De nd ce
ws
29 —
Eine Unterfuchung über die Vorzüglichkeit des neuen vor dem alten |
Geſetz und anderen Lehren ') findet jich in dem Cod. X. E. 24 der
Prager Univerjitätsbibliothef. Diefe Handjchrift jtammt zum großen
Theile aus dem Jahre 1412. In feiner Unterfuchung erörtert Simon
zunächit, was man unter einer Secte zu verjtehen habe. *) Seinerzeit ſeien
die wichtigften die der Ehriften, Juden und Saracenen;?) die Lehre der
legteren bejtehe aus jüdifch-chriftlichen Elementen (lex Saracenorum est
collecta ex lege veteri atque nova). Seine Renntniffe entnimmt Simon
dem Speculum historiale und der Chronik des. Erescencius (Cejtrenjis?).
Wofür er fich entjcheidet, iſt klar. Die mohamedaniſche Lehre dehne fich
jo weit aus, weil fie fleifchlichen Genüſſen-huldigt. Sie ift unzureichend,
falſch, unvollkommen; befjer iſt das jüdifche Gefeg, welches ja in vielem
mit dem Chriftenthum überemjtimmt: das neue Geſetz iſt das beite.
Jenes Buch, auf welches Balbin aufmerfjam gemacht hat, de
unitate ecclesie, dürfte es jein, welches ich unter der Signatur A 16
im Archiv des Schwarzenberg’ichen Hauſes zu Wittingau befindet. Ich
Schließe dies aus den Worten am Schluſſe, die zur Einigung aufrufen. ?)
Die Schrift ift in Form eines Briefes gehalten und an die „weifen und
fürfichtigen" gerichtet. Er erörtert in demjelben die Pflicht zu predigen,
ohne hiebei auf Geldgewinn zu jehen, dann den Befehl Ehrifti zu taufen.
Hiebei wird auf die Aenderungen hingewiejen, die im Laufe der Zeit von
der Kirche vorgenommen worden jeien. Auch beziigli der Sonntagsfeter
und der Ojfterfeier jeien Aenderumgen vorgefommen; was gar die Ehe be-
treffe, hätten Adam’s Kinder unter einander geheiratet; jeßt verbiete man
1) Der genaue Titel lautet: Questio magistri Symonis utrum secta Christia-
norum sit perfeccior sectis Iudeorum et Saracenorum (Cod. Univ. Prag.
X. E. 24. Fol. 2270).
2)... non enim solum Arabes et Syros, Persas et Medos, Egypcios, Ethio-
pes et alios orientales homines infecit hec heresis, sed et Africam et plures
oceidentales regiones corrumpens venit usque ad Hispaniam et diebus
nostris serpit in utramque Armeniam ...
3) Unde peto vos caüsa Dei, uniatis vos per totum cum ceteris fidelibus
per totum orbem christianis. . .
4) Item penitencia et matrimonium sunt sacramenta magna et inceperunt
ab Adam .... et filii contraxerunt inter se matrimonium. Et nunc pro-
hibita est talis contradiecio usque ad terciam lineam consanguineitatis.
5) Et ex quo iste constituciones et quam plures alie sunt immutate, eciam
eonstitucio de sacramento corporis et sanguinis Christi per sanctam ecele-
siam ac ipsius gubernatores potuit immutari.
ae BO
Pr
eine Ehe bis zum dritten Grad der Blutverwandichhaft. In diejer Weije
werden noc zahlreiche andere Wenderungen aufgezählt, die in der Kirche
Platz gegriffen haben. Was fir einen Schluß zieht Simon aus alledem?
Aus demjelben Grunde, aus dem jene Conjtitulionen geändert werden
durften, müße es auch erlaubt fein, die Konjtitution über das Altars-
facrament zu ändern. Daher habe er ein Recht, das Abendmahl unter
beiden Geftallten zu fpenden, aber niemals habe er behauptet, daß jemand
der dasfelbe in anderer Gejtalt nehme, deswegen nicht jelig werden könne,
oder daß es eine Keßerei fei und durch feine Stelle des Evangeliums er:
wiejen werden fünne, ”)
Aus alledem ift erjichtlich, dag Simon jhon hier einen vermittelnden,
verfühnlichen Standpunkt einnimmt und dem Katholicismus nicht mehr
grundfäglich feindlich genüberjteht. Auf Seiten des legteren jteht er in
dem mehrfach genannten Tractat gegen die 4 Prager Artikel vom Juni 1421.
Aus fpäterer Zeit ließen ſich feine Spuren feiner literarischen Thätigfeit
auffinden. Bielleicht iſt er nicht lange hernach gejtorben.
Was feinen Gegner Paul betrifft, jo jah fich derjelbe veranlaßt gegen
den wielif-huſitiſchen Tractat von der Kirche gleichfalls eine Abhandlung
von der Kirche zu jchreiben, aus der wir weiter unten (sub. Nr. 5) eine
Probe beilegen. Bejondere Anerkennung wird er mit derjelben nicht ge-
erntet haben. Es iſt überhaupt fraglich, ob fie feinen Zeitgenofjen befannt
wurde; wenigſtens wird ihrer in gleichzeitigen Quellen nirgends mehr
erwähnt.
Nadıträge :
Im Eod. X H 18 Un. Prag. findet ſich Fol. 34* ein Aufjag — wohl
eine afademische Disputation Symons von Tiſſnow unter dem Titel: Utrum
prima causa agens ad extra cum causa secunda libere continenter
sit aliquo termino terminato in potencia sua activa.
In der Wiener Handichrift 4500 findet fich unter andern: Literae
publicae Simonis de Tissnow, rectoris universitatis studii Pragensis,
1) Et ego donee ron aspexi ad tales permutaciones (!) sancte ecclesie,
que facta est per officiales virtute domini nostri Jesu Christi eis concessa,
eciam fuj transgressus obedienciam communicando populum sub utraque
specie corporis et sanguinis Christi, sed nunquam tenui quod aliter com-
municans salvus fieri non possit, quod hoc est heresis nec hoc aliqua
scriptura probari potest.
— —
quibus dietus reetor litis inter Andream plebanum S. Jacobi in
Praga et Blasconem ac Johannem scolares universitatis conqueritur
de Archiepiscopo Sbincone in jura et privilegia academica involante
dietamque litem ad se evocat.
Der tſchechiſche Tractat De mutationibus in ecelesia, welcher ſich
in der Handjchrift der Wiener Hofbibliothef 4314 findet, ift wohl identisch
mit dem Zractate des Wittingauer Archives, über den oben gejprochen
wurde; die Propositiones quinque Simonis de Tissnow et totidem
Jacobi de Misa in materia de communione parvulorum, die der Cod.
4937 der Wiener Hofbibliothet enthält, find oben erwähnt worden.
Ein Brief Simons über die Communion sub utraque findet ſich
im Cod. univ. Prag III. G. 16.
Des gleichen Inhaltes wie der oben mehrfach genannte Brief oder
Tractat gegen die 4 Prager Artikel ift das Schreiben Simons an die
Prager, welches unten aus einer Prager Handſchrift mitgeteilt wird. Die
Uebereinftimmung ift jo ziemlich wörtlich und wenn wir das Schreiben
dennoch mittheilen, jo aejchieht es aus dem Grunde, weil gerade diejer
Theil des Tractates gegen die 4 Prager Artikel im Drude jtarf gefitrzt
wurde. Der legtgenannte Zractat ijt überhaupt viel länger, als das
Schreiben an die Prager; diejes erfcheint als ein Auszug aus dem erjteren,
bei welchem die ganze lange Einleitung (Mitth. XXV. pag. 338—341)
weggeblieben ijt.
Eorreipondenzen, betreffend den Streit zwifchen Simon von Tiſſnow
und dem Magiſter Baul von Prag.
(E. cod. arch. Brunnensi Nr. 303. Fol. 115.)
Predicta et alia que intra ponuntur in argumentis in ecclesia
Ölomucensi cathedrali tam ad clerum quam ad populum me pre-
dicante magister Symon de Tyssnow istam literam seu talem michi
destinavit.
Nr. 1.
Simon von Tiffnow an den Magiiter Paul, Pfarrer von Dolein
gegen deſſen Behauptungen, daß nicht Alles, was in der Bibel ftehe, zu
— 232 —
glauben und feſtzuhalten jei und daß eine jede Feitiegung des Vapjtes und
jeiner Cardinäle von demjelben Gewichte jei, wie das Evangelium Chrifti.
Venerabili ac sapienti viro domino Paulo plebano ecclesie in
Dolan magistro in artibus sibi domino et fäutori.
Det deus omnipotens prosperitates continencie, stabilitatem fir-
mitatem fidelemque adhesionem in singulis verbo Dei. Preteriti tactus
amoris dulcedine cuius tamen adhuc non parve in pectore meo re-
liquie remanserunt me stimulant vehementer, ut ea vobis mea referam
serie literarum que vestrum respiciunt commodum et honorem. Ecce
magister reverende, audivi et conturbatus est venter meus et a voce
loquencium contremuerunt omnia ossa mea, ymmo pili carnis mee in-
horruerunt supra me. Audivi, inguam, quomodo inter melliflua vestre
predicacionis verba dixissetis, quod non omne sancti evangelii verbum
est in hiis diebus credendum atque tenendum, sed magis ad qualitatem
temporum uttendendum est. Eciam famatur vos dixisse, quod qui
contradicet cuicunque constitucioni domini pape et suorum cardina-
lium, quod talis equali pondere premeretur peccati sicut Christi evan-
gelio eontradicens,; que utraque locucio non minus horrenda est quam
fidei catholice orthodoxe contraria; ideo me non sinit, ut fidem ad-
hibeam sic vestra loquentibus de persona. Novi enim vestram re-
verenciam magister reverende ad maturitatem prius quam in lucem
prodeant verba vestra in camino decoquere racionis et raro vel nun-
quam a vobis exivit sine statera examinis sermo vester.
Quia tamen nonnulli iuriste fidei corruptores hanc pretensam
videntur fundare sentenciam, quorum dictis et scriptis nolite (rogo)
vestri aulam pectoris aperire. Si tamen quid in racionis ingenio
vos ad asserendum ea stimulat, que vestre reverencie ascribuntur,
queso in mei et vestri medium proponatis; me enim in oppositum
ascriptorum vobis hee ducunt raciones pariter et seripture. Cum
enim totum Christi evangelium sit cor legis Dei (cuius legis Dei nee
Yota nee apex potest preterire quin vere impleatur estque iam im-
pleta testante Salvatore Math. V. 18; primum eiusdem legis tocius
ipsam plene regulans est veritas testante Psalmista: Principium
verborum tuorum veris; in eternum omnia indieia dusticie tue), necesse
concluditur ipsam in omnibus suis passibus veram esse. Cum eciam
nec imperium nec regnum nec ceivitas ymmo nec quecunque bona
societas potest consisitere sine lege, patet quod oportet credere de
provida bonitate Dei quod dedit sue ecelesie quandam legem: non
enim defieit corporibus inanimatis vegetabilibus sensitis (!), quin or-
— 3 —
dinat eis legem; multo magis deficeret sponse sue.. Ista autem est
lex indubie, lex evangelica que est lex Domini immaculata, quam
oportet capere ex fide, quod sit lex optima et per consequens lex
verissima, completissima et saluberrima quam fideles tenentur cog-
noscere, defendere, et servare, cum secundum illam tenentur sub
obtentu eterni premii Domino ministrare.
Quomodo autem hee lex Domini esset immaculata, scilicet men-
dacio aut falsjtate esset maculata, quomodo eciam esset perfectissima
et saluberrima, seilicet infecta esset falsitate nec verum esset quod
David docet per Spiritum Sancetum, dum dieit: Fidelis Dominus in
omnibus verbis suis et sanctus in omnibus operibus suis. Si autem
dieeretur quod teste suo omnia Dei verba sunt vera, et sie lex ewan-
gelica fuisset ad tempus certum credenda atque tenenda, cessasset
autem atque expirasset eius veritas, quomodo (rogo) lex Christi esset
finis et perfeccio, veritas et figuratum legis veteris, que fuit figura
atque umbra legis nostre? Si eciam exspiraset veritas legis Christi,
quomodo nos christiani essemus sub illa lege que cessavit. Videretur
quod nos sub illa non essemus: O quam tunc iam incaute iuxta
Christi preceptum predicaretur ewangelium omni creature, sed me
fidelis David duleius cousolatur dum dieit: In eternum Domine per-
manet verbum tuum, in generacione et generacione veritas tua huic.
David dieit in forma ecelesie: In eternum non obliviscar tustificaciones
tuas, quia in ipsis vivificasti me. Et omnes clamamus in horis can-
tieis sacerdotes: Omnis consummacionis vidi finem latum mandatum
tuum nimis. Et iterum: Mandasti iustieinm testimonia tua et veritatem
tuam nimis, iusticia tua, tusticia in eternum, et lex tua, veritas, equitas,
testimonia tua in eternum. Inicio cognovi de testimonüis tuis, quia in
eternum fundasti. Et quomodo (rogo) talis imponens legi calumpniam
vere cum ecclesia diceret per se: dominus Deus noster, in universa
terra iudieia eius, memor in seculum testimonii sui, quod ınandavit
in mille generaciones et statuit illud Jacob in preceptum et Israel
in testimonium eternum. Infinita sunt talia dieta, que docent nos
dicere totam Dei legem esse sine nota falsitatis imponentque fulsi-
tatem alicui dieto scripture. Non dubiam quod tantam scripturam
illius generis atque compilatoris reddit suspectam, tollit ab illa
auetoritatem et viam infidelibus preparat atque Antichristo. Sed non
sie sensit Augustinus IV. de Trinitate cap. XIII. dum dieit: Contra
racionen nemo sobrius, contra seripturam sacram nemo christianus ;
subsumatis et de papa et de omni mundi post Christum creatura.
— 23 —
Pro firmitate autem hnius seripture scribit idem magnus Augustinus 1.
de Doetrina Christiana cap. XLII. sie: Titubat fides, si seripturarum
divinarum vacillat auctoritas. Nec invemio aliquem pugilem scripture
sacre sane fidei, qui Christi evangelium eriminarem falsitate et libenter
audirem vel unum punctum evangelii, cui quis imponeret maculam
Ffelsitatis.
Et tunc de secundo dieto magister reverende, quod ascribitur
vobis, quod qui contradiceret constitueioni domini pape, eque gra-
viter peccaret, sicut contradicens Christo vel evangelio eius. Contra
hoe dietum formo hanc conclusionem. Tota scriptura sacra quoad
auctoritatem capitis ecclesie est infinitum maioris auctoritatis quam
est scriptura aliena quoad autenticacionem sui proprii et privati au-
toris. Patet ex hoc, quod Christus ex gracia unccionis infinitum ex-
cellit quemlibet alium fratrem suum, sed ut autor ad autorem sic
auctoritas ad auctoritatem. Unde Augustinus super illo Psalmi CXL:
Absorbti sunt iuncti petre iudices eorum. Jetra, inquit Augustinus,
erat Christus, juxta quem comparati ipsi iudices magnis ut est papa
et legisperiti absorbti sunt. Dixit de moribus vel quamcunque senten-
ciam proferentes; adiunge illum petre absorbtus est; quis est Aristoteles:
audiat Christus dixit et apud inferos contremiscit. Dixit hoc Pita-
goras, dixit hoc Plato. Adiunge illos petre, compara auctoritatem
auctoritati Evangeliste, compara inflatos crucifico et absorbti sunt.
Et post probat auetoritatem Christi ex hoc quod ipse fixit crucem
suam in cordibus regum. Mortuus est et resurrexit a mortuis resu-
mendo animam, quod dieti iudices non possunt facere. Tam diu (inquit)
videntur aliquid dicere, donee comparentur petre. Et sic indubie est
de papa et omnibus cardinalibus atque ecclesie prelatis.
Et sequitur correlarium manifeste quod contradicens dicto pape
alieno ab evangelio nec sic graviter peccat quante peccat Christi
eontradietor. Eciam sequitur, quod non potest papa legitime contra
epistolas Pauli ymmo nec angelos de celo dıspensare et quamvis
hoc correlarium manifeste sequitur ex premissis, tamen ut magis
pateat esse verum, aspieitur 2° I. c. q. 1.') Sunt quidam, ubi dieitur
1) Decreti, Sec. pars, causa XXV. @. I. cap. VI. Die Stelle im Decret lautet
genauer: Sunt quidam dicentes, Romano pontifhici semper licuisse novas
condere leges. Quod et nos non solum negamus sed eciam valde affirmamus.
Seiendum vero summopere est, quia inde novas leges con-
dere potest, unde Evangelistae aliquid nequaquam dixe-
ruut. Ubi vero aperte Dominus vel eius apostoli et eos se-
ae
si papa quod docuerunt apostoli et prophete destruere quod absit
niteretur, non sentenciam daret sed magis errare convinceretur, quia
cum scriptura sit infallibilis et necessarie veritatis, hoc foret aucto-
rizare falsitatem. Aspiciamus si certitudo tanta fidei est quod in papa
loquitur Christus, quanta est de Paulo, et hine dieitur I. ad Cor. 13.
An, inquit, ewperimentum in me queritis eius, qui in me loquitur
Christus. Et ad Gal. 1. securus de auctoritate Christi dieit: Licet
nos vel angelus de celo aliud ewangelizaverit vobis preter quam evan-
gelizavimus vobis anathema sit. Et subdit: Tamen notum vobis facio
fratres evangelium, quod evangelizatum est a me, quia non secundum
hominem neque enim ab homine accepi illud neque didiei sed per
relacionem Jesu Christi.
De indulgenciis vobis loquar viva voce. Hec sint scripta sub
pia correccione vestra contra ascripta vobis et rogo non malignemini
de scriptis discipuli vestri pluribus, quia ex puro amabili corde et
simplici processerunt. Deinde humiliter supplico, quod quidquid
super hiis materiis et super materia indulgenciarum fuerit intencionis
vestre cum fundamentis sacre scripture vel aliorum, quibus dignum
est ut creditur, sed autenticis conscribatis,
Scriptis per Symonem de Tyssnow, plebanum in Thowa-
czow discipulum et servitorem vestrum.
Nr. II.
Antwort des Magijters Baul. Die Definition der Kirche wie jie
Hus (Wielif) gebe fei falſch, nämlich, daß die Kirche alle zur Seligkeit
Vorherbejtimmmten und jonft Niemanden enthalte. Beweisjtellen.
Rescriptum magistri Pauli.
(Cod. arch Brunn. 303 fol. 118b).
Reverendo magistro Simoni de Tyssnow, plebano in Tho-
waczow, etc. singulis beneplaeitis in domino premissis. Noveritis
quia ista principaliter tam ad clerum quam ad populum in ecelesia
assertive predico. Primum quod ecclesia Christi est una sancta ca
quentes sancti patres sentencialiter aliquid diffinierunt, ibi non
novam legem Romanus pontifex dare, sed pocius quod predicatum est usque
ad animam et sanguinem confirmare debet. Si enim quod docuerunt
apostoli et prophete destruere (quod absit) niteretur non sen-
tenciam dare, sed magis errare convinceretur. Der legte Sat oben fehlt im
Dicret. Diefe Beweisftellen find jämmtlih Wichfihen Tractaten entnommen.
— 236
tholica apostolica. Sancta, non obstante quod in ea sint preseiti et
reprobi, dicente beato Gregorio: Permixta est ecclesia diversitaie
filiorum utrarumque pareium. Cives communiter recipit, quos tamen
sancta ecclesia et nunc indiscrete suscipit et postmodum in egressione
discernet. Item II. ad Timotheum 2... .')
Item teneo et predico quod ecclesia sancta catholica est ecclesia
Christi, quam in beato Petro et in successoribus eius fundavit et
plantavit et que potissime in ecelesia Romana est semper duratura,
quidquid eius emuli fabulentur. Quod hoc sit verum, patet primo
per literam super illo verbo Luce XXII: Ego rogavi pro te Petre. ..
....2) Ex quibus profeceto patet ipsum Johannem Hus male in
suo tractatu De Ecclesia cap. primo posuisse, ubi dieitur: Ex iam diectis
sanctorum elicitur, quod sancta universalis ecclesia est numerus om-
nium predestinatorum cap. VII. Cum ergo iuxta decreta Romana
ecclesia habet primatum et dignitatem quoad Deum super omnes
alias, patet quod illa est totalis ecclesia militans quam Deus plus
diligit, quam aliquam eius partem. Et sie manifeste sequitur ex fide,
quod non illud collegium, sed tota mater in omni gente et lingua
dispersa sit illa Romana ecelesia de qua iura locuntur cum sanctis
doctoribus etc. Ex cuius dietis multa inconveniencia inferri possunt,
ut patet bene intuenti; peccavit’itaque mortalissime contra illum
articulum fidei, sancetam ecelesiam catholicam.
Item predico et teneo, quod ille sit hereticus qui Romane ec-
clesie privilegium ab ipso summa ecelesiarum capite traditum auferre
conatur. Dist. XXII. Reeta*®) Nicolaus papa scribit Mediolanensibus,
Omnes etc. .... ltem de constitucionibus ecclesie teneo et predico
assertive, quod ecclesia Dei potest facere constituciones, nam si
ecelesie de Judeis, que minoris potestatis fuit, lieuit aliqua con-
stituere preter legem Dei, multo foreius ecclesie que nunc est
licet aliqua ordinare preter Christi doctrinam, dummodo non sit
contra eam. Quod autem ccclesia veteris testamenti aliqua ordi-
naverit, patet Hester IX...... *) Item si in novo testamento
lieuit ecclesie primitive aliqua facere ordinamenta, quare modo
non liceret ecclesie Dei aliqua ordinare, quecunque illa ecclesia
1) Folgen theils Bibelftellen, theild Citate aus Ricchenichriftitellern.
2) Ebenſo und zwar in einfacher Aneinanderreihung.
3) Decreti prim. pars. dist. XXI. cap. I. (nicht Recta jondern Omnes),
4) Folgen weitere Beijpiele.
en 26 Ars
— 237 —
sit. Quod autem écelesia primitiva aliqua ordinaverit, que prius
Christus non ordinaverat, patet Act. XV... . Ecclesia ergo Dei nec
est contenta hiis, que Christus dixit presencialiter sed alia addidit,
licet non contraria Spiritu Sancto eam docente. ...
Nr. III.
Antwort des Magijters Simon. Gibt eine Definition der Kirche,
Die Lehre des hl. Märtyrers Johannes Hus fei nicht widerlegt
Reseriptum magistr(i Si)monis seu r(evo)caeio.
(Cod. arch. Brunn. 303 fol. 125).
Pro tollenda adversitate, que non adversitas secundum rei veri-
tatem sed diversitas inter nos debet reputari, in materia sancte
ecclesie catholice quantum michi suffieit ad propositum aliis accep-
eionibus eccelesie dimissis noto, quod dupliciter aceipitur sancta eccle-
sia catholica, communiter et proprie: communiter et sic dicit omnes
homines eandem Christi fidem profitentes: proprie et sic dicit nu-
merum seu congregacionem omnium predestinatorum et secundum
hanc diversitatem accepeionis sepe sacıa scriptura, doctores sancti
decreta ecclesie varie locuntur. Et non dubium, quod ignorantes
has virtutes vocabulorum sie paralogisantur, quod putant adversitatem
et inde provenit, quod apertam scripturam sacram doctorum appro-
batorum dicta et ecclesie decreta, que sue opinioni reputant
contraria conclusis pertranseunt oculis vel si legunt tamquam indigna,
abiciunt et nonnunquam dolosis machinacionibus ad falsos exponunt
sensus, quos nunquam spiritus Domini flagitavit fitque ut sepe ut
homines et scripturas quos et quas non intelligant hereticent et sic
in suis doctrinis in diseretis suos audientes plus amaritudine intoxi-
cant quam posset facere vipera venenosa. Adduco igitur scripturas
pro diversis accepcionibus predietis sancte ecelesie catholice decla-
randis et primo pro communi accepcione sancte ecclesie catholice
expono illud Matlı. 13. Simile est regnum!)... Et patet sentenciam
sanctorum quam tenuit martyr in spe sanctus Johannes
Hus esse veram ... et quia reverende magister vos intulistis in
1) Bu dieſer Stelle zieht der Autor eine Homilie Gregors zur Erläuterung heran
dann Augustinus de fide ad Petrum [ette8 Cap. Simon ftimmte inhaltlich
in der Erklärung des Klirchenbegriffes mit Hus de ecclesia Cap. 1 und 2 jo
vollftändig überein, daß feine Ausführungen in Hinblide hierauf oben über»
gangen werden können.
Mittheilungen. 26. Sahrgang, 3. Heft. 17
— 23 —
scriptis vestris in hac forma: Ex quibus profecto patet ipsum Johan-
nem Hus male in suo tractatu De ecclesia cap. I. posuisse ubi
dieitur: Ex iam dietis sanctorum elicitur, quod sancta universalis
ecclesia est numerus omnium predestinatorum. Magister reverende
quia in dieto primo capitulo magistri Johannis Hus allegatur Augu-
stinus plene pro hac sentencia cum aliis pluribus sanctis, (cur)
illos ergo, quantum in vobis est, condempnatis? ...
Item, intulistis predietum magistrum Johannem Hus male po-
suise cap. VIII in eodem tractatu Romanaın ecclesiam esse totalem
ecclesiam militantem et posuistis, quod multa inconveniencia possent
inferri ex illo dicto, ut patet bene intuenti. Et dixistis tercio, quod
peccavit wortalissime contra illum fidei articulum: Sanctam ecclesiam
catiolivc.n. Quoad primum illorum trium reverende magister: Si
bene prospieitis ad decretum 31 d.!) Quamvis universe per orbem ....
Ecce reverende magister illud decretum allegavit pro se bone me-
morie Johannes Hus cum glosa super hoc eodem decreto, que
glossa sequitur in hac forma: Argumentum, inquit et quod ubicungue
sunt boni, ibi est Romana ecclesia. Ecce reverende magister hanc
glossam, quam tenent omnes decretiste, si apertis respieitis oculis
concordat plene cum viro in spe sancto, quem criminamini
minus iuste.
Item, predietus magister Johannes Hus pro sua allegavit inten-
eione decretum 24. q. 1. A recta..... ®) Eciam pro se allegavit
glossam super hoc eodem decreto.
Item, reverende magister, ut moveam modicum preter allegata
per magistrtum Johannem Hus, ex quo in vestris sentencia et
verbis nitimini asserere, quod Romana ecclesia in predictis decretis
accipitur pro papa et cardinalibus quos reputatis non posse errare,
alias predicta decreta non possent de ipsis intelligi. Rogo vos, que
ergo ecclesia sepe fallit et fallitur, ut dicit decretalis de Sentencia
Excommuniecacionis A nobis,?) si non illa ecclesia Romana, de qua
vos intelligi vultis predieta decreta; ut ergo abiciatis hanc decre-
talem que dieit Romanam ecclesiam, id est, papam cum cardinalibus
posse errare, ymmo sepe errare, aut ei consenciatis et dicatis quod
1) ©. TIT. dist. 21. Quamvis universae.
2) Decreti sec. p. caus. XXIV. Q. 1, cap. IX.
3) Deer. Gregor. IX. lib. V. tit. XXXIX, cap. XXVII. Die Stelle de3 Des
cretes lautet: Iudicium autem ecclesie nonunquam opinionem sequitur,
quam et fallere saepe contingit et falli.
— 239 —
in predictis decretis glose vere glosant, dum dicunt ecclesiam Ro-
manam esse totam ecclesiam militantem. Ex quibus magis profecto
pate, martyrem in spe sanctum magistrnm Johannem
Hus sacre theologie baccalaureum formatum bene et sancte ac iuxta
decreta ecclesie et eorum debitas exposiciones posuisse, nee potest quis
ex ipsius in har. materia dictis vel vestram inconveniens per bonam
consequeneiam inferre. Aut si vos scitis reverende magister rogo
inferatis michi pro ipso vobis respondendo, Taceo autem de illo
quod dieitis, ipsum parasse mortalissime contra articulum fidei illam
sanctam ecclesiam catholicam, dum non sit dignum, ut sibi respon-
deatur, nisi prius aliqua probacio afferatur, que aliqualiter habeat
corticem veritatis.
Hec fuit reverende magister scripta cum vestra correccione
super ıateria de ecelesia michi per vestrum nuncium presentata.
Et ista materia inter me et vestram reverenciam expedita deinde
alias materias per vos michi scriptas cum vestra sem»er direccione
prout potero salutabo.
Nr. IV.
Simon von Tiſſnow an den Didcefan der Olmützer Kicche; führt
Klage über das Vorgehen des Paul von Prag, der nicht bloß Wielif und
Hus, jondern auch deren Anhänger verläſtere. Ruft die Enticheidung des
Didcefans an.
Venerabili patri et domino dyocesano ecelesie
Olomucensis nune residenti in Cremsier detur.
(Cod. arch. Brunnens. 303 fol. 183ub.)
Salus et pax domini-nostri Jesu Christi sit tecum Amen. Pater
venerande et domine dyocesane. Non sinimus graciarum acciones re.l-
dere Salvatori nostro pristina de collacione magistri Pauli per te
ad nos missi, ut nos probaret, si foret aliquid contagiosum, ne oves
fedaremus acquisitas sanguine agni incontaminati Jesu Christi. Ipse
vero non aliquid considerans erronei pollicitus est diversis coram per-
sonis astantibus non se aliud fateri nisi ea que unissone tractas-
semus non se commendando aut nos vincendo aut veritatem Jesu
confundendo ; veniente autem eo in eivitatem veritatem Jesu confudit
nos appellando in illa erroneos et amplius proferens demonio obsessos
et per demonium loquentes, dissuadendo hominibus ne frequentent
sermocinaciones et multa convicia ascribendo et profitens se nolle
17*
— 240 —
nobiscum colloqni nostras propter hereses et specialiter magistri
Johannis Hus et magistri Johannis Wikleph, quos appellavit
hereticos et inchoacionis sermonis ad nos facti, quod minime pro-
bavit nec probabit. Confidimus quia multa agnovimus bona et saluti-
fern. ex eorum dogmatizacionibus que approbata sunt iin uni-
versitate Pragensi, de qua infamia et hereticacione clarius eno-
dabitur super eodem magistro Paulo, quod non est veritus sic in-
sane blasphemare et non tantum magistros predictos in iudicio divino
iam situatos, sed omnes ipsis adherentes in scripturis. Cui in mo-
merto oppositum tenuimus serutantes quid sit heresis aut hereticus
relinquens, Hoc prorupit in aliud: seiseitans quid sit sancta ecelesia
catholica multaque de ea conferentes in scripturis et in figuris cireuli
partieipativis, sieut eirculi figurarum ipsam ostendunt participıeionem
ecelesiarum, bonorum et malorun in alia pagina, et inter illa de
communione fidelium plebium quomodo sint communicandi de neces-
sitate utraque sub specie tractavirnus. Non enim ab eo audivimus
solidas scripturas legis veteris et nove nec quatuor columnarum.
Ideo diffidimus ei usque diem hodiernum; ipse vero non habens
roboratam scripturam nec potens veritati resistere evangelice discessit.
In illa ergo segregacione diximus notorie coram astantibus in
stuba, presentes erant sacerdotes missi cum eodem ad indagandum,
si velint verum profiteri in laicalibus personis: Magister Paule, scias
pro hiis veritatibus, quas fassi sumus, ubicunque volueris parebimus
in oppositum tibi. Eatenus pater venerande obsecramus, quatenus
vestra non dignaretur paternitas, omnibus fidero (sic) sermonibus
per quos via veritatis ingenter et multipharie blasphematur ; primum
magistro Paulo blasphemo veritatis, in quo sepius est comprobatum
et in fugam se conversum, de quo pavemus, ne tradar in interitum
carnis, sicut quidam tempore Pauli traditi sunt sathane si non sufli-
cienter penituerit de blasphemia. Tu autem pater venerande si di-
ligis dominum Jesum et eius veritatem et fratrum salutem, qui nunc
fluetuant et agitantur arundinis more vertentes se ad illud et ad illud
mussitando et nec se in vero stabiliendo et hoc per seducreionem
pseudoapostolorum et magistorum mendaeium, qui dominum Jesum vo-
cant et negant, et multi secuntur eorum luxurias, per quos via veritatis
blasphematur et in avaricia fietis negociantur verbis, quibus iudieium
iam olim non cessat nec perdicio eorum dormitat. Ubi autem fratres
per eorum ypocrisim non aucupentur optamus inducias in salvando,
intrando eivitatem et exeundo a paternitate tua nos coram te statu-
— 241 —
endo pro hiis veritatibus Jesu Christi defensandis contra eundem
blasphemum veritatis magistrum Paulum et ceteros pseudosacerdotes.
Si autem fuerit deliracio a lege nonulla gliseimus informari tamquam
falsiloqui et nefarii per te patrem venerandum, si vero non assequatur
nos iusticia et iudieium veridicum seientes nos non blasphemare sed
veritatem Dei et specialiter de communione corporis et sanguinis
domini Jesu in ministracione plebium, quoniam durum est vobis
contra stimulum recalecitrare, quia veritas omnia vineit, et iniqui ho-
mines suis cum legibus, iniqua omnia opera eorum, sola autem veritas
equa et iusta sunt opera eius; celum et terra prius transierit quam
verbum veritatis, quia verbum veritatis in eternum est manens, que
est Christus Jesus dominus noster, quia ego (inquit de se) sum via,
vita et veritas. Hanc ergo sequamur et erit nobis via in militando
et post hec vita eterna triumphando aut in gracia et post in gloria
ad quam diligenter nos perducere (dignarentur) Pater et Filius et
Spiritus Sanctus, qui est et fuit et erit et regnabit cum suis electis
in secula seculorum Amen.
Östendatis per Andream sacerdotem et Wenceslaum fratres
in Christo Jesu optantes responsum a vestra paternitate.
Nr. V.
Auszüge aus dem Traftate des Paulus von Prag „über die Kirche.“
Tractatus contra Hussitas praesertim contra magistrum Simonem
de Tyssnow plebanum Towaezoviensem autore magistro Paulo de
Praga plebano de Dolan diocesis Olomucensis olim s. theologiae
Pragae doctoris !) lautet der Titel eines längeren Auffages, welcher fich
in dem Cod. 303 des Landesarchives in Brünn 1°—253* vorfindet. Die
betreffende Handfchrift war einjtens Eigenthum des Karthäuferklofters
Dolein?) in Mähren. Sie enthält die Arbeit des Paul von Prag in
dem urfprünglichen Concepte. Man jieht das aus den zahlreichen Ergän-
zungen, welche jich in den für diefe Zwecke eigens leer gelajjenen Räumen
befinden, aus dem Schriftcharakter, namentlich aber aus dem Umſtande,
daß ji von Fol. 255—477 eine ganz neue Nedaction diefes Traftates
verfindet, die in den meiften Punkten und zwar wörtlidy mit der erjten
übereinftimmt. Man vergleiche:
1) Spätere Bemerkung.
2) Iste liber est Carthusie de Dolano.
— 242 —
Fol. pag.
Sed quod Hussite ponant et as-
serant: non tantum unam esse
ecclesiam sanctam, eatholicam sed
plures, patet primo per Simonem
de Tyssnow, qui in suis scriptis
ponit et aperit, sic noto, quod
dupliciter aceipitur sancta ecclesia
catholica, communiter et proprie:
communiter et sie dieit omnes
pag. 269.
Sed diceret aliquis, prout magister
Simon de Tyssnow sacre theolo-
gie bacclaureus michi rescripsit,
noto, quod dupliciter aceipitur
gancta ecelesia katholica, commu-
niter et proprie: communiter et
sic dieit omnes eandem Christi
fidem profitentes; proprie et sie
dieit numerum seu congregacionem
homines eandem fidem Christi
profitentes; proprie et sie dieit
numerum seu congregacionem
omnium predestinatorum
omnium predestinatorum.
.an 4.0.
Ebenſo finden ich diejelben Briefe, welche in dem erjtgenannten
Traktate Fol. 115—129 Stehen, auch in dem zweiten Fol. 360°—371s wieder.
Die Aufgabe, die fih Paul von Prag jtellt, bezeichnet er (Fol. 9) mit
folgenden Worten:
Sed quia secta Hussitarum, que dieit quod ecclesia sancta ca-
tholica sit numerus ommium predestinatorum peccat mortalissime
contra hunc articulum fidei videlicet ecclesiam sanctam catholicam,
igitur in tractatu presenti probabitur catholice et demonstrative quod
talis proposicio sit falsa, heretica, impossibilis, caput et origo tocius
heresis Husitarım transcendens predicacionem omnium hereticorum.
Es iſt, wie man ſieht, der wielif' huſitiſche Begriff der Kirche, den Paul
von Prag zu widerlegen beabfichtigt. Und das ijt auch der Zweck des
zweiten Zraftats, wie jchon aus dem Titel erjichtlic ift: Utrum ecclesia
sancta catholica sit numerus predestinatorum. Pro falsitate huius
proposicionis nephandissime argnitur sie... .
Die in der Handichrift an zweiter Stelle ftehende Redaction fcheint
die ältere zu fein, denn fie enthält feine Gliederung: Citat wird an Citat
gereiht. In der erjten Nedaction finden wir eine genaue Angabe des
Ganges des Traftates (pag. 9.): Pro quorum intelleetu primum erit
prenotandum, quid sit ecelesia sancta catholica? Deinde, quid sit
numerus omnium predestinatorum? Tercio solventur argumenta,
quibus Husite probare nituntur predietam proposicionem catholicam
esse et veram. Quarto ponentur argumenta contra predietam propo-
sicionem nephandissimam (et) veneno perfidie plenam.
— 243 —
Die erſte Redaction iſt überdies viel ſorgfältiger geſchrieben, die
einzelnen Capitel und auch die Unterabtheilungen tragen Ueberſchriften,
welche durch rothe Tinte ausgezeichnet ſind u. ſ. w. In das zweite Buch
ſind die Briefe Simons von Tiſſnow, Pauls und das Schriftſtück der
Prager Univerſität vom 6. September 1417 eingeſchoben. Da der Inhalt
und Gedankengang des Traktats durch die oben angeführten Citate voll»
fommen genügend gekennzeichnet ift, jo jcheint es überflüjlig zu fein, jich
auf eine weitere Analyje desjelben einzulaffen. Anmerkungen, denen man
von hiſtoriſchem Standpunkte aus eine größere Bedeutung beimejjen
fünnte, finden fich jelbjt da, wo er auf die weiteren Ausführungen in
Huſen's De Ecelesia Bezug nimmt, nur in geringer Zahl vor. Ueber das
Verhältniß des Hus zu Wichf findet jich die bezeichnende Stelle: Si autem
dicant quod a Deo venerint et ab apostolis atque ewangelio, sed
contra: Non multum temporis est quod esse ceperunt, quoniam sicut
patet a Johanne Wykleff exordium acceperunt, qui hanc viam Hussi-
tarum incepit. Ergo non sunt suecessores apostolorum .... Vos
venistis a Johanne Wikleff; dieatis unde ipse venerit .. .
Nr. VI
Schreiben Simons von Tiſſnow an die Prager gegen die 4 Artikel,
Epistola Simonis de Tissnow ad Pragenses.
Et primo de libertate verbi Dei quam conelusistis quod
libere verbum Dei sine impedimento predicetur. Non dubito quin
verbum Dei in regno Bohemie habuit ordinatam libertatem supra
omnia alia- regna. Sed sacerdotes heu qui per eorum deordinatas
predicaciones presens malum quod in regno Bohrmie nimis heu diu
continuatur scissuram suscitare merito timent, tales sacerdotes ne
ab actu predicacionis eorum demeritis hoc exigentibus sıspenJdantur
et puniantur, ideo astute per hanc constitucionem per eos subordinatam
provident ne quod iustum est paciantur. Sed in cautélam istorum
dieitur id Prov. XXI: Eice derisorem et exihunt cum eo durgia
essabuntque contumelie. Super quo dieit Beda: Eice hereticum quem
corrigere non potes de ecclesia Et cum illi libertatem abstuleris
predicandi ecclesie catlıolice auxilium prestas. Ideo officiales spiri-
tuales prioris dispensacionis in eorum offieiis non impediebantur,
qui sine dubio de libertate ordinata potestatem predicandi providebant,
Cavete autem ab inordinata libertate predicandi, do-
ceant vos mala presencia atque que ex inordinata libertate predi-
candi sunt exorta, ne in similia vel in peiora ineidntis.
— 244 —
De seeundo artieulo videlicet demanifestorum peccatorum
exterminio det Deus omnipotens, ut hee fiaut in effeetu, ut omnia
mala in ecclesia moriantur. Sed tamen sane scire debetis, quod
ecclesia edocta a spiritu nonnunquam tolerat minora mala propter
infirmitatem hominum, ut per hoc maiora mala sint sopita et ut
dieit Lyra in prologo super Math. Lex civilis permittit meretrices
publicas in civitatibus esse, ne res publica propter imperfeccionem
multitudinis qui castitatem servare non possunt, dissensionibus que
propter libidinem insurgunt conturbetur.
Et ad hoc dieit Augustinus in libro de ordine sie: Aufer de
eivi’ate meretrices et omnia conturbabis libidine.
De tercio articulo seilicet de spolio seu ablacione tem-
poralium a clero, videte ne regnum spolietis a elero. Et sic ne
spirituales duces et ductores ab ecclesia auferatis. Contra tamen
vestram intencionem hanc sunt decreta sanctorum patrum in canone
tamquam per totum XI. q. 1. Nec seculares ad hoc faciendum
habent legitimam potestatem. Cavete autem vobis, ne avaricia vel
invidia agitet cord.ı vestra vel alias infeceio inordinata. Item sacer-
dotibus vestris erroneis et insipientibus non sic de facili fidem date
qui vos ad hos errores induxerunt. Non apponite et non cumulate
mala prioribus malis que feeistis. Doctores, magistros, religiosos et
viros sapientes aliarum nacionum pro vestra informacione mendicare
et furte publica audiencia ordinata quam vobis a domino rege sepe
postulastis non est inutilis, si magistrorum doctorum et aliorum
honorabilium virorum de regno expulsorum posset presencia rehaberi.
Hec puncta ’) sunt in quibus contra universalem ecclesiam
concordastis, sed multa puncta alia sunt propter que ad invicem con-
tenditis et litigatis. Quamvis autem contra se et inter se estis divisi,
in malum tamen vobis mutuo consentitis et sic quamvis tamen in
eapite estis divisi, tamen in caudis quibus malum trahitis estis col-
ligati ut vulpes. Cavete ne de vobis vereficetur id verbum quod
scribit beatus Augustinus super Ps.: Exultate Deo adiutori nostro
super illo verbo Israel si me audieris non erit in te Deus recens.
Et loquitur de hereticis et scismatieis, inter cetera sie dieit: Quamvis.
enim oppositum varietate discordant, tamen vanitate colligantur. Ideo
Saınpson vulpium caudas alligavit ideoque allegavit ignem, ut incen-
1) Auf den 4. Artifel geht er hier fo wenig, wie in dem Schreiben au ben
Landtag eim,
on
= 26 =
derent messes alienorum seilicet Philistinorum . . .. Et vere messis
erat bona in terra Bohemie, operarii autem pessimi et ypocrite et
vulpes dolosi et luxuriosi que (!) subdoli, rapaces. O amantissimi
Bohemi redite ad cor. Videatisne hec (!) proprietates hereticorum et
seismaticorum insint vobis et postea eis resistere non possitis. Con-
gregamini oves disperse, redite ad aulas sancte matris ecelesie, ubi
est una fides, sicut est in ea unus rex et dominus Jesus Christus in
secula benedictus qui vivit et regnat etc.
Cod. un. Prag. 1. G. 11. Fol. 6bab.
— — — —
Die älteſte Geſchichte der Stadt Sans,
Bon Dr. Ludwig Schleſinger.
Das Saazer Flachland iſt uralter Kulturboden, wohl einer der äl-
tejten Böhmens. Die unverfiegliche, bis heute nicht erichöpfte Fruchtbarkeit
der Scholle lodte frühzeitig zu menjchlichen Anfiedlungen, und nirgendwo
im Lande erinnern jo zahlreiche Heimftätten der Dahingejchiedenen an
dichtbevölferte Fluren aus der Heidenzeit. Der Saazer Bauer gräbt heute
aus den weithin fich ausdehnenden Leichenfeldern die Todtenajche aus und
benüßt jie als vortreffliches Dungmittel. Tauſende der werthvolliten Gräber-
funde, welche die öffentlihen Sammlungen und die einzelner Liebhaber
füllen, reden eine deutlihe Sprache über menjchliche Niederlajjungen
entjchwundener Zeiten, über welche ſonſt nur fpärlihe Nachrichten zu
ung gedrungen find. Es mögen hier nacheinander der keltiſche Boje, der
germanijche Markomanne und der jlavische Lutſchane gehauft haben, und
vom Leßteren zumeift wohl jtammen die aufgedeckten Leichenjtätten und
ZTodtenhügel. ')
Lutſchanen nennt der Chronift Cosmas ?) jenen Stamm der nad)
Böhmen eingewanderten Slaven, der fi im Nordweiten des Landes zu
beiden Seiten des Egerlaufes jeßhaft gemacht hatte, mit den die Mitte
des Landes bemohnenden Tihechen an Macht und Einfluß metteiferte und
um die Vorherrichaft im Lande rang. Im fünf Bezirke gliederte ſich der
große Lutjchanengau, der weitlih an den Elbogner Gau, nördlich an das
1) Bol. in diefen Blättern I. 30, VII. 152, 196XII. 189., XXIV. 303. XXVI. 43.
2) Berk, S.S. IX. ©. 40.
— ee
Erzgebirge, öſtlich an den Leitmeriger Gau jtieß und jüdlich an den alten
Tihechengau grenzte. Der in der Mitte liegende der fünf Bezirke hieß
„Luka“; er ift nad) Cosma's Schilderung „eine jehr jchöne Gegend, ift
einträglich und fruchtbar und veich an Wiefen, woher er auch den Namen
hat, weil „Luka“ Wieſe heißt." Nach Lufa ſei nun auch der ganze
Stamm der Lutfchanen benannt worden, ) Dieje ſelbſt feien ein hoch—
müthiges Volk gemwejen, und der 1125 gejtorbene Chronijt bemerkt, daß
denjelben noch zu feiner Zeit „vom Böſen eingegeben ift, fich zu überheben.“
Was nun weiter noch Cosmas vom Kampfe des Friegeriichen Fürſten der
Lutſchanen Wlaftiflaw mit dem jämmerlichen Tſchechenfürſten Neflan er:
zählt, ift ein plattes Sagenmärchen, von welchem der Chronijt jelbit
bemerkt, „er müſſe es dem Leſer überlaſſen zu beurtheilen, ob es wahr
oder faljch jei.?) Begreiflich ift, daß ein Hajef und dann wiederum die
Königinhofer Dichterfchule ſich den ſaftigen Broden nicht entgehen ließen.
Zu verwundern aber bleibt es, daß ernſthafte Gejchichtichreiber, wie Pa:
lady und Tomek, die wunderliche Mähre wieder aufwärmten, wobet ihnen
die komiſch wirkende Berufung auf die „alten Lieder” Feineswegs als
Entihuldigungsgrund angerechnet werden kann. Was man von der
Erzählung des Chronijten gelten laſſen mag, iſt nur jo viel: In der
Mitte des IX. Jahrhunderts hat eine Einigung der verfchiedenen Slaven:
ftänme im Lande unter Einem Oberhaupte noch nicht Pla gegriffen;
diejelbe fand, wie wir aus glaubwürdigen Quellen wiljen, erjt im Beginn
des nächiten Jahrhunderts jtatt.®) An den Stanmesnamen „Lutjchanen‘
wollen wir uns nicht jtoßen, wenn er auch nur ſchwach beglaubigt wird
durch die Abgrenzungsurfunde des Prager Bisthums (1086). Ebenjo
wollen wir den Namen des hervorragenden Stammesfirjten Wlajtijlav
hinnehmen.)
Daß die Fürjten der Lutſchanen einen befeftigten Burgort bejaßen,
der ihnen zugleich als Lagerplag und Wohnjig diente, ijt mit aller Wahr-
1) Ueber die Lage und Grenzen diefer fünf Bezirke (von Saaz, Mies, Ludit,
Selig (?) und Kaaden) fiehe Tome im Casopis &esk.. Mus. 1858, 1859.
2) Pers, 8.8. IX. ©, 44. „Et quoniam haec antiquis referuntur evenisse
temporibus, utrum sint farta an fieta, lectoris judicio relinguimus.“
3) Auch Tomeks Schrift: Apologie der älteften Geichichte Böhmen: (Abhandlung
der k. böhm. Gefellichaft der Wiſſenſch. V. Folge. 13. Bd.) hat nach meiner
Meinung die Richtigkeit der diesbezüglichen Anfichten Dümmlers u. a. nicht
erichüttert.
4) Noch nad) Jahrhunderten werden Saazer „Lutjchanen“ genannt; fo heißt 3.8.
zum Jahre 1547 ein Magifter an der Prager Univerfität „Adamus Luczanus,
alias Zateezenus* (Liber decan. II. ©, 344.)
= BU
Icheinlichkeit anzunehmen, wenn wir dabei auch nur an jchr einfache
Holz. nud Erdbefeftigungen zu denken haben. Alle Vermuthung fpricht
dafür, daß der befeftigte Vorort der Lutjchanen an der Eger gelegen ge-
wejen iſt, und man hat feine bejondere Urfache daran zu zweifeln, daß
Ihon im IX. Fahrhunderte die günftige Lage des heutigen Saaz zum
Stüßpunft einer Befeftigung auserfehen worden tft. Nach Cosmas fei die
Burg des Wlaftiflam zerjtört und eine neue „in der Ebene am Ufer des
Flußes Eger im Gau Poſtolopirth (Poftelberg) Namens „Dragus“ erbaut
worden, dort, wo man jeßt das Klofter der heiligen Maria erblickt." *)
Wir wollen uns nicht in das Neich der Vermuthungen verirren. Wir
könnten auf die Unterwerfung Böhmens durch Karl den Großen (805, 806)
und auf die in dieſer Zeit ftattgefundene Belagerung „Canburgs“ durd)
die Franken zurücgreifen. Wenn die allgemeine Deutung diejes befeftigten
Ortes auf Kaaden die richtige it, fo hätten wir abermals einen Burgort
der Lutjchanen ermittelt. Es ließe ſich ferner wahrscheinlich machen, daß
die Lutjchanen und ihre Burgen in den Kriegen Ludwigs des Deutjchen
gegen Böhmen (846—872) lebhaft betheiligt waren. Mit Frind ?) Tieße
fi) weiter aus guten Gründen dafür eintreten, daß bei der hochbedeut-
ſamen Thatjache der Taufe der 14 böhmijchen Herzoge in Negensburg
im Jahre 846 die Häuptlinge der Lutjchanen in erjter Linie in Frage
famen. Auch unter den „Herzogen” der Böhmen, welche ſich 856 dem
deutjchen Könige unterwarfen, und unter jenen fünf mit Namen
angeführten böhmiſchen Fürjten (Swatoſlaw, Witiflaw, Heriman, Spitimir
und Moyſlaw), welche 872 von den Deutfchen in die Flucht gejchlagen
wurden, wie nicht minder unter den 895 (und 897) zu Negensburg dem
König Arnulf die Huldigung darbringenden böhmischen Herzogen mag ſich
der Lutſchanenfürſt befunden haben. Auch dafür jpricht einige Wahrjchein-
lichkeit, daß jener vom. Chroniften Widufind zum Jahre 936 erwähnte
„subregulus“, welcder jih an Kaiſer Otto I. in dejjen Kämpfen gegen
Herzog Boleſlaw I. anſchloß, ein wieder nach Unabhängigkeit vom Landes»
herzog ringender Lutſchanenfürſt gewejen ift.
Doch wir wollen bei ung näher Liegendem verweilen. Wenn auch
das Stammesfürjtentfum der Lutjchanen mit Beginn des X. Jahrhunderts
feine Unabhängigkeit verlor und in den ſich bildenden Einheitsftaat des
1) Pers, 8.8. IX. ©. 43. Dieje Stelle des Cosmas, weldhe für die Beftimmung
der Gründungszeit des Poſtelberger Benedictinerflofterd einen Werth befigt,
ift von Frind (Kirchengeichichte) überjehen worden.
2) Kirchengeſchichte I. ©. 4.
— 248 —
böhmiſchen Herzogthums aufging, bewahrte es doch noch auf lange Zeit
hinaus als einheitliches Verwaltungsgebiet eine gewiſſe Selbſtändigkeit. Als
ſolches erſcheint es urkundlich unter dem Namen „provincia Satcensis“
(zuerſt 1057)"), „comitatus Satcensis“ (1182)9), ſpäter „distrietus* „Saazer
Kreis" („Saazer BZupa“)3) und fügte fich in den allgemeinen Verwaltungs:
rahmen des Landes ein. An der Spige der Saazer Grafichaft jtand, wie
anderswo, als oberfter Beamter des Landesfirften der Gaugraf, der in
unferem Gau in der älteren Zeit bald den Namen praefeetus (1068) *)
(1160)®), castellanus (1165)®), comes (1182)?), jpäter burgravius (1277)®)
führt. Als ſolche Gaugrafen werden uns genannt:
Zmil, filius Bozeni, qui fuit prarfectus in urbe Zatec — 1068. °)
Bosey, filius Cac (au8 dem Geſchlechte der Werjchowege), 1090,
1101. 10)
Jurik, filius Sdan, praefectus urbis Satec 1116. 1!)
Jarogneu (Jarognev, Jarogneus) de Satec 1144, praefectus
Satcensis 1160, castellanus Satcensis 1165, Saticensis 1167, praefectus
de Sathec 1175, castellanus de Satehe 1176. !?)
Zdeslaus (Sdezlaus, Scazlau, Stizlaus), filius Divis, castel-
lanus de Satee 1172, castellanus de Satec 1177, comes Sacensis 1182,
castellanus de Satec 1183. '?)
Zlavebor, eastellanus de Satec 1195. '*)
1) Erben reg. Boh. ©, 53— , ſpäter ©. 79, 129, 175, 454 u. |. w. Bei Co3-
mas (Pertz S.S. IX. ©. 76) erfheint „provineia Satec“ zum Jahre 1055.
2) Dafelbft ©. 167.
3) Der Name suppa tritt erft im XIV. Jahrhunderte auf, Tſchechiſche Hiſtoriker
anticipiren diefen Namen für die ältere Zeit mit Zugrunbdelegung der fünft-
lihen Analogie mit der füdflavischen Familienverfaffung. Deutſche Hiftoriker
jollten ſich auch der tſchechiſchen Terminologie, (ganz abgejehen von dem hin-
eingelegten Inhalt), welche nicht einmal in tichechifchen Quellen der früheren
Zeit nachweisbar ift, entwöhnen. Es wird wohl am beften unjer gutes Wort
Gau für Zupa einzuführen fein.
4) Ber, S.S. IX. ©, 82,
5) Erbeu, reg. Boh. I. ©, 135.
6) Dafelbft S. 137.
7) Dajelbft S. 167, 193.
8) Emler, reg. Boh. II. ©, 461.
9) Vers, 8.5. IX. ©. 82.
10) Dafelbft S. 103, 108.
11) Dafelbft S. 123.
12) Erben reg. Boh. I. ©, 110, 135, 137, 139, 155, 156.
13) Dafelbft ©. 149, 158, 167, 170.
14) Daſelbſt ©. 1%, 191.
rn —
— 249 —
Bohuzlaw (Boguzlavs), praefectus Sacensis 1196, comes Sa-
censis 1196. ')
Hermanus, castellanus Satcensis 1211. ?)
Bohuzlaus, Neuglaz, fratres, castellani de Satec 1232. ?)
Pribizlaus, purceravius Sathecensis 1277.)
Früher noch, al3 uns einzelne Namen der Saazer Gaugrajen ge
nannt werden, findet der Bejtand und der Name der Gauburg Saaz
feine beglaubigte Bejtätigung. Es gejchicht diejes zum erjtenmale zum
Sahre 1004. Ueber Böhmen mar nach dem Sturze Boleflaws III. die
Herrichaft des polnischen Boleſlaw hereingebrochen. Die ſchon von ihrem
Bruder Boleflaw III. vertriebenen Fürjten Jaromir und Udalrich befanden
jich beim deutjchen Könige Heinrich II. Diefer aber rüftete zum großen
Kriegszuge, um den Polen aus Böhmen zu verjagen. Ueber den ent:
brennenden Kampf erzählt uns als vornehmjter Gewährsmann der zeit
genöfjiiche Chroniſt Thietmar, Biichof von Magdeburg:
„Zur fejtgefegten Zeit (im Sommer 1004) fand alfo in Merjeburg
eine Heeresverfammlung jtatt und dann endlich ein heimliches Vorrücken
gegen den Feind. Heinrich ftellte jich nämlich, als ginge es nach Polen
und Tieß deshalb die Schiffe zu Boruz und Nifani zufammen bringen,
damit diejenigen unter den Seinigen, deren gute Gefinnung nur eine er-
heuchelte war, dem Feinde nicht verrathen möchten, daß er umzingelt werden
jollte. Indeß verurfachten heftige Negengüffe dem Heere im Uebergang
über die Flüſſe eine außerordentlihe Verzögerung, und der König 309
zu einer Zeit, wo man es am wenigjten vermuthen konnte, jchnell nad)
Böhmen hinein. Der brüllende Löwe mit hängendem Schweife °) bemühte
ih das Eindringen desjelben zu hindern und bejegte in dem Walde,
welcher Miriquidi (Erzgebirge) genannt wird, einen Berg mit Bogenjchügen
jo, daß jeder Zugang verjchloffen war. Als der König das erfuhr, ſchickte
er heimlich auserlefene geharnifchte Krieger voraus; dieje ſtürzten, der
widerftrebenden Feinde nicht achtend, in den jteilen Weg hinein und
bahnten den Nachfolgenden einen leichten Weg. Wie nun während diefer
Zeit Boleſſaw einjtmals zur Tafel ſaß, ſprach einer unjerer Landsleute,
ein Caplan des Neinbern, feines Bijchofs, von der Ankunft unferes
1) Erben, reg. Boh. I. ©. 192, 193.
2) Dajelbft S. 244.
3) Daſelbſt S. 370,
4) Emler reg. Boh. I. ©, 461.
5) Un diefer Stelle kann ich mich weder der Ueberfegung Laurents, noch Zeis—
bergs anſchließen.
— 20 —
Heeres, und als Bolejlaw, der das hörte, ihn fragte, was er da fage, und
er antwortete, was ihm erzählt war, da äußerte jener: „Freilich, wenn
fie durchſchlüpften, wie die Fröſche, jo fünnten fie bereits hier fein.“ Und
das war wahr! Wenn nicht Gottes Gnade den König begünftigt *) und den
Herzog nit Stolz und Uebermuth erfüllt hätte, jo wäre uns das Glüd
des Sieges nicht jo plöglich zu Theil geworden. Auch fürderte des Königs
Sache der Umftand, daß der vertriebene Herzog Jaromir (dev Name bedeutet
jicherer Friede) in jeinem Gefolge war, und daß das Heer der Böhmen,
als ſich Jaromir auf den Wunſch desjelben zu ihm begab, ganz friedlich
geftimmt war. Auf den Rath und die Aufforderung der Böhmen felbjt
eröffnete daher Yaromir dem Könige die Zugänge zum Gebiete und über—
gab ihm freiwillig eine Burg, welche recht eigentlich au der Thür des
Böhmerlandes lag. Der König erfhien dann nahdem wegen
der zu ſpät anfommenden Baiern fein Marſch etwas ver-
zögert war, vor einer Burg? Namens Sagi und er
fannte die Bewohner?) derjelben, weldhe ihm auf der Stelle
die Thore öffneten und die polnifhe Befagung erſchlugen,
als jeine Freunde — Als der König das große Blutbad
ſah, ward er von Mitleid ergriffen und befahl, die Hebrig-
geblieuenen in eine Kirche zufammen zu treiben. Damals
meldete auch einer für gewiß, daß Bolejlam von feinen Landsleuten *) er:
ſchlagen ſei. Deß freuten jich die Anhänger des Königs in Gott, und die
verführten Genoſſen des faljchen?) Herzogs trauerten.®) . . . .*
Wir brauchen für unjern Zwed nicht weiter zu erzählen, wie König
Heinrich II. von Saaz gegen Prag z0g und hier nach der Flucht des
polnischen Bolejlam Jaromir zum Landesfürften einjegte. Uns genügt
folgende Feitftellung: Als Boleflam im Widerfpruche mit dem deutjchen
1) Nach Zeisberg, bei weldhem jedoch das nachfolgende „ihn“, das fich ſprachlich
auf den König bezieht, beſſer durch „Herzog“ zu geben wäre.
2) und 3) Auch BZeisberg überträgt fachlicher „Burg“ und „Bewohner“ ftatt
„Stadt“ und „Bürger“ (Laurent).
3) Beisberg: „Zandesbewohnern“.
4) Zeisberg: „ehebrecheriichen“.
5) Pers, 8. S. IH. Thietmar I. 6 c. 8. Ich habe mich mehr der wörtlichen
Meberiegung Laurents angejchloffen. Bon den Neneren bringt die unzweifelhaft
beſte Darftellung Zeisberg: Die Kriege K. Heinrihs II. mit Herzog Bole-
law I. von Polen. (Sigungsberichte der Wiener Akademie 57. Bd. 1868.)
Vergleiche auch Hirih, Jahrbücher des deutſchen Reiches unter Heinrich VI.
(VID. Ercurf. Die Verhältniffe Böhmens und Polens im Beitalter Heinrichs II.)
Palackys Darftellung krankt unter andern an der Benügung der Königinhofer
Handihrift als echter Quelle. Ebenjo aut hätte Hajek benützt werden können.
— 21 —
Könige ſich Böhmens bemächtigt hatte, mußte er des unausweichlichen
Kampfes mit diejem gewärtig jein. Er fuchte daher jchleunigjt die Grenz-
burgen des Landes in Vertheidigungszuftand zu jegen") und richtete be—
jonders fein Augenmerk auf die Burg Saaz, in welche er polnijche
Truppen legte. Daß Boleflaw auf feine befeftigten Orte im Norden des
Zandes jtarfes Vertrauen jeßte, geht aus feinen jpöttifchen Worten zum
Caplan des Biſchofs Reinbern hervor. Er täujchte fi) und rechnete ins:
bejondere nicht mit der Unzuverläßlichfeit der böhmiſchen Krieger jelbjt, die
jowie die Landesbemohner alle Urjache hatten, mit der polnischen Gewalt-
herrſchaft unzufrieden zu jein. Diefelben fielen, jowie der deutjche König
im Lande erjchien, zu diefem ab. Heinrich II. dürfte bei Kulm in Böhmen
eingebrochen jein; die Grenzburg, welche fich ergab, war Bilin oder
Brüx.“) Don hier richtete der König feinen Marſch gegen die Egerburg
Saaz, in welcher fich eine polnifche Beſatzung befand. Die einheimischen
Burgmannen aber wandten fi wie furz vorher die von Brüx oder
Bilin dem deutjchen Könige zu, überwältigten die polnische Bejagung und
öffneten dem Könige die Pforten des Burgortes.
Die geographifche Tage von Saaz eignete ſich in vorzüglicher Weiſe
zur Anlage eines Burgortes, fowie einer mittelalterlichen Stadt. An dem
Punkte, wo die Eger aus ihrem von allmählich fich verflachenden Höhen-
zügen umfäumten Thal vollftändig die Ebene gewinnt, erhebt ſich am
rechten Ufer des Flufjes eine Anhöhe, die fich gegen Süden als Höhen-
famm fortzieht, gegen Weften und Norden aber in fteilem Gehänge zur
1) Bergl. Dobner Hajef ann. Boh. IV. ©. 506.
2) Siehe meine „Geihichte des Kummerner Sees“, Ceite 7. und Stadtbuch
von Brür. Anmerk. zu [2], [3]. Vergleihe Schiffner: Ueber den Punkt,
wo Kaiſer Heinrich II. 1004 in Böhmen eingebrohen (N.-Lauſitzer Magazin
XVIII. Bd. ©. 213—233), ferner „Quellenmäßige Darftellung der Geichichte
bes Krieges zwiſchen dem deutjchen König Heinrich II. und dem Herzog Bo-
leflaus Chrobry von Polen (N.Lauſitz. Magaz. XXX. Bd. ©. 13 flg.). Fode
(aus bem älteften Gejchichtsgebiete Deutihböhmens ©. 65 flg.) führt ſehr gute
Gründe für die Wahrfcheinlichkeit der Einbrüche der deutichen Heere in den
Fahren 805, 1040 und 1126 auf der fogenannten alten Salzftraße bei Königs—
wald (Kulm) an. Er hätte aus denfelben Gründen aud den Einfall von
1004 erwähnen können. — Die Meinung J. Fiſchers (Erzgebirgszeitung 2. u.
3. Heft, ©. 65 flag.) nah F. Herbabny, der Einbruch fei über Chemnis,
Zihogau, Göttersdorf, Görkau erfolgt, hätte noch durch den Umftand erbärtet
werden fönnen, daß die genannte Linie der gerade Weg nad Prag if. Doc
der König ging gegen Saaz wegen der dortigen polniſchen Befagung und den
entgegenfommenden bairiihen Truppen and auf den Ummegen. (Vergl. Bü-
dinger Oeſter. Geſch. ©. 335, 336.)
— 22 —
Eger niederjteigt. Dieje umfließt das Weichbild der Stadt in einem nord»
öftlich und dann ſüdöſtlich ausgreifenden Bogen. Knapp am Fuße der
Anhöhe zieht ich der aus der Eger abgeleitete Mühlgraben hin. Diefer
jo bejchaffene Standort der alten Burg und der heutigen Stadt ließ ſich
auf leichte Art nach mittelalterlicher Weife in einen fejten Pla umwandeln.
Thietmars „Satzi“ zum Jahre 1004 ift nun die erſte unmittelbare Er-
wähnung desjelben. Auf Hajels bis zum Jahre 718 hinauf fich aus—
dehnende Erfindungen kann natürlich nicht eingegangen werden. Nur eine
Bemerkung dieſes ſonſt jo übelberüchtigten Gejchichtsichreibers wollen wir
berühren, die mit dem vein Chronologifchen Nichts zu thun hat und eine
anderweitige urkundliche Bejtätigung findet. Er jagt nämlich über den
Namen des Ortes wäre ein Streit gewejen. Einige wollten demſelben
den Namen Hlafijlaw, nad) dem Sohne des Schwach (des angeblichen
Gründers von Saaz um 718) wählen; „die anderen aber wollten, dieweil
ein Fluß von der Eger unter der Stadt hinging, den man damals
Zatofa nannte, daß die Stadt follte Ztatecz genannt werden, wie
denn die Stadt bis auf den heutigen Tag aljo heißet.“) Nun wird in
einer für die ältere Topographie der Stadt Saaz höchſt Lehrreichen Ur:
funde vom 9. Auguſt 1404, in welcher fich das Poſtelberger Klofter mit
der Stadt Saaz über Wafjerläufe, Inſeln, Grenzen, Mühlenrechte u. dgl.
einigten, ausdrüdlich jenes Wafjerlaufes unterhalb der Stadt gedacht,
weldher „Zateecz“ hieß und von welchem, wie in der Urkunde eingefchaltet
wird, der Name der Stadt herjtammt.?) Diejer Wafjergraben verlief von
1) Nach Sandels Ueberfegung. ©. 13.
2) Urfundenbuch der Stadt Saaz Fol. 27a., ..... in veram concordiam de-
venimus et uniti existimus finaliter isto modo: quod nos Johannes abbas
et fratres cenobii pretacti, nec non omnes spirituales et seculares suc-
cessores nostri, molendini in Baczina possessores, sufficiencia aque
etsignanter terciam partem Egre fluminis in rivum circa
molendinum illud ortum sumentem, Zatecz dicetum, sub
eadem civitate defluentem, cui ortulani et plurimi mecha-
nici assident, a quo etiam civitas pretacta denominacio-
nem sumit, in omnem eventum debeamus perpetue ministrare, sic quod
molendinum nostrum in rivo eodem juxta pedagium, quod inter pistores
dueit, situm, frequenti molitura absque desertamine perfruatur; sie eciam
quod nos et omnes successores nostri rivum pretactum ab ortu, seu prin-
cipali effluxu ipsius, videlicet a molendino in Baczyena, quocienscunque
arena vel aliis diluvialibus, aluviis seu dirrucionibus abstructus seu re-
pletus fuerit, usque ad pontem prope Wenceslaum Wunczkonem situm, per
quem a civitate versus ecclesiam sancti Martini descenditur, extruere,
emundare et purificare propriis impensis et sumptibus perpetue astrin-
— 233 —
der Eger zur Eger, jcheint jomit ein alter fanalifirter Egerarm gemefen
zu jein, welchem durch ein Wehr im Hauptfluffe das nothmwendige Stau-
waſſer zugeführt, und welcher feit Alters zum Mühlenbetrieb verwendet
wurde. Noch heute befteht diefer alte Mühlgraben, der im J. 1404 feinen
Ausflug aus der Eger bei der Mühle Baczina nahm, welche dem Poſtel—
berger Klojter gehörte. Zur Säuberung und Inſtandhaltung des Grabens
von der Mühle Baczina bis zur Brüde beim Grundſtücke des Wenzel
Wunczko war das Poftelberger Klojter, zur Reinigung der übrigen Strede
bis zur Einmündung in die Eger die Stadt Saaz verpflichtet. Der dritte
Theil des Egerwafjers jollte dem Miühlgraben zugewendet, deſſen Ufer
jollten durch Bäume abgegrenzt werden, und den anmohnenden Gärtnern
und Handwerkern jedwede Verunreinigung ftreng unterfagt fein. Würden
aber bei Ueberſchwemmungen Verſandungen und Berjchlemmungen ein:
treten, jo joll den Poſtelbergern erlaubt fein, vom Berge „Skotnik“ und
den angrenzenden Anhöhen die Gewäſſer zu fangen, dem Graben bei der
Mühle in Baczina zuzuleiten und jenfeitS des Grabens den Canal bis zur
Eger fortzuführen.')
Iſt es nun richtig, daß der Name der Stadt Saaz von jenen
Mübhlgraben „Zatec" abzuleiten ift, dann hätte der legtere oder wenigſtens
der fragliche Egerarm jchon im Jahre 1004, im welchem der Name
gamur; quodque consules et communitas predicte civitatis Zacensis resi-
duum rivum ejusdem, videlicet a ponte prope Wunczkonem usque in-
troitum Egre fluminis similiter propriis sumptibus et impensis teneantur
perhenniter extruere, emundare, sic quod a principio usque finem per
rivum eundem aqua frequenter habeat liberum transitum et ineatum; unde
mox eundem rivum in qua latitudine persistere eterne debeat, tenebuntur
limitare arbores et alia crementa concreta vel inserta indebite undique
evellentes, ita quod terminus idem de cetero non arcetur, etiam per or-
tulanos et alias mechanicos scobibus et strupibus nunquam amodo ob-
struantur. ei vero futuris temporibus inundacio aquarum per arenam, ar-
gillam et aliam glaream rivi obstructionem seu replecionem minabitur,
extunc licitum erit, nobis et successoribus nostris spiritualibus et secula-
ribus aquas de promontorio dieto Skotnyk et de camporum cacuminibus
defluentes aggregare, easdemque aquas per viam prope allodium Wacz-
konis in Baczyna usque ad magnas salices, proxime sub molendino sitas,
et per medium earundem salicium trans rivum per canalia ducere, quo-
usque fluxum Egre fluminis subintrabunt.“
Nach Späteren wird der Name der Stadt Saaz von den Krümmungen der
Eger, tichechiich „zätoky“ abgeleitet. (Dobner annal. Haiec. II. ©. 134. Han-
merſchmid prodr. gl. Prag. ©. 1 u. a.) Dlask und Muſſik (Topographie des
Saazer Kreiſes S. 179) führen die Ableitung von „Ziti* (ernten) aı.
Mittheilungen. 26. Aahrgang. 3. Heft. IS
1
—
BEE |
„Satzi“ für den Burgort zum erjtenmale genannt wird, jchon bejtanden.
Haijek, der unftreitig ſehr viel gelefen, das Gelefene aber bunt durch—
einandergewürfelt und mit eigenen Zuthaten verbrämt hat, Fünnte im:
merhin eine Notiz von jenem alten Mühlgraben gefunden haben, die ihn
zu feiner Namensableitung, wohl aber auch zu der jo oft nacherzählten
Sage vom Bane der kunſtvollen Waffermühle in Saaz durch „Halek“
im Jahre 718 veranlaßte.
Schon nad) dem Erzählten, aber aud der ganzen Lage der Dinge
gemäß muß die Gauburg Saaz als eine der bedeutendjten des Landes
angefehen werden. Die Landesfürjten rechneten mit den reichen Einkünften
derjelben. Als Herzog Bretiflaw I. das Collegialjtift Altbunzlau gründete,
wies er in dem ins Jahr 1052 verlegten Stiftsbrief der Neugründung
unter andern verjchiedene Zehnte des Burgortes Saaz zu,') und König
Wratiflam jchentte um 1088 dem Wyſchehrader Collegiatſtifte mehrere
Handwerker im felben Burgorte.?) Diefes Stift erhielt ferner von Herzog
Sobiejlaus den zehnten Theil des Saazer Zinfes (1130), ?) während einige
ehemals zu Saaz gehörige Dörfer vom Herzog Friedrich dem Hojpitale
zu St. Johann in Prag verliehen wurden (1183) (1185). Ottokar I.
aber bejtätigte dem Klofter St. Georg in Prag den Neunt vom Marfte
in Saaz (c. 1228). °)
Die reihen Einkünfte des Saazer Gaues wurden wiederholt
von den Landesfürften Mitgliedern der regierenden Familie zum Unter:
halte angewiejen. So erhielt dieſelben Prinz Spytihniev von feinem
Bater Herzog Bietiflam I. im Jahre 10546), und 1111 trat in den
Genuß derjelben Sobiejlaw, der Bruder des Herzogs Wladijlam.”) Zu
Saugrafen aber wurden nur Männer aus den vornehmften Familien des
1) Erben, reg. Boh. I. ©. 48. Die Urkunde ift zwar nicht echt und dürfte erft
viel jpäter entftanden fein. Dod werden die Anfertiger derjelben, wie ja in
vielen anderen Fällen, au Thatſächliches angeknüpft haben, weßwegen eine
— im Allgemeinen, wenn auch nicht in den Einzelheiten geftattet ſein
dürfte.
2) Erben, reg. Boh. I. ©. 79. *„in suburbio Sateensi.“ Bezüglich der Echtheit
der Urkunde beftehen ſtarke Zweifel, weßwegen dasjelbe wie bei Anm. 1 gilt.
3) Dajelbit S. 94. E3 gilt dasjelbe, wie von Anm. 1 und 2.
4) Dajelbft S. 168, 173, wie bei Aum. 1-3.
5) Erben, reg. Boh. I. ©. 336. Vergl. daſelbſt ©. 380 (ad 1253).
6) Pers, 5.5. IX. ©. 76. „et hie supradietus heros a patre sibi concessam
Satec haberet provinciam.*
7) Dafelbft S. 121. „dux Wladizlaus fratrem suum Sobieslaw revocavit de
Polonia et dedit ei civitatem Satec cum omni ad eam pertinente provincia.“
Landes bejtellt. Die Namen der Mehrzahl vderjelben, wie wir jie oben
angeführt haben, find uns zwar nur als Zeugen in Urkunden bekannt,
nehmen aber als ſolche meijt einen hervorragenden Pla ein. Bon Zmil
dem erftgenannten, dem Sohne des Bozen, erzählt uns Cosmas, daß, als
e3 ji) nad) dem Tode des Bilchofs Severus im Jahre 1068 um die
Neubejegung des Biſchofsſtuhls handelte, er jich jener Partei anſchloß,
welche im Gegenjage zum Herzog Wratijlaws IT. die Wahl Jaromirs, nicht
aber die des vom Herzoge vorgejchlagenen PBropften von Leitmerig Lanzo
vertrat. Es fam in der betreffenden Verſammlung zu einem heftigen
Auftritt, welcher nicht des nationalen Beigefhmads entbehrte. Denn der
Hauptredner gegen Lanzo, der Gaugraf Koyata von Bilin, wies mit
aller Heftigfeit darauf hin, daß diefer Lanzo ein Deutjcher und ein her-
gelaufener Fremdling jei, der ohne Hofen ing Land gekommen wäre; man
jolfe doch nur einen Einheimischen, den Herzogsjohn Saromiv wählen. Der
Bruder des Herzogs Spytihnemw feligen Angedenfens wäre Flug gewejen, als
er eines Tages alle Deutfchen aus den Lande jagte. „Wir wollen aljo
lieber den Schwanz eines Hundes oder den Koth eines Ejels auf dem
heiligen Stuhle fehen, als diefen Lanzo.“ Der Saazer Gaugraf Zmil
aber forderte die Anhänger Jaromirs auf, die VBerfammlung zu verlaſſen,
was denn auch geihah. Herzog Wratiflam gab jpäter dem Andrängen
jeiner Brüder Konrad und Otto nach und entjchied ſich für Jaromir,
wobei er nach dem Chroniften bemerkte: „Es gejchieht dies nicht wegen der
Großiprecherei des Koyata, noch wegen Zmil, der auf den Lippen Honig
und im Herzen Galle hat, und auf deren jchlechten und treulojen Rath ich
gethan habe, was ich gethan — weh ihnen, wenn ich am Leben bleibe."
Koyata und Zmil aber hatten rechtzeitig die Flucht ergriffen. ')
Der zweite uns mit Namen befamme Gaugraf von Saaz Bofey,
der Sohn des Cac, gehörte dem mächtigen Gejchlechte der Werjchowege
an. Auch er gerieth mit jeinem Herzog Bietijlaw II. in Zwieſpalt und
wurde mit Weib und Kind auf einem Schiffe nad) Zribria (Meißen)
in die Verbannung gebracht (1096), von wo er mad Polen flüchtete
und dajelbjt mit feinen gleichfalls vertriebenen Vetter Mutina, dent Gau—
grafen von Zeitmerig, zuſammentraf.“ Ein Einverſtändniß der Werſchowetze
mit den feindlichen Polen joll den Herzog zu ihrer Vertreibung veranlaßt
1) Berg, 8.8. IX. ©. 81 flg. Cosmas erzählt mit Behagen jedweden Ausfall
auf die Deutichen — nennt er doch den bekannten Befehl Spytihniews, alle
Deutichen aus dem Lande zu vertreiben „etwas Großes und Wunderbareg,
was den Herzog für alle Zeiten merkwürdig machte.“
2) Dajelbit S. 103.
18*
ur BG
haben. König Wladijlaw von Polen nahm die Flüchtlinge freundlich auf. Ob
nicht gerade damit im Zuſammenhange Bretiſlaw IT. als Ort zur feierlichen
Begehung des Weihnachtsfeftes im Fahre 1099 die Saazer Gauburg wählte?
Er brachte den ihm verwandten und zugethanen polnischen Prinzen Bo—
lejlam mit, ernannte ihn zu feinem Schwertträger und bejtimmte ihm
zum Gejchenfe fir die Ausübung des Schwertträgeramtes 100 Mark
Silber und 10 Pfund Gold von dem Tribut, den fein Vater, der Polen:
fünig Wladiflam, jährlich zu zahlen hatte. *) Ein Jahr darauf am 22. De-
cember 1100 jtarb der beliebte Herzog von Böhmen als Opfer eines
Meuchelmordes, welchen angejtiftet zu haben die vertriebenen Werjchowege
allgemein im Verdachte ftanden. Unter Bokiwoj IL, dem Nachfolger
Bretiſſaws II.. wurden Bojey und Mutina wieder in Gnade aufgenom-
men; beide Gaugrafen konnten in ihr Vaterland zurücfehren, und wurden
hier neuerdings mit ihren alten Gauämtern in Saaz und Leitmeriß be:
traut (1101). Cosmas bemerkt, der Herzog habe diejes „nicht vom
Herzen, jondern nothgedrungen durch die Zeitverhältnifje" gethan. ?) Mannes:
treue und Dankbarkeit zählten offenbar nicht zu den Tugenden der Werjcho-
wege. Das jollte auch Botiwoj II. in Erfahrung bringen. Als man
ihn warnte, juchte er fich des DBojey und Mutina zu bemächtigen. Dieſe
aber verbanden jih mit Swatopluf, dem Fürjten von Olmütz,
zum Kampfe gegen Boriwoj. Diejer mußte flüchten, Swatopluf aber
wurde zum Herzog von Böhmen ausgerufen (14. Mat 1107). Es war
aber faum ein Jahr vergangen, jo erhielt Smwatopluf, der jich eben auf
einem Kriegszuge in Ungarn befand, von Grafen Wado, welchem er mit
Mutina auf die Dauer jeiner Abwejenheit den Schug Böhmens übertragen,
die Nachricht, der Werjchowege treibe im ausgebrochenen Kampfe mit den
Polen falſches Spiel und pflege heimltehes Einverftändiuiß mit diefen und
mit dem von ihmen unterjtügten Boriwoj. Eiligjt fehrte der Herzog
in jein and zuriick und hielt auf der Burg Wratijlam jchweres Straf-
gericht über Mutina und ſein Gejchledht. In einer Verſammlung aller
Großen warf der wuthentbrannte Swatopluf den Werjchowegen alle Frevel—
thaten vor, die jie gegen fein Haus verübt hatten: die einjtige Schandthat
an Jaromir, die meuchlerische Ermordung Bretiflaws II., die Betheiligung am
Sturze Boriwojs II. und den legten Verrat des Mutina. Es erfolgte
hierauf das bekaunte an den Werjchowegen angerichtete greuliche Blutbad.
Ueber das klägliche Ende Boſey's aber, unferes Saazer Gaugrafen, erzählt
1) Perg, 8.8. IN. S. 108.
2) Daielbit ©. 108.
rin
Er
Eosmas: Der Herzog jprad) zu den verjammelten Grafen: „Wer fich nicht
jcheut, meine Befehle zu vollziehen, dem foll eine jchwere Menge Geld
gegeben werden; wer aber Boſey und feinen Sohn tüdtet, der joll hundert:
fältig erhalten und deſſen ganzen Befig erben!" Dann fährt der Chronijt
fort: Mittlerweile war Bojey zu Lubic [Libis], ach nicht ahnend, was ihm
bevorjtand, eben im Begriff, ſich mit feinem Sohne und feiner Gemahlin
zur Zafel zu begeben, als ein Knappe eintrat und ſprach: „Sieh Herr,
e3 rennen viele ohne Ordnung über das Feld hieher.“ Bojey aber ſprach: „Die
fommen vom Feldzuge, fie mögen mit dem Segen Gottes bei ung ein:
treten." Während er noch ſprach, ſieh, da riß der Tchredliche Kirafja die
Thüre auf und rief das bligende Schwert in der Hand: „Stirb, Laſter—
bafter, jtirb, Uebelberathener, der du meinen Berwandten Thomas ohne
Beranlaffung während der Faftenzeit ermordet haft." Boſeys Sohn
Boruth erhob ſich und ſprach: „Was thut ihr Brüder? Sind wir zur Haft
verurtheilt, jo Fann dies ohne Waffen und Lärm vor fich gehen.” Und
jofort hatte er, ohne ſich deſſen zu verjehen, das Schwert bis zum Griff
im Leibe, und ohne Aufſchub
Mordet den Vater das Schwert, vom Blute des Sohnes noch triefend.
Die Eindringlinge vanben, als hätten fie Städte erobert, unermeßliche
Schätze, wie Cato jagt:
„Schnell oft ſchwindet, was man im Laufe der Jahre geſammelt.“
Denn von jo großen Neichthiimern blieb fein Tuch übrig, womit
man die Leichen hätte zudeden fünnen; vielmehr wurden Bojey und jein
Sohn Boruth ohne Sarg, ohne Leichenfeier und nackt, wie das Vieh ein-
geicharıt am 27. October. ')
Der dritte Gaugraf von Saaz, Namens Juri, ein Sohn des Zdan,
welcher am 12. Mai 1082 in der blutigen Schlacht bei Mailberg fiel, *)
war nad) Cosmas ein jchneidiger Ritter. Er nahm mit feinen Saazer
Burgmannen Antheil au dem Kampfe, zu welchem es auf dem Luckofelde
am 13. Mai 1116 in ganz unerwarteter Weije zwijchen Wladijlam I. und
dem ungariichen Könige Stephan II. gefommen war. Der tapfere Gau—
1) Berg, S.S. IX. S. 114. Palacky juht in jeiner Darftellung die Werſchowetze
rein zu wachen, was ſelbſt nach der Erzählung de3 Cosmas nicht gut angeht.
Aus der Bemerkung diefes Chroniften, er hätte noch reichlichen Stoff über
den Sturz und das Verſchwinden der Werſchowetze zu iprechen, läßt fich nichts
folgern.
2) Dafelbft S. W.
— 258 —
graf von Saaz büßte mit der Mehrzahl feiner Schaar das Leben, wie
einft jein Vater, auf dem Schladhtfelde. *)
Die Gaugrafen Jarogneu (1144—1176) und Zdeslaus (1172
bis 1183) treten ung nur als Urkundenzeugen entgegen. Der lebtere war
aus vornehmen Gejchlechte, da er offenbar als Sohn jenes Grafen Divis
angejehen werden muß, welcher al3 treuer Rathgeber Herzog Sobieſlaws I.
zum Jahre 1130 genannt wird.) Daß man in diefem Jahre das Gau—
grafenamt von Saaz als eine der begehrenswerthejten Würden des Landes
auffaßte, geht aus Folgendem hervor. Auf den Herzog Sobieſlaw war ein
Mordverſuch geplant, aber vereitelt worden. Einer der fejtgenommenen
Verfchworenen Namens Mirojlam, Sohn des Grafen Johann, äußerte
in feinem reuigen Geftändniß: der Bilchof Meinhard habe ihm eidlich
eröffnet, daß, wenn er den Herzog Sobiejlam tödte, jo werde Herzog
Bretiſſaw ihm als Belohnung die Wahl unter folgenden fünf Aemtern
laffen: des Gaugrafen von Saaz oder Leitinerig, des oberjten Kämmerers,
Truchſeſſes oder des Hojmarjchalls. ?)
Bis ins XII. Jahrhundert hinein haben wir dag urbs oder civitas
Satec der Chroniften lediglich als Burgort oder Burgfleden aufzufafien
und feineswegs an ein ſtädtiſches Gemeinwefen zu denken. In den Ur-
funden wird richtig die Burg mit urbs, der Burgfleden mit suburbium ®)
bezeichnet. Der Burgfleden entjtand am Fuße der alten Gauburg und
umfaßte zunächſt die Wohnungen der landesfürftlichen Dienjtleute und
der Handwerker. Daß bereits im Jahre 1004 eine Kirche im Burg:
berreiche fich befand, geht aus der Erzählung Thietmars zum genannten
Jahre hervor. Auch der Bejtand einer Mühle am alten Mühlgraben kann
mit einiger Wahrjcheinlichfeit angenommen werden. Zum Jahre 1088
werden als Handwerker im Burgfleden ein Gerber, ein Kelchner (Becher—
drechsler) und ein Schmied erwähnt.?) Da die Gauburg den Mittelpunkt
1) Bert, 8.5. ©. 123. E3 mag nur nebenbei auf die verworrene Erzählung
Hajels von dem tapfern Müller Georg von Daupowa bingemwiefen werben, den
Wladijlam zum Hauptmann von Saaz ernannt haben foll (1114). In diefen
Georg (anflingend an Jurik) hätten wir zugleich einen zweiten Waſſerbaukünſtler
und Mühlenbaner, der mit Saaz in Verbindung gebradt wird. Er wird von
W. Ripa Stanfovinus (Elegia X. lib. III.) dichteriſch verherrlicht. Vergleiche
Paprocky diad. S. 138,
2) Dafelbft Canonici Wissegrad. cont. Cosmae 8. 134. Palacky erblidt in Divis
ben älteften Ahnherrn des Grafen v. Sternberg. (Geſch. Böhmens I. ©. 404.)
3) Daſelbſt ©. 136.
4) Erben, reg. Boh. I. S. 79 u. a.
5) Dajelbft.
— 359 —
eines großen militärifchen, gerichtlichen und politischen Verwaltungsgebietes,
des Gaues oder der Provinz Saaz, bildete, da ferner von hier aus die
Berwaltung der großen landesfürjtlihen Ländereien im Gaugebiete geleitet
wurde, jo lag es in der Natur der Dinge, daß der Burgfleden einen jtarfen
Anziehungspunft zu Anſiedelungen bildete und er fich bald über die ge-
wöhnlichen Verhältnifje eines Dorfes hinaus entwicelte und zum Bororte
des Handels und der Gewerbe im Gaue gejtaltete.e Daß der Saazer
Burgfleden gleich den auderen des Landes frühzeitig auch berechtigter Marktort
war, läßt fi) mit Sicherheit annehmen, wenn wir auch erjt zu den Fahren
1228 und 1233 eine ausdrückliche urkundliche Bejtätigung finden.) Daß
auch die Firchliche Drganifation des Landes theilweife an die politijche Glie—
derung desjelben anzufnipfen juchte, it befannt. Unter den im XII. Yahr-
hunderte erwähnten 13 Acchidiaconsten Böhmens wird das Saazer mit
den Decanaten von Saaz, Elbogen, Ludig, Kaaden und Tepl erwähnt.
Keineswegs aber ift, wie ſchon aus der Aufzählung diefer Decanate her-
vorgeht, an eine Hebereinjtimmung der Gaugrenzen mit denen des firchlichen
Verwaltungsgebietes zu denken. WS erjter Archidiacon von Saaz wird
uns Jahr 1186 bis 1194 ein „Fridericus* erwähnt.?) 1195 bis 1212
erjcheint als folcher „Witek“,®) 1212 „Milesko“,*) 1216-1219 „Diyz-
laus“.°) Letzterer gehörte zu jenen höheren Geiftlichen welche im Jahre
1218 treu zur Seite des Königs ftanden, infolge deſſen ihrer Aemter
enthoben und vor den Nichterjtuhl des Bapftes geladen wurden. *) Die
Archidiacone, zumeift Prager Dombherrn, hatten ihren Wohnjig in Prag
und famen nur ab und zu in den ihnen zugewiejenen Firchlichen Ver—
waltungsjprengel.
Nach den Memorabilien der Saazer Dechantei wurde zur Saazer
Decanalfirche der Grundftein am 21. Auguft 1206 gelegt.”) Die von
Thietmar zu 1004 erwähnte Kirche dürfte wohl die Burgfirche geweſen
jein. Als Firchliche Wirdenträger in Saaz finden wir ſchon im Jahre
1) Erben, reg. Boh. I. &. 336 und 380.
2) Erben, reg. Boh. I. ©, 178; Frind, Kirchengeſchichte I. ©. 241.
3) Dafelbft S. 190, 191. Ein archidiaconus Witek (ohne die nähere Bezeihnung
von Saaz) ift nody zu den Kahren 1201, 1203 und 1209 urkundlich beglaubigt.
Bergl. Frind, Kirhengeihichte I. ©. 241.
4) Daſelbſt S. 249,
5) Daſelbſt S. 266, 284.
6) Daſelbſt ©. 281.
T) Bergl. Weleslawin Cal. ad. 21. Aug.
“e
1165 „Albertus praepositus Sacensis“ erwähnt; ) 1227 erjcheint Martinus
als prepositus Sacensis. ?)
Die Mehrzahl der freien Königlichen Städte Böhmens wuchs aus
den marftberechtigten Burgfleden des Landes heraus. Die Verwandlung
des der Gauburg unterthänigen Burgfledens in eine freie Stadt vollzog
ſich allenthalben in derjelben Art und Weife. Der Burgfleden wurde von
der Verwaltung und Gerichtsbarkeit des Gaues losgelöjt und unmittelbar
unter die Krone geftellt. An die Stelle der alten unfreien Burgmannen
und Dienftlente traten freie Bürger, ausgejtattet mit einer weitgehenden
Selbftverwaltung und jonftigen ftädtifchen Gerechtjamen und Privilegien. Der
Föniglihe Grund und Boden, auf welchem die Neugriindung vor fich ging,
wurde den neuen Anfiedlern als freies Eigenthum gegen eine einmalige
Ablöſungsſumme und einen jährlichen Grundzins üherwieſen. In der Negel
Ihloß der König mit einem Unternehmer einen befonderen Vertrag über die
Gründungsbedingungen bei der neuen ftädtifchen Anlage. Die Gründe für
die Hofjtätten und das Aderland wurden genau zugemefjen und vertheilt. Dem
Unternehmer wurden bejondere Begünftigungen, jo das erbliche Gericht,
Stenerfreiheit u. dgl. ertheilt. Ueberall erjcheint im Lagerplan der Stadt
im Mittelpunkt der geräumige rechteckige Marftplag, von deſſen Eden die
parallelen Hauptitraffen auslaufen. Als wejentliche Eigenſchaft der Stadt
galt deren Befejtigung mit Mauern, Thürmen und Graben.
In der armen unterthänigen jlavifchen Bevölferung des Landes
fanden ich feine geeigneten Elemente zur Durchführung ftädtifcher Grün-
dungen. Diefelbe wurde deutfchen Einwanderern übertragen und denjelben
ausdrüdlich nebft der jchon angeführten Freiheit von der ſlaviſchen Gau-
verfaſſung der Gebraudy ihrer mitgebrachten deutfchen Rechtsgewohnheiten
verbürgt. Die legten Premyſlidiſchen Könige, allen voran der ftaatsfluge
Ottofar II, wußten vecht wohl, warum fie die Entwiclung des deutjchen
Stüdtewejens und des in ihm aufblühenden deutjchen Bürgerjtandes jo
ausgiebig fürderten. Es ijt hier nicht nothwendig, die gewichtigen mili-
tärischen, finanziellen und politifchen Vortheile auseinanderzujegen, welche
ih aus den Neugründungen für den Landesfürjten ergaben. In dem
ung vorliegenden Einzelfall wird ſich übrigens Gelegenheit ergeben aud)
darauf zurüdzufommen.
Ueber .die genaue Zeit der Ummandlung des Saazer Burgfledens in
eine freie königliche Stadt jind wir nicht unterrichtet, da die eigentliche
1) Erben, reg. Boh. I. ©. 137.
2) Dobner, mon. IV. &, 258.
— 261 —
Gründungsurkunde ſich nicht erhalten hat. Eine Art Uebergangszuſtand
vom Burgfleden zur Stadt ließe fich allenfalls aus jener Manietiner Ur-
Funde König Wenzels I. vom 18. März 1235 ') ableiten, in welcher Saaz
jowohl unter der Bezeichnung Stadt (eivitas) als auch Burg (castrum)
erjcheint. Sachlich wird man aber doch wohl nur auf die Freifegung des
dem Hojpitale bei der Prager Brüde gehörigen Marftfledens Manietin
von der Gerichtsbarkeit der Saazer, Bilfner und anderer Gauburgen
deuten Fünnen. Andernfalls ließe ſich nicht gut erklären, auf welche Weife
Manietin unter die ftädtifche Gerichtsbarkeit von Saaz gelangt wäre, und
es bliebe nur der ziemlich gezwungene Ausweg übrig, an jolche Verbrechen
und Streitigfeiten der Manietiner zu denfen, die innerhalb des Weichbildes
der Stadt anhängig geworden waren.
In Ermanglung anderer beglaubigter Nachrichten vermögen wir die
förmliche Ausbildung eines jtädtifchen Gemeinwejens von Saaz erjt in die
Zeiten Dttofars II. zu verlegen, welcher König fich ja überhaupt als ver
eigentliche Städtegründer des Landes darjtellt. Denn auc) die Bezeichnung
der Ehronijten?) eivitas Zatesz zum Jahre 1249 in der Erzählung über
den Kampf König Wenzels I. mit feinem Sohne Ottokar kann auf die
Burg und den Burgfleden Saaz bezogen werden. Diefe waren in die
Hände des aufrühreriichen Prinzen gefallen, von König Wenzel aber im
Februar 1249 zurüdgewonnen worden. Legterer jtellt eine dem Kloſter
Waldſaſſen verliehene Schenfungsurfunde am 13. Feber 1249 in Saaz aus. ?)
Aus den Zeiten Ottofars II. liegen uns aber Nachrichten vor, welche
den ſtädtiſchen Charakter von Saaz unzweifelhaft darthun. Die Urkunde
von 1260, mittelft welcher die Waldſaſſner Klojterleute vom Saazer und
anderen Gerichten losgelöft werden, *) fällt nun theilweife aus denſelben
Gründen, die wir oben bei der Manietiener Exemtion geltend gemacht haben,
nicht ind Gewicht. Dagegen gibt den Ausjchlag das Privilegium, welches
König Dttofar IT. den Saazer Bürgern am 30. December 1266 °) verlieh.
1) Erben, reg. Boh. I. S. 411: Convenimus etiam, quod — causae, quae
fuerint tractandae de rapina vel de furto vel homicidio vel alio maleficio
seu etiam lites pecuniariae, ad Plizn vel Satecs seu etiam ad alias
civitates non deferantur, sed per judicem, quem jam dieti fratres in
eodem loco Manetin ordinaverint, terminentur; locavi quoque ejusdem
fori nec in praedictis castris nec in aliquo loco alio, praeterquam coram
nobis, astare judicio compellantur.*
2) Bert, S.S. IX. Can. Prag. cont. Cosm. ©, 169 u. a.
3) Gradl, mon. Egr. S. 77.
4) Emler, reg. Boh. II. ©. 94.
5) Saazer Urkundenbuch Fol. 7b, Vergl. Emler, reg. Boh. I. S. 204, 205.
— 202 —
Dasſelbe enthält folgende Beſtimmungen:
1. Die Saazer Bürger ſollen nicht an das Prager oder ein anderes
Gericht belangt werden, noch ſich ſelbſt an einen andern als ihren eigenen
Richter wenden, außer wenn dieſer ſelbſt die Gerechtigkeit verweigert.
2. Sie dürfen ihre Schuldner oder ſolche, gegen welche ein Gerichts—
fall anhängig iſt, in ihrer Stadt durch den Richter oder deſſen Boten
feſthalten zur Verfolgung und Austragung des Falles.
3. Alle Gerichtsfälle, welche ſich an Markttagen innerhalb einer
Meile um die Stadt betreffend diejenigen ereignen, welche zur Stadt
kommen oder aus derſelben zurückkehren, hat der Saazer Richter zu richten
und zu entſcheiden. Wenn der König aber in ſeiner Stadt einen Vor—
ſitzenden des Gerichtes beſtellt, ſo hat ſich dieſer in allen Fällen an das
gebräuchliche Stadtrecht zu halten.
4. Eine Meile um die Stadt herum darf ſich keine Schänke be—
finden.
5. Von allen denjenigen und deren Familien, welche zum Walde
gehen, darf das Zeichen „peczacz“ genannt, nicht verlangt werden.
6. Wer immer in die Stadt zum Aufenthalte überfiedeln will und
ſich durch die Erlangung der „weglose* von feinem bisherigen Heren
frei gemacht hat, derſelbe kann dies frei thun, und darf von jeinem
früheren Herrn in feinerlei Weile behindert werden. Derfelben Freiheit
jollen ſich Diejenigen erfreuen, melde aus der Stadt auf ein anderes
Dominium auswandern wollen.
Diefe Ottofarifche Begnadigung nöthigt zu nachjtehenden Schluß-
folgerungen: Im Fahre 1266 befand fich das ftädtiiche Gemeinmwefen von
Saaz in jeiner allererjten Entwidlung, da es ja jeßt erſt zwei wejentliche
Gerechtſame einer jeden freien Stadt, die jelbjtändige Gerichtsbarkeit und
das Weichbildsrecht, Teßteres noch nicht im vollen Umfange, empfängt und
das Zuzugsrecht begünftigt wird. Die Thatjache der urfprünglichen Grün-
dung d. h. die Abjchließung des Vertrages mit feinem Unternehmer, die
Zumeffung des Grund und Bodens und die Freifegung von der Ber:
waltung und Gerichtsbarkeit des Gaues werden wir jomit zwar vor das
Jahr 1266, aber nicht lange vorher anzunehmen haben. Die Erwäh—
nung des gebräuchlichen Stadtrechtes') kann auch nicht zur Vermuthung
eines bereit3 längeren Bejtandes der Stadt veranlaffen, weil unter
demjelben das deutjche Recht, in unjerem Falle Nürnberger Stadtrecht,
zu verjtehen tft, nach welchem jich einrichten zu dürfen den Anfichlern in
1) „jure ibidem consuetudinario et eivili.“
a.
der Negel ſchon in der Gründungsurkfunde zugefichert wurde. Für die
Jugend unferer Stadt fpricht noch weiter der Umjtand, daß der König
den Bürgern und ihren Wamilienangehörigen eine gewiß frühzeitig
gejtellte Bitte, den freien Zugang zum Walde, gewährte, während offenbar
den unfreien Bewohnern des alten Burgfledens diejes nur gegen bejonderen
geftegelten Erlanbnißſchein der Gaubeamten geftattet worden war.!) Ser:
. vorzuheben aus der Dttofarifchen Urkunde wäre noch der Umjtand, daß
diejelbe neben dem jlavifchen „peczacz“ den deutſchen Kunſtausdruck
„weglose“ Weglaßbrief Losbrief) bringt, ein Beweis mehr fir die Ein-
bürgerung deutfcher Gebräuche und Rechte in der Saazer Gegend im
XIII. Jahrhunderte.
Daß im Jahre 1261, für welches die Anwejenheit Dttofars II. in
Saaz nachgewiejen iſt,“) die Gründung der Stadt fich ſchon im Zuge
befand, läßt ſich wohl mit aller Wahrjcheinlichkeit annehmen. Der ur:
iprünglih der Stadt zugemeſſeue Königsboden an Adergründen dürfte
nicht jehr umfangreich gewefen fein, denn noch im Jahre 1321 hatten die
jtädtifchen Gründe feine große Ausdehnung. Um diefe Zeit waren nämlich
allerhand Zweifel iiber die Grenzen derjelben entftanden, weßwegen König
Johann eine neue genaue Vermefjung anorbnete. Diefelbe wurde durch
königliche Landmeſſer unter Beiziehung von Vertrauensmännern der Bürger
vorgenommen und ftellte ſich als Ergebniß der Umfang der Stadtgüter mit
423/, Zahn, den Lahn zu 60 Strich gerechnet, heraus. Zugleich wurde
vom Könige die offenbar jchon bei der erjten Zumeljung getroffene Be—
ftimmung erneuert, daß für je einen Lahn eine Marf (marca regalis)
zu 56 Groſchen gerechnet, als Jahreszins an die königliche Kammer zu
entrichten jei. °)
Daß die Stadt von allem Anfange an mit Mauern, Thürmen und
Graben befeftigt wurde, iſt felbftverjtändlich. Unter König Wenzel I.
1) Das „signum peczacz“ der Urkunde faſſen wir jo auf; vielleicht beſtaud auch
die Vorfchrift, dasjelbe ala änfßerliches Abzeichen zu tragen. Emler u. Brand!
bringen uns feine Erklärung.
2) Emler, reg. Boh. II. ©. 114. Ottofar urlundet am 1. Februar 1261 „in
Sates“, indem er dem deutfchen Orden das Geriht in Miletin und Kommotau
verleiht.
3) Urkundenbuch der Stadt Saaz Fol. 8a. Die Urkunde ift vom 3. März 1321
ansgeftellt. Die Berechnung des Lahn oder der Hube mit 60 Strich war in
der Gegend allgemein üblich. Das „funis“ der Urkunde ift gleich dem ander-
weitig gebraudyten „stricho*. Vergl. Emler, reg. Boh. I. S. 835: „laneus
in Budin continet 60 strichones“ (1302). Der Lahn der Yauner Stabtgüter
wurde mit 84 Strich bemeffen (strichones). (Emler IT. &. 423.)
— 264 —
(1278—-1305) ergab ſich bereits die Nothwendigkeit einer Ausbejjerung der
Stadtmauern. Deswegen beauftragte der König die Bürger, diejelben
binnen zwei Jahren in guten Stand zu jegen, und bewilligte ihnen zu diejem
Behufe für die genannte Zeit die Einfünfte des Gerichtes und die Be:
freiung von allen ar die fönigliche Kammer zu leitenden Abgaben und
Zinſen.) König Wenzel II. hielt jih am 3. December 1288 in Saaz
auf;?) vielleicht war er bei diefer Gelegenheit auf die Schadhaftigfeit der
Mauern aufmerffam gemacht und von den Bürgern um die erwähnten
Begünjtigungen angegangen worden. Daraus ergäbe ſich ein Anhaltspunkt
für die Beitbeftimmung der mur in der nicht datirten Formel erhaltenen
Urkunde.
So bildete jich denn in der zweiten Hälfte des XIII. Yahrhunderts
das ſtädtiſche Gemeinweſen von Saaz unabhängig von der alten Gauver—
fajlung allmählich aus. Letztere bejtand für das Saazer Land fort. Es
werden uns aus diejer Zeit Pribiſſaus als Burggraf von Saaz (1277)*)
und Petrus als Gau oder Provincialrichter (1266) *) genannt. Ob
diefe in der alten Gauburg ihren Sig hatten, und wie lange dieje
überhaupt weiter bejtand, läßt ſich nach den vorliegenden Quellen nicht
bejtimmen. Das Saazer Archidiaconat verwaltete unter Dttofar IL Rus
dolphus (1268 bis 1275).) Unter Ottofar II. war auch der Bau der
Pfarrkirche zu Maria Himmelfahrt beendet worden, und der König über:
trug die Seelforge bei derjelben fiir immerwährende Zeiten dem Prä—
monjtratenjer-Stift Strahow in Prag (1271), das damals unter der
Leitung des Abtes Gottfried ſtand.“ Im Jahre 1273 erfolgte die päpit-
lihe Genehmigung.”?)
Daß fid) einzelne Saazer Bürger ſchon in der erjten Zeit nad)
Gründung der Stadt eines gewiſſen Wohljtandes erfreuten, erhellt unter
Anderen aus dem Kaufe des Gutes Stanfowig jeitens mehrerer Bürger.
Diejes Gut befand ich jeit Ottofars I. Zeiten im Befige der Prämon-
ftratenjer von Strahow. Am 27. März 1272 aber wird der Kaufvertrag
ausgefertigt, fraft welchen es vom Abte Gottfried an die Saazer Bürger
1) Voigt, Formelbuch des H. Italicus ©. 133,
2) Emler, reg. Boh. II. S. 627.
3) Emler, reg: Boh. II. ©. 1181.
4) Urkundenbuch Fol. Tb.
5) Emler, reg. Boh. II. 239, 1181.
6) Weihraudy, Geihichte von Strahow S. 22.
7) Tomek, Geſchichte Prags I S. 481.
— 90 |
Sybodo und Albertus, die Söhne des Heinrich Hismann, und einen
Anvermandten derjelben Namens Antonius gegen einen Jahreszins von
18", Talenten und 30 Denaren Prager Minze in erblichen Befig über-
lajjen mwird.') Auch in den Dörfern Straupig, welche 1291 Klofter Wald-
ſaſſen erwirbt, hatte die Familie Hisman gewilje Gerechtiame. Diefelben
verliehen am 30. Mat 1295 Helena, die Witwe des Albertus Haubſch—
man, ihre Söhne Bitrolph, Nil, Dietrich, Albrecht, Perthold und Weigand
und der Sohn des Sabatho (Sybodo), eines Bruders des Albertus,
dem Kloſter Waldjafjen.”; Es ift hier offenbar diefelbe Familie gemeint,
welche Stanfowig erworben hatte, wenn auch einige Aenderungen im
den Namen vorkommen. Ein Prager Bürger Chunradus de Sacz wird
zu den Fahren 1285 und 1292 erwähnt.) Zu Beginn des XIV. Yahr-
hunderts treten in Prag Saazer als Bürger häufiger auf, jo Ulmannus
de Sacz (1311—1313),* die Brüder Henrieus und Petrus de Sacz
(1314— 1320) °) u. 9.
Da wir dieje Unterſuchung vorläufig nicht über das XIII. Fahr:
hundert hinaus zu führen beabjichtigen, eriibrigt uns nur noch die Beant-
wortung der Frage nad) der Nationalität der erjten Bürger von Saaz.
Daß es Deutjche waren, welche ſich der Aufgabe der Umfegung des alten
Burgfledens in eine freie Stadt unterzogen, und den erften Kern der
Bürgerjchaft bildeten, ließe ſich ſchon aus den vielen Wehnlichkeitsfällen bei
den böhmischen Städtegriündungen erjchließen. Beftätigt nun wird die un-
zweifelhafte deutsche Abftammung der alten Saazer Bürgerfchaft durch ihre
Namen. So wenig entjcheidend heute Namen für die Bejtimmung der
Nationalität in Böhmen find, fo maßgebend erjcheinen jte in jener Zeit
der noch nicht vor jich gegangenen Mifchung. Aus dem XIII. Yahrhunderte
haben jih uns und zwar zum Jahre 1272 folgende Saazer Bürgernamen
erhalten: Henricus Hisman, Sybodo und Albertus, Söhne des vorigen,
Helena, Frau des Albertus, deren obengenannte Söhne Nil, Dietrich,
Albrecht, Perthold und Weigand, Antonius, Anverwandter der Familie
Hisman, Bertholdus Thelonarius, Leo und Bertholdus, deſſen Söhne,
Drtronius, Conradus und Marguardus, dejjen Söhne, Boto, Albertus,
dejjen Sohn, Befoldus, Merbodo, Burchardus, Ulricus, Swatoslam, Mar:
1) Urkundenbuch, Fol. 20b.
2) Reg. boiea IV. 590. Für die genannte Familie kommen die Namen Hisman,
Husman, Haubſchman vor.
3) Emler, reg. Boh. II. ©. 582, 675.
4) Ibidem III. &, 48, 71.
5) Ibidem IN. ©. 96, 167, 184, 240.
— 266 —
quardus und Syfridus dejjen Söhne, Thigmerus, Henrieus, deſſen Sohn.
Man fieht, wir haben e3 hier mit einer einzigen Ausnahme mit durch:
wegs gut deutſchen Namen zu thun. Wenn der vereinzelt auftretende
tihechishe Name Smatoslam auf einen Namensträger tichechijcher Ab—
funft hinweiſt, jo ijt damit nur der auch anderwärts vorkommende Fall
erwiejen, daß in die von Deutjchen begründeten Städte fich frühzeitig auch
einheimische Slaven als Bürger aufnehmen ließen. Diejelben fehrten ihre
Abjtammung nicht hervor und fügten ſich volljtändig in das deutjche Ge—
meinwefen ein. Der Saazer Swatoslam gab feinen Söhnen die deutjchen
Namen Syfridus und Marquardus. Zu demfelben Ergebniß wirde uns
die Unterjuchung der Saazer Bürgernamen, welche im XIV. Jahrhunderte
vorkommen, führen. Su diefer Zeit jcheiden ji Vor: und Zunamen jchon
jharf von einander. Die Vornamen find durchwegs deutjch, ſoweit ſich
dies aus der latinifirten Form erkennen läßt; unter den der Mehrheit
nach deutschen Zunamen treten tichechische Familiennamen oder joldhe von
tſchechiſchen Ortjchaften entlehnte auf. Der deutjche Charakter der Saazer
Bürgerſchaft bleibt auch für das XIV. Fahrhundert unzweifelhaft.
u — — — —
Beiträge zur Geſchichte Nordweſtböhmens.
Von Heinrich Gradl.
3. Folge.)
Leuchteuberger und Nothaftiſche Lehen im Elbognerlande.
Von vereinzelten urkundlichen Angaben abgeſehen, bilden für die an
der Oſtgrenze des Egerlandes ſich hinziehenden, zum Elbogner Kreiſe gehörigen
Gegenden erſt die älteren Lehenbücher zweier oder dreier dort begüterter
Geſchlechter einen zuſammenhängenden, faſt vollſtändigen Verweis der
örtlichen Verhältniſſe. Der weſtliche Theil des Elbogner Kreiſes war nicht
immer feſt mit Böhmen verbunden, ſondern trat in Zeiten, da das böhmiſche
Herzog- und Königthum vor der wachſenden Reichsmacht zurückweichen
mußte, ganz in deutſchen Beſitz über; ſo in den Zeiten der Staufenkaiſer,
ſo auch nach K. Ottokars Fall. Dieſer Wechſel der Zugehörigkeit, den auch
1) Vgl. Mittheil. des Vereins Jahrg. XXL (1883). ©. 158 fa. n. 318 fo.
— 201 —
die Anſiedelung deutſcher Adelsgejchlechter, wie der Nothaft, Hertenberg,
der Erwerb einzelner Stüde durch Waldfajjen und befonders die Verlehnung
weiter Striche an Neichsfürjten, die Landgrafen von Leuchtenberg, mehr
und mehr zu Gunften des Reiches zu wenden geeignet waren, erhielt erjt
1322 eine Art Feſtigung im Gegenſinne durd) die Berpfändung des Eger-
laudes von Seite des Reiches an Böhmen und durch die damit Hand in
Hand gehende Uebernahme der Schugherrjchaft über Waldjaffens veichen
Beſitz durch die Luremburger. Seit dieſe zwei, eigentlich drei größeren
Gebiete, inmitten das Egerland, nördlicd davon das Schönbacher, ſüdlich
davon das eigentliche Klojtergebiet, lettere beide Waldjajjen gehörig, in
eine gewiſſe Zugehörigfeits-Stellung zu Böhmen gelangten, war das weiter
ojtwärts gelegene Gebiet von Neuded bis Königswart näher au das eigent:
liche Böhmen gerücdt worden, wenn es auch noch in viel fpäteren Jahren
neben der Glatzer Herrſchaft und dem Egerlande eine etwas jelbjtänvigere
Stellung einnahm.
Die erjte Kunde von diefem Striche weiß bloß vom Bejige zweier
Klöfter, Waldſaſſens und Tepls, und zweier deutſcher Adelsgefchlechter, der
Nothaft und der von Hertenberg, von welch legteren ein Zweig jpäterhin
den Namen der von Königswart annahm. Südwärts um die Gruppe der
Glatze traten die Nothaft-Hertenberg, unter einander durch zahlveiche Fa:
milienverbindungen verwandt, als Erben der von Hohenberg ein. Eine
Anzahl von Dienjtleuten zweiter Neihe war ihnen, den altjtaufischen Mini-
ftevialgejchlechtern, untergeben. Zu diefen gehörten hierſeits die von Königs:
berg, Plaukner, Reußengrün (Rauſchengrün), Steinbach, Pergles (Pergler),
Plick, die ſpäterhin beim Verſchwinden des alten Dienſtmannsverhältniſſes
als Afterlehner ihrer und beſonders der Leuchtenberger Landgrafen auf—
traten. Letztere erſcheinen um die Mitte des 14. Jahrh. bereits beſtimmt
im Bejige des ganzen Gebietes zwijchen den Orten Neujjengrün, Lobs,
Lauterbach, Rocdendorf, Markusgrün und der Oftgrenze des Egerlandes.
Die Nothaft waren um jene Zeit bereits von hier abgezogen und hatten
ihre alten Gejchlechtsfige Wildftein im Egerlande und Falfenau verfauft
und abgetreten, behielten jid) aber einen großen Theil ihrer Lehen aud)
fernerhin vor, die von den meuen Gejchlechtsjigen in der Oberpfalz aus
verliehen wurden. Auch die von Hertenberg waren theilweiſe nach der
Pfalz übergetveten, theilweije erwarben fie, nachdem die Stammfeſte Her:
tenberg bald darauf in königlichen Beſitz Fam, nene Gutsjige, darunter
etliche in Leuchtenberger Lehensorten.
Zur untenfolgenden Zujfammenjtellung habe ich die ältejten ſoweit
vorfindlichen Lehenbücher benügt. Davon ift das Berzeichuiß der Leuchten:
we BOB; au
berger Zehen in oder furz vor 1360 angelegt und, was die herausgezo-
genen Blätter betrifft, 1379 bereits gejchrieben geweſen; die beiden Jahres:
daten, über welche feine der Notizen (nad) urkundlichen Nebenfunden)
binausreicht, begrenzen die Anlage und Fortführung durch den erjten
Schreiber, einen Beamten der Landgrafen von LXeuchtenberg, den derjelbe
mehrmals feinen Herrn nennt. Erhalten ijt diefes Verzeichniß im älteften
Lehenbuche der Zeuchtenberger und zwar in einer Bapterhandichrift in 4-to
des 14. Jahrhunderts im Fon. Neichsarchive zu München. Im Egerer
Stadtarhive finden jich zwei loje Blätter (Pap.), welche aus einer etwa
30 Fahre jpäteren Zeit nur die am Egerer geliehenen Lehen im Eger:
lande und im Elbogner Kreife wiedergeben, aljo den Schluß des Abſatzes
und die Neuverlehnungen, die früher Nicht-Egerer in Elbogner Orten hatten.
Ich konnte auf diefe Zettel Feine Rückſicht nehmen, weil der Beſtand an
Lehen nur durch die Aufzeichnung einer Zeit zufammengejtellt werden
fann, jofern es unmöglich tft, die verlehnten Höfe aus verfchiedenen Zeiten
immer zu identificiren. Der Abdruck ift wortgetren. Beim Durchlefen des
Tertes erfennt man genau, wo derjelbe Schreiber oder ein zweiter neuerlich
anjegte, damit die Zehen ſämmtlich, Tieber in Wiederholungen, verzeichnet
jird, und feines „durch Vergeſſenheit“ verjchwiegen bliebe, d. h. durch den
zur Beit e8 Befigenden nicht empfangen und dadurch aus der Eigenfchaft
eines Lehens allmälig — mit oder ohne Abficht — zum Charakter eines
freien Befiges käme.
Während das Leuchtenberger Verzeichniß ein zujfammenhängendes ift,
mußten die Nothaft’schen Lehen aus mehreren Stellen der Lehenbücher
Albrechts und Chriftoph’s Nothaft aneinandergefügt werden. Die betreffenden
Aufzeichnungen beginnen unter Albrecht Nothaft mit Ende Juli 1454, ein
Nachtrag mit 1460, und werden aus dem Lehenbuche des nächjten Lehns—
herren Chriſtoph Nothaft ergänzt. Auch diefe Handihriften bewahrt das k.
bairiſche Reichsarchiv.
Zunächſt folgen hier die beiden Texte der Lehenangaben nach den
zwei Quellen; aus ihnen entwickelt ſich dann die Zuſammenſtellung der
einzelnen berührten Ortſchaften in alphabetiſcher Reihe.
„Ellpogner landt“
Daz ſind lehen Erberger lewt in dem Egerlant.
Item Buſla Hertenberger vnd ſein vettern haben zu lehen daz dorf
Rokkendorf vnd vier hof zu lieba, daz leihen ſie furbaz.
— 269 —
Item Bart Hertenberger hat einen Sicz zu Milikaw vnd waz er ı
da hat vnd waz der Pernſteiner zu Krotenſee vnd zu Schönvicht hat ge—
habt, das hat er gechauft, vnd ein hof zu Milikaw, daz hat Hingſchik
Pflug vnd der Seleny von ſeinen wegen vnd ſein meines herren man.
Item Nyklas von Teſſchaw und ſeines bruders finde haben zu lehen 5
ſeinen hof zu Teſchaw vnd einen hof zu Schönvicht vnd zu Swerczen—
bach zwen hof vnd ein Virteil vnd zu Wolfhartsgrün dritthalben hof vnd
das holz zu der Zeidelweid vnd in der Fichtaw daz holz vnd daz holz
puchech zwiſchen krotenſee vnd Teſſchaw vnd daz Weidach zwiſchen Milikaw
vnd Teſſchaw vnd den Arbeizperg halben. 10
tem Heinrich von Küngſperg hat zu lehen feinen hof, da er auffigt,
vnd jechs hof zu Schönviecht vnd den kretzen vnd ein mil aud zu Schön—
. viecht, vnd Teſchaw das dorf an ein hof vnd zu krotenſee vier hof, (zu)
Thoberojjen drey hof, vnd die gut mit aller iv zugehörung an wijen, an
wazzer. 15
tem vnd was er hat an dem Gerichte zu frotenfee vnd die drey
hof zu Doberhof, die find verliehen meiner eelichen wirtin Annen.
tem vnd die egenanten gut, die hainrich von Kungjperg von uns
zu lehn hat, hab wir Bernharten dem Hirfawer zu im verliehen (der tft
tode). 20
Item Wolfel Planfchner Hat zu lehen jeinen hof, da er auf figt zu
Roliichgrün.
tem ein burger von Elnpogen, der Gejchrei, hat zu Lehen wierezehen
Phunt gelg zu Rudoltzgrün.
‘tem Hanns von haflady hat ſieben gut zu haſlach vnd feinen jiß »s
dajelbit.
Item Albel der Rathjamer hat ein gut zu haſlach.
tem Engelhart, Wiczlin, Gumprecht, Yerosla, alle von Küngswart
genant, haben zu Lehen den firchenjag von fronaw vnd die Veſten zu
Plickchenſtein und daz dorf halbs zu fronaw, daz dorf (halbs) zu Ebnode so
halbs, daz dorf zu Schünlinde Halbe, daz dorf zu Pirk halbs, daz dorf zu
Dymgrün halbs, daz dorf zu Arnolggrün halbs, daz dorf zu Rudolfſgrün
halbes vnd drei hof zu lieba vnd drei hof zu Rokendorf, daz dorf zu
hermannsgrün acht Hof, das ander haben die Aulez, vnd di obgejchriben
gut leihen fie furbaz. 35
tem den wald auf dem Gepirge haben ji ſelbs zu lehen.
tem daz dorf zu hermannsgrün hat der Eugelhart zu lehen.
‘tem das dorf zu Marfhartsgrün hat auch her Engelhart halbes,
daz lech er auch furbaz, vnd drei hof zu Markchartsgrun hat er jelber.
Mittheilungen. 26. Jahrgang, 3. Heft. ’ 19
1 tem Albrecht Blanfchner hat zu Ichen den Sig zu Frotenfee vnd
einen hof vnd zwo herberg, zu leupolgveld zwey hof und zu Milikaw
drei hof und ein mil vnd ein herberg. Item zu Swertzenbach XI. hof-
fein, daz ift wüſte. Item zu Zeidelweid VII hoflein, daz ijt wüſte.
stem zu Wolfhartfgrun IIII Hofleim, daz ift wüjte. Item zu Schönvicht
vier hof, item im Pingarten zwei hoflein, tem zu Küngfperg under dem
haufe I mül. tem zu Turn ein vogtey vber vier hoflein. tem zu
Grun von Wifen vnd Effern XI sol. boem. (?) II pullos.
tem einen Firchenjaß.
10 tem Adelhait von Milikaw hat zu lehen funf hof zu Milikaw vnd
auch funf herberg, zu Swertzenpach zwei Hof, zu der Zeidelwaid ein hof
vnd zu Wolfhartigrün zwen hof vnd ein halbe mil daſelbſt; vnd di
obgenanten gut hat ji zu Teibding und iv finde erbe.
tem des Grenjlins Sun haben zu Tehen ein jedelhof und zwee
15 ander hof in dem dorf zu Albernreit.
tem des Zürgleins Sun zu DOttengrün haben zu lehen die wujtung
zu Ernſtgrün.
tem hainrich Rawſſengrüner hat den hof zu Iehen, gelegen bey
Küngfperg, den er von hainrich von Küngſperg gefauft hat mit dem dorf
a0 daſelbs vnd waz darzu gehört.
Daz find di dorifer, die wir leihen an dem frotenpach in Ellpogner
land. tem Erotenjee. tem Schonvicht. tem fronaw. tem Ebenod,
tem Milikaw. tem Swerczenbach. tem Diefhaw. Item Zeidelbeid.
tem Sconlint. tem Wolfhartjgrun. tem Arnolggrun. tem vnd
25da3 halsgericht vber die dorffer all. vnd geben chatten per, wenn der
funig einen per nympt.
Item Stephan Prantner hat zu lehen ein zehend zu Weizzenbad),
gelegen bey Phaffenrewt; den hat er chauft von feinem bruder Pernhari
dem Prantner.
30 ‘tem fronamw halb hat der Gumprecht von küngſwart von uns zu
lehen, daz hat Albrecht Plikch furbaz von im, (zu) werde drei hof und
zwo herberg vnd einen Hof der iſt gemain; Plickchenſtein daz haws hat er
auch vnd der Plikch hat ez furbaz; Ebenod halbs, daz hat furbaz von
un di von Sceben; Schonlint halbes, Noffendorf halbes, Hertenberg
ss ainen teil vd das ander gemein; Steinpach halbs, Birk halbes, Schonprunn
halbes, Rudolggrün halbes, Arnoltzgrün halbes, Lyba halbs, Kuljiheim
halbes, Dripeſſenrewt ein hof, Marchartſgrun halbes vnd ein hof gemein
vnd vier leiht der Nothaft, hermanfgrun ein öde, Dymgrun ijt üde, daz
leihent mit im die hertenberger vnd Nothaft.
— 271 —
tem hanns Zeiler, Niklas Zeiler, gebruder, haben, zu lehen einen ı
hof zu haslach, der dez Hunrats von Haſlach geweit ijt, vnd ein herberg
dafelbit, gelegen bei der chirchen, mit alfer feiner Zugehorung, alz er ez
ynen gehabt hat.
Daz find di dorfer, die mein her leicht im Elnpogner land: 5
‘tem Gotgabe. tem zu Lewbicz. Item Gegengrun. tem Puchelwicz.
Stem Teſſniez. tem Naugzengrun. Item Mayrhof. tem Czyticz. tem
Globen. Item Pergleins. Item den Turn. tem Maftam. tem Arnjgrun.
Stem Scheben. Item Rudolfſgrun. tem Preyſa. tem Stainpad).
Stem Leben. tem fronaw. tem lautterpach. tem Ebenode, Item 15
Reichenpach. tem ZTripezzenrewt. tem Kager. Item Pirkch. Item
Schonlind. Item Werde. Item Tymgrun. Item Rokkendorf. Item
Schonprunn. Item Oden lyba. Item Milden. tem Markchartſgrun.
Item Tobroz. tem Kolbſeim. (P. S. hermansgrun zu ſuchen.)
Item Peruhart Prantner hat von vns zu lehen gravenrewt halbez; ı5
Item Lewbeuten vnd Etzenſrewt iſt alles von vns zu leihen.
Item Nikel der Wüchelperger hat zu lehen drei hof vnd zwo herberg,
gelegen zu Werd in dem dorf.
Item Nikel Smid von haſlach vnd henſel Ratſheimer vnd peter,
ſein bruder, haben zu lehen einen halben hof zu haſlach, alſo daz der =
egenant Smid den egenanten NRatjheimern den in trews Hant tragen fol,
vnez ji zu iren tagn fommen,
‘tem herr Vlrih Planfner, Pfarrer im andern Amb, hat zu Lehen
einen hof zu Roliſchengrun, daz er denjelben feinem bruder Hanjeu dem
Plankner in trews hant tragen fol, vncz er wieder zu lande kumt. 25
Itent Nykel Redwiczer fol dem Nyklas Gufel in trews hant zu
tragen alle die gut, die der Grenſel zu Albernrewt hat.
tem Heing Wazzermann von Kungſperg hat zu lehen einen teil
an dem holez zu Zeidelbeth und daz ander holcz in der kloppherin, daz er
von hainrih von Kungjperg kauft hat. (Fol. 24—26 L.) so
Daz ſind die lehen der Stat zu Eger:
tem Jakob Koldicz vnd Anna, fein Schweiter, zu Eger haben zu
lehen drei hof zu Krotenſee, vier hof zu Schonficht, zwen hof zu Milikaw,
einen hof zu Teſchaw, die Nyfel des Tauten !) waren.
Item heinezlein Rules hat vier hof zu Milikaw. 35
1) Da Taut Vorname ift, ftedt hinter dem Niklas de3 Tauten ſehr wahricheinlich
ein Sohn Tant Zöllners, der als Egerer Bürger noch 1341 lebt. Vom Sohne
Niklas überging das Lehen an die (ihm verwandten?) Egerer Koldig.
19*
— 27172 —
1 Sem Peter Nules hat zwen Hof zu Milikaw.
tem hainczlein von Krotenjee hat zwen hof zu Schonficht vnd auch
zwen hof zu Swarzenbac und mer einen hof zu der Zeidelbeid. (F. 27.)
tem Jakob Cholndig (hat) zu Chrotenjee drei gut und ein holz zu
s Theſſchaw, ain gut zu Milikaw, zwai gut zu Schonveld, vier gut fein ges
liehen auch feiner Wirtin Agnejen.
‘tem Michel Jure vnd fein bruder Ludweig haben zu lehen zwen
gemauert hof zu haſlach vnd waz da hof vnd herberg hat mit allen iren
zugehoren." —
10 Nachtrag: Beim Uebergange der Leuchtenberger Zehen im Elbogner
Kreife (1538) an Heinrich Burggrafen dv. Meißen uud von diefem an Graf
Hieronymus Schlid (1542) werden im Lehensreverje des Lebteren
(10. Mai 1542, in nicht guter Abjchrift im Elbogener Stadtarchive)
genannt: Lauterbah, Thurn, Arnsgrinen, Fronaw, Tobras, Leibitich,
is Khulfen, Schönbrunn, Neichenpah, Milden, Markharkgrünen, Moſthaw,
Gottigaw, Stainhoff, Erotenjee, Teſchaw, Rockendorff, Schönfücht, Mus
ligaw, Erbirglas (?), Gäßengrinen, Trippeſſenreut, Pochelwitz, Sittitz, Als
bereut, Perglas, Globn, Teſenitz, Scheben, Tyngrünen, Leben, Ebnet,
Blidenftain, Lebs, Mayerhoff, Sconlind, Werd, Preßa, Arnolsgrün,
»o Stainpach, Birlaffengrün (? Rolaſſengrün), die Wüſtung Kager, Wititz
(? ? Rudi [grün]), Pirkh, Lieba.
„Es iſt zu willen, das Albrecht Nothafft dis fein Lehenpuch vor:
numet hat am Suntag nad) S. Yafobs tag, da man zalt n. cr. gep. 1454.
25 Lehen im Ellpognerlant:
Teßnitz Wiejen.
Zwotamw Wieſen. Den Drittail eines Hoss.
Nenenjatel.
Scheben.
30 Teſchwitz.
Altſatel.
Butichangrun. (Marginal: Witichengrun.)
Nothafftsgrun. 12 guter. Nickel Ferßell, Burger zu Ellbogen.
Pochlawitz. Teijjaw. Lamptz.
35 Altenjatel ein hof.
Obern reihenam vier hof.
Theyſſaw.
Fußleyten.
— 73 —
Kungsperd. Herr Wenglab Soper, Pfarer zu Kungjperk, die ı
Wieſe genanıt Pfaffenwerd bei Teßnitz zum Gedechtniß aller Nothaft.
Miüllgrün.
Kirchberg vnd ein Wüftung vnd öde zu Altengrün.
Swant das dorf hat zu Iehen Urban, Nidel und Mathe Unruer. 5
Dberndorf.
Granniſaw.
Haydloßgrun das dorff zu einer bruderſchafft zu Ellbogen.
Puchlawitz den hof.
Cziticz in der Aw. 10
Kungſperg, die wiefen bei dem hanntlojen See genant der Hod.
Leimczagel Lamczogel an der Eger.
Puchmwalt, liegt zu Nider Neichenaw ob dem Dorff.
Haſelpach, zwei hoff vnd cin Herberg zu Hafelbach, mer ein hof
zu Nothafftsgrun, ſolch erb ift DOtten von Sparned vnd feiner Erben. 13
Hergeſind vnter dem Newttbolt ein Wiefe.
Nota ich hab geliehen dem Thomas Junckhern, feiner) Hausfrawen
vnd iren Erben einen halben hof zu Sirmicz mit allen Zugehorungen,
hat aufgegeben Sigmunt Ruduſch der Yung, des Vlrihen Ruduſchen jel
Sohn, Ann. 1460, das hab ich auch geliehen Profop vnd Jörgen Foi- 20
derßrewtern, Gebrüder. (F. 26®.)
Unentpfangene Zehen:
Ropmeijel zwen Hof, hat gehabt der Hans Kern.
(Chriſtoph Nothafts Lehenbuch:)
Item Heinrich Hyßerl zu Elbogen hat zu lehen 3 hof zu Alten-— >>
grun, hat auffgeben Nidel Zwerfengrüner. (F. 28.)
‘tem ich hab geliehen dem Hainrich Hifferlen zum Ellbogen 2 Hof
zu der Neuengrun. (F. 57.)
tem Albrecht Berniteiner hat von Gilg Nothaft 12 guter zu lamtz
in Zehen gehabt, pey dem Albrecht verhalten, von mir auch vnent—
pfangen. (F. 43.) 3
Hafelpach, zwei hoff und ein herberg, vnd ein hof zu Nothaftsgrun
bett Otto von Sparned, mein Ohm, durch einen Lehentrager, mit Namen
Hanns Jöhel zu Haſelpach. (1464).
Während das Gebiet der Leuchtenberger Lehen, wie jchon erwähnt,
ſich zwiſchen den Orten Zieditz, Maierhof, Reufjengrün, Gagengrün
(„Kagengrün"), Kotigan, Moftau, Kulfam, Tipeſſenreut, Lapigfeld, Thurn,
TE
Grün, Miltigau, Markusgrün, Zeidelweid, Arbesberg, Rockendorf, Pliden-
ſtein, Lauterbach, Frohnau, Ebnet, Lobs, Steinbach, Pröjau, Rudisgrün,
Schaben, Globen und anjchliegend Zieditz ſich Hindehnt, breitet ſich der
Strich der Nothaft’schen Zehen um Falkenau nordöftlih von erfterem aus
und umfaßt (andy wieder einjchließend, wie in der vorigen Aufzählung)
die Orte Theuſſau, Unt. Reichenau, Falfenau, Hafelbah, Zwodau, Lanz,
Taſchwitz, Altjattel, Wudingrün, Grün, Schwand, Ober-Reichenau und an—
ſchließend Theuſſau in zufammenhängendem (ununterbrochenem) Gebiete
ſammt den darüber hinaus vereinzelt liegenden Orten Altengrün, Roſs—
meufel, Kichberg, Graneſau, Neufattel und Nallesgrün. An beide Striche
fchließt fi) von Nordweiten her das Hertenberger (Hartenberger) Gebiet
mit Hartenberg, Loch, Gofjengrün, Blumberg, Marklesgrün, Pürles,
Lauterbad), Robesgrün und Werth. An das Leuchtenberger Gebiet ſtößt
von Siden der Strich der Königswarter Herrjchaft, von Südoſten der
geſchloſſene Bejit des Kloſters Tepl.
Die einzelnen in den Aufzeichnungen berührten Oertlichkeiten (— Text—
einſchleichungen Egerländer Orte werden in Klammern geſtellt und nicht
weiter behandelt —) ſind nun:
[Albenreut, Albernreivt, egerländiich.]
Altengrün bei Heinrichsgrün, Nothaftisches Lehen, einerjeits eine
Wüſtung und eine Dede (273,4), andererjeits drei Höfe, die früher Niklas
Zwerfengrüner, dann nad) dejjen Aufgebung Heinrich Hieferl, zu Elbogen
jeßhaft, bejigt (273,24).
Arbersberg, früher Arheizberg — Erbjenberg (269,10), zur Hälfte
Leuchtenberger Lehen. (Die füdliche Hälfte des dftlih von Dearkusgrün
liegenden Berges gehörte wahrjcheinlicy zum Königswarter Gebiete.)
Arnitzgrün bei Kirchenbirk, früher Arnolggrün, Arnsgrün, Leuch—
tenberger Lehen (271,5. 272,14), zur Hälfte an die Adeligen Engelhard,
Wiglin, Gumpreht und Jaroſlaus von Königswart verliehen (269,32),
fpäter an Gumprecht allein (270,36), wenn diejer neben dem Mitbejtge der
anderen Hälfte nicht die zweite eigens bejigt. Gegen Ende des vorigen
Sahrhunderts hatte Arniggrün 37 Nummern (Schaller, Elb. Kr. 166).
Birk, jeit Erbauung der Pfarrkirche zum Unterfchiede von anderen Birk
Kirchenbirk genannt (f. d.), wie nordwärts Habersbirf — Habardsbirf, früher
einfach) Birk; Leuchtenberger Lehen, das zur Hälfte die Obengenannten von
Königswart (269,51), dann Gumprecht von Königswart bejaßen (270,55).
Buchicht, „Puchech“, ein Holz zwiichen Krotenfee und Teſchau,
Leuchtenberger Lehen und an Nidel von Teſchau und feines Bruders un:
milndige Kinder gegeben (269,»).
on -—
Buhmald, „Puchwalt“, ein Gehölz über dem Dorfe Unter:
Neichenau bei Falkenau, Nothaftiiches Lehen (273,15).
Dasnip bei Mariakulm, fr. Teſſniez, Tefenig, Teßnitz; Wiejen-
gründe dabei find Nothaftisches Lehen (272,26), Das Dorf jelbjt Leuchten:
bergijches (271,7. 272,18).
Dobrajjen bei Königsberg a. E.; ee Doberhoj, Tobroz,
Zobraz; Leuchtenberger Lehen (269,17. 271, 14); 3 Höfe hatte chedem Heinrich
von Königsberg, als adeliger Lehensmann der Yandgrafen (269,18).
Ebmet bei Frohnau, früher Ebenode, Ebnode, Ebenod; Leuchte:
berger Zehen (270,22) zur Hälfte, welde von den Landgrafen erjt die
Obengenannten von Königswart (269,30), dann Gumprecht v. K. allein (wenn
dies ‚nicht die andere Hälfte iſt) bejigen (270,35); ſpäter erjcheint es im
jeiner Gänze als früheres LZeuchtenberger Lehen (272,18). Von obigem
Gumprecht wurde feine Hälfte an die von Schaben weiter geliehen (270,34).
[Ernjtgrün in der Oberpfalz bei Ottengriin und Albenrent.]
Etzensreut, gleichfalls außerböhmiſch.
Fichtau, Oertlichkeit zwiſchen Teſchau und Zeidelweid: ein Holz
in der „Fichtaw“ (269,3), leuchtenbergiſches Lehen, in der Hand des Niklas
von Teſchau und jeiner Verwandten.
Frohnau, Fronamw, leuchtenbergifches Lehen, zur Hälfte im Belige
der von Königswart (j. vorher) (269,30) zur andern (?) in der Hand
des Gumprecht von Königswart, der diefen Theil an Albrecht Plid weiter
lieh (270,50); den Kirchenſatz liehen die Landgrafen dem Gejchlechte von
Königswart im Ganzen (269,2). Das Geſammtdorf iſt leuchtenbergiſch
(271,10).
Fußleite (wahrjcheinlich für Fuchsleite), Hang an der Eger, etwa
zwijchen Ziedig und Königsberg; nothaftiiches Zehen (272,38).
Gatzengrün (Grün des Gepo), fr. Geszengrun, bei Maria Kulm;
Leuchtenberger Lehen (271,6. 272,17).
Globen (beffer Kloben, „bei oder zu ten Kloben“ — Reut bet den
Kloben), bei Falkenau; Leuchtenberger Lehen (271,8); Urſprung eines
(jpäteren ?) Adelsgejchlechtes der von Globe.
[Grafenreut bei Arzberg, außerböhmijch.]
Granefau, nördlih von Elbogen, jr. Granniſaw, Nothaftſches
Lehen (273,7).
Grün, ſüdlich von Königsberg; das Dorf ſelbſt iſt egerländifd) ;
Zinfe von Wiefen und Aeckern dabei (jedenfalls jenſeits des hier die
Grenze des Egerlandes bildenden Baches) hatte als Leuchtenberger Lehen
Albrecht Planfner (270,8).
=. 976
Grin bei Lobs, wird das (von Anderen auf Birndorf bezogene)
Nothaftsgrün, fr. Nothaftsgrun jein; daſelbſt 12 Gitter Nothaft'iche Zehen
(272,33), außerdem ein Hof, den Ott von Sparned eigens zu Lehen trug
(273,51).
Haidlesgrün jiche Nallesgrün.
Haſelbach bei Falfenau, fr. Haſelpach; die 2 Höfe und 1 Her:
berge daſelbſt beja als Nothaft'ſches Lehen Dtto von Sparned (273,31).
[Haflau, Haſelach, Haslach, ift egerländijch.]
Hermannsgrün, ein verfchwindenes Dorf (270,35), das allem Ans
Scheine nach bei Sandau und Markusgrün lag; ein größeres Leuchten:
bergifches Zehen, von welchem 8 Höfe Engelhard und feine Neffen von
Königswart (269,54), den Neft die Egerer Rüles (Noles) bejaßen (269,34).
Hertenberg, heute Hartenberg, bei Dleijtadt; einen Theil davon
beſaß Gumprecht von Königswart als Leuchtenberger Lehen (270,34), das
andere war „gemein“, d. h. im DBejige der von Hertenberg und der von
Königswart (270,55).
Hod, „See" (d. i. alter Nejt eines Flußbettes) und Wieſe bei Kö—
nigsberg, die leßtere ein Nothaftifches Lehen (273,11).
[Hörfin, zur Herrfchaft Wallhof, Walde, Waldau gehörig.]
Kirchenbirk, fiehe Birk.
Kloben ſiehe Sloben.
Klopferin, fr. Kloppherin, Dertlichkeit, wahrjcheinlich in der Nähe
von Zeidelweid gelegen; das Holz dafelbjt beja als Leuchtenberger Lehen
zuerjt Heinrich von Königsberg, jpäter dejjen Abkäufer Heinz Waſſermann
von Königsberg (272,20).
Kogeranu, fr. Kager, bei Königsberg, Leuchtenberger Lehen (271,11).
Königsberg a. E.; einzelne Güter waren LZeuchtenberger Lehen,
jo ein Hof, den Heinrich von Königsberg inne hat (? 269,11) und die Mühle
unterhalb des Schlofjes, die Albrecht Planner bejaß (270,6).
Kotigan bei Königsberg, fr. Gotgabe (Chotgabe?), Gottigaw; zur
zur Gänze Leuchtenberger Lehen (271,6. 272,16).
Krotenbad (270,2); die Dörfer an dem „Krotenbach” liegen an
verjchiedenen Bächen; erfichtlich ift aber der heutige Leibenſteigbach damit
gemeint, an welchem Miltigau, Teſchau und Krotenſee liegen und die ver—
Ihmwundenen. Schwarzenbah und Wolfhardsgrün gelegen geweſen jein
mochten, jo daß an der angeführten Stelle Frohnau, Schönficht, Ebmet
und Zeidelweid bloß als jchlechtbezeichnet jtehen.
Krotenſee Leuchtenberger Lehendorf; einige Gitter hatte früher
der Bernfteiner hier zu Zehen gehabt, von ihm kaufte jie Part von Her:
— 177 —
tenberg (269,2); 4 Höfe beſaß Heinrich von Königsberg (269,15); den
Sig, 1 Hof und 2 Herbergen hatte Albrecht Planfner inne (270,1); 3
Höfe trugen früher Niklas Zöllner, dann Jakob Koldig und deſſen Schweſter
zu Zehen (271,35 und 272,4).
Kührberg, bejjer und fr. Kicchberg, bei Heinrichsgrün, Nothaftiſches
Lehen (273,4).
Kulfam an der Wondreb, furz vor der Mündung in die Eger und
knapp an der Grenze des Egerlandes; früher Kulſſheim, Kolbjein, Khuljen
(271,14. 272,15); die Hälfte diejes Dorfes bejak als Lehen der Landgrafen
von 2, damals Gumprecht von Königswart (270,58).
Lanz, nördl. dv. Falfenau, fr. Lamptz (272,54), Lamp; Nothaftifches
Lehen waren 12 Güter dafelbft, die früher Albrecht Bernfteiner noch em:
pfangen hatte, für die aber der jegige Befiger (oder mehrere jolher) jchon
um 1464 feine weiteren Belehnungen anjuchte (273,28).
Leimzagel, fr. Laimczagel, Lamczogel, Dertlichfeit an der Eger,
zwijchen Ziedig und Altjattel, Nothaftiiches Lehen (273,12).
Lapitzfeld, richtiger Leupoldsfeld, fr. Leupoltveld, Grenzort des
Egerlandes, von dem zwei Höfe jenfeit3 des Baches Leuchtenberger Lehen
waren und damals in der Hand Albrecht Planfners jtanden (270,2).
Lauter bach bei Schladenwald, fr. Lawterpach, Leuchtenbergiiches
Zehen, auch noch in fpäterer Zeit (271,10. 272,14.)
Leben, ?, neben Lebs in der Elbogner Kopie, jedenfalls verderbt (272,18).
Leibitſch bei Königsberg, fr. Lewbiez (271,6); Leuchtenberger Lehen.
[Xemwbenten, außerböhmijch.]
Liebau zw. Königsberg und Schönficht, fr. Lieba, Leuchtenberger
Lehen, Dorf mit 7 Höfen (vgl. fg.); vier davon hatten Bufla (Bohuflaw) v.
Hertenberg und deſſen Bettern, welche die Güter aber weiter (zu After
lehen) gaben (268,4); drei Höfe befahen die fchon öfter genannten Engelhard
und jeine Neffen von Königswart (269,53), jpäter Gumprecht von Königs-
wart allein (270,36). Das Dorf war in der 2. Hälfte des 14. Jahrh.
zeitweilig verwüftet (Ded Liebau 271,13).
Lob, zwiſchen Falkenau und Lauterbach, fr. Leben und Lebs
(2068?) (271,10. 272.19), Zeuchtenberger Zehen.
Maierhöfen bei Falfenau, fr. Mayrhof (271,7), Leuchtenberg. Lehen.
Markusgrün, richtiger Markersgrün, weil — Markhartsgrün,
fr. Markchartsgrün, Marchartsgr., Markhartzgr. (271,18. 272,15), bei
Sandau; gemifchtes Leuchtenberger u. Nothaftifches Lehendorf; Leuchten:
bergifche Höfe hatte Engelhard von Königswart, der drei davon zu eigener
Hand bejegte, die anderen weiter zu After lieh (269,38.30); ſpäter beſaß
ng
Far
— 278 —
Gumprecht von Königswart die Hälfte des Dorfes (270,57). Nothaſüſche
Lehen waren vier Höfe von Markfusgrün, gemeinſam leuchtenbergiſch uud
nothaftiſch war einer (270,38).
Miltigau, nördl. v. U. Sandau, fr. Milifow öfter, Muligow 134;
größeres Leuchtenberger Lehendorf; den „Sitz“ (Edelhof) mit Zugehör
hatte Bart v. Hertenberg zu Lehen (269,1); 1 Hof beſaß Hinzik Blum,
fiir den ihn ein gewijjer Zeleny einnahm (269,5); 3 Höfe, 1 Müh’e und
1 Herberge hielt Albrecht Planfner (270,2); 6 Höfe hatten die Rüles
(Rolſs) und zw. 4 Heinrich Rüles, 2 Peter Rüles (271—72); 2 Höfe, die
früher Niklas Zölners waren, hatten nad) diefem Jakob Koldig von Eger
und dejjen Schwejter Anna (271,35), ein Gut Exjterer allein (272,5); der
Adelheid von Miltigau gehörten auf Lebenszeit 5 Höfe und 5 ‚Herbergen
zu Leibgeding (Nuggenuß) (270,10). Miltigau hatte ſomit damals nach)
heutiger Ausdrudsweile 26 Nummern, einen gemanerten Hof, 16 hölzerne
Höfe, 1 Mühle, 6 Herbergen, ein Gut und den Edelhof.
Moſtau bei Königsberg, fr. Maſtaw, Moſthaw; Leuchtenberger
Lehen (271,5. 272,15).
Miühlgrün, Millgrün, Nothaftiches Lehen (273,5). Weldhes? Doc)
feinesfalls Mühlgrün im Egerlande. Wahrjcheinlich verſchwundene Sie-
delung.
Müllnbei Königsberg, fr. Milden; Leuchtenberger Lehen (271,13.272,15).
Nallesgrün bei Elbogen, urfprünglic Hatdlesgrün, Haydlopgrün
164 (zum Hatdlesgrün, mundartlic zasm Hatdlesgr., za-n Hallesgr., za-n
Alfesgr.; Grin ausnahmsw. ſächl.); Nothaftisches Lehen (273,8).
Neuengrün, 2 Höfe Nothaft. Zehen (273,27).
Nothaftsgrün, j. Grün bei Lobs.
Dberndorf, weldhes? verjchwunden? Nothaftiiches Lehen (273%).
Perglas bei Falfenau, fr. Perglains, d. h. Kleiner Berg, Leuchten-
berger Lehen (271,8. 272,18). Ein Mannengefchleht der von Berglas,
Pergler, Bergler v. Perglas darnach benannt.
Pfaffenwerd, eine Wiefe bei Dasıig, Nothaftiiches Lehen und
von diejem Gejchlechte zu einem Seelgedähtnig in die Pfarrficche zu
Königsberg vermacht, deren Pfarrer, damals Wenzel Saazer, ſie inne-
hatte (273,.).
Pingarten, d. i. Bienengarten; wo zwijchen den anderen Leuchten:
berger Zehen? Zwei Höflein dafelbjt beſaß Albrecht Plankner (270,6) ?
Plidenftein, eine Heut verjchwundene kleine Burg bei Frohnau,
jegt noch als Flurname erinnerlih; fr. Plidchenftein; ein Zeuchtenberger
Lehen, von den Landgrafen zunächſt an die von Königswart (269,50), jpäter
2 =
allein an Gumprecht v. Königswart (270,32) und von diejen und diejem jeit
jeher an das Mannengejchlecht der Plick weiter geliehen, von dem die
fleine Fejte den Namen erhielt, die mit Willigung der Landgrafen und
der von Königswart von diefen Plick auf urjprünglich leuchtenbergiſchem
Grunde erbaut worden war.
Pohlowig bei Königsberg, fr. Puchelwitz, Pochlawitz, Puchlawitz;
Zeuchtenberger Zehen (271,6), ein Hof Nothaftiich (272,54 u. 273,>).
Pröſau, ſüdl. v. Fallenau, fr. Breyfa (271,9); Zeuchtenberger Zehen
Rauſchengrün, ſiehe Reuſſengrün.
Reichenau, Ob.» u. Unt-, bei Falkenau; zu Ober-Reichenau
waren vier (alle damaligen?) Höfe Nothaftiiches Lehen (272,36), zu Unter:
Reichenau der dortige Buchwald (273,13).
Reichenbach bei Kirchenbirk, Leuchtenbergiiches Lehen (271.1).
Reuſſengrün, früher Rauſſengrün, Rauſchengrün, Nauczengrün
bei Maria Kulm, Leuchtenberger Lehen (271,7) u. Stammgut des Man—
nengejchlechtes der von Rauſchengrün.
[Reutwald bei Hörfin, außerböhmiſch.
Rocken dorf, heute Unt.- und Ober-, bei Schönficht, Leuchtenberger
Lehen. 3 Höfe hatten die von Königswart (269,35), Später Gumprecht v.
8. allein (270,34); das andere Dorf hatten Buflab von Hertenberg und
jeine Bettern zu Lehen, gaben es aber weiter (268,4).
Roleſſengrün bei Königsberg, früher Roliſchengrün, Roliſchgrün,
von den Rüles, Nolfs angelegt; ein Hof (269,22) war des Wolf Planfner
Leuchtenberger Lehengut, auf dem er wohnte; ſpäter gehörte derjelbe Hans
Plankner, während deſſen Abwefenheit fein Bruder, der Pfarrer Ulrich
Plankner, als Treushänder den Hof inne hatte (271,24).
Roſſmeuſel bei Heinrichsgrün; 2 Höfe dafelbit waren Nothaf-
tijches8 Lehen (273,23).
Nudiggriün bei Falfenau, früher Rudolfsgrün, Rudoltzgrün;
Leuchtenberger Zehen; die Hälfte des Dorfes haben zuerft die von Königswart
zu gefemmter Hand (270,56), dann Gumprecht v. K. allein (269,32); 14 Bf.
Geldzinfe waren von den Landgrafen an den Elbogener Bürger Gejchrei
geliehen (269,24).
. Sattel, Alt, bei Elbogen; ein Hof daſelbſt war Nothaftiiches
Lehen (272,3).
Sattel, Neu, bei Elbogen, Nothaftiiches Lehen (272,28). Zur
Gänze?
Schaben bei Königsberg, fr. Scheben; Leuchtenberger Lehendorf
(271,»).
= Be
Schönbrunn bei Königsberg; die Hälfte des Dorfes hatte von den
Leuchtenberger Landgrafen (früher das Gejchlecht der? dann) Gumprecht
von Königswart zu Lehen (270,35).
Schönfeld (bei Lauterbach) ?); Leuchtenberger Lehen; zmei Güter
dafelbit waren an Jakob Koldig, vier an feine Gattin Agnes geliehen
(272,6).
Schönficht, Pfarrdorf; Leuchtenberger Lehen; 1 Hofhatten Nidel von
Teſchau und feines Bruders Kinder (269,6), 6 Höfe, ein Wirthshaus und eine
Mühle Heinrid) v. Königsberg (269.12), 4 Höfe Albrecht Planfner (270,5), 2
Höfe Heinz von Krotenfee (272,2), 4 Höfe hatte früher Niklas Zöllner
von Eger, dann Jakob Koldig und feine Schweiter Anna (271,35). Etliche
Güter hatte früher der Berniteiner, dann Part v. Hertenberg (269,2). Mehr
als diefe 16 Höfe (Nummern) und „Güter“ dürfte Schönficht damals nicht
gehabt haben; zu Ende des 18. Jahrh. zählte es 65 Nrn. (Schaller ©. 164).
Schönlind bei Kirchenbirk; Leuchtenberger Lehen, das zur Hälfte
die von Königswart (269,51), ſpäter Gumpredt v. K. allein beſaßen (270,34).
Schwand bei FFalfenau, ein Nothaftifches Lehen und an (die
Brüder) Urban, Niklas und Matthes Unruher geliehen (273,5).
Schwarzenbad, verfhwundenes Dorf von einjt bedeutender Größe,
fr. Swertzenbach (öfter); nad) 260,5 fg. lag es nahe Schönficht, Miltigau,
Krotenjee und Tejchau, nad) 270,23 fg. am „Krotenbach“; Leuchtenberger
Lehen; 11 Höflein, damals ſchon wüſt, hatte Albrecht Planfner (270,3),
2"/, Höfe bejaßen Niklas v. Teſchau und feines Bruders Kinder (269,6),
2 Höfe Adelheid v. Miltigaun (270,11), 2 Höfe Heinz v. Krotenſee (273,3).
Sirmitz, im Egerlande.]
Steinbad bei Falkenau, Leutenberger Lehen; zur Hälfte befaß es
Gumprecht von Königswart (270,55). Die andere Hälfte war wohl Nicht-
Lehen und gehörte als „Erbe“ dem Geſchlechte von Steinbach).
Steinhof bei Königsberg, Leuchtenberger Lehen; als „Hof gelegen bei
Königsberg" hatte ihn ſammt dem Dorfe zuerjt Heinrich v. Königsberg (269,11),
dann Heinrich Naufchengrüner, der ihn dem Vorigen abfaufte (270,18);
jpäter ganz gemauert erbaut erhält der Hof den Namen „Stainhoff" (272,16).
Teſchau bei Königsberg, früher Teſchaw, Teſſchaw und öfter,
Thejihow, Dieſchaw (270,23); Leuchtenberger Lehen; 1 Hof bejaßen
Nidel dv. Teſchau und feines Bruders Kinder (269,5), das Uebrige ge-
hörte zuerſt Heinrich von Königsberg (269,13); jpäter (nad) des Leßteren
Zode) wurde diejes Dorf vereinzelt geliehen; 1 Hof befam Niklas Zöllner
und nah ihm Jakob Koldis (271,54), der auch ein Holz beim Dorfe zu
Lehen trug (272,5).
— 23 —
Teſchwitz bei Falfenau, Nothaftiiches Lehen (272,30).
Theuſſau bei Falkenau, fr. Teiſſaw, Theyſſaw; Nothaftiiches Lehen
(272,34 und 37).
Thurn, ein Grenzdorf des Egerlandes, von dem ein Heiner Theil
ienjeitS des Baches zum Elbogner Kreiſe gehörte; die Vogtei über den
legteren Theil, vier Höflein, hatte Albrecht Planfner von den Leuchten:
bergern zu Lehen (270,:).
Tiefengrün bei Kirchenbirk, umgedeutet aus altem Thienigrün, jo:
Doymgrün, Tymgrin, Tyngrün (271,12. 272,18); gemeinjames Lehen der
Zandgrafen, Nothaft und von Hertenberg (270,38); die Hälfte des Dorfes
hatten von den Landgrafen erjt die von Königswart gemeinjan (269,32),
dann (als öder Ortjchaft) Gumprecht von Königswart (270,38).
Tipeſſenreut, richtiger Tripefjenreut, jo: Dripejjenrewt, Tripezzen-
rewt (271,11. 272,17); Egerländer Grenzdorf, von welchem ein Hof jenfeits
des jcheidenden Baches Leuchtenberger Lehen und an Gumprecht von
Königswart geliehen war (270,37),
Weidicht, fr. Weidach (269,5), ein Wäldchen (Gebüfche von Weiden)
zwiichen Miltigau und ZTejchau, welches Nidel von Teſchau und feines
Bruders Kinder von den Landgrafen von Leuchtenberg zu Lehen trugen
(269,9).
[Weifjenbady, Dedung bei Nedwig in Baiern.]
Wöhr, bejjer Werd, fr. Werde, Werd (271,12. 272,19); die Hälfte
davon befaßen als Leuchtenberger Zehen die von Königswart, fpäter hatte
fie (3 Höfe und 2 Herbergen) Gumprecht von Königswart = — 31),
nad) ihm der Egerer Bürger Niklas Büchelberger (271,18); ein Hof
dieſes Dorf war „gemein" (270,51).
Wolfhardsgrün, verjchwundenes Dorf am „Krotenbache“, ficher
zwilchen dem Mrbersberg und Krotenſee gelegen; Leuchtenberger Zehen;
2, Höfe bejaßen Nidel von Teſchau und feine Verwandten (269,7),
2 Höfe und eine halbe Mühle hatte Adelheid von Miltigau (270,12);
4 Höflein, bereit damals wüſt, trug Albrecht Plankner zu Lehen (270,5).
Wu dingrün bei Yalfenau, fr. Wittichengrün (Grün des Wittich),
Butichengrün ebd.; Nothaftifches Lehen (272,38).
Be bene bei Sandau, Leuchtenberger Lehen; 7 wüſte Höflein
bejaß Albrecht Planfnev (270,4), 1 Hof Adelheid von Miltigau (270,11),
einen weiteren Heinz von Krotenſee (272,3); ein dort gelegenes Holz
hatten Nickel von Teſchau und feine Neffen (269,5), einen andern Theil
Heinz Waflermann (271,29). (Der Reſt gehörte den Egerer Nonnen).
—
Ziedig bei Falkenau; Czyticz, Sittitz 1, Czitiez 1, Leuchtenberger
Zehen (271,7. 272,17), in der Au Nothaftiſch (273,10).
Zwodan bei Falkenau; eim Hofsdrittel und Wiejen beim Dorfe
waren Nothaftijche Lehen (272,27).
Am Ganzen und Großen erfcheint nach dem Vorgelegten diejes
Gebiet bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als vollſtändig
germanifirt, bez. als von deutjcher Hand ausgebaut. Neben einer winzigen
Zahl ſlaviſcher Namen finden fich für die DOertlichfeiten faſt nur deutjche.
Slaviſch find bloß: Lanz, Zwodau, Teſchwitz, Theuſſau, Dasnitz, Bochlo-
wis, Leibitſch, Kotigau, Moſtau, Kulfam, Dobraſſen, Teſchau, Miltigau,
Graneſau; deutſch dagegen: Falkenau, beide Reichenau, Frohnau (Frön-awe),
Liebau, die auf Grün: Grin, Goſſengrün, Marklesgrün, Robersgrün, Alten:
grün, Neuengrün, Wudingrün, Rolejjengrün, Rauſchengrün, Tiefengrün,
Gatzengrün, Rudiggrün, Arniggrün, Markusgrün, Hermannsgrün, Nalles:
grün, Nothaftsgrün, die auf Neut: Schofjenreut, TZipejjenrent, die auf Berg:
Kührberg, Hertenberg, Blumberg, Königsberg, die auf Bach: zwei Laute -
bad), Haſelbach, Steinbach, Reichenbach, Schwarzenbach, danıı: Loch, At
und Neufattel, Schwand, Kloben, Krotenſee, Wöhr, Pfaffenwerd, Bürgles,
Perglas, (Kirchen-)Birf, Ehmet, Schönlind, Schönbrunn, Schönficht, Thurn,
Maierhöfen, Steinhof, Plidenftein, Lapitzfeld, Rockendorf, Zeidelweid. Dos
Berhältnig der flavifchen zu den deutschen Ortsgründungen iſt jomit etwa
1 zu 4 (14 zu 56). Auch Flurnamen (Buchicht, Weidicht, Klopferin,
Pfaffenwerd) und Perſonennamen (bis auf den von H. Pflug aus Böh—
men herübergeholten Zeleny) find deutjch.
Ueber den Befigumfang der Landadeligen diefes Striches wie über
die einzelnen Familien und deren Gejchlechtsverzweigung handle ich wahr:
fcheinlich fpäter einmal. Leider iſt des brauchbaren Materiales wenig
genug vorhanden; bloß Pelleters „Denkwürdigkeiten von Falkenau" find in
dent, was fie bringen, verläßli und fleißig, entbehren aber veichlicher
Duellen; die Dugendfabrifate der „Sejchichten" von Elbogen, Königsberg,
Schladenwald müjjen außerhalb jeder Berücdfihtigung gelaffen werden.
— —
Geſchichte der deutſchen Sprachinſel von
Neuhaus und UNeubiſtrih.
Von Dr. Theodor Tupetz.
Es iſt keine Sprachinſel im ſtrengen Sinne des Wortes, deren
früheſte Geſchichte im Folgenden dargeſtellt werden ſoll, ſondern, wenn
dieſer Ausdruck erlaubt iſt, eigentlich eine Sprachhalbinſel, da das deutſche
Gebiet der Bezirke Neuhaus und Neubiſtritz zwar auf drei Seiten von
der „ſlaviſchen Fluth“ eingeſchloſſen iſt, auf der vierten aber mit dem
deutſchen Gebiete der Nachbarländer Niederöſterreich und Mähren zuſam—
menhängt. Von dem „geſchloſſenen“ deutſchen Sprachgebiete Böhmens
liegt es allerdings weit ab und dieſem gegenüber erſcheint es als voll-
jtändige Inſel.
De: größere Theil der Spradinfel, der Bezirk von Neubiftrig,
bildet zugleich einen jener Vorſprünge der Landesgrenze, welche für die
Gejtalt Böhmens auf der Landkarte jo charakteriftifch ſind umd stellt ſich
als -ein Rechteck mit etwas abgerundeten Eden dar, von welchem eine Seite
an Mähren, zwei an Niederöfterreid grenzen, während an der vierten
Seite, in Nordweften, das deutiche Gebiet des Bezirkes Neuhaus fich ar:
ſchließt. Letzteres, anfangs von gleicher Breite wie das deutjche Gebiet
des Neubiftriger Bezirkes, verengt jich in der Nähe der Stadt Neuhaus
zu einem Iſthmus, welcher den eben bejchriebenen größeren Theil de:
Spachjinfel mit einem Fleineren, tief in das jlavijche Gebiet vorgejchobenen,
nahezu ebenfalls vechtedig geformten Stück deutjchen Landes in Verbindung
ſetzt. In diefer Sprachinfel befindet jich, feit die Stadt Neuhaus nahezu
vollſtändig tichechifiet ift, nur ein ftädtisches Gemeinwejen, nämlich Neu-
piftrig und 3 Marftfleden, nämlih: Schamers, Adamsfreiheit und Alt-
ftadt, dagegen zahlreiche deutjche Dörfer und Weiler, im Neubijtriger
Bezirke: Albern, Althütten, Arnoldshof, Artholz, Anern, Bernhards, Bern:
ſchlag, Braunjchlag, Burgſtall, Dietrihs, Dobrathen, Ebergerih (Meier:
hof), Gebhards, Gottichalings, Guttenbrunn, Heumath (gemijcht, früher
vorwiegend deutjch, jet vorwiegend tichechijch), Kaltenbrunn, Khain, Klofter,
Konrads, Kotichlag, Kunas, Landtein, Leimbau, Marfel, Münchichlag,
Neustift, Philippsdorf, Reichers, Romau, Stagel, Therefienthal, Wittingau;
im Nenhaufer Bezirke: Ober: und Unterbaumgarten, Blauenjchlag, Brunn,
Buchen, Diebling, Gatterfchlag, Grambad), Heinrichsſchlag, Höflingg,
Hofterichlag, Köpferfchlag, Deutſch-Molliken, Motten, Ober- und Nieder-
— 284 —
Mühl, Muttaſchlag, Neudeck, Ottenſchlag, Radeinles, Groß- und Klein—
Rammerſchlag, Riedweis, Riegerſchlag, Ruttenſchlag, Ober-Schlagles,
Schönborndorf, Sichelbach, Tiberſchlag, Ulrichsſchlag, Weißenbach, Wen:
kerſchlag, Wetzles, Zinolten.
Das Gebiet der Sprachinſel iſt ſanft hügeliges, aber nicht beſonders
fruchtbares Land, bewäſſert im Oſten von der Luſchnitz, im Weſten von
der Neſcharka; wie der ganze Südoſten Böhmens beſitzt es zahlreiche Teiche
und die Fifchzucht bildet noch heute, wie vor alters eine wichtige Ein-
nahmsquelle der Bevölkerung.
Berjucht man es, das Dunkel zu lichten, welches über dem Urjprunge
der deutjchen Anfiedelungen in diejen Gegenden liegt, jo wird man von
der unbezweifelbaren Thatfache ausgehen müſſen, daß fie bis im die
Hohenftaufenzeit hinein einen Theil jenes nahezu undurchdringlichen Grenz.
waldes bildeten, welcher das ganze Mittelalter hindurch Böhmen wie ein
Wall von allen Seiten umfchloß; auf dem Gebiete dieſes Grenzwaldes
find ja auch in anderen Gegenden Böhmens die erften deutjchen An—
jiedelungen entſtanden.) Der Grenzwald war, wie befannt, ursprünglich)
Eigenthum des Landesheren und da es in Böhmen eben die Herzoge und
jpäter die Könige waren, welche die Anjiedlung fremder, namentlich deut-
iher Bürger und Bauern befonders begünftigten, jo erklärt ji) daraus,
daß die Wohnfige der Deutjchen noch heute vorzugsweiſe an den Landes»
grenzen zu fuchen find. Auf die Entjtehung aus ehemaligem Waldboden
weist, wie im äußerjten Süden Böhmens, auc in unferem Sprachgebiete
das jo zahlreiche Vorkommen von Dorfnamen, die auf „ſchlag“ endigen
bin, wie: Riegerſchlag, Hofterjchlag, Ottenfchlag u. ſ. w. (ſ. o.).
Man kann aber auch die Bemerkung machen, daß deutiche Anfied-
(ungen im Grenzwalde vorzugsweife da entitanden, wo ein Weg durch den
Wald führte, an den fogenannten Zandespforten, ohne Zweifel nicht bloß
darum, weil die Ummandlung des Waldes in Aecker und Wiefen an dieſen
Stellen der Vertheidigungsfähigfeit des Landes am menigjten ſchadete,
jondern aud, weil der Verkehr, der fich dafelbft entwicelte, mancherlei
Gelegenheit zu Verdienſt gab, die anderswo fehlte. Ein Saumweg diejer
Art führte auch durch unjere Spradinjel und zwar aus dem Thale der
Neſcharka über Altftadt in das Thal der Thaya zu dem niederöfterreichijchen
Städtchen Naabs, deſſen tjchechischer Name Rakousy lautet, woraus dann
wieder der tichechiiche Name: Rakousko fir Defterreich entjtanden fein
1) Loſerth, Der Grenzwald Böhmens, Mittheilungen 21, 3 u. Jirecef, o starych
cestäch z Cech a z Moravy, Cas. &. musea 29, und 30. Bd.
— 238 —
jol. Wie an anderen Landespforten erhob ſich auch an diejer eine Burg,
weldye das Eindringen von Feinden verhindern follte und zwar bei Plaß
an der Neſcharka (Füdweitlih von Neuhaus), deffen tichechiiher Name:
SträZe noch jebt auf das ehemalige Wächteramt hinweiſt.
Ob die Befiedlung unferer Sprachinſel jchon zu der Zeit begonnen
hat, als jie noch im Befige der Premyſliden war, vermögen wir nicht
anzugeben. Die älteften Nachrichten zeigen ung vielmehr die Sprachinſel
bereits im ausjchlieglichen oder doch vorwiegenden Beſitze des Gejchlechtes
der Witigonen, jenes Gefchlechtes, welches für den ganzen Süden Böhmens
von jo außerordentlicher Bedeutung geweſen ift. Ob das Gejchlecht wirklich,
wie Bangerl') vermuthet hat, aus Oberöſterreich nach Böhmen einge:
wandert und jomit felbft deutjchen Urfprungs ift, ſoll weder bejaht noch
verneint werden, gewiß ift, daß e8 von Anfang an entjchiedene Vorliebe
für deutjches Weſen an den Tag legte, die Sitten des gleichzeitigen deutjchen
Ritterthums nachahmte, feine Burgen und nach ihnen fich jelbjt mit deut-
chen Namen benannte und die Anfiedlung von Deutjchen auf feinen aus:
gebreiteten Befigungen begünftigte.
Für unfere Spradinfel kommt bejonders derjenige Zweig diejes
mächtigen Hauſes in Betracht, welcher jich nach der Burg Neuhaus nannte.
Wie befaunt, hatten alle Witigonen dasjelbe Wappen, eine finfblätterige
Nofe, die aber bei den verfchiedenen Linien, in welche ji) das Gejchlecht
theilte, verſchieden gefärbt war; die Herren von Neuhaus Hatten eine
goldene Roſe auf blauem Felde.
Die Herren von Neuhaus. ?)
Der Stammvater der Herren von Neuhaus iſt Heinrich I., Sohn
Witigos (1205 - 37), der Erbauer jener Burg, deren ehrwürdige Ueber-
tefte noch jegt die Hauptjehenswürdigfeit der Stadt Neuhaus bilden; ihm
verdanfen auch Burg und Stadt Neuhans ihren gegenwärtigen tichechiichen
Namen: Jindrichüöv Hradee, zu deutfch: Heinrichsburg. Ob aud) das
1) Abftammung der Witigonen, Archiv f. öfter. Geh. LI. ©. 522. Vergl. and)
Toiſcher in den Mitth. XXVI. 1.
2) Im Folgenden find (P. Claudius) Gefhichten von Neubaus, desfelben Ber-
faflerd „Herren von Neuhaus“ und Rull, Monografie Jindr. Hradce jo viel-
fach benüßt, daß e3 überflüjlig wäre, fie in jedem einzelnen Falle ald Quelle
anzuführen. Auch mag ausdrücklich bemerkt werden, daß der Verf. nicht be—
abfichtigt, eine vollftändige Gejchichte der Herren von Neuhaus zu jchreiben;
nur was zur Sefchichte der deutichen Anfiedlungen in diejer Gegend in Ve:
ziehung ſteht, wollte er erzählen.
Mittheilungen. 26. Nahrgang. 3. Heft. 20
— 286 —
Dorf Heinrichsſchlag jchon von ihm, oder erjt von einem ſeiner Nach:
fommen gleichen Namens ausgejegt worden ift, vermögen wir nicht zu
jagen. Dagegen zog jchon unter Heinrich I. der deutſche Nitterorden in
Neuhaus ein, wo er neben der Kirche ein Spital für 12 Kranke errichtete.
Bon da an waren durch zwei SKahrhunderte die Pfarrer von Neuhaus
diefem Orden angehörig, ein Umjtand, der gewiß viel dazu beigetragen hat,
der Stadt Neuhaus ſelbſt und ihrer Umgebung den deutſchen Charafter
aufzuprägen. Auch Heinrichs Gemahlin zeigte jich dem Orden gewogen,
indem fie ihm die Dörfer Ztremils (wohl das jegt tichechiiche, aber knapp
an der Sprachgrenze — auch nahe an der mährifchen Grenze — gelegene
Tremles) und Doblings (wohl das jegige Diebling) ſchenkte.) — Den
Eijtercienfern, welhe um die deutjchen Anfiedelungen jo hoch verdient
find, war er, wie die übrigen Witigonen gewogen, was daraus her-
vorgeht, daß er nicht nur bei Schenkungen feiner Verwandten an Cijter-
cienfenklöfter als Zeuge erjcheint, jondern auch, ohne Zweifel auf jeinen
Wunſch, in eimem jolchen Klojter, nämlich zu Welehrad in Mähren,
feine legte Nuhejtätte fand. Lebteres beweiſt überdies, daß jchon dieſer
erjte Herr von Neuhaus nicht bloß in Böhmen, fondern aud in
Mähren begütert war. Bei den Königen jtand Heinrih I. in hoher
Gunft, da er auf verhältnigmäßig vielen Füniglichen Urkunden (26) als
Zeuge ericheint und das Amt eines Truchjeß bekleidete. Er nahm auch mit
dem Biſchof Robert von Olmüg, feinem Bruder Witigo und vielen anderen
Baronen an der deutjchen Reichsverfammlung in Regensburg theil (1213),
wo DOtofar I. von Böhmen fein Freundſchaftsbündniß mit dem Hohenjtaufen
Ssriedrich II. befiegelte. 2)
Heinrihs Söhne waren Witigo und Sezima von Neuhaus, der erjtere
jeit 1247 Burggraf von Olmütz und wie es fcheint, ein bejonderer Ver—
trauter Otokar's II. zu der Zeit, als diejer noch Markgraf von Mähren
war und die Fahne des Aufruhrs gegen feinen Vater, König Wenzel I.
erhob. Auch Witigo beginftigte die Eiftercienfer, indem er namentlich das
Klofter Welehrad, die Grabftätte feines Vaters, reich bejchenkte. Auch zu
dem deutjchen Orden ſtand er in freumdichaftlichen Beziehungen. Er be:
ftätigte demjelben nicht nur das von feinem Vater verliehene PBatronat
über die Neuhaufer Pfarre, fondern gab ihm aud) am 1. December 1255
im Zaujche für die Dörfer Tremles und Diebling (f. 0.) zehn Lahnen bei
1) Emler, Regg. IV. 1793. Sedlätet, Hrady IV. 33,
2) Bangerl, Witigonen; Erben, Regeften. Diefelben Quellen aud für Witigo von
Neuhaus, außerdem: Boczef, reg. Moraviae V. 233 und IIT. 16, 111, 132,
143, 163, 181, 191, 203, 206.
— 2337 —
dem Dorje, welches genannt wird ad Sanıtum (Svetec?) mit Teich,
Mühle, Fluß- und Waldnutzungsrecht, ferner einen Teich und eine Mühle
welche ein gewiſſer Radwan innegehabt hatte, endlich den ganzen Zehnten
vom Hofe eines gewijjen Ruppert. Zeugen diefer Urkunde find Hofleute
von Neuhaus, darunter ein Radmir, ein Hoztey, ein Mutyn, ein Blajief,
in welchen man vielleicht die Namengeber der Dörfer: Nammerjchlag
(Radmirov) Hofterichlag (Hojtejov), Muttafchlag (Mutinoves) und Blauen-
ſchlag (Blazegov) zu erbliden berechtigt ift. Daß Witigo ber Otokar II.
auch dann in hoher Gunſt blieb, als diefer bereits König war, zeigt der
Umftand, daß er nicht nur faſt immer im Gefolge des Königs ſich befand,
ſondern auch bei deſſen Friedensunterhandlungen mit Ungarn 1254 als
einer der böhmischen Schiedsmänner wirkfam war.
Bon Witigo’s Söhnen übernahm ver ältefte, Ulrich I., die Verwaltung
der Güter, während ein jüngerer, Dietrih, Biſchof von Olmüg wurde.
Beide Söhne hatten alfo, abgejehen von dem deutſchen Famili.unamen,
auch deutjche Vornamen, wie denn überhaupt die deutfchen Vornamen bei
den Herren von Neuhaus in einer Weije vorwiegen, wie es nicht einmal
bei den Herren von Rofenberg der Fall ift. Auch die Gemahlin Ulrich 1.
war eine Deutiche; fie hieß Maria, Gräfin von Harded. Unter Ulrich I-
begegnet uns in einer Urfunde der erjte Comthur von Neuhaus, den
wir kennen; er führt den gut deutjchen Namen: Chunrad (1270).) Auch
Ulrich war den Cijtercienfern gewogen und ingbejondere das Kloſter
Welehrad wurde von ihm ebenjo wie von jeinem Vater und ver:
muthlih auch von feinem Großvater mit Schenkungen bedacht. — Im
übrigen befand ſich Ulrich I., wie fein Vater Witigo faſt immer in
Begleitung König Otofars IL, jo insbefondere auh auf dem Feldzuge
gegen Ungarn, der durch den Sieg bei Krejfenbrunn (1260) einen jo glor:
reihen Abſchluß fand. Auch befleivete ev 1265—69 das Amt eines könig—
lichen Unterfämmerers. Doc) trübte ſich dieſes freundfchaftlihe Verhältniß
jpäter, offenbar im Zufammenhange mit der feindjeligen Haltung, welche
das ganze Gejchlecht der Witigonen gegen Ende von Otokar II. Regierung
dem Könige gegenüber einnahm. Damit mag es zufammenhängen, daß im
%. 1272, obwohl damals Ulrich nod) lebte, ein anderer (ein gewiljer
Theodorich) den Poſten eines Unterfämmerers bekleidete. Als Dtofar II.
nit Rudolph von Habsburg in Kampf gerieth, war Ulrich wie jein ganzes
Geſchlecht auf Seite des deutjchen Königs, was im Bunde mit dem Ab—
1) Enter, Regg. I. 277; Boczek, V. 253; Millauer, Geſchichte des deutichen
Ordens. ©. 118 ff.
20*
— 238 —
falle des öfterreichijchen und fteirifchen Adels den König Otofar I. zur
Abtretung der djterreihiichen Länder an Rudolph von Habsburg nöthigte.
Es ift begreiflih, daß Dtofar nach Beendigung des Krieges an feinem
treulojen Unterthanen Rache zu nehmen ſuchte und es ſoll ihm in der
That gelungen fein, Ulrich 1. die Burg Neuhaus zu entreißen und den—
jelben zu nötigen, daß er in dem Dorfe Buchen jeinen Wohnſitz nahm.
Bald darauf jtarb Ulrich; beigejegt wurde er in der von ihm gejtifteten
Kirche des deutſchen Ordens zu Neuhaus. Ob das Dorf Ulrihsichlag
ihon von Ulrich I. oder erjt von feinem Sohn Ulrich IL. gegründet und
benannt wurde, muß wegen Mangels an Nachrichten dahingejtellt bleiben.)
Zur Zeit Ulrich Il. von Neuhaus erflomm das Geſchlecht der
Witigonen den Gipfel feiner Macht. Allerdings war es nicht die Neuhaufer
Linie, welche dabei die Führung übernahm, jondern die Krumauer, ver:
treten durch den ehrgeizigen, verjchlagenen und prunfliebenden Zawijch von
Falfenftein, dem es gelang, mit der Hand der Königin-Witwe auch nahezu
fönigliche Ehren und königliche Macht zu erlangen. Natürlich fiel ein Theil
diefes Glanzes auc auf die Verwandten des Emporfömmlings. Aber dem
unverhofften Glücke folgte cin ebenſo unverhoffter und jäher Sturz, bei
welchem wieder das ganze Gejchlecht der Witigonen in Meitleidenjchaft ge-
zogen wurde. Ulrich v. Neuhaus, der ein vorfichtiger und friedfertiger Mann
jewefen zu fein jcheint, ſuchte am jrühejten von allen jeinen Verwandten die
Gunſt des fiegreihen Königs; jchon am 10. Januar 1289 erjcheint er in
deſſen Umgebung, alfo noch che das Haupt des Zawiſch durch Henfershand
gefallen war. Dadurd) gelang es ihm, nicht nur den Bejit feiner Güter
zu retten, jondern auch die föniglihe Gunjt?) zu gewinnen.
Ein Beweis des wieberhergejtellten guten Einvernehmens mit dem
Könige iſt wohl aud das ZTejtament Ulrich Il. vom 25. Juli 1294.°)
Ulrich fegte darin den König jelbft zum Erben feiner Güter ein für den
Fall, daß er ohne männliche Nachkommen jterben follte, ein Fall, der
allerdings nicht eingetreten ijt. Die Urkunde iſt jedoch wichtig als das
ältefte Schriftjtüdl, das über die Bejicdelung der Umgebung von Neuhaus
ausführlichere Aufichlüffe gewährt. Leider wird gerade das, was dem Könige
zufalfen jollte, nur ganz im Allgemeinen nahmhaft gemacht, nämlich: die
Burg Neuhaus jelbft, die dazu gehörige Stadt und die umliegenden
1) Balady, Geſch. Böhmens U. 1679, 177, 253, 315; Bangerl, Witigonen;
Boczet IV. 43 und V. 5.
2), Balady, Geich. Böhmens II. 347 ff.; Toiſcher, Mittb. XXVI. 1.
3; Emler, Regg. H. 710, Boczek V. 9.
— 239 —
Dörfer, außerdem der. Marktfleden Dremisl (Tremles). — Genauer
werden aufgezählt diejenigen Befigungen und Dörfer, welche das Witwen:
gut von Ulrihe Gemahlin Mechthild, (deren deutjcher Name ebenfalls
bemerfenswerth ijt,) bilden follten, nämlich: der Marktfleden Teſchna
(das jetzt tichechiiche Städtchen Dejchna, nordweſtlich von Neuhaus),
Pirchet (wohl das tichechifche Brezina, deſſen Name dem deutfchen: Birken
entjpricht und das noch jeßt von den Deutjchen Bires genannt wird),
Druncz (das jeßt tichechifche Dorf Drund an der Straße von Neuhaus
nad) Kamenitz), Raduna Magna (wohl das jegt tſchechiſche Dorf: Kirchen:
radann), Heiligen Rudegerſchlag (jedenfalls das heutige deutjche Dorf
Riegerichlag), Klenov (tjchechiiches Dorf bei Kardas-Rekic) mit dem ganzen
Walde zwifchen diefen Dörfern, Prunne (das deutſche Dorf Brunn bei
Neuhaus), Kochans (?) und Hroſchitz (?)., Wollte der König auch diejes
Witwengut erwerben, jo jollte er 1000 Mark reinen Silber Prager Gewicht
dafür geben und zwar follte diefe Ablöſung insbefondere dann erfolgen,
wenn die Witwe Ulrichs II. nochmals fich vermählen würde. Aber auch
für einen Theil feiner eigenen Güter behielt fich Ulrich das freie Verfü—
gungsrecht vor, jo daß jie nicht dem Könige zufielen,; es waren dies be:
jonders mährijche Gier, von denen hier nur der Marktflecken Zlabings
genannt werden mag, weil verjelbe ziemlich nahe bei Neubijtrig und Alt-
ſtadt und zwar öjtlich von legterem liegt und offenbar jchon im Mittelalter
lebhafte Beziehungen zu unferer Sprachinjel unterhielt.
Dafür, daß Ulrich den König zu feinem Erben eingefegt hatte, zeigte
fich diefer durch mancherlei QTerleihungen dankbar, welche in derjelben Ur:
funde aufgezählt find, die aber ebenfalls zum großen Theil Ulrichs mäh-
riſche Befigungen betreffen. Auf unfere Sprachinfel hat nur die Erklärung
Bezug, daß Ulrich bezüglich der Straße, welche durch Neuhaus führte,
diejelben Rechte (offenbar Zoll- und Geleitsrechte) haben follte, wie fein
Bater und jeine Vorfahren überhaupt; ferner, daß Ulrich die Erlaubniß
erhielt, in der Stadt Neuhaus 8 Juden mit ihren Familien zu haben,
und wenn einer vderjelben jterben würde, einen anderen an deſſen Stelle
zu ſetzen, jedoch nicht von den Füniglichen Befigungen, jondern anderswoher.
Dieje Juden follten Ulrich diefelben Dienfte und Zahlungen leijten, wie
die anderen Juden in Böhmen dem Könige und Ulrich jollte mit ihnen
alles thun dürfen, was der König mit feinen Juden thue.
Der Schluß des umfangreichen Schriftjtiicdes enthielt eine Verfügung
zu Gunſten des deutfchen Ordens, in deſſen Kirche Ulrich II. wie jein
Bater begraben fein wollte; e8 wurde nämlich dem Drden das Patronats-
recht und die gefammte Gerichtsbarkeit über alle Kirchen in Böhmen umd
se A" u
Mähren verliehen, deren Patron Ulrich II. war (mit einziger Ausnahme
des den Templern übertragenen Dorfes Stodolek). Hatte ſich jomit die
Wirkſamkeit des deutichen Ordens, insbejondere auch die germanifatorische
Wirkſamkeit desfelben bis dahin auf die Stadt Neuhaus bejchräntt, jo follte
fie ſich künftig auf alle Güter der Herren von Neuhaus erftreden. Freilich
fam diefe für den Orden jo wichtige Bejtimmnng thatſächlich ebenſo wenig
zur Ausführung, wie der Heimfall der Neuhanfer Befigungen an den König,
Ader aud) einen zweiten Ritterorden zeigte fich Ulrich II. geneigt, dem-
felben, zu deſſen Gunſten er fchon in der eben angeführten Urkunde eine
Ausname von feiner Verleihung an die Deutjchherren gemacht hatte, dem
Orden der Templer nämlih. Am 27. September 1297 übergab er ihnen
den von ihm jelbjt jo benannten „neuen Hof“ bei Rudgerſchlag (dem
heutigen Riegerſchlag).“ Die Grenze diefer Schenkung beging Ulrich per-
jönlicy mit Effo (offenbar Abkürzung für Eckehard), dem Meifter der Templer
für Böhmen und Mähren. Als Zwed der Scenfung wurde ausdridlich
die Ausrottung des Waldes und die Urbarmachung des Bodens angeführt.
Daß übrigens der deutjche Orden diefer Verleihung keineswegs feindjelig
gegenüberjtand, vielmehr den Zemplerorden gern als Mitarbeiter an dem
übernommenen Werfe annahm, beweijt der Umjtand, daß unter den Zeugen
der Urkunde auch ein Bruder des Ordens von deutjchen Haufe erjcheint,
Der Name diefes Bruders, Zdislaus weijt allerdings auf ſlaviſchen Ur—
jprung, dagegen find die Namen der übrigen Zeugen vorwiegend deutſch.
An der Spige fteht der Pfarrer Heriman von Audgerflag, daran jchließen
fi) Herr Branfod, Chunrad, genannt Pulz, Bürger Gottfried, Bürger
Ortlieb, Ninold, Heinrich, genannt Dornich, der Notar Hartwif, Ulrich
genannt Anfora (alſo wahrjheinlich zu deutich: Krug), Dtto, genannt
Buchs. Einen tichechischen Namen hat unter den Zeugen außer dem Bruder
Zdislaus nur der Procurator Pribizlaus. Wahrjcheinlich Haben wir in diejen
Zeugen, da die Urkunde in Neuhaus ausgejtellt ift, größtentheils Neuhaufer
Bürger und Einwohner zu erfennen, und die vorwiegend deutjchen Namen
würden fomit den Schluß erlauben, daß damals Neuhaus eine überwiegend
deutſche Stadt gewejen tft.
Dem Eiftercienferflofter Welehrad machte auch Ulrich II. Schenkungen,
unter anderm verlieh er ihm das Patronat in Zlabings, was darım erwähnt
werden mag, weil die Wirkſamkeit der Eiftercienjer To nahe bei Neuhaus
und Neubijtrig gewiß auch die Wirkfamfeit der eben genannten beiden
Nitterorden unterſtützte.?) |
1) Emler, Regg. I. 759, Boczek V. 78.
2) Emler, Regg. II. 785; Boczek V. 108,
— 231 —
Auch die deutjche Dichtung fand bei Ulrich II., wie erjt jüngft in
diefen Blätterr nachgewiefen wurde, ') Pflege; ein ritterlicher Sänger pries
feine Freigebigfeit, Güte und Menjchenfreundlichkeit, ein anderer jchrieb für
ihn die Alerandreis Ulrihs von Eſchenbach ab. So werden wir Ulrich II.
in jeder Hinficht als einen der hervorragenditen Förderer deutjcher Kultur
im Gebiete unjerer Spradinfel betrachten dürfen.
Ulrichs Sohn und Erbe hieß wieder Ulrich, dieſes Namens der Dritte.
Er wird zuerft genannt in einer Urkunde König Johanns vom 5. Mai 1312,
in welcher den Prager Landesbeamten befohlen wird, die Witwe Ulrich II.
von Neuhaus, Mechthild, deren Söhne und Leute binnen Jahresfriſt von
dem Tage der Urfunde an gerechnet nicht vor ihr Gericht zu ziehen. ?) Im
Jahre 1317 war Ulrich III. unter den Anhängern feines Vetters Wilhelm
von LZandjtein, der damals als Bundesgenojje Friedrichs des Schönen von
Dejterreichh den König Johann vom Throne zu ftürzen ſuchte. In die
Geſchichte unſerer Sprachinſel griff er nachweisbar zum erjtenmal im
Jahre 1319 ein, als er im Einverjtändniß mit feiner Mutter Mechthild
dem oberöfterreichtiichen Brämonftratenferklofter Wilhering 4 Lahnen und
2 Joch Grundjtücde in dem Dorfe Nudweins (dem jetigen deutjchen Dorfe
Riedweis) mit dem ganzen Zins und allem Nuggenuß verlieh, in derjelben
Weife, wie ausdrücklich hinzugejegt wird, „wie die Kreuzherrn vom deutjchen
Haus in Neuhaus von Ulrichs Vorfahren her ihre Güter inne haben". Es
it Fein Zweifel, daß auch durch diefe Verleihung von Grund und Boden
an ein oberöfterreichiiches Klofter das deutſche Element im Gebiete von
Neuhaus eine Stärkung erfuhr. Uebrigens erflärt die Urkunde ſelbſt, warum
diesmal gerade einem oberöfterreichiichen Klojter eine jolche Begünftigung
zu Theil wurde: die Schwefter Ulrich III., Agnes, war nämlich in zweiter
Ehe mit einem Defterreicher „Wernhard von Schawenberch" vermählt ge:
weien und die Mönche von Wilhering übernahmen zum Danfe für die
Schenkung die Pflicht, den Todestag diefer Schweiter alljährlid) durch einen
Trauergottesdienit und Almojenvertheilung zu begehen. Bemerft mag bei
diejer Gelegenheit werden, daß durch die Urkunde auc der Urfprung des
jest nicht eben leicht verjtändlichen Namens des Dorfes Niedweis erklärt
wird (im Volksmunde ift daraus jogar das ganz unſinnige: „Rindswieſe“
geworden). Das Dorf ift nämlich offenbar von feinem Gründer (Locator)
genannt, da Rudwein ein Perjonenname ift, der in das heutige Deutſch
ütberjegt, etwa: „Ruhmesfreund“ bedeuten würde; analog gebildete Dorf-
1) Mittheil. XXVI. 1. Toiſcher, Zur Geſch. d. deutichen Literatur u. ſ. w.
2) Emler, III. 32; Boczek, VII. 800.
——
namen finden ſich auch ſonſt in der Sprachinſel z. B. Bernhards von
Bernhard, Gebhards von Gebhard.)
Auf Ulrich III. wird auch die Einführung der Minoriten in Neu—
haus und die Gründung der Kirche zum hl. Johannes dem Täufer daſelbſt
zurücgeführt. Dem Betreiben der Minoriten ijt es wohl auch zuzufchreiben,
daß im Jahre 1338 Ulrih von Neuhaus erklärte, die Hinterlafjenjchaft
von Geiftlichen ſolle Fünftig nicht mehr, wie dies bis dahin gefchehen war,
von dem Herrn von Neuhaus jelbft oder feinen Beamten eingezogen werden,
ſondern der betreffenden Kirche zufallen, ein Zugeſtändniß, das natürlich
nicht bloß den Minoriten, jondern auch den bereits früher in Neuhaus
angejiedelten Orden, bejonders dem der Deutjchherrn zu gute fam.?)
Wie hoch auch Ulrich III. den deutfchen Orden jchägte, dafür find
das ſprechendſte Zeugniß die erjt in unjerem Jahrhundert im Neuhaufer
Schloſſe entdedten Wandgemälde zu Ehren des hl. Georg, welche Ulrich
nach der ebenfalls nod) erhaltenen Inſchrift im Jahre 1338 anfertigen
ließ; denn fie ſtellen ſämmtlich den Heiligen in einem Gewande dar, das
mit dem jchwarzen Kreuz, dem Abzeichen des deutjchen Ordens, gejchmückt
it. Man kann aljo Fühn behaupten, daß diefe Gemälde ebenjojehr zur
Verherrlichung des deutjchen Ordens als zur Verherrlihung des heiligen
Georg bejtimmt waren, weil eben Ulrich in dem deutjchen Orden die
edeljte Blüte jenes ſchwärmeriſch frommen und dabei doch heldenmüthigen
Ritterthums ſah, als deſſen Bejchüßer der hl. Georg verehrt wurde. In
einer Figur, links von der Thüre, nahe an der Inſchrift, in welcher
Ulrichs Name genannt wird, hat man mit großer Wahrjcheinlichkeit Ulrichs
cigenes Bildniß erkennen wollen, die zahlveihen Wappen aber, welche die
Wände umter den Bildern ſchmücken, beziehen fich vermuthlich auf jolche
PVerjonen und Familien, welche fich durch ihre Wirkfamkeit zu Gunjten
des deutjchen Ordens oder auch als Mitglieder desjelben verdient gemacht
hatten. Daß wir befugt find, bis zu einem gewiſſen Grade in diejer
Berherrlichung des deutjchen Ordens aud) eine VBerherrlichung des deutjchen
Einflufjes auf Neuhaus und feine Umgebung zu jehen, beweijen, abgejehen
von den Gemälden jelbjt, welche ganz im Stil der gleichzeitigen deutjchen
Malereien gehalten find, auch die durchaus deutjchen Ueberjchriften, welche
ven Sinn der Darftellungen erklären jollen.?)
Einen jeltfamen Gegenjag zu diefen Gemälten, welche aus der dank—
baren Anerkennung des wohlthätigen Einfluffes dev Deutjchen auf
1) Emler, II. 221,
2) Emler IV. 240; Boczef, Brand! VII. 157, IX. 179; Borowy, lib. erect. I. 27.
3) Mocel, in den Denkichr. d. Akad. d. Wilfenjchaften in Wien X. 1859.
23 —
die heimijche Eutwicklung hervorgegangen ſind, bietet ein bloß um 2 Jahre
jpäteres Schriftjtüd, in welchem umgekehrt Deutiche als Störer des reli-
giöſen Friedens und der biürgerlihen Ordnung erjcheinen. Es galt alſo
auch damals jchon der Sprudh: „Wo viel Licht ift, ift auch viel Schatten.“
Das Schriftſtück enthält nämlich die Verleihung eines päpftlichen Ab-
laſſes an Ulrich III. und alle Diejenigen, welche ihm bei der Verfolgung
der Keger auf feinen Gütern Hilfe leiften würden. Hiebei erfahren wir,
daß im ganzen Königreich Böhmen unzählige Keger aufgetreten jeien und
zwar meist Deutjche und Fremdlinge, durch welche dann aud die An-
hänger des rechten Glaubens in Böhmen jelbjt angeftedt wurden. „Die
Inquiſitoren vermochten ihnen,” wie in der Urkunde weiter ausgeführt
wird, „nicht beizufommen, weil fie fi zu verfteden wußten; dagegen
wurden die rechtgläubigen Katholifen von den Kegern gefangen genommen
und verjtümmelt, ihre Bejigungen geplündert, ihre Häufer niedergebrannt.
Zwar hatte Bruder Gallus vom Predigerorden viele Keger zur Rückkehr
in den Schoß der Kirche bewogen, aber nach feiner Abreije waren jie
wieder in ihre alten Irrthümer zurücverfallen und hatten mit ihren
Lehrern, den jogenannten Apojteln, geheime VBerfammlungen gehalten. Die
Zahl der Keger nahm endlich fo zu, daß Ulrich ſelbſt und jeine Unter:
thanen fürımlic an ihrem Leben bedroht waren." Daß die Urkunde, deren
Wortlaut, was die Umtriebe der Keger betrifft, wahrjcheinlic) aus einer
Bittſchrift Ulrich III. ſelbſt herübergenommen wurde, die Farben etwas
ſtark aufträgt, liegt auf der Hand. Es ijt nicht gerade wahrjcheinlich, daß
Keger, die jelbjt ihres Lebens nicht ficher find und fich vor den Inqui—
fitoren verjteden, die Verwegenheit haben follten, Katholifen am Leben zu
bedrohen, ſie gefangen zu jegen, zu verftimmeln, ihre Habe zu plündern,
ihre Häufer in Brand zu teen u. j. w. Auch ob die Keger wirklich vor-
wiegend oder gar ausjchlieglich „Deutjche und Fremdlinge” waren, mag
dahingeftellt fein, da e8 im Mittelalter gewöhnlich war, den Verdacht der
Kegerei, der als eine große Schande galt, von den Landesfindern ab und
auf die Eingewanderten zu wälzen und namentlidy auch in Böhmen diejes
Verfahren nachweisbar gern angewendet wurde. Im übrigen wiſſen wir
von diejen Reßereien zu wenig, um uns ein Urtheil darüber zu bilden,
ob die Zuneigung zu denjelben auc; vom Heutigen Standpunfte noch den
deutjchen Anfiedlern in der Gegend von Neuhaus zum Vorwurf gemacht
werden müßte. Ebenjowenig wijjen wir, ob es Ulrich gelang, die Ketzer
auszurotten oder nicht; der Umftand, daß jpäter nicht mehr von ihnen die
Rede iſt, ließe das erjtere vermuthen.")
1) Emler, IV. 302. Boczef-Brand! VII. 190,
— 24 —
Ulrichs erſte Gemahlin war eine deutſche Prinzeſſin, Margaretha von
Kärnten; von ihr und ſeiner zweiten Gemahlin Clara hatte ev zuſammen
vier Söhne, welche ſich nach dem Tode Ulrich III., welcher wahrjcheinlich
1347 erfolgte, derart in die hinterlafjenen Beſitzungen theilten, daß der
ältejte, Heinrich II. die Herrjchaften Neuhaus und Zeltih (in Mähren)
befam, während die jüngeren Söhne: Ulrih, Meinhard und Herrmann
mit Fleineren Gütern, ſowie mit einzelnen Höfen, Zinfungen u. dgl. ſich
begnügen mußten. So erhielt unter amderen Ulrich Befigungen in den
wohl jchon damals tichechifchen Dörfern Natibor und Griſchau und Mein-
hard die gleichfalls tichechifchen Orte: Deſchna und Brezina. Meinhard ver:
zichtete übrigens, als er Biſchof von Trient wurde, auf feinen Antheil zu
Gunften feiner Brüder.’)
Heinrich II. war, wie es jcheint, Friegerijcher al8 alle feine Vor—
gänger. Im März 1348 309 er im Auftrage Karl IV. mit einem Kriegs:
heere gegen den Herzog Ludwig von Baiern, welcher Karl IV. die An—
erfennung verweigerte und drang bis gegen Amberg vor. Karl IV, er—
wies fich für diefe und ähnliche Dienfte durch verfchiedene Verleihungen
au Heinrich II. und jeine Brüder dankbar.) In einen Gegenjag zu
Karl IV. gerieth dagegen Heinrich von Neuhaus durch eine Fehde, welche
im Jahre 1351 zwiſchen ihm und den öjterreichiichen Herren Eberhard
und Heinrich von Wallſee und Albert von Buchheim ausbradh. Die
Gründe diefer Fehde find unbekannt, da jedoch das Gejchlecht der Walljee
an der oberen Thaya begütert war und das der Buchheim die Güter
Litichan und Heidenreichenftein bejaß, alſo ebenfalls zur Nachbarjchaft
Heinrichs von Neuhaus gehörte, fo dürfte die Vermuthung, daß Grenz-
jtreitigfeiten die Veranlaſſung zum Kampfe geben, das richtige treffen.
Heinrich von Neuhaus eröffnete die Fehde, indem er mit 70 Helmen in
Oberöſterreich einfiel und verwüjtend bis gegen „Linz vordrang. Die
Deiterreicher erholten ſich aber bald von der erjten Ueberraſchung, ver-
folgten nun ihrerjeitS den Friedensftörer, brachten ihm jchon in Ober:
öfterreih umd jpäter nochmals in Böhmen bei Frauenberg empfindliche
Niederlagen bei und nahmen fogar in der zweiten Schlacht Heinrich von
Neuhaus ſelbſt gefangen. Nur dur ein Hohes Löſegeld konnte er ſich
wieder freifaufen. Den Steg verdanften dic Defterreicher dem Umftande,
daß fich der oberjte Burggraf Wilhelm von Landjtein auf ihre Seite ge-
ſchlagen hatte, weshalb an den böhmiſch-öſterreichiſchen Grenzkrieg ſich nun
1) Archiv cesky II. 339,
2) Boczel-Brand! VII 660 und 661.
— 295 —
auch eine innere Fehde der Herren von Landſtein gegen die von Neuhaus
und Rojenberg anjchloß, eine Fehde jomit, in welcher Witigonen gegen
Witigonen im Felde jtanden. Erjt am 2. Mai 1352 fchlichtete Karl IV.
den Hader, indem er Freilaffung der Gefangenen und Beilegung aller
etwa künftig noch auftauchenden Zwiſtigkeiten durch Schiedsrichter befahl.!)
Aber Heinrich II. bezwang feinen Groll nur jolange, als Karl IV,
in Böhmen weilte. Sobald dieſer Böhmen verlafjen hatte, was im Jahre
1353 gejchab, begann ev den Rachekrieg gegen Wilhelm von Landjtein
von Neuem. Aber er hatte auch diesmal Unglüd. Nicht nur wurden
jeine Güter arg verwüſtet, jondern er wurde auch jelbjt in dem Städtchen
Blabings (in Mähren, öſtlich von Neubiftrig) eingeſchloſſen und hätte fich
zum zweiten Mal als Gefangener ergeben müſſen, wenn ihm nicht jeine
Unterthanen aus Teltſch zu Hilfe gefommen wären und ihn befreit hätten.
Aber auch Johann Heinrich, Markgraf von Mähren, trat nun in den
Kampf ein, vermuthlid im Auftrage feines Bruders Karl IV., um den
Frieden wieder herzujtellen und Heinrich von Neuhaus geriet dadurd in
neue Bedrängniß, obgleich er kühn genug war, nun jogar die landes-
fürftlihe Stadt Jamnitz (gleichfalls in Mähren, dftlih von Zlabings), zu
belagern. Erſt dem Anſehen Karl IV. felbjt gelang es, zum zweiten Mal
die jtreitenden Parteien zur Verſöhnung zu bringen; doch ift deutlich zu
bemerken, daß Karl IV., wenn ev auch im großen und ganzen al® unpar—
teiiicher Schiedsrichter auftrat, doch für Heinrich von Neuhaus weniger
günftig geftimmt war, als für deſſen Gegner.
Freundlicher dürfte jich das Verhältniß zwiſchen Karl IV. und
Heinrich) II. von Neuhaus geftaltet haben, als dev Nömerzug Karls, auf
welchem er unter andern auc von Heinrich von Neuhaus begleitet wurde,
dieſem Gelegenheit gab, jeinem Landesherrn einen großen Dienft zu letiten.
Bekannt iſt, wie Karl IV. damals in Piſa durch einen unerwarteten Auf—
jtand in Lebensgefahr gerieth; unter jenen tapferen Edellenten nun, welche
Karl IV. beraushichen, war Heinrich von Neuhaus einer der hervor:
ragendſten. Er hatte jein Lager jenjeits des Arno, es gelang ihm aber
doch, als er von Karls Gefahr hörte, fich zu diefem den Weg zu bahnen
und ihn zu befreien.?)
Aber ſelbſt diefe Lebensrettung ſcheint \.e alte Spannung zwijchen
dem Kaifer und Heinrich IL. von Neuhaus nicht völlig bejeitigt zu haben,
1) Balady, Geſch. von Böhmen IIb, 321 ff. Klimeſch, d. Michelöberger in den
Mitth. 22, 4. ©. 339 ff. Huber, Regg. 1488, 1509.
2) Fontes rerum boh. II. 523. Palacky, IIb, 330.
— 2% —
denn ſchon 1356 treffen wir ihn wieder in offener Empörung, diesmal
im Bunde mit allen übrigen „Rojenherren" und jogar auch den Herzogen
von Defterreih, weldye darüber aufgebracht waren, daß Karl IV. in der
goldenen Bulle Dejterreih jo wenig berücjichtigt hatte. Für Heinrich
fonnte diefer Grund natürlich nicht ins Gewicht fallen, ihn mußten andere
Umjtände bejtimmen. Es wird nun in der That erzählt, Heinrich habe
einige feiner Vaſallen, die eines Todſchlages überwiejen und vom Prager
Zandrecht verurtheilt worden waren, gegen dasjelbe in Schuß zu nehmen
verjucht und dadurch den Zorn des Kaifers, welcher jtreng auf Gejeg und
Ordnung hielt, auf ſich gezogen. Darin mag ein Körnchen Wahrheit
jein, obwohl der eigentliche Grund gewiß noch tiefer lag, nämlich in dem
natürlichen Gegenſatz zwijchen der unter König Johannes Regierung zu
ichranfenlojer Willkür ausgearteten Macht des böhmischen Hochadels und
dem auch in der Majestas Carolina erfennbaren Streben Karl IV., durch
jtrenge Rechtsiprehung und unbeugjame Ausführung der Richterjprüche
auch gegenüber hochgejtellten Friedensbrechern das Fünigliche Anjehen aus
jeinem tiefen Verfalle zu erheben. Auch diesmal blieb Karl IV., der
ſich unterdeffen mit den öfterreichifchen Herzogen verjühnt hatte, Sieger;
Heinrih II. mußte ſich unterwerfen, Bürgen für fein ferneres Wohlver-
halten ftellen und jogar durch 2 Jahre das Land Böhmen meiden.*)
Aber auch damit waren die Kämpfe Heinrich II. noch nicht zu Ende.
Im Fahre 1360 zog er, mit dem Kaijer wieder verjühnt, im Gefolge
desjelben gegen Württemberg; zwei Jahre jpäter gerietb er mit den
Brüdern Heinrich, Ulrich und Herrmann von Böttau wegen feiner mäh-
riſchen Befigungen in einen Streit, welcher am 16. Feber 1363 durch
einen in deutſcher Sprache abgefaßten Schiedsſpruch der Brüder Peter
und oft von Roſenberg, des Albert von Puchheim und Johann von
Meſeritſch beigelegt wurde.?)
Bald darauf, im Jahre 1364 ſtarb Heinrich II. Für die innere
Entwidelung unferer Sprachinfel ift jeine mit jo vielen Wirren und Kämpfen
erfüllte Wirkjamfeit wohl iiberhaupt nicht von vortheilhaftem Einfluß ge-
wejen und daher auch für die Befeftigung und Ausbreitung des Deutjch-
thums nicht. Wir vermögen denn auch feine Einrichtung zu Gunften des
Deutſchthums aufzuweijen, "ie unter ihm meu begründet worden wäre,
genug, daß wenigjtens die aus früheren Zeiten ftanımenden jich forterhielten.
1) Klimeſch a. a. O. Palacky Ib, S. 351, Fontes rerum boh. II. 534.
2) Borzef-Brandl, IX. 222,
— 297 —
Heinrich II. hinterließ 4 Söhne, ſämmtlich wie der Vater Heinrich
genannt: Heinrich den älteren, Heinrich den jüngeren, Heinrich (ohne Bei—
ſatz) und Henzlin. Da ſie bei des Vaters Tode noch minderjährig waren,
übernahmen Peter, Joſt, Ulrich) und Johann von Nojenberg die Bormund-
Schaft. Die Witwe Heinrich IL, Margaretha von Leuchtenberg (alfo wie
feine Mutter eine Deutfche und zwar aus der batrischen Oberpfalz jtammıend)
jcheufte einen Theil ihres Witwengutes am 15. Juli 1365 den Clariſſinen
in Krummau, unter denen jeit 1361 ihre Tochter als Nonne lebte und in
deren Orden fie nun auch jelbjt eintrat. Die Schenkung beftand außer dem
tichechifchen Dorfe Groß- und Klein-Jizna (bei Roth-Rekit) aus den noch
jegt deutjchen Dörfern: Riegerichlag (in der Urkunde: Lodherov genannt)
und Radeinles (in der Urkunde: Radünka) und dem Meierhofe Traſchhof
(in der Urkunde: Draheyska) bei Wenferjchlag, Ob und inwiefern durch
dieſe Schenkung der fprachliche Charakter diefer Dürfer und Bejigungen
beeinflußt wurde, läßt jich heute nicht mehr feftitellen.
Durch die obengenannten Brüder oft, Ulrih und Johann von
Roſenberg erhielt Neuhaus zu den bereits bejtehenden Klöftern ein neues,
das der Auguftiner (1367) und aus einer Aufzeichnung, welche zwei Jahre
jpäter datirt ift, erfahren wir zum erjtenmal, daß auch die Eijtercienfer,
deren Verdienſte um Deutſchthum und Bildung im Süden Böhmens be-
fannt jind, im Gebiete der Neuhaujer Sprachinſel wirkſam waren. Im
Sahre 1369 taufcht nämlich der Ciſtercienſer Nicolaus, bis dahin
Pfarrer in dem (deutjchen) Dorfe Grambad) bei Neuhaus mit Zujtimmung
des Abtes von Hohenfurt als des Patrons der Kirche jeine Pfründe mit
einem gewiſſen Benejch, bis dahin Seeljorger in Barefchau bei Hohenfurt.
Wann und wie die Giftercienfer von Hohenfurt das Patronat in Grambach
erlangten, iſt unbekannt, doch ijt andererjeitS bei der unit, deren ſich das
Kloſter Hohenfurt bei deu Herren von Nojenberg erfreute, die Verleihung
erklärlich genug; vielleicht fällt fie eben in die Zeit, als die Roſenbergiſchen
Brüder für die Söhne Heinrich II. von Neuhaus die Vormundjchaft führten.")
Bezüglich des älteſten Sohnes, Heinrich III. des älteren, dauerte
übrigens die Vormundſchaft auf feinen Fall lange, denn jchon 1365 erjcheint
derſelbe als Beiliger beim Landrecht und 1366 als felbjtändiger Herr und
Mitvormund jeiner jüngeren Brüder.
As Ulrich, Bruder Heinrich II. (und jomit Oheim Heinrich III.)
diejem jeinem Bruder im Tode nachfolgte, theilten ſich mit Urkunde vom
13. Dt 1384 jeine Söhne Ulrich und Johann in das nicht jehr um:
1) Teigl, confirmationes I. 7.
— 298 —
fangreiche väterliche Erbe, das im weſentlichen aus den heute tſchechiſchen
Dörfern Natibor und Griſchau beſtand. Das Gebiet der Sprachinſel be—
rührte die Erbtheilung nur in Bezug auf Schamers, wo 6 Schod Groſchen
Bing mit der Kirchenabgabe, 2 Zeichen und allen Zubehör dem Johann
von Neuhaus zuftelen; dann betrefjs des neuen Hofes bei Riegerſchlag mit
den dazu gehörigen Wieſen, welche Ulrich erhielt. Bon den Wiejen werden
zwei mit Namen genannt: die Glaspach-Wiefe und die Niegerjchlager
Wieſe. Streitigkeiten, welche fpäter iiber die Bejtimmungen diefer Erbtheilung
entjtanden, wurden 1389 durch einen bejonderen Vergleich beigelegt.?)
Aus der Zeit Heinrichs III. von Neuhaus und zwar vom 25. Juli
1389 rührt auch das ältejte Privilegium der Stadt Neuhaus, bezeichnend
genug in deutfcher Sprache abgefaßt. Die Bürger von Neuhaus hatten ihren
Gutsherreu vierthalbhundert Schod Grojchen gegeben, um es zu erwerben.
Die Beftimmungen des Privilegs Tauten im Wefentlichen: 1. der Zins der
Stadt, den die Bürger zweimal im Fahre zu geben haben, joll von Heinrich
von Neuhaus „unzerbrodhen bleiben". 2. Jeder Bürger joll über fein Ver—
mögen frei durc ein Zejtament verfügen Fünnen und Erbe immer der
nächſte Verwandte fein. 3. Wer dem Gutsheren nichts ſchuldig ift, fein
Burgrecht einem anderen, tüchtigen Menjchen übergibt und überhaupt thut,
was in der Stadt rechtens tft, fann auswandern, wohin er will. 4. Sit
jemand flüchtig geworden, fo wird jeine Habe nicht jogleich mit Bejchlag
belegt, jondern erjt dann, wenn derjelbe binnen 13 Wochen nicht wieder
Gnade geſucht hat. 5, Der Zins fol gezahlt werden, wie es in den Fünig-
lichen Städten üblich ift. 6. Auch die Juden follen, wie bisher von ihren
Häufern zu dem jtädtifchen Steuern beitragen.
Da Heinrich III. nur einen Theil der Stadt Neuhaus beſaß, während
der andere feinem Vetter Herrmann von Neuhaus auf Sternberg und Bielkau
gehörte, ſo wurde von diefem eine ähnliche Urkunde fiir den anderen Theil
der Stadt ausgeftellt.
Daß an den Bündniſſen der böhmischen Herren gegen König Wenzel IV-
in den Jahren 1393— 95 auch Heinrich III. von Neuhaus theilnahm, iſt
bei der Stellung feines Haufes unter dem böhmischen Adel beinahe jelbit-
verftändlih. Für feine Befigungen und alfo auch fiir unfere Spradinjel
war dieje Theilnahme freilich von feineswegs günſtigen Folgen begleitet.
ALS nämlich der Herrenbund den König gefangen genommen hatte, 309 des
Königs Bruder Johaun Heinrich Herzog von Görlig mit Heeresmacht
gegen die Verfchmworenen und verwüſtete nicht nur die Güter der Roſen—
1) Archiv cesky II. 314, 316, 322.
ee
berge, jondern auch die der Herren von Neuhaus dergejtalt, daß fie ſich endlic)
dazu verjtehen mußten, den König wieder freizulafjen.!)
Im Fahre 1398 ſtarb Heinrich III. Auch er war mit einer Deutfchen,
Elifabeth, Gräfin von Harded, vermählt gewejen und hinterließ 3 Söhne:
Johann den jingeren, Ulrich und Eberhard. Wie jich fchon Heinrich III.
mit feinem Vetter Herrmann von Neuhaus in den Beſitz von Neuhaus
getheilt hatte, jo jegt aud Heinrich III. ältefter Sohn, Johann der jüngere
(jo genannt im Gegenfage zu Johann dem älteren von Neuhaus, welcher
einer anderen Linie, derjenigen von Wilhartig, angehörte). Die beiden
nunmehrigen „NRegierer" des Haufes Neuhaus ftifteten am 23. Juni 1399 zu
Neuhaus ein Spital für 6 —8 Arme am Ende der Waigerbrüde, „da wo man
zur St. Wenzelsfapelle geht". Zum Unterhalte desjelben wurden angewiejen
von den Bauern des Dorfes Gatterfchlag (in der Urkunde: Gatherichlag)
4 Schod Grofchen jährlichen, ewigen Zins und zwar von folgenden Bauern :
Peter, genannt Koller, Peter Hold, Peter Mandl, Marzit, Paul, Mert
Plerrer, Andreas Scujter, Hans Schindler, Hans, genannt Heringer,
Nicolaus Grimm, Peter Schügner. Die mit einer einzigen Ausnahme
deutjchen Namen der Bauern zeigen, daß Gatterjchlag jchon damals aus:
gejprohen deutſch war. Außerdem wurde dem Spital zugewiefen der
Meierhof „Franzl“, ebenfalls in Gatterſchlag mit allem Zubehör und
einem Lahn des zunächit gelegenen Waldes, ferner an jedem Faſttag einr
Schüſſel Fiiche aus den Zeichen um -Neuhaus oder, wenn dieje nicht ge-
fiicht wurden, als Erjag ein Grojchen für jede Schüffel. Die Verwaltung
des Spitals hatte die Stadt, welche wieder 2 wohlverhaltene, verläßliche
Bürger damit betraute. In jprachlicher Hinficht bemerfenswerth tjt die
Vorſchrift, Daß bei Aufnahme der Pfründner wo möglich cbenjoviel Deutiche
als Zichechen aufgenommen werden follten. Dan darf darnadı vermuthen,
daß damals das tſchechiſche Volksthum in der Stadt Neuhaus und in der
Umgebung verfelben ſich gegen früher bereits vermehrt hatte, daß es aber
immer noch dem deutjchen nur ungefähr die Wage hielt.
Im Jahre 1404 ftarb Herrmann von Neuhaus, welcher jolange Mit-
bejiger der Neuhaufer Güter gewejen war, Johann der jüngere jcheint nun
einige Zeit hindurch Nenhaus allein bejejfen zu haben, bis er jich mit
feinem Bruder Ulrih, genannt Wawaf, dahin einigte, daß diejer das Gut
Neuhaus übernahm, währerd Johann felbjt jich auf die Verwaltung der
mähriſchen Befigungen bejchränfte. Ein Theil der Hinterlaſſenſchaft Herrmanns
von Neuhaus fiel jedody der Wilhartiger Linie zu, wie aus einem Erb»
— 300° —
ichaftsftreite hervorgeht, der zwijchen Johann dem älteren von Neuhaus
auf Wilhartig und deſſen Bruder Ulrich) ſich entſpann und erjt im
Yahre 1411 durch den Schiedsſpruch ihres Bruders Heinrih, damals
Meifters des Maltejerordens für Böhmen und Mähren, beigelegt wurde.
Diefer Schiedsſpruch ift aud) für die Gejchichte der Sprachinſel nicht ohne
Bedeutung; denn Ulrich erhielt unter anderm auch den „neuen Hof" mit
allem Zubehör, in welchem wohl der von Ulrich II. gegründete „neue
Hof" bei dem deutjchen Dorfe Riegerfchlag zu erfennen ift, und die Birken—
wälder, die zu diefem Hofe gehörten, ferner die Wiejen bei Ober: und
Unter-Mühl (in der Urkunde: Zär), endlic) den ganzen Wald bei Deutjch-
Molliten (in der Urkunde. Malikov). Dagegen wurde der Wald von
Laſſenitz, bezüglich deſſen Ulrich verlangt Hatte, daß derjelbe getheilt werde,
. ungetheilt zu dem (jegt tſchechiſchen) Dorfe Laſſenitz gejchlagen, welches im
Antheile JZohanns lag. Von dem Walde Has wurde derjenige Theil, welcher
zu Schamers (Cimer) und zu den Lazlehen (?) gehörte, dem Johann, die
andere Hälfte Ulrich zugewieſen; außerdem erhielt Johann den Garten
unter dem Payzoch (?) mit allem Zubehör. Die verjchiedenen Abgaben, auch)
jene an die Kreuzherren, jollte Künftig für Neuhaus Ulrich allein Teiften,
Johann nichts mehr mit denſelben zu thun haben.?)
Unmittelbar darauf brachen die hufitiichen Unruhen aus, welche, wie
in viele andere Adelsfamilien auch in die der Herren von Neubaus eine
unheilvolle Spaltung brachten. So blieb Johanı der jüngere (nunmehr
auf Zeltjch) entjchieden katholiſch, ebenſo der obengenannte Meifter der
Maltefer Heinrich, während Ulrich) IV. Wawak, Bruder Yohanns des
jüngeren und nunmehr Herr auf Neuhaus, ein eifriger Hufite war. Ulrich
leiftete daher nicht nur den ZTaboriten Hilfe in ihrem Kampfe gegen König
Sigmund, jondern war auch Mitglied jener Landesregierung, welche von
der huſitiſchen Partei auf dem Caslauer Landtag eingefegt wurde. Der-
jelben Partei verdankte er auch das Amt eines oberjten Münzmeiſters,
das ihm durch den Kuttenberger Landtag übertragen wurde. Für das
Deutſchthum in Neuhaus wurde der Glaubenswechiel Ulrichs verhängnißvoll
nicht nur deshalb, weil die Hufitiiche Bewegung im allgemeinen eine deutjch-
feindliche, tichechifch-nationale Strömung zur Herrjchaft brachte, ſondern auch
aus dem bejonderen Grunde, weil dadurch derjenige Orden aus Neuhaus
vertrieben wurde, deſſen Wirkjamfeit die bisherigen Erfolge des Deutjch-
thums wohl hauptjächlich zu danken waren, der deutiche Orden.?)
1) Archiv &esky II. 481.
2) Palacky, IIla. 373, IIIh. 240, 258.
— 301 =
Daß Ulrich bereits im Jahre 1421 ftarb, änderte nichts an diefen
für das Deutſchthum ungünftigen Verhältniſſen; denn obgleich fein Erbe
in der Verwaltung der Neuhaufer Güter, Meinhard, Sohn Yohannes des
älteren von Neuhaus auf Wilhartig, fich anfangs noch als Kathelit ge—
berdete und die fortgejchrittenere Partei unter den Hufiten, die Taboriten,
mit Eifer, aber ohne bejonderen Erfolg befämpfte, jo dürfte fich doch feine
religiöfe und nationale Gefinnung von Anfang an von der feines Vor-
gängers in der Verwaltung der Neuhaufer Güter nicht allzufehr unter:
jchieden haben: Meinhard war ein gemäßigter Hufite, aber doch ein
Hufite. Im Fahre 1429 jchloß er fogar mit den Taboriten, feinen bis—
herigen Feinden, Frieden und Freundichaft und gewifjermaßen zum Lohn
dafür wurde er von den Hufiten, wie zuvor Ulrich Wawak, unter die
12 Landesregenten gewählt, weldye im Jahre 1431 durch den Kutten-
berger Landtag eingefegt wurden. Seinen Einfluß machte freilich Meinhard
auch jegt im Sinne der gemäßigten Richtung unter den Hufiten geltend
und Die Anknüpfung von Unterhandhingen mit dem Basler Coneil, der
Abſchluß des Friedens zwijchen dem Coneil nnd den gemäßigten Hujiten,
der Sieg bei Lipan über die Taboriten, die von dem Frieden nichts wiſſen
wollten, endlich die Wiedereinjegung Sigmunds auf den böhmifchen Thron
find hauptjädylich das Werk Meinhards, der in diejer Zeit als einer der
Führer des böhmischen Adels, foweit derjelbe dem Huſitenthum zuneigte,
erfcheint. Der dankbare Sigmund erhob ihn zum Burggrafen von Karlſtein;
bald daranf wurde Meinhard jogar Oberjtburggraf.')
Auch bei der Erhebung Albrecht IT. zum König von Böhmen war
Meinhard in hervorragender Weiſe betheiligt. Später neigte fi) Meinhard
wieder mehr den Katholifen zu und in den Unruhen, welche dem frühzeitigen
Tode König Albrechts folgten, war es ihm faſt fchon gelungen, die oberjte
Regierimgsgewalt im Namen des minderjährigen und abwejenden Ladislaus
Poſthumus an ſich zu reißen, als ein fühnerer uud glüdlicherer, Georg
von Podiebrad, auftrat und ihn von der eben erjt gewonnenen Höhe
wieder herabjtürzte. Meinhard wurde ſogar Georgs Gefangener (1448)
und blieb es big kurz vor feinen Tode. Aus dem Kerker entlafjen, ſtarb
er, ehe er die Heimat erreicht hatte, am 1. Feber 1449, feinem Sohne
und Erben Ulrich V. von Neuhaus die Pflicht hinterlafjend, ihn an Georg
und deſſen Partei zu rächen.
Ulrich V. war denn and) ein eifriger Theilnehmer an den gegen Georg
bon Rodiebrad gerichteten Adelsbündniſſen, überlebte aber jeinen Vater
1) Archiv &esky I. 263, 370, 277, 286, 294, 219 u. a. Balady, IVa. 191 ff.
MittKeilungen. 26. Jahrgang. 3. Heft. 21
8
— 302 —
nicht lange. Schon am 24. Yan. 1452 ſtarb er, ohne Kinder zu hinter-
Laffen, und da ihm auch jeine Brüder Johann und Heinzich bald im Tode
nachfolgten, jo fiel im Jahre 1453 die Herrichaft Neuhaus an die mäh-
tische, von Johann dem jüngeren gegründete Linie, damals vertreten durch
dejien Söhne Herrmann und Heinrich, die übrigens beide bei Antritt der
Erbſchaft noch minderjährig waren. Da Herrmann ebenfalls nach wenigen
Jahren jtarb, fo wurde der jüngere Bruder, Heinrich IV. um 1460
alleiniger Herr von Neuhaus.
Heinrich IV. gehörte, wie feine Vorgänger und wie fein Oheim und
Bormund Zdenko von Sternberg (der übrigens die VBormundichaft nicht
zum Vortheil feiner Mündel geführt haben fol), zu der dem König Georg
feindfeligen Partei und es gejchah wohl hauptjächlich zum Schutze gegen
diefen, daß im Jahre 1466 die Stadt Neuhaus mit Wall und Graben
verjehen wurde. Auch bewährte ſich die neue Befeftigung ſchon im folgenden
Jahre gegen ein Eönigliches Belagerungsheer, indem dasjelbe unverrichteter
Sache wieder abziehen mußte. Wuch jpäter betheiligte fih Zoenfo und
Heinrich Tebhaft ar der Bekämpfung George und als im Jahre 1469
Mathias Eorvinus fi als König von Böhmen Frönen Tieß und die Landes-
ämter neu beſetzte, wurde Heinrich IV. von Neuhaus von dem fremden
Könige mit der Wilrde eines oberjten Kämmerers belohnt.
Uber wenn auc Heinrich IV. gegen den „nationalen” König im
Kampfe lag und die Bewerbung eines Ausländers, des Mathias Corvinus,
aus allen Kräften unterftügte, er war doch in nationaler Hinficht durch
und durch Tſcheche. Er wirkte dahin, daß die tjchechifche Sprache in der
Landtafel und in allen höheren Gerichten zur Anwendung gelangte’) und
hat daher auch in und um Neuhaus das Deutfchthum ohne Zweifel eher
verfolgt, als begünftigt. Bezeichnend dafür ift, daß er das in deutjcher
Sprache ausgejtellte Brivilegium der Stadt Neuhaus aus dem Jahre 1389
in tſchechiſcher Sprache bejtätigte. Damit wurde auch äußerlich der Umſchwung
bejiegelt, der fich in Folge der Hufitiichen Bewegung und der auf einander
folgenden, dem Deutſchthum mehr oder weniger ungünftigen Regierungen
Urih IV. Wawak, Meinhards, Ulrih V. und Heinrich IV. felbit, in den
nationalen Berhältnifjen von Neuhaus vollzogen hatte. Auch in kirchlicher
Beziehung bildet das Wirken Heinrich IV. einen bemerfenswerthen Abſchluß
der früheren Entwidlung. Unter ihm wurde nämlich die Pfarrlicche von
Neuhaus, welche einft dem deutjchen Orden gehört hatte, dann 46 Jahre
in den Händen der Hufiten gemwejen war, zwar dem SKatholicismus, aber
1) Bergl. Palacky, Gefhichte Böhmens Va. 423,
— 350 —
feinesweg3 jenem Orden zurücgegeben. Der neue Pfarrer wurde vielmehr
von Heinrich IV. jelbjt, der jtatt des Ordens Batron der Kirche wurde,
eingefegt; diefer Pfarrer: aber hieß —- fo wunbderlich fpielt der Zufall —
Elias: Cſech. (Schluß folgt.)
W. 3. Reffels Gedichte.
Im October v. Jahres erichien auf dem deutfchen Büchermarkt. ein
&ußerlich recht nett ausgeftattetes Büchlein, betitelt: W. 3. Reſſels Ge-
dichte. Der Herausgeber ift Herr Hans Bittner in Brüx, ein Schüler
des im Jahre 1886 verftorbenen, in weiteften Kreiſen bekannten Piarijten-
ordenspriejters und Profefjors Wenzel Zacharias Reſſel. Wer von Legterem
— nicht als Dichter — aber als Gelehrtem, als Lehrer und Prieſter ein
wahrhaftes Bild gewinnen will, der leſe Shlefingers vorzüglichen Aufjag:
Wenzel Zacharias Nefjel, — erjchienen in den Mittheilungen des Vereines
für Geichichte der Deutjchen in Böhmen, XXVI Yahıgang Nr. II.
Das Buch Bittners zerfällt in zwei Theile: in die Lebensbeſchreibung
und in die Gedichte Reſſels, welchen erjtere als Einleitung beigegeben
erjcheint. Den Schreiber diefer Zeilen interefjirt nun insbejonders dieſe
Einleitung, und auf fie ſoll denn auch in der folgenden Beſprechung das
Hanptgewicht gelegt werden. Wenn auch Bittner in feinem Vorwort zur
Hintanhaltung „mögliher Entgegnungen und beabjidhtigter
Richtigſtellungen“ erklärt, daß alles, was er in feiner Lebensgeſchichte
Reſſels bringt, „aus dem Munde Rejjels felbjt gehört und ohne Zuthat
und Ausſchmückung (sie!) nach jedem Beſuche im friihen Eindrude jofort
niedergejchrieben habe”, daß aljo an dem, was er bietet, Niemand zweifeln
darf — fo fanın mich jelbitverjtändlich diefe Meinung feinesfalls abhalten,
zu einer gerechten und eingehenden Beiprechung feiner mitunter vecht ſub—
jectiven Darlegungen und Aeußerungen — vielleicht bringe ich auch manches,
jelbft dem Biographen Neues und Unbekanntes — zu fchreiten. Ich glaube
eine bejondere Berechtigung hiezu aus den vielen Erfahrungen herleiten
zu können, welche ich gejchöpft, einmal aus dem perjönlichen Verfehre mit
Reſſel und dann aus dem mehr als einjährigen Studium feiner nad:
gelafjenen Schriften und fonftigen Umftänden, welche mit Reſſels Lebens—
gang und Wirken in mehr oder minder innigem Zufammenhange jtehen.
Zugegeben, Bittners Darftellungen beruhten thatfählih in ihrem
gejammten Umfange auf der unmittelbaren Inſpiration des nun todteu
21°
— 504 —
Gelehrten, jo können dieſelben demungeachtet noch feinen Anſpruch auf
abjolute Wahrheit erheben. Denn Reſſel, der 7Ojährige blinde Greig,
erzählte aus der jchon nachlafjenden Erinnerung, feine Stimme in der
Beurtheilung auf ihn direct bezüglicher Vorgänge und Gejchehniffe iſt
Parteiſtimme, welcher naturgemäß nicht immer und überall das volle Maß
ruhiger Vorurtheilslofigkeit zur Seite jtehen Fann, und wenn man ferner
bedenkt, daß jene menjchliche Schwäche, welche von vorgefaßten Meinungen
ſich durch keinerlei Gegengründe abbringen läßt, in Nefjel in einem be-
jonders hohen Grade ausgebildet war, wird man aud die Möglichkeit
zugeben, daß feinen Urtheilen nicht immer jene überzeugungsvolle Unbe-
fangenheit innewohnen mußte, um abjolut geglaubt zu werden. Es wird
ſich denn zeigen, daß die von Reſſel dem Herausgeber feiner Gedichte
angeblich jo zu jagen in die Feder dictirte Eelbjtbiographie mit einzelnen
über allen Zweifel erhabenen Thatfahen im cfjenen Widerjpruche fteht
oder doch Hinfichtlich ihrer Nichtigkeit mindeftens gerechte Zweifel auf:
fommen läßt. Und der Leſer wird — id) bin davon überzeugt — ohne
ſchwere Mühe entjcheiven fünnen, in wie weit ven einer Schuld Nejjels
oder einem Verſchulden des Herausgebers gefpredhen werben kann, der
ſich Hinter der Autorität des entjchlafenen Gelehrten wie hinter einer
ſpaniſchen Wand verſteckt und glaubt, die Pfeile der Kritik können ihn fo
nicht treffen.
Es joll der wahren Größe Reſſels nicht der geringfte Eintrag ge:
ichehen, wiewohl ich mich anderjeits offen gejtanden allerdings nicht zu der
‚nebelhaften Schwärmerei erheben Tann, welde ihn mit dem größten
Weiſen Griehenlands, mit Sokrates (S. 11) in eine Linie zu
ftellen vermochte.
Doch num geradewegs zur Sache! Wir folgen, um nichts zu über-
fehen, der Hand des Herausgebers.
Reſſel kam nicht, wie Bittner behauptet, erſt 1829 fondern fchon im
Herbite des Jahres 1823 nad) Prag. Dies bezeugt deutlich cin Brief
feines gewejenen Lehrers, des Katecheten am Leitmeriger Gymnaſium
&.... Der Brief ift vom 20. Nov. 1828 datirt; der einjtige Lehrer
jendet den geliebten Schülern Nefjel und Hrbek aus der Wohlihätigkeits-
Caſſa der Unftalt 30 fl.
Die Aufnahme in das Leitmeriter Seminar wurde Neffel nicht
„seines Fränklichen Ausfchens halber“ verweigert. Den Grund erfahren
wir aus einem Briefe, welchen Nefjel am 30. Juni 1830 von Prag aus
an feine Eltern ſchrieb. Er fchreibt in demfelben: „Sie werten fchon
lange gehofft Haben, daß ich Ihnen doch endlich fchreiben müchte, wie es
Pe’, 6—
mit der Aufnahme in Leitmeritz ftehe; Herr Jafl hat dem Franz gefchrieben,
daß ich ganz gewiß aufgenommen werde, e8 war aud alle Wahrjchein-
lichkeit vorhanden; allein wir haben uns Alle getäufcht, denn ich erhielt
heute vom Herrn Horn die Nachricht, daß ich nicht aufgenommen bin. —
Erſchrecken Sie nicht, denn auf jo eine Nachricht mußten Sie fih ja auf
jeden Fall gefaßt machen, wenn aus 60 Eompetenten bloß 20
gewählt werden follten, und unter diefen 60 10 durchaus
Eminentiften waren,') größtentheils Leitomiſchler, wo es
allerdings fein Halsbreden Eojtet, um durchaus Eminenz
zu erhalten.“
Im weiteren Verlaufe feines Briefes jucht Reſſel feine Eltern, an
denen er mit der aufrichtigften Liebe und in kindlicher Ergebenheit hing,
ob des Mißgejchides, das ihn getroffen, zu tröften. Die Art und Weife,
wie er dies thut, ift interejjant genug, um eine Stelle hier wörtlich an-
zuführen. Er jchreibt: „Bedenken Sie, daß mir ringsum die Welt offen
fteht, daß es noch Hundert Gelegenheiten gibt, um fich ein ehrliches Brod
zu verdienen, daß ich in Dejfterreich mein Fortfommen weit befjer finden
fann, als hier, daß man auch im Auslande ehrliche Leute braucht, und
daß Gott feinen Deutjchen verläßt. Ohnedies hatte ich nicht foviel Neigung
nad) 2eitmerig, und ich hätte auch ganz ficher feine Biſchofsmütze davon
getragen, da ich mit jo Manchem in LZeitmerig nicht jo genau harmonirte.
Ich glaube, ſoviel Ausficht als ein Caplan in Böhmen hat, will ich mir
auch noch verjchaffen, man darf nur den Muth nicht jinfen und fich von
jedem mißlungenen Verjuche gleich abjchreden laſſen. Gott will mich halt
den gewöhnlichen Weg nicht gehen laſſen und auf dem gewöhnlichen Wege
wird man auch verdammt wenig Lorbeeren pflüden. Etwas im Kopf, und
feften Muth in der Bruft — glauben Sie mir, das ijt der Paß, mit dem
man in der ganzen Welt durchlommt, der gilt in Ajien, Europa und
Amerika, den man fich aber freilich nicht mit ein paar Thalern von einem
milzfüchtigen Schreiber erhandeln kann“ ꝛc. 2c.
Die Eltern mochten ihm, nachdem er in Zeitmerig abgemwiejen worden
war, gerathen haben, Francisfaner zu werden. Mit aller Entjchiedenheit
aber wendet er ich gegen eine ſolche Zumuthung. „Was die Francis—
faner betrifft,” jchreibt er im Monate Juli von Prag aus, „jo bin ich
entjchloffen, eher den Schornftein zu fegen, als mich in die Kapuze zu
112121 RR „MS Franciskaner reute mich jede Stunde, die ich zu
meinen Studien vollbracht habe, und ich müßte mich jelbjt verachten, wenn
1) Reflel war fein Prämiant.
— 506 —
ich nicht ſoviel Muth haben follte, lieber das Aeußerſte zu wagen, als
mich als Francisfaner in vier Mauern einfperren zu laſſen.“
Dagegen zeigte Reſſel nicht übel Luft Prämonftratenfer in Geras in
Oeſterreich oder Eiftercienfer in Hohenfurth in Böhmen zu werden. Wir
erfehen dies aus einem Briefe ddto. 23. Juli 1830. Doch wiewohl er vie
werthvolle Protection des Prof. Arnold genoß und jelbft die weite Reife
nad) Geras nicht geſcheut hatte, Fam er doch nicht an, weder in Geras
noch zu Hohenfurth.
Nun erſt mag fich Reſſel, wenn im Uebrigen Bittner Recht behält,
nad) Wien gewandt haben — um an der theologischen Facultät zu erter-
niren — und dann im Jahre 1831 nach Nikolsburg, in deſſen Piariften-
Hofter der milde Wanderer als Novize endlich den lang erjehnten Zu-
fluchtsort fand.
Nefjel begann feine Thätigkeit als Lehrer, nicht wie Bittner auf
©. IV behauptet in Haida, fondern an der Normaljchule in Aufpig.
Isjactis anno 1832 Lipnicii vitae religiosae primordiis primum
Cremsirii Theologiae vacavit, dein Auspicii et Haydae pueros
scholae normalis sedulo erudivit. (Familienbuch des Ordens.) Nicht am
7. Auguft 1838, jondern ſchon am 7. Auguft 1836 wurde Refjel in Prag
zum Prieſter geweiht. (Familienbuch: Cum anno 1836 Pragae, quae
adhuc restabant studia theologica absolvisset, die 7. Augusti pres-
byter ordinatus est... .... )
Ueberrafchend nun ift die Mittheilung (S. IX), Reſſel fei für die
Univerfität approbirt gewejen. Daß er für eine Univerfitätslehr-
fanzel die vollfte Eignung gehabt, bezweifelt ja Niemand, der Reſſel und
jeine wiljenjchaftlihe Begabung kennt — umd darum follte er ja auch
nad) Peit berufen werden. — Uber eine fürmliche Approbation fir
Univerfitäten gibt e8 eben nicht. Thatfächlich hatte Reſſel auch für Mittel»
fchulen gar feine Prüfung und um jo weniger eine foldhe im Sinne der
modernen Staatseramina; auch war er weder Humanitäts- noch Gram-
matifalprofejjor. Rejjel war eben auch als Hiftorifer Autodidalt — aller-
dings bejonderen Schlages, und nur 1 Jahr betrieb er nad) dem Fami—
lienbuche des Ordens an der Prager Technik auf das Realſchul—
lehramt abzielende Studien: „Cum anno 1836 Pragae...... absol-
visset ... ... presbyter ordinatus est et sequenti anno in Instituto
technico pro magisterio scholarum realium sese praeparavit.“ Deshalb
fam er auch zunächſt an die Oberrealfchulen in Reichenberg und Rakonitz
und da Reſſel inzwifchen in diefen Stellungen vor aller Welt feine hohe
Begabung auf dem Gebiete der allgemeinen Gefchichte durch mehrere
— A J4
wiſſenſchaftliche Werke bewieſen hatte, ſtand dem bei der Beſtellung ſeiner
Lehrkräfte frei disponirenden Orden nichts im Wege, ihn — auch ohne
Prüfung — im Jahre 1849 nach Brür zu berufen, wo eben die 7. Claſſe
neu eröffnet worden war.
Im Jahre 1851 erhielt Nefjel, welcher durch fein „Handbuch der
Univerfalgefchichte für gebildete Leſer“ bereits weit über die Grenzen
jeines Baterlandes befannt geworden war, einen Ruf an die Peſter Uni-
verfität. Außer in Peſt joll aber Reſſel noch Zmal — unter Schmerling
und Beleredi — u. z. in Wien felbjt eine Lehrkanzel für Geſchichte gewinkt
haben, Mir hat Reſſel wohl oft — zum legten Male 5 Tage vor feinem
Zode — von feiner Berufung nach Peit und deren Vereitlung durch Thun»
Palacky genau in der in der vorliegenden Einleitung gejchilderten Weife
erzählt, doch niemals etwas von feinen Ausfichten nach Wien. Dagegen
finde ich in meinen Aufzeichnungen, daß Reſſel wohl von einer zweiten
Berufung — aber nah Marburg Erwähnung that, wovon wir bei
Bittner nichts leſen. Betreffs der leteren ſagte mir Reſſel ausdrücklich,
Provinzial Zink, fein perfönlicher Gegner, habe fie vereitelt. Ich überlafie,
was die Wiener Berufungen anbelangt, Bittner die volle Verantwortung,
doh will ih nur erwähnen, daß in Schüler: und anderen Kreifen aud)
noch von Berufungen nad Graz und Innsbruck mit aller Bejtimmtheit
gejprochen wurde und noch gefprochen wird, und doch ijt fein wahres
Wort daran.
Nachdem Bittner die Gefchichte der mißlungenen Bewerbung um die
Peter Lehrkanzel erzählt, fchreibt ev auf S. XIII wörtlih: „Erfüllt von
Bitterfeit bedurfte er für feinen gefränften und aufgewühlten Gemilths-
auftand eines calmirenden Mittels, und diefes fand er darin, daß er eine
Abhandlung erfcheinen Tieß „Ueber die Freiheit des Individuums“.
Bittner bringt alfo diefe Abhandlung, welche doch, wie ev unterm
Strich ausdrüclich wahrheitsgemäß zugefteht, keineswegs die Tendenz hat,
das „Müthchen zu kühlen, Feine öffentliche Anklage”, kein „Pamphlet“ ift,
fondern ein einfacher „ernfter pädagogischer Auffag von erjtaunlicher Gründ- -
lichkeit", wie Nefjel ja viele gejchrieben — in widerjpruchsvoller Weije
in geraden Zufammenhang mit feiner mißlungenen Berufung nad Reit.
Merkwürdig! Gefchrieben erſt im Jahre 1854, follte die Abhandlung, ohne
daß dies aus dem Inhalte hervorgeht, ein calmirendes Mittel fein filr ein
im Jahre 1851 erlittenes Unrecht? Mit demjelben Rechte und Unredhte
hätten ja auch feine in der Zwifchenzeit (1851—1854) als Programnı-
auffäge veröffentlichten Abhandlungen „Die Völkerfamilie der Germanen
in ihrer Vergangenheit und Zukunft” und „Ueber den gejchichtlichen Char«
— 308 —
after der wichtigften Völker der Neuzeit“ als calmirendes Mittel für das
Mißgefhid des Jahres 1851 bezeichnet werden fünnen! Aber von diejen
Abhandlungen wußte der Biograph einfach nichts; hätte er fie gekannt,
dann hätte er gewiß auch dort den anderen Leſern unauffindbaren „herben
Zug” entdedt und mit Bezug auf das Jahr 1851 ausgerufen: „Nur der
Wiſſende (i. e. ego) erkennt darin die Ablagerung eines Schmerzes"!
Auf derfelben Seite jchreibt Bittner über diefen Aufſatz weiter: „Das
war Del in's Feuer gegoſſen“ — warum? wegen des „herben Zuges?"
wegen des nur dem Wilfenden erkennbaren abgelagerten Schmerzes? —
„und bald follte er die Folgen feines Freimuthes fühlen: Reſſel wurde
im Klofter internirt, feine Brofhüre wurde confiscirt,
er jelbjt unter Polizeiauffiht geftellt.” Bis jest war nur
befannt, daß der Aufſatz inhibirt wurde; ob Nefjel überdies noch internirt
und unter Polizeiaufficht gejtellt wurde?
Ein Zufall wollte es, daß ich im Jahre 1883 mit einem Programm-
aufjage jozujagen Leidensgenofje Reſſels ward; — man wird mir darum
glauben, wenn ich jage, daß wir mit gegenfeitigem Intereſſe von unferen
confiscirten Abhandlungen fprachen, von einer Anternirung und Ähnlichen
graufigen Geſchichten, womit Refjel betroffen worden fein fol, habe ich
nichts vernommen.
Uebrigens theile ich hier den amtlichen Erlaß mit, welcher das Er-
ſcheinen behinderte, einmal damit auch der Biograph felbjt emdlich den
wahren Grund der fchredlichen Folgen erfahre und dann weil ich glaube,
daß fein Inhalt geeignet ift, auch dem ferner jtchenden Leſer die Mög-
lichfeit zu bieten über die Wahrjcheinlichkeit und Unmwahrjcheinlichkeit der
gejchilderten perfönlichen Folgen des mehrfach genannten Aufjages zu ent-
ſcheiden. Diefer Erlaß des k. k. Statthalterei -Präfidiums ddto. 30. Juli
1854 3. 7818 lautet:
Brürer k. k. Gymnaſial-Direction.
Der Zweck der Herausgabe von Gymnaſialprogrammen beſteht zu—
nächſt darin, dem Publicum den Zuſtand und die Wirkſamkeit der Schule,
wie ſie im abgelaufenen Schuljahre ſtattgefunden, darzuſtellen; und es liegt
daher in der Natur der Sache, daß in einem ſolchen Programme nicht
jede wie immer geartete wiſſenſchaftliche Abhandlung, ſondern nur eine
ſolche Platz zu finden habe, welche Stoffe aus dem Bereiche der Gymnajial-
thätigfeit behandelt und bei der Behandlung diefer Stoffe auf den Umftand,
daß derlei Programme auch den Schülern der Anftalt zu verabreichen
fommen — angemejjene Nücjicht nimmt.
— 309 —
Das zur Verdffentlihung bejtimmte 4. Programm des Briger Gym⸗
naſiums am Schluſſe des Schuljahres 1854 enthält nun einen Aufſatz
unter der Ueberſchrift: „Ueber die Freiheit des Individuums“ von Wenzel
Zacharias Reſſel, welcher Aufſatz — wenn auch den Verfaſſer hiebei eine
löbliche Abſicht geleitet haben mag — für ein Gymnaſialprogramm um ſo
weniger zweckmäßig gewählt erſcheint, als die denſelben durchwehende Idee
das von einem Gymnaſialſchüler in ſeiner Weiſe zu beherrſchende Gebiet
offenbar überſchreitet, und ſelbſt auch namentlich wegen der im Schlußabſatze
enthaltenen, den Syſtemen Englands und Amerikas geſpendeten Lobes—
erhebungen zu Mißdentungen, und daher zu einer unrichtigen Auffaſſung
von Seite der Schüler leicht Anlaß geben Fönnte.
Unter diefen Verhältniſſen finde ich der Aufnahme eines ſolchen Stoffes
in ein Gymnafialprogramm die Zuftimmung zu verfagen und beauftrage
hiemit die k. k. Gymnafial- Divection, dem diesfälligen Auffage entweder
eine andere, dem Bereiche der Gymnafialthätigkeit entlehnte wifjenjchaftliche
oder pädagogiihe Abhandlung eines Lehrers zu ſubſtituiren, oder falls
diejes wegen Kürze der Zeit nicht mehr möglich fein follte — die Heraus—
gabe des Programms für das laufende Jahr auf ſich beruhen zu laſſen.
Uebrigens gewärtige ich, daß die kak. Gymnafial-Divection ‚bei Ber-
fafjung künftiger Programme den vorausgefprochenen Zwed richtiger erfaſſen
und ſonach die Einbeziehung von Auffägen in jelbe vermeiden werde, welche
der Sphäre des Gymmafialunterrichtes entrüct find.
Der Statthalter: Mecjery."
Der Erlaß kam zu ſpät, die Programme waren bereit gedrudt. Ein
zweiter in der Sache an das Brüxer Kreisamt gerichteter Statthaltereierlaß
ddto. 31. Juli 1854 3. 10186 unterfagt darum die Verbreitung des
Programmes und gibt den Auftrag „die ganze Auflage in amtliche Ver—
mwahrung zu nehmen“ Das gejchah denn auch, wie uns eine Anmerkung
des Freisämtlichen Protofollbucdhes vom %. 1854 belehrt. Die Auflage
betrug 500 Exemplare. Außer diefen 2 Erläfjen eriftirt in der
ganzen Angelegenheit fein weiteres amtlihes Schriftjtüd.
Ich glaube damit bewiejen zu haben, daß von der Staats:
gewalt eine Internirung Refjels nicht verfügt wurde. Alſo
war e8 der Orden? — Der Orden, der mit der ganzen Angelegenheit auch
nicht im entferntejten etwas zu thun hatte ?
Es jei hier zugleich auch jener Erlaß mitgetheilt, nacdıy welchem dem
Reſſel'ſchen Lehrbuch der Gefhichte (6. B. S. XV ermähnt) die
Approbation verweigert wurde. 3. 2641 Le. ©. B. K. k. Brürer Gym—
— 30 —
nafial-Direction.. Dem Wunfche!) des dortigen Lehrers der Gejchichte
P. Zacharias Nefjel, das von ihm verfaßte Manufeript „Lehrbuch der
Gefchichte I. Theil“ 2) dem h. Unterrichtsminifterium mit dem Antrage auf
deffen Einführung als Schulbuch zu unterbreiten, konnte ungeachtet der
vielen Vorzüge dieſes Werkes dennoch nicht entjprochen werden.
Bor allem ift der von dem Verfaſſer bei der Bearbeitung dieſes Buches
eingenommene Standpunft nicht der, welchen die Schule fordert.
So ausgezeihnet und glänzend überdies die Daritel-
[ung beinahe durchgängig tft, für das Knaben und Yünglingsalter
ift die fchlichte temdenzlofe Darftellungsweife zweifelsohne vorzuziehen.
Dasselbe Alter bedarf ferner in den ihm gebotenen Leſebüchern einer
größeren Ueberfichtlichkeit, als fie der Verfaffer feinem Manuferipte gegeben.
Ein Lehrbuch der Gefchichte für die ka k. Gymnafien muß endlich der
Geographie die gehörige Rechnung tragen, was der Berfajjer
wegen anderweitiger Darftellungszwede außer Acht Tief. Könnte ji
derfelbe zu einer Ueberarbeitung feines Werfes nad) den
angedeuteten Rihtungen entſchließen, fo ift an dem Zu
ftandefommen eines für die Schule angemesjenen Lehr—
buches faum zu zweifeln. Die Direction wird angewiejen, den
P. Zacharias Refjel unter Rüdftellung des beifommenden Manufcriptes
hievon in Kenntniß zu jegen. Prag, am 1. Juli 1853.
Der Statthalter: Mecſery.“
Refjel, eine der hartnädigften Naturen, die wir kennen, verblieb auf
dem eingenommenen Standpunkte, er änderte fein Wort, feine Silbe, er
gab lieber fein Werk der Vergejjenheit preis.
Nah der Darftellung Bittners hat es den Anfchein, als ob das
Lehrbuch erſt nad) 1855 verfaßt worden wäre; wie der Erlaß indeſſen
deutlich lehrt, fällt die Abfaffung bereits in das Jahr 1853 oder nod) vor
dasfelbe. Inwieweit Höfler mit der Sache verquidt it, weiß ich nicht.
Vielleicht war das Manufcript, das ich felbft nicht Fenne, ihm zur DBegut-
achtung vorgelegt worden.
Daß Reſſel ein entfchiedener Gegner des Ordens Jeſu war — iſt
mir aus feinen Werfen und vielfachen perjünlichen Aeußerungen hinlänglich
befannt. Wie weit die Mitglieder diefer Gefellichaft aber und in Sonder-
heit die Sejuiten des benachbarten Maria Schein in feinen eigenen Lebens:
gang ftörend und zertörend eingegriffen haben, darüber von ihm ſelbſt
1) Bittner meint über hohe Aufforderung.
2) Das Manufcript joll, wie Bittner verfichert, vorhanden fein.
BE 7
— 311 —
etwas Genaueres erfahren zu haben, kann ich mich nicht erinnern. Ganz
überraſchend trifft mich aber die Mittheilung Bittners, daß die Jeſuiten
auch die Schuld an ſeiner Verſetzung in den Ruheſtand (1872) trugen,
und es muß dieſe Mittheilung auch in weiteren Kreiſen überraſchend wirken,
weil nad) der bisher allgemein herrfchenden und für richtig gehaltenen
Anficht feine Enthebung vom öffentlichen Lehramte mit feiner raſch zu-
nehmenden Erblindung in Zufammenhang gebracht wurde, für welche
übrigens auch die jener Zeit angehörigen Manuferipte — wie fie immer
unlejerlicher werden und ſchließlich ganz unleferlich find — beredtes und
unparteitfches Zeugniß abgeben. Uebrigens bezeugt Bittner (©. XXV)
ſelbſt, daß Reſſel feit 1875, alfo nur 3 Jahre nach feiner Penfionirung,
völlig erblindet war, fo daß er gar nit mehr ſchreiben
fonnte.
Thatſächlich joll es, wie noch lebende und glaubwirdige Zeugen am
Brürer Gymnaſium verfichern, der ehemalige Gymnafialdirector P. Neußer
gewefen fein, welcher aus dem Grunde der bedenklich raſch zunehmenden
Erblindung, alfo aus pädagogifchen ARücfichten, den Antrag auf deijen
Enthebung ſtellte. War nun etwas anderes zu erwarten, als daß Reſſel,
der fich noch im Vollbefige feiner geiftigen Kräfte fühlte, der feine leibliche
Blindheit nie recht zugeftehen wollte, diefer Enthebung den heftigften Wider-
ftand entgegenjegte und feinen Unmuth darüber hell aufleuchten ließ, zumal
ihn die enthebende Nachricht unvorbereitet getroffen haben ſoll?
Es wäre ja möglich, daß Bittner mit feiner SYefuitenriecherei Recht
behält. Dann muß er aber, um langjährige, in Fleifh und
Blut übergegangene Anfhanungen auszurotten, für fein
Eoulifjengeheimniß andere Belege bringen, als das unbe-
ftimmte, alles und nichts fagende Eitat unter dem Striche,
und vor allem das Märchen von dem befoldeten Spion,
der unter Reſſels befehrendem Einfluffe aus einem Ye
jnitenfpigel ein Schüler Aeskulaps geworden, durd ge
eignete Beweismittel zur Klarheit hiſtoriſcher Glaub»
würdigfeit emporheben.
„Es war ein denfwürdiger Bejuh am Nenjahrstage 1884 ꝛc. ꝛc.“
Mit diefen Worten leitet Bittner eine Epifode aus dem Leben Refjels
ein, von welcher er jagt, daß fie von jo allgemeinem Intereſſe fei, daß
deren Bekanntwerden die Öffentliche Aufmerkſamkeit in hohem Grade in
Anspruch zu nehmen geeignet ift. Der blinde Reſſel erzählt feinem nach—
herigen Biographen, wie er ohne phyſiſches Augenlicht ſelbſt die ſchwerſten
Sprachen mit dem geiftigen Auge leſen könne. „BZ. B. ich leſe den Deca-
— 312 — *
merone; es fehlt mir ein Wort, ſo ſchaue ich nur aufs Bücherbrett, wo
das Wörterbuch ſteht, und ich ſehe deutlich die Stelle im Buche, das ge—
ſuchte Wort — ich bin orientirt.“ Und zum Schluſſe ſeiner Erzählung
ſoll er gejagt haben: „Sch habe Ihnen heute mein Geheimniß
anvertrant, ich habe es noch Niemandem gejagt als Ihnen,
weilich zu Ihnen Vertrauen habe, es würde mir auch feiner
glauben; darum jagen Sie es nicht weiter!"
Bor allem thut es mir leid, Herrn Bittner aus der Illuſion zu
reißen, daß nur er diefer geheimnißvollen Mittheilung gemwilrdigt
wurde. Reſſel erzählte nämlich die Art und Weife, wie er in feinen legten
Jahren zu leſen pflege, auch mir und zwar, wie ich mich genau erinnere,
zweimal, jolange ich mit ihm verfehrte — das zweite Mal Ienkte ich ſelbſt
das Gefpräh darauf. Ober mirs auch an Neujahrstagen er-
zählte, weiß ich nicht. So viel ijt aber ficher, daß er mir fein Verbot
auftrug, und darum wußten bereit3 an hundert meiner Freunde von dem
Geheimniß, bevor noch Bittner dazu Fam, die Welt damit in Staunen zu
jegen. Neffel ging mir gegenüber in feinen Behauptungen jogar nod)
weiter, indem er erklärte, daß fein geiftiges Leſen an feinerlei Entfernungen
gebunden fei; das Buch, aus welchem er leſen wolle, könne beifpielsweije
im Gymnaſium, in deſſen Bibliothek oder wo immer liegen, er leje daraus
von feiner Sophaede aus, was er brauche. Und nicht nur Bekanntes, nicht
nur Dinge, mit denen er fich jemals im Leben befchäftigt, böten ihm Stoff
für feine Lectüre, auch völlig neue Erjcheinungen auf jedem Gebiete der
Literatur, die er nie gefehen, könne er mit feinem geiftigen Auge — mühſam
allerdings leſen und in fich aufnehmen. Und zur Erklärung des ganzen
Vorganges fügte er hinzu, es verhalte fich wie mit einem Ei, deſſen Schale
von dem werdenden Hühnchen durchbrochen werde; ebenjo habe auch fein
Geiſt allmählich) mit vieler Mühe und enormem Willensaufmand die kör—
perlihe Hülfe durchbrochen und ihm einen theilmeifen Erſatz geboten für
das, was das phyſiſche Auge ihm vorenthalte.
Nicht weniger, wie andere, von dem Gehörten überrafcht, beſchloß
ic) der Sache, fo gut es mir möglich, auf den Grund zu gehen. — Auf
jeinem Pulte Tagen beftändig aufgejchlagen die deutſche Grammatif von
Heyſe und Herodot. Ich merkte mir einmal — beim Weggehen — die
Seiten an, welche von diefen beiden Büchern aufgejchlagen waren. Nach
ungefähr 8 Tagen — e3 war an einem Novembertage im Jahre 1885 —
fam ich wieder. Meine gewöhnliche Frage, ob der Herr Profeſſor in der
Zwifchenzeit wieder recht fleißig gewejen und viel gelejen habe, wurde nicht
nur mit entjchiedenem Ja beantwortet, Reſſel erzählte mir auch fofort
— 313 —
ganz ausführlich, was er gelefen. Wie erftaunte ich aber, als ich, bevor
ich mic) auf das Heine Sopha neben ihn feßte, auf die beiden Bücher
blidte und die vor 8 Tagen bezeichneten Seiten wieder vorfand. Ich wurde
fühner! Ich wußte, daß Reſſel ein Abonnent der Brüxer Zeitung fei. Meine
Frage, ob er fie leſe, wurde gleichfalls bejaht. Nach einem bejtimmten
Plane vorgehend, bejprach ich nun die gegenwärtig in unferem Baterlande
herrſchenden widerwärtigen nationalen VBerhältniffe im allgemeinen und im
befonderen, foweit fie nämlich auch an unjerer Stadt nicht fpurlos vorüber:
gegangen. Ich ſprach über die zahlreichen tjchechifchen Schulen, die man
rein deutjchen Gemeinden aufoctroigre 2c. ꝛc. Doc fiehe da, Reſſel, der
eben noch erflärt hatte, jede Nummer der Brüxer Zeitung zu lejen, gab
unumwunden zu, daß er von allen den von mir berührten Erjcheinungen
eines bereit mehrjährigen mit aller Heftigfeit geführten nationalen Kampfes
nichts wifle; die ganze Zeidensgejchichte, welche das deutjche Volf in Oeſter—
reich feit dem Jahre 1879 durchgemacht, war ihm fremd geblieben, ihm,
der einftens politisch jo regjam war, der für fein Volk, das deutjche, ein
fo warmes Herz im Bufen fühlte, wie es nur den edeljten und bejten
feiner Söhne ſchlagen konnte. Und wie ich in der Anwandlung eines ver-
zeihlichen Pejlimismus der Befürchtung Ausdrud gab, es jei zu jpät, das
deutiche Volk Fönne die Stellung nicht wieder gewinnen, welche es verloren,
es müſſe ſich wohl ſchon gewöhnen an das Scidfal einer beherrjchten
Nation in Dejterreich, da richtete ſich fein ſonſt tief gebeugter Körper empor,
die Lider hoben ſich, es fchien, als ob wieder Jugendkraft Einkehr halte
in den morjchen Körper des blinden 70jährigen Greifes, und die begeijterte
Empfindung des Propheten die Fräftigen und feltfam raſchen Worte auf
die Lippen ihm drängte: „Nein, niemals! Kein Volk kann auf Grund feiner
Geſchichte und geiftigen Potenz in Defterreich herrjchend fein als nur das
deutiche Volk. Nein, nein!"
Seit jenem Tage, an welchem wir zum erftenmale über die nationalen
Wirren unjeres Staates gejprochen, von denen er feine Kenntniß hatte,
wicwohl er jie haben mußte, wenn er, wie er vorgab, die Brüxer Beitung
gelejen hätte, feitdem war e8 in mir auch klarer geworden, was ich von
dem Leſen Reſſels mit dem geiftigen Auge zu halten habe.
Hatte Reſſel bewußt eine Unmwahrheit gefprochen, wenn er mir fagte,
er leſe die Brüger Zeitung u. 3. jede Nummer derjelben? Glanbte er
fomit jelbjt nicht, daß er überhaupt noch Iefen könne? Ich bin nicht der
Meinung und erkläre, daß ich nicht auf dem Standpunkt derer jtehe, welche
diefe Auſchauung, wie folgt, zu motiviren fuchen: Reſſel war Zeit feines
Lebens unausgejegt und raftlos thätig. ALS fein Auge aber zu functio-
— 34 —
niren aufhörte, als Naht den Mann umjchloß, in defjen Innerem unge-
ſchwächt der Geift und das heilige Feuer ungealteter Jugend Loderte, ſah
er fid) in einen Zuftand verjegt, welcher grell abftach von feiner bisherigen
Lebensthätigfeit, und dieſer Zuftand, im welchem fich dem gewöhnlichen
Menſchen nichts als das Geſetz irdiſcher Vergänglichfeit abprägt, dünkte
ihn eine Schwäche, gegen die er ununterbrochen aber vergebens: ankämpfte,
und Reſſel, der nie in feinem Leben ſich einer Schwäche bewußt jtellte,
nehm Anftand, das umerträgliche, nach feiner Meinung beſchämende Los
peinlicher Unthätigfeit, zu dem er fich verurtheilt jah, Menfchen gegenüber,
die ihn bisher von einer ganz anderen Seite fannten, einzugeftehen. Bringe
man dazu jene gewiſſe Eitelkeit in Anjchlag, welche insbejonders dem Alter
in einem hohen Grade eigen ift, das erfahrungsgemäß nur ungern oder
gar nicht feine natürlichen Schwächen eingeftehen und befennen will, daß
es abwärts gehe — jo könne darin nur ein Beweis mehr für die Wahr-
fcheinlichkeit diejer Auffafjung gefunden werden. Wir jtünden jomit vor einem
Valle, welchem der Charakter eines pſychologiſchen Räthſels ganz und gar
mangele. Und dabei weiſen diejenigen, welche diefer Anſchauung find, neben
dem erzählten Falle mit der Brürer Zeitung noch auf den wohl auch der
Wahrheit entfprechenden Umftand hin, daß thatfächlich nichts exiſtire, was,
eine Art Eontrole, beweijen könnte, daß er wirklich geleſen — — —
Ich ftehe, wie jchon erwähnt, nicht auf diefem Standpunfte. Ich
halte dafür, daß Reſſel glaubte, felfenfeft glaubte, daß er Iefe. Und indem
ih an diefer Meinung feithalte, erkläre ich mir den Fall aljo: Durch ein
ausgebildetes locales Gedächtniß unterftügt, denken wir uns den Mann,
des Leſens unfähig, feinen Gedanken hingegeben. Es wird ihm dies und
jenes, was er früher gelefen, in den Sinn fommen und zugleich auch das
Bud, die Seite, felbft die Zeile, wo er es gelefen. Wiederholt fich diefer
Borgang, jo kann die Lebhaftigfeit der Vorftellung es allmählich dahin
führen, daß er troß der Weberzeugung feiner Blindheit dennoch Tejen
zu Können meinte u. z. mit dem geiftigen Auge. Es jchien ihm aljo die
lebhafte Neproduction gleich zu fein dem Wahrnehmen felbft, einem wirf-
lichen Leſen — er hatte eine Hallucination.
Erjegte ihm fo die Reproduction das unmittelbare Wahrnehmen, jo
ift e8 nicht unmöglich, daß bei fortgejegten Hallucinationen in ihm der
Glaube entjtand, überhaupt mit dem Geifte allein — daher auch jein
Vergleich mit dem Ei — leſen zu können, uud er aljo alles — bereits
Geleſenes und noch nicht Geleſenes — auf diefe Weife zu leſen imftande
jet. Ein jolher Glaube konnte um fo leichter im ihm entjtehen, als er ja
jo viel wie gar feinen Verkehr mit der Außenwelt hatte und bis auf den
— 315 —
einen Fall durch mich durch die Wirklichkeit nicht geftört wurde. Thatſächlich
verneinte Reſſel feitvem meine Frage, ob er die Brürer Zeitung leje, doch)
als ich mich erbot, ihm diejelbe vorzulefen, ſchlug er es höflich, aber ganz
entjchieben ab.
Ich refumire: Reſſel litt wie viele andere geiftig überaus regſame
Männer an Hallucinationen, welche in feiner unbändigen, die lebhafteften
Borftellungen ermöglichenden Willenskraft und in feiner körperlichen Dis—
pofition die mächtigfte Förderung fanden.
Ich erhebe jelbftverftändlich mit meiner Erflärung nicht Auſpruch
auf abjolute Richtigkeit; ich habe mir wenigftens Mühe gegeben, den Fall
Har zu legen; ob ich ven Biographen überzeugt habe? wer weiß es! Defjen
aber glaube ich ficher zu fein, daß Kreife, welche zur Lecture diefer Auf-
füge auch eine geeignete Vorbildung mitbringen, meine Erklärung der
Wahrheit näher finden werden als jene Behauptung, welche mit dem
Spiritismus Tiebäugelt und den Pſychologen eine nicht zu löſende Aufgabe
entgegenhält.
Die auf Seite XXI u. ff. befindlichen Aufzeichnungen über gemachte
Ferienreifen, wie auch einige Gedichte, jo auch das Schlußgedicht, ein
Prolog zur Geburtstagsfeier unferes Kaifers, habe ich dem Biographen
zur freundlichen Verfügung geftellt. Daß derjelbe dem von allen Literaten
geübten Zact, die Quellen zu nennen, nicht folgt, wer kann dafür?!
Was jonft die Biographie Nefjels bis zum Schluffe des I. Theiles
enthält, unterjchreibe ich gerne. Die Darftellung feines Heimganges von
der Welt, die ihm jo wenig Freudenvolles bot, iſt wahr, würdig und jchön.
Ja wohl! „Ex wird fortleben" — — und „fo ftill auch fein Leben aus-
geflungen, jo innerlich belebt und bewegt ift e8 gewefen; wir find ung
aber bewußt, daß mit ihm eine Größe untergegangen, daß er ein Mann,
ein ganzer Mann gemwejen, einer der Beten unferer Zeit.”
Da Refjel an Falten Wintertagen, wern das Feuer in dem Heinen
Dfen, welcher in dem großen durch eine Tapetenwand getheilten Zimmer
Stand, erlojchen war, jelbjt den Ofen zu heizen pflegte, fürchtete man nicht
mit Unrecht aus der Manipulation des blinden Greifes Feuersgefahr, und
die Stadt, in deren Beſitz das Klofter feit 1883 war, wies ihm darum
im Jahre 1885 einen befonderen Diener zu, welcher ihn aus dem an—
ftoßenden, mit dem Neffels durch ein Guckloch verbundenen Zimmer jeder:
zeit überwachen fonnte, Die Familie diefes Dieners pflegte den alten Ge—
lehrten mit aller Sorgfalt nnd Hingebung.
Eine merkwitrdige Fügung wollte es, daß Reſſel, der durch nahezır
14 Jahre in Folge feiner Blindheit die liebe Sonne nicht mehr gefehen, am
-- 3l6 —
legten Tage feines Lebens fic über das läjtige Sonnenlicht tief beflagte,
weil es ihm heftige Schmerzen bereite. Sein Diener erzählte mir, daß er,
während feine durch die Lider halb verdedten Augen jtärfer denn je aus
ihren Höhlen hervorquollen, mit vorgehaltenen Händen heftig gegen das
Fenſter ftürzte, als wollte er die ihn chmerzenden Sonnenjtrahlen abwehren.
Erſt als das Fenfter verhängt war, ward er ruhiger; er legte fich zu Bette,
um es nie wieder zu verlajfen. Sanft und ohne Todeskampf ſchlummerte
er hinüber in die ewig lichten Gefilde eines bejjeren Jenſeits.
Der II. Theil der Einleitung befchäftigt ſich mit der Beurtheilung
der wifjenschaftlichen und dichterifchen Thätigkeit Reſſels. Sein „Handbuch
der Univerjalgefchichte für gebildete Leſer“ beiprechend, gibt Bittner auf
Seite XXXI. feinem Erftaunen Ausdrud, daß Reſſel zumeift auf geiftlicher
Seite Feinde erftanden, und kann dies nicht begreifen, da ja Reſſel „ich
allezeit als Berfehter des reinſten Döismus erwicjen".
Köftlih! Weiß denn Bittner nicht, was Deismus in Religion und
Philofophie bedeutet? Weiß er denn nicht, daß die Deijten, abgejehen
von ihrem Glauben an Gott als den legten Grund aller Dinge, mit
Berwerfung der außerordentlichen Offenbarung den religiöjen Glauben
nur auf Gründe der Vernunft ftüßten? Daß die franzöfischen Philofophen
ihre Waffen gegen das Ehrijtenthum zum größten Theile aus den Arjenale
der englifchen Detjten nahmen, jener unverjöhnlichen Gegner der geiftlichen
Orthodoxie und Scholaftit, weldye die Anficht von dem dreieinigen Gott
befämpften, von welchen ſogar einer, Toland, den Glauben an einen per-
jönlihen Gott und die Unsterblichkeit der Seele und dergleichen als Aber-
glauben erklärte?
Uebrigens ijt es unrichtig, daß Neffels Geſchichtsbuch
in ſolchem, aljo deiftifhem Sinne abgefaßt ift, und wenn wir
ftaunen, jo fünnen wir nur wieder über die Kühnheit ftaunen, mit welcher
Bittner feine Erfindung der gebildeten Welt auftiſcht. Er Iefe doch ge
fälfigft, was Reſſel in feiner Gefchichte über die Deiften fagt, mit welchen
curiofen epithetis ormantibus er Toland, Tindal, Shaftesbury u. a. aus:
zeichnet. Ich ftimme mit Bittner vollfommen überein, wenn er fagt,
Reſſels Geſchichtswerk fei „von jugendlicher Begeifterung, von wärmfter
Liebe für fein Vaterland und fein Volt duchwärmt“, wenn er auf die
Schönheit, den Ernſt und die Würde der Sprache, die oft poetifche Auf
fafjung und die gejchicte Behandlung hinweiſt — zu einem ſolchen Urtheile
genügt eine einfache Stichprobe — auch darin, wenn er jagt, daß „Nefjels
Geſchichte Feine Rüſtkammer alter Urkunden und Folianten ſei“ — folgt
Ihon aus dem Zwecke des Buches — daß „wir nirgends eigenfinniges
— 317 —
Pohen auf eine Quellenfindung ſehen“ — in weldher anderen Welt-
gejhichte jah dies denn Bittner? — daß „der Gefchichtsichreiber den
Gejchichtsforicher überragt“ — nicht aber darin, daß dem Werfe „troß
alledem gründlihes Quellenftudium nicht abgejprochen"
werden kann.
Da gibt es nur zwei Annahmen, welche diefe Schalterweisheit, die im
Großen und Ganzen einem Gallimathias auf ein Haar gleicht, erflärlich
erscheinen laſſen: entweder hat Bittner — das richtige Verjtändnig vor-
ausgejegt — nicht das ganze Werk gelefen, oder er ift in der Geſchichte
doch zu wenig bewandert, um in ihr zur berufenen Kritik fich verfteigen
zu fünnen. Mich dünkt die Tegtere Annahme die richtige zu fein, weshalb
auch meine Einladung ohne Erfolg bleiben dürfte, bei der erſtbeſten Muße
die Gejchichte der Langobarden, der Weftgothen, der Luremburger, der
Hufitenzeit aufmerkſam durchzulefen. Ich wählte hier in Eile und nur Weniges
aus, doch nur ſolche Partien, die jchon damals bejjer beleuchtet waren.
Wenn ich mich aber auch mit Bittner weniger in Hebereinftimmung befinde,
in defto innigerer Uebereinjtimmung fühle ich mich mit Reſſel ſelbſt, der
in jeiner Vorrede jagt: „feine Arbeit jet nicht für die FFachgelehrten beftimmt,
jondern für den großen Kreis der Gebildeten; diefen it au der Maſſe
hiſtoriſchen Meateriales weniger gelegen, fie juchen vielmehr in die Tiefen
des inneren Lebens im Menjchen einzubringen, die Gejege zu erjpähen,
nach welchen es jich entfaltet, verweilen mit Vergnügen bei Erjcheinungen,
in denen das Göttliche im Menjchen offenbar zu Tage liegt. Sein Be—
jtreben jei, das tiefere Verftändniß, die innigere Auffaffung der Gejchichte
zu fürdern, denn es fei eine unerläßliche Forderung der Zeit, daß die
Geſchichte in das Volf übergebe, nur jo fünne es jenen hohen
Beruf erfiillen und eine jegensvolle Wirkjamfeit entfalten.“
Und Dr. Schlefinger, auch ein Schüler Reſſels, welcher nirgends mit
jeinem Lobe zurückhält, wo es gerecht ift, jchreibt in jeinem ſchon erwähnten
ausgezeichneten Aufſatze über Reſſels Weltgeichichte zum Schluffe: „Im
Sadhlihen mögen gar manche Bartie und zahlreiche Einzel-
heiten des Reſſelſchen Werkes jchon bei ſeinem Erjcheinen
ven jtrengen Anforderungen der Wijjenihaft nicht völlig
entjprohen haben. Heute wird aud dem minder Kundigen
recht Vieles veraltet erſcheinen. . . ..
Recht unangenehm berührt war ich über die Indiscretion, welche
Bittner auf Seite XXXVII begeht, da wo er die philoſophiſche Wirk—
ſamkeit Reſſels bejprechen zu können glaubt.
—
0
Mittbeilungen. 26. Kahrg. 3. Heft.
— 318 —
Aus einer von mir ihm gelegentlicd) gemachten Privatbemerfung, in
dem philofophiichen Nachlaß ſei ein Stüd wahrer Straußnatur verborgen,
macht er, der fein Wort davon gelefen, folgenden jelbjtbewußten Sag und
donnert ihn in fetten Lettern vrüdjichtslos in die Welt hinaus: „Wie ich
nachträglich erfahre, iſt auch das eine Werf mit verändertem Titel „Die
Lehre vom Geiſte“ im Nachlaſſe vorgefunden worden und ijt complet. Das
oben Gejagte ') trifft vollftändig zu, Reſſel fonnte in feinen Verhältniffen die
Herausgabe nicht wagen, da in diefem Werke eine Abhandlung enthalten
it, in welder jeine kritiſche Forſchung zu Refultaten ge
langt, wie fie ähnlich David Strauß in jeinem „Leben
Jeſu“ und anderen wijjenjhaftliden Werfen nieder-
gelegt hat”.
Wer hat doch Herrn Bittner zu diejer unglücjeligen Indiscretion
autorifirt? Herr Bittner fieht, wie er auf derjelben Seite bemerkt, mit
lebhaften Intereſſe der Veröffentlichung der nachgelajjenen philoſophiſchen
Schriften entgegen — — ja war denn der Herr Bittner, welcher doch
fehr gut weiß, daß der Orden jein Bejigrecht auf den Nachlaß nicht
nur nicht aufgegeben, jondern jogar recht nachdrüdlich betont hat, wirklich
fo naiv, daß er glauben Fonnte, durch den Hinweis auf David Strauß
der Veröffentlichung — wenn ſchon eine ſolche überhaupt gewagt hätte
werden können — einen Dienjt zu erweifen? Ungefähr zwei Wochen nad)
der von Bittner ſelbſt beforgten Mebermittelung feines
Buches an den DOrdensprovinzial erhielt ich von leßterem einen
Brief, in welchem ſich auch folgende Stelle findet: „. . ... jieht fich
das Provinzialat bewogen, Sie freundlichjt zu erfuchen, ſämmtliche Ma—
nuferipte Reſſels eheſtens anher zu jenden, damit auch die Urtheile
anderer Fachmänner eingeholt werden fünnen, ob und inwiefern dieſe
Handjchriften zur Drudlegung geeignet erſcheinen.“
Ich bedauere Herrn Bittner, daß er nun etwas lange wird warten
müſſen, bis ev jein lebhaftes Intereſſe, mit welchem er der Veröffentlichung
des Reſſelſchen Nachlafjes entgegenfieht, wird befriedigen können.
Wir fommen zu den Gedichten Nejjels. ch erkläre gleich im vor-
hinein, daß ich aus wirklicher Pietät für den theueren Todten Feine ein:
gehende Beiprechung derjelben liefern werde — nur das unbedingt Noth-
wendigite joll und muß zur Begründung meiner von der des Biographen
weſentlich abweichenden Meinung erwähnt werden —; denn wie Reſſel
TI Refiel ſoll mit Rüdficht auf diefes Werk gejagt haben, daß man ihn aus dem
Klofter anf die Straße werfen würde, wenn er's veröffentlichte.
— 319 —
jih nicht als Dichter berufen fühlte, weshalb er wohl auch in feinen
28. Jahre die Leier fiir alle Zeiten zur Seite legte, jo wollte er auch
nicht, daß die Rinder feiner Jugendmuſe jemals das Licht der Welt cr-
blidten. Wir haben nirgends einen Anhaltspunkt fiir die gegentheilige
Annahme. Und wenn Bittner in feiner Einleitung erflärt, daß es nicht
feine Abjicht fein durfte, dieſe Goldkörner deutfher Lyrif
egoiftiijh der Welt vorzuenthalten, und wenn er in der Ver—
Öffentlichung der Gedichte ohne Ausnahme ein pietätvolles Werk erfannte,
erlaube ich mir ihn an eine Stelle aus Heines Memoiren zu erinnern,
die mir bei diefem Anlaſſe bejonders lebhaft vor die Seele tritt und die
da lautet: „Es ift eine unerlaubte und umfittliche Handlung, auch nur eine
Zeile von einem Schriftjteller zu veröffentlichen, die er nicht jelber für das
große Publicum beftimmt hat." Ganz richtig bemerkt die Brürer Zeitung:
„W. 3. Refjel hatte gewiß nie den Ehrgeiz als Voet zur Geltung kommen
zu wollen, feine poetifchen Arbeiten jtammen aus einer Alterszeit, in der
das feurige Dichterroß jo manchen lahmen Reiter zu tragen Hatte und
deren ZThaten Heinrich Heine in feiner gewohnten, ſcharfen bifjigen Art
vecht unhöflich bezeichnet hat. Im Schwunge jugendlicher Begeifterung,
im Drange noch nicht abgeflärter literarifcher Schaffensluft griff der phi—
lofophijc angelegte Studio zur Leier und poetaſtirte, wann's und wie's
ihm gefiel, ohne ſich Zwang anzuthun, die Kritif nicht fürchtend, die er
nicht ſuchte.“
Dur alle Gedichte Reſſels — jelbjt die „erotijchen” nicht ausge:
nommen — zieht ſich der fejte Faden einer zum eijernen Entjchluffe ge:
reiften Rejignation — die Folge eines ungeliebten Berufes — das Sehnen
nad Grabesduft, das Verlangen nad) dem fernen Vaterland, wo allein
Wahrheit und Wiſſen reifet.
Das Thema, welches Nezahualkoyotl, der aztekiſch — tezkukaniſche
König am See von Tezkuko ftimmungsvoll glojfirt und der hebräifche König
Dichter Salomon in feinem „Koheleth“ — das ewig alte und junge Thema
„Vergänglichkeit", welches Schiller mit den wenigen, treffenden Worten
„Rauch ift alles irdiſche Weſen“ variirt — es fehrt auch in Reſſels Poe—
ſien mit unbarmherziger, grauſamer Wiederholung — in faſt allen ohne
Unterbrechung wieder. Und wie eben denſelben Reſſel Bittner mit dem durch
und durch volksthümlichen Hebel vergleichen kann, mit Hebel dem Dialeet—
dichter, welchem die humoriſtiſche Weltbetrachtung in ſolchem Maße eigen
war, daß er mitten in den politiſch trübſten Zeiten Deutſchlands ſeinen
„Hausfreund“ ſchreiben konnte, iſt mir unerfindlich, und nicht minder ſchwer
vermag ich den Vergleich mit dem ſanften elegiſchen Hölty zu begreifen,
22*
— 320 —
der mit feiner frisch quellenden Naturfreude die anmuthigſten Töne anjchlug,
der dem deutjchen Volke einige der jchönjten Lieder, wie „Wer wollte jich
mit Grillen plagen" — „Rofen auf den Weg geftreut” etc. als unver:
gängliches Erbthum in's Herz hineinſang. Weil Hölty in feinem 28. Jahre,
eine frühzeitig geknickte Blume, ins Grab ſank und Refjel in gleichem
Alter die Leier aus der Hand legte — deshalb ſoll Hölty in der deutſchen
Literaturgefhichte ein „merfwürdiges Seitenftüd" zu Reſſel
bilden ? ?
Bittners Beurtheilung der Reſſelſchen Gedichte iſt eine entſchiedene
Uebertreibung vom Anfang bis zu Ende, welche jelbjt die glühendfte Hin-
gebung, die Teidenjchaftlichite Liebe fiir den einjtigen Lehrer, der wir vieles
zu gute halten, nicht zu entjchuldigen vermag.
Hätte Bittner Feine „Goldkörner“, nicht „die duftigjten Blüthen
deutscher Lyrik” den „VBerehrern einer gehaltvollen Poeſie“ in Ausſicht
gejtellt, hätte ev nicht von einer „dDurchgehends fließenden Behandlung. des
Reimes“, von einem ebenſo „tadellojen Versmaße“ in feiner Einleitung
geiprochen — firwahr, die Enttäufhung wäre feine jo große gewejen!
Unter den 79 Gedichten, welche Bittner veröffentlicht, finden ſich
kaum 20, aus welchen eine gejchidte Hand eine Auswahl drudfähig hätte
machen können. Was joll man aber beifpielsweife zu Gedichten jagen vom
Sclage der „Ermordung des hl. Wenzel”, von den Gedichten: „Mein
Baterland”, „Gruß den heimfehrenden Kriegern“, „der Menjchenfreund",
„ver Einfiedler” u. a. m. ?
In vielen anderen finden jich faft jchon mehr als bloß verwandte
Anklänge an jeinen LTieblingsdichter Schiller, wie: „Wohl glänzt ihm die
Locke ſilberweiß — doc, blüht ihm ein jugendlich Leben" (Blücher), „Ja
in Columbus Lorberhain — Trat ich mit freud’gem Staunen ein” (die
Heimat) etc. Sein „Pilger“ aber ijt ſtellenweiſe eine geradezu wörtliche
Gedanfen-Eopie des Schiller'ſchen „Pilgrim".
Das Versmaß iſt hier und da vecht holperig und unbequem, voll
gewaltjfamer Unterbrehungen, — Erjcheinungen, welche mehr als in einer
Nichtung ftörend wirken.
In das Gebiet „poetifch ſchöner Darjtellung” gehört wohl unzwei—
felhaft auch der Shluß des 1. Gedichtes, des „Liedes der Verbündeten
auf dem Schlachtfelde bei Leipzig”, welches Bittnern jchon Zeugniß gibt
von „den eifrigen und vertieften Gejchichtsjtudien des 16jähr. Jünglings“
— man unterlajfe es nicht, dasjelbe zu leſen — und diefer Schluß —
eine Conjectur Bittners — lautet: Irene (C.) ſah's — und Blige
— 321 —
fuhren, Freut euch, Frankreichs Adler fiel!" Fürwahr, ein ſeltſames
poetijches Attribut der Friedensgottheit!
Die einjältigen Alten, die da Irene mit einem Palmenzweige darge:
jtellt, welche entweder eine Waffenrüftung oder ein Bündel Waffen mit
dem Fuße tritt oder welche den Janustempel zufchließt!!
Entjchieden müſſen wir aber Reſſel gegenüber folgendeu Fehlern in
Schuß nehmen: vor dem Nichter tritt — mit mächtigen Drängen — mit
nimmer ermattenden Glühen — Bon alten Muthe — Deit immer ftärfern
Feuer — Zu ihren Bürger fühl ich mid erkoren — mit ihren Flitter-
jtand etc. So ſprach, jo jchrieb auch Neffel nicht. Man weiß jchon, wo
dieje Fehler zu Haufe find! Oder find dies etwa die archäiftifchen Formen,
welche Bittner, wie er im Vorwort jagt, leicht hätte bejeitigen können, aber
— natürlich wieder aus Pietät — jtehen gelafjen hat?!
Wir wollen nicht weiter forjchen. Al das Erwähnte genügt wohl,
die Darjtellung Bittners „in jchlichten Worten" und feine objective Fritijche
Begabung ins richtige Licht zu ſetzen.
Reſſels Gedichte haben bereits eine Reihe von Kritiken in den
Provinzblättern heraufbeſchworen. Nirgends will in ihrer Veröffentlichung
eine abjolute Ehrung des Todten anerkannt werden. Sie werden, wie leider
zu befürchten war, vecht ſcharf hergenommen und rückſichtslos beurtheilt.
Ich wiederhole nochmals: Der Zweck, von welchem Bittner bei der
Herausgabe feines Buches fich leiten ließ, ijt an fich ein löblicher, er ehrt
den dankbaren Schüler. Aber die Frage jei gejtattet, ob derjelbe Zweck
nicht auch erreicht worden wäre, wenn im Anjchluß an eine gerecht ab-
wägende Beichreibung des Lebensganges Refjels nur wenige der beiten
Gedichte desjelben veröffentlicht worden wären und zwar durch das
Mittel einer Subjeription, an deren Kopf die munificente Spende der
fol. Stadt Brüx geleuchtet hätte. Gewiß hätte diefe Subfeription nicht jo
viele ausgefchloffen, als thatſächlich durch den hohen Preis des Buches
von 2 fl. ausgefchloffen find, ihr Scherflein auch mit zu dem edlen Zwecke
beizufteuern. Und die Welt wäre an einer Erfahrung ärmer
geblieben — wahrlid niht zum Schaden des theuren
Todten! Sie wußte bis jegt, daß Reſſel ein tüchtiger Hiito-
rifer, ein tief denfender Philoſoph war — als Dichter wollte
er felbjt der Welt nicht bekannt fein!
Brür, im November 1887. Ant. Rebhann.
— 32 —
Hagen über Friedland und Amgebung.
Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannwald.
10. Andere Sagen vom Friedländer Schlofe und der Stadt
Friedland.
Bom Schloſſe jollen zwei unterivdiiche Gänge ausgehen, der eine
bis in den gegemüberliegenden Haagberg, der andere ins Gebirge. In
denfelben follen noch viele Schäge verborgen fein. Im Haagberge joll
einmal ein Keffel, mit Gold gefüllt, gefunden worden fein.
Ein Befiger des Schloſſes ſoll ein Schwarzfünftler gemwejen fein.
Einft z0g er feinen Verbündeten in der Lauſitz zu Hilfe; da jchuf er ſich
in der größten Eile ein Heer, indem er aus Gerfteförnern Kavallerie
und aus Haferförnern Infanterie machte. Als er mit diejem Heere in
Bittan ankam, jprengte er auf das Rathhaus, und die Feinde entflohen
vor Schreden.
Im Schloßhofe befindet fich ein tiefer Wafjerbrunnen. In der Nähe
desjelben ift ein fchwarzer Stein in der Mauer; dort joll jemand einge-
mauert worden fein.
Ein Gäßchen in der Stadt heißt die „Stöberfenle". Dasfelbe
joll jeinen Namen einer waderen That zu verdanken haben. Als nämlich
in alter Zeit einmal eine feindliche Rotte in die Stadt fam, trieben oder
„Höberten" die Bürger fie mit „Keulen“ hinaus.
Mittheilungen der Geſchäftsleitung.
Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglivder.
Geſchloſſen am 10. Februar 1888,
Stiftendes Mitglied:
Herr Roſeunbacher Arnold, JUDr., Abvocat in Prag.
DOrdentlide Mitglieder:
Löblicher Bezirksausſchuß Aufig.
Auſcha.
ni Bilin.
— 323 —
Löblicher Bezirksausſchuß Braunan.
" D Brüx.
" " Eger .
> R Elbogen.
r . Falkenau.
Friedland.
Gabel.
Görkan.
n n Haida.
Karbith.
u J Karlsbad.
A : Komotau.
— Königswart.
" rn Neudek.
Schluckenau.
Herr Rittner Bruno, Rentmeiſter in Braunau.
„Blöchl Fr. in Luzep.
Se. Hochwürden Herr Elementfo Alfred, Abt in Tepl.
Herr Dobſch Alfons, stud. phil. in Wien.
Se. Hochwürden Herr P. Fifher, Pfarrer in Tſchauſch.
Herr Gautſch NR. und Ritter v. Weinzierl, Buchhändler in Prag.
„ Dr. Grünwald Morig, Rabbiner in Jung-Bunzlau.
„ Dr. Serofd Franz, k. k. Profeſſor in Prag.
„Igl Franz in Kujchwerda.
„ Kron Gottlieb, fürftl. Fürſtenberg'ſcher Wirthſchaſtsrath in Pürglig.
Herr Löfhner Joſef, k. k. Bezirks-Commiſſär in Saaz.
„Tuthi Alfred, Fabrifant in Polaun.
Löblihes Mährifhes Gewerbe-Mufenm in Brünn.
Herr Heumann Wenzel, Yabrifant in Dejjendorf.
» Palme Sojef, stud. bil. in Prag.
» Pattermann Julius, Fabrifant in Deffendorf.
» Porfde Joſef, Kaufmann in Brüx.
» Priedfh Eduard, Privatier in ZTiefenbad).
» Wiedel Joſef, Fabrifsbejiger in Polaun.
„Aibner Wenzel, JUDr., Advocat in Bla.
» Amann Johann, Fabrifant in Ziefenbad).
» Badhsmann M., Beamter in Prag.
„Weckbecker C. A., Fabrifsdirector in Tannwald.
| Se. &xcellen; |
Franz Altgraf zu Salm : Keifferhheid,
f. k. wirklich geheimer Rath und Kämmerer :c.,
Präfident des Vereines für Geſchichte der Deutfhen in Böhmen.
Geftorben am 26. December 1887.
Bere Fofeph Fink,
Apothefer in Prag.
Rechnungs Reviſor des Vereines für Geſchichte der Deutſchen in Böhmen.
Geftorben am 16. Januar 1888.
Die P. T. Herren Mitglieder werden erſucht, alle für den Berein
beitimmten Werthjendungen, Geldbriefe wie Poftanweilungen zur Vermei-
dung don Jrrungen an die Adreffe des Herrn Dr. Guftav C. Laube,
f. k. Univerfität3- Profejjor und Gefchäftsleiter des Vereines, Prag, k. k.
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen.
DE SIene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden
böflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsleitung (Annaplag 188—I)
gütigft recelamiren zu wollen. BG
8. t. Sofbuchbruderei A. Haafe, Prag, — Eelbfivertng
Mitteilungen des Vereines
für
Geschichte der Deutschen in Böhmen,
Br. —
Sechsundzwanzigſter Jahrgang. Viertes Heft. 1887/8.
Die ültefte Golonifation im Brammaner Ländchen.
Von Iulius Fippert.
Seit den in der Hauptjache immer noch maßgebenden Forjchungen
W. W. Tomels iſt das Urfundenmaterial über die Befiedlung des Brau-
nauer Zändchen zwar nicht vermehrt, wohl aber in den Negeften von Emler
— zum größeren Theile wieder durch Tomeks Vermittlung allgemein zu—
gänglidy geworden. Die Darftellung Tomeks foll nichts an ihrer großen
Berdienftlichkeit, und fie kann nichts an dem Werthe der Priorität verlieren,
wenn wir ihr in einzelnen Fällen eine abweichende Auffafjung oder Er-
Härung der beurfundeten Thatfachen entgegenftellen, oder fie durch Herbei-
ziehung einiger Vergleichsmomente ergänzen zu dilrfen glauben. Die Ur-
funden erzählen an ſich in ihren fnappen Andeutungen nod) feine Gejchichte
und fie find oft fo väthjelhaft, daß auch Tome bezüglich einzelner Mo—
mente von einer Deutung zur andern übergegangen ift. Es ift aber ein
Bedürfniß unferes Heimatsgefühles, das uns nicht gejtattet, die beftreitbarer
Punkte allein herauszugreifen, jondern ung verleitet, das Ganze unter dei
Beleuchtung von diefen Punkten aus wieder darzuftellen. Möchte der
Kritifer dei erjteren Weg vorziehen, fo werden uns unjere Landsleute
entjchuldigen, wenn wir den zweiten wählen.
Bon großer Bedeutung für die Auffaffung des Vorganges ijt vor
allem die Erklärung der Grenzbeftimmung in der älteften Urkunde’) Indem
1) Erben, Regesta Bohemica 4. Mai 1213. Nr. 539,
23
— 326 —
Tometk die legtere in jeiner bejonderen Bearbeitung ') jo verjtand, daß jie
das ganze Braunauer Ländchen in den Politzer Bezirk einſchloß,
gelangte er zu Schwierigkeiten der Erklärung der jpäteren Umftände, die
er jelbft wohl empfand und durd) eine Reihe von Hypotheſen erjt wieder
wegräumen mußte, um uns in ein Verſtändniß des ganzen Sachverhaltes
einzuführen. Diefer Verfuh muß ihn aber jelbjt nicht befriedigt haben,
denn als er in jeinem größten Werke?) denjelben Gegenjtand in fnappen
Umriſſen behandelte, Tieß er jene Hüpotheje jammt der urjprünglichen
Auffafjung der Grenzbeftimmungen fallen. Oder war die Reihenfolge ent
fprechend den Jahreszahlen der Ausgaben wirklich eine umgekehrte? Wie
immer das jei; wir vermögen ihm nur auf dem zweiten Wege zu folgen.
Bon geringfügiger Bedeutung tt in umjerem Falle diefe Entjcheidung
keineswegs; mit ihr wird vielmehr zugleich die Frage entjchieden, ob die
bis jegt allgemein gangbare Auffaſſung, daß diejes Grenzgebiet zuerjt
und ausjchließlich durch die Mönche umd ihre wirthichaftliche Arbeit
erjchlojjen worden jei, auch fernerhin noch aufrecht erhalten werden könne.
Das iſt es aber, was wir nad genauer Ueberprüfung des Urfunden-
materials jegt entjchieden verneinen müſſen. Während jene ältere Auf- |
fafjung nur nod für den Boliger Bezirk gelten kann, erjcheint das
Braunaner Ländchen als ein Theil desjenigen ausgedehnten Grenz-
gebietes, welches fi) von der Grenze der Leitomifchler Stiftsherrjchaft
nordwärts, dann hinter den Gebirgen der Menje, der Heujchener und
der Braunauer „Wände” herum durch den Paß von Trautenau bis
Königinhof wieder ins Land hereinzichend, ein großes Coloniſations—
gebiet ver Premiſlidenkönige bildet. Der Kern diejes Gebietes
ist die zu Böhmen gehörige Grafſchaft Glatz, der große Thalkeſſel zwiſchen
den genannten Gebirgszügen und denen des Eulengebirges und feiner ſüd—
öftlihen Fortſetzungen, das doppelarmige Flußgebiet der obern Neiſſe
und der Steine.
Diejem Gebiete gehört das Braunauer Ländchen von Natur aus anf
als der nordweſtliche Theil des Steinethales, das fich ohne jede natürliche
Abgrenzung nad) Glatz hin erweitert, während es nad) Böhmen hin durch
ein jo jteil abjallendes Sandjteingebirge gejchloffen ift, daß ehedem nicht
einmal Saummege, jondern nur jehr bejchwerliche Fußjteige an wenigen
Stellen über dasjelbe führten. Die alte Straße aus Böhmen nad
1) W. W. Tomek, Aeltefte Nachrichten über die Herrſchaften Braunau und Polig
bis zur Zeit des Hulitenfrieges. Prag 1857,
2) Tomek, Geihichte der Stadt Prag. Brag 1856. ©. 472 ff.
= 837 —
Polen!) berührte diejes Gebiet an feinem Punkte Sie führte ſüdlicher
durch die Landespforte „na Dobeniné“, durch den Nachoder Paß zwijchen
Heufcheuer- und Meenfegebirge nach Glag und jenjeits desfelben durch den
äußern Paß, welcher einjt nach den jäumenden Anhöhen „Brdo“ und
fpäter nach dem Wachtjchloffe dafelbft der von Warthe genannt wurde,
nad) dem damaligen Polen. Hätte man mit Gütern auf Saumthieren —
Wagen waren in der Zeit, mit welcher wir beginnen müjjen, noch ganz
ungebräuchlicd — von Böhmen aus nach dem Braunauer Ländchen gewollt,
jo hätte man dieje Straße und diejen Umweg wählen müfjen, um zunächit
über das heutige Reinerz hinaus irgendwo oberhalb Glatz die Steine zu
gewinnen und dann ihr folgen zu Fünnen. Fußgänger aber dirften den
Uebergang auf dem jegigen Märzdorfer oder Barzdorfer Wege nicht gejcheut
haben, um von da bei jener innern Zandespforte den Wegzug über Gräß,
Sadsfa, Prag zu gewinnen. Den relativ ebenfalls jehr alten „Pieckauer
Steig" am jegigen Weckersdorfer „Kreuzwege“ vorbei zu benugen, konnte
vor der Colonijation des Poliger Gebietes Niemand bejonderen Anlaß
haben, Eine urkundliche Bejtätigung haben dieſe Thatjachen darin, daß
jelbjt noch im 15. Jahrhunderte das Braunauer Niederthor, das nach
Sla zu gekehrt ift, das „Böhmische Thor" hieß, während man jeßt
umgefehrt in nördlicher Richtung auf einer künſtlich um die Steinwände
herumgeführten Straße die Verbindung mit Böhmen hergeftellt hat. Während
jo das Ländchen faft überall jeine natürliche Grenze hat, erjcheint nur die,
welche es heute von der Grafſchaft Glag trennt, als eine vollfommen will
führliche; fie folgt im ihrer zadigen Linie lediglid) den Gütergrenzen,
wie jie zwijchen Glatzer Lehensgütern und denen des Klojters Brevnov—
Braunau gelegt wurden.
Nun fteht aber feit, daß die Colonifation im jenem ganzen erſt—
genannten großen Gebiete von den böhmischen Königen und insbejondere
von König Ottofar IL unternommen und von ihren Organen durch
geführt wurde. Niemand beftreitet, daß das von dem nördlichjten Theile,
der in ein bejonderes Lehensgebiet umgewandelten Gegend von Trautenau—
Königinhof gilt. Aber auch in dem ſüdlichſten Theile, deſſen Stützpunkte
die Burgen Landsfron und Landsberg bildeten und deſſen Coloni—
ſation die Eiftercienjer von Künigjaal vollendeten, haben die böhmijchen
Könige den Anfang derjelben gemacht, und jie haben fie jelbjt in weiter
Ausdehnung durchgeführt. Als das erſt 1292 begründete Klojter König:
jaal im Jahre 1304 eine Urkunde von König Wenzel U. über jene
1) Bergl. die Karte zu 9. Jiretef, Slovansk& prävo. Prag 1863.
24*
23
——
— 328 —
Güter empfängt,') werden in den „Diftricten” Wilhelmswerd (Wilden-
fchwert) und Landskron bereits faſt alle Ortfchaften aufgeführt, welche
nad Namen und Flurlage unbedingt als Coloniftendörfer erfannt werden
müfjen. Zur Neuanlage einer ſolchen Menge von Dörfern war aber der
Beitraum eines Jahrzehntes ficher zu furz; und wenn überdies ſogar lange
vor der Gründung jenes Klofters?) König Wenzel IL von feiner Burg
Landsberg und der „Stadt“ Landskron „Jammt allen Städten und Dörfern”,
welche zu derjelben gehörten, fpricht, jo müſſen doch wohl jene Anlagen
wenigjtens einem größeren Theile nach ſchon damals bejtanden haben. Sie
werden aljo höchſt wahrjcheinlid) zu jenen Colonifationswerfen im Oſten
des Landes zu zählen fein, welche die Chroniften König Ottofav II
zufchreiben. |
Ja man muß Dr. Herm. Jiredek vollauf beiftimmen, wenn er an
einer Stelle darauf aufmerkſam macht, daß wenigjtens die ältern Orden
überhaupt gar nicht in dem Maße mit dem Urbarmachen des Landes fic)
befaßt haben, das ihnen die Fromme Legende gemeinhin zufchreibt. In
Schleſien, diefem claffishen Lande der Colonijation, trifft das vollfommen
zu. Sp viel Domftifte und ältere Orden er auch befejfen habe, fo beginnt
die nachweisbare Colonijation, d. h. die Befiedlung bis dahin unproductiven
Bodens doch erjt mit dem Eintritte des jüngern Ordens der Ciſter—
cienjer in das Land; in der Gefchichte der Begründung ihres Klofters
zu Leubus an der Dder im Jahre 1175 findet erjt die Colonifations-
gejchichte ihren fejten Anhaltspunkt.) Ber uns in Böhmen aber find nad)-
weislih alle älteren Orden und diejen allen voran das Klojter der
Benedictiner zu Brevnov urjprünglich nur mit längſt eingerichteten,
möglichit ergiebigen Dörfern in den bejten Lagen des Landes ausgejtattet
worden, wie ein Blid in die zahlreichen Schenfungsurfunden lehrt. Noch
weniger ijt e8 jemals als Zweck diefer Stiftungen betrachtet worden, das
Land dem Anbau zu erjchliegen. Der Zwed diefer Gründungen war aus—
jchlieglich ein veligiöjer; aud) das jagen uns die Urkunden ganz ausdrücklich.
Der Stifter, der jo oft auch feine Gruft in der Stiftsfirche wählte, be-
gründete durch feine Schenkung nad Art altägyptifcher Grabjtiftungen,
deren Urkunden uns jegt zum Vergleiche offen ftehen, einen „ewigen“
Dienjt zum „Heile jeiner Seele". Diefe Stiftungen waren gar nichts
1) Emler, Regesten II. Nr. 2004.
2) Im Jahre 1285. Emler, Wr. 1358.
3) Bergleidye Weinhold, Verbreitung und Herkunft der Deutſchen in Schlefien-
Etuttgart 1887, ©. 165.
— 280
anderes, als was das ſpätere Mittelalter mit dem Worte „Seelgeräthe“
bezeichnete — allerdings Seelgeräthe im Stile der Großen dieſer Welt.
Alles andere, was dann in Verbindung mit dieſen Stiftungen in die
Erſcheinung tritt, iſt Folge, nicht Zweck ihres Daſeins. Der eigentliche
Zweck aber verlangte möglichſt erſchloſſene, möglichſt reichliche Einkünfte,
und darum finden wir die älteren Stifte der Chorherren, die Klöſter der
Benedietiner und Prämonſtratenſer in Böhmen durchaus nicht in Einöden
und Wäldern, jondern angelegt in den geräufchvollen Meittelpunften des
Lebens und begütert in den älteften, erjchlofjenften Culturgebieten des
Landes. Erft in jüngerer Zeit zwingt die Erſchöpfung ihrer Güter die
Fürſten, für ihre Seelenheil die Wälder anzumeifen, und da iſt es vor-
zugsweiſe der jüngere Orden der Ciftercienfer, der fich, jedoch auch nicht
in jedem Falle — vergleiche Sedleg, Königjaal! — auf die Erjchließung
jener angemiefen jieht, und der zugleid in feiner an das Mutterhaus ſich
feſt anjchließenden Organtfation, die den alten Orden fehlte, das Mittel
findet, das nöthige Arbeitsmaterial zu erkundſchaften und nach fich zu ziehen;
denn die Handarbeit der Mönche jelbjt in Anjchlag zu bringen, ijt eine
findliche Vorſtellung.
Auch die Grafſchaft Glag bildet ein großes Gebiet der Coloni—
fation, wie jie größtentheils das Staatsinterejje der Fürjten allein in den
Gang gebracht und die Arbeit ihrer Beamten vollendet hat. Neplach und
Dalimil ’) ftimmen darin überein, daß es gerade König Ottokar II. ges
weſen fei, welcher mit „Zurüdjegung der Seinigen” die Landichaften EI-
bogen, Trautenau und Glas den „Deutfchen übergeben“ habe. Aber
gerade in diefer Zufammenftellung dürfte eine Art Einfchränfung Tiegen.
Gerade diefe drei Gebiete unterjcheiden ſich wejentlih von den übrigen
Eolonijationsgebieten Böhmens; fie find durch Ditofar in kleine Lehens—
ftaaten verwandelt worden, eine Organijationsform, die dem jlavijchen
Böhmen fremd war. Darauf, und nicht auf die Anfänge der Coloni-
fation durch landesfürftliche Beamte im allgemeinen, müſſen jene Angaben
eingejchränft werden, wenn fie mit den übrigen Thatjachen einfchliehlich
denen, die wir anzuführen haben werden, vereinbarlich erfcheinen jollen.
Nach diefen Thatjachen muß vielmehr die deutfche Colonifation fchon Lange
vor Dttofar II. begonnen haben, Wenn man in dem benachbarten
Schlejien das Jahr 1175 als Markftein fegen kann, jo muß man im ein-
zelnen doch wieder zugejtehen, daß auch in der Schenfuna, welche damals
1) Neplach in fontes rer. Bohem. Prag 1882. Tom. III. p. 476; Dalimil ebenda
p- 194 und 292,
— 330° —
die Eijtercienfer in der Liegniger Pflege erhielten, neben den noch zu
gründenden auch fchon von bereits gegründeten Dörfern gejprochen
wird, was fi) doch nur auf Eolonien beziehen kann, die noch vor 1175
gegründet waren.!) Nun fchreitet die Colonifation raſch fort und wir
fehen fie wenigitens fchon mit dem 13. Yahrhunderte im Gebiete von
Frankenftein die Grenze der Grafſchaft Glag erreichen.*) Sie muß unge:
fähr um jene Zeit aud in der Grafſchaft jelbjt begonnen haben.
Das ganze Gebiet ungefähr von Königinhof angefangen bis djtlich
an das Eulengebirge bildete urjprünglich den gegen Polen jchügenden
mit Ausnahme des Paſſes von Nachod unmwegjamen Grenzwald. Es
liegt in der Natur der Sache, daß die Feſtſetzung der Grenze nad) Linien
innerhalb diefes breiten Grenzgürtels erſt allmählid) zu Stande kommen
konnte; zur Zeit König Ottofars I. —— am Anfange des 13. Jahrhunderts —
gab es eine folche jedenfalls noch nicht. Erſt je nachdem mehr oder weniger
einjeitig die Colonifation in dieſen Gürtel eindrang, verjchmälerte er fich
in der Weile, daß dann innerhalb desjelben irgend eine gedachte oder
durch Wafjerfcheiden markirte Scheidelinie der Befiginterefjen ins Auge
gefaßt werden fonnte. Dasjelbe Prineip it aber auch wirkſam bei der
genaueren Abgrenzung von Gauen oder Grafſchaften (comitatus, provin-
eiae) und der einzelnen Herrichaften, die erſt durch die Ausnügung ein
unzweifelhaftes Befigrecht am Boden feitzuftellen vermochten.
Mit Bezug auf die Stufen des Fortjchrittes diefer Begrenzungs-
verhältnifje lafjen fich in den böhmifchen Urkunden ältefter Zeit zwei ver-
ſchiedene Gruppen von Bejigungen unterjcheiden. Die einen, die im älteren
Eulturlande oder in der Nachbarſchaft eines jolchen find die nicht bloß
der Redensart, jondern der Wirklichkeit nach zum BZwede der genauen
Begrenzung von den Mebergebern „umrittenen” oder „umfahrenen“ — die
„eircuitus“, „ujezdy* — daher noch vielfach der Flurname Aujezd. —
Die „Umfahrenden” pflegten theils auffallende Felſen und Bäume als
Grenzzeichen zu marfiren, theils Erdhügel als folche aufzuwerjen und
Holzftapel — das find die urjprünglihen „hranice*“ — zu errichten.
Diefer Vorgang ift in vielen Urkunden bezeugt, und wo es ſich um eine
jolche Grenze handelt, befonders hervorgehoben. In culturlofen Gebieten
war eine folche Umgrenzung theils unthunlich, theils zwecklos. Man kenn—
zeichnete nur ganz im Allgemeinen den Bezirk und überließ es der Bejiger-
greifung, durch Anbau und Ausnügung allmählich zu fejteren Grenzen zu
fommen.
1) ©. Weinhold a. a. O.
2) Ebenda ©. 166.
— 31 —
Es iſt fein Zweifel, daß troß des gebrauchten Namens „eircuitus®
zu letzterer Art der Bezirk Politz gehörte, welchen König Otto—
far I. im Jahre 1213 dem Benedictinerftifte Brevnov') zur Vermehrung
feiner Einkünfte ſchenkte. Die beurkfundeten Umjtände laſſen feinen Zweifel
darüber, daß die Anregung zu diefer Schenkung durch Vorbereitung und
Bitte des Klojters jelbft gegeben wurde. Ein Stlofterbruder, der Diakon
Bitalis, — weldhen das Klofter bei diefer Unternehmung ſammt feinem
Geleite ausrüſtete — in temporalibus procurat suffieienter — war im
Aufzuge des „Einjiedlers" als Bionnier vorangegangen und hatte mit
einigen Brüdern des Klofters in jenem Urwalde an der Stelle des heu-
tigen Poli eine Anfiedlung mit einem Mearienfirchlein gegründet. Wenn
nad) dem Wortlaute der Urkunde Abt Kuno von Brievnov auch dieſes
Kirchlein mit allem Nothwendigen ausjtattete, jo wie die ganze Unternehmung
vorläufig mit den Mitteln des Klofters unterhalten wurde, fo wird diejelbe
in unferem Urtheile jo viel an Planmäßigfeit gewinnen, als jie dadurch
an dem Scheine von Romantik eines nur jich jelbjt genügenden Einjiedler-
lebens einbüßt. Diefer Abt Kuno war es jodann, welcher nach jolcher
Borbereitung den ihm gewogenen König Ottofar I. mit Erfolg um Ueber:
laffung dieſes ganzen Bezirkes bat.
Wie wenig genau es aber mit den angegebenen Grenzbeſtimmungen
gemeint war, ja wie wenig genaues ſich nad) Lage der Umstände über-
haupt über die Grenzen eines nicht in Wirklichkeit „umfahrenen" Gebietes
bejtimmen ließ, wie vielmehr dabei die oben angegebenen Grundfäge ins
Spiel traten, das zeigt ein Blick auf die fernere Entwidlung. Es iſt kaum
eine zweite Örenzbeftimmung der Urkunden fo ficher als die, welche als
jüdliche Grenze im Gebiete des Wandgebirges das Flüßchen Bozanov
(die heutige „Buse“) nennt. Und doch jehen wir gerade hier recht deut—
lich, wie die Beligergreifer damals eine jolche Beſtimmung aufzufaſſen
pflegten: da wo an der Buje — an deren Unterlaufe — eine Dorfarlage
nicht jtattfand, bildete wirklich der Bach ſelbſt, wie es die Urkunde will,
die Grenze; wo aber am Oberlaufe die Dorfanlage beginnt, da iſt die
Grenze um die ganze Hufenlänge über ven Fluß hbinausgefchoben —
gegen die Feititellung der Urkunde Es iſt alfo thatjächlich hier au
diejer kleinen Strede die jegt noch geltende Grenze zwiichen Böhmen und
der Grafſchaft Glag erjt duch die Bodenausnügung bejtimmt worden.
Diejen Grundjag werden wir aljo auch auf die ganze Grenzfrage an-
wenden müſſen.
1) Erben I. Nr. 539.
— 332 —
Nur die ſchmale Südſeite des Gebietes jucht die Urkunde gleichjam
Schritt für Schritt und möglichjt genau zu begrenzen, wohl nur deshalb,
weil es fich hier um das anftoßende Gebiet einer „Landespforte" handelte.
Dagegen faßt die Mönigliche Behörde für die beiden Langfeiten im Weſten
und Oſten und den abjchliegenden Bogen im Norden nur ganz allgemeine
Terrainmarfirungen ins Auge, die genauere Feititellung den Nefultaten
der Erjchliegung dieſes Landes überlafjend. Die Wejtgrenze ſoll nad)
Tomeks ſehr jcharfjinniger Ausdeutung im feinem ganzen Laufe jener
Bach bezeichnen, an welchem jetzt Starkſtadt liegt. Diejer Bad) hat
aber dermalen zwei Namen: der Oberlauf heißt der Erligbad, ver
Unterlauf der Diemwicer Bach. Nun fennt aber die Urkunde nur den letz—
teren Namen (Driwit 1213, Driwicz 1229), und wenn jie dann dennoch
die Grenze bis an die Quelle diejes Baches fortleitet, jo verliert fie fich
damit ficher ſchon in völlig unerſchloſſene Gebiete, in diejenigen nämlich,
welche von den Feljenlabyrinthen von Wedelsdorf und Adersbad
bedect find. Bier, wahrfcheinlicher im Adersbaher als im Wedels-
dorjer Gebiete werden wir dann auch die marfirende „spelunca Rozotatez“
oder, wie Tomek nad) Analogien vorzieht, die Höhle „Rosochatec“ zu
juchen haben.
Durch dieſe Süd- und Wejtbegrenzung find nur die heutigen Gebiete
von Polis, Wedelsdorf und Adersbach als die der beabjichtigten Schenkung
marfirt. Die Hauptjvage iſt nun für ung: wo it die Dftgrenze, und
fchließt diefe das Braunauer Ländchen ein oder aus? Die Urkunde
jagt darüber, nachdem jie die Wejtgrenze durch den Driwie-Bach bejtimmt
hat, wörtli: „ex altera vero parte a capite fluminis Stenawa usque
ad flumen Bosanow et usque ad montem Steny“ — auf der anderen
Seite aber vom Anfange des Steineflujjes bis zum Fluſſe Bufe und bis
zu dem Wandgebirge. Dieje Beſtimmung läßt ſich unmöglich nad Tomeks
Grundannahme deuten. Der Anfang des Fluſſes — caput fluminis —
können wir nach der Weije, wie die Urkunde überhaupt in diefen Tingen
redet, unmöglich mit jenem Brünnlein am Schwarzen Berge in Schlejten
identificiren, das heute als die eigentliche Quelle dieſes Fluffes gilt; der
„Anfang des Fluſſes“ kann der Urkunde nach mur jener Punkt jein, an
welchen die Steine zuerjt in unjerem Gebiete erfcheint, aljo in der Gegend
bei Schlefiich- Friedland ungefähr. Noch weniger aber kann mit jener
Grenze, wie jie nım weiter gezogen ift, das Braunauer Ländchen, deſſen
weitaus größerer Theil jenfeit3 der Steine am Fuße des Porphyrgebirges
liegt, bis auf den Rüden diejes Gebirges eingejchlojjen jein. Will man
möglichit wörtlich interpretiven, jo jollte das Wandgebirge mit jeinem Oſt—
eg en
— TER —
abhange und Fuße bis an den Steinefluß die Oſtgrenze des Politzer Bezirkes
bilden. Von der anderen Seite her hätten alſo fortan auch die Beamten
der Grafſchaft Glatz in der Steine die Grenze ihres Gebietes ſehen müſſen;
fie behandelten aber, wie uns die Thatjachen zeigen werden, dieje allgemein
angedeutete Grenze im unerjchlojfenen Lande genau fo, wie es das Klojter
in Bezug auf die der Bufe that: jie ſchoben von Fall zu Fall die genauere
Grenze jo weit gegen das Wandgebirge zurüd, als fie ſich Eulturland an
der Steine zu erjchliegen vermochten. Sie mochten dabei im Unrechte
fein, aber den Grundjag, nach dem fie dem Urwalde gegenüber vorgingen,
jehen wir damals allgemein gelten. Umgefehrt aber hat aud) die Schenkung
des Poliger Bezirkes an das Klofter Brevnov feinesfalld das ganze
Braunaner Ländchen einbezogen: es blieb vielmehr de facto ganz
und de jure feinem größeren Theile nad) bei Glatz.
Darauf führen denn auch nod andere Thatjachen und Erwägungen.
Wäre es dem Bruder Vitalis lediglich darum zu thun oder wäre das
der Zwed feiner Million gewejen, fir ein weltfernes Biüßerleben eine
pafjende Einöde zu finden, jo hätte ji) ihm wohl die „Höhle Rojohatec”
befonders empfehlen fünnen; daß er aber nicht ohne Geſchick gerade den-
jenigen Theil des Bezirkes zu jeiner Wohnjtätte wählte, weldyer der
bequemfte und bejte für die Erjchließung des Landes war, beweijt der
Umftand, daß auch nachmals gerade an diejer Stelle die herrjchaftlichen
Dominifalgründe lagen — diejer „Einjiedler” muß etwas von Defonomie
verjtanden haben. Mit diefem Verſtändniſſe aber hätte er ficher die weit
niedriger und beſſer gelegenen Gründe im Braunauer Ländchen vorgezogen,
wen fie ihm damals zur Wahl gejtanden hätten. Vielleicht noch fennzeichnender
iſt e8, daß die Aebte auch in jpäterer Zeit noch, jelbjt danı auch noch, da
Braunau jchon als ein Ort mit eigener Pfarrkirche genannt wird, die
jih vom Wandgebirge abwärts bis gegen die Steine hinziehenden Wälder,
deren Bejig jie auf Grund jener Urkunde anfprachen, immer noch als ihre
„Boliger" Wälder bezeichneten.) Endlich nennt König Ottofar IL,
welcher 1253 noch als Prinz?) die Schenfung feines Großvaters bejtätigte,
geradezu den Wald des Wandgebirges?) als gleichbedeutend mit der
Grenze des Poliger Gebietes, bejtätigt aber unter Einem auch jchon
jene „Attinentien“, welche jowohl innerhalb der Steny als außerbalb
diefer Grenze liegen — infra silram Steny et extra metas. Das
1) „silvam policensem* 1255 Emler Nr. 68; 1256 Emler Nr. 91; 1256N . 117.
2) 1253 Erben Nr. 1344.
3) silvam Steni zu lesen ftatt Hemi bei Ziegelbauer p. 283 und Erben 1. c.
— 534 —
Kloſter hat alſo damals ſelbſt das Bewußtſein gehabt, daß ein Coloniſations⸗
vorſtoß vom Wandgebirge aus in das Braunauer Ländchen auf Erwer—
bungen außerhalb der Grenzen des ihm geſchenkten Gebietes abzielt.
Daß es aber ſowohl bei jenen Vorbereitungen durch die Einſiedler—
Pionniere wie bei der endlich erreichten Schenkung des Gebietes auf die
Erſchließung desſelben zu Culturzwecken des Kloſters abgeſehen war, beweiſt
die ſchon damals gleichzeitig erbetene und erlangte Befreiung aller künftigen
Unterthanen des Politzer Gebietes von den Gerichten der königlichen Gau—
oder Grafſchaftsbeamten. Eine ſpätere Urkunde’) nennt uns dann als
diejenigen Füniglichen Beamten, welchen bis dahin — um einen deutjchen
Terminus der Kürze wegen zu gebrauchen — noch der „Blutbann“ itber
das Politzer Gebiet verblieben war, die von Königgräß — nämlich
nicht die der jüngeren Stadt dafelbjt, jondern die des alten landesfürſt—
lihen PBrovinzialjchloffes dafelbit. Aber gerade hierin unterjcheidet ſich
ganz wefentlic; das Braunauer Ländchen vom Politzer Gebiete. Als
wiederum Ottofar II. als König 1260°) dem Klofter eine neue Beſtäti—
gung verlieh, da unterſcheidet er ganz ſcharf den Bezirk von Polis
(circuitus spectans ad praeposituram de Politz) von den „übrigen
Gütern, welche jenjeits der Berge liegen, die Steny und Wände heißen (cum
omnibus ceteris bonis, quae sunt ultra montes, qui Steni et parietes
vulgarites nominantur). Dieje „übrigen Güter“ find alfo damit zweifel-
[08 als ſolche bezeichnet, welche das Klofter mittlerweile im Braunauer
Ländchen erworben hat. Indem er nun auch auf dieje die Eremption
von den föniglichen Gerichten ausdehnt, meint er feineswegs als ſolche
die von Königgräß, jondern ganz ausdrüdlich die von Glatz (judex pro-
vincialis et alıı ofliciales provinciae Gladcensis), welden fortan
die Gerichtsbarkeit in diejem Theile entzogen werden folle. Daß alſo
damals das Braunauer Zändchen zu dem Gebiete der Grafichaft Glatz
gehörte, ift damit ganz klar entjchieven. Das Wandgebirge aljo bildete
die natürliche Grenze zwijchen der Gräger und der Glatzer Provinz.
Wie jpäter Braunau von Glatz losgetrennt und als ein jo auffallender
Grenzauswuchs zu dem übrigen Böhmen gejchlagen werden Tonnte, das
ergibt fi) eben aus derfelben Thatſache: indem die benachbarte Probftei,
welche von Bievnov aus nah der Ermwerbung von Politz ebendajelbit
begründet wurde, allmähli durch größerentheils ung nicht aufbewahrte
Verträge die Güter im Braunaner Ländchen, mit ihnen aber zugleich auch
1) 1295 Nr. 1700 bei Emler II.
2) Emler 1260 Nr. 276.
— 355 —
die Loslöjung von den Aemtern und Gerichten der Provinz erlangte, wurde
die Gütergrenze zur politischen.
Die Schidjfale des Braunauer Ländchens vor feiner allmählichen
Erwerbung durch das Klojter find uns nicht ganz unbefannt. Bei denen
des Politzer Gebietes, wo wir zu Tomeks erjchöpfender Darftellung
nichts Hinzuzufiigen haben, brauchen wir nur um des Vergleiches willen
furz zu verweilen. Daß die ganze Gegend, dies- und jenjeitS des Wand»
gebirges als ein Theil des alten Grenzwaldes eine wilde Urwaldslandichaft
war, können wir den ältejten Urkunden gern glauben; aber unbekannt und
unbegangen war fie deshalb nicht. Abgejeyen davon, daß gerade der
Grenzwald jeine Hüter und Aufjeher hatte, welche doch wohl in Fleinen
Eolonien in demfelben amgefiedelt fein mußten, Tag gerade diejer Theil
zwijchen zwei Auslandwegen, dem alten Nachoder und dem jüngeren Arnau—
Liebenauer. Da damals die Grenzzölle, welche auf Perjonen und Sachen
lajteten, eine Haupteinnahmsquelle des Landesfürjten bildeten, pflegte man
die Umgehung der „Landespforten” durch eifrige Bewachung der zwijchen-
liegenden Waldjtreden möglichjt zu verhindern. Die alten Urkunden jprechen
von „Straßenreitern”, die diejes Amt verjehen, aber aucd von jtändigen
Wachten an einzelnen Punkten. Außer Pafchern werden aber auch Jäger
diefe Waldgründe oft genug betreten haben, und jo darf es uns nicht
wundern, wenn wir da und dort die Spuren von Beerdigungsftätten
winziger Anfiedlungen und eine Menge von Flurnamen aus der Zeit
vor der planmäßigen Bejtedlung vorfinden. Was die Flurnamen —
das Wort im weitejten Sinne gebraucht — anlangt, jo ijt deren Menge
aus einen leicht begreiflichen Grunde häufig jogar das Zeichen geringer
Bejiedelung. Insbeſondere iſt e8 die deutjche Colonijation mit ihrer regel-
rechten Flureintheilung, welche den Gegenfag recht deutlich hervortreten
läßt; fie räumt mit einer Menge alter Flurnamen unbarmberzig auf,
während die vorzugsweife flavifche gemifchte Feldlage fie confervirt. Oft
ſchwinden jogar die Namen der Bäche, jobald das deutjche Dorf ſich an
ihnen ausbreitet. Ein Beifpiel liegt uns vecht nahe. Der öfter genannte
Grenzbach Buje (Bozanow) hat diefen Namen genau nur von der Stelle
an gerettet, wo er aus dem Dorje Barzdorf heraus in die freie Flur
tritt; im Dorfe nennt niemand diefen Namen. Umgekehrt aber haben
nicht bejiedelte, aber doc, befannte Gegenden einen großen Reichtum an
Alurnamen. Darum haben fie ſich heute auch von der Eoloniftenhufe in
den Wald gerettet, und der Forjtmann ift noch ihr einziger Gönner.
Sp zeigen uns denn auch die Urkunden, daß es in unjerem Urwald»
gebiete eine Menge Flurnamen gab, die wir heute gar nicht mehr lociren
= Be see
fönnen. Sie find natürlich durchwegs ſlaviſche. Anfiedlungen, die
nicht in großem Maßſtabe und planmäßig erfolgen, nehmen in der Regel
den alten Flurnamen, er möge welcher Sprache immer angehören, zu ihrer
eigenen Ortsbezeichnung auf; allmählich entitehende folgen jo gut wie
immer diefem Principe. Im Munde fremdiprachiger Anfiedler erleidet
dann natürlich der Name feine Veränderungen, indem er jich entweder
blos der fremden Articulation anbequemen muß, auf welche Weiſe zum
Beifpiel aus dem tichechiichen Flußnamen Krinice der deutjche Ortsname
Krims geworden ift, oder indem er nach Art einer jog. „Volksethymologie“
zurecht gelegt oder endlich richtig oder auch in ſolcher volfsethymologischer
Deutungsweife überjegt wird. Ein Beijpiel erfterer Art bilden die vielen
Hummel, die Hummelhöfe und Hummeljchlöffer, welche jid) immer der
Vermuthung nad) auf einer jlavijchen homole, einer alten Grabjtätte oder
einem ſlaviſchen Hünengrabe erheben. Doch fann der Play auch nur der
Aehnlichkeit wegen zu diefen Namen gekommen fein. Eine richtige Ueber-
jegung bietet das Dorf Dürrengrund im Berhältniffe zu Suchdol, eine
volfsethymologifche der Ortsname Sichel, weldher aus dem alten Bad)-
namen Srbskä entjtanden ijt. Die planmäßige deutiche Beſiedlung größeren
Maßſtabes zieht es aber vor, ihre Anlagen mit neuen Namen zu benennen.
Diejes Prineip hat fie im ganzen Gebiete des Braunauer Ländchens durch—
geführt; die genannte Einjhicht Krims bildet die einzige Ausnahme. Von
den deutſchen Ortsnamen aber jind wieder die älteften und die jüngjten
nad) Ortseigenthümlichfeiten gewählt: Schönau, Roſenthal; — Wieſen,
Birkicht, Halbftadt, Neuforge, Grenzdörfel, Schweidniger Straße (Straßenau).
Alle anderen tragen einen Perſonennamen, der in einigen, aber nicht allen
Füllen nachweisbar dem erjten Erbrichter oder Scholzen als Unternehmer
der Anlage gehörte. Die Bezeichnungen Groß- und Hauptmann find aus
älteren Perjonennamen volfsethbymologijch verderbt. Nas Grundwort ift
in den allermeijten Fällen „Dorf", nur in einem Falle aus jüngerer
Zeit Berg (Fohannisberg), in zwei anderen Bad) (VBoigtsbady und Dittersd-
bay). Wir deuten diefe Thatjachen an, weil auch fie in volljter Ueberein-
jtimmung jtehen mit den Erjcheinungen im Gebiete der jchlefischen und
der Glaser Colonijation, jowie fich umgekehrt auc hierin das Braunauer
Gebiet wejentlich von dem Boliger uuterfcheidet. Tritt nun zu einem alten
ſlaviſchen Flurnamen der neue deutjche Ortsname von der legtgenannten
Art, jo bequemt fich die ſlaviſche Nachbarbevölferung nicht ſogleich zu
diefem Wandel, jondern behält den alten Namen in der Weije bei, als ob
er die flavifche Ueberjegung des deutjchen Ortsnamens vorftelltee Man
jagt dann, Barzdorf heiße tjchechifch Bozanow, Wedelsdorf Krinice und
— 331 —
erwect damit auch dort, wo es gar nicht zutreffend ift, den Anſchein, als
ftehe man hier vor der Thatfache der Germanifirung eines ehedem tfchechi-
fchen Dorfes.
Wir wiſſen nicht, in welcher Weife das Klofter Brevnov feine An-
jprüche auf die nordweftliche Hälfte de8g Poliger Gebietes aufgab oder
verlor; wir jehen nur, daß eine Grenzvergleichung aus der zweiten Hälfte
des 13. Yahrhunderts ?) die Mettau als Grenze an die Stelle der Erlitz
jegt, jo daß demnach das ganze Gebiet von Adersbach und Wedelsporf
andern Nachbarn überlafjen wurde. Im Befige der jegigen Güter Starf-
jtadt, Weckelsdorf, Adersbady und Biichofsftein bis ins Friedländer Gebiet
befinden fich weltliche Herren, ein Peter, Zezemas Sohn und ein Rubin,
die vielleicht die deutjche Colonifation dafelbft einführten, während das
Kloſter zunächit fich in der Colonijation des jo verengten Gebietes zwiſchen
der Mettau und dem Wandgebirge verfuchte.
In Politz jelbft, in der Nähe der Holzfapelle des Vitalis wurde eine
Probſtei errichtet. Der Probſt aus dem Stande der Klojterbrüder
wurde der oberfte Güterverwalter und Amtmann dieſes Bejiges, während
die Fleine Klojterfiliale, die ihm folgte, von einem Prior geleitet wurde.
Ohne Landaustheilung, angelodt bloß durch Anweilung von Hutweiden,
durch Arbeitsgelegenheit und die 1253?) vom Prinzen Ottofar II. bewilligte
Hebertragung eines Marftrechtes von Prowodow (unweit Nachod) Fonnte
die Probjtei Leute an fich ziehen, aus deren Anfiedlung der Mearktfleden
entftand, der gleich dem Kloſter den alten Flurnamen Bolig annahm.
Die Pröbjte verwandelten den günftigjten Theil des Landes, die ganze
Flur nordöſtlich vom Klofter zum Kloulekberge hinan, in Dominical-
gründe, welche von mehreren Maierhöfen aus bewirthichaftet wurden ?) und
dieje Selbjtregie lieferte offenbar den Unterhalt für die Klofterbewohner.
Sie feßte aber voraus, daß das Klofter von feinen alten Befigungen her
eine genügende Menge überjchüfjigen Volfes zur Verfügung hatte, das
bieher auf Grund des patriarchalen Herrichaftsverhältnifies iüberpflanzt
werden konnte. Die jo herbeigezogenen Leute bildeten natürlich aud einen
Theil der Bevölkerung des Marktfledens und waren zweifellos Tſchechen
aus den Herrichaften des inneren Landes.
Der übrige Grund konnte nur durch Colonifation verwendbar werden.
Mit Ausnahme der viel jüngeren Dörfer Hutberg und Klein-Labnei
1) Emler, II. Nr. 85.
2) Erben, I. 1253, Nr. 1344.
3) Tomek, Nachrichten 42,
— 333 —
zeigen alle Dörfer diejes Gebietes die charafterijtiiche Flureintheilung der
deutfchen Colonijation; nirgends ift eine original-jlavische Dorfanlage da—
runter. In den Dörfern Nieverfichel, Dürrengrund, Piekan,
Lähau, Mohern und Bodiſch it das Vorhandenfein von Erb-
richtereien ein weiterer Beweis, aber auch in Ledhuje, Böſig, Zar,
Marſchau fpricht die Fluranlage ohne jene für die Methode der deutjchen
Eolonijation. Es jcheint uns nicht zuläſſig, mit Tomek aus der Abwejenheit
von Erbrichtern die Eriftenz eines „böhmischen Rechtes" nach Analogie des
„deutſchen“ ableiten zu wollen. Es gibt Fein ſpecifiſch „böhmiſches“ Colo-
niftenrecht. Wohl aber ift anzunehmen, daß die zur Colonijation auf diejem
Kloftergrunde verwendete Bevölferung eine ſprachlich gemifchte, vielleicht
jogar überwiegend tichechiiche war, welche das Kloſter größerentheils aus
jeinen Bejigungen im Lande herbeizog, und daß das Klojter da, wo es
feine Erbrichter einjeßte, die Coloniſation vorzugsweife jelbjt und darum
auch gerade mit ſolchen Elementen vollzog, während die Schulzendörfer
durch Vermittlung von Unternehmern und zum Theil wenigjtens ımter
Heranziehung fremder Beſiedler entjtanden jein dürften. Wbgejehen von
Mohren ziehen jich dieje, die Schulzendörfer, in einem langen Streifen im
höchitgelegenen Theile des Diftrictes hin. Das Kloſter hat alſo wohl, wie
auch Tomek annimmt, zunächſt die leichter zu bewältigenden Striche mit
jeinen Leuten bejegt und dabei die nicht unbedeutenden Schulzengebühren,
die „ſechſte“ freie Hufe uud das Schulzenland, jparen können. Außerdem
lagen dieje Dürfer jo nahe an der Probſtei, daß es nicht ſchwer wurde,
des Herrichaftsgerichtes von diefer aus zu walten. Erjt für die entfernteren
Striche entjchloß man jich dann zur Colonijation durch fremde Unternehmer
— bier finden wir daher den äußern Kreis der Schulzendörfer. Nur vom
eriten Schulzen von Sichel wiljen wir, daß er aus dem Laiengefolge des
Abies genommen war.
Sp erſchien bier die vielleicht vom Anfang an nicht ungemijchte
deutjche Bevölkerung dieſes Gebietes zwifchen tſchechiſche Dörfer und das
unmwegjame Wandgebirge eingefeilt, um jo allmählich flavifirt zu werden.
Die Zeit der Anlage kennt man nur von zweien diejer Dörfer.
Das erite ijt das genannte Sichel an der füdlichen Grenze des Gebietes
in der Nachbarichaft der Hrone von Nachod. Abt Martin übergab
1254 ') zu dejjen Anlegung „ſeinem Getreuen Utech“ das Gelände des
Fluſſes „Zribesca® mit dem durchaus charakteriftifchen Contracte des
„deutſchen Rechtes". Die Eolonijten jollen nach einer 16jährigen Abgaben:
1) 9. Auguſt 1254. Emler, TI. Nr. 39,
— 339 —
freiheit von jeder Hufe jährlid Y/, Mark Silber zahlen und 6 Strich
Getreide — zu gleichen Theilen Weizen, Korn und Hafer — entrichten ;
Utech, der daher natürlich für die Bejegung diefer Hufen ſowie für die
jährliche Leiſtung aufzufommen hatte, jollte das erbliche Richteramt mit
einem Drittel aller Gerichtsgebühren, eine abgabenfreie Schulzenhufe, eine
Mühle und ven Jahresertrag von jeder fechiten Bauernhufe erhalten.
Damit haben wir zugleich die Formel für alle diefe Eontracte angeführt,
die nur in Einzelheiten abzumeichen pflegen. Die 16jährige Frift deutet
auf Urwaldsbeftand des Bodens. Im Fahre 1256’) übergab derjelbe
Abt mit ebenfalls 16jähriger Friſt Wihmann, der hier ausdrüdlich als
Deutjcher genannt wird — Wikmanno Teutonico — den Wald anı
Flüßchen Pozdesin, der ſich jo mitjammt diefem Namen in das Dorf
Bodifch verwandelte. Diejes Dorf, obwohl auch noch auf der Boliger
Seite gelegen, iſt bis heute deutjch geblieben.
Ganz anderer Art waren die Berhältnifje im Braunauer Länd—
hen. Stand auf Boliger Seite der Probſt im Mittelpunfte der Dinge,
jo finden wir auf der Braunauer Seite in analoger Stellung einen fönig-
lichen, von dem Glager Grafichaftsregimente refortivenden Beamten, den
Bogt (advocatus), und ſchon diefer Name führt uns jofort in die Lage
der Berhältnifje ein. Er jagt uns bei feinem erften Auftreten, daß ſchon
damals eine Colonijation des Ländchens unter den Aufpicien der Glaßer
Provincialverwaltung im Gange war. Wir dürfen uns darum auch nicht
jcheuen, feinen Spuren zu folgen, jelbjt wenn fie in eine für die gewöhnliche
Auffaſſung diefer Vorgänge auffallend frühe Zeit führen, faſt bis in die-
jenige, in weldyer wir die Colonifation von Schlefien her an die Grenzen
der Grafjchaft herantreten jahen. Die nachfolgende Erwägung macht es
uns wahrjcheinlich, daß die erjten Eolonijationsverjuche oder doch die Vor—
bereitungen derjelben nicht in die Zeit Ottofars IL, jondern jchon in
die des erjten Königs diefes Namens fallen. Als Ottofar I. im
Ssahre 1213 das Poliger Gebiet der Jurisdiction aller jeiner Beamten
entzog, da rief er, wie die Urkunde jelbjt ausdrüdlich jagt, einige Per-
jonen bejonders herbei, damit fie Zeugen diefer feiner Verfügung wären
— viri nobiles, qui ad hoc testes fuerant convocati. Es iſt klar,
daß diefe nur deshalb jo hervorgehoben wurden, weil fie in irgend einer
Beziehung zur Durchführung jener Verfügung ftanden. Das trifft dem
auch von dem jo gerufenen Burggrafen von Prag ficher zu, ebenjo aud)
von einem Beamten von Jaromik und insbejondere von den. beiden
1) Emler, 1256. Wr. 17.
— -
Burggrafen Shislaus und Willehalmus von Glag. Unter diefen aber
erjcheint in derjelben Kategorie von Zeugen ein feinem Amte nach nicht
näher bezeichneter Weyker und der König hielt e8 für der Mühe werth,
jogar feine beiden Söhne Martin und Heinrich noch hinzuzurufen.
Der nächſte Gedanfe muß alfo wohl fein, daß fo wie der Beamte von
Jaromit und die Burggrafen von Glatz als Nachbarn gerufen waren, fo
auch Weyfer mit feinen Söhnen in einer ähnlich nahen Beziehung zum
Poliger Gebiete, das ja bis in das Steinethal hinabhängen follte, ftehen
müſſe. Nun ift aber der Name Wifer in diefer Form — wie er ung
denn ein norddeutjcher zu fein fcheint - - in unfern Urkunden ein fo feltener,
daß er in denfelben bis ins 14. Jahrhundert überhaupt nur zweimal auf-
tritt ') und beidemal in Verbindung mit unferem Gebiete. Das erjtemal
ift diefe Beziehung freilich jehr unbeftimmt, der zweite Wifer aber,
der 1266?) urkundlich genannt wird, ift der erbliche Bejiger der
Bogtei von Braunau. Können nun auch die in einem Zwiſchenraume
von 53 Jahren genannten beiden Perſonen nicht in Einer vereinigt werden,
jo ift doch die Wiederkehr desfelben Namens bei Großvater und Enfel
eine jo häufige, daß man auch bei anderen alten Gejchlechtern außer diejer
fein anderes Kennzeichen der Gejchlechtszugehörigfeit befigt. Während aljo
diefer zweite Wiker längere Zeit vor 1266 ficher im Bejige der Vogtei
von Braunau tft, kann durch die Nennung des erſten Wifer in jener
Berbindung immerhin angezeigt erjcheinen, daß ſich diejes VBerhältniß 1213
ſchon angebahnt habe; es kann aber auch ebenfowohl jchon vorhanden
gewejen fein. Da gerade nach ſchleſiſchem Rechtsiprachgebrauche der Name
Bogtei nur im Coloniftengebiete gebraucht wird, jo ijt die Vorausjegung
nicht ganz unbegründet, daß ſchon zur Zeit Ottokars L, als das Gebiet
Poli dem Stifte Brevnov gejchenft wurde, im Braunauer Ländchen die
Arbeiten der Eolonifation von Glatz aus wenigſtens jchon verbreitet wurden.
Mit „VBogtei” ?) wurde in Schleiten der Negel nach nichts anderes
bezeichnet al3 das — faft immer erblihe — Richteramt in einer nad)
deutichem Rechte angelegten Stadtgemeinde zum Unterjchiede von dem
landesfürftlichen PBrovinzialgerichte einerjeitS und dem Scholzengerichte des
Dorfes andererfeits. m diefem Sinne führt auch der Stadtrichter von
Slag den Titel Bogt.*) In Böhmen führen die Stadtrichter diejen
1) ©. das Regifter zu Erbens und Emlers Regeften.
2) Emler, Nr. 522.
3) Vergl. Weinhold a. a. DO.
4) Emler 1275 Nr. 951.
— 341 —
Zitel in der Regel nicht; nur dann pflegt hier ein Stadtrichter Vogt zu
heißen, wenn zu dem ©erichtögebiete der Stadt zugleich mehrere Dörfer
gehören. Die Vogtei ift hier gleichjam die Nachahmung der alten Graf-
ſchaft (comitatus, Zupania). Während aber diefe alten Grafjchaften hifto-
tisch gewordene Einheiten find, haben die Fürſten andere durch Erjchliegung
ihres Gutes zu eigenem Vortheile neu begründet, und die Häupter jolcher
Eolonifationsbezirke finden wir hier mit dem Namen Advocati bezeichnet,
auch dann oft, wenn der Boden Stiftsgut iſt. So ift uns alſo audy mit
dem Namen des Vogtes Wiler mindejtens für die Mitte des 13. Yahr-
hundertS das ganze Verhältnig gegeben: das Braunauer Ländchen bildete
ſchon damals als ein waldbededter Winfel der Grafjchaft Glag eine durd)
Eolonifation zu erjhließende Vogtei.
Diefe Vogtei führt den Namen nach dem Sige des Vogtes, und
diejer it Brunow-— Braunau Zum erjten Male beurkundet finden wir
den Namen im Jahre 1256.') Damals wird es aber jchon als Marft-
fleden oder Stadt (einmal villam forensem... dann: civitatem) bezeichnet,
und ihm jcheinen Bürger anzugehören, die fich felbft jchon wieder auf
eolonijatorische Unternehmungen einlajjen konnten; wir haben aljo die
Gründung jedenfalls weiter zurücdzuverjegen. Der Name erjcheint in den
Formen Brunow und Brumow; doch beftätigt auch Tomek, daß im
13. Jahrhundert die erjtere Form die häufigere und, was ausjchlaggebend
ift, die in den ftädtijchen Urkunden gebrauchte if. Ebenſo zeigt das noch
aufbewahrte ältefte Stadtjiegel die Umfchrift: 8. civium de Brunov.
Brumomw ift eine tjchechifche Formverderbung, der die Analogie von Brumo
ftatt Brumo ?) erflärend zur Seite jteht, und Broumow ijt eine paralfele
Berderbung der neuhochdeutichen Yorm.
Wir haben es alfo, wenn wir nah der Etymologie des Wortes
ſuchen wollen, nur mit der echten Form Brunow zu thun, der unfer
Braunau als die fprachrichtige Ueberjegung ins Neuhochdeutjche entjpricht.
Daß num diefer Name etwa nur eine Berderbung des Namens Brevnov jet,
wie wir jelbft eine zeitlang gemuthmaßt haben, muß nach der vorangehenden
Feſtſtellung des Verhältnifjes ganz ausgejchlojfen erſcheinen. Der Gleich—
Hang diefer Namen ift nur ein Zufall, denn Braunau bejaß den jeinen
ſchon, ehe das Stift Bievnov zu demjelben in irgend eine Beziehung trat.
Dagegen jcheint ung die pofitive Entjcheidung ſchwieriger, doch kann fie
nur zwifchen zwei Wegen der Erflärung ſchwanken: entweder ift „Braunau“
1) Enter II. Nr. 91; Tomek nennt die Zahl 1253.
2) Siehe Emler, Regesten II. Index a. v. Brumo und Bruno,
Mittheilungen. 26. Iahrgang. 4. Heft. 24
— 342 —
ein topijcher, gleichjam ein neugebildeter deutjcher Flurname oder ein
PBerfonenname m beiden Fällen iſt ow fein jlavifches Suffix, ſondern
die richtige mittelalterliche Form für unjere Au. Gegen den topijchen
Namen, fir den fich die vox populi entjchieden hat, jcheint am meiften
eine gewiſſe Plattheit diefer Erklärung zu jprechen. Uber das darf ung
nicht abhalten, dem Leſer auch einen Grund dafür zu nennen. Diefelben
Reute, welche die vermuthlich ältefte Eolonie im Ländchen mit unzweifel-
hafter Etymologie „Schön—au“ nannten, fönnen auch über jo viel Poeſie
verfügt haben, um einen anderen Punkt, und zwar jedenfalls zunächſt den
in der Nähe der fünftigen Stadt als eine Art Gegenfag Braunau zu
nennen. Der Gegenjag bejteht in der That. Der fruchtbare Boden von
Schönau iſt eine lihigraue Borphyrvermitterung, der jchwerere von Braunau
zeigt die auffallend rothbraune Farbe des Schieferthons im „Todtliegenden“.
Aber der Perſonenname, abgeleitet von Bruno, bietet mehr Analogien.
Insbeſondere find auch Braunau, Braunsberg und Braunswerth in Mähren
nachweislich auf einen Gründer Bruno zurüdzuführen. Wir fünnen
aber wider dem Leſer nicht verhehlen, daß wir den jonft fait gemeinen
Namen Bruno gerade in irgend einem Zujammenhange mit jener Zeit
und Gegend nirgends finden konnten. Die Glager Urkunden !) nennen
unter den vielen Namen von Beamten und Würdenträgern gerade feinen
einzigen Bruno; aber aud) in Brevnov Hat vom Anfang an bis weit
über unfere Zeit fein Bruno die Infel getragen. Noch weniger fennen
wir einen Vogt diefes Namens — aber dieſe kennen wir überhaupt
auch nur in lücdenhafter Weile. Dabei müjjen wir es alſo immer noch
bewenden laſſen.
Fragt man, wo zuerjt ein ſolcher Vogt diefen feinen Braunau genannten
Sig aufgeſchlagen habe, jo kann die uralte Tradition der Gegend immer
noch mitgehört werden, jo lange nichts Sicheres im Wege fteht. Diefe
jpricht davon, daß einft an der Stelle der jegigen Kirche „Unferer lieben
Frauen unter den Linden” die alte Stadt gejtanden habe. Die leichte
Bauart der Älteften Anlagen jtand nicht im Wege, daß man es gleichjam
erſt auf mehreren Plägen verjuchte und feine Sige auf den geeigneteren
übertrug — mit alleiniger Zurüdlafjung des Gotteshaufes, deſſen Abbruch
die Pietät nicht gejtattete. In den augenfällig fünftlichen Terraineinfchnitten
bei „Unferer lieben Frauen” werden wir jedoch deshalb feine Begrün-
dung für jene Tradition juchen dürfen, weil hier in viel jüngerer Zeit
1) Volkner und Hohaus, Urkunden und Regeſten zur Gejchichte der Grafichaft
lab. Nabelihwert 1883,
— 343 —
auch die Preußen Friedrichs II. gewühlt haben. Daß aber jene Kirche
im Berhältniffe zur jegigen Stadtpfarrkirche auch urfundlich die „alte“
genannt wird, !) jpricht eher dafür. Ihr Holzbau veicht nicht in die Zeit
der erjten Anlage, ift aber immerhin von hoher Alterthümlichkeit, und
wenn auch einer an dem gleichfalls hölzernen Thurme angejchriebenen
Jahreszahl, welche die erſte Erbauung fogar in das Ende des 12. Yahr-
hundert3 zurückverlegt, Fein urkundlicher Werth innewohnen kann, fo fpricht
doch von dem hier dargelegten kaum etwas gegen die Möglichkeit ihrer
Begründung in der erſten Zeit Dttofars I. (1197—1230). Warum man
eine Kirche an einem fich jpäter ungeeignet erweifenden Orte erbaut hätte,
dafür fehlt es nicht an erflärenden Momenten. Es läßt ſich vielfach nach—
weiſen, daß man fich bei Anlage von Kirchen oft mehr durch religiöfe —
wenn man will abergläubijche — Vorſtellungen als durch praftifche Momente
gebunden glaubte. Wo man eine verlafjene Malftätte oder einen Grabes—
hügel vorfand, da knüpfte ſich an diefe ungeweihte Stätte die Vorftellung
des Spufhaften; das bändigte man durch die vertrauenerwedende Nähe
eines chrijtlihen Schußheiligen in jeiner Kapelle oder Kirche. Hunderte
von Kreuzen bezeichnen jolche Stätten in freien Felddenkplägen der Vor-
zeit. So kann aud hier die Wahl des Plates für das erfte Kirchlein
durch die Vorgefchichte vorgezeichnet gemwejen fein, und das berichtet jogar
noch die alte Tradition, die uns als Kindern erzählt wurde: dieſe Kirche
„Unferer lieben Frauen” fei über dem Grabe der „heidnifchen Jungfrau”
erbaut, das heißt doch im Allgemeinen wohl nur: an einer Stelle, die
duch Erinnerung an die Heidenzeit den neuen Anfiedlern unheimlich war.
Man darf fich vorjtellen, daß die „alte Stadt“ wirklich bei diefer Kirche,
aber als ſolche wohl auch nur in dem nothdürftig befeftigten Gehöfte des
Vogtes und feiner Leute bejtand.
Und auch dieſe ältefte Kirche des Ländchens wedt mit all dieſen
Nebenumftänden wieder die Erinnerung an Glatz. Diejes bejtand aus der
alten landesfürftlihen Burg mit einem an diefe angefchlojjenen ſlaviſchen
Marktfleden und der jüngeren Stadt engeren Sinnes, die eine Schöpfung
deutjcher Eolonifation ift. Der Burg mit der ſlaviſchen Vorburg gehörte
ein St. Wenzelskirchlein an; die Pfarrfirche der deutſchen Stadt aber
entjtand aus einer Kapelle des Johanniterordens, deren Bejtand zuerft 1194 °)
beurfundet wird. Nachmals erjcheint ganz entjprechend jene Wenzelskirche
als die tichechifche, diefe Stadtkirche aber als die deutfche, und auch
1) 1383 |. Tomek Nachrichten S. 56.
2) Erben, 1194 Nr. 418.
24*
diefe ift wie unjere ältefte zu Braunau eine Kirche „Unferer lieben
Frauen". An ſich würde dieſe Uebereinftimmung feinen Schluß geftatten;
auffallender erjcheint es ſchon, daß auch die jüngere Pfarrkirche in der neuen
Stadt in ihrer Weihe an S. Peter und Paul einem Glatzer Vorbilde,
nämlich der älteften jogenannten Schloßkirche dafelbjt folgt, und noch
auffallender bleibt wohl, daß ſich hier in Gla wieder an diefe, zuerſt auf
heidnifchem Boden und der Lage nach gewiß auf einer altheidnifchen
Malftätte erbaute Chriftenfirche eine ganz analoge Sage von der „heid-
nischen Jungfrau" knüpft, deren Tempel einjt dieſe Kirche geweſen fei. ?)
Als dann — jo kann man annehmen — das Befiedlungsmaterial
für die planmäßige Anlage eines Städtcheus beifanımen war, begründete
man diejes auf der gegenüberliegenden Südſpitze des Steineberges, welche
den Vortheil bot, durch einen viel kürzeren Quergraben von dem ich er:
breiternden Plateau abgejchnitten zu werden. Man müßte das „Schloß“
des Vogtes in deren Südjpige erwarten, wenn auch hier die Anfiedlung
fi) nur allmählic an dasjelbe angejchlojjen Haben jollte, daß es aber im
Gegentheil im Nordoſteck an jenem Querjchnitte fteht, fpricht fehr dafür,
daß diefe neue Anlage gleihjam als Reinſchrift einer älteren Improviſation
entjtand. Dorthin übertrug man nun Alles, nur nicht die alte Kirche, und
jeltjamer Weije fteht auch die alte Bogteimühle?*) heute noch als Nieder:
mühle gerade unterhalb jenes Platzes, den die Volfstradition als den der
„alten Stadt" bezeichnet, in dejjen Nähe fie noch eine „alte Pforte” kennt.
Der Bogt war, wie uns Analogien und Urkunden lehren, Stadtrichter
und Oberrichter über die zur Vogtei gehörigen Schulzengerichte der Dörfer
zugleich. Als folcher hatte er nicht zu urtheilen, fondern das Gericht der
urtheilenden Schöffen als Vorſitzender zu leiten und mit feinen Leuten die
Erecution der Urtheile durchzuführen. Aber auch darüber hinaus follte er
in jeder Hinficht der Nepräfentant und Schirmer desjenigen Friedens-
zujtandes fein, den die Colonie unter landesfürſtlichem Schuge genießen
jollte. Er war der Wächter über die öffentliche Sicherheit in derjelben
und der Vermittler aller Beziehungen zwijchen den Eoloniften und dem
Landesfürjten, beziehungsweije dem fonjtigen Obereigenthiimer des Grundes.
Der Aufwand für diefe Friedenserhaltung wurde dem Landesheren durch
bejondere Bußen der Verurtheilten und durch Gebühren bei der Gerichts—
pflege exjegt, und diefer überwies dann einen Bruchtheil, gewöhnlich ein
1) Aelurius, Glaciographie. Leipzig 1625. Vergl. Wedekind, Geichichte der Graf-
ihaft Glatz, Neurode 1855. ©. 14 und 143 f.
2) Eiche Tomek Nachrichten 56.
— 35 —
Drittel dem Vogte. Außerdem pflegte er ihm ein abgabenfreies Grund»
ſtück, eine oder die andere Mühle, das Recht des Schanfes, des Brod- und
Fleiſchverkaufes zu überlaffen.
Als das Grundftüc, welches der Vogt von Braunau als das feine
bebaute, müfjen wir diejenige große Flur anſprechen, welche ſich im Vierecke
von den „Voitsbach“ etwa zwijchen der „PBoliger Kapelle" und der erften
Hube von Hauptmannsdorf in der Richtung gegen den Schlegelhof und
die Gemarkung von Oberweckersdorf hinzieht. Der Name „Freigutsflur",
den diefelbe auf der Generaljtabsfarte führt, ift wahrjcheinlich der älteren
Mappe entnommen. Das Bächlein, das jie nach Dften bin abgrenzt, heit
heute noch Voits bach“ und ebenjo die Heine Dorjichaft, die längs diejer
Flurkante entjtanden ijt — in älterer Zeit hieß fie Voits dorf. Irgend
eines der alterthümlichen Bauerngehöfte desjelben dürfte uns noch die Stelle
marfiren, von der aus die Braunaner Vögte einft ihre große Wirthichaft
Ieiteten. Innerhalb jener „Freigutsflur” befand fich einft auch die Nicht:
ftätte. Auch das befundet uns die Nichtigkeit der Annahme, und wir können
fo in erlaubter Conjectur nody einen Schritt weiter gehen. Tomeks Hin-
weis auf eine Urkunde, nad) welcher der genannte Vogt Wider der
Gründer von Wedersdorf wäre, jcheint zwar auf einer Irrung zu
beruhen; aber ficher ift, daß ein Wider der Taufpathe dieſes Dorfes ges
weſen. Es ift ficher nicht anzunehmen, daß die Flur des Vogtes nicht wie die
eines jeden Schulzen von der fchmalen Seite des Gehöftes aus bis in den
Wald hinausgereicht haben follte. Verlängern wir aber jene „Freigutsflur"
bis dahin, jo fallen die Banerngründe von Oberwedersdorf hinein.
Es ijt alſo mehr als bloß wahrfcheinfih, daß diefer Theil des
genannten Dorfes von dem Bogte Wider — gleichviel ob vom I. oder
II. — auf feinem Grunde angelegt wurde, und mochte diefer Theil mit
feinen überdies nur fehr Eleinen Hufen auch nur einen Kleinen Theil des
jegigen Wedersporf vorftellen, jo fonnte doch die Priorität genügen, dem
ganzen nachmals durch einen Konrad fehr erweiterten Dorfe Widers Namen
für alle Zukunft zu verleihen.
Einen recht eigenthümlichen Gegenfag zwijchen der Colonifation von
Politz und derjenigen, welche im Braunauer Ländchen durd die Vögte,
alfo im Auftrage der Glager Landesbeamten und in legter Neihe im In—
terefje des Landesfürjten vollzogen wurde, kann man in der Rückſicht auf
die Seelforge der neuen Anfiedfungen finden. Wer da glauben möd)te,
daß diefe auf dem Klofterlande ſich etwas zu ſehr in den Vordergrund
drängen könnte, — der irrt fih. Die geiftlihen Herren haben außer in
Politz jelbft in feinem Dorfe ihrer Colonifation auch nur eine einzige
— 3 —
Seelſorgſtation geſtiftet. Dagegen ſtammen aus der Zeit der erſten Brau—
nauer Vögte eine große Anzahl von Kirchen, die wir auch in jüngerer
Zeit dieſer ihrer Herkunft nach daran zweifellos ſicher erkennen, daß ihr
Patronat dem Landesfürſten, beziehungsweiſe dem Landesbisſsthum zugehört,
auch dann noch, als das Kloſter Brevnov bereits den Grund im Brau—
nauer Ländchen für ſich erworben und in umfangreicher Weiſe weiter
coloniſirt hatte.
Zu dieſen Kirchen gehört vor allen die Pfarrkirche in Braunau
ſelbſt, einſt die „unter den Linden“, dann die in der jüngeren Stadt. Ein
Kirchenpatronat in jener Zeit, da die Kirche die Zügel noch nicht jo ſtraff
angezogen hatte, zu begründen, fegte wohl eine Capitalsanlage, aber nicht
immer ein Opfer voraus. Am günftigen Plage genoß der Patron einen
reichlihen Ertrag. Die Kichen in vermögenden Colonien erhielten eine
Menge Vermächtniſſe und „Seelgeräthe", und das „Offertorium" war
damals Fein leerer Schall. Im 14. Jahrhunderte betrugen die Opfergelder
allein in der Pfarrkirche zu Braunau an 16 Schod Grojchen jährlich,")
d. i. dermalen 336 fl. — für jene Zeit ein glänzendes Einkommen, wenn
man dagegen hält, daß der Patron einen fungivenden „Vifarius" gegen die
Pauſchalſumme von 9 Schod befommen Fonnte. Außerdem bezog die Kirche
einen Zehent, im Ländchen von jeder Hufe einen Strih Korn und einen
Strid Hafer und je 6 Pfennige „Rauchgeld“ — fumales.
Im Braunauer Ländchen gab es außer der Stadt noch fünf
jolcher Pfarrkirchen, deren eigenthümliche Stellung zum Klofter auch noch
im 14. Jahrhunderte verrät), daß wir jie als Stiftungen der Vögte an-
zujehen haben, welche vollzogen wurde, ehe fich Brevnov der Herrjchaft
über das Ländchen bemächtigte. In diefen fünf Pfarreien wurden nämlich)
auch dann noch die Pfarrer vom Prager Conſiſtorium eingefegt und dieje
jind, wie TZomef?) nachgewieſen hat, auch unter der Herrichaft des Klojters
ausnahmslos noch Weltgeiftliche gewejen. Dieje jomit auf alte Coloni—
jation duch die Vögte hinweifenden Pfarreien find die von Schönau,
Hermsdorf und Ruppersdorf auf dem linken und Barzdorf und
Märzdorf auf dem rechten Steineufer, die beiden Tegteren aljo im ſüd—
lichjten Theile desjenigen Waldgebietes, auf weldyes Btevnov von 1213
einen Anſpruch erheben konnte.
Dieje Thatjachen im Zufammenhalt mit der Gründung von Braunau
und der Anlage von Ober-Weckersdorf gewähren uns ein vecht deutliches
1) Tomek, a. a. O. 91.
2) A. a. D. 88.
— 347 —
Bild von dem Umfange der von den Vögten eingeleiteten Colonijation,
wenn dieje auch jelbjt in einzelnen der genannten Pfarrorte erſt durd) dag
Klojter bis zur Erjchöpfung des Bodenvorrathes durchgeführt wurde. Wir
jehen daraus, daß die erjten Anfiedler, von Braunau abgejehen, das
Steinethal ſelbſt merkwürdiger Weife mieden — wohl wegen noch man—
gelnder Vorkehrungen gegen die Gefahr des Waſſers. Dagegen hatte mar
die Gelände der erjten Nebenflüßchen, auf die man von der Grafichaft aus
ftößt, in Angriff genommen, im Djten das Thal von Schönau, dann jen—
jeitS der Stadt das von Hermsdorf und darüber hinaus jenjeit3 einer
wilderen Gebirgsnatur das von Ruppersdorf — Ruprechtsdorf — über dejjen
oberem Ende fi) der Spigberg als der höchjte und damals nördlichite
Markitein des Ländchens erhebt. — Zwifchen den beiden Tegtgenannten
Dörfern liegt an der Steine das Fleinere Heinzendorf, deſſen Name
an jenen Heinrich, den Sohn des älteren Wider, erinnern könnte. Die
Dörfer im Welten — Bozanov, Martinsdors, Weders
dorf müjjen ſämmtlich ihrer fpäteren Ausdehnung gegenüber Feine Co—
lontjationsanfänge dargeftellt haben. Der Name des mittlern erinnert
an den andern Sohn des erjten Wifer. Nordweſtlich von der Stadt
in die Gegend, welche jest die Straße nad) Politz durchſchneidet, ſind
die Vögte nicht vorgedrungen. Die Gegend von Wernersdorf, Halbitadt,
Wieſen, Birkicht gehört überhaupt zu einem nördlichen Colonifationsgebiete
und wurde erjt in jüngerer Zeit mit Braunau, dem jie geographiich ans
gehört, verbunden.
In welcher Neihenfolge jene VBogteidörfer entjtanden und wie
fi) auch noch zu Zeiten der Vogtherrichaft auffallende Lücken füllten, das
willen wir vorläufig nicht. Daß fich aber feinerlei Urkunden und Andeu-
tungen darüber im Befige des Klofters befinden, ijt eben der Sache ent-
jprechend. Doch ift die Eolonifation durch die Vögte ficher noch über jene
fünf Pfarrdörfer hinausgegangen, denn während eine Urkunde von 1253
nur überhaupt „mehrere* Dörfer als zur Vogtei gehörig anführt, werden
in einer andern von 1300 ') fieben jolcher genannt. Da wir mu jahen,
wie die Vögte vor allem die Oftjeite des Ländchens bis an den Spigberg
hinauf in Angriff nahmen, fo dürfte am ficherften Rofenthal im Ein-
fchnitte der Schwarzbad zwijchen Schönau und Hermsdorf zu den Dörfern
älterer Anlage zu zählen fein, die einer Kirche nicht bedurften. Dann
möchte wohl zunächit Heinzendorf in Frage fommen, wenn nicht etwa
das Feine Boitsdorf diefen Anfpruch erheben follte.
1) Emfer 1300, Nr. 2765.
a
— 348 —
So ſehen wir um die Mitte des 13. Jahrhuuderts die Coloniſations—
arbeit joweit gediehen, daß außer den Ergänzungsanlagen, für welche die
drei unteren Thaleinfchnitte der Weftjeite noch Raum boten, nur noch das
Steinethal jelbjt und die ganze Nordhälfte der Weitjeite unberührt ge:
blieben waren. Waren bis dahin die Vögte in ihrer Arbeit offenbar un-
gejtört geblieben, jo begegnen wir von jeßt ab — Mitte des 13. Jahr—
hunderts — einem harten, wenn auch vielleicht nur friedlichem Ringen
des Mofters um den Beſitz des ganzen Braunauer Ländchens, welches
Ringen jchlieglih von Erfolg gekrönt war. Die Vögte biieben natiirlich
in ihrer erblichen Stellung, aber der Obereigenthümer des Bodens wechſelte;
an die Stelle der Füniglichen Kammer trat das Kloſter Brevnov. Diejer
Wechjel hat nichts Ueberrajchendes, wenn wir annehmen, daß ſich das
Klofter auch die Gunst Ottofars II. in dem Mafe zu erwerben wußte, als
e3 die jeines Großvaters bejefjen hatte. Auffälliger ijt vielmehr, daß vor-
her, aljo ungefähr in der Regierungszeit Wenzels I. (1230—1253) es
den Vögten gelingen fonnte ohne erfolgreichen Widerſpruch auch auf der
Weſtſeite der Steine vorzudringen. Eine ausreichende Erklärung liegt jedoch
in einer Nachricht, welche uns Balbin ') nah einem Nofenberger Manu—
feripte aufbewahrt hat. Danach habe ſich in den legten Jahren Wenzels I.
die Grafschaft Glatz im Pfandbejige eines Herrn von Seeberg?) befunden,
dem fie aber Ottofar II. bei feinem Negierungsantritte — 1253 — ab»
genommen habe. Gerade in demfelben Jahre wurde aber auch jener Martin
Abt von Brevnov, den wir als den eifrigften Colonifator auch auf der
Poliger Seite bereits fennen lernten; jegt alſo jtand es dem neuen Könige
vollfommen frei, dem alten Schenfungsbriefe jene Erjtredung zu geben,
die der neue Abt wiünfchte. Jedeufalls hat exit Abt Martin, (1253 bis
1278) deſſen Pegierungsjahre jo merfwiirdig genau mit denen feines
föniglihen Gönners zufammenfallen, den Boden des zum größern Theile
bereits folonifirten Ländchens gewonnen.
Nun beginnt eine zweite Epoche der Bejiedelung. Daß ext diejer
Abt Martin 1255 das fchon bejtehende Pfarrdorf am Bache Breznice, das
bis dahin auch nur dejien Namen geführt hätte, zum jegigen Martins—
dorf (Märzdorf) erweiterte, gibt zwar Tomef?) an; aber wir finden da—
für feinen urfundlichen Beleg. Jedenfalls ift die Darftellung, als habe er
1) Balbinus Epitome Hist. pag. 271.
2) Neplah und Dalimil betätigen die Nachricht doch mit Nennung anderer
Namen. Fontes rer. Boh. III p. 476; 292.
3) Tome, Prag I. 474.
— 349 —
„durch Vergrößerung des alten böhmijchen Dorfes Breznitz ein neues
deutfches Dorf Märzdorf (Martini villa) ausgejegt“, irreführend. Wohl
aber ift er in diefem Fahre!) in Bezug auf Wedersdorf ähnlich vor-
gegangen, indem er einem Chunrad (Konrad) den „Politzer Wald am Flüßchen
Erinice (Kiinice, Krims) zur Ausrottung wie anderen Scholzen oder Dorf-
richten" (scoltis seu rihtarüis), doc mit dem Beding übergab, daß er jo
viele Hufen daraus mache, als möglich jei, ohne ſchon bejtehende, anliegende
Dörfer zu fchädigen. Auch die Mühle folle mit folcher Nüdfichtnahme
angelegt werden. Gewiß ijt erjt dadurch (1255) der untere, größere Theil
von Wedersdorf mit feinem Scholzengute entjtanden, welcher an feinem
unterjten Ende auch noch jene Häuschen umfaßt, in deren Benennung
Krims ſich heute allein noch der alte Bachname erhalten hat. Das ältere
Weckersdorf, deſſen Name der Schulze Konrad fchon nicht mehr verdrängen
konnte, bejaß feine Schulzerei und es bedurfte feiner, wenn unfere Hypo—
theje richtig ift, daß es auf dem Vogteigrunde felbjt entjtanden war.
Jetzt ging Abt Martin auch dem nordweitlihen Waldviertel des
Ländchens zu Leibe. Tomek bezieht die betreffende Urkunde vom 31. Au—
guft 12552) auf Heinzendorf, weil aud deſſen Gründe von drei
Flüſſen berührt werden, deren einer die Steine ift. Aber Heinzendorf,
welches wir deshalb lieber gleich Voigtsbady für eine Privatgründung eines
Bogtes anfehen, ijt von einem fo geringen Ausmaße, daß es unmöglich
gewejen wäre, den Schulzen dafelbjt außer feiner noch auf eine „jechite Hufe“
anzumeifen, wie in jener Urkunde gejchieht. Wir beziehen vielmehr die
Flüßchen Zlatini und Zahorow auf den Oberlauf der Voitsbac und ein
Nebenflüßschen derjelben. „Saure” Stellen, auf welche fih „Slatina”
beziehen kann, find hier, aber nicht an den Bergbächen bei Heinzendorf zu
finden, und die Hufen des Dorfes Hauptmannsdorf, das jo entjtand, reichen
in der That über die beiden Flüßchen hinweg und über den „Steinerberg“
hinüber bis an die Steine — „circa fluvios Zlatini et Zahorow et circa
flumen Stenallam®. Auch deden ſich die Beftimmungen der Urkunde
von 1255 vollfommen mit denen, welche die fpäter dem Scholzen von
Hauptmannsdorf ernenerte Hanpfejte enthält.?) ALS Unternehmer wird
ein Frichelo Teuthonieus, ?) alſo ein deutjcher Frigel genannt, Daß
überhaupt Hauptmannsdorf — eime volfgetymologijche Umformung
1) 1255 Emler Nr. 68.
2) Emler Nr. 67.
3) Enter, II. 1296 Nr. 1730.
4) Nach der Lesart bei Emler Frichelo.
— 350 —
der alten Namen Haitfolks- und Heitwigis-, der jpäteren Heyptes- und
Haypmannsdorf — durch Abt Martin gegründet wurde, betätigt die Ur:
funde von 1296 ausdrücklich.
Darauf vollendete Martin um 1256) die Befiedlung am Fluſſe
Bozanov, indem er den „Poliger Wald" dafelbjt bis zur Steine herab
dem Pertold gab, der ihn ausrodete und das fo vergrößerte alte Pfarr:
dorf Bozanow nach feinem Namen Bertholdsdorf — Barzdorf nannte.
Abt Martin nimmt auf dieje ältere Eolonie Bezug, indem er ausdrücklich
hervorhebt, daß diefer Berthold feinem Vogte unterjtehen jolle.
Ungefähr zu gleicher Zeit”) wird endlich auch das Steinethal jelbit
unterhalb der Stadt Braunau in Angriff genommen, und zwar durch
Rudger — Rüdiger —, einen Gewerbsmann, vermuthlich aus der
Stadt Braunau ſelbſt. So entfteht Croensdorf, aus dem durd) Volfs-
etymologie Großdorf wurde, und entweder als Fortfegung oder durch
Theilung desjelben vermuthlid auh Ottendorf. ch glaube aber, daß
Dttendorf in Angriff genommen fein mußte, ehe jener Berthold feinen
Wald -an der unteren Buſe auftheilte, denn die Ottendorfer Hufen vagen
in den dem Berthold zugetheilten Grund hinein.
Man muß natürlich annehmen, daß Ottofar Il. nach der Zurücknahme
der Grafſchaft Glatz die auf den Colonien, welche von den Vögten für
Rechnung des Landesherrn im Braunauer Ländchen angelegt worden waren,
fälligen Zinfungen dem Klofter anwies. Dahin mußten fie nun die Vögte,
die fiir ihre Einhebung aufzulommen hatten, mit Abzug des ihnen gebüh-
renden Antheils abliefern. In den neubegründeten Anlagen aber bediente
ih das Klofter diefer Vermittlung nicht, da ihm anderweitig Kräfte zu
Gebote jtanden, die e8 überdies noch durch eine Schreibergebühr von den
Bauern felbjt entlohnen ließ. Nun juchte e8 auch die jonftigen Schöpfungen
der Vögte in feine Hand zu befommen. Im Jahre 1256 gelang es dem
Abte Martin, ſich vom Prager Biſchofe das Patronat der Pfarrkirche
in Braunau jchenfen zu laffen.”) Damit war ein nicht unbedeutendes
Einkommen des Klofters verbunden, welches nun die Ermächtigung erhielt,
die Seeljorge durch einen fix bejtallten „Vicarius“ verjehen zu lajjen und
dafür die Kircheneinfünfte für die insbejondere an Fiſchen nothleidende
Tafel von Bievnov zu verwenden. Durch ein Privilegium von 1260 ®)
1) Emler I. Nr. 91.
2) Emler, ibid.
3) Emler II. 1256 Nr. 191.
4) Emler 1260 Nr. 276.
Bi
erlangte der Abt Martin die völlige Lostrennung feiner Braunaner Unter:
thanen von der Gerichtsbarkeit des Glatzer Provincialrichters und die Zu—
weifung derjelben in jchweren Fällen an den Fönigl. Hofrihter in Prag;
damit war die Abtrennung des Braunauer Ländchens von der Grafichaft
Glatz vollzogen, wenn auch jpäter noch oft, namentlich bei VBerpfändungen
die alte Tradition fich geltend machte. Endlich löſte der Abt auch das
legte Band, indem er im Jahre 1266 ') dem damaligen Erbvogte Wider
die ganze Bogtei Braunau um 220 Mark — 4620 fl. öſterr. Währ. —
abfaufte, mozu die landesherrlihen Beamten — der Oberſtkämmerer
und Oberjtmarfchall — die Bewilligung ertheilten — ein legter Beweis,
daß diefe Vögte bis dahin landesfürftliche Beamte gewejen waren.
Nun stellte fih das Kloſter zwar jelbft wieder Vögte an, aber es
jtand doch in feiner Gewalt, Aemter und Rechte derjelben neu zuzutheilen.
Zunächit jcheint ihnen das Klofter das Schirmamt des Gutes abgenommen
zu haben. Wahrjcheinlich aus dem Sige des ehemaligen Vogtes ging ein
Schlößchen oder eine Burg in der Stadt hervor, die wenigſtens 1296
urkundlich erwähnt wird und an feiner anderen Stelle gejtanden haben
fann, als wo fich heute das Klofter erhebt. Im Jahre 1306 erjtand nach
einem Brande ein Neubau desfelben und ein tiefer Schloßbrunnen wurde
gegraben. Nach Neplachs Chronik hätte dann 1322 Abt Bawor eine
Probftei hineinverlegt, womit ähnlich wie in Politz eine Klofterfiltale
verbunden fein konnte, Ehe dies der Fall war, wurde das alte Schloß
einem „Burggrafen” anvertraut, der zugleich mit feinem bewaffneten Ge:
folge der Schirmherr des Landes fein ſollte. In Glatz oder Schlejien
würde diefer Dienft wahrſcheinlich auf ein Lehensverhältnig aufgebaut
worden fein, nicht jo in Böhmen. Ein folder Schu war aber in da—
maliger Zeit außerordentlich nothwendig. Wir haben noch den Vertrag, *)
mit welchem in der Perfon eines Ritters Konrad von Sulcz ein folcher
„Burggraf” vorläufig fir ein Jahr angeftellt wurde. Gegen 12 Marf
Jahreslohn mußte er fich verpflichten, nicht blos mit Frau, Kind und
Gefinde die Feite zu bewohnen, jondern fie auch mit Schleudergejchügen
(balistae) in Vertheidigungszuftand zu halten und Stadt und Gebiet gegen
alle Einfälle zu vertheidigen, aber jelbjt in Kriegszeiten niemand ohne des
Abtes Willen in die Burg aufzunehmen. In das Gericht follte er ſich
nicht einmijchen, wohl aber dem Vogte auf deſſen Wunſch Aſſiſtenz leijten.
Seit 1300 verwendete der genannte Abt Bawor feinen eigenen Bruder
1) Emler 1266 Nr. 522.
2) Emler II. 1296 Nr. 1722.
— 352 —
Wysemir von Nectin als Burggrafen. So war der Vogt aus dem
Schloſſe gedrängt. |
Ein vereinzelter Stüßpunft genügte aber in jener bewegten Zeit nicht
für ein fo weites Gebiet. Von gemeinen Dieben — „Gaudieben“ —
abgejehen übte jeder irgendwie beleidigte Nachbar fein Fehderecht und da-
bei war uud blieb Vichraub immer die Hauptfache. Die Art, fich dagegen
zu ſchützen, ift in einigen Gegenden Norddeutſchlands — in der Altmark,
im Halbjtädtifchen und anderswo — noch friſch im Gedächtniſſe geblieben.
Man errichtete Landwarten oder „Landwehren“, ein Syitem von Thürmen
auf freien Ausjichtspunkten. Bon da aus warnten Wächter die Hirten des
Weideviehes bei jich nähernder Gefahr, und ein Wall oder Mauerfreis
unter dem Thurme nahm die flüchtigen Herden jchügend auf. In den
meisten Fällen entjtanden aus folchen Anlagen die fogenannten „Bor:
werfe*, oft aber auch wenig wohnfame Thurmjchlöffer von Dienftmannen
in Verbindung mit jenen. Auch im Braunauer Ländchen beſtanden ſolche
Landwehren; wenigjtens lernen wir eine derjelben kennen. Nach Aufzeicy-
nungen des Abtes Bawor ') verwendete diefer 6 Mark zur Erbauung eines
„steinernen Thurmes" in Märzdorf, und der Flurname „Thurmwieſe“
verräth uns, daß wir diefen Thurm in Verbindung mit dem Märzdorfer
Borwerfe zu denken haben. Einzelne Auinenjtätten auf der Poliger Seite
mögen eine ähnliche Erklärung zulaffen.?)
Nachdem das Klojter jo das Burggrafenamt von der Bogtei getrennt
hatte, verkaufte es letztere felbjt wieder zu erblichem Beſitze. Aber das
neue Verhältniß, wie wir e8 nad) 1300 aus einer Aufzeichnung des Abtes ?)
fennen lernen, ift das denkbarſt unfreundliche. Die Brüder Leo und
Tiezko, damals im Beſitze der Erbvogtei, vaubten das in der Klofterkicche
zu Polig aufbewahrte Geld und verjegten mit einigen Schulzen im Bunde,
als fie fich ihrer erjten Verhaftung entzogen hatten, durch Raub und
Plünderung das ganze Ländchen in einen Fehdezuſtand. Endlich durch
den Burggrafen in einer fürmlichen Schlacht befiegt und gefangen genommen,
werden fie von einem Gerichte der Braunauer Schöffen und Schulzen —
jedenfalls unter VBorfig des Abtes — für geächtet und aller Nechte für ver-
lujtig erklärt. Durch diefe Verurtheilung gelangte das Kloſter neuerdings
in den Beſitz der Vogtei, und auch einige Schulgereien wurden ihm frei.
1) Tomek, Nachrichten 59.
2) Tomek a. a. D. erwähnt ſolche „na zämöatech“ ©, 11; bei Zdar ©. 12;
die sträZnice hei Polis ©. 13, 45 f.
3) Emler II. post a. 1300 Nr, 2765.
— 33 —
Das Kloſter fcheint daraus in dem Sinne Nugen gezogen zu haben, daß
es auch die fieben alten Vogteivörfer von der Vogtei losriß und möglicher-
weife auch die Erblichkeit nicht wieder einführte. Als Vögte — jetzt aljo
nur noch Stadtrichter — aus fpäterer Zeit nennt uns das Braunauer
Stadtbudy: Nicolaus Gufener (1399), Nicolaus Kunze (1403—1419) und
Paul Marquardt. Den erfteren (als Güffner) kennen auch Glager Urkunden
aus den Jahren 1385 und 1400 °) und ftellen uns denjelben als einen
jehr vermögenden Mann vor. Er Ffaufte einmal 3 Hufen Lehngut in
Scheiba bei Wiünfchelburg, das andere Mal 18 Hufe Lehngut ſammt den
Kirchenlahn zu Edersporf.
Im Zufammenhange mit jener Aenderung ftand wahrſcheinlich aud)
die Errichtung einer eigenen Brobftei in Braunau, welche die Ver—
mittlung eines Vogtes überflüfjig machte. Der Probft bereifte nun jelbit
dreimal des Jahres die „gehegten Dinge" der Dörfer. Der Schulze leitete
das Verfahren, die bäuerlihen Schöffen fanden die Urtheile, und das be-
waffnete Gefolge des Probjtes half zur Execution. Dafür erhielten Probjt
und Gefolge jedesmal eine reichliche Mahlzeit — einmal des Jahres auf
Koſten des Schulzen, zweimal auf Koften der Bauern. Aber aud) hier,
wie auf dem ganzen Gebiete, bereitete ſich langſam eine Ablöfung durd)
Geld vor.
Ueber die Verpflichtungen der Anfiedler, denen ein jehr allgemein
verbreitetes Syftem zu Grunde liegt, belehrt uns in muftergiltiger Weife
der Hauptmannsdorfer Schulzenbrief von 1296. Der Colonift erwarb —
nach einer je nach der Schwierigkeit der Urbarmachung berecdjneten Frijt
von Freijahren — feine in langen Streifen vom Dorfwege bis zur Wald-
marf reichende Hufe (mansus) erblich gegen eine SJahresleiftung, die
urſprünglich aus Geldzins, Getreidelieferung und Aderdienjt zugleich be-
ftand, fpäter aber immer ausjchließlicher in Geld reluirt wurde. Nach
einem Braunauer Urbar von 1406, welches Tomek benügen fonnte, war
zwifchen jener erjten und diefer Zeit (1296 1406) der Geldzins von "/,
auf 1 Schod (= 1 Marf Silber = 21 fl. d. W.) geftiegen, dagegen die
alten „Dreiforn"-Lieferungen (2 Strid Weizen, 2 Strich Korn, 2 Strich)
Hafer) auf einen Schweinsschlegel, 12 Eier und 2 Käfe reducirt, die Hand-
und Spanndienfte aber unter eine Geldablöjfung zu 6 Grojchen im Ganzen
gejtellt. Aber auch die Handfefte von 1296 hatte jchon eine Ablöjung
diefer Leijtungen vorgefehen, doch diejelbe noch auf 8 Gr. veranjchlagt.
Ale diefe Ermäßigungen hatten in der Erhöhung des Geldzinfes ihren
1) Volkmer und Hohaus a. a. DO. ©. 241, 305.
— 34 —
Ausgleich gefunden. Diefer Fortichritt, auf welchen die deutſche Eolonijation
fo fichtlich Hinzielt, Tonnte aber nur ermöglicht werden unter gleichzeitiger
Hebung des ſtädtiſchen Marftverfehres, welcher dem Bauer den Umjag
feiner Erzeugniffe gegen Geld immer mehr erleichterte. Daher gehen in
jenen Colonifationsunternehmungen Stadt: und Dorfbegründungen immer
Hand in Hand. _
Obgleich auch im Poliger Gebiete die Befiedlung nach deutſchem
Mufter ausgeführt wurde, jo gejtattete docdy die Verwendung von altunter-
thänigem Volke aus dem Innern des Landes eine größere Belajtung des-
jelben mit „Roboten“; nur ihre „Gemeſſenheit“ war auch für dieje Colo-
niften ein Fortjchritt. Auf deutjcher Seite fommen — abgejehen von der
hier von Anfang an ausgefprochenen Ablösbarfeit — nur Ernte, Ader-
und Gejpanndienjte vor, in Polig aber bejtimmte auch das jüngere Urbar
außerdem noch die Arbeiten beim Heumachen, die Xreiberdienfte bei der
Jagd, das Führen von Heu und Mühljteinen oder entfprechende Hand-
arbeiten dafür, die Wrbeiten an Brüden und Wegen, die Zufuhr von
Baunmaterial und Steinen zur Kalfhütte und des Holzes zu Bauten.
Die Berfaflung von Braunau war von Anfang an eine ftädtifche,
und die Urkunde von Karl IV. von 1348 hat nicht wie in andern Fällen
die Bedentung einer Locationsurfunde; das, was eine folche gewähren
fonnte, das eigene Schöffengeriht und das heimische deutjche Recht, bejaß
die Stadt thatfählih. Der Kon jener Urkunde liegt auf der Auszeichnung
durch die Gleichſtellung der Bürger von Braunau mit jenen von Gräß
und Glaß und andern königlichen Städten.
Die Burg im Nordofted dürfte gegen die Stadt zu durch Graben
und Mauer gejchieden gemwejen fein, weil es jonft nicht verftändlich wäre,
wie Abt Predbor gegen die Ummanerung der Stadt eifern konnte,
welche die Bürger 1359 verfuchten und fpäter auch thatfächlich durchführten.
Aber auch vorher war fie durch die fteilen Felswände des Hügel und
wahrjcheinlich wie andere Städte durch einen Ballifadenzaun verwahrt.
Auch die Bezeichnung der tiefer gelegenen Vorjtädte als „Sände“ weiſt
auf Schlejien, fpeciell auf laß und Breslau zurüd, und dahin wohl auch
die Tuchmacherei als hervorragendes Gewerbe. Aus einer Beftätigungs-
urfunde Wenzels IV.") geht hervor, daß diejer Induſtriezweig ſchon zur
Zeit des Abtes Martin blühte. Martin verjchaffte ihm einen Niederlags-
zwang der mit Wolle durch das Ländchen veifenden Händler; daß aber
gerade er erjt die Tuchmacher nach Braunau geführt hat, fcheint mir aus
1) Tomek, Nachrichten 57.
— 355 —
alledem nicht hervorzugehen. Auch die bedeutendſten Städte der Grafjchaft
— Glag — Habeljchwerdt und Neurode — betrieben eine anjehnliche
Tuchmacherei.') |
Was die Herfunft der erjten Bejichler des Ländchens anlangt, jo
fann gar nichts einen Zweifel daran anregen, daß fie durchwegs Deutfche
waren; die gedungenen Beamten des Stiftes find in diejes Urtheil natürlich
nicht eingejchloffen. Die vielen Bürgernamen, die uns das alte Stadtbud)
bietet, find grunddeutich. Ueber das nähere Woher? all diefer unter-
nehmenden Männer aber bietet uns feine Urkunde auch nur einen Finger:
zeig. Sicher iſt nur, daß die Braunauer ſich auf das engfte in Sprache
und Nechtsfitte und, wie wir nun gezeigt zu haben glauben, auch in der
Geſchichte der Eolonifatton jelbjt dem großen Volksſtrome anjchliegen, welcher
allmählich ganz Schlefien bejiedelt hat. Aus diefem, der rückwärts über
Meißen nad Thüringen und Oberfranken zurüdreicht, wo ſich die erfte
Verſchiebung der BVölfergrenze in der Zeit jeßhafter Cultur bemerkbar
macht, find auch fie hervorgegangen. Ihr Bauernhaus ift der Typus des
„Fränkiſchen“ in feiner einjtöcigen, breit augeinandergelegten Form, Nir—
gends mischt fich eine Spur ſlaviſcher oder niederdeuticher Bauart dazwischen.
Wohl aber bewahrt die Sprache noch Formen, die auf jenen niederdeutjchen
Untergrund der fchlefischen Befiedlung zurückweiſen, den Weinhold in der
angeführten Schrift hervorgehoben hat. Aber die Mifchung wird kaum
erſt im Ländchen ſelbſt ftattgefunden haben.
Es iſt in der Natur der Sache begriindet, daß das nothmwendige
Eolonijtenmaterial der Hauptfache nach immer wieder aus denjenigen Ge—
bieten hervorging, in welche fich jchon früher der Coloniftenftrom ergoſſen
hatte. Der natürlihe Grund dafür wurde gerade in Böhmen, wo die
Gegenſätze der jocialen Einrichtungen auf einander ftoßen, vecht erfichtlich.
Auch die ſlaviſche Gejellihaft in Böhmen hat frühzeitig eine Einrichtung
geichaffen, die man eine innere Colonifation nennen fann — warum griff
man nur, wo es den Landesfürften und Großgutsheren darum zu thun
war, ihrem Grunde eine Geldrente zu eutloden, nicht auf dieje zurück?
Daß das nicht gefchah, daraus konnten Herolde des Nationaljtolzes, wie
Dalimil und Neplach weit leichter den Premifliden einen Vorwurf machen,
als fie den Weg der Aenderung zu zeigen vermocht hätten. Schon die
ältejten Urkunden lehren uns in Böhmen unter der Dorfbevölferung eine
Elajje von Menjchen kennen, welche ung als „hospites* — Gäſte — vor-
geftellt werden, und zeigen uns in vielen Dörfern Hofftätten mit dem Nechte
1) Volkmar und Hobaus ©. 133, 185, 165, 280.
— 356 —
der Ackerlandbenützung, welche für ſolche „hospites“ vorbereitet ſeien —
man jah ſolche gewiß gerne, denn einzelne Urkunden bezeichnen fie jogar
als einen „Schmud" der Dörfer. Die flavifch - patriarchale Wirthichaft
geftattete auch Feine andere Auskunft. Beſaß ein Grundhere mehr Grund,
als er durch die ihm in feiner Dorfichaftsanlage zu Gebote jtehenden
Arbeitskräfte bewirthichaften Fonnte, jo fuchte er durch Einrichtung neuer
Hofftätten und Anweifung eines entjprechenden Adernusgenuffes fremde
Kräfte anzuloden; und diefer Ausgleih war in vielen Fällen durchführbar,
weil wieder anderen Grundherren die Zahl der Menfchen, die fie von
ihrem Grunde zu ernähren hatten, über den Kopf wuchs. Man entlich
dann folche Unterthanen auf ihren Wunsch, und fie traten als „Hoſpites“
in die neue Gemeinde ein. Mitnehmen konnten jie natürlich) von ihren
früheren Herren nichts, denn nach der patriarchalen ſocialen Auffafjung
waren fie ja an Allem nur Nusnießer gewejen. Sie bedurften defjen
aber auch nicht, weil fie ja nur wieder in ein ebenjo vorbereitete Ver—
hältniß eintraten. Grund und Boden und der Viehftand blieben beim
Gute; ja die Gejammtheit, die fich nun ſchon in einem „Herrn“ oder in
der alten „Hauscommunion“ repräfentirt, hatte eigentlich auch ein Anrecht
auf all’ den Kleinen beweglichen Befig, den fich der Mann aus den Er-
trägnifjen des Gutes angeeignet hatte. Wir jehen, wie aus diefer Voraus—
jegung den Austretenden jogar die Verpflichtung einer Ablöſung er-
- wädjt; er muß dem Gutsheren erjt noch eine beftimmte Summe zahlen,
ehe er mit dem nackten Zeben davon gehen kann. Eine Urkunde von 1266 ')
zeigt uns, daß dieſes „Recht“ der Grundherren in jener Zeit ſchon zu
einem fejtjtehenden geworden war; nur durch eine Zahlung erwarb fich
der Unterthan das als „Wayhost“ (wyhost) bezeichnete Recht, an das
ung in jpäterer Zeit Tauſende von „Losbriefen“ erinnern. Ein ſolches
Beltedlungsmaterial jtand alfo allerdings au in Böhmen zur Verfügung
und wenn man jich im Klofter in Brevnov desjelben bedienen wollte, um
einige neue Dörfer damit anzulegen, jo war diejes bei feinen vielerlei
Einnahmsquellen wohl in der Lage, für einen jolchen Fall einer bloßen
Dislocation den Mann mitfammt feinen Betriebsmitteln zu entlaffen,
beziehungsmweije zu verjegen. Daß aber auch ein jo reicher Grundherr in
diejer Weife eine umfangreichere Colonifation nicht hätte durchführen
fünnen, das beweiſt der Umftand, daß ich auch diefes Klojter etwa mitten
in jeiner Arbeit an die Vermittlung von „Schulzen” wenden mußte.
So große Streden des Grenzwaldes, wie fie die Premyjliden ins
Auge faßten, auf diefe Art zu erjchließen, wäre umſo mehr unmöglich ge—
1) Emier 1266 Nr. 531.
— BT
weien. Ein Mann aber, der ohne jede weitere Unterftügung des Guts-
herrn als die mehrjährige Abgabefreiheit auf dem ihm zugewiejenen Rode:
ftüde jeinen Lebensunterhalt gewinnen follte, der mußte mindeſtens einen
Stamm des Biehjtandes und die nothiwendigen Geräthe und Werkzeuge
oder foviel baares Geld mitbringen, um diefe Dinge auf dem Markte des
Colonifationsgebietes — deſſen Anlage daher durchwegs mit der Erſchließung
Hand in Hand geht — erwerben zu. können. Das ijt der Angelpunft der
Frage, und bier liegt der Grund der großen Ueberlegenheit der focialen
Drgantjation, welche eben erjt das deutſche Eolonifationsprincip gejchaffen
hat, gegenüber dem Batriarhalismus und dem älteren Principe, welches
die ſüdſlaviſche „Zadruga“, der ruſſiſche „Mir“ noch aufrecht erhält.
Nur der deutiche Eolonift konnte unbejchadet feiner Verpflichtungen
gegen den Grundheren ein Capital, jei es an Vieh oder Geld, für feinen
jüngeren Sohn zurüdlegen, mit welchem ausgejtattet diefer felbft als Coloniſt
im nächitgelegenen Neulande feine Selbftändigkeit begründen konnte, und wenn
er mit Einwilligung feines Herrn feine Hube verfaufte, jo war der Er-
trag fein eigen, und er konnte als unternehmender Mann in ein neues
Eolonijationsgebiet überfiedeln und damit, wenn das Glüd ihm wohl wollte,
als Partieführer felbft eine Erbrichterei oder doch durch ähnliche Anlage
feines Capitals die Selbftändigfeit aller feiner Söhne begründen, für vie
Eine verkaufte Hufe und die Zuthat der neuen Arbeit deren mehrere er-
werben. Es lag nun einerjeits nahe, daß fich gerade immer wieder in
einem Kolonifationsgebiete die Aufmerffamkeit der Bewohner traditionell
auf diefe Art des Glücjuchens hinlenkte, ſowie andererſeits, daß auch
gerade im Colonifationsgebiete der Bevölkerungsüberſchuß, der fich mit der
Beit einjtellte, außer dem Zuzuge in die Städte gerade diejes Abzugsweges
bedurfte. In der älteren Socialverfaffung, wie fie in der Zadruga er-
halten ift, kann der der Aufticalbevölferung zugewiefene Grund je nad)
vem Zuwachſe der Geburten immer wieder aufs Neue aufgetheilt werden,
wenn auch jchließlich nicht ohne tiefen Schaden der Gejammtheit ein gewiſſee
Maß überfchritten werden kann; aber in der Colonie ijt eine folche Er-
ftredung des Antheils am Grunde von vornherein ausgeſchloſſen. Darum
kann man wohl mit Recht annehmen, daß es im Großen immer die älteren
Eolonifationsgebiete waren, welche die jüngeren mit Menjchenmaterial ver-
forgten, darum trägt diefer große Colonijtenftamm, wie wir ihn von
Thüringen bis in die Grafichaft Glag ſich erjtreden jehen, troß der
manmigfaltigen Mifchungselemente, die er enthält, doch wieder ein fo jelbft-
ftändiges und einheitliches Gepräge.
Mitteilungen. 26. Jahrgang. d. Heft. 25
— 358 —
Unternehmungen in weit entfernte Gegenden können nur mit jehr
großen Mitteln, wie fie Landesfürjten und reiche Stifter aufbieten konnten,
durchgeführt worden fein. Selbſt im Anfchlujfe an alte Eolonien jegte die
Unternehmung eines „Locators“ — des jpäteren Vogts oder Schulen —
immer bedeutende Mittel voraus, denn da diejer nach Ablauf der bedun-
genen Frift für den jtipulivten Ertrag aufzufommen hatte, jo muß er oft
in die Lage gekommen jein, die Unzulänglichkeit der Mittel der Coloniften
zu ergänzen. Darum ſehen wir diefe Grimdungsgejchäfte oft in den
Händel des Fleinen Adels — auch unferen Wicher nennt Tomek wohl
nicht mit Unvecht einen deutjchen Edelmann — und der durd) Handel zu
Vermögen gelangten Bürgerjchaft.
Ueber jolhe Elemente vermochte die jlaviiche Geſellſchaftsverfaſſung
Böhmens und Polens in jener Zeit nicht zu verfügen, und nur darum
fonnte die Colonijation in Schlefien und Böhmen, wo ſie in großem Maß:
jtabe durchgeführt wurde, feine andere als eine deutjche fein. Nur
bezog jich diefe Nothwendigkeit der Ausjchliegung des jlavijchen Elementes
nicht in gleicher Weiſe auf die ſtädtiſche, wie auf die ländliche Coloni—
jation. Während der jlaviiche Bauer, der mit den „Xosbriefe" in der
Hand aus dem Gutsverbande jeines Herrn austrat, mit dieſem Scheine jo
gut wie niemals den fundus instructus eines Landgutes erfaufen konnte,
war ihm diejer „Losbrief“ in der Stadt ein Freibrief zu jeder Carriere.
Ohne jedes Capital konnte der Entlajjene als dienender Gehilfe eintreten,
um allmählich als Händler oder Handwerker zu einer jelbjtändigen und
vielleicht glüdlichen Erijtenz zu gelangen. Es ijt ganz unüberſchätzbar in
welchem Grade die in ihrer Geſellſchaftsform jo unglücklich gebundene ſlaviſche
Bevölkerung gerade der jtädtiichen Colonifation zu Danke verpflichtet üft.
Sie jollte über den Bortheilen, die fie hier jo reichlich eingeerntet hat,
billig des Neides vergeffen, welchen in den alten Patrioten die Unterneh:
mungen der Ptemyſliden erwecten. Mit jener Untericheidung iſt aud) die
Thatſache erklärt, daß die Stadtcolonien wiederholt ihren nationalen
Charakter wechjelten, während die Spracdhgrenzen der Dorfcolonien im
Allgemeinen ſich viel fejter zeigten.
Die Ereignifje des 15. und 16. Jahrh. haben die alte Zuſammen—
gehörigfeit des Braunauer Ländchens mit Glatz aufs neue hevvortreten
lajjen. In den Acten der „Glatzer Lehenstafel”, deren Herausgabe im „Archiv
Gesky* eben vorbereitet wird, erwarten wir nähere Aufichlüjje darüber,
und gedenken jeiner Zeit dem Leſer das Wichtigjte daraus mitzutheilen.
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TITTEN at
—. 359. —
RER der dentfhen Spradinfel von
Neuhaus und Neubiſtrih.
Von Dr. Theodor Tupehh.
Schluß.)
Der deutſche Orden und die kirchlichen Verhältuiſſe in und um Reuhans
überhaupt.
Es iſt bereits erzählt worden, wie der deutſche Orden unter Alrich T:
in Neuhaus einzog und daſelbſt die Seeljorge übernahm. Auch der erjte
mit Namen befannte Comthur von Nenhaus, Chunrad, wurde bereits er-
wähnt; er erjcheint als Zeuge auf einer Urkunde vom Jahre 1270, in
welcher Ludwig, Provinzial des deutſchen Ordens für Böhmen und Mähren,
den Rechten des Ordens auf Frauenthal zu Gunſten des dort zu grüindenden
DBenedictinerflofters entjagte und dafiir durch. einige Bejigungen. in der
Pfarrei Deutjchhrod entjchädigt wurde.
Die Einfünfte des Ordens in Neuhaus wurden von Ulrich IL. im
Jahre 1292 durch die Stiftung einer. Kapelle vernehrt, welche dem hei:
figen Donyſius Martyr gewidmet und mit verjchiedenen Grundſtücken
und Zinsabgaben ausgejtattet war. Heinrich von Pier, damals Provinzial
des deutſchen Ordens in Böhmen und Mähren, verjprad) dafür, daß die
Brüder des deutjchen Haujes, die fih in der Pfarrei zu Neuhaus oder im
Ordenshauſe dajelbit aufhalten würden, in jeder Woche an zwei Tagen,
nämlih Montag und Freitag, in der Kapelle Gottesdienſt halten wollten.
Der erjte Verwalter der Kapelle und der erjte Nugnießer der damit. ver-
bundenen Stiftungen war Ulrich von Neuhaus Kaplan und Notar Theo-
dorich, der ſeinem Namen nach zu ſchließen wohl ebenfalls von deutſcher
Abkunft war. Erſt nach Theodorichs Tode fiel die Kapelle wirklich dem
deutſchen Orden zu.!)
Daß Ulrich II. in dem Teſtamente vom 25. Juli 1294, durch welches
er den König zum Erben einſetzte, auch des deutſchen Ordens gedachte,
indem er ihm das Patronat über alle Kirchen in Böhmen und Mähren
verleihen wollte, in welchen er ſelbſt das Patronat hatte, iſt bereits erwähnt
worden. Wir finden indeſſen, da jenes Teſtament nicht zur Ausführung
gelangte, nur bei der Pfarrei in NRiegerjchlag und einmal bei der von
Blauenjchlag, daß der deutjche Orden dafelbjt ein Bejegungsrecht hatte,
9» Emler, Rega. IT. 69%.
25*
— —— — — EN TEE 3 Tg
— 9 —
Unter der Regierung Johanns von Luxenburg war der deutſche Orden
in Geldbebrängniß, was aus einer Urkunde diefes Königs vom Jahre 1337
hervorgeht, in welcher dem Orden für 3 Jahre die Freiheit von allen
Steuern und Abgaben (mit Ausnahme der allgemeinen Berna) bewilligt
wird, damit er die große Schuldenlaft, die den Drden damals dridte, ab-
zahlen könne. Dagegen haben wir gerade aus diefer Zeit ein Zeugniß dafiir,
welch hohes Anjehen die Comthurei Neuhaus innerhalb des deutjchen Ordens
genoß; denn als Theodorih von Aldenburg, Meijter des deutjchen Ordens,
am 30. November 1338 zwei Inquiſitoren für Böhmen und Mähren
einfegte, nquifitoren, die mit jehr weitgehenden Vollmachten ausgejtattet
waren, da war der eine berjelben Herrmann, Comthur und Pfarrer von
Neuhaus.”)
Einer der Nachfolger diefes Herrmann Hatte den tichechifchen Namen
Wyſſemir, war alfo wahrjcheinli von Abkunft ein Slave, wie der zum
Jahre 1297 genannte Bruder Zdislaus. Wyſſemir verzichtete auf feinen
Boften im Jahre 1357, um Pfarrer in Rypina zu werden (in der Nähe
bes tichechifchen Dorfes Radaun), wo er aber auch nur bis 1359 blieb.
Später fcheint er Pfarrer bei St. Benedict in Prag geworden zu fein;
wenigftens taucht im Jahre 1364 als folder ein Rudolf Wyſſemir auf,
der ebenfalls dem deutjchen Orden angehört haben muß, da er im Namen
des Provinzials diefes Ordens einen Vorſchlag betreffs Bejegung der
Neuhaufer Pfarrei macht.
Wyſſemirs Nachfolger in Neuhaus wurde ein gewiſſer Nicolaus,
Bruder des deutjchen Ordens, eingefegt durch den damaligen Provinzial
Nudolf von Habsburg; derfelbe ftarb aber bereit? 1360. Die Neihe der
Pfarrer von Neuhaus, welche ſämmtlich dem deutſchen Orden angehörten,
fo weit fie ſich ermitteln läßt, ift folgende: Friedrich oder Friczko
(1360—64), Konrad (1364), Jakob (1364— 70), Jenczo, ernannt von
dem Provinzial Ludko (1370—?), Nicolaus (—1375), Nicolaus, ernannt
von dem Provinzial Albert von Duba (1375—79), Nicolaus, ernannt von
dem Provinzial Lupus von Ezullenhart (1379—1387), Wenzel (—1394;
wurde in diejem Jahre Pfarrer in Zroppau), Leonard, ernannt vom
Provinzial Albert von Duba (1394—?), Nicolaus, ernannt von demfelben,
(1397—1405), Michael, ernannt von dem Provinzial Ulrich von Aust
(1405—?), Ulrich (—1409), Nicolaus (1409—?).?) Auffallend ift der
1) Emler, IV. 241.
2) Teigl, confirmationes I. 36, 43, 50, 125, II. 29, III. 39, ur, V. 203, 283,
VI. 154, 273.
— 31 —
häufige Berfonenwechfel und die kurze Dauer der. Berwaltung des Pfarr
amtes bei jedem einzelnen Pfarrer. Ausgefprochen tfchechifche Namen finden
fih, wie man fieht, in diefem Verzeichniffe beinahe gar nicht, allerdings
auch nur 4 ausgefprochene deutfche, jo daß die Nationalität der meiften
Pfarrer, joweit fie fich überhaupt aus dem Namen erfchließen läßt, ——
haft bleibt.
Auch von einzelnen Altären der Neuhauſer Pfarrkirche, den damit
verknüpften Stiftungen und ihren Inhaberu, den ſogenannten Altariſten
haben wir Kunde. So wurde der Altar der hl. Apoſtel Petrus und Paulus
im Jahre 1383 (am 15. Juni) von Herrmann von Neuhaus, Oheim
Heinrich III. des älteren, und von dem Bruder des letzteren, Heinrich dem
jüngeren, mit einem Einfommen von 10 Sch. Prager Groſchen aus den Dörfern
Dammerjchlag und Suchenthal (beide gegenwärtig und nad) den Namen
der zinspflichtigen Bauern zu urtheilen, wohl auch ſchon damals tichechifch)
ausgejtattet. Außerden wurde dem Altarijten ein Haus in Neuhaus un-
mittelbar neben dem Haufe der Deutjchherren, welches früher einem gewiffen
Konrad, Kämmerer der Frau Clara von Neuhaus, gehört hatte, laſtenfrei
eingeräumt. Inhaber diefer Altarpfründe waren die Priefter: Gregor
(+ 1387), Johanu von Hwozd (1387—90), Yohann von Wilczetin (1390—?),
Johann Zajsmuf (—1409), Peter von Datſchitz (1409—?), aljo vorwiegend
oder ausſchließlich Tichechen.')
Am 22. Mai 1384 ſchenkte Heinrich der jüngere 10 Schod Prager
Groſchen Zins in feinem Dorfe Malovidi (?) fir den Altar des Leibes
Chriſti und der Empfängnig Marid. Der erfte Altarijt hatte den deutjchen
Namen Gebhard.?)
Einen dritten Altar, den der hl. Maria und — 4 hl. Doctoren be⸗
ſchenkte Herrmann von Neuhaus im Jahre 1397 mit einem Zinsertrage
von etwas über 8'/, Schod Groſchen aus feinem Dorfe Piſtin (tſchechiſches
Dorf bei Platz), bei welcher Gelegenheit auch die früheren Wohlthäter des
Altars, ein gewifjer Konrad und jeine Fran Katharina, ferner ein gewiſſer
Swacho und feine Frau Anna, endlich ein gewifjer Johann Puklin genannt
werden. Der erjte Inhaber der Stiftung war der Priefter Jakob, Sohn
des Friedrich aus Neuhaus; 1409 befam ihn Peter von Datjchig.?)
Außerdem werden genannt: der Altar der HI. Elifabeth, welchen bis
1403 der Priefter Beter, nad) deſſen Tode Johann von Porzeczan inne
1) Borowy, libri ereet. II. 204; libri confirm. III. 193, V. 3
2) Ebeuda 211.
3) Borowy a. a. O, IV. 466; confirm. V. 285, VI. 262,
= 8
hatte; der Altar der hl. Dorothea, welchen im Jahre 1404 Wenzel von
Zlabiugs erhielt; der Altar der Heimfuhung Mariä, bei welchem im
Jahre 1405 Johann aus Neuhaus Altarift wurde; der der hl. Barbara,
Altarift jeit 1409 Johann Zaßmuk; endlich der Altar aller Heiligen, von
dem Bürger Hans Knauer in feinem ZTeftamente errichtet und mit einem
Einfommen von 12 Schod jährlich) ausgejtattet.")
Bom deutjchen Orden wurde, wie bereits bemerkt, auch die Pfarrei
in Riegerfchlag, damals Nudgerfchlag oder Augerfchlag genannt, bejegt.
Außer dem Pfarrer Heriman, welcher bereit8 oben zum Jahre 1297 als
Zeuge genannt wurde, hatten diefe Pfarrei inne: Peter (f 1359), Wenzel
von Neuhaus, eingefegt von dem Provinzial Rudolf von Hohenburg..
(1359— 1389), Peter von Neuhaus, eingefegt von dem Neuhaujer Comthur
Nicolaus (1389—?).?)
Die übrigen Pfarreien bejegten die Herren von Neuhaus jelbft und
zwar finden wir an der Michaelsficche in Baumgarten die Pfarrer:
Heinrich (F 1359), Andreas von Lomnitz (1359—?), Johann (—1406?),
Johann, früher Pfarrer in Slatnitz bei Brüx (1406—?); in Blauen:
ihlag: Johann (—1394; wurde in diefem Fahre Pfarrer in Ktyß
bei Goldenfron), Nicolaus vorher Pfarrer in Ktyß (1394—1401),
Johlin, früher Pfarrer in Swoyſchitz nördlih von Tabor (1401—5),
Thomas aus Neuhaus (1405—?); an der Aegidifiche n Schamers:
Salomon (F 1359), Albert von Datſchitz (1359— 60), Andreas von
Datfchig (1360—69), Peter von Jegerdorf (1369—1406), Wenzel, Sohn
des Mauritius (1406—?).”)
Die Pfarrer in den tjchechiichen Törfern, welche den Herren von
Neuhaus unterftanden, aufzuzählen, wäre überflüjjig, dagegen mögen hier
noch einige PBriejter angeführt werden, welche aus Neuhaus ftanımten, aber
in anderen Gegenden Böhmens und felbit in anderen Ländern wirkten;
es jind dies: Jakob von Neuhaus, welcher unehelich geboren war, aber
durch den Erzbifchof Ernſt von Pardubig von diefem Makel abjolvirt
wurde; Magifter Theodorih, Sohn des Diwish von Neuhaus, Domberr
in Olmütz (F 1351); Nicolaus, Sohn des Heinrich von Neuhaus, Pfarrer
in Serowis (1359); Meinhard Herrgotthilf von Neuhaus, Bruder des
Herrn Heinrich von Neuhaus, Pfarrer in Ruspach (1363); Peter, Sohn
des Nicolaus, genannt Hettel (Hekfel?\ von Neuhaus Altarift in der
1) Confirm. VI. 86, 188, 147, 262.
2) Confirm. I. 104, V. 310.
3) Confirm. I. 83, 98, 125, II. 17, V. 197, VI. 44, 161, 180, 189.
— 13 —
Michaelskirche in Opatowitz auf der Neuſtadt Prags (1369); Martin,
Sohn des Veit aus Neuhaus, Pfarrer in Habelſchwerd (1399); Markus,
Sohn Ulrichs, Prieſter in Prag (1404); Magiſter Thomas, Pfarrer in
Libitz (1405); Martin, Pfarrer in Novoſedl (1409); Martin, Pfarrer in
Goſſengrün (1409).*)
Da es ſich um Namen von Prieſtern handelt, herrſchen in allen
dieſen Verzeichniſſen die Namen bibliſchen und lateiniſchen Urſprungs vor;
bezeichnend iſt aber doch, daß ſich neben dieſen viel häufiger deutſche als
tſchechiſche Namen finden. Auch auf die Beziehungen zu dem deutſchen
Süden Böhmens, zu deutſchen Gebieten in Mähren und Schleſien, welche
ſich aus den Schickſalen der angeführten Prieſter ergeben, kann hinge—
wieſen werden.
Die Herren von Landſtein.
Im Oſten der Sprachinſel in der Nähe der mähriſchen Grenze liegt
das Dörfchen Landſtein und bei demſelben erblickt man noch heute die
Ruinen der gleichnamigen Burg, welche einem mächtigen Zweige der
Witigonen, den Herren von Laudſtein, gehörte. Auch die Herren von
Landjtein führten, wie die jtammverwandten Herren von Neuhaus, eine
Roje im Wappen, aber eine weile.
Leider iſt es nicht ganz ficher, von welcher Burg das Gejchlecht
jeinen Namen hatte; denn außer der Burg Landjtein, welche oben erwähnt
wurde, gab es noch eine zweite Burg dieſes Namens bei Ledenig öſtlich
von Budweis; doch dürfte Pangerl Recht haben, wenn er vermuthet, daß
legtere Burg urjprünglich Ledenitz hieß und erſt jpäter, weil fie den Herren
von Landſtein gehörte und von ihnen mit Vorliebe bewohnt wurde, in
„Burg Landjtein“ umgetauft wurde. Aus diejer frübzeitigen Berlegung
des Wohnfiges dürfte ſich übrigens erklären, daß, wie aus der folgenden
Darjtellung erjichtlich werden wird, die Herren von Lamdftein auf die
Gejchichte unſerer Sprachinſel nicht entfernt denjelben Einfluß ausübten,
wie ihre Nachbarn, die Herren von Neuhaus.
As Stammvater der Herren von Landjtein ijt wahrjcheinlich Witigo
von Klofot zu betrachten (Klolot ift eine Burg bei Tabor), ein Bruder
Heinrich 1. von Neuhaus, der von 1220 bis ungefähr 1265 gelebt hat.
Auch von jeinen Söhnen: Witigo, Pilgrim und Hojer führte noch feiner
1) Cancellaria Arnesti (Tadra) 381, 364; Boczel: Brandl VII. 340, IX. 332,
Confirm. I. 88, II. 9, VI. 9, 121, 139, 257, 267; Tomek, zäklady ın. Prahy
IM. 148; Borowy 1. 72, 107, 113.
— 364 —
den Namen von der Burg Landſtein, welche überhaupt erſt 1282 erwähnt
wird; dagegen findet ſich der Name: Herr von Landſtein bei einem Sohne
Pilgrim's, Sezima (1261—93) und einem Sohne Hojers, Witigo (1300 ff).
Sezima erwarb die Burg Landſtein von einem gewiſſen Ulrich von Land—
ftein, dem vermuthlichen Erbauer der Burg, welcher aber dem Gejchlechte
der Witigonen nicht angehört haben kann, da er feine Rofe, fondern ein
„verlängertes Quadrat” im Wappen hutte, |
Sezima von Landftein, der auc von Wittingau oder Stra} genannt
wurde, erjcheint zum erjtenmal 1261 als Zeuge in einer Urkunde, welche feine
Mutter Agnes zu Gunften des Klofters Hohenfurth ausftellte, dann wieder
1265, 1282, 1283, 1293. Der wachjende Einfluß des Zawiſch von Fal—
fenjtein fam ohne Zweifel, wie allen Witigonen, auc ihm zugute, wie der
Sturz desjelben jedenfalls auch ihn in Mitleidenschaft gezogen haben
dürfte. Im Fahre 1387 jchloß er mit dein Richter Vero und der Bür—
gerjchaft zu Kamberg (in der Nähe von Naleradec, Bezirk Wlaſchim, alfo
weit von unferer Sprachinjel entlegen) einen Vertrag wegen Ueberlaffung
der Nußnießung des Gutes Kamberg an die Bürgerfchaft auf 3 Jahre.)
Der Erbe Sezima’s war wahrſcheinlich Witigo von Landſtein, Sohn
Hojers, welcher bereitS oben genannt wurde. Derjelbe erjcheint 1302 als
Zeuge bei einem Berfaufe feines Bruders Smil von Graßen an das
Klojter Hohenfurth. Nach einer Urkunde aus den Fahre 1307 feheint er
auch eine Zeit lang das Amt eines Burggrafen in Znaim innegehabt zu
haben. Als Friedrich der Schöne und Heinrich von Kärnten im %. 1308
Frieden jchloffen, war Witigo von Landitein einer der Zeugen. An den
Kämpfen, welche unter der jtürmifchen Regierung Heinrichs von Kärnten
zwijchen dem Adel und den Städten ausgefochten wurden, nahm Witigo
an der Seite Heinrichs von Lipa lebhaften Antheil. Er bemädhtigte id)
im Jahre 1309 der Prager Burg und drang im folgenden Jahre, als
auf dem Bohotelee gefänpft wurde, jo ungeftüm vor, daß er beinahe in
die Hände der Feinde gefallen wäre und nur durch die Aufopferung eines
bejonders tapferen Ritters gerettet wurde. Im Jahre 1311 erjcheint
Witigo als Befier eines Dorfes bei Goldenkron, hatte alfo wahrſcheinlich
auch fonjt Befigungen im fiidweitlichen Böhmen. Zum legten Mal wird
er 1312 in zwei Urkunden des Königs ‚Johann genannt, von denen die
eine eine Schuld des Königs felbjt an Heinrich von Lipa, die andere eine
Verleihung an das Klofter Sedlitz betrifft.”)
1) Bangerl, Witigonen; Erben: Emler, Regg. U.
2) Emler, Regg. II. 832, III. 4, 45; Boczet VI. 9, 379; Palady, Geſch. Böhm.
IIb. 65 ff. Pangerl, Goldenfron.
— 365 —
Witigo's Sohn und: Erbe war der berühmte Wilhelm von Landftein.
Er nahm ſchon 1315 an dem Aufjtande gegen König Johann theil, welcher
die Befreiung Heinrihs von Lipa aus der Gefangenschaft zum Zwecke
hatte. Heinrich wurde auch freigelaffen (1316), mußte aber doch 7 Geißeln
ftellen und 3 mährishe Burgen als Pfand geben, nämlich: Landftein,
Krumnov und Vren. Unter den Tegtgenannten beiden Burgen find jeden-
falls Mährifch-Kruman (Kroman) und Frain an der Thaya zu verftehen,
der Name Landftein aber kann jich immerhin auf die Burg Landftein im
Bezirke Neubiftrig beziehen, da e8 nahe genug an der mähriſchen Grenze
liegt, aljo vielleicht damals zu Mähren gerechnet wurde und Wilhelm von
Landjtein in der Urkunde als einer der bedeutendften Anhänger Heinrichs
von Lipa genannt wird.")
Bald darauf verfühnte ſich Wilhelm von Landftein auch mit Peter
von Rofenberg, der, obwohl ebenfalls ein Witigone, bis dahin auf Seite
König Johanns gejtanden hatte; da aber der König ſich dafiir, wie Peter
glaubte, nicht hinreichend dankbar zeigte, insbefondere ein Verſuch Peters,
die Beguadigung Wilhelms von Landftein zu erlangen, vergeblid blieb,
fo wendete fich der Rojenberger nun vom Könige ab und den Gegnern
desjelben zu. Der König vermochte denn auch die Burgen Wilhelms von
Landftein, die er belagerte, nicht einzunehmen, feine Güter aber verwüſtete
er und fo dürfte auch das Gebiet von Landftein und Neubiftrig ebenjo-
wenig verjchont geblieben fein, wie Frauenberg, Graben und Wittingau,
welche ebenfalls zu den Befigungen Wilhelms von Landftein gehörten.
Die Feindichaft Wilhelms gegen den König ging in Folge deſſen foweit,
daß er fi) im Jahre 1317 mit Friedrich) dem Schönen von Dejterreich
verbündete und diefem verſprach, mit feinen Bundesgenofjen (unter denen
auch Ulrich III. von Neuhaus war) den König Johann vom Throne zu
jtürzen, wenn diejer eine gewilfe Schuldforderung nicht bezahle, und einen
anderen König zu wählen. Doch fam ſchon 1318 auf dem Landtage zu
Zaus durch perfönliche Einwirkung Ludwigs des Baiern eine Ausjöhnung
mit König Johann zuftande.?)
Die Kegereien, von denen im Jahre 1340 bezüglich der Neuhaufer
Güter die Rede ift, ſcheinen fich auch auf den benachbarten Gütern Wil-
helms von Landſtein gezeigt zu haben, denn ſchon im Jahre 1318 erließ
Papit Johann XXI. eine Aufforderung, den Kegereien entgegenzutreten
1) Palacky, Geſch. B. Ib. 117, Emler, II. 111, 122; Boczet-Brand! VII. 804.
2) Emler, Regg. I. 125, 163; Boczek VI. 71, 114; Klimeſch, die Michelsberger
in den Mitth. 22, 3; Palady, Ib. 121, 127.
— 266
und unter den Adeligen, an welche dieſelbe gerichtet war, befünd ſich auch
Wilhelm von Randjtein.')
Im Jahre 1319 begleitete Wilhelm von Landftein den König anf
jeinem Feldzuge nad) Baugen und war unter den Zeugen jenes Vertrages, :
durch welchen Johann die Niederlaufig, Bautzen, Lebus und Frankfurt
an der Oder erwarb. Von da am gelangte Wilhelm zu immer größerem
Anjehen beim Könige und befand fich faft unausgejegt in defjen Begleitung.
Er erjcheint unter andern als Zeuge des Friedens, welchen Sohann int
%. 1332 mit Ludwig dem Baier und den Öjterreichijchen Herzogen jchloß und
im folgenden Jahre als Bürge bei einem Vertrage des böhmischen Thron-
folgers Karl, des jpäteren Karl IV., mit Heinrich von Kärnten. In ganz
bejonders gnädigen Ausdrücden ijt eine Urkunde abgefaßt, welche König
Kohann dem Wilhelm von Landftein und feinem Verwandten, Peter von
Roſenberg, im Jahre 1336 ausitellte; ev bezeichnete jie darin als feine
erjten und vornehmſten Diener, verſprach, jie für alle Kränfungen, die fie
jeinetwegen erfahren wirden, jchadlos zu halten u. j. w. Im Zuſam—
menhange mit diejen föniglichen Gunjtbezeugungen jteht wohl aud, daß
nad; einer Urkunde König Johanns vom Jahre 1341 Wilhelm jeine
Güter und zwar insbefondere auch jeine Burg Landftein und die Stadt
Biftrig (civitas Wistriez) vom Könige zu Lehen nahm.“) Mehrere Jahre
bekleidete Wilhelm das einträgliche und einflußreiche Amt eines Landes—
unterfännmerers, 1345 war er bereitS Yandeshauptmann von Mähren,
welchen Bojten ev auch im den erſten Negierungsjahren Karl IV. nod)
inne hatte, 1351 wurde er Oberjtburggraf. Als ſolcher gerieth er noch
im jelben Jahre in jene Fehde mit jeinem Verwandten Heinrich II. von
Neuhaus, welche wir bereits erzählt haben. In der Gunft Karl IV. hat
er jich dadurch jedenfalls nur befejtigt. 1356 bejegte er noch eine Pfarre.
Bald darauf muß er gejtorben fein, denn noch in demjelben “fahre wird
eine Verfaufsurfunde über den vierten Theil der Veſte Dürrenjtein, welche
durch Erbſchaft von den Khuenringen an die Herren von Landſtein ge-
fommen war, bloß von jeinen Söhnen vollzogen?)
Die zwei ältejten Söhne waren geijtliche Würdenträger: Johann als
Propſt von Melnit, Wilhelm als Propft von Wyſchehrad und (Titular-)
Kanzler von Böhmen; ihnen ftanden an Alter zunächit die Brüder: Hojer,
1) Boczek-Brandl, VI. 105.
2) Seblätef, Hrady IV. 104.
3) Balady, Ib. 185, 172 195; Boczek-Brandl VI. 336, 393, 397, VII. 65, 809,
819, 872, 895, 909 u. a. v. a. O.; Emler, III. 324, 544. Archiv &esky II. 339.
— 367 —
welcher fchon bei Lebzeiten feines Waters (1342) zum Domherrn von
Dlmüg ernannt wurde, aber jpäter auf diefen Poſten verzichtet haben
mag, da er feit dem Tode feines Vaters nicht mehr als Domherr bezeichnet
wird, und Leuthold, der den Vornamen von feinem Großvater mütter—
licherjeits, Leuthold von Khuenring, geerbt Hatte. Die beiden jüngjten
Söhne, welche beim Tode des Vaters noch minderjährig waren, hießen
Witigo und Peter, der legtere trog feines jugendlichen Alters bereits zum
Mönchsſtande bejtimmt.")
Unter diefe Söhne wurden die Güter, welche Wilhelm von Landftein
beſeſſen hatte, getheilt; von den Gütern, welche für uns am meiften in
Betracht fommen, Landjtein und Neubiftrig, war das erjtere im Beſitze
Leutholds, das legtere im Beſitze Hojers.
Bon den Brüdern überlebte Wilhelm feinen gleichnamigen Vater
nur um wenige Jahre; er ftarb 1361. Auch Hojer, der feit 1364 nicht
mehr erwähnt wird und Peter, deſſen überhaupt nur ein einziges Mal
gedacht wird, dürften nicht alt geworden jein. Dagegen erreichte Johann
nachweisbar ein hohes Alter, ev ftarb erjt 1389 und auch Witigo wird
noch 1379 und 1380 und zwar als Oberjtlandfämmerer genannt. Zeuthold
dürfte um 1382 geftorben fein, da am 15. März 1382 zum erjten Mal
als Bormund feines damals noch minderjährigen SohnesWilhelm Heinrich
von Duba auftritt.
Für die Gefchichte unjerer Spradhinfel haben jedoch die weiteren
Gejchide diefer Herren jtreng genommen feine Bedeutung mehr, da Land»
jtein und Neubijirig im Jahre 1370 an ein anderes Gejchlecht Fam, an
die Herren von Kraig. In diefen Jahre fchlojfen nämlich Witigo und
Leuthold mit Konrad von Kraig einen Zaufchvertrag derart, daß jie ihm
ihre Burg Landftein und die Stadt Neubiftrig abtraten und von ihm
Burg und Herrjchaft Lipnig empfingen. In Folge deſſen führte Wilhelm,
der oben genannte Sohn Leutholds, welcher trog feines findlichen Alters
wie fein Oheim gleichen Namens Propjt von Wyſchehrad war, aber 1390
diefe Würde niederlegte, um fich verheivaten zu können den Zitel: Wilhelm,
Herr auf Lipnig.?)
1) Ueber die Söhne Wilhelms: Boczek Brandl VII. 329. Tab. terrae Morav.
Cuda Brun. Ill. 393, IV. 59, 131, 498. Cuda Olom. I. Bangerl, Urfunden«
buch v. Goldenkron S. 160 und 362, Klimeih, Michelsberge, Borowy, libri
erect. I. 4. Tingl, confirm. I. 105, 110, 84, 38, 65, 89. Il. 12, 21. III. 97,
113, 126, 131. Balady, Geſch. B. IIb. 370.
2) Nach Sedläcek, Hrady IV. 104 erfolgte der Befigwechjel derart, daß Neubiftrig
und Landftein zunächſt „auf unbekannte Weife” in den Beſitz des Königs
— 368 —
Die Herren von Rraig.
Die — von Kraig, auch die „Kraiger“, ſpäter gewöhnlich Kraiger
von Kraig genannt, haben ihren Namen von ihrem Stammſchloſſe Kraig
in der Nähe des gleichnamigen Dorfes und nicht weit von St. Veit, der
alten Hauptſtadt des Herzogthums Kärnten. Sie gehörten zu den vornehmſten
Geſchlechtern dieſes Landes, ja ſie nahmen in den letzten zwei Jahrhun—
derten des Mittelalters geradezu den erſten Rang daſelbſt ein, wie vor
ihnen die Auffenſteine und nach ihnen die Khevenhüller. Die Würde eines
Truchſeß von Kärnten war in ihrer Familie erblich und wiederholt hatten
fie das höchfte Amt, das des Landeshauptmanns, mit dem die oberfte
richterliche und militärifche Gewalt vereinigt war, inne.
Die älteften Herren von Kraig,") welche wir fennen, find: Sigehart
(1151—5), Amizo (1155), Arnold (1165), Gerold (1185), Pabo (1192),
Hartwig (1236) Heinrich (1239).
In Beziehungen zwar noch nicht zu Böhmen, aber doch zu den
böhmischen Herrfchern traten die Kraiger zuerft 1270, al3 Dtofar II. von
Böhmen den Bejig des Herzogthums Kärnten an fich gebracht hatte; unter
den Wbeligen, die ihn damals anerkannten, erjcheint auch Wilhelm von
Kraig, Truchfeß von Kärnten (genannt auch ſchon vorher 1266 und zum
legtenmal 1291).?)
Dieſe Beziehungen löften fic freilich) wieder, als Kärnten in Folge
der Niederlagen Otofars II. von Böhmen getrennt wurde und Meinhard,
Graf von Tirol, die Herrſchaft von Kärnten antrat. Aber ſchon unter
Meinhards Sohn Heinrich wurden Kärnten und Böhmen wieder vereinigt,
diesmal in der Art, daß der Herzog von Kärnten den böhmifchen Thron
.——
famen und dann von König Wenzel 1381 im Austaufche für Lomnig an
Konrad von Kraig überlaffen wurden. Obige Angaben find ans Rull. Da
ich die Urkunden, auf welche ſich Sedlätek und Rull berufen, nicht nachprüfen
konnte, fo muß ich dahingeftellt laffen, wer Net hat. Nach Sedlätkek mußte
fi Konrad von Kraig bei der Befignahme der Burg Landftein zugleich ver-
pflichten, diefelbe dem König jederzeit offen zu halten und wenn er Landftein
und Nenbiftris verkaufen wollte, e3 zuerft dem Könige zum Kaufe anzubieten,
1) Merkwürdig ift die Mannigfaltigkeit der Namensformen für Kraig, in den
älteften Zeiten: Criuvic, Chrivic, Crivich, Chrivich, Chrich, fpäter: Creich,
Creikh, Chreig, Chreyk, Chrech, Chraykh, Kreig, Khreig, Kreilk, Kraikh, Krayg,
Krajek, Kragk u. ſ. w. Im Texte wird die Form Kraig gebraucht, welchen
Namen das betreffende Dorf bei St. Veit noch heute trägt. Zahn, Urkunden»
buch v. Steiermark I. 327, 350, 858, 461, 640. 1I. 20, 450, 490. Zahn, cod.
dipiom. Friſing. 258, 278, 284, 285, 310, 311, 402, 439.
2) Ankershofen, Geſch. v. Kärnthen. IV. 8, 13, 65.
— 369 —
beſtieg. Im Gefolge Heinrichs betrat zum erſten Mal ein Herr von Kraig
den böhmiſchen Boden und zwar im Jahre 1306, als Heinrich nach Prag
reiſte, um ſeine Vermählung mit der przemiſlidiſchen Prinzeſſin Anna zu
feiern. Er hieß Pabo, Truchſeß von Kraig und wird in Kärnten ſchon
früher, nämlich 1283, 1289, 1297 und 1303 erwähnt, die beiden erſten
Male zugleich mit feinem Bruder Ortolf. Andere Kraiger, welche um die-
felbe Zeit Iebten, waren: Friedrich, Truchjeß von Kraig (1270, 1295) und
Konrad, der legtere vielleicht ebenfalls ein Bruder des eben genannten Pabo.!)
Bon welchem diefer Herren jener Konrad von Kraig abjtammte, der,
wie bereit8 erwähnt wurde, fi) gegen Ende des 14. Yahrh. in Böhmen u. zw.
auf dem Gebiete unferer Spracdhinfel niederließg — er mag deshalb Konrad I.
beißen — ift unbekannt. Nur das wifjen wir, daß er auch in feiner Färnt«
nischen Heimat in Folge feiner vornehmen Geburt, feiner ausgebreiteten
Befigungen und feiner Friegerifchen Tüchtigfeit in hohem Anfehen ftand.
Ein Bruder Konrad dürfte jedoch in jenem Hartnid von Kraig zu erkennen
fein, welcher im Jahre 1360 Rudolf dem Stifter zu Graz die Huldigung
leiſtete. Konrad felbft wird zum erjten Mal 1354 erwähnt, in welchem
Jahre er mit 50 Gemwappneten gegen die Stadt Zürich in der Schweiz zu
Felde zog; er that dies als Dienftmann Herzogs Albrecht des Weifen von
Dejterreihh und wurde dafür im folgenden Fahre durch die Verpfändung
der Feſte Grafenftein in Kärnten und der Gilt von Klagenfurt belohnt.
Daß Konrad Karl IV. auf feinem Römerzuge 1355 geleitete, gejchah wohl
ebenfalls im Auftrage Albrechts des Weifen. Das Amt eines Truchjeß und
Kämmerers hatte Konrad jedenfalls jchon damals inne; beftätigt wurde es
ihm im Jahre 1358, als nach Albrechts Tode Rudolph der Stifter die
Regierung antrat. Im Jahre 1365 erhielt Konrad die noch bedeutungs-
volfere Würde eines Landeshauptmanns von Kärnten. Bor dem Kraiger
hatten diejes Amt die Auffenfteine innegehabt und der Verluſt desjelben er-
bitterte diefes mächtige Gejchlecht fo, daß es fich aus diefem Grunde gegen
den Zandesheren, freilich vergeblich, empörte. Zwei Jahre jpäter (1367)
wurde Konrad auch Landeshauptmann von Krain und befaß jomit Macht:
befugniffe, die ihn weit über jeine bisherigen Standesgenofjen erhoben. Dic
Bereinigung zweier Aemter von fo hervorragender Bedeutung in einer
Perſon fcheint aber folhe Mißgunft hervorgerufen zu haben, daß Konrad
bereits 1369 das eine Amt, das des Landeshauptmanns in Kärnten, an
den Grafen Meinhard von Görz abtreten mußte.
1) Ankershofen IV. 406, 477, 519, 653, 702, 835. Mudar, Geſch. von Steier:
marf VI. 249,
— 370 —
Zange kann indeß ſeine Ungnade, went er überhaupt ‚in eine
ſolche verfallen war, nicht gedauert haben, deun ſchon 1376 finden wir ihr
wieder in der unmittelbaren Umgebung der Herzoge Albrecht III. und
Leopold III. Auch leijtete er um diefe Zeit als Landeshauptmann von
Krain dem Herzoge Leopold III. wichtige Dienjte im Kriege gegen Venedig,
wie daraus hervorgeht, daß der Herzog ſich durch Verjchreibung eines
Betrages von 1960 Gulden und durch Belehrung mit der Fefte Lueg ihm
dankbar erwies. Eine noch glänzendere Belohnung bejtand darin, daß Konrad
zum zweiten Mal Landeshauptmann auch von Kärnten wurde. Da Konrad
von Kraig aud) Güter in Defterreich hatte und für diejelben Lehensmann
Herzog Albrecht III. war — er war jomit drei Herrjchern gleichzeitig unter:
than, dem Herzog LXeopold, dein Herzog Albrecht und dem König von
Böhmen — jo begleitete er diefen Herzog 1377 auf feinem Kriegszuge
nah Preußen und erhielt in Folge der von ihm bewiefenen Tapferfeit bei
dem Feitmahle, welches der deutjche Orden zu Königsberg den Kreuzfahrern
bereitete, den erjten Pla an dem Chrentifche, eine Auszeichnung, welche
gewiß das Anjehen Konrads nicht wenig erhöhte. Da er überdies mit den
mächtigjten Familien der öfterreichifchen Länder, mit den Khuenringen,
Schauenbergen, Schärfenbergen, denen von Ungnad, von Rohr, von Ehren-
feld verwandt war, jo mag er wohl auch feinen Landesherrn gegenüber
jelbjtbewußter aufgetreten und in vielen Dingen eigenmächtiger vorgegangen
jein, als es einem Unterthanen ziemte. Die Streitigkeiten, in weldje er
durch jein hochfahrendes Weſen mit dem Bijchofe Pilgerim von Paſſau
gerieth, wurden noch durch einen Schiedsjprud der Herzoge Albrecht und
Leopold im Jahre 1377 beigelegt; als aber Konrad neue Uebergriffe jich
erlaubte, verlor er 1381 die Hauptmannjchaft in Kärnten und 1384 aud)
die von Krain.)
In Böhmen jcheint aber gerade. in diefer Zeit Konrads Anjehen
bejonders groß geweſen zu fein; wir finden ihn wenigjtens 1381 zu-
jammen mit jeinem, Sohne Leopold unter den Geſandten, welche Künig
Wenzel nad) England ſchickte, um wegen der VBermählung des ‚Königs
Nihard von England mit der böhmischen Prinzeſſin Anna zu unter
handeln.?) Auch eine Erweiterung der Beligungen Konrad in Böhmen
fällt in dieje Zeit; wenigftens erfcheint ev 1381 zum eviten Mal als
Befiger eines Haufes in der Kleinfeite Prags, welches er von Nicolaus
1) Herrmann, Hdb. der Geſch. Kärntens, I. 34, 40, 71, 81, 88, 89. Mucar IV.
379, VII. 8, 11, Diemitz, Geſch. von Krain I. 247, 235.
2) Seblätef, Hrady IV. 104.
— 3. —
von Landjtein auf Borotin - gefauft hatte und 1383 als Befiger eines
zweiten Haufes in der Prager Neuftadt unterhalb des Wyſchehrad. In
legterem Jahre rief ihn feine Pflicht als Landeshauptmann von Krain,
welhe Würde. er damals noch inne hatte, wieder in feine Heimat; er
zog nämlich damals mit 400 „böhmifchen” Lanzen, alfo Kriegern, welche
höchſt wahrfcheinlih aus unferer Spracdinjel und deren Nachbarjchaft
ftammten, dem Herzoge Leopold Ill. gegen Franz. von Cararra zu Hilfe,
um das damals dem. Herzoge. gehörige Städtchen ee von dev Be:
lagerung zu befreien.')
Im Jahre 1385 befand jih jedoch Konrad wieder in Prag; er
hatte dajelbjt das Ungliüd, von einem Hunde König Wenzels derart ge:
bifjen zu werden, daß er beinahe um's Leben gefommen wäre. Bielleicht
hängt mit diefem Ereigniffe eine fromme Stiftung zufammen, welche Nonrad
am 24. Auguſt 1387 machte; ev übergab nämlich an diefem Tage die
Kapelle St. Michael in Prag den Mönchen von Orden des hl. Franeiscus
Eöleftinus vom Oybin. In demjelben Jahre kaufte Konrad in en
das Dorf Siggras bei Datſchitz.?)
Unterdejjen war Konrad von Kraig zum dritten Male Hauptmann
von Kärnten geworden. In diefer Eigenjchaft war er im Jahre 1386 bei
Abjchliegung des Vertrages betheiligt, durch welchen Albrecht III. fiir die
Söhne jeines Bruders Leopold die Regierung übernahm, und im Jahre 1395
bet dem Bertrage, durch welchen der ältejte diefer Söhne, Wilhelm, jelbjt
zur Regierung gelangte. Auch joll er im letzteren Jahre einen gefährlichen
Aufſtand der Klagenfurter und des mit ihnen verbundenen Landmarjchalls
Friedrich von Auffenftein niedergeworfen haben.?)
Noch kurz vor jeinem Tode gerietd Konrad von Kraig in eine Fehde
mit jeinen Nachbarn in Böhmen, den Herren von Neuhaus. Der Grund
derjelben iſt völlig unbekannt; nur das wiſſen wir, daß auf Seite des
Kraigers auch andere üfterreichifche Adelige au dem Kampfe theilnahmen,
jo Georg von Walljee auf Drofendorf und Albert und Georg von Puch—
heim. Es hamdelte jich aljo wahrjcheinlih um renzitreitigfeiten, wie
fie an der böhmifch-üfterreichiichen Grenze jeit lange nicht ungewöhnlich
waren. Durch Vermittelung der Herzoge Wilhelm und Albrecht kam ein
Friede zuftande.*)
1) Tomef, zäklady III. 19, II. 147. Herrmann I. 86.
2) Herrmann, I. 576. Borowy, erection III. 271.
3) Herrmann I. 92, 300, 102. Muchar VII. 34, 45, 54. Diemitz I. 259.
4) Rull, Monogr. ınesta Jindr. Hradce 45.
—
— 372 — F
Konrad überlebte ihn jedenfalls nicht lange, ſein Tod erfolgte wahr⸗
ſcheinlich im Jahre 1400, in welchem Jahre er zum letzten Male als
Landeshauptmann von Kärnten genannt wird. Da er ein halbes Jahr⸗
bundert hindurch die öfterreichifchen Länder mit dem Rufe feines Namens
erfüllt hatte, jo muß er ein hohes Alter erreicht haben.
Wie viele Söhne Konrad I. hinterließ, vermögen wir nicht mit
Sicherheit anzugeben, Als der ältefte Sohn ift wahrjcheinlich Georg von
Kraig zu betrachten, der fchon bei Lebzeiten feines Vaters im Jahre 1384
genannt wird. Sein Vater verlobte ihn am 23. April dieſes Jahres mit
Clara, der Tochter feines Nachbarn, Heinrich IIL. von Neuhaus.) Da
die Ehe erft nach 8 Jahren vollzogen werben jollte, jo waren vermuthlich
Bräutigam und Braut im Jahre 1384 no in fehr jugendlihem Alter.
Die Mitgift der Braut, 750 Schod Grofchen, wurde auf Stadt und Burg
Neubiftrig fichergeftellt.) Die Vorliebe für deutjches Wejen, welche wir
beim Gejchlechte der Kraiger fchon in Folge ihres Urjprunges aus dem
deutschen Theile Kärntens vorausfegen dürfen, ift jedenfalls durch diejes
Familienbündniß mit den damals ebenfall3 noch deutſch gefinnten Herren
von Neuhaus nur befeftigt worden. Da Georg jpäter nie wieder erwähnt
wird, jo fcheint er frühzeitig und wohl auch kinderlos geftorben zu fein;
ja es ift zweifelhaft, ob die Ehe mit Clara von Neuhaus überhaupt
zuftande kam.
Ebenſo wenig ift über Wulfing (Wolfgang?) von Kraig bekannt,
welcher 1418 gegen die Türken gefochten haben foll, und über Heinrich
bon Kraig, welcher 1423 im Heere Meinhards von Neuhaus gegen die
Taboriten kämpfte. Es muß daher unentjchieden bleiben, ob dieje beiden
Kraiger zu Konrad I. von Kraig in einem näheren Verwandtſchaftsver⸗
hältniffe ftanden oder nicht. Etwas ausführlicher find die Nachrichten
über Johann von Kraig, welcher 1417, 1423, 1448 und zum legten
Male 1458 erwähnt wird, am ausführlichften in Bezug auf Konrad II.
und Zeopold, welche Beide erft nach dem Tode ihres Vaters genannt werden,
fi) aber dann wie diefer durch Jahrzehnte hindurch im Vordergrunde des
politiichen Lebens behaupten.?)
Konrad II. erbte die öfterreichifchen und mit feinem Bruder Johann
gemeinfam die kärntniſchen Befigungen feines Haujes, dilrfte aljo als der
1) Rull a. a. O.
2) Mudyar, VII. 151, 173; Rull, 47. Sedlätek, Hrady IV. 104 ff. Die Genea-
fogie der Herren von Kraig liegt noch ſehr im Dunkeln; von den bisherigen
Annahmen fahen wir und genöthigt, in vielen Fällen abzuweichen, ohne daß
ältejte der beim Tode. des Vaters noch) lebenden Brüder zu. betrachten fein.
Auch ‚eines der Häufer in. Prag,. die Konrad J. befeilen hatte,-ift, wie es
icheint, auf Konrad II übergegangen. Erwähnt wird Konrads-Il. Name:
zum erjten Male 1411 in einem Bertrage zwifchen Herzog Ernſt und König
Sigmund, welcher die Lehenspflichten Konrads bezüglich feiner öſterreichiſchen
Befigungen regelte. Schon im folgenden Jahre wurde Konrad Landes-
hauptmann von Kärnten, auch hierin alfo der Erbe feines Vaters; doch
hatte er im Gegenfage zu diefem das Glüd, die genannte Würde ohne
Unterbrechung durch länger als 3 Jahrzehnte und bis zu feinem Tode zu
behaupten. Diefer Umftand allein würde beweijen, daß er zu den einfluß-
reichjten Perfonen in Inneröſterreich gehörte. Beſonders hoch jtieg feine
Macht, als nad) dem Tode Herzog Ernjts und während der Minderjährigfeit
der Söhne desjelben Friedrich und Albrecht deren Oheim Friedrih (mit
der leeren Tafche) von Zirol die Regierung auch der jteirifchen und Färnt-
nischen Zande übernahm. Er machte Konrad zum oberjten Hofmeifter und
Erzieher der unmündigen Herzoge und ließ ihn, da er jelbit jelten in das
Land kam, in deren Namen fchalten und walten, wie er wollte. Daß Konrad
nicht verfäumte, dieſe vortheilhafte Stellung möglichft auszunigen, zeigen
mancherlei Gütererwerbungen, welche er in den Jahren 1424, 1428, 1430
machte. Auch it begreiflich, daß Konrad diefe ihm fo günjtigen Verhältnifie
jo lange als möglich zu erhalten ſuchte. Als daher im Jahre 1435 die
Herzoge Friedrich) und Albrecht, volljährig geworden, aus der Vormund—
haft entlaffen werden mollten und ihr Oheim ihnen hiebei Hindernijje
bereitete, da stellte ich auch Konrad auf die Seite des Vormundes und
von da rührt wohl der bittere Haß, den der junge Herzog Friedrich, der
nachmalige Kaifer Friedrich III., gegen feinen Hofmeifter und Erzieher
begte, ein Haß, dem er durch Aufzeichnungen in feinem noch erhaltenen
Tagebuche draftiichen Ausdrud gegeben hat.*)
Deſto merfwürdiger ift, daß Konrad trogdem fich in feinen Stellungen
als Hofmeifter und Landeshauptmann behauptete, auch als der junge
Herzog Friedrich wirklich volljährig erflärt worden war und die Negierung
übernommen hatte. Das Wunder wird freilich erflärlicher, wenn man er-
fährt, daß Konrads Gemahlin Crescentia aus dem reichen fteirichen Ges
freilich für die von und vermutheten verwandtichaftlichen Beziehungen jedesmal
zwingende Gründe angeführt werden fünnten. Immerhin halten wir die Be—
rücfichtigung der färntnifchen und öfterreichifchen Kraiger bei Feſtſtellung des
Stammbaums für einen Fortſchritt.
1) Herrmann I. 115, 300, 120, 130, 124, 135, 137. Muchar VIL. 191, 199, 205,
211, 242, 272.
Mittheilungen. 26. Jahrgang, 4. Heft. 26
— 374 —
fchlechte der Stubenberge ſtammte, und daß der Bruder derjelben, aljo
Konrads Schwager, Hans von Stubenberg, gleichzeitig Landeshauptmann
von Steiermark war. Es hatte alfo eine und diejelbe mächtige Familie die
Gewalt in den beiden benachbarten Herzogthümern in ihrer Hand. Auch
das iſt bezeichnend, daß Kaifer Friedrich III. nad) Konrads Tod, der im
Jahre 1449 erfolgt fein fol, überhaupt feinen Landeshauptmann von
Kärnten mehr ernannte, weil er zu bitter empfunden hatte, was diejer
Boften, wenn er von einem Manne wie Konrad II. von Kraig befleidet
wurde, bedeute.)
Die böhmischen Befigungen der Kraiger erbte Leopold, wie bereits
erwähnt, ebenfalls ein. Sohn Konrad I. und Bruder Konrad I. Er
tritt Schon im Jahre 1400 handelnd auf, indem er im Dienſte des
Markgrafen Prokop von Mähren und mittelbar alfo des Königs Wenzel
den Herrenbund befämpfte. Zu diefem Zwecke verband er fich mit einem
gewiſſen Diwijch von Hradef und verwüſtete mit diefem gemeinjam die
Güter der Roſenberge. Bejonders thätig zeigte ſich dabei der „alte
Merkl“, Burggraf auf Neubijtrig. Diwiſch fiel ſpäter in die Gefangen:
Schaft feiner Feinde und wurde von ihnen gefoltert. Auch Leopold kämpfte
unglüdlich; Johann der Yüngere von Neuhaus bemächtigte fich der Burg
und Stadt Neubiftrig und jtellte fie erjt wieder zurüd, als im Jahre 1405
ein Vergleich zwiſchen den ftreitenden heilen, den Brüdern Leopold und
Konrad von Kraig einerjeits und den Herren von Rojenberg und von
Neuhaus anderjeitS zuftande Fam.
Aud im Jahre 1408 war Leopold in ähnliche Händel verwidelt
und zwar als Verbündeter des nachher fo berühmt gewordenen Zizka von
Trocnov, welcher damals nod eine Art Raubritter und Wegelagerer war,
daher ein Höchjt abentenerliches Leben führte. Zizka mußte fich in diefer
Zeit häufig auf den Burgen befreundeter Ritter, ja ſelbſt in Bauernhöfen
verbergen, iſt alfo jedenfalls auch öfter Saft des Leopold von Kraig ge:
wejen. Ausdrücklich wird bezeugt, daß er jich häufig bei einem alten Bauer
in dem Dorfe Heumath zwijchen Bijtrig und Platz, rechts von dem Wege,
der von Bijtrig nach Baumgarten führt, aufgehalten habe. Was Leopold
bewog, an dem Kriegszuge Zizka's theil zu nehmen, ift unbekannt ;
möglich, dag noch immer der Haß gegen die Aofenberge, der jchon im
Jahre 1400 zu siner Fehde geführt hatte, im Spiele war. Zizka wurde
im fahre 1409 vom Könige zu Gnaden aufgenommen und vernuthlich
gleichzeitig ein Waffenftillitand zwiſchen den jtreitenden Theilen vereinbart.
1) Herrmann I. 145 u. 176.
— 375 —
Im Jahre 1412 herrſchte jedenfalls Ruhe, da Leopold in diejem Jahre
ſich an einer Wallfahrt des Herzogs Ernſt von Oeſterreich in's heilige
Land betheiligen Fonnte.") Alle Zwiftigfeiten waren aber auch damals nicht
beigelegt, da König Wenzel noch im Jahre 1417 einen Schiedsſpruch
zwifchen den Brüdern Leopold, Konrad und Johann von Kraig einerfeits
und Johann dem Jüngeren von Neuhaus anderjeits fällen mußte.?)
Bald darauf jah jich Leopold vor eine folgenjchwere Entjcheidung
gejtellt. Die Hufitiiche Lehre war in Böhmen aufgetaucht, Zeopolds früherer
Baffengenofje, Zizka, hatte ſich derſelben angefchloffen, bald ergriff fie im
Bunde mit dem nationalen Hajje der Tſchechen gegen alles deutjche den
größten Theil des Landes und zerriß jogar die Bande, welche Böhmen an
jein Herrjcherhaus fnüpften. Die Haltung, welche Leopold dem gegenüber
einzunehmen hatte, ergab fich freilich aus feiner deutjchen Abjtammung und
Gejinnung, jowie aus feinen nahen Beziehungen zu den Bjterreichifchen
Ländern beinahe von jelbft. Er jcheint denn auch feinen Augenblick geſchwankt
zu haben, welcher Partei er ich anjchliegen jolle; treu jtand er zu König
Sigmund und zu Herzog Albrecht V. von Dejterreih und war fein ganzes
Leben lang einer der gefürchtetiten Feinde der Hufiten.
Schon als König Sigmund im Jahre 1420 gegen Prag zog, um
ſich diefer aufrührerischen Stadt zu bemächtigen, war Leopold von Kraig
auf des Königs Seite. Er war damals Hauptmann der Föniglichen Be—
jagung zu Budweis, einer Stadt, die damals von Sigmund an Albrecht
von Dejterreich verpfändet worden war, und unterjtügte den Hauptangriff
des Königs durd einen Nebenangriff, den er im Bunde mit Ulrich von
Roſenberg gleichzeitig gegen die neugegründete Hujitenjtadt Tabor unter:
nahm (23. Juni 1420). Der Angriff mißlang freilich, wie die Unter—
nehmung des Königs gegen Prag ebenfalls. Tabor befam von Prag aus
unter Niklas von Hufjineg Hilfe und Leopold mußte unverrichteter Sache
wieder abziehen.?)
Aber die Hufiten begnügten jich nicht damit, die Gefahr abgemwendet
zu haben, fie dürjteten nah Nahe. Noch in demjelben Jahre erjchien
Zizka im Bunde mit dem ebenfalls ſchon huſitiſchen Ulrich IV. Wawak
von Neuhaus und gefolgt von einem gewaltigen Kriegsheere vor Neu—
biſtritz, erſtürmte es und richtete unter den deutſchen Einwohnern dieſer
1) Tomek, Zizka 5 u. 7.
2) Sedlätek, Hrady IV. 105.
3) Tomek, Zizka 48.
26*
— 376
Stadt ein ähnliches Blutbad an, wie e8 wenig friiher oder ſpäter aud)
über andere deutiche Städte, über Komotau, Prachatitz, Jaromierſch, Neu:
bidſchow u. f. w. verhängt wurde. Burg und Stadt ließ der graufame
Sieger niederbrennen und zerjtören, die Fran und die Kinder Leopolds
von Kraig aber fchleppte er als Gefangene mit fich fort.')
Doch Leopold gab den Kampf troß des ihm widerfahrenen Miß-
geſchicks nicht auf. Schon im Detober desjelben Jahres z0g er an der
Seite Ulrihs von Roſenberg mit einem Heere, das größtentheil® aus
Deutfchen bejtand, neuerdings gegen die Hufiten. Zizka hatte damals in
der Nähe von Horazdiowitz bei einem Kirchlein Stellung genommen und
da von einer anderen Seite auch Bohuflam von Schwamberg und ein
Herr von Plauen mit den Deutjhen und Katholiken des Piljner Kreijes
zur Hilfe herbeifamen, jo wurde Zizka eingejchloffen. Schon mag Leopold
gefrohlodt haben bei dem Gedanken, nun jeinerjeitS für die Schlappe von
Neubiftrig Rache nehmen zu können; aber ein verzweifelter Ausfall der
Hufiten bewirkte wenigjtens jo viel, daß es den Umzingelten gelang, zu
entkommen. |
Ob der Waffenjtillftand, welchen bald darauf (18. Oct. 1420) Ulrich
von NRojenberg mit den Hufiten abjchloß, auch für Leopold von Kraig
Geltung hatte, wiſſen wir nicht. Wahrfcheinlid) war es nicht der Fall,
da Leopold im Februar des folgenden Jahres den Leuten Rojenbergs den
Eintritt in Budweis verweigerte. Man darf daraus fchließen, daß Leopold
num jelbjt den Ulrich von Roſenberg nicht zuverläfjig genug fand, wahr-
ſcheinlich darum, weil derfelbe bei jenem Waffenftilljtande die 4 Prager
Artikel hatte annehmen müfjen. Zugleich ift das Verbot ein Beweis, wie
forgfam Leopold jeinen Pflichten als Hauptmann von Budweis nachkam
und es ijt gar fein Zweifel, daß ihm an der ausdauernden und ruhm—
vollen Bertheidigung dieſer deutjchen Stadt gegen den Anfturm der Hufiten
ein hervorragendes Verdienſt zuzuerfennen ijt.?)
Uebrigens bejchränfte ſich auch jpäter Leopold keineswegs auf die
Vertheidigung, ſondern ging wiederholt angriffsweiſe vor. Schon im
Jahre 1421 machte er einen Verſuch, ſich der Burg Lomnitz zu bemäch—
tigen und äſcherte das gleichnamige Städtchen am Fuße derſelben wirklich
ein; die Kunde jedoch, daß Zizka mit einem überlegenen Deere zum Ent-
a ——— zwang ihn zum Abzuge.
1) Balady, Geſch. Böhmens IIIb. 169, 191.
9) Archiv Gesky III. 5.
— 377 —
Im Jahre 1427 machten die Hufiten einen Einfall in Oeſterreich
und belagerten, 16.000 Mann jtarf, die Stadt Zwettel. Leopold, der auch
dort begiitert war, jäumte nicht, feine Truppen mit denen der anderen
öfterreichifchen Herren, der Wallfee, Liechtenjtein, Meiſſau, Buchheim u. ſ. w.
zu vereinigen, um die bedrängte Stadt zu befreien. Am 13. März er-
folgte der Angriff. Da von beiden Seiten mit größter Tapferkeit gefämpft
wurde, jo war die Schlacht außerordentlich blutig und daß fie für die
Hufiten nicht eben günjtig verlief, dafür fpricht der Umjtand, daß jogar
ein Theil ihrer Wagenburg in die Hände der Defterreicher fiel. Eine
Uebereilung des öfterreichiichen Befehlshabers, Neinpreht von Walljee,
entriß jedoch auch diesmal den Deutjchen den volljtändigen Sieg, ja es
wurde fogar die Fahne Neinprechts von den Hufiten erobert.!)
Das Verhältniß zwiichen Leopold von Kraig und Ulrich von Roſen—
berg war auch in diefer Zeit noch ein gejpanntes, obwohl auch Ulrich
längft wieder auf die Seite des Königs zurüdgefehrt war. Es ſcheint
fogar, daß die Budweijer Streifzüge auf die rofenbergifchen Güter machten;
denn noch im Jahre 1429 mußte Sigmund fowohl den Herrn von Rojen-
berg, als auch den Kraiger ermahnen, mit Rücjiht auf die gemeinfame
Sache, da jie ja beide zur königlichen Partei gehörten, Frieden zu halten.)
Das Yahr 1431 brachte endlich für Leopold die langerjehnte Rache.
Die Taboriten, in deren Heere ſich auch Gutsnachbarn Leopolds, nämlid)
Nicolaus Sokol von Lemberg, Beliger der Herrjchaft Recit, und Kamaret
auf Serowiß, befanden, hatten einen Raubzug nad) Oeſterreich unternommen.
Leopold aber griff fie am 14. October 1431 im Bunde mit Georg von
Puchheim und zwei Herren von Eiging bei Waidhofen an der Thaya an
und brachte ihnen eine fo volljtändige Niederlage bei, daß 1000 Taboriten
erichlagen wurden und an 700 in Gefangenjchaft geriethen. Die Sieger
feierten Jubelfeſte und jandten die eroberten hufitifchen Fahnen nach Wien
zu Herzog Albrecht von Defterreich, dem thatkräftigften und erfolgreichiten
Bekämpfer der hufitiichen Bewegung. Auch im Tolgenden Jahre (1432)
überfielen die Herren von Kraig und von Puchheim ein aus Defterreich
zurücfehrendes Taboritenheer und es erfolgte eine jo grimmige Schlacht,
daß von beiden Seiten 500 Krieger gefallen fein jollen. Die Hufiten
eroberten angeblih 11 Geſchütze und über 200 Pferde, künnen aber troß-
dem feinen glänzenden Sieg erjochten haben, da jie noch in der Nacht
den Rückzug fortfegten und die Herren von Kraig uud ihre öſterreichiſchen
1) Herrmann I. 126; Balady IlIb. 433.
2) Archiv desky I. 30.
— 378 —
Verbündeten ſie am nächſten Tage verfolgten, allerdings ohne ſie ein—
holen zu fünnen.!)
Wann Leopold der Streitbare — ihn jo zu nennen ift im Hinblick
auf jeinen Lebenslauf gewiß gerechtfertigt — gejtorben ift, vermögen wir
nicht genau anzugeben. Kinder fcheint er nicht Hinterlaffen zu haben, ob-
wohl er verheiratet war und im Jahre 1420 bei Gelegenheit des Blut-
bades in Neubiftrig auc Kinder Leopolds erwähnt werden; denn jein
Erbe wurde, auch in Bezug auf die böhmischen Befigungen, ſein Neffe
Wolfgang, Sohn Konrad IT., des oben genannten Landeshauptmannes
von Kärnten?)
Erwähnt wird Wolfgang zuerft in Kärnten, wo er in den Jahren
1448—54 oberjter Kämmerer war und im erjtgenannten Jahre gemeinjam
mit dem oberjten Truchjeß Johann von Kraig, feinem ebenfall3 bereits
erwähnten Oheim und mit dem Sohne Johanns, Konrad IIT. der Propftei
Korn Kto ln Obnttoathal suis MR. ;
— — re 4 Pernthal abkaufte.
AS Friedrich III. im Jahre 1452 nad) Rom zog, um dort mit
großem Glanze das Doppelfeſt ſeiner Kaiſerkrönung und ſeiner Vermählung
mit Eleonora von Portugal zu begehen, begleiteten ihn auch Wolfgang
und ein gewiſſer Mört (Martin?) von Kraig. Der letztere, nur dieſes
eine Mal genannt, mag wohl ein Bruder Wolfgangs geweſen jein.?)
Bedeutungsvoller wurde für Wolfgang das Jahr 1454, da er in
diefem Fahre, nachdem er bereits 1450 die ZTraunficchner Lehensgüter
bei Trafoiach verfauft hatte, auch alle Güter, Nenten und Herrlichkeiten,
welche zum Schloſſe Liechtenftein bei Judenburg in Steiermark gehörten,
an feinen Oheim mütterlicherfeits, Hans von Stubenberg (j. o.), überließ.
Es gejchah dies allerdings unter Vorbehalt der Wiederauslöfung durd) die
Familie Kraig, ſcheint aber doc) die völlige Auswanderung des durch
Wolfgang vertretenen, mächtigeren Zweiges derjelben nach Böhmen vor-
bereitet zu haben. Der in Kärnten zurückbleibende, durch Johann von
Kraig, deifen Sohn Konrad III, jpäter durch Andreas (um 1470), Wolf-
gang (um 1493) und Chriſtoph von Kraig (um 1531) vertreten, hatte
offenbar aud) nicht entfernt jene Macht und jenes Anjehen, deſſen ſich die
beiden erjten Konrade erfreut hatten. Niemals wieder befleideten die
1) Balady, Geſch. Böhmens IlIc. 19 u. 62.
2) Gewöhnlid wird Wolfgang als ein Sohn Leopolds bezeichnet, vermuthlich aus
feinem anderen Grunde, als weil er ihn beerbte; meine abweichende Angabe
ftüßt fi darauf, daß Hans von Stubenberg, deffen Schwefter die Gemahlin
Konrads I. von Kraig war, Wolfgang als feinen Neffen bezeichnet.
2) Mudar VII. 349.
— 379 —
Kraiger das Amt eines Landeshauptmannes von Kärnten oder andere
hervorragende Stellungen in diefem Lande.!)
Deſto größer wurde die Bedeutung der Kraiger in Böhmen, nur
daß ſich beinahe gleichzeitig an denjelben eine Umwandlung vollzog, ähnlich
wie wir ein wenig früher fie auch bei den Herren von Neuhaus beobachten
fonnten. Wolfgang war nämlic im Gegenfage zu Leopold von Kraig,
dem unermüdlichen Bekämpfer der Hufiten, jelbjt dem Hujitismus zugethan
und, wie der Name des Gejchlechtes von da an fich immer häufiger und
endlich ausſchließlich in der tichechifiten Form: Krajir z Krajku findet,
jo iſt kaum zu zweifeln, daß die folgenden Herren von Kraig, joweit fie
in Böhmen jeßhaft waren, nicht blos in religiöfer, ſondern auch in natio—
nalev Beziehung ſich als Feinde der „Deutſchen“ fühlen Iernten, obwohl
doch ihr Gefchlecht ſeinem Urſprunge nach ſelbſt ein deutjches war.
Bei dem „nationalen“ Könige, Georg von Podiebrad, fonnte aller-
dings eine ſolche PBarteiftellung nur zur Empfehlung gereichen und Wolf:
gang jcheint denn auch bei diejem Könige in befonderer Gunſt gejtanden
zu haben. Schon 1458, beim Abjchluffe der Strajchniger Verträge zwiſchen
den Künigen Georg und Mathias Corvinus finden wir Wolfgang in der
Umgebung des evjteren und im Fahre 1465 wurde ihm von Georg ohne
Zweifel als Lohn für geleiftete Dienfte die Burg Zorſtein in Mähren
verliehen. Als 1468 DVictorin, Sohn König Georgs, einen Kriegszug nad
Oeſterreich unternahm, betheiligte ſich auch Wolfgang an demfelben, wieder
im auffallenden Gegenjage zu Leopold, der jo oft an der Seite der
Dejterreicher gegen die Böhmen gefochten hatte. Auch in den folgenden
Jahren finden wir Wolfgang und andere böhmifche Herren in Grenzfehden
mit den üfterreichiichen Nachbarn verwidelt, welche erſt 1479 durch einen
Waffenftillftand ihren vorläufigen und zwei Jahre darauf durch einen
Frieden ihren endgiltigen Abschluß fanden. Die Urkunde über den Waffen-
jtilljtand, welche im Namen der böhmischen Herren Heinrich IV. von Neu-
haus unterfchrieb, follte in Neubiftrig an Herrn Wolfgang übergeben
werden. Im Jahre 1482 am Sonntag nad Galli (20. October) ertheilte
Wolfgang der Stadt Neubiftrig das Prager Stabtredht.”)
In Mähren hatte Wolfgang außer dem bereits erwähnten HZorftein
die Güter Bielfau und Datjchik, welche er um das Fahr 1460 Fäuflic)
an ſich gebracht hatte. Er nahm daher auch unter den mährifchen Ständen
1) Muchar VII. 360, 402. VIII. 8, 63, 90. Herrmann I. 153, 1%.
2) Palacky, Geſch. Böhmens IVb. 26 u, 503; Archiv éesky IV. 506, 96; Herr—
manı I. 177; Kurz, Oefterreich unter Friedrich IV. Bd. II. 272.
— 380 —
einen hohen Rang ein, wie man auch daraus erjieht, daß er im J. 1484
bei der Ausfchreibung des von Mathias für dieſes Jahr einberufenen
mährifchen Landtages unter den vornehmſten Herren des Landes genannt
wird. Im Jahre 1487 war Wolfgang bereitS hochbetagt; er theilte
am 5. März diejes Jahres jeine Güter unter feine vier Söhne derart,
daß Leopold II. und Heinrich Zorftein und Zubehör, Georg II. und
Konrad III. die Burg Landftein und die damals zerjtörte Burg Bielfau
befamen. Burg und Stadt Neubiftrig und Datjchig behielt fich der Alte
noch zu feinem eigenen Lebensunterhalt, am 22. April 1489 aber überließ
er den Söhnen auch den Reit jeiner Bejigungen. Leopold und Heinrich
befamen num auch Datjchig und einige andere Dörfer, darunter die wüſten
Dörfer Rajchetov (wohl das jegige deutjche Dorf Reichers), Robnava und
Gebharts. Georg und Konrad erhielten: Burg und Stadt Neubtjtrig
und die (deutichen) Dörfer: Kunas (Kungjov), Burgjtall (Purstal), Neujtift
(Lhota), Bernſchlag (Perslak), das wüſte Dorf Braunjchlag (Pranslak),
die Dörfer: Artholz,, Münchjchlag (Minslak), Weißenbady (Vaisenpach),
Kaltenbrunn (Kalprun), endlich die Dörfer Averce uud Zispach, in deren
verjtümmelten Namen vielleicht die deutjchen Dörfer Auern und Sichelbach
wiederzuerfennen find. Um 1491 jcheint Wolfgang gejtorben zu jein,
Zwiſchen jeinen Söhnen Konrad und Georg entjtanden nach feinem Tode
Streitigkeiten, welche damit endigten, daß Georg Landftein und Bielfau,
Kourad dagegen Neubiftrig befam.!)
Shlußwort.
Hiemit Haben wir die Gefchichte der Kraiger und mittelbar die der von
ihnen verwalteten Befigungen Landftein und Neubijtrig bis zu demfelben
Beitpunfte verfolgt, bis zu welchem im erjten Abſchnitte diefer Arbeit die
Gejchichte der Herren von Neuhaus vorgeführt wurde. Wie die Herren
von Neuhaus wurden auch die von Kraig aus Förderern des Deutſchthums
fpäter Gegner desjelben, ja bei den Kraigern prägte ſich die Entfremdung
von deutjcher Denfart und Sitte in der Folge noch jtärfer aus, indem der
wichtigfte Zweig derjelben nach Jungbunzlau überjiedelte und daraus eine
Art Hauptquartier der „böhmischen Brüder“ ſchuf, jener Secte, die man
wohl als die hufitifche Fortjchrittspartei bezeichnen könnte. Das Deutjch-
thum in unjerer Spradhinfel erlangte daher feinen weiteren Zuwachs, bis
1) Claudius, Die Herren von Neuhaus; Wolny, Topographie Mährens VI. 127;
Schriften der hiſtor. ftatift. Section (Mähren) XII. 61. Tobulae terrae Mor.
Cuda Olom. X. 851; Arch. &. VI. 399, 414.
— 331 —
die gewaltige Umwälzung des 30jährigen Krieges auch in diefe Gegenden
ihre Wellen warf.
Faflen wir zum Schluffe zufammen, was fid) aus unferer Arbeit
über die Entjtehung des Deutſchthums in der Gegend von Neuhaus und
Neubijtrig ergibt, jo zeigt ich, daß dabei diefelben Umjtände wirkfam
waren, welche auch ſonſt die deutjche Einwanderung und Anfiedlung in
Böhmen fürderten, die Gunſt einzelner deutſch gefinnter Adelsgefchlechter,
der Herren von Neuhaus, Landftein und Kraig, welche die Vortheile zu
Ihägen wußten, die aus der Arbeitfamfeit der fremden Ankömmlinge auch
für den Gutsheren entjprangen, und die Wirkfamfeit einzelner Orden, in
erfter Linie des deutjchen Ordens, in zweiter wohl auch der Templer und
Cijtercienjer. Wirft man die. Frage auf, woher die deutschen Anfiedler in
unfere Sprachinſel einzogen, jo wird man wohl das meijte Gewicht auf
die unmittelbare Nachbarjchaft von Niederöfterreih und Mähren legen
müfjen. Wie zahlreich die Beziehungen, ſowohl freundlicher, als feindlicher
Natur zwijchen unſerer Spracdinfel und diefen Nachbarländern waren,
geht aus unferer Erzählung zur Genüge hervor. Insbeſondere muß darauf
hingewieſen werden, daß ſowohl die Befiger von Neuhaus, als aud) die
von Neubiftrig und Landſtein mährifche und böhmiſche Befigungen, die
erjteren hauptjächlich im Thayathal in ihren Händen vereinigten; bei den
Kraigern aber liegt der Zufammenhang mit Defterreic) und jelbjt Steier-
mark und Kärnten auf der Hand. Hiezu jtimmt auch. die Mundart,
welche noch heute in der Sprachinſel gefprochen wird, es ijt die baterijch-
öfterreichijche, gerade wie im Süden und Südweſten Böhmens, wo ganz
ähnliche Verhältniffe vorliegen.
uw — LTD RL Tal
Die Berka von Duba und ihre Befibungen
in Böhmen.
Bon Wenzel Zieke.
IV.
Die Linie Hühnerwaſſer-Perſtein.
Im zweiten Theile der vorliegenden genealogifchen Arbeit (Mittheil.
25, ©. 68 f.) lernten wir Aleſch Berka von Duba kennen, der zum erjten
Male 1452 u. zw. als Herr von Sakſchen genannt wird, wozu gewiß
— 332 —
auch Töſchen gehörte. Weiter wurde dort ausgeführt, wie er nach Chwal
Berka die Herrichaft Hühnerwaffer erwarb. Zu diefer gehörten außer
Hühnerwaſſer jelbjt noc die Dörfer Schiedl, Plaufchnig, Jeſowai, Krupai
und Rokitai. Die drei Tegtgenannten Ortfchaften waren einſt Beſitz des
Klofters in Miünchengräg gewefen, dann in den Pfandbefig der Herren
von Wartenberg auf dem Roll und von diefen an den genannten Chwal
Berka gekommen. Im Jahre 1465 ließ ſich Aleſch Berka diefe Pfand-
ihaft von K. Georg beftätigen und 1480 neuerdings von K. Wladiflam.')
Dem fönnen wir jegt noch hinzufügen, daß Aleſch bereits 1457 auch
Bejiger des Städtchen Dauba war.?)
Wenn nun aud) fein ausdrüdlihes Zeugniß dafür vorliegt, jo kann
doch Fein Zweifel obwalten, daß diefer Alefch der Stammvater der Linie
war, die wir jegt behandeln wollen; denn diejelbe hatte alfe die oben
genannten Güter bis ins 17. Jahrh. hinein in ihrem Befige. Und Georg
Berka, der am Beginn des 16. Jahrh. als Herr diefer Güter genannt
wird, war daher jedenfalls der Sohn des Aleſch.
Ehen diefer Georg Berka nennt fich feit 1512 Herr von Perſtein
(bei Dauba). Als Zugehör zu diefer Burg galten Wrchhaben, Horka und
das verſchwundene Nezlowig. Diejer Dörfer wird bei der befannten Thei—
lung vom %. 1402 (Vgl. Mitth. 25, S. 68 und 70) Erwähnung gethan,
auc des Berges bei Wrchhaben, worauf die Burg Perftein ftand, diejer
Burg aber nicht. Allem Anfcheine nad) ift diejelbe erjt in der Hufitenzeit
entjtanden.?) Die Befigverhältnifje find nicht genau befannt, doch ift ſoviel
ficher, daß die Berfa von Duba nicht Herren der Burg blieben. Noch
1493 war fie Eigenthum des Radiſlaw von Schebirzow;*) wann fie an
Georg Berka überging, ift mir unbekannt.
Zu den bisher bejprochenen Befigungen erwarb Georg im %. 1512
noh das Gut Walelow füdöftlih von Münchengräß mit Schloß und
Meierhof, dem Meierhof Klumin, dem Städtchen Fürjtenbrud (Knezimoft)
und einem Theile von Bojin.
1) Nach Acten im Statthalterei-Ardive B. 6, 104.
2) Archiv tesky VII. 658. In diefer Urkunde nennt Heinrih Berka auf Leipa
unfern Aleſch „jeinen lieben Bruder“ Nach nenerlicher, wiederholter
BVergleihung aller übrigen Nachrichten bin ich feft überzengt, daß diefer Aus-
drud nicht wörtlich zu verftehen ift, wern man nicht für beide die gleiche
Mutter annehmen will.
3) Vielleicht bezieht fid) darauf Palady, Urk. Beitr. II. 26 (1429, Apr.): Auch
wisset, des haws bey der Dube, das h. Tscheppan der h. Wancken vnd
Peke hatten besatzt, das hot der Smyrsitzke u. Czetko gewonnen.
4) Laut Urk. vom 7. Mai 1493, Abjhrift im böhm. Mufeum.
— 383 —
Zum legten Male finde ih) Georg im Jahre 1517 erwähnt;")
1524 war er jedenfalls todt, denn damals beſaß feine Gilter bereits der
Sohn Aleſch. Eine Tochter Magdalena war vermählt mit Johann Spetle
von Janowitz auf Böſig.
Der eben genannte einzige Sohn und Erbe Georgs, Aleſch Berka,
verkaufte nämlic) im Fahre 1524 das Gut Walelow wieder an Nicolaus
Wancura von Nzehnig.?) Dafür erwarb er im gleichen Jahre von Wolf:
hart Planfner von Königsberg den Pfandbefig Laukowetz a. d. Iſer
(Ritterfig, Meierhof und Dorf) und die Dörfer Sowenig, Koryt, Hubalow,
dann im Nordweſten davon Wolſchen, Proſchwitz (Profee), Proſitſchka,
Chlum, Gablonz und Wofen.?) Auf diefem Befige ftellte Aleſch die Mit-
gift feiner Gemahlin Katharina von Weſetz ficher, indem er ihr denjelben
zugleich nach feinem Tode zum lebenslänglichen Nutzgenuſſe verjchrieb.*)
Daß Aleſch auch die nördlich von vorgenannten Woljchen gelegenen
Orte Kridai und Betten bejaß, erfehen wir daraus, weil er auf denjelben
eine Summe Geldes verficherte, die ihm das Gabler Kloſter geliehen hatte.
Diefe Schuld wurde erſt 1586 zurücgezahlt, nachdem das Klojter klagbar
geworden und die gerichtliche Einführung erwirkt hatte.?)
Sonjt wird Aleſch noch genannt als Kläger in Sachen des Auguftiner-
Hojters in Weißwaſſer. Wir wiffen von früher her (Mitth. 24, 124), daß
Hinko Berka von Duba 1346 dem genannten Ordenshauſe die Dörfer
Lang: Daubrawa, Dietel und Kadlin gefchenft Hatte,
In der Hufitenzeit waren diefelben dem Klofter entfremdet worden.
Die erjten beiden Dörfer befaßen jetzt Johann und Dietrich Spetle von
Janowitz auf Böfig, halb Kadlin aber Albrecht Kluſak von Kofteleg. Dieje
Befiger Hagte nun Alejch als Nachkomme des gen. Hinfo Berfa auf Her-
ausgabe der Dörfer; von einem Erfolge jedoch hören wir nichts.)
Im Jahre 1542 oder im folgenden ſtarb Aleſch. Er hinterließ drei
Söhne: Johann, Adam und Albrecht (Aleſch); von diefen war der legte
1544 noch unmindig. WS er dann volljährig geworden, jchritten die
Brüder 1547 zur Theilung des Erbes. Albrecht erhielt 4500 Sch. Meißn.
in Geld ausgezahlt; in den Herrichaftsbeiig aber theilten fich die älteren
1) Urf. des Johann Spetle von Janowitz im Arch. zu Weißwaſſer (Abſchrift im
böhmischen Mufeum).
2) Landtafel 7. C. 23. Neneinlage von 1545.
3) Rammergeriht3-Regifter 14, J. 169 f.
4) Landtafel 83 A. 12 und 1. A. 17.
5) Zandtafel 1. I. 29 uud 83. E. 22.
6) Reliq. tab. I. 258.
— 384 —
Brüder fo, daß Johann Hühnerwaſſer, Adam aber Neuperftein mit Zu: -
gehör befam.?)
Johann, der ältefte der Brüder, erwarb zu feiner Herrichaft Hühner-
waſſer bald durch Heirat eine zweite, nämlich die Hälfte von Böfig. Diefe
fünigliche Herrjchaft befand fich damals feit langem im Befige der Familie
Spetle von Janowitz. Im % 1547 verfügte nun Johann d. j. Spetle
in feinem Zeftament, daß Herrſchaft Böſig feine Tochter Salomene erben
jolle.?) Aber Johanns Schweiter Anna, welcher 800 Sch. zufallen jollten,
erhob gegen das Teſtament Einſpruch und erreichte e8 auch wirklich, daß
ihr das Erbrecht auf die Hälfte der Herrichaft gerichtlich zugefprochen
wurde. In Folge deſſen fam es 1553 zur Theilung, und Anna erhielt dabei
Stadt und Schloß Weißwaſſer mit den Dörfern Dietel, Ezijtai, Pluzno,
Brzezinfa, Zolldorf (Biezowice), Sudomierz, Wolfen, Chotietow, Kluf und
Skramauſch, endlich den Hof Walowig.?) Salomone hatte Böſig gewählt,
worauf wir zurüdfommen.
In der Zwiſchenzeit, 1549 oder etwas früher, hatte ji) Anna von
Janowitz vermählt mit unjerem Johann Berka auf Hühnerwaſſer. ALS
ein Theil der füniglichen Herrichaft Böſig war Weißwaſſer mit dem an—
gegebenen Zugehör Pfandbeſitz. Bereits 1540 hatte der uns von früher
befannte Oberjt-Hofmeifter Zdiflam Berka von Duba das Recht erworben,
die Herrſchaft Böfig für fich einzulöfen, und diefe Verjchreibung jollte zu—
gleich gelten für die Lebenszeit feines Vetters Sigmund Berka. Dieſes
Auszahlungsreht hat Zdiſlaw jedoch nicht geltend gemacht; er trat es
vielmehr 1549 ausdrüdlih ab an Johann Berfa und feine Gemahlin
Anna, und 1564 that Sigmund das Gleiche für feine Perjon.’) Ernſter
war die Gefahr des DVerluftes der Herrichaft, die ſpäter drohte.
Im Jahre 1558 hatte ih Johann an K. Ferdinand gewendet mit
dem Geſuch, derfelbe möchte ihm auf Weißwafjer 1000 Schod für Ver:
bejjerungen zufchreiben und ihm zugleich die zu Hühnerwaſſer gehörigen
Pfanddörfer für zwei Generationen zufichern. Die Stände gaben auf dem
1) Zandtafel 46. G. 22, f. Hier ift bloß vom Antheil des Albrecht die Rebe; doch
fand die Theilung der Herrichaften ſicher um die gleiche Zeit ftatt.
2) Zandtafel 8. D. 25.
3) Zandtafel 50. H. 2. Auch an den Polzenwiefen bei Niemes erhielten beide
einen Antheil. Diefelben wurden von Einwohnern von Niemes bearbeitet, wo—
für diefe bann wieder darauf weideten.
4) Vergleiche Landtafel 9. B. 9, wo Johaun ihr die Mitgift auf Hühnerwaſſer
fiherftellt.
5) Statthalterei-Ardhiv B. 6. 120.
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27
ET TEE
%
4
i
N
|
4
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— 385 —
Landtage ihre Einwilligung und empfahlen das Geſuch dem Kaifer, der
auch das Verſprechen gab, niemandem das Auslöfungsrecht zu verleihen. ')
Trotzdem jeßte es 1564, als der Kaiſer jchon dem Tode nahe war,
Ladijlaus von Lobfowig bei ihm durch, daß er ihm das Necht der Aus-
zahlung zuficherte (21. Juni). — König Ferdinand ftarb dann am 15. Juli,
und nicht lange nachher fam K. Marimilian auf der Reife aus der Laufik
nah Böhmen durh Hühnerwaſſer. Bei diefer Gelegenheit überreichten
ihm Johann Berka und feine Gemahlin ein Geſuch um Aufhebung jener
Verleihung, und auf ein neuerliches derartiges Geſuch erließ der Kaiſer
1565, 8. Sept., den Auftrag an Erzherzog Ferdinand, der Lobfowig möge
anderweitig entjchädigt werden. *)
Wir unterbrechen bier kurz die Erzählung von Johann Berfa, um
zu berichten, wie um die gleiche Zeit auch das Pfandgut Laukowetz der
Familie entzogen werden ſollte. Wie erwähnt, hatte dieſes Aleſch Berka
jeiner Gemahlin Katharina von Weſetz zu Iebenslänglichem Bejig beftimmt
(j. o. ©. 333). Nach ihrem Tode fam es (wohl durch Vergleich) an den
jüngften der Söhne, Albrecht. Noch bei Lebzeiten der Mutter, im J. 1557,
erlangte Georg Labaunſky v. Zabaun, der Befiger der Güter des ehe—
maligen Klojters Münchengräg, vom Kaiſer das Recht, Gut Laufowig
auszuzahlen, da es, wie er behauptete, einft gleichfalls zu dem ebengenannten
Klofter gehört hatte. Katharina von Wejeg wurde alfo vor das Kammer-
gericht geladen, damit fie ihr Recht auf das Gut nachweife. In ihrem
Namen bewiejen aber die Söhne, daß Laukowetz und die zugehörenden
Dörfer nie Befig des Münchengräger Kloſters gewejen, jondern einen
Theil der Herrichaft Böhmiſch-Aicha des Mealteferordens gebildet hätten.
Das Kammergericht beichloß endlich 1560, das Urtheil bis zur Ankunft
des Kaiſers zu vertagen.?) 1563 nahm danı der damalige Großprior
der Maltejer die Sache in die Hand, *) während Erzherzog Ferdinand 1566
den Georg Labaunsfy bewog, auf feine Anfprüche gegen Entſchädigung
zu verzichten.) Zu einem Urtheile in dem Proceſſe fam es aber nicht.
Im Fahre 1571 erging auf Erjuchen des Großpriors zweimal ein faijer-
licher Auftrag an das Kammergericht, die Angelegenheit zum Austrag zu
bringen; ®) aber 1576, als K. Maximilian IL. gejtorben war, Elagte wieder
1) Landtagsacten II. 13.
2) Nach den Acten im Statthalterei-Ardine.
3) Kammergerichtö-Regifter 14. J. 169 ff.
4) Gtatth.-Ardiv M. 6. 31.
5) Abſchrift im Landes: Archiv,
6) Statth.-Ardhiv L. 120. 2.
— 386 —
der Großprior bei K. Rudolf, daß in der Sache nichts gejchehe, und fo
erfolgten neuerdings bis 1577 drei Faiferliche Aufträge in diefem Sinne,
doch ebenjo erfolglos. !)
Zaufoweg behielt Alefh Berka. Man kann jagen, daß Aleſch bis zu
feinem Tode für die Behauptung diefes Beligthums zu kämpfen hätte, denn,
wie gejagt, noch 1577 ift von dem Procejje die Rede und im folgenden
Jahre ftarb er. Er hatte zwar ein Tejtament abgefaßt und darin feine
Gemahlin Grijeldis von Lobfowig zur Vormünderin feiner Kinder einge:
jegt, allein er hatte verfäumt, dazu den Füniglichen Confens zu erwerben.
Seine beiden älteren Brüder verglichen ſich aber bald darauf mit der
Witwe und gejtanden ihr die VBormundichaft zu.) Sie führte diefelbe bis
zum Jahre 1580, wo der ältejte Sohn Bohuchwal (Gottlob) mündig wurde
und den ererbten Befig übernahm. Die Mutter hatte jich indejjen wieder
vermählt mit Adam von Schwamberg. ?)
Nach diefer Unterbrechung ehren wir wieder zurüd zu Johann
Berka auf Weißwaſſer und Hühnerwaljer. Nachdem die Auslöjung feiner
Pfandgiter im Jahre 1565 glüdlich abgewendet war, blieb er im unge:
ſchmälerten Befige feiner Herrichaften bis zu feinem Tode, der im März 1582
erfolgte. *)
Eine Tochter Johanns, Salomene, hatte fih 1570 mit Johann von
Wartenberg auf Kamnitz verheiratet, der jedoch ſchon 1574 gejtorben
war. Sie vermählte fi) dann zum zweiten Male mit Johann Brücdner
von Brudjtein auf Gzerzowig.?) Der Erbe der Giter des Johann Berfa
wurde jein einziger Sohn Albrecht (Aleſch). Zu einer Vergrößerung der
Befigungen fam es unter diefem nicht, aber nad) längeren Verhandlungen
erwirkte er es bei Kaijer Rudolf, daß ihm am 22. December 1586 ſowohl
die Herrichaft Weißwaſſer, al3 auch die zu Hühnerwaffer gehörenden Pfand-
dörfer um 18.500 Schod böhm. Gr. zu erblichem Beſitz verkauft wurden, ®)
Aleſch Hatte ſich 1580 vermählt mit Elifabeth von Waldftein (der
Witwe nad) Heinrich dv. Smigzik).”) Die Ehe blieb kinderlos. Fir den
1) Statth.-Ardhiv M. 6. 31.
2) Yandtafel 64. A. 2.
3) Zandtafel 89, L. 26.
4) Am 15. März war das Begräbniß und dann huldigte die Gemeinde Weiß-
waſſer dem neuen Herrn, — Archiv Weißwaſſer 130. 111.
5) Kleine Landt. 4. 0. 20 u, große Landt. 18. G. 7. — 66. P.1 u. 90. E. 10.
6) Randtafel 68. I. 28. Die umfangreichen Acten über die vorandgehenden Ver:
bandlungen liegen im Statth. Archiv.
7) Zandtafel 21. A. 24,
— 35897 —
Fall feines vorzeitigen Todes verjchrieb Aleſch der Gemahlin die Herrſchaft
Weißwaſſer; ) allein Elifabeth ftarb vor ihm, wohl 1594.°)
Raum 5 Jahre nachher verfiel Meih in Wahnfinn und nahm fich
jelbft daS Leben, indem er fich mit dem Schwerte erftadh.?) Seine Güter
fielen nun an die Söhne feiner beiden Brüder; wir fommen darauf zurüd,
Adam Berka, der bei der Theilung vom Jahre 1547 Neuperjtein
geerbt hatte, vermählte ſich 1553 mit Katharina von Hungerhojt, der
reichen Witwe jenes 1552 verftorbenen Wenzel von Wartenberg auf Neu-
ſchloß, den wir im II. Theil diefer Arbeit mehrfach als Befiger von Leipa
fennen gelernt haben. Aus eigenen Mitteln erwarb Katharina am 15. Au-
guft 1557 von Nicolaus von Hafenburg die Herrichaft Böſig.) Ueber
diefen und anderen Beſitz verfiigte jie mit Tejtament vom Jahre 1562 zu
Gunſten ihrer Kinder, nämlich Johann, Anna und Elifabeth von Warten:
berg aus der erjten Ehe und Aleſch und Joachim Berka aus der zweiten.
Und zwar jollte Johann von Wartenberg die Herrjchaft Böjig übernehmen
und jedem der anderen vier Erben fein Fünftel auszahlen.) Im J. 1564,
als Katharina geftorben war, verglich fi) der Gemahl Adam Berka im
Namen feiner zwei genannten Söhne Aleſch und Joachim mit Johann von
Wartenberg und erhielt 6000 Schod für diejelben ausgezahlt. ®)
Bon diejen zwei Söhnen Adams iſt Aleſch unmündig gejtorben;
Joachim wurde 1581 volljährig, ”) wird aber ſeitdem nicht mehr erwähnt.
Die Erben der Güter Adams wurden vielmehr dejjen Söhne zweiter Ehe,
die derjelbe mit Eliſabeth v. Daubranow eingegangen war, Georg, Wenzel
und Johann Howora. 1586 war Adam Berfa nicht mehr am Leben,
denn in diefem Jahre urfundet bereits fein ältefter Sohn Georg. Wie
hier jo vertritt diefer auch noch 1591 feine zwei jüngeren Brüder. ®) Nicht
1) Zandtafel 91. E. 11.
2) Ihr Teftament datirt vom 8. Sept. 1594. Landt. 127. F. 16.
3) Dadidy, Pam. I. 196.
4) Wie oben gefagt wurde, war diefe 1553 bei der Theilung an Salomere von
Janowitz gefallen; dieje hatte fie dann ihrem Gemahl Nicolaus von Hajen-
burg abgetreten.
5) Das Original des Teſtaments liegt in der Landtafel. — Elifabeth v. Warten:
berg war Gemahlin des Heinrich Berka auf Gabel (vergl. Stamnttafel ILL.)
6) Yandtafel 57. K. 8.
7) Bergl. die Vormundihaftsabdanfung. Yaudtafel 21. F. 6.
8) Landtafel 88. C. 30. Juxta.
TE — |
— 388 —
lange nachher muß es aber zu einem Vergleich gefommen fein, in der
Weife, daß der jüngfte Bruder, Johann Howora, Geld erhielt, während
Georg und Wenzel die Herrichaft Neu-Berftein unter fich theilten. Eine
darauf bezügliche Urkunde habe ich nicht gefunden. Nach fpäteren Angaben
zu Schließen erhielt Georg Schloß Berftein, das halbe Städtchen Dauba,
die Dörfer Wochhaben und Nedam und den Hof Brefenfa.') Als Antheil
Wenzels dürfte alfo anzufehen fein: der Neft von Daubs, Töſchen, Sak—
chen, Welhiütte, Horka, Wosnalit, was als Gut Töſchen zufammengefaßt
wurde, nad) welchem ſich Wenzel in der nächſten Zeit nannte,
Wir handeln zunächſt von dem jüngjten der Brüder, Johann Howora,
da ihm nur eine kurze Lebenszeit bejchieden war. Derfelbe faufte im
Jahre 1600 von Heinrich Penzig von Penzig deſſen Gut Straußnig bei
Leipa, zu welchem die Hälfte des Ortes Straußnitz, das halbe Patronat
in Neuftadtel und Zinfungen in Nieder-Liebich gehörten.) Auf diejem
Beſitz verfchrieb er bald darauf feiner Gemahlin Marie von Salhaufen
4000 Schod m. Gr. als Heiratsgut,?) Aber bereits im Herbſt 1602
verfaufte er das Gut wieder an Balthafar Knobloch, *) und im folgenden
Jahre, anfangs März, jtarb er,?) Seine Gemahlin hatte beim Verkaufe
von Straußnig verjprochen, auf ihre Verjchreibung freiwillig Verzicht zu
leiſten; nachher aber erhob fie Anfprüche darauf. Die Brüder des Gemahls
vermittelten am 7. Juni 1603 einen Vergleich, bei welchem ihr 3250 Schod
nt. Gr. zugejprochen wurden. ©)
Der ältefte Bruder vermählte fih um 1592 mit Barbara v. Schön-
burg.?) Ohne irgendwie in der Deffentlichkeit hervorzutreten, Tebte er im
ruhigen Beſitz jeines Erbgutes bis auf die Zeit des böhmischen Aufjtandes,
wo wir auf ihn zurückkommen werden.
Bei weitem am meiften ift vom dritten der Brüder, Wenzel auf
ZTöfchen, zu berichten. Oben (S. 387) wurde berichtet, auf welche Weije
Johann v. Wartenberg auf Neufchloß Herr der Herrichaft Böfig geworden.
Es gehörten dazu nad) der Theilung von 1553 außer dem Schloß Bölig
das gleichnamige Dorf darunter, Städtchen Hirfchberg und die Dörfer
1) Bergl. Landtafel 139. G. 11.
2) Randtafel 129. G. 17 und 174. A. 1.
3) Randtafel 129. N. 2.
4) Zandtafel 178. HH. 16.
5) Er wurde am 8. März bei St. Beter und Paul in Leipa begraben. Krieiche,
Chronif, f. 90.
6) Landtafel 177. J. 24.
7) Landtafel 26. F. 24.
— 80—
Tacha, Wobern, Luken, Zdiar, Klein-Böſig, Noſadl, Neudorf, Kalken (theil—
weiſe), außerdem Mſcheno, Wratno und das wüſte Oſtrey. 1588 hatte
Johann von Wartenberg die Herrſchaft zu erblichem Beſitz erhalten, und
1592 war ſie von ihm duch Zukauf der Dörfer Tuhan, Tuhanzel,
Domaſchitz und Pawlitſchka vergrößert worden. Gleich darauf trat er
dieje Befigungen für den Fall feines Todes ab an feine Gemahlin Bar-
bara von Lobkowig.') Dieſe wurde alfo zu Beginn des Jahres 1595,
wo Johann ftarb, Herrin von Böfig. Noch bei Lebzeiten des Gemahls
hatte fte für ihre Perjon das Gut Schwoifa von Friedrich von Rodewig
gefauft,?) und auch jpäter vergrößerte jie ihren Befig. So erwarb fie 1596
von Bohunfa von Peizelsdorf geb. Kölbel von Geifing die Dörfer Alt-
und Neu-Kalken mit dem Meterhof,?) und 1601 faufte jie das Dorf Lobes
(nordöjtlih von Micheno).*) Auch Micheno, das von Böjtg getrennt
worden war, und einen Theil des ſüdöſtlich davon gelegenen Dorfes Ledetſch
brachte jie 1605 durch Kauf von Sigmund von Wartenberg an fidh.?)
Dieje aljo reich begüterte Witwe vermählte ji) zum zweiten Male
mit Wenzel Berfa von Duba auf Töjchen, dem fie auch 1607 alle ihre
Güter verfchrieb, falls fie vor ihm jterben würde.“) Wirklich verfchied
fie jchon drei Yahre darauf, am 16. Auguſt 1610.)
Sp gewaltig fich dadurch auf einmal der Herrichaftsbejig Wenzels
vergrößert hatte, jo bildete dies eigentlich” nur den Ausgangspunkt fiir
weitere Erwerbungen in der Nachbarſchaft. Denn noch im jelben Jahre 1610
(am 17. Rov.) brachte er die Güter Widim, Koforzin und Stranfa an
fih, u. 3. um 75.000 Schod m. von Raifer Rudolf, an welchen diejelben
Johanna Hrzan geb. Kappler v. Sulewig, im Namen ihres unmindigen
Sohnes Adam Tobias Hrzan von Harafow im J. 1609 verkauft Hatte.®)
Der Umfang diefer Güter wird in der genannten Verkaufsurkunde folgender:
maßen angegeben: 1. Widim mit Bittnai, Dobrzin, Geſtrzebitz, Schedoweitz,
Dubus, Kleinblagen, Wlkow und Wolleſchno. 2. Kokorzin mit Theilen von
Sedleg und Boſſin. 3. Stranfa mit Thein, Zebig (jegt Meierhof), Trnow,
Daubrawig und einem Theile von Kadlin.
1) Zandtafel 91. H. 23.
2) Landtafel 168. A. 25.
3) Zandtafel 171. B. 29.
4) Ebenda 176. E. 27.
5) Ebenda 185. K. 6.
6) Kleine Kandtafel 236. W. 18.
7) Kriefhes Chronik. S. Mitth. 20. 300. Illuſtr. Chronik I. 177.
8) Randtafel 183. E. 10 und 184, B. 17.
Wittheilungen. 26. Jahrgang, A. Heft. 27
— 30 —
Nicht ganz anderthalb Yahre darauf ging Wenzel mit feiner Schweiter
Helene, die an Zdenfo von Kolowrat verheiratet war, einen Tauſch ein;
er trat ihre das von feiner Gemahlin ererbte Gut Schwojta ab und über-
nahm von ihr Lautſchim (nördlih von Nimburg) mit Patrzin, Klein—
Studerz und Gikew (theihweife). N)
Wie Widim und einige der zugehörigen Dörfer an 200 Jahre früher
ein Bejigthum der Berka von Duba geweſen waren, jo auch Herrichaft
Hausfa, welche ebenfalls an Wenzel Berka gelangte. Diefe Herrichaft
war 1432 von Heinrich Berfa von Duba an Johann von Smirzig ver-
kauft worden (Mitth. 25, ©. 66); der gleichnamige Enfel des legteren
hatte fie an Wenzel Hrzan von Haraſow verfauft,?) und bei diejem
Gejchlechte war fie geblieben bis 1594, wo fie durch Kauf überging an
Damian von PBeizelsvorf und dejien Gemahlin Bohunfa, geb. Kölbel von
Geifing, die wir oben als Bejigerin von Kalten fennen gelernt haben.?)
Dieje, nach dem Tode des erjten Gemahls wieder vermählt mit Wolf
Ehrijtoph Schön von Schönau, überließ Hausfa im %. 1615 an Wenzel
Berfa um 44.500 fl.) Es gehörten damals dazu Schloß Hausfa mit
Meierhof und Dorf, Libowies, Kroh, Kortichen, Borſchim (Borzejow),
Siertſch, Groß: Blagen, je ein Unterthan in Schwiehof, Chrzenow (Schönau),
Drachen, Nedoweska und der Hof in Kluf mit einem Unterthanen,
Fügen wir dem allen noch bei, daß Wenzel im %. 1618 von feinem
Bruder Georg auch dejjen Gut Neuperjtein, wie es dieſer vom Vater
ererbt hatte, an ſich brachte, jo haben wir ein genaues Bild gegeben, wie
großartig ji) der Bejigftand Wenzels gejtaltet hatte. Wie fich dabei die
Neuerwerbungen zum ererbten Bejig verhielten, zeigen am deutlichjten die
Schägungsjummen bei Gelegenheit der Eonfiscation: während fein väter:
liches Gut Töſchen mit 27.429 Schod m. angejegt wurde, jchägte man
die übrigen auf mehr als das Zehnfache, nämlich 283.433 Schod. ®)
Während die übrigen Linien des Gejchlechtes der Berka von Duba
durheängig an der Fatholischen Lehre jejtgehalten hatten, waren die Glieder
der Linie Hühnerwaſſer-Neuperſtein längſt Proteftanten geworden, und
zwei derjelben ſtanden während des böhmischen Aufjtandes von 1618—20
mit an der Spige der Bewegung. Es waren die Bohuchwal (Gottlob),
auf den wir noch Fommen werden, und Wenzel, dejjen reichen Bejiß wir
1) Yandtafel 184. 0. 24.
2) Landtafel 7. E. 21.
3) Zandtafel 169. P. 1 = 27. E. 30,
4) Landtafel 188. D. 24,
5) Bilef, Déj. konfisk. str. 17—19.
— 31 —
im Vorausgehenden Tennen gelernt haben. Beide gehörten der Zahl der
Direetoren an, beide unterfchrieben die Conföderation vom 16. Auguſt 1619
und drüdten ihr Siegel bei; ebenfo ftimmte Wenzel fiir die Wahl Friedrichs
von der Pfalz, unter welchem er. oberfter Zandrichter wurde.) Nach der
Schlacht auf dem weißen Berge floh er nach Breslau. Als er auf das
Eitations-Patent vom: 17. Februar 1621 fich nicht ftellte, wurde er jeiner
Güter volljtändig fir verluftig erflärt. Die Kammer verkaufte diejelben
bereit3 am 6. Juli 1622 an den Grafen Adam von Walditein, der aber
nur Lauczim behielt, während er die übrigen Herrſchaften taufchweife an
Albrecht von Waldjtein überließ. *)
Menzel hatte fih im Jahre 1615 zum zweiten Male vermählt mit
Maria von Oppersdorf und ihr das Heiratsgut auf dem Gute Lauczim
fichergeftellt.°) Erjt nach langjährigen Bemühungen gelang es diejer,
ihren Anjprüchen darauf Anerkennung zu verfchaffen.
Zu Beginn des Jahres 1621 hatten Faiferliche Hauptleute die Herr-
ſchaften Wenzels in Bejig genommen, und um Ojtern desjelben Yahres
fehrte fein Sohn Adam Gottfried von feinen Reifen zurid, die ihn durch
11 Jahre von der Heimat fern gehalten hatten. Da ihn fo feine Schuld
treffen konnte, wandte er ſich an den Kaifer, indem er feine volljtändige
Unschuld betonte und um Hilfe in feiner Noth bat. Der Kaiſer woillfahrte
der Bitte derart, daß er ihm 700 Thaler jchenfte. Aber bald war diefe
Summe verbraucht, und neuerdings richtete Adam Gottfried das Geſuch
an den Kaifer, fich feiner väterlich anzunehmen und die Güter des Vaters
lieber ihm als einem Fremden zuzumenden. Doc wie das Vorausgehende
ergibt, blieben alle Bemühungen in diefer Hinficht vergeblih.*) Nur ein
Haus in der Prager Neuftadt, das feinem Vater gehört hatte, wurde ihm
endlih im October 1623 zugewieſen. Mittlerweile war er jedoch in faijer-
liche Dienfte getreten und Landeshauptmann der Grafſchaft Glatz geworden,
und jeine Verhältniſſe hatten fich derart gebefjert, daß er ſchon am 6. Mai 1623
das confiscirte Gut Konoged bei Auſcha um 53.783 Schod m. Grojchen
faufen konnte, wovon er nad Abzug verjchiedener Forderungen an die
Kammer nur etwa ein Drittel in drei Naten baar zu bezahlen hatte. °)
— ——
1) Vergl. Bilek, Dèj. konfisk. 16. u. d'Elvert, Beiträge II. 23. ff.
2) Ich verweife für dad Gefagte und die jpäteren Schidfale diefer Herrſchaften
einfach auf Bilef a. a. DO.
3) Landtafel 138. G. 2.
4) Alles nad Acten im Statthalterei-Archiv.
5) Bilef a. a. D. str. 291.
27*
— 32 —
| Adam Gottfried beſaß das Gut nicht gar zu lange. Bereits 1626
ftarb er kinderlos. Da feine Schweftern ausgewandert waren, jo fiel
Konoged an die Schwefter feines Vaters, Helene, welche mit Zdenẽt 20
Libſteinſty von Kolowrat verheiratet war.’).
Georg Berka von Duba auf Neuperftein, der Bruder Wenzels, hatte,
wie erwähnt, feine einzige Herrichaft Perftein im Jahre 1618 verkauft, jo
daß er duch die Konfiscation nichts verlieren konnte. Der Religion
wegen ging auch er mit feinen Söhnen außer Landes. Georgs Gemahlin
Barbara von Schönburg dagegen blieb im Lande; fie bejaß jeit 1620 das
Gut Samſchin (bei Sobotka). Eine Tochter Anna Marie war zuerft
vermählt gewejen mit Wenzel d. j. Berka von Duba auf Neichjtadt, nad)
defjen frühem Zode jie den Grafen Wenzel von Rozdrazow heiratete.
Bon Söhnen Georgs find zwei befannt: Adam und Hans Georg.
Jener floh mit dem Winterkönige, ftand auch jpäter in deſſen Dienjten,
bis derſelbe ftarb; dann wurde er jchwediicher DOfficier. Als folcher wurde
er 1641 beim Entjage von Görlig verwundet und jtarb. Er liegt zu
Zittau begraben. Nachkommen von ihm Iebten angeblich noch vor dreißig
Jahren.“ Der zweite Sohn Johann Georg trat zuerft in dänijche, dann
in kaiſerliche Dienſte. Er war fpäter Bejiger der Güter Groß-Ellgut und
Rudelsdorf in Schlejien, wo er noch 1664 genannt wird als Ueltejter der
beiden Fürftenthümer Schweidnig und Yauer. ®)
Wir haben nun zum Schluß noch zu behandeln die Nachkommen
jenes Ulejch Berka, den wir oben (S. 385) als Befiger von Laufoweß
fennen gelerıtt haben. Es wurde dort bereits erwähnt, daß fein älterer
Sohn Bohuhwal im Jahre 1580 die Verwaltung des Gutes übernahm.
Der andere Sohn, Aleſch Ladiſlaus, fcheint bedeutend jünger gewejen zu
fein, denn erſt 1595 wurde in die Landtajel eingelegt, daß er eine gewiſſe
Summe Geldes als Erbtheil erhalten habe. *) Noch vor dem Jahre 1600
aber muß ex geftorben fein, denn als es fich in diefem Jahre um dag
Erbe nad) Aleſch Berka auf Hühnerwaſſer und Weißwaſſer handelte, wird
er unter den Erbberechtigten nicht genannt.
1) Vergl. Landtafel 306. D. 11. Das Todesjahr Adam Gottfrieds nach PViertel-
jahrsſchrift für Glatz, II. 167.
2) Vergleihe über Adam die Ausführungen bei Peſchek: Die böhm. Erulanten
©. 134 f. Ich kann jeine Angaben nicht controliren; fomweit mir dies möglich
ift, zeigen fi mehrere Unrichtigfeiten, wie fih aus dem VBorftehenden ergeben
dürfte.
3) Peichef a. a. O. u. Sinapins, Schlej. Euriofitäten. I. 169.
4) Landtafel 27. P. 8.
— 393 —
Letztgenannter Aleſch Berka hatte ſich bekanntlich im Jahre 1599 das
Leben genommen. Da er kinderlos war, ſo fielen ſeine beiden Herrſchaften
Weißwaſſer und Hühnerwaſſer an ſeine Vettern, das heißt erſtens die drei
Brüder Georg auf Neuperſtein, Wenzel auf Töſchen und Johann Howora,
zweitens an den kurz vorher genannten Bohuchwal auf Laukowetz. Allem
Anſcheine nad) Fonnten ſich dieſelben längere Zeit über die Erbſchaft nicht
einigen. Genauere Berichte freilich find mir darüber nicht befannt geworben,
doch läßt fich dies fchließen aus einem Schreiben, das Bohuchwal, Georg
und Wenzel am 18. Juni 1601 an den Erzbiichof Zbynek Berka richteten.")
Sie bedanken ſich darin für feine Vermittlung und bitten, ihnen zum
Zwede der volljtändigen Yuseinanderjegung einen Tag in Prag zu be
ftimmen. Der Erfolg der Verhandlungen war der, daß Bohuchwal die
angefallenen Herrichaften übernahm. ?)
Aber der Güterbefig Bohuchwals erfuhr nicht lange nachher eine
weitere ganz anfehnliche Vergrößerung. Seine Mutter nämlich, Grijelde,
in zweiter Ehe vermählt mit Adam von Schwamberg, hatte zwiſchen
Jechnitz und Ludig das Gut Chiefch gefauft und eine Weihe kleinerer und
größerer Befigungen damit vereinigt. Mit Tejtament vom 8. Nov. 1604
bejtimmte fie diefe Güter ihren zwei Kindern erjter Ehe; nämlich der
Tochter Katharina, die zuerjt mit Wenzel von Dohna, dann mit Joachim
von Kolovrat auf Rabſtein verheiratet war, die Dörfer Liebkowig, Firbig,
Nahorichedig und Theile von Modjchiedl und Lubenz; dem Sohne Bohu—
chwal dagegen Gut Chiefh mit 3 Meierhöfen und den Dörfern Lubenz
(theilmeife) Protiwig, Sicherig, Boritih, Wurz, Walfowa, Kragin, Schaar,
Witkowitz, Badftübl und je einem Bauernhof in Lub und Sahorz; außer-
dem noch Wladarz, Radotin (theilweife), Leſchkau, Wlberig, Pribenz und
Mokotill.?)
Vermählt war Bohuchwal zuerjt mit Anna von Megradt und feit
1601 zum zweitenmale mit Magdalena Katharina Slawata von Chlum.
Aus der erſten Ehe ftammte ein Sohn Aleſch, der fic im Jahre 1609
verheiratete mit Dorothea von Wartenberg. Damals wohl übergab Bohu-
hwal dem Sohne das Gut Laufoweg in eigene Verwaltung. — Eben—
genannte Dorothea von Wartenberg war die Tochter Sigmunds von
Wartenberg von deſſen erjter Frau Elifabeth, der Erbin von Neujchloß.
Nach Sigmunds Tode fiel Neufchloß an feinen Bruder Johann; doch ijt
1) Abſchrift im Landesardiv,
2) Er jagt, er babe diejelben durch Kauf von jeinen Vettern erworben. Land
tafel 92. K. 22. Juxta.
3) Landkafel 133. G. 4,
— —
es klar, daß Dorothea eine anſehnliche Mitgift in die Ehe brachte, Bei
den Geldverlegenheiten ihres Oheims Johann erhielt jie davon freilich
zunächit wenig. Doch es hängt wohl damit zufammen, daß ihr Johann
im Jahre 1611 das Gut Ober-Liebich bei Leipa verfaufte,) das Dorothea
aber jchon 1614 wieder veräußerte an Heinrich Penzig von Penzig auf
Sandau, u. zw. um 38.500 Schod m. Gr.“) Den Reit ihres Vermögens
erhielt Dorothea erſt 1615, als die Herrichaften ihres Oheims unter
Sequejter gefommen waren und den Gläubigern durch das Gericht ihre
Forderungen zugefprochen wurden. — Bereits im nächjten Jahre, 1616,
ftarb Dorothea.)
Daß Bohuchwal Berfa an dem Aufitande von 1618 einen Haupts
antheil hatte und jpäter als Oberjtburggraf von Böhmen einer der eifrigften
Anhänger des Winterfönigs war, wurde theilweije jchon betont, anderjeits
ift e8 aus den vorhandenen Darjtellungen der Gejchichte jener Zeit be—
fannt.*) Nach der Niederlage auf dem weißen Berge begleitete er den
König Friedrich auf feiner Flucht nach den Niederlanden. Seine Güter
verfielen natürlic) der Confiscation. Davon wurde Chiejch 1622 an Georg
Wilhelm Michna von Weigenhofen verkauft, Weißwaſſer und Hühnerwaſſer
erwarb Albrecht von Waldjtein.?)
Bohuchwals Sohn Aleſch, gegen welchen weniger Gravirendes vorlag,
wurde von der Confiscations-Commifjton am 2. Dec. 1622 zum Berluite
der Hälfte feines Vermögens verurtheilt. Sein Gut Laufoweg mit Koftrzig
wurde daher von der Kammer eingezogen und jchon im Januar 1623 an
Albrecht von Waldjtein verkauft. Als Friedländer Lehen erwarb dann im
nächiten Jahre Aleſch den confiscirten Beſitz wieder zurück und bejaß ihn
jo bis auf Waldjteins Tod. — Mlejch hatte aber auf den Gütern feines
Vaters auch verschiedene Forderungen, jo eine größere Summe, die jeine
Mutter Anna von Metzrad mit in die Ehe gebracht hatte, und mehrere
Capitalien jeiner Frau Dorothea von Wartenberg, die diefe dem Bohu-
chwal Berka vorgejtredt hatte. Aleſch berechnete feine Forderungen auf
110.000 Sch. m. Grojchen wovon dann ebenfalls die Hälfte fiir verfallen
erklärt wurde.®)
1) Zanbtafel 135. M. 5.
2) Kandtafel 188. C. 11 und P. 16.
3) Kriefches Chronik. Vergl. Mitth. 20, 307.
4) Vergleiche Bilef, D&j. konfisk. str. 13 und die lleberfegung des betreffenden
Stüdes in diefen Mitth. 24, 241.
5) Siehe die Belege bei Bilef a. a. D.
6) Acten im Statthalterei-Achio. Vergl. Bilek a. a. O.
— 395 —
Aleſch war Proteſtant geblieben, und als im Jahre 1628 auch er
vor die Entjcheidung gejtellt wurde die katholiſche Religion anzunehmen
oder auszumandern, erklärte er, nicht. fatholifch werden zu wollen; doch.
bat er (am 9. Jänner 1629) um Ertheilung einer längeren Frift zur
Auswanderung.') Weber jeine Schicjale in den nächiten Jahren ijt mir
nichts befaunt geworden. Indeß bei der Ermordung Wallenfteins war er
noch Befiger feines Gutes, und auch für weiterhin wurde es ihm um
34.847 Sch. m. Gr., die man von feinen oben erwähnten Forderungen
abrechnete, überlafjen.?)
Noch im gleichen Jahre aber erfolgte der Einfall der Schweden, und
Aleſch bemächtigte fich bei diefer Gelegenheit der jeinem Vater confiscirten
Herrichaften Weißwaſſer und Hühnerwaſſer. Nach dem Abzuge der Schweden
führte er zur Entjchuldigung diejes Schrittes an, er wäre dazu von einem
ichwedischen Oberjten gezwungen worden. Die Reviſionscommiſſion wollte
diefe Entjchuldigung nicht gelten laſſen und beantragte am 30. Auguft
1636, Aleſch feines Gutes für verluftig zu erklären. Indeß der Kaiſer
verzieh ihm jein Vergehen und entjchied (am 13. November 1636), er jet
im Bejige feines Vermögens und des Gutes Laufoweg auf Lebenszeit zu
belafjen.?) Aleſch jtarb 1639 oder am Anfang des folgenden Jahres ohne
Erben. Sein Gut Laukowetz war jchon früher bejtimmt worden für Feld—
marſchall Joſef Rudolf Freiheren von Bredau, und diefem wurde es jegt
auch mit faif. Rejolution vom 16. Mai 1640 überlafjen.*)
EFF TIEFE
Erinnerungen an Phil. Incob Fallmerayer.
Ein Licht: und Schattenbild von R. v. Höfler.
Aus dem Gedächtuiffe der Gegenwart find die bangen Tage ent-
Ihmwunden, die Prag und das nördliche — Deutjhböhmen bejtanden, als
nad) dem Rückzuge der alliirten Armeen von Dresden nad) Böhmen
29., 30. Augujt 1813 der franzöfiiche General Vandamme plötzlich die Elbe
überjchritt, gegen ZTeplig vordrang, und das auf dem Nüdzuge befindliche
Heer zu zerfprengen, fi) den Weg nach Prag zu eröffnen juchte. Die
1) Abichrift des Briefes im Landes-Archiv.
2) Bilek a. a. O
3) Acten im Statthalterei- Ardiv.
4) Bilek a. a. D.
— 35%: —
damalige Zeit hat den Fühnen Verſuch wohl zu würdigen gewußt und
eben deshalb den ruſſiſchen Heerführer, welcher fich dem franzöjtichen Ge—
neral bei Kulm entgegenwarf und ihn jo lange aufhielt, bis Bandamme
von dem gleichfall8 auf dem Rückzuge befindlichen preußiichen Corps im
Rüden angegriffen, zwifchen zwei Feuer gebracht und feine Armee zerjprengt
wurde, — den Grafen Ojtermann Tolſtoy, mit allen denkbaren — ver:
dienten oder unverdienten — ich laſſe es dahingejtellt — Ehren überhäuft.
Wie man mir jagte, wurde ihm jelbjt eine Art Nationalbelohnung des
Königreiches Böhmen decretirt und wanderte der größte Granatjtein, der
bis jegt gefunden worden war, als Dedelfhmud eines ihm gejchenfkten
Bechers in die Hände des Siegers von Kulm. — Ich glaubte, da ich mit
dem Grafen Oftermann näher befannt wurde, mehrere Monate in der
Billa Strozzi in Florenz bei ihm verweilte, den Leſern diejer Blätter
Einiges mittheilen zu dürfen, was für fi, da der Graf in die Ge
Ihihte Böhmens denn doch feinen Namen eingegraben hat, von In—
terefje fein dürfte Entjchuldigen aber muß ich mich, wenn ich dieſe
Mittheilungen in Verbindung bringe, mit minder wichtigen Ereigniſſen
meines eigenen Lebens und beides anfnüpfe an das über alles Maß
erhobene Wirken eines deutjchen Gelehrten, der in den vierziger Jahren
unjeres Fahrhundertes ungemein von fich zu veden machte und in jüngjter
Zeit durch die inhaltsvolle Schrift eines namhaften Tiroler Gelehrten,
Herren Gymnaſial-Director Dr. J. Ch. Mitterrugner, wieder in den Vor—
dergrumd trat. Ich glaube, daß durch das, was ich aus Selbjterlebtem
hinzuzufügen im Stande war, der Auffag auch außerhalb Böhmens mit
Intereſſe gelejen werden wird, in Böhmen aber von Allen, die für das,
was auf dem geiftigen Gebiete Deutfchlands und noch dazu in dem Nach:
barlande vor fich ging, offenen Sinn und ein deutjches Herz bewahrt
haben. Uebrigens mache ich zum Schluſſe aufmerkfjam, daß zu der Zeit,
in welche dieſe Aufzeichnungen fallen, Böhmen, Mähren, Schlefien und
was man jegt die Länder der böhmischen Krone zu nennen pflegt, mit jo
vielen anderen öfterreichiichen Ländern, nach der Beitimmung Sr. kaiſerl.
Majejtät des höchitjel. Kaifers Franz nemine contradicente zum deutjchen
Bunde gehörten, dejjen Präſident Se. Majeftät war und zwar ohne dazu
die Zuftimmung der Landtage der Länder der böhmijchen Krone fich
zuerjt erholt zu haben — ein jtaatsrechtlicher, von allen Mächten Europas,
von allen Untertbanen Sr. kaiſ. Majeftät unbedingt anerkannter Zuſtand
der Dinge, der von 1815—1866, jomit mehr als ein halbes Jahrhundert
in gejeglicher Kraft bejtand. Was aljo in jener Zeit in deutjchen Landen
vor fich ging, verdient um jo mehr von ung berückſichtigt zu werden, da
— 397 —
wir zu ihnen gehörten, fie aber zu unjerer hiſtoriſchen Bafis, die feine
Macht der Erde uns zu entziehen vermag.
Prag, 15. April 1888.
Der Verfafler.
Ich hatte im Auguft 1827 in München das Gymnafium abfolvirt
und begab mic dann nach Landshut, diefer ehemaligen Refivenz baieriſcher
Herzoge, um an dem Lyceum dem vorgefchriebenen philofophiichen Curs
zurüdzulegen. Die bairischen Lyceen ftanden den philofophifchen Facultäten
der Univerfitäten gleich. Die Anzahl der Zuhörer war gering, ebendeshalb
aber auch eine größere Annäherung der Studirenden und Brofejjoren
möglich, die Lehrmittel, Bibliotheken, Inſtitute, freilich bejchränft, die Pro-
fejforen zum Theile Anfänger, aber voll guten Willens. Für mich entjchied
der Umjtand, daß bei der Verpflanzung der alten Univerfität Ingolſtadt—
Landshut nach München, die nun verwaifte Stadt an der Iſar als eine
Art Entjchädigung das bisher in München befindliche Appellationsgericht,
bei welchem mein Vater als Nath angejtellt war, erhielt. Freilich meinten
die biedern Landshuter, der Erjag fei kiimmerlich, da die Studenten mehr
Bier verjchüttet hätten, als die Herren Näthe, Secretäre, Afjefloren,
Aeceſſiſten und fonftige Angeftellte des hohen Gerichtshofes zu trinken
pflegten. Mir war das gleichgiltig. Ich ging nach fünfjährigen Inſtituts—
aufenthalte in das elterlihe Haus zurück. Mein älterer Bruder, der am
Lyceum den erſten Curs abjolvirte, bezog die Univerfität, ich kaum fiebzehn-
jährig das Lyceum.
Es war Ende October, daß ich dem Profejjor der Gefchichte und der
claſſiſchen Philologie, Philipp Fallmerayer, einem Tiroler, der, im
Jahre 1790 im Weiler Pairdorf bei Briren geboren, mehr als doppelt jo
alt als ich war, mit der Unbefangenheit eines Knaben meine Aufwartung
machte. In der Heinen Stadt war es natürlich, daß eine Abgrenzung der
Stände weniger hervortrat und Perjonen, die ein wifjenjchaftliches Intereſſe
hatten, geſchweige diejenigen, welche es durch ihr Amt vertraten, ſich jehr
bald zufammenfanden. Auch gab es ja noch einige Reſte der Univerjität,
die, zum Theile nicht ohne Bitterkeit und widerwillig, zurücgeblieben waren.
Der Gerichtshof zählte Perfonen, deren geijtiges Leben ſich nicht auf die
gewöhnliche Actenerledigung bejchränfte. Zu dieſen gehörte auc mein
Vater. Profejforen und Räthe näherten ſich in einer den damaligen Ber:
hältnijien angemejjenen Gefelligfeit. In diefen Kreifen wurde denn aud)
der großen Gelehrſamkeit des Profeſſors, der kurz vorher die in Kopen—
— 398 —
hagen aufgejtellte PBreisaufgabe einer Gejchichte des trapezuntiichen Kaijer-
thums gewonnen und das ſehr gediegene Werf veröffentlicht hatte, unum—
wunden gehuldigt, während bei den Studirenden, die jich an jeine mündlichen
Borträge hielten, die Meinungen jehr getheilt waren. Die Einen hielten
ihn für einen Declamator, wo nicht gar Phraſenmacher und gebrauchten
Ausdrücde, die nicht von Achtung überfloffen; die Anderen erklärten fich
gegen dieſe wegwerfende Auffafjung, wenn auch beide Theile darin überein—
jtimmten, daß der richtige Ton eines afademijchen Vortrages den vielen
Uebertreibungen in Stimme und Ausdrudsweije feind jei und die fubjective
Empfindung und Stimmung des Verfaſſers, der als akademiſcher Docent
ein Neuling war, zu grell hervortraten. Eine kleine Gelegenheitsjchrift, in
welcher F. jeine Anschauungen über Gejchichte ausſprach, aber ohne fejte
Begriffe zu geben, war zu verſchwommen, verriet) weniger eine philo—
jophijche Ducchbildung, als troftlojes Fejthalten an Naturgejegen, die feine
Freiheit der Entwidlung geitatteten, Befreundung mit Voltairiſchen An—
ichauungen, extrem-liberale Grundfäge, zu denen er ſich auch in jeinen
Borträgen oft in faft cyniſcher Weije befannte. Fallmerayer jchien im
mündlichen Bortrage jelbjt mehr von propagamdijtiichem Eifer als von
jtrenger Wijjenjchaftlichkeit bejeelt, den Beruf im fich zu tragen, die „Jugend,
welche ſich jeiner Führung anvertraute, in einen offenen Widerſpruch zu
ihrem ganzen Fühlen und Denken zu verjegen, den Gegenſatz gegen ihre
bisherige Denkungsweiſe möglichjt zu jchärfen, und, nachdem er jie vor
ein Nichts gejtellt, jie ihrem Schickſale zu überlajfen. Er jelbjt hatte es,
der Schule der Encyelopädiften folgend, deren Grundjäge ihn, den Bauern:
john, aus dem Clericalfeminar getrieben, nur zur Negation gebracht, die
ſich für ihre Zrojtlojigkeit in bitteren Sarfasmen rächte, ihm aber nie
Befriedigung gewährte.
Ich wurde von ihm mit einer auffallenden, beinahe jeltfamen Freund»
lichfeit empfangen, die mir ein Räthſel geblieben if. Er bewohnte ein
großes Zimmer, dejjen Hauptſchmuck in einer Ottomane bejtand, deren
Annehmlichfeit man in Landshut damals wenig kannte, und die wohl auch
als Bett diente. Man wußte, daß er jich längere Zeit in Wien aufge-
halten und dort namentlich) den Umgang mit Orientalen gejucht hatte.
Dort hatte er auch wohl unter andern dem Oriente entlehnten Gebräuchen
die Sitte angenommen, feinen Zinmerboden mit wohlriechenden Ejjenzen
zu bejprengen, in deren Duft er jich wohl fühlte. Mir war e8 nur darum
zu thun, etwas Tüchtiges zu lernen. Ich hatte offenbar das Gymnaſium
zu jung abjolvirt und befand mich dem Decan des Wijjens und des
Studiums vatblos gegenüber. Es war mir, als hätten fich alle Inſeln
— 399 —
des Weltmeeres von ihren Fundamenten losgeriſſen und ſchwämmen mir nun,
mich einladend, auf einer Wohnſitz zu nehmen, entgegen. Aber auf welcher
von all den Tauſenden und wie hatte man ſich dort wohnlich einzurichten?
Das Einfachfte unter diefen Verhältniffen war, zu lernen, was geboten
wurde und Weiteres der Zeit, der natürlichen Entwidlung und tem eigenen
Genius zu überlaffen. So ließ ich denn auch im erjten Jahre ruhig
Naturgefchichte, Philofophie, Philologie und Gejchichte auf mich herein-
jtürmen und widmete mich daneben dem Studium des Thufydides, Eigentlic)
zogen mid) dallmerayers Borträge über Philologie, wobei er Hejiods
Eoya nal Nusgaı und des Plautus miles gloriosus erplicirte, im Ganzen
mehr an, als feine hiftorifchen Vorträge. Er war als Philologe genöthigt,
ji) an den Text, die Sache zn halten, das unnöthige Abjchweifen, welches
er in den hijtorischen Vorträgen fo jehr liebte und übte, aufzugeben. Bei
Hefiod und Plautus war es doch nicht möglich, von dem Geiftlichen zu
reden, der am Altar feine Kunſtſtücke verrichtet, und ähnliche Dinge
vorzubringen, deren Tendenz ſehr durchſichtig war. Der gänzlihe Mangel
an ethiſchem Gehalte, die Petulanz des Ausdrudes, die Effecthaſcherei
uud die damit verbundene Liebe zu Baradoren, welche ihn jchon damals
beherrjchte, der Mangel an ernjter Vorbereitung, welchen die Inproviſation
nicht verdeden konnte, machten es oft fraglich, ob er ſich je die jchwere
Aufgabe eines öffentlichen Lehrers vergegenwärtigt und namentlich die
Grenzen erforscht habe, die zwiſchen der perfünlichen Anjchauung und den
Rückſichten für die afademifche Jugend zu ziehen find.") Was mich damals
und noch mehr fpäter anzog, war bejonders feine große Keuntniß des
romäiſchen Reiches. Er hatte die byzantinischen Schriftſteller — eine terra
incognita für die meiſten Profeſſoren der Geſchichte, — gründlich ftudirt,
wie er es jich auch Später zur Lebensaufgabe jtellte, den Abendländern die
weltgefchichtliche Bedeutung von Conjtantinopel Kar zu machen und wenn es
ihm auch bei diefen Studien vor Allem darum zu thun war, Material für
jeine Lieblingsthefe von der Berwüjtung der althellenifchen Bevölkerung durch
die Slaven, ich muß leider jagen, auf Koften der Wahrheit zu ſammeln,
jo gelang es ihm doch, mir einen weiten Ausblid nach dem Dften zu
eröffnen. Sch habe e8 nie bereut, nach feinem VBorgange ein paar Jahre
byzantinische Quellen ftudirt zu haben, wenn auch das Reſultat diejer
1) Ich weiß fehr wohl, daß dieje Darftellung in grellem Gegenfage zu dem fteht,
was Dr. Thomas und Fallmerayers Seide, der jüngft verftorbene Dr. Steub
über den eminenten Erfolg jeiner Landshuter Vorträge in die Welt hinaus»
ichrieben. Was ich berichte, beruht auf eigener Erfahrung.
— UNO: —
Studien mich weit davon führte, jenen ſcheußlichen Andronikos, den Mörder
der Komnenen zu verherrlichen, der am Ende des XII. Jahrh. die romäiſche
Geſchichte mit ſeinen Unthaten erfüllte, in Fallmerayer aber einen Apolo—
geten fand. Es machte auf uns junge Leute einen eigenthümlichen Eindruck,
ſo oft den Satz aus dem Munde eines wegen ſeiner Gelehrſamkeit geach—
teten Lehrers zu hören, wenn nur die Leute von einem ſprächen, es ſei
gleichgiltig was, wenn es nur geſchähe. Ertrugen die Einen dieſes unwill—
kürliche Bekenntniß verzehrender Eitelkeit, im Hinblicke auf die ſonſtigen
trefflichen Eigenſchaften, ſo fühlten wohl die Meiſten ſich nicht davon an—
gezogen. Allen mußte aber dieſe ſo oft wiederkehrende Betonung ſeiner
individuellen Stimmung mehr ſeltſam als ethiſch erſcheinen. Dieſe nicht
gerade nachahmungswürdige Doctrin verleitete ihn auch ſpäter, als er die
Gefchichte der Halbinfel Morea im Mittelalter herausgab, dem befannten
Sape der Byzantiner, daß ganz Hellas flavifch geworden fei — zrac«
1) "Eikas EoladwIn — die Ausdehnung zu geben, als wäre die ganze
hellenifche Bevölferung Griehenlands mit Stumpf und Stiel
von ven Slaven ausgerottet worden. Er gejtand mir aber auf einem
Spaziergange in München, er habe die Eriftenz der SHellenen in den
griechifchen Seejtädten bis zur dritten Correctur feiner VBorrede angenommen,
und dann erſt befeitigt. So wurde die hellenijche Bevölkerung nicht ſowohl
von den Slaven als von ihm ausgerottet, des größeren Effectes
wegen, wie er mir damals ſagte. Es war und blieb diejes das Yallmer-
ayer am meijten beftimmende Moment, das diejenigen, welche ihn achteten,
oft jehr unangenehm berührte.
Als nachher die große Controverje entjtand, der alte Philhellene
Thierich gegen Fallmerayer zu Felde zog und in der Münchner Akademie
der Wifjenjchaften der Kampf wie einjt vor den Mauern von JIlios ent-
brannte, bejchlich mich immer ein eigenthümliches Gefühl, wenn ich mich
jenes Geſtändniſſes des Hellenoctonos, des Hellenentödters von Lands»
hut erinnerte und die Lanzen ſich zerfplitterten, um die Welt und Fallmer—
ayer zu überzeugen, daß die Slaven die Hellenen nicht gänzlich verfpeijt
hatten. Ich hatte feinen Anlaß mich in die Eontroverje einzumengen, am
wenigjten nachdem ich erfahren, wie ſich die Sache eigentlich verhalte ;
glaube es aber der Wahrheit jhyuldig zu jet, dieſe charakteriftiiche That—
jache nicht zu verfchweigen.
Irre ich mich nicht, jo hat ſich Fallmerayers jpätere Berufung auf
eine in Athen aufgefundene mittelalterliche Chronik auch nicht als jehr zu-
verläjlig erwiefen, wenn ſie auch Anlaß wurde, daß jehr viel von ihm
geredet wurde, wie auch Prof. von Laſſaulx bezeugte, der nad Fallmer—
ayer nach Athen Fam und dann Vieles über feinen Aufenthalt dafelbft
berichtete, was ich hier umgehe.
Welchen Werth aber auch eine fpätere und nichts weniger denn
wohlwollende Kritif der Gejchichte der Halbinfel Morea zukommen ließ,
das Buch, noch in Landshut gefchrieben, war an fich ein Werf von weit-
ragender Bedeutung. Der König felbft war ja der eifrigjte Phil-
hellene. Er hatte nicht bloß die Befreiung Griechenlands von der türkijchen
Herrſchaft begünftigt, jondern auch den eigenen Sohn dem Traume geopfert,
ein wittelsbachiſches Secundogenitur-Königreich auf claſſiſchem Boden zu
begründen, Millionen geopfert und dadurch nach 1849 fi) in eine üble
Schuldjache geftürzt als er die ftete Warnung eines plöglich in Ungnade
gefallenen Minijters verſchmähend, von dem Landtage zu einer ftarfen
Rückzahlung an das Land genöthigt wurde. Der Enthufiasmus des Königs
jtedte das Land an, die Wände des Hofgartens prangten mit bilvlichen
Darftellungen des hellenifchen Befreiungsfampfes, Gedenkſäulen wurden
errichtet, in Kiefersfelden die Ottofapelle gebaut, baieriſche oder baieriſch—
griechiiche Ulanen ftürmten fpäter vergeblich die Thürme der Mainoten, die
den armen Bavarefen, die verwundet in ihre Hände fielen, mit mehr als
türkischer Graufamfeit begegneten. Ganz Baiern befand fich in Aufregung
und nun fam ein obſeurer Profeffor in Landshut und deducirte, daß der
Enthuſiasmus feine Berechtigung habe; es gebe nur Pfeudohellenen, die
echten ſeien längft erfchlagen worden. Und dazu erft noch der Epilog des
Ganzen. Der Traum eines bairifchen KönigtHums in Griechenland ver-
ging, wie der eines bairischen Königthums von Skandinavien, der Herr-
Ihaft in den Niederlanden und einjt auch des böhmischen Königthums
vergangen war, Die Bilder im Hofgarten konnten jegt eine eigenthümliche
Fortfegung durch unverhoffte Ereigniffe erhalten, als der vielgeprifte
Wittelsbacher nach feinem Ithaka zurückkehrte, K. Otto feines Thrones be-
raubt, als Flüchtling nad) Baiern zurückkam — ich fah ihn im griechischen
Cojtiime, das er noch immer trug, neben feinem Bruder 8. Mar IL. in
die Münchener Refidenz fahren — und er fah jelbit, feiner Sorgen ent:
hoben, procul negotiis, gar nicht betrübt aus, wenn auc Königin Amalie
den Wechjel von Athen und Bamberg ſchwer ertrug und ihre Neitpferde
und die Anlagen der Bamberger Gärtner „den Zorn" zwar nicht eines
Peliven, doch einer oldenburgijchen Prinzeffin, oft hart zu büßen hatten.
Es wird nicht viele Forfcher geben, denen das Gejchid eine jo
eigenthümliche Satisfaction gewährte.
Die Gefchichte der Halbinjel Morea hatte aber noch eine andere
Bedeutung. Wer einmal Gibbon’3 berühmtes Werk über Emporfommen
— 42 —
und Berfall des römischen Kaiferreiches gelefen, mußte ſich jagen, daß ein
höchſt merkwürdiges Kapitel, die Gejchichte der ſlaviſchen Invaſion in
Südeuropa eine lebensvolle Erweiterung erhalten. Das Werk gab nicht
bloß eine Epifode der ſlaviſchen Geſchichte durch die Darjtellung der neuen
Eolonifation von Hellas, fondern ergänzte auch das Bild der Bölfer-
wanderung, unter der wir nur zu lange bloß das Eindringen germanifcher
Völker in das römische Reich verftanden. Nicht ohne inneres Behagen
verweilte F., als die Polemik ausbrach, bei der Darjtellung der Wilbheit
und Graujamfeit der flaviichen Einwanderer nach den bewährten byzan—
tiniſchen Quellen, deren Anhalt freilich gewaltig abftiht von der Schön-
färberei, die man in Betreff der Weſtſlaven anmwandte und an die man
jih nach beliebten Muftern gegen alle Gejchichte gewöhnte. Mean darf
endlich nicht vergefjen, daß auch eine allgemeine Frage dadurch in den
Bordergrund trat, die über den Einfluß des Klimas, der Bejchaffen-
heit des Bodens und Landes auf die Bewohner. „Der ewig lächelnde
Himmel Griechenlands" wölbte ſich über Hellenen wie über die Slaven und
genügten Natur und Himmel, diefelben Quellen und Berge, derjelbe Boden,
dasjelbe ſaroniſche Meer, dieſelben ſchöngelegenen Inſeln, jo war fein Grund
vorhanden, nicht anzunehmen, daß am Ilyſſos und Eurotas noch einmal
das reichſte Eulturleben aufblühen konnte. Die ethnographiiche Erörterung
hat Annahmen, die vor 50 Fahren beinahe unbeftritten ftattfanden, gewaltig
eingejchränft, wo nicht abgethan und das erwähnte Werk hat zur richtigen
Auffaſſung diefer allgemeinen Fragen wefentlich beigetragen. Perjönlich
hatte ich jchon in jungen Jahren die Ueberzeugung gewonnen, daß Fallmer:
ayers Doctrin zu viel beweijen wolle und jchon dadurch irrig jei, ganz
abgejehen von ihrem pigchologifchen Urſprunge. Der große hellenifche
Bürgerkrieg, den Thukydides als das größte Ereigniß der griechifchen
Geſchichte anjah, feine Fortjegungen bis zur mafedonischen Zeit, dann die
römische Periode haben mit den Nachkommen der Marathonomachoi, der
Kämpfer von Marathon und Salamis, den Thebaner und Spartiaten
gründlich aufgeraumt und jener Pifo mag Recht gehabt haben, wenn er,
Germanieus nachreifend, den Athenern feiner Zeit in Erinnerung brachte,
daß ſie nur ein Miſchmaſch, eine colluvies gentium feien. Freilich Tonnte
man das auch von den Nomuliden behaupten. Aber man muß unter:
jcheiden, daß, wenn auch die Althellenen allmählich dem meijt jelbitgejchaffenen
Berderben erlagen, fie ftetS durch andere erjegt wurden, die die Slaven
bei ihrer Einwanderung vorfanden, mögen nun diefe Hellenen von dei
Inſeln oder von den kleinaſiatiſchen Kiüftenjtädten herüber gefommen fein.
— 403. —
Sie waren doch Hellenen und beſtehen trotz der Landshuter Bartholomäus:
hochzeit bis zum heutigen Tage.
Doch ich bin meinem eigentlichen Thema ſcheinbar untreu geworden
und nehme den Faden, welchen ich fallen ließ, wieder auf.
Wenn man frägt, wer auf die Entwicklung Fallmerayers am früheſten
eingewirkt, ſo muß zuerſt hervorgehoben werden, daß er vor Allem zumeiſt
Autodidact war und die Vorzüge wie die Fehler dieſer Methode oft genug
zur Schau trug. Er ſelbſt pflegte mit beſonderer Vorliebe des Profeſſors
der claſſiſchen Philologie an der Univerſität Landshut, Hofrath Dr. Aſt
zu gedenken und, da er erwähnte, wie oft er den älteſten Sohn desſelben,
den um das Jahr 1809 geborenen, nachherigen Dr. Karl Aſt, auf ſeinen
Armen herumgetragen, ſo wird man kaum irre gehen, wenn man annimmt,
daß Profeſſor Aſt, ein damals mit Recht gefeierter Kenner Platos, ein
ausgezeichneter Latiniſt, auf die humaniſtiſche Bildung Fallmerayers einen
überwiegenden Einfluß ausübte, ehe er ſich entſchloß, die kriegeriſche Lauf-
bahn, und zwar nicht auf Seite jeiner Landsleute Andreas Hofer und Sped-
bacher, jondern im baierifchen Heere anzutreten. Sein Ehrgeiz war, wie
Mitterrugner berichtet, — Marjchall zu werden. Er zeichnete fich bei Hanau
aus, wo, wie er zu erzählen pflegte, die bairische Armee durch General
Wredes Unbeholfenheit „ecrafirt” wurde, nahm an den jpäteren Schlachten
auf franzöfiichem Boden Antheil und fam dann nach beendigtem Feldzuge
in die Sarnifon nach Lindau, wo er mit den Eltern und Berwandten
Hermann Lingg’s, des Dichters, befannt wurde. Er freute fich nicht wenig
„ver königlichen Pracht“ als Officier, wie er fich auszudrüden pflegte, und
hielt auch nicht wenig auf die äußere Erjcheinung, wie er denn bis in die
Ipäteften Fahre ſich mit den Zoilettefünfter wohl vertraut machte. Es iſt
mir unvergeplich, als ich ihn das legte Mal in München — ich glaube
in der Louiſenſtraße — befuchte, und zwar zu einer Zeit, als die Toilette
nicht vollendet war, und das greife Haupt nun mit Schwarzen, weißen und
rothen Haaren — von dem vielen Gebrauche verjchievener Salben — zum
Borjcheine fam. Ich war unwillfürlih zwar nicht an den vielgepriefenen
Buſchwald erinnert, den „der Fragmentiſt“ feinen Zefern jo anfchaulich vor-
. führte, aber an jenes eigenthümliche Spiel der Natur, wenn im Herbite
der grüne Wald verjchiedene Farben aufjtedt und damit anzeigt, daß der
Winter feines Lebens fich melde. Diefe Sorge um das Aeußere blieb dem
von den Officierzeiten bis zum Lebensende. Mittlerer Geftalt, rothwangig,
mit jorgjam gepflegten Händen wahrte er mit Bedacht eine wenn aud)
nicht jtramme, doch gerade Haltung, einen gleihmäßigen militärischen
Schritt. Er liebte jententidfe Ausſprüche und namentlich die Anwendung
404 —
von Pſalmenſprüchen auf ſeine eigene Perſon, hatte aber wenig Talent
zu raſcher und unmittelbarer Entgegnung, war jedoch, wenn er konnte,
ſchonungslos im Urtheile über Perſonen und hielt ſich ſelbſt für berufen
von dem, was er ſeine Domaine nannte — die Franzoſen heißen es une
mauvaise langue — den ergiebigſten Gebrauch zu machen, unbekümmert
um die Folgen, die daraus für Andere entſtehen konnten, wenn nur er vom
ſicheren Orte aus ſeine Pfeile zu entſenden vermochte. Im Frühlinge 1818
verließ F. den Militärdienſt. Es war ein ſchmerzlicher Entſchluß, welcher,
wie mir in Lindau erzählt wurde, mit einem Unfalle in Zuſammenhang
ſtand, der ihm als Adjutant des (nachherigen) Generals Seyſſel d'Aix
betraf. Er ſprengte im Vollgefühle ſeiner Würde die Fronte des Bataillons
entlang, als ſein Pferd ſtürzte und ihn nicht unbedeutend verletzte. Jetzt
trat der Anſpruch, den ihm die gelehrte Bildung gewährte, maßgebend
hervor. Er war bereits mehrere Jahre als Gymnaſiallehrer in Augsburg,
dann in Landshut thätig, als der königliche Entſchluß, der Stadt Lands—
hut auch in wiljenschaftlicher Beziehung einen, wenn auch verhältnigmäßig
geringen Erſatz zu verleihen, die Regierung beftimmte, nach Verlegung der
Univerfität, die erjt der Vater K. Ludwigs von Ingolſtadt nach Landshut
transferirt hatte, ein zweiclaffiges Lyceum mit den Profefjuren der Philo-
jophie, Geſchichte, Philologie, Mathematik, Phyfif, Chemie unter einem
freilich eher fjonderbaren als einnehmenden Director in der verwatjten
Stadt zu errichten. Da mein Vater Ende Winter als Oberappellationsrath
nad) Miinchen verjegt wurde, wurde mir geftattet, da8 Sommerjemejter
in Landshut zu beenden, wo ich denn F. nicht bloß im Collegium, ſondern
auch bei Tiſche täglich fah. Es mag als ein Euriofum jener Tage mit-
getheilt werden, daß daß in dem jehr anftändigen Wirthshaufe, in welchem
4 Lyceiſten an Einem Tiſche und 4 Profefforen an dem anderen zu Mittag
aßen, die erfteren Suppe, Rindfleifch mit Gemüfe, Braten mit Salat oder
ftatt des Bratens eine Mehlfpeife erhielten, und dafür 12 fr. täglich bes
zahlten, die Profefjoren aber 18 fr., da fie zum Braten regelmäßig auch
noch Mehlipeife befamen (1827/8). %, der immer ſehr fparfam war,
hätte, wie er mir geftand, fich gerne an unferen Tiſch gefeßt, wenn e8 die
Schidlichfeit geftattet hätte.
Da ich mit dem Ende des Sommerfemefters Landshut verließ und
die Univerfität München bezog, ſah ich Fallmerayer in den nächiten Jahren
nur, wenn er von Landshut herüberfam und die Eltern befuchte. Er jelbit
ihloß ſich an den ruſſiſchen General Grafen Oftermann Tolftoy an, in
dejfen Begleitung er 1831—34 den Orient befuchte und Conftantinopel
betrat, dejjen wundervolle Lage ihn um fo mehr feflelte, als er fein geiftiges
— 406 <=
Auge mehr als jo viele Andere durch feine biyzantinifchen Studien und.
noch während meines Aufenthaltes in Landshut durch die Lectüre der
osmanischen Geſchichte Fojef von Hammers — der Zufall wollte, daß ich
fie ihm verjchaffte, gejchärft hatte. Von all den deutjchen Gelehrten, die
ich kennen lernte, bejaß feiner ein fo hervorragendes plaftiiches Talent,
war Niemand empfänglicher für die Schönheiten der Natur, und erfchwang
fi) feiner zu gleicher Höhe der Darftellung, wo es ſich um den Charakter
einer Landſchaft handelte. Man konnte ihn als ein topographijches (de-
feriptives) Genie bezeichnen. Ich weiß, daß er zu diefem Zwecke in einer
gewiſſen Zeit felbft jehr eifrig Botanik ftudirte. Wer feine Fragmente las,
in die er. aber gejchicdt eine Polemik verwebte, die von Gleichgefinnten wie
eine Kriegserflärung freudig aufgenommen wurde,. wird in dieſes Urtheil
über feine Darftellurigsgabe und den darauf verwendeten Fleiß des uner-
müdlichen Feilens nur übereinftimmen können. Drei Wochen lang ftudirte
er über manche Phrafe. Seine Kenntniß des Neugriechiichen, das er
fließend ſprach und die ihm eine fo freundliche Aufnahme in den Layren
des weitausgedehnten Berges Athos verjchaffte; feine Kenntniß der türkifchen
und arabifhen Sprache bewirkten, daß er den Bewohnern des Orients
nicht als ein Fremder gegenüberftand und jene Scheidemand vom Anfang
an wegfiel, welche, wo man ſich nicht verftändigen fan, wenn auch un—
fihtbar, doch jehr wohl fühlbar fich aufrichtet und den Fremden verein-
jamt, Er gewöhnte fich allmählich eine gewiſſe orientalijhe Ruhe an, die
eine äußere Würde verlieh und ihm auch die Gelegenheit verjchaffte, den
ruhigen Beobachter ſpielen und die Schwächen Anderer, ohne daß fie e8
merkten, erjpähen zu fünnen.
Graf Oftermann, eine lange hagere Gejtalt mit auffallendem tata-
riſchen Typus, einarmig — er hatte durch eine franzöfische Kanonenkugel
einen Arm in dem Augenblicke verloren, als er denjelben ausftrecdte und
auf einen rufjischen Kanonier deutete, welcher während der Schlacht von
Kulm Zeichen der Furcht gegeben, und den auf diejes der General an dem
nächiten Baume aufzuhängen befahl — gewohnt zu befehlen und ungeduldig
im Ertragen eines noch fo begründeten Widerjpruches, in feinen Formen
höflich, wenn er wollte, aber auch bereit den Aufjen, dejjen eine Hälfte
mongoliſch ift, hervorzufehren, war ein Original, das man unter den deut-
fchen Generalen vielleicht nur in der Zeit der Befreiungsfriege an—
nähernd wieder fand. Er galt als der eigentliche Sieger von Kulm in
den Augen der Rufen, obwohl er jhon am erjten Schlachttage verwundet
worden war, und die Ehre des Sieges, der das ganze Corps Vandammes
vernichtete, diejfen jelbjt zum Gefangenen machte und dem Kriege eine ent:
Mittheilungen. 26. Iahrgang. 4. Heft. 25
— 406 —
Icheidende Wendung gab, ruſſiſcherſeits eigentlich dem Prinzen Eugen von
Württemberg zufam. Mllein diefer durfte aus politifchen Gründen der
Sieger nicht fein. Er war noch dazu ein Deutjcher; Böhmen aber durfte
nur durch einen Ruſſen gerettet worden fein. Der Arm wurde amputirt,
der General Chef der Faiferlichen Garde. . Er war und blieb der Lieb-
fing und ſchwärmeriſcher Verehrer Alexanders J. Als es nach deſſen Tode
zu den Unruhen in St. Petersburg kam, beeilte ſich der Graf nad) der
Hauptjtadt zu gehen und dem neuen Garen feine Dienfte anzubieten. Zur
gleich mit ihm einer feiner Neffen, ein Fürſt Galizin. Diefer ftieg aber
früher aus und begab ſich zu den Rebellen, wurde gefangen, zum Tode
verurtheilt und als gemeiner Soldat in einem der Regimenter im Kaukaſus
begnadigt, dort ſein Leben im Kampfe gegen die Tſcherkeſſen tauſendfach
auf das Spiel zu ſetzen.
Der Oheim machte, als der Aufſtand niedergeworfen worden war,
dem Kaiſer an der Spitze der Generalität ſeine Aufwartung. Er hatte den
Generalshut in die Armfchlinge gelegt, derjelbe entjchlüpfte aber bei der
tiefen Verneigung feines Gebieters und der General mußte bemerken, daß
die Züge des Caren ſich in ein Lächeln verkehrten, welches nichts weniger
als Wohlwollen zeigte. Der General hatte als Dank feiner, dem neuen
Autokraten - geleijteten Dienfte geerntet, daß die ganze Generalität, der
ganze Hof Zeuge diejes Faiferlichen Lachens, ev Gegenjtand des Gelächters
geworden war. Der Graf vergaß diefe Scene nie mehr. Er nahm Urlaub,
ging unter dem Namen eines Oberjten N. N. nad Italien; aber auch
dahin verfolgte ihn der Zorn des Caren, welcher aus Italien heimfehrende‘
Ruſſen, die ihm ihre Aufwartung machten, vegelmäßig frug, was der
närrifche Oberſt — le fou colonel mit dem pjeudonymen Namen — mache,
was dann wieder diefem hinterbracht wurde. Er konnte ſich nur injoferne
rächen, dag nach der fpäteren großen Zuſammenkunft der Kaijer von
DOefterreih und Rußland und des Königs von Preußen zu Kulm, wobei
denn aud des Siegerd von Kulm gedacht und derjelbe mit dem blauen
Bande des Andreasfreuzes bejchenft worden war, der Graf, welcher jich
damals auf einer feiner ruſſiſchen Bejigungen befand, nach Empfang der
hohen Auszeichnung feinen Dorfihulmeifter kommen ließ und ihm das blaue
Band, den Gegenjtand des höchſten militärischen Ehrgeizes, zum Gejchenfe
machte. „Da hajt Du etwas für Dich." Er hatte, jelbjt mit einer Fürſtin
Salizin vermält, in Nom eime junge, hübſche Frau, eine geborene
Römerin, aber von zartem Gliederbau und einer jener Phyſiognomien,
die die Maler Meadonnengejichter nennen, kennen gelernt. Sie war einem
alten Manne angetraut worden, und diejem entführte fie der närriſche
— 407 —
Eolonel. Sie ging mit ihm nach Florenz, wurde Mutter dreier Kinder,
die der Vater Ofterfeld nannte, heiratete aber fpäter einen Livornejen, von
welchem fie eine Anzahl anderer Kinder erhielt. Den erfteren, zwei jehr
lieben Mädchen und einem Knaben wurde eine fehr forgfältige Erziehung
zu Theil, den anderen die gewöhnliche italienische eines dummen Vaters,
Es ijt hier nicht der Ort, ſich in die zahllojen Anekdoten zu ergehen,
welche das Leben dieſes ruſſiſchen Satrapen darbot, der, je nachdem es
ihm gefällig war, den feingebildeten Weftenropäer oder den nordifchen
Barbaren hervorfehrte. Er hatte einen bairiſchen Arzt Dr. Lindner auf
jeine Orientreije mitgenommen, was ihn aber in Damascus nicht gehindert
hatte, jo lange bei einem Fußübel einen franzöſiſchen Quackſalber zu con-
fultiven, bis das Uebel beinahe unheilbar wurde und die Noth den Grafen
zwang, den Franzofen zu verabjchieden. Es charafterifirt aber die bunt
zuſammengewürfelte Gefellichaft, daß der deutjche Doctor ruhig zujah, wie
das Leiden feines Herrn unter den Händen des franzöfifchen Collegen
ich täglich mehr verichlimmerte, bis endlich der Graf ſelbſt Bedenken trug
und den bairischen Doctor wieder confultirte. Ganz offen geftand diejer
ihm, daß er vom Anfang an die Behandlung dur den Franzoſen als
verfehlt anjah. „Aber warım haben Sie mir das nicht gejagt,” frug nun
Dftermann etwas unwillig. „Weil ich die Franzoſen nicht leiden kann,
feit jie meiner Mutter 1809 eine Kuh geftohlen!" Der bairijche Doctor
heilte den Grafen, diefer aber rächte fich, indem er die Gejchichte feiner
ärztlihen Behandlung ſchmunzelnd Anderen mittheilte. Als dieſe Reife
beendet war und fi Dr. Lindner in feiner Heimat eine feſte Exiſtenz
begründete, wurde durch Fallınerayer mein älterer Bruder veranlaßt, jein
Nachfolger zu werden, mir aber dadurch Gelegenheit gegeben, in. nächjter
Nähe Sitten und Gebräuche zu beobachten, die mir unbefannt und oft
auch unverjtändlich waren. Ich hatte Fallmerayer nad feiner Rückkehr
aus dem Driente 1834 in Florenz wieder gejehen, die alte Bekanntſchaft
erneut und jah ihn, da er nach Deutjchland zurückkehrte, im Sptember 1836
wieder in Innsbruck, als ich aus Italien heimwärts zog. Wie mir Graf
Oſtermann erzählte, hatte $., nachdem er bei ihm in Florenz Wohnung
genommen, ſich in glückliche Asphaltpeculationen eingelaffen und dabei an
10.000 Franfen in Genf verdient, war auch dann nach Paris gegangen.
In Innsbruck Hagte er mir, das Lyceum in Landshut jei in feiner Abs
wejenheit aufgehoben, er jelbjt penjionirt worden. Meine Tröjtung, er
habe nad) jeinen eigenen Worten das jo oft gewünſcht, wollte ihm nicht
gefallen. Die bairische Regierung hatte ihm Urlaub zu feiner Reife gewährt,
jest auch die normalmäßige Penfion gegeben, ev konnte über jeine volle
28*
— 408 —
Zeit im kräftigften Mannesalter verfügen, hatte Niemanden darüber Rechen-
ſchaft zu geben, und wenn die pecuniären Bezüge nichts weniger benn
glänzend waren, fo erjegte die freie Zeit, welche er gewann, reichlich die
etwaige Einbuße. Er war immer jehr haushälteriſch, Tebte als Cölibatär
ruhig für fih und wußte ſich jehr bald durch feine intimen Beziehungen
zur „Augsburger Allgemeinen Zeitung” eine veichliche Hilfsquelle zu ver:
ſchaffen. Freilich, wenn ein Aufſatz nicht aufgenommen wurde, wie fonnte
er Hagen, daß man ihm den Lebenserwerb beeinträchtige! Man hätte
meinen follen, daß er am Hungertuche nage! Ich möchte auch, jo weit
ich die damaligen Verhältniffe Baierns, namentlih was die Leitung des
Öffentlichen Unterrichtes betraf, zu beurtheilen im Stande bin, nicht zweifeln,
daß es F. nach feinen Antecedentien als öffentlicher Lehrer in Landshut
und der Art und Weife, wie er jungen Leuten gegenüber jeinen Voltairismus
. und gegeben, als ein Glück zu betrachten hatte, damals in der bezeichneten
Weile des Lehramtes und den, wie ich glaube, font unvermeidlichen Con-
flieten enthoben worden zu fein. Ich weiß jehr genau, mer in diejen
Jahren das Ohr des Königs in den hohen Schulangelegenheiten bejaß
und e3 gehörte ein nicht gewöhnliches Maß von Muth dazu, wenn man
jelbft noch feine Stellung bejaß, dem hohen Herrn entgegenzutreten und
ihm begreiflich zu machen, daß die geiftlichen Weihen denn doch nicht hin-
reichten, um Profeſſuren würdig zu verjehen, fie den Mangel an wifjen-
ſchaftlicher Bildung nicht erfegten, im Gegentheile diefer felbft rechten Schaden
erzeuge. Der Zufall hatte mir den Brief einer hochgeftellten Perjon, die
das ganze Vertrauen des Königs bejaß, in die Hände gejpielt, in welchem
der Gedanke entwidelt war, den nach einem beftimmten Plane zu organiji-
renden Lyceen eine ebenjo bedeutende Stellung zu verfchaffen, als die der
Univerfitäten herabzudrüden. Das Yahr 1830 hatte den Krieg um die
Erhaltung der Legitimität und des Königthums überhaupt beforgt gemacht
und die von ihm bereits durchgeführte Maßregel, die Univerfitäten geiftig
zu unterbinden, ihnen den natürlichen Nachwuchs zu entziehen, das Inſtitut
der Privatdocenten abzufchaffen und die entjtehenden Lücken durch Praktiker
zu erjegen, beweijt, mit welcher Confequenz an der Realijirung dieſes
Planes in der Zeit gearbeitet wurde, al8 %. vom Oriente zurückkehrte.
Er ſchlug feinen Wohnfig in München auf, anfänglich in der Müllerſtraße,
wo auch ich nach meiner Rückkehr wohnte, jo daß die gegenfeitigen Berüh—
rungen wieder häufiger wurden, jo jehr auch fonft unfere Wege auseinander
gingen.
F. wurde Mitglied der k. Akademie der Wiljenjchaften und erlangte
jo eine ehrenvolle Stellung. Er war aber auch in eine heftige Polemik
— 400 —
wegen der excluſiven Theſis über den gänzlichen Untergang der Hellenen
in ihrem Heimatslande vermwidelt, jo daß er eine der Öffentlichen Sigungen
der Mademie benügte, feine Theorie zu vertheidigen, die aber, wie früher
bemerkt, an innerem Schaden Fränfelte. Ueberhaupt fonnte, wenn man die
ausgebreitete Thätigfeit beobachtete, welche er jetzt in Artifeln der Allge-
meinen Zeitung, der Münchner gelehrten Anzeigen, den Denkfchriften. der
Akademie d. W. entwidelte, eine immer weiter gehende Neigung zu effect-
voller Darftellung ſelbſt auf Kojten der inneren Wahrheit nicht unbemerkt
bleiben, und wenn er auch zu den wenigen Männern gehörte, die gleich
Tafel in Tübingen als Vertreter der romäiſchen Geſchichtswiſſenſchaft
galten — ich vermeide mit Abficht den Ausdruck Byzantinismus wegen
jeiner Zmeideutigfeit, — jo wird doch Niemand ihn von dem Vorwurfe frei-
fprechen können, daß die Effecthafcherei und die Liebe zu Paradoren ihn
mehr und mehr überwältigten und die Gewohnheit, ftatt ſich des Katheders
zu Öffentlichen Vorträgen der politischen Journale zu bedienen, ihn endlich
mit jich fortriß und zu perjünlichen Angriffen verleitet, wo dann der
Beifall von Gefinnungsgenofjen ihn beraufchte und immer weiter führte,
Wenn ich es vorher auf die Gefahr hin, einen Widerſpruch hervor:
zurufen, für ein Glück bezeichnete, daß F. jeiner Tehramtlichen Thätigkeit
enthoben wurde, jo habe ich hiebei auch die ihm hiedurch gebotene Mög-
lichkeit im Auge gehabt, nochmals den Orient zu bejuchen, jelbjt nach
Trebijonde vorzudringen wie früher nach Jeruſalem, Cairo und Damascug,
die Gejtade des unwirthbaren Pontos zu befuchen, längeren Aufenthalt in
Athen zu nehmen, die griechiichen Geftade zu durchziehen und den clafjiichen
Weg einzujchlagen, den alle Eroberer Griechenlands, die von Norden
famen, durc die Natur des Landes einzufchlagen genöthigt gewejen waren.
Die im Jahre 1845 erjchienenen Fragmente aus dem Oriente be-
gründeten Yallmerayers Ruf als hiftorischen Landjchaftsmaler erjter Größe,
aber in noch viel höherem Sinne als politiichen Ankfläger einer von ihm
jelbjt conftruirten und dann befehdeten Bartei, al$ deren Haupt er „Egna-
tius“ bezeichnete, jenen Gelehrten, der etwas jpäter von derjelben Partei
auf den Schäffel gejtellt wurde, die unter Fallmerayers Anführung nicht
genug Schmähungen über ihn ergiegen Eonnte, jo lange er den von ihm
begonnenen Weg ruhig fortjegte. Für F. jelbjt war das Erſcheinen diejes
Werkes epochemachend. Die Partei in Batern, welche in der von dem Könige
unmittelbar ausgehenden Richtung das Vorgehen einer in Wirklichkeit nicht
vorhandenen politischen Faction anzujehen jich die Miene gab, hatte zugleich _
ein Programm und einen Sprecher — wenn auch feinen politischen Führer
erlangt; dazu taugte der Fragmentiſt, wie man jeßt F. zu nennen pflegte,
== He
‚gar nicht, und man konnte fich fr ihn ſelbſt fein größeres Unglück denken,
als er fich überreden ließ, auch eine politifche Rolle zu fpielen. F., bereits
von der Gunft des Kronprinzen getragen, wurde ſeitdem dejjen Lehrer
und bejtärkte ihn in der negativen Richtung, welcher fich der Prinz in
feiner Oppofition gegen die Regierung feines Vaters immer entjchiedener
zugewendet hatte. Wurde F. dadurch Theilnehmer und man fonnte jagen
Generaljtabschef eines Fünftig zu unternehmenden Feldzuges in Baiern;
erlangte er dadurch eine Stellung, der er nicht gewachjen war, und deren
Behauptung, wie die von Mitterrugner aus jener Zeit veröffentlichten Briefe
bezeugen, ihm jelbjt jehr problematifch erjchien, jo darf man über dieje
Parteirihtung Fallmerayers eine Thatfache nicht vergefjen, die ein blei-
bendes Verdienſt in ich jchließt und die auch uns in Oeſterreich in
hohem Grade berührt.
Wir in Dejterreich jind durch die Gefchichte, welche ung von zwei-
maliger Belagerung Wiens durch die Osmanen berichtet, als Anwohner
der Donau, als Nachbarn des osmanischen Neiches mit der ungeheueren
Wichtigkeit von Konftantinopel genau befannt und werden täglich) durd)
unfere Beziehungen zu Rußland daran erinnert. Bei uns hat ſich wohl
jeder jelbjtändig Denfende bereits die bulgarische Frage jo zurecht gelegt,
daß der dominirende Einfluß Rußlands in Bulgarien den ficheren Unter:
gang von Konftantinopel, diejer aber eine volljtändige Frontveränderung
bedeute und daß wir, jtatt den Osmanen, die Ruſſen vor oder auch in
Wien zu jehen befommen. Dieje, ich möchte jagen öfterreichifche Erkenntniß
war aber, als die Fragmente 1845 erjchienen, weder in München noch
viel weniger an der Spree vorhanden, und auch jegt noch gibt man ſich
den Anjchein, ald wenn, was im Oſten von Europa vor ſich gehe, das
Centrum nicht berühre. Fallmerayers Verdienſt ift e8 nun, fo weit er
konnte, diejenigen, welche in Betreff der wichtigjten Vorgänge im Oriente
beharrlih die Augen zudrüdten, aus ihrem Schlafe, ihrem politischen
Dämmerleben herausgerüttelt zu haben. Damals waren die großeu Er-
fahrungen des Jahres 1854 nicht vorhanden, gefchweige die fpäteren; nur
im vielverjchrieenen Metternichjchen Cabinete herrjchte als Tradition, ja
als Ariom der Sag vor, daß man die Ruſſen nicht über den Balkan
fommen laſſen dürfe. Mag man nun die Auseinanderjegungen des Frag:
mentiften nur für akademische Reden halten, das Verdienſt bleibt ihm
unbejtritten, unermüdlich auf die große Gefahr hingewiejen zu haben, die
der Eivilifation, der Freiheit Europas durch das Vorrüden der Auffen
nad Konjtantinopel drohe. Muß der Hijtorifer der Wahrheit gemäß diejes
ansiprechen, jo war der Partei, welche jegt Fallmerayer als den Ihrigen
— 41 —
begrüßte, Konftantinopel jehr gleichgiltig, wenn nur die von ihm erfundene
und befämpfte Partei geftürzt wurde, und dazu war Lola Montez, 1847
ein ebenjo gutes Werkzeug als der hochgepriefene Fragmentijt, den fie zu
feinem Unheil nad Frankfurt in das Parlament beordertenn.
Ich muß e8 einem andern Orte und einer gelegenen Zeit überlaffen,
nachzumeifen, in welcher Gejtalt in den nächiten Jahren an den ethifchen
Grundlagen der Monarchie gerüttelt wurde und mit welchem Leichtjinne
die fiegreiche Partei die gejchlagene und zertretene mit der Gloriole
ſchmückte, Recht und öffentlihe Moral gegen ein Anjtürmen von Oben wie
von Unten vertheidigt zu haben. Ich halte mich hier in dem engen Rahmen
meiner eigenen Beziehungen zu F. welcher, jemehr er fich zum Journaliſten
gemacht und durch ebenjo geiftreiche als hämijche Artikel der Augsb. 4.
Ztg. — manchmal au nur hämifche und nicht geftreiche Artikel — ein jtets
Beifall klatſchendes Auditorium fich geſchaffen, alle perfönlichen Nüdjichten
auf die Seite zu jegen ſich berufen fühlte. Eine Thatfache, die mehr als
Zaujende von Worten erweijt, möge genügen, die Veränderung zu bezeich:
nen, die fchon vorher mit ihm jtattgefunden, che er den Höhepunkt jeines
literarifch-politiichen Ruhmes „erflommen und ihm die Profefjur der Ge-
Ichichte an der Münchner Univerjität zur Propagirung jeiner Grundjäge
1848 übertragen worden war.
Ich hatte im J. 1843 als ordentliches Mitglied der k. baier. Afa-
demie d. W. einen öffentlichen Vortrag über die Urfachen des Verfalles
des deutjchen Haudels im XVI. Jahrhunderte gehalten, der dann auch
im Drude erjchien, aber von H. v. Koch-Sternfeld, welcher mit aller
Welt Händel zu haben pflegte, angegriffen wurde, jedoch mit jo wenig wiſ—
jenschaftlichen Waffen, daß ich, es nicht für nothwendig hielt, davon Notiz
zu nehmen. In dieſer Zeit begegnete ich Fallmerayer, und unferes alten
Verhältniſſes eingedenf, [ud ich ihn zum Meittagejjen ein, meine Fran
würde dafür jorgen, daß er jein Zeibgericht, Ochjenjchweif in brauner Sauce
mit Knödeln, fände. Fallmerayer nahnı die Einladung jehr willig aı,
Ochſeuſchweif mit Knödeln in brauner Sauce mundeten föjtlich, die Unter:
haltung war äußerft animirt und wir ſchieden als gute alte Bekannte in,
wie ic) annehmen mußte, freundjchaftlichiter Gejinnung. Wer malt aber
mein Erjtaunen, als ich in den nächjten Tagen in der „A. U. Zeitung“
einen gegen mich und zu Gunſten des Sternfeldjchen Gejchmieres gerichteten
hämischen Artikel las, den %., nach dem Datum zu urtheilen, unmittelbar
nad unferer Mahlzeit gejchrieben haben mußte. Ich traf ihn ein paar
Zage jpäter — id) erinnere mich jehr genau — in der weiten Gaſſe, ſtellte
ihn wegen dieſes Artikels zur Nede, zeigte ihm, was er, wen er der
— 412 —
‚Wahrheit getven über die Sternfeldfche Schrift berichten wollte, zu jagen
‚hatte, und verließ ihn dann, ohme mich über fein eigenthümliches Benehmen
„weiter anszulaffen. Ich weiß aber, daß er, welcher zu feiner Rechtfertigung
nichts zu jagen vermochte, einem gemeinfamen Bekannten in gehobener
Stimmung erzählte, wie glimpflih ich ihn behandelt habe. Mit Ochjen-
jchweif, brauner Sauce und Knödeln war es aus; ob aber von feiner Seite
nicht in gewohnter Weije ein Mißbrauch feiner einflußreichen Stellung ge-
macht wurde, als ihm Gelegenheit dazu gegeben wurde, ift eine Frage,
die ich nicht erörtern will. Die parlamentarische Thätigkeit brachte dem
Fragmentiften feine Roſen und war eher geeignet die auf ihn gejegten
Hoffnungen zu täufchen als zu verwirklichen. Er ergriff, glaube ich, nie-
mals das Wort, ftimmte mit der äußerſten Linken, zog mit ihr zum
Rumpfparlamente nad) Stuttgart, theilte mit ihr das Vergnügen, von
k. württembergijchen Zambours und Uhlanen auseinander gejprengt und
mit oder ohne fie durch einen k. bair. Stedbrief fignalifirt und jtigma-
tifirt zu werden. %. war darüber außer jich und ließ bei jeder Gelegenheit
dem damaligen Justizminister Freiherrn von Kleinſchrod feinen Zorn fühlen,
obwohl derjelbe nur dem Gefege freien Lauf gelaffen hatte. Doch wurde
die Heimfehr ermöglicht; freilich ging die, Profeffur zum zweiten Male
verloren, doch wurde die frühere Penſion um ein Drittheil vermehrt. Hin-
gegen eröffnete fich ein neuer Wirkungsfreis, da das ſchon früher einge-
leitete Verhältniß zum Kronprinzen, damals bereits K. Max IL, nach Allen,
was davon in das Publicum drang, ungeachtet jeiner vepublifanijchen Ge—
finnung und ſeines politiichen Benehmens fortbeitand. Hier jei es erlaubt
aus authentijcher Quelle eine Einfchaltung vorzunehmen. Einer der treuejten
Diener des Haufes Wittelsbach, der durch jeine Klugheit und Umficht in
den ſchlimmſten Tagen Deutjchlands bei dem Umfturze des alten Kaiſer—
reiches das vegierende Haus Zweybrüden glüdlich in jene Pfade einlenfte,
die zum modernen Staate Baiern und zum Königthume führten, der ehe-
malige k. b. Staatsminifter Marimilian Graf von Montgelas, weijt in den
von ihm franzöfifch verfaßten, jegt aber von zweien feiner Enfel deutjch
herausgegebenen, äußerjt interefjanten Denhvürdigfeiten auf einen er—
erbten Zwiejpalt im früher berzoglichen Haufe bin, der ji im
föniglichen fortjegte. Der hervorragende Staatsmann, welcher nad) feinen
Sturze durch den Kronprinzen Ludwig, nachher KR. Ludwig J., den Triumph
feierte, daß er in den nächjten 70 Jahren von feinem größeren übertroffen
wurde, enthüllte damit das Geheimniß des pfälziichen Zweiges des Haujes -
Wittelsbach, der befanntlich den fchon 1777 ausgejtorbenen altbairischen
Zweig beerbte. Der erſte pfalzbairifche Churfürit, der Sulzbacher Karl
— 43 —
Theodor (1799) hatte ſich auf das engfte an Defterreich angefchloffen
und. jeinen Better und Erben den Herzog Mar Yofef von Zmweybrüden nad
Kräften Hintangefegt. Letterer, nachgeborener Prinz dieſes Hauſes und
früher franzöfifcher Oberſt, jchloß fich als pfalzbairifcher: Churfürft auf
das engſte an Frankreich an, erlangte dadurch die Abrundung feines
Staates und das Königthum und blieb Bundesgenofje Napoleons I., bis
das Prineip der Selbiterhaltung ihn zwang, diefe Bundesgenoffenjchaft
mit der Öfterreihijchen zu vertaufchen. Der Kronprinz durchkreuzte,
wo er konnte, die Politik feines Vaters, ftürzte deſſen erften Minifter und
erhob den Mann, der es verftand, Baiern den Großmächten verhaßt zu
machen, jo daß ihm, dem Marſchall Fürjten Wrede, vor Allem zugefchrieben
werden muß, daß Baiern die ihm vertragsmäßig zugeficherte Entſchädigung
am Nekar und dem Rheine nicht erhielt, von Frankfurt und Mainz nicht
zu reden. Hatte der Vater die Klöfter aufgehoben, fo ftellte fie der Sohn
nicht blos wieder her, jondern beftimmte auch felbft Farbe und Rutten der
neuen Franciscaner Mönche. Hatte der Vater dem Adoptivſohne Napo—
leons die Hand feiner Tochter gewährt, jo zeigte die ſogenannte altdeutiche
Tracht des Kronprinzen mit dem ausgejchlagenen breiten Hemdfragen auch
äußerlich, wie fehr er alles Franzöſiſche haßte, gleichgiltig ob es von
Louis XIV. oder Napoleon I. ftammte. Und darin ift er fich auch treu
geblieben; jeine Prachtbauten, von welchen freilich manche nicht weniger
unnüg find als die feines Enfels, tragen diefen Stempel. Seine Züge
verriethen die pfälzifche Abkunft; er konnte nach diefer zu fchließen dem
XVI. oder XVII. Jahrhunderte angehören. Wie jehr er aber Baier war,
bewies die Erelufivität feiner bairischen Umgebung, die nur in Betreff
„jeiner Künftler” eine Ausnahme fand. Während er aber auch in der
Zeit zu rühmen pflegte, was er für die fatholifche Kirche in Baiern
gethan, als er an den ethifchen Grundlagen des Königthums und der ge-
ſellſchaftlichen Ordnung im Hochgefühl, daß dem Könige von Gottes
Gnaden Alles erlaubt fei, rüttelte, wurde fein Nachfolger, Mar IL, wie
befannt, nur durch Profeffor Dahlmann abgehalten, ſich dem proteſtan—
tiichen Eultus offen zuzumenden.
Ihm gehörten feine Sympathien an, während er dem Volfe gegen-
über jih den Schein eines Katholischen Königes zu wahren bemüht war.
Wer aber einer anderen Richtung ſich zumandte, war der Ungnade ficher.
Am fronprinzlichen Hofe wurde eine eigene Gejchichte getrieben, und es ift
befannt, mit welcher Vehemenz Mar II. die Thefis verfocht, die Urheber
der Revolution von 1789 jeien nicht Ludwig XIV., nicht die zahllojen
Gebrechen und Verbrechen der Bourbons, jondern — die Jeſuiten geweſen.
— 44 —
Der Bicomte Baublanc, der als Franzoje ſich eine Einwendung erlaubte,
wurde von dem Prinzen ſelbſt mit den Worten zurückgewieſen, er jolle
jchweigen, da er nichts von der Sache verjtehe. Der alte König war heftig,
ließ es auch, wenigftens in jungen Jahren, nicht an ftarken Ausbrüchen
jeiner Leidenschaft fehlen, wie denn Cabinetsjecretär Martin eine eigen-
thümlihe Behandlung erlitt. Der Sohn rühmte fich vor jeinen Mi-
niftern, wie er diefem und jenem jchöne Worte gegeben, denen aber entgegen-
gejegte Handlungen nachfolgten. Er liebte nicht blos behagliche Ruhe
auf feinen Schlöffern, jondern führte auch eine eigene Kabinetsregierung
ein, um fo wenig mie möglich feine Minifter zu fehen, während er ſich be-
mühte die Räthſel der Schellingifchen Bhilofophie zu löſen. Wie der
unglüdliche Ludwig II. ging auch fein Vater vor Allem perjünlichen Lieb-
habereien nach, und ein aufmerkffamer Beobachter wird zwifchen Beiden viele
Berührungspunkte finden, wenn auch der Hang des Vaters mehr auf den
Umgang mit geiftreichen Perjonen gerichtet war und die traurigen Ver—
irrungen feines Sohnes in Betreff der Wahl feines Umganges diefem
allein angehören. Nur mit geringen Ausnahmen waren aber die Ver—
trauten 8. Mar II. Nichtbaiern, und e8 wird ſchwer fein, einen Fürſten
zu nennen, der im dieſer Beziehung weiter gegangen ift. Doch befanden
fih Vater und Sohn auf gleicher Linie, wenn es ſich darum handelte,
die jogenannten geheiligten PBrärogativen der Krone bis zum
äußerjten Punkte zu wahren. Das Gefühl, Alles thun und Alles wagen
zu dürfen, brachte zulegt den Vater dazu, feinen Thron förmlich wie in die
Luft zu bauen, ohne felbjt eine Ahnung zu befiten, daß er aller Bafis
entbehre, nachdem er e3 zuerſt meisterhaft verftanden, unter dem Scheine
des Conjtitutionalismus die Stände von fi) abhängig zu machen. Le roi
ne se soucie pas beaucoup de ses états fonnte der erfte Minifter ganz
offen bei einem diplomatischen Diner jagen. Speciosa verbis re in-
nania aut subdola, heißt e8 bei Tacitus von denjenigen, die die unum—
ſchränkte Herrjchaft mit fchönen Worten zu verbrämen wiſſen, quantoque
majore libertatis imagine tegebantur, tanto eruptum in infensius ser-
vitium. Ludwig I., immerwährend wie ein See von unteriwdischen
Quellen bewegt, zahlte auch immer mit feiner Perfon, die in allen
Dingen in den Vordergrund trat. Seinem Sohne gebrach es an dem
perjünlichen Muthe des Vaters. Er konnte insgeheim fürmliche Achter:
Härungen erlafjen, ohne dem Betreffenden gegenüber den freundlichen Ton
zu ändern. Man meinte, er grolle Jedem, der in Folge einer weniger
ftürmifchen Jugend jich ein gefundes Ausjehen gewahrt. Schob man dem
Bater den geheimen Plan nnter, deutſcher Kaifer werden zu wollen, jo
zeigte fich. der Sohn auf den Berg- und Jagdpartien, die feine Zeit nicht
wenig in Anfpruh nahmen, im grünen, goldverbrämten Jagdcoſtüm
Ludwigs XIV. und XV. und wenn fein Sohn dem König Wilhelm dem
Sieger die deutſche Kaiferfrone anbot, jo Fennt Jedermann den inneren
Widerſpruch, in welchen ſich der enthufiaftiiche Verehrer des roi soleil
und feiner undeutſchen Thaten dadurch jegte und in dem er auch unter-
ging. Wie ganz anders hätten fich aber die Dinge nicht blos in Batern,
fondern in ganz Deutjchland gejtaltet, wenn K. Ludwig I., der ſich kurz
vorher noch feiner gemwifjenhaften (?) Verwaltung des Staatshaushaltes ge-
rühmt, am 20. März 1848 das Königthum micht niedergelegt hätte, und
er, dem es bejchieven war, den Schattenfünig — jo nannte er feinen
Sohn und Nachfolger — zu überleben, jtatt 20 Jahre bis zum %. 1868
als fahrender König umberzuftreifen, die Zügel der Regierung in der
Hand behalten hätte, während fein Enfel 1866 jede Thatkraft in roman—
tifchen Gedanken auf der Nofeninjel verträumte, nachdem K. Max 1864
an Blutvergiftung gejtorben war.
E3 war der ererbte Zwiejpalt des Haufes Zweibrüden, von
welchem der Graf von Montpelas gejprochen, der ſich Schritt für Schritt
vom Vater zum Sohne, zum Enfel und Urenfel fund that und zuleßt
jene heillofe Verwirrung der Begriffe erzeugte, die den zweiten
König nicht mehr auf dem Throne ließ und nach Unten hin eine Parteiung
groß 309, die weniger dur) fich, als durch den teten Wechjel von Antipathie
und Sympathie der Regierenden Kraft und Bedeutung erlangte. In diejem
Treiben und Sagen und einer immer mehr ſich vorbereitenden Anarchie
der Geiſter war es, daß auf einmal der Stern Fallmerayers als Lehrer
des Kronprinzen und nachherigen Königs Mar II. aufflammte. Es iſt nicht un-
denkbar, daß Schelling, welcher bei diefem fo viel galt, ihn empfohlen
babe. Der Inhalt der in Hohenfchwangau gehaltenen Vorträge entzieht
fich wohl der näheren Kenntniß Nichteingeweihter; nicht aber, in welchen
Geiſte fie gehalten wurden und ebenjowenig blieben die harten Aeußerungen
über Andere unbekannt, welche dajelbit fielen und die al8 der Same auf-
gefaßt wurden, den der Fragmentift, nicht Beherricher, aber Befiger einer
ungebändigten Zunge, ausgeftreut. Wie jehr aber die Lehren Wurzel ge:
ichlagen, geht nicht bloß aus dem Umſtande hervor, daß, als die Umgebung
des Königs, nicht jehr erbaut, von dem Treiben des Fragmentiften, der
nach Stuttgart gezogen, wähnte, es fei der Augenblid gefommen, auch
ſich mißbilligend über ihn zu äußern, der König erklärte, die Herren irrten
fi, wenn jie glaubten, es jei in feiner Gejinnung gegen Fallmerayer eine
Aenderung eingetreten. Auf dieſen jtarfen Schuß bauend, konnte F. es
— 46 —
nach feiner Rückkehr wagen, gegen den k. Yuftizminifter, der den Geſetzen
freien Lauf gelaſſen, als gegen einen Steckbriefſchreiber“ einen Artikel | in
der A. A. Zeitung loszulaſſen.
Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß mit dem Fortſchritte der
Jahre die Bitterkeit Fallmerayers über ſeine verfehlte politiſche Laufbahn
abgenommen und die ethiſchen Rückſichten über den journaliſtiſchen Cynis—
mus den Sieg davon getragen hätten. In der legten Unterredung, die ich
mit ihm März 1852 hatte, jprach er feine Hoffnung auf den baldigen
Sieg der Republik — in Deutichland und daher auch im Föniglichen
Baiern unummwunden aus. Ich ſchied von ihm mit der Meberzeugung, daß
feine politiiche Fernficht an Klarheit nicht zugenommen habe.
In dem Weinftübchen des Auguftinergäßchens in München, das er
täglich zu befuchen pflegte und wo ſich dann die Stammgäfte um den
wigigen und mittheilenden Gelehrten jammelten, ift in der Mauer, an
welcher er täglich zu fiten pflegte, in Rahmen und Glas fein Bild zu
jehen. Es ift wohl dasselbe jchöne Werk Hanfitengels, das er auch „mir
einst zum Geſchenke gemacht. Es zeigt eine Facſimile:
Disce, puer, virtutem ex me, verumque laborem,
Fortunam ex aliis. Fallmerayer.
Wenn von irgend Jemanden mit Necht gejagt werden Eonnte, er jei
feines Glückes eigener Schmied gewejen, jo war er es. Er hatte ſich über:
lebt, nur ein eines Häufchen von Getreuen hielt noch bei ihm aus,
während er jelbjt von der Vergangenheit zehrend, allmählich gewohnte
Phrafen wiederholend, ein ftiller Mann geworden war. Nachdem er noch
den Abend des 25. Aprils 1861 in froher Geſellſchaft zugebracht, wurde
er am Morgen des 26. todt in feinem Bette gefunden. Die Berftung
eines Blutgefäßes hatte feinen unzweifelhaft raſchen Tod im 72. Zebens-
jahre herbeigeführt. Nur wenige, wie unlängjt Prof. Sepp angeführt, be-
gleiteten feine Leiche zu ihrer Ruheſtätte.
Mittheilungen der Geſchäftsleitung.
In der am 26. November 1887 abgehaltenen Generalverfammlung
wurde der Jahresbericht fir das PVereinsjahr 1886—87 vollinhaltlich ge-
nehmigt, aus welchem ein kurzer Inhaltsauszug folgt:
Yın abgelaufenen VBereinsjahre hat der Verein zum erjtenmale von
jeinem ihm ftatutenmäßig zuftehenden Rechte Gebrauch gemacht, und in
— 47 —
ber Generalverfammlung am 20. Novbr. 1886 den hochverdienten Führer
der Deutfchen in Böhmen, fodann. in der Generalverfammlung zur Feier
des 2djähr. Jubiläums eine Anzahl um die Wiffenjchaft und den Seren
hochverdienten Männer zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Außer dieſen 16 Ehrenmitgliedern beträgt der ausgewieſene Stand.
der Mitglieder 31 ftiftende, 1387 ordentliche, zufammen 1418 Mitglieder.
Mechnungslegung für das 25. Vereinsjahr.
Berbliebener Eafjaret- - -»- » - » . - 145 fl. 54 fr.
Für die Preisichrift der 4. Section mit
Schluß des Vereinsjahres 1885/6. . 362 „ 91 „
Sahresbeiträge der Mitglider . . . . 5.956 „ 4
Intereſſen vom Xctivcapitale. .... 217 „ 63 „
Erlös für verkaufte Vereinsschriften . . 83 „ 93 u
Sonftige Einnahmen und Gejchenfe . . 843 „ 50 „
Zufammen. . ... 7.609 fl. 95 Er.
Ausgaben.
Für Herausgabe der „Mittheilungen" . 3.524 fl. 01 kr.
Auslagen für die Bibliothet . . . . . 244 „12 „
” " das Archiv . on er 65 u — —
Honorar des Geſchäftsleiters ſammt Woh-
nungs-Beittag » » 2 22000. 400 „ 2 u
Gehalt des Kanzeliften -. . .. . . .. 49 „9 „
Miethzins für die Vereinglocalitäten.. „1.187 „ — u
Koften für neue Einrichtungsftüde. . ». 62 „50 „
Für Beheizung, Beleuchtung und Reini-
WIND ee a een 8314 „ 93 „
Sonftige Kanzlei- und VBerwaltungs-Aus-
lagen.. nn 1, 95
Bufammen. .... 7.521 fl. 92 fr.
Verbleiben mit Schluß des Vereinsjahres 1886/77 . . . 88 fl. 083 fr.
Als eine ihrer Hauptaufgaben betrachtete es die Gejchäjtsleitung
einen regen Verkehr mit den Vertretern, den eigentlichen Stügen des Ver—
eines nach außenhin anzubahnen und aufrecht zu erhalten.
Neu gegründet wurden zwei Vertreterfchaften und zwar in Braunau
und Tannwald.
— 48 —
Neu beſetzt wurden 8 und zwar: Böhm.-Leipa, Graz, Krummau,
Leitmeritz, Marienbad, Poderſam, Reichenberg, Wien.
Den Vorjahren gleich war auch in dem Jahre 1886—87 der Ver⸗
fehr mit den wiffenfchaftlichen Vereinen des In- und Auslandes ein jehr
lebhafter und Hat die Bibliothef namhaft bereichert. Die Zahl der mit
uns in Schriftenaustaufch ftehenden Vereinen und wifjenjchaftlichen Gejell-
ichaften beträgt gegenwärtig 119, daher um drei mehr als im Vorjahre.
In der am 26. November ftattgefundenen General: Verjammlung
wurden einftimmig in den Ausichuß gewählt:
Herr Phil. Dr. G. Biermann, Schulrath, Director des k. k. deutſchen
Gymnaſiums auf der Kleinſeite.
„ JUDr. Johann Kiemann, Advocat, Landtagsabgeordneter.
„ Phil. Dr. Hans Yambel, Profeffor an der f. k. Univerfität.
„ Phil. Dr. ©, €. Raube, Profeffor an der k. f. Univerfität.
„ P. Maurus Pfannerer, Phil. Dr., k. k. Landes-Schulinfpector.
„M. Pfeiffer, General-Iufpector der Buschtiehrader Eifenbahn.
„ JUDr. Arnold Roſenbacher, Aovocat.
» Guftav Rulf, penf. k. k. Staatsbuchhaltungs-Rechnungs-Rath.
Se. Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferfdeid, E. E. Kämmerer,
Großgrundbeſitzer, Zandtagsabgeordneter ꝛc.
Herr JUDr. Edmund Schebek, kaiſ. Rath, Handelskammer-Secretär i. P.
„ Phil. Dr. Ludwig Schleſinger, Director des deutſchen Mädchen—
Lyceums, Landtagsabgeordneter.
„ Theol. Dr. Joſef Schindler, f. f. Negierungsvath und Univerfitäts-
Profeffor, Domberr.
„ dr. Thenmer, E. £. Oberlandesgerichts- Rath.
„ Phil. Dr. Theodor Tupetz, k. k. Prof., Docent an der E. f. Univ.
„ JUDr.. Albert Werunsky, Advocat, Landtagsabgeordneter.
In der conftituirenden Sigung am 1. December v. Jahres wurden
gewählt:
Zum PBräfideuten:
Se. Erlauht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferjcheid,
Et — eteee
Herr Dr. Subnii Schleſinger, Director des deutſchen Mäd—
chen⸗Lyceums, Landtagsabgeordneter.
Nachdem der Ausſchuß dem Antrag der Commiſſion betreffs Trennung
des Amtes des Geſchäftsleiters von dem des Vereinsbeamten beigepflichtet
hatte, wurde erſteres fortan als unbeſoldetes Ehrenamt von Seite eines
— 419 —
Ausſchußmitgliedes beforgt, während das Amt eines Bibliothefars und
Eonceptsbeamten einer biefür zu. honorivenden geeigneten Perſönlichkeit
übertragen wurde.
Herr Univerfitäts - Profefjor Dr. Laube, der die Stelle eines Ge-
ichäftgleiters in diefem Sinne ſchon feit 20. November v. X. proviſoriſch
verwaltet hatte, wurde nun definitiv zum Gejchäftgleiter des Vereines ge-
wählt. Die Stelle eines Bibliothefars, blieb jedoch im Verlaufe des Ver—
einsjahres noch unbejeßt.
Die übrigen Functionäre wurden in ihrer Amtsftellung beftätigt.
Der Bibliothek wurden werthvolle Gejchenfe übermadht:
Bon Sr. Ereellenz Heren Fiedler dv. Iſarborn Ferd., k. k. Feldmarjchall-
Lieutenant. |
Herrn Lanna Adalbert, Ritter von, Großinduftrieller.
„Biſchoff Bruno, Privatier:
» Bachmann Karl, Divector der königl. böhm. Sanbesbuchhaltung,
„ Gradl Heinrich, Stadtarchivar in Eger.
„ RKRaberowsfy W. Dr., ka k. Gymnafial-Profefjor.
„Krones Franz, Nitter von Marchland, k. k. Univerfitäts-Profejjor.
„Schleſinger &. Dr., Director des deutfhen Mädchen-Tyceums.
„Pawlowski Rudolf, Stadtjecretär in Brüx.
Neu bejegt wurden die Vertretungen in Krummau mit Herrn
JUDr. Franz Buchſe, Advocat; in Leitmeritz mit Herrn JUDr. ®il-
helm Goflitichef, Edler von Elbwart, Advocat; in Marienbad mit
Herrn MUDr. 8, Ingriſch, prakt. Arzt; in Poderfam mit Herrn Jo-
hann Hübl, k. k. Bezirksgerichts-Adjund; in Neihenberg mit Herrn
Johann Filher, Magiftrats-Rath und in Wien mit Heren Jord. Caj.
Markus, Director der jtädt. Bürger- und Gewerbejchule.
Den Herren Bertretern jowie allen Functionären, welche im Inter—
ejje des Vereines unermüdlich thätig find, fühlt ſich der Ausſchuß ange-
nehm verpflichtet, ihnen hiemit den wärmjten Danf abzuftatten.
Nachtrag zum VBerzeichni der Mitglieder.
Geſchloſſen am 9. Mai 1888,
Stiftende Mitglieder:
Löblicher Bezirksausſchuß Toboſitz und Teplitz.
Löbliche Zöhmiſche Sparcaſſa in Prag.
Ordentliche Mitglieder:
Röhlicher Bezirksausfhuß Aſch.
©e. Hogwilrden Herr Ctvrtecka Bruno, Abt von Braunau. |
Denfen.
Grasſitz.
Gratzen.
Hohenelbe.
Zoachimsthal.
Kratzau.
&andskron.
Miemes.
Pfranenberg.
Platten.
Poderfam.
Tetfen.
Herr Glafer Moritz, Hausbefiger in
"
JUDr. Koppert Sigmund, Advocat in
raus Rail,
Follak Rudolf, Lederfabritant in
Quoiſta Victor, Apotheker in
MUDr. Stern Ignaz, Stadtarzt in
MUDr. FTitlbach Theodor, herrſchaftlicher Arzt in Poftelberg.
Die P. T. Herren Mitglieder werden erfudht, alle für den Verein
beitimmten Werthſendungen, Geldbriefe wie Poftanweifungen zur Bermei-
dung don Itrungen an die Adreffe des Herrn Dr. Guftav C. Laube,
k. k. Univerfitäts= Profeffor und Gejhäftsleiter des Vereines, Prag, k. k.
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen.
2. k. Hofbuchdruderei A. Haaſe, Prag. — Selbftverlag.
— ”
Literarifhe Beilage
zu den Mittheilungen des Vereines
Geschichte ller Deutschen in Böhmen.
XXVI Fahrgang. I. 1887/88.
Dr. Herm. Hallwich: Walleuſtein und Waldftein. Em offener Brief an
Dr. Gindely. Leipzig 1887, ©. VI und 68.
Man darf ſich wahrlicdy nicht wundern, wenn vielleicht Jemand beim Anblid
der angeführten Brofhüre die Hände zufammenjchlagend unmwillfürlih in den Ausruf
ausbrechen follte: Wallenftein und fein Ende! Die Literatur über diejen, neben dem
Schwedenkönig bedeutendften Mann des dreißigjährigen Krieges ninımt von Tag zu
Tag in einem Umfange zu, von dem der Laie auch nicht die Ahnung hat. Daß aud)
das 1881 erichienen Buch Schebeks: „Die Löſung der Wallenfteinfrage” feinen Zweck
nicht erreichte, d. h. daß es die Löfung der Frage, die es fich laut Titel zum Ziele
jeßte, nicht zuftande brachte, deſſen ift Zeuge die feit jenem Zeitpunkte der Deffent:
lichkeit übergebene ftattliche Reihe von Drudichriften, welche fi bemühen die Wallen-
fteinfrage von den verichiedenften Seiten zu beleuchten.
Den Lefern unjerer Zeitjchrift ift e8 befannt, daß Prof. A. Gindely im Vor-
jahre zwei Bände: „Waldftein während feines erften Generalats im Lichte der gleich-
zeitigen Quellen (1625—1630)” im Verlage von Tempsty und Freitag herausgegeben
hat, ein Bud, das auf ©. 1 der „Literar. Beilage der Mittheilungen“ (Jahrg. 25)
angezeigt ward und von Dr. Hallwid in den „Mittheilungen” S. 97 ff. eine jcharfe
Entgegnung gefunden hat. Es ftießen da zwei Vertreter der entgegengelegten Richtungen
in dieſer Frage hart auf einander, vielleicht zur Freude desjenigen Theiles des Pu—
blicums, das an dergleichen literarifchen Fehden ein um jo größeres Behagen findet,
je erbitterter und rüdiichtslofer der Kampf geführt wird. Diefer wurde aber von
Gindely in emen Zeitraum und auf ein Gebiet verlegt, das bislang weniger berüd-
fihtigt worden war, er hat nämlidy feine Forfhungen auf das erjte Generalat ausge—
dehnt, während welchem ſich Wallenftein nah dem Verf. „zum Verräther herange-
1
PU ———
bildet hat“. Diefem Werfe muß nothwendigerweife über fur; oder fang ein zweites
folgen, welches da3 zweite Generalat umfaffen wird. Wenn irgend Jemand, fo war
dem Herrn Prof. die Wallenfteinfrage nahe gelegen, ja er, als der Geichichtichreiber
des breißigjährigen Krieges, mußte ſich an diefelbe machen; aber Jedermann, dem
feine Stellungnahme zu diefer Frage nicht umbefannt ift, die er ja ſchon vordem
wiederholt und deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, mußte auch darüber jchon im
vorhinein Har fein, welche Stellung er in feinen neuen Werfe einnehmen würde.
Und in feinem „Wallenftein” ift deun wirflid ein Buch zu Tage getreten, das, ab-
gejehen von feiner gewiß nicht jedem Lefer zufagenden Form, den gewaltigen Feld-
herrn des großen Krieges nicht nur als Falten Egoiften, ſondern auch als Berräther
feines Herrn ſchon während feines erjten Generalates zeichnet. „Die Actenftüde jollen“,
wie Gindely im Vorworte jagt, „Harftellen, auf welche Art er zu feinem riefigen Ber-
mögen und zu dem Poſten als Obergeneral gelangte, auf welche Art er fein Heer
verpflegte, wie er nicht blos das Neid, ausbentete, fondern auch dem Kaifer große
Zahlungen abnöthigte, wie unter ber von ihm geduldeten Zuchtlofigkeit der Truppen
die Vermüftung um fich griff, wie er abfichtlich den Ruin der Ligiften herbeizuführen
juchte und auf welche Weiſe er in den Belis von Sagan und Medlenburg gelangte.
Endlich ſoll auch erörtert werden, ob die Anklage, daß er fogar nad) der Kaiſerwürde
geftrebt habe, auf bloßer Vermuthung oder auf Wahrheit beruhe.“ Es ift mir nie bei:
gefallen, in Wallenftein einen von jeglihem Makel reinen Tugendhelden zu erbliden,
ließe fih aber das angeführte Sündenregifter als unangreifbar beweifen, dann aller-
dings wäre der Friedländer der fchlimmfte Feind des Kaiſers und de3 Staates ge:
weſen. Die Lectüre des Buches hat mir diefe Ueberzeugung nicht beigebracht, mir
war es vielmehr fchon vor der Herausgabe von Hallwichs Gegenſchrift Har, daß es
mit den „gleichzeitigen Quellen“, in deren Beleuchtung der General in der Zeit von
1625 bis 1630 dargeftellt wurde, ein eigenes Bewandniß haben müſſe; mir ſchien es,
daß in den bemüsten Scriftftüden, in den Gefandichaftsberichten u. f. f. das Hof:
geſchwätz und die Phantafie der Feinde des Friedländerd ſich viel zu breit mache,
und daß die Relationen von Legaten, Gejandten und Geichäftsträgern nicht ohne
Kritik zu benügen feien, daß mit einem Worte die Schwäche Gindelys aud in diejem
Werke zu Tage trete, daß er nämlich das archivaliſche Material zu wenig fichte und
die Forfchungen Anderer nicht genugfam beachte.
Hildebrand, Gaedeke und Gindely brachten in leßterer Zeit die Wallenftein-
frage wieber in rafcheren Fluß. Dr. Hallwich, der, wie befannt, unter den Wallen-
fteinforfchern eine hervorragende Stelle einnimmt, publicirte, wie ſchon bemerft, jeine
in ben Mittheilungen” erjchienene Gegenichrift, über die ich mich näher auszuſprechen
nicht brauche, da fie ja den Leſern diefer Blätter vorliegt. Es war vorauszufehen,
daß der Angegriffene ſich nicht in tiefes Stillichweigen hüllen werde; Prof. Gindelys
„Antwort an Dr. Hallwich“ erfolgte in dem bei Tempsky erichienenen Schriftchen:
„Sur Beurtheilung des Eaijerlichen Generals im dreißigjährigen Kriege Albrecht3 von
Waldſtein“. ‘Der Berf. vertheidigt ſich gegen die Angriffe auf jeine Behauptungen,
daß fich der General ans den erhobenen Contributionen bezahlt gemacht, daß er die
Disciplin im Heere jchlecht gewahrt habe, endlich gegen den Vorwurf, daß er feine
Beweile für die von Waldftein an den faiferlihen Miniftern geübten Beftechungen vor—
bringen fönne, feine dafür, daß er Statthalter in Böhmen werden, die Kur Branden-
burg in Belig nehmen und gar Kaiſer werden wollte, und daß er die auf den Frieden
gerichteten Abfichten Waldfteins in Abrede ftelle,
— —
Huf dieſe Replik erfolgte nun der an der Spitze dieſer Zeilen angeführte
„offene Brief” Hallwichs, der im Ganzen ruhig gehalten ift und manche Behauptungen
Gindelys in einer Weiſe widerlegt, die mir in manden Stüden eine zutreffende
icheint. Ich ſage abfichtlich, daß mir manche Widerlegungen gelungen [heinen, denn
eine bedingunggloje Zuftimmung in allen Punkten kann einem Referenten nicht zuge—
muthet werben, dem ber lleberblid über das Quellenmaterial und die Einfiht in die
angeführten Actenſtücke mangeln. Was die von Gindely dem Generalen gemachten
Vorwürfe anbelangt, die Hallwich in fünf Punkte zufammenfaßt, fo will ich blos
anmerken, daß dieſer nicht mit Unrecht darauf binmweift, daß die Anlagen nicht
von jenem zuerft erhoben worden jeien, jondern daß ſich diefelben bereit bei
Hurter und O. Klopp finden, den Vertretern einer entjchiedenen PBarteirichtung.
Der offene Brief geht fodann auf das Zerwürfniß Wallenfteind mit dem Grafen
Collalto ein, dag nah Hallwichs Darftellung ein anderes Ausſehen befommt, als
wie e3 von Gindely dargelegt wird; beinahe noch beifer ift die Klarlegung des
Verhältniſſes zwilhen Tilly und dem faiferlichen General, Welche Behutſamkeit
in der Verwerthung gleichzeitiger Schriftftücde anzumenden tit, bezeugt die Eingabe
Hermann Gzernind das Gut Petichel betreffend, das, wie in dem „offenen Brief“
nachgemiejen wird, bezahlt wurde, ebenfo wurden die BZinfen des auf dem Gute
belaffenen Kapitals abgeführt. Endlich weift Hallwich in Bezug auf die Rechnungs:
legung der Contributionen nah, daß eine jolche ftattgefunden habe. Es ift ſchon
längft fein Geheimniß, daß von manden Schriftitellern die Disciplin der ligiftifchen
Truppen im Gegenſatz zu der Zuchtloligkeit der kaiſerlichen auf tendenziöfe Weile in
das befte Licht geitellt wird; wenn Prof. Gindely, wie e3 den Anfchein hat, in die—
jelbe Bahn einlenkt, jo gejchieht e3 nicht etwa darum, weil er der PBarteifarbe jener
Schriftſteller angehört, jondern jeine Boreingenommenheit gegen den kaiſerlichen Ge—
neralen und die Sudt, in jeglichem Schritt des Friedländers Verrath zu mwittern,
führten ihn dahin. Was die geloderte militäriiche Disciplin und das Ausſaugeſyſtem
betrifft, da von den Armeen des großen Krieges in Freundes: und Feindesland
ausgeübt wurde, da jollte man diejelben weder beſchönigen, noch vielleicht den Stein
blos gegen den Friedländer erheben wollen. Würde man die mılitärische Verfaſſung
und die finanziellen VBerhältniffe unferer Monarhie vor und während des dreißig-
jährigen Krieges eingehend unterfuchen, danı würde man finden, daß die Zuchtloſigkeit
der Soldatesfa ein tief eingewurzeltes Uebel war, das feine Anfänge in der Art umd
Weife der Werbung der Söldnerregimenter, In ihrer Verpflegung, in der finanziellen
Mijere des Staates hatte, und die grenzenlofe Verrohung der Armeen des dreißig-
jährigen Krieges wurzelt in den endlofen Grenzkriegen mit den Türken in Ungarn.
Zuchtlos über alles Maß waren die Armeen vor und nad) Wallenftein, zuchtlos war
and) die jeinige; es Fonnte aber auch Fein anderes Ergebniß in Anbetracht der
finanziellen Gebahrung erwartet werden. Die Ergebnifje der Erecutionen in Böhmen
u. ſ. f., die in der Geſchichte faft beifpiellos find, kamen nicht dem Lande, nicht der
militärifchen Machtftellung des Staated zugute, fie wurden in finnlofer Weile ver-
gendet, und dennoch mußten Sölduerheere ins Leben gerufen werben, die aber fo wenig
als möglich oder gar nicht dem Sädel der Kriegsherren zur Laft fallen, jondern die
auf Koften der Bürger und Bauern erhalten werden follten; da mußte mit Naturnoth-
wendigfeit, je länger der Sirieg dauerte, das Elend der bis auf das Mark ausgejaugten
Bevölkerung ſich fteigern. Nicht die Tillys, die Wallenfteine und wie die Generale
jener Beit heißen mögen, find in erfter Linie für den unfäglichen Sammer, den der
1*
Fe:
dreißigjährige Krieg im Gefolge hatte, verantwortlich, jondern die Ferdinande und
die anderen Kriegsherren. Hört man die herzerfchütternden Klagen der bis auf das
Blut gequälten Bevölkerung, die uns aus zahllofen gleichzeitigen Schriftftüden ent-
gegentönen, dann wird man nicht fo jehr über die Zuchtlofigkeit und Berrohung der
Söldnertruppen, als über die maßlofe Geduld des menjchlichen Geichlechtes ftaunen,
die ſolche Gräuel Jahrzehnte Hinnahm, ohne ſich aufzubäumen. Und nur noch Eines,
Es genügt wohl nicht, den Friedländer als ruchloſen Mann und Verräther in den
Ihwärzeften Farben zu fchildern, fondern es obliegt feinen Anklägern auch die Pflicht,
der Beantwortung der Frage nicht ausaumeichen, ob nicht etwa die Ränke feiner
Feinde ihn im diefe Bahn gedrängt haben, und ob e3 nicht vielleicht in deren Inter—
effe lag, ihn zu verleumden, da fein endlicher Sturz die Ausfiht auf nene Coufis—
. cationen eröffnete, auf welche fremde und inländische Abenteurer am Hofe und in
der Urmee lanerten. 2.
Dr. Rarl Schober: Heimatsfunde von Niederöfterreih. Zum Gebrauche
an Lehrerbildungsanftalten und als Handbuch fiir Volks- und Bürger:
ichulfehrer. Wien, Alfred Hölder. 1884.
Zweck diefer kurzen Anzeige ift, nachträglih auf ein Buch aufmerffam zu
machen, welches zwar zunächſt für die Lehrerſchaft des behandelten Kronlandes be—
rechnet ift, aber auch wegen der Gründlichkeit, mit welcher der bekannte Verfaſſer
feinen Stoff behandelt hat, darüber hinaus bejondere Beachtung verdient. Auch wird
ed, jollte einmal ein derartiges Buch über Böhmen gefchrieben werden, ald Mufter
herangezogen werben müſſen. — Bi3 heute ift bei und und in Nieder-Deiterreich die
Literatur der Heimatskunde eine ganz verfchiedene, was theilweiſe freilich in den ver:
ihiedenen Verhältniffen begründet ift. Der Verein für Landeskunde in Wien gibt
feit mehreren Fahren eine ausgezeichnete Topographie von Nieder: Defterreich heraus,
und oben genanntes Buch bringt eine Heimatskfunde des ganzen Landes von einen
der gründlichften Kenner. Diefes wie jenes fehlt in Böhmen noch vollftändig. Da—
gegen find bier, ſeitdem die Heimatskunde in den Lebrftoff der Volks- und Bürger:
Schule aufgenommen ift, aus den Kreifen der Lehrerichaft eine ziemliche Zahl von
Bezirkskunden hervorgegangen, andere find in Vorbereitung, jo daß bald ein beträcht-
licher Theil des Landes ſolche aufzumeifen haben wird. Solche Bezirkäfunden gibt
e3 in Nieberöfterreich faft feine, ihre Abfaffung wird aber nach) den bezeichneten Vor:
arbeiten eine ungleich Teichtere fein al bei und, — Ich führe Hier noch die Worte
des Vorwortes an, womit der Verfaffer den Zweck des Buches darlegt: „Daß ih
dem Leſer auf dem Lande Anregung zu localen Nahforihungen und Studien geben
will, refultirt aus meiner, wie ich glaube geredhtfertigten Auffaffung des Lehrers als
bed berufenen Conjervatord und Sammlerd des biftorifchen Materiald in feiner
Ortſchaft; wie viele Denkmäler des heimichen Alterthums, wie viele Spuren natio-
naler Dichtungen, Sitten, Sagen u. a. wären noch erhalten, wenn überall ein Dann
fih gefunden hätte, der entweder die berufenen Kreife auf Vorhandenes aufmerkam
gemacht, oder das für die Kenntniß des Volkslebens der Vergangenheit und der
Gegenwart Wichtige gefammelt hätte!“ H.
Er nz
Dr. Richard Rotter, Andreas Ritter von Wilhelm. Biographifcher
Beitrag zur öſterr. Schul- und Staatsgeſchichte in den legten 75 Fahren.
Wien 1884.
Andreas Ritter von Wilhelm ift einer unferer verdienteften Gymnaſialpäda—
gogen, Er ftammt aus dem Egerlande und zwar wurde er in Voiteröreuth am
17. März 1801 geboren. Schon früh zeigte der Knabe bedeutende geiftige Anlagen
und deshalb wurde im Familienrathe befchloffen, der Fleine blonde Andrea müffe
ftubdiren, um dereinſt „Pater“ zu werden. Letzteres wünfjchte natürlich beſonders die
Mutter Mar-Marget (Maria Margareta), freilich ging der Wunſch nicht in Erfül-
lung, obſchon der Knabe den größten Theil der Gymnafialzeit unter geiftlicher Zucht
verbrachte. In Eger waren am Gymnaſium bis 1815 faft ausſchließlich Mitglieder
des 41 Jahre zuvor aufgehobenen Jeſuitenordens thätig, erft 1816 wurden infolge
großer Mißſtände jüngere Lehrer an Stelle der Erjefuiten ernannt. Wilhelm war
1813 an diefes Gymnafium gefommen, verließ es aber ſchon 1817, um die Studien
am afademifhen Gymnaſium in Wien fortzujegen, wo damals ausſchließlich Piariften
wirkten. Bald wurde er Hörer der philofophifchen Curſe, die damals und nody lange
nachher ein Zwilchenglied zwiſchen dem fechsclaffigen Gymnafium und den eigentlichen
Univerfitätsftudien bildeten. In diefer Zeit entichied er fih auch endgiltig für den
Beruf eines Gymnafiallehrerd und feit 1821 widmete er ſich ausichließlih philolo-
giichen Studien, ſoweit nicht die Sorge um das tägliche Brot feine Zeit in Anſpruch
nahm. Sein Vater war nämlich früh geftorben und die Mutter war außer Stande,
ausreichend für den Lebensunterhalt ihres Sohnes in Wien zu forgen, fo daß diejer
genöthigt war, durch Privatitunden fich zu erwerben, was er brauchte. Diefe Zeit
der Entbehrungen und Anftrengungen dauerte aber in Wien nicht lange: ſchon am
28. Februar 1824 wurde er zum Örammatifallehrer in Neu-Sandec in alizien
ernannt. Im Sommer diejes Jahres überfiedelte er dorthin und er vermählte fich
bier am 9. Juli 1827 mit Fanni von König, die ihm bis zu ihrem Lebensende
(1871) in treuer Liebe zur Seite ſtand. Das jeltenfte ungetrübte Eheglück vereinte
dauernd die beiden Gatten. Seine „liebe Fanni” nur machte Wilhelm das Leben
in Galizien wenn nicht ftet3 angenehm — das war bei den damaligen Zuftänden
für einen Mann in folder Stellung nicht möglich — fo doch ftet3 erträglich, jo daß
er eifrig in zufriedener Stimmung feinem Berufe leben konnte, Mandmal freilich
jehnte er fi) fort, aber er mußte viele Jahre feines Lebens in diefem Lande ver:
bleiben. Bis 1838 blieb er in Neu-Sandec, dann wirkte er bis 1847 in Tarnow,
und zwar bier feit 1841 ſchon als „Bräfect”, erft am 22. October 1847 erhielt er
das Decret, woburd er mit der Leitung des Troppauer Gymnaſiums betraut wurde.
Der Deutiche war in Galizien in diefer Zeit unmöglich geworden, die Leitung des
Zarnower Gymmafiums übernahm Euſebius Czerkawski. Wilhelm überfiedelte noch
im October 1847 nad Troppau, und damit beginnt erft die fruchtbarfte Zeit feines
pädagogiihen Wirkens. Wohl hatte er ſchon in den vorausgehenden Jahren nicht
une durch feine perfünliche Thätigfeit an der einen Anftalt, fondern auch durch ein—
zelne Aufſätze in den „öfterreihiichen Blättern für Literatur und Kunſt“ für die
Beflerung des Gymnafialunterrichtes fich bemüht, aber erſt jegt war die Beit gefom-
men, wo feine Wünſche in Erfüllung gehen follten. Nah den mannigfahen Gäh—
rungen des Jahres 48 kam endlid die Reform der öüfterreichifchen Gymnaſien zu
Staude. Mit und nad) Boni find eine ganze Neihe von Männern zur Ausarbeitung
— —
und Ausführung dieſer Reformen aus Deutſchlaud berufen worden, die dann meiſt
in leitenden Stellungen ſich befanden und nicht alle der Berufung ſich würdig er—
wieſen — Wilhelm iſt einer der wenigen Oeſterreicher, die in hervorragender Stellung
ſich hervorragende Verdienſte um die Durchführung des „Organiſations-Entwurfes“
ſowohl wie um die Neugeſtaltung des Unterrichtes überhaupt erwarben. Aus dem
„Präfecten“ des Troppauer Gymnaſiums wurde ein „Director“, und ſchon am
28. September 1850 wurde dieſer zum Gymnaſial- und Volksſchuh-Inſpector für
Schleſien mit dem Titel eines k. k. Schulrathbes ernannt. In dieſer in jener Zeit
äußert fchwierigen Stellung waren nicht nur die entjprechenden Keuntniſſe, ſondern
auch große Energie und feiner Tact erforderlich, und Wilhelm bewährte fi nad)
jeder Richtung. Auch literariſch war er in diefer Zeit mehr thätig als früher. Die
nenbegründete Zeitfchrift für üfterreichiiche Gynmmafien brachte bis 1862 eine Weihe
von Auffägen aus feiner Feder, von denen Bonit urtheilte, fie ſeien fo gediegen, daß
fie begierigft würden gelefen werden, wo immer fie ftünden. Dann betheiligte er ſich
auch an den Arbeiten zur Herjtellung brauchbarer Schulbücher, indem er die noch
jest an den meiſten Gymnafien gebrauchte Epitome aus Herodot herausgab. Er
mußte aber noch einmal nah Galizien zurüd. 1855 wurde ihm die Inſpection der
Gymnaſien im Welten diefes Landes und in Schlefien übertragen uud Krakau als
fein Amtsfig beftimmt. Dieſe Veränderung des Wohnortes war unerwünfdht und
unerfrenlih die Veränderung des Wirkungskreiſes, denn die galiziſchen Gymnaſien
franften noch an ganz unglaublichen Uebeln, die nur allmählich und nur ſchwer oder auch
gar nicht abzuftellen waren. 1860 wurde ihm endlich diefe Sorge abgenommen und
Mähren und Sclefien zum Inſpectionsbezirke beftimmt mit dem Amtsſitze in Brünn.
Noch 10 Fahre war er hier thätig, erjt im Sommer 1870 nad) dem 47. Amtsjahre
trat er in den wohlverdienten Ruheſtand und überfiedelte dabei in die Hanptftadt der
grünen Steiermark. War er jchon 1864 mit dem Nitterfreuz des Franz Joſephs—
Ordens geſchmückt worden, fo erhielt er jet den Orden der eifernen Krone 3. Claffe
und wurde in den Adelsſtand erhoben. -- In Graz lebte er noch bis zum vorigen
Jahre geiftig friſch und literarifch thätig. 1880 erſchien die zweite vermehrte und ver-
beſſerte Auflage feines Hanptwerkes: „Praftiihe Pädagogik der Mittelfchulen insbe—
fondere der Gymnaſien“, ein Buch, in dem er die Erfahrungen feines langen Lebens
verwerthete und das für jeden angehenden Gymnafiallehrer ein unſchätzbares Hilfs-
mittel, ein treuer und verläßlicher Führer ift. Eine Reihe von Aufſätzen erfchienen
noch fpäter in den von Friedrid Mann herausgegebenen Blättern für erziehenden
Unterriht. Es ift ſehr zu wünjchen, daß diefe „Heineren Schriften” des erfahrenen
Pädagogen einmal gefammelt werden, um fie den Fachmännern allgemein zugänglich
zu machen: fie würden gewiß wie die wirklich „praftifche” Pädagogif Wilhelms vielen
Nuten bringen.
Bedeutende: nod als diefe Titerarifchen Leiftungen war freilich das perſön—
liche Wirken des waderen Mannes al3 Inſpector. Er war ein edler, dharaktervoller
Mann. Menichlih fühlend trat er deu Untergebenen entgegen. Wenn er beftrebt war,
die Irrenden auf den rechten Weg zu weilen, jo war er fi) doc ftet3 auch bewußt,
daß Irren menschlich ift, oder nach einem derberen Ausdrud, daß „jeder Menfch ein
paar Narrenichuhe zerreißt, zerreißt er nicht mehr”. Seine Gattin hielt ihm wohl
einmal bei trüber Stimmung ob der vorgefallenen Ungehörigfeiten den Spruch ent-
gegen: „Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der fafle fi) begraben” —
und das wandte er auch auf fih an. Er wußte, daß er troß feiner Erfahrungen
en Mi
auch irren könne und ließ deshalb aud) fremde Meinungen gelten und fremde Eigen-
thümlichfeiten beftehen, wo e3 möglich war und zum guten Ziele führte. Aber uner-
bittlich ftreng war er der Lauheit und böjem Willen gegenüber. Und dann — er
war nach oben ebenfo feft in jeinen Anfichten wie nad) unten. Kein Wunder, wenn
alle feine Untergebenen mit LXicbe ihm anhingen. Als er aus dem Amte fchied,
herrichte überall Trauer. Seine legte Maturitätsprüfungsreife glich faft einem Tri-
umpbzuge, denn überall wurde er gefeiert, in Olmütz wurde ihm ein großartiger
Fackelzug gebracht, die Stadt Troppau verlieh ihm das Ehrenbürgerrecht n. f. w.
Hatten ihn doch jelbft die Polen ungern fcheiden fehen, troßdem er ein Deutfcher war.
Das war er bis zum legten Athemzug. Nie jelbft politifch thätig, verfolgte er mit
Intereſſe alle Wandlungen in unjerem Vaterlande, bis zulest war fein wie aller „Alt=
Defterreicher” Ideal ein dentiches einheitliche3 Defterreih, und er verzweifelte feinen
Augenblid an der Zukunft Oeſterreichs.
Nur dieje Hauptdaten aus dem Leben unſeres trefflihen Laudsmannes jollten
auch in diefen Blättern verzeichnet jein. Die umfangreiche Biographie Wilhelms von
feinem jüngeren Freunde Notter ift ſchon vor 3 Fahren — noch zu Lebzeiten Wil:
helms — erichienen. Feder der fi für die Geichichte des Schulweſens Defterreichd
in unferem Jahrhundert intereffirt, möge das Buch ferbft zur Hand nehmen. Er
wird dort nicht bloß ausführlichen Bericht über die Thätigkeit Wilhelms, fondern
aud, wie es der Titel veripricht, manchen Beitrag zur öfterreichifchen Schul» und
Staatsgefhichte in den legten 75 Jahren überhaupt finden. T. R.
1. Dr. Ludwig Schleſinger. Die Nationalitäts-Verhältniſſe Böhmens.
Stuttgart. Verlag von J. Engelhorn. 1886. (Forſchungen zur deutjchen
Zandes- und Volkskunde im Auftrage der Centralcommiffion für wiſſen—
Ihaftliche Landeskunde von Deutjchland zc. 2. Band. Heft 1.)
2. Dr. Eduard Herbft. Das deutſche Spradigebiet in Böhmen. Prag:
Leipzig 1837. Tempsky, Freytag.
Diefe beiden höchſt werthvollen Schriften zweier allgemein befannter Gelehrter
und Parlamentarier zeigen Mar, wie intenfiv die Deutichen das Bebürfniß fühlen,
Umſchau zu halten, wie es fich mit ihren Landsleuten bezüglich de3 Wohnortes umd
fämmtlicher anderer Verhältniffe, die damit zufammenbängen, im KRronlande Böhmen
verhält. Beide Schriften mit voller Klarheit und eindringendem Blid in die Bebürf-
niffe des deutichen Volkes in Böhmen abgefaßt, haben beſtimmte Zwede im Auge, bie
durch die Zeitverhältnifje gegeben find, Schlefingerd knappe aber dabei außerordentlich
reichhaltige, Scharf in den Umriſſen hervortretende Arbeit bietet eine hochintereſſante
Lectüre, die derlei Arbeiten feineswegs für den Laien ſonſt erwarten laflen. Aber der
weite Blid, die durchaus maßvolle und ruhige Anſchauung, die den Randesgenoffen der
anderen Nationalität gerecht wird, der Hinweis auf die herrichenden Irrthümer bei
der Betrachtung von Nationalitätsverhältnifen, die Ableitung richtiger Sätze aus den
Har bingeftellten Prämiffen, machen dieſes Heft zu einer ebeufo Tehrreichen als ange:
nehmen Lectüre, Nr. 1 behandelt die Zahl der Bevölkerung und conftatirt Schlefinger
gleich den ethnographiihen Irrthum, als gebe es im Land ein großed Territorium,
EUR
innerhalb deffen Deutſche und Tichechen untereinander gemiſcht gelagert wären. „Im
Segentheil, die Spracdhgrenze läßt fi) durch das ganze Land mit fcharfer Genanigfeit
ziehen, und es kann zwar neben ben beiden großen, rein nationalen Gebieten noch
von einzelnen Sprachzungen, Spradinfeln und gemiſchten Ortichaften, jedoch nicht
von einer gemifchten Zone die Rede fein. Der Verf. befpricht ferner das Eindringen
tihedhifcher Bevölkerung in das deutihe Spracgebiet. Es wird alles auf feine na= -
türlichen Urſachen zurüdgeführt und dies in fo anfchaulicher unbeftrittener Weiſe, daß
faum mehr eine Erſcheinung fraglidy werben dürfte, Nr. 2 beichäftigt fi mit den
Gerichtöbezirken, und Nr. 3 verfolgt die Spracdhgrenze. Daun werden die Sprad)-
infeln behandelt. So erhält der Leſer überfichtlich auf 27 Seiten einen reihen Schatz
vollgiltiger Bemerkungen, die fi) durch die präcife Form der Darftellung wie von
felbft dem Gedächtniß einprägen. Dem hochgeachteten Hiftorifer jei hiermit der Dank
aller derer ausgeſprochen, die durch diefe Schrift gelernt haben. Auch die Schrift
Sr. Exc. des Hru. Dr. Herbit conftatirt, daß über die nationalen und ſprachlichen Ver—
hältniffe in Böhmen bis auf die jüngfte Zeit herab vielfach irrige Meinungen ver-
breitet waren, auch diefe Schrift conftatirt gleich von vornherein das geichloffene deutfche
Spradgebiet. Die Schrift ſucht die Unterabtheilungen naturgemäß zu gliedern und
legt enticheidendes Gewicht auf die Verhältniffe der Gerichtöbezirfe und der Gemeinde.
Sie fordert die jegige Majorität des böhmischen Landtages auf, fich nicht der Ueber—
zeugung zu verichließen, daß für das friedliche Nebeneinanderleben beider Volksſtämme
von höchſter Wichtigkeit fei, daß die mit den Bertretungsbezirken zufammenfallenden
Gerichtsbezirke joweit nur immer möglich national geftaltet feien. Der erfte Abjchnitt
weift nun den Umfang des deutichen Spracdhgebietes im Norden Böhmens im Ein:
zelnen nad, der zweite Abjchnitt thut dies für das deutiche Sprachgebiet im meftlichen,
der dritte und vierte Abſchnitt für das füdliche und öftliche Böhmen, Das Schlußwort
faßt die Refultate zufammen und gipfelt in dem Sat: So ergibt ſich denn aus Allem,
was angeführt wurde, daß in Böhmen eine Abgrenzung der Bezirke und eine Orga-
nifation der Behörden für Rechtspflege und Verwaltung, welche den Nationalitäts-
und ſprachlichen Berhältniffen entiprechen, ohne Schwierigkeit und ohne irgendwie
erhebliche Roften zu verurfachen, durchgeführt werden fünnen. —rT.
Städre-Wappen des Königreihes Böhmen, Eine Sammlung von 96
Wappen der bedeutenderen Städte und Ortichaften nebjt Landeswappen
und Landesfarben. Fünf Blätter in Farbendruck. Wien, U. Schroll &
Comp. Kunjt:Berlag. (Ohne Yahr, Preis fl. 4.50 Er.)
Keinerlei Vorwort oder Einleitung gibt dem Benützer diefer 5 Wappentafeln
Auskunft über die fi ihm aufdrängenden Fragen, ja nicht einmal das Titelblatt
verräth die Namen de3 oder der Herausgeber und der Zeichner, Nur ein eingelegter
metallographirter Zettel verfündet, daß das Werk „wichtig für alle öffentlichen Aemter,
Bibliotheken, Kalligraphen, Gravenre, Decvratenre, Bildhauer ꝛc.“ iſt. — Wie ſchon
aus der im Titel angegebenen Zahl der abgebildeten Wappen erſichtlich ift, wird und
hier nur eine Auswahl geboten, die ficherlih mit Schwierigkeiten verbunden war,
mit der aber gewiß nicht Feder einverftanden fein wird. Abgebildet erfcheinen nur
die Wappenfchilde felbft; mit Bedauern vermiffen wir die Kleinode, Schildhalter
—
——
und anderes Beiwerk, an die ſich zumeiſt die Erinnerung an für die betreffende Stadt
bedentſame Ereigniſſe knüpft. Die Zeichnung iſt im Ganzen eine recht gefällige,
läßt aber in der Ausführung der charakteriſtiſchen Wappenbilder den dieſen eigen—
thümlichen heraldiſchen Stil vermiſſen, gefällt ſich vielmehr häufig in naturaliſtiſcher
Darſtellung. Doch das ſind Mängel, die nicht ſo ſehr ins Gewicht fallen; die Haupt—
ſache bleibt, daß die einzelnen Wappenbilder richtig ſind. Um uns hierüber ein
Urtheil zu bilden, konnten wir allerdings nicht alle 96 Wappen einer Prüfung unter—
ziehen, haben aber doch eine größere Anzahl mit Original-Siegeln und mit in Pri-
vilegien enthaltenen Wappenbeichreibungen verglichen und heben aus den dabei ge-
madhten Wahrnehmungen nur Nachitehendes hervor. Auf einem Siegel der Stadt
Bilin haben wir den in der Abbildung ericheinenden mittleren niedrigen Thurm
nicht gefunden, und der zwiſchen den zwei Thürmen jchwebende gefpaltene Schild
zeigt auf dem Siegel einen Querbalten in der (berald.) rechten Hälfte, während dieſe
in ber Abbildung in ein rothes und weißes Feld quer getheilt ift. Zu dem Wappen
der Stadt Budweis bemerken wir, daß die drei Thürme gleich body, die beiden
äußeren über Ed geftellt, jeder von diefen fowie der mittlere mit je zwei Slanonen
armirt und mit gleichgeftalteten blauen Dächern bededt fein ſollen. Das „dreihüblichte
Berglein“ am Fuße der Stadtmauer foll blau und nicht grün fein, und die auf
demjelben vorkommenden „Berghanerhämmer” follen in ihrer natürlichen Farbe, der
Halbmond aber — welcher auf den Silberbergbau fich bezieht — weiß ober filbern
ericheinen. Der auf dem Berglein ftehende Engel trägt auf dem Kopfe nicht ein
Kreuz, jondern einen grünen Lorbeerkranz und nebſt dem Schwert in der Rechten
mit beiden Händen gerade vor ſich das böhmische Landeswappen. Für das Woppen
von Dauba haben wir augenblidlich nicht die nöthigen Behelfe zur Hand, bemerken
daher nur, daß das vorliegende Werk als ſolches eine goldene Lilte im rothen Felde
gibt, während in den „Mitth. d. nordb. Excurſions-Clubs IX. ©. 273 drei Eicheln
als Wappenfigur von Dauba bezeichnet werden. Auf Siegeln von Graslig haben
wir den Buchſtaben G ftet3 gekrönt gefunden, wogegen wir auf feinem der Siegel
der Stabt Jaromet den böhmischen Löwen von einer Dornenkrone umfchloffen ges
jehen. Auf den uns zu Gefichte gekommenen Siegeln der Stadt Kaaden haben
wir ftet3 drei Thürme auf der Stadtmauer angetroffen, auf der vorliegenden Abbil-
dung nimmt jedody die Stelle de3 mittleren höchften Thurmes ein Spangenhelm mit
einem Flug ein. Im Wappen der Stadt Komotau zeigt die Abbildung im Thor
der Stadtmauer das fchräg geftellte Böhmische Wappen und eine Krone darüber,
während auf Originalfiegeln diefer Stadt das ungefrönte Landeswappen in verticaler
Stellung im Thor, die Krone aber oberhalb der Stadtmauer zwiichen den beiden
Thürmen erfcheint. Beim Wappen der Stadt Ruttenberg ericheint in dem vor—
liegenden Werke der ganze Schildgrund roth, während derjelbe längs getheilt und
zwar die rechte Hälfte gelb oder golden, die linke roth fein joll; andere De—
tail3 übergehend, bemerken wir nur noch, daß der dreihügelige Berg unter den das
öfterreichifche Wappen haltenden Adler und Löwe in der vorliegenden Abbildung grüne
Tinktur zeigt, richtig jedody filbern zu machen war, Auf Siegeln von Moldau-
tein haben wir das Thor in der Stadtmauer nicht geichloffen, jondern offen und
nit einem Yalgitter in ber oberen Hälfte gefunden. Bei dem Wappen der Stadt
Pilgram fehlt in dem offenen Thor das Fallgitter, in der Stadtmauer und den
Binnen fehlen die Schießfharten, die Zinnen follen mit rother Eindeckung verjehen,
der Pilger in der Thoröffnung mit einem ſchwarzen mit Mufcheln beſetzten Mantel
— ——
bekleidet ſein ꝛꝛ. In dem Wappenbrief des Königs Wladiſſlaus IT. vom 24. Decem—
ber 1478 für Policka (Pam. arch. XIT., 464) leſen wir, daß die linke Hälfte des
Schildes einen gekrönten rothen halben Adler mit goldenen Krallen im gelben
Felde enthält, während in der Abbildung der Adler ſchwarz und mit rothen Krallen
ericheint. Dem Wappenbrief für Taus vom 4. Auguft 1481 zufolge fteht die Stadt:
maner auf (in der Abbildung fehlenden) grünem Nafen, die beiden Thürme haben
nur je ein Fenfter und der zwilchen den Thürmen ftehende Engel hat goldene
(nicht filberne) Flügel, ift mit weißem Gewand und goldener Stola bekleidet und hält
in der Rechten ein entblößtes Schwert, das in feiner natürlichen Farbe wiederzugeben
jein wird, da das Privilegium feine beſondere Tinktur für dasfelbe vorfchreibt, in
dem vorliegenden Werke erjcheint es jedoch golden. — Es würde uns bier zu weit
führen und den uns zugemeffenen Raum allzufehr überjchreiten, wollten wir die
Einzelprüfung noch weiter fortfegen, glauben aber, daß das Beigebradhte genügt, um
es zu rechtfertigen, wenn wir die Meinung ausfprechen, daß die vorliegende Publi-
catton die Erwartungen, welche das befannte Wappenwerk Widimsky's uubefriedigt
gelaſſen hat, nicht erfüllt, K.K.
Ignaz Peters. Hans Buſteters ernftliher Bericht, Abdrud der einzigen
Ausgabe (1532). Mit einem Wörterverzeichniife von Anton Birlinger.
Bonn, Emil Streuß, 1887. 66 Seiten.
Worüber diefer „ernftliche Bericht“ handelt, erhellt aus dem vollen Zitel des
höchſt intereffanten Büchleins; er lautet: „Ernftlicher Bericht, wie fih ain frumme
Oberkayt Vor, In, und Nach, den gefärlichiten Kriegsnöten, mit kluͤgem vortayl, zu
ungezwenfletem Sig, loblichen vben, vnd halten fol, an ain Fürnämen, Erjamen vnd
Wyſen, Burgermapfter, und Radt, des Hayligen Rychs Stat Augfpurg, durch Hanſen
Bufteter, vß Ritterlichen gichichten befchriben.” Ein biederer Kriegsmann, deſſen
Name vielleicht auf das würtembergische Bauftetten als Heimat feiner Familie hin—
weilen fünnte, von deſſen Leben und Wirken aber bis jetzt nichts Näheres bekannt
ift, hat fein Schriften dem Nath der Stadt Augsburg gewidmet und darin alle
jeine Kriegserfahrung niedergelegt, eine Erfahrung, die fich fpäter ein anderer Kriegs—
mann und Schriftiteller, Leonhard Fronfperger, auf nicht ganz ehrliche Art zu Nutze
gemacht hat. Nad) einer längeren Widmung an den Rath der Stadt Augsburg folgt
das „Regifter diß Büchleins“ mit dem Endſpruch:
liebt uch der Teütſchen Glüd, und Er
Waͤgt, Wagt, Bitedt, Nicht, om dije leer.
Der „Bericht“ felbft zerfäll: in eine Reihe von Capiteln mit entiprechenden
Ueberjchriften, wie 3. B. Vom Heerfüren, Amptlüt, Gemainer Huff vnd mufterung,
Befoldung, Vbung der ritterfchafft, Vnderſchayd des Heerd, Bon aygnem land, vnd
veftinen, Bon Ture vnd mangel, Waffer gepräft, Vßfal, Anjchlag, Entihüttung (Ent-
fat), Trewloß düd, Vßraytzung fyns vinde, Vom Sturm, Bon den Spähern, Ber:
rättern und veltflüchtigen, Von gehaymmuß und ftiliglayt der zungenn u. |. w.
Dieſe Capitel find fehr intereffant und machen und oft, namentlich wenn wir einen
Vergleich anftellen mit der heutigen Art der Kriegsführung, über die darin herrichende
Naivetät lachen. Aber ftet3 tritt und der biedere Sinn des Kriegsmanus entgegen,
— 1 —
jeine Gottesfurcht, feine Belefenheit in der Bibel und Geichichte, ſein Deutſchthum,
das er ftolz zum Ausdrud bringt: „Söllher fterde art zaigenn vns die Hiftorien
ibm Bapirio Eurjore, der mit geſchwindthayt jeiner finn vnnd lybs, fin zunamen
erkriegt, als die mit für fich ſelbs vbermätig, ſunder allein für die grechtigkayt jrs
Vatterlands, biß in den letjchten fünfften, groſſhertzig ift bewijen, nit allein jm
Moyie, Joſua, vnd anderen Sfrahelifchen fürften, junder jhn den Hayden, Horatio
Coclite, Eurtio, Murco, Sceua, Camillo, Fabritio, Regulo, Detio, Scipione, En.
Pompeio, vnd jn Codro der Athener künig, färträffenlihen jm Arminio, dem lob
aller tutjchen, welcher mit genenten tugenden alle Erempel der gantzen weldt, jn ber
warhayt zu befennen, wyt ubertroffen, die Römischen beherjcher der ganten welt, alſo
oft geichlagen, biß er fie, mit Hainem „hüflin, uß allem tmtichen land getriben” uſw.
(S.4 f.) — So jehr und aber auch die Darftellung des braven Bufteter feffeln mag,
fo liegt do der Hauptwertb der neuen ichönen Ausgabe des Büchleins in der aus
ihm zu gewinnenden reichen lexikaliſchen Ausbeute und in feiner fprachlichen Form:
e3 ift im alemannifchen Dialelt gefchrieben und fteht an der Grenze der altdentjchen
und neuhochdeutſchen Zeit. Profeffor Peters hat für jeinen Nahdrud zwei Exem—
plare des alten Drudes benußt: das eine aus der Bibliothek des öſterreichiſchen
f, k. Infanterievegimented Prinz Georg von Sachen in Pifef, das andere aus der
föniglihen öffentlichen Bibliothek zu Dresden. Sehr dankenswerth ift das vortreffliche
mit fänmtlichen Belegftellen verjehene Wörterverzeichniß, welches Prof. Birlinger, ein
gründlicher Kenner des Alemannifchen, verfaßt hat: aber auch Prof. Peterd hat eine
ganze Reihe treffliher Anmerkungen Hinzugefügt. Zum Schluß finden wir aud) nod)
die Tertveränderungen gewiffenhaft verzeichnet, die Fronſperger in feinen beiden
Schriften „Kriegsbuh“ und „Bon Kriegs-Regiment und Ordnung” vorgenommen hat.
So hat der Herausgeber alles gethan um den Genuß des hochintereffanten Büchlein
zu einem vollftändigen zu machen, und wir ftimmen mit ganzem Herzen in feinen
Wunſch ein, es möge des ehrlichen Bufteter „Exrnftlicher Bericht“ nad) 355 Jahren
wieder zu feiner wohlverbdienten Würdigung gelangen. Hruschka.
Heimatskunde des politiihen Bezirkes Leitmeritz. Ein Beitrag zur
Kenntniß desjelben. Nedigirt von J. Haudek. Herausgegeben vom
Zeitmeriger Lehrerverein. 1887. Im Selbtverlag des Vereines.
Tutte I. und Htojef A.: Der Bezirf Loboſitz in feinen fiſikaliſchen,
topographifchen und hiſtoriſchen Verhältniſſen. Für Schule und Haus.
Prag 1876. Im Selbjtverlage der Verfaſſer.
Das zweite, Schon vor ziemlich langer Zeit erichienene, in dieſen Mitth. aber
noch nicht angezeigte Buch führe ich hier an, weil es dem Stoffe nach mit dem erften
ſich theilweife dedt, ebenjo wie die Heimatskunde des Aufchaer Bezirkes, welche feiner:
zeit hier befprochen wurde (Literar. Beil. zum 23. Bde, ©. 40). Nah dem Titel:
„Heimatskunde des politiihen Bezirkes Leitmeris” könnte man ſogar fchließen, als
ob jene beiden Bezirkskunden dadurch vollftändig erjegt würden. Doc behandelt nur
der allgemeine Theil die ganze Bezirkshauptmannſchaft, der topographiſche beſchränkt
fih auf den Gerichtsbezirk Leitmeritz.
Die Bezirkskunde von Loboſitz war eine der erften, die in Böhmen erjchienen,
und mit Rückſicht darauf kann man gewiſſen Abichnitten derfelben Anerkennung
zollen. Der hiſtoriſche Theil freilich läßt vieles zu wünſchen übrig. Eine Geſchichte
des ganzen Bezirkes fehlt vollftändig, und fonft ift meift nur dort, wo Burgruinen
genannt werden, ein Auszug aus Hebers Werk eingefügt. Bloß die Geichichte von
Lobofig ift eingehender behandelt; die ziemlich bunten Notizen über die Kapler von
Sulewiß dagegen entjprechen dem Zwede de3 Buches gar nicht.
Damit verglichen bezeichnet die Heimatskunde des politischen Bezirkes Leitmeritz
einen bedeutenden Fortichritt. Freilich wird man jet auch ftrengere Anfordernmgen
ftellen müfjen, da diefelbe bereit3 einige recht gute Vorbilder hatte. Trotzdem kann
man unbedenklich jagen, daß die Leiftung eine fehr tüchtige ift; die Mängel finden
faft alle ihre Erklärung in den Schwierigkeiten, mit welchen der Redacteur und feine
Mitarbeiter zu kämpfen hatten. — So follen auch die nachfolgenden Ausſtellungen
diefes Lob nicht einfchränfen, jondern nur einige Punkte bezeichnen, wo die beſſernde
Hand wird einzugreifen haben.
Bei der Beichreibung der Bodengeftalt vermißt man ungern Angaben über die
geognoftifchen Berhältniffe. Es wird nur nebenbei erwähnt, daß die Gebirge aus
Bafalt und Klingftein beftehen; über die Verbreitung des Plänerfalfes, das Auftreten
des Quaderjandfteines an verfchiedenen Orten u. dgl. ift nichts gejagt, und doc)
wäre dies in mehrfacher Hinficht wichtig geweſen. — Der Abſchnitt über „allerlei
Sitten, Gebräudhe und Aberglauben“ wird gewiß fpäter mehr ausgeführt werden
fünnen; denn bier find ja gerade die Lehrer fo leicht imftande, Material zuſammen
zu tragen und vor dem Vergeſſen zu bewahren — Da im Bezirke zwei Nationen
jid) berühren, erwartet man genaue Auskunft über ihre Vertheilung, ohue diejelbe
jedoch zu erhalten.
Was bier vor allem der Beiprehung unterzogen werden muß, iſt der geichicht-
lihe Theil. In diefer Hinfiht muß ich gebührend betonen, daß der Verfafler des
„Seichichtsbildes“ mit dem größten Fleiß aus den wenigen allgemein zugänglichen
Hılfamitteln alles gefammelt hat, was da über den Bezirk zu finden war. Freilich
genügen oft alle diefe Nachrichten nicht, um ein richtiges Bild von einer beitimmten
Zeit zu geben, und wenn man die Angaben der Vorgänger nicht nad) ben Quellen
controliren fan, muß man häufig audy ihre Fehler mit herübernehmen. Zum Bes
weile für diefes will ich auf einige Punkte hinweiſen. — Die Panna hat nie dem
deutjchen Orden gehört, und aud auf dem Kelch hat derjelbe wohl feine Burg gehabt
(S. 142). Wilhelm von Ilburg war fein Wiefowig; auch gehören jeine Räubereien
vom Kelch aus in eine viel frühere Zeit als die Beichwerden des Kurfürften Ernft
von Sachſen (S. 62). Groß-Tſchernoſek hat niemals dem Kloſter Altzelle, Yewin nicht
den Maltejeru gehört (S. 50 und 56). Was zun Beweiſe angeführt wird, daß der
Adel im 14, Jahrh. feine Burgen nicht bewohnte (S. 54), trifft nicht zu; denn die
Kapler von Sulewis bejaßen damals den Kofchtial noch nicht, der Schredenftein
gehörte den Wchinsky nur 3-4 Jahre, und die Ritter von Kamaik wohnten auf
diefer Burg, fo lange fie ihr Egenthbum war. — Der Name Welhotta beweift nicht
die Anfiedlung von Dentſchen, fondern nur eine Dorfgründung nad deut:
ihem Recht (S. 58). — Wenn ©. 61 die Leibeigenſchaft ald unmittelbare Folge der
Huſitenkriege hingeftellt und ©. 63 gejagt wird, daß fih unter K. Georg und Wla-
dillaw I. das Landvolf und die Städte wieder erholten, jo entjpricht das nicht ganz
der geſchichtlichen Entmwidelung; denn gerade unter K. Wladiſſaw wurden jene Gefete
— 13 —
geſchaffen, welche den Bauern die letzte Freiheit nahmen, gerade damals geſchahen
die größten Eingriffe des Adels in die Rechte der Städte. — Den Aufſtand in
Ploſchkowitz unter Anführung des Dalibor von Kozojed kann man doch nicht als
eine Veranlaſſung zur Einführung der „Landfrieden“ hinſtellen, nachdem dieſe über
60 Jahre früher auftauchen (S. 62). — Schon bald nach 1517 von der Ausbreitung
des Proteſtantismus im Leitmeriger Bezirke zu Iprechen ift nicht begründet, und be—
ſonders können da nicht Wilhelm Kinsky, der erft 1619 Herr von Zahorſchan wurde,
und noch weniger „Derren von Duba auf Konojed“ angeführt werden, da e3 ſolche
bis auf den 30jährigen Krieg nicht gab (©. 64).
Sm topographifchen Theile feblen gejchichtliche Nachrichten bei manchen Orten,
wo nicht gerade Mangel an Stoff gewefen wäre. Man wird das indes jenen
Lehrern, deren Aufgabe es gewejen wäre, nicht gar zu übel nehmen dürfen. Gewiß
füllt eine nene Auflage, die hoffentlich bald nothwendig wird, ſolche Lüden aus.
: W. Hieke,
Aabermann, Dr. Gg.: Aus dem VBolfsleben des Cgerlandes, Eger
1886. Berlag von Kobrtſch und Gſchihay.
Keine fenilletoniftiihe Schilderung eines fußſchnellen Touriften, wie fie ftoff-
gierig die Welt durchziehen, um nad kurzem Hinriechen jchon den und jenen Ort,
diejen oder einen anderen Volksſtamm in einem „Eſſay“ zu verarbeiten — nein, der
Verfaffer ift jelbft geborenes Landkind und hat fern Leben — die Hochſchule ausge—
nommen — bier inmitten feines Volkes und feiner Dorfverwandten verbradht und
gemäß feiner Bildung und Fähigfeit anch ſtudiren können. Die fehr jeltenen Züge,
wo Gubjectivität das Urtheil verfhönt, wird man weder ihm noch uns Anderen je
aus der Seele reißen; wir wären ſchlechte Egerländer, wenn und nicht in Heimats—
liebe das Herz bie und da ein wenig weiter aufginge. Im Ganzen und Großen läßt
der Verfaffer ja überhaupt mehr das Thatlächliche reden, als feine Worte Betrad-
tungen anftellen. Es find alfo die Verhältniffe in vollfter Naturtreue aufgezäßlt,
nebeneinander geftellt und verglichen. In diefer Hinficht faßt das Bud mit Glüd
alles das zufammen, was der Verfaffer in abgerundeten Einzelauffägen theilweiſe
ihon früher veröffentlichte. So füllt das Buch Habermann — e3 ift das Feine
Phrafe — eine wirkliche Lüde aus, denn troß der glüdlicherweife jo zahlreichen
Arbeiten über das Egerland und deflen Bewohner war doch hie und da ein Mangel
merkbar, der durch das jeßt gegebene Bud) bejeitigt ift. Habermann lieferte damit
eine vollftändige und treffliche „Geſammtkunde des Egerländers.“ Keine Seite, die
noch irgendwie wichtig ift, wurde da überjehen; bie einzelnen Capitel beiprechen in
ausgezeichneter und einzelrichtiger Weile „die Volkstracht“ (S. 10—20), „Bauernhof
und Bauernhaus” (S. 21-32) ſammt „Taglöhnerhaus“ (S. 33 -39), die bäuerliche
„Arbeit und Erholung”, „das Weib vont Lande“, zwei Stüde, in denen Habermann,
auf volkswirthſchaftlichem Gebiete ja fonft auch ſchon befannt, gründliche fociale
Forſchungen niederlegte. Ein Haupttheil des Buches gehört den „Sitten und Ge—
bräuchen“ (©. 56-88), welche erjchöpfend behandelt find. Nach einer focialpolitifchen
Diverfion über „Verein und Gemeinde“, die jedoch immer auf. das Egerländerthum
den Hauptgedanfen legt, folgt zum Schluffe eine allgemeine Skizze über „Dialect
und Volkspoeſie“ (S. 101 fg.), an welche fih eine Anzahl ausgewählter Egerländer
in HA Sa
Poeſien anreiht, acht der fchönften und jpecifiich egerländifchen mit Notentert. Zahl-
reihe Jlluftrationen, Typen der Volkstracht, Grunbriffe des Bauernhofes und feiner
Theile zieren durch jehr hübſche und in ihrer Treue überwachte Ausführung das
Bud, welches troß feiner Gründlichkeit in gefhmadvoller, aud) dem weiteften Publicum
verftändlicher Schreibweile abgefaßt iſt. Möchte das Chrenopfer, daS Habermann mit
diefem Buche feiner engeren Heimat darbringt, feine Landsleute zur Erhaltung ihrer
volldeutichen Eigenthümlichkeit mit aufmuntern. - Die Ausftattung des Buches ift
eine tadellofe. H. Gradl.
Rrauß, Hans IT. und Dümml, ©. 1.: „Eghalandriſch's. Schwank w
Schnaugn.“ Eger 1837. Verlag von A. E. Wie.
Nicht ſobald ift jeit Dr. Lorenz's Arbeiten in Egerländer Mundart die Eigenart
unferes Ländchens in Sprache und Lebensgemwohnheiten naturgetrener wiedergegeben
worden, als in dem vorliegenden Büchlein. Dasjelbe vermeidet zu feinem Glüde jede
Einzwängung oder Beſchränkung der Mundart in Negeln jchriftdeutichen Satzbaues,
jede Berfümmerung des Lautausdrudes, wie fie in manchen Fällen bei Anderen,
bejonderd vom Neime erzwungen jheint; die in dem fchmalen Heftchen niedergelegten
Arbeiten zweier Söhne des Volkes treffen, kurz gefagt, in Allem und Jedem den
Bolkston und den Volkslaut. In Hinficht des erfteren liefert dad Büchlein Föftliche
Züge aus oder zu dem Leben unferer Landleute, mindeftensd Furzvergangener Zeit.
Dümml's „Tholabana” (Thalerbaner) und Krauß’ „Ba jeln, dea hänkn ganga r is“
(Bon jenem, der fid aufhängen ging) find troß ihrer jelbftverftändlichen Erfindung
jeden Augenblit möglich, weil Charakfteranlage und Berhältniffe eben lebenswahr,
echt bäuerlich find. Eines Egerländers ganzes Werden und Herauswachſen, den ge:
ſammten Lebensgang eines Dorflindes unferer Heimat bietet Krauß’ derbhumoriſtiſches
„da Diat: Hanricy” (der Hirt-Heinrich), ein abgefchloffenes Bildchen, das ich fiir das
Befte unter Guten halten möchte; das find feine unmöglichen Gefühlsregungen, Die
gefchildert werden, feine voin Bauer nie gehörten Worte, die den „Helden“ jonft in
den Mund gelegt werden, feine Salou-Egerländer oder poetifchen Verhältniſſe, nein,
das lebt, jpricht und handelt jo und wird auf dem Lande draußen jo behandelt, wie
es darin fteht. Inhaltlich Frifcht Einen das Büchlein auf, wie Waldduft und Feld-
ichollengerudy nach den Lüften über parguettirtem oder betonirtenm Boden. Soll id,
es eigens noch empfehlen? Aber auch die ſchwierige formelle Darftellung ift vorzüglich
gelungen, Ueber die gewählte Echreibweife darf ich nicht reden, da fie die von mir-
eingeführte and empfohlene ift. Aber die Lantdarftellung in ihr mag ich beiprechen.
Diefelbe ift über Verwundern gut ausgefallen, denn, wenn eine Mundart in diefer
Richtung Schwierigkeiten bietet, ift es die unjere, Drudfehler find verhältnigmäßig
faft gar nicht zu finden; ich merfe nur an: Angha ftatt Anga, Saifza ftatt Seufza
(17), jo ftatt ja (18), Maanads ftatt Maanat3 (20) — fol man in Schriftdeutich eine
54 Drudfeiten lange Arbeit mit jo wenig Fehlern herftellen. Diefe Genauigkeit be—
rührt Forſcher wie Lefer um jo angenehmer, ald man nachmal (jelbft in dieſer Ztichr.
erging es bereits „Volfsliedern” jo) ein Egerländifch gegeben findet, über das wir
Kenner, weil jelbjt Volksſöhne, merkwürdig die Köpfe ſchütteln. — Hoffentlich fehen
Berfaffer und ftreblamer Verleger ihre Mühe und Arbeit wenigftens jo weit bezahlt,
daß ihnen nicht zu Weiterem die Luft genommen wird. H. Gradl.
ar. IE,
Hermann Ras: Klutſchal's Führer durch Prag und Umgebung. Neu
bearbeitet und ergänzt. 13. Auflage. Brag, U. Haaſe 1887.
Der bewährte Klutſchak'ſche Führer durch Prag und Umgebung erfcheint hier
in der 13. Auflage, neu bearbeitet und ergänzt von Hermann Katz. Ein neuer
Situationsplarn von Prag und Umgebung, eine Anficht des Hradſchin, eine Abbildung
des neuen deutſchen Theaters, des ccchiichen Nationaltheaterd und des Concertfaales
im Rudolphinum ſchmücken das Buch. Es find nahezu fünfzig Jahre, daß die erfte
Auflage erſchienen ift. Die Gliederung des Stoffes ift eine erfchöpfende, Eine aus—
reichende Ueberſicht der Gedichte Prags führt in das Buch ein, danır folgen „ſtati—
ftiiche Angaben. Die Capitel: Verkehrs- und Beförderungsmittel, Unterkunft und
Unterhalt, Vergnügungs- und Bildungsanftalten find reichhaltig, genau und zutreffend
gearbeitet. Das Capitel „zur allgemeinen Orientirung“ und das „alphabetifche Ver:
zeichniß“ der vorzüglichften Sehenswürdigfeiten fchließt das Buch. Als Beilage er:
Icheint eine Erläuterung de3 Planes der Stadt Prag umd Umgebung. Die Reich):
baltigfeit des von dem verbdienftvollen hingefchiedenen Klutſchak mit jorgfältiger Aug»
wahl angelegten Buches ift befannt genug, und die vorliegende Bearbeitung hat es
verftanden, den Grundcharakter des Buches zu wahren. Die aufitrebende Stadt, die
unter unfern Augen gewaltige Wandlungen durchmacht, findet in der jegigen Auflage
eine würdige Darftellung. E3 wäre nur zu wünſchen, daß die Namen der Architekten
der prädtigen Renaiffance-Bauten mit einigen kunſtgeſchichtlichen Notizen angegeben
wären, jo beim Lobkowitz'ſchen Palaſt in der Wälſchengaſſe. So zeigt ſich die 13.
Auflage als ein tüchtiger Nathgeber und vertrauendwerther Führer, Die Ausftattung
ift würdig und das Buch handlich. —T.
Carinthia. Zeitihrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung.
Herausgegeben vom ejchichtsvereine und naturhiftoriihen Landes-
mujeum in Kärnthen, 76. Jahrg. 1886. Klagenfurt. Kleinmayr.
Der für die Landeskunde von Kärnthen hochverdiente Verein gibt in den 12
Nummern diefes Jahrgangs wieder hodhintereflante Beiträge zur Geichichte und Geo—
graphie, Naturgeichichte, Meteorologie; ferner vermifchte Aufläge und die Chrouik;
Berichte und Mittheilungen und den Nekrolog de3 Edlen von Rosthorn. Sehr
lehrreich und höchſt intereffant dargeftellt find die „Urgefchichtlichen Studien“, von
Dr. Frig Pichler „Käruthiſche Ortebildung“; befonders machen wir auf die Unterfuhung
über die Lage von Noreia S. 128 fg. aufmerkſam. Der Berfafler hält an ber
Identität von Virunum und Noreta feit (S. 134). Derjelbe Forjcher bietet auch
Nahträge zur Geichichte von St. Georgen am Langfee. Andere hiftorifche Artikel
im Jahresbericht find: „Die Edlen von Füller“, eine genealogiihe Studie von
Dr. von Höniſch; von demfelben Autor eine ebenjolde Studie über „Die Frei:
herren von Hallegg“. Ferner „Hohenwart, Sigismund v., Neifejournal über eine Mı
Fahre 1792 nad) Holland unternommene Reiſe“. A. v. Jakſch bringt eine Abhandlung
über die Marienftatue „Maria Flamin“ mit einer Probe deuticher Volkspoeſie. Es
ift dies ein nicht unwichtiger Beitrag zu den mannigfadhen in Kärnthen heimiſchen
Türkenſagen. Karl Baron von Haufer berichtet über den „Maultaſchhügel von Hoch—
= AR
ofterwig“. Hier fanden ber Sage nad) die gewaltigen Kämpfe der Tiroler Amazone
Margarethe Maultafch ftatt. Solche Fehler wie „ihm nachfolgen“ ©. 65 und „in—
duftriele” (S. 131) find zum Glück wenige vorhanden. Ch.
Franz Immermann, Archivar. Das Archiv der Stadt Hermannjtadt
und der fähjischen Nation, Hermannftadt 1887. Verlag des Archives.
Dieje zweite Schrift, welche deutfch-fiebenbürgifche Verhältniffe behandelt, zeigt
ebenjo wie die erfte Schrift von der Sorgfalt der fiebenbürgifchen deutſchen Städte
für ihre Archive. Die Stadt Hermanftabt befigt ihr Archiv feit dem Jahre 1545 im
Gebäude des Rathhanfes, durch ftürmifche Zeiten forgfam behütet von der Bürger:
Ihaft. Auch hier hat vor mehr als 20 Jahren die Stadtvertretung die Hand geboten
zur Begründung einer neuen Ardhivverwaltung im einmüthigen Zuſammenwirken mit
der fähfiihen Nationduniverfität. Die neue Anordnung und Aufftellung der Ardi-
valien ließ nun die Abfaffung einer Ueberfiht über den Inhalt des Archivs als ein
dringendes Bedürfniß erfcheinen. Mit diefen nett ausgeftatteten Hefte von 115 Seiten
hat der tüchtige Archivar Franz Immermann, der die erfte Ueberficht über den Inhalt
des Archivs der Stadt Hermannftadt und der ſächſiſchen Nation ſchon im %. 1877
ausgearbeitet hat, die Ausarbeitung einer neuen Inhaltsüberficht zunächſt fir amtliche
Zwecke der Deffentlichkeit übergeben. Der Inhalt mweift nah 1. Urkunden jeit 1290,
2. Akten, 3. Protofollbücher, 4. Rechnungsbücher, 5. Handichriften, 6. Repertorien,
7. Geſetzbücher, 8. die Handbibliothek, 9. Beitimmungen über die Benügung. —r.
IE SIene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden
höflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefhhäftsleitung (Annaplag 188—I)
gütigit reclamiren zu wollen. WG
— — —
8. t. Hofbuchdrucderei U. Haaſe, Prag. — Selbſtverlag.
— — —
k
Literariſche Beilage
zu den Mittheilungen des Vereines
für
Geschichte ler Hentschen in Böhmen,
XXVI Fahrgang. u. 1887/88.
Kulturgeſchichte der Menfchheit in ihrem organischen Aufbau von Julius
Lippert. 2 Bände. Stuttgart, Ferdinand Ente 1886.
Der Berf., rühmlich befannt durch jeine jociologijchen Arbeiten, geht gut ge—
rüftet an jein Werf, das er auf inductiver Forſchnug aufbaut. Das Ganze foll dem
gebildeten Laien Rejultate und Belege in einer Weife vorführen, welche eine Nach—
prüfung geftattet. Dem Vorwurf, daß die Detailforfchung das Material noch nicht
bewältigen fünne, begegnet der Verf. mit vollem Rechte damit, dab der Laie wohl
ein Recht habe, ohne auf den Abichluß des menschlichen Wiffens zu warten, in das
jeiner Zeit einen Einblid zu gewinnen, Der erſte Band enthält die Einleitung
und zwölf Abjchnitte, der zweite Band 14 Nbichnitte, in denen die Entwidlung der
Eultur der Menjchheit zwedentiprechend eingetheilt it. Die Einleitung entwidelt die
Lebensfürjorge als Princip der Eulturgefhichte. Die Urmenſchheit jtand einfah vor
der Thatſache ihres Dafeins, und die einzige Folgerung aus diejer Thatjache war
die Sorge für des Daſeins Erhaltung. Wo wir es mit dem Yeben zu thun haben,
da ift Lebensfürſorge der Urantrieb jeiner Neuferungen und Bethätigungen. Zwei
Gruppen ererbter Antriebe kämpfen im Menjchen miteinander, die ihren getrennten
Uriprung in Bertoden verjchiedener Lebensfürforge verrathen, Auf der unteriten
Stufe ruft die Empfindung fogleih die Bewegung hervor, diejes alte Erbe bewahrt
der Menſch noch unverloren, einer jüngeren Zeit führt die Verftandesthätigfeit gewille
Sautelen ein, jenen primären Inftincten fallen die jüngeren Inſtinete der Vorſicht,
Scheu ꝛc. in die Arme. Die vorherrſchende Geltung, welche einer oder der andere
diefer beiderlei Inſtincte bei einem Volke ſich erfreut, muß dem jeweiligen Stande der
Lebensfürſorge entiprehen und ein Gradmeſſer jeiner Eulturentwidlung fein, der
jüngere kann wicht entftanden fein ohne Einfluß gejellichaftlicher Beziehungen. Aber
Lippert weiß jehr wohl die Macht des Geiftigen im ber Gulturgeichichte zu ſchätzen.
Wenn es ſchon möglich wäre, den Proceß der Culturentwicklung ſoweit zu zergliedern,
“
—
(Au:
daß nur noch phyſikaliſche Kräfte ald die festen elementaren Factoren zurüdblieben,
fo dürfte man doch nie überfehen, daß aus diefen Elementen Verbindungen zweiter
und höherer Ordnung im Menjchen jelbft hervorgehen, welde dann jelbft wieder
gleich Naturgewalten in die Reihe der wirkſamen Factoren treten. Die Lebensfürjorge
unterfter Stufe fennzeichnet ſich durch das größte Maß von Beichränfung nad) der
Richtung des Räumlichen und Zeitlihen. Die Bereituug von Werkzeugen bildete
einen Fortichritt. Die Zähmung des Feuers und die Entwidlung der Sprade, dies
find die drei größten Schritte, mit welchen fic) der Menſch entwidelt. Der Verfaſſer
beipricht num den Einfluß religiöfer Vorftellungen; Recht und Sittlichfeit; Gewiſſen,
freien Willen und die Macht der Vorftellungen überhaupt im Verhältniß zur Lebeus—
fürforge und jchließt damit die Einleitung, die in feft formulirten Sägen feine An—
Ihauungen Har und bündig ausdrüden. Ob diefelben durchaus richtig find, dies kann
hier auszuführen nicht der Zweck diejes Neferates jein. Der Verfaffer hat diejelben
in verſchiedenen größern, mit Beifall aufgenommenen Werfen zur Geltung zu bringen
gefucht. Dadurch, daß der Verf. die große Bedeutung des Princips der Lebensfürforge
zeigt und. durd alle Stufen vorausgreifend verfolgt, glaubt er auch jeine Wichtigkeit
dargethban zu haben. Die Urzeit fennzeichnet: die Lebensfürſorge auf der niedrigften
Stufe, eine relative Fürforglofigkeit. Der Verfaffer belegt feine Ausführungen mit
Citaten aus den vorzüglichiten ethnographiſchen Arbeiten der Neuzeit, wodurch feine
Methode ihre ſynthetiſchen Säte analytiich belegt. Den Unterjchied zwilchen activen
und pafliven Raſſen findet der Verf. in der Ueberwindung des Trägheitämomentes:
für Unbehagen ein höheres Behagen einzutaufhen. Die Art zu wählen, wird ein
Merkmal der Volksſeele. Es ift intereffant wie Lippert feine Rüdihlüffe begründet;
die Gewandtheit, mit der er gewonnene Refultate ausbeutet, bringt bei diefem mühe—
vollen Eindringen in die Fyinfterniß der Urzeit, ein Gefühl der Sicherheit des Fort—
fchreiteng bei dem Lejer hervor, das nicht wenig durch die lebhafte nach allen Seiten
ausgreifende Darftellung bekräftigt wird. „Die Logif allein ift es, welche wir mit
dem Urmenſchen qualitativ gemein haben, das Gefühlsweſen trennt un? von ihm
wie von einer andern Species.“ In ſolchen Sätzen wird eine große Menge cultur-
gefchichtlihen Material3 zufammengefaßt. Das Geſetz der Compatibilität, worunter
Lippert das Nebeneinanderbeftehen einer jüngeren Grundanfhauung und einen Comes
pler von älteren Folgeerjcheinungen verfteht, die Blutsverwandtichaft erhalten ihre
rechte Stelle in der Entwidlung des Urmenfhen. In der Beantwortung jolcher
Fragen: Hat der Urmenſch Religion befeffen?, die zu den ftarfbeftrittenen der Cultur—
geichichte gehören, zeigt fih die jorglamfte Trennung verjchiedener aber unrichtiger:
weiſe von den Forichern verwechjelter Auſchauungen. Hier fommen der Animismus,
die Ahnenculte, die Naturreligionen zur Sprade. Diejen Begriffen ftellt Lippert _
feinen Begriff des Seelencult3 gegenüber. In ftreng logijcher Folgerung werden bie
Merkmale der Urreligion entwidelt. Die Abhandlung über das relative Alter der
Sprachen faßt die Rejultate neuer Forſchungen in origineller Weile zufammen, ein
böchft lebrreiches Capitel für folche, welche fich über diefe ſchwierige Materie in feſ—
jeinder Weile unterrichten laſſen wollen. Der Ausblit auf die Verbreitung der
Menſchheit beipricht die Verbreitung der Raſſen in eben fo anregender und gründlicher
Meile. Nachden der VBerfafler die erjten Fortichritte der Lebensfürſorge dargejtellt,
Ichjließt er die erfte Epoche der Menichheitsgejchichte mit der „Fähmung des Feuers“
ab; erſt jest wurde es möglich, das Verbreitungsgebiet des Menfchen in die Wildniß
und in den Norden auszudehnen. Der Herd ift der Grund des Haufes, vor der
ro. “rn = — — m zur A ur 4er) IE ET gerry per 07: Der der -
— 19 —
neuartigen Hausgenoſſenſchaft tritt die Blutsgemeinſchaft im dem Hintergrund, ber
Feueraustauſch knüpft das. erite Band einer Organtijation, die über die Yamilic
hinausreiht. Nun wendet fih die Betrachtung der Differenzirung des Werkzeuges
zu; fie wird die Quelle des Eigenthbumbegriffs. Die Darftellung differenzirter Ge—
räthe führt auf die Fortichritte der Spetjebereitung.
Dies Capitel gibt eine Skizze diefes Entwidlungsganges und gibt und einen
Begriff von der außerordentlihen Größe der menjchlichen Eulturarbeit, welche auf-
gewendet werden mußte, um einen jcheinbar doch nur untergeordneten Culturzwed zu
erreichen. Die Fortichritte des Schmuds und der Kleidung und ihr ſocialer Einflub
gibt dem Verf. Gelegenheit gegen Darwin eine gejellihaftlihe Zuchtwahl an-
zunehmen und dieje mit ethnologiihen Fällen zu beweilen. Die Fortichritte der
Schmuckbekleidung treten bereit3 in eine mittelbare Beziehung zu der Gruppe, die
in unmittelbarer Beziehung zu den Fortichritten der Menjchheit in der Ernährung
fteht. Die Frage, wie und wo gelangt der Menic zu der Uebung de3 Pflanzen:
baue3? beantwortet der Verf, dahin, daß die Verjucdhe des Anbanes dem Nomaden:
thum lange voranging, der räumlichen Ausdehnung nach weit jenes überragte, die
Fortfchritte im Anbau waren aber von jenen des Nomadenthums abhängig. Die
Frau war es, welche die Fürforge zur erften Stufe des Landbanes lenkte, von einem
etwaigen Urfig des Aderbaues kann aber feine Rede fein. Jede Gegend, die irgend
ein nußbares Gras hervorbringt, fonute zum Gulturherd werden. Das Lapitel: Das
Nomadenthum und die Verbreitung der Zuchtthiere und das weitere: die Nahrungs—
pflanzen im Gefolge der Eultur führen den Leſer auf Pfade, die Lippert jelbit ala
ſolche bezeichnet, die nicht immer ficher find. Naturgeihichte, Geichichte und Sprach—
forſchung geben nicht die erjehnte Auskunft. Das Capitel „über Genußmittel im
engern Sinne“ jchließt den erften Band, der dem Leſer die Elemente vorführt, aus
denen fi das ſociale Leben des Menſchen ald das eigenfte feiner Art zufammenfügt.
Der zweite Band laßt nun diefen Bau vor uns entitehen. Die Fortihritte der Or—
ganifation auf’ dem Gebiet der Urfamilie zeigt ſich nun im Lauf der weitern Ent-
widlung; diente zunächft eine Organijation allen Zweden, jo trat jest ein Princip
der Differenzirung ein. Die Gefellichaftsformen des Mutterrechts, die Entſtehung
der Erogamie, der Eintritt der Mannesherrichaft uud des Vaterrechtes find eben jo
bedeutende Stationen im Gulturfortichritt der Menjchheit, hier weiß der Verf. den
Mythus und die Sagen trefflid auszudeuten und fie auf jene Grundlagen zurüdzu-
führen. Seine Ausführungen über die Raub» und Kaufehe, die Connubtialverbände
ohne Kauf, die Confarreation geben ein Hares Bild diejer vielfach mißverftandenen
- und faljch ausgedenteten Organijationsftufen; daran jchließen fi die Stammformen
der Hochzeit3gebräuche und die daran fich fchließenden Sitten. Die Menichen der Ur-
familie und de3 ftrengen Mutterrechtes haben feine Geſchichte. „Mit jeder Form der
Srogamie begann ein erjter großer, immer weiter rollender Fortichritt auf dem Wege
der Differenzirung der organifirten Gruppen nad beitimmten Zielen der Wahı auf
dent Wege eines anfreibenden Wettſtreits derjelben.“ Es folgt das Patriarchat mit
feiner Art Erogamie und findet in feinem Befißprincipe die Mittel ganze Gejchlechter
in fi aufzunehmen und die Menge derielben in die Organijation der Arbeit zu
vereinen, In Har abichließenden Rückblicken faßt der Verfaffer dad Ergebniß der
entiprechenden Studie zufammen, den Leſer ficher orientivend; ev verjteht es mit
fiherer Hand in die Organifationsgruppen bei den ſich von ſelbſt findenden Ruhe—
punkten die Ergebniſſe der Eultuvarbeit, wie in Niſchen großer Bauten hineinzuitellen.
cr
ei, Wine
Die Wohnftätte und dad Haus läßt wieder denjelben Grundzug der Meenjchennatur
<rfennen, welchen die oben erwähnte Compatabilität geſchaffen hat; hier zeigt der Verf.
die Wirkſamkeit des Gefeges auf rein technifhem Gebiete. Die nene (Erfindung ver—
nichtet nicht die ältere Parallelform, fondern gliedert fich diejelbe als einen Banbeftand:
theil untergeordneter Bedeutung an. Die fortichreitende Entwidlung zwingt den Verf.
von jelbft eine Reihe von Specialgefchichten der einzelnen Eulturmomente zu ſchreiben;
mit jedem Fortichritt fteigt die Differenzirung. Aber. der Verf. weiß diefer Verſu—
Hung den nöthigen Halt zu gebieten und im der Beſchränkung den rechten Meiiter
zu zeigen, indem er nur bervorhebt, was jener ältern Einheit der Entwidlung ange:
hört und die Anfnüpfung an die große Einheit des Fortichrittes darlegt. Der Ein:
fluß der Meetallverwendung und die Verjchiebung der Arbeitstheilung durch fie zeigt
ji darin, daß der Mann auf allen Gebieten der Leiter der Arbeit, die Thätigkeit
der Frau aber zur dienenden wird. Der Abjchnitt: die Fortfchritte de3 Cultus- und
der Religionsvorftellungen bafırt auf den befannten frühern Arbeiten des Verfaſſers,
es ift derjenige, der am meiften beftritten worden ift. Der vom Verf, jogenannte
abmwehrende Eult der Urzeit ift mit dem pofitiven Eult durch verſchiedene Uebergäuge
verbunden. Den Uriprung ihrer Götterbegriffe von den Himmelderfheinungen will
Lippert bei den Griechen nicht zugeben. Solche Betradhtungen, wie fie Xippert ©. 291
3. II beim Einfluß des Cultes anftellt, wenn er die puuiſche Raſſe und die weiße
Raſſe harakterifirt, find außerordentlich Ichrreih und öffnen in die Tiefen der Cultur—
entwidlung den Blif mehr als das Etudium von Bänden von Eulturgefchichten an-
derer Art. Das Capitel: „Der Menſch als Gegenjtand der Eultleiftung” erklärt den
Einfluß des Eultus und dag Eindringen des fubjectiven Momentes in den Cult, das
Menjchenopfer der Anthropophagie, die Blutlöfungen und gebt auf derer Formen ein.
Der nächſte Abſchnitt bringt die ultvorftellungen im Zuſammenhang mit ſocialen
GHeftaltungen ; die Berwendung des Blutes ınit ihren mannigfachen Sproßformen und
Nudimenten tritt uns in der Blutradhe, im Blutlaffen als „Trauer“, im Bruſtſchlagen
x. entgegen. Der Blutbund und die Blutbrüderichaft erhalten ihre Erflärnug. Auch
yeim Fetiſchismus gelangt Lippert zu einer anderen Auffaſſung als Fritz Schulge.
Yippert hält an der Bezichung des Beſeſſenſeins (Juwohnen und Beſitz) feſt Der
Bergfetiih, das Mahl, der Holzfetiih, der Baumfetiſch, die Fetiichwaffe, der Thier—
fetiſchismus, der Schamanismus werden auf ihre Elemente zurüdgeführt, daran
ichließen fi) die Seelenwanderung und der Totemismus; der fortgejchrittene Feti-
ichismus wird focialer Factor. So zeigt fih überall, daß die Entwidlung der ge-
jellfchaftlihen Organiation auf deu ſtufenweiſen Foertichritten der Gemeinfürjorge
reconftrniven zu wollen nicht ausreichend wäre; darım hat der Verfaffer mit Recht
den Sat vorangeftellt, daß auf jeder Stufe aus dem jubjectiven Elemente ihres
Borftellungsihases von der Menichheit Motive zu Handeln und Schaffen gewonnen
wurden. Der Verf. wendet ih dem Fortichritt der Geitaltungen auf dem Gebiete
der Patrtarchenfamilie und innerhalb derjelben zu. Daß die Knechtſchaft außer dem
Krieg nod) eine audere Quelle in der Geichichte der Familie habe, nimmt Lippert
als gewiß an.
Man leſe bei Yippert B. U ©. 542 nad), wie er die Mltfamilie in ihrem
Saalhaus durch den Yauf der Zeit verfolgt, wie feinjpurig er die Rudimente überall
erkennt: und man wird nicht zu viel Jagen, wenn man das Studium einzelner
Bartien des Buches als einen wahren Genuß bezeichnet. Wie leicht fich die geiell-
ichaftlichen Organtiationen auf dem Weg, den Yippert eingejchlagen, erklären laſſen
— —
zeigt ſeine Unterſuchung über die Gens und die Phratrie vgl. ©. 560, B. 2. Nach—
dem der Verf. den Grundriß der Staatenbildung und des Rechtsweſens entmwidelt,
wendet er fih den Erlöjungsreligionen zu und jchließt mit den FFortfchritten in der
Beherrihung der Natur. Alle dieſe Fortichritte, jchliegt der Verfaffer, haben fih in
irgend einer Weile in jolche des praftiichen Lebens und der ſocialen Geftaltung um-
gelegt und im diejen Fortichritten hat der Meunſch neue Waffen gegen einzelne Kate-
gorien des Webel3 erworben. Die Culturgeihichte hat feine Raftpläte jagt der Verf.
©. 602. Die einzelnen Fäden des bunten Gewebes laſſen ſich nicht chronologiſch
anfnüpfen. Allmählich verlieren in der ganzen Breite des Gewebes fid) die alten
Fäden und fchießen neue ein. Diefen Wandlungsproceß hat der Verf. verfolgt. Es
gebt ein ftrammer Zug durd das ganze Merk, uud die Conſequenz des Denkens
Ichredt vor feiner Schwierigkeit zurüd, die auf jedem Schritt ih aufthirmen. Aus
einem Princip heraus arbeitet der Verfaffer, den reichen Stoff der Erfahrungs: und
Geifteswillenichaften ausnützend, vollkommen vertraut mit den ethnologiſchen For-
ſchungen biejes umfaffende Culturbild des Meuſchen. Bon dem gewöhnlichen Wege
der Eulturgejhichtsichreiber abweichend, neue Formen der Darftellung des mächtigen
Stoffes ſuchend, entipricht der Verf. damit den Bedürfniffe des gebildeten Lejers in
höherer Weile. Jeder Band enthält einen forgfältig gearbeiten Xnder. Chevalier.
⸗
Dr. Julius Krebs: Zacharias Allerts Tagebuch aus dem Jahre 1627.
Breslau 1887.
Zacharias Allert ftand von 1625 bis 1631 als Schreiber in den Dienften des
befannten Breslauer Stadtſyndicus Dr. Reinhard Roſa und machte in deſſen Gefolge
wiederholte Keifen, über welche er ein genaues Tagebuch führte, von welchem ſich
leider nur Bruchſtücke erhalten haben. Diejelben erftreden ſich auf eine Reife von
Breslau nad Wien und zurüd vom 17. Jänner bi3 12. Mär; 1627, welche eine
ſchleſiſche Geſandtſchaft an den Kaiferhof unternahm, um über die gröblichen Aus-
Schreitungen der Wallenfteiniihen Truppen Bejchwerde zu führen, und eine Fahrt
nah Prag, wohin Dr. Roja anläßlich der Krönung Ferdinands IH. (25. November)
al3 einer der Vertreter des FürftenthHums Breslau entiendet wurde. Die Aufzeich-
numgen über die Prager Reife beginnen mit dem 14. November und brechen leider
mitten in der Schilderung über den Prager Aufenthalt am 3. December ab, Wir
müſſen Gerry Dr. Krebs recht dankbar fein, daß er ji der Mühe unterzog, die der:
malen in der füniglichen Bibliotbef in Breslau aufkewahrte Handfchrift Alerts zu
veröffentlihen. Denn wenn aud), wie der Serausgeber uns ſchon im der Vorrede
aufmerkjam macht, wir von Allert ſchon wegen feiner verhältnigmäßig niederen Lebens:
ftellung feine Berichte über Haupt und Staatsactionen zu erwarten haben, jo bringt
er uns doch „gleichzeitige Schilderungen der gewöhnlichen Vorgänge des Tages, Be:
ichreibungen all der Heinen Begebenheiten aus dem Leben des Einzelnen mit ihrem
bunten weclelnden Inhalte, die zufammengefaßt erft den vollen und lebendigen Ein-
drud von einer Zeitepoche hervorrufen und ihr geiftiges Wiederichauen ermöglichen”.
Und gerade ſolche gleichzeitige Schilderungen des Kleinlebens unferer Vorfahren, be-
merkt Krebs mit Hecht, finden fich nicht häufig. Uebrigens berichtet uns Allert auch
über mancherlei rein politiiche Angelegenbeiten und jest diefelben von feinem Stand:
Met — ——
— 22 —
ai
punfte aus in mitunter recht intereffante Beleuchtung. Uns feflelt jelbftwerftändlich
die Wanderung durd Böhmen und der Aufenthalt in Prag. Die aus 13 Perfonen
beftehende Gejellichaft, welche am 14. November in Breslau aufgebrochen war, langte
über Franfenftein, Glatz, Neinerz, Levin am 17. November in Nachod „mit einem
gar artig und ſchön gebautem Schloß des reihen Törzſchky“ (Terzky) an umd nimmt
noch am jelben Tage in Skalitz das erfte Nachtlager in Böhmen, das ſich Allert
und fein Herr Roſa indeffen nicht im Geringften loben mochten. Um jo beffer be—
fanden fie fich im zweiten Nachtquartier, das jie am 18. Novbr, in Neubidſchow
„Biſchoff“) aufichlugen, wohin fie über Jaromierſch („Garniers“) und Petrowitz
„Pitterwitz“) gelangt waren. Sie wohnten „in dem hübſchen Städtl“ bei guten
Leuten, „Jo nur böhmiſch reden können“, und wurden vorzüglich bewirthet. Am fol-
genden Tage gings in rafcher Fahrt über Königſtadtl und Wrbik') nah Nim—
burg, wo man ein Frühftüd einnahm. Die Stadt Nimburg fand man im halbver-
wüſteten Zuftand. Nachtlager wurde am 19. November noch in Tauſchim („Tauſch“)
genommen, wo die Gejellichaft „Ichlechte Commodität, doch eine feine Stube von
Bohlen gemadt, angetroffen“. Am 20. November rüdten die Schlefier in Prag ein
und jchlugen ihr Quartier beim Röm. f, M. Rath und böhmischen Secretarius
deutſcher Erpedition Hans Rasper auf der Kleinſeite unmeit des Ringes in einer
Quergaſſe auf. Ueber der Hausthüre befand fich eine Tafel mit drei Männlein und
dem Sprude: Diejes Haus ftehet in Gottes Hand, beim Rauchfangfehrer ift es ge—
Hannt. Was nun Allert vom 20. November bis zum 3, December in Prag erlebt,
gejehen, erfahren und alle Abend getreulich in fein Tagebuch eingetragen, bietet
gar mannigfaltiges Jntereffe, jo daß wir im Hauptblatte der Mittheilungen noch
eingehend darauf zurüdzufommen gedenken. Die Krönungöfeierlichkeiten ftehen na—
türlih im Mittelpunkt der Allertihen Aufzeichnungen. Aber noch werthvoller als
die Beichreibung derjelben jcheinen mir jene Beobachtungen zu fein, welde der in
feinen Mußeitunden die Stadt nad) allen Richtungen durdjftreifende biedere Schleiter
niederichrieb.
Was die Bearbeitung des Tagesbnuches durch Krebs anbelangt, jo bleibt an
wiflenshaftlicher Sorgfalt und Gründlichkeit Nicht3 zu wünjchen übrig. Die trefflich
geichriebene Einleitung macht ung mit Allem, was wir zur Benrtheilung des Tage-
buches zu wiſſen brauchen, auf das Genanefte befannt. Der Text jelbit ift reinlich
und lesbar dargeftellt, und einzelne Bemerkungen in Klammern oder Fußnoten ſuchen
das raſchere Verftändniß zu befördern. Ab und zu wird ich vielleicht eine richtigere
Erklärung finden laſſen, jo die oben angedeutete über Königftadtl, Wrbit oder Geite
75, wo wir „Hemmel“ ſchon mit Rückſicht auf die Jahreszeit doch lieber mit „Hammel“
deuten würden. Das will aber Nichts bedenten. Gerne hätten wir nebft dem gut
orientirenden Perſonenregiſter auch ein Ortöverzeichniß beigegeben geleben. 8.
1) Dieſe an der Straße von Neubidſchow nad Nimburg gelegenen Orte ſind
unter „KNönigftädtlein, Meftericz” wohl gemeint. Daß Allert zwei Ortſchaften
gemeint hat, geht ja aus dem folgenden Plural „offene Märkte oder Flecken
hervor. Die Dentung auf eine königliche Stadt „Meſeritz“ iſt verfehlt.
——
Tuba Edmund: Die Kirchenbauſtyle des Mittelalters und deren wid-
tigere Denkmale in Böhmen. Ein Leitfaden für Elerifer und Freunde
hriftliher Kunft. 1887. Selbitverlag, in Commiljion bei G. Neu-
gebauer, Brag. 159 ©. 8°.
Wenn man das Weſen und die Bedeutung eines Funfthiftorifchen Leitfadens
ind Auge faßt, jo muß es thatſächlich befremden, daß ein Verfaſſer jih an die Zu—
jammenftellung eines jo wichtigen Hilfämittel3 wagt, der (S. 8) zugefteht, weder ein
Techniker noch Architekt zu fein und jchließlih (S. 9) „mit Rückſicht auf feinen be—
abfichtigten Zweck“ — Verjhönerung der ihm unterftehenden Kirche — an billige
Beurtheilung appellirt. Denn gerade ein Reitfaden kann, wenn er thatjädhlic feinen
Zweck erfüllen foll, gewiß nur von einem auf allen Gebieten jeines Faches gleidy
trefflich bewanderten Meifter geliefert werden, der mit fiherer Hand aus dem reichen
Schatze feines Wiffens emporhebt und ameinander reiht, was anderen ein Führer
und fichere Leuchte werden fol. Anjprechende Verarbeitung feftitehender Thatfachen
und eine in jeder Beziehung gewiſſenhafte Darftellung bleiben jomit die
Grundpfeiler jeder diesbezüglichen Arbeit.
In dem I Haupttheile bietet Verf. vorzüglid mit Anlehnung an bekannte
funfthiftoriiche Arbeiten, unter welchen in der Kiteraturangabe das Werk des fein-
finnigen Schnaafe und neuere Publicationen anderer Forfher auf dem Gebiete
chriftlicher Kunſt vermißt werden, einen Ueberblid über die kirchlichen Bauftyle, der
beſſer gearbeitet iſt als der II. Hanpttheil, aber nicht ohne Irrthümer bleibt. ©. 43
wird angegeben, daß der Kölner Dom 1228 begonnen wurde, während S. 137 erft
1248 als Datum der Grundfteinlegung angeführt ift. Die Sorglofigkeit des Arbeitens
tritt namentlih im 2. Daupttheile, der die wichtigeren kirchlichen Baudenkmale in
Böhmen behandelt, zutage. Schritt für Schritt begegnet eine wunderliche Unge—
nauigfeit der biftorifchen Angaben. S. 73 beruft 1182 der 1174 verftorbene Wladi—
law II. die erſten Prämonftratenfer nad) Strahow und ftirbt 1300 mit dem 1306
ermordeten Wenzel II. das Premyflidengeihleht aus; an demjelben Orte begegnet
auch nod die Angabe der 1230 erfolgten Gründung des Giftercienferklofterd Nepo—
muf, das damals bereits faft ein Jahrhundert beftand, aber keineswegs, wie es
©. 101 heißt, Schon 1130 von den Sternbergern geftiftet wurde. ©. 71 wird Wile-
mow unter die Benedictiner- und gleich darauf unter die Prämonftratenjerklöfter ge=
zählt, zu welch letztkren es nie gehörte. ©. 72 erſcheint das erft 1265 gegründete
Frauenthal unter den „älteften Stiftungen” des Landes. ©. 89 erbaut Sobejlam 1.
1126 die Georgscapelle auf dem ip, während die dafür erhaltene Quelle ausdrüdlich
jagt „eapellam reconstruxit“. Die ©. 79 beliebte Erbauung der Yonginuscapelle
bei St. Stephan in Prag für 1280-81 ift nicht haltbar, jo wenig als ſich ©. 81
der Schiffbau in Budec-Kovary auf 1055 oder ©, 92 die Herftellung der Kirche zu
Kondrag auf 1149 firiren läßt. Die 20 Zmwifaltener Möndye (S. 85) famen nicht
unter dem Abte Berthold, jondern unter Wizimanns, wie Zmwifaltener Quellen genau
berichten, nah Kladrau. S, 88 ericheint als erjter Probit von Doran Adalbert von
Steinfeld, während Neplacho jagt „Erleboldus regalis capellanus fuit primus
praepositus“, wos, da es jih um eine fünigliche Stiftung handelt, nit unwahr—
ſcheinlich iſt. Plaß ift nicht durch Herzog Wladijlaw 1. (S. 86) gegründet, der Bau
von Kladrau nicht von Wratiflam T. (S. 84) fortgefeßt worden; ebenfowenig ver:
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dankt Klingenberg (S. 101) Wenzel IL. fein Eutſtehen. Das Ciſtercienſerkloſter
Hradiste wurde nach den Ordendannalen früher ald 1177 (S. 100) gegründet. Un—
‚zweifelhaft ficher ift, daß nicht ſchon 1308 die Hufiten unter der Führung de3
Prämonftratenjerd Johann von Selau das Klofter Sedletz zerftören fonnten und
Königfaal nicht 1297 geftiftet (S. 73) fondern nur der Grundftein zum Kirchenbane
gelegt wurde. Die Magdalenencapelle in Böhm.-Leipa, welhe (S. 119) als ein -
1582 aufgeführtes Werft des Benefh von Raum bezeichnet wird, kann ebenjowenig.
diefem nach Grueber höchſtens bis 1537 nachweisbaren Meifter, der urkundlich als
Benedict Ried aus Piefting jichergeftellt ift, ald der Stadt Lann die Ehre feiner
Baterftadt (S. 147) zugeftanden werben. Daß in dem Capitelfaale und Hreuzgange zu
Dffegg gerade ein über Magdeburg fommender jähfiisher Einfluß fich offenbare
(S. 96), ericheint dem Ref. nicht ficher nachweisbar. Die Angabe, daß der Bau des
Prager Domes bi 1386 fortgefegt wurde und von da ab Stillftand eintrat (S. 106),
weicher glei darauf (S. 107) durch die Nachricht von der 1392 erfolgten Grund:
fteinfegung zum Langhauſe widerjprodyen ift, ftimmt deineswegs ganz zu den unzwei—
felhaft ficheren Belegen der Dombaugeihichte. Ebenfo wenig zuverläflig als die
Durdarbeitung des hiſtoriſchen Materiales ift die Beichreibung der Denkmale. Seite
91 wird die Kirche zu St. Jacob bei Kuttenberg ganz richtig ein einjchiffiger Bau
genannt, von dem es nur 7 Zeilen weiter heißt: „In den Schiffen zwiſchen den
Tenitern Statuen.“ S. 77 find die Thürme der Prager Georgskirche als Bauten
von 1541, die „weſtlich an die Seitenſchiffe“ feien, aufgeführt, während fie that-
fädhlih öftlich neben dem Presbyterium anfteigen und ſich duch den noh gut
nahweisbaren Rundbogenfries, der nah Tucha fehlt, als alte Baubejtand-
tbeile der romanischen Periode erweifen; von den in die Krypta diejer Kirche ver—
legten Grabdenfmälern ift thatſächlich kein einziges in der Krypta jelbit aufgeftellt.
Capiteljaal und Krenzgang zu Goldenfron enthalten nicht nur „einige“ (S. 102),
ſondern ſogar höchft beachtensmwerthe und immerhin noch bedeutende Refte der Früh:
gothif. Daß in der Stiftsfiche zu Mühlhauſen das „Presbyterium die gleiche Höhe
mit den Schiffen” (S. 92) nicht befite, beweiſt jofort Tafel IT im 8. Bande der
Mittheilungen der k. E. Gentralcommiffion. ©. 71 und 81 werben die Klünftleräbte
von Sazawa in einer Aufeinanderfolge genaunt, als ob Reginhard vor Bozetid)
gewirkt hätte; ©. 81 ift ihnen ganz unrichtig Silvefter angereiht, während es doch
eher deſſen Vorgänger, der im Bücherfchreiben unabläfig thätige, hier gar nicht ge-
nannte Diethard, verdient hätte. Die ©. 9 gewagte Behauptung, daß in Gruebers
„Kunſt des Mittelalters in Böhmen“ die Stiftskirche in Selau feine Erwähnung
fände, widerlegt ein Blid in das genannte Werk, in deſſen zweitem Theile S. 4
und 42 die genannte Kirche in vier Zertipalten bejprocdhen und durd fünf Illu—
ftrationen — darunter Grundriß der Kirche ſelbſt — erläutert wird. Die gleiche
Ungenanigfeit der Arbeit wie im 2. Daupttheife begegnet aud im Anbange. ©. 144 _
wird Gerlad), der erfte Abt von Mühlhauſen, zum Abte von Selau gemaht und
©. 146 behauptet, daß die Mitglieder der Bauhütten fi) „in drei Grade: Meifter,
Gefellen (Barlirer) und Lehrlinge” fchieden, während die in den Berathungen von
1459 normirten Beftimmungen Parliver und Gefellen ausdrüdlih trenuen. „Ein
Sort über modernen Kunſtvandalismus“ erweiſt ſich als eine Aneinanderreihung der
Anfichten von Reicheniperger, Giefers, Ottes und Stieglitz, welche fait an die Gott—
ſched jo übel angerechnete Fabrication des „ſterbenden Cato“ erinnert.
Endlich fer auch, abgejehen von der Ungenauigkeit im Scjreiben der Eigen:
namen überhaupt, die S. 45, 70 oder 107 Wenzl, ©. 73, 101 und 107 Wenzel
S. 71 Votivoj I. und ©. 130 Borivoj I. für zuläffig hält, auf das Verhältnig
des Verfaſſers zu feinen Quellen hingemiejen, deren Autorennamen nicht einmal richtig
angegeben jind. ©. 10 und 126 ſpricht er von Heidler und Eitelberger, S. 10 er:
mwähnt er Wlenzig und Krejti, ©. 10 Bontifl und ©. 88 Ponfikl. Ya, jelbit der
wiederholt erwähnte Grueber wird conjequent feines e beraubt, was allerdings umſo
weniger wundern darf, als Verf. S. 9 felbft zugefteht, dan das Werk diejes ver-
dienjtvollen Forſchers, welches eigentlih den Ausgangspunkt und die Grundlage
feines zweiten Saupttheiles hätte bilden jollen, „zur Ergänzung des Tüdenhaften
Materiales bie und da benußgt wurde”.
Wie gut die Arbeit audy gemeint jein mochte, jo fteht e3 doch feit, daß fie
ihren Zwed, Glerifer und Freunde chriftlicher Kunſt ein zuverläfjiger Führer zu den
Denkmalen des Vaterlandes zur werden, entichieden nicht erfüllt, fondern unzweifelhaft
vielfah ungenaue, ja ganz faljche Anſchauungen verbreitet. Wenn die Kunftwifjen:
Ihaft audy wünfchen muß, daß das Intereſſe für die ehrwürdigen Zeugen gottbe-
geifterten Schaffens aus vergangenen Tagen fi in immer weitere reife verbreite,
kaun fie doch nur der berechtigten Hoffnung Raum geben, daß dies an der Hand
eines befferen und gewiſſenhafteren Führers geſchehen möge, als der beiprochene Leit:
faden werden kann. u —r.—
Die Schlacht bei Prag am 6. Mai 1757. Quelfenkritiiche Unterfuchungen.
Inaugural-Diſſertation der phitofophiichen Facultät der Katjer Wil:
helms-Untverfität Straßburg, zur Erlangung der Doctorwiirde vorgelegt
von Friedrih Ammann. Mit einer Karte. Heidelberg. Berlag
von Otto Beters. 1887.
Die jüngere Schule der preußischen Hiftorifer wendet ſich mit Vorliebe quellen:
fritijchen Unterfuchungen über einzelne hervorragende Ereigniffe der neueren preußiichen
und deutichen Geichichte zu und geht hiebei mit derjelben Gründlichkeit und Geuauig—
feit zu MWerfe, wie man ſie ſonſt nur in Bezug auf mittelalterliche und alte Ge—
ihichte gewohnt iſt. Eine Arbeit diefer Art iſt auch die vorliegende, welche einen
Schüler des Berliner Hiſtorikers NR. Kofer, der feinen Auf durch ähnliche Unter:
ſuchungen begründete, zum Verfaſſer bat. Das Werkchen bejpricht in feinem erften
Theil die gerade für diefe Schlacht ungewöhnlich zahlreichen Quellen und zwar zu—
nächſt die für die Deffentlichfeit beftimmten offictellen Berichte, denen mit Recht nur
ein bedingter Werth zugeltanden wird, dann die ebenſo tendenciöfen „maskirten“ Be:
richte, d. i. jene, welche zwar ebenfall$3 von den Regierungen ausgingen, bei deuen
man aber den Schein zu erweden fuchte, als feien fie von einem dritten, Unparteit-
Ihen oder gar von dem Gegner verfaßt, hierauf die nicht für die Deffentlichkeit be-
ftimmten Nachrichten, weldye eben darum zumeift zuverläffiger find, die Tagebücher
und Memoiren (die meiften aus dent Rreife der Friedrich II. feindlich gefinnten
Prinzen Heinrih und Auguft Wilhelm und daher gegen den König gehäſſig und
ungerecht), endlid die Sammelwerke und älteren Geſchichtswerke. Der zweite Theil
des Werkchens jchildert kurz den Verlauf der Schladt, wie er fih auf Grund des
a
kritiſch geichichteten. Luellenmateriald darſtellt. Die herkömmliche Erzählung, als
habe Schwerin feinem Könige die Schlacht widerrathen, dann aber, als dieſer doch
darauf beftand, eine Schladht zu liefern, mit Aufopferung feines eigenen Lebens den
Sieg errungen, wird ald ein „merkwürdiges Beifpiel moderner Mythenbildung“ für
immer befeitigt. Ein Streit zwijchen Friedrih II. und Schwerin hat zwar ftatt-
gefunden, aber es handelte ſich dabei, wie der Verf. nachweift, durchaus nicht um die
Frage, ob eine Schlacht geliefert werden jolle ober nicht, jondern nur darum, ob die
begonnene Umgehung des feindlichen rechten Flügel weit genug gediehen fei, um
bereit3 mit dem Angriffe zu beginnen. Schwerin griff zu früh an und verfchuldete
dadurch den anfänglichen Mißerfolg der Seinigen, einen Mißerfolg, der keineswegs
durch feinen Tod, jondern nur durch das Eingreifen des Königs wieder wettgemacht
wurde. Der Berfafler hebt ferner hervor, daß Friedridy II. die Abſicht hatte, die
Defterreiher von Prag abzudrängen, weil dann Prag von jelbft in jeine Hände ge=
fallen wäre. Der König erreichte ſomit troß des Sieges feinen Zweck nicht, denn
es gelang, wie bekannt, der geichlagenen Armee, ſich faft vollftändig nach Prag zu
retten, ein Umftand, von dem übrigens Friedrich II. erft mehrere Tage nad) der
Schlacht Kunde erhielt, So begann das Mißgeſchick, welches den großen Soldaten:
fünig bei Rolin ereilte, im Grunde ſchon mit dem unvollitändigen Siege bei Prag.
Die beigegebene Kartenjkizze ift nad einer Karte des öfterreidhiichen Generalſtabes
gezeichnet und ganz geeignet, über die Bewegungen der beiden Heere zu orientiren;
nur tft fonderbarer Weile die „alte Stadt” von Prag auf das linke Moldauufer
verlegt. Th. Tupetz.
Quellenbuch zur Geſchichte der öſterreichiſch-uugariſchen Monarhie. Ein
hiſtoriſches Lefebuch für höhere Schulen und für jeden Gebildeten.
II. Theil. Der Zeitraum von 1246 bis zum Tode Friedrich II. Aus
den Quellen zufammengejtellt und mit Ueberſetzungen jowie mit er:
läuternden Noten verjehen von Dr. Karl Schober, Director der E. F.
Staatsanftalt für Bildung der Lehrerinen in Wien. Wien 1897;
Alfred Hölders Berlag.
Der erfte Theil diefes Werkes ift bereits in dieſen Blättern angezeigt worden.
Der vorliegende zweite Theil ift wejentlicy nach dentelben Plane gearbeitet, nur hat
der Verf, wohl um den Umfang de3 Buches nicht allzujehr anichwellen zu laſſen,
bei fremdſprachigen Stüden ſich diesmal häufig begnügt, bloß eine deutiche Ueber—
jegung aufzunehmen; doch trug er Sorge, daß, wo er von einem Autor mehrere
Stüde aufnahm, wenigftend eines davon aud; in der Originalſprache abgedrudt
wurde. Wir können dies Verfahren nur billigen, ja dem Charakter eine „biftoriichen
Leſebuches“ würde es eutiprechen, wenn überhaupt von dent Abdrude der doch meiſt
in fehr ſchlechtem Latein abgefaßten Originale abgefehen würde. Was die Auswahl
betrifft, jo wäre es leicht, Quellenberichte aufzuzählen, die vielleicht ebenſoſehr oder
in noch höherem Grade die Aufnahme verdient hätten, als manche der abgedrudten;
in jolchen Fällen wird man immer dem jubjectiven Ermejjen des Herausgebers einen
großen Spielraum zugeftehen müfjen. Mit Verwunderumng vermißt man jedod den
Miederabdrud des Tagebucdhes der Helene Kottnauer über den Kronenraub, weldyes
doch durch Guſtav Freytags „Bilder aus bdeutfcher Vergangenheit” weiten Kreijen
befannt ift und gewiß mit Vergnügen. gelefen witrde. Oder wollte der Verf, e8 eben
darum nicht aufnehmen, weil es ſchon bei ©. Freytag fteht? Wie dem auch fein
mag, dad vorliegende Buch iſt ein beachtenswerther Verſuch auf einem bisher für die
öſterreichiſche Geſchichte noch wenig betretenen Gebiete, Es ift zu wünfchen, daß dem
zweiten Theil bald aud ein dritter, die Geichichte der Neuzeit umfaffend, folge.
Th. Tupetz.
Die gewerbliche Erziehung im Königreihe Belgien, I. Kunftgewerblicher
Theil. Bon Karl Genaud, Ingenieur und Brofefjor an der k.k.
Staat3-Gewerbejchule in Neichenberg. Berlag von J. Fritſche in
Reichenberg. 1886.
Obwohl aud der 2. Theil diejes intereffanten Werkes, welcher den gewerblid):
technischen Theil behandelt, bereits erjchienen tft, bejchränfen wir und für diesmal
auf die Beſprechung des 1. Theiles, welcher ein für ſich abgeſchloſſenes Ganzes bildet.
Genand beipricht zuvörderſt die Reglement, Programme, Preife, Stipendien, Concurfe,
Ausftellungen und die Lehrerfrage der Akademien und Zeichenfchulen, hierauf die Be—
rathungen betreffend die Gründung einer Kunftgewerbeichule im Belgien und deren
Programm, an welches fi die bis in's Einzelne ausgearbeitete Eintheilung der
decorativen Künfte ſchließt. Diefer, an vielen Stellen an intereffanten und beachtens-
werthen Ginzelheiten und Citaten reiche Bericht, führt Herrn Profeffor Genand zu
Schlußbemerkungen, welche wenigftens in gedrängter Kürze wiedergegeben werden
jollen. Belgien iſt ein Land mit mehreren hundertjährigen Kunfttraditionen, in
welchem Feine Opfer geicheut werben, diejelben weiter zu bilden; es ift ein Land mit
funftfinniger Bevölkerung und doch ift dajelbft das KRunftgewerbe vollftändig vernad)-
läffigt. Die unvergleichlichen Kunſtſchätze, auf welche die Nation mit Stolz blidt, die
bedeutende Unterftügung, welche der Staat, die Gemeinden und Privaten der Kunft
angedeihen lafjen, haben doch nicht zu verhindern vermodt, daß in kunſtgewerb—
liher Richtung ein Rückgang zu beobachten ift. Dieſe Erſcheinung ift um fo über:
rajhender, da 104 Kunftichulen von 13000—14000 Zöglingen beſucht, mit einem
Aufwande von 3 Millionen Francs jährlich erhalten, eigentlih nur die Aufgabe
haben, die Talente erkennen zu laffen und weiter zu führen. Vergleicht man mit
den Erjheinungen in Belgien die großen Fortichritte, welche England, Deutichland
und Defterreich in den legten Decennien in Funftgewerblicher Richtung gemacht haben,
jo gelangt man zum Schluſſe: Daß man in einem Staate die hohe Kunft noch jo
jehr propagiren kann, jo wird dies allein dem Kunſtgewerbe wenig nüten; anderer:
jeit3 vermag eine nachhaltige Pflege de3 Kunftgewerbes diefes felbit dann zu heben,
wenn auc die reine Kunft nur jehr mäßig gefördert wird und die Kunfttraditionen
des Landes bejcheidene find. Die erwähnten 104 Anftalten treiben eigentlih wur
hohe Kunſt, während ihre 13-—-14taujend Schüler doch großentheils Arbeiter find,
welche dem eigentlichen Berufe entfrembdet oder doch für ihn nicht nüßlich vorgebildet
werden. Auch die Lehrer, welche eigentlich kunſtgewerbliche Bildung geben fünnten,
fehlen. Diefelben find nicht geprüft, und werden nicht von fachfundiger Seite
ausgewählt, jondern von den Gemeinden, welche einen großen Theil der Erhaltungs:
foften der Schulen tragen. Bei den Berathungen der einflußreihen Körper werden
meift nur Künftler beigezogen, während mat hervorragende Architekten und leiſtungs—
fähige Kunftgewerbetreibende bei Seite läßt, welche doch. diejenigen wären, die in
erfter Linie fagen könnten, in welcher Urt fih Abhilfe jchaffen ließe. So ift in
Belgien die Funftgewerbliche Erziehung des Volkes auf falfcher Bahn, man züchtet
fünftlich viele Halblünftler und verfämnt die Heranbildung tüchtiger Kunſthandwerker.
Da in Belgien die Specialfchulen fehlen, fieht fi) das Land gendthigt feinen Söhnen
entweder im Auslande die befondere Ausbildung erwerben zu laffen, oder, und dies
ift noch häufiger der Fall, es müſſen auswärtige Kträfte berufen werden. Nach der
Meinung Genauds müßte in Belgien zunädft ein Eimftgewerbliches Mufeum und
eine Kunftgewerbeichule zur Heranbildung der Lehrer, ohne Vernachläſſigung der
anderen Sectionen, gejchaffen werden. Die belgtichen jogenannten Akademien wären
dann nad und nach in Fachſchulen umzubilden und zwar mit Rüdficht auf die
örtlichen und Landesverhältniffe. Jede der jo geichaffenen Anftalten hätte aber nur
einem Zwecke zu dienen. — Zum Schluſſe beipricht der Autor die Bedeutung der
Muſeen auch für uns und hebt bervor, daß dort, wo man es mit einem Induſtrie—
gebiete par excellence zu thun hat, man mit allen Mitteln trachten muß, der Kunft
ihren Weg in die verfcbiedenen Productionen zu erleichtern. Die Mufeen müſſen
die Mittelpunfte eines gefunden, zeitgemäßen Strebens in der Vervollfommmung
unferer heimifchen Arbeit werden, mit ihnen ift je eine Funftgewerbliche Anjtalt in
Verbindung zu bringen, welche befruchtend auf die Fachſchulen einwirken wird. —
Zu der ebenjo anziehenden Schrift als zu den gefunden und richtigen Folgerungen
faun der wadere Autor beglüdwünjcht werden und jei das Bud der Beadhtung
beitend empfohlen. Kick.
Moißl, Ronrad: Der politiiche Bezirk Anjjig, umfaſſend die Gerichts:
bezirfe Auſſig und Karbis. Eine Heimatkunde für Haus und Schule,
Herausgegeben vom Auſſig-Karbitzer Lehrerverein. Auſſig 1837.
Unter den bisher erichienenen Bezirks- und Heimatskunden, von denen ich den
weitaus größeren Theil Fenne, wüßte ich feine, die fich der vorliegenden gleichitellen
fünnte, jei es Hinfichtli der Menge des gebotenen Stoffes, jei ed in Bezug auf
Sründlichkeit der Behandlung. Wohl find einzelne Punkte anderswo bejjer ausge-
führt, aber beinahe in jedem Abjchnitte findet man vielerlei, was in andern Bezirk:
kunden nicht mit der gleichen Sachkenntniß oder minder eingehend behandelt ift. Ich
babe da vor allem im Ange die ſchönen Gapitel über die geognoſtiſch-geologiſchen
Berhältniife, das Klima, die Waldcultur, den Bergbau, die Elbeichiffahrt u. a. Auch
wird gewiß jeder Freund der Heimatskunde und vor allen der Lehrer dankbar jein,
dab ftatt einiger weniger Namen ſyſtematiſche Verzeichniffe der im Bezirke vorkom—
menden Wirbelthiere und Gefähpflanzen geboten werden. Nur wäre e3 bei leßteren
ſehr erwünscht, wenn der Verf. nicht bloß die gewöhnlichen deutichen Namen, jondern
and die im Bezirke üblichen beigefügt hätte. — Der Abichnitt über Sitten, Gebräuche
und Aberglauben, der fonft gewöhnlich ziemlich ftiefmütterlich bedacht ift, enthält hier
auf 20 Seiten, überfihtlich zufammengeftellt, ein prächtiges Material, dem jogar zwei
Weihnachtsſpiele eingefügt find. — Erwähnt fei dann noch die Beigabe von 23 Sagen
und 16 Biographien hervorragender Männer des Bezirkes.
BON
Auch die allgemeine Geſchichte des Gebietes gibt Zeugniß von dem Fleiß des
Verfaſſers. Faft alles Einſchlägige aus der Gefchichts-Literatur ift ſorgſam bemütt,
und die wichtigften Mbjchnitte find mit der gebührenden Ausführlichkeit behandelt.
Daß das gelieferte Bild noch manche Lücken zeigt, wird den Kenner nicht Wunder
nehmen; bei ähnlicher Gelegenheit habe ich in dieſen Blättern bereit3 hervorgehoben,
welche Schwierigkeiten derartige Geichicht3bilder bieten. Zwar mangelt es für das
behandelte Gebiet nicht an Hilfsmitteln. Wir haben eine ziemlich neue Geichichte
von Auſſig bis 1547, Hallwichs Geſchichte von Türmitz liegt vor, und auch desjelben
Verfaſſers Werke über Graupen und Teplis bieten manches, ebenjo wie Fodes Bud.
Aber grade in den jchwierigften Fragen verjagen alle oder bieten widerjprechende An-
gaben. — Sch Fann bier natürlich nur kurz ayf einige Punkte hinweiſen, deren Be—
handlung zum Wideripruch herausfordert. Nicht übergehen möchte ich vor allem die
al3 fiher Hingeftellte Annahme, daß in den Gebirgägegenden ſich Deutiche aus der,
Beit vor der tihechijchen Einwanderung erhalten haben. Ich weiß, Fode hat ſpeciell
für Nordböhmen den Beweis zu liefern verfucht und ift neuerdings in einer Heinen
Schrift wieder darauf zurüdgefommen; gelungen iſt ihm der Beweis aber keineswegs,
ebenjo wenig wie derielbe für einen andern Theil der Grenzgegenden Böhmens er:
bracht ift. — Desgleichen ift es noch nicht erwiefen, daß Auffig feit Georg von Po—
diebrad tichechifch geworden, denn daß nad) 1480 tichechiich amtirt wurde, gibt babei
feinen Ausschlag. — Im allgemeinen wird dann noch darauf hinzuweiſen fein, daß
über die Zeit von den Huſitenkriegen big auf das Eindringen de3 Lutherthums, allo
ein Jahrhundert und drüber, eigentlich gar nichts gejagt iſt.
Beiden geichichtlichen Notizen, welche den einzelnen Ortichaften beigefügt find,
jpielen natürlich die herrichaftlichen Beftigverhältnifje eine Hauptrolle, und dieſe find
grade im Auſſiger Bezirk ungemein verwidelt. Mancherlei Auskunft hätte da ein
Aufſatz Hallwichs über die Familie der Kölbel von Geifing gegeben, der dem Ver—
faffer nicht befammt geworden zu ſein ſcheint. Auch jonft werden weitere Nachfor—
Ihungen manches nachtragen, anderes richtigftellen. Aus der Landtafel ergibt ſich
3. B. daß 1580 von der Herrichaft Graupen die Dörfer Padloſchin, Zalest (theil:
weile) und Qualen (theilweife) an die Stadt Auffig verkauft wurden; diefe verkaufte
dann 1610 ihren Antheil von Zalesl an Leitmerig, Padloſchin und Dualen aber
1612 an Seinrih von Bünau auf Türmig. — Ebenda ift auch zu finden, daß
Schwaden erjt 1548 an die Salhaujen gefommen; was aljo ©. 189 und 309 über
die Theilung von 1522 gejagt wird, ift bezüglih Schwaden und Richepin falſch, be-
züglih Großpriefen ungenau. — Das Gut Doppis kam erjt 1568 zur Herrſchaft
Dlankenftein (S. 262). Die Burg DBlanfenftern ift jedenfall nicht von den Johan:
nitern erbaut worden (S. 280), und die Ruiine bei Moſern hat mit dem im der
Beihichte der Bünaner viel genannten Wefjenftein (welches in Sadjen liegt!) gar
nichts zu thun und hat auch nie jo geheißen (S. 276). - Die Dörfer Saara und
Troſchig waren bis 1367 Befigungen des Klofters St. Georg in Prag; was Fode
von einer Burg Trosfo berichtet, ift Spiel der Phantaſie, wie jchon darans erhellt,
daß Troſchig früher nicht Trosko, jondern Sträzky hieß. Einen Blefta von Waltitow
hat es nicht gegeben, es muß heißen Waltinow (©. 182).
Das ©. 232 mit Fragezeichen genannte Dorf Sowoluſek ift nichts anderes
als Soblig. Der Name des Dorfes Leißen kann nicht von les (Wald) abgeleitet
werden, denn tfchechtich hieß es Lyia, was gerade auf eine fable, unbemwaldete Stelle
deutet. Auch jonft wären noch einige falſche Etymologien anzumerken. So kommt
=: 30.
Lieben nicht von lipa (Rinde), denn der alte Name war Lewin; desgleichen hat
Gratſchen, ehemals Hradedin, nicht? mit Kretſcham (tſchech. kröma) zu thun. Micht
minder verunglüdt find Ableitungen wie Slabiſch (tſchech. Slavosov) von slabiti,
und Kninitz von knez! Wenn ©. 180 von einem Damenitift St. Beit in Prag
die Rede ift, fo fünnte man dad wohl für einen Drudfebler halten für das richtige
Domftift, Hieke,
P. Franz Focke: Böhmen ift das angeitammte Vaterland der Deutſch—
böhmen. Im Selbjtverlage 1887. ©. 80.
Der Herr Berfaffer, Pfarrer in Königswald bei Bodenbadh, ftellte im 1. Theile
jeines auf drei Bände berechneten Werkes: „aus dem älteften Gefchichtsgebiete Deutſch—
böhmens“ die Behauptung auf, daß ſich nad) der jlawilchen Einwanderung in Böhmen
alte deutiche Volköreite in dem von ihm befchriebenen Geſchichtsgebiete erhalten und
als jelbftändiges Element mit ihrer Sprade nnd ihrer Sitte behauptet haben. Der
von verichiedenen Seiten an ihm ergangenen Aufforderung ſich auszuſprechen, welchen
Umfang er diefer feiner Behauptung beilege, bejtimmten den Berf. die vorliegende
Arbeit zu liefern, die er als einen Beitrag zur Löſung der Frage, ob fih alte deutjche
Volksreſte in den böhmiſchen Gebirgsgegenden erhalten haben, betrachtet wilfen will.
Der geehrte Herr Pfarrer ftellt adyt Fragen auf, deren Beantwortung den Inhalt
des Schriftchens bildet. Sie lauten: 1. Welche Völkerſtämme bewohnten während
der alten Zeit das Land Böhmen? 2. Wann kamen die Slaven nady Böhmen und
was gejchah mit den da wohnenden Deutihen? 3. Welhe Wohnfise in Böhmen hatten
die Slaven, welche die Deutihen? 4. Waren die böhmiſchen Slaven im Stande die
in Böhmen wohnenden Deutichen zu flavifiren? 5. Was erzählt die Geſchichte von
den Urdeutichen Böhmens? 6. Konnten diefe Urdeutichen fich mit ihrer Sprache und
Eitte als ein felbftändiges Element in Böhmen behaupten? 7. Können die in Böhmen
mwohnenden flapifchen Ort3-, Fluren:, Bergnamen u. ſ. w. ald Beweis dienen, daß
diejes Land ausſchließlich von Slaven bewohnt geweien fei? 8. Iſt es möglid, daß
die jegigen Deutihböhmen blos von deutſchen Einwanderern oder bon germanifirten
Slaven abjtammen können? Obſchon mit manchen Anfchauungen und Behauptungen
des Verf, nicht ganz einveritanden, auf die aber näher einzugehen der und vergünnte
Raum nicht geftattet, müſſen wir doch hervorheben, daß das Schriftchen die geftellten
Fragen nicht etwa leichthin behandelt, fondern daß es zu weiteren Forfhungen an-
regt, und daß der geehrte Herr Verf. ein treuer Sohn jeines deutſchböhmiſchen Volkes
it, das „obſchon räumlich getrennt, ſich dad Bewußtſein feiner Zufammengehörtgfeit
durch das häufig vorgefommene feindfelige Verhalten der böhmiſchen Slaven, durd)
ihre bedrohte Lage, durch die gemeinfame Gefahr, durch den aufgedrungenen Kampf
und die dadurch bedingte gemeinfame Abwehr erhalten hat“. —n.
sr. Dollinger: Geſchichte von Pürglig. Wien 1857. ©. 91.
Der Herr Verf. hat was ihm über feinen Gegenftand erreichbar war gefammelt,
in dem vorliegenden Schriftchen verarbeitet und eine recht fleißige und lejenswertbe
Monographie geichaffen. Die bei alten und neneren Schriftitellern, bei Cosmas, Pa:
——
lacky u. ſ. f. gelegentlich vorkommenden Notizen über Pürglitz, aber auch manche un—
gedruckten Urkunden lieferten den Stoff zu dem vorliegenden Werk, das unſere volle
Anerkennung verdient, wenn vielleicht auch das ungedruckte Material von Herrn
Dollinger nicht erſchöpft wurde, da nach unſerem Dafürhalten ſich noch manches in
dem Archive der hieſigen Statthalterei und in denen Wiens ſich auffinden ließe.
Im erſten Theile werden uns die Schickſale der Burg und Herrſchaft Pürglitz
bis zu dem Augenblicke geſchildert, mit welchem fie in Privatbefig übergehen. Die
Schriftfteller von Spectalgeichichten haben uns fattfam daran gewöhnt, daß fie die
Gründungen von Burgen, Städten u. |. f. in das grauefte Alterthbum hinaufzurüden
und fie an unbiftorische Beriönlichkeiten anzufnüpfen lieben; wir ſtaunen daher aud)
nicht, obſchon wir e3 bedauern, daß auch der Herr Verf. die „reckenhafte Geftalt
Kroks“, die ihm aus dem fagenhaften Dunkel des 7. Jabrhundert3 „greifbar hervor:
tritt“, und deffen drei Töchter benöthigt, um altehrwürdige Erbaner der Burg aus—
findig zu machen. Er hätte Krof und die Seinigen in dem Dunkel der Geichichte
ungeftört ruhen lafjen können, und er hätte fich begnügen jollen mit dem Zeitpunfte
zu beginnen, in welchem der Name der Burg das erftemal urkundlich auftaucht. Von
der Hand alter und neuer Schriftiteller geleitet erzählt hierauf der Verf. die Geſchicke
von Pürglik bis zum Ausgang der VPremyiliden, die wir wiederholt auf der Burg
und jagend in den Wäldern finden. Sie gewinnt au Bedentung unter den Luxem—
burgern und den nachfolgenden Königen von Böhmen; idy will blos aumerfen, daß
auf Pürglis, wie männiglich bekannt ift, der in der Schladht bei Mühldorf gefangene
Herzog Heinrich von Defterreih in Haft jaß; gleichzeitig mit ihm mußte hier auch
Karl auf Anordnung feines mißtrauiſchen Vaters König Johann feinen Wohnfit
aufichlagen. Karl, jpäter Markgraf von Mähren, dann König von Böhmen und
Kaiſer von Deutjchland, weilte wiederholt auf Pürglis, desgleichen jein Sohn und
Nachfolger Wenzel. Furchtbar litt die Burg während der Hufitenftürme. Schon vordent
wiederholt verpfändet, kam jie während der Negierung Sigismunds an Aleſch Holichy
von Sternberg, der fie zu einem prächtigen Herrnfige machte, — Im zweiten Theile
erfahren wir, daß die verpfändete Burg vom König Ladijlaus eingelöft, vom König
Georg von Podiebrad an jeinen Sohn Heinrid Herzog von Münfterberg verpfändet
und vom König Wladiſlaw wieder eingelöft wurde, der jie umbauen ließ. In deu
Kerkern von Pürglit ſchmachteten zeitweilig hervorragende Männer, die ob ihrer po-
litiſchen oder kirchlichen Richtung das Mißfallen der Machthaber des Landes auf fid)
gezogen hatten; einer der befannteften ift Johann Augujta, Biſchof der böhmiſchen
Brüder, der wiederholt auf das graufamfte gefoltert von 1548 bi3 1564 in ftrenger
Haft gehalten wurde. Ju diefe Zeit fällt der längere Aufenthalt der Philippine
Weller, Gattin des Erzherzogs Ferdinand, auf Pürglis, die den gefangenen Bifchof
nit ihrem Beſuch beehrte, der mittelft des Pinfels eines neueren Künftlers dargeftellt
wurde. — Bon Leopold I. wurde 1685 die Burg und Derrihaft an Ernſt Grafen
von Walditein verfauft, von dem fie anf feinen Sohn Johann und feine Enkelin
Maria Ana, vermählte Fürftin zu Fürftenberg gelangte. Diefe verwandelte fie in
eine Secundogenitur de3 fürftlichen Hauſes (beftätigt 1756), das num feit mehr denn
ein Jahrhundert im Beſitz derſelben ift; die Burg hat aufgehört die Nefidenz der
fürftlihen Familie zu jein.
Mit dem Jahre 1756 bricht die fleißig gearbeitete Schrift ab. Sollte mit der
Zeit fi die Nothwendigkeit einer zweiten Auflage herausftellen, dann wäre zu wünjchen,
daß die Geichichte der Herrichaft bis auf unfere Tage fortgejeßt werde, die ja durd)
——
die umſichtige Thätigkeit ſeiner fürſtlichen Beſitzer an Bedeutung in jeder Richtung
unendlich gewonnen hat. -vu.
Dr. Ottokar Weber: Die Quadrupel-Allianz vom Jahre 1718. Ein
Beitrag zur Gejchichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert. Prag,
Tempsky 1887, ©. 122.
Die Quadrupel-Alltanz von 1718 und nicht der Friede von Utrecht hat dem
langen Streite um das ſpaniſche Erbe ein Ende gemadyt. Die vorliegende Schrift
bat fid; die Aufgabe geftellt, die diplomatischen Verhandlungen, welche dieſes Ergebniß
berbeiführten, Har zu legen. Dem Berf. ftand ein reiches, bislang unbenütztes hand—
Ichriftliches Material zu Gebote, in erjter Linie das E. k. Haus-, Hof: und Staats-
archiv ın Wien, weiter die Staatdardive in Berlin und Hannover, das Archive la
Ministere des Affaires Ftrangeres in Paris und das Record-Office in London; aber
auch die Memoirenwerke boten ihm jchägbare Mittheilungen. Wir begrüßen die Ab-
handlung, mit weldher Herr Dr. D. Weber, Docent an der hiefigen deutjchen Univer—
fität, das eritemal, wie wir vermuthen, im die Schranfen tritt, als eine tüchtige Ar—
beit, mit der er ſich ald gediegener Fachgelehrte und als bejonnener und gründlicher
Forjcher einführt, der feinen umfangreichen Stoff ſorgſam zu fichten und feinen Leſern
in Marer Weife zur Anfchauung zu bringen verjtand. Es iſt nicht unſere Aufgabe
auf die anziehend gefchriebene Studie näher einzugehen, wir begnügen uns die Auf:
merkſamkeit feiner Fachgenoſſen auf die Schrift zu lenfen und Ausdruck der ficheren
Doffnung zu geben, daß wir den geehrten Verfaſſer auf dem Gebiete der Geſchichts—
jchreibung noch recht oft begegnen werden. —n.
Wolkan, Dr. %: Beiträge zu einer Geſchichte der Reformation in
Böhmen. I Das Decanat Auſſig. (Sep.-Abdr. a. d. Jahrb. der
Geſ. f. Geſch. des Protejtantismus in Dejterreih. 8. Jahrg. 1. Heft.)
Wien und Leipzig 1887.
Bereit vor einigen Jahren fonnten Beiträge des Verf. zur Geſchichte des
Lutherthums in Böhmen angezeigt werden. Da bei der Verbreitung desjelben der
Einfluß des Gutsheren ein fehr bedeutender war, fo behandelte er früher in diejer
Hinfiht mehrere der wichtigften, damals in Nordböhmen begüterten Adelsgeſchlechter.
Diesmal legt er feinen Ausführungen die alte kirchliche Eintheilnng Böhmens zu
Grunde und beginnt mit dem Auffiger Decanat. — Wer e3 einmal verjucht hat,
für ein engeres Gebiet fi) von der Verbreitung des Proteftantismus eine genaue
Borftellung zu verichaffen, wird zugeben, daß bier noch gar viel zu erforſchen übrig
ift. So iſt 3.9. im den meiften Fällen noch wenig bekannt, was die einzelnen Stadt-
archive in diefer Richtung bieten. Für das Auffiger Decanat liegt wohl die Arbeit
Hallwichs über Graupen vor, und W. wiederholt bezüglich diefer Stadt auch faft nur
das dort Gebotene. Ein reiches, wenn auch natürlich einfeitiges Material liegt im
Archiv des Erzbisthums in jenen Berichten und Briefen, die von den katholiſchen
Yandgeiftlihen und anderen Berfonen nad) Prag gefendet wurden. Das Neue in
— —
der Schrift Wolkans iſt meiſt dieſen Berichten entnommen, und ſo erfahren wir
manche intereſſante Einzelheiten, obwohl dieſelben bei Weitem noch nicht genügen,
um ein vollſtändiges Bild der jeweiligen kirchlichen Zuſtände zu liefern. So find
auch die Schlüjfe des Verf. auf die allgemeine Verbreitung der neuen Lehre nad
den befannten Berichten nicht immer ganz berechtigt. Man wird 3.8. nicht behaupten
können, daß Auffig 1566 faft ganz proteftantiih war (S. 7), wenn der Pfarrer noch
1574 um einen Raplan bittet (S. 14). Und fo wäre noch auf einige andere Stellen
binzumeifen. — Bu der vorliegenden Arbeit hätte auch eine genaue Kenutniß des
Bezirkes, befonders der damaligen Beligverhältnifje gehört. Was W. bringt, zeigt
bizweilen Ungenauigkeiten oder Fehler, und e3 entipricht gewiß nicht dem Zwecke,
wenn an die Spite ein Verzeichniß der Pfarreien des Decanats geftellt wirb, melches,
augenfcheinlich Frind entnommen, den Bırbältniffen vor den Huſitenkriegen entipricht,
ohne auf die Ipäteren Veränderungen Rüdfiht zu nehmen. So fehlt alio 3. B.
Proboſcht, das damals zum Decanate gehörte; ftatt Brozan foll es übrigens heißen
Proſanken, und Deutſch-Kahn war nie eine Pfarrei, denn Komonis ift der tichechiiche
Name für Arnsdorf. — Zum Schluffe möchte ich noch hervorheben, daß am Ende
des 30jährigen Krieges die Anhänger Luthers doch noch nicht ganz verſchwunden
waren, wie der Verf. meint. Ein Bericht, den das Leitmeriger Vicariat im J. 1650
nad) Prag fandte, führt an, daß in 6 zur Pfarrei Graupen gehörenden Dörfern fait
nch alle Broteftanten feien, desgleihen in Ebersdorf, Hafenftein, Woitsdorf und
Strefenwald; aud ſei in den beiden legten Orten wenig voffnung —
wenn nicht die Herrſchaft antreiben wolle. . Hieke.
Heinrich Gradl. Geſchichte des Egerlandes, Mit Abbildungen, Karten
und Plänen. 1 Bd. Heft 2, 3, 4. Eger 1886. Wig in Eger.
Abſchnitt 3 diefes trefflichen Werkes, deffen erfte Lieferung ſchon früher ange—
zeigt wurde, behandelt die jlaviiche Ueberflutung. Gradl ftellt die Ortsnamen ficher-
Haviihen Urjprunges zufammen, um ein Bild des Zuftandes zu gewinnen, ben das
Ober-Egergebiet int Laufe der wendiichen Periode zeigte. Das Vordringen der Wenden
von Often her zur Zeit König Dagobert3 war ein allmäliges. Die entichiedene
Wiederbejegung de3 Egergebietes geihah als Folgeereignii des Kriegszuges von
1003 und 1004. Eger als Ortichaft wird im Jahre 1061 zum erjtenmal genannt. Die
Markgrafen aus dem Gefchleht der Diepoldinger beendigten den bisherigen Wechſel
der Geſchlechter. Die Stiftung des Klofterd Waldſaſſen fällt in diefe Zeit und war
für den Eultus des Egerlandes und Böhmens von hoher Bedeutung. Das erfte Ge—
ichledht, welches Eger zu einem deutichen Vollbefig gemacht, endete 1257. Die Staufen
famen in den Bejig. König Konrad unterftellte Eger der Reichsgewalt. 1203 wird Eger
als Stadt genannt um 1240 dürfte ſchon Eger das Selbſtverwaltungsrecht erlangt
haben. Eger blieb aud unter den fjpäteren Staufen die vielaufgefuchte Pfalz des
Staufenhaufes. König Richard hatte gegen Herzog Ludwig dem König Ottofar II
von Böhmen nad) dem Untergange der Hohenftaufen den Schuß der Reichsgüter, die
gleihjam wie unter einem Erbrecht von den Staufern dem Neich entzogen waren,
ſoweit jie rechtörheinifch waren, übergeben. König Ottokar dehnte dieſes erworbene Recht
thatſächlich nur auf das Egerland aus. Ottokar war bemüht die Bürger Egers an
ſich zu feffeln, die Urkunde vom 4. Mai 1266 beftätigte ihnen ihre Freiheiten und
“
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a BE
gab neue hinzu. Nach Ottokars Tod gab Rudolf von Habsburg das Egerland als
Reichsgut unter den Burggrafen von Nürnberg. Der Egerer Yandrichter war diefem
unteritellt. Nach Rudolf? Tod nahmen die Egerer den König Wenzel, fo lang das
Reich ohne Herrn wäre, zu ihrem Herrn, dod) fchon 1304 verfügte König Albrecht
wieder über Eger al3 über unmittelbares Reichsgut. Der IX. Abjchnitt „Eger als
Reichsland und Reichspfand“ wendet ſich den Verhältniffen unter den Luremburgern zu;
die Verpfändung Egers duch Ludwig den Baier an Johann, König von Böhmen am
4. October 1322 ift eine der wichtigſten Thatſachen in der Geſchichte des Egerlandes.
„Niemand ahnte damals daß dieje Pfandfhaft nicht wieder ausgelöft werden follte.”
Einige jehr gute Abbildungen und ein genaues Facfimile von König Johauns Urkunde
über Hinnahnte des Egerlandes zieren diefe 3 Hefte. So fchreitet Gradls Arbeit in
feiner ichlichten Haren Darftellung wader vorwärts, auf jeder Seite den Beweis liefernd,
mit welcher Liebe Grad! an jeinem Werke arbeitet, und welch gründliche Studien er
lange angeftellt. Ch.
Paudler. Sagen und Märchen, Umdichtungen. 2. Aufl. Wien 1837.
Vollsjagen als Stoffe für Romanzen und Balladen zu wählen, liegt nahe; da
aber nicht jede Sage einen dichterifchen Werth befitt, jo wird immer eine Fuge Aus—
wahl getroffen und insbefondere die Prüfung nad der höheren Fdee vorgenommen
werden müſſen. Paudler beſitzt unlengbar einen ftarfen poetischen Sinn, der ihn au
der Klippe des Trivialen vorüber leitete. Er bat fi Uhland zum Vorbild genom—
men, und der nordböhmiſche Epigone des großen ſchwäbiſchen Dichterd verdient alle
Beachtung. Seine Form tft durchweg edel, und mit Geſchick läßt er in der Sprache
beimatliche Klänge hervortreten. Nur eine Bemerkung möchten wir mit Rüdficht auf
einige Stücke machen. Wer Volksſagen als jolche erzählt, hat fich getreu an die Leberlieferung
zu halten, und jede eigene Zuthat auf das Strengfte zu vermeiden. Es ift in biefer
Richtung in unſerer heimifchen Literatur jchon viel zu viel gefündigt worden. Paudler
Scheint mir nun gerade in den entgegengejeßten Fehler bei einem oder dem anderen
Stüde zu verfallen. Er will al3 Hiftorifer von der eigentlichen Volksſage nicht ab-
weichen, kommt aber hiebei mit dem Dichter in Colliſion. Dem Dichter ift es nicht
nur erlaubt, jondern er ift in vielen Fällen gerade darauf angewiefen, feinen in der
Sage vorgefundenen Stoff zu erweitern oder zu vertiefen, je nachdem e3 die künſtle—
riichen Gejege erfordern. Beides zu vereinigen, ganz getreu der Ueberlieferung zu
bleiben und zugleich eine Kunftdichtung zu liefern, wird in den jeltenften Fällen ge—
lingen. Wir verweifen z. B. auf „Krähenzeugniß“ und auf die Behandlung eines ähnli-
chen Stoffes durch Schiller in den „Kranichen“. Auch die Uhlandichen Sagen find
Kunftdichtungen, und der ftrenge Sagenforfcher wird diefelben immer als ſolche auf-
zufafien haben. — Die in der zweiten Auflage nenaufgenommenen Stüde, bejonders
„der Abjchied von Quitkau“ und das Märchen „Ohne Sorgen“ bereichern das a.
chen, welches Herrn Dr, Franz Schmeyfal gewidmet ift, weſentlich.
wenzel Hieke. Geihichte des Kirdiprengels Hummel. Leitmerig 1887.
Zur Feier de3 bundertjährigen Gebächtniffes der Kirchengründuug in feinem
Heimatsorte ließ der Verfaſſer vorliegendes Werkchen ericheinen, das diefelbe Genauig—
feit und Gründlichkeit der Forſchung darthut, wie fie Herr Hiefe in feinen genealogi—
ichen Arbeiten bereitö an den Tag gelegt. Bis in das XII, Jahrhundert zurüd werden
alle urfundlihen Nachrichten, die jih über Hribojedy (der ältere Name von Hum—
mel) und die Nachbardörfer vorfanden, aneinander gereiht und durch Bemerkungen
‚aus der allgemeinen Geſchichte des Landes ſachlich verknüpft. Werthvoll find die ein—
geflochteten agrariihen Notizen. Die Periode der Reformation und Gegenreformation
ift genügend erörtert, nicht jo fehr jene Zeit, in welcher das alte tichechiiche Dorf
dentjchen Charakter annimmt. Die Schwierigkeiten, die fich der befriedigenden Auf:
hellung dieſer legteren Frage im Allgemeinen entgegen ftellen, treten eben ın dieſem
einzelnen Falle gleichfalls auf. Das Werkchen Elingt in warmen Worten über Kaijer
Fofef, den Gründer der Hummler Kirche (1786), aus, und der Werfaffer bat ganz
Recht, dem Landmanne zuzurufen, er möge ftet3 dafür eintreten, daß ihm das erhalten
bleibe, was er durch Kaiſer Joſeph und das Jahr 1848 gewonnen. 8.
Holder Auguſt: Die Ortschroniken, ihre culturgeſchichtliche Bedeutung
und pädagogiſche Verwerthung. Ein Beitrag zur richtigen Beurtheilung
des idylliſchen Chronikeneults. — Stuttgart 1886.
Daß in den Kreiſen der Lehrerſchaft ein reges Intereſſe für die Geſchichte der
engeren Heimat erwacht iſt, beweiſen die zahlreichen Bezirkskunden, die ſeit etwa 10
Jahren erſchienen ſind. Und wenn man bedenkt, welcher regen Theilnahme ſich mehrere
in den legten Jahren gegründete Vereine erfreuen, deren Publicationen die Orts—
geihichte in ausgedehnten Maße pflegen, jo wird fein Zweifel möglich jein an dem
großen Antheil, den alle Claſſen der Bevölkerung an localgefhichtlihen Forihungen
nehmen, Das Streben nun die Vergangenheit zu erforfchen, legt es nahe, die Schid=
jale de3 Heimatsortes während der eigenen Lebenszeit aufzuzeichnen und jo der Nach—
welt zu überliefern. Daß dies möglichſt allgemein gefchehe, muß jeder Geichichtsfreund
wünſchen. Drum jei hiemit auf das obengenannte Heine Schriftcdyen aufmerkſam ge—
macht, daß es ſich eben zur Aufgabe gejetst hat, die Bedeutung der Ortschronifen für
die Familie wie für die Schule darzulegen. Man wird, im jtiliftiicher Hinficht, mit
der Behandlungsweile des Verfaſſers nicht immer einverftanden fein, in der Sadıe
aber wohl überall beiftimmen. Hieke.
Joſef Rabl: Illuſtrirter Führer durch Bühnen. (Hartlebens illujtrirter
Führer Nr. 29.) Wien, Veit, Leipzig 1887.
Aeußerlich ftellt ji der nene Führer durch Böhmen recht zierlich dar, hand»
licher und bequemer als das Handbuch Rivnac's. Ob aber gegenüber dem legteren
ein Fortichritt zu verzeichnen ift, möchten wir bezweifeln. Wir verlangen von einem
Reiſehandbuch nicht gerade wiſſenſchaftliche Gründlichkeit und nody viel weniger er—
ihöpfende Nachrichten. E3 möge eher weniger, ald mehr aufgenommen werden, nur
muß das Gebotene auf voller Wahrheit beruhen. Sonft wird der Führer leiht ein
Verführer. Wer nun aber mit vorliegendem Buche reift, wird eine große Anzahl
falfher Namen und unrichtiger Daten in den Kauf nehmen müfjen, was gewiß jehr
mißlich ift. Heben wir eine oder die andere von den Eifenbahntouren, nach welchen
3*
dh
das Buch geordnet it, heraus. Wir wollen über Karlsbad nad) Teplis reifen, gewiß
eine jehr bekannte und viel benützte Strede. In Karlsbad wollen wir bei Pupp
wohnen, wir erfahren aber, daß diejes großartige Gtabliffement nur aus einem
Cafeſalon beftebt. Die jo beliebten Speijehäufer Hopfenftod, Loib, Morgenftern finden
wir nicht verzeichnet, dagegen den „rothben Ochfen“. Mit dem „neuen Curhaus“ auf
der alten Wiefe (!) ift wohl die Stabtparfreftanration gemeint. Auch die prächtigen
Gaftgärten Schweizerhof, Kaiſerpark, Schönbrunn feinen zu Verfaffers Zeiten noch
nicht beitanden haben, ebenjowenig der Stadtpark, das Göthedenfmal, das neue Ba—
dehaus, die englifche, protejtantifhe und ruſſiſche Kirche u. j. w-; dagegen wurden
damals Concerte auf der alten Wieſe abgehalten und hat der „Stadtgarten“ zu—
nächſt dem „Lützowſchen Schloffe” imponirt. Von den medicinifchen, geologiſchen und
biftorifchen Notizen wollen wir gar nicht reden. Wir ftaunen, daß bei der vorhande-
nen reichen Literatur über Karlsbad jo Oberflächliches noch gebradjt werden fonnte.
In die Umgegend Karlsbads aber wollen wir und mit unferem Führer nicht begeben ;
er madht und zu große Umwege, wenn er 53. B., um auf den Aberg zu gelangen,
den Weg nad der Franz Joſefshöhe vorjchreibt. Reifen wir lieber mit der Bujchte-
hrader Bahn ab, halten wir aber nicht in Schladenmwerth au, um etwa über Joa—
himsthal anf den Keilberg zu gelangen. Mit dem Führer würden wir den König
des Erzgebirge kaum erreichen. In Klöſterle brauchen wir uns auch nicht aufzuhalten,
„denn es befigt außer der Pfarrfirhe und einem alten Brunnen am Ringplage nichts
Bemerkenswerthes.“ Graf Oswald Thun wird jehr betrübt fein, wenn er erfährt, daß
jein reizend an der Eger gelegenes ſchönes Schloß, das man doch von der Bahn
aus wahrnimmt, plöglidy verſchwunden if. Die Stadt Kaaden aber fann zufrieden
jein, fie wird „bedeutend“ genannt; wenn aud das Gymnaſium unterichlagen wird,
jo erhöht fich dagegen die Aderbaufchule zu einer „Lehranftalt für Yand- und Forſt—
wirthſchaft“. Bisher Icheint die Gegend tſchechiſch geweſen zu fein; exit bei Kommotau
wird hervorgehoben, daß es 10.000 deutſche Einwohner hat, Oder foll etwa eine
Anjpielung auf das befannte tichechiihe Sprichwort über Kommotau vermuthet
werden? Neu wird übrigens den Kommotauern fein, daß in ihrem Weichbilde eine
„ka k. militärtehnifche Lehranitalt“ fich befindet, und daß ihr lieblicher Alaunſee
nichts anderes ift, ald eine „eingeftürzte Braunfohlengrube“.
Wir fahren nunmehr mit der Auffige-Tepliger Bahn weiter an vielen Orten
vorbei; „Hammerpurſch“ und „Lignis” (recte Kummerpurſch, Liquitz) dürfte man
auf keiner Karte finden. Wir erfahren ferner, daß erft hinter Dur bei dem Rieſenbad
jenes ausgedehnte Rohlenbeden beginnen joll „deilen Gruben mit den Tepliger Quellen
in einem gefabrdrohenden Zufammenhange ftehen“. Unterwegs haben wir Görfau
„berühmt durch großartige Obfteultur“ berührt; aud „die Spielwaarenfabri:
fen“ (I) in Oberleuteusdorf find „großartig“. Brür fommt fehr ftiefmütterlich weg.
Sein tihechiicher Name wird zwar genannt, aber nichts von dem mächtigen Kohlen-
bergban, den Zuderfabriden u. |. w. erwähnt. Wir halten in Teplig mit der Bahn,
aber auch mit unferer Beiprehung. Denn wir müßten von Teplig wie von Karlöbad
berichten: am Führer werden wir irre. — Andere Routen noch zu unterjuchen, wird
man uns unterlaffen; mit diefem Führer mögen wir nicht weiter reifen, troß der
hübſchen Illuſtrationen und Kärtchen, die wirklich qut find. S.
— BE
Guſtav Winter: Niederöfterreihiihe Weisthümer. 1. Theil. Das Viertel
unter dem Wiener Walde. Wien 1886.
Die große von der Wiener Akademie der Wilfenichaften herausgegebene Samm—
fung öfterreichischer Weisthümer erhält im vorliegenden mehr als 1100 Seiten faſſenden
Band eine ftattlihe Bereicherung. Der große Reichthum Niederdfterreihs an Ban-
tatdingen war zwar ſchon durd frühere Publicationen, insbefondere durch die Kalten—
bäck'ſche Sammlung befannt, tritt aber erft durd Winters mühjelige Arbeit vecht zu
Tage. Dieje bringt 214 Stüde für 154 Oertlichfeiten aus dem Viertel unter dem
Wiener Walde zur Beröffentlihung gegenüber den 89 Stüden Kaltenbäd3 betreffend
62 Orte. Im Ganzen bringt Winter 103 bisher ganz unbefannte Nummern. Aber
auch der Neudrud der Kaltenbäck'ſchen Stüde it von hohem Werthe durch die von
Winter vorgenommene ſtreng wiſſenſchaftliche Textkritik. Zwei weitere in Ausſicht
genommene Bände ſoll die beiden Mannhartsviertel und das Viertel ob dem Wiener
Walde erſchöpfen. Daß im vorliegenden Bande ſieben weſtungariſche Taidinge im
Anhange aufgenommen wurden, wird gewiß nur Billigung finden. Wie die früheren
Bände der öſterreichiſchen Weisthümer zeichnet ſich auch die Winter'ſche Ausgabe durch
die größte Grümdlichkeit, ſowie die mufterhaftefte Sorgfalt aus. Die Bearbeitung
der Texte erfolgte nach den bewährten Grundjägen, wie fie insbefondere in den Salz-
burger Taidingen beobachtet wurden. Die von Winter beliebten Abweichungen fünnen
nur als Verbeflerungen angejehen werden. Auf das Sachliche der niederöiterreichifchen
Zaidinge eingehen und auf die hohe Bedentung derfelben für die Rechts- und Cultur—
gefchichte Hinmweifen zu wollen, wäre überflüffig. Ein flüchtiger Blid in das Sad):
regifter genügt, die überaus große Mannigfaltigkeit des an Stofflihem Gebotenen zu
erkennen. Die jprahlihe Ausnügung wird nach Erſcheinem des Gloſſars, welches
dem dritten Bande angehängt werben foll, leichter werden, als es jegt der Fall ift.
>.
Taubmann Joſ. Alfred: Märchen und Sagen aus Nordböhnen. Aus
dem Volksmunde gefammelt. Reichenberg 1837.
Die Heimat der in diejem hübſch ausgeftatteten Büchlein gefammelten Märchen
ift die Gegend weftlih vom Jeſchken, um Roll und Dewin (oder Diewin, wie ber
Berf. fchreibt). In den meiften bderfelben trete handelnd auf entweder reizende
Buſchweiblein, die den Menſchen durch Rath und That beiftehen, ſelbſt glückbringende
Hausfrauen werden, bis Fluchen fie vertreibt; oder gutmüthige Zwerge, oder and)
der Waflermann, der hier feineswegs immer feine boßhafte Natur zeigt. Pier
Nummern erzählen vom wilden Jäger, und in ebenfo vielen tritt der Teufel auf.
Die Sammlung zeigt, wie viel ein verhältnigmäßig Meines Gebiet von ſolchen
Schöpfungen der Volköphantafie aufweist, und dem Verfaſſer gebührt der Dank für
die Veröffentlihung. Nur werden wohl viele mit und nicht ganz einverftanden fein
mit der Art der Wiedergabe. Wir meinen, zu den naiven Erzählungen paffen die
ſchwungvollen poetischen Naturfchilderungen, welche gleichfam in die richtige Stim-
mung verjegen jollen, jehr wenig, umfomehr als die Kraft des Erzählers in ber
Wahl der Bilder hin und wieder verjagt. Indeß muß hervorgehoben werden, daß
diefe Einleitungen in den fpäteren Theilen nicht mehr jo regelmäßig wiederfehren.
W. Hieke,
IS
2
— 38
—
Georg Löw. Ein Gedenfblatt den Verehrern und Freunden desſelben,
gewidmet von dem Beamtenförper der k. k. priv. Böhmiſchen Nordbahn.
Sufammengejtellt von Robert Wünſche. Prag 1887.
Der zu Berg im Egerlande am 26. Auguft 1830 geborene und am 8. Mai 1837
verftorbene Generaldirector G. Lyw verdient das würdig geichriebene Gedentblatt, dag
ihm feine Beamten in wehmüthiger Verehrung widmeten. Löw war durch und durch
ein ganzer Mann, der durch eigene Kraft und Tüchtigkeit feinen Weg fi bahnte
und troß feiner aufreibenden Berufsgeichäfte immer noch Zeit fand, die Intereſſen
jeiner deutſchen Stammesgenoffen in den verichiedenften Vereinen, jowie im böhmiſchen
Yandtage, auf das Förderlichite zu vertreten. Seine unvermwüftliche Arbeitskraft, ſein
Huger Rath, fein opferwilliger Sinn wird noch lange in weiten Kreifen jchmerzlich
vermißt werden, Mit Dank jei die biographifche Gabe, welche mit einem trefflichen
Bildniß des PVerftorbenen geziert ift, begrüßt. S.
Dr. Hermann Rnothe: Fortjesung der Geſchichte des Oberlauſitzer Adels
und jeiner Güter von Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1620. — (Sep.-N.
a.» N. Laufig. Magaz. 63. Bd. 1. Hit.) Görlig 1887.
Knothes Geſchichte des Oberlaufiger Adels, die 1879 erfchien, iſt allgemein
befaunt und geſchätzt als ein fiherer Führer durch die Geſchichte der zahlreichen, oft
weit verzweigten Adelsfamilien dieſes Landes und ihre oft wechſelnden Belitwerhält-
niſſe; und faum ein anderes Land dürfte fid) eines ebenio vollitändigen und zugleich
gründlichen Handbuches rühmen fünnen. Allerfeit3 wird man es daher mit Freunden
begrüßen, daß fich der Verfaſſer entichloffen hat, in der vorliegenden Fortjegung feine
früheren Angaben bis auf den dreißigjährigen Krieg fortzufühbren. Durch diefen Krieg
wurden auch in den Mdelsverhältniffen der Oberlaufig bedeutende Veränderungen
herbeigeführt, jo daß derjelbe einen natürlichen Abichnitt bildet.
Auch der, welcher ſich bei ung mit genealogiichen Forihungen zu beichäftigen
hat, wird für die Arbeit höchſt dankbar fein. Nicht nur daß bei der engen Berbin-
dung der Oberlaufig mit Böhmen mannigfahe Verfhwägerungen vorfamen, es wen:
deten fich auch ſchon jeit alter Zeit vielfach Zweige von Oberlaufißer Familien nad)
Böhmen. Bor allem bat deren Nordböhmen nicht wenige aufzuweisen, einige aber
haben ſich mit der Zeit auch über die fernern Theile des Landes verzweigt. Ich
erinnere 3. B. an das Geſchlecht der von Grosdorf; ihre Verwandten in der Laufit
waren in der zweiten Hälfte des jechzehnten Jahrhunderts aber jo zahlreidh, daß
ſelbſt Knothe bei feiner unübertroffenen Detailtenntniß auf die Behandlung dieſes
Geſchlechts verzichtet. Bon den behandelten Familien hatten die von Luttitz jchon
jeit dem Anfang des 14. Ihdts. Verwandte in Böhmen, die im Befige von Rankers—
dorf bei Benjen waren. Um 1500 tritt ein Zweig der von Penzing auf im Befige von
Straußnig bei Leipa, dann Sandau. Etwas jpäter ericheinen die Raufendorfer von
Schramberg, die längere Zeit im Mittelgebirge links der Elbe begütert waren. So
gehörte ihnen eine Zeit Dubkowitz bei Loboſitz, das jpäter an eine andere Lauſitzer
Familie kam, die Belwig von Noßwitz, die wieder bei. als Herrn von Liboch und
Berkowitz befannt find. Ein Chriftoph von Berbisdorf war 1546—64 Beliter des
=. Be
Gutes Boreg bei Loboſitz. Durch die Verheiratung der Margarethe von Luttig mit
Ernit von Rechenberg (S. 133) fan ein Theil von Markersdorf an diejs Fantilie
und blieb bei derjelben bi3 1668. Noch wären zu erwähnen Kaspar Chriftoph von
Kottwig ald Beliger von Warnsdorf, und Heinrich Rodewitz von Friederädorf, der
1548 Schwoika kaufte; und jchließlich die feinerzeit in Böhmen wie in der Laufit
jo begüterten Burggrafen von Dohna.
Den größten Raum nimmt bei Knothe diesmal ein das Geſchlecht der Noſtitz,
und der Verf. hat ſich bei demjelben nicht auf die Zeit bi$ 1620 befchränft, fordern
auch die Folgezeit berüdfichtigt. Da eine Linie feit dem bdreißigjährigen Kriege in
Böhmen große Herrichaften erworben hat, fo hat auch dieſer Abjchnitt für ung Be—
deutung. In einer vorausgebenden 1. Abtheilung bietet K. wieder allgemeine Aus-
führungen über die Verhältniffe des Adels der Oberlaufiß in jener Zeit. Er con—
ftatirt die ftarfe Verarmung der meiften Familien, die Roheit der Sitten und die
läſſige Gerichtöpflege. Dann zeigt er, wie ſich damals der ganze Befiß der Ritter-
Ibaft, der uriprünglich gleihmäßig Xehensbefiß war, in 3 Claſſen ſchied: 1. Manns-
leben mit Erbrecht der Agnaten bis zum 7. Glied; 2. Güter von Familien, melde
angerden zur gefammten Hand belehut waren, endlich 3. freivererblihe Güter.
W. Hieke.
Kalenderſchan.
Deutſcher Volkskalender für 1888. Herausgegeben vom „Deutſchen Verein
zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniſſe“ im Prag. Redigirt von
Julius Lippert. XVIII. Jahrgang.
Lipperts „Deutſcher Volkskalender“ hat ſich nicht bloß längſt die Gunſt der
weiteſten Kreiſe erworben, er nimmt auch in der Kalender-Literatur überhaupt einen
hervorragenden Platz ein. Dies verdankt er beſonders jenem Abſchnitt, der den Titel
„Belehrendes und Unterhaltendes“ führt. Hier eben zeigte ſich die treffliche Redaction,
welche ftet3 das fir jenen Leſerkreis Sntereflantefte auszumählen und ſolche Darfteller
zn finden wußte, welche die angemefjenfte Form trafen; und unter diejen nimmt
wieder der Nedacteur jelbjt die erſte Stelle ein, wie ſich auch heuer in jeinem Beitrag
„Vom BZunftwejen und alten Bräuchen desielben” zeigt. — Neben ihm jchildert
U. Hedinger die Inſel Korjifa, R. Schmidt handelt über Meteore; Dr. Saal:
feld jtellt eine große Zahl von Sprihwörtern zujammen, die fi auf das leibliche
Leben und die leiblichen Bedürfniffe des Menjchen beziehen; Schranfa, der Ber-
fajler des großen Buchs vom Biere, liefert ein Yeuilleton iiber die Suppe u. ſ. w.
Auch der Landwirth findet einen eigens für ihn berechneten Abichnitt. An Unter-
baltungsitoff fehlt e3 ebenfalls nicht, und daß verftorbenen, großen Männern unjeres
Volkes Zeilen der Erinnerung gewidmet find, verjteht ſich von jelbit, ebenjo wie
das R. v. Dosaner dabei den eriten Platz einnimmt; das Titelbild bringt zugleich
jein Porträt.
ee A
Neuer Prager Kalender für Stadt und Laud auf das Scaltjahr 18838.
Prag 4. Haaſe.
Von diefem allgemein befannten Kalender liegt hiemit bereit3 der 42. Jahr:
gang vor, ein Zeichen, wie man e3 verftanden hat, ihn den Wünjchen des Bublicums
anzupaffen. Außer dem Kalendarium und übrigen regelmäßig wiederkehrenden Bei-
gaben, die man von einem Kalender erwartet, bietet derjelbe noch einen anjehnlichen
Unterhaltungsftoff, belehrende Auffäße über die Pflege der Zähne, über den Kaffee,
über das Weſen des Landfturmes, und endlich find noch zwei Beiträge dem Andenken
zweier verdienter Männer gewidmet, eritens jenem Franz Klutſchaks, in deſſen Händen
jo lange auch die Redaction diejes Kalenders lag, und zweitens dem Dotzauers.
Haaſe'ſcher Haus: und Wirthihaftsfalender für das Scaltjahr 1883. —
Prag U Haaſe.
Diejer Kalender unterjcheidet fi) von dem voransgehenden bejonders durch die
größere Zahl von Auffägen, weldhe Stoffe behandeln, die mit der Landwirthſchaft in
Verbindung ftehen. Solde find: „Der Strohprinz”, „Die Bewirthihaftung des
Sandbodens“, „Wettergefahren und Wetterfchus“, „Kaninchenzucht“. — Auch ift das
Geſetz über die Verforgung von Witwen und Waifen nah Officieren beigegeben,
Das Titelbild bietet eine hübſche Anficht des Schloffes Krumman.
Haaſe'ſcher Minnzenfalender. Kleiner Haus- und Wirtbichaftsfalender für
das Scaltjahr 1888. — Prag, U. Haaſe.
Beicheideneren Anſprüchen foll diefer handlidye Stalender dienen, der aber trotz
feines Heinen Formates und geringen Preifes nicht bloß das Kalendarium, das Ver:
zeichniß der Jahrmärkte und dergl. bietet, fondern wie die andern auch für Unter-
haltung und Belehrung jorgt. Das gelungene Titelbild zeigt den Pulverthburm nad
jeiner Renovirung.
E- (jene Herren Mitglieder, denen das leste Heft der Mit-
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden
böflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsleitung (Aunaplatz 18SS—I)
gütigit reclamiren zu wollen. WE
R. t. Hofbuchdruckerei U. Haaſe, Prag. — Selbftverlag.
Literarifhe Beilage
zu den Mittheilungen des Bereines
für
eschichte der Deutschen in Bähmen.
XXVI. Jahrgang. III. 1887/88.
Dr. R. Weinhold: Die Verbreitung und Herkunft der Deutſchen in
Schleſien. (Forſchungen zur deutfchen Landes- und Volkskunde. II. Bo.
3.9. Stuttgart. Engelboru 1887.)
Nach der Auswanderung der germanischen Wandalen bildete ſich Schlefien im
fünften Jahrhunderte zu einen ſlaviſchen Lande um. Ganz allmälig wurde es auf
dem Wege friedlicher Eroberung zum großen Theile für die deutihe Sprache, Sitte
und Cultur zurüdgewonnen. Deutsche bewohnen heute den Weften und die Mitte,
Polen und Tichehen den Oſten. Eine genaue und eingehende Darftellung der all-
mäligen Anfiedelung der Dentfchen und des gegenwärtigen Verbreitungsgebietes der—
jelben, jowie eine erjchöpfende Beantwortung der Frage nach der Abftammung der
Dentſchen in Schlefien bringt uns Weinhold vorzüglide Schrift auf Grundlage
eigener jorgfältigfter Studien und unter Heranziehung des ganzen großen wiſſen—
ſchaftlichen Forſchungsſchatzes, deflen ſich Schlefien zu erfreuen hat. Uns Deutihböhmen,
die wir in unſerer geichichtlichen Entwidelung jo viel Aehnlichkeitsfälle mit den jchle-
ſiſchen Stammesgenoffen aufzuweifen haben, erjcheint die vortreffliche Arbeit Weinholds
doppelt werthvoll, und diejelbe verdient nicht bloß von Fachmännern, jondern von dem
weiteften Kreifen beachtet zu werden. Wir fünnen hier nur Weniges hervorheben. Die
deutjche Colonijation im XIL., XIII. und XIV. Jahrh. durchbrach mit der Anlage deutjcher
Dörfer und Städte das alte flavifche Gebiet fiebartig, nnd aus dem deutlichen Dajen
entſtand nad und nach ein gefchlofjenes deutſches Spracdgebiet. Der Diten blieb
großentheils ſlaviſch, wenn auch bier das Deutiche als Geichäfts- und Amtsſprache
zur Geltung gelangte, Im XV. Jahrhunderte war das nationale Bewußtfein der
deutſchen Schlefier genügend erftarft und das Anfehen derfelben im Ausland meit
verbreitet. Deutſche Schlefier ftanden an der Spite des Auszuges der deutſchen Stu⸗
denten und Profeſſoren aus Prag im Jahre 1409, der erſte Rector in Leipzig war
ein Schleſier, und ein Viertel der Nachfolger zählte im erſten Jahrhunderte zum ſelben
4
— —
Stamme. Die Huſitenkriege, in welchen die Schleſier ſich als erbittertſte Feinde der
Tſchechen zeigten, und die Regierungen des Podiebrad und des Mathias, welch' let:
terer einen des Deutſchen ganz unkundigen Landeshauptmann Stephan Zapolya ein—
ſetzte, waren der Entwicklung des deutſchen Volksthums in Schleſien nicht günſtig.
Fr Oberſchleſien verdrängte in dieſer Zeit das Tſchechiſche die deutſche Amtsſprache,
welch’ letztere erſt wieder im XVII. Jahrhunderte aufkam. In dieſem Jahrhundete über—
nahmen befanntlich ſchleſiſche Dichter die Führung in der deutſchen ſchönen Literatur.
Durch den Anfall an Preußen wurde die Germanifation Schleſiens weſentllich gefördert,
wenn auch alle auf Ausbreitung der deutſchen Sprache in Oberfchlefien abzielenden
Verfügungen Friedrihg II. zunächſt wenig Erfolg aufwiefen. 1837 berechnete das
ftatiftifche Bureau in Schlefien 555.332 Polen, 11.500 Mährer und 10.500 Tſchechen;
die Volkszählung von °1846/7 ergab bei einer Gefanmtbevölferung Schleſiens von
3,304.800 Seelen 666.000 Polen, 54.777 Mährer und Tichechen und 32.581 Wenden;
für das Jahr 1886 berechnet Weinhold die Zahl der Slaven in Schlefien auf
1,258.000 Köpfe.
Auf die fih im den verfchiedenen Jahrhunderten verſchiebende Sprachgrenze
und die auftauchenden. und wieder verſchwindenden Spradinfeln vermögen wir troß
des bedeutenden Materiales, welches Weinhold bietet, jelbit auszugsweiſe nicht einzu=
gehen, weil und auch nur für eine allgemeine verftändliche Ueberficht der Raum fehlt.
Dagegen können wir nicht umhin, aus dem zweiten Abjchnitte der fo anziehenden
Arbeit, welcher über die Herkunft der Deutihen in Schlejien handelt, einige
Punkte hervorzuheben. Weinhold hat bei Behandlung diefes Gegenftandes jelbitver-
ftändlicy die deutichen Coloniften des XII. und XII. Jahrhunderts vor Allem im
Auge. Wie in unfern böhmijchen, jo wird auch in dem fchlefifchen Urkunden über die
Abſtammung der deutfchen Einwanderer Nicht3 vermerkt. Doc findet Weinhold genug
andere Anhaltspunkte, um zu dem Schluffe zu gelangen, daß in Schleſien eine ältere
niederdeutjche und eine jpätere mitteldeutiche Einwanderung ftattfand, die eritere aber
von der leßteren faſt vollftändig vermwijcht wurde. Der urkundliche Gebraud der flä-
mifchen und fränkischen Hufe, des flämifchen und fränfifchen Rechtes und niederdeutſche
Ueberrefte im jchlefiichen Sprachſchatze weifen auf die alte Einwanderung aus Nieder:
Dentichland hin, für welche auch die im Leobſchützer Kreiſe noch übliche Feier der
Ofterfeuer ftatt der Johannisfeuer ſpricht. Weinhold theilt aus feinen Sammlungen
eine große Anzahl niederdeuticher Wörter mit (S. 51—56), die in Schleſien altes
Heimatörecht befigen. Mehrere bderjelben laſſen fih aud in den deutſchböhmiſchen
Mundarten nachweiſen. Den Unterſchied zwiſchen fränkiſchem und flämifchen Rechte
erkennt er in der Erbichaftlordnung, welche beim fränkischen Rechte nach dem Dritt-
theilsrecht, beim flämiſchen Rechte in der Halbtheillung beitand. Der Anſicht Schröders,
als ob das Dritttheilsrecht durch flavische Beeinflußung entftanden wäre, wird mit
guten Gründen entgegengeireten.
Daß aber eine große mitteldentfche Einwanderung die vorhergegangene nieder-
dentiche auflaugte und Schlefien zu einem „Lande mitteldeutfcher Art“ machte, weift
Weinhold in vier beionderen Abichnitten, an der Mundart, au den Ort3: und Per—
fonennamen, an der Anlage von Haus und Hof und an der Volfgüberlieferung nad.
Ber diefen Auseinanderfegungen hebt er die enge Gemeinfchaft hervor, welche ſich in
den vier angegebenen Richtungen zwiſchen Schlefien, den deutſchen Theilen im nörd-
lichen Böhmen und Mähren (an den Abhängen der Sudeten, der Oberlaufig, Meißen
und dem Pleißnerlande ergibt, die als ein einheitliches mitteldentiches Colonifations-
u
gebiet angejehen werden fönnen. Die ſchleſiſchen Mundarten find unzweifelhaft mittel-
beutfh, wie die de3 ganzen angeführten Gebietes. Abgejehen von andern Gründen
bringt Weinhold (Seite 59—66) eine große Anzahl von Wörtern, welche den fränkischen
und thüringiſchen Beftand im Schlefiichen darthun. Die einzelnen Mundarten haben
natürlich wieder ihre befonderen Eigenthümlichleiten, So bildet die Mundart ber
Grafihaft Glag mit dem Oppaländifhen und der Mundart de3 böhmischen Niejen-
gebirgeö eine Gruppe für fi und macht fich kenntlich durch e für gemeineg i, o für
gemeined u, ä für ei uud au, Wie nun die Orts: und Perfonennamen, ferner bie
Namen der Kirchenpatrone auf den fränfiih-thüringifhen Uriprung der Einwanderer
hinweiſen, wird an zahlreichen Beifpielen in zweiten Abſchnitt dargethan, während
der dritte Abſchnitt den fränkifchen Charakter in der Anlage von Haus und Hof
nahmeift. Die Trennung der Wohnräume von der Scheune, die Anwendung des
Schrotbaues und Fachwerkbaues, oftmals beide vereinigt, dad Vorfommen der Laube
an Bauernhäufern, die Geftalt der Hofreite, die Lage der Ställe, Schuppen
und des Ausgedinghaufes, der gefchloffene Hof, gegen welchen die Langſeite des
Wohnhauſes ſich richtet, u. a, find Merkmale des jchlefiichen Banernhaufes wie des
fränkiſchen — wiederholen ſich aber auch in dem oben angeführten mit Schlefien zu—
fammenhängenden Colonifationsgebiete. Zum Schluffe wird auf die demjelben Gebiete
angebörigen Lieder, Sagen, Gebräude, Fefte u. dergl, Hingemwiejen, um aud aus
denjelben den Nachweis dafür zu erbringen, daß „ein guter Theil der deutjchen
Schleier ein Redht darauf hat, die Franken und Thüringen als Vettern von alter
Zeit zu begrüßen“. Auch wir Deutihböhmen gehören zum Theil diefer Vetterjchaft
an nnd dürfen uns der werthvollen Arbeit Weinholds fo gut erfreuen, wie unfere
Vettern, die Deutſchſchleſier. L. 8.
A. Paudler: Paſtor Schlegels Chronik von Benjen. Aus dreierlei Ueber-
lieferungen zujfammengeftellt. Herausgegeben von Amand Böhm.
Benjen 1837.
Johannes Schlegel, geboren am 16. Mai 1536, wanderte im Jahre 1564 aus
dem Meißniſchen nah Benfen ein und wirfte dafelbit al3 evanaelifcher Baftor bi
zu jeinem Tode, welcher am 30. October 1579 erfolgte. Er jchrieb eine Chronif
von Benjen, welche ſich aber ebenfowenig, wie eine im Jahre 1708 vom Benfner
Cantor Ehriftian Hauff beforgte Abjchrift erhalten hat. Der Benjner Bürger Johann
Anton Sierich verfaßte Denktwürdigkeiten feiner Zeit in feinen leßten Lebensjahren
(1750—1758) '), in weldye er Auszüge ans Sclegeld Chronik zweimal einfügte und
zwar einmal angeblic nad dem Originale Schlegeld und das anderemal nad) Hauffs
Abſchrift. Auf Grund der Sierichſchen Ueberlieferung und mit Heranziehung der
Chronik des Kamnitzer Buhbinderd Anton Heinrich (1835), in welcher fich gleichfalls
Nachrichten Schlegeljchen Urjprungs von 1454—1564 vorfinden, unternahm es Pandler
das Werk des Paſtors Schlegel wiederherzuftellen und der allgemeinen Berügung
zugänglid zu machen. Jeder Geſchichtsfreund wird diefe fleißige Arbeit nur freudig.
1) Nach Willomigerd Vorwort wäre Sieridy Bürgermeifter von Benjen geweſen
und erſt 1779 geftorben,
4“
ea
begrüßen und ficherlih auch dem Herrn Bürgermeifter Amand Böhm, welcher die
Drudlegung ermöglichte, die Anerkennung nicht verfagen.
Es ift mit dem Herausgeber zu bedauern, daß fih Schlegeld Aufzeihnungen
nur theilweife und in ziemlich verderbter Form erhalten haben. Gerade jene Nachrichten
des evangelifchen Paftors, welche über die Einführung des Proteftantismus in Benjen
handeln, welche nach meiner Meinung für und heute den weitaus größten Werth be—
fäßen, finden ſich in der Sierich'ſchen Ueberlieferung nur in verftümmelten Auszügen
vor. Gefteht diefes Sierih doch felbft ein, wenn er fchreibt, daß Schlegel „das
Mehrfte von feinen Glaubensgenoffen hat eingejegt, wo man wegen der Menge
noch von lutherifhen Magiftern, Caplänen und Schulbedienten die bin und wieder
öftere Einjegung überfehen und außengelaffen.“ (©. 16.) Es ſchrumpft
daher das für den Gefchichtsforjcher eigentlih Branchbare wefentlich zufammen, zumal
die älteren mit 1203 beginnenden Eintragungen ziemlich werthlos find, und das
Sierich Vorgelegene bis 1571 reiht. Immerhin aber bleibt das etwa von 1440
an auf zwanzig Seiten Gebotene für den Localhiſtoriker beachtenswerth, und bin
ich felbft Schon in ber Lage geweſen, einige Notizen mit WVortheil in einer Arbeit
über die Reformation in Tetſchen verwerthen zu fönnen. — Gerade durch bie
Studien zu diefer Arbeit aber befeftigte fih bei mir die Anficht, daß der Fromme
katholiſche Sierih alle nah jeiner Meinung etwa anftößigen Aufzeichnungen
Schlegels über die erjprießliche Thätigkeit der Evangelifchen einfach weggelaffen hat,
wenn er überhanpt Schlegeld Original vor ſich hatte, was noch jehr in Frage fteht.
Es wäre nämlich) bei den jo engen Beziehungen zwilchen Benſen und Tetſchen zu
verwundern, daß Schlegel von dem ficherlich in der ganzen Gegend feiner Zeit Auf-
jehen erregenden Streite zwilchen Hans von Salhaufen und bem Tetfchner Pfarrherrn
nichts nachher erfahren und in feine Chronik eingetragen hätte, Die kurze Nachricht
von Gebaftian Buda (S. 36), der ja bei der Klage gegen Salhanfen eine Rolle
fpielte, beweift, daß Schlegel in der Kenntniß der Geichehniffe jener Zeit geweſen ift,
ſowie er ganz richtig die Briefe Wolf von Salhauſen in Angelegenheit des Beyers
an Luther zum Jahre 1524 anzieht.
Da nun aber, wie aus der Baudlerifchen Ausgabe erfichtlich wird, die Lefe-
arten von A (angeblid Original) und B (Hauff3 Abſchrift) darin übereinftimmen,
daß fie möglichft wenig aus der eigentlichen Reformationszeit Beuſens bringen, jo
hat Sierich auch bei Hauff die gleihen Kürzungen vorgenommen, falls dieſer jelbft
nicht etwa ſchon nur auszugsweile gearbeitet hat. Wenn wir nun and des a'ten
Schlegels Chronik in vollem Umfange nicht wieder gewonnen haben, fo bleibt Baudlers
Arbeit doch eine jehr verdienftliche. Er hat nach den ihm zur Verfügung geftandenen
Porlagen nicht mehr leiten können. In der Einleitung unterrichtet er uns über alles
Wiſſenswerthe für das Verftändniß der Entftehung feiner Ausgabe, fowie über Schlegels
und Sierichs nachweisbare Schickſale und Verhältniffe. An der Textkritik mäfeln zu
wollen, hieße die großen Schwierigkeiten verfennen, welche der Arbeit entgegenftauden.
Die Lefearten A, B und © (Heinrich) find ftreng auseinandergehalten und es ift in dieſer
Beziehung an Gründlichkeit den ftrengften Anforderungen Genüge geleiftet. Wünjchens-
werth wäre die Beigabe eines Orts- und Perſonenverzeichniſſes gemelen. L. S.
— 45 —
Karl Weinhold; Zur Entwicklungsgeſchichte der Ortsnamen im deutſchen
Schleſien. (Zeitſchrift des Vereines für Geſchichte und Alterthum
Schleſiens. XXI. S 239—296.)
Der berühmte Germaniſt unternimmt es in gründlicher Weiſe die Formver—
änderungen nachzuweiſen, welche die deutſchen und ſſaviſchen Ortsnamen im deutſchen
Munde ſeit dem 13. Jahrhunderte durchgemacht haben. Seit dem 12. Jahrhunderte
hat in Schleſien mit den erſten niederländiſchen Anſiedlerhaufen die Einwanderung
begounen; ihnen folgten bald ſtärkere mitteldeutſche Scharen aus Thüringen und
Oſtfranken nach. Gegen das Ende des 13. Jahrh. war dieſe Einwanderung im
Weſentlichen beendet. Die Anſiedlungen der Eingewanderten gingen ganz friedlich,
ohne eine gewaltſame Vertreibung der ſlaviſchen Brüder vor ſich, und ebenſo friedlich
ſchritt die Ausbreitung des Deutſchen vorwärts, zwangslos verdeutſchen ſich die Polen
allmälig aus eigenem Vortheil und mit ihnen verdeutſchten fi die Namen. Wie
ftellten fi nun die deutfchen Eingewanderten zu den ſlaviſchen Ortsnamen, die fie
in Sclefien vorfanden? Sie halfen ſich auf verjchiedene Weile; theil3 überjegten fie
den flavifchen Namen und madıten aus Starawies Altendorf, aus Gruszecka Birn-
bäumel, aus Twardagora Feſtenberg, oder es erhielt der alte jlavishe Namen einen
neuen bdeutfchen, welcher den erfteren allmählidy verbrängte: Prilaue quod modo
Franebere dieitur (1260), Jaworek alio nomine Henriei villa (jet Seiner:
dorf. — 1207), Jessenira vulgariter Hermansdorf, Grodische quod est villa Lam-
berti et villa Burkardi (1317). Sehr lehrreich find, wie ber gelehrte Verfaſſer bemerft,
in diefer Beziehung die Ramenzer Urkunden. In der Stiftöurfunde von 1210 ericheinen
die ihm geſchenkten Dörfer oder die Dörfer, in denen das Stift Huben auf Zinfen
erhielt, nur mit polnischen Namen. In der Beftätigungsurkunde von 1260 für die
Eifterzienjer werden einer Reihe der polniſchen Dorfnamen deutſche beigefügt als die
neueren, jetz giltigen. Im 14. Jahrh. ift das Verdeutſchungswerk beendet. Ein dritter
Weg, den fremdartig Hingenden Namen zu bejeitigen war, bdiejen fo zu ändern, daß
er deutſch Hang. Dies gelang nicht immer mit Glüd; denn manche uriprünglid)
polnishe Namen Eingen jest ganz deutjch, wenn auch zumeilen ein rechter Sium fehlt
(Bogenaun — Bogunowo, Braunau — Wrano), Öraben — Grabow, Schweine:
braten — Swinbrod, Stolzmütz — Tlustomost); audere weilen wmwenigftens eine
jlavifche Endung (meiſt wit, Schü) noch; auf (Bauerwig — Baborow, Himmelwig — Je:
mielnica, Schönbanfwig — Scepankowice); wieder andere haben wohl den polniichen
Charakter verloren, ohne jedoch ganz dentich geworden zu jein (Bargen — Barchow;
Gläſen — Clyzyno; Bojtel — Podstoliez; Sclotting — Slotnik),
Im folgenden beipriht nun Weinhold die Veränderungen, welche die deutichen
und flaviichen Namen im Laufe der Zeiten erfahren haben, und zeigt, daß die Orts—
namen fich den allgemeinen Gejegen den lautlichen Veränderungen haben fügen müſſen.
Natürlich finden wir, daß, da die Einwanderer eine mitteldeutihe Mundart jprachen, die
Ortönamen auch diefe Mundart aufweiſen. E3 zeigt jih 3.8. e in Stammfilben, wo das
Gemeindeutſche i hat (Fredrichsdorf, Fredelaut), & ftatt ei (Beerberg ftatt Beyers—
berg), o ftatt a (Olbersdorf), ei ftatt i (Eifenberg ftatt Iſinberg), au ftatt ü (Haus-
dorf), eu ftatt in (Deutmannsdorf) u. ſ. w. Aber auch bei den ſlaviſchen Ortsnamen
zeigen ſich die Geſetze des jchlefifchen Dialektes wirkſam: o für a (Mollwig aus
Malewiez). Wie e und i im Schlefiichen wechſeln, jo wird bald aus poln. e ein i
(Bielau aus Beliez, Bienowis aus Benewitz), bald aus poln. i ein e (Gläfen aus
u
Clyzino). Wenn aus Krysilwicz $treilelwig, aus Lipa Leipe, aus Budissovice Bauſch—
wis, aus Gluchowo Glauche, aus Ludmerzie (villa Lutronis 1224) Leimerwig (wo
ei für eu fteht), aus Luthin Leuthen wird, fo finden wir wieder das Streben nad
Diphthongifirung, von der ſchon oben die Rede war. Poln. o wird zu u in Bunzlaı,
ans Boleslavec entjtanden. Der Umlaut des u tritt im fchlefifcher Art oft als i (ie)
auf 3. B. in Liebau aus Lubavia in Liebſchütz aus Lubsniez, Damit find natürlich
die Veränderungen, die Weinhold anführt, nicht erichöpft; er führt eine ganze Reihe
folher Menderungen vor, von denen bier nur einige hervorgehoben werden fünnen.
Aber nicht nur die Vocale, auch die Confonanten unterliegen Beränderungen, Von
den von Weinhold angeführten Fällen führe ih nur zwei höchſtintereſſante an. Nämlich
in zwei Dorfnamen hat fi das aus Sankt hervorgegangene S dem Anlaut des Hei—
ligennamens, der den erften Theil des zufammengefegten Ortsnamens bildete, ver:
ihmolzen und ift dabei zu Sch geworden: Scheidewigsdorf geht auf 8. Hedewigsdorf
und Schmottleifen auf S. Mottesjeifen zurüd, ein ähnlicher Fall wie der von J. Peters
in Böhmen erwähnte, wo Screinet — Schneidet — Schweinetichlag auf 's Rein
bart-, Neidhart-, Weinhart-[hlag zurüdführen dürften. Die conionantiihen Ver—
änderungen bei den flaviichen Ortänamen find jehr mannigfaltig. Aus Ligota (Lgota)
wurde Elgut, während bei und Welhotten ımit der Bräpofition ve verjegt), in Mähren
Delbütten (Umbdentung) und in anderen Ländern noch ganz anderes wird. Wenn aus
Osina Nosina (Nossyn 1361) entfteht, jo möchte ich in dem vorgefetten n die Präpo-
fition na an, auf vermutbhen, die fih in Böhmen 3. B. auch in Lhota findet: Nal-
gote 1227 im Stadtbud von Brür (bg. von Dr. L. Edylefinger) Nr. 9. — Gabel geht
anf Jablona zurüd, wie dies auch bei unferen gleichnamigen Ortönanten der Fall ift,
während in Steiermark aus jablane zuerft Ablanza 865, jet Aflenz (dad man lieber
nad dem Mufter von Koblenz aus adfluentes deuten möchte) geworden tft; bei uns
beißt der entiprechende Ortsname Gablonz. Der Conjonant w wandelt fih in b vgl.
Lobkowitz aus Lowkowice, unſer Zobofit aus Lowosice; flavifches 1 ift zu n geworden
in Bunzlau, das einem älteren Boleslavec entſpricht. — Daß namentlicy die ſlaviſchen
Ubleitungsfilben im Munde der Schlefier Veränderungen erfuhren, läßt ſich denken.
Aus wice, wiec, wce, wica wurde witz, aus ice, ec, ce, ica wurde itz, aud ow,
owa, owo wurde au und dieje veränderten Endungen treten denn auch an joldhe
Ortsnamen, denen jie urjprüuglich nicht angehörten. Während flavifches Babino zu
Baben wurde und die Endung ino deutſchem en wid, zeigt unfer Babine nod eine
Form, die der urjprünglichen flavischen Form ebenjo nahe ftcht, wie die jchlefiichen
Borentschine aus Borsenocino, Lutzine ang Lucina u. ſ. w., welche Orte aber erit im
19. Jahrh. deutih wurden.
Wie Weinhold weiter zeigt, hat, der erfte Theil der zufammengejegten Ortsnamen,
der jehr oft ein Perlonenname ift und den Gründer oder Beſitzer der Anfieblung
bezeichnet, vielfache Veränderungen erleiden müffen, theil3 geringere (wenn die Flexion
bejeitigt oder ein Suffix geſchwächt wurde; vgl. Bärwald ftatt älterem Berinwald),
theil3 tiefer greifende (wenn 3. B. ganze Silben oder Suffire ſchwinden vgl. Henners -
dorf aus Heinrichsdorf; Bauſchwitz aus Buduſchowitz; Röhrsdorf aus Andegeresdorf,
Siersdorf aus Gerhartsdorf). Endlich find manche flavifhen Namen im deutichen
Munde einfilbig geworben, theils durch Abſtoß der Flerion oder des Suffixes, theils
durch Verſchmelzung der Stamm= und der Suffirfilbe vgl. Kurtih — Kurczow; Graez
aus Gradec. — Wir haben oben erwähnt, daß die flavifchen Endungen verändert
worden find; Weinhold gibt jchlichlich aud noch Beifpiele dafür, daß an Stelle der
ei
flapifchen Endung fogar das deutfche Wort Dorf tritt: Bartoschow wird zu Barſch—
dorf, Dobephowice zu Dobersborf u. j. m.
Weinholds vortrefflicher Aufla macht den lebhaften Wunſch rege, daß auch
unfere Ortsnamen und deren Geſchichte eine jo gründliche Beiprehung erfuhren, wie
fie bier die fchlefiichen erhalten haben. Alois Hruschka.
Zapisky Vil&ma Slavaty z let 1601-1603. K vydäni upravil
Ant. Rezek. (Sonderabdr. a. d. Abh. der böhm. Gejelljchaft der
Wiſſenſch. VII, 2.) V Praze 1887.
BVorliegende Publication ift ein Abdrud einer Handſchrift, die fih im Ardiv
zu Neuhans befindet und bisher noch wenig benüßt wurde. Den Inhalt derjelben
bilden tagebuchartige Aufzeichnungen, die ein Beifiger de3 größeren Landrechts und
Mitglied de3 königlichen Rathes über feine richterliche und politifche Thätigkeit zu—
jammtenfchreiben ließ. Es find nämlich nicht eigenhändige Aufzeichnungen, fondern
man kann nad der Schrift 5 Schreiber unterfcheiden. Was dieje offenbar meift nad)
Dictaten niederjchrieben, wurde dann mit fachlichen und ftiliftiichen Berbefferungen
verjeben, welche leicht die Handichrift des Wilh. Slawata erkennen laflen. Schon dies
weift auf Slawata ald Urheber der Aufzeihnungen hin, Ein Umftand freilich Ipricht
dagegen. Auf der Innenjeite des Einbandes nämlich fteht eine gleichzeitige Auffchrift
(von 1602) mit dem Namen des Hertwig Seidlig von Schönfeld, der um dieje Zeit
auch Beifiter de3 Landrechtes war. Diefen fchrieb man alſo bisher die Aufzeichnungen
wenigftens theilweile zu. Durch eine Zufammenftellung jener Stellen aber, wo ber
Verfaſſer von fich jelbft jpricht, bemeift der Herausgeber, daß niemand anders als
eben Slawata der Verfafler fein kann, da alle dieje Stellen nur auf ihn bezogen
werden können. Slawata ging bei der Zufammtenftellung diefer Memoiren jehr ge—
willenhaft vor; mur ganz unbedeutende Verhandlungspunfte jind mweggelaflen, von
wichtigen Enticheidungen verfchaffte er ſich auf feine Koften amtliche Abjchriften; Er:
fenntniffe, zu denen ed Präcedenzfälle nicht gab, find al3 nene hervorgehoben. Ganz
abgejehen alio von dem Intereſſe, welches das [pätere Hervortreten des Verfafferd dem
Werke verichafft, hat diefes auch ziemliche Bedentung wegen des Bildes, da3 wir von
der Thätigkeit der Gerichte und des königlichen Rathes in diefer Periode erhalten,
Die Anmerkungen des Herausgebers und das Negifter find ganz zweckentſprechend,
und es wird faum etwas von Bedeutung einzuwenden fein. Denn wenn ©. 30 als
Name des Erzbiſchofs Hynek (ftatt Zbynek) Berka von Duba genannt wird, jo ift
das eben nur ein Drudfebler. H.
„Geſchichte der Burg und Stadt Winterberg, mit befonderer Rückſicht auf
die jeweilige Lage des Deutſchthums in Winterberg, von Joſef Walter,
Bürgerjhullehrer. — BVorgetragen in der VBerfammlung des Deutjchen
Handwerfer-Bereines am 26. December 1886, herausgegeben vom Deutjchen
Handwerfer: Bereine. — Winterberg 1887. Drud von %. Stein
Er |.
brenner. — Verlag des Deutichen Handwerfer-Bereines." — (30 ©.
fl. 8. Mit Abbildungen der Stadt, des Kronprinzejlin Stefanie-Armen:
und Krankenhaujes und des Stadtwappens.)
Wie aus dem vorftehenden Titel und aus dem Vorwort erfichtlich ift, bildete
der Inhalt diefes Schriftcheng den Gegenftand eines Vortrages. Es kann nur freudig
begrüßt werden und verdient Iobende Anerkennung, wenn die Bewohner einer Land—
itadt ihr Interefje der Vergangenheit ihrer engeren Heimat zuwenden und Gefallen
an der Schilderung der Thaten und Schidjale der Vorfahren finden. Der deutfchen
Bevölkerung mangelt gewiß nicht der Siun für Gefchichte, es fommt nur darauf an,
ihn im geeigneter Weife zu wecken und wach zu erhalten, wie dies 3. B. mit dem
ihönften Erfolge im Norden Böhmens geſchieht. Zu den wirkfamften Mitteln in
diefer Beziehung find jedenfalls Vorträge zu zäblen, die in populärer Form den der
Willenichaft ferner ftehenden die Ergebniffe der Forſchung vermitteln; daß aber nicht
jeder gut gemeinte und freundlich aufgenommene Vortrag für die Druderfhwärze
reif tft, dafür legt auch da3 vorliegende Schriftchen Zeugniß ab. Wenn der Verfajler
int Vorwort hervorhebt, „daß die vorliegende Arbeit nicht Anfpruch auf Vollftändigkeit
machen kann noch joll, jondern daß fie nur als Verſuch betrachtet werden möge, die
Bewohner Winterbergs mit den wichtigften Ereigniffen der Geſchichte ihrer ehrwürdigen
Baterftadt befannt zu machen,“ fo kann ihm doch der Vorwurf nicht erjpart werden,
daß er fih nicht genügend nah den Quellen für feine Darftellung umgeſehen hat.
Über nicht nur die bereit3 gedruckt vorliegenden Quellen, fondern auch die nenefte
und bisher befte Darftellung der Gefchichte Winterbergd in Bernau's „Album ber
Burgen und Schlöffer in Böhmen“ jcheint ihm unbekannt geblieben zu jein. Wir
glauben deshalb auf eine Eritifche Zergliederung de3 Juhalts verzichten zu jollen, die
uns aud zu weit führen würde, da wir faum eine Seite ohne Widerſpruch laſſen
fünnten, Wenn der Verfaffer auf dem Titelblatt die befondere Berüdfichtigung der
jeweiligen age des Deutfchthums in Winterberg in Ausficht ftellt, fo wird auch in
diefer Beziehung der Lefer das Büchlein ziemlich enttäufcht aus der Haud legen, deim
abgejchen von aus der allgemeinen Landesgeſchichte herübergenommenen Betrachtungen
begegnet man faſt uur aus diefen abgeleiteten Behauptungen, die bei näherer Er-
forſchung ſich nicht immer als ftihhaltig erweifen dürften; auf die naive Bemerkung in
Anmerkung 2 auf Seite 6 wollen wir da gar nicht eingehen. — Nicht verfchwiegen joll
ihließlidh bleiben, daß der Verfaffer die Inhaltsangabe einiger bei Bernau fehlender
Stadtprivilegien beibringt. —
Klutſchak Franz: Chronik des Annakloſters in Prag. Als Manufeript
gedruckt. Prag, 1887. Kuk. Hofbuchdruckerei A. Haafe. Selbſtver—
lag. 136 ©.
Wenn es auch dem am 21. Juli 1886 verftorbenen Verfafler der „Chronik de3
Annakloſters in Prag“ nicht mehr vergönnt war, die legte Hand an die Vollendung
und Abrundung jeiner Arbeit zu legen, jo bleibt diefelbe, wie es bei Klutſchaks Vor—
liebe für diefen Gegenftand und bei feinen gründlichen Kenutnifien in der Prager
Ortsgeſchichte kaum anders zu erwarten war, eine höchſt werthvolle und aller Aner-
kenuung wiürdige Leiſtung. Mean merkt es jeder Zeile au, daß uur die innigen Bes
— AD: —
ziehungen des Verfaſſers zu der Oertlichkeit, in der er von ſeinem Eintritte in das
Mannesalter gewohnt und gewaltet, die nicht unbedeutenden Schwierigkeiten in der
Auffindung und Aneinanderreihung der bezüglichen Daten gering achten ließen und
der Bearbeitung bes oft ſpröden Stoffes ein anziehendes und wohlthuendes Colorit
zu geben vermochten. Denn gerade der Umftand, daß die Darftelung von Reflexionen
nicht frei bleibt und und durch Einbeziehung intereflanter Epifoden über die ermü—
dende Trockenheit rein chronifalifher Behandlung glücklich fortzufommen weiß, läßt
die vollftändige Beherrihung des Stoffes durch den Verfaffer ebenjo glüdlich zutage
treten, als auch jelbit weitere Kreiſe Interefle und Freude an dem fonft etwas abſeits
liegenden Gegenftande gewinnen.
Die Natur der Sache gab eine dreifache Gliederung der Arbeit, weldye zumächft
den Templerhof zu St. Laurenz, dann die Geſchichte der Dominicanerinen im
Annakloſter und die Schidjale de? Annahofes im neuerer und neuefter Zeit be-
handelt. Der erfte Abſchnitt ftüßt fih auf die gewiſſenhafte Heranziehung aller
Belege, welde in den Urkunden und Gefchichtöquellen Böhmens über die Templer ſich
finden, erläutert die Stellung des Ordens im Lande und ftellt den Umfang jenes
Beſitzes fiher; eine Schilderung des Lebens der Templer verleiht diefem Theile einen
enlturhiftorischen Hintergrund, bleibt aber ftellenweife, da fie augenſcheinlich nicht direct
aus den Orbdensregeln der Tempelherrn — veröffentlicht 3. B. im Codex regularum
von Holiten-Brodie — jelbit geihöpft hat, von Heinen Ungenauigkeiten nicht frei, welche
allerdings dem Ganzen feinen weiteren Eintrag thun. Die Geſchichte der Dominica-
nerinen im Annakloſter nimmt ihren Ausgangspunkt von der Erwerbung des Templer:
Hofes zu St. Laurenz, weldhen die Johanniter 1313 den früher in der Vorſtadt Aujezd
der Prager Sleinfeite wohnenden Nonnen käuflich überließen, und gliedert fih in
chf Unterabtheilungen. Die zweite derfelben behandelt anfchaulic) die Bebrängung des
Klofterd während der Hufitenzeit, indeß in der erſten Hälfte des dritten Capitel3 da3
Verhältnig des böhmischen Gefchichtsichreibers Wenzel Hajek von Libotihan, der in
der Klofterfirche jelbft beftattet wurde, genauer beleuchtet und im weiteren auch anderer
Wohlthäter, wie des durd) fein tragisches Ende bekannten Feldmarihalls Chrifteph
Hermann von Roßmurm, der Kaiferin Anna u. A., gedacht wird, Der Angabe des
Nealbefizes um die Mitte de3 17. Jahrhunderts und der Darftellung der Unterthang-
verhältniffe des Klofterd, welcher die imtereffante Epifode des Streited ber Witwe
nah dem italienischen Maurer Andrea Hoftali de Gambie mit der Priorin ange—
ichloffen ift, folgt ein apitel, welches der Erweiterung des Klofterd, dem Baue des
Annahofes im 17. und 18. Jahrhuuderte, ſowie dem Streite des Prager Magiftrates
und des Klofters um den Annaplag gilt. Nachdem fo die Darftellung der Verhältniſſe
des Kloſters nad außen eine gewiffe Abrundung erhalten hat, tritt das Leben inner-
halb der Klofterräume unntittelbar in der Vordergrund, wobei die aus den Ordens—
beftimmungen berausgearbeiteten Einzelheiten manch Interejjantes und Abwechslungs-
reiches bieten. Die Perfönlichkeiten ter Priorinen Katharina Prichowſky, Sophie
Ludmilla Mladota, Katharina Schißlin und Marimiliana Chanovſty ericheinen na—
mentlih um die Confolidirung und das Aufblühen aller Verhältniffe bejtrebt; jeit
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundertes wurde die Vermögens: und Befisvermaltung
geregelter, zudem manche aus vornchmen Hänfern ftanımende Danien bei ihrem
Eintritte ins Klofter reihe Mitgift mitbrachten. Der Muſik- und Patronatsſtreit
zwilchen dem Annaklofter und dem Convente ded St. Aegidiusflofters leitet hinüber
zu dem Sclußcapitel, in welchem der Niedergang genau begründet umd geichildert
— 50 —
iſt. Sowohl verſchwenderiſche Wirthſchaft als auch Proceſſe und Kriegscontributionen
führten eine derartige Steigerung der Schuldenlaft herbei, daß das Dominicanerinen-
Hofter zu St. Anna aufgehoben, über dag Vermögen desjelben der Concurs verhängt
und die Realitäten an den Meiftbietenden verfteigert wurden; bei diefer Gelegenheit
erwarb der Prager Weinhändler Johann Georg Tihy dad Anuaklofter und den
Unnahof am 7. December 1784 um 19.100 fl. Die Befitveränderungen des ausgedehnten
Gebäudecompleres bis auf die neueſte Zeit erörtert der dritte Theil des Werkes, 1835
wurde der größere Theil von den Gebrübern Haafe erworben und für die Unterbringung
ihrer Druderei, Papierniederlage u. ſ. mw. verwendet; feit 1879 ift Herr Andreas
Haaje Edler von Wranau alleiniger Beliter.
Die für die Arbeit maßgebenden Quellen, als Landtafel, Archivsreſte des
Annaklofters, Manuferipte des Prager Dominicanerklofters zu St. Aegidius und bie
einfchlägigen Publicationen, find durchwegs gewiljenhaft berüdfichtigt und in richtiger
Deutung herangezogen; auf diefen zuverläffigen Fundamente baut fich die fejfelnder
in jedem Detail fanbere Darftellung auf, welche nur im dritten Theile mehr jkizzen-
haft iſt. Die Ausftattung iſt eine der fetten literariichen Gabe Klutſchaks durchaus
würdige. 1
Die Occupation der füniglihen Stadt Pillen durch den Grafen Ernſt
von Mansfeld 1618—1621. Zumeift nah Paul Sfala bearbeitet
von P. Oswald Manıl, Gymnaſialprofeſſor. Warnsdorf 1887.
Drud mıd Verlag von Ambr. Opip.
Rent hat in feinem Werk: Graf Mansfeld im böhmifchen Kriege (Braune
ſchweig 1865) die Apologie des Mansfeld3 die Acta Bohemica und die Acta Mans-
feldica, die katholiſche Gegenfhrift und einen Bericht über die Belagerung von einent
unbefannten Berfaffer benütt, Die Nachrichten der lateinischen Chronik des Jeſuiten
Johannes Tanuer find von dem verftorbenen Prälaten, frühern Gymnaftaldirector
P. Bruno Bayer! verwerthet worden. Baul Skala von Zhot hat in feiner hand-
Ihriftlihen Kirchengeſchichte (MWaldftein’sche Bibliothek in Dur), die dich Tieftrunf
zugänglich geworden, genaue Berichte, die der Verf. feiner Darftellung zu Grunde
gelegt hat. Paul Sfala war im Dienft der Directoren und im Gefolge des Winter:
fönigs, war Parteimann, aber von dem Beftreben erfüllt, den richtigen Sachverhalt
zu geben. Seine ganze Stellung befähigte ihn dazu. Die Leiden der allzeit getreuen
fatholiihen Stadt Pilſen und die Vorgänge in dem genannten Beitraume werben
von dem Berfaffer in klarer und überfichtlicher Weife auf Grund genauer Studien
dargeftellt. Als Anhang folgt ein Schreiben des Rathes von Pilfen an den Kur—
fürften von Sachſen vom 25. Januar 1619 aus dem ſächſiſchen Staatsarhiv. Eine
inftructive Beilage bietet die Abbildung der Stadt Pilfen vom J. 1618. —r.
„Aus Eger und dem Cgerlande.” Bon Dr. Aler. Beez. (Sonderabdrud
aus den Beil. Nr. 303—305 der „Allg. Ztg.") Münden 1887.
Der bekannte geiftvolle Verfaffer hat als Ergebniß mehrerer Beſuche, die er
vor Jahren dem Egerlande abjtattete, mit der vorliegenden Schrift eine anreaende,
en.
ethnuographifch-culturgeichichtliche Studie geliefert, die als folche, was die eigene Dent-
arbeit belangt, warmer Empfehlung würdig if. Das Schriftchen legt den Haupt:
nachdruck auf die Marfeneinrichtungen, deren Spuren noch nad dem derzeitigen
Stande der Dinge zu verfolgen gefucht werden. Was der Herr PVerfaffer darüber
Ichreibt, läßt fich immerhin anhören, auch wenn er die Hindeutung auf die ältere und
neuere Literatur über Markenverfaffung (fo 3. B. Poſern- Klett? Markgrafſchaft
Meigen, der ganz gleich die Egerer Mark an die Seite tritt) vermifien läßt. Indeß
wendet er fid) ja doch mehr den allgemeinen natürlichen und jocialen Verhältniffen
zu. Mit offenem Auge überfieht er die hier einſchlägigen Verhältniffe vom Haus:
und Hofbaue an bis zum „Partionsfactor“; al$ Summe feiner diesfälligen Betrach—
tungen zieht er den ganz richtigen Schluß, daß das Egerland nur dem Sinken der
Kaiſermacht es zu danken hat, wenn es feine natürliche Aufgabe, hier gleichfalls der
Mittelpunkt einer Staatsbildung zu werden, wie ſich foldhe aus den Markgrafichaften
Meißen, Brandenburg, Oſtmark ufw. entwidelten, nicht erfüllte. Diefe Ausführungen
find der bei weiten wichtigfte Theil und retten glüdlicherweije deu Werth der Arbeit,
den jpäter zu erwähnende Umftände herabzudrüden verfuchten; hier hat Hr. Dr. Peez
jelbftändig und ohne Duelle gearbeitet und läßt feine feinen Beobadytungen oft ganz
unerwartete Streiflichter auf ſcheinbar abfeit3 liegende Momente werfen. Nur etliche
Irrungen möchte ich hinzufügen; der geologische Untergrund (Boden) de3 Egerlandes
(S. 4 — immer nadı dem Sonderabdrude citirt —) tft vor Allem Granit und
Tertiäres; alle fryftalliniichen Schiefer fommen daneben nur untergeordnet vor. Das
Egerländer Vich gilt allenthalben als eigene Kaffe, nicht al3 Tiroler Schlag (©. 4.
„Bär“ ift nicht der Raudfang (S. 5), fondern nur ein Nebenfang für den Rauch
der Rienleuchte in der Bauernftube. Statt „Flez“ (S. 5) iſt „Pfletz“, ftatt „wje“
(&. 6) „wia“, ftatt „öuha“ „ouha“ zu leſen. Die Leiftungen der Hofbefiter waren
individuell und für jeden Hof ungleich; es hatte alfo nicht „jeder“ 6 Tage Arbeit
mit feinem Zugviehe zu leiften, Die Ortönamen dürfen nicht nach den heutigen
(verderbten und abgeichliffenen) Formen erklärt und eingetheilt werden (©. 8), jondern
es müſſen die älteren Formen genommen werden. Die Ortsnamen Pirklas (©. 8),
Brunß, Sting! (S. 9) finden fih im Egerlande nicht; Haag und Gehag find das—
jelbe (1), Schreden ift Drudfehler für Schneden. Aeußerſt jonderbar lieft jich für
jeden, der unferen Egerer Schlawigen kennt (äußerftes Nordoftende der VBorftadt und
an den dortigen Egertheilungen gelegen), der Sat, daß dort „auch die w.ndernden
Krämer” wohnten (S. 8; da hauften (feit 1390 nachweisbar bis heute) ftet3 nur
Müller und wieder Müller. Das Ziegelmaterial an der Kaiferburg (S. 10) hat mit
der Burg nichts zu thun und gehört dem Feitungsbaue an. Zur Burg jelbft gebt
man nicht durch eine Vorftadt, fondern durch einen Theil der Stadt (S. 11). Die
Hufiten erzwangen überhaupt gar feine Uebergabe der Stadt oder gar der Burg
(S. 11). — Das alterthümlicdhe Haus auf dem Marktplatze gehört dem Geſchlechte
Riedl, nicht Gabler von Adlersfeld, die freilich das Nebenhaus haben (S. 11).
Im Egerlande beitanden zu feiner Zeit mit einander oder auch nur nad einander
81 „Schlöffer”. Der Irrthum (S. 16) kommt daher, daß die witzigen Geifter,
die früher in Egerer Geihichte machten, jedes „Gut“ im einem Dorfe (d. h. jeden
Hof), falls der Befiger ein Land- oder Stadt: Edler war, zu einem „Schloſſe“
erhoben, ein Unfinn, wie ev cben nur dem Abfaffer von „Eger und Cgerland“
pafliren fonnte. Damit bin ich auch bei dem großen Uebelftande angelangt, der mid)
nur mit einer großen Schen zu einer Beiprechung der vorliegenden Arbeit kommen
— ..
ließ. Sch habe Herrn Dr. Peez diesfalls ungeſchminkt meine Anficht geichrieben ;
die Trefflichkeit feines Werkes kann in ber Hauptpartie wohl nicht zeritört werden,
aber fie wird in Mebentheilen dadurch beflecdt, daß er, beſſeren Quellen (Grüner,
Graſſold, Kürfchner ujw.) nicht nachforſchend, ſich für den hiftorischen Theil feiner
Arbeit mit einem Buche begnügte, das von der Kritik auf das fchärfite verurtheilt
wird, mit dem fchleuderhaften „Eger und Egerland“. Diefe Rüge muß gegen ihn
geäußert werden, denn ein forichender Einblid in diefes Werk hätte ihm auf jeder
Geite jagen müſſen, daß bier Leichtfertigfeit und Unkenntnig um die Balme ringen
und eine Benügung nur — auf Gefahr hin geichehen kann. Die Fehler felbft, die
in diefe biftorifche Partie aus jenem Buche übergingen, fallen nicht ihm zu, denn
jeder fremde Forſcher ift an die Hilfdmittel einer Gegend gewiejen, wenn er iiber
diefe fchreiben will, wohl aber die Wahl diejer Quellen. Jch möchte das Nachfolgende
aljo mehr ald Warnung für andere Foricher gefaßt wiffen, denn ald Tadel gegen die
Arbeit des Hrn. Dr. Peez, die ja gut und trefflich bleibt, wenn man nur nicht etwa
daran denkt, fie ald Quelle für biftoriihde Schlüffe und Folgerungen zu nehmen.
Die Warnung felber mußte aber erfolgen, weil das Buch jeinerzeit nm jeden Preis
auf den Markt geichleudert wurde, heutzutage nod in manchen Händen ift, deren Be-
figern fein jelbitändiges Urtheil zufteht, ja ſelbſt von oberflählichen Schriftitellern
noh benüßt wird und damit, wie ich leider aus Erfahrung weiß, noch immer viel,
viel Unfug anrichtet. Ich möchte zur Probe nur jene Stelle behandeln, die in Hrn.
Dr. Peez's Arbeit aus „E. n. E.“ über die Gefchlechter überging — fie umfaßt
bloß 23 Zeilen, aber folgende Unrichtigkeiten: — Die Neyperg, das „ritterl. Urgeſchlecht
des Fichtelgebirges“, find nicht das ältefte Geſchlecht; ſchon im „Fichtelgeb.“ waren
die v. Waldftein (Sparneck) viel älter, abgefehen davon, daß die Neyperger im Vogt—
lande jaßen und nur einer von ihnen etliche Jahre hindurch fpäter eine Burg im
Fichtelgebirge bejaß. Die von Liebenſtein erjcheinen bereit 1143, find aber die vom
Liebenftein bei Türſchenreut! Zu einem Egerländer wird mit einer Heinen Unter:
ihlagung ein Konrad 1255 ald „von Aſch“ gemacht, das unterfchlagene i bergeftellt,
wird er der richtige Konrad von Aiſch, Landrichter in Nürnberg. Die v. „Seeberg“
hat dieſes Werf zu Egerern gemadjt, weil im Egerlande ein Seeberg exiſtirte. Jenes
Eceberg (Albr. v. ©.) ift ein wirkliches meißnifchenordböhntiiches Geſchlecht, das
bereit jo hieß, bevor noch unjer Seeberg auch nur erbaut war, Der Vorname der
Toß ift richtig „Eltel” (Eitel nur Nebenform) und fteht gegenüber dem „Jüngel“,
die beide bezeichnende Namen dieſer Familie find; der alemanniſche Schluß ift alfo
abzulehnen! Aingl, Ayngl — in allen Urkunden heißt das Geſchlecht Angel und die
gebrochene Form findet fi ſehr jelten gegenüber der gewöhnlichen, die mit großer
Ungejchielichkeit obenan geftellt wird. Die Suningberg hat Pr. nad) einer Note in
Brenners Waldjaffen richtig herübergefifcht und ohne ſich felbft nur um die Regesta
boica zu fümmern, gleich zu Egerern „Batriciern” gemacht, fie, die Minifterialen
von GSonnenburg bei Coburg! Das Haus auf dem Marftplage ift nicht das Stamm-
hans der Schlide, fondern, wie ich urkundlich nachwies, eines anf dem Nojenbühle ;
das Marfthaus fiel erit jpäter vom unbebeutenderen Zweige der Familie an bein be-
deutenderen, al3 diejer gar nicht mehr darin wohnte, jondern auf der Burg jaß, wenn
nicht in Elbogen. Sehr — ſchön ift auch die furze Aufzeichnung „Egerer“ Ges
ſchlechter: Aichler (2 Mann body im Rathe, ſpät ald Juriften hergekommen, nad
fürzefter Zeit wieder fort), Albrecht, Anthoni, Bachmann, Baier, Brand (waren
markgräfl. Unterthanen, nur einer hatte einmal Haslau), Braun v. Braunthal (höchſt
u —
unbedeutend), Brunner, Bruſch, Cramer, Daniel, Demel (2 Mann, davon 1 im
Rathe!), Drexler (gab’3 gar nicht!), Elbogner (fo nie Bürger), Einftedler, Eulenburg
(! ein Dynaftengeichleht — Egerer Geſchlecht!), Feilisich (weil Pr. ihr Loſan, richtig
Regniglofau, auf egerl. Lofau bezog!) u. ſ. w., Kneußel (weil Pr. den Namen
Chunzelınus, Chunzelinus de Hohenbere als — Kneußel von Hohenberg last),
Leuchtenberg (! Landgrafen feit ältefter Zeit, ein — Egerer Geſchlecht!), Parsberg
und Paulsdorf („egerer“ Gefchlechter, weil fie — etlichen Rehenbefig im Egerlande
hatten, ebenjo:) „Voigt (sic!!) von Plauen‘ (die befannten Vögte), Partner (gibt's
gar nicht!) m. ſ. w. — genügt diefe Probe?? Das mußte in einer hiftorifchen Zeit:
ichrift gefagt werden. Nody einmal, nicht gegen Herrn Dr. Peez richtet fich diefer
Schluß, nur gegen feine üble Quelle. Heinr. Gradl.
Binhack Sr3.: Die Markgrafen im Nordgau (im den Verhdl. dv. hit.
Vereins f. Oberpfalz u. Regensb., Jahrg. 1887, ©. 209 fg.)
Ein Aufſatz, der fi viel mit Böhmen befchäftigt, aber das Großartigite leitet,
das man je an hiftoriographifchem Ungeſchicke erlebte. Für den Verfaſſer eriftiren die
in diefer Frage gepflogenen Forfchungen der Giefebrecht, Riezler, Stein, Spruner u. N.
einfach nicht; für ihn beftehen Feine Urkunden; er reitet als Don Quixote auf einem
Manufcripte herum, dad aus der Zeit von ca. 1800 () ftammt, einer Beit, da ein mit
einiger Kenntniß der Dinge begabter Menſch gar nicht mehr Hinfieht, und ftellt nun
die Gefchichte ſih darnad) und gegen Urkunden und gleichzeitige Annaliften zu—
fammen. Wie diefe Gefchichte aber bei der Carambole der von den diverfen (jpäten)
Chroniften geäußerten Behauptungen ausfieht, belegt wohl der Sat: „Berthold dem
Zweiten folgte fein Sohn Arnold IU., von Anderen Diepold Il. genannt. Arnold II.
juccedirte fein Sohn Heinrich IL, den Andere Diepold II. nennen. Lori neunt ihn
unbegründeter Weife Konrad. Die Gemahlin Heinrichs II. war Mathilde; Lori nennt
diefe Mathilde irrtümlich Beatrir“ ... u. ſ. w. — ift das nicht zum Verrüdtwerben ?
Statt daß der Verfaffer den einzig vernünftigen Gedanken bekommt, folde „Quellen“
Sottweißwohin zu werfen, macht er aus ihnen „Geſchlchte zufammen! Nur noch Eines
aus der umerichöpflichen Fülle von Unfinn! Der Würdigung böhmiſcher Genealogen
empfehlen wir den Sat (S. 225): „Die Schweitern Diepold8 II. (von Vohburg)
waren Amabilia, Gemahlin des böhm. Königs Wladislous J., und eine 2., N., die
Gemahlin Otto's II., Fürften von Olmütz (Prineipis Olomucensis), Die Söhne von
Amabilia waren Ladislaus II, König von Böhmen, der Mitbegründer (Confundator)
Waldſaſſens, und Heinrich, Fürft von Zuaim (Princeps Znoymensis), von dent bie
Grafen Czerniz von Endenitz (comites Czernieii de Cudeniz) ftammen, nnd Theo—
bald J. Prorer von Böhmen, der Gemahl der Richja, einer Tochter des Gründers
von Waldjaffen, und von dem (unde) ftammen die Grafen Sswichov von Skala und
Raby, naher von Ryzenberg genannt (comites Sswihovii de Skala et Rabi, postea
de Ryzenberg dieti)“, (!!!) Die Nachkommen der „jogenannten Bojohemen“ (sic}!
S. 214) fünnen dem diesmaligen Jahrgange des Regensburger Vereines nur bedanerud
gegenüberfteben. Das ift ein Rückfall in die Hiftorif des 17. Jahrhunderts. —a—n.
es A
Das Beil und feine typiihen Formen in vorhiſtoriſcher Zeit. Ein Beitrag
zur Geichichte des Beiled. Bon W. Osborne Mit 19 Tafeln in
Lithographie. Dresden 1887.
Es iſt ein fehr danfenswerthed Unternehmen des Verfaſſers, ein einzelnes
Artefact herauszugreifen und an den Zeugniſſen der Vorzeit zugleich deſſen Geſchichte
und zu zeigen, wie auch einen vollftändigen Ueberblick über alle bis jett gefundenen
Formen, welche vielfady den Etappen jener Geichichte entiprechen, uns zu verjchaffen.
Nach beiden Richtungen hin wird das aufwandvoll hergeftellte Werk den Fachmann
wie den Laien zu Dank verpflichten. Die Anthropologie hat vor anderen Willen:
Ihaften den eigenthümlichen Vortheil, daß fie Gelehrte und Kaien in den Kreis ihrer
Diener ziehen kann, und es gibt bereit3 eine große Zahl der Lebteren, welche durch
ihren Sanmelfleiß fich verdient um die Wiſſenſchaft gemacht haben. Solchen kann
das vorliegende Werk ganz befonders als ein Leitfaden dienen, an deſſen Hand fich
ihnen der jcheinbar unüberjehbare Wuft der Einzeinheiten leicht und überfichtlich
gliedern wird. Der dargeitellte Gegenftand ift freilich nur einer von unendlich vielen,
aber einer der allerwichtigften. Die auf Tafel XVI. unter Fig. 9 abgebildete, höchft
ſelteue Bronzeart, die dem Autor nur aus Ungarn und der Gegend von Mainz
nachgewieſen ift, haben wir aud in Böhmen in ganz genauer Uebereinftimmung in
der Hand gehabt, ohne daß wir wilfen, wo fie hingekommen ijt, Das Eremplar war
in der Gegend von Libochowitz gefunden morben. L.
Die Gewerblihe Erziehung durch Schulen, Lehrwerfftätten,
Mufeen und Vereine im Königreihe Belgien. — I. Ge—
werblich.technifcher Theil. — Bon Karl Genaud, Ingenieur und
Profejjor. Reihenberg, J. Fritjche 1887.
Bildete bereit3 der I. Theil des Genauck'ſchen Werkes, die kunſtgewerbliche
Heranbildung betreffend, den Gegenftand eines längeren Berichtes, fo erfordert der
II. Theil, welcher weſentlich umfangreicher und deffen Bedeutung für das induftrielfe
Böhmen eine noch höhere ift, eine entiprechend erweiterte Behandlung.
Indem die Volksſchule die Grundlage für jede Bildung, daher auch die gewerb-
liche ift, jo hat Genauck Recht, der Voksſchule die volle Aufmerkſamkeit zu ſchenken
und dem Leſer zunächſt ein lebendiges Bild der diesbezüglichen belgtichen Verhältniffe
zu entrollen. Diejelben find nichts weniger als erfreulih. — Die Belgier find nicht
gefeglich verhalten ihre Kinder in die Schule zu jenden, und es gibt der Pflichtver:
geffenen leider jehr viele, welche von den reichlich dargebotenen Bildungsmitteln feinen
Gebrauch mahen. Bei 23% der Kinder, welche im fchulpflichtigen Alter ftehen, be=
ſuchen feine Schule! Kinder und Idioten von der Gefammtbevölferung abgezogen,
demnach nicht miitgerechnet, ergeben eine Bevölkerung, von welcher noch über 30%, nicht
lefen und jchreiben könneu! Die Analphabeten unter den Stellungspflidtigen, aljo
unter den jungen Männern im 20. Xebensjahre betrugen 1870 29%, 1880 22%,
1834 18'5° ,!
Die Volksſchulen felbft jtehen vorwaltend unter dem Einfluße der Gemeinden,
die ſtaatliche Gontrole ift eine geringe, die Lehrer lönnen ohne eigentliche, geſetzlich
= 2;
geprüfte Lehrbefähigung durd die Gemeinde-Autoritäten zu ihren Stellen gelangen.
Und hierbei ift noch von jenen Volksſchulen die Rede, welche ftaatlicher Inſpek—
tion unterworfen find; auf 4800 folder Schulen kommen aber 890 jogenannte
freie Schulen, welche von Privaten oder Gorporationen, zumeift geiftlihen Orden
erhalten werden und nicht einmal der ftaatlichen Inſpektion unterworfen find. Genaud
ſchildert die dortigen Schulzuftände und den nachtheiligen Einfluß der katholiſcheu
Kirche Belgiens auf die Schule in fo Harer, mohlbegründeter Weile, daß fich bie
Nusanmwendungen wie von felbit jedem deufenden Leer aufdrängen und der in Deutſch—
land und Defterreich eingeführte Schulzwang al3 ein Segen für das Land erkannt
werden muß.
Das mangelhafte Volksſchulweſen Belgiens bedingt dad Vorhandenjein einer
eigeuthümlichen Gattung von Schulen für Erwachſene (ecoles d'adultes), melde
einerfeit3 Vielen den mangelnden Volksſchul-Unterricht erſetzen, Anderen den genofjenen
fpärlichen Unterricht ergänzen follen. Das Ergebniß ift aber ein geringes, die Volks—
ſchule wird nicht erjegt und dasjenige, was eine gute Fortbildungsfchule leisten kann,
auch nicht geleiftet.
Das für die Vollderziehung Anzuftrebende faßt Genaud nah Abhandlung
aller mit dem Volksſchulweſen verknüpften Fragen, ald Kindergärten, Mädchenerziehung,
Schulſparkaſſen etc., in folgenden Hauptpunften zuſammen.
Sämmtliche, immer confeſſionslos gedachten Bolsfhulen find mit Rinder-
gärten in Verbindung zu bringen und ihnen Gärten, ſowie Spielpläge zuzu—
weifen. In diefen Kindergärten, beffer organifirt, ald die gegenwärtigen meift find,
haben alle armen Kinder entfprechenden Alterd unentgeltlihen Zutritt und dürfen
dajelbft den ganzen Tag verbleiben, weshalb ihnen erforderlichen Falles auch unent-
geltlihe Nahrung zu verabfolgen ift. Diefe Kindergärten follen nicht nur der Schule
vorarbeiten, fondern auch jenen armen Schulfindern, welche zu Haufe nicht die er-
forderliche Ueberwadhung finden, bis zu ihrem 11. Jahre ald Aſyl für ihre fchulfreten
Stunden dienen.
Wenn der Lefer bei diefem erften Hauptvorſchlage vielleicht die finanziellen
Schwierigkeiten als unüberfteigliche Hinderniffe betrachtet, fo jei die Bemerkung ge:
ftattet, daß das, was Genaud vorjchlägt, verglichen mit dem gegenwärtigen Stande
der Dinge in Defterreich, feine jo gewaltige Umwandlung bedeutet, als diefelbe in dei
legten 150 Jahren die öffentliche elementare Volkserziehung durchmeſſen hat. Es
ift wohl die Anficht Genaud’3 richtig, daß die großen focialen Probleme der Gegen:
wart an ihrer Wurzel erfaßt fein wollen, d. i. bei den großen Fragen der Volkser—
siehung. Wir möchten beifügen, daß die Frage der Alterverforgung der Arbeiter
eine Ehrenſchuld der Menfchheit, hingegen richtige Volkserziehung ebenſowohl ein
Gebot der Liebe wie de3 aufgellärten Egoismus ift, jenes Egoismus, welcher mit
Vorausfiht und umfchauender Klugheit gepaart ift.
Die zweite Hauptforderung Genauck's ift die Einführung des Halbzeitun—
terrichte3 mindeftend vom 11. oder 12, Lebensjahre der Kinder au. Er begründet
diefe Forderung damit, daß ein täglich 3= big höchſtens Aftündiger Unterricht, welcher
ſich am Vor- bezw. Nahmittage concentriren laffe, zur Erreichung des Lehrzieles der
Volksſchule genüge. Jene Kinder, welche ſolchen Berufen zuftreben, die ein größeres
Willensm. 8 erfordern, feien aus der Volksſchule an die Mittelfehulen in diefem Alter
bereitö übergetreten; die Kinder der Landwirthe und Arbeiter aber können an ben
ſchulfreien Halbtagen bereits in einer dem künftigen Berufe entiprechenden Weife ver
— DO —
wenbet werben. Eine Schädigung des Lehrzieles der Volksſchule brauchte um fo
weniger befürchtet zu werben, als jene Kinder, welche durch Unfleiß oder Säumig-
feiten zurücbleiben, verhalten werden fönnten, noch vom 14.—15. Fahre den Halbzeit:
unterricht zu bejuchen.
Für die Kinder jener Eltern, welche weder in der Landwirthſchaft noch in
Werkftätten die halbzeitige Verwendung finden können, denkt fih Genauf mit den
Schulen verbundene, von Werfmeiftern geleitete Lehrwerkſtätten, meldye wirklichen
Erfolg erzielen könnten, da fie die Kinder täglich einen Halbtag zu beſchäftigen hätten.
Diefer Vorſchlag ift nicht zu verwechjeln mit der Einführung des fogenannten Hand-
fertigfeitöunterridhtes an den Volksſchulen; denn obbezeichnete Werfftätten würden an
fih nur ausnahmsweiſe zu errichten fein, ihre Bejucher wären aud von beichränfter
Zahl und endlid ihre Wirfungsmeife eine viel intenfivere.
Mehrfach hebt Genaud die hohe Bedeutung der Erziehung der Mädchen hervor,
und er wünjcht die fpäteren Schulpflichtigen Altersftufen derfelben zu den Ueberwachungs-
arbeiten in den Kindergärten herangezogen, wodurch die Mädchen ſowohl die Arbeiten
der Kindergärtnerinen erleichtern al3 auch felbft mit der Behandlung der Kinder
vertraut werben würden, Der Halbzeitunterricht würde auch dies ermöglichen.
Nach vollendeter Volksſchulbildung künnten die Knaben oder Mädchen in die
Fortbildungsichulen verichiedener Richtung aufgenommen werden; der Beſuch derfelben
wäre ein freier, zum Unterrichte würden Abend» und Sonntagsftunden ober frühe
Morgenftunden verwendet, ein geringes Unterrichtsgeld wäre zu bezahlen.
Nach abjolvirter Fortbildungsichule, aber nicht vor dem 18, Lebensjahre, dürften
fih die Schüfer einer commiffionellen Prüfung unterziehen, auf Grund melder fie
nad Genaud’3 Vorſchlag Certificate erhielten, welche den Jünglingen die Begünftigung
einer. zweijährigen Dienftzeit brächten. .
Genauck hat in dem erjten Theile feiner, in ihren Hauptideen ſtizzirten Schrift
(bit ©. 153) in Anmerkungen auch intereffante Hinmweijungen auf amerifanifhe Ver—
hältniffe gegeben, und es finden fi) auch darin föftliche Säße, jo 3.8. „das Maf der
Belehrung hat fih nicht nach dem zu richten, was der Lehrer weiß, fondern darnad),
was der Zögling aufnehmen kann“; „die Fähigkeiten find nad) der natürlichen
Ordnung ihrer Entwidlung zu pflegen, alfo confequenter Weife mit den Sinnen zu
beginnen, dem Kinde ift nichts zu jagen, was es nicht ſelbſt wahrnehmen, entdeden
fann“ u. ſ. w.
Der zweite Theil der Genaud’ichen Schrift handelt von Belgiens gewerblichen
Schulweſen, S. 153—22%6, hieran jchließen fich allgemeine Betradytungen über das ge-
werblidye Erziehungswefen und endlich eine Kritik des belgischen in Gegenftellung mit dem
öfterreihiichen und ſächſiſchen Syſteme (226—342), lettere befonderd für Belgien
werthvoll. Die gewerblichen Fortbildungsichulen Belgiens (&coles industrielles) trachten
dem Arbeiter einen wiffenichaftlichen Unterricht, welchen er in der Werkſtätte wicht
erlangen kaun, zu geben und ihm dadurd die Mittel zu verfchaffen, den ökonomiſchen
Werth feiner Arbeit zu erhöhen. Arithmetif, Geometrie, die Eimführung in die Tech—
nologie, die Phyſik, Chemie und Mechanik, dann die Hygiene und Volkswirthſchaftslehre
bilden die Gegenftände diefer Schulen, und es iſt ein treffliches Zeugniß ihrer Ein-
wirkung, daß wie Rombaut in einem Meinifterialberichte jagen kann, „der ftreng
unterrichtete Arbeiter fi durch die gefährlichen Stimmen derjenigen nicht mitziehen
fäßt, welche ihm den Haß gegen das Capital und die Arbeit predigen, und daß es
nicht einen einzigen gab, der fi an den Scenen der Unordnung nnd Gemwaltthätigfeit
BER, .\,
betheiligt hat, welche bei Gelegenheit ded GStrifes der Berg- und Hüttenarbeiter ftatt-
gefunden haben.” |
Es hieße den Zwed einer Beiprehung des trefflihen Werkes überjchreiten,
wollten wir auf die Einzelheiten der Lehrpläne, der Statiftif, Reglements u. dal.
eingehen. Es fei nur noch hervorgehoben, daß in Belgien nur eine einzige Anftalt,
welche mit unjeren höheren Gewerbeichulen verglichen werben kann“, befteht, die
ecole speciale d’industrie et des mines in Mons, über welche ſich Genaud jehr
zurüdhaltend ausſpricht, denn obwohl jelbft Profeffor einer höheren Gewerbeſchule,
vermag er doch nicht darin, daß eine Mittelfchule gleichſam als Concurrenzanftalt der
tehniichen Hochſchulen oder Bergafademien fungirt, etwas Zweckentſprechendes und
Kluges zu finden. Die Aufgabe der gewerblichen Schulen als Mittelfhulen wird darin
zu juchen fein, „vorzugsweife tüchtige Unterofficiere der Imdnftrie zu liefern, alio
Männer, welche zwiſchen Ingenieur und Arbeiter ftehen“! (j. ©. 215). Diefer Männer,
dies fer unfere Beifügung, braucht man nicht nur viele, fondern auch nach verjchiedenen
Pildungsitufen, fo daß niedere und höhere Gewerbeſchulen volle und innere Berech
tigung haben, ohne die Grenzen ihres eigentlichen Zwedes überichreiten zu müſſen.
Aus den allgemeiner gehaltenen Betrachtungen, welche den letzten Theil des
Genauck'ſchen Werkes bilden, wird e3 zur Orientirung des Leſers genügen einige
Hauptjäße hervorzuheben, welche den Geift des Werkes kennzeichnen, in demſelben
aber ihre eingehende Begründung finden. So jagt Genauck: „Der Zweck der Fort—
bildungsihulen ift die nothwendige Ergänzung der Werkftattlehre durch theore:
tiichen Unterricht. Unterrichte, welche tiefere wiſſenſchaftliche Baſis benöthigen, find in
den Lehrplänen der Fortbildungsichnien auszufchließen und den Fadichulen zuzu—
weiſen. Die Fachſchulen haben vorzüglich die Aufgabe, der Erziehung der wohlhabenden
Claſſen im induftrieller Richtung zu dienen; die Fachſchulen follen jpecialifirt und
daher den einzelnen Jnduftriegruppen angepaßt jein. Die Werkftattlehre im Allge-
meinen ift nie durch Schulen zu erjegen. Fachſchulen laſſen fi) durdy bloßen Abend»
unterricht nicht erſetzen.“ Neferent braucht wohl nicht erit zu verfichern, daf Genaud’3
Arbeit eine höchſt beachtenswerthe it. Kann auch in formeler Bezichung ausgejegt
werden, daß manche über mehrere Seiten gehende Anmerkungen richtiger in den Text
zu verweben geweſen wäre; oder daß der Leſer, welcher nicht ſehr aufmerkſam das
Gebotene durchnimmt, zuweilen in Zweifel fein kann, ob er ed mit einem Citate oder
Genaucks eigener Meinung zu thun hat; oder ließe fich 3. B. in fachlicher Beziehung
euch ausfesen, daß dem QTurnunterrichte nicht jene Bedeutung für die Entwtdlung
der Jugend beigemeffen wurde, welche demfelben ſowohl in Hinficht auf dic körperliche
Entwidlung als in Hinficht auf die Hebung von Geiftesgegenwart, Muth, Wille und
Disciplin dann zukommt, wenn er jachverftändig geleitet wird: fo muß doch das
Werf ald Ganzes betrachtet, ald ausgezeichnete Arbeit bezeichnet werden. Sie war
‚würdig, dem Altmeifter der gewerblichen Pflege, Dr. Ferdinand Steinbeis, gewidmet
zu werden, und fie wird dem edlen reife Freude bercitet haben. — Möge fie ver-
diente Beachtung finden! Prof. Kick.
Programmanffähe aus dem Iahre 1887.
Die Zahl der Programme, welche Abhandlungen hiſtoriſchen Inhalts bringen,
ift diefesmal eine äußerſt dürftige. Wenn ich fie trogdem zur Anzeige bringe, fo ge-
ſchieht es nicht ſowohl der wiſſenſchaftlichen Bedeutung der Arbeiten wegen, die ja,
5
zu: AR
um es fofort zu betonen, eine unerhebliche ift, ald vielmehr um die num Schon mehrere
Jahre geübte Gepflogenheit nicht aufzugeben.
1. Der 15. Jahresbericht des f. f. Gymnafiums in Reichenberg enthält eine
von Franz Hübler verfaßte Gefhichte der Lehranftalt „Zur fünfzig:
jährigen Gedenkfeier der Reichenberger Staatämittelihule”. Ihre Gründer find der
Bürger Hibert Till (F 1804) und der Erzbiihof von Prag W. Leop. Chlumcanſky
(k 1830), die der Stadt zur Errichtung einer Realihule nicht unbedeutende Gapitalien
teftamentarisch zur Verfügung ftellten. Es dürfte faum eine zweite Schule zu finden
jein, die in der furzen Zeit von einem halben Jahrhundert jo viele Wandlungen
durchgemacht hat, als die zu Neichenberg. Im Jahre 1837, als dreiclaffige Unter:
realjchule eröffnet, fteht fie bi8 1843 unter der Leitung der Biariften, wird 1850 in
eine ſechsclaſſige Oberrealfchule umgeftaltet uud ift bi8 1872 den Prämonftratenfern
des Stiftes Strahom anvertraut; 1873 wird fie eine Staatsanftalt, erhält weltliche
Lehrer mit dem bis zu diefem Aüugenblid an der Spige ftehenden W. Wolf als
Director und wird zum Realgymnafium mit Oberrealihule. 1876 ift die Schule ein
Obergymnafium mit Oberrealjchule und jeit 1886 ein reined Obergymnafium mit
einer Unterrealichule.
2, Der 14. Jahresbericht der deutſchen Oberrealſchule in Pilſen hat an jeiner
Spige einen Auffag von Ant. Huber: „Die auswärtige Bolitif Defterreich3 nad) dem
Aachner Frieden und die Urfache des fiebenjährigen Krieges“. Archivalifche Forſchungen
bat der Verf. nicht gemacht, ungedrudte und bislang unbekannte Quellen hat er nicht
verwerthet und feine Gewährsmänner, an die er ſich lehnt, werden nicht angedeutet.
Die Arbeit fördert nichts zu Tage, was nicht fchon vor dem bekannt gewejen wäre
und die 27 Seiten, welche fie einnimmt, hätten ohne den mindeften Nachtheil für die
Welt ungedrudt bleiben können.
3. Von weitaus größerer Wichtigkeit ift die dem Programme des Comm.⸗
Obergymnafium in Kaaden beigefügte Arbeit von P. Conſt. Uber: „Die Privilegien
der fünigl. Stadt Kaaden“, Die Reihe der 64 im Stadtardive befindlihen Majeftätd-
briefe, darunter 41 Originalbriefe, beginnt mit dem 1319 vom König Johann er-
theilten Privilegium und fchließt mit der von Kaifer Franz II. ausgeftellten Beſtä—
tigung der ftädtifchen Freiheiten. Wörtlich find bloß der Brief von 1319 und zwei
Briefe von Karl IV., allerdings nicht ganz fehlerfrei abgedrudt. Der Berf. gibt uns
überdies noch einen Einblid in die Gerechtſame der Stadt, welcher bezeugt, daß er
dazu gejchaffen wäre, eine Geſchichte der Stadt Kaaden zu ſchreiben, die troß der im
Stadtardyiee befindlichen „Geſchichte der königlichen Stadt Kaaden“ von Urban
von Urbanftaedt und ber auf ihr fnfenden „Monographie der Stadt Kaaden“ von
Karl Guft. Mayer noch nicht gemäß dem heutigen Standpunkt der Geſchichte ge—
ſchrieben ift. B.
Kalenderſchan.
Kalender für das Egerland. Redigirt von Johann Wüſt. V. Jahrg.,
Verlag von A. E. Witz, Eger.
Der von der rührigen und unternehmenden Firma Witz herausgegebene „Ral.
f. d. E.“ Hat fid), obwohl er zeitlich erft das fünfte Jahr feines Beſtandes erreicht,
in die Gunft des Volkes Schon eingelebt. Im Ganzen hält er fi, ohne daber die
Volksthümlichkeit aufzugeben, auf einer mehr äfthetifchen Stufe; feine Beiträge find
etwas gefichteter. So eröffnet den vorliegenden Jahrgang Rofeggers „Eheſtandspredigt“,
welcher gut gehaltene „Sagen aus dem Egerlande” und des Egerländers Joſ. Thumfer
„Erſte Schritte”, ſowie eine Heine mundarttliche Erzählung „Mein Bettan fa Goliath”
von dem gewandten Hans N. Krauß folgen. Weiteres Mundartliche fteuern Graf
Element Zedtwiß:Liebenftein und in ausgedehnterer Weije der fleißige Dr. Mich. Urban
(„Heimatl. Bierzeiler“) bei. Die Hiftorie im Weiteren Sinne empfängt ihre Huldigung
durch eines Anonymen Auflas „Die Kaiferburg zu Eger“ und duch des mwaderen
Ed. Zanota Schilderung „Aus Falfenau’s jüngfter Vergangenheit.” Diefem ideelleren
Theile hat der umfichtige Redacteur Wüft noch eine lange Reihe guter Aufſätze zur
„Haus-, Volks- und Landwirthichaft”, dann „Vermiſchtes“, „Humoriſtiſches“ u. ſ. w.
zugegeben. Das gut ausgeftattete Büchlein ziert ein großes Bild des „Kaifer Joſeph—
Dentmals zu Eger”, deffen Enthüllungffeier in 1887 auch eingehend geſchildert ift.
Den Kalender empfiehlt nah Allem ſchon der angeführte Inhalt. —1-—
Egerer Jahrbuch, Kalender für d. Egerlaud, Jahrg. XVII. (1888), Verl.
Kobertih u. Gſchihay, Eger.
Ein alter Belaunter tritt und mit dieſem Kalender entgegen, der nach feinen
früheren Leiftungen immerhin adtungsvolle Erwartungen regt. Der vorliegende
Sahrgang, der fi wie immer nicht an die Allgemeinheit wendet, fondern bloß au
das Egerländerthum, enthält wieder einige hervorzuhebende Stüde, jo: die Erzählung
„Unter den Föhren” von H. N. Kraus, die Knnſtſage vom „Grundſtein der Stadt
Eger“ von Dr. M. Urban, mehrere ganz hübſch erzählte „Sagen aus dem Egerlande”
unter den Gedichten „VBerklungene Lieder“ von Karl Iro, deſſen poetiſch hochſtehende,
Reiftungen alle Rob verdienen, ben biftorijchen „Kirdygang der Egerer Mesger anı
Jahrestage“, eines Egerer Gewerbmannes (Fol. Riedt) ganz gut gefchriebenen Auffog
dann „Bilder aus Eger“, an deren Hand man trefflich geleitet, einen Heinen Rund—
gang durch die alte Stadt macht, ferner die anregende Heine Abhandlung über Kunft
und KRunftgewerbe in Eger“ von Dr. G. 9. (Habermann?). Von Dr. Mid. Urban
find die mundartlichen Beiträge beigeftellt, auch ein ganz lesbares Gedicht „Herzens-
gruß aus Egerland”. Etwas kindiſch und gefucht geziert nehmen fi die mühjanı ge-
machten Lieder H. J. Dietl3 aus, Die Bilderzugaben betreffen Burg, Kapelle, Stadthaus
und Riedlhaus; das Titelbild bringt ein (mohl unmögliches) „Schloß“ Neichersdorf
(das Ding von Thurm fiebt wie ein Kinderſpielzeug aus) und die St. Jodokkirche.
verdient das Jahrbuch Alles in Allem die gewöhnliche Empfehlung auf den Weg. L.
Denticher Volkskalender für die Iglauer Sprachinſel. Herausgegeben und
verlegt vom „Deutſchen Verein für Iglau und Umgebung“. 2. Jahr—
gang. 1888.
In prächtiger äußerer Ausftattung liegt nun diefer Kalender das zweitenal
vor, was hoffen läßt, daß er einen dauernden Pla in diefer Literatur einnehmen
5*
—
wird. Das verdient er auch gewiß in jeder Hinſicht. Schon das eigentliche Kalen—
darium iſt ſehr praktiſch eingerichtet und bietet für den Leſerkreis, auf den man
hauptſächlich zählt, ungemein reichliche wirthſchaftliche u. a. Auskünfte. Alles Uebrige,
worüber man ſonſt im Kalender Auskunft ſucht, fehlt natürlich nicht, wie nicht minder
auch für Unterhaltung und Belehrung geſorgt iſt. Hier kaun nur auf folgende drei
Auffäge verwieſen werden: „Aus unſerer Sprachinſel“ bringt drei Skizzen aus dem
Volksleben (von F. P. Piger); „Der Silberbergbau in Mähren mit bejonderer
Rüdfiht auf die Stadt Iglau“ von Dr. Fr. Kupido, und „Waflerverjorgung der
Stadt Iglau“ (worin auch die ältere Zeit behandelt wird).
Auf die im legten Hefte der Mitth. enthaltene Beſprechung des Buches
von E. Tucha: „Die Kivchenbauftile ꝛc.“ fendet der Verfafjer folgende
Erwiderung.
I. Entjhieden unter die Drudfehler muß ich und mwohl and jeder
Unbefangene Nachſtehendes verweilen, das in folgender Weife richtig zu ftellen iſt:
1. Als Datum der Grundfteinlegung zum Kölner Dome ift nicht die vorne
1228, fondern die im Anhange ©. 137 angebene Zahl 1248 zu nehmen, 2, ©. 73.
Die Berufung der Prämonftratenfer nah Strahow geſchah allerdings nicht 1182,
fondern bereits 1138. Wladiſlav II. aber und andere wurden an diefem Orte lediglich
des Intereſſes wegen genannt, das diefer und der Prager Bilhof Johann I., ſowie
früher fchon der Olmützer Biſchof Heinrich Zdik (dev 1136 jelbit in diefen Orden
eintrat) an diefem im Jahre 1120 geftifteten neuen Orden nahmen. 3. ©. 73. Die
Premyfliden find nicht 1300, fondern 1306 mit Wenzel III. ausgeftorben. 4. ©. 73.
Nepomuf wurde nah Neplacho bei Frind I. 290 nicht erft 1230, fondern bereitd
1130 gegründet. 5. ©. 84. Als Fortſetzer des Baues von Kladrau iſt felbftverftändlich
nicht Vratiflav I. (912— 920), fondern Vladiflav I. (1140—1173) anzufehen. 6. ©. 101.
Bei Klingenberg wurde ald Erbauer anftatt Wenzel I. fälſchlich Wenzel II. gedrudt.
7. Sedlec kann allerdings nicht ſchon im J. 1308 von den Hufiten zerftört worden fein.
Dies geihah 1421. Uebrigens Fünnte wohl aud 1308 die BZerftörung durd ein anderes
Ereigniß erfolgt fein. 8. ©. 91. ad St. Jacob bei Kuttenberg foll e3 anftatt: in den
„Schiffen“ zwiſchen den Fenſtern beißen: in den „Nifchen“ zwiſchen den Fenftern, wie
es im Mannfcripte thatjächlich ſteht, da doch zwiſchen den Fenſtern überhaupt Sei-
tenichiffe anzubringen eine Unmöglichkeit ift. — Was die anderen Drudfehler, welche
von dem Herrn —r.—Recenfenten zur Vergrößerung des Sündenregifterd herbeigeholt
wurden, jo Borivoj, Pontikl, Wlenzig u. U. anbelangt, jo bemerkt der Gefertigte,
dab diejelben auf den erjten Blid einem jeden nur einigermaßen orientirten Lefer
ald das ſich erfenntlich machen, was fie in der That find, als Drudiehler. Wer
follte 3. B. den Schulrath Joſef Wenzig nicht Fennen, der ſich jo viele Mühe gab,
die tihechiiche Literatur dem Auslande zu vermitteln? Daß aber das eben Angeführte
in den Bereich der Drudfehler wirklich gehöre, wird wohl Niemand in Abrede ftellen
können, der bedenkt, daß es doch wohl für den VBerfaffer keinerlei Schwierigkeit gehabt
haben fan, eine bei Frind, Schlefinger, Grueber u. A. vorfindliche Ziffer zu ent:
lehnen und in jein Manuſeript herüberzunehmen, recte zu copiren. — Denn mehr
war im dieſem Falle ficher nicht zu thun! Hiezu kommt eine flüchtige weniger gut
— 61 —
lesbare Handichrift. Eine Corrigenda-Berzeihniß aber wurde wegen der Eile, mit
welcher in Folge verjchiedener Vorkommniſſe die Drudlegung betrieben wurde, leider
nicht angebracht. Hine illae lacrimae.
U. Entfhieden Recht nimmt der Gefertigte für fih in Anfpruch. betreffs
bes Folgenden:
1.©.73. ad Nepomuk. As Gründer werben bei Brunner Ciftercienjer:
buch pag. 17. Berthold von Sternberg und Herzog Heinrich Bretiſlav angegeben.
Die Behauptung fteht daher für den Einen wie für den Andern. Die Sternberge
aber wurden genannt auf Grund der Angabe bei rind I, 290. Daß ſpätere
Shhriftfteller die Ahnen der Sternberge ald Stifter nennen. 2. S. 72. ad Frauen:
thal. Wenn bier Frauenthal mit zu den älteften Stiftungen des Landes gezähıt
wurde, jo gefhah das in relativem Sinne, nämlih im Entgegenhalt zu den unter
Joſef II. erfolgten Klofteraufhebungen Ipäterer Orden und Ordenshäufer 3. B. Der
Mendifantenconvente. 3. S. 89. ad Rip. Daß die Georgscapelle wirklich unter
Sobẽeſlav I. 1126 erbaut wurde, findet fid) ausbrüdlich bei Grueber I. 66: „Sobe-
flav I. 1126 bat fie erbaut und der Olmützer Biſchof Heinrich Zdik diefelbe einge-
weiht.“ Auf eine Brüfung der Quellen aber hier und anderen Ortes fi einzulaffen,
war nicht Aufgabe de3 Gefertigten, umjoweniger, als eine ex professo hiſtoriſche
Arbeit nicht in feiner Abficht gelegen war. 4. ©. 79. ad Ronginuscapelle Die
auf 1280-1281 bezifferte Erbanunggzeit wird von Grueber I. 68 inſoweit beftätigt,
daß e3 dafelbft Heißt: „annähernd um 1280—1281.” 5. ©. 81. Der Bau de? Kirchen—
ichiffes von Budei-Kopary wurde 1055 firirt. Grueber I. 66 gibt an: „daß der-
jelbe wegen der Zeichen hohen Alters aus der Zeit Vladiſlav's II. (1140—1173)
herrühren kanu.“ Alfo um diefe Zeit. 6. ©. 92. ad Kondras. Das dajelbit ange-
gebene Jahr 1149 wurde in einer Quellenfchrift, mahrjcheinlich in dem den Schmidt:
und Lorenz'ſchen Abbildungen beigegebenen Terte (dermalen dem ©efertigten nicht
mehr zur Hand) aufgefunden. 7. S. 84. Als erfter Abt von Kladrau wurde Bert-
hold genannt. rind nennt den erften Abt nicht, Grueber jpricht von einheimijchen
Mönchen 1108, dann, daß 1109 die erften Mönche von Zwyfalten, welche der dortige
Abt Udalrich fandte, anfamen. — Offenbar fand fi der Name Bertheld in Köple
Monographie über Kladrau (nicht mehr zur Hand). 8. ©. 88. ad Doran. Daß
Adalbert von Sternfeld wirklich erfter Probft von Doran war, beftätigt Brunner
Chorherrenbuch S. 771. Der von dem Herrn Necenfenten bezeichnete Erlebold war
nicht erfter Probft von Doran, fondern nad Brunner Chorherrenbuh ©. 552,
zweiter Abt von Strahow und regierte 1149-1175 ald Nachfolger des Abtes Gezo.
9. ©. 85. Plaß ift nach Frind I. 292 von Vladijlav I. ind Leben gerufen worden
(regierte 1120—1125), Grundfteinlegung erfolgte aber 1146, was zu Gunften Bla:
diſſavs IL (1140—1173) ſpräche. Grueber I. 23 nennt einfach Vladiſlav, ohne zu
jagen I. oder II. 10. ©. 100. Hradiste. Wurde vom Gefertigten als Grün-
dungsjahr 1177 angegeben. Grueber II. 35 jagt: „ums Jahr 1177”. 11. ©. 73.
-Königsfaal joll nicht 1297 geftiftet, fondern bloß der Grundftein zum Kirchen—
bau gelegt worden fein. ad hoc: Grueber I. 87 hat 1292, demnach der Inter:
ichied nicht groß. Frind II. 223: „1292 erhob ſich das Ciftercienferftift Königſaal.“
Hier wurde Stiftung de3 Klofterd? und Grundfteinlegung zur Kirche identificirt.
Es ereignet fid Häufig, daß zwilchen Berufung einer Ordenscolonie, reichlicher
Einrihtung des Conventes, Gründung der Kirche, oder gar Datum der Aus—
ftellung des Stiftsbricfes eine Differenz herrſcht. 13. S. %. ad Oſſegg. Es
ae
konnte ſich beim Bau des dortigen Kapiteljaales und Kreuzganges recht wohl
Einfluß von Magdeburg geltend machen, ba jeit Otto I. 967 in Magdeburg ein
Benedictinerklofter beftand, 968 dad Bisthum errichtet wurde, ſohin das bedeu-
tendfte und nächſt Meißen (955) Oſſegg nächitgelegene Eulturcentrum war. 14. ©. 106,
107. ad Prager Dom, War ungenau ftilifirt und foll heißen: „Der Bau wurde
bis 1392, in weldyem Jahre der Gruubdftein zu dem (devmalen nicht vorhandenen)
Langhaus gelegt wurde, fortgejegt, von da ab GStillitand (ercl. die neuefte Zeit),“
Wird von Grueber III. 44 beftätigt, welcher auch das genannte Jahr 2. Juni 1392
als Fahr der Grumdfteinlegung der Domſchiffe angibt und daß Pfeiler und Umfaf-
fungsmauern des Landhanfes in ihrem ganzen Umfange angelegt wurden. Von da
ab erwähnt er nicht3 mehr von einem ftattgefundenen Bau, fondern gleich darauf
1396 die Uebertragung des Leihnams des bi. Adalbert aus dem alten in ben neuen
Dom. 15. ©. 77. ad St. Georg in Prag. a) betreff3 der Stellung der Thürme
fagt Vocel: „fie ruhen auf beiden Kreuzvorlagen d. i. auf den beiden Seitenarmen
des Kuerſchiffes. b) daß der Rundbogenfries wirklich fehlt, Beweis deffen Grueber I.
16 wörtlih: „ſonſt fehlt an der Georgskirche jede Ornamentif, felbft der an roma-
niſchen Kirchen beinahe unvermeidliche Rundbogenfried. ce) betreff3 der Sarkophage
dajelbit — wahrſcheinlich aus Mikovec. 16. ©. 81. ad Mebte von Sazava. Mit
Recht wurde vom Befertigten Abt Sylvefter (VI. Abt) unter den Künftleräbten an-
geführt, weil von ihm der Monachus Sazaviensis der Continuator des Cosmas
ſchreibt: „anno 1134, Sylvester Abbas Monasterium St. Joannis Naptistae picturae
venustate decoravit.* Regenhard konnte (anftatt nach) vor Bozetech genannt werden,
da eine chronologiſche Reihenfolge nicht beabfichtigt war.
II. Als Irrungen meinerjeits kann ich nur Folgende anerkennen:
1. ©. 71. Benedictinerflofter Bilemov wurde von mir fpäter irrthümlich als
Prämonftratenferitift angeführt. Indeffen: Könnte es nicht — wenn auch nur für
furze Zeit — diefem Orden übergeben worben fein, wie ein Gleiche betreff3 Leito—
miſchl und Seelau, beide uriprünglich Benedictinerklöfter, dann Prämonftratenferftifte,
ber Fall war? Gehörte doch felbft dad Sazavaklofter nach Grueber I. 9 eine Zeit
lang den Prämonftratenfern. Sclefinger S. 87 ſpricht gleichfalls von folhen Um—
wandlungen, wenn aud) fpeciell Vilemov nicht genannt ift. 2. ©. 92. Mühlh auſen.
Bei Grueber I. 17, 18, wo die Kirche ausführlid) bejchrieben ift, findet ſich darüber,
ob das Presbyterium die gleiche Höhe mit den Schiffen einhält, nichts. Es mag
der Herr Necenjent Recht behalten, 3. ad Seelau. Borrede. Wird bei Grueber,
wie der Gefertigte fid) überzeugen Eonnte, IT. 41—42 eingehend beſprochen. 4. ©. 119.
Magdalenenfirhe in Leipa, follte es richtig heißen „in der Manier des
Beneih von Laun 1582 erbaut“. 5. ©. 144. Abt Gerlach, den Vocel S. 158
chronographus Siloensis (Abt Gerlad)) neunt, ohne zu jagen, ob Seelau oder Mühl:
haufen, ift richtig Abt (erfter Abt) von Mühlhaufen, Uebrigens fonute der Gefertigte
wohl audy jagen: Gerlad von Seelau (freilih nicht Abt), da berjelbe Profeß—
priejter von Seelau war, von wo er 1187 nady Mühlhaufen (a's 1. Abt) abging, wo
er 1228 ftarb. ad ©. 146. Ob 4 oder 3 Grade der Arbeiter in dem mittelalterlichen
Bauhüiten zu zählen find? Hierauf: Fe nachdem Gejellen und Parlirer für identiſch
genommen werden oder nicht, werden 3 oder 4 Grade gezählt. Möglich, daß feit der
im Jahre 1459 erfolgten Vereinigung ſämmtlicher Maurerinnungen zu einer Bruder-
haft für gauz Deutſchland eine definitive Organijation in 4 Grade ftatt hatte. In
Literatur, welde ich recht wohl noch durch andere Hangvolle Namen (Schnaafe
ir MB: u
wurde S. 20 im Texte citirt) hätte vermehren fünnen, wurden mit Mbficht nur jene
Werke genannt, die dem Gefertigten thatfächlich vorlagen. Desgleihen wurden in
dem Artikel „Runftvandalismus” mit Abſicht die einem Theile der Leſer gewiß
unbelannten Anfichten und Urtheile von Reichenſperger, Gieferd u. U. aneigander
gereiht. — Dies ald Ermwiderung; es bürfte zeigen, daß das Schriftchen des Ge—
fertigten, das übrigens nirgends mit der Prätenfion abfoluter Vollkommenheit auf:
trat, im Gegentheile fich einen ergänzungsfähigen Erſtlingsverſuch nannte, nicht allein
wirflic gut gemeint war, fondern auch thatfählid; durchaus nicht den Vorwurf einer
„lorglofen Arbeit” verdienen dürfte, Daß aber bei einer Fülle Hiftorifcher Daten und
bei der nicht unbedeutenden Anzahl kirchlicher Bauobjecte immerhin eine oder die an—
dere Irrung unterlaufen kann, ift, wiewohl bedauerlich, gleihwohl für einen Jeden,
ber mit Arbeiten diefer Art ſich beichäftigt, erklärlich. Edmund Tuchna, Pfarrer.
Der unterzeichnete Referent, welcher nur über Erſuchen der Rebaction die
Beiprehung des Leitfadens von Tucha übernahm, erlaubt fi) auf die Auseinander:
fegungen des Verfaſſers Folgendes zu erklären:
Durh Herrn Tuchas Erklärungen werden zunäcft eine Menge Drudfehler
angeitanden und berichtigt, welche auszuitellen der Ref. umfomehr im Rechte war,
da bei Mangel eines Drudfehlerverzeichniffes überall, wo Recenfionen gejchrieben
werben, auf ſolche verwiefen wird, wenn fie in fo bedeutender Anzahl wie hier be-
gegen. Was im Manufcripte oder in anderen, den Verfaſſer leicht zugänglichen
Quellen ftand, kann der den fertigen Druck Beurtheilende nicht in Anfchlag bringen,
da er fih nur an das unmittelbar Gebotene halten muß. |
Bezüglich der Punkte, für welche der Herr Verfaſſer fein Recht feithalten zu
fünnen glaubt, fei darauf hingewieſen, daß Nef. die für Nepomuf, Plaß und Hrabiste
mit Berufung auf Brunner, Frind und Grueber gegebenen Erklärungen nicht gelten
laffen kann, da er aus dem Studium Münchner, Bamberger und Wilheringer Hand—
ſchriften der Eiftercienferchronologie, jowic aus dem ausgezeichneten Werke von Ja:
nauſchek und ber Arbeit Winters andere urkundlich fichere Daten nachzuweiſen vermag,
melde er in feiner eben erichienenen „Geſchichte der chriftl. Kunft in Böhmen bis
zum Ausfterben ber Premyſliden“ genau belegt. In „Ortliebi de fundatione mona-
steril Zwivildensis,* Mon. Germ. SS. X., ©. 84, wird ald erfter au3 BZwifalten
tommenbder Abt von Kladrau „Wizimannsis“, als fein Nachfolger aber „Bertolf”
genannt, gegen melde aus dem Mutterflofter jelbft ftammende Aufzeichnung jeder
andere Gewährsmann, fei derfelbe Köpl oder Grueber, zurüdtreten muß. Ebenſo—
wenig als Grueber, I. ©. 66, ift Herr Tucha im Rechte, betreffs des Rundbaues auf
dem Berge Rip die Worte des Wydehrader Canonicus „Solezlaus dux serenissimus
reconstruxit“ anders al3 auf einen Reftaurationsbau zu deuten, da auch andere Ge-
währdmänner 3. B. Pontanus von Braitenberg, ©. 4, oder Dubravii hist. Boh.
©. 87, darin nur einen ſolchen erblidten. Betreff3 der Yonginuscapelle hat ſchon Baum
in dem die nur bedingungsweije geltende Zuverläffigfeit Gruebers ſcharf kritiſirenden
Aufſatze „Jak pisi historii &esköho umeni“ (Pamätky archaeolog. a mistop. IX.,
©. 377) feine Gründe gegen 1280—1281 ausgeſprochen. So lange dad Erbauung:
jahr der Kirchen von Kondrag oder Budec-Kovary nicht aus einer echten Urkunde oder
zuverläfjigen hiſtoriſchen Quelle mit 1149 und 1055 ficher zu ermeifen ift, bleibt das
-
=
u I
felbe willfürlihe Annahme, Auch für Königfaal gelten nur die in den Regest.
Bohemica publicirten Urkunden und das Geſchichtswerk des Abter Peter ald die
allein mahgebenden Quellen, welche allerdings präcifer ald Grueber u. U. ſprechen.
Die Bauten in Offegg künnen nad den Principe der von Schnaafe und
Dohme beleuchteten Kunftübung der iftercienfer zunächft nur von dem Mutter:
kloſter Waldfaffen und den in Franken üblichen Formen beeinflußt fein, denn
diefe Beziehung liegt näher ald eine urkundlich nicht zu belegende zu Magdeburg.
Daß der Rundbogenfries an den Thürmen der Brager Georgskirche, deren Stel-
lung aud mit Beziehung auf Wocel wegen Fehlens eines Querſchiffes nicht
beſſer charakterifirt wird, Sich thatlächlich findet, hat bereit3 auch Herold (mal.
Rand, I. ©. 233) hervorgehoben; die Grabdenfmäler ftehen nicht in der
Krypta. Daß Abt Silvefter von Sazawa nicht al3 ansübender Künftler zu betrachten,
ſondern da3 „decoravit“ in dem Sinne zu nehmen jei, weldyen Springer in dem
Auflage „Klofterleben und Klofterkunft im Mittelalter” (Bilder a. d. neueren Kunſt—
geih. J. ©. 71) für aedificavit oder fecit bei ähnlichen Nachrichten feftitellte, erweift
gerade der Chronist von Sazama jelbit, der bei den drei kunſtübenden Aebten aus:
drüdlich hervorhebt, was fie mit eigener Hand fchufen, dies aber bei Silvefter unter-
läßt. Betreffs des Probſtes Erlebold von Doran, icheint dem Ref. der Geihichtsichreiber
Neplacho immer nod mehr Glaubwürdigkeit zu verdienen ald Brunners Chorherrn«
buch, deſſen Daten nicht immer richtig find; ebenfowenig ift Grueber in der Heran—
ziehung und Deutung primärer Quellen überall vollftändig und zuverläflig. Die
Trennung zwifchen Bartierer und Gefellen ift auch bereit3 vor 1459 urkundlich nach—
weisbar, da alte Baurechnungen verfchiedener Orte erfteren ftreng von leßteren
iheiden und es überhaupt fein „identiih Nehmen“ derfelben in den Quellen gibt,
womit Herr Tucha jeine Deutung zu vertheidigen jucht.
Nef. glaubt im Vorftehenden das Wichtigfte der Entgegnung des Herrn TZuda,
welche die Ungenauigkeiten der Arbeit wohl erklärte, aber auf Grund des
Quellenmateriales in feinem Punkte widerlegte, berührt zu haben und
verwahrt fih im Intereſſe einer vorurtheilsfofen Kritif gegen die Bemerkung, daß er
„Drudfehler zur Vergrößerung bes Sünbenregifters“ herbeigeholt habe.
Dr. 3of. Neuwirth,
Privatdocent d. Kunſtgeſch. a. d. deutſchen Univerfität.
K. J. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbfiverlan.
Literariſche Beilage
zu den Mittheilungen des Bereines
Geschichte ılet Deutschen in Böhmen.
XXVI. Jahrgang. IV. 1887/88.
Franz Ruby: Das Iglauer Handwerk in feinem Thun und Treiben
bon der Begründung bis zur Mitte des adtzehnten Jahrhunderts
urkundlich dargeftellt. (Separatabdrud der Schriften der hijtorifch-
ftatiftifchen Section der k. f. mähr.-jchlef. Gejellichaft zur Beförderung
des Aderbaues, der Natur: und Landeskunde) Brünn 1887.
Schon im Jahre 1854 machte ih in der damals ericheinenden literarifchen
Beilage zur Faiferlihen Wiener Zeitung (unter der Redaction Eitelbergers) auf die
Bedeutung der Zünfte und Handwerfe für die Eulturgefhichte in Defterreich überhaupt
und indbefondere in Iglau aufmerkſam und wies ſowohl in einer Reihe von Artikeln
über diefen Gegenftand an dem erwähnten Orte, jowie in meiner fpäter erjchienenen
gefrönten Preisichrift über die Gefchichte der Iglauer Tuchmacher auf das reiche
Urkundenmateriale hin, welches in diefer Beziehung in der alten Bergftadt vorhanden
war und nur der fundigen Hand eines Geſchichtsforſchers wartete, um ein glänzendes
Bild der ftädtifchen Entwidlung zu zeichnen.
In diefem Sinne nahm ih Ruby's Buch vom Iglauer Handwerk zur Hand,
welches auf dem Titelblatte eine Darftellung von feinem „hun und Treiben von
der Begründung bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts” verijprad und mir
demmach beftimmt fchien, eine empfindliche Rüde in d'Elvert's Gefchichte der Stabt
Iglau auszufüllen. Allein ſchon die Vorrede enttäufchte mich in Bezug auf das, was
ih zu erwarten hatte. Das jehr beicheidene, aber naive Geftändniß über die Art
und Weife, wie das Buch verfaßt wurde, fchloß jede Idee von vorneherein aus, daß
man e3 hier mit einem biftorifchen oder culturhiltoriichen Werke zu thun habe. „Um
mich im Lefen alter Schriften zu üben,” jagt der Verfaffer, „nebenbei meine Kenntniß
von Iglaus Vergangenheit auf quellenmäßigem Wege zu erweitern und zu vertiefen,
babe ih vor mehreren Jahren aus dem Stadtardyive mehrere Codiced, weldye dem
vierzehnten Jahrhunderte angehören, vorgenommen. Während der Durchſicht reifte
6
— —
die Idee, die auf das Iglauer Handwerksleben bezüglichen Aufzeichnungen auszu—
ſchreiben, und ſo wurde nach und nach das, was vorliegt, daraus, ein Buch!“
Es handelt ſich alſo dem Verfaſſer nicht um die Aufführuug eines Baues,
ſondern nur um das Zuſammentragen von Materiale, und es muß alſo die Arbeit
von einem weſentlich anderen Standpunkte aus betrachtet und beurtheilt werden,
wobei wir aber dem fleißigen Sammler die geheim erſehnte, in der Vorrede gleich—
falls ausgeſprochene Hoffnung benehmen müſſen, als ſolle und könne „vielleicht das
Buch, weil es eben alle culturellen Verhältniſſe des ehemaligen Handwerkſtandes in
den Kreis ſeiner Betrachtung zieht, ein getreues Spiegelbild vergangener Zeit ſein,
in welchem jeder dabei intereſſirte Leſer bei aufmerkſamer und ruhiger Beobachtung
finden kann, ob das heutige Handwerk auf den alten Standpunkt zurückkehren könne
oder nicht, und wenn die diesfällige Frage die bejahende Autwort findet, inwieweit
dies noch möglich ſei, und wo da die Grenze liege”. Dieſe Hoffnung kann durch die
vorliegende Arbeit niemal3 erreicht werden, denn erjtlid verändert jich das „Spiegel-
bild“ in den wechjelnden Jahrhunderten fortwährend, und ferner hängt die Beant-
wortung diefer Frage ftets von den Zeitumftänden, in denen fich die Völker befinden
— aljo wieder von der Geſchichte ab, denn nur dieje, nicht aber eine Materialien-
fammlung kann — magistra vitae werben.
Es war ganz gut, daß Herr Brof. Ruby diefe Mittheilungen in ” Vorrede
machte, denn num haben wir jeine Arbeit nicht mehr auf ihre Hiftorifche Bedeutung
zu prüfen, jondern können uns mit der Frage begnügen, inwieweit er jeinem Stoffe,
den er „nicht chronologisch, jondern thematisch“ ordnete, gerecht geworden ift. Wenn
wir nur einen Blid auf dad Inhaltsverzeichniß werfen, jo künnen wir jehen, daß er
mit Fleiß und Umfiht alle Seiten der Zünfte und Handwerke in den Kreis jeiner
Betrachtung z0g und auch die Hilfäwerfe emfig ſammelte und benüßte. Daß bei der
allgemeinen Anordnung in zwanzig Kapitel bie und da Wiederholungen vorkamen,
wollen wir eben nicht hoch anrechnen, e3 war ſchwer zu umgehen; daß auch einiges
Weberflüffige mit unterlief, wie 3. B. der ganze Streit über den Namen Iglaus,
müſſen wir dem Wunſche des Verfajlerd zugute jchreiben, den Leſer mit dem Schau—
plage feiner Daritellungen befannt zu machen; dagegen find wir vollfommen einver-
itanden mit dem Verfaffer, daß er die Urbeit, die mit dem Eoder Gelnhauſen beginnt,
durch die General-Zunftartifeln Karls VI von 1739 jchließt, denn von da an bewegt
fi) das Handwerk bis 1859 in ſtets gleihmäßig geordneten, wenn auch engberzigen
und Heinlichen Grenzen,
Gehen wir nun zum Buche jelbft über, jo finden wir, daß im Laufe der Zeiten
nicht blos die Obrigfeiten jelbjt, jondern auch die Verhältniffe derjelben zu den ein-
zelnen Handmwerfen häufig wechſeln und auf die Satungen durch größere Strenge
oder Milde einen bedeutenden Einfluß üben. E3 kann fomit felbft Form und Inhalt
der Handwerksordnungen, der Umfang der Nechte und Pflichten u. dgl. nur an der
Hand der Geſchichte genau verfolgt und verftanden werden. Ruby jucht möglichit dag
Allgemeine zufammenzufaffen, muß fich aber zugleich jelbft immer wieder durch neu auf-
tretende Thatſachen weiter führen laſſen, jo daß der Eindrud der Darftellung de3
allgemeinen Theil feiner Arbeit dadurch ein unrubiger und unficherer wird. Hübſch
und ganz verftändlich iſt der Unterfchied zwiſchen den wichtigen und den „Heinen“,
den „geichenkten und ungejchentten“, den „ehrlichen und unehrlichen” Handwerfen
gegeben — aber audy bier pafjirt dem Berfaffer ein Schlimmer Irrthum, inden er die
Meifterfinger zu den gewöhnlichen Zünften rechnet, vermuthlich, weil fie formell ſich
— —
an die Ordnung der bürgerlichen Kreiſe anſchloſſen. Waren ſie ja doch ſelbſt Bürger,
zu denen ſich die von den Höfen und aus den adeligen Kreiſen entſchwundene Minne-
poefie geflüchtet hatte, und die num, vergröbert und im fteife Regeln eingezwängt, vom
Bürgerftande fortgepflanzt wurde. Scherer jagt in feiner Riteraturgefchichte von ihnen:
„Sie find die Träger der poetifhen Tradition. Sie pflegen das funftmäßige Lied.
Sie pflanzen die Technik des Minnegefangs fort. Sie find die fachmänniſchen Dichter
und fühlen fi) al3 folde. Wer an einem fremden Ort ald Dichter auftritt, wird
gefragt, wo er feine Schule gemacht habe... .. . Sie trieben ein Handwerf
neben ihrer Kunft, und je weniger fih das Publicum für die lettere intereffirte,
defto mehr wurde fie zu einem Privatvergnügen der ehrjamen Meifter und erhielt die
verfnöcherte Geftalt, in der fie an einzelnen Orten fih bis in unfer Jahrhundert ge-
friftet hat: die zunftmäßige Organijation des Betriebes, die jeltfamen Formen der
poetiihen GSitungen, die mwunderlihen Namen der Melodien, die Ichnörkelhaften:
Künfteleien der Metrik, die geiftige Dede des Inhalts, das jelbftzufriedene Schwelgen
im Lehrhaft-Tiefen und in den undurddringlichen Geheimniffen des Glaubens.“
Schon der Umftand, daß Niemand zwei Handwerke zugleich betreiben dürfe,
hätte den Berfafler auf feinen Fehler aufmerffam machen fünnen. Er darf dabei. nicht
etwa auf das Mälzergewerbe hinweiſen, bei dem Bräuer und Gefellen nicht dei
einzelnen Herren bienten, fondern an mehrere Mälzer ſich verdingen konnten ; denn
die Satungen diejed Gewerbes hatten, wie Ruby jelbft nachweift, ihre eigene, durch
dad Reihbräuen ber Bürger und Hausbefiger nothwendig gewordene Einrichtung.
Ein weiterer Mangel bei feiner Eintheilung befteht darin, daß er von ge—
ſchloſſenen und ungelchloffenen, überjegten und nicht überſetzten Zünften feine Erwäh—
nung thut, da doch folche Verbindungen in Iglau vorhanden waren. Ob e3 daſelbſt
aud geiperrte und ungejperrte Zünfte gab, willen wir nicht zu jagen und haben e3
aus der Darftellung nicht entnommen, Die Beftimmungen bierüber wechſelten übrigens
jelbftverftändlih nach den einzelnen Beitläuften, und es zeigt fich hiebei wieder, daß
zur Grfaffung der Zuftände die thematische Darjtellung nicht hinreicht, die den
Foricher nicht befriedigt und dem Laien feinen Haren Blick verleiht. Mit den „Zunft-
einrichtungen in allgemeinen Umriffen“ fchließt der allgemeine Theil von Ruby's
Bud und er geht zu dem befonderen Theile über, in welchem er „den Handwerker
der Vorzeit feiner Berlon wie feiner verſchiedenen Verrichtung nah im Einzelnen“
betrachtet. Diefer jpecielle Theil ift dem Verf. beffer gelungen, er hat hier jo manches
gejammelt und gefchieft verwendet, was bisher wenig beachtet und feltener gejchildert
war, Wir finden zwar fchon in Mafchers „Deutſchem Gewerbeweſen“ (p. 392 u. ſ. f.)
die bei Ruby zur Darftellung kommenden Beobadhtungen überfichtlih in äußerft
klarer und anfchaulicher Weife (nad) Kulenkamp, Ortloff nnd Weiffer) gefammelt, doch
hat Ruby von feinem Iocalen Standpunkte aus manches hinzugefügt und ergänzt,
was recht anerfennenswerth ift.
Der Lehrling, auch wenn er im väterlihen Haufe das Handwerk zu erlernen
im Begriffe ftand, mußte in voller Verfammlung des Handwerks, d. i. in Gegenwart
jämmtliher Meifter „aufgebungen“ werden und die Documente feiner ehelihen und
ehrlichen Geburt, fowie in den Zeiten der Gegenreformation auch die Beweije für
feinen katholiſchen Glauben vorlegen, und nicht felten mußten ein oder zwei Bürgen
das Verſprechen leiften, daß der Junge die volle Lehrzeit bei demſelben Meiſter voll-
bringen werde. War fodann der Name des Lehrlingd in das Regifter-Buch einge:
tragen, fo fam er zu dem Meifter, der ihn nicht wie einen Fremden aufnahm, fondern
6*
=. DB.
wie ein Kind des Haufes behandelte. Mit dem Tage der Aufnahme ins Handwerk
begann die Lehrzeit, welche bei den einzelnen Zünften verſchieden lang dauerte; meift
hatten die Meiftersföhne and innerhalb ihres Gewerbe noch. eine befondere Be-
gimftigung. Waren die Lehrjahre zu Enbe, jo fam — nad einer Probearbeit — ber
Tag der Freifprehung. Er war gleichfalld wieder, wie bad Aufdingen, von einer
Feierlichkeit begleitet, und e3 wurde dem Freigejprochenen ein Lehrbrief ausgeftellt, von
bem er eine Abichrift erhielt, während das Driginal in der Lade aufbehalten wurde,
Der Geſelle mußte, bevor er das Meifterrecht erlangen konnte, fih auf bie
Wanderfchaft begeben und eine beftimmte Reihe von Jahren bei Meiftern in aus—
wärtigen Ländern für Lohn arbeiten. Auch hier hatten Meiftersföbne fehr häufig
eine begünftigte Ausnahmzgftellung, obgleih man den Werth bes Reiſens ganz gut
erfannte und zu würdigen wußte. Während ber Wanderzeit war der Gefelle, er
mochte ein Einheimifcher oder ein Fremder fein, bezüglich des Arbeitſuchens an be=
ftimmte, zuweilen wechſelnde Beftimmungen gebunden und lebte überhaupt troß
mancher Freiheit unter ziemlich einengenden Geſetzen. Die Zeit, welche zwiichen dem
Freifprehen und dem Meeifterwerden verftrich, war weder bei den einzelnen Zünften
noch in derfelben Zunft zu verjchiedenen Zeiten gleih, war fie aber — ſammt ber
Wanderſchaft — vollendet, jo meldete fich der Gejelle unter Vorweiſung feiner Docu—
mente zum Verfertigen des Meifterftüces.
Diefe nah der richtigen Anſchauung Ruby’3 urfprünglich zur Wahrung der
Ehre des Handwerks vorfommende Forderung war nur in gefchloffenen Gewerben
möglich und hatte in denfelben ihre volle Berechtigung; allein, daß auch hier Miß—
brauch getrieben wurde, und um der lieben Concurrenz willen die Benrtheilung der
vorgelegten Meifterprobe, über die nur Zunftmeifter zu Gerichte faßen, häufig eine
ungerechte und unbillige ward — liegt eben darin, daß auch diefe Inftitution eine
menfchliche war. Erft mit dem Gricheinen der General- Artikel von 1731 wurde
ein Inſtanzenzug feftgefegt und der Candidat für die Meifterfchaft dadurch vor Neid
und Willkür geihüst. Intereſſant find die Proben von Meifterftüden, die Ruby
anführt. War der Gefelle nun Meifter geworden, jo begannen in der Regel erft recht
die Pladereien und Vexationen, welche angeblich zur Ehre des Handwerf3 und Auf:
rechthaltung feines guten Rufes ausgeklügelt, eigentlich doc nur dem Zunftneide und
der Engberzigfeit dienten und häufig darin beftanden, jede freie Bewegung zu hemmen.
Die Anzahl der Lehrlinge, die aufgenommen wurden, die Gejellen, die gehalten
werben durften, ja zumeilen jogar die Quantität der erzeugbaren Waren mwurben
einer genauen Codification unterzogen; mit der Beſchau, welche für die Qualität der
Production eingeſetzt war, fonnte ein geradezu vernichtender Mißbrauch getrieben
werben. Eine ganz befondere Rolle jpielte die „Reinheit des Handwerks”, nämlich
das fittliche Verhalten der einzelnen Mitglieder, und e3 arteten die Beftimmungen in
ſolche Gehäßigkeit aus, daß die Obrigkeit und mitunter felbft der Kaifer gegen die
drafonifchen Maßregeln der Meifter einjchreiten mußte, wie das von Ruby in
einer Note angeführte Beifpiel des Paul Pech bemweift, welches fo charakteriſtiſch ift,
daß wir dieſem Procefje an einer anderen Stelle eine ausführliche Darftellung zu
widmen gebenfen.
Es ftimmt biefe Härte wenig überein mit den fonftigen, für das materielle
und geiftige Wohl der Zünfte günftigen Beftimmungen, die Ruby unter dem Titel:
„Der Handwerker im Dienfte der Nächftenliebe” zufanımenfaßt, die ſich auf Kranken»
und Alter&verforgung von Meiftern und Gelellen, auf die Theilnahme beim Tode
a
derfelben, auf Almofen für verarmte Zunftgenoffen u. f. f. beziehen. Je mehr
übrigend der Zunftzwang überhand nimmt, je mehr fich die Junungen durch ftets
erneute Satzungen ihr eigentliche Lebenselement und ihre Eutwicklungsfähigkeit
unterbinden, defto mehr artet Alles in einen oft Tächerlihen Formalismus aus, ber
fi audh in den Handwerksgebräuchen mit dem Momente einftellt, in welchem der
urjprüngliche Geift entfloh. Denn, daß fich gerade in diefen Gebräuchen urſprünglich
ein reiche3 innerliches Leben abjpiegelt und die hohe Freubigfeit der großen, ganz
Deutihland, ja Europa umfaffenden Familienzuſammengehörigkeit der Zunftmitglieder
ihren beredten Ausdrud fand, das war im Laufe der Zeiten ganz verloren gegangen.
Ruby hat gauz Recht gethan, diefen Gebräuden eine ganz befondere Aufmerkjankeit
zu widmen und die Artikel über die Lade, die Handwerkäformeln, fo wie über die
Handwerkeabzeihen und Kleinodien find die beiten im Buche und machen dem Her:
ausgeber alle Ehre; fie find um fo werthvoller, je jeltener fonft in den Werken, die
fih) mit dem Zunftwejen befaffen, von ihnen die Rede if. Es wäre überhaupt eine
danfbare Aufgabe, die Traditionen, die bei alten Meiftern und im Gedächtniſſe der
aus früheren Zeiten noch eriftirenden Gefellen leben, zu fanımeln und biftorifch zu
beleuchten; es ließen ſich dadurd viele neue Geſichtspunkte zur Beurtheilung ber
Wichtigkeit einzelner Zünfte gewinnen, und es träte uns ein bedeutſames Stüd des
marfigen Bürgerftammes entgegen. Doch müßten fich die Foricher beeilen, denn das,
was aufgezeichnet und größtentheil ſchon publicirt ift, das ift nur ein Theil der im
Gebrauche geweſenen Formen, und das, was mündlich ald eine Art geheimer Zeichen-
ſprache zwifchen den einzelnen Innungsgliedern beftand und überliefert wurde, eriftirt
nur mehr bei wenigen PBerjonen, die fih auch mit gemifchten Gefühlen der fröhlichen
MWanderzeit und des eigenthümlichen Herbergslebens erinnern.
Ueber das Zunftvermögen, dem ein eigenes Gapitel bei Ruby gewidmet ift,
läßt fid) wohl im Allgemeinen nicht viel jagen; ohne genaue Durdharbeitung der
etwa nod vorhandenen Raitbücher und ohne Durhforihung der Stadtrenten und
Srundbücher bezüglich des unbeweglihen Vermögens wird man jchwerlic) zu einer
richtigen Vorftellung kommen, doch find bei dem Verfaſſer wenigſtens Andeutungen
hierüber zufammengeftellt, die fi wohl leicht vermehren ließen. Das Taxweſen wäre
vielleicht praftilcher den einzelnen Eapiteln bei den Lehrlingen, Gejellen und Meiftern
beizuordnen gemwejen, da man e3 dort vermißt und bier doch eine Ueberfichtlichkeit
nicht erzielt wird. Dieſe Ueberfichtlichkeit fehlt auch bei den Löhnen und Gehalten,
fo wie den Verfaufspreifen, die übrigens mit Fleiß und Gründlichkeit zufammengeftellt
find und durch die Beiprehung über die gangbaren Münzforten eine wejentliche
Unterftüßung erfahren.
Im allgemeinen macht, wie bereit3 erwähnt, das Bud; hauptſächlich für Laien
einen ziemlich guten Eindrud, und wenn wir auch Manches anders gewünſcht hätten,
fo wird doch jelbit der Forſcher in Iglaus Vergangenheit einige Hilfe beim Durch—
ftudiren des Werfchens finden, das einen Plan von Iglau aus der Zeit des 30jähr.
Krieges, fo wie das Facfimile der Anfänge der Bäderordnung von 1361 als Beilagen
enthält. Letztere joll wohl auch zeigen, wie der Herausgeber Quellen Tieft und über-
fett, wobei wir uns auf die Richtigkeit feiner Auslegung nicht immer verlaffen möchten.
Wenn er die Stelle „Cives jurati ... . statuerunt, quicumque Pistorum inventus
fuerit non habens equum seu justum emptum panis, prima vice solvet VI grossos“
mit „Die gefhworenen Bürger... . . . beichloflen, welcher Bäder immer gefunden
mürbe, der fein „Pferd“ oder richtigen Verkaufsort für Brot hat, zahlt das erftemal
— —
6 Groſchen“, ſo halten wir das für eine ſo gezwungene Auslegung, daß wir ihm
hier nicht folgen können. Wie nahe lag es doch, das „equum* als gewöhnliche
Schreibart für „aequum“ zu erflären, wie es in ben Urkunden diejer Zeit tauſendmal
vorkommt, wobei dann die fo oft gebrauchte Phraſe „aequum et justum* gar feine
Schwierigkeiten für die Erflärung darbietet. Unter diefen Umftänden halten wir aud
den Seite 197 mitgetheilten Ausdruck „Pletſchen“ ftatt „Pietichen” für einen Leſe—
fehler und nicht für einen Drudfebler.
Salzburg, März 1888, Karl Werner.
Archiv desky &ili stare pisemn& pamätky Gesk& i mo-
ravsk& sebran& z archivü domäcich i cizich. Näkladem
zemsk&ho fondu krälovstvi Cesk. vydavä kommisse k tomu zfizenä
pfi kräl. Cesk& spoleönosti näuk. Redaktor: J. Kalousek. Dil VII.
V Praze 1887.
Beinahe vor einem halben Jahrhundert, im Jahre 1840, begann Fr. Palacky
mit der Herausgabe diefes für die Gefchichte Böhmens im 14. und 15. Jahrh. hody=
wichtigen Sammelwerfes, und vor 15 Jahren erfchien der 6. Theil besjelben. Hatte
Palacky anfangs das ganze 16. Jahrh. mit in den Bereich des Archivs gezogen, jo
fchränfte er denfelben zulegt auf die Zeit bis 1526 ein. Aber auch diefes Ziel jollte
er nicht erreichen. Der 6. Band war der lebte, den er herausgab.
Am 1. October 1884 richtete num ber Spolek historicky (Hiſtoriſche Verein)
in Prag ein Geſuch an den Landtag um Bewilligung der Mittel zur Fortiegung de3
Archivs, und daraufhin wurden dann 3000 Gulden zu diefem Zwecke in das Budget
für 1886 eingeftellt, ebenfoviel aud; wieder für 1887. — Mit der wiffenichaftlichen
Geite der Herausgabe wurde die böhm. Gefellihaft der Wiffenfchaften betraut, und
biele fette eine Commiſſion ein, der W. W. Tomek (Präfident), U. Gindely, 3. Emler,
3. Kalouſek, $. Celakowsky, J. Goll und U. Rezek angehören. Die Redaction wurde
Kaloufet übertragen.
Bis auf Heine Nenderungen in der Nechtjchreibung (v ftatt w) zeigt der neue
Band das Ausſehen feiner Vorgänger, und der von Palady 1840 aufgeftellte Plan
ift vollitändig beibehalten worden, Danach zerfällt das gefanımte aufzunehmende
Quellenmaterial in 5 Abtheilungen, in welchen wieder die einzelnen Stüde nad) der
inneren BZujammengehörigfeit in Gruppen vereinigt find, die fortlaufend numerirt
werden. Briefe 3.8. gehören in Abtheilung A; die beiden erften Abſchnitte des vor-
liegenden Bandes, welche Correfpondenzen bringen, tragen alfo die Signaturen A,
XXVI. und A, XXVIO. — Auch jest find nur tſchechiſche Schriftftüde zur Aufnahme
beftimmt. Was fidh dagegen einwenden läßt, ift in diefen Mittheilungen (Kiterarifche
Beilage zum 12, Bd. ©. 17 f.) bereit3 hervorgehoben worden. — Das nächſte Ziel
bei dieſer Fortführung des Archivs ift, einerfeit3 Nachträge und Ergänzungen zu den
früheren Bänden zu bringen, anderjeit3 die Sammlung bis auf das Jahr 1526
fortzujegen; doc) wird man ſich mit Recht an diefen Zeitpunkt nicht gar zu ängftlich binden.
Bei der Menge und der großen Verjchiedenheit de3 in dem vorliegenden Bande
abgedrudten Materials ift es natürlich ſchwer, eine Ueberficht des Inhaltes zu geben,
— —
Um aber den Leſern dieſer Zeitſchrift wenigſtens in den Hauptzügen ein Bild davon
zu entwerfen, wollen wir im Folgenden die einzelnen Abſchnitte bezeichnen und einige
Punkte daraus kurz hervorheben.
1. Correſpondenz des Zdenek Lew von Rozmital aus den
Jahren 1508—1532. Derauögegeben von F. Dworskij. Die Wichtigkeit diefer
Correſpondenz wird Niemand bezweifeln; denn der Schreiber diejer Briefe gebot als
Oberftburggraf zeitweilig mit faft unbefchränkter Macht im Lafide, und in dem großen
Kampfe der Städte gegen die Uebergriffe des Adels ftand er an der Spibe feiner
Standesgenofjen. Dabei ift ein großer Theil der Briefe gerichtet an feinen Geſinnungs—
genoffen Peter von Roſenberg, alfo ebenfall$ eines der erften lieder des Herren—
ftandes. — Im vorliegenden Bande werden zunächſt auf 200 Seiten 210 Stüde mit-
getheilt, die bis zum Auguft 1520 reichen. Den erften 5 Jahren (1508—12) indeß
gehören nur 11 Schreiben an; erwähnt jei davon Nr. 3 (1508, 22. Nov.), worin
geflagt wird über die Ränke des Kanzlerd Albrecht von Kolowrat, deſſen Macht der
St. Jakobs-Vertrag vom 25. Juli 1508 jo ſtark eingejchränft hatte. — Der über:
wiegende Theil der Stüde (171) bezieht fih auf die 4 Jahre von 1513—16. Wie.
rege da zeitweife der Briefwechiel Zdeneks war, beweift wohl dies, daß die vorliegende
nicht annähernd vollftändige Sammlung für die 5 Tage vom 18. bis 22. Auguft 1514
nicht weniger als 42 Schreiben, von dem letitgenannten Tage allein 12 bringt. Faſt
alle wichtigeren Vorgänge werden da beſprochen. Im Juni und Juli 1513 hatten
die Städte in Prag über den Bund mit Bartholomäus von Münfterberg verhandelt,
fogar der König hatte einen Gefandten dazu geſchickt; fo jehr man Alles geheim halten
wollte, wußte Zdenek doch bereit3 am 5. Auguft davon zu berichten (Nr. 12 und 14).
Als der Herzog von Liegnig, um Rache zu nehmen für den eberfall von Schweibnis,
die Burg des Münfterbergers, den Biſchofſtein, belagerte, wollten die Prager ihrem
Bundesgenofien zu Hilfe ziehen (Nr. 5 vom 6. Sept. 1513). Als gegen Ende bed
Sahres verlantete, daß König Wladiflam Zdenek und dem Rojenberger geheime Ver:
fiherungen gemadt und viele Gnadenbriefe ertheilt habe, und darüber nicht geriuge
Aufregung im Lande entjtand, hielt es Zdenek für nöthig, an Wilhelm von Pern-
ftein, der mit ihm nicht immer übereinftimmte, aufflärend zu jchreiben (Nr. 18 vom
24. Dec. 1513; fälſchlich ift der 2. Dec. gedrudt). Damals hatte der König von den
beiden Genannten aud) die Stellung von 400 Reifigen verlangt; Zdenek entfchuldigt
ſich am 15. Jänner 1514, daß dies nicht möglich fei (Nr. 21). Am 16. Feber ſchrieben
die Prager au den König Sigmund von Polen um Vermittlung bei K. Wlabiflam;
bereits am 21. d. M. hatte Zdenẽk eine Abjchrift ihres Schreibens und konnte ſich
jelbft an den Polenfünig wenden (Nr. 22; vol. auch 23, 24 und 26), Als dann im
Sommer in Ungarn der Kurutzenkrieg ausbrach, kam Bartholomäus von Müniter-
berg nad Böhmen, um bewaffnete Hilfe aufzubieten; das Schreiben vom 18. Juli
gibt dem Unwillen Ausdruck über diefes rechtswidrige Vorgehen, nachdem ordnungs—
mäßig Zdenẽk als Oberftburggraf an der Spite jeder Kriegsbereitihaft ftehen jollte
(Nr. 28). Am 19. Auguſt erläßt er Schreiben au die Kreishauptleute wegen Abhal-
tung von Sreistagen (Nr. 55); darauf folgte der Tag zu Benefchau, wo der Adel zu
rüften befchloß. Zdenẽk berichtet darüber mehrfah (Mr. 109, 110, 112). Das Beer,
welches der Herzog von Münfterberg nach Ungarn geführt hatte, obwohl der Kurutzen—
frieg Schon beendet war, wurde nicht entlaffen; ein Schreiben fragt in diefer Sache
beim König an (Nr. 111), ein anderes ift an die Stände von Ungarn gerichtet (114).
Weiter auf Einzelbeiten einzugehen, würde zu weit führen. Nur dies ſei noch hervor—
——
gehoben: In den Jahren 1513—1515 (April) iſt es natürlich Zdeueks Hauptgegner,
Bartholomäus von Münfterberg, der am meiften genannt wird, felbftverftändlich nicht
in fchmeichelhaftefter Weife (vgl. Nr. 37.) Die katholiihe Gefinnung kommt entidhieden
zum Ausdrud, wo über die Verfammlung der Utraquiften zu Königgräg berichtet
wird (Nr. 181 vom 28. Juni 1516).
2. Die Correfpondenz der Herren von Nenhaus und Rojenberg
von 1450 bis 1526. Herandgeg. von U. Rezek. Bereitd im 3. Bande bed Archivs
(Seite 1—64) hat Palacky die Correfpondenz des Ulrich von Roſenberg aus ben
Jahren 140 —23 abgedrudt, im 4. Bande (S. 1—33) die der Herren von Neuhaus
von 1441—51. Jetzt hat es Prof. Rezek übernommen, die Correſpondenz beider
Familien, joweit fie in den Rahmen de3 Archivs gehört, zu publiciren, Er bringt
nicht bloß Schreiben von Mitgliedern diefer Familien und die Antworten darauf, er
ſchließt auch den Briefwechfel der Gutsbeamten mit der Herrichaft und unter einander
an, ja auch Schreiben ferner ftehender Perfonen, falls diefelben ftofflih anf jene
Familien Bezug haben. Man wird diefen Grundfägen unbedenklich zuftimmen können.
Was bis jegt gedrudt vorliegt, erftredt fich über die Fahre 1450 - 1470 und enthält
372 Stüde. Auf die Herren von Neuhand entfällt davon äufßerft wenig, es ift fait
durchwegs rofenbergifche Correfpondenz, die wir erhalten. Daß der alte Ulrich von
Rofenberg, obgleich er erft 1462 ftarb, weniger hervortritt, ift leicht erklärlich; denn
jeit dem Wildfteiner Vertrag hatte er fi) vom politiihen Leben, fpäter auch von der
Verwaltung der Herrichaften zurüdgezogen. An feine Stelle traten feine Söhne,
zuerft Heinrih (F 1457), dann Fohann, neben dem aud fein Bruder Soft, Bilchof
von Breslau, einige Male in der Correfpondenz vorfommt. Eine befondere Bereicherung
erwächlt natürlich durch diejelbe zunächſt der Geſchichte der großen Roſenbergiſchen
Beſitzungen, mancherlei erfahren wir auch über die Beziehungen zu den Nachbarn.
Ich will da nur auf die Stüde hinweiſen, die ſich auf den Streit beziehen, ber 1457
geführt wurde zwilchen den Rofenbergern und der Stadt Budweis wegen des freien
Berfehrs auf der Straße von Neuhaus über Wittingau und Kaplig nad Oberöfter-
reich (Nr. 21, 23, 30 und 33). Eine große Zahl von Briefen hat aber and für
die Gefchichte des Landes überhaupt Bedentung. So berichtet Progef von Kunftadt
am 7. April 1455 über den weiteren Verlauf de3 Anfftandes in Liegnitz, bei dem er
felbft als Stadthauptmann vertrieben worden (Mr. 12), Im Juli 1456 verlangt K.
Ladislaus in 2 Schreiben Kriegsbilfe gegen die Türken (16, 17); 1457, 15. März
meldet er die Öefangennahme der beiden Hunyadi (Nr. 20). E3 iſt bekannt, daß
fhon Heinrich von Roſenberg mit Georg von Podiebrad ald Landesvermefer in
freundichaftliche Beziehungen trat und auch jpäter Johann der Wahl Georgs zum
Könige zuftimmte, gegen den Willen des Baterd, wie Nr. 47 direct bezeugt. Johann
nahm dann Theil an den Verhandlungen in Eger und erftattete darüber feinem
Bruder Foft Bericht (Nr. 39 vom 15. Mai 1459). Ende 1462 machte er den Feld-
zug gegen Wien mit; zwei kurze Berichte an feinen Hauptmann in Krummau find
datirt von Nipern und Korneuburg (Nr. 62 und 63). Sowohl au Zahl der Stüde
als an politiicher Bedeutung gewinnt aber die vorliegende Correipondenz feit dem
Fahre 1465. Am 28. November d. J. hatten die fatholifhen Herren den Bund von
Grünberg geichloffen, zwei Tage fpäter erließen jie ein Schreiben an die Stände
Böhmens (Arch. éesk. IV. 115) und ein etwas abweichendes an die Fürſten Deutſch—
lands, deilen Wortlaut Nr. 98 bringt. Bald aber wandte fih Johann von Roſen—
berg wieder vom SHerrenbunde ab dem Könige zu, troß der Ermahnungen feines
N
—— —
u IE
Bruders, Biſchofs Joſt (Nr. 102), und harrte auf deſſen Seite aus (vgl. Nr. 136, wo
Johann von einem feiner Pfarrer benachrichtigt wird, was man in Rom über ihn
urtheile). Zulegt wurde aber die Bebrängniß durch die Feinde zu groß; im einem
Briefe vom Anfang Sept. 1467 an den König Ichildert dies Johann und bittet um
Hilfe (172); doch ſchon Mitte diefes Monats ift von Verhandlungen mit dem päpft-
lichen Legaten die Rede (Nr. 174), nicht viel fpäter dankt Johann demfelben für die
Bermittlung des Waffenftillftandes (178) und verfpricht einen Boten an den Papft zu
Ihiden (179). Nr. 180 berichtet über Verabredungen zwiſchen Johann und dem
Legaten, und Nr. 181 bringt die Bedingungen der am 30. Sept. gefchloffenen Waffen—⸗
ruhe mit dem Herrenbunde. Im Auguſt des folgenden Jahres ging dann Johann
entjchieden zur katholiſchen Partei über. Darauf bezieht ſich Nr. 258, ein Brief Zdenkos
von Sternberg an feinen Sohn, Nr. 260, worin der Bapft Bollmadıt ertheilt, den
Rojenberger vom Banne zu löfen und das Interdict aufzuheben, Nr. 266 (vom
31. Auguft), womit diefer den am 22. Ang. zu Olmütz durch Vermittlung mit König
Matthias gejchloffenen Vertrag anzunehmen erklärt, und 272 (Johann gibt davon den
Herren von Halenburg Nachricht). A
3. Schreiben au3 dem Unterfämmereramte an die Stadt Bud—
weis. Zum Drud befördert von Karl Köpl. Das Unterfämmereramt war die
nächfte den Zöniglichen Städten vorgeſetzte Behörde, was allein jhon erklärt, daß die
Zufchriften desjelben von größter Wichtigkeit für die Geſchichte des Städteweſens in
Böhmen find. Freilich find diefe Zufchriften großentheils ziemlich einfürmig: Die
Bezahlung der Abgaben und die Erneuerung des Rathes bilden überwiegend ben
Stoff, daun Streitigkeiten zwilchen den Bürgern und andere communale Angelegen
beiten, die aber immerhin für den Localgeſchichtſchreiber von Intereſſe find. Von den
vorliegenden Zufchriften an die Stadt Budweis haben aber manche aud) allgemeinere
Bedeutung (jo 3. B. Nr. 52 das „Ungelt” betreffend). Ausgeichlofien hat der Heraus-
geber alle die Juden in Budweis betreffenden Stide; doc fünnen wir nad) einer
beigefügten Bemerkung von ihm die Veröffentlihung des ganzen darauf bezüglichen
Quellenmateriales erwarten.
4. Tagebuch der böhmifhen Sejandtihaft.an den König von
Frankreich im J. 1464. Herausgegeben von 3. Kalouſek. Im J. 1464 faßte König
Georg den Plan, die katholiſchen Fürften zu einem Bunde zu vereinigen, der den
Einfluß der Curie in weltlichen Dingen lahmlegen follte. Bor Allem jollte König
Ludwig XI. von Frankreich für den Plan gewonnen werden, und zu dem Zwecke ging
am 16. Mai 1464 eine Gejandtihaft an ihn ab. Ein Mitglied derjelben jchrieb ein
Tagebuch; über die Reife, von dem Palady 1826 eine Handichrift im Archiv ber
Stadt Budweis fand, die er felbft abjchrieb und im Casopis &. Mus. von 1827 publi=
cirte. Mit Rückſicht auf die Cenfur ließ er gewiſſe Stellen aus; als man diefelben
fpäter ergänzen wollte, war jene Handichrift verloren. Erſt 1835 entdedte der jegige
Herausgeber im Privatbefig die Original-Handihrift des Tagebuches, nach welcher
er dasjelbe hier neuerdings abdrudt.
5. Regifter des Kammergerichtes. Herausgeg. von I. Celakovskh. Von
den Protofollen oder Negiitern des böhm. Kammergerichted bewahrt die Bibliothek
des böhm. Muſeums an 200 Bände, die ein reiches, befonderd auch culturgeſchichtliches
Material enthalten. Sieben derjelben reihen in die Zeit der Könige Wladiflam und
Ludwig zurüd und die beiden erjten umfaffen Urtheile aus den Jahren 1471 -90.
ei
Drei ältere Bände find verloren gegangen, Eine Auswahl ſolcher Urtheile (106) aus
der Zeit von 1471-79 veröffentlichte bereits Palady im 4. Bande des Archivs; jetzt
erhalten wir weitere 277 folder Enticheidungen, u. zw. einerfeits das, was Palady
feinerzeit wegließ, amderjeit3 die Fortſetzung bis zum Anfang des Jahres 1482.
Die größte Wichtigkeit haben diefe Entfcheidungen unbedingt für die Geſchichte der
Rechtöpflege in jener Zeit. Seit den lebten Negierungsjahren König Georgs bereitd
hatten weder Situngen des Landrechtes noch des Hoflehengerichtes ftattgefunden und
diefer Zuftand endete erft nach dem Kuttenberger Landtag im Jahre 1485. In diefen
Fahren kamen alfo auch Streitfälle, welche vor jene Gerichten gehörten, vor den König
zur Enticheidung, aber eben nur dann, wern die Parteien damit einverftanden waren.
Die Nichtcompetenz des Gerichte hatte zur Folge, daß die Verhandlungen immer
und immer wieder vertagt wurden, wenn es nicht gelang, einen gütlichen Vergleich
anzubahnen; in fehr vielen Fällen wies der König die Parteien vor ein anderes
Forum, fei es vor das Landrecht oder das Hoflehengericht (bis diejelben wieder tagen
würden), vor den Landtag oder Special-Gerichte. Nimmt man dazu, daß oft
durch längere Zeit das Kammergericht nicht tagte, jo hat man ein klares Bild, wie
traurig es um die Rechtöpflege damals beftellt war. Als 1479 der Friede von Olmütz
geichloffen worden, erfannten wohl die Stände die Kompetenz des Kammergerichts
aud in Befisitreitigfeiten u. dgl. an, beſchränkten aber den Einfluß des Königs duch
einen aus ihrer Mitte gewählten Rath (je ein Mitglied aus jedem Kreife). Nach der
Erneuerung des Landrechts (1485) gab es dann noch dreijährige Kämpfe, bis man
fi) über die Abgrenzung des Wirkungskreiſes einigte. Für die Localgeſchichte iſt der
Werth diefer Urtheile nicht jo groß, ald man meinen follte, da in den meiften Fällen
das Streitobject nur ungenau oder gar nicht genannt wird.
6. BruhftüdderPfandihaftsregifterderMarktgrafihaftMähren
vom Fahre 1459. Herausgegeben von J. Emler. Es tft befannt, daß 1453 in Böhmen
eine Commiffion eingejeßt wurde, vor welcher jeder Pfandbefiter von Gütern der
Krone oder der Geiftlichkeit fein Eigenthbumsreht durch Vorlage der Urkunden nach—
zumweijen hatte. Die von diefer Commiffion angelegten Regifter über die beigebradhten
Urkunden hat Palady im 1. und 2, Bande des Archivs abgedrudt. Im Jahre 1459
wurden in ähnlicher Weife auch in Mähren die Pfandfchaften verzeichnet; von den
betreffenden Negiftern haben fi) aber nur 18 Blätter erhalten, die vor nicht gar
langer Zeit ins böhm. Mufeum gelangten. Diefelben ſtammen, wie der Herausgeber
meint, aus einer NReinfchrift der Originals, während die böhmifchen Negifter nur in
zwei jpätern, nicht befonders guten Abjchriften erhalten find,
7. Bon demfelben Herausgeber erhalten wir fchließlih noch Auszüge aus
den tihehiihen Original-Urkunden, welche die & k. (Univerjitäts-)
Bibliothek in Prag verwahrt. Die Archivalien diefer Bibliothek ftammen befanntlid)
aus den vom Kaiſer Joſef II. aufgehobenen Klöſtern. Darunter find allein an
Pergamenturfunden mehr als 1000 Stüde, trogdem feinerzeit 777 nad Wien ab»
gegeben wurden. Im vorliegenden Bande bietet Prof. Emler zunähft ausführliche
Auszüge von 114 Nummern, die aus den Jahren 1391—1477 ftammen. Die reichte
Ausbente ergibt ſich daraus für die Gedichte des Klofterd Chotiefhau, von welchem
faft die Hälfte (53) aller gebotenen Stüde ausgeht. Auch die Materialien zur Geſchichte
von Klofter Plaß, welche Scheinpflug fleißig gefammelt und in diefen Mittheilungen
(13.—15. Bd.) veröffentlicht hat, erfahren eine anfehnliche Vermehrung um 13 Nummern,
a IE
Außerdem betreffen noch das Nonnenklofter in Ktummau 10, St. Georg auf dem
Hradſchin 9 und das Annaffofter in der Altftadt 8 Stüde. Auf fieben weitere Klöfter
(darunter Kladrau und Doran) beziehen fich je 1—4 Urkunden. Hier darf man wohl
dem Bedauern Ausdrud geben, daß der Herr Herausgeber nicht von den lateinischen
Urkunden wenigftens jene mit eingereiht hat, welche ſich auf die Befigverhältniffe der-
felben Klöfter beziehen, W. H.
Dr. Joſef Neuwirth: Geſchichte der chriſtlichen Kunſt in Böhmen bis
zum Ausſterben der Premyſſiden. Prag. J. G. Calve (Ottomar
Beyer). 1888. ©. 493.
Es ift ein fehnliher Wunfh R. v. Eitelbergerd gewejen, daß die fo reichen
Kunſtdenkmale Böhmens in einer ihrer würdigen, zufammenfaffenden und erfhöpfenden
Weiſe behandelt würden. Auch ift e8 eine befannte Thatfache, daß auf dem Gebiete
der böhmischen Runftgefchichte Schon viel und mit gutem Verftändniffe gearbeitet wurde.
Doch find das meift nur Specialforichungen, während die wenigen zufammenfaffenden,
in deuticher Sprache gejchriebenen Arbeiten nicht mehr den Anforderungen entjprechen,
welche der heutige Stand der Wiſſenſchaft und Kritik verlangt; insbefondere leidet
Grueber's Werk, jo jehr man auch feine Mutopfie und fein künſtleriſches Urtheil
hochhalten mag, an Unverftänduiß für die Benusung hiftorifcher Quellen; daher boten
die zahlreichen Irrthümer den Gegnern eine willlommene Handhabe, um gegen ihn
ind Treffen geführt zu werden. Mit dem vorliegenden Werke, das wir einer kurzen
Beiprehung zu unterziehen gedenken, ift Eitelberger’3 Wunſch wenigftens zum Theil
in Erfüllung gegangen.
Neumirth beipricht in dem ftattlihen Bande die Gefchichte der riftlichen Kunft
in Böhmen bi3 zum Ausfterben der Premyſliden. Der Verfaſſer, Docent der Kunft-
geichichte an der deutfchen Carolo-Ferdinanden in Prag, ein Schüler und Anhänger
der neuen Fritiichen Schule der Runftforfcher, ein noch junger Mann, der fich ſchon
durch mehrere Abhandlungen in der Gelehrtenwelt einen guten Namen verjchafft hat,
gibt in der vorliegenden Arbeit den Beweis, daß er vollauf befähigt ift, großes und
ſchwer zu bewältigendes Materiale zu beherrſchen. Gerade für die böhm. Verhältniſſe
fommt dem Verf. zugute, daß er, der Cechiihen Sprade mädtig, Quellen und
Arbeiten in diefem Idiome reichlich für feine Darftellung ausnügen kann. Soviel
der Referent aus dem Studium dieſes Werkes entnommen, geht Neuwirth in ganz
objectiver Weife an die Benrtheilung der Kunftwerfe — ein Vorgang, der fich heut-
zutage bei Beiprehung böhmiſcher Kunſtwerke nicht immer findet, da befonderd allzu—
großer Localpatriotismus nur zu oft das freie Urtheil behinderte. Ganz angezeigt
war e3 daher, daß an markanten Abjchnitten ein gefchichtlicher Ueberblid über
die Entwidelung der Verhältniffe in Böhmen gegeben wurde, damit der Leer, na—
mentlich der dem Lande fernftehende, um fo deutlicher wahrnehmen fünne, daß die
Entwidlung der Kunft in Böhmen durchaus feinen anderen Weg eingefchlagen hat,
als die Einführung des Chriſtenthums, die politifche Anlehnung der Herricher an ben
europäiihen Weiten, die Berufung von Mönchen u. ſ. w. Deutlich geht aus dieſen
Unterfuhungen hervor, daß deutfche Kunſt in Böhmen ein Heim und eine Pflegeftätte
gefunden ſchon feit der älteften Zeit, und daß die Meinung, die fich förmlich als
— —
Dogma feſtgeſetzt hat, daß die byzantiniſche Kunſt auf Böhmen von maßgebender Be—
deutung geweſen, als nnhaltbar zurückzuweiſen ſei. Maßvoll, nicht beeinflußt vom
Parteiſtandpunkte, widerlegt er die gegnerischen Anfhauungen, führt nur ſachliche
Beweisgründe vor und enthält fich jeder Polemik, die gehäſſig ericheinen könnte. Bon
höchſtem Intereſſe find daher in diefem Sinne die Partien über die erften Capellen-
anlagen und Rirhenbauten in Böhmen (S. 7—21), der Excurs über Abt Bozetech
von Sazama und deffen Arbeiten, die der gleichzeitige Chronift ald „graecum opus“
bezeichnet (S. 36 fig.) und die Beiprehung des Wyſchehrader Evangeliftars (S. 45
bis 51). Leider ift die Zahl der erhaltenen Denkmale, die vor Schluß des XI. Jahrh.
entftanden find, fo gering, daß wir meift nur auf die Daten der Annaliften und Ur—
funden angemwiefen find, um ung ein Bild von der Thätigkeit zu entwerfen, die von
den Premyſliden trog der inneren Kämpfe, ferner von vielen Privaten, namentlich
dem Adel und der Geiſtlichkeit gefördert wurde.
Mit dem XU. Jahrh. fließen die Chroniftenangaben reichlicher, und find auch
zahlreiche Denkmale diefer Periode erhalten. Meift begnügte man fich bisher mit der
bloßen Beichreibung und Feftfegung, namentlich der Baudenkmale, höchſtens zog man
noch andere Dentmale de3 Landes zur PVergleihung heran, Nur jehr jelten, wie
etwa bei Sc. Georg in Prag, wo die Baudaten lebhaftes Intereffe hervorriefen, be—
ſchäftigte man ſich mit der Frage, unter welchem Einfluffe fie entftanden fein mögen.
Zu diefem Behufe ftellt Neuwirth Bergleiche an zwifchen der böhmifchen und aus—
ländifchen, namentlich der deutjchen Kunft, und es ift wejentlich fein Berdienft, Böhmen
die richtige Stellung in der Entwidlung der romanischen Beriode zugemiefen zu haben.
Allerdings betritt er häufig bei dem Streben, den Einfluß auf Böhmen nachzuweiſen,
das Gebiet der Hypotheſe, deren Nichtigkeit fi) wohl erft im Laufe der Zeit ergeben
fann, deren Originalität aber unjere Aufmerkſamkeit an fich zieht. Bei den Bene-
dictinerflöftern weift er auf gewifje, überfommene Principien hin, an denen ſtets feſt—
gehalten wird; da hätten wir e3 meift mit weftdentichem (ſchwäbiſchem) Einfluffe zu
thun. Ebenſo conjervativ verhielt fid) gegen die Mutterflöfter der Prämonitratenjer-
und Giftercienjerorden. Was den erfteren anbelangt, fo will der Verf. in dem Mutter-
Hofter zu Magdeburg die namentlich in Mühlhaufen und in Tepl vortretenden Formen
wiebdererfennen; fo hätten wir von da ber einen norddeutſchen Einfluß, während be-
fanntlich die Giftercienfer ftet3 das Mutterklofter zum Vorbilde nahmen. Was da—
gegen die Plaſtik, Malerei und die Kleinkünſte anbelangt, fo haben diefelben nur bei
ben Benedictinern ihre eigenartige Ausbildung erlangt, Auch Laienmeiftern begegnen
wir bereit3 um dieſe Zeit in Böhmen, jo den 1142 nad Prag berufenen Wernher
(©. 69 ffg.), der den Bau der Sc. Georgskirche am Hradſchin leitete. Mit Rückſicht
auf den Stüßenmwechjel, der fich dafelbit findet und in fächfifchen Landen üblich war,
meint Neuwirth, daß er die Idee der Empore von Kreweſe oder Gernrode entlehnte.
(©. 105—112.) Kreweſe kennt Referent nicht, wohl hat er Gernrode gejehen, muß aber
geftehen, daß ihn diefe Kirche an Sc. Georg in Prag nicht erinnerte. An ſächſiſche
Mufter mag fi der Baumeifter gehalten haben, doc wohl weniger an ein ganz be=
ftimmtes Motiv. Ebenfo führt der Verf. auf ſächſiſche Muſter die in Böhmen jo be—
liebte Form der Rundkirchen zurüd (S. 143 ffg.), für deren Anlage bei dem regen
Verkehr und der Verwandtſchaft der Prempiliden mit dem Wettiner Haufe die
Groitzſche Rundcapelle maßgebend geweſen jei. Bei der Aufzählung diefer Denkmale
wurde die bis jeßt jo wenig berüdfichtigte Rundcapelle im Mildner'ſchen Garten vor
dem Reichsthore bei Prag vermißt, die mwahrjcheinlic von den Benebdictinermönden
——
zu Sc. Margareth gegründet worden iſt. Der Verf., der ſich gerne mit dem Studium
der Miniaturmalerei beſchäftigt, behandelt auch mit Vorliebe dieſen Kunſtzweig. Es
iſt ſehr anregend, feinen Ausführungen über die im böhm. Muſeum befindliche „Mater
verborum“ (©. 281 ffg.) die Bilderhandichriften in der Bibliothef ded Prager Dom:
capitelö (©. 441 fg.) und über Welislaws Bilderbibel zu folgen. (©. 444.) Mit gleicher
Aufmerkfamkeit behandelt er die Plaftit und Kleinfünfte, von deren Erzeugniffen leider
nur geringe Refte vorhanden find. Insbefondere waren ed Ottokar II. und Wenzel II.,
welche durch den Reihthum an ihrem Hofe, durch die Begünftigung des Bürgerthums,
Berufung deutfcher Coloniften u. f. w. dieſe Runftzweige beſonders fürderten (S. 186,
278, 433 ffg.). Neben den Erzeugniffen der Goldſchmiedekunſt ift für Böhmen nod)
von größerer Bedeutung die Ausbildung des Stempelfchneider (467 fig.) und die Technik
der Fliefe (S. 470). Auf das Münzweſen nimmt der Verf. nur gelegentli, da uns
auf der Neversfeite häufig der h. Wenzel oder ſymboliſche Zeichen begegnen, Rückſicht.
aber auch in diefer Technik ift, namentlich im XII. Jahrh., ein byzantiniſcher Einfluß
auch nicht im geringſten nachweisbar (S. 198).
Das Werk, mit großem Fleiße gearbeitet, zeugt von einer eingehenden Kenntniß
der Riteratur, wie die vielen Noten zeigen, und beruft fi der VBerf., namentlich bei
Feftftellung von Kloftergründungen, auf handichr. Notizen, die er bei Bereijung der
öfterr. Klöſter fich angelegt hat (S. 56). Bei ber fnappen und bündigen Ausbruds-
weiſe herrſcht das Streben vor, möglichft viel in möglichft wenig Worten zu jagen,
wodurch nicht felten die Klarheit de3 Gedankens etwas leidet. So fünnte man auf
©. 1 glauben, daß Karl d. Gr., weldher 14 im Jahre 846 den Würzburger Biſchöfen
zugewiejene ſlawiſche Kirchen erbauen ließ, diefelben in Böhmen baute, während nad)
dem Wortlante der Urkunde (Erben, Reg. I. ©. 11) die Kirchen den in der Main-
gegend jeßhaften Slawen angehörten, und der Verf, damit jedenfalld nur den Einfluß
Karls d. Gr. auf die Slawen im Often der Deutichen meinen konnte. Da in diejer
Arbeit nur die Piemyflidenzeit in Betracht kommt, fo findet dadurch ein jcheinbarer
Widerſpruch feine Löfung, da S. 29 behauptet wird, Wratislams II. Verſuch 1056
zur Einführung eines flawifchen Ritus fei der legte Verſuch eines Beherrſchers von
Böhmen gewefen, wogegen auf ©. 34 die Einführung des ſlawiſchen Ritus burd)
Karl IV. in Emans zugeftanden wird.
Der Berf. hält fi ftreng an den Titel und zieht nur die Werke hriftlicher
Kunft in Betradht; zu wünjchen wäre, daß als Gegenftüd zu diefer Studie aud eine
Geihichte der Kunft im Laiendienfte erfheinen würde, um dieſe Epode von einem
Geſichtspunkte aus überbliden zu können. Iſt mit dem Ausfterben der Premyſliden
(1306) auch feine naturgemäße Phafe in der Kunftentwidelung abgeichloffen, jo it
doch eine Berehtiguug für Böhmen mit dem Erlöfchen der Nationaldynaftie einen
gewiffen Abſchluß anzunehmen, da die Bedingungen für die Kunft unter dem nad):
folgenden Gefchlechte der Luxemburger ganz andere find. In diefem Sinne charafte:
rifirt Neuwirth die beiprochene Epoche „als VBorftufe für dag mit Karl IV. fo herrlich
erblühende Kunſtleben.“
Das Werk ift troß des wiſſenſchaftlichen Apparates jo anziehend und ver:
ftändlich gefchrieben, daß jeder Kunftliebhaber ſich in demfelben ganz leicht zurecht:
finden kann. Zahlreiche Abbildungen, zu denen die k. k. Centralcommiffion in Wien
und die „Pamätky archeologick&“ in Prag ihre Elich63 im bereitwilliger Weiſe geliehen,
dienen zur Veranſchaulichung de3 Gejagten. Die Ausftattung ift vorzüglich, der Preis
mit Rückſicht auf die unentgeltliche Benugung der Stöde jo mäßig, daß felbft minder
a, Re
Bemittelten die Gelegenheit geboten ift, ſich auf leichte Weife einen Einblid in Böhmens
ältefte Runftentwidelung zu verichaffen. Ein gutes Orts: und Perjonenverzeihniß
ift dem Werke beigegeben. dr, h.—
Neue geologifhe und paläontologifhe Arbeiten über Böhmen,
Es dürfte nicht ungerechtfertigt erjcheinen, in diefen wenn aud vorwiegend
anderen Zweigen der Literatur dienenden Blättern einer Anzahl von Arbeiten zu
gebenfen, die ſich zumeift durch ihren beträchtlichen Umfang jchon Hervorthun und,
durchwegs von bleibendem Werthe, im verwichenen und zu Beginn des neuen Jahres
auf dem Gebiete der Geologie und Paläontologie Böhmens erfchienen find. E3 kann
nicht in der Mbficht des Berichterftatterd Liegen, diefe Veröffentlihungen hier einer
beurtheilenden Beiprehung zu unterziehen, e3 fcheint vielmehr dem Zwecke vollftändig
zu entiprechen, wenn dieſelben bier ütberfichtlich zur Anzeige gelangen. Was zunächft
geologifche Arbeiten anbelangt, jo haben wir zuerft drei zu verzeichnen, welche fich
mit dem fryftallinifchen Gebirge unferes Vaterlandes beichäftigen.
Eamerlander, Barl v., Zur Geologie des Granulitgebietedvon
Prahatig am Dftrande des Böhmerwaldes Gahrbuch der k.k. geol.
Reichsanſtalt. 37. Bd. 1887) beichäftigt fi mit der eingehenden Unterfuchung diejer
merkwürdigen Lagerftätten, zu deren Beurtheilung einige neue, wichtige Gefiht3punfte
gewonnen werden.
Patton, Horace B. Die Serpentin- und Amphibolgefteine nörd-
fih von Marienbad, (Tſchermak, Mineralog.petrograph. Mittheilungen, IX. Bb.
1887) widmet eine eingehende Unterfuhung dem mikroskopiſchen Bau dieſer inter-
eflanten, bis jest wenig gefannten Gefteine jener Gegend.
Laube, Guſtav €, Seologie des böhmiſchen Erzgebirges (Il. Theil,
Archiv der naturw. Durchforſchung Böhmens, V. Bd. Nr. 6) bringt die Ergebniffe
der im Auftrage der Commiſſion zur naturwiff. Unterfuhung Böhmens unternommenen
Unterfuchhungen des Gebirgsbaues des nordweftl. böhm, Randgebirges zum Abichluß.
Auf das Silurgebiet Böhmens bezieht ſich:
Breili, Iohann und Seiftmantel, Karl, Orographiſch-geotektoniſche
Ueberſicht des filurifden Gebietes im mittleren Böhmen (Archiv der
naturmwiffenichaftlihen Durchforſchung Böhmens V. Bd. Nr. 5), eine pofthume Ver—
öffentlichung diefer um bie Kenntniß des geolog. Baues von Mittelböhnen hochver—
dienten Fachmänner.
V. Ratzer, Die jhiefrigen Einlagen in G g 1. (Sigungsbr. der königl.
böhm. Gejellihaft der Wiſſenſchaften, 1886) beipricht diefe in tektonifcher Hinficht
merkwürdigen Bildungen.
Die geolog. VBerhältuiffe des böhmischen Elbequadergebirges berührt, da das
Gebiet nicht durch die politifchen Grenzen umjchrieben werden kann,
Alfred Hettner, Gebirgsbau und Oberflähengeitaltung der fädj-
Schweiz (Forihungen zur deutfehen Landes: und Volkskunde II. Bd. 4. Heft).
— —
Auf die tertiären Bildungen des Landes bezieht ſich
Hibſch, FIof. Emanuel, Leber einige minder befannte Eruptiv—
gefteine bes böhm. Mittelgebirges (Tſchermak, mineralog.-petrograph. Mit-
theilungen IX. Bd. 1887). Eine den Anforderungen der modernen Betrographie ftrenge
Rechnung tragende Unterfuhung von Gefteinen unſeres jungplutonifchen Gebirges.
welche der Ausgangspunkt einer das ganze Gebiet umfaflenden, in wiflenjchaftlicher
Beziehung höchſt wünfchenswerthen Unterfuchung zu werden verfpricht.
Endlid; erwähne ich noch folgender auf die jüngften, quartären Bildungen
Bezug habenden Arbeiten:
Denk, Böhm und Rodler, Bericht über eine gemeinfame Ercurjion
ın ben Böhmerwald (Zeitichr. d. deutichen Geolog. Gejellihaft XXXIX. Bd.),
welcher darthut, daß die von anderer Seite aus dem Böhmerwalde beichriebenen
Gletſcherſpuren feine ſolchen find, und
z Bieber, V, Das Mineralmoor „Der Soos“ (Marburg 1887, Selbit-
verlag) eine eingehende Schilderung diefer hochintereffanten Ablagerung im Egerlande,
deren Studium der Verfaffer viele Zeit erfolgreich gewidmet bat.
Uebergehend nun zu den Veröffentlihungen über Paläontologie, behalte ich
diefelbe Reihenfolge bei und erwähne zunächſt des Erjcheinend der Fortjegung des
großen Werkes von
Barrande, Systöme silurien du Centre de la Bohöme. Vol. VII
Ordre Cystidees, herausgegeben von Prof. Dr. W. Waagen nad) den hinterlaffenen
Aufzeihnungen des Verfaſſers.
Auf die Fauna des böhmischen Silurs beziehen ſich ferner:
Howak, Ottomar, Zur Kenntniß der Fauna der Etage $ fl,
derjelbe, Note sur Phasganocaris, [beide Arbeiten in den Sitzungs-
berichten der königl. böhmischen Gejellichaft 1887] und
Eonrath Paul, Ueber einige filurifhe Pelecypoden (Situngsberichte
der kaiſ. Akademie d. Wiffenjchaften. XCVI. Bd, 1887).
Eine im großen Style angelegte Abhandlung, welche ſich der Unterſuchung der
Flora unferer böhmifhen Steinkohlenjchichten zumendet, ift
D. Stur, Carbon: Flora der Schatzharer Shidhten (Abhandlungen
der Ef. geolog. Reichsanſtalt. XI. Bd. II. Abtheilung 1837). Die mit zahlreichen
prachtvollen Tafeln ausgeftattete Arbeit füllt num ſchon zwei Foliobände (XT. 1. und 2.)
der Abhandlungen der k. k. geol. Reichdanftalt und wird noch fortgeſetzt.
Bruder, Georg, Paläontologiſche Beiträge zur Kenntniß der nord»
böhmif hen Suragebilde (Jahrbuch des naturforfch. Vereines „Lotos“. N. F.
vl. Bd.) bringt den Abichluß einer längeren Reihe von geologiichen wie paläonto:
logiſchen Unterſuchungen dieſer in ihrem Auftreten in Böhmen höchſt merkwürdigen
Formation. Line Anzahl Sonderſchriften find den Verſteinerungen der Kreide gewidmet.
Fritſch, Anton und Rafka, 9., Die Cruſtaceen ber böhm. Kreide
fo vmation (Prag, Rivnac in Comm, 1887) verbreitet fich, von zahlreichen ſchönen
Abbildungen unterftügt, über die SKrebfe, deren Nefte in der Kreide Böhmen:
gefunden wurden.
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