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Full text of "Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen"

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der Deutschen 
Ta =Tolalsal-Ja 


Verein für 
Geschichte der 
Deutschen ın ... 

















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Mittheilungen 


des 


Vereines für Geſchichte der Dentfchen 


in Böhmen, 


XXVI Iahrgang. 


Rebigirt von 
Dr. Sudwig Sclefinger. 


Nebit der 


literarifiıhen Beilage 


Drag 1888, 
Im Gelbftverlage des Vereins und in Commiſſion bei H. Dominicus 
für bie a ser Monarchie. 
Germany 
-Peipzig und Wien. 
In Commiffion bei $. U, Brockhaus. 


(657 


7032 
v: 26 


(TIERE) 


R. t. Hofbuchbruderei A. Haafe, Prag. 


— — 


Inhallsverzeichniß. 


Die Feſtfeier zum fünfundzwanzigjährigen Beſtande des Vereines am 11. Juni 
1887. Bon Dr. Buftav E. Laube -: 2 200 0 u m nn 





ur Geichichte ber deut en Sprade u. Literatur in Böhmen. Von W. Toiſcher 26 





Der Rubin und feine Umgebung. Ein Beitrag zur Urgefchichte Bbhmens. Von 
an; Theodor Steiner 





Beiträge zur Gejchichte des böhmiſchen Aufftandes von 1618. Won Dr. Julius 





. ) 
Ein Fohanneslied aus Dentihböhmen. Nach einer jchriftlihen Aufzeichnung be— 
richtet von E. W. 


Simon von Tiihnow. Ein Beitrag zur Geſchichte des böhmischen Wichfismus 


EEE EEE ETF TITEL ER TETTE 









Beiträge zur Geichichte Nordweitböhmens. Bon Heinrih Gradl - +. 266 
en der deutihen Spradinfel von Neuhaus und Neubiftrig. — Von 
Dr. The 





Erinnerungen an Bhil. Jacob Fallmerayer. Ein Richt und Schattenbild — 
Conſtantin R.von Höflee. een 





Miscellen. 


Wann iſt die Stadt Plan deutſch geworden. Eine Studie von Dr. M. Urban . 107 
Bericht der „Hiſtoriſchen Gejellihaft für die Provinz Pofen” . - - 2... - 113 
Sagen aus dem weftlihen Böhmen. Von Franz Wilhelm.» - -» » 2.2.2.0. 215 
Sagen über Friedland und Umgebung. Bon Ferdinand Thomas . . 112, 217, 322 





Literariſche Beilage. 


Seite 
Ammann Friedrih: Die Schlaht bei Prag am 6. Mai 1757. Verlag von 
Dtto Peters 1887. Bon Th. Tupeb oo 0 nennen een 25 
Archiv desky öili star& pisemnds pamätky desk& i moravsk& sebran& z ar- 
chivü domäeich. Bon W. Biete eo rennen nennen 70 


Binhad Franz: Die Markgrafen im Nordgau. Fahrg. 1887. Bon -[n.. 53 
Bohemica aus periodischen Zeitichriften. Jahrg. 1887. Bon W. Hiefe . . . -» 87 
Carinthia, Beitihrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung. 


Bon: De. Ewa a re ea 15 
Dollinger Franz: Geihichte von Pürglig, Von —n.. ..: 222000. 30 
P. Focke Franz: Böhmen ift das angeftammte Vaterland der Deutſchböhmen. 

Im Selbftverlage 1887. Bon —n. «2 sr rennen 30 
Balliftl Thomas: Heimatskunde des politiihen Bezirkes Krummau. Selbft- 

berian. Won RE a a a a a ae 82 
Genauck Rarl: Die gewerblide Erziehung im Königreiche Belgien. Verlag von 

J. Fritfche in NReichenberg 1886. Bon id.» 22. 27 


— — Die gewerbliche Erziehung durh Schulen, Lehrwerfftätten, Mufeen und 
Vereine im Königreiche Belgien. Reichenberg, 3. Fritiche 1887. Bon Kid 54 
Geſchichte der Burg und Stadt Winterberg. Verlag des deutſchen Handwerker— 


vereines in Winterberg. Bon C. o . 2 2 2 20er 47 
Neue Geologiſche und patäontologifhe Arbeiten über Böhmen. Von Lbe. .. 78 
Gradl Heinrih: Geſchichte des Egerlandes. Wit in Eger. Bon Ch... - - - 33 
Habermann Gag. Dr.: Aus dem Volksleben des Egerlandes. Verlag von 
Kobrtih und Gſchihay. Bon H. Gradl » » 2: 2 22 une 13 
Hallwich Hermann Dr.: MWallenftein und Waldftein. Ein offener Brief an 
Dr. Gindely. Leipzig 1887. Bon Ze 0 se nennen 1 
Herbft Eduard Dr.: Das deutſche Sprachgebiet in Böhmen. Prag-Keipzig 1887, 
Tempsty, Freytag. Bon re oo 00 euere 7 
Hieke Wenzel: Gefchichte des Kirchiprengels — Bon 8.... 34 
Holder Auguſt: Die Ortschroniken, ihre culturgeſchichtliche Bee — 
pädagogiſche Verwerthung. Stuttgart 1886. Bon W. Hieke. . - 35 
Immermann Franz: Das Archiv der Stadt Hermannftadt und der ſächſiſchen 
a na ee an eh 16 
Kalenderſchau. Von Wenzel Hiete Be ne 39, 58 
Kat Hermann: Klutſchak's Führer durch Prag und Umgebung. Bon —r.. . - 15 
Klutſchak Franz: Chronik des Annallofers in Brag. Bon r.— . ..... 48 
Knothe Hermann Dr.: Fortfegung der Geſchichte des Oberlaufiger Adels und 
jeine Güter. Görlig 1887. Bon W. Hiefe. . - nennen 38 


Krauß Hans N md Dümml ©. N: „Eghalandriſch's. Schwanf und 
Schnaugn.“ Verlag von U. E. Wit. Bon H. Gradl .» » 2... 14 


Seite 


Krebs Julius Dr.: Zacharias Allerts Tagebuh aus dem 3. 1627. Von ©. 
Reitmeriger Lehrerverein. Heimatskunde des politifchen Bezirkes Leitmeriß. 
Im Selbitverlage des Vereins. Bon W. Diele.» - - - rn... 
Lippert Julius: Kulturgeſchichte der Menjchheit in ihrem organischen Aufbau. 
Stuttgart, Ferdinand Enke 1886. Von Chevalier - - » nennen 
Loeſche Dr.: Johann Mathefius, ein Beitrag zur böhmischen Reformations- 
Gefchtihte, Bon 2, ©.. aa a a a nun 
Löw Georg: Ein Gedenfblatt den Vercehrern und Freunden desfelben. Bon R. 
P. Mannl Oswald: Die Ocenpation der königlichen Stadt Pillen durch den 


Grafen Ernft von Mansfed. Bon —r. » » ser ennnen 
Moißl Konrad: Der politifche Bezirk Auffig, umfalfend die Gerichtöbezirke 
Auſſig und Karbitz. Von W. Hiekſteee. 
Neuwirth Xofef Dr.: Gefchichte der chriftlichen Runft in Böhmen bis zum 
Ausfterben der Bremyfliden. Bon dr. h.. ».» 22er 
Osborne W.: Das Beil und feine typiſchen — in vorhiſtoriſcher Zeit. 
Dresden 1887. Von L...8 
Paudler U: Sagen und Märchen, Umdichtungen. Bon 
— — Baftor Schlegel Chronik von Benjen. Drtankgrgrhen von Aman Böhm. 
Benſen 1897. Von &.:::. 205 ir ra nn 


Peez Aler. Dr.: Aus Eger und dem Egerlande, Minden 1887, Bon 9. ©. - 
Peters Ignaz: Hans Bufteters ernftlicher Bericht. Bonn, Emil Streuß 1887. 


ou U Denia sn 0 a a ne ae 
Programmanfjäge aus dem Jahre 18387. Bon B.... 
Quellenbuc zur Gefchichte der öſterreichiſch- ungarifchen Monarchie. Wien. 
Alfeen Hölders Verlag - » oo 0 0 0 ee een 
Rabl Joſef: Illuſtrirter Führer durh Böhmen. Von © - - -» - 8 
Reisgenftein Karl Freiherr von: Der Feldzug des Jahres 1621 mit Belig- 
ergreifung der Oberpfalz. Von Heinrih Grad! . » rennen 


Riezler Siegn.: Die Ortdnamen der Münchner Gegend. Von U. Hrufhfa -» 
Rotter Rihard Dr.: Andreas Ritter von Wilhelm. Biographiiher Beitrag 
zur öfterreichiichen Schul- und Staatsgefhichte in den letten 75 Jahren. 
Wien 1884. Von Er 
Rößler Karl: Geſchichte der Graslitzer Schule. Bon Chevalier » : . +» 
Ruby Franz: Das Iglauer Handwerk in feinem Thun und Treiben von der 
Begründung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts urkundlich dargeftellt, 


a ee a a 
Schleſinger Ludwig Dr.: Die Nationalitätsverhältniffe Böhmens. Stuttgart. 
Verlag von J. Engelhorn 1886. Bon —r.. » 222er 
Schober Karl Dr.: Heimatskunde von NMiederöfterreih. Wien 1884. Alfred 
Dülber Be DS, ee a 
Städte-Wappen bei Königreihes Böhmen. Wien, U. Schroll & Comp. 
a 


Taubmann Joſef Alfred: Märchen und Sagen aus Nordböhmen. Reichen— 
berg 1887. Von W. Hiekfkke... 


. 21 


Seite 


Tuha Edmund: Die Kirchenbauftyle des Mittelalterd und deren wichtigere 


Dentmale in Böhmen. Bon —T— . : 2 2 2222er 28 


Tutte %. und Hlozek A.: Der Bezirk Lobofig in feinen fififaliichen, topogra= 
phiſchen und Hiftoriichen Verhältniffen. Bon W. Hiele. . - - ..... 
Weber Dttofar Dr.: Die Duadrupel-Allianz vom Fahre 1718. Bon —n.. . . 
Weinhold Rarl: Zur Entwidlungsgefhichte der Ortsnamen im bdeutfchen 
Sclefien. Bon Wois Hruſchkfe... nnn 
— — Die Verbreitung und Herkunft der Deutihen in Schlefien. Stuttgart, 
Engelhorn 1887. Bm L. .. 
Winter Guftan: Niederöſterreichiſche Weisthümer. I. Theil. Von ©... . - - 
Wolkan R. Dr.: Beiträge zu einer Gefchichte der Reformation in Böhmen. I. 
Das Decanat Auffig. Wien und Leipzig 1887. Von W. Hiele . . . . » 
Zäpisky Vilöma Slavaty z let 1601--1603. (Sonderabdrud a. d. Abhandl. d. 
böhm. Geſellſchaft der Wiffenfchaften. VII. 2.) Bon 9.- - » - » 2... 


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im. as 


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Üittheitungen es Vereines 


für 
Öeschichte der Deutschen in Bühmen. 
Br. a 





Schsundzwanzigfter Jahrgang. Erites Heft. 1887/8. 





Die Feſtfeier zum fünfundswanzigjährigen 
Beftande des Vereins am 11. Inni 1887. 


Ein Verein von der Bedeutung, welche der unfrige durch feine erfolg: 
reiche und unermüdliche Thätigfeit fich errungen, hätte alle Urfache, nach 
einer fünfundzwanzigjährigen Dauer feines Beftehens das Feſt feiner 
Gründung unter Entfaltung von öffentlichem Gepränge und der Theilnahme 
aller deutſchen Stammesgenofjen in Böhmen zu begehen, ja man wird es ihm 
vielfeiht von mancher Seite verübeln, daß er fich zu einer derartigen 
jolennen Fejtfeier nicht aufgerafft, ſondern auf eine folche im engjten Familien» 
freife, könnte man jagen, bejchränft hat. Indeſſen braucht der Ausſchuß Feine 
andere Rechtfertigung zu erbringen, als auf die Gründe hinzuweiſen, welche 
ſowohl durch die gejchäftl. Mittheilungen, als auch in den bei der Feier 
gehaltenen Reden hiefür angeführt worden find. Es war dies keineswegs 
von allem Anfange beabfichtigt, vielmehr hatte man jchon vor mehreren 
Jahren Vorjorge getroffen, die Feier des Zdjährig. Beitandes des Vereins 
in einer würdigen Weiſe fetlich zu begehen, und es war hiefür ein Comite 
bejtehend aus den Herren Schlefinger, Schulz, Laube, Biermann, Schebet 
eingejegt worden, welches zahlreiche Berathungen in diefer wichtigen Ans 
gelegenheit pflegte, deren endliches wohl erwogenes Ergebniß eben die den 
gegenwärtigen ungünftigen politifchen und nationalen Berhältniffen Rechnung 
tragende bejcheidene Feier war, die fich gleichwohl, ohne Ruhmredigkeit 
darf dieſes gejagt werden, zu einer folchen gejtaltete, an welcher das 

1 


— 2 — 
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ganze deutſchböhmiſche Volk theilnahm, indem von alfen Seiten durch 
unfere Vertretungen jowohl als von einzelnen Mitgliedern: herzliche, oft in 
ſchwunghafte Worte gefleidete Begrüßungen einliefen, denen ſich nicht minder 
zahlreiche, ſowohl mündlich als jchriftlich dargebrachte Beglückwünſchungen 
von Seite bejreundeter Vereine zugejellten. 

Unjern auswärtigen freundlich gefinnten Mitgliedern und wohlwollenden 
Freunden gegenüber erjcheint es unjere Pflicht, im nachjtehenvden eine furze 
Schilderung der Feier zu geben. 

Im Spiegelfaale des Deutſchen Haufes in Prag hatte ſich am Abend 
des 11. Juni d. J. eine anſehnliche Gejellfchaft eingefunden, hervorragende 
und bedeutende Männer unjeres Volkes, jowie eine Anzahl deutjcher Frauen 
und Mädchen, welche gefommen waren nicht nur unfer Feſt zu verjchönern, 
jondern auch zu beweifen, daß ihr Gejchlecht warmen und vollen Antheil 
nimmt an allem, was das Deutſchthum in Böhmen betrifft. 

Nachdem der Vicepräfident die Berfammlung eröffnet hatte, erjchienen 
die Vertreter der Leſe- und Nedehalle der deutjchen Studenten, des deutjchen 
juridiſchen Vereines, um die Glückwünſche ihrer Körperjchaften mündlich 
zum Ausdrude zu bringen. Bon den Prager deutjchen Blättern hatte die 
Bohemia an der Spige der am Jubiläumstage erjchienenen Nummer 
eine warme Begrüßung gebradjt. Nach der Bollführung der üblichen 
Formalitäten nahm der Bicepräfident Dr. 2. Schlefinger das Wort zu nach— 
ftehender Begrüßungsrede: 


Hochgeehrte Berjammlung! 


„Seien Sie mit deutſchem Gruße herzlich willfommen geheißen, meine 
hochverehrten Damen und Herren, zu der Feier unferes fünfundzwanzig- 
jährigen Gründungsfeftes, welches der Ausjchuß des Vereines nur in 
befcheidenen Grenzen zu begehen den reiflich erwogenen Entjchluß gefaßt 
hat. Wohl gewährt ung auch nur ein flüchtiger Rückblick auf die durch: 
laujfene Bahn innige Befriedigung treuer und erfolgreicher Pflichterfüllung, 
und böte uns am heutigen Tage vielfachen Anlaß zu gehobener und freu- 
diger Feſtesſtimmung. Aber e8 widerjtrebt unſeren Gefiihlen, angefichts der 
auf unferem argbedrängten Volksſtamme laftenden Nothlage hellere Yubel- 
Hänge anzuftimmen, und nur ſtrenge Nechenjchaft wollen wir ablegen im 
ernjten Augenblicde der Zeit über das, was wir angejtrebt und was wir 
erreicht, jowie iiber das, was wir noch für die Zukunft zu erftreben und 
zu verwirklichen als unfere hohe Aufgabe erachten. 

Bei einer ſolchen gewiſſenhaften Prüfung unferer finfundziwanzig- 
jährigen Vereinsthätigfeit wird man den in unferen Sagungen geftellten 


— — 


Zweck und die uns zur Verfügung geſtellten Mittel gegen einander billig 
abſchätzen müſſen. Nach zwei Richtungen hin hatte ſich im Allge— 
meinen unſere Vereinsarbeit zu erſtrecken. Es galt einerſeits die Ge— 
ſchichte unſeres Volksſtammes nach den ſtrengen Geſetzen der Wiſſenſchaft 
zu erforſchen, anderſeits aber wurde das Ziel ins Auge gefaßt, die 
gewonnenen Ergebniſſe durch volksthümliche Darſtellungen zum Gemein— 
gute unſeres Stammes zu erheben und in die Herzen von Jung und 
Alt zu verpflanzen. Denn nicht eine ausſchließlich gelehrte Geſellſchaft, 
lediglich eine Vereinigung von Meiſtern und Jüngern der Wiſſenſchaft zu 
bilden, lag in den Abſichten der Gründer, ſondern das von kundigen Männern 
des Faches aus den Tiefen der Forſchung zu Tage geförderte Edelmetall 
ſollte als gangbare Münze geſchlagen und in die Hände aller Volksgenoſſen 
zur verſtändnißvollen Aufnahme gebracht werden. Durch dieſe zwiefach 
gegabelte Zielſetzung erhöhten ſich von allem Anfang an die zu überwin— 
denden Schwierigkeiten und bedurfte es der ſteten Wachſamkeit der leitenden 
Kreiſe, das Schifflein im Fahrwaſſer der goldenen Mittelſtraße ſicher zu 
ſteuern und allen Anfechtungen und Verlockungen zu begegnen, welche dasſelbe 
entweder in die ſtarren Klippen einer gelehrten Akademie oder auf die 
Sandbank unwiſſenſchaftlicher Verflachung zu lenken ſuchten. 

Warum aber gerade dieſe Doppelrichtung mit zielbewußtem Sinne 
einzuſchlagen bei uns eine dringliche Angelegenheit war, erklärt ſich zunächſt 
aus dem Weſen und der Natur des Gegenſtandes ſelbſt, der zur Bearbeitung 
vorlag. Wir befanden uns vor einem Viertel-Jahrhundert auf faſt noch 
unbebautem Boden, der nur geringe Spuren der wenigen Spatenſtiche 
vorhergegangener Thätigkeit verrieth. Das deutſchböhmiſche Volk in ſeiner 
geſchichtlichen Entwicklung als eine beſondere ſelbſtändige Einheit aufzufaſſen 
und demgemäß das Verfahren der Forſchung einzurichten, hatte man nur 
in jchüchternen Verjuchen begonnen. Dagegen überwucherte eine halb- 
amtliche Zandeshiftoriographte, die fid) bewußt oder unbewußt angemöhnt 


. hatte, den Antheil des deutfchen Stammes an der Landesgeſchichte - als 


nebenjächliches Anhängjel zu betrachten. Da diefe tonangebende Ge: 
Ihichtsschreibung ausschließlich von tichechifchen Gelehrten beherricht wurde, 
diefe aber der tichechifch nationalen Bewegung, welche auf literarifchem 
Gebiete lange vor dem Jahre 1848 begonnen hatte, ſich nicht zu entziehen 
vermochten, entjtanden einfeitige gefchichtliche Auffafjungen und Darjtellungen, 
welche das deutſchböhmiſche Volk in der Landesgejchichte als armſeliges 
Achenbrödel erjcheinen ließen. Daß dergleichen parteimäßig gefärbte Geſchichts— 
erzeugniffe geeignet waren das nationale Bewußtjein unſerer jlamifchen 
Zandesgenofjen wejentlich zu heben, wird Niemand leugnen. Befremdend 
1* 


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aber bleibt es, daß jelbjt von den Gebildeten unjeres Volkes die Ergebniſſe 
jolcher Hiftoriographie ohne Prüfung gläubig hingenommen und nicht jchon 
viel früher, als mit der Begründung unjeres Vereines, feierlicher Einſpruch 
erhoben wurde. Wohl hatten die Vorgänge im Fahre 1848 gar vielen 
Bertrauensfeligen die Augen geöffnet, und Einzelnen war es auch Klar 
geworden, daß man von jener Seite die Wiſſenſchaft ſchon lange in den 
Dienft der nationalen Politik geftellt hatte. 

Der Gedanke aber, planmäßig der bisherigen Behandlung der böhmischen 
Landesgejchichte entgegenzutreten, verwirklichte ich evjt mit dem Wiederer- 
wachen des verfallungsmäßigen Lebens im Anfang der Sechziger-ahre 
dur Entjtehung unferes Vereines. Einem tiefgefühlten nationalen Bedürf- 
niffe entjprungen, fonnte derjelbe umjomehr auf die Zuftimmung des deutjchen 
Bolksitammes rechnen, da er jich in feinen Grundbeſtimmungen auf wolf: 
thümlicher Unterlage aufbaute und jeine Mitglieder in allen Schichten der 
Bevölkerung, in allen Theilen des deutſchen Sprachgebietes zu fuchen bejtrebt 
war. Der geſammte deutjche Volksſtamm follte für ein Tebhafteres Intereſſe 
an der gejchichtlichen Erforjchung feiner ftolzen Vergangenheit gewonnen, 
die von ihm unbewußt aufgenommenen, vielfach falſchen und undeutſchen 
hijtorifchen Auffaſſungen, die bis in die Schulbücher vorgedrungen waren, 
befeitigt und an Stelle derjelben der wiljenjchaftlihen Wahrheit entjpre- 
chende Darjtellungen zur allgemeinen Verbreitung gelangen. Diejes Biel 
hätte eine in ſich abgejchlofjene gelehrte Geſellſchaft nimmermehr erreichen 
fönnen. Es bedurfte hiezu des großen, glücklich zuftande gefommenen 
Zandespereins, welcher Lehrer und Lernende zu eimer fich gegenfeitig 
ergänzenden fraftvollen Bereinigung zufammenjchloß und jeine höhere Weihe 
durch die fittlichen Fdeen der gehobenen Liebe und Treue zum deutjchen 
Bolfe und der Hochachtung vor der geſchichtlichen Wahrheit erlangte. 

Die Geſchichte des deutjchen Stammes in Böhmen zum jelbjtändigen 
Gegenftande wiſſenſchaftlicher Unterſuchung zu erheben lag jomit nahe genug. 
Die Zweitheilung der Landesgejchichte beruht in dem thatfächlichen Umſtande 
des Nebeneinanderwohnens zweier Völker mit grundverjchiedenen natürlichen 
Anlagen, verjchiedenartigen Entwidlungsjtufen und vielfach auseinander- 
gehenden Lebensrichtungen und Strebezielen. Bruchtheile zweier großer 
Bölkerfamilien fanden fich in einem Lande, das ſeit Alters eine territoriale 
Abgeſchloſſenheit bildete, unter gemeinjamen Herrjchergefchlechtern zujammen. 
Land und Regent bildeten das einzig Gemeinfame, Vergangenheit, Sprache, 
Sitte, Rechtsanjchauung, Bildungsftufe, mit einem Worte der Gegenjag 
der deutschen und ſlawiſchen Volfsfeele, das Trennende. Dieſe Grundver- 
jchiedenheiten erzeugten von allem Anfange an einen ſcharfen Dualismus 


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in der Zandesgejchichte, welcher nicht blos in den einzelnen culturellen 
Entwidlungsformen der beiden Völker, jondern durch das ganze Mittelalter 
hindurch und über diefes hinaus aud durch eigenartige praftifch giltige 
Rechtsunterlagen zum Ausdrude gelangte. Bis zu den Hufitenkriegen 
behaupteten die Deutjchen Böhmens eine weitgehende nationale Selbjtän- 
digkeit in Verwaltung und Gerichtsbarkeit, Schulen und Kirche, wie fie ſich 
die erjten Anfiedler am Porſchitſch ausbedungen hatten. Unmittelbar unter 
der Krone ſtehend, entwidelten fie allein einen freien Bauern- und Bürger: 
ftand, der fich felbjt verwaltete und richtete, die Jugend in nationalen 
Schulen erzog und fir jeine veligiöfen Bedürfnijje durch Freigewählte Priefter 
forgte. Dagegen bewegte fich das politiiche Leben der Tſchechen in ven 
Feſſeln der ſlawiſchen Gauverfafjung, in den mehr oder minder ftrengen 
Formen der Abhängigkeit vom einheimijchen Abel. 

Die Dauer diefer dur ein jlawifches Dynajtengejchlecht ins Leben 
gerufenen Verfajjungszuftände fällt zujammen mit den glücklichjten und 
glänzendften Zeitabichnitten der böhmischen Gejchichte überhaupt. In ihnen 
beruhte eine kräftige Stüße der Krone gegenüber dem widerſpenſtigen Adel, 
aber auch ein jtarfer Schuß der ſich immer mehr entfaltenden Freiheit der 
Gejammtbevölferung jelbit. Denn auch das tichechische Volk beftrebte jich, 
das jus teutonicum der deutjchen Bauern und die ftädtifchen Verfaffungen 
der deutfchen Bürger zu erringen, um fid jo vom läftigen Zupenzwange 
zu befreien. 

Auch die durch die unglüceligen Hufitenfriege gewaltjam hervorge- 
rufene Ummwälzung der Dinge vermochte die politich nationale Zweitheilung 
der Älteren Zeit nicht völlig auszutilgen. Wer die Spuren derjelben ver- 
folgen will, made ſich mit dem Inhalte der deutſch-oböhmiſchen 
Dorjweisthümer vertraut und erinnere jic) an die befannte Thatjache, 
daß im deutjchen Norden bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts nad ſächſiſchem 
Rechte verfahren wurde und bis 1548 an den Schöppenhof zu Magdeburg 
die Appellation stattfand. Und als Ferdinand I. diefen Inſtanzenzug ins 
Ausland unterfagte und den Prager Appellationshof begründete, wurde 
derjelbe des Bedürfnijfes halber in einen deutſchen und tſchechiſchen 
Senat gegliedert, den Beifigern des deutjchen Senates aber wurde die 
Kenntniß des ſächſiſchen Rechtes zur Verpflichtung auferlegt; denn das— 
jelbe bejtand troß des Verbotes der Berufungen nad) Magdeburg im 
deutichen Norden des Landes auch fernerhin in lebendiger Kraft, und erjt 
durch den Landtagsbeſchluß vom Jahre 1610 wurde der Gebraud des 
Magdeburger und aller anderen fremden Nechte unterfagt. Die Trennung 
aber in zwei nationale Senate beim Appellationsgerichte blieb beftehen, und 


FERN 


durch die vernenerte Landesordnung vom Jahre 1627 wurden auch beim 
Landrechte ein deutjherundeintfhehijcher Senat gegründet 
und bei der Hoffanzlei ein deutjcher und ein tſchechiſcher Secretarius bejtellt. 

Die jchweren Folgen des großen Krieges im XVII Jahrhunderte 
- und der alles gleichmachende Abjolutismus mit jeiner jtarfen Bevorzugung 
der deutjchen Sprache verwifchten zwar jene ſcharfe Sonderung der beiden 
Stämme im Lande immer mehr, löfchten aber das Gedächtniß an viejelbe 
nicht völlig aus. Kaum waren die Völfer im Jahre 1848 nad) langent 
Schweigen wieder zum Worte gelangt, erhalte von beiden Stämmen der 
lebhafte Auf nach adminiftrativer Gliederung des Landes nach Sprachge— 
bieten, und dasjelbe, wenigjtens von Seite der Deutſchböhmen heute noch 
mit viel größerem Nachdrud aufgejtellte Verlangen bedeutet nichts Anderes 
als den Wunſch nach Niücderlangung und Wiedergewinnung des Jahrhun— 
derte lang bejejjenen nationalen Selbjtbejtimmungsrechtes und der natio- 
nalen Freiheit. 

Wenn jomit zuvörderjt in politiich nationaler Beziehung die Gejchichte 
des deutſch-böhmiſchen Volkes einen volljtändig abgejchlojjenen jelbjtändigen 
Stoff für wiljenjchaftliche Unterfuhung und Forjchung bildet, jo gelangt 
diejes in noch viel ausgeprägterer Weife in culturhiſtoriſcher Richtung 
zum Ausdrude. Sie werden mir, meine Damen und Herren, die Beweis— 
führung für die ohnehin allgemein bekannte Thatſache exlafjen, daß die 
Deutjchen in diefem Lande von der Einführung des Chriftenthumes begonnen 
bis auf den heutigen Tag fi) als ein lebensfräftiger Zweig des großen 
deutſchen Eulturvolfes erwiefen und auf allen Gebieten der verjchiedenen 
eulturellen Entwidlungsformen menschlicher Thätigkeit die fruchtbaren Keime 
gelegt und zum Sprofjen und Blühen gebracht haben. An diejer Thatjache 
vermag die ja anderwärts auch beobachtete Erjcheinung nicht zu rütteln, 
daß der deutjche Lehrmeijter in Kunſt und Wiljenjchaft, im Gewerbe, Berg: 
bau, Handel und Induſtrie nicht immer den Dank ſelbſt der gelehrigjten 
Schüler eingeerntet hat. 

So vielgejtaltig und weitverzweigt ſich der Stoff der deutſchböhmiſchen 
Geſchichte auch darftellt, jo ijt er doch zu einem einheitlichen, eigenartigen 
Gebilde verwachlen, und im Verlauf der Jahrhunderte hat ſich auch der 
geographiſche Schauplag zu einer immer mehr abgeſchloſ— 
jenen Unterlage verdidtet. 

Wenn nun die Frage gejtellt wird, inwieweit wir während unjerer 
fünfundzwanzigjährigen Thätigfeit unferem Ziele näher gerüdt find, jo 
muß ich die Beantwortung den fachlichen Auseinanderjegungen des geehrten 
zweiten Rednerg überlafjen. Nur auf eine Erjcheinung will ich hinweiſen, 


— — 


deren aufmerkſame Verfolgung wohl geeignet iſt, uns heute mit einiger 
Befriedigung zu erfüllen. 

Die allmälige Beſiedelung des Landes mit deutſcher Bevölkerung 
erfolgte keineswegs von einer großen Ausgangspforte unſeres Mutterlandes, 
ſondern ſtrahlenförmig von allen Seiten entſendete die Mutternation deutſche 
Volkselemente in das waldumgürtete Bojenland, das die Markomanen 
einſt beſaßen. Hiedurch erklärt ſich die ſeltſame Configuration des deutſchen 
Sprachgebietes längs der ganzen Peripherie des Landes, aber auch die 
Thatſache, daß die Deutſchen in Böhmen ſich zwar immer als Angehörige 
eines und desjelben großen Volfes fühlten, daß es aber langer Zeit bedurfte, 
ehe jich bei ihnen das Bewußtjein der engeren Zufammengehörigfeit innerhalb 
des Landes herausbildete. Wenn nun heute der Franfe im Wejten, der 
Thüringer und Meißner im Norden, der Schlefier im Oſten und der 
Bajuvare im Süden troß ihrer mundartlichen Verſchiedenheiten und fonftigen 
Eigenartigfeiten durch das Kräftige Band des einheitlichen Stammesbe- 
wußtſeins ſich enge verbunden fühlen, jo hat hiezu nicht in letzter Linie die 
zunehmende Erfenntniß der gemeinjamen gejchichtlichen Vergangenheit bei- 
getragen. Die im Gedächtnijje aufgefriichte Erinnerung an die gemeinjant 
verlebten Tage der Freude und des Leides, das wachgerufene Angedenfen 
an die erhebenden Thaten und jtolzen Werfe der Altvordern, die Wider: 
jpiegelung des. jchweren Streites der Gegeuwart in den noch viel grimmiger 
tobenden Kämpfen vergangener Zeiten hat bei unjerem Volke das geſtei— 
gerte Empfinden an dem ihm zugewieſenen gejchichtlichen Berufe belebt, 
das Stammmesbewußtfein vertieft, das Gefühl der unzertvennlichen Waffen: 
brüderjchaft gehoben und das Vertrauen in den eigenen Werth mit neuer 
Stärke und Kraft erfüllt. 

Unſer Volk erhebt fih an dem Bewußtſein des geiftigen Zuſammen— 
banges mit der großen Mutternation, es fühlt die innigfte Zuſammen— 
gehörigkeit aller Deutjchen in unferem geliebten, aus der alten Oſtmark 
herausgewachjenen Kaiferftaate, den es mit aufbauen half: aber es erfreut 
ſich aud) feiner eigenartigen engeren Stammesgeſchichte, deren tiefere Er- 
fenntniß zunächſt geeignet ift, dem immer fejteren Kitt für die erlangte 
Einheit und nothwendige Einigkeit zu bilden. 

So hat demm unfer Verein durch feine wiſſenſchaftliche und volks— 
thümliche Thätigfeit naturgemäß mitgewirkt an der nationalen und politifchen 
Erziehung unjeres Volkes und nad) Kräften jenes politifch-nationale Rüſtzeug 
zur Derfügung geftellt, welches die Geſchichte al8 Lehrmeifterin der Ge— 
genwart zu bieten vermag. Dabei ſchwebte ung aber immer als höchites 
Biel die wifjenjchaftliche Wahrheit vor Augen, und find ung Irrthümer 


ie A 


unterlaufen, jo haben wir, eines Beſſern belehrt, diejelben bereitwilligjt 
zugeftanden. Niemals aber haben wir uns abjichtlich in gejchichtlichen 
Phantaftereien ergangen oder gar zu dem Mittel zweifelhafter Entdedinngen 
und überrajchender Erfindungen gegriffen, um dem nationalen Eigendinfel 
zu fröhnen. Den nothwendigen wiljenjchaftlichen Kampf haben wir mit 
Freimuth, aber ohne Leidenschaft geführt, und man wird uns das Zeugniß 
nicht vorenthalten können, daß wir auch den vielen verdienftlichen Leiſtungen 
unjerer jlawijchen Landesgenofjen jtetS gerecht geworden find. Und jo 
wollen wir e8 auch in Zukunft halten. Den einmal eingejchlagenen Pfad 
wollen wir weiter verfolgen, unbeirrt von allen Anfechtungen und Anfein- 
dungen, von denen ja auch wir nicht verjchont geblieben jind. 

Nur langſam haben wir uns dem uns geftedten Ziel genähert. Noch 
große und wichtige Aufgaben harren der Löſung; denn faft unüberjehbar 
breitet jich das vor uns liegende Arbeitsfeld aus. An rüſtigen Mitarbeitern, 
jowohl an älteren bewährten, jowie an jüngeren, eifrig aufjtrebenden, 
gebricht e3 uns nicht. Die Zahl der mitwirkfenden Kräfte hat jih im 
Berlauf der Jahre in erfreulicher Weiſe fortwährend vermehrt. Allein die 
Spärlichfeit der uns zur Verfügung gejtellten materiellen Mittel fteht in 
feinem Berhältniffe zu der Größe der zu bewältigenden Arbeiten und hemmt 
die wünjchenswerthe Ausnügung der vorhandenen Leiftungsfähigkeit. Wir 
find nicht jo glüdlich wie viele andere Gejellichaften und Vereine, uns 
einer Unterftiigung des Landes oder des Staates zu erfreuen, wir müſſen 
uns mit den Beiträgen bejcheiden, welche unjere treuen Vereinsgenoſſen 
zu widmen nicht ermiden. Bei einem folchen knapp zugemeflenen Vereins- 
haushalt darf es nicht befremden, wenn wir namentlich in der Publication 
größerer Werfe nicht jo raſch vorwärts jchreiten, als es wünſchenswerth, 
aber auch möglich wäre. Es liegen uns für die von uns herausgegebenen 
Serienwerfe der Bibliothek der mittelhochdeutſchen Literatur 
in Böhmen, der deutfhen Chronifen aus Böhmen, jowie 
der Städteurfundenbücer drudfertig neue Bände vor, deren jofor- 
tige Veröffentlihung nur an dem Umstand jcheitert, daß wir den hiefür 
nothwendigen Koftenaufwand in den Rahmen unjeres Jahresvoranſchlages 
nicht unterbringen Fünnen. Abgejehen von diejen fortzufegenden Arbeiten 
jhwebt uns für die nächſten Jahre die Herausgabe einiger nmfafjender 
Werke vor, zu welchen theilweije die Vorarbeiten in Angriff genommen 
worden find. Als ein immer dringlicheres Bedürfniß ftellt ſich die wiljen- 
Ichaftlihe Bearbeitung des deutjchen Sprachgebietes in Böhmen nad) der 
hiſtoriſchen, geographiſchen und ftatiftiichen Richtung in einem einheitlichen 
Werfe heraus, und haben wir feit geraumer Zeit dem Zuftandefommen 


T urn. . 
— 9 — 


einer derartigen erſchöpfenden deutſchböhmiſchen Heimatskunde unſer Augen— 
merk zugewendet. Nur durch äußere Umſtände ſind wir verhindert worden, 

: Ihnen, meine Damen und Herren, jchon heute die erjten Lieferungen des 
geplanten Buches als Feſtſchrift unjerer fünfundzwanzigjährigen Jubel— 
feier in die Hände legen zur können. Nicht minder wichtig erjcheint ung eine 
genaue, bis in die Einzelnheiten vorzunehmende Feittellung der innigen 
Antheilnahme und der erfolgreihen Mitwirfung unjeres 
Stammes an der fortjhreitenden Entwidlung der allge 
meinen deutichen Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft, welches 
Forſchungsgebiet wir ja bereits vielfach betreten haben. 

Und jo fühlen wir uns gedrängt, nach vielen anderen Seiten hin 
unfere Kräfte zu entfalten. Ich will nur auf das rechtshiſtoriſche 
Feld verweiſen, für welches aus dem Nachlafje unferes erjten Bereinsprä- 
jidenten ein umfajjendes Material im Vereinsarchive vorliegt, welches eine 
weitere Ergänzung in der Sammlung der deutſch-böhmiſchen Dorfweis- 
thümer findet. Ueber den Reichthum der vielgegliederten heimijchen 
Mundarten haben wir bereitS mancherlei Leiſtungen aufzuweiſen, und 
es wird nur der ergänzenden Sammlung bedürfen, um zur ſyſtematiſchen 
und jahmännischen Zufammenfafjung jchreiten zu können. Anregungen zu 
einer gewiß ebenfo wichtigen als interefjanten deutſchböhmiſchen Induſtrie— 
geſchichte find meueftens wieder eingeleitet worden, und auch in der 
Richtung der von uns bislang weniger gepflegten prähiftorijchen 
Forſchung widmen fich jüngere Kräfte einer erfveulichen gehobenen Thätigfeit. 

Sp möge denn der Markftein, den wir heute in unjerer Vereinsge: 
Ihichte fegen, die Inschrift der erfolgreichen Pflichterfüllung, aber aud) 
den Anfporn zu noch raſtloſerer Thätigkeit für die Zukunft in jcharf einge 
meißelten Strihen enthalten. Möge unfere Vereinigung nach den glücklich 
überjtandenen Lehrjahren, gewachjen durch die eigene Kraft, muthig der 
Zukunft entgegenftreben. Die betretenen Geleife haben fich durch die Erfah- 
rung bewährt, heller und klarer denn je ſchwebt der unwandelbare Leitjtern 
über Nichtweg und Ziel. Das deutjche Volt in Böhmen hat in einer 
nahezu taufendjährigen ruhmvollen Vergangenheit eine jelten zähe Lebens- 
fraft beurkundet; diefes Volk wird getreu den alten Ueberlieferungen feine 
nationale Selbftändigfeit, Freiheit und Würde auch in Hinfunft zu behaupten 
wiffen. Wie wir uns heute an deu glänzenden Thaten unſerer 
Borfahren erfreuen, jo jollen unfere Enkel einftens erzählen, 
daß der ſchwere Ernft der Gegenwart fein kleines Geſchlecht 
vorgefunden hat. Darum wollen wir unbeirrt durch das 
jortwährende Shwanten_und widrige Kreifhen der poli- 


= A = 


tiſchen Wetterfahnen uns und unjerem Volke die alte 
deutſche Treue bewahren immerdar. In dem unerjhütter- 
lichen Fejthalten an diejer nationalen Treue, in der liebe- 
vollen Hingabe an die dem Deutihthum eigene fittlid- 
ideale Richtung, inderdurd ftrengfte Arbeitununterbrocden 
zu ſtählenden Schaffensfraft beruht die glüdlihe Zufunft 
unjeres Volfes und unferes Vereines! 


Nach diefer von der Verſammlung mit dem lebhafteſten Beifalle 
aufgenommenen Ansprache, begann der dermalige Gejchäftsleiter Profefjor 
Dr. Laube: 


t 


Hochgeehrte Verſammlung! 


Eine Reihe von Gedenktagen, die wir ſonſt in freudig gehobener 
Stimmung mit feſtlichem Gepränge zu feiern gewöhnt ſind, ſind in dieſer 
Zeit ſchwerer Bedrängniß an uns vorübergegangen, ohne daß wir dem 
alten Brauche gehuldigt hätten, uns aus Nah und Fern zu verſammeln 
und des frohen Zuſammenſeins Deutſcher mit Deutſchen zu erfreuen. 
Niedergebeugt durch die Hand des Schickſals, die ſo ſchwer auf unſerem 
Volke liegt, vermögen wir uns zu keiner hellen Feſtesfreude aufzuſchwingen, 
vermögen wir den Ernſt, der ſich bei einem Ausblicke in die Zukunft 
unſeres Volkes auf unſeren Blicken lagert, auch nicht für eine kurze Stunde 
zu verbannen, wiewohl wir die Hoffnung nicht aus dem Herzen verlieren, 
daß es einmal anders ſein wird, und daß wir dann Gelegenheit haben 
werden, unſeren Gefühlen voll und unverkümmert den gebührenden Ausdruck 
verleihen zu können. Die Zeit, die wir herbeiſehnen, wird nicht als 
eine Gabe des Himmels uns beſcheret werden, ſie muß erſtritten, muß 
errungen werden, und eifriger als je, das wiſſen wir alle, müſſen wir in 
unſeren Tagen die Hand am Werke haben, nicht fragend, ob wir oder erſt 
unſere Kinder und Kindeskinder die Frucht unſeres Ringens einheimſen, 
die frohen Feſte nach unſern ſauren Wochen feiern werden; das deutſche 
Volk in Böhmen wird fie ernten! 


Von diefer Erwägung geleitet, bejcheiden wir uns bei ſolchen Ge— 
fegenheiten des Gedanfens froh zu werden, daß ein jeder jolcher Gedenktag, 
wie wir jie feither erlebt haben, die Gründung eines Bündniſſes bedeutet, 
an dem unjer Volk in feiner gegenwärtigen Bedrängniß eine ſeſte Stüße 
und einen ficheren Rückhalt für fein Stammesbewußtjein findet, und bliden 
befriedigt zurüd auf eine Zeit, welche wir nicht unbenügt vorübergehen 
ließen, uns eng aneinanderzufcharen, um nun mit vereinten Kräften für 


— 5 


unjer gutes echt einjtehen zu können. Faſt möchte man glauben, das 
deutjche Volf habe vor fünfundzwanzig Jahren, als die Gründung von 
Vereinen jo an der Tagesordnung war, daß fie wie Pilze aus der Erde 
ſchoßen, in Borgefühle zukünftiger Ereignifje gehandelt. Allein wenn 
damals auch jo manches deutliche Vorzeichen nahender Stürme fichtbar 
wurde, ja deren Raunen jchon vernehmlid durch die Lifte jtrich, jo hatte 
man fie doch noch nicht allgemein als jolche, und damit die Nothwendigkeit 
erkannt, jich durch enggejchlojfene Bundesbrüderjchait zu rüften, um ihrem 
auf die Vernichtung des deutschen Volkes gerichteten Anprall kräftigen 
Widerjtand zu leijten. Viele Vereinigungen, die hevvortraten, jollten ganz 
anderen, dem öffentlichen Leben oft fernabliegenden Zwecken dienen, aber 
doh nahm man damals jchon darauf Bedacht, ihr deutjches Wejen in 
ihrem Namen auszudrücken, und andere ältere Vereine jahen ſich genöthigt, 
wollten jie dem ficheren Untergang entrinnen, rechtzeitig dem Grundjaße 
der Zweitheilung zu huldigen, wodurch zuerjt der Beweis erbracht ward, 
wie diefer allein zu unjerem Heile frommt Waren die erjteren jolcher 
Dereine, und heute würden wir wünſchen, es wären deren viele gewejen, 
daranf angelegt, das Deutjchthum in Böhmen zu hegen und dafür ein— 
zujtehen, jo erwachte der deutjche Geiſt von jelbjt in den anderen, und 
ward ihr jtärfendes und belebendes Element. Alle jene Verbände, die jich 
diejem entjchlagen zu können glaubten, bei denen das deutjche Bemwußtjein 
nicht zum Durchbruche fam, find längjt den Weg alles Beitlichen gegangen, 
wie Frühlingsblüthen, denen feine Früchte nachreifen, während die anderen, 
nun alle freudig dienjtbar der Sache unjeres Volkes, troß aller Stürme, 
die iiber unſer Vaterland dahinbrauften, ftehen geblieben find, zur Freude 
und zum Segen unjeres Volkes, taujendfältige Frucht tragend, Schatten 
und Labung fpendend in guten und böjen Tagen und immer freudiges 
Hoffnungsgrün hervortreibend fefter und fefter den Boden der Heimat 
mit ihren Wurzeln umklammern, damit feine Scholle der heiligen Erde 
unjerem Bolfe verloren gehe. — In den Tagen heißen Kampfes, wo es 
von allen Seiten herandrängt, uns unſer gutes Recht auf Deutſchthum und 
Heimat jtreitig zu machen, und jeder Fußbreit ficherer Boden doppelten 
Werth Hat, rufen wir ihnen, die damals vorforglic den Weckruf ergehen 
ließen, und deutjchen Geift und deutſche Gejinnung großgezogen haben, 
nicht jeftlich jubelnd, aber mit umfo größerer Innigkeit zu: Dank ihnen, 
Ehre ihnen allen, die zu jener Zeit ein ſolches glüdlidhes 
Samenkorn ausgeftreut, fie haben damit Großes für unjer 
Bolt gethan. Aus ihren Schöpfungen erfließt uns Muth und Stärke 
in unjerem jchweren Ringen. Iſt einft die ſchwere Pritfungszeit vorüber 





BE 


und erreicht, daß das deutjche Volk Waffe und Wehr beifeite legen und zu 
friedlicher gewohnter Arbeit zurücfehren fan, dann werden die Namen 
diejer Männer im hellen Jubel froher Feſte erklingen, und unvergänglich 
von Gejchlecht zu Gejchlecht ihr Andenken vererbt werden! 

In diefem Sinne joll aud heute der Gedenktag der Gründung 
eines Vereines begangen werden, der ſich rühmen darf, glüdlich und 
erfolgreich für unſer deutjches Volk dur nunmehr fünfundzwanzig Jahre 
thätig gewejen zu fein. Gejtatten Sie mir, Ihnen in kurzen Zügen ein Bild 
jeiner Wirkſamkeit zu entwerfen, und Ihnen biebei zugleich jene Männer 
nambaft zu machen, welche fich in hervorragender Weife an der Errichtung 
und Förderung diejes Unternehmens betheiligt haben. Es ſoll dies zugleich 
eine Selbjtichau fein, wie fie ja Jeder zu halten pflegt, der eine Stufe des 
Zebens erflommen, von der er ein weites Stüd feines zurückgelegten 
Dafeins überjieht. 

Die Gejhichte des Entjtehens und der Gründung unferes Vereines 
eingehend zu beleuchten bin ich überhoben, da ein Mitbegründer desjelben, 
Dr. Uler. Wiechowsky, einen jehr ausführlichen Bericht hierüber in der 
Feſtrede mittheilte, welche er bei Gelegenheit der Feier des zehnjährigen 
Beſtandes des Vereines hielt. Es genügt, wenn ich Ihnen in Kürze Folgendes 
hierüber mittheile: 

Bor fünfundzwanzig Jahren erwachte in drei jungen, damals nod) 
den Studentenfreifen unjerer alten deutjhen Hochſchule angehörenden Ge— 
ſchichtsforſchern der glücliche Gedanke, einen Verein hervorzurufen, der jich 
mit der Förderung, Hebung und Verbreitung der Kenntniß der Gejchichte 
des deutjchen Volkes in Böhmen befaffen follte, die jo vielfach von ungün— 
jtiger Hand entjtellt und verunglimpft worden war. Bald fanden jich 
weitere wadere Gejinnungsgenoffen, welche jih ihnen amjchlojjen. Auch 
unter den Lehrern der Hochjchule fand der Gedanke freundliche Auf— 
nahme. Die Form dafiir war raſch gefunden, und das Banner des 
Bereines für Geſchichte der Deutjchen flatterte bald Fröhlich durch 
die Lüfte. Ueber die Bedeutung und Berechtigung dieſer Schöpfung tft 
Ihnen von anderer, berufenerer Seite jeeben eine eingehende Darlegung 
geworden. Wohl waren feine Gründer aus dem Kreife der Hochſchule 
hervorgegangen, doch lag in ihrer Abficht ein Verein, der das ganze 
deutjche Volk in Böhmen umfaſſen ſollte; glücklicher al8 mancher ähnliche 
Verein, der den Weg, aus der engen Gemarkung feines Urjprunges heraus» 
zutreten, nicht gefunden, war der unjere; unglaublich ſchnell überjchritt er 
die Grenzen jeiner Geburtsjtätte, um feine Wirffamfeit über das ganze 
deutſchböhmiſche Land auszubreiten. Allerwärts hieß man ihn willfommen 





rn 


und bereitete ihm eine freundliche Aufnahme. Die Gunft, die ihm vom 
eriten Anfang an aus allen Schichten der Bevölkerung entgegengebradht 
wurde, ift ihm erhalten geblieben bis auf den heutigen Tag. Wir zählen 
die Namen erlauchter Gejchlechter, hoher Kirchenfürſten, weltbefannter Ge: 
Ichrter, biederer Bürger und jchlichter Landleute unter feine Mitglieder. 
Ihre große Zahl ijt weit über die Grenzen Böhmens hinaus verjtreut. 
Das Samentorn, das vor fünfundzwanzig Jahren hoffnungsvoll in die 
heimiſche Erde gelegt wurde, hat taufendfältige Wurzel getrieben, nun fteht 
e3 da ein mächtiger, ein jegensreicher Baum, weithin fichtbar und fröhlich 
grünend trotz mancher Bedrängniß, die auch ihm nicht erjpart blieb. Denn 
daß unſere Widerfacher gar bald erkannten, welch einer großen Zukunft 
der Verein entgegenjprieße, und wel ein Hort und Bollwerf er dem 
Deutſchthum zu werden bejtimmt jei, das erſah man früh an den Bejtre- 
bungen, ihn zu vernichten oder doch unjchädlicy zu machen. Was aber von 
tapferer Hand abgewehrt der Feinde Tide nicht zu erreichen vermochte, 
das brachten auch alle die fchweren Zeitjtürme nicht zuwege, die über 
unjere Heimat dahin brauften und jo manches dahin rafften, das hoff- 


nungsvoll einer frohen Zukunft entgegenjproß. Treue Liebe zu unje 


rem deutjchen Bolfe legte den Grund, treue Xiebe hütete 
ihn und zogihngroß, treueLtiebewirdihn fürder bewahren, 
und in Ehren hochhalten, wie er es verdient. So war und 
bleibt er gefeit gegen alle Schläge und Tüden des Scidjals. Kein 
freudig glänzendes Sonnenlicht umftrahlt heute diefen Bau, doch fteht er 
da ftolz und fejt! Eine fefte Burg des deutichen Volkes in Böhmen, auf- 
gebaut durch einträchtiges Wirken, ein Hort für alle Zukunft! Und dankbar 
nenne ich Ihnen die Urheber des Vereines, von denen leider einer heute 
nicht mehr unter ung Lebenden wandelt: Ludw. Schlejinger, Julius 
Lippert und Aler. Wiechowsky. Die Profeſſoren der Hochſchule, 
melde an der Gründung des Vereines theilnahmen, waren: Profeſſor 
Dr. Bolfmann, E. von Höfler und Alois Brinz, und namentlich 
Legterem iſt es zu danken, daß derjelbe den glüclich gewählten Namen 
eines „Vereines für Gejchichte der Deutfchen in Böhmen" angenommen hat. 

Leicht war die Aufgabe, welche ſich der Verein gejtellt hatte, Feines- 
wegs. Er mußte, wollte er für unfer Volf Erſprießliches leiften, vom ernten 
Geiſte ftrenger Wiljenfchaftlichkeit getragen fein, und wollte er ſich als 
Volksverein die Gunſt feiner zahlreichen nichtgelehrten Mitglieder dauernd 
bewahren, dann galt es in feinen VBerdffentlichungen leichtverftändlich und 
Ihlicht zu diefen zu fprechen. Die unvermeidlichen Klippen diefer ihm auf- 
gedrungenen Doppelitellung, an welcher jo manches Unternehmen ähnlicher 


Art gejcheitert ift, hat unjer Verein glücklich umſchifft und iſt der gejtellten 
Aufgabe in glänzender Weiſe gerecht geworden. Seine Veröffentlichungen 
nimmt der gelehrte Fachmann ebenfo gern in die Hand, wie der einfache 
Handwerker, es findet Jeder darin zu jeiner Belehrung reichlichen Stoff, 
und alle Kreife wifjen ihm hiefür veichliche Anerkennung zu zollen. 

Dieje glückliche Löſung feiner Aufgabe verdankt der Berein zunächit 
der trejflichen Leitung der Herausgabe feiner Mittheilungen, die, anfänglich 
in raſchem Wechjel von B. Scheinpflug, Anton Shmalfuß und 
Dr. Birgil Grohmann bejorgt, jeit nunmehr 17 Fahren unausgefegt 
in den Händen Dr. &. Sclejinger's liegt, der mit jeltener Sicherheit 
und vichtigem Verſtändniß den jich reichlich bietenden Stoff jo zu gruppiren 
weiß, daß er Jedem nach feiner Art und Bedürfniß etwas zu reichen vermag. 
Anderjeits aber wäre alle Bemühung fruchtlos gewejen, wenn fich nicht eine 
große Scyaar bewährter Mitarbeiter gefunden hätte, deren Zahl 
weit über Hundert beträgt, welche jid) thätig in allen Zweigen der Wiſſen— 
Ichaft, die der Verein gepflegt, der Schriftleitung bereitwilligjt zur Seite 
geftellt haben. So jind die fünfunzwanzig Bände der Mittheilungen eine 
reihe Schaglfammer für deutjchböhmifche Gejchichte geworden, an deren 

Zuftandefommen viele fleigige und emfige Arbeiter theilnahmen. Unter 
ihnen verdanfen wir namentlic) Archivar Dr. Ad. Berger werthvolfe 
Mittheilungen aus dem jildlichen Böhmen, Prof. Dr. J. E. Födiſch 
wichtige Berichte über vorgefchichtliche Funde, Dr. Bine. Göhler hijtoriich- 
ftatiftifche Mittheilungen, Achivar Heinr. Gradl, dem fenntnißreichen und 
verdienftvollen Gejchichtichreiber des Egerlandes, Berichte über jeine Heimat; 
Dr. Herm. Hallwid, der eifrige Vertheidiger Albreht Wallenfteins, 
Hofrat Conſtantin von Höfler, der erft in neuefter Zeit wieder die 
Hefte der Mittheilungen durch einige Abhandlungen von weittragender 
Bedeutung bereicherte, der unermüdliche Sagenjammler Franz Hübler, 
der genaue Kenner des Böhmerwaldes und feiner Bewohner Hofrath 
Friedr. Lauſecker lieferten zahlreiche Beiträge, ebenfjo Julius Lip- 
pert dur Forjchungen in deutjcher Städtegefchichte, Prof. Dr. Johann 
Loſerth in Ezernowig durch feine quellenkritiichen Abhandlungen, Prof. 
Rudolf Miller in Neichenberg durch Funfthiftoriiche Auffäge, Auton 
Auguft Naaff dur ſolche über deutſchböhmiſche Volksdichtung, Prof. 
Mathias Banger! brachte wichtige Arbeiten über die Stifter und das 
Freibauernweſen im ſüdlichen Böhmen, Prof. Bernhard Scheinpflug 
über die uralten Pflanzſtätten, deutscher Cultur, die Ciſterzienſerſtifte Oſſegg 
und Plaß. Dr. Ludwig Schlefinger veröffentlichte quellenmäßige Dar- 
ftellung deutſchböhmiſcher Gejchichte im Mittelalter und altdeutſche Dorfweis— 


.. 


- 


— 1) — 


thümer, Joſef Stodlöw jeine Beiträge aus dem Tachauer und Kaadner 
Bezirke und dem Erzgebirge und Dr. Tobias in Zittau viele jchäßeng- 
werthe Mittheilungen aus der einft zu Böhmen gehörigen Laufig. Noch 
fünnte ich Ihnen eine lange Lijte nicht minder verdienjtvoller Mitarbeiter 
aufzählen, wenn ich nicht fürchten mitßte, Sie hiedurch ungebührlicy zu 
ermüden. Sch will nur noch frz auf die zahlreichen und hervorragenden 
Zeitungen von Dr. Rihard Audree, Dr. U. Benedikt, Friedr. 
Bernau, Dr. J. Virgil Grohmann, Prof. Bernh. Grueber, 
Karl V. von Hansgirg, A. Jäger, Brof. Dr. W. Katzerowsky, 
Dr. F. Kürſchner, Prof. Dr. E. Martin, Ignaz Petters, Karl 
Renner, Dr. Ed. Schebek, Dr. W. Toiſcher, Dr. T. Tupetz, Dr. M. 
Urban, Th. Wagner, K. Werner und A. Zeidler hinweiſen, um 
auch noch anderer Veröffentlichungen gedenken zu können. Eine ſtattliche Reihe. 
von Bänden gibt davon beredtes Zeugniß, daß der Verein eifrig bemüht 
war, auch ſtreng wiſſenſchaftlichen Anforderungen durch größere Arbeiten 
gerecht zu werden. Hier finden wir die Geſchichten deutſchböhmiſcher 
Städte, Leitmeritz und Trautenau von Julius Lippert, altehrwür— 
dige Städtechroniken von Elbogen, Trautenau und Eger veröffentlicht 
von L. Schleſinger und H. Gradl, Urkundenſammlungen, 
das Stadtbuch von Brüx von L. Schleſinger, Johannes von Abens— 
bergs Geſchichte der Krönung Karls IV., die Chronik des Heinrich von 
Dieffenhoven von Conſtantin v. Höfler veröffentlicht, Kunſt und Eul- 
turgesjhichte, Prof. Bernd. Grueber's Werk über die Kaijerburg 
zu Eger, Joſ. Virgil Grohmann Aberglauben und Gebräuche aus 
Böhmen. Eine Anzahl Bände füllen die hochwichtigen Denkmäler 
mittelbohdeutfcher Literatur aus Böhmen, herausgegeben von 
Prof. Ernſt Martin und feinen Schülem Dr. Toiſcher, Dr. Kni— 
{chef und Dr. Benedikt, welche den unumftößlichen Beweis liefern, daß 
die Wiege unferer heutigen hochdeutſchen Sprade am 
böhmiſchen Königshofe ftand. Nicht unterlaſſen darf ich endlich unter 
den größeren veröffentlichen Werfen noch Dr. Schleſinger's vortreff- 
lihe Geſchichte Böhmens zu erwähnen, die ein echtes Volfsbuch im 
beiten Sinne des Wortes nach ihrem erjten Erjcheinen raſch eine zweite 
Auflage nöthig. machte, und der nun bald eine dritte folgen dürfte, ein 
Harer Beleg dafür, wie werth und lieb auch unferem deutjchen Volke die 
Geſchichte jeines Heimatslandes ift. 

Neben dieſen Verdffentlichungen von eigenen Forjchungen darf ich 
nicht unterlajfen auch der Beachtung zu gedenken, welche in der den Mitthei- 
lungen beigegebenen literarifchen Beilage, deren Leitung ebenfalls jeit 


einer Reihe von Jahren Herrn Dr. Schlefinger anvertraut ijt, gejchicht- 
liche und andere auf Böhmen Bezug habende Werke finden, deren nicht 
weniger als 1106 in den abgelaufenen Fahren eine eingehende Beiprechung 
erfahren haben, abgejehen von den vielen fiirzeren Anzeigen und Notizen 
über jchriftjtellerifche Erzeugniffe von minderem Belang. Füge ich noch hinzu, 
daß diejelbe als befondere Beigabe Georg Schmid's erjchöpfende und mit 
ganz befonderem Fleiße gefammelte Bibliographie der gefammten Literatur 
über Albrecht von Wallenftein enthält, jo kann man ohne Ueberhebung aud) 
dieſe Blätter als eine werthvolle Fundgrube fiir auf Böhmen bezughabende 
Schriften bezeichnen, welche namentlich, da fie auch aufin tichechischer Sprache 
gejchriebene gefchichtliche Veröffentlichungen Bedacht nimmt, für diefer Sprache 
nicht mächtige Gelehrte von befonderem Werthe ift. Auch hiebei fei in dankbarer 
Anerkennung ſtets bereiter und bewährter Mitarbeiterichaft der Herren 
Schulrath Dr. &. Biermann, Dir. Dr. Shevalier, Prof. Dr. Rulf, 
Prof. Dr. Tupetz, Prof. Dr. Toiſche Prof. Hruſchka, Prof. Dr. 
Ulbrid, Archivar Mörath, Prof. Dr. H. Lambl, W. Hiefe und des 
verewigten K. V. von Hansgirg gedacht, welche neben anderen fich in 
ganz hervorragender Weife an diefem Blatte betheiligten. 

Ich will Ihre freundliche Aufmerkſamkeit nicht länger durch die 
Beiprechung der fchriftjtellerifchen Thätigkeit unferes Vereines in Anspruch 
nehmen; laſſen Sie ſich nur noch durch einige Zahlen raſch vor Augen» 
führen, was auf dem Gebiete der Veröffentlichungen bisher geleiftet wurde. 
Die Zahl der gedrudten Bogen der Mitteilungen des Verein jammt der 
literariſchen Beilage beträgt dermalen 1,158.706. Hiebei ftieg bei einer 
ziemlich gleichbleibenden Auflage von 2000 Stüden die Zahl der Bogen in 
den Jahrgängen von anfänglich fiebeneinhalb vor zehn Fahren auf zmwei- 
undzwanzig und beträgt in den legten Jahren nicht unter dreißig. Bon 
achtzehn größeren in Auflagen von 500 Stüd gedrudten Werfen im 
Umfange von neun bis dreiundvierzig Drudbogen wurden 146.912 Bogen 
ausgegeben. Die beiden Auflagen von Schleſingers Gefhichte Böhmens, 
3500 Stück zu dreiundvierzig Bogen, beanfpruchten 148.625 Drudbogen. 
Bon den zahlreichen Sonderabdrüden hervorragenderer Aufjäge aus den 
Mittheilungen gänzlich abgefehen, Hat demnach der Verein in den 
fünfundzwanzig Jahren feines Beftandes 1,354.243%, Drud- 
bogen veröffentlicht. Gewiß eine ftattliche Zahl, welche ein unzweifel: 
haftes Zeugniß für die Wirkfamkeit des Vereines und ein unmiderleglicher 
Beweis für das Beſtreben ift, nach beftem Vermögen das geſteckte Ziel zu 
erreichen. Dabei kommt ja noch der Umftand zu erwägen, daß der Verein 
bisher ganz auf eigene Kräfte und wohlwollende Freunde angewiejen iſt, 


wobei ich ganz bejonders der werfthätigen Unterftügung dankbarſt gedenken 
muß, welde die bbhmiſche Sparcaſſa dem Berein feit einer Reihe 
von fahren gewährt, und ſich feiner Unterftügung feitens des Landes oder 
Staates erfreuend, nur mit ſehr bejcheidenen Mitteln arbeiten konnte, die 
ihm leider nur zu oft ein Hemmniß für weitgehendere Pläne waren. 

Die Verdffentlichungen find nicht das einzige Lebenszeichen des 
Bereines. Häufig gaben Wanderverfammlungen, zu deren Abhaltung 
der Verein durch jeine Sagungen berechtigt ift, Gelegenheit, in engere 
Beziehungen zu feinen auswärtigen Mitgliedern zu treten. Freudig wett 
eiferten die deutichen Städte Böhmens darin, den Verein einzuladen, in 
ihren Mauern eine Berfammlung abzuhalten, die fich ftets zu einem 
Bundesfefte treugelinnter, deuticher Männer gejtaltete. Nicht allein die 
jorgfältig gewählten fejjelnden Vorträge, welche bei folcher Gelegenheit 
gehalten wurden, jondern fo manches erhebende und befeligende Wort, das 
da gefprochen wurde, begeijter die Fejttheilnehmer fir die Sache des 
deutichen Volkes. 2 | 

So haben die ferndeutjchen Städte: Leitmeritz (1868), Trau— 
tenau (1869), Leipa (1870), Zeplig (1871), Carlsbad (1872), 
Warnsdorf (1873), Krummau (1875), Brüx (1877) und Eger (1879) 
den Verein der Reihe nach als ihren Gaft begrüßt. Die fejtlichen Stunden, 
welche dort verlebt wurden, die nur zu raſch verraufchten, bleiben allen 
Theilnehmern und in der Gejchichte des Vereins unvergefjen. Sie haben 
am beiten die Bedeutung dargethan, welche der Verein in den Augen des 
deutschen Volkes in Böhmen gewonnen hat. Wenn feit einer Reihe von 
Fahren von der Gepflogenheit, Wanderverfammlungen zu veranjtalten, 
Umgang genommen wurde, jo find hiefür theilmeife diejelben Gründe 
maßgebend geweſen, welche dazu veranlaßten, die heutige Feier der Grün: 
dung in bejcheidener Geftalt zu begehen, anderſeits bieten die zahlreichen 
von anderen Vereinen veranjtalteten VBerfammlungen, die Kaifer Joſef- und 
anderen Feſte gegenwärtig jo reichliche Gelegenheit, das deutſche Volfsbe- 
wußtjein zu jtärken und zu heben, daß der Verein feine Kräfte auf die 
Erreichung anderer geſteckter Ziele vereinigen fan. Doch joll damit durchaus 
nicht auf die Ausübung des Rechtes zur Abhaltung von Wanderverſamm— 
lungen für alle Zeit Verzicht geleiftet fein. Vielmehr wird der Verein, jobald 
e3 ihm geboten fcheint, unverzüglich und beveitwilligit aus feiner gegenwärtigen 
Zurücgezogenheit hervortreten, und die alte Gepflogenheit wieder üben. 

Ungeftört durch äußere Ereignifje pflegt der Verein jeit jeiner Gründung 
wiſſenſchaftliche Forſchungen im engeren Kreife feiner Mitglieder. Alljährlich 
bietet die ftille Zeit der Wintermonate den verjchiedenen BERNER 

Mittheilangen. 26. Iahrgang, 1. Heft. 2 


a 8 


(Abtheilungen) Gelegenheit zu Wochenverfammlungen, in welchen wiſſen— 
Ichaftliche Berichte aus allen Zweigen der böhmischen Gejchichte erjtattet 
und entgegengenommen werden. Unter diefen haben namentlich die unter 
der langjährigen, umfichtigen Zeitung der Herren Schulrath Dr. ©. Biermann 
und Landesſchulrath Dr. M. Pfannerer ftehende erfte bez. dritte ganz 
bejonders eifrig und mit hervorragendem Erfolge gearbeitet... Geben dieje 
Vereinigungen nun namentlich jüngeren Forſchern eine willkommene Gele- 
genheit ihren wifjenjchaftlichen Eifer zu bethätigen, jo gereicht e8 ung zur 
befonderen Freude, den Neftor deutſchböhmiſcher Gefchichtsforjchung die rege 
Theilnahme, die er diefen Arbeiten vom Anbeginne des Vereines zumendete, 
diefen auch in neuerer Zeit wieder widmen zu jehen. 

Bon Yahr zu Jahr wächjt der Verkehr, welchen der Verein nach 
außen hin mit verwandten Geſellſchaften durch Schriftenaustaufc 
unterhält; derartige freundjchaftliche, gegenjeitig fördernde Wechjelbeziehungen 
finden nad) allen Ländern hin ftatt, und obwohl die Zahl derjelben bereits 
118 beträgt, ift jie doch noch in jteter Zunahme begriffen. Beweiſe der 
Hochachtung, welche uns von allen diefen Seiten entgegengebracht werden, 
find die zahlreichen, in warmen Worten der Anerkennung abgefaßten Glück— 
wunjchjchreiben, die ung zu unferer Gründungsfeier zugefommen find. 

Um aber auch bei unſerer hoffnungsvollen Jugend und ihren 
gefinnungstüchtigen Bildnern, jowie bei dem nach Bildung vingenden 
Arbeiter Liebe zur Heimat und zur Gejchichte unjeres Volkes zu erweden, 
bat der Ausihuß in freigebigjter Weile Schul- und Bolfsbibliothefen, 
namentlich die Stiftungen des deutjchen Schulvereines an der Sprachgrenze, 
mit verfügbaren Schriften des Vereines, darunter viele Bände von Schle- 
fingers Gefchichte von Böhmen, ausgejtattet. 

-Das Andenken verdienftvoller Stammesgenojjen bei 
der Nachwelt wach zu erhalten hat der Verein fich jederzeit angelegen jein 
lafjen, und mit Befriedigung darf er darauf hinweijen, daß feinen Anre- 
gungen, das Gedächtnis eines hervorragenden Mitbürgers durch eine ihm 
gewidmete Denktafel zu ehren, von Seite vieler deutjcher Gemeinde gerne 
entjprochen wurde und entjprochen werden wird. 

Wilfenjchaftliche Arbeiten innerhalb oder außerhalb des Vereines zu 
fürdern war der Verein jederzeit bereit und hat hiezu veiche Hilfsmittel 
aufgejpeichert, deren allfeitige Benügung er gerne gejtattet. Cine Bücherei 
mit 17.000 Bänden, eine zahlreiche, werthvolle Schriftjtücke bergende Urkun— 
denfammlung, eine an bemerkenswerten Blättern veiche Kupferſtichſammlung, 
eine manche Schäße enthaltende Alterthiimer- und eine jchöne, reichhaltige 
Miünzenfammlung vermag der Verein zur Verfügung zu stellen. Gerne 


— — 


hätte man die Gelegenheit uuſerer Gründungsfeier wahrgenommen, in einer 
beſonderen Ausſtellung die bemerkenswertheſten Gegenſtände den Mitgliedern 
vorzuführen, doch haben ſich der Ausführung dieſes Gedankens leider 
unüberſteigliche Hinderniſſe entgegengeſtellt, und wir müſſen dieſelben bitten, 
die Heimſtätte des Vereines aufzuſuchen, um von deſſen Sammlungen Einſicht 
zu nehmen. Auch dieſe ſind der ſprechende Beweis eines gedeihlichen einmüthigen 
Strebens, da ſie faſt durchwegs durch Geſchenke von Seite wohlwollender 
Freunde und Gönner zu Stande gekommen ſind. Aus der langen Liſte 
gütiger Geſchenkgeber, deren Namen hier dankbar zu erwähnen wären, will 
ich, weit entfernt, dieſelbe auch nur annähernd erſchöpfen zu können, nur nennen: 
Verlagsbuchhändler Karl Bellmann, Bankdirector Norbert Benedikt, 
Schulrath Dr. Biermann, Weinhändler K. Binder, Bruno Biſchoff, 
Handelskammerpräſident O. Biſchoff, Buchhändler H. Blömer, Gym— 
nafialdirector Dr. Ludwig Chevalier, Buchhändler Herm. Domi— 
nifus, Großhändler Richard Ritter von Dosauer, Buchbinder 
K. Eberl, Verlagsbuhhändler Fried. Ehrlich, JUDr. Lud. Ehrlich, 
Fürſt Mar Egon von Fürjtenberg, Frau Juliane Glaſer, Ere. 
Minifter Rudolf Glajer, Fabrik. Jakob Goldſchmidt, Archivar 
Gradl, Statthaltereirath Dr. V. Grohmann, Prof. Bernd. Grueber, 
Maler Julius Gruß, JUDr. Rud. v. Haaſe, kak. Rath Herm. Hall— 
wich, Hofrath Conſt. von Höfler, Prof. Joſ. Holzamer, Re. Fr. 
Klutſchak, Kaufmann DO. Keindl, JUDr.X. Knoll, Redact. D. Kuh, 
Alois und Anna Laube, Koppelmann Lieben, Prof. Dr. Joh. 
Loſerth, Bilhh. Emanuel Marx, Abt Saleſius Mayer, JUDr. 
Franz PBelzel, Landesichulinjpector M. Pfannerer, Generalinjpector 
M. Pfeiffer, Reichsrathsabg. Dr. 8. Pidert, Abt Yoh. Nep. Rotter, 
faiferl. Rath Dr. Edm. Scebef, Hofrath Prof. Carl Schenkel, 
Prof. Bernd. Scheinpflug, Dr. Lud. Schlejinger, Bezirksrichter 
J. Stocklöw, Eultusgemeindejecretär Ph. Teweles, Prof. Dr. Volk— 
mann, Director Mer. Wiechowsky, Director B. Joſ. Willomiger, 
Karl v. Zdefauer, Konrad v. Zdefauer, Fried. Graf Zedwitz, 
Apotheker Zad, B. Val. Zodl, die den Vereinsjammlungen reiche Beiträge 
jpendeten. Nicht unvergejjen fer die geehrte Yeitung des deutihen 
Caſino's, welche der Vereinsbücherei die öffentlichen Blätter überläßt, 
aus welchen nach und nach eine ganz unjchäßbare Quellenfammlung für 
geichichtliche Vorgänge der Neuzeit erwächſt. 

Schon zu enge find die Näume, welche den Verein dermalen und 
zwar jeit jeinem Beginne beherbergen, und längjt iſt der Wunſch vege 


geworden nad einer eigenen, bleibenden Heimftätte. Aber wenn auch bisher 
9% 


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BE N rt ae — 
9 * in re v, “ alz> 4 Li 3— in 
— 20 — 


alle Verſuche, dieſen ſeiner Erfüllung zuzuführen, ohne Erfolg blieben, ſo 
hoffen wir doch, daß der Verein ſeine Mitglieder bei ſeinem nächſten Jubel— 
feſte im eigenen Hauſe werde begrüßen und willkommen heißen können. 
Mit Liebe und Hingebung hat der Ausſchuß, dem die Leitung des 
Vereins obliegt, alle Zeit geſtrebt, der übernommenen Pflicht gerecht zu 
werden, und die Angelegenheit des Vereines nach Thunlichkeit zu fördern. 
An ſeiner Spitze ſtanden nach einander die um denſelben hochverdienten 
Männer: Dr. F. Pelzel, Generalabt Freiherrv. Zeidler, Edm. Graf 
Hartig und gegenwärtig Atgraf Franz Salm-Reifferſcheid, ihnen 
zur Seite al8 Stellvertreter (Vicepräfidenten) vorwiegend in gedeihlichiter 
Weiſe mit der Verwaltung der Bereinsangelegenheiten bejchäftigt die Herren: 
Eonftantin v. Höfler, Aler Wiechowsky und gegenwärtig Dr. 
8. Schlejinger. Die VBermögensverwaltung des Vereines bejorgt jeit 
1864, nachdem die Herren Prof. Volkmann, Herm Marbad und 
Dr. Ed. Konrad vor ihn damit betraut waren, Herr k. k. Rechnungsrath 
Guſtav Rulf in der forgfältigften und uneigennügigjten Weife. Die 
Stelle des Gejchäftsleiters des Vereines ging von Dr. Aler. Wiechowsky 
auf Dr. Pickert, von diefem auf Dr. 2. Schlefinger, nad) deſſen Be- 
rufung nach Zeitmerig auf Dr. V. John und fodann auf Karl Renner 
über. Nach dejjen frühzeitigem Ableben leitete Prof. Laube eine Zeitlang 
die Gejchäfte des Vereines, um dieje ſodann an Prof. Matth. Bangerl 
abzutreten. ALS diejer wegen jchwerer Erfranfung hievon abgehen mußte, 
übernahm Prof. Hans Basler für eine furze Zeit die Gejchäftsführung, 
und von deijen Nachfolger der gegenwärtige Gejchäftsleiter in einer den 
veränderten Verhältniffen angepaßten Form un mehr als ein Ehrenamt. 
Opferwillig nnd dienjtbereit haben die Mitglieder des Aus- 
Ihußes und die Berwalter der Bereinsjammlungen ihre Zeit 
der Miühewaltung im Dienfte des Vereines gewidmet und ji in dankens— 
werthefter Weife Verdienjte um diefen erworben. Wenn es den Ausjchuß 
num auch mit großer Befriedigung erfüllt, Ihnen heute ein jo erfreuliches 
Bild des gedeihlichen Wirkens unjeres Vereines entfalten zu können, jo tt 
er mweit entfernt, dies als Verdienſt für ſich allen in Anjpruch nehmen zu 
wollen, indem er fich mwohlbewußt ift, wie viel hievon der treuen Mit- 
arbeiterichaft, thatkräftigen Unterftügung und uneigennügigen Miühewaltung 
zuzutheilen ift, welche die Vertreter des Vereines auf dem Lande 
demjelben bisher gewidmet haben und noch widmen. Ohne ihren fürdernden 
Beiftand wäre es kaum denkbar, daß der Verein trog der ungünftigen 
Zeitverhältnijfe, der Gründung anderer Vereine und der vielfachen Inan— 
jpruchnahme aller erreichbaren Hilfe fiir jo viele andere Zwecke und 


RER. WENN 


Bedürfniſſe unjeres Volkes fich gleichmäßig auf einer Höhe von andert- 
halb Tauſend Mitgliedern erhalten hätte. Ihnen iſt es wejentlic) 
mit zuzujchreiben, daß Sinn und Verftändniß für die Beſtrebungen des 
Bereines in ihrem Wirkungskreis Eingang und Ausbreitung gefunden, und 
fi) unter allen ungünftigen Verhältniſſen erhalten haben. So jehr wir 
alfen unſeren Vertretern hiefür Dank wiljen, jo gilt er am heutigen Tage 
namentlich den Herren: Siftsjecretäv B. Juftin Bauer in Hohenfurth, 
Bezirksichulinfpector Joſef Girſchik in Saaz, Apotheker Eduard 
Janota in Falkenau a. E., Fabrifant Franz Jordan in Bodenbach 
und Fräulein Aloifia Maier in Betichau, ferner den Herren Realitäten- 
befiger Franz Pfannſchmidt in Lobofig, Bezirksſchulinſpector Franz 
Schneider in Trautenau und Notar Karl Schubert in Böhm.-Kamig, 
welche ihr Amt unausgejegt feit Beginn des Vereines verwaltet haben. 

Heute zu feinem Gründungsfefte von allen Seiten mit warmen 
Worten freundlicher Anerkennung begrüßt, gejtaltet ſich dieſes zu einem 
Ehrentage für den Verein, und im Hinblid auf feine Leiftungen darf er 
fi) der ihm entgegengebrachten Ehren und der gewordenen Anerkennung 
dankbar erfreuen. Der höchſte Lohn aber für feine fünfundzwanzigjährige 
Arbeit findet er in dem Bewußtjein, das Stammes- und Vaterlandsgefühl 
des deutschen Volfes kräftigſt gehoben und gefördert zu 
haben. Ohne anmaßlich und ruhmredig zu fein, darf er ich das Verdienſt 
zufchreiben, zumeijt mit dazu beigetragen zu haben, daß unjer Volk 
fi dejjen klar und fejt bewußt wurde, ein uraltes, fejtbe- 
gründetes Recht zu bejigen, Böhmen als Heimatsland zu 
betrachten, und daß alle die hämijchen Bemerfungen und Anſchläge 
unjerer Gegner, welche die Deutschen jo gern als Fremdlinge und Ein- 
dringlinge betrachtet und behandelt wiſſen wollen, ſiegreich widerlegt und 
niedergeworfen find, jo daß fie ſelbſt bei den Leidhtgläubigften nicht mehr 
zu verfangen vermögen. 

Gehoben von diefem Gefühle durfte der Verein auch daran denfen 
eine Anzahl hervorragender Gelehrter und um den Verein verdienter Männer 
zu feinen Ehrenmitgliedern zu wählen, um fie dem beiten Manne 
unjeres Volkes beizugefellen, dem der erjte vom Bereine ausgeftellte Ehren: 
mitgliedsbrief als Ehrengabe zu feinem vom deutjchen Volke in Böhmen 
feftlich begangenen 60. Geburtstage überreicht worden war. 

Leider hat aber der unerbittliche Tod aus der Reihe diefer Männer, 
die der Berein heute zu ehren gedachte, erſt in den jüngjten Tagen einen 
entführt, der wie jeder deutjchen Sache in Böhmen auch unferem Vereine 
vom Anfange ein wohlwollender, ſtets hilfreicher Freund und Gönner war, 


— 22 — 


unſer ſtiftendes Mitglied Richard Ritter von Dotzauer. Mit 
trauererfülltem Herzen legten wir auf die Bahre des edlen Verblichenen, 
deſſen Wahlſpruch „Treu und deutſch“ ſein ganzes Leben lenkte und leitete, 
als letzten Scheidegruß noch einen Kranz nieder, unvergänglich bleibt ſein 
Andenken allezeit auch in unſerem Vereine dankbar bewahrt. 

Aber noch vieler Anderer muß ich gedenken, die wir heute ſo gern 
in unſerer Mitte ſähen, deren Verdienſten um unſeren Verein wir ſo gern 
rückhaltsloſe Anerkennung zollen möchten, die uns im Laufe der Jahre 
durch den Tod entrückt worden ſind. So vermiſſen wir heute ſchmerzlich 
den Mitbegründer des Vereines, den langjährigen Vorſtandſtellvertreter und 
Gejchäftsleiter Dr. Aler. Wiechowskh, die verdienſtvollen Vorjtände Dr. 
3. Pelzel, Generalabt Freih. v. Zeidler, Grafen Edm. Hartig und 
Prof. Volkmann. Für immer und zu früh entrückt find uns auch die 
geweſenen Gejchäftleiter Ant. Shmalfuß, 8. Renner und Matth. 
Pangerl, die verdienjtvollen Mitarbeiter E.Bictor Ritter v. Hans- 
girg, Prof. J. E Födiſch, Dr. Kürfchner, Prof. Bernd. Schein— 
pflug, Dr. €. Tobias, Prof. Thurnmwald und Andere, und ebenfo 
hatten wir vor Kurzem erjt das Ableben unferes Iangjährigen Rechtsfreun- 
des und Ausschugmitgliedes Dr. Fried. Ritter v. Wiener zu beflagen. Auch 
die Reihen unferer Stifter hat der Tod mit unerbittlicher Hand gelichtet, 
Clemens Bachofen v. Echt, Joſ. Bayer, Abt Athanafius Bernd. 
v. Oſſegg, Alois Borroſch, Ehrift. Bufhbed, Andreas Haafe 
von Wranau, Alois Haafe in Trautenau, Dr. Edm. Konrad, 
Herm Marbach in Raufhengrund, Ed. Rößler in Sigmaringen, 
Wenzel Rofenauer in Budweis, Abt Johann Rotter von Brau- 
nau, Franz Rittervon Schmitt in Böhm.-Aicha, Eduard Seutter 
von Lötzen, Joſef Singer, Eduard Edler von Starf, Guftav 
Tetzner in Görkau, Clemens und GregorWalzelvon Wiejen- 
treu in Parjchnig, fie Alle betvauern wir heute als abgefchiedene Freunde 
und Förderer des Vereines, und mit ihnen eine lange Reihe anderer trefflicher 
deutjcher Männer, die wir zu unferen Mitgliedern gezählt haben. Allen, 
welche jemals unferem Vereine angehört haben, weihen wir heute in dieſer 
feierlichen, dem Abſchluß eines BVierteljahrhunderts gewidmeten Stunde, 
was wir mit ihnen und durch fie in fo glüdlicher und ehrenvoller Weife 
vollbrachten, einen Augenblid danfbarer und wehmüthiger Erinnerung. — 

Nachdem wir fo Rückſchau gehalten über eine fünfundzwanzigjährige 
gedeihliche Thätigkeit unferes Vereines, dirfen wir nun auch noch einen 
Blick in die Zukunft werfen. Noch lange nicht ift die Aufgabe, die fich 
der Verein geftellt hat, gelöft, das Biel desjelben entgiltig erreicht, noch gibt 


EEE EEE 


er — 


es viele verborgene Schäge zu heben, und Licht zu bringen in Gejchehnijfe, 
die heute noch in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt find. So bietet die 
Geſchichte des deutschen Volfes in Böhmen auch in der Zufunft ein weites 
Feld für erjprießliche wijjenjchaftliche Arbeit und zur Entfaltung jegens- 
reicher Thätigfeit für die Erjtarfung und Erhaltung unferes Stammesbe- 
wußtjeins. Als der Verein vor fünfundzwanzig fahren jeine erſten ſchüch— 
ternen Schritte ins Leben wagte, da fonnte man fragen: Wird er erfüllen, 
was er verheißt, wird ererreichen, was ererjtrebt? Doch heute jehen wir, 
daß zur Erreichung des Zieles die richtigen Bahnen eingejchlagen wurden, 
und daß nicht eitler Schall von ihm ausgegangen jei. Dahin gelangt 
durch gemeinjames Streben, wo wir uns heute jehen, fünnen wir vertraus 
ensvoll die Lojung für die Zukunft geben: Freudig und unermüdet 
auf unferer Bahn vorwärts! — Die Wurzeln unjeres Vereines 
jtehen in unſerem Volke, die Kraft, ji) mächtig und prächtig zu entfalten, 
hat er aus ihm, mit ihm wird er leben und weben — und untergehen. 
Aber ein Volksſtamm, der wie der deutfche in Böhmen eine Fahr: 
taujende alte Gejchichte hat, der wie der unfrige aus allen ſchweren, geradezu 
auf jeine Vernichtung abzielenden Bedrängnifjen immer fieghaft, geläutert 
und gefräftigt hervorging, kann und wird nicht untergehen, jo lange er ſich 
jelbft getreu bleibt! — Und wie wir nun hoffen und wünſchen, daß das 
deutfche Volk in Böhmen aus allen Stürmen und Gefahren der Gegenwart 
jiegreih, ungebrochen und veredelt hervorgehen und feine Kraft in unges 
trübtem Glanze neuer glücklicher Tage entfalten werde, jo hoffen und 
wünfchen wit, daß der Verein für jeine Gejchichte, die heute nur düstere 
Tage zu verzeichnen hat, in deren Geſchichte ſich gleichwohl mancher glän- 
zende Goldfaden deutjcher Mannesthat verwebt, dereinſt auch jene Tage 
einer bejjeren Zukunft zu verzeichnen haben werde, von denen wir und 
unfere Nachkommen auf unfere Gegenwart als auf eine Zeit jchwerer, doch 
glücklich überjtandener Brüfungen zurücdbliden werden. — Das walte Gott! 
Auch diefe Rede erfreute fich der freundlichjten Aufnahme feitens der 
Zuhörerſchaft, und nun erbat ſich Herr Dr. Franz Schmeyfal das Wort 
zu nachfolgenden, oft durch Beifallsfundgebungen unterbrochenen Worten: 
„Wir haben uns heute über den Ruf des Vorſtandes des Vereines 
für Gefchichte der Deutjchen in Böhmen hier eingefunden, um der Er: 
innerung an den Zdjährigen Beſtand dieſes Vereines einen würdigen und 
feierlichen Ausdrud zu verleihen. Seine eigene 2öjährige Gejchichte hat 
der Verein uns zu diefer Erinnerungsfeier vorgelegt, und was wir dabei 
vernommen, das gereicht dem Vereine und jeinem Vorftande zu hoher 
Ehre und uns Allen zu freudiger und ernter Erhebung. Dazu gejchaffen, 


—— 


der Wahrheit in der geſchichtlichen Darſtellung der culturellen Leiſtungen 
und Verdienſte der Deutſchen in dieſem Lande und um dieſes Land zu 
ihrem lang und oft verkümmerten Rechte zu verhelfen, der gegneriſchen 
Trübung oder Unterdrückung der geſchichtlichen, das dentſche Volksthum 
im Lande betreffenden Quellen zu wehren — das gleichwerthige Heimats— 
recht der Deutſchen in Böhmen durch den Nachweis ſeiner vollgiltigen auf 
tauſendjährige legitime Anſiedlung und ſchaffende Arbeit beruhenden Titel 
klarzuſtellen und gegen die übergreifenden ſlawiſchen Anſprüche eines pri— 
vilegirten, ausſchließenden Rechtes zu dieſem Lande kräftig zu ſchützen — 
das lebendige Recht des Reiches mit den ſcharfen Waffen der Wahrheit 
und Wifjenfchaft gegen die in jeder Phaje unferer verfaſſuugsmäßigen 
Kämpfe immer wieder, wenn auch in wechjelnten Formen erneuerten An- 
maßungen einer ftaatsrechtlichen Sonderftellung Böhmens zu vertheidigen 
— hat der Verein in 2djähriger eifriger und opfervoller Arbeit jeine 
wiſſenſchaftliche und nationale Sendung treu erfüllt und den reichiten 
Anſpruch auf das Vertrauen und den Dank des deutschen Volkes in 
Böhmen erworben. Diejes Vertrauen, diefer Dank fei an dem heutigen 
Gedenk- und Ehrentage dem Vereine und feinem pflicht- und zielbewußten 
Borjtande von uns ausgefprocdhen. Damit aber haben wir nicht genug 
gethan. Wir wollen und follen mit der Kundgebung des Vertrauens und 
des Dankes die feierliche Zufage verknüpfen, alfezeit treu und mannhaft 
für unfer bedrohtes deutsches Volksthum einzuftehen in Wort und That 
und im Streite für dasfelbe und unfer gutes Recht auszuharren jtandhaft 
und ungebeugt, auf daß der deutjchhiftorifche Verein in jenen Blättern, 
auf welche er die Gejchichte unferer Tage jchreibt, gerecht und wahr über 
uns den Saß verzeichnen könne: Sie haben Alle vollauf ihre Pflicht 
gethan und gehandelt als treue deutfche Männer. Und einen Wunſch noch 
lajjen Sie mic, ausfprechen: Möge der Tag nicht ausbleiben, welcher den 
deutjchhiftorischen Verein dazu ruft, den Sieg unferer gemeinfamen natio- 
nalen Beftrebungen in feine Tafeln einzutragen. Geſtatten Sie mir zum 
Schluffe die Bitte, uns zur Ehre des gefeierten Vereines und zum Zeichen, 
daß wir in diefen Gefinnungen einig find, von den Sigen zw erheben.“ 
Nachdem die fämmtlichen Anwefenden der Aufforderung. des ver- 
ehrten Führers des deutfchen Volkes nachgefommen waren, verkündete ver 
Gejchäftsleiter die einjtimmige Wahl der nachfolgenden Herren zu Ehren: 
mitgliedern des Vereines: 
Se. Ereellenz Dr. Ritter Alfred von Arneth, geheimer Rath, Mitglied des 
Herrenhaujes, Director des ka k. Haus, Hof- und Staatsarchives 
in Wien. 


—- 25 — 


Dr. Alois von Brinz, Univerſitäts-Profeſſor in München, 
Chriftian Ritter von d'Elvert, f. f. Hofrath in Brünn. 
Hubert Ermiſch, königl. Archiv-Rath in Dresden. 
Dr. Wilhelm Gieſebrecht, geheimer Rath, Univerſitäts-Prof. in München. 
Dr. Colmar Grünhagen, k. Staats-Archivar, Univerſitäts-Prof. in Breslau. 
Dr. Conſtantin Ritter von Höfler, Hofrath, Univerſitäts-Prof. in Prag. 
Dr. Alfons Huber, Univerjitäts-Profefjor in Innsbruck. 
Dr. Franz Krones Ritter von Mardland, Univerfitäts-Brofeifor in Graz. 
Dr. Johann Loſerth, Univerfitäts:Brofefjor in Czernowitz. 
Dr. Ernjt Martin, Univerfitäts-PBrofefjor in Straßburg. 
Dr. Hermann Markgraf, Archivar, Univerfitäts-PBrofeflor in Breslau. 
Dr. Anton Springer, kön. ſächſ. geheimer Hofrath, Univerfitäts:Profejjor 
in Leipzig. 
Dr. Sigumnd Niezler, Oberbibliothefar in München. 
Dr. Theodor von Sidel, k. k. Hofrath u. UniverfitätssProfefjor in Wien. 
Das Ausihußmitglied Herr Prof. Dr. Hans Lambl brachte nunmehr 
nad einer furzen jchwungvollen Einleitung die zur Feſtfeier eingelangten 
Begrüßungsfchreiben und Zelegramme zur Verleſung. Durch längere Zu- 
Ichriften jprachen ihre Glückwünſche aus: 
Herr JUDr. Alois von Brinz, Univerjitäts-Profejfor in München. 
Der Löblihe Verwaltungsausfhuß des Gejammtvereines der deutjchen Ge— 
ſchichts- und Alterthumsvereine in Berlin. 
Der löbl. Verein „Herold“ in Berlin. 
FE „ Fir Gedichte und Altertum Schleſiens in Breslau. 
a „ für Hamburgiſche Gefchichte in Hamburg. 
ie „ für Erdkunde zu Leipzig. 
un » für Lübedifche Geſchichte und Alterthumskunde in Lübeck. 
„.„ hiſtoriſche Verein von Oberbayern in München. 
Die „ “ Geſellſchaft für die Provinz Poſen in Poſen. 
"m anthropologifche Geſellſchaft Wien. 
Die löbl. Vertretungen des Bereines für Gejchichte der Deutjchen 
in Böhmen in Eger, Falfenau, Grulich, Iglau, Joſephſtadt, Karlsbad, 
Landskron, Tannwald, Teplitz, Tetihen a/E., Trautenau. 


Im telegraphijchen Wege gratulirten: 
Herr Dr. Hermann Hallwich, Faiferlicher Rath, Handelsfammerjecretär in 
Reichenberg. 
„ Anton Meißler, E. k. Hauptmann, Neichsraths - Abgeordneter in 
Deutſch-Mlikojed. 


Herr Dr. Karl Bidert, Buchdrucdereibejiger, Reichsraths-Abgeordneter in 

Leitmeritz. | 
Der löblihe Stadtrath in Böhm-Xeipa, Brüx, Eger, Kaaden. 

Die löbliche Nedaction der Brüxer Zeitung. 

Der löbliche afademifch-hiftorifche Verein in Berlin. 

Die Töbliche jchlefische Geſellſchaft für „Vaterländiſche Kultur” in Breslaı. 
Der Töblihe Verein für Erdkunde in Dresden. 

Der löbl. Verein für ſiebenbürgiſche Landeskunde in Herntannjtadt. 

Die löbliche deutſche Leſehalle in Hohenelbe. 

Die löbliche Hiftorifche Gefellfchaft für Poſen in Poſen. 

Die löbl. Vertretungen des Bereines für Gejchichte der Deutjchen in 
Böhmen in Ach, Auſſig, Arnau, Böhm.-Leipa, Bodenbah, Braunau, 
Brüx, Budweis, Elbogen, Friedland, Gablonz, Graslig, Hohenelbe, Hohen: 
furth, Joachimsthal, Kaaden, Karbig, Komotau, Königswart, Krumau, Leit— 
merig, Loboſitz, Marienbad, Neudek, Oberleutensdorf, Petſchau, Pilſen, 
Reichenberg, Saaz, Schönlinde, Trautenau, Warnsdorf, Wien. 

Nachdem der Vorſitzende den Anweſenden, insbeſondere dem Herrn 
Dr. Franz Schmeykal für ihr Erſcheinen in herzlichſten Worten gedankt 
hatte, wurde ſodann die Verſammlung geſchloſſen. 


— — — — 


Zur Geſchichte der deutfhen Sprache und 
Literatur in Böhmen. 


Von W. Toiſcher. 
LV. 


Zwei Förderer deutſcher Dichtkunſt in Böhmen um die 
Wende des 13/14. Jahrhunderts will ich Hier in Erinnerung bringen, 
von denen der eine wenigjtens in diefer Eigenfchaft bisher noch nicht ge- 
würdigt wurde, wenn auch fein Name den Hijtorifern befannt genug ift, 
der andere aber überhaupt vergejjen zu jein jcheint. Der erfte ift 


Ulrich (11.) von Neuhaus. 


Die Geſchichte der erjten Herren von Neuhaus hat (abgefehen von 
dem wenig verläßlichen Werfe von Claudius) Pangerl dargeftellt im Arch. 
für öfterr. Gejchichte 51, 559 ff. bricht aber da leider jchon mit Ulrich I. 


ab. Die Herren von Neuhaus bilden einen Zweig der mächtigen Familie 
der Witigonen und jie führten wie ihre Vettern, die Herren von Krummau, 
von Roſenberg, von Landjtein, die fünfblättrige Roſe im Wappen. 

Der Ahnherr der Linie Neuhaus hieß Heinrich, darnach nennen die 
ZTichehen Stadt und Burg Neuhaus auch Jindrichüv hradee (Heinrichs- 
burg). In den Urkunden iſt am häufigjten die Bezeichnung de Nova 
domo, jeltener de Novo castro. Heinrich von Neuhaus erjcheint urkundlich 
in den Jahren 1205-1237. Ein Enkel von ihm ijt Ulrich von Neuhaus, 
der erſte dieſes Namens, auch einmal deutjch de Newenhaus (1265 jiehe 
Reg. Boh. Il, Wr. 484) genannt. Er war 1265—1269 fünig. Unter: 


fämmerer, erjcheint häufig in Urkunden in den Jahren 1260—72, lebte 


aber noch 1277. Seine Gemahlin war Maria von Pleien-Hardegg, die 
ihn lange überlebte (1294 Maria comitissa de Hardek, relicta quondam 
d. Ulriei de Nova domo ſ. Reg. Boh. II, Nr. 1597; vergl. Nr. 1830, 


vom Jahre 1299). Ulrich wurde in der Kirche des deutjchen Ordens in 
Neuhaus begraben. 


Der Sohn Ulrichs und der Maria hieß wieder Ulrih. Als Zeuge 
begegnet er das erjtemal zugleich mit feinem Bruder Otto im Jahre 1251 
(Reg. 11, Nr. 1265), dann gleich wieder 1282 in einer Urkunde Heinrichs 
von Rojenberg, die wichtig ift für die Entjcheidung der Frage der Herkunft 
der Witigonen, weil Heinrich von Nofenberg hier Albrecht von Habsburg 
feinen consangwineus karissimus nennt und. fih auf den Grundjag 
jtüßt: quos sangwinis unit ydemptitas — etiam vniat et concordet 
ydemptitas animorum (f. Reg. II, Wr. 1271). In demfelben Fahre 
begegnet auch wieder der deutjche Name in lateinifcher Urkunde Ulricus 
de Nevehovs, wenn hier nicht Ulrich 1. gemeint iſt (Reg. II, Wr. 1278): 
diejelbe bayrische Wortform wie fpäter in der deutjchen Urkunde von 1300 
(Reg. II, Nr. 1857): von dem Newenhaus. Als der junge König 
Wenzel II. im Alter von 12 Jahren jelbft die Regierung wenigjtens formell 
übernommen hatte, war Ulrich von Neuhaus unter denjenigen, welche für 
die Verfühnung des Königs mit Zawiſch von Falfenftein wirkten. Am 
24. Mai 1284 (Reg. I, 1316) erfolgte nad) längeren Kämpfen und 
Unterhandlungen der Friedensichluß;") hinter einander find da die Herren 
von der fünfblättrigen Roſe unterzeichnet: der dämoniſche Zawiſch von 
Falfenjtein, der Gemahl der Königin-Mutter zuerft, dann jein Bruder 
Witigo von Krumman, königl. Unterfämmerer, dann Heinrich von Rojen- 
berg, zulegt Ulrich) von Neuhaus. Zawiſch hatte da den Gipfel der Macht 


1) Ausführlich hat darüber gehandelt Pangerl, Mittheilungen X., 171 ff. 


— — 


erreicht, thatſächlich war er Regent des Laudes. Doch nur wenige Jahre 
verfloſſen und es zeigte ſich auch hier, wie auf die großen Höhen „der 
tiefe, der donnernde Fall“ folgt. Ulrich von Neuhaus ſcheint nicht zu den 
unbedingten Bewunderern und Anhängern des mächtigen Vetters Zawiſch 
gehört haben. Schon in der Schenkungsurkunde vom 23. October 1285 
(Reg. II, 1358) vermiſſen wir unter den Zeugen d. i. Anhängern Zawiſchs 
unfern Ulrich. 1288 brach der Kampf aus zwifchen dem König und 
Zawifc und feinen Anhängern. Aber obgleih in diefem Jahre die Ver: 
pflichtungen, die auch Ulrich mit ſchwerem Eide 1234 auf ſich genommen 
hatte, aufhörten, er jcheint dem Könige die Treue bewahrt zu haben. Am 
24. Auguft 1990 fiel das Haupt des mächtigen Zawiſch vor Frauenberg, 
das Witige von Krummau hartnädig vertheidigte, aber ſchon am 10. Ja— 
nuar 1289 war Ulrich von Neuhaus in Prag anweſend bei der Huldigung 
Kazimirs, Herzogs von Oppeln, und iſt als Zeuge diejer feierlichen Hand- 
lung mit genannt, er allein von allen Witigonen (Reg. II, 1466). Sein 
Bater war 1276 mit den Vettern von König Ottofar II. abgefallen und 
die Eonfiscation feiner Güter war 1277 verhängt worden. Die Strafe 
wurde zwar nicht vollzogen, da ja Ottofar jchon im folgenden Jahre fein 
tragifches Ende fand, aber es ift wohl möglich, daß dieje Eindrüde aus der 
Jugendzeit jo fejt in der Erinnerung des zweiten Ulrich hafteten, daß er 
davor zurücjchredte, das Schwert gegen den König zu erheben. Sicher 
rühmt nicht umſonſt ein Dichtersvon ihm (um das hier gleich zu erwähnen) 
er habe jein Wort nie gebrochen. 

1293 übergab Ulrich eine neue Kapelle in Neuhaus ſammt einigen 
Grundſtücken in der Umgebung dem deutfchen Orden, der dafür den Gottes: 
dienst in der Kapelle übernahm; in der Urkunde, die darüber ausgeftellt 
wurde‘(Reg. II, 1628), wird Neuhaus zum erjtenmale Stadt genannt. — 
1294 bejtimmte er, daß jein Beſitz an den König fallen follte, falls er 
ohne männliche Erben fterbe. Falls er noch Töchter befomme, wird der 
König diefen dafür eine ftandesgemäße Ausjtener geben. Eine Reihe von 
Beſitzungen ift feiner Gemahlin Mechtildis vorbehalten, die aber der König 
um 1000 Mark reinen Silbers ablöjfen kann. Falls Meechtildis vor ihm 
jterben und er ein zweitesmal heiraten follte, jo darf er der zweiten Frau 
diejelben Güter jchenfen. Vorbehalten ift der Befig feiner Mutter Maria, 
vorbehalten auch das freie VBerfügungsrecht über einige andere Güter. Der 
König hat ihm dafiir mehrere Güter zum Nußgenuß während der Zeit 
jeines Lebens überwiejen, diejelben Rechte an der Straße, welche dur) 
Neuhaus führt, ihm bejtätigt, welche fein Vater und Großvater beſeſſen 
hatten, endlich) ihm erlaubt, 3 Juden mit ihren Familien in Neuhaus 


— ..: 


anzufiedeln mit denjelben Rechten und Pflichten ihm gegenüber, wie fie 
die übrigen Juden dem Könige gegenüber haben. Wie fein Vater will er 
in der Kirche des deutjchen Ordens in Neuhaus begraben fein. Zuletzt 
ijt eine frühere Schenkung feiner Güter an den Vetter Heinrich von 
Nojenberg für den Fall, als er ohne Kinder fterben jollte, widerrufen. — 
Die Urkunde ift ausgeftellt am 25. Yuli 1294 in Prag (Rer. II, 1650). 
Der Widerruf am Schluß läßt auf eine Verftimmung zwilchen den Vettern 
— wenn nicht ärgeres — jchließen; ob die Urſache davon vielleicht gerade 
die Königstreue Ulrichs war? 

Die folgenden Jahre machte er wieder einige Schenkungen an Klöſter 
und Orden: 1296 an Welehrad (Reg. II, 1723); 1297 an ven Tempel— 
orden (Reg. II, 1765), und zwar ift das ein Hof bei Rudgerslag wie 
der Name bier gejchrieben tft, in einer früheren Urkunde (Nr. 1656) hieß 
es Rudegerschlog; 1298 (Reg. II, 1786 die Beftätigung einer Schenkung 
an das Klofter Wizowig (Smilenheim); 1299 wieder eine Schenkung an 
Welehrad für das Seelenheil feines Urgroßvaters (attavus) Heinrich, der 
dort begraben iſt (Reg. II, 1830), und zwar gejchah diefe Schenfung mit 
Beiftimmung feiner lieben Mutter, der Frau Maria. Dann finde ich ihn 
nur noch einmal als Zeuge in einer Urkunde vom 8. December 1303 
(Reg. I, 1982): als erſter - unterzeichnet da Heynricus de Rosenperch, 
summus Boemie camerarius, al$ dritter Ulricus de Nova domo, 
purchrauius de Brunow. 

Ulrich hat aber den König Wenzel II. und deſſen Sohn überlebt. 
Jene obenerwähnte Schenkung an den König war auf alle Fälle gegen: 
jtandslos geworden, da Ulrich doch noch einen Sohn gewann, der gleich: 
falls Ulrich hieß. 5. Mat 1312 bejtimmt König Johann, daß die Witwe 
des Ulrich von Neuhaus und fein Sohn und feine Unterthanen während 
eines Jahres nicht vor Gericht citirt werden dürfen (Reg. III, Nr. 76): 
dieje Beſtimmung ift doch wohl getroffen aus Anlaß des Ablebens des 
Heren Ulrich. Ausdrücklich fteht übrigens da, daß der König Johann dem 
Ulrich felbit das Verfprechen gegeben hat: quod per nos praefato Ulrico 
(der Sohn iſt in der Urkunde nicht benamıt) commissum est expresse ... 
Diefer Ulrich IH. ift danıı genannt 1317 (Reg. III, 408: Ulrich von 
den Nuwen Huse), 1319 (Reg. III. 535) u. d. Dieje letzte Urfunde 
betrifft eine Schenfung an das Klojter Wilhering, und zwar gejchieht das 
auf Rath und mit Willen der Mutter Mechtildis für das Seelenheil jeiner 
Schweiter Agnes, domine de Schawenburg. 

So viel oder fo wenig weiß ich über das Leben Ulrich IL. bei- 
zubringen: vielleicht unternimmt es einmal ein Kumdigerer, die Biographie 


& 


— 30 — 


des Mannes weiter auszuführen. Sp viel geht aus den angeführten 
Daten hervor, daß er nicht zu den großartigen Gejtalten des Witigonen- 
gejchlechtes gehört, aber vielleicht war jeine Perſönlichkeit deſto liebens— 
würdiger. Er betheiligte ji wenig an den großen Händeln der Zeit, er 
jheint ein frommer Mann gewejen zu fein, der till auf feinen Gütern 
baute, bedacht auf die Hebung der Eultur in feinem Gebiete. Ein Mann 
des Friedens war er und als jolcher war er natürlich empfänglich für den 
Sauber der Kinfte, erwies er fich hold den Sängern und Dichtern. 

In zwei Dichtungen begegnet jein Name!) Auf feiner Burg Neu: 
haus lebte eine Zeitlang der Dichter von Ludwigs des Frommen Kreuz— 
fahrt und er hat nicht unterlafjen, feinen edlen Wirth zu rühmen.*) Bei 
Abfaſſung des Werkes (noch bei Lebzeiten Wenzel IL) war Ulrich von 
Neuhaus noch am Leben. Wenn der Dichter trogdem im Präteritum von 
ihm Spricht, jo erklärt jich das daraus, daß er eben, wie er zweimal ver: 
jichert, das berichtet, was er ſelbſt früher gejehen und erfahren hatte, als 
er fich bei ihm aufhielt, während das Gedicht in Schlefien abgefaßt zu 
jein jcheint. Anlaß zum Preiſe Ulrichs bietet die Erwähnung eines Grafen 
Leutolt von Pleyen in feiner Erzählung (V. 1018). Da jegt er hinzu, 
das war der Ahne der tugendreichen Gräfin Maria (V. 1038 ff.), deren 
Brüder Otto und Konrad bei Laa fielen.?) Dieje edle Maria hatte einen 


1) Pangerl, Arhiv für öfterr. Geſch. 51, 527 würde jchon Beziehungen zwifchen 
den Witigonen und deutfcher Dichtkunft annehmen, wenn, wie er für möglich 
bält, da Krumbenouwe im Frauendienft Ulrichs von Richtenftein (Lachmann 
477. 502. 504.) das Krumman im füdlichen Böhmen wäre. Aber da hat ficher 
Karajan Recht, der das mähriſche Krummau darunter verftanden willen will. 
Uri von Lichtenftein wird zu einem Turnier bei Krummau eingeladen, als 
er bei Wiener: Neuftadt fi) aufhält. Die Botin der Frau Ehre, die ihm die 
Einladung überbringt, fommt im Geleite des Weis Kadolt, dem Ulrich v. 2, 
das höchſte Lob ertheilt, und diefer war ein Mährer. Er erjcheint als Katoldus 
Orphanus in Urkunden 1254—58 (Reg. II, 24. 153); 1261 macht jeine Witwe 
Elijabeth eine Schenkung an ein mähriſches Klofter (Reg. IL, 318 vergl. 523). 
Außerdem jcheint mir auch die Entfernung zu groß zwilchen Wr. Neuſtadt 
und Krummau in Böhmen für eine jolhe Einladung. Denn dieje geſchah auf 
14 Tage nad) Annahme derfelben, und Ulricy bleibt noch dazu von den 14 
Tagen eine volle Woche vor Wiener-Neuftadt, jo daß nur 8 Tage für den 
Zug übrig blieben. 

Was Röhricht, Zeitihrift für deutiche Philologie 8, 440 über Ulrich von 
Neuhaus vorbringt, ift voll arger Verwirrung. 

Vergl. Zeitichrift f. deutſches Alterthun 30, 213 und die dort citirten Schriften. 
— Wenn man jchon irgend eine hochgeftellte Perfönlichkeit zur Vermittlung 
der literariichen Traditionen zwiſchen Defterreih und Böhmen namhaft maden 
wollte, wie R. Müller (Zeitichr. für dag Alterth. 31, 101) will, fo wäre dieje 


8 


3 


u 


Mann, der aucd reich war an Ehren und durchaus mannhaft, ev hieß von 
dem Nuwenhuse. Seine Ahnen — fährt der Dichter V. 1059 FF. fort — 
waren hohe Grafen in Thüringen, Meißen, Schwaben, einige derfelben 
jtanden dem Landgrafen bei auf feiner Kreuzfahrt. — Wenn das über: 
haupt einen Sinn hat, jo kann es nur heißen: feine Ahnen ſtammen aus 
Deutichland, und wir hätten damit auch ein altes Zeugniß fir die deutjche 
Abftammung der Witigonen, für die auc ihre VBerwandtichaft mit den 
Habsburgern u. a. Ipricht. Vgl. Bangerl, Archiv ſ. öſt. Geſch. 51, 507 ff., 
wodurd die Frage freilich nody nicht emdgiltig gelöft iſt. Der Dichter be- 
richtet danı V. 1066 ff. weiter: 

„Diejer Ulrich hinterließ einen Sohn, der auch Ulrich hieß von dem 
Nuwenhuse. Mit Wahrheit kann ich jagen durchaus jo, wie ich ihn er- 
fannt habe: der vereinigte in fich alle guten Eigenschaften. Nach dem 
Gebot der wahren Liebe liebte er Gott innig aus allen feinen Kräften und 
jene Mitmenfchen wie fich jelbjt. Er war gütig und gnädig und dabei 
doh mannhaften Sinnes. Arme und Neiche waren ihm gleich, er trat 
allen mit derjelben Freundlichkeit entgegen. In großer Demuth ehrte er 
die Armen, gern half er ihnen und theilte ihnen mit von dem ihm ger 
liehenen Gute nach dem Gebote jener Lehre, daß der Menſch alles von 
Gott zu Lehen trage. Auch den Befigenden erwies er jich hilfreich, Gott 
zu Ehren und jeinem Anfehen gemäß. Er war ein fröhlicher Wirth allen 
Gäſten, felten war fein Hof leer von jolchen; für fie war er ein Burgherr 
ganz ohne Tadel (ein volkumen wirt), auch gütig und wohlgefinnt gegen 
jein Gefolge und feine Diener. — Ich fage euch nichts als was wahr ift, 
wie ich ihn jelbft fennen gelernt habe.“ 

Für Ulrich von Neuhaus hat auch ein gewifjer Friedrich die Ale— 
randreis Ulrichs von Eſchenbach (wohl äußerlich bejonders prachtvoll, wer 
auch nicht mit großer Genauigkeit) abgefchrieben, und Friedrich konnte 
fich nicht enthalten feinerfeit3 einmal ein größeres Stüd, enthaltend eine 
etwas jonderbare Hymne an ein Schentmädchen, und zu wiederholtenmalen 
einzelne Verſe eigener Fabrication in die Dichtung einzufchalten. Ulrich von 
Eſchenbach preiſt den König Wenzel und verjichert, ihn, in deſſen Lande 
er geboren jei, nächjt Gott für jeinen Herrn zu chren. Friedrich jet 
dazu (nad) V. 27628): „Dasjelbe thu ich zu Ehren meinem lieben Herren, 
Herrn Ulrich; ihm will ich gleichen, dem milden Aar, der ſtets jein Wort 





Maria von Neuhaus geborene Gräfin von Pleien-Hardegg viel eher zu nennen 
als Heinrih von Dewin. Uber die Verbindungen diefer Länder feit Ottofar IL. 
find jehr zahlreich und mannigfaltig und e3 darf eine folhe Vermittlung nicht 
einem oder einigen einzelnen zugelchrieben werden. 


a BB 


hält. Darum muß er gepriefen werden heute und immer." 3. 27635 
kann er auch die Bezeichnung von Neuhaus anbringen: von dem neuwen 
hous die werde vruht für das urjprünglic;e Wenzeslawe die reine 
vruht. Friedrich hat dabei dem Brauche der Zeit gemäß die Dichtung in 
die ihm geläufigen d. i. bayrifchen Sprachformen umgejchrieben. Es ift 
anzunehmen, daß Friedrich den entfprechenden Lohn für feine Mühe von 
feinem Herrn erhalten hat, wie er es erwartete. Die Alerandreis muß 
bei Ulrich von Neuhaus jedenfall großen Anklang gefunden haben, denn 
von da geht ihre weiteſte Verbreitung aus. Die meiſten Hſſ., die ums 
von dem Werk Ulrich von Eſchenbach erhalten find, gehen auf die Neu- 
hauſer Hſ. zurück, dieſe ſelbſt ift jedoch nicht erhalten. 

Neben den Witigonen tritt unter Ottokar II. das Geſchlecht der 
Rieſenburger durch Borſo beſonders hervor. Auch in dieſer Familie findet 
ſich ein Freund und Gönner deutſcher Dichtkunſt. Es iſt 


Borſo II. von Rieſenburg. 


Der Anhang zur Alexandreis Ulrichs von Eſchenbach beginnt mit 
einem ſchwungvollen Gebet und dann heißt es V. 87 ff. (des ganzen 
Werkes 28087 ff.): 


„Gott, Herr, in deinem Namen beginnt diefes Werk, wie der Vor— 
nehme, Werte und Edle das wünſchte, der Denken und Sinnen und fein 
füßes Herz in den Jahren blühender Jugend richtete auf weiſes Gebahren 
und auf die Lehren der Tugend, der ftrebte nach ritterlicyen Ehren und 
ſich jehr darum bemühte, als er noch unter ehrenvoller Aufjicht jtand 
(? unde muote grözlich in @ren huote; die hier einzige Hſ. lieft gute). 
Die Bücher, die von kühnen Thaten berichten (die buoch der tugende 
tete) wollte er bejtändig hören und die merkte er fid) wohl. Zu dieſem 
Werke hat er mich verpflichtet nach feinem Begehren und ich komme feinem 
Wunfche mit dem Werfe nad) und es foll mic) dabei nichts verdrießen, 
joweit ich nur überhaupt kann und meine jchwache Kunft reicht (min kranc 
kunstlöser sin des bewiset) und mir dabei Hilfe gewährt derjenige, der 
die Weisheit ift, der Sohn der Jungfrau, Jeſus Chriftus. 

„Eine Begebenheit von Alerander hatte ich ausgelafjen, die ich bisher 
nicht erzählte und nicht hinzufegen wollte und zwar deshalb, weil ich mich 
genauer erkundigen wollte. Ich hatte fie nicht vollftändig erfahren, jeßt 
aber bin ich auf den Grund gefommen (ze ende komen). Derjenige, dem 
die Erzählung vielleicht wohl anfteht, der foll Freude darüber empfinden, 
der junge wohlerzogene Mann, der edle Riefenburger mit Namen Borjo HU. 


ans; Feige OUT 


— BB 


(der junge ®renbzere, der edel Risenburgere mit namen Borse 
der ander). 


Wer war nun diefer Borjo? In welchem Berhältniß ſtand er zum 
eriten Borſo? 

Eine genealogifhe Studie iiber „Die Anfänge der Rieſenburge“ hat 
Joſ. Teige Mitth. XXII, 166 ff. veröffentlicht. Aber die genealogifchen 
Forſchungen diefes Herrn jcheinen ebenjo oberflächlich zu fein wie feine 
fiterarhiftoriichen. Er fennt einen Borso II. gar nicht, objchon er bis 
1310 die Gefchichte des Hanfes verfolgt. Was bei ihm Borefch II. ift, 
iſt thatjächlich Borso J., denn jein Vater Bohuslaus hat fich zuerſt nad) 
der Riefenburg genannt. Dieſer Borjo, einer der Verräther an König 
Dttofar II., ift im Jahre 1278 gejtorben. Ein Sohn von ihm hieß 
Zlabko (Slavko, Slavik), der neben dem Vater unter anderen in der Ur: 
funde über den Frieden mit Ungarn vom 13. Juli 1271 unter den ba- 
rones regni mitunterzeichnet iſt (Zlabko filius Borschonis, f. Reg. II, 
753 u. vgl. Nr. 442 vom 13. März 1264). Er muß früh geftorben fein, 
da er in Urkunden fpäter nicht wieder begegnet. Ein anderer Sohn Borjos 
hieß Bohuslaus. Diejer überlebte jeinen Vater, wie aus einem Briefe 
Rudolfs von Habsburg, der fich für ihn verwendet, hervorgeht: Cum no- 
bilis vir Borlaus (= Bohuslaus) quondam Borsonis filius — paterno 
solatio destitutus . . . (Reg. II, 1162). Er war vermählt mit Agatha 
von Schönburg. 1280 ift auch er jchon todt. In einer Urkunde (Reg. 
II, 1219) vom 12. Nov. 1230 wird die Agatha de Schomburg, die 
Schweiter Friedrichs von Schomburg, relieta prefrati (prefati) d. Bo- 
huzlai de Rysemburg genannt. Friedrich von Schönburg wurde zum 
Bormund der Kinder feiner Schwejter beftellt. Urk. v. 18. Juli 1281 
(Reg. II, 1244): loco d. nostri Friderici de Schonburg, tutoris 
puerorum de Rysenburg. (Es ijt eine Schenkung an ein Klojter 
ob salutem et remedium animarum d. Borsonis de Rysenburg et 
suorum heredum.) Unter den Mündeln war nun auch Borjo II, ver 
aljo ein Sohn des Bohuslaus von Riefenburg und der Agatha von Schön- 
burg iſt. Das zeigt die Urkunde ddto. Udelig, 7. April 1295, wo Borso 
de Risenburch eine Schenfung feiner Oheime (Mutterbrüder) Friedrich 
und Theodorich auch jeinerjeits beftätigt (Reg. II, 1684). Er ift aljo in 
diefer Zeit bereits mündig.“) Eine andere Urkunde jtellt er aus im Fahre 


1) Die Brüder Wilhelm, Bretislaw, Protiwa Depold und Uri, die Zeige als 
Abfmmlinge Slawco's, des Sohnes des erften Borjo, aufführt, gehören gar 
nicht in das Geſchlecht der Riefenburge, jondern der Rieſenberge. Das hat 

Mittbeilungen. 26, Iahrgang. 1. Heft. 3 


DE 


1302 (Reg. II, 1913), eine ijt undatirt (1300—1303 |. Reg. II, 2759; 
Schlefinger Stadtbuch von Brür ©. 14). As Zeuge erjcheint Borſo von 
Niefenburg im Juni und im Auguſt 1303 (Reg. II, 1971. 1973), beide- 
mal bei Schenfungen au das Klofter Marienthal. Noch 1312 wird einer 
auf der Niefenburg ausgeftellten Urkunde das Siegel Borjos angehängt 
(Reg. III, 105 Stabtb. v. Brür ©. 19), Am 4 März 1314 begegnet 
juerft Boyzlaus dietus de Risenburch (Reg. III, 183. Stadtb. v.. Brüx 
©. 20) und noch im folgenden Jahre 1315 tft einer Urkunde, die diejer 
Bohuzlaus de Rysenburch ausjtellt, da8 Siegel feines Vaters Borjo an- 
gehängt (Reg. III, 242; Stadtb. v. Br. ©. 20). Wem ich nun noch 
hinzufüge, daß noch 1320 ein Streit erwähnt wird zwifchen Hermann von 
Schönburg und feinem Oheim Borjo von Ryſenburch (Reg. III, 638), 
jo habe ih auch jchon alles erwähnt was mir über diefen Mann 
befannt tft. 

So viel geht aus dem Angeführten mit Sicherheit hervor, daß auch 
er nicht zu den thatenreichen Männern feiner Zeit gehört, daß ex darin 
weit zurücjteht Hinter jeinem Großvater. — Damit man nun aus diejer 
bejcheidenen Stellung. die die beiden Förderer der deutſchen Dichtkunft, von 
denen ich hier berichte, im reichbewegten politifchen Leben ihrer Zeit ein- 
nahmen, nicht übereilter Weife ungünftige Schlüffe auf die Wirkung der 
Pflege der Poeſie überhaupt mache, muß ich doch ausdrücklich darauf hin- 
weiſen, daß in derjelben Zeit auch der thatenreiche, Huge Raimund von 
Zichtenburg als Gönner eines deutjchen Dichters: erfcheint, daß auch der 
abenteuerfrohe Johann von Michelsberg als folcher anzuſehen ift (ſ. Mit- 
theil. XV, 149 ff. XXI, 194 ff") XXIII 329 ff). Damit ift auch die 
Thatſache feftgeftellt, daß ich in der zweiten Hälfte des XIII. und zu 
Beginn des XIV. Jahrhunderts nicht nur die böhmischen Könige, fondern 


ihon Emler im under zu den Regeften bemerkt, nah den Urkunden vom 
28. April 1287 (Nr. 1406): Willehelmus, Brzeslaus, Prothiva, Ulrieus, filii 
Thieboldi de Resenbere und vom 28. April 1297 (Nr. 1750) Brzetis- 
laus, Prothiwa et Dipoltus, filii quodam Dipolti de Rismberg. In 
Nr. 1492, de dto. 17. Februar 1290 waltet einfady ein Schreibfehler, wenn da 

ſteht Wilhelmus et Psretzlaus et Protziwa fratres de Risenburch. Das 
hätte Teige finden müſſen, auch wenn ihm Emler nicht ſchon das richtige vor: 
gejchrieben hätte, aber er führt die Leſer abfichtlich irre, wenn er ©. 172 jene 
Namen de Rismberg und de Resenbere verfchweigt. Wenn 1280 oder 1281 
ein Bormund aus einem anderen Haufe für die Enkel Borjos beftellt wird, 
jo fünnen unmöglic 1287 ſchon 4 mündige Urenfel vorhanden fein. 

1) Klimeich bemerkt S. 197 richtig, daß die NRitterfahrt nicht 1303 ftattgefunden 
hat; ich hatte das nad dem Erſcheinen der Ausgabe des Dalimil von Jiredek 


— 85 — 


dieſen nacheifernd auch Männer, die den vornehmſten und mächtigſten Adels— 
geſchlechtern Böhmens angehörten, den Königen nacheifernd der deutſchen 
Dichtkunſt zuneigten, während Reimar von Zweter noch Klage geführt hat, 
daß niemand im Lande Böhmen ihn ehre als der König (Wenzel J. — 
S. Mitth. XVI, 22). 


— — 


Der Schwerttanz im ſüdlichen Böhmen. 


Von 3. J. Ammann. 


Seitdem K. Müllenhoff in den „Feſtgaben für Guſtav Homeyer“, 
Berlin 1871, ſeine intereſſante Abhandlung über den Schwerttanz geſchrieben 
und denſelben auf Grund der verſchiedenen Ueberlieferungen kritiſch unter— 
ſucht hat, iſt die Sammlung der Schwerttänze verhältnißmäßig nur um 
weniges erweitert worden. Müllenhoff ſelbſt hatte erwartet, daß bald von 
verſchiedenen Gegenden Deutſchlands neue Ueberlieferungen aus Vergan— 
genheit oder Gegenwart einlaufen werden (S. 147), allein ſchon in der 
Zeitſchrift für deut. Alterth. 18.9 weiß er nicht viel Neues beizubringen 
und ebenſo in Zeitſchrift 20. Außerdem iſt im Seeboten aus Ueberlingen 
am Bodenſee Nr. 27, 1886 (auch in Alem. 14 S. 247 abgedruckt) eine 
hübſche Mittheilung zu finden über eine Aufführung des Schwerttanzes, 
welcher daſelbſt im 16. Jahrh. üblich war und noch im vorigen Jahre am 
Faſtnachtsdienſtag in hiſtoriſcher Tracht (d. i. die alte Tracht der Rebleute) 
zur Beluſtigung des Volkes aufgeführt wurde. Vgl. auch Alem. 14 S. 183. 
Auch das deutſche Volk Oeſterreichs hat Antheil an dem Schwerttanz, und 
zwar iſt es Salzburg in erſter Linie, wo ſich derſelbe ſowohl unter den 
Dürrnberger Knappen in Hallein (vgl. J. Schieſtl im Jahresberichte des 
Salzburger Muſeums vom J. 1865 und ſeparat abgedruckt), als auch 
unter dem Landvolk findet (vergl. Oeſterr. Sagenbuch von J. Gebhard, 
Peſt 1863). Ferner hat Dr. U. Schloſſar in den „Oeſterr. Cultur- und 
Literaturbildern”, Wien 1879 (W. Braumüller) einen höchſt interejjanten 
Schwerttanzg aus Oberjteiermarf v. %. 1808 mitgetheilt, deſſen langer 
Prolog mit dem Salzburgifchen und mit unjerem böhmifchen vielfach 


felbft jhon bemerkt und im Anzeiger f. deutfches Alterth. 5, 354 auf die Stelle 
im Dalimil verwiefen. Den dhronologiihen Angaben des Dalimil möchte ich 
aber auch nicht ohne weiteres glauben, — Einen andern Fehler will ich hier 
berichtigen: Heinrich v. Freiberg jpricht nicht von einem gehenden Löwen auf 
dem Schilde Johanns, jondern von einem gähnenden. (Lexer I, * 

3 


übereinjtimmt, jo daß ſich alſo an Oberfteiermarf, Salzburg, Oberöfterreich, 
(Ried) nun ergänzend Sidböhmen Hinfichtlic des Schwerttanges anjchlieft. 

In einem Bericht über einen altheidnifchen Opferftein (Eibenftein) 
an der Grenze von Böhmen und Oberöjterreich (ſ. Mittheil. der Anthrop. 
Gef. in Wien XVI. Bd.) habe ich bemerkt, daß der zu Ehren des germ. 
Kriegsgottes Ziu aufgeführte Schwerttanz in Oberhaid noch volfsthiimlich 
jei, und auch die Namen HZiefreund und Zuliffen bier vorfommen. Darauf 
hatte mich Herr Bürgerjchullehrer L. Brunner in freundlicher Weife auf- 
merfjam gemacht. Durd) weitere Nachforjchungen erfuhr ich, daß auch 
außerhalb Oberhaid in den Dörfern um Rofenberg der Schwerttang noc) 
befannt ijt, ja fogar im J. 1881 noch aufgeführt wurde. Dieje Erfcheinung 
ift im ſüdl. Böhmen um jo auffallender und merfwürdiger, da wir an 
dem äußerjten Rande deutjchen Landes gegen jlawijches Gebiet einen altgerın. 
Brauch finden, der in jo vielen deutjchen Ländern untergegangen ift, hier 
aber mit jeltener Zähigfeit fich erhalten hat. Das ift ein hiftorifcher 
Beweis fir den jtrammen deutjchen Sinn unferes Volkes in Südböhmen, 
an dem in Anbetracht folcher Treue und Feſtigkeit für altdeutſches Leben, 
für deutfche Sitten und Gebräuche niemand zweifeln jollte. Der Schwert: 
tanz, wie ich ihn hier mittheile, ftammt aus Rukendorf bei Nofenberg und 
beruht auf den Mittheilungen eines ehemaligen Hauptmanng des Scywert- 
tanzes, die mir ein Schüler zu verichaffen wußte. Es waren aber früher 
mehrere Gejellfchaften in dieſer Gegend, die den Schwerttanz aufführten, 
jo in Rojenthal, Halbersreith, Dberhaid, Unterhaid, Zettlersreith, ja faſt 
in jedem Dorf zwijchen Kaplig und Rojenberg. Nach der Erinnerung des 
heutigen Volkes wurde der Schwerttang in diefer Gegend nur in der Fajt- 
nachtszeit aufgeführt und zum legtenmal in Zettlersreith im Jahre 1881 
am Faſchingsdienſtag. 

Bevor die Spielgejfellichaft ins Dorf einzieht, um bei irgend einem 
Bauern den Tanz aufzuführen, wird einer aus ihnen, gewöhnlich ver 
Junggeſell (der erjte nad) dem Hauptmann), dem fid) Ronwai oder Foſchai 
anjchließt, vorausgejchicdt, um zu fragen, ob jie dem betreffenden Bauer 
genehm find. Wenn diejer dazu feine Einwilligung gibt, melden fie dies der 
Geſellſchaft und ziehen in das Dorf ein zu dem Hauje diejes Bauern, voran 
eine Blehimufif von 6—12 Mann. Früher waren Trommler und Pfeifer, 
hernach auch dieje verbunden mit Blechmuſik. Bezeichnend iſt in Hinficht 
der früheren Muſik, daß der Pfeifer oder Flötenbläjfer auf bejonderes 
Verlangen auch beim Tanze noch allein fpielte. Die Mufifanten gehen 
zuerjt in die Stube und nehmen dort Plag, dann tritt der Hauptmann 
ein. Diejer hat einen weißen Schurz als Binde um den Leib gejchlungen 


ee 


und an beiden Enden mit einem Niemen verbunden, in dem wie in einem 
Gehenfe das Schwert tet. Diejelbe Tracht führen heute auch die jechs 
Gefellen und der Foſchai, d. i. der Faſchingsnarr. Der Hauptmann zeichnet 
ſich nur durch einen breiträmpigen Hut, auf den ein Strauß von Kunſt— 
blumen ftedt, vor den übrigen aus. Früher aber trugen fie weiße Hemden 
mit baufchigem Kragen und weiten bis auf die Finger hinausreichenden 
Aermeln, Schwarze Hoſen und hohe Stiefel. Heute ift die Tracht in obiger 
Weije vereinfacht. Der Foſchai (Narr), jcheinbar einfältig und dumm, in 
Wirklichkeit aber der jchlauejte von allen, erinnert an den deutjchen Hans: 
wurjt, er führt aber fein Schwert. Dazu fommt noch als 9. Perjon das 
jogenannte Mehlweib, früher ein Weib (wie man mir jagte!), heute aber 
ein Mann in SHarlefinskleidern, der, wie auch der Foſchai, hinten und 
vorne eine Schelle angenäht hat und überdies noch an den weißen Harlefing- 
hoſen Schellen trägt, jowie einen Schellenfranz um die Mitte. Während 
aljo der Hauptmann eintritt in die Bauernftube, warten die Öefellen draußen 
auf das weitere Commando ihres Hauptmannes. Diejer beginnt gleich 
einen freisfürmigen Gang in der Stube und, während die Zufchauer ſich 
aufmerfjam und ruhig verhalten, eröffnet er den Schwerttanz mit folgenden 
Worten, indem er nad) der Einleitung die Gejellen der Reihe nach hereinruft. 


Sauptmann: 
Ich tret’ herein mit Schwert und Degn, 
Ich grüß’ den Hauswirt ſammt jeine Gäſt'. 
Wenn ich das eine thät und das andere 
nicht, 
Wär’ ich kein rechter Andeuter nicht. 
Ich tret’ dem deutjchen Kaifer in jein Land 
Mit Trommel und Pfeifen und Hingen- 
dem Spiel. 
Herein! Herein! Herr Junggeſell! 


S$unggeiell: 


Warum heiß’ ich Junggeſell? 
Sch bin erit fommen aus der Höll'! 


Hauptmann: 

Was haft Du in der Höll gemadyt? 
Junggeſell: 

Ich hab verſpielt, was ich hab' g'habt. 


Hauptmann: 
Wer hat Dir zugeſchaut? 


Junggeſell: 
Der Wirth auf der Bärenhaut, 
Der hat Würfel und Karten auf den Tiſch 
hergebradht. 
Hauptmann: 
Was macht der Hin! (Großvater) ? 
Junggeſell! 
Der klaubt im Garten Birn und Speinl 
(gelbe Pflaumen). 
Hauptmann: 
Was macht die Anl (Großmutter)? 
Junggeſell? 
Die ſitzt in der Kuchel und reibt Schüſſel 
und Kanl (Kanne). 
Hauptmann: 
Was macht der Knecht? 
Sunggejell: 


Der liegt bei der Dirn und meint, er mach" 
ihr's recht. 





Sauptmaun: 
Was macht die Dirn? 


Junggeſell: 
Die liegt beim Knecht und laßt ſich lieb'n. 


Hauptmann: 
Was macht der Bua? 


Junggeſell: 
Der arme Narr, der ſchaut durch die 
Finger zua. 


. Hauptmann: 
Herein! Herein! Herr Schellnerfriedl ! 


Schellnerfriedl: 
Warum heiß ih Schellnerfriedl? 
In mein’ Wald gibt's viele Prügel. 
In meinem Maul hab' ich ein böſes Bein. 
Hauptmaun: 
Herein! Herein! Herr Grünerwald! 


Grünerwald: 

Hoho! Warum heiß ich Grünerwald? 

Ich grab' die Wurzeln, ſind's jung oder 
alt; 

Gib's in ein kleines Gſpaderl (Schachtel) 

hinein, 

Laff' 24 Stunden drinnen fein. 

Es rinnt nit und ſchwimmt nit 

Und macht der Dirn fein Kind nit, 

Wenn liegt der Herr und der Knecht bei 
ihr: 

Kann der Grünerwaldhans auch nir dafür. 


Hauptmann: 
Herein! Herein! Herr Landsdrommet! 


Landsdrommet: 
Hoho! Warum heiß ich Landsdrommet? 


38 


Zum Raufen und Schlagen bin ich der 
allerbeſt'. 
Wenn man die guten Nudeln ſchupft, 
Bin ich der erſte, der dazu hupft; 
Wenn man die guten Krapfen bacht, 
Bin ich der erſte, der ins Maul facht. 


Hauptmann: 
Herein! Herein! Herr Ronwai! 


Ronwai: 
Hoho! Warum heiß' ih Ronwai? 
Die Bauern müffen vogelluftig fein. 
Der Rurmdunft hat fih im Wirthshaus 
verredt, 
Hat müſſen die ganze Naht liegen auf 
dem Brett. 


Hauptmann: 
Herein! Herein! Herr Rurmdunſt. 


Rurmdunft: 
Hoho! Warum heiß ih Rurmdunft. 
Der Foſchai hat fi im Wirthshaus ver- 
| ſeſſen, 
Hat müſſen einen bratenen Holzſchlägel 
freffen. 


Hauptmann: 
Herein! Herein! Herr edled Blut! 


Edles Blut Goſchai): 

Hoho! Warum heiß ich edles Blut? 

Wer wenig verdient und viel verthut! 

Sch hab verthan meines Vaters Gut, 

Bis auf einen alten Filzhut. 

Sch hör’ was rauſcheln! 

Ich thät meine Roudel (Schelle) vertau— 

ſchen 

Um ein ſchönes Menſch oder um ein Trum 

Speck. 


Während nun die Geſellen in dieſer Reihenfolge und unter ſolchem 
Prolog eintreten, ſetzt der Hauptmann ſeinen kreisförmigen Gang in der 
Stube fort, immer von links nach rechts, und die nach einander Eintretenden 


ſchließen ſich ihm an. 


Wenn alle in der Stube ſind, gehen ſie noch drei 


bis vier mal im Kreiſe herum, ſelbſt hintereinander einen Kreis bildend; 


— 38 — 


der Foſchai iſt der letzte. Nun zieht der Hauptmann ſein Schwert und die 
Gefellen folgen feinem Beijpiel. 

Alle halten die Schwerter weit über die Achjel nach Hinten geneigt, 
indem zugleich jeder die Spite des Schwertes vom Vordermann mit der 
Linken faßt. Da aber der Fojchai fein Schwert hat, jo tritt er ein wenig 
aus dem Kreife und die Schwerttänzer gehen: wieder 3—4mal in diejer 
Haltung im Kreife herum. Dieſes Herumgehen geht nun in ein Springen 
oder Zanzen nah Art der Bauerntänze über, verbunden mit. einem 
Zufammenschlagen der Schwerter. Das Zuſammenſchlagen gejchieht folgen- 
dermaßen. Die im Kreife hintereinander Gehenden halten mit der Rechten, 
‚wie wir gehört haben, das eigene Schwert, mit der Linfen die Spitze des 
Schwertes vom Vordermann. Beim Tanze halten fie nun die Schwerter 
an Griff und Spitze feft, jeder nimmt aber jein Schwert von der Achjel 
herab und nähert die Spige des Schwertes in der Linken jo dem Griff: 
theil des Schwertes in der Nechten, daß die Klingen gegen Spige und 
Griff und die Hände eines Jeden fich übereinander Freuzen. Die Spitze 
_ dom Schwerte des Vordermannes wird aber immer dem Grifftheil des 
eigenen Schwertes untergehalten und dann in diejer Lage 5—6mal die 
obere Klinge auf die untere gejchlagen, was ein lautes Schwertgeflirr ver- 
urjacht. Während des Zufammenjchlagens müſſen die Schwerttänzer 
natürlich einander etwas näher jtehen als ſonſt, daß die Schwerter über 
einander zu reichen vermögen, ohne daß einer eines losläßt. Wenn fie jo 
einigemal herumgetanzt und etwa 5—6mal die Schwerter angejchlagen 
haben, bfeiben fie ftehen, und der Ronwai tritt in die Mitte des Kreijes, 
nachdem er ſein Schwert dem Foſchai gegeben hat, der an jeiner ftatt 
eintritt. Ronwai läßt fih in der Mitte auf alle Viere nieder, und die 
6 Gefelfen halten nun ihre Schwerter mitten auf den Rüden des Ronwai, 
die Spigen freuzweife über einander. Der Hauptmann ftellt fich auf feinen 
Rüden und auf die gefveuzten Spigen der Schwerter zugleih und thut 
folgenden Sprud). 


Hauptmann: 


Ich bin Heraufgeftiegen mit Schwert und Deg'n, 

Es wär’ gfcheidter gwen (geweſen) 

Ich wär' drunten blieb'n; es möcht den Hausherrn nicht verdrieß'n, 
Er möcht' ein paar Thaler herſchieß'n, 

Ein par Thaler wären zu viel, 

Ein paar Silberzehner wären das rechte Ziel. 

Wer will mein Spiel abgewinnen, 

Der muß über die Klingen ſpringen. 






Der Hauptmann jpringt vom Rüden des Ronwai (ein rauher, jtarfer 
Burjche) herab, und alle treten die Schwerter einſteckend wieder in den 
urfprünglichen Kreis zujammen. Nun fehrt ſich der Hauptmann gegen den 
Junggeſellen um und bietet ihm die Spige feines Swertes, das er allein 
eben wieder gezogen hat. Mit der Rechten hält der Hauptinann fein eigenes 
Schwert, die Spige desfelben der Junggeſell mit der Linken. Der Haupt: 
mann faßt mit der Linken die Rechte jeines Hintermanns, der Funggejell 
mit der Rechten die Linke jeines Hintermanns und jo weiter im Kreiſe, 
bis alfe einander die Hände gereicht haben. Nun beginnt in diefer Haltung 
das Schwertjpringen. Der hinter dem Hauptmann ftehende jpringt zuerjt 
über die Klinge, dann der Hintermann des Junggefellen und jo fort, aber 
ohne daß einer die Hand des andern losläßt, bis alle ohne Hauptmann 
und Junggeſell übergefprungen find. Ebenfo fpringen alle wieder in derjelben 
Ordnung zurüd, ohne die Hände noch losgelajjen zu haben. Der erjtere 
Kreis biegt ſich alfo über das horizontal gehaltene Schwert zu einem neuen 
Kreis aus und wieder zurüd. Das Schwertjpringen wird zugleich mit 
echtem Volkshumor durchgeführt, indem das Schwert nad) der Sprung- 
fähigkeit der einzelnen höher oder niedriger gehalten wird. Im allgemeinen 
halten der Hauptmann und Junggeſell die Klinge jo hoch, daß der Betreffende 
nur mit größter Anjtrengung hinüberfommt. Bleibt er mit einem Fuße 
hinten, jo wird er in diefer unangenehmen Lage in der Schwebe gehalten. 

Bejonders angethan ift diefe Gelegenheit für die Narrheiten des Foſchai, 
der gleichfalls über die Klinge jpringt und zur allgemeinen Heiterfeit am 
meiften beizutragen hat. Nach dem Schwertipringen läßt der Junggeſell 
die Schwertipige des Hauptmanns los, und diejer hält das Schwert wieder 
über die Achjel wie vordem, und die übrigen folgen feinem Beijpiel. Es 
bildet jich wieder der frühere Kreis, die Schwerter über die rechte Schulter 
nach hinten geneigt, während die Linke die Spige des Schwerte vom 
Vordermann hält. Fojchat ijt wieder aus dem Kreis getreten, die Schwert: 
tänzer gehen wieder einigemal im Kreije herum. Es folgt die legte Figur. 
Der Hauptmann gibt das Schwert von der Schulter und hält es mit 
geſtrecktem Arın hinaus, die übrigen gleichfalls. Dadurch treten alle in 
einen erweiterten Kreis mit den Gefichtern nad) dem Innern des Kreiies, 
jo daß die geftrecdtten Hände und Schwerter den Kreis bilden. In diejer 
Kreisjtellung gehen fie wieder einigemal herum, dann fällt die Muſik ein, 
die während des Schwerttanzes jchwieg. Die Schwerter werden eingejtect 
und jammt Gehänge dem Hausherren bis zum Abjchied zur jicheren Aufbe- 
wahrung übergeben. Der Hauptmann eröffnet den Tanz mit der Tochter 
des Haufes, während Foſchai (Narr) den Hanswurſt jpielt. Die Tanzunter- 


==. A. 


haltung nimmt nun die ganze Gejellichaft in Anſpruch. Bon dem Bauern, 
bei dem die Gejellichaft ihren Schwerttang aufgeführt hatte, erhalten fie 
für ihre Bemühung und Beluftigung Korn und Hafer, aus deſſen Erlös 
jpäter zuerſt die Muſikanten, dann die Tänzer entjchädigt werden. Die Muſi— 
fanten werden nach Volksbrauch überdies für die einzelnen Tänze nody von 
den Zänzern bezahlt. Aber auch das jogenannte Mehlweib hat die Aufgabe, 
alferlei Gaben einzuheimjen. Diejer Gejelle in Harlekinscoſtüm unterjucht 
vor allem die Bratröhre der Bäuerin, wo er hofft nach altem Herfommen 
Krapfen oder Fleisch (ſchon für ihn hergerichtet) jtehlen zu können. Aber aud) 
in höflicherer Werje weiß ex ſich Eßbares zu verſchaffen. Er hat auf feinen 
weißen Gewand eine Menge rother Flede oder Lappen aufgenäht, die ihm 
keckere Kinder abzureißen fuchen. Erwiſcht er dabei eines der Kinder, jo 
trägt er es unter dem Gejchrei der übrigen hinaus. Der Hausfrau aber 
gibt das Mehlweib freiwillig von jeinen vothen Flecken, indem es jolche 
von feinem Gewande reißt. Die Bäuerin legt diejelben in die Nejter ihrer 
Hennen in dem Glauben, daß die Hennen dann recht viele Eier legen 
werden. Für die rothen Flecke muß die Bäuerin vorher natürlich etwas 
gejpendet haben, und wenn vie Flecke dem Mehlweib ausgehen, werden neue 
aufgenäht. Eine ſolche Schwerttanzgejellichaft zog in früheren Jahren ın ver 
Faftnacht von einem Dorf zum andern — Städte mit polizeiliher Ordnung 
vermieden fie —, und da gewöhnlich auch in andern Dörfern fi) Spielge- 
jellichaften bildeten, jo trafen oft zwei oder mehrere vor einem Dorfe 
zufammen. Auch hier vermied man beim Zufammentreffen das Dorf jelbit, 
um bei etwaigen blutigen Kämpfen nicht geftört zu werden. Bei einem 
jolhen Zufammentveffen zweier Gejellichaften vor einem Dorfe wurde 
immer ein regelrechter Vorgang eingehalten. Beide bleiben in einiger 
Entfernung von einander ftehen, geben das erhaltene Getreide in Säden auf 
den Boden und fchließen beiderfeits einen Kreis um dasjelbe. Dann tritt der 
Hauptmann von jener Gejellichaft, die die andere nicht unbehelligt weiter 
ziehen lafjen will, vor und fragt den andern Hauptmann, ob er ſich ergeben 
wolle. Iſt er dazu bereit, jo muß er mit den Seinen die Schwerter und 
das Getreide hergeben. Die Schwerter befommen fie zwar wieder zurüd, 
aber das Getreide nimmt die feindliche Partei mit fich. Wenn der Haupt: 
mann aber fich nicht ergeben will, jo gibt der Herausforderer ihm Räthjel 
zum Löſen, was aber jehr jelten gelingt. Hier jpielt der Foſchai (Narr) 
eine große Rolle, denn er ſoll mit jeiner Gejcheidtheit dem Hauptmann 
aus der Verlegenheit helfen künnen. Gelingt e8 aber weder dem Haupt: 
mann noch dem Foſchai, die gegebenen Räthſel zu löſen, jo werden die 
Schwerter beiderfeitd um das Getreide in den Boden geſteckt, und die 


Muſik beginnt auf beiden Seiten zu fpielen. Der herausfordernde Hauptmann 


tritt vor und greift den Gegner an, worauf fich zwijchen beiden Hauptleuten 
ein harter Ringkampf entſpinnt. Die Muſik jpielt während diefer Scene. 
Sobald der eine von beiden unterliegt und fällt, vennt alles auf einander 
[08 zu gemeinjfamer Kauferei. Die Muſik jpielt weiter; wenn aber der Kampf 
zu heftig wird, juchen die Muſikanten abzuwehren, jelbjt mit Zuhilfenahme 
ihrer Inſtrumente. Iſt aber der Hauptmann mit jeinem Narren im Stande 
die Räthſel zu löſen, jo gibt er umgekehrt jegt dem anderen Hauptmann 
Räthſel auf, was dann wieder denjelben Verlauf nimmt. wie früher, wenn er 
fie nicht zu löjen vermag. Iſt er im Stande fie zu löfen, jo gehen fie im 
Frieden wieder auseinander. Erklärt fich die eine oder andere Partei früher 
oder jpäter- für befiegt oder ergibt fie fi, jo muß fie von ihrem Getreide 
und den Schwertern abziehen, bis der feindliche Hauptmann ihr Halt zuruft. 
Dort müfjen ſie ftehen bleiben, bis ihnen von der feindlichen Partei die 
Schwerter zugetragen werden, indem jeder Mann jeinem Gegenmann das 
jeinige bringt. Das Getreide erhalten fie nicht wieder, aber das Mehlmeib 
gibt dem andern Mehlmeib gleichfalls das von ihm Gejammelte zurüd. 
Es fommt dann nach erfolgter Ausſöhnung auch vor, daß die zwei Gejell- 
Schaften zufammen weiter ziehen und jpielen, in diefem Falle behalten fie 
aber nur ein Mehlweib bei. Bei jo harten Bedingungen und keckem 
Gegenübertreten läßt fich leicht denken, daß nicht immer ein friedlicher 
Ausgang zu erwarten ift. In Angern bei Kaplig joll eine Kapelle jtehen 
zur Erinnerung an einen blutigen Kampf mehrerer Schwertgefellichaften, 
die hier etwa in den 6Oger Fahren zujammengetroffen waren. Ein Bild 
joll viele Todte und Verwundete darjtellen, wie fie von der. feindlichen 
PBartei mit den Schwertern niedergehauen werden. So erzählte der Bruder 
eines dort Gefallenen, So viel habe ich bisher herauszubringen vermocht, 
und ich hoffe, e8 wird dies fein undeutliches Bild geben vom Schwerttang, 
wie er im füdlichen Böhmen aufgeführt wurde. Eine genauere Vergleihung 
mit den übrigen Schwerttängen werde ich in einem II. Theil folgen lafjen. 
Sch bemerfe hier nur beiläufig, daß unſer Schwerttanz in den meijten 
Punkten mit den ältejten Ueberlieferungen übereinftimmt. Er vereinigt aber 
auch in fich allein verjchiedene Momente, die ſonſt nur zerjtreut zu finden 
find. Mit dem heffiichen Schwerttang v. %. 1697 (Feitg. D.) herrjcht im 
Prolog wörtliche Uebereinſtiuung an einer Stelle, ebenjo iſt eine Ver— 
wandtjchaft zum Ulmer v. %. 1551 (Men. 14 ©. 113) zu erfennen. Aber 
neben diefen Beziehungen zum heſſiſchen und ulmiſchen Schwerttanz ift 
nichtsdeftoweniger vieles zu finden, das ſonſt nur in nordiſchen oder 
engliihen Schwerttänzen vorkommt. Davon im Folgenden. 


—— u We 


nn 


— 43 — 


Der Rubin und ſeine Umgebung. 
Ein Beitrag zur Urgeſchichte Böhmens, 
Zweiter Beridt. 

Von Franz Theodor Steiner. 


Seit meinem legten Vortrage, welchen ich) vor etwa anderthalb 
Fahren in den Räumen des Vereines für Gefchichte der Deutjchen in 
Böhmen vor einem ehr geſchätzten Publicum zu halten die Ehre hatte, 
und welcher jodanı in einem der nächitfolgenden Hefte der Meittheilungen 
unjeres Vereines mannigfach erweitert und bereichert als jelbjtändiger 
Aufſatz erſchien,) bin ich, theils in Folge eigenhändiger Nachgrabungen, 
theil8 durch die Güte und Freundlichfeit mehrerer Gönner und Freunde 
wiederum in die angenehme Zage verjegt, heute über zahlveiche, neuere 
Funde einige nähere Mittheilungen machen zu fünnen.?) 


Bevor ich jedoch an die nähere Bejchreibungdiefer einzelnen Funde 
gehe, jei es mir geftattet, zur Nechtfertigung diejer Zeilen ſowie des be- 
reits früher in diefen Mittheilungen abgedrudten Vortrages einiges zu 
bemerfen. Wenn ich dann und wann dor einen größeren Lejerfreis trete, 


1) Vergleiche: „Mittheilungen de3 Vereines für Geichichte der Deutihen in 
Böhmen“, 24. Jahrgang, 3. Heft, Seite 303—325: „Der Rubin und jeine 
Umgebung. Ein Beitrag zur Urgeihichte Böhmens“, 

2) Eine nicht gerade fehr zahlreiche, jedoch ziemlich werthvolle Sammlung urge- 
chichtlicher Gegenftände, welche faft ſämmtlich von bereits näher befannten 
Fundorten des mittleren Goldbachgebietes ſtammen, verdanfe ich biesmal der 
Güte meines verehrten Freundes und Gönners, des Herrn MDr. Anton Tijcher 
in Michelob, wofür ich ihm hier nochmals meinen wärmften und aufrichtigften 
Dank entgegenbringe. Desgleichen verdanfe ich eine nicht unanſehnliche Collec— 
tion prähiftorischer Objecte dem regen Sammeleifer de3 Herrn Joſef Schmied, 
derzeit Wirthichaftsbefiger in Groß-Otſchehau, welche meift aus den urgefchicht- 
lichen Anfiedlungen des den Leſern meines früheren Aufſatzes ſchon näher 
befannten Dorfes Podletis ftanımen. Nehme auch er an diefer Stelle nochmals 
meinen aufrichtigften Dank entgegen. Auf dem Rubin und feiner nächjten 
Umgebung unternahm ich felbft wie ehedem meine gewohnten Rumdgänge, 
während ich auf der ſüdlich vom Dorfe Schaab gelegenen Todtenftätte mit 
eigener Hand Nachgrabungen veranftaltete, die, ohne zwar ein befonders reich— 
haltige3 Fundmateriale zu ergeben, es dennoch ſchon jegt ermöglichen, einige 
wichtige Schlüffe bezüglich der früheren Bevölferungsverhältniffe diefer Gegenden 
zu ziehen. 


a 


um denfelben mit urgejchichtlichen Funden meiner engeren, heimatlichen 
Gaue des näheren befannt zu machen, jo joll und kann dies nicht etwa 
den Zwed verfolgen, jelbem mit. Zugrundelegung der jeweilig gefammelten 
Fundgegenftände einer oder mehrerer Anfiedlungen diefer Gegenden Flare 
und deutliche Bilder jener frühen, dunklen Zeitepochen in jtreng cultur- 
geichichtlichem Rahmen vorzuführen. Dies wäre auch vor der Hand aus 
verschiedenen Gründen unmöglich. Denn erftens kennen wir ja die meijten 
urgeschichtlichen Anſiedlungs- und Begräbnißftätten diefer Gegend, ja, ich 
darf wohl jagen, alle derjelben nur erjt bruchjtüchweife und jomit unvoll- 
jtändig und es kann daher ſchon aus diefem Grunde allein ein veales 
Geſammtbild der Beftrebungen jener früh- und vorgejchichtlihen Zeiten, 
joll anders diejes Bild der Treue und Wahrheit nicht entrathen und mehr 
als ein phantaftiih und willfürlich ausgefhmüctes Zeitgemälde darjtellen, 
unter diejen Verhältnijfen noch nicht gegeben werden. 

Dazu fommt noch ein zweiter exjchwerender Umftand. Wie anderen 
Ortes, iſt e8 auch hier der Fall, daß wir für einzelne diefer alten Wohn- 
jtätten mehrere zeitlich auf einander folgende Bejiedlungen, die verjchiedenen, 
einander ablöfenden Stämmen ihre Entjtehung verdanken, annehmen müfjen, 
jei es nun, daß die früheren Anfiedler diefe ihre altgewohnten Sige ſchon 
vor dem Anrüden neuer Ankömmlinge aus uns unbekannten Gründen 
freiwillig verlaffen hatten, oder aber erjt durch nachrüdende, mächtigere 
Schaaren zum Wufgeben derjelben gezwungen wurden. Da es nun für 
die neu anrüdenden Völker in den meisten Fällen das Bequemfte war, fich 
auf den von den früheren Bewohnern verlafjenen und bereit3 wohnlicher 
eingerichteten Dertlichfeiten ihr neues Heim zu gründen, fo darf es ung 
nicht Wunder nehmen, wenn wir in den uns hinterlaffenen, jene Zeugen 
einer grauen Vorzeit und frühen Eultur bergenden Fundichichten namentlich 
dann, wenn dieje einzelnen Schichten nicht ftrenge von einander gejchieden 
find, oder bereits in früherer Zeit Erdarbeiten ftattfanden, welche dieje 
innig mit einander vermengten, häufig Gegenjtänden begegnen, welche, weil 
verjchtedenen Völkern angehörig, bezüglich des verwendeten Materiales, der 
Formen, des Styles, der Technik 2c. ac. oft ſehr weit auseinander gehen. 

Daß in Folge deſſen eine richtige Scheidung der dem einen dieſer 
Völker angehörigen Alterthimer von denen der anderen in den meijten 
Fällen jehr ſchwierig fein muß, ift Har. Und es kann eine ſolche voll: 
giltige Scheidung daher infoferne und infolange nicht angeftrengt werden, 
jolange wir nicht einerjeits diejenigen Anfiedlungspläge, welche wir mehreren 
Völkern zuzujchreiben bemüßigt find, volfftändig und genau kennen gelernt 
haben, andererjeits aber auch in jene Fundpläge, welche wir zufolge der 


u. 


Sleichartigfeit der Formen, des Stiles und der Technik nur einem einzigen 
Volke zuweiſen dürfen, tiefe gewichtige Einblide genommen haben. 

Daß zu einer folchen richtigen Scheidung namentlich) auch auf die 
Gräberfunde bejondere Nüdficht genommen werden muß, ijt jelbitver- 
jtändlich, ebenjo wie der Umftand, daß das aus den Gräbern gehobene 
Schädelmateriale bei Beſtimmung der vorgefchichtlihen Racen eine wichtige 
Rolle jpielen werde. Auch wird es unfere Pflicht fein, darauf zu achten, 
ob wir es bei manchen Funden mit Erzeugnifjen heimijcher Induſtrie 
oder aber mit Handelsproducten ferner Länder und Völker, welche durch 
die oft mannigfach verjchlungenen Handelswege jener fernen Vorzeit aus 
jonnigem Süden oder von benachbarten Volksſtämmen zu den Bewohnern 
unſerer vaterländiichen Gaue gelangt find, zu thun haben. 

Auf alles dieſes hat natürlich der Urgefchichtsforfcher zu achten. 
Seine erjte und wichtigfte Sorge aber muß es bleiben, durch ſyſtematiſche 
Nachgrabungen ein möglichjt zahlreiches und vollftändiges Fundmateriale 
aus einer größeren Anzahl von Anfiedlungsftätten, Wohnplägen und 
Zodtenjeldern zu ftande zu bringen. ft einmal diefes vorhanden, dann 
fann er auch die orbnende und fichtende Hand daran legen. Dann erjt 
it es ihm möglich, tiefe Einblide in die Gejammtheit der Funde zu 
thun, Vergleiche zu ziehen zwiſchen den Gegenftänden verjchiedener Dert- 
lichfeiten behufs gänzlicher Verſchiedenheit, theilweifer oder volljtändiger 
Uebereinftimmung, dann erſt kann er den Einflüffen nachjpüren, die eine 
Eultur auf die andere ausgeübt, dann erſt ift e8 ihm möglich geworden, 
den ganzen, vielverzweigten Apparat kritiſchen Forjchens ins Feld zu 
führen. Ein ſolch möglichjt zahlreiches und vollftändiges Fundmateriale 
zu ftande zu bringen, das foll eben vor allem anderen mein ernftejtes 
Beitreben fein, und die jeweiligen Berichte über diefe meine Thätigkeit 
mögen daher nur als das, was fie eben find, betrachtet werden, als Vor» 
jtudien und Baufteine für einen fünftigen Baumeifter der Urgefchichte 
unjeres engeren Vaterlandes. 

Bon einem Kleinen, jedoch Feineswegs unmichtigen Centralpunkte, dem 
Rubin und feiner näheren Umgebung ausgehend, will ich immer weitere 
Kreife in den Bereic meiner Beftrebungen einbeziehen, und mir auf dieje 
Weife etwa das Gebiet des ehemaligen Saazer Kreijes als Arbeitsfeld 
auserjehen. Der waderen, thätigen Mithilfe meines verehrten Freundes 
nnd Lehrers, des Heren Dr. Tifcher in Michelob, gewiß, werde ich alle 
meine frei verfügbaren Kräfte diefen Beftrebungen widmen. Möge nur 
ein günftig Gejchid die Arbeit mit Erfolgen krönen. Wenn ich nun zuerjt 
zur Beiprechung jener Funde übergehe, welche mir Herr Dr. Tifcher zu 


— 46 — 


übergeben die Güte hatte, jo muß ic) gleich anfangs bemerken, daß die- 
felben im Großen und Ganzen nicht gerade viel des Neuen bieten und 
meist ſchon durch die vorzüglichen Arbeiten des genannten Herrn über 
urgejchichtlihe Funde des mittleren Goldbachgebietes in weiteren Streifen 
befannt find.) Da diefelben einer größeren Anzahl von Fundorten ent: 
jtammen, jo kann ich es mir wohl meijt an der namentlichen Anführung 
derjelben genügen lajjen. Die ganze Collection befteht etwa. aus 60 Ge— 
genjtänden, welche fich auf folgende 14 Localitäten vertheilen: Groß— 
Holetig, Horjchowig, Groß- und Klein-Tſchernitz, Liboritz, Liſchwitz, Miche- 
lob, Schellefen, Seltih, Teſchnitz, Welhütten, die Fundftelle „in den 
Gruben” bei Zarch, die Todtenftätte von Schaab und den Rubin. 

Unter diefen Gegenjtänden befinden ſich 11 Wirtel, darunter ein ſehr 
Ihöner, aus Bein gearbeiteter, jedoch unverzierter von Liſchwitz. Faft 
ſämmtlichen der hier vorliegenden Formen, die von verjchiedenen Orten 
ſtammen, begegnen wir am Rubin wieder, welcher aljo, wie wir das noch 
des öfteren gewahren werden, als eine Art Centrale erjcheint. Unter den 
undurchbohrten Geräthen aus gejchliffenem Stein ragt namentlid) ein von 
Klein-Zjchernig ftammendes Stück in der befannten Meifelform durch 
untadelige Erhaltung und vollendete Arbeit hervor. In größerer Anzahl 
finden jich ferner Steinmefjer, -Meißel und -Hämmer (darunter auch die 
befannten Formen von Welhütten aus feinfürnigem, etwas jchieferigem 
Amphibolit), Schleifjteine, Neiber, Pfriemen aus Knochen, mehrere Stücke 
bearbeiteten Hirſchhorns, ein zugejchnigtes Hörnchen mit ziweimaliger jeitlicher 
Durhbohrung, Webftuhlgewichte in der befannten abgeftugten Pyramiden- 
form, ein unvegelmäßig geformtes Bronzeftüc aus den Gruben bei Zarch 
und neben mehreren Scherben drei volljtändige Gefäße. Das eine der: 
jelben ift ein Eleines unfchönes, aus freier Hand gearbeitetes Töpfchen von 
jehr primitiver Form, ohne jegliche Verzierung und fchlecht gebrannt, 
welches Arbeiter, die mit dem Ausheben von Baumftümpfen bejchäftigt 
waren, im Walde hinter Michelob unter einem derjelben vorfanden. Es 
ſoll mit Aſche angefüllt gewejen fein. 

Das zweite Gefäß, das fojtbarjte Stück der ganzen Sammlung, tft 
eine Doppelurne von feltener Form und Schönheit. Gefunden wurde die- 


1) Bergleihe: „Mittheilungen d. Wiener anthropologiihen Geſellſchaft,“ Band 8, 
Seite 1—7: „Ueber prähiftorifhe Wohn: und Begräbnißpläge im mittleren 
Goldbachgebiete in Böhmen.“ Won MDr. A. Tifcher in Liboritz, ferner Bd. 10 
desjelben Werkes, Seite 264—272: „Neuere prähijtorifche Funde im mittleren 
Goldbachthale.“, Mit Benüsung eine Berichtes des Hrn. MDr. A. Tiſcher 
mitgetheilt von Ernſt Kittl. 





— — 


ſelbe auf einer Anſiedlungsſtätte in der Nähe des Dorfes Groß-Holetitz. 
Sie gehört jener jehr jeltenen Urnenform an, die bisher, wie es jcheint, 
nur in den öftlichen, in frühgeſchichtlicher Zeit von Slaven bewohnten 
Gebieten Deutjchlands und der Sudetenländer in mehreren Eremplaren 
vorgefunden wurde. Voß erwähnt nad Heger') in der Sitzung der 
Berliner Gejellihaft für Anthropologie, Urgefchichte und Ethnologie vom 
18. März; 1876 5 Urnen diefer Art, von denen 2 aus Böhmen, und von 
den übrigen je eine aus Pommern, Sachjen und Preußiich- Polen ftammen. 
AS 6. Urne diejer Art reiht jih eine im f. k. Wiener naturhijtorischen 
Hofmujeum befindliche an, welche Heger a. a. O. des näheren bejchreibt. 
As 7. derartige Urne käme nun die in meinem Beſitze befindliche hinzu. 
Bielleicht dürften aber mittlerweile (jeit 1876) jo gejtaltete Urnen auch 
anderwärts gefunden worden jein, und da wäre es num jehr interejjant, 
zu erfahren, ob diejelben auch in anderen Ländern vorzufommen pflegen, 
oder aber, ob fich deren Vorkommen nur auf jene ehemals von Slaven 
sewohnten Gebiete Deutjchlands und der Sich anfchließenden heile 
Rußlands und Defterreichs bejchränfe, in welch Tegterem Falle wir na- 
türlih gänzlich außer Zweifel wären, welchem Volke wir diejelben zuzu: 
ichreiben hätten. | 

„Urnen diefer Art (id) jpreche hier mit den Worten Hegers) beftehen 
eigentlich aus zwei übereinander liegenden, durch eine mehr oder weniger 
ſcharfe Einjhnürung von einander getrennten Formen.“ Diejelben erjcheinen 
uns al3 zwei urjprünglich jelbjtändige Formen, die auch an verjchiedenen 
Orten jchon des öfteren getrennt vorgefunden wurden, und e3 dürfte daher 
feinem Zweifel unterworfen fein, daß diefe Doppelurnen der Combination 
eines gejchicten Töpfers oder vielleicht auch dem Zufall ihre Entjtehung 
verdanken und auf diefe Weife zu einer einheitlichen Form fich gejtalteten, 
welhe dann allmälig bei dem Bolfe, dem wir fie zuzufchreiben haben, 
allgemeiner in Berwendung Fam. Bezüglich der Form jtimmt die in 
meinem Beſitze befindliche fast volljtändig mit der von Heger näher be- 
ſchriebenen überein, bezüglich der Dimenfionen dürften beide wohl nur 
etwas wenig auseimandergehen. Ich kann daher von der in meinem Be— 
fige befindlichen fajt dasfelbe anführen, was Heger über die Wiener jagt. 
Er bejchreibt diejelbe folgendermaßen: „Die Baſis iſt ſchmal, der untere 
Theil des Gefäßes jcharf, die Linien jchön gejhwungen, elegant. Ueber 


1) Vergleihe den Artikel von Franz Heger im 8. Bande der Mittheilungen der 
Wiener anthropologifchen Gejellichaft auf Seite 366-367: „Ueber eine jeltene 
Urnenform“, jowie die demjelben beigegebene Abbildung. 


BETRITT FENDER TEE OT DEFAULT — 
’ eH = 2 — * N x ae 2* * — Se ei 2 . SE age" — * d 


Be 


der ſcharfen Einjchnürung erhebt jich gleichſam wie ein darauf gejegtes 
zweites Gefäß der obere Theil, fajt eben jo hoch, aber bedeutend ſchmäler 
ala der untere.” Dagegen fehlt der in meiner Sammlung vorhandenen 
die an dem Wiener Gefäße angebrachte, charakteriftiiche Zeichnung. Auch 
darim umterjcheiden fich beide in etwas, daß die in meinem Bejige befind- 
liche, indem nämlich die zwei von der Bafis herauflaufenden Seitenlinien 
(vergleiche dazu immer die dem Heger’ichen Artikel beigegebene Zeichnung) 
des unteren Gefähtheiles ſanfter gefchwungen find, in Folge deſſen die 
Stelle des Zufammenlaufes derjelben mit den von oben herabjteigenden 
Linien nicht jo ſcharf erjcheint, wie bei der Wiener, jondern etwas mehr 
gerundet. Ferner fcheint die in meinem Befige befindliche Urne vom 
Töpfer wirflid noch aus den zwei urfprünglich vorhandenen, jelbjtändigen 
Formen aufgebaut worden zu fein, was daraus hervorgeht, daß der obere 
Gefäßtheil von dem unteren an der Innenwand abgejprungen und hernad) 
wieder mit Thon überjtrichen erſcheint, was wohl nicht möglid) wäre, wenn 
das Gefäß einheitlich aufgebaut worden wäre, während die von Heger 
angeführte wohl ſchon als einheitliche Form erzeugt worden fein mag, 
was aus den Worten Hegers hervorzugehen jcheint: „erhebt sich gleichjam 
wie ein darauf gejegtes zweites Gefäß ꝛc. ꝛc.“ Ebenſo wie die Wiener 
it die in meinem Befige befindliche Urne ohne jede Beihilfe der Dreh: 
iheibe gemacht und wie dieje ohne Henkel. Sie ift aus einer feinen, 
wahrjcheinlich gejchlemmten, röthlihen Thonmaſſe, die zahlreiche, äußerft 
feine Glimmerblättchen als Beimengung zeigt, angefertigt und war auf der 
Außenfeite urjprünglich ſchön geglättet. 

Während die im Wiener Hofmufeum befindliche Urne neben Ajchen- 
erde drei volljtändige Bronzeringe fowie mehrere Bruchjtücde von folchen 
enthielt, fand jich in der meinigen, welche ich von Hrn. Dr. Tiſcher nod) 
mit der urfprünglich darin vorhandenen Aſchenerde angefüllt erhielt, außer 
diefer Aſchenerde und einigen wenigen Kleinen Holzkohlenſtückchen nichts 
weiter vor. Die Afche felbjt dürfte wohl von einem Leichenbrande her- 
gerührt haben, da fie jchwärzlich glänzend war, ſich etwas fettig anfühlte 
und beim Anhauchen einen eigenthümlichen Geruch verbreitete. 

Heger hält Urnen diefer Art als dem Laufiger Typus angehörig. 
Vielleicht Tießen fich bei einer etwaigen jpäteren Nachgrabung auf der 
Anfiedlung, von welcher diefes Gefäß ftammt, noch weitere Anhaltspunkte 
für eine nähere Beziehung diefer Urnen zum Laufiger Typus gewinnen, 
falls dieſe Anfiedlung nicht etwa ſchon vollftändig abgebaut ift, wie dies 
in unferen Gegenden theilmeife jchon mehrfach der Fall ift, da die Defo- 
nomen die fruchtbare Afchenerde folcher alten Culturftätten wegen ihres 


=. A 


vorzüglichen Dungwerthes gar wohl zu würdigen wiljen. Freilich geht 
bei jolchen Abgrabungen viel, oft auch alles wieder verloren, wenn jich 
fein einjichtsvoller Mann der Sache annimmt, leider —- leider. 

Es wäre übrigens jehr leicht möglich, daß dieje Urne mit der von 
Heger angeführten von einer und derjelben Fundſtätte ftammt, da die in 
Wien befindliche in der Umgebung von Saaz — der nähere Fundort ift 
nicht angegeben — gefunden wurde, und die von Dr. Tiſcher mir über- 
gebene ebenfalls aus der näcjjten Umgebung von Saaz (das Dorf Holetig 
ift nur etwa %, Stunden von der alten Kreisjtadt entfernt) ftammt. Eine 
directe Beitätigung diefer meiner Anſicht ijt freilich nicht mehr möglich, da 
der urjprüngliche Befiger derjelben, Kreisarzt Dr. Woſtry aus Saas, der 
uns vielleicht hätte näheren Aufſchluſs darüber geben können, jchon lange 
nicht mehr unter den Lebenden weilt. 

Das dritte diefer Gefäße, welches ich von Hrn. Dr. Tiſcher zuſammen 
mit noch einem bereits ziemlich defecten, größeren Bruchſtücke eines vierten 
Gefäßes erhielt, zeigt ebenfalls urnenartige Form. Dieſe beiden letzteren 
Stücke ſtammen aus einer unweit der von Lieboritz nach Miltſchowes 
führenden Straße, unmittelbar oberhalb letzteren Ortes gelegenen, röthlichen 
jchotterigen Diluvialfand führenden Sandgruße, in welcher wie in den Sand- 
gruben bei Schaab einzelne Brandgräber vorzufommen pflegen. Wahr: 
jcheinlich gehörten beide einem einzigen Grabe an. Sie enthielten Leichen- 
brand, bejtehend aus Ajchenerde, zahlreichen fleinen, angebrannten nicht 
mehr bejtimmbaren Knochenſtücken, die wahrjcheinlich einem Kinde ange: 
hörten, jowie einzelne Holzkohlenſtückchen; in dem nur als Bruchjtüd er- 
haltenen Gefäße fanden ſich außerdem noch 2 Bronzejtücichen, das eine 
von quadratiicher das andere von unvegelmäßiger Form, welch letzteres 
lange im euer gelegen haben muß. Beide Gefäße find aus freier Hand 
gearbeitet und zeigen eine fcehwärzlich- braune Farbe des Thones. Sie 
jollen nad) Berjicherung Hrn. Dr. Tiſchers mir gegenüber ſowohl in Bezug 
auf Form al3 Berzierung auffallend jenen Gefäßen gleichen, welche er aus 
den Reihengräbern von Welhütten erhielt. Sie erinnern bezüglich ihrer 
Form und Verzierungsweiſe namentlich bezüglid) der leßteren, weldye aus 
Reihen eingebrücdter Punkte oder Tupfen bejteht auch an die von Ludwig 
Lindenschmit auf dem berühmten altgermanifchen Zodtenfelde am Hinkel— 
jteine bei Monsheim ausgehobenen Gefäße mit gerundetem Boden, welchen 
Lindenjchmit ein jehr hohes Alter zufchreibt.') Doch ift bei dem volljtän- 


1) Vergleiche 2. Lindenfhmit bei Johannes Ranke: „Der Menjd, 2. Band, 
Seite 516 fod.” und die darauf bezüglihen Abbildungen. Das vollftändigere 
Mittbeilungen. 26. Jahrgang, 1. Heft. 4 


2. Bl: u 


diger erhaltenen der beiden Gefäße von Miltſchowes die Rundung des 
Bodens jchon bei weiten nicht mehr jo markant, wie bei den Monsheimer 
Gefäßen, jondern wir gewahren bier jchon eine Webergangsjtufe von Ge— 
füßen mit Bodenrundung zu Gefäßen mit ebenem Boden. Sehr zu be- 
lagen ift es wiederum, daß hier nicht mehr von diefen jo alten und 
intereffanten Grabfunden erhalten it. Wahrjcheinlich diirfte auch hier wie 
anderen Orts viel werthvolles Material in früheren Zeiten zu Grunde 
gegangen fein. 

Ferner lagen diejer Collection no bei 3 Schädel und zwar 2 Men- 
ichenjchädel, jowie ein Stirnjchädel vom Rinde. Bon den beiden Men— 
Ichenjchädeln jtammt der eine von Zjcheradig bei Saaz, der andere von 
der Schaaber Todtenftätte, auf welche ich noch zurückomme, her. Der 
eben angeführte Stirnſchädel vom Rinde jtammt wie die vorhin erwähnte 
Doppelurne von demjelben Grabfelde bei Groß-Holetig und wurde in ge- 
ringer Entfernung von derjelben aufgefunden. Derjelte ift auf der Stirne 
eingedrücdt und es wollte mir bei Betrachtung vdesjelben jcheinen, als jei 
dies auf Fünftliche Weije gejchehen, und als hätten jene alten Anfiedler bei 
der Tödtung des Rindes ſchon ganz dasjelbe Verfahren angewendet, wie 
unjere Fleiſcher heutigen Tages, indem jie nämlich das Thier zuerſt durch 
einen mit großer Wucht auf die Stirne desjelben geführten Schlag be- 
täubten, bevor fie es volljtändig tüdteten. 

Diefe Schädel zu mefjen und die Race des damals gezüchteten Haus- 
rindes zu beftimmen, muß ich natürlic) berufeneren Leuten überlaffen, 
welchen ich, wenn ich im Bejige einer größeren Menge bejtimmbarer menjch- 
licher und thieriſcher Knochenrejte jein werde, jelbe zur Bejtimmung zu 
übergeben gejonnen bin. Von diejen hie und da gemachten Einzelfunden 
gehe ich nun zu den neuerdings erworbenen Objecten von drei den Lejern 
meines früheren Vortrages bereitS näher befannten Fundorten über. Es 
find dies: PVodletig, die Todtenftätte bei Schaab und der Rubin. 


1. Die urgeſchichtliche Anjiedlung von Podletitz. 


Diejelbe ift ziemlich ausgedehnt, liegt jedoch im Gegenjage zur Aus 
. binev in einer Ebene, welche ſich unterhalb des Clumberges gegen die 
Dörfer Podletig und Witſchitz erſtreckt. Diefelbe ijt über zahlreiche Felder, 
die einzelnen Fundjtellen meift in größerer Entfernung von einander, ver: 


der in meinem Befige befindlichen Gefäße ftimmt bezüglich der Form jo ziemlich 
mit Nr, 10 auf Seite 517 überein, als Verzierung trägt ed allerdings nicht 
in derjelben Weile die auf Nr. 5 befindliche Punktverzierung. 


jtreut. Hier jollen in der ganzen Umgebung der beiden Dörfer in früheren 
Jahren mehrmals einzelne Gerippe mit verschiedenen Beigaben aufgededt 
worden fein, manchmal auch theilweife Beifegung vorgefommen fein. Von 
einem Friedhofe jedoch in der Art wie bei der Schaaber Todtenftätte 
fonnte hier noch nichts bemerkt werden. Zwar foll ſich nach Anficht dor- 
tiger Defonomen auf einer Feldflur bei Witjchig eine weite Todtenftätte 
befinden, indem man bier jchon öfters bei Tiefaderungen zahlreiche Mengen 
von Knochen aushob. Ob wir eS hier aber wirklich mit Menjchenfnochen 
zu thun haben, oder ob es vielleicht nur Abfallsjtätten der Ueberrefte von 
den Mahlzeiten der einftigen Anſiedler find, iſt fraglich. Ich ſelbſt konnte 
diefe Stätte nicht genauer befichtigen, da in den legten Jahren, während 
welcher ich öfters in dieje Gegend Fam, dieje Felder mit Klee angebaut 
waren, jonad eine eingehende Befichtigung diefer Stätte unter jolchen 
Berhältnifjen nicht möglich war, und wir müſſen es alſo noch dahin ge- 
jtellt fein lajjen, ob wir es hier wirklich mit einem ausgedehnteren Beer: 
digungsplage der Vorzeit oder vielleicht nur mit Neften ehemaliger An- 
jtedlungen zu thun haben. Auch in der oberhalb Witichig gelegenen Sand— 
grube, deren ich ſchon in meinem früheren Berichte Erwähnung gethan, 
jollen einzelne Gräber (ob Brand» oder Scelettgräber weiß ich nicht zu 
jagen) mit reichen Bronzebeigaben in früheren Fahren aufgededt worden 
jein, und es ift im Intereſſe der Wiljenfchaft nicht wenig zu beflagen, daß 
ſich zu diejer Zeit fein Menſch um dieſe wahrjcheinlich jehr werthvollen 
Ueberrejte urgefchichtlicher Zeit bekümmerte, fie gefammelt oder ung wenig: 
ſtens einen genauen, wahrheitsgetreuen Bericht über diejelben hinterlajjen 
hat. Das meifte von diefen Gegenftänden dürfte wieder jpurlos verloren 
gegangen fein, einiges davon aber wohl noch Hr. Apotheker Mattujch in 
Wien in Verwahrung haben. Auch wurden an einzelnen Orten oft große, 
jelbjt Eimergröße erreichende Gefäße aufgededt, die wahrjcheinlih als 
Speicher zur Aufbewahrung von Mil, Getreide und anderen Lebens— 
mitteln dienten, aber ſämmtlich unbeachtet blieben, ja meiſtens jogar voll» 
ſtändig zertrümmert wurden. Ich bewahre in meiner Sammlung aus 
hiefiger Gegend noch mehrere folder Gefähfragmente, welche uns von der 
erjtaunlichen Größe jener Behälter Aufichlufs geben. Wirtel, Steinmefjer 
und Meißel, polirte Hämmer manchmal von prächtiger Form und Erhal- 
tung, Schleif- und Neibjteine und dergleihen andere fir den gewöhnlichen 
Hausbedarf nöthige, auch jonjt häufiger vorfommende Artefacte wurden 
auf vielen Feldern in der Umgebung der beiden Dörfer in früheren Jahren 
oft zu hunderten ausgeadert, ja jelbft heute treten fie noch vielfach zu tage. 
Diefe Gegenftände wurden von den Findern auch meijtentheils aufgelejen, 
4* 


i 
= 
j 
—* 
F. 





da man für dieſelben eher Verwendung hatte. Faſt in jedem Haufe trifft 
man daher dergleichen Dinge an, fo befonders zahlreich die Wirtel, welche 
meiſt als Träger des Schlüfjelbundes von der Hausfrau benügt werden. 
Auch Steinmeffer, Schleiffteine und Steinhämmer findet man nod) öfters 
vor. Auch dieje benigt man und zwar meijtens zum Abziehen der Rafter- 
mefjer. Bon manchen Yamilien werden namentlich die Steinkeile und 
-hämmer jehr forafältig aufbewahrt, da fie als jogenannte Donnerkeile 
das Haus, fo einen beherbergt, vor der ſchädlichen Wirkung des Bliges 
ihügen follen, — die allgemeine Anjchauung im Volke bezüglich diefer 
Gegenjtände. So gewahren wir aljo auch bier diefen faft über die ganze 
Erde verbreiteten Aberglauben, weshalb es meift auch jehr jchwer ift, dieſe 
Gegenftände zu erwerben. 

So lajtet aljo auch hier noch auf diefen Zeugen einer läugftvergan- 
genen Cultur wie vielfah anderwärts ein eigenthümlicher Fluch. Was die 
fchügende, bergende Hille der Erde feit Jahrtauſenden uns Tiebevoll und 
getreulich bewahrt, auf daß es uns künde von ferner Vorzeit Leben und 
Treiben, hat fie, wie oft! eben nur darum aufgejpeichert, daß es dem 
Unverjtande der Menfchen zum Opfer falle und aufs neue wieder, diesmal 
aber einer volljtändigen Vergeſſenheit und Vernichtung anheimfalle. Welch’ 
traurige Erfahrung! Und doch jtehe ich nicht an zu behaupten, daß, hätte 
eine fundige Hand alles das, was hier jeit 20—30 Yahren aus taujend- 
jährigem Schlummer erwachend wieder des Tages lichte, freundliche Helle 
geichaut, getrenlich gefammelt, man mit den Ueberrejten diefer Gegend allein 
ein Kleines Mufeum hätte füllen fünnen. Wie viel theilweife noch jeßt zu 
finden ift, zeigt der Umjtand, daß ich bei einem gelegentlichen Bejuche 
diefer Fundftätten innerhalb 3 Stunden nicht weniger als 30 Gegenjtände 
auflas. Doch laſſen wir die Klagen um den Berluft jo unerjegbarer 
Dinge, und bejchäftigen wir ung lieber mit dem, was von diejen Dingen 
noh auf uns gekommen ijt. Sehr freudig ift es da zu begrüßen, daß 
einzelne der hiejigen Fundftellen fajt noch gänzlich unberührt find, und des— 
halb dürfen wir wohl getroften Blickes in die Zukunft fchauen und hoffen, 
daß fpätere fachgemäße Ausgrabungen, wenn fie uns aud) das bereits 
Verlorene nicht mehr gänzlich zu erjegen im Stande find, uns vielleicht 
doch einigermaßen über dieje früheren Verluſte tröften werden. 

Wie ich jchon eingangs diejes Berichtes erwähnte, bin ich durch die 
Güte des früher in Podletig anſäſſigen Oekonomen Hrn. Joſ. Schmied, 
welcher auf den ihm gehörigen Feldern die hier in großen Mengen auf: 
tretende Achenerde zu Dungzwecken abbaute, wieder in den Beſitz einer 
größeren Anzahl von Fundgegenftänden gelangt, die, wenn jie auch an und 


R 


—— 


für ſich nicht gerade ſehr viel des Neuen bieten, doch um der Vorvollſtän— 
digung willen und namentlich deshalb ſehr willkommen ſind, weil ſie das, 
was ich früher nur mehr ahnte, ſchon ziemlich wahrſcheinlich machen. 
Unter den Fundgegenſtänden habe ich zuerſt einer größeren Anzahl von 
Beinpfriemen zu erwähnen. Intereſſant find einzelne bier gefundene 
manchmal- ganz merkwürdig zugearbeitete Geweihjtüde vom Hirſch, die 
wohl zu ganz bejtimmten Berrichtungen -gedient haben mochten. 

Bon Geräthen aus gejchlagenen Stein las ich jelbjt bei einem gele- 
gentlichen Bejuche die erjte volljtändige Pfeiljpige, die ich von hier bejige, 
auf. Daneben jammelte ich noch eine ziemlich große Anzahl von Abfalls- 
jplittern und mehr oder minder Spuren der Bearbeitung tragenden Stüden 
von Hornjtein, Flint, verichiedengefärbten Feuerſtein, Porzellanjaspis, 
weißem, fürnigen Quarz und dergleichen anderem Steine. Bon Geräthen 
aus gejchliffenem Steine erhielt ich diesmal neben 5 volljtändigen, kleineren 
Keilen und Mefjern eine größere Anzahl von Bruchjtüden von jolchen 
fowie mehrere Hammerfragmente. Auch einzelne Schleifjteine fanden ſich 
wieder dor. Die Erzeugung von ſolchen Steingeräthen dürfte demnach 
auch hier, wie ich das bereits in meinem erjten Berichte vom Rubin be- 
merkte, jchon ziemlich jchwunghaft, vielleicht jchon als Gewerbe einzelner 
betrieben worden jein. Von Bronzeobjecten liegen mir vor: Eine Bronze 
jpirale von 2%, Windungen, beiverjeitS abgebrochen, welche Spuren ehe: 
maliger VBergoldung zeigt, ferner mehrere Stücke diden Drahtes, ein jäulen- 
artiges Stüd mit parallelen Streifen geziert jowie ein dünnes Reifchen 
von der Größe eines Armbandes, wozu es vielleicht auch verwendet worden 
jein mochte. 

Bon Thongeräthen erwähne ich zuerjt einer jehr interejjanten Col: 
lection von Gefäßreften (weldye uns jpäter bei Behandlung der Aubiner 
Funde noch näher bejchäftigen werden, da ſich an diejelben eine Frage 
von principieller Bedeutung Fnüpft), die im Großen und Ganzen diejelben 
Verzierungsweiſen, ja in vielen Fällen vollfommen gleiche und überein— 
jtimmende Ornamente wie die Rubiner tragen, ferner eine größere An— 
zahl jehr verjchieden geformter Henkel, daneben mehrere Wirtel (einzelne 
bier gefundene find auch aus Stein und grünem Glaſe angefertigt) und 
neben mehreren volljtändigen Eremplaren Heiner Thonfugeln, wie wir die 
jelben jchon aus der Umgebung des Rubin fennen, eine größere Anzahl 
von Bruchſtücken von jolhen. Darunter befindet fi) auch eine aus vother 
Thonmafje, die an der Aufßenjeite fajt den Glanz der terra sigillata zeigt. 
Einen directen Erweis fir die eintige Benützung derfelben bietet uns 
Caesar in feinem bellum gallieum lib. V, cap. 43. Die Stelle lautet 


ee 


folgendermaßen: septimo oppugnationis die maximo coorto vento fer- 
ventes fusili ex argilla glandes fundis et fervefacta jacula in casas, 
quae more gallico stramentis erant tectae, jacere coeperunt. Sie 
wurden ſonach dazu benüßt, die aus Stroh und Flechtwerf beftehenden, 
feindlichen Hütten in Brand zu teen, welchem Zwecke fie, nachdem fie 
im Feuer ordentlich durchgeglüht waren, auch vollfommen entſprechen 
mochten, aljo gewifjermaßen eine Art Artilleriegefhoß der Urzeit. Bon 
fonftigen Geräthen aus Thon liegen mir noch vor ein winziges Webjtuhl: 
gewichtchen in Form eines Kegelftuges und ein vecht jonderbares und merk: 
würdiges Stüc, ein Ihonlöffel, welcher mir leider in 5 Stücke zerbrochen 
übergeben wurde, der fich aber ganz gut wieder zujammenjegen ließ. Der 
hintere Theil, die Handhabe fehlt. Er. gleicht bezüglicd) feiner Form voll: 
fommen unferen heutigen, gewöhnlichen Blechlöffeln, und wurde wie aus 
der jehr ftarfen Abnübigung des vorderen Theiles der linfen NRandfläche 
deutlich hervorgeht, zum Auskratzen und Ausſchaben benigt. ") 

Höchſt fonderbar und merkwiirdig find auch Länglichgeformte Röhr- 
chen aus einer feinen, gupsartigen Maſſe. Urjprünglich jchienen mir die— 
jelben jehr verdächtig und neueren Urjprungs zu fein. Ein gewöhnlicher 
Mann aus dem Bolfe, dem ich mehrere diefer Stüde vorzeigte, äußerte 
ganz unverhohlen, das fünnten wohl Bruchjtüde von Gypspfeifen fein, wie 
fie in früherer Zeit allgemeiner im Gebrauche waren. Nachdem ich die— 
jelben aber auch von 2 prähiftorischen Fundftellen aus der Umgebung des 
Rubin, jo in befonders großer Anzahl von einer oberhalb des Rubin am 
Poderjamer Bache gelegenen Dertlichfeit von obgenanntem Wirthichafts- 
bejiger Schmied erhielt und diefelben auch auf prähijtorischen Anfiedlungs- 
ftätten in der Sarfa bei Prag vorfamen, wie ih in der Sammlung des 
Hrn. Mikſch zu jehen die Gelegenheit hatte, nachdem mir ferner aud Hr. 
von Weinzierl verficherte, daß jelbe auch auf prähiftorifchen Fundplägen 
in der Umgebung von Loboſitz häufiger vorzufommen pflegen, gewinnt es 
doch faſt den Anjchein, als ob fie wirklich) der alten Zeit angehörten. 
Wozu diefelben aber, wenn dies wirklich der Fall wäre, gedient haben 
mochten, dürfte jehr jchwer zu bejtimmen fein. Wurden fie vielleicht als 


1) Einen ähnlich geformten, nur etwas ſchmäleren und tieferen Löffel aus Thom 
gleichfall3 ohne die Handhabe fand ich neben einigen anderen Gegenftänden auf 
dem unmittelbar hinter dem Dorfe Dollanfa an der von Schaab nah Schönhof 
führenden Straße gelegenen Felde de3 Hrn. Körner, welcher dafelbft probeweiſe 
Grabungen vornahm und wirklich auf reiche Lager von Aichenerde ftieß. Aehnlich 
geformte Thonlöffel wurden, wie ich durch Hrn. Mikſch in Prag erfuhr, auch auf 
der großen Gräberftätte bei Xiboß in der Nähe Prags gefunden. 


Trinfröhrchen benügt? Die in meiner Sammlung vorfindlichen Stücke 
von Podletig und der Umgebung des Rubin find meiſt unverziert, manch: 
mal tragen fie jedoch Verzierungen und zwar in der Form von aftartigen 
um das Nöhrchen Herumlaufenden Linien mit Blätteranfag zu beiden 
Seiten, welche Verzierung ich auf anderen von diejen Fundſtellen ftam- 
menden Geräthen nur jehr jelten vorfand. Die Farbe vderjelben ijt meist 
gelblich weiß, öfters auch ins Bläuliche und Schwärzliche gehend. Ob wir 
es hier aber wirklich mit urgefchichtlichen Gegenftänden oder mit Erzeug- 
niffen ans gejchichtlicher Zeit zu thun haben, das bejtimmt zu eruiren, 
werden erſt fpätere ſyſtematiſche Nachgrabungen und genauere Unterfu- 
ungen darthun fönnen. 


Ohne erjt aus den Podletiger Funden ein kurzes Refume zu ziehen, 
gehe ich, da ich diefelben bei einer allgemeinen Schlufsbetrachtung näher 
ins Auge zu faffen habe, jogleich zu den menerlich auf der jüdlich vom 
Dorfe Schaab gelegenen Todtenftätte gemachten Funden über. 


2. Die Todtenftätte bei Schaab. 


Ich hatte in meinem erjten Berichte bei einer jehr furzgefaßten Be— 
iprechung der hier gemachten Funde gehofft, daß fich diefe Funpdjtelle als 
bejonders reich und ergiebig darjtellen würde und unternahm deshalb in 
gutem Glauben und Bertrauen darauf in den verfloffenen Ferien mit 
eigener Hand Nachgrabungen. Mein Hauptziel. dabei war, auf ein oder 
mehrere Gräber zu jtoßen, um die Anlage derjelben genauer jtudiren zu 
fönnen. Seit meinem legten Berichte, in welchem ich bereit3 6 Gräber 
erwähnt batte, wurden in meiner Abwejenheit abermals 4 Gräber auf- 
gededt, und ic) war fo glüdlich, 3 der aus denjelben gehobenen Schädel 
(den einen, wie ſchon eingangs bemerft, durch die Güte Hu. Dr. Tiſchers) 
zu erwerben. Den 4. der hieher gehörigen Schädel konnte ic) leider nicht 
erhalten, da er, weil ji) das Grab, dem er entnommen wurde, nur 1’ tief 
unter der Oberfläche befand, jchon gänzlich zerfallen und vermorjcht war, 
daher ihn die Arbeiter nicht weiter beachteten. Die Leichen ſelbſt jollen, 
fo entnahm id) wenigstens den Angaben der Arbeiter, wieder in zuſammen— 
gefauerter, hodender Stellung, wahrjcheinlich auch volljtändig beigelegt ge- 
wejen fein. Außer zuſammengedrückten Urnen jollen feine weiteren Bei: 
gaben vorgefommen fein. Um die Leichen herum befand fich wie bei den 
früheren Gräbern ein Kranz roher Steine. Dr. Tiſcher, der die von hier 
jtammenden Schädel befichtigte, hält jie für gut entwidelte Dolichofephale. 
Genaueres über diejelben fünnen natürlich erjt Spätere Meſſungen ergeben. 


— 560 — 


Obwohl nun die Arbeiter nach ihrer Angabe in den einzelnen Gräbern 
ſelbſt keine Beigaben fanden, ſo laſen ſie doch in dem Raume zwiſchen 
denſelben wieder einzelne Fundſtücke auf, und ich konnte alſo hoffen, doch 
wenigſtens eine beträchtliche Anzahl ſonſtiger Funde zu machen, falls es 
mir nicht vergönnt ſein ſollte, ein Grab aufzudecken. Allein meine Hoff— 
nungen wurden leider nur in beſcheidenſtem Maße erfüllt. Ein Grab blos— 
zulegen, war mir überhaupt nicht vergönnt, und auch die Anzahl der bei 
dieſen Grabungen gemachten jonftigen Funde ift nicht jo beträchtlich, daß 
man das Ergebniß derjelben ein bejonders glänzendes nennen könnte; ich 
fand nämlich) in dem Raume, der einer Oberfläche von etwa 20 [Meter 
entjpricht, nur an achtzig Gegenftände vor. Wir müſſen daher diefe Fund- 
jtelfe al8 nicht gerade jehr ergiebig betrachten. ') 

Wenn nun aber auch die Zahl der bei diefen Grabungen gemachten 
Funde ſonach eine bedeutende ‚nicht zu nennen ift, jo machte ich dabei doc) 
eine recht. beveutfame und intereflante Entdedung, die jpäter, falls uns 
die Funde von hier und den anderen, größeren Fundplägen einmal ge: 
nauer und vollftändiger vorliegen werden, nicht wenig zur Aufhellung der 
urgejchichtlichen Bevölferungsverhältniffe unferer Gegend beitragen dürfte. 
E3 fand ſich nämlich unter den Zaufenden der hier zu Tage geförderten 
Scherben trog jorgfältigjten Nachforfchens auch nicht ein einziger, der als 
Verzierung das Wellenornament oder auch nur eine welfenlinienähnliche 
Zeihnung trüge, was mir um jo auffälliger war, als ja, wenigſtens nad) 
den bisherigen Erfahrungen die übrigen hier gemachten Funde in gewiſſer 
Beziehung zu dem nur etwa 20 Minuten von hier entfernten Rubin zu 
jtehen jcheinen, auf welch Teßterem das. Wellenornament als Gefähver- 
zierung wenigjtens in der oberſten, meinen bisherigen Unterfuchungen zu: 
gänglichen Schichte jo häufig auftritt, daß die mit dieſem Motive verzierten 
Scherben dajelbjt vorherrjchend erjcheinen, und auch die meisten übrigen 








1) Im vergangenen Herbfte Mleßen wie alljährlidy wieder die Defonomen Schmal= 
fuß und Siegl auf ihren zur Todtenftätte gehörigen Feldern Erdabgrabungen 
vornehmen, doch wurde bei denjelben fein nened Grab aufgededt, obwohl eine 
ziemlich große Fläche abgegraben wurde. Auch die Anzahl der dabei gemachten 
Funde war eine äußerſt geringe. Die vom Felde des erftgenannten Herrn 
ftammenden Fundgegenftände, zwei wirtelartige Geräthe ans weißem Kalkſtein, 
ſowie ein größeres, beiderjeit3 angebohrtes, rundliches Webftuhlgewicht (?) aus 
demſelben Materiale in Verbindung mit einer größeren Anzahl von Thierknochen 
erwarb ich, während die auf dem Felde des letteren gefundenen Objecte, 
beitehend ans einer Bronzefibula vom QTene Charakter, zwei Thonmirteln, 
einigen Kuochenpfriemen, 2 Bruchjtüden von Hänmern aus Hirfhhorn neben 
einem ebenjoldhen aus ſchwarzem Stein hat nod) der Eigenthümer in Verwahrung. 


VBerzierungsweifen, die auf dieſem VBeerdigungsplage an den Gefäßen auf- 
treten, auf dem Rubin ſich wiederfinden. 

Die legten Conjequenzen aus diefer Beobachtung ſchon jeßt zu ziehen, 
find wir freilich) noch nicht berechtigt, da einerjeitsS die Zahl der hier ge— 
machten Funde, wenn jelbe auch bereits das zweite Hundert jchon bedeutend 
überjteigen dürfte, doch noch zu geringfügig tft, um ein gemügendes Wer- 
gleichsmaterial mit den zwei bedeutenderen und bis jegt am meijten be— 
fannten Fundorten, dem Rubin und Podletig, abzugeben, und andererjeits 
auch dieje beiden noch nicht jo Kar und vollftändig in ihren Funden vor- 
liegen, als daß wir annehmen fünnten, fie böten alle Momente dar, die 
wir zu eimer richtigen Vergleihung benöthigen, da ja die von diefen beiden 
Anſiedlungen in meinen Befige befindlichen Artefakte meijt nur der oberjten 
Schichte, wie jelbe durch einfache Tiefackerung zu Tage treten, entnommen 
find, und wir zu einer vollgiltigen Vergleichung auch der den tiefer liegenden 
Schichten angehörigen Gegenjtände bedürfen. 

Auch das Fehlen von Eijen ıjt für diefe Fundſtätte noch bejonders 
bemerfenswerth. 

Was jih aus diejen beiden negativen Rejultaten im Bergleich zum 
Rubin und Podletig übrigens jet jchon erjchließen läßt, werde ich am 
- Schluffe diefer Betrachtungen in ein kurzes Endergebniß zufammenfaffen. 
Da ih in meinem erften Fundberichte diejer Fundftätte uur ganz neben- 
fählih Erwähnung gethan, jo will ich die bisher auf derjelben gemachten 
Funde heute etwas näher ins Auge fajjen. Dieje Fundſtätte erſtreckt ſich 
auf der jüdlich vom Dorfe Schaab gelegenen Ebene mit ihren Ausläufern 
zientlich weithin, wie die auf den meisten umliegenden Feldern bei neueren 
Tiefaderungen vielfach zu Tage tredende Ajchenerde beweift. Dody wurden 
wirkliche Gräber und zwar die vorhin fchon erwähnten zehn bis jegt nur 
auf dem Felde des Hrn. Schmalfuß vorgefunden, und es hat den Anſchein, 
als ob in der unmittelbaren Umgebung diejer Gräber auch eine ziemlich 
bedeutende Anfiedlung geftanden hätte, was eben aus der großen Menge 
von Aichenerde jowie aus einzelnen Ejtrichjtücden, die ich im der Umge— 
bung der eigentlichen Zodtenftätte jchon zu wiederholtenmalen vorfand, her: 
vorgeht. Die einzelnen, ajchehältigen Stellen befigen manchmal nur ge 
tingere Ausdehnung, und wir werden wohl nicht jehlgehen, wenn wir dieje 
als die Standpläge ehemaliger Wohnhütten anjehen. ') 


1) Hier muß ich auch noch desjenigen Feldes erwähnen, welches fich unmittelbar 
an die eigentliche Todtenftätte anjchließt und von derfelben nur durch einen 
Feldweg abgetrennt if. Diefe dem Herrn Reichsrathsabgeordneten Steiner 
gehörige Feldparzelle birgt ſolche Mengen fruchtbarer Aichenerde in fich, dat 


a — 


Wenn ih mun zur Aufzählung der bier gefundenen Gegenftände 
jelbjt übergehe, jo fällt zuerjt die große Menge der aus Bein und Hirjch- 
horn angefertigten Artefakte auf. Unter diefen herrfchen wieder die Formen 
der Nadeln und Pfriemen vor. Ich zähle von diefen etwa 12 volljtän- 
dige Eremplare und au 20 Bruchjtüce, welche natürlich mehreren Formen 
angehören. Einzelne von den Pfriemen tragen an ihrem ftumpfen Ende 
Löcher und mögen wohl mitteljt Schnüren befeftigt für den jeweiligen 


es dem Befiter derfelben ermöglicht iſt, Jahr für Jahr neue Abgrabungen vor- 
nehmen zu laſſen. Wie mir Hr, Steiner verficherte, hat derfelbe ſchon einige 
taufend Fuhren Erde von hier weggeführt. Da ftießen nun Wrbeiter vor etwa 
10 Fahren auf eine Platte von mörtelartiger Maffe, über welche Hr. Dr. Tiicher 
in feinem bereit oben angeführten Berichte folgendes jagt: „Man jchaffte 
öfters ganze Platten anjcheinend von Cement aus der Erde. Sie befteben aus 
einem groben Sande mit einem Bindemittel, die Oberfläche derfelben ift 
geglättet, blättert fich ftellenweie davon ab und iſt blaßblau gefärbt. Die 
Platten jelbft find äußerft feft, ruhen auf lofem Mauerwerk, deſſen Eindrud 
die untere Fläche darbietet.“ Hinzuzufügen hätte ich noch, daß diefes loſe unter- 
halb der Platte liegende Manerwerk ſich, wie es durch fpätere Abgrabungen 
deutlich fihtbar ward, an den beiden Enden der Platte in einer fchiefen Linie 
ziemlich tief in die Aſchenerde hinein fortiegte, während es fich in weiterem 
Verlaufe gegen die Mitte zu etwa 1' die ziemlich gleichmäßig unterhalb der 
Platte, die fich felbit nur gegen 1' unterhalb der Oberfläche befand, hinzog. 
Unter derjelben fand man nad Hru. Dr. Tiſchers Angabe nichts als Knochen 
und Scherben und in einer trichterartigen Vertiefung 7 Spinnftöde. Bei 
neuerlichen Grabungen fand man dagegen eine größere Anzahl Feiner Bronze— 
ringe, welche aber von den Arbeitern nicht weiter beachtet und mit der Ajchen- 
erde zugleich auf ein anderes Feld überführt wurden, ſowie eine Bronzenadel 
mit schön verziertem Knopfe und eine größere Unzahl ganzer Gefäße, von denen 
jedbody nur zwei, ein Heineres, urnenartiges Gefäß ohne Henkel, ſowie ein 
Feines Näpfchen mit Budeln unterhalb des Randes vollftändig erhalten blieben, 
während bie anderen, unter denen ſich ein großes, Ichüffelartiges Gefäß, jowie 
mehrere Topffornen, — ein Gefäß fol jogar Eimergröße gehabt haben — fi 
befanden, von den geldgierigen Arbeitern zertrümmert wurden. Das erjte der 
beiden Gefäße bewahrt noch Hr, Siegl, während das zweite, näpfenartige erjt 
unlängit in meinen Belig überging. Daß diefe Platte nun mit der unmittelbar 
darüber befindlichen Todtenftätte in innigftem Zufammenhange gedadyt werben 
muß, geht Har und deutlich aus den hier gefundenen Scherben, welche denen 
von der Tobdtenftätte vollfommen gleichen, hervor, Schwer jedody ift es zu 
beitimmen, was für eine Bedeutung dieſem fonderbaren Denkmale zu vindiciren 
jet. Wurde es vielleicht al3 Opferftätte bei den allenfalld hier vorfommenden 
Todtenopfern benüst? Möglich wäre die wohl, doch ſcheint der Umſtand 
dagegen zu jprechen, daß man in der unmittelbaren Umgebung desjelben nur 


ringe Knochenmaſſen, die nirgends bedeutender waren, als an anderen Stellen 
a y Funbdftätte, gefunden hat. 


— 59 — 


Bedarf ftändig mit umbergetragen worden jein. Ferner liegen vor eine 
ſchöne Doppelnadel, eine einfache Nadel mit Dehr, die Hälfte eines Hammers 
aus gewöhnlichem Knochen, ein Eleines Plättchen mit der befannten Ber: 
zierungsweije, dem Kreis mit Punkt in der Mitte, jowie 2 Bruchjtüce 
von wahrjcheinlich aus Fußfnochen des Pferdes angefertigten Knochen- 
Ichlittichuhen, von denen das eine. derjelben faſt vollftändig iſt. Dazu 
fonımen noch die zwei jchon oben erwähnten Bruchitiide von durchbohrten, 
hammerartigen Geräthen, das eine aus Hirjchhorn, das andere aus Knochen 
angefertigt, eine ſchöne, jehr Tauber gearbeitete Pfeilfpige und mehrere 
Pfriemchen, welche jih noch in Herrn Siegls Befige befinden. Ferner 
ſammelte ich noch zahlreiche Stüde thieriicher Knochenreſte, welche mir der 
näheren Beftimmung werth jchienen, jo bejonders Schädeljtüde, Kiefer, 
Zähne, Knochen des Fußes u. d. a, wozu noch die ſchon erwähnten 
3 menfchlihen Schädel kommen, alfo ſchon ein ziemlich bedeutendes und 
werthvolles Knochenmaterial. 

Steingeräthe, jowohl ſolche aus geſchlagenem wie jolche aus gejchlif- 
fenem Steine, die als Waffen verwendet werden fonnten, find von diejer 
Dertlichfeit ungemein jelten; überhaupt fällt hier das faſt volljtändige 
Fehlen von Waffen, jeien diefelben num aus Stein oder Bronze ange: 
fertigt, auf. Was ich von ſolchen Steingeräthen bis jegt gefammelt habe, 
erreicht etwa die Zahl 12. Darunter befindet fich die untere Hälfte einer 
Pfeilfpige aus weißem Feuerftein, welche aber etwas weiter von der 
eigentlichen Todtenjtätte gefunden wurde, ſowie einige wenige Bruchjtüce 
von Mejjerchen aus Feuer- und Flintjtein, desgleichen ein Abfallsſtück von 
ſchwarzem Feuerjtein, welche ich ſelbſt ausgrub. Von Geräthen aus ge- 
ſchliffenem Stein zählte ic) 2 ganze Mefjerchen, etwa 3 Bruchjtüde von 
ſolchen, jowie 2 Bruchſtücke von hammerartigen Geräthen; das eine der- 
jelben ift mitten entzwei gebrochen und zeigt an der jegigen Mitte Spuren 
einer abermaligen Anbohrung, ein Beweis dafür, daß man mit diefem 
Materiale jparfam umzugehen genöthigt war. Uebrigens fanden fich aber 
alle dieje Stüde von gejchliffenem Steine gegen die Oberfläche zu oder 
an derjelben, in der eigentlichen Fundſchicht traf ich noch auf feines, 
während die Stüdchen aus gejchlagenem Steine ſämmtlich in bedeutender 
Tiefe faft am Boden der Anfiedlung vorfamen. Ein ſchönes Bruchſtück 
von einem ziemlich großen und fchweren Hammer bewahrt no Hr. Siegl. 
Auch ein für die Herjtellung von ſolchen Steinwerfzeugen wichtiges Stüd 
fand ſich vor, nämlich) ein in voher Form hergerichtetes, ſchon ziemlich 
angejchliffenes, jedoch nocdy unducchbohrtes Stüd von etwa 12" Länge in 
Form eines Doppelhammers, welches wahrſcheinlich zur Erzeugung einer 


—— 


Art Steinhaue dienen ſollte. Leider wurde dasſelbe vom unvernünftigen 
Arbeiter in 3 Stücke zerſchlagen. 

Von anderweitigen Steingeräthen liegen mir drei wirtelahnliche 
Formen aus weißem Kalkſtein, welche ſämmtlich von beiden Seiten erſt 
die Anfänge der Durchbohrung zeigen, vor. Letztere ſcheint mir bei dieſen 
und Ähnlichen Geräthen mit Zuhilfenahme von Knochenpfriemen in Ver— 
bindung mit Wafjer und Quarzſand durchgeführt worden zu fein, da ein- 
zelne der hier vorgefundenen Pfriemenbruchjtüde vollkommen in dieſe Ber: 
tiefungen pafjen. Merkwürdig find einzelne kugelförmige Steine, wie die 
borigen aus weißem Kalkſteine bejtehend und etwa die Größe einer Mannes: 
fauſt erreichend, welche in der Mitte theils ſchon völlig durchbohrt, manchmal 
auch erſt angebohrt find. Wahrjcheinlich dürften. diefelben zu dem gleichen 
Zwecke verwendet worden fein, wie die hänfig auftretenden, befannten Web— 
jtuhlgewichte. Ein diejen volltommen gleiches, vom Rubin ftammendes 
Geräth jah ich vor Fahren bei einem Arbeiter. Ferner finden fich aus 
demjelben Steinmateriale noch Kleine, runde Scheiben mit Loch in der 
Mitte, wie ich jolhe auch auf dem Nubin fand. Auch das Bruchſtück 
einer jolchen größeren Scheibe, welche beiläufig 8" im Durchmeſſer hatte, 
liegt mir vor. Merkwürdig ift die große Anzahl von länglich und kugelig 
geformten Flußgeſchieben meist aus hartem Kiejel beftehend, von denen 
die meiften immer an zwei einander gegenüberliegenden Seiten befonders 
ſtark abgerieben erjcheinen, weshalb wohl unjere Vermuthung ganz gerecht— 
fertigt erjcheint, die dahiıt geht, daß wir es hier mit Farbenreibern oder 
Quetſch- und NReibjteinen für Handmühlen zu thun haben, von denen mir 
eine ziemlich große, länglich geformte wirklich vorgezeigt wurde, weldye 
allerdings, wie das jchon nicht anders zu gehen fcheint, wiederum völfig 
zertrümmert war. Zu erwähnen hätte ich ferner noch eines rundlich ge: 
formten Steines mit einer in dev Mitte rings um denjelben verlaufenden, 
vertieften Rinne, der wohl als Schleuderjtein aufzufajfen jein mag. Leider 
iſt derſelbe nur in Bruchſtückform erhalten.) 


» Einen | vollfommen gleichen, vollitändig erhaltenen Stein diefer Art beftehend 
aus hartem Kiefel erhielt Hr. Dr. Tiſcher. Derſelbe iſt prachtvoll gearbeitet, 
die Rinne um den Stein herum mehr vertieft und- höchft jorgfältig ausgeführt. 
Er ftammt aus dem ſchon genannten Fundfelde „in den Gruben“ bei Zard, 
welches überhaupt mit der hier beſprochenen Todtenftätte, ſoweit ich dies nad 
den wenigen FInnden, die mir von dort zu Gefichte kamen, beurtheilen kaun, 
jo ziemlich übereinftinmmen dürfte, Leider ift diefe Fundftelle in Folge Anlage 
von Hopfengärten jchon ihrem größten Theile nach ausgebeutet. Einen jehr 
ähnlichen Scleuderjtein, welcher entweder von Libotz oder Wodowig aus der 
Umgebung Prags ſtammt, Jah ich bei Hrn. Mikſch in Prag abgebildet. 


— 4 — 


Auch Geräthe aus Bronze wurden bis jetzt nur in ſpärlicher Anzahl 
vorgefunden, ich zähle deren in meiner Sammlung bis jegt bloß 14 Stück. 
4 Stüde, von denen ich weiß, befinden jich noch in anderen Händen, wie 
die bereits in meinem erſten Berichte erwähnte, ſchöne Halskette, welche 
der Finder jedoch in Petroleum legte, wodurch fie ihre jchöne, glänzende 
Patina faſt gänzlid verlor und jene ſchön verzierte Bronzenadel, jowie 
eine Fibel von Tene Charakter, letztere beide in der Heimen Sammlung 
Hrn. Siegls in Schaab. 

Unter den in meinem Beſitze befindlichen Gegenjtänden befindet ſich 
eine zierlich geformte, gut erhaltene Pfeilfpige, mehrere Stüde in Form 
von Nadeln und Stiften, ein Stüdchen einer Pferdetrenje und zwei Kleine, 
plattenförmige Stüdchen Bronzeblehs, das eine von rundlicher Form, 
das andere iſt Bruchjtüd und jcheint vieredig geweſen zu jein. Beide 
ſind mit Löchern verjehen und jollen bei einem Grabe gefunden worden jet. 
Wir ſehen alfo, daß von Waffen mit Ausnahme jener vorhin angeführten, 
wenigen Steinmefjer und Bruchſtücke von Hämmern nichts weiter vorliegt 
als etwa noch diefe Bronzepfleilipige, die aber wahricheinlic auch nur zur 
Jagd verwendet wurde. Dürfen wir aus diefem vorläufigen Ergebnif 
einen Schluß ziehen, jo muß wohl die Bevölkerung, deren Nefte uns bier 
vorliegen, in jehr friedlichen Verhältniffen gelebt haben. 

Eifen fand fich nur in einem einzigen Falle und zwar ein kleines 
plattenfürmiges Stüd jedoch in ziemlich geringer Tiefe und noch an der 
Grenze der eigentlichen Fundjchichte und der darüber laftenden Adererde, 
jo daß man wohl annehmen kann, es Könnte erſt in fpäterer Zeit durch 
irgend einen Zufall in diefe Schichte gerathen fein, was auch wahrjcheinlic 
fein dürfte, da es nur als einziges Stück gegenüber diefer größeren Anzahl 
von Bronzen erfcheint und, trogdem es in fo geringer Tiefe lag, nur wenig 
von Roſte angegriffen ijt. 

Bon fonjtigen Metallen läßt ſich noch das Gold nachweijen. Ich 
habe jchon in meinem erften Berichte des Fundes von Goldringgeld erwähnt, 
der auf Hrn. Siegls Felde gemacht wurde. Dasjelbe hatte die Form eines 
doppelten, jpiralig gewundenen, mehrmals und ziemlich regelmäßig ver- 
knüpften Drahtes, welcher durch Hrn. Dr Tiſcher vom obgenannten Herrn 
für das ka k. Wiener naturhiftorische Hofmufeum erworben wurde, 

Unter den Geräthichaften aus Thon fällt uns zuerst eine länglich— 
runde, anderthalb Zoll breite, und etwa "/,* die, längliche Thonjcheibe 
auf, welche feitli 3 etwa "/," von einander abjtehende Querlöcher trägt. 
Diefelbe dürfte wahrjcheinlich zum Drehen von Schnüren, überhaupt bei 
der Seileret verwendet worden fein. 


Merkwürdig ift hier das äußert jeltene Vorkommen eigentlicher Wirtel. 
Trogdem nämlich von diefen Dertlichkeiten jchon taufende und aber tau- 
jende Fuhren Erde weggeführt wurden, fanden ſich im Ganzen bis jeßt 
erſt 3 Stücd, von denen 2 noch Hr. Siegl befigt, das dritte iſt in meiner 
Sammlung vorhanden. Diefe Erjcheinung muß um jo mehr auffallen, 
als gerade Wirtel auf allen urgefchichtlichen Wohn: und auch auf Be— 
gräbnißpläßen, die ich bis jeßt fernen gelernt habe, jich in größerer An- 
zahl finden. Ferner habe ich noch zu erwähnen eines Webjtuhlgewichtes 
von der bekannten Form einer abgejtugten Pyramide, das aber nur etwa 
Y/, der gewöhnlichen Größe zeigt, jowie eine Eleine, kreisförmige Scheibe 
ähnlich den aus Stein gefundenen und das Bruchſtück eines rohen, Löffel- 
artigen Geräthes mit noch erhaltener Handhabe. 


Bon ganzen Gefäßen bewahre ich in meiner Sammlung bis jeßt 
drei volljtändige, winzige, jchalenartige Geräthe neben mehreren Bruchſtücken 
eben folcher. Eines derjelben weiſt die beiläufige Form einer Kaffeejchale 
aus, doch ift der Boden desjelben gerundet. Ferner erwähne ich eines 
winzigen, blumentopfartigen Gefäßes (leider nur zur Hälfte erhalten) mit 
einer durch eine Knochenfpatel erzeugten Bodenöffnung. Dieje Gefäße 
dürften wohl nur als Kinderjpielzeug zu betrachten jein, oder jollten wir 
es vielleicht hier mit Erzeugniffen von Kindern ſelbſt, die jich in der Töpfer— 
funft verfuchten, zu thun haben? Auch die Hälfte eines größeren, am 
Boden jiebartig durchlöcherten Rauchgefäßes (?) welches ich aus drei Scherben 
zufammenzufegen im Stande war, liegt mir vor. Ein jehr großes Gefäß, 
welches leider jchon zerdrüdt vorgefunden wurde, jammelte ich in feinen 
Scherben und trug es nach Haufe, wo es noch der Zujammenfegung hartt. 


Groß, erjchredend groß ijt die Zahl der hier gefundenen Scherben; 
es muß ſonach die Zahl der Gefäße, welche hier in Verwendung ftanden, 
eine äußerjt zahlreiche gewejen fein. Umfomehr ijt es daher zu bedauern, 
daß namentlich von größerem Gejchirre nichts auf ung gefommen ijt. Die 
Form der einzelnen Gefäße muß, wie wir das aus größeren Bruchjtüden 
erkennen können, eine jehr verjchiedenartige gewejen jein. Ich konnte bereits 
folgende Formen nachweiſen: urnenartige, frugfürmige, ſchüſſel- und teller- 
artige Flachgefäße, gewöhnliche Zopfform in größeren und Fleineren Exem— 
plaren, winzige Töpfe, Schalen, ſowie Seiher und Rauchgefäße, wie man 
fieht eine ziemlich große Mannigfaltigfeit. Die Scherben jelbjt find bald 
dünn- bald dickwandig, zeigen von mehr oder minder guter Brennung, find 
aus jehr grober bis zur feinſt gejchlemmten Thonmaſſe angefertigt, haben 
manchmal verjchiedene Beimengungen und jind häufig an ihrer Außenfeite 





— 


ſeltener an der Innenwand mit verſchiedenen Farben geziert. Auch grafitirte 
Scherben finden ſich ziemlich häufig vor. 

Was die Verzierung anbelangt, jo trägt eine große Anzahl derſelben 
gar feine, namentlich ein großer Theil der dickwandigen, aus gröberem 
Thone angefertigten; vielfach erjcheint aber auf den verzierten roheren das 
Fingernagel:, Tupfen- und Strichornament. Auf den feineren, dünnwandigen 
Gefäßen tritt namentlich das Punkt-, Tupfen- und Linienornament, doc) 
meijt in combinirter Weife auf. Nur in eimem einzigen Falle fand ich das 
Dreiedornament in Verbindung mit Kreisornament. Sehr beliebt fcheint 
bei den jeineren Gefäßen namentlid die Verbindung des Kleinen Tupfen- 
mit dem Linienornamente (eine ziemlich große Anzahl parallel verlaufender 
Geraden in beiläufigem Abjtand von einem Gentimeter) gewejen zu fein. 
Dieje Gefäße tragen in der Regel auch Grafitüberzug und müſſen jelbe 
ein prächtiges Ausjehen gehabt haben. 

Die Verzierung ſelbſt ift bei diejen im der Weiſe angebracht, daß 
unmittelbar unterhalb des Gefäßrandes eine größere Anzahl parallel ver: 
laufender, jehr forgfältig durchgeführter Striche manchmal bis zu 20, meiit 
aber weniger parallel mit dem oberen Rande um das Gefäß herumlaufen, 
während oberhalb und meijt auch unterhalb verjelben, ja in einzelnen 
Fällen jogar mitten zwifchen den Linien felbjt eine einfache oder Doppel- 
reihe von zarten Tupfen angebracht it. Dieje Art von Verzierung fommt in 
derjelben Weife auf dem Rubin nicht vor, wenigjtens habe ich fie noch nicht 
vorfinden fünnen. Auch die hier jehr zahlreich auftretenden Henkel bieten 
mannigfache, oft recht merfwürdige Formen dar. Was die äußere Färbung 
der Scherben anbelangt, jo findet ſich meijtens gelbliche, röthliche, oder 
jchwärzliche, ſowie Grafitüberzug. Auch die Maſſe des Thones ift eine 
jehr verjchiedenartige, oft jonderbare Farbennuancen zeigeride, was wohl 
von verjchiedenen Beimengungen herrühren mag. 


Sämmtliche der hier in Bruchjtücen vorliegenden Gefäße waren ohne 
jede Beihilfe der Drehſcheibe gearbeitet. Erſt durch die legten Grabungen 
vom vergangenen Herbite erhielt ich von Hrn. Siegl 3 Bruchjtücde von 
Gefäßen, welche jedenfalls mit Hilfe der Drehicheibe gearbeitet find, doch 
babe ich vor der Hand in diejelben Fein rechtes Vertrauen. 

Glas, welches auf dem Aubin bereits häufiger nachgewiefen wurde, 
liegt mir nur in einem einzigen Stüde vor; es iſt dies das jchon in meinem 
erjten Berichte erwähnte Bruchjtiid eines Armbandes, das größte und bis- 
lang am weiteften erhaltene Stüd, welches ich überhaupt bejige. Doch 
ſtammt dasjelbe nicht von der eigentlichen Todtenftätte, jondern wurde von 


BA 


mir jelbft auf der jich unmittelbar anjchließenden Feldparzelle, auf welcher 
fih die vorhin erwähnte Mörtelplatte befand, aufgelefen. 

Wenn wir uns nun diefe Funde im Großen und Ganzen betrachten, 
ſo bieten fie, wein wir von einzelnen Dingen, die wir anszujcheiden haben, 
abjehen, bis jegt wenigjtens noch ein ziemlich einheitliches Bild, und es 
hindert uns vor der Hand nichts, anzunehmen, daß diefelben nur einem 
einzigen Volke angehörten, welches in der Umgebung diefer Todtenftätte 
durch längere Zeit jeßhaft war und hier jeine Todten begrub. 

Im Anhange zu dem bisher Gefagten hätte ich noch vorzubringen, 
daß bei neuerlichen Grabungen in der am Wege von Schaab nach Liſch— 
wis liegenden Sandgrube, in welcher jchon öfters einzelne Brandgräber 
aufgededt wurden, wiederum eine Urne zu Tage trat, welche ich jelbit aus 
dem umgebenden Erdreiche ablöfte. Auch fie war ſchon vom dariiber ge- 
henden Pfluge zerdrüct worden. Ich konnte daher nur die Scherben 
jammeln, welche fich vielleicht noch zufammenjegen lafjen werden, Sie 
war ohne jede Verzierung, zeigte außen eine bräunliche, innen eine ſchwärz— 
liche Färbung und war ohne jede Beihilfe der Drehfcheibe ziemlich roh 
gearbeitet. Dem Thone waren Sand und Heine Steinchen beigemengt. 
Der Inhalt derjelben bejtand in Leichenbrand. 


3. Neuere Funde auf dem Berge Rubin. 


Wenn ich nun zu den neuerlich auf dem Aubin gemachten Funden 
übergehe, jo kann ich zu meiner großen Freude und Befriedigung conjta- 
tiren, daß die Anzahl derjelben wiederum eine ziemlich bedeutende: ift. 
Indem ich bei Aufführung derjelben in jener Neihenfolge vorzugehen be- 
abjichtige, welche ich ſchon in meinem erjten Berichte einhielt, gelange ich 
zuerst zu den Artefakten aus Bein. Bon dieſen fanden ſich diesmal 6 Stück 
und zwar drei vollftändige Pfriemchen und 3 Bruchſtücke von folchen, 
über welche ich hier wohl nichts weiter zu bemerken habe. Ein von friiheren 
Funden herrührendes Stück, welches ich der Güte des Hın. Dr. Tiſcher 
verdanfe, ift jener bereit3 in meinem erften Berichte erwähnte Bärenzahn 
(bon ursus spelaeus?) mit ſchönem Bohrloche an der Wurzel. Derſelbe 
wurde vor etwa 5 Fahren von einem Arbeiter bei Abgrabung einer unter 
halb des Rubin gelegenen aſche— und ſchuttführenden Halde vorgefunden, 
und gelangte bald darauf in den Beſitz Hrn. Dr. Tiſchers. Ob dieſes 
Stüd, weldes meines Wiſſens bislang das einzige hier aufgefundene ift, 
nur. als Anhängjel und Schmudjtüd oder vielleicht als Amulet zu be= 
trachten jei, das fünnen wir hier natürlich nicht mehr entjcheiden. 


ie Val en 


Neben jonjtigen Knochenreſten, die nicht die Spuren menjchlicher Be- 
arbeitung tragen, habe ich außer einer größeren Anzahl thierifcher Knochen: 
reſte, welche ich für eine fpätere Bejtimmung aufbewahre, noch bejonders 
dreier Bruchftüde von menjchlihen Schädeln zu erwähnen, darunter eines 
vom Hinterhauptichädel, vom os oceipitale; dieſe Stüde find aber nicht 
etwa nach den Nähten abgetrennt, jondern jo unregelmäßig abgefplittert, 
daß es wohl ganz gerechtfertigt erjcheint, wenn wir annehmen, daß wir 
diefelben als Zeugen eines der vielen, blutigen Kämpfe, die wegen des 
Beſitzes des Rubinberges ftattgefunden haben mögen, zu betrachten haben. 
Daß e8 um dieje Befigung fo manchen heißen Kampf gegeben hat, er- 
jehen wir auch aus den ung als Ejtrichjtüden erhaltenen Bekleidungen der 
ehemaligen Lehmhütten. Es muß ſonach die auf und an dem Rubin be- 
findliche Anfiedlung wenigjtens einmal, vielleicht auch mehreremale durch 
Teuersbrünfte zerftört worden fein, da fich diefe aus Stroh, Flechtwerk 
und Lehm beftehende Hüttenverkleidung jonft nicht hätte erhalten können. 
Daß dies eher in einem Kriege als zur Friedenszeit gejchehen fein mag, 
fönnen wir wohl annehmen. Daß aber der Rubin auch jo manchen neu 
anrücdenden Völkerſchwarm, mögen e8 nun Feinde oder Theile desfelben 
Bolfes geweſen fein, die gezwungen waren, fich neue Wohnfige aufzufuchen, - 
mächtig anloden mußte, ift leicht erflärlich, weil derjelbe für die damalige 
Zeit eine ziemlich ftarfe und günftige, leicht zu vertheidigende, aber jchwer 
zu nehmende Bofition war, um welche e8 fich ſchon verlohnte, einen Kampf 
zu wagen. 

Bon Neften aus dem Pflanzenreiche fand fich diesmal nichts vor, 
da ich in den vergangenen Ferien auf dem Rubin eben feine Nachgrabungen 
veranftalten fonnte, wie id) es urfprünglich geplant hatte und ſämmtliche 
neu vborgefundene Gegenjtände nur beim Umhergehen von der Oberfläche 
aufgelefen wurden. 

Bon Artefatten aus gejchlagenem Steine fand ich auch diefesmal 
wieder eine ziemlich bedeutende Anzahl und zwar neben einigen Stein- 
fernen und etwa 20 vollftändig erhaltenen Eremplaren eine ziemlich große 
Zahl (über. 150) von Abfallsfplittern und mehr oder minder Spuren 
menschlicher Bearbeitung zeigenden Spänen. Das Material, aus welchem 
diejelben angefertigt find, ift das befannte: Flintftein, Fenerjtein, Hornjtein, 
Porzellanjaspis, gewöhnlicher Qnarz, Achat, Chalcedon ꝛc. ꝛc. Unter den 
vollftändigen Exemplaren finden fich einige hübjche Mefjerchen, ein aus 
Flintſtein (?) angefertigter, jehr fein gearbeiteter und prächtig erhaltener 
Schaber (Cabinetsſtück), ferner fünf vollftändige Pfeilſpitzen, unter dieſen 
eine, welche an. Adel der Form, Feinheit der Behandlung und eleganter 

Mittheilungen. 26. Yahrgang, 1. Heft. 5 


> BR 


Arbeit alle bisher gefundenen übertrifft. Ferner fand ſich auch diesmal 
wieder ein Bruchjtüd eines jägeartigen Inſtrumentes. 

Bon Geräthen aus gejchliffenem Steine fand ſich diesmal nur das 
hintere Bruchſtück eines rieſigen Steinhammers von jchwärzlichgrüner 
Färbung am nordöftlichen Abhange des Berges, ferner ein ziemlich roh 
gearbeitetes, kleineres Meſſer ſowie eine größere Anzahl von Schleif- 
jteinen, darunter ein jchöner, ziemlich ſchmaler und regelmäßig geformter 
mit Loch an dem einen Ende, welcher aljo wohl an einer Schnur befeftigt 
zum ftändigen Gebrauche vom Eigenthümer mit umbhergetragen wurde. 

Bon anderen Steingeräthen liegen mir noch zwei größere Kugeln 
vor, die eine aus weißem Kalfjtein, die andere aus anderem Materiale ge: 
arbeitet, welche wahrjcheinlich demfelben Zwecke dienen mochten, wie die 
früher erwähnten Thonfugeln von Eichelgröße. Zu erwähnen habe ich 
ferner noch eines aus rothem Steine oder einer Mafje (?) angefertigten 
Schmuckſtückes (Anhängfels), welches ich als von früheren Funden ſtammend 
von Hr. Dr. Tifcher acquirirte. Auch zahlreiche, größere und Eleinere Stüde 
von verjchiedenen Gebirgsarten, welche manchmal aus ziemlich weiter 
Ferne herbeigeholt fein mögen, um bier aus ihrer rohen Urgeftalt heraus 
zu verjchiedenartigen Dingen verarbeitet zu werden, gab ich mir Mühe zu 
fammeln, da diejelben ung vielleicht jpäter einmal ermöglichen werben, 
die Bezugsquellen des hier verwendeten Steinmateriales aufzufinden. 


Bon Gegenftänden aus Glas fanden ſich diefesmal nur zwei Stüde, 
nämlich eine ſchöne aus hellgrünem Glaſe gefertigte Perle mit abwechſelnden 
Streifen meißlichen Glaſes und eine ebenfolche aus dunfelgrünem Glaſe. 

Bronzegegenftände war ich diesmal nicht jo glüdlich vorzufinden, 
dagegen ſammelte ich wieder drei Gegenſtände aus Eijen: ein Feines 
Ningelchen, das Bruchjtüd eines länglich geformten Mefjers, jowie ein 
anderes unregelmäßiges Stüd. 

Bon Geräthen aus Thon liegen mir vor 2 Berlen, 6 Wirtel und 
3 aus Scherben gefertigte, Heine durchlöcherte Scheiben. Außerdem 
fammelte ich wieder eine große Anzahl Scherben, um allmählich ein ge: 
eignetes und zahlreiches Vergleichsmaterial mit den übrigen Fundorten zu 
gewinnen. Unter denfelben befanden jich diefesmal befonders jchön verzierte 
mit dem Wellenlinien- und Dreiedsornament. ') 


1) Scherben mit dem Wellenlinienornament als Verzierung, welche denen vom Rubin 
auffallend gleichen, erhielt ich von dem jchon mehrfach genannten Herrn Schmieb 
and von einer urgefchichtlihen Anfiedlungsftätte in der Nähe des Dorfes 
MWeinern. 


er u 


Ich gelange nun am Ende diefer befonderen Ausführungen und Be- 
trachtungen zu einer gemeinfamen Schlußbetracdhtung. Der eigentliche Zweck 
aller meiner bisherigen Unterſuchungen ſollte vor allem der fein, zu con- 
jtativen, ob wir auf den verjchiedenen Anfiedlungsplägen unſerer Heimats- 
gegend eine oder mehrere durch verjchiedenartige, einander ablöjende Volfs- 
ftämme erfolgte Befiedlungen anzunehmen genöthigt feien. Freilich bedürften 
wir zu einer genauen und volljtindigen Beantwortung diefer Frage 
eines reichlicheren und volljtändigeren Bergleichsmateriales. Indeſſen 
dürfte aber doch jchon das bis jegt Zuſammengebrachte ung einiges Wichtige 
über die früheren und früheften Bevölferungsverhältniffe diefer Gegenden 
erſchließen laſſen. Gehen wir nun die drei näher befannten Fundorte nach 
ihren Fundgegenftänden aufmerkſam durch und wenden wir uns zuerjt zu 
dem Rubin, als dem bis jeßt wenigjtens am meijten befannten Punkte. 
Sehen wir die einzelnen Fundgegenftände etwas genauer durch, und laſſen 
mir fie an unſerem geiftigen Auge vorüberziehen. Da gewahren wir 
I. zahlreiche Waffen und Werkzeuge aus gejchlagenem Steine als da find: 
Pfeil- und Lanzenfpigen, Meſſerchen, Krager, Schaber, Sägen ac. neben 
zahlreichen Spänen, Abfallsiplittern und Steinfernen; IL Gegenftände aus 
gejchliffenem Steine, als: Hämmer, Meißel, Meſſer und Keile neben zahl- 
reichen Schleiffteinen und einer Menge anderweitiger Steingeräthe, als: 
Handmahlmühlen, Drehjcheiben (?) mit centralem Bohrloche, Farbfteinen, 
großen Mühlfteinen, Würfeln, Perlen aus Kalkſtein, verjchiedenen Schmuck— 
jtüden, Wirteln 2c.; III. eine große Anzahl von Geräthen aus Bein und 
Hirihhorn, als: Nadeln, Pfriemen, Kämme, Amulete, Pfeilfpigen, durch— 
bohrte Thierzähne, verfchiedenartige Schmudjtüce, perlenartige Scheibehen, 
Spinnwirtel, Pferdeſchmuck und Hirihhornhämmer (Teßtere beide im Mu— 
jeum des Vereines für Gefchichte der Deutichen in Böhmen); ferner 
IV. eine ziemliche Anzahl von Geräthen aus Glas, jo verichiedengeformte 
Perlen, Wirtel und einige Bruchſtücke von Armbändern, ja ſogar Email: 
arbeiten finden fich einzeln vor; daneben V. verjchiedenartige Bronzegeräthe, 
als: Pfeiljpigen, Nadeln, Pfriemen, kleine Ringe, Armbänder, Obrgehänge, 
Ketten, Celte (deutſch-hiſtoriſcher Verein in Prag), Fiichhäfen, Figuren von 
Thieren (Wiener naturhift. Mufeum), zahlreiche Stücke Bronzedraht, Bronze: 
Ipiralen; ferner VI. Gegenjtände aus Eifen, als: Bruchſtücke von länglich- 
geformten Mefjern, Angelhafen, Heine Ningelchen, Pfeil- und Lanzenſpitzen 
und daneben verjchiedene verroftete und nicht mehr erkennbare Stüde; 
VII. zahlreihe Objecte aus Thon, als: Wirtel, Schmucverlen, Webjtuhl- 
gewichte, Schmelztiegel, ganze Gefäße (wurden nur in früherer Zeit, in 
welcher Grabungen vorfamen, vorgefunden und befinden ſich theils in Prag, 

5* 


— ie 


theils in Wien), Löffel, Thonkugeln von Eichelgröße, Ejtrichjtüde, Scheiben 
mit centralem Loche, jowie eine große Anzahl verjchiedener Gefäßrefte. 
Dazu fommen VII. noch ſolche Gegenftände, welche wir nicht als Pro- 
durcte einheimischer Eultur anjehen Fünnen, wie Korallenſchmuck, Reſte von 
Gefäßen aus terra sigillata und Serpentin, jowie verjchiedene andere 
merkwürdige Dinge, wie 3. B. Stüdchen rothen Glaskopfes, Antimons und 
verschiedener anderer Mineralien, deren Zweck und etwaige Benügung . 
manchmal nicht recht zu erklären tft. 

Wenn wir num berücjichtigen, daß erjt ein geringer Bruchtheil des 
Berges und feiner Hänge wirklich durchgegraben ift, und wir alſo hoffen 
fünnen, daß uns fpätere Ausgrabungen noch gar manche andere werth- 
volle und merfwürdige Dinge erbringen fünnen, jo müfjen wir ung doc} 
ſchon nach diefem Furzen und ungenanen, flüchtigen Ueberblid gejtehen, 
daß der Reichthum diefer Fundftätte an Gegenftänden jowohl als an 
Formen ein jehr bedeutender ift. Lafjen wir aber bei diefer Betrachtung 
den Geiſt etwas tiefer eindringen, jo werden wir gar bald zu der Leber: 
zeugung fommen, daß jene Gegenſtände unmöglih nur einem einzigen 
Bolfe angehört haben. Sehen wir hier ja doc) zahlreiche Gegenftände aus 
dem Stein: jowohl als aus dem Bronzealter, ja jogar der Eifenzeit innig 
mit einander verbunden auftreten. Wenn wir nun auc in manchen Einzel- 
fällen aus dem gleid)zeitigen Vorkommen von Steingeräthen mit ſolchen 
aus Bronze ja manchmal jogar mit ſolchen aus Eifen nicht auf verjchiedene 
Perioden jchliegen dürfen, wie wir ja ſogar noch auf dem Frievhofe von 
Samfon und in den burgundiichen Gräbern des Waadtlandes neben Ge— 
räthen der ausgejprochenditen Eifenzeit noch einzelnen Pfeilfpigen aus 
Feuerſtein begegnen, ') jo ift es doch etwas ganz anderes, wenn uns die 


„einzelnen Gegenftände in jo bedeutender Anzahl und ſolch großer Mannig- 


faltigfeit vorliegen wie hier, und ich möchte fonach für den Rubin bis 
jegt wenigjtens drei verjchiedene Anftedlungen, deren eine der Steinzeit, die 
zweite dem Bronzezeitalter und die dritte der Eifenperiode zuzufchreiben 


1) Bergl. L. Lindenihmit: „Handbuch der deutſchen Alterthumskunde.“ I. Theil, 
©. 153, 154. Hier fünnen wir zugleich deutlich erjehen, wie lange ſich manch— 
mal einzelne Gegenftände aus graueften Alterthume bi3 in fo ferne Zeiten 
erhalten haben, in denen man die eigentliche Bedeutung ſolcher Dinge ficher 
nicht mehr kannte und ihnen deshalb wohl eine ſymboliſche Bedeutung beimaß. 
Einen intereffanten Beitrag zu diefem Thema liefert und aud die römiſche 
Geichichte, welche uns erzählt, daß ſich die Priefter bei Thieropfern fteinerner 
Meſſer bedienten, In diefem Falle können wir wohl als ſicher annehmen, daß 
dieſem Gebrauche eine tiefere, ſymboliſche Bedeutung zu Grunde lag. 


— * 


— BG 


wäre, annehmen. Freilich dürfen wir uns diejelben nicht ohne jedweden 
Bufammenhang von einander denfen; es mögen wohl Uebergänge von 
einer Periode zur anderen jtattgefunden haben, vielleicht auch in jeder 
diefer Perioden ſelbſt wieder einzelne Abtheilungen zu unterjcheiven jein. 
Klareres Licht über diefe Dinge können natürlich erſt fpätere, genaue For: 
ſchungen verbreiten. 

Eine andere Frage ijt aber nun die: „Welchen Völfern haben wir 
denn dieje einzelnen Befiedlungen zuzuweijen?" Daß dieſe Frage natürlich 
noch weit fchwieriger zu beantworten ijt, wie die vorige, ijt Har, und wir 
werden diejelbe jo lange nicht in genügender Weife beantworten können, 
jo lange wir nicht einerfeitS ein zahlveicheres Fundmateriale zuftande ge- 
bracht, anderſeits aber aud die Grabftätten entdedt haben, auf welchen 
die Aubiner Anwohner ihre Todten beifegten. Vielleicht Tieße jich aber 
aus gewiffen Vorkommniſſen doch jchon jegt das Volt, welches die legte, 
der Eifenzeit angehörige Anfiedlung errichtete, erjchließen. Zu dieſem Zwecke 
müffen wir aber etwas weiter ausholen. Ich habe jchon bei Befchreibung 
der von der Schaaber Todtenftätte ftammenden Gefäßreſte auf das äußerjt 
zahlreiche Auftreten des Wellenornamentes auf Aubiner Scherben auf- 
merfjam gemacht. Nun wiſſen wir aber, daß eine große Anzahl gewiegter, 
deutjcher Forjcher, allen voran ein Altmeifter deutſcher Urgeſchichtsforſchung, 
Rudolph Virchow, diefes Ornament für ſpecifiſch jlavifchen Urjprunges 
hält. Eine wejentliche Unterftügung und wifjenjchaftliche Unterlage erhält 
diefe Anficht in dem merkwürdigen Umftande, daß eben dieſes Ornament 
in den alten Burgwällen Schlefiens, der Laufig, Polens, Brandenburgs ꝛc., 
alſo in jenen Gegenden vorherrſchend auftritt, welche in frühgejchichtlicher 
Beit von Slavenvölfern bewohnt wurden, und es hat daher diefe Anficht 
einen großen Grad von Wahrjcheinlichkeit für ſich. Freilich dürfen wir 
aber nicht annehmen, daß überall, wo das Wellenornament auf Gefäß- 
reiten und dergleichen Dingen auftritt, ſlaviſche Völkerſtämme gewohnt 
haben müfjen. Dadurch würden wir auf arge Abwege gerathen. Fand 
ſich dieſes Ornament jadoch auc auf Gefäßen der von Schliemann auf 
Hiſſarlik wieder entdecdten Trojanerftadt; ferner ſoll dasjelbe auch auf 
prähiftorifchen Gefäßen Perus, überhaupt Südamerikas vorkommen. Auch 
bei den Römern wurde e3 allerdings in einer ganz verjchiedenen Weije 
auf Geräthen verwendet, es tritt hier nämlich in der Regel nur eine 
einzige elegant geſchwungene Wellenlinie und diefe meiſt nur als ab- 
ichließende Verzierung auf), und jo wird fich diefes Ornament wohl 

1) Eine ähnliche Verwendung der Wellenlinie finden wir auf den bekannten, 

Ihönen Gefäßen von Hradiſcht bei Stradbonig in Böhmen. Vergl. dazu ben 


We 


in mehr oder minder verjchieden angewandter Weife vielleicht auch noch bei 
anderen Bölfern und in anderen Ländern nachweijen laſſen, oder vi.leicht 
ſchon nachgewiejen fein. Gingen wir num von ähnlichen PBrincipien aus 
wie die Keltomanen, jo würden wir gar bald die ganze vorgefchichtliche 
Welt mit Slaven bevölfern können. So weit wird fi) aber natürlid) 
fein auch nur einigermaßen Vernünftiger hinreißen Lajjen. 

Betrachten wir uns nun das Wellenornament an und für fi) etwas 
näher, jo müſſen wir ung gejtehen, daß dasjelbe gerade jo wie das Linien: 
und Dreiedsornament unmittelbar aus den Anfchauen der Natur jidy ent- 
widelt hat. Ein gleichmäßig dahin verlaufender Höhenzug mit feinen ab- 
wechjelnden Kuppen und Einfchnitten, die langjam dahingleitenden Wellen 
des flutenden Meeres mochten etwa die Urbilder fiir dasjelbe abgegeben 
haben. Aus diefem Grunde ijt e8 daher auch leicht einzufehen, daß das- 
jelbe zu verjchiedenen Zeiten und bei verjchiedenen Völkern entjtehen und 
ſich entwickeln Fonnte, und nur dadurch können wir e8 ung auch erklären, 
daß wir dasjelbe in folchen, manchmal jo entlegenen, jo ungeheuer weit 
von einander entfernten Gegenden, zwijchen denen wir einen etwaigen 
Handelsverfehr unmöglich annehmen Können, finden. Daß nun diejes 
Ornament bei verjchiedenen Völkern verfchiedenartige Anwendung finden 
fonnte und auch wirklich fand, ift gleicher Weife nur natürlich, ebenjo wie 
der jonjt merkwürdige Umstand, daß es gerade bei den Slaven jo beliebt 
war, zu Folge deſſen es auf den Gefäßen derjelben al3 vorherrjchende 
Berzierungsweije erjcheint. Bewohnten vdiefelben ja doch ein Land, das 
mehr oder minder hügelig und wellig verläuft, und es wäre fonach nicht 
unmöglich, daß diefem häufigen Auftreten diejes Ornamentes noch ein 
anderes, tieferes Motiv zu Grunde läge. Es hindert uns ja doch nichts 
anzunehmen, daß der Slave durch dieſe wellenfürmig um den Gefäßrand 
gezogenen Ringe etwa den ihm oder einer größeren Anzahl von Nachbarn 
zugehörigen Beligftand andeuten und gewijjermaßen verfinnbildlichen 
wollte, aljo vielleicht ein Ausdruck des bei dem Slaven ja ohnehin 
ungemein ſtark entwidelten Heimatsgefühles, der Liebe zur heimatlichen 
Scholle. Auf diefe Weife fünnten wir uns dann auch das oft zahlreiche 
Auftreten diefer Linien jelbft näher erklären. Betrachtet man nämlid von 
einem größeren Hügel aus das deufelben rings umgebente Hügelland, 


Aufſatz W. Osbornes im 10. Bande der Mittheilungen der Wiener anthro= 
pologiſchen Gefellihaft auf S. 234—59: „Zur Beurtheilung des prähiftorischen 
Fundes auf dem Hrabifht von Stradonig in Böhmen. Mit 6 Tafeln.” 
Osborne jchreibt dafelbft diefe Gefäße der fpäteren von der römischen bereits 
ziemlich ſtark angehauchten und beledten markomanniſchen Cultur zu. 


jo erjcheint es uns, als wenn ſich dieſes wellige Hügelland in immer 
weiteren, concentrifchen Kreifen um den Hügel, auf dem wir ftehen, her- 
umzöge; es erjcheint uns in Folge dejjen das umgebende Land in der 
Form einer größeren Anzahl welliger, concentrischer Kreife. Da fih nun 
diejes Bild auf Gefäßen natürlich nicht in vollkommen entjprechender 
Weije anbringen ließ, jo mußte der Töpfer die einzelnen, welligen Kreiſe, 
die hier natürlih als um den Gefährand verlaufende Wellenlinien auf- 
treten mußten, neben d. h. untereinander anbringen. Ob dieje Vermuthung 
und Deutung als die richtige anzufehen ift, oder ob vielleicht veligiöfe Mo- 
tive mit hereinfpielten, können wir natürlich nicht endgiltig entjcheiden, wir 
haben eben mit diefer Deutung nur das wiederzugeben verfucht, was ung 
beim näheren Betrachten und Studium diefes Ornamentes in den Sinn fam. 
Sei dem nun aber wie ihm wolle, eines fteht jedenfalls feit, daß 
das Wellenornament im Großen und Ganzen eine jpeciell der jlavijchen 
Borzeit eigenthümliche Erjcheinung if. Den endlichen und vollgil- 
tigen Exrweis für die Zugehörigkeit diefer in den chemals von Slaven 
bewohnten Ländern auftretenden Verzierungsweife zur ſlaviſchen Eultur 
wırd uns jedoch erjt die Beantwortung einer Frage von eminenter Be- 
deutung, welche auf der 9. allgemeinen Verſammlung der deutjchen Ge— 
jelljchaft für Anthropologie und Urgefchichte in Kiel") angeregt wurde, 
erbringen. Dieſe Frage, weldhe den Mitgliedern dieſer Geſellſchaft zur 
Würdigung und weitgehendften Berücjichtigung vorgelegt wurde, lautet: 
„Welche Anhaltspunkte bieten fi dar, um in den einzelnen Gegenden 
Deutfchlands die etwa vorhandenen jlavifchen von den germanijchen, vor: 
gefchichtlichen Alterthümern zu trennen?” (Verbreitung der ſlaviſchen Burg: 
wälle? Bejchreibung ihres Baues. Was liefern die Ausgrabungen in den- 
jelben? Knüpfen fich hiftorische Ueberlieferungen an ſolche Dertlichfeiten an? 
Germanifche und flavische Begräbnißftätten. Der jlaviiche Schläfenring.) 
Zur Beantwortung diefer Frage wäre es natürlid) auch vor allem 
anderen nothwendig, zu willen, ob das Wellenornament in eben der Form, 
wie es auf den öſtlichen Burgmwällen Deutjchlands auftritt, auch in folchen 
Gegenden Deutjchlands häufiger zu finden ift, die nie ein flavischer Fuß 
betrat, da wir dann dem Einfluffe nachgehen fönnten, den dasjelbe auf 
die germanischen Stämme, bei denen e3 allerdings nicht durchzudringen 
vermochte, geübt hat. Und dies wäre vielleicht auch nicht gar jo jchwer 
zu conftativen, da wir ja die Grenze, bis zu welcher die Slaven in Deutjch: 


1) Bergl. „Correfpondenzblatt der deutfchen Geſellſchaft für Anthropologie, Eth- 
nologie und Urgeihichte”, Jahrgang 1879. 


FR 


land nach den Stürmen der Völkerwanderung vordrangen, heute ‚bereits 
genau anzugeben im Stande find; es bedürfte chen nur einer fleißigen, 
ordnenden Hand, um uns über den Einfluß der flavifchen auf die ger- 
manifchen Alterthümer in genügender Weife aufzuklären. ') 

Sehr wichtig und mit diefer Frage im engften Zujammenhange 
ftehend dünkt mich auch die Frage: „Brachten die ſlaviſchen Völferfchaften 
die Töpferſcheibe ſchon aus ihrer früheren Heimat mit, oder lernten jie 
jelbe erjt jpäter im Verfehre mit ihren westlichen Nachbarn kennen?" Die 
Beantwortung diefer Frage dürfte allerdings feine fo leichte fein, doch 
wird auch fie mit der Zeit jich löſen lajjen. Einen diesbezüglichen Um- 
ftand haben wir auch vom. Rubin etwas näher ins Auge zu faffen. Unter 
den zahlreichen Scherben vom Rubin finde ich ſolche mit dem Wellenor- 
namente verjehene, weldye aus freier Hand gearbeitet jind; deren Zahl tjt 
jogar eine jehr bedeutende; jelbe find in der Negel dickwandig und be 
zeugen, daß die Gefähe, denen fie einjt angehörten, ziemlich plumpe Formen 
aufwieſen. Erſt in jüngjter Zeit, als ich den Scherben jelbjt ein größeres 
Augenmerk zu fcherfen begann, ſammelte ih auch eine Menge von 
jolhen Scherben mit dem Wellenornamente, welche mir unbedingt auf 
der Drehjcheibe erzeugt zu fein fcheinen, denn darauf deuten ſowohl die 


1) Daß diefe Anfiedlung aus der Eifenzeit, welche auf dem Rubin befonders durch das 
Wellenornament harakterifirt ift, wirklich Slaven zuzuſchreiben fei, das dürfte ic) 
vielleicht Schon in den kommenden Ferien direct ermeifen fünnen. Etwa 1 Stunde 
vom Rubin entfernt befinden ſich nämlich die Reſte eines Kirchleins, des jo- 
genannten Wenzelskicchleins, von dem allerdings nur mehr eine einzige Wand, 
auf welder fi) das Bildniß des Heiligen befindet, vorhanden iſt. Mit diefem 
Kirchlein nun foll in früherer Zeit ein lofter in Verbindung geftanden fein. 
Daß neben der Kirche noch andere Gebäude hier geftanden haben, geht Har 
und deutlich aus der ungeheuer großen Anzahl von Mauerreſten und Steinen, 
jowie aus den großen Mörtelmaffen hervor, welche in der Umgebung des Kirch: 
leins auf einer größeren Feldflur ausgegraben wurden und nod ausgegraben 
werden. In der Umgebung diejes Kirchleins nun, vielleicht unmittelbar um bie 
Kirchenwände felbit, bearuben die Beiftlichen ihre Todten, und was jehr merk: 
würdig ift, unterhalb diefer Todtenftätte aus neuerer Zeit befindet fich eine vor- 
oder frühgefhichtliche Anfiedlung, und aud in diefer jollen Gräber vorkommen. 
Aus der Bezeichnung der Kirche ald St. Wenzelskirche dürfen wir num fchließen, 
daß wenigſtens die Anfänge derfelben bis in graueftes Altertum zurüdgehen, und 
daß die damals ſchon chriftfichen Bewohner, die natürlich nur Slaven geweſen 
fein fünnen, hier ihre Todten begruben. Aus der Uebereinftimmung allenfalls 
bier zu findender Gegenftände mit den Funden der legten Rubiner Periode und 
dem gleichzeitigen Auftreten des MWellenornamentes ginge jodann klar und 
deutlich hervor, daß die Bewohner der legten Anfiedlung auf dem Rubin nur 
Slaven gewejen fein können. 


25. — 


befannten, parallelen Streifen an der Innenwand, als aud) die jcharfen 
Eonturen, die Schärfe des Gefäßrandes ſowie einzelner vorjpringender 
Linien am Gefäße und die vollfommene Rundung. Doch muß man hier 
jehr vorfichtig fein, da man fich jehr oft arg täufchen kann, denn manche 
Scherben, die man als von mit der Drebjcheibe erzeugten Gefäßen her: 
ſtammend anfieht, find trogdem nur mit freier Hand gearbeitet’), und ich 
will mit diefer Bemerkung eben nicht all zu viel behauptet haben. Vielleicht 
finden ſich aber fpäter noch einzelne ganze Gefäße, an denen wir eher zu 
entjcheiden im Stande jein werden, ob fie mit oder ohme Hilfe der Dreh: 
jcheibe erzeugt wurden. Merkwürdig ift es num auch, daß zwifchen beiden 
Arten von Scherben auch fonjt noch Unterſchiede beftehen. Bei der erjten 
Art findet fich neben dem Wellenornament, wenn es in Verbindung mit 
anderen Ornamenten auftritt, meift nur das Strichornament, bei den 
legteren in der Regel noch ein aus größern Punkten oder Heinen Tupfen, 
die fich zu fchiefen unterhalb der Wellenlinien verlaufenden Strichen ver: 
einigen, bejtehendes Ornament. Auch find die Wellenlinien manchmal jehr 


verichieden. Bei den erjteren Scherben finden ſich auch manchmal weiße 


1) Wie jehr man bei ſolchen Beftimmungen vorfihtig fein muß, geht aus folgender 
Stelle hervor, die ich bei dem ausgezeichneten, nieberöfterreichifchen Urgeſchichts— 
foricher Dr. Mathäus Much finde. Derjelbe jagt nämlich bei Beſchreibung 
der von der in der Nähe de3 Manhartöberges gelegenen Heidenſtatt ſtam— 
menden Gegenftänbe in feinem zweiten Berichte über urgefchichtliche Anfiedlungen 
in Niederöfterreich (vergl. Mittheilungen der Wiener anthropol. Gef. Band 2, 
Seite 105--130) folgended: ........ Es ift übrigens nicht ganz leicht, 
hierin (nämlich bei Beſtimmung, ob einzelne Gefäßjcherben von Gefäßen her- 
rühren, die mit oder chne Hilfe der Drehicheibe erzeugt wurden) immer eine 
fihere Unterfcheidung zu machen. Allerdings wird man in den meiften Fällen 
von einem vorliegenden Gefäße oder nad) den Bruchftüden desjelben mit Bes 
ftimmtheit jagen fünnen, ob e3 aus der Hand geformt fei, aber nicht immer 
wird man mit gleicher Sicherheit die Erzeugung auf der Töpfericheibe zu be— 
haupten im Stande fein, Denn wenn man mit naſſem Finger das noch unges 
brannte Gefäß in horizontaler Richtung ftreicht und glättet, jo entftehen auch 
dadurd jene feinen parallelen Riefen, welche man als Kennzeichen der For— 
mung auf der Drehfcheibe anfieht. Bei ganzen Gefäßen ift eine Enticheidung 
jedenfalls durch die Beitimmtheit der Konturen, die Vollkommenheit der Run— 
dung und die Schärfe des Randes oder der herumlaufenden Ninnen oder 
Erhabenheiten ſehr erleichtert, bei bloßen Scherben aber wird jene Niefung 
oft täufchen. So gewähren einige Stüde (die Nr. 650, 651, 654, 1090 und 
1091 der Serie V) meiner Sammlung den Beweis, daß diefe Niefung, die ich 
an der inneren und äußeren Fläche diefer Stüde im Winkel kreuzt, allein 
nicht hinreicht, um daraufhin die Anwendung der Töpferjcheibe immer annehmen 
zu können. 


a Wi 


und gelbliche jowie andere Farben als äußerer Schmud, bei den letzteren 
fand ich dies niemals. Merkwirdig tft auch der Umftand, daß ich noch 
auf feinem Scherben mit Wellenlinien Orafitirung nachweiſen konnte, obwohl 
jelbe auf Scherben mit, anderen Ornamenten nicht jelten vorfommt. Wäre 
nun das richtig, daß die Scherben der zweiten Art wirflid von Gefäßen 
herrühren, die auf der Drehjcheibe erzeugt wurden, jo möchten wir wohl 
bezweifeln, daß die hier anſäſſige Völferfchaft, welcher diefe Ueberrefte an- 
gehören, die Töpferſcheibe ſchon aus früheren Sigen mitgebracht habe, 
da neben diejen legteren Scherben eine große Anzahl von Scherben vor: 
liegt, die von Gefäßen herrühren, welche aus freier Hand gearbeitet find, 
denn es ließe ſich da nicht einfehen, warum man die Töpferfcheibe nur zur 
Erzeugung von Gefäßen der einen und nicht auch der anderen Art verwendet 
hätte, da das Verfahren mit der Drehjcheibe doch viel bequemer fein mußte 
und auch andererjeits vielfache Vortheile bot. 

Fafjen wir nun in Kürze alles zufammen, was fic) aus den bis jeßt 
gemachten Funden und den bisherigen Darlegungen ergibt, jo gelangen 
wir zu folgendem Schluffe: „Der Rubin war ſchon während der Steinzeit 
und zwar während der neolithijchen Periode derjelben, vielleicht aber ſogar 
jchon zu Ende der paläolithiichen Periode von einer zahlreichen, gejchäftigen 
Bevölkerung bewohnt. Während der Bronzezeit dilrften vielleicht mehrere 
Völkerſchwärme — ob demjelben oder verjchiedenen Volfsjtämmen angehörig, 
fann ung vor der Hand gleichgiltig fein — den Rubin nad) nnd nad) 
befievelt haben. Daß diefe der Bronzezeit angehörigen Völker mit der 
Eultur des Südens in zeitweifer Verbindung jtanden, beweijen einzelne 
hier gemachte Fundgegenftände. Von da an gewahren wir einen allmäh- 
lichen Uebergang zur Eifenzeit, als deren legte Vertreter wir eben, wie 
oben des weiteren ausgeführt wurde, flaviiche Völkerftämme, alfo in unferem 
Falle, die Zichechen, anzunehmen haben. Daß der Rubin jedocd vom Be: 
ginne der erjten Anfiedlung an ununterbrochen ald Wohnort gedient habe, 
werden wir wohl nicht annehmen dürfen, es mögen vielleicht manchmal 
größere Zeiträume vergangen fein zwiſchen dem Ende einer Anſiedlung 
und dem Beginne einer folgenden. 

Aehnlich wie auf dem Rubin, allerdings nicht in ganz derjelben Weiſe 
— ich brauche hier wie bei der Todtenſtätte wohl nicht erjt die Funde einzeln 
wieder anzuführen, find vdiejelben ja doch aus dem Vorangehenden und 
meinem früheren Auffage deutlich erſichtlich — Tiegen die Verhältniſſe in 
Podletig. Auc hier fünnen wir die Spuren der Anfiedler durch Die 
Steinperiode bis zur Bronzezeit verfolgen. Merkwürdig ift hier aber der 
Umſtand, daß ich noch fein einziges Eifengeräth von hier erhielt, obwohl 


das Wellenornament hier fajt eben jo häufig und in vollfommen ähnlicher 
Weije auftritt, wie auf dem Rubin. Wahrjcheinlich ift dies lediglich nur 
einem ungünftigen Zufalle zuzufchreiben, da ja die übrigen Funde von 
bier font jehr genau mit den Rubiner Funden übereinjtimmen, und es 
dürften ung wohl fpätere Nachgrabungen noch hinreichende Nachweife einer 
hier vorhandenen Eijenperiode erbringen. Wir hätten aljo ſonach aud) 
bier ſowie in dem etwas entfernten von hier gelegenen Weinern, wo das 
Wellenornament ganz in derjelben Weije auftritt, wie auf dem Rubin, 
zulegt am Schluſſe diejer Anjiedlungsreihe eine ſlaviſche Anſiedlung an- 
zunehmen. 

Wejentlih anders liegen die Verhältnijje auf der Todtenjtätte bei 
Schaab. Hier findet ſich weder das Wellenornament, noch fonnten wir 
das Eijen nachweifen. Es kann aljo von einer ſlaviſchen Beſiedlung bier 
nicht mehr die Rede fein. Im Großen und Ganzen bieten zugleich dieſe 
Funde noch ein ziemlich einheitliches Bild und es dürfte wohl nur ein 
einziger Volksſtamm etwa am Anfange oder in der Mitte der Bronzezeit 
hier durch längere Zeit feßhaft gewejen fein. Sicherere Daten können 
natürlich erſt weitere, jadhgemäße Nachgrabungen bringen. 


Die Berka von Duba und ihre Beſihungen 
in Böhmen. 
Bon Wenzel Hiefe. 


II. 


Die Gütertheilung von 1502. — Zdislaw Berka. 


Am 21. Jänner 1471 ließen jich die Bürger von Leipa das Bittauer 
Recht, das ihmen von den frühern Befigern gewährt und verbrieft worden, 
durch ihre neuen Herrn, die Söhne des 1470 verjtorbenen Heinrich Berka, 
bejtätigen.') AS Ausfteller der Urkunde nennen ſich: Jaroslaw Birke 
von der Dauben, oberfter Hofrichter; Georg Birfa von der Dauben, ge: 
ſchworner Kämmerer des böhmischen Königs; John Birke von der Dauben, 
oberjter Vorfchneider der Königin, und Peter Birke von der Dauben, Ge— 
brüder, Herrn zu Leipa. — Wie mın hier die Brüder als gemeinjchaftliche 


1) Original im Leipaer Archiv. 


— 


Beſitzer erſcheinen, ſo auch am 10. Auguſt 1472, wo ſie vom Könige die 
Beſtätigung der Gerechtigkeiten ihrer Stadt Gabel erwirkten.“) Ueberhaupt 
blieben ihre ererbten Güter durch mehr als dreißig Jahre ungetheilt. 
Jaroslaw, den älteſten Sohn, finden wir bereits einigemal mit dem 
Vater erwähnt; auch war er ſchon bei Lebzeiten desſelben, ſeit dem 
Juli 1469, Oberſt-Hoflehenrichter und bekleidete dieſes Amt bis 1490, 
wo er vermuthlich ſtarb.) Von 1492 bis 1500 hatte dasſelbe dann fein 
nächjter Bruder Georg inne.?) Es fehlt natürlich auch fonjt nicht an ge- 
legentlihen Erwähnungen der Brüder, aber unter jenen Herren, die im 
damaligen politiſchen Leben am meiſten hervortraten, finden wir fie nicht. 
Auch das Verhältniß zur Laufig war nicht das frühere, nachdem diejes 
Land ſich König Mathias angejchloffen hatte.) Erft durch den Tod des 
Ungarnfönigs trat eine Aenderung ein, und da war es Georg Berka, den 
K. Wladislaw an die Sechsftädte abjandte, um mit ihnen über den Anfchluß 
an Böhmen zu verhandeln.?) Und Georgs Reife war von Erfolg gefrünt. 
Ihre gemeinschaftlichen Befigungen im Norden Böhmens haben die 
Brüder nicht unbeträchtlich vermehrt. Sp erwarben jie gleich nach dem 
Tode des Vaters einen ehemaligen Befig ihres Haufes, Bürgſtein, wieder 
zurüd. Dieſes Gut hatte befanntlih Hinko Hlamwacz von Leipa 1412 
an Hans Wölfl von Warnsdorf verfauft; von diefem war es, wir wifjen 
nicht wie, übergegangen an die Familie der Panzer von Smoyn, und die 
Brüder Johann und Friedmann hatten es dann an Wilhelm von Ylburg 
verkauft. Bon diefem nun erwarben das Gut am 11. Jänner 1471 die 
Brüder Berfa.*) Es umfaßte nad) der betreffenden Urkunde Burg, Meierhof 
und Dorf Sloup Bürgſtein), Rodowitz, Nedoftojow, Lindenau, Soor (Za— 
hoiin) und Yanow.”?) Syede directe Nachricht fehlt uns über eine andere 


1) Abichrift im böhm. Mufeum. — Eine gleihe Confirmation durch K. Georg 
hatte Heinrih am 22. Dec. 1466 erwirft. Ebenba. 

2) Sicher ift, daß in einem Vertrag mit den Bürgern von Leipa vom 3. Dechr. 
1493 nur noch die 3 andern Brüder genannt find. Laudt. 552, L. 12. 

3) Palacky, Sousasny prehled. 

4) Indeß darf nicht auf feindliche Beziehungen gefchloffen werden. Am 10, Mai 
1482 erfucht 3. B. Jaroslaw den Rath von Görlitz, ihm den Nachrichter 
nach Friedland zu leihen. (Abichrift im böhm. Muf.) 

5) Am 9. April 1490 meldet der König den Bautznern die Abfendung George; 
bereit3 am 3. Mai folgt dann die Einladung, nad) Prag zur Huldigung zu 
fommen. — Abichriften im böhm. Mufeum. 

6) Relig. II. 361 = Archiv Zesky III, 579. 

N) ©. im 1. Theile ©. 131, Anm. 4. Janow fann nicht Johannesdorf jein, da 
diejes erft im 18. Jahrhunderte von Johann Joſ. Mar Kinsky gegründet 
wurde, Sommer, ©. 291. 


— — 


Erwerbung. Ich meine Herrſchaft Reichſtadt. Wir wiſſen nur, daß auf 
derſelben, einem alten Erbe der Herren von Wartenberg, noch 1463 Beneſch 
von Wartenberg und Reichſtadt gebot.) Daher müſſen wir ſchließen, daß 
ſie von Beneſch ſelbſt oder feinen Nachkommen?“) an die Leipaer Berka 
überging. 

Johann, der dritte der Brüder, wendete ſich en Mähren und ge 
langte dort zu Gittern. Ludmilla nämlich, eine der 4 Töchter des Georg 
von Kramat, hatte bei der Theilung nach dem Tode des Vaters (1466) 
Herrichaft Sternberg geerbt und vermählte ſich zum zweitenmale mit 
Johann Berka von Duba.?) Sie nahm ihn dann auch in die Güter: 
gemeinjchaft auf, und weil fie wahrjcheinlich ohne directe Erben ftarb, jo 
gingen ihre Befigungen, nachdem auch Johann im %. 1501 verfchieden 
war, *) an deſſen Sohn Wenzel über. Ein genaueres Eingehen auf diejen 
Zweig liegt nicht im Plane meiner Arbeit. Ich führe daher gleich hier 
furz an, daß nach den mir zu Gebote jtehenden Büchern legterer Wenzel 
bis 1520 Sternberg inne hatte, wo es dann an feinen Sohn Ladislaus 
gelangte. Diejer hinterließ die Herrjchaft wieder einem Sohne Johann 
Wenzel, der bei des Vaters Tode noch unmündig war.) Johann Wenzel 
vermählte ji um 1551 mit Magdalena von Zerotin (7 1562), die ihm 
nur eine Tochter gebar, Katharina. Als dann 1565 Johann Wenzel ftarb, ®) 
erbte diefe Tochter feine Güter, worauf diefelben durch ihre Vermählung 
mit Karl von Münfterberg (1570) an diefe Familie kamen. 


Wir kehren zu den norbböhmifchen Befigungen zurüd. Von den 
früher genannten 4 Brüdern war Jaroslaw, der ältefte, um 1490 geftorben 
und hatte zwei Söhne hinterlaffen, Adam und Zdislaw. Da nun der 1501 
verftorbene Johann auf Sternberg nur einen Sohn hatte, fo gab es 1502 
folgende Befiger auf jenen Familtengütern: die zwei noch lebenden Brüder 


1) Am 17. März 1463 ift er Beifißer des Hoflehengerichtes. Arch. éesky V, 156. 

2) No im 16. Jahrhunderte gab e3 „Zakupsti* von Wartenberg. 

3) Wolny, die Markgrafihaft Mähren V, 720. Zuerft wird Johann unter den 
mäbrifchen Herrn erwähnt 1486 (Archiv Gesky V, 429.) — Vergl. Johanns 
Vergleich mit feinem Schwager Heralt von Kunftatt, Sternberg betreffend. 
Ebenba VI, 523. 

4) Er wurde in der Kloſterkirche zu Sternberg begraben. — Paprocky, Zr- 
ceadlo LXXVI. 

5) Nach Paprocky a. a. O. ftarb Ladislaus 1532 und wurde begraben in der 
Sternberger Kirche. — Nah Wolny ging die derrſchaft 1544 an Johann 
Wenzel über. 

6) Wolny a. a, D. und Lazensky-Matzner, Chronif von Sternberg. — Paprocky 
a. a. D. gibt ald Todesjahr des Joh. Wenzel irrthümlich 1536. 


— — 


Georg und Peter und ihre Neffen, einerſeits Adam und Zdislaw, ander . 


ſeits Wenzel auf Sternberg. — Dieje fchritten am 31. Mai 1502 zur 
Theilung.‘) Die darauf bezüglichen Urkunden wurden jpäter, nach dem 
Brande der Landtafel, neuerdings in diefe eingelegt und find uns jo er: 
halten. ch gebe danadı im Folgenden eine kurze Ueberficht über den 
Umfang der einzelnen Zheile.?) 

E3 waren deren vier, und zu jedem fam ein Viertel von Schloß 
und Stadt Leipa und das entjprechende Stüd der Vorſtadt. Allen ge- 
meinfam aber blieb hier das Patronat, dann je eine Mühle in der Stadt 
und in der Vorſtadt. Die Zinje, die von den Gewerbtreibenden u. a. 
eingingen, folften gleichmäßig getheilt werden. Jedes Viertel wählte drei 
Rathsmänner, der Bürgermeifter und Richter wurde jährlih aus einem 
andern Viertel genommen. Im UWebrigen ſollten die Bürger bei ihren 
allen Ordnungen belaffen werden. — Sonft gehörte zu den einzelnen 
Theilen: 

1. Zu Georgs Theil:?) In Leipa das Viertel beim Kreuzthore und 
die Kreuzvorftadt; der Meierhof in Manifch; die Dörfer Kofel, Robitz, 
Pießnig und Dobern;t) — Gabel mit Marfersdorf, Böhmiſchdorf und 
Kriesdorf (Sucha); endlich Ledeẽ ſüdöſtlich von Mſcheno. — Auch wurden 
diefem Theile zugewiejen die Lehenbefiger Peter Roſenhain und Hanuſch 
Blekta (von Audishorn). 

2. Beter erhielt:) Von Leipa das Viertel beim Frauenthor und die 
Frauenvorſtadt; den Meierhof beim Schloß mit den „Petrzikowskiſchen“ 
Gründen und denen in Pihl; — Schloß Bürgjtein und das Dorf dabei; 
dann Rodowig, Nedoftojom, Langenau, Kottowig, Tanfow, Bokwen.“) — 
Bon den ehemals Doraner Kloftergiitern famen zu diefem Theile: Städtchen 
Graber, Dörfel, Johnsdorf, Krojjendorf und die wüften Dörfer Smrezin 


1) Landtafel 252, B. 7, 

2) So intereffant e3 wäre, die beſonders topographifh wichtigen Angaben der 
einzelnen Theilzettel genau wiederzugeben, muß ich doc) darauf verzichten. Viel: 
leicht bietet fi) anderswo Gelegenheit. 

3) Landtafel 45, G. 9. 

4) Die Urkunde nennt auch den „Langenauer” Wald und den Wald „Scheibe“; 
1547 find bier bereit3 zugefommen die Dörfer Neu-Langenau und Scheibe. 
Rehentafel 62, 628. 

5) Randtafel 45, G. 13. 

6) Dad Verzeichniß ift nicht ganz vollftändig. 1565 werden noch angeführt: 
Aſchendorf, Arnsdorf, Blottendorf, Falkenau, Zwitte, Lindenau, Wellnig. 
Randtafel 58, G. 11. 


— — — 








Te 


und ober (Javorsko). — Die Eulauer Lehensmannen Stanislaus und 
Zimo (von Lungwig) und Hans (von Gersdorf).") 


3. Der Theil der Brüder Mam und Zdislaw umfaßte:?) Das 
Leipaer Viertel beim Langen Thor mit der VBorftadt; den Meierhof „Zito- 
nice" mit den Gründen von „Vlekovice“;*) die Dörfer Schwora, Alt-Leipa, 
Schießnig, Hermsdorf, Weſſeln; die Einfünfte von je 1 Unterthanen in 
Klein-Aiha (Doubice), Straußnig und Liebih; Zins in Rain (zwifchen 
Hohlen und Bleiswedel).*) — Weiter die geiftlichen Pfandgüter: Städtchen 
Neuftadtel; das halbe Dorf Waltersdorf; Hermsdorf, Morgendorf, Staupen 
und Borzetin ganz.) — Die Mannen Johann Dlouhy, Melchior Kaucz ®) 
und Johann Blekta (von Audishorn). 


4. Endlih kam an Wenzel:”) Von Leipa das Viertel beim Wieden: 
thor und die Wieden-VBorjtadt; — der Meierhof in Reichſtadt mit den 
Gründen von „Blaftibotice”; Herrnhaus und Städtchen Reichſtadt, Götz— 
dorf, Brenn, Voitsdorf (Bohatice), Schiedl, Schaflowig und Poppeln; — 
Schloß Mühlſtein, Städten Zwickau, Kleingrün (Grima), Röhrsdorf; 
das Kunnersdorfer Gut; ein Haus in Stra (?).) — Bon den ehema— 
ligen Gütern des Klojters Doran: Ober: und Nieder-PBolig und die andere 
Hälfte von Waltersdorf.) — Die Lehensmannen Liebenau (in Herms— 
dorf?) und Sebajtian in Prerupt (Prorubi). 

Bon den Weingärten in Stratjchen (bei Wegftädtel), auf welchen 
Leute aus Strziſchowitz (nd. von Gaftorf) Robot zu leiſten hatten, Fam 
auch zu jedem Theil ein Vierte. — Dem Klojter Doran hatte man ver- 


1) Die von mir in Klammern beigefügten Namen nah ode, Aus dem älteften 
Geſchichtsgebiete I. 128 u. a. 

2) Zandtafel 6, D. 21. 

3) Ueber diefen Meierhof f. im 1. Theil S.133, Anm. 5. — Die Urkunde führt 
auch Zins von „Zaluzi* an. 

4) Nachzutragen wäre Vokresice, 1 Bauer in Schoßenborf. (Urf, v. 1532, Land» 
tafel 42, J. 13.) 

5) Borzetin kommt fälfchlih unter die Pfandgüter. — PVergleihe im 1. Theil, 
©. 132, Anm. 8. 

6) Kaſpar Kanz verkauft 1506 ein nad Vater und Großvater ererbted Lehen in 
Liebich. Lehentafel 62, 318. 

7) Zandtafel 250, J. 6. 

8) Landtafel 5, B. 20 (von 1543) werden noch aufgeführt: Kamnitz von ber 
Reichitädter, Krombach, Ober: und Nieder-Mergthal, Ober- u, Nieder-Lichten- 
walde und Glafert von der Mühlfteiner Herrichaft. 

9) In der Urkunde folgen bier Schiedl, Schaklowis und Poppeln fälſchlich als 
Pfandgüter. 





tragsmäßig jährlich zu Georgi und Galli je 3 Schod zu zahlen; dazu 
blieben alle zu gleichen heilen verpflichtet. 

Bon diefen 4 Theilen vererbte ſich nun bloß derjenige Peters auf 
-feine Nachkommen. Bei den andern wechjelten die Befiger in furzer Zeit 
gar mannigfach. Da leider die betreffenden Urkunden nur zum geringjten 
Theile erhalten find, jo iſt bejonders die Chronologie diefer Beſitzverände— 
rungen ziemlich unficher. 

Am früheiten verfaufte Wenzel ‚(anf Sternberg) fein Erbtheil, u. 3. 
erwarb dasfelbe fein Oheim Peter, jedenfall? vor 1505.') — Die Brüder 
Aam und Zdislam überliegen gleich nach der Theilung, am 2. Juni 1502, 
den Ritterfig in Walten mit Zugehör, worauf ihr Lehensmanı Johann 
Blekta ſaß, diefem zu erblichem Beſitz.) Am 28. Juli desfelben Jahres 
beftätigten jie die Privilegien ihrer Leipaer Unterthanen.?) Auch noch 
im %. 1505 waren jie Herrn ihres Antheils, wie ſich aus dem unten 
(Anm. 3) Ungeführten ergibt. Aber nicht lange fpäter ging er käuflich 
über an den Oheim Georg.) Der Zeitpunkt läßt ſich annähernd fejt- 
jtellen, wenn man das Nachftehende damit zufammenhält. 

Unter den Befigern von Leipa in dem Furz vorher in der Anmerkung 
citirten Streite mit dem H. von Biberftein im J. 1505 erjcheint auch 
Heinrich „mit feinen Brüdern“, d. h. alfo die Söhne Georgs. Daher 
hatte diefer bereits vorher fein Erbtheil den Söhnen abgetreten, und diefe 
jtellten dann am 31. Auguft 1507 den Bürgern von Leipa eine Confirma- 
tions-Urfunde über ihre Gerechtigkeiten aus.) — Wenn nun aber am 
15. März des nächſten Jahres ihr Vater Georg jelbjt der Stadt ein 
ähnliches Document ausfertigte,e) jo läßt ſich das nicht anders erklären 
als dadurch, daß er mittlerweile, wie oben erwähnt, das Erbe von Adam 
und Zdislaw erworben hatte. Auch das Jahr, in dem Georg diejer An— 


1) Die Thatſache ift ausgeſprochen Landtafel 45, F. 17. — Daß es vor 1505 
gefhah, zeigt Folgendes: 1505 hatten die Herren von Leipa Streit mit Ulrich 
von Biberftein wegen des Zutreibens von Vieh von feiner Herrichaft zu 
Marfte nach Leipa (Landt. 45, A. 8). — Beliter von Leipa find da: Peter, 
Adam, Heinrich und ihre nicht abgetheilten Brüder.“ 

2) Yandtafel 5, F. 23 (Neneinlage von 1544). 

3) Original in Leipa. 

4) Landtafel 42, J. 13 = 2, F. 17 wird gejagt, daß Adam und Zdislaw ihren 
Theil an Georg verkauften, diefer wieder an Sigmund von Wartenberg. 

5) Original in Leipa. Es find die Brüder Wenzel, Heinrich, Hinko, Albrecht, 
Jaroslaw, Peter und Chrijtoph. 

6) Orig. ebenda: Georg verbrieft damit das Recht, Häufer, Mobilien und Güter 
an wen immer zu vererben. — Die Urkunde ift tſchechiſch. 


Ze 


theil nemerdings verfaufte an Sigmund von Wartenberg, wird uns nirgends 
angegeben. Es muß das einerjeit3 nach dem 20. Juli 1511 gefchehen 
fein, da unter diejem Datum noch Georg feinem Leipaer Unterthanen, dent 
Meifter Johann Schloffer (Zamecnif) die Erlaubniß ertheilt, auf einem 
bejtimmten Plage fich ein Haus zu bauen.) Andrerjeits war wohl Sigmund 
bereit8 am 21. October 1512 Herr des "beiprochenen Theiles, da er an 
diefem Tage die Freiheiten der Stadt neu verbürgte.?) — Am 24. Mai 1514 
war Georg nicht mehr am Leben, wie eine jo datirte Urkunde feiner 
Witwe Margarete, geb. von Koldig, uns beweift.?) 

Schon einige Jahre früher hatten Georgs Söhne ihren Antheil von: 
Leipa jelbft, dann die Dörfer Kofel, Robis, Pießnig, Maniſch (Meierhof), 
auch Ledet und ihr Viertel von ven Stratjchener Weingärten veräußert, 
u. 3. jedenfalls an Yohann von Wartenberg. *) Von diefem bewahrt das 
Leipaer Archiv eine Privilegiums-Urfunde vom 11. Auguft 1509; °) ver 
Kauf mag alfo nicht lange vorher erfolgt fein. Aber auch Johann Tann 
diejen Beſitz nicht lange behalten haben, und vermuthlih war Sigmund 
von Wartenberg 1512, als er die oben genannte Urkunde ausjtellte, auch 
bereit3 Herr diefes Theil der Stadt. — Sigmund ftarb 1519. Die 
zulegt erwähnten Befigungen um Leipa erbte von ihm fein jüngerer Sohn 
Profop ; dagegen jener Theil, den einſt Adam und Zdislaw Berka befaßen, 
ging an den ältern, Chriftoph, über. Beide Söhne überließen dann diefe 
Güter 1532, am 6. Sept. an ihren Better Wenzel von Wartenberg auf 
Rübenan. ©) 

Bon den beiden Brüdern Adam und Zdislam Berka wird der erfte 
nad) 1513 nicht mehr genannt. ?) Ihr Erbtheil war, wie wir ſahen, an 
die Herren von Wartenberg gefommen; fpäterhin jedoch brachte Zdislaw 
wieder ziemlich viel von den 1502 getheilten Gütern an fih. Von dem 
Antheile Wenzel, den bekanntlich Peter erworben hatte, trat diefer am 


1) Urkunde in Nachod. Abſchrift im böhm. Mufeum (tichechifch). 

2) Drigimal in Reipa. — Sigmund hatte das Jahr vorher Tetfchen, Benjen und 
Kamnitz verkauft. j 

3) Original in Leipa. 

4) Daß Fohann gerade diefen Theil erwarb, ift nirgends direct gejagt; allein 
es kann nur an diefen gedacht werden, nahdem die Beier der übrigen 
Theile bezeugt find. — Obiger Umfang ergibt fih aus der Verkaufsurkunde 
von 1532; ſ. u, 

5) Original in Leipa. 

6) Landtafel 5, B. 27 (Prokops Antheil) u. 42, J. 13 = 2, F. 17 (Chriſtophs). 

7) Im $. 1513 erwarb Adam 35 Sch. b. Gr. Zins in Rarbig u. Peterswald. 
Rehentafel 62, 367. 

Vtittheilungen. 26. Jahrg. 1. Heft. 6 


4.44 32° 


BR — 


13. December 1518 die Herrſchaft Reichſtadt auf Lebenszeit an Zdislaw 
ab.) Dieſelbe fiel aber nicht zurück, ſondern am 20. November 1532 
überließen die Söhne des mittlerweile gejtorbenen Peter (Sigmund und 
Aegid) auch den Reſt jenes Antheils demjelben Zdislaw ?) und verzichteten 
zu gleicher Zeit auf den Heimfall von Neichjtadt. — Inzwiſchen hatte 
Zdislaw noch eine andere Erwerbung gemacht. Wir wiſſen, daß die Söhne 
Georgs bereits um 1509 ihr Viertel. von Leipa und einige umliegende 
Dörfer an Johann von Wartenberg verkauft Hatten. Es war ihnen 
dann noch Herrichaft Gabel geblieben; auch dieſe traten fie (genauer 
Heinrich, Hinfo und Chriftoph) am 29. April 1528 fäuflih ab an ihren 
Better Zdislaw.“) — Außerdem gehörte ihnen noch Dobern. Hier war 
die Mitgift ihrer Mutter, Margarete von Koldig, verfichert gewejen. Als 
diefelbe Witwe geworden, trat fie ihre Anfprüche auf diefes Dorf an die 
Söhne ab (am 24. Mai 1514).*) Es gefchah wohl ebenfalls um 1528, daß 
die Legtgenannten auch ihren Antheil an Dobern an Zdislam verfauften.?) 


Das Nefultat aller dieſer Bejigveränderimgen bis 1532 war alfo 
dies: Die oben aufgeführten 4 Theile hatten nunmehr 3 Herren inne: 
Wenzel von Wartenberg bejaß den Antheil der Brüder Adam und Zdislaw 
und ein Stüd von dem des Georg; Zdislam den Reit von Georgs Theil 
und das Erbe Wenzels. Peters Erbtheil bejaßen feine Söhne Sigmund 
und Aegid (Gilgen). 

E3 war unbedingt nothwendig, das Borausgehende im Zuſammen— 
bange zu behandeln, ohne Beichränfung auf einen einzelnen Zweig der 
Familie. Zwei ſolcher Zweige werde ich in den nächjtfolgenden Capiteln 
zu behandeln haben: die Nachkommen Peters und Georgs. Hier jchließe 


1) Randtafel 45, 5. 14. 

2) Ebenda 45, F. 17 — 6, J. 5. Öenauer gibt den Umfang an die Neneinlage 
von 1543 (5, B. 20) Auch die Pfandgüter O. u. N,-Polis und halb Walters- 
dorf gingen 1532 an Zdislaw über, wie das Spätere zeigt. Im die Landtafel 
wurden diejelben nicht eingelegt, weil fie nicht hingehörten. 

3) Randtafel 43, J. 10 = 5, A. 19. Durdy Zdislaw kamen wohl aud) die Dörfer 
Hermsdorf, Herendorf und Peterödorf mit der Ruine Falfenburg wieder zu 
Gabel. Jene Dörfer hatte jedenfalld Hinko Dubsky auf Mühlftein im Jahre 
1409 an Albert von Dohna verkauft, damals ald er den auf Hermsdorf ver: 
fiherten Theil der Mitgift feiner Fran auf andere Dörfer übertrug. Siehe 
Mittheil. 25, ©. 58. — Infoweit find Knothes Ausführungen in den Mitth. 
des nordböhm. Exc.Cl. 10, ©. 19 f., auf die ich fonft verweife, zu berichtigen. 

4) Original in Leipa. 

5) Wir wiffen nur die Thatjache des Verkaufs aus zwei Neneinlagen (von Heinrid) 
und Hinko) von 1543—44. Landtafel 5, A. 20 u. G. 3, 





Be 


ich zunächſt noch das an, was weiter über Zdislaw zu fagen tft; u. zw. 
in erſter Linie einige Notizen, welche zeigen, wie er beftrebt war, feine 
vorher beiprochenen Güter möglichjt abzurunden. So lag 3. B. fein Dorf 
Poppeln weit abſeits von der Herrichaft Neichjtadt, mitten in den Be- 
jigungen Wenzel von Wartenberg. Zdisla trat e8 daher 1546 an dieſen 
ab und erhielt dafiir einen Karpfenteich, ?) In dem gleichen Streben war 
es wohl auch begründet, wenn er nicht gar lang vor feinem Tode (1553) 
das Viertel von Stadt und Borftadt Leipa (beim Wieden-Thor), das ihm 
gehörte, verfaufte an Katharina von Hungergoft,?) die es dann 1562 in 
ihrem ZTejtamente ?) ihrem Sohne Johann von Wartenberg auf Neufchloß 
übertrug, jo daß diefer num drei von jenen 4 Zheilen der Stadt im Be- 
fite hatte. Sein Viertel vom Leipaer Schloß hatte Zdislaw bereits früher 
jeinem Better Sigmund überlafjen. 

Unter den Erträgniffen diefer nordböhmiſchen Herrſchaften Zdislaws 
fungirte auch der Zoll (clo a mejto), den er als Gutsherr von allen 
Kaufmannswagen, die Gabel oder Zwidau in irgend einer Richtung 
paflirten, einzuheben berechtigt war. Dieſe Einnahmen erhöhte Zdislam, 
indem er am 19. Juli 1543 von 8. Ferdinand eine Urkunde ermirfte, *) 
die ihn ermächtigte, von jedem Pferd an den bemwußten Wagen der 
Handelsleute von da an um 1 weißen Pfennig mehr einzuheben. 


Solche königliche Verleihungen zu erlangen konnte Zdislaw nicht 
ihwer fallen bei der einflußreichen Stellung, die er einnahm, und der 
Gunſt, die er fich bei Ferdinand zu erwerben gewußt. Es iſt keineswegs 
meine Aufgabe, eine eingehende Würdigung von dem politiichen Wirken 
Zdislaws zu Fiefern; ich befchränfe mich auf kurze Andeutungen über feine 
Laufbahn. — Bereits unter 8. Ludwig, im %. 1523, erlangte er das 
Amt eines oberjten Landrichters, das er dann bis 1533 befleidete. Bei 
der Königswahl 1526 war er eifrig im Intereſſe Ferdinands thätig, und 
nachdem diejer gewählt war, wurde er ein Mitglied der Gejandtichaft, 
welche dies dem neuen Könige in Wien zu verkünden hatte. Dieſer ent 
Ihädigte ihn in der Folge nicht blos für die bei diefer Gelegenheit aufge 
laufenen Unkosten, °) er fuchte Zdislaw für feine vielfachen Verdienjte auch 


1) Lehentafel 62, 694. Vergl. Wolkan, Mitth. 24, 36. 

2) Landtafel 10, K. 20. 

3) Original in der Landtafel. 

4) Landtafel 5, D. 17. 

5) Ueber die aus den Rüdftänden der Türkenftener dem Zdislaw angemwiejenen 
300 Schock ſ. Wolkan, Mitth. 24, 35. Bald darauf wurden ihm wieder 720 fl. 
rhein. angewieſen. , 

6 


anderweitig zu belohnen. Als daher Erasmus Hirfchberger vom Königshain 
in Wartenberg von feinem eigenen Neffen erjtochen worden und die Herr» 
fchaften desjelben an den König gefallen waren, !) erhielt Zdislaw davon 
die Hälfte des Gutes Schönbrunn ſüdöſtl. von Görlig, freilich nur, um 
dasjelbe bereitS 1531 wieder an Sigmund von Warnsdorf zu verfaufen. *) 
Auf diefelbe Weife erlangte er in der Lauſitz 1534 nad) den Finderlofen 
Hinfcheiden des Jakob von Megradt Bernsdorf und Schmerkwitz; erjteres 
verfaufte er wieder an Gangolf von Lüttichau, das andere an Chriftoph 
von Mepradt. Nicht minder wurde ihm 1540 nad) Meldyior von Haugwig 
Auppersdorf bei Zittau verliehen, das er fogleich wieder an Dr. Ulrich) 
von Noftig überließ. ?) 

Diefe Erwerbungen in der Ober-Laufig zu machen, hatte Zdislam 
die bejte Gelegenheit, nachdem er feit 1527 Landvogt dafelbjt war. Die 
mit diefem Amte verbundenen Gefchäfte überließ er aber fpäterhin mehr 
und mehr feinem Amtshauptmann in Baugen, denn feine Stellung in 
Böhmen felbit nahm ihn zu viel in Anspruch. *) Er wurde 1533 Oberft- 
hofmeifter und hatte dieſe Stelle bis zu feinem Tode inne; ſpäter ernannte 
ihn der König zugleich zum Hofmeifter der Föniglichen Prinzen. — Die 
Würde eines Landvogts der Oberlaujig legte er dann im Jahre 1549 
nieder. Vorher war es ihm aber gelungen in den Pfandbefig der Herrichaft 
Oybin zu gelangen, nad) der er längft geftrebt hatte. Wenigftens hatten 
ihm die Görliger ſchon 1538 vorgeworfen, daß er ein Auge auf diejelbe 
habe. Im Anfange des Jahres 1547 wurde fie ihm auch wirflid vom 
Könige um 13.000 Thaler auf 3 Jahre verpfändet. Er bejaß diejelbe aljo 
nur bis 1551, wo fie wieder eingelöft wurde. Die Unterthanen in mehreren 
Dörfern bejchwerten fich nachträglich, dah Zdislaw fie mit neuen LZaften 
bevrüct habe, und diefelben wurden danı auch wirklich abgeftellt. °) 


Nicht jo Schnell wurde eine andere Fönigliche Herrſchaft wieder ein- 
gelöft, die Zdislaw in Böhmen inne hatte. Bereit3 am 9. Mai 1542 
hatte ihm nämlich König Ferdinand die Herrichaft Melnik, die kurz vorher 
noch den Herren von Wartenberg verjchrieben gewefen, um 4500 Schod 


1) ©. Wolkan, Mitth. 24, 35. 

2) Knothe, Oberlauf. Adel 270. 

3) Dbiges ergibt fi, wenn man Landtafel 41, D. 7 zufammenhält mit Knothes 
Angaben, a. a. D. 364, 555, 646. 

4) Knothe ebenda 168. 

5) Moſchkau, Oybin-Chronik 248, PVielleiht war das durch übereifrige Beamte 
angeordnet worden. So möchte man mwenigftend vermuthen nad der Ver: 
fügung für Reichſtadt in Zdislaws Teftament, ſ. u. 


— er 


böhm. Gr. verpfändet. Dieje Pfandſumme wurde in den nächſten Jahren 
mehrfach erhöht, jo dafs fie 1551 bereits über 8700 Schod betrug. Auf 
diejelbe Weije Fam dann 1545 auch Micehoft (an der Moldau oberhalb 
Melnit) in Zdislaws Befig. Und als 1547 die Stadt Melnik ihre Güter 
jtrafweife hatte abtreten müjjen, verjchrieb ihm der König aud) davon auf 
Lebenszeit die Dörfer Maſtirſchowitz, Strzednig, Straſchnitz, Wyſoka, Klein: 
Auiezd und Podblat.) — Zu dem allen erwarb Zdislam 1550 kaufweiſe 
von Bohuslaw Felir von Lobkowig deſſen Pfandbejig in derjelben Gegend, 
d. i. (Melniker:) Wtelno, Zamach, Choruſchitz und Choraufchek. *) 

Zdislaw Berfa war dreimal verheiratet. Die erjte Gemahlin hieß 
Magdalena von Schebitow, die zweite war Beatrix von KRolowrat, die 
Witwe von Zdislams eigenem Oheim Peter. Diefe fiarb um 1541; °) 
und obwohl Zdislaw bereits hochbejahrt war (ein Siebziger) jo gieng er 
doch noch eine neue Ehe ein mit Anna von Wartenberg. Als er dann 
am 30. Mai 1553 fein Teſtament verfaßte,*) wies er diefer den Nutz— 
genuß feiner Herrjchaft Neichjtadt auf 3 Fahre zu; erſt nach diefer Zeit 
jollten jeine Erben durch Auszahlung der Mitgift die Herrichaft einlöjen 
fünnen. (Das gejchah dann auch wirklich 1556.) 

Weil num Zdislam aus feiner der drei Ehen Nachkommen hatte, jo 
verfügte er über feine Güter zu Gunften feiner Verwandten folgendermaßen. 
— Bon den Söhnen des Georg Berka, die 1528 ihr ererbtes Gut Gabel 
an Zdislaw verfauft batten, lebte zur Zeit noch Ehriftoph. Diejer jollte 
nun Gabel wieder erben. Die Herrichaften Melnik und Reichjtadt dagegen 
jollten erhalten der jüngere, noch unmündige Sohn diejes jelben Chriftoph, 
und Zbynek Berka, Grandprior des Maltejerordens, ein Sohn eines ent- 
fernteren Verwandten, Heinrich Berka von Duba auf Diewenig. Bon dem 
übrigen Inhalte des Teſtamentes jei, mit Übergehung der vielen Legate 
u. ſ. f, nur noch dies erwähnt. Seinen Unterthanen in Reichitadt, Kamnig, 
Brenn, Götzdorf und Voitsdorf ließ er 2 Nobottage jährlich nach, weil fie 
fih beim Baue des Schlofjes in Reichitadt ſehr dienjtwillig gezeigt hatten. 
Zugleich jchenfte er den Bewohnern von Neichjtadt und Gögdorf den 
Kamnig-Berg öſtlich von Neichjtadt, mir die Fagd- blieb vorbehalten. 


1) Das alles fagt die fpätere Theilungsurkunde von 1565. ſ. u. 

2) Zandtafel 48, E. 22, | 

3) Ihr Teftament, Landtafel 1, A. 5 ift datiert vom 8. März; 1540. Den Tod 
meldet zum Jahre 1541 Dacicky, Pam. I, 71 mit dem Zuſatz: „Zlä baba, 
rad ji präzen.“ 

4) Ebenda 11, B. 22. 


— BB. 


2000 Schod beftimmte er für die Spitäler in Neichjtadt und Leipa (vor 
dem langen Thor gegenüber der Magdalenenkirche). 

Eiwas über 3 Monate nad) diefem ZTejtamente, am 11. Sept. 1553, 
verschied Zdislaw als Söjähriger Greis, nicht infolge von Altersichwäche, 
fondern an der Peſt, die damals wüthete. Er wurde in der Leipaer De- 
canalkirche beigejeßt. ') 

Wie erwähnt wurde, war der eine jeiner Erben, Zdislaw, noch un- 
mündig. Die vormundjchaftliche Verwaltung der Herrſchaften Neichjtadt 
und Melnif hatte der Erblafjer neben dem Grandprior Zbynek noch Johann 
von Lobkowitz auf Tocnik übertragen. — Während der Zeit dieſer Vor— 
mundfchaft gieng mit gewiljen Gütern eine Veränderung vor fich, zu deren 
Berftändniß ein kurzer Rückblick nöthig if. — Wie befannt, wurden im 
Sabre 1502 auch die Pfandgüter, die einft dem Doraner Klojter gehörten, 
mit in die Theilung einbezogen. Graber mit einigen Dörfern war an 
Peter gefommen, nach dem es jegt der Sohn Sigmund befaß. Zu dem 
Theile Wenzels waren beide Poli und die Hälfte von Waltersdorf ge- 
ſchlagen worden; diefer Theil war auf die früher beiprochene Weife Eigen- 
thum Zdislaws geworden. Der Reſt endlich, d. i. die andere Hälfte von 
Waltersdorf, Hermsdorf, Morgendorf und Staupen, war mit dem übrigen - 
Erbtheil der Brüder Adam und Zdislaw fchlieglich an Wenzel von War- 
tenberg auf Rübenau gelangt (1532). 

Nicht gar lange darauf erwirkte Klojter Doran vom Könige die Be— 
willigung, feine verpfändeten Güter einzulöfen. Darauf hin wurde nun 
zunächſt Wenzel von Wartenberg belangt, er möge vor dem Kammer: 
gerichte feine Rechte auf die genannten Dörfer beweifen. 2) Wenzel wendete 
jedod) gegen die Klage ein, feine Hälfte von Waltersdorf fei nicht Pfand» 
beſitz, ſondern erblich, und habe ſeit jeher zu Neuftadtel gehört; ?) dieſelbe 
fei aljo nicht in die Klage einzubeziehen gemwefen. Das Klofter konnte 
augenbliclich nicht das Gegentheil erhärten; das Gericht entjchied im Sinne 
Wenzel3 und wies die Klage wegen des Formfehlers ab (am 1. Sept. 
1544), — Das Klofter erneuerte aber fogleich diejelbe, indem es vorläufig 
den Waltersdorfer Theil wegließ; und diesmal erfannte das Gericht, daß 


1) ©. die Grabſchrift: Illuſtr. Chronik I, 49. Ueber den Tod fiehe Beckovski, 
Poselk. II, 1, 215. (Rezek.) 

2) Rammergericht3-Regifter 11, J. 67, 108, 165. 

3) Es jcheint, Wenzel war im Recht, denn 1454 ſchon wurde die Hälfte von 
Waltersdorf als Theil der Herrichaft Leipa aufgeführt (f. im 1. Th., ©. 132). 
Und obgleich Doran auch Hinfichtlich diefes Beſitzes 1546 die Klage erneuerte, 
fo blieb doch dieſe Hälfte bis auf unfer Jahrhundert bei Neufchloß. 


Wenzel die Dörfer Hermsdorf, Morgendorf und Staupen binnen 2 Wochen 
abzutreten habe, u. 3. ohne Entjhädigung, nachdem er nicht nachweifen 
fonnte, daß diefelben einmal vom Könige um eine beftinmte Summe ver: 
Ichrieben worden jeien (am 29. April 1545). 

Die andern beiden Theile, die im Befige der Berfa von Duba 
waren, erwarb jedoch das Klofter nicht zurüd. Vielmehr kam es ſchließlich 
im %. 1560 (14. Oct.) zu einem Saufvertrage mit den augenbliclichen 
Inhabern, alfo einerjeits Sigmund Berfa auf Leipa, andererfeits oben 
genannten Vormündern nad Zdislaw; danach wurden diefe gegen eine 
Jahreszahlung erbliche Befiger, u. 3. behielt Sigmund, was ihm bis dahin 
gehört, alſo Graber, Dörfel, Johnsdorf, Kroffendorf und ober, und 
zahlte 50 Schod; die Erben Zdislaws erwarben aber nicht nur Ober- und 
Nieder: Polig und ihre Hälfte von Waltersdorf, fondern auch die 3 Dörfer, 
die Wenzel von Wartenberg abgetreten; ihre Zahlung betrug 30 Schod. *) 
Dies gehörte fortan zu Reichitadt als Gut Politz. 

Der junge Zdislam erlangte endlich 1565 feine Volljährigkeit ;*) man 
Ihritt daher am 25. Juni d. J. zur Gütertheilung. Zoynef erhielt dabei 
die Herrſchaft Reichitadt, nachdem Zdislaw, als der Jüngere, fich für Melnik 
entjchieden hatte.) Zu legterem wurde aber jenes Viertel von Stratfchen 
und Strziſchowitz gejchlagen, welches feit der Theilung von 1502 zu Reich: 
jtadt gehört hatte. — Auf der anderen Seite wurden die Dörfer Meajtir- 
Ihowig, Strzednitz, Strafchnig, Wyſoka, Klein-Aujezd und Podblat nicht 
in die Theilung aufgenommen, weil diefelben der König nach des alten 
Zdislaw Tode dem Zbynet und feinem älteften Sohne perjünlich auf 
Lebenszeit verjchrieben hatte (1556, 15. Mai). — Demjelben Zdislaw 
hatte König Ferdinand noch am 25. April 1552 in der Stadt Baugen 
22", Schod Zins verjchrieben ; davon hatte Zdislaw die Hälfte jeinem 
Better Sigmund Berka beftimmt, die andere kam jegt zum Melnifer Theil. 
Der Beſitzer diejes Theils mußte jedoch an den andern 7000 Schod b. 
Gr. herauszahlen;*) denn jener Bejig hatte einen viel höheren Werth als 
Meichftadt, befonders nachdem feit dem Tode Zdislaws die Pfandſumme 
noch bedeutend erhöht worden, jo daß jie jetzt beinahe 13,000 Schod 
böhm. Gr. betrug. °) 

1) Landtafel 55, A. 15 = 14, B. 7. 

2) Siehe Vormundſchafts-Abdankung ebenda 15, H. 13, 

3) Ebenda 57, H. 16, 

4) Diefelben find jedoch nicht gezahlt worden, denn Zbyneks Erben behaupteten 
noch 1619, diefe Forderung an Herrihaft Melnif zu haben; a. a. DO. Juxta. 

5) Die einzelnen BVBerjchreibungen verzeichnet genau die Theilungeurkunde; dazu 
vergl, man die Beftätigungen in den Landtagsacten. II. Bd. 


—— 


Die Nachkommen Peters auf Leipa und Bürgſtein. 


Es wurde bereits im vorausgehenden Capitel näher ausgeführt, daß 
von den vier Theilen, in welche die Berka auf Leipa im J. 1502 ihre Güter 
getheilt hatten, drei binnen kurzer Zeit mehrfach die Befiger wechjelten. 
Peter allein vererbte jeinen Antheil auf feine Nachkommen, die ihn auch 
bis zum legten Gliede behaupteten, d. i. etwas mehr als 100 Jahre. 

Bon Peter ſelbſt wiſſen wir auch jchon, daß er gleich nach der Theilung 
das Erbe jeines Neffen Wenzel auf Sternberg an ſich brachte; nicht minder 
aber iſt gejagt worden, daß er im J. 1518 die Herrjchaft NReichjtadt davon 
abtrennte und an einen andern Neffen, Zdislaw, zu lebenslänglichem Bejige 
überließ. — Das ift alles, was wir von Peter wiſſen. Im %. 1522 war 
er nicht mehr am Leben; denn jeit diefem Fahre finden wir feine Witwe 
Beatrix von Kolowrat als VBormünderin nad ihm mehrfach in Proceſſe 
verwickelt. Mit diefer gemeinschaftlich führte die Vormundſchaft der eben 
genannte Neffe Zdislam, defjen Frau dann Beatrig wurde. 

Sie hatte dem erjten Gemahl außer den zwei Söhnen, Sigmund 
und Aegidius, auch vier Töchter geboren, Namens Anna Ludmilla, Iſolde, 
Elifabeth und Lukretia.“) Von diefen hatte ſich Iſolde an Johann Borita 
von Martinig auf Smetjchno verheiratet und war 1560 bereits todt. Die 
dritte, Elifabeth, wurde zuerjt die Gemahlin eines Herrn von Guttenjtein, 
dann des Lorenz Schlid. Auch brachte fie jpäter das Gut Pomeisl (bei 
Poderjam) käuflich an fi) und vermachte e8 1560 tejtamentariich ihren 
beiden Kindern, dem Heinrich Grafen von Guttenftein und der Lufretia 
Schlid.?) Anna Ludmilla wurde die Frau des Franz Thurn und jtarb 
1558.) Zufrezia blieb, wie es jcheint, unvermählt. 

Ueber Aegidius, den jüngeren Sohn Peters, ift nur eins zu berichten. 
Am 1. October 1539 Elagte ihn Rudolf von Bünau bei Gericht an, daß 
er ihn bejchimpft und einen Schelm genannt habe.) — Kurz nachher ift 
Aegid gejtorben, nachdem jchon 1541 der ältere Bruder in die Landtafel 
einlegen ließ, daß er die VBormundfchaft über Urjula, das einzige Kind 
Aegids, übernommen habe. *) Diefelbe wurde 1549 mündig,”?) und damals 


— — — — 


1) Kammergerichts-Regiſter I, F—B 29. u. öfters. 

2) Das jagt das Teftament der Mutter von 1540, Zandtafel 1, A. 5. 

3) Ebenda 16, A. 20. - Sie hatte e3 1551 von den Kindern nah Albrecht 
Schlick gefauft. Landtafel 10, C. 9. 

4) Beckovsty, Poselk. II. 1, 348, 

5) Relig. I. 350. 

6) Randtafel 2, H. 24. 

7) ©. die Vormundſchafts-Abdankung ebenda. 9, A- 27. 





et U 


verglich ih Sigmund mit ihr über ihr Erbtheil und zahlte ihr 400 Schod 
aus. Zu Galli desfelben Jahres vermählte fie jih dann mit Sebajtian 
Forjt von Fort, k. Hauptmann auf B.Aicha.) Im %. 1556 aber erhob 
fie Klage gegen Sigmund, daß er fie bei der Auszahlung ihres Erbes 
verfürzt babe. Doch das Gericht wies fie mit der Klage, ab, nachdem fie 
erjt jo viele Fahre jpäter gegen den PVergleih von 1549 Einjpradye er: 
hoben habe. ?) 

Sigmund jelbft hatte fi) mit Sidonie Schlid, der Witwe des Frie— 
drich von Biberftein auf Dewin vermählt. Ihr war von diefem erjten Ge— 
mahl die Mitgift von 6800 fl. rhein. jichergeftellt worden auf den Herr: 
Ichaften Dewin und Ralsko-Niemes. Aus nicht näher befannten Gründen 
erhielt fie nach feinem Tode (1530) das Beſitzrecht auf jene Herrichaften 
gerichtlich zugefprochen.?) Als Sidonie dann die zweite Ehe eingegangen 
war, jtellte jie dem neuen Gemahl Sigmund Berka eine Schuldverjchreibung 
über 2000 Schod aus; danach jollte nad) ihrem Tode Dewin an ihn ge 
langen, während fie jih über Ralsko-Niemes das freie VBerfügungsrecht 
wahrte.*) Allein jchon im J. 1543 verzichtete Sigmund auf die jo er- 
worbenen Anjprüche, und 1547 beftimmte Sidonie in ihrem ZTejtamente,?) 
daß die beiden genannten Herrſchaften ihr Sohn erfter Ehe, Karl von 
Biberftein, erben jollte; dafiir hatte derjelbe an Sigmund Berka 2000 Schod 
auszuzahlen. Sidonie muß noch in diefem Jahre 1547 geftorben jein, 
nachdem wir Sigmund jchon 1549 zum zweitenmal verheirathet finden. 

Inzwiſchen hatte diefer feinen Herrjchaftsbejig nicht unbeträchtlich 
vergrößert. Am 17. December 1545 hatte er nämlich von Marquard Stra- 
nowsky von Sowojowig deſſen Gut an der fer ſüdlich von Jungbunzlau 
gefauft.*) Dasjelbe umfaßte Schloß Neu-Stranow mit dem Meierhofe, 
Städten Zamofcht (jet ein Dorf), Lhota, Wodierad, Smilowig, außer— 
dem noch Theile von Iſer-Wtelno, Bezdierzin, Neprewazka, Straſchnow, 
Sedleg und Predmiekitz. — Als jih dann Sigmund, wie erwähnt, zum 
andernmale vermählt hatte mit Kunigunde Gräfin von Eberjtein, jo verfchrieb 
er derjelben ihre Mitgift (im J. 1549) auf dem neuerworbenen Gute. ?) 


1) Diefer verjchrieb ihr 1550 die Mitgift auf Dorf Budifow bei Böhm.Aicha. 
Ebenda 9, F. 7. 

2) Kleine Zandtafel 231, H. 18. 

3) Zandtafel 1, D. 27. 

4) Ebenda 84, A. 16. 

5) Ebenda 8, 0. 9. 

6) Zandtafel 46, B. 23 = 7, H. 12. 

7) Ebenda 8, Q. 7. 


= Me 


Auch fonft Haben wir noch Kleine Erwerbungen Sigmunds zu ver- 
zeichnen. Sein Better Zdislam Berka überließ ihm jein Viertel von dem 
Leipaer Schloſſe.) Am 14. März 1554 verkaufte ihm Katharina von 
Hungergoft, die Witwe Wenzels von Wartenberg auf Rübenau und Bor: 
münderin ber Kinder desjelben, 9 Chalupner in der Stadt Leipa.“) — 
Endlich wurde bereit gegen Schluß des vorigen Capitels genauer aus- 
geführt, daß 1560 das Kloſter Doran feine bis dahin verpfändeten Güter 
um Graber und Poli an die Berfa von Duba zu erblichem Beſitze ver- 
faufte. ) Sigmund erhielt dabei das, was er bisher in Pfandbeſitz gehabt, 
nämlich Graber, Dörfel, Johnsdorf, Kroffendorf, ober und die „Reißen- 
mühle oberhalb Krofjendorf”. 

Mit feiner Frau Kunigunde jchloß Sigmund im %. 1562 einen 
Vertrag, wonach derjelben nach feinem Tode Gut Bürgjtein zufallen follte.*) 
Sie hat es auch wirklich dann lebenslänglich bejejjen. 

Im Fahre 1565 traf Sigmund mehrfach Verfügungen für den Fall 
jeines Todes. Er hatte 2 Söhne: den einen, Peter, von der erjten Frau, 
Sidonie Schlid;; den andern, Dietrih Georg, von der zweiten Gemahlin. 
Lepterer war zur Zeit noch unmündig. — Am 21. Auguft 1565 beftimmte 
num der Vater, diefe zwei Söhne follten ich nach feinem Tode in feine 
Güter gleichmäßig theilen. Seine Frau Kunigunde jollte die Vormund— 
Ihaft des jüngern Sohnes führen.) Aber ſchon am 7. November d. J. 
änderte er feine Verfügung dahin, daß er jelbjt den ältern Sohn Peter 
mit Herrichaft Neu-Stranow abtheilte; außerdem wies er demjelben 2000 
Schod zu, die ihm von jeinem damals verjtorbenen Better Johann Wenzel 
auf Sternberg teftamentarisch vermacht worden waren. ®) Weil jedoch auf 
Nen-Stranow die Mitgift der Frau Kunigunde verfichert war, jo übertrug 
er diejelbe zu gleicher Zeit auf jeine Güter bei Zeipa.”) — Vom 11. Dec. 
desjelben Jahres datirt endlih Sigmunds ZTejtament;*) es enthält die 
bereits befannte Beftimmung über die Vormundſchaft, wobei bemerfenswerth 
it, daß der ältere Sohn Peter direct ausgefchloffen wurde; warum, weiß 
ich nicht anzugeben, | 

1) Ebenda 10, K. 20. 

2) Ebenda 11, F. 12. 

3) Ebenda 55, A. 15 = 14, B. 7. 

4) Ebenda 14, F. 8, 

5) Landtafel 15, J. 7. 

6) Ebenda 65, I. 16. — Peter beftätigt, fein Erbtheil erbalten zu haben, ebenda 

15, K. 7. ä 

7) Ebenda 58, G. 11. 

8) Ebenda 17, C. 27. 


Zr, 


Wenn vielleiht Sigmund diefe Anorönungen wegen Krankheit traf, 
fo hatte dieje doch nicht jogleich den Tod zur Folge. Erjt zum 1. Aug. 1570 
meldet Kriejche, Leipas Chronift, daß Sigismundus Berka „mit Tode ab- 
gegangen” und in der Kirche Petri und Pauli begraben worden. ?) 

Sigmunds älterer Sohn, Peter Berka auf Neu-Stranomw, vermählte 
fi) mit der Schweſter feiner Stiefmutter, nämlich mit Gräfin Sibylle von 
Eberftein, und jtellte ihr 1567 auf feinem Gute die Mitgift ſicher.“) — 
Der jüngere, Dietrich) Georg, itbernahm mindig geworden 1575 von der 
Mutter die Herrichaft Leipa in eigene Verwaltung.) — Zugleich wurde 
damals bejtimmt, daß die Mitgift der Mutter noch 5 Jahre auf dem 
Gute ftehen bleiben jolle, gegen eine jährliche Zahlung von 300 Schod.*) 
Als jedod nach diefer Friſt die Auszahlung nicht erfolgte, ließ ſich Ku— 
nigunde in die Herrichaft des Sohnes gerichtlih einführen, verjtand ſich 
aber (am 8. Juni 1581) dazu, einen neuen Aufſchub von 5 Jahren zu 
gewähren, ) unter gleichen Bedingungen. 

Dietrih Georg hatte zur Gemahlin Eva von Biberjtein, deren Mit— 
gift er 1579 auf 2 Dörfern des Gutes Bürgftein, Zwitte und Wellnig, 
ficherftellte.*) Die Vermählung hatte jchon viel früher jtattgefunden. — 
Wie es jcheint, war die Gefundheit Dietrich Georgs nicht grade jehr feit. 
Wenigftens ließ er deshalb jchon am St. Wenzelstage 1583, obwohl er 
nur etwa 33 Jahre zählte, fein Teſtament abfafjen.”) Die VBormund- 
fchaft über feine zwei Kinder übertrug er darin feiner Mutter Kunigunde, 
indem er wieder, wie feinerzeit jein Vater, den Bruder Peter auf Neu- 
Stranow ausdrüdlicd davon ausſchloß. — Nicht ganz zwei Jahre jpäter, 
am 7. Juli 1585, ereilte auch wirklich bereits Dietric) Georg zu Görlitz 
der Zod; er wurde zu Leipa in der Frauenfirche begraben. Am 20. Juli 
huldigten dann die Bürger des ihm gehörigen Viertels von Leipa der 
Vormünderin Kunigunde. ®) 


1) Mittheil. 20, 299. 

2) Randtafel 16, A. 29. 

3) Krieſche, Mitth. 20, 299. — Vergl. die Vormundſchafts-Abdankung des Diet- 
rich Georg in der Randtafel 18, N. 21. — Borher muß er im Ausland ſtudirt 
haben; das beweilt fein Stammbud im germanifhen Muſeum mit Eintra- 
gungen aus Wittenberg, Straßburg, Tübingen (1566—70). ©. Mittheil. des 
nordböhm. Exc.⸗«Cl. II. 138. 

4) Landtafel 62, D. 23. 

5) Ebenda 65, J. 25. 

6) Ebenda 20, K. 5. 

7) Ebenda 23, A. 29, 

8) Krieſche's Chronik; ſ. Mittheil. 20, 300. 


u. > 


Zur Führung der Vormundjchaft wäre eigentlich zunächſt die Witwe 
Dietrich Georgs, Eva von Biberjtein, berufen gewejen. Aber die Ehe 
beider war nicht glücklich. In feinem Tejtamente machte er ihr viele Vor: 
würfe über ihr Benehmen gegen ihn und darüber, daß ſie ihn während 
jeiner Kränklichkeit verlaffen habe (mindeftens jchon jeit Ende 1582). 
Er beftimmte daher nur, es jolle ihr nach feinem Tode die Mitgift aus- 
gezahlt werden. — Es iſt aljo wohl jehr erflärlich, daß auch Kunigunde 
nad) dem Tode des Sohnes jicy nicht gerade jehr freundjchaftlich gegen 
die Schwiegertochter benahm. Deshalb erhob der Vater diejer, Karl von 
Biberftein, im %. 1587 Bejchwerde bei Gericht und führte folgende Punkte 
an: Die Güter, worauf die Mitgift verjchrieben wäre, trügen nicht die 
Zinſen; auch habe Kunigunde Vieh und Wirthichaftsgeräthe von dem Hofe 
in Zwitte fortichaffen lafjen, jo daß derſelbe wüjt liege. — Er ſelbſt habe 
die Tochter jchon jeit 4 Fahren auf eigene Koften ernähren müſſen, 
Kunigunde habe ſogar nicht einmal die in Leipa zurücgelajjenen Kleider 
herausgegeben. Er bittet dann noch, im ZTeftamente Dietrich) Georg 
möchte die gegen feine Tochter gerichtete Stelle gelöjcht werden. Auch 
möchte derjelben gewährt werden, zum wenigjten zeitweilig ihr Kind Anna 
bei jich zu haben. — Das Gericht bewilligte die Löfchung des bewußten 
Paſſus im Teftament; ") Hinfichtlich der andern Punkte vermittelten Schiedg- 
richter einen Vergleich (am 10, December 1587), worin bejtimmt wurde, 
Kunigunde habe die Mitgift auszuzahlen nebſt Entſchädigung für den ent- 
gangenen Genuß derjelben. Die Kleider jollten herausgegeben werden, 
auch die Bitte hinfichtlich des Kindes wurde gewährt. ?) 

Diejes Mädchen, Anna, vermählte jich jpäter mit Wenzel d. j. Berka 
von Duba auf Reichftadt, worauf wir feinerzeit noch fommen. Außer ihr 
war ein Sohn Adam vorhanden. 

Wenige Monate nad) Dietrich) Georg verjchied auch jein älterer 
Bruder Peter auf Neu-Stranow, am 19. December 1585, und wurde 
neben jenem beigejegt.?) In jeinem nicht lange vorher (am 9. Det.) er- 
richteten Teftamente hatte er feiner Gemahlin Sibylle feine Herrichaft zu 
lebenslänglihem Genuffe beſtimmt; dann follte diefelbe in den Beſitz des 
Neffen Adam übergehen.) Diejes Recht auf den Iebenslänglihen Nuß- 
genuß wurde aber von Kunigunde als Adams Vormünderin nicht anerkannt; 


1) Landt. 23, A- 29, juxta. Es jind davon uur ſchwer einige Worte zu entziffern. 
2) Ebenda 68, J. 19. 

3) Krieſches Chronik, a. a. O. 

4) Landtafel 23, C. 5. 








Er 


Sibylle jtrengte deshalb einen Proceß an, allein am 20. October 1587 
entichied das Geriht:') Nachdem jeinerzeit Sigmund Berka in feinem 
Teſtamente beftimmt, wenn einer feiner Söhne ohne männliche Erben jterben 
würde, hätte das Gut desjelben an den Bruder oder deſſen Söhne zu 
fallen, deshalb fei jet der Sohn Dietrich Georgs der Erbe. Sobald alfo 
Kunigunde die Mitgift und die ſonſt verjchriebenen Gelder ausgezahlt haben 
werde, habe Sibylle Neu-Stranow abzutreten. — Das gejchah auch 1588. 
Aber ſchon im nächften Jahre, am 5. Juni 1589, verkaufte Kunigunde 
diefe Herrichaft um 13.000 Schod an Karl von Biberjftein. *) 

Sibylle dagegen erwarb 1592 von Wenzel Mitrowsky von Nemyfchl 
den Nitterfig Lhota mit Meierhof und dem Dorf Slatina um 4700 Sc. ?) 
Doc fie jollte ich des neuen Beſitzes nicht lange erfreuen, da jie bereits 
am 7. Juli 1594 verjchied.*) Das Gut erbte die Schwejter Kunigunde, 
als dann auch diefe am 11. Dec. des gleichen Yahres im Tode nad): 
folgte, °) fiel dasjelbe an den Enkel Adam Berka. 


Wie die Herren von Wartenberg 3 Viertel der Stadt Leipa im Be— 
jige hatten, jo gehörte ihnen auch eine Hälfte des Schlojjes. Eine Aende- 
rung war jeßt unter der Vormundichaft der Kunigunde eingetreten, indem 
diefe im %. 1591 von Fohann von Wartenberg deſſen Antheil am Schloſſe 
um 1000 Schod käuflich für den Enkel erwarb. ®) 


Um die Zeit, wo die Großmutter jtarb, wurde Adam miündig. 
Gleich im Fahre 1596 ging er daran, fich in Bürgſtein ein neues 
Schloß zu errichten.”) Bald darauf vermählte er ſich mit Anna, geb. 
Berka von Duba, welche ihm um Lichtmeß des J. 1598 eine Tochter 
Anna Marie gebar,°) die auch das einzige Kind blieb. — Die Mitgift 
hatte er der Frau auf feinem gejammten SHerrichaftsbejige werjchrieben 
und zugleich bejtimmt, daß vderjelbe, falls er kinderlos bliebe, nach feinem 
Tode an ie fallen jolle.?) Nachdem nun die genannte Tochter. vorhanden 
war, mußte Adam an eine Aenderung denken. 


1) Ebenda 68, J. 13. 

2) Zandtafel 166, E. 22. 

3) Ebenda 26, F. 14, Das Gut liegt ſüdweſtlich von Rakonitz. 

4) Krieſche's Chronik; Mitth. 20, 300. Sie wurde in der Leipaer Frauenkirche 
begraben. 

5) Ebenda. Begraben bei St. Peter und Paul in Leipa, 

6) Landtafel 168, A. 27. 

7) Kriefhes Ehronif. — ©, Illuſtr. Chronik I. 54. 

8) Ebenda. 

9) Landtafel 128, J. 21. 


7% RER 


ee U: 


In einer neuerlichen landtäflichen Einlage vom J. 1604 traf er daher 
die Verfügung, daß feine Güter nach feinem Tode an die Tochter Anna 
Marie zu fallen hätten, und jegte über diejelbe feine Gemahlin zur Vor— 
münderin ein. Für den Fall eines frühzeitigen Todes der Tochter machte 
er die Frau zur Erbin.) Jun einer zweiten, gleichzeitigen Urkunde verjchrieb 
er diefer neuerdings die Mitgift auf feinen Gütern, u. 3. auf Leipa und 
Bürgftein. Das einſt vom Klofter Doran gekaufte Graber mit den zu— 
gehörigen Dörfern war jedod) diesmal ausgeſchloſſen; denn dieſen Beſitz 
hatte er bereitS vorher?) veräußert an Frau Elifabeth von Wartenberg, 
die Herrin von Neufchloß, für die Zeit, fo lange fie beide leben wilrden.?) 
Auch Lhota und Dorf Slatina, das er befanntlich durch feine Großmutter 
von Sibylle von Eberjtein geerbt hatte, war nicht mehr in feinem Beſitze, 
jondern es war fchon 1602 von ihm Fäuflich überlafjen worden an Chriftoph 
Kober von Kobersdorf. *) 


Adam war wenig über 33 Jahre alt, als ihn am 13. Juli 1607 
ein Sclagfluß dem Leben entriß.?) Nachdem nun auch Elijabeth von 
Wartenberg auf Neufchloß bereits 1604 geftorben war, fo hätte jeßt Graber 
wieder zurüderwerben werden fünnen. Es fehlte aber an dem nöthigen 
Gelde, und jo entjchloß fich die Witwe bald nachher, diejes Gut endgiltig 
zu verkaufen, u. 3. an Johann von Wartenberg) als den Bruder Sig- 
munds von Wartenberg; diefer nämlich war der Gemahl jener Elifabeth 
gewejen und hatte alle ihre Güter geerbt. 


Anna, die Witwe Adams, ging am 3. December 1609 eine zweite 
Ehe ein mit Johann Abraham von Salhaufen, Herrn auf Markersdorf. 
Und als die Tochter herangewachfen war, reichte fie ihre Hand dem Ru— 
dolph Seidlik von Schönfeld (am 14. September 1616). Diefer Gemahl 
war Herr auf Polna, Chogen und Pribislau. Wahrjcheinlich war es jchon 
mit Rückſicht auf diefe Heirat gefchehen, daß Anna Marie einige Monate 
vorher, am 1. Juni 1616 ihr väterliches Exbtheil, die Herrjchaft Leipa- 


1) Zandtafel 132, G. 23. 

2) Späteftens anfangs des $. 1604, nachdem Elifabeth am 17. Apr. d. J. ftarb. 

3) Die betr. Urkunde iſt nicht erhalten, doch ergibt fi das oben Gejagte aus 
der jpäteren Verkaufsurkunde. 

4) Landtafel 131, B. 18. 

5) Krieſche's Chronik. Mitth. 20, 300, 

6) Landtafel 134, M. 30. — Eingelegt wurde diefer Kauf 1609; allein er muß 
ihon 1607 abgejchloffen worden fein, denn Sigmund von Wartenberg ftarb 
am 19. Febr. 1608, während er dort als lebend vorausgeſetzt ift. 


= 


Bürgſtein an ihre Mutter verfaufte, *) die zugleich die väterlihen Schulden 
übernahm. 

Die neuen Befiger von Leipa, Frau Anna von Salhaujen und ihr 
Gemahl Johann Abraham geboten jedoch hier faum ein Jahr. Am 
6. September hatte Letzterem das betreffende Viertel der Stadt gehuldigt, *) 
und ſchon am 16. Detober desjelben Jahres machte er das Tejtament, 
worin er jeine Güter, weil er kinderlos war, feinem Bruder Wolf zu: 
jprad). ?) — Am 1. April 1617 ſchied er aus dem Leben, und am 14. Juli 
d. J. folgte ihm auch die Gemahlin ins Grab. *) 

Bereit3 am 16. Juni war dem Erben, Wolf von Salhaufen, ge: 
huldigt worden. Derſelbe betheiligte ſich an dem böhmischen Aufitande; 
daher wurde er nad) der Schlacht auf dem Weißen Berge jeines ganzen 
Vermögens für verluftig erflärt (1622). Sein Viertel von Leipa mit Dorf 
Achendorf und jonjtigem Zugehör erwarb dann Albrecht von Walbdjtein. 
Herrichaft Bürgftein aber wurde an Zdenek Leo Libjteinsfy von Kolowrat 
verfauft.°) Die weiteren Schidjale diejer beiden Güter zu verfolgen liegt 
dem Plane der Arbeit zu fern. 


Die Gabler Linie. 


Die Brüder Jaroslaw, Georg, Johann und Peter, welche gegen 
Ende des 15. Jahrhunderts gemeinjchaftlich auf Leipa geboten, begründeten, 
wie wir fahen, vier Linien. Drei derjelben wurden in den beiden vorher: 
gehenden Capiteln bis zu ihrem Erlöfchen verfolgt; es erübrigt nun noch 
die Behandlung der Nachkommen Georgs, des zweiten der ebengenannten 
Brüder. Daß diefes erſt an legter Stelle gejchieht, dafür war maßgebend 
der Umstand, daß diefe Linie um faft genau hundert Jahre länger blühte 
als die drei übrigen, indem mit derjelben überhaupt das Gejchlecht der Berka 
von Duba in Böhmen ausjtarb. 

Was von Georg, dem Stammvater der Gabler Linie, und jeinen 
Beligungen zu jagen ijt, wurde bereits im vorletzten Kapitel des näheren 
ausgeführt.) Danach erhielt er bei der Theilung vom %. 1502 außer 
einem Viertel von Zeipa und gewiſſen Dörfern bei diefer Stadt noch Gabel 





1) Zaudtafel 190, M. 20. Anna trat es gleidy darauf wieder ihrem Gemahl ab. 
Kleine Landtafel 237, L. 9. 

2) Krieſche's Chronik. — Illuſtr. Chronik I. 240, 

3) Landtafel 138, N. 23. 

4) Krieſche a. a. O. u. Mitth. 20, 309. 

5) Bilet, Döj. konf. 562 f. 

6) Siehe oben ©. 78 ff. 


8 Eee a SEELEN NETT MRS Ka Men Sl Se Zei are LTE u are 
vr. 5 2.8 — —* * 


mit Zugehör, überließ aber dieſen ſeinen Theil bald an ſeine Söhne. 
Auch der Theil ſeiner Neffen Adam und Zdislaw, den er dann erwarb, 
ging um 1512 über an Sigmund von Wartenberg. Im Jahre 1514 
war er bereits todt. — Auch von feinen jieben Söhnen namens Wenzel, 
Heinrih, Hinko, Albrecht, Jaroslam, Peter und Chriftoph war jchon die 
Nede. Bon dem erwähnten Erbtheil des Vaters kam jpätejtens 1509 das- 
jenige, was in und um Leipa dazu gehörte, an Johann von Wartenberg, 
nur ihren Gabler Bejig behaupteten fie. Dagegen trat ihnen ihre Mutter 
Margarethe geb. von Koldig, am 24. Mai 1514 ihre Anfprüche auf 
Dobern ab, worauf fie ihre Mitgift verjchrieben hatte. *) Damals waren 
noch alle fieben Söhne am Leben. Im J. 1525 jedoch geichieht Jaroslaws 
und Peters feine Erwähnung mehr.”) Und die Urkunde vom 29. April 
1528, womit ihre Herrichaft Gabel an Zdislaw Berfa von Duba ver: 
fauft wurde, nennt al8 Verkäufer nur mehr Heinrich, Hinko und Chriftoph.?) 
Zu derjelben Zeit wahrjcheinlich ging an Zdislaw auch ihr Befig in Dobern 
über. Wir fennen darüber jedoch nur die landtäflichen Neueinlagen von 
1543 und 1544, welche das urfprüngliche Datum nicht enthalten. *) Dieje 
beiden Neueinlagen gejchehen durch Heinrich (1543) und Hinfo (1544); 
diejes find zugleich die legten Nachrichten, die mir über diefe zwei Brüder 
befannt geworden find. 1553, in dem befannten Zejtamente des Oberſt— 
Hofmeijters Zdislaw Berka, worin ſonſt alle Verwandten bedacht find, wird 
bloß noch Ehriftoph erwähnt. Wie diejer alfo alle jeine Brüder überlebte, 
jo ift er auch der einzige, von dem wir Nachkommen fennen. 

Seit dem J. 1528, wo nach dem eben Gefagten der Reſt der er- 
erbten Güter in fremde Hände fam, finden wir überhaupt feinen jener 
Brüder im Befige irgend eines Gutes. Erſt im %. 1553 gelangte Chriftoph 
und jeine Linie neuerdings zu einem jolchen, nämlid durch das furz vor- 
her erwähnte Teſtament Zdislams. Chrijtoph felbjt Fam dadurch wieder 
in den Bejig der Herrichaft Gabel; fein jüngerer, noch unmündiger Sohn 
Zdislaw aber follte ſich außerdem mit dem Malteferordens-Grandprior 
Zbynek Berka (aus der Drzeweniger Linie) in die Herrjchaften Melnif und 
Neichjtadt theilen. Als dann am 25. Juni 1565 dieſe Theilung vorge- 
nommen wurde, wählte Zdislaw die Herrichaft Melnif. >) 

1) Orig.Urkunde in Leipa. 
2) In der Urkunde, womit den Untertbanen der Herrichaft Gabel die Robot er- 

feichtert wurde. Hamburger, Lemberg und Gabel, ©. 131. 

3) Landtafel 43, J. 10 (— 5, A. 19) — In diefer Urkunde ift auch von zwei 
unverheirateten Schweitern Elifabeth u, Johanna die Rebe. 


4) Vergl. oben ©. 82, Anm, 5. 
5) Die Belege dafür f. oben S. 85—87. 





a — 


Chriftoph gebot nicht mehr lange auf Gabel. Im %. 1554 bejtätigte 
er den Unterthanen dajelbjt die bisherige Robotpflicht und das Erbrecht; 
dagegen ftellten jchon im nächjten Jahre feine beiden Söhne Heinrich und 
Zdislaw als die neuen Herrn eine ähnliche Urkunde aus.') Genauer ge: 
jagt, Heinrich für fich und feinen viel jüngeren Bruder, der erit 1565 
mündig wurde. Bis zu diefem Fahre aljo verwaltete Heinrich die ganze 
Herrſchaft Gabel. Am 2. Mai 1565 aber wurde die brüderliche Theilung 
vorgenommen. ?) Jeder der Brüder erhielt dabei eine Hälfte der Stadt 
Gabel. Auf Heinrichs Theil kam außerdem noch die untere Vorjtadt, das 
Dörfchen Nieder-Krotumful mit 3 Häufern, Böhmiſchdorf, Petersdorf und 
ein Theil von Hermsdorf; auf Zdislaws Theil die obere Vorjtadt, Herrn: 
dorf, der zu Gabel gehörige Antheil an Marfersdorf?) und der Reit von 
Hermsdorf. Ä 

Ganz jung aljo übernahm Zdislaw die Verwaltung jeiner Herrichuften 
Melnif und Gabel. Trotzdem führte er diefelbe nur zehn Jahre, denn 
bereit8 1575 jtarb er. Seine Gemahlin Marianne von Eljtiborz war 
ihm im Tode vorausgegangen. Sie war beigejegt worden im Kloſter 
St. Zaurenz unter Melnik, und für diefes bejtimmte Zdislam aus dem Anlaß 
einen jährlichen Zins von 10 Schod auf Gabel. *) — Nad) den beiden 
Gatten blieb ein no) ganz junger Sohn Johann und 2 Züchter Katha- 
rina und Margareta. Bon diefen vermäbhlte jich Katharina um das %. 1587 
mit Nikolaus Seferfa von Sedſchitz auf Obrzijtwi.d) Die Bormundfchaft 
diejer Kinder übernahm der Oheim Heinrich.“) So hätte er diesmal auch 
die Verwaltung von Melnif zu führen gehabt. Allein gleich nad) Zdislaw 
Zode ging die fünigliche Kammer an die Einlöfung. Die Pfandfumme 
wurde ausbezahlt und Heinrich) mußte Melnif abtreten (1576, 28. März). ?) 
Bon dem großen Pfandbejig in diefer Gegend blieben nur noch einige 
Dörfer, von welchen weiter unten die Rede fein wird. 

Indem wir nun auf Heinrich jelbjt übergehen, müſſen wir zunächjt 
von feinen Gitererwerbungen fprechen. *) Als erſte treffen wir da das 


1) Hamburger a. a. O. 134. 

2) Randtafel 57, F. 30—G. 19. 

3) Der andere Theil von Markersdorf gehörte zur Herrfhaft Lemberg. 

4) Zandtafel 20, L. 8. 

5) Ebenda 24, B. 12. 

6) Ebenda 62, E. 8. 

7) Ebenda 52, H. 16. Juxta. — Melnik erhielt dann Georg von Lobkowitz. 

8) Schon 1564 hatte er von Chriſtoph von Berbirsdorf Gut Boretz bei Loboſitz 
erworben, aber bereitö 1565 trat er es wieder ab an Zdislam Kapler v. Sule: 
wis auf Skalken. Zandtafel 87, K 30 und N. 13. 

Mittheilungen. 26. Jahrgang. 1. Heft. ö 7 


wüſte Schloß Malkau mit dem Meierhof Klein-Horfa und 3 Unterthanen 
in Petifozel, erworben durch Kauf von Johann Habartigfy von Habartitz 
im %. 1580.) m gleichen Jahre trat ihm auch Dietrich Hruſchowsky 
von Hruſchow den Hof in Ezetno ab. *) — Bedeutender war die Erwerbung 
des nächjten Jahres 1581, wo Heinrich die Herrjchaft Lemberg von Hein- 
rich Kurzbach von Trachenburg kaufte. Zu diefer gehörten Schloß und 
Meierhof Lemberg mit 2 andern Höfen; ein Theil von Markersdorf, dann 
Klein-Herrudorf, Neu-Jüdendorf, Kunewald, Ringelshain, Schwarzepfüge 
(neu), Johnsdorf, Seifersdorf, Kriesdorf (theilweife), Neuland (neu), 
St. Chriftophsgrund (neu).“ — Eigentlich hatte Heinrich die Herrſchaft 
für feinen Miündel Johann erworben, aber auf ſpecielles Verlangen des 
Berfäufers wurde fie für Heinrich jelbjt in die Landtafel eingelegt. Und 
al8 genannter Johann dann 1593 feinen Beſitz antrat, weigerte ex fich, 
Lemberg mit zu übernehmen und Heinrich mußte es aljo behalten. *) 

In diefen Fahren erbaute ſich Heinrich ein neues Schloß, u. z. an 
der Stelle, wo damals das Heine Dürfchen Krotumful ftand, und benannte 
es Neu-Falfenburg. >) Bon jegt an heißt er auch gewöhnlich „von Gabel 
und Neufalfenburg". 

Heinrich war in erjter Ehe vermählt mit Elifabeth von Wartenberg, 
die aber ſchon 1572 ſtarb, mit Hinterlaffung eines einzigen, unmündigen 
Sohnes Chriftoph.*) Die zweite Gemahlin Heincihs wurde Anna von 
Schmolz. — Der genannte Sohn erjter Ehe wurde im J. 1589 mündig 
und erhielt zu gleicher Zeit vom Bater 6000 Sc. b. Gr. als Erbtheil 
ausgezahlt.) Diefer Chriſtoph Tieß jic) dann am 9. Nov. 1590 von 
Hans Leimar dejjen Hälfte von Warnsdorf, Grünthal genannt, mit dem 
gleichnamigen Nitterfige und einem Meeierhofe abtreten. Aber nicht ganz 
3 Jahre fpäter, am 6. Juli 1593 überließ er diefen Beſitz bereits wieder 
an Elijabeth von Schleiniß, geb. Schlid.*) Bevor die ausbedungene Kauf: 
jumme noch ganz gezahlt war, ſtarb Chriftoph (wohl 1595), und der 
Bater Heinrich als Erbe nach) ihm hatte noch langen Streit darum, den 
wir jedocd im einzelnen nicht verfolgen fünnen. 


1) Ebenda 21, A. 28. Gelegen meitlih von FJungbunzlau; auch Czetno. 

2) Ebenda 89, K. 21. 

3) Landtafel 21, D. 19. 

4) Ebenda 169, F. 28. 

5) Diefe Thatſache ift in mehreren jpäter anzuführenden Verkaufsurkunden von 
Gabel erwähnt. 

6) Landt. 17, M. 13. (Heinrich übernimmt die Verwaltung der Hinterlaffenichaft.) 

7) Ebenda 166, E. 8, Vergl. 24, M. 30 und 25, K. 29. 

8) Ebenda 91, C. 13 und 170, L. 12, 


EEE 


Inzwiſchen war auch der ältejte Sohn aus der zweiten Ehe, Namens 
Wolf, herangewachjen. Diefem trat der Bater am 25. September 1597 
alle jeine Bejigungen ab, alſo neben der halben Herrſchaft Gabel noch) 
Lemberg, dann Malkau und Gzetno. Zugleich jollte Wolf für feine Ge- 
ihwijter bi8 zu ihrer Mündigkeit ſorgen und ihnen dann die gebührenden 
Theile ausfolgen.”) — Aus dem folgenden Jahre datirt eine Urkunde 
Wolfs, womit er die Privilegien von Gabel bejtätigt. 2) Aber noch im 
Monat Juni desjelben Jahres ftarb er; der Vater Heinrid) fegte ſich wieder 
in Bejig aller der genannten Güter, ohne jogar den vworgejchriebenen, 
gefegmäßigen Weg einzuhalten. Er nahm dabei Feine Rückſicht darauf, 
daß Wolf eine Witwe, Helene, geb. Lajansky von Bufowa, und zwei uns 
mündige Kinder Heinrich Wolfgang und Eliſabeth Wolfamina Hinterlaffen 
hatte. Helene wendete ſich darauf an den Kaiſer; infolge deſſen kam durch 
Vermittlung der k. böhmischen Kanzlei am 4. März 1599 ein Vergleich 
zuftanve, nach dem Heinrich an die Witwe jährlich 150 Schod b. Gr. aus- 
zuzahlen hatte. ®) 

Die betreffenden Güter aber gingen wenige Wochen jpäter ſämmtlich 
in fremde Hände über. Zunächſt verfaufte Heinrich) am 23. April 1599 
jeine Hälfte von Gabel mit Neufalfenburg u. j. w., danı auch Malkau 
und Ezetno an Margarete Haslauer;*) und am 22. Juni die Herrichaft 
Lemberg an Wratislam Burggraf von ‘Dohna. ®) 


Nachdem jo alle Herrjchaften verkauft waren, verließ Heinrich mit 
jeinem jüngern Sohne das Land; fern von der Heimat ereilte ihn bald 
der Zod. Folgendes Schreiben gibt darüber einige Auskunft. Unterm 
15. Juli 1601 berichtet nämlich Chriftoph Wilhelm Sezima auf Bolit 
dem Erzbiichof Zbynek Berka, er habe einen Brief erhalten von den 
Bürgermeiftern der Stadt Rendsburg im Lande Holjtein, mit denen er 
früher gut bekannt gewejen, worin ihm dieſe mittheilten, es jei in ihre 
Stadt gekommen H. Hendrich Berfa, der Vater von Hynek und Joſef 
Berka, welcher jüngere Sohn Joſef ſich noch immer dort befinde. 
Indem Sezima den Brief zugleich überjendet, bittet ev den Erzbiſchof um 
baldige Nachricht, wie für diefe junge Waije gejorgt werden jolle, „die in 


1) Ebenda 172, N. 9, 

2) Hamburger, a. a. O. 150. 

3) Zandtafel 173, E. 3. Die Zahlung wurde anf Herrihaft Gabel fichergeftellt; 
Helene quittirt den Empfang bis 1623. 

4) Ebenda 175, 0.6 — 130, L. 29. 

5) Ebenda 173, N. 3 = 129, H. 13. Die Erben Heinrichs behaupteten jpäter, 
böje Leute hätten den altersihwachen Mann zum Verkaufe getrieben. 

Tr 


— 100 — 


fremden Landen verwaiſt ſei und dort keinen Freund habe als den lieben 
Gott“.) — Was in dieſer Hinſicht geſchehen ift, darüber fehlen uns die 
Nachrichten. Nur ſo viel iſt ſicher, daß gen. Joſef Berka wieder in die 
Heimat zurückkehrte. Er wird noch 1606 genannt, 1607 aber als verſtorben 
bezeichnet.?) 

Hinko, ſein älterer Bruder, führt 1600 das Prädicat „auf dem 
Kaltenhofe“.“) Dieſen Hof, der nahe bei Gabel lag, hatte ſich Hein— 
vich 1597, als er die Herrichaft an den Sohn Wolf abtrat, vorbehalten 
und auch 1599 vom Verkaufe ausgenommen. Im J. 1607 (am 13. Augujt) 
faufte Hinko von Johanna Horniatedy von Chotfow ihr Gut Mefchit 
(Ritterjig, Meierhof und Dorf.)*) Doch behielt ev diefen Beſitz nicht 
lange; als er im J. 1609 ſtarb, hatte er denfelben beveits wieder abge: 
treten an Magdalena Trezfa, geb. Lobfowig. °) 

Wohl hatte ſich Hinfo im Berein mit Helene, der Witwe feines 
Bruders Wolf, bemüht, die väterlihe Hälfte der Herrjchaft Gabel wieder 
zu erlangen, indem jie 1603 einen Proteſt gegen den Verkauf einlegen 
liegen; aber ohne Erfolg. Auch wäre wohl dadurch nicht viel gewonnen 
worden, da eine bedeutende Schuldenlaft darauf haftete.*) War aljo jo 
diejesg Erbe vorläufig für die Familie verloren, jo blieb doch die andere 
Hälfte von Gabel erhalten, die nach Zdislaw Berka an feinen Sohn 
Johann gefallen war. Die Bormundjchaft, die der Oheim Heinrich über 
diejen geführt hatte, endete im J. 1593, °) und in diefem Jahre bejtätigte 
Johann auch die Privilegien von Gabel.) Die Herrichaft Melnif, die 
jeinem Bater gehört hatte, war befanntlich beveit3 1576 von der Kammer 
eingelöjt worden. Nur ein anderer, Kleinerer Pfandbefig in diejer Gegend 
war Johann geblieben, nämlich Meelnifer-Wtelno, Zamach, Choruſchitz und 
Choraujchef.?) — Jetzt hatte Joachim Novohradsty von Kolovrat, welcher 


1) Eopie im böhm. Landesardiv. 

2) Zandtafel 173, N. 3. Juxta. 

3) Ebenda 173, 0. 7. Das Folgende ergibt ſich aus den betreffenden Yandtafel- 
Urkunden. 

4) Ebenda 182, M. 3. (um 15.500 Sch. m.). 

5) Das Todesjahr bei Hamburger a. a. DO. 150. Hinko Hinterlich die Witwe 
Margarete, geb. Hirſchberger. — Die Verkaufsurkunde habe ich nicht finden 
können; die Thatjache wird erwähnt Landtafel 185, F. 2. 

6) Den Proteft |. Kandtafel 175, O. 6. Juxta. — Ueber die Schulden fam es 
erſt 1604 zu einer gerichtlichen Entfcheidung; f. ebenda 178, HH. 9, 

7) Am 6. Nov, 1593 legte der Vormund Rechnung. Ebenda 169, F. 28, 

8) Hamburger a. a. D. 149. 

9) Ueber die Erwerbung diefer Orte vergl, oben ©. 85. 


— 101 — 


um diefe Zeit auch Melnik nach Georg von Xobfowig an ſich brachte, 
vom Kaiſer die Bewilligung erlangt, ji) mit Johann Berka über die ge: 
nannten Dörfer zu vergleichen. Daraufhin wurden diefelben am 9. Mat 1595 
wirklich an Kolovrat verkauft. ') 

Johann Berka befand ſich damals nicht im Lande. Er war Truchſeß 
des Erzherzogs Ernſt von Dejterreich geworden, und als dieſer 1594 als 
Statthalter nach den Niederlanden ging, begleitete er ihn dahin. Ernft 
war freilich Schon am 12. Feber 1595 geftorben. Johanns Abreife ver: 
zögerte fich aber, weil er, wie obige Berfaufsurfunde jagt, wegen Schulden 
in Gefangenjchaft gehalten wırde. — Wenige Fahre darauf (1600) er- 
eilte ihn ein gewaltfamer Tod.“) Da er finderlos war, fiel jein Beſitz an 
die Erben feines Bruders Heinrich, die ihn auch gegen die Ansprüche 
mehrerer Gläubiger behaupteten. 

Bon diejen blieben 1609, wo der legte Sohn Heinrichs, Hinko, jtarb, 
nur die zwei Kinder übrig, welche der 1598 verftorbene Wolf hinterlafjen 
hatte, nämlich Heinrich Wolf und Elifabeth Wolfamina, unter der Vor— 
mundjchaft der Mutter Helene, wie mehrfacd erwähnt wurde. Dieje ver: 
mählte jich fpäter zum zweitenmale mit Sigmund d. j. Materna von 
Kvetnig und lebte ſeitdem meist auf dejjen Beſitze Trzebeſchitz bei Kutten- 
berg. Hier wurde auch die Tochter erzogen, die fich dann 1613 mit Johann 
Georg Zdiarsky verheiratete. ?) 

War früher der Beſitzſtand der Familie bedeutend zuricdgegangen, 
jo zeigte fich bald ein großer Auffchwung, nachdem Heinrich Wolf die 
Berwaltung übernommen hatte. An dem Wufitande von 1618 war er 
wenig betheiligt, jo daß er vom Kaifer am 31. October 1622 unter ge- 
wiffen Bedingungen begnadigt wurde.) Wir finden ihn in Fatjerlichen 
Kriegsdienften und 1623 ift er Steuer-Inſpector im Königreich Böhmen. 
Mit diefem Jahre beginnen auch feine Gütererwerbungen, u. z. machte 
die andere Hälfte von Gabel den Anfang. Margarete Haslauer hatte 
diejelbe ihrem Gemahl Wladislaw Haslauer von Haslau hinterlaſſen; 
diefer verkaufte jie am 7. Auguft 1610 an Ladislaus Berfa von Duba 
auf Groß-Meferitich in Mähren.) Für den unmündigen Sohn des legteren 
verwaltete die Güter Leo Burian Berka auf Nichenburg, und von diejem 


1) Abſchrift der Verkaufsurkunde im böhm. Landesarchiv, 

2) Soviel ergibt fi) über Zeit und Art des Todes aus Acten im Statth.-Arch. 
Nähere Umftände find mir nicht befannt. 

3) Datickh, Pam. 105 und 136. 

4) Bilek, Dj. konf. 15. 

5) Zandtafel 183, K. 20. 


— 192 — 


erwarb Heinrich Wolf am 25. Sept. 1623 jene Hälfte um 35000 Sc. m. ') 
Dazu fam gleih am 3. Mai 1624 ein Meierhof und einige Unterthanen 
in Ober-Walten, gefauft von Johann Odkolek von Aujezdeg.?) — Einige 
Jahre fpäter folgten neue Erwerbungen ſüdweſtlich von Jungbunzlau. 
1628 faufte hier Heinrich Wolf, damals Hauptmann der Prager Neuftadt, 
Ritterfig, Meierhof und Dorf Nemeslowig, das jeit langen Jahren den 
Rittern WIE von Quitkau gehört hatte; ?) zwei Jahre darauf einen Theil 
von Melniker Wtelno (mit einem Ritterfig und 2 Meterhöfen) und die 
Dörfer Ezerzelig, Borek und Wojetin. *) 


Ganz bejonders aber wurde der Familienbefitz erweitert durch die 
erſte Gemahlin Heinrich Wolfs, Magdalena Katharina geb. von Zerotin. 
Die Mutter derjelben, Elifabeth, geb. Waldftein, hatte 1623 einerfeits die 
den Johann Dionys Brzeziy von Plosfowig confiscirten Güter Oſtrow 
und Hodfow gekauft, anderſeits etwas nördlich davon, unweit Kuttenberg, 
die der böhmischen Kammer gehörige Herrichaft Maleſchau.“) — Ihre ge: 
nannte Tochter al3 Erbin diejer Befigungen hinterließ diejelben mit Teſtament 
vom 17. Jän. 1639 zur Hälfte ihren Gemahl Heinrich Wolf felbjt, halb 
ihren Rindern von ihm, u. 3. jo, daß dieſelben jchließlich ganz an den 
Sohn Franz Karl fallen follten. ©) 

Auch diefen Beſitz vergrößerte Heinrich Wolf bald durch mehrere 
Zufäufe in der Nahbarichaft: im J. 1640 Faufte er das Dorf Milch: 
fowig; 1647 erlangte er das Gut Sukdol durch gerichtliche Abſchätzung 
wegen einer Schuldforderung; 1648 endlich brachte er die Dörfer Dobrzen 
und Malenowitz duch Kauf in feinen Befit. ”) 


Diefer langen Reihe von Gütererwerbungen haben wir zum Schluß 
noch dieje Kleinere hinzuzufügen. Ejther Mitrowsky, geb. Lazansky, hatte 


1) Zandtafel 297, L. 5. 

2) Ebenda 309, X. 11. 

3) Ebenda 309, X. 14. Beliger waren damals Johann d. j., Felix, Radislam 
und Adam, Brüder WIE von Quitkau. 

4) Ebenda 297, Q. 22. Wtelno war Stammfig der Ritter Wielensfy v. Wtelno; 
obiger Befis war dem Johann Wtielensky confiscırt und an Martin Kuifen 
von Kobach verfauft worden GBilek a, a. DO. 918). Des leßteren Witwe über- 
ließ denfelben an Heinrich Wolf im Taufche gegen Unter-Kralowis, welches 
diefer zur jelben Zeit gekauft hatte, Landtafel 297, O. 6. — Ein Theil von 
Wielno gehörte übrigens zu Hft. Melnif, vergl. oben ©. 85. 

5) Ueber den Umfang |. Bilef a. a. O. 41 und 16, 

6) Zandtafel 148, D. 17. 

7) Zandtafel 307, M. 8 (Kauf von Miſchkowitz); 149, K. 6 (Mbihägung von 
Sufvol; vergl. H. 18. Jurta); 310, A. 30. (Kauf von Dobrzen :c.) 





gg 


— 183 — 


in ihrem ZTeftamente 1639 auch die Kinder ihrer Schweiter Helene mit 
Legaten bedacht, d. h. aljo unſern Heinrich Wolf und feine Schwejter 
Eliſabeth Wolfamina, die in zweiter Ehe an Karl Hiejerle von Chodau 
vermählt war. Ejthers Bruder Ferdinand Rudolf Lazansty als Haupt: 
erbe trat dafür an Heinrich Wolf das in die Erbichaft gehörige Gut 
Petrowig ab; es umfaßte Dorf Petrowig mit dem Nitterfig und einen 
Theil von Mecholup (dftl. von Prag). ") 


Wie ſich alſo die Beſitzungen Heinrich Wolfs ungemein vermehrt 
hatten, jo war er auch in Rang und Stellung immer höher gejtiegen. 
Wir haben ihn als Stenerinjpector, dann als Hauptmann der Prager 
Neuftadt kennen gelernt. 1634 finden wir ihn unter den Statthaltern, 
bald darauf wurde er Inſpector der Eöniglichen Herrichaften in Böhmen ; 
von 1640 an bis zum Tode war er Oberjt-Hoflehenrichter, jeit 1645 aud) 
noch Bräfident der Kammer.?) Für feine Verdienſte hatte ihn ſchon 
K. Ferdinand II. mit Diplom vom 15. Juli 1637 in den Neichsgrafen: 
ftand erhoben; er nennt fich ſeitdem Heinrich Wolf Berka Neichsgraf Ho- 
wora von der Dauba und Leipa.?) — Schließlich war er auch Ritter 
des jpanischen Ordens ©. Jago von Galicia. 


As im J. 1648 die Schweden Prag bejegten, fiel auch Heinrich 
Wolf mit feiner Familie in ihre Hände (26. Juli). Seine ältejte Tochter 
Elifabeth Barbara, die mit Karl Ferdinand von Waldftein vermählt war, 
gab damals ihr ganzes Silber her zum Loskaufe.“ — Zwei jahre darauf 
jtarb Heinrich Wolf. Er war in zweiter Ehe verheiratet mut Eleonore von 
Lobfowig, die nun über ihre Kinder von ihm, einen Sohn Franz Anton 
und zwei Töchter Marie Katharina und Anna Therejia Eleonore die Bor: 
mundjchaft übernahm. Auch Franz Karl, der Sohn erjter Ehe, war nod) 
nicht mündig; als Vormünderin über ihn trat feine kurz vorher genannte 
Schweiter Elifabeth Barbara von Waldftein ein (17. Sept. 1650.) °) 


1) Ebenda 147, M. 15. Bergl. 316, E. 28, 

2) Palackh, Soudasny prehled. — Die andern Angaben nad feinem Titel in 
den verjhiedenen Urkunden, 

3) Vergl. Land. 624, D. 26, — Durch die Wahl ded Namens Howora knüpfte 
man an den fagenhaften Stammvater des ganzen Gefchleht3 au, jenen Howora, 
der 1003 den Herzog Jaromir gerettet haben jollte. 

4) Dudit, Schweden in Böhmen und Mähren 421: „Heinr. Graf Berka, bö- 
heimbicher Kammerpräfident, deſſen Frau Gemahlin, 3 Töchter und 1 Sohn.“ 
— Den Loskauf erwähnt der Vergleich, der 1669 wegen gewiſſer Aniprüce 
der Kinder von Eliſ. Barbara geichloffern wurde, Landtafel 318, E. 11. 

5) Landtafel 150, I. 28 und 626, C. 2. 





Am 21. October 1651 wurde dann eine Theilung der Gilter vor: 
genommen. Für Franz Anton wählte die Mutter Gabel, Wtelno und 
Nemeslowig; auf Franz Karl fielen alfo die Befigungen bei Kuttenberg 
und Gut Petrowig.") Lebteres aber verkaufte dieſer bereits am 24. ah 
1656 an Andreas Borowansky von Borowant. ?) 


Franz Karl vermählte jic um dieſe Zeit in den Niederlanden mit 
Marie Antoinette von Berlayment. ?) Aber die Ehe war nicht bloß Finderlos, 
jondern währte auch faum 7 Jahre, indem Franz Karl ſchon am 
23. Juli 1663 ſtarb. Erbe jeiner Güter war nun der jüngere Bruder, 
und die Mutter Marie Eleonore, wiedervermählte Nojtig Tieß ſich auch 
zunächſt als VBormünderin am 10. Yan. 1664 in diejelben einführen. *) 
Allein gar zu viele Schulden hafteten darauf, theils noch alte von Heinrich 
Wolf her, theils neuere von Franz Karl ſelbſt. Weil alfo deshalb der 
Befig nicht zu halten war, fo stellte Marie Eleonore den Antrag auf 
executiven Verkauf. Dieſer wurde num auch eingeleitet und die Herrichaften 
Maleſchau mit Oſtrow, Sukdol, Dobrzen und Mifchfowig gingen am 
23. Juni 1666 über an den Grafen Johann Sporf (um 114000 fl. chein.). ?) 


Auch nachdem Franz Anton miündig geworden, führte die Mutter 
mit jeiner Vollmacht nocd einige Zeit die Verwaltung der Güter. Sie 
glich ſich mit verjchiedenen Berwandten iiber ihre Forderungen aus, °) be: 
jonders aber führte fie den Proceß um das Berfaijche Fideicommiß erfolg: 
reich zu Ende. 

Diejes umfajste die Herrſchaften Richenburg und Roſſitz in Böhmen 
und Datſchitz in Mähren und war von Leo Burian Berka 1625 begründet 
worden.“) Nachdem dann deſſen Sohn 1644 kinderlos geſtorben war, 
fiel e8 nach mehrjährigem Streit mit der Familie Fürjtenberg an die 
— Reichſtädter Linie u. zw. an Bohuslaw Ferdinand Berka 


n S. den Theilzettel über Gabel u. ſ. w. ebenda 71, D. 16. 

2) Ebenda 316, E. 28. 

3) Der nachträgliche Heirats-Contract wurde am 24. Jänner 1657 abgeſchloſſen. 
Ebenda 311, 0. 6. Marie Antoinette ftarb 1705 und liegt bei St. Thomas 
in Prag begraben, 

4) Ebenda 113, N. 26. 

5) Ebenda 392, D. 30. 

6) So vor allem mit der Witwe des Franz Karl über das derjelben zufommende 
Heiratögut. Vergl. ebenda 317, H. 16. 

7) Die befte Darftellung der Gerichte dieſes Fideicommiffes gibt Sebdläcel, 
Hrady I, 83 ff., auf die ich hiemit verweife. Einige Abweichungen werde ich 
näher begründen, wenn ich dazu komme, die Richenburg-Reichftädter Linie in 
einem 5. Theile meiner Arbeit zu behandeln. 


— 15 — 


(1651) als das einzige noch lebende männliche Glied derſelben. Aber dieſer 
jtarb ſchon am 14. Jän. 1659. Da die Witwe Marie Elifabeth, geb. 
Kinsfy, der Geburt eines Kindes entgegenjah, jo wurde fie am 25. Jän. 
1659 zunächſt in die Herrichaften eingeführt.) Als fie aber dann einer 
Tochter das Leben gab,*) trat Franz Karl aus der Gabler Linie als 
nächjter männlicher Erbe mit feinen Anjprüchen hervor und erlangte auch 
wirklich am 4. Juni 1659 die gerichtliche Einführung.) Allein die Witwe 
erwirkte es, daß durch ein kaiſ. Nefeript vom 16. Juni 1660 dieſe Ein- 
führung behoben wurde, „weil darin etwas vorgeeilet worden”, und diejelbe 
führte die Verwaltung weiter, auch nachdem fie ſich wieder vermählt hatte 
mit dem Grafen Georg Stephan von Würben. *) 


Die Gabler Linie verzichtete indes nicht auf ihre Auſpriche, ſondern 
brachte alles herbei, um ihre Verwandtſchaft mit der Richenburger Linie 
nachzuweiſen.“) Darüber ſtarb aber Franz Karl, wie wir wiſſen (1663); 
doch nahm nun die Mutter Franz Antons die Sache in die Hand, und 
jo Fam es emdlih am 21. October 1669 zu dem Urtheil des größeren 
Landrechts, welches zu Gunften Franz Antons entichied. Darauf hin wurde 
dann Marie Eleonore als Bevollmädtigte des Sohnes Anfang November 
in Richenburg u. j. f. eingeführt.*) Dabei mußte. Gewalt angerwendet 
werden, weil fich die Gräfin Würben dem Urtheil nicht fügen wollte. 


Gegen Ende des %. 1670 übernahın endlich Franz Anton felbjt die 
Verwaltung feiner Güter.”) Am 11. Auguft 1672 vermählte er fich mit 
Ludowilia Anna von Montecuculi.?) Von Veränderungen in jeinem Herr: 
Ichafts-Befig ift wenig zu verzeichnen; das wichtigſte iſt wohl, daß er 1684 
durch gerichtliche Urtheil einige Dörfer wieder erlangte, die 1656 von 


1) Zandtafel 113, L. 37. 

2) Maria Therefia (ftarb jung). — Das erfte Kind war Francisca Nofalia, die 
1706 das Fideicommiß erbte. ©. unten, 

3) Ebenda 113. M. 1. 

4) Ebenda 628, B. 3 und C. 8. — 113, M. 17. 


5) Daß der Nachweis ſchwer war, zeigt das Verzeichniß der Belege, die 1664 bei 
der Erneuerung der Klage beigebradht wurden. Man gab da 3. B. aud Er: 
tracte aus der böhmischen Chronifa (aljo Hajek) und dem Mährishen Spiegel 
(von Baprocky). 

6) Landtafel 739, C. 3 und 115 A. 14. Die Reviſionsklage wurde 1672 abge: 
wiejen; ebenda 692, B. 28. 

7, VBormundihaft3-Abdanfung. Randtafel 264, J. 8. 

8) Ehe-Gontract ebenda 381, N. 2. 


— |, — 


dem Richenburger Beſitz abgetrennt worden waren.) Daß er feine Zu— 
käufe machte, erklärt ſich vollſtändig aus ſeinem Leben. Er war Diplomat 
geworden und gieng als Geſandter nach Spanien, Dänemark und Schweden, 
Holland, endlich 1699 nach Venedig, wo wir ihn noch Ende 1703 finden. 
Stets war er beſtrebt, alle andern Geſandten durch den Glanz ſeines 
Auftretens zu überbieten, und ſetzte dabei aus Eigenem bedeutende Summen 
zu. Deshalb mußte ihm auch 1701 König Leopold die Bewilligung 
ertheilen, auf das Fideicommiß eine Summe von 20000 Fl. aufzunehmen, 
einerfeit8 um eine Schuld von 8000 fl. infolge von Auslagen für die 
Benediger Gejandtichaft zu tilgen, anderjeitS zum Neubau der verfallenen 
Dominicaner-Kiche in Gabel.) Eine Anerkennung der vielen Verdienſte 
war es aud), daß ihm der Kaifer am 10. Juni 1701 die Würde eines 
Oberſtlandmarſchalls übertrug. Diefelbe hatten bis auf den dreißigjährigen 
Krieg die Herren von Lipa innegehabt, dann war fie auf Leo Buriau 
Berka übertragen worden. Nach ihm war die Würde an die Traut: 
manusdorf übergegangen, zulegt hatte fie Hermann Jakob Czernin bekleidet, 
der aber jegt Oberjt-Landhofmeifter geworden war. ?) 

Die neue Witrde war erblich verliehen worden. Allein Franz Anton 
war finderlos, und als er am 24. April 1706 zu Wien jtarb, erloſch mit 
ihm nicht bloß die Gabler Linie, fondern das ganze Gejchlecht der Berka 
von Duba im Mannesftamme, wenn wir von den im Auslande Lebenden 
Nachkommen der protejtantischen Linie abjehen. 

In jeinem Teftamente vom 18. April 1706 hatte Franz Anton 
zunächjt verfügt, daß er neben feinem Water bei den Dominicanern in 
Gabel, u. zw. in der Tracht derjelben, begraben fein wolle. — Eine jeiner 
Schweſtern war wohl noch am Leben; allein diejelbe war Oberin bei den 
Urfulinerinen von St. Anna auf dem Hradfchin. Franz Anton jegte aljo 
zum Erben feines Allodial-Bermögens feinen Stiefbruder Anton von Noitig 
ein, einen Sohn aus der zweiten Ehe der Mutter Franz Antons mit Hans 
Hartwig von Noftiz. *) — Das Fiveicommiß dagegen fiel jegt, nachdem 


1) Nämlich die Dörfer Aurzetis, Dwakatſchowitz u. Zaſade, welche damald mit 
Herrſchaft Chraft an das Bisthum KRöniggräß verkauft worden waren. Ebenda 
712, G. 15. Verkauft hatte Franz Anton 1676 das Berkaiſche Haus auf der 
Kleinjeite Prags (Rarmelitergaffe) und 1677 einen öden Hof in Hoftimis. — 
Ebenda 392, C. 1 und 393, C. 24. 

2) Ebenda 468, H. 30, 

3) Ebenda 555, Q. 5. 

4) Landtafel 274, F. 18. Vergl. 118, K. 15. Einführung des Grafen Noftis in 
Gabel u. ſ. w. (3. Aug.) 


— 10 — 


der Mannesſtamm ganz erloſchen war, ohne Widerſpruch an Francisca 
Roſalia, die erjtgeborene Tochter des Bohuslaw Ferdinand Berka, die 
1669 den Anſprüchen des Franz Anton hatte weichen milljen. Sie war 
vermählt an Wilhelm Kinsky. !) 


ELITE 


Miscellen. 


Wann if die Stadt Plan deutfch geworden ? 
Eine Studie von Dr. Miryael Urban, 


Es ift eine belichte Methode der tichechijchen Gejchichtsjchreiber, die 
Bewohnerſchaft der jegigen deutjchen Städte und Dörfer in Böhmen vecht 
lange als der tichechiichen Nation angehörig darzujtellen. Allen voran 
marſchirt Franz Palackh. Sp jagt er in feiner Gefchhichte von Böhmen 
(II. 2. ©. 42): „Zur Beit Wenzels IV. (1378--1419) und noch jpäter 
war zumal das Landvolk im Wejten und Norden von Böhmen, 3.3. um 
Hoftan, Pfrimberg, Tahau, Plan, Zepl, Theufing, Buchau, Duppau, 
Raaden, Brürx, Teplig, Aufjig, Böhmiſch-Leipa, Gabel, jowie in allen von 
da nach dem Innern des Landes zu liegenden Städten und Ortjchaften 
nod ganz böhmiſch; die Germanifirung der genannten und anderer 
mehr landeinwärtS gelegenen Gegenden und Orte erfolgte erjt größten: 
theil3 durch den dreißigjährigen Krieg und feit demfelben." 

Dem ift nicht fo. Die Germanifirung der jegigen Stadt Plan (und 
theilweife auch der umliegenden Ortjchaften) begann bereits zu Ende des 
XIII. Jahrhundertes und war zu Ende des XV. Yahrhundertes voll: 
ftändig durchgeführt. 

Bereits im Jahre 1251 (13. März) überträgt König Wenzel von 
Böhmen dem Klofter Waldfafjen das Patronat der Kirche in Plan (jus 
patronatus ecclesiae in Plan Pragensis dioecesis) zu jeiner und feiner 
Gemahlin Kunegundis Seelenheil.?) Daß die deutschen Mönche des Klofters 
Waldjaflen es mit der Einführung der deutichen Sprache als Umgangs» 
ſprache in Plan ernſt nahmen, und daß fie deswegen hier auf heftigen 
Widerſtand ftießen, beweiſt, daß Biſchof Johann II. von Prag mit 
Reſcript vom 16, März 1275 alle Jene mit der Sentenz der Excommu— 


1) Die Einführung erfolgte am 7. Mai 1706. Ebenda 118, K. 6. 
2) Monumenta Egrana, I. 1. nr. 218. — Grben, Regest. Boh. I. 1266, s. 587, 


— 18 — 


nicatton und des Interdietes belegte, welche die dort weilenden Mönche 
am ruhigen Bejige hindern wollten.) Zur Bekräftigung des Schuges der 
dentichen Mönche in Plan erneuert 8. Ottofav am 12. Sept. 1275 den 
Brief feines Vaters Wenzel betreffs des Patronats dafelbjt,”) welcher Brief 
am 23. Dec. 1290 von Gottſchalk, Quardian der Minoriten zu Eger und 
Heinrich, Pfarrer und Komtur der Brüder des deutjchen Haufes ebenda, 
„transſumirt und vidimirt wurde".?) 

Am 29. September 1281 beftätigt der Prager Biſchof Tobias dei 
Klerifer Siegfried, Sohn des edlen Chunrad von PBaulstorf, den ihm der 
Abt des Klofters Waldjaffen zum Pfarrer der Kirche in Plan präjentirte, 
da dieje zu Necht erledigt ift, als jolhen.*) Die „Edlen von Paulsdorf“ 
aber waren ein anjehnliches deutſches Gejchlecht, und wenn ein Deutjcher 
von ſolch vornehmer Geburt bereits um diefe Zeit als Pfarrer von Plan 
angeführt wird, jo muß die Germanifirung der Stadt und Umgebung 
im vollften Zuge gewejen fein. In dieſe Zeit fällt auch die Gründung 
der urjprünglich deutfchen Dörfer Stodau, Stiebenrenth, Heiligenkreuz und 
anderer Orte mit rein deutfchen Namen. So ſchenkte Albert Seeberg am 
17. Feber 1290 die Einkünfte von 5 Mark in feinem Dorfe Stodau bei 
Zahau (in villa mea Stockeich, penes Tachawe sita) der Kirche von 
Waldjajjen zum Heile der Seelen feiner Vorfahren und Gattinen und 
verjpricht, fo lange er lebt, jelbft Gewähr hiefür leiften zu wollen.) Das 
° Dorf Heiligenkreuz aber nahm fo an Umfang zu, daß es bereits im 
Jahre 1363 als Pfarrdorf aufgeführt wird. Wohl wird es in der be- 
treffenden Urfunde®) zugleich als Chodendorf angeführt, allein Dr. M. 
Pangerl hat längjt klar geftellt, daß felbit die Bewohner der Choden in 
und um Neuftadtl nicht der tichechifchen Nation angehörten?) gejchweige 
denn die Inſaſſen der Tachauer Ehodendörfer, die dem deutjchen Lande 
enge anlagen. Deutſche Siedelungen find Khoau, Hinterfotten und der 
heutige Marktfleden Kuttenplan. Khoau ift von Gehau, Hinterfotten von 
„Hinter“ und „Kothen“ — einzeln ftehende Bauernhäufer abzuleiten, welche 


1) Ibidem I. 2 nr. 300 — Acta Waldsass, p. 408, nr. 730. In diefer Urkunde 
wird aud angeführt, daß außer der Pfarrkirche in Plan eine Kapelle (capellam 
eidem jure filiali subjeetam) befteht, und kann das nur die heutige St. Auna— 
firche fein. 

2) Ibidem I. 2. nr. 302. 

3) Ibidem I. 2. nr. 422. 

4) Regest. boie. IV. 158. 

5) Regest. boic. IV. 436. 

6) Lib. confirm. 2. p. 20. (edit. Dr. Emler, 1874.) 

7) Mitth. d. V. für Geh. d. Deutichen in Böhmen. XIN. 155 u, 215. 


— 19 — 


Deutung ficherlih auch auf Ruttenplan anzuwenden ift. Plan und Kutten- 
plan find und waren ftetS an der Handelsjtraße, die von Nürnberg über 
Eger ins Innere von Böhmen führt, gelegen und war Plan ein Markt: 
plaß für die weitere Umgegend, während Suttenplan in diefer Beziehung 
als Borort von Plan aufzufafen if. Im Jahre 1380 (18. October) 
vermacdht „Hans der voyzperger, gejezzen zu der fotenplan” dem Kloſter 
Waldfajfen 24 Schod guter großer Prager Pfennige.') Die „Voyzperger“ 
waren ein angejehenes deutjches Geſchlecht. Eine rein deutſche Anlage 
aber ijt die Bergjtadt Michelsberg und ihr Vorort Wafchagrün. Michels- 
berg wird urkundlich zum erjtenmale im Jahre 1506 genannt.?) 


Ich habe weiter unter gütiger Mithilfe des verdienjtvollen Archivars 
der Stadt Eger, Heinrich Gradl, das Urfundenmaterial des Egerer Archives, 
das die Stadt Plan angeht, geprüft und gefunden, daß der Beliger der 
Herrichaft Plan („zu der Plan") Buſchko von Zebergk im J. 1476 zum 
erftenmale an den Magiftrat der Stadt Eger eine deutjche Zufchrift richtet, 
daß aber vom Jahre 1479 an alle Zufchriften, die von Plan aus nad 
Eger abgegangen find, in deutjcher Sprache abgefaßt find. Im %. 1508 
find Niklas Gurr von Ottengrün und fein Bruder Sebaftian Hauptleute 
zu Plan. Im Jahre 1533 ift Simon Wagner Stadtrichter, im Jahre 
1536 Ulrich Goetz Amtmann, im Jahre 1539 Lufas Zader Stadtrichter, 
im Jahre 1567 Hieronimus Herklotz Stadtrichter zu Plan und findet 
fih auch weiterhin Fein tſchechiſch klingender Name in diejen oder anderen 
Urkunden angeführt. 

Im Jahre 1591 waren Bürgermeifter der Stadt Plan: „Hans 
Hanfling, Joachim Kleinhempel, Veit Walter und Thomas Sichart." Ein 
Grabjtein, der heute noch an der nad) Süden gelegenen Außenwand der 
Pfarrkirche Iehnt, führt die Umfchrift: „WU. 1595 den 9. September Ber- 
jhied in Gott der Erbare Thomas Sichart allhier, dem Gott Ein fröh— 
liche Auferftehung verleihe.“ 

AS Rectoren der Planer Schule werden ung genannt: Von 1593 
an Franz Gariſch, 1598 Adam Weinmann, 1601 Johann Zwölfer, 1604 
oh. Alberti, 1608 Theophil Drefler.?) 


1) Mitth. d. B. für Geh. d. Deutichen in Böhmen. XXI. 169. 

2) Sternberg: Die Bergwerfe Böhmens, I. 260. 

3) Zu bemerken wäre noch, daß bereit3 im Jahre 1571 die Einführung der pro» 
teftantiichen Religion in Plan und den umliegenden Orten ganz durchgeführt 
war und wenn damals noch einzelne Tichechen bier gelebt haben jollten, dieſe 
ſicherlich in diefer Zeit der fcharfen Germanifirung den Stab weitergejegt 
haben werden. 


— 10 — 


Die im Jahre 1530 (24. Juni) am Tage Johannis des Täufers 
von Peter, Weihbiichof zu Negensburg geweihte jogenannte Kalenberger 
Kapelle, neben der Pfarrfirche gelegen, enthält eine deutjche Auffchrift. 

Vor mir hängt die Photographie eines Epitaphiums, das aus der 
St. Peter und Paulskirche ftammt und jegt im Befite eines Planer 
Bürgers ift, und folgende Aufjchrift Hat: „Anno 1563 ift Chriftina den 
12. jeptember: David und Moricz den 9. nouember: Johann den 16. 
Novbr: Matthes Ortmans Mariana feines Cheweibs Eheleiptliche kinder 
in Chriſto Sellig Entſchlaffen.“ 

Noch viele hundert andere Belege ließen fih anführen, daß die 
Stadt Plan viel — viel früher ganz deutſch geweſen ift, als fie Franz 
Palacky in feiner Befangenheit als deutſche Stadt in feiner Gefchichte 
Böhmens anführt. 


Hagen über Friedland und Umgebung. 


Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannmwald. 


7. Die Hufiten bei Friedland. 


Die Belagerung des Schloſſes. 


Da die Herren von Biberjtein, die Befiger des Schlofjes Friedland 
und der weiten Landjchaft um dasselbe, Feinde der Hufiten waren, fo 
famen dieſe auch in das „Friedländiſche“ gezogen und richteten auch hier 
Berwüftungen an. Die Sage behauptet jogar, daß Johann Zizka, 
Ritter von Trocnomw, ſelbſt hier geweſen ſei und das Schloß habe 
belagern laſſen. Als jedoch die Belagerung ungewöhnlich lange dauerte, 
ließ ſich — wie die Sage weiter erzählt — der blinde Hufitenführer bis 
an den Feljen führen, auf dem fi) das Schloß erhebt. Hier klopfte er 
nit jeinem Stabe an das Gejtein, und dann ſprach er: „Kinder, diejes 
Schloß iſt niht von Menjchenhand erbaut worden und wird auch nicht 
von Menjhenhand zerjtöret werden, wir heben die Belagerung auf!" Und 
jo wurde denn das Schloß von nun an in Ruhe gelafjen. 

Umſo ſchlimmer hauften aber die Feinde jegt in der Gegend. Die 
Stadt Friedland wurde eingeäfchert, die Holzburg auf dem Humrich— 
jteine bei Bärnsdorf, von der nur die Sage etwas weiß, ganz nieder: 
gebrannt und die alte Jakobskirche bei Heinerspdorf zerjtört. Von der 
legteren jtehen noch bis auf den heutigen Tag die öden Mauern als 
Zeugen der Verwüſtung. 


— 11 — 


Die Sage vom Predigtftuhle. 


Im Heere der Hufiten ging man indeß mit dem Plane um, das 
fefte Schloß in Friedland mit Lift zu nehmen. Eines Tages erjchien auf 
dem Schlofje ein fremder Mann in Prieſterkleidung. Er verlangte mit 
dem Herrn don Biberftein zu jprechen; da diefer aber gerade abwejend 
war, ließ er fi) vor die Freifrau führen und erfundigte fich bei ihr nad) 
dem und jenem. Dann verabjchiedete er fich und ging wieder davon. 

Ein alter Diener, dem der Fremde verdächtig vorgefommen war, gab 
acht, welche Richtung derfelbe einfchlagen werde, und da bemerkte er denn, 
daß der Priefter gegen Dittersbach zu ging, wo das Lager der Hufiten 
war. Alſogleich meldete er es feiner Herrin, und diefe ließ den Prieſter 
unter irgend einem Vorwande wieder zuricdholen. Im Schloßhofe hatten 
fi inzwischen alle Bewohner des Schloſſes verjammelt. Als der Fremde 
wiederfam, befahl ihm die Freifrau von Biberftein, jegt durch eine Predigt 
zu beweifen, daß er ein Priefter fei. Nun trat er auf einen aus der 
Mauer ragenden Stein und beganı zu predigen. Kaum hatte er aber 
den Namen Gottes ausgejprochen, jo jtürzte er auch fchon unter einem 
Jammerſchrei zu Boden. Oleichzeitig jah man eine fchwarze Schlange 
entweichen, die ihn mit ihrem Biß verwundet hatte. 

Selbjtverjtändlid war alle Hilfeleiftung vergeblich; unter fchmerz- 
haften Zudungen gab der faljche Prieſter den Geift auf. Aus feinen 
Papieren erfah man deutlich, daß er ein Spion der Hufiten geweſen war. 
Der Stein, auf dem ev hatte predigen wollen, heißt jegt noch der „Pre: 
digtſtuhl“. 

Das Marienbild vom Haagberge. 


Dem Schloſſe gegenüber erhebt ſich am linken Wittigufer der Haag- 
berg, dejjen nordmweitlicher Theil wegen der Kreuzmwegjtatuen dafelbjt auch 
„Kreuzberg“ genannt wird. Damals, als die Hufiten im Friedländiſchen 
hauften, wurde von ihnen — wie eine Sage meldet — ein Marienbild, 
das fie an einem Baume des Haagberges fanden, herabgejchlagen und in 
den Koth getreten, Am andern Tage fand es ein Manu, hob es auf 
und reinigte e8. Wie er es näher bejah, bemerkte er zu feinem Entjegen, 
daß es blutete. Er ging nun mit dem Bilde zur Gemahlin des Herren 
von Biberjtein und bat fie, dasjelbe aufzubewahren. Dieje ließ es in 
einem entlegenen Gemache der Burg aufhängen, wo es bald unbeachtet 
blieb. Als jpäter einmal im Schloffe Feuer entjtand, blieb jenes Gemad), 
in welchem das merfwirdige Bild hing, von den Flammen gänzlich ver- 
jhont, obwohl es jich in der Nähe ves Feuers befand. 


— 12 — 


8. Die Reformationszeit. 


Wie der Hemmrich zu feinem Namen gefommen fein foll. 


Nach dem Auftreten Martin Luthers verbreitete fich die evangelifche 
Lehre von Sachen und der Laufig aus auch über die Gegend von Fried: 
land. Die Einfiedler, die fich damals um das heutige Dorf Einjiedel auf: 
hielten, gingen davon; nur einer, Hans Emmerich mit Namen, floh 
tiefer in das Gebirge hinein. Zu ihm gefellte fi) auch ein Mönch. Beide 
lebten lange in der Wildniß und nährten fich nur von Wurzeln und 
Kräutern. Als fie ſich aber nicht mehr recht ficher fühlten, verließen jie 
die Gegend und wandten jich nach Polen. Der Gebirgszug aber, in deſſen 
Wäldern der Einfiedler ſich jo lange aufgehalten hat, heißt nach ihm der 
Hemmrich. Durch denjelben ift heute die Eifenbahn (auf der Strede 
Fsriedland-Reichenberg) gebaut. Der Hemmrichtunnel ijt 528 Meter 
lang und war der erjte, welcher mit Hilfe von Dampfbohrmajchinen her: 
gejtellt wurde. 


Das Hufeifen. 


Zu Anfang des 17. Jahrhunderts herrichte über Friedland Katha— 
vina, die Witwe Melihors von Rädern, der als Feldherr Kaifer 
Rudolfs II. auf der Heimfehr aus Ungarn am 20. September 1600 ge- 
jtorben war. Katharina, eine geborene Gräfin Schlid, war eine jtulze, 
hartherzige Frau. Uebermuth begleitete jeden ihrer Schritte, Verderben 
zermalmte den Unglücklichen der ihr im Wege war. Das Oberhaupt der 
Stadt Friedland verfiel auf ihren Befehl ohne Schuld dem Schwerte des 
Scharfrichters, jechzehn der hervorragendjten Bürger wurden den namen- 
lojen Qualen des Hungers überliefert, um in taufendfacher Marter ihr 
Daſein zu enden. 

In diefen schweren Stunden der Noth und des Schredens gejchah 
es, daß die Herzloje eines Tages mit ihrem Gefolge vom Schloſſe herab 
zur Kirche ritt. Bei derjelben erwartete fie eine Schar abgehärmter Frauen, 
an deren Spige ein Greis mit filberwallendem Haar als Fürjprecher ftand. 
„Erbarmen, hohe Frau, laßt uns Armen zu Theil werden, um Gotteswillen 
gebet den Hilflofen die Ernährer zurüd!" So flehte der Greis mit zit: 
ternder Stimme, indem er die Hände bittend emporhielt. „Zurüd, elendes 
Gelichter!“ vief Katharina unter Hohngelächter und riß, von Zorn erfaßt, 
an den Zügeln ihres Roſſes. Das erjchredte Thier bäumte zuerft hoch 
auf und fchlug dann im Sprunge mit den Hinterfüßen jo heftig auf die 
Straßenfteine auf, daß eines der Hufeijen abſprang und dem Greife die 


— 113 — 


Stirne zerjchmetterte. Todt ſank der Arme unter Wehruf zu Boden. 
Katharina riß ihr Roß zurüd und jprengte auf ihr Schloß Hinauf. Von 
nun an ſah man fie nur felten in der Stadt. Das Hufeifen aber wurde 
zum ewigen Andenken an der Außenfeite der Rädern'ſchen Begräbnißftätte 
angebracht, als ein Wahrzeichen unheilvoller Tage. 

* * 


Aber nicht nur in dieſer Sage, jondern noch in vielen andern lebt 
das unfelige Andenken Katharinas in der Bevölkerung von Friedland fort. 
So wird im Schloßhofe in der Nähe der Capelle ein Stein gezeigt, an 
welchem eine Herrin ein Kind ermordet haben joll, weshalb der Stein 
auch immerfort naß bleibt. — Einft ſoll im Schlojfe eine Edelfrau gewohnt 
haben, die einmal alle jungen Mädchen umbringen ließ und fich in dem 
Blute derjelben badete, um nur recht fchön zu werden. — Die Gemahlin 
eines Ritters war eine ſehr böſe und jtolze Frau. Sie pflegte aus Eitelkeit 
nur Schuhe mit hohen Abjägen zu tragen. Einft murrte fie gegen Gott 
und brach zur Strafe ein Bein. Die Schuhe ſollen noch heute im Schlofje 
aufbewahrt werden. — Dort, wo jet der Schloßwächter wohnt, Tebte einft 
eine hartherzige Frau, vie einen böjen Geijt hatte. Als fie todt war, kam 
der Geiſt alle Abende um Mitternacht ins Schloß. Auch heute foll dies 
noch gefchehen. — Wenn in diefen Sagen aud nicht Katharinas Namen 
genannt wird, jo ijt deren Urfprung jedenfalls auf fie nur zurücdzuführen. 


Der Vorstand der „Hiftorifhen Geſellſchaft für die 
Provinz Poſen“ erſucht uns um Aufnahme folgenden Berichtes: 

Die „Hiftorifhe Gefelfhaft für die Provinz Pofen‘“ hielt am 
21. Mai unter dem Vorfige des Oberpräfidenten Grafen Zedlig ihre 
diesjährige Generalverjammlung ab. Nach dem von dem VBorftande er- 
ſtatteten Gejchäfts- und Eajjenbericht hat ſich die Gefellichaft während ihres 
zweijährigen Bejtehens in ununterbrochen auffteigender Linie entwidelt. 
Sie hat zur Zeit einen thatfächlichen Mitglieverjtand von 545 Mitgliedern, 
der Jahresetat jtellt fich in Einnahme und Ausgabe auf etwa je 5400 Mk., 
und die Sammlungen haben bereit8 einen folchen Umfang gewonnen, daß 
zwei große Zimmer, welde der Gejellihaft im Fünigl. Staatsarchiv zu 
Pojen eingeräumt worden, bereits vollftändig angefüllt find. Die werth- 
vollſte Vermehrung erfuhr während des verflojjenen Jahres die Bibliothef 
der Gejelljchaft, indem ihr auf Beranlafjung des Herrn Cultusminifters 
von Goßler die Dubletten aus den preußifchen Univerfitätsbibliothefen 
(etwa 5000 Bände) überwiejen wurden, jo daß die Fe der Bände 


Dlittheilungen, 26. Jahrg. 1. Heft. 


— 14 — 


nahe an 10.000 beträgt. Zu Ehrenmitglievern wurden ernannt: der bis- 
herige Vorfißende, Oberpräfident a. D. Ercelfenz von Guenther in 
Frankfurt a. O., ſowie der Director der Fünigl. Staatsarchive, wirklicher 
geheimer Dberregierungsrath Prof. Dr. von Sybel in Berlin. Was die 
literarifche Thätigkeit der Gejellfchaft anbetrifft, fo wird außer der in 
Bierteljahresheften von je 7--8 Bogen erfcheinenden Zeitſchrift, an der 
im vergangenen Jahre nicht weniger als 31 Herren mitgearbeitet haben, 
für das neue Jahr die Herausgabe des erjten Bandes einer im größeren 
Maßſtabe gedachten Veröffentlichung „Geſchichtsquellen der Provinz Poſen“ 
beabjichtigt.. Der Band ſoll die älteren Urkunden der von deutjchen 
Ciftercienjern im PBolenland gegründeten und lange Zeit ausschließlich 
deutjch gebliebenen Klöjter Wongrowig, Obra und Lond enthalten und 
wird einen völlig neuen und erjchöpfenden Auffchluß über die im 16. Jahr— 
hundert von der polnischen Staatsgewalt gewaltfam durchgeführte Poloni— 
firung der im Lande vorhandenen deutjchen Klöfter ergeben. Nachdem 
früher bereits für diefes Urkundenbuch die Poſener, Gnejener, Warjchauer 
Archive 2c. reiche Ausbeute gewährt hatten, ift unlängft im Archiv der 
Stadt Köln, von welcher aus die Gründung des Klofters Wongrowig 
erfolgt war, noch ein überrafchender Reichthum an einschlägigen, bisher 
zum großen Theil gänzlich unbekannten Urkunden entdedt worden. — 
Nachdem der Bericht von der Verfammlung einftimmig genehmigt war, 
wurde der bisherige Vorſtand wiedergewählt. Derjelbe jest ſich zufammen 
aus den Herren: Oberpräfident Graf Zedlig, Staatsarkhivar Dr. Prümers, 
Oberlandesgerichtsrath Dr. Meisner, Oberregierungsrath Perkuhn, Re— 
gierungs- und Schulrath Skladny, Stadtratd W. Kantorowicz, Gymnafial- 
Director Dr. Meinertz, Gymmafial- Director Nötel und Archivaſſiſtent 
Dr. Ehrenberg. — An die Verfammlung jchloß ſich ein Vortrag des be- 
rühmten 79jährigen Breslauer Hiftorifers, Prof. Dr. R. Röpell: „Ueber 
die Ideen J. J. Rouſſeau's über die polnische Verfaſſung“, der jo zahl- 
reich bejucht war, daß Hunderte feinen Pla mehr in dem geräumigen 
Saale fanden und unverrichteter Dinge wieder umfehren mußten. — 
Aus dem Mitgetheilten wird hervorgehen, welche Bedeutung die 
Hiftorische Gefellichaft für das öffentliche Leben Poſens gewonnen hat, und 
wie wichtig fie fiir die innere Erftarfung und Kräftigung des in der 
Provinz Poſen von dem Slaventhum hart bedrängten Deutſchthums ge- 
worden ift. Daß fie deshalb von der polnischen Preſſe befümpft wird, 
tft, wohl erflärlich; in welcher Weife dies jedoch gejchieht, dafür möge 
folgendes als Beifpiel dienen. In der an den Vortrag Röpells jich 
anfchließenden zwanglofen Vereinigung der Gefellfchaft ſprach Profeſſor 


— 115 — 


Dr. Röpell in der Erwiderung eines auf ihn von Seiten des Ober- 
präfidenten Grafen Zedlitz ausgebrachten Zrinffpruches der Hiftorijchen 
Geſellſchaft feine Freude über die bisherige Thätigkeit der Gefellichaft in 
warmen Worten aus. Wenn er auch bei den Polen vieljache Anerkennung 
gefunden habe, jo habe er doch nie feinen deutichen Standpunft verleugnet; 
in nationalen Fragen gebe es nur entweder Deutjche oder Polen. Darum 
babe er ſich gerade gefreut, daß jich in Poſen die Deutjchen zu einer 
hiſtoriſchen Geſellſchaft zuſammengethan hätten, und ebenjo freue er fich, 
daß diefelbe eine Gefahr, an der mitunter die provinzialgefchichtlichen 
Bereine Franken oder zu Grunde gehen, nämlich die Klippe des Dilettan- 
tismus vermieden habe. — Diefen Toaft gibt nun der „Dziennik Pozn.“ 
in feiner Nummer vom 25. Mai wieder, und zwar in directer Nede, aber 
jo entjtellt und verdreht, daß genau das Gegentheil herauskommt. Danadı 
hätte Prof. Röpell die Gejellichaft geradezu der tendenziöjen Einfeitigfeit 
gezieheu und fie gewarnt und ermahnt, nicht mehr dem Vorbild der oft- 
(weit) preußifchen Hiftorifchen Geſellſchaft (die er, beiläufig bemerft, itber- 
haupt gar nicht erwähnt hat) jondern lieber feinen Pfaden zu folgen. — 
- Mit folhen Mitteln wagt die polnische PBrefje zu kämpfen! Um eine von 
ihr gehaßte Gefellichaft zu verdächtigen, ſcheut fie nicht davor zurück, einem 
angeblich von ihr hochverehrten deutjchen beinahe achtzigjährigen Gelehrten 
Worte fäljchlich in den Mund zu legen, die geeignet find, denjelben in den 
Augen feiner eigenen Nation auf das empfindlichjte herabzufegen. Das Urtheil 
über eine jolche Handlungsweije jich zu bilden, überlaſſen wir dem Xefer. 


Mitteilungen der Gefdäftsfeitung. 





Die P. T. Herren Mitglieder werden erfucdht, alle für den Verein 
beftimmmten Werthfendungen, Geldbriefe wie Poftanweifungen zur Bermei- 
dung von Irrungen an die Adreſſe des Herrn Dr. Guftav C. Laube, 
f. £, Umiverfitäts-Profeffor und Gefchäftsleiter des Vereines, Prag, k. k. 
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu lajien. 


Neu befegt wurden die Vertretungen in Yeitmerig mit Herrn 
JUDr. Wilhelm Gollitſchek, Edler v. Elbwart, Advocat; in Krumman 


— 116 — 


mit Heren Franz Büchſe, JUDr. Advocat; in Poderſam mit Herrn 
Fohann Hübl, k. k. Bezirksgerichts-Adjunft. 


Der Bibliothef wurden werthvolle Geſchenke übermacht: 
Aus dem Nachlaſſe des Herrn Richard Ritter v. Dotzauer in Prag. 


Die Ernennung zu Ehrenmitgliedern aus Anlaß des 25jährigen 
Beitandes des Vereines ift im Berichte über die abgehaltene Feftverfamm- 
lung (jiehe Bogen 2, Seite 24) erfichtlich. 


Nachtrag zum VBerzeichnif der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 9. Auguft 1887, 


Ordentlide Mitglieder: 


Berehrlihe Zischgefellichaft „Altdentfhe Zierſtube“ in Röchlitz. 
Herr Veer Theodor von, Beamter in Komotan. 
Löblicher Bezirksausſchuß in Neichenberg. 
Herr Brandner Wan, k. k. Auscultant in Poderjam. 
„  DBurkert Joſeph, Buchhalter in Prag. 
„  BZorfter Ferdinand, k. k. Oberlandesgerichts-Vicepräfident in Prag. 
» Gabriel Franz, k. k. Berg-Obercommiffär in Komotau. 
„ Hirfh Mar, Maſchinenfabrikant in Sclan. 
„ Kugler Julius, JUDr., Advocat in Komotau. 
» Mandl Yulius, Buchhändler in Komotau. 
„ Müller Johann, Bankfilial-Dirigent in LZeitmerig. 
„ Müller Karl, Eifenbahn-Beamter in Leitmerig. 
„ »Preißler Wenzel, kaiſ. kön. Oberlandesgerichts-Rechnungs-Revident 
in Prag. 
„ Dr. Quark Mar, Redacteur der „Deutſchen Zeitung” in Wien, 
„Riichter Karl, Prof. Cand. in Prag. 
„Riitſchel Baul, Sparcafjaverwalter in Komotau. 
»  Bolkmann von Vollmar Karl, jur. cand. in Prag. 
„Weis Franz, Stadtdehant in Auffig. 


— —— — — 


K. k. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — ESelbftverlug. 


Vittheilungen des Vereines 


für 
Gesthichle der Deutschen in Böhmen. 


Nedigirt von 


Dr. Kudwig Schlesinger. 





Schsundzwanzigiter Jahrgang. Zweites Heft. 1337/8. 





Wenzel JZacharias Reſſel. 


Von Dr. Ludwig Sıhlefinger. 


Der Lehrer. 


Ich Fam im Herbſte des Jahres 1853 als Schiller an das Brüxer 
Dbergumnaftum. Die vier erjten Gymnaſialelaſſen hatte ich in Kommotau 
befucht. Beide Gymnaſien waren damald noch Ordensgymnafien. Die 
Grimde meiner Auswanderung von den Kommotauer (Dfjeg) Eiftercienjern 
zu den Brürer Piariften mögen bier unerörtert bleiben. Ich habe alle 
Urjache, beider Orden in inniger Dankbarkeit eingedenf zu bleiben. Selbjt 
Schulmann, weiß ich die Stärken und Schwächen meiner ehemaligen 
Lehrer recht wohl zu beurtheilen, und es wäre verlocdend, auf Vergleiche 
und Einzelheiten einzugehen. Eine pajjendere Gelegenheit wird jich hiefür 
bieten. Im Allgemeinen jet nur bemerkt, daß Eijtercienjer, wie Piariſten 
nach fejtjtehenden Grundjägen den Betrieb des Unterrichtes leiteten, und 
es bei ihmen unficheres Umbertappen und Vetſuchen nicht gab. Der 
jeit dem Jahre 1349 vorgezeichnete Studienentwurf von Bonig wurde in 
Kommotan wie in Brüx von gejchietten Händen zur Ducchführung gebracht. 
Die Einführung des Fachlehrerſyſtems bot gewiſſe Schwierigkeiten, welche 
die Brüder der frommen Schulen leichter zu überwinden verftanden, als 
die Mönche von Oſſeg. Waren doch erjtere jeit jeher ausſchließlich Schul- 
männer und verfügten in ihren zahlreichen Volks-, Latein- und Realſchulen 
über ein reichhaltiges Lehrermateriale jeglicher Fachbildung. Die Eijter- 

a 


— 18 — 


cienjer jahen fi) auf einen Kleinen Kreis verfügbarer Kräfte bejchränft 
und mußten ſich ihre Hiftorifer, Mathematiker, Phyſiker und Naturhiftoriker 
erſt heranbilden. Den Vortheil aber befaßen jie wieder, daß fie ich zur 
Bejegung ihres einzigen Gymnaſiums die geeignetjten Kräfte ausjuchen 
fonnten, während bei den Piariſten ein jedes Ordensmitglied in Verwen— 
dung gebracht werden mußte. Und fo jtanden denn an beiden Schulen 
neben Lehrern erjten Ranges Mittelmäßigfeiten gewöhnlichen Schlages in 
Neih und Glied. Das ſoll fein Vorwurf fein. Es beftand diejes Ver— 
hältniß zu allen Zeiten an allen Schulen aller Länder, es bejteht heute 
nod und wird auch in Zukunft beftehen. Man muß nur gerecht fein und 
vom Lehrerftand nicht das Unmögliche erwarten. Treffer und Nieten gibt 
e3 eben in allen Ständen der menschlichen Gejellichaft. 

An den oberen Claſſen des Brürer Gymnaſiums wirkten in den 
fünfziger Jahren mehrere Lehrer von ganz ungewöhnlicher Begabung. 
Der Mathematifer und Phyſiker Iſidor Voigt, der claſſiſche Philolog 
Albrecht und der Hiftorifer Wenzel Zaharias Kefjel waren Ge: 
lehrte im wahrjten Sinne des Wortes und hätten einer jeden Hochjchule 
zur Zierde gereicht. Mit dem veichen Schage ihrer gründlichen Fach- 
fenntnifje aber vereinigten jie die feltene Kunjt einer erfolgreichen, den 
Berhältniffen angemefjenen LZehrthätigfeit. Und was ich nicht als das Ge— 
ringjte anjchlagen will, die drei gelehrten Schulmänner — ſelbſt voll- 
endete edle Charaktere jeder in feiner Art — hatten es nicht bloß auf 
das Wifjen der ihnen anvertrauten Jünglinge abgejehen, jondern auch auf 
das Können und Wollen derjelben. Sie waren nicht bloß Lehrer, jondern 
auch Erzieher im beiten Sinne des Wortes. Weitaus am wirkſamſten 
aber auf die Charafterbildung feiner Schüler gejtaltete ſich die Thätigfeit 
Reſſels, und feine erziehlihe Einflußnahme auf die ftudierende Jugend 
blieb für dieje bis in das reife Mannesalter eine nachhaltige und unver: 
wiſchliche. Deßwegen jpricht man in engeren Kreijen von einer Schule 
Reſſels, die er herangezogen, nicht jo jehr mit Rückſicht auf die von ihm 
vertretenen Fachgegenftände, jondern vielmehr auf die durch ihn gewon— 
nenen abgeflärten Lebens- und Weltanfhauungen. 

Zu gleicher Zeit mit mir war em Meitjchüler von Kommotau nad) 
Brüx überfiedelt. Wie ftaunten wir, als wir die erſten Gejchichtsjtunden 
Reſſels Hinter uns hatten. Welch' unbekannte Welt eröffnete jich da unſerm 
bejchränften Gefichtsfreife, welche reiche Fülle neuer Ideen jtrömte uns 
entgegen, welch' freier Geift athmete aus jedem Worte des Lehrers, welch’ 
bezwingende Beweiskraft ergab ſich aus dem fein gegliederten Gedanken— 
gang, und welch' jeltfamer Zauber lag in der edlen einfachen Sprad): 


Bu. — 
— — ERS 





— 19 — 


und Vortragsweije des Redners. So jung wir waren, wir fühlten es 
bald, daß wir vor einem ganz ungewöhnlichen Lehrer jtanden, der unfere 
volle Verehrung in Kurzem eroberte, eine Verehrung, die ſich zur Liebe 
und Begeijterung bei vielen jeiner Schüler jteigerte. 

Reſſels Lehrmethode in der Gejchichte war eine fehr einfache. Eine 
halbe bis dreiviertel Stunde verwandte er auf den Vortrag, den Reit 
zum Prüfen. Nach Abſchluß einer gewiſſen Periode verhielt er uns zur 
Wiederholung und Zuſammenfaſſung größerer Abjchnitte und endlich des 
ganzen Lehrftoffes am Schluſſe des Semejters. Gegen das mechantjiche 
Memoriren trat er mit aller Strenge auf. Ihm handelte es ſich 
immer nur um das Verſtändniß des Stoffes und die freie Behandlung 
desjelben. Dabei legte er aroßes Gewicht auf die Form, juchte uns 
an eine edlere Ausdrucksweiſe zu gewöhnen und verbejlerte unermüdlich 
jede unglüdliche Wendung, jeden Sprach- oder Sprechfehler. So ge 
jtalteten ſich feine Geſchichtsſtunden zugleich zu einem höchſt fruchtbaren 
Unterricht in der deutjchen Sprade. Selbſt ein Meifter derjelben zeigte 
er fih in jedem einzelnen Vortrage als mujtergiltiges, unerreichtes 
Vorbild. Feſſelte uns jchon die vollendete Form diefer Worträge, To 
vegte und das Sachliche derjelben auf das Innerſte an. Das trodene 
Gerippe der Thatfachen in unjerem Lejebuche hiüllte jich in warmes Fleiſch 
und füllte ji) mit rollendem Blut, das Wefentliche ſchied ich vom Un— 
wejentlihen, das Echte vom Falſchen, die Wahrheit von der Lüge, das 
Schöne vom Häßlichen, das Gute vom Böjen. Immer klarer wurde uns 
das Verjtändniß des inneren Zujfammenhanges zwiſchen Urſache und Wir: 
fung, immer deutlicher trat uns das Gejeg von der fortichreitenden Ent— 
wicklung des Menjchengejchlechtes vor Augen; wir lernten Freude empfinden 
am Schönen, wir wurden mit Liebe erfüllt zum Guten und begetjterten 
uns am wahrhaft Großen. Wie der gewiſſe rotbe Faden durchzog die 
Vorträge Nefjels die jtete Betonung der fittlihen Idee in der Geichichte. 
Nur die jittlich gute That jand Anerkennung, die Verleugnung derjelben 
wurde aufs jchärfite gegeißelt und der Götze des Erfolges vom Altare 
gejtürzt. Der noch jo hell erftrahlende Glanz gar mancher Helden verblich, 
wenn Reſſel jeimen jtrengen fittlichen Maßſtab anlegte. Wie lebhaft er: 
innerlich bleiben mir 3. B. jene Stunden, in denen uns Rejjel die Thaten 
Napoleons I. vorführte. Wie wuchs vor unferen Augen gleich dem Bilde 
des Malers auf der Leinwand die Eleine Figur des franzöſiſchen Lieute- 
nants allmählich zur blendenden Kaifergejtalt des Welteroberers heraus. 
Welch eingehende Charafteriftit erfuhr der Korje mit feiner jeltenen Ver— 
jtandesschärfe und unerbittlichen Willenskraft, mit meld’ fatten Farben 


g” 


— 10 — 


ſchilderte er uns den gewaltigen Schlachtenlenker und ſiegreichen Volksbe— 
zwinger, dem die Welt huldigend zu Füßen lag. Und doch, ſo führte 
Reſſel zum Schluſſe aus, war dieſer außerordentliche Menſch kein großer 
Mann. „Ja ja, in der That, denn zur wahrhaften Größe fehlte ihm die 
fittliche Unterlage.” Und als Reſſel die Begründung fr diefe jeine Auf- 
faſſung vollendet hatte, waren wir alle von der Wahrheit derjelben tief 
überzeugt, und jo mancher unter uns, der ſich aus damals nod) oft 
gelejenen voltsthümlichen, auch in den Schülerbibliothefen vorfindlichen 
Schriften eine gewijje Schwärmerei fir den „großen“ Franzoſenkaiſer, für 
„den Helden von Elba und Waterloo”, für „den Gefangenen auf Delena“ 
angelejen hatte, jagte jih im Stillen: „a ein wahrhaft großer Mann 
war er nicht.“ 

Ab und zu, befonders in den oberen Claſſen, gab uns Reſſel jchrift- 
liche Schularbeiten. Bei denjelben zielte er feineswegs auf die Erprobung 
der Stärke unſeres Gedächtnijjes und Fleißes ab, fondern auf eine Prü— 
fung unferes Verſtändniſſes des pragmatiihen Zufammenhanges, unferer 
Fähigkeit in der Behandlung des hijtorischen Stoffes zu Barallelen und 
Analogien oder unſeres Vermögens in der jelbjteigenen Auffindung des 
Cauſalnexus Jcheinbar innerlich nicht zufammenhängender Ereignijje. In 
ganz ähnlicher Richtung bewegten fich die in jeder Stunde von Nejjel vor- 
genommenen mündlichen Brüfungen, die jich jehr oft zu Unterredungen leb— 
hafter Natur gejtalteten, wobei der Tehrer oft zu größeren Auseinanderjegungen 
ausholte, mitunter aucy einen anmnthenden Humor verrieth, dev mandmal 
jeinen Anlaß von einer ungejchicten Antwort nahm, aber niemals virleßte. 

In den beiden oberjten Clajjien des Gymnaſiums genojjen wir bei 
Reſſel auch den Unterricht in der vdeutjchen Sprache. Durch denjelben 
wurden wir dem geliebten Lehrer noch viel näher gerüdt. Wir hatten 
nun jtatt einem zwei Lieblingsgegenftände und wußten nicht, welchem von 
beiden wir den Vorzug einräumen jollten. Den Schwerpunft des Unter: 
vichtes verlegte Rejjel in die Lectüre und den Auffag. Wir laſen viel, 
aber nach ſtrenger Auswahl und feſtem Plan, joweit es das Mozart’sche 
Lejebuch ermöglichte. Zunächſt hielt unjer Xehrer viel auf ein gutes Yaut- 
leſen, wie er denn jelbjt jebr gut, und wenn es galt, ergreifend zu lejen 
verjtand. Auf Declamiren legte er feinen Werth. Ich erinnere mich nicht, 
daß wir jemals zu demfelben angehalten worden wären. An der Hand 
ver Leejtiike wurden wir in die Geheimnijje des Regelwerfes einer guten 
Proia eingeführt und hiebei Lejiing in den Mittelpunkt gejtellt. Mit 
eigentlich Grammatifaliichem wurden wir wenig geplagt. Dagegen fanden 
die Gejege der jprachlichen Entwicklung mit Anfnüpfung an ältere Formen 


— — 


genaue Erörterung und wurden ſtete Uebungen in Begriffsbeſtimmungen, 
Synonymen, Ableitungen, wo ſich Gelegenheit ergab, auch mit Hinweis 
auf die claſſiſchen und neueren fremden Sprachen vorgenommen. Weckung 
und Entwicklung eines vertieften Sprachgefühls ſchwebte ſtets als Ziel 
vor. Reinheit der Sprache galt als eine der oberſten Forderungen, weß— 
wegen Fremdwörter nach Möglichkeit verpönt wurden. Reſſel liebte es, 
uns auf fehlerhafte Fügunngen, vergriffene Wahl des Ausdruckes im 
Geleſenen aufmerkſam zu machen, und freute ſich, wenn er uns auf die 
richtige Verbeſſerung hingeleitet hatte. Dabei hielt er vor keiner Größe 
inne. Die deutſche Sprache iſt ein lebendiger Organismus, der ſich ſtetig 
weiter entwickelt, war ein oft von ihm ausgeſprochener Grundſatz. 

Die poetiſchen Leſeſtücke boten Gelegenheit zur Erörterung der ver— 
ſchiedenen Dichtungsarten, ſowie des Weſens der Kunſt im Allgemeinen. 
Wie leicht wurden uns die äſthetiſchen Grundbegriffe beigebracht, und wie 
ſicher verſtanden wir dieſelben in der praktiſchen Anwendung zu behandeln. 
Wir ſelbſt wurden angehalten, das Leſeſtück, nachdem es ſachlich und 
ſprachlich erklärt worden war, auf ſeinen Charakter und Werth als Dich— 
tung zu prüfen. Das Auffinden der „höheren Idee“, die Unterſuchung, 
ob die äußere Form die „entſprechende“, die Idee deckende, ſomit gefallende 
oder ſchön ſei, wurde unter Anwendung der ſokratiſchen Methode unſerer 
Selbſtthätigkeit überlaſſen. Bei dieſer äußerſt werthvollen geiſtigen Uebung 
erfreuten wir uns des gewonnenen Ergebniſſes, auch wenn dieſes manchem 
verſificirten und gereimten Leſeſtücke die hervorſtechenden Merkmale des 
Weſens einer wahren Dichtung abſprach. Die Beſtimmung der Dichtungs- 
art jelbjt, die Auffuchung befonderer Formjchönheiten, deren Abhängigkeit 
vom Stofflihen u. dgl. bildeten die weiteren Gegenftände der überaus 
anregenden und belehrenden Unterredungen des Lehrers mit jenen Schülern. 
Der literarhiftorifche Theil des Unterrichtes jchloß fi naturgemäß an. die 
Lectüre an. Reſſel zeichnete aber nur in großen Strichen die bedeuten: 
deren Geſtalten und Schulen unfjerer Literatur. Er ließ ſich nur ungern 
auf die Kritif von Werfen ein, deren Kenntniß oder Verjtändniß er über— 
haupt nicht bei uns vorausjegen fonnte. 

Die Pflege des fchriftlichen Aufjages betrieb Reſſel nach einem wohl 
ducchdachten Plane mit ernjter Strenge und dem feinjten Berjtändniß. 
Gewandtheit im Ausdrucde, Angewöhnung einer einfachen und natürlichen 
Sprache, ſtrenge BedBachtung der jprachlichen Gejege und der kleinſten 
Erfordernijje der äußeren Form, der Nechtichreibung, jowie der Zeichenjegung 
waren nicht die einzigen und wichtigjten Ziele, die er verfolgte. Faſt noch 
mehr handelte es jih ihm um das tiefere Eindringen in den zu bear- 


u IRB 


beitenden Stoff, um das jolgerichtige Denken und die klare Anordnung 
der Gedanken jelbjt. Die lebtere durfte nicht erjt im Laufe der Ausar- 
beitung erfolgen, ſondern jollte die wichtigjte Geijtesarbeit fein, bevor man 
zur Feder griff. Deswegen wurde mit aller Feſtigkeit die Angabe der 
jogenannten „Sfizze" am Kopfe der Arbeit verlangt. Diejelbe durfte 
jedody nur wenige Hauptpunfte enthalten und nicht etwa eine ausführliche 
„Dispofitton“ jein. Demgemäß erfolgte die Wahl der Stoffe nach be- 
jtimmten Grundfägen, nicht nach Zufälligkeiten oder nach beliebten Ueber— 
lieferungen. ine Sammlung der Stoffe, die Reſſel im BVerlaufe feiner 
Lehrthätigkeit zu Haus- und Schularbeiten gewählt hat, gäbe ein für alle 
Fachmänner höchſt Tehrreiches Verzeichniß, das zugleich durch feine Ori- 
ginalität den Beweis liefern würde, wie wenig ſich unjer Lehrer an den 
herkömmlichen „Schimmel” hielt. Die Beurtheilung der jchriftlichen Arbeiten 
nahm Reſſel jehr gemiljenhaft. Er begnügte fich nicht mit dem An— 
jtreihen der einzelnen Fehler, jondern erläuterte durch Rand- und Schlup- 
bemerfungen die Mangelhaftigfeit des Ausdruds, die Widerjprüche im 
Gedanfengange, ungejchiefte Gruppirungen u. j. w. Dabei aber ließ er es 
nicht bewenden. Bei der Rückgabe der gebejjerten Aufgaben mußte eine 
derjelben von einem Schiller aus dejjen Unveinhefte laut verlejen werden, 
während der Lehrer die Neinjchrift verfolgte. Es folgte dann die münd— 
liche Berbejjerung, wobei aud) die Arbeiten der andern herangezogen wurden. 
Das Thema wurde nad allen Seiten gründlich durchiprochen, und jeder 
Aufmerfjame konnte zum Bewußtjein der Gebrechen jeiner eigenen Zeiftung 
gelangen. Gerade an mißglüdten Berjuchen lernten wir am meijten. War 
es feinem von uns gelungen, die Aufgabe zur Befriedigung zu löſen, jo 
entwicelte Nejjel zum Schluß der Befprehung im mündlichen Vortrag die 
ganze Ausarbeitung vor feinen jtaunenden Zuhörern. | 

AS wir eine gewilje Fertigkeit erlangt hatten, führte Reſſel die jo- 
genannte „Gegencorrectur“ ein. Die Schüler wurden in zwei Gruppen 
getheilt, und jede derjelben erhielt ein bejonderes Thema. Je zwei vom 
Lehrer bejtimmte Schüler aus verjchiedenen Gruppen wechjelten die Rein: 
jchriften, um jie zu bejjern und zu beurtheilen. Die Arbeiten gingen 
zunächſt an die Verfaſſer zurid, die berechtigt waren, die Correctur des 
Mitichülers zu erörtern, gegebenen Falls zu befämpfen. Dann erjt erfolgte 
die Gejammtbeurtheilung durch den Lehrer, welcher in diejelbe die Ver— 
bejjerungen und Gutachten, fowie die Gegeubemerfungen der Schiller mit ein- 
bezog. Selbitverjtändlich erfolgte jchlieglid) die mündliche Beiprechung. Diejer 
Vorgang geitaltete ſich außerordentlich anregend und fruchtbar. Er ift ja nicht 
nen und wird beiſpielsweiſe an Seminaren noch immer geübt. Die glückliche 


— 13 — 


Behandlung der Methode der Gegencorrectur it allerdings an eine Voraus: 
jegung gefmüpft, die am Brürer Gymnaſium zutraf. ES dürfen nicht 
allzuviel Schüler in einer Claſſe fich befinden. Bei vielen Schülern er- 
mattet der Lehrer ohnehin ſchon an der einfachen Verbefjerung, und es 
kann ihm nicht noch zugemuthet werden, fich in die Eorrectur und Gegen- 
correctur der Schüler zu verſenken und die Doppelfritif zn üben. Ich 
weiß recht wohl, daß auch Bedenken anderer Art gegen Schülerfritifen 
bejtehen, kann mich aber hier nicht auf deren Widerlegung einlajjen. Ich 
gejtehe nur, daß ich als praftiicher Schulmann jelbjt Gelegenheit nahm, 
jie mit großem Erfolge in Anwendung zu bringen. 

Das Angedenfen Rejiels verblaßte bei jeinen Schülern niemals. Als 
wir nach abgelegter Reifeprüfung die Hochjchule bezogen, wurden wir 
uns durch den Vergleih unferer neuen Profeſſoren mit dem geliebten 
alten Lehrer erſt vecht der Ueberlegenheit des legteren in jedweder Bezie— 
hung bewußt. Wir, die wir uns den philoſophiſchen Studien zumandten, 
fanden für ihn feinen vollwerthigen Erjag. Reſſel blieb fiir uns derjenige 
Meiſter, der unter allen Lehrern von der Volksſchule angefangen bis zur 
Fachſchule hinauf den tiefjten Einfluß auf uns genommen, der auch für 
unjer jpäteres Leben die nachhaltigiten Eindrücde hinterlaffen hat. Und 
wohl wenige unter feinen ehemaligen Schülern dürfte e8 gegeben haben, 
welche nicht von den wehmiüthigiten Gefühlen innigfter Dankbarkeit er: 
griffen wurden, als jie die traurige Kunde von jeinem am 9. September 
1886 erfolgten Hinjcheiden vernahmen. 


Der Lebendgang. 


Vieles von dem, was zur Charafterijirung eines bedeutenden Mannes 
gehört, jieht die Jugend nicht, fie begreift jo manches nicht, e8 fehlt ihr 
insbejondere das Verſtändniß für das Ringen und Kämpfen des mitten im 
Leben jtehenden und mit den Wirrſalen desjelben jtreitenden Mannes. 
Was wir num in jpäterer Zeit über Reſſel in Erfahrung brachten und mit 
der Reife der „Jahre zu beurtheilen vermochten, war nur geeignet, unjere 
Verehrung für den geliebten Lehrer zu erhöhen, aber auch mancherlet zu 
erflären, was uns als Schülern unverjtanden geblieben war. Ein Gejammt- 
bild jeines äußerlich einfachen, innerlich aber jo vielgejtaltigen Lebens zu 
entwerfen, wäre eigentlich ein Alters- und Ordensgenoſſe zunächit berufen. 
Diejenigen aber von den Biarijten, die ihm im Leben näher gejtanden, 
jind meines Wiſſens auch ſchon dahingegangen. Mein ſchwacher Verſuch 
ſtützt ſich zumeiſt auf die eigenen Erinnerungen und, was den äußerlichen 
Lebensgang betrifft, vielfach auf die Mittheilungen ſeines Neffen G. A. Reſſel, 


— 14 — 


des dermaligen Schriftleiters der trefflichen in Auſſig erjcheinenden Tou— 
rijtenzeitung. 

Refjel ijt ein Neichenberger Kind. Aeltere Leute erinnern ſich noch 
an das Fleine, vom grünen Hedenzanı umrahmte Holzhäuschen in der 
jogenannten „Aue“ am Neifjeufer, vor welchem zwei jtattliche Eberejchen 
— „Abſchen“ — die Wache hielten. Hier haujte der ehrſame Schneider: 
meister Anton Reſſel, gewöhnlich der Abſchen-Reſſel genannt zum Unterſchied 
von anderen Familien gleichen Namens in der Stadt. In dieſem Eleinen, 
aber behaglichen Heim, das jpäterhin in fremde Hände überging und einem 
nüchternen Steinhaufe Blag machen mußte, feierte am 28. September 1809 
Anton Rejjel die Ankunft feines dritten Sohnes, unferes Wenzel Zacharias. 
Den Namen des Landespatrones verdanfte der Heine Weltbürger offenbar 
dem Umftande, weil er am Feſttage des heiligen Wenzeslaus feine irdijche 
Laufbahn begann. Zacharias it der jpäter angenommene Ordensname. 
Der Bater Reſſel wird als jtiller janfter Mann, die Meutter aber als eine 
äußerjt thatkräftige Natur gejchildert. Da die Eltern in ziemlich bejcheidenen 
Berhältniffen lebten, und die Zahl der Kinder allmälig auf fünf Söhne 
anwuchs, galt es ritjtig zu jchaffen und wader Haus zu halten. Von den 
vier Brüdern Wenzels widmeten ſich Anton, Joſef und Ignaz dem Hand» 
werfe des Vaters, während Franz der Jüngſte die Beamtenlaufbahn 
einſchlug und nachher als Steuercommiſſär in Ungarn jtarb. 

Der Knabe Wenzel war von jehr Schwächlicher Leibesbeichaffenheit, 
und man war gendthigt gewejen, die Nothtaufe bei dem zarten Geſchöpfe 
in Anwendung zu bringen. Frühzeitig aber offenbarten jich bei ihm die 
herrlichiten geiftigen Anlagen. Noch bevor er zur Schule geſchickt wurde, 
hatte er aus der Fibel feiner älteren Brüder jchreiben und leſen gelernt. 
Die Aufgaben der Bolfsjchule bewältigte er jpielend, und frühzeitig ergriff ihn 
ein leidenjchaftlicher Hang zum Leſen. Tas Buch „von den zwölf ſchlafendeu 
Jungfrauen“, eines der erſten, das ihm in die Hände fam, fejjelte jein ganzes 
Weſen, und noch als Mann ſprach er gerne von dem tiefen Eindrud, den 
es bei ihm hinterlaffen. Als ihm einjt ein Mitſchüler ein Bändchen Eleiner 
Erzählungen lieh, veizte ihn die Freude an denjelben zur Nachahmung und 
eigenem Schaffen. Bon feinem Taſchengelde, bejtehend in einem Kreuzer 
Wiener Währung an jedem Sonntag, kaufte er ſich das billigjte Papier 
und bejchrieb dasſelbe in Kleinfter Schrift mit jelbfterfundenen Erzählungen 
zumeiſt in Geſprächsform. Ein ganzer Band joll nad) und nad entjtanden 
und in der Familie mit Stolz gezeigt worden fein. 

Ein offenbar wohlunterrichteter Gewährsmann jchreibt von der Jugend 
Reſſels: „ALS Sohn armer Eltern in Reichenberg 1809 geboren, von jeiner 


ne ua 


= OB 


Kindheit an Schwach, Fränflich, dem Aeußeren nach unanſehnlich, mußte er lich 
zeitig zu einem leichteren Handwerk bequemen. Dies die Worte feiner furzen 
Autobiographie. Dennoch gab er das Streben nad) einer höheren Bildung 
nicht auf; feine mangelhaften Elementarfenntnijje juchte er insbejondere durch 
Zectüre zu ergänzen. Seine fortgejegte Correjpondenz mit feinen ehemaligen 
Mitſchülern, die bereits das Gymnafium in Leitmerig bejuchten, gab Ver: 
anlaſſung, daß ein dajelbft jtudirender Theolog, der nachmalige Profeſſor 
der Theologie Anton Jakl, fich feiner annahm. Mit deſſen Hilfe fam er 
1823 an das Gymnaſium zu Leitmerig".") Ich jchalte diefe Bemerkung ein, 
weil jie die Mittheilungen des Neffen G. A. Reſſel ergänzt. Von einer 
Autobiographie des Onfels ift diefem nichts bekannt. Eine jolde wäre in 
der That von außerordentlichem Intereſſe. Aus den Aufjchreibungen des 
Neffen entnehine ich weiter, daß der junge Gymmafialjchiiler in feinem 
Lerneifer nicht ermattete, jtetS zu den beiten Schülern des Gymnaſiums 
zählte, aber auch jeiner Neigung zu dichteriichen Verſuchen treu blieb. 
Ein Epos von 200 Herametern „ver Huſitenkrieg“ hätte er ſchon in der 
Secunda verfaßt, und aus der Oymmafialzeit hätte er eine größere Samm- 
fung von Gedichten aufbewahrt, die er fpäter wiederholt zu veröffentlichen 
beabfichtigte. Der mir nur theilweife befannte Nachlaß des unvergeßlichen 
Lehrers wird wohl darüber und über manch’ Anderes erwünjchten Auf: 
Ihluß bringen.?) 

In den Jahren 1829 und 1830 befuchte NRejjel die philojophiichen 
Studien an der Prager Univerjität, und fand er im der großen Stadt 
Gelegenheit feiner Ausbildung in den von ihm bejonders gepflegten Fächern 
der Gejchichte und der deutjchen Literatur auc außerhalb des Hörjaals 
ji mit allem Eifer hinzugeben. Ueber die eigentlichen Beweggründe Refjels 
zu jeinem Eintritte in den Piariftenorden ſchwanken die Nachrichten. Die 
beſchränkten Verhältnijje der Eltern, der Wunſch der Mutter, einen ihrer 
Söhne im Priejtergewande zu jehen, und die eigene Neigung zum Lehramte 
werden wohl ven Ausjchlag gegeben haben. Nach der oben angegebenen 
Mittheilung der Bohemia hätte Nefjel einen Jahrgang der Theologie in 
Prag als externer Hörer vollendet, hätte aber dann die angejtrebte Auf- 
nahme in eines der wohlhabenden Klöfter Oeſterreichs wegen jenes 
Fränflichen Ausſehens nicht gefunden. Der Neffe Reſſels erzählt, der Onfel 
jei nach Zurüdlegung der philofophijchen Studien zu Fuß zum Prämon- 


1) Bohemia v. 20. September 1886. 
2) Im Jahre 1828 vollendete er die IL. Humanitätsclaſſe in Reitmerig, wird aber 
nicht unter den Prämianten angeführt. Gym. Programm Yeitmerig 1877). 


— 126 — 


jtratenjerflojter Geras in Niederdterreich gewandert, habe hier nach Ueber- 
windung großer Schwierigkeiten, die ihm eine mürriſche Haushälterin in den 
Weg legte, Gehör beim Secretär „Kolſchak“ gefunden und’ habe auf deſſen 
Veranlafjung alsdann in Wien zwei Jahre lang erternirt. Als er aber nod) 
ein drittes Jahr externiven fjollte, habe er jih an den Provinzial der 
Biarijten in Nifolsburg gewendet und durch diefen Aufnahme in den Orden 
gefunden. Es fünnte dies wohl erjt im Fahre 1832 gejchehen jein. Nach 
dem Ordensfatalog wurde Zacharias Nefjel am 1. Detober 1831 einge: 
Hleidet, am 9. Weber 1834 legte er die Ordensprofeß ab, und am 7. Auguſt 
1836 wurde er zum Priejter geweiht. 

Der Piarijtenorden bot feinen Mitgliedern niemals ein glänzendes 
Los. Im Gegentheil, er gewährte nur die bejcheidenditen Mittel zur 
Friſtung des Dafeins und verlangte die angejtrengtejte Thätigfeit, Entbehrung 
und Entjagung. Auf dem Piariſten laftete dev Alp des allgemeinen nicht 
ausjterbenden Schulmeifterelends, und dazu hatte ev noch die Feſſeln des 
katholischen Priefters zu tragen. Die armen Brüder der frommen Schulen 
aber erwarben jich troß alledem die größten Verdienjte um das Schulwejen 
Dejterreichs, die leider die berechtigte Anerfennung nicht immer fanden. 
Katjer Joſef ließ es an einer jolchen nicht fehlen, wenn er jagte: „Die 
Piariſten jind meine beiten und billigjten Lehrer." Gerade deswegen aber 
jtellten die Piarijten eine große Anzahl hervorragender Schulmänmer und 
Gelehrter. weil ihre Gemeinjchaft für Streber und irdiſchem Wohlleben 
Huldigende jo wenig Verlodendes bot. Die mit dritdender Armuth und 
ſchwerer Arbeitlaft Kämpfenden traten denn auch dem Wolfe weit näher, 
als andere Orden, und wußten den fortjchrittlichen Bedürfniſſen der Zeit, 
wie den örtlichen Verhältniſſen billige Nechnung zu tragen. War eg die 
bei ihnen ſich ausbildende freiere Auffafjung kirchlicher, politifcher und 
jocialer Fragen, die fie namentlich den Jeſuiten gegenüber in einen jchroffen 
Gegenſatz jtellten, war es der bittere Mangel irdiſcher Güter, oder lagen 
noch andere Gründe vor, daß fie allmälig aus ihren Schulen ſich ver- 
drängt jahen, ihre Eollegien zujammenfchrumpften, und jie heute ihrem 
Ausjterben mit jtummer Ergebung entgegenbliden? 

Reſſel war wie gejchaffen zum Piariſten. In ärmlichen Verhältnijjen 
anfgewachfen war er gewohnt nur geringe Anforderungen an das Leben 


zubilvden und durch Wort und Schrift zur Aufklärung und Wohlfahrt feiner 
Mitmenjchen thunfichjt beizutragen. Die geijtige Begabung hiefür bejaß 
er in reichlichem Maße, und fein eijerner Wille wußte auch das einzige 
Bedenken, hervorgerufen durch ſeine ſchwächliche Körperbejchaffenheit, 


= 


fiegreich zu überwinden. Durch eine ftreng geregelte Lebensweiſe und ein 
vernünftiges Abhärtungsverfahren, verjtand er es, ſich bis in jein höheres 
Lebensalter gefund und Fräftig zu erhalten, abgejehen von einem Augenübel, 
welches ihn allerdings in jpäteren Fahren mit jchwerem Kummer erfüllte. 

Es war ein zwedmäßiger Vorgang, welcher von den Piarijten einge- 
halten wurde, ihre Mitglieder nicht fir eine Gattung von Schulen allein 
auszubilden, jondern fie jowohl für den Unterricht in den Bolfsjchulen, 
wie in den Mitteljchulen zu befähigen. Daß der junge Biarijt ſich zunächſt 
in der Volksſchule jeine Sporen verdienen mußte, konnte demjelben gewiß nur 
zu großem Vortheile gereichen, auch wenn er nachher an eine Mittelſchule 
überjegt wurde. Die Kunſt des Unterrichtens ijt in der Volksſchule 
jchwieriger, und jeder Mittelſchullehrer wird noch heute gut daran thun, 
wenn er jich mit den an derjelben beftehenden und ſich immer  fejter 
gejtaltenden Grundjägen des Lehrverfahrens vertraut macht. Hat man 
doch anderwärts längjt erkannt, daß für die unteren Clafjen der Mittel: 
ihulen jeminarijtiich gebildete Candidaten den fogenannten afademijchen 
vorzuziehen jind. Unſer Rejjel begann denn jeine Laufbahn als Schulmann 
in den Hauptjchulen ven Kremfier, Aufpig und Haida. 1833 rüdte ev an 
die Realſchule jeiner Vaterſtadt Reichenberg vor, und nad) fünfjähriger 
Wirkſamkeit an derjelben jegte er jeine Lehramtsthätigfeit an der Rakonitzer 
Realſchule fort, wo er mit einer furzen Unterbrechung vom Jahre 1844 
bis 1849 verblieb. ES fennzeichnet feine Vieljeitigfeit, daß er an beiden 
Anstalten nicht bloß die Gejchichte, Geographie und deutfche Sprache unter: 
richtete, ſondern ſich auch für das damals an den Realjchulen nod) behandelte 
Fach der „Technologie" verwenden ließ. Nicht als ob er in demjelben lediglich) 
einen Lückenbüßer abgegeben hätte. In Neichenberg ſchon jchrieb er ein Lehr— 
buch der mechantjchen Technologie, das von den Schulbehörden die „Appro- 
bation” erhielt, allerdings aber nicht zum Drud gelangte. Im Jahre 1346 
wurde Reſſel nad Wien gejendet, um, wie jein Neffe jchreibt, noch einen 
Sahrgang Theologie zu jtudiren. Nebenbei fupplirte er einige Zeit am 
Thereſianum. Sein lebhafter Wunsch war es, an diejer Anjtalt fortwirken 
zu fünnen, da ihm ja die Großſtadt jo leicht die Mittel zur eigenen Fort— 
bildung und zur Durchführung feiner fchriftitelleriichen Pläne gewährte. 
War es die bei ihm jcharf ausgeprägte Wahrheitsliebe und fein ehrlicher 
Freimuth gegen Jedermann, wodurd er jich diefe Vergünftigung bei den 
Drdensoberen vericherzte? Der ſtrebſame Piariſt mußte in das tichechiiche 
Städtchen Rafonig zurüd. Einen großen Schatz brachte ev aus Wien mit, 
den vollitändig durchdachten Plan für das Hauptwerk feines Lebens „die 
Univerjalgejchichte für gebildete Leſer“, und einen mit der Univerjitäts- 


— u a ——— 


Band 3. ol 


Buchhandlung „Anton Dolls Enkel“ abgejchlojienen Vertrag, betreffend die 
Herausgabe desjelben. Welch fühnes Unternehmen überhaupt eine Univer— 
jalgejchichte zu ſchreiben! Dieſen Berfuch aber in einer Heinen Stadr zu 
wagen, wo es der geijtigen Anregung jo wenig gab, und wo die wijjen- 
ſchaftlichen Hilfsmittel jo jchwer zu bejchaffen waren, dazu gehörte ein 
entichlojjener Wille, ein muthiges Selbjtvertrauen und die zähejte Aus— 
dauer. Die Univerfalgefchichte erjchien in monatlichen, 6 Bogen jtarfen Lies 
ferungen, und noch 1846 war der erjte Band fertig. Im Fahre 1853 
erichien der achte und legte Band. Welch Uebermaß von geijtiger Arbeit 
für den an fich jo Sehr bejchäftigten Meitteljchullehrer! In wie weit 
dem Hijtorifer der große Wurf gelungen, werden wir nod zu unter- 
juchen haben. 

Das Fahr 1848 Scheuchte auch Reſſel eine Zeit lang aus feinen Stu- 
dien auf, und er verfolgte mit Spanming die jtiirmifchen Bewegungen im 
Aus: und Inlande. Als der befannte Abjagebrief Palacky's vom 11. April 
an den fünfziger Ausschuß des jrankffurter Parlaments erjchien, konnte er 
jich) nicht enthalten, eine jcharfe Antwort dem Slavenführer zu ertheilen, 
in welcher er die Unrichtigfeiten und Widerjprüche der Palacky'ſchen Ausein— 
anderjegungen aufzudeden juchte. Diejelbe erjchien in der conjtitutionellen 
Prager Zeitung vom 28. April; wir werden auf den Inhalt jelbjt une 
zurücfommen. 

Im Fahre 1850 wurde Reſſel als Lehrer an das Gymnaſium in 
Brüx verjegt. Durch volle zweinndzwanzig Jahre wirkte ev Hier mit 
jeltenem Eifer und ungewöhnlichem Erfolge in feinem Berufe und fand 
noch Zeit und Kraft, feine wiljenjchaftlichen Studien und Arbeiten fortzu: 
jegen. Die Univerfalgejchichte wurde vollendet, und zahlreiche Aufjäge in 
den Gymnajialprogrammen geben Zeugniß von der geijtigen Nührigfeit 
und Friſche des verehrten Lehrers. Sein Berfahren in der Schule habe 
ih im Eingange diejer Zeilen zu jchildern verfucht. Reſſel jtand in den 
fünfziger Jahren auf der Höhe feines körperlichen und geijtigen Lebens, 
Sein äußeres Bild aus jener Zeit ſchwebt mir noch heute deutlich vor 
Augen. Auf der Heinen gedrungenen Gejtalt jaß ein wahrer Charafterfopf. 
Eine gewaltige Stirn überwölbte das fein marfirte Gejicht, das von einem 
dunklen, jpäter erbleichenden Bart umrahmt wurde. Die Augen bevedten 
ſcharfe Gläſer; ıhr Glanz jtrahlte nur Milde und Liebe aus. In der Schule 
erjchten Rejjel immer in einfachen Schwarzen Ordensgewand. Bei jeinen tägli- 
chen Spaziergängen aber trug er fich nad) Art eines fchlichten Bürgers; man 
jah ihn in der Regel im nicht zu langen dunklen Rod, grauen Beinkleivern 
und einen weißen Hut, in der Hand einen Negenihirm oder Stod. Be 





= IB 


feiner großen Kurzlichtigfeit erfannte er nicht inımer, was um ihn vorging. 
Er juchte daher raſch das Freie zu gewinnen. Wenn er jchnellen Schrittes 
auf der Saazer oder Kommotauer Straße dahinwanderte, geihah es denn 
auch manchmal, daß er, vom lebhaften Gedankenjpiel überwältigt, laute 
Neden hielt und feinen Stod in heftiges Schwingen verjegte. Das mochte 
im Anfang das eine oder das andere Bänerlein, das auf dem Felde nebenan 
ruhig jeine Zurchen zog, jonderlich befvemden. Bald aber war der gelehrte 
Profeſſor im ganzen Weichbilde der Stadt wohlbefannt, und Niemand un— 
terließ e8 dem verehrten und beliebten Manne einen freundlichen Gruß zu 
bieten. Wenn die Sommerferien heranfamen, hing ſich der Wanderluſtige 
eine Reiſetaſche um und ſtand gerüftet zur weiten Fahrt. Xeichten Fußes 
und Gepädes, wie ein Jüngling, beveijte er nad) und nach die Kronländer 
Defterreichs, ſowie das benachbarte Sachſen, ſtets ſcharf beobachtend und das 
Wahrgenommene in jich verarbeitend. 

Abgejehen von Rejjels großer Meijterichaft als Schulmann gewannen 
jein mildes freundliches Wejen, jeine jtrenge Wahrheits- und Gerechtigfeits- 
liebe, jeine Begeijterung für Alles Hohe und Edle nicht bloß die Herzen 
der Jugend, jondern aller Unbefangenen, die ihn näher kannten. Daß er 
durch feinen Freimuth und Biederſinn nicht immer den Beifall der Mächtigen 
des Ordens gefunden, ja auch allerlei Berdächtigungen und Anfeindungen 
erfahren, ijt ja jehr erklärlich. Mißgunſt umd Uufrieden, die häßlichen Ge— 
wächje in allen menjchlichen Vereinigungen, wuchern mehr, als man glauben 
jollte, in den Zellen der Klöjter. Reſſel ſchwankte feinen Augenblick in jeiner 
Ueberzeugungstreue. Seinen Schülern verzieh der ſonſt jo wohhvollende 
Lehrer am ſchwerſten die Züge; über jeine Lippen aber gelangte niemals 
eine bewußte Unmwahrheit, und Nichts in der Welt hätte ihn bewegen fünnen, 
jeine Grundjäge und Gejinnungen nur um Haares Breite zu verleugnen. 
Eine jchwere Verſuchung trat an ihn heran. Schulvath Schilhavy, der die 
hohe Begabung und jeltene Gelehrſamkeit Reſſels zu würdigen verjtand, 
lenfte die Aufmerkjamfeit maßgebender Kreije auf ihn, als es ſich im Jahre 
1551 um die Bejegung der Lehrfanzel der Gejchichte an der Bejter Uni- 
verjität handelte. Reſſels Berufung jchien jo viel wie ficher, und jchon 
hatte man für einen Nachfolger in jeiner Brüxer Lehramtsſtelle gejorgt. 
Aber auch die jtille Arbeit des Verdächtigens hatte bereits begonnen. Die 
allzu freiſinnige Weltanfchauung des Gelehrten, die man bejonders aus 
jeiner Weltgejchichte entlehnten Stellen beweifen wollte, bot den in der 
rüchchrittlihen Strömung jener Tage jo günjtigen Angriffspunft. Reſſel 
erichten beim Unterrichtsminifter in Wien, wir wiſſen nicht ob aus eigenem 
Antrieb oder hohen Orts befohlen. Ueber die lebhaften Museinanderjegungen, 


— 130 — 


die der freimüthige Piariſt mit Sr. Excellenz hatte, wurde feiner Zeit in 
Brür viel erzählt. Ich vermag etwas völlig VBerbürgtes darüber nicht zu 
berichten. So viel ijt aber ſicher: hat es ſich etwa darum gehandelt, Reſſel 
zu Verſprechungen zu bewegen, die fi) mit jeinen Ueberzeugungen wicht 
vereinbaren liegen — er war nicht der Mann, auf eine ſolche Zumuthung 
einzugehen, auch nicht um den Preis, der ihm winkte, um feinen Preis. 
Im Gegentheile, es iſt jehr wahrjcheinlich, daß der geiinnungsfejte Dann 
jenen edlen Feuereifer, mit welchem er allzeit für jeine Anjichten und Ideale 
eintrat, auch im Meinifterzimmer zum Ausdrude brachte, was dann aller: 
dings genügt hätte, auch die legte Hoffnung auf die Peter Profeijur zu 
vernichten. Thatſache iſt nur, daß Reſſel jchmerzlich enttäufcht von Wien 
zurücdfehrte, und er alle Noth hatte, feine alte Zehrjtelle am Gymnaſium 
wieder zu erhalten. Ob bei diefer für Reſſel fo peinlichen Angelegenheit auch 
Franz Palady, wie eine Nachricht lautete, jeine Hand mit im Spiele hatte, 
will ich nicht entſcheiden. Reſſel ſelbſt glaubte, wie mir Herr Profejjor 
Nebhann mittheilte, bis an jein Lebensende an eine ihm feindjelige Einmi- 
Ihung Palady’s, welche er in Zufammenhang mit jeinem oben erwähnten 
offenen Schreiben vom 28. April 1848 brachte.) 

Wie 08 ſich mit dem einige Zeit jpäter an Reſſel ergangenen Auf 
der Univerfität Marburg verhalten hat, iſt mir nicht genauer bekannt. 
Nach einer Nachricht *) habe der damalige DOrdensprovincial die Ernennung 
des Gymnafiallehrers zum ausländischen Univerjitätsprofejjor zu verhindern 
verjtanden. Reſſel, dem wohl die Thätigfeit an einer Hochſchule als ſchönſtes 
Biel des Strebens vorgefchwebt haben mag, wußte ſich zu bejcheiden. Mit 
gleicher Liebe, mit gleichem Eifer wie vorher, widmete ex fich feinem Lehr: 
amte am Brüxer Gymnafium. Die ihm treu anhängliche Jugend frente - 
ſich jeines Bleibens. Aber auch die Bürgerjchaft wußte das jtille Frucht: 
bare Wirken, die feltene Charakterjtärte und nnbeugjame Wahrheitsliebe 
des ehrenhaften deutjchen Gelehrten zu jchägen. Sie entjendete ihn im 
Jahre 1861 in die Gemeindevertretung, eine Auszeichnung, die ev wohl 
zu würdigen verjtand. Es war eben in jenen Tagen nicht jo leicht, unter 
die erbgejejjenen Väter unferer heimischen Städte aufgenommen zu werden, 
falls man nicht felbjt zu den Grundherren der Gemeinde gehörte. Reſſel 
nahm fein neues Ehrenamt gewiljenhaft wie Alles, dem ex ſich unterzog. 
Selten nur fehlte er in einer Sitzung. Auch gehörte ev nicht zu den 


1) Herr Profeffor Rebhann bezieht fih auf eine Unterredung, welche er mit 
Reſſel fünf Tage vor deifen Tode hatte. 
2) Brürer Zeitung 1886, Nr. 73. 


— 131 — 


ſtummen Beijigern, deren NRedegewandtheit erjt nach Verlaſſen des Rath— 
haujes zu glänzen pflegt. Die dürftig geführten Sigungsberichte ?) ver- 
zeichnen zwei jelbjtändige Anträge Nefjels, die wir hervorheben wollen. Am 
29. Jänner 1862 trat er für eine Erhöhung der Bejoldung des Lehrper- 
jonales des Gymnaſiums ein und beantragte, zu diefem Zmede einen Mehr: 
betrag von 910 fl. in den Gemeindevoranjchlag einzujegen. Der in An- 
betracht der jpärlich bemeijenen Bezüge der Piariften wohl berechtigte und 
vollfommen begründete Antrag fand zunächſt wohl feine Unterftügung im 
Kreife der Gemeindevertreter, hatte aber doch einen gewiſſen Erfolg aufzu: 
weijen. Denn auf Anregung des f. f. Kreisgerichtsrathes Anton Podubetzky 
wurde dem Piarijtencollegium für das Schuljahr 1862 ein Theuerungs- 
beitrag von 500 Gulden bewilligt. Der zweite in derjelben Sikung von 
Reſſel eingebrachte Antrag war ganz geeignet, die Stadtväter in einen ge- 
linden Schreden zu verjegen. Es war nämlich in Brür altes Herfommen, 
einen Theil der reichen Mittel der Stadt zur Entlaftung der Grundſteuer— 
pflichtigfeit der bejigenden Bürger zu verwenden. Diejes nur den mohl- 
habenden Claſſen zu Gute kommende Privilegium zum Falle zu bringen, 
war die wohlgemeinte Abjicht des gerechtigkeitsliebenden Gemeindevertreters. 
Welche Betroffenheit mochte das geradezu revolutionäre Anfinnen des jchlichten 
Piarijten unter den Nathsgewaltigen hervorgerufen haben, die ja zumeiſt 
der jüßen Steuerfreiheit fich erfreuten. Es ijt bedauerlich, daß wir von 
dem Redekampf über die heikle Frage nichts erfahren. Der Sigungsbericht 
bemerkt lediglih: „Ein Antrag des Herrn Stadtverordneten Profeſſor 
3- Reſſel auf Behebung der Ungleichheit, welche durd die Steuer: 
freiheit in der Bürgerjchaft herbeigeführt wird, fand feine Unter— 
ftügung." Wenn in fpäterer Zeit der alte Brauch oder bejjer Mißbrauch 
doc befeitigt worden ift, jo bleibt es Reſſels ungejchmälertes Verdienſt, das 
erjte Deal in offener Sigung das befreiende Wort freilid) wie der Rufer 
in der Wilfte muthig ausgefprochen zu haben. Nach Ablauf der dreijäh- 
rigen Wahlperiode jchied er im Fahre 1864 aus dem Stadtverordneten- 
collegium fir immer. Die regierende Partei mochte den „unpraftiichen 
Gelehrten” nicht mehr candidiren,; ev jelbjt jtrebte eine Wiederwahl nicht 
an, da ihn immer jchwerer die bittere Bejorgniß ob jeines zunehmenden 
Augenübels belajtete. 

Reſſels in früher Zeit ſchon auftretendes Augenleiden verjchlimmerte 
fic) mit den Jahren trog der aufmerfjamften Pflege. Gelegentlich jeiner 


1) Mein Freund Herr Stadtſecretär Pawlowsky hatte die Güte, diefelben durch— 
zuſehen. 


u — 


Miener Neije im Jahre 1851 hatte er befammte Fachärzte zu Rathe ge- 
zogen, und in Brüx jelbjt leitete das Heilverfahren mit unermüdlicher 
Sorgfalt Dr. Killiches. Die anftrengenden Nachtarbeiten des vajtlojen 
Gelehrten mußten eingejchränft werden, und der nicht minder aufreibende 
Schuldienjt wurde öfter zum großen Leidweſen der Jugend unterbrochen. 
Am 22. April 1869 ftürzte er in Folge feiner Schwachlichtigfeit über die 
Treppe und erlitt einen Beinbrud. Der Religionsprofefjor jand ihn auf 
ten Boden liegend. Auf deſſen Frage, was dein gejchehen jet, antwortete er 
mit echt ſtoiſcher Ruhe: „Ich babe mir nur ein Bein gebrochen." Wohl war 
er im Juli wieder joweit hergejtellt, um feinem Berufe nachgehen zu können. 
Nach zwei Jahren aber, al3 die Augen immer mehr den Dienft verjagten, 
im Jahre 1872, 309 er ſich im den Ruheſtand zurüd; das Schulprogramm 
vom Fahre 1872 hatte ex noch mit einem Auffag bereichert. Siebenund- 
dreißig Jahre hatte er ſich dem Unterrichte der Jugend mit jeltener Hinge- 
bung und ungewöhnlichem Erfolge gewidmet. Die wadere Gemeindever- 
tretung von Brüx beſchloß dem langjährigen Mitbürger, der im Dienjte 
der Menjchheit nahezu erblindet war, den innigjten Dank auszujprehen 
und dem „verehrten Lehrer, dem es wie wenigen gelungen jei, nicht nur 
auf die Geiſtes- fondern auch auf die Charafterbildung feiner Schüler in 
erfolgreichjtev Weife einzuwirken“, als äußeres Zeichen der Anerkennung 
einen Ehren-Ruhegehalt anzubieten. In diefer feiner zweiten VBaterjtadt 
entſchloß ſich Nefjel, feinen Lebensabend zu verbringen. In den jtillen, 
zulegt nur noch von einem zweiten Ordensbruder bewohnten Räumen des 
Piarijtencollegiums verlebte ev zurücdgezogen gleich einem Einfiedler die 
Jahre der Ruhe. Der Ruhe wohl nicht im vollen Sinne des Wortes. 
Denn unaufhaltfam pulfirte das vajtlofe Geiftesleben des Forſchers und 
Denfers weiter, und immer wieder vertiefte er fich, foweit das Augenlicht 
reichte, in das Studium der alten Claſſiker und die Lefung der vornehmiten 
Werfe der neueren Eulturvölfer, deren Sprachen er alle gründlich verjtand. 
Auch als er faſt völlig erblindet war, konnte er fich von der Gejellichaft 
jeiner geliebten Bücher nicht trennen. „So jonderbar," jchreibt die Brüxer 
Zeitung, „jo wenig glaubhaft es erjcheinen mag, der greife Gelehrte hat 
es jelbjt furz vor feinem Lebensende Freunden gegenüber immer behauptet, 
jein geiftiges Auge habe das körperliche Gebrechen überwunden, mitteljt 
jeines geiftigen Wahrnehmungsvermögens jei es ihm möglich gewejen, jelbjt 
zu ſtudiren und zu „lejen”, und manchmal waren Freunde des alten Ge— 
lehrten augefichts diefer tiefwurzelnden Ueberzeugung, geiftig erfaſſen zu 
können, was fürperliches Ungemach unmöglich gemacht, verjucht, an dieje 
Ueberzengung zu glauben." Acht Tage vor feinem Tode noch hatte Reifel 


Zu, VER — 


ein altgriechijches Werf vor fich liegen, aus welchem er geiftig zu jchöpfen 
meinte, und bis an fein Lebensende las er auf diefe Weije die „Brüxer 
Zeitung", deren langjähriger Abnehmer er gewejen. 


Die Weltgeſchichte. 


Reſſels gedrudtes Hauptwerk bleibt das „Dandbud der Uni- 
verjalgeihichte für gebildete Lehrer", Wien 1846—1853. Es 
erjchien in 8 Bänden, wovon nad) der landläufigen Eintheilung einer auf 
das Alterthum, zwei auf das Mittelalter und fünf auf die Neuzeit ent- 
fallen. Nach Reſſels Bezeichnung beginnt die Neuzeit Schon nach Abſchluß 
des Alterthums, umfaßt daher auch das Mittelalter; er gliedert fie in 
Neuzeit (Mittelalter) (2 Bd.), Neuere Zeit bis zur großen franzöſiſchen 
Revolution (2 Bd.) und Neueſte Zeit (3 Bd.). Für diefe Art der Einthei- 
lung der Weltgejchichte ſprach ſich unter andern auch der Philoſoph Her- 
man aus. Wie Refjel feine Aufgabe erfaßte, und nach welchen Gejichts- 
punkten er diefelbe zu löſen fuchte, darüber gibt er uns genügende Auf: 
Härung im Vorworte zu jeinem Werke: „Der Gefchichtichreiber hat einen 
jchweren Beruf, und nur Wenige, die ſich diefen Namen beilegten, haben 
ihn ganz erfüllt. Der Gejchichtichreiber jell dem Leſer als Führer dienen 
durch das weite Chaos des Gejchehenen, und durch das endloje Wirrjal 
der Begebenheiten ihm den jichern Weg zeigen zum vorgeftedten Ziele. Er 
muß weile Maß zu halten wijjen in der Auswahl der darzuftellenden Be: 
gebenheiten gemäß dem jejtgejegten Plan: wählt er zu wenig, jo bleibt die 
Darftellung unvolljtändig und interejjelos ; wählt er zu viel, jo leidet die 
leichte Ueberichau, und der Lejer geräth in Verwirrung. Er muß mit 
jchnellem und fcharfem Blide den Knoten erkennen, iu welchen die Fäden 
der Begebenheiten zufammenlaufen;; diefer ninımt den Mittelpunkt der Dar- 
ftellung ein und erhält die ganze Fülle der Beleuchtung, jo daß die unter- 
geordneten Glieder ſich ihm anfchliegen, und je nach der nähern und ent— 
fernten Beziehung zu demfelben Licht und Bedeutfamkfeit erhalten. Dod) 
während er den Lefer tief in das Innere der Erzählung einführt und ihm 
die Einzelheiten erklärt, muß fein Auge fortwährend das Ganze umfaſſen; 
leichten Fluges ſchwingt fich feine Phantafie über den ganzen Schauplaß 
der Begebenheiten, erkennt das Verwandte, jei es auch durch Raum umd 
Zeit getrennt, und bildet fo, indem er das Gleichartige verfnüpft und das 
Verſchiedene ausfcheidet, die wirre Mafie zu einem jchönen, wohlgeoröneten 
und innig verbundenen Ganzen. Doch ijt alle dieje Arbeit eitel Stückwerk, 
wenn er fich damit begnügt, die Begebenheiten bloß äußerlich an einander 
gereiht und geordnet zu haben; er hat einen todten Mechanismus gejchaffen 

Mittheilungen. 26. Jahrgang. 2. Heft. 10 


is. 


und feine Gefchichte. Sein Werk erhält erft dann Werth und Bedeutſamkeit, 
wenn er die Scele erkennt, die in den menschlichen Geſchicken waltet — 
wenn er den Weltgeijt erjchaut, der über den menjchlichen Ereignifjen 
ſchwebt, ie leitet und ihnen ihre Bahnen vorzeichnet — wenn er fortwährend 
die menschlichen Dinge zu dem Höchften in Beziehung jegt, den Gang nach— 
weijt, welchen die Vorjehung in der Erziehung des Menjchengejchlechtes 
einſchlug, und die Gejege, nach welchen jie dieſe Entwicdlung vor ſich gehen 
ließ; allüberall weije er die Leſer auf das Göttliche hin und auf die leuch— 
tenden Spuren, welche der wirkende Finger der Weltregierung in ven 
Marmor der Gejchichte drücdte. Und wie er das Auge unabläjjig nad 
oben gerichtet hat, jo muß ev zugleich fein Geſchlecht mit Liebe umfaſſen, 
vejjen Leben er bejchreibt; nur jo wird er den Perfonen, die er ung auf: 
führt, warme Theilnahme erwerben können, und die Darjtellung wird jene 
Lebendigkeit und Innigkeit erhalten, die uns an einer Erzählung jo anzieht, 
und die wir ungern vermijjen, wo immer Meenjchen von ausgezeichneter 
Perſönlichkeit uns entgegentreten.“ 

Die Geichichtfchreibung, erklärt Reſſel weiter, jolle eine nationale 
fein, da fie nur dann dem nationalen Lejer im Denken und Fühlen nahe 
fommt. In Frankreich, England, Deutjchland nehme man dieſen Stand- 
punft Schon ein; nur in Dejterreich jei man noch vielfach andrer Meinung. 
„Oeſterreich ift fein Staatenbunmd, wie mancher es gerne nennen möchte, 
jondern ein Staat im vollen Sinne diefes Wortes." Es jolle allmälig 
„ein wahrer öfterreichifcher Nationalſinn erwachlen, das feſteſte dev Bande, 
die Nationen zufammenzuhalten, und die ſtärkſte Grundlage aller politifchen 
Macht”. „Zu diejem edlen Zwede das Meinige beizutragen — die Volks— 
meinung über die wichtigjten ragen unferer jtaatlichen Exiſtenz aufzuklären, 
die Gemüther für die gute Sache zu gewinnen und die vielfach auseinander 
laufenden Kräfte nach dem einen Ziele hinzuweiſen — in meinen großen 
und jchönen Baterlande den Sinn für gefchichtliche Anfchauungen und Ge- 
nüfle zu beleben, echte Grundfäge zu verbreiten über die höheren Bezie- 
hungen des Menjchenlebens, und gegenüber den materiellen und frivolen 
Beitrebungen der Zeit, eine ſtarke geiftige Nahrung zu liefern, gleich au: 
ziehend für den Verſtand, als anvegend für das Gemüth und jtählend zu 
echter männlicher Willenskraft: das war der Plan, der mir vorjchwebte, 
als ich diejes Werk unternahm. Ob ich diejes Ziel erreicht habe, darüber 
zu entſcheiden it nicht meine Sache; nur bin ich mir Far bewußt, dag 
ich e8 ernjt und fejt in das Auge faßte, und ich glaube mich immerhin der 
Hoffnung hingeben zu dürfen, daß ich nicht weit von der rechten Bahn 
abgeirrt bin. Auch werde ich, jo lange ich Leben und Athen habe, diejent 


— 155 — 


Ziele nachjtreben.” — Zur Erläuterung diejes jeines echt altöjterreichiichen 
Standpunftes, den Reel im Fahre 1846 einnahm, über welchen wir nicht 
vornehm lächeln wollen, da uns cher eine gewiſſe Wehmuth bei Betrachtung 
desjelben bejchleicht, fügt er zum Sclujje des VBorwortes noch Folgendes 
bei: „Daß ich übrigens jenes Volk zum Mittelpunkt wählte, dem ich jelbft 
angehöre, und deſſen Sprache ich ſpreche, kann mir nicht zum Vorwurfe 
gemacht werden; der Kosmopolitismus jagt mir nicht zu. Sehr oft iſt 
unter diejer täufchenden Hülle Mangel an Gefühl und jchnöde Selbjtjucht 
verborgen: die Welt ıjt zu groß für den fleinen Raum eines einzigen 
Herzens; Jeder jei nur auf feiner Stelle das, was er jein ſoll, und er 
wird es auch für das Ganze jein. Doch bin ich mir bewußt, die Wahrheit 
nie abjichtlich verfälicht oder verhüllt zu Haben; was ich jage und urtheile, 
ijt meine tiefjte Ueberzeugung. Darum kann ich wohl getrojt diejes Er- 
zeugniß meiner Muße der Deffentlichkeit übergeben; ich habe genug gethau, 
wenn es nur einigermaßen den Zwed erreicht, den ich bei der Entwerfung 
desjelben ins Auge gefaßt habe.” 

Dem Borwurfe, den man ihm machen Fünne, daß er verhältuigmäßig 
zu wenig Stoff und zu viel Betrachtung bringe, begegnet der Verfaſſer 
in dvorhinein mit dem Bemerken, daß er nicht für Fachgelehrte, ſondern 
für den großen Kreis der Gebildeten jchreibe. Die Gejchichte jolle aus 
der einjamen Studierjtube und aus den Hörjälen der Hochſchule ins Leben 
übergehen. „Es iſt ein achtungswerthes Beginnen, aus den Scoße der 
Berge das edle Erz herauszuholen und zu Tage zu fürdern; allein nicht 
minder wichtig und jegensreih it e8 aus dem rohen Erze das koſtbare 
Gold zu jchmelzen, damit es im Leben brauchbar jei und Nugen ſchaffe.“ 

An feine Darjtellungsweife, an die äußere Form, legt Reſſel einen 
jtrengen Maßjtab; ein edler Geijt folle ſich in eine edle Hülle einkleiden. 
Gegen diejenigen, welche feine Sprache zu warm und bilderreich finden, 
richtet er die Worte: „ES iſt nicht Jedem gegeben, überall und jederzeit 
die falte Ruhe zu bewahren, die dem ernjten Denker ziemt; auch läßt ſich 
ja bei Weiten nicht Alles mit dem bloßen Berjtande auffallen. Wenn 
Jemand bei der Anfchauung eines gothiichen Domes nichts weiter zu thun 
weiß, als die Fenſter zu zählen und die Säulen zu mejjen, jo wollen wir 
ihm dies nicht verargen; nur möge er feinen Vorzug darin juchen und fich 
nicht vornehm erheben iiber das gläubige Gemüth, das in den gewaltigen 
Formen eine Seele ahnt und von dem Wehen derjelben ſich angehaucht fühlt." 

Die Borzüge, wie die Mängel feines Gejchichtswerfes deutet jomit 
der Verfaffer jelbjt in der Vorrede genugjam an. Seine Stärke beruht 
in der originellen jubjectiven Auffaſſung, in den kunſtvollen Aufbau und 

10" 


— 156 — 


in der jchönen, gefühlswarmen Darjtellungsweije. Ganz im Gegenjag zu 
jener objectiven diplomatischen Geschichtichreibung, die in Ranke ihren ftolzen 
Höhepunkt erreicht hat, ftellt Reſſel fortwährend die ethifchen Ideen dem 
vein Sachlichen entgegen und läßt, wie er felbjt jagt, „die Neflerion die 
Materie überwiegen." Hiedurch gelangt ev in eine gewiſſe Aehnlichfeit zu 
Schloffer, von dem er jedoch Feineswegs als abhängig betrachtet werden 
fan. Die fittlihe Strenge, die unverjöhnliche Feindichaft gegen alles 
Schlechte und Gemeine, der Freimuth in der Auffafjung aller menschlichen 
Fragen, die Liebe zum Volke Fennzeichnet beide Hijtorifer. Dagegen über: 
vagt nad) meiner Meinung der Prarift den protejtantischen Geſchichtſchreiber, 
dem er in der Beherrichung des Stoffes nachiteht, in der Unbefangen- 
heit der Auffaffung, der Milde des Urtheils und in der liebevollen Berjen- 
fung in das geheimnißvolle Walten der menjchlichen Natur. Bejonders 
gilt dies von der Auffaſſung und Darftellung religiöfer Fragen. Das 
Briejtergewand des Ordensbruders bildete für ihn fein Hinderniß in der 
Berurtheilung der vielfachen Berirrungen der römischen Curie und in den 
tadelnswerthen Auswüchjen der Kirche — hielt ihn aber auch nicht zurüd, 
jenen außerordentlihen Aufſchwung zu betonen, welcher durch die Refor— 
mation im wiſſenſchaftlichen und Künftleriichen Leben der Völker hervorge- 
rufen wurde. Die Blüthe dev deutjchen claffischen Literatur, die hohe Ent: 
wicklung der wiljenjchaftlichen Philojophie in Deutjchland ift 3. B. nad 
Reſſel in erfter Linie. lediglich duch die vorhergegangene Befreiung der 
Geiſter durch die Neformation ermöglicht worden. 

Einen Vergleich zwijchen den jo volksthümlich gewordenen Heidelberger 
Profeſſor und den jelbjt in Fachkreiſen jo wenig befannten deutſchböhmiſchen 
Hiftorifer zu ziehen, dürfte Vielen gewagt erjcheinen. Man nehme nur aber 
einmal die Schriften des Legteren zur Hand, und man wird finden, daß 
die Ebenbürtigfeit hier, wie jo oft, nicht an dem äußeren Erfolg zu er- 
meſſen ift. Daß Reſſel jo wenig zur Geltung gelangte, Tag in dem Um— 
jtande, daß er ein freifinniger Fatholifcher Priefter und überdies ein Defter- 
veicher war. Der Mönch, der es wagte, das PBapftthum zu Feitifiven, den 
Flammentod des Hus zu bewundern, den Protejtantismus mit jeinen ge- 
waltigen Folgen freimüthig zu erörtern, Kant, Schiller und Goethe zu 
feiern, konnte im eigenen Lager auf eine Unterjtügung nicht rechnen. In 
Deutjchland aber war es, wie noch heute manchmal, in den fünfziger 
„jahren aber insbejondere, üblidy zu fragen: Was kann aus Dejterreich 
Gutes fommen? Man erinnere ſich une, welch langer Zeit es bedurfte, 
ehe draußen im Reiche Grilfparzer nur halbwegs die verdiente Anerkennung 
gefunden! 





— 


— 137 — 


Wir wollen indeß ohne weiteren Vergleich mit Schloſſer noch einige 
Geſichtspunkte und Eigenthümlichkeiten der Reſſel'ſchen Geſchichtſchreibung 
hervorheben.) Daß er den Worten ſeiner Vorrede entſprechend mehr als es 
fonjt in allgemeinen Gejchichtswerfen zu gejchehen pflegt, den weltgejchichtlichen 
Beruf des alten Defterreichs, deſſen Namen jchon beveutungsvoll fei, her: 
vorhob, kann nur die Billigung jedes Unbefangenen finden. So gerecht 
er nun auch den einzelnen Nationalitäten zu werden jucht, und jo eingehend 
und liebevoll er namentlich die Entwiclungsgejchichte Böhmens und Ungarns, 
jo weit das allgemeine Verſtändniß es erheifcht, behandelt, Reſſel iſt mit 
jeder Faſer feines Herzens ein durch und durch deutjcher Mann, und fein 
ungemein tief empfundenes Nationalbewußtjein drängt ihn fortwährend All: 
deutjchland in den Mittelpunkt der geſchichtlichen Betrachtung zu rücken. 
Altdeutichland jagen wir. Denn in Dejterreich erblidt er den politischen 
Kern des alten Katjerreiches, die Schutzmauer gegen den barbarifchen Oſten, 
den jtarken Arm, der das jinfende Schiff noch über Waſſer hält. Und 
wie er tief erjchüttert am Sarge des legten Sprofjen aus den herrlichen 
Gejchlechte der Staufer Schmerzliche Klage erhebt, erfaßt ihn innerjte Be— 
Ihämung und herbe Entrüftung über den jchmählichen Untergang des 
altersjchwachen Reiches, dag wie ein Kartenhaus vor dem Windhauch eines 
Befehles des korſiſchen Eroberers zerjtiebt. Nur Hoffnung kann er Schöpfen 
aus dem Umjtande, daß zwei Jahre vorher jchon Kaifer Franz den djter- 
reichiſchen Einheitsjtaat wenigjtens dem Namen nad) jeftgeitellt hat. 

Die Ideen Reſſels über den Aufbau eines Iebenskräftigen Einheits- 
jtaates Defterreich zu verfolgen, bietet ja heute noch ein gewiſſes Intereſſe. 


1) In den wenigen Anmerkungen der Weltgeichichte Reffels ift eine gegen Schloffer 
gerichtet. (Neuere Zeit 2. TH.) Wir führen diejelbe al3 recht charakteriftiich 
an. Es handelt fih um die Beurtheilung des Aufjtandes der Bergichotten 
im Jahre 1746, welchen Freiheitskampf Neffel mit Theilnahme verfolgt. In 
der Anmerkung jagt er: „Schloffer nennt in feiner Gejchichte des 18. und 
19. Jahrh. dag Ganze eine „tolle Unternehmung“. Wir beugen uns recht gern 
der Gelehrſamkeit jenes verdienftvollen Geſchichtſchreibers; allein wir müſſen 
geftehen, daß wenn dies „Geichichte Schreiben beißt“, jedem Maune von Gefühl 
nichts Anderes übrig bliebe, als augenblidlic; die Feder niederzulegen. Wahrlich 
ed iſt mit unſeren gelehrten Herrn manchmal zum PVerzmweifeln. Da werden 
Berge von geihichtlihem Mlaterial augehäuft, nicht jelten von Lappalien, die 
eben nur für fie intereflant find; dagegen werden die edelſten Ericheinungen 
im Lebe der Bölfer, die fchönften Beiſpiele von VBaterlandsliebe, Trene und 
begeifterter Aufopferung für eine höhere Idee — dieje werden oberflächlich be- 
rührt, oder doc nicht jelten mit einer falten Derzlofigfeit behandelt, einer 
Philifterbaftigkeit, die Einem das Blut ind Geficht treiben kann.“ 


— 183 — 


Sein Gedanfengang bewegt ſich ungefähr wie folgt: Die Gegenfäge in 
der Nationalität, aber auch in dem verjchiedenen Bildungsgrade der ein: 
zelnen Völker ftellen fich als größtes Hemmniß einer „innigen Bereinigung 
der einzelnen Theile zu einem harmonischen Ganzen" dar. Ein pafjendes 
Mufter für die Ordnung der Dinge in Dejterreich gibi es in Europa nicht. 
Die Eentralifation nach der Art, wie fie Richelieu in Frankreich eingeführt, 
ijt nicht anwendbar. „Die Verfaſſung müßte eine völlig eigenthimliche, ſie 
müßte immer mehr föderativ al3 centralifirend jein; fie müßte den ein- 
zelnen Elementen volle Freiheit laſſen, jich in eigenthimlicher Weile zu 
entfalten und doch durch feite Bande fie zu einem Ganzen vereinigen. 
Gleiches Necht für Alle und gleiche Berückſichtigung der individuellen 
Wiünfche und Beftrebungen, infofern dieſe die Intereſſen des Ganzen nicht 
gefährdeten. Dadurdy wilrden diejenigen, die ſonſt nicht jelten einander 
feindlich gegenübergejtanden waren, zu Brüdern gemacht, wenn auch ver: 
jchiedenen Charakters, verjchtedener Sprache und Sitte doch von einem 
Geiſte bejeelt; Dejterreich wirde, falls ihm eine hinreichend freie Bewe— 
gung gelajjen wiirde, dann gleichjam eine großartige Pflanzſchule für die 
verjchiedenen Völkerſtämme, deren Bruchtheile das weite Reid) umjchließt, 
und es könnte nach allen Seiten belebenden und anregenden Einfluß äußern.” 

„Allein die Völkervereinigung,“ Fährt Reſſel fort, „die man Oeſter— 
reich nannte, bedurfte eines ſtarken Kernes, an den die iibrigen nationalen 
Gebilde ringsum ſich anjchliegen konnten. Diejer konnte nur Deutjchland 
jein. Denn fürs erjte gehörte ein großer Theil der djterreichischen Lande 
ſchon jeit alter Zeit zu Deutjchland, und dahin wurde er auch großentheils 
durch Volfsthümlichkeit gewiefen; ferner hatte Deutjchland mit Dejterreich 
einerlei politiiches Intereſſe, diejelben Gegner, diejelben Gefahren. Eine 
nähere und bleibende Verbindung war jomit ganz natürlih; aber auch 
höchit vortheilhaft für die Lande, die ſich jo an Deutfchland anfchloffen. 
Denn die höhere Eultur der Deutjchen ging dann, wie ein befruchtender 
Strom nad) Often und wirkte nährend und anregend auf die noch auf 
tieferer Stufe der Bildung jtehenden Völker; ein unermeßlicher Schag 
geiftigen Reichthums wurde hier aufgethan. Endlich war durch die alt- 
befannte deutjche Sprache ein Organ der Verbindung gejchaffen worden, 
das die Äußere Genojjenjchaft auch zu einer inneren alljeitigen machte; 
Mitteleuropa wurde dann eine wahre Vülfervereinigung, ftarf nach außen 
und dennoch mit hinveichender Freiheit der Bewegung im Innern, nicht 
allein gejichert gegen äußere Störung von Seite der öftlichen und weit 
lichen Mächte, jondern auch wohlbefähigt, immer mehr verwandte Elemente 
mit ſich zu vereinigen und ihren Bereich immer weiter auszudehnen." 


— 1393 — 


Wohlgemerft: unfer Hiftorifer fchrieb diefe Zeilen mit Rückſicht auf 
die Beit des legten Viertel des vorigen Jahrhunderts, als noch die Habs— 
burger im Befige der Kaiferfrone fi befanden. Der Kaiferthron, meint 
er weiter, müßte wieder werden, was er einjt gewejen, der wahre Mittel- 
punft der Nationaleinheit und Nationalmacht. „Auf diefe Weije wäre der 
Weltfriede in einer Weife begründet worden, wie e8 feine Gleichgewichts: 
politif je vermocht hätte; Schwerpunft Europas hätte Deutfchland mit 
Deiterreich Kraft genug gehabt, den Welttheil vor den Erjchütterungen zu 
bewahren, die den Weſten jowohl, wie den Dften bedrohten. Darum hätte 
der Menfchenfreund, auch wenn er nicht durch nationale Beweggründe 
geleitet wurde, mit Freuden den politischen Wiederaufbau eines großen, 
einjt jo hochberühmten Volkes begrüßen jollen.“ 

Man fieht, Reſſels Anüchten und Wünſche für ein ftarfes Dejterreich 
und ein mit demjelben verbündetes großes Deutjchland fallen mit dem ſo— 
genannten „großdentichen Programme“, welches jeiner Zeit in Süddeutſch— 
land jo viele Anhänger bejaß, ziemlich zufammen. Das mitteleuropäifche 
Staatenbündniß mit einem habsburgischen Kaijer an der Spite vollzog ſich 
nicht, jondern blieb, wie Reſſel jich ſelbſt ausdrüdt, „ein Gebilde ver Phan— 
tafie". Wir wollen nicht auf die Urfachen und Hinderniſſe eingehen, an 
deren Widerftand nach Nejjels Meinung die Verwirklichung feines politischen 
Traumes jcheiterte. Ihn berührt es beſonders jchmerzlich, daß auch Kaiſer 
Joſefs Schwache Verſuche, das Kaiſerthum zu kräftigen, miklangen. 

Wie gerecht Reſſel Licht und Schatten bei feiner gejchichtlichen Dar- 
ftellung zu vertheilen verjtand, zeigt ich beifpielsweije gerade in feinem 
Urtheile über Joſef, „den edeljten Sohn des 18. Jahrhunderts". „it 
der Werth eines Menſchen nad) feinem Streben zu beurtheilen und nicht 
nach der That, fo erjcheint Joſef in einer Reinheit, wie wenige Männer 
der Gejchichte; der Forfcher beugt jich voll Bewunderung vor demfelben, 
und in nie erlöfchenden Zügen leuchtet fein Name in den Annalen der 
Menjchheit." Mit folchen und noch jchwungvolleren Worten preift er den 
bon den „reinjten Grundjägen der Humanität geleiteten Herrſcher“, „in 
deſſen Bufen ein großes Herz jchlug, wie es jelten eine Fürftenbruft 
bewegte”, den wahrhaft deutjchen Mann im ganzen Sinne diejes Wortes. 
Dagegen weijt er mit aller Schärfe auf die von Joſef begangenen politi- 
chen Fehler hin, „die aber mehr der Zeit angehörten, der er gleichfalls 
den Tribut zahlen mußte". Zu jolchen Verivrungen rechnet er hauptiächlich 
jein Verhalten gegen Belgien und Ungarn, jowie das Bejtreben, Alles zu 
uniformiren. Sein Grundirrthum aber, dem das Mißlingen jo vieler feiner 
Pläne zuzufchreiben fei, lag in dem „Glauben, es hätten Andere diejelbe 


— 140 — 


Unbefangenheit des Urtheils, dasjelbe reine Streben nad) Wahrheit, diefelbe 
glühende uneigennügige Menjchenliebe, wie er". „Ein zweiter Hauptfehler 
war, daß er fi in feinen Maßregeln überjtürzte; von jeinem Eifer fort- 
gerijjen und im Bewußtjein, daß er die ‚größere Hälfte feines Lebens 
bereits hinter jich habe, glaubte ex eilen zu müſſen, um das Biel zu er: 
reichen, das er fich vorgejtedt; er bedachte nicht, daß im moralifchen 
Leben wie im phyſiſchen Alles feine bejtimmte Entwidlungszeit habe, und 
daß es ein umglücliches Beginnen fei, der Natur der Dinge, die nad) 
jejten Gejegen ſich entfaltet, Gewalt anthun zu wollen.“ 

Um Reſſels Stellung zu den firchlichen Fragen noch näher zu charaf- 
terifiren, wird es jich empfehlen, noch einen Augenblick bei jeiner Erörte- 
rung der diesbezüglichen Joſefiniſchen Neformen zu verweilen. Der Katjer 
war nad) ihm fein Feind der Religion oder der Kirche, jondern wahrhaft 
religiös gefiunt und frommen Gemüthes. Seine Freifinnigkeit bejtand nicht 
in jenem Indifferentismus Friedrichs von Preußen, der feiner Confejjton 
den Vorzug einväumte, weil er alle zugleich gering ſchätzte. Joſef achtete 
jeinen Glauben, aber auch den der Anderen. „Durch das Toleranzedict 
brady er das mächtigjte Bollwerk alter Tyrannei und ebnete den Boden 
für eine nee beſſere Zeit." Der Kaiſer aber, erörtert Reſſel, „wußte wohl, 
daß ihm in feinen Beftrebungen, Licht zu verbreiten und das Volf mündig 
zu machen, eine ftarfe wohlgerüftete Phalanx entgegentreten wilrde, Die, 
thatjächlich wenigjtens, nur zu oft. als furchtbare Feindin alles freien 
geiftigen Strebens jich bewährt hatte; wir willen, wie die Kirche nicht 
immer jich begnügt hatte, die ihr anvertraute Wahrheit zu vertheidigen und 
zu bewahren, wie jie vielmehr nicht felten weit über ihr Ziel hinaus: 
ſchießend alle jelbftändige geiftige Thätigkeit zu erſticken beftrebt geweſen war. 
Auch für die Zukunft ſchien kaum ein anderes Ergebniß zu erwarten; eher 
konnte, jo ſchien es wenigjtens, der Erdball aus jeinen Angeln fich heben, 
als die Kirche aus den Zuftänden, in denen jie ſich damals befand, ſich 
aus jich jelber beſſer geftalten.”...... Daher fonnte die Neugejtaltung 
und Verjüngung der Kirche nur auf zwei Wegen erreicht werden. Der 
eine war die Wiederherjtellung der alten Synodalverfajjung mit hinreichender 
Vertretung der unteren Clajjen des Elerus..... Allein es iſt einleuchtend, 
daß ein jolher Weg damals in den oberen Negionen des Staatslebens 
wenig Freunde finden fonnte..... Daher konnte nur der zweite Weg ein- 
geschlagen werden. Die Kirche wurde unter näherer Aufjicht des Staates 
gejtellt, damit fie nicht die Macht habe, den Zwecken desſelben gefährlich 
zu werden. Joſef verfolgte denjelben mit gewohnter Energie." — guter: 
eſſant ift e8 dann, den Hiftorifer, der jelbjt einem Ordensverbande ange- 


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hörte, über die Maßnahmen der Klojteraufhebung zu hören. Er lobt die 
großen VBerdienjte der Mönche im Altertum und im früheren Mittelalter 
um die Gejittung der Menjchheit. Aber „im achtzehnten Jahrhundert war 
das Klojterwejen in feinen alten Zuſtänden bereitS eine Anomalte 
geworden; die düjtere Lehre, daß man dur Entjagung der Freuden 
dieſes Lebens an ſich, d. h. ohne daß dieſe durch einen zu erreichenden 
Zweck insbejondere nothwendig gemacht wurde, und durch abjichtliche 
Herbeirufung der dunklen Seiten unferes irdijchen Dafeins ſich Gott wohl- 
gefällig macjen könne, — dies widerjtrebt zu jehr dem edleren Gefühle, 
jowie dem Begriffe der Gottheit ſelbſt als eines Liebenden Vaters, der ja 
Freude hat, wenn feine Kinder froh und glücklich find." Gedeihlicher wäre 
es allerdings gemwejen, meint Reſſel wiederholt, wein die Kirche jelbit zu 
inneren Reformen gejchritten wäre, was ja jeit dem Tridentinum nicht 
verjucht wurde. Er verjchweigt auch nicht, daß bei mancherlei Verfügungen 
Joſefs die rechtliche Form mangelte, die ja nicht gleichgiltig jei. 

Man wird zugejtehen, ein wahrer Mannesmuth und eine ungebrochene 
Kraft innerer Ueberzeugung mußte dem geiftlichen Gymnaſiallehrer von 
Brig innewohnen, der in den Fünfzigerjahren die Joſefiniſchen Reformen 
im ſolcher und ähnlicher Weife beſprach. Dazu aber fei ausdrücklich hervor: 
gehoben, daß es wohl feinen treueren Sohn der Kirche, feinen frommeren 
Ehriften geben konnte, als Neffel, der gerade deswegen durch äußere 
Rückſichten ich nicht zurüchalten ließ, die zeitlichen Gebrechen der altehr- 
würdigen Inſtitution aufzudeden. Wie ein vother Faden durchzieht jein 
ganzes Gejchichtswerf die dee von der Wiedergeburt des Menjchen- 
geichlechtes durch das Chriſtenthum, von deſſen belebender Kraft insbejondere 
die germanijchen Völker bewunderungswürdig erfüllt wurden. Nur dann 
fieht er Heil für die Zukunft des Menjchengejchlechtes, wenn die jchlichten 
Worte des Evangeliums — „zu denen eine viertaufendjährige Geſchichte 
den Commentar liefert" — bleibend auch in den höheren Kreifen der Gejell- 
Ihaft feſten Fuß fallen, und die Lehren Macchiovellis, die nur allzulange 
jhon gewaltet, verdrängt werden. Als Kants höchſtes Verdienſt jtellt er 
hin, daß er den Glauben an Gott und ein Fünftiges Leben philoſophiſch 
begründet hat. Die dogmatifchen Lehren feiner Religion taftet ev nie an; 
im Gegentheil diefe Seite religiöfer Neuerungen auch des Proteftantismus 
befämpft er auf das Entjchiedenjte und in vielen Fällen um jo glüclicher, 
weil er die anderswo liegenden Fehler der Hierarchie für die Seceſſionen 
verantwortlich macht, die alle urjprünglich ihre Veranlaffung aus Mißbräuchen 
genommen und jomit durch rechtzeitige äußere Neformen hätten verhütet 
werden können. 


— 142 — 


Reſſel hatte vom Berufe des Gejchichtsjchreibers eine außerordentlich 
hohe Meinung, und an verjchievdenen Stellen feines Werfes — abgejehen 
vom Vorworte — fommt er auf die Aufgaben desjelben zurüd. „Er ſoll,“ 
jagt er (Neuere Zeit 2. 475 flg.), „Jeiner Nation auf dem weiten Felde 
der Erjcheinungen, joweit fie der Vergangenheit angehören, als Führer 
dienen; er joll die inneren Gründe derjelben Kar vor Augen jtellen und 
die Gefete, nad) denen fie fich gejtalten; er foll die Grundfäge ableiten, 
welche den Völkern ſowohl, wie den Einzelnen auf der Bahn des politischen 
jowohl, wie des privaten Lebens als Leitſtern dienen ſollen.“ In feinen 
 Einleitungen und Rückblicken zu den verjchiedenen Perioden jucht er ins— 
bejondere den inneren Zujanımenhang der Gejchehnijfe darzulegen, die 
Gefegmäßigfeit der Entwicklung des Menfchengefchlehhtes zu erläutern und 
die Lehren zu ziehen, die Völfer und Einzelne aus der Erkenntniß der 
Bergangenheit gewinnen können. Ihm it die Weltgejchichte ein großer, in 
fich vollendeter Organismus. Nicht Zufall und Willkür bereichen, fondern 
nach ewigen Geſetzen gejtalten jich die Ereigniffe und bilden ſich fort, 
gegeben und aufrecht erhalten von jener Macht, die hoch über der Bewe— 
- gung jchwebt. Meberall gibt fi das Dafein der Weltregierung fund, 
und wehe dem Sterblichen, der ihres Daſeins vergißt und ihrer Macht zu 
trogen wagt. In dem wahrhaft erhebenden Schlußworte zum legten Bande 
jucht er in knapper Zufammenfaflung des gewaltigen ganzen Gejchicht3- 
ſtoffes dieſe Ideen noch einmal auszuführen und jtellt als Ergebniſſe jeines 
gejchichtlichen Denkens folgende allgemeine Grundjäge feit: 


I. Nach dem Willen der Weltregierung bejteht ein allmäliger Fort— 
Ichritt in der Geſchichte. Verfuche, demjelben entgegenzuarbeiten, haben nur 
dazu beigetragen, denfelben zu fürdern. 


1. Nicht alle Theile der geihidhtlihen Welt nehmen 
gleihmäßig an der Forteutwidlung Theil. Einzelne Indi— 
viduen, einzelne Nationen bilden die Mittelpunfte, von denen ftrahlen- 
artig Licht und Bewegung ausgeht. Die Bewegung jchreitet vom 
Diten nad) Nordweiten vorwärts. 


2. Das Fortjchreiten ift nicht ftetig, jondern geht nach gewiljen Perioden 
gleich der Pflanze, welche blüht und ftirbt, aber doch befruchtenden 
Samen hinterläßt. 


3 Was die Art und Weile des Fortichrittes anbelangt, jo jehen wir 


nicht zu allen Zeiten und überall alle Zweige de$- 
jelben vertreten; die Umſtände entjcheiden. Doch finden wir: 


PRRITETTT 
, 


— 13 — 


a) Zwiſchen den beiden Hauptrichtungen menjchlichen Strebens, der 
foeialen und geiftig fittlichen, befteht eine innige Berbindung, 
und Wechjelwirfung. 

b) Jeder Fortjchritt ijt nur dann von Erfolg, wenn ev allmälig 
und naturgemäß gejchieht. 

e) Nicht die äußeren Formen, unter denen das menschliche Streben 
zur Geftaltung fommt, entjcheiden, jondern nur der Geiſt, der die 
Form belebt. 


DO. Was die Kräfte anbelangt, durch welche Erfolge höherer Bedeut- 
jamfeit herbeigeführt werden, jo nehmen die geijtigen und moraliſchen 
die erfte Stelle ein; fie haben — weil belebt und frei — über die mate- 
riellen auf die Dauer immer den Sieg gewonnen. Insbeſondere jpielen 
edle Begeijterung auf der einen, Fanatismus auf der anderen Seite eine 
Hauptrolle. 


III. Die Beweggründe, welche ven Menſchen von jeher leiteten, waren: 

1. Heußeres Bedürfniß und Strebennad Genuß. 

2. Liebe und Haß. „Wohl hat der Haß dem äußeren Umfange nad) 
mehr gethan, doch das Höchjte und Edeljte im Menjchenleben voll- 
brachte die Liebe.” 

3. Seltener war der Beweggrund reine Meberzeugung von einer 
höheren Pflicht. 

IV. „Und doc kaun das Menschenleben nur dann gedeihen, mein 
diefe Pflicht allfeitig und überall erfannt und geübt wird, nicht allein in 
den unteren Rreifen, im Leben der Individuen, jondern auch in den höheren, 
im Berfehre zwijchen Volk und Boll”... .. Tugend und Recht jind die 
Genien des menschlichen Dafeins Sie müſſen auch im Verfehre der Völker 
und iiberhaupt in der Politik eine bleibende Stätte finden, wenn anders 
ein Heil der Menjchheit zu erwarten ijt. Reſſel hofft es, weil ev an den 
Fortſchritt glaubt. 

Wir wollen auf eine Beurtheilung der Reſſel'ſchen Weltanſchauung 
nicht eingehen und auch feine Vergleiche ziehen mit den Lehrmeinungen 
anderer Hijtorifer und Philofophen. Die Räthjel der Weltgefchichte hat der 
Brürer Gejchichtjchreiber gewiß für Viele nicht gelöft. Ebenjowenig aber 
haben dies feine Gegenfüßler, die Anhänger der mechanischen, naturalijtifchen 
Geſchichtsauffaſſung, gethan. Soviel aber fteht feſt, Viele würden noch 
immer eine hohe Befriedigung und einen edlen Genuß empfinden, die jich 
in Refjels Gefchichte vertiefen könnten. Weſſen Herz noc fähig it, warm 
für die Geſchicke des Menjchengefchlechtes zu fühlen, wen Tugend und Recht 





— 14 — 


noch fein leerer Schall geworden, wer ſich einen gläubigen, Gott ergebenen 
Sinn bewahrt hat, der wird in dem Gefchichtswerfe des Piariften Tugudige 
Erfenntniß und herzhafte Erbauung finden. ine befondere Befriedigung 
wird dem deutſchen Lefer die glühende Liebe des Verfajjers zu feinem 
Volke gewähren, dejjen hohe Eigenjchaften, deſſen Verdienjte um die allge: 
meine Cultur und dejjen weltgejchichtlihen Beruf "Nejjel im jo warmen 
Gefühlstönen zu ſchildern verfteht. Die ſchöne Darjtellungsweije hätte jollen 
insbejondere beitragen, Reſſels Gefchichte einen großen Lejerkreis zu fichern. 
Die edle Sprache des Gefchichtjchreibers, die nicht jelten zu poetiſchem 
Schwunge ji erhebt, erinnert an den hiftorischen Styl Schillers und 
gewinnt durch ihren einjchmeichelnden Rhythmus befonders beim Lautleſen 
einen eigenthümlichen Zauber. ') 

Im Sadlichen mögen gar manche Partie und zahlreiche Einzelheiten 
des Reſſel'ſchen Werkes ſchon bei feinem Erjcheinen den jtrengen Anforde 
rungen der Wiſſenſchaft nicht völlig entiprochen haben. Heute wird auch 
dem minder Kundigen vecht Vieles veraltet erjcheinen. Die rajtlofe Kritik 
und vertiefte Specialforjchung unferer Zeit überholen ja in der Feitjtellung 
des Thatfächlichen nicht blos weltgefchichtliche Werke noch während ihres 
Erjcheinens. Die allgemeinen Umriſſe, in welchen fi) das Bild der Welt- 
ereignijje abfpiegelt, verändern ſich trogdem nicht jo raſch, nur bequemt fich 
die philoſophiſche Gejchichtsauffaffung im Ganzen dem jeweiligen geijtigen 
Geſichtskreiſe der einzelnen Völker, Gefchlechter und der einzelnen Per— 
jonen au. Reſſels Gefchichtjchreibung ift eine jubjective, deutjchöfterreichifche ; 
jeine Weltanfchauung beruht auf den ihm eigenen philofophifchen Ideen, 
die er zu einem jelbftändigen Syſteme ausgebildet hat, auf das wir noch 
zurückkommen. 


Kleinere Abhandlungen. 


Von der geiſtigen Rührigkeit Reſſels geben unter Andern auch ſeine 
zahlreichen kleineren Abhandlungen geſchichtlichen, pädagogiſchen und philo— 
ſophiſchen Inhalts lautes Zeugniß. Es liegen uns aus der Zeit von 
1851 bis 1872 zunächſt nicht weniger als dreizehn Programme des Brüxer 

1) Wie weit Reſſel in der Beachtung ſprachlicher Feinheiten überhaupt gebt, mag 
ein Beiſpiel zeigen: Seite 203 Weltgefh. Mittelalter II. Theil fieht er ſich zu 
folgender jpradhliher Anmerkung veranlaßt: „Jeder Stylift wird chen oft die 

Erfahrung gemacht haben, wie unangenehm es fei, daß Indicativ und Con- 

junctiv in manchen Fällen nicht umterjchieden find. Sie unterfcheiden ſich aber 

wenigften® in der Ausſprache dadurch, daß der Conjunctiv geyehnter gejprodhen 
wird. Ich jchreibe daher (als Conjunctiv) „häben“.“ 





— 15 — 

Gymnafiums vor, welche Reſſels Feder mit wiſſenſchaftlichen Artikeln 
zierte, Diejelben gehören jedoch Feineswegs in die Weihe jener meijt 
erpreßten Arbeiten oder jener erjten wiſſenſchaftlichen Verſuche, denen wir 
jo Häufig in unjeren Meittelfehulprogranmen zu begegnen gewohnt find. 
Sie bilden vielmehr die reifen Früchte langjähriger Studien und ernfter 
Sedanfenarbeit, und hätten ein befleres Schidjal verdient, als in der be- 
fannten Programmengruft der Bibliotheken begraben zu werden. Wir 
wollen den Ideengang der einzelnen Aufjäge verfolgen. Vielleicht regt 
dies einen oder den anderen umjerer Leſer an, nad den verfunfenen 
Schätzen jelbjt zu greifen; wir können ihm nur Genuß und Belehrung 
in Ausjicht ftellen. Eine kritiſche Beleuchtung der Nejjel’jchen Arbeiten 
und die etwaige Gegenftellung der eigenen Ueberzeugung oder der Lehr: 
meinungen Anderer zu bringen liegt wicht in unſerer lediglich berichter- 
jtattenden Abjicht. 

1. „Die Bölferfamilie der Germanen in ihrer Ver 
gangenheit und Zukunft.” (1851). Die in der „Weltgefchichte" an 
verschiedenen Orten ausgejprochenen Anjchauungen iiber die drei Gruppen 
der germanischen Völkerfamilie — Scandinaven, Deutjche, Eugländer — 
werden in großen ‚Zügen in jchwungvolljter Sprache zujanmengefaßt. 
An gejchichtlicher Bedeutjamkfeit werden die Germanen von feinem Bolfe 
der Welt übertroffen; jie haben unter allen die boffmungsreichjte Zus 
kunft. Durch fie erfolgte die Verjüngung des alten Europa, und zwar 
bauptjächlich durch zwei charafterijtifche Eigenſchaften: die Liebe zur 
Freiheit und die innige Hingabe an das Chriften 
thbum. Die Gruppe Deutjchland führte die Vorherrſchaft unter den 
Bölfern des Welttheils anfangs durch das Kaiſerthum, dann durch die 
höchſte geiftige Entwicklung insbejondere auf dem Gebiete der abjtracten 
Wiſſenſchaften. Die zweite Gruppe England erjtieg im Weiche der tech: 
nischen Künjte, der Induſtrie und des Handels eine ungeahnte Höhe 
und beherrjcht die Dceane, Der germanijche Freiheitsjinn baute die erite 
und noch nicht übertroffene Verfafjung aus. Bon England aus führte 
der Wandertrieb die Germanen nad) Amerifa und Auftralien, dieſen 
MWelttheilen germanifches Gepräge aufvrüdend. — Im Ausblide auf die 
Zukunft rühmt der Verfalfer von den Scandinaven das lebendige Na— 
tionalgefühl, die jugendlich aufblühende Literatur, die im Kampfe mit 
der rauhen Natur gejtählte Kraft, und verweijt auf eine innige Freund- 
ichaft, welche die biutsverwandten Scandinaven und Deutjchen im beider 
jeitigen Intereſſe verbinden ſollte. — Deutjchlands Zukunft fieht Reſſel 
nicht ohne dunkle Punkte. Doch meint er, müſſe man vor Allem nad) 


= 1 


Einigfeit jtreben und die Einheit werde erfolgen. Deutjchland im 
Herzen des Welttheils habe den hohen Beruf, als verjühnendes „Medium“ 
zwijchen Norden und Süden, Weſten und Often zu vermitteln. „Möge 
es beharrlich fortjtreben und fchaffen auf dem Felde, auf dem es fo viele 
der jchönften Erfolge errungen, auf dem die Denfmale jeiner herrlichiten 
Siege jtehen, auf dem Felde der Wiſſenſchaft und Kunft; indem es alle 
Funken höheren geijtigen Lichtes, wo immer jie aufgebligt, mit empfäng- 
licher Seele in fich aufnimmt und in jich jammelt, möge es das gewonnene 
Licht zurücjtrahlen als belebende und erwärmende Leuchte über den Djten, 
wo es noch vielfach dunfelt und dämmert, wo noch jo mandje edle Kräfte 
ungewedt ſchlummern. Vielleicht gelingt es dann, den alten National: 
haß zu befhwicdhtigen und die Völker dauernd zu verfühnen, die zu 
einem engen Bunde mit ihm gewiefen jind; durch jeine geiftige Ueber: 
legenheit ihnen voranlenchtend und durch jeine materielle Kraft fie erfolg: 
reich ſchirmend, dürfte es dann im Stande fein, den vielgetheilten Mittel 
europa jene Bedeutſamkeit zu geben, die ihm gebührt, und es jenem Ziele 
zuzuführen, das ihm durch Stellung und Umfang der Kräfte geftect iſt.“ 
— Der dritte Kreis des germanischen Volksthums jei jedoch der hoffnungs- 
reichte. Das eigentliche England habe zwar feinen Höhepunkt ſchon über: 
Ichritten, aber jenfeitS des Deeans habe fich ein neues Germanien gebildet, 
die Südfee und das Auftralland ſei in deſſen Machtfreis einbezogen und 
eine neue großartige Periode der Weltgeſchichte bereite jich vor. Für die 
Folgezeit werden die Loje der Weltgefchichte in Amerika fallen. „Und 
dorthin schaue Volf der Germanen, dort ijt eine neue Zeit der Jugend 
für dich aufgegangen, dort iſt deine Zukunft.“ 

2. „Ueber den Charakter der wichtigſten Völfer der 
Neuzeit” (1853). Auch diefe völferpfgchologische Abhandlung ftellt ſich 
als ein Ergebniß der weltgefhichtlichen Studien Reſſels dar, der ja eben 
erit im Jahre 1853 fein großes Werk beendigte. Eingehend werden nur 
die Spanier, Italiener, Franzoſen, Engländer und die Deutſchen behandelt. 
In wenig Zeilen wird auf die flavifche Welt und die afiatischen Völker 
hingewiejen. Die Charvaftereigenthümlichfeiten der erjtgenannten Nationen 
aber werden uns in der anjchaulichiten Weite geichildert. Diefelben werden 
erklärt durch die Abftammung, Mifchung des Blutes, geographijche Lage 
des Landes und insbeſondere durch die gejchichtlichen Schiefale der Ein— 
zelnen. Die Liebe zum eigenen Volke hindert den Verfaſſer nicht, tie 
Borzüge der andern hervorzuheben und die Schattenjeiten des eigenen zu 
betonen, Kühner Unternehmungsgeit, Freude an Gefahren und Aben— 
tenern, rege Wanderhuft, Streben nach individueller Freiheit und Unge: 


TEE 2 


bundenheit, Fleiß und Ausdauer find die hevvorjtechenden Charakterzüge 
der Deutjchen. Die oft gepriefene deutſche Semüthlichfeit, jo wohl- 
thuend ſie im Verfehre des gemühnlichen Lebens wirkt, will Reſſel nicht 
unter die gejchichtlichen Charaftereigenthümlichkeiten jeines Volkes gerechnet 
wiſſen. Höchitens nur injofern, als die Deutjchen ſich wie fein anderes 
Bolf der Welt jo leicht Anderen anfchmiegen, ihrer Nationalität ſich ent- 
äußern umd eine fremde annehmen — jo daß große deutjche Völferichaften 
fajt }purlos untergegangen find. Denjenigen aber, welche den Mangel der 
Deutjchen an practifcher Tüchtigkeit jo ſtrenge tadeln, ruft der Verfaſſer 
zu: „Non omnia possumus omnes.“ „Syeder kann nur das ausbilden 
und zur Vollkommenheit ausbilden, was er zu üben in feinem bejonderen 
Kreiſe Gelegenheit hat." | 
3. „Meber den Einfluß der geographiidhen Berhält- 
nijje auf die Entwidlung der Völker (1860). Der Verfafjer gibt 
zu, daß die gejchichtliche Entwicklung der Völker von der geographiichen 
Lage, Bodenbejchaffenheit und dem Klima des von ihnen bewohnten Landes 
ftarf beeinflußt wird. Wer weiß nicht, daß die charafteriftiichen Unterjchiede 
in Temperament, Sitte u. j. w. der Nord: und Sitdländer, der Bewohner der 
Gebirge und der der Ebenen, der Binnenvölfer und der jeefahrenden Nationen 
zunächjt auf ängere Umjtände zurücdzuführen find? Die horizontale und 
vertifale Gliederung der Welttheile und Länder, die oro- und hydrogra- 
phijche Entwiclung bedingen den Gang der geichichtlichen Ereignifje in hohem 
Grade. Man denke ſich beijpielsweife das Mittelmeer in eine Wüſte ver- 
wandelt, welch’ wejentlich andere Richtung hätte die Entwicklung nicht blog 
der Mittelmeervölfer, jondern ganz Europas, der Welt eingejchlagen ? 
Wenn nunn auch der Berfajjer zugibt und es jelbjt an vielen Beifpielen 
nachweilt, daß dev Menjch in jeiner Entwidlung an die ihn umgebenden 
Berhältnifje gebunden iſt, jo bejtreitet ev doch auf das lebhaftejte die öfter 
aufgejtellte Behauptung, daß der legte Grund aller Ereigniſſe in jenen 
äußeren Umftänden zu juchen fei, daß Alles gefchehen mußte, was erfolgte. 
Damit würde ja die menschliche Freiheit im Principe aufgehoben werden. 
Im Gegentheil, die Stärke eines Staates oder Volkes beruht vorzugsweiſe 
in feinen geijtigen und fittlichen Kräften. Dieſen Grundjag fr 
die Entwiclungsgejchichte der Menjchheit jucht nun Reſſel in eingehender 
Weiſe zu erörtern und zu beweiſen. Maßgebend in erſter Linie wird der 
Stammesharafter ins Auge gefaßt werden müfjen. Derjelbe iſt ein 
Ergebniß der phyſiſchen Eigenthümlichkeit, die an jeder Claſſe von Natur: 
wejen wahrgenommen wird. Vergleicht man Chinefen und Indier, Aegypter 
und Babylonier, Griechen und Nömer, Germanen und Slave, Engländer 


ung enerT 
— 1485 - 


und Franzofen, Nord: und Südamerifaner, jo wird gar viel hervortreten, 
was ji) nur aus den nationalen Eigenthümlichfeiten erklären 
läßt. Weiters fommt in Betracht die Erziehung der Völker. Diejelbe 
erfolgt durch diejenigen, welche geiftig und fittlich über die Majje empor: 
ragen. Einzelne ausgezeichnete Perfünlichkeiten wirken bejtimmend auf die 
Geſchicke ihres Volkes. In China, Indien, Aegypten, in Mejopotamien 
lagen die äußeren Verhältniffe gewiß nicht ungünftig. Doc dem Wolfe 
der Chineſen drücte der Geiſt Kingfues jeinen Stempel auf und verurs 
theilte die Gejelljchaft zum ftarren Formenmechanismus ohne jegliche jittliche 
Ideen, ohne Bewegung. Die Aegypter und Inder lagen im Banne des 
berrjchenden Kaftenwejens, die Babylonier und Affyrier unter dem Drude 
des Sübelregimentes. Dieje Völker blieben geiftig unmündig und brachten 
es nur zu einfeitigen Entwidlungsftufen. Welch großer Gegenjag befteht in 
der Geftaltung der gejchichtlichen Verhältniife ver Juden und Phönikier, 
die in ziemlich gleichen äußeren Verhältniſſen lebten ? Die jüdische Gefchichte und 
der jüdische Bolfscharafter erhielt fein jcharfes Gepräge durch den Geſetzgeber 
Mofes. Der alten Griechen hohe kulturhiſtoriſch Entwicklung beruht nicht 
allein in ihrem günjtig gelegenen Lande, jondern weit mehr in dem ihren 
Charakter eigenthümlichen Streben nad Selbjtändigfeit im Individuum, 
in der Gemeinde, im Stamme im der Allfeitigfeit ihrer Veranlagung und 
in der großen Anzahl ausgezeichneter Männer, die aus ihrer Mitte hervor- 
gingen. Im Gegenjage zu den Griechen beherriht die Römer ein 
ftrenger Zug der Negelmäßigfeit, der höchjten praktischen Ausnügung aller 
phyſiſchen und geijtigen Kräfte, ein dunkler Geiſt der Gewalt mit einem 
einheitlichen Ziele. Wie die Germanen ihre weltgefchichtliche Bedeutung 
hauptfächlic dem ihnen innewohnenden hohen Grade fittlicher Kraft und 
den heftigen Drange nach individueller Freiheit verdanken, führt Reſſel 
wie an anderen Orten auch hier wieder aus. Er bemerkt zu den Slaven 
übergehend: „Daß die hohe Wirkfamfeit des germarischen Volkes der 
Hauptjache nach nicht in den äußeren Berhältniffen, jondern in den geifti- 
gen und jittlichen Zuftänden derjelben ihren Grund hatte, erjehen wir, 
wenn wir dasſelbe mit der urverwandten, ihm in jeder Hinficht am nächjten 
jtehenden Völferfamilie der Slaven vergleichen. Ihnen jchien das Gejchid 
die Nolle, welche die Germanen im Weften jpielten, im Oſten zugetheilt 
zu haben. Allein jenes fühnen Unternehmungsgeiftes der die Germanen 
befeelte, bar, bedurften fie jtetS des äußeren Anjtoßes und waren nur fo 
lange thätig, wie derjelbe währte, fie drangen nur felten bis an die Küſten 
und Mündungen der Ströme vor und wu dies auch geichah, ließen fie 
ſich jpäter diefelben, die Mittel des Weltverfehrs, wieder entreifen. Sie 


a U — 


entwidelten nie in ſich jelbjt einen höheren Grad jelbitändigen Lebens, 
weder in politiicher und focialer Hinficht, noch in Wiſſenſchaft, Kunſt und 
Gewerbe; nur dort, wo jie in den Geift der germanifchen oder romanischen 
Völker eingingen und der Strömung desjelben folgten, finden wir gelungene 
Berjuche einer höheren Entfaltung.” Nach weiterer Erörterung jeiner An- 
Ihauung an den Beifpielen dev Engländer, Franzojen, Spanier, dev Romanen 
und Germanen in Amerika jchließt dev Verfaſſer: „Somit find es nicht äußere 
materielle Mittel — günjtige geographiiche Lage, Größe und Reichthum 
des Landes, Fülle von materiellen PBroducten — welche die wahre Stärke 
eines Staates bilden, jondern vorzugsweiſe jeine geiftigen und jittlichen 
Kräfte; es wird alſo darauf anfommen, diefe zu weden, zu beleben und 
in entjprechender Weije für das Geſammtwohl zu benügen. Ein Volk das 
an diejen Kräften veich ift, wird als ſtark und mächtig fich bewähren, 
wenn es auch nicht viele Meillionen zählt; e8 wird jich behaupten und 
fejtitehen, jollte auch eine halbe Welt gegen dasjelbe im Kampfe jtehen.“ 

4. „Die deutſche Spradhe als Ausfluß des deutjchen 
Volkslebens“ (1861). Nach einleitenden Bemerkungen über die menſch— 
lihe Sprache im Allgemeinen weist Reſſel nach, wie jede Sprache aus dem 
innerjten ureignen Leben der einzelnen Nationen ſich herausgebildet und 
vervollkommnet hat. Da die Sprache nicht jchlechthin eine außere Form, 
jondern die Verfürperung des Begriffes und Gedanfens ift, jo kann jie 
ein Kunſtwerk im ausgezeichneten Sinne dieſes Wortes genannt werden. 
Jedes Kunjtwerk aber muß dem Meiſter — in unjerem Falle dem Bolfe 
— in feinen wefentlihen Charafterzügen eutjprechen. Demgemäß trägt 
die deutſche Sprache vor Allem jenes Merkmal an fich, das wir als 
eines der edeljten und fojtbarften unjeres Bolfes anerkennen müſſen: 
volle Selbjtändigfeit und Urſprünglichkeit. Trotz aller Nei— 
gung, fremde Eigenthiümlichfeiten in ſich aufzunehmen, bewahrte die deutjche 
Sprache ihren nationalen Grundcharakter. Das Fremdartige zog fie oftmals 
als nährenden Bejtandtheil an ſich und wußte es organisch auszubilden. 
Eindringlinge anderer Art fünnen mit leichter Mühe wieder ausgejchieden 
werden. Die Urjprünglichkeit der deutjchen Sprache zeigt jich in ihrem 
Zonfall befonders. „Die Perjönlichkeit des Sprechenden tritt Hauptjächlich 
im Zone auf, den er auf die einzelnen Sprachlaute legt; derjelbe ift das 
jnbjective Element in der Sprache gegenüber dem objectiven, diejen Lauten 
jelbft." Je ftärfer die Subjectivität, je energifcher die Willenskraft, eine 
dejto einflußreichere Rolle wird der Zon fpielen. Die in den vomanijchen 
Sprachen hervortretende Bedeutjamfeit des Tones erkläre ſich aus der 
Trübung des Sprachgefühls infolge der nationalen Mifchung — in der 


Deittheilungen. 26. Jahrgang, 2. Heft. 11 


-- 109 — 


deutjchen Sprache aber aus dem Bejtreben, die volle Kraft einer energijchen 
Perjönlichkeit zur Geltung zu bringen. Fe mehr ſich nun die Spracde 
den Willen des Sprechenden fügte, deſto inniger verband ſie jich mit 
feinen Gedanfen. Doch entftand auch ein Nachtheil: die Silbe, welche den 
Zon trug, nahm die volle Kraft des Sprechenden für ſich in Anſpruch, 
andere Silben verdunfelten jich, jchwächten ſich ab, oder wurden tonloje 
Schattengejtalten. Das volllautende Spradhgebilde des Althochdeutjchen 
ſchrumpfte ein — im Englischen zu einem faum mehr erkennbaren Skelett, 
während im Deutjchen, wo fich die gejchriebene Sprache von der gejpro: 
thenen nicht Lüfte, dem fortjchreitenden Verderben Einhalt geboten wurde. 
Wenn nun das Deutiche auch einen Theil feiner üppigen Körperlichkeit ein: 
büßte, jo gewann es jchon im Mittelhochdeutichen, noch mehr aber im Neu: 
hochdeutſchen an Ebenmaß der Tonverhältnifje — den Rhyth— 
mus, in welchem fie eine Entwiclung erlangte, wie kaum eine der befannten 
Sprachen. Bon einer guten Profa zur einfachen gebundenen Rede tft im 
Deutjchen daher nur ein Eleiner Schritt. 

Doh kann die Schönheit der Tonbildung einer Spradhe nicht von 
hauptjächlicher Bedeutung fein; es kommt immer darauf an, wie fie ſich als 
Berförperung des Gedankens vervollkommnet: Durch die Abjchler: 
fung der volltönenden Endfilben erlangte fie Gefhmeidigfeit und Ge: 
wandtheit, jene Tugend der Sprache, welche fie befähigt, den fortichrei: 
tenden Bedürfnijjen des fich verſeinernden Volfsgeiftes anzufchmiegen. Diejes 
Anpafjungsvermögen entjpricht eben wieder einem hervorſtechenden Charak— 
terzuge der deutjchen Nation ſelbſt. Durch dasjelbe aber gewann die 
Sprache eine feltene Bildſamkeit, Durhjichtigfeit innere Klar— 
heit und Sinnfülle, deren Bedeutſamkeit erjt dann im vollen Maße 
hervortritt, wenn man die romanischen Mijchlingsidviome zum Bergleiche 
heranzieht. Dieje Lebenskraft treibt fort und fort neue Sprojjen und 
Zweige; „wenn ja ein Volk der Entlehnung fremden jprachlichen Stoffes 
nicht bedarf, fo ift es das deutjche — eine Wahrheit, die gerade diejenigen, 
denen die Sorge für den geiftigen Schaß unferer Nation vor Allem obliegt, 
die Männer der Wifjenjchaft, von jeher am wenigjten beobachtet haben.“ 

Die Mannigfaltigfeit der Bildungen zeigt ſich in allerhand 
Neubildungen, befonders aber in der Ausbildung und Ausnügung des 
zahlreichen Gejchlechtes der Fremdwörter und in der Fähigkeit, durch 
Zujammenfegung neue Bezeichnungen zu jchaffen. In diefer Bezie- 
hung ftcht das Deutjche in der Mitte zwijchen den romanischen und jla- 
viichen Sprachen. Sie wird hiedurch die Sprade der Denfer; da jie 
aber troß ihrer rhythmiſchen Entwicklung doc eine jelbjtbeftinmte Quan— 


— 151 — 


tität befigt, vief jie auch eine ausgezeichnete Verskunſt ins Daſein. Sie 
wurde ferner in den Stand gejegt, die charafterijtiichen Eigenthümlichfeiten 
fremder Idiome in einer Weiſe nachzubilden, wie kaum eine andere Sprache, 
und bequemte jie jo wiederum der Allſeitigkeit des deutjchen Bolksgeijtes an. 
Der Reihthum der Sprache aber findet jeinen Grund in der Urjprüng: 
lichfeit derjelben, da jie ja eme Stammjprade it, und in dem den 
deutjchen Volke jo eigenthümlichen Streben nad) individueller Frei: 
heit. In der einheitlichen Schriftiprache wurde die Einheit der Mannig- 
faltigfeit der Stammesſprachen bewahrt. (Auf die Dialecte geht Reſſel 
nicht ein.) 

Bei aller Freiheit und Beweglichkeit waltet doch das Geſetz, um 
macht jich eine jtrenge Gejhlojjenheit bemerkbar. Gerade im Sap- 
bau der deutſchen Sprache zeigt ſich eine harmonische Vermittlung zwiſchen 
Geſetz und Freiheit. Reſſels intereſſante Bemerkungen über dieje Frage, 
ſowie über die „Wortſtellung“ bekunden ſein außerordentlich feines 
Sprachgefühl. Das Einzelne würde uns zu weit führen. Eine ſachge— 
mäßere Wortfolge und Gruppirung der Saptheile als im Deutſchen könne 
es kaum geben. Der jo ausgejprochene Gedanke bringt eine ganz andere 
Wirkung hervor, „als wenn derjelbe wie z. DB. im Franzöſiſchen gleichjam 
theelöffelweife mitgeteilt wird". Zwiſchen der jtarren Gebundenheit der 
franzöſiſchen und der unbedingten Freiheit der lateinischen Wortfolge jteht 
die deutsche in der Mitte mit freier Beweglichkeit und doch geregeiter Ge- 
jegmäßigfeit. Der Verfaſſer jchliegt: „Je volltommener wir jelbjt werden, 
dejto mehr wird es auch unfere Sprache jein, der Ausflug und der Ab: 
druck unſeres geijtigen Lebens.“ 

5. „Ueber die Bedeutjamfeit der gejhichtlihen Sage" 
(1863). Wiewohl es dem Verfaſſer als Gejchichtsichreiber nur um die 
Wahrheit zu thun ift oder vielmehr deswegen, weil ein Korn Wahrheit 
mehr werth ift, als der ganze bunte Flitter der Phantafiegebilde, wender 
er jih mit aller Schärfe gegen diejenigen, welche die Sagenfchöpfungen 
ihonungslos zerpflücden und auch den gejchichtlichen Kern nach Ablöfung der 
Schale nicht gelten laſſen wollen. Nicht gegen diejenigen Heißſporne, die 
ihre wifjenjchaftliche Laufbahn damit beginnen, daß jie Alles, was nicht 
gleich mit ihren Anfichten übereinjtimmt, über den Haufen werfen, will ex 
anfämpfen, jondern er richtet jeine Worte an die Männer ernjteren 
Strebens, an „die Großmächte der Wiljenjchaft". Der menſchliche Zer- 
jtörungstrieb und die Eitelfeit jpielen auch bei namhaften Forichern 
einen verderblihen Einfluß. Wenn Jemand über die Urzeit der Völker 
nur Vermuthungen bringt, wie es ja zumeijt der Fall üt, jo verfährt ev 

i1* 


nicht anders als der Sagenfreis ſelbſt. Die Voltsdichtung diefer Art war 
eben die erjte Weiſe der Geichichtsichreibung. Am Nibelungenliede, ver 
‚sliade und dem römischen Sagenfreis weit dann Reſſel eingehend nach, 
welch’ thatjächlichen Gewinn der Hiftorifer aus den Sagendichtungen, ziehen 
fan, und wie weit oftmals das Uebermaß einer einjeitigen Kritik über 
das Ziel hinausichießt. Die Sage darf nicht von vornherein als Ge— 
ſchichtsquelle ausgejchloffen und gegen fie Feine ftrengere Kritif geübt 
werden, al3 man gegen eine gewöhnliche Chronif anwendet. Der Unter: 
ſchied beider liegt eben in der Verſchiedenheit, * zwiſchen der mündlichen 
und ſchriftlichen Rede beſteht. 

6. ‚Ueberſetzungen, deren Be a und Aufgabe” 
1865). Die Sprache eines Volkes iſt das treue Abbild feines ganzen 
geiftigen Weſens, ſie iſt das große Vorrathshaus, in welchem alle Be: 
griffe, welche die geiſtige Thätigkeit eimer Nation hervorgebracht, aufbe- 
wahrt find. Dringen wir in den Kreis einer fremdnationalen Sprache 
ein, jo fühlen wir uns wie in einem fremden Lande; nicht blos fremde 
Klänge und völlig andere Formen, jondern ein durchaus anderer Geijt 
tritt ums entgegen. Diefe Gedanken werden von Reſſel unter Heranziehung 
jener Sprachen ausgeführ‘, die er jelbjt kennt: die beiden claffiichen, die 
italienifche, Spanische, Franzöjiiche und engliſche. Eine oder zwei moderne 
Culturſprachen, meint er, jollte jeder Gebildete erlernen. Ueberfegungen 
werden niemals die Leſung in der Urſprache erſetzen, ebenjo 
wenig wie die Copie das Originalbild. Doch können jie einen gewiſſen 
Werth erlangen, wenn der Ueberjeger jeine Aufgabe verjtcht. Derfelbe 
hat uns nicht blos die Gedanken des Verfaſſers mitzutheilen, fondern er 
voll auch alle nationalen und individuellen Eigenthünlichkeiten wiedergeben, 
die das Werf auszeichnen. Er muß daher auch die anderen Schriften des 
Verfaſſers kennen, dejjen ganze Perſönlichkeit erfaffen, jowie mit der ’zeit- 
genöſſiſchen Literatur und der gejchichtlichen Entwicklung der gefammten 
Nation des DVerfajjers vertraut fein; dabei wird vorausgefegt, daß die 
Sprache des Ueberjegers einen Grad der Eultur befigt, welcher jener der 
jremden mindejtens gleich ift, und daß die fremde Sprache nicht einen allzu 
verjchiedenen Bau und Entwidlung aufweift. Erſchwert wird die gute 
Ueberjegung oder Nachbildung aud) durch die geiftige Individualität des 
Ueberfegers jelbjt, der ja auch, wenn er ſich über die Flächenhöhe der 
Alltagswelt erhebt, einen ausgeprägten Charakter bejigt, der bekanntlich 
ih in Auffafjungs- und Redeweiſe Kar ausſpricht. Wenn nun auch 
Ueberjegungen nur höchſt unvollfommen ihrem Zwecke entfprechen können, 
jo bleiben jie doch unentbehrlich. In der Frage, ob wörtliche oder 


— 1593 — 


freie Ueberjegungen vorzuziehen jeien, eitjcheidet jich der Verfaſſer 
für die erjteren, wobei natürlic) der eigenen Sprache feinerlei Zwang an- 
gethan werden darf. Mit der Gepflogenheit, bei Ueberjegungen poetijcher 
Darftellung auch das Versmaß der Urjchrift machzubilden, erklärt ſich 
Reſſel nur in Ausnahmsfällen einverjtanden. Die Schwierigkeiten werden 
nur gehäuft, namentlich wenn man auc den Neim beachten will. Es gibt 
ja auch eine rhythmiſche Proſa, welche, weije geübt, au Wirkſamkeit 
dem metrifchen Rhythmus nahe fommen kann, die noch überdies den Vor: 
zug hat, nad) Bedürfniß wechjeln zu können. — Die fogenaunten freien 
Ueberjegungen jind thatjächlich Bearbeitungen, ſtehen alſo zwijchen 
eigentlichen Weberjegungen und jelbjtändigen Arbeiten in der Mitte und 
haben deren Mängel ohne deren Vorzüge. Zum Schluße führt der 
Verfaſſer noch den Sag durch, daß die Heberjegung aus einer minder 
gebildeten in eine höher gebildete Sprache in Beziehung auf Gedanken 
und Ausdrucd höher jtehen kann als das Original. 

7. „Iſt es wahr, dag dienenere Bildungaufder Grund 
lage der antifen erwachſen tjt?" (1867). Die an der Spige ſte— 
hende Frage vermag der Verfaffer nicht mit ja zu beantworten, jo vielen Ge— 
lehrten auch die zuftimmende Antwort als feſtſtehender Grundjag gelten mag. 
Wenn die neueren Völker auc) verſchiedene Bildungselemente dem claffiichen 
Alterthume entlehnt haben, jo hat fic doch der neuere Culturjtaat auf 
wejentlich anderen Grundlagen aufgebaut. Diefe werden insbejondere mit 
Rückſicht auf die germaniſche Völferfamilie erörtert. Abgejehen von den 
grundjäglic verichiedenen Charaftereigenthümlichfeiten derjelben gegenüber 
den antiken Nationen jegen in die Bildungsbahnen Kräfte ein — wie das 
Chriſtenthum, die Abjchaffung der Sclaverei, die Erhebung der Frauen zu 
voller gejellfchaftlicher Berechtigung — die allein in Stande waren, den 
Leben eim neues Gepräge aufzudrüden, die Entwidlung in völlig neue 
Geleiſe zu lenken. „Nehmen wir noch hiezu den Umstand, daß gerade 
jene Zweige der Nationalökonomie, die in der Gegenwart eine jo große 
Rolle jpielen, Induſtrie und Handel, als eines freien Mannes minder 
würdig, im Alterthume nicht zu höherer Entwidlung gelangen konnten; be- 
trachten wir die ungeheure Bedeutjamfeit der Buchdruderfunft, die ein Zu: 
ſammenwirken der Geifter zu den höheren Eulturzweden möglich machte, 
wie dies im Alterthume nicht entfernt möglich war; fajjen wir das nähere 
Zuſammenrücken der Völker zu einer großen freien Genoſſenſchaft ins Auge, 
— mit welcher das mit Gewalt zufammengebrachte und zufammengehaltene 
große Nömerreich durchaus nicht verglichen werden kounte — und die Ein- 
flüſſe dieſer Ordnung der Dinge auf die Wedung und Belebung aller 


— 14 — 


Zweige der menschlichen Thätigkeit: jo ergibt fich daraus, daß die Bil- 
dung Neueuropas anderen Charakters fein und in anderen Bahnen ich 
bewegen mußte, als jene der alten Welt. Mochte immer der Aufſchwung, 
den die clafjiichen Studien im Beginne der neueren Zeit nahmen, auf den 
Gang der geijtigen Entwidlung Einfluß üben — derjelbe konuie nur vor 
übergehend fein, berührte nur die Oberfläche, ging nur ‚wenig über die 
Kreife der Schule hinaus, konnte bei feiner Abgeſchloſſenheit und feinen 
beſchränkten Mitteln die gewaltige geijtige Bewegung, die in den Völkern 
der Neuzeit vorgiug, weder in ihre Bahnen Ienfen, noch ihr fein Gepräge 
aufdrüden; es ift daher Fein genügender Grund zur Annahme vorhanden, 
daß die Bildung des neueren Europa auf den Grundlagen der antiken 
Eultur erwachjen jei und derjelben ausſchließlich oder doch vorwiegend ihr 
Dajein verdanfe." 

8. Weltgeſchichtliche Ideen. (1868) Die in diefem Aufjage 
niedergelegten Gedanken finden ſich großentheils fchon in Reſſels weltge- 
Schichtlichem Werfe zum Ausdrude gebracht und fünnen wir uns kurz 
faſſen. Oberfter und heiliger Grundſatz des Gejchichtsichreibers bleibt die 
Erforschung der gefhihtlihen Wahrheit. Als eine folche ſtellt ſich 
zunächjt der Fortſchritt im der Eulturentwiclung der Menjchheit dar. 
Diefer joll und wird gefunden hauptjächlich in der geiftigen Bildung, 
da der Menjch ein geiftiges Weſen iſt. Gleichwerthig iſt die ſittliche 
Bildung, ohne welche weder der Einzelne noch ein Volk zu höherer Ent— 
wicklung gelangen kann. Unter den Bedingungen, unter welchen ſich der 
Fortſchritt des Menſchengeſchlechtes vollzieht, erkennen wir als erſte die 
Geſelligkeit. Die Entwicklungswandlungen folgen nur allmälig 
in langen Zwiſchenräumen; das Neue aber muß immer den 
beſtehenden Verhältniſſen entſprechend ſein. Eine andere 
Bedingung iſt die Freiheit, namentlich die Freiheit des Indivi— 
duums. Unerläßlich aber für das Gedeihen des geſelligen Lebens iſt die 
Einigung, welche immer der Einheit vorhergehen muß. 

9. „Was kann die Schule?" (1869). In der Zeitſchrift für 
öſterreichiſche Gymnaſien (1866) findet Reſſel einen Aufſatz über das 
Schulweſen Rußlands mit dem Denkſpruch: „Gebt mir die Schule und ich 
will die Welt umgeſtalten.“ Gegen dieſen kühnen Sag, jo wohlgemeint 
er jein mag, glaubt der Verfaſſer gewichtige Einwendungen erheben zu 
müfjen. Denn es ſei nicht gleichgiltig, wenn man die Wirkfamfeit der 
Schule iiber alles Maß erhebe; der Lehrer könne die Verantwortung für 
die ins Unendliche gejteigerten Forderungen und Erwartungen nicht über: 
nehmen. Vor Allem it es Sache jedes Einzelnen die entiprechende 


— 15 — 
Bildung zu gewinnen. Die Schule fünne nur erjagweile und vorbereitend 
wirfen. Zuerſt aber ijt es Aufgabe der Familie, der Eltern, die fitt- 
liche, Sowie die geijtige Erziehung der Kinder in die Hand zu nehmen. 
Diefelbe hat Schon vor der Schulzeit zu beginnen, während derjelben und 
nad) derjelben unuuterbrochen fortzumirfen. Da der Menjch ein fittlich 
freies Weſen ijt, muß der Zögling fortwährend zu freier Thätigfeit 
angehalten werden; das jtete Ziel muß die fittlich gute That fein. Diefer 
Grundſatz habe auch den Unterricht zu beleben, und auch diefer werde am 
beiten von den Eltern bejorgt. Den Einfprucd, daß es diefen an Zeit und 
oftmals an den nöthigen Kenntniſſen fehle, läßt Neffel nur in Ausnahms— 
fällen gelten. Und erjt für dieſe Ausnahmsfälle joll die Schule als 
Erjag eintreten. Da aber die thatfächlichen Verhältniffe die Ausnahme 
zur Negel gemacht haben, und jo in Wirklichfeit die Bildung der Jugend 
zum großen Theile durch die Schule gefördert werden ſoll, jo will Reſſel die 
Licht- und Schattenjeiten dev Schule unterfuchen. Die Vortheile des 
öffentlichen Unterrichtes liegen 1. in der Möglichkeit der entſpre— 
chenden Auswahl der Lehrer, 2. in dem Umſtande, daß diefe Lehrer ihr 
Fach zum Lebensberufe gewählt, und 3. daß der Kreis der Schüler ein 
größerer, in Folge deſſen Mannigfaltigkeit, Wetteifer u. ſ. w. den Unter: 
richt beleben kann. Die Nachtheile der Schule aber feien folgende: 
1. Mehr oder weniger bleibe der Lehrer dem Schüler gegenüber doc) 
der Fremde; wohl fünne jich ein gewiſſes freundjchaftliches Verhältniß 
zwijchen beiden entwiceln, doch erjtrede jich dasjelbe immer nur auf wenige 
Schiller und könne die Innigkeit der Eltern: oder Gejchwifterliebe nicht 
erreichen. 2. Der Berufslehrer lebe in der Gefahr, fein Amt allmälig 
wie ein Geſchäft anzujehen, und gewöhnliche Lehrer erliegen diejer Ge— 
fahr. 3. Die Schule fei eine Anjtalt, in welcher vie LZehrarbeit im 
Großen vorgenommen werde; jie verhalte ji zum Privatunterricht wie 
die Fabrik zur Eleinen Werkjtätte. So komme denn auch oft nur „Fabrifs- 
arbeit” zu Stande. Aber nicht „ſchablonenmäßige Fabrikate“ ſollen erzeugt 
werden, jondern jelbjtändig entwidelte freie Menſchen jollen erzogen 
werden, dazu berufen, in jelbitgewählten Berufskreifen als freie Wejen 
mit Erfolg ſich zu bewegen. Je größer nun der Schülerkreis, deſto 
weniger fünne diejes Ziel erreicht werden. Die ungleihen Fähigkeiten, die 
verjchiedenen Charaktere erheijchen die individuelle Einwirkung, wofür der 
Majjenunterricht nur wenig Mittel biete und jelten Zeit übrig laſſe. 
Diejen Grundgedanken fügt Reſſel noch zahlreiche feine Bemerkungen, 
der Schulprazis entlehnt, bei, die nur beweilen, wie ernjt ev jelbjt jein 
Lehramt genommen. Wie bei den Berichten über die andern Programme 


— 16 — 





aufjäge beabjichtigen wir auc an diejem feine Kritik zu üben, da es ſich 
ja uns nur darımı handelt, den Zejer die Anjchaunngen des Verfaſſers vor- 
zuführen. Aber gerade mit Rückſicht auf den Verfaſſer fünnen wir nicht 
umhin hervorzuheben, daß Lehrer, wenn fie jo wie Reſſel ihren Beruf er: 
füllen, auf ihre Schüler einen größeren geijtigen und fittlichen Einfluß 
ausüben, als es jelbjt in vielen Fällen die Familie im Stande tft. 

10. Die Mitteljchule (1870). Reſſel ift Anhänger der einheit- 
lichen Mitteljchule, und es dürfte bei dem Umftande, als die Mittel: 
Ihulfrage ja heute wieder auf der Tagesordnung jteht, interejjiren, jeine 
Anschauungen über den Gegenftand ausführlich zu hören. Auch die Mittel 
jchule habe feine andere Aufgabe als die Volksſchule: wie dieje, nur im 
höhern Grade, joll fie den Menjchen beranbilden zur freien Thätig- 
keit nach jedweder Richtung; ihre Aufgabe jet nicht, Vorbereitung jür das 
Gejchäftsleben, ſondern jene allgemeine Bildung, die den Menjchen 
als ſolchen auffaßt, zu gewähren. Wie erfüllen nun zunächſt die Gym— 
naſien diefe Aufgabe? Diefer ältere Zweig der Mittelfchulen, entjtanden 
in einer Zeit, als die clafjischen Sprachen das europäiſche Kulturleben 
beherrjchten, habe zwar der fortjchreitenden Entwidlung einige Zugeſtänd— 
nijje gemacht, kranke aber an dem Umſtande, daß man die Philologie immer 
nod) als den eigentlichen cdyaraftergebenden Mittelpunkt des Uuterrichtes 
anjehe. In einem bereits befprochenen Aufſatze des Verfaſſers (7.) hat 
diejer den Nachweis verfucht, daß es ein Irrthum ſei, zu meinen, die 
nenere Bildung jei auf Grundlage der antiken erwachſen. Demnach jei 
es ein veralteter Brauch, die claffischen Studien bei einer allgemeinen 
Bildungsanjtalt in den Vordergrund zu ftellen. Die Culturvölfer unjerer 
Zeit haben unermeßliche Literaturſchätze angehäuft, denen gegenüber die 
wenig erhaltenen antifen jich wie Schwache Anfänge ausnehmen. Soll eine 
Sprache überhaupt im Mittelpunkt des höheren Unterrichtes jtehen, jo 
dürfe es nur die Mutterjprache fein. Diefe it der Ausflug des 
Volkslebens, wie der Verfaffer in einer befonderen Abhandlung (4) an 
dem Beijpiele der deutschen Sprache dargeftellt hat. In der Mutterfprache 
erfolgen in der jungen Seele die erjten Negungen des Denkens, und ulle 
Eutwicklung erfolgt an und mit derjelben. Die Pflege der clajjiichen 
Studien fünnte nur dann eine tiefere Wirkung haben, wenn der Geijt der 
Schüler mit dem geijtigen Leben des Altertfums auf das Innigſte ver- 
traut gemacht werden fünnte, was aber, wollte man auch der Philologie 
noch mehr Schuljtunden widmen, nicht möglich ijt. Die oberflächliche und 
lückenhafte Kenntniß einiger Schriftſtücke joll etwa ausreichen ? Bollftändig 
verfehlt aber jei es, die claffiichen Studien die humaniſtiſchen zu 


=. — 


nennen. Das höhere Menſchenthum, Sinn für Menjchenrecht und Men— 
ichenwürde gehören erjt der Neuzeit an; es ıjt ein Werk des germanischen 
Geijtes und des Chrijtenthums. Weder Griechen noch Römer huldigten 
den fittlichen Ideen unſerer heutigen Anſchauungen — man denke nur an 
die Sclaverei, Ausjegung der Kinder, Gladiatorenjpiele, Stellung der Frau, 
Mangel des Begriffes eines allgemeinen Völkerrechtes, einer Idee der Welt: 
vegierung u. ſ. w. 

Was nun die Realſchulen aubelange, jo jollen dieje für die tech- 
nischen Schulen vorbereiten, wie die Gymnaſien für die Univerjitäten. Ja 
warum joll denn aber die allgemeine Schulung des Geijtes, die Ent- 
wiclung zur freien Selbjtthätigfeit beim Arzt eine andere als 
beim Kaufmann, beim Advocaten eine ardere als beim Ingenieur ſein? 
Auf die fachliche Bildung jolle es ja die Mittelfchule nicht abgefehen haben. 
Dafür ſeien Fachjchulen vorhanden. Und jei der Menſch denn lediglic) 
Berufsmenſch? Iſt er nicht Yamilienmitglied, Vater, Erzieher feiner 
Kinder, iſt er nicht Angehöriger jeines Volkes und Staates? Soll nicht 
allen gleichmäßig die höhere Meenjchenbildung zu Gute fommen? Ein Un— 
terjchied, eine Kluft zwiſchen verjchiedenen Lebenskreiſen herbeizuführen, jei 
vergriffen und bedenklich. 

. Da jomit die Zweitheilung der höheren allgemeinen Jugendbildung 
unbegründet erjcheine, jo dürfe es nur Eine Mittelſchule geben. 
Diejelbe mühje jich ftrenge in jenen Grenzen halten, die ihr durch ihre 
Stellung als eine Borbildungsanjftalt für das ganze Leben 
im Allgemeinen angewiefen jind. Gegenjtände rein fachlicher Art 
müſſen ausgejchlojjen bleiben. Die Kenntniß der Natur und ihrer Erjchei- 
nungen jei jedoch ein vorzügliches allgemeines Bildungsmittel. Allein nicht 
minder verdiene das geijtige Leben volle Beachtung. Hieher gehören die 
Fragen über die Geiftigfeit des Menjchen uud die Willensfreiheit, über 
Gott und Unjterblichkeit, über das Gute und Schöne. Die Neligionslehre 
juche diefe Fragen durch den Glauben zu löjen. Indeſſen jei die Jugend 
auch durch Ueberzeugung zu gewinnen. Wenn man mun auch fein voll- 
ftändiges philoſophiſches Syitem biete und auch ſich nicht an ein beſtimmtes 
Syitem anjchließe, jo jeien doch außer Logik und Pſychologie die wid): 
tigjten Lehren der Metaphyſik und Ethik vorzunehmen. An den natur 
wijjenjchaftlichen und philojophiichen Wiſſeuskreis können jich die claſſiſchen 
Studien anſchließen, doch in weit vermindertem Umfange, als in den heu— 
tigen Gymnaſien. Mittelpunkt der geſammten Schulbildung aber müſſe 
die Mutterſprache werden, jedoch nicht als gelehrte Sprachwiſſenſchaft, 
ſondern als praktiſche Denklehre. Sie habe die Aufgabe, den Schüler 


— 18 — 


von den Elementen des Denkens ftufenweife zu höherer Entwidlung nad) 
Umfang und Tiefe emporzuführen. 

Die aht Jahrgänge des Gymnaſiums will der Verfajjer für die 
einheitliche Mittelfchule, ebenjo die Theilung derfelben in eine Unter» und 
Dberabtheilung beibehalten wiſſen; nur mitjfe in Bezug auf Lehrmethode, 
Unterrichtsftoff, disciplinäre Behandlung der Schüler und Stellung der 
Xehrer ein ftrengerer Unterjchied eingeführt werden zwijchen der niederen 
und höheren Mitteljchule. Die niedere Mitteljchule biete vor Allem 
ſtoffliches Wiſſen. Gegenftände jeien: Neligionslehre, Mutterjprache, 
Geographie und Gejchichte, Mathematik, Nuturwilfenichaften, Zeichnen, 
Schönjchreiben. Als freie Gegenjtände ließen ſich Muſik, Turnen und 
fremde Sprachen anjchließen. In der höheren Mittelfchule müſſe 
der Schüler für die höhere geiftige Thätigfeit und Selbjtändigkeit gewonnen 
werden. Gegenjtand der Lehrthätigfeit jei der Schüler jelbjt, d. h. die 
alfjeitige und harmonische Entwicklung feiner geiftigen Kräfte. Als Lehr- 
gegenjtände jeien aufzunehmen: Religionslehre, Mutterfprache, Philojophie 
(Logik, Pſychologie, Metaphyſik, Ethit), Tateinische, griechiihe Sprache, 
Sejchichte mit Geographie, Mathematik, Naturwiſſenſchaften und Zeichnen. 
Daran reihen jich freie Gegenjtände. 

Zum Schluß ſpricht ſich der Berfaffer noch gegen das allzugroße 
Stundenausmaß ım öffentlichen Unterrichte aus, das weder für den Schüler, 
noch für den Lehrer erjprießlich ſei. Der Schüler joll zur freibewußten 
That herangezogen werden, er ſoll nicht Alles unter der Bevormundung 
des Lehrers thun, jondern jeiner freien Thätigkeit foll ein großer Spiel- 
raum eingeräumt werden. Der Lehrer aber, namentlich der an der Mittel- 
jchule, bediirfe eine gewiſſe berufsfreie Zeit zu feiner Fortbildung, zur Er- 
haltung jeiner Lebensfrische, feiner geiftigen Jugend. Er muß eine all- 
gemeine Bildung fi erwerben, er bedarf einer genügenden Kenntniß 
vom geiftigen Menjchen, der Gejebe, der Erjcheinungen und Bewe— 
gungen in der Menjchenwelt; er bedarf endlic) einer überfichtlichen Kenntniß 
der Wiffenfchaften, die feinen Berufsfächern verwandt find, weil ja das Wiſſen 
in der Wirklichkeit fich nicht jo ſcharf abtheilen und gliedern läßt, und weil 
ja die Bildung des Schülers ein harmoniſches Ganzes darjtellenjoll. — Es 
it gewiß bezetchnend fir den jo hoch und vieljeitig gebildeten Gelehrten 
und den mujterhaften Schulmann Reſſel, wenn ex in jeinem vorgerüdten 
Alter die Summe jeiner Erfahrungen zieht und in Bescheidenheit jchreibt: 
„Der Xehrer der Mittelfhule hat eigenthümliche und ums 
jajjende Studien nöthig, die mit der Kenntniß der ihm 
übertragenen Lehrfächer durchaus nicht abgeſchloſſen ſind; 





— 159 — 


er bedarf hiezu eines ganzen Lebens, und wenn er am 
Schluſſe eines in feinem Berufe zugebradten Menſchen— 
alters fteht, jo findet er, daß er mit feinen Studien nod 
lange nicht am Ende iſt.“ 

11. „Dejterreihs gefhichtlihe Laufbahn“ (1871). Dieje 
von warmer djterreichifcher Baterlandsliebe durchorungene Abhandlung jucht 
den weltgejchichtlichen Beruf unjeres Staates von jener Gründung ange: 
fangen bis zur neuejten Zeit herab Kar zu jtellen. In jeiner Weltgejchichte 
Schon hat der Verfaſſer diefen Gegenjtand mit Vorliebe erörtert, und wir haben 
oben bereits einige diesbezügliche Grundanjchauungen Reſſels hervorgehoben. 
Seit dem Erjcheinen des letzten Bandes der Weltgejchichte und dem in 
Rede stehenden Auffage waren nahezu zwanzig Jahre verflojjen, Jahre 
inhaltsjchwererer Wandlung in der äußeren und inneren Entwidlung der 
djterreichiichen Monarchie. Wenn nun auch die Ereigniſſe entgegen den 
Wünfchen und Hnffnungen des Verfaſſers jich "vollzogen, jo hält er doch 
jeinen urjprünglichen Standpunkt in der Hauptfrage fejt. Der freie Bund, 
den verjchiedene Völker an der mittleren Donau gründeten, bleibt ein Ver: 
dient der Deutjchen. Derjelbe bewahrte feinen Beitand mit einer wunder: 
baren Zähigfeit und überjtand die ſchwerſten Heimjuchungen und Unglücds- 
fälle. Die Grundlage feiner gedeihlichen Entwicklung aber beruht in der 
dem Staate und feiner Politik innemohnenden fittlichen Idee: „wenn 
auch das geschichtliche Wirken Oeſterreichs nicht frei von Makel ift, jo iſt 
es doch in diefer Hinjicht reiner, als das irgend eines der größeren euro— 
päiſchen Staaten, reicher an edlen für das Gemüth erhebenden Erjchet- 
nungen." Auf völlig gejegliche Weife, zumeift durd) Kauf, Verleihung und 
Bertrag vollzog ji) der Aufbau des Neichsgebietes. Gemaltthätige Erobe- 
rung lag der öjterreichifchen Politif ferne. Daß z. B. Nudolf den Otto: 
farischen Staat zertriimmerte, hatte jeine Berechtigung in der Wider: 
jpenjtigfeit des Vajallen. An die Spige Deutſchlands durch das Kaijer- 
thum gejtellt, ift Defterrrich diejfem jeinen Berufe, wenn auch nicht immer 
mit Glanz und Auszeichnung, jo doch mit unwandelbarer Treue und 
Hingebung nachgefommen. Die füihrende Stellung in Deutjchland nützte 
es nicht zum eigenen Bortheil aus; es ſetzte ſich vielmehr das Intereſſe 
Europas und Deutjchlands zum Ziele. „Das Haus Habsburg bildete die 
erhaltende Macht in jeder Nichtung des Strebens. Während jie im 
Weiten das eroberungsjüchtige Frankreich mit Erfolg niederhielt, bildete 
ie ım Oſten einen Damm gegen die vordringende Völferfluth der Aſiaten 
und rettete Chriftentgum und Eultur in Mitteleuropa.” Das nach dem 
dreigigährigen Krieg immer mehr dem Berfalle entgegeneilende dentjche 


=‘ 0 te 


Reich konnte nur noch durch Dejterreichs Kraft gehalten werden. Schwer 
geijhädigt wurden das Reich und der habsburgische Staat durd) das Auf: 
jtreben des eroberungsluftigen Preußens. Der Gegenfag der öfterreichtichen 
und preußijchen Politif wird nun vom Berfajjer weiter auseinandergeſetzt 
und an der Hand der Gejchichte bis zum Jahre 1866 durchgeführt. Oeſter— 
veich habe den Rechtsſtandpunkt, Preußen aber ven des jeweiligen eigenen 
Bortheil immer im Auge gehabt. Die jtarren Formen des alten Bundes: 
tages hätten jich vielleicht günftig ausbilden laſſen. Metternich aber jet 
ein schlechter Berather des Kaiſer Franz geweſen. j 

Ueber die innere Entwicklung Defterreihs jeit 1848 jpricht fich Reſſel 
nur jehr knapp aus. Das genannte Jahr habe den Staat überrafcht, aber 
derjelbe habe ſeine Lebensträftigfeit bewiejen. Die Aufhebung der Ber- 
jajjung vom 4. März ſei ein Irrthum gewejen. - Dafür habe man aber 
in der gegenwärtigen Verfaſſung den vehten Weg gefunden. 
In derjelben erblidt ex, wie er bier und au anderen Orten andeutet, den 
geeigneten Mittelweg zwifchen Central- und Föderativſtaat, angepaßt den 
Eiaenthünlichkeiten des Neiches. „Möge man das Errumgene fejthalten ; 
möge man mit Kraft und Entjchiedenheit Stellung nehmen gegen die Feinde 
desjelben, die fein Defterreich wollen und jedes Zugejtändniß nur als fejten 
Boden zu neuen Forderungen benügen — aber auch gegen die allzu eifrigen 
Freunde, die in ihrer Berbejjerungsfucht fein Maß kennen, damit wir 
nicht, indem wir das „Bejte” im Auge haben, abermals in die Gefahr 
fommen, das jchon gewonnene „Gute“ zu verlieren. „Oeſterreich, das viel- 
geprüfte, bedarf einer feften Ordnung der Dinge; mur jo it es 
möglich, dap die erregten Elemente zur Ruhe fommen, und bei den ganz 
eigenthümlichen Berhältuiiien, die bei uns bejtehen, kann nur Erfahrung 
und lange Erfahrung entjcheiden, was gut tft." 

Bittere Worte find es, die Reſſel zum Schlujfe gegen Preußen und 
jeine gewaltthätige Politik, welche die Verdrängung Oeſterreichs aus 
Dentjchland zur Folge hatte, richtet. Ein Segen könne auf jolchen Erfolgen 
nicht ruhen. Wir wiljen nicht, ob ſich der treue Patriot mit dem weiteren 
Laufe der Ereigniffe, der zum feiten Bunde zwiſchen Dejterreich und Deutjch- 
land führte, verföhnt hat. Vielleicht. Als er den Auffag jchrieb, waren die 
Dinge noch nicht jo weit gediehen. Er jchließt: „Wohl meint der Radica— 
lismus unjerer Zeit vielfach jich von dem Göttlichen emaneipirt zu haben, 
von jener Macht, deren Wille einjt das Weltgebäude in das Dajein rief 
und in einem Augenblide es in Trümmern jtürzen kann; man meint, die 
Gejege gelten nicht mehr, die unwandelbar jene Macht unferem Gejchlechte 
vorgejchrieben. Man täujcht ſich; die ganze Weltgejchichte liefert den Goms 


— — 


mentar zu der Wahrheit, daß aus Böſem nichts Erſprießliches erfolgen, 
und daß nur das Gute auf Segen von Oben hoffen könne — denn 

Ein Gott iſt, 

Ein heifiger Wille lebt!” 

12. „Die Erziehung der Völker" (1872). Die tiefſinnige Ab- 
handlung geht von dem Gedanken aus, daß es, wie bei einzelnen Menjchen, 
auch bei ganzen Völkern eine Erziehung geben müſſe. Die Erziehung des 
Volkes joll wie die des Einzelnen die Wedung und Entwidlung der 
geiftigen Kräfte und bejonders die fittliche Heranbildung als Ziel im 
Auge haben. Jedes Volk habe jeine höhere Lebensaufgabe; dieſe ſcharf zu 
erfaſſen, jei die Hauptjache. Die Erziehung müſſe demgemäß eingerichtet 
werden. Prieſter, Staatsmänner, Männer der Wiſſenſchaft 
und Kunst betheiligten ji am Erziehungswerfe. Doch die gewonnene 
Fülle von äußeren Bildungsmitteln gemüge nicht. Bei der Erziehung 
fomme es immer anf die freie Selbitthätigfeit an. In der Ent- 
wiclung der Natur gehe Alles nach bejtimmten Geſetzen vor ſich. Solche 
Geſetze herrſchen auch im Leben der Völker; doch jeien diejelben ganz 
anderer Art, da beim Menschen der freie Wille als bewegende Kraft 
eintritt. Die Weltregierung werde wejeutlih Erziehung der 
Menschheit Jein. Dieje habe dem Menjchen, entiprechend jeınem Doppel: 
wejen, einen zweifachen Inſtinet verliehen: den leiblichen und den geiftigen. 
Den Winfen desjelben nachzukommen, dem Fingerzeige der Natur ſowohl, 
als der Stimme des Gewiſſens zu folgen, ſei die Aufgabe des Menjchen, 
der Völfer; das Ziel könne immer mur das Sittlich-Gute jein. Erfaßt 
das Volk jeine Aufgabe, dann ruhe Segen auf jeinem Wirken und um— 
gekehrt. — In einer großartigen Völkerſchau von den Indern und Aegyp- 
tern angefangen bis auf die Nationen unferes Jahrhunderts herab jucht 
num der Verfajjer jeine Ideen an der Hand der gejchichtlichen Ereigniſſe 
weiter zu veranjchaulichen. Wir begegnen hier vielfach gleichen Gedanken, 
die er Schon in früheren Aufſätzen ausgefproden, wie denn überhaupt von 
den aufmerkjamen Leſer ein innerer Zufammenhang der einzelnen Programm: 
abhandlungen wahrgenommen werden fann. Wiederum find e8 die Griechen und 
und Germanen, welche Reſſel iiber alle anderen Völker, ftellt, und auf deren 
geichichtliche Laufbahn er mit Vorliebe eingeht. Nicht verfennen aber läßt 
e8 ji, daß mit dem höheren Lebensalter eine gewifje düjtere Stimmung 
des Verfaſſers jich bemächtigt, die ihn namentlid mit Rückſicht auf die 
Zukunft feines eigenen Volkes erfüllt. 

13. Ueber die Freiheit des Individuums (1854). Der 
Verfaſſer behandelt zunächit den Sag, daß beim einzelnen Menſchen, wie 


— 162 — 


bei ganzen Bölfern der eigentliche Gehalt keineswegs in der Fülle der 
Kenntniſſe, in der gefelligen Verfeinerung, in der weichen Gefühljamfeit 
oder Gemüthlichfeit zu juchen, jondern vielmehr in den feſt ausgeprägten 
Charakter und in der Kraft der That iſt. Der Charakter aber müjje ein 
edler, die That eine gute jein. Der höchſte Werth des Menjchen 
beruhe jomit in der alffeitig durchgebildeten Kraft, jich jelbjt zu beſtimmen 
und das frei Gewollte zur vollen That umzuwandeln, jowie in den blei- 
benden Streben, nur das Gute zu wollen und zu thun. Demgemäß jet 
denn auc die Erziehung der Jugend einzurichten, und man müſſe mit dem 
leivigen Mechanismus namentlich in der Schule brechen, welcher den Men— 
jchen zu einer Majchine machen will. Aber nicht etwa einem zügel- uud 
vegellojen „Libertinismus“ dürfe ſich der Zögling hingeben. Er jolle gegen 
jede moralijche Verführung genügenden Schuß erhalten; vor Allem aber 
müſſe ihn gelehrt werden, wie er jelbjtthätig die Gefahren überwinden 
fönne, Er muß ferner gewöhnt werden, den eigenen Willen zu beugen 
und der Stimme der Pflicht zu gehorchen. Der Erzieher jolle der Freund 
des jüngeren Genojjen fein; jein Beruf jet nur, das Drgan der höheren 
Gejege zu jein. Nicht ihm, jondern der Pflicht, den höheren Gejegen ge- 
horche der Zögling. Eine Willkür ſei alsdann nicht möglich. Auf diefem 
Wege laſſe fih die volle perjünliche Freiheit mit dem ſtrengſten 
Gehorjam recht gut vereinigen. Da aber die geiftige Entwidlung 
jehr mannigfaltig ift, jo irre man jich, wenn man meine, man könne nur 
auf der Schulbank lernen: „Die Schule, welche dem eifrigen Lehrlinge vie 
meisten und Eojtbarjten geiftigen Schäge bietet, ijt die des Lebens.“ 
Auch die Völker machen verjchiedene Entwidlungsformen duch uud 
werden erzogen. Alles aber, was in einer Nation Großes und Aus: 
gezeichnetes gejchehe, gehe von einigen hervorragenden Männern aus; — 
dieje jeien die moralijchen Erzieher ihres Volkes. Doch aud) das Bolt 
dürfe nicht zur Maſchine herabgedrüct, jondern muß zur freien Selbſt— 
thätigfeit herangezogen werden. Keineswegs aber jei eine jchranfenloje 
Freiheit gemeint, jondern nur eine durch wohlthätige Gejege geregelte. 
Das Gejeg aber jolle nicht blos negativ abwehren, es jolle auch pojitiv 
fürdern und unterjtügen. Es jei eine faljche Anficht, wenn man annimmt, 
die ſtaatliche Gejellichaft jei dadurd) entitanden, daß eine Anzahl von 
Menjchen zujammentrat, um jich gegenjeitig gegen die Unbill der Natur 
und Menjchen zu unterjtügen; der Staat jei nicht lediglich eine Verei— 
nigung zur alljeitigen VBerwirflihung der Rechtsidee. Vielmehr jei ver 
Staat in jeiner erjten Entwidlung ein erweitertes Familienleben, und die 
Bande, welche die Glieder der Familie aneinander Tnüpften, verbanden 


— 198 — 


auch urſprünglich die ftaatlichen Genojjenjchaften, die Völker, die Reiche. 
Dieje Gefichtspunfte jeien von den „Meiſtern“, die die Völker erziehen, 
im Auge zu behalten; gleichweit von übermäßiger Bevormundung, wie 
von allzu großer Zoderung aller Bande habe man ſich zu halten. An den 
Priejterherrichaften und Dejpotien des Alterthums, an den Staaten der 
Griechen, Römer, Germanen und Romanen jucht jchlieglich der Verfaſſer 
feine Ideen in zutreffenden Beijpielen noch tiefer zu begründen. 


Reſſel und die böhmiſche Geſchichte. 


Beſondere Quellenſtudien über böhmiſche Geſchichte liegen von Reſſel 
nicht vor. Doch bleibt es anziehend, zu verfolgen, wie er ſich über den Gang 
und einige wichtige Punkte derſelben ausſpricht. Er trifft hiebei nicht ſelten 
den Nagel auf den Kopf. Es kommen in Frage die einſchlägigen Partien ſeines 
weltgeſchichtlichen Werkes, ein in dieſen Blättern (Jahrg. III.) veröffentlichter 
Aufſatz: „Bemerkungen über die allmälige Geſtaltung der Be— 
völkerungsverhältniſſe Böhmens in nationaler Beziehung" 
und „Auch ein Wort zu Herrn Balackys Zuſchrift an deu 
fünfziger Ausſchuß in Frankfurt“ (Eonjtitutionelle Prager Zeitung 
vom 28. April 1887). Bojen und Markomannen bejfaßen zur Zeit, als fie 
Böhmen bewohnten, ſchon einen gewijjen Grad von Eultur, an die vielfach 
anzufnüpfen jei, weswegen Reſſel die keltiſche und altgermanijche Periode 
genauer erforjcht jehen will, als es bis jet gejchehen. Zudem hätten die 
Drearfomannen das Yand niemals volljtändig verlajfen, und jeien Reſte 
derjelben nicht blos in den Gebirgen, jondern auch im Flachlande ſitzen 
geblieben, welch’ letztere allerdings von den nachrüdenden Slaven aufge 
faugt worden wären. Diefe Anficht verfiht Reſſel au verjchiedenen 
Orten mit großer Standhaftigfeit, indem er näher auf die Wanderungen 
der Dftgermanen eingeht und ſich insbefondere auf jene Stelle des Pro: 
copius beruft, welche von dem Zuge der VBandalen nach Afrika handelt. 
(Bell. Band. 2%. I. E. 22.) Mit Entrüftung weit er daher jchon im Jahre 
1847 (Mittelalter I. 359 Arm.) die Bezeichnung „Eindringlinge“ 
zurüd, welche von gewifjer Seite auf die Deutſchböhmen angewendet wurde, 
und läßt es auch an einem jcharfen Seitenhieb auf diejenigen Deutjchen 
nicht fehlen, die in jenen Tagen mit dem Slavismus zu liebäugeln pflegten. 
Daß er in jeinen Anfichten über die Urgefchichte der Slaven, über die 
Eulturzuftände derjelben in der älteren Zeit, ja auch über manch andere 
Punkte der älteren Zeit, z.B. Einführung des Chriftenthums, den befannten 
Lehrmeinungen Schafatits und Palackys, die fich ja jpäter vielfah als 
hinfällig erwiejen, fich anfchließt, it wohl entjchuldbar. Sobald er aber 


= — 


auf feſterem Boden tritt, macht er fich völlig frei von Palackyſchen Anjchau: 
ungen. Die Gejchichte des Landes erjcheine ihm deshalb von einer größeren 
Bedeutung, weil in demjelben das ſlaviſche Volksthum mit dem deutjchen 
in unmittelbare lebendige Wechjelwirfung trat, damit es, mit jelbem theils 
freundlich, theils feindlich verfehrend, höheres geijtiges Leben einfauge und es 
allmälig auf die öftlihen Stammesgenoſſen übertrage. „Das Eleine Böhmen 
hat nur zwiſchen zwei Loſen zu wählen, entweder im Zuſammenſtoße zweier 
Bölfercomplere zermalmt zu werden, oder das verjühnende Mittelglied zu 
bilden zwifchen zwei großen Völferfamilien, Kunſt und Wiſſenſchaft von 
Weiten nach Oſten zu tragen und diefen Diten jelbjt den Völkern des 
Weftens näher zu führen.” (Neuejte Zeit 3. 122.) Das Abhängigfeits- 
verhältnig vom deutjchen Kaiſer habe fi in Böhmen früher gelodert, als 
in den anderen Reichslanden. Unter Ottofar IL, „dem großen Staatsmanne 
und Feldherrn“ „hochemporragend ſowohl im Glüde als im Unglüde, 
jtieg Böhmen zu einer europätjchen Macht empor; dieſe fiel, weil der Aufbau 
eines großjlaviichen Staates im Herzen Deutichand legteres zum Entjchei- 
dungskampfe herausforderte. In Karl IV. erblickt Rejjel den hervorragenden 
Vertreter jener Zeit, in welcher die politische Gewalt Deutjchlands jichtlich 
im Niedergange begriffen iſt, dagegen die geiftige Macht allmälig zum 
Auffteigen gelangt. (Univerfität.) Die dufitiichen Wirren habe Karl theil: 
weije mit vorbereiten helfen. Hus' VBerurtheilung zum Tode ſei ein jchwerer 
Fehler gemwejen. „Er bewies in der legten Stunde, in der Erwartung eines 
entjeglichen, martervollen Todes eine Kraft der Secle, die auch des edeljten 
Apoftels der Wahrheit würdig gewejen wäre; jein glänzender Duldermutb, 
den er, von aller Welt verlafjen, inmitten feiner furchtbaren Feinde zeigte, 
warf einen tiefen Schatten auf jeine Gegner; nicht Siegmund und ‚das 
Coneil, ſondern Hus erfchien als Sieger." Klüger jei man 3. B. mit 
Wycliff, den geiftigen Bater des Hus, in England vorgegangen, indem man 
es unterlajjen habe, ihn zum Märtyrer zu machen. Wie die religidfe Be— 
wegung des Hufitismus immer mehr in eine nationale und wildjociale 
ausartete, welche Greuel im Gefolge derfelben fich ergaben u. ſ. w., führt 
der Berfaffer kundig durch. Durch Georg von Podiebrad, der allerdings 
nicht im Stande war, die Krone für jein Gejchlecht zu behaupten, noch 
mehr durch die unter Wladijlaus erfolgte Vereinigung mit Ungarn babe 
jic) Böhmen immer mehr von Deutjchland losgelöft. Die innigere Anglie— 
derung erfolgte erjt wieder durch das habsburgische Kaiſerthum. Die 
Weipenberger Schlacht vernichtete die böhmiſche Adelsherrichaft, ſowie alle 
Anſätze zu einer weiteren jelbftändigen politischen Entwidlung. Ferdinand II. 
findet in Reſſel einen geſchickten VBertheidiger, Wallenftein dagegen, „welcher 


— 15 — 


jeine Pläne weit hinaus fchweifen ließ über die Sphäre, in die er gejtellt 
war, der daher frühzeitig auf eine falſche außergeſetzliche Bahn gerieth, 
auf der ihm fein Segen blühen konnte, und deijen tragisches Ende jeinem 
Leben entſprach,“ einen beachtenswerthen Ankläger. 

Im dem oben angegebenen Aufjage Reſſels: „Ueber die allmälige 
Geſtaltung der Bevölferungsverhältniffe Böhmens in nationaler Beziehung" 
führt er den Gedanken aus, daß Böhmen zu einem rein jlavijchen Lande 
fich nicht entwideln fonnte wegen feiner geographijchen Lage, wegen der 
alten deutschen Ueberreſte und der fpäteren deutjchen Rückwanderungen. 
Die Tſchechen jelbjt aber jeien in den weſteuropäiſchen Culturbereich ein- 
bezogen und vom flavifchen Dften abgelöft worden. „So eifrig auch in 
der Gegenwart die Tichechen als Vorkämpfer des Slaventhums ich her- 
vordrängen, jo muß doch zugejtanden werden, daß der eigentlich jlavijche 
Charakter, wie er an den reinflaviichen Völfern des Oſtens erjcheint, bei 
ihnen ungleich weniger zu Tage tritt; fie unterjcheiden ſich von den 
Deutihen mehr negativ als positiv, ja ihnen fehlt jehr häufig 
gerade das, was fie jo angelegentlic zur Schau zu tragen jich bemühen, 
das „Slavifche*. In der deutjchen Eolonijation des Mittelalters erblidt 
Reſſel nur die Rücdgewinnung altgermanifchen Bodens, der dem deutjchen 
Boltsthume in unglüdlicher Stunde entriffen worden war. Die Tichechen, 
meint Refjel jollten nicht jagen: „Ja wir fünnen nicht gleichgiltig zufehen, 
daß; jo bedeutende Theile unferes Landes unferem Volksthume entrijjen 
und einer fremden Nationalität anheimgefallen find.“ „Dasjelbe können 
eben fo gut die Deutjchen jagen, wenn fie jehen, wie von Djten her mitten 
in urdeutjches Land und deutjches Volksleben ein ſlaviſcher Keil eingetrieben 
worden tft. Beide Völker haben aljo jo ziemlich gleichen Grund zur Unzu— 
friedenheit, und es wird jedenfalls am beiten fein, jich in die Lage der 
Dinge zu finden, wie jie eben iſt; die Zeiten gewaltiamer Unter: 
drüdung find Hoffentlich für immer vorüber, und jenes Volt wird die 
Ueberlegenheit gewinnen, welches das geijtig tichtigere und ſittlich— 
bejjere iſt.“ Daß das durch den Hufitenfrig jo jehr gejchwächte Deutjch- 
thum nad) dem dreißigjährigen Kriege in noch größerer Ausdehnung, als 
früher, im Lande jich vorfindet, erklärt der Verfaſſer hauptſächlich durch 
Einwanderung Fatholifcher Bevölkerung aus Sachen, Thüringen und Ober- 
franfen, welche nicht geneigt war, der gewaltfamen Protejtantifirung im 
Heimatlande fich zu fügen. Die in Folge der Gegenreformation in Böhmen 
entjtandenen Lücken wären hiedurch mehr als reichlih ausgefüllt worden. 

Indem der Verfaffer zum Schlujje auf die Aufgaben des Vereins, 


der diefe Blätter herausgibt, zu ſprechen kommt, kann er ich I die Her- 
Mittheilungen. 26. Jahrgang, 2. Heft. 


— FB: 


ausgabe von Städtechronifen nur dann erwärmen, wenn dieje ſich dur) 
Stoff und Form fo auszeichnen, daß fie am fich auch noch gegenwärtig 
von Intereſſe find. Er will dagegen mehrere Fragen, die ſich auf die 
Keltenzeit, die altdeutſchen Ueberrejte, die Einwanderungen im Mittelalter 
und den jlavifchen Einfluß auf die Deutſchböhmen evjtreden, erörtert 
wiſſen. | 

Das Berhalten der Tichechen in der jtürmijchen Bewegung des 
Jahres 1848 findet in der Weltgejchichte Reſſels eine eingehende Beſpre— 
hung. Der „literariſche Panſlavismus“ Habe dem Ausbruche des Sturmes 
vorgearbeitet. In der Volfsverfammlung vom 11. März im St. Wenzels- 
bade überwog bereits das nationale Streben; auch habe der Antrag auf 
eine nähere Vereinigung Mährens und Schlejiens mit Böhmen, ſowie auf 
ein eigenes verantwortliches Minijterium gezeigt, wohinaus die Pläne 
abzielten. Noch gingen die Deutichböhmen Hand in Hand mit den Tjchechen, 
jo lange es fi um den Kampf für die ftaatliche Freiheit handelte. Durd) 
die ablehnende Haltung Palackys aber gegenüber den Wahlen ins Frank: 
furter Parlament entitand der erjte große Riß. Die Gründe Palackys 
für fein Verhalten lagen in der feit dem Mittelalter bejtehenden Feind— 
jeligkeit der Tichechen gegen Deutjchland. Andere anzugeben jei überflüſſig 
gewejen, da man, was man that, im Nothfall auch chne Grund zu thun 
entjchlojjen war. Rejjels Antwortichreiben auf Palackys Abjagebrief wird 
übrigens noch weiter erörtert werden. Die Leidenjchaftlichkeit der Tichechen 
machte fich indeifen immer mehr bemerkbar; jie verloren das eigentliche 
Biel, die politiſche Freiheit, ganz aus den Augen. Der auftretende Terro— 
vismus brachte auch jene Deutjchen zur Beſinnung, die nicht jelten aus 
„Hyperevangelifcher Nächſtenliebe“ mit in das tichechifche Horn geſtoßen 
hatten. Bald wurde das eigentliche Ziel klarer. Der Banjlavismus jollte 
wenigftens innerhalb Defterreihs zur That werden; es galt den Kaiſer— 
jtaat von Deutjchland [oszureißen und ein ſlaviſches Dejterreich zu jchaffen. 
Die Einladung an den Kaiſer, feine Reſidenz in Prag aufzujchlagen, und 
der am 2. Juni in Prag eröffnete Slavencongreß enijchleierten die Ziele. 
Den bekannten Juniaufſtand will Reſſel zwar nicht mit einer „weitver— 
zweigten Verſchwörung“ in Verbindung bringen, „aber,” jchreibt er, „es 
heißt unfere Leichtgläubigfeit auf eine harte Probe jtellen, wenn ung die 
Männer der Gegenpartei, nachdem der Anjchlag mißglüdt war, glauben 
machen wollen, die ganze Sache ſei ein zufälliger minderbedeutender 
Straßencrawall gewejen." Doch die Nieverwerfung des Aufitandes habe 
die tichechifche Partei nicht verhindert, ihre Pläne weiter zu verfolgen. 
Günſtige Gelegenheit fanden fie auf dem Boden des Reichsparlamentes. 


Ta 


GEGEBEN PET" 
— 167 — 


Reſſels Entgeguung auf das offene Schreiben Palackys an den 
Fünfzigerausihuß des Frankfurter Parlaments vom 8. April 1848 fpricht 
jich mit großem Freimuth über die Stellung Böhmens zu Deutjchland aus. 
Er bedauert lebhaft die jchroffe Ablehnung Palackys, in den Fünfziger: 
Ausihuß einzutreten. Der angeführte Grund, daß in demjelben nur 
deutjche Intereſſen gefördert werden jollen, ſei hinfällig gewejen. Man 
dringe von allen Seiten auf die Eintradht der Stämme, auf die Verföh: 
nung des unglüdlichen Zwiftes, der die ſprachlich verfchiedenen Bewohner 
eines und desjelben Baterlandes auseinander halte. „Dürfte es wohl dazu 
beitragen, dieje Eintracht zu fürdern, wenn von Männern, welde vie 
öffentliche Stimme mit Achtung nennt, förmlich ausgeiprochen wird, das 
Deutihe und Slaven nie zujammengehen fünnen?* Nidt 
um deutjche Intereſſen, jondern um die Intereſſen Deutjchlands habe es 
ji) gehandelt, und gerade in einer jolchen VBerfammlung wäre Palacky 
am Plage gewejen. Der Behauptung des böhmischen Hiſtorikers aber, als 
ob Böhmen nicht zu Deutichland gehört habe, jtellt Reſſel folgende Erwä— 
gungen entgegen: „Wir hegen alle Achtung vor den tiefen und umfajjenden 
Kenntnijjen des vaterländifchen Gejchichtfchreibers; doch möge er es mir 
nicht verargen, wenn ich über eine mir völlig neue Sache mein Erjtaunen 
wicht verbergen kann; er darf ung Deutſchen überhaupt nicht übel nehmen, 
wenn wir in die Wahrheit diefes Ausſpruches Zweifel fegen, da derjelbe 
nicht nur unferem Nattonalgefühle, jondern auch Allem, was wir bisher 
von der Gejchichte wußten, durchaus zuwider läuft. Die Unterſcheidung, 
die F. Palacky angibt, daß zwifchen Böhmen und Deutjchland bloß eine 
perjönliche Einigung der Herrjcher, nicht der Länder, jtattgefunden, iſt für 
uns völlig neu und etwas fein, um die gejchichtlichen Verhältniſſe beider 
Länder zu einander aufzuklären, jedenfalls zu fein für die fchlichten, an jo 
jpigfindige Dijtinctionen nicht gewohnten, mittelalterlichen Staatsmänner. 
Nie finden wir in der Negel die Perfünlichkeit des Fürjten und das Land 
in diefer Weife gefchieden. Der Fürft erfcheint als der Repräfentant des 
Landes, das er beherrichte, und fand als folder Geltung; Verträge des 
Fürſten waren bindend auch für das Land. Wenn es auch jegt Könige 
ohne Königreiche gibt, jo gab es doch meines Wiſſens in Deutſchland nie 
Kurfürjten ohne Kurfürjtenthümer. Als Kaifer Karl IV. den König von 
Böhmen unter die Zahl der Kurfürjten grundgejeglich aufnahm, hatte er 
jene Unterfcheidung ficherlich nicht im Sinne; der König von Böhmen 
wurde Kurfürt, weil er der Fürjt eines der größten deutjchen Länder 
war, und er wird den übrigen Kurfürſtenthümern zur Seite gejtellt. Auch 


wurde diejes Verhältni in diefem Sinne ducchgehends gerommen. Wie 
12* 


— 108 — u 


hätten auch die deutichen Fürſten zugeben können, daß eines der wichtigjten 
Neichsrechte dem Beherrſcher eines fremden Landes als eine Art von 
Privilegium eingeräumt würde. Wahrlich jo tief war damals Deutjchland 
noch nicht gejunfen, um jolhe Schmach über ſich ergehen zu lafjen, und 
hätte Karl es gethan, jo wäre es jchnöder Verrath gewejen an den Pflichten, 
die er als Kaijer beſchworen. Daß die Verbindung Böhmens mit Deutjch: 
land bis weit über die Hälfte des Mittelalters hinaus eine nur loje war, 
wird gern zugejtanden; allein jie wurde in demjelben Grade inniger, als 
der Staatsverband im deutſchen Neiche ſelbſt fich Lüfte, jo daß fpäter 
zwijchen Böhmen und den übrigen großen Reichsländern nur ein geringer 
Unterjchied bejtand. Wir willen, daß Deutjchland bei dem fortwährenden 
Sinfen der Staatsgewalt jchon zu Ende des Mittelalters thatjächlich in 
einen fürmlichen Staatenbund übergangen war; erkundigen wir uns nur 
oberflächlich in den Specialgefchichten deutjcher Länder, jo finden wir, daß 
jie, jobald ihnen die äußeren Mittel in Hinreichender Menge zu Gebote 
jtanden, fi) im Allgemeinen genommen nicht minder frei bewegten, als 
Böhmen. Namentlid war dies der Fall in Beziehung auf die inneren 
Angelegenheiten ; es kann wohl Niemandem einfallen, die volle Entwidlung 
des Königthums in allen feinen Zweigen, der gejeßgebenden, richtenden 
und vollziehenden Gewalt ſchon im Mittelalter Juchen zu wollen, und am 
alferwenigjten in Deutjchland. Alles dies mußte in Beziehung auf das 
mächtige Böhmen im höheren Grade der Fall jein. Wir finden daher 
diejes Neich in der Zeit unmittelbar vor jenem Anſchluß an Oeſterreich 
thatſächlich unabhängig von Deutjchland, da das tiefgejunfene allbeengte 
deutſche Königthum damals nicht im Stande war, feinen Nechten Geltung 
zu verjchaffen; es war daher leicht erflärlih, wenn es im Drange un— 
günftiger Verhältniſſe es nicht verfuchte, die Kreiseintheilung und Wirf- 
jamfeit des Reichsfammergerichtes auch auf Böhmen auszudehnen ; es fonnte 
dies um jo weniger thun, da ein ähnlicher Verſuch gegen die Schweiz jo 
unglüdlicd, ausfiel. Allein diefer Zuftand der Dinge war doch nur thatjäd- 
lich, nie vehtlidh. Böhmen hörte nie auf, ein deutsches Kurfürſtenthum 
zu jeim, und gehörte als folches dem deutſchen Staatsförper an; erjt im 
wejtphälischen Frieden wurde den Ständen die volle Landeshoheit gejeglich 
zuerfannt. Doch aud) jett wurde Böhmen nicht wie die Schweiz bon 
Deutſchland gelöft; ja die Verhältniſſe desjelben als eines Reichslandes 
wurden unter Joſef I. fürmlich beſtätigt. Als 1815 Deutjchland eine 
neue politiiche Geftaltung nahm, und das alte Reich der Deutjchen zu 
einen bleibenden, unauflöslichen Bunde wurde, trat daher auch Böhmen 
als Glied desjelben ein, und es beharrt in demjelben noch zur Stunde 


be 1 WESER N 


— 169 — 


(1848). Eben jegt tagen die Vertreter der ſämmtlichen deutihen Staaten 
zu Frankfurt, den Gejandten Dejterreihs (und fomit auch Böhmens) an 
der Spige, um das unvollfommene Werk der Diplomaten im Sinne des 
Bolfes Fortzujegen und zu vollenden.“ 

Im weiteren Verlaufe jeiner Erörterungen jagt, Reſſel, daß es 
unbegreiflich jei, wie man noch über die Frage, ob ein Anſchluß Böhmens 
an Deutjchland erfolgen jolle oder nicht, jich ereifern könne. Die Frage, 
die zu entjcheiden ift, könne nur folgende fein: „Was ift zu thun, um die 
provinzielle Selbjtändigfeit Böhmens unter den neuen Verhältniſſen zu 
fichern, namentlich den Fortbeſtand und die erfolgreiche Fortbildung der 
tichechischen Volksthümlichkeit und Sprache?” Es jei unerläßlich, daß diefe 
Frage in einer die gerechten Forderungen der Tſchechen befriedigender 
Weiſe entjchieden werde. Daß aber, wie Palacky meine, Dejterreich ſelbſt 
duch einen engeren Anjchluß an Deutjchland in jeiner Kraftentwicklung 
Rußland gegenüber gejchwächt werde und der Anjchluß der mindermächtigen 
Grenzvölker, der Südſlaven, Schfipetaren und Walachen gehindert werde, 
ift jchwer einzujehen. Dieſer Anjchluß ſei mindejtens ungewiß. „Dafür 
jtehen an unferen Grenzen 30 Millionen Deutjche, an die alte, in Freude 
und Leid treugehaltene Genofjenjchaft mahnend. Welche Bundesgenoijen 
jolfen wir (Dejterreicher) wählen? Doc, wohl lieber die Deutfchen; denn 
find wir mit ihmen enge verbündet, jo haben wir feine Macht Rußlands 
zu fürchten, und wir brauchen, um ein fveies, innerlich blühendes und 
nach außen geachtetes Gemeinwejen zu bilden, weder die ungewiſſe Bundes: 
genoffenjchaft der Walachen, nod die der Südflaven und Schkipetaren.” 
— So jchrieb Rejjel im Jahre 1848, als Böhmen noch deutjches Bundes- 
land und Dejterreich die Präfidialmacht des deutjchen Bundes war. Dabei 
hatte er für die Entwidlung der Zukunft, wie er oftmals an anderen 
Orten ausſprach, als Ideal ein enges Bündniß zwiſchen Dejterreich und 
Deutfchland und zwar unter Defterreihs Führung im Auge. Unleug- 
bar verrieth der Rakonitzer Realjchullehrer einen tieferen ftaatSmännijchen 
Blid als der flavifche Hijtorifer. Denn das Bündniß zwijchen Dejterreich 
und Deutjchland hat jih in unjeren Tagen vollzogen. Reſſel dachte ſich 
dasjelbe unter ganz anderen Formen, und er knüpfte diesbezügliche Hoff 
nungen noch an den Frankfurter Fürjtencongreß im Jahre 1863; das legt 
aber nur Zeugniß ab von jeinem großen, echt öſterreichiſchen Patriotismus. 


Schluß. 


Mit Rejjel iſt ein jeltener Mann aus dem Leben dahingejchieden, 
ein deutscher Mann von cchtem Schrot und Korn, ein ausgezeichneter 





— 1% \ 


Lehrer, ein vortrefflicher Gejchichtichreiber, \ 
hat mit Ausnahme der unmittelbaren Schüle! 
Seine Schriften blieben ungelefen oder unv t 
dahin im großen —— Strome, viel zu ſtanden. ee 
ſchmeichelnden oder Lärm machenden Kritik ahen * —— als 
Gelehrter, wie als Menſch geſtaltete ſich ſein Leben geren 

a ee mer mehr zu einem 
rein innerlichen, und bejchäftigte jich jein weltabgejd) opener Geift immer 
inniger mit jenen großen Fragen der Menjchheit, welche de tiefften Denfern 
aller Zeiten und aller Völker doch nur ungelöfte Räthfe Der 
Gelehrte ſchrieb die gezeitigten Früchte feiner langjährigen phr, 
Gedanfenarbeit noch nieder, brachte fie aber nicht in Drud. In fein 
lajje befindet ji ein umfangreiches Manuſcript mit der Ueberjchrift: 
Wijjenihaft vom Geiste" Es ift mir wohl gegönnt geweſen, 
blie in dasjelbe zu nehmen; indejjen fühle ich mich nicht berufen, auf 
Inhalt des Näheren einzugehen. Soviel kann ich wohl andeuten, daß 
Ihweres Stück geijtiger Anftrengung eines nach Klarheit und Wahrhe alt 
tingenden Denfers in der Handjchrift niedergelegt it. Im erjten Theibrene 
jenes Werkes unterjucht Nefjel die Syſteme der neueren Bhilofophen ſeidag 
Kant, wobei er zu dem Ergebniſſe gelangt, daß ihn kein einziges befriedigen | | 


sin tiefer Denker. Die Mitwelt 
: feine Bedeutung nicht erkannt. 





















kann. Gr baut daher im zweiten Theile „der Wiſſenſchaft des Geiſtes“ 
jein eigenes Syſtem auf, das in feiner Art ſeltſam und originell genug 
it, um die Beachtung weiterer Kreije, wie der der Fachmänner, auf fich zu k 
lenfen. Die Schwierigkeiten einer Veröffentlichung, aucd nur einer auszugs- | 
werfen, jcheinen aber dermalen unüberwindlih, und jo möge wenigjtens 
den Verfügungsberechtigten gegenüber der Wunſch ausgejprochen werden, 
die werthvolle Handjchrift nicht fiir immer der Vergefjenheit oder wohl gar 
der Vernichtung Preis zu geben. 

Was fich weiter noch in Reſſels Nachlaß an Handichriften vorgefunden 
bat, ijt mir nicht befannt. Nach meinem Ermeſſen follte wohl mancherlei 
vorhanden jein. Mir ijt 3. B. ganz genau befamnt, daß Rejjel in den 
fünfziger Jahren an einem Buche „über die deutſche Sprache" arbeitete. 
Ich balf als Gymnaſialſchüler dasjelbe mit zu Papier bringen, indem ich 
eine Zeit lang dem dictirenden Gelehrten als Schreiber diente. Gedichte 
Reſſels follen durch Herrn Bittner in Brüx der Deffentlichfeit demnächſt 
übergeben werden. Diejelben dürften aus der Fugendzeit des Gelehrten 
jtammen. Von großem Intereſſe wäre es, die Briefe Reſſels zur Einjicht 
zu baben. Der der Welt Entfvemdete jchrieb nur jpärlich; aber jeine wenigen 
Briefe dürften um jo wertbvoller für die Benrtheilung feines innerjten 
Weſens fein. 


Pa ee 





— 171 — 


Es würde mir zur großen Befriedigung gereichen, wenn ich mit vor— 
ſtehenden Zeilen bei meinen deutſchböhmiſchen Stammesgenojjen ein gewiſſes 
Intereſſe für unjeren Landsmann W. 3. Reſſel erwedt hätte. Hervorragende 
Männer, wie Rejjel, dürfen vor Allem bei den engeren Stammesgenojjen 
nicht der völligen Vergefjenheit anheimfallen. Wir Deutſchböhmen find 
nicht arm an Männern, welche die Ehrung der Nachwelt verdienen; wir 
brauchen gar nicht auf den Tächerlichen Abweg zu gerathen, Mittelmäßigfeiten 
zu Größen aufzubaujchen. Das Angedenfen wahrhaft bedeutender Männer 
aber jcehuldet der Geburtsort in erjter Linie durch irgend ein Äußeres 
Zeichen zu ehren. Das Anbringen von Gedenktafeln an den Geburtshäufern 
hervorragender Ortsfinder ijt gewiß eine jchöne Uebung. Im vorliegenden 
Falle wird es wohl feiner weiteren Anregung bedürfen, um Rejjels Namen 
in jeiner Baterjtadt Neichenberg auch äußerlich in dauernder Erinnerung 
zu erhalten. Maßgebende Perſönlichkeiten haben in diefer Beziehung bereits 
das freundlichjte Entgegenfommen befundet. Brüx, die zweite Vaterſtadt 
Reſſels aber, welche den Gelehrten bei Lebzeiten vielfach auszeichnete und 
ehrte, wird wohl auch die Fürſorge übernehmen, den Dahingejchiedenen 
durch ein würdiges Grabdenfmal in treuem Angedenfen zu bewahren. Im 
Herzen werden dies Alle thun, welche ihn gefannt und erfannt. 


Beiträge zur Gefdidte des böhmifhen Auf- 
ſtandes von 1618.) 


Bon Dr. Iulins Krebs. 


I 


Ertract aus einem Barticularjhreiben von Prag, 
vom 23. Mai 1618. 


Nachdem die böhmischen Stände der veformirten Religion sub utraque 
zur Erhaltung ihrer Kirchen und freien Erereitiums ihrer Religion, dieweil 
1) Bon den folgenden Actenſtücken ftammen diejenigen, deren Urſprungsort nicht 
näher bezeichnet ift, au? dem im föniglichen Staatsarchiv zu Breslau befind- 
lichen Copialbuche des Herzogs Georg Rudolf von Liegnig. Die beiden eriten 
Berichte find bezeichnend für den Eindruck des großen Ereigniſſes auf die 
Gemüther der Zeitgenoffen; der dritte gibt einige bisher noch unbefanute Ein- 
zelheiten und ergänzt damit Skalas und Slawatad Mittbeilungen über den 
Fenfterfturz nicht unweſentlich. 


u: A 


man ihnen diejelbe wieder nehmen und einreißen wollen, eine Zuſam— 
menfunft gehalten und fie nach gehaltener Zuſammenkunft von dem 
Oberjten Herrn Burggrafen und Präfidenten Herrn Schlawata und Herrn 
Schmetzanßky hinauf in das Schloß in die Canzelei feind erfordert worden, 
und als jie alda erjchienen, warum fie wider Ihr. Maj. Verbot dieſe 
Zuſammenkunft gehalten, befragt worden, hat ſich ein Unmwillen unter 
ihnen zugetragen. Man kann aber noc) nicht eigentlich wiſſen, was für 
ein Streit e8 muß geweſen jein; aber vermutlich, daß gemelter Herr 
Schlawata und Herr Schmetzanßky etwas gröblicy wider gemelte Herren 
böhmishe Stände müſſen geredet haben. Sintemalen gemelte Herren 
Stände in großem Zorn ermelten Herrn Schlawata, Herrn Schmetzanßky 
jammt dem Secretario Philippo aus der Kanzlei zu dem enter hinaus 
in den Schloßgraben gejtürzt haben und den böhmischen Secretarium, 
Michna genannt, zu einem öffentlichen. Schelmen gemacht, und wo er 
nicht wäre ausgerifjen, hätte er ohne Zweifel auch den Sprung thun 
müſſen. Männiglich vermeinet allhier, daß was Sonderliches daraus ent- 
jtehen werde; injonderheit, weil gemelte Stände dieſe Verſammlung ſammt 
der Bürgerjchaft der reformierten Religion wider Ihr. Maj. höchſtes Ver— 
bot bei Berlierung Leib, Ehr und Gut gehalten haben. Und follen gemelte 
zwene Herren und der Secretarius, als fie aufgehoben worden, noch ein 
wenig gelebt haben, jei aber unmöglich, daß fie beim Leben fünnen bleiben, 
jintemal der Fall gar zu hoch gewejen. Was weiters daraus werden wird, 
giebt die Zeit. 


1. 


Ertract aus einem vertraulichen Schreiben, ddo. Bran- 
dei3, 25. Mai 1618. 

Den 24. dito wird mir aus Prag gefchrieben, daß den 23. ejusdem 
zwijchen 10 und 11 Uhr Herr Wilhelm Schlawata, Kammerpräftdent und 
Oberjter Landrichter des Königreichs Böhmen, wie auch Herr Schmeganfky, 
Burggraf zum Karlftein, ſodann Magifter Philipp, Secretarius, zu den 
Fenſtern aus der Kanzlei in den Schloßgraben geftürzet worden, von 
welchem Fall fie, ob fie zwar damals, als das Schreiben datiert, noch 
nit gejtorben, jedoch weil es nicht eine jchlechte Höhe und die Graben von 
lauter Steinfelfen, wie leicht zu erachten, wenig Lebens mehr in fich ge 
habt und feine Hoffnung gehabt, daß jie mit dem Leben jollten davon 
fommen. Wie e8 aber zugangen, und aus was Urjachen und durch men 
jolches begangen, wird particulariter nit gemeldet; jedoch, weil berichtet 
wird, ſam ſich die Stände sub utraque hernady des Schlofjes impatro— 


— 153 — 


niert, ijt leicht zu gedenfen, daß fie nicht weit davon gewejen fein müjjen. 
Denn diejes einmal gewiß, daß die Vornehmſten unter ihnen jehr er- 
grimmt geweſen und vefolvieret beim Majejtätsbriefe alles zuzufesen. Daß 
es aber jo plöß zu einer Extremität gedeihen jollen, ijt wohl nicht zu 
vermuten gewejen. Was nun daraus erfolgen wird, ift leicht zu er— 
achten; es will auch die Rede gehen, jam Michna zu einem Schelmen 
gemacht worden. 

Aus Hungarn berichtet man, daß König Ferdinand eher nicht, als 
nad Erledigung felbiger Gravaminum und Confirmierung der Privilegia 
und Bündniſſe mit anderen Ländern gekrönt werden jolle, und daß Sig- 
mund Forgatich, des verftorbenen Cardinals Bruder, Balatinus worden. 


II. 

Zeitung aus Prag vom 25. Mai 1613. 

Nachdem den 23. Mai die Herren Defenjores und evangelijchen 
Stände in großer Anzahl als fie den Tag zuvor im Collegio Caroli IV. 
zufammen fommen und gleich im Rat gewejen, werden jie avijieret, daß 
die oberjten Herren Landofficierer und Statthalter die Wache im Schloß 
von ein hundert Daun gejtärfet, mit dem Anfchlag, daß mıan allein die 
Herren Defenjores, jonjten aber fein Gejindel ins Schloß hätte laſſen 
jollen, alsbald bat man diefelben gefangen nehmen und ihres Teils kürzer 
machen jollen. Wie jolches lautbar worden, haben die Herren Stände 
Gejandte aus allen drei Ständen in die Kanzlei abgeordnet, mit Begehren, 
dag man ihnen auf folgenden Tag Audienz geben wolle; dazu die oberjten 
Herren Yandofficterer und Statthalter auch gewilliget. 

Interim hat ſich ein jeglicher Cavalier zu Haus gemacht, jich mit 
Musfetierern, Piftolen und anderen Röhren zu Roß und Fuß in großer 
Frequenz verfammelt, in Meinung, daß fie nod) diefen Tag in die Kanzlei 
ſich hätten verfügen follen, jo aber bis auf folgenden Tag differiert und 
verlegt worden. Wie jolches die Jeſuiter erfahren, jind ihrer mehr als 
ein zwanzig Paar aus dem Collegio gangen und beim Herrn Schlawata 
und Schmeganßfen und anderer Orten bis in die Nacht Rat gehalten, 
daß alfo diefen Tag über es ganz jtille gemwejen. 

Den 23. diefes haben fich teils Cavaglieri und Stände beim Herrn 
Grafen von Thurn, teil beim Herrn von Fels und Herrn von Lobkowitz, 
und teils im Collegio verfammelt, doch aber nachmals einhellig jich auf 
den Saal und in die Kanzlei verfüget, aber fi) niemand anders als Herr 
Oberſter Burggraf, Herr Wilhelm Schlawata, Herr von Martinig, Herr 


— 1714 — 





Grandprior von Lobfowig und Secretarius Philipp befunden. Wie die 
Herrn Stände vorfommen, haben jie die Originalia des Taiferlichen Be— 
fehls zu fehen begehrt. Darauf man geantwortet, man wiſſe nicht, wo 
jie wären. Wie mans nit herfürgeben wollen, fängt Herr von Ruppa 
an, thut eine ftattliche Rede und verweifet ihnen die Untreue, jo an ihnen 
den Herren Dejenjoren und evangelifchen Ständen, dann auch am allge: 
meinen Vaterlande jie übeten und erwiejen hätten. tem ward ihnen 
eingehalten, daß fie sub — et obreptitie diefelben Befehliche erpracticieret. 
tem hat man ihnen den Majejtätsbrief ratione religionis, item die Ca— 
pitulationes8 und Bereinigung, jo zwijchen den Evangelijchen und Katho— 
lichen aufgerichtet worden, item die Landtagsbeſchlüſſe, wie auch die Pro— 
tejtation, jo wider Herrn Oberſtkanzler, Herrn Schlawata und Herrn von 
Martinig, daß diejelbe obbemelte Capitulationes nicht unterjchreiben wollen, 
die evangelischen Stände bei der Landtafel eingelegt, und alſo eins nad) 
dem andern ablejen lajjen und darauf gejchlojien, daß jonderlich Herr 
Schlawata und Herr v. Martinig diejenigen wären, welche die evangelijchen 
Stände dem erteilten Majejtätsbrief und habenden Brivilegien zuwider bis 
anhero verfolgt und gedrucdt hätten. Darauf bald einer, bald der andere 
großer Beichwerungen fie bejchuldiget und entjchlofjen, weil der Majejtäts- 
brief bejage, daß zu dergleichen Perſonen, als zu Berhinderern und Ber- 
jtörern des gemeinen Friedens jollte gegriffen und fie in die ausgejegte 
Strafe gezogen werden, als wird die umjtehende Gemeine befragt, ob jie 
dieje beiden für dergleichen hielten, und ob zu ihnen möchte gegriffen 
werden, haben fie einhellig Ya, Ja gejchrieen. Darauf hat man Herrn 
Oberſten Burggrafen angeredet, ob ihm zwar gebühret hätte, jolches zu 
verhüten, jedoch weil er überſtimmt worden und darem conjentieren müjjen, 
wolle man es ihm zu diefem Male gejchenft haben, wie auch Herrn 
Kreuzheren dem von Lobfowig ſolches nicht zumeſſen, weil er zu dergleichen 
Natjchlägen nicht gezogen worden, derowegen begehrt, beide Herren jollten 
aus der Kanzlei entweichen. Alldar fich bald Herr Peter von Schwan: 
berg und Herr Gottlob Berka befunden, Herrn Oberjten Burggrafen in 
die Mitte genommen und zur Kanzlei hinausführen wollen; da dann der 
gute Alte vor Erjchrednis faſt nicht fortgehen können, aljo daß auch fie 
beide Herren ihn bis zum dritten Male ermahnet, jagende: E. Gn. gehen 
fort, es ift Zeit! Wie man ihn aljo hinaus geführt, vufet Herr von 
Martini: Ad, E. Gn. Herr Vater verlaffen mich nicht. Weil er aber 
fortgehen müſſen, fraget er heraujen vor der Kanzlei in der Wartjtuben: 
Ah, man wird fie ja nicht umbringen! Aber ihm ward Feine Antwort 
auf jeine Fragen. 


— 15.— 


Wie nun dieje beiden herausgeführt waren, wird nod) einmal gefragt, 
ob zu diejen beiden, als Herrn Schlawata und Martinis, als Zuverhin- 
derern und Zerjtörern des Landfriedens zu greifen je. Wird einhellig: 
Ya, ja! geantwortet. Darauf ward erſtlich Herr von Martinig herfürge- 
zogen, zum Fenſter geführt, und wiewohl er jich jehr gejpreizet und ge: 
wehret, auf die Kniee niedergefallen und um Gnade gebeten, hat doch 
nichts jchaffen wollen, jondern aufgehoben und zum Fenjter hinaus ge: 
worjen worden. Nachmals wird Herr Schlawata genommen, welcher ſich 
nicht hart gewehret, jondern allein zuvor zu beichten begehret; weil es 
aber nicht Zeit gewejen, ijt er ebenermaßen aufgehoben und zum Fenſter 
binausgejtürzt worden. Wie ingleichen und zum dritten Herr Secretarius 
Philipp Fabricius, weil er ebenermaßen in dem Ratſchlag ſolle gewefen 
jein. Weil aber an demjelben Orte viel Kehricht und weicher Schutt ge- 
iwejen, ijt feiner auf der Stelle tot geblieben, jondern Secretarius Philipp 
ijt incontinenti davongelaufen; Herr von Martinig hat fi) auch bald 
wieder aufgerichtet, Herr Schlamata aber hat jich nicht rühren können, wie 
man ihn auch davon halb tot in der Fran Oberjten Kanzlerin Haus 
tragen müſſen. Was nun diefer Proceß bei männiglichen für eine Con- 
jternation erreget, iſt nicht zu bejchreiben. * 

Wie diefer Paß vorüber, haben die Herren Defenjoren den Oberjten 
Herrn Burggrafen, wie auch Herrn von Lobfowig, Kreuzheren, zu dero 
Loſament begleiten laſſen, nachmals vom Herrn Schloghauptmann einen 
Handjtreic) genommen und ihme die Schloßguardi ſchwören laſſen, darnach 
allerlei Fürjorge angeordnet, daß fie in allen Städten ficher und ftille 
verblieben und die Gemeine auf folgenden Tag um 3 Uhr in die Land— 
jtube zu erſcheinen beſchieden. Diefen Tag hat jtrads die Fran Oberfte 
Kanzlerin zu Herrn Grafen von Thurn geſchickt und ſich in der Herren 
Defenforen und Stände Schuß recommendieret. 

Den 24. diejes, als die Landjtube ganz voll von vielermelter Ge: 
meine fich verfammelt, haben alle niedergefnieet und ingleichen zu Gott 
gejeufzet und gebetet und darauf ein andächtig Lied gejungen, nachmals 
Rat gehalten und endlich die Gemeine ermahnet und befraget, daß welche 
wollten bei den Herren Defenforen halten, die jollten zwei Finger auf: 
heben, jo aud) incontinenti von allen bejchehen. Nach vollbrachtem Jura— 
ment haben die Ratsperfonen aus allen dreien Städten für jih und an 
Statt der Gemeinden, wie auch die anderen zwei oberen Stände den 
Herren Defenforen Blenipotenz und Vollmacht aufgetragen, Kriegsoberite 
zu bejtelfen und Volk zu werben. Welches auch gejchehen, und Herr Graf 
von Thurn zum Oberjten Feldherrn, Herr Leonhard Eolonna, Herr von 


= — 


Fels zum Oberjten Feldmarjchall, Herr von Bubna zum Oberwachtmeiſter 
und Herr Caplivs zum Ober» Quartiermeijter damals incontinenti iſt 
elegieret und publicieret worden. 

Nach bejchehener diefer Declaration, weil fonderlich der Rat der alten 
Stadt Brag derofelben Gemeinde verwarnen wollen, daß fie nit unter die 
Herren Defenforen hätten fommen follen, nachmals aber Gnade gebeten, 
jo fie auch erlanget: Als ijt allen Ratsperjonen aus allen drei Städten 
mitgegeben worden, ihre von jich gegebene Plenipotenz mit dero größeren 
Ratsinjiegeln zu befiegeln, wie auch ein Verzeichnis derjenigen Perjonen, 
welche die Verhindernis gethan, daß die Gemeinde nit hat unter die Herren 
Defenjoren fommen dürfen, auf folgenden Zag um 8 Uhr in die Land— 
jtube mit ich zu bringen und ven Herren Defenforen einzujtellen ; welches 
fie gerne zu thun alsbald verwilliget. 

Weil Doctor Ponzon viel giftige Ratſchläge wider die evangelijchen 
Stände eine Zeit Hero geben helfen, ſich auch verlauten laſſen, er habe den 
Zutheriihen und Calviniſchen Hunden das Bad zu Wien ziemlid) geheizet, 
bat ſich der Beitiazza aus Furcht jeines böſen Gewiſſens zu den Kapu— 
zinern ins Klofter verjteckt, wie auch jonjt eine Truhe mit Silber und 
eine mit Schriften und Briefen zu Peter Baul Falfenmeijter in der Neu— 
jtadt in Verwahrung gegeben. Derowegen man demjelben nachgejtellt und 
durch Commiſſarien aus allen drei Ständen aus der Kapuziner Klojter, 
welche anfangs gar nicht bekennen wollen, daß jie ihn veceptiert, bis jie 
mit Bedräuung einer Bifitation dazu genötigt worden, jo über der Kirche 
unter dem Dach im feinen Thirmlein verhehlet geſteckt, den ſchönen Vogel 
ausgenommen und um 12 Uhr zu den Herren Defenjoren gefangen ge- 
bracht; welcher auch bald etliche Stunden nach einander iſt gütlich era: 
miniert worden und wie man jagt viel feltfame Sachen und Praktiken 
jolle gepfiffen haben. Nacmals hat man ihn auf [das] Kleinfeitner Rat— 
haus bis auf weiteren Beſcheid ins Gefängnis gegeben. Was man weiter 
mit ihn vornehmen wird, giebt die Zeit. 

Diejen Tag in aller Frühe um 6 Uhr ijt Herrn Schlawatas Frau 
Gemahlin zu Heren Grafen von Thurn gekommen, ihm einen Fußfall 
gethan und darüber in Ohnmacht gefallen. Nachmals, als man jie wieder 
erquidet, vermeldet, daß ihr lieber Herr die Stände um Gottes Willen 
um Berzeihung bitten ließe und befennete, daß er unrecht gethan, dieſe 
Strafe verdient, weil er wider Gott, wider die LZandesprivilegien, fein 
Gewiſſen und das Vaterland gefündigt hätte, Derowegen er auch alles, als 
cin Sterbender, ihnen verziehen; allein weil er vom Herrn Schmegansty 
und den Jeſuiten wäre dazu angeleitet worden, er aud den Papſt in dieſem 


I 


ar 


Fall gratificieren wollen: Als bäte er Perdon und vecommendierte ſich den 
Herren Ständen zu Gnaden und Schuß, begehrte auch feinen Dienft, allein 
daß er mit jeinem Weib und Kindern auf jeinen Gütern im Frieden ver: 
bleiben möchte. Hierauf die Herren Stände ſich rejolvieret, weil er aud) 
beinebens andeuten lafjen, daß er noch andere Praftifen mehr entdeden 
wolle, jo wider die Stände augejehen gewejen, daß er einen Revers dies- 
falls von jich geben und alles jchriftlich verfaſſen folle, jo er auch zu than 
fih willig anerboten, daß ihm Gnade erzeigt werden folle. 


IV. 


Ertract aus einem Schreiben, jo datiert Brag, den 
2!. Juli 1618. 

Was Ihre Maj. vom 9. diejes an hieſige Divectores gejchrieben, und 
was ihre Antwort darauf, fo gejtern mit einem eigenen Courier fortgeſchickt 
worden, werden E. Gn. aus beiden Copien, jo der Herren Directoren 
Schreiben beigebunden, vernehmen. Welches Schreiben mir Herr Graf 
Johann Albin Schlid fortzujchiden zugejtellt, welches ich aud ohne Be— 
denfen, nachdem ich dejjen Inhalt zuvor gelefen, angenommen und hiermit 
durch dieſe Poſt aljo fortgejchidt. 

Herr Graf von Hollach hat ſich nunmehr jeines Oberjten Standes, 
als die Gejandten von Kurſachſen zurüd fommen und gemelter Graf, weil 
er aldar in Beitallung, Rejolution befommen, gänzlichen angenommen; die 
foll diefen Morgen in consilio directorum abgelefen und ihm zugeftellt 
werden. ") Seine Reiteret joll er bereits meistens aus dem Neid und den 
Niederlanden in geheimer Bereitfchaft haben, daß er aljo deſto ehender 
damit aufzufommen vermag. Der Stände Volk befindet jich in 8000 
dato, 2 Regiment und 2000 Pferde. Es wird aber noch fort ein Fähndel 
nach dem andern, wie aud von Neiterei, hinnach geſchickt. 

Diejen Morgen jollen etliche Compagnieen Reiter des Bernheims 
und anderer gemuftert werden, die jollen beides au Mannjchaft und Roſſen 
wohl gerüftet beftehen und werden bald von der Mufterung aufs Land 
einquartiert. Seind den Bauern unangenehme Gäfte, müfjen ihnen Bier, 
Wein und Fleiſch zuführen, wechjeln und tauchen mit den Rofjen, nehmen 
fie aud) wohl gar, jchonen feiner Religion, Herrichaften noch Güter, 

Dergangenen Donnerjtag hat man die Altjtädter gemujtert, künftigen 
Montag jol’s mit den Neuftädtern auch bejchehen, zu erkundigen, wie, da 
Gott für fei! aufn Notfall man fich zu verlaffen. 


— 18 — 


Um Budweis ift beiderfeits noch Stille; die Einwohner daſelbſt auf 
des Grafen von Thurn Gutheißen ſollen ficherlich einernten. Wie aber zu 
vernehmen, joll das Ffaiferliche Volk im Anzuge fein und wird beiderfeits 
feines die Schanze gerne verjchen. 

Der kurpfälziſche Geſandte iſt geſtern wieder von hier, iſt wohl allhier 
gehalten und von einem und dem andern eingeladen worden, wegen I 
Herrn gute Reſolution und Aſſiſtenz hinter ſich gelajjen. 


Den 18. diefes ijt der [jchlefischen] Herren Fürften und Stände 
am 14. datiertes Schreiben anhero kommen; ) find nunmehr wohl content, 
und hat man faſt dejjen Juhalt ein 14 Tage zuvor allhier gewußt, wie 
ic) in der nächſten Poſt vermeldet. 

Graf Schlid muß in der deutichen Sache jelbjt Secretarius fein, 
hat dies und vorige jchleftsche Schreiben ſelbſt concipieret, halten gute, 
fleißige und jtete Correfpondenz ins Reich, dahin von hier aus Boten 
liegen; wie auch nad) Niederland zu den Herren Staaten, die gar freundlich 
geantwortet und hülflichen in ihren Widerwärtigkeiten ſich erboten. 

Die große Apologia ſoll künftige Woche in böhmischer Sprache im 
Drud publicieret, nachmals zu fremder Nationen Rundbarfeit in deutfche, 
lateinische und weljche Sprache vertiert werden. Sie fümen zwar ungern 
daran, müßten e8 wegen böfer Ratgeber thun, weil jte auch nunmehr 
den Ernſt verjpürten, Es wären Pfaffen- und jefuitiiche Conſilia, wie 
ihnen denn beigelegtes lateiniſches Schreiben intereipiert worden.?) Der 
Höchſte aber würde ihnen widerjtehen und es durch vornehmer Botentaten 
Interpoſition einen anderen Anschlag gewinnen, dazu fie nächjt Gott 
vorncehme und der Länder Aſſiſtenzen hätten. 

Der Landeshauptmann in Mähren wider öffentlichen Schluß hat 
wollen alterieren und zweien Landſaſſen befohlen kaiſerlich Kriegsvolk durch— 
pajjieren zu laffen und an die Grenzen zu begleiten, die es gleichwohl, 
weil e8 wider ihren Schluß, nicht thun wollen. Es ift aber jchon in 
anderen terminis, und möchte auf eine Zeit nicht wohl neben ihm zu figen 
ſein, denn bald von hier aus an die meijten mährifchen Herren gefchrieben 
worden. Sonften iſt's in hiefigen Prager Städten und aufm Lande gar 
fiher. Es wird nur eim Fähndel Knechte, jo täglich zum Wachten auf- 


1) Abgedrudt bei Palm, Acta publica f. 1618, 142. 

2) Dies Schreiben eines Jeſuiten Gregor Rumer, ddo. Pafjau 19. Juni 1618, 
an den Rector de3 Jeſuitencollegiums in Gras Peter Wilhelm Lamormain 
ftegt bei. Es findet ji) darin der Sat: Nunquam erat major occasio eri- 
piendi Bohemis omnia privilegia, quae sunt in detrimentum religionis. 


— 179 — 


und abgeführet, allhier gehalten, es läuft aber noch fort aus allen Landen 
zu. Wer da fortreifen will, jonderlich auf die Wiener Straßen und von 
föniglichen Leuten, gehet es ſchwer mit dem Paß her, wird genaue Acht 
darauf gegeben. 

V. 

Zeitung aus Prag vom 3. Juli 1618. 

Geſtern nachmittag ſind die Herren Defenſoren wegen des Feſtes in 
der Landſtuben nicht, ſondern bei Herrn Wilhelm von Lobkowitz vorm 
Sandthor zuſammengekommen und um ſechs von einander gezogen; alldar 
die Geſandten, ſo in Mähren geweſen, gehört und ihre Verrichtung abge— 
nommen. Seind wohl acceptiert worden, weil ſie ſo gute Expedition ge— 
habt, erfreuen und getröſten ſich darüber, daß die Mährer alſobald und 
in der Geſandten Anweſenheit umgeſchlagen und alſo mit gutem, auser— 
leſenem Volke?] in voller Bereitſchaft fein, hätten ſich mehr, als bei 
währendem Türkenzuge angegriffen und wollten interim die Grenzen ein— 
nehmen. Ingleichen haben die Herren Directores damals Gejandte au 
Kurpfalz, als Herrn Georg von Ruppa, Herrn Silber und von Städten 
den Köchel diefen Morgen fortzueilen, ſowohl auch nach Baiern abgefertigt, 
etliche Hanptleute zu einem Regiment wiederum bejtellet, und ziehen nicht 
allein von gemeinen, wohlverfuchten Soldaten, fondern auch von Haupt: 
und Befehlichslenten zu, daß fie ausklauben können. Haben nur Mangel 
an Musfeten, daß man das Volf nit bewehren kann; deswegen die Burjchen 
noch unbejtallet umblaufen. | 

Wie ich von Herrn Frühwein und Sereto vernommen, wird man 
wo nit heut, doch morgen einen Courier nah Schleſien abjertigen, zu be: 
richten, was Ihre Maj. vergangenen Sonnabend den Ständen zugejchrieben, 
daß fie männiglich bedreuet, mit Kriegsmacht hereinzuriiden. Die 9 Fahnen 
Fußvolk und bis in 7000 Pferde, fo nad Budweis und Krumau gejchidt, 
weil ſich die Budweijer widerjegen und die Bejagung nicht gutwillig ges 
ſchehen laſſen wollen, damit joll Herr Graf von Thurn mit Gewalt fort: 
Tahren, ihnen das Wafjer benehmen und [auf?] die Teiche auf der anderen 
Seite Iosziehen. Wie denn gleich ein Courier kommen, mit Bericht, ſie 
hätten jchon etliche Stürme gethan, und wofern fie zu ſchwach, jollte als— 
bald das Volk bewehret und etliche Fahnen ihnen nachgejchieft werden; an 
welchem auch wohl was fein muß, weil die Herren Directores eines Theils 
zu dem von Lobkowitz erfordert worden. 

Es ijt nur das Gejchrei allhier von beiden Parteien von den Schle— 
jiern, wenn ſie fommen würden, jo würde es ein rechter Ernſt fein; zumal 


-— 460. 


weil jie nun aus Mähren, daß fie bei Böheimb diesfalls halten wollten, 
jo gute Botjchaft befommen. 

Ein Fähndrich, Reymund Ducher genannt, joll nachmittags auf Wien 
pajjieren und auf das ſcharf abgegangene Schreiben die Antwort, was die 
Böhmen endlich zu thun entjchlojjen, oder was ſie von Ihr. Maj. be: 
gehren, dem Kaijer zubringen. Diefer und anderer mehr jeithero abge- 
gangener Schreiben hätte ich gerne Copien mitgejchidt, wird aber mit 
commmmuniciert, bis fie fortgejchict, e8 auc mit dem Transferieren ſich 
etwas verzeucht. 

VI. 

Zeitungen aus Wien, vom 14.,, 15., 17. und 18. Auguſt 1618, 
(im Auszuge). 

Den 11. nachmittags ijt König Ferdinand von hier big auf Wolfers- 
dorf über Nacht, folgends nach Brünn zu dem allgemeinen Landtage auf 
gebrochen; der Kaifer begehre der Mährer Volk zu jeiner Hilfe. Es gehe 
aber gemeine Nede, daß diejelben weiter als zur Landesdefenſion, erprefie 
aber und durchaus wider die Böhmen nicht wollen, und ſollen an die 
300 Knechte bereits entlaufen ſein. Es wird gemeldet, daß Ihr. Maj. 
Bolf, jo bei Znahm Znaym] auf Räzer, der Frau Kraufenedin, ) Grund 
und Boden ihr Feldlager haben, aufbrechen und fortrüiden jollen, darunter 
das auserlejene bejte Wolf das des Don Balthajar jei, welcher aber noch 
bis dato, wie auch der Oberjte Artolleriemeijter, der Fuchs, an dem kaiſer— 
lihen Hofe allhier ji) aufhält. So liegen auch allhier Ihr. Maj. etzlich 
Bol zu Roß immer und außer der Stadt, wie auch zu Fuß, von dejjen 
Aufbruch man aber nichts höret. 

Klejl ift den 29. Juli zu Innsbruck in dem güldenen Thurm mit 
einer ihm unangenehmen Euftodi und Lofier verjehen worden; Ddesjelben 
confisciertes bares Geld, ohne Gold und die Weine — zu jehweigen der 
Schulöbriefe, des den Venedigern vorgejtredtten Geldes und anderer Dar- 
lehen — welches mit den obigen Poſten auf viel Millionen neben vielen 
heimlichen Schreiben befunden worden, in fiebzehn anderthalbeimerigen 
Fäplein auf 20.000 Millionen [!] ſich erjtredet. Hiervon alsbald zur Ab: 
zahlung etlichen Kriegsvolts 50.000, dann zu der türkischen Botjchaft Ab- 
jertigung und zu Fortjendung an die türkische Pforte jtatt Ihr. Mai. 
180.000 Gulden deputieret und ausgezahlt worden. Und ijt bet jolcher 
Legation Herr Ludwig von Molar Orator. Ueber hiejiger türfifcher Bot- 


1) Eine intereflante Nachricht über fie bei Balm I. c. 153. 


wg 


— 131 — 


ſchaft Abfertigung ift man jet in deliberatione. Sonften joll dem Gra- 
tiano allerdings wegen Verluſt Kleſls nicht mutig und zu Paß fein, indem 
er fürchtet, daß er diejes dem türkischen Kaifer nicht werde verrichten können, 
was von ihm wäre promittiert worden und eßlichermaßen wegen der 60 
Dörfer hevvorgeblidt [?]. Wie vornehme Converfationes gebeu, jo muß er 
gewißlich ein Unerhörtes tractiert haben. Es iſt dem Klejl zu Ehren ein 
jonderlicher induftrialifcher Weg zur Abfuhr gemacht worden, welchen ex 
gewiß hat vor die Zeit feines Lebens nie gefahren, und ijt hiervon beijer 
zu reden, als zu jchreiben. 

Den 11. diefes it Herr Johann Paul, von Ihr. Durchl. kurfürſt— 
licher Heidelbergifcher Gejandter allhier zu Schiff auf der Donau anfommen, ’) 
der erwartet ehejt3 anderer mehr; und wird berichtet, daß er eher bei Ihr. 
Maj. um Audienz nicht anhalten werde, bis die anderen ihm zuftoßen. 


Hat fein Lojament nahe beim roten Turm beim jchwarzen Elephanten ge— 
nommen. 


Gejtern Abend [13. Auguft] nahend 4 Uhr find durch göttliche Ver— 
leihung J. F. Gn. Herzog Johann Chriſtian in Schlejien zur Liegnitz und 
Brieg aus Schleften allhierv wohl und mit einen ſchönen Comitat der jei- 
nigen und anderer jchlefischer Geſandten, in die hundert und fiebzig Roſſe, 
eingezogen und zum voten Krebs einquartiert worden. 

Herr Siegfried Kollonitich iſt bis dato nicht befreiet, wird auch von 
der ganzen Liberierung nichts gehöret. 

Jeſſensk Jeſſenius] wird etwas linderer und milderer im Gefängnis 
als zuvor gehalten, doch von feiner Roslaffung hört man noch zur 


Zeit nichts. 
| VI. 
Verzeichnis 


des kaiſerlichen Kriegsvolks, ſo bereits wider die böhmiſchen 
Landſtände und innerhalb 8 Tagen an derſelben — gegen Wiegla 
und Neuhaus ankommen und einfallen werden: 


1) Ueber Andreas Pawel und ſeine Thätigkeit in Wien findet man Näheres 
in meinem oben angeführten Büchlein p. 90 fge. 
Mittheilungen. 26. Zahrg. 2. Hert. 13 


x 
\ 


— 132 - 


Reiterei Pferde 
Herr Graf von Buchheim 1000 
Graf Dampierre 500 
Don Balthaſar 500 
Grenzhuſaren 300 
Herrn Oberſt Fuchs Artollerei 300 
Fürſt von Sachſen 100 

thut 3200 Pferde 

Fußvolk 
Sächſiſch Regiment | 3000 
Graf Collalto 1500 
Stauder 1500 
Oberſt Striechingen 2000 
Oberſt Fuchjen 3 Fähndel 900 
Heiducken 500 


thut 9400 
Summa zuſammen 12600 Mann. 
Und was der Counte de Bucquoi aus dem Reich und Niederlanden 
mitbringen wird. 


VIII. 

Balthaſar Hoffmann, ſtändiger Agent der ſchleſiſchen Fürſten 
und Stände, an den Oberlandeshauptmaun Herzog Johann Chri— 
ſtian von Brieg, Prag 25. September 1620. (Im Auszug.) Archiv 
der Stadt Breslau. 

Die Reiſe des Königs, die geſtern hätte fortgeſtellt werden ſollen, 
iſt aus ſonderlichen Bedenken bis auf künftige Woche verſchoben worden. 
Er wird dem königlichen Hoflager auf Johann Chriſtians Wunſch bei des 
Königs Abreiſe folgen und immer berichten, wo der König ſich aufhält. 
Der Großhofmeiſter Graf von Solms hat ihn gefragt, ob er wegen der 
begehrten taufend Pferde Nachricht habe, welche zu Ihrer Maj. Fortzuge 
auf die Grenze verordnet werden jollten:!) ob die alfbereit im Anzuge 
wären, oder ob jie ſchon fortmarjchieren thäten. „Hab aber Ihr. F. Gn. 
zur Antwort geben, daß mir hiervon nichts wiſſend.“ 

Geſtern Vormittag zwifchen 11 und 12 Uhr hat man den von Grünthal 
jammt jeinen Aufmwärtern und Gejindlein von der Zittau auherobracht und 
ihn hinter der Schloßkirche beim St. Annenklofter in ein Haus einguartiert. 


1) Balm, Zeitſchr. d. V. f. Geſch: und Alt. Schlefiend XII. 290, 


J —* Pe ö . 


— 19 — 


Hernach gegen Abend hat Herr Obrijter Kanzler und der alte Herr 
Budewig (Budowec), Appellationspräftdent, mit Zuziehung Herr Vicefanzlers 
Mill und Secretarii Günzels ihm zugejprochen und zur Geduld ermahnt: 
mit dem ausdrüdlichen Zujaß, ev jolle verjichert fein, daß man ihn nicht als 
Feind, jondern als Freund tractieren wilde. Darauf er ſich bedanft und 
gebeten, man wolle jeine Berjon gegen Ihro Maj. zum bejten entschuldigen ; 
was er gethan, hätte ev vermöge der Commiſſion und aus Befehl ver: 
richten müjfen. Ob man nun mit Inquiſition und Examinierung weiter 
an ihn jegen wird, mag die Zeit lehren. 

Geſtern wurde der Rat auf der feinen Seite erneuert, wobei alle 
Landofficierer zugegen waren. „Wie mu nach verrichten Sachen die Herren, 
wie gebräuchlich, auf dem Rathaus zur Tafel gejejlen," wird Herr von 
Schwamberg vom Schlage gerührt und*in das nächſte Haus gebracht. Er 
ſtirbt deuſelben Abend 10 Uhr. Herr Erlaher (Hans Ludwig Erlach von 
Cajtelen) des Herrn Generals Hofmeijter fam gejtern Abend aus dem 
Hauptlager mit Zeitungen auf der Bojt allhier an, wonach der Feind mit 
jeiner ganzen Armee wieder nad) Böhmen gerüdt jet und sich zwiſchen 
Wittingau und Neuhaus gelagert habe. Unjer Lager iſt auch gejolget, dazu 
auch Herr Graf von Thurn und Herr Graf von Mansjeld mit ihrem 
Bolf gejtogen; das hält ſich anigo zu Weſſely, nur eine Meile Wegs vom 
‚Feinde. Und weil der König in Ungarn ſtark begehret, daß man ſich mit 
dem Feinde in feine offene Schlacht, bis die Ungarn dazu kommen, ein: 
laſſen jolfe, wird man ſich unterdejfen wohl jo viel temperieren. Gott helfe 
nur, daß fie nicht zu lange ausbleiben! Der Herr General, als welcher 
zu dem König in Ungarn kurz zuvor gejchrieben, er dürfe mit der Hilfe 
nicht eilen, wäre noch zur Zeit dem Feinde bajtant genug, iſt Urſache in 
diejem Berzuge. !) Wir ftehen anigo bloß genug, und dürften uujere mäch— 
tigen Feinde, welche uns auf allen Seiten zujegen, den Unfrigen mit ihrer 
Eelerität den Vorteil ablaufen. Heute Zufperrung und Bejegung aller 
Klöfter in allen drei Städten. Die Katholiſchen jollen viel Munition und 
Gewehre eingeführt haben; andere meinen, es jei deshalb geichehen, weit 
die Fatholifchen Pfaffen auf etliche ihnen vorgelegte Punkte wicht ſchwören 
wollten. 


1) Eine wichtige Nachricht, die — falls fie thatjächlih begründet it — mein 
an anderer Stelle abgegebene günftiges Urteil über Chriftian von Anhalts 
Verhalten vor und in der Schlaht am Weifen Berge weſentlich abichwächen 
müßte, Die neuen ungarischen Hilfstruppen unter Bethlens Kanzler Simon 
Behy waren am 8. November erit bi3 Schwarz-Koſteletz gekommen; d'Elvert 
III., 562. 


13* 


IX. 


In dem erwähnten handichriftlichen Sammelbande befinden ſich drei 
Iingere Abhandlungen: 

1. Conſilium Anonymon, daß Ihro Majeftät ven Aufjtand in Böhaimb 
wit per arma, fondern durch gütige Wege jtillen jollen. — Die Schrift 
it ganz zu Gunften der Böhmen abgefaßt; aus der böhmischen und anderer 
Bölfer Gejchichte wird nachgewiejen, wie verderblich, gefährlich, auch poli— 
tisch unklug es ſei, ein im Aufſtande begriffenes Bolt mit Waffengewalt 
niederwerfen zu wollen. Am ande wird bemerkt: Iſt nachmals gedrudt 
worden. Dieje Nachricht beftätigt jih. Die Flugſchrift erjchien 1618 
inter dem Titel: Ein treuherziger Nat an J. Kaiſ. Maj. Sie befindet 
jich unter- den Varia ad bellum tricennale de 1617 —1619 in der 
töniglichen Bibliothek zu Berlin. 

2. Discuvs, jo etwa von Wien aus an den Grafen dv. Thurn in Böhaimb 
abgegangen jein joll. — Er enthält cine Mahnung au die Böhmen, die 
Waffen niederzulegen und den Erzherzog Maximilian, jowie den Kurfürjten 
von Sachſen um Beilegung des Streites zu erſuchen. Ob die Schrift 
gedruckt wurde, ijt mir nicht befaunt. 

3. Discursus, salvo aliorum judicio conscriptus. NB.: Hierbei 
joll Klejl mit im Math geweſen jein. 

Es ſind 37 Borjchläge, wie dem böhmischen Unweſen zu begegnen, 
eingegeben von einem unverſöhnlichen, vachjüchtigen Gemüth, geichrieben 
von einen den Böhmen ſehr jeindjelig gejinnten Manne. 3. B. Pfalz 
wäre nicht allein gern König in Böheim, jondern „jtinket ihm auch das 
Maul nach dem Kaiferthum”. Pfalz und Brandenburg müßten um vielerlei 
Motiven willen der Kur entjegt werden. Der Berfajjer jcheint ein gebo- 
vener Böhme gewejen zu fein, Sach: und Perſonenkenntniß ijt ihm wenig— 
jtens nicht abzujprechen. Er jchreibt z. B. vom budligen Zerotin und vom 
diden Poppel. Der Kaifer ſolle den vertriebenen Kinsty mit 2000 Koſaken, 
damit jener ſich rächen könne, nach Böhmen ſchicken, denn Kinsky ſei am 
meijten deshalb von den Ständen condemniert worden,!) weil er in An— 
jehen und Gratia bei dem Kaiſer gejtanden u. j. w. Schmirfigfy habe 
auf die Rebellion 50.000 fl. hergegeben, denke auch ihr König zu werden, 
weil er des Bfalzgrafen Schwager wird [?|. Der von Waldſtein von der 
Leefig, der den Buchdruder hat juitificiven lafjen, den Vogel hab’ man 


1) Vgl. aud) Balın, das Verhalten der jchlei. F. u. St. im Jahre 1618. Zeitſchr. 
d. V. f. Geſch. u. Alt. Schlefiens V. 262. 


u 
8 


— 185 — 


wohl in acht, denn er viel zur Rebellion gerathen. — Die Böhmen wiſſen 
wohl, wenn die Jeſuiter, die Principalen der katholiſchen Religion, aus 
dem Lande ſind, daß ſie die anderen armen Religioſos und Ordensleute 
wiederum in ihrem Blute ertränken können und von den Dächern der 
Kirchen, wie anfangs der königlichen Regierung beſchehen, zu Prag das 
Maria de Nives erfahren, würgen und töten werden, das merk' man wohl! 

Auf die Zeit der Abfaſſung führt vielleicht die Notiz: Oberſt Khuen 
ift zu Prag, den wollen die Böhmen mit jehenden Augen blind machen.') 


X. 
Schlieglich jei noch einer im Manujeripte befindlichen Serie von 


Briefen gedacht, die den verjuchten Einmarſch des Markgrafen 
Johann Georg von Jägerndorf, Anführers dev 3000 zur Berjtär: 


1) Wenzel Kinskys Urtel, 1616. (Arch. d. St. Breslau.) Den 11. Marti 
ift nadı 5 Uhr gegen Abend über Herrn Wenzel Kinsky ohngefähr diejer Aus: 
ſpruch und Urtel publiciert und abgelefen worden: Nachdem 1. Die vornehmften 
Verbrechen, jo Kinsky erjtlich wider Kaiſer Nudolphum 2. Dann wider 
jeßige K. Maj. 3. Sowohl daß er Ihre Durchl. Erzherzog Leopoldum wider 
jegige vegierende Kat. Maj. auhegen wollen. 4. Wie nicht weniger, daß er 
wider die gehorjamen Stände diejes Königreichs Böheim 5. und endlich wider 
dero wohlerhaltene Landesordnung und Recht diefes Löblichen Königreichs 
Böheim gethan, recapituliert worden, ift in ınaterialibus diefer Sentenz und 
Urtel ergangen : Erſtlich, weil er jih auf Gnad und Ungnad Ihr. Kaiſ. Mai. 
und den Herren Ständen ergeben, ift im Urtel fürbradt worden, daß hr. 
K. Maj. für ihre eigene Perfon ihm alles condemniert und*gnädigit verziehen 
hätten; weil er aber wider das ganze Königreih Böheim und die Herren 
Stände ſowohl Dero Landesordnung und Nechte ſich vergriffen: Als iſt ihm 
zwar zuerkannt, daß er das Leben und Ehr verloren, doch auf gnuädigite In— 
tercefiion Ihrer Kaiſ. Maj. diefe endliche Decifion bis auf der gefamten Herren 
Stände Zulanmenkunft-differiert und juspendiert, interim aber lift er] zu ewiger 
Gefängnis condemmiert und verurteilt worden mit diejev cautela, [daß] weder 
J. Kaiſ. Maj. noch dero Erben und Nachkommen die Könige zu Böheim oder 
jemand anders von ‘derjelben Haft ihn befreien folle noch könne. Was die 
Herrihaft Kolin belangt, joll diejelbe wie vor Alters des Königs zu Böheim 
Tafelgut verbleiben, jowohl die Herrſchaft Chlumes Ihr. Kaiſ. Maj., weil fie 
fälfchlich expracticiert worden, wieder zurüd und in Dero Hand gefallen fein, 
Er, Kinsky, joll auf das fün. Schloß in der Grafichaft Glat gelegen geführt 
werden, zu demfelben foll niemand mehr, außer jein Weib und Sohn, dann 
zween Diener, ein Medicus und Beichtvater (doch alle mit ftarfen Eiden ver: 
bunden) gelaffen werden. Die Guardi ſoll aud mit jonderbarem Eid und 
Pilicht belegt fein. Keines Practicierens joll er ich unterftehen, auch bei Ber: 
Iuft Yebens, Ehr uud Gut niemand mit ihm etwas zu thun haben. Und endlid) 
ſoll kein Bapier, Feder noh Tinten oder was Menſchen Lift erdeden mag, damit 


— &6— 


fung der Böhmen beftimmten jchlefischen Hilfstruppen, ins Gebiet der 
Grafſchaft Glag betreffen. Es ift diefe Angelegenheit zwar fchon von 
Palın (Acta publica 1618 p. 277), von Gindely (30. Sir. I. 404) und 
von Ad. Menzel (Neuere Gejch. der Deutjchen VL, 242) erwähnt worden; 
immerhin dürfte es von Nugen jein, jie nochmals im Zujammenhange 
aus den Acten und beſonders volljtändig zu behandeln. 


1. Der Generalfeldoberjt Johanu Georg der Aeltere, 
Markgraf von Jägerndorf, an das kaiſerliche Oberamt, 
Neihenjtein, 13. September 1618. 

Gejtern erjchienen Gejandte aus Böhmen, wie aucd Abgeordnete der 
Herrſchaft Glatz bei ihm und baten mit Abjendung der verjprochenen Hilfe 
möglichjt zu eilen. „Worauf wir ung rejolviert morgenden Tages aufzu— 
brehen und von binnen nach Glag zu rüden.” Vor wenigen Stunden 
feien ihm ferner Schreiben der böhmischen Stände und der Grafen Thurn 
und Hohenlohe zugefommen, aus denen hervorgehe, daß man jegiger Zeit 
tie Sachen wohl in acht halten muß. Man könne jegt mit wenigem ver: 
hüten, was hernad; mit großem, unwiederbringlidem Schaden nicht zu 
repariren jein werde. Da die Noth nicht größer jein könne, bitte er das 
Dberamt um Gutachten, ob er fortrücken jolle. Im anderen Falle müſſe 
er wieder zuricdgehen, weil er fich in diefev Gegend wegen Armuth der 
Duartiere mehr als zwei Tage nicht aufhalten könne. 

2. Schreiben der böhmischen Directoren an den Mark: 
grajfen von Jägerndorf, Prag, 11. September 1618. 

Gleich diefe Stunde haben fie des Markgrafen Schreiben vom 8. d. M. 
empfangen, worin ev jich zur wirklichen Fortjtellung der Untonshilfe er: 
bietet. Ste verlajfen jich nunmehr ficherlich darauf. Der Marfgraf werde 
jelbjt ermejjen, daß auf die von Kaiſer, „ihrem allergnädigjten Herrn“, 


man jcehreiben kann, ibm bei böchiter Straf gegeben noch gelaffen werden, und 
wer ſolches ihm reichen oder bringen wird, joll das Leben ohne alle Gnad’ 
verfallen haben. Hierauf Herr Frühwein nomine Mandatariorum ſich gehor- 
lamft des gerechten Urtels bedankt, er, Kinsky, aber um die Barmherzigkeit 
Gottes und um das jüngfte Gericht Ehrifti, auch der Mutter Gottes gebeten, 
ihn anf jeines Herren Vettern Schloß in gefängliche Haft liefern zu laſſen, 
aber nichts erhalten können; jondern weil Herr Kaba, Unterburagraf, chen 
präjens in der Landſtuben gemejen, denjelben aus den Schranken bis in das 
Burggrafen- Amt in ein Zimmer (weil noch über jeine Ehr nichts decidiert 
worden, da er joniten in die Taleburg bätt' gehen müſſen) mit etlihen Musfe- 
tierern begleitet und gar ſtark gefänglichen, bis er wird nach Glat transportieret 
werden, verwahren laſſen. Damit alſo diefer pönaliihe Proceß geendet und die 
heilſame Juſtitia wirklich effectuieret worden. 


— 117 - 
wiederum vorgefchriebenen, unthunlichen und unerträglichen Mittel Feine 
Tractation vorgenommen werden fünne. Da die Noth je länger, je gefähr- 
licher andringe, und der Feind etwas zu gänzlicher Vertilgung der evange- 
liſchen Religion vornehmen möchte, jolle er die Glager Grenze iiberjchreiten ; 
böhmiſche Commiſſare erwarten ihn zur Geleitung der Truppen. 

3. GrafThurn an die böhmischen Directoren, Ezaslau, 
1l. September 1618. 

Sobald der Tag angebrochen, ließ ich der Feind aus dem Lager 
von Reitern und Fußvolk gegen fie in Haufen jehen und machte drei 
Batterien von Stüden, in der Meinung, den Böhmen zwei nugbare Hügel 
zu nehmen, ihnen Schaden und Furt einzujagen. „Gott hat uns das 
Ort aus feiner Barmherzigkeit bejcheret, wir können auch mit Ehren und 
gutem Zitel unfer Kriegsvolf von den Kanonaden aufhalten und ziemlicher: 
maßen jichern.“ 

Geſtern hat der Feind über 57 Schüſſe gethan, die größte Kugel 
war 30 Pfd., doch wurden nicht über 13 Berjonen bejchädigt oder getötet. 
Heute gab er aus feinen Stüden jchon etliche 30 Schuß ab, und es jei 
erjt halb 9 Uhr früh. „Gott jei Ehr und Lob gejagt, nit ein Mann noch 
Roß bejchädigt, jegt aber ein Schuß 4 Nofje und Mann weggenommen. 
Uns in folchem Vortel anzugreifen, hat er hohes Bedenfen, glaub’ ich; er 
gehet auf eine andere Lift, jich näher an ung zu bangen und fich zu lo— 
jieren. Giebt ich eher auf die rechte Hand, uns aus dem Vortel zu be: 
wegen.” Er jchide den Directoren, was ihm Herr Gersdorf) darüber 
gejchrieben, daß das ſchleſiſche Wolf bewilligt jet. Um das Forteilen zu 
befördern, habe er Gersdorf eine Abjchrift feines Schreibens an die Di- 
rectoren gejandt, worin ev über die teuflische, verlogene ZTractation (darin 
Ihro Kai. Maj. ich folemniter ausnehme) ſich geäußert und habe den 
Markgrafen gebeten, um der Ehre Gottes Willen nicht zu ſäumen und 
die Hilfe nach Czaslau zu jchiden. Der Feind verfchanze fich gewaltig. 
Die Direetoren möchten auf Pulver und Blei zur’ Fürforge Befördernis 
thun; er hoffe jtündlich auf feinen lieben Herrn Grafen von Hollach, und 
daß man das Geſchütz, auch „was möglich" geworbenes Volk, befürdere. 

4. Graf Thurn an den Markgrafen von Jägerndorf, 
„Zaſchlaw“ im Lager 11. September 1618. 

Seit zwei Tagen iſt er hart am Feinde, „wir geben einander gute” 2) 
Er möge die Hilfe befördern und jelbjt fommen, jie wollen ihm die Hand 


1) Ulrich von Gersdorf weilte mit Georg Hanenichild ſeit e. 20, Auguit als Ge— 
ſandter der Directoren in Sclefien, 


— 183 — 


unterlegen, alle Dienjtwilligfeit, Ehre und jchuldigen Nejpect erweijen und 
„mit Gott und E. F. Gu. große Thaten thun”. Kur: und Fürften, ſowie 
die löblihen Stände Schlefiens jeien zu der Böhmen nicht geringen Ge- 
fahr, da jie jo lange ohne Menjchen Hilfe gelajjen würden, hinterliftiger 
Weije betrogen und verführt worden. Was Graf Dampierre in Böhmen 
für heidnifche, tyrannifche Sachen ausgeführt, habe doch nicht jufficient 
jein wollen, um „Ihn“ [wen?] zur Commijeration zu bewegen, es jei 
alles blindlich auf die gültige Tractation gebaut worden. 

5. Georg Friedrih Graf von Hohenlohe an den Mark— 
grafen von Jägerndorf, Prag, 11. September 1618. 

Als hochlöblicher Fürſt und Liebhaber der Religion werde der Mark— 
graf feinen Fortzug ohne Zweifel alſo befördern, damit durch jeine Gegen- 
wart und jene bei fich habenden .hrlichen Leute ſie ſämtlich conjunetim 
etwas Rühmliches und Nügliches zu Erhaltung ihrer Religion verrichten 
könnten. „Wie wir denn jämtlih E. %. Gn. auf ſolchen Fall auf den 
Dienjt warten werden.“ 

b. Der Markgraf an das kaiſerliche Oberamt, Patſch— 
fau, 25. September 1618. 

Ueberjendet ihm, „da wir's der Wichtigkeit befunden haben”, das 
heute morgen durd eigenen Courier erhaltene Schreiben der Grafen 
Hohenlohe und Thurn und des Herrn von Wels. 

7. Georg Friedrid Grafvon Hohenlohe, Heinrich Mat- 
thias Graf von Thurn und Leonhard Eolonua Freiherr 
von Fels an den Marfgrafen von Jägerndorf dv. Mal- 
hau, im Feldlager bei Kuttenberg, 20. September 1618. 

Aus jeinem Schreiben hatten ſie vernommen, daß er Ordinanz er: 
halten babe, ins Königreich Böhmen zu rücken. Sie hatten gehofft, die 
furchtbare Plünderung des Feindes in ihrem Lande werde den Sporn zum 
Fortzuge gegeben haben, „wenn gar feine jolche hochbeteuerte Union zwijchen 
uns wäre”. Nun vernehmen fie von ihrem Commiſſar, welcher den Mark— 
grafen mit jeinem Kriegsvolfe durchs Land fiihren jollte, ganz unverhofft, 
daß der Markgraf feinen Truppen befohlen habe, wieder in die jchlejtichen 
Quartiere zu rüden. Dies gereiche zu ihrem hohen Schaden und Nachtheil, 
da fie aus wohlbedächtigen Urfachen das Quartier verändert und auf fein 
Volk ihren Anjchlag gemacht. „Der gemeine Mann entjegt ſich und er: 
ihricdt darob, unjere Widerſacher frohloden, trogen und pochen darauf, 
fahren fort mit Rauben, Brennen und armer Leute Blutvergiefung. Gott 
erwece das Gewiſſen, wer zu diefer Säumnis und Verlaſſung Urjache 


— 139 — 


gegeben. Wo kann dies vor Gott und der chrbaren Welt bejtehen, daß 
man der Sache einen Schein giebt, weil das böhmiiche Wejen zur fried: 
lichen Tractation ein gutes Anjehen habe, jo bedürje es der Hilfe nicht, 
da doch der Feind im Land an 200 Dörfer verbrannt, auch etliche tauſend 
Heiducden nach Böhmen geführt habe." Sie fünnten durch Originalichreiben 
belegen, daß die blutdürſtigen Jeſuiten die goldene Zeit für gekommen 
glaubten, um Böhmen den Meajejtätsbrief, die Religion und Privilegien 
gewaltjam zu nehmen. Sie fünnten vor dem Nichterjtuhl Gottes bejtehen, 
begehrten herzlich; Ihrer Maj. unterthänigit treu und gehorjam zu ver- 
bleiben bis in den Tod, ſuchen nichts anderes, als daß man eine Hand 
über dem Meajejtätsbriefe habe. Um die verjprocdhene Hilfe mit einen 
Scheine des Rechts prolongieren zu können, wolle man auf der Zuſammen— 
kunft der jchlefischen Fürjten und Stände etwas Unnötiges movdieren, wer 
die jchlefische Hilfe fortrüden, wie c$ mit dem Volke gehalten werden jolle 
und drgl. „Davon thut unfere Union feine Meldung. Woher das fommt, 
bedarf feines Kopfzerbrechens." Der Markgraf werde in Böhmen Cavaliere 
finden, die joldyen vermeinten Subtilitäten mit ihrer Diseretion wohl vor: 
gehen könnten. Als ein löblicher Kriegsheld, der da verjteht und weiß, 
was Krieg und Friede, aud) Compactaten in jich vermögen, jolle ex feinen 
Zug fortjtellen. 

Post seripta: Soeben fommt Nachricht, dag der Feind das dem 
Herrn Terzky zujtändige Haus Leckdetſch genommen; der Pfleger, welcher 
1000 Mann ſtark war, hat's aus Furcht übergeben. Etliche Herren uud 
der Adel vom Lande hatten ihre beiten Sachen, als Kleinodien, Geld, 
Zapezereien, Waaren, Betten, Möbel hineingeflüchtet. Das alles erbeutete 
der Feind, an 100 Wageır voll Silbergeſchirr, Geld und anderen fojtbaren 
Sachen wurden jene Beute. Die im Sclofje Befindlichen retirirten ſich 
theils in die Wälder, theils jtürzten jie ſich um dem Meuthwillen der 
Soldaten zu entgehen, jelbjt von den Mauern der Burg herab. „In summa, 
es iſt micht zu schreiben, was für ein großer Schaden diefen Königreich 
beigebracht worden iſt, welches alles hätte verhütet werden fünnen, wenn 
die jchlejiihe Hilfe angefommen wäre. Und obgleich die Friedensmacher 
aus Mähren!) beiven Lagern einen Stillftand zu erkennen gegeben, jo hat 
doc) der Feind, ob wir gleich unjeres Teils nichts vorgenommen, mit ob- 
1) Liechtenftein, Karl von Zerotin und ein Herr von der Leipa. Ausführlicheres 

über ihr Verhalten in den Tagen vom 29. Auguft bi zum 23, September 
iteht in meinen Anhalt 72-73. Gbenda 77 finden ſich Nachrichten über den 
Eindrud, den der Rückmarſch des Markgrafen von Fägerndorf in Prag, 
Heidelberg und Amberg bervorrief. 





gemeltem Haufen inmittel$ aljo verfahren und noch überdies bei dreißig 
Dörfer geplündert und ausgebrannt, daraus zu jehen, wie diejer Friedens- 
handlung zu trauen." 


8. Der Oberlandeshauptmann Herzog Johann Ehrijtian 
von Brieg an den Markgrafen von Jägerndorf, ddo. Peiſter— 
wig 15. September 1618. 


Des Markgrafen Schreiben „wegen anderweit mit höchſt injtändigem 
Anjuchen begehrter jchlefischen Hilfe nah Böhmen“ iſt heute morgen 
zwijchen 4 und 5 Uhr in Brieg abgegeben worden. Es wäre ihm nichts 
lieber, als daß ohne weitere Umſchweife eine endliche Itejolution genommen 
werden fünnte; aber er weiß nicht, wie wett jich Fürften und Stände feit 
jeiner Abreife nach Wien in „denen Sachen“ eingelaſſen haben, eine jondere 
Relation ift ihm von dem jubjtituirten Oberamtsverwalter noch nicht zu— 
gegangen. Er hat nur Kenntniß von dem Schreiben, welches F. und St. 
augsburgischer Eonfejlton auf ihrer legten Zuſammenkunft au den Kaiſer 
gerichtet. Danach war diejer zu gütlicher Compofitton der böhmischen Sachen 
und König Ferdinand zu gewiſſer Interpoſition ermahnt worden; ehe man 
ſich mit wirklicher Hilfe gegen die Böhmen erzeige, hätten die ſchleſiſchen 
Stände zuvor beim Kaiſer um Affecuration des Majeſtätsbriefs und des 
Neligionserereitiums angehalten. Die böhmijche Hilfsjache hätte noch vor 
dent Oberreht auf einer bejonderen Zuſammenkunft verhandelt werden 
jollen ; weil dazu aber nur noch 14 Tage übrig, ſei die Beiprechung ver 
Frage auf die DOctoberverfammlung der F. und St. verjchoben worden. 
„Ber jo gejtalten Sachen wird uns niemand zu verdenfen haben, daß wir 
zum Fortzuge der Hilfe einige Ordinanz oder Bewilligung zu geben, über 
ung nicht nehmen können.“ Die nächjte Ständeverfammlung werde darüber 
zu bejchließen haben; auf ihr werde jeine Berrichtung in Wien mitgetheilt 
werden, auf ihr wolle der Katjer auch, wie ein gejtern eingelaufener Brief 
von ihm bejage, durch eigene Commiſſarien das Schreiben der jchlefiichen 
Stände augsburgischer Eonfejjion beantworten. Wäre aber auch die Fort: 
jendung der Hilfe allbereit bejchlofien, jo würde der Markgraf doch jelbjt 
erachten müſſen, daß gewiſſe Tractaten wegen Aſſecuration dieſes Landes, 
und wie es mit dem ſchleſiſchen Volke allenthalben zu halten, vorhergehen 
müßten. „Wollen demnach nicht zweifeln, daß E. L. den Fortzug noch zur 
Zeit einzuſtellen und Ihr Quartier voriger Ordinanz gemäß im Lande 
Schleſien zu nehmen nicht unterlaſſen werden.“ 


Ba a Pr 


-— 191 — 





XI. 


Punkte, welche den böhmiſchen Ständen bei etwaiger 
Compoſition, ſie gejhehe wann und durch wen jie wolle, 
zu ihrer fünftigen Ajjecuration an die Hand zu geben. (Herz. 
Anh. Eentralarchiv zu Zerbſt.) 

1. Vor allen Dingen allen Disputat, Dubia und bisher verjpürte 
Eontraventiones wider den Meajeftätsbrief dergejtalt im acht zu nehmen, 
daß bei der Handlung desjelben eigentlicher Verjtand und Erklärung und 
Anterpretationes über alle Dubia von ermeltem Meajeftätsbrief oder Aus— 
trägen, Concejjionibus und dem Herfommen herrührend gethan und beider- 
jeitS aufgerichtet werden. 

2. Daß fie nahmals auf Richtigmachung der bewußten vier Punkte, 
welche hiebevor zu Budweis erörtert werden follen, nämlich) der Conföde— 
ration mit den übrigen Erbländeru, der freien, ungehinderten Zujam- 
menkunft und endlich der Bereinigung mit anderen benachbarten Ständen 
dringen follten. 

3. Daß zuvörderjt von der Faiferlichen Majeſtät richtige und gewiſſe 
Amniſtia ftatuiert, verglichen und verfichert werde. 

4. Daß binfüro die hohen Aemter communibus suflragiis der 
jamtlichen Stände und zwar nach Proportion — wie die Evangeliichen 
die Päpftiichen an Zahl übertreffen — bejtellt und aljo fie von ben 
dignitatibus et muneribus coronae nicht ausgejchloifen, jondern aufs 
wenigſte etliche gewilfe Aemter benannt werden, welche jtets bei den evan— 
gelifchen Ständen jein und verbleiben jollen. 

5. Daß ihnen die Händ auch bei dem gemeinen Aerario zu haben 
zugelajien. 

6. Daß hinfüro fein Landtagsabjchied, als von allen oder dem mehrern 
Zeil der Stände gemacht gültig jein folle. 

7. Daß fie die freie Wahl eines Königs wiederum in Nichtigkeit 
bringen und fich deſſen genugjam verjichern laſſen. [Oben unter 2 des 
Gutachtens jpricht fein Verfaſſer von. Erbländern !] 

8. Den Böhmen jeien zu mehrerer Afjecuration gewilje Ort and 
Pläße einzuräumen. 

9. Sie jollten Macht haben, gewiſſe Summen Geldes im Reiche 
anzulegen, um im Notfalle um jo viel eher gefaßt zu fein. 

10. Daß die Juftitia von gleicher Anzahl der einen und der anderen 
Religion Zugethanen bejegt werde. 


11. Die Verfaſſung wegen der Jeſuiten alfo zu verjehen und zu 
ftabilieren, daß dagegen ın Ewigkeit nichts vorgenommen oder unterjtanden 
werden Fünnte. | 

12. Daß fie ſich die drei ausgerifjenen Dfficiers Slawata, Schmet- 
jansft und den Secretär nimmermehr wieder aufdringen liegen. 

13. Daß Sie fünftig, wann und jo oft es die Notdurft erfordere, 
Colleeten unter ihren Religionsverwandten ſammeln dürften. 

14. Daß ihnen gewiſſe Reditus zu Unterhaltung ihrer Kirchen und 
Schulen verordnet und eingeräumt wilrven. . 

15. Daß alle jolhe Punkte der Landtajel einverleibt würden und 
jie, die Stände, ihnen endlich auch vorbehalten auf den Fall Eontraven- 
tionis wider den einen oder anderen Punkt, daß fie dann Eides und 
Plichten ledig und frei jein jollten und wollten. 

16. Dabei auch Pfalz eigene Privata in acht zu nehmen und bei 
den Ständen womdglicd dahin zu richten wäre, damit Pfalz in ihren mit 
der Krone Böhmen habenden ftrittigen Sachen, jonderlich wegen Waldſaſſen 
und der prätendierten Jurisdiection auf der Kron Böheim in der Ober: 
pfalz Landſaſſerei gelegenen Lehen, wider Billigfeit und mit allerhand 
Praejudieiis {wie bis daher aus der böhmischen Kanzlei gefchehen) nicht 
beichwert werde. 

17. Darauf zu jehen, daß, jollte es endlich beiderjeits zur Disarmierung 
kommen, vdiejelbe dergejtalt bejorgt wirde, das Pfalz und andere benad)- 
barte Stände außer Gefahr jein möchten. 

18. Endlich müſſe man darauf bedacht fein, wie mit ihnen, den 
Ständen, engere Correjpondenz und VBergleihung eines mutui succursus 
mit Pfalz oder den ſämtlichen unierten Ständen anzuftellen ſein möchte, 
welches der Oberpfalz halber in vielen Wegen für nüglich erachtet werde. 

Signatum Heidelberg, + Augujt 1618. (Ohne Unterjchrift, aber — 
wie die Handjchrift erkennen läßt — aus der Nanzleı des Fürjten von 
Anhalt. ') 

XI. 

Kurzes Verzeihniß des Kriegszjuges, jo von dem 
ſchleſiſchen Hobergiihen Negimente, den drei Fähndlein 
zu Fuß, als des Herrn Obrijten-Lieutenants von Hoberg, 
Kapitän Dönhofs und Kapitän Boleys, jamt zwei Compag- 
nien Reiterei, des Herrn Rittmetjters von Seidlig und des 


1) Val. dazu meinen Chriftian von Anhalt p. 92. 


rd 


— 193 — 


Herrn Rittmeifters Roge, mit verrichtet [worden], nahdem 
fie empfangener Ordinanz nad in Böhmen zu der ganzen 
Armada rüden müfjen.‘) (Arch. d. St. Breslau.) 

Den 5. Juli anno 1619 find wir im Namen Gottes aus unjerm 
Quartier von der Stadt Guhrau aufgebroden, nämlich des Herrn Obrijt- 
lieutenants von Hobergs eigen Fähnlein, dabei des Negimentsjtabs Per— 
jonen. Und nahmen unjeren Zug über die Waſſer Bartſch und die Oder, 
durch das Neumarktiſche, Kanthniſche, Zobtnifche und Reichenbachiſche. Bei 
Frankenſtein find obbenannte alle drei Fähnlein und gemelte zwei Com- 
pagnien Neiterei zufammengejtopen und den 22. Juli ſim Orig. jteht irr— 
thiimlicy Junius) vor Franfenftein bei der Bogeljtangen de novo ge: 
mujtert worden. 

Den 24. Juli zogen wir aus dem Quartier zu Frankenſtein bis 
gegen Neurode, den 25. von Neurode bis gegen Braunau, von Braunau 
nahmen wir unjern Weg nad Königgräg in Böhmen; dafelbit zogen wir 
über das Waller die EIb genannt. 

Bon Königgräg, allda wir zwei Tage jtill lagen, zogen wir nad) der 
vornehmen Bergftadt in Böhmen Kuttenberg, von Kuttenberg auf Januwiz 
[Janowitz), Nazaratz [Marzeradecz), Woſitz [Wojchig] und das Städtlem Sa- 
visla [Sobieslau]; dajelbjt zogen wir das erjte Deal über das Waſſer die Mol- 
dan [? die Luſchnitz'!) auf Wesla [Wejjely] und kamen hernach am Sonntag 
Dominica als den 4. Auguſt bei Lumbniz [Lomnig], einem Märftlein zwo 
Meilen von der Stadt Bırdweis, zu dem ganzen Feldlager des Königreichs 
Böhmen, ?) jchlugen dajelbiten bei Yıunpnig unjer Xager neben dem anderen 
ſchleſingiſchen Speerijchen *) Regiment. *) Den 7. Augujt gegen Abend zog 
der Feind von der Stadt Buhweis auf und machte uns etwa eine Stunde 
vor Abend Yärmen, deromegen wir die Nacht durch in armis bleiben und 
etwas nad) Mitten in der Nacht mit dem ganzen Feldläger aufbrechen und 
auf Weſſely zu marjchieren müſſen. 


1) Obwohl Gindelys Erzählung über die friegeriichen Vorgänge des Jahres 1619 
ziemlich ausführlich erfcheint, jo tft fie doch, wie der hier abgedrudte Bericht 
beweilt, noch der Erweiterung fähig. 

2) Nach Gindely, Dreiß. Air. II, 124 zählten die neuankommenden ſchleſiſchen 
Hilfstruppen 2000 Musketiere und 360 Weiter, eine für die Infanterie — 
drei Fähnlein — offenbar zu hoch gegriffene Ziffer. 

3) Das Regiment des Obriftlieutenant3 Seger-Spee. Nach A. publ. III, 93 war 
es ım Mai 1620 2000 Mann ftarf und ftand damals nicht mehr in Böhmen. 

4) Die Schlefier hatten ich auf ihrem Marſche mannigfacher Bedrüdungen ſchuldig 
gemacht und nicht weniger als 500 Stuten gewaltfam requirirt. Gindely II, 128. 


— 14 — 


Bei Weßla ward mit dem Feinde ſcharmuziert, hernach rückt der 
Feind Bechin zu, welches er eingenommen und beſetzt hatte (thät auch 
mächtigen Schaden mit Brennen, denn unterſchiedlichen auf einmal man 
etliche und 20 Feuer ſehen konnte) und zog nah Mühlhauſen. Dagegen 
zogen wir auf die Stadt Tabor zu, dajelbften Ichlugen wir oberhalb Tabor 
unjer Lager, verharreten in 10 Tage lang alldar; interim trafen wir und 
der Feind im etlichen Ambuscaden auch auf der Fütterei einander an und 
Iharmuzierten. Auch fiel der Feind einftmals in unſere Reiterwacht und 
ward Lärmen; in folcher Zeit zog der Feind über die Moldau, belagert 
die Stadt Piſſka Piſek). Wir zogen vom Tabor auf Mühlhaujen, wollten 
PBijifa entjegen, zogen mit etlihem Volk bei der ſchönen Feſtung Klingen: 
berg, jo dem Herrn von Schwaanberg [Schwamberg] gehörig, über die 
Moldau, und weil die Neiterei nicht den Paß dafelbjt haben Fonnte, mußte 
das Fußvolf wieder vor Tags zurüd und ward Piſſka dem Feinde aufge: 
geben. Hernach rüdten wir von Mühlhauſen einen anderen Paß zu über 
die Moldau mit der ganzen Armada, begaben uns nachmals etwas bejjer 
nach der rechten Hand, 7 Meilen Wegs unter Prag, über die Moldau, 
beugten dem Feinde vor und „uhinten" ihm den Paß auf Prag ab. Schlugen 
unfer Lager bei dem Markt Wörlig [? Miromig!], darauf der Feind gegen 
uns marjchiert und liſt) zu feiner Ankunft ſtark mit der Artillerie beider: 
ſeits gegen einander gefpielet, auch ein ernftliches Scharmüßel zu Roß und 
Fuß gehalten worden. Wie man denn auch nicht anders wußte, als daß 
man auf den Morgen ein völliges Treffen mit dem Feinde würde thin 
müſſen, denn in unferm Campo vom Herrn Generalen commandiert ward, 
dag folgenden Morgen [ich] jedermann, er wäre zu Roß oder Fun, 
zum Bejten armieren und ſich eines Treffens mit dem Feinde verjichern 
jollte; gejtalten Dingen nach denn aud) die Armaden gegen einander in 
Bataglia ftunden und ernftlih Scharmügel gehalten, doc) ohne völliges 
Treffen, zu beiden Zeilen wieder das Volk abgeführt und bei uns das 
Lager anders gejchlagen und mit Schanzen und einer Wagenburg verwahrt 
worden. Weil der Feind alſo nichts enden konnte, jchlug er gegen us, 
über ein Thal auf einer Höhe, jein Lager, bejegt einen gegen ung ihm 
an der rechten Hand gelegenen Wald; lagen aljo beide Armaden gegen 
einander in 14 Tage lang, und hatten die Wachten oft mit einander zu 
thin. Desgleihen wo wir auf der Fütterei einander antrafen, ſchenkten 
wir einander nichts und ward täglich mit dem Feinde ſcharmuziert und 
Lärmen gemacht. An diefem Orte jtieß das Mansfeldiiche Volf zu Roß 
und Fuß zur Armada, nämlich 14 Fähndel Soldaten zu Fuß und 5 Com: 
paguien Neiterei, darunter 100 Kitrajjiere unter dem Herrn Grafen von 


= 395, 


der Lippa.“) Darauf folgends der Feind den 7. September ohne Gefahr 
eine Stunde vor Abend durch feine ganze Armada [mit] Musketier- und 
anderen Hand-Röhren eine Salva jchießen ließ, dadurch Lärmen ward. 
Werl er fich aber ‚nicht erzeigte, zog man unſererſeits wieder ins Lager, 
und ward gute Wacht bejtellt. Künftige Nacht aber ungefähr drei Stunden 
vor Tag, welches folgenden Tag Mariae Geburt 8. Sept.) war, geſchah 
von dem Feinde wieder erjtlihh mit den Musfetier- und Hand-Nöhren, 
darnady mit der Artollerei, groß und flein, eine Salva von etlichen 
90 Schiffen in unjer Lager, konnte aber feinen Schaden thun, denn e3 
nur mit der Artollerei in Bogenſchüſſen gefchehen mußte. Darauf zog er 
folgenden Tag wieder zurüd auf Bechin zu und verließ viel Musfeten und 
Proviant im Lager. Es ward auch im Abziehen mit ihm ſtark jchar- 
muziert. Den andern Tag hernach zogen wir auch auf und nahmen unjern 
Weg wieder an einem andern Ort über die Moldau, ließen ven Feind zur 
rechten Hand, welcher von Bechin Pißka und Budweis zuzog, und wir 
marjchierten wieder auf Mühlhauſen, den Tabor und Weſſely. Dajelbit 
zu Weſſely lagen wir in 14 Tage jtill, und ward Pißka dur einen 
nächtlichen Einfall von den Ufern wieder eingenommen und ziemliche 
Beute gemacht, auch der Kapitän gefangen in unferer Generaln Hände 
bracht. Hernach als der Feind Böhmen verließ?) und nad) Dejterreich und 
Mähren marjchierte, zogen wir ihm aufm Fuße nad, nahmen unjern Weg 
auf Ploz Platz] und durch den öfterreichifchen Winkel, wie man es nennet, 
in Mähren, liegen den Feind alle Zeit etwas uns an der rechten Seite 
ziehen, nahmen unjern Weg auf Thaya in Mähren, von dannen aus wir 
folgenden Tags vom Feinde einen Lieutenant mit einem Haufen Muske— 
tierer gefangen befommen, rücten hernady wieder über das Wajjer die 
Thaya und nahmen um die Stadt Znaim in Mähren Quartier. Daſelbſten 
erwarteten wir weiter Ordinanz und lagen bis in 14 Tage ftill. Von 
dannen brachen wir hernach auf und zogen nach der rechten Hand wieder 
Oeſterreich zu, jtießen den 22. October zur mährijchen Armada. Darauf 
wir folgends mit den uns von dem Bethlehem Gabor zu Hilf gejchidten 
Ungarn den 24. October ins Feld rüdten, ungefähr eine halbe Meile 
von der Donau vor der Wiener Bruden im freien Felde alle zu Roß 
und Fuß, nämlich Böhmen, Ungarn, Mährer und Schlejier, waren in 


1) Gindely II, 129 jhäßt die Mansfelder auf 3500 Maun; fie famen über Be— 
raun, und ber Fünftige Oberbefehlshaber Fürft Chriftian von Anhalt befand 
ji) bei ihnen. 

2) Buquoy brady wegen Betblens Einfall am 19. September aus jeinem Lager 
bei Miromig auf. Gindely II, 271. 





—— 


Patalia geſtellt, und gegen uns von der Brücke her machte der Feind 
ebenmäßige Patalia, ward auch ernftlic mit einander jcharmuziert, und 
bejtund an deme, mit dem Feinde gänzlich im Haufen zu ſchlagen; wie 
denn jchon das TFeldgefchrei als das Wort Prage in unſerer ganzen Ar— 
mada von dem Herrn Generalmachtmeijter ausgegeben. Es ward aber 
zu jpät am Tage und war von unjeren Generalen anzuhalten befohlen. 
Darauf der Feind mit dev Artilleria unter uns ernſtlich ſpielen ließ bis 
ungefähr eine Stunde in die Nacht, verbradt in 100 Schüſſe und that 
großen Schaden. Dagegen ließen unſere Generalen auch mit Stücken 
wieder unter ihn fpielen, ungefähr in 35 Schüfje und [dieje] hatten mehr 
Schaden gethan als ung wiederfahren. Die Nacht durch mußte unfere 
Armada alle in freiem Felde zu Roß und Fuß in armis verbleiben. Und 
war ein unnatürlicher Nebel, bei welchem ver Feind alle jeine Bagage, 
Artillerie und anderes über die Brücke rücken laſſen. Morgens nach Ver— 
lierung des Nebels hielt er nur mit etlichem Fußvolk noch zwifchen zwei 
alten Schanzen über der Brüde im Halt [Hinterhalt?]. Derowegen ward 
unſere Jufanterie auch mit jelbigem Bolt zu treffen angeführt; evjtlich 
das Hohenlohifche Negiment, danach als der Feind ſich in eine neben der 
Brüde gemachten Orefte [?] und hohe Schanz retiriert, wurden die gräflich 
Mansfeldiichen 14 Fähnlein auch commandiert, welchen das jchlefifche Fuß: 
volf, nämlich 9 Fähnlein, folgten und den ganzen Tag. bis in die finftere 
Nacht zu dem Feinde „plangiereten" und beiderjeitS ein ewnjtliches und 
unaufhörliches Schießen vorbrachten und unjererjeit$ ziemlich viel Soldaten 
tot blieben und befchädigt worden. Jedoch von dem Feind eine größere 
Niederlage gemacht ward. Derowegen er die Nacht durch die Schanze 
verlaffen und die Brücke abgeworfen, fich gänzlich in die Schütt falviert. 
Folgenden 26. hernach ward die Schanze gänzlich eingezogen und ge— 
jchlicht[et], und wir zogen wieder aus dem Felde ins Quartier bei Kor- 
Neuburg herum. Dajelbjten zogen die jchleiiichen 1000 Pferde unter 
Herrn Obriftlientenant Rohr in Schlejten, wie auch 10 Fähnlein von dem 
Mansfeldiſchen Fußvolfe in Böhmen; blieben wir anderen in 14 Tage 
alldar till liegen, brachen hernady auf, nahmen unjern Weg von dannen 
hinunter nach Preßburg in Ungarn, zogen über die Donau, und als man 
alles Volk hinüberbracht, nahmen wir unjern Weg mit der ganzen Armada 
ans Ungarn in Dejterreich, da wir ungefähr deutjches und ungariſches 
Kriegsvolf zu Roß und Fuß in 100.000 Mann ſtark [?] vor Wien uns 
jehen liegen. Nahmen das neue Gebäude, darin des Kaijers Lujtgarten 
von Wien, ein, plünderten es, desgleichen gaben die Ferdinandeiſchen Sol: 
daten, jo im Jagdhauſe lagen, dasjelbe auf und ward ihnen erlaubt mit 


— 197 — 


Sad, Pack und ihren Oberwehren nah Wien abzuziehn. Die VBorjtädte 
vor Wien waren angezündet, auch St. Ulrichskloſter vor Wien geplündert 
und hernach jonjten viel Märkt, Fleck und Dörfer an dem Gebirg „hin- 
umb“ gegen die Wienerijche Neuftadt zu und allenthalben in Dejterreic) 
angezündet und verbrannt. Nach jolchem ward die ganze Armada wieder 
aus Dejterreih in Hungarn Preßburg zu geführt, dajelbjt war interim 
eine Schiffbrüde über den Donauftrom gejchlagen worden und ward das 
Bolf wieder auf dies Land der Donau geführt. Die Ungarn zogen wieder 
ins Winterlager nach den ungarischen Bergjtädten und in [die] Zips, die 
Böhmiſchen in Defterreich, die Mähren in Mähren. Und weil wir von 
den Herren Fürften und Ständen gleich zuvor, che man aus Ungarn vor 
Wien rückte, Ovdinanz befommen, uns eilends nach Schlejien zu begeben, 
wir aber vom Herrn General der böhmischen Armada nicht eher Erlaubnis 
haben fonnten, bis wir wieder zurüdfommen, empfingen wir hernach jolche 
und wurden uns Commijjarien, verordnet, die führten ung von Preßburg 
aus Ungarn durch Oeſterreich auf Angern und Lichtenwardt zu, aus 
Dejterreih in Mähren, Eisgruben, Neumühl, Auſpitz, Aujterlig, Olmütz, 
Sternberg, Römerjtadt, Altjtadt und Guldenjtein zu, empfingen von hr. 
Fürſtl. Gn. Herrn Marfgrafen, unſerm General, Ordinanz ins Ottma- 
chauiſche zu rüden, mehr andere Ordinanz aus dem Dttmachauischen uns 
in das Oppeliſche zu begeben und bei Zublinig die Päſſe zu bejegen und 
dajelbjt zu quartieren. 

Auf unſer bei J. F. Gn. dem Kön. Oberamt Supplicieren und 
Anhalten, weil wir mit den 3 Fähnlein ſchwach und ungenüglich wären, 
gemelte Päſſe an der polnischen Grenze zu befegen, friegten wir endlich 
Befehlich ung nach Krappig [zu begeben], allda unjer Abdanken neben der 
Bezahlung von den Herren Commiffarien zu gewarten. Weil ſich's aber 
in Mangel Geldes was verzog, friegten wir andere Ordinanz von dannen 
ind Schweidnigifche und Jauerſche zu rücken, allda die Nejtanten der ver- 
jeffenen Steuern zu zwingen, zu Contentierung unferer Bezahlung abzu- 
legen ; Eriegten aber unterwegs andere Ordinanz zum Großtinz bis auf 
‚weiteren Bejcheid ftille zu liegen. Alldar wurden wir hernach nach ge- 
thaner Mufter- und Bezahlung den 18. Januar [1620] in Gottes Namen 
abgedantt.) Amen! 





1) Vgl. dazu A. publ. II, 5. Es fehlten bei der Abdanfung mehr al3 zwei 
Drittel der im Juli 1619 aus Schlefien Ausmarſchirten. 
Deittbeilungen. 26. Jahrg. 2. Heft. 14 


— 19 


Sn 


Künftler der Wenzeit Böhmens. 
Piographiihe Studien von Prof. Rudolf Müller. 
X. 


Julius Melzer. 
Schluß.) 


9. Juli. „Die Figur „Lomnicky“, jchon zweimal geändert, modellive 
ich jeßt von Neuem." — Der angejchlofjenen Notiz vom 15. Juli tt zu 
entnehmen, daß Melzer in gewiljenhafter Rückſicht auf die Stiftungsbe- 
dingung bereits eine Votivarbeit für die Kirche jeines Geburtsortes vor: 
bereitete. Bejtätigung deifen ijt, was er am 19. Auguft ins Tagebuch 
eintrug: „Während der Zeit habe ich zwei Modelljfizzen zu einer Mutter: 
gottes-Natur für Bürgjtein entworfen; die eine davon in Gyps ausge: 
goffen. Noch hat ſie Niemand gejehen, werde mir aber jedenfalls, bevor 
ih an die Ausführung jchreite, guten Rath holen bei einem der hiefigen 
Kunſtpatriarchen . . . ." 

Nebenbei modellirte ich ein Relief, die Entführung der ſchönen Jutta 
durch Bretislaw I. vorjtellend. 

Eingeflochten in diefe, das eigene Thun betreffenden Daten tjt eine vecht 
interejfante Bejchreibung der Werfjtätte des jchon öfter genannten Prof. 
Joh. Mar. Wagner. „In den legten Tagen bejuchte ich mehrere Bildhauer: 
atelier’3 Älterer wie jüngerer Meiſter. Unter diejen feijelte mich bejonders 
das von Prof. Wagner. . . Die ganzen Wände feines großen Studio 
iind mit Neliefs bededt und zwar mit den Modellen für den umfangreichen 
Marmor-Fries in der Walhalla bei Regensburg — vorjtellend die Völker: 
wanderuug der Ur- und Neuzeit. Ungemein reicher Vhantjie erfunden, find 
viele Einzelbilder auch jehr ſchön ausgeführt, befonders in der zweiten 
Abtheilung. Daß jene der erften nicht gleicherweife befriedigend, iſt wohl 


zurüczuleiten auf die Uebergangsperiode Wagner's vom Maler zum. 


Bildhauer, in welcher die Reliefs der erjten Abtheilung entjtanden. — 
Bekanntlich entdeckte König Ludwig von Baiern noch als Kronprinz, den 
im Maler Wagner verftectten Bildhauer in Folge feiner Neife nach Grie— 
chenland, und gab ihm als ſolchem 1821 den erſten Auftrag — den Kampf 
der Gentauren mit den Lapithen — für die Münchener Nealfchule, diejem 
folgte 1822 der für die Walhalla für die weiteren Aufträge des Königs, 
für's „Siegesthor" ꝛc. die im Bronzeguß zur Ausführung famen, gingen 
die Modelle nach München, find demnach im Atelier blos die Thonfkizzen 


RFERT N, 


— 19 — 


vorhanden. — Dermal, im 77ſten Lebensjahre, ruht Meiſel und Hammer, 
ruht Wagner zugleich) auf feinen Lorbeeren. — Hagejtolz, dabei im Bejige 
großen Vermögens wie guter Gejundheit, iſt ihm das Leben feine Laſt. 
Selbjt die vielen Würden und Zitel jcheinen ihn nicht zu drüden. — 
Objchon wiederholt nach Baiern berufen, fehrte ev doch immer wieder 
nach Rom zurück — wo er bereit 40 Jahre verbrachte, und jedes zweite 
Fahr von Neuen ſich der unveränderten Freundichaft feines Königs zu 
erfreuen hatte. Denn regelmäßig fam bislang König Ludwig innerhalb 
diefes Zwijchenraums auf fürzere oder längere Zeit hieher, und war dann 
auch Wagner jein fteter Geſellſchafter. Bon der Intimität, in der ſie zu 
einander jtehen, konnte ich mich bei der angedeuteten, jüngjten Abreife des 
Königs hinreichend überzeugen: denn zärtlicher wie diefer 66jährige Regent 
von Baiern vom 77jährigen Bildhauer jchied, jcheiden kaum jich innigſt 
liebende Brüder. . . . Im Studio Wagner’8 arbeitet jest der Bildhauer 
Peter Schöpf, ein Schitler Thorwaldjens, und vertritt Wagner ganz 
vorzüglich, wie eine Reihe von Modellen und in Ausführung begriffenen ‘ 
Marmorwerke nachwiejen.‘ 

3. Sept. „Ich ſetze meine Ausflüge in die Umgebung Rom's fort, 
um jowohl meinen Körper wie meine Phantaſie fiir gedeihliches Schaffen 


zu kräftigen... . Wanderte alſo am Sonntag nad) dem mir lieb gewor- 
denen Albano, fünf Stunden lang in wahrer Sonnengluth. . . . Bon da 


nach Genſano, wo es eine harte Probe meiner Katholicität zu bejtehen 
galt. Denn in eine der Kirchen eingetreten, fam ich eben zum Gottesdienfte, 
bei welchen die frommen Landleute durchweg auf den Knien lagen, Um 
fein Aergerniß zu geben, mußte ich ebenfalls eine Halbe Stunde lang das 
Marmorpflafter gleicherweife honoriren, was mir ziemlich jauer wurde. 
Gott wird mir's verziehen haben, daß ic) während dem meine Blide auf 
die Schönen Beterinen wendete und Gejchmad fand an ihrer kleidſamen 
Gewandung, dem jchneeweißen, nett gefalteten Kopftuch, dem niederen 
ſchmiegſamen Mieder, über welchem der vollgerundete Bujen vorquoll, 
dem eng anliegenden weißen Spenfer, knapp gefalteten Rock und bunt 
gejticten Schürzen — alles maleriſch jchön, insbefondere bei den Schönen. 
Verſichert jei, daß dieſe fünftlerifche Abjchweifung unauffällig vor ſich gung, 
und Niemanden in der Andacht ſtörte. ... 

Ein anderer Sonntagsansflug war nac dem muſikgeſchichtlich be- 
fanuten Palejtrina, der Geburtsjtätte des Giovanni Pierluigi, von dieſer 
Palejtrina benannt, gerichtet. „Der Weg — ſchrieb Melzer — führte 
lange Zeit noch im und am Abhange des Albanergebirges dahin, endlich) 
in jenen Theil der Campagna, welcher ſich zwijchen jenem und dem Sabi- 

14* 


— 200 — 


nergebirge nach Süden erjtredt, doch nicht jo dürr und öde ijt wie der 
um Rom, jondern fruchtbar erjcheint, indem ſich Wiejen, Felder, Gärten 
und Wälder bis vor die Thore Paleſtrina's erſtreckten. Kurz vor dieſem 
betrat ich wieder altrömiiches Pflaſter, das jtrecdkenweije neben dem im 
Bau begriffenen Neuen hinläuft. Als am Sonntage war die Straße von 
der Stadt herab mit Spazierenden zu Paaren, Hleineren und größeren 
Gruppen beiderlei Gejchlecht8 beſetzt. Im Innern gleichen die Gaſſen 
mehr oder weniger ſteil anlaufenden Stiegen, auf welchen ein Verkehr mit 
Wagen kaum denkbar. Ich hatte mir Paleſtrina anders in der Lage und 
ſchöner vorgeſtellt. Es iſt eines der größeren Städtchen der Gegend, dehnt 
ſich den hohen Gebirgsabhang hinan, mit der Front der Ebene zugewendet. 
Am Gebirgszuge weiter wandernd gelangte ich nach einigen Stunden auf 
eine Hochebene von überaus erfriſchendem Anſehen durch ihre grünen 
Weideplätze, Aecker und das ſie umſäumende Strauchwerk. An den Ab— 
hängen weideten Heerden, ihre Hirten blieſen gar liebliche Melodien, die 
mir wahrhaft zu Gemüthe gingen. . . . Ich Fam hierauf nach dem Flecken 
Capranica mit einer ſchönen gothiſchen Kirche, raſtete bei einer Foglietta 
Wein und ſtieg dann wieder abwärts... . . berührte das ziemlich freundliche 
Genejano und das noch freundlicher gelegene, von Weingärten, Delpflan- 
zungen und jchattigen Alleen umzogene Dlevano. Das anziehende der Lage 
und Umgebung machten diefe Ortichaft auch zu einem Lieblingsaufenthalte 
für deutjche Künſtler, und ich ging nicht fehl in der Vermuthung, mehrere 
bier zu finden. Auf eine diesbezügliche Anfrage nad) dem außerhalb, auf 
einer Anhöhe gelegenen, weißgetünchten, mit der Aufjchrift „Hotel“ ver: 
jehenen Gebäude gewiejen, fand ich richtig eine ganze Anſiedlung jolcher: 
Die beiden ausgezeichneten Landſchaftsmaler Villers und Hottenrott, den 
Bildhauer Haſſenpflug — Sohn des heifiichen Minifters, — die beiden 
Brüder Meg aus Frankfurt, der eine Landichafter, der andere Architeft; 
den Landichafter Schlegel, einen niederländiichen und einen italienischen 
Maler — dieje hatten das ganze Hotel in Bejig genommen. Es war juft 
Mittag, als ich den Hügel hinanftieg "und das Locale betrat. Villers lag ge- 
müthlich in einem altväter’fchen Lehnſtuhl; neben ihm jaß Hafjenpflug, der eben 
“ die Küche mit der dien Köchin ſtizzirte. Bald kam Hottenrott herein, mich 
freundlichjt zu begrüßen und fich nach den Freunden in Rom zu erkundigen. 
Nicht Lange, und wir jagen jammt und fonders um den Meahlzeitstifch, 
geniegend und plaudernd, bis wieder tabula rasa entſtand, die Gejellichaft 
ſich zerftreute, Einige jich mit dent Boccia (Kugeljpiel) zu unterhalten, die 
Anderen um Siejta zu balten, ih meinen Rückweg anzutreten. Hottenrott 


— 201 — 


begleitete mich und zeigte mir, wie ich am Kürzejten nach Civitella fomme, 
welches „Paeſe“ neuerdings auf einer erjtaunlichen Höhe lag. 

Eine lange Strede ging’s noch bergan, bevor der Weg gemäcdhlicher 
und durch einen Kaſtanienwald führend Fühler wurde. Leider nur kurz, 
denn bald wurde es wieder fahl bis zu dieſem Felſenneſte. Wie maleriſch 
ſchön dieje Bergjtädtchen von Weiten ausjehen, jo widerlid unangenehm 
zeigen jte fich im der Nähe. Schon von dem, das jegt vor mir lag, be— 
währte jich’s. Leute jedweden Alters waren unter Aufficht eines Geiſtlichen 
mit den Bau einer Straße beichäftigt, wozu das Matertal, Steine, Erde ıc., 
wie es jtets in Italien Brauch ift, auf den Köpfen herbeigetragen wird, 
Raum diefen Leuten zu Gefichte gefommen, erhob jung wie Alt ein Gefchrei 
in allen Tonarten: Pitto! Pittol Mezzo Bajochio! Pitto date me un 
Bajochio, un Bajochio! Pitto! Pitto! Berdrießlich zwar über den Heiden- 
lärm warf ic) ihnen etwas Münze zu, ohne aber dadurch erlöft worden zu 
jein von noch fortgejegtem Nachrufen auf Diftanz; ja jelbjt durch die Ort- 
Ihaft hatte ich den Anruf zu bejtehen, blos mit der Variante, day ich hier 
als — celebre Pittore — weil alle Duchfommenden für Maler gehalten 
werden — angebettelt wurde. . . . . An Rocca di San Stefana und 
Subiaco vorbei, verjchiedenen Abirrungen im Wege verfallen, gelangte ich 
nächiten Tuges guten Muthes wieder in mein Standquartier.“ 

Des Weiteren folgt nun im Tagebuche eine höchjt interefjante, vom 
6. September datirte Bejuchsepijode: „Heute befuchte ich den Bildhauer 
Ahtermann — zu Minjter geboren — deſſen Mittheilung über die 
Art, wie er Künjtler wurde, überaus ermuthigend auf mich eimwirkte, 
Treuherzigſter Weije erzählte er: „Achtundzwanzig jahre war ıd) alt, war 
Landmann und ging hinter dem Pfluge her, wurde dann Zijchler, und 
vermochte exit in. meinem 32. Jahre nad) einigen Erſparniß und durch 
Kunſtfreunde unterjtügt, dem inneren Triebe folgend, die Berliner Kunſt— 
afademie bejuchen, wo ſich der geniale Chrijtian Rauch ganz bejonders 
meiner annahm, mir jpäter, auf Grund meiner Leijtungen auch zur Reiſe 
nad Italien verhalf. Allerdings fam ich vorläufig nur bis Carrara, wo 
fich indes Gelegenheit fand, eine Marmorfigur auszuführen, mit deren 
Erlös die Weiterreife — nad) Nom — angetreten werden fonnte. Wie 
leicht und forglos ich die Reife in die Hauptitadt der katholiſchen Welt 
angetreten, harrten meiner doch die bitterjten Enttäuſchungen: Einzig nur 
dem Studium, der Vervolllommmung obliegend, gejchah diejes unter größter 
Entbehrung, lange Zeit bei Waſſer und Brod — ſchmerzlich bewegt jeßte 
er hinzu — als ic) leßteres nicht mehr aufbradhte, bios von Wafjer. Das 
dauerte drei Tage, danıı befam ich von einem Bekannten, 3 Bajocco geborgt, 


— 202 — 


die mir wie eine Himmelsgabe erjchienen, für die ſogleich Brod gekauft 
wurde, das an der Fontana ZTrevi in friihes Waſſer getaucht, meine 
nächſte Mahlzeit abgab,“ — fortjegend erzählte er: „Auch nahe daran Schulden 
halber eingejperrt zu werden, ſchickte mir der Himmel ebenfalls vechtzeitige 
Hilfe durch einen Kunſtfreund, der ſich herbeiließ, meine inzwijchen ange- 
fertigten Meodells zu betrachten, und darauf hin eine Ausführung in Mar: 
mor bejtellte. Yon da ab traten Kummer und Sorge in den Hintergrund 
und leuchtete mir die Sonne der Gunſt.“ — Sich entjchuldigend, ging 
Achtermann hiernach in den rüchwärtigen Theil des Atelier’s, einen jchon 
vorbereiteten Gypsgus perfect zu machen, wodurd ich Zeit gewann, feine 
theils vollendeten, theils in Ausführung begriffenen Werfe näher zu 
betrachten... . . Da jtand nun diejelbe überlebensgroße Gruppe — Maria 
mit dem vom Kreuze abgenommenen Heilande am Schoß — die mir bein 
früheren Bejuche des Ateliers wenig, zujagend erjchien, ergreifender Wir- 
kung vor mir; alles daran war formvollendet und wunderbar durchgeiftigt. 
Woher dieje veränderte Auſchauung mich unwillkürlich fragend, gab der 
eben wieder herbeigefommene Meifter, als hätte er meine Gedanken errathen, 
die mein Gewiljen beruhigende Antwort: „was Sie früher jahen, ift nicht 
mehr dasjelbe, was jegt vor Ihnen fteht. Die Gruppe erlitt feither eine 
totale Umarbeitung." .. . . Noch im Ausführung begriffen war eine zweite, 
gleich großartig erfaßte Conception — die Kreuzabnahme darjtellend. Mit 
nur Fünf Figuren wußte der an claſſiſchen Vorbildern herangereifte 
Künſtler das ganze tieftragische Thema zu erfchöpfen! Maria, ſchon am 
weiteſten durchgeführt, bildet auch hier im fchmerzvollften Hinlangen nad) 
dem Leichnam des Sohnes das Centrum. Die Wirfung des Ganzen tjt we- 
jentlih) erhöht durch die Behandlung als Hochrelief, womit es gelungen, 
die Hauptfiguren ebenjo mittels breiter Lichtmaſſen, wie tiefer Schatten 
von den flächer gehaltenen Nebenfiguren abzuheben. Das Werk iſt auf 
den Betrag von 16.000 The. für den Dom zu Münjter beitellt. 

Nach Beendigung der Umſchau, bei welcher Achtermann noch allerlei 
interejjante Auskünfte gab, wie diejes und jenes von den vorhandenen, 
zahlreichen Modellen zu Stande gekommen und als Marmorwerk in die 
Welt gegangen jei, waren wir in jenen „Studienwinkel“ zurücgefommen. 
Sih in den ganz primitiven Lehnſtuhl niederlajjend mich zum Segen 
anffordernd, gab es dann noch ein äußerſt animirtes Gejprächsgeplänfel — 
wie ich's nennen möchte. Wie muthvoll im erjten Anlaufe unterlag ich 
doch: vielleicht vichtiger, ergab ich mich. Denn wahrhaft feſſelnd legte er 
die Grundiäge dar, nach welchen der Künftler als ſolcher ſchaffen und 
wirken müſſe; md es Hang das Alles jo lauter, berzinnig und erwär- 


mend, daß ich trog mehrfach empfundener moraliicher adeljtiche mich 
gehoben fühlte. Am wirkſamſten griff er mit der in zartefter Form ausge- 
ſprochenen Mahnung ein: nicht wie mehrere vor mir dagewejene Lands— 
leute „frommthuende Speculation” treiben zu follen. Ich erſchrak völlig 
ob der Bejtätigung dejjen aus dem Munde diejes ehrlichen Kunjtrichters, 
was vordem ſchon hie und da als Anklage vernehmbar wurde, und merfbar 
machte, wie bedeutend inzwijchen der von Kadlik und Führich für die 
Prager Künjtler erworbene Eredit gejchmälert worden je." . . . 

Nach Eintragung unmwejentlicher, blos TFamilienangelegenheiten be- 
treffender Notizen vom 19. Sept. und 16. October, iſt im Zagebuche eine 
Lücke gelajien bis zum 1. Mai 1852. Unter diefem Datum hebt Melzer 
wieder an: „Eine geraume Zeit ijt hingegangen, jeit ich aufhörte hier ein- 
zutvagen. Seitdem hat ſich vieles in und mit mir geändert: mein Lebens- 
zujtand ift ein geruhigterer, mein Sinnen und Trachten ein geflärteres 
geworden. Dieſe Berändernng bewirkte aber nicht allein mein ernjter 
Ville, Jondern guten Theils äußere Einflüffe. Diefem Zuſammenwirken 
rejultirte, da ich mir Achtung als Menſch, Anerkennung als Künſtler 
erwarb, mich friih an Geift wie am Körper fühle"... . Motivirt 
ericheint dieſe Selbjttröftung durch das Nachjolgende. — 

„Mitte vorigen Monats beendete ich eine Arbeit — die erite, 
vollfommen ausgeführte in Nom, und fandte fie am 22. derjelben 
in die Kunftausftellung nad Prag. Es ift das die ſozuſagen veformirte 
Figur des Dichters Lommicky (3 Fuß hoc). — Von einer Anzahl 
hieſiger Künftler, welche die Figur ſahen, günftiger beurtheilt als ich er- 
wartete, hoffe ich mm auch bei meinen Landsleuten freundliche Aufnahme 
für fie zu finden; hoffe dazu freilich noh auf den Verkauf derjelben, 
damit ich freie Hand gewinne für fröhliches Weiterarbeiten.“. . . - 

Aeußerſt charakteriftiich it der angeſchloſſene Nechenjchaftsbericht: 
„Lange, lange Zeit hatte ich daran zu thun; wohl dreimal hätte ich während 
dejjen fertig werden können. Aber was ich den einen Tag vollbrachte, 
wurde den anderen vernichtet, umgeändert und verbefjert und nächjt ſchon 
wieder anders gemacht. Nun damit zu Ende, bin ich deſſen auch herzlich 
froh. Denn ich habe dabei etwas ordentliches gelernt; das eigene Ermejjen 
wurde duch jortwährende Anſchauung gediegener Kunftwerfe, jo wie durch 
Beurtheilung maßgebender Künſtler geläutert und richtig geftellt. Mit der 
erlangten Fertigkeit im Technifchen gewann aljo auch der Geiſt an 
Schärfe für Auffaſſung, und veredelte jich der. Geichmad. Dieſer Gewinn 
joll meiner nächſten Ausführung, dem Gegenjtücde zu Lomnicky, der Dichter: 
mad „Eva Lobkowitz“ zu jtatten kommen. Bereits habe ic) fie aus dem 


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— 204 — 


„Groben“ herausmodellirt, um morgen — den 21. — die Detaillirung 
beginnen zu fünnen. . . . Der gute Meijter Max, als ex mir nad) langem 


Harren schrieb, legte zugleich die gewunjchene Pauſe des Lommicky: 
Portraits bei. Gewiß wird er meine neuerlich an ihn gerichtete Bitte 
um das Bilduiß der Lobfowig vdenmac gewähren. Auch an Herrn 
Kreiscommiffär Klar jchrieb ich wieder, um die Vorwürfe zu entkräften, 
die er mir im jeiner Antwort auf meinem erſten Bericht hin machte, be— 
jonders darüber, ihm nicht jogleich angezeigt zu haben, wie meine Lage 
bejchaffen jei, wodurd er jie günftiger gejtalten könne. Du lieber Gott, 
ih glaube das war jchon in jenem Berichte deutlich genug zwilchen den 
Zeilen zu lejen. Das NRechtfertigungsjichreiben dürfte nun zugleich mit 
der Lomnickyſtatue in Prag eingetroffen fein und dadurch entiprechenden 
Nahdrud gewonnen haben... . .. An Ruben jchrieb ich ebenfalls. 
Anlaß dazu gab die Bejorgnig, daß die Statue möglicherweije erſt nach 
Eröffnung der Kunftausjtellung eintreffen fünne, Für welchen Fall ich 


„. . . Nicht gering überrafchte mich diefer Tage aud) die Wahrnehmung, 
daß bereit die mir gewährte zweijährige Stipendienfrijt abgelaufen jet. 
Ich beeilte mich deshalb mittels einen Geſuches an die Statthalterei Für 
Böhmen eine Frifterftredung für's dritte Jahr zu erwirfen mit Berufung 
auf die gleiche, den früheren Penjionären gewährte Gunjt." Einer ſpäteren 
Eintragung — ohne Datum — iſt zu entnehmen, daß ihn Hr. Kreis: 
commiſſär Klar mittlerweile aufforderte, „behufs der Stipendienverlängerung 
die ufuellen Zeugniffe über die bisherige Verwendung, von namhaften 
römiſchen Künſtlern ausgeftellt," einjenden zu jollen. Mit Bezug darauf 
heißt es im Tagebuch weiter: „Aljo gleich erjuchte ich Hijtortenmaler Flag 
und Bildhauer Steinhäufer, zwei der erjten hiejigen Kiünftler, um 
jolhe Zeuguiffe, die ohneweiters ausgejtellt, hoffentlich dort gleicherweife 
befriedigen werden, wie jte mid) hier befriedigten. Sie gingen mit einem 
Schreiben an Meijter Mar ab. * 

In Fortjegung verzeichnete Melzer folgende höchſt charakteriſtiſche 
Schilderung jeiner Lage während der abgelaufenen Nothzeit. „Ich hatte 
Lomnicky zu modelliven begonnen, und Herrn Flag erjucht, mich gelegen: 
heitlich bejuchen zu wollen. Er fam bald. Eintretend — wie es nicht anders 
ging, in das Gemach, in welchem ich umgeben von einem über alle 
Maßen bejcheidenen Mobilar, bejtehend aus einigen Stühlen, einem elenden 
Tiſche, einer Rohrbanf und einem Koffer, meine Häuslichkeit aufgejchlagen 
hatte, wo ich diefer Zeit (December) der herrſchenden Kälte wegen 
äugleich modellirte, indem jich Hier durch einen kleinen Blechofen eine 


TRERPRERITT" 
— 205 — 


erträgliche Temperatur erzielen lieh, im Studio dagegen fein Wärmejpender 
anzubringen war — aljo eintretend in dieje jeltfame Wirthichaft, überflog 
feine gewöhnlich ernjten Züge ein humorvolles Lächeln. Indeß ſchweigſam 
vorgehend zum Boſſirſtuhle, Scharf mujternd den jchon im hauptjächlichen 
durchmodellirten Lomnicky, erfuhr ich alsbald eine Kritik, wie jie treffender, 
aber auch ermuthigender kaum gegeben werden Fonnte. Hierauf die 
Treppen ins Studio mit mir hinabjcdreitend, waren es hier namentlic) 
die in Modellen und Skizzen vorhandenen Frauengejtalten, die jeinen 
Beifall gewannen, ob welchen er mir auch das Compliment machte: 
„Sie haben für die Formen des zarten Gejchlechtes eine bejonders feine 
Fühlung.”. . Unerwartet fnüpfte Flag jedody an jeine Wohlmeinung 
ein Examen, das wich in die größte Verlegenheit verjegte und zwar zu: 
vörderjt mit der Frage: „wo wohnen Sie denn eigentlich?" weil ſich 
aber feine andere Antwort geben ließ als: Hier. Diejes Hier übte 
nur Conſequenz durch die Nachforihung: „wo haben Sie denn Ihre 
Sclafitelle?" Schwer wurde mir’s, aber es war nicht in Abrede zu 
jtellen, daß die Rohrbank für's Nachtlager herhalten müſſe. „Aber 
Sie haben ja weder Matrage noch) Dede!" Allerdings nicht, war meinte 
befangene Erwiderung. Er blidte mid) längere Zeit an und jprach dann 
mir die Hand entgegenreichend: „sch habe alle Achtung vor Ihnen! Sie 
(eben jo jtreng, ja jtrenger denn ein Ordensbruder.“ Wahrhaft innig mir 
die Hand dridend, empfahl er jih. — 

Zwei Tage ſpäter Fopfte jemand an. — Flag war es! „Werzeihen 
Sie," begann er, „ich fomme heute in einer bejonderen Abjicht zu Ihnen. 
Habe vorgejtern wahrgenommen, in welchen gebrüdten Verhältniſſen Sie 
leben, bei alledem fleißig arbeiten und jo alles jtrebjamer Künſtler fein 
ordentliches Lager, nicht einmal ein Bett bejigen. Auch brennen Sie —“ 
anf das Reiſig beim Ofen deutend — „ſolch Holz, was feine Wärme gibt 
— ic) fenne jolche Heizung! Bei diefer im Falten, naſſen Thon Tag über 
arbeiten, dazu auf Schlechter Schlafjtelle die Nächte verbringen, kann nicht 
anders als gejundheitszerjtörend wirfen — was Sie ja leer jchon 
erfuhren. Mit ihrer Verköſtigung jteht es, wie ich Grumd zu glauben 
habe, nicht zuträglicher. Aus alledem, entfchuldigen Sie, bleibt zu jchließen, 
daß Ihnen die Mittel abgehen, beſſer und gefünder leben zu können. 
Ueberzeugt von Ihrer Berufstüchtigkeit, aber auch vom Abgange ver 
Mittel um vollkräftig wirken und jchaffen zu können, komme ich.“. . . -- 
Ahnend was er num vorbringen wolle, fiel ich ihm ins Wort, verjichernd 
mich jegt Gott jei Danf recht wohl zu fühlen; die Kälte anbelangend, jei 
ja doc die ſchlimmſte Jahreszeit im Abzuge, und das harte Lager, ſchon 


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— 206 — 


jahrlang daran gewöhnt, übe kaum mehr nachtheiligen Einfluß. Solcher 
Weiſe ausweichend, der Meinung ihn dadurd von jeinen Thena abgelenkt 
zu haben, hatte ich mich dennoch verrechnet. Denn Flag wußte gemüth: 
volljter Beredjfamfeit jo viele mit erlebte, gleichartige Fälle entgegen zu 
jtellen, die mich nahezu widerjtandslos machten bis zu dem Momente, in 
welchem er den eigentlichen Kern jeiner Abjtcht bloslegte. — „ES wird 
Ihnen bekannt fein" — Hub er janften Tones an — „daß Maler 
Küchler dor Kurzem in den Franzisfanerorden eintrat; da er als Kloſter— 
bruder Fein Vermögen bejigen darf, darum all’ jein Hab und Gut vor 
der Einkleidung verjchenfte, betraute er mid) zuvor noch, fein aus dem 
Verfaufe einiger Arbeiten erzieltes Baarvermögen, jein hinterlajjenes 
Mobilar, jowie die übrigen unveräußerten Gegenjtände, nad) memem Gut— 
dünken an Bedürftige zu vertheilen. — Wohl habe ich ſchon iiber mehreres 
verfügt, aber was noch übrig” . .. Außer Stande mich zurückzuhalten, 
legte ich num auch fieberhaft erregt Verwahrung ein gegen das offenbar 
beabjichtigte mir Zumenden des Reſtes jener Verlaſſenſchaft. Der Künſtler— 
jtolz war eimmal wachgerufen und verhielt mich trog feines freundlichen 
Dränges zum Ablehnen des mir Zugedachten. . . . Allem Anjcheine nad) 
verließ er mich gefränft, dürfte aber beim Hand aufs Herz legen, mir 
dody bald wieder verziehen haben — wie ich jpäter auch erfahren fonnte. 
Denn aufmerkſam gemacht auf die in Nom beftehende dentiche Künſtlercaſſa 
wendete ich mich an Flag als Ausjchugmitglied — und erhielt ſogleich 
den momentan nöthigen Vorſchuß.“ 

In den nachfolgenden Notizen iſt zwar die Urſache verſchwiegen, 
das verzeichnete Faetum „Seit Anfang des Jahres bewohne id) ein anderes 
Duarttier, welches zugleich mein Studio iſt,“ Führt indes von jelbit auf 
dieje zurüd, nämlich auf den „kritiſchen“ Bejuch von Flag — wie M. die 
obig bejchriebene Scene nannte. Des Weiteren jagt ev aus: „ic wohne 
jest am Monte PBincio, in der Via della Purifteatione, aljo mitten 
unter Dentjchen, das heißt ringsum wohnen Landsleute und haben dieje 
bier faſt alle ihre Werfftätten, jo in diefer Gaſſe, der de Capueini, Felice, 
Gregoriana, Guatro, Fontana, Iſidore, einjchlieglich von Piazza Barbarini 
als dem Centrum dieſer Straßenzüge" ... Mit Vergnügen gehe ich 
hiev an die Arbeit, fühle daber das Wohlthätige gefunden Wohnens und 
einer bisher entbehrten bequemen Lagerjtätte te mi 
die Quartiergeber beigeftellt wurde" . . 

Weniger zuridhaltend it M. nun auch im Tagebuche wie vordem 
Flatz gegenüber, wenn ev des Weiteren jchreibt: „Jetzt, da ich geſund bin, 
jene drüdende Seit hinter mir babe, kann ich freier darüber denfen, ob 





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und wie viel ich ſelbſt Schuld war, daß mich ſolch Ungemach überfam. 
Allen voran ging freilich das Unzulänglihe der Mittel überhaupt, als 
Verſchlimmerung deſſen das jelten vechtzeitige Eintreffen der von zu Haufe 
erwarteten Beihilfe. Mei Leben wurde dadurd) jo unordentlich, daß ich 
bald zu wenig fürs körperliche Wohl thun fonnte, und wenn dadurd) 
herabgefommen, der jpätere Mehrgenuß gleich ſchädlich wirkte... . Wie 
mit dem Menschen, jtand es dabei mit dem Kiünjtler. Entfräftet war ich 
eben aud außer Stande, das durchzuführen, was ich mir vorgenommen 
hatte. Große Pläne hegte, weitfichtige Zwede verfolgte ich — Ichuldig 
bleibend aber das reale Gejtalten und Erreichen. . . . „Doch,“ ſich auf: 
richtend, heißt es weiter: „wie viel jomit verloren ging und zu beklagen 
bleibt, nuglos verſtrich dieſe Zeit nicht. Ich lernte während dem 
mehr, ols ſich augenblicklich nachweisbar machen läßt, weil es mehr nad) 
der Tiefe, anjtatt auf die Oberfläche überging. Aus diejer innerlichen 
Vertiefung, das fühle ich, ging das nun klare Bewußtjein hervor, id) jei 
Künjtler, memen Vorgängern in der Klarjtiftung ebenbürtiger Künſtler 
geworden!" ... 

In weiterer Ausführung des aufgegriffenen Themas, jchreibt er: 
„Nicht mehr jo vereinfamt wie früher erweiterte ſich der Kreis meiner 
Freunde und Bekannten, die guten Theils Mittag und Abends meine Ge— 
jellichafter jind. Sie vertheilen fi” auf die „Katakomben“ — Tratorta 
al Gabbione — wo ih Mittag halte, und auf die Abendzeit in der 
Dfteria al tre Fachini, wo jtets eine große Anzahl deutjcher Künjtler 
zufammen kommen, und zu künſtleriſch anregendem Geſpräche wie geift- 
jchärfenden Debatten gruppiren”. . . 

„Dierher kommen aud) die Zugvögel deutjcher Zungen, welche aus 
verjchiedenen Richtungen fommend Rom auf einige Wochen bejuchen. Das 
währt bis zu intritt der heißen Jahreszeit, in welcher ein Theil der 
Geſellſchaft, befonders die Landjchaft- und Genremaler ſei es zum Studium, 
jet es zur Erholung aufs Land — ins Albaner, Sabiner- oder aud) 
Bolsfergebirge überjiedeln. Bereits jind wir an der Zeit, jchon beginnt 
die drückende Schwille, die die bewegende Luft den Athmungsorganen läftig 
zu werden.” . . 

„Mod; ehe es dazu Fam, feierten die deutjchen Künſtler das welt- 
befannte Gervarofeit. Bier Jahre lang war es der Beitereignijje wegen 
unterblieben. Vieles änderte jich feither in den Verhältniſſen, wohl aud 
in der Stimmung, dennoch fiel es gegen alle Erwartung günjtig aus." — 
Die nächjtfolgende, vom 2. Juni datirte Notiz befagt: „Habe die nieder: 
drücende Nachricht erhalten, daß mein Lomnicky zu jpät in Prag anfam 





ed 


und für die Ausjtellung wicht mehr berückſichtigt werden konnte. . . Das 
wird mid) nun wieder in Noth bringen. — Hatte ich doch auf jicheren 
Verkauf und damit auf eine nothwendige Beiſteuer zu den geringen. Pen— 
jionsbetrage gerechnet." ... 

23. Juni. „Diefer Tage. begann ich eine Skizze zur Pflichtarbeit für 
die Kirche meines Geburtsortes — den auferjtandenen Heiland voritellend. 
Es joll eine jchöne Figur werden, denn ich habe Freude an der Aufgabe... 
Die Figur der Lobfowig fonnte ich noch immer nicht vollenden, weil 
mir das von Mikowetz verjprochene Portrait bis dato nicht zufam” ... 
Im Stillen befchleicht mich die Sorge, wieder in den alten Zuftand zurück— 
geworfen zu werden. Schrieb, deshalb an den Grafen Franz Thun — 
welcher endlich direct bejtätigte, dag die Lomnickyfigur erſt am Schlußtage 
der Ausjtellung anfam — und erjuchte ihn um Beiftand von Seite der 
„Geſellſchaft patriotiſcher Kunſtfreunde“. . Aus dem Thun-Briefe geht hervor, 
daß die Kiſte noch auf der Hauptmauth liegt, mein erſtes in Rom voll— 
endetes Werk, auf das ich die beſte Hoffnung ſetzte, alſo noch von Niemand 
betrachtet und beachtet wurde!" ... 

1. Inli. „Nachträglich fam mir der Gedanke, mich an Hru. Kreis: 
commijjär Klar zu wenden, damit ex ji des Lommidy annehme und 
jelben in jeinem Salon zur Befichtigung aufjtelle. Liegt es doch zugleich 
in jeinem Intereſſe, diefem Werke des jüngjten Stiftlings „Anſehen“ zu 
verschaffen" ... 

19. Auguft. „Vom Bruder Ferdinand dafür angeregt, modellive ich 
jegt eine Statuette der Kaiſerin Maria Therefia mit der Abjicht, fie im 
Großen auszuführen. Ich habe diefe hohe Frau als jegenfpendende Mutter 
der von ihr beherrjchten Kinder mit vorgejtredter Nechten, das Scepter, 
von Eichenlaub umflochten, in der Linken haltend, dargejtellt" ... 

— Aus einer umfangreihen Selbjtihau vom 14. October, die 
ſich wohl auch eine Selbjtgeigeluug nennen ließe, da ſie ſchönungslos dem 
„Julius“ vorwirft, wie vieles ihm noch immer abgehe, um das zu jein, 
was er jein folle, hebe ich bloß die Hauptfäge hervor: „Wenige Monde 
noch und ich trete in das dreißigſte Lebensjahr! ... Welch’ hohes Alter 
bei jo wenig Erreihtem... Du Dreimalzehn, du jollit mir eine ernjte 
Mahnıng fein, um feiten Schrittes dem gejtedten Ziele zuzueilen“ ... 

— Offenbar ſich beim Worte haltend, werden von da ab die fchrift- 
lichen Ergießungen jpärlicher und fürzer, zahlreicher und gediegener dafiir 
die Fünftlerifchen Ausführungen. Die Schreibepauje iſt erſt wieder durch 
die flüchtige, in der „Chriſtnacht 2 Uhr” eingetragene Notiz unterbrochen: 
„Eben bin ich aus der Mette gekommen. In Santa Maria Maggiore Jah 


209 — 


ich wieder den throngetragenen Bapit, in San Coſimato e Domiano die 
großartigen Mojaikbilder der Tribune beim Kerzenjchein, das alte trümmer— 
reihe Forum bei Mondlicht. Weihnachten, ach das einjt auch für mich jo 
finderjelige Weihnachten ift da — umd gewijjermagen doch nicht da für 
den Bürgſteiner Julius.“ 

Etwas mehr Licht über die Situation verbreitet die anſchließende, 
vom 1. Januar 1553 datirte Eintragung: „Ein neues Jahr begann und 
gäbe Anlaß zu Betrachtungen, wozu mir jedoch, wie zum Schreiben, die 
Luſt fehlt. Längere Zeit vernachläſſigte ich dieſe Blätter, und doch iſt Be— 
deutſames genug vorgefallen, was die Mühe des Niederſchreibens verdient 
hätte. Entſchuldigung für mich ſelbſt liegt nur darin, daß mir mittlerweile 
viel zu thun oblag; daß ich mich emſig mit der Kunſt zu beſchäftigen 
hatte . . . Ich greife darum einige Spannweiten zurück, und notire: die 
Figur der Eva Lobkowitz iſt fertig modellirt und in Gyps abgeformt. Der 
Abguß befand ſich bis 16. December unter den Händen des Punctirers; 
nächſten Tages ſchon ging ich au die Ausführung in Marmor. Es war 
das erjtemal, daß ich im dieſem fchönen Materiale arbeitete, deshalb mit 
den technischen Schwierigkeiten in der Bearbeitung zu kämpfen hatte. — 
Es war jedenfalls unflug, mich nicht jchon früher in Vorübungen ein— 
zulafjen, um jicherer wie jegt vorgehen zu fünnen. Nun iſt's überwunden, 
und das Urtheil hiefiger bedeutender Künstler konnte kaum günftiger und 
ermuthigender jein, als es war. Ich darf mich, Gott dank, num für über: 
zeugt halten, in Rom etwas gelernt, meinen Aufenthalt in diefer Kunjt- 
metropole nugbringend angewendet zu haben. Man fpricht jest mit Achtung 
von mir; ich fühle mich gehoben und angefpornt wie noch feinerzeit. Aber 
es war auch nöthig, daß es endlich jo Fam, follte ich anders nicht der 
Jämmerlichkeit verfallen"... 

„Weitere Anjpornung übte ein Schreiben des Hrn. Kreiscommiſſärs 
Klar. Im neuerbauten Militärhojpital zu Karlsbad wird auch eine Kapelle 
eingerichtet. Anjtatt eines Altarbildes it hiefür eine Marmorgruppe mit 
Chriſtus am Kreuze und zwei zu Seiten Intenden Engeln bejtimmt, deren 
Ausführung mir zugedacht wurde. — Skizze und Koſtenüberſchlag gilt es 
demnächſt einzujenden. 

Nach der Andeutung Klar's wären bei entjprechenden Ueberſchlag 
auch noc zwei andere Figuren — St. Franz Ser. ımd St. Joſeph — 
in Ausfiht... Bin ich jo glücklich diefe Aufträge zu erhalten, dann wird 
liebes Baterland der bisher unbekannte wohl bald auch dein gerngenannter 
Sohn!... Mit wahrer Luft gebe ich an die einzufendenden Entwitrfe für 
dieje Aufgaben“... 


— 210 — 


Diefer mit eben fo viel Idealität wie Feuereifer erfaßten Angelegenheit 
entjpriht die vom 13. März 1853 datirte Notiz: „Am 27. Jänner 
jandte ich die Zeichnungen für den Altar der Karlsbader Hoipitalscapelle; 
vier Wochen fpäter jene fiir die beiden Außenfiguren an Herrn Kreis: 
commiffär Klar. Bor ihrer Abjendung der Prüfung von maßgebenden 
Künftlern, überdies noch der des k. k. djterr. Gejandten unterworfen, und 
übereinjtimmend gutgeheißen, befürderte ich fie denn auch mit beiter Hoff: 
nung." .... „Die Preije anbelangend, forderte ich für die Altargruppe 
350 Scudi, für die anderen beiden Figuren 540, alfo in Summa 1390 
Scudi. Die Berechnung ijt derart gewiſſenhaft gemacht, daß, wenn mir 
der Auftrag zufommt, ein Ausfommen nur durch opfenwilligjten Fleiß zu 
erzielen bleibt. Aber jo will ich's — wahrfcheinlih auch Hr. Rlar.. . - 
Unter gleichem Datum findet fich notirt: „Mein Gejuch an die böhmischen 
Stände um eine Subvention für längeren Studienaufenthalt in Jtalten, 
ift, wie ich erfuhr, an Hrn. Klar geleitet worden, damit er auf von hier 
einzuholende Urtheile iiber mich fein Gutachten abgebe. Alſo verjtändigt, 
juchte ich dem nachzufommen durch Erhebung eines Leumundszeugnifjes 
bei der öſterr. Gefandtichaft, wie durch Einladung namhafter Kunjtrichter. 
Kühn genug, lud ic) den nach außenhin namhafteften — Dverbed — zu 
mir ein. Und er fam, was an fich fchon eine Auszeichnung war, welche 
diefer große Künſtler jelten einem kleineren erweift. Ueber die Lobfowig 
äußerte er ſich jehr günftig, gratulicte mir namentlich, jo raſch der Mar- 
mortechnif Herr geworden zu fein. Aller Aufmerkjamfeit mujterten ſeine 
Blicke hierauf die vorhandenen Modelle und Skizzen, aus welchen er ganz 
bejonders die Gruppe, den ungläubigen Thomas vor Chriſtus, als „glücklich 
erfaßt“ bezeichnete. Das mir auf diefen Beſuch Hin ausgeftellte Zeugniß 
war eine vollftändige Wiedergabe feiner Aeußerungen, und dürfte wohl 
die Prager Herren befriedigen. — Gleich ehrenvoll lautete das Tejtimontum 
des k. k. Geſandten.“ ... 

Zu welchem Erfolge die unter dem 12. März geſchehene Einſendung 
dieſer Zeugniſſe führte — darüber fehlen nähere Angaben. Unerklärlicher— 
weiſe gingen nämlich 8 Seiten des Tagebuchs verloren, und findet ſich 
auch in den mir zur Benützung anvertrauten Privatbriefen kein Erſatz dafür. 

Noch bedauerlicher enden die Tagebuchnotirungen überhaupt mit 
jenem vom 13. März 1853 — gerade zur Zeit des frohmüthigſten Auf— 
ſchwunges und der geſpannteſten Erwartung auf durchgreifend künſtleriſche 
Erfolge, die augenſcheinlich Melzer ſelbſt hegte, als er die Worte nieder— 
ſchrieb: „Je länger ich hier in Rom lebe, je lieber wird mir meine Kunſt; 
deſto klarer auch die mir obliegende Aufgabe.“ 


* 


— 211 — 

Beſonders bezeichnend für den nunmehr gehobenen Zuſtand, wie 
für die ihn beſeelende Zuverſicht ſind die letzten Sätze des Tage— 
buchs: „Ich ſchrieb dem Bruder Ferdinand jetzt ganz aufrichtig: Meine 
Neigung zur ſchönen Nachbarin Rofina-reifte zum Entſchluſſe, fie 
zur Lebensgefährtin zu erwählen. Doch erſt nach einem oder zwei 
Jahren, bis ich guten Gewiſſens ihr eine geſicherte Zukunft bieten kann.“ 


— Sachliche Ergänzung fand ich blos nod) in zwei Schreiben von 
der Hand des Hrn. Kreiscommijjärs Paul Alois Klar, adrejjirt an den 
Bruder (Ferdinand) Melzers; das erjte vom 31. März 1855, mit der 
Angabe: „Das Militärhofpital in Karlsbad anbelaugend, ijt die Aus: 
führung jo gut wie jicher... bleibt auch ein angemefjener Vorſchuß darauf: 
hin zu erwarten”... Das andere, unter dem 18. April an die gleiche 
Adreſſe gerichtet, lautet: „Im Anſchluſſe folgen die Gejuchsbeilagen Ihres 
Bruders Julius zurid, Vom Landesausſchuſſe erhält vderjelbe zwar 
feine Unterjtügung, weil diefer für das Hospital 6000 Fl. jpendete, aber 
er befömmt jiher die ſchöne Kapellenarbeit, woriiber Sie mit 
Ihrem Bruder jubeln können”... Weitere Ergänzungen finden ſich in 
einem unter den 9. Auguft begonnenen, doc erſt am 5. Sept. fertig 
gejchriebenen Briefe Melzers an den vorgenannten Bruder: „... Die 
Lobkowitz ijt vollendet, werde jie diefer Tage dem Grafen Thun an— 
kündigen . . Der Chrijtus für Karlsbad ijt begonnen, dev Marmorblod 
dazu Schön"... Der übrige Juhalt bereitet troß aller Selbftbejchwichtigung 
doch jchon vor auf die nachjolgenden Schlußberichte. „Einen jchredlicd) 
heißen Sommer“ — heißt es nämlih — „der mich krank und arbeits- 
unfähig machte, hatte ich zu überleben“ ... Der hier in hohem Rufe jtehende 
deutſche Arzt Mlerg erkannte auf Leberleiden und wollte mich durchaus 
nah Karlsbad exrpediven: „In zwei Jahren, lieber Doctor, wenn ic) 
mit dem jegigen Auftrage fertig bin, dann ja" — fiel ich ihm in's Wort. 
„Seither curirte ex mich mit ven Toskaniſchen Wajjer „Aqua dell Tettreccio“, 
hierauf mit A. dell Tamaricci und ich fam Gott lob, wieder auf die Beine.“ 

Ergreifend wirkt, wenn ev weiter fchreibt: 

„Doch genug davon — 
Entfliehet ihr Sorgen! 


der fommende Morgen 
bringt Freude den Traurigen mit ꝛc.“ 


„Du keunſt doch dies Lied, lieber Bruder, welches die felige Meutter zu 
Defterem vor fih hinſang?! Ich ſinge es ihr jeßt gerne nach und laſſe 
mich durch fein Mißgeſchick jo Leicht mehr anfechten" ... 


=. 


In grellem Widerſpruche dazu jtcht das von den Freunden und 
Studiengenojjen Simon und Knüpel aus Nom, 23. October an Joſ. 
Mar adrejjirte Schreiben... „Wir halten uns fir verpflichtet, mitzutheilen, 
daß Julius Melzer ſeit 3 Monaten Fränflid, und daß feit den legten 
Tagen eine bedenflihe Wendung eingetreten, nad Ausiprud des Arztes 
wenig Hoffnung für ihn je"... Ein folgendes Schreiben von denjelben 
Künstlern unterzeichnet an Mar vom 13. Nov. enthält die Verſtändigung: 
„Am 10. November (1853) Abends 7 Uhr haben wir den dahin- 
geihiedenen lieben Freund und wackeren Künjtler zum einfamen Fried- 
hofe bei St. Lorenzo begleitet und für diesjeits Abjchied von ihm ge: 
nommen. Wir werden nicht jäumen, jein Grab mit eigener Hand zu 
ſchmücken, woran auch noch viele hiefige deutſche Künſtler ſich innigſter 
Liebe für den zu frühe Abberufenen betheiligen werden.“ 


(Eine Gedenktafel ſchönſter Form wurde dem Grabe beigeſtellt.) 


— Die namhafteſten Werke Melzers „Lomnicky von Budet“ kamen 
1853, „Eva von Lobkowitz“ 1854 auf die Prager Ausſtellung und er— 
warben ſich hier, wie auf der Ausſtellung des öſterreichiſchen Kunſt— 
vereines in Wien, die Anerkennung von Werfen eines unſerer hoffnungs— 
vollſten Künſtlers. — Letztere mittlerweile von Sr. Durchl. Fürſten 
Ferdinand von Lobkowitz (um 300 Seudi) erworben und hierauf 
im öſterreichiſchen Kunſtvereine zu Wien ausgeſtellt, erfreute ſich auch dort 
der gleichen Anerkennung. Ueber den Verbleib der erſteren vermag ich 
nur anzugeben, daß die Gypsmodelle beider bis dato ſich im Beſitze 
der Schweſtern Melzers in Bürgſtein befinden. — Ein gleichfalls an ſie 
gelangtes, ebenſo trefflich componirtes, wie meiſterlich durchgeführtes Hoch— 
relief — die Begegnung Chriſti mit Maria Magdalena am Oſtermorgen 
— widmeten dieſelben der Bürgſteiner Kirche als Erſatz für die unvollendet 
gebliebene „Stiftlings-Pflichtaufgabe“. (Vergl. oben.) 


— Die erſt zum Theil fertige Gruppe für die Karlsbader Militär— 
hoſpitals-Kapelle — die M. als „Krönung feiner Studien in Rom” in 
Angriff nahm — überging zu weiterer Ausführung an den Bildhauer 
Wenz. Lewy, jenem Nachfolger im Genuſſe der Klarjtiftung. 

Der größere Theil der fein Atelier zierenden Modelle und Thonffizzen 
verblieb nach legtwilliger Anordnung in Rom, im Befise feiner dortigen 
Freunde und Studiengenojjen. Alles leichter bewegliche Eigenthum, feine 
Zeichnungen, Kupferjtiche, Münzen, Schriften ze. von Flag übernommen, 
gelangten an — den oft genannten — „Bruder Ferdinand“, k. k. Landes: 
gerichtsbeamten — 7 18... 


Die Werke Melzers, in der Conception immer noch beeinflußt vom 
Weſen jeines „geliebten Meijters”, Elärten fich über dem Studium der 
Antike doch allmälig zur Originalität. In glücklicher Bereinigung der 
von jenem erlernten Bejeelung des Materials wußte er von diefer zugleich 
ven Schönen Rhythmus der Formen auf jeine Gebilde zu übertragen. 


Alzufrühe unterbrochen im Schaffen und Streben, unterbrochen durch 
beflagenswerthe Verhältnijfe, marfiren die wenigen Schaffenswerfe in Ber- 
bindung mit jeinem Memoire dennoch einen bedeutenden, bleibender Er- 
innerung wirdigen Künſtler. 


Ein Johanneslied aus Deutſch-Böhmen. 


Nach einer ſchriftlichen Aufzeichnung berichtet von E. W. Zenker. 


Das Geſangsbuch eines alten Vorbeters auf Wallfahrten verſpricht 
gemeimiglich Feine veiche Ausbeute an bislang verborgenen Runjtichägen. 
Um jo angenehmer überrajfcht uns eim Fund wie der nachfolgende. Ein 
ssohanneslied in Böhmen wäre nichts eritaunliches; jelbit die dialogiſche 
Form, wo man offenbar nicht die Abjicht Hatte, ein dramatiſches Spiel 
zu liefern, gäbe dem Stüde feinen Vorzug vor hundert anderen Flachheiten 
ähnlicher Durchführung. Aber unjer Lied hat eine wirkliche, innere dra- 
matiiche Steigerung und es hat eine gewiſſe metriiche Neinheit. Das 
it viel von einem Liede, das in ein Xeder gebunden ift mit hundert 
Walfahrtsfängen befaunter flacher und abgejchmacter Natur! Käme es 
aus einer Zeit und Quelle mit .diefen, jo blieben uns dieſe Eigenjchaften 
unerklärt. Wir müſſen es ficher in eine Seit zuriidverjegen, wo ſich 
die Sangestraft im Volke noch in breiteren und reicheren Strömen ergoß, 
worauf auch die Sprache weiſt, die, wenngleich ganz in unjerer Zeit doch 
Nedewendungen aufwetit, welche im VBollsmunde jest ebenjo ungebräuchlid) 
jind, wie jie jeiner Zeit gebräuchlich waren, 3. B.: „ein Sad) geht uns 
nicht ein”, „ihr kommt theilen ein Gemüth von Zweifel blind", (eine rein 
a SAU), „es bringt fein Plap" die „Miſſe“ ftatt 
Meſſe ı. 


— das Gedicht ſelbſt, deſſen Wortlaut ich nur dort — 
wo offenbar orthographiſche und grammatiſche Sünden des letzten Schrei— 
bers vorlagen. 


Mittheilungen. 26. Jahrgang. 2. Heft. 15 


-Rönig: 
Ihr ſeid mein einz'ge3 Leben, 
Johannes, fommt herbei! 
Wir wollen euch erheben 
Heil ihr ung allzeit treu. 
Wir haben euch aufgenommen 
An unjern Hof mit Freud, 
Ihr könnt noch höher fommen 
Wenn ihr gehorjam jeid. 
Johannes: 
Viel Gnad' hab ich genoſſen 
Bon Eurer Majeftät, 
Bu folgen bin entichlofien, 
Was hr befehlen thät. 
König: 
Johann! Thut un? vernehmen: 
Ein Sach geht uns nicht ein. 
Von Herzen thut ung nehmen 
Ein zentnerihweren Stein! 
Johannes: 
Wenn anders wir vermögen 
Ein armer Prieſter hier, 
Den Stein gleich zu bewegen 
Und nehmen nach Gebühr! 
König: 
Ja, ja, ihr könnet theilen 
Ein Gemüth von Zweifel blind; 
Thut euch nur nicht verweilen 
Und gebt Antwort geſchwind! 


Johannes: 
Erlaubet mir zu fragen, 
Wir ſind jetzt grad allein! 

König: 
Johann, thut mir es ſagen 
Es kann und muß auch ſein. 
Macht euch nur fein Gewiſſen, 
Sagt an es ift ganz leicht. 
Mir müſſen heut noch willen 
Was unjer Gemahl gebeicht ? 

Johannes: 

Ach Himmel hilf mir klagen! 
Wie ſchwer iſt dieſe Frag! 


214 


König: 


Nein, nein, thut es nur ſagen! 


Es bringt euch gar kein Plag. 


Johannes: 
O König thut erwägen. 
Der Beichte hohen Bund, 
Wo Gott befiehlt zu legen 
Den Finger auf den Mund. 
König: 
Wer fann euch was verbieten, 
Wenn euch ein König fragt? 
Der Finger darf nicht hüten 
Was euch Johanna gejagt. 
Auch Könige dürfen wiſſen, 
Ihr Vrieſter nicht allein. 
Die heilge Beicht und Miſſen 
Darf nicht verſchwiegen ſein. 
Johannes: 
Wie gottlos dieſe Frage? 
Wie ſündhaft dieſes Wort? 
Die Straf, ſo drauf geſchlagen 
Steht an der Hölle Pfort. 
König: 
Man wird euch nicht entlafjen, 
Ihr müßt das Geheimniß jagen, 
Sonſt wird man Zorn fallen, 
Und euch weit ſchärfer plagen. 


Johannes: 
Die Hand thu' ich ausſtrecken, 


Will Band und Eiſen tragen, 


Eh’ euch die Beicht entdecken, 
Und nur das mind'ſte jagen. 


König: 
Fohann, thu wohl bedenken 
Die Zeit bringt oftens Ken. 

Johannes: 

Es wird mich gar nicht kränken; 
Ja, ja, es bleibt dabei! 

König: 
Was gilts? ich will dich zwingen 
Daß du bekenneſt bald, 


— 215 


Will Folterbant herbringen, 
Did ftreden aus mit Gewalt! 
Johannes: 

Mit Gewalt kanuſt zwar ausſtrecken 
Den Leib; den Mund nicht ganz (?) 
Der dir foll heut entdeden 
Johannes reine Beidht. 
König: 
Ich will dic, laſſen fchlagen 
Und peitfchen bis aufs Blut! 
Johannes: 
Ich will doch nichts ſagen, 
Wie weh' es mir auch thut. 
König: 

Mit Fackeln laß dich brennen 
Und zwingen durch das Feuer! 
Johannes: 

Thu' dir doch nichts bekennen; 
Es iſt verſchworen theuer. 

König: 
Zum letzten will ich fragen, 
Weil Gnad vorhanden iſt. 


Johannes: 
Nein, nein, ich werd nichts ſagen! 
König: 
Zum Tod verdammt du biſt. 
Johannes: 
Mein Mund wird nicht verkaufen 
Was mir verbietet Rom! 
König: 
Nun mußt du Waſſer ſaufen 
In unſerm Moldauſtrom. 
Johannes: 


Wie gerne will ich gehen 

Aus diefer eitlen Welt, 

Den Martertod ausftehen 

Weils dir mein Gott gefällt. 

Den Tod haft jelbit gefunden 

Den Schluß gemacht gar ichnell! 
In Jeſu Hand und Wunden 
Empfehl’ ic meine Seel! — Amen! 


Sagen aus dem weftliden Böhmen. 
Bon Franz Wilhelm. 


6. Das Pferd am Hungerberge. 


Am wejtlihen Ende der Stadt Buchau erhebt jich der „Hunger⸗ 
berg”, ein Baſaltkegel von mäßiger Höhe, der gegenwärtig eine Capelle 
trägt. An der Stelle der Letteren befand ſich ehemals der Hungerthurm, 
von dem der Hügel den Namen erhielt. Am ſüdweſtlichen Abhange diefes 
Hügels iſt ein Loch, das gemeiniglich das „Zwergloch“ genannt wird, 
obwohl man von Zwergen, welche bier gehaujt haben jollten, wie die 
Bezeihnung vermuthen Liege, nichts zu erzählen weiß. Aus diefem Loche 
fommt von Zeit zu Zeit ein großes weißes Pferd heraus und wartet bis 
ihm Jemand Hafer reicht. Der Beherzte würde dann das Pferd mit 


15* 


— 216 — 


nehmen und jein eigen nennen können. Bisher wagte es jedoch noch 
Niemand, ſich den Schimmel zu holen. 


. Die Sage vom Buchauer „Heiligen Geiſt“.) 


1. Verſion. 


As Buchau durch die Truppen König Georgs zerjtört worden war, 
und die Stadt wieder nun an jener Stelle erjtand, wo jie heutzutage nod) 
ji) ausbreitet, ward auch eine neue Kirche erbaut und mit den noth- 
wendigen Bildern und Statuen verjehen. Gott Vater und Gott Sohn 
hatten bereits ihre Pläge eingenommen, nur der Ort für den heiligen 
Geiſt unter dem Dache des Predigjtuhles war noch leer. Da dieje Figur 
bejonders ſchön ausfallen jollte, ward fie bei einem Künftler in der Haupt: 
jtadt bejtellt, der einen Tag beſtimmte, bis zu welchem er die Gejtalt 
fertig haben wollte. Zwei Männer aus dem Rathe erjchienen bei dem 
Meijter, um den heiligen Geift in Empfang zu nehmen. Die Zeit war 
aber zu kurz gewejen, um den Auftrag ausführen zu können. Um nun 
noch einige Tage für die Tyertigjtellung der Figur zu gewinnen, half id) 
unjer Meijter durch eine Liſt. Er gab den guten Buchauern in eine 
geräumige Schachtel nebjt dem nöthigen Futter eine weiße Taube mit 
dem Bemerfen, dieſelbe nicht früher zu öffnen, als bis ſie in die Kirche 
gefommen wären. Zufrieden machten fi die Bürger auf den Heimweg; 
allein die Neugierde ließ ſie nicht lange warten. 


Es war gerade an jener Stelle, wo heute die Straße nad) Luditz 
abzweigt, als Vater Kunz den Dedel der Schachtel lüftete. Die Taube, 
erit nach einigen Tagen die Bläue des Himmels wieder einmal erblidend, 
fuhr rajch aus der Schachtel heraus, ftieg hoc; empor und nahm dann 
nicht eben die Richtung, die fie nach der Anficht der Buchauer hätte 
nehmen jollen. Die erjchrodenen Begleiter aber jchrien aus Leibes— 
fräften: „Deiliger Geiſt auf Buchau zu, Heiliger Geift auf Buchau zu!” 

1) Wer hat nicht ſchon vom Buchauer „Heiligen Geift“ gehört? Vielen tft dieſes 
geflügelte Wort befannt, ohne um deifen Herkunft zu wiſſen. Darum jeien 
bier im Anhange zu den Sagen aus ber Umgebung von Buchau auc zwei 

Verfionen über das Zuftandefommen diefer Sage mitgetheilt. Die erfte Ver— 

ſion ift nach der Erzählung eines alten Buchauer Bürgers aufgezeichnet, 

während die zweite in gebundener Rede und im Buchauer Dialect gefchriebene 

Perfion anonym an den Herausgeber des „Deutihen Turnerliederbuches“, 

Joſef Hofmann in Karlsbad, eingeſchickt worden it. .B. 


a Te 


— Nach einigen Tagen erichtenen zwei andere Narhsherren bei dem 
Künjtler in der Hauptitadt und befamen einen „heiligen Geiſt“, der nicht 
mehr davonflog. 
2. Berlion. 
Der heilih Geift vo Buchan war 
Ganz hing'richt ſcho; dau geb'n fie 'n dar 


Zan Reparirn in d' Hauptftod Prauch — 
Da Miapner, der fährt nauch. 


U wöi er firti g'weſen is, 
Päckt ihn der Miaßner in ra Rift‘. 
Am Hoimmeh fröigt er möida Boi 
Un legt fih dar am Roi. 


Durt ſchlauft ev a, — ſchnarcht wöi a Bär, 
Dou fumma flotte Burihu ber. 

Sie thoun dian heil’hen Geiſt an Schrein 
Und geb’'n an Täub'rich 'nein, 

U wöi der Mua afg'wachen is, 

U! mädt er dau a olwers G'fries: 

Der heilich' Geift oa z' frabeln fängt, 
Wer hätt ſich denn des denft? 

Dau mou i nandfäa, jagt er draf, 

Un mächt' dian Kiſtendeckl af. 

Huſch, huſch! dau flöigt dian olwern Mua 
Der heilich' Geiſt davna. 

Z' erſcht war der Miaßner ſteif u ſtar, 
Afft ſchreit er, wöi a halwer Nar: 

„Hbi! Heil'cher Geiſt, af Bucha zou, 

Af Bucha, Bucha zou!“ 


Sagen über Friedland und Amgebung. 


Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannwald. 


Der Pferdemarkt und der Trauerjteg. 


Die Regierungszeit Katharinas dauerte von 1600—1612. Daun 
trat Melihors Sohn Chrijtoph von Rädern die Erbichaft jeines 
Baters au und fuchte wieder gut zu machen, was jeine Mutter verjchuldet 
hatte. Da er aber das Heer der Aufſtändiſchen unterjtügte, fo wurde er 
nad der Schlaht am Weiten Berge bei Prag (1620) feiner Güter für 


J 


— BB 


verlujtig erklärt und mußte mit feiner noch Tebenden Mutter das Land 
verlafjen. 

Zwiſchen dem Kupferberge und der Zafelfichte Tiegt in der Nähe von 
Lusdorf ein unbewaldeter Wiefenplag, „VPferdemarkft” genannt. Hier 
mitten im Iſergebirge joll der flüchtige Chriftoph von Rädern feine Pferde 
verfauft und fich dann auf einem Waldwege gen Weißbach zu gewendet 
haben. Bon da führt an einzelnen, verjtreut liegenden ärmlichen Häuschen 
ein steiler, einfamer Weg über den Iſerkamm an die Landesgrenze; er 
heißt der „Drauerſteg“. Auf demfelben follen Chriſtoph und Katharina, 
begleitet von einem einzigen treuen Knechte, in die Verbannung und das 
Elend gewandert fein. Bei dem Kreuze, wo man eine herrliche Weberjicht 
über das unten liegende Land genießt, wurde der Sage nad) noch einmal 
geraftet und dann die Flucht fortgeſetzt. 


Die Pfarrlinden. 


As Wallenjtein Herr von Friedland geworden war, mußte im der 
Gegend wieder die Fatholiiche Religion eingeführt werden. Zunächjt wurden 
alle Intherifchen Geiftlihen aus dem Herzogthume Friedland verwiejen. 
Es war am 15. Mai 1624, als der glaubenseifrige Superintendent Mag. 
Wolfgang Günther unter „großer Jammerklage“ jeiner Anhänger 
die Stadt Friedland verließ; ihm ſchloß fich auch der Baftor von Kun— 
nersdorf David Senftleben an. 

Gegen 2000 Kirchkinder aus Friedland und Kunnersdorf begleiteten 
unter Schluchzen und Weinen die geliebten Seelenhirten. Auf einer Höhe 
bei Kunnersdorf hielt der Superintendent von dem Wagen herab eine 
Abfchiedspredigt. Dann wurde Abfchied genommen und die Seelenhirten 
gingen auf immer von dannen. Zur Erinnerung an den Abjchied fegten 
die zuriicgebliebenen Anhänger an diefer Stelle eine Linde, welche allge: 
mein die „Pfarrlinde“ hieß, und die wohl gegen hundert Jahre dort 
gejtanden hat. Später wurde jie von boshafter Hand umgejägt. Heute 
befinden ſich aber auf derfelben Stelle wieder drei Lindenbäumchen und 
erinnern an die Wirren alter Beiten. 


Die Pfaffenſteine. 

Als noch Wallenjtein das Friedländer Schloß im Beige hatte, ge- 
ſchah es nicht jelten, daß einige der vertriebenen Iutherifchen Prediger über 
die Grenze kamen und den Bewohnern an entlegenen Plägen die Lehre 
Luthers verfündeten. Man hieß folche Prediger „Bufchprediger”. In der 
Nähe der Stadt Friedland, am Fahrmege nah Schönwald befinden 


— — 


ſich mehrere Steine, welche vom Volke die „Pfaffenſteine“ genannt 
werden. Wie die Sage erzählt, ſollen bei denſelben ſolche heimliche Pre— 
digten ſtattgefunden haben. Auch Chriſtoph von Rädern ſoll nach ſeiner 
Flucht wiederholt ins Friedländiſche gekommen ſein. Im Jahre 1640 er— 
ſchien er auf ſeinem Schloſſe, das kurz zuvor von den Schweden erobert 
worden war. Als dieſe aber Böhmen verlaſſen mußten, war alle Hoff— 
nung auf Wiedererlangung des verlorenen Beſitzes vernichtet. Er ging 
wieder über die Grenze, und man weiß nicht, warn und wo er geſtorben tft. . 


9. Der Todtenhain. 


Wenn man von Friedland auf der „Hohen Straße” gegen Neuftadtl 
wandert, jo geht man an einem herrlichen Walde vorüber, der ſich zur 
Rechten gegen das obere Wittigthal hin ausbreitet; es ift der Glitzbuſch. 
In demjelben erhebt fich ein anmuthiger Hügel, der größtentheils mit 
Buchen bewachjen iſt. Er wird der „Hohe Hain” genannt. Am Fuße 
desjelben liegt gegen die Lommig zu (im Vollsmunde Lunze genannt) ein 
Waldplan, welher Todtenhain heißt. 

Ueber den Urſprung diefes Namens werden mehrere Sagen erzählt: 
Bor langer Zeit lebte in Lusdorf ein Mann, der jchon über hundert Fahre 
alt war. Als einmal zwei Nachbarn bei Gericht einen Grenzſtreit auszu— 
machen hatten, wurde der Alte als Gedenkmann vorgeladen. Er mußte 
feine Ausſage beeiden und that dies mit den Worten: „Ich ſchwöre bei 
Gott, daß es jo ift, wie ich gejagt habe. Wenn ich aber eine Lüge an- 
gegeben habe, jo joll meine rechte Hand verdorren, und auf der Stelle 
wo ich im Grabe liegen werde, foll nichts wachſen!“ Schon in der darauf: 
folgenden Nacht fühlte der Greis, daß feine vechte Hand verdorrte. Damit 
e3 Niemand erführe, jtürzte er jich in das Waſſer der Lomnig und machte 
jo jeinem Leben ein Ende. Der Platz, auf welchem er begraben wurde, 
blieb immer öde. Mean nannte denjelben, wie auch deſſen Umgebung den 


ZTodtenhain. 


Im Sriedländiichen hat zu wiederholten Malen auc die Bejt ge- 
wiithet, jo im Jahre 1599, 1600, 1633, 1680. Einmal fielen ihr be- 
jonders im Dorfe Schönwald viele Leute zum Opfer. Da traf man 
die Einrichtung, daß alle jene, an denen ſich Zeichen der Annäherung der 
furchtbaren Krankheit bemerken Liegen, jofort das Dorf verlajjen mußten. 
Sie wurden nämlich mit Lebensmitteln auf drei Tage verjehen, tm den 


- 9 -— 


Glitzbuſch geſchafft, wo die meijten von ihnen bald jtarben und begraben 
wurden. Nur eine alte, ledige Weibsperjon ſoll gejund wieder ins Dorf 
gefommen jein. Der Platz, auf dem die Verjtorbenen begraben wurden, 
ift der „Zodtenhain". 

Die in Friedland an der Belt Gejtorbenen begrub man, wie er 
zählt wird, auf den Friedhof beim Aingenhainer Kirchleit. 


Mittheilungen der Gefdäftsleitung. 





Nachtrag zum VBerzeichnif der Mitglieder. 


Geſchloſſen am 26. Octeber 1887. 


Ordentlide Mitglieder: 


Herr Danzer Dttofar, MUDr. in Marienbad. 
„  P. Reſtler Melichor Alexander, Pfarrer in Rojan, 
» Sfalnik Karl, Hausbejiger in Marienbad. 





Herr Dr. Alois von Brinz, 


Hofrath und Univerfitärts-Brofejflor in Münden und Ehrenmitglied 


des Vereines. 


Geſtorben am 13. Sept. 1837. 





Die P. T. Herren Mitglieder werden erſucht, alle für den Verein 
beftimmten Werthjendungen, Geldbriefe wie Poftanweilungen zur Vermei- 
dung von Irrungen an die Mdrefle des Herrn Dr. Guftav C. Raube, 
f. k. Univerſitäts-Profeſſor und Gejhäftsleiter des Vereines, Prag, k. k. 
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen. 


> 


8. Hofbuhoruderei A. Haafe, Drag. — Selbitverlag 


Hittheilungen ıles Vereines 


. 
Öeschichle der Deutschen in Böhmen. 
Redigirt von 


dr. Judwig Schlesiugen. 


Schsundzwanzigiter Jahrgang. Drittes Heft. 1887/8. 








Simon von Tifdnow. 


Ein Beitrag zur Geſchichte des böhmiſchen Wichfismus 
von 


Prof. Dr. 3. Loſerth. 


Es war eine erhebliche Zahl nicht unbedeutender Talente, welche die 
Fahne des böhmischen Wichfismus verließ und aus der einzelne, wie 
Stanislaus von Znaim, Stephan Palecz, Andreas von Brod u. a., den 
Wortführer der neuen Richtung Johannes Hus und feinen Anhang in 
heftigfter Weife befämpften. Welche Umftände den Simon von Tiſchnow 
bewogen haben, der wielif-huſitiſchen Bartei verhältwigmäßig jpät den Rücken— 
zu fehren und jich der katholiſchen Seite wieder zuzumenden, ijt vorläufig 
noch unbekannt. Daß er dies gethan, dariiber fanıı nach dem, was in 
diefen Blättern (XXV. 338) iiber ihn bemerkt wurde, kaum ein Zweifel 
jein. Sein Tractat gegen die vier Prager Artikel mußte ihn nothwendiger 
Weiſe von feinen früheren Parteigenojjen jcheiden. Die Ausführungen, 
welche er gegen den erjten Prager Artifel — die freie Verkündigung des 
Wortes Gottes vorbringt, ftehen in grundjäglidem Widerjpruch zu dent, 
was fein Freund und Parteigenojie Hus und er felbft die Jahre hindurch 
gelehrt und verfochten. Der Kampf Wielifs und darnach aud) jener jeiner 
Nachfolger in Böhmen gegen das beftchende Kirchenregiment hatte zum 
großen Theile „die Freiheit der Predigt”, die „freie Verkündigung des 
Wortes Gottes" — nicht Seitens des verweltlichten Clerus oder reich 
- gewordener und in Ueppigkeit lebender Mönche, jondern durch foldye 

16 


— 2 — 


Priejter, die im Geifte Chrifti und der Apoftel leben, zum Ziele. In dem 
genannten Tractate finden wir aber jchon einen Tadel über die freie 
Predigt — Tiſchnow nennt fie eine ungezügelte — ausgejprocdyen. Und 
wie in bdiefem, fo weicht er nun auch in anderen Punkten von jeinen 
früheren Lehren ab und wird Verfechter — allerdings ein milder — der 
Grundfäge, die er einftens befämpft. Und jo erjchien er auch in den Augen 
fpäterer Zeiten diefen aber fchon als der eifrige Gegner der Steger, 
wie 3. B. Balbin von ihm nichts anderes zu jagen weiß, als: Simon von 
Tiſſnow hat zu derjelben Zeit gelebt (nämlich wie Andreas von Brod und 
Prokop von Pilfen) und die Keger in jcharfer Weiſe bekämpft.) Noch 
vier Jahre, bevor er die oben erwähnte Abhantlung dem Czaslauer Land- 
tage einjendet, finden wir ihn in einem lebhaften Streit mit dem Doleiner 
Pfarrer Paul von Prag, der einjtens Secretär und Caplan des Erz 
biſchofs Shinfo von Prag gewefen und dann auf Verlangen des Königs 
Sigismund mit anderen Magiftern nach Ungarn ging, wofelbjt es jih um 
die Errichtung einer Univerjität handelte. In diefem Streite, das iſt im 
Jahre 1417, verfiht Simon noch die wiclif-hufitiichen Lehren und zwar 
mit einem ungewöhnlichen Eifer und (wie es den Anjchein Hat) nicht ohne 
Erfolg. Der Magifter Johannes Hus ift ihm fein Keger, fondern ein 
hl. Märtyrer, deſſen Lehrmeinung über die Fatholifche Kirche die rechte 
fei. Ueber diefen Streit liegen einige werthvolle Berichte vor, die aus 
einer Handjchrift des landftändischen Archives in Brünn jtammen und von 
denen bisher nur ein einziger (aus der Sammlung Anton Boczek's) be- 
kannt war.?) Bevor wir diefelben mittheilen, beziehungsweije einer Erör— 
terung unterziehen, jcheint cS doch nicht ohne Belang zu fein, die Angaben 
über das Leben und die Wirkfamfeit des Simon von Tiſchnow, fo weit 
jie dem Schreiber diefer Zeilen erreihbar waren, zufammenzuftellen. In 
vielem dürften felbige mehr oder minder lückenhaft erjcheinen: viclleicht 
gelingt es heimischen Forichern auch über das Geburts- oder Todesjahr 
Simons und namentlich über die Urfachen feines (wie es ſcheint) jähen 
Abfalls vom Hufitenthum genaueres beizubringen. 


Ueber den Geburtsort Simons kann fein Zweifel fein; er wird 
gewöhnlich Simon de Tifinow genannt; aber diefes Tiffnow iſt — ähnlich 
wie Hus Huſſinetz — nur die abgefürzte Form für Tiſchnowitz. Daß jich die 


1) Balbin, Bohemia docta II. 187: Simon de Tissnow eadem etate claruit et 
haereticos acriter oppugnavit. Quendam librum eius continet biblioth. Treb. 
Lit. Z. 2, alium H. 3. | 

2) Documenta magistri Johannis Hus p. 363—365. 


— 23 — 


Sache jo verhält, darüber gibt die Prager Univerjitätsmatrifel genaue 
Auskunft: Als Student, Baccalaureus und als Magifter heißt er anfänglich 
Simon de Tuſſnowycz.) Vom Fahre 1404 angefangen wird gemöhnlich 
die abgefürzte Form Tiſſnow gewählt; zum erjtenmal eben in diejem 
Jahre.“) Nur ausnahmsweife wird er wieder einmal und zwar zum 
Jahre 1411 als Simon de Tyfjnowig verzeichnet.) Es dürfte wohl bloß 
als eine Auslajfjung des Schreibers anzufehen fein, daß er zu demjelben 
fahre nur mit feinem Vornamen genannt wird.*) Häufiger tit dies in den 
Spottliedern der Fall, die jener Zeit jtarf im Schwunge waren. So wird 
in dem Banıphlet, welches unter dem Namen der Wiclififtenmejje befannt 
ift,®) gejagt: Knyn, Simon... . sequitur. 

Der Liber Generationis in der Wielifiſtenmeſſe nennt ihn Tiſſnow 
allein ©) und fo auch eine aus dem Jahre 1418 ftammende „Invective“ 
gegen den König und die Vornehmen, jo auf Wiclifs Wegen wandeln :”) 
Istis Tissnow — heißt es dort — sociabo. 


Simon war aljo von Geburt ein Mährer; nach Mähren als feinem 
Heimatslande weifen noch andere Spuren: jene Stiftung die zu jeinen 
Sunjten in Meferitich (gemeint ift wohl Groß-Meſeritſch, nicht Wal. 
Mejeritich) gemacht wurde, dann der Umſtand, daß er ſich zuerjt dahin 
wendet, als er der Lehrthätigkeit in Prag entfagte, dann dag mährische 
Studirende unter feiner Leitung die Eramina beftehen u. a. m. 


Ueber fein Geburtsjahr läßt fich feine bejtimmte Angabe machen. 
Im Allgemeinen fann man wohl fagen, daß er ein Altersgenojje von Hus 
war; viel jünger dürfte er faum gewejen fein.) Seine Studien hat er 
in Prag gemacht; dort hat er auch akademische Grade und Würden er: 
langt und hat aud) daſelbſt längere Zeit als Lehrer gewirkt. Sein Examen 


1) Monumenta hist. univ. Prag. I. pag. 371. Hier ift er jhon Magifter. Eodem 
anno (1402)... .. existentibus magistris ..... Simone de Tussnowyez. Bunt 
Eramen als Baccalaurus wird er 1395 zugelaffen. Much hier heißt er Simon 
de Tuſſnowicz, ebenjo zum Jahre 1303 ib. pag. 375. 

2) ib. pag 380. 418. 419. 422. 424. 426. 428. 430. 434. 437. 

3) ib. 1. 417. 

4) ib. 415. 

5) Gedrudt in meinem Hus und Wiclif pag. 299 ff. 

6) Zdenico genuit Tissnow, Tissnow genuit Koniprus. 

7) Doc. mag. Hus pag. 693. 

8) Hu3 wird 1393 (M. M. univ. Prag. I. 286), Simon 1395 Baccalaurud, das 
ergäbe, fall3 beide im gleichen Alter zum Studium gelangten, einen Unter- 
Ichied von 2 Fahren. 

16* 


24 - 


als Baccalaureus hat er nah Pfingjten 1395 beftanden.!) In die theo— 
logische Facultät wurde er im Jahre 1398 „einvegiftrint".*) Als Bac- 
calaureus der bi. Theologie wird er mehrfacd genannt, jo 3. B., um nur 
einen Fall herauszuheben, in jenem bekannten Anjchlage, in welchem er 
fi — am 29. Juli 1410 — erxbietet, Wielif's Tractat De Probacionibus 
Proposieionum wider jedermann zu vertheidigen.?) Am 17. März 1401 
war er jchon Magijter. Als jolcher wird er nämlich in einer Urkunde 
erwähnt, die ich vor einigen Jahren auf dem Schugblatt des Wiener 
Eod. 1294 gefunden und in diefen Blättern (XXI. pag. 223) abgedrudt 
babe. In diefer Urkunde jtiften der Pfarrer Nikolaus von Meferitich und 
. Briceins, genannt Balaſch einen Altar in der St. Nitolausfirche zu Me- 
jeritfjch und weijen die Bezüge von dem Dorfe Rohy für Simon von 
Tiffnow an. Er wird dajelbjt Subdiafon und Magifter der freien Künſte 
ud Kapellan der Stifter genannt. Zu feinen Verpflichtungen gehört, daß 
er wöchentlich vier Meſſen zu leſen hat oder lejen läßt. Vom Fahre 1402 
an finden wir ihm an der Univerjität als Lehrer und Examinator thätig; 
als folder wird er zu den Jahren 1403, 1404 und 1405 erwähnt.*) 


An dem Kampfe zwijchen den Deutjchen und Tſchechen im J. 1409 
hat er gewiß einen lebhaften Antheil genommen. Es ift befannt, welchen 
Ausgang der Stimmenjtreit — zu Gunften der Tſchechen — genommen, 
und unter welchen eigenartigen Verhältniſſen Simon Decan der Artiften- 
jacultät geworden iſt. Er jelbjt ſagt:“) Am 9. Mai des Jahres 1409 
wurde ih Simon von Zifjnow, Magiſter der freien Fünfte, wegen des 
Zwiſtes und der Streitigkeiten der vier Nationen an der Univerfität nnd 
er Magifter an der philofophiichen Facultät, die fi) um die Decanswahl 
jtreitend über die Perjon des Decans nicht einigen fonnten, vom Könige 


1) M. M. univ. Prag. I. 303. 

2) ib. II. 1. p. 48. 

3) M. Simon de Tissnow, sacre theologie baccalaurus, proxima feria tercia 
(29. Juli) ventura hora undecima, premittendo protestacionem fidelem, vult 
defendere tractatum de probacionibus proposieionum M. Johannis Wiclif 
contra condempnatores eiusdem et sustinebit quod nulla heresis nec 
aliquis manifestus error in eodem continetur. Doc. mag. Joh. Hus p. 400. 

4) Monumente hist. univ. Prag. I. pag. 375, 381, 385. 


5 


— — 


ibid. I. 408. So heißt es auch in dem Chronicon Bohemiae Lipsiense: Post 
hee fuit lecta quedam litera domini regis publice in curia collegii Karoli 
in qua mandat dominus rex ut magistrum Zdeniconem de Labun recipiant 
in rector&m et magistrum Simonem de Tissnow in decanum facultatis 
artium; damit war das große Ereigniß, der (naher auch von Simon jo viel 
bedauerte) Abzug der dentichen Profefforen und Studenten von Prag eingeleitet. 


— 225 — 


Wenzel als Decan präſentirt und von dem fgl. Rathe Nikolaus und den 
Rathsherren der Prager Altjtadt. in den Beſitz eingeführt und von der 
genannten Facultät angenommen.) 


An den Streitigkeiten, die in diefem und dem nächjten Jahre über - 
die weitere Ausbreitung des Wichfismus in Prag ausgefochten wurden und 
die große bisher einige tſchechiſche Partei auseinander rißen, hatte 
Simon einen lebhaften Antheil.?) Ich habe an anderer Stelle des näheren 
ausgeführt, wie warm, oft leidenjchaftlih, Simon für die Lehre Wiclifs 
eintrat und daß er gegen die Verurtheilung Wieclifſcher Schriften am 
Ihärfiten vorgegangen iſt. Es kann unfere Anfgabe nicht fein, den ganzen 
Berlauf des Kampfes, den Simon zu Gunsten einer einzelnen Wieclif'ſchen 
Schrift geführt Hat — mit Argumenten aber, die für alle gelten — neuer: 
dings darzuftellen. Im J. 1411 war Simon Rector der Prager Univerfität. 
Während feines Rectorates einigten fich die Univerfität und der Erzbiſchof 
Sbinko dahin, alle ihre Streitigkeiten in der Angelegenheit des Magiſters 
Johannes Hus der Entjcheidung des Königs Wenzel und des fgl. Nathes 
zu überlaffen.?) In deu folgenden Jahren ijt er als Eraminator und 
Aſſeſſor, Dispensator librorum, Disputator und Colleetor an der Uni— 
verjität thätig. *) Zulegt im Jahre 1417, in welchem er fchon als Pfarrer 
von Tobitſchau in Mähren auftritt und als folcher nochmals einen Strauß 
zu Gunjten der Lehre Wiclifs durcchficht, wie wir weiter unten des Näheren 
darlegen werden. Vom fahre 1412—1417 jcheint er in Sachen des 
Wichfismus wenig hervorgetreten zu fein; doch fungiert ex bei Lebzeiten 
des Hus einigemal als Zeuge in deſſen Proceßſachen. Vielleicht iſt 
dies Zurüctreten nur ein jcheinbares; dem Goncil galt er als Erzketzer, 
und als folder wurde er auch vor den päpftlihen Stuhl citirt, ohne 
daß er natürlich diefer Einladung Folge leistete.) ALS der König Wenzel 
im Jahre 1413 einen allgemeinen Vergleich der ftreitenden Parteien in 


1) Bergl. meinen Hus und Wichif pag. 107, 108. 

2) Zdenko von Labun wurde gleichzeitig Rector der Univerfität. Sollte bierauf 
vielleicht die Stelle Sdenico genuit Tissnow in der Wiclifiitenmefle Bezug 
nehmen. Jh muß jagen, daß e3 nicht recht verftändlich ift, in wie weit Zdenko 
mit Recht ald Lehrer des Simon bezeichnet wird. 

3) Doc. de dato Prag. 3. Juli 1411. Doc. mag. Joh. Hus pag. 434. 

4) M. M. univ. Prag. pag. 406, 408, 411, 415—419, 422, 423, 424, 126, 423, 
430, 434, 437, 445. 

5) Geichichtzich. der huj. Bewegung. II. 241: Item quod prineipales heresiarche 
ac inductores illius secte ad curiam Romanam et sedem apostolicam venire 
compellantur; et sunt hii Jessenicz Johannes, Jacobellus de Myza, Symon 
de Tissnow. . 


— 226 — 


Böhmen zu Stande bringen wollte, rief er von den Parteigängern des 
Hus auch den Simon von Tiſſnow zu der Berathung. Dieſelbe erreichte 
ihren Zweck nicht, weil es ſchon über die principielle Frage, was man 
unter der Kirche zu verſtehen habe, zu keiner Einigung kam. Dieſelbe 
Frage war es, die einen heftigen Zuſammenſtoß zwiſchen ihm und dem 
Doleiner Pfarrer Paul von Prag herbeiführte. Zuvor aber — denn er 
dürfte ſich damals noch in Böhmen aufgehalten haben — forderte er den 
Jacob von Mies zu einer Disputation über die Communion der Kinder 
heraus. ') Die legtere jei jowohl nad ihrem Inhalt, als auch nach ihrer 
Form irrig. Indem Jacob von Mies die Schriftjtellen fälſchlich anführe 
und auslege, treibe er Mißbrauch mit der. Hl. Schrift. Simon erflärte 
fich bereit, die Disputation vor der geſammten Univerfität abzuhalten und 
gab fi) der Hoffnung hin, alle Streitigkeiten, die aus Anlaß des Abend- 
mahls der Kinder in Böhmen entftanden waren, mit der Wurzel auszurotten. 
Diefe Hoffnung ift nun bekanntlich nicht in Erfüllung gegangen. 

Im Fahre 1417 war Simon Pfarrer von Tobitihau in Mähren. 
Er iſt es höchſt wahrjcheiulich evjt in diefem Jahre geworden, denn exftlich 
finden wir ihn anfänglich noch in Prag in amtlichen Angelegenheiten au 
der Univerjität thätig und in Steitigfeiten mit anderen Hufiten verwidelt, 
zweitens ijt es jehr wahrjcheinlih, daß Paul von Dolein, der fich wohl 
als der echte und rechte Nachfolger des berühmten Stephan von Dolein, 
des befannten Gegners Hufens und der Hufiten fühlen mochte, feinen 
Streit mit Simon gleih im erjten Jahre führte, da er nicht wünſchen 
fonnte, daß diejer berühmte oder berüchtigte Ketzer ihm die Seelen feiner 
Gläubigen abtrünnig mache. Die wenigen Schriftftüde, die iiber diejen 
Streit vorliegen, zeigen, dak Paul von Prag den Streit begann, indem 
er an dem wiclfshufitifchen Lehrbegriff won der Kirche rütteltee Simon 
von Zifjnow, in deſſen Bejig fich, wie jchon erwähnt wurde, jenes ſchöne 
Eremplar von Wielif's Buch von der Kirche befand, weldes Nicolaus 
Faulfiih im Fahre 1406 in England copirt und nach Böhmen gebracht 
hatte, hatte ſich den Lehrbegriff Wiclif's von der Kirche vollflommen zu 
eigen gemacht. Wichf war nämlid in feinem berühmten Zractate der 
landläufigen Meinung entgegengetreten, als ob man unter der Kirche den 
Papſt und die Cardinäle zu verftehen habe, denen alle gehorchen müfjen. *) 
Haupt der Kirche, Iehrt er, ſei nicht der Papſt, jondern Ehriftus. Die 
Kirche bejtehe aus der trinmphirenden im Himmel, der jchlafenden im 


1) Doc. mag. Joh. Hus pag. 673. 
2) Mitth. XXIV. pag. 382 Note. 


— BT 


Fegefeuer und der ftreitenden hienieden auf Erden. Es iſt fein Artikel 
des Glaubens, daß man dem Papft gehorchen müſſe, um jelig zu werben. 
Man kann ihn al8 Haupt eines Theiles der Kirche — der ftreitenden — 
bezeichnen, aber * dies iſt er nur dann, wenn er (was man nicht 
weiß, aber aus ſeiner Lebensweiſe und ſeinen Handlungen ungefähr er— 
ſehen kann) praedeſtinirt, d. h. von Ewigkeit her zu Seligkeit beſtimmt 
iſt und wenn er lehrt und thut, was ſchriftgemäß iſt. Man muß alſo 
bei jedem Befehl des Papſtes fragen, ob das, was er anordnet, auch 
ſchriftgemäß ſei. Man ſieht aus dieſem, welche Rolle die „Schrift“ bei 
Wiclif ſpielt. Und das — ſagt er — iſt auch eine der Urſachen, weshalb 
jeder Chriſt die Schrift kennen müſſe. Man ſieht daraus auch, daß Wielif 
hier ſchon auf dem Boden ſteht, den mehr als ein Jahrhundert ſpäter Luther 
einnahm. Dieſe Lehrmeinung des Wielif hat Hus bis auf den Buchſtaben 
angenommen und Simon von Tiſſnow desgleichen. 


Nun trat Paul von Prag auf und behauptete in einer Predigt, daß 
man „in dieſen Tagen“ nicht ein jedes Wort des hl. Evangeliums zu glauben 
und feſtzuhalten brauche (quod non omne sancti evangelii verbum est 
in hiis diebus crelendum), jondern daß man fich nach den Beitläuften 
richten müſſe (sed magis ad qualitatem temporum attendendum est). 
Daun foll er weiter geäußert haben, daß Jeder, der einer Beſtimmung 
des Papftes und der Cardinäle widerfpreche (qui contradicet cnicunque 
eonstitutioni domini pape et suorum cardinalium), nicht anders zu be- 
handeln jei, al3 wer dem Evangelium Chrijti widerjpreche. 


Man Sieht, daß diefe Aeußerungen das Fundament des Wichfis- 
mus berühren und Simon ſäumte nicht gegen viejelben Verwahrung 
einzulegen. Indem er beide Ausſprüche als erjchredliche bezeichnet, zeigt 
er in einem an Paul gerichteten Briefe, wie beide der Schrift, den 
Ausjprüchen der Kirchenväter und den canonifchen Beitimmungen wider: 
jprechen. 


In feiner Antwort gibt Paul zunächft eine Definition des Kirchen— 
begriffs, die natürlich jener des Hus (Wiclif) durchaus entgegegejeßt ijt, und 
num erläutert Simon feine, beziehungsmweije die Definition Wichf’8 von der 
Kirche, im Wefentlichen mit den Worten S. Auguftins und der Decretalen. 
Derjenige, der Wiclifs Lehre kennt, wird in den Ausführungen Simons faum 
irgend ein neues Moment herausfinden. Er jteht ganz auf dem Inhalte von 
Hufens, richtiger Wiclif$ De Ecclesia. Hus ift ihm der Hl. Märtyrer, 
dejjen Lehre die Wahrheit enthalte. In einem weiteren Schriftjtüce, welches 
an den Generalvicar der Olmüter Kirche gerichtet ift, führt Simon Klage 


m — 


über Paul, der ihm als Keger nicht Nede und Antwort jtehen wolle und 
die Leute abhalte mit ihm zu verkehren oder feiner Predigt beizumohnen 
— und dies wegen der Härefien des Wiclif und Hus, deren Lehren die 
Univerfität Prag gebilligt habe und aus denen er ſelbſt viel Gutes und 
Nupbringendes gelernt habe. Paul habe fich nicht nur nicht gejcheut, dieje 
beiden Männer, die nun vor Gottes Richterftuhl ftehen, zu verunglimpfen, 
er greife auch ihre Anhänger an und daher bitte er (Simon) um Abhilfe. 

Der Streit war damit nicht zu Ende; beide Theile wandten ſich an 
die Prager Univerfität, wo fie ihren Zwiſt auszufämpfen verſprachen.) 
Paulus erfchien jedoch nicht und mußte nun den Wunſch der Univerfität 
itber ſich ergehen laſſen, daß er doch jeine thörichten Lippen gejchloffen 
gehalten hätte.) Dem Simon von Tiſſnow dagegen wurde unter dem 
6. September 1417 ein glänzendes Zeugniß ausgeftellt, daß er jich immer 
vor Gott und den Menfchen als tapferer Athlet und ſolider Bertheidiger 
der Wahrheit benommen habe. °) 

Nach diefem Streite verichwindet Simon für einige Jahre aus un— 
jerem Gelichtskreife, bis zu dem Momente, wo er die bereits früher mit- 
getheilte Streitfchrift gegen die 4 Prager Artikel an den Landtag nad) 
Czaslau jendet, die Wandlung in feinen Anfichten und Zehrmeinungen ſich 
alſo jchon vollzogen hat. In den von katholiſcher Seite ausgegangenen Gafjen- 
hanern und Spottliedern jener Zeit wird er zwar noch genannt. So in 
einer Synvective, die aus dem Jahre 1418 ſtammt und in welcher er als 
Erzfeger, Deutjchenfeind und Zerſtörer der Univerfität gefcholten wird ; 
es iſt aber doc) fraglich, ob diefe Invective nicht aus einer früheren Zeit 
ftammt. Wir kennen noch einige Arbeiten Simons, die wohl noch aus der 
Zeit feiner Lehrthätigkeit in Prag herrühren. Daß er ein gewandter 
Disputiver war, *) erjiceht man aus einzelnen Disputationen, die fich noch 
erhalten haben. | 


1) Concordi voto et animo ambo pariter sponte et libere coram presencia 
nostra se statuere personaliter suasque sentencias in audiencia ipsorum 
alterutro proponere promiserunt, velut super hoc nobilium dominorum de 
marchionatu Moravie testimonium reverenter excepimus ad nos missum. 

2) Qui utinam sua dementata labia cohibuisset et se talem exterius qualis 
fuit interius, tacuisset, optassemus. ... | 

3) Ideo ne cuiquam desuper prava surrepat opinio et ne de alterius eorum 
puta venerabilis viri M. Simonis promptitudine et obediencia .... omnino 
taceamus .... profitemur ... quod ipse.... . velut fortis athleta veri- 
tatisque solidus defensor meruit obtinere. 

4) ®ergl. auch M. M. univ. Prag. I. 428.: Simon de Tissnow electus et re- 
electus est in quodlibetarium . . ... 


De nd ce 


ws 


29 — 


Eine Unterfuchung über die Vorzüglichkeit des neuen vor dem alten | 
Geſetz und anderen Lehren ') findet jich in dem Cod. X. E. 24 der 
Prager Univerjitätsbibliothef. Diefe Handjchrift jtammt zum großen 
Theile aus dem Jahre 1412. In feiner Unterfuchung erörtert Simon 
zunächit, was man unter einer Secte zu verjtehen habe. *) Seinerzeit ſeien 
die wichtigften die der Ehriften, Juden und Saracenen;?) die Lehre der 
legteren bejtehe aus jüdifch-chriftlichen Elementen (lex Saracenorum est 
collecta ex lege veteri atque nova). Seine Renntniffe entnimmt Simon 
dem Speculum historiale und der Chronik des. Erescencius (Cejtrenjis?). 
Wofür er fich entjcheidet, iſt klar. Die mohamedaniſche Lehre dehne fich 
jo weit aus, weil fie fleifchlichen Genüſſen-huldigt. Sie ift unzureichend, 
falſch, unvollkommen; befjer iſt das jüdifche Gefeg, welches ja in vielem 
mit dem Chriftenthum überemjtimmt: das neue Geſetz iſt das beite. 


Jenes Buch, auf welches Balbin aufmerfjam gemacht hat, de 
unitate ecclesie, dürfte es jein, welches ich unter der Signatur A 16 
im Archiv des Schwarzenberg’ichen Hauſes zu Wittingau befindet. Ich 
Schließe dies aus den Worten am Schluſſe, die zur Einigung aufrufen. ?) 
Die Schrift ift in Form eines Briefes gehalten und an die „weifen und 
fürfichtigen" gerichtet. Er erörtert in demjelben die Pflicht zu predigen, 
ohne hiebei auf Geldgewinn zu jehen, dann den Befehl Ehrifti zu taufen. 
Hiebei wird auf die Aenderungen hingewiejen, die im Laufe der Zeit von 
der Kirche vorgenommen worden jeien. Auch beziigli der Sonntagsfeter 
und der Ojfterfeier jeien Aenderumgen vorgefommen; was gar die Ehe be- 
treffe, hätten Adam’s Kinder unter einander geheiratet; jeßt verbiete man 


1) Der genaue Titel lautet: Questio magistri Symonis utrum secta Christia- 
norum sit perfeccior sectis Iudeorum et Saracenorum (Cod. Univ. Prag. 
X. E. 24. Fol. 2270). 

2)... non enim solum Arabes et Syros, Persas et Medos, Egypcios, Ethio- 
pes et alios orientales homines infecit hec heresis, sed et Africam et plures 
oceidentales regiones corrumpens venit usque ad Hispaniam et diebus 
nostris serpit in utramque Armeniam ... 

3) Unde peto vos caüsa Dei, uniatis vos per totum cum ceteris fidelibus 
per totum orbem christianis. . . 

4) Item penitencia et matrimonium sunt sacramenta magna et inceperunt 
ab Adam .... et filii contraxerunt inter se matrimonium. Et nunc pro- 
hibita est talis contradiecio usque ad terciam lineam consanguineitatis. 


5) Et ex quo iste constituciones et quam plures alie sunt immutate, eciam 


eonstitucio de sacramento corporis et sanguinis Christi per sanctam ecele- 
siam ac ipsius gubernatores potuit immutari. 


ae BO 

Pr 
eine Ehe bis zum dritten Grad der Blutverwandichhaft. In diejer Weije 
werden noc zahlreiche andere Wenderungen aufgezählt, die in der Kirche 
Platz gegriffen haben. Was fir einen Schluß zieht Simon aus alledem? 
Aus demjelben Grunde, aus dem jene Conjtitulionen geändert werden 
durften, müße es auch erlaubt fein, die Konjtitution über das Altars- 
facrament zu ändern. Daher habe er ein Recht, das Abendmahl unter 
beiden Geftallten zu fpenden, aber niemals habe er behauptet, daß jemand 
der dasfelbe in anderer Gejtalt nehme, deswegen nicht jelig werden könne, 
oder daß es eine Keßerei fei und durch feine Stelle des Evangeliums er: 
wiejen werden fünne, ”) 

Aus alledem ift erjichtlich, dag Simon jhon hier einen vermittelnden, 
verfühnlichen Standpunkt einnimmt und dem Katholicismus nicht mehr 
grundfäglich feindlich genüberjteht. Auf Seiten des legteren jteht er in 
dem mehrfach genannten Tractat gegen die 4 Prager Artikel vom Juni 1421. 
Aus fpäterer Zeit ließen ſich feine Spuren feiner literarischen Thätigfeit 
auffinden. Bielleicht iſt er nicht lange hernach gejtorben. 

Was feinen Gegner Paul betrifft, jo jah fich derjelbe veranlaßt gegen 
den wielif-huſitiſchen Tractat von der Kirche gleichfalls eine Abhandlung 
von der Kirche zu jchreiben, aus der wir weiter unten (sub. Nr. 5) eine 
Probe beilegen. Bejondere Anerkennung wird er mit derjelben nicht ge- 
erntet haben. Es iſt überhaupt fraglich, ob fie feinen Zeitgenofjen befannt 
wurde; wenigſtens wird ihrer in gleichzeitigen Quellen nirgends mehr 
erwähnt. 


Nadıträge : 


Im Eod. X H 18 Un. Prag. findet ſich Fol. 34* ein Aufjag — wohl 
eine afademische Disputation Symons von Tiſſnow unter dem Titel: Utrum 
prima causa agens ad extra cum causa secunda libere continenter 
sit aliquo termino terminato in potencia sua activa. 


In der Wiener Handichrift 4500 findet fich unter andern: Literae 
publicae Simonis de Tissnow, rectoris universitatis studii Pragensis, 
1) Et ego donee ron aspexi ad tales permutaciones (!) sancte ecclesie, 
que facta est per officiales virtute domini nostri Jesu Christi eis concessa, 
eciam fuj transgressus obedienciam communicando populum sub utraque 
specie corporis et sanguinis Christi, sed nunquam tenui quod aliter com- 
municans salvus fieri non possit, quod hoc est heresis nec hoc aliqua 
scriptura probari potest. 


— — 


quibus dietus reetor litis inter Andream plebanum S. Jacobi in 
Praga et Blasconem ac Johannem scolares universitatis conqueritur 
de Archiepiscopo Sbincone in jura et privilegia academica involante 
dietamque litem ad se evocat. 


Der tſchechiſche Tractat De mutationibus in ecelesia, welcher ſich 
in der Handjchrift der Wiener Hofbibliothef 4314 findet, ift wohl identisch 
mit dem Zractate des Wittingauer Archives, über den oben gejprochen 
wurde; die Propositiones quinque Simonis de Tissnow et totidem 
Jacobi de Misa in materia de communione parvulorum, die der Cod. 
4937 der Wiener Hofbibliothet enthält, find oben erwähnt worden. 


Ein Brief Simons über die Communion sub utraque findet ſich 
im Cod. univ. Prag III. G. 16. 


Des gleichen Inhaltes wie der oben mehrfach genannte Brief oder 
Tractat gegen die 4 Prager Artikel ift das Schreiben Simons an die 
Prager, welches unten aus einer Prager Handſchrift mitgeteilt wird. Die 
Uebereinftimmung ift jo ziemlich wörtlich und wenn wir das Schreiben 
dennoch mittheilen, jo aejchieht es aus dem Grunde, weil gerade diejer 
Theil des Tractates gegen die 4 Prager Artikel im Drude jtarf gefitrzt 
wurde. Der legtgenannte Zractat ijt überhaupt viel länger, als das 
Schreiben an die Prager; diejes erfcheint als ein Auszug aus dem erjteren, 
bei welchem die ganze lange Einleitung (Mitth. XXV. pag. 338—341) 
weggeblieben ijt. 

Eorreipondenzen, betreffend den Streit zwifchen Simon von Tiſſnow 
und dem Magiſter Baul von Prag. 

(E. cod. arch. Brunnensi Nr. 303. Fol. 115.) 

Predicta et alia que intra ponuntur in argumentis in ecclesia 
Ölomucensi cathedrali tam ad clerum quam ad populum me pre- 
dicante magister Symon de Tyssnow istam literam seu talem michi 
destinavit. 

Nr. 1. 


Simon von Tiffnow an den Magiiter Paul, Pfarrer von Dolein 
gegen deſſen Behauptungen, daß nicht Alles, was in der Bibel ftehe, zu 


— 232 — 


glauben und feſtzuhalten jei und daß eine jede Feitiegung des Vapjtes und 
jeiner Cardinäle von demjelben Gewichte jei, wie das Evangelium Chrifti. 

Venerabili ac sapienti viro domino Paulo plebano ecclesie in 
Dolan magistro in artibus sibi domino et fäutori. 

Det deus omnipotens prosperitates continencie, stabilitatem fir- 
mitatem fidelemque adhesionem in singulis verbo Dei. Preteriti tactus 
amoris dulcedine cuius tamen adhuc non parve in pectore meo re- 
liquie remanserunt me stimulant vehementer, ut ea vobis mea referam 
serie literarum que vestrum respiciunt commodum et honorem. Ecce 
magister reverende, audivi et conturbatus est venter meus et a voce 
loquencium contremuerunt omnia ossa mea, ymmo pili carnis mee in- 
horruerunt supra me. Audivi, inguam, quomodo inter melliflua vestre 
predicacionis verba dixissetis, quod non omne sancti evangelii verbum 
est in hiis diebus credendum atque tenendum, sed magis ad qualitatem 
temporum uttendendum est. Eciam famatur vos dixisse, quod qui 
contradicet cuicunque constitucioni domini pape et suorum cardina- 
lium, quod talis equali pondere premeretur peccati sicut Christi evan- 
gelio eontradicens,; que utraque locucio non minus horrenda est quam 
fidei catholice orthodoxe contraria; ideo me non sinit, ut fidem ad- 
hibeam sic vestra loquentibus de persona. Novi enim vestram re- 
verenciam magister reverende ad maturitatem prius quam in lucem 
prodeant verba vestra in camino decoquere racionis et raro vel nun- 
quam a vobis exivit sine statera examinis sermo vester. 

Quia tamen nonnulli iuriste fidei corruptores hanc pretensam 
videntur fundare sentenciam, quorum dictis et scriptis nolite (rogo) 
vestri aulam pectoris aperire. Si tamen quid in racionis ingenio 
vos ad asserendum ea stimulat, que vestre reverencie ascribuntur, 
queso in mei et vestri medium proponatis; me enim in oppositum 
ascriptorum vobis hee ducunt raciones pariter et seripture. Cum 
enim totum Christi evangelium sit cor legis Dei (cuius legis Dei nee 
Yota nee apex potest preterire quin vere impleatur estque iam im- 
pleta testante Salvatore Math. V. 18; primum eiusdem legis tocius 
ipsam plene regulans est veritas testante Psalmista: Principium 
verborum tuorum veris; in eternum omnia indieia dusticie tue), necesse 
concluditur ipsam in omnibus suis passibus veram esse. Cum eciam 
nec imperium nec regnum nec ceivitas ymmo nec quecunque bona 
societas potest consisitere sine lege, patet quod oportet credere de 
provida bonitate Dei quod dedit sue ecelesie quandam legem: non 
enim defieit corporibus inanimatis vegetabilibus sensitis (!), quin or- 


— 3 — 


dinat eis legem; multo magis deficeret sponse sue.. Ista autem est 
lex indubie, lex evangelica que est lex Domini immaculata, quam 
oportet capere ex fide, quod sit lex optima et per consequens lex 
verissima, completissima et saluberrima quam fideles tenentur cog- 
noscere, defendere, et servare, cum secundum illam tenentur sub 
obtentu eterni premii Domino ministrare. 

Quomodo autem hee lex Domini esset immaculata, scilicet men- 
dacio aut falsjtate esset maculata, quomodo eciam esset perfectissima 
et saluberrima, seilicet infecta esset falsitate nec verum esset quod 
David docet per Spiritum Sancetum, dum dieit: Fidelis Dominus in 
omnibus verbis suis et sanctus in omnibus operibus suis. Si autem 
dieeretur quod teste suo omnia Dei verba sunt vera, et sie lex ewan- 
gelica fuisset ad tempus certum credenda atque tenenda, cessasset 
autem atque expirasset eius veritas, quomodo (rogo) lex Christi esset 
finis et perfeccio, veritas et figuratum legis veteris, que fuit figura 
atque umbra legis nostre? Si eciam exspiraset veritas legis Christi, 
quomodo nos christiani essemus sub illa lege que cessavit. Videretur 
quod nos sub illa non essemus: O quam tunc iam incaute iuxta 
Christi preceptum predicaretur ewangelium omni creature, sed me 
fidelis David duleius cousolatur dum dieit: In eternum Domine per- 
manet verbum tuum, in generacione et generacione veritas tua huic. 
David dieit in forma ecelesie: In eternum non obliviscar tustificaciones 
tuas, quia in ipsis vivificasti me. Et omnes clamamus in horis can- 
tieis sacerdotes: Omnis consummacionis vidi finem latum mandatum 
tuum nimis. Et iterum: Mandasti iustieinm testimonia tua et veritatem 
tuam nimis, iusticia tua, tusticia in eternum, et lex tua, veritas, equitas, 
testimonia tua in eternum. Inicio cognovi de testimonüis tuis, quia in 
eternum fundasti. Et quomodo (rogo) talis imponens legi calumpniam 
vere cum ecclesia diceret per se: dominus Deus noster, in universa 
terra iudieia eius, memor in seculum testimonii sui, quod ınandavit 
in mille generaciones et statuit illud Jacob in preceptum et Israel 
in testimonium eternum. Infinita sunt talia dieta, que docent nos 
dicere totam Dei legem esse sine nota falsitatis imponentque fulsi- 
tatem alicui dieto scripture. Non dubiam quod tantam scripturam 
illius generis atque compilatoris reddit suspectam, tollit ab illa 
auetoritatem et viam infidelibus preparat atque Antichristo. Sed non 
sie sensit Augustinus IV. de Trinitate cap. XIII. dum dieit: Contra 
racionen nemo sobrius, contra seripturam sacram nemo christianus ; 
subsumatis et de papa et de omni mundi post Christum creatura. 


— 23 — 


Pro firmitate autem hnius seripture scribit idem magnus Augustinus 1. 
de Doetrina Christiana cap. XLII. sie: Titubat fides, si seripturarum 
divinarum vacillat auctoritas. Nec invemio aliquem pugilem scripture 
sacre sane fidei, qui Christi evangelium eriminarem falsitate et libenter 
audirem vel unum punctum evangelii, cui quis imponeret maculam 
Ffelsitatis. 

Et tunc de secundo dieto magister reverende, quod ascribitur 
vobis, quod qui contradiceret constitueioni domini pape, eque gra- 
viter peccaret, sicut contradicens Christo vel evangelio eius. Contra 
hoe dietum formo hanc conclusionem. Tota scriptura sacra quoad 
auctoritatem capitis ecclesie est infinitum maioris auctoritatis quam 
est scriptura aliena quoad autenticacionem sui proprii et privati au- 
toris. Patet ex hoc, quod Christus ex gracia unccionis infinitum ex- 
cellit quemlibet alium fratrem suum, sed ut autor ad autorem sic 
auctoritas ad auctoritatem. Unde Augustinus super illo Psalmi CXL: 
Absorbti sunt iuncti petre iudices eorum. Jetra, inquit Augustinus, 
erat Christus, juxta quem comparati ipsi iudices magnis ut est papa 
et legisperiti absorbti sunt. Dixit de moribus vel quamcunque senten- 
ciam proferentes; adiunge illum petre absorbtus est; quis est Aristoteles: 
audiat Christus dixit et apud inferos contremiscit. Dixit hoc Pita- 
goras, dixit hoc Plato. Adiunge illos petre, compara auctoritatem 
auctoritati Evangeliste, compara inflatos crucifico et absorbti sunt. 
Et post probat auetoritatem Christi ex hoc quod ipse fixit crucem 
suam in cordibus regum. Mortuus est et resurrexit a mortuis resu- 
mendo animam, quod dieti iudices non possunt facere. Tam diu (inquit) 
videntur aliquid dicere, donee comparentur petre. Et sic indubie est 
de papa et omnibus cardinalibus atque ecclesie prelatis. 


Et sequitur correlarium manifeste quod contradicens dicto pape 
alieno ab evangelio nec sic graviter peccat quante peccat Christi 
eontradietor. Eciam sequitur, quod non potest papa legitime contra 
epistolas Pauli ymmo nec angelos de celo dıspensare et quamvis 
hoc correlarium manifeste sequitur ex premissis, tamen ut magis 
pateat esse verum, aspieitur 2° I. c. q. 1.') Sunt quidam, ubi dieitur 


1) Decreti, Sec. pars, causa XXV. @. I. cap. VI. Die Stelle im Decret lautet 
genauer: Sunt quidam dicentes, Romano pontifhici semper licuisse novas 
condere leges. Quod et nos non solum negamus sed eciam valde affirmamus. 
Seiendum vero summopere est, quia inde novas leges con- 
dere potest, unde Evangelistae aliquid nequaquam dixe- 
ruut. Ubi vero aperte Dominus vel eius apostoli et eos se- 


ae 


si papa quod docuerunt apostoli et prophete destruere quod absit 
niteretur, non sentenciam daret sed magis errare convinceretur, quia 
cum scriptura sit infallibilis et necessarie veritatis, hoc foret aucto- 
rizare falsitatem. Aspiciamus si certitudo tanta fidei est quod in papa 
loquitur Christus, quanta est de Paulo, et hine dieitur I. ad Cor. 13. 
An, inquit, ewperimentum in me queritis eius, qui in me loquitur 
Christus. Et ad Gal. 1. securus de auctoritate Christi dieit: Licet 
nos vel angelus de celo aliud ewangelizaverit vobis preter quam evan- 
gelizavimus vobis anathema sit. Et subdit: Tamen notum vobis facio 
fratres evangelium, quod evangelizatum est a me, quia non secundum 
hominem neque enim ab homine accepi illud neque didiei sed per 
relacionem Jesu Christi. 

De indulgenciis vobis loquar viva voce. Hec sint scripta sub 
pia correccione vestra contra ascripta vobis et rogo non malignemini 
de scriptis discipuli vestri pluribus, quia ex puro amabili corde et 
simplici processerunt. Deinde humiliter supplico, quod quidquid 
super hiis materiis et super materia indulgenciarum fuerit intencionis 
vestre cum fundamentis sacre scripture vel aliorum, quibus dignum 
est ut creditur, sed autenticis conscribatis, 

Scriptis per Symonem de Tyssnow, plebanum in Thowa- 
czow discipulum et servitorem vestrum. 


Nr. II. 
Antwort des Magijters Baul. Die Definition der Kirche wie jie 
Hus (Wielif) gebe fei falſch, nämlich, daß die Kirche alle zur Seligkeit 
Vorherbejtimmmten und jonft Niemanden enthalte. Beweisjtellen. 


Rescriptum magistri Pauli. 
(Cod. arch Brunn. 303 fol. 118b). 


Reverendo magistro Simoni de Tyssnow, plebano in Tho- 
waczow, etc. singulis beneplaeitis in domino premissis. Noveritis 
quia ista principaliter tam ad clerum quam ad populum in ecelesia 
assertive predico. Primum quod ecclesia Christi est una sancta ca 


quentes sancti patres sentencialiter aliquid diffinierunt, ibi non 
novam legem Romanus pontifex dare, sed pocius quod predicatum est usque 
ad animam et sanguinem confirmare debet. Si enim quod docuerunt 
apostoli et prophete destruere (quod absit) niteretur non sen- 
tenciam dare, sed magis errare convinceretur. Der legte Sat oben fehlt im 
Dicret. Diefe Beweisftellen find jämmtlih Wichfihen Tractaten entnommen. 


— 236 


tholica apostolica. Sancta, non obstante quod in ea sint preseiti et 
reprobi, dicente beato Gregorio: Permixta est ecclesia diversitaie 
filiorum utrarumque pareium. Cives communiter recipit, quos tamen 
sancta ecclesia et nunc indiscrete suscipit et postmodum in egressione 
discernet. Item II. ad Timotheum 2... .') 


Item teneo et predico quod ecclesia sancta catholica est ecclesia 
Christi, quam in beato Petro et in successoribus eius fundavit et 
plantavit et que potissime in ecelesia Romana est semper duratura, 
quidquid eius emuli fabulentur. Quod hoc sit verum, patet primo 
per literam super illo verbo Luce XXII: Ego rogavi pro te Petre. .. 

....2) Ex quibus profeceto patet ipsum Johannem Hus male in 
suo tractatu De Ecclesia cap. primo posuisse, ubi dieitur: Ex iam diectis 
sanctorum elicitur, quod sancta universalis ecclesia est numerus om- 
nium predestinatorum cap. VII. Cum ergo iuxta decreta Romana 
ecclesia habet primatum et dignitatem quoad Deum super omnes 
alias, patet quod illa est totalis ecclesia militans quam Deus plus 
diligit, quam aliquam eius partem. Et sie manifeste sequitur ex fide, 
quod non illud collegium, sed tota mater in omni gente et lingua 
dispersa sit illa Romana ecelesia de qua iura locuntur cum sanctis 
doctoribus etc. Ex cuius dietis multa inconveniencia inferri possunt, 
ut patet bene intuenti; peccavit’itaque mortalissime contra illum 
articulum fidei, sancetam ecelesiam catholicam. 


Item predico et teneo, quod ille sit hereticus qui Romane ec- 
clesie privilegium ab ipso summa ecelesiarum capite traditum auferre 
conatur. Dist. XXII. Reeta*®) Nicolaus papa scribit Mediolanensibus, 
Omnes etc. .... ltem de constitucionibus ecclesie teneo et predico 
assertive, quod ecclesia Dei potest facere constituciones, nam si 
ecelesie de Judeis, que minoris potestatis fuit, lieuit aliqua con- 
stituere preter legem Dei, multo foreius ecclesie que nunc est 
licet aliqua ordinare preter Christi doctrinam, dummodo non sit 
contra eam. Quod autem ccclesia veteris testamenti aliqua ordi- 
naverit, patet Hester IX...... *) Item si in novo testamento 
lieuit ecclesie primitive aliqua facere ordinamenta, quare modo 
non liceret ecclesie Dei aliqua ordinare, quecunque illa ecclesia 


1) Folgen theils Bibelftellen, theild Citate aus Ricchenichriftitellern. 

2) Ebenſo und zwar in einfacher Aneinanderreihung. 

3) Decreti prim. pars. dist. XXI. cap. I. (nicht Recta jondern Omnes), 
4) Folgen weitere Beijpiele. 


en 26 Ars 


— 237 — 


sit. Quod autem écelesia primitiva aliqua ordinaverit, que prius 
Christus non ordinaverat, patet Act. XV... . Ecclesia ergo Dei nec 
est contenta hiis, que Christus dixit presencialiter sed alia addidit, 
licet non contraria Spiritu Sancto eam docente. ... 


Nr. III. 


Antwort des Magijters Simon. Gibt eine Definition der Kirche, 
Die Lehre des hl. Märtyrers Johannes Hus fei nicht widerlegt 


Reseriptum magistr(i Si)monis seu r(evo)caeio. 
(Cod. arch. Brunn. 303 fol. 125). 

Pro tollenda adversitate, que non adversitas secundum rei veri- 
tatem sed diversitas inter nos debet reputari, in materia sancte 
ecclesie catholice quantum michi suffieit ad propositum aliis accep- 
eionibus eccelesie dimissis noto, quod dupliciter aceipitur sancta eccle- 
sia catholica, communiter et proprie: communiter et sic dicit omnes 
homines eandem Christi fidem profitentes: proprie et sic dicit nu- 
merum seu congregacionem omnium predestinatorum et secundum 
hanc diversitatem accepeionis sepe sacıa scriptura, doctores sancti 
decreta ecclesie varie locuntur. Et non dubium, quod ignorantes 
has virtutes vocabulorum sie paralogisantur, quod putant adversitatem 
et inde provenit, quod apertam scripturam sacram doctorum appro- 
batorum dicta et ecclesie decreta, que sue opinioni reputant 
contraria conclusis pertranseunt oculis vel si legunt tamquam indigna, 
abiciunt et nonnunquam dolosis machinacionibus ad falsos exponunt 
sensus, quos nunquam spiritus Domini flagitavit fitque ut sepe ut 
homines et scripturas quos et quas non intelligant hereticent et sic 
in suis doctrinis in diseretis suos audientes plus amaritudine intoxi- 
cant quam posset facere vipera venenosa. Adduco igitur scripturas 
pro diversis accepcionibus predietis sancte ecelesie catholice decla- 
randis et primo pro communi accepcione sancte ecclesie catholice 
expono illud Matlı. 13. Simile est regnum!)... Et patet sentenciam 
sanctorum quam tenuit martyr in spe sanctus Johannes 
Hus esse veram ... et quia reverende magister vos intulistis in 





1) Bu dieſer Stelle zieht der Autor eine Homilie Gregors zur Erläuterung heran 
dann Augustinus de fide ad Petrum [ette8 Cap. Simon ftimmte inhaltlich 
in der Erklärung des Klirchenbegriffes mit Hus de ecclesia Cap. 1 und 2 jo 
vollftändig überein, daß feine Ausführungen in Hinblide hierauf oben über» 
gangen werden können. 

Mittheilungen. 26. Sahrgang, 3. Heft. 17 





— 23 — 


scriptis vestris in hac forma: Ex quibus profecto patet ipsum Johan- 
nem Hus male in suo tractatu De ecclesia cap. I. posuisse ubi 
dieitur: Ex iam dietis sanctorum elicitur, quod sancta universalis 
ecclesia est numerus omnium predestinatorum. Magister reverende 
quia in dieto primo capitulo magistri Johannis Hus allegatur Augu- 
stinus plene pro hac sentencia cum aliis pluribus sanctis, (cur) 
illos ergo, quantum in vobis est, condempnatis? ... 


Item, intulistis predietum magistrum Johannem Hus male po- 
suise cap. VIII in eodem tractatu Romanaın ecclesiam esse totalem 
ecclesiam militantem et posuistis, quod multa inconveniencia possent 
inferri ex illo dicto, ut patet bene intuenti. Et dixistis tercio, quod 
peccavit wortalissime contra illum fidei articulum: Sanctam ecclesiam 
catiolivc.n. Quoad primum illorum trium reverende magister: Si 
bene prospieitis ad decretum 31 d.!) Quamvis universe per orbem .... 
Ecce reverende magister illud decretum allegavit pro se bone me- 
morie Johannes Hus cum glosa super hoc eodem decreto, que 
glossa sequitur in hac forma: Argumentum, inquit et quod ubicungue 
sunt boni, ibi est Romana ecclesia. Ecce reverende magister hanc 
glossam, quam tenent omnes decretiste, si apertis respieitis oculis 
concordat plene cum viro in spe sancto, quem criminamini 
minus iuste. 

Item, predietus magister Johannes Hus pro sua allegavit inten- 
eione decretum 24. q. 1. A recta..... ®) Eciam pro se allegavit 
glossam super hoc eodem decreto. 

Item, reverende magister, ut moveam modicum preter allegata 
per magistrtum Johannem Hus, ex quo in vestris sentencia et 
verbis nitimini asserere, quod Romana ecclesia in predictis decretis 
accipitur pro papa et cardinalibus quos reputatis non posse errare, 
alias predicta decreta non possent de ipsis intelligi. Rogo vos, que 
ergo ecclesia sepe fallit et fallitur, ut dicit decretalis de Sentencia 
Excommuniecacionis A nobis,?) si non illa ecclesia Romana, de qua 
vos intelligi vultis predieta decreta; ut ergo abiciatis hanc decre- 
talem que dieit Romanam ecclesiam, id est, papam cum cardinalibus 
posse errare, ymmo sepe errare, aut ei consenciatis et dicatis quod 


1) ©. TIT. dist. 21. Quamvis universae. 

2) Decreti sec. p. caus. XXIV. Q. 1, cap. IX. 

3) Deer. Gregor. IX. lib. V. tit. XXXIX, cap. XXVII. Die Stelle de3 Des 
cretes lautet: Iudicium autem ecclesie nonunquam opinionem sequitur, 
quam et fallere saepe contingit et falli. 


— 239 — 


in predictis decretis glose vere glosant, dum dicunt ecclesiam Ro- 
manam esse totam ecclesiam militantem. Ex quibus magis profecto 
pate, martyrem in spe sanctum magistrnm Johannem 
Hus sacre theologie baccalaureum formatum bene et sancte ac iuxta 
decreta ecclesie et eorum debitas exposiciones posuisse, nee potest quis 
ex ipsius in har. materia dictis vel vestram inconveniens per bonam 
consequeneiam inferre. Aut si vos scitis reverende magister rogo 
inferatis michi pro ipso vobis respondendo, Taceo autem de illo 
quod dieitis, ipsum parasse mortalissime contra articulum fidei illam 
sanctam ecclesiam catholicam, dum non sit dignum, ut sibi respon- 
deatur, nisi prius aliqua probacio afferatur, que aliqualiter habeat 
corticem veritatis. 

Hec fuit reverende magister scripta cum vestra correccione 
super ıateria de ecelesia michi per vestrum nuncium presentata. 
Et ista materia inter me et vestram reverenciam expedita deinde 
alias materias per vos michi scriptas cum vestra sem»er direccione 
prout potero salutabo. 


Nr. IV. 


Simon von Tiſſnow an den Didcefan der Olmützer Kicche; führt 
Klage über das Vorgehen des Paul von Prag, der nicht bloß Wielif und 
Hus, jondern auch deren Anhänger verläſtere. Ruft die Enticheidung des 
Didcefans an. 


Venerabili patri et domino dyocesano ecelesie 
Olomucensis nune residenti in Cremsier detur. 
(Cod. arch. Brunnens. 303 fol. 183ub.) 

Salus et pax domini-nostri Jesu Christi sit tecum Amen. Pater 
venerande et domine dyocesane. Non sinimus graciarum acciones re.l- 
dere Salvatori nostro pristina de collacione magistri Pauli per te 
ad nos missi, ut nos probaret, si foret aliquid contagiosum, ne oves 
fedaremus acquisitas sanguine agni incontaminati Jesu Christi. Ipse 
vero non aliquid considerans erronei pollicitus est diversis coram per- 
sonis astantibus non se aliud fateri nisi ea que unissone tractas- 
semus non se commendando aut nos vincendo aut veritatem Jesu 
confundendo ; veniente autem eo in eivitatem veritatem Jesu confudit 
nos appellando in illa erroneos et amplius proferens demonio obsessos 
et per demonium loquentes, dissuadendo hominibus ne frequentent 
sermocinaciones et multa convicia ascribendo et profitens se nolle 

17* 


— 240 — 


nobiscum colloqni nostras propter hereses et specialiter magistri 
Johannis Hus et magistri Johannis Wikleph, quos appellavit 
hereticos et inchoacionis sermonis ad nos facti, quod minime pro- 
bavit nec probabit. Confidimus quia multa agnovimus bona et saluti- 
fern. ex eorum dogmatizacionibus que approbata sunt iin uni- 
versitate Pragensi, de qua infamia et hereticacione clarius eno- 
dabitur super eodem magistro Paulo, quod non est veritus sic in- 
sane blasphemare et non tantum magistros predictos in iudicio divino 
iam situatos, sed omnes ipsis adherentes in scripturis. Cui in mo- 
merto oppositum tenuimus serutantes quid sit heresis aut hereticus 
relinquens, Hoc prorupit in aliud: seiseitans quid sit sancta ecelesia 
catholica multaque de ea conferentes in scripturis et in figuris cireuli 
partieipativis, sieut eirculi figurarum ipsam ostendunt participıeionem 
ecelesiarum, bonorum et malorun in alia pagina, et inter illa de 
communione fidelium plebium quomodo sint communicandi de neces- 
sitate utraque sub specie tractavirnus. Non enim ab eo audivimus 
solidas scripturas legis veteris et nove nec quatuor columnarum. 
Ideo diffidimus ei usque diem hodiernum; ipse vero non habens 
roboratam scripturam nec potens veritati resistere evangelice discessit. 

In illa ergo segregacione diximus notorie coram astantibus in 
stuba, presentes erant sacerdotes missi cum eodem ad indagandum, 
si velint verum profiteri in laicalibus personis: Magister Paule, scias 
pro hiis veritatibus, quas fassi sumus, ubicunque volueris parebimus 
in oppositum tibi. Eatenus pater venerande obsecramus, quatenus 
vestra non dignaretur paternitas, omnibus fidero (sic) sermonibus 
per quos via veritatis ingenter et multipharie blasphematur ; primum 
magistro Paulo blasphemo veritatis, in quo sepius est comprobatum 
et in fugam se conversum, de quo pavemus, ne tradar in interitum 
carnis, sicut quidam tempore Pauli traditi sunt sathane si non sufli- 
cienter penituerit de blasphemia. Tu autem pater venerande si di- 
ligis dominum Jesum et eius veritatem et fratrum salutem, qui nunc 
fluetuant et agitantur arundinis more vertentes se ad illud et ad illud 
mussitando et nec se in vero stabiliendo et hoc per seducreionem 
pseudoapostolorum et magistorum mendaeium, qui dominum Jesum vo- 
cant et negant, et multi secuntur eorum luxurias, per quos via veritatis 
blasphematur et in avaricia fietis negociantur verbis, quibus iudieium 
iam olim non cessat nec perdicio eorum dormitat. Ubi autem fratres 
per eorum ypocrisim non aucupentur optamus inducias in salvando, 
intrando eivitatem et exeundo a paternitate tua nos coram te statu- 


— 241 — 


endo pro hiis veritatibus Jesu Christi defensandis contra eundem 
blasphemum veritatis magistrum Paulum et ceteros pseudosacerdotes. 
Si autem fuerit deliracio a lege nonulla gliseimus informari tamquam 
falsiloqui et nefarii per te patrem venerandum, si vero non assequatur 
nos iusticia et iudieium veridicum seientes nos non blasphemare sed 
veritatem Dei et specialiter de communione corporis et sanguinis 
domini Jesu in ministracione plebium, quoniam durum est vobis 
contra stimulum recalecitrare, quia veritas omnia vineit, et iniqui ho- 
mines suis cum legibus, iniqua omnia opera eorum, sola autem veritas 
equa et iusta sunt opera eius; celum et terra prius transierit quam 
verbum veritatis, quia verbum veritatis in eternum est manens, que 
est Christus Jesus dominus noster, quia ego (inquit de se) sum via, 
vita et veritas. Hanc ergo sequamur et erit nobis via in militando 
et post hec vita eterna triumphando aut in gracia et post in gloria 
ad quam diligenter nos perducere (dignarentur) Pater et Filius et 
Spiritus Sanctus, qui est et fuit et erit et regnabit cum suis electis 
in secula seculorum Amen. 


Östendatis per Andream sacerdotem et Wenceslaum fratres 
in Christo Jesu optantes responsum a vestra paternitate. 


Nr. V. 
Auszüge aus dem Traftate des Paulus von Prag „über die Kirche.“ 


Tractatus contra Hussitas praesertim contra magistrum Simonem 
de Tyssnow plebanum Towaezoviensem autore magistro Paulo de 
Praga plebano de Dolan diocesis Olomucensis olim s. theologiae 
Pragae doctoris !) lautet der Titel eines längeren Auffages, welcher fich 
in dem Cod. 303 des Landesarchives in Brünn 1°—253* vorfindet. Die 
betreffende Handfchrift war einjtens Eigenthum des Karthäuferklofters 
Dolein?) in Mähren. Sie enthält die Arbeit des Paul von Prag in 
dem urfprünglichen Concepte. Man jieht das aus den zahlreichen Ergän- 
zungen, welche jich in den für diefe Zwecke eigens leer gelajjenen Räumen 
befinden, aus dem Schriftcharakter, namentlich aber aus dem Umſtande, 
daß ji von Fol. 255—477 eine ganz neue Nedaction diefes Traftates 
verfindet, die in den meiften Punkten und zwar wörtlidy mit der erjten 
übereinftimmt. Man vergleiche: 


1) Spätere Bemerkung. 
2) Iste liber est Carthusie de Dolano. 


— 242 — 


Fol. pag. 

Sed quod Hussite ponant et as- 
serant: non tantum unam esse 
ecclesiam sanctam, eatholicam sed 
plures, patet primo per Simonem 
de Tyssnow, qui in suis scriptis 
ponit et aperit, sic noto, quod 
dupliciter aceipitur sancta ecclesia 
catholica, communiter et proprie: 
communiter et sie dieit omnes 


pag. 269. 
Sed diceret aliquis, prout magister 
Simon de Tyssnow sacre theolo- 
gie bacclaureus michi rescripsit, 
noto, quod dupliciter aceipitur 
gancta ecelesia katholica, commu- 
niter et proprie: communiter et 
sic dieit omnes eandem Christi 
fidem profitentes; proprie et sie 
dieit numerum seu congregacionem 


homines eandem fidem Christi 
profitentes; proprie et sie dieit 
numerum seu congregacionem 
omnium predestinatorum 


omnium predestinatorum. 


.an 4.0. 


Ebenſo finden ich diejelben Briefe, welche in dem erjtgenannten 
Traktate Fol. 115—129 Stehen, auch in dem zweiten Fol. 360°—371s wieder. 
Die Aufgabe, die fih Paul von Prag jtellt, bezeichnet er (Fol. 9) mit 
folgenden Worten: 

Sed quia secta Hussitarum, que dieit quod ecclesia sancta ca- 
tholica sit numerus ommium predestinatorum peccat mortalissime 
contra hunc articulum fidei videlicet ecclesiam sanctam catholicam, 
igitur in tractatu presenti probabitur catholice et demonstrative quod 
talis proposicio sit falsa, heretica, impossibilis, caput et origo tocius 
heresis Husitarım transcendens predicacionem omnium hereticorum. 
Es iſt, wie man ſieht, der wielif' huſitiſche Begriff der Kirche, den Paul 
von Prag zu widerlegen beabfichtigt. Und das ijt auch der Zweck des 
zweiten Zraftats, wie jchon aus dem Titel erjichtlic ift: Utrum ecclesia 
sancta catholica sit numerus predestinatorum. Pro falsitate huius 
proposicionis nephandissime argnitur sie... . 


Die in der Handichrift an zweiter Stelle ftehende Redaction fcheint 
die ältere zu fein, denn fie enthält feine Gliederung: Citat wird an Citat 
gereiht. In der erjten Nedaction finden wir eine genaue Angabe des 
Ganges des Traftates (pag. 9.): Pro quorum intelleetu primum erit 
prenotandum, quid sit ecelesia sancta catholica? Deinde, quid sit 
numerus omnium predestinatorum? Tercio solventur argumenta, 
quibus Husite probare nituntur predietam proposicionem catholicam 
esse et veram. Quarto ponentur argumenta contra predietam propo- 
sicionem nephandissimam (et) veneno perfidie plenam. 


— 243 — 


Die erſte Redaction iſt überdies viel ſorgfältiger geſchrieben, die 
einzelnen Capitel und auch die Unterabtheilungen tragen Ueberſchriften, 
welche durch rothe Tinte ausgezeichnet ſind u. ſ. w. In das zweite Buch 
ſind die Briefe Simons von Tiſſnow, Pauls und das Schriftſtück der 
Prager Univerſität vom 6. September 1417 eingeſchoben. Da der Inhalt 
und Gedankengang des Traktats durch die oben angeführten Citate voll» 
fommen genügend gekennzeichnet ift, jo jcheint es überflüjlig zu fein, jich 
auf eine weitere Analyje desjelben einzulaffen. Anmerkungen, denen man 
von hiſtoriſchem Standpunkte aus eine größere Bedeutung beimejjen 
fünnte, finden fich jelbjt da, wo er auf die weiteren Ausführungen in 
Huſen's De Ecelesia Bezug nimmt, nur in geringer Zahl vor. Ueber das 
Verhältniß des Hus zu Wichf findet jich die bezeichnende Stelle: Si autem 
dicant quod a Deo venerint et ab apostolis atque ewangelio, sed 
contra: Non multum temporis est quod esse ceperunt, quoniam sicut 
patet a Johanne Wykleff exordium acceperunt, qui hanc viam Hussi- 


tarum incepit. Ergo non sunt suecessores apostolorum .... Vos 
venistis a Johanne Wikleff; dieatis unde ipse venerit .. . 
Nr. VI 


Schreiben Simons von Tiſſnow an die Prager gegen die 4 Artikel, 


Epistola Simonis de Tissnow ad Pragenses. 

Et primo de libertate verbi Dei quam conelusistis quod 
libere verbum Dei sine impedimento predicetur. Non dubito quin 
verbum Dei in regno Bohemie habuit ordinatam libertatem supra 
omnia alia- regna. Sed sacerdotes heu qui per eorum deordinatas 
predicaciones presens malum quod in regno Bohrmie nimis heu diu 
continuatur scissuram suscitare merito timent, tales sacerdotes ne 
ab actu predicacionis eorum demeritis hoc exigentibus sıspenJdantur 
et puniantur, ideo astute per hanc constitucionem per eos subordinatam 
provident ne quod iustum est paciantur. Sed in cautélam istorum 
dieitur id Prov. XXI: Eice derisorem et exihunt cum eo durgia 
essabuntque contumelie. Super quo dieit Beda: Eice hereticum quem 
corrigere non potes de ecclesia Et cum illi libertatem abstuleris 
predicandi ecclesie catlıolice auxilium prestas. Ideo officiales spiri- 
tuales prioris dispensacionis in eorum offieiis non impediebantur, 
qui sine dubio de libertate ordinata potestatem predicandi providebant, 
Cavete autem ab inordinata libertate predicandi, do- 
ceant vos mala presencia atque que ex inordinata libertate predi- 
candi sunt exorta, ne in similia vel in peiora ineidntis. 


— 244 — 


De seeundo artieulo videlicet demanifestorum peccatorum 
exterminio det Deus omnipotens, ut hee fiaut in effeetu, ut omnia 
mala in ecclesia moriantur. Sed tamen sane scire debetis, quod 
ecclesia edocta a spiritu nonnunquam tolerat minora mala propter 
infirmitatem hominum, ut per hoc maiora mala sint sopita et ut 
dieit Lyra in prologo super Math. Lex civilis permittit meretrices 
publicas in civitatibus esse, ne res publica propter imperfeccionem 
multitudinis qui castitatem servare non possunt, dissensionibus que 
propter libidinem insurgunt conturbetur. 

Et ad hoc dieit Augustinus in libro de ordine sie: Aufer de 
eivi’ate meretrices et omnia conturbabis libidine. 


De tercio articulo seilicet de spolio seu ablacione tem- 
poralium a clero, videte ne regnum spolietis a elero. Et sic ne 
spirituales duces et ductores ab ecclesia auferatis. Contra tamen 
vestram intencionem hanc sunt decreta sanctorum patrum in canone 
tamquam per totum XI. q. 1. Nec seculares ad hoc faciendum 
habent legitimam potestatem. Cavete autem vobis, ne avaricia vel 
invidia agitet cord.ı vestra vel alias infeceio inordinata. Item sacer- 
dotibus vestris erroneis et insipientibus non sic de facili fidem date 
qui vos ad hos errores induxerunt. Non apponite et non cumulate 
mala prioribus malis que feeistis. Doctores, magistros, religiosos et 
viros sapientes aliarum nacionum pro vestra informacione mendicare 
et furte publica audiencia ordinata quam vobis a domino rege sepe 
postulastis non est inutilis, si magistrorum doctorum et aliorum 
honorabilium virorum de regno expulsorum posset presencia rehaberi. 


Hec puncta ’) sunt in quibus contra universalem ecclesiam 
concordastis, sed multa puncta alia sunt propter que ad invicem con- 
tenditis et litigatis. Quamvis autem contra se et inter se estis divisi, 
in malum tamen vobis mutuo consentitis et sic quamvis tamen in 
eapite estis divisi, tamen in caudis quibus malum trahitis estis col- 
ligati ut vulpes. Cavete ne de vobis vereficetur id verbum quod 
scribit beatus Augustinus super Ps.: Exultate Deo adiutori nostro 
super illo verbo Israel si me audieris non erit in te Deus recens. 
Et loquitur de hereticis et scismatieis, inter cetera sie dieit: Quamvis. 
enim oppositum varietate discordant, tamen vanitate colligantur. Ideo 
Saınpson vulpium caudas alligavit ideoque allegavit ignem, ut incen- 





1) Auf den 4. Artifel geht er hier fo wenig, wie in dem Schreiben au ben 
Landtag eim, 


on 


= 26 = 


derent messes alienorum seilicet Philistinorum . . .. Et vere messis 
erat bona in terra Bohemie, operarii autem pessimi et ypocrite et 
vulpes dolosi et luxuriosi que (!) subdoli, rapaces. O amantissimi 
Bohemi redite ad cor. Videatisne hec (!) proprietates hereticorum et 
seismaticorum insint vobis et postea eis resistere non possitis. Con- 
gregamini oves disperse, redite ad aulas sancte matris ecelesie, ubi 
est una fides, sicut est in ea unus rex et dominus Jesus Christus in 
secula benedictus qui vivit et regnat etc. 
Cod. un. Prag. 1. G. 11. Fol. 6bab. 


— — — — 


Die älteſte Geſchichte der Stadt Sans, 
Bon Dr. Ludwig Schleſinger. 


Das Saazer Flachland iſt uralter Kulturboden, wohl einer der äl- 
tejten Böhmens. Die unverfiegliche, bis heute nicht erichöpfte Fruchtbarkeit 
der Scholle lodte frühzeitig zu menjchlichen Anfiedlungen, und nirgendwo 
im Lande erinnern jo zahlreiche Heimftätten der Dahingejchiedenen an 
dichtbevölferte Fluren aus der Heidenzeit. Der Saazer Bauer gräbt heute 
aus den weithin fich ausdehnenden Leichenfeldern die Todtenajche aus und 
benüßt jie als vortreffliches Dungmittel. Tauſende der werthvolliten Gräber- 
funde, welche die öffentlihen Sammlungen und die einzelner Liebhaber 
füllen, reden eine deutlihe Sprache über menjchliche Niederlajjungen 
entjchwundener Zeiten, über welche ſonſt nur fpärlihe Nachrichten zu 
ung gedrungen find. Es mögen hier nacheinander der keltiſche Boje, der 
germanijche Markomanne und der jlavische Lutſchane gehauft haben, und 
vom Leßteren zumeift wohl jtammen die aufgedeckten Leichenjtätten und 
ZTodtenhügel. ') 

Lutſchanen nennt der Chronift Cosmas ?) jenen Stamm der nad) 
Böhmen eingewanderten Slaven, der fi im Nordweiten des Landes zu 
beiden Seiten des Egerlaufes jeßhaft gemacht hatte, mit den die Mitte 
des Landes bemohnenden Tihechen an Macht und Einfluß metteiferte und 
um die Vorherrichaft im Lande rang. Im fünf Bezirke gliederte ſich der 
große Lutjchanengau, der weitlih an den Elbogner Gau, nördlich an das 


1) Bol. in diefen Blättern I. 30, VII. 152, 196XII. 189., XXIV. 303. XXVI. 43. 
2) Berk, S.S. IX. ©. 40. 


— ee 


Erzgebirge, öſtlich an den Leitmeriger Gau jtieß und jüdlich an den alten 
Tihechengau grenzte. Der in der Mitte liegende der fünf Bezirke hieß 
„Luka“; er ift nad) Cosma's Schilderung „eine jehr jchöne Gegend, ift 
einträglich und fruchtbar und veich an Wiefen, woher er auch den Namen 
hat, weil „Luka“ Wieſe heißt." Nach Lufa ſei nun auch der ganze 
Stamm der Lutfchanen benannt worden, ) Dieje ſelbſt feien ein hoch— 
müthiges Volk gemwejen, und der 1125 gejtorbene Chronijt bemerkt, daß 
denjelben noch zu feiner Zeit „vom Böſen eingegeben ift, fich zu überheben.“ 
Was nun weiter noch Cosmas vom Kampfe des Friegeriichen Fürſten der 
Lutſchanen Wlaftiflaw mit dem jämmerlichen Tſchechenfürſten Neflan er: 
zählt, ift ein plattes Sagenmärchen, von welchem der Chronijt jelbit 
bemerkt, „er müſſe es dem Leſer überlaſſen zu beurtheilen, ob es wahr 
oder faljch jei.?) Begreiflich ift, daß ein Hajef und dann wiederum die 
Königinhofer Dichterfchule ſich den ſaftigen Broden nicht entgehen ließen. 
Zu verwundern aber bleibt es, daß ernſthafte Gejchichtichreiber, wie Pa: 
lady und Tomek, die wunderliche Mähre wieder aufwärmten, wobet ihnen 
die komiſch wirkende Berufung auf die „alten Lieder” Feineswegs als 
Entihuldigungsgrund angerechnet werden kann. Was man von der 
Erzählung des Chronijten gelten laſſen mag, iſt nur jo viel: In der 
Mitte des IX. Jahrhunderts hat eine Einigung der verfchiedenen Slaven: 
ftänme im Lande unter Einem Oberhaupte noch nicht Pla gegriffen; 
diejelbe fand, wie wir aus glaubwürdigen Quellen wiljen, erjt im Beginn 
des nächiten Jahrhunderts jtatt.®) An den Stanmesnamen „Lutjchanen‘ 
wollen wir uns nicht jtoßen, wenn er auch nur ſchwach beglaubigt wird 
durch die Abgrenzungsurfunde des Prager Bisthums (1086). Ebenjo 
wollen wir den Namen des hervorragenden Stammesfirjten Wlajtijlav 
hinnehmen.) 

Daß die Fürjten der Lutſchanen einen befeftigten Burgort bejaßen, 
der ihnen zugleich als Lagerplag und Wohnjig diente, ijt mit aller Wahr- 


1) Ueber die Lage und Grenzen diefer fünf Bezirke (von Saaz, Mies, Ludit, 
Selig (?) und Kaaden) fiehe Tome im Casopis &esk.. Mus. 1858, 1859. 

2) Pers, 8.8. IX. ©, 44. „Et quoniam haec antiquis referuntur evenisse 
temporibus, utrum sint farta an fieta, lectoris judicio relinguimus.“ 

3) Auch Tomeks Schrift: Apologie der älteften Geichichte Böhmen: (Abhandlung 
der k. böhm. Gefellichaft der Wiſſenſch. V. Folge. 13. Bd.) hat nach meiner 
Meinung die Richtigkeit der diesbezüglichen Anfichten Dümmlers u. a. nicht 
erichüttert. 

4) Noch nad) Jahrhunderten werden Saazer „Lutjchanen“ genannt; fo heißt 3.8. 
zum Jahre 1547 ein Magifter an der Prager Univerfität „Adamus Luczanus, 
alias Zateezenus* (Liber decan. II. ©, 344.) 


= BU 


Icheinlichkeit anzunehmen, wenn wir dabei auch nur an jchr einfache 
Holz. nud Erdbefeftigungen zu denken haben. Alle Vermuthung fpricht 
dafür, daß der befeftigte Vorort der Lutjchanen an der Eger gelegen ge- 
wejen iſt, und man hat feine bejondere Urfache daran zu zweifeln, daß 
Ihon im IX. Fahrhunderte die günftige Lage des heutigen Saaz zum 
Stüßpunft einer Befeftigung auserfehen worden tft. Nach Cosmas fei die 
Burg des Wlaftiflam zerjtört und eine neue „in der Ebene am Ufer des 
Flußes Eger im Gau Poſtolopirth (Poftelberg) Namens „Dragus“ erbaut 
worden, dort, wo man jeßt das Klofter der heiligen Maria erblickt." *) 


Wir wollen uns nicht in das Neich der Vermuthungen verirren. Wir 
könnten auf die Unterwerfung Böhmens durch Karl den Großen (805, 806) 
und auf die in dieſer Zeit ftattgefundene Belagerung „Canburgs“ durd) 
die Franken zurücgreifen. Wenn die allgemeine Deutung diejes befeftigten 
Ortes auf Kaaden die richtige it, fo hätten wir abermals einen Burgort 
der Lutjchanen ermittelt. Es ließe ſich ferner wahrscheinlich machen, daß 
die Lutjchanen und ihre Burgen in den Kriegen Ludwigs des Deutjchen 
gegen Böhmen (846—872) lebhaft betheiligt waren. Mit Frind ?) Tieße 
fi) weiter aus guten Gründen dafür eintreten, daß bei der hochbedeut- 
ſamen Thatjache der Taufe der 14 böhmijchen Herzoge in Negensburg 
im Jahre 846 die Häuptlinge der Lutjchanen in erjter Linie in Frage 
famen. Auch unter den „Herzogen” der Böhmen, welche ſich 856 dem 
deutjchen Könige unterwarfen, und unter jenen fünf mit Namen 
angeführten böhmiſchen Fürjten (Swatoſlaw, Witiflaw, Heriman, Spitimir 
und Moyſlaw), welche 872 von den Deutfchen in die Flucht gejchlagen 
wurden, wie nicht minder unter den 895 (und 897) zu Negensburg dem 
König Arnulf die Huldigung darbringenden böhmischen Herzogen mag ſich 
der Lutſchanenfürſt befunden haben. Auch dafür jpricht einige Wahrjchein- 
lichkeit, daß jener vom. Chroniften Widufind zum Jahre 936 erwähnte 
„subregulus“, welcder jih an Kaiſer Otto I. in dejjen Kämpfen gegen 
Herzog Boleſlaw I. anſchloß, ein wieder nach Unabhängigkeit vom Landes» 
herzog ringender Lutſchanenfürſt gewejen ift. 

Doch wir wollen bei ung näher Liegendem verweilen. Wenn auch 
das Stammesfürjtentfum der Lutjchanen mit Beginn des X. Jahrhunderts 
feine Unabhängigkeit verlor und in den ſich bildenden Einheitsftaat des 


1) Pers, 8.8. IX. ©. 43. Dieje Stelle des Cosmas, weldhe für die Beftimmung 
der Gründungszeit des Poſtelberger Benedictinerflofterd einen Werth befigt, 
ift von Frind (Kirchengeichichte) überjehen worden. 

2) Kirchengeſchichte I. ©. 4. 


— 248 — 


böhmiſchen Herzogthums aufging, bewahrte es doch noch auf lange Zeit 
hinaus als einheitliches Verwaltungsgebiet eine gewiſſe Selbſtändigkeit. Als 
ſolches erſcheint es urkundlich unter dem Namen „provincia Satcensis“ 
(zuerſt 1057)"), „comitatus Satcensis“ (1182)9), ſpäter „distrietus* „Saazer 
Kreis" („Saazer BZupa“)3) und fügte fich in den allgemeinen Verwaltungs: 
rahmen des Landes ein. An der Spige der Saazer Grafichaft jtand, wie 
anderswo, als oberfter Beamter des Landesfirften der Gaugraf, der in 
unferem Gau in der älteren Zeit bald den Namen praefeetus (1068) *) 
(1160)®), castellanus (1165)®), comes (1182)?), jpäter burgravius (1277)®) 
führt. Als ſolche Gaugrafen werden uns genannt: 

Zmil, filius Bozeni, qui fuit prarfectus in urbe Zatec — 1068. °) 

Bosey, filius Cac (au8 dem Geſchlechte der Werjchowege), 1090, 
1101. 10) 

Jurik, filius Sdan, praefectus urbis Satec 1116. 1!) 

Jarogneu (Jarognev, Jarogneus) de Satec 1144, praefectus 
Satcensis 1160, castellanus Satcensis 1165, Saticensis 1167, praefectus 
de Sathec 1175, castellanus de Satehe 1176. !?) 

Zdeslaus (Sdezlaus, Scazlau, Stizlaus), filius Divis, castel- 
lanus de Satee 1172, castellanus de Satec 1177, comes Sacensis 1182, 
castellanus de Satec 1183. '?) 

Zlavebor, eastellanus de Satec 1195. '*) 


1) Erben reg. Boh. ©, 53— , ſpäter ©. 79, 129, 175, 454 u. |. w. Bei Co3- 
mas (Pertz S.S. IX. ©. 76) erfheint „provineia Satec“ zum Jahre 1055. 

2) Dafelbft ©. 167. 

3) Der Name suppa tritt erft im XIV. Jahrhunderte auf, Tſchechiſche Hiſtoriker 
anticipiren diefen Namen für die ältere Zeit mit Zugrunbdelegung der fünft- 
lihen Analogie mit der füdflavischen Familienverfaffung. Deutſche Hiftoriker 
jollten ſich auch der tſchechiſchen Terminologie, (ganz abgejehen von dem hin- 
eingelegten Inhalt), welche nicht einmal in tichechifchen Quellen der früheren 
Zeit nachweisbar ift, entwöhnen. Es wird wohl am beften unjer gutes Wort 
Gau für Zupa einzuführen fein. 

4) Ber, S.S. IX. ©, 82, 

5) Erbeu, reg. Boh. I. ©, 135. 

6) Dafelbft S. 137. 

7) Dajelbft S. 167, 193. 

8) Emler, reg. Boh. II. ©, 461. 

9) Vers, 8.5. IX. ©. 82. 

10) Dafelbft S. 103, 108. 
11) Dafelbft S. 123. 

12) Erben reg. Boh. I. ©, 110, 135, 137, 139, 155, 156. 

13) Dafelbft ©. 149, 158, 167, 170. 

14) Daſelbſt ©. 1%, 191. 


rn — 


— 249 — 


Bohuzlaw (Boguzlavs), praefectus Sacensis 1196, comes Sa- 
censis 1196. ') 

Hermanus, castellanus Satcensis 1211. ?) 

Bohuzlaus, Neuglaz, fratres, castellani de Satec 1232. ?) 

Pribizlaus, purceravius Sathecensis 1277.) 

Früher noch, al3 uns einzelne Namen der Saazer Gaugrajen ge 
nannt werden, findet der Bejtand und der Name der Gauburg Saaz 
feine beglaubigte Bejtätigung. Es gejchicht diejes zum erjtenmale zum 
Sahre 1004. Ueber Böhmen mar nach dem Sturze Boleflaws III. die 
Herrichaft des polnischen Boleſlaw hereingebrochen. Die ſchon von ihrem 
Bruder Boleflaw III. vertriebenen Fürjten Jaromir und Udalrich befanden 
jich beim deutjchen Könige Heinrich II. Diefer aber rüftete zum großen 
Kriegszuge, um den Polen aus Böhmen zu verjagen. Ueber den ent: 
brennenden Kampf erzählt uns als vornehmjter Gewährsmann der zeit 
genöfjiiche Chroniſt Thietmar, Biichof von Magdeburg: 

„Zur fejtgefegten Zeit (im Sommer 1004) fand alfo in Merjeburg 
eine Heeresverfammlung jtatt und dann endlich ein heimliches Vorrücken 
gegen den Feind. Heinrich ftellte jich nämlich, als ginge es nach Polen 
und Tieß deshalb die Schiffe zu Boruz und Nifani zufammen bringen, 
damit diejenigen unter den Seinigen, deren gute Gefinnung nur eine er- 
heuchelte war, dem Feinde nicht verrathen möchten, daß er umzingelt werden 
jollte. Indeß verurfachten heftige Negengüffe dem Heere im Uebergang 
über die Flüſſe eine außerordentlihe Verzögerung, und der König 309 
zu einer Zeit, wo man es am wenigjten vermuthen konnte, jchnell nad) 
Böhmen hinein. Der brüllende Löwe mit hängendem Schweife °) bemühte 
ih das Eindringen desjelben zu hindern und bejegte in dem Walde, 
welcher Miriquidi (Erzgebirge) genannt wird, einen Berg mit Bogenjchügen 
jo, daß jeder Zugang verjchloffen war. Als der König das erfuhr, ſchickte 
er heimlich auserlefene geharnifchte Krieger voraus; dieje ſtürzten, der 
widerftrebenden Feinde nicht achtend, in den jteilen Weg hinein und 
bahnten den Nachfolgenden einen leichten Weg. Wie nun während diefer 
Zeit Boleſſaw einjtmals zur Tafel ſaß, ſprach einer unjerer Landsleute, 
ein Caplan des Neinbern, feines Bijchofs, von der Ankunft unferes 


1) Erben, reg. Boh. I. ©. 192, 193. 

2) Dajelbft S. 244. 

3) Daſelbſt S. 370, 

4) Emler reg. Boh. I. ©, 461. 

5) Un diefer Stelle kann ich mich weder der Ueberfegung Laurents, noch Zeis— 
bergs anſchließen. 


— 20 — 


Heeres, und als Bolejlaw, der das hörte, ihn fragte, was er da fage, und 
er antwortete, was ihm erzählt war, da äußerte jener: „Freilich, wenn 
fie durchſchlüpften, wie die Fröſche, jo fünnten fie bereits hier fein.“ Und 
das war wahr! Wenn nicht Gottes Gnade den König begünftigt *) und den 
Herzog nit Stolz und Uebermuth erfüllt hätte, jo wäre uns das Glüd 
des Sieges nicht jo plöglich zu Theil geworden. Auch fürderte des Königs 
Sache der Umftand, daß der vertriebene Herzog Jaromir (dev Name bedeutet 
jicherer Friede) in jeinem Gefolge war, und daß das Heer der Böhmen, 
als ſich Jaromir auf den Wunſch desjelben zu ihm begab, ganz friedlich 
geftimmt war. Auf den Rath und die Aufforderung der Böhmen felbjt 
eröffnete daher Yaromir dem Könige die Zugänge zum Gebiete und über— 
gab ihm freiwillig eine Burg, welche recht eigentlich au der Thür des 
Böhmerlandes lag. Der König erfhien dann nahdem wegen 
der zu ſpät anfommenden Baiern fein Marſch etwas ver- 
zögert war, vor einer Burg? Namens Sagi und er 
fannte die Bewohner?) derjelben, weldhe ihm auf der Stelle 
die Thore öffneten und die polnifhe Befagung erſchlugen, 
als jeine Freunde — Als der König das große Blutbad 
ſah, ward er von Mitleid ergriffen und befahl, die Hebrig- 
geblieuenen in eine Kirche zufammen zu treiben. Damals 
meldete auch einer für gewiß, daß Bolejlam von feinen Landsleuten *) er: 
ſchlagen ſei. Deß freuten jich die Anhänger des Königs in Gott, und die 
verführten Genoſſen des faljchen?) Herzogs trauerten.®) . . . .* 

Wir brauchen für unjern Zwed nicht weiter zu erzählen, wie König 
Heinrich II. von Saaz gegen Prag z0g und hier nach der Flucht des 
polnischen Bolejlam Jaromir zum Landesfürften einjegte. Uns genügt 


folgende Feitftellung: Als Boleflam im Widerfpruche mit dem deutjchen 


1) Nach Zeisberg, bei weldhem jedoch das nachfolgende „ihn“, das fich ſprachlich 
auf den König bezieht, beſſer durch „Herzog“ zu geben wäre. 

2) und 3) Auch BZeisberg überträgt fachlicher „Burg“ und „Bewohner“ ftatt 
„Stadt“ und „Bürger“ (Laurent). 

3) Beisberg: „Zandesbewohnern“. 

4) Zeisberg: „ehebrecheriichen“. 

5) Pers, 8. S. IH. Thietmar I. 6 c. 8. Ich habe mich mehr der wörtlichen 
Meberiegung Laurents angejchloffen. Bon den Neneren bringt die unzweifelhaft 
beſte Darftellung Zeisberg: Die Kriege K. Heinrihs II. mit Herzog Bole- 
law I. von Polen. (Sigungsberichte der Wiener Akademie 57. Bd. 1868.) 
Vergleiche auch Hirih, Jahrbücher des deutſchen Reiches unter Heinrich VI. 
(VID. Ercurf. Die Verhältniffe Böhmens und Polens im Beitalter Heinrichs II.) 
Palackys Darftellung krankt unter andern an der Benügung der Königinhofer 
Handihrift als echter Quelle. Ebenjo aut hätte Hajek benützt werden können. 


— 21 — 


Könige ſich Böhmens bemächtigt hatte, mußte er des unausweichlichen 
Kampfes mit diejem gewärtig jein. Er fuchte daher jchleunigjt die Grenz- 
burgen des Landes in Vertheidigungszuftand zu jegen") und richtete be— 
jonders fein Augenmerk auf die Burg Saaz, in welche er polnijche 
Truppen legte. Daß Boleflaw auf feine befeftigten Orte im Norden des 
Zandes jtarfes Vertrauen jeßte, geht aus feinen jpöttifchen Worten zum 
Caplan des Biſchofs Reinbern hervor. Er täujchte fi) und rechnete ins: 
bejondere nicht mit der Unzuverläßlichfeit der böhmiſchen Krieger jelbjt, die 
jowie die Landesbemohner alle Urjache hatten, mit der polnischen Gewalt- 
herrſchaft unzufrieden zu jein. Diefelben fielen, jowie der deutjche König 
im Lande erjchien, zu diefem ab. Heinrich II. dürfte bei Kulm in Böhmen 
eingebrochen jein; die Grenzburg, welche fich ergab, war Bilin oder 
Brüx.“) Don hier richtete der König feinen Marſch gegen die Egerburg 
Saaz, in welcher fich eine polnifche Beſatzung befand. Die einheimischen 
Burgmannen aber wandten fi wie furz vorher die von Brüx oder 
Bilin dem deutjchen Könige zu, überwältigten die polnische Bejagung und 
öffneten dem Könige die Pforten des Burgortes. 

Die geographifche Tage von Saaz eignete ſich in vorzüglicher Weiſe 
zur Anlage eines Burgortes, fowie einer mittelalterlichen Stadt. An dem 
Punkte, wo die Eger aus ihrem von allmählich fich verflachenden Höhen- 
zügen umfäumten Thal vollftändig die Ebene gewinnt, erhebt ſich am 
rechten Ufer des Flufjes eine Anhöhe, die fich gegen Süden als Höhen- 
famm fortzieht, gegen Weften und Norden aber in fteilem Gehänge zur 


1) Bergl. Dobner Hajef ann. Boh. IV. ©. 506. 

2) Siehe meine „Geihichte des Kummerner Sees“, Ceite 7. und Stadtbuch 
von Brür. Anmerk. zu [2], [3]. Vergleihe Schiffner: Ueber den Punkt, 
wo Kaiſer Heinrich II. 1004 in Böhmen eingebrohen (N.-Lauſitzer Magazin 
XVIII. Bd. ©. 213—233), ferner „Quellenmäßige Darftellung der Geichichte 
bes Krieges zwiſchen dem deutjchen König Heinrich II. und dem Herzog Bo- 
leflaus Chrobry von Polen (N.Lauſitz. Magaz. XXX. Bd. ©. 13 flg.). Fode 
(aus bem älteften Gejchichtsgebiete Deutihböhmens ©. 65 flg.) führt ſehr gute 
Gründe für die Wahrfcheinlichkeit der Einbrüche der deutichen Heere in den 
Fahren 805, 1040 und 1126 auf der fogenannten alten Salzftraße bei Königs— 
wald (Kulm) an. Er hätte aus denfelben Gründen aud den Einfall von 
1004 erwähnen können. — Die Meinung J. Fiſchers (Erzgebirgszeitung 2. u. 
3. Heft, ©. 65 flag.) nah F. Herbabny, der Einbruch fei über Chemnis, 
Zihogau, Göttersdorf, Görkau erfolgt, hätte noch durch den Umftand erbärtet 
werden fönnen, daß die genannte Linie der gerade Weg nad Prag if. Doc 
der König ging gegen Saaz wegen der dortigen polniſchen Befagung und den 
entgegenfommenden bairiihen Truppen and auf den Ummegen. (Vergl. Bü- 
dinger Oeſter. Geſch. ©. 335, 336.) 


— 22 — 


Eger niederjteigt. Dieje umfließt das Weichbild der Stadt in einem nord» 
öftlich und dann ſüdöſtlich ausgreifenden Bogen. Knapp am Fuße der 
Anhöhe zieht ich der aus der Eger abgeleitete Mühlgraben hin. Diefer 
jo bejchaffene Standort der alten Burg und der heutigen Stadt ließ ſich 
auf leichte Art nach mittelalterlicher Weife in einen fejten Pla umwandeln. 
Thietmars „Satzi“ zum Jahre 1004 ift nun die erſte unmittelbare Er- 
wähnung desjelben. Auf Hajels bis zum Jahre 718 hinauf fich aus— 
dehnende Erfindungen kann natürlich nicht eingegangen werden. Nur eine 
Bemerkung dieſes ſonſt jo übelberüchtigten Gejchichtsichreibers wollen wir 
berühren, die mit dem vein Chronologifchen Nichts zu thun hat und eine 
anderweitige urkundliche Bejtätigung findet. Er jagt nämlich über den 
Namen des Ortes wäre ein Streit gewejen. Einige wollten demſelben 
den Namen Hlafijlaw, nad) dem Sohne des Schwach (des angeblichen 
Gründers von Saaz um 718) wählen; „die anderen aber wollten, dieweil 
ein Fluß von der Eger unter der Stadt hinging, den man damals 
Zatofa nannte, daß die Stadt follte Ztatecz genannt werden, wie 
denn die Stadt bis auf den heutigen Tag aljo heißet.“) Nun wird in 
einer für die ältere Topographie der Stadt Saaz höchſt Lehrreichen Ur: 
funde vom 9. Auguſt 1404, in welcher fich das Poſtelberger Klofter mit 
der Stadt Saaz über Wafjerläufe, Inſeln, Grenzen, Mühlenrechte u. dgl. 
einigten, ausdrüdlich jenes Wafjerlaufes unterhalb der Stadt gedacht, 
weldher „Zateecz“ hieß und von welchem, wie in der Urkunde eingefchaltet 
wird, der Name der Stadt herjtammt.?) Diejer Wafjergraben verlief von 


1) Nach Sandels Ueberfegung. ©. 13. 

2) Urfundenbuch der Stadt Saaz Fol. 27a., ..... in veram concordiam de- 
venimus et uniti existimus finaliter isto modo: quod nos Johannes abbas 
et fratres cenobii pretacti, nec non omnes spirituales et seculares suc- 
cessores nostri, molendini in Baczina possessores, sufficiencia aque 
etsignanter terciam partem Egre fluminis in rivum circa 
molendinum illud ortum sumentem, Zatecz dicetum, sub 
eadem civitate defluentem, cui ortulani et plurimi mecha- 
nici assident, a quo etiam civitas pretacta denominacio- 
nem sumit, in omnem eventum debeamus perpetue ministrare, sic quod 
molendinum nostrum in rivo eodem juxta pedagium, quod inter pistores 
dueit, situm, frequenti molitura absque desertamine perfruatur; sie eciam 
quod nos et omnes successores nostri rivum pretactum ab ortu, seu prin- 
cipali effluxu ipsius, videlicet a molendino in Baczyena, quocienscunque 
arena vel aliis diluvialibus, aluviis seu dirrucionibus abstructus seu re- 
pletus fuerit, usque ad pontem prope Wenceslaum Wunczkonem situm, per 
quem a civitate versus ecclesiam sancti Martini descenditur, extruere, 
emundare et purificare propriis impensis et sumptibus perpetue astrin- 


— 233 — 


der Eger zur Eger, jcheint jomit ein alter fanalifirter Egerarm gemefen 
zu jein, welchem durch ein Wehr im Hauptfluffe das nothmwendige Stau- 
waſſer zugeführt, und welcher feit Alters zum Mühlenbetrieb verwendet 
wurde. Noch heute befteht diefer alte Mühlgraben, der im J. 1404 feinen 
Ausflug aus der Eger bei der Mühle Baczina nahm, welche dem Poſtel— 
berger Klojter gehörte. Zur Säuberung und Inſtandhaltung des Grabens 
von der Mühle Baczina bis zur Brüde beim Grundſtücke des Wenzel 
Wunczko war das Poftelberger Klojter, zur Reinigung der übrigen Strede 
bis zur Einmündung in die Eger die Stadt Saaz verpflichtet. Der dritte 
Theil des Egerwafjers jollte dem Miühlgraben zugewendet, deſſen Ufer 
jollten durch Bäume abgegrenzt werden, und den anmohnenden Gärtnern 
und Handwerkern jedwede Verunreinigung ftreng unterfagt fein. Würden 
aber bei Ueberſchwemmungen Verſandungen und Berjchlemmungen ein: 
treten, jo joll den Poſtelbergern erlaubt fein, vom Berge „Skotnik“ und 
den angrenzenden Anhöhen die Gewäſſer zu fangen, dem Graben bei der 
Mühle in Baczina zuzuleiten und jenfeitS des Grabens den Canal bis zur 
Eger fortzuführen.') 

Iſt es nun richtig, daß der Name der Stadt Saaz von jenen 
Mübhlgraben „Zatec" abzuleiten ift, dann hätte der legtere oder wenigſtens 
der fragliche Egerarm jchon im Jahre 1004, im welchem der Name 


gamur; quodque consules et communitas predicte civitatis Zacensis resi- 
duum rivum ejusdem, videlicet a ponte prope Wunczkonem usque in- 
troitum Egre fluminis similiter propriis sumptibus et impensis teneantur 
perhenniter extruere, emundare, sic quod a principio usque finem per 
rivum eundem aqua frequenter habeat liberum transitum et ineatum; unde 
mox eundem rivum in qua latitudine persistere eterne debeat, tenebuntur 
limitare arbores et alia crementa concreta vel inserta indebite undique 
evellentes, ita quod terminus idem de cetero non arcetur, etiam per or- 
tulanos et alias mechanicos scobibus et strupibus nunquam amodo ob- 
struantur. ei vero futuris temporibus inundacio aquarum per arenam, ar- 
gillam et aliam glaream rivi obstructionem seu replecionem minabitur, 
extunc licitum erit, nobis et successoribus nostris spiritualibus et secula- 
ribus aquas de promontorio dieto Skotnyk et de camporum cacuminibus 
defluentes aggregare, easdemque aquas per viam prope allodium Wacz- 
konis in Baczyna usque ad magnas salices, proxime sub molendino sitas, 
et per medium earundem salicium trans rivum per canalia ducere, quo- 
usque fluxum Egre fluminis subintrabunt.“ 

Nach Späteren wird der Name der Stadt Saaz von den Krümmungen der 
Eger, tichechiich „zätoky“ abgeleitet. (Dobner annal. Haiec. II. ©. 134. Han- 
merſchmid prodr. gl. Prag. ©. 1 u. a.) Dlask und Muſſik (Topographie des 
Saazer Kreiſes S. 179) führen die Ableitung von „Ziti* (ernten) aı. 
Mittheilungen. 26. Aahrgang. 3. Heft. IS 


1 


— 


BEE | 


„Satzi“ für den Burgort zum erjtenmale genannt wird, jchon bejtanden. 
Haijek, der unftreitig ſehr viel gelefen, das Gelefene aber bunt durch— 
einandergewürfelt und mit eigenen Zuthaten verbrämt hat, Fünnte im: 
merhin eine Notiz von jenem alten Mühlgraben gefunden haben, die ihn 
zu feiner Namensableitung, wohl aber auch zu der jo oft nacherzählten 
Sage vom Bane der kunſtvollen Waffermühle in Saaz durch „Halek“ 
im Jahre 718 veranlaßte. 


Schon nad) dem Erzählten, aber aud der ganzen Lage der Dinge 
gemäß muß die Gauburg Saaz als eine der bedeutendjten des Landes 
angefehen werden. Die Landesfürjten rechneten mit den reichen Einkünften 
derjelben. Als Herzog Bretiflaw I. das Collegialjtift Altbunzlau gründete, 
wies er in dem ins Jahr 1052 verlegten Stiftsbrief der Neugründung 
unter andern verjchiedene Zehnte des Burgortes Saaz zu,') und König 
Wratiflam jchentte um 1088 dem Wyſchehrader Collegiatſtifte mehrere 
Handwerker im felben Burgorte.?) Diefes Stift erhielt ferner von Herzog 
Sobiejlaus den zehnten Theil des Saazer Zinfes (1130), ?) während einige 
ehemals zu Saaz gehörige Dörfer vom Herzog Friedrich dem Hojpitale 
zu St. Johann in Prag verliehen wurden (1183) (1185). Ottokar I. 
aber bejtätigte dem Klofter St. Georg in Prag den Neunt vom Marfte 
in Saaz (c. 1228). °) 

Die reihen Einkünfte des Saazer Gaues wurden wiederholt 
von den Landesfürften Mitgliedern der regierenden Familie zum Unter: 
halte angewiejen. So erhielt dieſelben Prinz Spytihniev von feinem 
Bater Herzog Bietiflam I. im Jahre 10546), und 1111 trat in den 
Genuß derjelben Sobiejlaw, der Bruder des Herzogs Wladijlam.”) Zu 
Saugrafen aber wurden nur Männer aus den vornehmften Familien des 


1) Erben, reg. Boh. I. ©. 48. Die Urkunde ift zwar nicht echt und dürfte erft 
viel jpäter entftanden fein. Dod werden die Anfertiger derjelben, wie ja in 
vielen anderen Fällen, au Thatſächliches angeknüpft haben, weßwegen eine 
— im Allgemeinen, wenn auch nicht in den Einzelheiten geftattet ſein 
dürfte. 

2) Erben, reg. Boh. I. ©. 79. *„in suburbio Sateensi.“ Bezüglich der Echtheit 
der Urkunde beftehen ſtarke Zweifel, weßwegen dasjelbe wie bei Anm. 1 gilt. 

3) Dajelbit S. 94. E3 gilt dasjelbe, wie von Anm. 1 und 2. 

4) Dajelbft S. 168, 173, wie bei Aum. 1-3. 

5) Erben, reg. Boh. I. ©. 336. Vergl. daſelbſt ©. 380 (ad 1253). 

6) Pers, 5.5. IX. ©. 76. „et hie supradietus heros a patre sibi concessam 
Satec haberet provinciam.* 

7) Dafelbft S. 121. „dux Wladizlaus fratrem suum Sobieslaw revocavit de 
Polonia et dedit ei civitatem Satec cum omni ad eam pertinente provincia.“ 


Landes bejtellt. Die Namen der Mehrzahl vderjelben, wie wir jie oben 
angeführt haben, find uns zwar nur als Zeugen in Urkunden bekannt, 
nehmen aber als ſolche meijt einen hervorragenden Pla ein. Bon Zmil 
dem erftgenannten, dem Sohne des Bozen, erzählt uns Cosmas, daß, als 
e3 ji) nad) dem Tode des Bilchofs Severus im Jahre 1068 um die 
Neubejegung des Biſchofsſtuhls handelte, er jich jener Partei anſchloß, 
welche im Gegenjage zum Herzog Wratijlaws IT. die Wahl Jaromirs, nicht 
aber die des vom Herzoge vorgejchlagenen PBropften von Leitmerig Lanzo 
vertrat. Es fam in der betreffenden Verſammlung zu einem heftigen 
Auftritt, welcher nicht des nationalen Beigefhmads entbehrte. Denn der 
Hauptredner gegen Lanzo, der Gaugraf Koyata von Bilin, wies mit 
aller Heftigfeit darauf hin, daß diefer Lanzo ein Deutjcher und ein her- 
gelaufener Fremdling jei, der ohne Hofen ing Land gekommen wäre; man 
jolfe doch nur einen Einheimischen, den Herzogsjohn Saromiv wählen. Der 
Bruder des Herzogs Spytihnemw feligen Angedenfens wäre Flug gewejen, als 
er eines Tages alle Deutfchen aus den Lande jagte. „Wir wollen aljo 
lieber den Schwanz eines Hundes oder den Koth eines Ejels auf dem 
heiligen Stuhle fehen, als diefen Lanzo.“ Der Saazer Gaugraf Zmil 
aber forderte die Anhänger Jaromirs auf, die VBerfammlung zu verlaſſen, 
was denn auch geihah. Herzog Wratiflam gab jpäter dem Andrängen 
jeiner Brüder Konrad und Otto nach und entjchied ſich für Jaromir, 
wobei er nach dem Chroniften bemerkte: „Es gejchieht dies nicht wegen der 
Großiprecherei des Koyata, noch wegen Zmil, der auf den Lippen Honig 
und im Herzen Galle hat, und auf deren jchlechten und treulojen Rath ich 
gethan habe, was ich gethan — weh ihnen, wenn ich am Leben bleibe." 
Koyata und Zmil aber hatten rechtzeitig die Flucht ergriffen. ') 

Der zweite uns mit Namen befamme Gaugraf von Saaz Bofey, 
der Sohn des Cac, gehörte dem mächtigen Gejchlechte der Werjchowege 
an. Auch er gerieth mit jeinem Herzog Bietijlaw II. in Zwieſpalt und 
wurde mit Weib und Kind auf einem Schiffe nad) Zribria (Meißen) 
in die Verbannung gebracht (1096), von wo er mad Polen flüchtete 
und dajelbjt mit feinen gleichfalls vertriebenen Vetter Mutina, dent Gau— 
grafen von Zeitmerig, zuſammentraf.“ Ein Einverſtändniß der Werſchowetze 
mit den feindlichen Polen joll den Herzog zu ihrer Vertreibung veranlaßt 

1) Berg, 8.8. IX. ©. 81 flg. Cosmas erzählt mit Behagen jedweden Ausfall 
auf die Deutichen — nennt er doch den bekannten Befehl Spytihniews, alle 

Deutichen aus dem Lande zu vertreiben „etwas Großes und Wunderbareg, 

was den Herzog für alle Zeiten merkwürdig machte.“ 

2) Dajelbit S. 103. 
18* 


ur BG 


haben. König Wladijlaw von Polen nahm die Flüchtlinge freundlich auf. Ob 
nicht gerade damit im Zuſammenhange Bretiſlaw IT. als Ort zur feierlichen 
Begehung des Weihnachtsfeftes im Fahre 1099 die Saazer Gauburg wählte? 
Er brachte den ihm verwandten und zugethanen polnischen Prinzen Bo— 
lejlam mit, ernannte ihn zu feinem Schwertträger und bejtimmte ihm 
zum Gejchenfe fir die Ausübung des Schwertträgeramtes 100 Mark 
Silber und 10 Pfund Gold von dem Tribut, den fein Vater, der Polen: 
fünig Wladiflam, jährlich zu zahlen hatte. *) Ein Jahr darauf am 22. De- 
cember 1100 jtarb der beliebte Herzog von Böhmen als Opfer eines 
Meuchelmordes, welchen angejtiftet zu haben die vertriebenen Werjchowege 
allgemein im Verdachte ftanden. Unter Bokiwoj IL, dem Nachfolger 
Bretiſſaws II.. wurden Bojey und Mutina wieder in Gnade aufgenom- 
men; beide Gaugrafen konnten in ihr Vaterland zurücfehren, und wurden 
hier neuerdings mit ihren alten Gauämtern in Saaz und Leitmeriß be: 
traut (1101). Cosmas bemerkt, der Herzog habe diejes „nicht vom 
Herzen, jondern nothgedrungen durch die Zeitverhältnifje" gethan. ?) Mannes: 
treue und Dankbarkeit zählten offenbar nicht zu den Tugenden der Werjcho- 
wege. Das jollte auch Botiwoj II. in Erfahrung bringen. Als man 
ihn warnte, juchte er fich des DBojey und Mutina zu bemächtigen. Dieſe 
aber verbanden jih mit Swatopluf, dem Fürjten von Olmütz, 
zum Kampfe gegen Boriwoj. Diejer mußte flüchten, Swatopluf aber 
wurde zum Herzog von Böhmen ausgerufen (14. Mat 1107). Es war 
aber faum ein Jahr vergangen, jo erhielt Smwatopluf, der jich eben auf 
einem Kriegszuge in Ungarn befand, von Grafen Wado, welchem er mit 
Mutina auf die Dauer jeiner Abwejenheit den Schug Böhmens übertragen, 
die Nachricht, der Werjchowege treibe im ausgebrochenen Kampfe mit den 
Polen falſches Spiel und pflege heimltehes Einverftändiuiß mit diefen und 
mit dem von ihmen unterjtügten Boriwoj. Eiligjt fehrte der Herzog 
in jein and zuriick und hielt auf der Burg Wratijlam jchweres Straf- 
gericht über Mutina und ſein Gejchledht. In einer Verſammlung aller 
Großen warf der wuthentbrannte Swatopluf den Werjchowegen alle Frevel— 
thaten vor, die jie gegen fein Haus verübt hatten: die einjtige Schandthat 
an Jaromir, die meuchlerische Ermordung Bretiflaws II., die Betheiligung am 
Sturze Boriwojs II. und den legten Verrat des Mutina. Es erfolgte 
hierauf das bekaunte an den Werjchowegen angerichtete greuliche Blutbad. 
Ueber das klägliche Ende Boſey's aber, unferes Saazer Gaugrafen, erzählt 
1) Perg, 8.8. IN. S. 108. 

2) Daielbit ©. 108. 





rin 


Er 


Eosmas: Der Herzog jprad) zu den verjammelten Grafen: „Wer fich nicht 
jcheut, meine Befehle zu vollziehen, dem foll eine jchwere Menge Geld 
gegeben werden; wer aber Boſey und feinen Sohn tüdtet, der joll hundert: 
fältig erhalten und deſſen ganzen Befig erben!" Dann fährt der Chronijt 
fort: Mittlerweile war Bojey zu Lubic [Libis], ach nicht ahnend, was ihm 
bevorjtand, eben im Begriff, ſich mit feinem Sohne und feiner Gemahlin 
zur Zafel zu begeben, als ein Knappe eintrat und ſprach: „Sieh Herr, 
e3 rennen viele ohne Ordnung über das Feld hieher.“ Bojey aber ſprach: „Die 
fommen vom Feldzuge, fie mögen mit dem Segen Gottes bei ung ein: 
treten." Während er noch ſprach, ſieh, da riß der Tchredliche Kirafja die 
Thüre auf und rief das bligende Schwert in der Hand: „Stirb, Laſter— 
bafter, jtirb, Uebelberathener, der du meinen Berwandten Thomas ohne 
Beranlaffung während der Faftenzeit ermordet haft." Boſeys Sohn 
Boruth erhob ſich und ſprach: „Was thut ihr Brüder? Sind wir zur Haft 
verurtheilt, jo Fann dies ohne Waffen und Lärm vor fich gehen.” Und 
jofort hatte er, ohne ſich deſſen zu verjehen, das Schwert bis zum Griff 
im Leibe, und ohne Aufſchub 
Mordet den Vater das Schwert, vom Blute des Sohnes noch triefend. 


Die Eindringlinge vanben, als hätten fie Städte erobert, unermeßliche 
Schätze, wie Cato jagt: 
„Schnell oft ſchwindet, was man im Laufe der Jahre geſammelt.“ 


Denn von jo großen Neichthiimern blieb fein Tuch übrig, womit 
man die Leichen hätte zudeden fünnen; vielmehr wurden Bojey und jein 
Sohn Boruth ohne Sarg, ohne Leichenfeier und nackt, wie das Vieh ein- 
geicharıt am 27. October. ') 


Der dritte Gaugraf von Saaz, Namens Juri, ein Sohn des Zdan, 
welcher am 12. Mai 1082 in der blutigen Schlacht bei Mailberg fiel, *) 
war nad) Cosmas ein jchneidiger Ritter. Er nahm mit feinen Saazer 
Burgmannen Antheil au dem Kampfe, zu welchem es auf dem Luckofelde 
am 13. Mai 1116 in ganz unerwarteter Weije zwijchen Wladijlam I. und 
dem ungariichen Könige Stephan II. gefommen war. Der tapfere Gau— 


1) Berg, S.S. IX. S. 114. Palacky juht in jeiner Darftellung die Werſchowetze 
rein zu wachen, was ſelbſt nach der Erzählung de3 Cosmas nicht gut angeht. 
Aus der Bemerkung diefes Chroniften, er hätte noch reichlichen Stoff über 
den Sturz und das Verſchwinden der Werſchowetze zu iprechen, läßt fich nichts 
folgern. 

2) Dafelbft S. W. 





— 258 — 


graf von Saaz büßte mit der Mehrzahl feiner Schaar das Leben, wie 
einft jein Vater, auf dem Schladhtfelde. *) 

Die Gaugrafen Jarogneu (1144—1176) und Zdeslaus (1172 
bis 1183) treten ung nur als Urkundenzeugen entgegen. Der lebtere war 
aus vornehmen Gejchlechte, da er offenbar als Sohn jenes Grafen Divis 
angejehen werden muß, welcher al3 treuer Rathgeber Herzog Sobieſlaws I. 
zum Jahre 1130 genannt wird.) Daß man in diefem Jahre das Gau— 
grafenamt von Saaz als eine der begehrenswerthejten Würden des Landes 
auffaßte, geht aus Folgendem hervor. Auf den Herzog Sobieſlaw war ein 
Mordverſuch geplant, aber vereitelt worden. Einer der fejtgenommenen 
Verfchworenen Namens Mirojlam, Sohn des Grafen Johann, äußerte 
in feinem reuigen Geftändniß: der Bilchof Meinhard habe ihm eidlich 
eröffnet, daß, wenn er den Herzog Sobiejlam tödte, jo werde Herzog 
Bretiſſaw ihm als Belohnung die Wahl unter folgenden fünf Aemtern 
laffen: des Gaugrafen von Saaz oder Leitinerig, des oberjten Kämmerers, 
Truchſeſſes oder des Hojmarjchalls. ?) 


Bis ins XII. Jahrhundert hinein haben wir dag urbs oder civitas 
Satec der Chroniften lediglich als Burgort oder Burgfleden aufzufafien 
und feineswegs an ein ſtädtiſches Gemeinwefen zu denken. In den Ur- 
funden wird richtig die Burg mit urbs, der Burgfleden mit suburbium ®) 
bezeichnet. Der Burgfleden entjtand am Fuße der alten Gauburg und 
umfaßte zunächſt die Wohnungen der landesfürftlichen Dienjtleute und 
der Handwerker. Daß bereits im Jahre 1004 eine Kirche im Burg: 
berreiche fich befand, geht aus der Erzählung Thietmars zum genannten 
Jahre hervor. Auch der Bejtand einer Mühle am alten Mühlgraben kann 
mit einiger Wahrjcheinlichfeit angenommen werden. Zum Jahre 1088 
werden als Handwerker im Burgfleden ein Gerber, ein Kelchner (Becher— 
drechsler) und ein Schmied erwähnt.?) Da die Gauburg den Mittelpunkt 


1) Bert, 8.5. ©. 123. E3 mag nur nebenbei auf die verworrene Erzählung 
Hajels von dem tapfern Müller Georg von Daupowa bingemwiefen werben, den 
Wladijlam zum Hauptmann von Saaz ernannt haben foll (1114). In diefen 
Georg (anflingend an Jurik) hätten wir zugleich einen zweiten Waſſerbaukünſtler 
und Mühlenbaner, der mit Saaz in Verbindung gebradt wird. Er wird von 
W. Ripa Stanfovinus (Elegia X. lib. III.) dichteriſch verherrlicht. Vergleiche 
Paprocky diad. S. 138, 

2) Dafelbft Canonici Wissegrad. cont. Cosmae 8. 134. Palacky erblidt in Divis 
ben älteften Ahnherrn des Grafen v. Sternberg. (Geſch. Böhmens I. ©. 404.) 

3) Daſelbſt ©. 136. 

4) Erben, reg. Boh. I. S. 79 u. a. 

5) Dajelbft. 


— 359 — 


eines großen militärifchen, gerichtlichen und politischen Verwaltungsgebietes, 
des Gaues oder der Provinz Saaz, bildete, da ferner von hier aus die 
Berwaltung der großen landesfürjtlihen Ländereien im Gaugebiete geleitet 
wurde, jo lag es in der Natur der Dinge, daß der Burgfleden einen jtarfen 
Anziehungspunft zu Anſiedelungen bildete und er fich bald über die ge- 
wöhnlichen Verhältnifje eines Dorfes hinaus entwicelte und zum Bororte 
des Handels und der Gewerbe im Gaue gejtaltete.e Daß der Saazer 
Burgfleden gleich den auderen des Landes frühzeitig auch berechtigter Marktort 
war, läßt fi) mit Sicherheit annehmen, wenn wir auch erjt zu den Fahren 
1228 und 1233 eine ausdrückliche urkundliche Bejtätigung finden.) Daß 
auch die Firchliche Drganifation des Landes theilweife an die politijche Glie— 
derung desjelben anzufnipfen juchte, it befannt. Unter den im XII. Yahr- 
hunderte erwähnten 13 Acchidiaconsten Böhmens wird das Saazer mit 
den Decanaten von Saaz, Elbogen, Ludig, Kaaden und Tepl erwähnt. 
Keineswegs aber ift, wie ſchon aus der Aufzählung diefer Decanate her- 
vorgeht, an eine Hebereinjtimmung der Gaugrenzen mit denen des firchlichen 
Verwaltungsgebietes zu denken. WS erjter Archidiacon von Saaz wird 
uns Jahr 1186 bis 1194 ein „Fridericus* erwähnt.?) 1195 bis 1212 
erjcheint als folcher „Witek“,®) 1212 „Milesko“,*) 1216-1219 „Diyz- 
laus“.°) Letzterer gehörte zu jenen höheren Geiftlichen welche im Jahre 
1218 treu zur Seite des Königs ftanden, infolge deſſen ihrer Aemter 
enthoben und vor den Nichterjtuhl des Bapftes geladen wurden. *) Die 
Archidiacone, zumeift Prager Dombherrn, hatten ihren Wohnjig in Prag 
und famen nur ab und zu in den ihnen zugewiejenen Firchlichen Ver— 
waltungsjprengel. 

Nach den Memorabilien der Saazer Dechantei wurde zur Saazer 
Decanalfirche der Grundftein am 21. Auguft 1206 gelegt.”) Die von 
Thietmar zu 1004 erwähnte Kirche dürfte wohl die Burgfirche geweſen 
jein. Als Firchliche Wirdenträger in Saaz finden wir ſchon im Jahre 


1) Erben, reg. Boh. I. &. 336 und 380. 

2) Erben, reg. Boh. I. ©, 178; Frind, Kirchengeſchichte I. ©. 241. 

3) Dafelbft S. 190, 191. Ein archidiaconus Witek (ohne die nähere Bezeihnung 
von Saaz) ift nody zu den Kahren 1201, 1203 und 1209 urkundlich beglaubigt. 
Bergl. Frind, Kirhengeihichte I. ©. 241. 

4) Daſelbſt S. 249, 

5) Daſelbſt S. 266, 284. 

6) Daſelbſt ©. 281. 

T) Bergl. Weleslawin Cal. ad. 21. Aug. 


“e 


1165 „Albertus praepositus Sacensis“ erwähnt; ) 1227 erjcheint Martinus 
als prepositus Sacensis. ?) 

Die Mehrzahl der freien Königlichen Städte Böhmens wuchs aus 
den marftberechtigten Burgfleden des Landes heraus. Die Verwandlung 
des der Gauburg unterthänigen Burgfledens in eine freie Stadt vollzog 
ſich allenthalben in derjelben Art und Weife. Der Burgfleden wurde von 
der Verwaltung und Gerichtsbarkeit des Gaues losgelöjt und unmittelbar 
unter die Krone geftellt. An die Stelle der alten unfreien Burgmannen 
und Dienftlente traten freie Bürger, ausgejtattet mit einer weitgehenden 
Selbftverwaltung und jonftigen ftädtifchen Gerechtjamen und Privilegien. Der 
Föniglihe Grund und Boden, auf welchem die Neugriindung vor fich ging, 
wurde den neuen Anfiedlern als freies Eigenthum gegen eine einmalige 
Ablöſungsſumme und einen jährlichen Grundzins üherwieſen. In der Negel 
Ihloß der König mit einem Unternehmer einen befonderen Vertrag über die 
Gründungsbedingungen bei der neuen ftädtifchen Anlage. Die Gründe für 
die Hofjtätten und das Aderland wurden genau zugemefjen und vertheilt. Dem 
Unternehmer wurden bejondere Begünftigungen, jo das erbliche Gericht, 
Stenerfreiheit u. dgl. ertheilt. Ueberall erjcheint im Lagerplan der Stadt 
im Mittelpunkt der geräumige rechteckige Marftplag, von deſſen Eden die 
parallelen Hauptitraffen auslaufen. Als wejentliche Eigenſchaft der Stadt 
galt deren Befejtigung mit Mauern, Thürmen und Graben. 


In der armen unterthänigen jlavifchen Bevölferung des Landes 
fanden ich feine geeigneten Elemente zur Durchführung ftädtifcher Grün- 
dungen. Diefelbe wurde deutfchen Einwanderern übertragen und denjelben 
ausdrüdlich nebft der jchon angeführten Freiheit von der ſlaviſchen Gau- 
verfaſſung der Gebraudy ihrer mitgebrachten deutfchen Rechtsgewohnheiten 
verbürgt. Die legten Premyſlidiſchen Könige, allen voran der ftaatsfluge 
Ottofar II, wußten vecht wohl, warum fie die Entwiclung des deutjchen 
Stüdtewejens und des in ihm aufblühenden deutjchen Bürgerjtandes jo 
ausgiebig fürderten. Es ijt hier nicht nothwendig, die gewichtigen mili- 
tärischen, finanziellen und politifchen Vortheile auseinanderzujegen, welche 
ih aus den Neugründungen für den Landesfürjten ergaben. In dem 
ung vorliegenden Einzelfall wird ſich übrigens Gelegenheit ergeben aud) 
darauf zurüdzufommen. 

Ueber .die genaue Zeit der Ummandlung des Saazer Burgfledens in 
eine freie königliche Stadt jind wir nicht unterrichtet, da die eigentliche 


1) Erben, reg. Boh. I. ©. 137. 
2) Dobner, mon. IV. &, 258. 


— 261 — 


Gründungsurkunde ſich nicht erhalten hat. Eine Art Uebergangszuſtand 
vom Burgfleden zur Stadt ließe fich allenfalls aus jener Manietiner Ur- 
Funde König Wenzels I. vom 18. März 1235 ') ableiten, in welcher Saaz 
jowohl unter der Bezeichnung Stadt (eivitas) als auch Burg (castrum) 
erjcheint. Sachlich wird man aber doch wohl nur auf die Freifegung des 
dem Hojpitale bei der Prager Brüde gehörigen Marftfledens Manietin 
von der Gerichtsbarkeit der Saazer, Bilfner und anderer Gauburgen 
deuten Fünnen. Andernfalls ließe ſich nicht gut erklären, auf welche Weife 
Manietin unter die ftädtifche Gerichtsbarkeit von Saaz gelangt wäre, und 
es bliebe nur der ziemlich gezwungene Ausweg übrig, an jolche Verbrechen 
und Streitigfeiten der Manietiner zu denfen, die innerhalb des Weichbildes 
der Stadt anhängig geworden waren. 

In Ermanglung anderer beglaubigter Nachrichten vermögen wir die 
förmliche Ausbildung eines jtädtifchen Gemeinwejens von Saaz erjt in die 
Zeiten Dttofars II. zu verlegen, welcher König fich ja überhaupt als ver 
eigentliche Städtegründer des Landes darjtellt. Denn auc) die Bezeichnung 
der Ehronijten?) eivitas Zatesz zum Jahre 1249 in der Erzählung über 
den Kampf König Wenzels I. mit feinem Sohne Ottokar kann auf die 
Burg und den Burgfleden Saaz bezogen werden. Diefe waren in die 
Hände des aufrühreriichen Prinzen gefallen, von König Wenzel aber im 
Februar 1249 zurüdgewonnen worden. Legterer jtellt eine dem Kloſter 
Waldſaſſen verliehene Schenfungsurfunde am 13. Feber 1249 in Saaz aus. ?) 

Aus den Zeiten Ottofars II. liegen uns aber Nachrichten vor, welche 
den ſtädtiſchen Charakter von Saaz unzweifelhaft darthun. Die Urkunde 
von 1260, mittelft welcher die Waldſaſſner Klojterleute vom Saazer und 
anderen Gerichten losgelöft werden, *) fällt nun theilweife aus denſelben 
Gründen, die wir oben bei der Manietiener Exemtion geltend gemacht haben, 
nicht ind Gewicht. Dagegen gibt den Ausjchlag das Privilegium, welches 
König Dttofar IT. den Saazer Bürgern am 30. December 1266 °) verlieh. 


1) Erben, reg. Boh. I. S. 411: Convenimus etiam, quod — causae, quae 
fuerint tractandae de rapina vel de furto vel homicidio vel alio maleficio 
seu etiam lites pecuniariae, ad Plizn vel Satecs seu etiam ad alias 
civitates non deferantur, sed per judicem, quem jam dieti fratres in 
eodem loco Manetin ordinaverint, terminentur; locavi quoque ejusdem 
fori nec in praedictis castris nec in aliquo loco alio, praeterquam coram 
nobis, astare judicio compellantur.* 

2) Bert, S.S. IX. Can. Prag. cont. Cosm. ©, 169 u. a. 

3) Gradl, mon. Egr. S. 77. 

4) Emler, reg. Boh. II. ©. 94. 

5) Saazer Urkundenbuch Fol. 7b, Vergl. Emler, reg. Boh. I. S. 204, 205. 


— 202 — 


Dasſelbe enthält folgende Beſtimmungen: 

1. Die Saazer Bürger ſollen nicht an das Prager oder ein anderes 
Gericht belangt werden, noch ſich ſelbſt an einen andern als ihren eigenen 
Richter wenden, außer wenn dieſer ſelbſt die Gerechtigkeit verweigert. 

2. Sie dürfen ihre Schuldner oder ſolche, gegen welche ein Gerichts— 
fall anhängig iſt, in ihrer Stadt durch den Richter oder deſſen Boten 
feſthalten zur Verfolgung und Austragung des Falles. 

3. Alle Gerichtsfälle, welche ſich an Markttagen innerhalb einer 
Meile um die Stadt betreffend diejenigen ereignen, welche zur Stadt 
kommen oder aus derſelben zurückkehren, hat der Saazer Richter zu richten 
und zu entſcheiden. Wenn der König aber in ſeiner Stadt einen Vor— 
ſitzenden des Gerichtes beſtellt, ſo hat ſich dieſer in allen Fällen an das 
gebräuchliche Stadtrecht zu halten. 

4. Eine Meile um die Stadt herum darf ſich keine Schänke be— 
finden. 

5. Von allen denjenigen und deren Familien, welche zum Walde 
gehen, darf das Zeichen „peczacz“ genannt, nicht verlangt werden. 

6. Wer immer in die Stadt zum Aufenthalte überfiedeln will und 
ſich durch die Erlangung der „weglose* von feinem bisherigen Heren 
frei gemacht hat, derſelbe kann dies frei thun, und darf von jeinem 
früheren Herrn in feinerlei Weile behindert werden. Derfelben Freiheit 
jollen ſich Diejenigen erfreuen, melde aus der Stadt auf ein anderes 
Dominium auswandern wollen. 

Diefe Ottofarifche Begnadigung nöthigt zu nachjtehenden Schluß- 
folgerungen: Im Fahre 1266 befand fich das ftädtiiche Gemeinmwefen von 
Saaz in jeiner allererjten Entwidlung, da es ja jeßt erſt zwei wejentliche 
Gerechtſame einer jeden freien Stadt, die jelbjtändige Gerichtsbarkeit und 
das Weichbildsrecht, Teßteres noch nicht im vollen Umfange, empfängt und 
das Zuzugsrecht begünftigt wird. Die Thatjache der urfprünglichen Grün- 
dung d. h. die Abjchließung des Vertrages mit feinem Unternehmer, die 
Zumeffung des Grund und Bodens und die Freifegung von der Ber: 
waltung und Gerichtsbarkeit des Gaues werden wir jomit zwar vor das 
Jahr 1266, aber nicht lange vorher anzunehmen haben. Die Erwäh— 
nung des gebräuchlichen Stadtrechtes') kann auch nicht zur Vermuthung 
eines bereit3 längeren Bejtandes der Stadt veranlaffen, weil unter 
demjelben das deutjche Recht, in unjerem Falle Nürnberger Stadtrecht, 
zu verjtehen tft, nach welchem jich einrichten zu dürfen den Anfichlern in 








1) „jure ibidem consuetudinario et eivili.“ 


a. 


der Negel ſchon in der Gründungsurkfunde zugefichert wurde. Für die 
Jugend unferer Stadt fpricht noch weiter der Umjtand, daß der König 
den Bürgern und ihren Wamilienangehörigen eine gewiß frühzeitig 
gejtellte Bitte, den freien Zugang zum Walde, gewährte, während offenbar 
den unfreien Bewohnern des alten Burgfledens diejes nur gegen bejonderen 
geftegelten Erlanbnißſchein der Gaubeamten geftattet worden war.!) Ser: 
. vorzuheben aus der Dttofarifchen Urkunde wäre noch der Umjtand, daß 
diejelbe neben dem jlavifchen „peczacz“ den deutſchen Kunſtausdruck 
„weglose“ Weglaßbrief Losbrief) bringt, ein Beweis mehr fir die Ein- 
bürgerung deutfcher Gebräuche und Rechte in der Saazer Gegend im 
XIII. Jahrhunderte. 

Daß im Jahre 1261, für welches die Anwejenheit Dttofars II. in 
Saaz nachgewiejen iſt,“) die Gründung der Stadt fich ſchon im Zuge 
befand, läßt ſich wohl mit aller Wahrjcheinlichkeit annehmen. Der ur: 
iprünglih der Stadt zugemeſſeue Königsboden an Adergründen dürfte 
nicht jehr umfangreich gewefen fein, denn noch im Jahre 1321 hatten die 
jtädtifchen Gründe feine große Ausdehnung. Um diefe Zeit waren nämlich 
allerhand Zweifel iiber die Grenzen derjelben entftanden, weßwegen König 
Johann eine neue genaue Vermefjung anorbnete. Diefelbe wurde durch 
königliche Landmeſſer unter Beiziehung von Vertrauensmännern der Bürger 
vorgenommen und ftellte ſich als Ergebniß der Umfang der Stadtgüter mit 
423/, Zahn, den Lahn zu 60 Strich gerechnet, heraus. Zugleich wurde 
vom Könige die offenbar jchon bei der erjten Zumeljung getroffene Be— 
ftimmung erneuert, daß für je einen Lahn eine Marf (marca regalis) 
zu 56 Groſchen gerechnet, als Jahreszins an die königliche Kammer zu 
entrichten jei. °) 

Daß die Stadt von allem Anfange an mit Mauern, Thürmen und 
Graben befeftigt wurde, iſt felbftverjtändlich. Unter König Wenzel I. 


1) Das „signum peczacz“ der Urkunde faſſen wir jo auf; vielleicht beſtaud auch 
die Vorfchrift, dasjelbe ala änfßerliches Abzeichen zu tragen. Emler u. Brand! 
bringen uns feine Erklärung. 

2) Emler, reg. Boh. II. ©. 114. Ottofar urlundet am 1. Februar 1261 „in 
Sates“, indem er dem deutfchen Orden das Geriht in Miletin und Kommotau 
verleiht. 

3) Urkundenbuch der Stadt Saaz Fol. 8a. Die Urkunde ift vom 3. März 1321 
ansgeftellt. Die Berechnung des Lahn oder der Hube mit 60 Strich war in 
der Gegend allgemein üblich. Das „funis“ der Urkunde ift gleich dem ander- 
weitig gebraudyten „stricho*. Vergl. Emler, reg. Boh. I. S. 835: „laneus 
in Budin continet 60 strichones“ (1302). Der Lahn der Yauner Stabtgüter 
wurde mit 84 Strich bemeffen (strichones). (Emler IT. &. 423.) 


— 264 — 


(1278—-1305) ergab ſich bereits die Nothwendigkeit einer Ausbejjerung der 
Stadtmauern. Deswegen beauftragte der König die Bürger, diejelben 
binnen zwei Jahren in guten Stand zu jegen, und bewilligte ihnen zu diejem 
Behufe für die genannte Zeit die Einfünfte des Gerichtes und die Be: 
freiung von allen ar die fönigliche Kammer zu leitenden Abgaben und 
Zinſen.) König Wenzel II. hielt jih am 3. December 1288 in Saaz 
auf;?) vielleicht war er bei diefer Gelegenheit auf die Schadhaftigfeit der 
Mauern aufmerffam gemacht und von den Bürgern um die erwähnten 
Begünjtigungen angegangen worden. Daraus ergäbe ſich ein Anhaltspunkt 
für die Beitbeftimmung der mur in der nicht datirten Formel erhaltenen 
Urkunde. 


So bildete jich denn in der zweiten Hälfte des XIII. Yahrhunderts 
das ſtädtiſche Gemeinweſen von Saaz unabhängig von der alten Gauver— 
fajlung allmählich aus. Letztere bejtand für das Saazer Land fort. Es 
werden uns aus diejer Zeit Pribiſſaus als Burggraf von Saaz (1277)*) 
und Petrus als Gau oder Provincialrichter (1266) *) genannt. Ob 
diefe in der alten Gauburg ihren Sig hatten, und wie lange dieje 
überhaupt weiter bejtand, läßt ſich nach den vorliegenden Quellen nicht 
bejtimmen. Das Saazer Archidiaconat verwaltete unter Dttofar IL Rus 
dolphus (1268 bis 1275).) Unter Ottofar II. war auch der Bau der 
Pfarrkirche zu Maria Himmelfahrt beendet worden, und der König über: 
trug die Seelforge bei derjelben fiir immerwährende Zeiten dem Prä— 
monjtratenjer-Stift Strahow in Prag (1271), das damals unter der 
Leitung des Abtes Gottfried ſtand.“ Im Jahre 1273 erfolgte die päpit- 
lihe Genehmigung.”?) 

Daß fid) einzelne Saazer Bürger ſchon in der erjten Zeit nad) 
Gründung der Stadt eines gewiſſen Wohljtandes erfreuten, erhellt unter 
Anderen aus dem Kaufe des Gutes Stanfowig jeitens mehrerer Bürger. 
Diejes Gut befand ich jeit Ottofars I. Zeiten im Befige der Prämon- 
ftratenjer von Strahow. Am 27. März 1272 aber wird der Kaufvertrag 
ausgefertigt, fraft welchen es vom Abte Gottfried an die Saazer Bürger 


1) Voigt, Formelbuch des H. Italicus ©. 133, 
2) Emler, reg. Boh. II. S. 627. 

3) Emler, reg: Boh. II. ©. 1181. 

4) Urkundenbuch Fol. Tb. 

5) Emler, reg. Boh. II. 239, 1181. 

6) Weihraudy, Geihichte von Strahow S. 22. 
7) Tomek, Geſchichte Prags I S. 481. 


— 90 | 


Sybodo und Albertus, die Söhne des Heinrich Hismann, und einen 
Anvermandten derjelben Namens Antonius gegen einen Jahreszins von 
18", Talenten und 30 Denaren Prager Minze in erblichen Befig über- 
lajjen mwird.') Auch in den Dörfern Straupig, welche 1291 Klofter Wald- 
ſaſſen erwirbt, hatte die Familie Hisman gewilje Gerechtiame. Diefelben 
verliehen am 30. Mat 1295 Helena, die Witwe des Albertus Haubſch— 
man, ihre Söhne Bitrolph, Nil, Dietrich, Albrecht, Perthold und Weigand 
und der Sohn des Sabatho (Sybodo), eines Bruders des Albertus, 
dem Kloſter Waldjafjen.”; Es ift hier offenbar diefelbe Familie gemeint, 
welche Stanfowig erworben hatte, wenn auch einige Aenderungen im 
den Namen vorkommen. Ein Prager Bürger Chunradus de Sacz wird 
zu den Fahren 1285 und 1292 erwähnt.) Zu Beginn des XIV. Yahr- 
hunderts treten in Prag Saazer als Bürger häufiger auf, jo Ulmannus 
de Sacz (1311—1313),* die Brüder Henrieus und Petrus de Sacz 
(1314— 1320) °) u. 9. 

Da wir dieje Unterſuchung vorläufig nicht über das XIII. Fahr: 
hundert hinaus zu führen beabjichtigen, eriibrigt uns nur noch die Beant- 
wortung der Frage nad) der Nationalität der erjten Bürger von Saaz. 
Daß es Deutjche waren, welche ſich der Aufgabe der Umfegung des alten 
Burgfledens in eine freie Stadt unterzogen, und den erften Kern der 
Bürgerjchaft bildeten, ließe ſich ſchon aus den vielen Wehnlichkeitsfällen bei 
den böhmischen Städtegriündungen erjchließen. Beftätigt nun wird die un- 
zweifelhafte deutsche Abftammung der alten Saazer Bürgerfchaft durch ihre 
Namen. So wenig entjcheidend heute Namen für die Bejtimmung der 
Nationalität in Böhmen find, fo maßgebend erjcheinen jte in jener Zeit 
der noch nicht vor jich gegangenen Mifchung. Aus dem XIII. Yahrhunderte 
haben jih uns und zwar zum Jahre 1272 folgende Saazer Bürgernamen 
erhalten: Henricus Hisman, Sybodo und Albertus, Söhne des vorigen, 
Helena, Frau des Albertus, deren obengenannte Söhne Nil, Dietrich, 
Albrecht, Perthold und Weigand, Antonius, Anverwandter der Familie 
Hisman, Bertholdus Thelonarius, Leo und Bertholdus, deſſen Söhne, 
Drtronius, Conradus und Marguardus, dejjen Söhne, Boto, Albertus, 
dejjen Sohn, Befoldus, Merbodo, Burchardus, Ulricus, Swatoslam, Mar: 


1) Urkundenbuch, Fol. 20b. 

2) Reg. boiea IV. 590. Für die genannte Familie kommen die Namen Hisman, 
Husman, Haubſchman vor. 

3) Emler, reg. Boh. II. ©. 582, 675. 

4) Ibidem III. &, 48, 71. 

5) Ibidem IN. ©. 96, 167, 184, 240. 





— 266 — 


quardus und Syfridus dejjen Söhne, Thigmerus, Henrieus, deſſen Sohn. 
Man fieht, wir haben e3 hier mit einer einzigen Ausnahme mit durch: 
wegs gut deutſchen Namen zu thun. Wenn der vereinzelt auftretende 
tihechishe Name Smatoslam auf einen Namensträger tichechijcher Ab— 
funft hinweiſt, jo ijt damit nur der auch anderwärts vorkommende Fall 
erwiejen, daß in die von Deutjchen begründeten Städte fich frühzeitig auch 
einheimische Slaven als Bürger aufnehmen ließen. Diejelben fehrten ihre 
Abjtammung nicht hervor und fügten ſich volljtändig in das deutjche Ge— 
meinwefen ein. Der Saazer Swatoslam gab feinen Söhnen die deutjchen 
Namen Syfridus und Marquardus. Zu demfelben Ergebniß wirde uns 
die Unterjuchung der Saazer Bürgernamen, welche im XIV. Jahrhunderte 
vorkommen, führen. Su diefer Zeit jcheiden ji Vor: und Zunamen jchon 
jharf von einander. Die Vornamen find durchwegs deutjch, ſoweit ſich 
dies aus der latinifirten Form erkennen läßt; unter den der Mehrheit 
nach deutschen Zunamen treten tichechische Familiennamen oder joldhe von 
tſchechiſchen Ortjchaften entlehnte auf. Der deutjche Charakter der Saazer 
Bürgerſchaft bleibt auch für das XIV. Fahrhundert unzweifelhaft. 


u — — — — 


Beiträge zur Geſchichte Nordweſtböhmens. 


Von Heinrich Gradl. 
3. Folge.) 


Leuchteuberger und Nothaftiſche Lehen im Elbognerlande. 


Von vereinzelten urkundlichen Angaben abgeſehen, bilden für die an 
der Oſtgrenze des Egerlandes ſich hinziehenden, zum Elbogner Kreiſe gehörigen 
Gegenden erſt die älteren Lehenbücher zweier oder dreier dort begüterter 
Geſchlechter einen zuſammenhängenden, faſt vollſtändigen Verweis der 
örtlichen Verhältniſſe. Der weſtliche Theil des Elbogner Kreiſes war nicht 
immer feſt mit Böhmen verbunden, ſondern trat in Zeiten, da das böhmiſche 
Herzog- und Königthum vor der wachſenden Reichsmacht zurückweichen 
mußte, ganz in deutſchen Beſitz über; ſo in den Zeiten der Staufenkaiſer, 
ſo auch nach K. Ottokars Fall. Dieſer Wechſel der Zugehörigkeit, den auch 


1) Vgl. Mittheil. des Vereins Jahrg. XXL (1883). ©. 158 fa. n. 318 fo. 


— 201 — 


die Anſiedelung deutſcher Adelsgejchlechter, wie der Nothaft, Hertenberg, 
der Erwerb einzelner Stüde durch Waldfajjen und befonders die Verlehnung 
weiter Striche an Neichsfürjten, die Landgrafen von Leuchtenberg, mehr 
und mehr zu Gunften des Reiches zu wenden geeignet waren, erhielt erjt 
1322 eine Art Feſtigung im Gegenſinne durd) die Berpfändung des Eger- 
laudes von Seite des Reiches an Böhmen und durch die damit Hand in 
Hand gehende Uebernahme der Schugherrjchaft über Waldjaffens veichen 
Beſitz durch die Luremburger. Seit dieſe zwei, eigentlich drei größeren 
Gebiete, inmitten das Egerland, nördlicd davon das Schönbacher, ſüdlich 
davon das eigentliche Klojtergebiet, lettere beide Waldjajjen gehörig, in 
eine gewiſſe Zugehörigfeits-Stellung zu Böhmen gelangten, war das weiter 
ojtwärts gelegene Gebiet von Neuded bis Königswart näher au das eigent: 
liche Böhmen gerücdt worden, wenn es auch noch in viel fpäteren Jahren 
neben der Glatzer Herrſchaft und dem Egerlande eine etwas jelbjtänvigere 
Stellung einnahm. 

Die erjte Kunde von diefem Striche weiß bloß vom Bejige zweier 
Klöfter, Waldſaſſens und Tepls, und zweier deutſcher Adelsgefchlechter, der 
Nothaft und der von Hertenberg, von welch legteren ein Zweig jpäterhin 
den Namen der von Königswart annahm. Südwärts um die Gruppe der 
Glatze traten die Nothaft-Hertenberg, unter einander durch zahlveiche Fa: 
milienverbindungen verwandt, als Erben der von Hohenberg ein. Eine 
Anzahl von Dienjtleuten zweiter Neihe war ihnen, den altjtaufischen Mini- 
ftevialgejchlechtern, untergeben. Zu diefen gehörten hierſeits die von Königs: 
berg, Plaukner, Reußengrün (Rauſchengrün), Steinbach, Pergles (Pergler), 
Plick, die ſpäterhin beim Verſchwinden des alten Dienſtmannsverhältniſſes 
als Afterlehner ihrer und beſonders der Leuchtenberger Landgrafen auf— 
traten. Letztere erſcheinen um die Mitte des 14. Jahrh. bereits beſtimmt 
im Bejige des ganzen Gebietes zwijchen den Orten Neujjengrün, Lobs, 
Lauterbach, Rocdendorf, Markusgrün und der Oftgrenze des Egerlandes. 
Die Nothaft waren um jene Zeit bereits von hier abgezogen und hatten 
ihre alten Gejchlechtsfige Wildftein im Egerlande und Falfenau verfauft 
und abgetreten, behielten jid) aber einen großen Theil ihrer Lehen aud) 
fernerhin vor, die von den meuen Gejchlechtsjigen in der Oberpfalz aus 
verliehen wurden. Auch die von Hertenberg waren theilweiſe nach der 
Pfalz übergetveten, theilweije erwarben fie, nachdem die Stammfeſte Her: 
tenberg bald darauf in königlichen Beſitz Fam, nene Gutsjige, darunter 
etliche in Leuchtenberger Lehensorten. 

Zur untenfolgenden Zujfammenjtellung habe ich die ältejten ſoweit 
vorfindlichen Lehenbücher benügt. Davon ift das Berzeichuiß der Leuchten: 


we BOB; au 


berger Zehen in oder furz vor 1360 angelegt und, was die herausgezo- 
genen Blätter betrifft, 1379 bereits gejchrieben geweſen; die beiden Jahres: 
daten, über welche feine der Notizen (nad) urkundlichen Nebenfunden) 
binausreicht, begrenzen die Anlage und Fortführung durch den erjten 
Schreiber, einen Beamten der Landgrafen von LXeuchtenberg, den derjelbe 
mehrmals feinen Herrn nennt. Erhalten ijt diefes Verzeichniß im älteften 
Lehenbuche der Zeuchtenberger und zwar in einer Bapterhandichrift in 4-to 
des 14. Jahrhunderts im Fon. Neichsarchive zu München. Im Egerer 
Stadtarhive finden jich zwei loje Blätter (Pap.), welche aus einer etwa 
30 Fahre jpäteren Zeit nur die am Egerer geliehenen Lehen im Eger: 
lande und im Elbogner Kreife wiedergeben, aljo den Schluß des Abſatzes 
und die Neuverlehnungen, die früher Nicht-Egerer in Elbogner Orten hatten. 
Ich konnte auf diefe Zettel Feine Rückſicht nehmen, weil der Beſtand an 
Lehen nur durch die Aufzeichnung einer Zeit zufammengejtellt werden 
fann, jofern es unmöglich tft, die verlehnten Höfe aus verfchiedenen Zeiten 
immer zu identificiren. Der Abdruck ift wortgetren. Beim Durchlefen des 
Tertes erfennt man genau, wo derjelbe Schreiber oder ein zweiter neuerlich 
anjegte, damit die Zehen ſämmtlich, Tieber in Wiederholungen, verzeichnet 
jird, und feines „durch Vergeſſenheit“ verjchwiegen bliebe, d. h. durch den 
zur Beit e8 Befigenden nicht empfangen und dadurch aus der Eigenfchaft 
eines Lehens allmälig — mit oder ohne Abficht — zum Charakter eines 
freien Befiges käme. 

Während das Leuchtenberger Verzeichniß ein zujfammenhängendes ift, 
mußten die Nothaft’schen Lehen aus mehreren Stellen der Lehenbücher 
Albrechts und Chriftoph’s Nothaft aneinandergefügt werden. Die betreffenden 
Aufzeichnungen beginnen unter Albrecht Nothaft mit Ende Juli 1454, ein 
Nachtrag mit 1460, und werden aus dem Lehenbuche des nächjten Lehns— 
herren Chriſtoph Nothaft ergänzt. Auch diefe Handihriften bewahrt das k. 
bairiſche Reichsarchiv. 

Zunächſt folgen hier die beiden Texte der Lehenangaben nach den 
zwei Quellen; aus ihnen entwickelt ſich dann die Zuſammenſtellung der 
einzelnen berührten Ortſchaften in alphabetiſcher Reihe. 


„Ellpogner landt“ 
Daz ſind lehen Erberger lewt in dem Egerlant. 


Item Buſla Hertenberger vnd ſein vettern haben zu lehen daz dorf 
Rokkendorf vnd vier hof zu lieba, daz leihen ſie furbaz. 


— 269 — 


Item Bart Hertenberger hat einen Sicz zu Milikaw vnd waz er ı 
da hat vnd waz der Pernſteiner zu Krotenſee vnd zu Schönvicht hat ge— 
habt, das hat er gechauft, vnd ein hof zu Milikaw, daz hat Hingſchik 
Pflug vnd der Seleny von ſeinen wegen vnd ſein meines herren man. 

Item Nyklas von Teſſchaw und ſeines bruders finde haben zu lehen 5 
ſeinen hof zu Teſchaw vnd einen hof zu Schönvicht vnd zu Swerczen— 
bach zwen hof vnd ein Virteil vnd zu Wolfhartsgrün dritthalben hof vnd 
das holz zu der Zeidelweid vnd in der Fichtaw daz holz vnd daz holz 
puchech zwiſchen krotenſee vnd Teſſchaw vnd daz Weidach zwiſchen Milikaw 
vnd Teſſchaw vnd den Arbeizperg halben. 10 

tem Heinrich von Küngſperg hat zu lehen feinen hof, da er auffigt, 
vnd jechs hof zu Schönviecht vnd den kretzen vnd ein mil aud zu Schön— 
. viecht, vnd Teſchaw das dorf an ein hof vnd zu krotenſee vier hof, (zu) 
Thoberojjen drey hof, vnd die gut mit aller iv zugehörung an wijen, an 
wazzer. 15 
tem vnd was er hat an dem Gerichte zu frotenfee vnd die drey 
hof zu Doberhof, die find verliehen meiner eelichen wirtin Annen. 

tem vnd die egenanten gut, die hainrich von Kungjperg von uns 
zu lehn hat, hab wir Bernharten dem Hirfawer zu im verliehen (der tft 
tode). 20 

Item Wolfel Planfchner Hat zu lehen jeinen hof, da er auf figt zu 
Roliichgrün. 

tem ein burger von Elnpogen, der Gejchrei, hat zu Lehen wierezehen 
Phunt gelg zu Rudoltzgrün. 

‘tem Hanns von haflady hat ſieben gut zu haſlach vnd feinen jiß »s 
dajelbit. 

Item Albel der Rathjamer hat ein gut zu haſlach. 

tem Engelhart, Wiczlin, Gumprecht, Yerosla, alle von Küngswart 
genant, haben zu Lehen den firchenjag von fronaw vnd die Veſten zu 
Plickchenſtein und daz dorf halbs zu fronaw, daz dorf (halbs) zu Ebnode so 
halbs, daz dorf zu Schünlinde Halbe, daz dorf zu Pirk halbs, daz dorf zu 
Dymgrün halbs, daz dorf zu Arnolggrün halbs, daz dorf zu Rudolfſgrün 
halbes vnd drei hof zu lieba vnd drei hof zu Rokendorf, daz dorf zu 
hermannsgrün acht Hof, das ander haben die Aulez, vnd di obgejchriben 
gut leihen fie furbaz. 35 

tem den wald auf dem Gepirge haben ji ſelbs zu lehen. 

tem daz dorf zu hermannsgrün hat der Eugelhart zu lehen. 

‘tem das dorf zu Marfhartsgrün hat auch her Engelhart halbes, 


daz lech er auch furbaz, vnd drei hof zu Markchartsgrun hat er jelber. 
Mittheilungen. 26. Jahrgang, 3. Heft. ’ 19 


1 tem Albrecht Blanfchner hat zu Ichen den Sig zu Frotenfee vnd 
einen hof vnd zwo herberg, zu leupolgveld zwey hof und zu Milikaw 
drei hof und ein mil vnd ein herberg. Item zu Swertzenbach XI. hof- 
fein, daz ift wüſte. Item zu Zeidelweid VII hoflein, daz ijt wüſte. 
stem zu Wolfhartfgrun IIII Hofleim, daz ift wüjte. Item zu Schönvicht 
vier hof, item im Pingarten zwei hoflein, tem zu Küngfperg under dem 
haufe I mül. tem zu Turn ein vogtey vber vier hoflein. tem zu 
Grun von Wifen vnd Effern XI sol. boem. (?) II pullos. 

tem einen Firchenjaß. 

10 tem Adelhait von Milikaw hat zu lehen funf hof zu Milikaw vnd 
auch funf herberg, zu Swertzenpach zwei Hof, zu der Zeidelwaid ein hof 
vnd zu Wolfhartigrün zwen hof vnd ein halbe mil daſelbſt; vnd di 
obgenanten gut hat ji zu Teibding und iv finde erbe. 

tem des Grenjlins Sun haben zu Tehen ein jedelhof und zwee 

15 ander hof in dem dorf zu Albernreit. 

tem des Zürgleins Sun zu DOttengrün haben zu lehen die wujtung 
zu Ernſtgrün. 

tem hainrich Rawſſengrüner hat den hof zu Iehen, gelegen bey 
Küngfperg, den er von hainrich von Küngſperg gefauft hat mit dem dorf 

a0 daſelbs vnd waz darzu gehört. 

Daz find di dorifer, die wir leihen an dem frotenpach in Ellpogner 
land. tem Erotenjee. tem Schonvicht. tem fronaw. tem Ebenod, 
tem Milikaw. tem Swerczenbach. tem Diefhaw. Item Zeidelbeid. 
tem Sconlint. tem Wolfhartjgrun. tem Arnolggrun. tem vnd 

25da3 halsgericht vber die dorffer all. vnd geben chatten per, wenn der 
funig einen per nympt. 

Item Stephan Prantner hat zu lehen ein zehend zu Weizzenbad), 
gelegen bey Phaffenrewt; den hat er chauft von feinem bruder Pernhari 
dem Prantner. 

30 ‘tem fronamw halb hat der Gumprecht von küngſwart von uns zu 
lehen, daz hat Albrecht Plikch furbaz von im, (zu) werde drei hof und 
zwo herberg vnd einen Hof der iſt gemain; Plickchenſtein daz haws hat er 
auch vnd der Plikch hat ez furbaz; Ebenod halbs, daz hat furbaz von 
un di von Sceben; Schonlint halbes, Noffendorf halbes, Hertenberg 

ss ainen teil vd das ander gemein; Steinpach halbs, Birk halbes, Schonprunn 
halbes, Rudolggrün halbes, Arnoltzgrün halbes, Lyba halbs, Kuljiheim 
halbes, Dripeſſenrewt ein hof, Marchartſgrun halbes vnd ein hof gemein 
vnd vier leiht der Nothaft, hermanfgrun ein öde, Dymgrun ijt üde, daz 
leihent mit im die hertenberger vnd Nothaft. 


— 271 — 


tem hanns Zeiler, Niklas Zeiler, gebruder, haben, zu lehen einen ı 
hof zu haslach, der dez Hunrats von Haſlach geweit ijt, vnd ein herberg 
dafelbit, gelegen bei der chirchen, mit alfer feiner Zugehorung, alz er ez 
ynen gehabt hat. 

Daz find di dorfer, die mein her leicht im Elnpogner land: 5 

‘tem Gotgabe. tem zu Lewbicz. Item Gegengrun. tem Puchelwicz. 
Stem Teſſniez. tem Naugzengrun. Item Mayrhof. tem Czyticz. tem 
Globen. Item Pergleins. Item den Turn. tem Maftam. tem Arnjgrun. 
Stem Scheben. Item Rudolfſgrun. tem Preyſa. tem Stainpad). 
Stem Leben. tem fronaw. tem lautterpach. tem Ebenode, Item 15 
Reichenpach. tem ZTripezzenrewt. tem Kager. Item Pirkch. Item 
Schonlind. Item Werde. Item Tymgrun. Item Rokkendorf. Item 
Schonprunn. Item Oden lyba. Item Milden. tem Markchartſgrun. 
Item Tobroz. tem Kolbſeim. (P. S. hermansgrun zu ſuchen.) 


Item Peruhart Prantner hat von vns zu lehen gravenrewt halbez; ı5 

Item Lewbeuten vnd Etzenſrewt iſt alles von vns zu leihen. 

Item Nikel der Wüchelperger hat zu lehen drei hof vnd zwo herberg, 
gelegen zu Werd in dem dorf. 

Item Nikel Smid von haſlach vnd henſel Ratſheimer vnd peter, 
ſein bruder, haben zu lehen einen halben hof zu haſlach, alſo daz der = 
egenant Smid den egenanten NRatjheimern den in trews Hant tragen fol, 
vnez ji zu iren tagn fommen, 

‘tem herr Vlrih Planfner, Pfarrer im andern Amb, hat zu Lehen 
einen hof zu Roliſchengrun, daz er denjelben feinem bruder Hanjeu dem 
Plankner in trews hant tragen fol, vncz er wieder zu lande kumt. 25 


Itent Nykel Redwiczer fol dem Nyklas Gufel in trews hant zu 
tragen alle die gut, die der Grenſel zu Albernrewt hat. 

tem Heing Wazzermann von Kungſperg hat zu lehen einen teil 
an dem holez zu Zeidelbeth und daz ander holcz in der kloppherin, daz er 
von hainrih von Kungjperg kauft hat. (Fol. 24—26 L.) so 

Daz ſind die lehen der Stat zu Eger: 

tem Jakob Koldicz vnd Anna, fein Schweiter, zu Eger haben zu 
lehen drei hof zu Krotenſee, vier hof zu Schonficht, zwen hof zu Milikaw, 
einen hof zu Teſchaw, die Nyfel des Tauten !) waren. 

Item heinezlein Rules hat vier hof zu Milikaw. 35 


1) Da Taut Vorname ift, ftedt hinter dem Niklas de3 Tauten ſehr wahricheinlich 
ein Sohn Tant Zöllners, der als Egerer Bürger noch 1341 lebt. Vom Sohne 
Niklas überging das Lehen an die (ihm verwandten?) Egerer Koldig. 

19* 


— 27172 — 


1 Sem Peter Nules hat zwen Hof zu Milikaw. 


tem hainczlein von Krotenjee hat zwen hof zu Schonficht vnd auch 
zwen hof zu Swarzenbac und mer einen hof zu der Zeidelbeid. (F. 27.) 

tem Jakob Cholndig (hat) zu Chrotenjee drei gut und ein holz zu 

s Theſſchaw, ain gut zu Milikaw, zwai gut zu Schonveld, vier gut fein ges 
liehen auch feiner Wirtin Agnejen. 

‘tem Michel Jure vnd fein bruder Ludweig haben zu lehen zwen 
gemauert hof zu haſlach vnd waz da hof vnd herberg hat mit allen iren 
zugehoren." — 

10 Nachtrag: Beim Uebergange der Leuchtenberger Zehen im Elbogner 
Kreife (1538) an Heinrich Burggrafen dv. Meißen uud von diefem an Graf 
Hieronymus Schlid (1542) werden im Lehensreverje des Lebteren 
(10. Mai 1542, in nicht guter Abjchrift im Elbogener Stadtarchive) 
genannt: Lauterbah, Thurn, Arnsgrinen, Fronaw, Tobras, Leibitich, 

is Khulfen, Schönbrunn, Neichenpah, Milden, Markharkgrünen, Moſthaw, 
Gottigaw, Stainhoff, Erotenjee, Teſchaw, Rockendorff, Schönfücht, Mus 
ligaw, Erbirglas (?), Gäßengrinen, Trippeſſenreut, Pochelwitz, Sittitz, Als 
bereut, Perglas, Globn, Teſenitz, Scheben, Tyngrünen, Leben, Ebnet, 
Blidenftain, Lebs, Mayerhoff, Sconlind, Werd, Preßa, Arnolsgrün, 

»o Stainpach, Birlaffengrün (? Rolaſſengrün), die Wüſtung Kager, Wititz 
(? ? Rudi [grün]), Pirkh, Lieba. 


„Es iſt zu willen, das Albrecht Nothafft dis fein Lehenpuch vor: 
numet hat am Suntag nad) S. Yafobs tag, da man zalt n. cr. gep. 1454. 
25 Lehen im Ellpognerlant: 
Teßnitz Wiejen. 
Zwotamw Wieſen. Den Drittail eines Hoss. 
Nenenjatel. 
Scheben. 
30 Teſchwitz. 
Altſatel. 
Butichangrun. (Marginal: Witichengrun.) 
Nothafftsgrun. 12 guter. Nickel Ferßell, Burger zu Ellbogen. 
Pochlawitz. Teijjaw. Lamptz. 
35 Altenjatel ein hof. 
Obern reihenam vier hof. 
Theyſſaw. 
Fußleyten. 


— 73 — 


Kungsperd. Herr Wenglab Soper, Pfarer zu Kungjperk, die ı 
Wieſe genanıt Pfaffenwerd bei Teßnitz zum Gedechtniß aller Nothaft. 

Miüllgrün. 

Kirchberg vnd ein Wüftung vnd öde zu Altengrün. 

Swant das dorf hat zu Iehen Urban, Nidel und Mathe Unruer. 5 

Dberndorf. 

Granniſaw. 

Haydloßgrun das dorff zu einer bruderſchafft zu Ellbogen. 

Puchlawitz den hof. 

Cziticz in der Aw. 10 

Kungſperg, die wiefen bei dem hanntlojen See genant der Hod. 

Leimczagel Lamczogel an der Eger. 

Puchmwalt, liegt zu Nider Neichenaw ob dem Dorff. 

Haſelpach, zwei hoff vnd cin Herberg zu Hafelbach, mer ein hof 
zu Nothafftsgrun, ſolch erb ift DOtten von Sparned vnd feiner Erben. 13 

Hergeſind vnter dem Newttbolt ein Wiefe. 

Nota ich hab geliehen dem Thomas Junckhern, feiner) Hausfrawen 
vnd iren Erben einen halben hof zu Sirmicz mit allen Zugehorungen, 
hat aufgegeben Sigmunt Ruduſch der Yung, des Vlrihen Ruduſchen jel 
Sohn, Ann. 1460, das hab ich auch geliehen Profop vnd Jörgen Foi- 20 
derßrewtern, Gebrüder. (F. 26®.) 

Unentpfangene Zehen: 

Ropmeijel zwen Hof, hat gehabt der Hans Kern. 

(Chriſtoph Nothafts Lehenbuch:) 

Item Heinrich Hyßerl zu Elbogen hat zu lehen 3 hof zu Alten-— >> 
grun, hat auffgeben Nidel Zwerfengrüner. (F. 28.) 

‘tem ich hab geliehen dem Hainrich Hifferlen zum Ellbogen 2 Hof 
zu der Neuengrun. (F. 57.) 

tem Albrecht Berniteiner hat von Gilg Nothaft 12 guter zu lamtz 
in Zehen gehabt, pey dem Albrecht verhalten, von mir auch vnent— 
pfangen. (F. 43.) 3 

Hafelpach, zwei hoff und ein herberg, vnd ein hof zu Nothaftsgrun 
bett Otto von Sparned, mein Ohm, durch einen Lehentrager, mit Namen 
Hanns Jöhel zu Haſelpach. (1464). 


Während das Gebiet der Leuchtenberger Lehen, wie jchon erwähnt, 
ſich zwiſchen den Orten Zieditz, Maierhof, Reufjengrün, Gagengrün 
(„Kagengrün"), Kotigan, Moftau, Kulfam, Tipeſſenreut, Lapigfeld, Thurn, 


TE 


Grün, Miltigau, Markusgrün, Zeidelweid, Arbesberg, Rockendorf, Pliden- 
ſtein, Lauterbach, Frohnau, Ebnet, Lobs, Steinbach, Pröjau, Rudisgrün, 
Schaben, Globen und anjchliegend Zieditz ſich Hindehnt, breitet ſich der 
Strich der Nothaft’schen Zehen um Falkenau nordöftlih von erfterem aus 
und umfaßt (andy wieder einjchließend, wie in der vorigen Aufzählung) 
die Orte Theuſſau, Unt. Reichenau, Falfenau, Hafelbah, Zwodau, Lanz, 
Taſchwitz, Altjattel, Wudingrün, Grün, Schwand, Ober-Reichenau und an— 
ſchließend Theuſſau in zufammenhängendem (ununterbrochenem) Gebiete 
ſammt den darüber hinaus vereinzelt liegenden Orten Altengrün, Roſs— 
meufel, Kichberg, Graneſau, Neufattel und Nallesgrün. An beide Striche 
fchließt fi) von Nordweiten her das Hertenberger (Hartenberger) Gebiet 
mit Hartenberg, Loch, Gofjengrün, Blumberg, Marklesgrün, Pürles, 
Lauterbad), Robesgrün und Werth. An das Leuchtenberger Gebiet ſtößt 
von Siden der Strich der Königswarter Herrjchaft, von Südoſten der 
geſchloſſene Bejit des Kloſters Tepl. 

Die einzelnen in den Aufzeichnungen berührten Oertlichkeiten (— Text— 
einſchleichungen Egerländer Orte werden in Klammern geſtellt und nicht 
weiter behandelt —) ſind nun: 

[Albenreut, Albernreivt, egerländiich.] 

Altengrün bei Heinrichsgrün, Nothaftisches Lehen, einerjeits eine 
Wüſtung und eine Dede (273,4), andererjeits drei Höfe, die früher Niklas 
Zwerfengrüner, dann nad) dejjen Aufgebung Heinrich Hieferl, zu Elbogen 
jeßhaft, bejigt (273,24). 

Arbersberg, früher Arheizberg — Erbjenberg (269,10), zur Hälfte 
Leuchtenberger Lehen. (Die füdliche Hälfte des dftlih von Dearkusgrün 
liegenden Berges gehörte wahrjcheinlicy zum Königswarter Gebiete.) 

Arnitzgrün bei Kirchenbirk, früher Arnolggrün, Arnsgrün, Leuch— 
tenberger Lehen (271,5. 272,14), zur Hälfte an die Adeligen Engelhard, 
Wiglin, Gumpreht und Jaroſlaus von Königswart verliehen (269,32), 
fpäter an Gumprecht allein (270,36), wenn diejer neben dem Mitbejtge der 
anderen Hälfte nicht die zweite eigens bejigt. Gegen Ende des vorigen 
Sahrhunderts hatte Arniggrün 37 Nummern (Schaller, Elb. Kr. 166). 

Birk, jeit Erbauung der Pfarrkirche zum Unterfchiede von anderen Birk 
Kirchenbirk genannt (f. d.), wie nordwärts Habersbirf — Habardsbirf, früher 
einfach) Birk; Leuchtenberger Lehen, das zur Hälfte die Obengenannten von 
Königswart (269,51), dann Gumprecht von Königswart bejaßen (270,55). 

Buchicht, „Puchech“, ein Holz zwiichen Krotenfee und Teſchau, 
Leuchtenberger Lehen und an Nidel von Teſchau und feines Bruders un: 
milndige Kinder gegeben (269,»). 


on -— 


Buhmald, „Puchwalt“, ein Gehölz über dem Dorfe Unter: 
Neichenau bei Falkenau, Nothaftiiches Lehen (273,15). 

Dasnip bei Mariakulm, fr. Teſſniez, Tefenig, Teßnitz; Wiejen- 
gründe dabei find Nothaftisches Lehen (272,26), Das Dorf jelbjt Leuchten: 
bergijches (271,7. 272,18). 

Dobrajjen bei Königsberg a. E.; ee Doberhoj, Tobroz, 
Zobraz; Leuchtenberger Lehen (269,17. 271, 14); 3 Höfe hatte chedem Heinrich 
von Königsberg, als adeliger Lehensmann der Yandgrafen (269,18). 

Ebmet bei Frohnau, früher Ebenode, Ebnode, Ebenod; Leuchte: 
berger Zehen (270,22) zur Hälfte, welde von den Landgrafen erjt die 
Obengenannten von Königswart (269,30), dann Gumprecht v. K. allein (wenn 
dies ‚nicht die andere Hälfte iſt) bejigen (270,35); ſpäter erjcheint es im 
jeiner Gänze als früheres LZeuchtenberger Lehen (272,18). Von obigem 
Gumprecht wurde feine Hälfte an die von Schaben weiter geliehen (270,34). 

[Ernjtgrün in der Oberpfalz bei Ottengriin und Albenrent.] 

Etzensreut, gleichfalls außerböhmiſch. 

Fichtau, Oertlichkeit zwiſchen Teſchau und Zeidelweid: ein Holz 
in der „Fichtaw“ (269,3), leuchtenbergiſches Lehen, in der Hand des Niklas 
von Teſchau und jeiner Verwandten. 

Frohnau, Fronamw, leuchtenbergifches Lehen, zur Hälfte im Belige 
der von Königswart (j. vorher) (269,30) zur andern (?) in der Hand 
des Gumprecht von Königswart, der diefen Theil an Albrecht Plid weiter 
lieh (270,50); den Kirchenſatz liehen die Landgrafen dem Gejchlechte von 
Königswart im Ganzen (269,2). Das Geſammtdorf iſt leuchtenbergiſch 
(271,10). 

Fußleite (wahrjcheinlich für Fuchsleite), Hang an der Eger, etwa 
zwijchen Ziedig und Königsberg; nothaftiiches Zehen (272,38). 

Gatzengrün (Grün des Gepo), fr. Geszengrun, bei Maria Kulm; 
Leuchtenberger Lehen (271,6. 272,17). 

Globen (beffer Kloben, „bei oder zu ten Kloben“ — Reut bet den 
Kloben), bei Falkenau; Leuchtenberger Lehen (271,8); Urſprung eines 
(jpäteren ?) Adelsgejchlechtes der von Globe. 

[Grafenreut bei Arzberg, außerböhmijch.] 

Granefau, nördlih von Elbogen, jr. Granniſaw, Nothaftſches 
Lehen (273,7). 

Grün, ſüdlich von Königsberg; das Dorf ſelbſt iſt egerländifd) ; 
Zinfe von Wiefen und Aeckern dabei (jedenfalls jenſeits des hier die 
Grenze des Egerlandes bildenden Baches) hatte als Leuchtenberger Lehen 
Albrecht Planfner (270,8). 


=. 976 


Grin bei Lobs, wird das (von Anderen auf Birndorf bezogene) 
Nothaftsgrün, fr. Nothaftsgrun jein; daſelbſt 12 Gitter Nothaft'iche Zehen 
(272,33), außerdem ein Hof, den Ott von Sparned eigens zu Lehen trug 
(273,51). 

Haidlesgrün jiche Nallesgrün. 

Haſelbach bei Falfenau, fr. Haſelpach; die 2 Höfe und 1 Her: 
berge daſelbſt beja als Nothaft'ſches Lehen Dtto von Sparned (273,31). 

[Haflau, Haſelach, Haslach, ift egerländijch.] 

Hermannsgrün, ein verfchwindenes Dorf (270,35), das allem Ans 
Scheine nach bei Sandau und Markusgrün lag; ein größeres Leuchten: 
bergifches Zehen, von welchem 8 Höfe Engelhard und feine Neffen von 
Königswart (269,54), den Neft die Egerer Rüles (Noles) bejaßen (269,34). 

Hertenberg, heute Hartenberg, bei Dleijtadt; einen Theil davon 
beſaß Gumprecht von Königswart als Leuchtenberger Lehen (270,34), das 
andere war „gemein“, d. h. im DBejige der von Hertenberg und der von 
Königswart (270,55). 

Hod, „See" (d. i. alter Nejt eines Flußbettes) und Wieſe bei Kö— 
nigsberg, die leßtere ein Nothaftifches Lehen (273,11). 

[Hörfin, zur Herrfchaft Wallhof, Walde, Waldau gehörig.] 

Kirchenbirk, fiehe Birk. 

Kloben ſiehe Sloben. 

Klopferin, fr. Kloppherin, Dertlichkeit, wahrjcheinlich in der Nähe 
von Zeidelweid gelegen; das Holz dafelbjt beja als Leuchtenberger Lehen 
zuerjt Heinrich von Königsberg, jpäter dejjen Abkäufer Heinz Waſſermann 
von Königsberg (272,20). 

Kogeranu, fr. Kager, bei Königsberg, Leuchtenberger Lehen (271,11). 

Königsberg a. E.; einzelne Güter waren LZeuchtenberger Lehen, 
jo ein Hof, den Heinrich von Königsberg inne hat (? 269,11) und die Mühle 
unterhalb des Schlofjes, die Albrecht Planner bejaß (270,6). 

Kotigan bei Königsberg, fr. Gotgabe (Chotgabe?), Gottigaw; zur 
zur Gänze Leuchtenberger Lehen (271,6. 272,16). 

Krotenbad (270,2); die Dörfer an dem „Krotenbach” liegen an 
verjchiedenen Bächen; erfichtlich ift aber der heutige Leibenſteigbach damit 
gemeint, an welchem Miltigau, Teſchau und Krotenſee liegen und die ver— 
Ihmwundenen. Schwarzenbah und Wolfhardsgrün gelegen geweſen jein 
mochten, jo daß an der angeführten Stelle Frohnau, Schönficht, Ebmet 
und Zeidelweid bloß als jchlechtbezeichnet jtehen. 

Krotenſee Leuchtenberger Lehendorf; einige Gitter hatte früher 
der Bernfteiner hier zu Zehen gehabt, von ihm kaufte jie Part von Her: 


— 177 — 


tenberg (269,2); 4 Höfe beſaß Heinrich von Königsberg (269,15); den 
Sig, 1 Hof und 2 Herbergen hatte Albrecht Planfner inne (270,1); 3 
Höfe trugen früher Niklas Zöllner, dann Jakob Koldig und deſſen Schweſter 
zu Zehen (271,35 und 272,4). 

Kührberg, bejjer und fr. Kicchberg, bei Heinrichsgrün, Nothaftiſches 
Lehen (273,4). 

Kulfam an der Wondreb, furz vor der Mündung in die Eger und 
knapp an der Grenze des Egerlandes; früher Kulſſheim, Kolbjein, Khuljen 
(271,14. 272,15); die Hälfte diejes Dorfes bejak als Lehen der Landgrafen 
von 2, damals Gumprecht von Königswart (270,58). 

Lanz, nördl. dv. Falfenau, fr. Lamptz (272,54), Lamp; Nothaftifches 
Lehen waren 12 Güter dafelbft, die früher Albrecht Bernfteiner noch em: 
pfangen hatte, für die aber der jegige Befiger (oder mehrere jolher) jchon 
um 1464 feine weiteren Belehnungen anjuchte (273,28). 

Leimzagel, fr. Laimczagel, Lamczogel, Dertlichfeit an der Eger, 
zwijchen Ziedig und Altjattel, Nothaftiiches Lehen (273,12). 

Lapitzfeld, richtiger Leupoldsfeld, fr. Leupoltveld, Grenzort des 
Egerlandes, von dem zwei Höfe jenfeit3 des Baches Leuchtenberger Lehen 
waren und damals in der Hand Albrecht Planfners jtanden (270,2). 

Lauter bach bei Schladenwald, fr. Lawterpach, Leuchtenbergiiches 
Zehen, auch noch in fpäterer Zeit (271,10. 272,14.) 

Leben, ?, neben Lebs in der Elbogner Kopie, jedenfalls verderbt (272,18). 

Leibitſch bei Königsberg, fr. Lewbiez (271,6); Leuchtenberger Lehen. 

[Xemwbenten, außerböhmijch.] 

Liebau zw. Königsberg und Schönficht, fr. Lieba, Leuchtenberger 
Lehen, Dorf mit 7 Höfen (vgl. fg.); vier davon hatten Bufla (Bohuflaw) v. 
Hertenberg und deſſen Bettern, welche die Güter aber weiter (zu After 
lehen) gaben (268,4); drei Höfe befahen die fchon öfter genannten Engelhard 
und jeine Neffen von Königswart (269,53), jpäter Gumprecht von Königs- 
wart allein (270,36). Das Dorf war in der 2. Hälfte des 14. Jahrh. 
zeitweilig verwüftet (Ded Liebau 271,13). 

Lob, zwiſchen Falkenau und Lauterbach, fr. Leben und Lebs 
(2068?) (271,10. 272.19), Zeuchtenberger Zehen. 

Maierhöfen bei Falfenau, fr. Mayrhof (271,7), Leuchtenberg. Lehen. 

Markusgrün, richtiger Markersgrün, weil — Markhartsgrün, 
fr. Markchartsgrün, Marchartsgr., Markhartzgr. (271,18. 272,15), bei 
Sandau; gemifchtes Leuchtenberger u. Nothaftifches Lehendorf; Leuchten: 
bergifche Höfe hatte Engelhard von Königswart, der drei davon zu eigener 
Hand bejegte, die anderen weiter zu After lieh (269,38.30); ſpäter beſaß 


ng 
Far 


— 278 — 


Gumprecht von Königswart die Hälfte des Dorfes (270,57). Nothaſüſche 
Lehen waren vier Höfe von Markfusgrün, gemeinſam leuchtenbergiſch uud 
nothaftiſch war einer (270,38). 

Miltigau, nördl. v. U. Sandau, fr. Milifow öfter, Muligow 134; 
größeres Leuchtenberger Lehendorf; den „Sitz“ (Edelhof) mit Zugehör 
hatte Bart v. Hertenberg zu Lehen (269,1); 1 Hof beſaß Hinzik Blum, 
fiir den ihn ein gewijjer Zeleny einnahm (269,5); 3 Höfe, 1 Müh’e und 
1 Herberge hielt Albrecht Planfner (270,2); 6 Höfe hatten die Rüles 
(Rolſs) und zw. 4 Heinrich Rüles, 2 Peter Rüles (271—72); 2 Höfe, die 
früher Niklas Zölners waren, hatten nad) diefem Jakob Koldig von Eger 
und dejjen Schwejter Anna (271,35), ein Gut Exjterer allein (272,5); der 
Adelheid von Miltigau gehörten auf Lebenszeit 5 Höfe und 5 ‚Herbergen 
zu Leibgeding (Nuggenuß) (270,10). Miltigau hatte ſomit damals nach) 
heutiger Ausdrudsweile 26 Nummern, einen gemanerten Hof, 16 hölzerne 
Höfe, 1 Mühle, 6 Herbergen, ein Gut und den Edelhof. 

Moſtau bei Königsberg, fr. Maſtaw, Moſthaw; Leuchtenberger 
Lehen (271,5. 272,15). 

Miühlgrün, Millgrün, Nothaftiches Lehen (273,5). Weldhes? Doc) 
feinesfalls Mühlgrün im Egerlande. Wahrjcheinlich verſchwundene Sie- 
delung. 

Müllnbei Königsberg, fr. Milden; Leuchtenberger Lehen (271,13.272,15). 

Nallesgrün bei Elbogen, urfprünglic Hatdlesgrün, Haydlopgrün 
164 (zum Hatdlesgrün, mundartlic zasm Hatdlesgr., za-n Hallesgr., za-n 
Alfesgr.; Grin ausnahmsw. ſächl.); Nothaftisches Lehen (273,8). 

Neuengrün, 2 Höfe Nothaft. Zehen (273,27). 

Nothaftsgrün, j. Grün bei Lobs. 


Dberndorf, weldhes? verjchwunden? Nothaftiiches Lehen (273%). 


Perglas bei Falfenau, fr. Perglains, d. h. Kleiner Berg, Leuchten- 
berger Lehen (271,8. 272,18). Ein Mannengefchleht der von Berglas, 
Pergler, Bergler v. Perglas darnach benannt. 

Pfaffenwerd, eine Wiefe bei Dasıig, Nothaftiiches Lehen und 
von diejem Gejchlechte zu einem Seelgedähtnig in die Pfarrficche zu 
Königsberg vermacht, deren Pfarrer, damals Wenzel Saazer, ſie inne- 
hatte (273,.). 

Pingarten, d. i. Bienengarten; wo zwijchen den anderen Leuchten: 
berger Zehen? Zwei Höflein dafelbjt beſaß Albrecht Plankner (270,6) ? 

Plidenftein, eine Heut verjchwundene kleine Burg bei Frohnau, 
jegt noch als Flurname erinnerlih; fr. Plidchenftein; ein Zeuchtenberger 
Lehen, von den Landgrafen zunächſt an die von Königswart (269,50), jpäter 


2 = 


allein an Gumprecht v. Königswart (270,32) und von diejen und diejem jeit 
jeher an das Mannengejchlecht der Plick weiter geliehen, von dem die 
fleine Fejte den Namen erhielt, die mit Willigung der Landgrafen und 
der von Königswart von diefen Plick auf urjprünglich leuchtenbergiſchem 
Grunde erbaut worden war. 

Pohlowig bei Königsberg, fr. Puchelwitz, Pochlawitz, Puchlawitz; 
Zeuchtenberger Zehen (271,6), ein Hof Nothaftiich (272,54 u. 273,>). 

Pröſau, ſüdl. v. Fallenau, fr. Breyfa (271,9); Zeuchtenberger Zehen 

Rauſchengrün, ſiehe Reuſſengrün. 

Reichenau, Ob.» u. Unt-, bei Falkenau; zu Ober-Reichenau 
waren vier (alle damaligen?) Höfe Nothaftiiches Lehen (272,36), zu Unter: 
Reichenau der dortige Buchwald (273,13). 

Reichenbach bei Kirchenbirk, Leuchtenbergiiches Lehen (271.1). 

Reuſſengrün, früher Rauſſengrün, Rauſchengrün, Nauczengrün 
bei Maria Kulm, Leuchtenberger Lehen (271,7) u. Stammgut des Man— 
nengejchlechtes der von Rauſchengrün. 

[Reutwald bei Hörfin, außerböhmiſch. 

Rocken dorf, heute Unt.- und Ober-, bei Schönficht, Leuchtenberger 
Lehen. 3 Höfe hatten die von Königswart (269,35), Später Gumprecht v. 
8. allein (270,34); das andere Dorf hatten Buflab von Hertenberg und 
jeine Bettern zu Lehen, gaben es aber weiter (268,4). 

Roleſſengrün bei Königsberg, früher Roliſchengrün, Roliſchgrün, 
von den Rüles, Nolfs angelegt; ein Hof (269,22) war des Wolf Planfner 
Leuchtenberger Lehengut, auf dem er wohnte; ſpäter gehörte derjelbe Hans 
Plankner, während deſſen Abwefenheit fein Bruder, der Pfarrer Ulrich 
Plankner, als Treushänder den Hof inne hatte (271,24). 

Roſſmeuſel bei Heinrichsgrün; 2 Höfe dafelbit waren Nothaf- 
tijches8 Lehen (273,23). 

Nudiggriün bei Falfenau, früher Rudolfsgrün, Rudoltzgrün; 
Leuchtenberger Zehen; die Hälfte des Dorfes haben zuerft die von Königswart 
zu gefemmter Hand (270,56), dann Gumprecht v. K. allein (269,32); 14 Bf. 
Geldzinfe waren von den Landgrafen an den Elbogener Bürger Gejchrei 
geliehen (269,24). 

. Sattel, Alt, bei Elbogen; ein Hof daſelbſt war Nothaftiiches 
Lehen (272,3). 

Sattel, Neu, bei Elbogen, Nothaftiiches Lehen (272,28). Zur 
Gänze? 

Schaben bei Königsberg, fr. Scheben; Leuchtenberger Lehendorf 
(271,»). 


= Be 


Schönbrunn bei Königsberg; die Hälfte des Dorfes hatte von den 
Leuchtenberger Landgrafen (früher das Gejchlecht der? dann) Gumprecht 
von Königswart zu Lehen (270,35). 

Schönfeld (bei Lauterbach) ?); Leuchtenberger Lehen; zmei Güter 
dafelbit waren an Jakob Koldig, vier an feine Gattin Agnes geliehen 
(272,6). 

Schönficht, Pfarrdorf; Leuchtenberger Lehen; 1 Hofhatten Nidel von 
Teſchau und feines Bruders Kinder (269,6), 6 Höfe, ein Wirthshaus und eine 
Mühle Heinrid) v. Königsberg (269.12), 4 Höfe Albrecht Planfner (270,5), 2 
Höfe Heinz von Krotenfee (272,2), 4 Höfe hatte früher Niklas Zöllner 
von Eger, dann Jakob Koldig und feine Schweiter Anna (271,35). Etliche 
Güter hatte früher der Berniteiner, dann Part v. Hertenberg (269,2). Mehr 
als diefe 16 Höfe (Nummern) und „Güter“ dürfte Schönficht damals nicht 
gehabt haben; zu Ende des 18. Jahrh. zählte es 65 Nrn. (Schaller ©. 164). 

Schönlind bei Kirchenbirk; Leuchtenberger Lehen, das zur Hälfte 
die von Königswart (269,51), ſpäter Gumpredt v. K. allein beſaßen (270,34). 

Schwand bei FFalfenau, ein Nothaftifches Lehen und an (die 
Brüder) Urban, Niklas und Matthes Unruher geliehen (273,5). 

Schwarzenbad, verfhwundenes Dorf von einjt bedeutender Größe, 
fr. Swertzenbach (öfter); nad) 260,5 fg. lag es nahe Schönficht, Miltigau, 
Krotenjee und Tejchau, nad) 270,23 fg. am „Krotenbach“; Leuchtenberger 
Lehen; 11 Höflein, damals ſchon wüſt, hatte Albrecht Planfner (270,3), 
2"/, Höfe bejaßen Niklas v. Teſchau und feines Bruders Kinder (269,6), 
2 Höfe Adelheid v. Miltigaun (270,11), 2 Höfe Heinz v. Krotenſee (273,3). 

Sirmitz, im Egerlande.] 

Steinbad bei Falkenau, Leutenberger Lehen; zur Hälfte befaß es 
Gumprecht von Königswart (270,55). Die andere Hälfte war wohl Nicht- 
Lehen und gehörte als „Erbe“ dem Geſchlechte von Steinbach). 

Steinhof bei Königsberg, Leuchtenberger Lehen; als „Hof gelegen bei 
Königsberg" hatte ihn ſammt dem Dorfe zuerjt Heinrich v. Königsberg (269,11), 
dann Heinrich Naufchengrüner, der ihn dem Vorigen abfaufte (270,18); 
jpäter ganz gemauert erbaut erhält der Hof den Namen „Stainhoff" (272,16). 

Teſchau bei Königsberg, früher Teſchaw, Teſſchaw und öfter, 
Thejihow, Dieſchaw (270,23); Leuchtenberger Lehen; 1 Hof bejaßen 
Nidel dv. Teſchau und feines Bruders Kinder (269,5), das Uebrige ge- 
hörte zuerſt Heinrich von Königsberg (269,13); jpäter (nad) des Leßteren 
Zode) wurde diejes Dorf vereinzelt geliehen; 1 Hof befam Niklas Zöllner 
und nah ihm Jakob Koldis (271,54), der auch ein Holz beim Dorfe zu 
Lehen trug (272,5). 


— 23 — 


Teſchwitz bei Falfenau, Nothaftiiches Lehen (272,30). 

Theuſſau bei Falkenau, fr. Teiſſaw, Theyſſaw; Nothaftiiches Lehen 
(272,34 und 37). 

Thurn, ein Grenzdorf des Egerlandes, von dem ein Heiner Theil 
ienjeitS des Baches zum Elbogner Kreiſe gehörte; die Vogtei über den 
legteren Theil, vier Höflein, hatte Albrecht Planfner von den Leuchten: 
bergern zu Lehen (270,:). 

Tiefengrün bei Kirchenbirk, umgedeutet aus altem Thienigrün, jo: 
Doymgrün, Tymgrin, Tyngrün (271,12. 272,18); gemeinjames Lehen der 
Zandgrafen, Nothaft und von Hertenberg (270,38); die Hälfte des Dorfes 
hatten von den Landgrafen erjt die von Königswart gemeinjan (269,32), 
dann (als öder Ortjchaft) Gumprecht von Königswart (270,38). 

Tipeſſenreut, richtiger Tripefjenreut, jo: Dripejjenrewt, Tripezzen- 
rewt (271,11. 272,17); Egerländer Grenzdorf, von welchem ein Hof jenfeits 
des jcheidenden Baches Leuchtenberger Lehen und an Gumprecht von 
Königswart geliehen war (270,37), 

Weidicht, fr. Weidach (269,5), ein Wäldchen (Gebüfche von Weiden) 
zwiichen Miltigau und ZTejchau, welches Nidel von Teſchau und feines 
Bruders Kinder von den Landgrafen von Leuchtenberg zu Lehen trugen 
(269,9). 

[Weifjenbady, Dedung bei Nedwig in Baiern.] 

Wöhr, bejjer Werd, fr. Werde, Werd (271,12. 272,19); die Hälfte 
davon befaßen als Leuchtenberger Zehen die von Königswart, fpäter hatte 
fie (3 Höfe und 2 Herbergen) Gumprecht von Königswart = — 31), 
nad) ihm der Egerer Bürger Niklas Büchelberger (271,18); ein Hof 
dieſes Dorf war „gemein" (270,51). 

Wolfhardsgrün, verjchwundenes Dorf am „Krotenbache“, ficher 
zwilchen dem Mrbersberg und Krotenſee gelegen; Leuchtenberger Zehen; 
2, Höfe bejaßen Nidel von Teſchau und feine Verwandten (269,7), 
2 Höfe und eine halbe Mühle hatte Adelheid von Miltigau (270,12); 
4 Höflein, bereit damals wüſt, trug Albrecht Plankner zu Lehen (270,5). 

Wu dingrün bei Yalfenau, fr. Wittichengrün (Grün des Wittich), 
Butichengrün ebd.; Nothaftifches Lehen (272,38). 

Be bene bei Sandau, Leuchtenberger Lehen; 7 wüſte Höflein 
bejaß Albrecht Planfnev (270,4), 1 Hof Adelheid von Miltigau (270,11), 
einen weiteren Heinz von Krotenſee (272,3); ein dort gelegenes Holz 
hatten Nickel von Teſchau und feine Neffen (269,5), einen andern Theil 
Heinz Waflermann (271,29). (Der Reſt gehörte den Egerer Nonnen). 


— 


Ziedig bei Falkenau; Czyticz, Sittitz 1, Czitiez 1, Leuchtenberger 
Zehen (271,7. 272,17), in der Au Nothaftiſch (273,10). 

Zwodan bei Falkenau; eim Hofsdrittel und Wiejen beim Dorfe 
waren Nothaftijche Lehen (272,27). 





Am Ganzen und Großen erfcheint nach dem Vorgelegten diejes 
Gebiet bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als vollſtändig 
germanifirt, bez. als von deutjcher Hand ausgebaut. Neben einer winzigen 
Zahl ſlaviſcher Namen finden fich für die DOertlichfeiten faſt nur deutjche. 
Slaviſch find bloß: Lanz, Zwodau, Teſchwitz, Theuſſau, Dasnitz, Bochlo- 
wis, Leibitſch, Kotigau, Moſtau, Kulfam, Dobraſſen, Teſchau, Miltigau, 
Graneſau; deutſch dagegen: Falkenau, beide Reichenau, Frohnau (Frön-awe), 
Liebau, die auf Grün: Grin, Goſſengrün, Marklesgrün, Robersgrün, Alten: 
grün, Neuengrün, Wudingrün, Rolejjengrün, Rauſchengrün, Tiefengrün, 
Gatzengrün, Rudiggrün, Arniggrün, Markusgrün, Hermannsgrün, Nalles: 
grün, Nothaftsgrün, die auf Neut: Schofjenreut, TZipejjenrent, die auf Berg: 
Kührberg, Hertenberg, Blumberg, Königsberg, die auf Bach: zwei Laute - 
bad), Haſelbach, Steinbach, Reichenbach, Schwarzenbach, danıı: Loch, At 
und Neufattel, Schwand, Kloben, Krotenſee, Wöhr, Pfaffenwerd, Bürgles, 
Perglas, (Kirchen-)Birf, Ehmet, Schönlind, Schönbrunn, Schönficht, Thurn, 
Maierhöfen, Steinhof, Plidenftein, Lapitzfeld, Rockendorf, Zeidelweid. Dos 
Berhältnig der flavifchen zu den deutschen Ortsgründungen iſt jomit etwa 
1 zu 4 (14 zu 56). Auch Flurnamen (Buchicht, Weidicht, Klopferin, 
Pfaffenwerd) und Perſonennamen (bis auf den von H. Pflug aus Böh— 
men herübergeholten Zeleny) find deutjch. 

Ueber den Befigumfang der Landadeligen diefes Striches wie über 
die einzelnen Familien und deren Gejchlechtsverzweigung handle ich wahr: 
fcheinlich fpäter einmal. Leider iſt des brauchbaren Materiales wenig 
genug vorhanden; bloß Pelleters „Denkwürdigkeiten von Falkenau" find in 
dent, was fie bringen, verläßli und fleißig, entbehren aber veichlicher 
Duellen; die Dugendfabrifate der „Sejchichten" von Elbogen, Königsberg, 
Schladenwald müjjen außerhalb jeder Berücdfihtigung gelaffen werden. 





— — 


Geſchichte der deutſchen Sprachinſel von 
Neuhaus und UNeubiſtrih. 


Von Dr. Theodor Tupetz. 


Es iſt keine Sprachinſel im ſtrengen Sinne des Wortes, deren 
früheſte Geſchichte im Folgenden dargeſtellt werden ſoll, ſondern, wenn 
dieſer Ausdruck erlaubt iſt, eigentlich eine Sprachhalbinſel, da das deutſche 
Gebiet der Bezirke Neuhaus und Neubiſtritz zwar auf drei Seiten von 
der „ſlaviſchen Fluth“ eingeſchloſſen iſt, auf der vierten aber mit dem 
deutſchen Gebiete der Nachbarländer Niederöſterreich und Mähren zuſam— 
menhängt. Von dem „geſchloſſenen“ deutſchen Sprachgebiete Böhmens 
liegt es allerdings weit ab und dieſem gegenüber erſcheint es als voll- 
jtändige Inſel. 

De: größere Theil der Spradinfel, der Bezirk von Neubiftrig, 
bildet zugleich einen jener Vorſprünge der Landesgrenze, welche für die 
Gejtalt Böhmens auf der Landkarte jo charakteriftifch ſind umd stellt ſich 
als -ein Rechteck mit etwas abgerundeten Eden dar, von welchem eine Seite 
an Mähren, zwei an Niederöfterreid grenzen, während an der vierten 
Seite, in Nordweften, das deutiche Gebiet des Bezirkes Neuhaus fich ar: 
ſchließt. Letzteres, anfangs von gleicher Breite wie das deutjche Gebiet 
des Neubiftriger Bezirkes, verengt jich in der Nähe der Stadt Neuhaus 
zu einem Iſthmus, welcher den eben bejchriebenen größeren Theil de: 
Spachjinfel mit einem Fleineren, tief in das jlavijche Gebiet vorgejchobenen, 
nahezu ebenfalls vechtedig geformten Stück deutjchen Landes in Verbindung 
ſetzt. In diefer Sprachinfel befindet jich, feit die Stadt Neuhaus nahezu 
vollſtändig tichechifiet ift, nur ein ftädtisches Gemeinwejen, nämlich Neu- 
piftrig und 3 Marftfleden, nämlih: Schamers, Adamsfreiheit und Alt- 
ftadt, dagegen zahlreiche deutjche Dörfer und Weiler, im Neubijtriger 
Bezirke: Albern, Althütten, Arnoldshof, Artholz, Anern, Bernhards, Bern: 
ſchlag, Braunjchlag, Burgſtall, Dietrihs, Dobrathen, Ebergerih (Meier: 
hof), Gebhards, Gottichalings, Guttenbrunn, Heumath (gemijcht, früher 
vorwiegend deutjch, jet vorwiegend tichechijch), Kaltenbrunn, Khain, Klofter, 
Konrads, Kotichlag, Kunas, Landtein, Leimbau, Marfel, Münchichlag, 
Neustift, Philippsdorf, Reichers, Romau, Stagel, Therefienthal, Wittingau; 
im Nenhaufer Bezirke: Ober: und Unterbaumgarten, Blauenjchlag, Brunn, 
Buchen, Diebling, Gatterfchlag, Grambad), Heinrichsſchlag, Höflingg, 
Hofterichlag, Köpferfchlag, Deutſch-Molliken, Motten, Ober- und Nieder- 


— 284 — 


Mühl, Muttaſchlag, Neudeck, Ottenſchlag, Radeinles, Groß- und Klein— 
Rammerſchlag, Riedweis, Riegerſchlag, Ruttenſchlag, Ober-Schlagles, 
Schönborndorf, Sichelbach, Tiberſchlag, Ulrichsſchlag, Weißenbach, Wen: 
kerſchlag, Wetzles, Zinolten. 

Das Gebiet der Sprachinſel iſt ſanft hügeliges, aber nicht beſonders 
fruchtbares Land, bewäſſert im Oſten von der Luſchnitz, im Weſten von 
der Neſcharka; wie der ganze Südoſten Böhmens beſitzt es zahlreiche Teiche 
und die Fifchzucht bildet noch heute, wie vor alters eine wichtige Ein- 
nahmsquelle der Bevölkerung. 


Berjucht man es, das Dunkel zu lichten, welches über dem Urjprunge 
der deutjchen Anfiedelungen in diejen Gegenden liegt, jo wird man von 
der unbezweifelbaren Thatfache ausgehen müſſen, daß fie bis im die 
Hohenftaufenzeit hinein einen Theil jenes nahezu undurchdringlichen Grenz. 
waldes bildeten, welcher das ganze Mittelalter hindurch Böhmen wie ein 
Wall von allen Seiten umfchloß; auf dem Gebiete dieſes Grenzwaldes 
find ja auch in anderen Gegenden Böhmens die erften deutjchen An— 
jiedelungen entſtanden.) Der Grenzwald war, wie befannt, ursprünglich) 
Eigenthum des Landesheren und da es in Böhmen eben die Herzoge und 
jpäter die Könige waren, welche die Anjiedlung fremder, namentlich deut- 
iher Bürger und Bauern befonders begünftigten, jo erklärt ji) daraus, 
daß die Wohnfige der Deutjchen noch heute vorzugsweiſe an den Landes» 
grenzen zu fuchen find. Auf die Entjtehung aus ehemaligem Waldboden 
weist, wie im äußerjten Süden Böhmens, auc in unferem Sprachgebiete 
das jo zahlreiche Vorkommen von Dorfnamen, die auf „ſchlag“ endigen 
bin, wie: Riegerſchlag, Hofterjchlag, Ottenfchlag u. ſ. w. (ſ. o.). 

Man kann aber auch die Bemerkung machen, daß deutiche Anfied- 
(ungen im Grenzwalde vorzugsweife da entitanden, wo ein Weg durch den 
Wald führte, an den fogenannten Zandespforten, ohne Zweifel nicht bloß 
darum, weil die Ummandlung des Waldes in Aecker und Wiefen an dieſen 
Stellen der Vertheidigungsfähigfeit des Landes am menigjten ſchadete, 
jondern aud, weil der Verkehr, der fich dafelbft entwicelte, mancherlei 
Gelegenheit zu Verdienſt gab, die anderswo fehlte. Ein Saumweg diejer 
Art führte auch durch unjere Spradinjel und zwar aus dem Thale der 
Neſcharka über Altftadt in das Thal der Thaya zu dem niederöfterreichijchen 
Städtchen Naabs, deſſen tjchechischer Name Rakousy lautet, woraus dann 
wieder der tichechiiche Name: Rakousko fir Defterreich entjtanden fein 


1) Loſerth, Der Grenzwald Böhmens, Mittheilungen 21, 3 u. Jirecef, o starych 
cestäch z Cech a z Moravy, Cas. &. musea 29, und 30. Bd. 


— 238 — 


jol. Wie an anderen Landespforten erhob ſich auch an diejer eine Burg, 
weldye das Eindringen von Feinden verhindern follte und zwar bei Plaß 
an der Neſcharka (Füdweitlih von Neuhaus), deffen tichechiiher Name: 
SträZe noch jebt auf das ehemalige Wächteramt hinweiſt. 


Ob die Befiedlung unferer Sprachinſel jchon zu der Zeit begonnen 
hat, als jie noch im Befige der Premyſliden war, vermögen wir nicht 
anzugeben. Die älteften Nachrichten zeigen ung vielmehr die Sprachinſel 
bereits im ausjchlieglichen oder doch vorwiegenden Beſitze des Gejchlechtes 
der Witigonen, jenes Gefchlechtes, welches für den ganzen Süden Böhmens 
von jo außerordentlicher Bedeutung geweſen ift. Ob das Gejchlecht wirklich, 
wie Bangerl') vermuthet hat, aus Oberöſterreich nach Böhmen einge: 
wandert und jomit felbft deutjchen Urfprungs ift, ſoll weder bejaht noch 
verneint werden, gewiß ift, daß e8 von Anfang an entjchiedene Vorliebe 
für deutjches Weſen an den Tag legte, die Sitten des gleichzeitigen deutjchen 
Ritterthums nachahmte, feine Burgen und nach ihnen fich jelbjt mit deut- 
chen Namen benannte und die Anfiedlung von Deutjchen auf feinen aus: 
gebreiteten Befigungen begünftigte. 

Für unfere Spradinfel kommt bejonders derjenige Zweig diejes 
mächtigen Hauſes in Betracht, welcher jich nach der Burg Neuhaus nannte. 
Wie befaunt, hatten alle Witigonen dasjelbe Wappen, eine finfblätterige 
Nofe, die aber bei den verfchiedenen Linien, in welche ji) das Gejchlecht 
theilte, verſchieden gefärbt war; die Herren von Neuhaus Hatten eine 
goldene Roſe auf blauem Felde. 


Die Herren von Neuhaus. ?) 


Der Stammvater der Herren von Neuhaus iſt Heinrich I., Sohn 
Witigos (1205 - 37), der Erbauer jener Burg, deren ehrwürdige Ueber- 
tefte noch jegt die Hauptjehenswürdigfeit der Stadt Neuhaus bilden; ihm 
verdanfen auch Burg und Stadt Neuhans ihren gegenwärtigen tichechiichen 
Namen: Jindrichüöv Hradee, zu deutfch: Heinrichsburg. Ob aud) das 


1) Abftammung der Witigonen, Archiv f. öfter. Geh. LI. ©. 522. Vergl. and) 
Toiſcher in den Mitth. XXVI. 1. 

2) Im Folgenden find (P. Claudius) Gefhichten von Neubaus, desfelben Ber- 
faflerd „Herren von Neuhaus“ und Rull, Monografie Jindr. Hradce jo viel- 
fach benüßt, daß e3 überflüjlig wäre, fie in jedem einzelnen Falle ald Quelle 
anzuführen. Auch mag ausdrücklich bemerkt werden, daß der Verf. nicht be— 
abfichtigt, eine vollftändige Gejchichte der Herren von Neuhaus zu jchreiben; 
nur was zur Sefchichte der deutichen Anfiedlungen in diejer Gegend in Ve: 
ziehung ſteht, wollte er erzählen. 

Mittheilungen. 26. Nahrgang. 3. Heft. 20 


— 286 — 


Dorf Heinrichsſchlag jchon von ihm, oder erjt von einem ſeiner Nach: 
fommen gleichen Namens ausgejegt worden ift, vermögen wir nicht zu 
jagen. Dagegen zog jchon unter Heinrich I. der deutſche Nitterorden in 
Neuhaus ein, wo er neben der Kirche ein Spital für 12 Kranke errichtete. 
Bon da an waren durch zwei SKahrhunderte die Pfarrer von Neuhaus 
diefem Orden angehörig, ein Umjtand, der gewiß viel dazu beigetragen hat, 
der Stadt Neuhaus ſelbſt und ihrer Umgebung den deutſchen Charafter 
aufzuprägen. Auch Heinrichs Gemahlin zeigte jich dem Orden gewogen, 
indem fie ihm die Dörfer Ztremils (wohl das jegt tichechiiche, aber knapp 
an der Sprachgrenze — auch nahe an der mährifchen Grenze — gelegene 
Tremles) und Doblings (wohl das jegige Diebling) ſchenkte.) — Den 
Eijtercienfern, welhe um die deutjchen Anfiedelungen jo hoch verdient 
find, war er, wie die übrigen Witigonen gewogen, was daraus her- 
vorgeht, daß er nicht nur bei Schenkungen feiner Verwandten an Cijter- 
cienfenklöfter als Zeuge erjcheint, jondern auch, ohne Zweifel auf jeinen 
Wunſch, in eimem jolchen Klojter, nämlich zu Welehrad in Mähren, 
feine legte Nuhejtätte fand. Lebteres beweiſt überdies, daß jchon dieſer 
erjte Herr von Neuhaus nicht bloß in Böhmen, fondern aud in 
Mähren begütert war. Bei den Königen jtand Heinrih I. in hoher 
Gunft, da er auf verhältnigmäßig vielen Füniglichen Urkunden (26) als 
Zeuge ericheint und das Amt eines Truchjeß bekleidete. Er nahm auch mit 
dem Biſchof Robert von Olmüg, feinem Bruder Witigo und vielen anderen 
Baronen an der deutjchen Reichsverfammlung in Regensburg theil (1213), 
wo DOtofar I. von Böhmen fein Freundſchaftsbündniß mit dem Hohenjtaufen 
Ssriedrich II. befiegelte. 2) 

Heinrihs Söhne waren Witigo und Sezima von Neuhaus, der erjtere 
jeit 1247 Burggraf von Olmütz und wie es fcheint, ein bejonderer Ver— 
trauter Otokar's II. zu der Zeit, als diejer noch Markgraf von Mähren 
war und die Fahne des Aufruhrs gegen feinen Vater, König Wenzel I. 
erhob. Auch Witigo beginftigte die Eiftercienfer, indem er namentlich das 
Klofter Welehrad, die Grabftätte feines Vaters, reich bejchenkte. Auch zu 
dem deutjchen Orden ſtand er in freumdichaftlichen Beziehungen. Er be: 
ftätigte demjelben nicht nur das von feinem Vater verliehene PBatronat 
über die Neuhaufer Pfarre, fondern gab ihm aud) am 1. December 1255 
im Zaujche für die Dörfer Tremles und Diebling (f. 0.) zehn Lahnen bei 


1) Emler, Regg. IV. 1793. Sedlätet, Hrady IV. 33, 

2) Bangerl, Witigonen; Erben, Regeften. Diefelben Quellen aud für Witigo von 
Neuhaus, außerdem: Boczef, reg. Moraviae V. 233 und IIT. 16, 111, 132, 
143, 163, 181, 191, 203, 206. 


— 2337 — 


dem Dorje, welches genannt wird ad Sanıtum (Svetec?) mit Teich, 
Mühle, Fluß- und Waldnutzungsrecht, ferner einen Teich und eine Mühle 
welche ein gewiſſer Radwan innegehabt hatte, endlich den ganzen Zehnten 
vom Hofe eines gewijjen Ruppert. Zeugen diefer Urkunde find Hofleute 
von Neuhaus, darunter ein Radmir, ein Hoztey, ein Mutyn, ein Blajief, 
in welchen man vielleicht die Namengeber der Dörfer: Nammerjchlag 
(Radmirov) Hofterichlag (Hojtejov), Muttafchlag (Mutinoves) und Blauen- 
ſchlag (Blazegov) zu erbliden berechtigt ift. Daß Witigo ber Otokar II. 
auch dann in hoher Gunſt blieb, als diefer bereits König war, zeigt der 
Umftand, daß er nicht nur faſt immer im Gefolge des Königs ſich befand, 
ſondern auch bei deſſen Friedensunterhandlungen mit Ungarn 1254 als 
einer der böhmischen Schiedsmänner wirkfam war. 


Bon Witigo’s Söhnen übernahm ver ältefte, Ulrich I., die Verwaltung 
der Güter, während ein jüngerer, Dietrih, Biſchof von Olmüg wurde. 
Beide Söhne hatten alfo, abgejehen von dem deutſchen Famili.unamen, 
auch deutjche Vornamen, wie denn überhaupt die deutfchen Vornamen bei 
den Herren von Neuhaus in einer Weije vorwiegen, wie es nicht einmal 
bei den Herren von Rofenberg der Fall ift. Auch die Gemahlin Ulrich 1. 
war eine Deutiche; fie hieß Maria, Gräfin von Harded. Unter Ulrich I- 
begegnet uns in einer Urfunde der erjte Comthur von Neuhaus, den 
wir kennen; er führt den gut deutjchen Namen: Chunrad (1270).) Auch 
Ulrich war den Cijtercienfern gewogen und ingbejondere das Kloſter 
Welehrad wurde von ihm ebenjo wie von jeinem Vater und ver: 
muthlih auch von feinem Großvater mit Schenkungen bedacht. — Im 
übrigen befand ſich Ulrich I., wie fein Vater Witigo faſt immer in 
Begleitung König Otofars IL, jo insbefondere auh auf dem Feldzuge 
gegen Ungarn, der durch den Sieg bei Krejfenbrunn (1260) einen jo glor: 
reihen Abſchluß fand. Auch befleivete ev 1265—69 das Amt eines könig— 
lichen Unterfämmerers. Doc) trübte ſich dieſes freundfchaftlihe Verhältniß 
jpäter, offenbar im Zufammenhange mit der feindjeligen Haltung, welche 
das ganze Gejchlecht der Witigonen gegen Ende von Otokar II. Regierung 
dem Könige gegenüber einnahm. Damit mag es zufammenhängen, daß im 
%. 1272, obwohl damals Ulrich nod) lebte, ein anderer (ein gewiljer 
Theodorich) den Poſten eines Unterfämmerers bekleidete. Als Dtofar II. 
nit Rudolph von Habsburg in Kampf gerieth, war Ulrich wie jein ganzes 
Geſchlecht auf Seite des deutjchen Königs, was im Bunde mit dem Ab— 


1) Enter, Regg. I. 277; Boczek, V. 253; Millauer, Geſchichte des deutichen 
Ordens. ©. 118 ff. 


20* 


— 238 — 


falle des öfterreichijchen und fteirifchen Adels den König Otofar I. zur 
Abtretung der djterreihiichen Länder an Rudolph von Habsburg nöthigte. 
Es ift begreiflih, daß Dtofar nach Beendigung des Krieges an feinem 
treulojen Unterthanen Rache zu nehmen ſuchte und es ſoll ihm in der 
That gelungen fein, Ulrich 1. die Burg Neuhaus zu entreißen und den— 
jelben zu nötigen, daß er in dem Dorfe Buchen jeinen Wohnſitz nahm. 
Bald darauf jtarb Ulrich; beigejegt wurde er in der von ihm gejtifteten 
Kirche des deutſchen Ordens zu Neuhaus. Ob das Dorf Ulrihsichlag 
ihon von Ulrich I. oder erjt von feinem Sohn Ulrich IL. gegründet und 
benannt wurde, muß wegen Mangels an Nachrichten dahingejtellt bleiben.) 


Zur Zeit Ulrich Il. von Neuhaus erflomm das Geſchlecht der 
Witigonen den Gipfel feiner Macht. Allerdings war es nicht die Neuhaufer 
Linie, welche dabei die Führung übernahm, jondern die Krumauer, ver: 
treten durch den ehrgeizigen, verjchlagenen und prunfliebenden Zawijch von 
Falfenftein, dem es gelang, mit der Hand der Königin-Witwe auch nahezu 
fönigliche Ehren und königliche Macht zu erlangen. Natürlich fiel ein Theil 
diefes Glanzes auc auf die Verwandten des Emporfömmlings. Aber dem 
unverhofften Glücke folgte cin ebenſo unverhoffter und jäher Sturz, bei 
welchem wieder das ganze Gejchlecht der Witigonen in Meitleidenjchaft ge- 
zogen wurde. Ulrich v. Neuhaus, der ein vorfichtiger und friedfertiger Mann 
jewefen zu fein jcheint, ſuchte am jrühejten von allen jeinen Verwandten die 
Gunſt des fiegreihen Königs; jchon am 10. Januar 1289 erjcheint er in 
deſſen Umgebung, alfo noch che das Haupt des Zawiſch durch Henfershand 
gefallen war. Dadurd) gelang es ihm, nicht nur den Bejit feiner Güter 
zu retten, jondern auch die föniglihe Gunjt?) zu gewinnen. 

Ein Beweis des wieberhergejtellten guten Einvernehmens mit dem 
Könige iſt wohl aud das ZTejtament Ulrich Il. vom 25. Juli 1294.°) 
Ulrich fegte darin den König jelbft zum Erben feiner Güter ein für den 
Fall, daß er ohne männliche Nachkommen jterben follte, ein Fall, der 
allerdings nicht eingetreten ijt. Die Urkunde iſt jedoch wichtig als das 
ältefte Schriftjtüdl, das über die Bejicdelung der Umgebung von Neuhaus 
ausführlichere Aufichlüffe gewährt. Leider wird gerade das, was dem Könige 
zufalfen jollte, nur ganz im Allgemeinen nahmhaft gemacht, nämlich: die 
Burg Neuhaus jelbft, die dazu gehörige Stadt und die umliegenden 

1) Balady, Geſch. Böhmens U. 1679, 177, 253, 315; Bangerl, Witigonen; 

Boczet IV. 43 und V. 5. 

2), Balady, Geich. Böhmens II. 347 ff.; Toiſcher, Mittb. XXVI. 1. 
3; Emler, Regg. H. 710, Boczek V. 9. 


— 239 — 


Dörfer, außerdem der. Marktfleden Dremisl (Tremles). — Genauer 
werden aufgezählt diejenigen Befigungen und Dörfer, welche das Witwen: 
gut von Ulrihe Gemahlin Mechthild, (deren deutjcher Name ebenfalls 
bemerfenswerth ijt,) bilden follten, nämlich: der Marktfleden Teſchna 
(das jetzt tichechiiche Städtchen Dejchna, nordweſtlich von Neuhaus), 
Pirchet (wohl das tichechifche Brezina, deſſen Name dem deutfchen: Birken 
entjpricht und das noch jeßt von den Deutjchen Bires genannt wird), 
Druncz (das jeßt tichechifche Dorf Drund an der Straße von Neuhaus 
nad) Kamenitz), Raduna Magna (wohl das jegt tſchechiſche Dorf: Kirchen: 
radann), Heiligen Rudegerſchlag (jedenfalls das heutige deutjche Dorf 
Riegerichlag), Klenov (tjchechiiches Dorf bei Kardas-Rekic) mit dem ganzen 
Walde zwifchen diefen Dörfern, Prunne (das deutſche Dorf Brunn bei 
Neuhaus), Kochans (?) und Hroſchitz (?)., Wollte der König auch diejes 
Witwengut erwerben, jo jollte er 1000 Mark reinen Silber Prager Gewicht 
dafür geben und zwar follte diefe Ablöſung insbefondere dann erfolgen, 
wenn die Witwe Ulrichs II. nochmals fich vermählen würde. Aber auch 
für einen Theil feiner eigenen Güter behielt fich Ulrich das freie Verfü— 
gungsrecht vor, jo daß jie nicht dem Könige zufielen,; es waren dies be: 
jonders mährijche Gier, von denen hier nur der Marktflecken Zlabings 
genannt werden mag, weil verjelbe ziemlich nahe bei Neubijtrig und Alt- 
ſtadt und zwar öjtlich von legterem liegt und offenbar jchon im Mittelalter 
lebhafte Beziehungen zu unferer Sprachinjel unterhielt. 

Dafür, daß Ulrich den König zu feinem Erben eingefegt hatte, zeigte 
fich diefer durch mancherlei QTerleihungen dankbar, welche in derjelben Ur: 
funde aufgezählt find, die aber ebenfalls zum großen Theil Ulrichs mäh- 
riſche Befigungen betreffen. Auf unfere Sprachinfel hat nur die Erklärung 
Bezug, daß Ulrich bezüglich der Straße, welche durch Neuhaus führte, 
diejelben Rechte (offenbar Zoll- und Geleitsrechte) haben follte, wie fein 
Bater und jeine Vorfahren überhaupt; ferner, daß Ulrich die Erlaubniß 
erhielt, in der Stadt Neuhaus 8 Juden mit ihren Familien zu haben, 
und wenn einer vderjelben jterben würde, einen anderen an deſſen Stelle 
zu ſetzen, jedoch nicht von den Füniglichen Befigungen, jondern anderswoher. 
Dieje Juden follten Ulrich diefelben Dienfte und Zahlungen leijten, wie 
die anderen Juden in Böhmen dem Könige und Ulrich jollte mit ihnen 
alles thun dürfen, was der König mit feinen Juden thue. 

Der Schluß des umfangreichen Schriftjtiicdes enthielt eine Verfügung 
zu Gunſten des deutfchen Ordens, in deſſen Kirche Ulrich II. wie jein 
Bater begraben fein wollte; e8 wurde nämlich dem Drden das Patronats- 
recht und die gefammte Gerichtsbarkeit über alle Kirchen in Böhmen umd 


se A" u 


Mähren verliehen, deren Patron Ulrich II. war (mit einziger Ausnahme 
des den Templern übertragenen Dorfes Stodolek). Hatte ſich jomit die 
Wirkſamkeit des deutichen Ordens, insbejondere auch die germanifatorische 
Wirkſamkeit desfelben bis dahin auf die Stadt Neuhaus bejchräntt, jo follte 
fie ſich künftig auf alle Güter der Herren von Neuhaus erftreden. Freilich 
fam diefe für den Orden jo wichtige Bejtimmnng thatſächlich ebenſo wenig 
zur Ausführung, wie der Heimfall der Neuhanfer Befigungen an den König, 

Ader aud) einen zweiten Ritterorden zeigte fich Ulrich II. geneigt, dem- 
felben, zu deſſen Gunſten er fchon in der eben angeführten Urkunde eine 
Ausname von feiner Verleihung an die Deutjchherren gemacht hatte, dem 
Orden der Templer nämlih. Am 27. September 1297 übergab er ihnen 
den von ihm jelbjt jo benannten „neuen Hof“ bei Rudgerſchlag (dem 
heutigen Riegerſchlag).“ Die Grenze diefer Schenkung beging Ulrich per- 
jönlicy mit Effo (offenbar Abkürzung für Eckehard), dem Meifter der Templer 
für Böhmen und Mähren. Als Zwed der Scenfung wurde ausdridlich 
die Ausrottung des Waldes und die Urbarmachung des Bodens angeführt. 
Daß übrigens der deutjche Orden diefer Verleihung keineswegs feindjelig 
gegenüberjtand, vielmehr den Zemplerorden gern als Mitarbeiter an dem 
übernommenen Werfe annahm, beweijt der Umjtand, daß unter den Zeugen 
der Urkunde auch ein Bruder des Ordens von deutjchen Haufe erjcheint, 
Der Name diefes Bruders, Zdislaus weijt allerdings auf ſlaviſchen Ur— 
jprung, dagegen find die Namen der übrigen Zeugen vorwiegend deutſch. 
An der Spige fteht der Pfarrer Heriman von Audgerflag, daran jchließen 
fi) Herr Branfod, Chunrad, genannt Pulz, Bürger Gottfried, Bürger 
Ortlieb, Ninold, Heinrich, genannt Dornich, der Notar Hartwif, Ulrich 
genannt Anfora (alſo wahrjheinlich zu deutich: Krug), Dtto, genannt 
Buchs. Einen tichechischen Namen hat unter den Zeugen außer dem Bruder 
Zdislaus nur der Procurator Pribizlaus. Wahrjcheinlich Haben wir in diejen 
Zeugen, da die Urkunde in Neuhaus ausgejtellt ift, größtentheils Neuhaufer 
Bürger und Einwohner zu erfennen, und die vorwiegend deutjchen Namen 
würden fomit den Schluß erlauben, daß damals Neuhaus eine überwiegend 
deutſche Stadt gewejen tft. 

Dem Eiftercienferflofter Welehrad machte auch Ulrich II. Schenkungen, 
unter anderm verlieh er ihm das Patronat in Zlabings, was darım erwähnt 
werden mag, weil die Wirkſamkeit der Eiftercienjer To nahe bei Neuhaus 
und Neubijtrig gewiß auch die Wirkfamfeit der eben genannten beiden 
Nitterorden unterſtützte.?) | 


1) Emler, Regg. I. 759, Boczek V. 78. 
2) Emler, Regg. II. 785; Boczek V. 108, 


— 231 — 


Auch die deutjche Dichtung fand bei Ulrich II., wie erjt jüngft in 
diefen Blätterr nachgewiefen wurde, ') Pflege; ein ritterlicher Sänger pries 
feine Freigebigfeit, Güte und Menjchenfreundlichkeit, ein anderer jchrieb für 
ihn die Alerandreis Ulrihs von Eſchenbach ab. So werden wir Ulrich II. 
in jeder Hinficht als einen der hervorragenditen Förderer deutjcher Kultur 
im Gebiete unjerer Spradinfel betrachten dürfen. 

Ulrichs Sohn und Erbe hieß wieder Ulrich, dieſes Namens der Dritte. 
Er wird zuerft genannt in einer Urkunde König Johanns vom 5. Mai 1312, 
in welcher den Prager Landesbeamten befohlen wird, die Witwe Ulrich II. 
von Neuhaus, Mechthild, deren Söhne und Leute binnen Jahresfriſt von 
dem Tage der Urfunde an gerechnet nicht vor ihr Gericht zu ziehen. ?) Im 
Jahre 1317 war Ulrich III. unter den Anhängern feines Vetters Wilhelm 
von LZandjtein, der damals als Bundesgenojje Friedrichs des Schönen von 
Dejterreichh den König Johann vom Throne zu ftürzen ſuchte. In die 
Geſchichte unſerer Sprachinſel griff er nachweisbar zum erjtenmal im 
Jahre 1319 ein, als er im Einverjtändniß mit feiner Mutter Mechthild 
dem oberöfterreichtiichen Brämonftratenferklofter Wilhering 4 Lahnen und 
2 Joch Grundjtücde in dem Dorfe Nudweins (dem jetigen deutjchen Dorfe 
Riedweis) mit dem ganzen Zins und allem Nuggenuß verlieh, in derjelben 
Weife, wie ausdrücklich hinzugejegt wird, „wie die Kreuzherrn vom deutjchen 
Haus in Neuhaus von Ulrichs Vorfahren her ihre Güter inne haben". Es 
it Fein Zweifel, daß auch durch diefe Verleihung von Grund und Boden 
an ein oberöfterreichiiches Klofter das deutſche Element im Gebiete von 
Neuhaus eine Stärkung erfuhr. Uebrigens erflärt die Urkunde ſelbſt, warum 
diesmal gerade einem oberöfterreichiichen Klojter eine jolche Begünftigung 
zu Theil wurde: die Schwefter Ulrich III., Agnes, war nämlich in zweiter 
Ehe mit einem Defterreicher „Wernhard von Schawenberch" vermählt ge: 
weien und die Mönche von Wilhering übernahmen zum Danfe für die 
Schenkung die Pflicht, den Todestag diefer Schweiter alljährlid) durch einen 
Trauergottesdienit und Almojenvertheilung zu begehen. Bemerft mag bei 
diejer Gelegenheit werden, daß durch die Urkunde auc der Urfprung des 
jest nicht eben leicht verjtändlichen Namens des Dorfes Niedweis erklärt 
wird (im Volksmunde ift daraus jogar das ganz unſinnige: „Rindswieſe“ 
geworden). Das Dorf ift nämlich offenbar von feinem Gründer (Locator) 
genannt, da Rudwein ein Perjonenname ift, der in das heutige Deutſch 
ütberjegt, etwa: „Ruhmesfreund“ bedeuten würde; analog gebildete Dorf- 


1) Mittheil. XXVI. 1. Toiſcher, Zur Geſch. d. deutichen Literatur u. ſ. w. 
2) Emler, III. 32; Boczek, VII. 800. 


—— 


namen finden ſich auch ſonſt in der Sprachinſel z. B. Bernhards von 
Bernhard, Gebhards von Gebhard.) 

Auf Ulrich III. wird auch die Einführung der Minoriten in Neu— 
haus und die Gründung der Kirche zum hl. Johannes dem Täufer daſelbſt 
zurücgeführt. Dem Betreiben der Minoriten ijt es wohl auch zuzufchreiben, 
daß im Jahre 1338 Ulrih von Neuhaus erklärte, die Hinterlafjenjchaft 
von Geiftlichen ſolle Fünftig nicht mehr, wie dies bis dahin gefchehen war, 
von dem Herrn von Neuhaus jelbft oder feinen Beamten eingezogen werden, 
ſondern der betreffenden Kirche zufallen, ein Zugeſtändniß, das natürlich 
nicht bloß den Minoriten, jondern auch den bereits früher in Neuhaus 
angejiedelten Orden, bejonders dem der Deutjchherrn zu gute fam.?) 

Wie hoch auch Ulrich III. den deutfchen Orden jchägte, dafür find 
das ſprechendſte Zeugniß die erjt in unjerem Jahrhundert im Neuhaufer 
Schloſſe entdedten Wandgemälde zu Ehren des hl. Georg, welche Ulrich 
nach der ebenfalls nod) erhaltenen Inſchrift im Jahre 1338 anfertigen 
ließ; denn fie ſtellen ſämmtlich den Heiligen in einem Gewande dar, das 
mit dem jchwarzen Kreuz, dem Abzeichen des deutjchen Ordens, gejchmückt 
it. Man kann aljo Fühn behaupten, daß diefe Gemälde ebenjojehr zur 
Verherrlichung des deutjchen Ordens als zur Verherrlihung des heiligen 
Georg bejtimmt waren, weil eben Ulrich in dem deutjchen Orden die 
edeljte Blüte jenes ſchwärmeriſch frommen und dabei doch heldenmüthigen 
Ritterthums ſah, als deſſen Bejchüßer der hl. Georg verehrt wurde. In 
einer Figur, links von der Thüre, nahe an der Inſchrift, in welcher 
Ulrichs Name genannt wird, hat man mit großer Wahrjcheinlichkeit Ulrichs 
cigenes Bildniß erkennen wollen, die zahlveihen Wappen aber, welche die 
Wände umter den Bildern ſchmücken, beziehen fich vermuthlich auf jolche 
PVerjonen und Familien, welche fich durch ihre Wirkfamkeit zu Gunjten 
des deutjchen Ordens oder auch als Mitglieder desjelben verdient gemacht 
hatten. Daß wir befugt find, bis zu einem gewiſſen Grade in diejer 
Berherrlichung des deutjchen Ordens aud) eine VBerherrlichung des deutjchen 
Einflufjes auf Neuhaus und feine Umgebung zu jehen, beweijen, abgejehen 
von den Gemälden jelbjt, welche ganz im Stil der gleichzeitigen deutjchen 
Malereien gehalten find, auch die durchaus deutjchen Ueberjchriften, welche 
ven Sinn der Darftellungen erklären jollen.?) 

Einen jeltfamen Gegenjag zu diefen Gemälten, welche aus der dank— 
baren Anerkennung des wohlthätigen Einfluffes dev Deutjchen auf 

1) Emler, II. 221, 


2) Emler IV. 240; Boczef, Brand! VII. 157, IX. 179; Borowy, lib. erect. I. 27. 
3) Mocel, in den Denkichr. d. Akad. d. Wilfenjchaften in Wien X. 1859. 


23 — 


die heimijche Eutwicklung hervorgegangen ſind, bietet ein bloß um 2 Jahre 
jpäteres Schriftjtüd, in welchem umgekehrt Deutiche als Störer des reli- 
giöſen Friedens und der biürgerlihen Ordnung erjcheinen. Es galt alſo 
auch damals jchon der Sprudh: „Wo viel Licht ift, ift auch viel Schatten.“ 
Das Schriftſtück enthält nämlich die Verleihung eines päpftlichen Ab- 
laſſes an Ulrich III. und alle Diejenigen, welche ihm bei der Verfolgung 
der Keger auf feinen Gütern Hilfe leiften würden. Hiebei erfahren wir, 
daß im ganzen Königreich Böhmen unzählige Keger aufgetreten jeien und 
zwar meist Deutjche und Fremdlinge, durch welche dann aud die An- 
hänger des rechten Glaubens in Böhmen jelbjt angeftedt wurden. „Die 
Inquiſitoren vermochten ihnen,” wie in der Urkunde weiter ausgeführt 
wird, „nicht beizufommen, weil fie fi zu verfteden wußten; dagegen 
wurden die rechtgläubigen Katholifen von den Kegern gefangen genommen 
und verjtümmelt, ihre Bejigungen geplündert, ihre Häufer niedergebrannt. 
Zwar hatte Bruder Gallus vom Predigerorden viele Keger zur Rückkehr 
in den Schoß der Kirche bewogen, aber nach feiner Abreije waren jie 
wieder in ihre alten Irrthümer zurücverfallen und hatten mit ihren 
Lehrern, den jogenannten Apojteln, geheime VBerfammlungen gehalten. Die 
Zahl der Keger nahm endlich fo zu, daß Ulrich ſelbſt und jeine Unter: 
thanen fürımlic an ihrem Leben bedroht waren." Daß die Urkunde, deren 
Wortlaut, was die Umtriebe der Keger betrifft, wahrjcheinlic) aus einer 
Bittſchrift Ulrich III. ſelbſt herübergenommen wurde, die Farben etwas 
ſtark aufträgt, liegt auf der Hand. Es ijt nicht gerade wahrjcheinlich, daß 
Keger, die jelbjt ihres Lebens nicht ficher find und fich vor den Inqui— 
fitoren verjteden, die Verwegenheit haben follten, Katholifen am Leben zu 
bedrohen, ſie gefangen zu jegen, zu verftimmeln, ihre Habe zu plündern, 
ihre Häufer in Brand zu teen u. j. w. Auch ob die Keger wirklich vor- 
wiegend oder gar ausjchlieglich „Deutjche und Fremdlinge” waren, mag 
dahingeftellt fein, da e8 im Mittelalter gewöhnlich war, den Verdacht der 
Kegerei, der als eine große Schande galt, von den Landesfindern ab und 
auf die Eingewanderten zu wälzen und namentlidy auch in Böhmen diejes 
Verfahren nachweisbar gern angewendet wurde. Im übrigen wiſſen wir 
von diejen Reßereien zu wenig, um uns ein Urtheil darüber zu bilden, 
ob die Zuneigung zu denjelben auc; vom Heutigen Standpunfte noch den 
deutjchen Anfiedlern in der Gegend von Neuhaus zum Vorwurf gemacht 
werden müßte. Ebenjowenig wijjen wir, ob es Ulrich gelang, die Ketzer 
auszurotten oder nicht; der Umftand, daß jpäter nicht mehr von ihnen die 
Rede iſt, ließe das erjtere vermuthen.") 


1) Emler, IV. 302. Boczef-Brand! VII. 190, 


— 24 — 


Ulrichs erſte Gemahlin war eine deutſche Prinzeſſin, Margaretha von 
Kärnten; von ihr und ſeiner zweiten Gemahlin Clara hatte ev zuſammen 
vier Söhne, welche ſich nach dem Tode Ulrich III., welcher wahrjcheinlich 
1347 erfolgte, derart in die hinterlafjenen Beſitzungen theilten, daß der 
ältejte, Heinrich II. die Herrjchaften Neuhaus und Zeltih (in Mähren) 
befam, während die jüngeren Söhne: Ulrih, Meinhard und Herrmann 
mit Fleineren Gütern, ſowie mit einzelnen Höfen, Zinfungen u. dgl. ſich 
begnügen mußten. So erhielt unter amderen Ulrich Befigungen in den 
wohl jchon damals tichechifchen Dörfern Natibor und Griſchau und Mein- 
hard die gleichfalls tichechifchen Orte: Deſchna und Brezina. Meinhard ver: 
zichtete übrigens, als er Biſchof von Trient wurde, auf feinen Antheil zu 
Gunften feiner Brüder.’) 

Heinrich II. war, wie es jcheint, Friegerijcher al8 alle feine Vor— 
gänger. Im März 1348 309 er im Auftrage Karl IV. mit einem Kriegs: 
heere gegen den Herzog Ludwig von Baiern, welcher Karl IV. die An— 
erfennung verweigerte und drang bis gegen Amberg vor. Karl IV, er— 
wies fich für diefe und ähnliche Dienfte durch verfchiedene Verleihungen 
au Heinrich II. und jeine Brüder dankbar.) In einen Gegenjag zu 
Karl IV. gerieth dagegen Heinrich von Neuhaus durch eine Fehde, welche 
im Jahre 1351 zwiſchen ihm und den öjterreichiichen Herren Eberhard 
und Heinrich von Wallſee und Albert von Buchheim ausbradh. Die 
Gründe diefer Fehde find unbekannt, da jedoch das Gejchlecht der Walljee 
an der oberen Thaya begütert war und das der Buchheim die Güter 
Litichan und Heidenreichenftein bejaß, alſo ebenfalls zur Nachbarjchaft 
Heinrichs von Neuhaus gehörte, fo dürfte die Vermuthung, daß Grenz- 
jtreitigfeiten die Veranlaſſung zum Kampfe geben, das richtige treffen. 
Heinrich von Neuhaus eröffnete die Fehde, indem er mit 70 Helmen in 
Oberöſterreich einfiel und verwüjtend bis gegen „Linz vordrang. Die 
Deiterreicher erholten ſich aber bald von der erjten Ueberraſchung, ver- 
folgten nun ihrerjeitS den Friedensftörer, brachten ihm jchon in Ober: 
öfterreih umd jpäter nochmals in Böhmen bei Frauenberg empfindliche 
Niederlagen bei und nahmen fogar in der zweiten Schlacht Heinrich von 
Neuhaus ſelbſt gefangen. Nur dur ein Hohes Löſegeld konnte er ſich 
wieder freifaufen. Den Steg verdanften dic Defterreicher dem Umftande, 
daß fich der oberjte Burggraf Wilhelm von Landjtein auf ihre Seite ge- 
ſchlagen hatte, weshalb an den böhmiſch-öſterreichiſchen Grenzkrieg ſich nun 


1) Archiv cesky II. 339, 
2) Boczel-Brand! VII 660 und 661. 


— 295 — 


auch eine innere Fehde der Herren von Landſtein gegen die von Neuhaus 
und Rojenberg anjchloß, eine Fehde jomit, in welcher Witigonen gegen 
Witigonen im Felde jtanden. Erjt am 2. Mai 1352 fchlichtete Karl IV. 
den Hader, indem er Freilaffung der Gefangenen und Beilegung aller 
etwa künftig noch auftauchenden Zwiſtigkeiten durch Schiedsrichter befahl.!) 

Aber Heinrich II. bezwang feinen Groll nur jolange, als Karl IV, 
in Böhmen weilte. Sobald dieſer Böhmen verlafjen hatte, was im Jahre 
1353 gejchab, begann ev den Rachekrieg gegen Wilhelm von Landjtein 
von Neuem. Aber er hatte auch diesmal Unglüd. Nicht nur wurden 
jeine Güter arg verwüſtet, jondern er wurde auch jelbjt in dem Städtchen 
Blabings (in Mähren, öſtlich von Neubiftrig) eingeſchloſſen und hätte fich 
zum zweiten Mal als Gefangener ergeben müſſen, wenn ihm nicht jeine 
Unterthanen aus Teltſch zu Hilfe gefommen wären und ihn befreit hätten. 
Aber auch Johann Heinrich, Markgraf von Mähren, trat nun in den 
Kampf ein, vermuthlid im Auftrage feines Bruders Karl IV., um den 
Frieden wieder herzujtellen und Heinrich von Neuhaus geriet dadurd in 
neue Bedrängniß, obgleich er kühn genug war, nun jogar die landes- 
fürftlihe Stadt Jamnitz (gleichfalls in Mähren, dftlih von Zlabings), zu 
belagern. Erſt dem Anſehen Karl IV. felbjt gelang es, zum zweiten Mal 
die jtreitenden Parteien zur Verſöhnung zu bringen; doch ift deutlich zu 
bemerken, daß Karl IV., wenn ev auch im großen und ganzen al® unpar— 
teiiicher Schiedsrichter auftrat, doch für Heinrich von Neuhaus weniger 
günftig geftimmt war, als für deſſen Gegner. 

Freundlicher dürfte jich das Verhältniß zwiſchen Karl IV. und 
Heinrich) II. von Neuhaus geftaltet haben, als dev Nömerzug Karls, auf 
welchem er unter andern auc von Heinrich von Neuhaus begleitet wurde, 
dieſem Gelegenheit gab, jeinem Landesherrn einen großen Dienft zu letiten. 
Bekannt iſt, wie Karl IV. damals in Piſa durch einen unerwarteten Auf— 
jtand in Lebensgefahr gerieth; unter jenen tapferen Edellenten nun, welche 
Karl IV. beraushichen, war Heinrich von Neuhaus einer der hervor: 
ragendſten. Er hatte jein Lager jenjeits des Arno, es gelang ihm aber 
doch, als er von Karls Gefahr hörte, fich zu diefem den Weg zu bahnen 
und ihn zu befreien.?) 

Aber ſelbſt diefe Lebensrettung ſcheint \.e alte Spannung zwijchen 
dem Kaifer und Heinrich IL. von Neuhaus nicht völlig bejeitigt zu haben, 





1) Balady, Geſch. von Böhmen IIb, 321 ff. Klimeſch, d. Michelöberger in den 
Mitth. 22, 4. ©. 339 ff. Huber, Regg. 1488, 1509. 
2) Fontes rerum boh. II. 523. Palacky, IIb, 330. 


— 2% — 


denn ſchon 1356 treffen wir ihn wieder in offener Empörung, diesmal 
im Bunde mit allen übrigen „Rojenherren" und jogar auch den Herzogen 
von Defterreih, weldye darüber aufgebracht waren, daß Karl IV. in der 
goldenen Bulle Dejterreih jo wenig berücjichtigt hatte. Für Heinrich 
fonnte diefer Grund natürlich nicht ins Gewicht fallen, ihn mußten andere 
Umjtände bejtimmen. Es wird nun in der That erzählt, Heinrich habe 
einige feiner Vaſallen, die eines Todſchlages überwiejen und vom Prager 
Zandrecht verurtheilt worden waren, gegen dasjelbe in Schuß zu nehmen 
verjucht und dadurch den Zorn des Kaifers, welcher jtreng auf Gejeg und 
Ordnung hielt, auf ſich gezogen. Darin mag ein Körnchen Wahrheit 
jein, obwohl der eigentliche Grund gewiß noch tiefer lag, nämlich in dem 
natürlichen Gegenſatz zwijchen der unter König Johannes Regierung zu 
ichranfenlojer Willkür ausgearteten Macht des böhmischen Hochadels und 
dem auch in der Majestas Carolina erfennbaren Streben Karl IV., durch 
jtrenge Rechtsiprehung und unbeugjame Ausführung der Richterjprüche 
auch gegenüber hochgejtellten Friedensbrechern das Fünigliche Anjehen aus 
jeinem tiefen Verfalle zu erheben. Auch diesmal blieb Karl IV., der 
ſich unterdeffen mit den öfterreichifchen Herzogen verjühnt hatte, Sieger; 
Heinrih II. mußte ſich unterwerfen, Bürgen für fein ferneres Wohlver- 
halten ftellen und jogar durch 2 Jahre das Land Böhmen meiden.*) 


Aber auch damit waren die Kämpfe Heinrich II. noch nicht zu Ende. 
Im Fahre 1360 zog er, mit dem Kaijer wieder verjühnt, im Gefolge 
desjelben gegen Württemberg; zwei Jahre jpäter gerietb er mit den 
Brüdern Heinrich, Ulrich und Herrmann von Böttau wegen feiner mäh- 
riſchen Befigungen in einen Streit, welcher am 16. Feber 1363 durch 
einen in deutſcher Sprache abgefaßten Schiedsſpruch der Brüder Peter 
und oft von Roſenberg, des Albert von Puchheim und Johann von 
Meſeritſch beigelegt wurde.?) 

Bald darauf, im Jahre 1364 ſtarb Heinrich II. Für die innere 
Entwidelung unferer Sprachinfel ift jeine mit jo vielen Wirren und Kämpfen 
erfüllte Wirkjamfeit wohl iiberhaupt nicht von vortheilhaftem Einfluß ge- 
wejen und daher auch für die Befeftigung und Ausbreitung des Deutjch- 
thums nicht. Wir vermögen denn auch feine Einrichtung zu Gunften des 
Deutſchthums aufzuweijen, "ie unter ihm meu begründet worden wäre, 
genug, daß wenigjtens die aus früheren Zeiten ftanımenden jich forterhielten. 


1) Klimeſch a. a. O. Palacky Ib, S. 351, Fontes rerum boh. II. 534. 
2) Borzef-Brandl, IX. 222, 





— 297 — 


Heinrich II. hinterließ 4 Söhne, ſämmtlich wie der Vater Heinrich 
genannt: Heinrich den älteren, Heinrich den jüngeren, Heinrich (ohne Bei— 
ſatz) und Henzlin. Da ſie bei des Vaters Tode noch minderjährig waren, 
übernahmen Peter, Joſt, Ulrich) und Johann von Nojenberg die Bormund- 
Schaft. Die Witwe Heinrich IL, Margaretha von Leuchtenberg (alfo wie 
feine Mutter eine Deutfche und zwar aus der batrischen Oberpfalz jtammıend) 
jcheufte einen Theil ihres Witwengutes am 15. Juli 1365 den Clariſſinen 
in Krummau, unter denen jeit 1361 ihre Tochter als Nonne lebte und in 
deren Orden fie nun auch jelbjt eintrat. Die Schenkung beftand außer dem 
tichechifchen Dorfe Groß- und Klein-Jizna (bei Roth-Rekit) aus den noch 
jegt deutjchen Dörfern: Riegerichlag (in der Urkunde: Lodherov genannt) 
und Radeinles (in der Urkunde: Radünka) und dem Meierhofe Traſchhof 
(in der Urkunde: Draheyska) bei Wenferjchlag, Ob und inwiefern durch 
dieſe Schenkung der fprachliche Charakter diefer Dürfer und Bejigungen 
beeinflußt wurde, läßt jich heute nicht mehr feftitellen. 

Durch die obengenannten Brüder oft, Ulrih und Johann von 
Roſenberg erhielt Neuhaus zu den bereits bejtehenden Klöftern ein neues, 
das der Auguftiner (1367) und aus einer Aufzeichnung, welche zwei Jahre 
jpäter datirt ift, erfahren wir zum erjtenmal, daß auch die Eijtercienfer, 
deren Verdienſte um Deutſchthum und Bildung im Süden Böhmens be- 
fannt jind, im Gebiete der Neuhaujer Sprachinſel wirkſam waren. Im 
Sahre 1369 taufcht nämlich der Ciſtercienſer Nicolaus, bis dahin 
Pfarrer in dem (deutjchen) Dorfe Grambad) bei Neuhaus mit Zujtimmung 
des Abtes von Hohenfurt als des Patrons der Kirche jeine Pfründe mit 
einem gewiſſen Benejch, bis dahin Seeljorger in Barefchau bei Hohenfurt. 
Wann und wie die Giftercienfer von Hohenfurt das Patronat in Grambach 
erlangten, iſt unbekannt, doch ijt andererjeitS bei der unit, deren ſich das 
Kloſter Hohenfurt bei deu Herren von Nojenberg erfreute, die Verleihung 
erklärlich genug; vielleicht fällt fie eben in die Zeit, als die Roſenbergiſchen 
Brüder für die Söhne Heinrich II. von Neuhaus die Vormundjchaft führten.") 

Bezüglich des älteſten Sohnes, Heinrich III. des älteren, dauerte 
übrigens die Vormundſchaft auf feinen Fall lange, denn jchon 1365 erjcheint 
derſelbe als Beiliger beim Landrecht und 1366 als felbjtändiger Herr und 
Mitvormund jeiner jüngeren Brüder. 

As Ulrich, Bruder Heinrich II. (und jomit Oheim Heinrich III.) 
diejem jeinem Bruder im Tode nachfolgte, theilten ſich mit Urkunde vom 
13. Dt 1384 jeine Söhne Ulrich und Johann in das nicht jehr um: 





1) Teigl, confirmationes I. 7. 


— 298 — 


fangreiche väterliche Erbe, das im weſentlichen aus den heute tſchechiſchen 
Dörfern Natibor und Griſchau beſtand. Das Gebiet der Sprachinſel be— 
rührte die Erbtheilung nur in Bezug auf Schamers, wo 6 Schod Groſchen 
Bing mit der Kirchenabgabe, 2 Zeichen und allen Zubehör dem Johann 
von Neuhaus zuftelen; dann betrefjs des neuen Hofes bei Riegerſchlag mit 
den dazu gehörigen Wieſen, welche Ulrich erhielt. Bon den Wiejen werden 
zwei mit Namen genannt: die Glaspach-Wiefe und die Niegerjchlager 
Wieſe. Streitigkeiten, welche fpäter iiber die Bejtimmungen diefer Erbtheilung 
entjtanden, wurden 1389 durch einen bejonderen Vergleich beigelegt.?) 


Aus der Zeit Heinrichs III. von Neuhaus und zwar vom 25. Juli 
1389 rührt auch das ältejte Privilegium der Stadt Neuhaus, bezeichnend 
genug in deutfcher Sprache abgefaßt. Die Bürger von Neuhaus hatten ihren 
Gutsherreu vierthalbhundert Schod Grojchen gegeben, um es zu erwerben. 
Die Beftimmungen des Privilegs Tauten im Wefentlichen: 1. der Zins der 
Stadt, den die Bürger zweimal im Fahre zu geben haben, joll von Heinrich 
von Neuhaus „unzerbrodhen bleiben". 2. Jeder Bürger joll über fein Ver— 
mögen frei durc ein Zejtament verfügen Fünnen und Erbe immer der 
nächſte Verwandte fein. 3. Wer dem Gutsheren nichts ſchuldig ift, fein 
Burgrecht einem anderen, tüchtigen Menjchen übergibt und überhaupt thut, 
was in der Stadt rechtens tft, fann auswandern, wohin er will. 4. Sit 
jemand flüchtig geworden, fo wird jeine Habe nicht jogleich mit Bejchlag 
belegt, jondern erjt dann, wenn derjelbe binnen 13 Wochen nicht wieder 
Gnade geſucht hat. 5, Der Zins fol gezahlt werden, wie es in den Fünig- 
lichen Städten üblich ift. 6. Auch die Juden follen, wie bisher von ihren 
Häufern zu dem jtädtifchen Steuern beitragen. 

Da Heinrich III. nur einen Theil der Stadt Neuhaus beſaß, während 
der andere feinem Vetter Herrmann von Neuhaus auf Sternberg und Bielkau 
gehörte, ſo wurde von diefem eine ähnliche Urkunde fiir den anderen Theil 
der Stadt ausgeftellt. 

Daß an den Bündniſſen der böhmischen Herren gegen König Wenzel IV- 
in den Jahren 1393— 95 auch Heinrich III. von Neuhaus theilnahm, iſt 
bei der Stellung feines Haufes unter dem böhmischen Adel beinahe jelbit- 
verftändlih. Für feine Befigungen und alfo auch fiir unfere Spradinjel 
war dieje Theilnahme freilich von feineswegs günſtigen Folgen begleitet. 
ALS nämlich der Herrenbund den König gefangen genommen hatte, 309 des 
Königs Bruder Johaun Heinrich Herzog von Görlig mit Heeresmacht 
gegen die Verfchmworenen und verwüſtete nicht nur die Güter der Roſen— 


1) Archiv cesky II. 314, 316, 322. 


ee 


berge, jondern auch die der Herren von Neuhaus dergejtalt, daß fie ſich endlic) 
dazu verjtehen mußten, den König wieder freizulafjen.!) 

Im Fahre 1398 ſtarb Heinrich III. Auch er war mit einer Deutfchen, 
Elifabeth, Gräfin von Harded, vermählt gewejen und hinterließ 3 Söhne: 
Johann den jingeren, Ulrich und Eberhard. Wie jich fchon Heinrich III. 
mit feinem Vetter Herrmann von Neuhaus in den Beſitz von Neuhaus 
getheilt hatte, jo jegt aud Heinrich III. ältefter Sohn, Johann der jüngere 
(jo genannt im Gegenfage zu Johann dem älteren von Neuhaus, welcher 
einer anderen Linie, derjenigen von Wilhartig, angehörte). Die beiden 
nunmehrigen „NRegierer" des Haufes Neuhaus ftifteten am 23. Juni 1399 zu 
Neuhaus ein Spital für 6 —8 Arme am Ende der Waigerbrüde, „da wo man 
zur St. Wenzelsfapelle geht". Zum Unterhalte desjelben wurden angewiejen 
von den Bauern des Dorfes Gatterfchlag (in der Urkunde: Gatherichlag) 
4 Schod Grofchen jährlichen, ewigen Zins und zwar von folgenden Bauern : 
Peter, genannt Koller, Peter Hold, Peter Mandl, Marzit, Paul, Mert 
Plerrer, Andreas Scujter, Hans Schindler, Hans, genannt Heringer, 
Nicolaus Grimm, Peter Schügner. Die mit einer einzigen Ausnahme 
deutjchen Namen der Bauern zeigen, daß Gatterjchlag jchon damals aus: 
gejprohen deutſch war. Außerdem wurde dem Spital zugewiefen der 
Meierhof „Franzl“, ebenfalls in Gatterſchlag mit allem Zubehör und 
einem Lahn des zunächit gelegenen Waldes, ferner an jedem Faſttag einr 
Schüſſel Fiiche aus den Zeichen um -Neuhaus oder, wenn dieje nicht ge- 
fiicht wurden, als Erjag ein Grojchen für jede Schüffel. Die Verwaltung 
des Spitals hatte die Stadt, welche wieder 2 wohlverhaltene, verläßliche 
Bürger damit betraute. In jprachlicher Hinficht bemerfenswerth tjt die 
Vorſchrift, Daß bei Aufnahme der Pfründner wo möglich cbenjoviel Deutiche 
als Zichechen aufgenommen werden follten. Dan darf darnadı vermuthen, 
daß damals das tſchechiſche Volksthum in der Stadt Neuhaus und in der 
Umgebung verfelben ſich gegen früher bereits vermehrt hatte, daß es aber 
immer noch dem deutjchen nur ungefähr die Wage hielt. 

Im Jahre 1404 ftarb Herrmann von Neuhaus, welcher jolange Mit- 
bejiger der Neuhaufer Güter gewejen war, Johann der jüngere jcheint nun 
einige Zeit hindurch Nenhaus allein bejejfen zu haben, bis er jich mit 
feinem Bruder Ulrih, genannt Wawaf, dahin einigte, daß diejer das Gut 
Neuhaus übernahm, währerd Johann felbjt jich auf die Verwaltung der 
mähriſchen Befigungen bejchränfte. Ein Theil der Hinterlaſſenſchaft Herrmanns 
von Neuhaus fiel jedody der Wilhartiger Linie zu, wie aus einem Erb» 


— 300° — 


ichaftsftreite hervorgeht, der zwijchen Johann dem älteren von Neuhaus 
auf Wilhartig und deſſen Bruder Ulrich) ſich entſpann und erjt im 
Yahre 1411 durch den Schiedsſpruch ihres Bruders Heinrih, damals 
Meifters des Maltejerordens für Böhmen und Mähren, beigelegt wurde. 
Diefer Schiedsſpruch ift aud) für die Gejchichte der Sprachinſel nicht ohne 
Bedeutung; denn Ulrich erhielt unter anderm auch den „neuen Hof" mit 
allem Zubehör, in welchem wohl der von Ulrich II. gegründete „neue 
Hof" bei dem deutjchen Dorfe Riegerfchlag zu erfennen ift, und die Birken— 
wälder, die zu diefem Hofe gehörten, ferner die Wiejen bei Ober: und 
Unter-Mühl (in der Urkunde: Zär), endlic) den ganzen Wald bei Deutjch- 
Molliten (in der Urkunde. Malikov). Dagegen wurde der Wald von 
Laſſenitz, bezüglich deſſen Ulrich verlangt Hatte, daß derjelbe getheilt werde, 
. ungetheilt zu dem (jegt tſchechiſchen) Dorfe Laſſenitz gejchlagen, welches im 
Antheile JZohanns lag. Von dem Walde Has wurde derjenige Theil, welcher 
zu Schamers (Cimer) und zu den Lazlehen (?) gehörte, dem Johann, die 
andere Hälfte Ulrich zugewieſen; außerdem erhielt Johann den Garten 
unter dem Payzoch (?) mit allem Zubehör. Die verjchiedenen Abgaben, auch) 
jene an die Kreuzherren, jollte Künftig für Neuhaus Ulrich allein Teiften, 
Johann nichts mehr mit denſelben zu thun haben.?) 

Unmittelbar darauf brachen die hufitiichen Unruhen aus, welche, wie 
in viele andere Adelsfamilien auch in die der Herren von Neubaus eine 
unheilvolle Spaltung brachten. So blieb Johanı der jüngere (nunmehr 
auf Zeltjch) entjchieden katholiſch, ebenſo der obengenannte Meifter der 
Maltefer Heinrich, während Ulrich) IV. Wawak, Bruder Yohanns des 
jüngeren und nunmehr Herr auf Neuhaus, ein eifriger Hufite war. Ulrich 
leiftete daher nicht nur den ZTaboriten Hilfe in ihrem Kampfe gegen König 
Sigmund, jondern war auch Mitglied jener Landesregierung, welche von 
der huſitiſchen Partei auf dem Caslauer Landtag eingefegt wurde. Der- 
jelben Partei verdankte er auch das Amt eines oberjten Münzmeiſters, 
das ihm durch den Kuttenberger Landtag übertragen wurde. Für das 
Deutſchthum in Neuhaus wurde der Glaubenswechiel Ulrichs verhängnißvoll 
nicht nur deshalb, weil die Hufitiiche Bewegung im allgemeinen eine deutjch- 
feindliche, tichechifch-nationale Strömung zur Herrjchaft brachte, ſondern auch 
aus dem bejonderen Grunde, weil dadurch derjenige Orden aus Neuhaus 
vertrieben wurde, deſſen Wirkjamfeit die bisherigen Erfolge des Deutjch- 
thums wohl hauptjächlich zu danken waren, der deutiche Orden.?) 








1) Archiv &esky II. 481. 
2) Palacky, IIla. 373, IIIh. 240, 258. 


— 301 = 

Daß Ulrich bereits im Jahre 1421 ftarb, änderte nichts an diefen 
für das Deutſchthum ungünftigen Verhältniſſen; denn obgleich fein Erbe 
in der Verwaltung der Neuhaufer Güter, Meinhard, Sohn Yohannes des 
älteren von Neuhaus auf Wilhartig, fich anfangs noch als Kathelit ge— 
berdete und die fortgejchrittenere Partei unter den Hufiten, die Taboriten, 
mit Eifer, aber ohne bejonderen Erfolg befämpfte, jo dürfte fich doch feine 
religiöfe und nationale Gefinnung von Anfang an von der feines Vor- 
gängers in der Verwaltung der Neuhaufer Güter nicht allzufehr unter: 
jchieden haben: Meinhard war ein gemäßigter Hufite, aber doch ein 
Hufite. Im Fahre 1429 jchloß er fogar mit den Taboriten, feinen bis— 
herigen Feinden, Frieden und Freundichaft und gewifjermaßen zum Lohn 
dafür wurde er von den Hufiten, wie zuvor Ulrich Wawak, unter die 
12 Landesregenten gewählt, weldye im Jahre 1431 durch den Kutten- 
berger Landtag eingefegt wurden. Seinen Einfluß machte freilich Meinhard 
auch jegt im Sinne der gemäßigten Richtung unter den Hufiten geltend 
und Die Anknüpfung von Unterhandhingen mit dem Basler Coneil, der 
Abſchluß des Friedens zwijchen dem Coneil nnd den gemäßigten Hujiten, 
der Sieg bei Lipan über die Taboriten, die von dem Frieden nichts wiſſen 
wollten, endlich die Wiedereinjegung Sigmunds auf den böhmifchen Thron 
find hauptjädylich das Werk Meinhards, der in diejer Zeit als einer der 
Führer des böhmischen Adels, foweit derjelbe dem Huſitenthum zuneigte, 
erfcheint. Der dankbare Sigmund erhob ihn zum Burggrafen von Karlſtein; 
bald daranf wurde Meinhard jogar Oberjtburggraf.') 

Auch bei der Erhebung Albrecht IT. zum König von Böhmen war 
Meinhard in hervorragender Weiſe betheiligt. Später neigte fi) Meinhard 
wieder mehr den Katholifen zu und in den Unruhen, welche dem frühzeitigen 
Tode König Albrechts folgten, war es ihm faſt fchon gelungen, die oberjte 
Regierimgsgewalt im Namen des minderjährigen und abwejenden Ladislaus 
Poſthumus an ſich zu reißen, als ein fühnerer uud glüdlicherer, Georg 
von Podiebrad, auftrat und ihn von der eben erjt gewonnenen Höhe 
wieder herabjtürzte. Meinhard wurde ſogar Georgs Gefangener (1448) 
und blieb es big kurz vor feinen Tode. Aus dem Kerker entlafjen, ſtarb 
er, ehe er die Heimat erreicht hatte, am 1. Feber 1449, feinem Sohne 
und Erben Ulrich V. von Neuhaus die Pflicht hinterlafjend, ihn an Georg 
und deſſen Partei zu rächen. 

Ulrich V. war denn and) ein eifriger Theilnehmer an den gegen Georg 
bon Rodiebrad gerichteten Adelsbündniſſen, überlebte aber jeinen Vater 





1) Archiv &esky I. 263, 370, 277, 286, 294, 219 u. a. Balady, IVa. 191 ff. 
MittKeilungen. 26. Jahrgang. 3. Heft. 21 


8 


— 302 — 


nicht lange. Schon am 24. Yan. 1452 ſtarb er, ohne Kinder zu hinter- 
Laffen, und da ihm auch jeine Brüder Johann und Heinzich bald im Tode 
nachfolgten, jo fiel im Jahre 1453 die Herrichaft Neuhaus an die mäh- 
tische, von Johann dem jüngeren gegründete Linie, damals vertreten durch 
dejien Söhne Herrmann und Heinrich, die übrigens beide bei Antritt der 
Erbſchaft noch minderjährig waren. Da Herrmann ebenfalls nach wenigen 
Jahren jtarb, fo wurde der jüngere Bruder, Heinrich IV. um 1460 
alleiniger Herr von Neuhaus. 

Heinrich IV. gehörte, wie feine Vorgänger und wie fein Oheim und 
Bormund Zdenko von Sternberg (der übrigens die VBormundichaft nicht 
zum Vortheil feiner Mündel geführt haben fol), zu der dem König Georg 
feindfeligen Partei und es gejchah wohl hauptjächlich zum Schutze gegen 
diefen, daß im Jahre 1466 die Stadt Neuhaus mit Wall und Graben 
verjehen wurde. Auch bewährte ſich die neue Befeftigung ſchon im folgenden 
Jahre gegen ein Eönigliches Belagerungsheer, indem dasjelbe unverrichteter 
Sache wieder abziehen mußte. Wuch jpäter betheiligte fih Zoenfo und 
Heinrich Tebhaft ar der Bekämpfung George und als im Jahre 1469 
Mathias Eorvinus fi als König von Böhmen Frönen Tieß und die Landes- 
ämter neu beſetzte, wurde Heinrich IV. von Neuhaus von dem fremden 
Könige mit der Wilrde eines oberjten Kämmerers belohnt. 


Uber wenn auc Heinrich IV. gegen den „nationalen” König im 
Kampfe lag und die Bewerbung eines Ausländers, des Mathias Corvinus, 
aus allen Kräften unterftügte, er war doch in nationaler Hinficht durch 
und durch Tſcheche. Er wirkte dahin, daß die tjchechifche Sprache in der 
Landtafel und in allen höheren Gerichten zur Anwendung gelangte’) und 
hat daher auch in und um Neuhaus das Deutfchthum ohne Zweifel eher 
verfolgt, als begünftigt. Bezeichnend dafür ift, daß er das in deutjcher 
Sprache ausgejtellte Brivilegium der Stadt Neuhaus aus dem Jahre 1389 
in tſchechiſcher Sprache bejtätigte. Damit wurde auch äußerlich der Umſchwung 
bejiegelt, der fich in Folge der Hufitiichen Bewegung und der auf einander 
folgenden, dem Deutſchthum mehr oder weniger ungünftigen Regierungen 
Urih IV. Wawak, Meinhards, Ulrih V. und Heinrich IV. felbit, in den 
nationalen Berhältnifjen von Neuhaus vollzogen hatte. Auch in kirchlicher 
Beziehung bildet das Wirken Heinrich IV. einen bemerfenswerthen Abſchluß 
der früheren Entwidlung. Unter ihm wurde nämlich die Pfarrlicche von 
Neuhaus, welche einft dem deutjchen Orden gehört hatte, dann 46 Jahre 
in den Händen der Hufiten gemwejen war, zwar dem SKatholicismus, aber 


1) Bergl. Palacky, Gefhichte Böhmens Va. 423, 


— 350 — 


feinesweg3 jenem Orden zurücgegeben. Der neue Pfarrer wurde vielmehr 
von Heinrich IV. jelbjt, der jtatt des Ordens Batron der Kirche wurde, 
eingefegt; diefer Pfarrer: aber hieß —- fo wunbderlich fpielt der Zufall — 
Elias: Cſech. (Schluß folgt.) 


W. 3. Reffels Gedichte. 


Im October v. Jahres erichien auf dem deutfchen Büchermarkt. ein 
&ußerlich recht nett ausgeftattetes Büchlein, betitelt: W. 3. Reſſels Ge- 
dichte. Der Herausgeber ift Herr Hans Bittner in Brüx, ein Schüler 
des im Jahre 1886 verftorbenen, in weiteften Kreiſen bekannten Piarijten- 
ordenspriejters und Profefjors Wenzel Zacharias Reſſel. Wer von Legterem 
— nicht als Dichter — aber als Gelehrtem, als Lehrer und Prieſter ein 
wahrhaftes Bild gewinnen will, der leſe Shlefingers vorzüglichen Aufjag: 
Wenzel Zacharias Nefjel, — erjchienen in den Mittheilungen des Vereines 
für Geichichte der Deutjchen in Böhmen, XXVI Yahıgang Nr. II. 
Das Buch Bittners zerfällt in zwei Theile: in die Lebensbeſchreibung 
und in die Gedichte Reſſels, welchen erjtere als Einleitung beigegeben 
erjcheint. Den Schreiber diefer Zeilen interefjirt nun insbejonders dieſe 
Einleitung, und auf fie ſoll denn auch in der folgenden Beſprechung das 
Hanptgewicht gelegt werden. Wenn auch Bittner in feinem Vorwort zur 
Hintanhaltung „mögliher Entgegnungen und beabjidhtigter 
Richtigſtellungen“ erklärt, daß alles, was er in feiner Lebensgeſchichte 
Reſſels bringt, „aus dem Munde Rejjels felbjt gehört und ohne Zuthat 
und Ausſchmückung (sie!) nach jedem Beſuche im friihen Eindrude jofort 
niedergejchrieben habe”, daß aljo an dem, was er bietet, Niemand zweifeln 
darf — fo fanın mich jelbitverjtändlich diefe Meinung feinesfalls abhalten, 
zu einer gerechten und eingehenden Beiprechung feiner mitunter vecht ſub— 
jectiven Darlegungen und Aeußerungen — vielleicht bringe ich auch manches, 
jelbft dem Biographen Neues und Unbekanntes — zu fchreiten. Ich glaube 
eine bejondere Berechtigung hiezu aus den vielen Erfahrungen herleiten 
zu können, welche ich gejchöpft, einmal aus dem perjönlichen Verfehre mit 
Reſſel und dann aus dem mehr als einjährigen Studium feiner nad: 
gelafjenen Schriften und fonftigen Umftänden, welche mit Reſſels Lebens— 
gang und Wirken in mehr oder minder innigem Zufammenhange jtehen. 

Zugegeben, Bittners Darftellungen beruhten thatfählih in ihrem 
gejammten Umfange auf der unmittelbaren Inſpiration des nun todteu 

21° 


— 504 — 


Gelehrten, jo können dieſelben demungeachtet noch feinen Anſpruch auf 
abjolute Wahrheit erheben. Denn Reſſel, der 7Ojährige blinde Greig, 
erzählte aus der jchon nachlafjenden Erinnerung, feine Stimme in der 
Beurtheilung auf ihn direct bezüglicher Vorgänge und Gejchehniffe iſt 
Parteiſtimme, welcher naturgemäß nicht immer und überall das volle Maß 
ruhiger Vorurtheilslofigkeit zur Seite jtehen Fann, und wenn man ferner 
bedenkt, daß jene menjchliche Schwäche, welche von vorgefaßten Meinungen 
ſich durch keinerlei Gegengründe abbringen läßt, in Nefjel in einem be- 
jonders hohen Grade ausgebildet war, wird man aud die Möglichkeit 
zugeben, daß feinen Urtheilen nicht immer jene überzeugungsvolle Unbe- 
fangenheit innewohnen mußte, um abjolut geglaubt zu werden. Es wird 
ſich denn zeigen, daß die von Reſſel dem Herausgeber feiner Gedichte 
angeblich jo zu jagen in die Feder dictirte Eelbjtbiographie mit einzelnen 
über allen Zweifel erhabenen Thatfahen im cfjenen Widerjpruche fteht 
oder doch Hinfichtlich ihrer Nichtigkeit mindeftens gerechte Zweifel auf: 
fommen läßt. Und der Leſer wird — id) bin davon überzeugt — ohne 
ſchwere Mühe entjcheiven fünnen, in wie weit ven einer Schuld Nejjels 
oder einem Verſchulden des Herausgebers gefpredhen werben kann, der 
ſich Hinter der Autorität des entjchlafenen Gelehrten wie hinter einer 
ſpaniſchen Wand verſteckt und glaubt, die Pfeile der Kritik können ihn fo 
nicht treffen. 

Es joll der wahren Größe Reſſels nicht der geringfte Eintrag ge: 
ichehen, wiewohl ich mich anderjeits offen gejtanden allerdings nicht zu der 
‚nebelhaften Schwärmerei erheben Tann, welde ihn mit dem größten 
Weiſen Griehenlands, mit Sokrates (S. 11) in eine Linie zu 
ftellen vermochte. 

Doch num geradewegs zur Sache! Wir folgen, um nichts zu über- 
fehen, der Hand des Herausgebers. 

Reſſel kam nicht, wie Bittner behauptet, erſt 1829 fondern fchon im 
Herbite des Jahres 1823 nad) Prag. Dies bezeugt deutlich cin Brief 
feines gewejenen Lehrers, des Katecheten am Leitmeriger Gymnaſium 
&.... Der Brief ift vom 20. Nov. 1828 datirt; der einjtige Lehrer 
jendet den geliebten Schülern Nefjel und Hrbek aus der Wohlihätigkeits- 
Caſſa der Unftalt 30 fl. 

Die Aufnahme in das Leitmeriter Seminar wurde Neffel nicht 
„seines Fränklichen Ausfchens halber“ verweigert. Den Grund erfahren 
wir aus einem Briefe, welchen Nefjel am 30. Juni 1830 von Prag aus 
an feine Eltern ſchrieb. Er fchreibt in demfelben: „Sie werten fchon 
lange gehofft Haben, daß ich Ihnen doch endlich fchreiben müchte, wie es 


Pe’, 6— 


mit der Aufnahme in Leitmeritz ftehe; Herr Jafl hat dem Franz gefchrieben, 
daß ich ganz gewiß aufgenommen werde, e8 war aud alle Wahrjchein- 
lichkeit vorhanden; allein wir haben uns Alle getäufcht, denn ich erhielt 
heute vom Herrn Horn die Nachricht, daß ich nicht aufgenommen bin. — 
Erſchrecken Sie nicht, denn auf jo eine Nachricht mußten Sie fih ja auf 
jeden Fall gefaßt machen, wenn aus 60 Eompetenten bloß 20 
gewählt werden follten, und unter diefen 60 10 durchaus 
Eminentiften waren,') größtentheils Leitomiſchler, wo es 
allerdings fein Halsbreden Eojtet, um durchaus Eminenz 
zu erhalten.“ 

Im weiteren Verlaufe feines Briefes jucht Reſſel feine Eltern, an 
denen er mit der aufrichtigften Liebe und in kindlicher Ergebenheit hing, 
ob des Mißgejchides, das ihn getroffen, zu tröften. Die Art und Weife, 
wie er dies thut, ift interejjant genug, um eine Stelle hier wörtlich an- 
zuführen. Er jchreibt: „Bedenken Sie, daß mir ringsum die Welt offen 
fteht, daß es noch Hundert Gelegenheiten gibt, um fich ein ehrliches Brod 
zu verdienen, daß ich in Dejfterreich mein Fortfommen weit befjer finden 
fann, als hier, daß man auch im Auslande ehrliche Leute braucht, und 
daß Gott feinen Deutjchen verläßt. Ohnedies hatte ich nicht foviel Neigung 
nad) 2eitmerig, und ich hätte auch ganz ficher feine Biſchofsmütze davon 
getragen, da ich mit jo Manchem in LZeitmerig nicht jo genau harmonirte. 
Ich glaube, ſoviel Ausficht als ein Caplan in Böhmen hat, will ich mir 
auch noch verjchaffen, man darf nur den Muth nicht jinfen und fich von 
jedem mißlungenen Verjuche gleich abjchreden laſſen. Gott will mich halt 
den gewöhnlichen Weg nicht gehen laſſen und auf dem gewöhnlichen Wege 
wird man auch verdammt wenig Lorbeeren pflüden. Etwas im Kopf, und 
feften Muth in der Bruft — glauben Sie mir, das ijt der Paß, mit dem 
man in der ganzen Welt durchlommt, der gilt in Ajien, Europa und 
Amerika, den man fich aber freilich nicht mit ein paar Thalern von einem 
milzfüchtigen Schreiber erhandeln kann“ ꝛc. 2c. 

Die Eltern mochten ihm, nachdem er in Zeitmerig abgemwiejen worden 
war, gerathen haben, Francisfaner zu werden. Mit aller Entjchiedenheit 
aber wendet er ich gegen eine ſolche Zumuthung. „Was die Francis— 
faner betrifft,” jchreibt er im Monate Juli von Prag aus, „jo bin ich 
entjchloffen, eher den Schornftein zu fegen, als mich in die Kapuze zu 
112121 RR „MS Franciskaner reute mich jede Stunde, die ich zu 
meinen Studien vollbracht habe, und ich müßte mich jelbjt verachten, wenn 


1) Reflel war fein Prämiant. 


— 506 — 


ich nicht ſoviel Muth haben follte, lieber das Aeußerſte zu wagen, als 
mich als Francisfaner in vier Mauern einfperren zu laſſen.“ 

Dagegen zeigte Reſſel nicht übel Luft Prämonftratenfer in Geras in 
Oeſterreich oder Eiftercienfer in Hohenfurth in Böhmen zu werden. Wir 
erfehen dies aus einem Briefe ddto. 23. Juli 1830. Doch wiewohl er vie 
werthvolle Protection des Prof. Arnold genoß und jelbft die weite Reife 
nad) Geras nicht geſcheut hatte, Fam er doch nicht an, weder in Geras 
noch zu Hohenfurth. 

Nun erſt mag fich Reſſel, wenn im Uebrigen Bittner Recht behält, 
nad) Wien gewandt haben — um an der theologischen Facultät zu erter- 
niren — und dann im Jahre 1831 nach Nikolsburg, in deſſen Piariften- 
Hofter der milde Wanderer als Novize endlich den lang erjehnten Zu- 
fluchtsort fand. 

Nefjel begann feine Thätigkeit als Lehrer, nicht wie Bittner auf 
©. IV behauptet in Haida, fondern an der Normaljchule in Aufpig. 
Isjactis anno 1832 Lipnicii vitae religiosae primordiis primum 
Cremsirii Theologiae vacavit, dein Auspicii et Haydae pueros 
scholae normalis sedulo erudivit. (Familienbuch des Ordens.) Nicht am 
7. Auguft 1838, jondern ſchon am 7. Auguft 1836 wurde Refjel in Prag 
zum Prieſter geweiht. (Familienbuch: Cum anno 1836 Pragae, quae 
adhuc restabant studia theologica absolvisset, die 7. Augusti pres- 
byter ordinatus est... .... ) 

Ueberrafchend nun ift die Mittheilung (S. IX), Reſſel fei für die 
Univerfität approbirt gewejen. Daß er für eine Univerfitätslehr- 
fanzel die vollfte Eignung gehabt, bezweifelt ja Niemand, der Reſſel und 
jeine wiljenjchaftlihe Begabung kennt — umd darum follte er ja auch 
nad) Peit berufen werden. — Uber eine fürmliche Approbation fir 
Univerfitäten gibt e8 eben nicht. Thatfächlich hatte Reſſel auch für Mittel» 
fchulen gar feine Prüfung und um jo weniger eine foldhe im Sinne der 
modernen Staatseramina; auch war er weder Humanitäts- noch Gram- 
matifalprofejjor. Rejjel war eben auch als Hiftorifer Autodidalt — aller- 
dings bejonderen Schlages, und nur 1 Jahr betrieb er nad) dem Fami— 
lienbuche des Ordens an der Prager Technik auf das Realſchul— 
lehramt abzielende Studien: „Cum anno 1836 Pragae...... absol- 
visset ... ... presbyter ordinatus est et sequenti anno in Instituto 
technico pro magisterio scholarum realium sese praeparavit.“ Deshalb 
fam er auch zunächſt an die Oberrealfchulen in Reichenberg und Rakonitz 
und da Reſſel inzwifchen in diefen Stellungen vor aller Welt feine hohe 
Begabung auf dem Gebiete der allgemeinen Gefchichte durch mehrere 


— A J4 


wiſſenſchaftliche Werke bewieſen hatte, ſtand dem bei der Beſtellung ſeiner 
Lehrkräfte frei disponirenden Orden nichts im Wege, ihn — auch ohne 
Prüfung — im Jahre 1849 nach Brür zu berufen, wo eben die 7. Claſſe 
neu eröffnet worden war. 

Im Jahre 1851 erhielt Nefjel, welcher durch fein „Handbuch der 
Univerfalgefchichte für gebildete Leſer“ bereits weit über die Grenzen 
jeines Baterlandes befannt geworden war, einen Ruf an die Peſter Uni- 
verfität. Außer in Peſt joll aber Reſſel noch Zmal — unter Schmerling 
und Beleredi — u. z. in Wien felbjt eine Lehrkanzel für Geſchichte gewinkt 
haben, Mir hat Reſſel wohl oft — zum legten Male 5 Tage vor feinem 
Zode — von feiner Berufung nach Peit und deren Vereitlung durch Thun» 
Palacky genau in der in der vorliegenden Einleitung gejchilderten Weife 
erzählt, doch niemals etwas von feinen Ausfichten nach Wien. Dagegen 
finde ich in meinen Aufzeichnungen, daß Reſſel wohl von einer zweiten 
Berufung — aber nah Marburg Erwähnung that, wovon wir bei 
Bittner nichts leſen. Betreffs der leteren ſagte mir Reſſel ausdrücklich, 
Provinzial Zink, fein perfönlicher Gegner, habe fie vereitelt. Ich überlafie, 
was die Wiener Berufungen anbelangt, Bittner die volle Verantwortung, 
doh will ih nur erwähnen, daß in Schüler: und anderen Kreifen aud) 
noch von Berufungen nad Graz und Innsbruck mit aller Bejtimmtheit 
gejprochen wurde und noch gefprochen wird, und doch ijt fein wahres 
Wort daran. 

Nachdem Bittner die Gefchichte der mißlungenen Bewerbung um die 
Peter Lehrkanzel erzählt, fchreibt ev auf S. XIII wörtlih: „Erfüllt von 
Bitterfeit bedurfte er für feinen gefränften und aufgewühlten Gemilths- 
auftand eines calmirenden Mittels, und diefes fand er darin, daß er eine 
Abhandlung erfcheinen Tieß „Ueber die Freiheit des Individuums“. 

Bittner bringt alfo diefe Abhandlung, welche doch, wie ev unterm 
Strich ausdrüclich wahrheitsgemäß zugefteht, keineswegs die Tendenz hat, 
das „Müthchen zu kühlen, Feine öffentliche Anklage”, kein „Pamphlet“ ift, 
fondern ein einfacher „ernfter pädagogischer Auffag von erjtaunlicher Gründ- - 
lichkeit", wie Nefjel ja viele gejchrieben — in widerjpruchsvoller Weije 
in geraden Zufammenhang mit feiner mißlungenen Berufung nad Reit. 
Merkwürdig! Gefchrieben erſt im Jahre 1854, follte die Abhandlung, ohne 
daß dies aus dem Inhalte hervorgeht, ein calmirendes Mittel fein filr ein 
im Jahre 1851 erlittenes Unrecht? Mit demjelben Rechte und Unredhte 
hätten ja auch feine in der Zwifchenzeit (1851—1854) als Programnı- 
auffäge veröffentlichten Abhandlungen „Die Völkerfamilie der Germanen 
in ihrer Vergangenheit und Zukunft” und „Ueber den gejchichtlichen Char« 


— 308 — 


after der wichtigften Völker der Neuzeit“ als calmirendes Mittel für das 
Mißgefhid des Jahres 1851 bezeichnet werden fünnen! Aber von diejen 
Abhandlungen wußte der Biograph einfach nichts; hätte er fie gekannt, 
dann hätte er gewiß auch dort den anderen Leſern unauffindbaren „herben 
Zug” entdedt und mit Bezug auf das Jahr 1851 ausgerufen: „Nur der 
Wiſſende (i. e. ego) erkennt darin die Ablagerung eines Schmerzes"! 

Auf derfelben Seite jchreibt Bittner über diefen Aufſatz weiter: „Das 
war Del in's Feuer gegoſſen“ — warum? wegen des „herben Zuges?" 
wegen des nur dem Wilfenden erkennbaren abgelagerten Schmerzes? — 
„und bald follte er die Folgen feines Freimuthes fühlen: Reſſel wurde 
im Klofter internirt, feine Brofhüre wurde confiscirt, 
er jelbjt unter Polizeiauffiht geftellt.” Bis jest war nur 
befannt, daß der Aufſatz inhibirt wurde; ob Nefjel überdies noch internirt 
und unter Polizeiaufficht gejtellt wurde? 

Ein Zufall wollte es, daß ich im Jahre 1883 mit einem Programm- 
aufjage jozujagen Leidensgenofje Reſſels ward; — man wird mir darum 
glauben, wenn ich jage, daß wir mit gegenfeitigem Intereſſe von unferen 
confiscirten Abhandlungen fprachen, von einer Anternirung und Ähnlichen 
graufigen Geſchichten, womit Refjel betroffen worden fein fol, habe ich 
nichts vernommen. 

Uebrigens theile ich hier den amtlichen Erlaß mit, welcher das Er- 
ſcheinen behinderte, einmal damit auch der Biograph felbjt emdlich den 
wahren Grund der fchredlichen Folgen erfahre und dann weil ich glaube, 
daß fein Inhalt geeignet ift, auch dem ferner jtchenden Leſer die Mög- 
lichfeit zu bieten über die Wahrjcheinlichkeit und Unmwahrjcheinlichkeit der 
gejchilderten perfönlichen Folgen des mehrfach genannten Aufjages zu ent- 
ſcheiden. Diefer Erlaß des k. k. Statthalterei -Präfidiums ddto. 30. Juli 
1854 3. 7818 lautet: 


Brürer k. k. Gymnaſial-Direction. 

Der Zweck der Herausgabe von Gymnaſialprogrammen beſteht zu— 
nächſt darin, dem Publicum den Zuſtand und die Wirkſamkeit der Schule, 
wie ſie im abgelaufenen Schuljahre ſtattgefunden, darzuſtellen; und es liegt 
daher in der Natur der Sache, daß in einem ſolchen Programme nicht 
jede wie immer geartete wiſſenſchaftliche Abhandlung, ſondern nur eine 
ſolche Platz zu finden habe, welche Stoffe aus dem Bereiche der Gymnajial- 
thätigfeit behandelt und bei der Behandlung diefer Stoffe auf den Umftand, 
daß derlei Programme auch den Schülern der Anftalt zu verabreichen 
fommen — angemejjene Nücjicht nimmt. 


— 309 — 


Das zur Verdffentlihung bejtimmte 4. Programm des Briger Gym⸗ 
naſiums am Schluſſe des Schuljahres 1854 enthält nun einen Aufſatz 
unter der Ueberſchrift: „Ueber die Freiheit des Individuums“ von Wenzel 
Zacharias Reſſel, welcher Aufſatz — wenn auch den Verfaſſer hiebei eine 
löbliche Abſicht geleitet haben mag — für ein Gymnaſialprogramm um ſo 
weniger zweckmäßig gewählt erſcheint, als die denſelben durchwehende Idee 
das von einem Gymnaſialſchüler in ſeiner Weiſe zu beherrſchende Gebiet 
offenbar überſchreitet, und ſelbſt auch namentlich wegen der im Schlußabſatze 
enthaltenen, den Syſtemen Englands und Amerikas geſpendeten Lobes— 
erhebungen zu Mißdentungen, und daher zu einer unrichtigen Auffaſſung 
von Seite der Schüler leicht Anlaß geben Fönnte. 

Unter diefen Verhältniſſen finde ich der Aufnahme eines ſolchen Stoffes 
in ein Gymnafialprogramm die Zuftimmung zu verfagen und beauftrage 
hiemit die k. k. Gymnafial- Divection, dem diesfälligen Auffage entweder 
eine andere, dem Bereiche der Gymnafialthätigkeit entlehnte wifjenjchaftliche 
oder pädagogiihe Abhandlung eines Lehrers zu ſubſtituiren, oder falls 
diejes wegen Kürze der Zeit nicht mehr möglich fein follte — die Heraus— 
gabe des Programms für das laufende Jahr auf ſich beruhen zu laſſen. 

Uebrigens gewärtige ich, daß die kak. Gymnafial-Divection ‚bei Ber- 
fafjung künftiger Programme den vorausgefprochenen Zwed richtiger erfaſſen 
und ſonach die Einbeziehung von Auffägen in jelbe vermeiden werde, welche 
der Sphäre des Gymmafialunterrichtes entrüct find. 

Der Statthalter: Mecjery." 


Der Erlaß kam zu ſpät, die Programme waren bereit gedrudt. Ein 
zweiter in der Sache an das Brüxer Kreisamt gerichteter Statthaltereierlaß 
ddto. 31. Juli 1854 3. 10186 unterfagt darum die Verbreitung des 
Programmes und gibt den Auftrag „die ganze Auflage in amtliche Ver— 
mwahrung zu nehmen“ Das gejchah denn auch, wie uns eine Anmerkung 
des Freisämtlichen Protofollbucdhes vom %. 1854 belehrt. Die Auflage 
betrug 500 Exemplare. Außer diefen 2 Erläfjen eriftirt in der 
ganzen Angelegenheit fein weiteres amtlihes Schriftjtüd. 
Ich glaube damit bewiejen zu haben, daß von der Staats: 
gewalt eine Internirung Refjels nicht verfügt wurde. Alſo 
war e8 der Orden? — Der Orden, der mit der ganzen Angelegenheit auch 
nicht im entferntejten etwas zu thun hatte ? 

Es jei hier zugleich auch jener Erlaß mitgetheilt, nacdıy welchem dem 
Reſſel'ſchen Lehrbuch der Gefhichte (6. B. S. XV ermähnt) die 
Approbation verweigert wurde. 3. 2641 Le. ©. B. K. k. Brürer Gym— 


— 30 — 


nafial-Direction.. Dem Wunfche!) des dortigen Lehrers der Gejchichte 
P. Zacharias Nefjel, das von ihm verfaßte Manufeript „Lehrbuch der 
Gefchichte I. Theil“ 2) dem h. Unterrichtsminifterium mit dem Antrage auf 
deffen Einführung als Schulbuch zu unterbreiten, konnte ungeachtet der 
vielen Vorzüge dieſes Werkes dennoch nicht entjprochen werden. 
Bor allem ift der von dem Verfaſſer bei der Bearbeitung dieſes Buches 
eingenommene Standpunft nicht der, welchen die Schule fordert. 


So ausgezeihnet und glänzend überdies die Daritel- 
[ung beinahe durchgängig tft, für das Knaben und Yünglingsalter 
ift die fchlichte temdenzlofe Darftellungsweife zweifelsohne vorzuziehen. 
Dasselbe Alter bedarf ferner in den ihm gebotenen Leſebüchern einer 
größeren Ueberfichtlichkeit, als fie der Verfaffer feinem Manuferipte gegeben. 
Ein Lehrbuch der Gefchichte für die ka k. Gymnafien muß endlich der 
Geographie die gehörige Rechnung tragen, was der Berfajjer 
wegen anderweitiger Darftellungszwede außer Acht Tief. Könnte ji 
derfelbe zu einer Ueberarbeitung feines Werfes nad) den 
angedeuteten Rihtungen entſchließen, fo ift an dem Zu 
ftandefommen eines für die Schule angemesjenen Lehr— 
buches faum zu zweifeln. Die Direction wird angewiejen, den 
P. Zacharias Refjel unter Rüdftellung des beifommenden Manufcriptes 
hievon in Kenntniß zu jegen. Prag, am 1. Juli 1853. 

Der Statthalter: Mecſery.“ 

Refjel, eine der hartnädigften Naturen, die wir kennen, verblieb auf 
dem eingenommenen Standpunkte, er änderte fein Wort, feine Silbe, er 
gab lieber fein Werk der Vergejjenheit preis. 

Nah der Darftellung Bittners hat es den Anfchein, als ob das 
Lehrbuch erſt nad) 1855 verfaßt worden wäre; wie der Erlaß indeſſen 
deutlich lehrt, fällt die Abfaffung bereits in das Jahr 1853 oder nod) vor 
dasfelbe. Inwieweit Höfler mit der Sache verquidt it, weiß ich nicht. 
Vielleicht war das Manufcript, das ich felbft nicht Fenne, ihm zur DBegut- 
achtung vorgelegt worden. 

Daß Reſſel ein entfchiedener Gegner des Ordens Jeſu war — iſt 
mir aus feinen Werfen und vielfachen perjünlichen Aeußerungen hinlänglich 
befannt. Wie weit die Mitglieder diefer Gefellichaft aber und in Sonder- 
heit die Sejuiten des benachbarten Maria Schein in feinen eigenen Lebens: 
gang ftörend und zertörend eingegriffen haben, darüber von ihm ſelbſt 


1) Bittner meint über hohe Aufforderung. 
2) Das Manufcript joll, wie Bittner verfichert, vorhanden fein. 


BE 7 


— 311 — 


etwas Genaueres erfahren zu haben, kann ich mich nicht erinnern. Ganz 
überraſchend trifft mich aber die Mittheilung Bittners, daß die Jeſuiten 
auch die Schuld an ſeiner Verſetzung in den Ruheſtand (1872) trugen, 
und es muß dieſe Mittheilung auch in weiteren Kreiſen überraſchend wirken, 
weil nad) der bisher allgemein herrfchenden und für richtig gehaltenen 
Anficht feine Enthebung vom öffentlichen Lehramte mit feiner raſch zu- 
nehmenden Erblindung in Zufammenhang gebracht wurde, für welche 
übrigens auch die jener Zeit angehörigen Manuferipte — wie fie immer 
unlejerlicher werden und ſchließlich ganz unleferlich find — beredtes und 
unparteitfches Zeugniß abgeben. Uebrigens bezeugt Bittner (©. XXV) 
ſelbſt, daß Reſſel feit 1875, alfo nur 3 Jahre nach feiner Penfionirung, 
völlig erblindet war, fo daß er gar nit mehr ſchreiben 
fonnte. 

Thatſächlich joll es, wie noch lebende und glaubwirdige Zeugen am 
Brürer Gymnaſium verfichern, der ehemalige Gymnafialdirector P. Neußer 
gewefen fein, welcher aus dem Grunde der bedenklich raſch zunehmenden 
Erblindung, alfo aus pädagogifchen ARücfichten, den Antrag auf deijen 
Enthebung ſtellte. War nun etwas anderes zu erwarten, als daß Reſſel, 
der fich noch im Vollbefige feiner geiftigen Kräfte fühlte, der feine leibliche 
Blindheit nie recht zugeftehen wollte, diefer Enthebung den heftigften Wider- 
ftand entgegenjegte und feinen Unmuth darüber hell aufleuchten ließ, zumal 
ihn die enthebende Nachricht unvorbereitet getroffen haben ſoll? 

Es wäre ja möglich, daß Bittner mit feiner SYefuitenriecherei Recht 
behält. Dann muß er aber, um langjährige, in Fleifh und 
Blut übergegangene Anfhanungen auszurotten, für fein 
Eoulifjengeheimniß andere Belege bringen, als das unbe- 
ftimmte, alles und nichts fagende Eitat unter dem Striche, 
und vor allem das Märchen von dem befoldeten Spion, 
der unter Reſſels befehrendem Einfluffe aus einem Ye 
jnitenfpigel ein Schüler Aeskulaps geworden, durd ge 
eignete Beweismittel zur Klarheit hiſtoriſcher Glaub» 
würdigfeit emporheben. 

„Es war ein denfwürdiger Bejuh am Nenjahrstage 1884 ꝛc. ꝛc.“ 
Mit diefen Worten leitet Bittner eine Epifode aus dem Leben Refjels 
ein, von welcher er jagt, daß fie von jo allgemeinem Intereſſe fei, daß 
deren Bekanntwerden die Öffentliche Aufmerkſamkeit in hohem Grade in 
Anspruch zu nehmen geeignet ift. Der blinde Reſſel erzählt feinem nach— 
herigen Biographen, wie er ohne phyſiſches Augenlicht ſelbſt die ſchwerſten 
Sprachen mit dem geiftigen Auge leſen könne. „BZ. B. ich leſe den Deca- 


— 312 — * 


merone; es fehlt mir ein Wort, ſo ſchaue ich nur aufs Bücherbrett, wo 
das Wörterbuch ſteht, und ich ſehe deutlich die Stelle im Buche, das ge— 
ſuchte Wort — ich bin orientirt.“ Und zum Schluſſe ſeiner Erzählung 
ſoll er gejagt haben: „Sch habe Ihnen heute mein Geheimniß 
anvertrant, ich habe es noch Niemandem gejagt als Ihnen, 
weilich zu Ihnen Vertrauen habe, es würde mir auch feiner 
glauben; darum jagen Sie es nicht weiter!" 

Bor allem thut es mir leid, Herrn Bittner aus der Illuſion zu 
reißen, daß nur er diefer geheimnißvollen Mittheilung gemwilrdigt 
wurde. Reſſel erzählte nämlich die Art und Weife, wie er in feinen legten 
Jahren zu leſen pflege, auch mir und zwar, wie ich mich genau erinnere, 
zweimal, jolange ich mit ihm verfehrte — das zweite Mal Ienkte ich ſelbſt 
das Gefpräh darauf. Ober mirs auch an Neujahrstagen er- 
zählte, weiß ich nicht. So viel ijt aber ficher, daß er mir fein Verbot 
auftrug, und darum wußten bereit3 an hundert meiner Freunde von dem 
Geheimniß, bevor noch Bittner dazu Fam, die Welt damit in Staunen zu 
jegen. Neffel ging mir gegenüber in feinen Behauptungen jogar nod) 
weiter, indem er erklärte, daß fein geiftiges Leſen an feinerlei Entfernungen 
gebunden fei; das Buch, aus welchem er leſen wolle, könne beifpielsweije 
im Gymnaſium, in deſſen Bibliothek oder wo immer liegen, er leje daraus 
von feiner Sophaede aus, was er brauche. Und nicht nur Bekanntes, nicht 
nur Dinge, mit denen er fich jemals im Leben befchäftigt, böten ihm Stoff 
für feine Lectüre, auch völlig neue Erjcheinungen auf jedem Gebiete der 
Literatur, die er nie gefehen, könne er mit feinem geiftigen Auge — mühſam 
allerdings leſen und in fich aufnehmen. Und zur Erklärung des ganzen 
Vorganges fügte er hinzu, es verhalte fich wie mit einem Ei, deſſen Schale 
von dem werdenden Hühnchen durchbrochen werde; ebenjo habe auch fein 
Geiſt allmählich) mit vieler Mühe und enormem Willensaufmand die kör— 
perlihe Hülfe durchbrochen und ihm einen theilmeifen Erſatz geboten für 
das, was das phyſiſche Auge ihm vorenthalte. 

Nicht weniger, wie andere, von dem Gehörten überrafcht, beſchloß 
ic) der Sache, fo gut es mir möglich, auf den Grund zu gehen. — Auf 
jeinem Pulte Tagen beftändig aufgejchlagen die deutſche Grammatif von 
Heyſe und Herodot. Ich merkte mir einmal — beim Weggehen — die 
Seiten an, welche von diefen beiden Büchern aufgejchlagen waren. Nach 
ungefähr 8 Tagen — e3 war an einem Novembertage im Jahre 1885 — 
fam ich wieder. Meine gewöhnliche Frage, ob der Herr Profeſſor in der 
Zwifchenzeit wieder recht fleißig gewejen und viel gelejen habe, wurde nicht 
nur mit entjchiedenem Ja beantwortet, Reſſel erzählte mir auch fofort 


— 313 — 


ganz ausführlich, was er gelefen. Wie erftaunte ich aber, als ich, bevor 
ich mic) auf das Heine Sopha neben ihn feßte, auf die beiden Bücher 
blidte und die vor 8 Tagen bezeichneten Seiten wieder vorfand. Ich wurde 
fühner! Ich wußte, daß Reſſel ein Abonnent der Brüxer Zeitung fei. Meine 
Frage, ob er fie leſe, wurde gleichfalls bejaht. Nach einem bejtimmten 
Plane vorgehend, bejprach ich nun die gegenwärtig in unferem Baterlande 
herrſchenden widerwärtigen nationalen VBerhältniffe im allgemeinen und im 
befonderen, foweit fie nämlich auch an unjerer Stadt nicht fpurlos vorüber: 
gegangen. Ich ſprach über die zahlreichen tjchechifchen Schulen, die man 
rein deutjchen Gemeinden aufoctroigre 2c. ꝛc. Doc fiehe da, Reſſel, der 
eben noch erflärt hatte, jede Nummer der Brüxer Zeitung zu lejen, gab 
unumwunden zu, daß er von allen den von mir berührten Erjcheinungen 
eines bereit mehrjährigen mit aller Heftigfeit geführten nationalen Kampfes 
nichts wifle; die ganze Zeidensgejchichte, welche das deutjche Volf in Oeſter— 
reich feit dem Jahre 1879 durchgemacht, war ihm fremd geblieben, ihm, 
der einftens politisch jo regjam war, der für fein Volk, das deutjche, ein 
fo warmes Herz im Bufen fühlte, wie es nur den edeljten und bejten 
feiner Söhne ſchlagen konnte. Und wie ich in der Anwandlung eines ver- 
zeihlichen Pejlimismus der Befürchtung Ausdrud gab, es jei zu jpät, das 
deutiche Volk Fönne die Stellung nicht wieder gewinnen, welche es verloren, 
es müſſe ſich wohl ſchon gewöhnen an das Scidfal einer beherrjchten 
Nation in Dejterreich, da richtete ſich fein ſonſt tief gebeugter Körper empor, 
die Lider hoben ſich, es fchien, als ob wieder Jugendkraft Einkehr halte 
in den morjchen Körper des blinden 70jährigen Greifes, und die begeijterte 
Empfindung des Propheten die Fräftigen und feltfam raſchen Worte auf 
die Lippen ihm drängte: „Nein, niemals! Kein Volk kann auf Grund feiner 
Geſchichte und geiftigen Potenz in Defterreich herrjchend fein als nur das 
deutiche Volk. Nein, nein!" 

Seit jenem Tage, an welchem wir zum erftenmale über die nationalen 
Wirren unjeres Staates gejprochen, von denen er feine Kenntniß hatte, 
wicwohl er jie haben mußte, wenn er, wie er vorgab, die Brüxer Beitung 
gelejen hätte, feitdem war e8 in mir auch klarer geworden, was ich von 
dem Leſen Reſſels mit dem geiftigen Auge zu halten habe. 

Hatte Reſſel bewußt eine Unmwahrheit gefprochen, wenn er mir fagte, 
er leſe die Brüger Zeitung u. 3. jede Nummer derjelben? Glanbte er 
fomit jelbjt nicht, daß er überhaupt noch Iefen könne? Ich bin nicht der 
Meinung und erkläre, daß ich nicht auf dem Standpunkt derer jtehe, welche 
diefe Auſchauung, wie folgt, zu motiviren fuchen: Reſſel war Zeit feines 
Lebens unausgejegt und raftlos thätig. ALS fein Auge aber zu functio- 


— 34 — 


niren aufhörte, als Naht den Mann umjchloß, in defjen Innerem unge- 
ſchwächt der Geift und das heilige Feuer ungealteter Jugend Loderte, ſah 
er fid) in einen Zuftand verjegt, welcher grell abftach von feiner bisherigen 
Lebensthätigfeit, und dieſer Zuftand, im welchem fich dem gewöhnlichen 
Menſchen nichts als das Geſetz irdiſcher Vergänglichfeit abprägt, dünkte 
ihn eine Schwäche, gegen die er ununterbrochen aber vergebens: ankämpfte, 
und Reſſel, der nie in feinem Leben ſich einer Schwäche bewußt jtellte, 
nehm Anftand, das umerträgliche, nach feiner Meinung beſchämende Los 
peinlicher Unthätigfeit, zu dem er fich verurtheilt jah, Menfchen gegenüber, 
die ihn bisher von einer ganz anderen Seite fannten, einzugeftehen. Bringe 
man dazu jene gewiſſe Eitelkeit in Anjchlag, welche insbejonders dem Alter 
in einem hohen Grade eigen ift, das erfahrungsgemäß nur ungern oder 
gar nicht feine natürlichen Schwächen eingeftehen und befennen will, daß 
es abwärts gehe — jo könne darin nur ein Beweis mehr für die Wahr- 
fcheinlichkeit diejer Auffafjung gefunden werden. Wir jtünden jomit vor einem 
Valle, welchem der Charakter eines pſychologiſchen Räthſels ganz und gar 
mangele. Und dabei weiſen diejenigen, welche diefer Anſchauung find, neben 
dem erzählten Falle mit der Brürer Zeitung noch auf den wohl auch der 
Wahrheit entfprechenden Umftand hin, daß thatfächlich nichts exiſtire, was, 
eine Art Eontrole, beweijen könnte, daß er wirklich geleſen — — — 

Ich ftehe, wie jchon erwähnt, nicht auf diefem Standpunfte. Ich 
halte dafür, daß Reſſel glaubte, felfenfeft glaubte, daß er Iefe. Und indem 
ih an diefer Meinung feithalte, erkläre ich mir den Fall aljo: Durch ein 
ausgebildetes locales Gedächtniß unterftügt, denken wir uns den Mann, 
des Leſens unfähig, feinen Gedanken hingegeben. Es wird ihm dies und 
jenes, was er früher gelefen, in den Sinn fommen und zugleich auch das 
Bud, die Seite, felbft die Zeile, wo er es gelefen. Wiederholt fich diefer 
Borgang, jo kann die Lebhaftigfeit der Vorftellung es allmählich dahin 
führen, daß er troß der Weberzeugung feiner Blindheit dennoch Tejen 
zu Können meinte u. z. mit dem geiftigen Auge. Es jchien ihm aljo die 
lebhafte Neproduction gleich zu fein dem Wahrnehmen felbft, einem wirf- 
lichen Leſen — er hatte eine Hallucination. 

Erjegte ihm fo die Reproduction das unmittelbare Wahrnehmen, jo 
ift e8 nicht unmöglich, daß bei fortgejegten Hallucinationen in ihm der 
Glaube entjtand, überhaupt mit dem Geifte allein — daher auch jein 
Vergleich mit dem Ei — leſen zu können, uud er aljo alles — bereits 
Geleſenes und noch nicht Geleſenes — auf diefe Weife zu leſen imftande 
jet. Ein jolher Glaube konnte um fo leichter im ihm entjtehen, als er ja 
jo viel wie gar feinen Verkehr mit der Außenwelt hatte und bis auf den 


— 315 — 


einen Fall durch mich durch die Wirklichkeit nicht geftört wurde. Thatſächlich 
verneinte Reſſel feitvem meine Frage, ob er die Brürer Zeitung leje, doch) 
als ich mich erbot, ihm diejelbe vorzulefen, ſchlug er es höflich, aber ganz 
entjchieben ab. 

Ich refumire: Reſſel litt wie viele andere geiftig überaus regſame 
Männer an Hallucinationen, welche in feiner unbändigen, die lebhafteften 
Borftellungen ermöglichenden Willenskraft und in feiner körperlichen Dis— 
pofition die mächtigfte Förderung fanden. 

Ich erhebe jelbftverftändlich mit meiner Erflärung nicht Auſpruch 
auf abjolute Richtigkeit; ich habe mir wenigftens Mühe gegeben, den Fall 
Har zu legen; ob ich ven Biographen überzeugt habe? wer weiß es! Defjen 
aber glaube ich ficher zu fein, daß Kreife, welche zur Lecture diefer Auf- 
füge auch eine geeignete Vorbildung mitbringen, meine Erklärung der 
Wahrheit näher finden werden als jene Behauptung, welche mit dem 
Spiritismus Tiebäugelt und den Pſychologen eine nicht zu löſende Aufgabe 
entgegenhält. 

Die auf Seite XXI u. ff. befindlichen Aufzeichnungen über gemachte 
Ferienreifen, wie auch einige Gedichte, jo auch das Schlußgedicht, ein 
Prolog zur Geburtstagsfeier unferes Kaifers, habe ich dem Biographen 
zur freundlichen Verfügung geftellt. Daß derjelbe dem von allen Literaten 
geübten Zact, die Quellen zu nennen, nicht folgt, wer kann dafür?! 

Was jonft die Biographie Nefjels bis zum Schluffe des I. Theiles 
enthält, unterjchreibe ich gerne. Die Darftellung feines Heimganges von 
der Welt, die ihm jo wenig Freudenvolles bot, iſt wahr, würdig und jchön. 
Ja wohl! „Ex wird fortleben" — — und „fo ftill auch fein Leben aus- 
geflungen, jo innerlich belebt und bewegt ift e8 gewefen; wir find ung 
aber bewußt, daß mit ihm eine Größe untergegangen, daß er ein Mann, 
ein ganzer Mann gemwejen, einer der Beten unferer Zeit.” 

Da Refjel an Falten Wintertagen, wern das Feuer in dem Heinen 
Dfen, welcher in dem großen durch eine Tapetenwand getheilten Zimmer 
Stand, erlojchen war, jelbjt den Ofen zu heizen pflegte, fürchtete man nicht 
mit Unrecht aus der Manipulation des blinden Greifes Feuersgefahr, und 
die Stadt, in deren Beſitz das Klofter feit 1883 war, wies ihm darum 
im Jahre 1885 einen befonderen Diener zu, welcher ihn aus dem an— 
ftoßenden, mit dem Neffels durch ein Guckloch verbundenen Zimmer jeder: 
zeit überwachen fonnte, Die Familie diefes Dieners pflegte den alten Ge— 
lehrten mit aller Sorgfalt nnd Hingebung. 

Eine merkwitrdige Fügung wollte es, daß Reſſel, der durch nahezır 
14 Jahre in Folge feiner Blindheit die liebe Sonne nicht mehr gefehen, am 


-- 3l6 — 


legten Tage feines Lebens fic über das läjtige Sonnenlicht tief beflagte, 
weil es ihm heftige Schmerzen bereite. Sein Diener erzählte mir, daß er, 
während feine durch die Lider halb verdedten Augen jtärfer denn je aus 
ihren Höhlen hervorquollen, mit vorgehaltenen Händen heftig gegen das 
Fenſter ftürzte, als wollte er die ihn chmerzenden Sonnenjtrahlen abwehren. 
Erſt als das Fenfter verhängt war, ward er ruhiger; er legte fich zu Bette, 
um es nie wieder zu verlajfen. Sanft und ohne Todeskampf ſchlummerte 
er hinüber in die ewig lichten Gefilde eines bejjeren Jenſeits. 

Der II. Theil der Einleitung befchäftigt ſich mit der Beurtheilung 
der wifjenschaftlichen und dichterifchen Thätigkeit Reſſels. Sein „Handbuch 
der Univerjalgefchichte für gebildete Leſer“ beiprechend, gibt Bittner auf 
Seite XXXI. feinem Erftaunen Ausdrud, daß Reſſel zumeift auf geiftlicher 
Seite Feinde erftanden, und kann dies nicht begreifen, da ja Reſſel „ich 
allezeit als Berfehter des reinſten Döismus erwicjen". 
Köftlih! Weiß denn Bittner nicht, was Deismus in Religion und 
Philofophie bedeutet? Weiß er denn nicht, daß die Deijten, abgejehen 
von ihrem Glauben an Gott als den legten Grund aller Dinge, mit 
Berwerfung der außerordentlichen Offenbarung den religiöjen Glauben 
nur auf Gründe der Vernunft ftüßten? Daß die franzöfischen Philofophen 
ihre Waffen gegen das Ehrijtenthum zum größten Theile aus den Arjenale 
der englifchen Detjten nahmen, jener unverjöhnlichen Gegner der geiftlichen 
Orthodoxie und Scholaftit, weldye die Anficht von dem dreieinigen Gott 
befämpften, von welchen ſogar einer, Toland, den Glauben an einen per- 
jönlihen Gott und die Unsterblichkeit der Seele und dergleichen als Aber- 
glauben erklärte? 

Uebrigens ijt es unrichtig, daß Neffels Geſchichtsbuch 
in ſolchem, aljo deiftifhem Sinne abgefaßt ift, und wenn wir 
ftaunen, jo fünnen wir nur wieder über die Kühnheit ftaunen, mit welcher 
Bittner feine Erfindung der gebildeten Welt auftiſcht. Er Iefe doch ge 
fälfigft, was Reſſel in feiner Gefchichte über die Deiften fagt, mit welchen 
curiofen epithetis ormantibus er Toland, Tindal, Shaftesbury u. a. aus: 
zeichnet. Ich ftimme mit Bittner vollfommen überein, wenn er fagt, 
Reſſels Geſchichtswerk fei „von jugendlicher Begeifterung, von wärmfter 
Liebe für fein Vaterland und fein Volt duchwärmt“, wenn er auf die 
Schönheit, den Ernſt und die Würde der Sprache, die oft poetifche Auf 
fafjung und die gejchicte Behandlung hinweiſt — zu einem ſolchen Urtheile 
genügt eine einfache Stichprobe — auch darin, wenn er jagt, daß „Nefjels 
Geſchichte Feine Rüſtkammer alter Urkunden und Folianten ſei“ — folgt 
Ihon aus dem Zwecke des Buches — daß „wir nirgends eigenfinniges 


— 317 — 


Pohen auf eine Quellenfindung ſehen“ — in weldher anderen Welt- 
gejhichte jah dies denn Bittner? — daß „der Gefchichtsichreiber den 
Gejchichtsforicher überragt“ — nicht aber darin, daß dem Werfe „troß 
alledem gründlihes Quellenftudium nicht abgejprochen" 
werden kann. 

Da gibt es nur zwei Annahmen, welche diefe Schalterweisheit, die im 
Großen und Ganzen einem Gallimathias auf ein Haar gleicht, erflärlich 
erscheinen laſſen: entweder hat Bittner — das richtige Verjtändnig vor- 
ausgejegt — nicht das ganze Werk gelefen, oder er ift in der Geſchichte 
doch zu wenig bewandert, um in ihr zur berufenen Kritik fich verfteigen 
zu fünnen. Mich dünkt die Tegtere Annahme die richtige zu fein, weshalb 
auch meine Einladung ohne Erfolg bleiben dürfte, bei der erſtbeſten Muße 
die Gejchichte der Langobarden, der Weftgothen, der Luremburger, der 
Hufitenzeit aufmerkſam durchzulefen. Ich wählte hier in Eile und nur Weniges 
aus, doch nur ſolche Partien, die jchon damals bejjer beleuchtet waren. 
Wenn ich mich aber auch mit Bittner weniger in Hebereinftimmung befinde, 
in defto innigerer Uebereinjtimmung fühle ich mich mit Reſſel ſelbſt, der 
in jeiner Vorrede jagt: „feine Arbeit jet nicht für die FFachgelehrten beftimmt, 
jondern für den großen Kreis der Gebildeten; diefen it au der Maſſe 
hiſtoriſchen Meateriales weniger gelegen, fie juchen vielmehr in die Tiefen 
des inneren Lebens im Menjchen einzubringen, die Gejege zu erjpähen, 
nach welchen es jich entfaltet, verweilen mit Vergnügen bei Erjcheinungen, 
in denen das Göttliche im Menjchen offenbar zu Tage liegt. Sein Be— 
jtreben jei, das tiefere Verftändniß, die innigere Auffaffung der Gejchichte 
zu fürdern, denn es fei eine unerläßliche Forderung der Zeit, daß die 
Geſchichte in das Volf übergebe, nur jo fünne es jenen hohen 
Beruf erfiillen und eine jegensvolle Wirkjamfeit entfalten.“ 

Und Dr. Schlefinger, auch ein Schüler Reſſels, welcher nirgends mit 
jeinem Lobe zurückhält, wo es gerecht ift, jchreibt in jeinem ſchon erwähnten 
ausgezeichneten Aufſatze über Reſſels Weltgeichichte zum Schluffe: „Im 
Sadhlihen mögen gar manche Bartie und zahlreiche Einzel- 
heiten des Reſſelſchen Werkes jchon bei ſeinem Erjcheinen 
ven jtrengen Anforderungen der Wijjenihaft nicht völlig 
entjprohen haben. Heute wird aud dem minder Kundigen 
recht Vieles veraltet erſcheinen. . . .. 

Recht unangenehm berührt war ich über die Indiscretion, welche 
Bittner auf Seite XXXVII begeht, da wo er die philoſophiſche Wirk— 
ſamkeit Reſſels bejprechen zu können glaubt. 


— 
0 


Mittbeilungen. 26. Kahrg. 3. Heft. 


— 318 — 


Aus einer von mir ihm gelegentlicd) gemachten Privatbemerfung, in 
dem philofophiichen Nachlaß ſei ein Stüd wahrer Straußnatur verborgen, 
macht er, der fein Wort davon gelefen, folgenden jelbjtbewußten Sag und 
donnert ihn in fetten Lettern vrüdjichtslos in die Welt hinaus: „Wie ich 
nachträglich erfahre, iſt auch das eine Werf mit verändertem Titel „Die 
Lehre vom Geiſte“ im Nachlaſſe vorgefunden worden und ijt complet. Das 
oben Gejagte ') trifft vollftändig zu, Reſſel fonnte in feinen Verhältniffen die 
Herausgabe nicht wagen, da in diefem Werke eine Abhandlung enthalten 
it, in welder jeine kritiſche Forſchung zu Refultaten ge 
langt, wie fie ähnlich David Strauß in jeinem „Leben 
Jeſu“ und anderen wijjenjhaftliden Werfen nieder- 
gelegt hat”. 

Wer hat doch Herrn Bittner zu diejer unglücjeligen Indiscretion 
autorifirt? Herr Bittner fieht, wie er auf derjelben Seite bemerkt, mit 
lebhaften Intereſſe der Veröffentlichung der nachgelajjenen philoſophiſchen 
Schriften entgegen — — ja war denn der Herr Bittner, welcher doch 
fehr gut weiß, daß der Orden jein Bejigrecht auf den Nachlaß nicht 
nur nicht aufgegeben, jondern jogar recht nachdrüdlich betont hat, wirklich 
fo naiv, daß er glauben Fonnte, durch den Hinweis auf David Strauß 
der Veröffentlichung — wenn ſchon eine ſolche überhaupt gewagt hätte 
werden können — einen Dienjt zu erweifen? Ungefähr zwei Wochen nad) 
der von Bittner ſelbſt beforgten Mebermittelung feines 
Buches an den DOrdensprovinzial erhielt ich von leßterem einen 
Brief, in welchem ſich auch folgende Stelle findet: „. . ... jieht fich 
das Provinzialat bewogen, Sie freundlichjt zu erfuchen, ſämmtliche Ma— 
nuferipte Reſſels eheſtens anher zu jenden, damit auch die Urtheile 
anderer Fachmänner eingeholt werden fünnen, ob und inwiefern dieſe 
Handjchriften zur Drudlegung geeignet erſcheinen.“ 


Ich bedauere Herrn Bittner, daß er nun etwas lange wird warten 
müſſen, bis ev jein lebhaftes Intereſſe, mit welchem er der Veröffentlichung 
des Reſſelſchen Nachlafjes entgegenfieht, wird befriedigen können. 

Wir fommen zu den Gedichten Nejjels. ch erkläre gleich im vor- 
hinein, daß ich aus wirklicher Pietät für den theueren Todten Feine ein: 
gehende Beiprechung derjelben liefern werde — nur das unbedingt Noth- 
wendigite joll und muß zur Begründung meiner von der des Biographen 
weſentlich abweichenden Meinung erwähnt werden —; denn wie Reſſel 


TI Refiel ſoll mit Rüdficht auf diefes Werk gejagt haben, daß man ihn aus dem 
Klofter anf die Straße werfen würde, wenn er's veröffentlichte. 


— 319 — 


jih nicht als Dichter berufen fühlte, weshalb er wohl auch in feinen 
28. Jahre die Leier fiir alle Zeiten zur Seite legte, jo wollte er auch 
nicht, daß die Rinder feiner Jugendmuſe jemals das Licht der Welt cr- 
blidten. Wir haben nirgends einen Anhaltspunkt fiir die gegentheilige 
Annahme. Und wenn Bittner in feiner Einleitung erflärt, daß es nicht 
feine Abjicht fein durfte, dieſe Goldkörner deutfher Lyrif 
egoiftiijh der Welt vorzuenthalten, und wenn er in der Ver— 
Öffentlichung der Gedichte ohne Ausnahme ein pietätvolles Werk erfannte, 
erlaube ich mir ihn an eine Stelle aus Heines Memoiren zu erinnern, 
die mir bei diefem Anlaſſe bejonders lebhaft vor die Seele tritt und die 
da lautet: „Es ift eine unerlaubte und umfittliche Handlung, auch nur eine 
Zeile von einem Schriftjteller zu veröffentlichen, die er nicht jelber für das 
große Publicum beftimmt hat." Ganz richtig bemerkt die Brürer Zeitung: 
„W. 3. Refjel hatte gewiß nie den Ehrgeiz als Voet zur Geltung kommen 
zu wollen, feine poetifchen Arbeiten jtammen aus einer Alterszeit, in der 
das feurige Dichterroß jo manchen lahmen Reiter zu tragen Hatte und 
deren ZThaten Heinrich Heine in feiner gewohnten, ſcharfen bifjigen Art 
vecht unhöflich bezeichnet hat. Im Schwunge jugendlicher Begeifterung, 
im Drange noch nicht abgeflärter literarifcher Schaffensluft griff der phi— 
lofophijc angelegte Studio zur Leier und poetaſtirte, wann's und wie's 
ihm gefiel, ohne ſich Zwang anzuthun, die Kritif nicht fürchtend, die er 
nicht ſuchte.“ 

Dur alle Gedichte Reſſels — jelbjt die „erotijchen” nicht ausge: 
nommen — zieht ſich der fejte Faden einer zum eijernen Entjchluffe ge: 
reiften Rejignation — die Folge eines ungeliebten Berufes — das Sehnen 
nad Grabesduft, das Verlangen nad) dem fernen Vaterland, wo allein 
Wahrheit und Wiſſen reifet. 

Das Thema, welches Nezahualkoyotl, der aztekiſch — tezkukaniſche 
König am See von Tezkuko ftimmungsvoll glojfirt und der hebräifche König 
Dichter Salomon in feinem „Koheleth“ — das ewig alte und junge Thema 
„Vergänglichkeit", welches Schiller mit den wenigen, treffenden Worten 
„Rauch ift alles irdiſche Weſen“ variirt — es fehrt auch in Reſſels Poe— 
ſien mit unbarmherziger, grauſamer Wiederholung — in faſt allen ohne 
Unterbrechung wieder. Und wie eben denſelben Reſſel Bittner mit dem durch 
und durch volksthümlichen Hebel vergleichen kann, mit Hebel dem Dialeet— 
dichter, welchem die humoriſtiſche Weltbetrachtung in ſolchem Maße eigen 
war, daß er mitten in den politiſch trübſten Zeiten Deutſchlands ſeinen 
„Hausfreund“ ſchreiben konnte, iſt mir unerfindlich, und nicht minder ſchwer 
vermag ich den Vergleich mit dem ſanften elegiſchen Hölty zu begreifen, 

22* 


— 320 — 


der mit feiner frisch quellenden Naturfreude die anmuthigſten Töne anjchlug, 
der dem deutjchen Volke einige der jchönjten Lieder, wie „Wer wollte jich 
mit Grillen plagen" — „Rofen auf den Weg geftreut” etc. als unver: 
gängliches Erbthum in's Herz hineinſang. Weil Hölty in feinem 28. Jahre, 
eine frühzeitig geknickte Blume, ins Grab ſank und Refjel in gleichem 
Alter die Leier aus der Hand legte — deshalb ſoll Hölty in der deutſchen 
Literaturgefhichte ein „merfwürdiges Seitenftüd" zu Reſſel 
bilden ? ? 

Bittners Beurtheilung der Reſſelſchen Gedichte iſt eine entſchiedene 
Uebertreibung vom Anfang bis zu Ende, welche jelbjt die glühendfte Hin- 
gebung, die Teidenjchaftlichite Liebe fiir den einjtigen Lehrer, der wir vieles 
zu gute halten, nicht zu entjchuldigen vermag. 


Hätte Bittner Feine „Goldkörner“, nicht „die duftigjten Blüthen 
deutscher Lyrik” den „VBerehrern einer gehaltvollen Poeſie“ in Ausſicht 
gejtellt, hätte ev nicht von einer „dDurchgehends fließenden Behandlung. des 
Reimes“, von einem ebenſo „tadellojen Versmaße“ in feiner Einleitung 
geiprochen — firwahr, die Enttäufhung wäre feine jo große gewejen! 

Unter den 79 Gedichten, welche Bittner veröffentlicht, finden ſich 
kaum 20, aus welchen eine gejchidte Hand eine Auswahl drudfähig hätte 
machen können. Was joll man aber beifpielsweife zu Gedichten jagen vom 
Sclage der „Ermordung des hl. Wenzel”, von den Gedichten: „Mein 
Baterland”, „Gruß den heimfehrenden Kriegern“, „der Menjchenfreund", 
„ver Einfiedler” u. a. m. ? 

In vielen anderen finden jich faft jchon mehr als bloß verwandte 
Anklänge an jeinen LTieblingsdichter Schiller, wie: „Wohl glänzt ihm die 
Locke ſilberweiß — doc, blüht ihm ein jugendlich Leben" (Blücher), „Ja 
in Columbus Lorberhain — Trat ich mit freud’gem Staunen ein” (die 
Heimat) etc. Sein „Pilger“ aber ijt ſtellenweiſe eine geradezu wörtliche 
Gedanfen-Eopie des Schiller'ſchen „Pilgrim". 

Das Versmaß iſt hier und da vecht holperig und unbequem, voll 
gewaltjfamer Unterbrehungen, — Erjcheinungen, welche mehr als in einer 
Nichtung ftörend wirken. 

In das Gebiet „poetifch ſchöner Darjtellung” gehört wohl unzwei— 
felhaft auch der Shluß des 1. Gedichtes, des „Liedes der Verbündeten 
auf dem Schlachtfelde bei Leipzig”, welches Bittnern jchon Zeugniß gibt 
von „den eifrigen und vertieften Gejchichtsjtudien des 16jähr. Jünglings“ 
— man unterlajfe es nicht, dasjelbe zu leſen — und diefer Schluß — 
eine Conjectur Bittners — lautet: Irene (C.) ſah's — und Blige 


— 321 — 


fuhren, Freut euch, Frankreichs Adler fiel!" Fürwahr, ein ſeltſames 
poetijches Attribut der Friedensgottheit! 

Die einjältigen Alten, die da Irene mit einem Palmenzweige darge: 
jtellt, welche entweder eine Waffenrüftung oder ein Bündel Waffen mit 
dem Fuße tritt oder welche den Janustempel zufchließt!! 

Entjchieden müſſen wir aber Reſſel gegenüber folgendeu Fehlern in 
Schuß nehmen: vor dem Nichter tritt — mit mächtigen Drängen — mit 
nimmer ermattenden Glühen — Bon alten Muthe — Deit immer ftärfern 
Feuer — Zu ihren Bürger fühl ich mid erkoren — mit ihren Flitter- 
jtand etc. So ſprach, jo jchrieb auch Neffel nicht. Man weiß jchon, wo 
dieje Fehler zu Haufe find! Oder find dies etwa die archäiftifchen Formen, 
welche Bittner, wie er im Vorwort jagt, leicht hätte bejeitigen können, aber 
— natürlich wieder aus Pietät — jtehen gelafjen hat?! 

Wir wollen nicht weiter forjchen. Al das Erwähnte genügt wohl, 
die Darjtellung Bittners „in jchlichten Worten" und feine objective Fritijche 
Begabung ins richtige Licht zu ſetzen. 

Reſſels Gedichte haben bereits eine Reihe von Kritiken in den 
Provinzblättern heraufbeſchworen. Nirgends will in ihrer Veröffentlichung 
eine abjolute Ehrung des Todten anerkannt werden. Sie werden, wie leider 
zu befürchten war, vecht ſcharf hergenommen und rückſichtslos beurtheilt. 

Ich wiederhole nochmals: Der Zweck, von welchem Bittner bei der 
Herausgabe feines Buches fich leiten ließ, ijt an fich ein löblicher, er ehrt 
den dankbaren Schüler. Aber die Frage jei gejtattet, ob derjelbe Zweck 
nicht auch erreicht worden wäre, wenn im Anjchluß an eine gerecht ab- 
wägende Beichreibung des Lebensganges Refjels nur wenige der beiten 
Gedichte desjelben veröffentlicht worden wären und zwar durch das 
Mittel einer Subjeription, an deren Kopf die munificente Spende der 
fol. Stadt Brüx geleuchtet hätte. Gewiß hätte diefe Subfeription nicht jo 
viele ausgefchloffen, als thatſächlich durch den hohen Preis des Buches 
von 2 fl. ausgefchloffen find, ihr Scherflein auch mit zu dem edlen Zwecke 
beizufteuern. Und die Welt wäre an einer Erfahrung ärmer 
geblieben — wahrlid niht zum Schaden des theuren 
Todten! Sie wußte bis jegt, daß Reſſel ein tüchtiger Hiito- 
rifer, ein tief denfender Philoſoph war — als Dichter wollte 
er felbjt der Welt nicht bekannt fein! 

Brür, im November 1887. Ant. Rebhann. 


— 32 — 


Hagen über Friedland und Amgebung. 


Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Tannwald. 


10. Andere Sagen vom Friedländer Schlofe und der Stadt 
Friedland. 


Bom Schloſſe jollen zwei unterivdiiche Gänge ausgehen, der eine 
bis in den gegemüberliegenden Haagberg, der andere ins Gebirge. In 
denfelben follen noch viele Schäge verborgen fein. Im Haagberge joll 
einmal ein Keffel, mit Gold gefüllt, gefunden worden fein. 

Ein Befiger des Schloſſes ſoll ein Schwarzfünftler gemwejen fein. 
Einft z0g er feinen Verbündeten in der Lauſitz zu Hilfe; da jchuf er ſich 
in der größten Eile ein Heer, indem er aus Gerfteförnern Kavallerie 
und aus Haferförnern Infanterie machte. Als er mit diejem Heere in 
Bittan ankam, jprengte er auf das Rathhaus, und die Feinde entflohen 
vor Schreden. 

Im Schloßhofe befindet fich ein tiefer Wafjerbrunnen. In der Nähe 
desjelben ift ein fchwarzer Stein in der Mauer; dort joll jemand einge- 
mauert worden fein. 

Ein Gäßchen in der Stadt heißt die „Stöberfenle". Dasfelbe 
joll jeinen Namen einer waderen That zu verdanken haben. Als nämlich 
in alter Zeit einmal eine feindliche Rotte in die Stadt fam, trieben oder 
„Höberten" die Bürger fie mit „Keulen“ hinaus. 


Mittheilungen der Geſchäftsleitung. 





Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglivder. 
Geſchloſſen am 10. Februar 1888, 


Stiftendes Mitglied: 
Herr Roſeunbacher Arnold, JUDr., Abvocat in Prag. 


DOrdentlide Mitglieder: 


Löblicher Bezirksausſchuß Aufig. 
Auſcha. 
ni Bilin. 


— 323 — 


Löblicher Bezirksausſchuß Braunan. 


" D Brüx. 

" " Eger . 

> R Elbogen. 

r . Falkenau. 
Friedland. 
Gabel. 
Görkan. 

n n Haida. 
Karbith. 

u J Karlsbad. 
A : Komotau. 
— Königswart. 
" rn Neudek. 


Schluckenau. 
Herr Rittner Bruno, Rentmeiſter in Braunau. 
„Blöchl Fr. in Luzep. 
Se. Hochwürden Herr Elementfo Alfred, Abt in Tepl. 
Herr Dobſch Alfons, stud. phil. in Wien. 
Se. Hochwürden Herr P. Fifher, Pfarrer in Tſchauſch. 
Herr Gautſch NR. und Ritter v. Weinzierl, Buchhändler in Prag. 
„ Dr. Grünwald Morig, Rabbiner in Jung-Bunzlau. 
„ Dr. Serofd Franz, k. k. Profeſſor in Prag. 
„Igl Franz in Kujchwerda. 
„ Kron Gottlieb, fürftl. Fürſtenberg'ſcher Wirthſchaſtsrath in Pürglig. 
Herr Löfhner Joſef, k. k. Bezirks-Commiſſär in Saaz. 
„Tuthi Alfred, Fabrifant in Polaun. 
Löblihes Mährifhes Gewerbe-Mufenm in Brünn. 
Herr Heumann Wenzel, Yabrifant in Dejjendorf. 
» Palme Sojef, stud. bil. in Prag. 
» Pattermann Julius, Fabrifant in Deffendorf. 
»  Porfde Joſef, Kaufmann in Brüx. 
» Priedfh Eduard, Privatier in ZTiefenbad). 
»  Wiedel Joſef, Fabrifsbejiger in Polaun. 
„Aibner Wenzel, JUDr., Advocat in Bla. 
» Amann Johann, Fabrifant in Ziefenbad). 
» Badhsmann M., Beamter in Prag. 
„Weckbecker C. A., Fabrifsdirector in Tannwald. 


| Se. &xcellen; | 
Franz Altgraf zu Salm : Keifferhheid, 


f. k. wirklich geheimer Rath und Kämmerer :c., 
Präfident des Vereines für Geſchichte der Deutfhen in Böhmen. 


Geftorben am 26. December 1887. 


Bere Fofeph Fink, 


Apothefer in Prag. 
Rechnungs Reviſor des Vereines für Geſchichte der Deutſchen in Böhmen. 


Geftorben am 16. Januar 1888. 





Die P. T. Herren Mitglieder werden erſucht, alle für den Berein 
beitimmten Werthjendungen, Geldbriefe wie Poftanweilungen zur Vermei- 
dung don Jrrungen an die Adreffe des Herrn Dr. Guftav C. Laube, 
f. k. Univerfität3- Profejjor und Gefchäftsleiter des Vereines, Prag, k. k. 
naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen. 


DE SIene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit 
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden 
böflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsleitung (Annaplag 188—I) 
gütigft recelamiren zu wollen. BG 


8. t. Sofbuchbruderei A. Haafe, Prag, — Eelbfivertng 


Mitteilungen des Vereines 


für 
Geschichte der Deutschen in Böhmen, 
Br. — 





Sechsundzwanzigſter Jahrgang. Viertes Heft. 1887/8. 





Die ültefte Golonifation im Brammaner Ländchen. 


Von Iulius Fippert. 


Seit den in der Hauptjache immer noch maßgebenden Forjchungen 
W. W. Tomels iſt das Urfundenmaterial über die Befiedlung des Brau- 
nauer Zändchen zwar nicht vermehrt, wohl aber in den Negeften von Emler 
— zum größeren Theile wieder durch Tomeks Vermittlung allgemein zu— 
gänglidy geworden. Die Darftellung Tomeks foll nichts an ihrer großen 
Berdienftlichkeit, und fie kann nichts an dem Werthe der Priorität verlieren, 
wenn wir ihr in einzelnen Fällen eine abweichende Auffafjung oder Er- 
Härung der beurfundeten Thatfachen entgegenftellen, oder fie durch Herbei- 
ziehung einiger Vergleichsmomente ergänzen zu dilrfen glauben. Die Ur- 
funden erzählen an ſich in ihren fnappen Andeutungen nod) feine Gejchichte 
und fie find oft fo väthjelhaft, daß auch Tome bezüglich einzelner Mo— 
mente von einer Deutung zur andern übergegangen ift. Es ift aber ein 
Bedürfniß unferes Heimatsgefühles, das uns nicht gejtattet, die beftreitbarer 
Punkte allein herauszugreifen, jondern ung verleitet, das Ganze unter dei 
Beleuchtung von diefen Punkten aus wieder darzuftellen. Möchte der 
Kritifer dei erjteren Weg vorziehen, fo werden uns unjere Landsleute 
entjchuldigen, wenn wir den zweiten wählen. 

Bon großer Bedeutung für die Auffaffung des Vorganges ijt vor 
allem die Erklärung der Grenzbeftimmung in der älteften Urkunde’) Indem 


1) Erben, Regesta Bohemica 4. Mai 1213. Nr. 539, 


23 


— 326 — 


Tometk die legtere in jeiner bejonderen Bearbeitung ') jo verjtand, daß jie 
das ganze Braunauer Ländchen in den Politzer Bezirk einſchloß, 
gelangte er zu Schwierigkeiten der Erklärung der jpäteren Umftände, die 
er jelbft wohl empfand und durd) eine Reihe von Hypotheſen erjt wieder 
wegräumen mußte, um uns in ein Verſtändniß des ganzen Sachverhaltes 
einzuführen. Diefer Verfuh muß ihn aber jelbjt nicht befriedigt haben, 
denn als er in jeinem größten Werke?) denjelben Gegenjtand in fnappen 
Umriſſen behandelte, Tieß er jene Hüpotheje jammt der urjprünglichen 
Auffafjung der Grenzbeftimmungen fallen. Oder war die Reihenfolge ent 
fprechend den Jahreszahlen der Ausgaben wirklich eine umgekehrte? Wie 
immer das jei; wir vermögen ihm nur auf dem zweiten Wege zu folgen. 

Bon geringfügiger Bedeutung tt in umjerem Falle diefe Entjcheidung 
keineswegs; mit ihr wird vielmehr zugleich die Frage entjchieden, ob die 
bis jegt allgemein gangbare Auffaſſung, daß diejes Grenzgebiet zuerjt 
und ausjchließlich durch die Mönche umd ihre wirthichaftliche Arbeit 
erjchlojjen worden jei, auch fernerhin noch aufrecht erhalten werden könne. 
Das iſt es aber, was wir nad genauer Ueberprüfung des Urfunden- 
materials jegt entjchieden verneinen müſſen. Während jene ältere Auf- | 
fafjung nur nod für den Boliger Bezirk gelten kann, erjcheint das 
Braunaner Ländchen als ein Theil desjenigen ausgedehnten Grenz- 
gebietes, welches fi) von der Grenze der Leitomifchler Stiftsherrjchaft 
nordwärts, dann hinter den Gebirgen der Menje, der Heujchener und 
der Braunauer „Wände” herum durch den Paß von Trautenau bis 
Königinhof wieder ins Land hereinzichend, ein großes Coloniſations— 
gebiet ver Premiſlidenkönige bildet. Der Kern diejes Gebietes 
ist die zu Böhmen gehörige Grafſchaft Glatz, der große Thalkeſſel zwiſchen 
den genannten Gebirgszügen und denen des Eulengebirges und feiner ſüd— 
öftlihen Fortſetzungen, das doppelarmige Flußgebiet der obern Neiſſe 
und der Steine. 

Diejem Gebiete gehört das Braunauer Ländchen von Natur aus anf 
als der nordweſtliche Theil des Steinethales, das fich ohne jede natürliche 
Abgrenzung nad) Glatz hin erweitert, während es nad) Böhmen hin durch 
ein jo jteil abjallendes Sandjteingebirge gejchloffen ift, daß ehedem nicht 
einmal Saummege, jondern nur jehr bejchwerliche Fußjteige an wenigen 
Stellen über dasjelbe führten. Die alte Straße aus Böhmen nad 


1) W. W. Tomek, Aeltefte Nachrichten über die Herrſchaften Braunau und Polig 
bis zur Zeit des Hulitenfrieges. Prag 1857, 
2) Tomek, Geihichte der Stadt Prag. Brag 1856. ©. 472 ff. 


= 837 — 


Polen!) berührte diejes Gebiet an feinem Punkte Sie führte ſüdlicher 
durch die Landespforte „na Dobeniné“, durch den Nachoder Paß zwijchen 
Heufcheuer- und Meenfegebirge nach Glag und jenjeits desfelben durch den 
äußern Paß, welcher einjt nach den jäumenden Anhöhen „Brdo“ und 
fpäter nach dem Wachtjchloffe dafelbft der von Warthe genannt wurde, 
nad) dem damaligen Polen. Hätte man mit Gütern auf Saumthieren — 
Wagen waren in der Zeit, mit welcher wir beginnen müjjen, noch ganz 
ungebräuchlicd — von Böhmen aus nach dem Braunauer Ländchen gewollt, 
jo hätte man dieje Straße und diejen Umweg wählen müfjen, um zunächit 
über das heutige Reinerz hinaus irgendwo oberhalb Glatz die Steine zu 
gewinnen und dann ihr folgen zu Fünnen. Fußgänger aber dirften den 
Uebergang auf dem jegigen Märzdorfer oder Barzdorfer Wege nicht gejcheut 
haben, um von da bei jener innern Zandespforte den Wegzug über Gräß, 
Sadsfa, Prag zu gewinnen. Den relativ ebenfalls jehr alten „Pieckauer 
Steig" am jegigen Weckersdorfer „Kreuzwege“ vorbei zu benugen, konnte 
vor der Colonijation des Poliger Gebietes Niemand bejonderen Anlaß 
haben, Eine urkundliche Bejtätigung haben dieſe Thatjachen darin, daß 
jelbjt noch im 15. Jahrhunderte das Braunauer Niederthor, das nach 
Sla zu gekehrt ift, das „Böhmische Thor" hieß, während man jeßt 
umgefehrt in nördlicher Richtung auf einer künſtlich um die Steinwände 
herumgeführten Straße die Verbindung mit Böhmen hergeftellt hat. Während 
jo das Ländchen faft überall jeine natürliche Grenze hat, erjcheint nur die, 
welche es heute von der Grafſchaft Glag trennt, als eine vollfommen will 
führliche; fie folgt im ihrer zadigen Linie lediglid) den Gütergrenzen, 
wie jie zwijchen Glatzer Lehensgütern und denen des Klojters Brevnov— 
Braunau gelegt wurden. 

Nun fteht aber feit, daß die Colonifation im jenem ganzen erſt— 
genannten großen Gebiete von den böhmischen Königen und insbejondere 
von König Ottofar IL unternommen und von ihren Organen durch 
geführt wurde. Niemand beftreitet, daß das von dem nördlichjten Theile, 
der in ein bejonderes Lehensgebiet umgewandelten Gegend von Trautenau— 
Königinhof gilt. Aber auch in dem ſüdlichſten Theile, deſſen Stützpunkte 
die Burgen Landsfron und Landsberg bildeten und deſſen Coloni— 
ſation die Eiftercienjer von Künigjaal vollendeten, haben die böhmijchen 
Könige den Anfang derjelben gemacht, und jie haben fie jelbjt in weiter 
Ausdehnung durchgeführt. Als das erſt 1292 begründete Klojter König: 
jaal im Jahre 1304 eine Urkunde von König Wenzel U. über jene 








1) Bergl. die Karte zu 9. Jiretef, Slovansk& prävo. Prag 1863. 


24* 
23 


—— 


— 328 — 


Güter empfängt,') werden in den „Diftricten” Wilhelmswerd (Wilden- 
fchwert) und Landskron bereits faſt alle Ortfchaften aufgeführt, welche 
nad Namen und Flurlage unbedingt als Coloniftendörfer erfannt werden 
müfjen. Zur Neuanlage einer ſolchen Menge von Dörfern war aber der 
Beitraum eines Jahrzehntes ficher zu furz; und wenn überdies ſogar lange 
vor der Gründung jenes Klofters?) König Wenzel IL von feiner Burg 
Landsberg und der „Stadt“ Landskron „Jammt allen Städten und Dörfern”, 
welche zu derjelben gehörten, fpricht, jo müſſen doch wohl jene Anlagen 
wenigjtens einem größeren Theile nach ſchon damals bejtanden haben. Sie 
werden aljo höchſt wahrjcheinlid) zu jenen Colonifationswerfen im Oſten 
des Landes zu zählen fein, welche die Chroniften König Ottofav II 
zufchreiben. | 

Ja man muß Dr. Herm. Jiredek vollauf beiftimmen, wenn er an 
einer Stelle darauf aufmerkſam macht, daß wenigjtens die ältern Orden 
überhaupt gar nicht in dem Maße mit dem Urbarmachen des Landes fic) 
befaßt haben, das ihnen die Fromme Legende gemeinhin zufchreibt. In 
Schleſien, diefem claffishen Lande der Colonijation, trifft das vollfommen 
zu. Sp viel Domftifte und ältere Orden er auch befejfen habe, fo beginnt 
die nachweisbare Colonijation, d. h. die Befiedlung bis dahin unproductiven 
Bodens doch erjt mit dem Eintritte des jüngern Ordens der Ciſter— 
cienjer in das Land; in der Gefchichte der Begründung ihres Klofters 
zu Leubus an der Dder im Jahre 1175 findet erjt die Colonifations- 
gejchichte ihren fejten Anhaltspunkt.) Ber uns in Böhmen aber find nad)- 
weislih alle älteren Orden und diejen allen voran das Klojter der 
Benedictiner zu Brevnov urjprünglich nur mit längſt eingerichteten, 
möglichit ergiebigen Dörfern in den bejten Lagen des Landes ausgejtattet 
worden, wie ein Blid in die zahlreichen Schenfungsurfunden lehrt. Noch 
weniger ijt e8 jemals als Zweck diefer Stiftungen betrachtet worden, das 
Land dem Anbau zu erjchliegen. Der Zwed diefer Gründungen war aus— 
jchlieglich ein veligiöjer; aud) das jagen uns die Urkunden ganz ausdrücklich. 
Der Stifter, der jo oft auch feine Gruft in der Stiftsfirche wählte, be- 
gründete durch feine Schenkung nad Art altägyptifcher Grabjtiftungen, 
deren Urkunden uns jegt zum Vergleiche offen ftehen, einen „ewigen“ 
Dienjt zum „Heile jeiner Seele". Diefe Stiftungen waren gar nichts 


1) Emler, Regesten II. Nr. 2004. 

2) Im Jahre 1285. Emler, Wr. 1358. 

3) Bergleidye Weinhold, Verbreitung und Herkunft der Deutſchen in Schlefien- 
Etuttgart 1887, ©. 165. 


— 280 


anderes, als was das ſpätere Mittelalter mit dem Worte „Seelgeräthe“ 
bezeichnete — allerdings Seelgeräthe im Stile der Großen dieſer Welt. 
Alles andere, was dann in Verbindung mit dieſen Stiftungen in die 
Erſcheinung tritt, iſt Folge, nicht Zweck ihres Daſeins. Der eigentliche 
Zweck aber verlangte möglichſt erſchloſſene, möglichſt reichliche Einkünfte, 
und darum finden wir die älteren Stifte der Chorherren, die Klöſter der 
Benedietiner und Prämonſtratenſer in Böhmen durchaus nicht in Einöden 
und Wäldern, jondern angelegt in den geräufchvollen Meittelpunften des 
Lebens und begütert in den älteften, erjchlofjenften Culturgebieten des 
Landes. Erft in jüngerer Zeit zwingt die Erſchöpfung ihrer Güter die 
Fürſten, für ihre Seelenheil die Wälder anzumeifen, und da iſt es vor- 
zugsweiſe der jüngere Orden der Ciftercienfer, der fich, jedoch auch nicht 
in jedem Falle — vergleiche Sedleg, Königjaal! — auf die Erjchließung 
jener angemiefen jieht, und der zugleid in feiner an das Mutterhaus ſich 
feſt anjchließenden Organtfation, die den alten Orden fehlte, das Mittel 
findet, das nöthige Arbeitsmaterial zu erkundſchaften und nach fich zu ziehen; 
denn die Handarbeit der Mönche jelbjt in Anjchlag zu bringen, ijt eine 
findliche Vorſtellung. 

Auch die Grafſchaft Glag bildet ein großes Gebiet der Coloni— 
fation, wie jie größtentheils das Staatsinterejje der Fürjten allein in den 
Gang gebracht und die Arbeit ihrer Beamten vollendet hat. Neplach und 
Dalimil ’) ftimmen darin überein, daß es gerade König Ottokar II. ges 
weſen fei, welcher mit „Zurüdjegung der Seinigen” die Landichaften EI- 
bogen, Trautenau und Glas den „Deutfchen übergeben“ habe. Aber 
gerade in diefer Zufammenftellung dürfte eine Art Einfchränfung Tiegen. 
Gerade diefe drei Gebiete unterjcheiden ſich wejentlih von den übrigen 
Eolonijationsgebieten Böhmens; fie find durch Ditofar in kleine Lehens— 
ftaaten verwandelt worden, eine Organijationsform, die dem jlavijchen 
Böhmen fremd war. Darauf, und nicht auf die Anfänge der Coloni- 
fation durch landesfürftliche Beamte im allgemeinen, müſſen jene Angaben 
eingejchränft werden, wenn fie mit den übrigen Thatjachen einfchliehlich 
denen, die wir anzuführen haben werden, vereinbarlich erfcheinen jollen. 
Nach diefen Thatjachen muß vielmehr die deutfche Colonifation fchon Lange 
vor Dttofar II. begonnen haben, Wenn man in dem benachbarten 
Schlejien das Jahr 1175 als Markftein fegen kann, jo muß man im ein- 
zelnen doch wieder zugejtehen, daß auch in der Schenfuna, welche damals 


1) Neplach in fontes rer. Bohem. Prag 1882. Tom. III. p. 476; Dalimil ebenda 
p- 194 und 292, 


— 330° — 


die Eijtercienfer in der Liegniger Pflege erhielten, neben den noch zu 
gründenden auch fchon von bereits gegründeten Dörfern gejprochen 
wird, was fi) doch nur auf Eolonien beziehen kann, die noch vor 1175 
gegründet waren.!) Nun fchreitet die Colonifation raſch fort und wir 
fehen fie wenigitens fchon mit dem 13. Yahrhunderte im Gebiete von 
Frankenftein die Grenze der Grafſchaft Glag erreichen.*) Sie muß unge: 
fähr um jene Zeit aud in der Grafſchaft jelbjt begonnen haben. 

Das ganze Gebiet ungefähr von Königinhof angefangen bis djtlich 
an das Eulengebirge bildete urjprünglich den gegen Polen jchügenden 
mit Ausnahme des Paſſes von Nachod unmwegjamen Grenzwald. Es 
liegt in der Natur der Sache, daß die Feſtſetzung der Grenze nad) Linien 
innerhalb diefes breiten Grenzgürtels erſt allmählid) zu Stande kommen 
konnte; zur Zeit König Ottofars I. —— am Anfange des 13. Jahrhunderts — 
gab es eine folche jedenfalls noch nicht. Erſt je nachdem mehr oder weniger 
einjeitig die Colonifation in dieſen Gürtel eindrang, verjchmälerte er fich 
in der Weile, daß dann innerhalb desjelben irgend eine gedachte oder 
durch Wafjerfcheiden markirte Scheidelinie der Befiginterefjen ins Auge 
gefaßt werden fonnte. Dasjelbe Prineip it aber auch wirkſam bei der 
genaueren Abgrenzung von Gauen oder Grafſchaften (comitatus, provin- 
eiae) und der einzelnen Herrichaften, die erſt durch die Ausnügung ein 
unzweifelhaftes Befigrecht am Boden feitzuftellen vermochten. 

Mit Bezug auf die Stufen des Fortjchrittes diefer Begrenzungs- 
verhältnifje lafjen fich in den böhmifchen Urkunden ältefter Zeit zwei ver- 
ſchiedene Gruppen von Bejigungen unterjcheiden. Die einen, die im älteren 
Eulturlande oder in der Nachbarſchaft eines jolchen find die nicht bloß 
der Redensart, jondern der Wirklichkeit nach zum BZwede der genauen 


Begrenzung von den Mebergebern „umrittenen” oder „umfahrenen“ — die 
„eircuitus“, „ujezdy* — daher noch vielfach der Flurname Aujezd. — 


Die „Umfahrenden” pflegten theils auffallende Felſen und Bäume als 
Grenzzeichen zu marfiren, theils Erdhügel als folche aufzuwerjen und 
Holzftapel — das find die urjprünglihen „hranice*“ — zu errichten. 
Diefer Vorgang ift in vielen Urkunden bezeugt, und wo es ſich um eine 
jolche Grenze handelt, befonders hervorgehoben. In culturlofen Gebieten 
war eine folche Umgrenzung theils unthunlich, theils zwecklos. Man kenn— 
zeichnete nur ganz im Allgemeinen den Bezirk und überließ es der Bejiger- 
greifung, durch Anbau und Ausnügung allmählich zu fejteren Grenzen zu 
fommen. 


1) ©. Weinhold a. a. O. 
2) Ebenda ©. 166. 


— 31 — 


Es iſt fein Zweifel, daß troß des gebrauchten Namens „eircuitus® 
zu letzterer Art der Bezirk Politz gehörte, welchen König Otto— 
far I. im Jahre 1213 dem Benedictinerftifte Brevnov') zur Vermehrung 
feiner Einkünfte ſchenkte. Die beurkfundeten Umjtände laſſen feinen Zweifel 
darüber, daß die Anregung zu diefer Schenkung durch Vorbereitung und 
Bitte des Klojters jelbft gegeben wurde. Ein Stlofterbruder, der Diakon 
Bitalis, — weldhen das Klofter bei diefer Unternehmung ſammt feinem 
Geleite ausrüſtete — in temporalibus procurat suffieienter — war im 
Aufzuge des „Einjiedlers" als Bionnier vorangegangen und hatte mit 
einigen Brüdern des Klofters in jenem Urwalde an der Stelle des heu- 
tigen Poli eine Anfiedlung mit einem Mearienfirchlein gegründet. Wenn 
nad) dem Wortlaute der Urkunde Abt Kuno von Brievnov auch dieſes 
Kirchlein mit allem Nothwendigen ausjtattete, jo wie die ganze Unternehmung 
vorläufig mit den Mitteln des Klofters unterhalten wurde, fo wird diejelbe 
in unferem Urtheile jo viel an Planmäßigfeit gewinnen, als jie dadurch 
an dem Scheine von Romantik eines nur jich jelbjt genügenden Einjiedler- 
lebens einbüßt. Diefer Abt Kuno war es jodann, welcher nach jolcher 
Borbereitung den ihm gewogenen König Ottofar I. mit Erfolg um Ueber: 
laffung dieſes ganzen Bezirkes bat. 


Wie wenig genau es aber mit den angegebenen Grenzbeſtimmungen 
gemeint war, ja wie wenig genaues ſich nad) Lage der Umstände über- 
haupt über die Grenzen eines nicht in Wirklichkeit „umfahrenen" Gebietes 
bejtimmen ließ, wie vielmehr dabei die oben angegebenen Grundfäge ins 
Spiel traten, das zeigt ein Blick auf die fernere Entwidlung. Es iſt kaum 
eine zweite Örenzbeftimmung der Urkunden fo ficher als die, welche als 
jüdliche Grenze im Gebiete des Wandgebirges das Flüßchen Bozanov 
(die heutige „Buse“) nennt. Und doch jehen wir gerade hier recht deut— 
lich, wie die Beligergreifer damals eine jolche Beſtimmung aufzufaſſen 
pflegten: da wo an der Buje — an deren Unterlaufe — eine Dorfarlage 
nicht jtattfand, bildete wirklich der Bach ſelbſt, wie es die Urkunde will, 
die Grenze; wo aber am Oberlaufe die Dorfanlage beginnt, da iſt die 
Grenze um die ganze Hufenlänge über ven Fluß hbinausgefchoben — 
gegen die Feititellung der Urkunde Es iſt alfo thatjächlich hier au 
diejer kleinen Strede die jegt noch geltende Grenze zwiichen Böhmen und 
der Grafſchaft Glag erjt duch die Bodenausnügung bejtimmt worden. 
Diejen Grundjag werden wir aljo auch auf die ganze Grenzfrage an- 
wenden müſſen. 


1) Erben I. Nr. 539. 


— 332 — 


Nur die ſchmale Südſeite des Gebietes jucht die Urkunde gleichjam 
Schritt für Schritt und möglichjt genau zu begrenzen, wohl nur deshalb, 
weil es fich hier um das anftoßende Gebiet einer „Landespforte" handelte. 
Dagegen faßt die Mönigliche Behörde für die beiden Langfeiten im Weſten 
und Oſten und den abjchliegenden Bogen im Norden nur ganz allgemeine 
Terrainmarfirungen ins Auge, die genauere Feititellung den Nefultaten 
der Erjchliegung dieſes Landes überlafjend. Die Wejtgrenze ſoll nad) 
Tomeks ſehr jcharfjinniger Ausdeutung im feinem ganzen Laufe jener 
Bach bezeichnen, an welchem jetzt Starkſtadt liegt. Diejer Bad) hat 
aber dermalen zwei Namen: der Oberlauf heißt der Erligbad, ver 
Unterlauf der Diemwicer Bach. Nun fennt aber die Urkunde nur den letz— 
teren Namen (Driwit 1213, Driwicz 1229), und wenn jie dann dennoch 
die Grenze bis an die Quelle diejes Baches fortleitet, jo verliert fie fich 
damit ficher ſchon in völlig unerſchloſſene Gebiete, in diejenigen nämlich, 
welche von den Feljenlabyrinthen von Wedelsdorf und Adersbad 
bedect find. Bier, wahrfcheinlicher im Adersbaher als im Wedels- 
dorjer Gebiete werden wir dann auch die marfirende „spelunca Rozotatez“ 
oder, wie Tomek nad) Analogien vorzieht, die Höhle „Rosochatec“ zu 
juchen haben. 

Durch dieſe Süd- und Wejtbegrenzung find nur die heutigen Gebiete 
von Polis, Wedelsdorf und Adersbach als die der beabjichtigten Schenkung 
marfirt. Die Hauptjvage iſt nun für ung: wo it die Dftgrenze, und 
fchließt diefe das Braunauer Ländchen ein oder aus? Die Urkunde 
jagt darüber, nachdem jie die Wejtgrenze durch den Driwie-Bach bejtimmt 
hat, wörtli: „ex altera vero parte a capite fluminis Stenawa usque 
ad flumen Bosanow et usque ad montem Steny“ — auf der anderen 
Seite aber vom Anfange des Steineflujjes bis zum Fluſſe Bufe und bis 
zu dem Wandgebirge. Dieje Beſtimmung läßt ſich unmöglich nad Tomeks 
Grundannahme deuten. Der Anfang des Fluſſes — caput fluminis — 
können wir nach der Weije, wie die Urkunde überhaupt in diefen Tingen 
redet, unmöglich mit jenem Brünnlein am Schwarzen Berge in Schlejten 
identificiren, das heute als die eigentliche Quelle dieſes Fluffes gilt; der 
„Anfang des Fluſſes“ kann der Urkunde nach mur jener Punkt jein, an 
welchen die Steine zuerjt in unjerem Gebiete erfcheint, aljo in der Gegend 
bei Schlefiich- Friedland ungefähr. Noch weniger aber kann mit jener 
Grenze, wie jie nım weiter gezogen ift, das Braunauer Ländchen, deſſen 
weitaus größerer Theil jenfeit3 der Steine am Fuße des Porphyrgebirges 
liegt, bis auf den Rüden diejes Gebirges eingejchlojjen jein. Will man 
möglichit wörtlich interpretiven, jo jollte das Wandgebirge mit jeinem Oſt— 


eg en 


— TER — 


abhange und Fuße bis an den Steinefluß die Oſtgrenze des Politzer Bezirkes 
bilden. Von der anderen Seite her hätten alſo fortan auch die Beamten 
der Grafſchaft Glatz in der Steine die Grenze ihres Gebietes ſehen müſſen; 
fie behandelten aber, wie uns die Thatjachen zeigen werden, dieje allgemein 
angedeutete Grenze im unerjchlojfenen Lande genau fo, wie es das Klojter 
in Bezug auf die der Bufe that: jie ſchoben von Fall zu Fall die genauere 
Grenze jo weit gegen das Wandgebirge zurüd, als fie ſich Eulturland an 
der Steine zu erjchliegen vermochten. Sie mochten dabei im Unrechte 
fein, aber den Grundjag, nach dem fie dem Urwalde gegenüber vorgingen, 
jehen wir damals allgemein gelten. Umgefehrt aber hat aud) die Schenkung 
des Poliger Bezirkes an das Klofter Brevnov feinesfalld das ganze 
Braunaner Ländchen einbezogen: es blieb vielmehr de facto ganz 
und de jure feinem größeren Theile nad) bei Glatz. 

Darauf führen denn auch nod andere Thatjachen und Erwägungen. 
Wäre es dem Bruder Vitalis lediglich darum zu thun oder wäre das 
der Zwed feiner Million gewejen, fir ein weltfernes Biüßerleben eine 
pafjende Einöde zu finden, jo hätte ji) ihm wohl die „Höhle Rojohatec” 
befonders empfehlen fünnen; daß er aber nicht ohne Geſchick gerade den- 
jenigen Theil des Bezirkes zu jeiner Wohnjtätte wählte, weldyer der 
bequemfte und bejte für die Erjchließung des Landes war, beweijt der 
Umftand, daß auch nachmals gerade an diejer Stelle die herrjchaftlichen 
Dominifalgründe lagen — diejer „Einjiedler” muß etwas von Defonomie 
verjtanden haben. Mit diefem Verſtändniſſe aber hätte er ficher die weit 
niedriger und beſſer gelegenen Gründe im Braunauer Ländchen vorgezogen, 
wen fie ihm damals zur Wahl gejtanden hätten. Vielleicht noch fennzeichnender 
iſt e8, daß die Aebte auch in jpäterer Zeit noch, jelbjt danı auch noch, da 
Braunau jchon als ein Ort mit eigener Pfarrkirche genannt wird, die 
jih vom Wandgebirge abwärts bis gegen die Steine hinziehenden Wälder, 
deren Bejig jie auf Grund jener Urkunde anfprachen, immer noch als ihre 
„Boliger" Wälder bezeichneten.) Endlich nennt König Ottofar IL, 
welcher 1253 noch als Prinz?) die Schenfung feines Großvaters bejtätigte, 
geradezu den Wald des Wandgebirges?) als gleichbedeutend mit der 
Grenze des Poliger Gebietes, bejtätigt aber unter Einem auch jchon 
jene „Attinentien“, welche jowohl innerhalb der Steny als außerbalb 
diefer Grenze liegen — infra silram Steny et extra metas. Das 


1) „silvam policensem* 1255 Emler Nr. 68; 1256 Emler Nr. 91; 1256N . 117. 
2) 1253 Erben Nr. 1344. 
3) silvam Steni zu lesen ftatt Hemi bei Ziegelbauer p. 283 und Erben 1. c. 


— 534 — 


Kloſter hat alſo damals ſelbſt das Bewußtſein gehabt, daß ein Coloniſations⸗ 
vorſtoß vom Wandgebirge aus in das Braunauer Ländchen auf Erwer— 
bungen außerhalb der Grenzen des ihm geſchenkten Gebietes abzielt. 

Daß es aber ſowohl bei jenen Vorbereitungen durch die Einſiedler— 
Pionniere wie bei der endlich erreichten Schenkung des Gebietes auf die 
Erſchließung desſelben zu Culturzwecken des Kloſters abgeſehen war, beweiſt 
die ſchon damals gleichzeitig erbetene und erlangte Befreiung aller künftigen 
Unterthanen des Politzer Gebietes von den Gerichten der königlichen Gau— 
oder Grafſchaftsbeamten. Eine ſpätere Urkunde’) nennt uns dann als 
diejenigen Füniglichen Beamten, welchen bis dahin — um einen deutjchen 
Terminus der Kürze wegen zu gebrauchen — noch der „Blutbann“ itber 
das Politzer Gebiet verblieben war, die von Königgräß — nämlich 
nicht die der jüngeren Stadt dafelbjt, jondern die des alten landesfürſt— 
lihen PBrovinzialjchloffes dafelbit. Aber gerade hierin unterjcheidet ſich 
ganz wefentlic; das Braunauer Ländchen vom Politzer Gebiete. Als 
wiederum Ottofar II. als König 1260°) dem Klofter eine neue Beſtäti— 
gung verlieh, da unterſcheidet er ganz ſcharf den Bezirk von Polis 
(circuitus spectans ad praeposituram de Politz) von den „übrigen 
Gütern, welche jenjeits der Berge liegen, die Steny und Wände heißen (cum 
omnibus ceteris bonis, quae sunt ultra montes, qui Steni et parietes 
vulgarites nominantur). Dieje „übrigen Güter“ find alfo damit zweifel- 
[08 als ſolche bezeichnet, welche das Klofter mittlerweile im Braunauer 
Ländchen erworben hat. Indem er nun auch auf dieje die Eremption 
von den föniglichen Gerichten ausdehnt, meint er feineswegs als ſolche 
die von Königgräß, jondern ganz ausdrüdlich die von Glatz (judex pro- 
vincialis et alıı ofliciales provinciae Gladcensis), welden fortan 
die Gerichtsbarkeit in diejem Theile entzogen werden folle. Daß alſo 
damals das Braunauer Zändchen zu dem Gebiete der Grafichaft Glatz 
gehörte, ift damit ganz klar entjchieven. Das Wandgebirge aljo bildete 
die natürliche Grenze zwijchen der Gräger und der Glatzer Provinz. 
Wie jpäter Braunau von Glatz losgetrennt und als ein jo auffallender 
Grenzauswuchs zu dem übrigen Böhmen gejchlagen werden Tonnte, das 
ergibt fi) eben aus derfelben Thatſache: indem die benachbarte Probftei, 
welche von Bievnov aus nah der Ermwerbung von Politz ebendajelbit 
begründet wurde, allmähli durch größerentheils ung nicht aufbewahrte 
Verträge die Güter im Braunaner Ländchen, mit ihnen aber zugleich auch 


1) 1295 Nr. 1700 bei Emler II. 
2) Emler 1260 Nr. 276. 


— 355 — 


die Loslöjung von den Aemtern und Gerichten der Provinz erlangte, wurde 
die Gütergrenze zur politischen. 

Die Schidjfale des Braunauer Ländchens vor feiner allmählichen 
Erwerbung durch das Klojter find uns nicht ganz unbefannt. Bei denen 
des Politzer Gebietes, wo wir zu Tomeks erjchöpfender Darftellung 
nichts Hinzuzufiigen haben, brauchen wir nur um des Vergleiches willen 
furz zu verweilen. Daß die ganze Gegend, dies- und jenjeitS des Wand» 
gebirges als ein Theil des alten Grenzwaldes eine wilde Urwaldslandichaft 
war, können wir den ältejten Urkunden gern glauben; aber unbekannt und 
unbegangen war fie deshalb nicht. Abgejeyen davon, daß gerade der 
Grenzwald jeine Hüter und Aufjeher hatte, welche doch wohl in Fleinen 
Eolonien in demfelben amgefiedelt fein mußten, Tag gerade diejer Theil 
zwijchen zwei Auslandwegen, dem alten Nachoder und dem jüngeren Arnau— 
Liebenauer. Da damals die Grenzzölle, welche auf Perjonen und Sachen 
lajteten, eine Haupteinnahmsquelle des Landesfürjten bildeten, pflegte man 
die Umgehung der „Landespforten” durch eifrige Bewachung der zwijchen- 
liegenden Waldjtreden möglichjt zu verhindern. Die alten Urkunden jprechen 
von „Straßenreitern”, die diejes Amt verjehen, aber aucd von jtändigen 
Wachten an einzelnen Punkten. Außer Pafchern werden aber auch Jäger 
diefe Waldgründe oft genug betreten haben, und jo darf es uns nicht 
wundern, wenn wir da und dort die Spuren von Beerdigungsftätten 
winziger Anfiedlungen und eine Menge von Flurnamen aus der Zeit 
vor der planmäßigen Bejtedlung vorfinden. Was die Flurnamen — 
das Wort im weitejten Sinne gebraucht — anlangt, jo ijt deren Menge 
aus einen leicht begreiflichen Grunde häufig jogar das Zeichen geringer 
Bejiedelung. Insbeſondere iſt e8 die deutjche Colonijation mit ihrer regel- 
rechten Flureintheilung, welche den Gegenfag recht deutlich hervortreten 
läßt; fie räumt mit einer Menge alter Flurnamen unbarmberzig auf, 
während die vorzugsweife flavifche gemifchte Feldlage fie confervirt. Oft 
ſchwinden jogar die Namen der Bäche, jobald das deutjche Dorf ſich an 
ihnen ausbreitet. Ein Beifpiel liegt uns vecht nahe. Der öfter genannte 
Grenzbach Buje (Bozanow) hat diefen Namen genau nur von der Stelle 
an gerettet, wo er aus dem Dorje Barzdorf heraus in die freie Flur 
tritt; im Dorfe nennt niemand diefen Namen. Umgekehrt aber haben 
nicht bejiedelte, aber doc, befannte Gegenden einen großen Reichtum an 
Alurnamen. Darum haben fie ſich heute auch von der Eoloniftenhufe in 
den Wald gerettet, und der Forjtmann ift noch ihr einziger Gönner. 

Sp zeigen uns denn auch die Urkunden, daß es in unjerem Urwald» 
gebiete eine Menge Flurnamen gab, die wir heute gar nicht mehr lociren 


= Be see 


fönnen. Sie find natürlich durchwegs ſlaviſche. Anfiedlungen, die 
nicht in großem Maßſtabe und planmäßig erfolgen, nehmen in der Regel 
den alten Flurnamen, er möge welcher Sprache immer angehören, zu ihrer 
eigenen Ortsbezeichnung auf; allmählich entitehende folgen jo gut wie 
immer diefem Principe. Im Munde fremdiprachiger Anfiedler erleidet 
dann natürlich der Name feine Veränderungen, indem er jich entweder 
blos der fremden Articulation anbequemen muß, auf welche Weiſe zum 
Beifpiel aus dem tichechiichen Flußnamen Krinice der deutjche Ortsname 
Krims geworden ift, oder indem er nach Art einer jog. „Volksethymologie“ 
zurecht gelegt oder endlich richtig oder auch in ſolcher volfsethymologischer 
Deutungsweife überjegt wird. Ein Beijpiel erfterer Art bilden die vielen 
Hummel, die Hummelhöfe und Hummeljchlöffer, welche jid) immer der 
Vermuthung nad) auf einer jlavijchen homole, einer alten Grabjtätte oder 
einem ſlaviſchen Hünengrabe erheben. Doch fann der Play auch nur der 
Aehnlichkeit wegen zu diefen Namen gekommen fein. Eine richtige Ueber- 
jegung bietet das Dorf Dürrengrund im Berhältniffe zu Suchdol, eine 
volfsethymologifche der Ortsname Sichel, weldher aus dem alten Bad)- 
namen Srbskä entjtanden ijt. Die planmäßige deutiche Beſiedlung größeren 
Maßſtabes zieht es aber vor, ihre Anlagen mit neuen Namen zu benennen. 
Diejes Prineip hat fie im ganzen Gebiete des Braunauer Ländchens durch— 
geführt; die genannte Einjhicht Krims bildet die einzige Ausnahme. Von 

den deutſchen Ortsnamen aber jind wieder die älteften und die jüngjten 
nad) Ortseigenthümlichfeiten gewählt: Schönau, Roſenthal; — Wieſen, 
Birkicht, Halbftadt, Neuforge, Grenzdörfel, Schweidniger Straße (Straßenau). 
Alle anderen tragen einen Perſonennamen, der in einigen, aber nicht allen 
Füllen nachweisbar dem erjten Erbrichter oder Scholzen als Unternehmer 
der Anlage gehörte. Die Bezeichnungen Groß- und Hauptmann find aus 
älteren Perjonennamen volfsethbymologijch verderbt. Nas Grundwort ift 
in den allermeijten Fällen „Dorf", nur in einem Falle aus jüngerer 
Zeit Berg (Fohannisberg), in zwei anderen Bad) (VBoigtsbady und Dittersd- 
bay). Wir deuten diefe Thatjachen an, weil auch fie in volljter Ueberein- 
jtimmung jtehen mit den Erjcheinungen im Gebiete der jchlefischen und 
der Glaser Colonijation, jowie fich umgekehrt auc hierin das Braunauer 
Gebiet wejentlich von dem Boliger uuterfcheidet. Tritt nun zu einem alten 
ſlaviſchen Flurnamen der neue deutjche Ortsname von der legtgenannten 
Art, jo bequemt fich die ſlaviſche Nachbarbevölferung nicht ſogleich zu 
diefem Wandel, jondern behält den alten Namen in der Weije bei, als ob 
er die flavifche Ueberjegung des deutjchen Ortsnamens vorftelltee Man 
jagt dann, Barzdorf heiße tjchechifch Bozanow, Wedelsdorf Krinice und 


— 331 — 


erwect damit auch dort, wo es gar nicht zutreffend ift, den Anſchein, als 
ftehe man hier vor der Thatfache der Germanifirung eines ehedem tfchechi- 
fchen Dorfes. 

Wir wiſſen nicht, in welcher Weife das Klofter Brevnov feine An- 
jprüche auf die nordweftliche Hälfte de8g Poliger Gebietes aufgab oder 
verlor; wir jehen nur, daß eine Grenzvergleichung aus der zweiten Hälfte 
des 13. Yahrhunderts ?) die Mettau als Grenze an die Stelle der Erlitz 
jegt, jo daß demnach das ganze Gebiet von Adersbach und Wedelsporf 
andern Nachbarn überlafjen wurde. Im Befige der jegigen Güter Starf- 
jtadt, Weckelsdorf, Adersbady und Biichofsftein bis ins Friedländer Gebiet 
befinden fich weltliche Herren, ein Peter, Zezemas Sohn und ein Rubin, 
die vielleicht die deutjche Colonifation dafelbft einführten, während das 
Kloſter zunächit fich in der Colonijation des jo verengten Gebietes zwiſchen 
der Mettau und dem Wandgebirge verfuchte. 


In Politz jelbft, in der Nähe der Holzfapelle des Vitalis wurde eine 
Probſtei errichtet. Der Probſt aus dem Stande der Klojterbrüder 
wurde der oberfte Güterverwalter und Amtmann dieſes Bejiges, während 
die Fleine Klojterfiliale, die ihm folgte, von einem Prior geleitet wurde. 
Ohne Landaustheilung, angelodt bloß durch Anweilung von Hutweiden, 
durch Arbeitsgelegenheit und die 1253?) vom Prinzen Ottofar II. bewilligte 
Hebertragung eines Marftrechtes von Prowodow (unweit Nachod) Fonnte 
die Probjtei Leute an fich ziehen, aus deren Anfiedlung der Mearktfleden 
entftand, der gleich dem Kloſter den alten Flurnamen Bolig annahm. 
Die Pröbjte verwandelten den günftigjten Theil des Landes, die ganze 
Flur nordöſtlich vom Klofter zum Kloulekberge hinan, in Dominical- 
gründe, welche von mehreren Maierhöfen aus bewirthichaftet wurden ?) und 
dieje Selbjtregie lieferte offenbar den Unterhalt für die Klofterbewohner. 
Sie feßte aber voraus, daß das Klofter von feinen alten Befigungen her 
eine genügende Menge überjchüfjigen Volfes zur Verfügung hatte, das 
bieher auf Grund des patriarchalen Herrichaftsverhältnifies iüberpflanzt 
werden konnte. Die jo herbeigezogenen Leute bildeten natürlich aud einen 
Theil der Bevölkerung des Marktfledens und waren zweifellos Tſchechen 
aus den Herrichaften des inneren Landes. 


Der übrige Grund konnte nur durch Colonifation verwendbar werden. 
Mit Ausnahme der viel jüngeren Dörfer Hutberg und Klein-Labnei 
1) Emler, II. Nr. 85. 
2) Erben, I. 1253, Nr. 1344. 
3) Tomek, Nachrichten 42, 


— 333 — 


zeigen alle Dörfer diejes Gebietes die charafterijtiiche Flureintheilung der 
deutfchen Colonijation; nirgends ift eine original-jlavische Dorfanlage da— 
runter. In den Dörfern Nieverfichel, Dürrengrund, Piekan, 
Lähau, Mohern und Bodiſch it das Vorhandenfein von Erb- 
richtereien ein weiterer Beweis, aber auch in Ledhuje, Böſig, Zar, 
Marſchau fpricht die Fluranlage ohne jene für die Methode der deutjchen 
Eolonijation. Es jcheint uns nicht zuläſſig, mit Tomek aus der Abwejenheit 
von Erbrichtern die Eriftenz eines „böhmischen Rechtes" nach Analogie des 
„deutſchen“ ableiten zu wollen. Es gibt Fein ſpecifiſch „böhmiſches“ Colo- 
niftenrecht. Wohl aber ift anzunehmen, daß die zur Colonijation auf diejem 
Kloftergrunde verwendete Bevölferung eine ſprachlich gemifchte, vielleicht 
jogar überwiegend tichechiiche war, welche das Kloſter größerentheils aus 
jeinen Bejigungen im Lande herbeizog, und daß das Klojter da, wo es 
feine Erbrichter einjeßte, die Coloniſation vorzugsweife jelbjt und darum 
auch gerade mit ſolchen Elementen vollzog, während die Schulzendörfer 
durch Vermittlung von Unternehmern und zum Theil wenigjtens ımter 
Heranziehung fremder Beſiedler entjtanden jein dürften. Wbgejehen von 
Mohren ziehen jich dieje, die Schulzendörfer, in einem langen Streifen im 
höchitgelegenen Theile des Diftrictes hin. Das Kloſter hat alſo wohl, wie 
auch Tomek annimmt, zunächſt die leichter zu bewältigenden Striche mit 
jeinen Leuten bejegt und dabei die nicht unbedeutenden Schulzengebühren, 
die „ſechſte“ freie Hufe uud das Schulzenland, jparen können. Außerdem 
lagen dieje Dürfer jo nahe an der Probſtei, daß es nicht ſchwer wurde, 
des Herrichaftsgerichtes von diefer aus zu walten. Erjt für die entfernteren 
Striche entjchloß man jich dann zur Colonijation durch fremde Unternehmer 
— bier finden wir daher den äußern Kreis der Schulzendörfer. Nur vom 
eriten Schulzen von Sichel wiljen wir, daß er aus dem Laiengefolge des 
Abies genommen war. 


Sp erſchien bier die vielleicht vom Anfang an nicht ungemijchte 
deutjche Bevölkerung dieſes Gebietes zwifchen tſchechiſche Dörfer und das 
unmwegjame Wandgebirge eingefeilt, um jo allmählich flavifirt zu werden. 

Die Zeit der Anlage kennt man nur von zweien diejer Dörfer. 
Das erite ijt das genannte Sichel an der füdlichen Grenze des Gebietes 
in der Nachbarichaft der Hrone von Nachod. Abt Martin übergab 
1254 ') zu dejjen Anlegung „ſeinem Getreuen Utech“ das Gelände des 
Fluſſes „Zribesca® mit dem durchaus charakteriftifchen Contracte des 
„deutſchen Rechtes". Die Eolonijten jollen nach einer 16jährigen Abgaben: 





1) 9. Auguſt 1254. Emler, TI. Nr. 39, 


— 339 — 


freiheit von jeder Hufe jährlid Y/, Mark Silber zahlen und 6 Strich 
Getreide — zu gleichen Theilen Weizen, Korn und Hafer — entrichten ; 
Utech, der daher natürlich für die Bejegung diefer Hufen ſowie für die 
jährliche Leiſtung aufzufommen hatte, jollte das erbliche Richteramt mit 
einem Drittel aller Gerichtsgebühren, eine abgabenfreie Schulzenhufe, eine 
Mühle und ven Jahresertrag von jeder fechiten Bauernhufe erhalten. 
Damit haben wir zugleich die Formel für alle diefe Eontracte angeführt, 
die nur in Einzelheiten abzumeichen pflegen. Die 16jährige Frift deutet 
auf Urwaldsbeftand des Bodens. Im Fahre 1256’) übergab derjelbe 
Abt mit ebenfalls 16jähriger Friſt Wihmann, der hier ausdrüdlich als 
Deutjcher genannt wird — Wikmanno Teutonico — den Wald anı 
Flüßchen Pozdesin, der ſich jo mitjammt diefem Namen in das Dorf 
Bodifch verwandelte. Diejes Dorf, obwohl auch noch auf der Boliger 
Seite gelegen, iſt bis heute deutjch geblieben. 

Ganz anderer Art waren die Berhältnifje im Braunauer Länd— 
hen. Stand auf Boliger Seite der Probſt im Mittelpunfte der Dinge, 
jo finden wir auf der Braunauer Seite in analoger Stellung einen fönig- 
lichen, von dem Glager Grafichaftsregimente refortivenden Beamten, den 
Bogt (advocatus), und ſchon diefer Name führt uns jofort in die Lage 
der Berhältnifje ein. Er jagt uns bei feinem erften Auftreten, daß ſchon 
damals eine Colonijation des Ländchens unter den Aufpicien der Glaßer 
Provincialverwaltung im Gange war. Wir dürfen uns darum auch nicht 
jcheuen, feinen Spuren zu folgen, jelbjt wenn fie in eine für die gewöhnliche 
Auffaſſung diefer Vorgänge auffallend frühe Zeit führen, faſt bis in die- 
jenige, in weldyer wir die Colonifation von Schlefien her an die Grenzen 
der Grafjchaft herantreten jahen. Die nachfolgende Erwägung macht es 
uns wahrjcheinlich, daß die erjten Eolonijationsverjuche oder doch die Vor— 
bereitungen derjelben nicht in die Zeit Ottofars IL, jondern jchon in 
die des erjten Königs diefes Namens fallen. Als Ottofar I. im 
Ssahre 1213 das Poliger Gebiet der Jurisdiction aller jeiner Beamten 
entzog, da rief er, wie die Urkunde jelbjt ausdrüdlich jagt, einige Per- 
jonen bejonders herbei, damit fie Zeugen diefer feiner Verfügung wären 
— viri nobiles, qui ad hoc testes fuerant convocati. Es iſt klar, 
daß diefe nur deshalb jo hervorgehoben wurden, weil fie in irgend einer 
Beziehung zur Durchführung jener Verfügung ftanden. Das trifft dem 
auch von dem jo gerufenen Burggrafen von Prag ficher zu, ebenjo aud) 
von einem Beamten von Jaromik und insbejondere von den. beiden 


1) Emler, 1256. Wr. 17. 


— - 


Burggrafen Shislaus und Willehalmus von Glag. Unter diefen aber 
erjcheint in derjelben Kategorie von Zeugen ein feinem Amte nach nicht 
näher bezeichneter Weyker und der König hielt e8 für der Mühe werth, 
jogar feine beiden Söhne Martin und Heinrich noch hinzuzurufen. 
Der nächſte Gedanfe muß alfo wohl fein, daß fo wie der Beamte von 
Jaromit und die Burggrafen von Glatz als Nachbarn gerufen waren, fo 
auch Weyfer mit feinen Söhnen in einer ähnlich nahen Beziehung zum 
Poliger Gebiete, das ja bis in das Steinethal hinabhängen follte, ftehen 
müſſe. Nun ift aber der Name Wifer in diefer Form — wie er ung 
denn ein norddeutjcher zu fein fcheint - - in unfern Urkunden ein fo feltener, 
daß er in denfelben bis ins 14. Jahrhundert überhaupt nur zweimal auf- 
tritt ') und beidemal in Verbindung mit unferem Gebiete. Das erjtemal 
ift diefe Beziehung freilich jehr unbeftimmt, der zweite Wifer aber, 
der 1266?) urkundlich genannt wird, ift der erbliche Bejiger der 
Bogtei von Braunau. Können nun auch die in einem Zwiſchenraume 
von 53 Jahren genannten beiden Perſonen nicht in Einer vereinigt werden, 
jo ift doch die Wiederkehr desfelben Namens bei Großvater und Enfel 
eine jo häufige, daß man auch bei anderen alten Gejchlechtern außer diejer 
fein anderes Kennzeichen der Gejchlechtszugehörigfeit befigt. Während aljo 
diefer zweite Wiker längere Zeit vor 1266 ficher im Bejige der Vogtei 
von Braunau tft, kann durch die Nennung des erſten Wifer in jener 
Berbindung immerhin angezeigt erjcheinen, daß ſich diejes VBerhältniß 1213 
ſchon angebahnt habe; es kann aber auch ebenfowohl jchon vorhanden 
gewejen fein. Da gerade nach ſchleſiſchem Rechtsiprachgebrauche der Name 
Bogtei nur im Coloniftengebiete gebraucht wird, jo ijt die Vorausjegung 
nicht ganz unbegründet, daß ſchon zur Zeit Ottokars L, als das Gebiet 
Poli dem Stifte Brevnov gejchenft wurde, im Braunauer Ländchen die 
Arbeiten der Eolonifation von Glatz aus wenigſtens jchon verbreitet wurden. 


Mit „VBogtei” ?) wurde in Schleiten der Negel nach nichts anderes 
bezeichnet al3 das — faft immer erblihe — Richteramt in einer nad) 
deutichem Rechte angelegten Stadtgemeinde zum Unterjchiede von dem 
landesfürftlichen PBrovinzialgerichte einerjeitS und dem Scholzengerichte des 
Dorfes andererfeits. m diefem Sinne führt auch der Stadtrichter von 
Slag den Titel Bogt.*) In Böhmen führen die Stadtrichter diejen 

1) ©. das Regifter zu Erbens und Emlers Regeften. 
2) Emler, Nr. 522. 


3) Vergl. Weinhold a. a. DO. 
4) Emler 1275 Nr. 951. 





— 341 — 


Zitel in der Regel nicht; nur dann pflegt hier ein Stadtrichter Vogt zu 
heißen, wenn zu dem ©erichtögebiete der Stadt zugleich mehrere Dörfer 
gehören. Die Vogtei ift hier gleichjam die Nachahmung der alten Graf- 
ſchaft (comitatus, Zupania). Während aber diefe alten Grafjchaften hifto- 
tisch gewordene Einheiten find, haben die Fürſten andere durch Erjchliegung 
ihres Gutes zu eigenem Vortheile neu begründet, und die Häupter jolcher 
Eolonifationsbezirke finden wir hier mit dem Namen Advocati bezeichnet, 
auch dann oft, wenn der Boden Stiftsgut iſt. So ift uns alſo audy mit 
dem Namen des Vogtes Wiler mindejtens für die Mitte des 13. Yahr- 
hundertS das ganze Verhältnig gegeben: das Braunauer Ländchen bildete 
ſchon damals als ein waldbededter Winfel der Grafjchaft Glag eine durd) 
Eolonifation zu erjhließende Vogtei. 

Diefe Vogtei führt den Namen nach dem Sige des Vogtes, und 
diejer it Brunow-— Braunau Zum erjten Male beurkundet finden wir 
den Namen im Jahre 1256.') Damals wird es aber jchon als Marft- 
fleden oder Stadt (einmal villam forensem... dann: civitatem) bezeichnet, 
und ihm jcheinen Bürger anzugehören, die fich felbft jchon wieder auf 
eolonijatorische Unternehmungen einlajjen konnten; wir haben aljo die 
Gründung jedenfalls weiter zurücdzuverjegen. Der Name erjcheint in den 
Formen Brunow und Brumow; doch beftätigt auch Tomek, daß im 
13. Jahrhundert die erjtere Form die häufigere und, was ausjchlaggebend 
ift, die in den ftädtijchen Urkunden gebrauchte if. Ebenſo zeigt das noch 
aufbewahrte ältefte Stadtjiegel die Umfchrift: 8. civium de Brunov. 
Brumomw ift eine tjchechifche Formverderbung, der die Analogie von Brumo 
ftatt Brumo ?) erflärend zur Seite jteht, und Broumow ijt eine paralfele 
Berderbung der neuhochdeutichen Yorm. 

Wir haben es alfo, wenn wir nah der Etymologie des Wortes 
ſuchen wollen, nur mit der echten Form Brunow zu thun, der unfer 
Braunau als die fprachrichtige Ueberjegung ins Neuhochdeutjche entjpricht. 
Daß num diefer Name etwa nur eine Berderbung des Namens Brevnov jet, 
wie wir jelbft eine zeitlang gemuthmaßt haben, muß nach der vorangehenden 
Feſtſtellung des Verhältnifjes ganz ausgejchlojfen erſcheinen. Der Gleich— 
Hang diefer Namen ift nur ein Zufall, denn Braunau bejaß den jeinen 
ſchon, ehe das Stift Bievnov zu demjelben in irgend eine Beziehung trat. 
Dagegen jcheint ung die pofitive Entjcheidung ſchwieriger, doch kann fie 
nur zwifchen zwei Wegen der Erflärung ſchwanken: entweder ift „Braunau“ 


1) Enter II. Nr. 91; Tomek nennt die Zahl 1253. 
2) Siehe Emler, Regesten II. Index a. v. Brumo und Bruno, 
Mittheilungen. 26. Iahrgang. 4. Heft. 24 


— 342 — 


ein topijcher, gleichjam ein neugebildeter deutjcher Flurname oder ein 
PBerfonenname m beiden Fällen iſt ow fein jlavifches Suffix, ſondern 
die richtige mittelalterliche Form für unjere Au. Gegen den topijchen 
Namen, fir den fich die vox populi entjchieden hat, jcheint am meiften 
eine gewiſſe Plattheit diefer Erklärung zu jprechen. Uber das darf ung 
nicht abhalten, dem Leſer auch einen Grund dafür zu nennen. Diefelben 
Reute, welche die vermuthlich ältefte Eolonie im Ländchen mit unzweifel- 
hafter Etymologie „Schön—au“ nannten, fönnen auch über jo viel Poeſie 
verfügt haben, um einen anderen Punkt, und zwar jedenfalls zunächſt den 
in der Nähe der fünftigen Stadt als eine Art Gegenfag Braunau zu 
nennen. Der Gegenjag bejteht in der That. Der fruchtbare Boden von 
Schönau iſt eine lihigraue Borphyrvermitterung, der jchwerere von Braunau 
zeigt die auffallend rothbraune Farbe des Schieferthons im „Todtliegenden“. 
Aber der Perſonenname, abgeleitet von Bruno, bietet mehr Analogien. 
Insbeſondere find auch Braunau, Braunsberg und Braunswerth in Mähren 
nachweislich auf einen Gründer Bruno zurüdzuführen. Wir fünnen 
aber wider dem Leſer nicht verhehlen, daß wir den jonft fait gemeinen 
Namen Bruno gerade in irgend einem Zujammenhange mit jener Zeit 
und Gegend nirgends finden konnten. Die Glager Urkunden !) nennen 
unter den vielen Namen von Beamten und Würdenträgern gerade feinen 
einzigen Bruno; aber aud) in Brevnov Hat vom Anfang an bis weit 
über unfere Zeit fein Bruno die Infel getragen. Noch weniger fennen 
wir einen Vogt diefes Namens — aber dieſe kennen wir überhaupt 
auch nur in lücdenhafter Weile. Dabei müjjen wir es alſo immer noch 
bewenden laſſen. 


Fragt man, wo zuerjt ein ſolcher Vogt diefen feinen Braunau genannten 
Sig aufgeſchlagen habe, jo kann die uralte Tradition der Gegend immer 
noch mitgehört werden, jo lange nichts Sicheres im Wege fteht. Diefe 
jpricht davon, daß einft an der Stelle der jegigen Kirche „Unferer lieben 
Frauen unter den Linden” die alte Stadt gejtanden habe. Die leichte 
Bauart der Älteften Anlagen jtand nicht im Wege, daß man es gleichjam 
erſt auf mehreren Plägen verjuchte und feine Sige auf den geeigneteren 
übertrug — mit alleiniger Zurüdlafjung des Gotteshaufes, deſſen Abbruch 
die Pietät nicht gejtattete. In den augenfällig fünftlichen Terraineinfchnitten 
bei „Unferer lieben Frauen” werden wir jedoch deshalb feine Begrün- 
dung für jene Tradition juchen dürfen, weil hier in viel jüngerer Zeit 


1) Volkner und Hohaus, Urkunden und Regeſten zur Gejchichte der Grafichaft 
lab. Nabelihwert 1883, 


— 343 — 


auch die Preußen Friedrichs II. gewühlt haben. Daß aber jene Kirche 
im Berhältniffe zur jegigen Stadtpfarrkirche auch urfundlich die „alte“ 
genannt wird, !) jpricht eher dafür. Ihr Holzbau veicht nicht in die Zeit 
der erjten Anlage, ift aber immerhin von hoher Alterthümlichkeit, und 
wenn auch einer an dem gleichfalls hölzernen Thurme angejchriebenen 
Jahreszahl, welche die erſte Erbauung fogar in das Ende des 12. Yahr- 
hundert3 zurückverlegt, Fein urkundlicher Werth innewohnen kann, fo fpricht 
doch von dem hier dargelegten kaum etwas gegen die Möglichkeit ihrer 
Begründung in der erſten Zeit Dttofars I. (1197—1230). Warum man 
eine Kirche an einem fich jpäter ungeeignet erweifenden Orte erbaut hätte, 
dafür fehlt es nicht an erflärenden Momenten. Es läßt ſich vielfach nach— 
weiſen, daß man fich bei Anlage von Kirchen oft mehr durch religiöfe — 
wenn man will abergläubijche — Vorſtellungen als durch praftifche Momente 
gebunden glaubte. Wo man eine verlafjene Malftätte oder einen Grabes— 
hügel vorfand, da knüpfte ſich an diefe ungeweihte Stätte die Vorftellung 
des Spufhaften; das bändigte man durch die vertrauenerwedende Nähe 
eines chrijtlihen Schußheiligen in jeiner Kapelle oder Kirche. Hunderte 
von Kreuzen bezeichnen jolche Stätten in freien Felddenkplägen der Vor- 
zeit. So kann aud hier die Wahl des Plates für das erfte Kirchlein 
durch die Vorgefchichte vorgezeichnet gemwejen fein, und das berichtet jogar 
noch die alte Tradition, die uns als Kindern erzählt wurde: dieſe Kirche 
„Unferer lieben Frauen” fei über dem Grabe der „heidnifchen Jungfrau” 
erbaut, das heißt doch im Allgemeinen wohl nur: an einer Stelle, die 
duch Erinnerung an die Heidenzeit den neuen Anfiedlern unheimlich war. 
Man darf fich vorjtellen, daß die „alte Stadt“ wirklich bei diefer Kirche, 
aber als ſolche wohl auch nur in dem nothdürftig befeftigten Gehöfte des 
Vogtes und feiner Leute bejtand. 

Und auch dieſe ältefte Kirche des Ländchens wedt mit all dieſen 
Nebenumftänden wieder die Erinnerung an Glatz. Diejes bejtand aus der 
alten landesfürftlihen Burg mit einem an diefe angefchlojjenen ſlaviſchen 
Marktfleden und der jüngeren Stadt engeren Sinnes, die eine Schöpfung 
deutjcher Eolonifation ift. Der Burg mit der ſlaviſchen Vorburg gehörte 
ein St. Wenzelskirchlein an; die Pfarrfirche der deutſchen Stadt aber 
entjtand aus einer Kapelle des Johanniterordens, deren Bejtand zuerft 1194 °) 
beurfundet wird. Nachmals erjcheint ganz entjprechend jene Wenzelskirche 
als die tichechifche, diefe Stadtkirche aber als die deutfche, und auch 


1) 1383 |. Tomek Nachrichten S. 56. 
2) Erben, 1194 Nr. 418. 
24* 


diefe ift wie unjere ältefte zu Braunau eine Kirche „Unferer lieben 
Frauen". An ſich würde dieſe Uebereinftimmung feinen Schluß geftatten; 
auffallender erjcheint es ſchon, daß auch die jüngere Pfarrkirche in der neuen 
Stadt in ihrer Weihe an S. Peter und Paul einem Glatzer Vorbilde, 
nämlich der älteften jogenannten Schloßkirche dafelbjt folgt, und noch 
auffallender bleibt wohl, daß ſich hier in Gla wieder an diefe, zuerſt auf 
heidnifchem Boden und der Lage nach gewiß auf einer altheidnifchen 
Malftätte erbaute Chriftenfirche eine ganz analoge Sage von der „heid- 
nischen Jungfrau" knüpft, deren Tempel einjt dieſe Kirche geweſen fei. ?) 

Als dann — jo kann man annehmen — das Befiedlungsmaterial 
für die planmäßige Anlage eines Städtcheus beifanımen war, begründete 
man diejes auf der gegenüberliegenden Südſpitze des Steineberges, welche 
den Vortheil bot, durch einen viel kürzeren Quergraben von dem ich er: 
breiternden Plateau abgejchnitten zu werden. Man müßte das „Schloß“ 
des Vogtes in deren Südjpige erwarten, wenn auch hier die Anfiedlung 
fi) nur allmählic an dasjelbe angejchlojjen Haben jollte, daß es aber im 
Gegentheil im Nordoſteck an jenem Querjchnitte fteht, fpricht fehr dafür, 
daß diefe neue Anlage gleihjam als Reinſchrift einer älteren Improviſation 
entjtand. Dorthin übertrug man nun Alles, nur nicht die alte Kirche, und 
jeltjamer Weije fteht auch die alte Bogteimühle?*) heute noch als Nieder: 
mühle gerade unterhalb jenes Platzes, den die Volfstradition als den der 
„alten Stadt" bezeichnet, in dejjen Nähe fie noch eine „alte Pforte” kennt. 


Der Bogt war, wie uns Analogien und Urkunden lehren, Stadtrichter 
und Oberrichter über die zur Vogtei gehörigen Schulzengerichte der Dörfer 
zugleich. Als folcher hatte er nicht zu urtheilen, fondern das Gericht der 
urtheilenden Schöffen als Vorſitzender zu leiten und mit feinen Leuten die 
Erecution der Urtheile durchzuführen. Aber auch darüber hinaus follte er 
in jeder Hinficht der Nepräfentant und Schirmer desjenigen Friedens- 
zujtandes fein, den die Colonie unter landesfürſtlichem Schuge genießen 
jollte. Er war der Wächter über die öffentliche Sicherheit in derjelben 
und der Vermittler aller Beziehungen zwijchen den Eoloniften und dem 
Landesfürjten, beziehungsweije dem fonjtigen Obereigenthiimer des Grundes. 
Der Aufwand für diefe Friedenserhaltung wurde dem Landesheren durch 
bejondere Bußen der Verurtheilten und durch Gebühren bei der Gerichts— 
pflege exjegt, und diefer überwies dann einen Bruchtheil, gewöhnlich ein 


1) Aelurius, Glaciographie. Leipzig 1625. Vergl. Wedekind, Geichichte der Graf- 
ihaft Glatz, Neurode 1855. ©. 14 und 143 f. 
2) Eiche Tomek Nachrichten 56. 


— 35 — 


Drittel dem Vogte. Außerdem pflegte er ihm ein abgabenfreies Grund» 
ſtück, eine oder die andere Mühle, das Recht des Schanfes, des Brod- und 
Fleiſchverkaufes zu überlaffen. 

Als das Grundftüc, welches der Vogt von Braunau als das feine 
bebaute, müfjen wir diejenige große Flur anſprechen, welche ſich im Vierecke 
von den „Voitsbach“ etwa zwijchen der „PBoliger Kapelle" und der erften 
Hube von Hauptmannsdorf in der Richtung gegen den Schlegelhof und 
die Gemarkung von Oberweckersdorf hinzieht. Der Name „Freigutsflur", 
den diefelbe auf der Generaljtabsfarte führt, ift wahrjcheinlich der älteren 
Mappe entnommen. Das Bächlein, das jie nach Dften bin abgrenzt, heit 
heute noch Voits bach“ und ebenjo die Heine Dorjichaft, die längs diejer 
Flurkante entjtanden ijt — in älterer Zeit hieß fie Voits dorf. Irgend 
eines der alterthümlichen Bauerngehöfte desjelben dürfte uns noch die Stelle 
marfiren, von der aus die Braunaner Vögte einft ihre große Wirthichaft 
Ieiteten. Innerhalb jener „Freigutsflur” befand fich einft auch die Nicht: 
ftätte. Auch das befundet uns die Nichtigkeit der Annahme, und wir können 
fo in erlaubter Conjectur nody einen Schritt weiter gehen. Tomeks Hin- 
weis auf eine Urkunde, nad) welcher der genannte Vogt Wider der 
Gründer von Wedersdorf wäre, jcheint zwar auf einer Irrung zu 
beruhen; aber ficher ift, daß ein Wider der Taufpathe dieſes Dorfes ges 
weſen. Es ift ficher nicht anzunehmen, daß die Flur des Vogtes nicht wie die 
eines jeden Schulzen von der fchmalen Seite des Gehöftes aus bis in den 
Wald hinausgereicht haben follte. Verlängern wir aber jene „Freigutsflur" 
bis dahin, jo fallen die Banerngründe von Oberwedersdorf hinein. 

Es ijt alſo mehr als bloß wahrfcheinfih, daß diefer Theil des 
genannten Dorfes von dem Bogte Wider — gleichviel ob vom I. oder 
II. — auf feinem Grunde angelegt wurde, und mochte diefer Theil mit 
feinen überdies nur fehr Eleinen Hufen auch nur einen Kleinen Theil des 
jegigen Wedersporf vorftellen, jo fonnte doch die Priorität genügen, dem 
ganzen nachmals durch einen Konrad fehr erweiterten Dorfe Widers Namen 
für alle Zukunft zu verleihen. 

Einen recht eigenthümlichen Gegenfag zwijchen der Colonifation von 
Politz und derjenigen, welche im Braunauer Ländchen durd die Vögte, 
alfo im Auftrage der Glager Landesbeamten und in legter Neihe im In— 
terefje des Landesfürjten vollzogen wurde, kann man in der Rückſicht auf 
die Seelforge der neuen Anfiedfungen finden. Wer da glauben möd)te, 
daß diefe auf dem Klofterlande ſich etwas zu ſehr in den Vordergrund 
drängen könnte, — der irrt fih. Die geiftlihen Herren haben außer in 
Politz jelbft in feinem Dorfe ihrer Colonifation auch nur eine einzige 


— 3 — 


Seelſorgſtation geſtiftet. Dagegen ſtammen aus der Zeit der erſten Brau— 
nauer Vögte eine große Anzahl von Kirchen, die wir auch in jüngerer 
Zeit dieſer ihrer Herkunft nach daran zweifellos ſicher erkennen, daß ihr 
Patronat dem Landesfürſten, beziehungsweiſe dem Landesbisſsthum zugehört, 
auch dann noch, als das Kloſter Brevnov bereits den Grund im Brau— 
nauer Ländchen für ſich erworben und in umfangreicher Weiſe weiter 
coloniſirt hatte. 

Zu dieſen Kirchen gehört vor allen die Pfarrkirche in Braunau 
ſelbſt, einſt die „unter den Linden“, dann die in der jüngeren Stadt. Ein 
Kirchenpatronat in jener Zeit, da die Kirche die Zügel noch nicht jo ſtraff 
angezogen hatte, zu begründen, fegte wohl eine Capitalsanlage, aber nicht 
immer ein Opfer voraus. Am günftigen Plage genoß der Patron einen 
reichlihen Ertrag. Die Kichen in vermögenden Colonien erhielten eine 
Menge Vermächtniſſe und „Seelgeräthe", und das „Offertorium" war 
damals Fein leerer Schall. Im 14. Jahrhunderte betrugen die Opfergelder 
allein in der Pfarrkirche zu Braunau an 16 Schod Grojchen jährlich,") 
d. i. dermalen 336 fl. — für jene Zeit ein glänzendes Einkommen, wenn 
man dagegen hält, daß der Patron einen fungivenden „Vifarius" gegen die 
Pauſchalſumme von 9 Schod befommen Fonnte. Außerdem bezog die Kirche 
einen Zehent, im Ländchen von jeder Hufe einen Strih Korn und einen 
Strid Hafer und je 6 Pfennige „Rauchgeld“ — fumales. 

Im Braunauer Ländchen gab es außer der Stadt noch fünf 
jolcher Pfarrkirchen, deren eigenthümliche Stellung zum Klofter auch noch 
im 14. Jahrhunderte verrät), daß wir jie als Stiftungen der Vögte an- 
zujehen haben, welche vollzogen wurde, ehe fich Brevnov der Herrjchaft 
über das Ländchen bemächtigte. In diefen fünf Pfarreien wurden nämlich) 
auch dann noch die Pfarrer vom Prager Conſiſtorium eingefegt und dieje 
jind, wie TZomef?) nachgewieſen hat, auch unter der Herrichaft des Klojters 
ausnahmslos noch Weltgeiftliche gewejen. Dieje jomit auf alte Coloni— 
jation duch die Vögte hinweifenden Pfarreien find die von Schönau, 
Hermsdorf und Ruppersdorf auf dem linken und Barzdorf und 
Märzdorf auf dem rechten Steineufer, die beiden Tegteren aljo im ſüd— 
lichjten Theile desjenigen Waldgebietes, auf weldyes Btevnov von 1213 
einen Anſpruch erheben konnte. 

Dieje Thatjachen im Zufammenhalt mit der Gründung von Braunau 
und der Anlage von Ober-Weckersdorf gewähren uns ein vecht deutliches 


1) Tomek, a. a. O. 91. 
2) A. a. D. 88. 


— 347 — 


Bild von dem Umfange der von den Vögten eingeleiteten Colonijation, 
wenn dieje auch jelbjt in einzelnen der genannten Pfarrorte erſt durd) dag 
Klojter bis zur Erjchöpfung des Bodenvorrathes durchgeführt wurde. Wir 
jehen daraus, daß die erjten Anfiedler, von Braunau abgejehen, das 
Steinethal ſelbſt merkwürdiger Weife mieden — wohl wegen noch man— 
gelnder Vorkehrungen gegen die Gefahr des Waſſers. Dagegen hatte mar 
die Gelände der erjten Nebenflüßchen, auf die man von der Grafichaft aus 
ftößt, in Angriff genommen, im Djten das Thal von Schönau, dann jen— 
jeitS der Stadt das von Hermsdorf und darüber hinaus jenjeit3 einer 
wilderen Gebirgsnatur das von Ruppersdorf — Ruprechtsdorf — über dejjen 
oberem Ende fi) der Spigberg als der höchjte und damals nördlichite 
Markitein des Ländchens erhebt. — Zwifchen den beiden Tegtgenannten 
Dörfern liegt an der Steine das Fleinere Heinzendorf, deſſen Name 
an jenen Heinrich, den Sohn des älteren Wider, erinnern könnte. Die 
Dörfer im Welten — Bozanov, Martinsdors, Weders 
dorf müjjen ſämmtlich ihrer fpäteren Ausdehnung gegenüber Feine Co— 
lontjationsanfänge dargeftellt haben. Der Name des mittlern erinnert 
an den andern Sohn des erjten Wifer. Nordweſtlich von der Stadt 
in die Gegend, welche jest die Straße nad) Politz durchſchneidet, ſind 
die Vögte nicht vorgedrungen. Die Gegend von Wernersdorf, Halbitadt, 
Wieſen, Birkicht gehört überhaupt zu einem nördlichen Colonifationsgebiete 
und wurde erjt in jüngerer Zeit mit Braunau, dem jie geographiich ans 
gehört, verbunden. 

In welcher Neihenfolge jene VBogteidörfer entjtanden und wie 
fi) auch noch zu Zeiten der Vogtherrichaft auffallende Lücken füllten, das 
willen wir vorläufig nicht. Daß fich aber feinerlei Urkunden und Andeu- 
tungen darüber im Befige des Klofters befinden, ijt eben der Sache ent- 
jprechend. Doch ift die Eolonifation durch die Vögte ficher noch über jene 
fünf Pfarrdörfer hinausgegangen, denn während eine Urkunde von 1253 
nur überhaupt „mehrere* Dörfer als zur Vogtei gehörig anführt, werden 
in einer andern von 1300 ') fieben jolcher genannt. Da wir mu jahen, 
wie die Vögte vor allem die Oftjeite des Ländchens bis an den Spigberg 
hinauf in Angriff nahmen, fo dürfte am ficherften Rofenthal im Ein- 
fchnitte der Schwarzbad zwijchen Schönau und Hermsdorf zu den Dörfern 
älterer Anlage zu zählen fein, die einer Kirche nicht bedurften. Dann 
möchte wohl zunächit Heinzendorf in Frage fommen, wenn nicht etwa 
das Feine Boitsdorf diefen Anfpruch erheben follte. 


1) Emfer 1300, Nr. 2765. 


a 


— 348 — 


So ſehen wir um die Mitte des 13. Jahrhuuderts die Coloniſations— 
arbeit joweit gediehen, daß außer den Ergänzungsanlagen, für welche die 
drei unteren Thaleinfchnitte der Weftjeite noch Raum boten, nur noch das 
Steinethal jelbjt und die ganze Nordhälfte der Weitjeite unberührt ge: 
blieben waren. Waren bis dahin die Vögte in ihrer Arbeit offenbar un- 
gejtört geblieben, jo begegnen wir von jeßt ab — Mitte des 13. Jahr— 
hunderts — einem harten, wenn auch vielleicht nur friedlichem Ringen 
des Mofters um den Beſitz des ganzen Braunauer Ländchens, welches 
Ringen jchlieglih von Erfolg gekrönt war. Die Vögte biieben natiirlich 
in ihrer erblichen Stellung, aber der Obereigenthümer des Bodens wechſelte; 
an die Stelle der Füniglichen Kammer trat das Kloſter Brevnov. Diejer 
Wechjel hat nichts Ueberrajchendes, wenn wir annehmen, daß ſich das 
Klofter auch die Gunst Ottofars II. in dem Mafe zu erwerben wußte, als 
e3 die jeines Großvaters bejefjen hatte. Auffälliger ijt vielmehr, daß vor- 
her, aljo ungefähr in der Regierungszeit Wenzels I. (1230—1253) es 
den Vögten gelingen fonnte ohne erfolgreichen Widerſpruch auch auf der 
Weſtſeite der Steine vorzudringen. Eine ausreichende Erklärung liegt jedoch 
in einer Nachricht, welche uns Balbin ') nah einem Nofenberger Manu— 
feripte aufbewahrt hat. Danach habe ſich in den legten Jahren Wenzels I. 
die Grafschaft Glatz im Pfandbejige eines Herrn von Seeberg?) befunden, 
dem fie aber Ottofar II. bei feinem Negierungsantritte — 1253 — ab» 
genommen habe. Gerade in demfelben Jahre wurde aber auch jener Martin 
Abt von Brevnov, den wir als den eifrigften Colonifator auch auf der 
Poliger Seite bereits fennen lernten; jegt alſo jtand es dem neuen Könige 
vollfommen frei, dem alten Schenfungsbriefe jene Erjtredung zu geben, 
die der neue Abt wiünfchte. Jedeufalls hat exit Abt Martin, (1253 bis 
1278) deſſen Pegierungsjahre jo merfwiirdig genau mit denen feines 
föniglihen Gönners zufammenfallen, den Boden des zum größern Theile 
bereits folonifirten Ländchens gewonnen. 

Nun beginnt eine zweite Epoche der Bejiedelung. Daß ext diejer 
Abt Martin 1255 das fchon bejtehende Pfarrdorf am Bache Breznice, das 
bis dahin auch nur dejien Namen geführt hätte, zum jegigen Martins— 
dorf (Märzdorf) erweiterte, gibt zwar Tomef?) an; aber wir finden da— 
für feinen urfundlichen Beleg. Jedenfalls ift die Darftellung, als habe er 


1) Balbinus Epitome Hist. pag. 271. 

2) Neplah und Dalimil betätigen die Nachricht doch mit Nennung anderer 
Namen. Fontes rer. Boh. III p. 476; 292. 

3) Tome, Prag I. 474. 


— 349 — 


„durch Vergrößerung des alten böhmijchen Dorfes Breznitz ein neues 
deutfches Dorf Märzdorf (Martini villa) ausgejegt“, irreführend. Wohl 
aber ift er in diefem Fahre!) in Bezug auf Wedersdorf ähnlich vor- 
gegangen, indem er einem Chunrad (Konrad) den „Politzer Wald am Flüßchen 
Erinice (Kiinice, Krims) zur Ausrottung wie anderen Scholzen oder Dorf- 
richten" (scoltis seu rihtarüis), doc mit dem Beding übergab, daß er jo 
viele Hufen daraus mache, als möglich jei, ohne ſchon bejtehende, anliegende 
Dörfer zu fchädigen. Auch die Mühle folle mit folcher Nüdfichtnahme 
angelegt werden. Gewiß ijt erjt dadurch (1255) der untere, größere Theil 
von Wedersdorf mit feinem Scholzengute entjtanden, welcher an feinem 
unterjten Ende auch noch jene Häuschen umfaßt, in deren Benennung 
Krims ſich heute allein noch der alte Bachname erhalten hat. Das ältere 
Weckersdorf, deſſen Name der Schulze Konrad fchon nicht mehr verdrängen 
konnte, bejaß feine Schulzerei und es bedurfte feiner, wenn unfere Hypo— 
theje richtig ift, daß es auf dem Vogteigrunde felbjt entjtanden war. 
Jetzt ging Abt Martin auch dem nordweitlihen Waldviertel des 
Ländchens zu Leibe. Tomek bezieht die betreffende Urkunde vom 31. Au— 
guft 12552) auf Heinzendorf, weil aud deſſen Gründe von drei 
Flüſſen berührt werden, deren einer die Steine ift. Aber Heinzendorf, 
welches wir deshalb lieber gleich Voigtsbady für eine Privatgründung eines 
Bogtes anfehen, ijt von einem fo geringen Ausmaße, daß es unmöglich 
gewejen wäre, den Schulzen dafelbjt außer feiner noch auf eine „jechite Hufe“ 
anzumeifen, wie in jener Urkunde gejchieht. Wir beziehen vielmehr die 
Flüßchen Zlatini und Zahorow auf den Oberlauf der Voitsbac und ein 
Nebenflüßschen derjelben. „Saure” Stellen, auf welche fih „Slatina” 
beziehen kann, find hier, aber nicht an den Bergbächen bei Heinzendorf zu 
finden, und die Hufen des Dorfes Hauptmannsdorf, das jo entjtand, reichen 
in der That über die beiden Flüßchen hinweg und über den „Steinerberg“ 
hinüber bis an die Steine — „circa fluvios Zlatini et Zahorow et circa 
flumen Stenallam®. Auch deden ſich die Beftimmungen der Urkunde 
von 1255 vollfommen mit denen, welche die fpäter dem Scholzen von 
Hauptmannsdorf ernenerte Hanpfejte enthält.?) ALS Unternehmer wird 
ein Frichelo Teuthonieus, ?) alſo ein deutjcher Frigel genannt, Daß 
überhaupt Hauptmannsdorf — eime volfgetymologijche Umformung 





1) 1255 Emler Nr. 68. 

2) Emler Nr. 67. 

3) Enter, II. 1296 Nr. 1730. 

4) Nach der Lesart bei Emler Frichelo. 


— 350 — 
der alten Namen Haitfolks- und Heitwigis-, der jpäteren Heyptes- und 
Haypmannsdorf — durch Abt Martin gegründet wurde, betätigt die Ur: 
funde von 1296 ausdrücklich. 

Darauf vollendete Martin um 1256) die Befiedlung am Fluſſe 
Bozanov, indem er den „Poliger Wald" dafelbjt bis zur Steine herab 
dem Pertold gab, der ihn ausrodete und das fo vergrößerte alte Pfarr: 
dorf Bozanow nach feinem Namen Bertholdsdorf — Barzdorf nannte. 
Abt Martin nimmt auf dieje ältere Eolonie Bezug, indem er ausdrücklich 
hervorhebt, daß diefer Berthold feinem Vogte unterjtehen jolle. 

Ungefähr zu gleicher Zeit”) wird endlich auch das Steinethal jelbit 
unterhalb der Stadt Braunau in Angriff genommen, und zwar durch 
Rudger — Rüdiger —, einen Gewerbsmann, vermuthlich aus der 
Stadt Braunau ſelbſt. So entfteht Croensdorf, aus dem durd) Volfs- 
etymologie Großdorf wurde, und entweder als Fortfegung oder durch 
Theilung desjelben vermuthlid auh Ottendorf. ch glaube aber, daß 
Dttendorf in Angriff genommen fein mußte, ehe jener Berthold feinen 
Wald -an der unteren Buſe auftheilte, denn die Ottendorfer Hufen vagen 
in den dem Berthold zugetheilten Grund hinein. 


Man muß natürlich annehmen, daß Ottofar Il. nach der Zurücknahme 
der Grafſchaft Glatz die auf den Colonien, welche von den Vögten für 
Rechnung des Landesherrn im Braunauer Ländchen angelegt worden waren, 
fälligen Zinfungen dem Klofter anwies. Dahin mußten fie nun die Vögte, 
die fiir ihre Einhebung aufzulommen hatten, mit Abzug des ihnen gebüh- 
renden Antheils abliefern. In den neubegründeten Anlagen aber bediente 
ih das Klofter diefer Vermittlung nicht, da ihm anderweitig Kräfte zu 
Gebote jtanden, die e8 überdies noch durch eine Schreibergebühr von den 
Bauern felbjt entlohnen ließ. Nun juchte e8 auch die jonftigen Schöpfungen 
der Vögte in feine Hand zu befommen. Im Jahre 1256 gelang es dem 
Abte Martin, ſich vom Prager Biſchofe das Patronat der Pfarrkirche 
in Braunau jchenfen zu laffen.”) Damit war ein nicht unbedeutendes 
Einkommen des Klofters verbunden, welches nun die Ermächtigung erhielt, 
die Seeljorge durch einen fix bejtallten „Vicarius“ verjehen zu lajjen und 
dafür die Kircheneinfünfte für die insbejondere an Fiſchen nothleidende 
Tafel von Bievnov zu verwenden. Durch ein Privilegium von 1260 ®) 


1) Emler I. Nr. 91. 

2) Emler, ibid. 

3) Emler II. 1256 Nr. 191. 
4) Emler 1260 Nr. 276. 


Bi 


erlangte der Abt Martin die völlige Lostrennung feiner Braunaner Unter: 
thanen von der Gerichtsbarkeit des Glatzer Provincialrichters und die Zu— 
weifung derjelben in jchweren Fällen an den Fönigl. Hofrihter in Prag; 
damit war die Abtrennung des Braunauer Ländchens von der Grafichaft 
Glatz vollzogen, wenn auch jpäter noch oft, namentlich bei VBerpfändungen 
die alte Tradition fich geltend machte. Endlich löſte der Abt auch das 
legte Band, indem er im Jahre 1266 ') dem damaligen Erbvogte Wider 
die ganze Bogtei Braunau um 220 Mark — 4620 fl. öſterr. Währ. — 
abfaufte, mozu die landesherrlihen Beamten — der Oberſtkämmerer 
und Oberjtmarfchall — die Bewilligung ertheilten — ein legter Beweis, 
daß diefe Vögte bis dahin landesfürftliche Beamte gewejen waren. 

Nun stellte fih das Kloſter zwar jelbft wieder Vögte an, aber es 
jtand doch in feiner Gewalt, Aemter und Rechte derjelben neu zuzutheilen. 
Zunächit jcheint ihnen das Klofter das Schirmamt des Gutes abgenommen 
zu haben. Wahrjcheinlich aus dem Sige des ehemaligen Vogtes ging ein 

Schlößchen oder eine Burg in der Stadt hervor, die wenigſtens 1296 
urkundlich erwähnt wird und an feiner anderen Stelle gejtanden haben 
fann, als wo fich heute das Klofter erhebt. Im Jahre 1306 erjtand nach 
einem Brande ein Neubau desfelben und ein tiefer Schloßbrunnen wurde 
gegraben. Nach Neplachs Chronik hätte dann 1322 Abt Bawor eine 
Probftei hineinverlegt, womit ähnlich wie in Politz eine Klofterfiltale 
verbunden fein konnte, Ehe dies der Fall war, wurde das alte Schloß 
einem „Burggrafen” anvertraut, der zugleich mit feinem bewaffneten Ge: 
folge der Schirmherr des Landes fein ſollte. In Glatz oder Schlejien 
würde diefer Dienft wahrſcheinlich auf ein Lehensverhältnig aufgebaut 
worden fein, nicht jo in Böhmen. Ein folder Schu war aber in da— 
maliger Zeit außerordentlich nothwendig. Wir haben noch den Vertrag, *) 
mit welchem in der Perfon eines Ritters Konrad von Sulcz ein folcher 
„Burggraf” vorläufig fir ein Jahr angeftellt wurde. Gegen 12 Marf 
Jahreslohn mußte er fich verpflichten, nicht blos mit Frau, Kind und 
Gefinde die Feite zu bewohnen, jondern fie auch mit Schleudergejchügen 
(balistae) in Vertheidigungszuftand zu halten und Stadt und Gebiet gegen 
alle Einfälle zu vertheidigen, aber jelbjt in Kriegszeiten niemand ohne des 
Abtes Willen in die Burg aufzunehmen. In das Gericht follte er ſich 
nicht einmijchen, wohl aber dem Vogte auf deſſen Wunſch Aſſiſtenz leijten. 
Seit 1300 verwendete der genannte Abt Bawor feinen eigenen Bruder 


1) Emler 1266 Nr. 522. 
2) Emler II. 1296 Nr. 1722. 


— 352 — 


Wysemir von Nectin als Burggrafen. So war der Vogt aus dem 
Schloſſe gedrängt. | 

Ein vereinzelter Stüßpunft genügte aber in jener bewegten Zeit nicht 
für ein fo weites Gebiet. Von gemeinen Dieben — „Gaudieben“ — 
abgejehen übte jeder irgendwie beleidigte Nachbar fein Fehderecht und da- 
bei war uud blieb Vichraub immer die Hauptfache. Die Art, fich dagegen 
zu ſchützen, ift in einigen Gegenden Norddeutſchlands — in der Altmark, 
im Halbjtädtifchen und anderswo — noch friſch im Gedächtniſſe geblieben. 
Man errichtete Landwarten oder „Landwehren“, ein Syitem von Thürmen 
auf freien Ausjichtspunkten. Bon da aus warnten Wächter die Hirten des 
Weideviehes bei jich nähernder Gefahr, und ein Wall oder Mauerfreis 
unter dem Thurme nahm die flüchtigen Herden jchügend auf. In den 
meisten Fällen entjtanden aus folchen Anlagen die fogenannten „Bor: 
werfe*, oft aber auch wenig wohnfame Thurmjchlöffer von Dienftmannen 
in Verbindung mit jenen. Auch im Braunauer Ländchen beſtanden ſolche 
Landwehren; wenigjtens lernen wir eine derjelben kennen. Nach Aufzeicy- 
nungen des Abtes Bawor ') verwendete diefer 6 Mark zur Erbauung eines 
„steinernen Thurmes" in Märzdorf, und der Flurname „Thurmwieſe“ 
verräth uns, daß wir diefen Thurm in Verbindung mit dem Märzdorfer 
Borwerfe zu denken haben. Einzelne Auinenjtätten auf der Poliger Seite 
mögen eine ähnliche Erklärung zulaffen.?) 

Nachdem das Klojter jo das Burggrafenamt von der Bogtei getrennt 
hatte, verkaufte es letztere felbjt wieder zu erblichem Beſitze. Aber das 
neue Verhältniß, wie wir e8 nad) 1300 aus einer Aufzeichnung des Abtes ?) 
fennen lernen, ift das denkbarſt unfreundliche. Die Brüder Leo und 
Tiezko, damals im Beſitze der Erbvogtei, vaubten das in der Klofterkicche 
zu Polig aufbewahrte Geld und verjegten mit einigen Schulzen im Bunde, 
als fie fich ihrer erjten Verhaftung entzogen hatten, durch Raub und 
Plünderung das ganze Ländchen in einen Fehdezuſtand. Endlich durch 
den Burggrafen in einer fürmlichen Schlacht befiegt und gefangen genommen, 
werden fie von einem Gerichte der Braunauer Schöffen und Schulzen — 
jedenfalls unter VBorfig des Abtes — für geächtet und aller Nechte für ver- 
lujtig erklärt. Durch diefe Verurtheilung gelangte das Kloſter neuerdings 
in den Beſitz der Vogtei, und auch einige Schulgereien wurden ihm frei. 


1) Tomek, Nachrichten 59. 

2) Tomek a. a. D. erwähnt ſolche „na zämöatech“ ©, 11; bei Zdar ©. 12; 
die sträZnice hei Polis ©. 13, 45 f. 

3) Emler II. post a. 1300 Nr, 2765. 


— 33 — 


Das Kloſter fcheint daraus in dem Sinne Nugen gezogen zu haben, daß 
es auch die fieben alten Vogteivörfer von der Vogtei losriß und möglicher- 
weife auch die Erblichkeit nicht wieder einführte. Als Vögte — jetzt aljo 
nur noch Stadtrichter — aus fpäterer Zeit nennt uns das Braunauer 
Stadtbudy: Nicolaus Gufener (1399), Nicolaus Kunze (1403—1419) und 
Paul Marquardt. Den erfteren (als Güffner) kennen auch Glager Urkunden 
aus den Jahren 1385 und 1400 °) und ftellen uns denjelben als einen 
jehr vermögenden Mann vor. Er Ffaufte einmal 3 Hufen Lehngut in 
Scheiba bei Wiünfchelburg, das andere Mal 18 Hufe Lehngut ſammt den 
Kirchenlahn zu Edersporf. 

Im Zufammenhange mit jener Aenderung ftand wahrſcheinlich aud) 
die Errichtung einer eigenen Brobftei in Braunau, welche die Ver— 
mittlung eines Vogtes überflüfjig machte. Der Probft bereifte nun jelbit 
dreimal des Jahres die „gehegten Dinge" der Dörfer. Der Schulze leitete 
das Verfahren, die bäuerlihen Schöffen fanden die Urtheile, und das be- 
waffnete Gefolge des Probjtes half zur Execution. Dafür erhielten Probjt 
und Gefolge jedesmal eine reichliche Mahlzeit — einmal des Jahres auf 
Koſten des Schulzen, zweimal auf Koften der Bauern. Aber aud) hier, 
wie auf dem ganzen Gebiete, bereitete ſich langſam eine Ablöfung durd) 
Geld vor. 

Ueber die Verpflichtungen der Anfiedler, denen ein jehr allgemein 
verbreitetes Syftem zu Grunde liegt, belehrt uns in muftergiltiger Weife 
der Hauptmannsdorfer Schulzenbrief von 1296. Der Colonift erwarb — 
nach einer je nach der Schwierigkeit der Urbarmachung berecdjneten Frijt 
von Freijahren — feine in langen Streifen vom Dorfwege bis zur Wald- 
marf reichende Hufe (mansus) erblich gegen eine SJahresleiftung, die 
urſprünglich aus Geldzins, Getreidelieferung und Aderdienjt zugleich be- 
ftand, fpäter aber immer ausjchließlicher in Geld reluirt wurde. Nach 
einem Braunauer Urbar von 1406, welches Tomek benügen fonnte, war 
zwifchen jener erjten und diefer Zeit (1296 1406) der Geldzins von "/, 
auf 1 Schod (= 1 Marf Silber = 21 fl. d. W.) geftiegen, dagegen die 
alten „Dreiforn"-Lieferungen (2 Strid Weizen, 2 Strich Korn, 2 Strich) 
Hafer) auf einen Schweinsschlegel, 12 Eier und 2 Käfe reducirt, die Hand- 
und Spanndienfte aber unter eine Geldablöjfung zu 6 Grojchen im Ganzen 
gejtellt. Aber auch die Handfefte von 1296 hatte jchon eine Ablöjung 
diefer Leijtungen vorgefehen, doch diejelbe noch auf 8 Gr. veranjchlagt. 
Ale diefe Ermäßigungen hatten in der Erhöhung des Geldzinfes ihren 


1) Volkmer und Hohaus a. a. DO. ©. 241, 305. 


— 34 — 


Ausgleich gefunden. Diefer Fortichritt, auf welchen die deutſche Eolonijation 
fo fichtlich Hinzielt, Tonnte aber nur ermöglicht werden unter gleichzeitiger 
Hebung des ſtädtiſchen Marftverfehres, welcher dem Bauer den Umjag 
feiner Erzeugniffe gegen Geld immer mehr erleichterte. Daher gehen in 
jenen Colonifationsunternehmungen Stadt: und Dorfbegründungen immer 
Hand in Hand. _ 

Obgleich auch im Poliger Gebiete die Befiedlung nach deutſchem 
Mufter ausgeführt wurde, jo gejtattete docdy die Verwendung von altunter- 
thänigem Volke aus dem Innern des Landes eine größere Belajtung des- 
jelben mit „Roboten“; nur ihre „Gemeſſenheit“ war auch für dieje Colo- 
niften ein Fortjchritt. Auf deutjcher Seite fommen — abgejehen von der 
hier von Anfang an ausgefprochenen Ablösbarfeit — nur Ernte, Ader- 
und Gejpanndienjte vor, in Polig aber bejtimmte auch das jüngere Urbar 
außerdem noch die Arbeiten beim Heumachen, die Xreiberdienfte bei der 
Jagd, das Führen von Heu und Mühljteinen oder entfprechende Hand- 
arbeiten dafür, die Wrbeiten an Brüden und Wegen, die Zufuhr von 
Baunmaterial und Steinen zur Kalfhütte und des Holzes zu Bauten. 


Die Berfaflung von Braunau war von Anfang an eine ftädtifche, 
und die Urkunde von Karl IV. von 1348 hat nicht wie in andern Fällen 
die Bedentung einer Locationsurfunde; das, was eine folche gewähren 
fonnte, das eigene Schöffengeriht und das heimische deutjche Recht, bejaß 
die Stadt thatfählih. Der Kon jener Urkunde liegt auf der Auszeichnung 
durch die Gleichſtellung der Bürger von Braunau mit jenen von Gräß 
und Glaß und andern königlichen Städten. 

Die Burg im Nordofted dürfte gegen die Stadt zu durch Graben 
und Mauer gejchieden gemwejen fein, weil es jonft nicht verftändlich wäre, 
wie Abt Predbor gegen die Ummanerung der Stadt eifern konnte, 
welche die Bürger 1359 verfuchten und fpäter auch thatfächlich durchführten. 
Aber auch vorher war fie durch die fteilen Felswände des Hügel und 
wahrjcheinlich wie andere Städte durch einen Ballifadenzaun verwahrt. 
Auch die Bezeichnung der tiefer gelegenen Vorjtädte als „Sände“ weiſt 
auf Schlejien, fpeciell auf laß und Breslau zurüd, und dahin wohl auch 
die Tuchmacherei als hervorragendes Gewerbe. Aus einer Beftätigungs- 
urfunde Wenzels IV.") geht hervor, daß diejer Induſtriezweig ſchon zur 
Zeit des Abtes Martin blühte. Martin verjchaffte ihm einen Niederlags- 
zwang der mit Wolle durch das Ländchen veifenden Händler; daß aber 
gerade er erjt die Tuchmacher nach Braunau geführt hat, fcheint mir aus 


1) Tomek, Nachrichten 57. 


— 355 — 


alledem nicht hervorzugehen. Auch die bedeutendſten Städte der Grafjchaft 
— Glag — Habeljchwerdt und Neurode — betrieben eine anjehnliche 
Tuchmacherei.') | 

Was die Herfunft der erjten Bejichler des Ländchens anlangt, jo 
fann gar nichts einen Zweifel daran anregen, daß fie durchwegs Deutfche 
waren; die gedungenen Beamten des Stiftes find in diejes Urtheil natürlich 
nicht eingejchloffen. Die vielen Bürgernamen, die uns das alte Stadtbud) 
bietet, find grunddeutich. Ueber das nähere Woher? all diefer unter- 
nehmenden Männer aber bietet uns feine Urkunde auch nur einen Finger: 
zeig. Sicher iſt nur, daß die Braunauer ſich auf das engfte in Sprache 
und Nechtsfitte und, wie wir nun gezeigt zu haben glauben, auch in der 
Geſchichte der Eolonifatton jelbjt dem großen Volksſtrome anjchliegen, welcher 
allmählich ganz Schlefien bejiedelt hat. Aus diefem, der rückwärts über 
Meißen nad Thüringen und Oberfranken zurüdreicht, wo ſich die erfte 
Verſchiebung der BVölfergrenze in der Zeit jeßhafter Cultur bemerkbar 
macht, find auch fie hervorgegangen. Ihr Bauernhaus ift der Typus des 
„Fränkiſchen“ in feiner einjtöcigen, breit augeinandergelegten Form, Nir— 
gends mischt fich eine Spur ſlaviſcher oder niederdeuticher Bauart dazwischen. 
Wohl aber bewahrt die Sprache noch Formen, die auf jenen niederdeutjchen 
Untergrund der fchlefischen Befiedlung zurückweiſen, den Weinhold in der 
angeführten Schrift hervorgehoben hat. Aber die Mifchung wird kaum 
erſt im Ländchen ſelbſt ftattgefunden haben. 
Es iſt in der Natur der Sache begriindet, daß das nothmwendige 
Eolonijtenmaterial der Hauptfache nach immer wieder aus denjenigen Ge— 
bieten hervorging, in welche fich jchon früher der Coloniftenftrom ergoſſen 
hatte. Der natürlihe Grund dafür wurde gerade in Böhmen, wo die 
Gegenſätze der jocialen Einrichtungen auf einander ftoßen, vecht erfichtlich. 
Auch die ſlaviſche Gejellihaft in Böhmen hat frühzeitig eine Einrichtung 
geichaffen, die man eine innere Colonifation nennen fann — warum griff 
man nur, wo es den Landesfürften und Großgutsheren darum zu thun 
war, ihrem Grunde eine Geldrente zu eutloden, nicht auf dieje zurück? 
Daß das nicht gefchah, daraus konnten Herolde des Nationaljtolzes, wie 
Dalimil und Neplach weit leichter den Premifliden einen Vorwurf machen, 
als fie den Weg der Aenderung zu zeigen vermocht hätten. Schon die 
ältejten Urkunden lehren uns in Böhmen unter der Dorfbevölferung eine 
Elajje von Menjchen kennen, welche ung als „hospites* — Gäſte — vor- 
geftellt werden, und zeigen uns in vielen Dörfern Hofftätten mit dem Nechte 


1) Volkmar und Hobaus ©. 133, 185, 165, 280. 


— 356 — 


der Ackerlandbenützung, welche für ſolche „hospites“ vorbereitet ſeien — 
man jah ſolche gewiß gerne, denn einzelne Urkunden bezeichnen fie jogar 
als einen „Schmud" der Dörfer. Die flavifch - patriarchale Wirthichaft 
geftattete auch Feine andere Auskunft. Beſaß ein Grundhere mehr Grund, 
als er durch die ihm in feiner Dorfichaftsanlage zu Gebote jtehenden 
Arbeitskräfte bewirthichaften Fonnte, jo fuchte er durch Einrichtung neuer 
Hofftätten und Anweifung eines entjprechenden Adernusgenuffes fremde 
Kräfte anzuloden; und diefer Ausgleih war in vielen Fällen durchführbar, 
weil wieder anderen Grundherren die Zahl der Menfchen, die fie von 
ihrem Grunde zu ernähren hatten, über den Kopf wuchs. Man entlich 
dann folche Unterthanen auf ihren Wunsch, und fie traten als „Hoſpites“ 
in die neue Gemeinde ein. Mitnehmen konnten jie natürlich) von ihren 
früheren Herren nichts, denn nach der patriarchalen ſocialen Auffafjung 
waren fie ja an Allem nur Nusnießer gewejen. Sie bedurften defjen 
aber auch nicht, weil fie ja nur wieder in ein ebenjo vorbereitete Ver— 
hältniß eintraten. Grund und Boden und der Viehftand blieben beim 
Gute; ja die Gejammtheit, die fich nun ſchon in einem „Herrn“ oder in 
der alten „Hauscommunion“ repräfentirt, hatte eigentlich auch ein Anrecht 
auf all’ den Kleinen beweglichen Befig, den fich der Mann aus den Er- 
trägnifjen des Gutes angeeignet hatte. Wir jehen, wie aus diefer Voraus— 
jegung den Austretenden jogar die Verpflichtung einer Ablöſung er- 
- wädjt; er muß dem Gutsheren erjt noch eine beftimmte Summe zahlen, 
ehe er mit dem nackten Zeben davon gehen kann. Eine Urkunde von 1266 ') 
zeigt uns, daß dieſes „Recht“ der Grundherren in jener Zeit ſchon zu 
einem fejtjtehenden geworden war; nur durch eine Zahlung erwarb fich 
der Unterthan das als „Wayhost“ (wyhost) bezeichnete Recht, an das 
ung in jpäterer Zeit Tauſende von „Losbriefen“ erinnern. Ein ſolches 
Beltedlungsmaterial jtand alfo allerdings au in Böhmen zur Verfügung 
und wenn man jich im Klofter in Brevnov desjelben bedienen wollte, um 
einige neue Dörfer damit anzulegen, jo war diejes bei feinen vielerlei 
Einnahmsquellen wohl in der Lage, für einen jolchen Fall einer bloßen 
Dislocation den Mann mitfammt feinen Betriebsmitteln zu entlaffen, 
beziehungsmweije zu verjegen. Daß aber auch ein jo reicher Grundherr in 
diejer Weife eine umfangreichere Colonifation nicht hätte durchführen 
fünnen, das beweiſt der Umftand, daß ich auch diefes Klojter etwa mitten 
in jeiner Arbeit an die Vermittlung von „Schulzen” wenden mußte. 

So große Streden des Grenzwaldes, wie fie die Premyjliden ins 
Auge faßten, auf diefe Art zu erjchließen, wäre umſo mehr unmöglich ge— 

1) Emier 1266 Nr. 531. 


— BT 


weien. Ein Mann aber, der ohne jede weitere Unterftügung des Guts- 
herrn als die mehrjährige Abgabefreiheit auf dem ihm zugewiejenen Rode: 
ftüde jeinen Lebensunterhalt gewinnen follte, der mußte mindeſtens einen 
Stamm des Biehjtandes und die nothiwendigen Geräthe und Werkzeuge 
oder foviel baares Geld mitbringen, um diefe Dinge auf dem Markte des 
Colonifationsgebietes — deſſen Anlage daher durchwegs mit der Erſchließung 
Hand in Hand geht — erwerben zu. können. Das ijt der Angelpunft der 
Frage, und bier liegt der Grund der großen Ueberlegenheit der focialen 
Drgantjation, welche eben erjt das deutſche Eolonifationsprincip gejchaffen 
hat, gegenüber dem Batriarhalismus und dem älteren Principe, welches 
die ſüdſlaviſche „Zadruga“, der ruſſiſche „Mir“ noch aufrecht erhält. 


Nur der deutiche Eolonift konnte unbejchadet feiner Verpflichtungen 
gegen den Grundheren ein Capital, jei es an Vieh oder Geld, für feinen 
jüngeren Sohn zurüdlegen, mit welchem ausgejtattet diefer felbft als Coloniſt 
im nächitgelegenen Neulande feine Selbftändigkeit begründen konnte, und wenn 
er mit Einwilligung feines Herrn feine Hube verfaufte, jo war der Er- 
trag fein eigen, und er konnte als unternehmender Mann in ein neues 
Eolonijationsgebiet überfiedeln und damit, wenn das Glüd ihm wohl wollte, 
als Partieführer felbft eine Erbrichterei oder doch durch ähnliche Anlage 
feines Capitals die Selbftändigfeit aller feiner Söhne begründen, für vie 
Eine verkaufte Hufe und die Zuthat der neuen Arbeit deren mehrere er- 
werben. Es lag nun einerjeits nahe, daß fich gerade immer wieder in 
einem Kolonifationsgebiete die Aufmerffamkeit der Bewohner traditionell 
auf diefe Art des Glücjuchens hinlenkte, ſowie andererſeits, daß auch 
gerade im Colonifationsgebiete der Bevölkerungsüberſchuß, der fich mit der 
Beit einjtellte, außer dem Zuzuge in die Städte gerade diejes Abzugsweges 
bedurfte. In der älteren Socialverfaffung, wie fie in der Zadruga er- 
halten ift, kann der der Aufticalbevölferung zugewiefene Grund je nad) 
vem Zuwachſe der Geburten immer wieder aufs Neue aufgetheilt werden, 
wenn auch jchließlich nicht ohne tiefen Schaden der Gejammtheit ein gewiſſee 
Maß überfchritten werden kann; aber in der Colonie ijt eine folche Er- 
ftredung des Antheils am Grunde von vornherein ausgeſchloſſen. Darum 
kann man wohl mit Recht annehmen, daß es im Großen immer die älteren 
Eolonifationsgebiete waren, welche die jüngeren mit Menjchenmaterial ver- 
forgten, darum trägt diefer große Colonijtenftamm, wie wir ihn von 
Thüringen bis in die Grafichaft Glag ſich erjtreden jehen, troß der 
manmigfaltigen Mifchungselemente, die er enthält, doch wieder ein fo jelbft- 
ftändiges und einheitliches Gepräge. 

Mitteilungen. 26. Jahrgang. d. Heft. 25 


— 358 — 


Unternehmungen in weit entfernte Gegenden können nur mit jehr 
großen Mitteln, wie fie Landesfürjten und reiche Stifter aufbieten konnten, 
durchgeführt worden fein. Selbſt im Anfchlujfe an alte Eolonien jegte die 
Unternehmung eines „Locators“ — des jpäteren Vogts oder Schulen — 
immer bedeutende Mittel voraus, denn da diejer nach Ablauf der bedun- 
genen Frift für den jtipulivten Ertrag aufzufommen hatte, jo muß er oft 
in die Lage gekommen jein, die Unzulänglichkeit der Mittel der Coloniften 
zu ergänzen. Darum ſehen wir diefe Grimdungsgejchäfte oft in den 
Händel des Fleinen Adels — auch unferen Wicher nennt Tomek wohl 
nicht mit Unvecht einen deutjchen Edelmann — und der durd) Handel zu 
Vermögen gelangten Bürgerjchaft. 

Ueber jolhe Elemente vermochte die jlaviiche Geſellſchaftsverfaſſung 
Böhmens und Polens in jener Zeit nicht zu verfügen, und nur darum 
fonnte die Colonijation in Schlefien und Böhmen, wo ſie in großem Maß: 
jtabe durchgeführt wurde, feine andere als eine deutjche fein. Nur 
bezog jich diefe Nothwendigkeit der Ausjchliegung des jlavijchen Elementes 
nicht in gleicher Weiſe auf die ſtädtiſche, wie auf die ländliche Coloni— 
jation. Während der jlaviiche Bauer, der mit den „Xosbriefe" in der 
Hand aus dem Gutsverbande jeines Herrn austrat, mit dieſem Scheine jo 
gut wie niemals den fundus instructus eines Landgutes erfaufen konnte, 
war ihm diejer „Losbrief“ in der Stadt ein Freibrief zu jeder Carriere. 
Ohne jedes Capital konnte der Entlajjene als dienender Gehilfe eintreten, 
um allmählich als Händler oder Handwerker zu einer jelbjtändigen und 
vielleicht glüdlichen Erijtenz zu gelangen. Es ijt ganz unüberſchätzbar in 
welchem Grade die in ihrer Geſellſchaftsform jo unglücklich gebundene ſlaviſche 
Bevölkerung gerade der jtädtiichen Colonifation zu Danke verpflichtet üft. 
Sie jollte über den Bortheilen, die fie hier jo reichlich eingeerntet hat, 
billig des Neides vergeffen, welchen in den alten Patrioten die Unterneh: 
mungen der Ptemyſliden erwecten. Mit jener Untericheidung iſt aud) die 
Thatſache erklärt, daß die Stadtcolonien wiederholt ihren nationalen 
Charakter wechjelten, während die Spracdhgrenzen der Dorfcolonien im 
Allgemeinen ſich viel fejter zeigten. 

Die Ereignifje des 15. und 16. Jahrh. haben die alte Zuſammen— 
gehörigfeit des Braunauer Ländchens mit Glatz aufs neue hevvortreten 
lajjen. In den Acten der „Glatzer Lehenstafel”, deren Herausgabe im „Archiv 
Gesky* eben vorbereitet wird, erwarten wir nähere Aufichlüjje darüber, 
und gedenken jeiner Zeit dem Leſer das Wichtigjte daraus mitzutheilen. 


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TITTEN at 


—. 359. — 


RER der dentfhen Spradinfel von 
Neuhaus und Neubiſtrih. 


Von Dr. Theodor Tupehh. 
Schluß.) 


Der deutſche Orden und die kirchlichen Verhältuiſſe in und um Reuhans 
überhaupt. 


Es iſt bereits erzählt worden, wie der deutſche Orden unter Alrich T: 
in Neuhaus einzog und daſelbſt die Seeljorge übernahm. Auch der erjte 
mit Namen befannte Comthur von Nenhaus, Chunrad, wurde bereits er- 
wähnt; er erjcheint als Zeuge auf einer Urkunde vom Jahre 1270, in 
welcher Ludwig, Provinzial des deutſchen Ordens für Böhmen und Mähren, 
den Rechten des Ordens auf Frauenthal zu Gunſten des dort zu grüindenden 
DBenedictinerflofters entjagte und dafiir durch. einige Bejigungen. in der 
Pfarrei Deutjchhrod entjchädigt wurde. 

Die Einfünfte des Ordens in Neuhaus wurden von Ulrich IL. im 
Jahre 1292 durch die Stiftung einer. Kapelle vernehrt, welche dem hei: 
figen Donyſius Martyr gewidmet und mit verjchiedenen Grundſtücken 
und Zinsabgaben ausgejtattet war. Heinrich von Pier, damals Provinzial 
des deutſchen Ordens in Böhmen und Mähren, verjprad) dafür, daß die 
Brüder des deutjchen Haujes, die fih in der Pfarrei zu Neuhaus oder im 
Ordenshauſe dajelbit aufhalten würden, in jeder Woche an zwei Tagen, 
nämlih Montag und Freitag, in der Kapelle Gottesdienſt halten wollten. 
Der erjte Verwalter der Kapelle und der erjte Nugnießer der damit. ver- 
bundenen Stiftungen war Ulrich von Neuhaus Kaplan und Notar Theo- 
dorich, der ſeinem Namen nach zu ſchließen wohl ebenfalls von deutſcher 
Abkunft war. Erſt nach Theodorichs Tode fiel die Kapelle wirklich dem 
deutſchen Orden zu.!) 

Daß Ulrich II. in dem Teſtamente vom 25. Juli 1294, durch welches 
er den König zum Erben einſetzte, auch des deutſchen Ordens gedachte, 
indem er ihm das Patronat über alle Kirchen in Böhmen und Mähren 
verleihen wollte, in welchen er ſelbſt das Patronat hatte, iſt bereits erwähnt 
worden. Wir finden indeſſen, da jenes Teſtament nicht zur Ausführung 
gelangte, nur bei der Pfarrei in NRiegerjchlag und einmal bei der von 
Blauenjchlag, daß der deutjche Orden dafelbjt ein Bejegungsrecht hatte, 


9» Emler, Rega. IT. 69%. 


25* 


— —— — — EN TEE 3 Tg 


— 9 — 


Unter der Regierung Johanns von Luxenburg war der deutſche Orden 
in Geldbebrängniß, was aus einer Urkunde diefes Königs vom Jahre 1337 
hervorgeht, in welcher dem Orden für 3 Jahre die Freiheit von allen 
Steuern und Abgaben (mit Ausnahme der allgemeinen Berna) bewilligt 
wird, damit er die große Schuldenlaft, die den Drden damals dridte, ab- 
zahlen könne. Dagegen haben wir gerade aus diefer Zeit ein Zeugniß dafiir, 
welch hohes Anjehen die Comthurei Neuhaus innerhalb des deutjchen Ordens 
genoß; denn als Theodorih von Aldenburg, Meijter des deutjchen Ordens, 
am 30. November 1338 zwei Inquiſitoren für Böhmen und Mähren 
einfegte, nquifitoren, die mit jehr weitgehenden Vollmachten ausgejtattet 
waren, da war der eine berjelben Herrmann, Comthur und Pfarrer von 
Neuhaus.”) 


Einer der Nachfolger diefes Herrmann Hatte den tichechifchen Namen 
Wyſſemir, war alfo wahrjcheinli von Abkunft ein Slave, wie der zum 
Jahre 1297 genannte Bruder Zdislaus. Wyſſemir verzichtete auf feinen 
Boften im Jahre 1357, um Pfarrer in Rypina zu werden (in der Nähe 
bes tichechifchen Dorfes Radaun), wo er aber auch nur bis 1359 blieb. 
Später fcheint er Pfarrer bei St. Benedict in Prag geworden zu fein; 
wenigftens taucht im Jahre 1364 als folder ein Rudolf Wyſſemir auf, 
der ebenfalls dem deutjchen Orden angehört haben muß, da er im Namen 
des Provinzials diefes Ordens einen Vorſchlag betreffs Bejegung der 
Neuhaufer Pfarrei macht. 


Wyſſemirs Nachfolger in Neuhaus wurde ein gewiſſer Nicolaus, 
Bruder des deutjchen Ordens, eingefegt durch den damaligen Provinzial 
Nudolf von Habsburg; derfelbe ftarb aber bereit? 1360. Die Neihe der 
Pfarrer von Neuhaus, welche ſämmtlich dem deutſchen Orden angehörten, 
fo weit fie ſich ermitteln läßt, ift folgende: Friedrich oder Friczko 
(1360—64), Konrad (1364), Jakob (1364— 70), Jenczo, ernannt von 
dem Provinzial Ludko (1370—?), Nicolaus (—1375), Nicolaus, ernannt 
von dem Provinzial Albert von Duba (1375—79), Nicolaus, ernannt von 
dem Provinzial Lupus von Ezullenhart (1379—1387), Wenzel (—1394; 
wurde in diejem Jahre Pfarrer in Zroppau), Leonard, ernannt vom 
Provinzial Albert von Duba (1394—?), Nicolaus, ernannt von demfelben, 
(1397—1405), Michael, ernannt von dem Provinzial Ulrich von Aust 
(1405—?), Ulrich (—1409), Nicolaus (1409—?).?) Auffallend ift der 


1) Emler, IV. 241. 
2) Teigl, confirmationes I. 36, 43, 50, 125, II. 29, III. 39, ur, V. 203, 283, 
VI. 154, 273. 


— 31 — 


häufige Berfonenwechfel und die kurze Dauer der. Berwaltung des Pfarr 
amtes bei jedem einzelnen Pfarrer. Ausgefprochen tfchechifche Namen finden 
fih, wie man fieht, in diefem Verzeichniffe beinahe gar nicht, allerdings 
auch nur 4 ausgefprochene deutfche, jo daß die Nationalität der meiften 
Pfarrer, joweit fie fich überhaupt aus dem Namen erfchließen läßt, —— 
haft bleibt. 

Auch von einzelnen Altären der Neuhauſer Pfarrkirche, den damit 
verknüpften Stiftungen und ihren Inhaberu, den ſogenannten Altariſten 
haben wir Kunde. So wurde der Altar der hl. Apoſtel Petrus und Paulus 
im Jahre 1383 (am 15. Juni) von Herrmann von Neuhaus, Oheim 
Heinrich III. des älteren, und von dem Bruder des letzteren, Heinrich dem 
jüngeren, mit einem Einfommen von 10 Sch. Prager Groſchen aus den Dörfern 
Dammerjchlag und Suchenthal (beide gegenwärtig und nad) den Namen 
der zinspflichtigen Bauern zu urtheilen, wohl auch ſchon damals tichechifch) 
ausgejtattet. Außerden wurde dem Altarijten ein Haus in Neuhaus un- 
mittelbar neben dem Haufe der Deutjchherren, welches früher einem gewiffen 
Konrad, Kämmerer der Frau Clara von Neuhaus, gehört hatte, laſtenfrei 
eingeräumt. Inhaber diefer Altarpfründe waren die Priefter: Gregor 
(+ 1387), Johanu von Hwozd (1387—90), Yohann von Wilczetin (1390—?), 
Johann Zajsmuf (—1409), Peter von Datſchitz (1409—?), aljo vorwiegend 
oder ausſchließlich Tichechen.') 

Am 22. Mai 1384 ſchenkte Heinrich der jüngere 10 Schod Prager 
Groſchen Zins in feinem Dorfe Malovidi (?) fir den Altar des Leibes 
Chriſti und der Empfängnig Marid. Der erfte Altarijt hatte den deutjchen 
Namen Gebhard.?) 

Einen dritten Altar, den der hl. Maria und — 4 hl. Doctoren be⸗ 
ſchenkte Herrmann von Neuhaus im Jahre 1397 mit einem Zinsertrage 
von etwas über 8'/, Schod Groſchen aus feinem Dorfe Piſtin (tſchechiſches 
Dorf bei Platz), bei welcher Gelegenheit auch die früheren Wohlthäter des 
Altars, ein gewifjer Konrad und jeine Fran Katharina, ferner ein gewiſſer 
Swacho und feine Frau Anna, endlich ein gewifjer Johann Puklin genannt 
werden. Der erjte Inhaber der Stiftung war der Priefter Jakob, Sohn 
des Friedrich aus Neuhaus; 1409 befam ihn Peter von Datjchig.?) 

Außerdem werden genannt: der Altar der HI. Elifabeth, welchen bis 
1403 der Priefter Beter, nad) deſſen Tode Johann von Porzeczan inne 


1) Borowy, libri ereet. II. 204; libri confirm. III. 193, V. 3 


2) Ebeuda 211. 
3) Borowy a. a. O, IV. 466; confirm. V. 285, VI. 262, 


= 8 


hatte; der Altar der hl. Dorothea, welchen im Jahre 1404 Wenzel von 
Zlabiugs erhielt; der Altar der Heimfuhung Mariä, bei welchem im 
Jahre 1405 Johann aus Neuhaus Altarift wurde; der der hl. Barbara, 
Altarift jeit 1409 Johann Zaßmuk; endlich der Altar aller Heiligen, von 
dem Bürger Hans Knauer in feinem ZTeftamente errichtet und mit einem 
Einfommen von 12 Schod jährlich) ausgejtattet.") 


Bom deutjchen Orden wurde, wie bereits bemerkt, auch die Pfarrei 
in Riegerfchlag, damals Nudgerfchlag oder Augerfchlag genannt, bejegt. 
Außer dem Pfarrer Heriman, welcher bereit8 oben zum Jahre 1297 als 
Zeuge genannt wurde, hatten diefe Pfarrei inne: Peter (f 1359), Wenzel 
von Neuhaus, eingefegt von dem Provinzial Rudolf von Hohenburg.. 
(1359— 1389), Peter von Neuhaus, eingefegt von dem Neuhaujer Comthur 
Nicolaus (1389—?).?) 

Die übrigen Pfarreien bejegten die Herren von Neuhaus jelbft und 
zwar finden wir an der Michaelsficche in Baumgarten die Pfarrer: 
Heinrich (F 1359), Andreas von Lomnitz (1359—?), Johann (—1406?), 
Johann, früher Pfarrer in Slatnitz bei Brüx (1406—?); in Blauen: 
ihlag: Johann (—1394; wurde in diefem Fahre Pfarrer in Ktyß 
bei Goldenfron), Nicolaus vorher Pfarrer in Ktyß (1394—1401), 
Johlin, früher Pfarrer in Swoyſchitz nördlih von Tabor (1401—5), 
Thomas aus Neuhaus (1405—?); an der Aegidifiche n Schamers: 
Salomon (F 1359), Albert von Datſchitz (1359— 60), Andreas von 
Datfchig (1360—69), Peter von Jegerdorf (1369—1406), Wenzel, Sohn 
des Mauritius (1406—?).”) 


Die Pfarrer in den tjchechiichen Törfern, welche den Herren von 
Neuhaus unterftanden, aufzuzählen, wäre überflüjjig, dagegen mögen hier 
noch einige PBriejter angeführt werden, welche aus Neuhaus ftanımten, aber 
in anderen Gegenden Böhmens und felbit in anderen Ländern wirkten; 
es jind dies: Jakob von Neuhaus, welcher unehelich geboren war, aber 
durch den Erzbifchof Ernſt von Pardubig von diefem Makel abjolvirt 
wurde; Magifter Theodorih, Sohn des Diwish von Neuhaus, Domberr 
in Olmütz (F 1351); Nicolaus, Sohn des Heinrich von Neuhaus, Pfarrer 
in Serowis (1359); Meinhard Herrgotthilf von Neuhaus, Bruder des 
Herrn Heinrich von Neuhaus, Pfarrer in Ruspach (1363); Peter, Sohn 
des Nicolaus, genannt Hettel (Hekfel?\ von Neuhaus Altarift in der 


1) Confirm. VI. 86, 188, 147, 262. 
2) Confirm. I. 104, V. 310. 
3) Confirm. I. 83, 98, 125, II. 17, V. 197, VI. 44, 161, 180, 189. 


— 13 — 


Michaelskirche in Opatowitz auf der Neuſtadt Prags (1369); Martin, 
Sohn des Veit aus Neuhaus, Pfarrer in Habelſchwerd (1399); Markus, 
Sohn Ulrichs, Prieſter in Prag (1404); Magiſter Thomas, Pfarrer in 
Libitz (1405); Martin, Pfarrer in Novoſedl (1409); Martin, Pfarrer in 
Goſſengrün (1409).*) 

Da es ſich um Namen von Prieſtern handelt, herrſchen in allen 
dieſen Verzeichniſſen die Namen bibliſchen und lateiniſchen Urſprungs vor; 
bezeichnend iſt aber doch, daß ſich neben dieſen viel häufiger deutſche als 
tſchechiſche Namen finden. Auch auf die Beziehungen zu dem deutſchen 
Süden Böhmens, zu deutſchen Gebieten in Mähren und Schleſien, welche 
ſich aus den Schickſalen der angeführten Prieſter ergeben, kann hinge— 
wieſen werden. 


Die Herren von Landſtein. 


Im Oſten der Sprachinſel in der Nähe der mähriſchen Grenze liegt 
das Dörfchen Landſtein und bei demſelben erblickt man noch heute die 
Ruinen der gleichnamigen Burg, welche einem mächtigen Zweige der 
Witigonen, den Herren von Laudſtein, gehörte. Auch die Herren von 
Landjtein führten, wie die jtammverwandten Herren von Neuhaus, eine 
Roje im Wappen, aber eine weile. 

Leider iſt es nicht ganz ficher, von welcher Burg das Gejchlecht 
jeinen Namen hatte; denn außer der Burg Landjtein, welche oben erwähnt 
wurde, gab es noch eine zweite Burg dieſes Namens bei Ledenig öſtlich 
von Budweis; doch dürfte Pangerl Recht haben, wenn er vermuthet, daß 
legtere Burg urjprünglich Ledenitz hieß und erſt jpäter, weil fie den Herren 
von Landſtein gehörte und von ihnen mit Vorliebe bewohnt wurde, in 
„Burg Landjtein“ umgetauft wurde. Aus diejer frübzeitigen Berlegung 
des Wohnfiges dürfte ſich übrigens erklären, daß, wie aus der folgenden 
Darjtellung erjichtlich werden wird, die Herren von Lamdftein auf die 
Gejchichte unſerer Sprachinſel nicht entfernt denjelben Einfluß ausübten, 
wie ihre Nachbarn, die Herren von Neuhaus. 

As Stammvater der Herren von Landjtein ijt wahrjcheinlich Witigo 
von Klofot zu betrachten (Klolot ift eine Burg bei Tabor), ein Bruder 
Heinrich 1. von Neuhaus, der von 1220 bis ungefähr 1265 gelebt hat. 
Auch von jeinen Söhnen: Witigo, Pilgrim und Hojer führte noch feiner 


1) Cancellaria Arnesti (Tadra) 381, 364; Boczel: Brandl VII. 340, IX. 332, 
Confirm. I. 88, II. 9, VI. 9, 121, 139, 257, 267; Tomek, zäklady ın. Prahy 
IM. 148; Borowy 1. 72, 107, 113. 


— 364 — 


den Namen von der Burg Landſtein, welche überhaupt erſt 1282 erwähnt 
wird; dagegen findet ſich der Name: Herr von Landſtein bei einem Sohne 
Pilgrim's, Sezima (1261—93) und einem Sohne Hojers, Witigo (1300 ff). 
Sezima erwarb die Burg Landſtein von einem gewiſſen Ulrich von Land— 
ftein, dem vermuthlichen Erbauer der Burg, welcher aber dem Gejchlechte 
der Witigonen nicht angehört haben kann, da er feine Rofe, fondern ein 
„verlängertes Quadrat” im Wappen hutte, | 

Sezima von Landftein, der auc von Wittingau oder Stra} genannt 
wurde, erjcheint zum erjtenmal 1261 als Zeuge in einer Urkunde, welche feine 
Mutter Agnes zu Gunften des Klofters Hohenfurth ausftellte, dann wieder 
1265, 1282, 1283, 1293. Der wachjende Einfluß des Zawiſch von Fal— 
fenjtein fam ohne Zweifel, wie allen Witigonen, auc ihm zugute, wie der 
Sturz desjelben jedenfalls auch ihn in Mitleidenschaft gezogen haben 
dürfte. Im Fahre 1387 jchloß er mit dein Richter Vero und der Bür— 
gerjchaft zu Kamberg (in der Nähe von Naleradec, Bezirk Wlaſchim, alfo 
weit von unferer Sprachinjel entlegen) einen Vertrag wegen Ueberlaffung 
der Nußnießung des Gutes Kamberg an die Bürgerfchaft auf 3 Jahre.) 

Der Erbe Sezima’s war wahrſcheinlich Witigo von Landſtein, Sohn 
Hojers, welcher bereitS oben genannt wurde. Derjelbe erjcheint 1302 als 
Zeuge bei einem Berfaufe feines Bruders Smil von Graßen an das 
Klojter Hohenfurth. Nach einer Urkunde aus den Fahre 1307 feheint er 
auch eine Zeit lang das Amt eines Burggrafen in Znaim innegehabt zu 
haben. Als Friedrich der Schöne und Heinrich von Kärnten im %. 1308 
Frieden jchloffen, war Witigo von Landitein einer der Zeugen. An den 
Kämpfen, welche unter der jtürmifchen Regierung Heinrichs von Kärnten 
zwijchen dem Adel und den Städten ausgefochten wurden, nahm Witigo 
an der Seite Heinrichs von Lipa lebhaften Antheil. Er bemädhtigte id) 
im Jahre 1309 der Prager Burg und drang im folgenden Jahre, als 
auf dem Bohotelee gefänpft wurde, jo ungeftüm vor, daß er beinahe in 
die Hände der Feinde gefallen wäre und nur durch die Aufopferung eines 
bejonders tapferen Ritters gerettet wurde. Im Jahre 1311 erjcheint 
Witigo als Befier eines Dorfes bei Goldenkron, hatte alfo wahrſcheinlich 
auch fonjt Befigungen im fiidweitlichen Böhmen. Zum legten Mal wird 
er 1312 in zwei Urkunden des Königs ‚Johann genannt, von denen die 
eine eine Schuld des Königs felbjt an Heinrich von Lipa, die andere eine 
Verleihung an das Klofter Sedlitz betrifft.”) 


1) Bangerl, Witigonen; Erben: Emler, Regg. U. 
2) Emler, Regg. II. 832, III. 4, 45; Boczet VI. 9, 379; Palady, Geſch. Böhm. 
IIb. 65 ff. Pangerl, Goldenfron. 


— 365 — 


Witigo's Sohn und: Erbe war der berühmte Wilhelm von Landftein. 
Er nahm ſchon 1315 an dem Aufjtande gegen König Johann theil, welcher 
die Befreiung Heinrihs von Lipa aus der Gefangenschaft zum Zwecke 
hatte. Heinrich wurde auch freigelaffen (1316), mußte aber doch 7 Geißeln 
ftellen und 3 mährishe Burgen als Pfand geben, nämlich: Landftein, 
Krumnov und Vren. Unter den Tegtgenannten beiden Burgen find jeden- 
falls Mährifch-Kruman (Kroman) und Frain an der Thaya zu verftehen, 
der Name Landftein aber kann jich immerhin auf die Burg Landftein im 
Bezirke Neubiftrig beziehen, da e8 nahe genug an der mähriſchen Grenze 
liegt, aljo vielleicht damals zu Mähren gerechnet wurde und Wilhelm von 
Landjtein in der Urkunde als einer der bedeutendften Anhänger Heinrichs 
von Lipa genannt wird.") 


Bald darauf verfühnte ſich Wilhelm von Landftein auch mit Peter 
von Rofenberg, der, obwohl ebenfalls ein Witigone, bis dahin auf Seite 
König Johanns gejtanden hatte; da aber der König ſich dafiir, wie Peter 
glaubte, nicht hinreichend dankbar zeigte, insbefondere ein Verſuch Peters, 
die Beguadigung Wilhelms von Landftein zu erlangen, vergeblid blieb, 
fo wendete fich der Rojenberger nun vom Könige ab und den Gegnern 
desjelben zu. Der König vermochte denn auch die Burgen Wilhelms von 
Landftein, die er belagerte, nicht einzunehmen, feine Güter aber verwüſtete 
er und fo dürfte auch das Gebiet von Landftein und Neubiftrig ebenjo- 
wenig verjchont geblieben fein, wie Frauenberg, Graben und Wittingau, 
welche ebenfalls zu den Befigungen Wilhelms von Landftein gehörten. 
Die Feindichaft Wilhelms gegen den König ging in Folge deſſen foweit, 
daß er fi) im Jahre 1317 mit Friedrich) dem Schönen von Dejterreich 
verbündete und diefem verſprach, mit feinen Bundesgenofjen (unter denen 
auch Ulrich III. von Neuhaus war) den König Johann vom Throne zu 
jtürzen, wenn diejer eine gewilfe Schuldforderung nicht bezahle, und einen 
anderen König zu wählen. Doch fam ſchon 1318 auf dem Landtage zu 
Zaus durch perfönliche Einwirkung Ludwigs des Baiern eine Ausjöhnung 
mit König Johann zuftande.?) 

Die Kegereien, von denen im Jahre 1340 bezüglich der Neuhaufer 
Güter die Rede ift, ſcheinen fich auch auf den benachbarten Gütern Wil- 
helms von Landſtein gezeigt zu haben, denn ſchon im Jahre 1318 erließ 
Papit Johann XXI. eine Aufforderung, den Kegereien entgegenzutreten 


1) Palacky, Geſch. B. Ib. 117, Emler, II. 111, 122; Boczet-Brand! VII. 804. 
2) Emler, Regg. I. 125, 163; Boczek VI. 71, 114; Klimeſch, die Michelsberger 
in den Mitth. 22, 3; Palady, Ib. 121, 127. 


— 266 


und unter den Adeligen, an welche dieſelbe gerichtet war, befünd ſich auch 
Wilhelm von Randjtein.') 

Im Jahre 1319 begleitete Wilhelm von Landftein den König anf 
jeinem Feldzuge nad) Baugen und war unter den Zeugen jenes Vertrages, : 
durch welchen Johann die Niederlaufig, Bautzen, Lebus und Frankfurt 
an der Oder erwarb. Von da am gelangte Wilhelm zu immer größerem 
Anjehen beim Könige und befand fich faft unausgejegt in defjen Begleitung. 
Er erjcheint unter andern als Zeuge des Friedens, welchen Sohann int 
%. 1332 mit Ludwig dem Baier und den Öjterreichijchen Herzogen jchloß und 
im folgenden Jahre als Bürge bei einem Vertrage des böhmischen Thron- 
folgers Karl, des jpäteren Karl IV., mit Heinrich von Kärnten. In ganz 
bejonders gnädigen Ausdrücden ijt eine Urkunde abgefaßt, welche König 
Kohann dem Wilhelm von Landftein und feinem Verwandten, Peter von 
Roſenberg, im Jahre 1336 ausitellte; ev bezeichnete jie darin als feine 
erjten und vornehmſten Diener, verſprach, jie für alle Kränfungen, die fie 
jeinetwegen erfahren wirden, jchadlos zu halten u. j. w. Im Zuſam— 
menhange mit diejen föniglichen Gunjtbezeugungen jteht wohl aud, daß 
nad; einer Urkunde König Johanns vom Jahre 1341 Wilhelm  jeine 
Güter und zwar insbefondere auch jeine Burg Landftein und die Stadt 
Biftrig (civitas Wistriez) vom Könige zu Lehen nahm.“) Mehrere Jahre 
bekleidete Wilhelm das einträgliche und einflußreiche Amt eines Landes— 
unterfännmerers, 1345 war er bereitS Yandeshauptmann von Mähren, 
welchen Bojten ev auch im den erſten Negierungsjahren Karl IV. nod) 
inne hatte, 1351 wurde er Oberjtburggraf. Als ſolcher gerieth er noch 
im jelben Jahre in jene Fehde mit jeinem Verwandten Heinrich II. von 
Neuhaus, welche wir bereits erzählt haben. In der Gunft Karl IV. hat 
er jich dadurch jedenfalls nur befejtigt. 1356 bejegte er noch eine Pfarre. 
Bald darauf muß er gejtorben fein, denn noch in demjelben “fahre wird 
eine Verfaufsurfunde über den vierten Theil der Veſte Dürrenjtein, welche 
durch Erbſchaft von den Khuenringen an die Herren von Landſtein ge- 
fommen war, bloß von jeinen Söhnen vollzogen?) 


Die zwei ältejten Söhne waren geijtliche Würdenträger: Johann als 
Propſt von Melnit, Wilhelm als Propft von Wyſchehrad und (Titular-) 
Kanzler von Böhmen; ihnen ftanden an Alter zunächit die Brüder: Hojer, 


1) Boczek-Brandl, VI. 105. 

2) Seblätef, Hrady IV. 104. 

3) Balady, Ib. 185, 172 195; Boczek-Brandl VI. 336, 393, 397, VII. 65, 809, 
819, 872, 895, 909 u. a. v. a. O.; Emler, III. 324, 544. Archiv &esky II. 339. 


— 367 — 


welcher fchon bei Lebzeiten feines Waters (1342) zum Domherrn von 
Dlmüg ernannt wurde, aber jpäter auf diefen Poſten verzichtet haben 
mag, da er feit dem Tode feines Vaters nicht mehr als Domherr bezeichnet 
wird, und Leuthold, der den Vornamen von feinem Großvater mütter— 
licherjeits, Leuthold von Khuenring, geerbt Hatte. Die beiden jüngjten 
Söhne, welche beim Tode des Vaters noch minderjährig waren, hießen 
Witigo und Peter, der legtere trog feines jugendlichen Alters bereits zum 
Mönchsſtande bejtimmt.") 

Unter diefe Söhne wurden die Güter, welche Wilhelm von Landftein 
beſeſſen hatte, getheilt; von den Gütern, welche für uns am meiften in 
Betracht fommen, Landjtein und Neubiftrig, war das erjtere im Beſitze 
Leutholds, das legtere im Beſitze Hojers. 

Bon den Brüdern überlebte Wilhelm feinen gleichnamigen Vater 
nur um wenige Jahre; er ftarb 1361. Auch Hojer, der feit 1364 nicht 
mehr erwähnt wird und Peter, deſſen überhaupt nur ein einziges Mal 
gedacht wird, dürften nicht alt geworden jein. Dagegen erreichte Johann 
nachweisbar ein hohes Alter, ev ftarb erjt 1389 und auch Witigo wird 
noch 1379 und 1380 und zwar als Oberjtlandfämmerer genannt. Zeuthold 
dürfte um 1382 geftorben fein, da am 15. März 1382 zum erjten Mal 
als Bormund feines damals noch minderjährigen SohnesWilhelm Heinrich 
von Duba auftritt. 

Für die Gefchichte unjerer Spradhinfel haben jedoch die weiteren 
Gejchide diefer Herren jtreng genommen feine Bedeutung mehr, da Land» 
jtein und Neubijirig im Jahre 1370 an ein anderes Gejchlecht Fam, an 
die Herren von Kraig. In diefen Jahre fchlojfen nämlich Witigo und 
Leuthold mit Konrad von Kraig einen Zaufchvertrag derart, daß jie ihm 
ihre Burg Landftein und die Stadt Neubiftrig abtraten und von ihm 
Burg und Herrjchaft Lipnig empfingen. In Folge deſſen führte Wilhelm, 
der oben genannte Sohn Leutholds, welcher trog feines findlichen Alters 
wie fein Oheim gleichen Namens Propjt von Wyſchehrad war, aber 1390 
diefe Würde niederlegte, um fich verheivaten zu können den Zitel: Wilhelm, 
Herr auf Lipnig.?) 





1) Ueber die Söhne Wilhelms: Boczek Brandl VII. 329. Tab. terrae Morav. 
Cuda Brun. Ill. 393, IV. 59, 131, 498. Cuda Olom. I. Bangerl, Urfunden« 
buch v. Goldenkron S. 160 und 362, Klimeih, Michelsberge, Borowy, libri 
erect. I. 4. Tingl, confirm. I. 105, 110, 84, 38, 65, 89. Il. 12, 21. III. 97, 
113, 126, 131. Balady, Geſch. B. IIb. 370. 

2) Nach Sedläcek, Hrady IV. 104 erfolgte der Befigwechjel derart, daß Neubiftrig 
und Landftein zunächſt „auf unbekannte Weife” in den Beſitz des Königs 


— 368 — 


Die Herren von Rraig. 


Die — von Kraig, auch die „Kraiger“, ſpäter gewöhnlich Kraiger 
von Kraig genannt, haben ihren Namen von ihrem Stammſchloſſe Kraig 
in der Nähe des gleichnamigen Dorfes und nicht weit von St. Veit, der 
alten Hauptſtadt des Herzogthums Kärnten. Sie gehörten zu den vornehmſten 
Geſchlechtern dieſes Landes, ja ſie nahmen in den letzten zwei Jahrhun— 
derten des Mittelalters geradezu den erſten Rang daſelbſt ein, wie vor 
ihnen die Auffenſteine und nach ihnen die Khevenhüller. Die Würde eines 
Truchſeß von Kärnten war in ihrer Familie erblich und wiederholt hatten 
fie das höchfte Amt, das des Landeshauptmanns, mit dem die oberfte 
richterliche und militärifche Gewalt vereinigt war, inne. 


Die älteften Herren von Kraig,") welche wir fennen, find: Sigehart 
(1151—5), Amizo (1155), Arnold (1165), Gerold (1185), Pabo (1192), 
Hartwig (1236) Heinrich (1239). 

In Beziehungen zwar noch nicht zu Böhmen, aber doch zu den 
böhmischen Herrfchern traten die Kraiger zuerft 1270, al3 Dtofar II. von 
Böhmen den Bejig des Herzogthums Kärnten an fich gebracht hatte; unter 
den Wbeligen, die ihn damals anerkannten, erjcheint auch Wilhelm von 
Kraig, Truchfeß von Kärnten (genannt auch ſchon vorher 1266 und zum 
legtenmal 1291).?) 

Dieſe Beziehungen löften fic freilich) wieder, als Kärnten in Folge 
der Niederlagen Otofars II. von Böhmen getrennt wurde und Meinhard, 
Graf von Tirol, die Herrſchaft von Kärnten antrat. Aber ſchon unter 
Meinhards Sohn Heinrich wurden Kärnten und Böhmen wieder vereinigt, 
diesmal in der Art, daß der Herzog von Kärnten den böhmifchen Thron 


.—— 





famen und dann von König Wenzel 1381 im Austaufche für Lomnig an 

Konrad von Kraig überlaffen wurden. Obige Angaben find ans Rull. Da 

ich die Urkunden, auf welche ſich Sedlätek und Rull berufen, nicht nachprüfen 

konnte, fo muß ich dahingeftellt laffen, wer Net hat. Nach Sedlätkek mußte 

fi Konrad von Kraig bei der Befignahme der Burg Landftein zugleich ver- 

pflichten, diefelbe dem König jederzeit offen zu halten und wenn er Landftein 

und Nenbiftris verkaufen wollte, e3 zuerft dem Könige zum Kaufe anzubieten, 

1) Merkwürdig ift die Mannigfaltigkeit der Namensformen für Kraig, in den 

älteften Zeiten: Criuvic, Chrivic, Crivich, Chrivich, Chrich, fpäter: Creich, 

Creikh, Chreig, Chreyk, Chrech, Chraykh, Kreig, Khreig, Kreilk, Kraikh, Krayg, 

Krajek, Kragk u. ſ. w. Im Texte wird die Form Kraig gebraucht, welchen 

Namen das betreffende Dorf bei St. Veit noch heute trägt. Zahn, Urkunden» 

buch v. Steiermark I. 327, 350, 858, 461, 640. 1I. 20, 450, 490. Zahn, cod. 
dipiom. Friſing. 258, 278, 284, 285, 310, 311, 402, 439. 

2) Ankershofen, Geſch. v. Kärnthen. IV. 8, 13, 65. 


— 369 — 


beſtieg. Im Gefolge Heinrichs betrat zum erſten Mal ein Herr von Kraig 
den böhmiſchen Boden und zwar im Jahre 1306, als Heinrich nach Prag 
reiſte, um ſeine Vermählung mit der przemiſlidiſchen Prinzeſſin Anna zu 
feiern. Er hieß Pabo, Truchſeß von Kraig und wird in Kärnten ſchon 
früher, nämlich 1283, 1289, 1297 und 1303 erwähnt, die beiden erſten 
Male zugleich mit feinem Bruder Ortolf. Andere Kraiger, welche um die- 
felbe Zeit Iebten, waren: Friedrich, Truchjeß von Kraig (1270, 1295) und 
Konrad, der legtere vielleicht ebenfalls ein Bruder des eben genannten Pabo.!) 

Bon welchem diefer Herren jener Konrad von Kraig abjtammte, der, 
wie bereit8 erwähnt wurde, fi) gegen Ende des 14. Yahrh. in Böhmen u. zw. 
auf dem Gebiete unferer Spracdhinfel niederließg — er mag deshalb Konrad I. 
beißen — ift unbekannt. Nur das wifjen wir, daß er auch in feiner Färnt« 
nischen Heimat in Folge feiner vornehmen Geburt, feiner ausgebreiteten 
Befigungen und feiner Friegerifchen Tüchtigfeit in hohem Anfehen ftand. 
Ein Bruder Konrad dürfte jedoch in jenem Hartnid von Kraig zu erkennen 
fein, welcher im Jahre 1360 Rudolf dem Stifter zu Graz die Huldigung 
leiſtete. Konrad felbft wird zum erjten Mal 1354 erwähnt, in welchem 
Jahre er mit 50 Gemwappneten gegen die Stadt Zürich in der Schweiz zu 
Felde zog; er that dies als Dienftmann Herzogs Albrecht des Weifen von 
Dejterreihh und wurde dafür im folgenden Fahre durch die Verpfändung 
der Feſte Grafenftein in Kärnten und der Gilt von Klagenfurt belohnt. 
Daß Konrad Karl IV. auf feinem Römerzuge 1355 geleitete, gejchah wohl 
ebenfalls im Auftrage Albrechts des Weifen. Das Amt eines Truchjeß und 
Kämmerers hatte Konrad jedenfalls jchon damals inne; beftätigt wurde es 
ihm im Jahre 1358, als nach Albrechts Tode Rudolph der Stifter die 
Regierung antrat. Im Jahre 1365 erhielt Konrad die noch bedeutungs- 
volfere Würde eines Landeshauptmanns von Kärnten. Bor dem Kraiger 
hatten diejes Amt die Auffenfteine innegehabt und der Verluſt desjelben er- 
bitterte diefes mächtige Gejchlecht fo, daß es fich aus diefem Grunde gegen 
den Zandesheren, freilich vergeblich, empörte. Zwei Jahre jpäter (1367) 
wurde Konrad auch Landeshauptmann von Krain und befaß jomit Macht: 
befugniffe, die ihn weit über jeine bisherigen Standesgenofjen erhoben. Dic 
Bereinigung zweier Aemter von fo hervorragender Bedeutung in einer 
Perſon fcheint aber folhe Mißgunft hervorgerufen zu haben, daß Konrad 
bereits 1369 das eine Amt, das des Landeshauptmanns in Kärnten, an 
den Grafen Meinhard von Görz abtreten mußte. 


1) Ankershofen IV. 406, 477, 519, 653, 702, 835. Mudar, Geſch. von Steier: 
marf VI. 249, 


— 370 — 


Zange kann indeß ſeine Ungnade, went er überhaupt ‚in eine 
ſolche verfallen war, nicht gedauert haben, deun ſchon 1376 finden wir ihr 
wieder in der unmittelbaren Umgebung der Herzoge Albrecht III. und 
Leopold III. Auch leijtete er um diefe Zeit als Landeshauptmann von 
Krain dem Herzoge Leopold III. wichtige Dienjte im Kriege gegen Venedig, 
wie daraus hervorgeht, daß der Herzog ſich durch Verjchreibung eines 
Betrages von 1960 Gulden und durch Belehrung mit der Fefte Lueg ihm 
dankbar erwies. Eine noch glänzendere Belohnung bejtand darin, daß Konrad 
zum zweiten Mal Landeshauptmann auch von Kärnten wurde. Da Konrad 
von Kraig aud) Güter in Defterreich hatte und für diejelben Lehensmann 
Herzog Albrecht III. war — er war jomit drei Herrjchern gleichzeitig unter: 
than, dem Herzog LXeopold, dein Herzog Albrecht und dem König von 
Böhmen — jo begleitete er diefen Herzog 1377 auf feinem Kriegszuge 
nah Preußen und erhielt in Folge der von ihm bewiefenen Tapferfeit bei 
dem Feitmahle, welches der deutjche Orden zu Königsberg den Kreuzfahrern 
bereitete, den erjten Pla an dem Chrentifche, eine Auszeichnung, welche 
gewiß das Anjehen Konrads nicht wenig erhöhte. Da er überdies mit den 
mächtigjten Familien der öfterreichifchen Länder, mit den Khuenringen, 
Schauenbergen, Schärfenbergen, denen von Ungnad, von Rohr, von Ehren- 
feld verwandt war, jo mag er wohl auch feinen Landesherrn gegenüber 
jelbjtbewußter aufgetreten und in vielen Dingen eigenmächtiger vorgegangen 
jein, als es einem Unterthanen ziemte. Die Streitigkeiten, in weldje er 
durch jein hochfahrendes Weſen mit dem Bijchofe Pilgerim von Paſſau 
gerieth, wurden noch durch einen Schiedsjprud der Herzoge Albrecht und 
Leopold im Jahre 1377 beigelegt; als aber Konrad neue Uebergriffe jich 
erlaubte, verlor er 1381 die Hauptmannjchaft in Kärnten und 1384 aud) 
die von Krain.) 

In Böhmen jcheint aber gerade. in diefer Zeit Konrads Anjehen 
bejonders groß geweſen zu fein; wir finden ihn wenigjtens 1381 zu- 
jammen mit jeinem, Sohne Leopold unter den Geſandten, welche Künig 
Wenzel nad) England ſchickte, um wegen der VBermählung des ‚Königs 
Nihard von England mit der böhmischen Prinzeſſin Anna zu unter 
handeln.?) Auch eine Erweiterung der Beligungen Konrad in Böhmen 
fällt in dieje Zeit; wenigftens erfcheint ev 1381 zum eviten Mal als 
Befiger eines Haufes in der Kleinfeite Prags, welches er von Nicolaus 


1) Herrmann, Hdb. der Geſch. Kärntens, I. 34, 40, 71, 81, 88, 89. Mucar IV. 
379, VII. 8, 11, Diemitz, Geſch. von Krain I. 247, 235. 
2) Seblätef, Hrady IV. 104. 


— 3. — 


von Landjtein auf Borotin - gefauft hatte und 1383 als Befiger eines 
zweiten Haufes in der Prager Neuftadt unterhalb des Wyſchehrad. In 
legterem Jahre rief ihn feine Pflicht als Landeshauptmann von Krain, 
welhe Würde. er damals noch inne hatte, wieder in feine Heimat; er 
zog nämlich damals mit 400 „böhmifchen” Lanzen, alfo Kriegern, welche 
höchſt wahrfcheinlih aus unferer Spracdinjel und deren Nachbarjchaft 
ftammten, dem Herzoge Leopold Ill. gegen Franz. von Cararra zu Hilfe, 
um das damals dem. Herzoge. gehörige Städtchen ee von dev Be: 
lagerung zu befreien.') 


Im Jahre 1385 befand jih jedoch Konrad wieder in Prag; er 
hatte dajelbjt das Ungliüd, von einem Hunde König Wenzels derart ge: 
bifjen zu werden, daß er beinahe um's Leben gefommen wäre.  Bielleicht 
hängt mit diefem Ereigniffe eine fromme Stiftung zufammen, welche Nonrad 
am 24. Auguſt 1387 machte; ev übergab nämlich an diefem Tage die 
Kapelle St. Michael in Prag den Mönchen von Orden des hl. Franeiscus 
Eöleftinus vom Oybin. In demjelben Jahre kaufte Konrad in en 
das Dorf Siggras bei Datſchitz.?) 


Unterdejjen war Konrad von Kraig zum dritten Male Hauptmann 
von Kärnten geworden. In diefer Eigenjchaft war er im Jahre 1386 bei 
Abjchliegung des Vertrages betheiligt, durch welchen Albrecht III. fiir die 
Söhne jeines Bruders Leopold die Regierung übernahm, und im Jahre 1395 
bet dem Bertrage, durch welchen der ältejte diefer Söhne, Wilhelm, jelbjt 
zur Regierung gelangte. Auch joll er im letzteren Jahre einen gefährlichen 
Aufſtand der Klagenfurter und des mit ihnen verbundenen Landmarjchalls 
Friedrich von Auffenftein niedergeworfen haben.?) 

Noch kurz vor jeinem Tode gerietd Konrad von Kraig in eine Fehde 
mit jeinen Nachbarn in Böhmen, den Herren von Neuhaus. Der Grund 
derjelben iſt völlig unbekannt; nur das wiſſen wir, daß auf Seite des 
Kraigers auch andere üfterreichifche Adelige au dem Kampfe theilnahmen, 
jo Georg von Walljee auf Drofendorf und Albert und Georg von Puch— 
heim. Es hamdelte jich aljo wahrjcheinlih um renzitreitigfeiten, wie 
fie an der böhmifch-üfterreichiichen Grenze jeit lange nicht ungewöhnlich 
waren. Durch Vermittelung der Herzoge Wilhelm und Albrecht kam ein 
Friede zuftande.*) 


1) Tomef, zäklady III. 19, II. 147. Herrmann I. 86. 

2) Herrmann, I. 576. Borowy, erection III. 271. 

3) Herrmann I. 92, 300, 102. Muchar VII. 34, 45, 54. Diemitz I. 259. 
4) Rull, Monogr. ınesta Jindr. Hradce 45. 


— 
— 372 — F 


Konrad überlebte ihn jedenfalls nicht lange, ſein Tod erfolgte wahr⸗ 
ſcheinlich im Jahre 1400, in welchem Jahre er zum letzten Male als 
Landeshauptmann von Kärnten genannt wird. Da er ein halbes Jahr⸗ 
bundert hindurch die öfterreichifchen Länder mit dem Rufe feines Namens 
erfüllt hatte, jo muß er ein hohes Alter erreicht haben. 

Wie viele Söhne Konrad I. hinterließ, vermögen wir nicht mit 
Sicherheit anzugeben, Als der ältefte Sohn ift wahrjcheinlich Georg von 
Kraig zu betrachten, der fchon bei Lebzeiten feines Vaters im Jahre 1384 
genannt wird. Sein Vater verlobte ihn am 23. April dieſes Jahres mit 
Clara, der Tochter feines Nachbarn, Heinrich IIL. von Neuhaus.) Da 
die Ehe erft nach 8 Jahren vollzogen werben jollte, jo waren vermuthlich 
Bräutigam und Braut im Jahre 1384 no in fehr jugendlihem Alter. 
Die Mitgift der Braut, 750 Schod Grofchen, wurde auf Stadt und Burg 
Neubiftrig fichergeftellt.) Die Vorliebe für deutjches Wejen, welche wir 
beim Gejchlechte der Kraiger fchon in Folge ihres Urjprunges aus dem 
deutschen Theile Kärntens vorausfegen dürfen, ift jedenfalls durch diejes 
Familienbündniß mit den damals ebenfall3 noch deutſch gefinnten Herren 
von Neuhaus nur befeftigt worden. Da Georg jpäter nie wieder erwähnt 
wird, jo fcheint er frühzeitig und wohl auch kinderlos geftorben zu fein; 
ja es ift zweifelhaft, ob die Ehe mit Clara von Neuhaus überhaupt 
zuftande kam. 

Ebenſo wenig ift über Wulfing (Wolfgang?) von Kraig bekannt, 
welcher 1418 gegen die Türken gefochten haben foll, und über Heinrich 
bon Kraig, welcher 1423 im Heere Meinhards von Neuhaus gegen die 
Taboriten kämpfte. Es muß daher unentjchieden bleiben, ob dieje beiden 
Kraiger zu Konrad I. von Kraig in einem näheren Verwandtſchaftsver⸗ 
hältniffe ftanden oder nicht. Etwas ausführlicher find die Nachrichten 
über Johann von Kraig, welcher 1417, 1423, 1448 und zum legten 
Male 1458 erwähnt wird, am ausführlichften in Bezug auf Konrad II. 
und Zeopold, welche Beide erft nach dem Tode ihres Vaters genannt werden, 
fi) aber dann wie diefer durch Jahrzehnte hindurch im Vordergrunde des 
politiichen Lebens behaupten.?) 

Konrad II. erbte die öfterreichifchen und mit feinem Bruder Johann 
gemeinfam die kärntniſchen Befigungen feines Haujes, dilrfte aljo als der 


1) Rull a. a. O. 

2) Mudyar, VII. 151, 173; Rull, 47. Sedlätek, Hrady IV. 104 ff. Die Genea- 
fogie der Herren von Kraig liegt noch ſehr im Dunkeln; von den bisherigen 
Annahmen fahen wir und genöthigt, in vielen Fällen abzuweichen, ohne daß 


ältejte der beim Tode. des Vaters noch) lebenden Brüder zu. betrachten fein. 
Auch ‚eines der Häufer in. Prag,. die Konrad J. befeilen hatte,-ift, wie es 
icheint, auf Konrad II übergegangen. Erwähnt wird Konrads-Il. Name: 
zum erjten Male 1411 in einem Bertrage zwifchen Herzog Ernſt und König 
Sigmund, welcher die Lehenspflichten Konrads bezüglich feiner öſterreichiſchen 
Befigungen regelte. Schon im folgenden Jahre wurde Konrad Landes- 
hauptmann von Kärnten, auch hierin alfo der Erbe feines Vaters; doch 
hatte er im Gegenfage zu diefem das Glüd, die genannte Würde ohne 
Unterbrechung durch länger als 3 Jahrzehnte und bis zu feinem Tode zu 
behaupten. Diefer Umftand allein würde beweijen, daß er zu den einfluß- 
reichjten Perfonen in Inneröſterreich gehörte. Beſonders hoch jtieg feine 
Macht, als nad) dem Tode Herzog Ernjts und während der Minderjährigfeit 
der Söhne desjelben Friedrich und Albrecht deren Oheim Friedrih (mit 
der leeren Tafche) von Zirol die Regierung auch der jteirifchen und Färnt- 
nischen Zande übernahm. Er machte Konrad zum oberjten Hofmeifter und 
Erzieher der unmündigen Herzoge und ließ ihn, da er jelbit jelten in das 
Land kam, in deren Namen fchalten und walten, wie er wollte. Daß Konrad 
nicht verfäumte, dieſe vortheilhafte Stellung möglichft auszunigen, zeigen 
mancherlei Gütererwerbungen, welche er in den Jahren 1424, 1428, 1430 
machte. Auch it begreiflich, daß Konrad diefe ihm fo günjtigen Verhältnifie 
jo lange als möglich zu erhalten ſuchte. Als daher im Jahre 1435 die 
Herzoge Friedrich) und Albrecht, volljährig geworden, aus der Vormund— 
haft entlaffen werden mollten und ihr Oheim ihnen hiebei Hindernijje 
bereitete, da stellte ich auch Konrad auf die Seite des Vormundes und 
von da rührt wohl der bittere Haß, den der junge Herzog Friedrich, der 
nachmalige Kaifer Friedrich III., gegen feinen Hofmeifter und Erzieher 
begte, ein Haß, dem er durch Aufzeichnungen in feinem noch erhaltenen 
Tagebuche draftiichen Ausdrud gegeben hat.*) 

Deſto merfwürdiger ift, daß Konrad trogdem fich in feinen Stellungen 
als Hofmeifter und Landeshauptmann behauptete, auch als der junge 
Herzog Friedrich wirklich volljährig erflärt worden war und die Negierung 
übernommen hatte. Das Wunder wird freilich erflärlicher, wenn man er- 
fährt, daß Konrads Gemahlin Crescentia aus dem reichen fteirichen Ges 


freilich für die von und vermutheten verwandtichaftlichen Beziehungen jedesmal 
zwingende Gründe angeführt werden fünnten. Immerhin halten wir die Be— 
rücfichtigung der färntnifchen und öfterreichifchen Kraiger bei Feſtſtellung des 

Stammbaums für einen Fortſchritt. 

1) Herrmann I. 115, 300, 120, 130, 124, 135, 137. Muchar VIL. 191, 199, 205, 
211, 242, 272. 

Mittheilungen. 26. Jahrgang, 4. Heft. 26 


— 374 — 


fchlechte der Stubenberge ſtammte, und daß der Bruder derjelben, aljo 
Konrads Schwager, Hans von Stubenberg, gleichzeitig Landeshauptmann 
von Steiermark war. Es hatte alfo eine und diejelbe mächtige Familie die 
Gewalt in den beiden benachbarten Herzogthümern in ihrer Hand. Auch 
das iſt bezeichnend, daß Kaifer Friedrich III. nad) Konrads Tod, der im 
Jahre 1449 erfolgt fein fol, überhaupt feinen Landeshauptmann von 
Kärnten mehr ernannte, weil er zu bitter empfunden hatte, was diejer 
Boften, wenn er von einem Manne wie Konrad II. von Kraig befleidet 
wurde, bedeute.) 


Die böhmischen Befigungen der Kraiger erbte Leopold, wie bereits 
erwähnt, ebenfalls ein. Sohn Konrad I. und Bruder Konrad I. Er 
tritt Schon im Jahre 1400 handelnd auf, indem er im Dienſte des 
Markgrafen Prokop von Mähren und mittelbar alfo des Königs Wenzel 
den Herrenbund befämpfte. Zu diefem Zwecke verband er fich mit einem 
gewiſſen Diwijch von Hradef und verwüſtete mit diefem gemeinjam die 
Güter der Roſenberge. Bejonders thätig zeigte ſich dabei der „alte 
Merkl“, Burggraf auf Neubijtrig. Diwiſch fiel ſpäter in die Gefangen: 
Schaft feiner Feinde und wurde von ihnen gefoltert. Auch Leopold kämpfte 
unglüdlich; Johann der Yüngere von Neuhaus bemächtigte fich der Burg 
und Stadt Neubiftrig und jtellte fie erjt wieder zurüd, als im Jahre 1405 
ein Vergleich zwiſchen den ftreitenden heilen, den Brüdern Leopold und 
Konrad von Kraig einerjeits und den Herren von Rojenberg und von 
Neuhaus anderjeitS zuftande Fam. 


Aud im Jahre 1408 war Leopold in ähnliche Händel verwidelt 
und zwar als Verbündeter des nachher fo berühmt gewordenen Zizka von 
Trocnov, welcher damals nod eine Art Raubritter und Wegelagerer war, 
daher ein Höchjt abentenerliches Leben führte. Zizka mußte fich in diefer 
Zeit häufig auf den Burgen befreundeter Ritter, ja ſelbſt in Bauernhöfen 
verbergen, iſt alfo jedenfalls auch öfter Saft des Leopold von Kraig ge: 
wejen. Ausdrücklich wird bezeugt, daß er jich häufig bei einem alten Bauer 
in dem Dorfe Heumath zwijchen Bijtrig und Platz, rechts von dem Wege, 
der von Bijtrig nach Baumgarten führt, aufgehalten habe. Was Leopold 
bewog, an dem Kriegszuge Zizka's theil zu nehmen, ift unbekannt ; 
möglich, dag noch immer der Haß gegen die Aofenberge, der jchon im 
Jahre 1400 zu siner Fehde geführt hatte, im Spiele war. Zizka wurde 
im fahre 1409 vom Könige zu Gnaden aufgenommen und vernuthlich 
gleichzeitig ein Waffenftillitand zwiſchen den jtreitenden Theilen vereinbart. 


1) Herrmann I. 145 u. 176. 


— 375 — 


Im Jahre 1412 herrſchte jedenfalls Ruhe, da Leopold in diejem Jahre 
ſich an einer Wallfahrt des Herzogs Ernſt von Oeſterreich in's heilige 
Land betheiligen Fonnte.") Alle Zwiftigfeiten waren aber auch damals nicht 
beigelegt, da König Wenzel noch im Jahre 1417 einen Schiedsſpruch 
zwifchen den Brüdern Leopold, Konrad und Johann von Kraig einerfeits 
und Johann dem Jüngeren von Neuhaus anderjeits fällen mußte.?) 


Bald darauf jah jich Leopold vor eine folgenjchwere Entjcheidung 
gejtellt. Die Hufitiiche Lehre war in Böhmen aufgetaucht, Zeopolds früherer 
Baffengenofje, Zizka, hatte ſich derſelben angefchloffen, bald ergriff fie im 
Bunde mit dem nationalen Hajje der Tſchechen gegen alles deutjche den 
größten Theil des Landes und zerriß jogar die Bande, welche Böhmen an 
jein Herrjcherhaus fnüpften. Die Haltung, welche Leopold dem gegenüber 
einzunehmen hatte, ergab fich freilich aus feiner deutjchen Abjtammung und 
Gejinnung, jowie aus feinen nahen Beziehungen zu den Bjterreichifchen 
Ländern beinahe von jelbft. Er jcheint denn auch feinen Augenblick geſchwankt 
zu haben, welcher Partei er ich anjchliegen jolle; treu jtand er zu König 
Sigmund und zu Herzog Albrecht V. von Dejterreih und war fein ganzes 
Leben lang einer der gefürchtetiten Feinde der Hufiten. 


Schon als König Sigmund im Jahre 1420 gegen Prag zog, um 
ſich diefer aufrührerischen Stadt zu bemächtigen, war Leopold von Kraig 
auf des Königs Seite. Er war damals Hauptmann der Föniglichen Be— 
jagung zu Budweis, einer Stadt, die damals von Sigmund an Albrecht 
von Dejterreich verpfändet worden war, und unterjtügte den Hauptangriff 
des Königs durd einen Nebenangriff, den er im Bunde mit Ulrich von 
Roſenberg gleichzeitig gegen die neugegründete Hujitenjtadt Tabor unter: 
nahm (23. Juni 1420). Der Angriff mißlang freilich, wie die Unter— 
nehmung des Königs gegen Prag ebenfalls. Tabor befam von Prag aus 
unter Niklas von Hufjineg Hilfe und Leopold mußte unverrichteter Sache 
wieder abziehen.?) 

Aber die Hufiten begnügten jich nicht damit, die Gefahr abgemwendet 
zu haben, fie dürjteten nah Nahe. Noch in demjelben Jahre erjchien 
Zizka im Bunde mit dem ebenfalls ſchon huſitiſchen Ulrich IV. Wawak 
von Neuhaus und gefolgt von einem gewaltigen Kriegsheere vor Neu— 
biſtritz, erſtürmte es und richtete unter den deutſchen Einwohnern dieſer 


1) Tomek, Zizka 5 u. 7. 
2) Sedlätek, Hrady IV. 105. 
3) Tomek, Zizka 48. 


26* 


— 376 


Stadt ein ähnliches Blutbad an, wie e8 wenig friiher oder ſpäter aud) 
über andere deutiche Städte, über Komotau, Prachatitz, Jaromierſch, Neu: 
bidſchow u. f. w. verhängt wurde. Burg und Stadt ließ der graufame 
Sieger niederbrennen und zerjtören, die Fran und die Kinder Leopolds 
von Kraig aber fchleppte er als Gefangene mit fich fort.') 


Doch Leopold gab den Kampf troß des ihm widerfahrenen Miß- 
geſchicks nicht auf. Schon im Detober desjelben Jahres z0g er an der 
Seite Ulrihs von Roſenberg mit einem Heere, das größtentheil® aus 
Deutfchen bejtand, neuerdings gegen die Hufiten. Zizka hatte damals in 
der Nähe von Horazdiowitz bei einem Kirchlein Stellung genommen und 
da von einer anderen Seite auch Bohuflam von Schwamberg und ein 
Herr von Plauen mit den Deutjhen und Katholiken des Piljner Kreijes 
zur Hilfe herbeifamen, jo wurde Zizka eingejchloffen. Schon mag Leopold 
gefrohlodt haben bei dem Gedanken, nun jeinerjeitS für die Schlappe von 
Neubiftrig Rache nehmen zu können; aber ein verzweifelter Ausfall der 
Hufiten bewirkte wenigjtens jo viel, daß es den Umzingelten gelang, zu 
entkommen. | 


Ob der Waffenjtillftand, welchen bald darauf (18. Oct. 1420) Ulrich 
von NRojenberg mit den Hufiten abjchloß, auch für Leopold von Kraig 
Geltung hatte, wiſſen wir nicht. Wahrfcheinlid) war es nicht der Fall, 
da Leopold im Februar des folgenden Jahres den Leuten Rojenbergs den 
Eintritt in Budweis verweigerte. Man darf daraus fchließen, daß Leopold 
num jelbjt den Ulrich von Roſenberg nicht zuverläfjig genug fand, wahr- 
ſcheinlich darum, weil derfelbe bei jenem Waffenftilljtande die 4 Prager 
Artikel hatte annehmen müfjen. Zugleich ift das Verbot ein Beweis, wie 
forgfam Leopold jeinen Pflichten als Hauptmann von Budweis nachkam 
und es ijt gar fein Zweifel, daß ihm an der ausdauernden und ruhm— 
vollen Bertheidigung dieſer deutjchen Stadt gegen den Anfturm der Hufiten 
ein hervorragendes Verdienſt zuzuerfennen ijt.?) 


Uebrigens bejchränfte ſich auch jpäter Leopold keineswegs auf die 
Vertheidigung, ſondern ging wiederholt angriffsweiſe vor. Schon im 
Jahre 1421 machte er einen Verſuch, ſich der Burg Lomnitz zu bemäch— 
tigen und äſcherte das gleichnamige Städtchen am Fuße derſelben wirklich 
ein; die Kunde jedoch, daß Zizka mit einem überlegenen Deere zum Ent- 
a ——— zwang ihn zum Abzuge. 


1) Balady, Geſch. Böhmens IIIb. 169, 191. 
9) Archiv Gesky III. 5. 


— 377 — 


Im Jahre 1427 machten die Hufiten einen Einfall in Oeſterreich 
und belagerten, 16.000 Mann jtarf, die Stadt Zwettel. Leopold, der auch 
dort begiitert war, jäumte nicht, feine Truppen mit denen der anderen 
öfterreichifchen Herren, der Wallfee, Liechtenjtein, Meiſſau, Buchheim u. ſ. w. 
zu vereinigen, um die bedrängte Stadt zu befreien. Am 13. März er- 
folgte der Angriff. Da von beiden Seiten mit größter Tapferkeit gefämpft 
wurde, jo war die Schlacht außerordentlich blutig und daß fie für die 
Hufiten nicht eben günjtig verlief, dafür fpricht der Umjtand, daß jogar 
ein Theil ihrer Wagenburg in die Hände der Defterreicher fiel. Eine 
Uebereilung des öfterreichiichen Befehlshabers, Neinpreht von Walljee, 
entriß jedoch auch diesmal den Deutjchen den volljtändigen Sieg, ja es 
wurde fogar die Fahne Neinprechts von den Hufiten erobert.!) 

Das Verhältniß zwiichen Leopold von Kraig und Ulrich von Roſen— 
berg war auch in diefer Zeit noch ein gejpanntes, obwohl auch Ulrich 
längft wieder auf die Seite des Königs zurüdgefehrt war. Es ſcheint 
fogar, daß die Budweijer Streifzüge auf die rofenbergifchen Güter machten; 
denn noch im Jahre 1429 mußte Sigmund fowohl den Herrn von Rojen- 
berg, als auch den Kraiger ermahnen, mit Rücjiht auf die gemeinfame 
Sache, da jie ja beide zur königlichen Partei gehörten, Frieden zu halten.) 

Das Yahr 1431 brachte endlich für Leopold die langerjehnte Rache. 
Die Taboriten, in deren Heere ſich auch Gutsnachbarn Leopolds, nämlid) 
Nicolaus Sokol von Lemberg, Beliger der Herrjchaft Recit, und Kamaret 
auf Serowiß, befanden, hatten einen Raubzug nad) Oeſterreich unternommen. 
Leopold aber griff fie am 14. October 1431 im Bunde mit Georg von 
Puchheim und zwei Herren von Eiging bei Waidhofen an der Thaya an 
und brachte ihnen eine fo volljtändige Niederlage bei, daß 1000 Taboriten 
erichlagen wurden und an 700 in Gefangenjchaft geriethen. Die Sieger 
feierten Jubelfeſte und jandten die eroberten hufitifchen Fahnen nach Wien 
zu Herzog Albrecht von Defterreich, dem thatkräftigften und erfolgreichiten 
Bekämpfer der hufitiichen Bewegung. Auch im Tolgenden Jahre (1432) 
überfielen die Herren von Kraig und von Puchheim ein aus Defterreich 
zurücfehrendes Taboritenheer und es erfolgte eine jo grimmige Schlacht, 
daß von beiden Seiten 500 Krieger gefallen fein jollen. Die Hufiten 
eroberten angeblih 11 Geſchütze und über 200 Pferde, künnen aber troß- 
dem feinen glänzenden Sieg erjochten haben, da jie noch in der Nacht 
den Rückzug fortfegten und die Herren von Kraig uud ihre öſterreichiſchen 


1) Herrmann I. 126; Balady IlIb. 433. 
2) Archiv desky I. 30. 


— 378 — 


Verbündeten ſie am nächſten Tage verfolgten, allerdings ohne ſie ein— 
holen zu fünnen.!) 

Wann Leopold der Streitbare — ihn jo zu nennen ift im Hinblick 
auf jeinen Lebenslauf gewiß gerechtfertigt — gejtorben ift, vermögen wir 
nicht genau anzugeben. Kinder fcheint er nicht Hinterlaffen zu haben, ob- 
wohl er verheiratet war und im Jahre 1420 bei Gelegenheit des Blut- 
bades in Neubiftrig auc Kinder Leopolds erwähnt werden; denn jein 
Erbe wurde, auch in Bezug auf die böhmischen Befigungen, ſein Neffe 
Wolfgang, Sohn Konrad IT., des oben genannten Landeshauptmannes 
von Kärnten?) 

Erwähnt wird Wolfgang zuerft in Kärnten, wo er in den Jahren 
1448—54 oberjter Kämmerer war und im erjtgenannten Jahre gemeinjam 
mit dem oberjten Truchjeß Johann von Kraig, feinem ebenfall3 bereits 
erwähnten Oheim und mit dem Sohne Johanns, Konrad IIT. der Propftei 


Korn Kto ln Obnttoathal suis MR. ; 
— — re 4 Pernthal abkaufte. 


AS Friedrich III. im Jahre 1452 nad) Rom zog, um dort mit 
großem Glanze das Doppelfeſt ſeiner Kaiſerkrönung und ſeiner Vermählung 
mit Eleonora von Portugal zu begehen, begleiteten ihn auch Wolfgang 
und ein gewiſſer Mört (Martin?) von Kraig. Der letztere, nur dieſes 
eine Mal genannt, mag wohl ein Bruder Wolfgangs geweſen jein.?) 


Bedeutungsvoller wurde für Wolfgang das Jahr 1454, da er in 
diefem Fahre, nachdem er bereits 1450 die ZTraunficchner Lehensgüter 
bei Trafoiach verfauft hatte, auch alle Güter, Nenten und Herrlichkeiten, 
welche zum Schloſſe Liechtenftein bei Judenburg in Steiermark gehörten, 
an feinen Oheim mütterlicherfeits, Hans von Stubenberg (j. o.), überließ. 
Es gejchah dies allerdings unter Vorbehalt der Wiederauslöfung durd) die 
Familie Kraig, ſcheint aber doc) die völlige Auswanderung des durch 
Wolfgang vertretenen, mächtigeren Zweiges derjelben nach Böhmen vor- 
bereitet zu haben. Der in Kärnten zurückbleibende, durch Johann von 
Kraig, deifen Sohn Konrad III, jpäter durch Andreas (um 1470), Wolf- 
gang (um 1493) und Chriſtoph von Kraig (um 1531) vertreten, hatte 
offenbar aud) nicht entfernt jene Macht und jenes Anjehen, deſſen ſich die 
beiden erjten Konrade erfreut hatten. Niemals wieder befleideten die 


1) Balady, Geſch. Böhmens IlIc. 19 u. 62. 

2) Gewöhnlid wird Wolfgang als ein Sohn Leopolds bezeichnet, vermuthlich aus 
feinem anderen Grunde, als weil er ihn beerbte; meine abweichende Angabe 
ftüßt fi darauf, daß Hans von Stubenberg, deffen Schwefter die Gemahlin 
Konrads I. von Kraig war, Wolfgang als feinen Neffen bezeichnet. 

2) Mudar VII. 349. 


— 379 — 


Kraiger das Amt eines Landeshauptmannes von Kärnten oder andere 
hervorragende Stellungen in diefem Lande.!) 


Deſto größer wurde die Bedeutung der Kraiger in Böhmen, nur 
daß ſich beinahe gleichzeitig an denjelben eine Umwandlung vollzog, ähnlich 
wie wir ein wenig früher fie auch bei den Herren von Neuhaus beobachten 
fonnten. Wolfgang war nämlic im Gegenfage zu Leopold von Kraig, 
dem unermüdlichen Bekämpfer der Hufiten, jelbjt dem Hujitismus zugethan 
und, wie der Name des Gejchlechtes von da an fich immer häufiger und 
endlich ausſchließlich in der tichechifiten Form: Krajir z Krajku findet, 
jo iſt kaum zu zweifeln, daß die folgenden Herren von Kraig, joweit fie 
in Böhmen jeßhaft waren, nicht blos in religiöfer, ſondern auch in natio— 
nalev Beziehung ſich als Feinde der „Deutſchen“ fühlen Iernten, obwohl 
doch ihr Gefchlecht ſeinem Urſprunge nach ſelbſt ein deutjches war. 

Bei dem „nationalen“ Könige, Georg von Podiebrad, fonnte aller- 
dings eine ſolche PBarteiftellung nur zur Empfehlung gereichen und Wolf: 
gang jcheint denn auch bei diejem Könige in befonderer Gunſt gejtanden 
zu haben. Schon 1458, beim Abjchluffe der Strajchniger Verträge zwiſchen 
den Künigen Georg und Mathias Corvinus finden wir Wolfgang in der 
Umgebung des evjteren und im Fahre 1465 wurde ihm von Georg ohne 
Zweifel als Lohn für geleiftete Dienfte die Burg Zorſtein in Mähren 
verliehen. Als 1468 DVictorin, Sohn König Georgs, einen Kriegszug nad 
Oeſterreich unternahm, betheiligte ſich auch Wolfgang an demfelben, wieder 
im auffallenden Gegenjage zu Leopold, der jo oft an der Seite der 
Dejterreicher gegen die Böhmen gefochten hatte. Auch in den folgenden 
Jahren finden wir Wolfgang und andere böhmifche Herren in Grenzfehden 
mit den üfterreichiichen Nachbarn verwidelt, welche erſt 1479 durch einen 
Waffenftillftand ihren vorläufigen und zwei Jahre darauf durch einen 
Frieden ihren endgiltigen Abschluß fanden. Die Urkunde über den Waffen- 
jtilljtand, welche im Namen der böhmischen Herren Heinrich IV. von Neu- 
haus unterfchrieb, follte in Neubiftrig an Herrn Wolfgang übergeben 
werden. Im Jahre 1482 am Sonntag nad Galli (20. October) ertheilte 
Wolfgang der Stadt Neubiftrig das Prager Stabtredht.”) 

In Mähren hatte Wolfgang außer dem bereits erwähnten HZorftein 
die Güter Bielfau und Datjchik, welche er um das Fahr 1460 Fäuflic) 
an ſich gebracht hatte. Er nahm daher auch unter den mährifchen Ständen 


1) Muchar VII. 360, 402. VIII. 8, 63, 90. Herrmann I. 153, 1%. 
2) Palacky, Geſch. Böhmens IVb. 26 u, 503; Archiv éesky IV. 506, 96; Herr— 
manı I. 177; Kurz, Oefterreich unter Friedrich IV. Bd. II. 272. 


— 380 — 


einen hohen Rang ein, wie man auch daraus erjieht, daß er im J. 1484 
bei der Ausfchreibung des von Mathias für dieſes Jahr einberufenen 
mährifchen Landtages unter den vornehmſten Herren des Landes genannt 
wird. Im Jahre 1487 war Wolfgang bereitS hochbetagt; er theilte 
am 5. März diejes Jahres jeine Güter unter feine vier Söhne derart, 
daß Leopold II. und Heinrich Zorftein und Zubehör, Georg II. und 
Konrad III. die Burg Landftein und die damals zerjtörte Burg Bielfau 
befamen. Burg und Stadt Neubiftrig und Datjchig behielt fich der Alte 
noch zu feinem eigenen Lebensunterhalt, am 22. April 1489 aber überließ 
er den Söhnen auch den Reit jeiner Bejigungen. Leopold und Heinrich 
befamen num auch Datjchig und einige andere Dörfer, darunter die wüſten 
Dörfer Rajchetov (wohl das jegige deutjche Dorf Reichers), Robnava und 
Gebharts. Georg und Konrad erhielten: Burg und Stadt Neubtjtrig 
und die (deutichen) Dörfer: Kunas (Kungjov), Burgjtall (Purstal), Neujtift 
(Lhota), Bernſchlag (Perslak), das wüſte Dorf Braunjchlag (Pranslak), 
die Dörfer: Artholz,, Münchjchlag (Minslak), Weißenbady (Vaisenpach), 
Kaltenbrunn (Kalprun), endlich die Dörfer Averce uud Zispach, in deren 
verjtümmelten Namen vielleicht die deutjchen Dörfer Auern und Sichelbach 
wiederzuerfennen find. Um 1491 jcheint Wolfgang gejtorben zu jein, 
Zwiſchen jeinen Söhnen Konrad und Georg entjtanden nach feinem Tode 
Streitigkeiten, welche damit endigten, daß Georg Landftein und Bielfau, 
Kourad dagegen Neubiftrig befam.!) 


Shlußwort. 


Hiemit Haben wir die Gefchichte der Kraiger und mittelbar die der von 
ihnen verwalteten Befigungen Landftein und Neubijtrig bis zu demfelben 
Beitpunfte verfolgt, bis zu welchem im erjten Abſchnitte diefer Arbeit die 
Gejchichte der Herren von Neuhaus vorgeführt wurde. Wie die Herren 
von Neuhaus wurden auch die von Kraig aus Förderern des Deutſchthums 
fpäter Gegner desjelben, ja bei den Kraigern prägte ſich die Entfremdung 
von deutjcher Denfart und Sitte in der Folge noch jtärfer aus, indem der 
wichtigfte Zweig derjelben nach Jungbunzlau überjiedelte und daraus eine 
Art Hauptquartier der „böhmischen Brüder“ ſchuf, jener Secte, die man 
wohl als die hufitifche Fortjchrittspartei bezeichnen könnte. Das Deutjch- 
thum in unjerer Spradhinfel erlangte daher feinen weiteren Zuwachs, bis 








1) Claudius, Die Herren von Neuhaus; Wolny, Topographie Mährens VI. 127; 
Schriften der hiſtor. ftatift. Section (Mähren) XII. 61. Tobulae terrae Mor. 
Cuda Olom. X. 851; Arch. &. VI. 399, 414. 


— 331 — 


die gewaltige Umwälzung des 30jährigen Krieges auch in diefe Gegenden 
ihre Wellen warf. 

Faflen wir zum Schluffe zufammen, was fid) aus unferer Arbeit 
über die Entjtehung des Deutſchthums in der Gegend von Neuhaus und 
Neubijtrig ergibt, jo zeigt ich, daß dabei diefelben Umjtände wirkfam 
waren, welche auch ſonſt die deutjche Einwanderung und Anfiedlung in 
Böhmen fürderten, die Gunſt einzelner deutſch gefinnter Adelsgefchlechter, 
der Herren von Neuhaus, Landftein und Kraig, welche die Vortheile zu 
Ihägen wußten, die aus der Arbeitfamfeit der fremden Ankömmlinge auch 
für den Gutsheren entjprangen, und die Wirkfamfeit einzelner Orden, in 
erfter Linie des deutjchen Ordens, in zweiter wohl auch der Templer und 
Cijtercienjer. Wirft man die. Frage auf, woher die deutschen Anfiedler in 
unfere Sprachinſel einzogen, jo wird man wohl das meijte Gewicht auf 
die unmittelbare Nachbarjchaft von Niederöfterreih und Mähren legen 
müfjen. Wie zahlreich die Beziehungen, ſowohl freundlicher, als feindlicher 
Natur zwijchen unſerer Spracdinfel und diefen Nachbarländern waren, 
geht aus unferer Erzählung zur Genüge hervor. Insbeſondere muß darauf 
hingewieſen werden, daß ſowohl die Befiger von Neuhaus, als aud) die 
von Neubiftrig und Landſtein mährifche und böhmiſche Befigungen, die 
erjteren hauptjächlich im Thayathal in ihren Händen vereinigten; bei den 
Kraigern aber liegt der Zufammenhang mit Defterreic) und jelbjt Steier- 
mark und Kärnten auf der Hand. Hiezu jtimmt auch. die Mundart, 
welche noch heute in der Sprachinſel gefprochen wird, es ijt die baterijch- 
öfterreichijche, gerade wie im Süden und Südweſten Böhmens, wo ganz 
ähnliche Verhältniffe vorliegen. 


uw — LTD RL Tal 


Die Berka von Duba und ihre Befibungen 
in Böhmen. 


Bon Wenzel Zieke. 
IV. 


Die Linie Hühnerwaſſer-Perſtein. 


Im zweiten Theile der vorliegenden genealogifchen Arbeit (Mittheil. 
25, ©. 68 f.) lernten wir Aleſch Berka von Duba kennen, der zum erjten 
Male 1452 u. zw. als Herr von Sakſchen genannt wird, wozu gewiß 


— 332 — 


auch Töſchen gehörte. Weiter wurde dort ausgeführt, wie er nach Chwal 
Berka die Herrichaft Hühnerwaffer erwarb. Zu diefer gehörten außer 
Hühnerwaſſer jelbjt noc die Dörfer Schiedl, Plaufchnig, Jeſowai, Krupai 
und Rokitai. Die drei Tegtgenannten Ortfchaften waren einſt Beſitz des 
Klofters in Miünchengräg gewefen, dann in den Pfandbefig der Herren 
von Wartenberg auf dem Roll und von diefen an den genannten Chwal 
Berka gekommen. Im Jahre 1465 ließ ſich Aleſch Berka diefe Pfand- 
ihaft von K. Georg beftätigen und 1480 neuerdings von K. Wladiflam.') 

Dem fönnen wir jegt noch hinzufügen, daß Aleſch bereits 1457 auch 
Bejiger des Städtchen Dauba war.?) 

Wenn nun aud) fein ausdrüdlihes Zeugniß dafür vorliegt, jo kann 
doch Fein Zweifel obwalten, daß diefer Alefch der Stammvater der Linie 
war, die wir jegt behandeln wollen; denn diejelbe hatte alfe die oben 
genannten Güter bis ins 17. Jahrh. hinein in ihrem Befige. Und Georg 
Berka, der am Beginn des 16. Jahrh. als Herr diefer Güter genannt 


wird, war daher jedenfalls der Sohn des Aleſch. 

Ehen diefer Georg Berka nennt fich feit 1512 Herr von Perſtein 
(bei Dauba). Als Zugehör zu diefer Burg galten Wrchhaben, Horka und 
das verſchwundene Nezlowig. Diejer Dörfer wird bei der befannten Thei— 
lung vom %. 1402 (Vgl. Mitth. 25, S. 68 und 70) Erwähnung gethan, 
auc des Berges bei Wrchhaben, worauf die Burg Perftein ftand, diejer 
Burg aber nicht. Allem Anfcheine nad) ift diejelbe erjt in der Hufitenzeit 
 entjtanden.?) Die Befigverhältnifje find nicht genau befannt, doch ift ſoviel 
ficher, daß die Berfa von Duba nicht Herren der Burg blieben. Noch 
1493 war fie Eigenthum des Radiſlaw von Schebirzow;*) wann fie an 
Georg Berka überging, ift mir unbekannt. 

Zu den bisher bejprochenen Befigungen erwarb Georg im %. 1512 
noh das Gut Walelow füdöftlih von Münchengräß mit Schloß und 
Meierhof, dem Meierhof Klumin, dem Städtchen Fürjtenbrud (Knezimoft) 
und einem Theile von Bojin. 


1) Nach Acten im Statthalterei-Ardive B. 6, 104. 

2) Archiv tesky VII. 658. In diefer Urkunde nennt Heinrih Berka auf Leipa 
unfern Aleſch „jeinen lieben Bruder“ Nach nenerlicher, wiederholter 
BVergleihung aller übrigen Nachrichten bin ich feft überzengt, daß diefer Aus- 
drud nicht wörtlich zu verftehen ift, wern man nicht für beide die gleiche 
Mutter annehmen will. 

3) Vielleicht bezieht fid) darauf Palady, Urk. Beitr. II. 26 (1429, Apr.): Auch 
wisset, des haws bey der Dube, das h. Tscheppan der h. Wancken vnd 
Peke hatten besatzt, das hot der Smyrsitzke u. Czetko gewonnen. 

4) Laut Urk. vom 7. Mai 1493, Abjhrift im böhm. Mufeum. 





— 383 — 


Zum legten Male finde ih) Georg im Jahre 1517 erwähnt;") 
1524 war er jedenfalls todt, denn damals beſaß feine Gilter bereits der 
Sohn Aleſch. Eine Tochter Magdalena war vermählt mit Johann Spetle 
von Janowitz auf Böſig. 

Der eben genannte einzige Sohn und Erbe Georgs, Aleſch Berka, 
verkaufte nämlic) im Fahre 1524 das Gut Walelow wieder an Nicolaus 
Wancura von Nzehnig.?) Dafür erwarb er im gleichen Jahre von Wolf: 
hart Planfner von Königsberg den Pfandbefig Laukowetz a. d. Iſer 
(Ritterfig, Meierhof und Dorf) und die Dörfer Sowenig, Koryt, Hubalow, 
dann im Nordweſten davon Wolſchen, Proſchwitz (Profee), Proſitſchka, 
Chlum, Gablonz und Wofen.?) Auf diefem Befige ftellte Aleſch die Mit- 
gift feiner Gemahlin Katharina von Weſetz ficher, indem er ihr denjelben 
zugleich nach feinem Tode zum lebenslänglichen Nutzgenuſſe verjchrieb.*) 

Daß Aleſch auch die nördlich von vorgenannten Woljchen gelegenen 
Orte Kridai und Betten bejaß, erfehen wir daraus, weil er auf denjelben 
eine Summe Geldes verficherte, die ihm das Gabler Kloſter geliehen hatte. 
Diefe Schuld wurde erſt 1586 zurücgezahlt, nachdem das Klojter klagbar 
geworden und die gerichtliche Einführung erwirkt hatte.?) 

Sonjt wird Aleſch noch genannt als Kläger in Sachen des Auguftiner- 
Hojters in Weißwaſſer. Wir wiffen von früher her (Mitth. 24, 124), daß 
Hinko Berka von Duba 1346 dem genannten Ordenshauſe die Dörfer 
Lang: Daubrawa, Dietel und Kadlin gefchenft Hatte, 

In der Hufitenzeit waren diefelben dem Klofter entfremdet worden. 
Die erjten beiden Dörfer befaßen jetzt Johann und Dietrich Spetle von 
Janowitz auf Böfig, halb Kadlin aber Albrecht Kluſak von Kofteleg. Dieje 
Befiger Hagte nun Alejch als Nachkomme des gen. Hinfo Berfa auf Her- 
ausgabe der Dörfer; von einem Erfolge jedoch hören wir nichts.) 

Im Jahre 1542 oder im folgenden ſtarb Aleſch. Er hinterließ drei 
Söhne: Johann, Adam und Albrecht (Aleſch); von diefen war der legte 
1544 noch unmindig. WS er dann volljährig geworden, jchritten die 
Brüder 1547 zur Theilung des Erbes. Albrecht erhielt 4500 Sch. Meißn. 
in Geld ausgezahlt; in den Herrichaftsbeiig aber theilten fich die älteren 


1) Urf. des Johann Spetle von Janowitz im Arch. zu Weißwaſſer (Abſchrift im 
böhmischen Mufeum). 

2) Landtafel 7. C. 23. Neneinlage von 1545. 

3) Rammergeriht3-Regifter 14, J. 169 f. 

4) Landtafel 83 A. 12 und 1. A. 17. 

5) Zandtafel 1. I. 29 uud 83. E. 22. 

6) Reliq. tab. I. 258. 


— 384 — 


Brüder fo, daß Johann Hühnerwaſſer, Adam aber Neuperftein mit Zu: - 


gehör befam.?) 

Johann, der ältefte der Brüder, erwarb zu feiner Herrichaft Hühner- 
waſſer bald durch Heirat eine zweite, nämlich die Hälfte von Böfig. Diefe 
fünigliche Herrjchaft befand fich damals feit langem im Befige der Familie 
Spetle von Janowitz. Im % 1547 verfügte nun Johann d. j. Spetle 
in feinem Zeftament, daß Herrſchaft Böſig feine Tochter Salomene erben 
jolle.?) Aber Johanns Schweiter Anna, welcher 800 Sch. zufallen jollten, 
erhob gegen das Teſtament Einſpruch und erreichte e8 auch wirklich, daß 
ihr das Erbrecht auf die Hälfte der Herrichaft gerichtlich zugefprochen 
wurde. In Folge deſſen fam es 1553 zur Theilung, und Anna erhielt dabei 
Stadt und Schloß Weißwaſſer mit den Dörfern Dietel, Ezijtai, Pluzno, 
Brzezinfa, Zolldorf (Biezowice), Sudomierz, Wolfen, Chotietow, Kluf und 
Skramauſch, endlich den Hof Walowig.?) Salomone hatte Böſig gewählt, 
worauf wir zurüdfommen. 

In der Zwiſchenzeit, 1549 oder etwas früher, hatte ji) Anna von 
Janowitz vermählt mit unjerem Johann Berka auf Hühnerwaſſer. ALS 
ein Theil der füniglichen Herrichaft Böſig war Weißwaſſer mit dem an— 
gegebenen Zugehör Pfandbeſitz. Bereits 1540 hatte der uns von früher 
befannte Oberjt-Hofmeifter Zdiflam Berka von Duba das Recht erworben, 
die Herrſchaft Böfig für fich einzulöfen, und diefe Verjchreibung jollte zu— 
gleich gelten für die Lebenszeit feines Vetters Sigmund Berka. Dieſes 
Auszahlungsreht hat Zdiſlaw jedoch nicht geltend gemacht; er trat es 
vielmehr 1549 ausdrüdlih ab an Johann Berfa und feine Gemahlin 
Anna, und 1564 that Sigmund das Gleiche für feine Perjon.’) Ernſter 
war die Gefahr des DVerluftes der Herrichaft, die ſpäter drohte. 

Im Jahre 1558 hatte ih Johann an K. Ferdinand gewendet mit 
dem Geſuch, derfelbe möchte ihm auf Weißwafjer 1000 Schod für Ver: 
bejjerungen zufchreiben und ihm zugleich die zu Hühnerwaſſer gehörigen 
Pfanddörfer für zwei Generationen zufichern. Die Stände gaben auf dem 








1) Zandtafel 46. G. 22, f. Hier ift bloß vom Antheil des Albrecht die Rebe; doch 
fand die Theilung der Herrichaften ſicher um die gleiche Zeit ftatt. 

2) Zandtafel 8. D. 25. 

3) Zandtafel 50. H. 2. Auch an den Polzenwiefen bei Niemes erhielten beide 
einen Antheil. Diefelben wurden von Einwohnern von Niemes bearbeitet, wo— 
für diefe bann wieder darauf weideten. 

4) Vergleiche Landtafel 9. B. 9, wo Johaun ihr die Mitgift auf Hühnerwaſſer 
fiherftellt. 

5) Statthalterei-Ardhiv B. 6. 120. 





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Landtage ihre Einwilligung und empfahlen das Geſuch dem Kaifer, der 
auch das Verſprechen gab, niemandem das Auslöfungsrecht zu verleihen. ') 

Trotzdem jeßte es 1564, als der Kaiſer jchon dem Tode nahe war, 
Ladijlaus von Lobfowig bei ihm durch, daß er ihm das Necht der Aus- 
zahlung zuficherte (21. Juni). — König Ferdinand ftarb dann am 15. Juli, 
und nicht lange nachher fam K. Marimilian auf der Reife aus der Laufik 
nah Böhmen durh Hühnerwaſſer. Bei diefer Gelegenheit überreichten 
ihm Johann Berka und feine Gemahlin ein Geſuch um Aufhebung jener 
Verleihung, und auf ein neuerliches derartiges Geſuch erließ der Kaiſer 
1565, 8. Sept., den Auftrag an Erzherzog Ferdinand, der Lobfowig möge 
anderweitig entjchädigt werden. *) 

Wir unterbrechen bier kurz die Erzählung von Johann Berfa, um 
zu berichten, wie um die gleiche Zeit auch das Pfandgut Laukowetz der 
Familie entzogen werden ſollte. Wie erwähnt, hatte dieſes Aleſch Berka 
jeiner Gemahlin Katharina von Weſetz zu Iebenslänglichem Bejig beftimmt 
(j. o. ©. 333). Nach ihrem Tode fam es (wohl durch Vergleich) an den 
jüngften der Söhne, Albrecht. Noch bei Lebzeiten der Mutter, im J. 1557, 
erlangte Georg Labaunſky v. Zabaun, der Befiger der Güter des ehe— 
maligen Klojters Münchengräg, vom Kaiſer das Recht, Gut Laufowig 
auszuzahlen, da es, wie er behauptete, einft gleichfalls zu dem ebengenannten 
Klofter gehört hatte. Katharina von Wejeg wurde alfo vor das Kammer- 
gericht geladen, damit fie ihr Recht auf das Gut nachweife. In ihrem 
Namen bewiejen aber die Söhne, daß Laukowetz und die zugehörenden 
Dörfer nie Befig des Münchengräger Kloſters gewejen, jondern einen 
Theil der Herrichaft Böhmiſch-Aicha des Mealteferordens gebildet hätten. 
Das Kammergericht beichloß endlich 1560, das Urtheil bis zur Ankunft 
des Kaiſers zu vertagen.?) 1563 nahm danı der damalige Großprior 
der Maltejer die Sache in die Hand, *) während Erzherzog Ferdinand 1566 
den Georg Labaunsfy bewog, auf feine Anfprüche gegen Entſchädigung 
zu verzichten.) Zu einem Urtheile in dem Proceſſe fam es aber nicht. 
Im Fahre 1571 erging auf Erjuchen des Großpriors zweimal ein faijer- 
licher Auftrag an das Kammergericht, die Angelegenheit zum Austrag zu 
bringen; ®) aber 1576, als K. Maximilian IL. gejtorben war, Elagte wieder 


1) Landtagsacten II. 13. 

2) Nach den Acten im Statthalterei-Ardine. 
3) Kammergerichtö-Regifter 14. J. 169 ff. 
4) Gtatth.-Ardiv M. 6. 31. 

5) Abſchrift im Landes: Archiv, 

6) Statth.-Ardhiv L. 120. 2. 


— 386 — 





der Großprior bei K. Rudolf, daß in der Sache nichts gejchehe, und fo 
erfolgten neuerdings bis 1577 drei Faiferliche Aufträge in diefem Sinne, 
doch ebenjo erfolglos. !) 

Zaufoweg behielt Alefh Berka. Man kann jagen, daß Aleſch bis zu 
feinem Tode für die Behauptung diefes Beligthums zu kämpfen hätte, denn, 
wie gejagt, noch 1577 ift von dem Procejje die Rede und im folgenden 
Jahre ftarb er. Er hatte zwar ein Tejtament abgefaßt und darin feine 
Gemahlin Grijeldis von Lobfowig zur Vormünderin feiner Kinder einge: 
jegt, allein er hatte verfäumt, dazu den Füniglichen Confens zu erwerben. 
Seine beiden älteren Brüder verglichen ſich aber bald darauf mit der 
Witwe und gejtanden ihr die VBormundichaft zu.) Sie führte diefelbe bis 
zum Jahre 1580, wo der ältejte Sohn Bohuchwal (Gottlob) mündig wurde 
und den ererbten Befig übernahm. Die Mutter hatte jich indejjen wieder 
vermählt mit Adam von Schwamberg. ?) 

Nach diefer Unterbrechung ehren wir wieder zurüd zu Johann 
Berka auf Weißwaſſer und Hühnerwaljer. Nachdem die Auslöjung feiner 
Pfandgiter im Jahre 1565 glüdlich abgewendet war, blieb er im unge: 
ſchmälerten Befige feiner Herrichaften bis zu feinem Tode, der im März 1582 
erfolgte. *) 

Eine Tochter Johanns, Salomene, hatte fih 1570 mit Johann von 
Wartenberg auf Kamnitz verheiratet, der jedoch ſchon 1574 gejtorben 
war. Sie vermählte fi) dann zum zweiten Male mit Johann Brücdner 
von Brudjtein auf Gzerzowig.?) Der Erbe der Giter des Johann Berfa 
wurde jein einziger Sohn Albrecht (Aleſch). Zu einer Vergrößerung der 
Befigungen fam es unter diefem nicht, aber nad) längeren Verhandlungen 
erwirkte er es bei Kaijer Rudolf, daß ihm am 22. December 1586 ſowohl 
die Herrichaft Weißwaſſer, al3 auch die zu Hühnerwaffer gehörenden Pfand- 
dörfer um 18.500 Schod böhm. Gr. zu erblichem Beſitz verkauft wurden, ®) 

Aleſch Hatte ſich 1580 vermählt mit Elifabeth von Waldftein (der 
Witwe nad) Heinrich dv. Smigzik).”) Die Ehe blieb kinderlos. Fir den 


1) Statth.-Ardhiv M. 6. 31. 

2) Yandtafel 64. A. 2. 

3) Zandtafel 89, L. 26. 

4) Am 15. März war das Begräbniß und dann huldigte die Gemeinde Weiß- 
waſſer dem neuen Herrn, — Archiv Weißwaſſer 130. 111. 

5) Kleine Landt. 4. 0. 20 u, große Landt. 18. G. 7. — 66. P.1 u. 90. E. 10. 

6) Randtafel 68. I. 28. Die umfangreichen Acten über die vorandgehenden Ver: 
bandlungen liegen im Statth. Archiv. 

7) Zandtafel 21. A. 24, 


— 35897 — 


Fall feines vorzeitigen Todes verjchrieb Aleſch der Gemahlin die Herrſchaft 
Weißwaſſer; ) allein Elifabeth ftarb vor ihm, wohl 1594.°) 

Raum 5 Jahre nachher verfiel Meih in Wahnfinn und nahm fich 
jelbft daS Leben, indem er fich mit dem Schwerte erftadh.?) Seine Güter 
fielen nun an die Söhne feiner beiden Brüder; wir fommen darauf zurüd, 


Adam Berka, der bei der Theilung vom Jahre 1547 Neuperjtein 
geerbt hatte, vermählte ſich 1553 mit Katharina von Hungerhojt, der 
reichen Witwe jenes 1552 verftorbenen Wenzel von Wartenberg auf Neu- 
ſchloß, den wir im II. Theil diefer Arbeit mehrfach als Befiger von Leipa 
fennen gelernt haben. Aus eigenen Mitteln erwarb Katharina am 15. Au- 
guft 1557 von Nicolaus von Hafenburg die Herrichaft Böſig.) Ueber 
diefen und anderen Beſitz verfiigte jie mit Tejtament vom Jahre 1562 zu 
Gunſten ihrer Kinder, nämlich Johann, Anna und Elifabeth von Warten: 
berg aus der erjten Ehe und Aleſch und Joachim Berka aus der zweiten. 
Und zwar jollte Johann von Wartenberg die Herrjchaft Böjig übernehmen 
und jedem der anderen vier Erben fein Fünftel auszahlen.) Im J. 1564, 
als Katharina geftorben war, verglich fi) der Gemahl Adam Berka im 
Namen feiner zwei genannten Söhne Aleſch und Joachim mit Johann von 
Wartenberg und erhielt 6000 Schod für diejelben ausgezahlt. ®) 


Bon diejen zwei Söhnen Adams iſt Aleſch unmündig gejtorben; 
Joachim wurde 1581 volljährig, ”) wird aber ſeitdem nicht mehr erwähnt. 
Die Erben der Güter Adams wurden vielmehr dejjen Söhne zweiter Ehe, 
die derjelbe mit Eliſabeth v. Daubranow eingegangen war, Georg, Wenzel 
und Johann Howora. 1586 war Adam Berfa nicht mehr am Leben, 
denn in diefem Jahre urfundet bereits fein ältefter Sohn Georg. Wie 
hier jo vertritt diefer auch noch 1591 feine zwei jüngeren Brüder. ®) Nicht 


1) Zandtafel 91. E. 11. 

2) Ihr Teftament datirt vom 8. Sept. 1594. Landt. 127. F. 16. 

3) Dadidy, Pam. I. 196. 

4) Wie oben gefagt wurde, war diefe 1553 bei der Theilung an Salomere von 
Janowitz gefallen; dieje hatte fie dann ihrem Gemahl Nicolaus von Hajen- 
burg abgetreten. 

5) Das Original des Teſtaments liegt in der Landtafel. — Elifabeth v. Warten: 
berg war Gemahlin des Heinrich Berka auf Gabel (vergl. Stamnttafel ILL.) 

6) Yandtafel 57. K. 8. 

7) Bergl. die Vormundihaftsabdanfung. Yaudtafel 21. F. 6. 

8) Landtafel 88. C. 30. Juxta. 





TE — | 


— 388 — 


lange nachher muß es aber zu einem Vergleich gefommen fein, in der 
Weife, daß der jüngfte Bruder, Johann Howora, Geld erhielt, während 
Georg und Wenzel die Herrichaft Neu-Berftein unter fich theilten. Eine 
darauf bezügliche Urkunde habe ich nicht gefunden. Nach fpäteren Angaben 
zu Schließen erhielt Georg Schloß Berftein, das halbe Städtchen Dauba, 
die Dörfer Wochhaben und Nedam und den Hof Brefenfa.') Als Antheil 
Wenzels dürfte alfo anzufehen fein: der Neft von Daubs, Töſchen, Sak— 
chen, Welhiütte, Horka, Wosnalit, was als Gut Töſchen zufammengefaßt 
wurde, nad) welchem ſich Wenzel in der nächſten Zeit nannte, 


Wir handeln zunächſt von dem jüngjten der Brüder, Johann Howora, 
da ihm nur eine kurze Lebenszeit bejchieden war. Derfelbe faufte im 
Jahre 1600 von Heinrich Penzig von Penzig deſſen Gut Straußnig bei 
Leipa, zu welchem die Hälfte des Ortes Straußnitz, das halbe Patronat 
in Neuftadtel und Zinfungen in Nieder-Liebich gehörten.) Auf diejem 
Beſitz verfchrieb er bald darauf feiner Gemahlin Marie von Salhaufen 
4000 Schod m. Gr. als Heiratsgut,?) Aber bereits im Herbſt 1602 
verfaufte er das Gut wieder an Balthafar Knobloch, *) und im folgenden 
Jahre, anfangs März, jtarb er,?) Seine Gemahlin hatte beim Verkaufe 
von Straußnig verjprochen, auf ihre Verjchreibung freiwillig Verzicht zu 
leiſten; nachher aber erhob fie Anfprüche darauf. Die Brüder des Gemahls 
vermittelten am 7. Juni 1603 einen Vergleich, bei welchem ihr 3250 Schod 
nt. Gr. zugejprochen wurden. ©) 

Der ältefte Bruder vermählte fih um 1592 mit Barbara v. Schön- 
burg.?) Ohne irgendwie in der Deffentlichkeit hervorzutreten, Tebte er im 
ruhigen Beſitz jeines Erbgutes bis auf die Zeit des böhmischen Aufjtandes, 
wo wir auf ihn zurückkommen werden. 

Bei weitem am meiften ift vom dritten der Brüder, Wenzel auf 
ZTöfchen, zu berichten. Oben (S. 387) wurde berichtet, auf welche Weije 
Johann v. Wartenberg auf Neufchloß Herr der Herrichaft Böfig geworden. 
Es gehörten dazu nad) der Theilung von 1553 außer dem Schloß Bölig 
das gleichnamige Dorf darunter, Städtchen Hirfchberg und die Dörfer 


1) Bergl. Landtafel 139. G. 11. 

2) Randtafel 129. G. 17 und 174. A. 1. 

3) Randtafel 129. N. 2. 

4) Zandtafel 178. HH. 16. 

5) Er wurde am 8. März bei St. Beter und Paul in Leipa begraben. Krieiche, 
Chronif, f. 90. 

6) Landtafel 177. J. 24. 

7) Landtafel 26. F. 24. 


— 80— 


Tacha, Wobern, Luken, Zdiar, Klein-Böſig, Noſadl, Neudorf, Kalken (theil— 
weiſe), außerdem Mſcheno, Wratno und das wüſte Oſtrey. 1588 hatte 
Johann von Wartenberg die Herrſchaft zu erblichem Beſitz erhalten, und 
1592 war ſie von ihm duch Zukauf der Dörfer Tuhan, Tuhanzel, 
Domaſchitz und Pawlitſchka vergrößert worden. Gleich darauf trat er 
dieje Befigungen für den Fall feines Todes ab an feine Gemahlin Bar- 
bara von Lobkowig.') Dieſe wurde alfo zu Beginn des Jahres 1595, 
wo Johann ftarb, Herrin von Böfig. Noch bei Lebzeiten des Gemahls 
hatte fte für ihre Perjon das Gut Schwoifa von Friedrich von Rodewig 
gefauft,?) und auch jpäter vergrößerte jie ihren Befig. So erwarb fie 1596 
von Bohunfa von Peizelsdorf geb. Kölbel von Geifing die Dörfer Alt- 
und Neu-Kalken mit dem Meterhof,?) und 1601 faufte jie das Dorf Lobes 
(nordöjtlih von Micheno).*) Auch Micheno, das von Böjtg getrennt 
worden war, und einen Theil des ſüdöſtlich davon gelegenen Dorfes Ledetſch 
brachte jie 1605 durch Kauf von Sigmund von Wartenberg an fidh.?) 

Dieje aljo reich begüterte Witwe vermählte ji) zum zweiten Male 
mit Wenzel Berfa von Duba auf Töjchen, dem fie auch 1607 alle ihre 
Güter verfchrieb, falls fie vor ihm jterben würde.“) Wirklich verfchied 
fie jchon drei Yahre darauf, am 16. Auguſt 1610.) 

Sp gewaltig fich dadurch auf einmal der Herrichaftsbejig Wenzels 
vergrößert hatte, jo bildete dies eigentlich” nur den Ausgangspunkt fiir 
weitere Erwerbungen in der Nachbarſchaft. Denn noch im jelben Jahre 1610 
(am 17. Rov.) brachte er die Güter Widim, Koforzin und Stranfa an 
fih, u. 3. um 75.000 Schod m. von Raifer Rudolf, an welchen diejelben 
Johanna Hrzan geb. Kappler v. Sulewig, im Namen ihres unmindigen 
Sohnes Adam Tobias Hrzan von Harafow im J. 1609 verkauft Hatte.®) 
Der Umfang diefer Güter wird in der genannten Verkaufsurkunde folgender: 
maßen angegeben: 1. Widim mit Bittnai, Dobrzin, Geſtrzebitz, Schedoweitz, 
Dubus, Kleinblagen, Wlkow und Wolleſchno. 2. Kokorzin mit Theilen von 
Sedleg und Boſſin. 3. Stranfa mit Thein, Zebig (jegt Meierhof), Trnow, 
Daubrawig und einem Theile von Kadlin. 


1) Zandtafel 91. H. 23. 

2) Landtafel 168. A. 25. 

3) Zandtafel 171. B. 29. 

4) Ebenda 176. E. 27. 

5) Ebenda 185. K. 6. 

6) Kleine Kandtafel 236. W. 18. 

7) Kriefhes Chronik. S. Mitth. 20. 300. Illuſtr. Chronik I. 177. 

8) Randtafel 183. E. 10 und 184, B. 17. 

Wittheilungen. 26. Jahrgang, A. Heft. 27 


— 30 — 


Nicht ganz anderthalb Yahre darauf ging Wenzel mit feiner Schweiter 
Helene, die an Zdenfo von Kolowrat verheiratet war, einen Tauſch ein; 
er trat ihre das von feiner Gemahlin ererbte Gut Schwojta ab und über- 
nahm von ihr Lautſchim (nördlih von Nimburg) mit Patrzin, Klein— 
Studerz und Gikew (theihweife). N) 

Wie Widim und einige der zugehörigen Dörfer an 200 Jahre früher 
ein Bejigthum der Berka von Duba geweſen waren, jo auch Herrichaft 
Hausfa, welche ebenfalls an Wenzel Berka gelangte. Diefe Herrichaft 
war 1432 von Heinrich Berfa von Duba an Johann von Smirzig ver- 
kauft worden (Mitth. 25, ©. 66); der gleichnamige Enfel des legteren 
hatte fie an Wenzel Hrzan von Haraſow verfauft,?) und bei diejem 
Gejchlechte war fie geblieben bis 1594, wo fie durch Kauf überging an 
Damian von PBeizelsvorf und dejien Gemahlin Bohunfa, geb. Kölbel von 
Geifing, die wir oben als Bejigerin von Kalten fennen gelernt haben.?) 
Dieje, nach dem Tode des erjten Gemahls wieder vermählt mit Wolf 
Ehrijtoph Schön von Schönau, überließ Hausfa im %. 1615 an Wenzel 
Berfa um 44.500 fl.) Es gehörten damals dazu Schloß Hausfa mit 
Meierhof und Dorf, Libowies, Kroh, Kortichen, Borſchim (Borzejow), 
Siertſch, Groß: Blagen, je ein Unterthan in Schwiehof, Chrzenow (Schönau), 
Drachen, Nedoweska und der Hof in Kluf mit einem Unterthanen, 

Fügen wir dem allen noch bei, daß Wenzel im %. 1618 von feinem 
Bruder Georg auch dejjen Gut Neuperjtein, wie es dieſer vom Vater 
ererbt hatte, an ſich brachte, jo haben wir ein genaues Bild gegeben, wie 
großartig ji) der Bejigftand Wenzels gejtaltet hatte. Wie fich dabei die 
Neuerwerbungen zum ererbten Bejig verhielten, zeigen am deutlichjten die 
Schägungsjummen bei Gelegenheit der Eonfiscation: während fein väter: 
liches Gut Töſchen mit 27.429 Schod m. angejegt wurde, jchägte man 
die übrigen auf mehr als das Zehnfache, nämlich 283.433 Schod. ®) 

Während die übrigen Linien des Gejchlechtes der Berka von Duba 
durheängig an der Fatholischen Lehre jejtgehalten hatten, waren die Glieder 
der Linie Hühnerwaſſer-Neuperſtein längſt Proteftanten geworden, und 
zwei derjelben ſtanden während des böhmischen Aufjtandes von 1618—20 
mit an der Spige der Bewegung. Es waren die Bohuchwal (Gottlob), 
auf den wir noch Fommen werden, und Wenzel, dejjen reichen Bejiß wir 

1) Yandtafel 184. 0. 24. 

2) Landtafel 7. E. 21. 

3) Zandtafel 169. P. 1 = 27. E. 30, 
4) Landtafel 188. D. 24, 

5) Bilef, Déj. konfisk. str. 17—19. 


— 31 — 


im Vorausgehenden Tennen gelernt haben. Beide gehörten der Zahl der 
Direetoren an, beide unterfchrieben die Conföderation vom 16. Auguſt 1619 
und drüdten ihr Siegel bei; ebenfo ftimmte Wenzel fiir die Wahl Friedrichs 
von der Pfalz, unter welchem er. oberfter Zandrichter wurde.) Nach der 
Schlacht auf dem weißen Berge floh er nach Breslau. Als er auf das 
Eitations-Patent vom: 17. Februar 1621 fich nicht ftellte, wurde er jeiner 
Güter volljtändig fir verluftig erflärt. Die Kammer verkaufte diejelben 
bereit3 am 6. Juli 1622 an den Grafen Adam von Walditein, der aber 
nur Lauczim behielt, während er die übrigen Herrſchaften taufchweife an 
Albrecht von Waldjtein überließ. *) 


Menzel hatte fih im Jahre 1615 zum zweiten Male vermählt mit 
Maria von Oppersdorf und ihr das Heiratsgut auf dem Gute Lauczim 
fichergeftellt.°) Erjt nach langjährigen Bemühungen gelang es diejer, 
ihren Anjprüchen darauf Anerkennung zu verfchaffen. 

Zu Beginn des Jahres 1621 hatten Faiferliche Hauptleute die Herr- 
ſchaften Wenzels in Bejig genommen, und um Ojtern desjelben Yahres 
fehrte fein Sohn Adam Gottfried von feinen Reifen zurid, die ihn durch 
11 Jahre von der Heimat fern gehalten hatten. Da ihn fo feine Schuld 
treffen konnte, wandte er ſich an den Kaifer, indem er feine volljtändige 
Unschuld betonte und um Hilfe in feiner Noth bat. Der Kaiſer woillfahrte 
der Bitte derart, daß er ihm 700 Thaler jchenfte. Aber bald war diefe 
Summe verbraucht, und neuerdings richtete Adam Gottfried das Geſuch 
an den Kaifer, fich feiner väterlich anzunehmen und die Güter des Vaters 
lieber ihm als einem Fremden zuzumenden. Doc wie das Vorausgehende 
ergibt, blieben alle Bemühungen in diefer Hinficht vergeblih.*) Nur ein 
Haus in der Prager Neuftadt, das feinem Vater gehört hatte, wurde ihm 
endlih im October 1623 zugewieſen. Mittlerweile war er jedoch in faijer- 
liche Dienfte getreten und Landeshauptmann der Grafſchaft Glatz geworden, 
und jeine Verhältniſſe hatten fich derart gebefjert, daß er ſchon am 6. Mai 1623 
das confiscirte Gut Konoged bei Auſcha um 53.783 Schod m. Grojchen 
faufen konnte, wovon er nad Abzug verjchiedener Forderungen an die 
Kammer nur etwa ein Drittel in drei Naten baar zu bezahlen hatte. °) 


— —— 


1) Vergl. Bilek, Dèj. konfisk. 16. u. d'Elvert, Beiträge II. 23. ff. 
2) Ich verweife für dad Gefagte und die jpäteren Schidfale diefer Herrſchaften 
einfach auf Bilef a. a. DO. 
3) Landtafel 138. G. 2. 
4) Alles nad Acten im Statthalterei-Archiv. 
5) Bilef a. a. D. str. 291. 
27* 


— 32 — 


| Adam Gottfried beſaß das Gut nicht gar zu lange. Bereits 1626 
ftarb er kinderlos. Da feine Schweftern ausgewandert waren, jo fiel 
Konoged an die Schwefter feines Vaters, Helene, welche mit Zdenẽt 20 
Libſteinſty von Kolowrat verheiratet war.’). 


Georg Berka von Duba auf Neuperftein, der Bruder Wenzels, hatte, 
wie erwähnt, feine einzige Herrichaft Perftein im Jahre 1618 verkauft, jo 
daß er duch die Konfiscation nichts verlieren konnte. Der Religion 
wegen ging auch er mit feinen Söhnen außer Landes. Georgs Gemahlin 
Barbara von Schönburg dagegen blieb im Lande; fie bejaß jeit 1620 das 
Gut Samſchin (bei Sobotka). Eine Tochter Anna Marie war zuerft 
vermählt gewejen mit Wenzel d. j. Berka von Duba auf Neichjtadt, nad) 
defjen frühem Zode jie den Grafen Wenzel von Rozdrazow heiratete. 


Bon Söhnen Georgs find zwei befannt: Adam und Hans Georg. 
Jener floh mit dem Winterkönige, ftand auch jpäter in deſſen Dienjten, 
bis derſelbe ftarb; dann wurde er jchwediicher DOfficier. Als folcher wurde 
er 1641 beim Entjage von Görlig verwundet und jtarb. Er liegt zu 
Zittau begraben. Nachkommen von ihm Iebten angeblich noch vor dreißig 
Jahren.“ Der zweite Sohn Johann Georg trat zuerft in dänijche, dann 
in kaiſerliche Dienſte. Er war fpäter Bejiger der Güter Groß-Ellgut und 
Rudelsdorf in Schlejien, wo er noch 1664 genannt wird als Ueltejter der 
beiden Fürftenthümer Schweidnig und Yauer. ®) 

Wir haben nun zum Schluß noch zu behandeln die Nachkommen 
jenes Ulejch Berka, den wir oben (S. 385) als Befiger von Laufoweß 
fennen gelerıtt haben. Es wurde dort bereits erwähnt, daß fein älterer 
Sohn Bohuhwal im Jahre 1580 die Verwaltung des Gutes übernahm. 
Der andere Sohn, Aleſch Ladiſlaus, fcheint bedeutend jünger gewejen zu 
fein, denn erſt 1595 wurde in die Landtajel eingelegt, daß er eine gewiſſe 
Summe Geldes als Erbtheil erhalten habe. *) Noch vor dem Jahre 1600 
aber muß ex geftorben fein, denn als es fich in diefem Jahre um dag 
Erbe nad) Aleſch Berka auf Hühnerwaſſer und Weißwaſſer handelte, wird 
er unter den Erbberechtigten nicht genannt. 


1) Vergl. Landtafel 306. D. 11. Das Todesjahr Adam Gottfrieds nach PViertel- 
jahrsſchrift für Glatz, II. 167. 

2) Vergleihe über Adam die Ausführungen bei Peſchek: Die böhm. Erulanten 
©. 134 f. Ich kann jeine Angaben nicht controliren; fomweit mir dies möglich 
ift, zeigen fi mehrere Unrichtigfeiten, wie fih aus dem VBorftehenden ergeben 
dürfte. 

3) Peichef a. a. O. u. Sinapins, Schlej. Euriofitäten. I. 169. 

4) Landtafel 27. P. 8. 


— 393 — 


Letztgenannter Aleſch Berka hatte ſich bekanntlich im Jahre 1599 das 
Leben genommen. Da er kinderlos war, ſo fielen ſeine beiden Herrſchaften 
Weißwaſſer und Hühnerwaſſer an ſeine Vettern, das heißt erſtens die drei 
Brüder Georg auf Neuperſtein, Wenzel auf Töſchen und Johann Howora, 
zweitens an den kurz vorher genannten Bohuchwal auf Laukowetz. Allem 
Anſcheine nad) Fonnten ſich dieſelben längere Zeit über die Erbſchaft nicht 
einigen. Genauere Berichte freilich find mir darüber nicht befannt geworben, 
doch läßt fich dies fchließen aus einem Schreiben, das Bohuchwal, Georg 
und Wenzel am 18. Juni 1601 an den Erzbiichof Zbynek Berka richteten.") 
Sie bedanken ſich darin für feine Vermittlung und bitten, ihnen zum 
Zwede der volljtändigen Yuseinanderjegung einen Tag in Prag zu be 
ftimmen. Der Erfolg der Verhandlungen war der, daß Bohuchwal die 
angefallenen Herrichaften übernahm. ?) 

Aber der Güterbefig Bohuchwals erfuhr nicht lange nachher eine 
weitere ganz anfehnliche Vergrößerung. Seine Mutter nämlich, Grijelde, 
in zweiter Ehe vermählt mit Adam von Schwamberg, hatte zwiſchen 
Jechnitz und Ludig das Gut Chiefch gefauft und eine Weihe kleinerer und 
größerer Befigungen damit vereinigt. Mit Tejtament vom 8. Nov. 1604 
bejtimmte fie diefe Güter ihren zwei Kindern erjter Ehe; nämlich der 
Tochter Katharina, die zuerjt mit Wenzel von Dohna, dann mit Joachim 
von Kolovrat auf Rabſtein verheiratet war, die Dörfer Liebkowig, Firbig, 
Nahorichedig und Theile von Modjchiedl und Lubenz; dem Sohne Bohu— 
chwal dagegen Gut Chiefh mit 3 Meierhöfen und den Dörfern Lubenz 
(theilmeife) Protiwig, Sicherig, Boritih, Wurz, Walfowa, Kragin, Schaar, 
Witkowitz, Badftübl und je einem Bauernhof in Lub und Sahorz; außer- 
dem noch Wladarz, Radotin (theilweife), Leſchkau, Wlberig, Pribenz und 
Mokotill.?) 

Vermählt war Bohuchwal zuerjt mit Anna von Megradt und feit 
1601 zum zweitenmale mit Magdalena Katharina Slawata von Chlum. 
Aus der erſten Ehe ftammte ein Sohn Aleſch, der fic im Jahre 1609 
verheiratete mit Dorothea von Wartenberg. Damals wohl übergab Bohu- 
hwal dem Sohne das Gut Laufoweg in eigene Verwaltung. — Eben— 
genannte Dorothea von Wartenberg war die Tochter Sigmunds von 
Wartenberg von deſſen erjter Frau Elifabeth, der Erbin von Neujchloß. 
Nach Sigmunds Tode fiel Neufchloß an feinen Bruder Johann; doch ijt 


1) Abſchrift im Landesardiv, 

2) Er jagt, er babe diejelben durch Kauf von jeinen Vettern erworben. Land 
tafel 92. K. 22. Juxta. 

3) Landkafel 133. G. 4, 


— — 


es klar, daß Dorothea eine anſehnliche Mitgift in die Ehe brachte, Bei 
den Geldverlegenheiten ihres Oheims Johann erhielt jie davon freilich 
zunächit wenig. Doch es hängt wohl damit zufammen, daß ihr Johann 
im Jahre 1611 das Gut Ober-Liebich bei Leipa verfaufte,) das Dorothea 
aber jchon 1614 wieder veräußerte an Heinrich Penzig von Penzig auf 
Sandau, u. zw. um 38.500 Schod m. Gr.“) Den Reit ihres Vermögens 
erhielt Dorothea erſt 1615, als die Herrichaften ihres Oheims unter 
Sequejter gefommen waren und den Gläubigern durch das Gericht ihre 
Forderungen zugefprochen wurden. — Bereits im nächjten Jahre, 1616, 
ftarb Dorothea.) 


Daß Bohuchwal Berfa an dem Aufitande von 1618 einen Haupts 
antheil hatte und jpäter als Oberjtburggraf von Böhmen einer der eifrigften 
Anhänger des Winterfönigs war, wurde theilweije jchon betont, anderjeits 
ift e8 aus den vorhandenen Darjtellungen der Gejchichte jener Zeit be— 
fannt.*) Nach der Niederlage auf dem weißen Berge begleitete er den 
König Friedrich auf feiner Flucht nach den Niederlanden. Seine Güter 
verfielen natürlic) der Confiscation. Davon wurde Chiejch 1622 an Georg 
Wilhelm Michna von Weigenhofen verkauft, Weißwaſſer und Hühnerwaſſer 
erwarb Albrecht von Waldjtein.?) 


Bohuchwals Sohn Aleſch, gegen welchen weniger Gravirendes vorlag, 
wurde von der Confiscations-Commifjton am 2. Dec. 1622 zum Berluite 
der Hälfte feines Vermögens verurtheilt. Sein Gut Laufoweg mit Koftrzig 
wurde daher von der Kammer eingezogen und jchon im Januar 1623 an 
Albrecht von Waldjtein verkauft. Als Friedländer Lehen erwarb dann im 
nächiten Jahre Aleſch den confiscirten Beſitz wieder zurück und bejaß ihn 
jo bis auf Waldjteins Tod. — Mlejch hatte aber auf den Gütern feines 
Vaters auch verschiedene Forderungen, jo eine größere Summe, die jeine 
Mutter Anna von Metzrad mit in die Ehe gebracht hatte, und mehrere 
Capitalien jeiner Frau Dorothea von Wartenberg, die diefe dem Bohu- 
chwal Berka vorgejtredt hatte. Aleſch berechnete feine Forderungen auf 
110.000 Sch. m. Grojchen wovon dann ebenfalls die Hälfte fiir verfallen 
erklärt wurde.®) 


1) Zanbtafel 135. M. 5. 

2) Kandtafel 188. C. 11 und P. 16. 

3) Kriefches Chronik. Vergl. Mitth. 20, 307. 

4) Vergleiche Bilef, D&j. konfisk. str. 13 und die lleberfegung des betreffenden 
Stüdes in diefen Mitth. 24, 241. 

5) Siehe die Belege bei Bilef a. a. D. 

6) Acten im Statthalterei-Achio. Vergl. Bilek a. a. O. 


— 395 — 


Aleſch war Proteſtant geblieben, und als im Jahre 1628 auch er 
vor die Entjcheidung gejtellt wurde die katholiſche Religion anzunehmen 
oder auszumandern, erklärte er, nicht. fatholifch werden zu wollen; doch. 
bat er (am 9. Jänner 1629) um Ertheilung einer längeren Frift zur 
Auswanderung.') Weber jeine Schicjale in den nächiten Jahren ijt mir 
nichts befaunt geworden. Indeß bei der Ermordung Wallenfteins war er 
noch Befiger feines Gutes, und auch für weiterhin wurde es ihm um 
34.847 Sch. m. Gr., die man von feinen oben erwähnten Forderungen 
abrechnete, überlafjen.?) 

Noch im gleichen Jahre aber erfolgte der Einfall der Schweden, und 
Aleſch bemächtigte fich bei diefer Gelegenheit der jeinem Vater confiscirten 
Herrichaften Weißwaſſer und Hühnerwaſſer. Nach dem Abzuge der Schweden 
führte er zur Entjchuldigung diejes Schrittes an, er wäre dazu von einem 
ichwedischen Oberjten gezwungen worden. Die Reviſionscommiſſion wollte 
diefe Entjchuldigung nicht gelten laſſen und beantragte am 30. Auguft 
1636, Aleſch feines Gutes für verluftig zu erklären. Indeß der Kaiſer 
verzieh ihm jein Vergehen und entjchied (am 13. November 1636), er jet 
im Bejige feines Vermögens und des Gutes Laufoweg auf Lebenszeit zu 
belafjen.?) Aleſch jtarb 1639 oder am Anfang des folgenden Jahres ohne 
Erben. Sein Gut Laukowetz war jchon früher bejtimmt worden für Feld— 
marſchall Joſef Rudolf Freiheren von Bredau, und diefem wurde es jegt 
auch mit faif. Rejolution vom 16. Mai 1640 überlafjen.*) 


EFF TIEFE 


Erinnerungen an Phil. Incob Fallmerayer. 
Ein Licht: und Schattenbild von R. v. Höfler. 


Aus dem Gedächtuiffe der Gegenwart find die bangen Tage ent- 
Ihmwunden, die Prag und das nördliche — Deutjhböhmen bejtanden, als 
nad) dem Rückzuge der alliirten Armeen von Dresden nad) Böhmen 
29., 30. Augujt 1813 der franzöfiiche General Vandamme plötzlich die Elbe 
überjchritt, gegen ZTeplig vordrang, und das auf dem Nüdzuge befindliche 
Heer zu zerfprengen, fi) den Weg nach Prag zu eröffnen juchte. Die 


1) Abichrift des Briefes im Landes-Archiv. 
2) Bilek a. a. O 

3) Acten im Statthalterei- Ardiv. 

4) Bilek a. a. D. 


— 35%: — 


damalige Zeit hat den Fühnen Verſuch wohl zu würdigen gewußt und 
eben deshalb den ruſſiſchen Heerführer, welcher fich dem franzöjtichen Ge— 
neral bei Kulm entgegenwarf und ihn jo lange aufhielt, bis Bandamme 
von dem gleichfall8 auf dem Rückzuge befindlichen preußiichen Corps im 
Rüden angegriffen, zwifchen zwei Feuer gebracht und feine Armee zerjprengt 
wurde, — den Grafen Ojtermann Tolſtoy, mit allen denkbaren — ver: 
dienten oder unverdienten — ich laſſe es dahingejtellt — Ehren überhäuft. 
Wie man mir jagte, wurde ihm jelbjt eine Art Nationalbelohnung des 
Königreiches Böhmen decretirt und wanderte der größte Granatjtein, der 
bis jegt gefunden worden war, als Dedelfhmud eines ihm gejchenfkten 
Bechers in die Hände des Siegers von Kulm. — Ich glaubte, da ich mit 
dem Grafen Oftermann näher befannt wurde, mehrere Monate in der 
Billa Strozzi in Florenz bei ihm verweilte, den Leſern diejer Blätter 
Einiges mittheilen zu dürfen, was für fi, da der Graf in die Ge 
Ihihte Böhmens denn doch feinen Namen eingegraben hat, von In— 
terefje fein dürfte Entjchuldigen aber muß ich mich, wenn ich dieſe 
Mittheilungen in Verbindung bringe, mit minder wichtigen Ereigniſſen 
meines eigenen Lebens und beides anfnüpfe an das über alles Maß 
erhobene Wirken eines deutjchen Gelehrten, der in den vierziger Jahren 
unjeres Fahrhundertes ungemein von fich zu veden machte und in jüngjter 
Zeit durch die inhaltsvolle Schrift eines namhaften Tiroler Gelehrten, 
Herren Gymnaſial-Director Dr. J. Ch. Mitterrugner, wieder in den Vor— 
dergrumd trat. Ich glaube, daß durch das, was ich aus Selbjterlebtem 
hinzuzufügen im Stande war, der Auffag auch außerhalb Böhmens mit 
Intereſſe gelejen werden wird, in Böhmen aber von Allen, die für das, 
was auf dem geiftigen Gebiete Deutfchlands und noch dazu in dem Nach: 
barlande vor fich ging, offenen Sinn und ein  deutjches Herz bewahrt 
haben. Uebrigens mache ich zum Schluſſe aufmerkfjam, daß zu der Zeit, 
in welche dieſe Aufzeichnungen fallen, Böhmen, Mähren, Schlefien und 
was man jegt die Länder der böhmischen Krone zu nennen pflegt, mit jo 
vielen anderen öfterreichiichen Ländern, nach der Beitimmung Sr. kaiſerl. 
Majejtät des höchitjel. Kaifers Franz nemine contradicente zum deutjchen 
Bunde gehörten, dejjen Präſident Se. Majeftät war und zwar ohne dazu 
die Zuftimmung der Landtage der Länder der böhmijchen Krone fich 
zuerjt erholt zu haben — ein jtaatsrechtlicher, von allen Mächten Europas, 
von allen Untertbanen Sr. kaiſ. Majeftät unbedingt anerkannter Zuſtand 
der Dinge, der von 1815—1866, jomit mehr als ein halbes Jahrhundert 
in gejeglicher Kraft bejtand. Was aljo in jener Zeit in deutjchen Landen 
vor fich ging, verdient um jo mehr von ung berückſichtigt zu werden, da 


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wir zu ihnen gehörten, fie aber zu unjerer hiſtoriſchen Bafis, die feine 
Macht der Erde uns zu entziehen vermag. 


Prag, 15. April 1888. 
Der Verfafler. 





Ich hatte im Auguft 1827 in München das Gymnafium abfolvirt 
und begab mic dann nach Landshut, diefer ehemaligen Refivenz baieriſcher 
Herzoge, um an dem Lyceum dem vorgefchriebenen philofophiichen Curs 
zurüdzulegen. Die bairischen Lyceen ftanden den philofophifchen Facultäten 
der Univerfitäten gleich. Die Anzahl der Zuhörer war gering, ebendeshalb 
aber auch eine größere Annäherung der Studirenden und Brofejjoren 
möglich, die Lehrmittel, Bibliotheken, Inſtitute, freilich bejchränft, die Pro- 
fejforen zum Theile Anfänger, aber voll guten Willens. Für mich entjchied 
der Umjtand, daß bei der Verpflanzung der alten Univerfität Ingolſtadt— 
Landshut nach München, die nun verwaifte Stadt an der Iſar als eine 
Art Entjchädigung das bisher in München befindliche Appellationsgericht, 
bei welchem mein Vater als Nath angejtellt war, erhielt. Freilich meinten 
die biedern Landshuter, der Erjag fei kiimmerlich, da die Studenten mehr 
Bier verjchüttet hätten, als die Herren Näthe, Secretäre, Afjefloren, 
Aeceſſiſten und fonftige Angeftellte des hohen Gerichtshofes zu trinken 
pflegten. Mir war das gleichgiltig. Ich ging nach fünfjährigen Inſtituts— 
aufenthalte in das elterlihe Haus zurück. Mein älterer Bruder, der am 
Lyceum den erſten Curs abjolvirte, bezog die Univerfität, ich kaum fiebzehn- 
jährig das Lyceum. 

Es war Ende October, daß ich dem Profejjor der Gefchichte und der 
claſſiſchen Philologie, Philipp Fallmerayer, einem Tiroler, der, im 
Jahre 1790 im Weiler Pairdorf bei Briren geboren, mehr als doppelt jo 
alt als ich war, mit der Unbefangenheit eines Knaben meine Aufwartung 
machte. In der Heinen Stadt war es natürlich, daß eine Abgrenzung der 
Stände weniger hervortrat und Perjonen, die ein wifjenjchaftliches Intereſſe 
hatten, geſchweige diejenigen, welche es durch ihr Amt vertraten, ſich jehr 
bald zufammenfanden. Auch gab es ja noch einige Reſte der Univerjität, 
die, zum Theile nicht ohne Bitterkeit und widerwillig, zurücgeblieben waren. 
Der Gerichtshof zählte Perfonen, deren geijtiges Leben ſich nicht auf die 
gewöhnliche Actenerledigung bejchränfte. Zu dieſen gehörte auc mein 
Vater. Profejforen und Räthe näherten ſich in einer den damaligen Ber: 
hältnijien angemejjenen Gefelligfeit. In diefen Kreifen wurde denn aud) 
der großen Gelehrſamkeit des Profeſſors, der kurz vorher die in Kopen— 


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hagen aufgejtellte PBreisaufgabe einer Gejchichte des trapezuntiichen Kaijer- 
thums gewonnen und das ſehr gediegene Werf veröffentlicht hatte, unum— 
wunden gehuldigt, während bei den Studirenden, die jich an jeine mündlichen 
Borträge hielten, die Meinungen jehr getheilt waren. Die Einen hielten 
ihn für einen Declamator, wo nicht gar Phraſenmacher und gebrauchten 
Ausdrücde, die nicht von Achtung überfloffen; die Anderen erklärten fich 


gegen dieſe wegwerfende Auffafjung, wenn auch beide Theile darin überein— 


jtimmten, daß der richtige Ton eines afademijchen Vortrages den vielen 
Uebertreibungen in Stimme und Ausdrudsweije feind jei und die fubjective 
Empfindung und Stimmung des Verfaſſers, der als akademiſcher Docent 
ein Neuling war, zu grell hervortraten. Eine kleine Gelegenheitsjchrift, in 
welcher F. jeine Anschauungen über Gejchichte ausſprach, aber ohne fejte 
Begriffe zu geben, war zu verſchwommen, verriet) weniger eine philo— 
jophijche Ducchbildung, als troftlojes Fejthalten an Naturgejegen, die feine 
Freiheit der Entwidlung geitatteten, Befreundung mit Voltairiſchen An— 
ichauungen, extrem-liberale Grundfäge, zu denen er ſich auch in jeinen 
Borträgen oft in faft cyniſcher Weije befannte. Fallmerayer jchien im 
mündlichen Bortrage jelbjt mehr von propagamdijtiichem Eifer als von 
jtrenger Wijjenjchaftlichkeit bejeelt, den Beruf im fich zu tragen, die „Jugend, 
welche ſich jeiner Führung anvertraute, in einen offenen Widerſpruch zu 
ihrem ganzen Fühlen und Denken zu verjegen, den Gegenſatz gegen ihre 
bisherige Denkungsweiſe möglichjt zu jchärfen, und, nachdem er jie vor 
ein Nichts gejtellt, jie ihrem Schickſale zu überlajfen. Er jelbjt hatte es, 
der Schule der Encyelopädiften folgend, deren Grundjäge ihn, den Bauern: 
john, aus dem Clericalfeminar getrieben, nur zur Negation gebracht, die 
ſich für ihre Zrojtlojigkeit in bitteren Sarfasmen rächte, ihm aber nie 
Befriedigung gewährte. 

Ich wurde von ihm mit einer auffallenden, beinahe jeltfamen Freund» 
lichfeit empfangen, die mir ein Räthſel geblieben if. Er bewohnte ein 
großes Zimmer, dejjen Hauptſchmuck in einer Ottomane bejtand, deren 
Annehmlichfeit man in Landshut damals wenig kannte, und die wohl auch 
als Bett diente. Man wußte, daß er jich längere Zeit in Wien aufge- 
halten und dort namentlich) den Umgang mit Orientalen gejucht hatte. 
Dort hatte er auch wohl unter andern dem Oriente entlehnten Gebräuchen 
die Sitte angenommen, feinen Zinmerboden mit wohlriechenden Ejjenzen 
zu bejprengen, in deren Duft er jich wohl fühlte. Mir war e8 nur darum 
zu thun, etwas Tüchtiges zu lernen. Ich hatte offenbar das Gymnaſium 
zu jung abjolvirt und befand mich dem Decan des Wijjens und des 
Studiums vatblos gegenüber. Es war mir, als hätten fich alle Inſeln 


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des Weltmeeres von ihren Fundamenten losgeriſſen und ſchwämmen mir nun, 
mich einladend, auf einer Wohnſitz zu nehmen, entgegen. Aber auf welcher 
von all den Tauſenden und wie hatte man ſich dort wohnlich einzurichten? 
Das Einfachfte unter diefen Verhältniffen war, zu lernen, was geboten 
wurde und Weiteres der Zeit, der natürlichen Entwidlung und tem eigenen 
Genius zu überlaffen. So ließ ich denn auch im erjten Jahre ruhig 
Naturgefchichte, Philofophie, Philologie und Gejchichte auf mich herein- 
jtürmen und widmete mich daneben dem Studium des Thufydides, Eigentlic) 
zogen mid) dallmerayers Borträge über Philologie, wobei er Hejiods 
Eoya nal Nusgaı und des Plautus miles gloriosus erplicirte, im Ganzen 
mehr an, als feine hiftorifchen Vorträge. Er war als Philologe genöthigt, 
ji) an den Text, die Sache zn halten, das unnöthige Abjchweifen, welches 
er in den hijtorischen Vorträgen fo jehr liebte und übte, aufzugeben. Bei 
Hefiod und Plautus war es doch nicht möglich, von dem Geiftlichen zu 
reden, der am Altar feine Kunſtſtücke verrichtet, und ähnliche Dinge 
vorzubringen, deren Tendenz ſehr durchſichtig war. Der gänzlihe Mangel 
an ethiſchem Gehalte, die Petulanz des Ausdrudes, die Effecthaſcherei 
uud die damit verbundene Liebe zu Baradoren, welche ihn jchon damals 
beherrjchte, der Mangel an ernjter Vorbereitung, welchen die Inproviſation 
nicht verdeden konnte, machten es oft fraglich, ob er ſich je die jchwere 
Aufgabe eines öffentlichen Lehrers vergegenwärtigt und namentlich die 
Grenzen erforscht habe, die zwiſchen der perfünlichen Anjchauung und den 
Rückſichten für die afademifche Jugend zu ziehen find.") Was mich damals 
und noch mehr fpäter anzog, war bejonders feine große Keuntniß des 
romäiſchen Reiches. Er hatte die byzantinischen Schriftſteller — eine terra 
incognita für die meiſten Profeſſoren der Geſchichte, — gründlich ftudirt, 
wie er es jich auch Später zur Lebensaufgabe jtellte, den Abendländern die 
weltgefchichtliche Bedeutung von Conjtantinopel Kar zu machen und wenn es 
ihm auch bei diefen Studien vor Allem darum zu thun war, Material für 
jeine Lieblingsthefe von der Berwüjtung der althellenifchen Bevölkerung durch 
die Slaven, ich muß leider jagen, auf Koften der Wahrheit zu ſammeln, 
jo gelang es ihm doch, mir einen weiten Ausblid nach dem Dften zu 
eröffnen. Sch habe e8 nie bereut, nach feinem VBorgange ein paar Jahre 
byzantinische Quellen ftudirt zu haben, wenn auch das Reſultat diejer 


1) Ich weiß fehr wohl, daß dieje Darftellung in grellem Gegenfage zu dem fteht, 
was Dr. Thomas und Fallmerayers Seide, der jüngft verftorbene Dr. Steub 
über den eminenten Erfolg jeiner Landshuter Vorträge in die Welt hinaus» 
ichrieben. Was ich berichte, beruht auf eigener Erfahrung. 


— UNO: — 


Studien mich weit davon führte, jenen ſcheußlichen Andronikos, den Mörder 
der Komnenen zu verherrlichen, der am Ende des XII. Jahrh. die romäiſche 
Geſchichte mit ſeinen Unthaten erfüllte, in Fallmerayer aber einen Apolo— 
geten fand. Es machte auf uns junge Leute einen eigenthümlichen Eindruck, 
ſo oft den Satz aus dem Munde eines wegen ſeiner Gelehrſamkeit geach— 
teten Lehrers zu hören, wenn nur die Leute von einem ſprächen, es ſei 
gleichgiltig was, wenn es nur geſchähe. Ertrugen die Einen dieſes unwill— 
kürliche Bekenntniß verzehrender Eitelkeit, im Hinblicke auf die ſonſtigen 
trefflichen Eigenſchaften, ſo fühlten wohl die Meiſten ſich nicht davon an— 
gezogen. Allen mußte aber dieſe ſo oft wiederkehrende Betonung ſeiner 
individuellen Stimmung mehr ſeltſam als ethiſch erſcheinen. Dieſe nicht 
gerade nachahmungswürdige Doctrin verleitete ihn auch ſpäter, als er die 
Gefchichte der Halbinfel Morea im Mittelalter herausgab, dem befannten 
Sape der Byzantiner, daß ganz Hellas flavifch geworden fei — zrac« 
1) "Eikas EoladwIn — die Ausdehnung zu geben, als wäre die ganze 
hellenifche Bevölferung Griehenlands mit Stumpf und Stiel 
von ven Slaven ausgerottet worden. Er gejtand mir aber auf einem 
Spaziergange in München, er habe die Eriftenz der SHellenen in den 
griechifchen Seejtädten bis zur dritten Correctur feiner VBorrede angenommen, 
und dann erſt befeitigt. So wurde die hellenijche Bevölkerung nicht ſowohl 
von den Slaven als von ihm ausgerottet, des größeren Effectes 
wegen, wie er mir damals ſagte. Es war und blieb diejes das Yallmer- 
ayer am meijten beftimmende Moment, das diejenigen, welche ihn achteten, 
oft jehr unangenehm berührte. 

Als nachher die große Controverje entjtand, der alte Philhellene 
Thierich gegen Fallmerayer zu Felde zog und in der Münchner Akademie 
der Wifjenjchaften der Kampf wie einjt vor den Mauern von JIlios ent- 
brannte, bejchlich mich immer ein eigenthümliches Gefühl, wenn ich mich 
jenes Geſtändniſſes des Hellenoctonos, des Hellenentödters von Lands» 
hut erinnerte und die Lanzen ſich zerfplitterten, um die Welt und Fallmer— 
ayer zu überzeugen, daß die Slaven die Hellenen nicht gänzlich verfpeijt 
hatten. Ich hatte feinen Anlaß mich in die Eontroverje einzumengen, am 
wenigjten nachdem ich erfahren, wie ſich die Sache eigentlich verhalte ; 
glaube es aber der Wahrheit jhyuldig zu jet, dieſe charakteriftiiche That— 
jache nicht zu verfchweigen. 

Irre ich mich nicht, jo hat ſich Fallmerayers jpätere Berufung auf 
eine in Athen aufgefundene mittelalterliche Chronik auch nicht als jehr zu- 
verläjlig erwiefen, wenn ſie auch Anlaß wurde, daß jehr viel von ihm 
geredet wurde, wie auch Prof. von Laſſaulx bezeugte, der nad Fallmer— 


ayer nach Athen Fam und dann Vieles über feinen Aufenthalt dafelbft 
berichtete, was ich hier umgehe. 

Welchen Werth aber auch eine fpätere und nichts weniger denn 
wohlwollende Kritif der Gejchichte der Halbinfel Morea zukommen ließ, 
das Buch, noch in Landshut gefchrieben, war an fich ein Werf von weit- 
ragender Bedeutung. Der König felbft war ja der eifrigjte Phil- 
hellene. Er hatte nicht bloß die Befreiung Griechenlands von der türkijchen 
Herrſchaft begünftigt, jondern auch den eigenen Sohn dem Traume geopfert, 
ein wittelsbachiſches Secundogenitur-Königreich auf claſſiſchem Boden zu 
begründen, Millionen geopfert und dadurch nach 1849 fi) in eine üble 
Schuldjache geftürzt als er die ftete Warnung eines plöglich in Ungnade 
gefallenen Minijters verſchmähend, von dem Landtage zu einer ftarfen 
Rückzahlung an das Land genöthigt wurde. Der Enthufiasmus des Königs 
jtedte das Land an, die Wände des Hofgartens prangten mit bilvlichen 
Darftellungen des hellenifchen Befreiungsfampfes, Gedenkſäulen wurden 
errichtet, in Kiefersfelden die Ottofapelle gebaut, baieriſche oder baieriſch— 
griechiiche Ulanen ftürmten fpäter vergeblich die Thürme der Mainoten, die 
den armen Bavarefen, die verwundet in ihre Hände fielen, mit mehr als 
türkischer Graufamfeit begegneten. Ganz Baiern befand fich in Aufregung 
und nun fam ein obſeurer Profeffor in Landshut und deducirte, daß der 
Enthuſiasmus feine Berechtigung habe; es gebe nur Pfeudohellenen, die 
echten ſeien längft erfchlagen worden. Und dazu erft noch der Epilog des 
Ganzen. Der Traum eines bairifchen KönigtHums in Griechenland ver- 
ging, wie der eines bairischen Königthums von Skandinavien, der Herr- 
Ihaft in den Niederlanden und einjt auch des böhmischen Königthums 
vergangen war, Die Bilder im Hofgarten konnten jegt eine eigenthümliche 
Fortfegung durch unverhoffte Ereigniffe erhalten, als der vielgeprifte 
Wittelsbacher nach feinem Ithaka zurückkehrte, K. Otto feines Thrones be- 
raubt, als Flüchtling nad) Baiern zurückkam — ich fah ihn im griechischen 
Cojtiime, das er noch immer trug, neben feinem Bruder 8. Mar IL. in 
die Münchener Refidenz fahren — und er fah jelbit, feiner Sorgen ent: 
hoben, procul negotiis, gar nicht betrübt aus, wenn auc Königin Amalie 
den Wechjel von Athen und Bamberg ſchwer ertrug und ihre Neitpferde 
und die Anlagen der Bamberger Gärtner „den Zorn" zwar nicht eines 
Peliven, doch einer oldenburgijchen Prinzeffin, oft hart zu büßen hatten. 

Es wird nicht viele Forfcher geben, denen das Gejchid eine jo 
eigenthümliche Satisfaction gewährte. 

Die Gefchichte der Halbinjel Morea hatte aber noch eine andere 
Bedeutung. Wer einmal Gibbon’3 berühmtes Werk über Emporfommen 


— 42 — 


und Berfall des römischen Kaiferreiches gelefen, mußte ſich jagen, daß ein 
höchſt merkwürdiges Kapitel, die Gejchichte der ſlaviſchen Invaſion in 
Südeuropa eine lebensvolle Erweiterung erhalten. Das Werk gab nicht 
bloß eine Epifode der ſlaviſchen Geſchichte durch die Darjtellung der neuen 
Eolonifation von Hellas, fondern ergänzte auch das Bild der Bölfer- 
wanderung, unter der wir nur zu lange bloß das Eindringen germanifcher 
Völker in das römische Reich verftanden. Nicht ohne inneres Behagen 
verweilte F., als die Polemik ausbrach, bei der Darjtellung der Wilbheit 
und Graujamfeit der flaviichen Einwanderer nach den bewährten byzan— 
tiniſchen Quellen, deren Anhalt freilich gewaltig abftiht von der Schön- 
färberei, die man in Betreff der Weſtſlaven anmwandte und an die man 
jih nach beliebten Muftern gegen alle Gejchichte gewöhnte. Mean darf 
endlich nicht vergefjen, daß auch eine allgemeine Frage dadurch in den 
Bordergrund trat, die über den Einfluß des Klimas, der Bejchaffen- 
heit des Bodens und Landes auf die Bewohner. „Der ewig lächelnde 
Himmel Griechenlands" wölbte ſich über Hellenen wie über die Slaven und 
genügten Natur und Himmel, diefelben Quellen und Berge, derjelbe Boden, 
dasjelbe ſaroniſche Meer, dieſelben ſchöngelegenen Inſeln, jo war fein Grund 
vorhanden, nicht anzunehmen, daß am Ilyſſos und Eurotas noch einmal 
das reichſte Eulturleben aufblühen konnte. Die ethnographiiche Erörterung 
hat Annahmen, die vor 50 Fahren beinahe unbeftritten ftattfanden, gewaltig 
eingejchränft, wo nicht abgethan und das erwähnte Werk hat zur richtigen 
Auffaſſung diefer allgemeinen Fragen wefentlich beigetragen. Perjönlich 
hatte ich jchon in jungen Jahren die Ueberzeugung gewonnen, daß Fallmer: 
ayers Doctrin zu viel beweijen wolle und jchon dadurch irrig jei, ganz 
abgejehen von ihrem pigchologifchen Urſprunge. Der große hellenifche 
Bürgerkrieg, den Thukydides als das größte Ereigniß der griechifchen 
Geſchichte anjah, feine Fortjegungen bis zur mafedonischen Zeit, dann die 
römische Periode haben mit den Nachkommen der Marathonomachoi, der 
Kämpfer von Marathon und Salamis, den Thebaner und Spartiaten 
gründlich aufgeraumt und jener Pifo mag Recht gehabt haben, wenn er, 
Germanieus nachreifend, den Athenern feiner Zeit in Erinnerung brachte, 
daß ſie nur ein Miſchmaſch, eine colluvies gentium feien. Freilich Tonnte 
man das auch von den Nomuliden behaupten. Aber man muß unter: 
jcheiden, daß, wenn auch die Althellenen allmählich dem meijt jelbitgejchaffenen 
Berderben erlagen, fie ftetS durch andere erjegt wurden, die die Slaven 
bei ihrer Einwanderung vorfanden, mögen nun diefe Hellenen von dei 
Inſeln oder von den kleinaſiatiſchen Kiüftenjtädten herüber gefommen fein. 


— 403. — 


Sie waren doch Hellenen und beſtehen trotz der Landshuter Bartholomäus: 
hochzeit bis zum heutigen Tage. 

Doch ich bin meinem eigentlichen Thema ſcheinbar untreu geworden 
und nehme den Faden, welchen ich fallen ließ, wieder auf. 

Wenn man frägt, wer auf die Entwicklung Fallmerayers am früheſten 
eingewirkt, ſo muß zuerſt hervorgehoben werden, daß er vor Allem zumeiſt 
Autodidact war und die Vorzüge wie die Fehler dieſer Methode oft genug 
zur Schau trug. Er ſelbſt pflegte mit beſonderer Vorliebe des Profeſſors 
der claſſiſchen Philologie an der Univerſität Landshut, Hofrath Dr. Aſt 
zu gedenken und, da er erwähnte, wie oft er den älteſten Sohn desſelben, 
den um das Jahr 1809 geborenen, nachherigen Dr. Karl Aſt, auf ſeinen 
Armen herumgetragen, ſo wird man kaum irre gehen, wenn man annimmt, 
daß Profeſſor Aſt, ein damals mit Recht gefeierter Kenner Platos, ein 
ausgezeichneter Latiniſt, auf die humaniſtiſche Bildung Fallmerayers einen 
überwiegenden Einfluß ausübte, ehe er ſich entſchloß, die kriegeriſche Lauf- 
bahn, und zwar nicht auf Seite jeiner Landsleute Andreas Hofer und Sped- 
bacher, jondern im baierifchen Heere anzutreten. Sein Ehrgeiz war, wie 
Mitterrugner berichtet, — Marjchall zu werden. Er zeichnete fich bei Hanau 
aus, wo, wie er zu erzählen pflegte, die bairische Armee durch General 
Wredes Unbeholfenheit „ecrafirt” wurde, nahm an den jpäteren Schlachten 
auf franzöfiichem Boden Antheil und fam dann nach beendigtem Feldzuge 
in die Sarnifon nach Lindau, wo er mit den Eltern und Berwandten 
Hermann Lingg’s, des Dichters, befannt wurde. Er freute fich nicht wenig 
„ver königlichen Pracht“ als Officier, wie er fich auszudrüden pflegte, und 
hielt auch nicht wenig auf die äußere Erjcheinung, wie er denn bis in die 
Ipäteften Fahre ſich mit den Zoilettefünfter wohl vertraut machte. Es iſt 
mir unvergeplich, als ich ihn das legte Mal in München — ich glaube 
in der Louiſenſtraße — befuchte, und zwar zu einer Zeit, als die Toilette 
nicht vollendet war, und das greife Haupt nun mit Schwarzen, weißen und 
rothen Haaren — von dem vielen Gebrauche verjchievener Salben — zum 
Borjcheine fam. Ich war unwillfürlih zwar nicht an den vielgepriefenen 
Buſchwald erinnert, den „der Fragmentiſt“ feinen Zefern jo anfchaulich vor- 
. führte, aber an jenes eigenthümliche Spiel der Natur, wenn im Herbite 
der grüne Wald verjchiedene Farben aufjtedt und damit anzeigt, daß der 
Winter feines Lebens fich melde. Diefe Sorge um das Aeußere blieb dem 
von den Officierzeiten bis zum Lebensende. Mittlerer Geftalt, rothwangig, 
mit jorgjam gepflegten Händen wahrte er mit Bedacht eine wenn aud) 
nicht jtramme, doch gerade Haltung, einen gleihmäßigen militärischen 
Schritt. Er liebte jententidfe Ausſprüche und namentlich die Anwendung 


404 — 


von Pſalmenſprüchen auf ſeine eigene Perſon, hatte aber wenig Talent 
zu raſcher und unmittelbarer Entgegnung, war jedoch, wenn er konnte, 
ſchonungslos im Urtheile über Perſonen und hielt ſich ſelbſt für berufen 
von dem, was er ſeine Domaine nannte — die Franzoſen heißen es une 
mauvaise langue — den ergiebigſten Gebrauch zu machen, unbekümmert 
um die Folgen, die daraus für Andere entſtehen konnten, wenn nur er vom 
ſicheren Orte aus ſeine Pfeile zu entſenden vermochte. Im Frühlinge 1818 
verließ F. den Militärdienſt. Es war ein ſchmerzlicher Entſchluß, welcher, 
wie mir in Lindau erzählt wurde, mit einem Unfalle in Zuſammenhang 
ſtand, der ihm als Adjutant des (nachherigen) Generals Seyſſel d'Aix 
betraf. Er ſprengte im Vollgefühle ſeiner Würde die Fronte des Bataillons 
entlang, als ſein Pferd ſtürzte und ihn nicht unbedeutend verletzte. Jetzt 
trat der Anſpruch, den ihm die gelehrte Bildung gewährte, maßgebend 
hervor. Er war bereits mehrere Jahre als Gymnaſiallehrer in Augsburg, 
dann in Landshut thätig, als der königliche Entſchluß, der Stadt Lands— 
hut auch in wiljenschaftlicher Beziehung einen, wenn auch verhältnigmäßig 
geringen Erſatz zu verleihen, die Regierung beftimmte, nach Verlegung der 
Univerfität, die erjt der Vater K. Ludwigs von Ingolſtadt nach Landshut 
transferirt hatte, ein zweiclaffiges Lyceum mit den Profefjuren der Philo- 
jophie, Geſchichte, Philologie, Mathematik, Phyfif, Chemie unter einem 
freilich eher fjonderbaren als einnehmenden Director in der verwatjten 
Stadt zu errichten. Da mein Vater Ende Winter als Oberappellationsrath 
nad) Miinchen verjegt wurde, wurde mir geftattet, da8 Sommerjemejter 
in Landshut zu beenden, wo ich denn F. nicht bloß im Collegium, ſondern 
auch bei Tiſche täglich fah. Es mag als ein Euriofum jener Tage mit- 
getheilt werden, daß daß in dem jehr anftändigen Wirthshaufe, in welchem 
4 Lyceiſten an Einem Tiſche und 4 Profefforen an dem anderen zu Mittag 
aßen, die erfteren Suppe, Rindfleifch mit Gemüfe, Braten mit Salat oder 
ftatt des Bratens eine Mehlfpeife erhielten, und dafür 12 fr. täglich bes 
zahlten, die Profefjoren aber 18 fr., da fie zum Braten regelmäßig auch 
noch Mehlipeife befamen (1827/8). %, der immer ſehr fparfam war, 
hätte, wie er mir geftand, fich gerne an unferen Tiſch gefeßt, wenn e8 die 
Schidlichfeit geftattet hätte. 

Da ich mit dem Ende des Sommerfemefters Landshut verließ und 
die Univerfität München bezog, ſah ich Fallmerayer in den nächiten Jahren 
nur, wenn er von Landshut herüberfam und die Eltern befuchte. Er jelbit 
ihloß ſich an den ruſſiſchen General Grafen Oftermann Tolftoy an, in 
dejfen Begleitung er 1831—34 den Orient befuchte und Conftantinopel 
betrat, dejjen wundervolle Lage ihn um fo mehr feflelte, als er fein geiftiges 


— 406 <= 


Auge mehr als jo viele Andere durch feine biyzantinifchen Studien und. 
noch während meines Aufenthaltes in Landshut durch die Lectüre der 
osmanischen Geſchichte Fojef von Hammers — der Zufall wollte, daß ich 
fie ihm verjchaffte, gejchärft hatte. Von all den deutjchen Gelehrten, die 
ich kennen lernte, bejaß feiner ein fo hervorragendes plaftiiches Talent, 
war Niemand empfänglicher für die Schönheiten der Natur, und erfchwang 
fi) feiner zu gleicher Höhe der Darftellung, wo es ſich um den Charakter 
einer Landſchaft handelte. Man konnte ihn als ein topographijches (de- 
feriptives) Genie bezeichnen. Ich weiß, daß er zu diefem Zwecke in einer 
gewiſſen Zeit felbft jehr eifrig Botanik ftudirte. Wer feine Fragmente las, 
in die er. aber gejchicdt eine Polemik verwebte, die von Gleichgefinnten wie 
eine Kriegserflärung freudig aufgenommen wurde,. wird in dieſes Urtheil 
über feine Darftellurigsgabe und den darauf verwendeten Fleiß des uner- 
müdlichen Feilens nur übereinftimmen können. Drei Wochen lang ftudirte 
er über manche Phrafe. Seine Kenntniß des Neugriechiichen, das er 
fließend ſprach und die ihm eine fo freundliche Aufnahme in den Layren 
des weitausgedehnten Berges Athos verjchaffte; feine Kenntniß der türkifchen 
und arabifhen Sprache bewirkten, daß er den Bewohnern des Orients 
nicht als ein Fremder gegenüberftand und jene Scheidemand vom Anfang 
an wegfiel, welche, wo man ſich nicht verftändigen fan, wenn auch un— 
fihtbar, doch jehr wohl fühlbar fich aufrichtet und den Fremden verein- 
jamt, Er gewöhnte fich allmählich eine gewiſſe orientalijhe Ruhe an, die 
eine äußere Würde verlieh und ihm auch die Gelegenheit verjchaffte, den 
ruhigen Beobachter ſpielen und die Schwächen Anderer, ohne daß fie e8 
merkten, erjpähen zu fünnen. 

Graf Oftermann, eine lange hagere Gejtalt mit auffallendem tata- 
riſchen Typus, einarmig — er hatte durch eine franzöfische Kanonenkugel 
einen Arm in dem Augenblicke verloren, als er denjelben ausftrecdte und 
auf einen rufjischen Kanonier deutete, welcher während der Schlacht von 
Kulm Zeichen der Furcht gegeben, und den auf diejes der General an dem 
nächiten Baume aufzuhängen befahl — gewohnt zu befehlen und ungeduldig 
im Ertragen eines noch fo begründeten Widerjpruches, in feinen Formen 
höflich, wenn er wollte, aber auch bereit den Aufjen, dejjen eine Hälfte 
mongoliſch ift, hervorzufehren, war ein Original, das man unter den deut- 
fchen Generalen vielleicht nur in der Zeit der Befreiungsfriege an— 
nähernd wieder fand. Er galt als der eigentliche Sieger von Kulm in 
den Augen der Rufen, obwohl er jhon am erjten Schlachttage verwundet 
worden war, und die Ehre des Sieges, der das ganze Corps Vandammes 
vernichtete, diejfen jelbjt zum Gefangenen machte und dem Kriege eine ent: 

Mittheilungen. 26. Iahrgang. 4. Heft. 25 


— 406 — 


Icheidende Wendung gab, ruſſiſcherſeits eigentlich dem Prinzen Eugen von 
Württemberg zufam. Mllein diefer durfte aus politifchen Gründen der 
Sieger nicht fein. Er war noch dazu ein Deutjcher; Böhmen aber durfte 
nur durch einen Ruſſen gerettet worden fein. Der Arm wurde amputirt, 
der General Chef der Faiferlichen Garde. . Er war und blieb der Lieb- 
fing und ſchwärmeriſcher Verehrer Alexanders J. Als es nach deſſen Tode 
zu den Unruhen in St. Petersburg kam, beeilte ſich der Graf nad) der 
Hauptjtadt zu gehen und dem neuen Garen feine Dienfte anzubieten. Zur 
gleich mit ihm einer feiner Neffen, ein Fürſt Galizin. Diefer ftieg aber 
früher aus und begab ſich zu den Rebellen, wurde gefangen, zum Tode 
verurtheilt und als gemeiner Soldat in einem der Regimenter im Kaukaſus 
begnadigt, dort ſein Leben im Kampfe gegen die Tſcherkeſſen tauſendfach 
auf das Spiel zu ſetzen. 

Der Oheim machte, als der Aufſtand niedergeworfen worden war, 
dem Kaiſer an der Spitze der Generalität ſeine Aufwartung. Er hatte den 
Generalshut in die Armfchlinge gelegt, derjelbe entjchlüpfte aber bei der 
tiefen Verneigung feines Gebieters und der General mußte bemerken, daß 
die Züge des Caren ſich in ein Lächeln verkehrten, welches nichts weniger 
als Wohlwollen zeigte. Der General hatte als Dank feiner, dem neuen 
Autokraten - geleijteten Dienfte geerntet, daß die ganze Generalität, der 
ganze Hof Zeuge diejes Faiferlichen Lachens, ev Gegenjtand des Gelächters 
geworden war. Der Graf vergaß diefe Scene nie mehr. Er nahm Urlaub, 
ging unter dem Namen eines Oberjten N. N. nad Italien; aber auch 
dahin verfolgte ihn der Zorn des Caren, welcher aus Italien heimfehrende‘ 
Ruſſen, die ihm ihre Aufwartung machten, vegelmäßig frug, was der 
närrifche Oberſt — le fou colonel mit dem pjeudonymen Namen — mache, 
was dann wieder diefem hinterbracht wurde. Er konnte ſich nur injoferne 
rächen, dag nach der fpäteren großen Zuſammenkunft der Kaijer von 
DOefterreih und Rußland und des Königs von Preußen zu Kulm, wobei 
denn aud des Siegerd von Kulm gedacht und derjelbe mit dem blauen 
Bande des Andreasfreuzes bejchenft worden war, der Graf, welcher jich 
damals auf einer feiner ruſſiſchen Bejigungen befand, nach Empfang der 
hohen Auszeichnung feinen Dorfihulmeifter kommen ließ und ihm das blaue 
Band, den Gegenjtand des höchſten militärischen Ehrgeizes, zum Gejchenfe 
machte. „Da hajt Du etwas für Dich." Er hatte, jelbjt mit einer Fürſtin 
Salizin vermält, in Nom eime junge, hübſche Frau, eine geborene 
Römerin, aber von zartem Gliederbau und einer jener Phyſiognomien, 
die die Maler Meadonnengejichter nennen, kennen gelernt. Sie war einem 
alten Manne angetraut worden, und diejem entführte fie der närriſche 


— 407 — 


Eolonel. Sie ging mit ihm nach Florenz, wurde Mutter dreier Kinder, 
die der Vater Ofterfeld nannte, heiratete aber fpäter einen Livornejen, von 
welchem fie eine Anzahl anderer Kinder erhielt. Den erfteren, zwei jehr 
lieben Mädchen und einem Knaben wurde eine fehr forgfältige Erziehung 
zu Theil, den anderen die gewöhnliche italienische eines dummen Vaters, 
Es ijt hier nicht der Ort, ſich in die zahllojen Anekdoten zu ergehen, 
welche das Leben dieſes ruſſiſchen Satrapen darbot, der, je nachdem es 
ihm gefällig war, den feingebildeten Weftenropäer oder den nordifchen 
Barbaren hervorfehrte. Er hatte einen bairiſchen Arzt Dr. Lindner auf 
jeine Orientreije mitgenommen, was ihn aber in Damascus nicht gehindert 
hatte, jo lange bei einem Fußübel einen franzöſiſchen Quackſalber zu con- 
fultiven, bis das Uebel beinahe unheilbar wurde und die Noth den Grafen 
zwang, den Franzofen zu verabjchieden. Es charafterifirt aber die bunt 
zuſammengewürfelte Gefellichaft, daß der deutjche Doctor ruhig zujah, wie 
das Leiden feines Herrn unter den Händen des franzöfifchen Collegen 
ich täglich mehr verichlimmerte, bis endlich der Graf ſelbſt Bedenken trug 
und den bairischen Doctor wieder confultirte. Ganz offen geftand diejer 
ihm, daß er vom Anfang an die Behandlung dur den Franzoſen als 
verfehlt anjah. „Aber warım haben Sie mir das nicht gejagt,” frug nun 
Dftermann etwas unwillig. „Weil ich die Franzoſen nicht leiden kann, 
feit jie meiner Mutter 1809 eine Kuh geftohlen!" Der bairijche Doctor 
heilte den Grafen, diefer aber rächte fich, indem er die Gejchichte feiner 
ärztlihen Behandlung ſchmunzelnd Anderen mittheilte. Als dieſe Reife 
beendet war und fi Dr. Lindner in feiner Heimat eine feſte Exiſtenz 
begründete, wurde durch Fallınerayer mein älterer Bruder veranlaßt, jein 
Nachfolger zu werden, mir aber dadurch Gelegenheit gegeben, in. nächjter 
Nähe Sitten und Gebräuche zu beobachten, die mir unbefannt und oft 
auch unverjtändlich waren. Ich hatte Fallmerayer nad feiner Rückkehr 
aus dem Driente 1834 in Florenz wieder gejehen, die alte Bekanntſchaft 
erneut und jah ihn, da er nach Deutjchland zurückkehrte, im Sptember 1836 
wieder in Innsbruck, als ich aus Italien heimwärts zog. Wie mir Graf 
Oſtermann erzählte, hatte $., nachdem er bei ihm in Florenz Wohnung 
genommen, ſich in glückliche Asphaltpeculationen eingelaffen und dabei an 
10.000 Franfen in Genf verdient, war auch dann nach Paris gegangen. 
In Innsbruck Hagte er mir, das Lyceum in Landshut jei in feiner Abs 
wejenheit aufgehoben, er jelbjt penjionirt worden. Meine Tröjtung, er 
habe nad) jeinen eigenen Worten das jo oft gewünſcht, wollte ihm nicht 
gefallen. Die bairische Regierung hatte ihm Urlaub zu feiner Reife gewährt, 
jest auch die normalmäßige Penfion gegeben, ev konnte über jeine volle 
28* 


— 408 — 


Zeit im kräftigften Mannesalter verfügen, hatte Niemanden darüber Rechen- 
ſchaft zu geben, und wenn die pecuniären Bezüge nichts weniger benn 
glänzend waren, fo erjegte die freie Zeit, welche er gewann, reichlich die 
etwaige Einbuße. Er war immer jehr haushälteriſch, Tebte als Cölibatär 
ruhig für fih und wußte ſich jehr bald durch feine intimen Beziehungen 
zur „Augsburger Allgemeinen Zeitung” eine veichliche Hilfsquelle zu ver: 
ſchaffen. Freilich, wenn ein Aufſatz nicht aufgenommen wurde, wie fonnte 
er Hagen, daß man ihm den Lebenserwerb beeinträchtige! Man hätte 
meinen follen, daß er am Hungertuche nage! Ich möchte auch, jo weit 
ich die damaligen Verhältniffe Baierns, namentlih was die Leitung des 
Öffentlichen Unterrichtes betraf, zu beurtheilen im Stande bin, nicht zweifeln, 
daß es F. nach feinen Antecedentien als öffentlicher Lehrer in Landshut 
und der Art und Weife, wie er jungen Leuten gegenüber jeinen Voltairismus 
. und gegeben, als ein Glück zu betrachten hatte, damals in der bezeichneten 
Weile des Lehramtes und den, wie ich glaube, font unvermeidlichen Con- 
flieten enthoben worden zu fein. Ich weiß jehr genau, mer in diejen 
Jahren das Ohr des Königs in den hohen Schulangelegenheiten bejaß 
und e3 gehörte ein nicht gewöhnliches Maß von Muth dazu, wenn man 
jelbft noch feine Stellung bejaß, dem hohen Herrn entgegenzutreten und 
ihm begreiflich zu machen, daß die geiftlichen Weihen denn doch nicht hin- 
reichten, um Profeſſuren würdig zu verjehen, fie den Mangel an wifjen- 
ſchaftlicher Bildung nicht erfegten, im Gegentheile diefer felbft rechten Schaden 
erzeuge. Der Zufall hatte mir den Brief einer hochgeftellten Perjon, die 
das ganze Vertrauen des Königs bejaß, in die Hände gejpielt, in welchem 
der Gedanke entwidelt war, den nach einem beftimmten Plane zu organiji- 
renden Lyceen eine ebenjo bedeutende Stellung zu verfchaffen, als die der 
Univerfitäten herabzudrüden. Das Yahr 1830 hatte den Krieg um die 
Erhaltung der Legitimität und des Königthums überhaupt beforgt gemacht 
und die von ihm bereits durchgeführte Maßregel, die Univerfitäten geiftig 
zu unterbinden, ihnen den natürlichen Nachwuchs zu entziehen, das Inſtitut 
der Privatdocenten abzufchaffen und die entjtehenden Lücken durch Praktiker 
zu erjegen, beweijt, mit welcher Confequenz an der Realijirung dieſes 
Planes in der Zeit gearbeitet wurde, al8 %. vom Oriente zurückkehrte. 
Er ſchlug feinen Wohnfig in München auf, anfänglich in der Müllerſtraße, 
wo auch ich nach meiner Rückkehr wohnte, jo daß die gegenfeitigen Berüh— 
rungen wieder häufiger wurden, jo jehr auch fonft unfere Wege auseinander 
gingen. 

F. wurde Mitglied der k. Akademie der Wiljenjchaften und erlangte 
jo eine ehrenvolle Stellung. Er war aber auch in eine heftige Polemik 


— 400 — 


wegen der excluſiven Theſis über den gänzlichen Untergang der Hellenen 
in ihrem Heimatslande vermwidelt, jo daß er eine der Öffentlichen Sigungen 
der Mademie benügte, feine Theorie zu vertheidigen, die aber, wie früher 
bemerkt, an innerem Schaden Fränfelte. Ueberhaupt fonnte, wenn man die 
ausgebreitete Thätigfeit beobachtete, welche er jetzt in Artifeln der Allge- 
meinen Zeitung, der Münchner gelehrten Anzeigen, den Denkfchriften. der 
Akademie d. W. entwidelte, eine immer weiter gehende Neigung zu effect- 
voller Darftellung ſelbſt auf Kojten der inneren Wahrheit nicht unbemerkt 
bleiben, und wenn er auch zu den wenigen Männern gehörte, die gleich 
Tafel in Tübingen als Vertreter der romäiſchen Geſchichtswiſſenſchaft 
galten — ich vermeide mit Abficht den Ausdruck Byzantinismus wegen 
jeiner Zmeideutigfeit, — jo wird doch Niemand ihn von dem Vorwurfe frei- 
fprechen können, daß die Effecthafcherei und die Liebe zu Paradoren ihn 
mehr und mehr überwältigten und die Gewohnheit, ftatt ſich des Katheders 
zu Öffentlichen Vorträgen der politischen Journale zu bedienen, ihn endlich 
mit jich fortriß und zu perjünlichen Angriffen verleitet, wo dann der 
Beifall von Gefinnungsgenofjen ihn beraufchte und immer weiter führte, 

Wenn ich es vorher auf die Gefahr hin, einen Widerſpruch hervor: 
zurufen, für ein Glück bezeichnete, daß F. jeiner Tehramtlichen Thätigkeit 
enthoben wurde, jo habe ich hiebei auch die ihm hiedurch gebotene Mög- 
lichkeit im Auge gehabt, nochmals den Orient zu bejuchen, jelbjt nach 
Trebijonde vorzudringen wie früher nach Jeruſalem, Cairo und Damascug, 
die Gejtade des unwirthbaren Pontos zu befuchen, längeren Aufenthalt in 
Athen zu nehmen, die griechiichen Geftade zu durchziehen und den clafjiichen 
Weg einzujchlagen, den alle Eroberer Griechenlands, die von Norden 
famen, durc die Natur des Landes einzufchlagen genöthigt gewejen waren. 

Die im Jahre 1845 erjchienenen Fragmente aus dem Oriente be- 
gründeten Yallmerayers Ruf als hiftorischen Landjchaftsmaler erjter Größe, 
aber in noch viel höherem Sinne als politiichen Ankfläger einer von ihm 
jelbjt conftruirten und dann befehdeten Bartei, al$ deren Haupt er „Egna- 
tius“ bezeichnete, jenen Gelehrten, der etwas jpäter von derjelben Partei 
auf den Schäffel gejtellt wurde, die unter Fallmerayers Anführung nicht 
genug Schmähungen über ihn ergiegen Eonnte, jo lange er den von ihm 
begonnenen Weg ruhig fortjegte. Für F. jelbjt war das Erſcheinen diejes 
Werkes epochemachend. Die Partei in Batern, welche in der von dem Könige 
unmittelbar ausgehenden Richtung das Vorgehen einer in Wirklichkeit nicht 
vorhandenen politischen Faction anzujehen jich die Miene gab, hatte zugleich _ 
ein Programm und einen Sprecher — wenn auch feinen politischen Führer 
erlangt; dazu taugte der Fragmentiſt, wie man jeßt F. zu nennen pflegte, 


== He 


‚gar nicht, und man konnte fich fr ihn ſelbſt fein größeres Unglück denken, 
als er fich überreden ließ, auch eine politifche Rolle zu fpielen. F., bereits 
von der Gunft des Kronprinzen getragen, wurde ſeitdem dejjen Lehrer 
und bejtärkte ihn in der negativen Richtung, welcher fich der Prinz in 
feiner Oppofition gegen die Regierung feines Vaters immer entjchiedener 
zugewendet hatte. Wurde F. dadurch Theilnehmer und man fonnte jagen 
Generaljtabschef eines Fünftig zu unternehmenden Feldzuges in Baiern; 
erlangte er dadurch eine Stellung, der er nicht gewachjen war, und deren 
Behauptung, wie die von Mitterrugner aus jener Zeit veröffentlichten Briefe 
bezeugen, ihm jelbjt jehr problematifch erjchien, jo darf man über dieje 
Parteirihtung Fallmerayers eine Thatfache nicht vergefjen, die ein blei- 
bendes Verdienſt in ich jchließt und die auch uns in Oeſterreich in 
hohem Grade berührt. 

Wir in Dejterreich jind durch die Gefchichte, welche ung von zwei- 
maliger Belagerung Wiens durch die Osmanen berichtet, als Anwohner 
der Donau, als Nachbarn des osmanischen Neiches mit der ungeheueren 
Wichtigkeit von Konftantinopel genau befannt und werden täglich) durd) 
unfere Beziehungen zu Rußland daran erinnert. Bei uns hat ſich wohl 
jeder jelbjtändig Denfende bereits die bulgarische Frage jo zurecht gelegt, 
daß der dominirende Einfluß Rußlands in Bulgarien den ficheren Unter: 
gang von Konftantinopel, diejer aber eine volljtändige Frontveränderung 
bedeute und daß wir, jtatt den Osmanen, die Ruſſen vor oder auch in 
Wien zu jehen befommen. Dieje, ich möchte jagen öfterreichifche Erkenntniß 
war aber, als die Fragmente 1845 erjchienen, weder in München noch 
viel weniger an der Spree vorhanden, und auch jegt noch gibt man ſich 
den Anjchein, ald wenn, was im Oſten von Europa vor ſich gehe, das 
Centrum nicht berühre. Fallmerayers Verdienſt ift e8 nun, fo weit er 
konnte, diejenigen, welche in Betreff der wichtigjten Vorgänge im Oriente 
beharrlih die Augen zudrüdten, aus ihrem Schlafe, ihrem politischen 
Dämmerleben herausgerüttelt zu haben. Damals waren die großeu Er- 
fahrungen des Jahres 1854 nicht vorhanden, gefchweige die fpäteren; nur 
im vielverjchrieenen Metternichjchen Cabinete herrjchte als Tradition, ja 
als Ariom der Sag vor, daß man die Ruſſen nicht über den Balkan 
fommen laſſen dürfe. Mag man nun die Auseinanderjegungen des Frag: 
mentiften nur für akademische Reden halten, das Verdienſt bleibt ihm 
unbejtritten, unermüdlich auf die große Gefahr hingewiejen zu haben, die 
der Eivilifation, der Freiheit Europas durch das Vorrüden der Auffen 
nad Konjtantinopel drohe. Muß der Hijtorifer der Wahrheit gemäß diejes 
ansiprechen, jo war der Partei, welche jegt Fallmerayer als den Ihrigen 


— 41 — 


begrüßte, Konftantinopel jehr gleichgiltig, wenn nur die von ihm erfundene 
und befämpfte Partei geftürzt wurde, und dazu war Lola Montez, 1847 
ein ebenjo gutes Werkzeug als der hochgepriefene Fragmentijt, den fie zu 
feinem Unheil nad Frankfurt in das Parlament beordertenn. 

Ich muß e8 einem andern Orte und einer gelegenen Zeit überlaffen, 
nachzumeifen, in welcher Gejtalt in den nächiten Jahren an den ethifchen 
Grundlagen der Monarchie gerüttelt wurde und mit welchem Leichtjinne 
die fiegreiche Partei die gejchlagene und zertretene mit der Gloriole 
ſchmückte, Recht und öffentlihe Moral gegen ein Anjtürmen von Oben wie 
von Unten vertheidigt zu haben. Ich halte mich hier in dem engen Rahmen 
meiner eigenen Beziehungen zu F. welcher, jemehr er fich zum Journaliſten 
gemacht und durch ebenjo geiftreiche als hämijche Artikel der Augsb. 4. 
Ztg. — manchmal au nur hämifche und nicht geftreiche Artikel — ein jtets 
Beifall klatſchendes Auditorium fich geſchaffen, alle perfönlichen Nüdjichten 
auf die Seite zu jegen ſich berufen fühlte. Eine Thatfache, die mehr als 
Zaujende von Worten erweijt, möge genügen, die Veränderung zu bezeich: 
nen, die fchon vorher mit ihm jtattgefunden, che er den Höhepunkt jeines 
literarifch-politiichen Ruhmes „erflommen und ihm die Profefjur der Ge- 
Ichichte an der Münchner Univerjität zur Propagirung jeiner Grundjäge 
1848 übertragen worden war. 

Ich hatte im J. 1843 als ordentliches Mitglied der k. baier. Afa- 
demie d. W. einen öffentlichen Vortrag über die Urfachen des Verfalles 
des deutjchen Haudels im XVI. Jahrhunderte gehalten, der dann auch 
im Drude erjchien, aber von H. v. Koch-Sternfeld, welcher mit aller 
Welt Händel zu haben pflegte, angegriffen wurde, jedoch mit jo wenig wiſ— 
jenschaftlichen Waffen, daß ich, es nicht für nothwendig hielt, davon Notiz 
zu nehmen. In dieſer Zeit begegnete ich Fallmerayer, und unferes alten 
Verhältniſſes eingedenf, [ud ich ihn zum Meittagejjen ein, meine Fran 
würde dafür jorgen, daß er jein Zeibgericht, Ochjenjchweif in brauner Sauce 
mit Knödeln, fände. Fallmerayer nahnı die Einladung jehr willig aı, 
Ochſeuſchweif mit Knödeln in brauner Sauce mundeten föjtlich, die Unter: 
haltung war äußerft animirt und wir ſchieden als gute alte Bekannte in, 
wie ic) annehmen mußte, freundjchaftlichiter Gejinnung. Wer malt aber 
mein Erjtaunen, als ich in den nächjten Tagen in der „A. U. Zeitung“ 
einen gegen mich und zu Gunſten des Sternfeldjchen Gejchmieres gerichteten 
hämischen Artikel las, den %., nach dem Datum zu urtheilen, unmittelbar 
nad unferer Mahlzeit gejchrieben haben mußte. Ich traf ihn ein paar 
Zage jpäter — id) erinnere mich jehr genau — in der weiten Gaſſe, ſtellte 
ihn wegen dieſes Artikels zur Nede, zeigte ihm, was er, wen er der 


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‚Wahrheit getven über die Sternfeldfche Schrift berichten wollte, zu jagen 
‚hatte, und verließ ihn dann, ohme mich über fein eigenthümliches Benehmen 
„weiter anszulaffen. Ich weiß aber, daß er, welcher zu feiner Rechtfertigung 
nichts zu jagen vermochte, einem gemeinfamen Bekannten in gehobener 
Stimmung erzählte, wie glimpflih ich ihn behandelt habe. Mit Ochjen- 
jchweif, brauner Sauce und Knödeln war es aus; ob aber von feiner Seite 
nicht in gewohnter Weije ein Mißbrauch feiner einflußreichen Stellung ge- 
macht wurde, als ihm Gelegenheit dazu gegeben wurde, ift eine Frage, 
die ich nicht erörtern will. Die parlamentarische Thätigkeit brachte dem 
Fragmentiften feine Roſen und war eher geeignet die auf ihn gejegten 
Hoffnungen zu täufchen als zu verwirklichen. Er ergriff, glaube ich, nie- 
mals das Wort, ftimmte mit der äußerſten Linken, zog mit ihr zum 
Rumpfparlamente nad) Stuttgart, theilte mit ihr das Vergnügen, von 
k. württembergijchen Zambours und Uhlanen auseinander gejprengt und 
mit oder ohne fie durch einen k. bair. Stedbrief fignalifirt und jtigma- 
tifirt zu werden. %. war darüber außer jich und ließ bei jeder Gelegenheit 
dem damaligen Justizminister Freiherrn von Kleinſchrod feinen Zorn fühlen, 
obwohl derjelbe nur dem Gefege freien Lauf gelaffen hatte. Doch wurde 
die Heimfehr ermöglicht; freilich ging die, Profeffur zum zweiten Male 
verloren, doch wurde die frühere Penſion um ein Drittheil vermehrt. Hin- 
gegen eröffnete fich ein neuer Wirkungsfreis, da das ſchon früher einge- 
leitete Verhältniß zum Kronprinzen, damals bereits K. Max IL, nach Allen, 
was davon in das Publicum drang, ungeachtet jeiner vepublifanijchen Ge— 
finnung und ſeines politiichen Benehmens fortbeitand. Hier jei es erlaubt 
aus authentijcher Quelle eine Einfchaltung vorzunehmen. Einer der treuejten 
Diener des Haufes Wittelsbach, der durch jeine Klugheit und Umficht in 
den ſchlimmſten Tagen Deutjchlands bei dem Umfturze des alten Kaiſer— 
reiches das vegierende Haus Zweybrüden glüdlich in jene Pfade einlenfte, 
die zum modernen Staate Baiern und zum Königthume führten, der ehe- 
malige k. b. Staatsminifter Marimilian Graf von Montgelas, weijt in den 
von ihm franzöfifch verfaßten, jegt aber von zweien feiner Enfel deutjch 
herausgegebenen, äußerjt interefjanten Denhvürdigfeiten auf einen er— 
erbten Zwiejpalt im früher berzoglichen Haufe bin, der ji im 
föniglichen fortjegte. Der hervorragende Staatsmann, welcher nad) feinen 
Sturze durch den Kronprinzen Ludwig, nachher KR. Ludwig J., den Triumph 
feierte, daß er in den nächjten 70 Jahren von feinem größeren übertroffen 
wurde, enthüllte damit das Geheimniß des pfälziichen Zweiges des Haujes - 
Wittelsbach, der befanntlich den fchon 1777 ausgejtorbenen altbairischen 
Zweig beerbte. Der erſte pfalzbairifche Churfürit, der Sulzbacher Karl 


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Theodor (1799) hatte ſich auf das engfte an Defterreich angefchloffen 
und. jeinen Better und Erben den Herzog Mar Yofef von Zmweybrüden nad 
Kräften Hintangefegt. Letterer, nachgeborener Prinz dieſes Hauſes und 
früher franzöfifcher Oberſt, jchloß fich als pfalzbairifcher: Churfürft auf 
das engſte an Frankreich an, erlangte dadurch die Abrundung feines 
Staates und das Königthum und blieb Bundesgenofje Napoleons I., bis 
das Prineip der Selbiterhaltung ihn zwang, diefe Bundesgenoffenjchaft 
mit der Öfterreihijchen zu vertaufchen. Der Kronprinz durchkreuzte, 
wo er konnte, die Politik feines Vaters, ftürzte deſſen erften Minifter und 
erhob den Mann, der es verftand, Baiern den Großmächten verhaßt zu 
machen, jo daß ihm, dem Marſchall Fürjten Wrede, vor Allem zugefchrieben 
werden muß, daß Baiern die ihm vertragsmäßig zugeficherte Entſchädigung 
am Nekar und dem Rheine nicht erhielt, von Frankfurt und Mainz nicht 
zu reden. Hatte der Vater die Klöfter aufgehoben, fo ftellte fie der Sohn 
nicht blos wieder her, jondern beftimmte auch felbft Farbe und Rutten der 
neuen Franciscaner Mönche. Hatte der Vater dem Adoptivſohne Napo— 
leons die Hand feiner Tochter gewährt, jo zeigte die ſogenannte altdeutiche 
Tracht des Kronprinzen mit dem ausgejchlagenen breiten Hemdfragen auch 
äußerlich, wie fehr er alles Franzöſiſche haßte, gleichgiltig ob es von 
Louis XIV. oder Napoleon I. ftammte. Und darin ift er fich auch treu 
geblieben; jeine Prachtbauten, von welchen freilich manche nicht weniger 
unnüg find als die feines Enfels, tragen diefen Stempel. Seine Züge 
verriethen die pfälzifche Abkunft; er konnte nach diefer zu fchließen dem 
XVI. oder XVII. Jahrhunderte angehören. Wie jehr er aber Baier war, 
bewies die Erelufivität feiner bairischen Umgebung, die nur in Betreff 
„jeiner Künftler” eine Ausnahme fand. Während er aber auch in der 
Zeit zu rühmen pflegte, was er für die fatholifche Kirche in Baiern 
gethan, als er an den ethifchen Grundlagen des Königthums und der ge- 
ſellſchaftlichen Ordnung im Hochgefühl, daß dem Könige von Gottes 
Gnaden Alles erlaubt fei, rüttelte, wurde fein Nachfolger, Mar IL, wie 
befannt, nur durch Profeffor Dahlmann abgehalten, ſich dem proteſtan— 
tiichen Eultus offen zuzumenden. 

Ihm gehörten feine Sympathien an, während er dem Volfe gegen- 
über jih den Schein eines Katholischen Königes zu wahren bemüht war. 
Wer aber einer anderen Richtung ſich zumandte, war der Ungnade ficher. 
Am fronprinzlichen Hofe wurde eine eigene Gejchichte getrieben, und es ift 
befannt, mit welcher Vehemenz Mar II. die Thefis verfocht, die Urheber 
der Revolution von 1789 jeien nicht Ludwig XIV., nicht die zahllojen 
Gebrechen und Verbrechen der Bourbons, jondern — die Jeſuiten geweſen. 


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Der Bicomte Baublanc, der als Franzoje ſich eine Einwendung erlaubte, 
wurde von dem Prinzen ſelbſt mit den Worten zurückgewieſen, er jolle 
jchweigen, da er nichts von der Sache verjtehe. Der alte König war heftig, 
ließ es auch, wenigftens in jungen Jahren, nicht an ftarken Ausbrüchen 
jeiner Leidenschaft fehlen, wie denn Cabinetsjecretär Martin eine eigen- 
thümlihe Behandlung erlitt. Der Sohn rühmte fich vor jeinen Mi- 
niftern, wie er diefem und jenem jchöne Worte gegeben, denen aber entgegen- 
gejegte Handlungen nachfolgten. Er liebte nicht blos behagliche Ruhe 
auf feinen Schlöffern, jondern führte auch eine eigene Kabinetsregierung 
ein, um fo wenig mie möglich feine Minifter zu fehen, während er ſich be- 
mühte die Räthſel der Schellingifchen Bhilofophie zu löſen. Wie der 
unglüdliche Ludwig II. ging auch fein Vater vor Allem perjünlichen Lieb- 
habereien nach, und ein aufmerkffamer Beobachter wird zwifchen Beiden viele 
Berührungspunkte finden, wenn auch der Hang des Vaters mehr auf den 
Umgang mit geiftreichen Perjonen gerichtet war und die traurigen Ver— 
irrungen feines Sohnes in Betreff der Wahl feines Umganges diefem 
allein angehören. Nur mit geringen Ausnahmen waren aber die Ver— 
trauten 8. Mar II. Nichtbaiern, und e8 wird ſchwer fein, einen Fürſten 
zu nennen, der im dieſer Beziehung weiter gegangen ift. Doch befanden 
fih Vater und Sohn auf gleicher Linie, wenn es ſich darum handelte, 
die jogenannten geheiligten PBrärogativen der Krone bis zum 
äußerjten Punkte zu wahren. Das Gefühl, Alles thun und Alles wagen 
zu dürfen, brachte zulegt den Vater dazu, feinen Thron förmlich wie in die 
Luft zu bauen, ohne felbjt eine Ahnung zu befiten, daß er aller Bafis 
entbehre, nachdem er e3 zuerſt meisterhaft verftanden, unter dem Scheine 
des Conjtitutionalismus die Stände von fi) abhängig zu machen. Le roi 
ne se soucie pas beaucoup de ses états fonnte der erfte Minifter ganz 
offen bei einem diplomatischen Diner jagen. Speciosa verbis re in- 
nania aut subdola, heißt e8 bei Tacitus von denjenigen, die die unum— 
ſchränkte Herrjchaft mit fchönen Worten zu verbrämen wiſſen, quantoque 
majore libertatis imagine tegebantur, tanto eruptum in infensius ser- 
vitium. Ludwig I., immerwährend wie ein See von unteriwdischen 
Quellen bewegt, zahlte auch immer mit feiner Perfon, die in allen 
Dingen in den Vordergrund trat. Seinem Sohne gebrach es an dem 
perjünlichen Muthe des Vaters. Er konnte insgeheim fürmliche Achter: 
Härungen erlafjen, ohne dem Betreffenden gegenüber den freundlichen Ton 
zu ändern. Man meinte, er grolle Jedem, der in Folge einer weniger 
ftürmifchen Jugend jich ein gefundes Ausjehen gewahrt. Schob man dem 
Bater den geheimen Plan nnter, deutſcher Kaifer werden zu wollen, jo 


zeigte fich. der Sohn auf den Berg- und Jagdpartien, die feine Zeit nicht 
wenig in Anfpruh nahmen, im grünen, goldverbrämten Jagdcoſtüm 
Ludwigs XIV. und XV. und wenn fein Sohn dem König Wilhelm dem 
Sieger die deutſche Kaiferfrone anbot, jo Fennt Jedermann den inneren 
Widerſpruch, in welchen ſich der enthufiaftiiche Verehrer des roi soleil 
und feiner undeutſchen Thaten dadurch jegte und in dem er auch unter- 
ging. Wie ganz anders hätten fich aber die Dinge nicht blos in Batern, 
fondern in ganz Deutjchland gejtaltet, wenn K. Ludwig I., der ſich kurz 
vorher noch feiner gemwifjenhaften (?) Verwaltung des Staatshaushaltes ge- 
rühmt, am 20. März 1848 das Königthum micht niedergelegt hätte, und 
er, dem es bejchieven war, den Schattenfünig — jo nannte er feinen 
Sohn und Nachfolger — zu überleben, jtatt 20 Jahre bis zum %. 1868 
als fahrender König umberzuftreifen, die Zügel der Regierung in der 
Hand behalten hätte, während fein Enfel 1866 jede Thatkraft in roman— 
tifchen Gedanken auf der Nofeninjel verträumte, nachdem K. Max 1864 
an Blutvergiftung gejtorben war. 

E3 war der ererbte Zwiejpalt des Haufes Zweibrüden, von 
welchem der Graf von Montpelas gejprochen, der ſich Schritt für Schritt 
vom Vater zum Sohne, zum Enfel und Urenfel fund that und zuleßt 
jene heillofe Verwirrung der Begriffe erzeugte, die den zweiten 
König nicht mehr auf dem Throne ließ und nach Unten hin eine Parteiung 
groß 309, die weniger dur) fich, als durch den teten Wechjel von Antipathie 
und Sympathie der Regierenden Kraft und Bedeutung erlangte. In diejem 
Treiben und Sagen und einer immer mehr ſich vorbereitenden Anarchie 
der Geiſter war es, daß auf einmal der Stern Fallmerayers als Lehrer 
des Kronprinzen und nachherigen Königs Mar II. aufflammte. Es iſt nicht un- 
denkbar, daß Schelling, welcher bei diefem fo viel galt, ihn empfohlen 
babe. Der Inhalt der in Hohenfchwangau gehaltenen Vorträge entzieht 
fich wohl der näheren Kenntniß Nichteingeweihter; nicht aber, in welchen 
Geiſte fie gehalten wurden und ebenjowenig blieben die harten Aeußerungen 
über Andere unbekannt, welche dajelbit fielen und die al8 der Same auf- 
gefaßt wurden, den der Fragmentift, nicht Beherricher, aber Befiger einer 
ungebändigten Zunge, ausgeftreut. Wie jehr aber die Lehren Wurzel ge: 
ichlagen, geht nicht bloß aus dem Umſtande hervor, daß, als die Umgebung 
des Königs, nicht jehr erbaut, von dem Treiben des Fragmentiften, der 
nach Stuttgart gezogen, wähnte, es fei der Augenblid gefommen, auch 
ſich mißbilligend über ihn zu äußern, der König erklärte, die Herren irrten 
fi, wenn jie glaubten, es jei in feiner Gejinnung gegen Fallmerayer eine 
Aenderung eingetreten. Auf dieſen jtarfen Schuß bauend, konnte F. es 


— 46 — 


nach feiner Rückkehr wagen, gegen den k. Yuftizminifter, der den Geſetzen 


freien Lauf gelaſſen, als gegen einen Steckbriefſchreiber“ einen Artikel | in 


der A. A. Zeitung loszulaſſen. 

Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß mit dem Fortſchritte der 
Jahre die Bitterkeit Fallmerayers über ſeine verfehlte politiſche Laufbahn 
abgenommen und die ethiſchen Rückſichten über den journaliſtiſchen Cynis— 
mus den Sieg davon getragen hätten. In der legten Unterredung, die ich 
mit ihm März 1852 hatte, jprach er feine Hoffnung auf den baldigen 
Sieg der Republik — in Deutichland und daher auch im Föniglichen 
Baiern unummwunden aus. Ich ſchied von ihm mit der Meberzeugung, daß 
feine politiiche Fernficht an Klarheit nicht zugenommen habe. 

In dem Weinftübchen des Auguftinergäßchens in München, das er 
täglich zu befuchen pflegte und wo ſich dann die Stammgäfte um den 
wigigen und mittheilenden Gelehrten jammelten, ift in der Mauer, an 
welcher er täglich zu fiten pflegte, in Rahmen und Glas fein Bild zu 
jehen. Es ift wohl dasselbe jchöne Werk Hanfitengels, das er auch „mir 
einst zum Geſchenke gemacht. Es zeigt eine Facſimile: 

Disce, puer, virtutem ex me, verumque laborem, 
Fortunam ex aliis. Fallmerayer. 

Wenn von irgend Jemanden mit Necht gejagt werden Eonnte, er jei 
feines Glückes eigener Schmied gewejen, jo war er es. Er hatte ſich über: 
lebt, nur ein eines Häufchen von Getreuen hielt noch bei ihm aus, 
während er jelbjt von der Vergangenheit zehrend, allmählich gewohnte 
Phrafen wiederholend, ein ftiller Mann geworden war. Nachdem er noch 
den Abend des 25. Aprils 1861 in froher Geſellſchaft zugebracht, wurde 
er am Morgen des 26. todt in feinem Bette gefunden. Die Berftung 
eines Blutgefäßes hatte feinen unzweifelhaft raſchen Tod im 72. Zebens- 
jahre herbeigeführt. Nur wenige, wie unlängjt Prof. Sepp angeführt, be- 
gleiteten feine Leiche zu ihrer Ruheſtätte. 


Mittheilungen der Geſchäftsleitung. 





In der am 26. November 1887 abgehaltenen Generalverfammlung 
wurde der Jahresbericht fir das PVereinsjahr 1886—87 vollinhaltlich ge- 
nehmigt, aus welchem ein kurzer Inhaltsauszug folgt: 

Yın abgelaufenen VBereinsjahre hat der Verein zum erjtenmale von 
jeinem ihm ftatutenmäßig zuftehenden Rechte Gebrauch gemacht, und in 


— 47 — 


ber Generalverfammlung am 20. Novbr. 1886 den hochverdienten Führer 
der Deutfchen in Böhmen, fodann. in der Generalverfammlung zur Feier 
des 2djähr. Jubiläums eine Anzahl um die Wiffenjchaft und den Seren 
hochverdienten Männer zu Ehrenmitgliedern ernannt. 

Außer dieſen 16 Ehrenmitgliedern beträgt der ausgewieſene Stand. 
der Mitglieder 31 ftiftende, 1387 ordentliche, zufammen 1418 Mitglieder. 


Mechnungslegung für das 25. Vereinsjahr. 


Berbliebener Eafjaret- - -»- » - » . - 145 fl. 54 fr. 
Für die Preisichrift der 4. Section mit 

Schluß des Vereinsjahres 1885/6. . 362 „ 91 „ 
Sahresbeiträge der Mitglider . . . . 5.956 „ 4 
Intereſſen vom Xctivcapitale. .... 217 „ 63 „ 
Erlös für verkaufte Vereinsschriften . . 83 „ 93 u 
Sonftige Einnahmen und Gejchenfe . . 843 „ 50 „ 


Zufammen. . ... 7.609 fl. 95 Er. 
Ausgaben. 

Für Herausgabe der „Mittheilungen" . 3.524 fl. 01 kr. 
Auslagen für die Bibliothet . . . . . 244 „12 „ 

” " das Archiv . on er 65 u — — 
Honorar des Geſchäftsleiters ſammt Woh- 

nungs-Beittag » » 2 22000. 400 „ 2 u 
Gehalt des Kanzeliften -. . .. . . .. 49 „9 „ 
Miethzins für die Vereinglocalitäten.. „1.187 „ — u 
Koften für neue Einrichtungsftüde. . ». 62 „50 „ 


Für Beheizung, Beleuchtung und Reini- 


WIND ee a een 8314 „ 93 „ 
Sonftige Kanzlei- und VBerwaltungs-Aus- 
lagen.. nn 1, 95 
Bufammen. .... 7.521 fl. 92 fr. 


Verbleiben mit Schluß des Vereinsjahres 1886/77 . . . 88 fl. 083 fr. 
Als eine ihrer Hauptaufgaben betrachtete es die Gejchäjtsleitung 
einen regen Verkehr mit den Vertretern, den eigentlichen Stügen des Ver— 
eines nach außenhin anzubahnen und aufrecht zu erhalten. 
Neu gegründet wurden zwei Vertreterfchaften und zwar in Braunau 
und Tannwald. 


— 48 — 


Neu beſetzt wurden 8 und zwar: Böhm.-Leipa, Graz, Krummau, 
Leitmeritz, Marienbad, Poderſam, Reichenberg, Wien. 
Den Vorjahren gleich war auch in dem Jahre 1886—87 der Ver⸗ 


fehr mit den wiffenfchaftlichen Vereinen des In- und Auslandes ein jehr 


lebhafter und Hat die Bibliothef namhaft bereichert. Die Zahl der mit 
uns in Schriftenaustaufch ftehenden Vereinen und wifjenjchaftlichen Gejell- 
ichaften beträgt gegenwärtig 119, daher um drei mehr als im Vorjahre. 
In der am 26. November ftattgefundenen General: Verjammlung 
wurden einftimmig in den Ausichuß gewählt: 
Herr Phil. Dr. G. Biermann, Schulrath, Director des k. k. deutſchen 
Gymnaſiums auf der Kleinſeite. 
„ JUDr. Johann Kiemann, Advocat, Landtagsabgeordneter. 
„ Phil. Dr. Hans Yambel, Profeffor an der f. k. Univerfität. 
„ Phil. Dr. ©, €. Raube, Profeffor an der k. f. Univerfität. 
„  P. Maurus Pfannerer, Phil. Dr., k. k. Landes-Schulinfpector. 
„M. Pfeiffer, General-Iufpector der Buschtiehrader Eifenbahn. 
„ JUDr. Arnold Roſenbacher, Aovocat. 
»  Guftav Rulf, penf. k. k. Staatsbuchhaltungs-Rechnungs-Rath. 
Se. Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferfdeid, E. E. Kämmerer, 
Großgrundbeſitzer, Zandtagsabgeordneter ꝛc. 
Herr JUDr. Edmund Schebek, kaiſ. Rath, Handelskammer-Secretär i. P. 
„ Phil. Dr. Ludwig Schleſinger, Director des deutſchen Mädchen— 
Lyceums, Landtagsabgeordneter. 
„ Theol. Dr. Joſef Schindler, f. f. Negierungsvath und Univerfitäts- 
Profeffor, Domberr. 
„ dr. Thenmer, E. £. Oberlandesgerichts- Rath. 
„ Phil. Dr. Theodor Tupetz, k. k. Prof., Docent an der E. f. Univ. 
„ JUDr.. Albert Werunsky, Advocat, Landtagsabgeordneter. 


In der conftituirenden Sigung am 1. December v. Jahres wurden 


gewählt: 
Zum PBräfideuten: 
Se. Erlauht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferjcheid, 
Et — eteee 
Herr Dr. Subnii Schleſinger, Director des deutſchen Mäd— 
chen⸗Lyceums, Landtagsabgeordneter. 
Nachdem der Ausſchuß dem Antrag der Commiſſion betreffs Trennung 
des Amtes des Geſchäftsleiters von dem des Vereinsbeamten beigepflichtet 
hatte, wurde erſteres fortan als unbeſoldetes Ehrenamt von Seite eines 


— 419 — 


Ausſchußmitgliedes beforgt, während das Amt eines Bibliothefars und 
Eonceptsbeamten einer biefür zu. honorivenden geeigneten Perſönlichkeit 
übertragen wurde. 

Herr Univerfitäts - Profefjor Dr. Laube, der die Stelle eines Ge- 
ichäftgleiters in diefem Sinne ſchon feit 20. November v. X. proviſoriſch 
verwaltet hatte, wurde nun definitiv zum Gejchäftgleiter des Vereines ge- 
wählt. Die Stelle eines Bibliothefars, blieb jedoch im Verlaufe des Ver— 
einsjahres noch unbejeßt. 

Die übrigen Functionäre wurden in ihrer Amtsftellung beftätigt. 


Der Bibliothek wurden werthvolle Gejchenfe übermadht: 

Bon Sr. Ereellenz Heren Fiedler dv. Iſarborn Ferd., k. k. Feldmarjchall- 

Lieutenant. | 
Herrn Lanna Adalbert, Ritter von, Großinduftrieller. 

„Biſchoff Bruno, Privatier: 

» Bachmann Karl, Divector der königl. böhm. Sanbesbuchhaltung, 

„  Gradl Heinrich, Stadtarchivar in Eger. 

„  RKRaberowsfy W. Dr., ka k. Gymnafial-Profefjor. 

„Krones Franz, Nitter von Marchland, k. k. Univerfitäts-Profejjor. 
„Schleſinger &. Dr., Director des deutfhen Mädchen-Tyceums. 
„Pawlowski Rudolf, Stadtjecretär in Brüx. 

Neu bejegt wurden die Vertretungen in Krummau mit Herrn 
JUDr. Franz Buchſe, Advocat; in Leitmeritz mit Herrn JUDr. ®il- 
helm Goflitichef, Edler von Elbwart, Advocat; in Marienbad mit 
Herrn MUDr. 8, Ingriſch, prakt. Arzt; in Poderfam mit Herrn Jo- 
hann Hübl, k. k. Bezirksgerichts-Adjund; in Neihenberg mit Herrn 
Johann Filher, Magiftrats-Rath und in Wien mit Heren Jord. Caj. 
Markus, Director der jtädt. Bürger- und Gewerbejchule. 

Den Herren Bertretern jowie allen Functionären, welche im Inter— 
ejje des Vereines unermüdlich thätig find, fühlt ſich der Ausſchuß ange- 
nehm verpflichtet, ihnen hiemit den wärmjten Danf abzuftatten. 


Nachtrag zum VBerzeichni der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 9. Mai 1888, 


Stiftende Mitglieder: 


Löblicher Bezirksausſchuß Toboſitz und Teplitz. 
Löbliche Zöhmiſche Sparcaſſa in Prag. 


Ordentliche Mitglieder: 


Röhlicher Bezirksausfhuß Aſch. 


©e. Hogwilrden Herr Ctvrtecka Bruno, Abt von Braunau. | 


Denfen. 
Grasſitz. 
Gratzen. 
Hohenelbe. 
Zoachimsthal. 
Kratzau. 


&andskron. 


Miemes. 
Pfranenberg. 
Platten. 
Poderfam. 


Tetfen. 


Herr Glafer Moritz, Hausbefiger in 


" 


JUDr. Koppert Sigmund, Advocat in 
raus Rail, 

Follak Rudolf, Lederfabritant in 
Quoiſta Victor, Apotheker in 

MUDr. Stern Ignaz, Stadtarzt in 
MUDr. FTitlbach Theodor, herrſchaftlicher Arzt in Poftelberg. 


Die P. T. Herren Mitglieder werden erfudht, alle für den Verein 
beitimmten Werthſendungen, Geldbriefe wie Poftanweifungen zur Bermei- 
dung don Itrungen an die Adreffe des Herrn Dr. Guftav C. Laube, 
k. k. Univerfitäts= Profeffor und Gejhäftsleiter des Vereines, Prag, k. k. 


naturwiſſenſchaftliches Inſtitut, gelangen zu laſſen. 


2. k. Hofbuchdruderei A. Haaſe, Prag. — Selbftverlag. 





— ” 


Literarifhe Beilage 


zu den Mittheilungen des Vereines 


Geschichte ller Deutschen in Böhmen. 


XXVI Fahrgang. I. 1887/88. 








Dr. Herm. Hallwich: Walleuſtein und Waldftein. Em offener Brief an 
Dr. Gindely. Leipzig 1887, ©. VI und 68. 


Man darf ſich wahrlicdy nicht wundern, wenn vielleicht Jemand beim Anblid 
der angeführten Brofhüre die Hände zufammenjchlagend unmwillfürlih in den Ausruf 
ausbrechen follte: Wallenftein und fein Ende! Die Literatur über diejen, neben dem 
Schwedenkönig bedeutendften Mann des dreißigjährigen Krieges ninımt von Tag zu 
Tag in einem Umfange zu, von dem der Laie auch nicht die Ahnung hat. Daß aud) 
das 1881 erichienen Buch Schebeks: „Die Löſung der Wallenfteinfrage” feinen Zweck 
nicht erreichte, d. h. daß es die Löfung der Frage, die es fich laut Titel zum Ziele 
jeßte, nicht zuftande brachte, deſſen ift Zeuge die feit jenem Zeitpunkte der Deffent: 
lichkeit übergebene ftattliche Reihe von Drudichriften, welche fi bemühen die Wallen- 
fteinfrage von den verichiedenften Seiten zu beleuchten. 


Den Lefern unjerer Zeitjchrift ift e8 befannt, daß Prof. A. Gindely im Vor- 
jahre zwei Bände: „Waldftein während feines erften Generalats im Lichte der gleich- 
zeitigen Quellen (1625—1630)” im Verlage von Tempsty und Freitag herausgegeben 
hat, ein Bud, das auf ©. 1 der „Literar. Beilage der Mittheilungen“ (Jahrg. 25) 
angezeigt ward und von Dr. Hallwid in den „Mittheilungen” S. 97 ff. eine jcharfe 
Entgegnung gefunden hat. Es ftießen da zwei Vertreter der entgegengelegten Richtungen 
in dieſer Frage hart auf einander, vielleicht zur Freude desjenigen Theiles des Pu— 
blicums, das an dergleichen literarifchen Fehden ein um jo größeres Behagen findet, 
je erbitterter und rüdiichtslofer der Kampf geführt wird. Diefer wurde aber von 
Gindely in emen Zeitraum und auf ein Gebiet verlegt, das bislang weniger berüd- 
fihtigt worden war, er hat nämlidy feine Forfhungen auf das erjte Generalat ausge— 
dehnt, während welchem ſich Wallenftein nah dem Verf. „zum Verräther herange- 

1 


PU ——— 


bildet hat“. Diefem Werfe muß nothwendigerweife über fur; oder fang ein zweites 
folgen, welches da3 zweite Generalat umfaffen wird. Wenn irgend Jemand, fo war 
dem Herrn Prof. die Wallenfteinfrage nahe gelegen, ja er, als der Geichichtichreiber 
des breißigjährigen Krieges, mußte ſich an diefelbe machen; aber Jedermann, dem 
feine Stellungnahme zu diefer Frage nicht umbefannt ift, die er ja ſchon vordem 
wiederholt und deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, mußte auch darüber jchon im 
vorhinein Har fein, welche Stellung er in feinen neuen Werfe einnehmen würde. 
Und in feinem „Wallenftein” ift deun wirflid ein Buch zu Tage getreten, das, ab- 
gejehen von feiner gewiß nicht jedem Lefer zufagenden Form, den gewaltigen Feld- 
herrn des großen Krieges nicht nur als Falten Egoiften, ſondern auch als Berräther 
feines Herrn ſchon während feines erjten Generalates zeichnet. „Die Actenftüde jollen“, 
wie Gindely im Vorworte jagt, „Harftellen, auf welche Art er zu feinem riefigen Ber- 
mögen und zu dem Poſten als Obergeneral gelangte, auf welche Art er fein Heer 
verpflegte, wie er nicht blos das Neid, ausbentete, fondern auch dem Kaifer große 
Zahlungen abnöthigte, wie unter ber von ihm geduldeten Zuchtlofigkeit der Truppen 
die Vermüftung um fich griff, wie er abfichtlich den Ruin der Ligiften herbeizuführen 
juchte und auf welche Weiſe er in den Belis von Sagan und Medlenburg gelangte. 
Endlich ſoll auch erörtert werden, ob die Anklage, daß er fogar nad) der Kaiſerwürde 
geftrebt habe, auf bloßer Vermuthung oder auf Wahrheit beruhe.“ Es ift mir nie bei: 
gefallen, in Wallenftein einen von jeglihem Makel reinen Tugendhelden zu erbliden, 
ließe fih aber das angeführte Sündenregifter als unangreifbar beweifen, dann aller- 
dings wäre der Friedländer der fchlimmfte Feind des Kaiſers und de3 Staates ge: 
weſen. Die Lectüre des Buches hat mir diefe Ueberzeugung nicht beigebracht, mir 
war es vielmehr fchon vor der Herausgabe von Hallwichs Gegenſchrift Har, daß es 
mit den „gleichzeitigen Quellen“, in deren Beleuchtung der General in der Zeit von 
1625 bis 1630 dargeftellt wurde, ein eigenes Bewandniß haben müſſe; mir ſchien es, 
daß in den bemüsten Scriftftüden, in den Gefandichaftsberichten u. f. f. das Hof: 
geſchwätz und die Phantafie der Feinde des Friedländerd ſich viel zu breit mache, 
und daß die Relationen von Legaten, Gejandten und Geichäftsträgern nicht ohne 
Kritik zu benügen feien, daß mit einem Worte die Schwäche Gindelys aud in diejem 
Werke zu Tage trete, daß er nämlich das archivaliſche Material zu wenig fichte und 
die Forfchungen Anderer nicht genugfam beachte. 

Hildebrand, Gaedeke und Gindely brachten in leßterer Zeit die Wallenftein- 
frage wieber in rafcheren Fluß. Dr. Hallwich, der, wie befannt, unter den Wallen- 
fteinforfchern eine hervorragende Stelle einnimmt, publicirte, wie ſchon bemerft, jeine 
in ben Mittheilungen” erjchienene Gegenichrift, über die ich mich näher auszuſprechen 
nicht brauche, da fie ja den Leſern diefer Blätter vorliegt. Es war vorauszufehen, 
daß der Angegriffene ſich nicht in tiefes Stillichweigen hüllen werde; Prof. Gindelys 
„Antwort an Dr. Hallwich“ erfolgte in dem bei Tempsky erichienenen Schriftchen: 
„Sur Beurtheilung des Eaijerlichen Generals im dreißigjährigen Kriege Albrecht3 von 
Waldſtein“. ‘Der Berf. vertheidigt ſich gegen die Angriffe auf jeine Behauptungen, 
daß fich der General ans den erhobenen Contributionen bezahlt gemacht, daß er die 
Disciplin im Heere jchlecht gewahrt habe, endlich gegen den Vorwurf, daß er feine 
Beweile für die von Waldftein an den faiferlihen Miniftern geübten Beftechungen vor— 
bringen fönne, feine dafür, daß er Statthalter in Böhmen werden, die Kur Branden- 
burg in Belig nehmen und gar Kaiſer werden wollte, und daß er die auf den Frieden 
gerichteten Abfichten Waldfteins in Abrede ftelle, 


— — 


Huf dieſe Replik erfolgte nun der an der Spitze dieſer Zeilen angeführte 
„offene Brief” Hallwichs, der im Ganzen ruhig gehalten ift und manche Behauptungen 
Gindelys in einer Weiſe widerlegt, die mir in manden Stüden eine zutreffende 
icheint. Ich ſage abfichtlich, daß mir manche Widerlegungen gelungen [heinen, denn 
eine bedingunggloje Zuftimmung in allen Punkten kann einem Referenten nicht zuge— 
muthet werben, dem ber lleberblid über das Quellenmaterial und die Einfiht in die 
angeführten Actenſtücke mangeln. Was die von Gindely dem Generalen gemachten 
Vorwürfe anbelangt, die Hallwich in fünf Punkte zufammenfaßt, fo will ich blos 
anmerken, daß dieſer nicht mit Unrecht darauf binmweift, daß die Anlagen nicht 
von jenem zuerft erhoben worden jeien, jondern daß ſich diefelben bereit bei 
Hurter und O. Klopp finden, den Vertretern einer entjchiedenen PBarteirichtung. 
Der offene Brief geht fodann auf das Zerwürfniß Wallenfteind mit dem Grafen 
Collalto ein, dag nah Hallwichs Darftellung ein anderes Ausſehen befommt, als 
wie e3 von Gindely dargelegt wird; beinahe noch beifer ift die Klarlegung des 
Verhältniſſes zwilhen Tilly und dem faiferlichen General, Welche Behutſamkeit 
in der Verwerthung gleichzeitiger Schriftftücde anzumenden tit, bezeugt die Eingabe 
Hermann Gzernind das Gut Petichel betreffend, das, wie in dem „offenen Brief“ 
nachgemiejen wird, bezahlt wurde, ebenfo wurden die BZinfen des auf dem Gute 
belaffenen Kapitals abgeführt. Endlich weift Hallwich in Bezug auf die Rechnungs: 
legung der Contributionen nah, daß eine jolche ftattgefunden habe. Es ift ſchon 
längft fein Geheimniß, daß von manden Schriftitellern die Disciplin der ligiftifchen 
Truppen im Gegenſatz zu der Zuchtloligkeit der kaiſerlichen auf tendenziöfe Weile in 
das befte Licht geitellt wird; wenn Prof. Gindely, wie e3 den Anfchein hat, in die— 
jelbe Bahn einlenkt, jo gejchieht e3 nicht etwa darum, weil er der PBarteifarbe jener 
Schriftſteller angehört, jondern jeine Boreingenommenheit gegen den kaiſerlichen Ge— 
neralen und die Sudt, in jeglichem Schritt des Friedländers Verrath zu mwittern, 
führten ihn dahin. Was die geloderte militäriiche Disciplin und das Ausſaugeſyſtem 
betrifft, da von den Armeen des großen Krieges in Freundes: und Feindesland 
ausgeübt wurde, da jollte man diejelben weder beſchönigen, noch vielleicht den Stein 
blos gegen den Friedländer erheben wollen. Würde man die mılitärische Verfaſſung 
und die finanziellen VBerhältniffe unferer Monarhie vor und während des dreißig- 
jährigen Krieges eingehend unterfuchen, danı würde man finden, daß die Zuchtloſigkeit 
der Soldatesfa ein tief eingewurzeltes Uebel war, das feine Anfänge in der Art umd 
Weife der Werbung der Söldnerregimenter, In ihrer Verpflegung, in der finanziellen 
Mijere des Staates hatte, und die grenzenlofe Verrohung der Armeen des dreißig- 
jährigen Krieges wurzelt in den endlofen Grenzkriegen mit den Türken in Ungarn. 
Zuchtlos über alles Maß waren die Armeen vor und nad) Wallenftein, zuchtlos war 
and) die jeinige; es Fonnte aber auch Fein anderes Ergebniß in Anbetracht der 
finanziellen Gebahrung erwartet werden. Die Ergebnifje der Erecutionen in Böhmen 
u. ſ. f., die in der Geſchichte faft beifpiellos find, kamen nicht dem Lande, nicht der 
militärifchen Machtftellung des Staated zugute, fie wurden in finnlofer Weile ver- 
gendet, und dennoch mußten Sölduerheere ins Leben gerufen werben, die aber fo wenig 
als möglich oder gar nicht dem Sädel der Kriegsherren zur Laft fallen, jondern die 
auf Koften der Bürger und Bauern erhalten werden follten; da mußte mit Naturnoth- 
wendigfeit, je länger der Sirieg dauerte, das Elend der bis auf das Mark ausgejaugten 
Bevölkerung ſich fteigern. Nicht die Tillys, die Wallenfteine und wie die Generale 
jener Beit heißen mögen, find in erfter Linie für den unfäglichen Sammer, den der 

1* 


Fe: 


dreißigjährige Krieg im Gefolge hatte, verantwortlich, jondern die Ferdinande und 
die anderen Kriegsherren. Hört man die herzerfchütternden Klagen der bis auf das 
Blut gequälten Bevölkerung, die uns aus zahllofen gleichzeitigen Schriftftüden ent- 
gegentönen, dann wird man nicht fo jehr über die Zuchtlofigkeit und Berrohung der 
Söldnertruppen, als über die maßlofe Geduld des menjchlichen Geichlechtes ftaunen, 
die ſolche Gräuel Jahrzehnte Hinnahm, ohne ſich aufzubäumen. Und nur noch Eines, 
Es genügt wohl nicht, den Friedländer als ruchloſen Mann und Verräther in den 
Ihwärzeften Farben zu fchildern, fondern es obliegt feinen Anklägern auch die Pflicht, 
der Beantwortung der Frage nicht ausaumeichen, ob nicht etwa die Ränke feiner 
Feinde ihn im diefe Bahn gedrängt haben, und ob e3 nicht vielleicht in deren Inter— 
effe lag, ihn zu verleumden, da fein endlicher Sturz die Ausfiht auf nene Coufis— 
. cationen eröffnete, auf welche fremde und inländische Abenteurer am Hofe und in 
der Urmee lanerten. 2. 


Dr. Rarl Schober: Heimatsfunde von Niederöfterreih. Zum Gebrauche 
an Lehrerbildungsanftalten und als Handbuch fiir Volks- und Bürger: 
ichulfehrer. Wien, Alfred Hölder. 1884. 


Zweck diefer kurzen Anzeige ift, nachträglih auf ein Buch aufmerffam zu 
machen, welches zwar zunächſt für die Lehrerſchaft des behandelten Kronlandes be— 
rechnet ift, aber auch wegen der Gründlichkeit, mit welcher der bekannte Verfaſſer 
feinen Stoff behandelt hat, darüber hinaus bejondere Beachtung verdient. Auch wird 
ed, jollte einmal ein derartiges Buch über Böhmen gefchrieben werden, ald Mufter 
herangezogen werben müſſen. — Bi3 heute ift bei und und in Nieder-Deiterreich die 
Literatur der Heimatskunde eine ganz verfchiedene, was theilweiſe freilich in den ver: 
ihiedenen Verhältniffen begründet ift. Der Verein für Landeskunde in Wien gibt 
feit mehreren Fahren eine ausgezeichnete Topographie von Nieder: Defterreich heraus, 
und oben genanntes Buch bringt eine Heimatskfunde des ganzen Landes von einen 
der gründlichften Kenner. Diefes wie jenes fehlt in Böhmen noch vollftändig. Da— 
gegen find bier, ſeitdem die Heimatskunde in den Lebrftoff der Volks- und Bürger: 
Schule aufgenommen ift, aus den Kreifen der Lehrerichaft eine ziemliche Zahl von 
Bezirkskunden hervorgegangen, andere find in Vorbereitung, jo daß bald ein beträcht- 
licher Theil des Landes ſolche aufzumeifen haben wird. Solche Bezirkäfunden gibt 
e3 in Nieberöfterreich faft feine, ihre Abfaffung wird aber nach) den bezeichneten Vor: 
arbeiten eine ungleich Teichtere fein al bei und, — Ich führe Hier noch die Worte 
des Vorwortes an, womit der Verfaffer den Zweck des Buches darlegt: „Daß ih 
dem Leſer auf dem Lande Anregung zu localen Nahforihungen und Studien geben 
will, refultirt aus meiner, wie ich glaube geredhtfertigten Auffaffung des Lehrers als 
bed berufenen Conjervatord und Sammlerd des biftorifchen Materiald in feiner 
Ortſchaft; wie viele Denkmäler des heimichen Alterthums, wie viele Spuren natio- 
naler Dichtungen, Sitten, Sagen u. a. wären noch erhalten, wenn überall ein Dann 
fih gefunden hätte, der entweder die berufenen Kreife auf Vorhandenes aufmerkam 
gemacht, oder das für die Kenntniß des Volkslebens der Vergangenheit und der 
Gegenwart Wichtige gefammelt hätte!“ H. 


Er nz 


Dr. Richard Rotter, Andreas Ritter von Wilhelm. Biographifcher 
Beitrag zur öſterr. Schul- und Staatsgeſchichte in den legten 75 Fahren. 
Wien 1884. 


Andreas Ritter von Wilhelm ift einer unferer verdienteften Gymnaſialpäda— 
gogen, Er ftammt aus dem Egerlande und zwar wurde er in Voiteröreuth am 
17. März 1801 geboren. Schon früh zeigte der Knabe bedeutende geiftige Anlagen 
und deshalb wurde im Familienrathe befchloffen, der Fleine blonde Andrea müffe 
ftubdiren, um dereinſt „Pater“ zu werden. Letzteres wünfjchte natürlich beſonders die 
Mutter Mar-Marget (Maria Margareta), freilich ging der Wunſch nicht in Erfül- 
lung, obſchon der Knabe den größten Theil der Gymnafialzeit unter geiftlicher Zucht 
verbrachte. In Eger waren am Gymnaſium bis 1815 faft ausſchließlich Mitglieder 
des 41 Jahre zuvor aufgehobenen Jeſuitenordens thätig, erft 1816 wurden infolge 
großer Mißſtände jüngere Lehrer an Stelle der Erjefuiten ernannt. Wilhelm war 
1813 an diefes Gymnafium gefommen, verließ es aber ſchon 1817, um die Studien 
am afademifhen Gymnaſium in Wien fortzujegen, wo damals ausſchließlich Piariften 
wirkten. Bald wurde er Hörer der philofophifchen Curſe, die damals und nody lange 
nachher ein Zwilchenglied zwiſchen dem fechsclaffigen Gymnafium und den eigentlichen 
Univerfitätsftudien bildeten. In diefer Zeit entichied er fih auch endgiltig für den 
Beruf eines Gymnafiallehrerd und feit 1821 widmete er ſich ausichließlih philolo- 
giichen Studien, ſoweit nicht die Sorge um das tägliche Brot feine Zeit in Anſpruch 
nahm. Sein Vater war nämlich früh geftorben und die Mutter war außer Stande, 
ausreichend für den Lebensunterhalt ihres Sohnes in Wien zu forgen, fo daß diejer 
genöthigt war, durch Privatitunden fich zu erwerben, was er brauchte. Diefe Zeit 
der Entbehrungen und Anftrengungen dauerte aber in Wien nicht lange: ſchon am 
28. Februar 1824 wurde er zum Örammatifallehrer in Neu-Sandec in alizien 
ernannt. Im Sommer diejes Jahres überfiedelte er dorthin und er vermählte fich 
bier am 9. Juli 1827 mit Fanni von König, die ihm bis zu ihrem Lebensende 
(1871) in treuer Liebe zur Seite ſtand. Das jeltenfte ungetrübte Eheglück vereinte 
dauernd die beiden Gatten. Seine „liebe Fanni” nur machte Wilhelm das Leben 
in Galizien wenn nicht ftet3 angenehm — das war bei den damaligen Zuftänden 
für einen Mann in folder Stellung nicht möglich — fo doch ftet3 erträglich, jo daß 
er eifrig in zufriedener Stimmung feinem Berufe leben konnte, Mandmal freilich 
jehnte er fi) fort, aber er mußte viele Jahre feines Lebens in diefem Lande ver: 
bleiben. Bis 1838 blieb er in Neu-Sandec, dann wirkte er bis 1847 in Tarnow, 
und zwar bier feit 1841 ſchon als „Bräfect”, erft am 22. October 1847 erhielt er 
das Decret, woburd er mit der Leitung des Troppauer Gymnaſiums betraut wurde. 
Der Deutiche war in Galizien in diefer Zeit unmöglich geworden, die Leitung des 
Zarnower Gymmafiums übernahm Euſebius Czerkawski. Wilhelm überfiedelte noch 
im October 1847 nad Troppau, und damit beginnt erft die fruchtbarfte Zeit feines 
pädagogiihen Wirkens. Wohl hatte er ſchon in den vorausgehenden Jahren nicht 
une durch feine perfünliche Thätigfeit an der einen Anftalt, fondern auch durch ein— 
zelne Aufſätze in den „öfterreihiichen Blättern für Literatur und Kunſt“ für die 
Beflerung des Gymnafialunterrichtes fich bemüht, aber erſt jegt war die Beit gefom- 
men, wo feine Wünſche in Erfüllung gehen follten. Nah den mannigfahen Gäh— 
rungen des Jahres 48 kam endlid die Reform der öüfterreichifchen Gymnaſien zu 
Staude. Mit und nad) Boni find eine ganze Neihe von Männern zur Ausarbeitung 


— — 


und Ausführung dieſer Reformen aus Deutſchlaud berufen worden, die dann meiſt 
in leitenden Stellungen ſich befanden und nicht alle der Berufung ſich würdig er— 
wieſen — Wilhelm iſt einer der wenigen Oeſterreicher, die in hervorragender Stellung 
ſich hervorragende Verdienſte um die Durchführung des „Organiſations-Entwurfes“ 
ſowohl wie um die Neugeſtaltung des Unterrichtes überhaupt erwarben. Aus dem 
„Präfecten“ des Troppauer Gymnaſiums wurde ein „Director“, und ſchon am 
28. September 1850 wurde dieſer zum Gymnaſial- und Volksſchuh-Inſpector für 
Schleſien mit dem Titel eines k. k. Schulrathbes ernannt. In dieſer in jener Zeit 
äußert fchwierigen Stellung waren nicht nur die entjprechenden Keuntniſſe, ſondern 
auch große Energie und feiner Tact erforderlich, und Wilhelm bewährte fi nad) 
jeder Richtung. Auch literariſch war er in diefer Zeit mehr thätig als früher. Die 
nenbegründete Zeitfchrift für üfterreichiiche Gynmmafien brachte bis 1862 eine Weihe 
von Auffägen aus feiner Feder, von denen Bonit urtheilte, fie ſeien fo gediegen, daß 
fie begierigft würden gelefen werden, wo immer fie ftünden. Dann betheiligte er ſich 
auch an den Arbeiten zur Herjtellung brauchbarer Schulbücher, indem er die noch 
jest an den meiſten Gymnafien gebrauchte Epitome aus Herodot herausgab. Er 
mußte aber noch einmal nah Galizien zurüd. 1855 wurde ihm die Inſpection der 
Gymnaſien im Welten diefes Landes und in Schlefien übertragen uud Krakau als 
fein Amtsfig beftimmt. Dieſe Veränderung des Wohnortes war unerwünfdht und 
unerfrenlih die Veränderung des Wirkungskreiſes, denn die galiziſchen Gymnaſien 
franften noch an ganz unglaublichen Uebeln, die nur allmählich und nur ſchwer oder auch 
gar nicht abzuftellen waren. 1860 wurde ihm endlich diefe Sorge abgenommen und 
Mähren und Sclefien zum Inſpectionsbezirke beftimmt mit dem Amtsſitze in Brünn. 
Noch 10 Fahre war er hier thätig, erjt im Sommer 1870 nad) dem 47. Amtsjahre 
trat er in den wohlverdienten Ruheſtand und überfiedelte dabei in die Hanptftadt der 
grünen Steiermark. War er jchon 1864 mit dem Nitterfreuz des Franz Joſephs— 
Ordens geſchmückt worden, fo erhielt er jet den Orden der eifernen Krone 3. Claffe 
und wurde in den Adelsſtand erhoben. -- In Graz lebte er noch bis zum vorigen 
Jahre geiftig friſch und literarifch thätig. 1880 erſchien die zweite vermehrte und ver- 
beſſerte Auflage feines Hanptwerkes: „Praftiihe Pädagogik der Mittelfchulen insbe— 
fondere der Gymnaſien“, ein Buch, in dem er die Erfahrungen feines langen Lebens 
verwerthete und das für jeden angehenden Gymnafiallehrer ein unſchätzbares Hilfs- 
mittel, ein treuer und verläßlicher Führer ift. Eine Reihe von Aufſätzen erfchienen 
noch fpäter in den von Friedrid Mann herausgegebenen Blättern für erziehenden 
Unterriht. Es ift ſehr zu wünjchen, daß diefe „Heineren Schriften” des erfahrenen 
Pädagogen einmal gefammelt werden, um fie den Fachmännern allgemein zugänglich 
zu machen: fie würden gewiß wie die wirklich „praftifche” Pädagogif Wilhelms vielen 
Nuten bringen. 

Bedeutende: nod als diefe Titerarifchen Leiftungen war freilich das perſön— 
liche Wirken des waderen Mannes al3 Inſpector. Er war ein edler, dharaktervoller 
Mann. Menichlih fühlend trat er deu Untergebenen entgegen. Wenn er beftrebt war, 
die Irrenden auf den rechten Weg zu weilen, jo war er fi) doc ftet3 auch bewußt, 
daß Irren menschlich ift, oder nach einem derberen Ausdrud, daß „jeder Menfch ein 
paar Narrenichuhe zerreißt, zerreißt er nicht mehr”. Seine Gattin hielt ihm wohl 
einmal bei trüber Stimmung ob der vorgefallenen Ungehörigfeiten den Spruch ent- 
gegen: „Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der fafle fi) begraben” — 
und das wandte er auch auf fih an. Er wußte, daß er troß feiner Erfahrungen 


en Mi 


auch irren könne und ließ deshalb aud) fremde Meinungen gelten und fremde Eigen- 
thümlichfeiten beftehen, wo e3 möglich war und zum guten Ziele führte. Aber uner- 
bittlich ftreng war er der Lauheit und böjem Willen gegenüber. Und dann — er 
war nach oben ebenfo feft in jeinen Anfichten wie nad) unten. Kein Wunder, wenn 
alle feine Untergebenen mit LXicbe ihm anhingen. Als er aus dem Amte fchied, 
herrichte überall Trauer. Seine legte Maturitätsprüfungsreife glich faft einem Tri- 
umpbzuge, denn überall wurde er gefeiert, in Olmütz wurde ihm ein großartiger 
Fackelzug gebracht, die Stadt Troppau verlieh ihm das Ehrenbürgerrecht n. f. w. 
Hatten ihn doch jelbft die Polen ungern fcheiden fehen, troßdem er ein Deutfcher war. 
Das war er bis zum legten Athemzug. Nie jelbft politifch thätig, verfolgte er mit 
Intereſſe alle Wandlungen in unjerem Vaterlande, bis zulest war fein wie aller „Alt= 
Defterreicher” Ideal ein dentiches einheitliche3 Defterreih, und er verzweifelte feinen 
Augenblid an der Zukunft Oeſterreichs. 

Nur dieje Hauptdaten aus dem Leben unſeres trefflihen Laudsmannes jollten 
auch in diefen Blättern verzeichnet jein. Die umfangreiche Biographie Wilhelms von 
feinem jüngeren Freunde Notter ift ſchon vor 3 Fahren — noch zu Lebzeiten Wil: 
helms — erichienen. Feder der fi für die Geichichte des Schulweſens Defterreichd 
in unferem Jahrhundert intereffirt, möge das Buch ferbft zur Hand nehmen. Er 
wird dort nicht bloß ausführlichen Bericht über die Thätigkeit Wilhelms, fondern 
aud, wie es der Titel veripricht, manchen Beitrag zur öfterreichifchen Schul» und 
Staatsgefhichte in den legten 75 Jahren überhaupt finden. T. R. 


1. Dr. Ludwig Schleſinger. Die Nationalitäts-Verhältniſſe Böhmens. 
Stuttgart. Verlag von J. Engelhorn. 1886. (Forſchungen zur deutjchen 
Zandes- und Volkskunde im Auftrage der Centralcommiffion für wiſſen— 
Ihaftliche Landeskunde von Deutjchland zc. 2. Band. Heft 1.) 


2. Dr. Eduard Herbft. Das deutſche Spradigebiet in Böhmen. Prag: 
Leipzig 1837. Tempsky, Freytag. 


Diefe beiden höchſt werthvollen Schriften zweier allgemein befannter Gelehrter 
und Parlamentarier zeigen Mar, wie intenfiv die Deutichen das Bebürfniß fühlen, 
Umſchau zu halten, wie es fich mit ihren Landsleuten bezüglich de3 Wohnortes umd 
fämmtlicher anderer Verhältniffe, die damit zufammenbängen, im KRronlande Böhmen 
verhält. Beide Schriften mit voller Klarheit und eindringendem Blid in die Bebürf- 
niffe des deutichen Volkes in Böhmen abgefaßt, haben beſtimmte Zwede im Auge, bie 
durch die Zeitverhältnifje gegeben find, Schlefingerd knappe aber dabei außerordentlich 
reichhaltige, Scharf in den Umriſſen hervortretende Arbeit bietet eine hochintereſſante 
Lectüre, die derlei Arbeiten feineswegs für den Laien ſonſt erwarten laflen. Aber der 
weite Blid, die durchaus maßvolle und ruhige Anſchauung, die den Randesgenoffen der 
anderen Nationalität gerecht wird, der Hinweis auf die herrichenden Irrthümer bei 
der Betrachtung von Nationalitätsverhältnifen, die Ableitung richtiger Sätze aus den 
Har bingeftellten Prämiffen, machen dieſes Heft zu einer ebeufo Tehrreichen als ange: 
nehmen Lectüre, Nr. 1 behandelt die Zahl der Bevölkerung und conftatirt Schlefinger 
gleich den ethnographiihen Irrthum, als gebe es im Land ein großed Territorium, 


EUR 


innerhalb deffen Deutſche und Tichechen untereinander gemiſcht gelagert wären. „Im 
Segentheil, die Spracdhgrenze läßt fi) durch das ganze Land mit fcharfer Genanigfeit 
ziehen, und es kann zwar neben ben beiden großen, rein nationalen Gebieten noch 
von einzelnen Sprachzungen, Spradinfeln und gemiſchten Ortichaften, jedoch nicht 
von einer gemifchten Zone die Rede fein. Der Verf. befpricht ferner das Eindringen 
tihedhifcher Bevölkerung in das deutihe Spracgebiet. Es wird alles auf feine na= - 
türlichen Urſachen zurüdgeführt und dies in fo anfchaulicher unbeftrittener Weiſe, daß 

faum mehr eine Erſcheinung fraglidy werben dürfte, Nr. 2 beichäftigt fi mit den 
Gerichtöbezirken, und Nr. 3 verfolgt die Spracdhgrenze. Daun werden die Sprad)- 
infeln behandelt. So erhält der Leſer überfichtlich auf 27 Seiten einen reihen Schatz 
vollgiltiger Bemerkungen, die fi) durch die präcife Form der Darftellung wie von 
felbft dem Gedächtniß einprägen. Dem hochgeachteten Hiftorifer jei hiermit der Dank 
aller derer ausgeſprochen, die durch diefe Schrift gelernt haben. Auch die Schrift 
Sr. Exc. des Hru. Dr. Herbit conftatirt, daß über die nationalen und ſprachlichen Ver— 
hältniffe in Böhmen bis auf die jüngfte Zeit herab vielfach irrige Meinungen ver- 
breitet waren, auch diefe Schrift conftatirt gleich von vornherein das geichloffene deutfche 
Spradgebiet. Die Schrift ſucht die Unterabtheilungen naturgemäß zu gliedern und 
legt enticheidendes Gewicht auf die Verhältniffe der Gerichtöbezirfe und der Gemeinde. 
Sie fordert die jegige Majorität des böhmischen Landtages auf, fich nicht der Ueber— 
zeugung zu verichließen, daß für das friedliche Nebeneinanderleben beider Volksſtämme 
von höchſter Wichtigkeit fei, daß die mit den Bertretungsbezirken zufammenfallenden 
Gerichtsbezirke joweit nur immer möglich national geftaltet feien. Der erfte Abjchnitt 
weift nun den Umfang des deutichen Spracdhgebietes im Norden Böhmens im Ein: 
zelnen nad, der zweite Abjchnitt thut dies für das deutiche Sprachgebiet im meftlichen, 
der dritte und vierte Abſchnitt für das füdliche und öftliche Böhmen, Das Schlußwort 
faßt die Refultate zufammen und gipfelt in dem Sat: So ergibt ſich denn aus Allem, 
was angeführt wurde, daß in Böhmen eine Abgrenzung der Bezirke und eine Orga- 
nifation der Behörden für Rechtspflege und Verwaltung, welche den Nationalitäts- 
und ſprachlichen Berhältniffen entiprechen, ohne Schwierigkeit und ohne irgendwie 
erhebliche Roften zu verurfachen, durchgeführt werden fünnen. —rT. 


Städre-Wappen des Königreihes Böhmen, Eine Sammlung von 96 
Wappen der bedeutenderen Städte und Ortichaften nebjt Landeswappen 
und Landesfarben. Fünf Blätter in Farbendruck. Wien, U. Schroll & 
Comp. Kunjt:Berlag. (Ohne Yahr, Preis fl. 4.50 Er.) 


Keinerlei Vorwort oder Einleitung gibt dem Benützer diefer 5 Wappentafeln 
Auskunft über die fi ihm aufdrängenden Fragen, ja nicht einmal das Titelblatt 
verräth die Namen de3 oder der Herausgeber und der Zeichner, Nur ein eingelegter 
metallographirter Zettel verfündet, daß das Werk „wichtig für alle öffentlichen Aemter, 
Bibliotheken, Kalligraphen, Gravenre, Decvratenre, Bildhauer ꝛc.“ iſt. — Wie ſchon 
aus der im Titel angegebenen Zahl der abgebildeten Wappen erſichtlich ift, wird und 
hier nur eine Auswahl geboten, die ficherlih mit Schwierigkeiten verbunden war, 
mit der aber gewiß nicht Feder einverftanden fein wird. Abgebildet erfcheinen nur 
die Wappenfchilde felbft; mit Bedauern vermiffen wir die Kleinode, Schildhalter 


— 


—— 


und anderes Beiwerk, an die ſich zumeiſt die Erinnerung an für die betreffende Stadt 
bedentſame Ereigniſſe knüpft. Die Zeichnung iſt im Ganzen eine recht gefällige, 
läßt aber in der Ausführung der charakteriſtiſchen Wappenbilder den dieſen eigen— 
thümlichen heraldiſchen Stil vermiſſen, gefällt ſich vielmehr häufig in naturaliſtiſcher 
Darſtellung. Doch das ſind Mängel, die nicht ſo ſehr ins Gewicht fallen; die Haupt— 
ſache bleibt, daß die einzelnen Wappenbilder richtig ſind. Um uns hierüber ein 
Urtheil zu bilden, konnten wir allerdings nicht alle 96 Wappen einer Prüfung unter— 
ziehen, haben aber doch eine größere Anzahl mit Original-Siegeln und mit in Pri- 
vilegien enthaltenen Wappenbeichreibungen verglichen und heben aus den dabei ge- 
madhten Wahrnehmungen nur Nachitehendes hervor. Auf einem Siegel der Stadt 
Bilin haben wir den in der Abbildung ericheinenden mittleren niedrigen Thurm 
nicht gefunden, und der zwiſchen den zwei Thürmen jchwebende gefpaltene Schild 
zeigt auf dem Siegel einen Querbalten in der (berald.) rechten Hälfte, während dieſe 
in ber Abbildung in ein rothes und weißes Feld quer getheilt ift. Zu dem Wappen 
der Stadt Budweis bemerken wir, daß die drei Thürme gleich body, die beiden 
äußeren über Ed geftellt, jeder von diefen fowie der mittlere mit je zwei Slanonen 
armirt und mit gleichgeftalteten blauen Dächern bededt fein ſollen. Das „dreihüblichte 
Berglein“ am Fuße der Stadtmauer foll blau und nicht grün fein, und die auf 
demjelben vorkommenden „Berghanerhämmer” follen in ihrer natürlichen Farbe, der 
Halbmond aber — welcher auf den Silberbergbau fich bezieht — weiß ober filbern 
ericheinen. Der auf dem Berglein ftehende Engel trägt auf dem Kopfe nicht ein 
Kreuz, jondern einen grünen Lorbeerkranz und nebſt dem Schwert in der Rechten 
mit beiden Händen gerade vor ſich das böhmische Landeswappen. Für das Woppen 
von Dauba haben wir augenblidlich nicht die nöthigen Behelfe zur Hand, bemerken 
daher nur, daß das vorliegende Werk als ſolches eine goldene Lilte im rothen Felde 
gibt, während in den „Mitth. d. nordb. Excurſions-Clubs IX. ©. 273 drei Eicheln 
als Wappenfigur von Dauba bezeichnet werden. Auf Siegeln von Graslig haben 
wir den Buchſtaben G ftet3 gekrönt gefunden, wogegen wir auf feinem der Siegel 
der Stabt Jaromet den böhmischen Löwen von einer Dornenkrone umfchloffen ges 
jehen. Auf den uns zu Gefichte gekommenen Siegeln der Stadt Kaaden haben 
wir ftet3 drei Thürme auf der Stadtmauer angetroffen, auf der vorliegenden Abbil- 
dung nimmt jedody die Stelle de3 mittleren höchften Thurmes ein Spangenhelm mit 
einem Flug ein. Im Wappen der Stadt Komotau zeigt die Abbildung im Thor 
der Stadtmauer das fchräg geftellte Böhmische Wappen und eine Krone darüber, 
während auf Originalfiegeln diefer Stadt das ungefrönte Landeswappen in verticaler 
Stellung im Thor, die Krone aber oberhalb der Stadtmauer zwiichen den beiden 
Thürmen erfcheint. Beim Wappen der Stadt Ruttenberg ericheint in dem vor— 
liegenden Werke der ganze Schildgrund roth, während derjelbe längs getheilt und 
zwar die rechte Hälfte gelb oder golden, die linke roth fein joll; andere De— 
tail3 übergehend, bemerken wir nur noch, daß der dreihügelige Berg unter den das 
öfterreichifche Wappen haltenden Adler und Löwe in der vorliegenden Abbildung grüne 
Tinktur zeigt, richtig jedody filbern zu machen war, Auf Siegeln von Moldau- 
tein haben wir das Thor in der Stadtmauer nicht geichloffen, jondern offen und 
nit einem Yalgitter in ber oberen Hälfte gefunden. Bei dem Wappen der Stadt 
Pilgram fehlt in dem offenen Thor das Fallgitter, in der Stadtmauer und den 
Binnen fehlen die Schießfharten, die Zinnen follen mit rother Eindeckung verjehen, 
der Pilger in der Thoröffnung mit einem ſchwarzen mit Mufcheln beſetzten Mantel 


— —— 


bekleidet ſein ꝛꝛ. In dem Wappenbrief des Königs Wladiſſlaus IT. vom 24. Decem— 
ber 1478 für Policka (Pam. arch. XIT., 464) leſen wir, daß die linke Hälfte des 
Schildes einen gekrönten rothen halben Adler mit goldenen Krallen im gelben 
Felde enthält, während in der Abbildung der Adler ſchwarz und mit rothen Krallen 
ericheint. Dem Wappenbrief für Taus vom 4. Auguft 1481 zufolge fteht die Stadt: 
maner auf (in der Abbildung fehlenden) grünem Nafen, die beiden Thürme haben 
nur je ein Fenfter und der zwilchen den Thürmen ftehende Engel hat goldene 
(nicht filberne) Flügel, ift mit weißem Gewand und goldener Stola bekleidet und hält 
in der Rechten ein entblößtes Schwert, das in feiner natürlichen Farbe wiederzugeben 
jein wird, da das Privilegium feine beſondere Tinktur für dasfelbe vorfchreibt, in 
dem vorliegenden Werke erjcheint es jedoch golden. — Es würde uns bier zu weit 
führen und den uns zugemeffenen Raum allzufehr überjchreiten, wollten wir die 
Einzelprüfung noch weiter fortfegen, glauben aber, daß das Beigebradhte genügt, um 
es zu rechtfertigen, wenn wir die Meinung ausfprechen, daß die vorliegende Publi- 
catton die Erwartungen, welche das befannte Wappenwerk Widimsky's uubefriedigt 
gelaſſen hat, nicht erfüllt, K.K. 





Ignaz Peters. Hans Buſteters ernftliher Bericht, Abdrud der einzigen 
Ausgabe (1532). Mit einem Wörterverzeichniife von Anton Birlinger. 
Bonn, Emil Streuß, 1887. 66 Seiten. 


Worüber diefer „ernftliche Bericht“ handelt, erhellt aus dem vollen Zitel des 
höchſt intereffanten Büchleins; er lautet: „Ernftlicher Bericht, wie fih ain frumme 
Oberkayt Vor, In, und Nach, den gefärlichiten Kriegsnöten, mit kluͤgem vortayl, zu 
ungezwenfletem Sig, loblichen vben, vnd halten fol, an ain Fürnämen, Erjamen vnd 
Wyſen, Burgermapfter, und Radt, des Hayligen Rychs Stat Augfpurg, durch Hanſen 
Bufteter, vß Ritterlichen gichichten befchriben.” Ein biederer Kriegsmann, deſſen 
Name vielleicht auf das würtembergische Bauftetten als Heimat feiner Familie hin— 
weilen fünnte, von deſſen Leben und Wirken aber bis jetzt nichts Näheres bekannt 
ift, hat fein Schriften dem Nath der Stadt Augsburg gewidmet und darin alle 
jeine Kriegserfahrung niedergelegt, eine Erfahrung, die fich fpäter ein anderer Kriegs— 
mann und Schriftiteller, Leonhard Fronfperger, auf nicht ganz ehrliche Art zu Nutze 
gemacht hat. Nad) einer längeren Widmung an den Rath der Stadt Augsburg folgt 
das „Regifter diß Büchleins“ mit dem Endſpruch: 

liebt uch der Teütſchen Glüd, und Er 
Waͤgt, Wagt, Bitedt, Nicht, om dije leer. 

Der „Bericht“ felbft zerfäll: in eine Reihe von Capiteln mit entiprechenden 
Ueberjchriften, wie 3. B. Vom Heerfüren, Amptlüt, Gemainer Huff vnd mufterung, 
Befoldung, Vbung der ritterfchafft, Vnderſchayd des Heerd, Bon aygnem land, vnd 
veftinen, Bon Ture vnd mangel, Waffer gepräft, Vßfal, Anjchlag, Entihüttung (Ent- 
fat), Trewloß düd, Vßraytzung fyns vinde, Vom Sturm, Bon den Spähern, Ber: 
rättern und veltflüchtigen, Von gehaymmuß und ftiliglayt der zungenn u. |. w. 
Dieſe Capitel find fehr intereffant und machen und oft, namentlich wenn wir einen 
Vergleich anftellen mit der heutigen Art der Kriegsführung, über die darin herrichende 
Naivetät lachen. Aber ftet3 tritt und der biedere Sinn des Kriegsmanus entgegen, 


— 1 — 


jeine Gottesfurcht, feine Belefenheit in der Bibel und Geichichte, ſein Deutſchthum, 
das er ftolz zum Ausdrud bringt: „Söllher fterde art zaigenn vns die Hiftorien 
ibm Bapirio Eurjore, der mit geſchwindthayt jeiner finn vnnd lybs, fin zunamen 
erkriegt, als die mit für fich ſelbs vbermätig, ſunder allein für die grechtigkayt jrs 
Vatterlands, biß in den letjchten fünfften, groſſhertzig ift bewijen, nit allein jm 
Moyie, Joſua, vnd anderen Sfrahelifchen fürften, junder jhn den Hayden, Horatio 
Coclite, Eurtio, Murco, Sceua, Camillo, Fabritio, Regulo, Detio, Scipione, En. 
Pompeio, vnd jn Codro der Athener künig, färträffenlihen jm Arminio, dem lob 
aller tutjchen, welcher mit genenten tugenden alle Erempel der gantzen weldt, jn ber 
warhayt zu befennen, wyt ubertroffen, die Römischen beherjcher der ganten welt, alſo 
oft geichlagen, biß er fie, mit Hainem „hüflin, uß allem tmtichen land getriben” uſw. 
(S.4 f.) — So jehr und aber auch die Darftellung des braven Bufteter feffeln mag, 
fo liegt do der Hauptwertb der neuen ichönen Ausgabe des Büchleins in der aus 
ihm zu gewinnenden reichen lexikaliſchen Ausbeute und in feiner fprachlichen Form: 
e3 ift im alemannifchen Dialelt gefchrieben und fteht an der Grenze der altdentjchen 
und neuhochdeutſchen Zeit. Profeffor Peters hat für jeinen Nahdrud zwei Exem— 
plare des alten Drudes benußt: das eine aus der Bibliothek des öſterreichiſchen 
f, k. Infanterievegimented Prinz Georg von Sachen in Pifef, das andere aus der 
föniglihen öffentlichen Bibliothek zu Dresden. Sehr dankenswerth ift das vortreffliche 
mit fänmtlichen Belegftellen verjehene Wörterverzeichniß, welches Prof. Birlinger, ein 
gründlicher Kenner des Alemannifchen, verfaßt hat: aber auch Prof. Peterd hat eine 
ganze Reihe treffliher Anmerkungen Hinzugefügt. Zum Schluß finden wir aud) nod) 
die Tertveränderungen gewiffenhaft verzeichnet, die Fronſperger in feinen beiden 
Schriften „Kriegsbuh“ und „Bon Kriegs-Regiment und Ordnung” vorgenommen hat. 
So hat der Herausgeber alles gethan um den Genuß des hochintereffanten Büchlein 
zu einem vollftändigen zu machen, und wir ftimmen mit ganzem Herzen in feinen 
Wunſch ein, es möge des ehrlichen Bufteter „Exrnftlicher Bericht“ nad) 355 Jahren 
wieder zu feiner wohlverbdienten Würdigung gelangen. Hruschka. 


Heimatskunde des politiihen Bezirkes Leitmeritz. Ein Beitrag zur 
Kenntniß desjelben. Nedigirt von J. Haudek. Herausgegeben vom 
Zeitmeriger Lehrerverein. 1887. Im Selbtverlag des Vereines. 


Tutte I. und Htojef A.: Der Bezirf Loboſitz in feinen fiſikaliſchen, 


topographifchen und hiſtoriſchen Verhältniſſen. Für Schule und Haus. 
Prag 1876. Im Selbjtverlage der Verfaſſer. 


Das zweite, Schon vor ziemlich langer Zeit erichienene, in dieſen Mitth. aber 
noch nicht angezeigte Buch führe ich hier an, weil es dem Stoffe nach mit dem erften 
ſich theilweife dedt, ebenjo wie die Heimatskunde des Aufchaer Bezirkes, welche feiner: 
zeit hier befprochen wurde (Literar. Beil. zum 23. Bde, ©. 40). Nah dem Titel: 
„Heimatskunde des politiihen Bezirkes Leitmeris” könnte man ſogar fchließen, als 
ob jene beiden Bezirkskunden dadurch vollftändig erjegt würden. Doc behandelt nur 
der allgemeine Theil die ganze Bezirkshauptmannſchaft, der topographiſche beſchränkt 
fih auf den Gerichtsbezirk Leitmeritz. 


Die Bezirkskunde von Loboſitz war eine der erften, die in Böhmen erjchienen, 
und mit Rückſicht darauf kann man gewiſſen Abichnitten derfelben Anerkennung 
zollen. Der hiſtoriſche Theil freilich läßt vieles zu wünſchen übrig. Eine Geſchichte 
des ganzen Bezirkes fehlt vollftändig, und fonft ift meift nur dort, wo Burgruinen 
genannt werden, ein Auszug aus Hebers Werk eingefügt. Bloß die Geichichte von 
Lobofig ift eingehender behandelt; die ziemlich bunten Notizen über die Kapler von 
Sulewiß dagegen entjprechen dem Zwede de3 Buches gar nicht. 

Damit verglichen bezeichnet die Heimatskunde des politischen Bezirkes Leitmeritz 
einen bedeutenden Fortichritt. Freilich wird man jet auch ftrengere Anfordernmgen 
ftellen müfjen, da diefelbe bereit3 einige recht gute Vorbilder hatte. Trotzdem kann 
man unbedenklich jagen, daß die Leiftung eine fehr tüchtige ift; die Mängel finden 
faft alle ihre Erklärung in den Schwierigkeiten, mit welchen der Redacteur und feine 
Mitarbeiter zu kämpfen hatten. — So follen auch die nachfolgenden Ausſtellungen 
diefes Lob nicht einfchränfen, jondern nur einige Punkte bezeichnen, wo die beſſernde 
Hand wird einzugreifen haben. 

Bei der Beichreibung der Bodengeftalt vermißt man ungern Angaben über die 
geognoftifchen Berhältniffe. Es wird nur nebenbei erwähnt, daß die Gebirge aus 
Bafalt und Klingftein beftehen; über die Verbreitung des Plänerfalfes, das Auftreten 
des Quaderjandfteines an verfchiedenen Orten u. dgl. ift nichts gejagt, und doc) 
wäre dies in mehrfacher Hinficht wichtig geweſen. — Der Abſchnitt über „allerlei 
Sitten, Gebräudhe und Aberglauben“ wird gewiß fpäter mehr ausgeführt werden 
fünnen; denn bier find ja gerade die Lehrer fo leicht imftande, Material zuſammen 
zu tragen und vor dem Vergeſſen zu bewahren — Da im Bezirke zwei Nationen 
jid) berühren, erwartet man genaue Auskunft über ihre Vertheilung, ohue diejelbe 
jedoch zu erhalten. 

Was bier vor allem der Beiprehung unterzogen werden muß, iſt der geichicht- 
lihe Theil. In diefer Hinfiht muß ich gebührend betonen, daß der Verfafler des 
„Seichichtsbildes“ mit dem größten Fleiß aus den wenigen allgemein zugänglichen 
Hılfamitteln alles gefammelt hat, was da über den Bezirk zu finden war. Freilich 
genügen oft alle diefe Nachrichten nicht, um ein richtiges Bild von einer beitimmten 
Zeit zu geben, und wenn man die Angaben der Vorgänger nicht nad) ben Quellen 
controliren fan, muß man häufig audy ihre Fehler mit herübernehmen. Zum Bes 
weile für diefes will ich auf einige Punkte hinweiſen. — Die Panna hat nie dem 
deutjchen Orden gehört, und aud auf dem Kelch hat derjelbe wohl feine Burg gehabt 
(S. 142). Wilhelm von Ilburg war fein Wiefowig; auch gehören jeine Räubereien 
vom Kelch aus in eine viel frühere Zeit als die Beichwerden des Kurfürften Ernft 
von Sachſen (S. 62). Groß-Tſchernoſek hat niemals dem Kloſter Altzelle, Yewin nicht 
den Maltejeru gehört (S. 50 und 56). Was zun Beweiſe angeführt wird, daß der 
Adel im 14, Jahrh. feine Burgen nicht bewohnte (S. 54), trifft nicht zu; denn die 
Kapler von Sulewis bejaßen damals den Kofchtial noch nicht, der Schredenftein 
gehörte den Wchinsky nur 3-4 Jahre, und die Ritter von Kamaik wohnten auf 
diefer Burg, fo lange fie ihr Egenthbum war. — Der Name Welhotta beweift nicht 
die Anfiedlung von Dentſchen, fondern nur eine Dorfgründung nad deut: 
ihem Recht (S. 58). — Wenn ©. 61 die Leibeigenſchaft ald unmittelbare Folge der 
Huſitenkriege hingeftellt und ©. 63 gejagt wird, daß fih unter K. Georg und Wla- 
dillaw I. das Landvolf und die Städte wieder erholten, jo entjpricht das nicht ganz 
der geſchichtlichen Entmwidelung; denn gerade unter K. Wladiſſaw wurden jene Gefete 


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geſchaffen, welche den Bauern die letzte Freiheit nahmen, gerade damals geſchahen 
die größten Eingriffe des Adels in die Rechte der Städte. — Den Aufſtand in 
Ploſchkowitz unter Anführung des Dalibor von Kozojed kann man doch nicht als 
eine Veranlaſſung zur Einführung der „Landfrieden“ hinſtellen, nachdem dieſe über 
60 Jahre früher auftauchen (S. 62). — Schon bald nach 1517 von der Ausbreitung 
des Proteſtantismus im Leitmeriger Bezirke zu Iprechen ift nicht begründet, und be— 
ſonders können da nicht Wilhelm Kinsky, der erft 1619 Herr von Zahorſchan wurde, 
und noch weniger „Derren von Duba auf Konojed“ angeführt werden, da e3 ſolche 
bis auf den 30jährigen Krieg nicht gab (©. 64). 

Sm topographifchen Theile feblen gejchichtliche Nachrichten bei manchen Orten, 
wo nicht gerade Mangel an Stoff gewefen wäre. Man wird das indes jenen 
Lehrern, deren Aufgabe es gewejen wäre, nicht gar zu übel nehmen dürfen. Gewiß 
füllt eine nene Auflage, die hoffentlich bald nothwendig wird, ſolche Lüden aus. 

: W. Hieke, 


Aabermann, Dr. Gg.: Aus dem VBolfsleben des Cgerlandes, Eger 
1886. Berlag von Kobrtſch und Gſchihay. 


Keine fenilletoniftiihe Schilderung eines fußſchnellen Touriften, wie fie ftoff- 
gierig die Welt durchziehen, um nad kurzem Hinriechen jchon den und jenen Ort, 
diejen oder einen anderen Volksſtamm in einem „Eſſay“ zu verarbeiten — nein, der 
Verfaffer ift jelbft geborenes Landkind und hat fern Leben — die Hochſchule ausge— 
nommen — bier inmitten feines Volkes und feiner Dorfverwandten verbradht und 
gemäß feiner Bildung und Fähigfeit anch ſtudiren können. Die fehr jeltenen Züge, 
wo Gubjectivität das Urtheil verfhönt, wird man weder ihm noch uns Anderen je 
aus der Seele reißen; wir wären ſchlechte Egerländer, wenn und nicht in Heimats— 
liebe das Herz bie und da ein wenig weiter aufginge. Im Ganzen und Großen läßt 
der Verfaffer ja überhaupt mehr das Thatlächliche reden, als feine Worte Betrad- 
tungen anftellen. Es find alfo die Verhältniffe in vollfter Naturtreue aufgezäßlt, 
nebeneinander geftellt und verglichen. In diefer Hinficht faßt das Bud mit Glüd 
alles das zufammen, was der Verfaffer in abgerundeten Einzelauffägen theilweiſe 
ihon früher veröffentlichte. So füllt das Buch Habermann — e3 ift das Feine 
Phrafe — eine wirkliche Lüde aus, denn troß der glüdlicherweife jo zahlreichen 
Arbeiten über das Egerland und deflen Bewohner war doch hie und da ein Mangel 
merkbar, der durch das jeßt gegebene Bud) bejeitigt ift. Habermann lieferte damit 
eine vollftändige und treffliche „Geſammtkunde des Egerländers.“ Keine Seite, die 
noch irgendwie wichtig ift, wurde da überjehen; bie einzelnen Capitel beiprechen in 
ausgezeichneter und einzelrichtiger Weile „die Volkstracht“ (S. 10—20), „Bauernhof 
und Bauernhaus” (S. 21-32) ſammt „Taglöhnerhaus“ (S. 33 -39), die bäuerliche 
„Arbeit und Erholung”, „das Weib vont Lande“, zwei Stüde, in denen Habermann, 
auf volkswirthſchaftlichem Gebiete ja fonft auch ſchon befannt, gründliche fociale 
Forſchungen niederlegte. Ein Haupttheil des Buches gehört den „Sitten und Ge— 
bräuchen“ (©. 56-88), welche erjchöpfend behandelt find. Nach einer focialpolitifchen 
Diverfion über „Verein und Gemeinde“, die jedoch immer auf. das Egerländerthum 
den Hauptgedanfen legt, folgt zum Schluffe eine allgemeine Skizze über „Dialect 
und Volkspoeſie“ (S. 101 fg.), an welche fih eine Anzahl ausgewählter Egerländer 


in HA Sa 


Poeſien anreiht, acht der fchönften und jpecifiich egerländifchen mit Notentert. Zahl- 
reihe Jlluftrationen, Typen der Volkstracht, Grunbriffe des Bauernhofes und feiner 
Theile zieren durch jehr hübſche und in ihrer Treue überwachte Ausführung das 
Bud, welches troß feiner Gründlichkeit in gefhmadvoller, aud) dem weiteften Publicum 
verftändlicher Schreibweile abgefaßt iſt. Möchte das Chrenopfer, daS Habermann mit 
diefem Buche feiner engeren Heimat darbringt, feine Landsleute zur Erhaltung ihrer 
volldeutichen Eigenthümlichkeit mit aufmuntern. - Die Ausftattung des Buches ift 
eine tadellofe. H. Gradl. 


Rrauß, Hans IT. und Dümml, ©. 1.: „Eghalandriſch's. Schwank w 
Schnaugn.“ Eger 1837. Verlag von A. E. Wie. 


Nicht ſobald ift jeit Dr. Lorenz's Arbeiten in Egerländer Mundart die Eigenart 
unferes Ländchens in Sprache und Lebensgemwohnheiten naturgetrener wiedergegeben 
worden, als in dem vorliegenden Büchlein. Dasjelbe vermeidet zu feinem Glüde jede 
Einzwängung oder Beſchränkung der Mundart in Negeln jchriftdeutichen Satzbaues, 
jede Berfümmerung des Lautausdrudes, wie fie in manchen Fällen bei Anderen, 
bejonderd vom Neime erzwungen jheint; die in dem fchmalen Heftchen niedergelegten 
Arbeiten zweier Söhne des Volkes treffen, kurz gefagt, in Allem und Jedem den 
Bolkston und den Volkslaut. In Hinficht des erfteren liefert dad Büchlein Föftliche 
Züge aus oder zu dem Leben unferer Landleute, mindeftensd Furzvergangener Zeit. 
Dümml's „Tholabana” (Thalerbaner) und Krauß’ „Ba jeln, dea hänkn ganga r is“ 
(Bon jenem, der fid aufhängen ging) find troß ihrer jelbftverftändlichen Erfindung 
jeden Augenblit möglich, weil Charakfteranlage und Berhältniffe eben lebenswahr, 
echt bäuerlich find. Eines Egerländers ganzes Werden und Herauswachſen, den ge: 
ſammten Lebensgang eines Dorflindes unferer Heimat bietet Krauß’ derbhumoriſtiſches 
„da Diat: Hanricy” (der Hirt-Heinrich), ein abgefchloffenes Bildchen, das ich fiir das 
Befte unter Guten halten möchte; das find feine unmöglichen Gefühlsregungen, Die 
gefchildert werden, feine voin Bauer nie gehörten Worte, die den „Helden“ jonft in 
den Mund gelegt werden, feine Salou-Egerländer oder poetifchen Verhältniſſe, nein, 
das lebt, jpricht und handelt jo und wird auf dem Lande draußen jo behandelt, wie 
es darin fteht. Inhaltlich Frifcht Einen das Büchlein auf, wie Waldduft und Feld- 
ichollengerudy nach den Lüften über parguettirtem oder betonirtenm Boden. Soll id, 
es eigens noch empfehlen? Aber auch die ſchwierige formelle Darftellung ift vorzüglich 
gelungen, Ueber die gewählte Echreibweife darf ich nicht reden, da fie die von mir- 
eingeführte and empfohlene ift. Aber die Lantdarftellung in ihr mag ich beiprechen. 
Diefelbe ift über Verwundern gut ausgefallen, denn, wenn eine Mundart in diefer 
Richtung Schwierigkeiten bietet, ift es die unjere, Drudfehler find verhältnigmäßig 
faft gar nicht zu finden; ich merfe nur an: Angha ftatt Anga, Saifza ftatt Seufza 
(17), jo ftatt ja (18), Maanads ftatt Maanat3 (20) — fol man in Schriftdeutich eine 
54 Drudfeiten lange Arbeit mit jo wenig Fehlern herftellen. Diefe Genauigkeit be— 
rührt Forſcher wie Lefer um jo angenehmer, ald man nachmal (jelbft in dieſer Ztichr. 
erging es bereits „Volfsliedern” jo) ein Egerländifch gegeben findet, über das wir 
Kenner, weil jelbjt Volksſöhne, merkwürdig die Köpfe ſchütteln. — Hoffentlich fehen 
Berfaffer und ftreblamer Verleger ihre Mühe und Arbeit wenigftens jo weit bezahlt, 
daß ihnen nicht zu Weiterem die Luft genommen wird. H. Gradl. 


ar. IE, 


Hermann Ras: Klutſchal's Führer durch Prag und Umgebung. Neu 
bearbeitet und ergänzt. 13. Auflage. Brag, U. Haaſe 1887. 


Der bewährte Klutſchak'ſche Führer durch Prag und Umgebung erfcheint hier 
in der 13. Auflage, neu bearbeitet und ergänzt von Hermann Katz. Ein neuer 
Situationsplarn von Prag und Umgebung, eine Anficht des Hradſchin, eine Abbildung 
des neuen deutſchen Theaters, des ccchiichen Nationaltheaterd und des Concertfaales 
im Rudolphinum ſchmücken das Buch. Es find nahezu fünfzig Jahre, daß die erfte 
Auflage erſchienen ift. Die Gliederung des Stoffes ift eine erfchöpfende, Eine aus— 
reichende Ueberſicht der Gedichte Prags führt in das Buch ein, danır folgen „ſtati— 
ftiiche Angaben. Die Capitel: Verkehrs- und Beförderungsmittel, Unterkunft und 
Unterhalt, Vergnügungs- und Bildungsanftalten find reichhaltig, genau und zutreffend 
gearbeitet. Das Capitel „zur allgemeinen Orientirung“ und das „alphabetifche Ver: 
zeichniß“ der vorzüglichften Sehenswürdigfeiten fchließt das Buch. Als Beilage er: 
Icheint eine Erläuterung de3 Planes der Stadt Prag umd Umgebung. Die Reich): 
baltigfeit des von dem verbdienftvollen hingefchiedenen Klutſchak mit jorgfältiger Aug» 
wahl angelegten Buches ift befannt genug, und die vorliegende Bearbeitung hat es 
verftanden, den Grundcharakter des Buches zu wahren. Die aufitrebende Stadt, die 
unter unfern Augen gewaltige Wandlungen durchmacht, findet in der jegigen Auflage 
eine würdige Darftellung. E3 wäre nur zu wünſchen, daß die Namen der Architekten 
der prädtigen Renaiffance-Bauten mit einigen kunſtgeſchichtlichen Notizen angegeben 
wären, jo beim Lobkowitz'ſchen Palaſt in der Wälſchengaſſe. So zeigt ſich die 13. 
Auflage als ein tüchtiger Nathgeber und vertrauendwerther Führer, Die Ausftattung 
ift würdig und das Buch handlich. —T. 


Carinthia. Zeitihrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung. 
Herausgegeben vom ejchichtsvereine und naturhiftoriihen Landes- 
mujeum in Kärnthen, 76. Jahrg. 1886. Klagenfurt. Kleinmayr. 


Der für die Landeskunde von Kärnthen hochverdiente Verein gibt in den 12 
Nummern diefes Jahrgangs wieder hodhintereflante Beiträge zur Geichichte und Geo— 
graphie, Naturgeichichte, Meteorologie; ferner vermifchte Aufläge und die Chrouik; 
Berichte und Mittheilungen und den Nekrolog de3 Edlen von Rosthorn. Sehr 
lehrreich und höchſt intereffant dargeftellt find die „Urgefchichtlichen Studien“, von 
Dr. Frig Pichler „Käruthiſche Ortebildung“; befonders machen wir auf die Unterfuhung 
über die Lage von Noreia S. 128 fg. aufmerkſam. Der Berfafler hält an ber 
Identität von Virunum und Noreta feit (S. 134). Derjelbe Forjcher bietet auch 
Nahträge zur Geichichte von St. Georgen am Langfee. Andere hiftorifche Artikel 
im Jahresbericht find: „Die Edlen von Füller“, eine genealogiihe Studie von 
Dr. von Höniſch; von demfelben Autor eine ebenjolde Studie über „Die Frei: 
herren von Hallegg“. Ferner „Hohenwart, Sigismund v., Neifejournal über eine Mı 
Fahre 1792 nad) Holland unternommene Reiſe“. A. v. Jakſch bringt eine Abhandlung 
über die Marienftatue „Maria Flamin“ mit einer Probe deuticher Volkspoeſie. Es 
ift dies ein nicht unwichtiger Beitrag zu den mannigfadhen in Kärnthen heimiſchen 
Türkenſagen. Karl Baron von Haufer berichtet über den „Maultaſchhügel von Hoch— 


= AR 


ofterwig“. Hier fanden ber Sage nad) die gewaltigen Kämpfe der Tiroler Amazone 
Margarethe Maultafch ftatt. Solche Fehler wie „ihm nachfolgen“ ©. 65 und „in— 
duftriele” (S. 131) find zum Glück wenige vorhanden. Ch. 


Franz Immermann, Archivar. Das Archiv der Stadt Hermannjtadt 
und der fähjischen Nation, Hermannftadt 1887. Verlag des Archives. 


Dieje zweite Schrift, welche deutfch-fiebenbürgifche Verhältniffe behandelt, zeigt 
ebenjo wie die erfte Schrift von der Sorgfalt der fiebenbürgifchen deutſchen Städte 
für ihre Archive. Die Stadt Hermanftabt befigt ihr Archiv feit dem Jahre 1545 im 
Gebäude des Rathhanfes, durch ftürmifche Zeiten forgfam behütet von der Bürger: 
Ihaft. Auch hier hat vor mehr als 20 Jahren die Stadtvertretung die Hand geboten 
zur Begründung einer neuen Ardhivverwaltung im einmüthigen Zuſammenwirken mit 
der fähfiihen Nationduniverfität. Die neue Anordnung und Aufftellung der Ardi- 
valien ließ nun die Abfaffung einer Ueberfiht über den Inhalt des Archivs als ein 
dringendes Bedürfniß erfcheinen. Mit diefen nett ausgeftatteten Hefte von 115 Seiten 
hat der tüchtige Archivar Franz Immermann, der die erfte Ueberficht über den Inhalt 
des Archivs der Stadt Hermannftadt und der ſächſiſchen Nation ſchon im %. 1877 
ausgearbeitet hat, die Ausarbeitung einer neuen Inhaltsüberficht zunächſt fir amtliche 
Zwecke der Deffentlichkeit übergeben. Der Inhalt mweift nah 1. Urkunden jeit 1290, 
2. Akten, 3. Protofollbücher, 4. Rechnungsbücher, 5. Handichriften, 6. Repertorien, 
7. Geſetzbücher, 8. die Handbibliothek, 9. Beitimmungen über die Benügung. —r. 


IE SIene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit 
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden 
höflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefhhäftsleitung (Annaplag 188—I) 
gütigit reclamiren zu wollen. WG 


— — — 


8. t. Hofbuchdrucderei U. Haaſe, Prag. — Selbſtverlag. 


— — — 


k 


Literariſche Beilage 


zu den Mittheilungen des Vereines 





für 
Geschichte ler Hentschen in Böhmen, 
XXVI Fahrgang. u. 1887/88. 








Kulturgeſchichte der Menfchheit in ihrem organischen Aufbau von Julius 
Lippert. 2 Bände. Stuttgart, Ferdinand Ente 1886. 


Der Berf., rühmlich befannt durch jeine jociologijchen Arbeiten, geht gut ge— 
rüftet an jein Werf, das er auf inductiver Forſchnug aufbaut. Das Ganze foll dem 
gebildeten Laien Rejultate und Belege in einer Weife vorführen, welche eine Nach— 
prüfung geftattet. Dem Vorwurf, daß die Detailforfchung das Material noch nicht 
bewältigen fünne, begegnet der Verf. mit vollem Rechte damit, dab der Laie wohl 
ein Recht habe, ohne auf den Abichluß des menschlichen Wiffens zu warten, in das 
jeiner Zeit einen Einblid zu gewinnen, Der erſte Band enthält die Einleitung 
und zwölf Abjchnitte, der zweite Band 14 Nbichnitte, in denen die Entwidlung der 
Eultur der Menjchheit zwedentiprechend eingetheilt it. Die Einleitung entwidelt die 
Lebensfürjorge als Princip der Eulturgefhichte. Die Urmenſchheit jtand einfah vor 
der Thatſache ihres Dafeins, und die einzige Folgerung aus diejer Thatjache war 
die Sorge für des Daſeins Erhaltung. Wo wir es mit dem Yeben zu thun haben, 
da ift Lebensfürſorge der Urantrieb jeiner Neuferungen und Bethätigungen. Zwei 
Gruppen ererbter Antriebe kämpfen im Menjchen miteinander, die ihren getrennten 
Uriprung in Bertoden verjchiedener Lebensfürforge verrathen, Auf der unteriten 
Stufe ruft die Empfindung fogleih die Bewegung hervor, diejes alte Erbe bewahrt 
der Menſch noch unverloren, einer jüngeren Zeit führt die Verftandesthätigfeit gewille 
Sautelen ein, jenen primären Inftincten fallen die jüngeren Inſtinete der Vorſicht, 
Scheu ꝛc. in die Arme. Die vorherrſchende Geltung, welche einer oder der andere 
diefer beiderlei Inſtincte bei einem Volke ſich erfreut, muß dem jeweiligen Stande der 
Lebensfürſorge entiprehen und ein Gradmeſſer jeiner Eulturentwidlung fein, der 
jüngere kann wicht entftanden fein ohne Einfluß gejellichaftlicher Beziehungen. Aber 
Lippert weiß jehr wohl die Macht des Geiftigen im ber Gulturgeichichte zu ſchätzen. 
Wenn es ſchon möglich wäre, den Proceß der Culturentwicklung ſoweit zu zergliedern, 


“ 
— 


(Au: 


daß nur noch phyſikaliſche Kräfte ald die festen elementaren Factoren zurüdblieben, 
fo dürfte man doch nie überfehen, daß aus diefen Elementen Verbindungen zweiter 
und höherer Ordnung im Menjchen jelbft hervorgehen, welde dann jelbft wieder 
gleich Naturgewalten in die Reihe der wirkſamen Factoren treten. Die Lebensfürjorge 
unterfter Stufe fennzeichnet ſich durch das größte Maß von Beichränfung nad) der 
Richtung des Räumlichen und Zeitlihen. Die Bereituug von Werkzeugen bildete 
einen Fortichritt. Die Zähmung des Feuers und die Entwidlung der Sprade, dies 
find die drei größten Schritte, mit welchen fic) der Menſch entwidelt. Der Verfaſſer 
beipricht num den Einfluß religiöfer Vorftellungen; Recht und Sittlichfeit; Gewiſſen, 
freien Willen und die Macht der Vorftellungen überhaupt im Verhältniß zur Lebeus— 
fürforge und jchließt damit die Einleitung, die in feft formulirten Sägen feine An— 
Ihauungen Har und bündig ausdrüden. Ob diefelben durchaus richtig find, dies kann 
hier auszuführen nicht der Zweck diejes Neferates jein. Der Verfaffer hat diejelben 
in verſchiedenen größern, mit Beifall aufgenommenen Werfen zur Geltung zu bringen 
gefucht. Dadurch, daß der Verf. die große Bedeutung des Princips der Lebensfürforge 
zeigt und. durd alle Stufen vorausgreifend verfolgt, glaubt er auch jeine Wichtigkeit 
dargethban zu haben. Die Urzeit fennzeichnet: die Lebensfürſorge auf der niedrigften 
Stufe, eine relative Fürforglofigkeit. Der Verfaffer belegt feine Ausführungen mit 
Citaten aus den vorzüglichiten ethnographiſchen Arbeiten der Neuzeit, wodurch feine 
Methode ihre ſynthetiſchen Säte analytiich belegt. Den Unterjchied zwilchen activen 
und pafliven Raſſen findet der Verf. in der Ueberwindung des Trägheitämomentes: 
für Unbehagen ein höheres Behagen einzutaufhen. Die Art zu wählen, wird ein 
Merkmal der Volksſeele. Es ift intereffant wie Lippert feine Rüdihlüffe begründet; 
die Gewandtheit, mit der er gewonnene Refultate ausbeutet, bringt bei diefem mühe— 
vollen Eindringen in die Fyinfterniß der Urzeit, ein Gefühl der Sicherheit des Fort— 
fchreiteng bei dem Lejer hervor, das nicht wenig durch die lebhafte nach allen Seiten 
ausgreifende Darftellung bekräftigt wird. „Die Logif allein ift es, welche wir mit 
dem Urmenſchen qualitativ gemein haben, das Gefühlsweſen trennt un? von ihm 
wie von einer andern Species.“ In ſolchen Sätzen wird eine große Menge cultur- 
gefchichtlihen Material3 zufammengefaßt. Das Geſetz der Compatibilität, worunter 
Lippert das Nebeneinanderbeftehen einer jüngeren Grundanfhauung und einen Comes 
pler von älteren Folgeerjcheinungen verfteht, die Blutsverwandtichaft erhalten ihre 
rechte Stelle in der Entwidlung des Urmenfhen. In der Beantwortung jolcher 
Fragen: Hat der Urmenſch Religion befeffen?, die zu den ftarfbeftrittenen der Cultur— 
geichichte gehören, zeigt fih die jorglamfte Trennung verjchiedener aber unrichtiger: 
weiſe von den Forichern verwechjelter Auſchauungen. Hier fommen der Animismus, 
die Ahnenculte, die Naturreligionen zur Sprade. Diejen Begriffen ftellt Lippert _ 
feinen Begriff des Seelencult3 gegenüber. In ftreng logijcher Folgerung werden bie 
Merkmale der Urreligion entwidelt. Die Abhandlung über das relative Alter der 
Sprachen faßt die Rejultate neuer Forſchungen in origineller Weile zufammen, ein 
böchft lebrreiches Capitel für folche, welche fich über diefe ſchwierige Materie in feſ— 
jeinder Weile unterrichten laſſen wollen. Der Ausblit auf die Verbreitung der 
Menſchheit beipricht die Verbreitung der Raſſen in eben fo anregender und gründlicher 
Meile. Nachden der VBerfafler die erjten Fortichritte der Lebensfürſorge dargejtellt, 
Ichjließt er die erfte Epoche der Menichheitsgejchichte mit der „Fähmung des Feuers“ 
ab; erſt jest wurde es möglich, das Verbreitungsgebiet des Menfchen in die Wildniß 
und in den Norden auszudehnen. Der Herd ift der Grund des Haufes, vor der 


ro. “rn = — — m zur A ur 4er) IE ET gerry per 07: Der der - 


— 19 — 


neuartigen Hausgenoſſenſchaft tritt die Blutsgemeinſchaft im dem Hintergrund, ber 
Feueraustauſch knüpft das. erite Band einer Organtijation, die über die Yamilic 
hinausreiht. Nun wendet fih die Betrachtung der Differenzirung des Werkzeuges 
zu; fie wird die Quelle des Eigenthbumbegriffs. Die Darftellung differenzirter Ge— 
räthe führt auf die Fortichritte der Spetjebereitung. 

Dies Capitel gibt eine Skizze diefes Entwidlungsganges und gibt und einen 
Begriff von der außerordentlihen Größe der menjchlichen Eulturarbeit, welche auf- 
gewendet werden mußte, um einen jcheinbar doch nur untergeordneten Culturzwed zu 
erreichen. Die Fortichritte des Schmuds und der Kleidung und ihr ſocialer Einflub 
gibt dem Verf. Gelegenheit gegen Darwin eine gejellihaftlihe Zuchtwahl an- 
zunehmen und dieje mit ethnologiihen Fällen zu beweilen. Die Fortichritte der 
Schmuckbekleidung treten bereit3 in eine mittelbare Beziehung zu der Gruppe, die 
in unmittelbarer Beziehung zu den Fortichritten der Menjchheit in der Ernährung 
fteht. Die Frage, wie und wo gelangt der Menic zu der Uebung de3 Pflanzen: 
baue3? beantwortet der Verf, dahin, daß die Verjucdhe des Anbanes dem Nomaden: 
thum lange voranging, der räumlichen Ausdehnung nach weit jenes überragte, die 
Fortfchritte im Anbau waren aber von jenen des Nomadenthums abhängig. Die 
Frau war es, welche die Fürforge zur erften Stufe des Landbanes lenkte, von einem 
etwaigen Urfig des Aderbaues kann aber feine Rede fein. Jede Gegend, die irgend 
ein nußbares Gras hervorbringt, fonute zum Gulturherd werden. Das Lapitel: Das 
Nomadenthum und die Verbreitung der Zuchtthiere und das weitere: die Nahrungs— 
pflanzen im Gefolge der Eultur führen den Leſer auf Pfade, die Lippert jelbit ala 
ſolche bezeichnet, die nicht immer ficher find. Naturgeihichte, Geichichte und Sprach— 
forſchung geben nicht die erjehnte Auskunft. Das Capitel „über Genußmittel im 
engern Sinne“ jchließt den erften Band, der dem Leſer die Elemente vorführt, aus 
denen fi das ſociale Leben des Menſchen ald das eigenfte feiner Art zufammenfügt. 
Der zweite Band laßt nun diefen Bau vor uns entitehen. Die Fortihritte der Or— 
ganifation auf’ dem Gebiet der Urfamilie zeigt ſich nun im Lauf der weitern Ent- 
widlung; diente zunächft eine Organijation allen Zweden, jo trat jest ein Princip 
der Differenzirung ein. Die Gefellichaftsformen des Mutterrechts, die Entſtehung 
der Erogamie, der Eintritt der Mannesherrichaft uud des Vaterrechtes find eben jo 
bedeutende Stationen im Gulturfortichritt der Menjchheit, hier weiß der Verf. den 
Mythus und die Sagen trefflid auszudeuten und fie auf jene Grundlagen zurüdzu- 
führen. Seine Ausführungen über die Raub» und Kaufehe, die Connubtialverbände 
ohne Kauf, die Confarreation geben ein Hares Bild diejer vielfach mißverftandenen 
- und faljch ausgedenteten Organijationsftufen; daran jchließen fi die Stammformen 
der Hochzeit3gebräuche und die daran fich fchließenden Sitten. Die Menichen der Ur- 
familie und de3 ftrengen Mutterrechtes haben feine Geſchichte. „Mit jeder Form der 
Srogamie begann ein erjter großer, immer weiter rollender Fortichritt auf dem Wege 
der Differenzirung der organifirten Gruppen nad beitimmten Zielen der Wahı auf 
dent Wege eines anfreibenden Wettſtreits derjelben.“ Es folgt das Patriarchat mit 
feiner Art Erogamie und findet in feinem Befißprincipe die Mittel ganze Gejchlechter 
in fi aufzunehmen und die Menge derielben in die Organijation der Arbeit zu 
vereinen, In Har abichließenden Rückblicken faßt der Verfaffer dad Ergebniß der 
entiprechenden Studie zufammen, den Leſer ficher orientivend; ev verjteht es mit 
fiherer Hand in die Organifationsgruppen bei den ſich von ſelbſt findenden Ruhe— 
punkten die Ergebniſſe der Eultuvarbeit, wie in Niſchen großer Bauten hineinzuitellen. 


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ei, Wine 


Die Wohnftätte und dad Haus läßt wieder denjelben Grundzug der Meenjchennatur 
<rfennen, welchen die oben erwähnte Compatabilität geſchaffen hat; hier zeigt der Verf. 
die Wirkſamkeit des Gefeges auf rein technifhem Gebiete. Die nene (Erfindung ver— 
nichtet nicht die ältere Parallelform, fondern gliedert fich diejelbe als einen Banbeftand: 
theil untergeordneter Bedeutung an. Die fortichreitende Entwidlung zwingt den Verf. 
von jelbft eine Reihe von Specialgefchichten der einzelnen Eulturmomente zu ſchreiben; 
mit jedem Fortichritt fteigt die Differenzirung. Aber. der Verf. weiß diefer Verſu— 
Hung den nöthigen Halt zu gebieten und im der Beſchränkung den rechten Meiiter 
zu zeigen, indem er nur bervorhebt, was jener ältern Einheit der Entwidlung ange: 
hört und die Anfnüpfung an die große Einheit des Fortichrittes darlegt. Der Ein: 
fluß der Meetallverwendung und die Verjchiebung der Arbeitstheilung durch fie zeigt 
ji darin, daß der Mann auf allen Gebieten der Leiter der Arbeit, die Thätigkeit 
der Frau aber zur dienenden wird. Der Abjchnitt: die Fortfchritte de3 Cultus- und 
der Religionsvorftellungen bafırt auf den befannten frühern Arbeiten des Verfaſſers, 
es ift derjenige, der am meiften beftritten worden ift. Der vom Verf, jogenannte 
abmwehrende Eult der Urzeit ift mit dem pofitiven Eult durch verſchiedene Uebergäuge 
verbunden. Den Uriprung ihrer Götterbegriffe von den Himmelderfheinungen will 
Lippert bei den Griechen nicht zugeben. Solche Betradhtungen, wie fie Xippert ©. 291 
3. II beim Einfluß des Cultes anftellt, wenn er die puuiſche Raſſe und die weiße 
Raſſe harakterifirt, find außerordentlich Ichrreih und öffnen in die Tiefen der Cultur— 
entwidlung den Blif mehr als das Etudium von Bänden von Eulturgefchichten an- 
derer Art. Das Capitel: „Der Menſch als Gegenjtand der Eultleiftung” erklärt den 
Einfluß des Eultus und dag Eindringen des fubjectiven Momentes in den Cult, das 
Menjchenopfer der Anthropophagie, die Blutlöfungen und gebt auf derer Formen ein. 
Der nächſte Abſchnitt bringt die ultvorftellungen im Zuſammenhang mit ſocialen 
GHeftaltungen ; die Berwendung des Blutes ınit ihren mannigfachen Sproßformen und 
Nudimenten tritt uns in der Blutradhe, im Blutlaffen als „Trauer“, im Bruſtſchlagen 
x. entgegen. Der Blutbund und die Blutbrüderichaft erhalten ihre Erflärnug. Auch 
yeim Fetiſchismus gelangt Lippert zu einer anderen Auffaſſung als Fritz Schulge. 
Yippert hält an der Bezichung des Beſeſſenſeins (Juwohnen und Beſitz) feſt Der 
Bergfetiih, das Mahl, der Holzfetiih, der Baumfetiſch, die Fetiichwaffe, der Thier— 
fetiſchismus, der Schamanismus werden auf ihre Elemente zurüdgeführt, daran 
ichließen fi) die Seelenwanderung und der Totemismus; der fortgejchrittene Feti- 
ichismus wird focialer Factor. So zeigt fih überall, daß die Entwidlung der ge- 
jellfchaftlihen Organiation auf deu ſtufenweiſen Foertichritten der Gemeinfürjorge 
reconftrniven zu wollen nicht ausreichend wäre; darım hat der Verfaffer mit Recht 
den Sat vorangeftellt, daß auf jeder Stufe aus dem jubjectiven Elemente ihres 
Borftellungsihases von der Menichheit Motive zu Handeln und Schaffen gewonnen 
wurden. Der Verf. wendet ih dem Fortichritt der Geitaltungen auf dem Gebiete 
der Patrtarchenfamilie und innerhalb derjelben zu. Daß die Knechtſchaft außer dem 
Krieg nod) eine audere Quelle in der Geichichte der Familie habe, nimmt Lippert 
als gewiß an. 

Man leſe bei Yippert B. U ©. 542 nad), wie er die Mltfamilie in ihrem 
Saalhaus durch den Yauf der Zeit verfolgt, wie feinjpurig er die Rudimente überall 
erkennt: und man wird nicht zu viel Jagen, wenn man das Studium einzelner 
Bartien des Buches als einen wahren Genuß bezeichnet. Wie leicht fich die geiell- 
ichaftlichen Organtiationen auf dem Weg, den Yippert eingejchlagen, erklären laſſen 


— — 


zeigt ſeine Unterſuchung über die Gens und die Phratrie vgl. ©. 560, B. 2. Nach— 
dem der Verf. den Grundriß der Staatenbildung und des Rechtsweſens entmwidelt, 
wendet er fih den Erlöjungsreligionen zu und jchließt mit den FFortfchritten in der 
Beherrihung der Natur. Alle dieſe Fortichritte, jchliegt der Verfaffer, haben fih in 
irgend einer Weile in jolche des praftiichen Lebens und der ſocialen Geftaltung um- 
gelegt und im diejen Fortichritten hat der Meunſch neue Waffen gegen einzelne Kate- 
gorien des Webel3 erworben. Die Culturgeihichte hat feine Raftpläte jagt der Verf. 
©. 602. Die einzelnen Fäden des bunten Gewebes laſſen ſich nicht chronologiſch 
anfnüpfen. Allmählich verlieren in der ganzen Breite des Gewebes fid) die alten 
Fäden und fchießen neue ein. Diefen Wandlungsproceß hat der Verf. verfolgt. Es 
gebt ein ftrammer Zug durd das ganze Merk, uud die Conſequenz des Denkens 
Ichredt vor feiner Schwierigkeit zurüd, die auf jedem Schritt ih aufthirmen. Aus 
einem Princip heraus arbeitet der Verfaffer, den reichen Stoff der Erfahrungs: und 
Geifteswillenichaften ausnützend, vollkommen vertraut mit den ethnologiſchen For- 
ſchungen biejes umfaffende Culturbild des Meuſchen. Bon dem gewöhnlichen Wege 
der Eulturgejhichtsichreiber abweichend, neue Formen der Darftellung des mächtigen 
Stoffes ſuchend, entipricht der Verf. damit den Bedürfniffe des gebildeten Lejers in 
höherer Weile. Jeder Band enthält einen forgfältig gearbeiten Xnder. Chevalier. 


⸗ 


Dr. Julius Krebs: Zacharias Allerts Tagebuch aus dem Jahre 1627. 
Breslau 1887. 


Zacharias Allert ftand von 1625 bis 1631 als Schreiber in den Dienften des 
befannten Breslauer Stadtſyndicus Dr. Reinhard Roſa und machte in deſſen Gefolge 
wiederholte Keifen, über welche er ein genaues Tagebuch führte, von welchem ſich 
leider nur Bruchſtücke erhalten haben. Diejelben erftreden ſich auf eine Reife von 
Breslau nad Wien und zurüd vom 17. Jänner bi3 12. Mär; 1627, welche eine 
ſchleſiſche Geſandtſchaft an den Kaiferhof unternahm, um über die gröblichen Aus- 
Schreitungen der Wallenfteiniihen Truppen Bejchwerde zu führen, und eine Fahrt 
nah Prag, wohin Dr. Roja anläßlich der Krönung Ferdinands IH. (25. November) 
al3 einer der Vertreter des FürftenthHums Breslau entiendet wurde. Die Aufzeich- 
numgen über die Prager Reife beginnen mit dem 14. November und brechen leider 
mitten in der Schilderung über den Prager Aufenthalt am 3. December ab, Wir 
müſſen Gerry Dr. Krebs recht dankbar fein, daß er ji der Mühe unterzog, die der: 
malen in der füniglichen Bibliotbef in Breslau aufkewahrte Handfchrift Alerts zu 
veröffentlihen. Denn wenn aud), wie der Serausgeber uns ſchon im der Vorrede 
aufmerkjam macht, wir von Allert ſchon wegen feiner verhältnigmäßig niederen Lebens: 
ftellung feine Berichte über Haupt und Staatsactionen zu erwarten haben, jo bringt 
er uns doch „gleichzeitige Schilderungen der gewöhnlichen Vorgänge des Tages, Be: 
ichreibungen all der Heinen Begebenheiten aus dem Leben des Einzelnen mit ihrem 
bunten weclelnden Inhalte, die zufammengefaßt erft den vollen und lebendigen Ein- 
drud von einer Zeitepoche hervorrufen und ihr geiftiges Wiederichauen ermöglichen”. 
Und gerade ſolche gleichzeitige Schilderungen des Kleinlebens unferer Vorfahren, be- 
merkt Krebs mit Hecht, finden fich nicht häufig. Uebrigens berichtet uns Allert auch 
über mancherlei rein politiiche Angelegenbeiten und jest diefelben von feinem Stand: 









Met — —— 


— 22 — 


ai 


punfte aus in mitunter recht intereffante Beleuchtung. Uns feflelt jelbftwerftändlich 
die Wanderung durd Böhmen und der Aufenthalt in Prag. Die aus 13 Perfonen 
beftehende Gejellichaft, welche am 14. November in Breslau aufgebrochen war, langte 
über Franfenftein, Glatz, Neinerz, Levin am 17. November in Nachod „mit einem 
gar artig und ſchön gebautem Schloß des reihen Törzſchky“ (Terzky) an umd nimmt 
noch am jelben Tage in Skalitz das erfte Nachtlager in Böhmen, das ſich Allert 
und fein Herr Roſa indeffen nicht im Geringften loben mochten. Um jo beffer be— 
fanden fie fich im zweiten Nachtquartier, das jie am 18. Novbr, in Neubidſchow 
„Biſchoff“) aufichlugen, wohin fie über Jaromierſch („Garniers“) und Petrowitz 
„Pitterwitz“) gelangt waren. Sie wohnten „in dem hübſchen Städtl“ bei guten 
Leuten, „Jo nur böhmiſch reden können“, und wurden vorzüglich bewirthet. Am fol- 
genden Tage gings in rafcher Fahrt über Königſtadtl und Wrbik') nah Nim— 
burg, wo man ein Frühftüd einnahm. Die Stadt Nimburg fand man im halbver- 
wüſteten Zuftand. Nachtlager wurde am 19. November noch in Tauſchim („Tauſch“) 
genommen, wo die Gejellichaft „Ichlechte Commodität, doch eine feine Stube von 
Bohlen gemadt, angetroffen“. Am 20. November rüdten die Schlefier in Prag ein 
und jchlugen ihr Quartier beim Röm. f, M. Rath und böhmischen Secretarius 
deutſcher Erpedition Hans Rasper auf der Kleinſeite unmeit des Ringes in einer 
Quergaſſe auf. Ueber der Hausthüre befand fich eine Tafel mit drei Männlein und 
dem Sprude: Diejes Haus ftehet in Gottes Hand, beim Rauchfangfehrer ift es ge— 
Hannt. Was nun Allert vom 20. November bis zum 3, December in Prag erlebt, 
gejehen, erfahren und alle Abend getreulich in fein Tagebuch eingetragen, bietet 
gar mannigfaltiges Jntereffe, jo daß wir im Hauptblatte der Mittheilungen noch 
eingehend darauf zurüdzufommen gedenken. Die Krönungöfeierlichkeiten ftehen na— 


türlih im Mittelpunkt der Allertihen Aufzeichnungen. Aber noch werthvoller als 


die Beichreibung derjelben jcheinen mir jene Beobachtungen zu fein, welde der in 
feinen Mußeitunden die Stadt nad) allen Richtungen durdjftreifende biedere Schleiter 
niederichrieb. 

Was die Bearbeitung des Tagesbnuches durch Krebs anbelangt, jo bleibt an 
wiflenshaftlicher Sorgfalt und Gründlichkeit Nicht3 zu wünjchen übrig. Die trefflich 
geichriebene Einleitung macht ung mit Allem, was wir zur Benrtheilung des Tage- 
buches zu wiſſen brauchen, auf das Genanefte befannt. Der Text jelbit ift reinlich 
und lesbar dargeftellt, und einzelne Bemerkungen in Klammern oder Fußnoten ſuchen 
das raſchere Verftändniß zu befördern. Ab und zu wird ich vielleicht eine richtigere 
Erklärung finden laſſen, jo die oben angedeutete über Königftadtl, Wrbit oder Geite 
75, wo wir „Hemmel“ ſchon mit Rückſicht auf die Jahreszeit doch lieber mit „Hammel“ 
deuten würden. Das will aber Nichts bedenten. Gerne hätten wir nebft dem gut 
orientirenden Perſonenregiſter auch ein Ortöverzeichniß beigegeben geleben. 8. 


1) Dieſe an der Straße von Neubidſchow nad Nimburg gelegenen Orte ſind 
unter „KNönigftädtlein, Meftericz” wohl gemeint. Daß Allert zwei Ortſchaften 
gemeint hat, geht ja aus dem folgenden Plural „offene Märkte oder Flecken 
hervor. Die Dentung auf eine königliche Stadt „Meſeritz“ iſt verfehlt. 





—— 


Tuba Edmund: Die Kirchenbauſtyle des Mittelalters und deren wid- 
tigere Denkmale in Böhmen. Ein Leitfaden für Elerifer und Freunde 
hriftliher Kunft. 1887. Selbitverlag, in Commiljion bei G. Neu- 
gebauer, Brag. 159 ©. 8°. 


Wenn man das Weſen und die Bedeutung eines Funfthiftorifchen Leitfadens 
ind Auge faßt, jo muß es thatſächlich befremden, daß ein Verfaſſer jih an die Zu— 
jammenftellung eines jo wichtigen Hilfämittel3 wagt, der (S. 8) zugefteht, weder ein 
Techniker noch Architekt zu fein und jchließlih (S. 9) „mit Rückſicht auf feinen be— 
abfichtigten Zweck“ — Verjhönerung der ihm unterftehenden Kirche — an billige 
Beurtheilung appellirt. Denn gerade ein Reitfaden kann, wenn er thatjädhlic feinen 
Zweck erfüllen foll, gewiß nur von einem auf allen Gebieten jeines Faches gleidy 
trefflich bewanderten Meifter geliefert werden, der mit fiherer Hand aus dem reichen 
Schatze feines Wiffens emporhebt und ameinander reiht, was anderen ein Führer 
und fichere Leuchte werden fol. Anjprechende Verarbeitung feftitehender Thatfachen 
und eine in jeder Beziehung gewiſſenhafte Darftellung bleiben jomit die 
Grundpfeiler jeder diesbezüglichen Arbeit. 

In dem I Haupttheile bietet Verf. vorzüglid mit Anlehnung an bekannte 
funfthiftoriiche Arbeiten, unter welchen in der Kiteraturangabe das Werk des fein- 
finnigen Schnaafe und neuere Publicationen anderer Forfher auf dem Gebiete 
chriftlicher Kunſt vermißt werden, einen Ueberblid über die kirchlichen Bauftyle, der 
beſſer gearbeitet iſt als der II. Hanpttheil, aber nicht ohne Irrthümer bleibt. ©. 43 
wird angegeben, daß der Kölner Dom 1228 begonnen wurde, während S. 137 erft 
1248 als Datum der Grundfteinlegung angeführt ift. Die Sorglofigkeit des Arbeitens 
tritt namentlih im 2. Daupttheile, der die wichtigeren kirchlichen Baudenkmale in 
Böhmen behandelt, zutage. Schritt für Schritt begegnet eine wunderliche Unge— 
nauigfeit der biftorifchen Angaben. S. 73 beruft 1182 der 1174 verftorbene Wladi— 
law II. die erſten Prämonftratenfer nad) Strahow und ftirbt 1300 mit dem 1306 
ermordeten Wenzel II. das Premyflidengeihleht aus; an demjelben Orte begegnet 
auch nod die Angabe der 1230 erfolgten Gründung des Giftercienferklofterd Nepo— 
muf, das damals bereits faft ein Jahrhundert beftand, aber keineswegs, wie es 
©. 101 heißt, Schon 1130 von den Sternbergern geftiftet wurde. ©. 71 wird Wile- 
mow unter die Benedictiner- und gleich darauf unter die Prämonftratenjerklöfter ge= 
zählt, zu welch letztkren es nie gehörte. ©. 72 erſcheint das erft 1265 gegründete 
Frauenthal unter den „älteften Stiftungen” des Landes. ©. 89 erbaut Sobejlam 1. 
1126 die Georgscapelle auf dem ip, während die dafür erhaltene Quelle ausdrüdlich 
jagt „eapellam reconstruxit“. Die ©. 79 beliebte Erbauung der Yonginuscapelle 
bei St. Stephan in Prag für 1280-81 ift nicht haltbar, jo wenig als ſich ©. 81 
der Schiffbau in Budec-Kovary auf 1055 oder ©, 92 die Herftellung der Kirche zu 
Kondrag auf 1149 firiren läßt. Die 20 Zmwifaltener Möndye (S. 85) famen nicht 
unter dem Abte Berthold, jondern unter Wizimanns, wie Zmwifaltener Quellen genau 
berichten, nah Kladrau. S, 88 ericheint als erjter Probit von Doran Adalbert von 
Steinfeld, während Neplacho jagt „Erleboldus regalis capellanus fuit primus 
praepositus“, wos, da es jih um eine fünigliche Stiftung handelt, nit unwahr— 
ſcheinlich iſt. Plaß ift nicht durch Herzog Wladijlaw 1. (S. 86) gegründet, der Bau 
von Kladrau nicht von Wratiflam T. (S. 84) fortgefeßt worden; ebenfowenig ver: 


— 24 — 


dankt Klingenberg (S. 101) Wenzel IL. fein Eutſtehen. Das Ciſtercienſerkloſter 
Hradiste wurde nach den Ordendannalen früher ald 1177 (S. 100) gegründet. Un— 
‚zweifelhaft ficher ift, daß nicht ſchon 1308 die Hufiten unter der Führung de3 
Prämonftratenjerd Johann von Selau das Klofter Sedletz zerftören fonnten und 
Königfaal nicht 1297 geftiftet (S. 73) fondern nur der Grundftein zum Kirchenbane 
gelegt wurde. Die Magdalenencapelle in Böhm.-Leipa, welhe (S. 119) als ein - 
1582 aufgeführtes Werft des Benefh von Raum bezeichnet wird, kann ebenjowenig. 
diefem nach Grueber höchſtens bis 1537 nachweisbaren Meifter, der urkundlich als 
Benedict Ried aus Piefting jichergeftellt ift, ald der Stadt Lann die Ehre feiner 
Baterftadt (S. 147) zugeftanden werben. Daß in dem Capitelfaale und Hreuzgange zu 
Dffegg gerade ein über Magdeburg fommender jähfiisher Einfluß fich offenbare 
(S. 96), ericheint dem Ref. nicht ficher nachweisbar. Die Angabe, daß der Bau des 
Prager Domes bi 1386 fortgefegt wurde und von da ab Stillftand eintrat (S. 106), 
weicher glei darauf (S. 107) durch die Nachricht von der 1392 erfolgten Grund: 
fteinfegung zum Langhauſe widerjprodyen ift, ftimmt deineswegs ganz zu den unzwei— 
felhaft ficheren Belegen der Dombaugeihichte. Ebenfo wenig zuverläflig als die 
Durdarbeitung des hiſtoriſchen Materiales ift die Beichreibung der Denkmale. Seite 
91 wird die Kirche zu St. Jacob bei Kuttenberg ganz richtig ein einjchiffiger Bau 
genannt, von dem es nur 7 Zeilen weiter heißt: „In den Schiffen zwiſchen den 
Tenitern Statuen.“ S. 77 find die Thürme der Prager Georgskirche als Bauten 
von 1541, die „weſtlich an die Seitenſchiffe“ feien, aufgeführt, während fie that- 
fädhlih öftlich neben dem Presbyterium anfteigen und ſich duch den noh gut 
nahweisbaren Rundbogenfries, der nah Tucha fehlt, als alte Baubejtand- 
tbeile der romanischen Periode erweifen; von den in die Krypta diejer Kirche ver— 
legten Grabdenfmälern ift thatſächlich kein einziges in der Krypta jelbit aufgeftellt. 
Capiteljaal und Krenzgang zu Goldenfron enthalten nicht nur „einige“ (S. 102), 
ſondern ſogar höchft beachtensmwerthe und immerhin noch bedeutende Refte der Früh: 
gothif. Daß in der Stiftsfiche zu Mühlhauſen das „Presbyterium die gleiche Höhe 
mit den Schiffen” (S. 92) nicht befite, beweiſt jofort Tafel IT im 8. Bande der 
Mittheilungen der k. E. Gentralcommiffion. ©. 71 und 81 werben die Klünftleräbte 
von Sazawa in einer Aufeinanderfolge genaunt, als ob Reginhard vor Bozetid) 
gewirkt hätte; ©. 81 ift ihnen ganz unrichtig Silvefter angereiht, während es doch 
eher deſſen Vorgänger, der im Bücherfchreiben unabläfig thätige, hier gar nicht ge- 
nannte Diethard, verdient hätte. Die ©. 9 gewagte Behauptung, daß in Gruebers 
„Kunſt des Mittelalters in Böhmen“ die Stiftskirche in Selau feine Erwähnung 
fände, widerlegt ein Blid in das genannte Werk, in deſſen zweitem Theile S. 4 
und 42 die genannte Kirche in vier Zertipalten bejprocdhen und durd fünf Illu— 
ftrationen — darunter Grundriß der Kirche ſelbſt — erläutert wird. Die gleiche 
Ungenanigfeit der Arbeit wie im 2. Daupttheife begegnet aud im Anbange. ©. 144 _ 
wird Gerlad), der erfte Abt von Mühlhauſen, zum Abte von Selau gemaht und 
©. 146 behauptet, daß die Mitglieder der Bauhütten fi) „in drei Grade: Meifter, 
Gefellen (Barlirer) und Lehrlinge” fchieden, während die in den Berathungen von 
1459 normirten Beftimmungen Parliver und Gefellen ausdrüdlih trenuen. „Ein 

Sort über modernen Kunſtvandalismus“ erweiſt ſich als eine Aneinanderreihung der 
Anfichten von Reicheniperger, Giefers, Ottes und Stieglitz, welche fait an die Gott— 
ſched jo übel angerechnete Fabrication des „ſterbenden Cato“ erinnert. 


Endlich fer auch, abgejehen von der Ungenauigkeit im Scjreiben der Eigen: 
namen überhaupt, die S. 45, 70 oder 107 Wenzl, ©. 73, 101 und 107 Wenzel 
S. 71 Votivoj I. und ©. 130 Borivoj I. für zuläffig hält, auf das Verhältnig 
des Verfaſſers zu feinen Quellen hingemiejen, deren Autorennamen nicht einmal richtig 
angegeben jind. ©. 10 und 126 ſpricht er von Heidler und Eitelberger, S. 10 er: 
mwähnt er Wlenzig und Krejti, ©. 10 Bontifl und ©. 88 Ponfikl. Ya, jelbit der 
wiederholt erwähnte Grueber wird conjequent feines e beraubt, was allerdings umſo 
weniger wundern darf, als Verf. S. 9 felbft zugefteht, dan das Werk diejes ver- 
dienjtvollen Forſchers, welches eigentlih den Ausgangspunkt und die Grundlage 
feines zweiten Saupttheiles hätte bilden jollen, „zur Ergänzung des Tüdenhaften 
Materiales bie und da benußgt wurde”. 

Wie gut die Arbeit audy gemeint jein mochte, jo fteht e3 doch feit, daß fie 
ihren Zwed, Glerifer und Freunde chriftlicher Kunſt ein zuverläfjiger Führer zu den 
Denkmalen des Vaterlandes zur werden, entichieden nicht erfüllt, fondern unzweifelhaft 
vielfah ungenaue, ja ganz faljche Anſchauungen verbreitet. Wenn die Kunftwifjen: 
Ihaft audy wünfchen muß, daß das Intereſſe für die ehrwürdigen Zeugen gottbe- 
geifterten Schaffens aus vergangenen Tagen fi in immer weitere reife verbreite, 
kaun fie doch nur der berechtigten Hoffnung Raum geben, daß dies an der Hand 
eines befferen und gewiſſenhafteren Führers geſchehen möge, als der beiprochene Leit: 
faden werden kann. u —r.— 


Die Schlacht bei Prag am 6. Mai 1757. Quelfenkritiiche Unterfuchungen. 
Inaugural-Diſſertation der phitofophiichen Facultät der Katjer Wil: 
helms-Untverfität Straßburg, zur Erlangung der Doctorwiirde vorgelegt 
von Friedrih Ammann. Mit einer Karte. Heidelberg. Berlag 
von Otto Beters. 1887. 


Die jüngere Schule der preußischen Hiftorifer wendet ſich mit Vorliebe quellen: 
fritijchen Unterfuchungen über einzelne hervorragende Ereigniffe der neueren preußiichen 
und deutichen Geichichte zu und geht hiebei mit derjelben Gründlichkeit und Geuauig— 
feit zu MWerfe, wie man ſie ſonſt nur in Bezug auf mittelalterliche und alte Ge— 
ihichte gewohnt iſt. Eine Arbeit diefer Art iſt auch die vorliegende, welche einen 
Schüler des Berliner Hiſtorikers NR. Kofer, der feinen Auf durch ähnliche Unter: 
ſuchungen begründete, zum Verfaſſer bat. Das Werkchen bejpricht in feinem erften 
Theil die gerade für diefe Schlacht ungewöhnlich zahlreichen Quellen und zwar zu— 
nächſt die für die Deffentlichfeit beftimmten offictellen Berichte, denen mit Recht nur 
ein bedingter Werth zugeltanden wird, dann die ebenſo tendenciöfen „maskirten“ Be: 
richte, d. i. jene, welche zwar ebenfall$3 von den Regierungen ausgingen, bei deuen 
man aber den Schein zu erweden fuchte, als feien fie von einem dritten, Unparteit- 
Ihen oder gar von dem Gegner verfaßt, hierauf die nicht für die Deffentlichkeit be- 
ftimmten Nachrichten, weldye eben darum zumeift zuverläffiger find, die Tagebücher 
und Memoiren (die meiften aus dent Rreife der Friedrich II. feindlich gefinnten 
Prinzen Heinrih und Auguft Wilhelm und daher gegen den König gehäſſig und 
ungerecht), endlid die Sammelwerke und älteren Geſchichtswerke. Der zweite Theil 
des Werkchens jchildert kurz den Verlauf der Schladt, wie er fih auf Grund des 


a 


kritiſch geichichteten. Luellenmateriald darſtellt. Die herkömmliche Erzählung, als 
habe Schwerin feinem Könige die Schlacht widerrathen, dann aber, als dieſer doch 
darauf beftand, eine Schladht zu liefern, mit Aufopferung feines eigenen Lebens den 
Sieg errungen, wird ald ein „merkwürdiges Beifpiel moderner Mythenbildung“ für 
immer befeitigt. Ein Streit zwijchen Friedrih II. und Schwerin hat zwar ftatt- 
gefunden, aber es handelte ſich dabei, wie der Verf. nachweift, durchaus nicht um die 
Frage, ob eine Schlacht geliefert werden jolle ober nicht, jondern nur darum, ob die 
begonnene Umgehung des feindlichen rechten Flügel weit genug gediehen fei, um 
bereit3 mit dem Angriffe zu beginnen. Schwerin griff zu früh an und verfchuldete 
dadurch den anfänglichen Mißerfolg der Seinigen, einen Mißerfolg, der keineswegs 
durch feinen Tod, jondern nur durch das Eingreifen des Königs wieder wettgemacht 
wurde. Der Berfafler hebt ferner hervor, daß Friedridy II. die Abſicht hatte, die 
Defterreiher von Prag abzudrängen, weil dann Prag von jelbft in jeine Hände ge= 
fallen wäre. Der König erreichte ſomit troß des Sieges feinen Zweck nicht, denn 
es gelang, wie bekannt, der geichlagenen Armee, ſich faft vollftändig nach Prag zu 
retten, ein Umftand, von dem übrigens Friedrich II. erft mehrere Tage nad) der 
Schlacht Kunde erhielt, So begann das Mißgeſchick, welches den großen Soldaten: 
fünig bei Rolin ereilte, im Grunde ſchon mit dem unvollitändigen Siege bei Prag. 
Die beigegebene Kartenjkizze ift nad einer Karte des öfterreidhiichen Generalſtabes 
gezeichnet und ganz geeignet, über die Bewegungen der beiden Heere zu orientiren; 
nur tft fonderbarer Weile die „alte Stadt” von Prag auf das linke Moldauufer 
verlegt. Th. Tupetz. 


Quellenbuch zur Geſchichte der öſterreichiſch-uugariſchen Monarhie. Ein 
hiſtoriſches Lefebuch für höhere Schulen und für jeden Gebildeten. 
II. Theil. Der Zeitraum von 1246 bis zum Tode Friedrich II. Aus 
den Quellen zufammengejtellt und mit Ueberſetzungen jowie mit er: 
läuternden Noten verjehen von Dr. Karl Schober, Director der E. F. 
Staatsanftalt für Bildung der Lehrerinen in Wien. Wien 1897; 
Alfred Hölders Berlag. 


Der erfte Theil diefes Werkes ift bereits in dieſen Blättern angezeigt worden. 
Der vorliegende zweite Theil ift wejentlicy nach dentelben Plane gearbeitet, nur hat 
der Verf, wohl um den Umfang de3 Buches nicht allzujehr anichwellen zu laſſen, 
bei fremdſprachigen Stüden ſich diesmal häufig begnügt, bloß eine deutiche Ueber— 
jegung aufzunehmen; doch trug er Sorge, daß, wo er von einem Autor mehrere 
Stüde aufnahm, wenigftend eines davon aud; in der Originalſprache abgedrudt 
wurde. Wir können dies Verfahren nur billigen, ja dem Charakter eine „biftoriichen 
Leſebuches“ würde es eutiprechen, wenn überhaupt von dent Abdrude der doch meiſt 
in fehr ſchlechtem Latein abgefaßten Originale abgefehen würde. Was die Auswahl 
betrifft, jo wäre es leicht, Quellenberichte aufzuzählen, die vielleicht ebenſoſehr oder 
in noch höherem Grade die Aufnahme verdient hätten, als manche der abgedrudten; 
in jolchen Fällen wird man immer dem jubjectiven Ermejjen des Herausgebers einen 
großen Spielraum zugeftehen müfjen. Mit Verwunderumng vermißt man jedod den 
Miederabdrud des Tagebucdhes der Helene Kottnauer über den Kronenraub, weldyes 


doch durch Guſtav Freytags „Bilder aus bdeutfcher Vergangenheit” weiten Kreijen 
befannt ift und gewiß mit Vergnügen. gelefen witrde. Oder wollte der Verf, e8 eben 
darum nicht aufnehmen, weil es ſchon bei ©. Freytag fteht? Wie dem auch fein 
mag, dad vorliegende Buch iſt ein beachtenswerther Verſuch auf einem bisher für die 
öſterreichiſche Geſchichte noch wenig betretenen Gebiete, Es ift zu wünfchen, daß dem 
zweiten Theil bald aud ein dritter, die Geichichte der Neuzeit umfaffend, folge. 

Th. Tupetz. 


Die gewerbliche Erziehung im Königreihe Belgien, I. Kunftgewerblicher 
Theil. Bon Karl Genaud, Ingenieur und Brofefjor an der k.k. 
Staat3-Gewerbejchule in Neichenberg. Berlag von J. Fritſche in 
Reichenberg. 1886. 


Obwohl aud der 2. Theil diejes intereffanten Werkes, welcher den gewerblid): 
technischen Theil behandelt, bereits erjchienen tft, bejchränfen wir und für diesmal 
auf die Beſprechung des 1. Theiles, welcher ein für ſich abgeſchloſſenes Ganzes bildet. 
Genand beipricht zuvörderſt die Reglement, Programme, Preife, Stipendien, Concurfe, 
Ausftellungen und die Lehrerfrage der Akademien und Zeichenfchulen, hierauf die Be— 
rathungen betreffend die Gründung einer Kunftgewerbeichule im Belgien und deren 
Programm, an welches fi die bis in's Einzelne ausgearbeitete Eintheilung der 
decorativen Künfte ſchließt. Diefer, an vielen Stellen an intereffanten und beachtens- 
werthen Ginzelheiten und Citaten reiche Bericht, führt Herrn Profeffor Genand zu 
Schlußbemerkungen, welche wenigftens in gedrängter Kürze wiedergegeben werden 
jollen. Belgien iſt ein Land mit mehreren hundertjährigen Kunfttraditionen, in 
welchem Feine Opfer geicheut werben, diejelben weiter zu bilden; es ift ein Land mit 
funftfinniger Bevölkerung und doch ift dajelbft das KRunftgewerbe vollftändig vernad)- 
läffigt. Die unvergleichlichen Kunſtſchätze, auf welche die Nation mit Stolz blidt, die 
bedeutende Unterftügung, welche der Staat, die Gemeinden und Privaten der Kunft 
angedeihen lafjen, haben doch nicht zu verhindern vermodt, daß in kunſtgewerb— 
liher Richtung ein Rückgang zu beobachten ift. Dieſe Erſcheinung ift um fo über: 
rajhender, da 104 Kunftichulen von 13000—14000 Zöglingen beſucht, mit einem 
Aufwande von 3 Millionen Francs jährlich erhalten, eigentlih nur die Aufgabe 
haben, die Talente erkennen zu laffen und weiter zu führen. Vergleicht man mit 
den Erjheinungen in Belgien die großen Fortichritte, welche England, Deutichland 
und Defterreich in den legten Decennien in Funftgewerblicher Richtung gemacht haben, 
jo gelangt man zum Schluſſe: Daß man in einem Staate die hohe Kunft noch jo 
jehr propagiren kann, jo wird dies allein dem Kunſtgewerbe wenig nüten; anderer: 
jeit3 vermag eine nachhaltige Pflege de3 Kunftgewerbes diefes felbit dann zu heben, 
wenn auc die reine Kunft nur jehr mäßig gefördert wird und die Kunfttraditionen 
des Landes bejcheidene find. Die erwähnten 104 Anftalten treiben eigentlih wur 
hohe Kunſt, während ihre 13-—-14taujend Schüler doch großentheils Arbeiter find, 
welche dem eigentlichen Berufe entfrembdet oder doch für ihn nicht nüßlich vorgebildet 
werden. Auch die Lehrer, welche eigentlich kunſtgewerbliche Bildung geben fünnten, 
fehlen. Diefelben find nicht geprüft, und werden nicht von fachfundiger Seite 
ausgewählt, jondern von den Gemeinden, welche einen großen Theil der Erhaltungs: 
foften der Schulen tragen. Bei den Berathungen der einflußreihen Körper werden 


meift nur Künftler beigezogen, während mat hervorragende Architekten und leiſtungs— 
fähige Kunftgewerbetreibende bei Seite läßt, welche doch. diejenigen wären, die in 
erfter Linie fagen könnten, in welcher Urt fih Abhilfe jchaffen ließe. So ift in 
Belgien die Funftgewerbliche Erziehung des Volkes auf falfcher Bahn, man züchtet 
fünftlich viele Halblünftler und verfämnt die Heranbildung tüchtiger Kunſthandwerker. 
Da in Belgien die Specialfchulen fehlen, fieht fi) das Land gendthigt feinen Söhnen 
entweder im Auslande die befondere Ausbildung erwerben zu laffen, oder, und dies 
ift noch häufiger der Fall, es müſſen auswärtige Kträfte berufen werden. Nach der 
Meinung Genauds müßte in Belgien zunädft ein Eimftgewerbliches Mufeum und 
eine Kunftgewerbeichule zur Heranbildung der Lehrer, ohne Vernachläſſigung der 
anderen Sectionen, gejchaffen werden. Die belgtichen jogenannten Akademien wären 
dann nad und nach in Fachſchulen umzubilden und zwar mit Rüdficht auf die 
örtlichen und Landesverhältniffe. Jede der jo geichaffenen Anftalten hätte aber nur 
einem Zwecke zu dienen. — Zum Schluſſe beipricht der Autor die Bedeutung der 
Muſeen auch für uns und hebt bervor, daß dort, wo man es mit einem Induſtrie— 
gebiete par excellence zu thun hat, man mit allen Mitteln trachten muß, der Kunft 
ihren Weg in die verfcbiedenen Productionen zu erleichtern. Die Mufeen müſſen 
die Mittelpunfte eines gefunden, zeitgemäßen Strebens in der Vervollfommmung 
unferer heimifchen Arbeit werden, mit ihnen ift je eine Funftgewerbliche Anjtalt in 
Verbindung zu bringen, welche befruchtend auf die Fachſchulen einwirken wird. — 
Zu der ebenjo anziehenden Schrift als zu den gefunden und richtigen Folgerungen 
faun der wadere Autor beglüdwünjcht werden und jei das Bud der Beadhtung 
beitend empfohlen. Kick. 


Moißl, Ronrad: Der politiiche Bezirk Anjjig, umfaſſend die Gerichts: 
bezirfe Auſſig und Karbis. Eine Heimatkunde für Haus und Schule, 
Herausgegeben vom Auſſig-Karbitzer Lehrerverein. Auſſig 1837. 


Unter den bisher erichienenen Bezirks- und Heimatskunden, von denen ich den 
weitaus größeren Theil Fenne, wüßte ich feine, die fich der vorliegenden gleichitellen 
fünnte, jei es Hinfichtli der Menge des gebotenen Stoffes, jei ed in Bezug auf 
Sründlichkeit der Behandlung. Wohl find einzelne Punkte anderswo bejjer ausge- 
führt, aber beinahe in jedem Abjchnitte findet man vielerlei, was in andern Bezirk: 
kunden nicht mit der gleichen Sachkenntniß oder minder eingehend behandelt ift. Ich 
babe da vor allem im Ange die ſchönen Gapitel über die geognoſtiſch-geologiſchen 
Berhältniife, das Klima, die Waldcultur, den Bergbau, die Elbeichiffahrt u. a. Auch 
wird gewiß jeder Freund der Heimatskunde und vor allen der Lehrer dankbar jein, 
dab ftatt einiger weniger Namen ſyſtematiſche Verzeichniffe der im Bezirke vorkom— 
menden Wirbelthiere und Gefähpflanzen geboten werden. Nur wäre e3 bei leßteren 
ſehr erwünscht, wenn der Verf. nicht bloß die gewöhnlichen deutichen Namen, jondern 
and die im Bezirke üblichen beigefügt hätte. — Der Abichnitt über Sitten, Gebräuche 
und Aberglauben, der fonft gewöhnlich ziemlich ftiefmütterlich bedacht ift, enthält hier 
auf 20 Seiten, überfihtlich zufammengeftellt, ein prächtiges Material, dem jogar zwei 
Weihnachtsſpiele eingefügt find. — Erwähnt fei dann noch die Beigabe von 23 Sagen 
und 16 Biographien hervorragender Männer des Bezirkes. 


BON 


Auch die allgemeine Geſchichte des Gebietes gibt Zeugniß von dem Fleiß des 
Verfaſſers. Faft alles Einſchlägige aus der Gefchichts-Literatur ift ſorgſam bemütt, 
und die wichtigften Mbjchnitte find mit der gebührenden Ausführlichkeit behandelt. 
Daß das gelieferte Bild noch manche Lücken zeigt, wird den Kenner nicht Wunder 
nehmen; bei ähnlicher Gelegenheit habe ich in dieſen Blättern bereit3 hervorgehoben, 
welche Schwierigkeiten derartige Geichicht3bilder bieten. Zwar mangelt es für das 
behandelte Gebiet nicht an Hilfsmitteln. Wir haben eine ziemlich neue Geichichte 
von Auſſig bis 1547, Hallwichs Geſchichte von Türmitz liegt vor, und auch desjelben 
Verfaſſers Werke über Graupen und Teplis bieten manches, ebenjo wie Fodes Bud. 
Aber grade in den jchwierigften Fragen verjagen alle oder bieten widerjprechende An- 
gaben. — Sch Fann bier natürlich nur kurz ayf einige Punkte hinweiſen, deren Be— 
handlung zum Wideripruch herausfordert. Nicht übergehen möchte ich vor allem die 
al3 fiher Hingeftellte Annahme, daß in den Gebirgägegenden ſich Deutiche aus der, 
Beit vor der tihechijchen Einwanderung erhalten haben. Ich weiß, Fode hat ſpeciell 
für Nordböhmen den Beweis zu liefern verfucht und ift neuerdings in einer Heinen 
Schrift wieder darauf zurüdgefommen; gelungen iſt ihm der Beweis aber keineswegs, 
ebenjo wenig wie derielbe für einen andern Theil der Grenzgegenden Böhmens er: 
bracht ift. — Desgleichen ift es noch nicht erwiefen, daß Auffig feit Georg von Po— 
diebrad tichechifch geworden, denn daß nad) 1480 tichechiich amtirt wurde, gibt babei 
feinen Ausschlag. — Im allgemeinen wird dann noch darauf hinzuweiſen fein, daß 
über die Zeit von den Huſitenkriegen big auf das Eindringen de3 Lutherthums, allo 
ein Jahrhundert und drüber, eigentlich gar nichts gejagt iſt. 

Beiden geichichtlichen Notizen, welche den einzelnen Ortichaften beigefügt find, 
jpielen natürlich die herrichaftlichen Beftigverhältnifje eine Hauptrolle, und dieſe find 
grade im Auſſiger Bezirk ungemein verwidelt. Mancherlei Auskunft hätte da ein 
Aufſatz Hallwichs über die Familie der Kölbel von Geifing gegeben, der dem Ver— 
faffer nicht befammt geworden zu ſein ſcheint. Auch jonft werden weitere Nachfor— 
Ihungen manches nachtragen, anderes richtigftellen. Aus der Landtafel ergibt ſich 
3. B. daß 1580 von der Herrichaft Graupen die Dörfer Padloſchin, Zalest (theil: 
weile) und Qualen (theilweife) an die Stadt Auffig verkauft wurden; diefe verkaufte 
dann 1610 ihren Antheil von Zalesl an Leitmerig, Padloſchin und Dualen aber 
1612 an Seinrih von Bünau auf Türmig. — Ebenda ift auch zu finden, daß 
Schwaden erjt 1548 an die Salhaujen gefommen; was aljo ©. 189 und 309 über 
die Theilung von 1522 gejagt wird, ift bezüglih Schwaden und Richepin falſch, be- 
züglih Großpriefen ungenau. — Das Gut Doppis kam erjt 1568 zur Herrſchaft 
Dlankenftein (S. 262). Die Burg DBlanfenftern ift jedenfall nicht von den Johan: 
nitern erbaut worden (S. 280), und die Ruiine bei Moſern hat mit dem im der 
Beihichte der Bünaner viel genannten Wefjenftein (welches in Sadjen liegt!) gar 
nichts zu thun und hat auch nie jo geheißen (S. 276). - Die Dörfer Saara und 
Troſchig waren bis 1367 Befigungen des Klofters St. Georg in Prag; was Fode 
von einer Burg Trosfo berichtet, ift Spiel der Phantaſie, wie jchon darans erhellt, 
daß Troſchig früher nicht Trosko, jondern Sträzky hieß. Einen Blefta von Waltitow 
hat es nicht gegeben, es muß heißen Waltinow (©. 182). 

Das ©. 232 mit Fragezeichen genannte Dorf Sowoluſek ift nichts anderes 
als Soblig. Der Name des Dorfes Leißen kann nicht von les (Wald) abgeleitet 
werden, denn tfchechtich hieß es Lyia, was gerade auf eine fable, unbemwaldete Stelle 
deutet. Auch jonft wären noch einige falſche Etymologien anzumerken. So kommt 


=: 30. 


Lieben nicht von lipa (Rinde), denn der alte Name war Lewin; desgleichen hat 
Gratſchen, ehemals Hradedin, nicht? mit Kretſcham (tſchech. kröma) zu thun. Micht 
minder verunglüdt find Ableitungen wie Slabiſch (tſchech. Slavosov) von slabiti, 
und Kninitz von knez! Wenn ©. 180 von einem Damenitift St. Beit in Prag 
die Rede ift, fo fünnte man dad wohl für einen Drudfebler halten für das richtige 
Domftift, Hieke, 


P. Franz Focke: Böhmen ift das angeitammte Vaterland der Deutſch— 
böhmen. Im Selbjtverlage 1887. ©. 80. 


Der Herr Berfaffer, Pfarrer in Königswald bei Bodenbadh, ftellte im 1. Theile 
jeines auf drei Bände berechneten Werkes: „aus dem älteften Gefchichtsgebiete Deutſch— 
böhmens“ die Behauptung auf, daß ſich nad) der jlawilchen Einwanderung in Böhmen 
alte deutiche Volköreite in dem von ihm befchriebenen Geſchichtsgebiete erhalten und 
als jelbftändiges Element mit ihrer Sprade nnd ihrer Sitte behauptet haben. Der 
von verichiedenen Seiten an ihm ergangenen Aufforderung ſich auszuſprechen, welchen 
Umfang er diefer feiner Behauptung beilege, bejtimmten den Berf. die vorliegende 
Arbeit zu liefern, die er als einen Beitrag zur Löſung der Frage, ob fih alte deutjche 
Volksreſte in den böhmiſchen Gebirgsgegenden erhalten haben, betrachtet wilfen will. 
Der geehrte Herr Pfarrer ftellt adyt Fragen auf, deren Beantwortung den Inhalt 
des Schriftchens bildet. Sie lauten: 1. Welche Völkerſtämme bewohnten während 
der alten Zeit das Land Böhmen? 2. Wann kamen die Slaven nady Böhmen und 
was gejchah mit den da wohnenden Deutihen? 3. Welhe Wohnfise in Böhmen hatten 
die Slaven, welche die Deutihen? 4. Waren die böhmiſchen Slaven im Stande die 
in Böhmen wohnenden Deutichen zu flavifiren? 5. Was erzählt die Geſchichte von 
den Urdeutichen Böhmens? 6. Konnten diefe Urdeutichen fich mit ihrer Sprache und 
Eitte als ein felbftändiges Element in Böhmen behaupten? 7. Können die in Böhmen 
mwohnenden flapifchen Ort3-, Fluren:, Bergnamen u. ſ. w. ald Beweis dienen, daß 
diejes Land ausſchließlich von Slaven bewohnt geweien fei? 8. Iſt es möglid, daß 
die jegigen Deutihböhmen blos von deutſchen Einwanderern oder bon germanifirten 
Slaven abjtammen können? Obſchon mit manchen Anfchauungen und Behauptungen 
des Verf, nicht ganz einveritanden, auf die aber näher einzugehen der und vergünnte 
Raum nicht geftattet, müſſen wir doch hervorheben, daß das Schriftchen die geftellten 
Fragen nicht etwa leichthin behandelt, fondern daß es zu weiteren Forfhungen an- 
regt, und daß der geehrte Herr Verf. ein treuer Sohn jeines deutſchböhmiſchen Volkes 
it, das „obſchon räumlich getrennt, ſich dad Bewußtſein feiner Zufammengehörtgfeit 
durch das häufig vorgefommene feindfelige Verhalten der böhmiſchen Slaven, durd) 
ihre bedrohte Lage, durch die gemeinfame Gefahr, durch den aufgedrungenen Kampf 
und die dadurch bedingte gemeinfame Abwehr erhalten hat“. —n. 


sr. Dollinger: Geſchichte von Pürglig. Wien 1857. ©. 91. 


Der Herr Verf. hat was ihm über feinen Gegenftand erreichbar war gefammelt, 
in dem vorliegenden Schriftchen verarbeitet und eine recht fleißige und lejenswertbe 
Monographie geichaffen. Die bei alten und neneren Schriftitellern, bei Cosmas, Pa: 


—— 


lacky u. ſ. f. gelegentlich vorkommenden Notizen über Pürglitz, aber auch manche un— 
gedruckten Urkunden lieferten den Stoff zu dem vorliegenden Werk, das unſere volle 
Anerkennung verdient, wenn vielleicht auch das ungedruckte Material von Herrn 
Dollinger nicht erſchöpft wurde, da nach unſerem Dafürhalten ſich noch manches in 
dem Archive der hieſigen Statthalterei und in denen Wiens ſich auffinden ließe. 

Im erſten Theile werden uns die Schickſale der Burg und Herrſchaft Pürglitz 
bis zu dem Augenblicke geſchildert, mit welchem fie in Privatbefig übergehen. Die 
Schriftfteller von Spectalgeichichten haben uns fattfam daran gewöhnt, daß fie die 
Gründungen von Burgen, Städten u. |. f. in das grauefte Alterthbum hinaufzurüden 
und fie an unbiftorische Beriönlichkeiten anzufnüpfen lieben; wir ſtaunen daher aud) 
nicht, obſchon wir e3 bedauern, daß auch der Herr Verf. die „reckenhafte Geftalt 
Kroks“, die ihm aus dem fagenhaften Dunkel des 7. Jabrhundert3 „greifbar hervor: 
tritt“, und deffen drei Töchter benöthigt, um altehrwürdige Erbaner der Burg aus— 
findig zu machen. Er hätte Krof und die Seinigen in dem Dunkel der Geichichte 
ungeftört ruhen lafjen können, und er hätte fich begnügen jollen mit dem Zeitpunfte 
zu beginnen, in welchem der Name der Burg das erftemal urkundlich auftaucht. Von 
der Hand alter und neuer Schriftiteller geleitet erzählt hierauf der Verf. die Geſchicke 
von Pürglik bis zum Ausgang der VPremyiliden, die wir wiederholt auf der Burg 
und jagend in den Wäldern finden. Sie gewinnt au Bedentung unter den Luxem— 
burgern und den nachfolgenden Königen von Böhmen; idy will blos aumerfen, daß 
auf Pürglis, wie männiglich bekannt ift, der in der Schladht bei Mühldorf gefangene 
Herzog Heinrich von Defterreih in Haft jaß; gleichzeitig mit ihm mußte hier auch 
Karl auf Anordnung feines mißtrauiſchen Vaters König Johann feinen Wohnfit 
aufichlagen. Karl, jpäter Markgraf von Mähren, dann König von Böhmen und 
Kaiſer von Deutjchland, weilte wiederholt auf Pürglis, desgleichen jein Sohn und 
Nachfolger Wenzel. Furchtbar litt die Burg während der Hufitenftürme. Schon vordent 
wiederholt verpfändet, kam jie während der Negierung Sigismunds an Aleſch Holichy 
von Sternberg, der fie zu einem prächtigen Herrnfige machte, — Im zweiten Theile 
erfahren wir, daß die verpfändete Burg vom König Ladijlaus eingelöft, vom König 
Georg von Podiebrad an jeinen Sohn Heinrid Herzog von Münfterberg verpfändet 
und vom König Wladiſlaw wieder eingelöft wurde, der jie umbauen ließ. In deu 
Kerkern von Pürglit ſchmachteten zeitweilig hervorragende Männer, die ob ihrer po- 
litiſchen oder kirchlichen Richtung das Mißfallen der Machthaber des Landes auf fid) 
gezogen hatten; einer der befannteften ift Johann Augujta, Biſchof der böhmiſchen 
Brüder, der wiederholt auf das graufamfte gefoltert von 1548 bi3 1564 in ftrenger 
Haft gehalten wurde. Ju diefe Zeit fällt der längere Aufenthalt der Philippine 
Weller, Gattin des Erzherzogs Ferdinand, auf Pürglis, die den gefangenen Bifchof 
nit ihrem Beſuch beehrte, der mittelft des Pinfels eines neueren Künftlers dargeftellt 
wurde. — Bon Leopold I. wurde 1685 die Burg und Derrihaft an Ernſt Grafen 
von Walditein verfauft, von dem fie anf feinen Sohn Johann und feine Enkelin 
Maria Ana, vermählte Fürftin zu Fürftenberg gelangte. Diefe verwandelte fie in 
eine Secundogenitur de3 fürftlichen Hauſes (beftätigt 1756), das num feit mehr denn 
ein Jahrhundert im Beſitz derſelben ift; die Burg hat aufgehört die Nefidenz der 
fürftlihen Familie zu jein. 

Mit dem Jahre 1756 bricht die fleißig gearbeitete Schrift ab. Sollte mit der 
Zeit fi die Nothwendigkeit einer zweiten Auflage herausftellen, dann wäre zu wünjchen, 
daß die Geichichte der Herrichaft bis auf unfere Tage fortgejeßt werde, die ja durd) 


—— 


die umſichtige Thätigkeit ſeiner fürſtlichen Beſitzer an Bedeutung in jeder Richtung 
unendlich gewonnen hat. -vu. 


Dr. Ottokar Weber: Die Quadrupel-Allianz vom Jahre 1718. Ein 
Beitrag zur Gejchichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert. Prag, 
Tempsky 1887, ©. 122. 


Die Quadrupel-Alltanz von 1718 und nicht der Friede von Utrecht hat dem 
langen Streite um das ſpaniſche Erbe ein Ende gemadyt. Die vorliegende Schrift 
bat fid; die Aufgabe geftellt, die diplomatischen Verhandlungen, welche dieſes Ergebniß 
berbeiführten, Har zu legen. Dem Berf. ftand ein reiches, bislang unbenütztes hand— 
Ichriftliches Material zu Gebote, in erjter Linie das E. k. Haus-, Hof: und Staats- 
archiv ın Wien, weiter die Staatdardive in Berlin und Hannover, das Archive la 
Ministere des Affaires Ftrangeres in Paris und das Record-Office in London; aber 
auch die Memoirenwerke boten ihm jchägbare Mittheilungen. Wir begrüßen die Ab- 
handlung, mit weldher Herr Dr. D. Weber, Docent an der hiefigen deutjchen Univer— 
fität, das eritemal, wie wir vermuthen, im die Schranfen tritt, als eine tüchtige Ar— 
beit, mit der er ſich ald gediegener Fachgelehrte und als bejonnener und gründlicher 
Forjcher einführt, der feinen umfangreichen Stoff ſorgſam zu fichten und feinen Leſern 
in Marer Weife zur Anfchauung zu bringen verjtand. Es iſt nicht unſere Aufgabe 
auf die anziehend gefchriebene Studie näher einzugehen, wir begnügen uns die Auf: 
merkſamkeit feiner Fachgenoſſen auf die Schrift zu lenfen und Ausdruck der ficheren 
Doffnung zu geben, daß wir den geehrten Verfaſſer auf dem Gebiete der Geſchichts— 
jchreibung noch recht oft begegnen werden. —n. 


Wolkan, Dr. %: Beiträge zu einer Geſchichte der Reformation in 
Böhmen. I Das Decanat Auſſig. (Sep.-Abdr. a. d. Jahrb. der 
Geſ. f. Geſch. des Protejtantismus in Dejterreih. 8. Jahrg. 1. Heft.) 
Wien und Leipzig 1887. 


Bereit vor einigen Jahren fonnten Beiträge des Verf. zur Geſchichte des 
Lutherthums in Böhmen angezeigt werden. Da bei der Verbreitung desjelben der 
Einfluß des Gutsheren ein fehr bedeutender war, fo behandelte er früher in diejer 
Hinfiht mehrere der wichtigften, damals in Nordböhmen begüterten Adelsgeſchlechter. 
Diesmal legt er feinen Ausführungen die alte kirchliche Eintheilnng Böhmens zu 
Grunde und beginnt mit dem Auffiger Decanat. — Wer e3 einmal verjucht hat, 
für ein engeres Gebiet fi) von der Verbreitung des Proteftantismus eine genaue 
Borftellung zu verichaffen, wird zugeben, daß bier noch gar viel zu erforſchen übrig 
ift. So iſt 3.9. im den meiften Fällen noch wenig bekannt, was die einzelnen Stadt- 
archive in diefer Richtung bieten. Für das Auffiger Decanat liegt wohl die Arbeit 
Hallwichs über Graupen vor, und W. wiederholt bezüglich diefer Stadt auch faft nur 
das dort Gebotene. Ein reiches, wenn auch natürlich einfeitiges Material liegt im 
Archiv des Erzbisthums in jenen Berichten und Briefen, die von den katholiſchen 
Yandgeiftlihen und anderen Berfonen nad) Prag gefendet wurden. Das Neue in 


— — 


der Schrift Wolkans iſt meiſt dieſen Berichten entnommen, und ſo erfahren wir 
manche intereſſante Einzelheiten, obwohl dieſelben bei Weitem noch nicht genügen, 
um ein vollſtändiges Bild der jeweiligen kirchlichen Zuſtände zu liefern. So find 
auch die Schlüjfe des Verf. auf die allgemeine Verbreitung der neuen Lehre nad 
den befannten Berichten nicht immer ganz berechtigt. Man wird 3.8. nicht behaupten 
können, daß Auffig 1566 faft ganz proteftantiih war (S. 7), wenn der Pfarrer noch 
1574 um einen Raplan bittet (S. 14). Und fo wäre noch auf einige andere Stellen 
binzumeifen. — Bu der vorliegenden Arbeit hätte auch eine genaue Kenutniß des 
Bezirkes, befonders der damaligen Beligverhältnifje gehört. Was W. bringt, zeigt 
bizweilen Ungenauigkeiten oder Fehler, und e3 entipricht gewiß nicht dem Zwecke, 
wenn an die Spite ein Verzeichniß der Pfarreien des Decanats geftellt wirb, melches, 
augenfcheinlich Frind entnommen, den Bırbältniffen vor den Huſitenkriegen entipricht, 
ohne auf die Ipäteren Veränderungen Rüdfiht zu nehmen. So fehlt alio 3. B. 
Proboſcht, das damals zum Decanate gehörte; ftatt Brozan foll es übrigens heißen 
Proſanken, und Deutſch-Kahn war nie eine Pfarrei, denn Komonis ift der tichechiiche 
Name für Arnsdorf. — Zum Schluffe möchte ich noch hervorheben, daß am Ende 
des 30jährigen Krieges die Anhänger Luthers doch noch nicht ganz verſchwunden 
waren, wie der Verf. meint. Ein Bericht, den das Leitmeriger Vicariat im J. 1650 
nad) Prag fandte, führt an, daß in 6 zur Pfarrei Graupen gehörenden Dörfern fait 
nch alle Broteftanten feien, desgleihen in Ebersdorf, Hafenftein, Woitsdorf und 
Strefenwald; aud ſei in den beiden legten Orten wenig voffnung — 
wenn nicht die Herrſchaft antreiben wolle. . Hieke. 


Heinrich Gradl. Geſchichte des Egerlandes, Mit Abbildungen, Karten 
und Plänen. 1 Bd. Heft 2, 3, 4. Eger 1886. Wig in Eger. 


Abſchnitt 3 diefes trefflichen Werkes, deffen erfte Lieferung ſchon früher ange— 
zeigt wurde, behandelt die jlaviiche Ueberflutung. Gradl ftellt die Ortsnamen ficher- 
Haviihen Urjprunges zufammen, um ein Bild des Zuftandes zu gewinnen, ben das 
Ober-Egergebiet int Laufe der wendiichen Periode zeigte. Das Vordringen der Wenden 
von Often her zur Zeit König Dagobert3 war ein allmäliges. Die entichiedene 
Wiederbejegung de3 Egergebietes geihah als Folgeereignii des Kriegszuges von 
1003 und 1004. Eger als Ortichaft wird im Jahre 1061 zum erjtenmal genannt. Die 
Markgrafen aus dem Gefchleht der Diepoldinger beendigten den bisherigen Wechſel 
der Geſchlechter. Die Stiftung des Klofterd Waldſaſſen fällt in diefe Zeit und war 
für den Eultus des Egerlandes und Böhmens von hoher Bedeutung. Das erfte Ge— 
ichledht, welches Eger zu einem deutichen Vollbefig gemacht, endete 1257. Die Staufen 
famen in den Bejig. König Konrad unterftellte Eger der Reichsgewalt. 1203 wird Eger 
als Stadt genannt um 1240 dürfte ſchon Eger das Selbſtverwaltungsrecht erlangt 
haben. Eger blieb aud unter den fjpäteren Staufen die vielaufgefuchte Pfalz des 
Staufenhaufes. König Richard hatte gegen Herzog Ludwig dem König Ottofar II 
von Böhmen nad) dem Untergange der Hohenftaufen den Schuß der Reichsgüter, die 
gleihjam wie unter einem Erbrecht von den Staufern dem Neich entzogen waren, 
ſoweit jie rechtörheinifch waren, übergeben. König Ottokar dehnte dieſes erworbene Recht 
thatſächlich nur auf das Egerland aus. Ottokar war bemüht die Bürger Egers an 
ſich zu feffeln, die Urkunde vom 4. Mai 1266 beftätigte ihnen ihre Freiheiten und 


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gab neue hinzu. Nach Ottokars Tod gab Rudolf von Habsburg das Egerland als 
Reichsgut unter den Burggrafen von Nürnberg. Der Egerer Yandrichter war diefem 
unteritellt. Nach Rudolf? Tod nahmen die Egerer den König Wenzel, fo lang das 
Reich ohne Herrn wäre, zu ihrem Herrn, dod) fchon 1304 verfügte König Albrecht 
wieder über Eger al3 über unmittelbares Reichsgut. Der IX. Abjchnitt „Eger als 
Reichsland und Reichspfand“ wendet ſich den Verhältniffen unter den Luremburgern zu; 
die Verpfändung Egers duch Ludwig den Baier an Johann, König von Böhmen am 
4. October 1322 ift eine der wichtigſten Thatſachen in der Geſchichte des Egerlandes. 
„Niemand ahnte damals daß dieje Pfandfhaft nicht wieder ausgelöft werden follte.” 
Einige jehr gute Abbildungen und ein genaues Facfimile von König Johauns Urkunde 
über Hinnahnte des Egerlandes zieren diefe 3 Hefte. So fchreitet Gradls Arbeit in 
feiner ichlichten Haren Darftellung wader vorwärts, auf jeder Seite den Beweis liefernd, 
mit welcher Liebe Grad! an jeinem Werke arbeitet, und welch gründliche Studien er 
lange angeftellt. Ch. 


Paudler. Sagen und Märchen, Umdichtungen. 2. Aufl. Wien 1837. 


Vollsjagen als Stoffe für Romanzen und Balladen zu wählen, liegt nahe; da 
aber nicht jede Sage einen dichterifchen Werth befitt, jo wird immer eine Fuge Aus— 
wahl getroffen und insbefondere die Prüfung nad der höheren Fdee vorgenommen 
werden müſſen. Paudler beſitzt unlengbar einen ftarfen poetischen Sinn, der ihn au 
der Klippe des Trivialen vorüber leitete. Er bat fi Uhland zum Vorbild genom— 
men, und der nordböhmiſche Epigone des großen ſchwäbiſchen Dichterd verdient alle 
Beachtung. Seine Form tft durchweg edel, und mit Geſchick läßt er in der Sprache 
beimatliche Klänge hervortreten. Nur eine Bemerkung möchten wir mit Rüdficht auf 
einige Stücke machen. Wer Volksſagen als jolche erzählt, hat fich getreu an die Leberlieferung 
zu halten, und jede eigene Zuthat auf das Strengfte zu vermeiden. Es ift in biefer 
Richtung in unſerer heimifchen Literatur jchon viel zu viel gefündigt worden. Paudler 
Scheint mir nun gerade in den entgegengejeßten Fehler bei einem oder dem anderen 
Stüde zu verfallen. Er will al3 Hiftorifer von der eigentlichen Volksſage nicht ab- 
weichen, kommt aber hiebei mit dem Dichter in Colliſion. Dem Dichter ift es nicht 
nur erlaubt, jondern er ift in vielen Fällen gerade darauf angewiefen, feinen in der 
Sage vorgefundenen Stoff zu erweitern oder zu vertiefen, je nachdem e3 die künſtle— 
riichen Gejege erfordern. Beides zu vereinigen, ganz getreu der Ueberlieferung zu 
bleiben und zugleich eine Kunftdichtung zu liefern, wird in den jeltenften Fällen ge— 
lingen. Wir verweifen z. B. auf „Krähenzeugniß“ und auf die Behandlung eines ähnli- 
chen Stoffes durch Schiller in den „Kranichen“. Auch die Uhlandichen Sagen find 
Kunftdichtungen, und der ftrenge Sagenforfcher wird diefelben immer als ſolche auf- 
zufafien haben. — Die in der zweiten Auflage nenaufgenommenen Stüde, bejonders 
„der Abjchied von Quitkau“ und das Märchen „Ohne Sorgen“ bereichern das a. 
chen, welches Herrn Dr, Franz Schmeyfal gewidmet ift, weſentlich. 


wenzel Hieke. Geihichte des Kirdiprengels Hummel. Leitmerig 1887. 
Zur Feier de3 bundertjährigen Gebächtniffes der Kirchengründuug in feinem 
Heimatsorte ließ der Verfaſſer vorliegendes Werkchen ericheinen, das diefelbe Genauig— 


feit und Gründlichkeit der Forſchung darthut, wie fie Herr Hiefe in feinen genealogi— 
ichen Arbeiten bereitö an den Tag gelegt. Bis in das XII, Jahrhundert zurüd werden 
alle urfundlihen Nachrichten, die jih über Hribojedy (der ältere Name von Hum— 
mel) und die Nachbardörfer vorfanden, aneinander gereiht und durch Bemerkungen 
‚aus der allgemeinen Geſchichte des Landes ſachlich verknüpft. Werthvoll find die ein— 
geflochteten agrariihen Notizen. Die Periode der Reformation und Gegenreformation 
ift genügend erörtert, nicht jo fehr jene Zeit, in welcher das alte tichechiiche Dorf 
dentjchen Charakter annimmt. Die Schwierigkeiten, die fich der befriedigenden Auf: 
hellung dieſer legteren Frage im Allgemeinen entgegen ftellen, treten eben ın dieſem 
einzelnen Falle gleichfalls auf. Das Werkchen Elingt in warmen Worten über Kaijer 
Fofef, den Gründer der Hummler Kirche (1786), aus, und der Werfaffer bat ganz 
Recht, dem Landmanne zuzurufen, er möge ftet3 dafür eintreten, daß ihm das erhalten 
bleibe, was er durch Kaiſer Joſeph und das Jahr 1848 gewonnen. 8. 


Holder Auguſt: Die Ortschroniken, ihre culturgeſchichtliche Bedeutung 
und pädagogiſche Verwerthung. Ein Beitrag zur richtigen Beurtheilung 
des idylliſchen Chronikeneults. — Stuttgart 1886. 


Daß in den Kreiſen der Lehrerſchaft ein reges Intereſſe für die Geſchichte der 
engeren Heimat erwacht iſt, beweiſen die zahlreichen Bezirkskunden, die ſeit etwa 10 
Jahren erſchienen ſind. Und wenn man bedenkt, welcher regen Theilnahme ſich mehrere 
in den legten Jahren gegründete Vereine erfreuen, deren Publicationen die Orts— 
geihichte in ausgedehnten Maße pflegen, jo wird fein Zweifel möglich jein an dem 
großen Antheil, den alle Claſſen der Bevölkerung an localgefhichtlihen Forihungen 
nehmen, Das Streben nun die Vergangenheit zu erforfchen, legt es nahe, die Schid= 
jale de3 Heimatsortes während der eigenen Lebenszeit aufzuzeichnen und jo der Nach— 
welt zu überliefern. Daß dies möglichſt allgemein gefchehe, muß jeder Geichichtsfreund 
wünſchen. Drum jei hiemit auf das obengenannte Heine Schriftcdyen aufmerkſam ge— 
macht, daß es ſich eben zur Aufgabe gejetst hat, die Bedeutung der Ortschronifen für 
die Familie wie für die Schule darzulegen. Man wird, im jtiliftiicher Hinficht, mit 
der Behandlungsweile des Verfaſſers nicht immer einverftanden fein, in der Sadıe 
aber wohl überall beiftimmen. Hieke. 


Joſef Rabl: Illuſtrirter Führer durch Bühnen. (Hartlebens illujtrirter 
Führer Nr. 29.) Wien, Veit, Leipzig 1887. 


Aeußerlich ftellt ji der nene Führer durch Böhmen recht zierlich dar, hand» 
licher und bequemer als das Handbuch Rivnac's. Ob aber gegenüber dem legteren 
ein Fortichritt zu verzeichnen ift, möchten wir bezweifeln. Wir verlangen von einem 
Reiſehandbuch nicht gerade wiſſenſchaftliche Gründlichkeit und nody viel weniger er— 
ihöpfende Nachrichten. E3 möge eher weniger, ald mehr aufgenommen werden, nur 
muß das Gebotene auf voller Wahrheit beruhen. Sonft wird der Führer leiht ein 
Verführer. Wer nun aber mit vorliegendem Buche reift, wird eine große Anzahl 
falfher Namen und unrichtiger Daten in den Kauf nehmen müfjen, was gewiß jehr 
mißlich ift. Heben wir eine oder die andere von den Eifenbahntouren, nach welchen 

3* 


dh 


das Buch geordnet it, heraus. Wir wollen über Karlsbad nad) Teplis reifen, gewiß 
eine jehr bekannte und viel benützte Strede. In Karlsbad wollen wir bei Pupp 
wohnen, wir erfahren aber, daß diejes großartige Gtabliffement nur aus einem 
Cafeſalon beftebt. Die jo beliebten Speijehäufer Hopfenftod, Loib, Morgenftern finden 
wir nicht verzeichnet, dagegen den „rothben Ochfen“. Mit dem „neuen Curhaus“ auf 
der alten Wiefe (!) ift wohl die Stabtparfreftanration gemeint. Auch die prächtigen 
Gaftgärten Schweizerhof, Kaiſerpark, Schönbrunn feinen zu Verfaffers Zeiten noch 
nicht beitanden haben, ebenjowenig der Stadtpark, das Göthedenfmal, das neue Ba— 
dehaus, die englifche, protejtantifhe und ruſſiſche Kirche u. j. w-; dagegen wurden 
damals Concerte auf der alten Wieſe abgehalten und hat der „Stadtgarten“ zu— 
nächſt dem „Lützowſchen Schloffe” imponirt. Von den medicinifchen, geologiſchen und 
biftorifchen Notizen wollen wir gar nicht reden. Wir ftaunen, daß bei der vorhande- 
nen reichen Literatur über Karlsbad jo Oberflächliches noch gebradjt werden fonnte. 
In die Umgegend Karlsbads aber wollen wir und mit unferem Führer nicht begeben ; 
er madht und zu große Umwege, wenn er 53. B., um auf den Aberg zu gelangen, 
den Weg nad der Franz Joſefshöhe vorjchreibt. Reifen wir lieber mit der Bujchte- 
hrader Bahn ab, halten wir aber nicht in Schladenmwerth au, um etwa über Joa— 
himsthal anf den Keilberg zu gelangen. Mit dem Führer würden wir den König 
des Erzgebirge kaum erreichen. In Klöſterle brauchen wir uns auch nicht aufzuhalten, 
„denn es befigt außer der Pfarrfirhe und einem alten Brunnen am Ringplage nichts 
Bemerkenswerthes.“ Graf Oswald Thun wird jehr betrübt fein, wenn er erfährt, daß 
jein reizend an der Eger gelegenes ſchönes Schloß, das man doch von der Bahn 
aus wahrnimmt, plöglidy verſchwunden if. Die Stadt Kaaden aber fann zufrieden 
jein, fie wird „bedeutend“ genannt; wenn aud das Gymnaſium unterichlagen wird, 
jo erhöht fich dagegen die Aderbaufchule zu einer „Lehranftalt für Yand- und Forſt— 
wirthſchaft“. Bisher Icheint die Gegend tſchechiſch geweſen zu fein; exit bei Kommotau 
wird hervorgehoben, daß es 10.000 deutſche Einwohner hat, Oder foll etwa eine 
Anjpielung auf das befannte tichechiihe Sprichwort über Kommotau vermuthet 
werden? Neu wird übrigens den Kommotauern fein, daß in ihrem Weichbilde eine 
„ka k. militärtehnifche Lehranitalt“ fich befindet, und daß ihr lieblicher Alaunſee 
nichts anderes ift, ald eine „eingeftürzte Braunfohlengrube“. 

Wir fahren nunmehr mit der Auffige-Tepliger Bahn weiter an vielen Orten 
vorbei; „Hammerpurſch“ und „Lignis” (recte Kummerpurſch, Liquitz) dürfte man 
auf keiner Karte finden. Wir erfahren ferner, daß erft hinter Dur bei dem Rieſenbad 
jenes ausgedehnte Rohlenbeden beginnen joll „deilen Gruben mit den Tepliger Quellen 
in einem gefabrdrohenden Zufammenhange ftehen“. Unterwegs haben wir Görfau 
„berühmt durch großartige Obfteultur“ berührt; aud „die Spielwaarenfabri: 
fen“ (I) in Oberleuteusdorf find „großartig“. Brür fommt fehr ftiefmütterlich weg. 
Sein tihechiicher Name wird zwar genannt, aber nichts von dem mächtigen Kohlen- 
bergban, den Zuderfabriden u. |. w. erwähnt. Wir halten in Teplig mit der Bahn, 
aber auch mit unferer Beiprehung. Denn wir müßten von Teplig wie von Karlöbad 
berichten: am Führer werden wir irre. — Andere Routen noch zu unterjuchen, wird 
man uns unterlaffen; mit diefem Führer mögen wir nicht weiter reifen, troß der 
hübſchen Illuſtrationen und Kärtchen, die wirklich qut find. S. 


— BE 
Guſtav Winter: Niederöfterreihiihe Weisthümer. 1. Theil. Das Viertel 
unter dem Wiener Walde. Wien 1886. 


Die große von der Wiener Akademie der Wilfenichaften herausgegebene Samm— 
fung öfterreichischer Weisthümer erhält im vorliegenden mehr als 1100 Seiten faſſenden 
Band eine ftattlihe Bereicherung. Der große Reichthum Niederdfterreihs an Ban- 
tatdingen war zwar ſchon durd frühere Publicationen, insbefondere durch die Kalten— 
bäck'ſche Sammlung befannt, tritt aber erft durd Winters mühjelige Arbeit vecht zu 
Tage. Dieje bringt 214 Stüde für 154 Oertlichfeiten aus dem Viertel unter dem 
Wiener Walde zur Beröffentlihung gegenüber den 89 Stüden Kaltenbäd3 betreffend 
62 Orte. Im Ganzen bringt Winter 103 bisher ganz unbefannte Nummern. Aber 
auch der Neudrud der Kaltenbäck'ſchen Stüde it von hohem Werthe durch die von 
Winter vorgenommene ſtreng wiſſenſchaftliche Textkritik. Zwei weitere in Ausſicht 
genommene Bände ſoll die beiden Mannhartsviertel und das Viertel ob dem Wiener 
Walde erſchöpfen. Daß im vorliegenden Bande ſieben weſtungariſche Taidinge im 
Anhange aufgenommen wurden, wird gewiß nur Billigung finden. Wie die früheren 
Bände der öſterreichiſchen Weisthümer zeichnet ſich auch die Winter'ſche Ausgabe durch 
die größte Grümdlichkeit, ſowie die mufterhaftefte Sorgfalt aus. Die Bearbeitung 
der Texte erfolgte nach den bewährten Grundjägen, wie fie insbefondere in den Salz- 
burger Taidingen beobachtet wurden. Die von Winter beliebten Abweichungen fünnen 
nur als Verbeflerungen angejehen werden. Auf das Sachliche der niederöiterreichifchen 
Zaidinge eingehen und auf die hohe Bedentung derfelben für die Rechts- und Cultur— 
gefchichte Hinmweifen zu wollen, wäre überflüffig. Ein flüchtiger Blid in das Sad): 
regifter genügt, die überaus große Mannigfaltigkeit des an Stofflihem Gebotenen zu 
erkennen. Die jprahlihe Ausnügung wird nach Erſcheinem des Gloſſars, welches 
dem dritten Bande angehängt werben foll, leichter werden, als es jegt der Fall ift. 

>. 


Taubmann Joſ. Alfred: Märchen und Sagen aus Nordböhnen. Aus 
dem Volksmunde gefammelt. Reichenberg 1837. 


Die Heimat der in diejem hübſch ausgeftatteten Büchlein gefammelten Märchen 
ift die Gegend weftlih vom Jeſchken, um Roll und Dewin (oder Diewin, wie ber 
Berf. fchreibt). In den meiften bderfelben trete handelnd auf entweder reizende 
Buſchweiblein, die den Menſchen durch Rath und That beiftehen, ſelbſt glückbringende 
Hausfrauen werden, bis Fluchen fie vertreibt; oder gutmüthige Zwerge, oder and) 
der Waflermann, der hier feineswegs immer feine boßhafte Natur zeigt. Pier 
Nummern erzählen vom wilden Jäger, und in ebenfo vielen tritt der Teufel auf. 
Die Sammlung zeigt, wie viel ein verhältnigmäßig Meines Gebiet von ſolchen 
Schöpfungen der Volköphantafie aufweist, und dem Verfaſſer gebührt der Dank für 
die Veröffentlihung. Nur werden wohl viele mit und nicht ganz einverftanden fein 
mit der Art der Wiedergabe. Wir meinen, zu den naiven Erzählungen paffen die 
ſchwungvollen poetischen Naturfchilderungen, welche gleichfam in die richtige Stim- 
mung verjegen jollen, jehr wenig, umfomehr als die Kraft des Erzählers in ber 
Wahl der Bilder hin und wieder verjagt. Indeß muß hervorgehoben werden, daß 
diefe Einleitungen in den fpäteren Theilen nicht mehr jo regelmäßig wiederfehren. 

W. Hieke, 


IS 


2 
— 38 


— 





Georg Löw. Ein Gedenfblatt den Verehrern und Freunden desſelben, 
gewidmet von dem Beamtenförper der k. k. priv. Böhmiſchen Nordbahn. 
Sufammengejtellt von Robert Wünſche. Prag 1887. 


Der zu Berg im Egerlande am 26. Auguft 1830 geborene und am 8. Mai 1837 
verftorbene Generaldirector G. Lyw verdient das würdig geichriebene Gedentblatt, dag 
ihm feine Beamten in wehmüthiger Verehrung widmeten. Löw war durch und durch 
ein ganzer Mann, der durch eigene Kraft und Tüchtigkeit feinen Weg fi bahnte 
und troß feiner aufreibenden Berufsgeichäfte immer noch Zeit fand, die Intereſſen 
jeiner deutſchen Stammesgenoffen in den verichiedenften Vereinen, jowie im böhmiſchen 
Yandtage, auf das Förderlichite zu vertreten. Seine unvermwüftliche Arbeitskraft, ſein 
Huger Rath, fein opferwilliger Sinn wird noch lange in weiten Kreifen jchmerzlich 
vermißt werden, Mit Dank jei die biographifche Gabe, welche mit einem trefflichen 
Bildniß des PVerftorbenen geziert ift, begrüßt. S. 


Dr. Hermann Rnothe: Fortjesung der Geſchichte des Oberlauſitzer Adels 
und jeiner Güter von Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1620. — (Sep.-N. 
a.» N. Laufig. Magaz. 63. Bd. 1. Hit.) Görlig 1887. 


Knothes Geſchichte des Oberlaufiger Adels, die 1879 erfchien, iſt allgemein 
befaunt und geſchätzt als ein fiherer Führer durch die Geſchichte der zahlreichen, oft 
weit verzweigten Adelsfamilien dieſes Landes und ihre oft wechſelnden Belitwerhält- 
niſſe; und faum ein anderes Land dürfte fid) eines ebenio vollitändigen und zugleich 
gründlichen Handbuches rühmen fünnen. Allerfeit3 wird man es daher mit Freunden 
begrüßen, daß fich der Verfaſſer entichloffen hat, in der vorliegenden Fortjegung feine 
früheren Angaben bis auf den dreißigjährigen Krieg fortzufühbren. Durch diefen Krieg 
wurden auch in den Mdelsverhältniffen der Oberlaufig bedeutende Veränderungen 
herbeigeführt, jo daß derjelbe einen natürlichen Abichnitt bildet. 

Auch der, welcher ſich bei ung mit genealogiichen Forihungen zu beichäftigen 
hat, wird für die Arbeit höchſt dankbar fein. Nicht nur daß bei der engen Berbin- 
dung der Oberlaufig mit Böhmen mannigfahe Verfhwägerungen vorfamen, es wen: 
deten fich auch ſchon jeit alter Zeit vielfach Zweige von Oberlaufißer Familien nad) 
Böhmen. Bor allem bat deren Nordböhmen nicht wenige aufzuweisen, einige aber 
haben ſich mit der Zeit auch über die fernern Theile des Landes verzweigt. Ich 
erinnere 3. B. an das Geſchlecht der von Grosdorf; ihre Verwandten in der Laufit 
waren in der zweiten Hälfte des jechzehnten Jahrhunderts aber jo zahlreidh, daß 
ſelbſt Knothe bei feiner unübertroffenen Detailtenntniß auf die Behandlung dieſes 
Geſchlechts verzichtet. Bon den behandelten Familien hatten die von Luttitz jchon 
jeit dem Anfang des 14. Ihdts. Verwandte in Böhmen, die im Befige von Rankers— 
dorf bei Benjen waren. Um 1500 tritt ein Zweig der von Penzing auf im Befige von 
Straußnig bei Leipa, dann Sandau. Etwas jpäter ericheinen die Raufendorfer von 
Schramberg, die längere Zeit im Mittelgebirge links der Elbe begütert waren. So 
gehörte ihnen eine Zeit Dubkowitz bei Loboſitz, das jpäter an eine andere Lauſitzer 
Familie kam, die Belwig von Noßwitz, die wieder bei. als Herrn von Liboch und 
Berkowitz befannt find. Ein Chriftoph von Berbisdorf war 1546—64 Beliter des 


=. Be 


Gutes Boreg bei Loboſitz. Durch die Verheiratung der Margarethe von Luttig mit 
Ernit von Rechenberg (S. 133) fan ein Theil von Markersdorf an diejs Fantilie 
und blieb bei derjelben bi3 1668. Noch wären zu erwähnen Kaspar Chriftoph von 
Kottwig ald Beliger von Warnsdorf, und Heinrich Rodewitz von Friederädorf, der 
1548 Schwoika kaufte; und jchließlich die feinerzeit in Böhmen wie in der Laufit 
jo begüterten Burggrafen von Dohna. 

Den größten Raum nimmt bei Knothe diesmal ein das Geſchlecht der Noſtitz, 
und der Verf. hat ſich bei demjelben nicht auf die Zeit bi$ 1620 befchränft, fordern 
auch die Folgezeit berüdfichtigt. Da eine Linie feit dem bdreißigjährigen Kriege in 
Böhmen große Herrichaften erworben hat, fo hat auch dieſer Abjchnitt für ung Be— 
deutung. In einer vorausgebenden 1. Abtheilung bietet K. wieder allgemeine Aus- 
führungen über die Verhältniffe des Adels der Oberlaufiß in jener Zeit. Er con— 
ftatirt die ftarfe Verarmung der meiften Familien, die Roheit der Sitten und die 
läſſige Gerichtöpflege. Dann zeigt er, wie ſich damals der ganze Befiß der Ritter- 
Ibaft, der uriprünglich gleihmäßig Xehensbefiß war, in 3 Claſſen ſchied: 1. Manns- 
leben mit Erbrecht der Agnaten bis zum 7. Glied; 2. Güter von Familien, melde 
angerden zur gefammten Hand belehut waren, endlich 3. freivererblihe Güter. 

W. Hieke. 


Kalenderſchan. 


Deutſcher Volkskalender für 1888. Herausgegeben vom „Deutſchen Verein 
zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntniſſe“ im Prag. Redigirt von 
Julius Lippert. XVIII. Jahrgang. 


Lipperts „Deutſcher Volkskalender“ hat ſich nicht bloß längſt die Gunſt der 
weiteſten Kreiſe erworben, er nimmt auch in der Kalender-Literatur überhaupt einen 
hervorragenden Platz ein. Dies verdankt er beſonders jenem Abſchnitt, der den Titel 
„Belehrendes und Unterhaltendes“ führt. Hier eben zeigte ſich die treffliche Redaction, 
welche ftet3 das fir jenen Leſerkreis Sntereflantefte auszumählen und ſolche Darfteller 
zn finden wußte, welche die angemefjenfte Form trafen; und unter diejen nimmt 
wieder der Nedacteur jelbjt die erſte Stelle ein, wie ſich auch heuer in jeinem Beitrag 
„Vom BZunftwejen und alten Bräuchen desielben” zeigt. — Neben ihm jchildert 
U. Hedinger die Inſel Korjifa, R. Schmidt handelt über Meteore; Dr. Saal: 
feld jtellt eine große Zahl von Sprihwörtern zujammen, die fi auf das leibliche 
Leben und die leiblichen Bedürfniffe des Menjchen beziehen; Schranfa, der Ber- 
fajler des großen Buchs vom Biere, liefert ein Yeuilleton iiber die Suppe u. ſ. w. 
Auch der Landwirth findet einen eigens für ihn berechneten Abichnitt. An Unter- 
baltungsitoff fehlt e3 ebenfalls nicht, und daß verftorbenen, großen Männern unjeres 
Volkes Zeilen der Erinnerung gewidmet find, verjteht ſich von jelbit, ebenjo wie 
das R. v. Dosaner dabei den eriten Platz einnimmt; das Titelbild bringt zugleich 
jein Porträt. 


ee A 


Neuer Prager Kalender für Stadt und Laud auf das Scaltjahr 18838. 
Prag 4. Haaſe. 


Von diefem allgemein befannten Kalender liegt hiemit bereit3 der 42. Jahr: 
gang vor, ein Zeichen, wie man e3 verftanden hat, ihn den Wünjchen des Bublicums 
anzupaffen. Außer dem Kalendarium und übrigen regelmäßig wiederkehrenden Bei- 
gaben, die man von einem Kalender erwartet, bietet derjelbe noch einen anjehnlichen 
Unterhaltungsftoff, belehrende Auffäße über die Pflege der Zähne, über den Kaffee, 
über das Weſen des Landfturmes, und endlich find noch zwei Beiträge dem Andenken 
zweier verdienter Männer gewidmet, eritens jenem Franz Klutſchaks, in deſſen Händen 
jo lange auch die Redaction diejes Kalenders lag, und zweitens dem Dotzauers. 


Haaſe'ſcher Haus: und Wirthihaftsfalender für das Scaltjahr 1883. — 
Prag U Haaſe. 


Diejer Kalender unterjcheidet fi) von dem voransgehenden bejonders durch die 
größere Zahl von Auffägen, weldhe Stoffe behandeln, die mit der Landwirthſchaft in 
Verbindung ftehen. Solde find: „Der Strohprinz”, „Die Bewirthihaftung des 
Sandbodens“, „Wettergefahren und Wetterfchus“, „Kaninchenzucht“. — Auch ift das 
Geſetz über die Verforgung von Witwen und Waifen nah Officieren beigegeben, 
Das Titelbild bietet eine hübſche Anficht des Schloffes Krumman. 


Haaſe'ſcher Minnzenfalender. Kleiner Haus- und Wirtbichaftsfalender für 
das Scaltjahr 1888. — Prag, U. Haaſe. 


Beicheideneren Anſprüchen foll diefer handlidye Stalender dienen, der aber trotz 
feines Heinen Formates und geringen Preifes nicht bloß das Kalendarium, das Ver: 
zeichniß der Jahrmärkte und dergl. bietet, fondern wie die andern auch für Unter- 
haltung und Belehrung jorgt. Das gelungene Titelbild zeigt den Pulverthburm nad 
jeiner Renovirung. 


E- (jene Herren Mitglieder, denen das leste Heft der Mit- 
theilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden 
böflichit erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsleitung (Aunaplatz 18SS—I) 
gütigit reclamiren zu wollen. WE 


R. t. Hofbuchdruckerei U. Haaſe, Prag. — Selbftverlag. 


Literarifhe Beilage 
zu den Mittheilungen des Bereines 


für 


eschichte der Deutschen in Bähmen. 





XXVI. Jahrgang. III. 1887/88. 





Dr. R. Weinhold: Die Verbreitung und Herkunft der Deutſchen in 
Schleſien. (Forſchungen zur deutfchen Landes- und Volkskunde. II. Bo. 
3.9. Stuttgart. Engelboru 1887.) 


Nach der Auswanderung der germanischen Wandalen bildete ſich Schlefien im 
fünften Jahrhunderte zu einen ſlaviſchen Lande um. Ganz allmälig wurde es auf 
dem Wege friedlicher Eroberung zum großen Theile für die deutihe Sprache, Sitte 
und Cultur zurüdgewonnen. Deutsche bewohnen heute den Weften und die Mitte, 
Polen und Tichehen den Oſten. Eine genaue und eingehende Darftellung der all- 
mäligen Anfiedelung der Dentfchen und des gegenwärtigen Verbreitungsgebietes der— 
jelben, jowie eine erjchöpfende Beantwortung der Frage nach der Abftammung der 
Dentſchen in Schlefien bringt uns Weinhold vorzüglide Schrift auf Grundlage 
eigener jorgfältigfter Studien und unter Heranziehung des ganzen großen wiſſen— 
ſchaftlichen Forſchungsſchatzes, deflen ſich Schlefien zu erfreuen hat. Uns Deutihböhmen, 
die wir in unſerer geichichtlichen Entwidelung jo viel Aehnlichkeitsfälle mit den jchle- 
ſiſchen Stammesgenoffen aufzuweifen haben, erjcheint die vortreffliche Arbeit Weinholds 
doppelt werthvoll, und diejelbe verdient nicht bloß von Fachmännern, jondern von dem 
weiteften Kreifen beachtet zu werden. Wir fünnen hier nur Weniges hervorheben. Die 
deutjche Colonijation im XIL., XIII. und XIV. Jahrh. durchbrach mit der Anlage deutjcher 
Dörfer und Städte das alte flavifche Gebiet fiebartig, nnd aus dem deutlichen Dajen 
entſtand nad und nach ein gefchlofjenes deutſches Spracdgebiet. Der Diten blieb 
großentheils ſlaviſch, wenn auch bier das Deutiche als Geichäfts- und Amtsſprache 
zur Geltung gelangte, Im XV. Jahrhunderte war das nationale Bewußtfein der 
deutſchen Schlefier genügend erftarft und das Anfehen derfelben im Ausland meit 
verbreitet. Deutſche Schlefier ftanden an der Spite des Auszuges der deutſchen Stu⸗ 
denten und Profeſſoren aus Prag im Jahre 1409, der erſte Rector in Leipzig war 


ein Schleſier, und ein Viertel der Nachfolger zählte im erſten Jahrhunderte zum ſelben 
4 


— — 


Stamme. Die Huſitenkriege, in welchen die Schleſier ſich als erbittertſte Feinde der 
Tſchechen zeigten, und die Regierungen des Podiebrad und des Mathias, welch' let: 
terer einen des Deutſchen ganz unkundigen Landeshauptmann Stephan Zapolya ein— 
ſetzte, waren der Entwicklung des deutſchen Volksthums in Schleſien nicht günſtig. 
Fr Oberſchleſien verdrängte in dieſer Zeit das Tſchechiſche die deutſche Amtsſprache, 
welch’ letztere erſt wieder im XVII. Jahrhunderte aufkam. In dieſem Jahrhundete über— 
nahmen befanntlich ſchleſiſche Dichter die Führung in der deutſchen ſchönen Literatur. 
Durch den Anfall an Preußen wurde die Germanifation Schleſiens weſentllich gefördert, 
wenn auch alle auf Ausbreitung der deutſchen Sprache in Oberfchlefien abzielenden 
Verfügungen Friedrihg II. zunächſt wenig Erfolg aufwiefen. 1837 berechnete das 
ftatiftifche Bureau in Schlefien 555.332 Polen, 11.500 Mährer und 10.500 Tſchechen; 
die Volkszählung von °1846/7 ergab bei einer Gefanmtbevölferung Schleſiens von 
3,304.800 Seelen 666.000 Polen, 54.777 Mährer und Tichechen und 32.581 Wenden; 
für das Jahr 1886 berechnet Weinhold die Zahl der Slaven in Schlefien auf 
1,258.000 Köpfe. 

Auf die fih im den verfchiedenen Jahrhunderten verſchiebende Sprachgrenze 
und die auftauchenden. und wieder verſchwindenden Spradinfeln vermögen wir troß 
des bedeutenden Materiales, welches Weinhold bietet, jelbit auszugsweiſe nicht einzu= 
gehen, weil und auch nur für eine allgemeine verftändliche Ueberficht der Raum fehlt. 
Dagegen können wir nicht umhin, aus dem zweiten Abjchnitte der fo anziehenden 
Arbeit, welcher über die Herkunft der Deutihen in Schlejien handelt, einige 
Punkte hervorzuheben. Weinhold hat bei Behandlung diefes Gegenftandes jelbitver- 
ftändlicy die deutichen Coloniften des XII. und XII. Jahrhunderts vor Allem im 
Auge. Wie in unfern böhmijchen, jo wird auch in dem fchlefifchen Urkunden über die 
Abſtammung der deutfchen Einwanderer Nicht3 vermerkt. Doc findet Weinhold genug 
andere Anhaltspunkte, um zu dem Schluffe zu gelangen, daß in Schleſien eine ältere 
niederdeutjche und eine jpätere mitteldeutiche Einwanderung ftattfand, die eritere aber 
von der leßteren faſt vollftändig vermwijcht wurde. Der urkundliche Gebraud der flä- 
mifchen und fränkischen Hufe, des flämifchen und fränfifchen Rechtes und niederdeutſche 
Ueberrefte im jchlefiichen Sprachſchatze weifen auf die alte Einwanderung aus Nieder: 
Dentichland hin, für welche auch die im Leobſchützer Kreiſe noch übliche Feier der 
Ofterfeuer ftatt der Johannisfeuer ſpricht. Weinhold theilt aus feinen Sammlungen 
eine große Anzahl niederdeuticher Wörter mit (S. 51—56), die in Schleſien altes 
Heimatörecht befigen. Mehrere bderjelben laſſen fih aud in den deutſchböhmiſchen 
Mundarten nachweiſen. Den Unterſchied zwiſchen fränkiſchem und flämifchen Rechte 
erkennt er in der Erbichaftlordnung, welche beim fränkischen Rechte nach dem Dritt- 
theilsrecht, beim flämiſchen Rechte in der Halbtheillung beitand. Der Anſicht Schröders, 
als ob das Dritttheilsrecht durch flavische Beeinflußung entftanden wäre, wird mit 
guten Gründen entgegengeireten. 

Daß aber eine große mitteldentfche Einwanderung die vorhergegangene nieder- 
dentiche auflaugte und Schlefien zu einem „Lande mitteldeutfcher Art“ machte, weift 
Weinhold in vier beionderen Abichnitten, an der Mundart, au den Ort3: und Per— 
fonennamen, an der Anlage von Haus und Hof und an der Volfgüberlieferung nad. 
Ber diefen Auseinanderfegungen hebt er die enge Gemeinfchaft hervor, welche ſich in 
den vier angegebenen Richtungen zwiſchen Schlefien, den deutſchen Theilen im nörd- 
lichen Böhmen und Mähren (an den Abhängen der Sudeten, der Oberlaufig, Meißen 
und dem Pleißnerlande ergibt, die als ein einheitliches mitteldentiches Colonifations- 


u 


gebiet angejehen werden fönnen. Die ſchleſiſchen Mundarten find unzweifelhaft mittel- 
beutfh, wie die de3 ganzen angeführten Gebietes. Abgejehen von andern Gründen 
bringt Weinhold (Seite 59—66) eine große Anzahl von Wörtern, welche den fränkischen 
und thüringiſchen Beftand im Schlefiichen darthun. Die einzelnen Mundarten haben 
natürlich wieder ihre befonderen Eigenthümlichleiten, So bildet die Mundart ber 
Grafihaft Glag mit dem Oppaländifhen und der Mundart de3 böhmischen Niejen- 
gebirgeö eine Gruppe für fi und macht fich kenntlich durch e für gemeineg i, o für 
gemeined u, ä für ei uud au, Wie nun die Orts: und Perfonennamen, ferner bie 
Namen der Kirchenpatrone auf den fränfiih-thüringifhen Uriprung der Einwanderer 
hinweiſen, wird an zahlreichen Beifpielen in zweiten Abſchnitt dargethan, während 
der dritte Abſchnitt den fränkifchen Charakter in der Anlage von Haus und Hof 
nahmeift. Die Trennung der Wohnräume von der Scheune, die Anwendung des 
Schrotbaues und Fachwerkbaues, oftmals beide vereinigt, dad Vorfommen der Laube 
an Bauernhäufern, die Geftalt der Hofreite, die Lage der Ställe, Schuppen 
und des Ausgedinghaufes, der gefchloffene Hof, gegen welchen die Langſeite des 
Wohnhauſes ſich richtet, u. a, find Merkmale des jchlefiichen Banernhaufes wie des 
fränkiſchen — wiederholen ſich aber auch in dem oben angeführten mit Schlefien zu— 
fammenhängenden Colonifationsgebiete. Zum Schluffe wird auf die demjelben Gebiete 
angebörigen Lieder, Sagen, Gebräude, Fefte u. dergl, Hingemwiejen, um aud aus 
denjelben den Nachweis dafür zu erbringen, daß „ein guter Theil der deutjchen 
Schleier ein Redht darauf hat, die Franken und Thüringen als Vettern von alter 
Zeit zu begrüßen“. Auch wir Deutihböhmen gehören zum Theil diefer Vetterjchaft 
an nnd dürfen uns der werthvollen Arbeit Weinholds fo gut erfreuen, wie unfere 
Vettern, die Deutſchſchleſier. L. 8. 


A. Paudler: Paſtor Schlegels Chronik von Benjen. Aus dreierlei Ueber- 
lieferungen zujfammengeftellt. Herausgegeben von Amand Böhm. 
Benjen 1837. 


Johannes Schlegel, geboren am 16. Mai 1536, wanderte im Jahre 1564 aus 
dem Meißniſchen nah Benfen ein und wirfte dafelbit al3 evanaelifcher Baftor bi 
zu jeinem Tode, welcher am 30. October 1579 erfolgte. Er jchrieb eine Chronif 
von Benjen, welche ſich aber ebenfowenig, wie eine im Jahre 1708 vom Benfner 
Cantor Ehriftian Hauff beforgte Abjchrift erhalten hat. Der Benjner Bürger Johann 
Anton Sierich verfaßte Denktwürdigkeiten feiner Zeit in feinen leßten Lebensjahren 
(1750—1758) '), in weldye er Auszüge ans Sclegeld Chronik zweimal einfügte und 
zwar einmal angeblic nad dem Originale Schlegeld und das anderemal nad) Hauffs 
Abſchrift. Auf Grund der Sierichſchen Ueberlieferung und mit Heranziehung der 
Chronik des Kamnitzer Buhbinderd Anton Heinrich (1835), in welcher fich gleichfalls 
Nachrichten Schlegeljchen Urjprungs von 1454—1564 vorfinden, unternahm es Pandler 
das Werk des Paſtors Schlegel wiederherzuftellen und der allgemeinen Berügung 
zugänglid zu machen. Jeder Geſchichtsfreund wird diefe fleißige Arbeit nur freudig. 

1) Nach Willomigerd Vorwort wäre Sieridy Bürgermeifter von Benjen geweſen 
und erſt 1779 geftorben, 
4“ 


ea 


begrüßen und ficherlih auch dem Herrn Bürgermeifter Amand Böhm, welcher die 
Drudlegung ermöglichte, die Anerkennung nicht verfagen. 

Es ift mit dem Herausgeber zu bedauern, daß fih Schlegeld Aufzeihnungen 
nur theilweife und in ziemlich verderbter Form erhalten haben. Gerade jene Nachrichten 
des evangelifchen Paftors, welche über die Einführung des Proteftantismus in Benjen 
handeln, welche nach meiner Meinung für und heute den weitaus größten Werth be— 
fäßen, finden ſich in der Sierich'ſchen Ueberlieferung nur in verftümmelten Auszügen 
vor. Gefteht diefes Sierih doch felbft ein, wenn er fchreibt, daß Schlegel „das 
Mehrfte von feinen Glaubensgenoffen hat eingejegt, wo man wegen der Menge 
noch von lutherifhen Magiftern, Caplänen und Schulbedienten die bin und wieder 
öftere Einjegung überfehen und außengelaffen.“ (©. 16.) Es ſchrumpft 
daher das für den Gefchichtsforjcher eigentlih Branchbare wefentlich zufammen, zumal 
die älteren mit 1203 beginnenden Eintragungen ziemlich werthlos find, und das 
Sierich Vorgelegene bis 1571 reiht. Immerhin aber bleibt das etwa von 1440 
an auf zwanzig Seiten Gebotene für den Localhiſtoriker beachtenswerth, und bin 
ich felbft Schon in ber Lage geweſen, einige Notizen mit WVortheil in einer Arbeit 
über die Reformation in Tetſchen verwerthen zu fönnen. — Gerade durch bie 
Studien zu diefer Arbeit aber befeftigte fih bei mir die Anficht, daß der Fromme 
katholiſche Sierih alle nah jeiner Meinung etwa anftößigen Aufzeichnungen 
Schlegels über die erjprießliche Thätigkeit der Evangelifchen einfach weggelaffen hat, 
wenn er überhanpt Schlegeld Original vor ſich hatte, was noch jehr in Frage fteht. 
Es wäre nämlich) bei den jo engen Beziehungen zwilchen Benſen und Tetſchen zu 
verwundern, daß Schlegel von dem ficherlich in der ganzen Gegend feiner Zeit Auf- 
jehen erregenden Streite zwilchen Hans von Salhaufen und bem Tetfchner Pfarrherrn 
nichts nachher erfahren und in feine Chronik eingetragen hätte, Die kurze Nachricht 
von Gebaftian Buda (S. 36), der ja bei der Klage gegen Salhanfen eine Rolle 
fpielte, beweift, daß Schlegel in der Kenntniß der Geichehniffe jener Zeit geweſen ift, 
ſowie er ganz richtig die Briefe Wolf von Salhauſen in Angelegenheit des Beyers 
an Luther zum Jahre 1524 anzieht. 

Da nun aber, wie aus der Baudlerifchen Ausgabe erfichtlich wird, die Lefe- 
arten von A (angeblid Original) und B (Hauff3 Abſchrift) darin übereinftimmen, 
daß fie möglichft wenig aus der eigentlichen Reformationszeit Beuſens bringen, jo 
hat Sierich auch bei Hauff die gleihen Kürzungen vorgenommen, falls dieſer jelbft 
nicht etwa ſchon nur auszugsweile gearbeitet hat. Wenn wir nun and des a'ten 
Schlegels Chronik in vollem Umfange nicht wieder gewonnen haben, fo bleibt Baudlers 
Arbeit doch eine jehr verdienftliche. Er hat nach den ihm zur Verfügung geftandenen 
Porlagen nicht mehr leiten können. In der Einleitung unterrichtet er uns über alles 
Wiſſenswerthe für das Verftändniß der Entftehung feiner Ausgabe, fowie über Schlegels 
und Sierichs nachweisbare Schickſale und Verhältniffe. An der Textkritik mäfeln zu 
wollen, hieße die großen Schwierigkeiten verfennen, welche der Arbeit entgegenftauden. 
Die Lefearten A, B und © (Heinrich) find ftreng auseinandergehalten und es ift in dieſer 
Beziehung an Gründlichkeit den ftrengften Anforderungen Genüge geleiftet. Wünjchens- 
werth wäre die Beigabe eines Orts- und Perſonenverzeichniſſes gemelen. L. S. 


— 45 — 


Karl Weinhold; Zur Entwicklungsgeſchichte der Ortsnamen im deutſchen 
Schleſien. (Zeitſchrift des Vereines für Geſchichte und Alterthum 
Schleſiens. XXI. S 239—296.) 


Der berühmte Germaniſt unternimmt es in gründlicher Weiſe die Formver— 
änderungen nachzuweiſen, welche die deutſchen und ſſaviſchen Ortsnamen im deutſchen 
Munde ſeit dem 13. Jahrhunderte durchgemacht haben. Seit dem 12. Jahrhunderte 
hat in Schleſien mit den erſten niederländiſchen Anſiedlerhaufen die Einwanderung 
begounen; ihnen folgten bald ſtärkere mitteldeutſche Scharen aus Thüringen und 
Oſtfranken nach. Gegen das Ende des 13. Jahrh. war dieſe Einwanderung im 
Weſentlichen beendet. Die Anſiedlungen der Eingewanderten gingen ganz friedlich, 
ohne eine gewaltſame Vertreibung der ſlaviſchen Brüder vor ſich, und ebenſo friedlich 
ſchritt die Ausbreitung des Deutſchen vorwärts, zwangslos verdeutſchen ſich die Polen 
allmälig aus eigenem Vortheil und mit ihnen verdeutſchten fi die Namen. Wie 
ftellten fi nun die deutfchen Eingewanderten zu den ſlaviſchen Ortsnamen, die fie 
in Sclefien vorfanden? Sie halfen ſich auf verjchiedene Weile; theil3 überjegten fie 
den flavifchen Namen und madıten aus Starawies Altendorf, aus Gruszecka Birn- 
bäumel, aus Twardagora Feſtenberg, oder es erhielt der alte jlavishe Namen einen 
neuen bdeutfchen, welcher den erfteren allmählidy verbrängte: Prilaue quod modo 
Franebere dieitur (1260), Jaworek alio nomine Henriei villa (jet Seiner: 
dorf. — 1207), Jessenira vulgariter Hermansdorf, Grodische quod est villa Lam- 
berti et villa Burkardi (1317). Sehr lehrreich find, wie ber gelehrte Verfaſſer bemerft, 
in diefer Beziehung die Ramenzer Urkunden. In der Stiftöurfunde von 1210 ericheinen 
die ihm geſchenkten Dörfer oder die Dörfer, in denen das Stift Huben auf Zinfen 
erhielt, nur mit polnischen Namen. In der Beftätigungsurkunde von 1260 für die 
Eifterzienjer werden einer Reihe der polniſchen Dorfnamen deutſche beigefügt als die 
neueren, jetz giltigen. Im 14. Jahrh. ift das Verdeutſchungswerk beendet. Ein dritter 
Weg, den fremdartig Hingenden Namen zu bejeitigen war, bdiejen fo zu ändern, daß 
er deutſch Hang. Dies gelang nicht immer mit Glüd; denn manche uriprünglid) 
polnishe Namen Eingen jest ganz deutjch, wenn auch zumeilen ein rechter Sium fehlt 
(Bogenaun — Bogunowo, Braunau — Wrano), Öraben — Grabow, Schweine: 
braten — Swinbrod, Stolzmütz — Tlustomost); audere weilen wmwenigftens eine 
jlavifche Endung (meiſt wit, Schü) noch; auf (Bauerwig — Baborow, Himmelwig — Je: 
mielnica, Schönbanfwig — Scepankowice); wieder andere haben wohl den polniichen 
Charakter verloren, ohne jedoch ganz dentich geworden zu jein (Bargen — Barchow; 
Gläſen — Clyzyno; Bojtel — Podstoliez; Sclotting — Slotnik), 

Im folgenden beipriht nun Weinhold die Veränderungen, welche die deutichen 
und flaviichen Namen im Laufe der Zeiten erfahren haben, und zeigt, daß die Orts— 
namen fich den allgemeinen Gejegen den lautlichen Veränderungen haben fügen müſſen. 
Natürlich finden wir, daß, da die Einwanderer eine mitteldeutihe Mundart jprachen, die 
Ortönamen auch diefe Mundart aufweiſen. E3 zeigt jih 3.8. e in Stammfilben, wo das 
Gemeindeutſche i hat (Fredrichsdorf, Fredelaut), & ftatt ei (Beerberg ftatt Beyers— 
berg), o ftatt a (Olbersdorf), ei ftatt i (Eifenberg ftatt Iſinberg), au ftatt ü (Haus- 
dorf), eu ftatt in (Deutmannsdorf) u. ſ. w. Aber auch bei den ſlaviſchen Ortsnamen 
zeigen ſich die Geſetze des jchlefifchen Dialektes wirkſam: o für a (Mollwig aus 
Malewiez). Wie e und i im Schlefiichen wechſeln, jo wird bald aus poln. e ein i 
(Bielau aus Beliez, Bienowis aus Benewitz), bald aus poln. i ein e (Gläfen aus 


u 


Clyzino). Wenn aus Krysilwicz $treilelwig, aus Lipa Leipe, aus Budissovice Bauſch— 
wis, aus Gluchowo Glauche, aus Ludmerzie (villa Lutronis 1224) Leimerwig (wo 
ei für eu fteht), aus Luthin Leuthen wird, fo finden wir wieder das Streben nad 
Diphthongifirung, von der ſchon oben die Rede war. Poln. o wird zu u in Bunzlaı, 
ans Boleslavec entjtanden. Der Umlaut des u tritt im fchlefifcher Art oft als i (ie) 
auf 3. B. in Liebau aus Lubavia in Liebſchütz aus Lubsniez, Damit find natürlich 
die Veränderungen, die Weinhold anführt, nicht erichöpft; er führt eine ganze Reihe 
folher Menderungen vor, von denen bier nur einige hervorgehoben werden fünnen. 
Aber nicht nur die Vocale, auch die Confonanten unterliegen Beränderungen, Von 
den von Weinhold angeführten Fällen führe ih nur zwei höchſtintereſſante an. Nämlich 
in zwei Dorfnamen hat fi das aus Sankt hervorgegangene S dem Anlaut des Hei— 
ligennamens, der den erften Theil des zufammengefegten Ortsnamens bildete, ver: 
ihmolzen und ift dabei zu Sch geworden: Scheidewigsdorf geht auf 8. Hedewigsdorf 
und Schmottleifen auf S. Mottesjeifen zurüd, ein ähnlicher Fall wie der von J. Peters 
in Böhmen erwähnte, wo Screinet — Schneidet — Schweinetichlag auf 's Rein 
bart-, Neidhart-, Weinhart-[hlag zurüdführen dürften. Die conionantiihen Ver— 
änderungen bei den flaviichen Ortänamen find jehr mannigfaltig. Aus Ligota (Lgota) 
wurde Elgut, während bei und Welhotten ımit der Bräpofition ve verjegt), in Mähren 
Delbütten (Umbdentung) und in anderen Ländern noch ganz anderes wird. Wenn aus 
Osina Nosina (Nossyn 1361) entfteht, jo möchte ich in dem vorgefetten n die Präpo- 
fition na an, auf vermutbhen, die fih in Böhmen 3. B. auch in Lhota findet: Nal- 
gote 1227 im Stadtbud von Brür (bg. von Dr. L. Edylefinger) Nr. 9. — Gabel geht 
anf Jablona zurüd, wie dies auch bei unferen gleichnamigen Ortönanten der Fall ift, 
während in Steiermark aus jablane zuerft Ablanza 865, jet Aflenz (dad man lieber 
nad dem Mufter von Koblenz aus adfluentes deuten möchte) geworden tft; bei uns 
beißt der entiprechende Ortsname Gablonz. Der Conjonant w wandelt fih in b vgl. 
Lobkowitz aus Lowkowice, unſer Zobofit aus Lowosice; flavifches 1 ift zu n geworden 
in Bunzlau, das einem älteren Boleslavec entſpricht. — Daß namentlicy die ſlaviſchen 
Ubleitungsfilben im Munde der Schlefier Veränderungen erfuhren, läßt ſich denken. 
Aus wice, wiec, wce, wica wurde witz, aus ice, ec, ce, ica wurde itz, aud ow, 
owa, owo wurde au und dieje veränderten Endungen treten denn auch an joldhe 
Ortsnamen, denen jie urjprüuglich nicht angehörten. Während flavifches Babino zu 
Baben wurde und die Endung ino deutſchem en wid, zeigt unfer Babine nod eine 
Form, die der urjprünglichen flavischen Form ebenjo nahe ftcht, wie die jchlefiichen 
Borentschine aus Borsenocino, Lutzine ang Lucina u. ſ. w., welche Orte aber erit im 
19. Jahrh. deutih wurden. 

Wie Weinhold weiter zeigt, hat, der erfte Theil der zufammengejegten Ortsnamen, 
der jehr oft ein Perlonenname ift und den Gründer oder Beſitzer der Anfieblung 
bezeichnet, vielfache Veränderungen erleiden müffen, theil3 geringere (wenn die Flexion 
bejeitigt oder ein Suffix geſchwächt wurde; vgl. Bärwald ftatt älterem Berinwald), 
theil3 tiefer greifende (wenn 3. B. ganze Silben oder Suffire ſchwinden vgl. Henners - 
dorf aus Heinrichsdorf; Bauſchwitz aus Buduſchowitz; Röhrsdorf aus Andegeresdorf, 
Siersdorf aus Gerhartsdorf). Endlich find manche flavifhen Namen im deutichen 
Munde einfilbig geworben, theils durch Abſtoß der Flerion oder des Suffixes, theils 
durch Verſchmelzung der Stamm= und der Suffirfilbe vgl. Kurtih — Kurczow; Graez 
aus Gradec. — Wir haben oben erwähnt, daß die flavifchen Endungen verändert 
worden find; Weinhold gibt jchlichlich aud noch Beifpiele dafür, daß an Stelle der 


ei 


flapifchen Endung fogar das deutfche Wort Dorf tritt: Bartoschow wird zu Barſch— 
dorf, Dobephowice zu Dobersborf u. j. m. 

Weinholds vortrefflicher Aufla macht den lebhaften Wunſch rege, daß auch 
unfere Ortsnamen und deren Geſchichte eine jo gründliche Beiprehung erfuhren, wie 
fie bier die fchlefiichen erhalten haben. Alois Hruschka. 


Zapisky Vil&ma Slavaty z let 1601-1603. K vydäni upravil 
Ant. Rezek. (Sonderabdr. a. d. Abh. der böhm. Gejelljchaft der 
Wiſſenſch. VII, 2.) V Praze 1887. 


BVorliegende Publication ift ein Abdrud einer Handſchrift, die fih im Ardiv 
zu Neuhans befindet und bisher noch wenig benüßt wurde. Den Inhalt derjelben 
bilden tagebuchartige Aufzeichnungen, die ein Beifiger de3 größeren Landrechts und 
Mitglied de3 königlichen Rathes über feine richterliche und politifche Thätigkeit zu— 
jammtenfchreiben ließ. Es find nämlich nicht eigenhändige Aufzeichnungen, fondern 
man kann nad der Schrift 5 Schreiber unterfcheiden. Was dieje offenbar meift nad) 
Dictaten niederjchrieben, wurde dann mit fachlichen und ftiliftiichen Berbefferungen 
verjeben, welche leicht die Handichrift des Wilh. Slawata erkennen laflen. Schon dies 
weift auf Slawata ald Urheber der Aufzeihnungen hin, Ein Umftand freilich Ipricht 
dagegen. Auf der Innenjeite des Einbandes nämlich fteht eine gleichzeitige Auffchrift 
(von 1602) mit dem Namen des Hertwig Seidlig von Schönfeld, der um dieje Zeit 
auch Beifiter de3 Landrechtes war. Diefen fchrieb man alſo bisher die Aufzeichnungen 
wenigftens theilweile zu. Durch eine Zufammenftellung jener Stellen aber, wo ber 
Verfaſſer von fich jelbft jpricht, bemeift der Herausgeber, daß niemand anders als 
eben Slawata der Verfafler fein kann, da alle dieje Stellen nur auf ihn bezogen 
werden können. Slawata ging bei der Zufammtenftellung diefer Memoiren jehr ge— 
willenhaft vor; mur ganz unbedeutende Verhandlungspunfte jind mweggelaflen, von 
wichtigen Enticheidungen verfchaffte er ſich auf feine Koften amtliche Abjchriften; Er: 
fenntniffe, zu denen ed Präcedenzfälle nicht gab, find al3 nene hervorgehoben. Ganz 
abgejehen alio von dem Intereſſe, welches das [pätere Hervortreten des Verfafferd dem 
Werke verichafft, hat diefes auch ziemliche Bedentung wegen des Bildes, da3 wir von 
der Thätigkeit der Gerichte und des königlichen Rathes in diefer Periode erhalten, 
Die Anmerkungen des Herausgebers und das Negifter find ganz zweckentſprechend, 
und es wird faum etwas von Bedeutung einzuwenden fein. Denn wenn ©. 30 als 
Name des Erzbiſchofs Hynek (ftatt Zbynek) Berka von Duba genannt wird, jo ift 
das eben nur ein Drudfebler. H. 


„Geſchichte der Burg und Stadt Winterberg, mit befonderer Rückſicht auf 
die jeweilige Lage des Deutſchthums in Winterberg, von Joſef Walter, 
Bürgerjhullehrer. — BVorgetragen in der VBerfammlung des Deutjchen 
Handwerfer-Bereines am 26. December 1886, herausgegeben vom Deutjchen 
Handwerfer: Bereine. — Winterberg 1887. Drud von %. Stein 


Er |. 


brenner. — Verlag des Deutichen Handwerfer-Bereines." — (30 ©. 
fl. 8. Mit Abbildungen der Stadt, des Kronprinzejlin Stefanie-Armen: 
und Krankenhaujes und des Stadtwappens.) 


Wie aus dem vorftehenden Titel und aus dem Vorwort erfichtlich ift, bildete 
der Inhalt diefes Schriftcheng den Gegenftand eines Vortrages. Es kann nur freudig 
begrüßt werden und verdient Iobende Anerkennung, wenn die Bewohner einer Land— 
itadt ihr Interefje der Vergangenheit ihrer engeren Heimat zuwenden und Gefallen 
an der Schilderung der Thaten und Schidjale der Vorfahren finden. Der deutfchen 
Bevölkerung mangelt gewiß nicht der Siun für Gefchichte, es fommt nur darauf an, 
ihn im geeigneter Weife zu wecken und wach zu erhalten, wie dies 3. B. mit dem 
ihönften Erfolge im Norden Böhmens geſchieht. Zu den wirkfamften Mitteln in 
diefer Beziehung find jedenfalls Vorträge zu zäblen, die in populärer Form den der 
Willenichaft ferner ftehenden die Ergebniffe der Forſchung vermitteln; daß aber nicht 
jeder gut gemeinte und freundlich aufgenommene Vortrag für die Druderfhwärze 
reif tft, dafür legt auch da3 vorliegende Schriftchen Zeugniß ab. Wenn der Verfajler 
int Vorwort hervorhebt, „daß die vorliegende Arbeit nicht Anfpruch auf Vollftändigkeit 
machen kann noch joll, jondern daß fie nur als Verſuch betrachtet werden möge, die 
Bewohner Winterbergs mit den wichtigften Ereigniffen der Geſchichte ihrer ehrwürdigen 
Baterftadt befannt zu machen,“ fo kann ihm doch der Vorwurf nicht erjpart werden, 
daß er fih nicht genügend nah den Quellen für feine Darftellung umgeſehen hat. 
Über nicht nur die bereit3 gedruckt vorliegenden Quellen, fondern auch die nenefte 
und bisher befte Darftellung der Gefchichte Winterbergd in Bernau's „Album ber 
Burgen und Schlöffer in Böhmen“ jcheint ihm unbekannt geblieben zu jein. Wir 
glauben deshalb auf eine Eritifche Zergliederung de3 Juhalts verzichten zu jollen, die 
uns aud zu weit führen würde, da wir faum eine Seite ohne Widerſpruch laſſen 
fünnten, Wenn der Verfaffer auf dem Titelblatt die befondere Berüdfichtigung der 
jeweiligen age des Deutfchthums in Winterberg in Ausficht ftellt, fo wird auch in 
diefer Beziehung der Lefer das Büchlein ziemlich enttäufcht aus der Haud legen, deim 
abgejchen von aus der allgemeinen Landesgeſchichte herübergenommenen Betrachtungen 
begegnet man faſt uur aus diefen abgeleiteten Behauptungen, die bei näherer Er- 
forſchung ſich nicht immer als ftihhaltig erweifen dürften; auf die naive Bemerkung in 
Anmerkung 2 auf Seite 6 wollen wir da gar nicht eingehen. — Nicht verfchwiegen joll 
ihließlidh bleiben, daß der Verfaffer die Inhaltsangabe einiger bei Bernau fehlender 
Stadtprivilegien beibringt. — 


Klutſchak Franz: Chronik des Annakloſters in Prag. Als Manufeript 
gedruckt. Prag, 1887. Kuk. Hofbuchdruckerei A. Haafe. Selbſtver— 
lag. 136 ©. 


Wenn es auch dem am 21. Juli 1886 verftorbenen Verfafler der „Chronik de3 
Annakloſters in Prag“ nicht mehr vergönnt war, die legte Hand an die Vollendung 
und Abrundung jeiner Arbeit zu legen, jo bleibt diefelbe, wie es bei Klutſchaks Vor— 
liebe für diefen Gegenftand und bei feinen gründlichen Kenutnifien in der Prager 
Ortsgeſchichte kaum anders zu erwarten war, eine höchſt werthvolle und aller Aner- 
kenuung wiürdige Leiſtung. Mean merkt es jeder Zeile au, daß uur die innigen Bes 


— AD: — 


ziehungen des Verfaſſers zu der Oertlichkeit, in der er von ſeinem Eintritte in das 
Mannesalter gewohnt und gewaltet, die nicht unbedeutenden Schwierigkeiten in der 
Auffindung und Aneinanderreihung der bezüglichen Daten gering achten ließen und 
der Bearbeitung bes oft ſpröden Stoffes ein anziehendes und wohlthuendes Colorit 
zu geben vermochten. Denn gerade der Umftand, daß die Darftelung von Reflexionen 
nicht frei bleibt und und durch Einbeziehung intereflanter Epifoden über die ermü— 
dende Trockenheit rein chronifalifher Behandlung glücklich fortzufommen weiß, läßt 
die vollftändige Beherrihung des Stoffes durch den Verfaffer ebenjo glüdlich zutage 
treten, als auch jelbit weitere Kreiſe Interefle und Freude an dem fonft etwas abſeits 
liegenden Gegenftande gewinnen. 

Die Natur der Sache gab eine dreifache Gliederung der Arbeit, weldye zumächft 
den Templerhof zu St. Laurenz, dann die Geſchichte der Dominicanerinen im 
Annakloſter und die Schidjale de? Annahofes im neuerer und neuefter Zeit be- 
handelt. Der erfte Abſchnitt ftüßt fih auf die gewiſſenhafte Heranziehung aller 
Belege, welde in den Urkunden und Gefchichtöquellen Böhmens über die Templer ſich 
finden, erläutert die Stellung des Ordens im Lande und ftellt den Umfang jenes 
Beſitzes fiher; eine Schilderung des Lebens der Templer verleiht diefem Theile einen 
enlturhiftorischen Hintergrund, bleibt aber ftellenweife, da fie augenſcheinlich nicht direct 
aus den Orbdensregeln der Tempelherrn — veröffentlicht 3. B. im Codex regularum 
von Holiten-Brodie — jelbit geihöpft hat, von Heinen Ungenauigkeiten nicht frei, welche 
allerdings dem Ganzen feinen weiteren Eintrag thun. Die Geſchichte der Dominica- 
nerinen im Annakloſter nimmt ihren Ausgangspunkt von der Erwerbung des Templer: 
Hofes zu St. Laurenz, weldhen die Johanniter 1313 den früher in der Vorſtadt Aujezd 
der Prager Sleinfeite wohnenden Nonnen käuflich überließen, und gliedert fih in 
chf Unterabtheilungen. Die zweite derfelben behandelt anfchaulic) die Bebrängung des 
Klofterd während der Hufitenzeit, indeß in der erſten Hälfte des dritten Capitel3 da3 
Verhältnig des böhmischen Gefchichtsichreibers Wenzel Hajek von Libotihan, der in 
der Klofterfirche jelbft beftattet wurde, genauer beleuchtet und im weiteren auch anderer 
Wohlthäter, wie des durd) fein tragisches Ende bekannten Feldmarihalls Chrifteph 
Hermann von Roßmurm, der Kaiferin Anna u. A., gedacht wird, Der Angabe des 
Nealbefizes um die Mitte de3 17. Jahrhunderts und der Darftellung der Unterthang- 
verhältniffe des Klofterd, welcher die imtereffante Epifode des Streited ber Witwe 
nah dem italienischen Maurer Andrea Hoftali de Gambie mit der Priorin ange— 
ichloffen ift, folgt ein apitel, welches der Erweiterung des Klofterd, dem Baue des 
Annahofes im 17. und 18. Jahrhuuderte, ſowie dem Streite des Prager Magiftrates 
und des Klofters um den Annaplag gilt. Nachdem fo die Darftellung der Verhältniſſe 
des Kloſters nad außen eine gewiffe Abrundung erhalten hat, tritt das Leben inner- 
halb der Klofterräume unntittelbar in der Vordergrund, wobei die aus den Ordens— 
beftimmungen berausgearbeiteten Einzelheiten manch Interejjantes und Abwechslungs- 
reiches bieten. Die Perfönlichkeiten ter Priorinen Katharina Prichowſky, Sophie 
Ludmilla Mladota, Katharina Schißlin und Marimiliana Chanovſty ericheinen na— 
mentlih um die Confolidirung und das Aufblühen aller Verhältniffe bejtrebt; jeit 
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundertes wurde die Vermögens: und Befisvermaltung 
geregelter, zudem manche aus vornchmen Hänfern ftanımende Danien bei ihrem 
Eintritte ins Klofter reihe Mitgift mitbrachten. Der Muſik- und Patronatsſtreit 
zwilchen dem Annaklofter und dem Convente ded St. Aegidiusflofters leitet hinüber 
zu dem Sclußcapitel, in welchem der Niedergang genau begründet umd geichildert 


— 50 — 


iſt. Sowohl verſchwenderiſche Wirthſchaft als auch Proceſſe und Kriegscontributionen 
führten eine derartige Steigerung der Schuldenlaft herbei, daß das Dominicanerinen- 
Hofter zu St. Anna aufgehoben, über dag Vermögen desjelben der Concurs verhängt 
und die Realitäten an den Meiftbietenden verfteigert wurden; bei diefer Gelegenheit 
erwarb der Prager Weinhändler Johann Georg Tihy dad Anuaklofter und den 
Unnahof am 7. December 1784 um 19.100 fl. Die Befitveränderungen des ausgedehnten 
Gebäudecompleres bis auf die neueſte Zeit erörtert der dritte Theil des Werkes, 1835 
wurde der größere Theil von den Gebrübern Haafe erworben und für die Unterbringung 
ihrer Druderei, Papierniederlage u. ſ. mw. verwendet; feit 1879 ift Herr Andreas 
Haaje Edler von Wranau alleiniger Beliter. 

Die für die Arbeit maßgebenden Quellen, als Landtafel, Archivsreſte des 
Annaklofters, Manuferipte des Prager Dominicanerklofters zu St. Aegidius und bie 
einfchlägigen Publicationen, find durchwegs gewiljenhaft berüdfichtigt und in richtiger 
Deutung herangezogen; auf diefen zuverläffigen Fundamente baut fich die fejfelnder 
in jedem Detail fanbere Darftellung auf, welche nur im dritten Theile mehr jkizzen- 
haft iſt. Die Ausftattung iſt eine der fetten literariichen Gabe Klutſchaks durchaus 
würdige. 1 


Die Occupation der füniglihen Stadt Pillen durch den Grafen Ernſt 
von Mansfeld 1618—1621. Zumeift nah Paul Sfala bearbeitet 
von P. Oswald Manıl, Gymnaſialprofeſſor. Warnsdorf 1887. 
Drud mıd Verlag von Ambr. Opip. 


Rent hat in feinem Werk: Graf Mansfeld im böhmifchen Kriege (Braune 
ſchweig 1865) die Apologie des Mansfeld3 die Acta Bohemica und die Acta Mans- 
feldica, die katholiſche Gegenfhrift und einen Bericht über die Belagerung von einent 
unbefannten Berfaffer benütt, Die Nachrichten der lateinischen Chronik des Jeſuiten 
Johannes Tanuer find von dem verftorbenen Prälaten, frühern Gymnaftaldirector 
P. Bruno Bayer! verwerthet worden. Baul Skala von Zhot hat in feiner hand- 
Ihriftlihen Kirchengeſchichte (MWaldftein’sche Bibliothek in Dur), die dich Tieftrunf 
zugänglich geworden, genaue Berichte, die der Verf. feiner Darftellung zu Grunde 
gelegt hat. Paul Sfala war im Dienft der Directoren und im Gefolge des Winter: 
fönigs, war Parteimann, aber von dem Beftreben erfüllt, den richtigen Sachverhalt 
zu geben. Seine ganze Stellung befähigte ihn dazu. Die Leiden der allzeit getreuen 
fatholiihen Stadt Pilſen und die Vorgänge in dem genannten Beitraume werben 
von dem Berfaffer in klarer und überfichtlicher Weife auf Grund genauer Studien 
dargeftellt. Als Anhang folgt ein Schreiben des Rathes von Pilfen an den Kur— 
fürften von Sachſen vom 25. Januar 1619 aus dem ſächſiſchen Staatsarhiv. Eine 
inftructive Beilage bietet die Abbildung der Stadt Pilfen vom J. 1618. —r. 


„Aus Eger und dem Cgerlande.” Bon Dr. Aler. Beez. (Sonderabdrud 
aus den Beil. Nr. 303—305 der „Allg. Ztg.") Münden 1887. 


Der bekannte geiftvolle Verfaffer hat als Ergebniß mehrerer Beſuche, die er 
vor Jahren dem Egerlande abjtattete, mit der vorliegenden Schrift eine anreaende, 


en. 


ethnuographifch-culturgeichichtliche Studie geliefert, die als folche, was die eigene Dent- 
arbeit belangt, warmer Empfehlung würdig if. Das Schriftchen legt den Haupt: 
nachdruck auf die Marfeneinrichtungen, deren Spuren noch nad dem derzeitigen 
Stande der Dinge zu verfolgen gefucht werden. Was der Herr PVerfaffer darüber 
Ichreibt, läßt fich immerhin anhören, auch wenn er die Hindeutung auf die ältere und 
neuere Literatur über Markenverfaffung (fo 3. B. Poſern- Klett? Markgrafſchaft 
Meigen, der ganz gleich die Egerer Mark an die Seite tritt) vermifien läßt. Indeß 
wendet er fid) ja doch mehr den allgemeinen natürlichen und jocialen Verhältniffen 
zu. Mit offenem Auge überfieht er die hier einſchlägigen Verhältniffe vom Haus: 
und Hofbaue an bis zum „Partionsfactor“; al$ Summe feiner diesfälligen Betrach— 
tungen zieht er den ganz richtigen Schluß, daß das Egerland nur dem Sinken der 
Kaiſermacht es zu danken hat, wenn es feine natürliche Aufgabe, hier gleichfalls der 
Mittelpunkt einer Staatsbildung zu werden, wie ſich foldhe aus den Markgrafichaften 
Meißen, Brandenburg, Oſtmark ufw. entwidelten, nicht erfüllte. Diefe Ausführungen 
find der bei weiten wichtigfte Theil und retten glüdlicherweije deu Werth der Arbeit, 
den jpäter zu erwähnende Umftände herabzudrüden verfuchten; hier hat Hr. Dr. Peez 
jelbftändig und ohne Duelle gearbeitet und läßt feine feinen Beobadytungen oft ganz 
unerwartete Streiflichter auf ſcheinbar abfeit3 liegende Momente werfen. Nur etliche 
Irrungen möchte ich hinzufügen; der geologische Untergrund (Boden) de3 Egerlandes 
(S. 4 — immer nadı dem Sonderabdrude citirt —) tft vor Allem Granit und 
Tertiäres; alle fryftalliniichen Schiefer fommen daneben nur untergeordnet vor. Das 
Egerländer Vich gilt allenthalben als eigene Kaffe, nicht al3 Tiroler Schlag (©. 4. 
„Bär“ ift nicht der Raudfang (S. 5), fondern nur ein Nebenfang für den Rauch 
der Rienleuchte in der Bauernftube. Statt „Flez“ (S. 5) iſt „Pfletz“, ftatt „wje“ 
(&. 6) „wia“, ftatt „öuha“ „ouha“ zu leſen. Die Leiftungen der Hofbefiter waren 
individuell und für jeden Hof ungleich; es hatte alfo nicht „jeder“ 6 Tage Arbeit 
mit feinem Zugviehe zu leiften, Die Ortönamen dürfen nicht nach den heutigen 
(verderbten und abgeichliffenen) Formen erklärt und eingetheilt werden (©. 8), jondern 
es müſſen die älteren Formen genommen werden. Die Ortsnamen Pirklas (©. 8), 
Brunß, Sting! (S. 9) finden fih im Egerlande nicht; Haag und Gehag find das— 
jelbe (1), Schreden ift Drudfehler für Schneden. Aeußerſt jonderbar lieft jich für 
jeden, der unferen Egerer Schlawigen kennt (äußerftes Nordoftende der VBorftadt und 
an den dortigen Egertheilungen gelegen), der Sat, daß dort „auch die w.ndernden 
Krämer” wohnten (S. 8; da hauften (feit 1390 nachweisbar bis heute) ftet3 nur 
Müller und wieder Müller. Das Ziegelmaterial an der Kaiferburg (S. 10) hat mit 
der Burg nichts zu thun und gehört dem Feitungsbaue an. Zur Burg jelbft gebt 
man nicht durch eine Vorftadt, fondern durch einen Theil der Stadt (S. 11). Die 
Hufiten erzwangen überhaupt gar feine Uebergabe der Stadt oder gar der Burg 
(S. 11). — Das alterthümlicdhe Haus auf dem Marktplatze gehört dem Geſchlechte 
Riedl, nicht Gabler von Adlersfeld, die freilich das Nebenhaus haben (S. 11). 
Im Egerlande beitanden zu feiner Zeit mit einander oder auch nur nad einander 
81 „Schlöffer”. Der Irrthum (S. 16) kommt daher, daß die witzigen Geifter, 
die früher in Egerer Geihichte machten, jedes „Gut“ im einem Dorfe (d. h. jeden 
Hof), falls der Befiger ein Land- oder Stadt: Edler war, zu einem „Schloſſe“ 
erhoben, ein Unfinn, wie ev cben nur dem Abfaffer von „Eger und Cgerland“ 
pafliren fonnte. Damit bin ich auch bei dem großen Uebelftande angelangt, der mid) 
nur mit einer großen Schen zu einer Beiprechung der vorliegenden Arbeit kommen 


— .. 


ließ. Sch habe Herrn Dr. Peez diesfalls ungeſchminkt meine Anficht geichrieben ; 
die Trefflichkeit feines Werkes kann in ber Hauptpartie wohl nicht zeritört werden, 
aber fie wird in Mebentheilen dadurch beflecdt, daß er, beſſeren Quellen (Grüner, 
Graſſold, Kürfchner ujw.) nicht nachforſchend, ſich für den hiftorischen Theil feiner 
Arbeit mit einem Buche begnügte, das von der Kritik auf das fchärfite verurtheilt 
wird, mit dem fchleuderhaften „Eger und Egerland“. Diefe Rüge muß gegen ihn 
geäußert werden, denn ein forichender Einblid in diefes Werk hätte ihm auf jeder 
Geite jagen müſſen, daß bier Leichtfertigfeit und Unkenntnig um die Balme ringen 
und eine Benügung nur — auf Gefahr hin geichehen kann. Die Fehler felbft, die 
in diefe biftorifche Partie aus jenem Buche übergingen, fallen nicht ihm zu, denn 
jeder fremde Forſcher ift an die Hilfdmittel einer Gegend gewiejen, wenn er iiber 
diefe fchreiben will, wohl aber die Wahl diejer Quellen. Jch möchte das Nachfolgende 
aljo mehr ald Warnung für andere Foricher gefaßt wiffen, denn ald Tadel gegen die 
Arbeit des Hrn. Dr. Peez, die ja gut und trefflich bleibt, wenn man nur nicht etwa 
daran denkt, fie ald Quelle für biftoriihde Schlüffe und Folgerungen zu nehmen. 
Die Warnung felber mußte aber erfolgen, weil das Buch jeinerzeit nm jeden Preis 
auf den Markt geichleudert wurde, heutzutage nod in manchen Händen ift, deren Be- 
figern fein jelbitändiges Urtheil zufteht, ja ſelbſt von oberflählichen Schriftitellern 
noh benüßt wird und damit, wie ich leider aus Erfahrung weiß, noch immer viel, 
viel Unfug anrichtet. Ich möchte zur Probe nur jene Stelle behandeln, die in Hrn. 
Dr. Peez's Arbeit aus „E. n. E.“ über die Gefchlechter überging — fie umfaßt 
bloß 23 Zeilen, aber folgende Unrichtigkeiten: — Die Neyperg, das „ritterl. Urgeſchlecht 
des Fichtelgebirges“, find nicht das ältefte Geſchlecht; ſchon im „Fichtelgeb.“ waren 
die v. Waldftein (Sparneck) viel älter, abgefehen davon, daß die Neyperger im Vogt— 
lande jaßen und nur einer von ihnen etliche Jahre hindurch fpäter eine Burg im 
Fichtelgebirge bejaß. Die von Liebenſtein erjcheinen bereit 1143, find aber die vom 
Liebenftein bei Türſchenreut! Zu einem Egerländer wird mit einer Heinen Unter: 
ihlagung ein Konrad 1255 ald „von Aſch“ gemacht, das unterfchlagene i bergeftellt, 
wird er der richtige Konrad von Aiſch, Landrichter in Nürnberg. Die v. „Seeberg“ 
hat dieſes Werf zu Egerern gemadjt, weil im Egerlande ein Seeberg exiſtirte. Jenes 
Eceberg (Albr. v. ©.) ift ein wirkliches meißnifchenordböhntiiches Geſchlecht, das 
bereit jo hieß, bevor noch unjer Seeberg auch nur erbaut war, Der Vorname der 
Toß ift richtig „Eltel” (Eitel nur Nebenform) und fteht gegenüber dem „Jüngel“, 
die beide bezeichnende Namen dieſer Familie find; der alemanniſche Schluß ift alfo 
abzulehnen! Aingl, Ayngl — in allen Urkunden heißt das Geſchlecht Angel und die 
gebrochene Form findet fi ſehr jelten gegenüber der gewöhnlichen, die mit großer 
Ungejchielichkeit obenan geftellt wird. Die Suningberg hat Pr. nad) einer Note in 
Brenners Waldjaffen richtig herübergefifcht und ohne ſich felbft nur um die Regesta 
boica zu fümmern, gleich zu Egerern „Batriciern” gemacht, fie, die Minifterialen 
von GSonnenburg bei Coburg! Das Haus auf dem Marftplage ift nicht das Stamm- 
hans der Schlide, fondern, wie ich urkundlich nachwies, eines anf dem Nojenbühle ; 
das Marfthaus fiel erit jpäter vom unbebeutenderen Zweige der Familie an bein be- 
deutenderen, al3 diejer gar nicht mehr darin wohnte, jondern auf der Burg jaß, wenn 
nicht in Elbogen. Sehr — ſchön ift auch die furze Aufzeichnung „Egerer“ Ges 
ſchlechter: Aichler (2 Mann body im Rathe, ſpät ald Juriften hergekommen, nad 
fürzefter Zeit wieder fort), Albrecht, Anthoni, Bachmann, Baier, Brand (waren 
markgräfl. Unterthanen, nur einer hatte einmal Haslau), Braun v. Braunthal (höchſt 


u — 


unbedeutend), Brunner, Bruſch, Cramer, Daniel, Demel (2 Mann, davon 1 im 
Rathe!), Drexler (gab’3 gar nicht!), Elbogner (fo nie Bürger), Einftedler, Eulenburg 
(! ein Dynaftengeichleht — Egerer Geſchlecht!), Feilisich (weil Pr. ihr Loſan, richtig 
Regniglofau, auf egerl. Lofau bezog!) u. ſ. w., Kneußel (weil Pr. den Namen 
Chunzelınus, Chunzelinus de Hohenbere als — Kneußel von Hohenberg last), 
Leuchtenberg (! Landgrafen feit ältefter Zeit, ein — Egerer Geſchlecht!), Parsberg 
und Paulsdorf („egerer“ Gefchlechter, weil fie — etlichen Rehenbefig im Egerlande 
hatten, ebenjo:) „Voigt (sic!!) von Plauen‘ (die befannten Vögte), Partner (gibt's 
gar nicht!) m. ſ. w. — genügt diefe Probe?? Das mußte in einer hiftorifchen Zeit: 
ichrift gefagt werden. Nody einmal, nicht gegen Herrn Dr. Peez richtet fich diefer 
Schluß, nur gegen feine üble Quelle. Heinr. Gradl. 


Binhack Sr3.: Die Markgrafen im Nordgau (im den Verhdl. dv. hit. 
Vereins f. Oberpfalz u. Regensb., Jahrg. 1887, ©. 209 fg.) 


Ein Aufſatz, der fi viel mit Böhmen befchäftigt, aber das Großartigite leitet, 
das man je an hiftoriographifchem Ungeſchicke erlebte. Für den Verfaſſer eriftiren die 
in diefer Frage gepflogenen Forfchungen der Giefebrecht, Riezler, Stein, Spruner u. N. 
einfach nicht; für ihn beftehen Feine Urkunden; er reitet als Don Quixote auf einem 
Manufcripte herum, dad aus der Zeit von ca. 1800 () ftammt, einer Beit, da ein mit 
einiger Kenntniß der Dinge begabter Menſch gar nicht mehr Hinfieht, und ftellt nun 
die Gefchichte ſih darnad) und gegen Urkunden und gleichzeitige Annaliften zu— 
fammen. Wie diefe Gefchichte aber bei der Carambole der von den diverfen (jpäten) 
Chroniften geäußerten Behauptungen ausfieht, belegt wohl der Sat: „Berthold dem 
Zweiten folgte fein Sohn Arnold IU., von Anderen Diepold Il. genannt. Arnold II. 
juccedirte fein Sohn Heinrich IL, den Andere Diepold II. nennen. Lori neunt ihn 
unbegründeter Weife Konrad. Die Gemahlin Heinrichs II. war Mathilde; Lori nennt 
diefe Mathilde irrtümlich Beatrir“ ... u. ſ. w. — ift das nicht zum Verrüdtwerben ? 
Statt daß der Verfaffer den einzig vernünftigen Gedanken bekommt, folde „Quellen“ 
Sottweißwohin zu werfen, macht er aus ihnen „Geſchlchte zufammen! Nur noch Eines 
aus der umerichöpflichen Fülle von Unfinn! Der Würdigung böhmiſcher Genealogen 
empfehlen wir den Sat (S. 225): „Die Schweitern Diepold8 II. (von Vohburg) 
waren Amabilia, Gemahlin des böhm. Königs Wladislous J., und eine 2., N., die 
Gemahlin Otto's II., Fürften von Olmütz (Prineipis Olomucensis), Die Söhne von 
Amabilia waren Ladislaus II, König von Böhmen, der Mitbegründer (Confundator) 
Waldſaſſens, und Heinrich, Fürft von Zuaim (Princeps Znoymensis), von dent bie 
Grafen Czerniz von Endenitz (comites Czernieii de Cudeniz) ftammen, nnd Theo— 
bald J. Prorer von Böhmen, der Gemahl der Richja, einer Tochter des Gründers 
von Waldjaffen, und von dem (unde) ftammen die Grafen Sswichov von Skala und 
Raby, naher von Ryzenberg genannt (comites Sswihovii de Skala et Rabi, postea 
de Ryzenberg dieti)“, (!!!) Die Nachkommen der „jogenannten Bojohemen“ (sic}! 
S. 214) fünnen dem diesmaligen Jahrgange des Regensburger Vereines nur bedanerud 
gegenüberfteben. Das ift ein Rückfall in die Hiftorif des 17. Jahrhunderts. —a—n. 


es A 


Das Beil und feine typiihen Formen in vorhiſtoriſcher Zeit. Ein Beitrag 
zur Geichichte des Beiled. Bon W. Osborne Mit 19 Tafeln in 
Lithographie. Dresden 1887. 


Es iſt ein fehr danfenswerthed Unternehmen des Verfaſſers, ein einzelnes 
Artefact herauszugreifen und an den Zeugniſſen der Vorzeit zugleich deſſen Geſchichte 
und zu zeigen, wie auch einen vollftändigen Ueberblick über alle bis jett gefundenen 
Formen, welche vielfady den Etappen jener Geichichte entiprechen, uns zu verjchaffen. 
Nach beiden Richtungen hin wird das aufwandvoll hergeftellte Werk den Fachmann 
wie den Laien zu Dank verpflichten. Die Anthropologie hat vor anderen Willen: 
Ihaften den eigenthümlichen Vortheil, daß fie Gelehrte und Kaien in den Kreis ihrer 
Diener ziehen kann, und es gibt bereit3 eine große Zahl der Lebteren, welche durch 
ihren Sanmelfleiß fich verdient um die Wiſſenſchaft gemacht haben. Solchen kann 
das vorliegende Werk ganz befonders als ein Leitfaden dienen, an deſſen Hand fich 
ihnen der jcheinbar unüberjehbare Wuft der Einzeinheiten leicht und überfichtlich 
gliedern wird. Der dargeitellte Gegenftand ift freilich nur einer von unendlich vielen, 
aber einer der allerwichtigften. Die auf Tafel XVI. unter Fig. 9 abgebildete, höchft 
ſelteue Bronzeart, die dem Autor nur aus Ungarn und der Gegend von Mainz 
nachgewieſen ift, haben wir aud in Böhmen in ganz genauer Uebereinftimmung in 
der Hand gehabt, ohne daß wir wilfen, wo fie hingekommen ijt, Das Eremplar war 
in der Gegend von Libochowitz gefunden morben. L. 


Die Gewerblihe Erziehung durch Schulen, Lehrwerfftätten, 
Mufeen und Vereine im Königreihe Belgien. — I. Ge— 
werblich.technifcher Theil. — Bon Karl Genaud, Ingenieur und 
Profejjor. Reihenberg, J. Fritjche 1887. 


Bildete bereit3 der I. Theil des Genauck'ſchen Werkes, die kunſtgewerbliche 
Heranbildung betreffend, den Gegenftand eines längeren Berichtes, fo erfordert der 
II. Theil, welcher weſentlich umfangreicher und deffen Bedeutung für das induftrielfe 
Böhmen eine noch höhere ift, eine entiprechend erweiterte Behandlung. 

Indem die Volksſchule die Grundlage für jede Bildung, daher auch die gewerb- 
liche ift, jo hat Genauck Recht, der Voksſchule die volle Aufmerkſamkeit zu ſchenken 
und dem Leſer zunächſt ein lebendiges Bild der diesbezüglichen belgtichen Verhältniffe 
zu entrollen. Diejelben find nichts weniger als erfreulih. — Die Belgier find nicht 
gefeglich verhalten ihre Kinder in die Schule zu jenden, und es gibt der Pflichtver: 
geffenen leider jehr viele, welche von den reichlich dargebotenen Bildungsmitteln feinen 
Gebrauch mahen. Bei 23% der Kinder, welche im fchulpflichtigen Alter ftehen, be= 
ſuchen feine Schule! Kinder und Idioten von der Gefammtbevölferung abgezogen, 
demnach nicht miitgerechnet, ergeben eine Bevölkerung, von welcher noch über 30%, nicht 
lefen und jchreiben könneu! Die Analphabeten unter den Stellungspflidtigen, aljo 
unter den jungen Männern im 20. Xebensjahre betrugen 1870 29%, 1880 22%, 
1834 18'5° ,! 

Die Volksſchulen felbft jtehen vorwaltend unter dem Einfluße der Gemeinden, 
die ſtaatliche Gontrole ift eine geringe, die Lehrer lönnen ohne eigentliche, geſetzlich 


= 2; 


geprüfte Lehrbefähigung durd die Gemeinde-Autoritäten zu ihren Stellen gelangen. 
Und hierbei ift noch von jenen Volksſchulen die Rede, welche ftaatlicher Inſpek— 
tion unterworfen find; auf 4800 folder Schulen kommen aber 890 jogenannte 
freie Schulen, welche von Privaten oder Gorporationen, zumeift geiftlihen Orden 
erhalten werden und nicht einmal der ftaatlichen Inſpektion unterworfen find. Genaud 
ſchildert die dortigen Schulzuftände und den nachtheiligen Einfluß der katholiſcheu 
Kirche Belgiens auf die Schule in fo Harer, mohlbegründeter Weile, daß fich bie 
Nusanmwendungen wie von felbit jedem deufenden Leer aufdrängen und der in Deutſch— 
land und Defterreich eingeführte Schulzwang al3 ein Segen für das Land erkannt 
werden muß. 

Das mangelhafte Volksſchulweſen Belgiens bedingt dad Vorhandenjein einer 
eigeuthümlichen Gattung von Schulen für Erwachſene (ecoles d'adultes), melde 
einerfeit3 Vielen den mangelnden Volksſchul-Unterricht erſetzen, Anderen den genofjenen 
fpärlichen Unterricht ergänzen follen. Das Ergebniß ift aber ein geringes, die Volks— 
ſchule wird nicht erjegt und dasjenige, was eine gute Fortbildungsfchule leisten kann, 
auch nicht geleiftet. 

Das für die Vollderziehung Anzuftrebende faßt Genaud nah Abhandlung 
aller mit dem Volksſchulweſen verknüpften Fragen, ald Kindergärten, Mädchenerziehung, 
Schulſparkaſſen etc., in folgenden Hauptpunften zuſammen. 

Sämmtliche, immer confeſſionslos gedachten Bolsfhulen find mit Rinder- 
gärten in Verbindung zu bringen und ihnen Gärten, ſowie Spielpläge zuzu— 
weifen. In diefen Kindergärten, beffer organifirt, ald die gegenwärtigen meift find, 
haben alle armen Kinder entfprechenden Alterd unentgeltlihen Zutritt und dürfen 
dajelbft den ganzen Tag verbleiben, weshalb ihnen erforderlichen Falles auch unent- 
geltlihe Nahrung zu verabfolgen ift. Diefe Kindergärten follen nicht nur der Schule 
vorarbeiten, fondern auch jenen armen Schulfindern, welche zu Haufe nicht die er- 
forderliche Ueberwadhung finden, bis zu ihrem 11. Jahre ald Aſyl für ihre fchulfreten 
Stunden dienen. 

Wenn der Lefer bei diefem erften Hauptvorſchlage vielleicht die finanziellen 
Schwierigkeiten als unüberfteigliche Hinderniffe betrachtet, fo jei die Bemerkung ge: 
ftattet, daß das, was Genaud vorjchlägt, verglichen mit dem gegenwärtigen Stande 
der Dinge in Defterreich, feine jo gewaltige Umwandlung bedeutet, als diefelbe in dei 
legten 150 Jahren die öffentliche elementare Volkserziehung durchmeſſen hat. Es 
ift wohl die Anficht Genaud’3 richtig, daß die großen focialen Probleme der Gegen: 
wart an ihrer Wurzel erfaßt fein wollen, d. i. bei den großen Fragen der Volkser— 
siehung. Wir möchten beifügen, daß die Frage der Alterverforgung der Arbeiter 
eine Ehrenſchuld der Menfchheit, hingegen richtige Volkserziehung ebenſowohl ein 
Gebot der Liebe wie de3 aufgellärten Egoismus ift, jenes Egoismus, welcher mit 
Vorausfiht und umfchauender Klugheit gepaart ift. 

Die zweite Hauptforderung Genauck's ift die Einführung des Halbzeitun— 
terrichte3 mindeftend vom 11. oder 12, Lebensjahre der Kinder au. Er begründet 
diefe Forderung damit, daß ein täglich 3= big höchſtens Aftündiger Unterricht, welcher 
ſich am Vor- bezw. Nahmittage concentriren laffe, zur Erreichung des Lehrzieles der 
Volksſchule genüge. Jene Kinder, welche ſolchen Berufen zuftreben, die ein größeres 
Willensm. 8 erfordern, feien aus der Volksſchule an die Mittelfehulen in diefem Alter 
bereitö übergetreten; die Kinder der Landwirthe und Arbeiter aber können an ben 
ſchulfreien Halbtagen bereits in einer dem künftigen Berufe entiprechenden Weife ver 


— DO — 


wenbet werben. Eine Schädigung des Lehrzieles der Volksſchule brauchte um fo 
weniger befürchtet zu werben, als jene Kinder, welche durch Unfleiß oder Säumig- 
feiten zurücbleiben, verhalten werden fönnten, noch vom 14.—15. Fahre den Halbzeit: 
unterricht zu bejuchen. 

Für die Kinder jener Eltern, welche weder in der Landwirthſchaft noch in 
Werkftätten die halbzeitige Verwendung finden können, denkt fih Genauf mit den 
Schulen verbundene, von Werfmeiftern geleitete Lehrwerkſtätten, meldye wirklichen 
Erfolg erzielen könnten, da fie die Kinder täglich einen Halbtag zu beſchäftigen hätten. 
Diefer Vorſchlag ift nicht zu verwechjeln mit der Einführung des fogenannten Hand- 
fertigfeitöunterridhtes an den Volksſchulen; denn obbezeichnete Werfftätten würden an 
fih nur ausnahmsweiſe zu errichten fein, ihre Bejucher wären aud von beichränfter 
Zahl und endlid ihre Wirfungsmeife eine viel intenfivere. 

Mehrfach hebt Genaud die hohe Bedeutung der Erziehung der Mädchen hervor, 
und er wünjcht die fpäteren Schulpflichtigen Altersftufen derfelben zu den Ueberwachungs- 
arbeiten in den Kindergärten herangezogen, wodurch die Mädchen ſowohl die Arbeiten 
der Kindergärtnerinen erleichtern al3 auch felbft mit der Behandlung der Kinder 
vertraut werben würden, Der Halbzeitunterricht würde auch dies ermöglichen. 

Nach vollendeter Volksſchulbildung künnten die Knaben oder Mädchen in die 
Fortbildungsichulen verichiedener Richtung aufgenommen werden; der Beſuch derfelben 
wäre ein freier, zum Unterrichte würden Abend» und Sonntagsftunden ober frühe 
Morgenftunden verwendet, ein geringes Unterrichtsgeld wäre zu bezahlen. 

Nach abjolvirter Fortbildungsichule, aber nicht vor dem 18, Lebensjahre, dürften 
fih die Schüfer einer commiffionellen Prüfung unterziehen, auf Grund melder fie 
nad Genaud’3 Vorſchlag Certificate erhielten, welche den Jünglingen die Begünftigung 
einer. zweijährigen Dienftzeit brächten. . 

Genauck hat in dem erjten Theile feiner, in ihren Hauptideen ſtizzirten Schrift 
(bit ©. 153) in Anmerkungen auch intereffante Hinmweijungen auf amerifanifhe Ver— 
hältniffe gegeben, und es finden fi) auch darin föftliche Säße, jo 3.8. „das Maf der 
Belehrung hat fih nicht nach dem zu richten, was der Lehrer weiß, fondern darnad), 
was der Zögling aufnehmen kann“; „die Fähigkeiten find nad) der natürlichen 
Ordnung ihrer Entwidlung zu pflegen, alfo confequenter Weife mit den Sinnen zu 
beginnen, dem Kinde ift nichts zu jagen, was es nicht ſelbſt wahrnehmen, entdeden 
fann“ u. ſ. w. 

Der zweite Theil der Genaud’ichen Schrift handelt von Belgiens gewerblichen 
Schulweſen, S. 153—22%6, hieran jchließen fich allgemeine Betradytungen über das ge- 
werblidye Erziehungswefen und endlich eine Kritik des belgischen in Gegenftellung mit dem 
öfterreihiichen und ſächſiſchen Syſteme (226—342), lettere befonderd für Belgien 
werthvoll. Die gewerblichen Fortbildungsichulen Belgiens (&coles industrielles) trachten 
dem Arbeiter einen wiffenichaftlichen Unterricht, welchen er in der Werkſtätte wicht 
erlangen kaun, zu geben und ihm dadurd die Mittel zu verfchaffen, den ökonomiſchen 
Werth feiner Arbeit zu erhöhen. Arithmetif, Geometrie, die Eimführung in die Tech— 
nologie, die Phyſik, Chemie und Mechanik, dann die Hygiene und Volkswirthſchaftslehre 
bilden die Gegenftände diefer Schulen, und es iſt ein treffliches Zeugniß ihrer Ein- 
wirkung, daß wie Rombaut in einem Meinifterialberichte jagen kann, „der ftreng 
unterrichtete Arbeiter fi durch die gefährlichen Stimmen derjenigen nicht mitziehen 
fäßt, welche ihm den Haß gegen das Capital und die Arbeit predigen, und daß es 
nicht einen einzigen gab, der fi an den Scenen der Unordnung nnd Gemwaltthätigfeit 


BER, .\, 


betheiligt hat, welche bei Gelegenheit ded GStrifes der Berg- und Hüttenarbeiter ftatt- 
gefunden haben.” | 

Es hieße den Zwed einer Beiprehung des trefflihen Werkes überjchreiten, 
wollten wir auf die Einzelheiten der Lehrpläne, der Statiftif, Reglements u. dal. 
eingehen. Es fei nur noch hervorgehoben, daß in Belgien nur eine einzige Anftalt, 
welche mit unjeren höheren Gewerbeichulen verglichen werben kann“, befteht, die 
ecole speciale d’industrie et des mines in Mons, über welche ſich Genaud jehr 
zurüdhaltend ausſpricht, denn obwohl jelbft Profeffor einer höheren Gewerbeſchule, 
vermag er doch nicht darin, daß eine Mittelfchule gleichſam als Concurrenzanftalt der 
tehniichen Hochſchulen oder Bergafademien fungirt, etwas Zweckentſprechendes und 
Kluges zu finden. Die Aufgabe der gewerblichen Schulen als Mittelfhulen wird darin 
zu juchen fein, „vorzugsweife tüchtige Unterofficiere der Imdnftrie zu liefern, alio 
Männer, welche zwiſchen Ingenieur und Arbeiter ftehen“! (j. ©. 215). Diefer Männer, 
dies fer unfere Beifügung, braucht man nicht nur viele, fondern auch nach verjchiedenen 
Pildungsitufen, fo daß niedere und höhere Gewerbeſchulen volle und innere Berech 
tigung haben, ohne die Grenzen ihres eigentlichen Zwedes überichreiten zu müſſen. 

Aus den allgemeiner gehaltenen Betrachtungen, welche den letzten Theil des 
Genauck'ſchen Werkes bilden, wird e3 zur Orientirung des Leſers genügen einige 
Hauptjäße hervorzuheben, welche den Geift des Werkes kennzeichnen, in demſelben 
aber ihre eingehende Begründung finden. So jagt Genauck: „Der Zweck der Fort— 
bildungsihulen ift die nothwendige Ergänzung der Werkftattlehre durch theore: 
tiichen Unterricht. Unterrichte, welche tiefere wiſſenſchaftliche Baſis benöthigen, find in 
den Lehrplänen der Fortbildungsichnien auszufchließen und den Fadichulen zuzu— 
weiſen. Die Fachſchulen haben vorzüglich die Aufgabe, der Erziehung der wohlhabenden 
Claſſen im induftrieller Richtung zu dienen; die Fachſchulen follen jpecialifirt und 
daher den einzelnen Jnduftriegruppen angepaßt jein. Die Werkftattlehre im Allge- 
meinen ift nie durch Schulen zu erjegen. Fachſchulen laſſen fi) durdy bloßen Abend» 
unterricht nicht erſetzen.“ Neferent braucht wohl nicht erit zu verfichern, daf Genaud’3 
Arbeit eine höchſt beachtenswerthe it. Kann auch in formeler Bezichung ausgejegt 
werden, daß manche über mehrere Seiten gehende Anmerkungen richtiger in den Text 
zu verweben geweſen wäre; oder daß der Leſer, welcher nicht ſehr aufmerkſam das 
Gebotene durchnimmt, zuweilen in Zweifel fein kann, ob er ed mit einem Citate oder 
Genaucks eigener Meinung zu thun hat; oder ließe fich 3. B. in fachlicher Beziehung 
euch ausfesen, daß dem QTurnunterrichte nicht jene Bedeutung für die Entwtdlung 
der Jugend beigemeffen wurde, welche demfelben ſowohl in Hinficht auf dic körperliche 
Entwidlung als in Hinficht auf die Hebung von Geiftesgegenwart, Muth, Wille und 
Disciplin dann zukommt, wenn er jachverftändig geleitet wird: fo muß doch das 
Werf ald Ganzes betrachtet, ald ausgezeichnete Arbeit bezeichnet werden. Sie war 
‚würdig, dem Altmeifter der gewerblichen Pflege, Dr. Ferdinand Steinbeis, gewidmet 
zu werden, und fie wird dem edlen reife Freude bercitet haben. — Möge fie ver- 
diente Beachtung finden! Prof. Kick. 


Programmanffähe aus dem Iahre 1887. 
Die Zahl der Programme, welche Abhandlungen hiſtoriſchen Inhalts bringen, 
ift diefesmal eine äußerſt dürftige. Wenn ich fie trogdem zur Anzeige bringe, fo ge- 
ſchieht es nicht ſowohl der wiſſenſchaftlichen Bedeutung der Arbeiten wegen, die ja, 


5 





zu: AR 


um es fofort zu betonen, eine unerhebliche ift, ald vielmehr um die num Schon mehrere 
Jahre geübte Gepflogenheit nicht aufzugeben. 

1. Der 15. Jahresbericht des f. f. Gymnafiums in Reichenberg enthält eine 
von Franz Hübler verfaßte Gefhichte der Lehranftalt „Zur fünfzig: 
jährigen Gedenkfeier der Reichenberger Staatämittelihule”. Ihre Gründer find der 
Bürger Hibert Till (F 1804) und der Erzbiihof von Prag W. Leop. Chlumcanſky 
(k 1830), die der Stadt zur Errichtung einer Realihule nicht unbedeutende Gapitalien 
teftamentarisch zur Verfügung ftellten. Es dürfte faum eine zweite Schule zu finden 
jein, die in der furzen Zeit von einem halben Jahrhundert jo viele Wandlungen 
durchgemacht hat, als die zu Neichenberg. Im Jahre 1837, als dreiclaffige Unter: 
realjchule eröffnet, fteht fie bi8 1843 unter der Leitung der Biariften, wird 1850 in 
eine ſechsclaſſige Oberrealfchule umgeftaltet uud ift bi8 1872 den Prämonftratenfern 
des Stiftes Strahom anvertraut; 1873 wird fie eine Staatsanftalt, erhält weltliche 
Lehrer mit dem bis zu diefem Aüugenblid an der Spige ftehenden W. Wolf als 
Director und wird zum Realgymnafium mit Oberrealihule. 1876 ift die Schule ein 
Obergymnafium mit Oberrealjchule und jeit 1886 ein reined Obergymnafium mit 
einer Unterrealichule. 

2, Der 14. Jahresbericht der deutſchen Oberrealſchule in Pilſen hat an jeiner 
Spige einen Auffag von Ant. Huber: „Die auswärtige Bolitif Defterreich3 nad) dem 
Aachner Frieden und die Urfache des fiebenjährigen Krieges“. Archivalifche Forſchungen 
bat der Verf. nicht gemacht, ungedrudte und bislang unbekannte Quellen hat er nicht 
verwerthet und feine Gewährsmänner, an die er ſich lehnt, werden nicht angedeutet. 
Die Arbeit fördert nichts zu Tage, was nicht fchon vor dem bekannt gewejen wäre 
und die 27 Seiten, welche fie einnimmt, hätten ohne den mindeften Nachtheil für die 
Welt ungedrudt bleiben können. 

3. Von weitaus größerer Wichtigkeit ift die dem Programme des Comm.⸗ 
Obergymnafium in Kaaden beigefügte Arbeit von P. Conſt. Uber: „Die Privilegien 
der fünigl. Stadt Kaaden“, Die Reihe der 64 im Stadtardive befindlihen Majeftätd- 
briefe, darunter 41 Originalbriefe, beginnt mit dem 1319 vom König Johann er- 
theilten Privilegium und fchließt mit der von Kaifer Franz II. ausgeftellten Beſtä— 
tigung der ftädtifchen Freiheiten. Wörtlich find bloß der Brief von 1319 und zwei 
Briefe von Karl IV., allerdings nicht ganz fehlerfrei abgedrudt. Der Berf. gibt uns 
überdies noch einen Einblid in die Gerechtſame der Stadt, welcher bezeugt, daß er 
dazu gejchaffen wäre, eine Geſchichte der Stadt Kaaden zu ſchreiben, die troß der im 
Stadtardyiee befindlichen „Geſchichte der königlichen Stadt Kaaden“ von Urban 
von Urbanftaedt und ber auf ihr fnfenden „Monographie der Stadt Kaaden“ von 
Karl Guft. Mayer noch nicht gemäß dem heutigen Standpunkt der Geſchichte ge— 
ſchrieben ift. B. 


Kalenderſchan. 


Kalender für das Egerland. Redigirt von Johann Wüſt. V. Jahrg., 
Verlag von A. E. Witz, Eger. 


Der von der rührigen und unternehmenden Firma Witz herausgegebene „Ral. 
f. d. E.“ Hat fid), obwohl er zeitlich erft das fünfte Jahr feines Beſtandes erreicht, 


in die Gunft des Volkes Schon eingelebt. Im Ganzen hält er fi, ohne daber die 
Volksthümlichkeit aufzugeben, auf einer mehr äfthetifchen Stufe; feine Beiträge find 
etwas gefichteter. So eröffnet den vorliegenden Jahrgang Rofeggers „Eheſtandspredigt“, 
welcher gut gehaltene „Sagen aus dem Egerlande” und des Egerländers Joſ. Thumfer 
„Erſte Schritte”, ſowie eine Heine mundarttliche Erzählung „Mein Bettan fa Goliath” 
von dem gewandten Hans N. Krauß folgen. Weiteres Mundartliche fteuern Graf 
Element Zedtwiß:Liebenftein und in ausgedehnterer Weije der fleißige Dr. Mich. Urban 
(„Heimatl. Bierzeiler“) bei. Die Hiftorie im Weiteren Sinne empfängt ihre Huldigung 
durch eines Anonymen Auflas „Die Kaiferburg zu Eger“ und duch des mwaderen 
Ed. Zanota Schilderung „Aus Falfenau’s jüngfter Vergangenheit.” Diefem ideelleren 
Theile hat der umfichtige Redacteur Wüft noch eine lange Reihe guter Aufſätze zur 
„Haus-, Volks- und Landwirthichaft”, dann „Vermiſchtes“, „Humoriſtiſches“ u. ſ. w. 
zugegeben. Das gut ausgeftattete Büchlein ziert ein großes Bild des „Kaifer Joſeph— 
Dentmals zu Eger”, deffen Enthüllungffeier in 1887 auch eingehend geſchildert ift. 
Den Kalender empfiehlt nah Allem ſchon der angeführte Inhalt. —1-— 


Egerer Jahrbuch, Kalender für d. Egerlaud, Jahrg. XVII. (1888), Verl. 
Kobertih u. Gſchihay, Eger. 


Ein alter Belaunter tritt und mit dieſem Kalender entgegen, der nach feinen 
früheren Leiftungen immerhin adtungsvolle Erwartungen regt. Der vorliegende 
Sahrgang, der fi wie immer nicht an die Allgemeinheit wendet, fondern bloß au 
das Egerländerthum, enthält wieder einige hervorzuhebende Stüde, jo: die Erzählung 
„Unter den Föhren” von H. N. Kraus, die Knnſtſage vom „Grundſtein der Stadt 
Eger“ von Dr. M. Urban, mehrere ganz hübſch erzählte „Sagen aus dem Egerlande” 
unter den Gedichten „VBerklungene Lieder“ von Karl Iro, deſſen poetiſch hochſtehende, 
Reiftungen alle Rob verdienen, ben biftorijchen „Kirdygang der Egerer Mesger anı 
Jahrestage“, eines Egerer Gewerbmannes (Fol. Riedt) ganz gut gefchriebenen Auffog 
dann „Bilder aus Eger“, an deren Hand man trefflich geleitet, einen Heinen Rund— 
gang durch die alte Stadt macht, ferner die anregende Heine Abhandlung über Kunft 
und KRunftgewerbe in Eger“ von Dr. G. 9. (Habermann?). Von Dr. Mid. Urban 
find die mundartlichen Beiträge beigeftellt, auch ein ganz lesbares Gedicht „Herzens- 
gruß aus Egerland”. Etwas kindiſch und gefucht geziert nehmen fi die mühjanı ge- 
machten Lieder H. J. Dietl3 aus, Die Bilderzugaben betreffen Burg, Kapelle, Stadthaus 
und Riedlhaus; das Titelbild bringt ein (mohl unmögliches) „Schloß“ Neichersdorf 
(das Ding von Thurm fiebt wie ein Kinderſpielzeug aus) und die St. Jodokkirche. 
verdient das Jahrbuch Alles in Allem die gewöhnliche Empfehlung auf den Weg. L. 


Denticher Volkskalender für die Iglauer Sprachinſel. Herausgegeben und 
verlegt vom „Deutſchen Verein für Iglau und Umgebung“. 2. Jahr— 
gang. 1888. 


In prächtiger äußerer Ausftattung liegt nun diefer Kalender das zweitenal 
vor, was hoffen läßt, daß er einen dauernden Pla in diefer Literatur einnehmen 


5* 


— 


wird. Das verdient er auch gewiß in jeder Hinſicht. Schon das eigentliche Kalen— 
darium iſt ſehr praktiſch eingerichtet und bietet für den Leſerkreis, auf den man 
hauptſächlich zählt, ungemein reichliche wirthſchaftliche u. a. Auskünfte. Alles Uebrige, 
worüber man ſonſt im Kalender Auskunft ſucht, fehlt natürlich nicht, wie nicht minder 
auch für Unterhaltung und Belehrung geſorgt iſt. Hier kaun nur auf folgende drei 
Auffäge verwieſen werden: „Aus unſerer Sprachinſel“ bringt drei Skizzen aus dem 
Volksleben (von F. P. Piger); „Der Silberbergbau in Mähren mit bejonderer 
Rüdfiht auf die Stadt Iglau“ von Dr. Fr. Kupido, und „Waflerverjorgung der 
Stadt Iglau“ (worin auch die ältere Zeit behandelt wird). 


Auf die im legten Hefte der Mitth. enthaltene Beſprechung des Buches 
von E. Tucha: „Die Kivchenbauftile ꝛc.“ fendet der Verfafjer folgende 


Erwiderung. 


I. Entjhieden unter die Drudfehler muß ich und mwohl and jeder 
Unbefangene Nachſtehendes verweilen, das in folgender Weife richtig zu ftellen iſt: 

1. Als Datum der Grundfteinlegung zum Kölner Dome ift nicht die vorne 
1228, fondern die im Anhange ©. 137 angebene Zahl 1248 zu nehmen, 2, ©. 73. 
Die Berufung der Prämonftratenfer nah Strahow geſchah allerdings nicht 1182, 
fondern bereits 1138. Wladiſlav II. aber und andere wurden an diefem Orte lediglich 
des Intereſſes wegen genannt, das diefer und der Prager Bilhof Johann I., ſowie 
früher fchon der Olmützer Biſchof Heinrich Zdik (dev 1136 jelbit in diefen Orden 
eintrat) an diefem im Jahre 1120 geftifteten neuen Orden nahmen. 3. ©. 73. Die 
Premyfliden find nicht 1300, fondern 1306 mit Wenzel III. ausgeftorben. 4. ©. 73. 
Nepomuf wurde nah Neplacho bei Frind I. 290 nicht erft 1230, fondern bereitd 
1130 gegründet. 5. ©. 84. Als Fortſetzer des Baues von Kladrau iſt felbftverftändlich 
nicht Vratiflav I. (912— 920), fondern Vladiflav I. (1140—1173) anzufehen. 6. ©. 101. 
Bei Klingenberg wurde ald Erbauer anftatt Wenzel I. fälſchlich Wenzel II. gedrudt. 
7. Sedlec kann allerdings nicht ſchon im J. 1308 von den Hufiten zerftört worden fein. 
Dies geihah 1421. Uebrigens Fünnte wohl aud 1308 die BZerftörung durd ein anderes 
Ereigniß erfolgt fein. 8. ©. 91. ad St. Jacob bei Kuttenberg foll e3 anftatt: in den 
„Schiffen“ zwiſchen den Fenſtern beißen: in den „Nifchen“ zwiſchen den Fenftern, wie 
es im Mannfcripte thatjächlich ſteht, da doch zwiſchen den Fenſtern überhaupt Sei- 
tenichiffe anzubringen eine Unmöglichkeit ift. — Was die anderen Drudfehler, welche 
von dem Herrn —r.—Recenfenten zur Vergrößerung des Sündenregifterd herbeigeholt 
wurden, jo Borivoj, Pontikl, Wlenzig u. U. anbelangt, jo bemerkt der Gefertigte, 
dab diejelben auf den erjten Blid einem jeden nur einigermaßen orientirten Lefer 
ald das ſich erfenntlich machen, was fie in der That find, als Drudiehler. Wer 
follte 3. B. den Schulrath Joſef Wenzig nicht Fennen, der ſich jo viele Mühe gab, 
die tihechiiche Literatur dem Auslande zu vermitteln? Daß aber das eben Angeführte 
in den Bereich der Drudfehler wirklich gehöre, wird wohl Niemand in Abrede ftellen 
können, der bedenkt, daß es doch wohl für den VBerfaffer keinerlei Schwierigkeit gehabt 
haben fan, eine bei Frind, Schlefinger, Grueber u. A. vorfindliche Ziffer zu ent: 
lehnen und in jein Manuſeript herüberzunehmen, recte zu copiren. — Denn mehr 
war im dieſem Falle ficher nicht zu thun! Hiezu kommt eine flüchtige weniger gut 


— 61 — 


lesbare Handichrift. Eine Corrigenda-Berzeihniß aber wurde wegen der Eile, mit 
welcher in Folge verjchiedener Vorkommniſſe die Drudlegung betrieben wurde, leider 
nicht angebracht. Hine illae lacrimae. 

U. Entfhieden Recht nimmt der Gefertigte für fih in Anfpruch. betreffs 
bes Folgenden: 

1.©.73. ad Nepomuk. As Gründer werben bei Brunner Ciftercienjer: 
buch pag. 17. Berthold von Sternberg und Herzog Heinrich Bretiſlav angegeben. 
Die Behauptung fteht daher für den Einen wie für den Andern. Die Sternberge 
aber wurden genannt auf Grund der Angabe bei rind I, 290. Daß ſpätere 
Shhriftfteller die Ahnen der Sternberge ald Stifter nennen. 2. S. 72. ad Frauen: 
thal. Wenn bier Frauenthal mit zu den älteften Stiftungen des Landes gezähıt 
wurde, jo gefhah das in relativem Sinne, nämlih im Entgegenhalt zu den unter 
Joſef II. erfolgten Klofteraufhebungen Ipäterer Orden und Ordenshäufer 3. B. Der 
Mendifantenconvente. 3. S. 89. ad Rip. Daß die Georgscapelle wirklich unter 
Sobẽeſlav I. 1126 erbaut wurde, findet fid) ausbrüdlich bei Grueber I. 66: „Sobe- 
flav I. 1126 bat fie erbaut und der Olmützer Biſchof Heinrich Zdik diefelbe einge- 
weiht.“ Auf eine Brüfung der Quellen aber hier und anderen Ortes fi einzulaffen, 
war nicht Aufgabe de3 Gefertigten, umjoweniger, als eine ex professo hiſtoriſche 
Arbeit nicht in feiner Abficht gelegen war. 4. ©. 79. ad Ronginuscapelle Die 
auf 1280-1281 bezifferte Erbanunggzeit wird von Grueber I. 68 inſoweit beftätigt, 
daß e3 dafelbft Heißt: „annähernd um 1280—1281.” 5. ©. 81. Der Bau de? Kirchen— 
ichiffes von Budei-Kopary wurde 1055 firirt. Grueber I. 66 gibt an: „daß der- 
jelbe wegen der Zeichen hohen Alters aus der Zeit Vladiſlav's II. (1140—1173) 
herrühren kanu.“ Alfo um diefe Zeit. 6. ©. 92. ad Kondras. Das dajelbit ange- 
gebene Jahr 1149 wurde in einer Quellenfchrift, mahrjcheinlich in dem den Schmidt: 
und Lorenz'ſchen Abbildungen beigegebenen Terte (dermalen dem ©efertigten nicht 
mehr zur Hand) aufgefunden. 7. S. 84. Als erfter Abt von Kladrau wurde Bert- 
hold genannt. rind nennt den erften Abt nicht, Grueber jpricht von einheimijchen 
Mönchen 1108, dann, daß 1109 die erften Mönche von Zwyfalten, welche der dortige 
Abt Udalrich fandte, anfamen. — Offenbar fand fi der Name Bertheld in Köple 
Monographie über Kladrau (nicht mehr zur Hand). 8. ©. 88. ad Doran. Daß 
Adalbert von Sternfeld wirklich erfter Probft von Doran war, beftätigt Brunner 
Chorherrenbuch S. 771. Der von dem Herrn Necenfenten bezeichnete Erlebold war 
nicht erfter Probft von Doran, fondern nad Brunner Chorherrenbuh ©. 552, 
zweiter Abt von Strahow und regierte 1149-1175 ald Nachfolger des Abtes Gezo. 
9. ©. 85. Plaß ift nach Frind I. 292 von Vladijlav I. ind Leben gerufen worden 
(regierte 1120—1125), Grundfteinlegung erfolgte aber 1146, was zu Gunften Bla: 
diſſavs IL (1140—1173) ſpräche. Grueber I. 23 nennt einfach Vladiſlav, ohne zu 
jagen I. oder II. 10. ©. 100. Hradiste. Wurde vom Gefertigten als Grün- 
dungsjahr 1177 angegeben. Grueber II. 35 jagt: „ums Jahr 1177”. 11. ©. 73. 
-Königsfaal joll nicht 1297 geftiftet, fondern bloß der Grundftein zum Kirchen— 
bau gelegt worden fein. ad hoc: Grueber I. 87 hat 1292, demnach der Inter: 
ichied nicht groß. Frind II. 223: „1292 erhob ſich das Ciftercienferftift Königſaal.“ 
Hier wurde Stiftung de3 Klofterd? und Grundfteinlegung zur Kirche identificirt. 
Es ereignet fid Häufig, daß zwilchen Berufung einer Ordenscolonie, reichlicher 
Einrihtung des Conventes, Gründung der Kirche, oder gar Datum der Aus— 
ftellung des Stiftsbricfes eine Differenz herrſcht. 13. S. %. ad Oſſegg. Es 


ae 


konnte ſich beim Bau des dortigen Kapiteljaales und Kreuzganges recht wohl 
Einfluß von Magdeburg geltend machen, ba jeit Otto I. 967 in Magdeburg ein 
Benedictinerklofter beftand, 968 dad Bisthum errichtet wurde, ſohin das bedeu- 
tendfte und nächſt Meißen (955) Oſſegg nächitgelegene Eulturcentrum war. 14. ©. 106, 
107. ad Prager Dom, War ungenau ftilifirt und foll heißen: „Der Bau wurde 
bis 1392, in weldyem Jahre der Gruubdftein zu dem (devmalen nicht vorhandenen) 
Langhaus gelegt wurde, fortgejegt, von da ab GStillitand (ercl. die neuefte Zeit),“ 
Wird von Grueber III. 44 beftätigt, welcher auch das genannte Jahr 2. Juni 1392 
als Fahr der Grumdfteinlegung der Domſchiffe angibt und daß Pfeiler und Umfaf- 
fungsmauern des Landhanfes in ihrem ganzen Umfange angelegt wurden. Von da 
ab erwähnt er nicht3 mehr von einem ftattgefundenen Bau, fondern gleich darauf 
1396 die Uebertragung des Leihnams des bi. Adalbert aus dem alten in ben neuen 
Dom. 15. ©. 77. ad St. Georg in Prag. a) betreff3 der Stellung der Thürme 
fagt Vocel: „fie ruhen auf beiden Kreuzvorlagen d. i. auf den beiden Seitenarmen 
des Kuerſchiffes. b) daß der Rundbogenfries wirklich fehlt, Beweis deffen Grueber I. 
16 wörtlih: „ſonſt fehlt an der Georgskirche jede Ornamentif, felbft der an roma- 
niſchen Kirchen beinahe unvermeidliche Rundbogenfried. ce) betreff3 der Sarkophage 
dajelbit — wahrſcheinlich aus Mikovec. 16. ©. 81. ad Mebte von Sazava. Mit 
Recht wurde vom Befertigten Abt Sylvefter (VI. Abt) unter den Künftleräbten an- 
geführt, weil von ihm der Monachus Sazaviensis der Continuator des Cosmas 
ſchreibt: „anno 1134, Sylvester Abbas Monasterium St. Joannis Naptistae picturae 
venustate decoravit.* Regenhard konnte (anftatt nach) vor Bozetech genannt werden, 
da eine chronologiſche Reihenfolge nicht beabfichtigt war. 

II. Als Irrungen meinerjeits kann ich nur Folgende anerkennen: 

1. ©. 71. Benedictinerflofter Bilemov wurde von mir fpäter irrthümlich als 
Prämonftratenferitift angeführt. Indeffen: Könnte es nicht — wenn auch nur für 
furze Zeit — diefem Orden übergeben worben fein, wie ein Gleiche betreff3 Leito— 
miſchl und Seelau, beide uriprünglich Benedictinerklöfter, dann Prämonftratenferftifte, 
ber Fall war? Gehörte doch felbft dad Sazavaklofter nach Grueber I. 9 eine Zeit 
lang den Prämonftratenfern. Sclefinger S. 87 ſpricht gleichfalls von folhen Um— 
wandlungen, wenn aud) fpeciell Vilemov nicht genannt ift. 2. ©. 92. Mühlh auſen. 
Bei Grueber I. 17, 18, wo die Kirche ausführlid) bejchrieben ift, findet ſich darüber, 
ob das Presbyterium die gleiche Höhe mit den Schiffen einhält, nichts. Es mag 
der Herr Necenjent Recht behalten, 3. ad Seelau. Borrede. Wird bei Grueber, 
wie der Gefertigte fid) überzeugen Eonnte, IT. 41—42 eingehend beſprochen. 4. ©. 119. 
Magdalenenfirhe in Leipa, follte es richtig heißen „in der Manier des 
Beneih von Laun 1582 erbaut“. 5. ©. 144. Abt Gerlach, den Vocel S. 158 
chronographus Siloensis (Abt Gerlad)) neunt, ohne zu jagen, ob Seelau oder Mühl: 
haufen, ift richtig Abt (erfter Abt) von Mühlhaufen, Uebrigens fonute der Gefertigte 
wohl audy jagen: Gerlad von Seelau (freilih nicht Abt), da berjelbe Profeß— 
priejter von Seelau war, von wo er 1187 nady Mühlhaufen (a's 1. Abt) abging, wo 
er 1228 ftarb. ad ©. 146. Ob 4 oder 3 Grade der Arbeiter in dem mittelalterlichen 
Bauhüiten zu zählen find? Hierauf: Fe nachdem Gejellen und Parlirer für identiſch 
genommen werden oder nicht, werden 3 oder 4 Grade gezählt. Möglich, daß feit der 
im Jahre 1459 erfolgten Vereinigung ſämmtlicher Maurerinnungen zu einer Bruder- 
haft für gauz Deutſchland eine definitive Organijation in 4 Grade ftatt hatte. In 
Literatur, welde ich recht wohl noch durch andere Hangvolle Namen (Schnaafe 


ir MB: u 


wurde S. 20 im Texte citirt) hätte vermehren fünnen, wurden mit Mbficht nur jene 
Werke genannt, die dem Gefertigten thatfächlich vorlagen. Desgleihen wurden in 
dem Artikel „Runftvandalismus” mit Abſicht die einem Theile der Leſer gewiß 
unbelannten Anfichten und Urtheile von Reichenſperger, Gieferd u. U. aneigander 
gereiht. — Dies ald Ermwiderung; es bürfte zeigen, daß das Schriftchen des Ge— 
fertigten, das übrigens nirgends mit der Prätenfion abfoluter Vollkommenheit auf: 
trat, im Gegentheile fich einen ergänzungsfähigen Erſtlingsverſuch nannte, nicht allein 
wirflic gut gemeint war, fondern auch thatfählid; durchaus nicht den Vorwurf einer 
„lorglofen Arbeit” verdienen dürfte, Daß aber bei einer Fülle Hiftorifcher Daten und 
bei der nicht unbedeutenden Anzahl kirchlicher Bauobjecte immerhin eine oder die an— 
dere Irrung unterlaufen kann, ift, wiewohl bedauerlich, gleihwohl für einen Jeden, 
ber mit Arbeiten diefer Art ſich beichäftigt, erklärlich. Edmund Tuchna, Pfarrer. 


Der unterzeichnete Referent, welcher nur über Erſuchen der Rebaction die 
Beiprehung des Leitfadens von Tucha übernahm, erlaubt fi) auf die Auseinander: 
fegungen des Verfaſſers Folgendes zu erklären: 


Durh Herrn Tuchas Erklärungen werden zunäcft eine Menge Drudfehler 
angeitanden und berichtigt, welche auszuitellen der Ref. umfomehr im Rechte war, 
da bei Mangel eines Drudfehlerverzeichniffes überall, wo Recenfionen gejchrieben 
werben, auf ſolche verwiefen wird, wenn fie in fo bedeutender Anzahl wie hier be- 
gegen. Was im Manufcripte oder in anderen, den Verfaſſer leicht zugänglichen 
Quellen ftand, kann der den fertigen Druck Beurtheilende nicht in Anfchlag bringen, 
da er fih nur an das unmittelbar Gebotene halten muß. | 

Bezüglich der Punkte, für welche der Herr Verfaſſer fein Recht feithalten zu 
fünnen glaubt, fei darauf hingewieſen, daß Nef. die für Nepomuf, Plaß und Hrabiste 
mit Berufung auf Brunner, Frind und Grueber gegebenen Erklärungen nicht gelten 
laffen kann, da er aus dem Studium Münchner, Bamberger und Wilheringer Hand— 
ſchriften der Eiftercienferchronologie, jowic aus dem ausgezeichneten Werke von Ja: 
nauſchek und ber Arbeit Winters andere urkundlich fichere Daten nachzuweiſen vermag, 
melde er in feiner eben erichienenen „Geſchichte der chriftl. Kunft in Böhmen bis 
zum Ausfterben ber Premyſliden“ genau belegt. In „Ortliebi de fundatione mona- 
steril Zwivildensis,* Mon. Germ. SS. X., ©. 84, wird ald erfter au3 BZwifalten 
tommenbder Abt von Kladrau „Wizimannsis“, als fein Nachfolger aber „Bertolf” 
genannt, gegen melde aus dem Mutterflofter jelbft ftammende Aufzeichnung jeder 
andere Gewährsmann, fei derfelbe Köpl oder Grueber, zurüdtreten muß. Ebenſo— 
wenig als Grueber, I. ©. 66, ift Herr Tucha im Rechte, betreffs des Rundbaues auf 
dem Berge Rip die Worte des Wydehrader Canonicus „Solezlaus dux serenissimus 
reconstruxit“ anders al3 auf einen Reftaurationsbau zu deuten, da auch andere Ge- 
währdmänner 3. B. Pontanus von Braitenberg, ©. 4, oder Dubravii hist. Boh. 
©. 87, darin nur einen ſolchen erblidten. Betreff3 der Yonginuscapelle hat ſchon Baum 
in dem die nur bedingungsweije geltende Zuverläffigfeit Gruebers ſcharf kritiſirenden 
Aufſatze „Jak pisi historii &esköho umeni“ (Pamätky archaeolog. a mistop. IX., 
©. 377) feine Gründe gegen 1280—1281 ausgeſprochen. So lange dad Erbauung: 
jahr der Kirchen von Kondrag oder Budec-Kovary nicht aus einer echten Urkunde oder 
zuverläfjigen hiſtoriſchen Quelle mit 1149 und 1055 ficher zu ermeifen ift, bleibt das 


- 
= 


u I 


felbe willfürlihe Annahme, Auch für Königfaal gelten nur die in den Regest. 
Bohemica publicirten Urkunden und das Geſchichtswerk des Abter Peter ald die 
allein mahgebenden Quellen, welche allerdings präcifer ald Grueber u. U. ſprechen. 

Die Bauten in Offegg künnen nad den Principe der von Schnaafe und 
Dohme beleuchteten Kunftübung der iftercienfer zunächft nur von dem Mutter: 
kloſter Waldfaffen und den in Franken üblichen Formen beeinflußt fein, denn 
diefe Beziehung liegt näher ald eine urkundlich nicht zu belegende zu Magdeburg. 
Daß der Rundbogenfries an den Thürmen der Brager Georgskirche, deren Stel- 
lung aud mit Beziehung auf Wocel wegen Fehlens eines Querſchiffes nicht 
beſſer charakterifirt wird, Sich thatlächlich findet, hat bereit3 auch Herold (mal. 
Rand, I. ©. 233) hervorgehoben; die Grabdenfmäler ftehen nicht in der 
Krypta. Daß Abt Silvefter von Sazawa nicht al3 ansübender Künftler zu betrachten, 
ſondern da3 „decoravit“ in dem Sinne zu nehmen jei, weldyen Springer in dem 
Auflage „Klofterleben und Klofterkunft im Mittelalter” (Bilder a. d. neueren Kunſt— 
geih. J. ©. 71) für aedificavit oder fecit bei ähnlichen Nachrichten feftitellte, erweift 
gerade der Chronist von Sazama jelbit, der bei den drei kunſtübenden Aebten aus: 
drüdlich hervorhebt, was fie mit eigener Hand fchufen, dies aber bei Silvefter unter- 
läßt. Betreffs des Probſtes Erlebold von Doran, icheint dem Ref. der Geihichtsichreiber 
Neplacho immer nod mehr Glaubwürdigkeit zu verdienen ald Brunners Chorherrn« 
buch, deſſen Daten nicht immer richtig find; ebenfowenig ift Grueber in der Heran— 
ziehung und Deutung primärer Quellen überall vollftändig und zuverläflig. Die 
Trennung zwifchen Bartierer und Gefellen ift auch bereit3 vor 1459 urkundlich nach— 
weisbar, da alte Baurechnungen verfchiedener Orte erfteren ftreng von leßteren 
iheiden und es überhaupt fein „identiih Nehmen“ derfelben in den Quellen gibt, 
womit Herr Tucha jeine Deutung zu vertheidigen jucht. 

Nef. glaubt im Vorftehenden das Wichtigfte der Entgegnung des Herrn TZuda, 
welche die Ungenauigkeiten der Arbeit wohl erklärte, aber auf Grund des 
Quellenmateriales in feinem Punkte widerlegte, berührt zu haben und 
verwahrt fih im Intereſſe einer vorurtheilsfofen Kritif gegen die Bemerkung, daß er 
„Drudfehler zur Vergrößerung bes Sünbenregifters“ herbeigeholt habe. 


Dr. 3of. Neuwirth, 
Privatdocent d. Kunſtgeſch. a. d. deutſchen Univerfität. 


K. J. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbfiverlan. 





Literariſche Beilage 


zu den Mittheilungen des Bereines 


Geschichte ılet Deutschen in Böhmen. 


XXVI. Jahrgang. IV. 1887/88. 








Franz Ruby: Das Iglauer Handwerk in feinem Thun und Treiben 
bon der Begründung bis zur Mitte des adtzehnten Jahrhunderts 
urkundlich dargeftellt. (Separatabdrud der Schriften der hijtorifch- 
ftatiftifchen Section der k. f. mähr.-jchlef. Gejellichaft zur Beförderung 
des Aderbaues, der Natur: und Landeskunde) Brünn 1887. 


Schon im Jahre 1854 machte ih in der damals ericheinenden literarifchen 
Beilage zur Faiferlihen Wiener Zeitung (unter der Redaction Eitelbergers) auf die 
Bedeutung der Zünfte und Handwerfe für die Eulturgefhichte in Defterreich überhaupt 
und indbefondere in Iglau aufmerkſam und wies ſowohl in einer Reihe von Artikeln 
über diefen Gegenftand an dem erwähnten Orte, jowie in meiner fpäter erjchienenen 
gefrönten Preisichrift über die Gefchichte der Iglauer Tuchmacher auf das reiche 
Urkundenmateriale hin, welches in diefer Beziehung in der alten Bergftadt vorhanden 
war und nur der fundigen Hand eines Geſchichtsforſchers wartete, um ein glänzendes 
Bild der ftädtifchen Entwidlung zu zeichnen. 

In diefem Sinne nahm ih Ruby's Buch vom Iglauer Handwerk zur Hand, 
welches auf dem Titelblatte eine Darftellung von feinem „hun und Treiben von 
der Begründung bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts” verijprad und mir 
demmach beftimmt fchien, eine empfindliche Rüde in d'Elvert's Gefchichte der Stabt 
Iglau auszufüllen. Allein ſchon die Vorrede enttäufchte mich in Bezug auf das, was 
ih zu erwarten hatte. Das jehr beicheidene, aber naive Geftändniß über die Art 
und Weife, wie das Buch verfaßt wurde, fchloß jede Idee von vorneherein aus, daß 
man e3 hier mit einem biftorifchen oder culturhiltoriichen Werke zu thun habe. „Um 
mich im Lefen alter Schriften zu üben,” jagt der Verfaffer, „nebenbei meine Kenntniß 
von Iglaus Vergangenheit auf quellenmäßigem Wege zu erweitern und zu vertiefen, 
babe ih vor mehreren Jahren aus dem Stadtardyive mehrere Codiced, weldye dem 


vierzehnten Jahrhunderte angehören, vorgenommen. Während der Durchſicht reifte 
6 


— — 


die Idee, die auf das Iglauer Handwerksleben bezüglichen Aufzeichnungen auszu— 
ſchreiben, und ſo wurde nach und nach das, was vorliegt, daraus, ein Buch!“ 

Es handelt ſich alſo dem Verfaſſer nicht um die Aufführuug eines Baues, 
ſondern nur um das Zuſammentragen von Materiale, und es muß alſo die Arbeit 
von einem weſentlich anderen Standpunkte aus betrachtet und beurtheilt werden, 
wobei wir aber dem fleißigen Sammler die geheim erſehnte, in der Vorrede gleich— 
falls ausgeſprochene Hoffnung benehmen müſſen, als ſolle und könne „vielleicht das 
Buch, weil es eben alle culturellen Verhältniſſe des ehemaligen Handwerkſtandes in 
den Kreis ſeiner Betrachtung zieht, ein getreues Spiegelbild vergangener Zeit ſein, 
in welchem jeder dabei intereſſirte Leſer bei aufmerkſamer und ruhiger Beobachtung 
finden kann, ob das heutige Handwerk auf den alten Standpunkt zurückkehren könne 
oder nicht, und wenn die diesfällige Frage die bejahende Autwort findet, inwieweit 
dies noch möglich ſei, und wo da die Grenze liege”. Dieſe Hoffnung kann durch die 
vorliegende Arbeit niemal3 erreicht werden, denn erjtlid verändert jich das „Spiegel- 
bild“ in den wechjelnden Jahrhunderten fortwährend, und ferner hängt die Beant- 
wortung diefer Frage ftets von den Zeitumftänden, in denen fich die Völker befinden 
— aljo wieder von der Geſchichte ab, denn nur dieje, nicht aber eine Materialien- 
fammlung kann — magistra vitae werben. 

Es war ganz gut, daß Herr Brof. Ruby diefe Mittheilungen in ” Vorrede 
machte, denn num haben wir jeine Arbeit nicht mehr auf ihre Hiftorifche Bedeutung 
zu prüfen, jondern können uns mit der Frage begnügen, inwieweit er jeinem Stoffe, 
den er „nicht chronologisch, jondern thematisch“ ordnete, gerecht geworden ift. Wenn 
wir nur einen Blid auf dad Inhaltsverzeichniß werfen, jo künnen wir jehen, daß er 
mit Fleiß und Umfiht alle Seiten der Zünfte und Handwerke in den Kreis jeiner 
Betrachtung z0g und auch die Hilfäwerfe emfig ſammelte und benüßte. Daß bei der 
allgemeinen Anordnung in zwanzig Kapitel bie und da Wiederholungen vorkamen, 
wollen wir eben nicht hoch anrechnen, e3 war ſchwer zu umgehen; daß auch einiges 
Weberflüffige mit unterlief, wie 3. B. der ganze Streit über den Namen Iglaus, 
müſſen wir dem Wunſche des Verfajlerd zugute jchreiben, den Leſer mit dem Schau— 
plage feiner Daritellungen befannt zu machen; dagegen find wir vollfommen einver- 
itanden mit dem Verfaffer, daß er die Urbeit, die mit dem Eoder Gelnhauſen beginnt, 
durch die General-Zunftartifeln Karls VI von 1739 jchließt, denn von da an bewegt 
fi) das Handwerk bis 1859 in ſtets gleihmäßig geordneten, wenn auch engberzigen 
und Heinlichen Grenzen, 

Gehen wir nun zum Buche jelbft über, jo finden wir, daß im Laufe der Zeiten 
nicht blos die Obrigfeiten jelbjt, jondern auch die Verhältniffe derjelben zu den ein- 
zelnen Handmwerfen häufig wechſeln und auf die Satungen durch größere Strenge 
oder Milde einen bedeutenden Einfluß üben. E3 kann fomit felbft Form und Inhalt 
der Handwerksordnungen, der Umfang der Nechte und Pflichten u. dgl. nur an der 
Hand der Geſchichte genau verfolgt und verftanden werden. Ruby jucht möglichit dag 
Allgemeine zufammenzufaffen, muß fich aber zugleich jelbft immer wieder durch neu auf- 
tretende Thatſachen weiter führen laſſen, jo daß der Eindrud der Darftellung de3 
allgemeinen Theil feiner Arbeit dadurch ein unrubiger und unficherer wird. Hübſch 
und ganz verftändlich iſt der Unterfchied zwiſchen den wichtigen und den „Heinen“, 
den „geichenkten und ungejchentten“, den „ehrlichen und unehrlichen” Handwerfen 
gegeben — aber audy bier pafjirt dem Berfaffer ein Schlimmer Irrthum, inden er die 
Meifterfinger zu den gewöhnlichen Zünften rechnet, vermuthlich, weil fie formell ſich 


— — 


an die Ordnung der bürgerlichen Kreiſe anſchloſſen. Waren ſie ja doch ſelbſt Bürger, 
zu denen ſich die von den Höfen und aus den adeligen Kreiſen entſchwundene Minne- 
poefie geflüchtet hatte, und die num, vergröbert und im fteife Regeln eingezwängt, vom 
Bürgerftande fortgepflanzt wurde. Scherer jagt in feiner Riteraturgefchichte von ihnen: 
„Sie find die Träger der poetifhen Tradition. Sie pflegen das funftmäßige Lied. 
Sie pflanzen die Technik des Minnegefangs fort. Sie find die fachmänniſchen Dichter 
und fühlen fi) al3 folde. Wer an einem fremden Ort ald Dichter auftritt, wird 
gefragt, wo er feine Schule gemacht habe... .. . Sie trieben ein Handwerf 
neben ihrer Kunft, und je weniger fih das Publicum für die lettere intereffirte, 
defto mehr wurde fie zu einem Privatvergnügen der ehrjamen Meifter und erhielt die 
verfnöcherte Geftalt, in der fie an einzelnen Orten fih bis in unfer Jahrhundert ge- 
friftet hat: die zunftmäßige Organijation des Betriebes, die jeltfamen Formen der 
poetiihen GSitungen, die mwunderlihen Namen der Melodien, die Ichnörkelhaften: 
Künfteleien der Metrik, die geiftige Dede des Inhalts, das jelbftzufriedene Schwelgen 
im Lehrhaft-Tiefen und in den undurddringlichen Geheimniffen des Glaubens.“ 

Schon der Umftand, daß Niemand zwei Handwerke zugleich betreiben dürfe, 
hätte den Berfafler auf feinen Fehler aufmerffam machen fünnen. Er darf dabei. nicht 
etwa auf das Mälzergewerbe hinweiſen, bei dem Bräuer und Gefellen nicht dei 
einzelnen Herren bienten, fondern an mehrere Mälzer ſich verdingen konnten ; denn 
die Satungen diejed Gewerbes hatten, wie Ruby jelbft nachweift, ihre eigene, durch 
dad Reihbräuen ber Bürger und Hausbefiger nothwendig gewordene Einrichtung. 
Ein weiterer Mangel bei feiner Eintheilung befteht darin, daß er von ge— 
ſchloſſenen und ungelchloffenen, überjegten und nicht überſetzten Zünften feine Erwäh— 
nung thut, da doch folche Verbindungen in Iglau vorhanden waren. Ob e3 daſelbſt 
aud geiperrte und ungejperrte Zünfte gab, willen wir nicht zu jagen und haben e3 
aus der Darftellung nicht entnommen, Die Beftimmungen bierüber wechſelten übrigens 
jelbftverftändlih nach den einzelnen Beitläuften, und es zeigt fich hiebei wieder, daß 
zur Grfaffung der Zuftände die thematische Darjtellung nicht hinreicht, die den 
Foricher nicht befriedigt und dem Laien feinen Haren Blick verleiht. Mit den „Zunft- 
einrichtungen in allgemeinen Umriffen“ fchließt der allgemeine Theil von Ruby's 
Bud und er geht zu dem befonderen Theile über, in welchem er „den Handwerker 
der Vorzeit feiner Berlon wie feiner verſchiedenen Verrichtung nah im Einzelnen“ 
betrachtet. Diefer jpecielle Theil ift dem Verf. beffer gelungen, er hat hier jo manches 
gejammelt und gefchieft verwendet, was bisher wenig beachtet und feltener gejchildert 
war, Wir finden zwar fchon in Mafchers „Deutſchem Gewerbeweſen“ (p. 392 u. ſ. f.) 
die bei Ruby zur Darftellung kommenden Beobadhtungen überfichtlih in äußerft 
klarer und anfchaulicher Weife (nad) Kulenkamp, Ortloff nnd Weiffer) gefammelt, doch 
hat Ruby von feinem Iocalen Standpunkte aus manches hinzugefügt und ergänzt, 
was recht anerfennenswerth ift. 

Der Lehrling, auch wenn er im väterlihen Haufe das Handwerk zu erlernen 
im Begriffe ftand, mußte in voller Verfammlung des Handwerks, d. i. in Gegenwart 
jämmtliher Meifter „aufgebungen“ werden und die Documente feiner ehelihen und 
ehrlichen Geburt, fowie in den Zeiten der Gegenreformation auch die Beweije für 
feinen katholiſchen Glauben vorlegen, und nicht felten mußten ein oder zwei Bürgen 
das Verſprechen leiften, daß der Junge die volle Lehrzeit bei demſelben Meiſter voll- 
bringen werde. War fodann der Name des Lehrlingd in das Regifter-Buch einge: 
tragen, fo fam er zu dem Meifter, der ihn nicht wie einen Fremden aufnahm, fondern 

6* 


=. DB. 


wie ein Kind des Haufes behandelte. Mit dem Tage der Aufnahme ins Handwerk 
begann die Lehrzeit, welche bei den einzelnen Zünften verſchieden lang dauerte; meift 
hatten die Meiftersföhne and innerhalb ihres Gewerbe noch. eine befondere Be- 
gimftigung. Waren die Lehrjahre zu Enbe, jo fam — nad einer Probearbeit — ber 
Tag der Freifprehung. Er war gleichfalld wieder, wie bad Aufdingen, von einer 
Feierlichkeit begleitet, und e3 wurde dem Freigejprochenen ein Lehrbrief ausgeftellt, von 
bem er eine Abichrift erhielt, während das Driginal in der Lade aufbehalten wurde, 

Der Geſelle mußte, bevor er das Meifterrecht erlangen konnte, fih auf bie 
Wanderfchaft begeben und eine beftimmte Reihe von Jahren bei Meiftern in aus— 
wärtigen Ländern für Lohn arbeiten. Auch hier hatten Meiftersföbne fehr häufig 
eine begünftigte Ausnahmzgftellung, obgleih man den Werth bes Reiſens ganz gut 
erfannte und zu würdigen wußte. Während ber Wanderzeit war der Gefelle, er 
mochte ein Einheimifcher oder ein Fremder fein, bezüglich des Arbeitſuchens an be= 
ftimmte, zuweilen wechſelnde Beftimmungen gebunden und lebte überhaupt troß 
mancher Freiheit unter ziemlich einengenden Geſetzen. Die Zeit, welche zwiichen dem 
Freifprehen und dem Meeifterwerden verftrich, war weder bei den einzelnen Zünften 
noch in derfelben Zunft zu verjchiedenen Zeiten gleih, war fie aber — ſammt ber 
Wanderſchaft — vollendet, jo meldete fich der Gejelle unter Vorweiſung feiner Docu— 
mente zum Verfertigen des Meifterftüces. 

Diefe nah der richtigen Anſchauung Ruby’3 urfprünglich zur Wahrung der 
Ehre des Handwerks vorfommende Forderung war nur in gefchloffenen Gewerben 
möglich und hatte in denfelben ihre volle Berechtigung; allein, daß auch hier Miß— 
brauch getrieben wurde, und um der lieben Concurrenz willen die Benrtheilung der 
vorgelegten Meifterprobe, über die nur Zunftmeifter zu Gerichte faßen, häufig eine 
ungerechte und unbillige ward — liegt eben darin, daß auch diefe Inftitution eine 
menfchliche war. Erft mit dem Gricheinen der General- Artikel von 1731 wurde 
ein Inſtanzenzug feftgefegt und der Candidat für die Meifterfchaft dadurch vor Neid 
und Willkür geihüst. Intereſſant find die Proben von Meifterftüden, die Ruby 
anführt. War der Gefelle nun Meifter geworden, jo begannen in der Regel erft recht 
die Pladereien und Vexationen, welche angeblich zur Ehre des Handwerf3 und Auf: 
rechthaltung feines guten Rufes ausgeklügelt, eigentlich doc nur dem Zunftneide und 
der Engberzigfeit dienten und häufig darin beftanden, jede freie Bewegung zu hemmen. 
Die Anzahl der Lehrlinge, die aufgenommen wurden, die Gejellen, die gehalten 
werben durften, ja zumeilen jogar die Quantität der erzeugbaren Waren mwurben 
einer genauen Codification unterzogen; mit der Beſchau, welche für die Qualität der 
Production eingeſetzt war, fonnte ein geradezu vernichtender Mißbrauch getrieben 
werben. Eine ganz befondere Rolle jpielte die „Reinheit des Handwerks”, nämlich 
das fittliche Verhalten der einzelnen Mitglieder, und e3 arteten die Beftimmungen in 
ſolche Gehäßigkeit aus, daß die Obrigkeit und mitunter felbft der Kaifer gegen die 
drafonifchen Maßregeln der Meifter einjchreiten mußte, wie das von Ruby in 
einer Note angeführte Beifpiel des Paul Pech bemweift, welches fo charakteriſtiſch ift, 
daß wir dieſem Procefje an einer anderen Stelle eine ausführliche Darftellung zu 
widmen gebenfen. 

Es ftimmt biefe Härte wenig überein mit den fonftigen, für das materielle 
und geiftige Wohl der Zünfte günftigen Beftimmungen, die Ruby unter dem Titel: 
„Der Handwerker im Dienfte der Nächftenliebe” zufanımenfaßt, die ſich auf Kranken» 
und Alter&verforgung von Meiftern und Gelellen, auf die Theilnahme beim Tode 


a 


derfelben, auf Almofen für verarmte Zunftgenoffen u. f. f. beziehen. Je mehr 
übrigend der Zunftzwang überhand nimmt, je mehr fich die Junungen durch ftets 
erneute Satzungen ihr eigentliche Lebenselement und ihre Eutwicklungsfähigkeit 
unterbinden, defto mehr artet Alles in einen oft Tächerlihen Formalismus aus, ber 
fi audh in den Handwerksgebräuchen mit dem Momente einftellt, in welchem der 
urjprüngliche Geift entfloh. Denn, daß fich gerade in diefen Gebräuchen urſprünglich 
ein reiche3 innerliches Leben abjpiegelt und die hohe Freubigfeit der großen, ganz 
Deutihland, ja Europa umfaffenden Familienzuſammengehörigkeit der Zunftmitglieder 
ihren beredten Ausdrud fand, das war im Laufe der Zeiten ganz verloren gegangen. 
Ruby hat gauz Recht gethan, diefen Gebräuden eine ganz befondere Aufmerkjankeit 
zu widmen und die Artikel über die Lade, die Handwerkäformeln, fo wie über die 
Handwerkeabzeihen und Kleinodien find die beiten im Buche und machen dem Her: 
ausgeber alle Ehre; fie find um fo werthvoller, je jeltener fonft in den Werken, die 
fih) mit dem Zunftwejen befaffen, von ihnen die Rede if. Es wäre überhaupt eine 
danfbare Aufgabe, die Traditionen, die bei alten Meiftern und im Gedächtniſſe der 
aus früheren Zeiten noch eriftirenden Gefellen leben, zu fanımeln und biftorifch zu 
beleuchten; es ließen ſich dadurd viele neue Geſichtspunkte zur Beurtheilung ber 
Wichtigkeit einzelner Zünfte gewinnen, und es träte uns ein bedeutſames Stüd des 
marfigen Bürgerftammes entgegen. Doch müßten fich die Foricher beeilen, denn das, 
was aufgezeichnet und größtentheil ſchon publicirt ift, das ift nur ein Theil der im 
Gebrauche geweſenen Formen, und das, was mündlich ald eine Art geheimer Zeichen- 
ſprache zwifchen den einzelnen Innungsgliedern beftand und überliefert wurde, eriftirt 
nur mehr bei wenigen PBerjonen, die fih auch mit gemifchten Gefühlen der fröhlichen 
MWanderzeit und des eigenthümlichen Herbergslebens erinnern. 

Ueber das Zunftvermögen, dem ein eigenes Gapitel bei Ruby gewidmet ift, 
läßt fid) wohl im Allgemeinen nicht viel jagen; ohne genaue Durdharbeitung der 
etwa nod vorhandenen Raitbücher und ohne Durhforihung der Stadtrenten und 
Srundbücher bezüglich des unbeweglihen Vermögens wird man jchwerlic) zu einer 
richtigen Vorftellung kommen, doch find bei dem Verfaſſer wenigſtens Andeutungen 
hierüber zufammengeftellt, die fi wohl leicht vermehren ließen. Das Taxweſen wäre 
vielleicht praftilcher den einzelnen Eapiteln bei den Lehrlingen, Gejellen und Meiftern 
beizuordnen gemwejen, da man e3 dort vermißt und bier doch eine Ueberfichtlichkeit 
nicht erzielt wird. Dieſe Ueberfichtlichkeit fehlt auch bei den Löhnen und Gehalten, 
fo wie den Verfaufspreifen, die übrigens mit Fleiß und Gründlichkeit zufammengeftellt 
find und durch die Beiprehung über die gangbaren Münzforten eine wejentliche 
Unterftüßung erfahren. 

Im allgemeinen macht, wie bereit3 erwähnt, das Bud; hauptſächlich für Laien 
einen ziemlich guten Eindrud, und wenn wir auch Manches anders gewünſcht hätten, 
fo wird doch jelbit der Forſcher in Iglaus Vergangenheit einige Hilfe beim Durch— 
ftudiren des Werfchens finden, das einen Plan von Iglau aus der Zeit des 30jähr. 
Krieges, fo wie das Facfimile der Anfänge der Bäderordnung von 1361 als Beilagen 
enthält. Letztere joll wohl auch zeigen, wie der Herausgeber Quellen Tieft und über- 
fett, wobei wir uns auf die Richtigkeit feiner Auslegung nicht immer verlaffen möchten. 
Wenn er die Stelle „Cives jurati ... . statuerunt, quicumque Pistorum inventus 
fuerit non habens equum seu justum emptum panis, prima vice solvet VI grossos“ 
mit „Die gefhworenen Bürger... . . . beichloflen, welcher Bäder immer gefunden 
mürbe, der fein „Pferd“ oder richtigen Verkaufsort für Brot hat, zahlt das erftemal 


— — 


6 Groſchen“, ſo halten wir das für eine ſo gezwungene Auslegung, daß wir ihm 
hier nicht folgen können. Wie nahe lag es doch, das „equum* als gewöhnliche 
Schreibart für „aequum“ zu erflären, wie es in ben Urkunden diejer Zeit tauſendmal 
vorkommt, wobei dann die fo oft gebrauchte Phraſe „aequum et justum* gar feine 
Schwierigkeiten für die Erflärung darbietet. Unter diefen Umftänden halten wir aud 
den Seite 197 mitgetheilten Ausdruck „Pletſchen“ ftatt „Pietichen” für einen Leſe— 
fehler und nicht für einen Drudfebler. 
Salzburg, März 1888, Karl Werner. 


Archiv desky &ili stare pisemn& pamätky Gesk& i mo- 
ravsk& sebran& z archivü domäcich i cizich. Näkladem 
zemsk&ho fondu krälovstvi Cesk. vydavä kommisse k tomu zfizenä 
pfi kräl. Cesk& spoleönosti näuk. Redaktor: J. Kalousek. Dil VII. 
V Praze 1887. 


Beinahe vor einem halben Jahrhundert, im Jahre 1840, begann Fr. Palacky 
mit der Herausgabe diefes für die Gefchichte Böhmens im 14. und 15. Jahrh. hody= 
wichtigen Sammelwerfes, und vor 15 Jahren erfchien der 6. Theil besjelben. Hatte 
Palacky anfangs das ganze 16. Jahrh. mit in den Bereich des Archivs gezogen, jo 
fchränfte er denfelben zulegt auf die Zeit bis 1526 ein. Aber auch diefes Ziel jollte 
er nicht erreichen. Der 6. Band war der lebte, den er herausgab. 


Am 1. October 1884 richtete num ber Spolek historicky (Hiſtoriſche Verein) 
in Prag ein Geſuch an den Landtag um Bewilligung der Mittel zur Fortiegung de3 
Archivs, und daraufhin wurden dann 3000 Gulden zu diefem Zwecke in das Budget 
für 1886 eingeftellt, ebenfoviel aud; wieder für 1887. — Mit der wiffenichaftlichen 
Geite der Herausgabe wurde die böhm. Gefellihaft der Wiffenfchaften betraut, und 
biele fette eine Commiſſion ein, der W. W. Tomek (Präfident), U. Gindely, 3. Emler, 
3. Kalouſek, $. Celakowsky, J. Goll und U. Rezek angehören. Die Redaction wurde 
Kaloufet übertragen. 


Bis auf Heine Nenderungen in der Nechtjchreibung (v ftatt w) zeigt der neue 
Band das Ausſehen feiner Vorgänger, und der von Palady 1840 aufgeftellte Plan 
ift vollitändig beibehalten worden, Danach zerfällt das gefanımte aufzunehmende 
Quellenmaterial in 5 Abtheilungen, in welchen wieder die einzelnen Stüde nad) der 
inneren BZujammengehörigfeit in Gruppen vereinigt find, die fortlaufend numerirt 
werden. Briefe 3.8. gehören in Abtheilung A; die beiden erften Abſchnitte des vor- 
liegenden Bandes, welche Correfpondenzen bringen, tragen alfo die Signaturen A, 
XXVI. und A, XXVIO. — Auch jest find nur tſchechiſche Schriftftüde zur Aufnahme 
beftimmt. Was fidh dagegen einwenden läßt, ift in diefen Mittheilungen (Kiterarifche 
Beilage zum 12, Bd. ©. 17 f.) bereit3 hervorgehoben worden. — Das nächſte Ziel 
bei dieſer Fortführung des Archivs ift, einerfeit3 Nachträge und Ergänzungen zu den 
früheren Bänden zu bringen, anderjeit3 die Sammlung bis auf das Jahr 1526 
fortzujegen; doc) wird man ſich mit Recht an diefen Zeitpunkt nicht gar zu ängftlich binden. 

Bei der Menge und der großen Verjchiedenheit de3 in dem vorliegenden Bande 
abgedrudten Materials ift es natürlich ſchwer, eine Ueberficht des Inhaltes zu geben, 


— — 


Um aber den Leſern dieſer Zeitſchrift wenigſtens in den Hauptzügen ein Bild davon 
zu entwerfen, wollen wir im Folgenden die einzelnen Abſchnitte bezeichnen und einige 
Punkte daraus kurz hervorheben. 

1. Correſpondenz des Zdenek Lew von Rozmital aus den 
Jahren 1508—1532. Derauögegeben von F. Dworskij. Die Wichtigkeit diefer 
Correſpondenz wird Niemand bezweifeln; denn der Schreiber diejer Briefe gebot als 
Oberftburggraf zeitweilig mit faft unbefchränkter Macht im Lafide, und in dem großen 
Kampfe der Städte gegen die Uebergriffe des Adels ftand er an der Spibe feiner 
Standesgenofjen. Dabei ift ein großer Theil der Briefe gerichtet an feinen Geſinnungs— 
genoffen Peter von Roſenberg, alfo ebenfall$ eines der erften lieder des Herren— 
ftandes. — Im vorliegenden Bande werden zunächſt auf 200 Seiten 210 Stüde mit- 
getheilt, die bis zum Auguft 1520 reichen. Den erften 5 Jahren (1508—12) indeß 
gehören nur 11 Schreiben an; erwähnt jei davon Nr. 3 (1508, 22. Nov.), worin 
geflagt wird über die Ränke des Kanzlerd Albrecht von Kolowrat, deſſen Macht der 
St. Jakobs-Vertrag vom 25. Juli 1508 jo ſtark eingejchränft hatte. — Der über: 
wiegende Theil der Stüde (171) bezieht fih auf die 4 Jahre von 1513—16. Wie. 
rege da zeitweife der Briefwechiel Zdeneks war, beweift wohl dies, daß die vorliegende 
nicht annähernd vollftändige Sammlung für die 5 Tage vom 18. bis 22. Auguft 1514 
nicht weniger als 42 Schreiben, von dem letitgenannten Tage allein 12 bringt. Faſt 
alle wichtigeren Vorgänge werden da beſprochen. Im Juni und Juli 1513 hatten 
die Städte in Prag über den Bund mit Bartholomäus von Münfterberg verhandelt, 
fogar der König hatte einen Gefandten dazu geſchickt; fo jehr man Alles geheim halten 
wollte, wußte Zdenek doch bereit3 am 5. Auguft davon zu berichten (Nr. 12 und 14). 
Als der Herzog von Liegnig, um Rache zu nehmen für den eberfall von Schweibnis, 
die Burg des Münfterbergers, den Biſchofſtein, belagerte, wollten die Prager ihrem 
Bundesgenofien zu Hilfe ziehen (Nr. 5 vom 6. Sept. 1513). Als gegen Ende bed 
Sahres verlantete, daß König Wladiflam Zdenek und dem Rojenberger geheime Ver: 
fiherungen gemadt und viele Gnadenbriefe ertheilt habe, und darüber nicht geriuge 
Aufregung im Lande entjtand, hielt es Zdenek für nöthig, an Wilhelm von Pern- 
ftein, der mit ihm nicht immer übereinftimmte, aufflärend zu jchreiben (Nr. 18 vom 
24. Dec. 1513; fälſchlich ift der 2. Dec. gedrudt). Damals hatte der König von den 
beiden Genannten aud) die Stellung von 400 Reifigen verlangt; Zdenek entfchuldigt 
ſich am 15. Jänner 1514, daß dies nicht möglich fei (Nr. 21). Am 16. Feber ſchrieben 
die Prager au den König Sigmund von Polen um Vermittlung bei K. Wlabiflam; 
bereits am 21. d. M. hatte Zdenẽk eine Abjchrift ihres Schreibens und konnte ſich 
jelbft an den Polenfünig wenden (Nr. 22; vol. auch 23, 24 und 26), Als dann im 
Sommer in Ungarn der Kurutzenkrieg ausbrach, kam Bartholomäus von Müniter- 
berg nad Böhmen, um bewaffnete Hilfe aufzubieten; das Schreiben vom 18. Juli 
gibt dem Unwillen Ausdruck über diefes rechtswidrige Vorgehen, nachdem ordnungs— 
mäßig Zdenẽk als Oberftburggraf an der Spite jeder Kriegsbereitihaft ftehen jollte 
(Nr. 28). Am 19. Auguſt erläßt er Schreiben au die Kreishauptleute wegen Abhal- 
tung von Sreistagen (Nr. 55); darauf folgte der Tag zu Benefchau, wo der Adel zu 
rüften befchloß. Zdenẽk berichtet darüber mehrfah (Mr. 109, 110, 112). Das Beer, 
welches der Herzog von Münfterberg nach Ungarn geführt hatte, obwohl der Kurutzen— 
frieg Schon beendet war, wurde nicht entlaffen; ein Schreiben fragt in diefer Sache 
beim König an (Nr. 111), ein anderes ift an die Stände von Ungarn gerichtet (114). 
Weiter auf Einzelbeiten einzugehen, würde zu weit führen. Nur dies ſei noch hervor— 


—— 





gehoben: In den Jahren 1513—1515 (April) iſt es natürlich Zdeueks Hauptgegner, 
Bartholomäus von Münfterberg, der am meiften genannt wird, felbftverftändlich nicht 
in fchmeichelhaftefter Weife (vgl. Nr. 37.) Die katholiihe Gefinnung kommt entidhieden 
zum Ausdrud, wo über die Verfammlung der Utraquiften zu Königgräg berichtet 
wird (Nr. 181 vom 28. Juni 1516). 

2. Die Correfpondenz der Herren von Nenhaus und Rojenberg 
von 1450 bis 1526. Herandgeg. von U. Rezek. Bereitd im 3. Bande bed Archivs 
(Seite 1—64) hat Palacky die Correfpondenz des Ulrich von Roſenberg aus ben 
Jahren 140 —23 abgedrudt, im 4. Bande (S. 1—33) die der Herren von Neuhaus 
von 1441—51. Jetzt hat es Prof. Rezek übernommen, die Correſpondenz beider 
Familien, joweit fie in den Rahmen de3 Archivs gehört, zu publiciren, Er bringt 
nicht bloß Schreiben von Mitgliedern diefer Familien und die Antworten darauf, er 
ſchließt auch den Briefwechfel der Gutsbeamten mit der Herrichaft und unter einander 
an, ja auch Schreiben ferner ftehender Perfonen, falls diefelben ftofflih anf jene 
Familien Bezug haben. Man wird diefen Grundfägen unbedenklich zuftimmen können. 
Was bis jegt gedrudt vorliegt, erftredt fich über die Fahre 1450 - 1470 und enthält 
372 Stüde. Auf die Herren von Neuhand entfällt davon äufßerft wenig, es ift fait 
durchwegs rofenbergifche Correfpondenz, die wir erhalten. Daß der alte Ulrich von 
Rofenberg, obgleich er erft 1462 ftarb, weniger hervortritt, ift leicht erklärlich; denn 
jeit dem Wildfteiner Vertrag hatte er fi) vom politiihen Leben, fpäter auch von der 
Verwaltung der Herrichaften zurüdgezogen. An feine Stelle traten feine Söhne, 
zuerft Heinrih (F 1457), dann Fohann, neben dem aud fein Bruder Soft, Bilchof 
von Breslau, einige Male in der Correfpondenz vorfommt. Eine befondere Bereicherung 
erwächlt natürlich durch diejelbe zunächſt der Geſchichte der großen Roſenbergiſchen 
Beſitzungen, mancherlei erfahren wir auch über die Beziehungen zu den Nachbarn. 
Ich will da nur auf die Stüde hinweiſen, die ſich auf den Streit beziehen, ber 1457 
geführt wurde zwilchen den Rofenbergern und der Stadt Budweis wegen des freien 
Berfehrs auf der Straße von Neuhaus über Wittingau und Kaplig nad Oberöfter- 
reich (Nr. 21, 23, 30 und 33). Eine große Zahl von Briefen hat aber and für 
die Gefchichte des Landes überhaupt Bedentung. So berichtet Progef von Kunftadt 
am 7. April 1455 über den weiteren Verlauf de3 Anfftandes in Liegnitz, bei dem er 
felbft als Stadthauptmann vertrieben worden (Mr. 12), Im Juli 1456 verlangt K. 
Ladislaus in 2 Schreiben Kriegsbilfe gegen die Türken (16, 17); 1457, 15. März 
meldet er die Öefangennahme der beiden Hunyadi (Nr. 20). E3 iſt bekannt, daß 
fhon Heinrich von Roſenberg mit Georg von Podiebrad ald Landesvermefer in 
freundichaftliche Beziehungen trat und auch jpäter Johann der Wahl Georgs zum 
Könige zuftimmte, gegen den Willen des Baterd, wie Nr. 47 direct bezeugt. Johann 
nahm dann Theil an den Verhandlungen in Eger und erftattete darüber feinem 
Bruder Foft Bericht (Nr. 39 vom 15. Mai 1459). Ende 1462 machte er den Feld- 
zug gegen Wien mit; zwei kurze Berichte an feinen Hauptmann in Krummau find 
datirt von Nipern und Korneuburg (Nr. 62 und 63). Sowohl au Zahl der Stüde 
als an politiicher Bedeutung gewinnt aber die vorliegende Correipondenz feit dem 
Fahre 1465. Am 28. November d. J. hatten die fatholifhen Herren den Bund von 
Grünberg geichloffen, zwei Tage fpäter erließen jie ein Schreiben an die Stände 
Böhmens (Arch. éesk. IV. 115) und ein etwas abweichendes an die Fürſten Deutſch— 
lands, deilen Wortlaut Nr. 98 bringt. Bald aber wandte fih Johann von Roſen— 
berg wieder vom SHerrenbunde ab dem Könige zu, troß der Ermahnungen feines 


N 


—— — 


u IE 


Bruders, Biſchofs Joſt (Nr. 102), und harrte auf deſſen Seite aus (vgl. Nr. 136, wo 
Johann von einem feiner Pfarrer benachrichtigt wird, was man in Rom über ihn 
urtheile). Zulegt wurde aber die Bebrängniß durch die Feinde zu groß; im einem 
Briefe vom Anfang Sept. 1467 an den König Ichildert dies Johann und bittet um 
Hilfe (172); doch ſchon Mitte diefes Monats ift von Verhandlungen mit dem päpft- 
lichen Legaten die Rede (Nr. 174), nicht viel fpäter dankt Johann demfelben für die 
Bermittlung des Waffenftillftandes (178) und verfpricht einen Boten an den Papft zu 
Ihiden (179). Nr. 180 berichtet über Verabredungen zwiſchen Johann und dem 
Legaten, und Nr. 181 bringt die Bedingungen der am 30. Sept. gefchloffenen Waffen—⸗ 
ruhe mit dem Herrenbunde. Im Auguſt des folgenden Jahres ging dann Johann 
entjchieden zur katholiſchen Partei über. Darauf bezieht ſich Nr. 258, ein Brief Zdenkos 
von Sternberg an feinen Sohn, Nr. 260, worin der Bapft Bollmadıt ertheilt, den 
Rojenberger vom Banne zu löfen und das Interdict aufzuheben, Nr. 266 (vom 
31. Auguft), womit diefer den am 22. Ang. zu Olmütz durch Vermittlung mit König 
Matthias gejchloffenen Vertrag anzunehmen erklärt, und 272 (Johann gibt davon den 
Herren von Halenburg Nachricht). A 


3. Schreiben au3 dem Unterfämmereramte an die Stadt Bud— 
weis. Zum Drud befördert von Karl Köpl. Das Unterfämmereramt war die 
nächfte den Zöniglichen Städten vorgeſetzte Behörde, was allein jhon erklärt, daß die 
Zufchriften desjelben von größter Wichtigkeit für die Geſchichte des Städteweſens in 
Böhmen find. Freilich find diefe Zufchriften großentheils ziemlich einfürmig: Die 
Bezahlung der Abgaben und die Erneuerung des Rathes bilden überwiegend ben 
Stoff, daun Streitigkeiten zwilchen den Bürgern und andere communale Angelegen 
beiten, die aber immerhin für den Localgeſchichtſchreiber von Intereſſe find. Von den 
vorliegenden Zufchriften an die Stadt Budweis haben aber manche aud) allgemeinere 
Bedeutung (jo 3. B. Nr. 52 das „Ungelt” betreffend). Ausgeichlofien hat der Heraus- 
geber alle die Juden in Budweis betreffenden Stide; doc fünnen wir nad) einer 
beigefügten Bemerkung von ihm die Veröffentlihung des ganzen darauf bezüglichen 
Quellenmateriales erwarten. 


4. Tagebuch der böhmifhen Sejandtihaft.an den König von 
Frankreich im J. 1464. Herausgegeben von 3. Kalouſek. Im J. 1464 faßte König 
Georg den Plan, die katholiſchen Fürften zu einem Bunde zu vereinigen, der den 
Einfluß der Curie in weltlichen Dingen lahmlegen follte. Bor Allem jollte König 
Ludwig XI. von Frankreich für den Plan gewonnen werden, und zu dem Zwecke ging 
am 16. Mai 1464 eine Gejandtihaft an ihn ab. Ein Mitglied derjelben jchrieb ein 
Tagebuch; über die Reife, von dem Palady 1826 eine Handichrift im Archiv ber 
Stadt Budweis fand, die er felbft abjchrieb und im Casopis &. Mus. von 1827 publi= 
cirte. Mit Rückſicht auf die Cenfur ließ er gewiſſe Stellen aus; als man diefelben 
fpäter ergänzen wollte, war jene Handichrift verloren. Erſt 1835 entdedte der jegige 
Herausgeber im Privatbefig die Original-Handihrift des Tagebuches, nach welcher 
er dasjelbe hier neuerdings abdrudt. 


5. Regifter des Kammergerichtes. Herausgeg. von I. Celakovskh. Von 
den Protofollen oder Negiitern des böhm. Kammergerichted bewahrt die Bibliothek 
des böhm. Muſeums an 200 Bände, die ein reiches, befonderd auch culturgeſchichtliches 
Material enthalten. Sieben derjelben reihen in die Zeit der Könige Wladiflam und 
Ludwig zurüd und die beiden erjten umfaffen Urtheile aus den Jahren 1471 -90. 


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Drei ältere Bände find verloren gegangen, Eine Auswahl ſolcher Urtheile (106) aus 
der Zeit von 1471-79 veröffentlichte bereits Palady im 4. Bande des Archivs; jetzt 
erhalten wir weitere 277 folder Enticheidungen, u. zw. einerfeits das, was Palady 
feinerzeit wegließ, amderjeit3 die Fortſetzung bis zum Anfang des Jahres 1482. 
Die größte Wichtigkeit haben diefe Entfcheidungen unbedingt für die Geſchichte der 
Rechtöpflege in jener Zeit. Seit den lebten Negierungsjahren König Georgs bereitd 
hatten weder Situngen des Landrechtes noch des Hoflehengerichtes ftattgefunden und 
diefer Zuftand endete erft nach dem Kuttenberger Landtag im Jahre 1485. In diefen 
Fahren kamen alfo auch Streitfälle, welche vor jene Gerichten gehörten, vor den König 
zur Enticheidung, aber eben nur dann, wern die Parteien damit einverftanden waren. 
Die Nichtcompetenz des Gerichte hatte zur Folge, daß die Verhandlungen immer 
und immer wieder vertagt wurden, wenn es nicht gelang, einen gütlichen Vergleich 
anzubahnen; in fehr vielen Fällen wies der König die Parteien vor ein anderes 
Forum, fei es vor das Landrecht oder das Hoflehengericht (bis diejelben wieder tagen 
würden), vor den Landtag oder Special-Gerichte. Nimmt man dazu, daß oft 
durch längere Zeit das Kammergericht nicht tagte, jo hat man ein klares Bild, wie 
traurig es um die Rechtöpflege damals beftellt war. Als 1479 der Friede von Olmütz 
geichloffen worden, erfannten wohl die Stände die Kompetenz des Kammergerichts 
aud in Befisitreitigfeiten u. dgl. an, beſchränkten aber den Einfluß des Königs duch 
einen aus ihrer Mitte gewählten Rath (je ein Mitglied aus jedem Kreife). Nach der 
Erneuerung des Landrechts (1485) gab es dann noch dreijährige Kämpfe, bis man 
fi) über die Abgrenzung des Wirkungskreiſes einigte. Für die Localgeſchichte iſt der 
Werth diefer Urtheile nicht jo groß, ald man meinen follte, da in den meiften Fällen 
das Streitobject nur ungenau oder gar nicht genannt wird. 


6. BruhftüdderPfandihaftsregifterderMarktgrafihaftMähren 
vom Fahre 1459. Herausgegeben von J. Emler. Es tft befannt, daß 1453 in Böhmen 
eine Commiffion eingejeßt wurde, vor welcher jeder Pfandbefiter von Gütern der 
Krone oder der Geiftlichkeit fein Eigenthbumsreht durch Vorlage der Urkunden nach— 
zumweijen hatte. Die von diefer Commiffion angelegten Regifter über die beigebradhten 
Urkunden hat Palady im 1. und 2, Bande des Archivs abgedrudt. Im Jahre 1459 
wurden in ähnlicher Weife auch in Mähren die Pfandfchaften verzeichnet; von den 
betreffenden Negiftern haben fi) aber nur 18 Blätter erhalten, die vor nicht gar 
langer Zeit ins böhm. Mufeum gelangten. Diefelben ſtammen, wie der Herausgeber 
meint, aus einer NReinfchrift der Originals, während die böhmifchen Negifter nur in 
zwei jpätern, nicht befonders guten Abjchriften erhalten find, 


7. Bon demfelben Herausgeber erhalten wir fchließlih noch Auszüge aus 
den tihehiihen Original-Urkunden, welche die & k. (Univerjitäts-) 
Bibliothek in Prag verwahrt. Die Archivalien diefer Bibliothek ftammen befanntlid) 
aus den vom Kaiſer Joſef II. aufgehobenen Klöſtern. Darunter find allein an 
Pergamenturfunden mehr als 1000 Stüde, trogdem feinerzeit 777 nad Wien ab» 
gegeben wurden. Im vorliegenden Bande bietet Prof. Emler zunähft ausführliche 
Auszüge von 114 Nummern, die aus den Jahren 1391—1477 ftammen. Die reichte 
Ausbente ergibt ſich daraus für die Gedichte des Klofterd Chotiefhau, von welchem 
faft die Hälfte (53) aller gebotenen Stüde ausgeht. Auch die Materialien zur Geſchichte 
von Klofter Plaß, welche Scheinpflug fleißig gefammelt und in diefen Mittheilungen 
(13.—15. Bd.) veröffentlicht hat, erfahren eine anfehnliche Vermehrung um 13 Nummern, 


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Außerdem betreffen noch das Nonnenklofter in Ktummau 10, St. Georg auf dem 
Hradſchin 9 und das Annaffofter in der Altftadt 8 Stüde. Auf fieben weitere Klöfter 
(darunter Kladrau und Doran) beziehen fich je 1—4 Urkunden. Hier darf man wohl 
dem Bedauern Ausdrud geben, daß der Herr Herausgeber nicht von den lateinischen 
Urkunden wenigftens jene mit eingereiht hat, welche ſich auf die Befigverhältniffe der- 
felben Klöfter beziehen, W. H. 


Dr. Joſef Neuwirth: Geſchichte der chriſtlichen Kunſt in Böhmen bis 
zum Ausſterben der Premyſſiden. Prag. J. G. Calve (Ottomar 
Beyer). 1888. ©. 493. 


Es ift ein fehnliher Wunfh R. v. Eitelbergerd gewejen, daß die fo reichen 
Kunſtdenkmale Böhmens in einer ihrer würdigen, zufammenfaffenden und erfhöpfenden 
Weiſe behandelt würden. Auch ift e8 eine befannte Thatfache, daß auf dem Gebiete 
der böhmischen Runftgefchichte Schon viel und mit gutem Verftändniffe gearbeitet wurde. 
Doch find das meift nur Specialforichungen, während die wenigen zufammenfaffenden, 
in deuticher Sprache gejchriebenen Arbeiten nicht mehr den Anforderungen entjprechen, 
welche der heutige Stand der Wiſſenſchaft und Kritik verlangt; insbefondere leidet 
Grueber's Werk, jo jehr man auch feine Mutopfie und fein künſtleriſches Urtheil 
hochhalten mag, an Unverftänduiß für die Benusung hiftorifcher Quellen; daher boten 
die zahlreichen Irrthümer den Gegnern eine willlommene Handhabe, um gegen ihn 
ind Treffen geführt zu werden. Mit dem vorliegenden Werke, das wir einer kurzen 
Beiprehung zu unterziehen gedenken, ift Eitelberger’3 Wunſch wenigftens zum Theil 
in Erfüllung gegangen. 

Neumirth beipricht in dem ftattlihen Bande die Gefchichte der riftlichen Kunft 
in Böhmen bi3 zum Ausfterben der Premyſliden. Der Verfaſſer, Docent der Kunft- 
geichichte an der deutfchen Carolo-Ferdinanden in Prag, ein Schüler und Anhänger 
der neuen Fritiichen Schule der Runftforfcher, ein noch junger Mann, der fich ſchon 
durch mehrere Abhandlungen in der Gelehrtenwelt einen guten Namen verjchafft hat, 
gibt in der vorliegenden Arbeit den Beweis, daß er vollauf befähigt ift, großes und 
ſchwer zu bewältigendes Materiale zu beherrſchen. Gerade für die böhm. Verhältniſſe 
fommt dem Verf. zugute, daß er, der Cechiihen Sprade mädtig, Quellen und 
Arbeiten in diefem Idiome reichlich für feine Darftellung ausnügen kann. Soviel 
der Referent aus dem Studium dieſes Werkes entnommen, geht Neuwirth in ganz 
objectiver Weife an die Benrtheilung der Kunftwerfe — ein Vorgang, der fich heut- 
zutage bei Beiprehung böhmiſcher Kunſtwerke nicht immer findet, da befonderd allzu— 
großer Localpatriotismus nur zu oft das freie Urtheil behinderte. Ganz angezeigt 
war e3 daher, daß an markanten Abjchnitten ein gefchichtlicher Ueberblid über 
die Entwidelung der Verhältniffe in Böhmen gegeben wurde, damit der Leer, na— 
mentlich der dem Lande fernftehende, um fo deutlicher wahrnehmen fünne, daß die 
Entwidlung der Kunft in Böhmen durchaus feinen anderen Weg eingefchlagen hat, 
als die Einführung des Chriſtenthums, die politifche Anlehnung der Herricher an ben 
europäiihen Weiten, die Berufung von Mönchen u. ſ. w. Deutlich geht aus dieſen 
Unterfuhungen hervor, daß deutfche Kunſt in Böhmen ein Heim und eine Pflegeftätte 
gefunden ſchon feit der älteften Zeit, und daß die Meinung, die fich förmlich als 


— — 


Dogma feſtgeſetzt hat, daß die byzantiniſche Kunſt auf Böhmen von maßgebender Be— 
deutung geweſen, als nnhaltbar zurückzuweiſen ſei. Maßvoll, nicht beeinflußt vom 
Parteiſtandpunkte, widerlegt er die gegnerischen Anfhauungen, führt nur ſachliche 
Beweisgründe vor und enthält fich jeder Polemik, die gehäſſig ericheinen könnte. Bon 
höchſtem Intereſſe find daher in diefem Sinne die Partien über die erften Capellen- 
anlagen und Rirhenbauten in Böhmen (S. 7—21), der Excurs über Abt Bozetech 
von Sazama und deffen Arbeiten, die der gleichzeitige Chronift ald „graecum opus“ 
bezeichnet (S. 36 fig.) und die Beiprehung des Wyſchehrader Evangeliftars (S. 45 
bis 51). Leider ift die Zahl der erhaltenen Denkmale, die vor Schluß des XI. Jahrh. 
entftanden find, fo gering, daß wir meift nur auf die Daten der Annaliften und Ur— 
funden angemwiefen find, um ung ein Bild von der Thätigkeit zu entwerfen, die von 
den Premyſliden trog der inneren Kämpfe, ferner von vielen Privaten, namentlich 
dem Adel und der Geiſtlichkeit gefördert wurde. 

Mit dem XU. Jahrh. fließen die Chroniftenangaben reichlicher, und find auch 
zahlreiche Denkmale diefer Periode erhalten. Meift begnügte man fich bisher mit der 
bloßen Beichreibung und Feftfegung, namentlich der Baudenkmale, höchſtens zog man 
noch andere Dentmale de3 Landes zur PVergleihung heran, Nur jehr jelten, wie 
etwa bei Sc. Georg in Prag, wo die Baudaten lebhaftes Intereffe hervorriefen, be— 
ſchäftigte man ſich mit der Frage, unter welchem Einfluffe fie entftanden fein mögen. 
Zu diefem Behufe ftellt Neuwirth Bergleiche an zwifchen der böhmifchen und aus— 
ländifchen, namentlich der deutjchen Kunft, und es ift wejentlich fein Berdienft, Böhmen 
die richtige Stellung in der Entwidlung der romanischen Beriode zugemiefen zu haben. 
Allerdings betritt er häufig bei dem Streben, den Einfluß auf Böhmen nachzuweiſen, 
das Gebiet der Hypotheſe, deren Nichtigkeit fi) wohl erft im Laufe der Zeit ergeben 
fann, deren Originalität aber unjere Aufmerkſamkeit an fich zieht. Bei den Bene- 
dictinerflöftern weift er auf gewifje, überfommene Principien hin, an denen ſtets feſt— 
gehalten wird; da hätten wir e3 meift mit weftdentichem (ſchwäbiſchem) Einfluffe zu 
thun. Ebenſo conjervativ verhielt fid) gegen die Mutterflöfter der Prämonitratenjer- 
und Giftercienjerorden. Was den erfteren anbelangt, fo will der Verf. in dem Mutter- 
Hofter zu Magdeburg die namentlich in Mühlhaufen und in Tepl vortretenden Formen 
wiebdererfennen; fo hätten wir von da ber einen norddeutſchen Einfluß, während be- 
fanntlich die Giftercienfer ftet3 das Mutterklofter zum Vorbilde nahmen. Was da— 
gegen die Plaſtik, Malerei und die Kleinkünſte anbelangt, fo haben diefelben nur bei 
ben Benedictinern ihre eigenartige Ausbildung erlangt, Auch Laienmeiftern begegnen 
wir bereit3 um dieſe Zeit in Böhmen, jo den 1142 nad Prag berufenen Wernher 
(©. 69 ffg.), der den Bau der Sc. Georgskirche am Hradſchin leitete. Mit Rückſicht 
auf den Stüßenmwechjel, der fich dafelbit findet und in fächfifchen Landen üblich war, 
meint Neuwirth, daß er die Idee der Empore von Kreweſe oder Gernrode entlehnte. 
(©. 105—112.) Kreweſe kennt Referent nicht, wohl hat er Gernrode gejehen, muß aber 
geftehen, daß ihn diefe Kirche an Sc. Georg in Prag nicht erinnerte. An ſächſiſche 
Mufter mag fi der Baumeifter gehalten haben, doc wohl weniger an ein ganz be= 
ftimmtes Motiv. Ebenfo führt der Verf. auf ſächſiſche Muſter die in Böhmen jo be— 
liebte Form der Rundkirchen zurüd (S. 143 ffg.), für deren Anlage bei dem regen 
Verkehr und der Verwandtſchaft der Prempiliden mit dem Wettiner Haufe die 
Groitzſche Rundcapelle maßgebend geweſen jei. Bei der Aufzählung diefer Denkmale 
wurde die bis jeßt jo wenig berüdfichtigte Rundcapelle im Mildner'ſchen Garten vor 
dem Reichsthore bei Prag vermißt, die mwahrjcheinlic von den Benebdictinermönden 


—— 


zu Sc. Margareth gegründet worden iſt. Der Verf., der ſich gerne mit dem Studium 
der Miniaturmalerei beſchäftigt, behandelt auch mit Vorliebe dieſen Kunſtzweig. Es 
iſt ſehr anregend, feinen Ausführungen über die im böhm. Muſeum befindliche „Mater 
verborum“ (©. 281 ffg.) die Bilderhandichriften in der Bibliothef ded Prager Dom: 
capitelö (©. 441 fg.) und über Welislaws Bilderbibel zu folgen. (©. 444.) Mit gleicher 
Aufmerkfamkeit behandelt er die Plaftit und Kleinfünfte, von deren Erzeugniffen leider 
nur geringe Refte vorhanden find. Insbefondere waren ed Ottokar II. und Wenzel II., 
welche durch den Reihthum an ihrem Hofe, durch die Begünftigung des Bürgerthums, 
Berufung deutfcher Coloniften u. f. w. dieſe Runftzweige beſonders fürderten (S. 186, 
278, 433 ffg.). Neben den Erzeugniffen der Goldſchmiedekunſt ift für Böhmen nod) 
von größerer Bedeutung die Ausbildung des Stempelfchneider (467 fig.) und die Technik 
der Fliefe (S. 470). Auf das Münzweſen nimmt der Verf. nur gelegentli, da uns 
auf der Neversfeite häufig der h. Wenzel oder ſymboliſche Zeichen begegnen, Rückſicht. 
aber auch in diefer Technik ift, namentlich im XII. Jahrh., ein byzantiniſcher Einfluß 
auch nicht im geringſten nachweisbar (S. 198). 

Das Werk, mit großem Fleiße gearbeitet, zeugt von einer eingehenden Kenntniß 
der Riteratur, wie die vielen Noten zeigen, und beruft fi der VBerf., namentlich bei 
Feftftellung von Kloftergründungen, auf handichr. Notizen, die er bei Bereijung der 
öfterr. Klöſter fich angelegt hat (S. 56). Bei ber fnappen und bündigen Ausbruds- 
weiſe herrſcht das Streben vor, möglichft viel in möglichft wenig Worten zu jagen, 
wodurch nicht felten die Klarheit de3 Gedankens etwas leidet. So fünnte man auf 
©. 1 glauben, daß Karl d. Gr., weldher 14 im Jahre 846 den Würzburger Biſchöfen 
zugewiejene ſlawiſche Kirchen erbauen ließ, diefelben in Böhmen baute, während nad) 
dem Wortlante der Urkunde (Erben, Reg. I. ©. 11) die Kirchen den in der Main- 
gegend jeßhaften Slawen angehörten, und der Verf, damit jedenfalld nur den Einfluß 
Karls d. Gr. auf die Slawen im Often der Deutichen meinen konnte. Da in diejer 
Arbeit nur die Piemyflidenzeit in Betracht kommt, fo findet dadurch ein jcheinbarer 
Widerſpruch feine Löfung, da S. 29 behauptet wird, Wratislams II. Verſuch 1056 
zur Einführung eines flawifchen Ritus fei der legte Verſuch eines Beherrſchers von 
Böhmen gewefen, wogegen auf ©. 34 die Einführung des ſlawiſchen Ritus burd) 
Karl IV. in Emans zugeftanden wird. 

Der Berf. hält fi ftreng an den Titel und zieht nur die Werke hriftlicher 
Kunft in Betradht; zu wünjchen wäre, daß als Gegenftüd zu diefer Studie aud eine 
Geihichte der Kunft im Laiendienfte erfheinen würde, um dieſe Epode von einem 
Geſichtspunkte aus überbliden zu können. Iſt mit dem Ausfterben der Premyſliden 
(1306) auch feine naturgemäße Phafe in der Kunftentwidelung abgeichloffen, jo it 
doch eine Berehtiguug für Böhmen mit dem Erlöfchen der Nationaldynaftie einen 
gewiffen Abſchluß anzunehmen, da die Bedingungen für die Kunft unter dem nad): 
folgenden Gefchlechte der Luxemburger ganz andere find. In diefem Sinne charafte: 
rifirt Neuwirth die beiprochene Epoche „als VBorftufe für dag mit Karl IV. fo herrlich 
erblühende Kunſtleben.“ 

Das Werk ift troß des wiſſenſchaftlichen Apparates jo anziehend und ver: 
ftändlich gefchrieben, daß jeder Kunftliebhaber ſich in demfelben ganz leicht zurecht: 
finden kann. Zahlreiche Abbildungen, zu denen die k. k. Centralcommiffion in Wien 
und die „Pamätky archeologick&“ in Prag ihre Elich63 im bereitwilliger Weiſe geliehen, 
dienen zur Veranſchaulichung de3 Gejagten. Die Ausftattung ift vorzüglich, der Preis 
mit Rückſicht auf die unentgeltliche Benugung der Stöde jo mäßig, daß felbft minder 


a, Re 


Bemittelten die Gelegenheit geboten ift, ſich auf leichte Weife einen Einblid in Böhmens 
ältefte Runftentwidelung zu verichaffen. Ein gutes Orts: und Perjonenverzeihniß 
ift dem Werke beigegeben. dr, h.— 


Neue geologifhe und paläontologifhe Arbeiten über Böhmen, 


Es dürfte nicht ungerechtfertigt erjcheinen, in diefen wenn aud vorwiegend 
anderen Zweigen der Literatur dienenden Blättern einer Anzahl von Arbeiten zu 
gebenfen, die ſich zumeift durch ihren beträchtlichen Umfang jchon Hervorthun und, 
durchwegs von bleibendem Werthe, im verwichenen und zu Beginn des neuen Jahres 
auf dem Gebiete der Geologie und Paläontologie Böhmens erfchienen find. E3 kann 
nicht in der Mbficht des Berichterftatterd Liegen, diefe Veröffentlihungen hier einer 
beurtheilenden Beiprehung zu unterziehen, e3 fcheint vielmehr dem Zwecke vollftändig 
zu entiprechen, wenn dieſelben bier ütberfichtlich zur Anzeige gelangen. Was zunächft 
geologifche Arbeiten anbelangt, jo haben wir zuerft drei zu verzeichnen, welche fich 
mit dem fryftallinifchen Gebirge unferes Vaterlandes beichäftigen. 


Eamerlander, Barl v., Zur Geologie des Granulitgebietedvon 
Prahatig am Dftrande des Böhmerwaldes Gahrbuch der k.k. geol. 
Reichsanſtalt. 37. Bd. 1887) beichäftigt fi mit der eingehenden Unterfuchung diejer 
merkwürdigen Lagerftätten, zu deren Beurtheilung einige neue, wichtige Gefiht3punfte 
gewonnen werden. 


Patton, Horace B. Die Serpentin- und Amphibolgefteine nörd- 
fih von Marienbad, (Tſchermak, Mineralog.petrograph. Mittheilungen, IX. Bb. 
1887) widmet eine eingehende Unterfuhung dem mikroskopiſchen Bau dieſer inter- 
eflanten, bis jest wenig gefannten Gefteine jener Gegend. 


Laube, Guſtav €, Seologie des böhmiſchen Erzgebirges (Il. Theil, 
Archiv der naturw. Durchforſchung Böhmens, V. Bd. Nr. 6) bringt die Ergebniffe 
der im Auftrage der Commiſſion zur naturwiff. Unterfuhung Böhmens unternommenen 
Unterfuchhungen des Gebirgsbaues des nordweftl. böhm, Randgebirges zum Abichluß. 


Auf das Silurgebiet Böhmens bezieht ſich: 


Breili, Iohann und Seiftmantel, Karl, Orographiſch-geotektoniſche 
Ueberſicht des filurifden Gebietes im mittleren Böhmen (Archiv der 
naturmwiffenichaftlihen Durchforſchung Böhmens V. Bd. Nr. 5), eine pofthume Ver— 
öffentlichung diefer um bie Kenntniß des geolog. Baues von Mittelböhnen hochver— 
dienten Fachmänner. 


V. Ratzer, Die jhiefrigen Einlagen in G g 1. (Sigungsbr. der königl. 
böhm. Gejellihaft der Wiſſenſchaften, 1886) beipricht diefe in tektonifcher Hinficht 
merkwürdigen Bildungen. 

Die geolog. VBerhältuiffe des böhmischen Elbequadergebirges berührt, da das 
Gebiet nicht durch die politifchen Grenzen umjchrieben werden kann, 


Alfred Hettner, Gebirgsbau und Oberflähengeitaltung der fädj- 
Schweiz (Forihungen zur deutfehen Landes: und Volkskunde II. Bd. 4. Heft). 


— — 





Auf die tertiären Bildungen des Landes bezieht ſich 

Hibſch, FIof. Emanuel, Leber einige minder befannte Eruptiv— 
gefteine bes böhm. Mittelgebirges (Tſchermak, mineralog.-petrograph. Mit- 
theilungen IX. Bd. 1887). Eine den Anforderungen der modernen Betrographie ftrenge 
Rechnung tragende Unterfuhung von Gefteinen unſeres jungplutonifchen Gebirges. 
welche der Ausgangspunkt einer das ganze Gebiet umfaflenden, in wiflenjchaftlicher 
Beziehung höchſt wünfchenswerthen Unterfuchung zu werden verfpricht. 


Endlid; erwähne ich noch folgender auf die jüngften, quartären Bildungen 
Bezug habenden Arbeiten: 

Denk, Böhm und Rodler, Bericht über eine gemeinfame Ercurjion 
ın ben Böhmerwald (Zeitichr. d. deutichen Geolog. Gejellihaft XXXIX. Bd.), 
welcher darthut, daß die von anderer Seite aus dem Böhmerwalde beichriebenen 
Gletſcherſpuren feine ſolchen find, und 


z Bieber, V, Das Mineralmoor „Der Soos“ (Marburg 1887, Selbit- 
verlag) eine eingehende Schilderung diefer hochintereffanten Ablagerung im Egerlande, 
deren Studium der Verfaffer viele Zeit erfolgreich gewidmet bat. 

Uebergehend nun zu den Veröffentlihungen über Paläontologie, behalte ich 
diefelbe Reihenfolge bei und erwähne zunächſt des Erjcheinend der Fortjegung des 
großen Werkes von 


Barrande, Systöme silurien du Centre de la Bohöme. Vol. VII 
Ordre Cystidees, herausgegeben von Prof. Dr. W. Waagen nad) den hinterlaffenen 
Aufzeihnungen des Verfaſſers. 


Auf die Fauna des böhmischen Silurs beziehen ſich ferner: 

Howak, Ottomar, Zur Kenntniß der Fauna der Etage $ fl, 

derjelbe, Note sur Phasganocaris, [beide Arbeiten in den Sitzungs- 
berichten der königl. böhmischen Gejellichaft 1887] und 

Eonrath Paul, Ueber einige filurifhe Pelecypoden (Situngsberichte 
der kaiſ. Akademie d. Wiffenjchaften. XCVI. Bd, 1887). 

Eine im großen Style angelegte Abhandlung, welche ſich der Unterſuchung der 
Flora unferer böhmifhen Steinkohlenjchichten zumendet, ift 

D. Stur, Carbon: Flora der Schatzharer Shidhten (Abhandlungen 
der Ef. geolog. Reichsanſtalt. XI. Bd. II. Abtheilung 1837). Die mit zahlreichen 
prachtvollen Tafeln ausgeftattete Arbeit füllt num ſchon zwei Foliobände (XT. 1. und 2.) 
der Abhandlungen der k. k. geol. Reichdanftalt und wird noch fortgeſetzt. 

Bruder, Georg, Paläontologiſche Beiträge zur Kenntniß der nord» 
böhmif hen Suragebilde (Jahrbuch des naturforfch. Vereines „Lotos“. N. F. 
vl. Bd.) bringt den Abichluß einer längeren Reihe von geologiichen wie paläonto: 
logiſchen Unterſuchungen dieſer in ihrem Auftreten in Böhmen höchſt merkwürdigen 
Formation. Line Anzahl Sonderſchriften find den Verſteinerungen der Kreide gewidmet. 

Fritſch, Anton und Rafka, 9., Die Cruſtaceen ber böhm. Kreide 
fo vmation (Prag, Rivnac in Comm, 1887) verbreitet fich, von zahlreichen ſchönen 
Abbildungen unterftügt, über die SKrebfe, deren Nefte in der Kreide Böhmen: 
gefunden wurden. 


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Princeton University Library 
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